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Gedichte




Stuttgart, undTuͤbingen: .
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1828.
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Inhalt.

  • Seite.
  • Erſtes Buch.
    Romanzen und Lieder  3
  • Vermiſchte Gedichte  53
  • Zweytes Buch.
    Gaſelen  85
  • Der Spiegel des Hafis  99
  • Neue Gaſelen  115
  • Drittes Buch.
    Sonette  167
  • Viertes Buch.
    Oden  237
  • Eklogen  277
  • Hymne  295
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Erſtes Buch.

v. Platen's Gedichte. 1[[2]]
Noch ungewiß, ob mich der Gott beſeele,

Zu ſeinem Prieſter ob er mich geweiht,

Malt' ich die klaren Bilder meiner Seele

In gluͤcklicher Verborgenheit.
[[3]]

Romanzen und Lieder.

1813 — 1823.


[[4]][[5]]

I.
An eine Geisblattranke.

Zwiſchen Fichtenbaͤumen in der Oede

Find' ich, theure Bluͤthe, dich ſo ſpat?

Rauhe Luͤfte hauchen ſchnoͤde,

Da ſich eilig ſchon der Winter naht.
Dicht auf Bergen lagen Nebelſtreifen,

Hinter denen laͤngſt die Sonne ſchlief,

Als noch uͤber's Feld zu ſchweifen

Mich ein inniges Verlangen rief.
Da verrieth dich dein Geruch dem Wandrer,

Deine Weiße, die dich blendend ſchmuͤckt:

Wohl mir, daß vor mir kein Andrer

Dich geſehn und dich mir weggepfluͤckt!
[6]
Wollteſt du mit deinem Dufte warten,

Bis ich kaͤm' an dieſen ſtillen Ort?

Bluͤhteſt ohne Beet und Garten

Hier im Wald bis in den Winter fort?
Werth iſt wohl die ſpat gefundne Blume,

Daß ein Juͤngling in ſein Lied ſie miſcht,

Sie vergleichend einem Ruhme,

Der noch waͤchſt, da ſchon ſo viel erliſcht.
[7]

II.
Maͤdchens Nachruf.

Schwalben ziehen, Blaͤtter fallen,

Und geſammelt liegt die Frucht:

Ach, mit meinen Freuden allen

Nahm auch er die raſche Flucht!
Unter niederm Huͤttendache

Wohn' ich, jener im Pallaſt,

Doch aus fuͤrſtlichem Gemache

Trieb ihn Muth und Kampfeshaſt.
Als des Fruͤhroths erſtes Tagen

Mich vom Traume heut erweckt,

War mit Dienern, Roſſen, Wagen

Dieſer ganze Raum bedeckt.
Und er kam im Jugendflore,

Hob ſich auf ſein Pferd im Nu,

Bebend ſtand ich unter'm Thore,

Sah dem ſchoͤnen Reiter zu.
Und im leichten Morgenkleide

Trat zu ihm die Braut hervor,

Diesmal ohne Gold und Seide,

Doch wie er im Jugendflor.
[8]
Vor der Trennung nicht erſchrocken,

Kuͤßt' er noch ihr Stirn und Mund,

Bey den Lippen, bey den Locken

Schwur er den begluͤckten Bund.
Ritt mit Dienern und Vaſallen,

Dankte meinem Gruße kaum:

Schwalben ziehen, Blaͤtter fallen,

So zerfließt der Liebe Traum!
[9]

III.
Fiſcherknabe.

Des Abendſterns erſehnter Schein

Beglaͤnzt den Saum der Fluth,

Der Knabe zieht den Kahn herein,

Der ſtill im Hafen ruht.
„Mein Tagewerk iſt treu vollbracht,

Doch, liebe Seele, ſprich,

O ſprich, wie ſoll die lange Nacht

Vergeh'n mir ohne dich?“
Am Ufer ſteht ein Weidenbaum,

Und dran gelehnt ein Stein,

Und drunter liegt im ſchmalen Raum

Ihr kaltes Todtenbein.
[10]

IV.

So haſt du reiflich es erwogen,

Und dieſes iſt das lezte Wort?

Dich lockt ein ferner Himmelsbogen,

Es treibt dich in die Fremde fort?
Doch wird geliebt, wer liebt und bleibet,

Wer flieht, verkannt; und glaube mir,

Wenn dich die Sehnſucht fuͤrder treibet,

So bleibt die Liebe hinter dir!
Und mag umwuchern dich das ſchoͤne

Heſperien voll milder Au'n,

Wo findeſt du die deutſchen Toͤne?

Wo findeſt du die deutſchen Frau'n?
[11]

V.
Matroſenlied.

Wann wird der goldne Freudentag erſcheinen,

Den das Geſchick mir aufbewahrt,

Der Tag des Wiederſehens bey den Meinen,

Nach allzulanger Fahrt?
O ſchoͤne Flur, wo unſre muͤden Kaͤhne

Dereinſt noch landen moͤgen unverſehrt!

O Maͤdchen, das vielleicht mit einer Thraͤne

Den armen Fluͤchtling ehrt!
Denkſt du der heil'gen Eide noch im Stillen,

Und hieltſt du, Theure, das beſchworne Wort?

Ach, trieb nicht feindlich damals, wider Willen,

Ein boͤs Geſchick mich fort?
Doch werden, glaub' mir, wir uns wiederſehen,

Und harrſt du ſehnſuchtsvoll am Strande mein,

So koͤnnen's, Theure, ſiehſt du Wimpel wehen,

Nur meine Wimpel ſeyn!
[12]

VI.

Noch im wolluſtvollen Mai des Lebens,

Wo die Seele ſonſt Entſchluͤſſe ſpruͤht,

Fuͤhl' ich in der Waͤrme meines Strebens,

Wie mein Lebenselement vergluͤht.
Nicht ein Windſtoß, ein belebend warmer,

Meine Haare kraͤuſelnd, weht mich an,

Leer und traͤge ſchifft ein Thatenarmer

Ueber'n ſtillen Vater Ocean.
Was ich ſoll? Wer loͤs't mir je die Frage?

Was ich kann? Wer goͤnnt mir den Verſuch?

Was ich muß? Vermag ich's ohne Klage?

So viel Arbeit um ein Leichentuch?
Kommt und liſpelt Muth in's Herz mir, zarte

Liederſtimmen, die ihr lange ſchlieft,

Daß ich, wie ein Traͤumer, nicht entarte,

In verlorne Neigungen vertieft.
[13]

VII.

Mag der Wind in Segel beben,

Steuernd nach dem Land der Pracht,

Wo der Freyheit ſtolzes Leben

Zwiſchen Palmen auferwacht.
Der erhizte Wahn der Jugend,

Der das Gluͤck ſich fern verheißt,

Weiche deiner ſtrengern Tugend,

Weiche deinem groͤßern Geiſt!
Soll der lezte Stern erbleichen

An des deutſchen Himmels Rand,

O, ſo decken unſ're Leichen

Das verlorne Vaterland!
[14]

VIII.

Wenn des Gottes lezter, milder

Schimmer ſich vom See verlor,

Steigen mir Gedaͤchtnißbilder

Aus der Wellen Nacht empor:
Malen mir des Kahnes Schwanken

Den gefurchten Pfad entlang,

Als die Morgenluͤfte tranken

Zauberiſchen Liederklang.
Malen mir, von Berges Kuppe

Schweifend den ergoͤzten Sinn,

Und die laͤndlichſchoͤne Gruppe

Um den Heerd der Sennerin.
Malen mir die Felsgehege,

Wo die Alpenroſe hangt,

Welche nicht durch Menſchenpflege

In des Thales Gaͤrten prangt.
Naͤchtlich fuͤhl' ich jezt ein Bangen,

Wann der See gehoben wallt,

Jene Tage ſind vergangen,

Jene Stimmen ſind verhallt.
[15]
Froſt'ge Nebel ſteigen, welche

Berg und Kuppe truͤb' umziehn,

Und die rothen Alpenkelche

Werden mit dem Sommer fliehn.
Bald, verjagt von Sturm und Flocken

Zieht die Hirtin froh in's Thal,

Und es toͤnt der Hall der Glocken

Von der Hoͤh' zum lezten Mal.
[16]

IX.

Willſt du lauen Aether trinken

Auf dem hohen Goͤtterpferde?

Wie Bellerophon zur Erde

Bebſt du nicht zuruͤck zu ſinken?
Daß ſich nicht dein Herz verblute,

Wiſſe deinem Trieb zu ſteuern:

Sey wie Flaccus auf dem theuern,

Einzigen Sabinergute!
Biſt du nicht gewohnt vor Allen,

Als der Einſamkeit Geweihter,

Ohne Fußpfad und Begleiter

Durch den ſtillen Forſt zu wallen?
Dir genuͤge, wenn die Foͤhren,

Die den Schuß der Wolken ſuchen,

Wenn die dickbelaubten Buchen,

Deine ſanften Lieder hoͤren!
Wieſenblumen pfluͤck' und ſchweige,

Pfluͤck' und blicke nicht nach oben,

Denn fuͤr dich ſind nicht gewoben

Jene dunkeln Lorbeerzweige!
[17]

X.

Auf Gewaͤſſer, welche ruhen,

Weil gebaͤndiget vom Eiſe,

Zieht die Jugend leichte Kreiſe,

Wandelnd auf den Fluͤgelſchuhen.
Doch ich wandle, Freund, alleine,

Freund, allein und nicht zum Ziele:

Der Geſtalten ſind ſo viele,

Leider aber nicht die Deine.
Hefte den Kothurn der Wogen

An die leichten Hermesfuͤße,

Daß begegnend bald dich gruͤße,

Dem du dich ſo lang' entzogen!
Welch ein Gluͤck, dahin zu ſchwinden

Auf der Flaͤche, klar und eben,

Magiſch ſich voruͤberſchweben,

Flieh'n ſich und ſich wiederfinden!
Aber iſt es nicht vergebens?

Weilſt du nicht, was kann es frommen?

Dies unſtaͤte Gehn und Kommen

Iſt das wahre Bild des Lebens.
v. Platen's Gedichte. 2[18]

XI.

Werden je ſich feinde Toͤne

Fuͤgen im verbund'nen Klange?

Ich mit meinem duͤſtern Drange,

Du in deiner Jugendſchoͤne?

Heiter ſchluͤrfſt du leichte Stunden,

Dem es nie vergebens tagte:

Ich erſehne das Verſagte,

Und beweine, was verſchwunden.
Du, zu deines Maͤdchens Laren

Kommſt du naͤchtlich oft gegangen,

Schmiegſt dich an die zarten Wangen,

Wuͤhlſt in ihren ſeidnen Haaren:

Waͤhrend ich, der im Gemuͤthe

Auf den Wink der Gunſt verzichtet,

Buͤcher vor mir aufgeſchichtet,

Ueber'm Rauch der Lampe bruͤte.
Freund, es war ein eitles Waͤhnen,

Daß ſich unſre Geiſter faͤnden,

Unſre Blicke ſich verſtaͤnden,

Sich vermiſchten unſre Thraͤnen:

Laß mich denn allein, verſaͤume

Nicht um mich die goldnen Tage,

Kehre wieder zum Gelage,

Und vergiß den Mann der Traͤume!
[19]

XII.
Koͤnig Odo.

Aus dem Kloſter hallen Glocken,

Tauſend Lichter funkeln helle,

Die den Zug der Beter locken

Nach der hohen Kirchenſchwelle.
Koͤnig Odo kommt gefahren,

Hoͤrt vom alten Thurm Gelaͤute,

Und er fragt die frommen Schaaren:

Aber welch ein Feſt iſt heute?
Sie erwiedern d'rauf und ſagen:

Eine Jungfrau nimmt den Schleyer,

Koͤnig Odo ſpringt vom Wagen,

Tritt hinein und ſchaut die Feyer.
Um den heil'gen Brauch zu wehren,

Ruft er aus am Hochaltare:

Keine Scheere ſoll verſehren

Dieſe langen, blonden Haare!
[20]
Ueber dieſe feuchten Blicke

Moͤge nie ein Schleyer fallen,

Und kein haͤrnes Kleid erſticke

Dieſer Bruſt gelindes Wallen.
Reißend vom Altar die Reine,

Trat er nun hervor und tobte:

Chriſtus werde nie der Deine,

Koͤnig Odo's Anverlobte!
Frevelvoll und voll von Wonne,

Selig im erbotnen Tauſche,

Neigt ſich die bethoͤrte Nonne

Seinem ſchoͤnen Liebesrauſche.
Als die Nacht begann zu ſchauern

Um die Stunde der Geſpenſter,

Zitterten des Schloſſes Mauern,

Und es flogen auf die Fenſter.
Bebend ſahn empor die Gatten,

Und an's goldne Lager Beyder

Trat ein weißer Zug von Schatten,

Angethan in Nonnenkleider.
Alle hielten rothe Kerzen,

Welche blau und duͤſter flammten,

Und die junge Braut vom Herzen

Riſſen ſie dem Gottverdammten.
[21]
Huͤlfe ruft er, greift verwegen

Zur geſchliffnen Wehr im Grimme;

Aber ihm verſagt der Degen,

Aber ihm verſagt die Stimme.
Und das Maͤdchen ziehn am Haare

Jene fort, das arme, bleiche,

Legen dann auf eine Bahre

Die lebend'ge, ſchoͤne Leiche.
Und der Koͤnig folgte bange,

Seiner Sinne halb nur maͤchtig:

In der Kirche Saͤulengange

Hielt der lange Zug bedaͤchtig.
An des Altars hoher Schwelle

Thut ein Grab ſich auf mit Grauen,

Ausgehoͤhlt, geſpenſtig ſchnelle,

Von den weißvermummten Frauen.
Mit Gewalt ſein Weib zu holen,

Rafft ſich auf im Wahn der Gatte;

Aber unter ſeinen Sohlen

Dreht ſich jede Marmorplatte.
Und er ſieht die ſchoͤnen Glieder

Eingeſargt in einem Schreine,

Will hinzu, doch immer wieder

Schwanken unter ihm die Steine.
[22]
Und der Schaufeln Ton verſtummet,

Stille wird's im Gotteshauſe,

Nur die Glocke, wenn ſie brummet,

Unterbricht die tiefe Pauſe.
Und das Dunkel weicht, die Sonne

Hebt am Horizont ſich ſteiler,

Man entdeckt das Grab der Nonne,

Und den Koͤnig todt am Pfeiler.
[23]

XIII.

Laß tief in dir mich leſen,

Verhehl' auch dies mir nicht,

Was fuͤr ein Zauberweſen

Aus deiner Stimme ſpricht?
So viele Worte dringen

An's Ohr uns ohne Plan,

Und waͤhrend ſie verklingen,

Iſt alles abgethan.
Doch draͤngt auch nur von ferne

Dein Ton zu mir ſich her,

Behorch' ich ihn ſo gerne,

Vergeſſ' ich ihn ſo ſchwer!
Ich bebe dann, entglimme

Von allzuraſcher Glut:

Mein Herz und deine Stimme

Verſtehn ſich gar zu gut!
[24]

XIV.
Der Pilgrim vor St. Juſt.

Nacht iſt's und Stuͤrme ſauſen fuͤr und fuͤr,

Hiſpan'ſche Moͤnche, ſchließt mir auf die Thuͤr!
Laßt hier mich ruh'n, bis Glockenton mich weckt,

Der zum Gebet mich in die Kirche ſchreckt!
Bereitet mir was euer Haus vermag,

Ein Ordenskleid und einen Sarkophag!
Goͤnnt mir die kleine Zelle, weiht mich ein,

Mehr als die Haͤlfte dieſer Welt war mein.
Das Haupt, das nun der Scheere ſich bequemt,

Mit mancher Krone ward's bediademt.
Die Schulter, die der Kutte nun ſich buͤckt,

Hat kaiſerlicher Hermelin geſchmuͤckt.
Nun bin ich vor dem Tod den Todten gleich,

Und fall' in Truͤmmer, wie das alte Reich.
[25]

XV.
Das Grab im Buſento.

Naͤchtlich am Buſento liſpeln, bey Coſenza, dumpfe
Lieder,

Aus den Waſſern ſchallt es Antwort, und in Wirbeln
klingt es wieder!
Und den Fluß hinauf, hinunter, zieh'n die Schatten
tapfrer Gothen,

Die den Alarich beweinen, ihres Volkes beſten Todten.
Allzufruͤh und fern der Heimath mußten hier ſie ihn
begraben,

Waͤhrend noch die Jugendlocken ſeine Schulter blond
umgaben.
Und am Ufer des Buſento reihten ſie ſich um die Wette,

Um die Stroͤmung abzuleiten, gruben ſie ein friſches Bette.
In der wogenleeren Hoͤhlung wuͤhlten ſie empor die Erde,

Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Ruͤſtung, auf
dem Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder ihn und ſeine ſtolze Habe,

Daß die hohen Stromgewaͤchſe wuͤchſen aus dem Helden¬
grabe.
[26]
Abgelenkt zum zweyten Male, ward der Fluß herbey¬
gezogen:

Maͤchtig in ihr altes Bette ſchaͤumten die Buſentowogen.
Und es ſang ein Chor von Maͤnnern: Schlaf' in deinen
Heldenehren!

Keines Roͤmers ſchnoͤde Habſucht ſoll dir je dein Grab
verſehren!
Sangen's, und die Lobgeſaͤnge toͤnten fort im Gothen¬
heere;

Waͤlze ſie, Buſentowelle, waͤlze ſie von Meer zu Meere!
[27]

XVI.
Warnung.

Scheint dir der Pfad, auf dem du gehſt, ſo ſicher,

Und willſt du noch einmal, o Jugendlicher,

Uneingedenk verſchuldeter Gefahren,

Die Zuͤge ſehn, die dir ſo toͤdtlich waren?
Darfſt du ſo feſt auf deine Seele bauen,

Und waͤhnſt du mit Beſonnenheit zu ſchauen

Der ſchwarzen Augen, die dir Sterne deuchten,

Bedeutungsvolles, dunkeltiefes Leuchten?
Nein! Laß die Wunde lieber ſich vernarben,

Entſchließe dich zu meiden und zu darben,

Und vor dir ſelbſt ſogar, o Herz, verhuͤlle

Den ganzen Reichthum deiner Liebesfuͤlle!
[28]

XVIl.

Ich ſchleich' umher,

Betaͤubt und ſtumm,

Du fragſt, o frage

Mich nicht, warum?

Das Herz erſchuͤttert

So manche Pein,

Und koͤnnt' ich je

Zu duͤſter ſeyn?
Der Baum verdorrt,

Der Duft vergeht,

Die Blaͤtter liegen

So gelb im Beet,

Es ſtuͤrmt ein Schauer

Mit Macht herein,

Und koͤnnt' ich je

Zu duͤſter ſeyn?
[29]

XVIII.

Erforſche mein Geheimniß nie,

Du darfſt es nicht ergruͤnden,

Es ſagte dir's die Sympathie,

Wenn wir uns ganz verſtuͤnden.
Nicht jeder ird'ſche Geiſt erkennt

Sein eignes Loos hienieden:

Nicht weiter frage, was uns trennt,

Genug, wir ſind geſchieden!
Es ſpornt mich ja nicht eitle Kraft,

Mich am Geſchick zu proben:

Wir alle geben Rechenſchaft

Fuͤr unſern Ruf von oben.
Was um mich iſt, erraͤth mich nicht,

Und draͤngt und druͤckt mich nieder;

Doch, ſuch' ich Troſt mir im Gedicht,

Dann find' ich ganz mich wieder!
[30]

XIX.

Ich bin ein Waſſertropfen,

Verſchloſſen im Kryſtalle:

Will Keiner ihn zerklopfen,

Daß ich ihm frey entwalle?
Nur durch das Glas beſchauen

Kann ich der Blumen eine:

O duͤrft' ich auf ſie thauen

Im Morgenſonnenſcheine!
[31]

XX.

Ein Hochzeitbitter zog der Lenz

Den Wald entlang und See,

Zog hin mit Sang und Klange,

Mir aber ward ſo bange,

Als laͤge noch der Schnee.
Und Gaͤſte lud zu ſich der Lenz,

Mich aber lud er nicht,

Er ſah mich, ach! gefangen,

Ich hing an jenen Wangen,

An jenem Angeſicht.
Nun bin ich frey, nun kommt der Lenz,

Nun erſt genieß' ich ganz,

Wenn ruh'ger auch und ſtiller,

Der Baͤche gruͤnen Schiller,

Der Roſen friſchen Glanz.
[32]

XXI.

Wo ſich gatten

Jene Schatten

Ueber Matten

Um den Quell,

Reich an loſen

Hageroſen,

Kommt zu koſen,

Bruͤder, ſchnell!
Kaum gefunden,

Schon umwunden,

Schon verbunden,

Weiß ich wie?

Keiner hoͤhne,

Muſenſoͤhne,

Dieſe ſchoͤne

Sympathie!
Jubelt, bringet

Dank und ſinget,

Welle klinget,

Roſe bluͤht:

Das in Wonnen

Nie zerronnen,

Welch beſonnen,

Kalt Gemuͤth!
[33]
Voͤgel neigen

Aus den Zweigen,

Heißen ſchweigen

Mich zulezt:

Wer beſchriebe

Lenzestriebe,

Wer die Liebe,

Wer das Jezt?
v. Platen's Gedichte. 3[34]

XXII.
Winterſeufzer.

Der Himmel iſt ſo hell und blau,

O waͤre die Erde gruͤn!

Der Wind iſt ſcharf, o waͤr' er lau!

Es ſchimmert der Schnee, o waͤr' es Thau!

O waͤre die Erde gruͤn!
[35]

XXIII.
Geſang der Todten.

Dich Wandersmann dort oben

Beneiden wir ſo ſehr,

Du gehſt von Luft umwoben,

Du hauchſt im Aethermeer.
Wir ſind zu Staub verwandelt

In dumpfer Gruͤfte Schoos:

O ſelig, wer noch wandelt,

Wie preiſen wir ſein Loos!
Vom Sonnenſtrahl umſchwaͤrmet,

Ergehſt du dich im Licht,

Doch was die Flaͤchen waͤrmet,

Die Tiefe waͤrmt es nicht.
Dir flimmert gleich Geſtirnen

Der Blumen bunter Glanz,

An unſern nackten Stirnen

Klebt ein verſtaͤubter Kranz.
Wir horchen, ach! wir lauſchen,

Wo nie ein Schall ſich regt,

Dir klingt der Quell, es rauſchen

Die Blaͤtter ſturmbewegt.
[36]
Vom Huͤgel aus die Lande

Vergnuͤgt beſchauſt du dir,

Doch unter ſeinem Sande,

Du Guter, ſchlafen wir.
[37]

XXIV.
Der Seelenwanderer.

Scherzend rief ich ſolche Worte, da das Licht herab¬
gebrannt war:

Dich beklag' ich, armes Kerzchen, daß zum Nichts dein
Seyn ſo bald ward!
Aber Antwort gab die Kerze, dieſes hoͤrt' ich voll Ver¬
wund'rung:

Ueberhebe nicht dich alſo, denn auch ich war einſt was
nun du!
Starb ich, modert' ich, doch wieder wuchs ich aus dem
Grab als Aglei,

Kam ein Bienchen, naſchte fleißig, nuzte mich im Korb
zur Arbeit.
Ward ich Wachs, woraus man endlich dieſe Kerze nun
fuͤr dich goß:

Staub und Erde mußt du werden, ich verzehre mich im
Lichtſtoff.
[38]

XXV.

An der Erde

Frey und froͤhlich

Kroch die Raupe,

Freute kindiſch,

Immer kriechend,

Sich umhuͤllter,

Junger Knoſpen.
Aber ſelbſtiſch

Eingekloſtert

Spinnt die Puppe:

Der Entfaltung

Qualenkaͤmpfe

Wuͤhlen grauſam

Durch das Innre.
Doch befreyend

Sieget Waͤrme:

Schwebe raſtlos,

Aetherkoſtend,

Farbefunkelnd,

Du erloͤſter

Sommervogel!
[39]

XXVI.
Licht.

Licht, vom Himmel flammt es nieder,

Licht, empor zum Himmel flammt es;

Licht, es iſt der große Mittler

Zwiſchen Gott und zwiſchen Menſchen;

Als die Welt geboren wurde,

Ward das Licht vorangeboren,

Und ſo ward des Schoͤpfers Klarheit

Das Myſterium der Schoͤpfung;

Licht verſchießt die heil'gen Pfeile

Weiter immer, lichter immer,

Ahriman ſogar, der dunkle,

Wird zulezt vergehn im Lichte.
[40]

XXVII.

Ihr Voͤgel in den Zweigen ſchwank,

Wie ſeyd ihr froh und friſch und frank,

Und trillert Morgenchoͤre:

Ich fuͤhle mich im Herzen krank,

Wenn ich's von unten hoͤre.
Ein Stuͤndchen ſchleich' ich blos heraus

In euer aͤſtig Sommerhaus,

Und muß mich deß beklagen:

Ihr lebet ſtets in Saus und Braus,

Seht's nachten hier und tagen.
Ihr ſucht der Baͤume gruͤnes Dach,

Der Wieſe Schmelz, den Kieſelbach,

Ihr flieht vor Stadt und Mauer,

Und laßt die Menſchen ſagen Ach!

In ihrem Vogelbauer.
[41]

XXVIII.
Aufſchub der Trauer.

Wie dich die warme Luft umſcherzt,

Das ſchatt'ge Gruͤn, o wie dich's kuͤhlt!

Wie leicht iſt all das Weh verſchmerzt,

Das in der Seele wuͤhlt!
Des Liebchens Bildniß zeige ſich

In jedem Quell, an dem du ſtehſt,

Ein ſanftes Lied beruh'ge dich,

Wenn durch den Wald du gehſt.
D'rum warte, bis der Winter naht,

Bis alles ſtarr und oͤde liegt,

Und Reif und Schnee auf Flur und Saat

Dich melancholiſch wiegt!
[42]

XXIX.

Wie Einer, der im Traume liegt,

Verſank ich ſtill und laß,

Mir war's, als haͤtt' ich obgeſiegt,

Bezwungen Lieb' und Haß.
Doch fuͤhl' ich, daß zu jeder Friſt

Das Herz ſich quaͤlt und bangt,

Und daß es nur gebrochen iſt,

Anſtatt zur Ruh' gelangt.
Du haſt zerſtuͤckt mit Unbedacht

Den Spiegel dir, o Thor!

Nun blickt der Schmerz verhundertfacht,

Vertauſendfacht hervor.
[43]

XXX.

Du ſcheuſt, mit mir allein zu ſeyn,

Du biſt ſo ſchroff:

Gibt nicht der Liebe Luſt und Pein

Zum Reden Stoff?
Wo nicht, was gilt der Lieb' ein Wo,

Ein Wie, ein Was?

Zu lieben und zu ſchweigen, o

Wie lieb' ich das!
Ich ſchweige, weil ſo kalt du ſcheinſt,

Und unerweicht,

Mein Auge ſpricht, es ſpricht dereinſt

Mein Kuß vielleicht.
[44]

XXXI.
Irrender Ritter.

Ritter ritt in's Weite,

Durch Geheg und Au',

Ploͤtzlich ihm zur Seite

Wandelt ſchoͤne Frau.
Keuſch in Flor gehuͤllet

War ſie, doch es hing

Flaſche wohl gefuͤllet

Ihr am Guͤrtelring.
Ritter ſah es blinken,

Luͤſtern machte Wein,

Sagte: Laß mich trinken!

Doch ſie ſagte: Nein!
Grimmig ſchaute Ritter,

Der es nicht ertrug:

Frau verhoͤhnt er bitter,

Raubet ſchoͤnen Krug.
Als er den geleeret

Fuͤhlt er ſich ſo krank;

Ach, fuͤr Wein beſcheeret

Ward ihm Liebestrank.
[45]
Nun durchſchweift er Gruͤnde,

Felder, Berge wild,

Klaget alte Suͤnde,

Suchet Frauenbild.
Stimme laͤßt er ſchallen,

Holt es nirgend ein:

Waldes Nachtigallen

Hoͤren Ritters Pein.
[46]

XXXII.

Wie rafft ich mich auf in der Nacht, in der Nacht,

Und fuͤhlte mich fuͤrder gezogen,

Die Gaſſen verließ ich, vom Waͤchter bewacht,

Durchwandelte ſacht

In der Nacht, in der Nacht,

Das Thor mit dem gothiſchen Bogen.
Der Muͤhlbach rauſchte durch felſigen Schacht,

Ich lehnte mich uͤber die Bruͤcke,

Tief unter mir nahm ich der Wogen in Acht

Die wallten ſo ſacht

In der Nacht, in der Nacht,

Doch wallte nicht eine zuruͤcke.
Es drehte ſich oben, unzaͤhlig entfacht,

Melodiſcher Wandel der Sterne,

Mit ihnen der Mond in beruhigter Pracht,

Sie funkelten ſacht

In der Nacht, in der Nacht,

Durch taͤuſchend entlegene Ferne.
Ich blickte hinauf in der Nacht, in der Nacht,

Ich blickte hinunter auf's Neue:

O wehe, wie haſt du die Tage verbracht,

Nun ſtille du ſacht

In der Nacht, in der Nacht,

Im pochenden Herzen die Reue!
[47]

XXXIII.

Ich moͤchte gern mich frey bewahren,

Verborgen vor der ganzen Welt,

Auf ſtillen Fluͤſſen moͤcht' ich fahren,

Bedeckt vom ſchatt'gen Wolkenzelt.
Von Sommervoͤgeln uͤbergaukelt,

Der ird'ſchen Schwere mich entziehn,

Vom reinen Element geſchaukelt

Die ſchuldbefleckten Menſchen fliehn.
Nur ſelten an das Ufer ſtreifen,

Doch nie entſteigen meinem Kahn,

Nach einer Roſenknoſpe greifen,

Und wieder ziehn die feuchte Bahn.
Von ferne ſehn, wie Heerden weiden,

Wie Blumen wachſen immer neu,

Wie Winzerinnen Trauben ſchneiden,

Wie Schnitter maͤh'n das duft'ge Heu.
Und nichts genießen, als die Helle

Des Lichts, das ewig lauter bleibt,

Und einen Trunk der friſchen Welle,

Der nie das Blut geſchwinder treibt.
[48]

Antwort.

Was ſoll dies kindiſche Verzagen,

Dies eitle Wuͤnſchen ohne Halt?

Da du der Welt nicht kannſt entſagen,

Erob're dir ſie mit Gewalt!
Und koͤnnteſt du dich auch entfernen,

Es triebe Sehnſucht dich zuruͤck;

Denn ach, die Menſchen lieben lernen,

Es iſt das einz'ge wahre Gluͤck!
Unwiderruflich dorrt die Bluͤthe,

Unwiderruflich waͤchſt das Kind,

Abgruͤnde liegen im Gemuͤthe,

Die tiefer als die Hoͤlle ſind.
Du ſiehſt ſie, doch du fliehſt voruͤber,

Im gluͤcklichen, im ernſten Lauf,

Dem frohen Tage folgt ein truͤber,

Doch alles wiegt zulezt ſich auf.
Und wie der Mond, im leichten Schweben,

Bald rein und bald in Wolken ſteht,

So ſchwinde wechſelnd dir das Leben,

Bis es in Wellen untergeht.
[49]

XXXIV.

Du denkſt, die Freude feſt zu halten,

Du biſt nur um ſo mehr geplagt:

O laß die Tage mit dir ſchalten,

Und thun, was ihnen wohlbehagt!

Soll dir das Leben ſtets gefallen,

Das nie auf Dauer ſich verſtand,

So laß das Schoͤnſte wieder fallen,

Und ſchließe nicht zu feſt die Hand!
Vermoͤcht' ich doch gelind zu traͤufen

In deine Bruſt, wenn Schmerz und Muth

Sie oft vergeblich uͤberhaͤufen,

Nur wen'ge Tropfen leichtes Blut!

O ſuche ruhig zu verſchlafen

In jeder Nacht des Tages Pein,

Denn wer vermoͤchte Gott zu ſtrafen,

Der uns verdammte, Menſch zu ſeyn?
v. Platen's Gedichte. 4[50]

XXXV.

Was ruhſt du hier am Bluͤthenſaum

Der ſommerlichen Sprudelquelle,

Und ſiehſt entſtehn und ſiehſt vergehn den Schaum?

So ruhn wir Menſchen auf des Lebens Schwelle,

Und was wir hoffen, was wir ſuchen ſtets,

Ein leichter Hauch gebiert's, ein leichter Hauch verweht's.
Es uͤbt ſich mehr und mehr das Herz,

Und ſtaͤhlt ſich, daß von Tag zu Tage

Mit groͤßerm Muth es immer neuen Schmerz,

Und immer neuen Kummer trage:

Erringen quaͤlt, Errung'nem droht Verluſt,

Und ew'ge Sehnſucht hebt die bange Juͤnglingsbruſt.
Drum preiſ' ich den, der nicht begehrt!

