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Anatol.

Berlin,: 1893.
Verlag des Bibliographiſchen Bureaus.
Alexanderſtraße 2.

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[]

Inhalt.


  • Seite
  • Einleitung. Von Loris1
  • Die Frage an das Schickſal 7
  • Weihnachtseinkäufe 27
  • Epiſode 43
  • Denkſteine 65
  • Abſchiedsſouper 75
  • Agonie 97
  • Anatols Hochzeitsmorgen 113

[]

Einleitung.


Arthur Schnitzler, Anatol. 1
[[2]][[3]]

Hohe Gitter, Taxushecken,
Wappen nimmermehr vergoldet
Sphinxe, durch das Dickicht ſchimmernd …
… Knarrend öffnen ſich die Thore. —
Mit verſchlafenen Cascaden
Und verſchlafenen Tritonen,
Rococco, verſtaubt und lieblich
Seht … das Wien des Canaletto,
Wien von Siebzehnhundertſechzig …
… Grüne, braune, ſtille Teiche,
Glatt und marmorweiß umrandet,
In dem Spiegelbild der Nixen
Spielen Gold- und Silberfiſche …
Auf dem glattgeſchor’nen Raſen
Liegen zierlich gleiche Schatten
Schlanker Oleanderſtämme;
1*
[4] Zweige wölben ſich zur Kuppel,
Zweige neigen ſich zur Niſche
Für die ſteifen Liebespaare
Heroinen und Heroen …
Drei Delphine gießen murmelnd
Fluthen in ein Muſchelbecken …
Duftige Kaſtanienblüten
Gleiten, ſchwirren leuchtend nieder
Und ertrinken in dem Becken …
… Hinter einer Taxusmauer
Tönen Geigen, Clarinetten …,
Und ſie ſcheinen den graziöſen
Amoretten zu entſtrömen,
Die rings auf der Rampe ſitzen
Fiedelnd oder Blumen windend,
Selbſt von Blumen bunt umgeben
Die aus Marmorvaſen ſtrömen:
Goldlack und Jasmin und Flieder ..
… Auf der Rampe, zwiſchen ihnen
Sitzen auch coquette Frauen,
Violette Monſignori …
Und im Gras, zu ihren Füßen
Und auf Polſtern, auf den Stufen:
Cavaliere und Abbati …
And’re heben and’re Frauen
Aus den parfümirten Sänften …
[5] … Durch die Zweige brechen Lichter,
Flimmernd auf den blonden Köpfchen;
Scheinen auf den bunten Polſtern,
Gleiten über Kies und Raſen
Gleiten über das Gerüſte,
Das wir flüchtig aufgeſchlagen.
Wein und Winde klettert aufwärts
Und umhüllt die lichten Balken.
Und dazwiſchen, farbenüppig
Flattert Teppich und Tapete,
Schäferſcenen, keck gewoben
Zierlich von Watteau entworfen …
Eine Laube ſtatt der Bühne,
Sommerſonne ſtatt der Lampen,
Alſo ſpielen wir Theater,
Spielen unſ’re eig’nen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Die Komödie unſ’rer Seele,
Unſ’res Fühlen’s Heut’ und Geſtern,
Böſer Dinge hübſche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder
Halbes, heimliches Empfinden,
Agonien, Epiſoden …
Manche hören zu, nicht Alle …
Manche träumen, manche lachen,
Manche eſſen Eis … und manche
[6] Sprechen ſehr galante Dinge …
… Nelken wiegen ſich im Winde,
Hochgeſtielte, weiße Nelken
Wie ein Schwarm von weißen Faltern …
Und ein Bologneſerhündchen
Bellt verwundert einen Pfau an …


Herbſt 1892.


Loris.


[[7]]

Die Frage an das Schickſal.


[[8]]

Perſonen:


  • Anatol.

  • Max.

  • Cora.

[[9]]
Anatols Zimmer.

Max.

Wahrhaftig, Anatol, ich beneide Dich …


Anatol
(lächelt).

Max.

Nun, ich muß Dir ſagen, ich war erſtarrt. Ich
habe ja doch bisher das Ganze für ein Märchen gehalten.
Wie ich das nun aber ſah, … wie ſie vor meinen Augen
einſchlief … wie ſie tanzte, als Du ihr ſagteſt, ſie ſei eine
Ballerine, und wie ſie weinte, als Du ihr ſagteſt, ihr Ge-
liebter ſei geſtorben, und wie ſie einen Verbrecher begnadigte,
als Du ſie zur Königin machteſt …


Anatol.

Ja, ja.


Max.

Ich ſehe, es ſteckt ein Zauberer in Dir!


Anatol.

In uns allen!


Max.

Unheimlich!


Anatol.

Das kann ich nicht finden … Nicht unheim-
licher als das Leben ſelbſt. Nicht unheimlicher, als Vieles,
auf das man erſt im Laufe der Jahrhunderte gekommen. Wie,
glaubſt Du wohl, war unſeren Voreltern zu Muthe, als ſie
[10] plötzlich hörten, die Erde drehe ſich? Sie müſſen Alle
ſchwindlig geworden ſein:


Max.

Ja … aber es bezog ſich auf Alle!


Anatol.

Und wenn man den Frühling neu entdeckte! …
Man würde auch an ihn nicht glauben! Trotz der grünen
Bäume, trotz der blühenden Blumen und trotz der Liebe.


Max.

Du verirrſt Dich; all’ das iſt Gefaſel. Mit dem
Magnetismus …


Anatol.

Hypnotismus …


Max.

Nein, mit dem iſt’s ein ander Ding. Nie und
nimmer würde ich mich hypnotiſiren laſſen. —


Anatol.

Kindiſch! Was iſt daran, wenn ich Dich ein-
ſchlafen heiße, und Du legſt Dich ruhig hin.


Max.

Ja, und dann ſagſt Du mir: „Sie ſind ein
Rauchfangkehrer“, und ich ſteige in den Kamin und werde
rußig! …


Anatol.

Nun, das ſind ja Scherze … Das Große
an der Sache iſt die wiſſenſchaftliche Verwerthung. — Aber ach,
allzuweit ſind wir ja doch nicht.


Max.

Wieſo …?


Anatol.

Nun, ich, der jenes Mädchen heute in hundert
andere Welten verſetzen konnte, wie bring’ ich mich ſelbſt in
eine andere?


Max.

Iſt das nicht möglich?


Anatol.

Ich hab’ es ſchon verſucht, um die Wahrheit
zu ſagen. Ich habe dieſen Brillantring minutenlang angeſtarrt
und habe mir ſelbſt die Idee eingegeben: Anatol! ſchlafe ein!
Wenn Du aufwachſt, wird der Gedanke an … ach an jenes
[11] Weib, das Dich wahnſinnig macht, aus Deinem Herzen ge-
ſchwunden ſein.


Max.

Nun, als Du aufwachteſt?


Anatol.

Oh, ich ſchlief gar nicht ein.


Max.

Jenes Weib … jenes Weib? … Alſo noch
immer!


Anatol.

Ja, mein Freund! … noch immer! Ich bin
unglücklich, bin toll.


Max.

Noch immer alſo … im Zweifel?


Anatol.

Nein … nicht im Zweifel. Ich weiß, daß
ſie mich betrügt! Während ſie an meinen Lippen hängt,
während ſie mir die Haare ſtreichelt … während wir ſelig
ſind … weiß ich, daß ſie mich betrügt.


Max.

Wahn!


Anatol.

Nein!


Max.

Und Deine Beweiſe …


Anatol.

Ich ahne es … ich fühle es … darum
weiß ich es!


Max.

Sonderbare Logik!


Anatol.

Immer ſind dieſe Frauenzimmer uns untreu.
Es iſt ihnen ganz natürlich … ſie wiſſen es gar nicht …
So wie ich zwei oder drei Bücher zugleich leſen muß, müſſen
dieſe Weiber zwei oder drei Liebſchaften haben.


Max.

Sie liebt Dich doch?


Anatol.

Unendlich … Aber das iſt gleichgiltig. Sie
iſt mir untreu.


Max.

Und mit wem?


Anatol.

Weiß ich’s? Vielleicht mit einem Fürſten, der
[12] ihr auf der Straße nachgegangen, vielleicht mit einem Poëten
aus einem Vorſtadthauſe, der ihr vom Fenſter aus zugelächelt
hat, als ſie in der Früh vorbei ging!


Max.

Du biſt ein Narr!


Anatol.

Und was für einen Grund hätte ſie, mir nicht
untreu zu ſein? Sie iſt wie jede, liebt das Leben, und denkt
nicht nach. Wenn ich ſie frage: Liebſt Du mich? — ſo
ſagt ſie ja — und ſpricht die Wahrheit; und wenn ich ſie
frage, biſt Du mir treu, ſo ſagt ſie wieder ja — und wieder
ſpricht ſie die Wahrheit, weil ſie ſich gar nicht an die Andern
erinnert — in dem Augenblick wenigſtens. Und dann, hat
Dir je Eine geantwortet: Mein lieber Freund, ich bin Dir
untreu? Woher ſoll man alſo die Gewißheit nehmen? Und
wenn ſie mir treu iſt —


Max.

Alſo doch! —


Anatol.

So iſt es der reine Zufall … Keineswegs
denkt ſie: Oh ich muß ihm die Treue halten, meinem lieben
Anatol … keineswegs …


Max.

Aber wenn ſie Dich liebt?


Anatol.

O, mein naiver Freund! wenn das ein Grund
wäre!


Max.

Nun?


Anatol.

Warum bin ich ihr nicht treu? … ich liebe
ſie doch gewiß!


Max.

Nun ja! ein Mann!


Anatol.

Die alte dumme Phraſe! Immer wollen wir
uns einreden, die Weiber ſeien darin anders als wir! Ja,
manche … die, welche die Mutter einſperrt, oder die, welche
[13] kein Temperament haben … Ganz gleich ſind wir. Wenn
ich Einer ſage: Ich liebe Dich, nur Dich, — ſo fühle ich
nicht, daß ich ſie belüge, auch wenn ich in der Nacht vorher am
Buſen einer Andern geruht.


Max.

Ja … Du!


Anatol.

Ich … ja! Und Du vielleicht nicht? Und
ſie, meine angebetete Cora, vielleicht nicht? Oh! Und
es bringt mich zur Raſerei. Wenn ich auf den Knien vor
ihr läge, und ihr ſagte: Mein Schatz, mein Kind — Alles
iſt Dir im Vorhin verziehen — aber ſag’ mir die Wahrheit
— was hälfe es mir? Sie würde lügen, wie vorher —
und ich wäre ſoweit wie vorher. Hat mich noch Keine an-
gefleht: „Um Himmelswillen! Sag mir … biſt Du mir
wirklich treu? Kein Wort des Vorwurfs, wenn Du’s nicht
biſt; aber die Wahrheit! ich muß ſie wiſſen“ … Was hab’
ich drauf gethan? Gelogen … ruhig, mit einem ſeligen
Lächeln … mit dem reinſten Gewiſſen. Warum ſoll ich Dich
betrüben, hab’ ich mir gedacht? Und ich ſagte: Ja, mein
Engel! Treu bis in den Tod. Und ſie glaubte mir und
war glücklich!


Max.

Nun alſo!


Anatol.

Aber ich glaube nicht und bin nicht glücklich!
Ich wär’ es, wenn es irgend ein untrügliches Mittel gäbe,
dieſe dummen, ſüßen, haſſenswerthen Geſchöpfe zum Sprechen
zu bringen oder auf irgend eine andere Weiſe die Wahrheit
zu erfahren … Aber es giebt keines, außer dem Zufall.


Max.

Und die Hypnoſe?


Anatol.

Wie?


[14]
Max.

Nun … die Hypnoſe … Ich meine das ſo:
Du ſchläferſt ſie ein und ſprichſt: Du mußt mir die Wahrheit
ſagen.


Anatol.

Hm …


Max.

Du mußt … Hörſt Du …


Anatol.

Sonderbar! …


Max.

Es müßte doch gehen … Und nun frägſt Du
ſie weiter … Liebſt Du mich? … Einen Andern? …
Woher kommſt Du? … Wohin gehſt Du? … Wie
heißt jener Andere? … Und ſo weiter.


Anatol.

Max! Max!


Max.

Nun …


Anatol.

Du haſt Recht! … man könnte ein Zauberer
ſein! Man könnte ſich ein wahres Wort aus einem Weiber-
mund hervorhexen …


Max.

Nun alſo? Ich ſehe Dich gerettet! Cora iſt
ja gewiß ein geeignetes Medium … heute Abend noch
kannſt Du wiſſen, ob Du ein Betrogener biſt … oder
ein …


Anatol.

Oder ein Gott! … Max! … Ich um-
arme Dich! … Ich fühle mich wie befreit … ich bin ein
ganz Anderer. Ich habe ſie in meiner Macht …


Max.

Ich bin wahrhaftig neugierig …


Anatol.

Wieſo? Zweifelſt Du etwa?


Max.

Ach ſo, die Andern dürfen nicht zweifeln, nur
Du …


Anatol.

Gewiß! … Wenn ein Ehemann aus dem
Hauſe tritt, wo er eben ſeine Frau mit ihrem Liebhaber
[15] entdeckt hat und ein Freund tritt ihm entgegen mit den
Worten: Ich glaube, Deine Gattin betrügt Dich, ſo wird er
nicht antworten: Ich habe ſoeben die Ueberzeugung ge-
wonnen … ſondern: Du biſt ein Schurke …


Max.

Ja, ich hatte faſt vergeſſen, daß es die erſte Freundes-
pflicht iſt — dem Freund ſeine Illuſionen zu laſſen.


Anatol.

Still doch …


Max.

Was iſt’s?


Anatol.

Hörſt Du ſie nicht? Ich kenne die Schritte,
auch wenn ſie noch in der Hausflur hallen.


Max.

Ich höre nichts.


Anatol.

Wie nahe ſchon! … Auf dem Gange …


(öffnet die Thür.)

Cora!


Cora.
(Draußen.)

Guten Abend! O Du biſt nicht allein …


Anatol.

Freund Max!


Cora
(hereintretend).

Guten Abend! Ei, im Dunklen? …


Anatol.

Ach, es dämmert ja noch. Du weißt, das
liebe ich.


Cora
(ihm die Haare ſtreichelnd).

Mein kleiner Dichter!


Anatol.

Meine liebſte Cora!


Cora.

Aber ich werde immerhin Licht machen … Du
erlaubſt.

(Sie zündet die Kerzen in den Leuchtern an)

Anatol
(zu Max).

Iſt ſie nicht reizend?


Max.

Oh!


Cora.

Nun wie geht’s? Dir, Anatol — Ihnen, Max?
— Plaudert Ihr ſchon lange?


Anatol.

Eine halbe Stunde.


[16]
Cora.

So.

(Sie legt Hut und Mantel ab.)

Und worüber?


Anatol.

Ueber dies und Jenes.


Max

Ueber die Hypnoſe.


Cora.

O ſchon wieder die Hypnoſe! man wird ja ſchon
ganz dumm davon.


Anatol.

Nun …


Cora.

Du, Anatol, ich möchte, daß Du einmal mich
hypnotiſirſt.


Anatol.

Ich … Dich …?


Cora.

Ja, ich ſtelle mir das ſehr hübſch vor. Das
heißt, — von Dir.


Anatol.

Danke.


Cora.

Von einem Fremden … nein, nein, das wollt’
ich nicht.


Anatol.

Nun, mein Schatz … wenn Du willſt,
hypnotiſire ich Dich.


Cora.

Wann?


Anatol.

Jetzt! Sofort, auf der Stelle.


Cora.

Ja! Gut! Was muß ich thun?


Anatol.

Nichts Anderes, mein Kind, als ruhig auf
dem Fauteuil ſitzen bleiben und den guten Willen haben,
einzuſchlafen.


Cora.

O ich habe den guten Willen!


Anatol.

Ich ſtelle mich vor Dich hin, Du ſiehſt mich
an … nun … ſieh’ mich doch an … ich ſtreiche Dir
über Stirne und Augen. So …


Cora.

Nun ja, und was dann …


Anatol.

Nichts … Du mußt nur einſchlafen wollen.


[17]
Cora.

Du, wenn Du mir ſo über die Augen ſtreichſt,
wird mir ganz ſonderbar …


Anatol.

Ruhig … nicht reden … Schlafen. Du
biſt ſchon recht müde.


Cora.

Nein.


Anatol.

Ja! … ein wenig müde.


Cora.

Ein wenig, ja …


Anatol

… Deine Augenlider werden Dir ſchwer …
ſehr ſchwer, Deine Hände kannſt Du kaum mehr erheben …


Cora
(leiſe).

Wirklich.


Anatol
(ihr weiter über Stirne und Augen ſtreichend, eintönig).

Müd …
ganz müd’ biſt Du … nun ſchlafe ein, mein Kind …
Schlafe.

(Er wendet ſich zu Max, der bewundernd zuſieht, macht eine ſieges-
bewußte Miene.)

Schlafen … Nun ſind die Augen feſt ge-
ſchloſſen … Du kannſt ſie nicht mehr öffnen …


Cora
(will die Augen öffnen).

Anatol.

Es geht nicht … Du ſchläfſt … Nur
ruhig weiter ſchlafen … So …


Max
(will etwas fragen).

Du …


Anatol.

Ruhig

(zu Cora)

… Schlafen … feſt, tief ſchlafen.

(Er ſteht eine Weile vor Cora, die ruhig athmet und ſchläft).

So … nun
kannſt Du fragen.


Max.

Ich wollte nur fragen, ob ſie wirklich ſchläft.


Anatol.

Du ſiehſt doch … Nun wollen wir ein
paar Augenblicke warten.

(Er ſteht vor ihr, ſieht ſie ruhig an. Große
Pauſe.)

Cora! … Du wirſt mir nun antworten … Ant-
worten. Wie heißt Du?


Cora.

Cora.


Arthur Schnitzler, Anatol. 2
[18]
Anatol.

Cora, wir ſind im Wald.


Cora.

O … im Wald … wie ſchön! Die grünen
Bäume … und die Nachtigallen.


Anatol.

Cora … Du wirſt mir nun in Allem die
Wahrheit ſagen … Was wirſt Du thun, Cora?


Cora.

Ich werde die Wahrheit ſagen.


Anatol[.]

Du wirſt mir alle Fragen wahrheitsgetreu be-
antworten, und wenn Du aufwachſt, wirſt Du wieder Alles
vergeſſen haben! Haſt Du mich verſtanden?


Cora.

Ja.


Anatol.

Nun ſchlafe … ruhig ſchlafen

(zu Max).

Jetzt
alſo werde ich ſie fragen …


Max.

Du, wie alt iſt ſie denn?


Anatol.

Neunzehn … Cora, wie alt biſt Du?


Cora.

Einundzwanzig Jahre.


Max.

Haha.


Anatol.

Pſt … das iſt ja außerordentlich … Du
ſiehſt daraus …


Max.

O, wenn ſie gewußt hätte, daß ſie ein ſo gutes
Medium iſt!


Anatol.

Die Suggeſtion hat gewirkt. Ich werde ſie
weiter fragen. — Cora, liebſt Du mich …? Cora, …
liebſt Du mich?


Cora.

Ja!


Anatol[.]
(triumphirend).

Hörſt Du’s?


Max.

Nun alſo, die Hauptfrage, ob ſie treu iſt.


Anatol.

Cora!

(ſich umwendend.)

Die Frage iſt dumm.


Max.

Warum?


[19]
Anatol.

So kann man nicht fragen!


Max

…?


Anatol.

Ich muß die Frage anders faſſen.


Max.

Ich denke doch, ſie iſt präcis genug.


Anatol.

Nein, das iſt eben der Fehler, ſie iſt nicht
präcis genug!


Max.

Wieſo?


Anatol.

Wenn ich ſie frage: biſt Du treu, ſo meint
ſie dies vielleicht im allerweiteſten Sinne.


Max.

Nun?


Anatol.

Sie umfaßt vielleicht die ganze … Ver-
gangenheit … Sie denkt möglicherweiſe an eine Zeit, wo
ſie einen Andern liebte … und wird antworten: Nein.


Max.

Das wäre ja auch ganz intereſſant.


Anatol.

Ich danke … Ich weiß, Cora iſt Andern
begegnet vor mir … Sie hat mir ſelbſt einmal geſagt:
Ja, wenn ich gewußt hätte, daß ich Dich einmal treffe …
dann …


Max.

Aber ſie hat es nicht gewußt.


Anatol.

Nein …


Max.

Und was Deine Frage anbelangt …


Anatol.

Ja … Dieſe Frage … Ich finde ſie
plump, in der Faſſung wenigſtens.


Max.

Nun ſo ſtelle ſie etwa ſo: Cora, warſt Du mir
treu, ſeit Du mich kennſt?


Anatol.

Hm … Das wäre etwas.

(Vor Cora)

Cora!
warſt Du .. Auch das iſt ein Unſinn!


Max.

Ein Unſinn!?


2*
[20]
Anatol.

Ich bitte … man muß ſich nur vorſtellen,
wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja ſelbſt nicht, daß
wir uns einmal ſo wahnſinnig lieben würden. Die erſten
Tage betrachteten wir Beide die ganze Geſchichte als etwas
Vorübergehendes. Wer weiß …


Max.

Wer weiß …?


Anatol.

Wer weiß, ob ſie nicht mich erſt zu lieben an-
fing, — als ſie einen Andern zu lieben aufhörte. Was er-
lebte dieſes Mädchen einen Tag, bevor ich ſie traf, bevor wir
das erſte Wort mit einander ſprachen? War es möglich, ſich
da ſo ohne Weiteres los zu reißen? Hat ſie nicht vielleicht
Tage und Wochen lang noch eine alte Kette nachſchleppen
müſſen, müſſen ſag’ ich.


Max.

Hm.


Anatol.

Ich will ſogar noch weiter gehen … Die
erſte Zeit war es ja nur eine Laune von ihr — wie von
mir. Wir haben es Beide nicht anders angeſehen, wir haben
nichts Anderes von einander verlangt, als ein flüchtiges ſüßes
Glück. Wenn ſie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat,
was kann ich ihr vorwerfen? Nichts — gar nichts.


Max.

Du biſt eigenthümlich mild.


Anatol.

Nein, durchaus nicht, ich finde es nur un-
edel, die Vortheile einer augenblicklichen Situation in dieſer
Weiſe auszunützen.


Max.

Nun, das iſt ſicher vornehm gedacht. Aber ich
will Dir aus der Verlegenheit helfen.


Anatol.

—?


[21]
Max.

Du fragſt ſie, wie folgt: Cora, ſeit Du mich
liebſt … biſt Du mir treu?


Anatol.

Das klingt zwar ſehr klar.


Max

… Nun?


Anatol.

Iſt es aber durchaus nicht.


Max.

Oh!


Anatol.

Treu! Wie heißt das eigentlich: treu? Denke
Dir … ſie iſt geſtern in einem Eiſenbahnwaggon gefahren,
und ein gegenüberſitzender Herr berührte mit ſeinem Fuße die
Spitze des ihren. Jetzt mit dieſem eigenthümlichen, durch den
Schlafzuſtand in’s Unendliche geſteigerten Auffaſſungsvermögen,
in dieſer verfeinerten Empfindungsfähigkeit, wie ſie ein Me-
dium zweifellos in der Hypnoſe beſitzt, iſt es gar nicht aus-
geſchloſſen, daß ſie auch das ſchon als einen Treubruch an-
ſieht.


Max.

Na höre!


Anatol.

Um ſo mehr, als ſie in unſeren Geſprächen
über dieſes Thema, wie wir ſie manchmal zu führen pflegten,
meine vielleicht etwas übertriebenen Anſichten kennen lernte.
Ich ſelbſt habe ihr geſagt: Cora, auch wenn Du einen andern
Mann einfach anſchauſt, iſt es ſchon eine Untreue gegen mich!


Max.

Und ſie?


Anatol.

Und ſie, ſie lachte mich aus und ſagte, wie ich
nur glauben könne, daß ſie einen Andern anſchaue.


Max.

Und doch glaubſt Du —?


Anatol.

Es giebt Zufälle — denke Dir, ein Zudring-
licher geht ihr Abends nach und drückt ihr einen Kuß auf
den Hals.


[22]
Max.

Nun — das …


Anatol.

Nun — das iſt doch nicht ganz unmöglich!


Max.

Alſo Du willſt ſie nicht fragen.


Anatol.

Oh doch … aber …


Max.

