organiſche Chemie
in ihrer Anwendung
auf
Agricultur und Phyſiologie.
Druck und Papier
von Friedrich Vieweg und Sohn
in Braunſchweig.
[[III]]
organiſche Chemie
in
ihrer Anwendung
auf
Agricultur und Phyſiologie.
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn.
1840.
[[IV]][[V]]
An
Alexander von Humboldt.
[[VI]][[VII]]
Während meines Aufenthaltes in Paris gelang es mir, im
Winter 1823/24 eine analytiſche Unterſuchung über Howard’s
fulminirende Silber- und Queckſilber-Verbindungen, meine erſte
Arbeit, zum Vortrag in der Königlichen Akademie zu bringen.
Zu Ende der Sitzung vom 22. März 1824, mit dem Zu-
ſammenpacken meiner Präparate beſchäftigt, näherte ſich mir,
aus der Reihe der Mitglieder der Akademie, ein Mann und
knüpfte mit mir eine Unterhaltung an; mit der gewinnendſten
Freundlichkeit wußte er den Gegenſtand meiner Studien und
alle meine Beſchäftigungen und Pläne von mir zu erfahren;
wir trennten uns, ohne daß ich, aus Unerfahrenheit und Scheu,
zu fragen wagte, weſſen Güte an mir Theil genommen habe.
Dieſe Unterhaltung iſt der Grundſtein meiner Zukunft ge-
weſen, ich hatte den, für meine wiſſenſchaftlichen Zwecke, mäch-
tigſten und liebevollſten Gönner und Freund gewonnen.
Sie waren Tags zuvor von einer Reiſe aus Italien zu-
rückgekommen; Niemand war von Ihrer Anweſenheit unterrichtet.
Unbekannt, ohne Empfehlungen, in einer Stadt, wo der
Zuſammenfluß ſo vieler Menſchen aus allen Theilen der Erde
das größte Hinderniß iſt, was einer näheren perſönlichen Be-
rührung mit den dortigen ausgezeichneten und berühmten Na-
turforſchern und Gelehrten ſich entgegenſtellt, wäre ich, wie ſo
viele Andere, in dem großen Haufen unbemerkt geblieben
[[VIII]] und vielleicht untergegangen; dieſe Gefahr war völlig abge-
wendet.
Von dieſem Tage an waren mir alle Thüren, alle Inſti-
tute und Laboratorien geöffnet; das lebhafte Intereſſe, welches
Sie mir zu Theil werden ließen, gewann mir die Liebe und
innige Freundſchaft meiner mir ewig theuren Lehrer Gay-
Luſſac, Dulong und Thénard. Ihr Vertrauen bahnte
mir den Weg zu einem Wirkungskreiſe, den ſeit 16 Jahren
ich unabläſſig bemüht war, würdig auszufüllen.
Wie Viele kenne ich, welche, gleich mir, die Erreichung
ihrer wiſſenſchaftlichen Zwecke Ihrem Schutze und Wohlwollen
verdanken! Der Chemiker, Botaniker, Phyſiker, der Orienta-
liſt, der Reiſende nach Perſien und Indien, der Künſtler, Alle
erfreuten ſich gleicher Rechte, gleichen Schutzes; vor Ihnen
war kein Unterſchied der Nationen, der Länder. Was die Wiſ-
ſenſchaften in dieſer beſonderen Beziehung Ihnen ſchuldig ſind,
iſt nicht zur Kunde der Welt gekommen, allein es iſt in un-
ſerer Aller Herzen zu leſen.
Möchten Sie es mir geſtatten, die Gefühle der innigſten
Verehrung und der reinſten aufrichtigſten Dankbarkeit öffent-
lich auszuſprechen.
Das kleine Werk, welches ich mir die Freiheit nehme, Ihnen
zu widmen, ich weiß kaum, ob ein Theil davon mir als Ei-
[[IX]] genthum angehört; wenn ich die Einleitung leſe, die Sie vor
42 Jahren zu J. Ingenhouß Schrift »über die Ernäh-
rung der Pflanzen« gegeben haben, ſo ſcheint es mir im-
mer, als ob ich eigentlich nur die Anſichten weiter ausgeführt
und zu beweiſen geſucht hätte, welche der warme, immer treue
Freund, von Allem, was wahr, ſchön und erhaben iſt, welche
der Alles belebende, thätigſte Naturforſcher dieſes Jahrhunderts
darin ausgeſprochen und begründet hat.
Von der British association for the advancement
of science habe ich 1837, in einer ihrer Sitzungen in Liver-
pool, den ehrenvollen Auftrag erhalten, einen Bericht über den
Zuſtand unſerer Kenntniſſe in der organiſchen Chemie abzu-
ſtatten. Auf meinen Antrag hat die Geſellſchaft beſchloſſen,
den Herrn Dumas in Paris, Mitglied der Akademie, zu er-
ſuchen, mit mir gemeinſchaftlich die Abſtattung dieſes Berich-
tes übernehmen zu wollen. Dieß iſt die Veranlaſſung zur
Herausgabe des vorliegenden Werkes geweſen, worin ich die
organiſche Chemie in ihren Beziehungen zur Pflanzenphyſiolo-
gie und Agricultur, ſo wie die Veränderungen, welche orga-
niſche Stoffe in den Proceſſen der Gährung, Fäulniß und
Verweſung erleiden, darzuſtellen verſucht habe.
In einer Zeit, wo das raſtloſe Streben nach Neuem, oft
ſo Werthloſem, der jüngeren Generation kaum einen Blick auf
[[X]] die Grundpfeiler geſtattet, welche das ſchönſte und mächtigſte
Gebäude tragen, wo dieſe Grundpfeiler, des äußeren Zierraths
und der Tünche wegen, dem oberflächlichen Beobachter kaum
mehr erkennbar ſind, wenn in dieſer Zeit ein Eindringling in
fremde Fächer es wagt, die Aufmerkſamkeit und Kräfte der
Naturforſcher auf Gegenſtände des Wiſſens zu lenken, die vor
allen anderen längſt ſchon verdienten, zum Ziel und Zweck
ihrer Anſtrengung und Bemühung gewählt zu werden, ſo kann
man des Erfolges nicht gewiß ſein; denn wenn auch des Men-
ſchen Wille, Gutes zu bewirken, keine Grenzen kennt, ſo ſind
doch ſeine Mittel und ſein Können in engere Schranken ein-
geſchloſſen.
Ganz abgeſehen von den beſonderen Beobachtungen, die ich
darin zuſammengeſtellt habe, würde es für mich die größte
Befriedigung ſein, wenn die Principien der Naturforſchung,
welche ich in dieſem kleinen Werke auf die Entwickelung und
Ernährung der Pflanzen anzuwenden Gelegenheit bekam, ſich
Ihres Beifalls zu erfreuen das Glück hätten.
Gießen, den 1ſten Auguſt 1840.
Dr. Justus Liebig.
[[XI]]
Inhalt.
- Erſter Theil.
Der Proceß der Ernährung der Vegetabilien. - Seite
- Gegenſtand 3
- Die allgemeinen Beſtandtheile der Vegetabilien 4
- Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs 6
- Urſprung und Verhalten des Humus 43
- Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs 59
- Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs 64
- Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien 85
- Die Cultur 106
- Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger 143
- Anhang zur Seite 57.
- Beobachtungen über eine Pflanze (Ficus Australis), welche 8 Mo-
nate hinter einander in dem Gewächshauſe des botaniſchen Gar-
tens in Edinburg in der Luft hangend, ohne mit der Erde ſich
in Berührung zu befinden, gelebt hat, von William Magnab,
Director des Pflanzengartens in Edinburg 181 - Verſuche und Beobachtungen über die Wirkung der vegetabiliſchen
Kohle auf die Vegetation, von Eduard Lucas184 - Ueber Ernährung der Pflanzen, vom Forſtrathe Dr.Th. Hartig190
- Zweiter Theil.
Der chemiſche Proceß der Gährung, Fäulniß und Verweſung. - Seite
- Chemiſche Metamorphoſen 199
- Die Urſache, wodurch Gährung, Fäulniß und Verweſung bewirkt wird 202
- Seite
- Gährung und Fäulniß 211
- Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper 218
- Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper 220
- Gährung des Zuckers 227
- Hefe, Ferment 230
- Verweſung 238
- Verweſung ſtickſtoffhaltiger Körper. — Eſſigbildung 247
- Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. — Salpeterbildung 253
- Wein- und Biergährung 258
- Die Verweſung der Holzfaſer 279
- Dammerde 287
- Vermoderung. — Papier, Braunkohle und Steinkohle 289
- Gift, Contagien, Miasmen 299
- Nachträge346
- Gründüngung in Weinbergen. (Aus einem Schreiben des Herrn Ver-
walters Krebs zu Seeheim.) 349
Erſter Theil.
Der
chemiſche Proceß der Ernährung
der
Vegetabilien.
1
[[2]][[3]]
Gegenſtand.
Die organiſche Chemie hat zur Aufgabe die Erforſchung der
chemiſchen Bedingungen des Lebens und der vollendeten Ent-
wickelung aller Organismen.
Das Beſtehen aller lebenden Weſen iſt an die Aufnahme
gewiſſer Materien geknüpft, die man Nahrungsmittel
nennt; ſie werden in dem Organismus zu ſeiner eigenen Aus-
bildung und Reproduction verwendet.
Die Kenntniß der Bedingung ihres Lebens und Wachs-
thums umfaßt demnach die Ausmittlung der Stoffe, welche
zur Nahrung dienen, die Erforſchung der Quellen, woraus
dieſe Nahrung entſpringt, und die Unterſuchung der Verän-
derungen, die ſie bei ihrer Aſſimilation erleiden.
Den Menſchen und Thieren bietet der vegetabiliſche Orga-
nismus die erſten Mittel zu ſeiner Entwickelung und Erhal-
tung dar.
Die erſten Quellen der Nahrung der Pflanzen liefert aus-
ſchließlich die anorganiſche Natur.
Der Gegenſtand dieſes Werkes iſt die Entwickelung des che-
miſchen Proceſſes der Ernährung der Vegetabilien.
Der erſte Theil iſt der Aufſuchung der Nahrungsmittel,
ſo wie der Veränderungen gewidmet, die ſie in dem leben-
den Organismus erleiden; es ſollen darinn die chemiſchen
1*
[4]Gegenſtand.
Verbindungen betrachtet werden, welche den Pflanzen ihre
Hauptbeſtandtheile, den Kohlenſtoff und Stickſtoff, liefern, ſo
wie die Beziehungen, in welchen die Lebensfunktionen der Ve-
getabilien zu dem thieriſchen Organismus und zu andern Na-
turerſcheinungen ſtehen.
Der zweite Theil handelt von den chemiſchen Proceſſen,
welche nach dem Tode aller Organismen ihre völlige Vernich-
tung bewirken; es ſind dies die eigenthümlichen Zerſetzungs-
weiſen, die man mit Gährung, Fäulniß und Verwe-
ſung bezeichnet; es ſollen darin die Veränderungen der Be-
ſtandtheile der Organismen bei ihrem Uebergang in anorga-
niſche Verbindungen, ſo wie die Urſachen betrachtet werden,
von denen ſie abhängig ſind.
Die allgemeinen Beſtandtheile der Vegetabilien.
Der Kohlenſtoff iſt der Beſtandtheil aller Pflanzen und
zwar eines jeden ihrer Organe.
Die Hauptmaſſe aller Vegetabilien beſteht aus Verbindungen,
welche Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers, und zwar
in dem nemlichen Verhältniß wie im Waſſer, enthalten; hieher
gehören die Holzfaſer, das Stärkemehl, Zucker und
Gummi.
Eine andere Klaſſe von Kohlenſtoffverbindungen enthält die
Elemente des Waſſers, plus einer gewiſſen Menge Sauerſtoff;
ſie umfaßt mit wenigen Ausnahmen die zahlreichen in den
Pflanzen vorkommenden organiſchen Säuren.
[5]Von den allgemeinen Beſtandtheilen der Vegetabilien.
Eine dritte beſteht aus Verbindungen des Kohlenſtoffs mit
Waſſerſtoff, welche entweder keinen Sauerſtoff enthalten, oder
wenn Sauerſtoff einen Beſtandtheil davon ausmacht, ſo iſt
ſeine Quantität ſtets kleiner, als dem Gewicht-Verhältniß ent-
ſpricht, in dem er ſich mit Waſſerſtoff zu Waſſer verbindet.
Sie können demnach betrachtet werden als Verbindungen des
Kohlenſtoffs mit den Elementen des Waſſers, plus einer ge-
wiſſen Menge Waſſerſtoff. Die flüchtigen und fetten Oele,
das Wachs, die Harze gehören dieſer Klaſſe an. Manche da-
von ſpielen die Rolle von Säuren.
Die organiſchen Säuren ſind Beſtandtheile aller Pflanzen-
ſäfte und, mit wenigen Ausnahmen, an anorganiſche Baſen,
an Metalloxide, gebunden; die letzteren fehlen in keiner Pflanze,
ſie bleiben nach der Einäſcherung derſelben in der Aſche
zurück.
Der Stickſtoff iſt ein Beſtandtheil des vegetabiliſchen
Eiweißes, des Klebers; er iſt in den Pflanzen in der Form
von Säuren, von indifferenten Stoffen und von eigen-
thümlichen Verbindungen enthalten, welche alle Eigenſchaften
von Metalloxiden beſitzen, die letzteren heißen organiſche
Baſen.
Seinem Gewichtsverhältniß nach macht der Stickſtoff den
kleinſten Theil der Maſſe der Pflanzen aus, er fehlt aber in
keinem Vegetabil, oder Organ eines Vegetabils; wenn er kei-
nen Beſtandtheil eines Organs ausmacht, ſo findet er ſich den-
noch unter allen Umſtänden in dem Saft, der die Organe
durchdringt.
Die Entwickelung einer Pflanze iſt nach dieſer Auseinander-
ſetzung abhängig von der Gegenwart einer Kohlenſtoffverbin-
dung, welche ihr den Kohlenſtoff, einer Stickſtoffverbindung,
welche ihr den Stickſtoff liefert; ſie bedarf noch außerdem des
[6]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Waſſers und ſeiner Elemente, ſo wie eines Bodens, welcher
die anorganiſchen Materien darbietet, ohne die ſie nicht be-
ſtehen kann.
Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Die Pflanzenphyſiologie betrachtet einen Gemengtheil der
Acker- und Dammerde, dem man den Namen Humus gegeben
hat, als das Hauptnahrungsmittel, was die Pflanzen aus dem
Boden aufnehmen, und ſeine Gegenwart als die wichtigſte Be-
dingung ſeiner Fruchtbarkeit.
Dieſer Humus iſt das Product der Fäulniß und Verwe-
ſung von Pflanzen und Pflanzentheilen.
Die Chemie bezeichnet mit Humus eine braune, in Waſſer
in geringer Menge, in Alkalien leichter lösliche Materie, welche,
als Product der Zerſetzung vegetabiliſcher Stoffe, durch die
Einwirkung von Säuren oder Alkalien erhalten wird. Dieſer
Humus hat von der Verſchiedenheit in ſeiner äußeren Beſchaffenheit
und ſeinem Verhalten verſchiedene Namen erhalten; Ulmin,
Humusſäure, Humuskohle, Humin heißen dieſe verſchie-
denen Modificationen des Humus der Chemiker; ſie werden
erhalten durch Behandlung des Torfs, der Holzfaſer, des
Ofenrußes, der Braunkohlen mit Alkalien, oder durch Zerſetzung
des Zuckers, der Stärke, des Milchzuckers vermittelſt Säuren,
oder durch Berührung alkaliſcher Löſungen der Gerbe- und
Gallusſäure mit der Luft.
Humusſäure heißt die in Alkalien lösliche, Humin und
Humuskohle die unlösliche Modification des Humus.
[7]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Den Namen nach, die man dieſen Materien gegeben hat,
iſt man leicht verführt, ſie für identiſch in ihrer Zuſammen-
ſetzung zu halten. Dieß wäre aber der größte Irrthum, den
man begehen kann, denn merkwürdiger Weiſe ſtehen Zucker,
Eſſigſäure und Colophonium in dem Gewichts-Verhältniß ihrer
Beſtandtheile nicht weiter auseinander.
Die Humusſäure aus Sägeſpänen mit Kalihydrat erhal-
ten, enthält nach Peligot’s genauer Analyſe 72 p. c. Kohlen-
ſtoff, die Humusſäure aus Torf und Braunkohle nach Spren-
gel 58 p. c., die aus Zucker mit verdünnter Schwefelſäure
nach Malaguti 57 p. c., die aus demſelben Körper und aus
Stärke mit Salzſäure gewonnene nach Stein 64 p. c. Koh-
lenſtoff. Alle dieſe Analyſen ſind mit Sorgfalt und Umſicht
wiederholt, und der Kohlenſtoffgehalt einer jeden der analyſirten
Materie beſtätigt worden, ſo daß jeder Grund hinwegfällt, die
Urſache der Verſchiedenheit in der Methode der Analyſe oder
der Geſchicklichkeit der Analytiker zu ſuchen.
Nach Malaguti enthält die Humusſäure Waſſerſtoff und
Sauerſtoff zu gleichen Aequivalenten, in dem Verhältniß alſo
wie im Waſſer, nach Sprengels Analyſe iſt darin weniger
Waſſerſtoff enthalten, und nach Peligot enthält die Humusſäure
ſogar auf 14 Aeq. Waſſerſtoff, nur 6 Aeq. Sauerſtoff, alſo
8 Aeq. Waſſerſtoff mehr als dieſem Verhältniß entſpricht.
Man ſieht leicht, daß die Chemiker bisjetzt gewohnt waren,
alle Zerſetzungsproducte organiſcher Verbindungen von brauner
oder braunſchwarzer Farbe mit Humusſäure oder Humin
zu bezeichnen, je nachdem ſie in Alkalien löslich waren oder
nicht, daß aber dieſe Producte in ihrer Zuſammenſetzung und
Entſtehungsweiſe nicht das Geringſte mit einander gemein
haben.
Man hat nun nicht den entfernteſten Grund zu glauben
[8]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
daß das eine oder das andere dieſer Zerſetzungsproducte, in der
Form und mit den Eigenſchaften begabt, die man den vegeta-
biliſchen Beſtandtheilen der Dammerde zuſchreibt, in der Natur
vorkommt, man hat nicht einmal den Schatten eines Beweiſes für
die Meinung, daß eins von ihnen als Nahrungsſtoff oder ſonſt
irgend einen Einfluß auf die Entwickelung einer Pflanze ausübt.
Die Eigenſchaften des Humus und der Humusſäure
der Chemiker ſind von den Pflanzenphyſiologen unbegreiflicher
Weiſe übertragen worden auf den Körper in der Dammerde,
den man mit dem nemlichen Namen belegt; an dieſe Eigen-
ſchaften knüpfen ſich die Vorſtellungen über die Rolle, die man
ihm in der Vegetation zuſchreibt.
Die Meinung, daß der Humus als Beſtandtheil der
Dammerde von den Wurzeln der Pflanzen aufgenommen, daß
ſein Kohlenſtoff in irgend einer Form von der Pflanze zur
Nahrung verwendet wird, iſt ſo verbreitet und hat in dem
Grade Wurzel gefaßt, daß bisjetzt jede Beweisführung für
dieſe ſeine Wirkungsweiſe für überflüſſig erachtet wurde; denn
die in die Augen fallende Verſchiedenheit des Gedeihens von
Pflanzen in Bodenarten, die man als ungleich reich an Hu-
mus kennt, erſchien auch dem Befangenſten als eine genügende
Begründung dieſer Meinung.
Wenn man dieſe Vorausſetzung einer ſtrengen Prüfung
unterwirft, ſo ergiebt ſich daraus der ſchärfſte Beweis, daß der
Humus in der Form, wie er im Boden enthalten iſt, zur Er-
nährung der Pflanzen nicht das Geringſte beiträgt.
Durch das Feſthalten an der bisherigen Anſicht hat man
von Vorn herein jede Erkenntniß des Ernährungsproceſſes der
Pflanzen unmöglich gemacht, und damit den ſicherſten und
treueſten Führer zu einem rationellen Verfahren in der Land-
und Feldwirthſchaft verbannt.
[9]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Ohne eine tiefe und gründliche Kenntniß der Nahrungs-
mittel der Gewächſe und der Quellen, aus denen ſie entſprin-
gen, iſt eine Vervollkommnung des wichtigſten aller Gewerbe,
des Ackerbaues, nicht denkbar. Man kann keine andere Urſache
des bisherigen ſo ſchwankenden und ungewiſſen Zuſtandes unſeres
Wiſſens auffinden, als daß die Phyſiologie der neuern Zeit
mit den unermeßlichen Fortſchritten der Chemie nicht Schritt
gehalten hat.
Wir wollen in dem Folgenden den Humus der Pflanzen-
phyſiologen mit den Eigenſchaften begabt uns denken, welche
die Chemiker an den braunſchwarzen Niederſchlägen beobachtet
haben, die man durch Fällung einer alkaliſchen Abkochung von
Dammerde oder Torf vermittelſt Säuren erhält, und die ſie
Humusſäure nennen.
Die Humusſäure beſitzt, friſch niedergeſchlagen, eine flockige
Beſchaffenheit; ein Theil davon löſ’t ſich in 2500 Th. Waſſer,
ſie verbindet ſich mit Alkalien, Kalk und Bittererde, und bil-
det damit Verbindungen von gleicher Löslichkeit (Sprengel).
Die Pflanzenphyſiologen kommen darin überein, daß der
Humus durch Vermittelung des Waſſers die Fähigkeit erlangt,
von den Wurzeln aufgenommen zu werden. Die Chemiker
haben nun gefunden, daß die Humusſäure nur in friſch nieder-
geſchlagenem Zuſtande löslich iſt, daß ſie dieſe Löslichkeit
vollſtändig verliert, wenn ſie an der Luft trocken geworden iſt;
ſie wird ferner völlig unlöslich, wenn das Waſſer, was ſie
enthält, gefriert. (Sprengel.)
Die Winterkälte und Sommerhitze rauben mithin der rei-
nen Humusſäure ihre Auflöslichkeit und damit ihre Aſſimilir-
barkeit, ſie kann als ſolche nicht in die Pflanzen gelangen.
Von der Richtigkeit dieſer Beobachtung kann man ſich
leicht durch Behandlung guter Acker- und Dammerde mit
[10]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
kaltem Waſſer überzeugen, das letztere entzieht nemlich derſelben
nicht 1/100000 an löslichen organiſchen Materien, die Flüſſigkeit
iſt farblos und enthält nur die Salze, die ſich im Regen-
waſſer finden.
Berzelius fand ebenfalls, daß vermodertes Eichenholz, was
dem Hauptbeſtandtheil nach aus Humusſäure beſteht, an kaltes
Waſſer nur Spuren von löslichen Materien abgiebt, eine
Beobachtung, die ich an verfaultem Buchen- und Tannenholz
beſtätigt fand.
Die Unfähigkeit der Humusſäure, den Pflanzen als Hu-
musſäure zur Nahrung zu dienen, iſt den Pflanzenphyſiologen
nicht unbemerkt geblieben; ſie haben deshalb angenommen, daß
der Kalk oder die Alkalien überhaupt, die man in der Pflan-
zenaſche findet, die Löslichkeit und damit die Aſſimilirbarkeit
vermitteln.
In den Bodenarten finden ſich Alkalien und alkaliſche
Erden in hinreichender Menge vor, um Verbindungen dieſer
Art zu bilden.
Wir wollen nun annehmen, daß die Humusſäure in der
Form des humusreichſten Salzes, als humusſaurer Kalk, von
den Pflanzen aufgenommen wird, und aus dem bekannten Ge-
halte an alkaliſchen Baſen in der Aſche der Pflanzen die Menge
berechnen, welche in dieſer Form in die Pflanze gelangen kann;
wir wollen ferner vorausſetzen, daß Kali, Natron, die Oxide
des Eiſens und Mangans eine mit dem Kalke gleiche Sättigungs-
capacität beſitzen, ſo wiſſen wir aus Berthiers Beſtimmungen,
daß 1000 ℔ lufttrocknes Tannenholz 4 ℔ reine kohlenfreie Aſche
liefern, und daß 100 ℔ dieſer Aſche im Ganzen nach Abzug
des Chlorkaliums und ſchwefelſauren Kalis 53 ℔ baſiſche Me-
talloxide, Kali, Natron, Kalk, Bittererde, Eiſen und Mangan
zuſammengenommen, enthalten.
[11]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
2500 Quadratmeter Wald (40,000 Quadratfuß heſſ. 1
Morgen) liefern nun jährlich mittleren Ertrag 2650 ℔ Tan-
nenholz*), welche im Ganzen 5,6 ℔ baſiſche Metalloxide
enthalten.
Nach den Beſtimmungen von Malaguti und Sprengel
verbindet ſich 1 ℔ Kalk mit 10,9 ℔ Humusſäure; es ſind mithin
durch dieſe Baſen 61 ℔ Humusſäure in die Bäume überge-
gangen, und dieſe entſprechen — ihr Gehalt an Kohlenſtoff zu
58 p. c. angenommen — der Bildung von 91 ℔ lufttrocknem Holz.
Es ſind aber auf dieſem Lande 2650 ℔ lufttrocknes Holz
producirt worden.
Wenn man aus der bekannten Zuſammenſetzung der Aſche
des Weizenſtrohes die Menge Humusſäure berechnet, welche
durch die darin enthaltenen baſiſchen Metalloxide (die Chlor-
metalle und ſchwefelſauren Salze abgerechnet) der Pflanze zu-
geführt werden können, ſo erhält man für 2500 Quadratmeter
Land 57½ ℔ Humusſäure, entſprechend 85 ℔ Holzfaſer. Es werden
aber auf dieſer Fläche, Wurzeln und Körner nicht gerechnet, 1780 ℔
Stroh producirt, was die Zuſammenſetzung der Holzfaſer beſitzt.
Bei dieſen Berechnungen iſt angenommen worden, daß die
baſiſchen Metalloxide, welche Humusſäure zugeführt haben,
nicht mehr in den Boden zurückkehren, weil ſie während des
Wachsthums der Pflanze in den neu entwickelten Theilen der-
ſelben zurückbleiben.
Wir wollen jetzt die Menge Humusſäure berechnen, welche
unter den günſtigſten Verhältniſſen, nemlich durch das Waſſer,
in die Pflanzen gelangen kann.
In Erfurt, in einer der fruchtbarſten Gegenden Deutſch-
[12]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
lands, fallen nach Schübler auf 1 Quadratfuß Fläche, in den
Monaten April, Mai, Juni und Juli 17½ ℔ (2 ℔ heſſ.=1 Kilogr.)
Regen. Ein Morgen Land (2500 □Meter) empfängt mithin
700,000 ℔ Regenwaſſer.
Nehmen wir nun an, daß dieſe ganze Quantität Waſſer
von den Wurzeln einer Sommerfrucht aufgenommen werde,
die in 4 Monaten gepflanzt wird und reift, in der Art alſo,
daß kein Pfund von dieſem Waſſer anders als durch die
Blätter verdunſte.
Nehmen wir ferner an, daß dieſes Regenwaſſer mit hu-
musſaurem Kalk (dem löslichſten und an Humusſäure reichſten
ihrer Salze) geſättigt von den Wurzeln aufgenommen werde,
ſo nimmt die Pflanze durch dieſes Waſſer, da ein Theil
humusſaurer Kalk 2500 Theile Waſſer zu ſeiner Auflöſung
bedarf, 300 ℔ Humusſäure auf.