Was waͤre hier im leichten Staube

Des Suchens oder Findens werth?

Nach hoͤh'rem Ziel verweist der hoͤh're Glaube;

Hier iſt es nicht, wo jedes Ding verlezt,

Jenſeits des Lebens ward dein Ziel hinausgeſezt!
Im Geiſte ſtrebe zu entfliehn

Den Schranken dieſer Menſcheninnung,

Und laß am Buſen dir voruͤberziehn

Die Stimmungen der wechſelnden Geſinnung;

Dann truͤbt der Klarheit innern Spiegel nie,

Durch Lieb' und Sorg' und Haß, die rege Phantaſie.
[51]
Laß Andre denn mit ird'ſchem Blick

Nach ihren bunten Zwecken haſchen,

Sobald Geſchick ſie oder Mißgeſchick

Im ſteten Wandel ſpielend uͤberraſchen:

Geſchaͤftig ſind ſie, doch ihr Thun iſt leer,

Und ſchnellzerſtoͤrend folgt das Schickſal hinterher.
[52]

XXXVI.

Wie ſtuͤrzte ſonſt mich in ſo viel Gefahr

Ein krausgelocktes Haar,

Und eines Feuerauges dunkler Blitz,

Und ach, zum Laͤcheln ſtets bereit,

Der Rede holder Sitz,

Ein ſuͤßer Mund voll ſchoͤner Sinnlichkeit!

Da waͤhnt' ich noch, als waͤre der Beſitz

Das einz'ge Gut auf dieſem Lebensgang,

Und nach ihm rang

Mein junger Sinn und mein bethoͤrter Witz.
Da ſah ich bald im Wandel der Geſtalt

Vor mir die Jugend alt,

Und jede ſchoͤn geſchwung'ne Form verſchwand;

Und ach, wonach ich griff in Haſt,

Entfloh dem Unverſtand,

Und nie Beſeſſ'nes wurde mir zur Laſt:

Bis ich zulezt, nicht ohne Schmerz, empfand,

Daß alles Schoͤne, was der Welt gehoͤrt,

Sich ſelbſt zerſtoͤrt,

Und nicht ertraͤgt die rohe Menſchenhand.
So ward ich ruhiger und kalt zulezt,

Und gerne moͤcht' ich jezt

Die Welt, wie außer ihr, von ferne ſchau'n:

Erlitten hat das bange Herz

Begier und Furcht und Grau'n,

Erlitten hat es ſeinen Theil von Schmerz,

Und in das Leben ſezt es kein Vertrau'n;

Ihm werde die gewaltige Natur

Zum Mittel nur,

Aus eigner Kraft ſich eine Welt zu bau'n.
[[53]]

Vermiſchte Gedichte.

[[54]][[55]]

Epiſtel.

1817.


Du, des Gedichts wohlwollender Freund und des ſtre¬
benden Dichters

Freund, du, welchen der Kunſt gluͤhende Liebe be¬
ſeelt,

Wirſt mit dem Tadel mich nicht unwuͤrdiger Muſſe
verletzen,

Die ich im ſtillen Bezirk dieſer Gefilde geſucht.

Wie mir aber allein hingehn die gefluͤgelten Tage

Fragſt du, waͤhrend ich fern lebe der ſtaͤdtiſchen Welt?
Haͤufig bewund'r ich rings, ausruhend am Huͤgel, die
Landſchaft,

Wo den beweglichen Schirm Buche mir, Eſche mir beut;

Suͤße, doch ſeltene Thraͤnen, wie liebende Juͤnglinge
weinen,

Seh' ich, des Thals Fruͤhthau, hangen am Roſenge¬
buͤſch,

[56]
Wenn ich zuruͤck von dem Wallfahrtsort, von der bunten
Kapelle

Kehre, dem heiterſten Sitz, waͤhrend die Sonne ſich
hebt;

Zweyfach laͤchelt mich dann dies gartenumzingelte Dorf an,

Bald am Wieſengeſtad, bald im geglaͤtteten See;

Oft auch freu' ich mich dann in dem Kahne des trau¬
fenden Ruders,

Wenn auf flachem Kryſtall Zirkel an Zirkel ſich reiht,

Oefter des ſeltenen Flors großblumiger Alpengewaͤchſe,

Wenn ich bewaldeter Hoͤh'n ruhige Gipfel erſtieg.
Doch wer iſt's, der ſich zu dem einſam wallenden Juͤng¬
ling,

Als willkommener Freund, bildend und liebend geſellt?

Flaccus, apuliſcher Saͤnger, du biſt's! Frohſinnige Weisheit

Lehren, und gluͤcklichen Muth, deine Geſaͤnge das
Herz:

Maͤßig im Lauf der vergaͤnglichen Zeit zu genießen ge¬
beutſt du,

Neben die Bilder des Tods ſtellſt du der Freude
Pokal;

Fuͤhrſt mich nach dem begluͤckten Tarent, in's laͤndliche
Tibur,

Wo du die Wunder von Rom, ohne zu ſeufzen
entbehrſt;

Oder ich lerne von dir, zum kuͤhlen Praͤneſte dir folgend,

Wie man ſinnigen Geiſts leſe den Vater Homer.

Wahres verkuͤndeteſt du, denn ſelbſt in die Waͤlder des
Nordens

Drang des latiniſchen Lieds bluͤhende Stimme hin¬
durch:

[57]
Deines Auguſts Altaͤre zerbroͤckelten, deine Geſaͤnge

Nicht, um's roͤmiſche Haupt fliegen dir Voͤgel des
Ruhms.

Strebt auch Mancher, wie du, ſtets hofft er die Krone
vergebens,

Und es bewahrt kein Baum koͤſtliche Zweige fuͤr ihn.

Einſt wohl trauert er noch um der Jahre verſchwendetes
Opfer:

Leicht zwar iſt der Beſitz, doch das Erringen, wie
ſchwer!

So um den blendenden Nacken der Fuͤrſtin bilden die
Perlen

Zierliche Ketten, ſie traͤgt ſtolz ihr Geſchmeide zur
Schau;

Aber bedenkt ſie, wie oft in zerbrechlicher Glocke der
Taucher

Um den entbehrlichen Schmuck fuhr in die Tiefe
des Meers?
[58]

Chriſtnacht.

1819.


Der Engel der Verkuͤndigung.


Seraphim'ſche Heere,

Schwingt das Goldgefieder

Gott dem Herrn zur Ehre,

Schwebt vom Himmelsthrone

Durch's Gewoͤlk hernieder,

Suͤße Wiegenlieder

Singt dem Menſchenſohne!

Ein Hirte.


Was ſeh' ich? Umgaukelt mich Schwindel und Traum?

Ein leuchtender Saum

Durchwebt den azurenen, ewigen Raum,

Es ſchreitet die Sterne des Himmels entlang,

Mit leiſem Geſang,

Der ſeligen Schaaren muſikiſcher Gang.

Chor der Hirten.


Die Engel ſchweben ſingend

Und ſpielend durch die Luͤfte,

Und ſpenden ſuͤße Duͤfte,

Die Liljenſtaͤbe ſchwingend.
[59]

Chor der Seraphim.


Wohlauf, ihr Hirtenknaben,

Es gilt dem Herrn zu dienen,

Es iſt ein Stern erſchienen,

Ob aller Welt erhaben.

Chor der Hirten.


Wie aus des Himmels Thoren

Sie tief herab ſich neigen!

Chor der Seraphim.


Laßt Eigentriebe ſchweigen,

Die Liebe ward geboren!

Der Engel der Verkuͤndigung.


Fromme Gluth entfache

Jedes Herz gelind,

Eilt nach jenem Dache,

Betet an das Kind!
Jener heißerflehte

Hort der Menſchen lebt,

Der euch im Gebete

Lange vorgeſchwebt.
[60]
Traun! Die Macht des Boͤſen

Sinkt nun fort und fort,

Jener wird erloͤſen

Durch das Eine Wort.

Chor der Hirten.


Preis dem Geborenen

Bringen wir dar,

Preis der erkorenen

Glaubigen Schaar!
Engel mit Lilien

Stehn im Azur,

Fromme Vigilien

Singt die Natur:
Der den kryſtallenen

Himmel vergaß,

Bringt zu Gefallenen

Ewiges Maß!

Der Engel der Verkuͤndigung.


Schon les' ich in den Weiten

Des kuͤnft'gen Tages bang,

Ich hoͤre Voͤlker ſchreiten,

Sie athmen Untergang.
[61]
Es naht der muͤden Erde

Ein friſcher Morgen ſich,

Auf dieſes Kindes „Werde“

Erbluͤht ſie jugendlich.

Chor der Seraphim.


Vergeßt der Schmerzen jeden,

Vergeßt den tiefen Fall,

Und lebt mit uns im Eden,

Und lebt mit uns im All!
[62]

Oſterlied.

1820.


Die Engel ſpielen noch um's Grab,

Doch Er iſt auferſtanden!

O truͤg' ich meinen Pilgerſtab

Nach jenen Morgenlanden,

Zur Felſenkluft

Mit hohler Gruft,

Denn Er iſt auferſtanden!
Wer nur ſein eigner Goͤtze war,

Geht unter in dem Staube,

Mit jener lichten Engelſchaar

Verſchwiſtert nur der Glaube:

Wer liebend ſtrebt

So lang' er lebt,

Der hebt ſich aus dem Staube!
So laß uns, wie du ſelbſt, o Sohn,

Ruͤckkehren aus der Hoͤlle!

O daß ſchon jezt Poſaunenton

Von Pol zu Pol erſchoͤlle!

Dein Stachel ſticht,

O Tod, uns nicht,

Du ſiegeſt nicht, o Hoͤlle!
[63]

Die Antiken.

1820.


Laßt uns ledig, und oͤffnet ſogleich Ruͤſtkammer und
Wandſchrank!

Nicht am dumpfigen Ort in Gewoͤlben zu wohnen ge¬
ziemt uns:

Denkt doch, was wir und wo wir geweſen, und ſchenket
uns Mitleid!

Dies uralte Gefaͤß war einſt der egyptiſchen Gaͤrten

Zier, und Cleopatra ſelbſt ließ fuͤllen mit Myrtenge¬
zweig es;

Dieſer geſchnittene Stein, ein doppelgeſchichteter Onyx,

Zierte des jungen Antinous Hand, als koͤſtlichen Ring¬
ſchmuck

Trug ihn der ſchoͤne, doch ach! zu fruͤhe vergoͤtterte
Juͤngling;

Ich, als Hermes, ſtand in der Halle des Caͤſar Auguſtus,

Wo mich ein Lorbeergewaͤchs mit ſuͤdlichem Duft an¬
hauchte.

Und nun habt ihr uns hier aneinandergehaͤuft und
geordnet,

Eines das andre verdraͤngend, und dies durch jenes
verdunkelt,

Keins am ſchicklichen Ort, in belebendem Schimmer der
Sonne.

Selbſt das gelehrte Geſicht des begaffenden Kenners er¬
muͤdend,

Liegen geſchichtet wir hier, gleich traurigen Knochen im
Beinhaus,

[64]
Und in empfaͤnglicher Bruſt aufregen wir ſchmerzliche
Sehnſucht

Nach den Tagen, in denen wir faſt wie Lebendige prangten.

Zieht nicht Roſen auch ihr, friſchbluͤhende Flechte zu
winden

Um den etruriſchen Krug und die Scheitel der Buͤſte
von Marmor?

Habt nicht Tempel auch ihr, und ſchattige Gartenarkaden,

Daß ihr uns dorthin pflanzt, in die Naͤhe des ewigen
Himmels,

Jedem Beſchauer zur Luſt, uns ſelbſt zur ſuͤßen Ge¬
wohnheit?
[65]

Legende.

1822.


Ein hoher Tempel ward erbaut

Der benedeiten Himmelsbraut,

Die aller Welt zu Heil und Lohn

Geboren den erlauchten Sohn.

Sie mauerten ſo manches Jahr,

Bis Dach und Decke fertig war;

Ein Maler kam ſodann herbey,

Zu bilden eine Schilderey:

Auf maͤchtigem Geruͤſt er ſtand,

Den frommen Pinſel in der Hand,

Lebendig ſchaffend und genau

Das Angeſicht der lieben Frau.

Doch als er faſt am Ende war,

Bringt ihm ein falſcher Tritt Gefahr,

Und vom Geruͤſte ſtuͤrzt er jach,

Das unter ihm zuſammenbrach.

Da ruft er an, aus banger Bruſt,

Das Bild, das er vollendet juſt:

Dir wandt' ich all mein Leben zu,

O Himmliſche, nun rette du!

Und ſieh! Es faßt es kein Verſtand,

Die Heil'ge ſtreckt herab die Hand,

Und hielt ſo lang ihn wunderbar,

Bis Menſchenhuͤlf' erſchienen war.
v. Platen's Gedichte. 5[66]

Prolog an Goethe


zu einer Ueberſetzung Hafiſiſcher Gedichte.


1822.


Erhabner Greis, der du des Hafis Toͤnen

Zuerſt geneigt, ſie gruͤßend aufgenommen,

Du magſt dich noch einmal an ihn gewoͤhnen,

Du ſiehſt ihn wieder dir entgegen kommen,

Mit frohem Klang der Zeiten Drang verſchoͤnen,

Vielleicht von innerlichem Schmerz beklommen:

Viel muß ein ſolcher Geiſt von ſolchen Gaben,

Wenn er um Leichtſinn buhlt, gelitten haben.
Im Kampfe muß er ſich entgegen wagen

Der eignen Liebe, wie dem fremden Haſſe;

Denn einem Solchen Liebe zu verſagen,

Iſt eine Wolluſt fuͤr die ſtumpfe Maſſe,

Und Dies und Jenes wird herbeygetragen,

Daß man ihn ſtets bey ſeiner Schwaͤche faſſe,

Und fehlen ihm, ſo leiht man ihm Gebrechen,

Ihm, der zu groß iſt, um zu widerſprechen.
Das mochte Hafis wohl im Geiſt bedenken,

Und ließ getroſt des Lebens Stuͤrme rollen:

Wenn in Befriedigung wir uns verſenken,

Entgehn wir eigner Qual und fremdem Grollen:

Beym Wein im Becher, bey dem Kuß des Schenken,

Bey Liedern, die melodiſch ihm entquollen,

Empfand er ſtets im Herzen ſich geſuͤnder,

Wiewohl ſie ſchrien: Es iſt ein großer Suͤnder!
[67]
Er ſchuf indeß durch Bilder oder Spruͤche

Ein Netz, worin die Herzen man erbeutet,

Ein Gartenbeet erquickender Geruͤche,

Dem jede falſche Neſſel ausgereutet,

Und einen Himmel ohne Wolkenbruͤche,

Wo jeder Stern auf eine Blume deutet:

Und ſo verglicheſt du dir ihn beſcheiden,

In That und Sinn, im Streben und im Leiden.
Was haſt du nicht erlitten und erfahren!

Wie theuer mußteſt du den Ruhm erkaufen!

Verkannt von ferne hauſenden Barbaren,

Vom Schwarm der Gecken laͤſtig uͤberlaufen,

Die Uebelwollenden zu ganzen Schaaren,

Die Mißverſtehenden zu ganzen Haufen,

Und wenn ich alles insgeſammt erwaͤhne,

Der Krittler freche, wenn auch ſtumpfe Zaͤhne.
Und wie du ſonſt, in jugendlichen Tagen,

Sie reich beſchuͤttet haſt mit Bluͤthenflocken,

Und ſie, zu feig die ſchoͤne Laſt zu tragen,

Sich zeigten neidiſch halb und halb erſchrocken:

So ſehn wir jezt ſie noch hervor ſich wagen,

Um Schmach zu bieten deinen Silberlocken;

Doch dies Geſchlecht vermag dich nicht zu hemmen,

Es muß die Welt ſich dir entgegenſtemmen.
Da ſchwoll's um dich in ungeheuern Wogen,

Da ſchien der Boden unter dir zu wanken,

Die ganze Maſſe ward mit fortgezogen,

Und Jeder trat aus ſeinen eignen Schranken:

[68]
Du bliebſt allein der engen Pflicht gewogen,

Getreu dem lebenſchaffenden Gedanken,

Indeß die Zeit, in ungebundner Meinung,

Dem Leben bot die graͤßliche Verneinung.
Da galt es Kaͤmpfe gegen ganze Maſſen:

Ein ernſter Streit entflammte ſich, ein neuer,

Weit uͤber das hinaus, was Menſchen faſſen,

Und die politiſch kleinen Ungeheuer

Verzehrten ſich im gegenſeit'gen Haſſen;

Du aber ſtandeſt unbewegt am Steuer,

Sinnſchwere Worte werfend in die Winde,

Daß einſt der Sohn, der Enkel einſt ſie finde.
Und ſtellteſt dar, in wahren, großen Zuͤgen,

In welchen Abgrund die Begierde fuͤhret,

Wenn das Gefuͤhl ſich nicht vermag zu fuͤgen,

Und wenn der Geiſt nach dem Verſagten ſpuͤret,

Und was, begabt mir froͤhlichem Genuͤgen,

Den Deutſchen, rechtlich wie ſie ſind, gebuͤhret:

Bey dieſes Taumels ſchwankender Empoͤrung

Zu hemmen und zu meiden die Zerſtoͤrung.
Und uͤberall, im reichergoſſ'nen Leben,

In tauſendfachen Bildern und Geſtalten,

Die bis herunter in ihr kleinſtes Weben

Anmuth und Wahrheit um ſich her entfalten,

Haſt du die große Lehre nur gegeben,

Im eignen Kreiſe muͤſſe jeder walten,

Und uͤberall umſchwebt uns der Gedanke:

Freyheit erſcheint nur im Bezirk der Schranke.
[69]
Dich hat die Ahnung aber nicht betrogen:

Macht wider Macht iſt kraͤftig aufgeſtanden,

Zur Haͤlfte ſchon iſt jener Wahn verflogen,

Der altes Leben loͤste von den Banden,

Worin es guͤtig die Natur erzogen,

Und da die Wahrheit wir verirrend fanden,

So ſey'n vergeſſen jene Graͤuelthaten:

Es ſteht die Blume zwiſchen jungen Saaten.
Wenn auch der alte, hohe Baum verdorben,

Der eine Welt im Schatten konnte wahren,

Wenn auch der Glanz von ehedem erſtorben,

Zerſtuͤckt ein Reich, das trozte tauſend Jahren,

So ward dafuͤr ein geiſtiges erworben,

Und immer ſchoͤner wird ſich's offenbaren,

Und fehlt ein Kaiſer dieſes Reiches Throne,

So nimm von uns, die du verdienſt, die Krone!
[70]

An Schelling.
Als Zueignung zu einem Drama.

1823.


Es muß ein Volk allmaͤhlig hoͤher ſteigen,

Es kann zuruͤck ſich nicht ergehn zum Kinde;

Der Dichtung erſter, jugendlicher Reigen

Zog laͤngſt voruͤber, flog vorbey geſchwinde:

Sophiſten kamen, ſie begann zu ſchweigen,

Und loͤſte nach und nach die goldne Binde.

Doch jene Nuͤchternen bezwang dein Streben,

Und ſo entflammteſt du das neue Leben!
Was deutſche Kraft in dieſer Zeit erreichte,

Gehoͤrt dir an, und neigt ſich deinem Bilde,

Und dein vor allen ſey dies Lied, das leichte,

Das du zuerſt empfingſt mit edler Milde,

Verſammelnd rings um deſſen fruͤhſte Beichte,

Von Frau'n und Maͤnnern eine ſchoͤne Gilde:

Sey's, daß das Volk es nun mit Gunſt bezahle,

Du ließeſt leben es zum erſten Male!
Nun moͤgen Lieder ſich zum Liede reihen,

Geſchichte zu Geſchichte, Sag' an Sage,

Ich ſehne mich, ſie alle dir zu weihen,

Die noch als Keim ich in der Seele trage,

Dir, der gehoͤrt mit guͤtigem Verzeihen

Die fruͤhſten Klaͤnge meiner jungen Tage,

Da noch ich ſang des Stolzes muth'ge Triebe,

Und jenen brennenden nach Ruhm und Liebe.
[71]
Doch hat das Herz ſich nie zurecht gefunden

In dieſes Lebens ird'ſchen Paradieſen:

Die freye Liebe, die es ungebunden

Den Menſchen bot, ſie ward verlacht von dieſen,

Und fruͤhe fuͤhlt' ich in verlaſſ'nen Stunden

Mich auf mein eignes, dunkles Selbſt verwieſen,

Und fruͤh begann ein unausſprechlich Sehnen

Die Bruſt durch Seufzer maͤchtig auszudehnen.
Das iſt vorbey! Ich lernte viel verſchmerzen,

Ich fuͤhlte Kraft, mir Alles zu verſagen,

Und eine Welt von Heiterkeit und Scherzen

Im leichtbeweglichen Gemuͤth zu tragen:

Nur ſelten ſoll die tiefe Qual im Herzen

Ergießen ſich in ungeheure Klagen,

Und jeder Hoͤrer fuͤhle dann mit Beben,

Was fuͤr ein trauriges Geſchenk das Leben!
So ward geſtaͤhlt ich denn und ausgeſtattet

Zu Thaten, die ich laͤnger nicht verſchiebe:

Mein Muth, in Qualen nach und nach ermattet,

Wird nie mehr betteln gehn um weiche Liebe.

Vielleicht, da Stunde ſich zu Stunde gattet,

Gelingt es meinem gluͤhenden Betriebe,

Daß ich dereinſt, wenn deutſches Wort ich meiſtre,

Die edle Jugend dieſes Volks begeiſtre.
[72]

Am Grabe Peter Ulrich Kernell's.

1824.


Den ein allzufruͤh Ermatten

Um der Jugend Reſt betrogen,

Laſſet uns den Freund beſtatten,

Den wir, wenn auch fern erzogen,

Lieb, wie einen Bruder, hatten.
Ach, es lockten heim'ſche Bande,

Lockten aus Heſperiens Eden,

Vom erhabnen Tiberſtrande,

Wieder ihn in's theure Schweden,

Nach dem frommen Vaterlande!
Aber, eilendes Verderben,

Du vergoͤnnteſt nicht dem Armen,

Um das lezte Gluͤck zu werben,

In den ſchweſterlichen Armen,

An der Mutter Bruſt zu ſterben!
Schauernd in der Morgenſtunde,

Bey dem Schalle fremder Glocken,

Senken hier wir ihn zu Grunde,

Senden, ach! nur wen'ge Locken

Nach dem allzufernen Sunde.
[73]
Beſſ'res laͤßt ſich nichts gewaͤhren

Jenen, die ſo viel ertragen:

Ihre Sehnſucht quillt in Zaͤhren,

Schwillt in Seufzern, ſtuͤrmt in Klagen,

Die ſich ewig neu gebaͤren!
Eh' der Lenz dir Friſt gegeben,

Ließ, o Freund, dein allzukarges

Lebensloos dich uns entſchweben,

Und den Deckel deines Sarges

Zieren Roſen ohne Leben.
O wie zog es dich nach jenen

Tagen hin, wo laue Winde

Weichgepflaumte Fluͤgel dehnen!

Nach der erſten Knospenrinde

Lockte dich dein leztes Sehnen!
Noch bey ſeinem mattern Pochen

Hat vielleicht das Herz des Kranken,

Eh' der ſtarre Blick gebrochen,

Unausſprechliche Gedanken

Mit den Seinen ſtill geſprochen!
Dieſe Lieben zu ermuthen,

Saͤuſelt aus dem Schoos der Gruͤfte

Noch ein Lebewohl des Guten:

Haſchet es, ihr Fruͤhlingsluͤfte,

Tragt es uͤber Land und Fluthen!
[74]

An die Diana des Nieſen.

Von den Jaͤgern der Muͤllimatt.


1825.


O Goͤttin, die du ſtets geleiteſt

Des Jaͤgers Gang durch Feld und Wieſen,

Und gern das Hochgebirg beſchreiteſt,

Die Bluͤmlisalp und unſern Nieſen,

Und Allen ſtets dich hold erwieſen,

Die dir, des Staͤdtelebens ſatt,

Auf wald'ger Berge Ruͤcken huldigen:

Was zuͤrnſt du deinen ungeduldigen

Verehrern auf der Muͤllimatt?
Auf daß uns froh dein Auge nicke,

Dein heil'ger Grimm uns endlich ſchone,

Wie gerne lenkten wir die Blicke

Hinauf zu deinem hoͤchſten Throne,

Zu jener keuſchen Glaͤtſcherzone,

Die dir den Namen hat geraubt;

Doch Nebel ach! ſich ewig haͤufende,

Von allen Seiten niedertraͤufende,

Umwehn der Jungfrau Strahlenhaupt.
[75]
Wir ziehn dem Regenguß entgegen,

Und weih'n dir manchen Tag und Morgen;

Doch keine Schnepfe will ſich regen,

Und alle Haſen ſind verborgen:

So kehren wir denn ſtets in Sorgen

Von mancher eitlen Fahrt zuruͤck,

Die Muͤh' und Schweiß genug uns koſtete,

Und unſ're Flinte, die verroſtete,

Erſehnt umſonſt ihr altes Gluͤck.
Zwar laͤßt ſich Manches in den Lauben

Der ſchoͤnen Muͤllimatt erwerben:

Bey holden Frau'n, beym Saft der Trauben,

Beym Duft ſo vieler Blumenſcherben,

Hier ließe leben ſich's und ſterben;

Doch, Goͤttin, ſieh, zu dir nur ſchau'n

Wir hoffend auf, zu deinen luftigen

Und wilden Hoͤhn von dieſen duftigen

Gewaͤchſen, dieſen ſchoͤnen Frau'n!
Laß dich von unſerm Flehn erweichen,

Und ſey mit uns in dieſen Tagen:

Das Hoͤchſte wollen wir erreichen,

Die pfeilgeſchwinde Gemſe jagen;

Es wird uns kein Gewehr verſagen,

Wenn du uns ſchuͤtzen willſt, o du!

Sey gnaͤdig unſerer Verwegenheit,

Erſpaͤhe ſelbſt uns die Gelegenheit,

Und jag' uns alle Gemſen zu!
[76]
Und wenn du uns von Schmach mit dieſen

Geſchenken deiner Gunſt gerettet,

So moͤge dir am Rand des Nieſen,

Auf Alpenroſen hingebettet,

Erſcheinen was dich ewig kettet:

Auf daß du ſenkſt den Wagenthron,

Erſcheine dir ein hingeſunkener,

Von Lieb' und Wein und Schlummer trunkener,

Ein ſchnarchender Endymion!
[77]

Antwort an den Unbekannten.

(S. Morgenblatt Nro. 311. 1827.)


1828.


Bis zu mir, aus weiter Ferne, hoͤr' ich ſuͤße Worte
fluͤſtern,

Glaͤttend jene Falten alle, welche meine Stirn verduͤſtern,

Zeigend, daß ich nicht vergebens Neſſeln ſchwang und
Diſteln koͤpfte,

Nicht mit Danaideneimern aus des Lebens Brunnen
ſchoͤpfte;

Meiner Widerſacher Mißmuth ſtoͤrt mich nicht in Roms
Ruinen,

Doch die Liebe, wie ein Pilger, uͤberſteigt die Apenninen.

Allen denen, die ſo gerne jede wahre Kraft verkennen

Sey's geſagt, daß nicht einmal ich ihren Namen hoͤre
nennen;

Doch von Andern hoͤr' ich, welche ſonder Scheu vor Witzes¬
nadeln

Loben mein Gedicht mit Einſicht und mit Einſicht auch
es tadeln:

Dieſen biet' ich aus der Ferne gern die Hand, und Dir
vor Allen!

Zwar Du ließeſt nicht die Stimme kritiſcher Vernunft
erſchallen,

Aber nach dem Kapitole, deſſen Hoͤh'n ich jezt erklimme,

Lieſſeſt wehn Du mir Begeiſt'rung, jene reine Milder¬
ſtimme,

Die ſo glockenhell und herrlich von der Menſchenlippe
gleitet,

Und elektriſch ihren ſchoͤnen Liebesfunken weiter leitet.

[78]
Ja, es muͤſſen, wo dem Guten ſie ſich beigeſellt, dem
Wahren,

Aus der Seele Dithyramben, wie aus Wolken Blitze,
fahren!

Moͤgen denn auch meine Toͤne durch des Nordens Stuͤrme
lauten

Wie ein Weihgeſang des Orpheus auf dem Schiff der
Argonauten,

Die den Pelz, den im Barbarenland ſie ſich mit Muͤh'
ergattert,

Fuͤr Apollo's Mantel halten, der in Tempe's Luͤften
flattert.
Rufe nicht, da mich das deutſche Chaos wuͤrde blos er¬
muͤden,

Rufe nicht zuruͤck den Dichter aus dem vielgeliebten
Suͤden,

Welcher, bis mich Froſt und Alter luͤſtern macht nach
eurem Vließe,

Ueber jedes meiner Worte Stroͤme von Muſik ergieße.

Immer mehr nach Suͤden laß mich meines Auges Wuͤnſche
richten,

Und genaͤhrt von Hyblahonig auf des Aetna Gipfel dichten!

Laß mich Odyſſeen erfinden, ſchweifend an Homers Ge¬
ſtaden,

Bald, in voller Waffenruͤſtung, folgen ihnen Iliaden.

Ja, wenn ganz mit deutſcher Seele griech'ſche Kunſt ſich
hat verſchmolzen,

Sollſt Du ſehn, zu welchen Pfeilen greift Apoll, zu wel¬
chen Bolzen!

[79]
Noch ſo lange, Freund, ſo lange laß umher mich
ziehn verlaſſen,

Bis Thuiskons Volk und meine Wenigkeit zuſammen
paſſen,

Bis wir Einer Lehre Schuͤler, Bruͤder ſind von Einem
Orden,

Beide dann einander wuͤrdig, und einander lieb ge¬
worden.

Wie die Lerche moͤcht' ich kommen, wann die erſten
Knoſpen treiben,

Nicht wie euer Schneegeſtoͤber wehn und endlich liegen
bleiben.

Eher nicht an eure Herzen klopf' ich an, an eure Pforten,

Bis das Schoͤnſte nicht gethan ich, eine große That in
Worten,

Welche kalte Sinne gluͤhn macht, Lob erpreßt von Syl¬
benklaubern,

Selbſt den Feinden muß gefallen, und die Freunde ganz
bezaubern;

Dann vor Solche will ich treten, die veraͤchtlich mir,
verblendet

Ehedem des Aberwitzes Achſelblicke zugewendet,

Die mir ins Geſicht gepredigt, deutſche Kunſt ſey laͤngſt
geſunken,

Und umſonſt in meinem Buſen brenne dieſer heiße
Funken:

Ihrem Schaamerroͤthen tret' ich ſchweigend dann und ſtill
entgegen,

Und vor ihre Fuͤße will ich alle meine Kraͤnze legen.
[80]

Waͤinaͤmdinens Harfe.

Finniſches Volkslied, aus dem Schwediſchen uͤberſezt.


Waͤinaͤmdinen ſelbſt, der alte,

Rudert eines Tags auf Suͤmpfen,

Und auf Seen des andern Tages,

Und am dritten Tag im Meere,

Stehend auf des Hechtes Schultern,

Auf des rothen Lachſes Finnen.

Er beginnt, den Sohn zu fragen:

Stehn auf Reiſig oder Stein wir,

Oder auf des Hechtes Schultern,

Oder auf des Lachſes Finnen?

Und der Sohn erwiedert eilig:

Nicht auf Stein und nicht auf Reiſig,

Auf des Hechtes feſten Schultern,

Auf des rothen Lachſes Finnen.

Waͤinaͤmoͤinen ſelbſt, der alte,

Stieß das Schwert in's Meer danieder,

Und zertheilte ſo den Fiſch,

Zog das Haupt in ſeinen Nachen,

Ließ den Schwanz im Meere liegen.

Jenes blickt er an und wendet's:

Was kann d'raus der Schmied verfert'gen?

Was kann d'raus der Schmieder ſchmieden?

Waͤinaͤmoͤinen ſelbſt, der alte,

Nimmt auf ſich des Schmiedes Arbeit,

Macht vom Bein des Hechts die Harfe,

Macht das Kantele von Graͤten,

Und von Fiſchgeripp die Leier.

[81]
Und woraus der Harfe Schrauben?

Aus des großen Hechtes Zaͤhnen.

Und woraus der Harfe Saiten?

Aus dem Haupthaar Kalevas.

Zu dem Sohne ſprach der Alte:

Hole mir mein Kantele

Unter die gewohnten Finger,

Unter die gewoͤhnten Haͤnde!

Freude ſtroͤmt nun uͤber Freude,

Auf Gelaͤchter folgt Gelaͤchter,

Waͤhrend ſpielet Waͤinaͤmoͤinen

Auf dem Kantele von Graͤten,

Auf dem Fiſchgeripp der Leier.