Alles, was Du vorgebracht haſt, iſt ein Unſinn.
Glaube mir, die Weiber mißverſtehen uns nicht, wenn wir
ſie um ihre Treue fragen. Wenn Du ihr jetzt zuflüſterſt
mit zärtlicher verliebter Stimme: Biſt Du mir treu … ſo
wird ſie an keines Herrn Fußſpitzen und keines Zudringlichen
Kuß auf den Nacken denken — ſondern nur an das, was
wir gemeiniglich unter Untreue verſtehen, wobei Du noch
immer den Vortheil haſt, bei ungenügenden Antworten weitere
Fragen ſtellen zu können, die Alles aufklären müſſen. —


Anatol.

Alſo Du willſt durchaus, daß ich ſie fragen
ſoll …


Max.

Ich? … Du wollteſt doch!


Anatol.

Mir iſt nämlich ſoeben noch etwas eingefallen.


Max.

Und zwar …?


Anatol.

Das Unbewußte!


Max.

Das Unbewußte?


Anatol.

Ich glaube nämlich an unbewußte Zuſtände.


Max.

So.


Anatol.

Solche Zuſtände können aus ſich ſelbſt heraus
entſtehen, ſie können aber auch erzeugt werden, künſtlich, …
durch betäubende, durch berauſchende Mittel.


Max.

Willſt Du Dich nicht näher erklären …?


Anatol.

Vergegenwärtige Dir ein dämmeriges, ſtimmungs-
volles Zimmer.


[23]
Max.

Dämmerig … ſtimmungsvoll … ich vergegen-
wärtige mir.


Anatol.

In dieſem Zimmer ſie … und irgend ein
Anderer.


Max.

Ja, wie ſollte ſie da hinein gekommen ſein?


Anatol.

Ich will das vorläufig offen laſſen. Es giebt
ja Vorwände … Genug! So etwas kann vorkommen.
Nun — ein Paar Gläſer Rheinwein … eine eigenthümlich
ſchwüle Luft, die über dem Ganzen laſtet, ein Duft von Ci-
garetten, parfumirten Tapeten, ein Lichtſchein von einem
matten Glasluſter und rothe Vorhänge — Einſamkeit —
Stille — nur Flüſtern von ſüßen Worten …


Max

…!


Anatol.

Auch Andere ſind da ſchon erlegen! Beſſere,
ruhigere als ſie!


Max.

Nun ja, nur kann ich es mit dem Begriffe der
Treue noch immer nicht vereinbar finden, daß man ſich mit
einem Andern in ſolch’ ein Gemach begiebt.


Anatol.

Es giebt ſo räthſelhafte Dinge …


Max.

Nun, mein Freund, Du haſt die Löſung eines
jener Räthſel, über das ſich die geiſtreichſten Männer den
Kopf zerbrochen, vor Dir; Du brauchſt nur zu ſprechen, und
Du weißt Alles, was Du wiſſen willſt. Eine Frage — und
Du erfährſt, ob Du Einer von den Wenigen biſt, die allein
geliebt werden, kannſt erfahren, wo Dein Nebenbuhler iſt,
erfahren, wodurch ihm der Sieg über Dich gelungen, — und
Du ſprichſt dieſes Wort nicht aus! — Du haſt eine Frage
frei an das Schickſal! Du ſtellſt ſie nicht! Tage und Nächte
[24] lang quälſt Du Dich, Dein halbes Leben gäbſt Du hin für
die Wahrheit, — nun liegt ſie vor Dir, Du bückſt Dich
nicht, um ſie aufzuheben! Und warum? Weil es ſich viel-
leicht fügen kann, daß eine Frau, die Du liebſt, wirklich ſo
iſt, wie ſie ja alle Deiner Idee nach ſein ſollen — und
weil Dir Deine Illuſion doch tauſendmal lieber iſt, als die
Wahrheit. Genug alſo des Spiels, wecke dieſes Mädchen auf
und laſſe Dir an dem ſtolzen Bewußtſein genügen, daß Du
ein Wunder — hätteſt vollbringen können.


Anatol.

Max!


Max.

Nun, habe ich vielleicht Unrecht? Weißt Du
nicht ſelbſt, daß Alles, was Du mir früher ſagteſt, Ausflüchte
waren, leere Phraſen, mit denen Du weder mich noch Dich
täuſchen konnteſt?


Anatol
(raſch).

Max … Laß Dir nur ſagen, ich will;
ja ich will ſie fragen!


Max.

Ah!


Anatol.

Aber ſei mir nicht böſe — nicht vor Dir!


Max.

Nicht vor mir?


Anatol.

Wenn ich es hören muß, das Furchtbare, wenn
ſie mir antwortet: Nein, ich war Dir nicht treu — ſo ſoll
ich allein es ſein, der es hört. Unglücklich ſein — iſt erſt
das halbe Unglück, bedauert werden: das iſt das ganze! —
Das will ich nicht. Du biſt ja mein beſter Freund, aber
gerade darum will ich nicht, daß Deine Augen mit jenem
Ausdruck von Mitleid auf mir ruhen, der dem Unglücklichen
erſt ſagt, wie elend er iſt. Vielleicht iſt’s auch noch etwas
Anderes — vielleicht ſchäme ich mich vor Dir. Die Wahr-
[25] heit wirſt Du ja doch erfahren, Du haſt dieſes Mädchen heute
zum letzten Mal bei mir geſehen, wenn ſie mich betrogen
hat! Aber Du ſollſt es nicht mit mir zugleich hören; das
iſt’s, was ich nicht ertragen könnte. Begreifſt Du das …?


Max.

Ja, mein Freund,

(drückt ihm die Hand)

und ich laſſe
Dich auch mit ihr allein.


Anatol.

Mein Freund!

(Ihn zur Thüre begleitend.)

In weniger
als einer Minute ruf’ ich Dich herein! —

(Max ab.)

Anatol.
(Steht vor Cora … ſieht ſie lange an.)

Cora …!

(Schüttelt den Kopf, geht herum.)

Cora! —

(Vor Cora auf den Knien.)


Cora! Meine ſüße Cora! — Cora!

(Steht auf.) (Entſchloſſen.)


Wach auf … und küſſe mich!


Cora
(ſteht auf, reibt ſich die Augen, fällt Anatol um den Hals).

Ana-
tol! Hab’ ich lang geſchlafen? … Wo iſt denn Max?


Anatol.

Max!


Max
(kommt aus dem Nebenzimmer).

Da bin ich!


Anatol.

Ja … ziemlich lang haſt Du geſchlafen —
Du haſt auch im Schlafe geſprochen.


Cora.

Um Gotteswillen! Doch nichts Unrechtes? —


Max.

Sie haben nur auf ſeine Fragen geantwortet!


Cora.

Was hat er denn gefragt?


Anatol.

Tauſenderlei! …


Cora.

Und ich habe immer geantwortet? Immer?


Anatol.

Immer.


Cora.

Und was Du gefragt haſt, das darf man nicht
wiſſen? —


Anatol.

Nein, das darf man nicht! Und morgen hyp-
notiſire ich Dich wieder!


[26]
Cora.

O nein! Nie wieder! Das iſt ja Hexerei. Da
wird man gefragt und weiß nach dem Erwachen nichts da-
von. — Gewiß hab’ ich lauter Unſinn geplauſcht.


Anatol.

Ja … zum Beiſpiel, daß ,Du mich liebſt …


Cora.

Wirklich!


Max.

Sie glaubt es nicht! Das iſt ſehr gut!


Cora.

Aber ſchau … das hätte ich Dir ja auch im
Wachen ſagen können!


Anatol.

Mein Engel!

(Umarmung.)

Max.

Meine Herrſchaften … adieu! —


Anatol.

Du gehſt ſchon?


Max.

Ich muß.


Anatol.

Sei nicht böſe, wenn ich Dich nicht begleite. —


Cora.

Auf Wiederſehen!


Max.

Durchaus nicht.

(Bei der Thür.)

Eines iſt mir
klar: Daß die Weiber auch in der Hypnoſe lügen … Aber
ſie ſind glücklich — und das iſt die Hauptſache. Adieu,
Kinder.

(Sie hören ihn nicht, da ſie ſich in einer leidenſchaftlichen Umarmung
umſchlungen halten.)

[[27]]

Weihnachtseinkäufe.


[[28]]

Perſonen:


  • Anatol.

  • Gabriele.

[[29]]
(Weihnachtsabend 6 Uhr. Leichter Schneefall. In den
Straßen Wiens
.)

Anatol.

Gnädige Frau, gnädige Frau …!


Gabriele.

Wie? … Ah, Sie ſind’s!


Anatol.

Ja! … Ich verfolge Sie! — Ich kann
das nicht mit anſehen, wie Sie all’ dieſe Dinge ſchleppen! —
Geben Sie mir doch Ihre Packete!


Gabriele.

Nein, nein, ich danke! — Ich trage das
ſchon ſelber!


Anatol.

Aber ich bitte Sie, gnädige Frau, machen Sie
mir’s doch nicht gar ſo ſchwer, wenn ich einmal galant ſein
will —


Gabriele.

Na — das eine da …


Anatol.

Aber das iſt ja gar nichts … Geben Sie
nur … So … dies … und dies …


Gabriele.

Genug, genug — Sie ſind zu liebenswürdig!


Anatol.

Wenn man’s nur einmal ſein darf — das
thut ja ſo wohl!


[30]
Gabriele.

Das beweiſen Sie aber nur auf der Straße
und — wenn’s ſchneit.


Anatol

… und wenn es ſpät Abends — und wenn
es zufällig Weihnachten iſt — wie?


Gabriele.

Es iſt ja das reine Wunder, daß man Sie
einmal zu Geſicht bekommt!


Anatol.

Ja, ja … Sie meinen, daß ich heuer noch
nicht einmal meinen Beſuch bei Ihnen gemacht habe —


Gabriele.

Ja, ſo etwas Aehnliches meine ich!


Anatol.

Gnädige Frau — ich mache heuer gar keine
Beſuche — gar keine! Und — wie geht’s denn dem Herrn
Gemahl? — Und was machen die lieben Kleinen —?


Gabriele.

Dieſe Frage können Sie ſich ſchenken! —
Ich weiß ja, daß Sie das Alles ſehr wenig intereſſirt!


Anatol.

Es iſt unheimlich, wenn man auf ſo eine
Menſchenkennerin trifft!


Gabriele.

Sie — kenne ich!


Anatol.

Nicht ſo gut, als ich es wünſchte!


Gabriele.

Laſſen Sie Ihre Bemerkungen! Ja —?


Anatol.

Gnädige Frau — das kann ich nicht!


Gabriele.

Geben Sie mir meine Päckchen wieder!


Anatol.

Nicht bös ſein — nicht bös ſein!! — Ich bin
ſchon wieder brav …

(Sie gehen ſchweigend neben einander her.)

Gabriele.

Irgend etwas dürfen Sie ſchon reden!


Anatol.

Irgend etwas — ja — aber Ihre Cenſur iſt
ſo ſtrenge …


Gabriele.

Erzählen Sie mir doch was. Wir haben
[31] uns ja ſchon ſo lange nicht geſehen … Was machen Sie
denn eigentlich? —


Anatol.

Ich mache nichts, wie gewöhnlich!


Gabriele.

Nichts?


Anatol.

Gar nichts!


Gabriele.

Es iſt wirklich ſchad’ um Sie!


Anatol.

Na … Ihnen iſt das ſehr gleichgiltig!


Gabriele.

Wie können Sie das behaupten —?


Anatol.

Warum verbummle ich mein Leben? — Wer
iſt Schuld? — Wer?!


Gabriele.

Geben Sie mir die Packete! —


Anatol.

Ich habe ja Niemandem die Schuld gegeben …
Ich fragte nur ſo in’s Blaue …


Gabriele.

Sie gehen wohl immerfort ſpazieren —!


Anatol.

Spazieren! Da legen Sie ſo einen verächt-
lichen Ton hinein! Als wenn es was Schöneres gäbe! —
Es liegt ſo was herrlich Planloſes in dem Wort! — Heut’
paßt es übrigens gar nicht auf mich — heut’ bin ich be-
ſchäftigt, gnädige Frau — genau ſo wie Sie!


Gabriele.

Wieſo?!


Anatol.

Ich mache auch Weihnachtseinkäufe! —


Gabriele.

Sie!?


Anatol.

Ich finde nur nichts Rechtes! — Dabei ſtehe
ich ſeit Wochen jeden Abend vor allen Auslagefenſtern in allen
Straßen! — Aber die Kaufleute haben keinen Geſchmack und
keinen Erfindungsgeiſt.


Gabriele.

Den muß eben der Käufer haben! Wenn
man ſo wenig zu thun hat wie Sie, da denkt man nach,
[32] erfindet ſelbſt — und beſtellt ſeine Geſchenke ſchon im
Herbſt. —


Anatol.

Ach, dazu bin ich nicht der Menſch! — Weiß
man denn überhaupt im Herbſt, wem man zu Weihnachten
etwas ſchenken wird? — Und jetzt iſt’s wieder einmal zwei
Stunden vor Chriſtbaum — und ich habe noch keine Ahnung,
keine Ahnung —!


Gabriele.

Soll ich Ihnen helfen?


Anatol.

Gnädige Frau … Sie ſind ein Engel —
aber nehmen Sie mir die Päckchen nicht weg …


Gabriele.

Nein, nein …


Anatol.

Alſo Engel! darf man ſagen. — Das iſt
ſchön — Engel! —


Gabriele.

Wollen Sie gefälligſt ſchweigen? —


Anatol.

Ich bin ſchon wieder ganz ruhig!


Gabriele.

Alſo — geben Sie mir irgend einen An-
haltspunkt … Für wen ſoll Ihr Geſchenk gehören?


Anatol

… Das iſt … eigentlich ſchwer zu ſagen …


Gabriele.

Für eine Dame natürlich?!


Anatol

Na, ja — daß Sie eine Menſchenkennerin
ſind — hab’ ich Ihnen heut’ ſchon einmal geſagt!


Gabriele.

Aber was … für eine Dame? — Eine
wirkliche Dame?!


Anatol

… Da müſſen wir uns erſt über den Begriff
einigen! Wenn Sie meinen, eine Dame der großen Welt, —
da ſtimmt es nicht vollkommen …


Gabriele.

Alſo … der kleinen Welt? …


Anatol.

Gut — ſagen wir der kleinen Welt —


[33]
Gabriele.

Das hätt’ ich mir eigentlich denken können …!


Anatol.

Nur nicht ſarkaſtiſch werden!


Gabriele.

Ich kenne ja Ihren Geſchmack … Wird
wohl wieder irgend was vor der Linie ſein — dünn und
blond!


Anatol.

Blond — gebe ich zu …!


Gabriele

… Ja, ja … blond … es iſt merk-
würdig, daß Sie immer mit ſolchen Vorſtadtdamen zu thun
haben — aber immer!


Anatol.

Gnädige Frau — meine Schuld iſt es nicht.


Gabriele.

Laſſen Sie das — mein Herr! — Oh, es
iſt auch ganz gut, daß Sie bei Ihrem Genre bleiben …
es wäre ein großes Unrecht, wenn Sie die Stätte Ihrer
Triumphe verließen …


Anatol.

Aber was ſoll ich denn thun — man liebt
mich nur da draußen …


Gabriele.

Verſteht man Sie denn … da draußen? —


Anatol.

Keine Idee! — Aber, ſehen Sie … in der
kleinen Welt werd’ ich nur geliebt; in der großen — nur
verſtanden — Sie wiſſen ja …


Gabriele.

Ich weiß gar nichts … und will weiter
nichts wiſſen! — Kommen Sie … hier iſt gerade das
richtige Geſchäft … da wollen wir Ihrer Kleinen was
kaufen …


Anatol.

Gnädige Frau! —


Gabriele.

Nun ja … ſehen Sie einmal … da …
ſo eine kleine Schatulle mit drei verſchiedenen Parfüms …
oder dieſe hier mit den ſechs Seifen .... Patchouli …
Arthur Schnitzler, Anatol. 3
[34] Chypre … Jockey-Club — das müßte doch was ſein —
nicht?!


Anatol.

Gnädige Frau — ſchön iſt das nicht von
Ihnen!


Gabriele.

Oder warten Sie, hier …! — Sehen
Sie doch … Dieſe kleine Broche mit ſechs falſchen
Brillanten — denken Sie — ſechs! — Wie das nur
glitzert! — Oder dieſes reizende, kleine Armband mit den
himmliſchen Breloques … ach, — eins ſtellt gar einen
veritablen Mohrenkopf vor! — Das muß doch rieſig
wirken … in der Vorſtadt! …


Anatol.

Gnädige Frau — Sie irren ſich! Sie kennen
dieſe Mädchen nicht — die ſind anders, als Sie ſich vor-
ſtellen ..


Gabriele.

Und da … ach, wie reizend — Kommen
Sie doch näher — nun — was ſagen Sie zu dem Hut!? —
Die Form war vor zwei Jahren höchſt modern! Und die
Federn — wie die wallen — nicht?! — Das müßte ein
koloſſales Aufſehen machen — in Hernals?!


Anatol.

Gnädige Frau … von Hernals war nie die
Rede … und übrigens unterſchätzen Sie wahrſcheinlich auch
den Hernalſer Geſchmack …


Gabriele.

Ja … es iſt wirklich ſchwer mit Ihnen —
ſo kommen Sie mir doch zu Hilfe — geben Sie mir eine
Andeutung —


Anatol.

Wie ſoll ich das …?! Sie würden ja doch
überlegen lächeln — jedenfalls!


Gabriele.

Oh nein, oh nein! — Belehren Sie mich
[35] nur …! Iſt ſie eitel — oder beſcheiden? — Iſt ſie groß
oder klein? — Schwärmt ſie für bunte Farben …?


Anatol.

Ich hätte Ihre Freundlichkeit nicht annehmen
ſollen! — Sie ſpotten nur!


Gabriele.

Oh nein, ich höre ſchon zu! — Erzählen
Sie mir doch was von ihr!


Anatol.

Ich wage es nicht —


Gabriele.

Wagen Sie’s nur! … Seit wann …?


Anatol.

Laſſen wir das!


Gabriele.

Ich beſtehe darauf! — Seit wann kennen
Sie ſie?


Anatol.

Seit — längerer Zeit!


Gabriele.

Laſſen Sie ſich doch nicht in dieſer Weiſe
ausfragen …! Erzählen Sie mir einmal die ganze Ge-
ſchichte …!


Anatol.

Es iſt gar keine Geſchichte!


Gabriele.

Aber, wo Sie ſie kennen gelernt haben, und
wie und wann, und was das überhaupt für eine Perſon
iſt — das möcht’ ich wiſſen!


Anatol.

Gut — aber es iſt langweilig — ich mache
Sie darauf aufmerkſam!


Gabriele.

Mich wird es ſchon intereſſiren. Ich möchte
wirklich einmal was aus dieſer Welt erfahren! — Was iſt
das überhaupt für eine Welt? — Ich kenne ſie ja gar nicht!


Anatol.

Sie würden ſie auch gar nicht verſtehn!


Gabriele.

Oh, mein Herr!


Anatol.

Sie haben eine ſo ſummariſche Verachtung für
Alles, was nicht Ihr Kreis iſt! — Sehr mit Unrecht.


3*
[36]
Gabriele.

Aber ich bin ja ſo gelehrig! — Man erzählt
mir ja nichts aus dieſer Welt! — Wie ſoll ich ſie kennen?


Anatol.

Aber … Sie haben ſo eine unklare Em-
pfindung, daß — man Ihnen dort etwas wegnimmt. Stille
Feindſchaft!


Gabriele.

Ich bitte — mir nimmt man nichts weg —
wenn ich etwas behalten will.


Anatol.

Ja … aber, wenn Sie ſelber irgend was
nicht wollen, … es ärgert Sie doch, wenn’s ein Anderer
kriegt? —


Gabriele.

Oh —!


Anatol.

Gnädige Frau … Das iſt nur echt weiblich!
Und da es echt weiblich iſt — iſt es ja wahrſcheinlich auch
höchſt vornehm und ſchön und tief …!


Gabriele.

Wo Sie nur die Ironie herhaben!!


Anatol.

Wo ich ſie herhabe? — Ich will es Ihnen
ſagen. Auch ich war einmal gut — und voll Vertrauen —
und es gab keinen Hohn in meinen Worten … Und ich
habe manche Wunde ſtill ertragen —


Gabriele.

Nur nicht romantiſch werden!


Anatol.

Die ehrlichen Wunden — ja! — Ein „Nein“
zur rechten Zeit, ſelbſt von den geliebteſten Lippen — ich
konnte es verwinden. — Aber ein „Nein“, wenn die Augen
hundert Mal „Vielleicht!“ geſagt — wenn die Lippen hundert
Mal „Mag ſein!“ gelächelt, — wenn der Ton der Stimme
hundert Mal nach „Gewiß!“ geklungen — ſo ein „Nein“
macht einen —


Gabriele.

Wir wollten ja was kaufen!


[37]
Anatol.

So ein Nein macht einem zum Narren …
oder zum Spötter!


Gabriele

… Sie wollten mir ja … erzählen —


Anatol.

Gut — wenn Sie durchaus etwas erzählt
haben wollen …


Gabriele.

Gewiß will ich es! … Wie lernten Sie
ſie kennen …?


Anatol.

Gott — wie man eben Jemand kennen lernt!
— Auf der Straße — beim Tanz — in einem Omnibus
— unter einem Regenſchirm —


Gabriele.

Aber — Sie wiſſen ja — der ſpecielle Fall
intereſſirt mich. Wir wollen ja dem ſpeciellen Fall etwas
kaufen!


Anatol.

Dort, in der … „kleinen Welt“ giebt’s ja
keine ſpeciellen Fälle — eigentlich auch in der großen nicht …
Ihr ſeid ja Alle ſo typiſch!


Gabriele.

Mein Herr! Nun fangen Sie an —


Anatol.

Es iſt ja nichts Beleidigendes — durchaus
nicht! — Ich bin ja auch ein Typus!


Gabriele.

Und was für einer denn?


Anatol

… Leichtſinniger Melancholiker!


Gabriele

… Und … und ich?


Anatol.

Sie? — ganz einfach: Mondaine!


Gabriele.

So …! … Und ſie!?


Anatol.

Sie …? Sie …, das ſüße Mädl!


Gabriele.

Süß! Gleich „ſüß“? — Und ich — die
„Mondaine“ ſchlechtweg —


Anatol.

Böſe Mondaine — wenn Sie durchaus wollen …


[38]
Gabriele.

Alſo … erzählen Sie mir endlich von
dem … ſüßen Mädl!


Anatol.

Sie iſt nicht fascinirend ſchön — ſie iſt nicht
beſonders elegant — und ſie iſt durchaus nicht geiſtreich …


Gabriele.

Ich will ja nicht wiſſen, was ſie nicht iſt —


Anatol.

Aber ſie hat die weiche Anmuth eines Früh-
lingsabends … und die Grazie einer verzauberten Prin-
zeſſin … und den Geiſt eines Mädchens, das zu lieben
weiß!


Gabriele.

Dieſe Art von Geiſt ſoll ja ſo ſehr verbreitet
ſein … in Ihrer kleinen Welt! …


Anatol.

Sie können ſich da nicht hinein denken! …
Man hat Ihnen zu viel verſchwiegen, als Sie junges Mädchen
waren — und hat Ihnen zu viel geſagt, ſeit Sie junge Frau
ſind! … darunter leidet die Naivetät Ihrer Betrachtungen —


Gabriele.

Aber Sie hören doch — ich will mich be-
lehren laſſen … Ich glaube Ihnen ja auch ſchon die „ver-
zauberte Prinzeſſin“! — Erzählen Sie mir nur, wie der
Zaubergarten ausſchaut, in dem ſie ruht —


Anatol.

Da dürfen Sie ſich freilich nicht einen glän-
zenden Salon vorſtellen, wo die ſchweren Portièren nieder-
fallen — mit Makartbouquets in den Ecken, Bibelôts, Leucht-
thürmen, mattem Sammt … und dem affectirten Halb-
dunkel eines ſterbenden Nachmittags …


Gabriele.

Ich will ja nicht wiſſen, was ich mir nicht
vorſtellen ſoll …


Anatol.

Alſo — denken Sie ſich — ein kleines,
dämmeriges Zimmer — ſo klein — mit gemalten Wänden —
[39] und noch dazu etwas zu licht — ein paar alte, ſchlechte
Kupferſtiche mit verblaßten Aufſchriften hängen da und dort.
— Eine Hängelampe mit einem Schirm. — Vom Fenſter
aus, wenn es Abend wird, die Ausſicht auf die im Dunkel
verſinkenden Dächer und Rauchfänge! … Und — wenn der
Frühling kommt, da wird der Garten gegenüber blüh’n und
duften …


Gabriele.

Wie glücklich müſſen Sie ſein, daß Sie ſchon
zu Weihnachten an den Mai denken!