Es wachſen aber auf dieſem Felde 2580 ℔ Getreide (Stroh
und Korn, die Wurzeln nicht gerechnet) oder 20,000 ℔ Run-
kelrüben (ohne die Blätter und kleinen Wurzeln). Man ſieht
leicht ein, daß dieſe 300 ℔ Humusſäure noch nicht genügen,
um Rechenſchaft über den Kohlenſtoffgehalt der Blätter und
Wurzeln zu geben, und da man weiß, daß von dem Regen-
waſſer, was auf die Oberfläche der Erde fällt, verhältnißmä-
ßig nur ein ſehr kleiner Theil durch die Pflanze verdunſtet, ſo
verringert ſich die Kohlenſtoffmenge, welche durch die Humusſäure
denkbarer Weiſe producirt, wenn man ſie mit der wirklich
produzirten vergleicht, auf eine beinahe verſchwindende Menge.
Betrachtungen anderer und höherer Art widerlegen die ge-
wöhnliche Anſicht über die Wirkungsweiſe der Humusſäure auf
eine ſo entſchiedene und zweifelloſe Weiſe, daß man im Grunde
nicht begreift, wie man überhaupt dazu gelangen konnte.
Die Felder produciren Kohlenſtoff in der Form von Holz,
[13]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
von Heu, von Getreide und anderen Culturgewächſen, deren
Maſſen außerordentlich ungleich ſind.
Auf 2500 Quadratmeter Wald von mittleren Boden wach-
ſen 2650 ℔ lufttrocknes Tannen-, Fichten-, Birken- etc. Holz.
Auf derſelben Fläche Wieſe erhält man im Durchſchnitt
2500 ℔ Heu.
Die nemliche Fläche Getreideland liefert 18000—20000 ℔
Runkelrüben.
Auf derſelben Fläche gewinnt man 800 ℔ Rocken und
1780 ℔ Stroh (160 Garben zu 14 ℔), im Ganzen alſo 2580 ℔.
100 Theile lufttrocknes Tannenholz enthalten 38 Theile
Kohlenſtoff, obige 2650 ℔ Holz enthalten demnach 1007 ℔
Kohlenſtoff.
100 Theile lufttrocknes Heu *) enthalten 44,31 Th. Koh-
lenſtoff, obige 2500 ℔ Heu enthalten demnach 1008 ℔ Kohlenſtoff.
Die Runkelrüben enthalten 89 bis 895 Th. Waſſer und
10,5 bis 11 Th. feſte Subſtanz, welche aus 8—9 p. c. Zucker
und 2 bis 2½ p. c. Zellgewebe beſteht. Der Zucker enthält
42,4 p. c., das Zellgewebe 47 p. c. Kohlenſtoff.
20,000 ℔ Runkelrüben enthalten hiernach (Zucker zu 9 p. c.
und Zellgewebe zu 2 p. c. gerechnet) im Zucker 756 ℔, im
Zellgewebe 180 ℔, im Ganzen 936 ℔ Kohlenſtoff, den Kohlen-
ſtoff der Blätter nicht berechnet.
100 ℔ Stroh **) enthalten lufttrocken 38 p. c. Kohlenſtoff.
[14]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
1780 ℔ Stroh enthalten demnach 676 ℔ Kohlenſtoff. In 100
Th. Korn ſind 43 Th. Kohlenſtoff enthalten; in 800 Th. mit-
hin 344 ℔. Beide zuſammen geben 1020 ℔ Kohlenſtoff.
2500 Quadratmeter Wieſe, Wald bringen mithin
- hervor an Kohlenſtoff 1007 ℔.
- „ „ Culturland, Runkelrüben ohne
- Blätter . . . . 936 ℔.
- „ „ „ Getreide … 1020 ℔.
Aus dieſen unverwerflichen Thatſachen muß geſchloſſen
werden, daß gleiche Flächen culturfähiges Land eine gleiche
Quantität Kohlenſtoff produciren; aber wie unendlich verſchie-
den ſind die Bedingungen des Wachsthums der Pflanzen ge-
weſen, die man darauf gezogen hat.
Wo nimmt, muß man fragen, das Gras auf den Wieſen,
das Holz in dem Walde ſeinen Kohlenſtoff her, da man ihm
keinen Dünger, keinen Kohlenſtoff als Nahrung zugeführt hat,
und woher kommt es, daß der Boden, weit entfernt, an Koh-
lenſtoff ärmer zu werden, ſich jährlich noch verbeſſert?
Jedes Jahr nahmen wir dem Wald, der Wieſe eine ge-
wiſſe Quantität von Kohlenſtoff in der Form an Heu und
Holz, und demungeachtet finden wir, daß der Kohlenſtoffgehalt
des Bodens zunimmt, daß er an Humus reicher wird.
Wir erſetzen, ſo ſagt man, dem Getreide und Fruchtland
durch den Dünger, den, als Kraut, Stroh, als Saamen oder
Frucht hinweggenommenen Kohlenſtoff wieder, und dennoch
bringt dieſer Boden nicht mehr Kohlenſtoff hervor, als der
Wald und die Wieſe, denen er nie erſetzt wird. Iſt es denk-
bar, daß die Geſetze der Ernährung der Pflanzen durch die
Cultur geändert werden können, daß für das Getreide und
die Futtergewächſe andere Quellen des Kohlenſtoffs exiſtiren
als für das Gras und die Bäume in den Wieſen und Wäldern?
[15]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Niemanden wird es in den Sinn kommen, den Einfluß
des Düngers auf die Entwickelung der Culturgewächſe zu
läugnen, allein mit poſitiver Gewißheit kann man behaupten,
daß er zur Hervorbringung des Kohlenſtoffs in den Pflanzen
nicht gedient, daß er keinen directen Einfluß darauf gehabt
hat, denn wir finden ja, daß der Kohlenſtoff, vom gedüngten
Lande hervorgebracht, nicht mehr beträgt, als der Kohlenſtoff
des ungedüngten. Die Frage nach der Wirkungsweiſe des
Düngers hat mit der nach dem Urſprung des Kohlenſtoffs
nicht das Geringſte zu thun. Der Kohlenſtoff der Vegetabilien
muß nothwendigerweiſe aus einer andern Quelle ſtammen,
und da es der Boden nicht iſt, der ihn liefert, ſo kann dieſe
nur die Atmoſphäre ſein.
Bei der Löſung des Problems über den Urſprung des
Kohlenſtoffs in den Pflanzen hat man durchaus unberückſichtigt
gelaſſen, daß dieſe Frage gleichzeitig den Urſprung des Humus
umfaßt.
Der Humus entſteht nach aller Anſicht durch Fäulniß und
Verweſung von Pflanzen und Pflanzentheilen; eine Urdammerde,
einen Urhumus kann es alſo nicht geben, denn es waren vor
dem Humus Pflanzen vorhanden. Wo nahmen nun dieſe ih-
ren Kohlenſtoff her, und in welcher Form iſt der Kohlenſtoff
in der Atmoſphäre enthalten?
Dieſe beiden Fragen umfaſſen zwei der merkwürdigſten
Naturerſcheinungen, welche, gegenſeitig ununterbrochen in Thä-
tigkeit, das Leben und Fortbeſtehen der Thiere und Vegetabilien
auf unendliche Zeiten hinaus auf die bewunderungswürdigſte
Weiſe bedingen und vermitteln.
Die eine dieſer Fragen bezieht ſich auf den unveränder-
lichen Gehalt der Luft an Sauerſtoff: zu jeder Jahreszeit und
in allen Klimaten hat man darin in 100 Volum-Theilen 21
[16]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Volum Sauerſtoff, mit ſo geringen Abweichungen gefunden,
daß ſie als Beobachtungsfehler angeſehen werden müſſen.
So außerordentlich groß nun auch der Sauerſtoffgehalt
der Luft bei einer Berechnung ſich darſtellt, ſo iſt ſeine Menge
dennoch nicht unbegrenzt, ſie iſt im Gegentheil eine erſchöpf-
bare Größe.
Wenn man nun erwägt, daß jeder Menſch in 24 Stun-
den 45 Cubicfuß (heſſiſche) Sauerſtoff in dem Athmungsproceß
verzehrt, daß 10 Ctr. Kohlenſtoff bei ihrem Verbrennen 58112
Cubicfuß Sauerſtoff verzehren, daß eine einzige Eiſenhütte
hunderte von Millionen Cubicfuß, daß eine kleine Stadt, wie
Gießen, in dem zum Heitzen dienenden Holz allein über 1000
Millionen Cubicfuß Sauerſtoff der Atmoſphäre entziehen, ſo
bleibt es völlig unbegreiflich, wenn keine Urſache exiſtirt, durch
welche der hinweggenommene Sauerſtoff wieder erſetzt wird,
wie es möglich ſein kann, daß nach Zeiträumen, die man in
Zahlen nicht auszudrücken weiß *), der Sauerſtoffgehalt der
Luft nicht kleiner geworden iſt, daß die Luft in den Thränen-
krügen, die vor 1800 Jahren in Pompeji verſchüttet wurden,
nicht mehr davon, als wie heute enthält. Woher kommt es
alſo, daß dieſer Sauerſtoffgehalt eine Größe iſt, die ſich nie
ändert.
[17]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Die Beantwortung dieſer Frage hängt mit einer andern
auf’s engſte zuſammen, wo die Kohlenſäure nemlich hinkommt,
die durch das Athmen der Thiere, durch Verbrennungsproceſſe
gebildet wird. Ein Cubicfuß Sauerſtoff, der ſich mit Kohlen-
ſtoff zu Kohlenſäure vereinigt, ändert ſein Volumen nicht; aus
den Billionen Cubicfuß verzehrten Sauerſtoffgaſes ſind eben
ſo viel Billionen Cubicfuß Kohlenſäure entſtanden und in die
Atmoſphäre geſendet worden.
Durch die genaueſten und zuverläſſigſten Verſuche iſt von
de Sauſſure ausgemittelt worden, daß die Luft, dem Volu-
men nach, im Mittel aller Jahreszeiten nach dreijährigen Beob-
achtungen 0,000415 Volumentheile Kohlenſäure enthält.
Die Beobachtungsfehler, welche dieſen Gehalt verkleinern
mußten, in Anſchlag gebracht, kann man annehmen, daß das
Gewicht der Kohlenſäure nahe 1/1000 des Gewichts der Luft
beträgt.
Dieſer Gehalt wechſelt nach den Jahreszeiten, er ändert
ſich aber nicht in verſchiedenen Jahren.
Wir kennen keine Thatſache, welche zur Vermuthung be-
rechtigt, daß dieſer Gehalt vor Jahrhunderten oder Jahrtau-
ſenden ein anderer war, und dennoch müßten ihn die unge-
heuren Maſſen Kohlenſäure, welche jährlich in der Atmoſphäre
der vorhandenen ſich hinzufügen, von Jahr zu Jahr bemerk-
bar vergrößern, allein bei allen frühern Beobachtern findet
man ihn um die Hälfte bis zum zehnfachen Volum höher [an-
gegeben], woraus man höchſtens ſchließen kann, daß er ſich
vermindert hat.
Man bemerkt leicht, daß die im Verlauf der Zeit ſtets
unveränderlichen Mengen von Kohlenſäure und Sauerſtoffgas
in der Atmoſphäre zu einander in einer beſtimmten Beziehung
ſtehen müſſen; es muß eine Urſache vorhanden ſein, welche die
2
[18]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Anhäufung der Kohlenſäure hindert, und die ſich bildende un-
aufhörlich wieder entfernt; es muß eine Urſache geben, durch
welche der Luft der Sauerſtoff wieder erſetzt wird, den ſie
durch Verbrennungsproceſſe, durch Verweſung und durch die
Reſpiration der Menſchen und Thiere verliert.
Beide Urſachen vereinigen ſich zu einer einzigen in dem
Lebensproceſſe der Vegetabilien.
In den vorhergehenden Beobachtungen iſt der Beweis
niedergelegt worden, daß der Kohlenſtoff der Vegetabilien aus-
ſchließlich aus der Atmoſphäre ſtammt.
In der Atmoſphäre exiſtirt nun der Kohlenſtoff nur in
der Form von Kohlenſäure, in der Form alſo einer Sauer-
ſtoffverbindung.
Die Hauptbeſtandtheile der Vegetabilien, gegen deren Maſſe
die Maſſe der übrigen verſchwindend klein iſt, enthalten, wie oben
erwähnt wurde, Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers;
alle zuſammen enthalten weniger Sauerſtoff als die Kohlenſäure.
Es iſt demnach gewiß, daß die Pflanzen, indem ſie den
Kohlenſtoff der Kohlenſäure ſich aneignen, die Fähigkeit beſitzen
müſſen, die Kohlenſäure zu zerlegen; die Bildung ihrer Haupt-
beſtandtheile ſetzt eine Trennung des Kohlenſtoffs von dem
Sauerſtoff voraus; der letztere muß, während dem Lebensproceß
der Pflanze, während ſich der Kohlenſtoff mit dem Waſſer
oder ſeinen Elementen verbindet, an die Atmoſphäre wieder
zurückgegeben werden. Für jedes Volumen Kohlenſäure, deren
Kohlenſtoff Beſtandtheil der Pflanze wird, muß die Atmoſphäre
ein gleiches Volumen Sauerſtoff empfangen.
Dieſe merkwürdige Fähigkeit der Pflanzen iſt durch zahlloſe
Beobachtungen auf das unzweifelhafteſte bewieſen worden; ein
Jeder kann ſich mit den einfachſten Mitteln von ihrer Wahr-
heit überzeugen.
[19]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Die Blätter und grünen Theile aller Pflanzen ſaugen
nemlich kohlenſaures Gas ein und hauchen ein ihm gleiches
Volum Sauerſtoffgas aus.
Die Blätter und grünen Theile beſitzen dieſes Vermögen
ſelbſt dann noch, wenn ſie von der Pflanze getrennt ſind;
bringt man ſie in dieſem Zuſtande in Waſſer, welches Kohlen-
ſäure enthält, und ſetzt ſie dem Sonnenlichte aus, ſo ver-
ſchwindet nach einiger Zeit die Kohlenſäure gänzlich, und
ſtellt man dieſen Verſuch unter einer mit Waſſer gefüllten
Glasglocke an, ſo kann man das entwickelte Sauerſtoffgas
ſammeln und prüfen; wenn die Entwicklung von Sauerſtoffgas
aufhört, iſt auch die gelöſ’te Kohlenſäure verſchwunden, ſetzt
man aufs Neue Kohlenſäure hinzu, ſo ſtellt ſie ſich von
Neuem ein.
In einem Waſſer, welches frei von Kohlenſäure iſt, oder
ein Alkali enthält, was ſie vor der [Aſſimilation] ſchützt, ent-
wickeln die Pflanzen kein Gas.
Dieſe Beobachtungen ſind zuerſt von Prieſtley und Senne-
bier gemacht, und von de Sauſſure iſt in einer Reihe vor-
trefflich ausgeführter Verſuche bewieſen worden, daß mit der
Abſcheidung des Sauerſtoffs, mit der Zerſetzung der Kohlen-
ſäure die Pflanze an Gewicht zunimmt. Dieſe Gewichtsver-
mehrung beträgt mehr, als der Quantität des aufgenommenen
Kohlenſtoffs entſpricht, was vollkommen der Vorſtellung gemäß
iſt, daß mit dem Kohlenſtoff gleichzeitig die Elemente des
Waſſers von der Pflanze aſſimilirt werden.
Ein eben ſo erhabener als weiſer Zweck hat das Leben
der Pflanzen und Thiere auf eine wunderbar einfache Weiſe
aufs engſte aneinander geknüpft.
Ein Beſtehen einer reichen üppigen Vegetation kann ge-
dacht werden ohne Mitwirkung des thieriſchen Lebens, aber die
2*
[20]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Exiſtenz der Thiere iſt ausſchließlich an die Gegenwart, an die
Entwicklung der Pflanzen gebunden.
Die Pflanze liefert nicht allein dem thieriſchen Organis-
mus in ihren Organen die Mittel zur Nahrung, zur Erneue-
rung und Vermehrung ſeiner Maſſe, ſie entfernt nicht nur
aus der Atmoſphäre die ſchädlichen Stoffe, die ſeine Exiſtenz
gefährden, ſondern ſie iſt es auch allein, welche den höheren
organiſchen Lebensproceß, die Reſpiration mit der ihr unent-
behrlichen Nahrung verſieht; ſie iſt eine unverſiegbare Quelle
des reinſten und friſcheſten Sauerſtoffgaſes, ſie erſetzt der At-
moſphäre in jedem Momente, was ſie verlor.
Alle übrigen Verhältniſſe gleich geſetzt, athmen die Thiere
Kohlenſtoff aus, die Pflanzen athmen ihn ein, das Medium,
in dem es geſchieht, die Luft, kann in ihrer Zuſammenſetzung
nicht geändert werden.
Iſt nun, kann man fragen, der dem Anſchein nach ſo ge-
ringe Kohlenſäuregehalt der Luft, ein Gehalt, der dem Ge-
wicht nach nur 1/10 p. c. beträgt, überhaupt nur genügend,
um den Bedarf der ganzen Vegetation aus der Oberfläche der
Erde zu befriedigen, iſt es möglich, daß dieſer Kohlenſtoff aus
der Luft ſtammt?
Dieſe Frage iſt unter allen am leichteſten zu beantworten.
Man weiß, daß auf jeden Quadratfuß der Oberfläche der
Erde eine Luftſäule ruht, welche 2216,66 ℔ wiegt; man kennt
den Durchmeſſer und damit die Oberfläche der Erde; man
kann mit der größten Genauigkeit das Gewicht der Atmoſphäre
berechnen; der tauſendſte Theil dieſes Gewichts iſt Kohlenſäure,
welche etwas über 27 p. c. Kohlenſtoff enthält. Aus dieſer
Berechnung ergiebt ſich nun, daß die Atmoſphäre 3000 Billio-
nen ℔ Kohlenſtoff enthält, eine Quantität, welche mehr beträgt,
als das Gewicht aller Pflanzen, der Stein- und Braunkohlenlager
[21]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
auf dem ganzen Erdkörper zuſammengenommen. Dieſer Koh-
lenſtoff iſt alſo mehr als hinreichend, um den Bedarf zu ge-
nügen. Der Kohlenſtoffgehalt des Meerwaſſers iſt verhältniß-
mäßig noch größer.
Nehmen wir an, daß die Oberfläche der Blätter und grü-
nen Pflanzentheile, durch welche die Abſorbtion der Kohlen-
ſäure geſchieht, doppelt ſo viel beträgt, als die Oberfläche des
Bodens, auf dem die Pflanze wächſt, was beim Wald, bei den
Wieſen und Getreidefeldern, die den meiſten Kohlenſtoff pro-
duciren, weit unter der wirklich thätigen Oberfläche iſt; neh-
men wir ferner an, daß von einem Morgen, von 80000 Quadrat-
fuß alſo, in jeder Zeitſecunde, 8 Stunden täglich, der Luft
0,00067 ihres Volumens oder 1/1000 ihres Gewichtes an Koh-
lenſäure entzogen wird, ſo nehmen dieſe Blätter in 200 Tagen
1000 ℔ Kohlenſtoff auf *).
[22]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
In keinem Zeitmomente iſt aber in dem Leben einer Pflanze,
in den Functionen ihrer Organe, ein Stillſtand denkbar. Die
Wurzeln und alle Theile derſelben, welche die nemliche Fähig-
keit beſitzen, ſaugen beſtändig Waſſer, ſie athmen Kohlenſäure
ein; dieſe Fähigkeit iſt unabhängig von dem Sonnenlichte; ſie
häuft ſich während des Tages im Schatten und bei Nacht in
allen Theilen der Pflanze an, und erſt von dem Augenblicke
an, wo die Sonnenſtrahlen ſie treffen, geht die Aſſimilation
des Kohlenſtoffs, die Aushauchung von Sauerſtoffgas vor ſich;
erſt in dem Momente, wo der Keim die Erde durchbricht,
färbt er ſich von der äußerſten Spitze abwärts, die eigentliche
Holzbildung nimmt damit ihren Anfang.
Die Tropen, der Aequator, die heißen Klimate, wo ein
ſelten bewölkter Himmel der Sonne geſtattet, ihre glühenden
Strahlen einer unendlich reichen Vegetation zuzuſenden, ſind
die eigentlichen, ewig unverſiegbaren Quellen des Sauerſtoffgaſes;
in den gemäßigten und kalten Zonen, wo künſtliche Wärme
die fehlende Sonne erſetzen muß, wird die Kohlenſäure, welche
die tropiſchen Pflanzen ernährt, im Ueberfluß erzeugt; derſelbe
Luftſtrom, welcher, veranlaßt durch die Umdrehung der Erde,
ſeinen Weg von dem Aequator zu den Polen zurückgelegt hat,
bringt uns, zu dem Aequator zurückkehrend, den dort erzeugten
Sauerſtoff und führt ihm die Kohlenſäure unſerer Winter zu.
Die Verſuche von de Sauſſure haben dargethan, daß die
oberen Schichten der Luft mehr Kohlenſäure als die unteren
enthalten, die mit den Pflanzen ſich in Berührung befinden,
daß der Kohlenſäuregehalt der Luft größer iſt bei Nacht, als
bei Tag, wo das eingeſaugte kohlenſaure Gas zerſetzt wird.
Die Pflanzen verbeſſern die Luft, indem ſie die Kohlenſäure
entfernen, indem ſie den Sauerſtoff erneuern; dieſer Sauer-
ſtoff kommt Menſchen und Thieren zuerſt und unmittelbar zu
[23]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Gut. Die Bewegung der Luft in horizontaler Richtung bringt
uns ſo viel zu, als ſie hinwegführt; der Luftwechſel von Un-
ten nach Oben, in Folge der Ausgleichung der Temperaturen,
er iſt, verglichen mit dem Wechſel durch Winde, verſchwindend
klein.
Die Cultur erhöht den Geſundheitszuſtand der Gegenden;
mit dem Aufhören aller Cultur werden ſonſt geſunde Gegenden
unbewohnbar.
Wir erkennen in dem Leben der Pflanze, in der Aſſimi-
lation des Kohlenſtoffs, als die wichtigſte ihrer Functionen,
eine Sauerſtoffausſcheidung, man kann ſagen eine Sauerſtoff-
erzeugung.
Keine Materie kann als Nahrung, als Bedingung ihrer
Entwickelung angeſehen werden, deren Zuſammenſetzung ihrer
eigenen gleich oder ähnlich iſt, deren Aſſimilation alſo erfolgen
könnte, ohne dieſer Function zu genügen.
In dem zweiten Theile ſind die Beweiſe niedergelegt,
daß die in Verweſung begriffene Holzfaſer, der Humus,
Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers ohne überſchüſſi-
gen Sauerſtoff enthält; ihre Zuſammenſetzung weicht nur
in ſo fern von der des Holzes ab, daß ſie reicher an Kohlen-
ſtoff iſt.
Die Pflanzenphyſiologen haben die Bildung der Holzfaſer
aus Humus für ſehr begreiflich erklärt, denn, ſagen ſie (Meyer
Pflanzenphyſiologie II. S. 141.), der Humus darf nur Waſſer
chemiſch binden, um die Bildung von Holzfaſer, Stärke oder
Zucker zu bewirken.
Die nemlichen Naturforſcher haben aber die Erfahrung ge-
macht, daß Zucker, Amylon und Gummi in ihren wäſſrigen
Auflöſungen von den Wurzeln der Pflanzen eingeſaugt und in
alle Theile der Pflanze geführt werden, allein ſie werden von
[24]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
der Pflanze nicht aſſimilirt, ſie können zu ihrer Ernährung
und Entwickelung nicht angewendet werden.
Es läßt ſich nun kaum eine Form denken, bequemer für
Aſſimilation, als die Form von Zucker, Gummi oder Stärke,
denn dieſe Körper enthalten ja alle Elemente der Holzfaſer
und ſtehen zu ihr in dem nemlichen Verhältniß, wie der Hu-
mus; allein ſie ernähren die Pflanze nicht.
Eine durchaus falſche Vorſtellung, ein Verkennen der wich-
tigſten Lebensfunktionen der Pflanze, liegt der Anſicht von der
Wirkungsweiſe des Humus zum Grunde.
Die Analogie hat die unglückliche Vergleichung der Le-
bensfunctionen der Pflanzen mit denen der Thiere in dem
Bett des Procruſtes erzeugt, ſie iſt die Mutter, die Gebärerin
aller Irrthümer.
Materien, wie Zucker, Amylon ꝛc., welche Kohlenſtoff und
die Elemente des Waſſers enthalten, ſind Producte des Lebens-
proceſſes der Pflanzen, ſie leben nur, inſofern ſie ſie erzeugen.
Daſſelbe muß von dem Humus gelten, denn er kann eben ſo
wie dieſe, in Pflanzen gebildet werden. Smithſon, Jameſon
und Thomſon fanden, daß die ſchwarzen Ausſchwitzungen von
kranken Ulmen, Eichen und Roßkaſtanien aus Humus-
ſäure in Verbindung mit Alkalien beſtehen.
Berzelius fand ähnliche Materien in den meiſten Baum-
rinden. Kann man nun in der That vorausſetzen, daß die
kranken Organe einer Pflanze diejenige Materie zu erzeugen
vermögen, der man die Fähigkeit zuſchreibt, das Leben dieſer
Pflanze, ihr Gedeihen zu unterhalten!
Woher kommt es nun, kann man fragen, daß in den
Schriften aller Botaniker und Pflanzenphyſiologen die Aſſimi-
lation des Kohlenſtoffs aus der Atmoſphäre in Zweifel ge-
[25]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
ſtellt, daß von den Meiſten die Verbeſſerung der Luft durch
die Pflanzen geläugnet wird?
Dieſe Zweifel ſind hervorgegangen aus dem Verhalten der
Pflanzen bei Abweſenheit des Lichtes, nemlich in der Nacht.
An die Verſuche von Ingenhouß knüpfen ſich zum großen
Theil die Zweifel, welche der Anſicht entgegengeſtellt werden,
daß die Pflanzen die Luft verbeſſern. Seine Beobachtung,
daß die grünen Pflanzen im Dunklen Kohlenſäure aushauchen,
haben de Sauſſure und Grischow zu Verſuchen geführt, aus
denen ſich herausgeſtellt hat, daß ſie in der That Sauerſtoff
im Dunklen einſaugen und dafür Kohlenſäure aushauchen,
und daß ſich die Luft, in welcher die Pflanzen im Dunkeln vege-
tiren, im Volumen vermindert; es iſt hieraus klar, daß die Menge
des abſorbirten Sauerſtoffgaſes größer iſt, als das Volumen
der abgeſchiedenen Kohlenſäure — es hätte ſonſt keine Luftver-
minderung ſtattfinden können. Dieſe Thatſache kann nicht in
Zweifel gezogen werden, allein die Interpretationen, die man
ihr unterlegt hat, ſind ſo vollkommen falſch, daß nur die
gänzliche Nichtbeachtung und Unkenntniß der chemiſchen Be-
ziehungen einer Pflanze zu der Atmoſphäre, die ſie umgiebt,
erklärt, wie man zu dieſen Anſichten gelangen konnte.
Es iſt bekannt, daß der indifferente Stickſtoff, das Waſſer-
ſtoffgas, daß eine Menge anderer Gaſe eine eigenthümliche,
meiſt ſchädliche Wirkung auf die lebenden Pflanzen ausüben.
Iſt es nun denkbar, daß eins der kräftigſten Agentien, der
Sauerſtoff, wirkungslos auf eine Pflanze bliebe, ſobald ſie ſich
in dem Zuſtande des Lebens befindet, wo einer ihrer eigen-
thümlichen Aſſimilationsproceſſe aufgehört hat?