Keines ward im Hain gefunden,

Sey es auf zwey Fluͤgeln fliegend,

Sey es auf vier Fuͤßen laufend,

Das nicht eilte zuzuhoͤren,

Waͤhrend ſpielte Waͤinaͤmoͤinen

Auf dem Kantele von Graͤten,

Auf dem Fiſchgeripp der Leier.

Selbſt der Baͤr im Walde ſtieß

Mit der Bruſt ſich gegen Zaͤune,

Waͤhrend ſpielte Waͤinaͤmoͤinen

Auf dem Kantele von Graͤten,

Auf dem Fiſchgeripp der Leier.

Selbſt des Waldes alter Vater

Schmuͤckte ſich mit rothem Schuhband,

Waͤhrend ſpielte Waͤinaͤmoͤinen

Auf dem Kantele von Graͤten.

Selbſt des Waſſers gute Mutter

Zierte ſich mit blauen Struͤmpfen,

Ließ im gruͤnen Gras ſich nieder,

Um das Saitenſpiel zu hoͤren,

v. Platen's Gedichte. 6[82]
Waͤhrend ſpielte Waͤinaͤmoͤinen

Auf dem Kantele von Graͤten,

Auf dem Fiſchgeripp der Leier.

Und dem Waͤinaͤmoͤinen ſelbſt

Floſſen Thraͤnen aus den Augen,

Dicker noch als Heidelbeeren,

Groͤßer noch als Schnepfeneyer,

Nieder auf den breiten Buſen,

Von dem Buſen auf die Kniee,

Von den Knieen auf die Fuͤße:

So durchnaͤßten Waſſerperlen

Fuͤnf von ſeinen Wollenmaͤnteln,

Acht von ſeinen Zwillichroͤcken.
[[83]]

Zweytes Buch.

[[84]]
Im Waſſer wogt die Lilie, die blanke, hin und her,

Doch irrſt du, Freund, ſo bald du ſagſt, ſie ſchwanke hin
und her!

Es wurzelt ja ſo feſt ihr Fuß im tiefen Meeresgrund,

Ihr Haupt nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her!
[[85]]

Gaſelen.

1821.


[[86]][[87]]

I.

Entſpringen ließeſt du dem Ey die Welt,

Dein ew'ger Wunderſpiegel ſey die Welt;

Es ſchaut nach dir, wiewohl dich Keiner ſchaut,

In liebevoller Schwaͤrmerey die Welt;

Du athmeſt Leben und du athmeſt aus

Mit jedem Athemzuge frey die Welt;

Du ſiehſt dich ſelbſt, und dir am Auge geht

In jedem Augenblick vorbey die Welt;

Der einzig Eine biſt du, doch du lenkſt

Als eine myſtiſchgroße Drey die Welt.
[88]

II.

Wohl mir, es heilte die liebe Hand mich,

Die mit balſamiſchem Blatt verband mich!

Als mich in Flammen umdroht Verzweiflung,

Deckte des Glaubens Asbeſtgewand mich;

Irrend durchſtrich ich das wald'ge Dickicht,

Aber der floͤtende Vogel fand mich;

Wellen verſchlangen mich, doch der Delphin

Segelte ruhig an's gruͤne Land mich;

Nieder vom Berge zur Tiefe glitt ich,

Aber die Rebe des Bergs umwand mich.

III.

Du biſt der wahre Weiſe mir,

Dein Auge liſpelts leiſe mir;

Du biſt ein Gaſtfreund ohne Hehl

Auf dieſer langen Reiſe mir;

Dein Leben wird, daß Liebe noch

Lebendig, zum Beweiſe mir;

Du bringſt der Liebe Moſchusduft,

Du bringſt der Wahrheit Speiſe mir;

Es wird ſo licht, es wird ſo warm

In deinem lieben Kreiſe mir;

Du biſt die Perle, deren Werth

Hoch uͤber jedem Preiſe mir!
[89]

IV.

Wenn du ſammelſt goldne Trauben ein,

Huͤllen Reben dich in Lauben ein;

Wenn am Huͤgel dich umfaͤngt der Schlaf,

Girren dich verliebte Tauben ein;

Wenn du liebſt, ſo ſtellen Engel ſich,

Die der Sorge dich berauben, ein;

Da die Weisheit muͤhevoll du fandſt,

Buͤßteſt doch du nicht den Glauben ein.

V.

Es ſprudelt Waſſer aus dem Stein empor:

Das ſpruͤzt der Wallfiſch nicht ſo rein empor;

Die feinſten Perlen, deine Thraͤnen ſind's,

Kein Taucher fiſcht ſie dir ſo fein empor;

Du mußt die Nelke binden an den Stab,

Es rankt der Eppich ſich allein empor;

Den Trunk der Quelle fuͤhrſt du ſtill zum Mund,

Doch hebſt du hoch den Becher Wein empor!
[90]

VI.

Der Loͤwin dient des Loͤwen Maͤhne nicht;

Buntfarbig ſonnt ſich die Phalaͤne nicht;

Der Schwan befurcht mit ſtolzem Hals den See,

Doch hoch im Aether hauſen Schwaͤne nicht;

Die Rieſelquelle murmelt angenehm,

Doch Schiffe traͤgt ſie nicht und Kaͤhne nicht;

An Dauer weicht die Roſe dem Rubin,

Ihn aber ſchmuͤckt des Thaues Thraͤne nicht;

Was ſuchſt du mehr, als was du biſt, zu ſeyn,

Ein andres je zu werden, waͤhne nicht!

VII.

Nach lieblicherm Geſchicke ſehn' ich mich;

Wie nach dem Stab die Wicke ſehn' ich mich;

Nach deines Mundes Duft, nach deines Haars

Geringel am Genicke ſehn' ich mich;

Ich ſehne mich, daß poche mir dein Herz,

Daß mich dein Arm umſtricke, ſehn' ich mich;

Du gehſt, o Schoͤnheit, mich ſo ſtolz vorbey,

Nach einem zweyten Blicke ſehn' ich mich.
[91]

VIII.

O weh dir, der die Welt verachtet, allein zu ſeyn,

Und deſſen ganze Seele ſchmachtet, allein zu ſeyn!

Es ſchuf der unerſchoͤpfte Schoͤpfer Geſchoͤpfe rings,

Und nicht ein einzig Weſen trachtet, allein zu ſeyn:

Allein zu ſeyn verſchmaͤht die Tulpe des Tulpenbeets,

Es ſcheut der Stern ſich, wenn es nachtet, allein zu ſeyn;

Verlaß den Stolz, der deine Seele ſo tief bethoͤrt,

Und der es fuͤr erhaben achtet, allein zu ſeyn!

IX.

Du grollſt dem Schah, weil du gebunden biſt,

Und von dir ſelber uͤberwunden biſt?

Verklage nicht das fromme Schwert der Zeit,

Wenn du der Mann der tauſend Wunden biſt!

Bezeug' uns erſt, daß nichts in dir dich hemmt,

Daß du ein Freund von allen Stunden biſt!

Sprich erſt zur Roſe, wenn ſie welk erſtirbt:

Was kuͤmmert's mich, daß du verſchwunden biſt?

Dann, Bruder, glauben wir, wie ſehr auch du

Von uns, den Freyen, den Geſunden biſt.
[92]

X.

Ja, deine Liebe flammt in meinem Buſen,

Du haſt ſie nicht verdammt in meinem Buſen,

Und weichlich ruh'n, zum Lobe dir, Geſaͤnge,

Wie Kronen auf dem Sammt, in meinem Buſen;

Der Dichtung Lanzen faſſ' ich mit einander,

Und berge ſie geſammt in meinem Buſen;

Ja, wie ein Flaͤmmchen, flackert eine Roſe,

Die noch aus Eden ſtammt, in meinem Buſen.

XI.

Duͤrft' ich doch auf alle Pfade folgen dir,

Als ein Sclave deiner Gnade folgen dir!

Duͤrft' ich von mir werfen jeder Feſſel Druck,

Ueber Land und Meer gerade folgen dir!

Duͤrft' ich, wenn dich ſtolz die ſchoͤnen Roſſe ziehn,

Gleichen deinem Wagenrade, folgen dir!

Duͤrft' ich, wenn dich ſchnell die leichte Gondel traͤgt,

Gleich dem Fiſch im Wogenbade folgen dir!

Mit den Blicken folgt die Pappel dir am Weg,

Und die Tulpen am Geſtade folgen dir!
[93]

XII.

Die Rebe ſchlingt um ihre Stange Bluͤthen;

Ich oͤffne liebend im Geſange Bluͤthen;

Die Alpenroſe ſpendet tiefgewurzelt

Noch am granitnen duͤrren Hange Bluͤthen;

Sogar im unfruchtbaren Schoos entfaltet

Des wilden Meers der Lotos bange Bluͤthen;

Zuruͤcke ſchauend in der Jugend Spiegel,

Erblick' ich ewig deiner Wange Bluͤthen.

XIII.

Du waͤhnſt ſo ſicher dich und klug zu ſeyn,

So ganz der Welt und dir genug zu ſeyn?

Doch unbefriedigt ſchien nur jedes Herz,

Und jedes Weſen, das ich frug, zu ſeyn;

Ein duftig Raͤthſel ſchien die Roſe mir,

Und jedes Blatt nur auf dem Flug zu ſeyn;

Des Baumes Schatten, unter dem ich lag,

Schien mir ein koͤſtlicher Betrug zu ſeyn;

Gehemmt in Feſſeln ſchien mein eigen Lied,

In die ich's wider Willen ſchlug, zu ſeyn.
[94]

XIV.

Du ſiehſt, wir laͤcheln deinem Hohne nur:

Was nie du faſſen wirſt, verſchone nur!

Der Kaͤfer hier beſchmuzt den reinen Quell,

Doch er ertrinkt, er hat's zum Lohne nur!

Es haͤngen Tropfen an die Tulpe ſich,

Doch ſie verſchoͤnern ihre Krone nur!

Das Schilf erklang, der Hirte ſchnitt es ab,

Als Floͤte ſcholl's mit ſuͤßerm Tone nur!

XV.

Waͤhnſt du, daß der Frommen

Haus dich aufgenommen?

Biſt du je des Zweifels

Ungethuͤm entkommen?

Biſt du je des Sehnens

Meere durchgeſchwommen?

Hat dir je den Buſen

Liebesſchmerz beklommen?

Haſt du je des Todes

Tiefen Sinn vernommen?

Biſt du, hinzuopfern

Irdiſches, entglommen?

Offen ſtehn die Thore,

Biſt du's, magſt du kommen!
[95]

XVI.

Laß dich nicht verfuͤhren von der Roſe Duͤften:

Die am vollſten wuchert, wuchert auf den Gruͤften;

Laß dich nicht verlocken vom Cypreſſenwuchſe,

Denn Gewuͤrme nagen ſeine ſchlanken Huͤften;

Staune nicht dem Felſen! Stuͤrme, Winde, Blitze,

Selbſt der Menſchen Aexte moͤgen ihn zerkluͤften;

Flehſt du zu den Sternen? Sterne ſind nur Flocken,

Die nicht ſchmelzen koͤnnen in den kalten Luͤften.

XVII.

Das Morgenroth beſchaͤmt die Nacht endlich;

Die lange Muͤh' vergilt der Schacht endlich;

Die Wolken bargen ſtets den Mond wieder,

Doch er gewann die ſchoͤne Schlacht endlich;

Es hat die Sonne gruͤne Brautperlen

Aus Wittwenthraͤnenthau gemacht endlich;

Der Samenfunke glimmt im Erdreiche,

Bis man die Tulpenflamme facht endlich!
[96]

XVIII.

Ich bin wie Leib dem Geiſt, wie Geiſt dem Leibe dir!

Ich bin wie Weib dem Mann, wie Mann dem Weibe dir!

Wen darfſt du lieben ſonſt, da von der Lippe weg

Mit ew'gen Kuͤſſen ich den Tod vertreibe dir?

Ich bin dir Roſenduft, dir Nachtigallgeſang,

Ich bin der Sonne Pfeil, des Mondes Scheibe dir!

Was willſt du noch? Was blickt die Sehnſucht noch umher?

Wirf Alles, Alles hin, du weißt, ich bleibe dir!

XIX.

Die Ruhe wohnt in deinen Zuͤgen, Freund!

Doch auch ein ſelbſtiſches Genuͤgen, Freund!

Sie kleiden ſich in ſichre Harmonie,

Uns um ſo ſichrer zu betruͤgen, Freund!

Doch ſuchen mehr wir, als die glatte Stirn,

Die keine Runzel wagt zu pfluͤgen, Freund!

Was in den Adern uns lebendig rollt,

Es ſey kein Leben, das wir luͤgen, Freund!

Kein Faͤcher ſey der ſchoͤne Fittig dir,

Er trage dich zu hohen Fluͤgen, Freund!
[97]

XX.

Wie die Lilje ſey dein Buſen offen, ohne Groll;

Aber wie die keuſche Roſe ſey er tief und voll!

Laß den Schmerz in deiner Seele wogen auf und ab,

Da ſo oft dem Quell des Leidens dein Geſang entquoll!

Peinigt dich ein Liebeskummer, ſey getroſt, o Herz!

Traurig macht verſchmaͤhte Liebe, doch begluͤckte toll;

Waͤre Daphne nicht entronnen ihres Buhlen Arm,

Welchen Kranz um ſeine Lyra ſchlaͤnge dann Apoll?

Fuͤrchte nicht zu ſterben, Guter! denn das Leben truͤgt:

Gib der Erde gern den lezten, ſchauderhaften Zoll!

Laß das welke Blatt vom Baume ſtuͤrzen in den Teich,

Weil es noch im Todestaumel ſich berauſchen ſoll!
v. Platen's Gedichte. 7
[[98]][[99]]

Der Spiegel des Hafis.

1821.


[[100]][[101]]

Zueignung.

Wenn dieſe Blumen ſich zur Krone reihen,

Die Farb' an Farbe dir das Haupt umflicht,

Magſt du mir danken bald und bald verzeihen,

Was hier gelungen oder was gebricht:

Was koͤnnte dir die Poeſie verleihen?

Du biſt mir ſelbſt ein freundliches Gedicht,

Das, wenn der Truͤbſinn oft ihn laͤhmend zuͤgelt,

Den ſchweren Muth des Dichters froh befluͤgelt.

[102]
Und waͤg' ich uns, erſcheinſt du von uns beyden

Der Kluge ſicher mir und ich der Thor:

Ich trage nur das Leben und die Leiden,

Dich aber traͤgt das Leben ſelbſt empor:

Wer nicht dich liebte, muͤßte dich beneiden,

Allein wer zoͤge nicht die Liebe vor?

Ich habe, durch dein Weſen unterrichtet,

Den Hafis nachgefuͤhlt und nachgedichtet.
[[103]]

Gaſelen.

I.
Wer haͤtte nicht, wie Schemseddin, des Weins Genuß
geliebt?

Wer hat nicht, was er muß, gehaßt, und was er muß,
geliebt?

Wir haben ſtets das volle Glas, das auf und nieder
kreiſ't,

Dabey der Rede Wechſelkampf, des Lieds Erguß geliebt;

Wir haben ſtets den Wohlgeruch im Roſenhain und ſtets

Das feuerfarbne Tulpenbeet am kuͤhlen Fluß geliebt;

Wo Maͤdchenwange ladet ein, wo Maͤdchenauge ſpaͤht,

Wer haͤtte nicht verſtohlnen Wink, verſtohlnen Kuß ge¬
liebt;

Es bleibe fern der feige Knecht, der ſchoͤne Form er¬
kannt,

Und nicht ſie mit unendlichem Gemuͤthsentſchluß geliebt!

Vor Allem lebe Hafis hoch, ſo rufe laut mir uns,

Wer unſres Liedes Anbeginn, und wer den Schluß ge¬
liebt!
[104]
II.
O ſcheue dich nicht, in Noth zu ſeyn,

Von Liebesgefahr bedroht zu ſeyn,

Auf ſchaͤumendem Meer des Gluͤcks beſtuͤrmt

Ein ſchaukelgewohntes Boot zu ſeyn!

O ſcheue dich nicht, daß nicht du biſt,

Was unſer Prophet gebot zu ſeyn!

Wie ſchoͤn, in der Wage Muſtafa's

Wenn auch nur ein leichtes Loth zu ſeyn!

Schattirungen liebt die Tulpe zwar,

Doch freut ſich die Roſe, roth zu ſeyn:

Wer ſehnte ſich nicht, um ſtets zu bluͤhn

Im Liede, wie Hafis todt zu ſeyn?
III.
O nimm die Roſen auf, und um den Becher ſchlinge,

Daß duftig ſey der Trank, gewobne Roſenringe!

Verletzen moͤgt ihr mich, ihr kalten, Liebeloſen,

Doch wenn berauſcht ich bin, eracht' ich euch geringe!

Was ihr ergruͤbeln wollt, es raubt mir nicht die Ruhe:

Geheim entſteht das Ich, geheim entſtehn die Dinge;

Doch hoͤrt, was Hafis ſpricht: Der Wein, was iſt
er? Sonne.

Die Schaale? Halber Mond. Die Sonn' im Monde
bringe!
[105]
IV.
Der Schenke ſpricht: „O ſeht, wie ſchoͤn ich prange!“

Doch Jugend, leider! bluͤht nicht allzulange!

Dein wolkenfreyes Angeſicht verklaͤret

Ein leichter Sinn, an dem ich zaͤrtlich hange;

Wie freundlich lacht das Aug' aus blonder Wimper,

Wie ſchmuͤckt der Bart ſo ſchoͤn die Tulpenwange!

Den Becher fuͤlle mir! Der Wein beſchwichtigt

Die kranke Bruſt mit ihrem wilden Drange:

Du zwingſt zu lieben dich die Welt, wie Hafis,

Euch Beyde d'rum verkuͤnd' ich im Geſange.
V.
Preiſen willſt du mich? Was kann ich geben,

Wuͤrdig kaum, zu dir emporzuſtreben?

Deiner Blicke jeder iſt ein Funken,

Der verdunkelt jeden Stern daneben;

Angefeſſelt haͤlt mich jede Locke,

Und ſo ſchleppſt du mich dir nach im Leben;

Bluͤhen moͤcht' ich dir um's Haupt, wie Roſen,

Schlingen mich um deine Knie, wie Reben;

Selig ſeyd ihr, liebende Planeten,

Ewig duͤrft ihr um die Sonne ſchweben!

Liebe wirft mir in der Seele Wogen,

Aber Hafis macht die Wogen eben.
[106]
VI.
Die Sterne ſcheinen, und Alles iſt gut,

Sie tadeln Keinen, und Alles iſt gut;

D’rum keck, o Schenke, kredenze den Wein,

Den ſuͤßen, reinen, und Alles iſt gut;

Die Sonnenaugen entflammen den Stern,

Und mich die Deinen, und Alles iſt gut;

Dein Schmeicheln, Zuͤrnen und Trotzen und Flehn,

Dein Lachen, Weinen und Alles iſt gut;

Die Welt im Großen, und du mir in ihr

Die Welt im Kleinen und Alles iſt gut;

Des Hafis Lieder, ich ruͤhme ſie laut,

Du ruͤhmſt die meinen, und Alles iſt gut.
VII.

⏓ — ⏑ — ⏑ — —, ⏓ — ⏑ — ⏑ ⏑ —


Wer ſpricht dem Traur'gen Troſt zu? Wer gibt dem
Liebenden Rath?

Verwirrung traf mein Antlitz, ſobald der Schenke genaht;

Im Weine ſuche Heil nie, wen ach! die Liebe berauſcht:

Wer nuͤchtern nicht ihr ausweicht, der flieht im Rauſche
zu ſpat.

Um Tuͤcher aus Samarkand, um Perlenſchmuck von Aden

Verhandl’ ich nicht das Staubkorn, das deine Ferſe betrat:

O denk’, ich waͤre Hafis, und reiche perlenden Wein

Mit reiner Marmorhand mir, im bunten Glas von
Agath!
[107]
VIII.
Wer wagte je, zu haſſen dich, wiewohl du ſchweigſt?

Wir kennen dich, wir faſſen dich, wiewohl du ſchweigſt:

Der ſchelm'ſche Zug um deinen Mund und um dein Aug'

Verraͤth auf allen Gaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt;

Verſtellung irrt um deine Stirn ſo liebenswerth,

Wie ſollten wir verlaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt?

Es iſt der Wein, den Hafis trinkt, gefaͤrbt wie du,

Doch Liebe macht erblaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt.
IX.
Es trillert Buͤlbuͤl fern von ihr, und Thau vergießt
die Roſe:

Dem liebſten folgen kann ſie nicht, im Boden ſprießt
die Roſe:

Ihr ſeht der Roſe ſehnend Herz und laͤchelt, ſtolze
Tulpen,

Wahr iſt's, ſie leidet viel, doch auch wie viel genießt
die Roſe!

Zwar fallen ihre Blaͤtter ab, und flattern durch den
Aether,

Doch jedes Blaͤttchen wird ein Stern, und Strahlen
ſchießt die Roſe!

Wohl euch, daß Hafis unter euch, euch ihren Schmerz
zu deuten,

Weil ihren goldnen Buſen doch vor euch verſchließt die
Roſe!
[108]
X.
Maͤdchen, ewig junge, ſchoͤner als die Sonne, wenn
es tagt,

Hat ſie doch im Paradieſe der Prophete nicht verſagt!

Wenn er euch den Wein verboten, hat er wohl bedacht,
warum?

Doch ein Thor, wer nach Geboten oder nach Verboten
fragt!

Hoͤrtet ihr die Roſe fragen, ob ſie bluͤhen darf? Sie
bluͤht;

Hoͤrtet ihr das Echo fragen, ob es klagen darf? Es
klagt;

Vom Gebirge faͤllt die Quelle, rinnt als Silberfluß
daher,

Prallt am Felſen ab und ſpruͤtzet bis zum Himmel un¬
verzagt!

Klaͤglich meßt ihr eure Schritte, weil ihr ſtrauchelt jeden
Tritt,

Doch es fuͤrchtet nicht zu fallen, wer fuͤr Alles Alles
wagt.

Staunet nicht, wenn unſer Hafis euch ein ſtetes Raͤthſel
bleibt,

Da ihr ſtets des Lebens Sorge, wie der Baͤr die Pfote,
nagt.
[109]
XI.

⏑ — ⏑ — ⏑ ⏑ — —, ⏑ — ⏑ ⏑ — ⏑ —


Du fingſt im lieblichen Trugnetz der Haare die ganze
Welt!

Als ſpiegelhaltende Sclavin gewahre die ganze Welt!

Ich ſuch' um deine Geſtalt her den Schatten des ew'gen
Seyns,

Der Segler, ſuchend was nicht iſt, umfahre die ganze
Welt!

Was taͤuſchen Jene ſo tief ſich? Enthuͤllte nur mir allein

Dein raͤthſelbannendes Antlitz die wahre, die ganze
Welt?

Der Sofi geiſele wund ſich, mich ritze die Roſe blos,

Er ſcheid' und trenne was eins iſt, ich paare die ganze
Welt;

Und was ich thue, verdank' ich dem Meiſter im Oſt
allein:

Daß ich dir huldige, Hafis, erfahre die ganze Welt!
[110]
XII.
Wißt, daß Allah jedem Ird'ſchen irgend eine Kraft
verlieh,

Keiner moͤge d'rum verſchweigen was im Buſen voll¬
gedieh!

Meine Habe ſind Gedanken, Worte ſind es, Toͤne ſind's,

Wenn ſie dir gefallen, horche! Wenn ſie dich ermuͤden,
flieh!

Einen weiß ich, moͤgt ihr Alle mich verdammen, weiß
ich doch

Wen ich tauſendmal verlezte, wer mir tauſendmal ver¬
zieh:

Sieh mich hier im Staub und ſetze deine Ferſe mir auf's
Haupt,

Mich, den lezten von den lezten deiner lezten Sclaven
ſieh!

Denn was ſoll der Stolz? Wie Hafis hab' auch ich
das Wort beherrſcht,

Doch es kommt der Tag, an dem es wiederfordert, der
es lieh.
[111]

Rubajat.

1.
Wenn ich Schenkenwangen kuͤſſe, denk' ich, waͤren's
deine nur!

Moͤchteſt du an ſeiner Stelle kommen mit dem Weine nur!

Sprich, warum, wenn auf den Straßen ich begegne dir,
warum,

Statt in's Auge mir zu blicken, blickſt du auf die Steine
nur?
2.
Habt ihr nie geſehn im Walde, daß auf truͤbem Waſſer¬
ſchlamm

Eine Lilie beſcheiden, mit unzaͤhl'gen Bluͤthen, ſchwamm?

Dieſes Volks geſchwaͤtz'ge Leere gleicht geſtand'nem, trock¬
nem Pfuhl,

Deines Weſens ew'ge Jugend iſt des Lebens gruͤner
Stamm.
3.
Da ich fuͤr des Lebens Muͤhen hab' erfleht zum Lohne dich,

Welch ein Recht erwarb die Stunde, zu verſtreichen ohne
dich?

Komm, o komm! Doch willſt du ferne bleiben, ſey auch
fern begluͤckt:

Liebe, Liebe nur umgaukle, Friede nur umwohne dich!
[112]
4.
Laͤngſt verlernt zu kaͤmpfen haͤtt' ich deinetwegen manchen
Straus,

Waͤren deine Blicke kaͤlter, deine Locken minder kraus;

Doch du biſt ein Bild im Waſſer, ohne Weſen und
Beſtand,

Wenn du auch dem Auge ſchmeichelſt, weichſt du doch
den Haͤnden aus.
5.
Freund, es ſoll auch mir die Jugend ohne Liebgekoſe
bluͤhn,

Wenn die Blumen einſt im Garten nach den Tafeln
Moſe bluͤhn;

Doch es iſt der Lenz gekommen, unſre Wege ſind ge¬
theilt:

Bluͤhe wie die keuſche Lilje, laß mich wie die Roſe
bluͤhn!
6.
Soll dein ganzes Lob geſchrieben, vom Beginn zum
Ziele, ſeyn,

Muͤſſen Paradieſesvoͤgel Spender ihrer Kiele ſeyn:

Meine Lieder, Tepp'che ſind es, die ich breite deinem
Tritt,

Doch ſie koͤnnten Baldachine, wenn es dir gefiele,
ſeyn.
[113]
7.
Komm, denn ohne dich die Seele durch den Wein erlab'
ich nicht,

Komm zu mir und nimm mein Leben, denn was Beſſ'res
hab' ich nicht!

Vor den Hufen deines Roſſes ſtreut' ich meine Lieder
aus,

Doch du ſprachſt: Auf Steinen trab' ich, uͤber Perlen
trab' ich nicht!
8.
Schilt mich ſtolz die Welt, ſo weißt du, daß ich von
den Milden bin,

Daß ich ſcheu vor dir und ſchuͤchtern gleich dem Reh,
dem wilden, bin;

Schilt ſie wortkarg mich, ſo weißt du, daß ich faͤhig
neben dir

Auch des Schoͤnſten, was die Sprache je vermocht zu
bilden, bin.
v. Platen's Gedichte. 8
[[114]][[115]]

Neue Gaselen.

1823.


[[116]][[117]]

Prolog.

Sollen namenlos uns laͤnger

Tag' um Tage ſo verſtreichen?

Kommt, verliebte Muͤſſiggaͤnger,

Trinker, kommt, die Stunden ſchleichen:

Sammelt rings euch um den Saͤnger,

Daß er ſey bey ſeines Gleichen!
Was Vernuͤnft'ge hoch verehren,

Taugte Jedem, der's verſtuͤnde;

Doch zu ſchwer ſind ihre Lehren,

Zu verborgen ihre Gruͤnde:

Sie, die von der Tugend zehren,

Ließen uͤbrig uns die Suͤnde.
[118]
Was wir fuͤhlen, was wir denken,

Halten d'rum wir im Geheimen,

Denn wer moͤcht' ein Korn verſenken,

Wenn's noch nicht vermag zu keimen?

Laßt indeß uns in den Schenken

Liebliche Gedichte reimen!
[[119]]

I.

Was heimlich oft mein Herz erfriſcht,

Wird endlich Allen aufgetiſcht:

Geſegnet werde, wer da lobt,

Geſegnet werde, wer da ziſcht!

Wo find' ich den Verſchwiegenen,

Dem nie ein raſches Wort entwiſcht?

Das Wort ſey Jedem gern vergoͤnnt,

Auch wenn er leere Halme driſcht.

Eroͤffnet er die Muſchel nie,

Was frommt's, ob Einer Perlen fiſcht?

Wer ſchilt die Roſe, wenn ihr Duft

Sich mit des Aethers Wolke miſcht?

Was ſtaunſt du, da du ziehſt den Kork,

Daß an die Decke ſpringt der Giſcht?

Das Herz iſt eine Flamme, Freund,

Sie lodert bis ſie ganz erliſcht.
[120]

II.

Kein Verſtaͤnd'ger kann zergliedern, was den Menſchen
wohlgefaͤllt:

Etwas iſt in meinen Liedern, was den Menſchen wohl¬
gefaͤllt.

Sollen eures Wortes Pfeile dringen in des Lebens Herz,

Muͤßt ihr ſie mit dem befiedern, was den Menſchen
wohlgefaͤllt.

Selbſt der Herr des achten Himmels mochte dieſe Welt
beſehn,

Mochte ſich zu dem erniedern, was den Menſchen wohl¬
gefaͤllt.

Vor dem Hochaltar des Schoͤnen, neige ſich das Gute
ſelbſt,

Was den Herzen aller Biedern, was den Menſchen
wohlgefaͤllt!

Hat uns auch der Mai verlaſſen, Jugend iſt im Winter
Mai,

Jugend zeigt in ſchoͤnen Gliedern, was den Menſchen
wohlgefaͤllt.
[121]

III.

Verdammen moͤgen hier und da der Kunſt geſtrenge
Richter mich,

Doch wer verliebt iſt und berauſcht, der haͤlt fuͤr einen
Dichter mich!

Nur daß ich alt're, fuͤhl' ich nun, da mich ein kalter
Blick verſcheucht,

Es machte ſonſt ein ſolcher Blick nur muth'ger und er¬
pichter mich;

Doch ſenken alte Wuͤnſche ſich, ſo ſteigen neue wieder
auf,

Verfolgen, wie ein Fliegenſchwarm im Sommer, immer
dichter mich;

Vermoͤcht' ich zu vertrau'n die Qual, die ſeufzend nun
im Wind zerrinnt,

So troͤſtete vielleicht ein Freund, ein redlicher und
ſchlichter, mich:

Die Guten lieb' ich allgeſammt, und horche gern der
Weiſen Rath,

Doch halt' ich freylich lieber ſtets zu luftigem Gelichter
mich.
[122]

IV.

Unter deinen Fenſterpfoſten

Sey mein Stand und ſey mein Poſten:

Ach, ich ſchweifte nur vergebens

Bald nach Weſten, bald nach Oſten!

Doch es pflegt, wie Viele ſagen,

Alte Liebe nicht zu roſten.

Suͤßeres, als deine Blicke,

Gab mir nie die Welt zu koſten:

Ewig ſende mir dein ſchwarzes

Auge ſuͤße Liebespoſten!
[123]

V.

Ich ſah vor mir dich wandeln einſt; o ſchoͤne, goldne
Tage mir,

Entfuhr auch damals manches Ach, entfuhr auch manche
Klage mir!

Es brachte jedes Luͤftchen mir aus deinen Locken ſuͤßen
Duft,

Und Rede ſtand dein blitzend Aug', ſo ſchien's, auf
meine Frage mir;

An deiner Stimme hing ich feſt, an deiner Lippen
weichem Ton:

Muſik, bey der mein Herz gehuͤpft, wo flohſt du hin,
o ſage mir!

Da mir die leeren Hoffnungen geſtoben in die leere Luft,

Der Troͤſter unberufne Schaar, wie wird ſie nun zur
Plage mir!

An einer ſchoͤnen Bruſt zu ruh'n, das iſt ein Troſt,
und das allein,

Es iſt verhaßt mein eigen Selbſt in jeder andern Lage
mir.
[124]

VI.

Schwarzes Auge, boͤſer, falſcher Dieb,

Sprich, o ſprich, wo meine Seele blieb?

Bald vergleich' ich ſolch ein Aug' der Nacht,

Bald der Sonne, die die Nacht vertrieb,

Krauſe Locke, ringle Gold in Gold,

Denn du mahnſt an junger Reben Trieb!

Lebte wohl ein Alexander je,

Der ſo ſchoͤne Knoten frech zerhieb?

Weiße Hand, verwalte Schenkenamt,

Gieb mir Wein, o gieb mir Wein, o gieb!

Was mir allzuhoch, vergaͤß' ich gern,

Aber ach, es iſt mir allzulieb!
[125]

VII.