Anatol.

Ja — dort bin ich auch zuweilen glück-
lich! …


Gabriele.

Genug, genug! — Es wird ſpät … wir
wollten ihr was kaufen! … Vielleicht etwas für das
Zimmer mit den gemalten Wänden …


Anatol.

Es fehlt nichts darin!


Gabriele.

Ja … ihr! — das glaub’ ich wohl! —
Aber ich möchte Ihnen — ja Ihnen! das Zimmer ſo recht
nach Ihrer Weiſe ſchmücken!


Anatol.

Mir? —


Gabriele.

Mit perſiſchen Teppichen …


Anatol.

Aber ich bitte Sie — da hinaus!


Gabriele.

Mit einer Ampel von gebrochenem, roth-
grünem Glas …?


Anatol.

Hm!


Gabriele.

Ein paar Vaſen mit friſchen Blumen? —


Anatol.

Ja … aber ich will ja ihr was bringen —


Gabriele.

Ach ja … es iſt wahr — wir müſſen
uns entſcheiden — ſie wartet wohl ſchon auf Sie?


[40]
Anatol.

Gewiß!


Gabriele.

Sie wartet?! — Sagen Sie … wie em-
pfängt ſie Sie denn? —


Anatol.

Ach — wie man eben empfängt. —


Gabriele.

Sie hört Ihre Schritte ſchon auf der
Treppe … nicht wahr?


Anatol.

Ja … zuweilen …


Gabriele.

Und ſteht bei der Thüre? …


Anatol.

Ja!


Gabriele.

Und fällt Ihnen um den Hals — und küßt
Sie — und ſagt … Was ſagt ſie denn …?


Anatol.

Was man eben in ſolchen Fällen ſagt …


Gabriele.

Nun … zum Beiſpiel!


Anatol.

Ich weiß kein Beiſpiel!


Gabriele.

Was ſagte ſie geſtern?


Anatol.

Ach — nichts Beſonderes … das klingt ſo
einfältig, wenn man nicht den Ton der Stimme dazu hört …!


Gabriele.

Ich will mir ihn ſchon dazu denken: Nun —
was ſagte ſie?


Anatol

… „Ich bin ſo froh, daß ich Dich wieder
hab’!“


Gabriele.

„Ich bin ſo froh“ — wie?! —


Anatol

— „daß ich Dich wieder hab’“! …


Gabriele

… das iſt eigentlich hübſch — ſehr hübſch! —


Anatol.

Ja … es iſt herzlich und wahr!


Gabriele.

Und ſie iſt … immer allein? — Ihr könnt
Euch ſo ungeſtört ſehen!? —


Anatol.

Nun ja — ſie lebt ſo für ſich — ſie ſteht
[41] ganz allein — keinen Vater, keine Mutter … nicht einmal
eine Tante!


Gabriele.

Und Sie … ſind ihr Alles …?


Anatol

… Möglich! … Heute …

(Schweigen.)

Gabriele

… Es wird ſo ſpät — ſehen Sie, wie leer
es ſchon in den Straßen iſt …


Anatol.

Oh — ich hielt Sie auf! — Sie müſſen ja
nach Hauſe. —


Gabriele.

Freilich — freilich! Man wird mich ſchon
erwarten! — Wie machen wir das nur mit dem Geſchenk …?


Anatol.

Oh — ich finde ſchon noch irgend eine
Kleinigkeit …!


Gabriele.

Wer weiß, wer weiß! — Und ich habe mir
ſchon einmal in den Kopf geſetzt, daß ich Ihrer … daß ich
dem … Mädel — was ausſuchen will …!


Anatol.

Aber, ich bitte Sie, gnädige Frau!


Gabriele

. . Ich möchte am Liebſten dabei ſein, wenn
Sie ihr das Weihnachtsgeſchenk bringen! … Ich habe eine
ſolche Luſt bekommen, das kleine Zimmer und das ſüße Mädl
zu ſehen! — Die weiß ja gar nicht, wie gut ſie’s hat!


Anatol

…!


Gabriele.

Nun aber, geben Sie mir die Päckchen! —
Es wird ſo ſpät …


Anatol.

Ja, ja! Hier ſind ſie — aber …


Gabriele.

Bitte — winken Sie dem Wagen dort, der
uns entgegen kommt …


Anatol.

Dieſe Eile mit einem Mal?!


Gabriele.

Bitte, bitte!

(Er winkt)

[42]
Gabriele.

Ich danke Ihnen …! Aber was machen
wir nun mit dem Geſchenk …?

(Der Wagen hat gehalten; er und ſie ſind ſtehen geblieben, er will die
Wagenthüre öffnen) …

Gabriele.

Warten Sie! — … Ich möchte ihr ſelbſt
was ſchicken!


Anatol.

Sie …?! Gnädige Frau, Sie ſelbſt …


Gabriele.

Was nur?! — Hier … nehmen Sie …
dieſe Blumen … ganz einfach, dieſe Blumen …! Es
ſoll nichts Anderes ſein, als ein Gruß, gar nichts weiter …
Aber … Sie müſſen ihr was dazu ausrichten. —


Anatol.

Gnädige Frau — Sie ſind ſo lieb —


Gabriele.

Verſprechen Sie mit, ihr’s zu beſtellen …
und mit den Worten, die ich Ihnen mitgeben will —


Anatol.

Gewiß!


Gabriele.

Verſprechen Sie’s mir? —


Anatol.

Ja … mit Vergnügen! — Warum denn
nicht!


Gabriele
(hat die Wagenthüre geöffnet).

So ſagen Sie ihr …


Anatol.

Nun …?


Gabriele.

Sagen Sie ihr: „Dieſe Blumen, mein …
ſüßes Mädl, ſchickt Dir eine Frau, die vielleicht ebenſo lieben
kann wie Du und die den Muth dazu nicht hatte …“


Anatol.

Gnädige … Frau!? — —

(Sie iſt in den Wagen geſtiegen — — — Der Wagen rollt fort, die Straßen
ſind faſt menſchenleer geworden.)


(Er ſchaut dem Wagen lange nach, bis er um eine Ecke gebogen iſt … Er
bleibt noch eine Weile ſtehn: dann ſieht er auf die Uhr und eilt raſch fort.)

[[43]]

Epiſode.


[[44]]

Perſonen:


  • Anatol.

  • Max.

  • Bianca.

[[45]]
Maxens Zimmer, im Ganzen dunkel gehalten, dunkelrothe Tapeten, dunkelrothe
Portièren. Im Hintergrunde, Mitte, eine Thür. Eine zweite links vom Zu-
ſchauer. In der Mitte des Zimmers ein großer Schreibtiſch; eine Lampe mit
einem Schirm ſteht darauf; Bücher und Schriften liegen auf demſelben. Rechts
vorn ein hohes Fenſter. Im Winkel rechts ein Kamin, in welchem ein Feuer
lodert. Davor zwei niedere Lehnſeſſel. Zwanglos daneben gerückt ein dunkel-
rother Ofenſchirm.

Max
(ſitzt vor dem Schreibtiſch und lieſt, ſeine Cigarre rauchend, einen
Brief).

„Mein lieber Max! Ich bin wieder da. Unſere Ge-
ſellſchaft bleibt drei Monate hier, wie Sie wohl in der Zeitung
geleſen haben. Der Abend gehört der Freundſchaft. Heute
Abends bin ich bei Ihnen. Bibi …“ Bibi … alſo
Bianca … Nun, ich werde ſie erwarten.

(Es klopft)

Sollte
ſie es ſchon ſein …? Herein!


Anatol
(tritt ein, ein großes Packet unter dem Arm tragend, düſter).

Guten Abend!


Max.

Ah — Du! Was bringſt Du?


Anatol.

Ich ſuche ein Aſyl für meine Vergangenheit.


Max.

Wie ſoll ich das verſtehen?


Anatol
(hält ihm das Packet entgegen).

Max.

Nun?


[46]
Anatol.

Hier bringe ich Dir meine Vergangenheit, mein
ganzes Jugendleben: nimm es bei Dir auf.


Max.

Mit Vergnügen. Aber Du wirſt Dich doch näher
erklären?


Anatol.

Darf ich mich ſetzen?


Max.

Gewiß. Warum biſt Du übrigens ſo feierlich?


Anatol
(hat ſich niedergeſetzt).

Darf ich mir eine Cigarre
anzünden?


Max.

Da! Nimm, ſie ſind von der heurigen Ernte.


Anatol
(zündet ſich eine der angebotenen Cigarren an).

Ah —
ausgezeichnet!


Max
(auf das Packet deutend, welches Anatol auf den Schreibtiſch gelegt
hat).

Und …?


Anatol.

Dieſes Jugendleben hat in meinem Haufe kein
Quartier mehr! Ich verlaſſe die Stadt.


Max.

Ah!


Anatol.

Ich beginne ein neues Leben auf unbeſtimmte
Zeit. Dazu muß ich frei und allein ſein, und darum löſe
ich mich von der Vergangenheit los.


Max.

Du haſt alſo eine neue Geliebte.


Anatol.

Nein — ich habe nur vorläufig die alte nicht
mehr …

(raſch abbrechend und auf das Packet deutend)

— bei Dir,
mein lieber Freund, darf ich all’ dieſen Tand ruhen laſſen.


Max.

Tand, ſagſt Du —! Warum verbrennſt Du ihn
nicht?


Anatol.

Ich kann nicht.


Max.

Das iſt kindiſch.


Anatol.

Oh nein: das iſt ſo meine Art von Treue.
[47] Keine von Allen, die ich liebte, kann ich vergeſſen. Wenn
ich ſo in dieſen Blättern, Blumen, Locken wühle — Du mußt
mir geſtatten, manchmal zu Dir zu kommen, nur um zu
wühlen — dann bin ich wieder bei ihnen, dann leben ſie
wieder, und ich bete ſie auf’s Neue an.


Max.

Du willſt Dir alſo in meiner Behauſung ein
Stelldichein mit alten Geliebten geben …?


Anatol
(kaum auf ihn hörend).

Ich habe manchmal ſo eine
Idee … Wenn es irgend ein Machtwort gäbe, daß Alle
wieder erſcheinen müßten! Wenn ich ſie hervorzaubern könnte
aus dem Nichts!


Max.

Dieſes Nichts wäre etwas verſchiedenartig.


Anatol.

Ja, ja … denke Dir, ich ſpräche es aus,
dieſes Wort …


Max.

Vielleicht findeſt Du ein wirkſames … zum
Beiſpiel: Einzig Geliebte!


Anatol.

Ich rufe alſo: Einzig Geliebte …! Und nun
kommen ſie; die Eine aus irgend einem kleinen Häuschen in
der Vorſtadt, die Andere aus dem prunkenden Salon ihres
Herrn Gemahls — Eine aus der Garderobe ihres Theaters —


Max.

Mehrere!


Anatol.

Mehrere — gut … Eine aus dem Mo-
diſtengeſchäft —


Max.

Eine aus den Armen eines neuen Geliebten —


Anatol.

Eine aus dem Grabe … Eine von da —
Eine von dort — und nun ſind ſie Alle da …


Max.

Sprich das Wort lieber nicht aus. Dieſe Ver-
ſammlung könnte ungemüthlich werden. Denn ſie haben
[48] vielleicht Alle aufgehört, Dich zu lieben — aber Keine, eifer-
ſüchtig zu ſein.


Anatol.

Sehr weiſe . . Ruhet alſo in Frieden.


Max.

Nun heißt es aber einen Platz für dieſes ſtatt-
liche Päckchen zu finden.


Anatol.

Du wirſt es vertheilen müſſen.

(Reißt das Packet
auf; es liegen zierliche, durch Bänder zuſammengehaltene Päckchen zu Tage.)

Max.

Ah!


Anatol.

Es iſt Alles hübſch geordnet.


Max.

Nach Namen?


Anatol.

O nein. Jedes Päckchen trägt irgend eine
Aufſchrift: einen Vers, ein Wort, eine Bemerkung, die mir
das ganze Erlebniß in die Erinnerung zurückrufen. Niemands
Namen — denn Marie oder Anna könnte ſchließlich Jede
heißen.


Max.

Laß ſehen.


Anatol.

Werde ich Euch Alle wieder kennen? Manches
liegt jahrelang da, ohne daß ich es wieder angeſehen habe.


Max
(eines der Päckchen in die Hand nehmend, die Aufſchrift leſend):

„Du reizend Schöne, Holde, Wilde,

Laß mich umſchlingen Deinen Leib;

Ich küſſe Deinen Hals, Mathilde,

Du wunderſames ſüßes Weib!“

… Das iſt ja doch ein Name —? Mathilde!


Anatol.

Ja, Mathilde. — Sie hieß aber anders.
Immerhin habe ich ihren Hals geküßt.


Max.

Wer war ſie?


Anatol.

Frage das nicht. Sie iſt in meinen Armen
gelegen, das genügt.


[49]
Max.

Alſo fort mit der Mathilde. — Uebrigens ein
recht ſchmales Päckchen.


Anatol.

Ja, es iſt nur eine Locke darin.


Max.

Gar keine Briefe?


Anatol

Oh — von Der! Das hätte ihr die rieſigſte
Mühe gemacht. Wo kämen wir aber hin, wenn uns alle
Weiber Briefe ſchrieben! Alſo weg mit der Mathilde.


Max
(wie oben).

„In einer Beziehung ſind alle Weiber
gleich: ſie werden impertinent, wenn man ſie auf einer Lüge
ertappt.“


Anatol.

Ja, das iſt wahr!


Max.

Wer war Die? Ein gewichtiges Päckchen!


Anatol.

Lauter acht Seiten lange Lügen! Weg damit.


Max.

Und impertinent war ſie auch?


Anatol.

Als ich ihr d’rauf kam. Weg mit ihr.


Max.

Weg mit der impertinenten Lügnerin.


Anatol.

Keine Beſchimpfungen. Sie lag in meinen
Armen; — ſie iſt heilig.


Max.

Das iſt wenigſtens ein guter Grund. Alſo weiter.


(Wie oben:)

„Um mir die böſe Laune wegzufächeln,

Denk’ ich an Deinen Bräutigam, mein Kind.

Ja dann, mein ſüßer Schatz, dann muß ich lächeln,

Weil’s Dinge giebt, die gar zu luſtig ſind.“

Anatol
(lächelnd).

Ach ja, das war ſie.


Max.

Ah, — was iſt denn da drin?


Anatol.

Eine Photographie. Sie mit dem Bräutigam.


Max.

Kannteſt Du ihn?


Arthur Schnitzler, Anatol. 4
[50]
Anatol.

Natürlich, ſonſt hätte ich ja nicht lächeln können.
Er war ein Dummkopf.


Max
(ernſt).

Er iſt in ihren Armen gelegen; er iſt heilig.


Anatol.

Genug.


Max.

Weg mit dem luſtigen ſüßen Kind ſammt lächer-
lichem Bräutigam.

(Ein neues Päckchen nehmend).

Was iſt das?
Nur ein Wort?


Anatol.

Welches denn?


Max.

„Ohrfeige.“


Anatol.

Oh, ich erinnere mich ſchon.


Max.

Das war wohl der Schluß?


Anatol.

Oh nein, der Anfang.


Max.

Ach ſo! Und hier … „Es iſt leichter, die
Richtung einer Flamme zu verändern, als ſie zu entzünden. —“
Was bedeutet das?


Anatol.

Nun, ich habe eben die Richtung der Flamme
verändert: entzündet hat ſie ein Anderer.


Max.

Fort mit der Flamme … „Immer hat ſie ihr
Brenneiſen mit.“

(Sieht Anatol fragend an.)

Anatol.

Nun ja; ſie hatte eben immer ihr Brenneiſen
mit — für alle Fälle. Aber ſie war ſehr hübſch. Uebrigens
hab’ ich nur ein Stück Schleier von ihr.


Max.

Ja, es fühlt ſich ſo an …

(Weiter leſend:)

„Wie
hab’ ich Dich verloren?“ … Nun, wie haſt Du ſie verloren?


Anatol.

Das weiß ich eben nicht. Sie war fort, —
plötzlich fort aus meinem Leben. Ich verſichere Dich, das
kommt manchmal vor. Es iſt, wie wenn man irgendwo einen
[51] Regenſchirm ſtehen läßt und ſich erſt viele Tage ſpäter er-
innert … Man weiß dann nicht mehr, wann und wo.


Max.

Ade, verlorene.

(Wie oben.)


„Warſt ein ſüßes, liebes Ding —“


Anatol
(träumeriſch fortfahrend).

„Mädel mit den zerſtochenen Fingern.“


Max.

Das war Cora — nicht?


Anatol.

Ja — Du haſt ſie ja gekannt.


Max.

Weißt Du, was aus ihr geworden iſt?


Anatol.

Ich habe ſie ſpäter wieder getroffen — als
Gattin eines Tiſchlermeiſters.


Max.

Wahrhaftig!


Anatol.

Ja, ſo enden dieſe Mädel mit den zerſtochenen
Fingern. In der Stadt werden ſie geliebt und in der Vor-
ſtadt geheiratet … ’s war ein Schatz!


Max.

Fahr’ wohl —! Und was iſt das? … „Epi-
ſode“ — da iſt ja nichts darin? … Staub!


Anatol
(das Couvert in die Hand nehmend).

Staub —? Das
war einmal eine Blume!


Max.

Was bedeutet das: Epiſode?


Anatol.

Ach nichts; ſo ein zufälliger Gedanke. Es
war nur eine Epiſode, ein Roman von zwei Stunden …
nichts! … Ja, Staub! — Daß von ſo viel Süßigkeit nichts
Anderes zurückbleibt, iſt eigentlich traurig. — Nicht?


Max.

Ja, gewiß iſt das traurig … Aber wie kamſt
Du zu dem Worte? Du hätteſt es doch überall hinſchreiben
können?


Anatol.

Jawohl; aber niemals kam es mir zu Be-
4*
[52] wußtſein, wie damals. Häufig, wenn ich mit Der oder Jener
zuſammen war, beſonders in früherer Zeit, wo ich noch ſehr
Großes von mir dachte, da lag es mir auf den Lippen: Du
armes Kind — Du armes Kind —!


Max.

Wieſo?


[Anatol].

Nun, ich kam mir ſo vor, wie einer von den
Gewaltigen des Geiſtes. Dieſe Mädchen und Frauen — ich
zermalmte ſie unter meinen ehernen Schritten, mit denen ich
über die Erde wandelte. Weltgeſetz, dachte ich, — ich muß
über Euch hinweg.


Max.

Du warſt der Sturmwind, der die Blüthen weg-
fegte … nicht?


Anatol.

Ja! So brauſte ich dahin. Darum dachte ich
eben: Du armes, armes Kind. Ich habe mich eigentlich ge-
täuſcht. Ich weiß heute, daß ich nicht zu den Großen gehöre,
und, was gerade ſo traurig iſt, — ich habe mich darein ge-
funden. Aber damals!


Max.

Nun, und die Epiſode?


Anatol.

Ja, das war eben auch ſo … Das war ſo
ein Weſen, das ich auf meinem Wege fand.


Max.

Und zermalmte.


Anatol.

Du, wenn ich mir’s überlege, ſo ſcheint mir:
Die habe ich wirklich zermalmt.


Max.

Ah!


Anatol.

Ja, höre nur. Es iſt eigentlich das Schönſte
von Allem, was ich erlebt habe … Ich kann es Dir gar
nicht erzählen.


Max.

Warum?


[53]
Anatol.

Weil die Geſchichte ſo gewöhnlich iſt, als nur
möglich … Es iſt … nichts. Du kannſt das Schöne
gar nicht herausempfinden. Das Geheimniß der ganzen Sache
iſt, daß ich’s erlebt habe.


Max.

Nun —?


Anatol.

Alſo da ſitze ich vor meinem Clavier … In
dem kleinen Zimmer war es, das ich damals bewohnte …
Abend … Ich kenne ſie ſeit zwei Stunden … Meine
grün-rothe Ampel brennt — ich erwähne die grün-rothe Ampel;
ſie gehört auch dazu.


Max.

Nun?


Anatol.

Nun! Alſo ich am Clavier. Sie — zu meinen
Füßen, ſo daß ich das Pedal nicht greifen konnte. Ihr Kopf
liegt in meinem Schooß, und ihre verwirrten Haare funkeln
grün und roth von der Ampel. Ich phantaſire auf dem
Flügel, aber nur mit der linken Hand; meine rechte hat ſie
an ihre Lippen gedrückt …


Max.

Nun?


Anatol.

Immer mit Deinem erwartungsvollen „Nun“ …
Es iſt eigentlich nichts weiter … Ich kenne ſie alſo ſeit
zwei Stunden, ich weiß auch, daß ich ſie nach dem heutigen
Abend wahrſcheinlich niemals wieder ſehen werde — das hat
ſie mir geſagt — und dabei fühle ich, daß ich in dieſem
Augenblick wahnſinnig geliebt werde. Das hüllt mich ſo ganz
ein — die ganze Luft war trunken und duftete von dieſer
Liebe … Verſtehſt Du mich?

(Max nickt.)

— Und ich hatte
wieder dieſen thörichten göttlichen Gedanken: Du armes, —
armes Kind! Das Epiſodenhafte der Geſchichte kam mir ſo
[54] deutlich zu Bewußtſein. Während ich den warmen Hauch
ihres Mundes auf meiner Hand fühlte, erlebte ich das Ganze
ſchon in der Erinnerung. Es war eigentlich ſchon vorüber.
Sie war wieder Eine von Denen geweſen, über die ich hin-
wegmußte. Das Wort ſelbſt fiel mir ein, das dürre Wort:
Epiſode. Und dabei war ich ſelber irgend etwas Ewiges …
Ich wußte auch, daß das „arme Kind“ nimmer dieſe Stunde
aus ihrem Sinn ſchaffen könnte — gerade bei Der wußt’
ich’s. Oft fühlt man es ja: Morgen Früh bin ich vergeſſen.
Aber da war es etwas Anderes. Für Dieſe, die da zu
meinen Füßen lag, bedeutete ich eine Welt; ich fühlte es,
mit welch’ einer heiligen, unvergänglichen Liebe ſie mich in
dieſem Momente umgab. Das empfindet man nämlich; ich
laſſe es mir nicht nehmen. Gewiß konnte ſie in dieſem Augen-
blick nicht Anderes denken, als mich — nur mich. Sie aber
war für mich jetzt ſchon das Geweſene, Flüchtige, die Epiſode.


Max.

Was war ſie denn eigentlich?


Anatol.

Was ſie war —? Nun, Du kannteſt ſie. —
Wir haben ſie eines Abends in einer luſtigen Geſellſchaft
kennen gelernt, Du kannteſt ſie ſogar ſchon von früher her,
wie Du mir damals ſagteſt.


Max.

Nun, wer war ſie denn? Ich kenne ſehr Viele
von früher her. Du ſchilderſt ſie ja in Deinem Ampellicht wie
eine Märchengeſtalt.


Anatol.

Ja — im Leben war ſie das nicht. Weißt
Du, was ſie war —? Ich zerſtöre jetzt eigentlich den ganzen
Nimbus.


Max.

Sie war alſo —?


[55]
Anatol
(lächelnd).

Sie war — vom —


Max.

Vom Theater —?


Anatol.

Nein — vom Circus.


Max.

Iſt’s möglich!


Anatol.

Ja — Bianca war es. Ich hab’ es Dir bis
heute nicht erzählt, daß ich ſie wieder traf — nach jenem
Abend, an dem ich mich um ſie gar nicht gekümmert hatte.


Max.

Und Du glaubſt wirklich, daß Dich — Bibi ge-
liebt hat —?


Anatol.

Ja, gerade Die! Acht oder zehn Tage nach
jenem Feſte begegneten wir uns auf der Straße … Am
Morgen darauf mußte ſie mit der ganzen Geſellſchaft nach
Rußland.


Max.

Es war alſo die höchſte Zeit.


Anatol.

Ich wußt’ es ja; nun iſt für Dich das Ganze
zerſtört. Du biſt eben noch nicht auf das wahre Geheimniß
der Liebe gekommen.


Max.

Und worin löſt ſich für Dich das Räthſel der
Frau?


Anatol.

In der Stimmung.


Max.

Ah — Du brauchſt das Halbdunkel, Deine grün-
rothe Ampel … Dein Clavierſpiel.


Anatol.