Man weiß, daß mit der Abweſenheit des Lichtes die Zer-
ſetzung der Kohlenſäure ihre Grenze findet. Mit der Nacht
beginnt ein rein chemiſcher Proceß, in Folge der Wechſelwir-
[26]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
kung des Sauerſtoffs der Luft auf die Beſtandtheile der Blätter,
Blüthen und Früchte.
Dieſer Proceß hat mit dem Leben der Pflanze nicht das
Geringſte gemein, denn er tritt in der todten Pflanze ganz in
derſelben Form auf, wie in der lebenden.
Es läßt ſich mit der größten Leichtigkeit und Sicherheit aus
den bekannten Beſtandtheilen der Blätter verſchiedener Pflanzen
vorausbeſtimmen, welche davon den meiſten Sauerſtoff im le-
benden Zuſtande während der Abweſenheit des Lichtes abſorbi-
ren werden. Die Blätter und grünen Theile aller Pflanzen,
welche flüchtige Oele, überhaupt aromatiſche flüchtige Beſtand-
theile enthalten, die ſich durch Aufnahme des Sauerſtoffs in
Harz verwandeln, werden mehr Sauerſtoff einſaugen als an-
dere, welche frei davon ſind. Andere wieder, in deren Safte
ſich die Beſtandtheile der Galläpfel befinden oder ſtickſtoff-
reiche Materien enthalten, werden mehr Sauerſtoff aufneh-
men, als die, worin dieſe Beſtandtheile fehlen. Die Beobach-
tungen de Sauſſure’s ſind entſcheidende Beweiſe für dieſes Ver-
halten; während die Agave americana, mit ihren fleiſchigen
geruch- und geſchmackloſen Blättern, nur 0,3 ihres Volumens
Sauerſtoff in 24 Stunden im Dunkeln abſorbiren, nehmen die mit
flüchtigem, verharzbarem Oel durchdrungenen Blätter der Pinus
abies die 10fache, die gerbeſäurehaltigen der Quercus robur die
14fache, die balſamiſchen Blätter der Populus alba die 21fache
Menge an Sauerſtoff auf. Wie zweifellos und augenſcheinlich zeigt
ſich dieſe chemiſche Action in den Blättern der Cotyledon Caly-
cina, der Cacalia ficoides und anderen, ſie ſind des Morgens
ſauer wie Sauerampfer, gegen Mittag geſchmacklos, am Abend
bitter. In der Nacht findet alſo ein reiner Säurebildungs-,
Oxidationsproceß ſtatt, am Tage und gegen Abend ſtellt ſich
der Proceß der Sauerſtoffausſcheidung ein, die Säure geht in
[27]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Subſtanzen über, welche Waſſerſtoff und Sauerſtoff im Ver-
hältniß wie im Waſſer, oder noch weniger Sauerſtoff enthal-
ten, wie in allen geſchmackloſen und bitteren Materien.
Ja man könnte aus den verſchiedenen Zeiten, welche die
grünen Blätter der Pflanzen bedürfen, um durch den Einfluß
der atmoſphäriſchen Luft ihre Farbe zu ändern, die abſorbirten
Sauerſtoffmengen annähernd beſtimmen. Diejenigen, welche
ſich am längſten grün erhalten, werden in gleichen Zeiten we-
niger Sauerſtoff aufnehmen als andere, deren Beſtandtheile
eine raſche Veränderung erfahren. Man findet in der That,
daß die Blätter von Ilex aquifolium, ausgezeichnet durch die
Beſtändigkeit, mit welcher ſie ihre Farbe bewahren, 0,86 ihres
Volumens Sauerſtoff in derſelben Zeit aufnehmen, in welcher
die ſo leicht und ſchnell ihre Farbe verändernden Blätter der
Pappel und Buche, die eine das 8fache, die andere das
9½fache ihres Volumens abſorbiren.
Das Verhalten der grünen Blätter der Eiche, Buche und
Stechpalme, welche unter der Luftpumpe bei Abſchluß des Lich-
tes getrocknet und nach Befeuchtung mit Waſſer unter eine
graduirte Glocke mit Sauerſtoffgas gebracht werden, entfernt
jeden Zweifel über dieſen chemiſchen Proceß. Alle vermindern
das Volumen des eingeſchloſſenen Sauerſtoffgaſes, und zwar
in dem nämlichen Verhältniß, als ſie ihre Farbe ändern.
Dieſe Luftverminderung kann nur auf der Bildung von höhe-
ren Oxiden, oder einer Oxidation des Waſſerſtoffs der an die-
ſem Elemente reichen Beſtandtheile der Pflanzen beruhen.
Die Eigenſchaft der grünen Blätter, Sauerſtoff aufzuneh-
men, gehört aber auch dem friſchen Holze an, gleichgültig ob
es von Zweigen oder dem Innern eines Stammes genommen
worden iſt. Bringt man es in dem feuchten Zuſtande, wie es
vom Baume genommen wird, in feinen Spänen unter eine
[28]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Glocke mit Sauerſtoffgas, ſo findet man ſtets im Anfange das
Volumen des Sauerſtoffs verringert; während das trockene be-
feuchtete Holz, welches eine Zeitlang der Atmoſphäre ausgeſetzt
geweſen iſt, den umgebenden Sauerſtoff in Kohlenſäure ohne
Aenderung des Volumens verwandelt, nimmt alſo das friſche
Holz mehr Sauerſtoff auf.
Die Herren Peterſen und Schödler haben durch ſorgfäl-
tige Elementaranalyſe von 24 verſchiedenen Holzarten bewie-
ſen, daß ſie Kohlenſtoff, die Elemente des Waſſers und noch
außerdem eine gewiſſe Menge Waſſerſtoff im Ueberſchuß ent-
halten; das Eichenholz, friſch vom Baume genommen und bei
100° getrocknet, enthielt 49,432 Kohlenſtoff, 6,069 Waſſerſtoff
und 44,499 Sauerſtoff.
Die Quantität Waſſerſtoff, welche nöthig iſt, um mit
44,498 Sauerſtoff Waſſer zu bilden, iſt ⅛ dieſer Quantität,
nemlich 5,56, es iſt klar, daß das Eichenholz 1/12 mehr Waſſer-
ſtoff enthält, als dieſem Verhältniß entſpricht, Pinus larix, Abies
und Picea enthalten 1/7, die Linde (Tilia europaea), ſogar ⅕
mehr Waſſerſtoff; man ſieht leicht, daß der Waſſerſtoffgehalt
in einiger Beziehung ſteht zu dem ſpecifiſchen Gewichte, die
leichten Holzarten enthalten mehr davon als die ſchweren; das
Ebenholz (Diospyros Ebenum) enthält genau die Elemente
des Waſſers.
Der Unterſchied in der Zuſammenſetzung der Holzarten von
der der reinen Holzfaſer beruht unleugbar auf der Gegenwart
von waſſerſtoffreichen und ſauerſtoffarmen, zum Theil löslichen
Beſtandtheilen, in Harz und anderen Stoffen, deren Waſſer-
ſtoff ſich in der Analyſe zu dem der Holzfaſer addirt.
Wenn nun, wie erwähnt worden iſt, das in Verweſung
begriffene Eichenholz, Kohle und die Elemente des Waſſers,
ohne Ueberſchuß an Waſſerſtoff enthält, wenn es während ſei-
[29]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
ner Verweſung das Volumen der Luft nicht ändert, ſo muß
nothwendig dieſes Verhältniß im Beginn der Verweſung ein
anderes geweſen ſein, denn in den waſſerſtoffreichen Beſtand-
theilen des Holzes iſt der Waſſerſtoff vermindert worden, und
dieſe Verminderung kann nur durch eine Abſorbtion des Sauer-
ſtoffs bewirkt worden ſein.
Die meiſten Pflanzenphyſiologen haben die Aushauchung
der Kohlenſäure während der Nacht mit der Aufnahme von
Sauerſtoffgas aus der Atmoſphäre in Verbindung gebracht, ſie
betrachten dieſe Thätigkeit als den wahren Athmungsproceß der
Pflanzen, welcher wie bei den Thieren eine Entkohlung zur
Folge hat. Es giebt kaum eine Meinung, deren Baſis ſchwan-
kender, man kann ſagen, unrichtiger iſt.
Die von den Blättern, von den Wurzeln mit dem Waſſer
aufgenommene Kohlenſäure wird mit der Abnahme des Lichtes
nicht mehr zerſetzt, ſie bleibt in dem Safte gelöſ’t, der alle
Theile der Pflanze durchdringt; in jedem Zeitmomente verdun-
ſtet mit dem Waſſer aus den Blättern eine ihrem Gehalt ent-
ſprechende Menge Kohlenſäure.
Ein Boden, in welchem die Pflanzen kräftig vegetiren,
enthält als eine nie fehlende Bedingung ihres Lebens, un-
ter allen Umſtänden eine gewiſſe Quantität Feuchtigkeit, nie
fehlt in dieſem Boden kohlenſaures Gas, gleichgültig ob es
von demſelben aus der Luft aufgenommen oder durch die Ver-
weſung von Vegetabilien erzeugt wird; kein Brunnen- oder
Quellwaſſer, nie iſt das Regenwaſſer frei von Kohlenſäure;
in keinerlei Perioden des Lebens einer Pflanze hört das Ver-
mögen der Wurzel auf, Feuchtigkeit und mit derſelben Luft und
Kohlenſäure einzuſaugen.
Kann es nun auffallend ſein, daß dieſe Kohlenſäure mit
dem verdunſtenden Waſſer von der Pflanze an die Atmoſphäre
[30]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
unverändert wieder zurückgegeben wird, wenn die Urſache der
Fixirung des Kohlenſtoffs, wenn das Licht fehlt?
Dieſe Aushauchung von Kohlenſäure hat mit dem Aſſimi-
lationsproceß, mit dem Leben der Pflanze eben ſo wenig zu
thun, als wie die Einſaugung des Sauerſtoffs. Beide ſtehen
mit einander nicht in der geringſten Beziehung, der eine iſt
ein rein mechaniſcher, der andere ein rein chemiſcher Proceß.
Ein Docht von Baumwolle, den man in eine Lampe verſchließt,
welche eine mit Kohlenſäure geſättigte Flüſſigkeit enthält, wird
ſich gerade ſo verhalten, wie eine lebende Pflanze in der Nacht,
Waſſer und Kohlenſäure werden durch Capillarität aufgeſaugt,
beide verdunſten außerhalb an dem Dochte wieder.
Pflanzen, welche in einem feuchten, an Humus reichen Bo-
den leben, werden in der Nacht mehr Kohlenſäure aushauchen,
als andere an trockenen Standörtern, nach dem Regen mehr
als bei trockener Witterung; alle dieſe Einflüſſe erklären die
Menge von Widerſprüchen in den Beobachtungen, die man in
Beziehung auf die Veränderung der Luft durch lebende Pflan-
zen oder durch abgeſchnittene Zweige davon, bei Abſchluß des
Lichtes oder im gewöhnlichen Tageslichte gemacht hat. Wider-
ſprüche, welche keiner Beachtung werth ſind, da ſie nur That-
ſachen feſtſtellen, ohne die Frage zu löſen.
Es giebt aber noch andere entſcheidende Beweiſe, daß die
Pflanzen mehr Sauerſtoff an die Luft abgeben, als ſie über-
haupt derſelben entziehen, Beweiſe, die ſich freilich nur an den
Pflanzen, welche unter Waſſer leben, mit Sicherheit führen
laſſen.
Wenn die Oberfläche von Teichen und Gräben, deren
Boden mit grünen Pflanzen bedeckt iſt, im Winter gefriert, ſo
daß das Waſſer von der Atmoſphäre völlig durch eine Schicht
klaren Eiſes abgeſchloſſen iſt, ſo ſieht man während des Ta-
[31]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
ges und ganz vorzüglich während die Sonne auf das Eis
fällt, unaufhörlich kleine Luftbläschen von den Spitzen der
Blätter und kleineren Zweige ſich löſen, die ſich unter dem Eiſe
zu großen Blaſen ſammeln; dieſe Luftblaſen ſind reines Sauer-
ſtoffgas, was ſich beſtändig vermehrt; weder bei Tage, wenn
die Sonne nicht ſcheint, noch bei Nacht, läßt ſich eine Vermin-
derung beobachten. Dieſer Sauerſtoff rührt von der Kohlen-
ſäure her, die ſich in dem Waſſer befindet, und in dem Grade
wieder erſetzt wird, als ſie die Pflanzen hinwegnehmen; ſie
wird erſetzt durch fortſchreitende Fäulnißproceſſe in abgeſtorbe-
nen Pflanzenüberreſten. Wenn demnach dieſe Pflanzen Sauer-
ſtoffgas während der Nacht einſaugen, ſo kann ſeine Menge
nicht mehr betragen, als das umgebende Waſſer aufgelöſt ent-
hält, denn der in Gasform abgeſchiedene wird nicht wieder
aufgenommen.
Das Verhalten der Waſſerpflanzen kann nicht als Aus-
nahme eines großen Naturgeſetzes gelten, um ſo weniger, da
die Abweichungen der in der Luft lebenden Gewächſe in ih-
rem Verhalten gegen die Atmoſphäre ihre natürliche Er-
klärung finden.
Die Meinung, daß die Kohlenſäure ein Nahrungsmittel
für die Pflanzen ſei, daß ſie den Kohlenſtoff derſelben in ihre
eigene Maſſe aufnehmen, iſt nicht neu; ſie iſt von den ein-
ſichtsvollſten und gediegenſten Naturforſchern, von Prieſtley,
Sennebier, Ingenhouſe, de Sauſſure und anderen,
aufgeſtellt, bewieſen und vertheidigt worden.
Es giebt in der Naturwiſſenſchaft kaum eine Anſicht, für
welche man entſchiedenere und ſchärfere Beweiſe hat; woraus
läßt ſich nun erklären, daß ſie von den meiſten Pflanzenphyſio-
logen in ihrer Ausdehnung nicht anerkannt, daß ſie von vielen
beſtritten, daß ſie von einzelnen als widerlegt betrachtet wird?
[32]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Allem dieſem zuſammengenommen unterliegen zwei Urſa-
chen, die wir jetzt beleuchten wollen.
Die eine dieſer Urſachen iſt, daß ſich in der Botanik alle
Talente und Kräfte in der Erforſchung des Baues und der
Structur, in der Kenntniß der äußeren Form verſplittert ha-
ben, daß man die Chemie und Phyſik bei der Erklärung der
einfachſten Proceſſe nicht mit im Rathe ſitzen läßt, daß man
ihre Erfahrungen und Geſetze als die mächtigſten Hülfsmittel
zur Erkenntniß nicht anwendet; man wendet ſie nicht an, weil
man verſäumt, ſie kennen zu lernen.
Alle Entdeckungen der Phyſik und Chemie, alle Auseinan-
derſetzungen des Chemikers, ſie müſſen für ſie erfolg- und
wirkungslos bleiben, denn ſelbſt für ihre Coriphäen ſind Koh-
lenſäure, Ammoniak, Säuren und Baſen bedeutungsloſe Laute,
es ſind Worte ohne Sinn, Worte einer unbekannten Sprache,
die keine Beziehungen, keine Gedanken erwecken. Sie ver-
fahren wie Ungebildete, welche den Werth und Nutzen der
Kenntniß einer fremden Literatur um ſo tiefer herabſetzen und
um ſo geringſchätzender beurtheilen, je weniger ſie davon ver-
ſtehen, denn ſelbſt diejenigen unter ihnen, die ſie verſtanden,
ſie ſind nicht begriffen worden *).
[33]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Die Phyſiologen verwerfen in der Erforſchung der Geheim-
niſſe des Lebens die Chemie, und dennoch kann ſie es allein
nur ſein, welche den richtigen Weg zum Ziele führt, ſie ver-
werfen die Chemie, weil ſie zerſtört, indem ſie Erkenntniß
ſucht, weil ſie nicht wiſſen, daß ſie dem Meſſer des Anatomen
gleicht, welcher den Körper, das Organ, als ſolche vernichten
muß, wenn er Rechenſchaft über Bau, Structur und über
*)
3
[34]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
ſeine Verrichtungen geben ſoll; *) ſie huldigen dem Aus-
ſpruche Hallers und ſchreiben der Lebenskraft zu, was ſie
nicht begreifen, was ſie nicht erklären können, gerade ſo,
wie man vor 30 Jahren Alles durch Galvanismus ver-
*)
[35]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
deutlicht fand, zu einer Zeit, wo man am allerwenigſten
die Natur der Electricität erkannt hatte. Darf man ſich wun-
dern, wenn man ſtatt Erklärungen und Einſicht nur Bilder,
nur Hypotheſen findet, kann man von ihnen etwas anderes
als Täuſchungen und Trugſchlüſſe erwarten?
Es iſt die deutſche Naturphiloſophie, die ihren Namen mit
ſo großem Unrechte trägt, welche die Kunſt verbreitet hat,
ohne gründliche Forſchungen und Beobachtungen ſich Rechen-
ſchaft von den Erſcheinungen zu geben, eine Kunſt, der es an
Jüngern nicht fehlen wird, ſo lange Arbeiten ohne Mühe und
Anſtrengung, Aufmunterung und Anerkennung finden; ſie zeugte
die taubſtummen und blinden Kinder der Unwiſſenheit und des
Mangels aller Beobachtungsgabe, ſie iſt es, die in den vor-
hergegangenen Jahren alle Fortſchritte in ihrem Keime erſtickte.
Sobald den Phyſiologen die geheimnißvolle Lebenskraft in
einer Erſcheinung entgegentritt, verzichten ſie auf ihre Sinne
und Fähigkeiten, das Auge, der Verſtand, das Urtheil und
Nachdenken, alles wird gelähmt, ſo wie man eine Erſcheinung
für unbegreiflich erklärt.
Vor dieſer allerletzten Urſache befinden ſich noch eine
Menge letzte. Von dem Ringe aus, wo die Kette anfängt,
bis zu uns ſind noch eine Menge unbekannte Glieder. Sollen
dieſe Glieder dem menſchlichen Geiſte unanſchaubar bleiben,
welcher die Geſetze der Bewegung der Weltkörper erforſcht
hat, von deren Exiſtenz ihn nur ein einzelnes Organ unter-
richtet, ihm, dem auf unſern Erdkörper noch ſo viele andere
Hülfsmittel zu Gebote ſtehen?
Wenn reine Kartoffelſtärke, in Salpeterſäure gelöſ’t, einen
Ring des reinſten Wachſes hinterläßt, was kann dem Schluſſe
des Chemikers entgegengeſetzt werden, daß jedes Stärkekörnchen
aus concentriſchen Schichten Wachs und Amylon beſteht, von
3*
[36]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
denen die eine und die andere ſich gegenſeitig ſowohl vor dem
Angriff des Waſſers als des Aethers ſchützen? Kann man
zu Schlüſſen dieſer Art, welche die Natur und das Verhalten
aufs Vollkommenſte erläutern, durch Microscope gelangen?
Iſt es möglich, auf rein mechaniſchem Wege in einem Stück
Brod den Kleber dem Auge ſichtbar zu machen, die kleinſten
Theilchen des Klebers in ihrem Zuſammenhange und allen
ihren Verzweigungen? Dieß iſt durch kein Werkzeug möglich,
und dennoch dürfen wir das Stück Brod nur in eine lau-
warme Abkochung von gekeimter Gerſte legen, um alle Stärke,
alles ſogenannte Dextrin ſich wie Zucker im Waſſer auflöſen
zu ſehen. Man behält zuletzt nichts übrig als den Kleber in
der Form des feinſten Schwammes, deſſen kleinſte Poren durch
Microscope nur ſichtbar ſind.
Unzählige Hülfsmittel dieſer Art bietet die Chemie zur
Erforſchung der Beſchaffenheit der Organe dar; ſie werden
nicht benutzt, weil ſie Niemand bedarf.
Man kennt mit Zuverläſſigkeit die wichtigſten Organe und
Functionen von Thieren, die dem bloßen Auge nicht ſichtbar
ſind, aber in der Pflanzenphyſiologie iſt ein Blatt ſtets ein
Blatt. Aber ein Blatt, was Terpentinöl, Citronöl erzeugt,
muß eine andere Beſchaffenheit beſitzen, als ein Blatt, in dem
Sauerkleeſäure gebildet wird. Die Lebenskraft bedient ſich in
ihren eigenthümlichen Aeußerungen ſtets beſonderer Werkzeuge,
für jede Verrichtung, eines beſonderen Organs. Der auf einen
Citronenbaum gepflanzte Roſenzweig bringt keine Citronen, er
bringt Roſen hervor. Man hat unendlich vieles geſehen, aber
das Sehenswürdigſte iſt zu ſehen nicht verſucht worden.
Die zweite Urſache iſt, daß man in der Phyſiologie die
Kunſt nicht kennt, Verſuche zu machen, eine Kunſt, die man
freilich nur in chemiſchen Laboratorien lernen kann.
[37]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Die Natur redet mit uns in einer eigenthümlichen Sprache,
in der Sprache der Erſcheinungen, auf Fragen giebt ſie jeder-
zeit Antwort, dieſe Fragen ſind die Verſuche.
Ein Verſuch iſt der Ausdruck eines Gedankens, entſpricht
die hervorgerufene Erſcheinung dem Gedachten, ſo ſind wir
einer Wahrheit nahe; das Gegentheil davon beweiſ’t, daß die
Frage falſch geſtellt, daß die Vorſtellung unrichtig war.
Eine Prüfung der Verſuche eines Andern iſt eine Prüfung
ſeiner Anſichten, für die er Beweiſe gegeben hat; wenn die
Prüfung nur negirt, wenn ſie keine richtigeren Vorſtellungen
an die Stelle derjenigen ſetzt, die man zu widerlegen ſucht, ſo
verdient eine ſolche Wiederholung von Verſuchen nicht beachtet
zu werden, denn je ſchlechter der wiederholende Frageſteller,
Experimentator iſt, deſto ſchärfer, deſto größer im Widerſpruch
fällt ſein Beweis aus.
Man vergißt in der Phyſiologie zu ſehr, daß es ſich nicht
darum handelt, die Verſuche eines Andern zu widerlegen oder
unrichtig zu finden, ſondern daß das Ziel, nachdem wir Alle
ſtreben, die Wahrheit und nur die Wahrheit iſt. Daher denn
dieſer Ballaſt von nichtsbedeutenden, aufs Geradewohl ge-
machten Verſuchen; man erſtaunt, wenn man ſich überzeugt,
wie der ganze Aufwand von Zeit und Kraft einer Menge
Perſonen von Geiſt, Talent und Kenntniſſen darauf hinaus-
läuft, ſich gegenſeitig zu ſagen, daß ſie vollkommen Unrecht
haben.
Auch ſie haben mit dem beſten Willen, mit aller Gewiſſen-
haftigkeit Verſuche angeſtellt, und die Meinung, ob die Koh-
lenſäure wirklich nähre, einer Prüfung unterworfen, allein die
Antwort entſprach dieſer Anſicht nicht, ſie fiel gänzlich vernei-
nend aus. Wie waren aber die Fragen geſtellt?
Sie ſäeten den Saamen von Balſaminen, Vicebohnen,
[38]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Kreſſe, Kürbis in reinen carrariſchen Marmor und begoſſen
ihn mit kohlenſäurehaltigem Waſſer, die Saamen gingen auf,
allein die Pflanzen waren nicht bis zur Entwickelung des drit-
ten Blättchens zu bringen.
Sie ließen in andern Fällen das Waſſer von unten hinauf
in den Marmor dringen, aber vergebens, alle ſtarben; merk-
würdiger Weiſe brachten es Andere in reinem deſtillirten Waſſer
weiter, als in der Kohlenſäure, aber ſie gingen dennoch zu
Grunde.
Andere ſäeten Saamen von Pflanzen in Schwefelblumen,
in Schwerſpath, und ſuchten ſie mit Kohlenſäure zu nähren,
allein ohne Erfolg; dieſe Klaſſe von Verſuchen ſind es im All-
gemeinen, welche als poſitive Beweiſe betrachtet werden, daß
die Kohlenſäure nicht nähre, allein ſie ſind gegen alle Regeln einer
rationellen Naturforſchung, gegen alle Regeln der Chemie an-
geſtellt.
Zum Leben einer Pflanze gehören mehrere, für beſondere
Pflanzengattungen beſondere Bedingungen, giebt man der
Pflanze ſonſt alles, und ſchließt nur eine einzige Bedingung
aus, ſo wird ſie nicht zur Entwickelung gelangen.
Die Organe einer Pflanze, wie die eines Thieres, enthal-
ten Materien von der verſchiedenſten Zuſammenſetzung, ſtick-
ſtoffhaltige und ſtickſtofffreie, ſie enthalten Metalloxide in der
Form von Salzen.
Die Nahrungsmittel welche zur Reproduction aller Organe
dienen ſollen, müſſen nothwendig alle ihre Elemente enthalten.
Dieſe unerläßlichſten aller Bedingungen hinſichtlich der chemi-
ſchen Beſchaffenheit eines Nahrungsmittels, können in einem
einzelnen Stoffe ſich vereinigt vorfinden, oder es können mehrere
ſein, in welchem Falle denn der eine enthält, was dem an-
dern fehlt.
[39]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Man hat mit einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz allein, mit
Gallerte, Hunde zu Tode gefüttert; ſie ſtarben an Weißbrod,
an Zucker und Stärke, wenn ſie ausſchließlich ſtatt aller andern
als Nahrung gegeben wurden. Kann man hieraus ſchließen, daß
dieſe Materien kein aſſimilirbares Element enthalten? Gewiß nicht.
Die Lebenskraft iſt die einem jeden einzelnen Organe inn-
wohnende Fähigkeit, ſich ſelbſt in jedem Zeitmomente neu wie-
der zu erzeugen: hierzu gehören Stoffe, welche ſeine Elemente
enthalten, und dieſe Stoffe müſſen ſich zu Metamorphoſen eignen.
Alle Organe zuſammengenommen, können kein einzelnes Element,
keinen Stickſtoff, Kohlenſtoff oder ein Metalloxyd erzeugen.
Iſt die Maſſe der dargebotenen Stoffe zu groß, oder ſind
ſie keiner Metamorphoſe fähig, oder üben ſie eine chemiſche
Wirkung irgend einer Art auf das Organ aus, ſo unterliegt
das Organ ſelbſt einer Metamorphoſe. Alle ſogenannten Gifte
gehören der letzteren Klaſſe an. Die beſten Nahrungsmittel
können den Tod bewirken.
Alle dieſe Bedingungen der Ernährung müſſen bei Ver-
ſuchen der Art in Rechnung genommen werden.
Außer den Elementen, welche Beſtandtheile von Organen
ausmachen, bedürfen Thiere und Pflanzen noch anderer Stoffe,
deren eigentliche Function unbekannt iſt. Es ſind dieß anor-
ganiſche Materien, das Kochſalz z. B., bei deſſen gänzlicher
Abweſenheit der Tod bei den Thieren unausbleiblich erfolgt.
Wenn wir mit Beſtimmtheit wiſſen, daß es einen Körper
giebt, den Humus z. B., welcher fähig iſt, eine Pflanze bis
zur vollendeten Entwickelung mit Nahrung zu verſehen, ſo
führt uns die Kenntniß ſeines Verhaltens und ſeiner Zuſam-
menſetzung auf die Bedingungen des Lebens einer Pflanze.
Es muß ſich alsdann mit dem Humus gerade ſo verhal-
ten, wie mit einem einzigen Nahrungsmittel, was die Natur
[40]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
für den animaliſchen Organismus producirt, nemlich mit der
Milch.