Ein Maienathem kommt aus deinen Landen her,

Es weht ein Duft vom Ort, wo wir uns fanden, her;

Der Winter iſt ein Greis, doch ſchickt der Lenz den
Duft

Der Kraͤnze, die wir einſt als Kinder wanden, her;

Dein Angeſicht verheißt des Lenzes Wiederkunft,

Du ſchickſt mir einen Blick, den ich verſtanden, her;

Koͤnnt' ich dem Fruͤhlingshauch nicht oͤffnen meine Bruſt,

Wo naͤhm' ich ſolchen Muth in ſolchen Banden her?

Laß traͤumen uns dahin, wo bald die Rebe bluͤht,

Und, Knaben, bringt den Wein, der noch vorhanden, her!
[126]

VIII.

O Thor, wer nicht im Augenblick den wahren Augen¬
blick ergreift,

Wer, was er liebt, im Auge hat, und dennoch nach
der Seite ſchweift!

Es hat der Saͤmann ausgeſaͤt, doch frißt der Roſt die
Senſe nun,

Des Schnitters Arme ſind zu ſchlaff, was hilft es, ob
das Korn gereift?

Die welken Blaͤtter leſ't ihr auf, da ſtuͤrmiſch der
November ſauſ't,

O pfluͤcktet Bluͤthen ihr im Mai, wenn aus dem Laub
der Vogel pfeift!

Nur Der vermag, wie Titus einſt, zu rufen: Ich ge¬
wann den Tag!

Wer einen ſuͤßen Mund beruͤhrt, an einen ſchoͤnen Arm
geſtreift:

Die Lehre zwar iſt alt, ich weiß; doch hat ſie Mancher
nicht befolgt,

Deß Grab ſich nun im Lenz beroſ't, deß Grab ſich nun
im Herbſt bereift.
[127]

IX.

Der Hoffnung Schaumgebaͤude bricht zuſammen,

Wir muͤhn uns, ach! und kommen nicht zuſammen:

Mein Name klingt aus deinem Mund melodiſch,

Doch reihſt du ſelten dies Gedicht zuſammen;

Wie Sonn' und Mond uns ſtets getrennt zu halten,

Verſchworen Sitte ſich und Pflicht zuſammen,

Laß Haupt an Haupt uns lehnen, denn es taugen

Dein dunkles Haar, mein hell Geſicht zuſammen!

Doch ach! ich traͤume, denn du ziehſt von hinnen,

Eh' noch das Gluͤck uns brachte dicht zuſammen:

Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber,

O waͤren's Blumen, die man flicht zuſammen!
[128]

X.

Es liegt an eines Menſchen Schmerz, an eines Men¬
ſchen Wunde nichts,

Es kehrt an das, was Kranke quaͤlt, ſich ewig der Ge¬
ſunde nichts!

Und waͤre nicht das Leben kurz, das ſtets der Menſch
vom Menſchen erbt,

So gaͤb's Beklagenswertheres auf dieſem weiten Runde
nichts!

Einfoͤrmig ſtellt Natur ſich her, doch tauſendfoͤrmig iſt
ihr Tod,

Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten
Stunde nichts;

Und wer ſich willig nicht ergiebt dem ehrnen Looſe, das
ihm draͤut,

Der zuͤrnt in's Grab ſich rettungslos, und fuͤhlt in
deſſen Schlunde nichts.

Dies wiſſen Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag,

So komme denn, in dieſem Sinn, hinfort aus meinem
Munde nichts!

Vergeßt, daß auch die Welt betruͤgt, und daß ihr Wunſch
nur Wuͤnſche zeugt,

Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entſchluͤpfen eurer
Kunde nichts!

Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was ſie Keinem
gab,

Denn Jeder ſucht ein All zu ſeyn, und Jeder iſt im
Grunde nichts.
[129]

XI.

Den Geruch berauſcht der Flieder,

Und Jasmine duften wieder;

Und der Oſt, der kecke Freyer,

Loͤſ't den Knospen ihre Mieder:

Du allein verhuͤllſt dich ewig,

Schlaͤgſt vor mir die Augen nieder!

Blieſe doch ein Wind und legte

Das Gewand an deine Glieder!

Naͤhm' er meiner Seufzer einen

Auf ſein rauſchendes Gefieder!

O belohne deinen Sclaven,

Der ſo treu dir iſt und bieder!

Doch du ſprichſt: Begluͤck' ich jenen,

So verſtummen ſeine Lieder.
v. Platen's Gedichte. 9[130]

XII.

Oft mit banger Seele ſpiel' ich den Zerſtreuten, dir
zu Liebe,

Oft auch nehm' ich mich zuſammen vor den Leuten, dir
zu Liebe;

Oft in deiner Freunde Zirkel hab' ich angehoͤrt geduldig

Worte, welche nichts verfangen, nichts bedeuten, dir
zu Liebe;

Und damit des Lenzes Reize ſich erhoͤhn in meinen
Augen,

Denk' ich, daß ſich Flur und Garten nur erneuten dir
zu Liebe;

Auf verſchiednen Wegen haben ſich der Trunkenheit er¬
geben

Fuͤr ſich ſelbſt die Stumpfgeſinnten, die Geſcheuten dir
zu Liebe;

Laß in deinem Schatten endlich ſchlummern uns, o
ſchlanke Pappel,

Da wir nur zu lang' an Schatten uns erfreuten, dir
zu Liebe.
[131]

XIII.

Du bluͤhſt umſonſt, Natur! Die Zeiten ſind verwirrt,

Es hadern die Partei'n, und jede Waffe klirrt:

Wer achtet nun den Lenz, den uͤpp'gen Gaſt der Welt,

Der taumelnd und berauſcht nach allen Seiten irrt?

Wer blickt den Himmel an, und ſaugt die reine Luft,

Die bruͤtend uͤber uns mit leiſem Fluͤgel ſchwirrt?

D'rum ſammle ſich umher, wem noch der Lenz behagt,

Wer noch des Weins begehrt, wer noch von Liebe girrt!

Ihm hat den Schleyer nicht umſonſt geſtickt die Nacht,

Und nicht umſonſt der Tag die Zelter angeſchirrt.
[132]

XIV.

⏑ — ⏑ — ⏑ — ⏑, ⏑ — ⏑ — ⏑


Den Zehnten gibt die Roſe von ihrem Golde,

Da bieten Kelch und Faͤcher die Bluͤth' und Dolde:

Behalte dieſen, faͤchle die feuchte Stirne,

Fuͤr Freunde fuͤlle jenen, fuͤr Trunkenbolde!

Der Traubenhyacinthus bewegt die Glocken,

Da ſchmuͤckt ſich weiß die Lilje zum Feſt, die holde;

Das Licht verſchenkt die Farben, wie Band und Orden,

Daß Tulpe ſich verbraͤme, ſich Lack vergolde:

Damit Natur im Lenze ſich ſelbſt genieße,

Ernaͤhrt ſie einen Dichter in ihrem Solde.
[133]

XV.

Mit Manchen taͤndelt' ich ſo manche Zeit hinweg,

Doch du biſt allzuſchoͤn, dich wuͤnſcht' ich weit hinweg!

Denn, wie zu gut ich weiß, ſobald die Liebe naht,

So flieht die ſchelmiſche Gelegenheit hinweg!

Wer ſtand gefuͤhlbegabt dir gegenuͤber je,

Und ſchlug die Augen auf, und ging befreit hinweg?

Auch Andre find' ich ſchoͤn, doch hebſt du, wenn du
kommſt,

Mich uͤber jede Wahl und jeden Streit hinweg!

Wenn je ſich in dein Haar verwickelt meine Hand,

So fuͤhre mich der Tod, ich bin bereit, hinweg!
[134]

XVI.

O Zeit, in der ich raſtete,

In der mich nichts belaſtete,

In der ich noch ſo wohlgemuth,

Am Tiſch der Ruhe gaſtete!

In der ich nicht nach falſcher Gunſt

Mit eil'gen Schritten haſtete!

Du flohſt, es rette mich das Gluͤck,

Da's weiß, wie lang ich faſtete,

Wie lang' ich keine ſchoͤne Hand

Mit meiner Hand betaſtete!
[135]

XVII.

Wie doch ſogleich im Werthe der Preis der Dinge
faͤllt,

Wenn deine goldne Locke in tauſend Ringe faͤllt!

Begluͤckt, wer einzuathmen der Locken Duft vermag,

Begluͤckter, wer gefangen in ihre Schlinge faͤllt!

Allmaͤchtig iſt dein Auge, doch iſt es ein Tyrann,

Vor dem der Große zittert und der Geringe faͤllt.

Du weilſt als Stern am Himmel, indeß als Schnuppe
ſtets

Was ſonſt ich vor das Auge der Seele bringe, faͤllt.

Du wohnſt ſo hoch und ferne, daß eh' er dich erreicht,

Dem Falken des Verlangens die matte Schwinge faͤllt!
[136]

XVIII.

Die Fuͤlle dieſes Lebens erfuͤllt mich oft mit Schrecken,

Als fielen alle Sterne vom Himmel, mich zu decken:

Es reizt die Welt mein Auge durch tauſend praͤcht'ge
Formen,

Wo ſoll vor dieſem Drange, wie Saul, ich mich ver¬
ſtecken?

Des Forſchens Labyrinthe! Der Kunſt Geſtaltenzauber!

Der Voͤlker That und Sage! Der Laͤnder ſchoͤne Strecken!

Auf meinem Buſen laſtet unendliche Begierde

Nach jenen Schaͤtzen allen, die Lieb' und Luſt erwecken!

So waͤr' ich laͤngſt erlegen; doch meine Blicke ſollten

In Einen Punkt verdichtet des Schoͤnen All entdecken:

Seitdem du mir erſchienen, entſagt' ich dieſem Schweifen

Nach allen Himmelswinkeln, nach allen Erdenecken.

Es dampft der Quell der Jugend vom Fels im Wirbel¬
ſtaube,

Bis friedlich ihn und ſilbern umfaͤngt der Liebe Becken.
[137]

XIX.

Hab' ich doch Verluſt in Allem, was ich je gewann,
ertragen;

Aber glaubet mir, das Leben laͤßt ſich dann und wann
ertragen!

Zwar des Leidens ganze Buͤrde riß mich oft ſchon halb
zu Boden,

Doch ich hab' es immer wieder, wenn ich mich beſann,
ertragen:

Mir geziemt der volle Becher, mir der volle Klang der
Lauten,

Denn den vollen Schmerz des Lebens hab' ich als ein
Mann ertragen!

Doch nun fuͤhl' ich, wie auf Fitt'gen, bis zum Himmel
mich gehoben,

Denn es lehrte mich das Leben, daß man Alles kann
ertragen!

Und es oͤffnet gegen Alle ſich das Herz in reiner Liebe,

Und ich will ſo gern mit Allen dieſes Lebens Bann er¬
tragen:

Schließt den Kreis und leert die Flaſchen, dieſe Som¬
mernaͤchte feyernd,

Schlimmre Zeiten werden kommen, die wir auch ſodann
ertragen.
[138]

XX.

Es laͤchelt, voll von Milde, mir manches Angeſicht,

Doch alles iſt vergebens, ihr Alle ſeyd es nicht!

Ihr blauen Augen werdet nie meine Sterne ſeyn,

Ein ſchwarzes Auge weiß ich, aus dieſem ſaug' ich Licht.

Ein hartes Wort befuͤrcht' ich von deinem ſproͤden Mund,

D'rum laß die Lippe ſchweigen, ſo lang das Auge ſpricht!

Die Sonne waͤrmet Steine, wie ſollte nicht dein Aug'

Ein Herz erwaͤrmen, dem es an Waͤrme nie gebricht?

Doch rath' ich dir, vertraue dem Geiſte nicht zu ſehr,

Der, fluͤcht'ger als die Roſe, nur fluͤcht'ge Bande flicht;

Der gern erproben moͤchte die ganze Welt umher,

Dem nach ſo viel geluͤſtet, den ach! ſo viel beſticht.

Allein was ſag' ich? Flehen um Liebe ſollt' ich dich,

Denn dich vor mir zu warnen, iſt uͤber meine Pflicht!

Mein leichtes Weſen haͤtte ſich laͤngſt, wie Spreu, zer¬
ſtreut,

Doch Schmerz um deine Liebe verleiht mir noch Gewicht.
[139]

XXI.

Die Zeiten, wo das Liebchen nah', ſie gehn, ihr wißt
nicht wie, herum;

Doch jene Zeiten, wenn es fern, o ſagt, wie bringt
ihr die herum?

Wenn ihr ein Lied zu ſingen denkt, ſo ſingt ein regel¬
rechtes Lied,

Das meine ſchwankt am Gaͤngelband der loſen Phantaſie
herum.

Ein Nebenbuhler hatte ſchon entzogen mir dies ſchoͤne
Bild,

Doch bracht' ich wieder es zu mir, wiewohl er mich be¬
ſchrie, herum;

Ich hoͤre hoffend ſchon voraus, wie mich dein erſtes Du
begruͤßt,

O waͤre ſchon die bange Zeit, und dieſes ſtolze Sie
herum!

Es windet ſich der Liebe Geiſt um deiner Glieder Eben¬
maß,

Wie um die Worte des Geſangs die weiche Melodie
herum!

Wann liegt mein Haupt auf deinem Schooß, indem ſich
mein verwegner Arm

Um deine ſchlanke Huͤfte ſchlingt, und um dein ſchoͤnes
Knie herum?
[140]

XXII.

Jahre ſchwanden, dieſer Buſen iſt von Liebe rein ge¬
weſen,

Was ihn wieder hat befangen, iſt ein Becher Wein ge¬
weſen:

Fruͤhlingshauch aus goldnen Locken lockte mich in ehr'ne
Bande,

Denn ihr Anbeginn iſt Irrthum, und ihr Ende Pein
geweſen:

An bemalten Schaugerichten wollt' ich meinen Hunger
ſtillen,

Aber was mir Brod geſchienen iſt ein kalter Stein ge¬
weſen:

Gold und Silber wollt' ich foͤrdern auf im Traum ge¬
ſeh'nen Plaͤtzen,

Aber was ich ausgegraben iſt ein morſch Gebein geweſen.

Will mich dennoch, aus der Ferne, deine Huld und
Milde ſegnen,

Soll mir theurer ſeyn die Trennung, als es der Verein
geweſen;

Flatterſinnig, unbeſtaͤndig ließ ich zwar das Auge ſchweifen,

Doch es iſt das Herz im Stillen, ganz im Stillen, dein
geweſen:

Was zu dir mich hingezogen, war Geſchick und Gegenliebe,

Was an Jene mich gefeſſelt, iſt ein falſcher Schein ge¬
weſen:

Richte nicht zu ſtreng die Lieder, die ich nicht an dich
gerichtet,

Freylich, ſolcher Lieder wuͤrdig waͤrſt du ganz allein ge¬
weſen!
[141]

XXIII.

Wie, du fragſt, warum dein Wohlgefallen

Mich erwaͤhlt, umſchloſſen haͤlt vor Allen?

Fragſt, warum zu mir, dem Fernen, pilgernd

Deine heimlichſten Gedanken wallen?

Weiß ich's ſelbſt? Vermag ich's ſelbſt zu deuten,

Welch ein ſchoͤner Wahn dich uͤberfallen?

Glaubſt du nicht, es ſey mein Herz die Zither,

Deren Saiten allgemach verhallen?

Fuͤhlſt du nicht, daß dieſe leichten Lieder

Sterblich ſeyen, wie die Nachtigallen?

Giebſt du dich fuͤr mich? Du gleichſt dem Wilden,

Eitlen Tand erkaufend mit Metallen.
[142]

XXIV.

Weiß ich, wohin ich noch gezogen werde.

Und ob von euch ich nicht betrogen werde?

Ich ſtaune, daß ich, da mein Lenz entwichen,

Vom Bluͤthenſtaub noch uͤberflogen werde;

Ich zweifelte, da ich geſpielt den Kalten,

Ob ein Gemuͤth mir noch gewogen werde?

Doch weiß ich euch kein ſuͤß Geſchwaͤtz zu bieten,

Das uns zu zaͤrtlichen Eklogen werde:

Zum Himmel trozt mein Lebensbaum und harret,

Ob er zur Laube noch gebogen werde;

Wer meiner Fahrt Gefaͤhrte, ſey gewaͤrtig,

Daß er ein Spiel der falſchen Wogen werde!
[143]

XXV.

Iſt's moͤglich, ein Geſchoͤpf in der Natur zu ſeyn,

Und ſtets und wiederum auf falſcher Spur zu ſeyn?

Ward nicht dieſelbe Kraft, die dort im Sterne flammt,

Beſtimmt als Roſe hier die Zier der Flur zu ſeyn?

Was ſeufzt ihr euch zuruͤck in's ſonſt'ge Paradies,

Um wie das Sonnenlicht verklaͤrt und pur zu ſeyn?

Was wuͤnſcht ihr ſchmerzbewegt euch bald im Erden¬
ſchooß,

Und uͤber Wolken bald und im Azur zu ſeyn?

Was forſcht ihr fruͤh und ſpat dem Quell des Uebels
nach,

Das doch kein andres iſt, als Kreatur zu ſeyn?

Sich ſelbſt zu ſchau'n, erſchuf der Ewige das All,

Das iſt der Schmerz des All's, ein Spiegel nur zu
ſeyn!
[144]

XXVI.

Ich trat die Straße der Gefahren an,

Sie reihen ſich zu ganzen Schaaren an!

Als Unerfahrner ward ich eingeſchifft,

Und kam im Hafen unerfahren an!

Wenn du beſuchen willſt der Liebe Markt,

So triffſt du ſtets von meinen Waaren an;

Vertroͤdelt hab' ich fruͤherhin das Herz,

D'rum fing ich ſpaͤterhin zu ſparen an.

O Gluͤck, wenn je du kommſt, ſo thu' es jezt,

Du triffſt mich noch bey jungen Jahren an!
[145]

XXVII.

Immer haͤlt die Verliebten wach

Manches Entzuͤcken und manches Ach;

Ohne zu ſchwindeln ergehn ſie ſich

Mitten im Schlafe von Dach zu Dach.

Wandelt geſchwinde des Wunſches Weg,

Doch in der Naͤhe des Ziels gemach!

Wenn ihr den Gipfel erklommen waͤhnt,

Oeffnen ſich graͤßliche Schluͤnde jach.

Freunde, mir iſt die Vernunft zu ſchwer,

Aber die Liebe, das iſt mein Fach!
v. Platen's Gedichte. 10[146]

XXVIII.

Aus allen Feſſeln wand mein Geiſt behende ſich,

Denn liebend ſchlingt mein Arm um deine Lende ſich!

Wo faͤnde Muth das Herz, ſich karg zuruͤckzuziehn,

Es gebe ganz ſich hin, und es verſchwende ſich!

Der Lenz der Liebe tritt hervor, und das Geſetz

Es neigt, dem Winter gleich, zu ſeinem Ende ſich:

Der Eine bete dich, wie ſeine Heil'gen, an,

Der Andre kniee fromm vor eine Blende ſich!

Dem Strengen goͤnnen wir, zu werden was er ſoll,

Doch auch des Freyen Geiſt, o Freund, vollende ſich!
[147]

XXIX.

Ich bedurfte, deine Liebe zu gewinnen, heut und morgen,

D'rum, o Freunde, laßt vergebens nicht verrinnen heut
und morgen!

Heut und morgen iſt die Summe dieſes allzukurzen
Lebens,

Und wie ſchnell, wir wiſſen's Alle, gehn von hinnen
heut und morgen!

Im topas'nen Kelch der Tulpe ſchwelgt der Thau als
Silbertropfen,

Doch ihn laͤßt das Gold der Sonne nicht darinnen heut
und morgen;

Ein'ge Blaͤtter aus den Roſen hat ein Wind davon ge¬
tragen,

Und er wird ſie ganz entfuͤhren, fuͤrcht' ich, binnen heut
und morgen!

Laß den Trank im Becher ſteigen, denn der Wein des
Morgenrothes

Quillt empor bis an der Berge hohe Zinnen heut und
morgen!
[148]

XXX.

Koͤnnt' ich ſpielen eine Laute,

Wuͤßt' ich, wem ich mich vertraute:

Vor dein Fenſter wuͤrd' ich treten,

Koͤnnt' ich blaſen auf der Flaute;

Worte ſcheinen mir ſo nuͤchtern,

Daß mir oft vor ihnen graute!

Worte hoͤrt man nicht von Ferne

Wie die ſuͤßen Floͤtenlaute;

Dennoch ſoll die Welt erfahren

Was ich Holdes an dir ſchaute:

Schwarzes Auge! Goldne Locken!

Uepp'ge Glieder, ſchoͤngebaute!

Nach dem Vließe deiner Locken

Faͤhrt mein Herz als Argonaute.
[149]

XXXI.

Wenn ich nur minutenlange deines Blicks genoſſen
haͤtte,

Wuͤnſcht' ich, daß die Liebesleiter keine hoͤh're Sproſſen
haͤtte!

Denn was muͤßte Der empfinden, der an deinen Lippen
athmend

Dieſe ſchoͤnen, keuſchen Formen jugendlich umſchloſſen
haͤtte?

Freudetrunken dir am Buſen wuͤrd' ich bruͤnſtig weinen
lernen,

Wenn ich nicht, doch nicht aus Freude, Thraͤnen ſchon
vergoſſen haͤtte;

Wenn ich nun erkuͤhnt mich haͤtte, leiſe dir die Hand
zu druͤcken,

Gar zu gerne moͤcht' ich wiſſen, ob es dich verdroſſen
haͤtte?

Wuͤnſchen nicht, wir ſollen wagen; denn wie leicht iſt's,
blos zu ſagen:

Fliegen wuͤrd' ich, wenn ich Fluͤgel, ſchwimmen, wenn
ich Floſſen haͤtte!

Sittenzwang und Formelweſen haͤtten laͤngſt die Welt
verkuͤmmert,

Wenn ſich nicht Geſang zuweilen durch die Welt ergoſſen
haͤtte.
[150]

XXXII.

Schuͤchtern war die Seele, war erſchrocken ſonſt,

Kam bey jedem Schritte faſt in's Stocken ſonſt;

Sie, die nun im Aether ihre Schwinge wiegt,

Ließ in tauſend Netze ſich verlocken ſonſt;

Sie, die nun die Hydra der Begier erlegt,

Saß in Weiberroͤcken vor dem Rocken ſonſt;

Gegenuͤber einem Angeſicht wie deins

War ich nicht ſo froſtig, nicht ſo trocken ſonſt;

Aber neu verfuͤhren wirſt du mein Gemuͤth,

Denn was wollen anders deine Locken ſonſt?
[151]

XXXIII.

Dir ja nicht allein vor Allen, ich entſage lange ſchon,

Und ein ſtiller Gram vergiftet meine Tage lange ſchon:

Seufzer floh'n und Thraͤnen floſſen, was noch heiſcht die
Welt und du?

Zeugniß gab von meinem Leben meine Klage lange ſchon.

Nicht das kleinſte Liebeszeichen gabſt du mir, ich lauſch'
umſonſt,

Leſe dir umſonſt im Auge, forſch' und frage lange ſchon!

Aber nein! Ein leiſes Etwas, nenn' ich Wink es oder
Gruß,

Weht von dir zu mir und lindert unſre Plage lange
ſchon.

Doch was frommt's? Es trennt uns Alles, Sprach' und
Sitte, Raum und Zeit,

Wandern in die Ferne muß ich, und ich zage lange
ſchon!
[152]

XXXIV.

Was giebt dem Freund, was giebt dem Dichter ſeine
Weihe?

Daß ohne Ruͤckhalt er ſein ganzes Selbſt verleihe:

Erleuchten ſoll er klar der Seele tiefſte Winkel,

Ob auch ein Tadler ihn verlorner Wuͤrde zeihe.

Ihr Halben hofft umſonſt, mit enger Furcht im Herzen,

Daß euer Lied man einſt zu großen Liedern reihe:

Stumpfſinnige, was waͤhnt ihr rein zu ſeyn? Ich hoͤrte,

Daß keine Schuld ſo ſehr, als ſolch ein Sinn entweihe;

Ich fuͤhlte, daß die Schuld, die uns aus Eden bannte

Schwungfedern uns zum Flug nach hoͤhern Himmeln
leihe.

Noch bin ich nicht ſo bleich, daß ich der Schminke
brauchte,

Es kenne mich die Welt, auf daß ſie mir verzeihe!
[153]

XXXV.

Es ſchmuͤckt mit zarter Decke kaum

Das junge, neue Laub den Baum:

So gruͤnt um deine Wange rings

Der friſche, dunkle, weiche Flaum;

Fuͤr ſchoͤne Weiber waͤr's ein Gluͤck,

Nur zu beruͤhren deinen Saum!

Doch warfſt du deinem Nacken um

Der reinen, keuſchen Sitte Zaum.

O bringe Wein und komm zu mir,

Im hohen Graſe hier iſt Raum!

Es letze deiner Zunge Wort

Das Ohr mir und der Wein den Gaum;

Der Rauſch erhoͤht die Wange dir,

Laß ſteigen dir zu Kopf den Schaum!

Laß hier uns traͤumen, Arm in Arm,

Der Jugend kurzen Morgentraum!
[154]

XXXVI.

Da, wie faſt ich es vermuthe, deine Liebe lau ge¬
worden,

Fuͤrcht' ich, daß die braune Scheitel uͤber Nacht mir grau
geworden!

Geizeſt du mit Augenblicken, die mir mehr als dir ge¬
hoͤren?

Biſt du, lieblicher Verſchwender, ploͤtzlich ſo genau ge¬
worden?

Haben deiner Treue Roſen ſich als Dorn den Stolz er¬
leſen?

Sind der Liebesgoͤttin Tauben wie der Juno Pfau ge¬
worden?

Wenn dich Weiber mir geſtohlen, werden ſie ſo lang dich
feſſeln,

Bis der Tempel deiner Glieder ein zerſtoͤrter Bau ge¬
worden?

Oder willſt du blos mich locken, den du laͤngſt im Netz
gefangen,

O ſo lohnt ſich's nicht der Muͤhe, daß du kalt und ſchlau
geworden!
[155]

XXXVII.

Das vermag ich nicht zu ſagen, ob die Zeit dich mir
entriß;

Aber daß du ſchoͤn geblieben, wie du warſt, das iſt ge¬
wiß!

Wenn im bruͤderlichen Zirkel andrer Juͤnglinge du ſtehſt,

O ſo ſtehſt du wie der Morgen zwiſchen Grau'n und
Finſterniß!

Nur vergeb'ne Muͤhe war es, um zu retten mich vor
dir,

Daß ich Andre ſchoͤn zu finden uͤber Alles mich befliß!

Doch in eines Stolzen Banden ſich zu wiſſen, iſt ſo
hart,

Daß ich oft, ergrimmt und trotzig, in die falſche Kette
biß:

Grauſam iſt es, Trank und Speiſe meiner Lippe zu
entziehn,

Und dabey mir Gluͤck zu wuͤnſchen, und zu ſagen: Trink'
und iß!
[156]

XXXVIII.

O Thor, wer nicht des Gluͤcks geheimem Winke folgt,

Und nicht dem Floͤtenton, dem Ton der Zinke folgt!

Wer, ohne Tanz und Scherz, der alternden Vernunft,

Wohin auch ſchleiche ſie, wohin ſie hinke, folgt!

Kurz iſt der Lenz, es ging das Veilchen keuſch voran,

Die Roſe, die ſich malt mit eitler Schminke, folgt:

Kurz iſt das Gluͤck, da ſtets der Freude die Gefahr,

So wie dem rechten Fuß ſogleich der linke folgt;

Doch naht auch ſelbſt ein Tag, der wahre Gunſt verleiht,

Der Traͤge bleibt zuruͤck, und nur der Flinke folgt.
[157]

XXXIX.

⏑ — ⏑ — ⏑ — —, ⏑ — ⏑ ⏑ — ⏑ —


Herein, ergreift das Kelchglas! Was ließe ſich weiter
thun?

Was etwa duͤrft ihr ſonſt noch, o meine Begleiter,
thun?

Ihr ruͤckt mir nur mit Unrecht ein muͤſſiges Treiben
vor,

Denn da das Schiff zu Grund ging, was ſollen die
Scheiter thun?

Ich weiß ein Volk, das ehemals zum Muſter gedient
der Welt,

Was wollt' ich, waͤr's ein Volk noch, als Ritter und
Streiter thun!

Doch greif' ich zum Pokal nun, und uͤbe Geſang, und
will,

Was hart und unabweisbar, gefaͤllig und heiter thun!

Den Himmel, wenn an's Herz euch ich druͤcke, begehr'
ich nicht,

Was ſollt' ich, waͤr' ich Jakob, mit Staffel und Leiter
thun?
[158]

XL.

Der Trommel folgt' ich manchen Tag, und an den
Hoͤfen lebt' ich auch,

Erfahren hab' ich dies und das, und das und dies er¬
ſtrebt' ich auch;

Es zog der ungeſtillte Geiſt mich wandernd oft im Land
umher,

Und wieder ſtille ſaß ich dann, und an den Buͤchern
klebt' ich auch;

Verglommen iſt die Hitze halb, die junge Seelen ganz
erfuͤllt,

Denn oft verzehrte mich der Haß, und vor der Liebe
bebt' ich auch;

Doch ſchien ich mir zu nichts beſtimmt, als nur das
Schoͤne weit und breit

Zu kroͤnen durch erhabnes Lob, und ſolche Kronen webt'
ich auch;

Was kuͤnftig mir beſchieden ſey, verkuͤnde kein Orakel
mir,

Denn dieſer Sorg' und Bangigkeit um Kuͤnftiges ent¬
ſchwebt' ich auch.
[159]

XLI.

Er, deſſen Sinn durch Schoͤnes nicht anzufachen iſt,

Er iſt's, fuͤr den die Erde der Hoͤlle Rachen iſt:

Der ew'gen Schoͤnheit Athem beſeelt den Leib der Zeit,

Der ohne ſie ein Haufen von todten Sachen iſt!

Wer, ohne ſie, noch moͤchte beſtehn in einer Welt,

Die, wenn auch reich an Schaͤtzen, es auch an Drachen iſt.

O ſelig, wer im Herzen ein ſchoͤnes Bild erkor,

Bey dem es ſuͤß zu ſchlummern, und ſuͤß zu wachen iſt!

In deſſen Augen Seele, in deſſen Gliedern Maß,

Und deſſen Thraͤne lieblich wie deſſen Lachen iſt!

Mir bleibt das Schoͤne ferne, der ich es ſtets beſang:

Sprich, Weiſer, was in Faͤllen, wie der, zu machen iſt?

Es ſteuert nach dem Hafen des Gluͤcks mein Herz um¬
ſonſt,

Das auf dem Meer der Liebe der kleinſte Nachen iſt!
[160]

XLII.

Die Ketten ſtreift' ich ab, und warf die Seile weg,

Und wandte mich vom Tand der Welt in Eile weg!

Von froſt'ger Nuͤchternheit, von gruͤbelnder Vernunft,

Wie ſehn' ich mich davon, aus langer Weile, weg!

Sagt ihr mir Schlimmes nach, ſo ſagt' ich's im Voraus,

Und nahm euch dieſen Ruhm zum beſten Theile weg:

Ich zoͤge gern den Weg, den eure Tugend bahnt,

Doch blieb ich ſtets davon um eine Meile weg;

Denn wer zur Scheibe ſich, zum Ziel die Sonne waͤhlt,

Der ſendet ſtets umſonſt die leichten Pfeile weg!

Nun aber, Dichter, ſchweig und laß der Welt den Lauf,

Und was ihr nicht behagt, vertilge, feile weg!
[161]

XLIII.

Dieſe weichlichen Geſaͤnge, die ich hier zuſammen flocht

Wenn ſie auch die Strenge tadelt, hat's die Liebe je
vermocht?

Laßt das ſchelmiſche Getaͤndel ſchmeicheln ſich in eure
Bruſt,

Moͤge der Verſtand es ſchelten, wenn das Herz euch nur
gepocht!

Dachtet ihr an weiſe Lehren, wenn das Liebchen euch
umſchlang?

Fragtet ihr um Rath die Sitte, wenn ihr an den Roſen
rocht?

Andre Gaben wuͤrd' ich pflegen, wenn ſie mir das Loos
ertheilt,

Doch nur Schoͤnes ſezt in Flammen meines Lebens
ſchwanken Docht;

Denn mir ward ein Sinn gegeben, den ich ſelbſt mir
nicht verlieh,

Stolz und trotzig gegen Alles, doch vom Schoͤnen unter¬
jocht:

Das nur iſt es, was mich feſſelt, ob ich wandle durch
den Hain,

Ob mir holde Blicke laͤcheln, ob der Wein im Becher
kocht!

Das nur iſt's, wofuͤr ich athme, das nur, was mich
treu bewahrt,

Wenn ich liebender Entſagung ehrenvolle Kaͤmpfe focht.
v. Platen's Gedichte. 11[162]

XLIV.