Ja, das iſt’s. Und das macht mir das Leben
ſo vielfältig und wandlungsreich, daß mir eine Farbe die
ganze Welt verändert. Was wäre für Dich, für tauſend
Andere dieſes Mädchen geweſen mit den funkelnden Haaren;
was für Euch dieſe Ampel, über die Du ſpotteſt! Eine Circus-
reiterin und ein roth-grünes Glas mit einem Licht dahinter!
[56] Dann iſt freilich der Zauber weg; dann kann man wohl leben,
aber man wird nimmer was erleben. Ihr tappt hinein in
irgend ein Abenteuer, brutal, mit offenen Augen, aber mit
verſchloſſenem Sinn, und es bleibt farblos für Euch! Aus
meiner Seele aber, ja, aus mir heraus blitzen tauſend Lichter
und Farben d’rüber hin, und ich kann empfinden, wo Ihr
nur — genießt!


Max.

Ein wahrer Zauberborn, Deine „Stimmung“,
Alle, die Du liebſt, tauchen darin unter und bringen Dir nun
einen ſonderbaren Duft von Abenteuern und Seltſamkeit mit,
an dem Du Dich berauſcheſt.


Anatol.

Nimm es ſo, wenn Du willſt.


Max.

Was nun aber Deine Circusreiterin anbelangt, ſo
wirſt Du mir ſchwerlich erklären können, daß ſie unter der
grün-rothen Ampel daſſelbe empfinden mußte, wie Du.


Anatol.

Aber ich mußte empfinden, was ſie in meinen
Armen fühlte!


Max.

Nun, ich habe ſie ja auch gekannt, Deine Bianca,
und beſſer als Du.


Anatol.

Beſſer?


Max.

Beſſer; weil wir einander nicht liebten. Für mich
iſt ſie nicht die Märchengeſtalt; für mich iſt ſie eine von den
tauſend Gefallenen, denen die Phantaſie eines Träumers neue
Jungfräulichkeit borgt. Für mich iſt ſie nichts Beſſeres, als
hundert Andere, die durch Reifen ſpringen oder kurzgeſchürzt
in der letzten Quadrille ſtehen.


Anatol.

So … ſo …


Max.

Und ſie war nichts Anderes. Nicht ich habe
[57] etwas überſehen, was an ihr war; ſondern Du ſahſt, was
nicht an ihr war. Aus dem reichen und ſchönen Leben
Deiner Seele haſt Du Deine phantaſtiſche Jugend und Gluth
in ihr nichtiges Herz hineinempfunden, und was Dir ent-
gegenglänzte, war Licht von Deinem Lichte.


Anatol.

Nein. Auch das iſt mir ja zuweilen geſchehen.
Aber damals nicht. Ich will ſie ja nicht beſſer machen, als
ſie war. Ich war weder der Erſte, noch der Letzte … ich
war —


Max.

Nun, was warſt Du? … Einer von Vielen.
Daſſelbe war ſie in Deinen Armen, wie in denen der An-
deren. Das Weib in ſeinem höchſten Augenblick!


Anatol.

Warum hab’ ich Dich eingeweiht? Du haſt
mich nicht verſtanden.


Max.

O nein — Du haſt mich mißverſtanden. Ich
wollte nur ſagen, Du magſt den ſüßeſten Zauber empfunden
haben, während es ihr daſſelbe bedeutete, wie viele Male
zuvor. Hatte denn für ſie die Welt tauſend Farben?


Anatol.

Du kannteſt ſie ſehr gut?


Max.

Ja; wir begegneten uns häufig in der luſtigen
Geſellſchaft, in welche Du einmal mit mir kamſt.


Anatol.

Das war Alles?


Max.

Alles. Aber wir waren gute Freunde. Sie
hatte Witz; wir plauderten gern mit einander.


Anatol.

Das war Alles?


Max.

Alles …


Anatol

… Und dennoch … ſie hat mich geliebt


Max.

Wollen wir nicht weiter leſen …

(ein Päckchen in
[58] die Hand nehmend:)

„Wüßt’ ich doch, was Dein Lächeln bedeutet,
Du grünäugige …“


Anatol

… Weißt Du übrigens, daß die ganze Ge-
ſellſchaft wieder hier eingetroffen iſt?


Max.

Gewiß. Sie auch.


Anatol.

Jedenfalls.


Max.

Ganz beſtimmt. Und ich werde ſie ſogar heute
Abend wiederſehen.


Anatol.

Wie? Du? Weißt Du, wo ſie wohnt?


Max.

Nein. Sie hat mir geſchrieben; ſie kommt
zu mir.


Anatol
(vom Seſſel auffahrend).

Wie? Und das ſagſt Du
mir erſt jetzt?


Max.

Was geht es Dich an? Du willſt ja — „frei
und allein“ ſein!


Anatol.

Ach was!


Max.

Und dann iſt nichts trauriger, als ein aufge-
wärmter Zauber.


[Anatol].

Du meinſt —?


Max.

Ich meine, daß Du Dich in Acht nehmen ſollſt,
ſie wieder zu ſehen.


Anatol.

Weil ſie mir von Neuem gefährlich werden
könnte?


Max.

Nein; — weil es damals zu ſchön war. Geh’
nach Hauſe mit Deiner ſüßen Erinnerung. Man ſoll nichts
wiedererleben wollen.


Anatol.

Du kannſt nicht im Ernſt glauben, daß ich auf
ein Wiederſehen verzichten ſoll, das mir ſo leicht gemacht wird.


[59]
Max.

Sie iſt klüger als Du. Sie hat Dir nicht ge-
ſchrieben … Vielleicht übrigens nur, weil ſie Dich ver-
geſſen hat.


Anatol.

Unſinn.


Max.

Du hältſt es für unmöglich?


Anatol.

Ich lache darüber.


Max.

Nicht bei Allen trinkt die Erinnerung von dem
Lebenselixir Stimmung, das der Deinen ihre ewige Friſche
verleiht.


Anatol.

Oh — jene Stunde damals!


Max.

Nun?


Anatol.

Es war eine von den unſterblichen Stunden.


Max.

Ich höre Schritte im Vorzimmer.


Anatol.

Sie iſt es am Ende.


Max.

Gehe, entferne Dich durch mein Schlafzimmer.


Anatol.

Daß ich ein Narr wäre.


Max.

Geh’ — was willſt Du Dir den Zauber zer-
ſtören laſſen.


Anatol.

Ich bleibe.

(Es klopft.)

Max.

Geh’! Gehe raſch!


Anatol
(ſchüttelt den Kopf).

Max.

So ſtelle Dich hierher, daß ſie Dich wenigſtens
nicht gleich ſieht — hieher …

(Er ſchiebt ihn zum Camin hin, ſo
daß er theilweiſe durch den Schirm gedeckt iſt.)

Anatol
(ſich an den Caminſims lehnend).

Meinetwegen.

(Es klopft.)

Max.

Herein!


Bianca
(eintretend, lebhaft).

Guten Abend, lieber Freund;
da bin ich wieder.


[60]
Max
(ihr die Hände entgegenſtreckend).

Guten Abend, liebe
Bianca, das iſt ſchön von Ihnen, wirklich ſchön!


Bianca.

Meinen Brief haben Sie doch erhalten? Sie
ſind der Allererſte — der Einzige überhaupt.


Max.

Und Sie können ſich denken, wie ſtolz ich bin.


Bianca.

Und was machen die Anderen? Unſere Sacher-
Geſellſchaft? Exiſtirt ſie noch? Werden wir wieder jeden
Abend nach der Vorſtellung beiſammen ſein?


Max
(iſt ihr beim Ablegen behilflich).

Es gab aber Abende,
wo Sie nicht zu finden waren.


Bianca.

Nach der Vorſtellung?


Max.

Ja, wo Sie gleich nach der Vorſtellung ver-
ſchwanden.


Bianca
(lächelnd).

Ach ja … natürlich … Wie ſchön
das iſt, wenn Einem das ſo geſagt wird — ohne die ge-
ringſte Eiferſucht! Man muß auch ſolche Freunde haben wie
Sie …


Max.

Ja, ja, das muß man.


Bianca.

Die Einen lieben, ohne Einen zu quälen!


Max.

Das ward Ihnen ſelten!


Bianca
(den Schatten Anatol’s gewahrend).

Sie ſind ja nicht
allein.


Anatol
(tritt hervor, verbeugt ſich).

Max.

Ein alter Bekannter.


Bianca
(das Lorgnon zum Auge führend).

Ah …


Anatol
(näher tretend).

Fräulein …


Max.

Was ſagen Sie zu der Ueberraſchung, Bibi?


[61]
Bianca
(etwas verlegen, ſucht augenſcheinlich in ihren Erinnerungen).

Ah, wahrhaftig, wir kennen uns ja …


Anatol.

Gewiß — Bianca.


Bianca.

Natürlich — wir kennen uns ſehr gut …


Anatol
(erregt mit beiden Händen ihre Rechte faſſend).

Bianca …


Bianca.

Wo war es nur, daß wir uns trafen … wo
nur … ach ja!


Max.

Erinnern Sie ſich …


Bianca

Freilich … Nicht wahr … es war in
St. Petersburg …?


Anatol
(raſch ihre Hand fahren laſſend).

Es war … nicht in
Petersburg, mein Fräulein …

(Wendet ſich zum Gehen).

Bianca
(ängſtlich zu Max).

Was hat er denn? … Hab’
ich ihn beleidigt?


Max.

Da ſchleicht er davon …

(Anatol iſt durch die Thür
im Hintergrunde verſchwunden.)

Bianca.

Ja, was bedeutet denn das?


Max.

Ja, haben Sie ihn denn nicht erkannt?


Bianca.

Erkannt … ja, ja. Aber ich weiß nicht
recht, wo und wann?


Max.

Aber, Bibi, es war Anatol!


Bianca.

Anatol —? … Anatol …?


Max.

Anatol — Clavier — Ampel … ſo eine rot-
grüne … hier in der Stadt — vor drei Jahren …


Bianca
(ſich an die Stirn greifend).

Wo hatte ich denn meine
Augen? Anatol!

(Zur Thür hin.)

Ich muß ihn zurückrufen …

(Die Thür öffnend).

Anatol!

(Hinauslaufend, hinter der Scene, im Stiegen-
haus.)

Anatol! Anatol!


[62]
Max
(ſteht lächelnd da, iſt ihr bis zur Thür nachgegangen).

Nun?


Bianca
(eintretend).

Er muß ſchon auf der Straße ſein.
Erlauben Sie!

(Raſch das Fenſter öffnend).

Da unten geht er.


Max
(hinter ihr).

Ja, das iſt er.


Bianca
(ruft).

Anatol!


Max.

Er hört Sie nicht mehr.


Bianca
(leicht auf den Boden ſtampfend).

Wie ſchade … Sie
müſſen mich bei ihm entſchuldigen. Ich habe ihn verletzt, den
guten, lieben Menſchen.


Max.

Alſo Sie erinnern ſich doch ſeiner?


Bianca

Nun, gewiß. Aber … er ſieht irgend Je-
mandem in Petersburg zum Verwechſeln ähnlich.


Max
(beruhigend).

Ich werde es ihm ſagen.


Bianca.

Und dann: wenn man drei Jahre lang an
Jemanden nicht denkt, und er ſteht plötzlich da — man kann
ſich doch nicht an Alles erinnern.


Max.

Ich werde das Fenſter ſchließen. Eine kalte Luft
kommt herein.

(Schließt das Fenſter.)

Bianca.

Ich werde ihn doch noch ſehen, während ich
hier bin?


Max.

Vielleicht. Aber etwas will ich Ihnen zeigen.

(Nimmt das Couvert vom Schreibtiſch und hält es ihr hin.)

Bianca.

Was iſt das?


Max.

Das iſt die Blume, die Sie an jenem Abend — —
an jenem Abend trugen.


Bianca.

Er hat ſie aufbewahrt?


Max.

Wie Sie ſehen.


Bianca.

Er hat mich alſo geliebt?


[63]
Max.

Heiß, unermeßlich, ewig — — wie alle dieſe.

(Deutet auf die Päckchen)

Bianca.

Wie … alle dieſe! … Was heißt das?
Sind das lauter Blumen?


Max.

Blumen, Briefe, Locken, Photographien. Wir
waren eben daran, ſie zu ordnen.


Bianca
(in gereiztem Tone).

In verſchiedene Rubriken.


Max.

Ja, offenbar.


Bianca.

Und in welche komme ich?


Max.

Ich glaube … in dieſe!

(Wirft das Couvert in den
Camin.)

Bianca.

Oh!


Max
(für ſich).

Ich räche Dich, ſo gut ich kann, Freund
Anatol …

(Laut.)

So, und nun ſeien Sie nicht böſe …
Setzen Sie ſich zu mir her und erzählen Sie mir etwas aus
den letzten drei Jahren.


Bianca.

Jetzt bin ich gerade aufgelegt! Wenn man ſo
empfangen wird!


Max.

Ich bin doch Ihr Freund … Kommen Sie,
Bianca … Erzählen Sie mir was!


Bianca
(läßt ſich auf den Fauteuil neben dem Camin niederziehen).

Was
denn?


Max
(ſich gegenüber von ihr niederlaſſend).

Zum Beiſpiel von
dem „Aehnlichen“ in Petersburg.


Bianca.

Unausſtehlich ſind Sie!


Max.

Alſo …


Bianca
(ärgerlich).

Aber was ſoll ich denn erzählen?


Max.

Beginnen Sie nur … Es war einmal …
nun … Es war einmal eine große, große Stadt …


[64]
Bianca
(verdrießlich).

Da ſtand ein großer, großer Circus.


Max.

Und da war ferner eine kleine, kleine Künſtlerin.


Bianca.

Die ſprang durch einen großen, großen
Reif …

(Lacht leiſe.)

Max.

Sehen Sie … Es geht ſchon!

(Der Vorhang be-
ginnt ſich ſehr langſam zu ſenken.)

In einer Loge … nun … in
einer Loge ſaß jeden Abend …


Bianca.

In einer Loge ſaß jeden Abend ein ſchöner,
ſchöner … Ach!


Max.

Nun … Und …?

(Der Vorhang iſt gefallen.)

[[65]]

Denkſteine.


Arthur Schnitzler, Anatol. 5
[[66]]

Perſonen:


  • Anatol.

  • Emilie.

[[67]]
Emilien’s Zimmer, mit maßvoller Eleganz ausgeſtattet. Abenddämmerung. Das
Fenſter iſt offen, Ausſicht auf einen Park; der Gipfel eines Baumes, kaum noch
belaubt, ragt in die Fenſteröffnung.

Emilie

… Ah … hier find’ ich Dich —! Und vor
meinem Schreibtiſch …? Ja, was machſt Du denn? Du
ſtöberſt meine Laden durch? … Anatol!


Anatol.

Es war mein gutes Recht — und ich hatte
Recht, wie ſich ſoeben zeigt.


Emilie.

Nun — was haſt Du gefunden —? Deine
eigenen Briefe …!


Anatol.

Wie? — Und das hier —?


Emilie.

Dies hier —?


Anatol.

Dieſe zwei kleinen Steine …? der eine ein
Rubin, und dieſer andere, dunkle? — Ich kenne ſie Beide
nicht, ſie ſtammen nicht von mir …!


Emilie

… Nein … ich hatte … vergeſſen …


Anatol.

Vergeſſen? … So wohl verwahrt waren
ſie; da in dem Winkel dieſer unterſten Lade. Geſteh’ es
doch lieber gleich, ſtatt zu lügen, wie Alle … So …
Du ſchweigſt? … Oh, über die wohlfeile Entrüſtung …
5*
[68] Es iſt ſo leicht, zu ſchweigen, wenn man ſchuldig und ver-
nichtet iſt! … Nun aber will ich weiter ſuchen. Wo haſt
Du Deinen anderen Schmuck verborgen?


Emilie.

Ich habe keinen anderen.


Anatol.

Nun —

(er beginnt die Laden aufzureißen)

Emilie.

Such’ nicht … ich ſchwöre Dir, daß ich nichts
habe.


Anatol.

Und dieſes hier … warum dieſes hier?


Emilie.

Ich hatte Unrecht … vielleicht …!


Anatol.

Vielleicht! … Emilie! wir ſind an dem
Vorabend des Tages, wo ich Dich zu meinem Weibe machen
wollte. Ich glaubte wahrhaftig alles Vergangene getilgt …
Alles … Alles! … Mit Dir zuſammen hab’ ich die
Briefe, die Fächer, die tauſend Nichtigkeiten, die mich an die
Zeit erinnerten, in der wir uns noch nicht kannten … mit
Dir zuſammen habe ich all’ das in das Feuer des Camin’s
geworfen … Die Armbänder, die Ringe, die Ohrgehänge …
wir haben ſie verſchenkt, verſchleudert, ſie ſind über die Brücke
in den Fluß, durch’s Fenſter auf die Straße geflogen …
Hier lagſt Du vor mir und ſchwurſt mir … „Alles, Alles
iſt vorbei — und in Deinen Armen erſt hab’ ich empfunden,
was Liebe iſt …“ Ich natürlich habe Dir geglaubt …
weil wir Alles glauben, was uns die Weiber ſagen, von der
erſten Lüge an, die uns beſeligt …


Emilie.

Soll ich Dir von Neuem ſchwören?


Anatol.

Was hilft es? … Ich bin fertig …
fertig mit Dir … Oh, wie gut Du das geſpielt haſt!
Fieberiſch, als ob Du jeden Flecken abwaſchen wollteſt von
[69] Deiner Vergangenheit, biſt Du hier vor den Flammen ge-
ſtanden, als die Blätter und Bänder und Nippes ver-
glühten … Und wie Du in meinen Armen ſchluchzteſt,
damals, als wir am Ufer des Fluſſes luſtwandelten und wir
jenes koſtbare Armband in das graue Waſſer hinabwarfen, wo
es alsbald verſank … wie Du da weinteſt, Thränen der
Läuterung, der Reue … Dumme Comödie! Siehſt Du,
daß Alles vergebens war? Daß ich Dir dennoch mißtraute?
Und daß ich mit Recht da herumwühlte? … Warum
ſprichſt Du nicht? … warum vertheidigſt Du Dich nicht? …


Emilie.

Da Du mich doch verlaſſen willſt —


Anatol.

Aber wiſſen will ich, was dieſe zwei Steine
bedeuten … warum Du gerade dieſe aufbewahrt haſt?


Emilie.

Du liebſt mich nicht mehr …?


Anatol.

Die Wahrheit, Emilie … die Wahrheit will
ich wiſſen!


Emilie.

Wozu, wenn Du mich nicht mehr liebſt.


Anatol.

Vielleicht ſteckt in der Wahrheit irgend etwas —


Emilie.

Nun, was?


Anatol.

Was mich die Sache … begreifen macht …
Hörſt Du, Emilie, ich habe keine Luft, Dich für eine Elende
zu halten!


Emilie.

Du verzeihſt mir?


Anatol.

Du ſollſt mir ſagen, was dieſe Steine be-
deuten!


Emilie.

Und dann wirſt Du mir verzeihen —?


Anatol.

Dieſer Rubin, was er bedeutet, warum Du
ihn aufbewahrt —


[70]
Emilie.

— Und wirſt mich ruhig anhören?


Anatol

… Ja! … Aber ſprich’ endlich …


Emilie

… Dieſer Rubin … er ſtammt aus einem
Medaillon … er iſt … herausgefallen …


Anatol.

Von wem war dieſes Medaillon —?


Emilie.

Daran liegt es nicht … Ich hatte es nur an
einem … beſtimmten Tage um — an einer einfachen
Kette … um den Hals.


Anatol.

Von wem Du es hatteſt —?


Emilie.

Das iſt gleichgültig … ich glaube, von meiner
Mutter … Siehſt Du, wenn ich nun ſo elend wäre, als
Du glaubſt, ſo könnte ich Dir ſagen: darum, weil es von
meiner Mutter ſtammt, hab’ ich es aufbewahrt — und Du
würdeſt mir glauben … Ich habe aber dieſen Rubin auf-
bewahrt, weil er … an einem Tage aus meinem Medaillon
fiel, deſſen Erinnerung … mir theuer iſt …


Anatol

… Weiter!


Emilie.

Ach, es wird mir ſo leicht, wenn ich Dir’s
erzählen darf. — Sag’, würdeſt Du mich nicht auslachen,
wenn ich eiferſüchtig wäre auf Deine erſte Liebe?


Anatol.

Was ſoll das?


Emilie.

Und doch, die Erinnerung daran iſt etwas
Süßes, einer von den Schmerzen, die uns zu liebkoſen
ſcheinen … Und dann … für mich iſt der Tag von
Bedeutung, an welchem ich das Gefühl kennen lernte, welches
mich — Dir verbindet. Oh, man muß lieben gelernt
haben, um zu lieben, wie ich Dich liebe! … Hätten wir
uns Beide zu einer Zeit gefunden, wo uns die Liebe etwas
[71] Neues war, wer weiß, ob wir an einander nicht achtlos vor-
übergegangen wären? … Oh, ſchüttle den Kopf nicht, Ana-
tol; es iſt ſo, und Du ſelbſt haſt es einmal geſagt —


Anatol.

Ich ſelbſt —?


Emilie.

Vielleicht iſt es gut ſo, ſo ſprachſt Du, und wir
mußten Beide erſt reif werden für dieſe Höhe der Leidenſchaft!


Anatol.

Ja, … wir haben immer irgend einen Troſt
ſolcher Art bereit, wenn wir eine Gefallene lieben.


Emilie.

Dieſer Rubin, ich bin ganz offen mit Dir, be-
deutet die Erinnerung an den Tag …


Anatol

… So ſag’s, … ſag’s …


Emilie.

— Du weißt es ſchon … ja … Anatol …
die Erinnerung an jenen Tag … Ach, … ich war ein
dummes Ding … ſechzehn Jahre!


Anatol.

Und er zwanzig — und groß und ſchwarz! …


Emilie.
(unſchuldig).

Ich weiß es nicht mehr, mein Ge-
liebter … Nur an den Wald erinnere ich mich, der uns
umrauſchte, an den Frühlingstag, der über den Bäumen
lachte … ach, an einen Sonnenſtrahl erinnere ich mich, der
zwiſchen dem Geſträuche hervorkam und über einen Haufen
gelber Blumen glitzerte —


Anatol.

Und Du verfluchſt dieſen Tag nicht, der Dich
mir nahm, bevor ich dich kannte?


Emilie.

Vielleicht gab er mich Dir …!


Nein, Anatol … wie immer es ſei, ich fluche jenem Tage
nicht, und verſchmähe auch. Dir vorzulügen, daß ich es jemals
that … Anatol, daß ich Dich liebe, wie keinen je —
und ſo wie Du nie geliebt worden — Du weißt es ja …
[72] aber, wenn auch jede Stunde, die ich je erlebte, durch Deinen
erſten Kuß bedeutungslos geworden, — jeder Mann, dem ich
begegnete, aus meinem Gedächtnis ſchwand, — kann ich deß-
wegen die Minute vergeſſen, die mich zum Weibe machte —?


Anatol.

Und Du giebſt vor, mich zu lieben —?


Emilie.

Ich kann mich der Geſichtszüge jenes Mannes
kaum erinnern; ich weiß nicht mehr, wie ſeine Augen blickten —


Anatol.

Aber daß Du in ſeinen Armen die erſten Seufzer
der Liebe gelacht haſt … daß von ſeinem Herzen zuerſt
jene Wärme in das Deine überſtrömte, die das ahnungsvolle
Mädchen zum wiſſenden Weibe machte, das kannſt Du ihm
nicht vergeſſen, dankbare Seele! Und Du ſiehſt nicht ein, daß
mich dies Geſtändniß toll machen muß, daß Du mit einem
Male dieſe ganze ſchlummernde Vergangenheit wieder aufgeſtört
haſt! … Ja, nun weiß ich’s wieder, daß Du noch von
anderen Küſſen träumen kannſt, als von den meinen, und
wenn Du Deine Augen in meinen Armen ſchließeſt, ſteht
vielleicht ein anderes Bild vor ihnen als das meine!


Emilie.

Wie falſch Du mich verſtehſt! … Da haſt Du
freilich recht, wenn Du meinſt, wir ſollten auseinandergehen …


Anatol

Nun — wie denn ſoll ich Dich verſtehen …?


Emilie.