Wir finden in der Milch einen an Stickſtoff reichen Kör-
per, den Käſe, eine Subſtanz, welche reich an Waſſerſtoff
iſt, die Butter, einen dritten, welcher eine große Menge
Sauerſtoff und Waſſerſtoff in dem Verhältniß wie im Waſſer
enthält, den Milchzucker; in der Butter befindet ſich eine der
aromatiſchſten Subſtanzen, die Butterſäure; ſie enthält in
Auflöſung milchſaures Natron, phosphorſauren Kalk
und Kochſalz.
Mit der Kenntniß von der Zuſammenſetzung der Milch
kennen wir die Bedingungen des Aſſimilationsproceſſes aller
Thiere.
In Allem, was Menſchen und Thieren zur Nahrung
dient, finden wir dieſe Bedingungen vereinigt, bei vielen in
einer andern Form und Beſchaffenheit, aber keine davon darf
auf eine gewiſſe Zeitdauer hinaus fehlen, ohne daß die Fol-
gen davon an dem Befinden des Thieres bemerkbar ſind.
Die Kenntniß der Fähigkeit eines Körpers als Nahrungs-
mittel zu dienen, ſetzt in ihrer Anwendung die Ausmittlung
der Bedingungen voraus, unter welchen er aſſimilirbar iſt.
Ein fleiſchfreſſendes Thier ſtirbt bei allem Ueberfluß an
Speiſe unter der Luftpumpe, in der Luft ſtirbt es, wenn die
Anforderungen ſeines Magens nicht befriedigt werden, es ſtirbt
in reinem Sauerſtoffgas bei einem Ueberfluß von Speiſe.
Kann man hieraus ſchließen, daß weder Fleiſch, noch Luft, noch
Sauerſtoff geeignet ſind, das Leben zu erhalten? Gewiß nicht.
Aus dem Piedeſtal der Trajansſäule in Rom kann man
jedes einzelne Steinſtück herausmeißeln, wenn bei dem Heraus-
nehmen des zweiten und dritten ꝛc. die erſten wieder eingeſetzt
werden. Kann man hieraus ſchließen, daß dieſe Säule in
[41]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
der Luft ſchwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt?
Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den ſtrengſten Be-
weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen
werden kann, ohne daß die Säule umfällt.
Die Pflanzen- und Thierphyſiologen verfahren aber in Be-
ziehung auf den Aſimilationsproceß nicht anders. Ohne die
Bedingungen des Lebens, die Beſchaffenheit und Nahrungs-
mittel, die Natur und Beſtandtheile der Organe zu kennen,
ſtellen ſie Verſuche an, Verſuche, denen man Beweiskraft zu-
ſchreibt, während ſie Mitleid und Bedauern erwecken.
Iſt es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen,
wenn man ihr nicht neben Waſſer und Kohlenſäure eine ſtick-
ſtoffhaltige Materie giebt, die ſie zur Erzeugung der ſtickſtoff-
haltigen Beſtandtheile im Safte bedarf?
Muß ſie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlenſäure ſterben,
wenn die wenigen Blätter, die ſich gebildet haben, den Stick-
ſtoffgehalt des Saamens verzehrt haben?
Kann eine Pflanze überhaupt in carrariſchem Marmor wach-
ſen, ſelbſt wenn ihr eine ſtickſtoffhaltige Materie dargeboten
wird, wenn man den Marmor mit kohlenſäurehaltigem Waſſer
begießt, was den Kalk auflöſ’t und ein ſaures kohlenſaures
Kalkſalz bildet? Eine Pflanze aus der Familie der Plumba-
gineen, bei denen die Blattoberfläche aus feinen hornartigen
oder ſchuppigen Auswüchſen von kriſtalliſirtem kohlenſauren Kalk
beſteht, würde vielleicht unter dieſen Umſtänden zur Entwicke-
lung kommen; daß aber die Kreſſe, der Kürbiß, die Balſami-
nen bei Abweſenheit des Stickſtoffs durch ſauren kohlenſauren
Kalk nicht ernährt werden können, daß letzterer als Gift wirkt,
dieß kann man als eine völlig durch dieſe Verſuche bewieſene
Thatſache annehmen, denn in reinem Waſſer, ohne Kalk und
Kohlenſäure, bringen es dieſe Pflanzen noch weiter.
[42]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Die Schwefelblumen ziehen im feuchten Zuſtande aus der
Luft Sauerſtoff an und werden ſauer. Läßt ſich erwarten,
daß bei Gegenwart von freier Schwefelſäure eine Pflanze in
Schwefelblumen durch Kohlenſäure allein ernährt werden kann?
So wenig ſich auch in Stunden oder Tagen an Schwefelſäure
bilden mag, die Fähigkeit der Schwefeltheile, Sauerſtoff anzu-
ziehen und zurückzuhalten, iſt in jedem Zeitmomente da.
Wenn man weiß, daß die Wurzeln Feuchtigkeit, Kohlen-
ſäure und Luft bedürfen, darf man ſchwefelſauren Baryt, deſſen
Beſchaffenheit und Schwere den Zutritt der Luft ganz und gar ab-
ſchließt, als Mittel wählen, um Pflanzen darin wachſen zu laſſen?
Alle dieſe Verſuche ſind für die Entſcheidung irgend einer
Frage völlig bedeutungslos. Wenn man noch überdieß ungewiß
über die Rolle iſt, welche die verſchiedenen fremden anorgani-
ſchen Materien in den Pflanzen ſpielen, ſo lange darf man
aufs Geradewohl keinen Boden wählen.
Es iſt völlig unmöglich, eine Pflanze aus der Familie der
Gramineen und Equiſetaceen, welche in ihrem feſten Ge-
rippe kieſelſaures Kali enthalten, ohne Kieſelerde und Kali,
eine Oxalisart ohne Kali, eine Salzpflanze ohne Kochſalz, oder
ein Salz von gleicher Wirkungsweiſe, zur Entwickelung zu brin-
gen; alle Saamen der Cerealien enthalten phosphorſaure Bit-
tererde, der feſte Theil der Althäwurzeln enthält mehr phos-
phorſauren Kalk als Holzfaſer. Sind dieß denn lauter durch-
aus entbehrliche Materien? Darf man eine Pflanze zu einem
Verſuche wählen, wenn man nicht entfernt weiß, was ſie zu
ihrer Aſſimilation bedarf?
Welchen Werth kann man nun vernünftiger Weiſe Verſuchen
beilegen, wo man mit der größten Sorgfalt Alles ausgeſchloſſen
hat, was ſie neben ihrer Nahrung überhaupt noch bedarf,
um ſie, um dieſe Nahrung nämlich, aſſimilirbar zu machen?
[43]Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Kann man die Geſetze des Lebens erforſchen an einem Or-
ganismus, der ſich in einem dauernden Zuſtande des Krank-
ſeins und beſtändigen Sterbens befindet?
Die bloße Beobachtung einer Wieſe, eines Waldes iſt un-
endlich mehr geeignet, über ſo einfache Fragen zu entſcheiden,
als alle dieſe kleinlichen Verſuche unter Glasglocken; anſtatt
einer Pflanze haben wir Tauſende von Pflanzen, dieß iſt der
einzige Unterſchied; wenn wir die Beſchaffenheit eines einzigen
Cubiczolls ihres Bodens, wenn wir die der Luft und des Re-
genwaſſers kennen, ſo haben wir damit alle Bedingungen ihres
Lebens in der Hand.
Wenn wir die Formen kennen, in welchen die Pflanze ihre Nah-
rung aufnimmt, wenn wir die Zuſammenſetzung der Nahrung mit
den Beſtandtheilen der Pflanze vergleichen, ſo kann uns ohne
Zweifel der Urſprung aller ihrer Elemente nicht entgehen.
Dieſe Fragen ſollen in dem Folgenden einer Unterſuchung,
einer Discuſſion unterworfen werden.
In dem Vorhergehenden iſt der Beweis niedergelegt, daß
der Kohlenſtoff der Pflanzen aus der Atmoſphäre ſtammt; es
ſind nun die Wirkungen des Humus und der anorganiſchen Be-
ſtandtheile der Pflanzen, ſo wie der Antheil, den beide an der
Entwickelung der Vegetation nehmen, und die Quellen des
Stickſtoffs zu beleuchten.
Urſprung und Verhalten des Humus.
Es iſt in dem zweiten Theile auseinandergeſetzt, daß alle
Pflanzen und Pflanzentheile mit dem Aufhören des Lebens
zwei Zerſetzungsproceſſe erleiden, von denen man den einen
Gährung oder Fäulniß, den andern Verweſung nennt.
[44]Urſprung und Verhalten des Humus.
Es iſt gezeigt worden, daß die Verweſung einen langſamen
Verbrennungsproceß bezeichnet, den Vorgang alſo, wo die ver-
brennlichen Beſtandtheile des verweſenden Körpers ſich mit dem
Sauerſtoff der Luft verbinden.
Die Verweſung des Hauptbeſtandtheiles aller Vegetabilien,
der Holzfaſer, zeigt eine Erſcheinung eigenthümlicher Art.
Mit Sauerſtoff in Berührung, mit Luft umgeben, verwan-
delt ſie nämlich den Sauerſtoff in ein ihm gleiches Volumen
kohlenſaures Gas; mit dem Verſchwinden des Sauerſtoffs hört
die Verweſung auf.
Wird dieſes kohlenſaure Gas hinweggenommen und durch
Sauerſtoff erſetzt, ſo fängt die Verweſung von Neuem an, d. h.
der Sauerſtoff wird wieder in Kohlenſäure verwandelt.
Die Holzfaſer beſteht nun aus Kohlenſtoff und den Elemen-
ten des Waſſers; von allem Andern abgeſehen, geht ihre Ver-
brennung vor, wie wenn man reine Kohle bei ſehr hohen Tem-
peraturen verbrennt, gerade ſo, als ob kein Waſſerſtoff und
Sauerſtoff mit ihr in der Holzfaſer verbunden wäre.
Die Vollendung dieſes Verbrennungsproceſſes erfordert eine
ſehr lange Zeit; eine unerläßliche Bedingung zu ſeiner Unterhal-
tung iſt die Gegenwart von Waſſer; Alkalien befördern ihn, Säu-
ren verhindern ihn, alle antiſeptiſchen Materien, ſchweflige Säure,
Queckſilberſalze und brenzliche Oele heben ihn gänzlich auf.
Die in Verweſung begriffene Holzfaſer iſt der Körper, den
wir Humus nennen.
In demſelben Grade, als die Verweſung der Holzfaſer vor-
angeſchritten iſt, vermindert ſich ihre Fähigkeit, zu verweſen,
d. h. das umgebende Sauerſtoffgas in Kohlenſäure zu ver-
wandeln, zuletzt bleibt eine gewiſſe Menge einer braunen oder
kohlenartigen Subſtanz zurück, der ſie gänzlich fehlt, man nennt
ſie Moder; ſie iſt das Product der vollendeten Verweſung
[45]Urſprung und Verhalten des Humus.
der Holzfaſer. Der Moder macht den Hauptbeſtandtheil aller
Braunkohlenlager und des Torfes aus.
In einem Boden, welcher der Luft zugänglich iſt, verhält
ſich der Humus genau wie an der Luft ſelbſt; er iſt eine lang-
ſame äußerſt andauernde Quelle von Kohlenſäure.
Um jedes kleinſte Theilchen des verweſenden Humus ent-
ſteht, auf Koſten des Sauerſtoffs der Luft, eine Atmoſphäre von
Kohlenſäure.
In der Cultur wird durch Bearbeitung und Auflockerung
der Erde, der Luft ein möglichſt ungehinderter und freier Zu-
tritt verſchafft.
Ein ſo vorbereiteter und feuchter Boden enthält alſo eine
Atmoſphäre von Kohlenſäure, und damit die erſte und wich-
tigſte Nahrung für die junge Pflanze, welche ſich darauf ent-
wickeln ſoll.
Im Frühlinge, wo die Organe fehlen, welche die Natur
beſtimmt hat, die Nahrung aus der Atmoſphäre aufzunehmen,
wo dieſe Organe erſt gebildet werden, ſind es die Beſtand-
theile des Saamens, welche zuerſt und ausſchließlich zur Bil-
dung der Wurzeln verwendet werden; mit jeder Wurzelfaſer
erhält die Pflanze einen Mund, eine Lunge, einen Magen.
Von dem Augenblicke an, wo ſich die erſten Wurzelfaſern
gebildet haben, ſind ſie es, welche die Functionen der Blätter
übernehmen, ſie führen aus der Atmoſphäre, in der ſie ſich
befinden, aus dem Boden nemlich, Nahrung zu; von dem Hu-
mus ſtammt die Kohlenſäure her.
Durch Auflockerung des Bodens um die junge Pflanze, er-
neuern und vervielfältigen wir den Zutritt der Luft, wir be-
günſtigen damit die Bildung der Kohlenſäure; die Quantität
der erzeugten Nahrung würde ſich vermindern mit jeder Schwie-
rigkeit, die ſich im Boden dieſer Lufterneuerung entgegenſtellt;
[46]Urſprung und Verhalten des Humus.
bei einem gewiſſen Grade der Entwickelung der Pflanze iſt
ſie es ſelbſt, welche dieſen Luftwechſel bewirkt. Die Atmoſphäre
von Kohlenſäure, welche den unverweſ’ten Theil des Humus
vor weiterer Veränderung ſchützt, wird von den feinen Wur-
zelhaaren, den Wurzeln ſelbſt, aufgeſaugt und hinweggenommen,
ſie wird erſetzt durch atmoſphäriſche Luft, die ihren Platz nimmt;
die Verweſung ſchreitet fort, es wird eine neue Quantität Koh-
lenſäure gebildet. In dieſer Zeit empfängt die Pflanze von
den Wurzeln und äußeren Organen gleichzeitig Nahrung, ſie
ſchreitet raſch ihrer Vollendung entgegen.
Iſt die Pflanze völlig entwickelt, ſind ihre Organe der Er-
nährung völlig ausgebildet, ſo bedarf ſie der Kohlenſäure des
Bodens nicht mehr.
Mangel an Feuchtigkeit, völlige Trockenheit des Bodens
hemmen die Vollendung ihrer Entwickelung nicht mehr, wenn
ſie vom Thau und der Luft ſo viel Feuchtigkeit empfängt,
als ſie zur Vermittelung der Aſſimilation bedarf; im hei-
ßen Sommer ſchöpft ſie den Kohlenſtoff ausſchließlich aus der
Luft.
Wir wiſſen bei den Pflanzen nicht, welche Höhe und Stärke
ihnen die Natur angewieſen hat, wir kennen nur das gewöhn-
liche Maaß ihrer Größe.
Als große werthvolle Seltenheiten ſieht man in London
und Amſterdam Eichbäume, von chineſiſchen Gärtnern gezogen,
von anderthalb Fuß Höhe, deren Stamm, Rinde, Zweige und
ganzer Habitus ein ehrwürdiges Alter erkennen laſſen, und die
kleine Teltower Rübe wird in einem Boden, wo ihr frei ſteht,
ſo viel Nahrung aufzunehmen, als ſie kann, zu einem mehrere
Pfunde ſchweren Dickwanſt.
Die Maſſe einer Pflanze ſteht im Verhältniß zu
der Oberfläche der Organe, welche beſtimmt ſind,
[47]Urſprung und Verhalten des Humus.
Nahrung zuzuführen. Mit jeder Wurzelfaſer, jedem
Blatt gewinnt die Pflanze einen Mund und Magen mehr.
Der Thätigkeit der Wurzeln, Nahrung aufzunehmen, wird
nur durch Mangel eine Grenze geſetzt, iſt ſie im Ueberfluß
vorhanden, und wird ſie zur Ausbildung der vorhandenen Or-
gane nicht völlig verzehrt, ſo kehrt dieſer Ueberſchuß nicht in
den Boden zurück, ſondern er wird in der Pflanze zur Her-
vorbringung von neuen Organen verwendet.
Neben der vorhandenen Zelle entſteht eine neue, neben dem
entſtandenen Zweig und Blatt entwickelt ſich ein neuer Zweig,
ein neues Blatt; ohne Ueberſchuß an Nahrung wären dieſe
nicht zur Entwickelung gekommen. Der in dem Saamen ent-
wickelte Zucker und Schleim verſchwindet mit der Ausbildung
der Wurzelfaſern, der in dem Holzkörper, in den Wurzeln entſte-
hende Zucker und Schleim verſchwindet mit der Entwickelung
der Knospen, grünen Triebe und Blätter.
Mit der Ausbildung, mit der Anzahl der Organe, der
Zweige und Blätter, denen die Atmoſphäre Nahrung liefert,
wächſt in dem nämlichen Verhältniß ihre Fähigkeit, Nahrung
aufzunehmen und an Maſſe zuzunehmen, denn dieſe Fähigkeit
nimmt im Verhältniß wie ihre Oberfläche zu.
Die ausgebildeten Blätter, Triebe und Zweige bedürfen
zu ihrer eigenen Erhaltung der Nahrung nicht mehr, ſie neh-
men an Umfang nicht mehr zu; um als Organe fortzubeſtehen,
haben ſie ausſchließlich nur die Mittel nöthig, die Func-
tion zu unterhalten, zu der ſie die Natur beſtimmt hat, ſie
ſind nicht ihrer ſelbſt wegen vorhanden.
Wir wiſſen, daß dieſe Function in ihrer Fähigkeit beſteht,
die Kohlenſäure der Luft einzuſaugen und unter dem Einfluß
des Lichts, bei Gegenwart von Feuchtigkeit, ihren Kohlenſtoff
ſich anzueignen.
[48]Urſprung und Verhalten des Humus.
Dieſe Function iſt unausgeſetzt, von der erſten Entwickelung
an, in Thätigkeit, ſie hört nicht auf mit ihrer völligen Aus-
bildung.
Aber die neuen, aus dieſer unausgeſetzt fortdauernden Aſſi-
milation hervorgehenden Producte, ſie werden nicht mehr für
ihre eigene Entwickelung verbraucht, ſie dienen jetzt zur weiteren
Ausbildung des Holzkörpers und aller ihr ähnlich zuſammen-
geſetzten feſten Stoffe, es ſind die Blätter, welche jetzt die Bil-
dung des Zuckers, des Amylons, der Säuren vermitteln. So
lange ſie fehlten, hatten die Wurzeln dieſe Verrichtung in
Beziehung auf diejenigen Materien übernommen, welche der
Halm, die Knospe, das Blatt und die Zweige zu ihrer Aus-
bildung bedurften.
In dieſer Periode des Lebens nehmen die Organe
der Aſſimilation aus der Atmoſphäre mehr Nahrungsſtoffe
auf, als ſie ſelbſt verzehren, und mit der fortſchreitenden
Entwickelung des Holzkörpers, wo der Zufluß an Nahrung
immer der nemliche bleibt, ändert ſich die Richtung, in der
ſie verwendet wird, es beginnt die Entwicklung der Blüthe,
und mit der Ausbildung der Frucht iſt bei den meiſten
Pflanzen der Function der Blätter eine Grenze geſetzt, denn
die Producte ihrer Thätigkeit finden keine Verwendung mehr.
Sie unterliegen der Einwirkung des Sauerſtoffs, wechſeln in
Folge derſelben gewöhnlich ihre Farbe und fallen ab.
Zwiſchen der Periode der Blüthe und Fruchtbildung ent-
ſtehen in allen Pflanzen in Folge einer Metamorphoſe der
vorhandenen Stoffe, eine Reihe von neuen Verbindungen,
welche vorher fehlten, von Materien, welche Beſtandtheile der
ſich bildenden Blüthe, Frucht oder des Saamens ausmachen.
Eine organiſch-chemiſche Metamorphoſe iſt nun der Act
der Umſetzung der Elemente einer oder mehrerer Verbindungen
[49]Urſprung und Verhalten des Humus.
in zwei oder mehrere neuen, welche dieſe Elemente in einer
andern Weiſe gruppirt, oder in andern Verhältniſſen enthalten.
Von zwei Verbindungen, die in Folge dieſer Umſetzungen
gebildet werden, bleibt die eine als Beſtandtheil in der Blüthe
oder Frucht zurück, die andere wird in der Form von Excre-
menten von der Wurzel abgeſchieden.
Die Ernährung des thieriſchen ſo wie des vegetabiliſchen
Organismus iſt ohne Ausſcheidung von Excrementen nicht
denkbar. Wir wiſſen ja, daß der Organismus nichts erzeugt
ſondern nur verwandelt, daß ſeine Erhaltung und Reproduction
in Folge der Metamorphoſe der Nahrungsſtoffe geſchieht, die
ſeine Elemente enthalten.
Nennen wir die Urſache der Metamorphoſe Lebenskraft,
höhere Temperatur, Licht, Galvanismus oder wie
wir ſonſt wollen, der Act der Metamorphoſe iſt ein rein che-
miſcher Proceß; Verbindung und Zerlegung kann nur
dann vor ſich gehen, wenn die Elemente die Fähigkeit dazu
haben. Was der Chemiker Verwandtſchaft nennt, bezeichnet wei-
ter nichts als den Grad dieſer Fähigkeit.
In der Betrachtung der Gährung und Fäulniß iſt
weitläuftig auseinandergeſetzt worden, daß jede Störung in der
Anziehung der Elemente einer Verbindung eine Metamorphoſe
hervorruft, die Elemente ordnen ſich unter einander zu neuen
Verbindungen nach den Graden ihrer Anziehung, und dieſe
neuen Verbindungen ſind unter den gegebenen Bedingungen
keiner weiteren Metamorphoſe mehr fähig.
Die Producte dieſer Metamorphoſen ändern ſich mit den
Urſachen, mit dem Wechſel der Bedingungen, durch die ſie her-
vorgebracht werden, ſie ſind zahllos wie dieſe.
Der Character einer Säure z. B. iſt ein unaufhörliches,
bei verſchiedenen Säuren ungleich ſtarkes, Streben nach Aus-
4
[50]Urſprung und Verhalten des Humus.
gleichung durch eine Baſe, er verſchwindet gänzlich, ſo wie die-
ſem Streben genügt wird. Der Character einer Baſis iſt der
umgekehrte; beide, obwohl in ihren Eigenſchaften ſo verſchie-
denartig, bewirken durch dieſe Eigenthümlichkeiten in den mei-
ſten Fällen einerlei Metamorphoſe.
Blauſäure und Waſſer enthalten die Elemente von Koh-
lenſäure, Ammoniak, Harnſtoff, Cyanurſäure,
Cyamelid, Oralſäure, Ameiſenſäure, Melam, Am-
melid, Melamin, Ammelin, Azulmin, Mellon,
Mellonwaſſerſtoff, Allantoin ꝛc. Wir Alle wiſſen, daß
die genannten in ihrer Zuſammenſetzung unendlich verſchiedenen
Stoffe aus Blauſäure und Waſſer, in chemiſchen Metamorpho-
ſen der mannichfaltigſten Art, wirklich gebildet werden können.
Der ganze Proceß der Ernährung der Organismen läßt
ſich durch die Betrachtung einer einzigen dieſer Metamorphoſen
zur Anſchauung bringen.
Blauſäure und Waſſer z. B. in Berührung mit Salzſäure
zerlegen ſich augenblicklich in Ameiſenſäure und Ammoniak; in
beiden ſind die Elemente der Blauſäure und des Waſſers, ob-
wohl in einer andern Form, in anderer Weiſe geordnet, ent-
halten.
Es iſt das Streben der Salzſäure nach Ausgleichung, wo-
durch dieſe Metamorphoſe bedingt worden iſt.
In Folge dieſes Strebens erleiden Blauſäure und Waſſer
gleichzeitig eine Zerſetzung; der Stickſtoff der Blauſäure und der
Waſſerſtoff in dem Waſſer treten zu einer Baſis, zu Ammo-
niak zuſammen, womit ſich die Säure verband. Ihrem Stre-
ben war, wenn man ſolche Ausdrücke brauchen darf, Befriedi-
gung geworden, ihr Character verſchwand. Ammoniak war
nur ſeinen Elementen nach vorhanden, aber die Fähigkeit, Am-
moniak zu bilden, war da.
[51]Urſprung und Verhalten des Humus.
Die gleichzeitige Zerſetzung der Blauſäure und des Waſſers
geſchah hier nicht in Folge einer chemiſchen Verwandtſchaft der
Salzſäure zu Ammoniak, denn Blauſäure und Waſſer enthal-
ten kein Ammoniak. Eine Verwandtſchaft eines Körpers zu
einem zweiten, der gar nicht vorhanden, der erſt gebildet wird,
iſt völlig undenkbar, und leicht wird man hieraus entnehmen,
wie ſehr dieſe Zerſetzungsweiſen (es ſind dieß gerade die, welche
man Metamorphoſen nennt) von den gewöhnlichen chemiſchen
Zerſetzungen abweichen.
In Folge der Bildung von Ammoniak ſind Kohlenſtoff und
Waſſerſtoff, die anderen Elemente der Blauſäure, mit dem Sauer-
ſtoff des zerſetzten Waſſers zu Ameiſenſäure zuſammengetreten;
die Elemente und die Fähigkeit, ſich zu verbinden, ſind vor-
handen.
Die Ameiſenſäure iſt alſo hier das Excrement; das Ammo-
niak repräſentirt den durch das Organ aſſimilirten Stoff.
Das Organ nimmt von den dargebotenen Nahrungsmit-
teln, was es zu ſeiner eigenen Erhaltung, was es zu ſeiner
Reproduction bedarf. Die übrigen Elemente, welche nicht aſſi-
milirt werden, treten zu neuen Verbindungen, zu Excrementen
zuſammen.
Während ihres Weges durch den Organismus kommen die
Excremente des einen Organs in Berührung mit einem an-
dern, durch deſſen Einwirkung ſie eine neue Metamorphoſe er-
fahren; die Excremente des einen Organs enthalten die Ele-
mente der Nahrungsmittel für ein zweites und folgendes; zu-
letzt werden die, keiner Metamorphoſe mehr fähigen Stoffe
durch die dazu beſtimmten Organe aus dem Organismus ent-
fernt. Jedes Organ iſt für ſeine ihm eigenthümlichen Func-
tionen eingerichtet. Ein Cubiczoll Schwefelwaſſerſtoff in die
Lunge gebracht, würde augenblicklichen Tod bewirken, in dem
4*
[52]Urſprung und Verhalten des Humus.
Darmkanal wird es unter manchen Umſtänden ohne Nachtheil
gebildet.
Durch die Nieren werden die in Folge von Metamorpho-
ſen entſtandenen ſtickſtoffhaltigen, durch die Leber die an Koh-
lenſtoff reichen und durch die Lunge alle waſſerſtoff- und ſauer-
ſtoffreichen Excremente aus dem Körper entfernt. Der Wein-
geiſt, die keiner Aſſimilation fähigen ätheriſchen Oele verdun-
ſten nicht durch die Haut, ſondern durch die Lunge.
Die Reſpiration ſelbſt iſt eine langſame Verbrennung, d. h.
eine ſich ſtets erneuernde Verweſung. Wendet man auf dieſen
Proceß die Regeln an, die ſich aus der Betrachtung der ver-
weſenden Materien im Allgemeinen entwickeln laſſen, ſo iſt
klar, daß in der Lunge ſelbſt der Sauerſtoff der Luft mit dem
Kohlenſtoff einer Kohlenſtoffverbindung, direct keine Kohlenſäure
bilden kann; es kann nur eine Oxidation von Waſſerſtoff, oder
die Bildung eines höheren Oxides ſtattfinden. Es wird Sauer-
ſtoff aufgenommen, der keine Kohlenſäure bildet; es wird Koh-
lenſäure abgeſchieden, deren Kohlenſtoff und Sauerſtoff von
einer Materie aus dem Blute ſtammen *).