Fruͤh und viel zu fruͤhe trat ich in die Zeit mit Ton
und Klang,

Und ſie konnten kaum empfinden, was dem Buſen kaum
entſprang:

Nicht den Geiſt, der ſcharf und ſicher in des Lebens
Auge blickt,

Nicht die zarten Klagelaute jener Seele voll Geſang!

Kalt und ahnungslos und ſchweigend, ja mit Hohn
empfing ſie mich,

Waͤhrend ſie um niedre Stirnen ihre ſchnoͤden Zweige
ſchlang!

Mir indeſſen, dem's im Buſen thatenſchwanger wuͤhlte,
gohr,

Diente ſelbſt der Scherz als Maske, wenn ich tiefe
Schmerzen ſang;

Doch getroſt! Vielleicht nach Jahren, wenn den Koͤrper
Erde deckt,

Wird mein Schatte glaͤnzend wandeln dieſes deutſche
Volk entlang.
[163]

Epilog.

Gern gehorcht des Herzens Trieben

Wer ein heitres Leben lebet:

Manches iſt ihm ausgeblieben,

Doch er hoffet, doch er ſtrebet,

Doch er hoͤrt nicht auf zu lieben!
Denn kein Schiffer ſoll verzagen,

Hat ihn auch die Flut betrogen:

Was er will, das muß er wagen,

Und er goͤnnt ſein Schiff den Wogen,

Und er weiß, ſie werden tragen.
Was am Hoͤchſten oft erhoben,

Lockt am Kuͤhnſten die Verwegnen,

Die ſich das Verſagte loben,

Und ſie muͤſſen ihm begegnen,

Und ſie muͤſſen es erproben!
Wenn ihr ſuchet ohne Wanken

Was das Leben kann erfriſchen,

Bleiben jung euch die Gedanken;

Weil ſie ewig jung nur zwiſchen

Hoffen und Erfuͤllen ſchwanken.
[164]
Moͤgt ihr dieſen Sinn bewahren,

Die ihr ſtille Wuͤnſche traget,

Trotz Beſchwerden, trotz Gefahren:

Wenn das Leben was verſaget,

Muͤßt ihr's fruͤh genug erfahren!
Was uns Der und Jener zeiget,

Laßt uns dem das Ohr verſtopfen,

Bis das Herz im Buſen ſchweiget;

Denn beginnt das Herz zu klopfen,

Weiß es wohl, wohin ſich's neiget!
[[165]]

Drittes Buch.

[[166]]
Wenn du ganz dich fuͤhlſt zerriſſen,

Nichts der Welt mehr nimmſt und giebſt,

Theile noch den lezten Biſſen

Mit dem Einz'gen, den du liebſt!
[[167]]

Sonette.

[[168]][[169]]

I.

Entled'ge dich von jenen Ketten allen,

Die gutgemuthet du bisher getragen,

Und wolle nicht, mit kindiſchem Verzagen,

Der ſchnoͤden Mittelmaͤßigkeit gefallen!
Und mag die Bosheit auch die Faͤuſte ballen,

Noch athmen Seelen, welche keck es wagen,

Lebendig, wie die deinige, zu ſchlagen,

D'rum laß die friſchen Lieder nur erſchallen!
Geſchwaͤtz'gen Krittlern goͤnne du die Kleinheit,

Bald dies und das zu tadeln und zu loben,

Und nie zu faſſen eines Geiſtes Einheit.
Ihr kurzer Groll wird allgemach vertoben,

Du aber ſchuͤttelſt ab des Tags Gemeinheit,

Wenn dich der heil'ge Rhythmus traͤgt nach oben.
[170]

II.

Sonette dichtete mit edlem Feuer

Ein Mann, der willig trug der Liebe Kette,

Er ſang ſie der vergoͤtterten Laurette,

Im Leben ihm und nach dem Leben theuer.
Und alſo ſang auch manches Abenteuer,

In ſchmelzend muſikaliſchem Sonette,

Ein Held, der einſt durch wildes Wogenbette

Mit ſeinem Liede ſchwamm, als ſeinem Steuer.
Der Deutſche hat ſich beygeſellt, ein Dritter,

Dem Florentiner und dem Portugieſen,

Und ſang geharniſchte fuͤr kuͤhne Ritter.
Auf dieſe folg' ich, die ſich groß erwieſen,

Nur wie ein Aehrenleſer folgt dem Schnitter,

Denn nicht als Vierter wag' ich mich zu dieſen.
[171]

III.
Das Sonett an Goethe.

Dich ſelbſt, Gewalt'ger, den ich noch vor Jahren

Mein tiefes Weſen witzig ſah verneinen,

Dich ſelbſt nun zaͤhl' ich heute zu den Meinen,

Zu Denen, welche meine Gunſt erfahren.
Denn wer durchdrungen iſt vom innig Wahren,

Dem muß die Form ſich unbewußt vereinen,

Und was dem Stuͤmper mag gefaͤhrlich ſcheinen,

Das muß den Meiſter goͤttlich offenbaren.
Wem Kraft und Fuͤlle tief im Buſen keimen,

Das Wort beherrſcht er mit gerechtem Stolze,

Bewegt ſich leicht, wenn auch in ſchweren Reimen.
Er ſchneidet ſich des Liedes fluͤcht'ge Bolze

Gewandt und ſicher, ohne je zu leimen,

Und was er fertigt, iſt aus ganzem Holze.
[172]

IV.
Shakeſpear in ſeinen Sonetten.

Du ziehſt bey jedem Loos die beſte Nummer,

Denn wer, wie du, vermag ſo tief zu dringen

In's tiefſte Herz? Wenn du beginnſt zu ſingen,

Verſtummen wir als klaͤgliche Verſtummer.
Nicht Maͤdchenlaunen ſtoͤrten deinen Schlummer,

Doch ſtets um Freundſchaft ſehn wir warm dich ringen:

Dein Freund errettet dich aus Weiberſchlingen,

Und ſeine Schoͤnheit iſt dein Ruhm und Kummer.
Bis auf die Sorgen, die fuͤr ihn dich nagen,

Erhebſt du Alles zur Apotheoſe,

Bis auf den Schmerz, den er dich laͤßt ertragen!
Wie ſehr dich kraͤnken mag der Seelenloſe,

Du laͤſſeſt nie von ihm, und ſiehſt mit Klagen

Den Wurm des Laſters in der ſchoͤnſten Roſe.
[173]

V.
Sophokles.

Dir iſt's, o frommer Sophokles, gelungen,

Den Punkt zu ſchau'n, wo Menſch und Gott ſich ſcheidet,

Und was in ird'ſche Worte du gekleidet,

Das ward, vom Himmel aus, dir vorgeſungen!
Du biſt in's Innre dieſer Welt gedrungen

Und kennſt zugleich, was auf der Flaͤche weidet:

Was nur ein Menſchenbuſen hofft und leidet,

Du ſprachſt es aus mit deinen tauſend Zungen!
Nie biſt du kuͤhl zur Nuͤchternheit verſunken,

Du ſpruͤhteſt in erhabener Verſchwendung

Der goldnen Flamme lichte, dichte Funken!
An dich erging die heil'ge, große Sendung,

Du haſt den Rauſch der Poeſie getrunken,

Und ſchimmerſt nun in ſtrahlender Vollendung!
[174]

VI.
An Schelling.*)

Gebeut nicht auch im Koͤnigreich des Schoͤnen,

Wer immer Koͤnig iſt im Reich des Wahren?

Du ſiehſt ſie beyde ſich im Hoͤchſten paaren,

Gleich in einander wie verlornen Toͤnen.
Du wirſt die kleine Gabe nicht verhoͤhnen,

Wirſt dieſe morgenlaͤndiſch bunten Schaaren

In ihrer Bilderfuͤlle gern gewahren,

Und gerne dich an ihren Klang gewoͤhnen.
Zwar auf den Bluͤthen eines fernen Landes

Schweb' ich nur fluͤchtig, gleich dem Schmetterlinge,

Vielleicht genießend eines eitlen Tandes.
Du aber tauchſt die heil'ge Bienenſchwinge

Herab vom Saum des Weltenblumenrandes

In das geheimnißvolle Wie der Dinge.
[175]

VII.
An F. v. B.*)

Die ſchoͤne Schickung, welcher Lob gebuͤhret

Fuͤr dieſes Lebens Herrlichſtes und Meiſtes,

Sie hat hieher in unſer unbereiſtes,

Beſcheidnes Staͤdtchen dich, o Freund, gefuͤhret.
Die ſchoͤne Sehnſucht, welche du verſpuͤret,

Ein Hoͤchſtes fruͤhe zu verſtehn und Freyſtes,

Hat auf die Spuren jenes großen Geiſtes

Dich hergefuͤhrt, der alle Welt beruͤhret.
Du haſſeſt Alle, die nur Formeln ſchwaͤtzen,

Du ſtrebſt das Innre jedes Dings zu ſichten,

Und uͤbſt den Geiſt in ſchroffen Gegenſaͤtzen.
Dies hatt' ich ſcheidend noch an dich zu richten,

Du packe nun zu deinen andern Schaͤtzen

Auch dieſen Schatz von naͤrriſchen Gedichten!
[176]

VIII.

Nach langer Arbeit gluͤcklichem Vollbringen

Mit ſuͤßem Nichts die Tage zu vertraͤumen,

Bey jedem fluͤchtigen Genuß zu ſaͤumen,

Am Großen ſich ergoͤtzend und Geringen:
Aus edlen Dichtern einen Vers zu ſingen,

Geſtreckt in's Gras, wo laute Quellen ſchaͤumen,

An Roſenhecken, unter Lindenbaͤumen

Das Leben unbeſorgt dahin zu bringen.
Im Mai die Stirn mit jungem Laub zu kroͤnen,

Die lauen Naͤchte, bis es wieder taget,

Durch Weingenuß und Liebe zu verſchoͤnen:
Dies iſt, und wenn mich auch darob verklaget

Ein Sittenrichter, der es will verpoͤnen,

Das Einzige, was meinem Sinn behaget.
[177]

IX.

Wenn du vergeſſen kannſt und kannſt entſagen,

So biſt du mir der Gluͤckliche hienieden;

Dir iſt ein leichter Lebenskampf beſchieden,

Wenn du verlierſt, beginnſt du neu zu wagen.
Und wenn du haſt Treuloſigkeit ertragen,

Als, die du liebteſt, dich gehaßt, vermieden,

Und doch im Herzen nie verlorſt den Frieden,

Dann iſt die Zeit dir voll von ſchoͤnen Tagen!
Wenn jede Trennung du mit Muth verſchmerzeſt,

Und wenn, da kaum ein Liebchen dich verlaſſen,

Du ſchon ein andres voll Verlangen herzeſt:
Dann weißt du, traun! dich in der Welt zu faſſen;

Das Leben ſtuͤrmt und wuͤthet, doch du ſcherzeſt,

Mit ſanftem Hauch bewegend ſchwere Maſſen.
v. Platen's Gedichte. 12[178]

X.

Was will ich mehr, als fluͤchtig dich erblicken?

Was waͤr' ich, truͤg' ich heißeres Verlangen?

In welche Netze wuͤrd' ich, wenn ich hangen

An deinem Auge bliebe, mich verſtricken!
Was will ich mehr noch, als ein eilig Nicken?

Es wuͤrden deine Worte mich befangen:

Vom Schuͤtzen wird ein Vogel raſch umgangen,

Wenn mehr er will als an der Kirſche picken.
Wohl moͤgen Reize, die ſo ganz dein eigen,

Den Wunſch der Sehnſucht in den Andern wecken,

Sich dir zu nah'n und dir ein Herz zu zeigen.
Ich werde nur, wenn Jene ſich entdecken,

Vor deiner Schoͤnheit huldigend mich neigen,

Nicht eine Sylbe ſoll dein Ohr erſchrecken!
[179]

XI.

Wer haͤtte nie von deiner Macht erfahren?

Wer haͤtte je dich anzuſchau'n bereuet?

Wie viele Reize liegen hingeſtreuet

Auf dieſen Wangen, dieſen ſchoͤnen Haaren!
Du biſt ſo zart, du biſt ſo jung an Jahren,

Durch jede Huldigung des Gluͤcks erfreuet;

Doch wer die Liſt in deinem Buſen ſcheuet,

Der mag vor dir ſich Tag und Nacht bewahren!
Noch prahlt ein Baum mit manchem friſchen Aſte,

Die Blaͤtter bilden noch geraͤum'ge Lauben,

Da ſchon Zerſtoͤrung wuͤthet unter'm Baſte.
Doch ſoll mir froſtige Betrachtung rauben

Den ſuͤßen Schatten, unter dem ich raſte?

Nein, deine Schoͤnheit fordert blinden Glauben!
[180]

XII.

Wie ſchwillt das Herz von ſeligem Genuͤgen,

Sobald ein Blick, der lange truͤb' umnachtet,

Veraͤchtlich uns und blinzend nur betrachtet,

Zulezt voll Milde ruht auf unſern Zuͤgen!
Waͤr's Zufall, oder willſt du mich betruͤgen?

Haſt du vielleicht mich deiner werth erachtet?

Wenn, Augen, ihr mir nicktet oder lachtet,

Dann wollt' ich ſtets mich euch als Sclave fuͤgen!
O gieb Gewißheit, wo nur Zweifel waltet,

Laß laͤnger nicht mich hin und wieder ſchwanken,

Weil oft im Zweifel das Gemuͤth erkaltet!
Nicht ſchwer zu helfen iſt gewiſſen Kranken:

Ein einz'ger Wink, ein Haͤndedruck entfaltet

Uns Millionen liebende Gedanken.
[181]

XIII.

Was kann die Welt fuͤr unſer Gluͤck empfinden,

Die kalte Welt mit ihrem falſchen Treiben?

Kann ſie es feſſeln oder es vertreiben?

Kann ſie uns trennen oder uns verbinden?
Wir ſehn die Dinge rings um uns verſchwinden,

Als Dinge, die die Liebe nur umſchreiben;

Verborgen muß die wahre Liebe bleiben,

Kein Dritter darf zu dir und mir ſich finden.
Sie, die uns wandeln ſehn im bunten Schwarme,

Nicht ahnen ſollen ſie, daß in der Stille

Wir uns verzehren im verliebten Harme.
Vergeſſen will ich jede fremde Grille,

Wenn dich umſchlingen meine frohen Arme,

Und dir allein beugt ſich mein Eigenwille.
[182]

XIV.

Des Gluͤckes Gunſt wird nur durch dich vergeben,

Schoͤn iſt die Roſe nur, von dir gebrochen,

Und ein Gedicht nur ſchoͤn, von dir geſprochen:

Todt iſt die Welt, du biſt allein am Leben.
In dieſen Lauben, die ſich hold verweben,

Wird ohne dich mir jeder Tag zu Wochen,

Und dieſer Wein, den warme Sonnen kochen,

Kann nur aus deiner Hand ein Herz beleben.
Von dir geſchieden, trenn' ich mich vom Gluͤcke,

Das Schoͤnſte dient mir nur, mich zu zerſtreuen,

Das Groͤßte fuͤllt mir kaum des Innern Luͤcke.
Doch druͤckſt du mich an deine Bruſt, den Treuen,

Dann kehrt die Welt in meine Bruſt zuruͤcke,

Und am Geringſten kann ich mich erfreuen.
[183]

XV.

Wer in der Bruſt ein wachſendes Verlangen

Nach ſchoͤnen Augen fuͤhlt und ſchoͤnen Haaren,

Den mahn' ich ab, der nur zu viel erfahren

Von Schmerz und Qual durch eitles Unterfangen.
Dem jaͤhen Abgrund nur mit Noth entgangen,

Was blieb mir aus unendlichen Gefahren?

Im Aug' die Spur von hingeweinten Jahren,

Und in der Bruſt ein ungeheures Bangen.
Naht nicht der jaͤhen Tiefe, junge Herzen!

Des Ufers Lilien gluͤhn von falſchem Feuer,

Denn ach, ſie locken in das Meer der Schmerzen!
Nur Jenen iſt das Leben ſchoͤn und theuer,

Die frank und ungefeſſelt mit ihm ſcherzen,

Und ihnen ruft ein Gott: Die Welt iſt euer.
[184]

XVI.

Dich oft zu ſehen, iſt mir nicht beſchieden,

Und ganz verſagt iſt mir, zu dir zu kommen,

Dir ſelten zu begegnen und beklommen

Dich anzuſchau'n, das iſt mein Loos hienieden.
Doch von dir traͤumen, dichten, Plane ſchmieden,

Um dir zu nahn, das iſt mir unbenommen,

Das ſoll, ſo lang' es frommen will, mir frommen,

Und mit ſo Wen'gem ſtell' ich mich zufrieden.
Denn ach! ich habe Schlimmeres ertragen,

Als dieſes Schlimme jezt, und duld' ergeben,

Statt heft'ger Qual, ein ſuͤßes Mißbehagen.
Mein Wunſch, bey Andern, zeugte Widerſtreben:

Du haſt ihn nicht erhoͤrt, doch abgeſchlagen

Haſt du ihn auch nicht, o mein ſuͤßes Leben!
[185]

XVII.

Nicht aus Begier und aus Genuß gewoben

War unſre Liebe, nicht in Staub verſunken:

Nur deiner Schoͤnheit bebt' ich wonnetrunken,

Und guͤtig warſt du, gleich den Engeln oben.
Du hatteſt mich zu dir emporgehoben,

In deinem Auge ſchwamm ein lichter Funken,

Der Farben ſchuf, den Pinſel d'rein zu tunken,

Den reine Dichterhaͤnde Gott geloben.
Nun, da ich fern von dir den Tag verbringe,

Erſcheinſt du der Bewunderung noch reiner,

Je mehr im Geiſt ich deinen Werth durchdringe.
Ja, immer ſehnſuchtsvoller denk' ich deiner,

Und legt die Welt mir auch ſo manche Schlinge,

Du ſollſt mich nie gefangen ſehn in einer.
[186]

XVIII.
An Schelling.

Wie ſah man uns an deinem Munde hangen,

Und lauſchen Jeglichen auf ſeinem Sitze,

Da deines Geiſtes ungeheure Blitze

Wie Schlag auf Schlag in unſre Seele drangen!
Wenn wir zerſtuͤckelt nur die Welt empfangen,

Siehſt du ſie ganz, wie von der Berge Spitze;

Was wir zerpfluͤckt mit unſerm armen Witze,

Das iſt als Blume vor dir aufgegangen.
Noch ſieht man Thoren zwar, erbost dagegen,

Mit logiſchen Tiraden uͤberkleiſtern

Der Geiſtesarmuth Eyer, die ſie legen;
Doch dieſes Voͤlkchen, das dich waͤhnt zu meiſtern,

Nie wird's die Welt der Wiſſenſchaft bewegen,

Und einen Dichter wird es nie begeiſtern.
[187]

Venedig.
XIX.

Mein Auge ließ das hohe Meer zuruͤcke,

Als aus der Flut Palladio's Tempel ſtiegen,

An deren Staffeln ſich die Wellen ſchmiegen,

Die uns getragen ohne Falſch und Tuͤcke.
Wir landen an, wir danken es dem Gluͤcke,

Und die Lagune ſcheint zuruͤck zu fliegen,

Der Dogen alte Saͤulengaͤnge liegen

Vor uns gigantiſch mit der Seufzerbruͤcke.
Venedigs Loͤwen, ſonſt Venedigs Wonne,

Mit ehrnen Fluͤgeln ſehen wir ihn ragen

Auf ſeiner koloſſaliſchen Colonne.
Ich ſteig' an's Land, nicht ohne Furcht und Zagen,

Da glaͤnzt der Markusplatz im Licht der Sonne:

Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen?
[188]

XX.

Dies Labyrinth von Bruͤcken und von Gaſſen,

Die tauſendfach ſich ineinander ſchlingen,

Wie wird hindurchzugehn mir je gelingen?

Wie werd' ich je dies große Raͤthſel faſſen?
Erſteigend erſt des Markusthurms Terraſſen,

Vermag ich vorwaͤrts mit dem Blick zu dringen,

Und aus den Wundern, welche mich umringen,

Entſteht ein Bild, es theilen ſich die Maſſen.
Ich gruͤße dort den Ocean, den blauen,

Und hier die Alpen, die im weiten Bogen

Auf die Laguneninſeln niederſchauen.
Und ſieh! da kam ein muth'ges Volk gezogen,

Pallaͤſte ſich und Tempel ſich zu bauen

Auf Eichenpfaͤhle mitten in die Wogen.
[189]

XXI.

Wie lieblich iſt's, wenn ſich der Tag verkuͤhlet,

Hinaus zu ſehn, wo Schiff und Gondel ſchweben,

Wenn die Lagune, ruhig, ſpiegeleben,

In ſich verfließt, Venedig ſanft umſpuͤhlet!
In's Innre wieder dann gezogen fuͤhlet

Das Auge ſich, wo nach den Wolken ſtreben

Pallaſt und Kirche, wo ein lautes Leben

Auf allen Stufen des Rialto wuͤhlet.
Ein frohes Voͤlkchen lieber Muͤſſiggaͤnger,

Es ſchwaͤrmt umher, es laͤßt durch nichts ſich ſtoͤren,

Und ſtoͤrt auch niemals einen Grillenfaͤnger.
Des Abends ſammelt ſich's zu ganzen Choͤren,

Denn auf dem Markusplatze will's den Saͤnger,

Und den Erzaͤhler auf der Riva hoͤren.
[190]

XXII.

Nun hab' ich dieſen Taumel uͤberwunden,

Und irre nicht mehr hier und dort in's Weite,

Mein Geiſt gewann ein ſicheres Geleite,

Seitdem er endlich einen Freund gefunden.
Dir nun, o Freund, gehoͤren meine Stunden,

Du gabſt ein Ziel mir nun, wonach ich ſchreite,

Nach dieſer eil' ich oder jener Seite,

Wo ich, dich anzutreffen, kann erkunden.
Du winkſt mir zu von manchem Weihaltare,

Dein Geiſt iſt ein harmoniſches Beſtreben,

Und deine ſanfte Seele liebt das Wahre.
O welch ein Gluͤck, ſich ganz dir hinzugeben,

Und, wenn es moͤglich waͤre, Jahr' um Jahre

Mit deinen Engeln, Gian Bellin, zu leben!
[191]

XXIII.

Venedig liegt nur noch im Land der Traͤume,

Und wirft nur Schatten her aus alten Tagen,

Es liegt der Leu der Republik erſchlagen,

Und oͤde feiern ſeines Kerkers Raͤume.
Die ehrnen Hengſte, die durch ſalz'ge Schaͤume

Dahergeſchleppt, auf jener Kirche ragen,

Nicht mehr dieſelben ſind ſie, ach! ſie tragen

Des korſikan'ſchen Ueberwinders Zaͤume.
Wo iſt das Volk von Koͤnigen geblieben,

Das dieſe Marmorhaͤuſer durfte bauen,

Die nun verfallen und gemach zerſtieben?
Nur ſelten finden auf des Enkels Brauen

Der Ahnen große Zuͤge ſich geſchrieben,

An Dogengraͤbern in den Stein gehauen.
[192]

XXIV.

Erſt hab' ich weniger auf dich geachtet,

O Tizian, du Mann voll Kraft und Leben!

Jezt ſiehſt du mich vor deiner Groͤße beben,

Seit ich Mariaͤ Himmelfahrt betrachtet!
Von Wolken war mein truͤber Sinn umnachtet,

Wie deiner Heil'gen ſie zu Fuͤßen ſchweben:

Nun ſeh' ich ſelbſt dich gegen Himmel ſtreben,

Wonach ſo bruͤnſtiglich Maria trachtet!
Dir faſt zur Seite zeigt ſich Pordenone:

Ihr wolltet lebend nicht einander weichen,

Im Tode hat nun jeder ſeine Krone!
Verbruͤdert moͤgt ihr noch die Haͤnde reichen

Dem treuen, vaterlaͤndiſchen Giorgione,

Und jenem Paul, dem wen'ge Maler gleichen!
[193]

XXV.

Es ſcheint ein langes, ew'ges Ach zu wohnen

In dieſen Luͤften, die ſich leiſe regen,

Aus jenen Hallen weht es mir entgegen,

Wo Scherz und Jubel ſonſt gepflegt zu thronen.
Venedig fiel, wiewohl's getrozt Aeonen,

Das Rad des Gluͤcks kann nichts zuruͤckbewegen:

Oed' iſt der Hafen, wen'ge Schiffe legen

Sich an die ſchoͤne Riva der Sclavonen.
Wie haſt du ſonſt, Venetia, geprahlet

Als ſtolzes Weib mit goldenen Gewaͤndern,

So wie dich Paolo Veroneſe mahlet!
Nun ſteht ein Dichter an den Prachtgelaͤndern

Der Rieſentreppe ſtaunend und bezahlet

Den Thraͤnenzoll, der nichts vermag zu aͤndern!
v. Platen's Gedichte. 13[194]

XXVI.

Ich fuͤhle Woch' an Woche mir verſtreichen,

Und kann mich nicht von dir, Venedig, trennen:

Hoͤr' ich Fuſina, hoͤr' ich Meſtre nennen,

So ſcheint ein Froſt mir durch die Bruſt zu ſchleichen.
Stets mehr empfind' ich dich als ohne Gleichen,

Seit mir's gelingt, dich mehr und mehr zu kennen:

Im Tiefſten fuͤhl' ich meine Seele brennen,

Die Großes ſieht und Großes will erreichen.
Welch eine Fuͤlle wohnt von Kraft und Milde

Sogar im Marmor hier, im ſproͤden, kalten,

Und in ſo manchem tiefgefuͤhlten Bilde!
Doch um noch mehr zu feſſeln mich, zu halten,

So miſcht ſich unter jene Kunſtgebilde

Die ſchoͤnſte Bluͤthe lebender Geſtalten.
[195]

XXVII.

Hier wuchs die Kunſt wie eine Tulipane,

Mit ihrer Farbenpracht dem Meer entſtiegen,

Hier ſcheint auf bunten Wolken ſie zu fliegen,

Gleich einer zauberiſchen Fee Morgane.
Wie ſeyd ihr groß, ihr hohen Tiziane,

Wie zart Bellin, dal Piombo wie gediegen,

Und o wie lernt ſich ird'ſcher Schmerz beſiegen

Vor Paolo's heiligem Sebaſtiane!
Doch was auch Farb' und Pinſel hier vollbrachte,

Der Meiſſel iſt nicht ungebraucht geblieben,

Und manchen Stein durchdringt das Schoͤngedachte:
Ja, wen es je nach San Giulian getrieben,

Damit er dort des Heilands Schlaf betrachte,

Der muß den goͤttlichen Campagna lieben!
[196]

XXVIII.

Ihr Maler fuͤhrt mich in das ew'ge Leben,

Denn euch zu miſſen koͤnnt' ich nicht ertragen,

Noch dem Genuß auf ew'ge Zeit entſagen,

Nach eurer Herrlichkeit emporzuſtreben!
Um Gottes eigne Glorie zu ſchweben

Vermag die Kunſt allein und darf es wagen,

Und weſſen Herz Vollendetem geſchlagen,

Dem hat der Himmel weiter nichts zu geben!
Wer wollte nicht den Glauben aller Zeiten,

Durch alle Laͤnder, alle Kirchenſprengel

Des Schoͤnen Evangelium verbreiten:
Wenn Palma's Heil'ge mit dem Palmenſtengel,

Und Paolo's Alexander ihn begleiten,

Und Tizians Tobias mit dem Engel?
[197]

XXIX.

Zur Wuͤſte fliehend vor dem Menſchenſchwarme,

Steht hier Johannes, um zu reinern Sphaͤren

Durch Einſamkeit die Seele zu verklaͤren,

Die hohe, großgeſtimmte, gotteswarme.
Voll von Begeiſterung, von heil'gem Harme

Erglaͤnzt ſein ew'ger, ernſter Blick von Zaͤhren,

Nach Jenem, den Maria ſoll gebaͤren,

Scheint er zu deuten mit erhobnem Arme.
Wer kann ſich weg von dieſem Bilde kehren,

Und moͤchte nicht, mit bruͤnſtigen Geberden,

Den Gott im Buſen Tizians verehren?
O goldne Zeit, die nicht mehr iſt im Werden,

Als noch die Kunſt vermocht die Welt zu lehren,

Und nur das Schoͤne heilig war auf Erden!
[198]

XXX.

Hier ſeht ihr freylich keine gruͤnen Auen,

Und koͤnnt euch nicht im Duft der Roſe baden;

Doch was ihr ſaht an blumigern Geſtaden

Vergeßt ihr hier und wuͤnſcht es kaum zu ſchauen.
Die ſtern'ge Nacht beginnt gemach zu thauen,

Um auf den Markus Alles einzuladen:

Da ſitzen unter herrlichen Arkaden,

In langen Reih'n, Venedigs ſchoͤnſte Frauen.
Doch auf des Platzes Mitte treibt geſchwinde,

Wie Canaletto das verſucht zu malen,

Sich Schaar an Schaar, Muſik verhallt gelinde.
Indeſſen wehn, auf ehrnen Piedeſtalen,

Die Flaggen dreyer Monarchien im Winde,

Die von Venedigs altem Ruhme ſtralen.
[199]

XXXI.

Weil da, wo Schoͤnheit waltet, Liebe waltet,

So duͤrfte Keiner ſich verwundert zeigen,

Wenn ich nicht ganz vermoͤchte zu verſchweigen,

Wie deine Liebe mir die Seele ſpaltet.
Ich weiß, daß nie mir dies Gefuͤhl veraltet,

Denn mit Venedig wird ſich's eng verzweigen:

Stets wird ein Seufzer meiner Bruſt entſteigen

Nach einem Lenz, der ſich nur halb entfaltet.
Wie ſoll der Fremdling eine Gunſt dir danken,

Selbſt wenn dein Herz ihn zu begluͤcken daͤchte,

Begegnend ihm in zaͤrtlichen Gedanken?
Kein Mittel giebt's, das mich dir naͤher braͤchte,

Und einſam ſiehſt du meine Tritte wanken

Den Markus auf und nieder alle Naͤchte.
[200]

XXXII.

Wenn tiefe Schwermuth meine Seele wieget,

Mag's um die Buden am Rialto flittern:

Um nicht den Geiſt im Tande zu zerſplittern,

Such' ich die Stille, die den Tag beſieget.
Dann blick' ich oft, an Bruͤcken angeſchmieget,

In oͤde Wellen, die nur leiſe zittern,

Wo uͤber Mauern, welche halb verwittern,

Ein wilder Lorbeerbuſch die Zweige bieget.
Und wann ich, ſtehend auf verſteinten Pfaͤhlen,

Den Blick hinaus in's dunkle Meer verliere,

Dem fuͤrder keine Dogen ſich vermaͤhlen:
Dann ſtoͤrt mich kaum im ſchweigenden Reviere,

Herſchallend aus entlegenen Kanaͤlen,

Von Zeit zu Zeit ein Ruf der Gondoliere.
[201]

XXXIII.
An Winkelmann.

Wenn ich der Froͤmmler Gaukeley'n entkommen,

So ſey der Dank dafuͤr an dich gewendet:

Wohl fand dein Geiſt, was nie beginnt noch endet,

Doch fand er's nicht im Predigtbuch der Frommen.
Dir iſt das Licht des Goͤttlichen entglommen

Im Werk der Heiden, die es reich geſpendet;

Denn himmliſch iſt, was immer iſt vollendet,

Und Chriſtus ſelbſt gebietet: Seyd vollkommen!
Zwar moͤchten gern gewiſſe ſchwarze Roͤcke

Den Geiſt verwickeln, der ſich will befreyen,

Wo nicht, uns ſtellen in die Zahl der Boͤcke.
Doch laßt nur ab, die Heiden zu beſchreyen!

Wer Seelen hauchen kann in Marmorbloͤcke,

Der iſt erhaben uͤber Litaneyen.
[202]

XXXIV.
An Jean Paul.

So oft ich ſonſt mich trug mit deinem Bilde,

Bereut' ich, daß ich meine Pflicht verſchoben,

Und nie zu dir ein Wort des Danks erhoben

Fuͤr deine ſeelenvolle Lieb' und Milde.
Nun hat der Tod mit ſeinem Gorgoſchilde

Den Blick erſtarrt, der gern geſchaut nach oben,

Und was ich Freundliches fuͤr dich gewoben,

Send' ich dir nach in fremdere Gefilde.
Es hat den Juͤngling deine Gunſt belebet,

Dir galt fuͤr kuͤnft'ge Gluth der erſte Zunder,

Auf dem noch kaum ein Funke ſchwach gebebet.
Nun weilt dein ewig wonniger, geſunder,

Verjuͤngter Geiſt, wohin er ſtets geſchwebet,

Im uͤberſchwaͤnglichen Gebiet der Wunder.
[203]

XXXV.
An Ruͤckert.

Kaum noch verſchlang ich deines Buchs ein Drittel,

Das von der Kunſt Hariri's zeugt und deiner,

Und ſchon erſchein' ich der Entzuͤckten einer,

Der's ohne Hehl beſtaunt und ohne Krittel.
Wenn das Genie ſo ganz auf eigne Mittel

Die Welt durchbetteln muß, bewaͤhrt ſich's reiner

Als je, vergoͤttlichter und ungemeiner,

Wenn auch verkappt in einen Gaunerkittel.
Mit einem Andern aber ſoll ich loſen,

So willſt du, ſtatt zu ſchicken uns ein Paͤrchen,

Um deines Ebu Seids Metamorphoſen?
Daruͤber wachſe mir kein graues Haͤrchen:

Nie trenn' ich mich von deinem Virtuoſen,

D'rum ſende lieber noch ein Exemplaͤrchen!
[204]

XXXVI.