Wie gut haben es doch die Frauen, die lügen
können. Nein … ihr vertragt ſie nicht, die Wahrheit …!
Sag’ mir nur Eines noch: warum haſt Du mich immer
darum angefleht? „Alles würde ich Dir verzeihen, nur eine
Lüge nicht“! … noch hör’ ich es, wie Du’s mir ſagteſt …
Und ich … ich, die Dir Alles geſtand, die ſich vor Dir ſo
niedrig, ſo elend machte, die es Dir in’s Angeſicht ſchrie:
[73] „Anatol, ich bin eine Verlorene, aber ich liebe Dich …!“
Keine von den dummen Ausflüchten, die die Andern im Munde
führen, kam über meine Lippen — Nein, ich ſprach es aus:
Anatol, ich habe das Wohlleben geliebt, Anatol, ich war lüſtern,
heißblütig — ich habe mich verkauft, verſchenkt — ich bin
Deiner Liebe nicht werth … Erinnerſt Du Dich auch,
daß ich Dir das ſagte, bevor Du mir das erſte Mal die Hand
küßteſt? … Ja, ich wollte Dich fliehen, weil ich Dich liebte,
und Du verfolgteſt mich … Du haſt um meine Liebe ge-
bettelt … und ich wollte Dich nicht, weil ich mich den Mann
nicht zu beflecken getraute, den ich mehr, den ich anders, —
ach, den erſten Mann, den ich liebte …! Und da haſt Du
mich genommen und ich war Dein! … Wie hab ich ge-
ſchauert … gebebt … geweint … Und Du haſt mich
ſo hoch gehoben, haſt mir Alles wieder zurückgegeben, Stück
für Stück, was ſie mir genommen hatten … ich ward in
Deinen wilden Armen, was ich nie geweſen: rein … und
glücklich … Du warſt ſo groß, … Du konnteſt verzeihen …
Und jetzt …


Anatol.

… Und jetzt …?


Emilie.

Und jetzt jagſt Du mich eben wieder davon,
weil ich doch nur bin wie die Andern —


Anatol.

Nein, … nein, das biſt Du nicht.


Emilie.
(mild):

Was willſt Du alſo …? Soll ich ihn
wegwerfen … den Rubin . .?


Anatol.

Ich bin nicht groß, ach nein. … ſehr, ſehr
kleinlich … wirf ihn weg dieſen Rubin …

(er betrachtet ihn)


Er iſt aus dem Medaillon gefallen … er lag im Graſe —
[74] unter den gelben Blumen … ein Sonnenſtrahl fiel darauf …
da glitzerte er hervor …

(langes Schweigen)

— Komm’ Emilie, …
es dunkelt draußen, wir wollen im Park ſpazieren gehen …


Emilie.

Wird es nicht zu kalt ſein …?


Anatol.

Ach nein, es duftet ſchon vom erwachenden
Frühling …


Emilie.

Wie Du willſt, mein Geliebter!


Anatol.

Ja — und dieſes Steinchen …


Emilie.

Ach dies …


Anatol.

Ja, dieſes ſchwarze da — was iſt’s mit dem —
was iſt’s …?


Emilie.

Weißt Du, was das für ein Stein iſt .?


Anatol.

Nun —


Emilie.
(mit einem ſtolzen begehrlichen Blick)

Ein ſchwarzer
Diamant!


Anatol.
(erhebt ſich)

Ah!


Emilie
(immer den Blick auf den Stein geheftet)

Selten!


Anatol.
(mit unterdrückter Wuth)

Warum … hm, …
warum haſt Du den … aufbewahrt?


Emilie.
(nur immer den Stein anſehend)

Den … der iſt eine
Viertel Million werth! …


Anatol.
(ſchreit auf)

Ah! …

(Er wirſt den Stein in den
Kamin.)

Emilie.
(ſchreit)

Was thuſt Du!! …

(Sie bückt ſich und
nimmt die Feuerzange, mit der ſie in der Glut herumfährt, um den Stein hervor-
zuſuchen)

Anatol.
(ſieht ſie, während ſie mit glühenden Wangen vor dem Kamin-
feuer kniet, ein paar Secunden an. Dann, ruhig)

Dirne!

(Er geht.)

[[75]]

Abſchiedsſouper.


[[76]]

Perſonen:


  • Anatol.

  • Max.

  • Annie.

  • Ein Kellner.

[[77]]
(Ein Cabinet particulier bei Sacher. Anatol, bei der Thüre ſtehend, ertheilt
eben dem Kellner Befehle. Max lehnt in einem Fauteuil.)

Max.

Na — biſt Du nicht bald fertig —?


Anatol

… Gleich, gleich! — Alſo alles ver-
ſtanden? —

(Kellner ab.)

Max
(wie Anatol in die Mitte des Zimmers zurückkommt).

Und —
wenn ſie gar nicht kommt!?


Anatol.

Warum denn „gar nicht!“ — Jetzt — jetzt
iſt’s zehn Uhr! — Sie kann ja überhaupt noch gar nicht
da ſein!


Max.

Das Ballet iſt ſchon lange aus!


Anatol.

Ich bitte Dich — bis ſie ſich abſchminkt —
und umkleidet! — Ich will übrigens hinüber — ſie er-
warten!


Max.

Verwöhne ſie nicht!


Anatol.

Verwöhnen!? — Wenn Du wüßteſt …


Max.

Ich weiß, ich weiß. — Du behandelſt ſie bru-
tal … Als wenn das nicht auch eine Art von Verwöhnen
wäre!


[78]
Anatol.

Ich wollte was ganz anderes ſagen! —
Ja … wenn Du wüßteſt …


Max.

So ſag’s endlich einmal …


Anatol.

Mir iſt ſehr feierlich zu Muthe!


Max.

Du willſt Dich am Ende mit ihr verloben —?


Anatol.

Oh nein — viel feierlicher!


Max.

Du heiratheſt ſie morgen? —


Anatol.

Nein, wie Du äußerlich biſt! — Als wenn
es keine Feierlichkeiten der Seele gäbe, die mit all’ dieſem
Tand, der uns von dem Draußen kommt, gar nichts zu thun
haben —


Max.

Alſo — Du haſt einen bisher ungekannten
Winkel Deiner Gefühlswelt entdeckt — wie? Als wenn ſie
davon etwas verſtände!


Anatol.

Du räthſt ungeſchickt … Ich feiere ganz
einfach … das Ende!


Max.

Ah!


Anatol.

Abſchiedsſouper!


Max.

Na … und was ſoll da ich dabei —?


Anatol.

Du ſollſt unſerer Liebe die Augen zudrücken!


Max.

Ich bitte Dich, mach’ keine geſchmackloſen Ver-
gleiche!


Anatol.

Ich verſchiebe dieſes Souper ſchon ſeit acht
Tagen —


Max.

Da wirſt Du heute wenigſtens guten Appetit
haben …


Anatol

… Das heißt … wir ſoupirten jeden Abend
mit einander … in dieſen acht Tagen — aber — ich fand
[79] das Wort nicht, das rechte! Ich wagte es nicht … Du
haſt keine Ahnung, wie nervös das macht!


Max.

Wozu brauchſt Du mich eigentlich?! Soll ich
Dir das Wort ſouffliren —?


Anatol.

Du ſollſt für alle Fälle da ſein — Du ſollſt
mir beiſtehen, wenn es nothwendig iſt — Du ſollſt mildern,
— beruhigen — begreiflich machen.


Max.

Möchteſt Du mir nicht zuerſt mittheilen, warum
das alles geſchehen ſoll —?


Anatol.

Mit Vergnügen! … Weil ſie mich langweilt!


Max.

So amuſirt Dich alſo eine Andere —?


Anatol.

Ja …!


Max.

So … ſo …!


Anatol.

Und was für eine Andere!


Max.

Typus —?!


Anatol.

Gar keiner! … Etwas neues — etwas
einziges!


Max.

Nun ja … Auf den Typus kommt man immer
erſt gegen Schluß …


Anatol.

Stelle Dir ein Mädchen vor — wie ſoll ich
nur ſagen … dreiviertel Tact —


Max.

Scheinſt doch noch unter dem Einfluß des Ballets
zu ſtehen!


Anatol.

Ja … ich kann Dir nun einmal nicht helfen …
ſie erinnert mich ſo an einen getragenen Wiener Walzer —
ſentimentale Heiterkeit … lächelnde, ſchalkhafte Wehmuth …
das iſt ſo ihr Weſen … Ein kleines, ſüßes, blondes Köpferl,
weißt Du … ſo … na, es iſt ſchwer zu ſchildern! …
[80] Es wird einem warm und zufrieden bei ihr … Wenn ich
ihr ein Veilchenbouquet bringe, ſteht ihr eine Thräne im
Augenwinkel …


Max.

Verſuchs einmal mit einem Braçelet!


Anatol.

… Oh, mein Lieber — das geht in dem
Fall nicht — Du irrſt Dich — glaub’ mir … Mit der
möcht ich auch hier nicht ſoupiren … Für die iſt das
Vorſtadtbeiſel, das gemütliche — mit den geſchmackloſen
Tapeten und den kleinen Beamten am Nebentiſch! —
Ich war die letzten Abende immer in ſolchen Localen mit ihr!


Max.

Wie? — Du ſagteſt doch eben, daß Du mit
Annie —


Anatol.

Ja ſo iſt’s auch. Ich mußte die letzte
Woche jeden Abend zweimal ſoupiren: mit der einen,
die ich gewinnen — und mit der Andern, die ich loswerden
wollte … Es iſt mir leider noch keines von Beiden ge-
lungen …


Max.

Weißt Du was? — Führe einmal die Annie in
ſo ein Vorſtadtbeiſel — und die Neue mit dem blonden
Köpferl zum Sacher … dann wird’s vielleicht gehen!


Anatol.

Dein Verſtändniß für die Sache leidet darunter,
daß Du die Neue noch nicht kennſt. Die iſt die Anſpruchs-
loſigkeit ſelbſt! — Oh, ich ſage Dir — ein Mädel — Du
ſollteſt ſehen, wenn ich eine etwas beſſere Sorte Wein beſtellen
will, … was die treibt!


Max.

Thräne im Augenwinkel — wie?


Anatol.

Sie giebt es nicht zu — unter gar keiner
Bedingung; unter gar keiner Bedingung! …


[81]
Max.

Alſo Du trinkſt Markersdorfer in der letzten Zeit —?


Anatol.

Ja … vor Zehn — dann natürlich Cham-
pagner … So iſt das Leben!


Max.

Na … entſchuldige … das Leben iſt nicht ſo!


Anatol.

Denke Dir nur, der Contraſt! Ich hab’ ihn
aber jetzt zur Genüge ausgekoſtet! — das iſt wieder einer
jener Fälle, wo ich fühle, daß ich im Grunde eine enorm
ehrliche Natur bin —


Max.

So! … Ah!


Anatol

Ich kann dieſes Doppelſpiel nicht länger durch-
führen … Ich verliere alle Selbſtachtung …!


Max.

Du! — ich bin’s, ich, ich … mir mußt Du
ja keine Comödie vorſpielen!


Anatol.

Warum — nachdem Du eben da biſt …
Aber im Ernſt … ich kann nicht Liebe heucheln, wo ich
nichts mehr empfinde!


Max.

Du heuchelſt nur dort, wo Du noch etwas em-
pfindeſt …


Anatol.

Ich habe es Annie aufrichtig geſagt, gleich —
gleich, ganz im Anfang … wie wir uns ewige Liebe
ſchwuren: Weißt Du, liebe Annie — wer von uns eines
ſchönen Tages ſpürt, daß es zu Ende geht — ſagt es dem
Andern rund heraus …


Max.

Ach, das habt Ihr in dem Augenblick ausgemacht,
wo Ihr Euch ewige Liebe ſchwurt … ſehr gut!


Anatol.

Ich habe ihr das öfter wiederholt: — Wir
haben nicht die geringſten Verpflichtungen gegen einander,
Arthur Schnitzler, Anatol. 6
[82] wir ſind frei! Wir gehen ruhig aus einander, wenn unſere
Zeit um iſt — nur keinen Betrug — das verabſcheue ich! …


Max.

Na, da wird’s ja eigentlich ſehr leicht gehen —
heute!


Anatol.

Leicht! … Jetzt, wo ich es ſagen ſoll, trau’
ich mich nicht … Es wird ihr ja doch weh’ thun …
Ich kann das Weinen nicht vertragen. — Ich verliebe mich
am Ende von Neuem in ſie, wenn ſie weint — und da
betrüg’ ich dann wieder die Andere!


Max.

Nein, nein, — nur keinen Betrug — das ver-
abſcheue ich!


Anatol.

Wenn Du da biſt, wird ſich das Alles viel
ungezwungener machen! … Von Dir geht ein Hauch von
kalter, geſunder Heiterkeit aus, in der die Sentimentalität des
Abſchieds erſtarren muß! … Vor Dir weint man nicht! …


Max.

Na, ich bin da für jeden Fall — das iſt aber
Alles, was ich für Dich thun kann … Ihr zureden? —
nein, nein … das nicht — es wäre gegen meine Ueber-
zeugung … Du biſt ein zu lieber Menſch …


Anatol.

Schau’, lieber Max — bis zu einem gewiſſen
Grade könnteſt Du das doch vielleicht auch … Du könnteſt
ihr ſagen, daß ſie an mir doch nicht ſo beſonders viel ver-
liert —


Max.

Na — das ginge noch —


Anatol.

Daß ſie hundert Andere findet — die ſchöner
— reicher —


Max.

Klüger —


[83]
Anatol.

Nein, nein, — bitte — keine Uebertreibungen —

(Der Kellner öffnet die Thüre. Annie tritt ein, im Regenmantel, den ſie umge-
worfen hat, weißer Boa: die gelben Handſchuhe trägt ſie in der Hand, breiten
auffallenden Hut nachläſſig aufgeſtülpt.)

Annie.

Oh — guten Abend!


Anatol.

Guten Abend, Annie! … Entſchuldige —


Annie.

Auf Dich kann man ſich verlaſſen!

(Sie wirft den
Regenmantel ab.)

— Ich ſchaue mich nach allen Seiten um —
rechts — links — Niemand da —


Anatol.

— Du haſt ja glücklicher Weiſe nicht weit
herüber!


Annie.

Man hält ſein Wort! — Guten Abend,
Max! —

(Zu Anatol.)

Na — auftragen laſſen hätteſt Du
unterdeſſen ſchon können …


Anatol
(umarmt ſie).

[Du haſt kein Mieder? —


Annie.

Na — ſoll ich vielleicht grande toilette
machen — für Dich? — Entſchuldige —


Anatol.

Mir kann’s ja recht ſein — Du mußt Max
um Entſchuldigung bitten!


Annie.

Warum denn? — den genirt’s ſicher nicht —
der iſt nicht eiferſüchtig! …] Alſo … alſo … eſſen —


(Der Kellner klopft.)

Herein! — Heut’ klopft er — Sonſt fällt
ihm das nicht ein!

(Der Kellner tritt ein.)

Anatol.

Serviren Sie! —

(Kellner ab.)

Annie.

Du warſt heut’ nicht drin —?


Anatol.

Nein — ich mußte — —


Annie.

Du haſt nicht viel verſäumt! — Es war heut’
Alles ſo ſchläfrig …


Max.

Was war denn für eine Oper vorher?


*6
[84]
Annie.

Ich weiß nicht …

(Man ſetzt ſich zu Tiſche)


Ich kam in meine Garderobe — dann auf die Bühne —
gekümmert hab’ ich mich um nichts … um nichts! … Im
Uebrigen hab’ ich Dir was zu ſagen, Anatol!


Anatol.

So, mein liebes Kind? — Was ſehr Wich-
tiges —?


Annie.

Ja, ziemlich! … Es wird Dich vielleicht über-
raſchen …

(Der Kellner trägt auf)


Anatol.

Da bin ich wirklich ſehr neugierig! … Auch
ich …


Annie.

Na … warte nur … für den da iſt das
nichts —


Anatol
(zum Kellner).

Gehen Sie … wir werden klingeln!


(Kellner ab)

… Na, alſo! …


Annie.

— Ja … mein lieber Anatol … es wird
Dich überraſchen … Warum übrigens! Es wird Dich gar
nicht überraſchen — es darf Dich nicht einmal überraſchen …


Max.

Gageerhöhung?


Anatol.

Unterbrich ſie doch nicht …!


Annie.

Nicht wahr — lieber Anatol … Du ſag’,
ſind dies Oſtender oder Whiteſtable?


Anatol.

Jetzt redet ſie wieder von den Auſtern! …
Oſtender ſind es!


Annie.

Ich dachte es … Ach, ich ſchwärme für
Auſtern … Das iſt doch eigentlich das Einzige, was man
täglich eſſen kann!


Max.

Kann?! — Sollte! Muß!!


Annie.

Nicht wahr! Ich ſag’s ja!


[85]
Anatol.

Du willſt mir ja was ſehr Wichtiges mit-
theilen —?


Annie.

Ja … wichtig iſt es allerdings — ſogar
ſehr! — Erinnerſt Du Dich an eine gewiſſe Bemerlung?


Anatol.

Welche — welche? — Ich kann doch nicht
wiſſen, welche Bemerkung Du meinſt!


Max.

Da hat er recht!


Annie.

Nun, ich meine die folgende … Warte …
wie war ſie nur — Annie, ſagteſt Du … wir wollen uns
nie betrügen …


Anatol.

Ja … ja … nun!


Annie.

Nie betrügen! … Lieber gleich die ganze
Wahrheit ſagen …


Anatol.

Ja … ich meinte …


Annie.

Wenn es aber zu ſpät iſt? —


Anatol.

Was ſagſt Du?


Annie.

Oh — es iſt nicht zu ſpät! — Ich ſag’s Dir
zur rechten Zeit — knapp zur rechten Zeit … Morgen
wäre es vielleicht ſchon zu ſpät!


Anatol.

Biſt Du toll, Annie?!


Max.

Wie?


Annie.

Anatol, Du mußt Deine Auſtern weiter eſſen …
ſonſt red’ ich nichts … gar nichts!


Anatol.

Was heißt das? — „Du mußt“ —!


Annie.

Eſſen!!


Anatol.

Du ſollſt reden … ich vertrage dieſe Art
von Späßen nicht!


Annie.

Nun — es war ja abgemacht, daß wir’s uns
[86] ganz ruhig ſagen ſollten, — wenn es einmal dazu kommt …
Und nun kömmt es eben dazu —


Anatol.

Das heißt?


Annie.

Das heißt: daß ich heut’ leider das letzte Mal
mit Dir ſoupire!


Anatol.

Du wirſt wohl die Güte haben, Dich — näher
zu erklären!


Annie.

Es iſt aus zwiſchen uns — es muß aus ſein …


Anatol.

Ja … ſag’ —


Max.

Das iſt ausgezeichnet!


Annie.

Was finden Sie daran ausgezeichnet? — Aus-
gezeichnet — oder nicht — es iſt nun einmal ſo!


Anatol.

Mein liebes Kind — ich hab’ noch immer
nicht recht verſtanden … Du haſt wohl einen Heirathsan-
trag erhalten …?


Annie.

Ach wenn’s das wäre! — das wäre ja kein
Grund, Dir den Abſchied zu geben.


Anatol.

Abſchied zu geben!?


Annie.

Na, es muß ja heraus. — Ich bin verliebt —
Anatol — raſend verliebt!


Anatol.

Und darf man fragen, in wen?


Annie

… Sagen Sie, Max — was lachen Sie denn
eigentlich?


Max.

Es iſt zu luſtig!


Anatol.

Laß’ ihn nur … Wir Zwei haben mit ein-
ander zu ſprechen, Annie! — Eine Erklärung biſt Du mir
wohl ſchuldig …


Annie.

Nun — ich gebe ſie Dir ja … Ich habe
[87] mich in einen Andern verliebt — und ſage es Dir rund
heraus, — weil das zwiſchen uns ſo abgemacht war …


Anatol.

Ja, … aber, zum Teufel — in wen?!


Annie.

Ja, liebes Kind — grob darfſt Du nicht
werden!


Max.

Da hat ſie Recht — grob darfſt Du nicht
werden …


Anatol.

Ich verlange … ich verlange ganz ent-
ſchieden …


Annie.

Bitte, Max — klingeln Sie — ich bin ſo
hungrig!


Anatol.

Das auch noch! — Appetit!! Appetit wäh-
rend einer ſolchen Unterredung!


Max
(zu Anatol).

Sie ſoupirt ja heute zum erſten Mal!

(Kellner, tritt ein). —

Anatol.

Was wollen Sie?


Kellner.

Es wurde geklingelt!


Max.

Serviren Sie weiter!

(Während der Kellner abräumt.)

Annie.

Ja … die Catalini geht nach Deutſchland …
das iſt abgemacht …


Max.

So … und man läßt ſie ſo ohne Weiteres
gehen?


Annie.

Na … ohne Weiteres — das kann man
eigentlich nicht ſagen?


Anatol
(ſteht auf und geht im Zimmer hin und her).

Wo iſt denn
der Wein?! — Sie! … Jean!! — Sie ſchlafen heute,
wie es ſcheint!


Kellner.

Ich bitte ſehr — der Wein …


[88]
Anatol.

Ich meine nicht den, der auf dem Tiſche
ſteht — das können Sie ſich wohl denken! — Den Cham-
pagner meine ich! — Sie wiſſen, daß ich ihn gleich zu An-
fang der Tafel haben will!

(Kellner ab.)

Anatol

… Ich bitte endlich um Aufklärung!


Annie.

Man ſoll Euch Männern doch nichts glauben,
gar nichts — rein gar nichts! — Wenn ich denke, wie ſchön
Du mir das aus einander ſetzteſt: Wenn wir fühlen, daß es
zu Ende geht — ſo ſagen wir es uns und ſcheiden in
Frieden —


Anatol.

Jetzt wirſt Du mir endlich einmal —


Annie.

Das iſt nun — ſein Frieden!


Anatol.

Aber, liebes Kind — Du wirſt doch begreifen,
daß es mich intereſſirt — wer —


Annie
(ſchlürft langſam den Wein).

Ah …


Anatol.

Trink aus … trink aus!


Annie.

Na, Du wirſt wohl noch ſo lange —


Anatol.

Du trinkſt ſonſt in einem Zug —


Annie.

Aber, lieber Anatol — ich nehme nun auch
von dem Bordeaux Abſchied — wer weiß, auf wie lange!


Anatol.

Zum Kuckuck noch einmal! — Was erzählſt
Du da für Geſchichten! …


Annie.

Nun wird’s wohl keinen Bordeaux geben …
und keine Auſtern … Und keinen Champagner!

(Der Kellner
kommt mit dem nächſten Gang.)

— Und keine Filets aux truffes!
Das iſt nun Alles vorbei …


Max.

Herrgott — haben Sie einen ſentimentalen
Magen!

(da der Kellner ſervirt)

— darf ich Ihnen herausgeben? —


[89]
Annie.

Ich danke Ihnen ſehr! So …


Anatol
(zündet ſich eine Cigarette an).


Max.

Ißt Du nicht mehr?


Anatol.

Vorläufig nicht!

(Kellner ab.)

… Alſo, jetzt
möcht’ ich einmal wiſſen, wer der Glückliche iſt!


Annie.

Und wenn ich Dir ſchon den Namen ſage —
Du weißt ja dann nicht mehr —


Anatol.

Nun — was für eine Sorte Menſch iſt er? —
Wie haſt Du ihn kennen gelernt? — Wie ſieht er aus —?


Annie.

Hübſch — bildhübſch! — Das iſt freilich
Alles …


Anatol.

Nun — es ſcheint Dir ja genug zu ſein …


Annie.

Ja — da wird’s keine Auſtern mehr geben …


Anatol.

Das wiſſen wir ſchon …


Annie

.. Und keinen Champagner!


Anatol.

Aber, Donnerwetter — er wird doch noch
andere Eigenſchaften haben, als daß er Dir keine Auſtern
und keinen Champagner zahlen kann —


Max.

Da hat er recht — das iſt ja doch eigentlich kein
Beruf …


Annie.

Nun, was thut’s — wenn ich ihn liebe? —
Ich verzichte auf Alles — es iſt etwas Neues — etwas,
was ich noch nie erlebt habe.


Max.

Aber, ſehen Sie … ein ſchlechtes Eſſen hätte
Ihnen Anatol zur Noth auch noch bieten können! —


Anatol.

Was iſt er? — Ein Commis? — Ein Rauch-
fangkehrer —? — Ein Reiſender in Petroleum —?


Annie.

Ja, Kind — beleidigen laß ich ihn nicht!


[90]
Max.

So ſagen Sie doch endlich, was er iſt!


Annie.

Ein Künſtler!


Anatol.

Was für Einer? — Wahrſcheinlich Trapez?
Das iſt ja was für Euch — Aus dem Circus — wie? —
Kunſtreiter?


Annie.

Hör’ auf, zu ſchimpfen! — Es iſt ein College
von mir …


Anatol.

Alſo — eine alte Bekanntſchaft? … Einer,
mit dem Du ſeit Jahren täglich zuſammen biſt — und
mit dem Du mich auch wahrſcheinlich ſchon längere Zeit be-
trügſt! —


Annie.

Da hätt’ ich Dir nichts geſagt! — Ich habe
mich auf Dein Wort verlaſſen — d’rum geſteh’ ich Dir ja
Alles, bevor es zu ſpät iſt!