[53]Urſprung und Verhalten des Humus.
Durch die Harnwege wird der überflüſſige Stickſtoff als
flüſſiges Excrement, durch den Darmkanal alle, keiner Metamor-
phoſe mehr fähigen feſten Stoffe, und durch die Lunge alle
gasförmigen aus dem Körper entfernt.
Man darf ſich durch den Popanz der Lebenskraft nicht
abhalten laſſen, den Proceß der Metamorphoſe der Nahrungs-
mittel und in ihrem Zuſammenhang die Aſſimilation der Or-
ganismen in dem chemiſchen Geſichtspunkte zu betrachten, um
ſo mehr, da man weiß, wie erfolglos, wie aller Anwendung
unfähig die bis jetzt gewählten blieben.
Iſt es denn wirklich die Lebenskraft, welche den Zucker, die
erſte Nahrung der jungen Pflanzen, im Keime erzeugt, welche
dem Magen die Fähigkeit giebt, alle Stoffe, die ihm zugeführt
werden, zur Aſſimilation vorzubereiten, ihre Auflöſung zu be-
wirken?
Eine Abkochung von gekeimter Gerſte beſitzt ſo wenig wie
ein todter Kalbsmagen die Eigenſchaft, ſich ſelbſt zu reprodu-
ciren, von Leben kann in beiden keine Rede ſein. Aber wenn
man in die Abkochung der Gerſte Amylon bringt, ſo verwan-
delt es ſich zuerſt in einen gummiähnlichen Stoff, zuletzt in
Zucker. In der Abkochung des Kalbmagens, der man einige
Tropfen Salzſäure zufügt, löſ’t ſich hartgekochtes Eiweiß und
Muskelfaſer gerade ſo auf, wie in dem Magen ſelbſt *).
(Schwann, Schulz).
Die Fähigkeit, Metamorphoſen zu bewirken, gehört alſo
nicht der Lebenskraft an, ſie gehen vor ſich in Folge von Stö-
rungen in der Anziehung der Elemente, in Folge alſo von
chemiſchen Proceſſen.
[54]Urſprung und Verhalten des Humus.
Dieſe Proceſſe ſtellen ſich in einer andern Form dar, als
wie die Zerſetzung von Salzen oder von Oxiden und Schwefe-
lungsſtufen. Dieß iſt keine Frage. Welche Schuld trägt aber
die Chemie, wenn die Phyſiologie von dieſen neuen Formen
der chemiſchen Actionen keine Notiz nimmt!
Wenn wir wiſſen, daß die Baſen aller alkaliſchen Salze,
welche durch organiſche Säuren gebildet ſind, durch die Harn-
wege in der Form von kohlenſauren Alkalien abgeführt werden
(Wöhler); iſt es rationell, daß der Arzt in der Steinkrank-
heit ſeine Patienten Borax unzenweiſe zu ſich nehmen läßt.
Kommt denn die Transformation der Harnſteine, die aus
Harnſäure beſtehen, in die ſogenannten Maulbeerſteine, welche
Oxalſäure enthalten, nicht täglich vor, wenn die in der Stadt
lebenden Patienten das Land beziehen, wo ſie mehr Vegetabi-
lien genießen. An dem Rhein, wo das weinſaure Kali in ſo
großer Menge genoſſen wird, haben ſich aus den von den
Phyſikatsärzten geführten Liſten nur eingewanderte Steinkranke
herausgeſtellt. Sind alle dieſe Erſcheinungen keiner Erklärung
fähig?
Aus dem in der Gährung gebildeten Fuſelöl der Kartoffeln
erzeugen wir das flüchtige Oel der Baldrianwurzel mit allen
ſeinen Eigenſchaften (Dumas), aus einem kriſtalliniſchen Stoff,
aus der Weidenrinde bekommen wir das Oel der Spiraea ul-
maria (Piria). Wir ſind im Stande, Ameiſenſäure, Oxal-
ſäure, Harnſtoff, den kryſtalliniſchen Körper in der allantoiſchen
Flüſſigkeit der Kuh, lauter Producte der Lebenskraft, in unſe-
ren Laboratorien zu erzeugen. Wie man ſieht, hat dieſe myſte-
riöſe Lebenskraft viele Beziehungen mit den chemiſchen Kräften
gemein, denn die letzteren können ſogar ihre Rolle übernehmen.
Dieſe Beziehungen ſind es nun, welche ausgemittelt werden
[55]Urſprung und Verhalten des Humus.
müſſen. Wahrlich, es würde ſonderbar erſcheinen, wenn die
Lebenskraft, die Alles zu ihren Zwecken braucht, wenn ſie den
chemiſchen Kräften keinen Antheil geſtattete, die ihr zur freie-
ſten Verfügung ſtehen. Sondern wir die Actionen, welche den
chemiſchen Kräften angehören, von denen, die einem andern
Impuls untergeordnet ſind, und wir werden erlangen, was ei-
ner vernünftigen Naturforſchung erreichbar iſt. Den Ausdruck
„Lebenskraft“ muß man vorläufig für gleichbedeutend mit dem
halten, was die Medizin „ſpecifiſch“ oder „dynamiſch“
nennt; Alles iſt ſpecifiſch, was man nicht erklären kann, und
dynamiſch iſt die Erklärung von Allem, was man nicht weiß.
Metamorphoſen vorhandener Verbindungen gehen in dem
ganzen Lebensacte der Pflanzen vor ſich, und in Folge derſel-
ben gasförmige Secretionen durch die Blätter und Blüthen,
feſter Excremente in den Rinden und flüſſiger löslicher Stoffe
durch die Wurzeln. Dieſe Secretionen finden ſtatt unmittel-
bar vor dem Beginn und während der Dauer der Blüthe, ſie
vermindern ſich nach der Ausbildung der Frucht; durch die
Wurzeln werden kohlenſtoffreiche Subſtanzen abgeſchieden und
von dem Boden aufgenommen.
In dieſen Stoffen, welche unfähig ſind, eine Pflanze zu
ernähren, empfängt der Boden den größten Theil des Kohlen-
ſtoffs wieder, den er den Pflanzen im Anfange ihrer Entwicke-
lung in der Form von Kohlenſäure gegeben hatte.
Die von dem Boden aufgenommenen löslichen Excremente
gehen durch den Einfluß der Luſt und Feuchtigkeit einer fort-
ſchreitenden Veränderung entgegen; indem ſie der Fäulniß und
Verweſung unterliegen, erzeugt ſich aus ihnen wieder der Nah-
rungsſtoff einer neuen Generation, ſie gehen in Humus über.
Die im Herbſte fallenden Blätter im Walde, die alten Wur-
zeln der Graspflanzen auf den Wieſen verwandeln ſich durch
[56]Urſprung und Verhalten des Humus.
dieſe Einflüſſe ebenfalls in Humus. In dieſer Form empfängt
der Boden im Ganzen an Kohlenſtoff mehr wieder, als der
verweſende Humus als Kohlenſäure abgab.
Im Allgemeinen erſchöpft keine Pflanze in ihrem Zuſtande
der normalen Entwickelung den Boden, in Beziehung auf ſei-
nen Gehalt an Kohlenſtoff; ſie macht ihn im Gegentheil reicher
daran. Wenn aber die Pflanzen dem Boden den empfan-
genen Kohlenſtoff wiedergeben, wenn ſie ihn daran reicher ma-
chen, ſo iſt klar, daß diejenige Menge, die wir in irgend einer
Form bei der Ernte dem Boden nehmen, daß dieſe ihren Ur-
ſprung der Atmoſphäre verdankt. Die Wirkung des Humus
geht auf eine klare und unzweideutige Weiſe aus dem Vorher-
gehenden hervor.
Der Humus ernährt die Pflanze nicht, weil er im lösli-
chen Zuſtande von derſelben aufgenommen und als ſolcher aſſi-
milirt wird, ſondern weil er eine langſame und andauernde
Quelle von Kohlenſäure darſtellt, welche als das Hauptnah-
rungsmittel die Wurzeln der jungen Pflanze zu einer Zeit
mit Nahrung verſieht, wo die äußeren Organe der atmoſphä-
riſchen Ernährung fehlen.
Die Oberfläche der Erde war vor der gegenwärtigen Pe-
riode mit Pflanzen bedeckt, deren Trümmer und Ueberreſte die
Braun- und Steinkohlenlager bilden.
Alle dieſe rieſenhaften Palmen, Gräſer, Farrenkräuter ꝛc.
gehören zu Pflanzenarten, denen die Natur durch eine unge-
heure Ausdehnung der Blätter die Fähigkeit gegeben hat, den
Boden für ihre Nahrung ganz zu entbehren.
Sie ſind in dieſer Beziehung ähnlich den Wurzel- und
Zwiebelgewächſen, deren atmoſphäriſche Organe im Anfange
ihres Lebens auf Koſten ihrer eigenen Maſſe ernährt und ent-
wickelt werden.
[57]Urſprung und Verhalten des Humus.
Noch jetzt rechnet man dieſe Klaſſe von Gewächſen zu de-
nen, welche den Boden nicht erſchöpfen.
Alle Pflanzen der früheren Generationen unterſcheiden ſich
von den gegenwärtig lebenden, durch die unbedeutende und
ſchwache Entwickelung der Wurzel. Man findet in den Braun-
kohlenlagern Früchte, Blätter, Saamen, beinahe alle Theile
der vorweltlichen Pflanzen, allein die Wurzeln findet man nicht
darin. Die Gefäßbündel, woraus ſie beſtanden, die leicht ver-
änderlichen, ſchwammigen Zellen, ſie waren es zuerſt, welche
der Zerſetzung unterlagen, aber an Eichen und andern Bäu-
men, die in ſpäteren Perioden durch ähnliche Revolutionen
dieſelben Veränderungen, wie die urweltlichen Gewächſe erlitten
haben, fehlen die Wurzeln niemals.
In den heißen Climaten ſind die grünenden Gewächſe
mehrentheils ſolche, die nur einer Befeſtigung in dem Boden
bedürfen, um ohne ſeine Mitwirkung ſich zu entwickeln. Wie
verſchwindend iſt bei den Cactus-, Sedum- und Sempervi-
vum-Arten die Wurzel gegen die Maſſe, gegen die Ober-
fläche der Blätter, und in dem dürreſten, trockenſten Sand,
wo von einer Zuführung von Nahrung durch die Wurzel gar
nicht die Rede ſein kann, ſehen wir die milchſaftführenden Ge-
wächſe zur volleſten Entwickelung gelangen; die aus der Luft
aufgenommene, zu ihrer Exiſtenz unentbehrliche Feuchtigkeit,
wird durch die Beſchaffenheit des Saftes ſelbſt vor der Ver-
dunſtung geſchützt; Kautſchuck, Wachs, umgeben, wie in den öligen
Emulſionen, das Waſſer mit einer Art undurchdringlichen Hülle,
ſie ſtrotzen von Saft. Wie in der Milch die ſich bildende Haut der
Verdunſtung eine Grenze ſetzt, ſo in dieſen Pflanzen der Milchſaft.
Es würde nach den vorhergegangenen Betrachtungen völlig
zwecklos und überflüſſig erſcheinen, wenn man durch einzelne
Beiſpiele von Pflanzen, die in Verſuchen im Kleinen, ohne
[58]Urſprung und Verhalten des Humus.
Beihülfe von Dammerde zur völligen Ausbildung gebracht
worden ſind, zu den Beweiſen, die man über den Urſprung
des Kohlenſtoffs hat, noch neue hinzufügen wollte, die ſie un-
ter keinerlei Umſtänden ſchlagender und überzeugender machen
können. Es kann aber hier nicht unerwähnt gelaſſen werden,
daß die gewöhnliche Holzkohle in ihrer eigenthümlichen Be-
ſchaffenheit und durch die Eigenſchaften, die man an ihr kennt,
die Dammerde, den Humus aufs Vollſtändigſte vertreten
kann. Die Verſuche und Erfahrungen von Lukas, welche die-
ſem Werke beigegeben ſind, überheben mich einer jeden weiteren
Auseinanderſetzung ihrer Wirkſamkeit.
Man kann in ausgeglühtem (etwas ausgewaſchenem) Koh-
lenpulver Pflanzen zur üppigſten Entwickelung, zum Blühen
und zur Fruchtbildung bringen, wenn ſie mit Regenwaſſer
feucht erhalten werden.
Die Holzkohle iſt aber der unveränderlichſte, indifferenteſte
Körper, den man kennt, das Einzige, was ſie der Pflanze von
ihrer eigenen Maſſe abgeben kann, iſt Kalk oder Kieſelerde;
man weiß, daß ſie ſich Jahrhunderte lang zu erhalten vermag,
daß ſie alſo der Verweſung nicht unterworfen iſt.
Wir erkennen nun in der Holzkohle das Vermögen, Luft
und kohlenſaures Gas in ihren Poren zu verdichten, ſie iſt es,
welche die ſich bildende Wurzel, gerade ſo wie beim Humus,
mit einer Atmoſphäre von Kohlenſäure und Luft verſieht, eine
Atmoſphäre, die ſich eben ſo ſchnell wieder erneuert, als ſie
hinweggenommen wird.
In Kohlenpulver, welches in den Verſuchen von Lukas
mehrere Jahre zu dieſen Zwecken gedient hatte, fand Buchner
über 2 Procent einer braunen in Alkalien löslichen Materie,
ſie ſtammt von den Secretionen der Wurzeln her, die in dem
Kohlenpulver vegetiren.
[59]Urſprung und Verhalten des Humus.
Läßt man eine Pflanze in einem eingeſchloſſenen Gefäße
wachſen, ſo daß die Luft und mit der Luft die Kohlenſäure
ſich nicht erneuern können, ſo ſtirbt die Pflanze, gerade ſo wie
ſie im luſtleeren Raume der Luftpumpe in Stickgas, in kohlen-
ſaurem Gas ſterben würde, ſelbſt wenn ſie in die fruchtbarſte
Dammerde gepflanzt wäre.
Sie kommen aber im Kohlenpulver unter den gewöhnlichen
Verhältniſſen, wenn ſie, anſtatt mit Regen- oder Flußwaſſer,
mit reinem deſtillirten Waſſer begoſſen wird, nicht zur Frucht-
bildung. Das Regenwaſſer muß deshalb noch eine Bedingung
des Lebens der Pflanzen in ſich ſchließen, und wir werden
ſehen, daß dieſe in einer Stickſtoffverbindung beſteht, bei deren
Ausſchluß der Humus und die Kohle ihren Einfluß auf die
Vegetation gänzlich verlieren.
Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs.
Die Luft enthält den Kohlenſtoff der Gewächſe in der
Form von Kohlenſäure, in der Form alſo einer Sauerſtoff-
verbindung. Der feſte Theil der Pflanzen, die Holzfaſer, ent-
hält Kohlenſtoff und die Beſtandtheile des Waſſers, oder die
Elemente der Kohlenſäure plus einer gewiſſen Menge Waſſer-
ſtoff. Wir können uns das Holz entſtanden denken aus dem
Kohlenſtoff der Kohlenſäure, der ſich unter Mitwirkung des
Sonnenlichtes mit den Elementen des vorhandenen Waſſers
verbindet; in dieſem Falle müſſen für je 27,65 Gewichtstheile
Kohlenſtoff, welcher von der Pflanze aſſimilirt wird, 72,35 Ge-
[60]Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs.
wichtstheile Sauerſtoff als Gas abgeſchieden werden, oder
was weit wahrſcheinlicher iſt: Die Pflanze zerlegt unter den-
ſelben Bedingungen bei Gegenwart von Kohlenſäure das Waſ-
ſer, ſein Waſſerſtoff wird mit der Kohlenſäure aſſimilirt, wäh-
rend ſein Sauerſtoff abgeſchieden wird; zu 100 Theilen Koh-
lenſäure müſſen demnach 8,04 Theile Waſſerſtoff treten, um
die [Holzfaſer] zu bilden, und es werden 72,35 Gewichtstheile,
eine dem Gehalt der Kohlenſäure genau gleiche Quantität
Sauerſtoff, die mit dieſem Waſſerſtoff verbunden waren, in der
Form von Gas abgeſchieden.
Ein jeder Morgen Land, welcher 10 Ctr. Kohle producirt
wird mithin jährlich an die Atmoſphäre 2600 ℔ reines Sauer-
ſtoffgas zurückgeben; da nun das ſpecifiſche Gewicht des
Sauerſtoffs durch die Zahl 1,1026 ausgedrückt wird, ſo wiegt
1 Cubicmeter Sauerſtoff, 1432 Grm. oder 2,864 ℔ heſſ. Ge-
wicht und dieſe 2600 ℔ Sauerſtoff entſprechen 908 Kubicmetern
oder 58112 Cubicfuß (heſſ.) Sauerſtoffgas.
Ein Morgen Wieſe, Wald oder überhaupt cultivirtes
Land erſetzt alſo den Sauerſtoff der Atmoſphäre wieder, welcher
durch 10 Ctr. Kohlenſtoff bei ſeiner Verbrennung in der Luft
oder durch den Reſpirationsproceß der Thiere verzehrt wird.
Es iſt erwähnt worden, daß die Holzfaſer Kohle und die
Beſtandtheile des Waſſers enthält, daß aber in dem Holz
mehr Waſſerſtoff enthalten iſt, als dieſem Verhältniß entſpricht;
dieſer Waſſerſtoff befindet ſich darin in der Form von Blatt-
grün, Wachs, Oel, Harz oder überhaupt in der Form von
ſehr waſſerſtoffreichen Materien, er kann dieſen Subſtanzen
nur von dem Waſſer geliefert worden ſein; für jedes Aequi-
valent Waſſerſtoff, was in einer dieſer Formen von der Pflanze
aſſimilirt wird, muß 1 Aeq. Sauerſtoff an die Atmoſphäre
zurückgegeben werden.
[61]Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs.
Man wird die Menge des hierdurch freiwerdenden Sauer-
ſtoffs nicht für verſchwindend halten können, wenn man in
Erwägung zieht, daß für jedes Pfund aſſimilirten Waſſerſtoff,
die Atmoſphäre 1792 Cubicfuß (heſſ.) Sauerſtoff empfängt.
Wie erwähnt, giebt die Pflanze in dem Aſſimilationspro-
ceß der Holzfaſer eine Quantität Sauerſtoff an die Atmoſphäre,
welche unter allen Umſtänden die nemliche iſt, gleichgültig,
ob ſeine Abſcheidung in einer Zerſetzung des Waſſers ihre Ur-
ſache hat. — Das letztere iſt oben für wahrſcheinlicher erklärt
worden.
Wir wiſſen aus der Bildung des Wachſes, der flüchtigen
und fetten Oele, des Kautſchucks in den Pflanzen, daß ſie im
lebenden Zuſtande die Fähigkeit beſitzen, Waſſer zu zerlegen,
denn der Waſſerſtoff dieſer Materien kann nur von dem Waſ-
ſer geliefert werden. Ja aus den Beobachtungen von A. v.
Humbold über die Pilze ergiebt ſich, daß eine Zerſetzung des
Waſſers erfolgen kann, ohne Aſſimilation des Waſſerſtoffs.
Wir kennen in dem Waſſer die merkwürdige Verbindung zweier
Elemente, die ſich in zahlloſen Proceſſen von einander zu
trennen vermögen, ohne daß wir im Stande ſind, dieſe Tren-
nung durch unſere Sinne wahrzunehmen, während die Kohlen-
ſäure nur unter den gewaltſamſten Einwirkungen zerſetzbar iſt.
Die meiſten Pflanzengebilde enthalten Waſſerſtoff in der Form
von Waſſer, welches ſich als ſolches abſcheiden, erſetzen läßt
durch andere Körper; derjenige Waſſerſtoff aber, welcher zu ih-
rer Conſtitution weſentlich iſt, kann unmöglich in der Form
von Waſſer darinn enthalten ſein.
Aller zum Beſtehen einer organiſchen Verbindung unent-
behrliche Waſſerſtoff wird durch Zerſetzung von Waſſer der
Pflanze geliefert.
Der Aſſimilationsproceß der Pflanze in ſeiner einfachſten
[62]Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs.
Form ſtellt ſich mithin dar als eine Aufnahme von Waſſer-
ſtoff aus dem Waſſer, und von Kohlenſtoff aus der Kohlen-
ſäure, in Folge welcher aller Sauerſtoff des Waſſers und aller
Sauerſtoff der Kohlenſäure, wie bei den flüchtigen ſauerſtoff-
freien Oelen, dem Kautſchuck ꝛc., oder nur ein Theil die-
ſes Sauerſtoffs abgeſchieden wird.
Die bekannte Zuſammenſetzung der verbreitetſten organiſchen
Verbindungen geſtattet uns, die Quantität des ausgeſchiedenen
Sauerſtoffs in beſtimmten Verhältniſſen auszudrücken.
- 36 Aeq. Kohlenſäure und 22 Aeq. Waſſerſtoff aus 22 Aeq. Waſſer
= Holzfaſer, mit Ausſcheidung von 72 Aeq. Sauerſtoff. - 36 Aeq. Kohlenſäure und 36 Aeq. Waſſerſtoff aus 36 Aeq. Waſſer
= Zucker, mit Ausſcheidung von 72 Aeq. Sauerſtoff. - 36 Aeq. Kohlenſäure und 30 Aeq. Waſſerſtoff aus 30 Aeq. Waſſer
= Stärke, mit Ausſcheidung von 72 Aeq. Sauerſtoff. - 36 Aeq. Kohlenſäure und 16 Aeq. Waſſerſtoff aus 16 Aeq. Waſſer
= Gerbeſäure, mit Ausſcheidung von 64 Aeq. Sauerſtoff. - 36 Aeq. Kohlenſäure und 18 Aeq. Waſſerſtoff aus 18 Aeq. Waſſer
= Weinſäure, mit Ausſcheidung von 45 Aeq. Sauerſtoff. - 36 Aeq. Kohlenſäure und 18 Aeq. Waſſerſtoff aus 18 Aeq. Waſſer
= Aepfelſäure, mit Ausſcheidung von 54 Aeq. Sauerſtoff. - 30 Aeq. Kohlenſäure und 24 Aeq. Waſſerſtoff aus 24 Aeq. Waſſer
= Terpentinöl, mit Ausſcheidung von 84 Aeq. Sauerſtoff.
Man beobachtet leicht, daß die Bildung der Säuren be-
gleitet iſt von der ſchwächſten Sauerſtoffausſcheidung, ſie nimmt
zu bei den ſogenannten neutralen Stoffen der Holzfaſer, Zucker,
Stärke, und erreicht ihr Maximum bei den Oelen. Die Wir-
kung des Sonnenlichtes, der Einfluß der Wärme bei dem
Reifen der Früchte, wird gewiſſermaßen durch dieſe Zahlen
repräſentirt.
Beim Reifen der Früchte im Dunkeln vermindert ſich un-
[63]Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs.
ter Abſorbtion von Sauerſtoff das harzige waſſerſtoffreiche Blatt-
grün; es bilden ſich rothe und gelbe Farbeſtoffe; Weinſäure,
Citronenſäure, Gerbeſäure verſchwinden, an ihrer Stelle findet
ſich Zucker, Amylon oder Gummi.
- 6 Aeq. Weinſäure, beim Hinzutreten von 6 Aeq. Sauerſtoff, geben
Traubenzucker unter Abſcheidung von 12 Aeq. Kohlenſäure. - 1 Aeq. Gerbeſtoff, beim Hinzutreten von 8 Aeq. Sauerſtoff
und 4 Aeq. Waſſer, geben unter Ausſcheidung von 6 Aeq. Koh-
lenſäure 1 Aeq. Amylum.
Auf dieſe und ähnliche Weiſe läßt ſich die Bildung von
allen ſtickſtofffreien Beſtandtheilen aus Kohlenſäure und Waſſer-
ſtoff mit Ausſcheidung von Sauerſtoff und die Umwandlung
des einen in den andern durch Ausſcheidung von Kohlenſäure
unter Aſſimilation von Sauerſtoff erklären.
Wir wiſſen nicht, in welcher Form die Bildung der Be-
ſtandtheile organiſcher Weſen vor ſich geht; in dieſer Beziehung
muß man dieſe Entwicklung als ein Bild betrachten, geeignet,
uns die Entſtehung zu verſinnlichen, allein man muß dabei
nicht vergeſſen, daß, wenn die Verwandlung der Weinſäure in
Zucker, in den Weintrauben z. B., als Thatſache angeſehen
wird, ſo kann ſie in keinerlei Umſtänden in anderen Verhält-
niſſen vor ſich gehen.
Der Lebensproceß in der Pflanze ſtellt ſich unter dem be-
zeichneten Geſichtspunkt dar, als der Gegenſatz des chemiſchen
Proceſſes in der Salzbildung. Kohlenſäure, Waſſer und Zink,
miteinander in Berührung, üben eine beſtimmte Wirkung auf
einander aus, unter Abſcheidung von Waſſerſtoff entſteht
eine weiße pulverförmige Verbindung, welche Kohlenſäure, Zink
und den Sauerſtoff des Waſſers enthält.
Die lebende Pflanze vertritt in dieſem Proceß das Zink;
es entſtehen in ihrem Aſſimilationsproceſſe unter Ausſchei-
[64]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
dung von Sauerſtoff, Verbindungen, welche die Elemente
der Kohlenſäure und den Waſſerſtoff des Waſſers enthalten.
Die Verweſung iſt im Eingange als der große Naturpro-
ceß bezeichnet worden, in welchem die Pflanze den Sauerſtoff
an die Luft wieder abgiebt, den ſie im lebenden Zuſtande von
derſelben nahm. In der Entwickelung begriffen, hat ſie Koh-
lenſtoff in der Form von Kohlenſäure und Waſſerſtoff auf-
genommen, unter Abſcheidung des Sauerſtoffs des Waſſers
und einem Theil oder allem Sauerſtoff der Kohlenſäure. In
dem Verweſungsproceß wird genau die dem Waſſerſtoff ent-
ſprechende Menge von Waſſer durch Oxidation auf Koſten der
Luſt wieder gebildet; aller Sauerſtoff der organiſchen Materie
kehrt in der Form der Kohlenſäure zur Atmoſphäre zurück.
Nur in dem Verhältniß alſo, in welchem die verweſenden Ma-
terien Sauerſtoff enthalten, können ſie in dem Act der Verwe-
ſung Kohlenſäure entwickeln, die Säuren mehr als die neu-
tralen Verbindungen; die fetten Säuren, Harz und Wachs,
verweſen nicht mehr, ſie erhalten ſich in dem Boden ohne be-
merkbare Veränderung.
Der Urſprung und die Aſſimilation des
Stickſtoffs.
In dem humusreichſten Boden kann die Entwickelung der
Vegetabilien nicht gedacht werden ohne das Hinzutreten von
Stickſtoff, oder einer ſtickſtoffhaltigen Materie.
In welcher Form und wie liefert die Natur dem vegetabi-
[65]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
liſchen Eiweiß, dem Kleber, den Früchten und Saamen dieſen
für ihre Exiſtenz durchaus unentbehrlichen Beſtandtheil?
Auch dieſe Frage iſt einer einfachen Löſung fähig, wenn
man ſich erinnert, daß Pflanzen zum Wachſen, zur Entwicke-
lung gebracht werden können in reinem Kohlenpulver beim
Begießen mit Regenwaſſer.
Das Regenwaſſer kann den Stickſtoff nur in zweierlei
Form enthalten, in der Form von aufgelöſ’ter atmoſphäriſcher
Luft, oder in der Form von Ammoniak.