Wer moͤchte ſich um einen Kranz bemuͤhen,

Den unſre Zeit, die feile Modedirne,

Geſchaͤftig flicht fuͤr jede flache Stirne,

Aus Blumen flicht, die zwo Sekunden bluͤhen?
Wer wollte noch fuͤr das Vollkommne gluͤhen,

Wo man willkommen iſt mit leerem Hirne?

Wer wollte fliegen gegen die Geſtirne,

Wo Funken blos aus faulem Holze ſpruͤhen?
Gereimten Aberwitzes Propaganden,

Fahrt ruhig fort, euch wechſelſeits zu preiſen,

Und ſtellt euch nur, als waͤr' ich nicht vorhanden!
Ein Zeitungsblatt iſt leider nicht von Eiſen,

Und wenn poſaunt ihr ſeyd in allen Landen,

Eins fehlt euch doch — es iſt das Lob der Weiſen.
[205]

XXXVII.

Anſtimmen darf ich ungewohnte Toͤne,

Da nie dem Halben ich mein Herz ergeben:

Der Kunſt gelobt' ich ganz ein ganzes Leben,

Und wenn ich ſterbe, ſterb' ich fuͤr das Schoͤne.
Doch wuͤnſch' ich, daß man Beſſere bekroͤne,

Mich aber ziehen laſſe, wo ich neben

Dem Hoͤchſten lernen kann, nach Hohem ſtreben,

Ja, daß man mir mein Vaterland verpoͤne!
Ich lieb' es d'rum in keinem Sinne minder,

Da ſtets ich mich in ſeinem Dienſt verzehre,

Doch waͤr' ich gern das fernſte ſeiner Kinder.
Geſchieht's, daß je den innern Schatz ich mehre,

So bleibt der Fund, wenn laͤngſt dahin der Finder,

Ein ſichres Eigenthum der deutſchen Ehre.
[206]

XXXVIII.

Wie's auch die Tadler an mir tadeln moͤgen,

Ich halte nie der Seele Muth in Schranken:

Was waͤren wir, mit denen Alle zanken,

Wenn wir uns ſelbſt das bischen Ruhm entzoͤgen?
Soll bergen ich mein innerſtes Vermoͤgen,

Was ich empfinde zu bekennen ſchwanken?

Ich ſchaͤmte mich der eigenen Gedanken,

Wenn ſie, wie Schwalben, an der Erde floͤgen.
Hienieden lohnt's der Muͤhe nicht, zu zagen,

Und wahr und frey zu ſprechen kleidet Jeden,

Da bald wir Alle ruhn in Sarkophagen.
Es werden Spaͤt're meinen Geiſt in Eden

Beſchwoͤren und entſchuldigen und ſagen:

Er dachte groß, wie konnt' er kleinlich reden?
[207]

XXXIX.

Nie hat ein ſpaͤt'res Bild dein Bild vernichtet,

Das fuͤhlt' ich ſtets vielleicht und fuͤhl' es heute,

Da ſich's nach langen Jahren mir erneute,

Nachdem ich manchen Wahn der Welt geſichtet.
O Zeit, in der ich noch fuͤr dich gedichtet

Was, außer mir, ſich keiner Leſer freute!

Noch war mein Name nicht der Welt zur Beute,

Die ſelten fuͤhlt und oft ſo lieblos richtet!
Noch unbekannt mit meinen eig'nen Trieben,

Zu ernſt, zu ſchuͤchtern, allzuſehr verſchloſſen,

Bin ich dir fremd durch eigne Schuld geblieben.
Da wieder nun ich deines Blicks genoſſen,

Empfind' ich wieder jenen Drang, zu lieben;

Doch meine ſchoͤnſte Jugend iſt verfloſſen.
[208]

XL.
An C. T. G.

Daß ich ein Recht auf dich zu zuͤrnen habe

Fuͤr ſo verletzende Beleidigungen,

Das fuͤhl' ich tief, doch thu' ich's blos gezwungen,

Wenn ich mein Herz an dieſem Recht erlabe.
Denn ich verwuͤnſch' es als die ſchlimmſte Gabe,

Vom Schickſal unſerer noch allzujungen,

Noch zarten Liebe feindlich aufgedrungen,

Da es die kaum geborne traͤgt zu Grabe.
Beginnſt du ſo, was ſoll ich kuͤnftig hoffen,

Wenn ſchon am Morgen unſres neuen Bundes

Mich ſolch ein Schlag aus blauer Luft getroffen?
Doch ach, mein Recht begiebt ſich jedes Grundes,

Es ſieht geformt dich aus zu ſchoͤnen Stoffen,

Und lebt ja nur vom Hauche deines Mundes!
[209]

XLI.

Wann werd' ich dieſes Bangen uͤberwinden,

Das mich befaͤllt in deiner lieben Naͤhe?

Wohin ich geh' und mit den Blicken ſpaͤhe,

Da hoff' ich dich und fuͤrchte dich zu finden.
Wie kann ich Furcht vor dir, o Freund, empfinden,

Den ich ſo gern an meinem Buſen ſaͤhe?

Erklaͤre du mir, was ſo ſchnell und jaͤhe

Das Blut mir hemmt, den Geiſt vermag zu binden?
Iſt es die Sorge, daß dein Herz mir ſchweiget,

Daß ich an Klippen deines Stolzes ſtrande,

Der als der Liebe groͤßter Feind ſich zeiget?
Iſt es die Goͤttlichkeit ſo ſuͤßer Bande,

Da ſtets die Liebe, wie vor Gott, ſich neiget

Mit heil'ger Furcht vor ihrem Gegenſtande?
v. Platen's Gedichte. 14[210]

XLII.

Auch du betruͤgſt mich, da von allen Seiten

Ich mich betrogen weiß und hintergangen,

Du fuͤllſt mein Herz mit brennendem Verlangen,

Und meinen Gaumen an mit Bitterkeiten.
Was nur dem Feinde mag der Feind bereiten,

Hab' ich von dir als Freundeslohn empfangen,

Ich aber laſſe deinen Namen prangen,

Und uͤberlief're dich dem Lob der Zeiten.
Bey dieſem Thau, der mir im Auge flimmert,

Noch geb' ich deine Liebe nicht verloren,

Wie ſehr dein Herz ſich gegen mich verſchlimmert!
Dich hat zum Spiegel ſich der Lenz erkoren,

Die Jugend lacht auf deiner Stirn und ſchimmert

Wie ein Gemiſch von Sonnen und Auroren!
[211]

XLIII.

Wenn auch getrennt die Koͤrper ſind, zu dringen

Vermag zum Geiſt der Geiſt, indem er denket;

Wenn meine Seele ſich in dich verſenket,

So mein' ich, muͤßt' es dir im Ohre klingen.
Beſaͤße nicht der Gott der Liebe Schwingen,

Er haͤtte nie zum Himmel ſie gelenket,

Und wenn dein Herz er mir im Traume ſchenket,

Von wem als dir vermag er mir's zu bringen?
Wenn du mich liebſt, ſo will ich gern ertragen,

Dir fern zu ſeyn, weil ich zu gut verſtehe,

Was unſre Seelen ohne Laut ſich klagen.
Allein ſo lang' ich noch in Zweifel ſtehe,

Und gerne moͤchte deine Blicke fragen,

Acht' ich Entfernung als das groͤßte Wehe.
[212]

XLIV.

Du liebſt und ſchweigſt — O haͤtt' ich auch geſchwiegen,

Und meine Blicke nur an dich verſchwendet!

O haͤtt' ich nie ein Wort dir zugewendet,

So muͤßt' ich keinen Kraͤnkungen erliegen!
Doch dieſe Liebe moͤcht' ich nie beſiegen,

Und weh dem Tag, an dem ſie froſtig endet!

Sie ward aus jenen Raͤumen uns geſendet,

Wo ſelig Engel ſich an Engel ſchmiegen.
D'rum laß des Wahns mich, daß du liebſt, mich freuen,

Damit die Seele nicht mir ganz veroͤde,

Und meinen Glauben moͤge nichts zerſtreuen!
O Gluͤck, verweig're nicht mir allzuſchnoͤde

Den Tag, an welchem ſeinem Vielgetreuen

Die ganze Seele zeigt der ſchoͤne Sproͤde!
[213]

XLV.

Wenn einen Freund du ſuchſt fuͤr's ganze Leben,

Der dich durch Freude ſoll und Schmerz geleiten,

So waͤhle mich, du findeſt keinen zweyten,

Und keinen faͤhigern, ſich hinzugeben.
Zwar kann er nicht, wie du, ein Wonnebeben

Durch ſeine Schoͤnheit um ſich her verbreiten;

Doch Alle horchen gern den Lieblichkeiten,

Die ihm begeiſtert auf der Lippe ſchweben.
Ich fuͤrchte nur, es moͤchte dich erbittern,

Wenn ich mir ſelbſt ſo hohes Lob verſtatte,

Blos um vor dir in falſchem Glanz zu flittern;
Sonſt wuͤrd' ich ſagen, daß auf dieſe glatte,

Noch junge Stirn, mit ungewiſſem Zittern,

Der Schatten faͤllt von einem Lorbeerblatte.
[214]

XLVI.

O ſuͤßer Lenz, befluͤgle deine Schritte,

Komm fruͤher diesmal, als du pflegſt zu kommen!

Du biſt ein Arzt, wenn unſre Bruſt beklommen,

Ein milder Arzt von immer ſanfter Sitte!
O koͤnnt' ich ſchon in deiner Blumen Mitte,

Wenn kaum der Tag am Horizont entglommen,

Bis er in’s Abendroth zulezt verſchwommen,

Von Traͤumen leben, ohne Wunſch und Bitte!
Wenn deine helle Sonne flammt im Blauen,

Wuͤrd’ ich, in's Gras geſtreckt, nach oben blicken,

Und wuͤrde glauben meinen Freund zu ſchauen!
Geblendet wuͤrde dann mein Auge nicken,

Ich wuͤrde ſchlummern bis die Sterne thauen,

Und mich im Schlaf an ſeinem Bild erquicken!
[215]

XLVIl.

Um meinen Schmerz im Stillen zu verwinden,

Such' ich nach guͤnſt'gem Ort und guͤnſt'ger Stunde;

Doch ſchwebt dein Bild nur ſtets im Hintergrunde,

Indeß die naͤhern Dinge ſchnell verſchwinden.
Geſelligkeit vermag mich nicht zu binden,

Und Einſamkeit ertragen blos Geſunde:

Denk' ich, ſo ſchaͤrft des Denkens Pfeil die Wunde,

Und ſchweif' ich muͤſſig, klag' ich es den Winden.
Und ſoll ich je von dieſer Pein geneſen,

So werde mir, ſo zeige dich gewogen,

Denn du nur fehlſt dem Herzen, theures Weſen!
Ich liebte manchen Freund und ward betrogen;

Doch mag die Welt in dieſen Blaͤttern leſen,

Daß ich dich allen Andern vorgezogen.
[216]

XLVIll.

Schoͤn wie der Tag und lieblich wie der Morgen,

Mit edler Stirn, mit Augen voll von Treue,

An Jahren jung und reizend wie das Neue,

So fand ich dich, ſo fand ich meine Sorgen.
O waͤr' ich ſchon an deiner Bruſt geborgen,

Wo ich mich ſammle, wenn ich mich zerſtreue!

O waͤre ſchon bezwungen dieſe Scheue,

Die unſern Bund vertagt von heut auf morgen!
Was fliehſt du mich? Vermagſt du mich zu haſſen?

Was quaͤlſt du ſo durch deiner Huld Verſchweigung

Den Liebevollen, der ſich fuͤhlt verlaſſen?
Beym erſten Zeichen deiner kuͤnft'gen Neigung

Wird eine bange Wonne mich erfaſſen,

Wie einen Fuͤrſten bey der Thronbeſteigung.
[217]

XLIX.

Es ſey geſegnet wer die Welt verachtet,

Denn falſcher iſt ſie, als es Worte malen:

Sie ſammelt grauſam unſern Schmerz in Schalen,

Und reicht zum Trunk ſie, wenn wir halb verſchmachtet.
Mir, den als Werkzeug immer ſie betrachtet,

Mir preßt Geſang ſie aus mit tauſend Qualen,

Laͤßt ihn vielleicht durch ferne Zeiten ſtralen,

Ich aber werd' als Opferthier geſchlachtet.
O ihr, die ihr beneidetet mein Leben,

Und meinen gluͤcklichen Beruf erhobet,

Wie koͤnnt in Irrthum ihr ſo lange ſchweben?
Haͤtt' ich nicht jedes Gift der Welt erprobet,

Nie haͤtt' ich ganz dem Himmel mich ergeben,

Und nie vollendet was ihr liebt und lobet.
[218]

L.

Qualvolle Stunden haſt du mir bereitet,

Die aber nie an dir der Himmel raͤche,

Sonſt muͤßten fließen deine Thraͤnenbaͤche,

Wenn von der Lippe dir mein Name gleitet.
Doch bis Gewißheit jeden Wahn beſtreitet,

Will gern ich dich, und thaͤt' ich es aus Schwaͤche,

Vertheid'gen, Freund! von auf der Oberflaͤche

Geſchoͤpften Zufallsgruͤnden nie verleitet.
Zwar wuͤrd' ich kaum dir zum Vertheid'ger taugen,

Doch ſtets bedienſt du dich als deiner beyden

Fuͤrſprecher liſtig meiner beyden Augen:
So lang ſie ſich an deinem Blicke weiden,

So muͤſſen Liebe ſie aus ihm ſich ſaugen,

Du aber lies in ihrem Blick mein Leiden!
[219]

LI.

Bewunderung, die Muſe des Geſanges,

Gebeut mir ſtets, daß ich das Hoͤchſte preiſe:

D'rum ruͤhmt' ich Kuͤnſtler, Fuͤrſten, Frau'n und Weiſe,

Dem Zuge folgend eines großen Hanges.
Dich nenn' ich nun die Seele dieſes Dranges,

Den ſonn'gen Gipfel meiner Lebensreiſe,

Den Mittelpunkt, um den ich lobend kreiſe,

Beſtrickt vom Schwindel des Planetenganges.
Doch wenn vor Liebe deine Worte beben,

O ſo verleihſt du, Freund! mir mehr in dieſen,

Als meiner Kunſt beſchieden iſt zu geben.
Zwar hat auch dir die Welt ſich hold erwieſen;

Denn ſchoͤner ſtirbt ein Solcher, den im Leben

Ein unvergaͤnglicher Geſang geprieſen.
[220]

LII.

Wenn ich ſo viele Kaͤlte dir verzeihe,

Geſchieht's, indem ich bey mir ſelber ſage:

Er weiß ja nicht, wie ſehr ich meiner Tage

Zufriedenheit an ſeinen Namen reihe!
Er weiß ja nicht, wie ſehr ich ihm verleihe,

Was Liebevolles ich im Herzen trage,

Was gerne theilt des Lebens Luſt und Plage,

Ja, was dem Leben giebt die hoͤchſte Weihe!
Du weißt es nicht, und ſoll ich dir's beſchwoͤren?

O nein! Ich wage kaum, mit dir zu ſprechen,

Um nicht den Traum, der mich begluͤckt, zu ſtoͤren.
Wie ſehr mich Schoͤnheit auch und Reiz beſtechen,

So fuͤrcht' ich doch, ſie koͤnnten mich bethoͤren,

Es koͤnnte doch an Liebe dir gebrechen!
[221]

LIII.

Entſchuldigungen wirſt du kaum beduͤrfen,

Wenn du mich liebſt; es kann dich nicht erniedern:

Verlieren wuͤrden in der Gunſt der Biedern,

Die meine Gunſt mir vor die Fuͤße wuͤrfen.
Ich wuͤrde viele Freunde zaͤhlen duͤrfen,

Wenn ich die Freundſchaft Aller koͤnnt' erwiedern,

Auch der Entfernten, welche blos aus Liedern

Die ganze Flamme meiner Seele ſchluͤrfen.
Ein warmes Herz, und wenn auch du mit herben,

Gehaͤſſigen Geſchoſſen nach ihm zieleſt,

Muß doch ſich manchen warmen Freund erwerben!
Du aber, der du jezt den Harten ſpieleſt,

Laß einſt mich nur an deinem Buſen ſterben,

Und ſchließ' ein Auge, dem du wohlgefieleſt!
[222]

LIV.

Du pruͤfſt mich allzuhart. Von deiner Senne

Kommt Pfeil auf Pfeil in meine Bruſt geflogen:

Du haſt mir mehr als Einen vorgezogen,

Den ich als Koͤrper ohne Seele kenne.
Doch waͤhrend ich in deiner Flamme brenne,

Bekaͤmpf ich ſtets in mir die ſtuͤrm'ſchen Wogen,

Damit ich zuͤrnend nicht und oft betrogen

Mit einem bittern Namen dich benenne!
O nein, Geliebter! Keine Klage ſchaͤnde,

Von ſchwarzem Unmuth weibiſch hingeriſſen,

Den liebenswuͤrdigſten der Gegenſtaͤnde!
Wenn meiner Freundſchaft nie du dich befliſſen,

War mein die Schuld: man beut ja nicht die Haͤnde

Zum Bunde blos, man muß zu feſſeln wiſſen.
[223]

LV.

Man ſchilt mich ſtolz, doch hat mich's nie verdroſſen,

Daß ich ſo wenig dir gefallen habe;

Denn deine blonde Jugend, ſuͤßer Knabe,

Verſchmaͤht den melancholiſchen Genoſſen.
So will in Scherz ich mich ergehn, in Poſſen,

Anſtatt ich jezt mich blos an Thraͤnen labe,

Und um der Froͤhlichkeit mir fremde Gabe

Hab' ich den Himmel anzuflehn beſchloſſen.
Zwar dank' ich viel dem wohlgelaunten Gluͤcke,

Von dem ich mehr, als ich verdient, empfangen,

Doch nichts, wodurch ich meinen Freund entzuͤcke:
Wer aber gaͤbe mir die vollen Wangen

Der erſten Jugend und den Glanz zuruͤcke,

Woran allein der Menſchen Blicke hangen?
[224]

LVI.

Wenn unſre Neider auch ſich ſchlau vereinen,

Um uns zu hindern und getrennt zu halten,

Noch zaͤhl' ich nicht dich zum Geſchlecht der Kalten,

Noch geht ein Weg von deinem Blick in meinen.
Doch allzuſelten ſeh' ich dich erſcheinen,

Und wenn ich rings das Auge laſſe walten,

Vermiſſ' ich ſtets die liebſte der Geſtalten,

Die liebſten Zuͤge fehlen ſtets, die deinen!
Ermanne dich, und lege nicht die Zaͤume

Der Liebe furchtſam in die Hand des Neides,

Der gern uns ſchiede durch entlegne Raͤume!
Sey ganz du ſelbſt, dann wird die Zeit des Leides

Verronnen ſeyn, dann werden unſre Traͤume

Verkoͤrpert werden. Wir verdienen beydes.
[225]

LVIl.

Ich moͤchte, wenn ich ſterbe, wie die lichten

Geſtirne ſchnell und unbewußt erbleichen,

Erliegen moͤcht' ich einſt des Todes Streichen,

Wie Sagen uns vom Pindaros berichten.
Ich will ja nicht im Leben oder Dichten

Den großen Unerreichlichen erreichen,

Ich moͤcht', o Freund, ihm nur im Tode gleichen;

Doch hoͤre nun die ſchoͤnſte der Geſchichten!
Er ſaß im Schauſpiel, vom Geſang beweget,

Und hatte, der Ermuͤdete, die Wangen

Auf ſeines Lieblings ſchoͤnes Knie geleget:
Als nun der Choͤre Melodien verklangen,

Will wecken ihn, der ihn ſo ſanft geheget,

Doch zu den Goͤttern war er heimgegangen.
v. Platen's Gedichte. 15[226]

LVIII.

Die Liebe ſcheint der zarteſte der Triebe,

Das wiſſen ſelbſt die Blinden und die Tauben,

Ich aber weiß, was wen'ge Menſchen glauben,

Daß wahre Freundſchaft zarter iſt als Liebe.
Die Liebe wird mit feurigem Betriebe

Sich in ſich ſelber zu verzehren ſchnauben;

Doch meines Freundes kann mich nichts berauben,

Bis nicht ich ſelbſt im leichten Staub zerſtiebe.
Er zeigt mir Kaͤlte nur und Uebelwollen,

Er ſpottet mein, er hat mich laͤngſt vergeſſen,

Doch dacht' ich nie daran, mit ihm zu grollen.
Nie wird er meine Hand in ſeine preſſen,

Stets aber werd' ich neues Lob ihm zollen,

Und was man lobt, hat man im Geiſt beſeſſen.
[227]

LIX.

Was ſollt' ich noch der Menſchen Gunſt erlauern,

Da Troſt mir Keiner doch vermag zu ſchenken?

Ich will mich ganz in meinen Schmerz verſenken,

Im Stillen weinen und im Stillen trauern.
Nicht wuͤrdig bin ich, laͤnger fortzudauern,

Seitdem ich ſtarb in ſeinem Angedenken,

Und in den ſchon ermattenden Gelenken

Fuͤhl' ich die Keime der Zerſtoͤrung ſchauern.
Ihn aber, himmliſche Gewalten, laſſet

Ganz gluͤcklich werden, und verſagt ihm keinen

Von allen Wuͤnſchen, die ſein Herz umfaſſet!
Nie ſoll mein Blick begegnen mehr dem ſeinen,

Und ach, das Bild des Menſchen, den er haſſet,

Es ſoll ihm nicht einmal im Traum erſcheinen!
[228]

LX.

Indeß ich hier im Gruͤnen mich erfreue,

Ruf' ich zu mir die kaum beſeelten Dinge:

Ihr Voͤgel kommt, o kommt ihr Schmetterlinge,

Befuͤrchtet nichts, und glaubt an meine Treue!
Daß ich verraͤtheriſche Koſt euch ſtreue,

O waͤhnt es nicht! Ich lege keine Schlinge,

Der ich die Zeit, den Menſchen fern, verbringe,

Der ich, noch mehr als ihr, die Menſchen ſcheue!
O zaͤhlt mich nicht zu jenen rohen Horden,

Mich, der ich Andern nie geſucht zu ſchaden,

Und von den Menſchen ſtets vermieden worden!
Laßt d'rum uns fliehn vor allen ihren Pfaden:

Euch ſtreben ſie zu haſchen und zu morden,

Mich haben ſie mit ihrem Gram beladen.
[229]

LXI.

O ſuͤßer Tod, der alle Menſchen ſchrecket,

Von mir empfingſt du lauter Huldigungen:

Wie hab' ich bruͤnſtig oft nach dir gerungen,

Nach deinem Schlummer, welchen nichts erwecket!
Ihr Schlaͤfer ihr, von Erde zugedecket,

Von ew'gen Wiegenliedern eingeſungen,

Habt ihr den Kelch des Lebens froh geſchwungen,

Der mir allein vielleicht wie Galle ſchmecket?
Auch euch, befuͤrcht' ich, hat die Welt bethoͤret,

Vereitelt wurden eure beſten Thaten,

Und eure liebſten Hoffnungen zerſtoͤret.
D'rum ſelig Alle, die den Tod erbaten,

Ihr Sehnen ward geſtillt, ihr Flehn erhoͤret,

Denn jedes Herz zerhackt zulezt ein Spaten.
[230]

LXII.

Die lezte Hefe ſollt' ich noch genießen,

Im Schmerzensbecher, den du mir gereichet!

O waͤr' ein Kind ich, ſchnell und leicht erweichet,

Daß ich in Thraͤnen koͤnnte ganz zerfließen!
Da mich ſo hart von ihrer Seite ſtießen

Die unermeßlich ich geliebt, erbleichet

Der lezte Glaube, bittre Kaͤlte ſchleichet

In ein Gemuͤth, das Lieb' und Muth verließen.
O wohl mir, daß in ferne Regionen

Ich fluͤchten darf, an einem fremden Strande

Darf athmen unter guͤtigeren Zonen!
Wo mir zerriſſen ſind die lezten Bande,

Wo Haß und Undank edle Liebe lohnen,

Wie bin ich ſatt von meinem Vaterlande!
[231]

LXIII.

Dies Land der Muͤhe, dieſes Land des herben

Entſagens werd' ich ohne Seufzer miſſen,

Wo man bedraͤngt von tauſend Hinderniſſen

Sich muͤde quaͤlt und dennoch muß verderben.
Zwar mancher Vortheil laͤßt ſich hier erwerben,

Staatswuͤrden, Wohlſtand, eine Laſt von Wiſſen,

Und unſre Deutſchen waren ſtets befliſſen,

Sich abzuplagen und geplagt zu ſterben.
Ein Solcher darf zu keiner Zeit ermatten,

Er foͤrdre ſich, er ſchmeichle jeder Mode,

Und ſey dabey, wo Gluͤck und Macht ſich gatten.
Mir, der ich blos ein wandernder Rhapſode,

Genuͤgt ein Freund, ein Becher Wein im Schatten,

Und ein beruͤhmter Name nach dem Tode.
[232]

LXIV.

Wer wuͤßte je das Leben recht zu faſſen,

Wer hat die Haͤlfte nicht davon verloren

Im Traum, im Fieber, im Geſpraͤch mit Thoren,

In Liebesqual, im leeren Zeitverpraſſen?
Ja, der ſogar, der ruhig und gelaſſen,

Mit dem Bewußtſeyn, was er ſoll, geboren,

Fruͤhzeitig einen Lebensgang erkoren,

Muß vor des Lebens Widerſpruch erblaſſen.
Denn Jeder hofft doch, daß das Gluͤck ihm lache,

Allein das Gluͤck, wenn's wirklich kommt, ertragen,

Iſt keines Menſchen, waͤre Gottes Sache.
Auch kommt es nie, wir wuͤnſchen blos und wagen:

Dem Schlaͤfer faͤllt es nimmermehr vom Dache,

Und auch der Laͤufer wird es nicht erjagen.
[233]

LXV.

Hier, wo von Schnee der Alpen Gipfel glaͤnzen,

Gedenk' ich ſtill vergangner Mißgeſchicke:

Zuruͤck nach Deutſchland wend' ich kaum die Blicke,

Ja, kaum noch vorwaͤrts nach Italiens Graͤnzen.
Vergebens haſch' ich nach getraͤumten Kraͤnzen,

Daß ich die Stirne, die mir brennt, erquicke,

Und Seufzer wehn, die ſelten ich erſticke,

Als koͤnnten Seufzer das Gemuͤth ergaͤnzen!
Wo iſt ein Herz, das keine Schmerzen ſpalten?

Und wer an's Weltenende fluͤchten wuͤrde,

Stets folgten ihm des Lebens Truggeſtalten.
Ein Troſt nur bleibt mir, daß ich jeder Buͤrde

Vielleicht ein Gleichgewicht vermag zu halten

Durch meiner Seele ganze Kraft und Wuͤrde.
[[234]][[235]]

Viertes Buch.

[[236]][[237]]

Oden.

1825 — 1827.


[[238]][[239]]

I.
An Koͤnig Ludwig.

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Vom Sarg des Vaters richtet das Volk ſich auf,

Zu dir ſich auf, mit Trauer und Stolz zugleich:

Vertrau'n im Blick, im Munde Wahrheit,

Schwoͤrt es dem Sohne der Wittelsbacher.
Des Thrones glatte Schwelle, wie ſelbſtbewußt,

Wie feſt betrittſt du ſie, wie gereift im Geiſt!

Ja, leichter hebt dein freyes Haupt ſich,

Seit die metallene Laſt ihm zufiel.
[240]
Dir ſchwellt erhab'ne Guͤte das Herz, mit ihr,

Was mehr noch frommt als Guͤte — der tiefe Sinn:

Wo dieſer Schoͤpfer mangelt, ſeh'n wir

Alles zerſtuͤckelt und ſchnell verungluͤckt.
Dein Auge ſpaͤhte durch die Vergangenheit,

Es lag das Buch der Zeiten auf deinem Knie,

Gedanken pfluͤckteſt du, wie Blumen,

Ueber dem Grabe der deutſchen Vorwelt.
Dein Volk, du kennſt es. Jeglichem Zeitgeſchick,

Das ihm zu Theil ward, fuͤhlteſt und ſannſt du nach,

Und ſtill, in eigner Bruſt verheimlicht,

Trugſt du den lachenden Lenz der Zukunft.
Du haſt mit uns erlitten den Fluch des Kriegs,

Gezaͤhlt die Todesnarben der Juͤnglinge,

Die deiner Ahnherrn Strom, der Rhein, ſah

Seelen verhauchen fuͤr deutſche Freyheit.
Und nicht umſonſt verhauchen, du fuͤhlſt es wohl!

Nach jenes Caͤſars tragiſchem Untergang,

Was koͤnnten klein're Scheindeſpoten

Anders erregen, als froſt'ges Lachen?
Du aber theilſt die heilige Gluth mit uns,

Vor der in Staub ſank jener gepruͤfte Held,

Und fallen ließeſt du mit uns ihr

Eine begeiſterte, warme Thraͤne.
[241]
Dem Stein des Rechts, den edelgeſinnt und treu

Dein Vater legte, blaͤſeſt du Athem ein,

Du ſiehſt im Marmor keinen Marmor,

Aber ein kuͤnftiges Jovisantlitz.
Allein wie ſehr du Wuͤnſche des Tags verſtehſt,

Nicht horchſt du blindlings jedem Geraͤuſch, du nimmſt

Den Zepter, jenem Joſeph ungleich,

Nicht in die weltliche Fauſt der Neu'rung.
Ehrfurcht erweckt, was Vaͤter gethan, in dir,

Du fuͤhlſt verjaͤhrter Zeiten Bedeutſamkeit,

In's Wappenſchild uralter Sitte

Fuͤgſt du die Roſen der juͤngſten Freiheit.
Heil dir und Heil der Lieblichen neben dir,

Heil jedem Sproͤßling, welchen ſie dir gebar!

Wenn Kinder dich und Volk umjubeln,

Leerſt du, als Becher, des Segens Fuͤllhorn!
Wie eine Rebe, ſchattig und traubenſchwer,

Die ſchon den Keim des werdenden Rauſches naͤhrt,

Umſchlaͤngelt deinen angeerbten,

Bluͤhenden Zepter der gold'ne Friede.
Ruͤckwaͤrts erblickſt du Flammen und Krieg und Mord

Doch mild am Guͤrtel traͤgſt du das reine Schwert;

Du ſtehſt, wie jener fromme Dietrich,

Ueber den Leichen der Nibelungen.
v. Platen's Gedichte. 16[242]
So ſey (du warſt es immer, erlauchter Fuͤrſt!)