Anatol.

Aber — verliebt biſt Du ſchon in ihn —
weiß Gott, wie lange? — Und im Geiſte haſt Du mich
längſt betrogen! —


Annie.

Das läßt ſich nicht verbieten!


Anatol.

Du biſt eine …


Max.

Anatol!!


Anatol

… Kenne ich ihn? —


Annie.

Na — aufgefallen wird er Dir wohl nicht
ſein … er tanzt nur im Chor mit … Aber er wird
avanciren —


Anatol.

Seit wann … gefällt er Dir —?


Annie.

Seit heute Abend!


Anatol.

Lüge nicht!


[91]
Annie.

Es iſt die Wahrheit! — Heut’ hab’ … ich
gefühlt, daß es meine Beſtimmung iſt …


Anatol.

Ihre Beſtimmung! … Hörſt Du, Max —
ihre Beſtimmung!!


Annie.

Ja, ſo was iſt auch Beſtimmung!


Anatol.

Hörſt Du — ich will aber Alles wiſſen —
ich habe ein Recht darauf! … In dieſem Augenblicke biſt
Du noch meine Geliebte! … Ich will wiſſen, ſeit wann
dieſe Dinge ſchon vorgehen … wie es begonnen … wann
er es gewagt —


Max.

Ja … das ſollten Sie uns wirklich erzählen …


Annie.

Das hat man nun von der Ehrlichkeit! …
Wahrhaftig — ich hätte es machen ſollen, wie die Fritzel
mit ihrem Baron — der weiß heut’ noch nichts — und
dabei hat ſie ſchon ſeit drei Monaten die Bandlerei mit dem
Lieutenant von den Fünferhuſaren!


Anatol.

Wird auch ſchon d’rauf kommen, der Baron!


Annie.

Schon möglich! Du aber wärſt mir nie darauf
gekommen, nie! — dazu bin ich viel zu geſcheidt … und
Du viel zu dumm!

(ſchenkt ſich ein Glas Wein ein) —

Anatol.

Wirſt Du aufhören, zu trinken!


Annie.

Heut’ nicht! — Einen Schwips — will ich
kriegen! — Es iſt ſo wie ſo der letzte …


Max.

Auf acht Tage!


Annie.

Auf ewig! — denn beim Karl werd’ ich bleiben,
weil ich ihn wirklich gern hab — weil er luſtig iſt wenn
er auch kein Geld hat — weil er mich nicht ſekiren wird —
weil er ein ſüßer, ſüßer, — lieber Kerl iſt! —


[92]
Anatol.

Du haſt Dein Wort nicht gehalten! — Schon
längſt biſt Du in ihn verliebt! — Das iſt eine dumme Lüge,
das von heute Abend!


Annie.

So glaub’s mir meinethalben nicht!


Max.

Na, Annie … erzählen Sie uns doch die Ge-
ſchichte … Wiſſen Sie — ganz — oder gar nicht! —
Wenn Sie ſchon im Frieden auseinandergehen wollen — ſo
müſſen Sie ihm das doch noch zu Liebe thun, dem Anatol ..


Anatol.

Ich erzähle Dir dann auch was …


Annie.

Na … angefangen hat’s halt ſo …

(Kellner
tritt ein …)

Anatol.

Erzähle nur — erzähle nur …

(ſetzt ſich zu ihr)

Annie.

… Das ſind vielleicht jetzt vierzehn Tage ..
oder länger, da hat er mir ein paar Roſen gegeben — beim
Ausgangsthürl … Ich hab’ lachen müſſen! — Ganz ſchüchtern
hat er dabei ausgeſchaut —


Anatol.

Warum haſt Du mir nichts davon erzählt —


Annie.

Davon? — Na, da hätt’ ich viel zu erzählen
gehabt!


Anatol.

Alſo weiter — weiter!


Annie.

… Dann iſt er bei den Proben immer ſo
merkwürdig um mich herum geſchlichen — na — und das
hab’ ich bemerkt — und Anfangs hat’s mich geärgert — und
dann hat’s mich g’freut —


Anatol.

Höchſt einfach …


Annie.

Na … und dann haben wir geſprochen —
und da hat mir Alles ſo gut an ihm gefallen —


Anatol.

Worüber habt Ihr denn geſprochen? —


[93]
Annie.

Alles Mögliche — wie’s ihm aus der Schul’
hinausg’worfen haben — und wie er dann in eine Lehr’
hätte kommen ſollen — na — und wie das Theaterblut in
ihm zum wurl’n ang’fangen hat …


Anatol.

So … und von alledem hab’ ich nie etwas gehört …


Annie.

Na … und dann is heraus ’kommen, daß
wir zwei, wie wir Kinder waren, zwei Häuſer weit von ein-
ander g’wohnt haben, — Nachbarsleut’ waren wir —


Anatol.

Ah!! Nachbarsleute! — das iſt rührend, rührend!


Annie.

Ja … ja …

(trinkt)

Anatol.

… Weiter!


Annie.

Was ſoll’s denn weiter ſein? — Ich hab’ Dir
ja ſchon Alles geſagt! Es iſt meine Beſtimmung — und gegen
meine Beſtimmung … kann ich nichts thun … und … gegen …
meine Beſtimmung … kann … ich … nichts … thun …


Anatol.

Vom heutigen Abend will ich was wiſſen —


Annie.

Na … was denn —

(ihr Kopf ſinkt herab)

Max.

Sie ſchläft ja ein —


Anatol.

Weck’ ſie auf! — Stelle den Wein aus ihrer
Nähe! … Ich muß wiſſen, was es heute Abend gegeben
hat — Annie — Annie!


Annie.

Heut’ Abend … hat er mir g’ſagt — daß
er — mich — gern hat!


Anatol.

Und Du —


Annie.

Ich hab’ g’ſagt — daß es mich freut — und
weil ich ihn nicht betrügen will — ſo ſag’ ich Dir: Adieu —


Anatol.

Weil Du ihn nicht betrügen willſt!! — Alſo
nicht meinetwegen —? … Seinetwegen!?


[94]
Annie.

Na, was denn! — Dich hab’ ich ja nimmer gern!


Anatol.

Na, gut! — Glücklicher Weiſe genirt mich
das Alles nicht mehr …!


Annie.

So!?


Anatol.

Auch ich bin in der angenehmen Lage — auf
Deine fernere Liebenswürdigkeit verzichten zu können!


Annie.

So … ſo!


Anatol.

Ja … ja! — Schon längſt liebe ich Dich
nicht mehr! … Ich liebe eine Andere!


Annie.

Haha … haha …


Anatol.

Längſt nicht mehr! — Frag’ nur den Max! —
Bevor Du gekommen biſt — hab’ ich’s ihm erzählt!


Annie

… So … ſo …


Anatol.

Längſt nicht mehr! …! Und dieſe Andere
iſt tauſendmal beſſer und ſchöner …


Annie.

So … ſo …


Anatol.

… Das iſt ein Mädel, für das ich tauſend
Weiber, wie Dich, mit Vergnügen hergebe — verſtehſt Du —?


Annie.
(lacht)


Anatol.

Lache nicht! — Frage den Max —


Annie.

Es iſt doch zu komiſch! — Mir das jetzt ein-
reden zu wollen —


Anatol.

Es iſt wahr, ſag’ ich Dir — ich ſchwöre Dir,
daß es wahr iſt! — Längſt hab’ ich Dich nicht mehr lieb! …
Ich hab’ nicht einmal an Dich gedacht, während ich mit Dir
zuſammen war — und, wenn ich Dich geküßt habe, ſo meinte
ich die Andere! — die Andere! — die Andere! —


Annie.

Na — ſo ſind wir quitt!


[95]
Anatol.

So! — Du glaubſt?


Annie.

Ja — quitt! — Das iſt ja ganz ſchön!


Anatol.

So? — Quitt ſind wir nicht — oh nein —
durchaus nicht! — Das iſt nämlich nicht ein und dasſelbe …
was Du erlebt haſt … und ich! … Meine Geſchichte iſt
etwas weniger — unſchuldig …


Annie.

… Wie? —

(ernſter werdend).

Anatol.

Ja … meine Geſchichte hört ſich ein wenig
anders an —


Annie.

Wieſo iſt Deine Geſchichte anders —?


Anatol.

Nun — ich — ich habe Dich betrogen —


Annie.
(ſteht auf:)

Wie? — Wie?!


Anatol.

Betrogen hab’ ich Dich — wie Du’s verdienſt —
Tag für Tag — Nacht für Nacht — Ich kam von ihr, wenn
ich Dich traf — ich ging zu ihr, wenn ich Dich verließ —


Annie.

… Infam! … das iſt … infam!!

(geht
zum Kleiderſtänder, wirft Regenmantel und Boa um)


Anatol.

— Man kann ſich bei Euresgleichen nicht
genug eilen — ſonſt kommt Ihr einem zuvor! … Na, zum
Glück hab’ ich keine Illuſionen …


Annie.

Da ſieht man es wieder! — Ja!!


Anatol.

Ja … ſieht man es, nicht wahr? Jetzt ſieht
man es!


Annic.

Daß ſo ein Mann hundertmal rückſichtsloſer iſt
als ein Frauenzimmer —


Anatol.

Ja man ſiehts! — So rückſichtslos war
ich … ja!


[96]
Annie.
(hat nun die Boa um den Hals geſchlungen und nimmt Hut
und Handſchuhe in die Hand, ſtellt ſich vor Anatol hin:)

— Ja …
rückſichtslos! — Das … hab’ ich Dir doch nicht geſagt!

(will gehen!)

Anatol.

Wie?! —

(Ihr nach)

Max.

So laß’ ſie! — Du wirſt ſie doch nicht am Ende
aufhalten! —


Anatol.

„Das!“ — haſt Du mir nicht geſagt? —
Was!? — Daß Du …? daß Du … daß —


Annie.
(bei der Thüre:)

Nie hätte ich es Dir geſagt …
nie! … So rückſichtslos kann nur ein Mann ſein —


Kellner.
(kommt mit einer Crême:)

— Oh —


Anatol.

Geh’n Sie zum Teufel mit Ihrer Crême!


Annie.

… Wie?! Vanillencrême!! … So! —


Anatol.

Du wagſt es noch! —


Max.

Laß ſie doch! — Sie muß ja von der Crême
Abſchied nehmen — für ewig —!


Annie.

Ja … mit Freuden! — Vom Bordeaux, vom
Champagner — von den Auſtern — und ganz beſonders von
Dir, Anatol —!

(Plötzlich, von der Thüre weg, mit einem ordinären Lächeln
geht ſie zur Cigarettenſchachtel, die auf dem Trümeau ſteht und ſtopft ſich eine
Handvoll Cigaretten in die Taſche:)

Nicht für mich! — Die bring
ich — ihm!

(Ab.)

Anatol
(ihr nach, bleibt bei der Thüre ſtehen)


Max
(ruhig).

Na … ſiehſt Du … es iſt ganz leicht
gegangen! …

(Der Vorhang fällt.)

[[97]]

Agonie.


Arthur Schnitzler, Anatol.
[[98]]

Perſonen:


  • Anatol.

  • Max.

  • Elſe.

[[99]]
(Anatols Zimmer. Beginn der Abenddämmerung. Das Zimmer iſt eine Weile
leer, dann treten Anatol und Max ein).

Max.

So … nun bin ich richtig noch mit Dir da
heraufgegangen!


Anatol.

Bleib’ noch ein wenig.


Max.

Ich denke doch, daß ich Dich ſtöre?


Anatol.

Ich bitte Dich, bleibe! Ich habe gar keine Luſt,
allein zu ſein — und wer weiß, ob ſie überhaupt kommt!


Max.

Ah!


Anatol.

Sieben Mal unter zehn warte ich vergebens!


Max.

Das hielte ich nicht aus!


Anatol.

Und manchmal muß man die Ausreden glauben —
ach, ſie ſind ſogar wahr.


Max.

Alle ſiebenmal?


Anatol.

Was weiß ich denn! … Ich ſage Dir!
es gibt nichts Entſetzlicheres, als der Liebhaber einer ver-
heirateten Frau zu ſein!


Max.

Oh doch … ihr Gatte wär ich z. B. noch
weniger gern!


7*
[100]
Anatol.

Nun dauert das ſchon — wie lange nur —? —
Zwei Jahre — ach was! — mehr! — Im Faſching waren
es ſchon ſo viel — und das iſt nun der dritte „Frühling
unſerer Liebe“ …


Max.

Was haſt Du denn!


Anatol
(hat ſich noch mit Ueberzieher und Stock in einen Fauteuil geworfen,
der am Fenſter ſteht).

— Ach, ich bin müde, — ich bin nervös,
ich weiß nicht, was ich will …


Max.

Reiſe ab!


Anatol.

Warum?


Max.

Um das Ende abzukürzen!


Anatol.

Was heißt das — das Ende!?


Max.

Ich habe Dich ſchon manchmal ſo geſehen —
das letzte Mal, weißt Du noch, wie Du Dich ſo lange nicht
entſchließen konnteſt, einem gewiſſen dummen Ding den Abſchied
zu geben, das deine Schmerzen wahrhaftig nicht werth
war.


Anatol.

Du meinſt, ich liebe ſie nicht mehr …?


Max.

Oh! das wäre ja vortrefflich … in dem Stadium
leidet man nicht mehr! … Jetzt machſt Du was viel Aergeres
durch, als den Tod, — das Tödtliche.


Anatol.

Du haſt ſo eine Manier, einem angenehme
Dinge zu ſagen! — Aber Du haſt recht — es iſt die Agonie!


Max.

Sich darüber ausſprechen, hat gewiß etwas Tröſt-
liches. Und wir brauchen nicht einmal Philoſophie dazu! —
Wir brauchen gar nicht in’s große Allgemeine zu gehen; —
es genügt ſchon, das Beſondere ſehr tief bis in ſeine ver-
borgenſten Keime zu begreifen —!


[101]
Anatol.

Ein recht mäßiges Vergnügen, das Du mir da
vorſchlägſt.


Max.

Ich meine nur ſo — Aber ich habe Dir’s ja
den ganzen Nachmittag angeſehen, ſchon im Prater unten, wo
Du blaß und langweilig warſt wie die Möglichkeit —


Anatol.

Sie wollte heute hinunterfahren.


Max.

Du warſt aber froh, daß uns ihr Wagen nicht
begegnete, weil Du gewiß jenes Lächeln nicht mehr zur Ver-
fügung haſt, mit dem Du ſie vor zwei Jahren begrüßteſt.


Anatol.
(ſteht auf).

Wie kommt das nur! — Sag mir, wie
kommt das nur —? — Alſo ſteht mir das wieder einmal
bevor — dieſes allmählige, langſame, unſagbar traurige Ver-
glimmen? — Du ahnſt nicht, wie ich davor ſchaudere —!


Max.

D’rum ſage ich ja: Reiſe ab! — Oder habe den
Muth, ihr die ganze Wahrheit zu ſagen.


Anatol.

Was denn? Und wie?


Max.

Nun, ganz einfach: daß es aus iſt.


Anatol.

Auf dieſe Arten von Wahrheit brauchen wir
uns nicht viel zu Gute zu thun; das es iſt ja doch nur die
brutale Aufrichtigkeit ermüdeter Lügner.


Max.

Natürlich! Lieber verbergt Ihr es mit tauſend
Liſten vor einander, das Ihr Euch nicht mehr dieſelben ſeid,
die Ihr war’t, als mit einem raſchen Entſchluß auseinander
zu gehen. Warum denn nur? —


Anatol.

Weil wir es ja ſelbſt nicht glauben. Weil
es mitten in dieſer unendlichen Oedigkeit der Agonie
ſonderbare täuſchende, blühende Augenblicke gibt, in denen
Alles ſchöner iſt, als je zuvor …! Nie haben wir eine
[102] größere Sehnſucht nach Glück, als in dieſen letzten Tagen
einer Liebe — und, wenn da irgend eine Laune, irgend ein
Rauſch, irgend ein Nichts kommt, das ſich als Glück verkleidet,
ſo wollen wir nicht hinter die Maske ſehen … Da kommen
dann die Augenblicke, in denen man ſich ſchämt, daß man
alle die Süßigkeit geendet glaubte — da bittet man einander
ſo vieles ab, ohne es in Worten zu ſagen — Man iſt ſo
ermattet von der Angſt des Sterbens — und nun iſt plötzlich
das Leben wieder da — heißer, glühender, als je — und
trügeriſcher als je! —


Max.

Vergiß nur eines nicht: Dieſes Ende beginnt oft
früher, als wir ahnen! — Es gibt manches Glück, das mit
dem erſten Kuß zu ſterben begann. — Weißt Du nichts von
den ſchwer Kranken, die ſich für geſund halten bis zum letzten
Augenblick —?


Anatol.

Zu dieſen Glücklichen gehöre ich nicht! — Das
ſteht feſt! — Ich bin ſtets ein Hypochonder der Liebe ge-
weſen … Vielleicht waren meine Gefühle nicht einmal ſo
krank, als ich ſie glaubte — um ſo ärger! — Mir iſt manch-
mal, als werde die Sage vom böſen Blick an mir wahr …
Nur iſt der meine nach innen gewandt und meine beſten
Empfindungen ſiechen vor ihm hin.


Max.

Dann muß man eben den Stolz ſeines böſen
Blickes haben.


Anatol.

Ach nein, ich beneide ja doch die Andern! Weißt
Du — die Glücklichen, für die jedes Stück Leben ein
neuer Sieg iſt! — Ich muß mir immer vornehmen, mit
etwas fertig zu werden; ich mache Halteſtellen, — ich
[103] überlege, ich raſte, ich ſchleppe mit —; jene andern über-
winden ſpielend, im Erleben ſelbſt; … es iſt für ſie ein
und dasſelbe.


Max.

Beneide ſie nicht, Anatol — ſie überwinden nicht,
ſie gehen nur vorbei!


Anatol.

Iſt nicht auch das ein Glück —? — Sie
haben wenigſtens nicht dieſes ſeltſame Gefühl der Schuld,
welches ja das Geheimniß unſerer Trennungsſchmerzen iſt.


Max.

Welcher Schuld denn? —


Anatol.

Hatten wir nicht die Verpflichtung, die Ewigkeit,
die wir ihnen verſprachen, in die paar Jahre oder Stunden
hineinzulegen, in denen wir ſie liebten? Und wir konnten es
nie! nie! — Mit dieſem Schuldbewußtſein ſcheiden wir von
Jeder — und unſere Melancholie bedeutet nichts als ein ſtilles
Eingeſtändniß. Das iſt eben unſre letzte Ehrlichkeit! —


Max.

Zuweilen auch unſre erſte …


Anatol.

Und das thut alles ſo weh. —


Max.

Mein Lieber, für Dich ſind dieſe lang dauernden
Verhältniſſe überhaupt nicht gut … Du haſt eine zu feine
Naſe —


Anatol.

Wie ſoll ich das verſtehen?


Max.

Deine Gegenwart ſchleppt immer eine ganze ſchwere
Laſt von unverarbeiteter Vergangenheit mit ſich … Und nun
fangen die erſten Jahre Deiner Liebe wieder einmal zu ver-
modern an, ohne daß Deine Seele die wunderbare Kraft
hätte, ſie völlig auszuſtoßen — Was iſt nun die natürliche
Folge —? — Daß auch um die geſundeſten und blühendſten
[104] Stunden Deines Jetzt ein Duft dieſes Moders fließt — und
die Atmosphäre Deiner Gegenwart unrettbar vergiftet iſt.


Anatol.

Das mag wohl ſein.


Max.

Und darum iſt ja ewig dieſer Wirrwarr von
Einſt und Jetzt und Später in Dir; es ſind ſtete, unklare
Uebergänge! Das Geweſene wird für Dich keine einfache ſtarre,
Thatſache, indem es ſich von den Stimmungen loslöſt, in denen
Du es erfahren — nein, die Stimmungen bleiben ſchwer
darüber liegen, ſie werden nur bläſſer und welker — und
ſterben ab.


Anatol.

Nun ja. Und aus dieſem Dunſtkreis kommen
die ſchmerzlichen Düfte, die ſo oft über meine beſten Augen-
blicke ziehen — Vor denen möchte ich mich retten.


Max.

Ich bemerke zu meinem größten Erſtaunen, daß
keiner davor ſicher iſt, einmal etwas Erſtgradiges ſagen zu
müſſen! … So hab’ ich jetzt etwas auf der Zunge: Sei
ſtark, Anatol — werde geſund!


Anatol.

Du lachſt ja ſelbſt, während Du’s ausſprichſt! …
Es iſt ja möglich, daß ich die Fähigkeit dazu hätte; — mir
fehlt aber das weit Wichtigere — das Bedürfniß! — Ich
fühle, wie viel mir verloren ginge, wenn ich mich eines ſchönen
Tages „ſtark“ fände! … Es giebt ſo viele Krankheiten und
nur eine Geſundheit —! … Man muß immer genau ſo
geſund wie die andern — man kann aber ganz anders krank
ſein wie jeder Andere!


Max.

Iſt das nur Eitelkeit?


Anatol

Und wenn? — Du weißt ſchon wieder ganz
genau, daß Eitelkeit ein Fehler iſt, nicht —? …


[105]
Max.

Ich entnehme aus alledem einfach, daß Du nicht
abreiſen willſt.


Anatol.

Vielleicht werde ich abreiſen — ja, gut! —
Aber ich muß mich damit überraſchen — es darf kein Vorſatz
dabei ſein, — der Vorſatz verdirbt Alles! — Das iſt ja das Ent-
ſetzliche bei dieſen Dingen, daß man — den Koffer packen, einen
Wagen holen laſſen — ihm ſagen muß — zum Bahnhof!


Max.

Das beſorge ich Dir Alles!

(da Anatol raſch zum Fenſter
gegangen und hinausgeſehen hat)

— Was haſt Du denn? —


Anatol.

Nichts …


Max.

… Ach ja … ich vergaß ganz — Ich gehe ſchon.


Anatol.

… Siehſt Du — in dieſem Momente iſt
mir wieder —


Max.

—?


Anatol.

Als betete ich ſie an!


Max.

Dafür gibt es eine ſehr einfache Erklärung, die
nämlich: daß Du ſie wirklich anbeteſt — in dieſem Augenblick!


Anatol.

Leb’ wohl, alſo — den Wagen beſtelle noch
nicht!


Max.

Sei nicht gar ſo übermüthig! — Der Trieſter
Schnellzug geht erſt in 4 Stunden ab — und das Gepäck
läßt ſich nachſchicken —


Anatol.

Danke beſtens!


Max
(an der Thüre).

Ich kann unmöglich ohne ein Aphorisma
abgehen!


Anatol.

Bitte?


Max.

Das Weib iſt ein Räthſel!


Anatol.

Oh!!!


[106]
Max.

Aber ausreden laſſen! Das Weib iſt ein Räthſel: —
ſo ſagt man! Was für ein Räthſel wären wir erſt für das
Weib, wenn es vernünftig genug wäre, über uns nachzu-
denken?


Anatol.

Bravo, bravo!


Max
(verbeugt ſich und geht ab).


Anatol
(eine Weile allein; geht im Zimmer hin und her, dann ſetzt
er ſich wieder zum Fenſter, raucht eine Cigarrette. Die Töne einer Geige klingen
aus dem oberen Stockwerke herab — Pauſe — dann hört man Schritte im Corridor …
Anatol wird aufmerkſam, ſteht auf, legt die Cigarette in einen Aſchenbecher und
geht der eben hereintretenden, tief verſchleierten Elſe raſch entgegen).

Anatol.

Endlich! —


Elſe.

Es iſt ſchon ſpät … ja, ja!

(ſie legt Hut und Schleier ab)


— Ich konnte nicht früher — Unmöglich! —


Anatol.

Hätteſt Du mich nicht verſtändigen können? —
Das Warten macht mich ſo nervös! — Aber — Du bleibſt —?


Elſe.

Nicht lange, Engel — mein Mann —


Anatol
(wendet ſich verdroſſen ab).

Elſe.

Schau — wie Du wieder biſt! — Ich kann doch
nichts dafür!


Anatol.

Nun ja — Du haſt ja Recht! — Es iſt ſchon
einmal ſo — und man muß ſich fügen … Komm, mein
Schatz — hierher! …

(ſie treten zum Fenſter)


Elſe.

Man könnte mich ſehen! —


Anatol.

Es iſt ja dunkel — und der Vorhang hier
verbirgt uns! Es iſt ſo ärgerlich, daß Du nicht lange bleiben
kannſt! — Ich hab Dich ſchon zwei Tage nicht geſehen! —
Und auch das letzte Mal waren es nur ein paar Minuten!