Der Stickſtoff in der Luft kann durch die gewaltſamſten
chemiſchen Proceſſe nicht befähigt werden, eine Verbindung mit
irgend einem Elemente außer dem Sauerſtoffe einzugehen;
wir haben nicht den entfernteſten Grund zu glauben, daß der
Stickſtoff der Atmoſphäre Antheil an dem Aſſimilationsproceß der
Thiere oder Pflanzen nimmt, im Gegentheil wiſſen wir, daß
viele Pflanzen Stickgas aushauchen, was die Wurzeln in der
Form von Luft oder aufgelöſ’t im Waſſer aufgenommen hatten.
Wir haben auf der andern Seite zahlloſe Erfahrungen,
daß die Entwickelung von ſtickſtoffreichem Kleber in den Ce-
realien in einer gewiſſen Beziehung ſteht zu der Menge des
aufgenommenen Stickſtoffs, der ihren Wurzeln in der Form
von Ammoniak durch verweſende thieriſche Körper zugeführt
wird.
Das Ammoniak ſteht in der Mannigfaltigkeit der Meta-
morphoſen, die es bei Berührung mit anderen Körpern einzu-
gehen vermag, dem Waſſer, was ſie in einen ſo eminenten
Grade darbietet, in keiner Beziehung nach. In reinem Zu-
ſtande im Waſſer im hohen Grade löslich, fähig, mit allen
Säuren lösliche Verbindungen zu bilden, fähig in Berührung
mit andern Körpern, ſeine Natur als Alkali gänzlich aufzuge-
ben, und die verſchiedenartigſten direct einander gegenüberſte-
5
[66]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
henden Formen einzunehmen; dieſe Eigenſchaften finden wir in
keinem andern ſtickſtoffhaltigen Körper wieder.
Ameiſenſaures Ammoniak verwandelt ſich durch den Einfluß
einer höheren Temperatur in Blauſäure und Waſſer, ohne
Abſcheidung eines Elements; mit Cyanſäure bildet es Harn-
ſtoff; mit ätheriſchem Senföl, Bittermandelöl, eine Reihe kry-
ſtalliniſcher Körper; mit dem kryſtalliſirbaren bittern Beſtandtheil,
der Aepfelwurzelrinde, dem Phloridzin, mit dem ſüßen des Li-
chen dealbatus, dem Orcin, mit dem geſchmackloſen der Roccella
tinctoria, dem Erynthrin verwandelt es ſich bei Gegenwart
von Waſſer und Luft in prachtvoll blau oder rothe Farbſtoffe;
ſie ſind es, welche als Lackmus, Orſeille, künſtlich erzeugt werden.
In allen dieſen Verbindungen hat das Ammoniak aufgehört, in
der Form von Ammoniak zu exiſtiren, in der Form eines Al-
kalis. Alle blauen Farbeſtoffe, welche durch Säuren roth, alle
rothen, welche durch Alkalien, wie das Lackmus, blau werden,
enthalten Stickſtoff, aber den Stickſtoff nicht in der Form einer
Baſis.
Dieſes Verhalten reicht nicht allein hin, um die Meinung
zu rechtfertigen, daß das Ammoniak es iſt, was allen Vege-
tabilien ohne Ausnahme, den Stickſtoff in ihren ſtickſtoffhaltigen,
Beſtandtheilen liefert.
Betrachtungen anderer Art geben nichtsdeſtoweniger dieſer
Meinung einen Grad der Gewißheit, der jede andere Form
der Aſſimilation des Stickſtoffs gänzlich ausſchließt.
Faſſen wir in der That den Zuſtand eines wohlbewirth-
ſchafteten Gutes ins Auge, von der Ausdehnung, daß es ſich
ſelbſt zu erhalten vermag, ſo haben wir darauf eine gewiſſe
Summe von Stickſtoff, was wir in der Form von Thieren,
Menſchen, Getreide, Früchte, in der Form von Thier- und
Menſchenexcrementen in ein Inventarium gebracht uns vor-
[67]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
ſtellen wollen. Das Gut wird bewirthſchaftet ohne Zufuhr
von Stickſtoff in irgend einer Form von Außen.
Jedes Jahr nun werden die Producte dieſer Oekonomie
ausgetauſcht gegen Geld und andere Bedürfniſſe des Lebens,
gegen Materialien, die keinen Stickſtoff enthalten. Mit dem
Getreide, mit dem Vieh führen wir aber ein beſtimmtes Quan-
tum Stickſtoff aus, und dieſe Ausfuhr erneuert ſich jedes Jahr
ohne den geringſten Erſatz; in einer gewiſſen Anzahl von Jah-
ren nimmt das Inventarium an Stickſtoff noch überdieß zu.
Wo kommt, kann man fragen, der jährlich ausgeführte Stick-
ſtoff her? (Bouſſingault.)
Der Stickſtoff in den Excrementen kann ſich nicht reprodu-
ciren, die Erde kann keinen Stickſtoff liefern, es kann nur die
Atmoſphäre ſein, aus welcher die Pflanzen und in Folge da-
von die Thiere ihren Stickſtoff ſchöpfen. (Bouſſingault.)
Es wird in dem zweiten Theil entwickelt werden, daß die
letzten Producte der Fäulniß und Verweſung ſtickſtoffhaltiger
thieriſcher Körper in zwei Formen auftreten, in den gemäßigten
und kalten Climaten in der Form der Waſſerſtoffverbindung des
Stickſtoffs, als Ammoniak, unter den Tropen in der Form ſei-
ner Sauerſtoffverbindung, der Salpeterſäure, daß aber der Bil-
dung der letzteren ſtets die Erzeugung der erſteren vorangeht.
Ammoniak iſt das letzte Product der Fäulniß animaliſcher Kör-
per, Salpeterſäure iſt das Product der Verweſung des Am-
moniaks. Eine Generation von einer Milliarde Menſchen er-
neuert ſich alle dreißig Jahre; Milliarden von Thieren gehen
unter, und reproduciren ſich in noch kürzeren Perioden. Wo
iſt der Stickſtoff hingekommen, den ſie im lebenden Zuſtande
enthielten?
Keine Frage läßt ſich mit größerer Sicherheit und Gewiß-
heit beantworten. Die Leiber aller Thiere und Menſchen ge-
5*
[68]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
ben nach dem Tode durch ihre Fäulniß allen Stickſtoff, den ſie
enthalten, in der Form von Ammoniak an die Atmoſphäre zu-
rück. Selbſt in den Leichen auf dem Kirchhofe des Innocens
in Paris, 60 Fuß unter der Oberfläche der Erde, war aller
Stickſtoff, den ſie in dem Adipocire zurückbehielten, in der Form
von Ammoniak enthalten; es iſt die einfachſte, die letzte unter al-
len Stickſtoffverbindungen, und es iſt der Waſſerſtoff, zu dem der
Stickſtoff die entſchiedenſte, die überwiegendſte Verwandtſchaft zeigt.
Der Stickſtoff der Thiere und Menſchen iſt in der Atmo-
ſphäre als Ammoniak enthalten, in der Form eines Gaſes,
was ſich mit Kohlenſäure zu einem flüchtigen Salze verbin-
det, ein Gas, was ſich im Waſſer mit außerordentlicher
Leichtigkeit löſ’t, deſſen flüchtige Verbindungen ohne Ausnah-
men dieſe nemliche Löslichkeit beſitzen.
Als Ammoniak kann ſich der Stickſtoff in der Atmoſphäre
nicht behaupten, denn mit jeder Condenſation des Waſſerdam-
pfes, zu tropfbarem Waſſer, muß ſich alles Ammoniak verdich-
ten, jeder Regenguß muß die Atmoſphäre in gewiſſen Strecken
von allem Ammoniak auf’s Vollkommenſte befreien. Das Re-
genwaſſer muß zu allen Zeiten Ammoniak enthalten, im Som-
mer, wo die Regentage weiter von einander entfernt ſtehen,
mehr wie im Winter oder Frühling; der Regen des erſten
Regentages muß mehr davon enthalten, als der des zweiten,
nach anhaltender Trockenheit, müſſen Gewitterregen, die größte
Quantität Ammoniak der Erde wieder zuführen. Die Ana-
lyſen der Luft haben aber bis jetzt dieſen, in derſelben nie feh-
lenden Ammoniakgehalt nicht angezeigt; iſt es denkbar, daß
er unſern feinſten und genaueſten Inſtrumenten entgehen konnte?
Gewiß iſt dieſe Quantität für einen Cubikfuß Luft verſchwin-
dend, deſſenungeachtet iſt ſie die Summe des Stickſtoffgehaltes
von tauſenden von Milliarden Thieren und Menſchen, mehr
[69]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
als hinreichend, um die einzelnen Milliarden der lebenden Ge-
ſchöpfe mit Stickſtoff zu verſehen.
Aus der Tenſion des Waſſerdampfes bei 15° (6,98 Par.
Linien) und aus dem bekannten ſpecifiſchen Gewichte deſſelben
bei 0° ergiebt ſich, daß bei 15° und 28″ Barometerſtand
1 Cubicmeter = 64 Cubicfuß (heſſ.) Waſſerdampf von 15° enthal-
ten ſind in 487 Cubicmeter = 31,168 Cubicfuß Luft. Dieſe
64 Cubicfuß Waſſerdampf wiegen 0,767 Grammen oder 1 ℔
16,8 Loth.
Wenn wir nun annehmen, daß die bei 15° völlig mit
Feuchtigkeit geſättigte Luft alles Waſſer, was ſie in Gas-
geſtalt enthält, tropfbarflüſſig in der Form von Regen fallen
läßt, ſo bekommen wir 1 ℔ Regenwaſſer aus 20800 Cubic-
fuß Luft.
Mit dieſem einem Pfunde Regenwaſſer muß die ganze
Quantität des in der Form von Gas, in 20800 Cubicfuß Luft
enthaltenen Ammoniaks, der Erde wieder zugeführt werden.
Nehmen wir nun an, daß dieſe 20800 Cubicfuß Luft nur ei-
nen einzigen Gran Ammoniak enthalten, ſo enthalten 10 Cu-
biczoll Luft, die wir der Analyſe unterwerfen, 0,00000048
Gran Ammoniak; dieſe außerordentlich geringe Quantität iſt
abſolut unbeſtimmbar in der Luft, durch die feinſten und beſten
Eudiometer, ihre Beſtimmung fiele in die Beobachtungsfehler
ſelbſt dann noch, wenn ſie zehntauſendmal mehr betrüge.
Aber in dem Pfunde Regenwaſſer, was den ganzen Am-
moniakgehalt von 20800 Cubikfuß Luft enthält, muß ſie be-
ſtimmbar ſein; es iſt klar, daß wenn dieſes eine Pfund nur
¼ Gran Ammoniak enthält, daß jährlich in den 2,500,000 ℔
Regenwaſſer, die durchſchnittlich auf 2500 □Meter Land fal-
len, nahe an 80 ℔ Ammoniak und damit 65 ℔ reiner Stick-
ſtoff zugeführt werden. Dieß iſt bei weitem mehr als 2650 ℔
[70]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
Holz oder 2800 ℔ Heu oder 200 Ctr Runkelrüben, die Er-
träge von 1 Morgen Wald, Wieſe und cultivirtem Land in
der Form von vegetabiliſchem Eiweiß oder Kleber — es iſt we-
niger als Stroh, Korn und Wurzeln auf einem Morgen Ge-
treidefeld, enthalten.
Die genaueſten und mit aller Sorgfalt in dem hie-
ſigen Laboratorium angeſtellten Verſuche haben den Amoniak-
gehalt des Regenwaſſers außer allem Zweifel geſtellt; er
iſt bis jetzt nur deßhalb aller Beachtung entgangen, weil
Niemand daran gedacht hat, in Beziehung auf ſeine Gegen-
wart eine Frage zu ſtellen.
Alles Regenwaſſer, was zu dieſen Verſuchen genommen
wurde, war etwa 600 Schritte, ſüdweſtlich von der Stadt
Gießen, in einer Lage aufgefangen, wo die Richtung des Re-
genwindes nach der Stadt zugekehrt war.
Wenn man mehrere hundert Pfunde Regenwaſſer in ei-
ner reinen kupfernen Blaſe der Deſtillation unterwarf und die
erſten vorübergehenden Pfunde mit Zuſatz von Salzſäure ver-
dampfen ließ, ſo bekam man nach gehöriger Concentration
beim Erkalten eine netzförmige ſehr erkennbare Kryſtalliſation
von Salmiak; ſtets waren die Kryſtalle braun oder gelb
gefärbt.
Das Ammoniak fehlt eben ſo wenig im Schneewaſſer.
Der Schnee enthält beim Beginn des Schneefalles ein Maxi-
mum von Ammoniak, und ſelbſt in dem, welcher 9 Stunden
nach dem Anfang des Schneiens gefallen war, ließ ſich das
Ammoniak aufs Deutlichſte nachweiſen.
Bemerkenswerth iſt, daß das im Schnee und Regenwaſſer
vorhandene Ammoniak, wenn es durch Kalk entwickelt wird, von
einem auffallenden Geruch nach Schweiß und fauligen Stoffen
begleitet iſt, was über ſeinen Urſprung keinen Zweifel läßt.
[71]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
Hünefeld hat dargethan, daß alle Brunnen in Greifs-
walde, Wiek, Eldena, Koſtenhagen kohlenſaures und
ſalpeterſaures Ammoniak enthalten; man hat Ammoniakſalze
in vielen Mineralquellen z. B. in Kiſſingen und anderswo
entdeckt; der Gehalt der letzteren kann allein nur aus der At-
moſphäre kommen.
Jedermann kann ſich auf die einfachſte Weiſe von ſeinem
Vorhandenſein im Regenwaſſer überzeugen, wenn man friſch
aufgefangenes Regenwaſſer, in reinen Porcellanſchalen, mit Zu-
ſatz von etwas Schwefelſäure oder Salzſäure, bis nahe zur
Trockniß verdampfen läßt. Dieſe Säuren nehmen dem Am-
moniak, indem ſie ſich damit verbinden, ſeine Flüchtigkeit; der
Rückſtand enthält Salmiak oder ſchwefelſaures Ammoniak, das
man mit Platinchlorid und noch viel leichter an dem durch-
dringend urinöſen Geruch erkennt, welcher ſich beim Zuſatz
von pulverigen Kalkhydrat entwickelt.
Von dieſem Ammoniakgehalt rührt die von dem reinen de-
ſtillirten Waſſer ſo verſchiedene Beſchaffenheit, in der Benetzung
der Haut, ſogenannte Weichheit, des Regenwaſſers her; es
iſt darin enthalten als kohlenſaures Ammoniak.
Das Vorhandenſein des Ammoniaks in der Atmoſphäre,
als unbeſtreitbare Thatſache feſtgeſtellt, wiſſen wir, daß ſich
ſeine Gegenwart in jedem Zeitmomente, durch die ununterbro-
chene fortſchreitende Fäulniß und Verweſung thieriſcher und
vegetabiliſcher Stoffe in der Luft wieder erneuert; ein Theil
des mit dem Regenwaſſer niedergefallenen Ammoniaks ver-
dampft wieder mit dem Waſſer, ein anderer Theil wird, wir
wollen es annehmen, von den Wurzeln der Pflanzen aufge-
nommen, und indem er neue Verbindungen eingeht, entſtehen
daraus, je nach den verſchiedenen Organen der Aſſimilation,
Eiweißſtoff, Kleber, Chinin, Morphium, Cyan und die große
[72]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
Zahl der anderen Stickſtoffverbindungen. Das bekannte che-
miſche Verhalten des Ammoniaks entfernt jeden, auch den lei-
ſeſten Zweifel in Beziehung auf ſeine Fähigkeit, Verbindungen
dieſer Art einzugehen, ſich alſo zu den mannigfaltigſten Me-
tamorphoſen zu eignen; die jetzt zu löſende Frage beſchränkt
ſich lediglich darauf, ob das Ammoniak in der Form von Am-
moniak von den Wurzeln der Pflanzen aufgenommen, ob es
von den Organen der Pflanze zur Hervorbringung der darin
enthaltenen ſtickſtoffhaltigen Stoffe verwendet wird. Dieſe Frage
iſt leicht und mit den bekannteſten und entſcheidenſten Thatſa-
chen zu löſen.
Im Jahr 1834 beſchäftigte ich mich gemeinſchaftlich mit
Herrn Geh. Medicinalrath Wilbrand, Profeſſor der Bota-
nik an der hieſigen Univerſität, mit der Beſtimmung des Zucker-
gehaltes verſchiedener Ahornarten, welche auf ungedüngtem
Boden ſtanden. Wir bekamen aus allen durch bloße Ab-
dampfung ohne weiteren Zuſatz kryſtalliſirten Zucker und mach-
ten bei dieſer Gelegenheit die unerwartete Beobachtung, daß
dieſer Saft bei Zuſatz an Kalk, wie der Rohrzucker bei der
Raffination behandelt, eine große Menge Ammoniak entwickelte.
In der Vorausſetzung, daß durch die Bosheit eines Menſchen,
Urin in die an den Bäumen aufgeſtellten Gefäße zum Auf-
ſammeln des Saftes gekommen wäre, wurden ſie mit großer
Aufmerkſamkeit überwacht, allein auch in dieſem Safte fand
ſich wieder eine reichliche Menge Ammoniak in der Form ei-
nes neutralen Salzes vor, denn der Saft war vollkommen
farblos und beſaß keine Wirkung auf Pflanzenfarben.
Dieſelbe Beobachtung wurde an Birkenſaft gemacht, wel-
cher zwei Stunden von jeder menſchlichen Wohnung entfernt,
von Väumen aus dem Walde gewonnen war; der mit Kalk
geklärte Saft abgedampft, entwickelte reichlich Ammoniak.
[73]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
Das Thränenwaſſer der Weinrebe hinterläßt, mit einigen
Tropfen Salzſäure abgedampft, eine farbloſe gummiähnliche
zerfließliche Maſſe, welche durch Zuſatz von Kalk reichlich Am-
moniak entwickelt.
In den Rübenzuckerfabriken werden Tauſende von Cubik-
fußen Saft, täglich mit Kalk geklärt, von allem Kleber und ve-
getabiliſchem Eiweiß befreit, zur Kryſtalliſation abgedampft.
Jedermann, welcher in eine ſolche Fabrik eintritt, wird von der
außerordentlich großen Menge Ammoniak überraſcht, was ſich
mit den Waſſerdämpfen verflüchtigt und in der Luft verbreitet. Auch
dieſes Ammoniak iſt darin in der Form eines Ammoniakſalzes zu-
gegen, denn der neutrale Saft verhält ſich wie ihre Auflöſungen
im Waſſer; er nimmt wie dieſe beim Verdampfen eine ſaure Reac-
tion an, indem ſich das neutrale Salz durch Ammoniakverluſt in
ſaures verwandelt. Die freie Säure, die hierbei entſteht, iſt wie
man weiß eine Quelle von Verluſt an Rohrzucker für die Rüben-
zuckerfabrikanten, da durch ſie ein Theil des Rohrzuckers in
nicht kryſtalliſirbaren Traubenzucker und Syrup übergeht. Die
in den Apotheken durch Deſtillation über Blüthen, Kräutern
und Wurzeln erhaltenen Waſſer, alle Extracte von Pflanzen
enthalten Ammoniak. Der unreife, einer durchſichtigen Gallerte
ähnliche, Kern der Mandeln und Pfirſiche entwickelt beim Zu-
ſatz von Alkalien reichlich Ammoniak. (Robiquet). Der
Saft friſcher Tabacksblätter enthält Ammoniakſalze. Wurzeln
(Runkelrüben), Stämme (Ahorn), alle Blüthen, die Früchte
im unreifen Zuſtande, überall findet ſich [Ammoniak].
In dem Ahornſaft, dem Birkenſafte iſt neben Zucker der
ſtickſtoffreichſte unter allen Körpern das Ammoniak, es ſind
darin alle Bedingungen der Bildung der ſtickſtoffhaltigen und
ſtickſtofffreien Beſtandtheile der Triebe, Sproſſen und Blätter
enthalten. Mit ihrer Entwickelung vermindert ſich die Menge
[74]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
des Saftes, mit ihrer Ausbildung giebt der Baum keinen Saft
mehr. Den entſcheidenſten Beweis, daß es das Ammoniak iſt,
was den Vegetabilien den Stickſtoff liefert, giebt die animaliſche
Düngung in der Cultur der Futtergewächſe und Cerealien.
Der Gehalt an Kleber iſt in dem Weizen, in dem Roggen,
der Gerſte äußerſt verſchieden, ihre Körner, auch in dem aus-
gebildeteſten Zuſtande, ſind ungleich reich an dieſem ſtickſtoffhal-
tigen Beſtandtheil. In Frankreich fand Prouſt 12,5 p. c.,
in Baiern Vogel 24, nach Davy enthält der Winterweizen
19, der Sommerweizen 24 p. c., der Sicilianiſche 21, der
aus der Berberei 19 p. c., das Mehl aus Elſaſſer Weizen
enthält nach Bouſſingault 17,3, aus Weizen, der im Jar-
din des plantes gezogen ward, 26,7, der Winterweizen ent-
hält 33,3 p. c. (Bouſſingault) Kleber. Dieſen ſo großen
Abweichungen muß eine Urſache unterliegen, und wir finden
dieſe Urſache in der Cultur. Eine Vermehrung des animali-
ſchen Düngers hat nicht allein eine Vermehrung der Anzahl der
Saamen zur Folge, ſie übt einen nicht minder bemerkenswerthen
Einfluß auf die Vergrößerung des Glutengehaltes.
Der animaliſche Dünger wirkt nun, wie ſpäter gezeigt wer-
den ſoll, nur durch Ammoniakbildung; während 100 Weizen
mit dem am Ammoniak ärmſten Kuhmiſt gedüngt, nur 11,95 p. c.
Kleber und 62,34 Amylon enthielten, gab der mit Menſchen-
harn gedüngte Boden das Maximum an Kleber, nemlich
35,1 p. c. in 100 Th. Weizen, alſo nahe die dreifache Menge.
(Hermbſtädt.) In gefaultem Menſchenharn iſt aber der Stick-
ſtoff als kohlenſaures, phosphorſaures, milchſaures Ammoniak,
und in keiner andern Form als in der Form eines Am-
moniakſalzes enthalten.
„In Flandern wird der gefaulte Urin mit dem größten Er-
folg als Dünger verwendet. In der Fäulniß des Urins er-
[75]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
zeugen ſich im Ueberfluß, man kann ſagen ausſchließlich nur
Ammoniakſalze, denn unter dem Einfluß der Wärme und Feuch-
tigkeit verwandelt ſich der Harnſtoff, welcher in dem Urin vor-
waltet, in kohlenſaures Ammoniak. An der Peruaniſchen Küſte
wird der Boden, der an und für ſich im höchſten Grade un-
fruchtbar iſt, vermittelſt eines Düngers, des Guano*), frucht-
bar gemacht, den man auf mehreren Inſelchen des Südmeeres
ſammelt. In einem Boden, der einzig und allein nur aus
Sand und Thon beſteht, genügt es, dem Boden nur eine kleine
Quantität Guano beizumiſchen, um darauf die reichſten Ernten
von Mais zu erhalten. Der Boden enthält außer Guano
nicht das geringſte einer andern organiſchen Materie und dieſer
Dünger enthält weiter nichts, wie harnſaures, phosphor-
ſaures, oxalſaures, kohlenſaures Ammoniak und
einige Erdſalze.“ (Boussingault, Ann. de ch. et de phys.
LXV. p. 319.)
Das Ammoniak in ſeinen Salzen hat alſo dieſen Pflanzen
den Stickſtoff geliefert. Was man in dem Getreide aber Kle-
ber nennt, heißt in dem Traubenſafte vegetabiliſches
Eiweiß, in den Pflanzenſäften Pflanzenleim; obwohl
dem Namen nach verſchieden, ſind dieſe drei Körper in ihrem
Verhalten, in ihrer Zuſammenſetzung identiſch.
Das Ammoniak iſt es, was dem Hauptbeſtandtheil der
Pflanzen, dem vegetabiliſchen Eiweiß, den Stickſtoff liefert, nur
das Ammoniak kann es ſein, aus dem ſich die blauen und
rothen Farbeſtoffe in den Blumen bilden. In keiner andern
Form als in der Form von Ammoniak bietet ſich den wild-
[76]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
wachſenden Pflanzen aſſimilirbarer Stickſtoff dar, es iſt das
Ammoniak, was ſich im Taback, der Sonnenblume, dem Che-
nopodium, dem Borago officinalis in Salpeterſäure verwan-
delt, wenn ſie auf völlig ſalpeterloſem Boden wachſen; ſalpe-
terſaure Salze ſind in ihnen Bedingungen ihrer Exiſtenz, ſie
entwickeln nur dann die üppigſte Vegetation, wenn ihnen Son-
nenlicht und Ammoniak im Ueberfluß dargeboten wird; Son-
nenlicht, was in ihren Blättern und Stengeln die Ausſcheidung
von freiem Sauerſtoff bewirkt, Ammoniak, durch deſſen Ver-
bindung mit dem Sauerſtoff unter allen Umſtänden Salpeter-
ſäure gebildet wird.
Der Urin des Menſchen und der fleiſchfreſſenden Thiere
enthält die größte Menge Stickſtoff; theils in der Form von
phosphorſauren Salzen, theils in der Form von Harnſtoff;
der letztere verwandelt ſich durch Fäulniß in doppelt kohlenſau-
res Ammoniak, d. h. er nimmt die Form des Salzes an, was
wir im Regenwaſſer finden.
Der Urin des Menſchen iſt das kräftigſte Düngmittel für
alle an Stickſtoff reichen Vegetabilien, der Urin des Hornviehs,
der Schafe, des Pferdes iſt minder reich an Stickſtoff, aber
immer noch unendlich reicher als die Excremente dieſer Thiere.
Der Urin der grasfreſſenden Thiere enthält neben Harnſtoff
Hippurſäure, die ſich durch die Fäulniß in Ammoniak und
Benzoeſäure zerſetzt, wir finden das Ammoniak derſelben als
Kleber, und die Benzoeſäure in dem Anthoxanthum odoratum
als Benzoeſäure wieder.
Vergleichen wir den Stickſtoffgehalt der Excremente von
Thieren und Menſchen mit einander, ſo verſchwindet der Stick-
ſtoffgehalt der feſten, wenn wir ihn mit dem Gehalt an Stick-
ſtoff in den flüſſigen vergleichen, dieß kann der Natur der
Sache nach nicht anders ſein.
[77]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
Die Nahrungsmittel, welche Thiere und Menſchen zu ſich
nehmen, unterhalten nur inſofern das Leben, die Aſſimilation,
als ſie dem Organismus die Elemente darbieten, die er zu
ſeiner eigenen Reproduction bedarf; das Getreide, die friſchen
und trocknen Gräſer und Pflanzen enthalten ohne Ausnahme
ſtickſtoffreiche Beſtandtheile.
Das Gewicht des Futters und der Speiſe, welche das Thier
zu ſeiner Ernährung zu ſich nimmt, vermindert ſich in
dem nämlichen Verhältniß, als dieſes Futter, die Speiſe,
reich, ſie nimmt in dem Verhältniß zu, als das Futter arm
iſt, an dieſen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheilen. Man kann durch
Fütterung mit Kartoffeln allein ein Pferd am Leben erhalten,
aber dieſes Leben iſt ein langſames Verhungern, es wächſt ihm
weder Maſſe noch Kraft zu, es unterliegt einer jeden Anſtren-
gung. Die Quantitäten von Reis, welche der Indier bei
ſeiner Mahlzeit zu ſich nimmt, ſetzen den Europäer in Erſtau-
nen, aber der Reis iſt die an Stickſtoff ärmſte unter allen
Getreidearten.