Des Friedens Schirm und jeglicher Kunſt mit ihm,

Die nur an ſeiner ſanften Waͤrme

Seelenerquickende Knospen oͤffnet.
Des Bildners Werkſtatt wimmelt von Emſigkeit,

Es haſcht der Maler ſeltengebot'nen Stoff,

Die Bretter, Schauplatz jeder Groͤße,

Biegen ſich unter dem Gang der Dichtkunſt.
Und jenen Feſtſaal, Guͤtiger, oͤffneſt du,

Voll edler Formen, wie ſie ein Meiſſel ſchuf,

An deſſen Wuͤrde, deſſen Kraft wir

Gerne verſchwenden das Ach der Sehnſucht.
Fruͤh war die Schoͤnheit deines Gemuͤths Bedarf,

Und Schoͤnes iſt ja Goͤttliches, leicht verhuͤllt

Durch einen Flor, den uns des Denkers

Weſenerforſchendes Auge luͤftet.
Und nicht vergeblich ſogſt du, mit emſ'ger Luſt,

Das tiefſte Mark altgriechiſcher Bildung ein:

Wofuͤr, als fuͤr's Vollkomm'ne, ſchluͤge

Solch ein erhabenes Herz, wie deines?
Es geht die Sage, daß du als Juͤngling einſt,

Dahingegeben thaͤtiger Einſamkeit,

Am buſch'gen Felſenſtrand der Salzach

Nur mit homeriſchen Helden umgingſt.
[243]
Und zuͤrnſt du noch, wenn trunken ein Dichter dir

Ausgießt des Lobes Weihungen? Zwar es ſind

Nur Tropfen Thau's, doch deine Sonne

Macht ſie zu farbigen Regenboͤgen.
Vergieb, o Herr! dem Dichter, der ohne dich

Verlaſſen ſtuͤnde, fremd in der Zeit und ſtumm:

Dein fuͤrſtlich Daſeyn loͤſ't den Knoten

Seiner verworrenen Lebensraͤthſel.
[244]

II.
Florenz.

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Dich hat, Florenz, dein altes Etruskervolk,

Mit wahrem Fug dich bluͤhende Stadt genannt,

Nicht weil der Arno nagt an Huͤgeln,

Deren der kahlſte von Wein und Oel trieft:
Nicht weil die Saat aus wucherndem Boden keimt,

Nicht weil des Luſtparks hohe Cypreſſen und

Steineichen, ſammt Oliv' und Lorbeer,

Neben der Pinie nie verwelken:
Nicht weil Gewerbfleiß oder Verkehr dir bluͤht,

Den and're Staͤdte miſſen, indeß du ſtolz

Freyheit genießeſt, Ruhm genießeſt

Unter der milden Geſetze Weisheit:
[245]
Nicht weil im Prunkſaal Schaͤtze der Kunſt du haͤufſt,

Vor denen jezt ſtummgaffende Britten ſtehn;

Wie manches Denkmal iſt, Florenz, dir

Fremder geworden als ſelbſt dem Fremdling!
Nie wieder tritt die Sonne der Medicis,

Was auch geſchehn mag, uͤber den Horizont,

Laͤngſt ſchlaͤft Da Vinci, Buonarotti,

Macchiavell und der alte Dante:
Allein du bluͤhſt durch deine Geſtalten fort,

Und jener Kunſt Vorbilder, ſie wandeln am

Lungarno heut wie ſonſt, ſie fuͤllen

Deine Theater noch an, wie vormals.
Kaum hat der Blick, vor zoͤgerndem Unbeſtand

Sich ſcheuend, freudvoll eine Geſtalt erwaͤhlt,

Als hoͤchſte Schoͤnheit kaum gefeiert:

Wandelt die ſchoͤnere ſchon voruͤber!
Und hat das florentiniſche Maͤdchen nicht

Von fruͤhſter Jugend liebend emporgeſtaunt

Zur Venus Tizians, und tauſend

Reize der Reizenden weggelauſchet?
Und deiner Soͤhne Muͤtter, o ſprich, Florenz!

Ob nie die ſehnſuchtsvolleren Blicke ſie

Geſenkt vor Benvenuto's Perſeus,

Oder dem himmliſchen Apollino?
[246]
Wohl mag der Neid euch zeihen der Ueppigkeit,

Frey ſpricht die Lieb' euch. Liebt und genießt, und ſtets

An ſeiner Goͤttin Buſen kuͤhle,

Kuͤhle die leuchtende Stirn Adonis!
Hier taͤndle Gluͤck und Jugend, den Dichter nur,

Zum ſtrengſten Ernſt anfeuert die Zeit nur ihn,

Und ihm zerbricht ſein fruͤh'res Leben

Unter den Haͤnden, wie Knabenſpielzeug.
Er rafft ſich auf, dem reifere Stunden grau'n,

Ihm naht der Wahrheit wehender Fluͤgelſchlag,

Und mehr und mehr Zukunft im Herzen,

Lernt er entſagen der kalten Mitwelt.
Du aber bluͤhe, gluͤckliche Stadt, hinfort

In ſolcher Schoͤnheit, ſolchem Gefuͤhl der Kraft,

Wie auf dem Springquell hier der Meergott

Jenes unſterblichen Gian Bologna!
[247]

III.
Die Pyramide des Ceſtius.

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Oeder Denkſtein, rieſig und ernſt beſchauſt du

Truͤmmer blos, Grabhuͤgel, den Scherbenberg dort,

Und die weltſchuttfuͤhrende, weg von Rom ſich

Wendende Tiber!
Stolze Prunkſucht thuͤrmte dich einſt, o Grabmal,

Als vor zwey'n Jahrtauſenden hier Auguſtus

Sich der Welt aufdrang, der erſchreckten, durch die

Leiche des Caͤſar.
Rom jedoch, kaum neigte dem Untergang ſich's,

Als das Saatkorn neuer Gewalt geſaͤt ward,

Und es ſchuf hier jener Apoſtelfuͤrſt zum

Throne den Altar.
Aber Deutſchlands rauhes Geſchlecht, das ehmals

Deinen Kriegsruhm, herrſchendes Rom, zerſtoͤrte,

Stuͤrmt noch einmal, ſtuͤrmt, o geweihtes Rom, dein

Heiliges Bollwerk!
[248]
Allzuſchwer faſt ſchwebte der Rachedaͤmon

Ueber Roms Haupt, Rache, daß einſt des frechen

Prieſters Goldſteigbuͤgel an Hohenſtaufens

Eiſerne Hand klang.
Aber Rom trozt, doppelt beſiegt und doppelt

Unbeſiegbar ſcheint es, gewoͤhnt an Hoheit,

Und des Dreyreichs blitzende Krone wankt zwar,

Aber ſie bebt nicht.
Wehe, wer nicht ſpielend im Schoos der Kirche

Als ihr Kind ruht! Wehe, denn jeden Tag droht

Prieſtermund ihm, Prieſtergemuͤth in Rom ihm

Staͤte Verdammniß!
Aber huldreich goͤnnten ſie doch des Irrthums

Soͤhnen gern hier eine geheime Ruhſtatt,

Und es kuͤhlt dein Schatten, o Bau des Ceſtius,

Nordiſche Graͤber!
Moͤchten hier einſt meine Gebeine friedlich

Ausgeſtreut ruhn, ferne der kalten Heimath,

Wo zu Reif einfriert an der Lippe jeder

Gluͤhende Seufzer.
Gern vermißt ſey, neben dem Heidengrabſtein,

Was ſo ſtreng Rom jedem Verirrten weigert:

Jenes Jenſeits, das des Apoſtels goldner

Schluͤſſel nur aufthut.
[249]
Fuͤhrt mich dorthin lieber, und ſey's die Hoͤlle,

Wo der Vorwelt wuͤrdigen Seelen Raum ward,

Wo Homer ſingt oder der lorbeermuͤde

Sophokles ausruht.
Aber ſchweigt jezt, Sterbegedanken! Bluͤht nicht

Lebensluſt rings unter dem Roͤmervolk noch,

Einem Volk, dem zehrendes Feu'r die Lieb' iſt,

Liebe die Freundſchaft?
Daure Herz, ausdulde die Zeit des Schickſals,

Wenn auch einſam! Stimme geheim, o ſtimme

Deinen bergſtromaͤhnlichen, echoreichen,

Starken Geſang an!
[250]

IV.

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Warm und hell daͤmmert in Rom die Winternacht:

Knabe, komm! Wandle mit mir, und Arm in Arm

Schmiege die braͤunliche Wang' an deines

Buſenfreunds blondes Haupt!
Zwar du biſt duͤrftigen Stands; doch dein Geſpraͤch,

O wie ſehr zieh' ich es vor dem Stutzervolk!

Weiche, melodiſche Zauberformeln

Liſpelt dein Roͤmermund.
Keinen Dank fluͤſtere mir, o keinen Dank!

Konnt' ich ſehn, ohne Gefuͤhl, an deines Augs

Wimper die ſchmerzende Thraͤne hangen?

Ach, und welch Auge dies!
Haͤtt' es je Bacchus erblickt, an Ampelos

Stelle dich haͤtt' er gewaͤhlt, an dich allein

Seines ambroſiſchen Leibs verlornes

Gleichgewicht ſanft gelehnt!
[251]
Heilig ſey ſtets mir der Ort, wo dich zuerſt,

Freund, ich fand, heilig der Berg Janiculus,

Heilig das friedliche, ſchoͤne Kloſter,

Und der ſtets gruͤne Platz!
Ja, von dort nannteſt du mir die große Stadt,

Wieſeſt mir Kirch' und Pallaſt, die Truͤmmer Sanct

Pauls, die beſegelte, leichte Barke,

Die der Strom trieb hinab.
[252]

V.
In der Neujahrsnacht.

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Seele der Welt, kommſt du als Hauch in die Bruſt des

Menſchengeſchlechts, und gebierſt ewigen Wohllaut?

Große Bilder entſtehn, und große

Worte beklemmen das Herz.
Blende mich nicht, willige Kraft, wie ein Traumbild

Blende mich nicht! o und ihr, ziehet umſonſt nicht

Meine ſorgende Stirn voruͤber,

Wandelnde Strahlen des Lichts!
Liebend bisher leitetet ihr, und ich folgte;

Hinter mir ließ ich was nicht euer Geſchenk war:

Jeden irdiſchen Glanz und jede

Stille des haͤuslichen Gluͤcks.
Immer nach euch klimmt' ich empor, und es rollt mir,

Was ich errang, wie der Kies, unter den Fuͤßen

Weg, ich blicke zuruͤck nicht,

Klimme nur weiter empor.
[253]
Irrt' ich? Es ſey. Aber wie ſehr des Verſtaͤnd'gen

Tadel mich traf, ſo gewiß (fuͤhl' es, o Tadler!)

War ich ſtrenge mir ſelbſt, ſo weit es

Stuͤrmiſche Jugend vermag.
Habt ihr umſonſt, Sterne, mich nun an der Vorzeit

Reſte gefuͤhrt, und geſtaͤhlt Augen und Herz mir?

Lehrt mich groͤßere Schritte, lehrt mich

Einen gewaltigen Gang!
Gehet hinfort leuchtender auf, und ein Flaͤmmchen

Wehe von euch, an des Haars Locke ſich ſchmiegend,

Sanft herab und erwaͤrme lieblich

Jeden Gedanken des Haupts!
[254]

VI.
Acqua Paolina.

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Kein Quell, wieviel auch immer das ſchoͤne Rom

Fluthſpendend ausgießt, ob ein Triton es ſpruͤzt,

Ob ſanft es perlt aus Marmorbecken,

Oder gigantiſchen, alten Schalen:
Kein Quell, ſo weit einſt herrſchte der Sohn des Mars,

Sey dir vergleichbar, auf dem Janiculum

Mit deinen fuͤnf ſtromreichen Armen

Zwiſchen granitene Saͤulen plaͤtſchernd.
Dort winkt mir Einſamkeit, die geliebte Braut,

Von dort beſchaut, vielfaͤltig ergoͤzt, der Blick

Das Rom des Knechts der Knechte Gottes

Neben dem Rom der Triumphatoren.
[255]
Kuͤhn ragt, ein halb entblaͤtterter Mauerkranz,

Das Coloſſeum; aber auch dir, wie ſteigt

Der Trotz der Ewigkeit in jedem

Pfeiler empor, o Pallaſt Farneſe!
Wo ſonſt des finſterlockigen Donnergotts

Siegreicher Aar ausbreitete ſcharfe Klau'n,

Da hob ſich manch Jahrhundert uͤber

Gipfel und Zinne das Kreuz und herrſchte.
Bis juͤngſt, der Schickſalslaune gewaltig Spiel,

Ein zweyter Caͤſar lenkte den Gang der Welt,

Der pflanzte ſein dreyfarbig Banner

Neben den ſchoͤnen Koloß des Phidias;
Ein Sohn der Freyheit; aber uneingedenk

Des edlen Urſprungs, einem Geſchlechte ſich

Aufopfernd, das ihn wankelmuͤthig

Heute vergoͤtterte, morgen preisgab.
O haͤtte dein weitſchallendes Kaiſerwort

Dem Volk Europa's, was es erfleht, geſchenkt,

Wohl waͤrſt du ſeines Lieds Harmodius,

Seines Geſanges Ariſtogiton!
Nun iſt verpoͤnt dein Name, Muſik erhoͤht

Ihn nicht auf Wohllautsfittigen; nur ſobald

Dein Grab ein Schiff umſegelt, ſingen

Muͤde Matroſen von dir ein Chorlied.
[256]
Und Rom? Es fiel nochmaliger Nacht anheim,

Doch ſchweigt's, und lautlos neben der herrſchenden,

Sechsroſſig aufgezaͤumten Hoffart

Schleicht der Beherrſchten unſaͤglich Elend.
Nicht mehr das Schwert handhaben und nicht den Pflug

Quiriten jezt, kaum pflegt die entwoͤhnte Hand

Den ſuͤßen Weinſtock, wurzelſchlagend

Ueber dem Schutte der alten Tugend.
Im Flammenblick nur, oder im edlen Bau

Des ſchoͤnen, freyheitluͤgenden Angeſichts

Zeigt Rom ſich noch, am Scheideweg noch,

Aber es folgte dem Wink der Wolluſt!
[257]

VII.

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Wenn du, Natur, eine Geſtalt bilden willſt,

Vor den Augen der Welt, wie viel du vermagſt, darzuthun,

Ja, dann trage der Liebling

Deiner unendlichen Milde Spur.
Alles an ihm werde ſofort Ebenmaß,

Wie ein prangender Lenz, von Bluͤthen geſchwellt, jedes

Glied;

Huldreich alle Geberden,

Alle Bewegungen ſanft und leicht.
Aber in ſein Schwaͤrmergeſicht praͤgeſt du

Den lebendigen Geiſt, und jene, wenn auch froͤhliche,

Doch kaltbluͤtige Gleichmuth,

Wiegend in Ruhe Begier und Kraft.
v. PIaten's Gedichte. 17[258]

VIII.

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Wem dein wachſender Schmerz Buſen und Geiſt be¬

klemmt,

Als Vorbote des Tods, bitterer Menſchenhaß,

Dem bluͤh'n der Geſang, die Taͤnze,

Die Gelage der Jugend nicht!
Sein Zeitalter und er ſcheiden ſich feindlich ab,

Ihm mißfaͤllt, was erfreut Tauſende, waͤhrend er

Scharfſichtige, finſt're Blicke

In die Seele der Thoren wirft.
Weh' ihm, wenn die Natur zarteren Bau vielleicht

Bildungsreicheren lieh ſeinem Gehoͤr, um durch

Kunſtvolle Muſik der Worte

Zu verewigen jede Pein!
Wenn unreifes Geſchwaͤtz oder Verlaͤumdung ihn

Kleinlichſt foltert, und er, welchen der Poͤbel hoͤhnt,

Nicht ohne geheimes Knirſchen

Unertraͤgliche Qual ertraͤgt:
[259]
Wenn Wahrheiten er denkt, die er verſchweigen muß,

Wenn Wahnſinn dem Verſtand ſchmiedet ein ehrnes Joch,

Wenn Schwaͤche des Starken Geißel

Wie ein heiliges Zepter kuͤßt:
Ja, dann wird er gemach muͤde des bunten Spiels,

Freyheitathmender weh'n Luͤfte des Heils um ihn,

Weg legt er der Taͤuſchung Mantel,

Und der Sinne geſticktes Kleid.“
Ob zwey Seelen es giebt, welche ſich ganz verſtehn?

Wer antwortet? Der Menſch forſche dem Raͤthſel nach,

Gleichſtimmige Menſchen ſuchend,

Bis er ſtirbt, bis er ſucht und ſtirbt.
[260]

IX.

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Lange begehrten wir, ruhig allein zu ſeyn,

Lange begehrten wir’s, haͤtten erreicht es heut,

Aber es theilt mit uns dieſe Genoſſenſchaft

Wein und Jugend, ein feurig Paar.
Suͤße Melancholie maͤßigt den Liebesbrand,

Zuͤchtiger Roſe gleich mitten im Nelkenſtraus,

Laͤcheln verraͤth das Maß inniger Zaͤrtlichkeit,

Kuͤſſe fallen, wie Honigthau.
Brennende Seufzer ſtets? Sage, warum? Warum

Brennende Blicke? Sind’s Boten vielleicht des Gluͤcks?

Aber du ſchweigſt? O komm, ſcheuche den dreiſten Mond,

Schleuß den Laden, geliebtes Herz!
[261]

X.
Der Thurm des Nero.

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Glaubwuͤrdiges Wort, wohnt anders es noch beym Volk,

Dann ſtieg, da er hieß anzuͤnden die Stadt, dann ſtieg

Auf jenen Thurm ſchauluſtig Nero,

Und uͤberſah die Flamme Roms.
Mordbrenner umher ausſendete ſein Machtwort,

Bacchantinen gleich, trug Jeder des Feſts Pechkranz;

Dort aber ſtand auf goldner Zinne

Der Kaiſer, der die Laute ſchlug.
Hoch ruͤhm' ich das Feu'r, ſang Jener, es iſt goldgleich,

Iſt werth des Titans, der's keck dem Olymp wegſtahl:

Zeus Adler traͤgt's, und einſt empfing es

Des Bacchus erſten Athemzug!
Komm, leuchtender Gott! Reblaub in dem Haar, tanz' uns

Weichfuͤßige Reihn, eh' vollends die Welt Staub wird:

Hier magſt du dir Rom's Aſche ſammeln,

Und miſchen deinen Wein damit!
[262]

XI.

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Stets, doch immer umſonſt, unter dem fremden Volk,

Sey's auch milde geſinnt, ſucht' ich ein zaͤrtliches,

Huldvolles Gemuͤth, wie du biſt,

Ein erwuͤnſchtes Geſpraͤch, wie deins.
Schoͤnheit ſelbſt, wie ſie bluͤht tauſendgeſtaltig hier,

Wolluſtrauſch im Gefolg aͤußerſter Weichlichkeit,

Lehrt blos, wie geſchwind zu Rauch wird

Die bewegliche Gluthbegier.
Halb gleichguͤltig beſah dies Paradies ich ſonſt,

Das dein finſteres Thor ſcheidet, o Poſilipp!

Gleichguͤltig des Mondes Diskus

In die Welle des Golfs getaucht.
Einſam wandelt' ich durch's Menſchengewuͤhl der Stadt,

Kaum einſamer des Nachts nieder am oͤden Strand,

Lautlos. Die Geſtirne ſchwiegen,

Und das Meer und der Berg Veſuv.
Als truͤbſinnig ſofort, freudeverarmt ich ging,

Ja, da fuͤhrten heran heilige Segel mir

Vom Grabe des Aeſchylus dich

An die bluͤhende Gruft Virgils.
[263]
Mehr als Jedem, o Freund! kamſt du ein Troſt mir ſelbſt:

Langher war ſo verwandt meinem Gefuͤhle kein

Augapfel, und keine Stimme

So erfreulich und ſuͤß dem Ohr!
Horch! Dein Mund, er beſchreibt jener Cyklopenſchaar

Felskluft, ſchildert Palerms reifen Orangenwald,

Malt Agrigents Gefild uns

Mit der doriſchen Pracht im Staub.
Zweyfach haben begabt ſchuͤtzende Geiſter dich:

Lehrling biſt du der Kunſt, welche das Auge lockt

Durch farbigen Reiz, und fuͤgſt auch

In den rhythmiſchen Gang das Wort.
Wann einſt wieder du ſchwebſt uͤber des Nordens Eis,

Wann Parthenope's Golf blos in der Seele dir

Nachtoͤnt, und Gebirg und Inſeln

Wie ein daͤmmernder Traum erſtehn:
Ja, dann wiſſe, daß fern deiner gedenkt ein Freund

Liebreich. Deinem Geſang wuͤnſcht er den kraͤftigen,

Hochwolkigen Schwung des Adlers,

Und den fluͤſſigen Weg des Schwans!
[264]

XII.
Einladung nach Sorrent.

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Laß, o laß, Freund, ſtieben den Staub Neapels,

Hinter dir laß jene von tauſendſtimm'gem

Kaufgeſchrey lauthallende, hochgethuͤrmte

Straße Toledo!
Wo ſo furchtlos, trotz des Gerolls der Wagen,

Auf dem Korb, den voll ſie gebracht zu Markte,

Nun er leer ſteht, ſchlummern die wegesmuͤden

Knaben des Landvolks.
Komm hieher, laß reinere Luft umwehn dich!

Sieh, wie farbreich, doppeltes Gruͤn vermiſchend,

Hier vom Oelbaum rankt zu dem andern Oelbaum

Schlingen der Weinſtock,
Deſſen Frucht ſchon rebengeſenkt herabreift:

Feige lockt, einhuͤllend in breit'res Laub ſich,

Ja, bis tief, bergtief in der Schlucht gedeihſt du,

Schoͤne Citrone!
[265]
Schatten winkt hier, Schatten und ſanfte Labung,

Die des Meers Salzwoge dem Kuͤhnen zuhaucht,

Der an Felsvorſpruͤngen erlauſcht beſchaͤumter

Brandungen Ankunft.
Baͤder auch, weichſandiger Wellengrund iſt,

Wo die Steinwand Laſten ertraͤgt von Epheu,

Grotten ſind hier, kuͤhler als San Giovanni's

Hoͤhlenvertiefung,
Wo ſo oft hinruderten uns die Schiffer,

Wo die rothblau dunkelnde See wie Purpur

Glaͤnzte. Dort, Freund, goͤnnteſt dem Freund du manche

Lehre der Schwimmkunſt.
Komm, und ſieh, hochoben vom Dach, den Spiegel

Dieſes Golfs, weiteben und ſegelreich an!

Sieh von fern herwehen den Rauch Neapels,

Sieh des Veſuvs Rauch!
Inſeln auch, komm! ſchmuͤcken das Meer: Es ſtreckt ſich

Ischia thurmgleich, Procida langgedehnt aus,

Cap Miſen ragt mitten im Abendlicht als

Nackende Felsbruſt,
Die im Kahn ſonſt ſchaukelgewiegt umſchifft wir,

Als begruͤßt wir jenes zerſtoͤrte zwar, doch

Stets in Lenzgluth ſchimmernde, ſtets mit Zephyrn

Buhlende Bajaͤ.
[266]
Unſer Bund, kein Bund, wie die meiſten, iſt er:

Zeugen ſind, holdlachende, Meer und Erdkreis,

Zeugen ſind ehrwuͤrdige Truͤmmer, welche

Roͤmergewalt ſchuf.
Deines Bilds Bild ruhte mir laͤngſt im Innern,

Seit der Freundſchaft Seelenberuf erwacht war,

Der ſo gern ſchau'n moͤchte des eignen Weſens

Edlere Selbſtheit.
Hohe Thatkraft! Adel der Form! Die Zeit hat

Tief in Roms brachliegenden Schutt verſenkt euch,

Hat als Bruchſtuͤck nieder in's Gras die ſchoͤne

Saͤule geſchleudert!
Liebe blieb, Freund! Buſen an Buſen laß uns

Dienen ihr! Einſt wieder vielleicht vermaͤhlt ſich

Ihr des Hochſinns Genius, dann erbaut auch

Wieder ein Rom ſie.
[267]

XIII.
Serenate.

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Schoͤnheitszauber erwirbt Keiner ſo leicht ohne der Sproͤ¬
digkeit

Mitgift. Dieſes erfuhr Jeder und ich, Klagender, weiß
es auch!

Zwar mir laͤchelte manch freundlicher Blick ſuͤße Ver¬
ſtaͤndigung

Zu; bald waͤr' ich erhoͤrt, braͤchte mir, ach! blinder Ge¬
nuß Genuß;

Doch ich ſeufze ja nur Liebe zu dir, Liebe zu dir ja nur!

Ach, und waͤhrend ich hier klage, vielleicht dient ein Ge¬
ſtirn indeß

Als Wegweiſer fuͤr Ihn, welcher den Arm uͤber die
Schulter dir

Legt, und Kuͤſſe vielleicht, freudeberauſcht, griechiſchen
Lippen ſtiehlt.
[268]

XIV.

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Wo fuͤr Metall feil Glauben und Tugend iſt,

Gilt als Verdienſt wegſtoßende Sproͤdigkeit:

Daß du mir ausweichſt, weckt in mir erſt

Deiner Umarmungen ſuͤße Sehnſucht.
Reiz lockt und Schoͤnheit, deren die Welt entlang

Kein reicher Maß ausſpendete Gott als hier;

Doch ſchmerzt die Habſucht Jeden, welchem

Liebe begluͤckender als Genuß duͤnkt.
Huldreiches Wort anhoͤren mit offner Hand,

Was kennt das Herz Unedleres? Ach, es klagt,

Daß, gleich der Peſt, Leichtſinn entſtelle

Solche Geberden und ſolche Zuͤge!
Noch ſezt in dich mein glaͤubiger Muth indeß

Sein feſt Vertrau'n, hofft liebebethoͤrt, es ſey

Voll Zartgefuͤhl dein Buſen, deine

Wange die Wange der Scham und Unſchuld.
[269]
Dies macht verklaͤrt dein Auge, das meine ſieht,

Wie deines Leibs Gliedmaßen Unſterblichkeit

Ausdruͤcken. Nun erſt mag in vollen

Wonnepokalen die Seele ſchwelgen.
[270]

XV.
An Goethe.

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Wenn auch Natur mir Weihe verlieh, und auch,

Tonreicher Bruſt Urbilder an's Licht zu ziehn,

Mir Geiſteskraft gab, ihr verſchwiſternd

Eine bewegliche, weiche Seele:
Mehr als Natur lieh'n Zeit und Geſchick, ſie lieh'n

Mir Werth des Daſeyns, Fuͤlle des Gegenſtands

Durch Ihn, den Schmuck Deutſchlands und Baierns,

Der das Erhabene denkt und ausfuͤhrt.
Auf fernem Eiland wandelte ſchweifend ich;

Doch drang bis hieher, uͤber Gebirg und Meer,

Wie Koͤnig Ludwig dir, o Goethe!

Reichte den ſpaͤteſten, ſchoͤnſten Lorbeer.
Dies iſt ein Kranz, gleich jenem, wodurch Athen

Glorreichen Lohn ſchlang dichtender Siegerſtirn,

Ja, welker iſt, glanzloſer jener

Kapitoliniſche Zweig Petrarca's.
[271]
Denn daß die Dichtkunſt irgend ein edles Volk

Aufregend hinreißt, Staunen erweckt es kaum;

Doch wer erſtaunt nicht, wenn ein deutſcher

Koͤnig im Buſen erzieht Begeiſt'rung?
Schutzherr der Kunſt wird? Seltener, ſeltner iſt's,

Als jenes Mann's Kronperle, die leuchtende,

Die einſt der Ehrgeiz Kleopatra's

Warf in den Becher und ſtolz zermalmte.
Dein friedlich Dach, Fußtritte der Koͤnige

Noch nicht gewohnt, ehrwuͤrdiger Saͤnger, der

Eugenien ſchuf uns, Iphigenien,

Eleonoren und Dorothea,
Weiht Koͤnig Ludwigs heilige Gegenwart

Zum Tempel ein. Dich kraͤnzte Verdienſt, o Greis,

Und Koͤnig Ludwig lebt, als muͤßt' er

Werben um die er beſizt, die Krone.
[272]

XVI.

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Liebe, Liebreiz, Winke der Gunſt und Alles,

Was ein Herz darbeut und ein Herz erwiedert,

Wenig frommt's, leiht nicht die Gelegenheit ihm

Athem und Daſeyn.
Dich zu ſehn, ſchien Fuͤlle des Gluͤcks, und bebend

Staunt' ich dir, traumaͤhnliches Bild der Schoͤnheit!

Nie an Wuchs, Antlitz und Geſtalt erblickt' ich

Dieſe Vollendung!
Deiner Form wolluͤſtige Reize koͤnnten

Heißern Wunſch aufregen; allein zur Erde

Senkt ſogleich anbetenden Sinn des Auges

Ewige Hoheit.
Ach, es hat dein brennendes Auge mir ſich

Zugewandt, huldvolle Geſpraͤche ſprach es,

Ja, ich ſah's anfuͤllen ſich ſanft, vergehn im

Thaue der Sehnſucht!
[273]
Alter Zeit Eindruͤcke beſtuͤrmten neu mich,

Euch an Kraft gleich, Schmerzen der erſten Liebe!

Tief im Ohr nachtoͤnend erklang verſchollner

Knabengeſang mir.
Wehe mir, mir, welcher ein einzig Mal dich

Durfte ſehn! Nie leuchtet ein Wiederſehn uns!

Deiner Spur nachforſcht' ich das große Rom durch,

Ewig erfolglos.
Auf und ab ſtets irrend, ſo weit die Tiber,

Hadrians Grabveſte voruͤber, endlich

Jenen Kranz ſchlankſtaͤmmiger Saͤulen nezt am

Tempel der Veſta.
v. Platen's Gedichte. 18[274]

XVII.

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⏑ ⏑ — ⏑ —, — — ⏑ ⏑ —

— ⏑ —, — ⏑ ⏑ —, — ⏑ —

— ⏑ ⏑ —, — ⏑ ⏑ —
Roms Mauern, Roms Prachtgaͤrten, wo ſtets

Die Cypreſſe ragt, ſchwermuͤthig und ſtolz,

Wiederum ſchließen ſie mich friedlich ein,

Rollen der Welt Sage mir auf.
Dich haͤlt mit Recht Parthenope feſt,

Wo die heit're See Glanz ſtreut, wo indeß

Aloen, maͤchtig an Wuchs, uͤberbluͤhn

Jede den Fels ſpiegelnde Bucht.
Dorthin, o Freund, bald kehr' ich zuruͤck:

Es erſehnt das Herz manch laͤndlichen Ort,

Waͤhrend oft ſchaffender Trieb dichteriſch

Meines Gemuͤths Saite beſchwingt.
Auf Wogen traͤgt Unruhe den Geiſt,

Sie erhebt und ſenkt fernſchiffenden Wunſch;

Sey es nun liebender Drang, oder ſey's

Kuͤnftiger That heiße Begier.
[275]
Mein Leben mag Frucht bringen, es mag

Wie die Knospe herb' abfallen im Lenz:

Er verhaͤngt's, welcher dem Aug' unbekannt

Wirft des Geſchicks blutigen Pfeil.
Mag Unverſtand mich richten und Haß

In dem Land, wo Teuts Urſprache gebluͤht,

Bleiben wird, Jahre hindurch, meines Lieds

Echo, bis auch dieſes entſchwebt.
Jezt leuchtet Roms Suͤdhimmel mir noch,

Und er liegt ſo rein auf Stadt und Gebirg:

Ueber dein offenes Dach, Pantheon,

Fuͤhrt er entlang Sterne der Nacht.
Hier feſſelt bald vorzeitlicher Kunſt

Unerreichte Kraft mich, Goͤtter in Stein,

Oder bald neueren Ruhms Farbenhauch,

Wann er verklaͤrt ſinnigen Stoff:
Wenn Guido's Eos Roſen verſtreut,

Und empor ſich ſchwingt Schoͤnheit zum Apoll;

Doch Saturn haͤlt ſie zuruͤck ſtreng. Es hat's

Dominichin's Pinſel gedacht.
[276]

XVIII.

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Mag altroͤmiſche Kraft ruhen im Aſchenkrug,

Seit Germania ſich loͤwenbeherzt erhob;

Dennoch ſiehe, verraͤth manche behende Form

Roms urſpruͤngliche Seele, Roms
Juͤngling ſeh' ich, um den ſtaͤubte des Uebekampfs

Marsfeld, oder getheilt ſchaͤumte die Tiber, der

Voll kriegsluſtigen Sinns, gegen Cherusker ſelbſt,

Wurfabwehrende Schilde trug.
Dich als Sieger gewahrt gerne der Blick. Wie dich

Schuf einſt attiſche Kunſt jenes begeiſterten,

Weinſtocknaͤhrenden Gotts praͤchtige, doch zugleich

Schamhaft weiche Geſtalt, o Freund!
Ja, dich moͤcht' ich im Streit gegen den Inder ſchau'n,

Wann dein Siegergeſpann fleckige Panther ziehn,

Dich als Liebenden ſchau'n, wann Ariadnen dein

Purpurn ſehniger Arm umſchließt.
[[277]]

Eklogen.

[[278]][[279]]

I.
Die Fiſcher auf Capri.

Haſt du Capri geſehn und des felſenumguͤrteten Eilands

Schroffes Geſtad als Pilger beſucht, dann weißt du, wie
ſelten

Dorten ein Landungsplatz fuͤr nahende Schiffe zu ſpaͤhn iſt:

Nur zwey Stellen erſcheinen bequem. Manch maͤchtiges
Fahrzeug

Mag der geraͤumige Haven empfahn, der gegen Neapels

Lieblichen Golf hindeutet und gegen Salerns Meerbuſen.

Aber die andere Stelle (ſie nennen den kleineren Strand
ſie)

Kehrt ſich gegen das oͤdere Meer, in die wogende Wild¬
niß,

Wo kein Ufer du ſiehſt, als das, auf welchem du ſelbſt
ſtehſt.