Elſe.

Liebſt Du mich denn —?


[107]
Anatol.

Ach, Du weißt es ja — Du biſt Alles, Alles
für mich! … Immer immer mit Dir zu ſein —


Elſe.

Ach ich bin auch ſo gerne bei Dir! —


Anatol.

Komm …

(zieht ſie nebe ſich auf den Fauteuil)


Deine Hand!

(führt ſie an die Lippen …)

… Hörſt Du den
Alten da oben ſpielen? — Schön — nicht wahr —?


Elſe.

Mein Schatz!


Anatol.

Ach ja — ſo mit Dir am Comoſee … oder
in Venedig —


Elſe.

Da war ich auf meiner Hochzeitsreiſe —


Anatol
(mit verbiſſenem Aerger).

Mußteſt Du das jetzt ſagen?


Elſe.

Aber — ich liebe ja nur Dich! habe nur Dich
geliebt! nie einen Andern — und gar meinen Mann! —


Anatol
(die Hände faltend).

Ich bitte Dich! — Kannſt Du
Dich denn nicht, wenigſtens Secunden lang unverheiratet
denken? — Schlürfe doch den Reiz dieſer Minute — denke
doch, wir zwei ſind allein auf der Welt …

(Glockenſchläge)

Elſe.

Wie ſpät —?


Anatol.

Elſe, Elſe — frage nicht! — Vergiß, daß es
Andere gibt — Du biſt ja bei mir!


Elſe
(zärtlich).

Hab ich nicht genug für Dich vergeſſen? —


Anatol.

Mein Schatz —

(ihr die Hand küſſend)


Elſe.

Mein lieber Anatol —


Anatol
(weich).

Was denn ſchon wieder, Elſe —?


Elſe
(deutet durch eine Handbewegung und lächelnd an, daß ſie gehen muß).

Anatol.

Du meinſt?


Elſe.

Ich muß fort!


Anatol.

Du mußt? —


[108]
Elſe.

Ja.


Anatol.

Mußt —? Jetzt — jetzt —? — So geh!

([entfernt] ſich von ihr)

Elſe.

Man kann mit Dir nicht reden —


Anatol.

Man kann mit mir nicht reden!

(im Zimmer hin
hin und her)

— Und Du begreifft nicht, daß mich dieſes Leben
raſend machen muß? —


Elſe.

Das iſt mein Dank!


Anatol.

Dank, Dank! — Wofür Dank? — Hab’ ich
Dir nicht ebenſo viel geſchenkt, wie Du mir? — Lieb’ ich
Dich weniger als Du mich? — Mache ich Dich weniger
glücklich als Du mich? — Liebe — Wahnſinn — Schmerz —!
aber Dankbarkeit? — Wie kommt das dumme Wort her? —


Elſe.

Alſo gar keinen, — kein Bischen Dank verdiene
ich von Dir? — Ich, die Dir Alles geopfert?


Anatol.

Geopfert? — Ich will kein Opfer — und
war es eines, ſo haſt Du mich nie geliebt.


Elſe.

Auch das noch? … Ich liebe ihn nicht — ich,
die den Mann für ihn verräth — ich, ich — ich liebe ihn nicht!


Anatol.

Das hab ich doch nicht geſagt!


Elſe.

Oh, was hab’ ich gethan!


Anatol
(vor ihr ſtehen bleibend).

Oh, was hab’ ich gethan!
— Dieſe herrliche Bemerkung hat eben noch gefehlt! —
Was Du gethan haſt? Ich will es Dir ſagen … Du
warſt ein dummer Backfiſch vor ſieben Jahren — dann haſt
Du einen Mann geheirathet, weil man ja heirathen muß. —
Du haſt Deine Hochzeitsreiſe gemacht … Du warſt glück-
lich … in Venedig —


[109]
Elſe.

Niemals! —


Anatol.

Glücklich — in Venedig — am Comoſee — es
war ja doch auch Liebe — in gewiſſen Momenten wenigſtens.


Elſe.

Niemals!


Anatol.

Wie? — Hat er Dich nicht geküßt — nicht
umarmt? — Warſt Du nicht ſein Weib? — Dann kamt
Ihr zurück — und es wurde Dir langweilig — ſelbſtver-
ſtändlich — denn Du biſt ſchön — elegant — und eine
Frau —! und er iſt ganz einfach ein Dummkopf! — Nun
kamen die Jahre der Koketterie … ich nehme an, der Ko-
ketterie allein! — Geliebt haſt Du noch keinen vor mir,
ſagſt Du. Nun, beweiſen läßt ſich das nicht — aber ich
nehme es an; weil mir das Gegentheil unangenehm wäre.


Elſe.

Anatol! Koketterie! Ich! —


Anatol.

Ja … Koketterie! Und was das heißt,
kokett ſein? — Lüſtern und verlogen zugleich!


Elſe.

Das war ich? —


Anatol.

Ja … Du! — Dann kamen die Jahre des
Kampfes — Du ſchwankteſt! — Soll ich niemals meinen
Roman erleben? — Du wurdeſt immer ſchöner — Dein
Mann immer langweiliger, dümmer und häßlicher …!
Schließlich mußte es kommen — und Du nahmſt Dir einen
Liebhaber. Dieſer Liebhaber bin zufällig ich!


Elſe.

Zufällig … Du!


Anatol.

Ja, zufällig ich — denn, wäre ich nicht
— ſo wäre eben ein Anderer da geweſen! — Du
haſt Dich in Deiner Ehe unglücklich gefühlt oder nicht
glücklich genug — und wollteſt geliebt ſein. Du haſt ein
[110] Bischen mit mir geflirtet, haſt von der grande passion ge-
faſelt — und eines ſchönen Tages, als Du eine Deiner
Freundinnen betrachteteſt, die im Wagen an Dir vorbeifuhr,
oder vielleicht eine Kokotte, die in einer Loge neben euch ſaß,
da haſt Du Dir eben gedacht: Warum ſoll ich nicht auch mein
Vergnügen haben! — Und ſo biſt Du meine Geliebte ge-
worden! — — Das haſt Du gethan! — Das iſt Alles —
und ich ſehe nicht ein, warum Du große Phraſen brauchſt
für dieſes kleine Abenteuer —


Elſe.

Anatol — Anatol! — Abenteuer!? —


Anatol.

Ja!


Elſe.

Nimm zurück, was Du geſagt — ich beſchwöre dich! —


Anatol.

Was hab’ ich denn da zurückzunehmen — was
iſt’s denn anderes für Dich —?


Elſe.

Du glaubſt das wirklich!


Anatol.

Ja!


Elſe.

Nun — ſo muß ich gehn!


Anatol.

Geh — ich halte Dich nicht!

(Pauſe.)

Elſe.

Du ſchickſt mich weg? —


Anatol.

Ich — ſchicke Dich weg — Vor zwei Minu-
ten ſagteſt Du ja — „Ich muß fort!“


Elſe.

Anatol — ich muß es ja —! Siehſt Du’s denn
nicht ein —


Anatol
(entſchloſſen)

Elſe!


Elſe.

Was denn?


Anatol.

Elſe — Du liebſt mich —? ſo ſagſt Du —


Elſe.

Ich ſage es — Um Himmelswillen — was für
Beweiſe verlangſt Du denn eigentlich von mir —?


[111]
Anatol.

Willſt Du es wiſſen —? Gut! — Vielleicht
werde ich Dir glauben können, daß Du mich liebſt …


Elſe.

Vielleicht? — Das ſagſt Du heute!


Anatol.

Du liebſt mich —?


Elſe.

Ich bete Dich an —


Anatol.

So — bleibe bei mir!


Elſe.

Wie? —


Anatol.

Fliehe mit mir — Ja? — Mit mir — in
eine andere Stadt — in eine andere Welt — ich will mit
Dir allein ſein!


Elſe.

Was fällt Dir denn ein —?


Anatol.

Was mir „einfällt“ —? Das einzig Natür-
liche — ja! — Wie kann ich Dich denn nur fortgehen
laſſen — zu ihm — wie habe ich es nur jemals können?
— Ja — wie bringſt Du es denn eigentlich über Dich —
Du! die mich „anbetet“! — Wie? Aus meinen Armen
weg, von meinen Küſſen verſengt, kommſt Du in jenes
Haus zurück, das Dir ja fremd geworden, ſeit Du mir ge-
hörſt? — Nein — nein — wir haben uns ſo dareingefun-
den — wir haben nicht daran gedacht, wie ungeheuerlich es
iſt! Es iſt ja unmöglich, daß wir ſo weiter leben können
— — Elſe, Elſe, Du kommſt mit mir! — Nun … Du
ſchweigſt — Elſe! — Nach Sicilien … wohin Du willſt
— über’s Meer meinetwegen — Elſe!


Elſe.

— Was redeſt Du nur?


Anatol.

Niemand mehr zwiſchen Dir und mir — über’s
Meer, Elſe! — und wir werden allein ſein —


Elſe.

Ueber’s Meer —?


[112]
Anatol.

Wohin Du willſt! …


Elſe.

Mein liebes, theures … Kind …


Anatol.

Zögerſt Du —?


Elſe.

Schau, Liebſter — wozu brauchen wir denn das
eigentlich —?


Anatol.

Was?


Elſe.

Das wegreiſen — Es iſt ja gar nicht nöthig …
Wir können uns doch auch in Wien beinahe ſo oft ſehen,
als wir wollen —


Anatol.

Beinahe ſo oft als wir wollen — Ja ja …
wir … haben’s gar nicht nöthig …


Elſe.

Da ſind Phantaſtereien …


Anatol.

… Du haſt Recht …

(Pauſe).

Elſe.

… Bös —?

(Glockenſchläge.)

Anatol.

Du mußt gehen!


Elſe.

… Um Himmelswillen — So ſpät iſt es geworden …!


Anatol.

Nun — ſo geh doch …


Elſe.

Auf morgen — ich werde ſchon um ſechs Uhr bei Dir ſein!


Anatol.

… Wie Du willſt!


Elſe.

Du küßeſt mich nicht —?


Anatol.

Oh ja …


Elſe.

Ich werde Dich ſchon wieder gut machen … morgen! —


Anatol
(begleitet ſie zur Thüre):

Adieu!


Elſe
bei der Thüre):

Noch einen Kuß!


Anatol.

Warum nicht — da!

(Er küßt ſie; ſie geht).

Anatol.
(wieder zurück in’s Zimmer).

Nun habe ich ſie mit
dieſem Kuß zu dem gemacht, was ſie zu ſein verdient …
zu Einer mehr!

(Er ſchüttelt ſich)

Dumm, dumm …!


[[113]]

Anatols Hochzeitsmorgen.


Arthur Schnitzler, Anatol. 8
[[114]]

Perſonen:


  • Anatol.

  • Max.

  • Ilona.

  • Franz, Diener.

[[115]]
Geſchmackvoll eingerichtetes Junggeſellenzimmer: die Thüre rechts führt ins Vor-
zimmer; die Thüre links, zu deren Seiten Vorbänge herabfallen, ins Schlafgemach.

Anatol
(kommt im Morgenanzug auf den Zehenſpitzen aus dem Zimmer
links und macht die Thüre leiſe zu. Er ſetzt ſich auf eine Chaiſelongue und drückt
auf einen Knopf; es klingelte).

Franz
(erſcheint von rechts und geht, ohne Anatol zu bemerken, zur Thür links.)

Anatol
(merkt es anfangs nicht, läuft ihm dann nach und hält ihn davon
zurück, die Thüre zu öffnen).

Was ſchleichſt du denn ſo? Ich habe
Dich gar nicht gehört!


Franz.

Was befehlen Euer Gnaden?


Anatol.

Den Samowar!


Franz.

Jawohl.

(Ab.)

Anatol.

Leiſe, Du Dummkopf! Kannſt Du nicht leiſer
auftreten?

(Geht auf den Fußſpitzen zur Thüre links, öffnet ſie ein wenig.)


Sie ſchläft! … Noch immer ſchläft ſie!

(Schließt die Thüre.)

Franz
(kommt mit dem Samowar).

Zwei Taſſen, gnädiger Herr?


Anatol.

Jawohl!

(es läutet.)

… Sieh hinaus! Wer
kommt denn da in aller Frühe?

(Franz ab.)

Anatol.

Ich bin heute entſchieden nicht in der Stimmung
zum Heirathen. Ich möchte abſagen.


8*
[116]
Franz
(öffnet die Thüre rechts, durch die Max hereintritt).

Max
(herzlich).

Mein lieber Freund!


Anatol.

Pſt. … Stille! … Noch eine Taſſe, Franz!


Max.

Es ſtehen ja ſchon zwei Taſſen da!


Anatol.

Noch eine Taſſe, Franz — und hinaus

(Franz ab).


So … und jetzt, mein Lieber, was führt Dich um acht
Uhr Morgens zu mir her?


Max.

Es iſt zehn!


Anatol.

Alſo was führt Dich um zehn Uhr Morgens
zu mir her?


Max.

Meine Vergeßlichkeit.


Anatol.

Leiſer…


Max.

Ja warum denn eigentlich? Biſt Du nervös?


Anatol.

Ja, ſehr!


Max.

Du ſollteſt aber heute nicht nervös ſein.


Anatol.

Was willſt Du alſo?


Max.

Du weißt, ich bin heute Zeuge bei Deiner Hochzeit;
Deine reizende Couſine Alma iſt meine Dame!


Anatol
(tonlos).

Zur Sache.


Max.

Nun — ich habe vergeſſen das Bouquet zu be-
ſtellen, und weiß in dieſem Augenblicke nicht, was für eine
Toilette Fräulein Alma tragen wird. Wird ſie weiß, roſa,
blau oder grün erſcheinen?


Anatol
(ärgerlich).

Keinesfalls grün!


Max.

Warum leinesfalls grün?


Anatol.

Meine Couſine trägt nie grün.


Max
(pikirt.)

Das kann ich doch nicht wiſſen!


[117]
Anatol
(w. o.).

Schrei nicht ſo! Das läßt ſich Alles
in Ruhe abmachen


Max.

Alſo Du weißt gar nicht, was für eine Farbe ſie
heute tragen wird?


Anatol.

Roſa oder blau!


Max.

Das ſind aber ganz verſchiedene Dinge.


Anatol.

Ach, roſa oder blau, das iſt ganz gleichgültig!


Max.

Aber für mein Bouquet iſt das durchaus nicht
gleichgültig!


Anatol.

Beſtelle zwei; das eine kannſt Du Dir dann
ins Knopfloch ſtecken.


Max.

Ich bin nicht hergekommen, um Deine ſchlechten
Witze anzuhören.


Anatol.

Ich werde heute um zwei Uhr einen noch
ſchlechtern machen!


Max.

Du biſt recht gut aufgelegt an Deinem Hochzeits-
morgen.


Anatol.

Ich bin nervös!


Max.

Du verſchweigſt mir etwas.


Anatol.

Nichts!


Ilonas Stimme
(aus dem Schlafzimmer).

Anatol!


Max
(ſieht Anatol überraſcht an).

Anatol.

Entſchuldige mich einen Augenblick.

(Geht zur
Thüre des Schlafzimmers und verſchwindet einen Moment in demſelben; Max
ſieht ihm mit weit offenen Augen nach; Anatol küßt Ilona bei der Thüre, ohne
daß es Max ſehen kann, ſchließt die Thüre und tritt wieder zu Max.)

Max
(entrüſtet).

So was thut man nicht!


Anatol.

Höre, lieber Max und dann urtheile.


[118]
Max.

Ich höre eine weibliche Stimme und urtheile:
Du fängſt früh an, Deine Frau zu betrügen!


Anatol.

Setze Dich nieder und höre mich an, Du wirſt
gleich anders reden.


Max.

Niemals. Ich bin gewiß kein Tugendſpiegel;
aber ſo was ..!


Anatol.

Du willſt mich nicht anhören?


Max.

Erzähle! Aber raſch; ich bin zu Deiner Trauung
eingeladen.

(Beide ſitzen).

Anatol
(traurig).

Ach ja!


Max
(ungeduldig).

Alſo.


Anatol.

Alſo … Alſo geſtern war Polterabend bei
meinen zukünftigen Schwiegereltern.


Max.

Weiß ich; war dort!


Anatol.

Ja richtig, Du warſt dort. Es waren über-
haupt eine Menge Leute dort! Man war ſehr aufgeräumt,
trank Champagner, ſprach Toaſte…


Max.

Ich auch .. auf Dein Glück!


Anatol.

Ja, Du auch .. auf mein Glück!

(Drückt ihm
die Hand).

Ich danke Dir.


Max.

Thateſt Du bereits geſtern.


Anatol

Man war alſo ſehr luſtig bis Mitternacht…


Max.

Iſt mir bekannt.


Anatol.

Einen Augenblick kam es mir vor, als wäre
ich glücklich.


Max

Nach dem vierten Glas Champagner.


Anatol
(traurig).

Nein — erſt nach dem ſechſten .. es
iſt traurig, und ich kann es kaum begreifen.


[119]
Max.

Wir haben oft genug davon geſprochen.


Anatol.

Auch jener junge Menſch war dort, von dem
ich ſicher weiß, daß er die Jugendliebe meiner Braut war.


Max.

Ach, der junge Ralmen.


Anatol.

Ja — ſo eine Art Dichter glaub’ ich. Einer
von denen, die dazu beſtimmt ſcheinen, zwar die erſte Liebe
von ſo Mancher, doch von Keiner die letzte zu bedeuten.


Max.

Ich zöge vor, Du kämeſt zur Sache.


Anatol.

Er war mir eigentlich ganz gleichgiltig; im
Grunde lächelte ich über ihn… Um Mitternacht ging die
Geſellſchaft auseinander. Ich nahm von meiner Braut mit
einem Kuſſe Abſchied. Auch ſie küßte mich .. kalt.. Wäh-
rend ich die Stiege hinunterſchritt, fröſtelte mich.


Max.

Aha ..


Anatol.

Beim Thore gratulirte mir noch der und
jener. Onkel Eduard war betrunken und umarmte mich.
Ein Doctor der Rechte ſang ein Studentenlied. Die
Jugendliebe, der Dichter mein’ ich, verſchwand mit aufgeſteck-
tem Kragen in einer Seitengaſſe. Einer neckte mich! ich
würde nun gewiß vor den Fenſtern der Geliebten den Reſt
der Nacht ſpazieren wandeln. Ich lächelte höhniſch… Es
hatte zu ſchneien begonnen. Die Leute zerſtreuten ſich all-
mählich … ich ſtand allein…


Max
(bedauernd).

Hm…


Anatol
(wärmer).

Ja; ſtand allein auf der Straße —
in der kalten Winternacht, während der Schnee in großen
Flocken um mich wirbelte. Es war gewiſſermaßen …
ſchauerlich.


[120]
Max.

Ich bitte Dich — ſage endlich, wohin Du
gingſt?


Anatol
(groß).

Ich mußte hin gehen — — — auf die
Redoute!


Max.

Ah!


Anatol.

Du ſtaunſt, wie —?


Max.

Nun kann ich mir das Folgende denken.


Anatol.

Doch nicht, mein Freund — — Als ich ſo
daſtand in der kalten Winternacht —


Max.

Fröſtelnd ..!


Anatol.

Frierend! Da kam es wie ein gewaltiger
Schmerz über mich, daß ich von nun an kein freier Mann
mehr ſei, daß ich meinem ſüßen tollen Junggeſellenleben Ade
ſagen ſollte für immerdar! Die letzte Nacht, ſagte ich mir,
in der Du nach Hauſe kommen kannſt, ohne gefragt zu wer-
den: Wo warſt Du ..? Die letzte Nacht der Freiheit, des
Abenteuerns .. vielleicht der Liebe!


Max.

Oh! —


Anatol.

Und ſo ſtand ich mitten im Gewühl. Um
mich herum kniſterten Seiden- und Atlaskleider, glühten Au-
gen, nickten Masken, dufteten die weißen glänzenden Schultern
— athmete und tollte der ganze Carneval. Ich ſtürzte mich
in dieſes Treiben, ließ es um meine Seele brauſen. Ich
mußte es einſaugen, mußte mich darin baden! ..


Max.

Zur Sache .. Wir haben keine Zeit.


Anatol.

Ich werde ſo durch die Menge hindurch ge-
ſchoben, und nachdem ich früher meinen Kopf berauſcht, be-
rauſche ich nun meinen Athem mit all’ den Parfums, die
[121] um mich wallen. Es ſtrömte auf mich ein, wie nie zuvor.
Mir, ja mir ganz perſönlich gab der Faſching ein Abſchiedsfeſt.


Max.

Ich warte auf den dritten Rauſch. ..


Anatol.

Er kam .. der Rauſch des Herzens. .!


Max.

Der Sinne!


Anatol.

Des Herzens ..! Nun ja, der Sinne: ..
Erinnerſt Du Dich an Katharine ..?


Max
(laut).

Oh, an Katharine. ..


Anatol.

Pſt. ..


Max.
(Auf die Schlafzimmerthür deutend).

Ach .. iſt ſie es?


Anatol.

Nein — ſie iſt es eben nicht. Aber ſie war
auch dort — und dann eine reizende brünette Frau, deren
Name ich nicht nenne … und dann die kleine blonde Lizzie
vom Theodor — aber der Theodor war nicht dort — und
ſo weiter. Ich erkannte ſie alle trotz ihrer Masken — an
der Stimme, am Gang, an irgend einer Bewegung. Aber
ſonderbar.. Gerade eine erkannte ich nicht gleich. Ich ver-
folgte ſie. Oder ſie mich. Ihre Geſtalt war mir ſo bekannt.
Jedenfalls trafen wir immerfort zuſammen. Beim Spring-
brunnen, beim Büffet, neben der Proſceniumloge, .. immer-
fort! Endlich hatte ſie meinen Arm, und ich wußte, wer ſie
war!

(Auf die Schlafzimmerthüre deutend).

Sie.


Max.

Eine alte Bekannte?


Anatol.

Aber Menſch, ahnſt Du es denn nicht? Du
weißt doch, was ich ihr vor ſechs Wochen erzählt habe, als
ich mich verlobte … das alte Märchen: Ich reiſe ab, bald
komme ich wieder, ich werde Dich ewig lieben.


Max.

Ilona ..?!


[122]
Anatol.

Pſt..


Max.

Nicht Ilona ..?


Anatol.

Ja — aber eben darum ſtill! Du biſt alſo
wieder da, flüſtert ſie mir ins Ohr. Ja, erwidere ich ſchlag-
fertig. Wann gekommen? — Heute Abend. — Warum nicht
früher geſchrieben, warum überhaupt nicht geſchrieben? —
Keine Poſtverbindung. — Wo denn? — Unwirtliches Dorf.
— Aber jetzt ..? — Glücklich, wieder da, treu geweſen. —
Ich auch — Ich auch — Seligkeit, Champagner und wieder
Seligkeit. —


Max.

Und wieder Champagner!


Anatol.

Nein — kein Champagner mehr. — Ach, wie
wir dann im Wagen nach Hauſe fuhren .. wie früher. Sie
lehnte ſich an meine Bruſt. Nun wollen wir uns nie wieder
trennen — ſagte ſie .. niemals...


Max
(ſteht auf).

Wach auf, mein Freund, und ſieh’, daß
Du zu Ende kommſt.


Anatol.

Niemals trennen“ — — —

(Aufſtehend).

Und
heute um zwei Uhr heirathe ich!


Max.

Eine Andere.


Anatol.

Nun ja; man heirathet immer eine Andere.


Max
(auf die Uhr ſchauend).

Ich glaube, es iſt die höchſte Zeit.

(Bezeichnende Bewegung, Anatol möge Ilona entfernen)

Anatol.

Ja ja, ich will ſehen, ob ſie bereit iſt.

(Zur Thüre,
bleibt davor ſtehen, wendet ſich zu Max).

Iſt es nicht eigentlich traurig?


Max.

Es iſt unmoraliſch.


Anatol.

Ja; aber auch traurig.


Max.

Geh’ endlich.


[123]
Anatol.
(Zur Thüre des Nebenzimmers).

Ilona
(ſteckt den Kopf heraus, tritt, in einen eleganten Domino gehüllt,
heraus).

Es iſt ja nur Max!


Max
(ſich verbeugend).

Nur Max.


Ilona
(zu Anatol).

Und Du ſagſt mir gar nichts. — Ich
dachte, es ſei ein Fremder, ſonſt wäre ich ſchon längſt bei
Euch geweſen. Wie geht es Ihnen, Max? Was ſagen Sie
zu dieſem Schlingel?


Max.

Ja, das iſt er.


Ilona.

Sechs Wochen weine ich um ihn … Er
war … wo warſt Du nur?