Es iſt klar, daß der Stickſtoff der Pflanzen und Saamen,
welche Thieren zur Nahrung dienen, zur Aſſimilation verwen-
det wird, die Excremente dieſer Thiere müſſen, wenn ſie
verdaut ſind, ihres Stickſtoffs beraubt ſein, ſie können nur in-
ſofern Stickſtoff noch enthalten, als ihnen Secretionen der
Galle und Eingeweide beigemiſcht ſind. Sie müſſen unter
allen Umſtänden weniger Stickſtoff enthalten, als die Speiſen,
als das Futter. Die Excremente der Menſchen ſind unter
allen die ſtickſtoffreichſten, denn das Eſſen iſt bei ihnen nicht
nur die Befriedigung eines Bedürfniſſes, ſondern zugleich eine
Quelle von Genuß, ſie genießen mehr Stickſtoff, als ſie bedür-
fen, und dieſer Ueberſchuß geht in die Excremente über.
Wir bringen demnach in der Bewirthſchaftung der Felder,
[78]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
die wir mit thieriſchen Excrementen fruchtbarer machen, unter
allen Umſtänden weniger ſtickſtoffhaltige Materie zurück, als
wir davon als Futter, Kraut oder Saamen denſelben genom-
men haben, wir fügen durch den Dünger, dem Nahrungsſtoff,
den die Atmoſphäre liefert, eine gewiſſe Quantität deſſelben
hinzu, und die eigentlich wiſſenſchaftliche Aufgabe für den
Oekonomen beſchränkt ſich mithin darauf, dasjenige ſtickſtoff-
haltige Nahrungsmittel der Pflanzen, welches die Excremente
der Thiere und Menſchen durch ihre Fäulniß erzeugen, die-
ſes Nahrungsmittel für ſeine Pflanzen zu verwenden. Wenn
er es nicht in der geeigneten Form auf ſeine Aecker brin-
gen würde, wäre es für ihn zum großen Theil verloren.
Ein unbenutzter Haufen Dünger würde ihm nicht mehr als
ſeinen Nachbarn zu Gute kommen, nach einigen Jahren würde
er an ſeinem Platze die kohlehaltigen Ueberreſte der verweſenden
Pflanzentheile, aber in ihnen keinen Stickſtoff mehr wieder fin-
den. Aller Stickſtoff würde daraus in Form von kohlenſau-
rem Ammoniak entwichen ſein.
Jedes thieriſche Excrement iſt eine Quelle von Ammoniak
und Kohlenſäure, welche ſo lange dauert, als noch Stickſtoff
darin vorhanden iſt, in jedem Stadium ſeiner Verweſung oder
Fäulniß entwickelt es mit Kalilauge befeuchtet Ammoniak, was
an dem Geruche und durch die dicken weißen Dämpfe
bemerkbar wird, wenn man einen mit Säure benetzten feſten Ge-
genſtand in ihre Nähe bringt, dieſes Ammoniak wird von dem
Boden, theils in Waſſer gelöſt, theils in Form von Gas
aufgenommen und eingeſaugt und mit ihm findet die Pflanze
eine größere Menge des ihr unentbehrlichen Stickſtoffs vor,
als die Atmoſphäre ihr liefert.
Aber es iſt weit weniger die Menge von Ammoniak, was
thieriſche Excremente den Pflanzen zuführen, als die Form, in
[79]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
welcher es geſchieht, welche ihren ſo auffallenden Einfluß auf
die Fruchtbarkeit des Bodens bedingt.
Die wildwachſenden Pflanzen erhalten durch die Atmoſphäre
in den meiſten Fällen mehr Stickſtoff in der Form von Am-
moniak, als ſie zu ihrer Entwickelung bedürfen, denn das Waſ-
ſer, was durch die Blüthen und Blätter verdunſtet, geht in
ſtinkende Fäulniß über, eine Eigenſchaft, welche nur ſtickſtoff-
haltigen Materien zukommt.
Die Culturpflanzen empfangen von der Atmoſphäre die nem-
liche Quantität Stickſtoff, wie die wildwachſenden, wie die
Bäume und Sträucher; allein er iſt nicht hinreichend für die
Zwecke der Feldwirthſchaft; ſie unterſcheidet ſich darin weſent-
lich von der Forſtwirthſchaft, als ihre Hauptaufgabe, ihr wich-
tigſter Zweck, in der Produktion von aſſimilirbarem Stickſtoff
in irgend einer Form beſteht, während der Zweck der Forſt-
wirthſchaft ſich hauptſächlich nur auf die Produktion von Koh-
lenſtoff beſchränkt.
Dieſen beiden Zwecken ſind alle Mittel der Cultur unter-
geordnet. Von dem kohlenſauren Ammoniak, was das Regen-
waſſer dem Boden zuführt, geht nur ein Theil in die Pflanze
über, denn mit dem verdampfenden Waſſer verflüchtigt ſich,
jeder Zeit, eine gewiſſe Menge davon. Nur was der Boden
in größerer Tiefe empfängt, was mit dem Thau unmittelbar
den Blättern zugeführt wird, was ſie aus der Luft mit der
Kohlenſäure einſaugen, nur dieß Ammoniak wird für die Aſſi-
milation gewonnen werden können.
Die flüſſigen thieriſchen Excremente, der Urin der Menſchen
und Thiere, mit welchem die erſten durchdrungen ſind, ent-
halten den größten Theil des Ammoniaks in der Form von
Salzen, in einer Form, wo es ſeine Fähigkeit ſich zu verflüchti-
gen gänzlich verloren hat.
[80]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
In dieſem Zuſtande dargeboten geht auch nicht die kleinſte
Menge davon der Pflanze verloren, es wird im Waſſer gelöſt
von den Wurzelfaſern eingeſaugt.
Die ſo in die Augen fallende Wirkung des Gypſes auf die
Entwicklung der Grasarten, die geſteigerte Fruchtbarkeit und
Ueppigkeit einer Wieſe, die mit Gyps beſtreut iſt, ſie beruht auf
weiter nichts, als auf der Fixirung des Ammoniaks der Atmo-
ſphäre, auf der Gewinnung von derjenigen Quantität, die auf
nicht gegypſ’tem Boden mit dem Waſſer wieder verdunſtet wäre.
Das in dem Regenwaſſer gelöſ’te kohlenſaure Ammoniak
zerlegt ſich mit dem Gyps auf die nemliche Weiſe wie in den
Salmiakfabriken, es entſteht lösliches, nicht flüchtiges ſchwefel-
ſaures Ammoniak und kohlenſaurer Kalk. Nach und nach
verſchwindet aller Gyps, aber ſeine Wirkung hält an, ſo lange
noch eine Spur davon vorhanden iſt.
Man hat die Wirkung des Gypſes und vieler Salze mit
der von Gewürzen verglichen, welche die Thätigkeit des Ma-
gens, der Eingeweide ſteigern und den Organismus befähigen,
mehr und kräftiger zu verdauen.
Eine Pflanze enthält keine Nerven, es iſt keine Subſtanz
denkbar, durch die ſie in Rauſch, in Schlaf, in Wahnſinn ver-
ſetzt werden kann; es kann keine Stoffe geben, durch welche
ein Blatt gereizt wird, eine größere Menge Kohlenſtoff aus der
Luft ſich anzueignen, wenn die anderen Beſtandtheile fehlen,
welche die Pflanze, der Saamen, die Wurzel, das Blatt neben
dem Kohlenſtoff zu ihrer Entwickelung bedürfen.
Die günſtigen Wirkungen von kleinen Quantitäten, den
Speiſen der Menſchen beigemiſchten Gewürzen ſind unleugbar,
aber man giebt ja den Pflanzen das Gewürz allein, ohne die
Speiſe hinzuzufügen, die ſie verdauen ſollen, und dennoch ge-
deihen ſie mit weit größerer Ueppigkeit.
[81]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
Man ſieht leicht, daß die gewöhnliche Anſicht über den
Einfluß gewiſſer Salze auf die Entwickelung der Pflanzen
weiter nichts bethätigt, als daß man die Urſache nicht kannte.
Die Wirkung des Gypſes, des Chlorcalciums iſt eine Fixi-
rung des Stickſtoffs, ein Feſthalten in dem Boden von Am-
moniak, was die Pflanzen nicht entbehren können.
Um ſich eine beſtimmte Vorſtellung von der Wirkſamkeit
des Gypſes zu machen, wird die Bemerkung genügen, daß
100 ℔ gebrannter Gyps ſo viel Ammoniak in dem Boden fixi-
ren, als 6250 ℔ reiner Pferdeharn *) demſelben in der Vor-
ausſetzung zuführen können, daß der Stickſtoff der Hippurſäure
und der des Harnſtoffs in der Form von kohlenſaurem Am-
moniak ohne den geringſten Verluſt an der Pflanze aufgenom-
men wurden.
Nehmen wir nun nach Bouſſingault (Ann. de chim.
et de phys. T. LXIII. pag. 243) an, daß das Gras 1/100
ſeines Gewichts Stickſtoff enthält, ſo ſteigert ein Pfd Stickſtoff,
welches wir mehr zuführen, den Ertrag der Wieſe um 100 ℔
Futter, und dieſe 100 ℔ Mehrertrag, ſind der Erfolg der Wir-
kung von 4 ℔ Gyps.
Zur Aſſimilation des gebildeten ſchwefelſauren Ammoniaks
und zur Zerſetzung des Gypſes iſt, ſeiner Schwerlöslichkeit
(1 Theil bedarf 400 Theile Waſſer) wegen, Waſſer die un-
entbehrlichſte Bedingung, auf trockenen Feldern und Wieſen iſt
deshalb ſein Einfluß nicht bemerkbar, während auf dieſen, thie-
6
[82]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
riſcher Dünger, durch die Aſſimilation des gasförmigen koh-
lenſauren Ammoniaks, was ſich daraus in Folge ſeiner Ver-
weſung entwickelt, ſeine Wirkung nicht verſagt.
Die Zerſetzung des Gypſes durch das kohlenſaure Ammo-
niak geht nicht auf einmal, ſondern ſehr allmählig vor ſich,
woraus ſich erklärt, warum ſeine Wirkung mehrere Jahre anhält.
Nicht minder einfach erklärt ſich jetzt die Düngung der Fel-
der mit gebranntem Thon, die Fruchtbarkeit der eiſenoxidrei-
chen Bodenarten; man hat angenommen, daß ihre bis dahin ſo
unbegreifliche Wirkung auf einer Anziehung von Waſſer beruhe,
aber die gewöhnliche trockene Ackererde beſitzt dieſe Eigenſchaft
in nicht geringerem Grade, und welchen Einfluß kann man
zuletzt einigen hundert Pfunden Waſſer zuſchreiben, welche in
einem Zuſtande auf einem Acker vertheilt ſind, wo weder die
Wurzel noch die Blätter Nutzen davon ziehen können.
Eiſenoxid und Thonerde zeichnen ſich vor allen andern
Metalloxiden durch die Fähigkeit aus, ſich mit Ammoniak zu
feſten Verbindungen vereinigen zu können. Die Niederſchläge,
die wir durch Ammoniak in Thonerde- und Eiſenoxidſalzen her-
vorbringen, ſind wahre Salze, worin das Ammoniak die Rolle
einer Baſe ſpielt.
Dieſe ausgezeichnete Verwandtſchaft zeigt ſich noch in der
merkwürdigen Fähigkeit, welche alle eiſenoxid- oder thonerde-
reichen Mineralien beſitzen, Ammoniak aus der Luft anzuziehen
und zurückzuhalten.
Ein Criminalfall gab bekanntlich Vauquelin die Ver-
anlaſſung zur Entdeckung, daß alles Eiſenoxid eine gewiſſe
Quantität Ammoniak enthält; ſpäter fand Chevallier, daß
das Ammoniak einen Beſtandtheil aller eiſenhaltigen Mineralien
ausmacht, daß ſogar der nicht poröſe Blutſtein nahe ein p. c.
Ammoniak enthält, und Bouis entdeckte, daß der Geruch, den
[83]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
man beim Befeuchten aller thonreichen Mineralien bemerkt,
zum Theil von ausgehauchtem Ammoniak herrührt; eine Menge
Gyps- und Thonarten, die Pfeifenerde und andere, entwickelten
ſelbſt noch nach zwei Tagen, wenn ſie mit kauſtiſchem Kali be-
feuchtet wurden, ſo viel Ammoniak, daß darüber gehaltenes
geröthetes Lackmuspapier davon blau wurde.
Eiſenoxidhaltiger Boden und gebrannter Thon, deſſen po-
röſer Zuſtand das Einſaugen von Gas noch mehr begünſtigt,
ſind alſo wahre Ammoniakſauger, welches ſie durch ihre chemiſche
Anziehung vor der Verflüchtigung ſchützen; ſie verhalten ſich
gerade ſo, wie wenn eine Säure auf der Oberfläche des Bo-
dens ausgebreitet wäre. Mineral- und andere Säuren würden
aber in den Boden dringen, ſie würden durch ihre Verbindung
mit Kalk, Thonerde und anderen Baſen ihre Fähigkeit, Am-
moniak aus der Luft aufzunehmen, ſchon nach einigen Stunden
verlieren. Mit jedem Regenguß tritt das eingeſaugte Ammo-
niak an das Waſſer, und wird in Auflöſung dem Boden zu-
geführt.
Eine nicht minder energiſche Wirkung zeigt in dieſer Be-
ziehung das Kohlenpulver; es übertrifft ſogar im friſch geglüh-
ten Zuſtande alle bekannten Körper in der Fähigkeit, Ammoniakgas
in ſeinen Poren zu verdichten, da 1 Volumen davon 90 Vo-
lumina Ammoniakgas in ſeinen Poren aufnimmt, was ſich durch
bloßes Befeuchten daraus wieder entwickelt. (Sauſſure.)
In dieſer Fähigkeit kommt der Kohle das verweſende (Ei-
chenholz) Holz ſehr nahe, da es unter der Luftpumpe, von allem
Waſſer befreit, 72mal ſein eigenes Volumen davon verſchluckt.
Wie leicht und befriedigend erklären ſich nach dieſen That-
ſachen die Eigenſchaften des Humus (der verweſenden Holz-
faſer). Er iſt nicht allein eine lange andauernde Quelle von
Kohlenſäure, ſondern er verſieht auch die Pflanzen mit dem
6*
[84]Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
zu ihrer Entwickelung unentbehrlichen Stickſtoff. Wir finden
Stickſtoff in allen Flechten, welche auf Baſalten, auf Felſen
wachſen; wir finden, daß unſere Felder mehr Stickſtoff produ-
ciren, als wir ihnen als Nahrung zuführen; wir finden Stick-
ſtoff in allen Bodenarten, in Mineralien, die ſich nie in Be-
rührung mit organiſchen Subſtanzen befanden. Es kann nur
die Atmoſphäre ſein, aus welcher ſie dieſen Stickſtoff ſchöpfen.
Wir finden in der Atmoſphäre, in dem Regenwaſſer, im
Quellwaſſer, in allen Bodenarten dieſen Stickſtoff in der Form
von Ammoniak, als Product der Verweſung und Fäulniß der
ganzen, der gegenwärtigen Generation vorangegangenen, Thier-
und Pflanzenwelt; wir finden, daß die Production der ſtickſtoff-
reichen Beſtandtheile der Pflanzen mit der Quantität Ammoniak
zunimmt, die wir in dem thieriſchen Dünger zuführen; und
kein Schluß kann wohl beſſer begründet ſein als der, daß das
Ammoniak der Atmoſphäre es iſt, welches den Pflanzen ihren
Stickſtoff liefert.
Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer enthalten in ihren
Elementen, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die Be-
dingungen zur Erzeugung aller Thier- und Pflanzenſtoffe, während
ihres Lebens. Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer ſind die letzten
Producte des chemiſchen Proceſſes ihrer Fäulniß und Verwe-
ſung. Alle die zahlloſen, in ihren Eigenſchaften ſo unendlich
verſchiedenen, Producte der Lebenskraft nehmen nach dem
Tode die urſprünglichen Formen wieder an, aus denen ſie
gebildet worden ſind. Der Tod, die völlige Auflöſung einer
untergegangenen Generation, iſt die Quelle des Lebens für
eine neue.
Sind die genannten Verbindungen, kann man nun fragen,
die einzigen Bedingungen des Lebens aller Vegetabilien? Dieſe
Frage muß entſchieden verneint werden.
[85]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
Die anorganiſchen Beſtandtheile
der Vegetabilien.
Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer können von keiner
Pflanze entbehrt werden, eben weil ſie die Elemente enthalten,
woraus ihre Organe beſtehen; aber zur Ausbildung gewiſſer
Organe zu beſonderen Verrichtungen, eigenthümlich für jede
Pflanzenfamilie, gehören noch andere Materien, welche der
Pflanze durch die anorganiſche Natur dargeboten werden.
Wir finden dieſe Materien, wiewohl in verändertem Zu-
ſtande, in der Aſche der Pflanzen wieder.
Von dieſen anorganiſchen Beſtandtheilen ſind viele verän-
derlich, je nach dem Boden, auf dem die Pflanzen wachſen;
allein eine gewiſſe Anzahl davon iſt für ihre Entwickelung un-
entbehrlich.
Die Wurzel einer Pflanze in der Erde verhält ſich zu al-
len gelöſ’ten Stoffen wie ein Schwamm, der das Flüſſige und
Alles, was darin iſt, ohne Auswahl einſaugt. Die der Pflanze
in dieſer Weiſe zugeführten Stoffe werden in größerer oder
geringerer Menge zurückbehalten oder wieder ausgeſchieden, je
nachdem ſie zur Aſſimilation verwendet werden, oder ſich nicht
dafür eignen.
In den Saamen aller Grasarten fehlt aber z. B. nie-
mals phosphorſaure Bittererde in Verbindung mit Ammoniak;
es iſt in der äußeren hornartigen Hülle enthalten und geht
durch das Mehl in das Brot und ebenfalls in das Bier über.
Die Kleie des Mehls enthält die größte Menge davon, und es
iſt dieſes Salz, aus dem im kryſtalliſirten Zuſtande, die oft
[86]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
mehrere Pfund ſchweren Steine in dem Blinddarm der Mül-
lerpferde gebildet werden, welches ſich aus dem Bier in Geſtalt
eines weißen Niederſchlags abſetzt, wenn man es mit Ammo-
niak vermiſcht.
Die meiſten, man kann ſagen, alle Pflanzen enthalten or-
ganiſche Säuren von der mannichfaltigſten Zuſammenſetzung
und Eigenſchaften; alle dieſe Säuren ſind an Baſen gebunden,
an Kali, Natron, Kalk oder Bittererde, nur wenige Pflanzen
enthalten freie organiſche Säuren; dieſe Baſen ſind es offen-
bar, welche durch ihr Vorhandenſein die Entſtehung dieſer Säu-
ren vermitteln; mit dem Verſchwinden der Säure bei dem
Reifen der Früchte, der Weintrauben z. B., nimmt der Kalige-
halt des Saftes ab.
In denjenigen Theilen der Pflanzen, in denen die Aſſimilation
am ſtärkſten iſt, wie in dem Holzkörper, finden ſich dieſe Beſtand-
theile in der geringſten Menge, ihr Gehalt iſt am größten in den
Organen, welche die Aſſimilation vermitteln; in den Blättern
findet ſich mehr Kali, mehr Aſche, als in den Zweigen, dieſe
ſind reicher daran, als der Stamm (Sauſſure). Vor der
Blüthe enthält das Kartoffelnkraut mehr Kali, als nach der-
ſelben (Mollerat).
In den verſchiedenen Pflanzenfamilien finden wir die ver-
ſchiedenſten Säuren, Niemand kann nur entfernt die Anſicht
hegen, daß ihre Gegenwart, daß ihre Eigenthümlichkeit ein
Spiel des Zufalls ſei. Die Fumarſäure, die Oxalſäure in
den Flechten, die Chinaſäure in den Rubiaceen, die Roccell-
ſäure in der Roccella tinctoria, die Weinſäure in den Wein-
trauben, und die zahlreichen andern organiſchen Säuren, ſie
müſſen in dem Leben der Pflanze zu gewiſſen Zwecken dienen.
Das Beſtehen einer Pflanze kann ohne ihre Gegenwart nicht
gedacht werden.
[87]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
In dieſer Vorausſetzung aber, welche für unbeſtreitbar ge-
halten werden darf, iſt irgend eine alkaliſche Baſis ebenfalls
eine Bedingung ihres Lebens, denn alle dieſe Säuren kommen
in der Pflanze als neutrale oder ſaure Salze vor. Es giebt
keine Pflanze, welche nicht nach dem Einäſchern eine Kohlen-
ſäure haltige Aſche hinterläßt, keine alſo, in welcher pflanzen-
ſaure Salze fehlen.
Von dieſem Geſichtspunkte aus betrachtet, gewinnen dieſe
Baſen eine für die Phyſiologie und Agricultur hochwichtige
Bedeutung, denn es iſt klar, daß die Quantitäten dieſer Baſen,
wenn das Leben der Pflanzen in der That an ihre Gegenwart
gebunden iſt, unter allen Umſtänden ebenſo unveränderlich
ſein muß, als es, wie man weiß, die Sättigungscapacität der
Säuren iſt.
Es iſt kein Grund vorhanden zu glauben, daß die Pflanze
im Zuſtande der freien ungehinderten Entwickelung mehr von
der ihr eigenthümlichen Säure producire, als ſie grade
zu ihrem Beſtehen bedarf; in dieſem Falle aber wird eine
Pflanze, auf welchem Boden ſie auch wachſen mag, ſtets eine
nie wechſelnde Menge alkaliſcher Baſis enthalten. Nur
die Cultur wird in dieſer Hinſicht eine Abweichung bewirken
können.
Um dieſen Gegenſtand zum klaren Verſtändniß zu bringen,
wird es kaum nöthig ſein, daran zu erinnern, daß ſich alle
dieſe alkaliſchen Baſen in ihrer Wirkungsweiſe vertreten kön-
nen, daß mithin der Schluß, zu dem wir nothwendig ge-
langen müſſen, in keiner Beziehung gefährdet wird, wenn eine
dieſer Baſen in einer Pflanze vorkommt, während ſie in einer
andern Pflanze derſelben Art fehlt.
Wenn der Schluß wahr iſt, ſo muß die fehlende Baſis
erſetzt und vertreten ſein, durch eine andere von gleichem Wir-
[88]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
kungswerth, ſie muß erſetzt ſich vorfinden durch ein Aequivalent
von einer der andern Baſen. Die Anzahl der Aequivalente dieſer
Baſen wären hiernach eine unveränderliche Größe, und hier-
aus würde von ſelbſt die Regel gefolgert werden müſſen, daß
die Sauerſtoffmenge aller alkaliſchen Baſen zuſammengenommen
unter allen Umſtänden unveränderlich iſt, — auf welchem
Boden die Pflanze auch wachſen, welchen Boden ſie auch er-
halten mag.
Dieſer Schluß bezieht ſich, wie ſich von ſelbſt verſteht, nur
auf diejenigen alkaliſchen Baſen, welche als pflanzenſaure
Salze Beſtandtheile der Pflanzen ausmachen, wir finden nun
grade dieſe in der Aſche derſelben als kohlenſaure Salze wie-
der, deren Quantität leicht beſtimmbar iſt.
Es ſind von Sauſſure und Berthier eine Reihe von
Analyſen von Pflanzenaſchen angeſtellt worden, aus denen ſich
als unmittelbares Reſultat ergab, daß der Boden einen ent-
ſchiedenen Einfluß auf den Gehalt der Pflanzen an dieſen
Metalloxiden hat, daß Fichtenholzaſche vom Mont Breven
z. B. Bittererde enthielt, welche in der Aſche deſſelben Baumes
vom Gebirge La Salle fehlte, daß die Mengen des Kali’s und
Kalks in den Bäumen der beiden Standorte ebenfalls ſehr
verſchieden war.
Man hat, wie ich glaube mit Unrecht, hieraus geſchloſſen,
daß die Gegenwart dieſer Baſen in den Pflanzen in keiner
beſonderen Beziehung zu ihrer Entwickelung ſtehe, denn wenn
dieß wirklich wäre, ſo müßte man es für das ſonderbarſte
Spiel des Zufalls halten, daß gerade durch dieſe Analyſen
der Beweis vom Gegentheil geführt werden kann.
Dieſe beiden Fichtenaſchen von einer ſo ungleichen Zuſam-
menſetzung enthalten nemlich nach de Sauſſure’s Analyſe
eine gleiche Anzahl von Aequivalenten von dieſen Metalloxiden.
[89]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
oder, was das nemliche iſt, der Sauerſtoffgehalt von allen
zuſammen genommen iſt in beiden gleich.
100 Theile Fichtenaſche vom Mont Breven enthalten:
- Kohlenſaures Kali .. 3,60
- Kohlenſauren Kalk .. 46,34
- Kohlenſaure Bittererde 6,77
- Summe der kohlen-
ſauren Salze ... 56,71.
- Sauerſtoffgehalt des Kalis .. 0,41
- » » des Kalks .. 7,33
- » » der Bittererde 1,27
- in Summe Sauerſtoff 9,01.
100 Theile Fichtenaſche vom Mont La Salle enthalten:
- Kohlenſaures Kali 7,36
- Kohlenſauren Kalk 51,19
- Bittererde .... 00,00
- Summe der koh-
lenſauren Salze 58,55.
- Sauerſtoffgehalt des Kalis 0,85
- » » » Kalks 8,10
- in Summe Sauerſtoff 8,95.
Die Zahlen 9,01 und 8,95, welche den Sauerſtoffgehalt
aller Baſen in beiden Fichtenaſchen zuſammen genommen aus-
drücken, ſind einander ſo nahe, wie nur in Analyſen erwartet
werden kann, wo die Ausmittelung deſſelben die ganze Auf-
merkſamkeit in Anſpruch nimmt.
Vergleicht man Berthier’s Analyſen von zwei Tannen-
aſchen mit einander, von der die eine in Norwegen, die an-
dere in Allevard (Dep. de l’Isère) vorkommt, ſo findet man in
der einen 50 p. c., in der andern nur 25 p. c. lösliche Salze,
es giebt kaum in zwei ganz verſchiedenen Pflanzengattungen
eine größere Verſchiedenheit in dem Gewichtsverhältniß der
darin vorkommenden alkaliſchen Baſen, und dennoch ſind
die Sauerſtoffmengen der Baſen zuſammen genommen einan-
der gleich.
100 Theile Tannenholzaſche von Allevard nach Berthier
(Ann. de chim. et de phys. T. XXXII. p 248.).
[90]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
- Kali und Natron 16,8 Sauerſtoffgehalt *) 3,42
- Kalk ....... 29,5 » » 8,20
- Magneſia .... 3,2 » » 1,20
- 49,5. 12,82.
Das Kali und Natron iſt in dieſer Aſche nur zum Theil
mit Pflanzenſäure verbunden, ein anderer Theil iſt als ſchwe-
felſaures und phosphorſaures Salz und Chlormetall zugegen,
in 100 Theilen ſind davon 3,1 Schwefelſäure, 4,2 Phosphor-
ſäure und 0,3 Chlorwaſſerſtoffſäure, welche zuſammen eine
Quantität Baſis neutraliſiren, die 1,20 Sauerſtoff enthält.
Dieſe Zahl muß von 12,82 abgezogen werden. Man hat
demnach 11,82 für die Sauerſtoffmenge der an Pflanzenſäuren
in dem Tannenholz von Allevard gebundenen alkaliſchen
Baſen.