Nur ein geringeres Boot mag hier anlanden, es liegen

Felſige Truͤmmer umher, und es braust die beſtaͤndige
Brandung.

Auf dem erhoͤhteren Felſen erſcheint ein zerfallendes Vor¬
werk,

[280]
Mit Schießſcharten verſehn; ſey's, daß hier immer ein
Wachthurm

Ragte, den offenen Strand vor Algiers Flagge zu huͤten,

Die von dem Eiland oft Jungfrauen und Juͤnglinge weg¬
ſtahl;

Sey's, daß gegen den Stolz Englands und erfahrene See¬
kunſt

Erſt in der juͤngeren Zeit es erbaut der Napoleonide,

Dem Parthenope ſonſt ausſpannte die Pferde des Wagens,

Ihn dann aber verjagte, verrieth, ja toͤdtete, da er

An's treuloſe Geſtad' durch ſchmeichelnde Briefe gelockt
ward.

Steigſt du herab in den ſandigen Kies, ſo gewahrſt du
ein Felsſtuͤck

Niedrig und platt in die Wogen hinaus Trotz bieten der
Brandung;

Dort anlehnt ſich mit rundlichem Dach die beſcheidene
Wohnung

Duͤrftiger Fiſcher, es iſt die entlegenſte Huͤtte der Inſel,

Blos durch rieſige Steine beſchuͤzt vor ſtuͤrmiſchem An¬
drang,

Der oft uͤber den Sand wegſpuͤhlt und die Schwelle be¬
nezt ihr.

Kaum hegt, irgend umher, einfachere Menſchen die
Erde;

Ja kaum hegt ſie ſie noch, es ernaͤhrt ſie die ſchaͤumende
Woge.

Nicht die Gefilde der Inſel bewohnt dies arme Geſchlecht,
nie

Pfluͤckt es des Oelbaums Frucht, nie ſchlummert es un¬
ter dem Palmbaum:

Nur die verwilderte Myrte noch bluͤht und der wuchernde
Caktus

[281]
Aus unwirthlichem Stein, nur wenige Blumen und
Meergras;

Eher verwandt iſt hier dem gewaltigen Schaumelemente

Als der beackerten Scholle der Menſch und dem uͤppigen
Saatfeld.

Gleiches Geſchaͤft erbt ſtets von dem heutigen Tage der
naͤchſte:

Immer das Netz auswerfen, es einziehn; wieder es
trocknen

Ueber dem ſonnigen Kies, dann wieder es werfen und
einziehn.

Hier hat fruͤhe der Knabe verſucht in der Welle zu plaͤt¬
ſchern,

Fruͤhe das Steuer zu drehen gelernt und die Ruder zu
ſchlagen,

Hat als Kind muthwillig geſtreichelt den rollenden Del¬
phin,

Der, durch Toͤne gelockt, an die Barke heran ſich waͤlzte.

Moͤg' euch Segen verleihn ein Gott, und jeglichem Tag¬
werk,

Friedliche Menſchen, ſo nah der Natur und dem Spiegel
des Weltalls!

Moͤge, da groͤßeren Wunſch auch nie die Begierde ge¬
liſpelt,

Moͤge der Thunfiſch oft, euch Beute zu ſeyn, und der
Schwertfiſch

Hier anſchwimmen! Es liebt ſie der Eſſer im reichen
Neapel.
Gluͤckliche Fiſcher! wie auch Kriegsſtuͤrme verwandelt den
Erdkreis,

Freye zu Sclaven gemacht und Reiche zu Duͤrftigen, ihr
nur

[282]
Saht hier Spanier, ſaht hier Britten und Gallier herr¬
ſchen,

Ruhig und fern dem Getoͤſe der Welt, an den Graͤnzen
der Menſchheit,

Zwiſchen dem ſchroffen Gekluͤft und des Meers aufſchwel¬
lender Salzfluth.

Lebet! Es lebten wie ihr des Geſchlechts uraͤlteſte Vaͤ¬
ter,

Seit dies Eiland einſt von dem Sitz der Sirene ſich
losriß,

Oder die Tochter Auguſts hier ſuͤße Verbrechen beweinte.
[283]

II.
Bilder Neapels.

— —́ — ⏑ ⏑ — ⏑ ⏑ — ⏑ ⏑ — ⏑ —


Fremdling, komm in das große Neapel, und ſieh's, und
ſtirb!

Schluͤrfe Liebe, geneuß des beweglichen Augenblicks

Reichſten Traum, des Gemuͤthes vereitelten Wunſch ver¬
giß,

Und was Quaͤlendes ſonſt in das Leben ein Daͤmon wob:

Ja, hier lerne genießen, und dann, o Begluͤckter, ſtirb! —

Im Halbzirkel umher, an dem lachenden Golf entlang,

Unabſehlich benezt von dem laulichen Wogenſchwall,

Liegt von Schiffen und hohen Gebaͤuden ein weiter Kreis;

Wo ſich zwiſchen die Felſengekluͤfte des Bacchus Laub

Draͤngt, und ſtolz ſich erhebt in die Winde der Palmen¬
ſchaft. —

Stattlich ziehn von den Huͤgeln herab ſich die Wohnungen

Nach dem Ufer, und platt, wie ein Garten, erſcheint das
Dach:

Dort nun magſt du die See von der Hoͤh' und den Berg
beſehn,

Der ſein aſchiges Haupt in den eigenen Dampf verbirgt,

Dort auch Roſen und Reben erziehn und der Aloe

Starken Wuchs, und genießen die Kuͤhle des Morgen¬
winds. —

Fuͤnf Kaſtelle beſchirmen und baͤndigen keck die Stadt:

[284]
Dort Sanct Elmo, wie drohts von dem gruͤnenden Berg
herab!

Jenes andere, rings von Gewaͤſſer umplaͤtſchert, einſt

War's der Garten Lukulls, des entthronten Auguſtulus

Schoͤnes Inſelaſyl, in die Welle hinausgeſtreckt. —

Wo du gehſt, es ergießen in Stroͤmen die Menſchen ſich:

Willſt zum Strande du folgen vielleicht und die Fiſcher
ſehn,

Wie mit nerviger Kraft an das Ufer ſie ziehn das Netz,

Singend, froͤhliches Muths, in begluͤckender Duͤrftigkeit?

Und ſchon lauert der bettelnde Moͤnch an dem Uferſand,

Heiſcht ſein Theil von dem Fang, und die Milderen rei¬
chen's ihm.

Ihre Weiber indeß, in beſtaͤndiger Plauderluſt,

Sitzen unter den Thuͤren, die Spindel zur Hand, umher.

Sieh, da zeigt ſich ein heiteres Paar, und es zieht im
Nu

Caſtagnetten hervor und beginnt die bacchantiſche

Tarantella, den uͤppigen Tanz, und es bildet ſich

Um die Beyden ein Kreis von Beſchauenden flugs um¬
her ;

Maͤdchen kommen ſogleich und erregen das Tamburin,

Dem einfacheren Ohr der Zufriedenen iſt's Muſik:

Zierlich wendet die Schoͤne ſich nun, und der bluͤhende

Juͤngling auch. Wie er ſpringt! Wie er leicht und be¬
hend ſich dreht,

Stampfend, Feuer im Blick! Und er wirft ihr die Roſe zu.

Anmuth aber verlaͤßt den Begehrenden nie, ſie zaͤhmt

Sein wolluͤſtiges Auge mit reizender Allgewalt:

Wohl dem Volke, dem gluͤcklichen, dem die Natur verliehn

Angeborenes Maß, dem entfeſſelten Norden fremd! —

Durch's Gewuͤhle mit Muͤh', ein Ermattender, draͤngſt
du dich,

[285]
And're Gaſſen hindurch; der Verkaͤufer und Kaͤufer Laͤrm

Ringsum. Horch, wie ſie preiſen die Waare mit lautem
Ruf!

Kaͤuflich Alles, die Sache, der Menſch, und die Seele
ſelbſt.

Aus Caroſſen und ſonſtigem Pferdegeſpann, wie ſchrey'n

Wagenlenker um dich, und der duͤrftige Knabe, der

Auf die Kutſche ſogleich, dir ein Diener zu ſeyn, ſich ſtellt.

Sieh, hier zuͤgelt das Cabriolett ein beleibter Moͤnch,

Und ſein Eſelchen geiſſelt ein anderer wohlgemuth.

Kuppler liſpeln indeß, und es winſelt ein Bettler dir

Manches Ave, verſchaͤmt das Geſicht mit dem Tuch be¬
deckt.

Dort ſteht muͤſſiges Volk um den hoͤlzernen Pulcinell,

Der vom Marionettengebaͤlke poſſirlich glozt;

Hier Wahrſager mit ihren geſprenkelten Schlangen; dort

Magſt du loͤſchen den Durſt an der Bude des Acquajuols,

Der Eiswaſſer vermengt und der herben Limone Saft.

Alles tummelt im Freyen ſich hier: der geſchaͤftige

Garkoch ſiedet, er fuͤrchtet den ſeltenen Regen nicht;

Ihn umgibt ein Matroſengeſchwader, die heiße Koſt

Schlingend gieriges Muths. An die Ecke der Straße dort

Sezt ihr Tiſchchen mit Kupfermoneten die Wechslerin,

Hier den Stuhl der gewandte Barbier, und er ſchabt,
nachdem

Erſt entgegen dem ſonnigen Strahl er ein Tuch geſpannt.

Dort im Schatten die Tiſche des fertigen Schreibervolks,

Stets bereit zu Bericht und Supliken und Liebesbrief,

Ob ein Knabe diktire der fernen Erſehnten ſein

Seufzen, oder ein leidendes Weib den verwieſenen

Gatten troͤſte, verbannt nach entlegener Inſel, ihn,

Der ſein freyes Gemuͤth in dem unterſten Kerker quaͤlt

Hoffnungslos, und den Lohn, der erhabenen Tugend Lohn,

[286]
Erndtet. — Aber entferne die ſchattende Wolke, Schmerz! —

Auch zum Molo bewegt ſich die Menge, wo hingeſtreckt

Sonnt die nackenden Glieder der braͤunliche Lazzaron.

Capri ſiehſt du von fern in dem ruhigen Wellenſpiel;

Schiffe kommen und gehn, es erklettern den hoͤchſten Maſt

Flugs Matroſen, es ladet die Barke dich ein zur Fahrt.

Den Erzaͤhler indeſſen umwimmelt es, Jung und Alt,

Stehend, ſitzend, zur Erde gelagert und uͤber's Knie

Beyde Haͤnde gefaltet, in horchender Wißbegier:

Roland ſingt er, er ſingt das gefabelte Schwert Rinalds;

Oft durch Gloſſen erklaͤrt er die ſchwierigen Stanzen, oft

Unterbrechen die Hoͤrer mit muthigem Ruf den Mann.

Auferſteh' o Homer! Wenn im Norden vielleicht man dich

Kalt wegwieſe von Thuͤre zu Thuͤr', o ſo faͤndſt du hier

Ein halbgriechiſches Volk und ein griechiſches Firmament! —

Mancher Dichter vielleicht, in der Oede des Nords erzeugt,

Schleicht hier unter dem Himmel des Gluͤcks, und dem
Heimathland

Stimmt er ſuͤßen Geſang und gediegenen Redeton,

Den es heute vermag zu genießen und morgen noch,

Der zunimmt an Geſchmack mit den Jahren, wie deutſcher
Wein:

Freyheit ſingt er und maͤnnliche Wuͤrde der feigen Zeit,

Schmach dem Heuchler und Fluch dem Bedruͤcker, und
Jedem, der

Knechtſchaft prediget, welche des Menſchengeſchlechts Ver¬
derb.

Ach, nicht waͤhnt er den Neid zu beſiegen und weilt ent¬
fernt,

Taub den Feinden und hoffend, es werde die ſpaͤt're Welt

Spreu von Waizen zu ſcheiden verſtehn. — Wie erhaben
ſinkt

Schon die Sonne! Du ruhſt in der Barke, wie ſuͤß gewiegt!

[287]
Weit im Zirkel umher, an dem buſigen Rand des Golfs,

Zuͤnden Lichter und Flaͤmmchen ſich an in Unzaͤhligkeit,

Und mit Fackeln befahren die Fiſcher das gold'ne Meer.

O balſamiſche Naͤchte Neapels! Erlaͤßlich ſcheint's,

Wenn auf kurze Minuten das ſchwelgende Herz um euch

Selbſt Sanct Peter vergißt und das goͤttliche Pantheon,

Monte Mario ſelbſt, und o Villa Pamfili, dich,

Deiner Brunnen und Lorbeerumſchattungen kuͤhlſten
Sitz! —

Doch der Morgen erſcheint, und der Gipfel des Tags nach
ihm:

Trauſt du ſchon dem Geliſpel der Welle dich an? Wohin?

Fuͤhrt ein Wind die Orangengeruͤche Sorrents heran?

Ja, ſchon ſchimmert von fern an dem Strande, mit Taſſo's
Haus,

Jene felſige Stadt, die berauſchende, voll von Duft.
[288]

III.
Amalfi.

Feſttag iſt's und belebt ſind Zellen und Gaͤnge des Kloſters,

Welches am Felsabhang, in der Naͤhe des ſchoͤnen Amalfi,

Fluth und Gebirge beherrſcht, und dem Auge behaglichen
Spielraum

Goͤnnt, zu den Fuͤßen das Meer und hinaufwaͤrts kantige
Gipfel,

Steile Terraſſen umher, wo in Lauben die Rebe ſich auf¬
rankt.

Doch nicht Moͤnche bewohnen es mehr, nicht alte Choraͤle

Hallen im Kirchengewoͤlb' und erwecken das Echo des
Kreuzgangs:

Leer ſteht Saal und Gemach, in den Kalktufgrotten der
Felswand

Knien, der Gebete beraubt, eingehende Heiligenbilder.

Sonntags aber entſchallt den veroͤdeten, langen Gebaͤuden

Frohe Muſik, es beſucht ſie die luftige Jugend Amalfi's:

Kinder beſchwingen im Hof, blitzaͤugige Knaben, den Kreiſel

Raſch an der Schnur, und fangen den taumelnden dann
in der Hand auf;

Aeltere werfen die Kugel indeß, die Entfernungen meſſend,

Zaͤhlen, im Spiele der Morra, die Finger mit hurtigem
Scharfblick,

Oder ſie ſtimmen zu rauhem Geſang einfache Guitarren,

Freudebewegt. Theilnehmend erſcheint ein geſitteter Juͤng¬
ling

Unter der Schaar, doch nicht in die Spiele ſich ſelbſt ein¬
mengend;

[289]
Hoch vom ſteilen Gebirge, das Feſt zu begehn in Amalfi,

Schoͤn wie ein Engel des Herrn, in die Tiefe herunterge¬
ſtiegen:

Reizend in Ringen umkraͤuſelt die Brau'n ſchwarzlockigen
Haupthaars

Schimmernde Nacht, rein leuchtet die bluͤhende Flamme
des Auges,

Nie von Begierde getruͤbt und dem Blick zweydeutiger
Freundſchaft,

Welche dem kochenden Blut in der ſuͤdlichen Sonne ge¬
mein iſt.

Doch wer kann, da die Zeit hinrollt, feſthalten die Schoͤn¬
heit?
Schweige davon! Rings gaͤhnt, wie ein Schlund, die ge¬
wiſſe Zerſtoͤrung:

Tritt auf jene Balkone hinaus, und in duftiger Ferne

Siehſt du das Ufer entlegener Bucht und am Ufer erblickſt du

Herrlicher Saͤulen in Reih'n aufſtrebendes, doriſches Bild¬
werk.

Nur Eidechſen umklettern es jezt, nur flatternde Raben

Ziehen geſchaart jezt uͤber das offene Dach lautkreiſchend;

Brombeere decken die Stufen, und viel giftſamiges Unkraut

Kleidet den rieſigen Sturz abfallender Truͤmmer in Gruͤn ein.

Seit Jahrtauſenden ruht, ſich ſelbſt hinreichend und einſam,

Voll trotzbietender Kraft dein fallender Tempel, Poſeidon,

Mitten im Haidegefild und zunaͤchſt an des Meers Einoͤde.

Voͤlker und Reiche zerſtoben indeß, und es welkte fuͤr ewig

Jene dem Lenz nie wieder gelungene Roſe von Paͤſtum!
Aber ich laſſe den Geiſt abirren. O komm nach Amalfi,

Komm nach Amalfi zuruͤck! Hier fuͤhrt ein lebendiges Tag¬
werk

v. Platen's Gedichte. 19[290]
Menſchen voruͤber. Wenn auch einſtuͤrzen die Burgen der
Vaͤter

Auf des Gebirgs Vorſpruͤngen, wenn auch kein Maſſaniello,

Der die Gemuͤther des Volks durch ſiegende Suada dahinriß,

Willkuͤhr haßt, noch branden die Wellen, es rudert der Enkel,

Wie es der Ahnherr that in den bluͤhenden Tagen des Frey¬
ſtaats,

Noch aus heimiſcher Bucht, aufziehend die Segel, das Fahr¬
zeug.
Sprich, was reizender iſt? Nach Suͤden die Flaͤche der Salz¬
fluth,

Wenn ſie ſmaragdgruͤn liegt um zackige Klippen und anwogt,

Oder der plaͤtſchernde Bach nach Norden im ſchattigen Muͤhl¬
thal?

Sey mir, werde gegruͤßt dreymal mir, ſchoͤnes Amalfi,

Dreymal werde gegruͤßt! Die Natur lacht Segen, es wandeln

Liebliche Maͤdchen umher und gefaͤllige Knabengeſtalten,

Wo du den Blick ruhn laͤſſeſt in dieſem Aſyle der Anmuth.

Ja, hier koͤnnte die Tage des irdiſchen Seyns ausleben,

Ruhig wie ſchwimmendes Silbergewoͤlk durch Naͤchte des
Vollmonds,

Irgend ein Herz, nach Stille begierig und ſuͤßer Beſchraͤn¬
kung.
Aber es laͤßt ehrgeiziger Bruſt unſtaͤte Begier mich

Wieder verlaſſen den Sitz preiswuͤrdiger Erdebewohner,

Bannt am Ende vielleicht in des Nords Schneewuͤſte zu¬
ruͤck mich,

Wo mein lautendes Wort gleichlautendem Worte begegnet.
[291]

IV.
Hirte und Winzerin.

Winzerin.
Sey willkommen im Freyen, Antonio! Selten erſcheinſt
du:

Siehe, wie klar fernher duftet das blaue Gebirg!
Hirte.
Hier an des Weinbergs Thuͤr und am Thore der Villa
Borgheſe

Hab' ich um dich oftmals, aber vergebens, geforſcht.
Winzerin.
Geſtern am Feſttag war ich in Rom, und in Sanct
Agneſe

Auf dem Navoniſchen Platz hoͤrt' ich die ſchoͤne Muſik.
Hirte.
Sahſt du den ſchoͤnen Sebaſtian auch in der linken Ka¬
pelle?

Unter den Heiligen iſt dieſer, der nackte, beliebt.
Winzerin.
Unter den Liebenden ſind in der Seele die Frechen ver¬
haßt mir:

Rohes Geſpraͤch ſchreckt ab, zierliche Rede gefaͤllt.
[292]
Hirte.
Hab' ich die ſuͤßeſten doch, die geſcheuteſten Worte ver¬
ſchwendet!

Froſtig beharrſt du, wie dort auf dem Sorakte der Schnee.
Winzerin.
Kommt Weihnachten heran, mein Suͤßer, und reift die
Orange,

Werde mit Fruͤchten der Korb, welchen ich gebe, gefuͤllt.
Hirte.
Deinem Geliebten den Korb anbieten, du wuͤrdeſt es nie
thun,

Haͤtte Vincenz nicht mich, deinen Geliebten, verdraͤngt.
Winzerin.
Waͤre Vincenz mir werth, nie haͤtt' ich zu ſchaͤmen der
Wahl mich,

Ehe der Flaum ihm ſchwoll, kuͤßteſt den Schoͤnen du ſelbſt.
Hirte.
Mir nun iſt er ein Gegner geworden, und geſtern in
heft'gen

Wechſelgeſangs Wettſtreit improviſirt' ich mit ihm.
Winzerin.
Ihm fehlt ſelten ein Reim, auch dir fehlt ſelten ein
Reim, Freund!

Aber des Volks Beyfall wurde dem Knaben zu Theil.
[293]
Hirte.
Weil er in ſammtener Jacke ſtolzirt und die Schaͤrpe ſo
ſchoͤn traͤgt,

Ihm d'rum ſchenken die Frau'n, goͤnnen die Maͤnner
den Preis.
Winzerin.
Kein gleichguͤltiger Punkt in der Lieb' iſt zierliche Klei¬
dung,

Feineren Sitten entſpricht gerne der feinere Hut.
Hirte.
Blos mit dem Spitzhut ſiehſt du mich gehn und in zot¬
tigem Wollvließ;

Aber ich kann gleich ihm zaͤrtlich empfinden und zart.
Winzerin.
Freund! Jezt eil' ich hinein. Schon laͤutet es Ave
Maria,

Hinter den Marioberg gleitet die Sonne hinab.
Hirte.
Laß halboffen, o laß halboffen die Thuͤre des Weinbergs,

Fuͤhle, wie ſehr Sehnſucht meine Gebeine verzehrt!
Winzerin.
Dort ſchon glaͤnzt ein Geſtirn und es glaͤnzt dein leuch¬
tendes Auge;

Aber du mußt Abſchied nehmen, ich ſchließe die Thuͤr.
[294]
Hirte.
Siehe der ſtraͤubenden Hand den eroberten Schluͤſſel ent¬
wind' ich:

Liebliches Kind, oftmals frommt in der Liebe Gewalt.
Winzerin.
Gieb mir wieder den Schluͤſſel, Verrath in der Liebe
geziemt nicht!

Wer in dem Streit nachgiebt, feſſelt ein weibliches Herz.
Hirte.
Wer in dem Streit nachgiebt, giebt Stoff zu Gelaͤchter.
Allein jezt

Gehe hinein, ſchon wird's dunkel, o gehe hinein!
Winzerin.
Spoͤtter! Ich gehe, du magſt nachfolgen, ich weiche der
Liſt blos;

Doch Jedwedem geheim bleibe der ſpaͤte Beſuch!
[[295]]

Hymne.

[[296]][[297]]

Abſchied von Rom.

— ⏑ — — — ⏑ ⏑ — ⏑ ⏑ — — — ⏑ —

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— ⏑ — — — ⏑ ⏑ — ⏑ ⏑ — — — ⏑ ⏑ — ⏑ ⏑ — —

— ⏑ ⏑ — ⏑ ⏑ — — — ⏑ —

— ⏑ ⏑ — ⏑ ⏑ —

⏑ ⏑ — — — ⏑ —

— ⏑ — — — ⏑ —
Wer vorbeyziehn darf an dem Appiſchen Weg, ſuͤdwaͤrts
gewandt,

Wem aus des Sumpflands Wieſe der magiſchen Goͤttinn

Vorgebirg ragt, (welche dereinſt dem Odyſſeus reichte den
Becher, indem ſie

Suͤßen Geſang an dem Webſtuhl ſanft erhob)

Nenne begluͤckt ſich, er hat

Die umwoͤlkt ſchwermuͤthige

Fieberluft Roms hinter ſich!
[298]
Frommt der Sehnſucht langeverſchollener That lebloſer
Hauch?

Frommt jenes urzeitkundigen Mannes Bericht uns,

Der erzaͤhlt, hier wurde geraubt ein Geſpann Pflugſtiere
dem Sohne des Zeus, dort

Legte den ewigen Grundſtein Romulus,

Hier am Egeriſchen Quell,

Wo ein Hain ſonſt rauſchte, trank

Numa Weisheit, frommt es uns?
Wuͤſtenei'n blos blieben und Truͤmmer. Erſpaͤhn mag,
zeigen mag

Neugier den Unheilsort, wo der blutende Caͤſar

Lag, des Orts Bildſaͤule ſogar, Bildſaͤule des goͤttlichen
Feldherrn,

Der, in Pharſalus entmannt, durch Tempe's Thal

Floh, das elyſiſche Thal,

Wo des Stromgotts Urne laͤngs

Gruͤner Au'n Goldfluthen gießt.
Doch ein Fahrzeug ſegelte bald in des Mordſtrands Haven
ihn:

Nicht ohne Gram, nicht ohne die Thraͤne der Wehmuth,

Sah des Todfeinds Leiche der Sieger, gedenk ehmaliger
Tage der Freundſchaft,

Oder beweinend im Geiſt Roms Loos, er ſelbſt

Roͤmer, der Frevelnde, der

Es geſtuͤrzt. Zeitlaͤufte flohn,

Aber Rom ſank, ſank und ſinkt.
[299]
Zwar es faͤllt langſam, wie das Dauernde faͤllt, gro߬
artigem

Mannſinne gleich, der Sphaͤrengeſaͤnge des Wohllauts

Jener Welt — zufuͤhrt dem ermuͤdenden Werktagsleben und
Schwaͤrmer gehoͤhnt wird,

Waͤhrend allein er das All klardenkend waͤgt;

Doch der Beladene beugt

In den Staub allmaͤhlig ſein

Sinnend Haupt leidvoll hinab.
Alſo Rom. Nichts frommte der uͤppige Prunk blutgie¬
riger

Selbſtherrſcher ihm. Neuſproſſende Palme des Glaubens,

Die du blos tiefſinnige Schatten umherwarfſt uͤber die
Male der Vorzeit,

Retteten Glanz und des Pomps Scheinkuͤnſte dich?

Moͤge die Schulter des Volks

Den Juwelſtuhl tragen, der

Deines Gotts Statthalter traͤgt!
Aus dem Prachtſchutt Roms den korinthiſchen Knauf, ja,
Saͤulenreihn

Wegfuͤhrend ſtuͤzt, Raubſucht zu verewigen, ſinnlos

Dein Levit Bethaͤuſer in gothiſcher Form, Unſchoͤnes und
Schoͤnes in Einklang

Zwingend umſonſt. Es erhebt Sanct Peter ſein

Kuppelerhabenes Dach:

Den Titansbau ſtoͤrt indeß

Wittenbergs ſtahlharter Moͤnch.
[300]
Nun verlor dein Schluͤſſel, Apoſtelgewaltherrſchaft, die
Gunſt,

Er, der der Weltſtadt Segen ertheilt und dem Welt¬
kreis :

Nur Erinnrung blieb. Sie entriß die Heroen altheidni¬
ſcher Sage dem Erdſchutt:

Blutend verhaucht der Athlet ſiegswerthe Kraft,

Pfeile verſendet der Gott

Des Geſangs, Wehmuth erweckt

Hadrians bildſchoͤner Freund. —
Als an Joſephs Bruſt das Sirenengeſchoß abprallen ſah

Dein Kirchenhaupt, andaͤchtiges Rom, und der ſechste

Pius demuthsreich von dem Kaiſerbeſuch heimzog, der er¬
habene Pilgrim,

Waͤhrend entſchluͤpfte der Obmacht Zepter ihm,

Schuf er die neue Gewalt,

Und es ward dein Zauberſtab

Ihm ein Feldherrnſtab, o Kunſt!
Steigen laͤßt ſein Wort Obelisken empor, Golddecken
woͤlbt,

Prunkwaͤnde zieht, ausbreitet das ſchoͤne Muſivwerk

Sein Geheiß, euch wuͤrdige Sitze zu weihn, Denkmaͤler!
(O haͤtt' er gefunden

Mildere Schickungen! Frankreichs Kerkerluft

Athmete ſterbend er aus:

Es verließ gramſchwer der Greis

Deinen Feſtraum, Vatikan!)
[301]
Doch den Anblick truͤbt des verſchwendeten Bildwerks
Uebermaß,

Unruhe ſchwankt zaghaft, wie die Seele der Jungfrau

Aus der Schaar anmuthiger Freyer den anmuthsvollſten
zu waͤhlen umherſchwankt:

Uebergenuͤſſen erliegt oftmals der Geiſt.

Nicht das Vergangene frommt,

Da der Bildkraft Schuͤler ſelbſt

Nicht die Kunſt lernt durch die Kunſt.
Hoͤrſt du gern Rath an, ſo beginne zuerſt Einfaches
blos:

Vollkommenheit treibt Fruͤchte hervor an erprobten

Staͤmmen, Freund! Nicht wolle zu fruͤhe der Griechheit
huldigen! Waͤchſerne Federn

Klebt an den Nacken des Flugs Nachahmer blos;

Aber es bluͤhn in des Lichts

Region Sternbilder Ihm,

Den die Schwungkraft oben haͤlt.
Manchen Geiſt zwar ſchafft die beſeelte Natur, der Grie¬
chenlands

Blos dem Stumpfſinn hieroglyphiſche Schoͤnheit

Kennt und hold ausbildet unſterbliche Form. Aufweckt
an dem roſenumhauchten

Silbergeplaͤtſcher des Bergquells wieder er

Alten, olympiſchen Tanz:

So erſchuf Thorwaldſen aus

Goͤtterdaͤmmerung Tageslicht.
[302]
Aber dies Lied gleicht dem verrirrenden Waidmann; Nach¬
tigall-

Ton lockt hinweg ſein Herz von des Wildes Verfolgung:

Ohne Pfad ſchweift rings in Gebuͤſch, in Gefild, Laub¬
waͤlder und Felſen entlang er;

Endlich verſcheucht der Gebirgsſchlucht Waſſerfall

Jeden Geſang und den Traum

Des Gemuͤths ihm. Wieder ſucht

Seinen Jagdweg Jener auf.
Selig, Wem Thatkraft und behaglichen Sinn leiht Gegen¬
wart,

Wer neu ſich ſelbſt fuͤhlt, Neues zu bilden bedacht iſt,

Wem das Daſeyn ewig erſcheint, und der Tod ſelbſt eine
Deſpotenerfindung,

Deren Gedanke des Gluͤcks Pulsſchlaͤge hemmt:

Gerne verlaͤßt er und froh,

Kapitol, dein Schattenreich,

Eure Pracht, Kirchhoͤfe Roms!
Lenz des Erdballs! Parthenopaͤiſche Flur! Stets neue
Stadt!

Aufnimm den Freund, geuß rauſchende Buchten umher ihm,

Denen einſt (urweltliche Fabel erzaͤhlt's) wolluͤſtig ent¬
ſtiegen die Schoͤnheit,

Myrten der Kuͤſte, des Fluthſchaums Blum' im Haar;

Aber es reichte, ſobald

Sie an's Land ſtieg, Bacchus auch

Seines Weinlaubs Thyrſus ihr!
[303]
Mir zum Beyſtand naht des quiriniſchen Weltruhms Dich¬
ter ſelbſt:

Aus Griechenland heimkehrend ereilte der Tod ihn;

Doch es deckt kein roͤmiſcher Huͤgel des Fruͤhwegſterbenden
Staub in der Urne:

Meinen Gebeinen, befahl ſein lezter Wunſch,

Werde Neapel Aſyl,

Wo in Fruchthainlauben ich

Hirten, Feldbau, Helden ſang.
[][]

Appendix A

Druckfehler.


S. 14 Vers 4 ſtatt Wellen lies Welle.


S. 24 — 4 — mich l. euch.


S. 28 — 2 — betaͤubt l. betruͤbt.


S. 47 — 2 — verborgen l. verbergen.


S. 49 — 10 — Muth l. Wuth.


S. 60 — 8 — Glaubigen l. Glaͤubigen.


S. 63 — 10 — Lorbeer l. Lorber.


S. 102 — 8 — Den l. Dem.


S. 107 — 10 — liebſten l. Liebſten.


S. 108 — 9 — Klaͤglich l. Kluͤglich.


S. 111 — 7 — trocknem l. todtem.


S. 128 — 11 — auch l. euch.


S. 145 — 1 — haͤlt l. erhaͤlt.


S. 145 iſt am Ende der Gaſele folgendes Diſtichon ausgeblieben:


Meine Geſaͤnge, das macht mir Muth,


Fließen melodiſcher, als ein Bach.
S. 147 — 3 — allzukurzen l. allzukargen.
S. 148 — 7 — Ferne l. ferne.
S. 162 — 2 — konnten l. konnte.
S. 169 — 14 — Rhythmus l. Rhythmus.
S. 226 — 8 — im l. in.
S. 232 — 1 — wuͤßte l. wußte.
S. 276 — 9 — Sieger l. Solchen.
S. 281 — 11 — verleihe l. verleihen.


S. 281 — 13 — auch l.euch.
S. 282 — 3 — aufſchwellender l. anſchwellender.
S. 287 — 8 — Lorbeerumſchattungen l. Lorberum¬


ſchattungen.


S. 289 — 14 — Brombeere l. Brombeern.
S. 301 — 21 — Gotterdaͤmmerung l. Goͤtterdaͤmm¬
rung.


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Notes
*)
In ein Exemplar der Gaſelen.
*)
Bey demſelben Anlaſſe.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmtc.0