Anatol
(mit einer großen H[a]ndbewegung).

Dort wo — — —


Ilona.

Hat er Ihnen auch nicht geſchrieben? Aber
jetzt hab’ ich ihn wieder.

(Seinen Arm nehmend)

… jetzt giebt es
keine Abreiſe mehr … keine Trennung. Gieb mir einen
Kuß!


Anatol.

Aber …


Ilona.

Ach, Max gilt nichts

(küßt Anatol).

Aber Du
machſt ja ein Geſicht! … Nun werde ich Euch den Thee
einſchenken und mir auch, wenn’s erlaubt iſt.


Anatol.

Bitte …


Max.

Liebe Ilona, ich kann leider die Einladung, mit
Ihnen zu frühſtücken, nicht annehmen … und ich begreife
auch nicht …


Ilona
(macht ſich mit dem Samowar zu ſchaffen).

Was begreifen
Sie nicht?


Max.

Anatol ſollte eigentlich auch …


Ilona.

Was ſollte Anatol —?


[124]
Max
(zu Anatol).

Du ſollteſt eigentlich ſchon — —


Ilona.

Was ſollte er?


Max.

Du ſollteſt ſchon in Toilette ſein!


Ilona.

Ach, ſeien Sie doch nicht lächerlich, Max; wir
bleiben heute zu Hauſe; wir rühren uns nicht fort …


Anatol.

Liebes Kind, das wird leider nicht möglich
ſein …


Ilona.

Oh, das wird ſchön möglich ſein.


Anatol.

Ich bin eingeladen …


Ilona
(den Thee einſchenkend).

Sage ab.


Max.

Er kann nicht abſagen.


Anatol.

Ich bin zu einer Hochzeit geladen.


Max
(macht ihm ermunternde Zeichen).

Ilona.

Ach, das iſt ganz gleichgültig.


Anatol.

Das iſt nicht ganz gleichgültig — denn ich bin
ſo zu ſagen Kranzelherr.


Ilona.

Liebt Dich Deine Dame?


Max.

Das iſt doch eigentlich Nebenſache.


Ilona.

Aber ich liebe ihn und das iſt die Hauptſache …
Reden Sie nicht immer drein!


Anatol.

Kind … ich muß fort.


Max.

Ja er muß fort — glauben Sie ihm — er
muß fort.


Anatol.

Auf ein paar Stunden mußt Du mir Urlaub
geben.


Ilona.

Jetzt ſetzt Euch gefälligſt … Wie viel Stück
Zucker, Max?


Max.

Drei.


[125]
Ilona
(zu Anatol).

Du …?


Anatol.

Es iſt wirklich die höchſte Zeit.


Ilona.

Wie viel Stück?


Anatol.

Du weißt ja … immer zwei Stück —


Ilona.

Obers, Rum?


Anatol.

Rum — das weißt Du ja auch!


Ilona.

Rum und zwei Stück Zucker

(zu Max),

Der hat
Principien!


Max.

Ich muß gehen!


Anatol
((leiſe).

Du läſſeſt mich allein?


Ilona.

Sie werden Ihren Thee austrinken, Max!


Anatol.

Kind, ich muß mich jetzt umkleiden —!


Ilona.

Um Gottes Willen — wann iſt denn dieſe un-
glückſelige Hochzeit?


Max.

In zwei Stunden.


Ilona.

Sie ſind wohl auch geladen?


Max.

Ja!


Ilona.

Auch Kranzelherr?


Anatol.

Ja … er auch.


Ilona.

Wer heirathet denn eigentlich?


Anatol.

Du kennſt ihn nicht


Ilona.

Wie heißt er denn? Es wird doch kein Ge-
heimniß ſein.


Anatol.

Es iſt ein Geheimniß.


Ilona.

Wie?


Anatol.

Die Trauung findet im Geheimen ſtatt!


Ilona.

Mit Kranzelherren und Kranzeldamen? Das iſt
ja ein Unſinn!


[126]
Max.

Nur die Eltern dürfen nichts wiſſen.


Ilona
(ihren Thee ſchlürfend, ruhig).

Kinder, Ihr lügt mich an.


Max.

Oh ich bitte.


Ilona.

Weiß Gott, wo Ihr heute geladen ſeid! …
Aber daraus wird nichts — Sie können natürlich hingehen,
wohin Sie wollen, lieber Max — der da aber bleibt.


Anatol.

Unmöglich, unmöglich. Ich kann bei der Hoch-
zeit meines beſten Freundes nicht fehlen.


Ilona
(zu Max).

Soll ich ihm den Urlaub geben?


Max.

Beſte, beſte Ilona — Sie müſſen —


Ilona.

In welcher Kirche findet denn dieſe Trauung
ſtatt?


Anatol
(unruhig).

Warum fragſt Du?


Ilona.

Ich will mir die Geſchichte wenigſtens anſehen


Max.

Das geht aber nicht …


Ilona.

Warum denn?


Anatol.

Weil dieſe Trauung in einer ganz … in
einer ganz unterirdiſchen Kapelle ſtattfindet.


Ilona.

Es führt doch ein Weg hin?


Anatol.

Nein … das heißt — ein Weg führt natür-
lich hin.


Ilona.

Ich möchte Deine Dame ſehen, Anatol. Ich
bin nämlich eiferſüchtig auf dieſe Dame. — Man kennt Ge-
ſchichten von Kranzelherrn, die ihre Damen nachher geheirathet
haben. Und, verſtehſt Du, Anatol — ich will nicht, daß
Du heiratheſt.


Max.

Was würden Sie denn thun, … wenn er
heirathete?


[127]
Ilona
(ganz ruhig).

Ich würde die Trauung ſtören.


Anatol.

— So —?


Max.

Und wie denn das?


Ilona.

Ich ſchwanke noch. Wahrſcheinlich großer Scandal
vor der Kirchenthüre.


Max.

Das iſt trivial.


Ilona.

Oh ich würde ſchon eine neue Nuance finden.


Max.

Zum Beiſpiel?


Ilona.

Ich käme gleichfalls als Braut angefahren —
mit einem Myrthenkranz — das wäre doch originell?


Max.

Aeußerſt …

(ſteht auf).

Ich muß jetzt gehen …
Adieu, Anatol!


Anatol
(ſteht auf, entſchloſſen).

Entſchuldige liebe Ilona; aber
ich muß mich jetzt umkleiden — es iſt die höchſte Zeit.


Franz
(tritt ein mit einem Boquet).

Die Blumen, gnädiger Herr.


Ilona.

Was für Blumen?


Franz
(ſieht Ilona mit einem erſtaunten und etwas vertraulichem Geſichte
an).

… Die Blumen, gnädiger Herr.


Ilona.

Du haſt noch immer den Franz?

(Franz ab).

Du
wollteſt ihn doch hinauswerfen?


Max.

Das iſt manchmal ſo ſchwer.


Anatol
(hat das in Seidenpopier eingewickelte Bouquet in der Hand).

Ilona.

Laß ſehen, was Du für Geſchmack haſt!


Max.

Das Bouquet für Deine Dame?


Ilona
(ſchlägt das Seidenpapier zurück).

Das iſt ja ein Braut-
bouquet!


Anatol.

Mein Gott, jetzt hat man mir das unrichtige
Bouquet geſchickt … Franz, Franz!

(Raſch ab mit dem Bouquet)

[128]
Max.

Der arme Bräutigam wird ſeines erhalten.


Anatol
(wieder eintretend).

Er läuft ſchon, der Franz. — —


Max.

Und jetzt müſſen Sie mich entſchuldigen — —
— ich muß gehen.


Anatol
(ihn zur Thüre begleitend).

Was ſoll ich thun?


Max.

Geſtehen.


Anatol.

Unmöglich.


Max.

Nun, jedenfalls komme ich wieder zurück, ſobald
ich kann —


Anatol.

Bitte Dich — ja!


Max.

Und meine Farbe …?


Anatol.

Blau oder roth — — ich habe ſo eine Ah-
nung — — Leb wohl —


Max.

Adieu, Ilona! — —

(Leiſe).

In einer Stunde
bin ich wieder da!


Anatol
(ins Zimmer zurück).

Ilona
(ſtürzt in ſeine Arme).

Endlich! Oh wie glücklich ich
bin. —


Anatol
(mechaniſch).

Mein Engel!


Ilona.

Wie kalt Du biſt.


Anatol.

Ich ſagte doch ſoeben: Mein Engel.


Ilona.

Aber mußt Du denn wirklich fort — zu dieſer
dummen Hochzeit?


Anatol.

In allem Ernſt, Schatz, ich muß.


Ilona.

Weißt Du, ich kann Dich ja in Deinem Wagen
bis zur Wohnung Deiner Dame begleiten …


Anatol.

Aber was fällt Dir ein. Wir wollen uns
Abend treffen; Du mußt doch heute in’s Theater.


[129]
Ilona.

Ich ſage ab.


Anatol.

Nein, nein, ich werde Dich abholen. — Jetzt
muß ich den Frack anziehen

(ſieht auf die Uhr).

Wie die Zeit
vergeht. Franz, Franz!


Ilona.

Was willſt Du denn?


Anatol
(zu dem eintretenden Franz).

Haben Sie in meinem
Zimmer alles vorbereitet?


Franz.

Der gnädige Herr meinen den Frack, die weiße
Cravatte. —


Anatol.

Nun ja. —


Franz.

Ich werde ſofort — —

(ins Schlafzimmer).

Anatol
(geht hin und her).

Du — Ilona — alſo heute Abend
— nach dem Theater — nicht —?


Ilona.

Ich möchte ſo gerne heute mit Dir zuſammen
bleiben.


Anatol.

Sei doch nicht kindiſch — Ich habe doch auch
Verpflichtungen — Du ſiehſt es ja ein!


Ilona.

Ich liebe Dich; weiter ſehe ich nichts ein.


Anatol.

Das iſt aber durchaus nothwendig.


Franz
(aus dem Schlafzimmer kommend).

Es iſt alles vorbereitet,
gnädiger Herr.

(Ab).

Anatol.

Gut.

(Geht ins Schlafzimmer, ſpricht hinter der Thüre weiter,
während Ilona auf der Scene bleibt).

Ich meine, es iſt durchaus noth-
wendig, daß Du das einſiehſt.


Ilona.

Du kleideſt Dich alſo wirklich um?


Anatol.

Ich kann doch nicht ſo zu einer Hochzeit
gehen. —


Ilona.

Warum gehſt Du nur?


Arthur Schnitzler, Anatol. 9
[130]
Anatol.

Fängſt Du ſchon wieder an? Ich muß.


Ilona.

Alſo heute Abend.


Anatol.

Ja. Ich werde Dich an der Bühnenthüre er-
warten.


Ilona.

Verſpäte Dich nur nicht!


Anatol.

Nein — warum ſollte ich mich denn verſpäten?


Ilona.

Oh erinnere Dich nur; einmal wartete ich eine
ganze Stunde nach dem Theater.


Anatol.

So? ich erinnere mich nicht.

(Pauſe).

Ilona
(geht im Zimmer umher, ſchaut die Decke, die Wände an).

Du
Anatol, Du haſt ja da ein neues Bild.


Anatol.

Ja, gefällt es Dir?


Ilona.

Ich verſtehe ja nichts von Bildern.


Anatol.

Es iſt ein ſehr ſchönes Bild.


Ilona.

Haſt Du das mitgebracht.


Anatol

Wieſo? Woher?


Ilona.

Nun, von Deiner Reiſe.


Anatol.

Ja richtig, von meiner Reiſe. Nein übrigens,
es iſt ein Geſchenk.

(Pauſe).

Ilona.

Du, Anatol.


Anatol
(nervös).

Was denn?


Ilona.

Wo warſt Du eigentlich?


Anatol

Ich habe Dir’s doch ſchon geſagt.


Ilona.

Nein, kein Wort.


Anatol.

Geſtern Abend habe ich Dir’s geſagt.


Ilona.

So hab’ ich es wieder vergeſſen!


Anatol.

In der Nähe von Böhmen war ich.


Ilona.

Was haſt Du denn in Böhmen zu thun gehabt?


[131]
Anatol.

Ich war nicht in Böhmen, nur in der Nähe —


Ilona.

Ach ſo, Du warſt wohl zur Jagd geladen.


Anatol.

Ja, Haſen habe ich geſchoſſen.


Ilona.

Sechs Wochen lang?


Anatol.

Ja, ununterbrochen.


Ilona.

Warum haſt Du mir nicht Adieu geſagt?


Anatol.

Ich wollte Dich nicht betrüben.


Ilona.

Du, Anatol, Du wollteſt mich ſitzen laſſen.


Anatol.

Lächerlich.


Ilona.

Nun; einmal haſt Du es ja ſchon verſucht.


Anatol.

Verſucht — ja; aber es iſt mir nicht gelungen.


Ilona.

Wie? Was ſagſt Du?


Anatol.

Nun ja; ich wollte mich von Dir losreißen;
Du weißt es ja doch.


Ilona.

Was für ein Unſinn: Du kannſt Dich ja gar
nicht von mir losreißen.


Anatol.

Ha ha!


Ilona.

Was ſagſt Du?


Anatol.

Ha ha, habe ich geſagt.


Ilona.

Lache nur nicht mein Schatz; Du biſt mir auch
damals wieder zurückgekehrt.


Anatol.

Nun ja damals!


Ilona.

Und diesmal auch — — — Du liebſt mich
eben.


Anatol.

Leider.


Ilona.

Wie —?


Anatol
(ſchreiend).

Leider!


9*
[132]
Ilona.

Du, Du biſt ſehr couragiert, wenn Du in einem
andern Zimmer biſt. In’s Geſicht ſagſt Du mir das nicht.


Anatol
(öffnet die Thüre, ſteckt den Kopf heraus).

Leider.


Ilona
(zur Thüre hin).

Was heißt das, Anatol!


Anatol
(wieder hinter der Thüre).

Das heißt, daß das doch
nicht ewig ſo weiter gehen kann!


Ilona.

Wie?


Anatol.

Es kann nicht ſo weiter gehen, ſage ich; es kann
nicht ewig währen.


Ilona.

Jetzt lache ich: Ha ha.


Anatol.

Wie?


Ilona
(reißt die Thüre auf).

Ha ha!


Anatol.

Zumachen!

(Die Thüre wieder geſchloſſen).

Ilona.

Nein mein Schatz, Du liebſt mich und kannſt
mich nicht verlaſſen.


Anatol.

Glaubſt Du?


Ilona.

Ich weiß es.


Anatol.

Du weißt es?


Ilona.

Ich fühle es.


Anatol.

Du meinſt alſo, daß ich in alle Ewigkeit Dir
zu Füßen liegen werde.


Ilona.

Du wirſt nicht heiraten — das weiß ich.


Anatol

Du biſt wohl toll, mein Kind. Ich liebe
Dich — das iſt ja recht ſchön — aber für die Ewigkeit ſind
wir nicht verbunden.


Ilona.

Glaubſt Du, ich gebe Dich überhaupt her?


Anatol.

Du wirſt es doch einmal thun müſſen.


Ilona.

Müſſen? Wann denn?


[133]
Anatol.

Wenn ich heirate.


Ilona
(an die Thür trommelnd).

Und wann wird denn das
ſein, mein Schatz?


Anatol
(höhniſch).

Oh bald, mein Schatz!


Ilona
(erregter).

Wann denn?


Anatol.

Höre auf zu trommeln. In einem Jahre bin
ich längſt verheiratet.


Ilona.

Du Narr!


Anatol.

Ich könnte übrigens auch in zwei Monaten
heiraten.


Ilona.

Es wartet wohl ſchon eine!


Anatol.

Ja — jetzt — in dieſem Augenblicke wartet eine.


Ilona.

Alſo in zwei Monaten?


Anatol.

Mir ſcheint, Du zweifelſt …


Ilona
(lacht)

Anatol.

Lache nicht — ich heirathe in acht Tagen!


Ilona
(lacht noch heller auf).

Anatol.

Lache nicht, Ilona!


Ilona
(ſinkt lachend auf den Divan).

Anatol
(bei der Thüre, im Fracke beraustretend).

Lache nicht!


Ilona
(lachend).

Wann heiratheſt Du?


Anatol.

Heute.


Ilona
(ihn anſehend).

Wann —?


Anatol.

Heute mein Schatz.


Ilona
(ſteht auf).

Anatol, hör’ auf zu ſpaßen!


Anatol.

Es iſt Ernſt, mein Kind, ich heirathe heute.


Ilona.

Du biſt verrückt, nicht?


Anatol.

Franz!


[134]
Franz
(kommt).

Gnädiger Herr —?


Anatol.

Mein Bouquet!

(Franz ab).

Ilona
(ſteht drohend vor Anatol).

Anatol …!


Franz
(bringt das Bouquet).

Ilona
(ſich umwendend, ſtürzt mit einem Schrei auf das Bouquet zu,
Anatol nimmt es Franz raſch aus der Hand; Franz geht, lächelnd, langſam, ab).

Ilona.

Ah!! — Alſo wirklich.


Anatol.

Wie Du ſiehſt!


Ilona
(will ihm das Bouquet aus der Hand reißen).

Anatol.

Was treibſt Du denn!

(Er muß ſich vor ihr flüchten;
ſie läuft ihm rings durch das Zimmer nach).

Ilona.

Elender, Elender!


Max
(tritt ein, mit einem Roſa-Bouquet in der Hand, bleibt betroffen
bei der Thüre ſtehen).

Anatol
(hat ſich auf einen Seſſel geflüchtet, hält ſein Bouquet hoch in
der Luſt).

Hilf mir Max!


Max
(eilt auf Ilona zu, ſie zurückhaltend; ſie wendet ſich zu ihm, windet
ihm das Bouquet aus der Hand, wirft es zu Boden, zertritt es).

Max.

Ilona, Sie ſind ja toll. Mein Bouquet! Was
ſoll ich denn thun!


Ilona
(in heftiges Weinen ausbrechend, ſinkt auf einen Stuhl).

Anatol
(verlegen, ſuchend, auf dem Seſſel).

Sie hat mich ge-
reizt … Ja Ilona jetzt weinſt Du … — natürlich …
Warum haſt Du mich ausgelacht … Sie höhnte mich — —
verſtehſt Du, Max, … Sie ſagte, … ich getraue mich
nicht zu heirathen … nun … heirathe ich begreiflicherweiſe —
aus Oppoſition.

(Will vom Seſſel herunterſteigen).

Ilona.

Du Heuchler, Du Betrüger.

(Anatol ſteht wieder auf dem Seſſel).

[135]
Max
(hat ſein Bouquet aufgehoben).

Mein Bouquet!


Ilona.

Ich habe das ſeine gemeint. Sie verdienen es
aber auch nicht beſſer. — Sie ſind mitſchuldig.


Anatol
(immer auf den Seſſel).

Jetzt ſei vernünftig.


Ilona.

Ja — das ſagt Ihr immer, wenn Ihr eine
toll gemacht habt! Aber nun werdet Ihr was ſehen! Das
wird eine nette Hochzeit werden! Wartet nur …

(Steht auf).


Adieu unterdeſſen!


Anatol
(vom Seſſel herunterſpringend).

Wohin —?


Ilona.

Wirſt es ſchon ſehen.


Anatol.
Max.

Wohin?


Ilona.

Laßt mich nur!


Anatol und Max
(ihr den Ausgang verſtellend).

Ilona — was
wollen Sie — Ilona — was willſt Du —?


Ilona.

Laßt mich! … Laßt mich gehen.


Anatol.

Sei geſcheidt — beruhige Dich —!


Ilona.

Ihr laßt mich nicht hinaus. — Wie …

(Rennt im Zimmer herum, wirſt das Theegeſchirr in Wuth vom Tiſch herunter).

Anatol und Max
(rathlos).

Anatol.

Nun frage ich Dich — hat man es notwendig
zu heirathen, wenn man ſo ſehr geliebt wird!


Ilona
(ſinkt gebrochen auf den Divan; ſie weint). (Pauſe.)

Anatol.

Nun beruhigt ſie ſich.


Max.

Wir müſſen gehen … und ich — ohne Bou-
quet —.


Franz
(kommt).

Der Wagen, gnädiger Herr

(ab).

[136]
Anatol.

Der Wagen … Der Wagen — was mach’
ich nur.

(Zu Ilona, hinter ſie tretend, ſie auf das Haar küſſend.)

Ilona! —


Max
(von der anderen Seite).

Ilona —

(Sie weint ſtill, mit dem
Schnupftuche vor dem Geſicht, weiter).

Geh’ Du jetzt nur und ver-
laſſe Dich auf mich. —


Anatol.

Ich muß wirklich gehen — aber wie kann ich …


Max.

Geh’ …


Anatol.

Wirſt Du ſie entfernen können?


Max.

Ich werde Dir während der Trauung zuraunen …
„Alles in Ordnung“.


Anatol.

Ich habe eine Angſt —!


Max.

Geh’ jetzt nur.


Anatol.

Ach …

(Er wendet ſich zum Gehen, auf den Zehenſpitzen
wieder zurück, drückt einen leiſen Kuß auf das Haar Ilonas, geht raſch).

Max
(ſetzt ſich gegenüber von Ilona, die noch immer das Taſchentuch vor
dem Geſicht haltend, weint. Sieht auf die Uhr).

Hm, Hm.


Ilona
(um ſich ſchauend, wie aus einem Traum erwachend).

Wo iſt er …


Max
(nimmt ſie bei den Händen).

Ilona …


Ilona
(auſſtehend).

Wo iſt er …


Max
(ihre Hände nicht loslaſſend).

Sie würden ihn nicht mehr
ſinden.


Ilona.

Ich will aber.


Max.

Sie ſind doch vernünftig, Ilona, Sie wollen ja
keinen Scandal …


Ilona.

Laſſen Sie mich —


Max.

Ilona!


Ilona.

Wo findet die Trauung ſtatt?


Max.

Das iſt nebenſächlich.


[137]
Ilona.

Ich will hin; ich muß hin!


Max.

Sie werden es nicht thun … Was fällt Ihnen
denn ein!


Ilona.

Oh dieſer Hohn! … Dieſer Betrug!


Max.

Es iſt nicht das eine und nicht das andere —
es iſt eben das Leben!


Ilona.

Schweigen Sie — Sie — mit Ihren Phraſen.


Max.

Sie ſind kindiſch, Ilona, ſonſt würden Sie ein-
ſehen, daß alles vergeblich iſt.


Ilona.

Vergeblich —!?


Max.

Es iſt ein Unſinn …!


Ilona.

Unſinn! —?


Max.

Sie würden ſich lächerlich machen, das iſt
alles.


Ilona.

Wie, — auch noch Beleidigungen!


Max.

Sie werden ſich tröſten!


Ilona.

Oh wie ſchlecht Sie mich kennen!


Max.

Ja, wenn er nach Amerika ginge.


Ilona.

Was heißt da?


Max.

Wenn er Ihnen wirklich verloren wäre!


Ilona.

Was bedeutet das?


Max.

Die Hauptſache iſt — daß nicht Sie die Betrogene
ſind!


Ilona.

…?


Max.

Zu Ihnen kann man zurückkehren, jene kann man
verlaſſen!


Ilona.

Oh … wenn das …

(mit einem wilden freudigen
Ausdrucke in der Miene).

[138]
Max.

Sie ſind edel …

(ihr die Hand drückend).

Ilona.

Rächen will ich mich … darum freue ich mich
über das, was Sie ſagten.


Max.

Sie ſind eine von denen, „welche beißen, wenn
ſie lieben“.


Ilona.

Ja, ich bin eine von denen.


Max.

Nun kommen Sie mir ganz großartig vor. —
Wie eine, die ihr ganzes Geſchlecht an uns rächen möchte.


Ilona.

— — Ja … das will ich …


Max
(aufſtehend).

Ich habe eben noch Zeit, Sie in Ihre
Wohnung zu führen,

(ſ ſ.).

Sonſt geſchieht doch noch ein
Unglück. —

(Ihr den Arm reichend).

Nun nehmen Sie Abſchied
von dieſen Räumen!


Ilona.

Nein, mein lieber Freund — nicht Abſchied.
Ich werde wiederkehren!


Max.

Nun glauben Sie ſich einen Dämon — und ſind
eigentlich doch nur ein Weib!

(auf eine mißmuthige Bewegung
Ilonas).

… Das iſt aber auch gerade genug …

(Ihr die
Thüre öffnend).

Darf ich bitten, mein Fräulein? —


Ilona
(ſich noch einmal vor dem Hinausgehen umwendend; mit affectirter
Großartigkeit).

Auf Wiederſehen! …

(Ab mit Max).

Appendix A

Druck von G. Pätz in Naumburg a. S.


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Anatol. Anatol. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmwh.0