Das Tannenholz von Norwegen enthält in 100 Theilen:
- Kali ... 14,1 Sauerſtoffgehalt 2,4
- Natron . 20,7 » » 5,3
- Kalk ... 12,3 » » 3,45
- Magneſia 4,35 » » 1,69
- 51,45. 12,84.
Zieht man von 12,84 die Sauerſtoffmengen der Baſen ab,
die in dieſer Aſche mit Schwefelſäure und Phosphorſäure ver-
einigt ſind, nemlich 1,37, ſo bleiben für Sauerſtoff in den
Baſen der pflanzenſauren Salze 11,47.
Dieſe ſo merkwürdige Uebereinſtimmung kann nicht zufällig
ſein, und wenn weitere Unterſuchungen ſie bei andern Pflanzen-
gattungen beſtätigen, ſo läßt ſich ihr keine andere Erklärung
unterlegen. Wir wiſſen nicht, in welcher Form die Kieſelerde,
[91]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
das Mangan- und Eiſenoxid in der Pflanze enthalten iſt, nur
darüber ſind wir gewiß, daß Kali, Natron und Bittererde
durch bloßes Waſſer in der Form von pflanzenſauren Salzen
aus allen Pflanzentheilen ausgezogen werden können, daſſelbe
iſt der Fall mit dem Kalk, wenn er nicht als unlöslicher klee-
ſaurer Kalk zugegen iſt. Man muß ſich daran erinnern, daß
in den Oxalisarten Kleeſäure und Kali vorkommt, und zwar
nie als neutrales oder als vierfachſaures, ſondern ſtets als
doppeltſaures Salz, auf welchem Boden die Pflanze auch wach-
ſen mag; wir finden in den Weintrauben das Kali immer als
Weinſtein, als ſaures Salz, nie in der Form von neutralerm.
Für die Entwickelung der Früchte und Saamen, man kann
ſagen, für eine Menge von Zwecken, die wir nicht kennen,
muß die Gegenwart dieſer Säuren und Baſen eine gewiſſe
Bedeutung haben, eben weil ſie niemals fehlen und weil die
Form ihres Vorkommens keinem Wechſel unterliegt. Die
Quantität der in einer Pflanze vorkommenden alkaliſchen Ba-
ſen hängt aber lediglich von dieſer Form ab, denn die Sät-
tigungscapacität einer Säure iſt eine unveränderliche Größe,
und wenn wir ſehen, daß der kleeſaure Kalk in den Flechten
den fehlenden Holzkörper, die Holzfaſer, vertritt und erſetzt, ſo
müſſen den löslichen pflanzenſauren Salzen eben ſo beſtimmte,
wenn auch abweichende Funktionen zugeſchrieben werden.
Genaue und zuverläſſige Unterſuchungen der Aſche von
Pflanzen derſelben Art, welche auf verſchiedenen Bodenarten
gewachſen ſind, erſcheinen hiernach als eine für die Phyſiologie
der Gewächſe höchſt folgenreiche Aufgabe, ſie werden entſcheiden,
ob ſich dieſe merkwürdige Thatſache zu einem beſtimmten Geſetze
für eine jede Pflanzenfamilie geſtaltet, ob alſo eine jede noch
außerdem durch eine gewiſſe unveränderliche Zahl characteriſirt
werden kann, welche der Ausdruck des Sauerſtoffgehalts der
[92]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
Baſen iſt, die in der Form von pflanzenſauren Salzen ihrem
Organismus angehören.
Man kann mit einiger Wahrſcheinlichkeit vorausſetzen, daß
dieſe Forſchungen zu einem wichtigen Reſultate führen werden,
denn es iſt klar, wenn die Erzeugung von beſtimmten unver-
änderlichen Mengen von pflanzenſauren Salzen durch die
Eigenthümlichkeit ihrer Organe geboten, wenn ſie zu gewiſſen
Zwecken für ihr Beſtehen unentbehrlich ſind, ſo wird die Pflanze
Kali oder Kalk aufnehmen müſſen, und wenn ſie nicht ſo viel
vorfindet, als ſie bedarf, ſo wird das Fehlende durch andere
alkaliſche Baſen von gleichem Wirkungswerthe erſetzt werden;
wenn ihr keine von allen ſich darbietet, ſo wird ſie nicht zur
Entwickelung gelangen.
Der Saame von Salsola Kali giebt in gewöhnliche Gar-
tenerde geſäet eine Pflanze, welche Kali und Natron enthält,
der Saame der letzteren liefert eine Pflanze, worin ſich bloß
Kaliſalze mit Spuren von Kochſalz vorfinden. (Cadet.)
Das Vorkommen von organiſchen Baſen in der Form von
pflanzenſauren Salzen giebt der Meinung, daß alkaliſche Baſen
überhaupt zur Entwickelung der Pflanzen gehören, ein großes
Gewicht.
Wir ſehen z. B., wenn wir Kartoffeln unter Umſtänden
wachſen laſſen, wo ihnen die Erde, als das Magazin anor-
ganiſcher Baſen fehlt, wenn ſie z. B. in unſern Kellern wach-
ſen, daß ſich in ihren Trieben, in ihren langen, dem Lichte ſich
zuwendenden Keimen, ein wahres Alkali von großer Giftigkeit,
des Solanin erzeugt, von dem wir nicht die kleinſte Spur in
den Wurzeln, dem Kraut, den Blüthen oder Früchten derjenigen
Kartoffeln entdecken, die im Felde gewachſen ſind. (Otto.)
In allen Chinaſorten findet ſich Chinaſäure, aber die ver-
änderlichſten Mengen von Chinin, Cinchonin und Kalk, man
[93]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
kann den Gehalt an den eigentlichen organiſchen Baſen ziem-
lich genau nach der Menge von fixen Baſen beurtheilen, die
nach der Einäſcherung zurückbleiben.
Einem Maximum der erſteren entſpricht ein Minimum der
andern, gerade ſo wie es in der That ſtattfinden muß, wenn
ſie ſich gegenſeitig nach ihren Aequivalenten vertreten.
Wir wiſſen, daß die meiſten Opiumſorten Meconſäure, ge-
bunden an die veränderlichſten Mengen von Narcotin, Morphin,
Codein ꝛc. enthalten, ſtets vermindert ſich die Quantität der
einen mit dem Zunehmen der andern. Die kleinſte Menge
Morphin finden wir ſtets begleitet von einem Maximum von
Narcotin.
In manchen Opiumſorten läßt ſich keine Spur Meconſäure
entdecken *), aber die Säure fehlt deshalb nicht, ſie iſt in die-
ſem Fall durch eine anorganiſche Säure, durch Schwefelſäure ver-
treten und auch hier zeigt ſich in den Sorten, wo beide vor-
handen ſind, daß ſie zu einander ſtets in einem gewiſſen Ver-
hältniſſe ſtehen.
Wenn aber, wie in dem Safte des Mohns ſich herauszu-
ſtellen ſcheint, eine organiſche Säure in einer Pflanze vertreten
ſein kann durch eine anorganiſche, ohne daß die Entwickelung
der Pflanze darunter leidet, ſo muß dieß in um ſo höherem
Grade bei den anorganiſchen Baſen ſtattfinden können.
Finden die Wurzeln der Pflanze, die eine Baſe, in hinrei-
chender Menge vor, ſo wird ſie um ſo weniger von der an-
dern nehmen.
Im Zuſtande der Cultur, wo von außen her auf die Hervor-
bringung und Erzeugung einzelner Beſtandtheile und beſonderer
[94]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
Organe eingewirkt wird, werden dieſe Verhältniſſe minder be-
ſtändig ſich zeigen.
Wenn wir die Erde, in welcher eine weiße blühende Hya-
zinthe ſteht, mit dem Safte von Phytolaca decandra begießen, ſo
ſehen wir nach einer oder zwei Stunden die weißen Blüthen
eine rothe Farbe annehmen, ſie färben ſich vor unſern Augen,
aber im Sonnenlichte verſchwindet in zwei bis drei Tagen
die Farbe wieder, ſie werden weiß und farblos, wie ſie im
Anfange waren*). Offenbar iſt hier der Saft ohne die geringſte
Aenderung in ſeiner chemiſchen Beſchaffenheit in alle Theile
der Pflanze übergegangen, ohne durch ſeine Gegenwart der
Pflanze zu ſchaden, ohne daß man behaupten kann, ſie ſei
für die Exiſtenz der Pflanze nothwendig geweſen. Aber dieſer
Zuſtand war nicht dauernd, und wenn die Blüthe wieder
farblos geworden iſt, ſo wird keiner der Beſtandtheile des ro-
then Farbſtoffs mehr vorhanden ſein; nur in dem Fall, daß
einer davon den Zwecken ihres Lebens dienen konnte, wird ſie
dieſen allein zurückbehalten, die übrigen werden durch die Wur-
zel in veränderter Form abgeſchieden werden.
Ganz derſelbe Fall muß eintreten, wenn wir eine Pflanze
mit Auflöſungen von Chlorkalium, Salpeter oder ſalpeterſaurem
Strontian begießen, ſie werden wie der erwähnte Pflanzenſaft
in die Pflanze übergehen, und wenn wir ſie zu dieſer Zeit
verbrennen, ſo werden wir die Baſen in der Aſche finden, ihre
Gegenwart iſt rein zufällig, es kann hieraus kein Schluß ge-
gen die Nothwendigkeit des Vorhandenſeins der anderen Baſen
gezogen werden. Wir wiſſen aus den ſchönen Verſuchen von
Macaire-Princep, daß Pflanzen, die man mit ihren Wur-
[95]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
zeln in ſchwachen Auflöſungen von eſſigſaurem Bleioxid und
ſodann in Regenwaſſer vegetiren ließ, daß das letztere von
derſelben eſſigſaures Bleioxid wieder empfing, daß ſie alſo
dasjenige wieder dem Boden zurückgeben, was zu ihrer Exi-
ſtenz nicht nothwendig iſt.
Begießen wir eine Pflanze, die im Freien dem Sonnen-
lichte, dem Regen und der Atmoſphäre ausgeſetzt iſt, mit einer
Auflöſung von ſalpeterſaurem Strontian, ſo wird das anfangs
aufgenommene, aber durch die Wurzeln wieder abgeführte Salz
bei jeder Benetzung des Bodens durch den Regen, von den
Wurzeln weiter entfernt; nach einiger Zeit wird ſie keine
Spur mehr davon enthalten.
Faſſen wir nun den Zuſtand der beiden Tannen ins Auge,
deren Aſche von einem der ſchärfſten und genaueſten Analytiker
unterſucht worden iſt. Die eine wächſt in Norwegen auf einem
Boden, deſſen Beſtandtheile ſich nie ändern, dem aber durch
Regenwaſſer lösliche Salze, und darunter Kochſalz in überwie-
gender Menge zugeführt werden; woher kommt es nun, kann
man fragen, daß ſeine Aſche keine entdeckbare Spur Kochſalz
enthält, während wir gewiß ſind, daß ſeine Wurzeln nach je-
dem Regen Kochſalz aufgenommen haben.
Wir erklären uns die Abweſenheit des Kochſalzes durch
directe und poſitive Beobachtungen, die man an andern Pflan-
zen gemacht hat, indem wir ſie der Fähigkeit ihres Organis-
mus zuſchreiben, Alles dem Boden wieder zurückzugeben, was
nicht zu ſeinem Beſtehen gehört.
Dieſe Thatſache ihrem wahren Werth nach anerkannt,
müſſen die alkaliſchen Baſen, die wir in den Aſchen finden,
zum Beſtehen der Pflanze unentbehrlich ſein; denn wären ſie
es nicht, ſo wären ſie nicht da.
Von dieſem Geſichtspunkte aufgefaßt, iſt die völlige Ent-
[96]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
wickelung einer Pflanze abhängig von der Gegenwart von Al-
kalien oder alkaliſchen Erden. Mit ihrer gänzlichen Abweſen-
heit muß ihrer Ausbildung eine beſtimmte Grenze geſetzt ſein;
beim Mangel an dieſen Baſen wird ihre Ausbildung gehemmt
ſein.
Vergleichen wir, um zu beſtimmten Anwendungen zu kom-
men, zwei Holzarten mit einander, welche ungleiche Mengen
alkaliſcher Baſen enthalten, ſo ergiebt ſich von ſelbſt, daß die
eine auf manchen Bodenarten kräftig ſich entwickeln kann, auf
welchem die andere nur kümmerlich vegetirt. 10,000 Theile
Eichenholz geben 250 Theile Aſche, 10,000 Theile Tannen-
holz nur 83, dieſelbe Quantität Lindenholz giebt 500, Rocken
440 und Kartoffelkraut 1500 Theile*).
Auf Granit, auf kahlem Sandboden und Haiden wird die
Tanne und Fichte noch hinreichende Mengen alkaliſcher Baſen
finden, auf welchen Eichen nicht fortkommen, und Weizen wird
auf einem Boden, wo Linden gedeihen, diejenigen Baſen in
hinreichender Menge vorfinden, die er zu ſeiner völligen Ent-
wickelung bedarf.
Dieſe für die Forſt- und Feldwirthſchaft im hohen Grade
wichtigen Folgerungen laſſen ſich mit den evidentſten Thatſa-
chen beweiſen.
Alle Grasarten, die Equiſetaceen z. B., enthalten eine
große Menge Kieſelſäure und Kali, abgelagert in dem äußern
Saum der Blätter und in dem Halm als ſaures kieſelſaures
Kali; auf einem Getreidefeld ändert ſich der Gehalt an dieſem
Salze nicht merklich, denn es wird ihm in der Form von
Dünger, als verweſ’tes Stroh, wieder zugeführt.
Ganz anders ſtellt ſich dieſes Verhältniß auf einer Wieſe;
[97]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
nie findet ſich auf einem kaliarmen Sand- oder reinem Kalk-
boden ein üppiger Graswuchs*); denn es fehlt ihm ein für die
Pflanze durchaus unentbehrlicher Beſtandtheil. Baſalte, Grau-
wacke, Porphyr geben unter gleichem Verhältniſſe den beſten
Boden zu Wieſen ab, eben weil ſie reich an Kali ſind. Das
hinweggenommene Kali erſetzt ſich wieder bei dem jährlichen
Wäſſern; der Boden ſelbſt iſt verhältnißmäßig für den Bedarf
der Pflanze unerſchöpflich an dieſem Körper.
Wenn wir aber, bei dem Gypſen einer Wieſe, den Gras-
wuchs ſteigern, ſo nehmen wir mit dem Heu eine größere
Menge Kali hinweg, was unter gleichen Bedingungen nicht
erſetzt wird. Hiervon kommt es, daß nach Verlauf von eini-
gen Jahren der Graswuchs auf vielen gegypſ’ten Wieſen ab-
nimmt; er nimmt ab, weil es an Kali fehlt.
Werden die Wieſen hingegen von Zeit zu Zeit mit Aſche,
ſelbſt mit ausgelaugter Seifenſiederaſche überfahren, ſo kehrt
der üppige Graswuchs zurück. Mit dieſer Aſche haben wir
aber der Wieſe nichts weiter als das fehlende Kali zugeführt.
In der Lüneburger Haide gewinnt man dem Boden von
je dreißig zu dreißig oder vierzig Jahren eine Ernte an Ge-
treide ab, indem man die darauf wachſenden Haiden (Erica
vulgaris) verbrennt, und ihre Aſche in dem Boden vertheilt.
Dieſe Pflanze ſammelte in dieſer langen Zeit das durch den
Regen zugeführte Kali und Natron; beide ſind es, welche in
der Aſche dem Hafer, der Gerſte oder dem Rocken, die ſie
nicht entbehren können, die Entwickelung geſtatteten.
7
[98]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
In der Nähe von Heidelberg haben die Holzſchläger die
Vergünſtigung, nach dem Schlagen von Lohholz den Boden
zu ihrem Nutzen bebauen zu dürfen. Dem Einſäen des Lan-
des geht unter allen Umſtänden das Verbrennen der Zweige,
Wurzeln und Blätter voran, deren Aſche dem darauf gepflanz-
ten Getreide zu Gute kommt. Der Boden ſelbſt, auf welchem
die Eichen wachſen, iſt in dieſer Gegend Sandſtein, und wenn
auch der Baum hinreichende Mengen von Alkalien und alkali-
ſchen Erden für ſein eigenes Beſtehen in dem Boden vorfindet,
ſo iſt er dennoch unfruchtbar für Getreide in ſeinem gewöhn-
lichen Zuſtande.
Man hat in Bingen den entſchiedenſten Erfolg in Bezie-
hung auf Entwickelung und Fruchtbarkeit des Weinſtocks bei
Anwendung des kräftigſten Düngers, von Hornſpänen z. B.,
geſehen, aber der Ertrag, die Holz- und Blattbildung nahm
nach einigen Jahren zum großen Nachtheil des Beſitzers in
einem ſo hohen Grade ab, daß er ſtets zu bereuen Urſache
hatte, von der dort gebräuchlichen und als die beſte anerkannte
Düngungsmethode abgegangen zu ſein. Der Weinſtock wurde
bei ſeiner Art zu düngen in ſeiner Entwickelung übertrieben,
in zwei oder drei Jahren wurde alles Kali, was den künfti-
gen Ertrag geſichert hatte, zur Bildung der Frucht, der Blät-
ter, des Holzes verwendet, die ohne Erſatz den Weinbergen
genommen wurden, denn ſein Dünger enthält kein Kali.
Man hat am Rhein Weinberge, deren Stöcke über ein
Jahrhundert alt ſind, und dieſes Alter erreichen ſie nur bei
Anwendung des ſtickſtoffärmſten aber kalireichſten Kuhdün-
gers. Alles Kali, was die Nahrung der Kuh enthält, geht,
wie man weiß, in die Excremente über.
Eins der merkwürdigſten Beiſpiele von der Unfähigkeit eines
Bodens, Weizen und überhaupt Grasarten zu erzeugen, wenn
[99]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
in ihm eine der Bedingungen ihres Wachsthums fehlt, bietet
das Verfahren eines Gutsbeſitzers in der Nähe von Göttingen
dar. Er bepflanzte ſein ganzes Land zum Behufe der Pottaſch-
erzeugung mit Wermuth, deſſen Aſche bekanntlich ſehr reich an
kohlenſaurem Kali iſt. Eine Folge davon war die gänzliche
Unfruchtbarkeit ſeiner Felder für Getreidebau; ſie waren auf
Jahrzehnte hinaus völlig ihres Kalis beraubt.
Die Blätter und kleinen Zweige der Bäume enthalten die
meiſte Aſche und das meiſte Alkali; was durch ſie bei dem
Laub- und Streuſammeln den Wäldern genommen wird, iſt
bei weitem mehr, als was das Holz enthält, welches jährlich ge-
ſchlagen wird. Die Eichenrinde, das Eichenlaub enthält z. B.
6 p. c. bis 9 p. c, die Tannen- und Fichtennadeln über 8 p. c.
Mit 2650 ℔ Tannenholz, die wir einem Morgen Wald jährlich
nehmen, wird im Ganzen dem Boden, bei 0,83 p. c. Aſche,
nur 0,114 bis 0,53 ℔ an Alkalien entzogen, aber das Moos,
was den Boden bedeckt, deſſen Aſche reich an Alkali iſt, hält
in ununterbrochen fortdauernder Entwickelung das Kali an
der Oberfläche des ſo leicht von dem Waſſer durchdringbaren
Sandbodens zurück, und bietet in ſeiner Verweſung den aufge-
ſpeicherten Vorrath den Wurzeln dar, die das Alkali aufneh-
men, ohne es wieder zurückzugeben.
Von einer Erzeugung von Alkalien, Metalloxiden und an-
organiſchen Stoffen überhaupt kann nach dieſen ſo wohl bekann-
ten Thatſachen keine Rede ſein.
Man findet es bewundernswürdig, daß die Grasarten,
deren Saamen zur Nahrung dienen, dem Menſchen wie
ein Hausthier folgen. Sie folgen dem Menſchen, durch
ähnliche Urſachen gezwungen, wie die Salzpflanzen dem Mee-
resſtrande und Salinen, die Chenopodien den Schutthau-
fen ꝛc., ſo wie die Miſtkäfer auf die Excremente der Thiere
7*
[100]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
angewieſen ſind, ſo bedürfen die Salzpflanzen des Kochſalzes,
die Schuttpflanzen des Ammoniaks und ſalpeterſaurer Salze.
Keine von unſeren Getreidepflanzen kann aber ausgebildete Saa-
men tragen, Saamen, welche Mehl geben, ohne eine reichliche
Menge von phosphorſaurer Bittererde, ohne Ammoniak zu ihrer
Ausbildung vorzufinden. Dieſe Saamen entwickeln ſich nur
in einem Boden, wo dieſe drei Beſtandtheile ſich vereinigt be-
finden, und kein Boden iſt reicher daran als Orte, wo Men-
ſchen und Thiere familienartig zuſammenwohnen; ſie folgen
dem Urin, den Excrementen derſelben, weil ſie ohne deren Be-
ſtandtheile nicht zum Saamentragen kommen.
Wenn wir Salzpflanzen mehrere hundert Meilen von dem
Strande des Meeres entfernt in der Nähe unſerer Salinen
finden, ſo wiſſen wir, daß ſie auf dem natürlichſten Wege
dahin gelangen, Saamen von Pflanzen werden durch Winde
und Vögel über die ganze Oberfläche der Erde verbreitet, aber
ſie entwickeln ſich nur da, wo ſich die Bedingungen ihres Le-
bens vorfinden.
In den Soolenkaſten der Gradirgebäude auf der Saline
Salzhauſen bei Nidda finden ſich zahlreiche Schaaren kleiner
nicht über zwei Zoll langer Stachelfiſche. (Gasterosteus acu-
leatus.) In den Soolenkaſten der 6 Stunden davon entfern-
ten Saline Neuheim trifft man kein lebendes Weſen an, aber
die letztere iſt überreich an Kohlenſäure und Kalk, ihre Gradir
wände ſind bedeckt mit Stalaktiten, in dem einen Waſſer ſind
die durch Vögel hingebrachten Eier zur Entwickelung gekom-
men, in dem andern nicht *).
[101]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
Wieviel wunderbarer und unerklärlicher erſcheint die Eigen-
ſchaft feuerbeſtändiger Körper unter gewiſſen Bedingungen
ſich zu verflüchtigen, bei gewöhnlicher Temperatur in einen
Zuſtand überzugehen, von dem wir nicht zu ſagen vermögen,
ob ſie zu Gas geworden oder durch ein Gas in Auflöſung
übergegangen ſind. Der Waſſerdampf, die Vergaſung über-
haupt, iſt bei dieſen Körpern die ſonderbarſte Urſache der Ver-
flüchtigung, ein in Gas übergehender, ein verdampfender flüſ-
ſiger Körper ertheilt allen Materien, welche darin gelöſ’t ſind,
in höherem oder geringerem Grade die Fähigkeit den nemli-
chen Zuſtand anzunehmen, eine Eigenſchaft, die ſie für ſich
nicht beſitzen.
Die Borſäure gehört zu den feuerbeſtändigſten Materien,
auch in der ſtärkſten Weißglühhitze erleidet ſie keine durch die
feinſten Wagen bemerkbare Gewichtsveränderung, ſie iſt nicht
flüchtig, aber ihre Auflöſungen im Waſſer können auch bei der
gelindeſten Erwärmung nicht verdampft werden, ohne daß den
Waſſerdämpfen nicht eine bemerkbare Menge Borſäure folgt.
Dieſe Eigenſchaft iſt der Grund, warum wir bei allen Ana-
*)
[102]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
lyſen Borſäure haltiger Mineralien, wo Flüſſigkeiten, welche
Borſäure enthalten, verdampft werden müſſen, einen Verluſt
erleiden; die Quantität Borſäure, welche einem Cubiefuß ſiedend
heißen Waſſerdampfs folgt, iſt durch die feinſten Reagentien
nicht entdeckbar, und dennoch, ſo außerordentlich klein ſie auch
erſcheinen mag, ſtammen die vielen tauſend Centner Borſäure,
welche von Italien aus in den Handel gebracht werden, von
der ununterbrochenen Anhäufung dieſer dem Anſchein nach ver-
ſchwindenden Menge her. Man läßt in den Lagunen von
Caſtel nuovo, Cherchiago ꝛc. die aus dem Innern der Erde
ſtrömenden ſiedend heißen Dämpfe durch Waſſer ſtreichen, was
nach und nach daran immer reicher wird, ſo daß man zuletzt
durch Verdunſten cryſtalliſirte Borſäure daraus erhält. Der
Temperatur dieſer Waſſerdämpfe nach, kommen ſie aus Tiefen,
wo menſchliche Weſen, wo Thiere nie gelebt haben können;
wie bemerkenswerth und bedeutungsvoll erſcheint in dieſer Be-
ziehung der nie fehlende Ammoniakgehalt dieſer Dämpfe. In
den großen Fabriken zu Liverpool, wo die natürliche Borſäure
zu Borax verarbeitet wird, gewinnt man daraus als Neben-
product viele hundert Pfunde ſchwefelſaures Ammoniak.
Dieſes Ammoniak ſtammt nicht von thieriſchen
Organismen, es war vorhanden vor allen le-
benden Generationen, es iſt ein Theil, ein Be-
ſtandtheil des Erdkörpers.
Die von der Direction des poudres et salpêtres unter
Lavoiſier angeſtellten Verſuche haben bewieſen, daß bei dem
Verdampfen von Salpeterlaugen, die darinn gelöſ’ten Salze
ſich mit dem Waſſer verflüchtigen und einen Verluſt herbeifüh-
ren, über den man ſich vorher keine Rechenſchaft geben konnte.
Ebenſo bekannt iſt, daß bei Stürmen von dem Meere nach
dem Binnenlande hin, in der Richtung des Sturmes, ſich die
[103]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
Blätter der Pflanzen mit Salzkryſtallen ſelbſt auf 20—30 engl.
Meilen hin, bedecken, aber es bedarf der Stürme nicht, um
dieſe Salze zum Verflüchtigen zu bringen, die über dem Meere
ſchwebende Luft trübt jederzeit die ſalpeterſaure Silberlöſung,
jeder, auch der ſchwächſte Luftzug entführt mit den Milliarden
Centnern Seewaſſer, welche jährlich verdampfen, eine entſpre-
chende Menge der darinn gelöſ’ten Salze und führt Kochſalz,
Chlorkalium, Bittererde und die übrigen Beſtandtheile dem
feſten Lande zu.
Dieſe Verflüchtigung iſt die Quelle eines beträchtlichen Ver-
luſtes in der Salzgewinnung aus ſchwachen Soolen. Auf der
Saline Naueim iſt dieſe Erſcheinung durch den dortigen Di-
rector, Herrn Wilhelmi, einen ſehr unterrichteten und kennt-
nißreichen Mann, zur Evidenz nachgewieſen worden; eine Glas-
platte auf einer hohen Stange zwiſchen zwei Gradirgebäuden
befeſtigt, die von einander etwa 1200 Schritte entfernt ſtan-
den, fand ſich des Morgens nach dem Auftrocknen des Thaus
auf der einen oder andern Seite nach der Richtung des Win-
des ſtets mit Salzkryſtallen bedeckt.
Das in ſteter Verdampfung begriffene Meer *) verbreitet
über die ganze Oberfläche der Erde hin, in dem Regenwaſſer,
alle zum Beſtehen einer Vegetation unentbehrlichen Salze, wir
finden ſie ſelbſt da in ihrer Aſche wieder, wo der Boden keine
Beſtandtheile liefern konnte.
In der Betrachtung umfaſſender Naturerſcheinungen haben
wir keinen Maaßſtab mehr für das, was wir gewohnt ſind,
[104]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
klein oder groß zu nennen, alle unſere Begriffe beziehen ſich
auf unſere Umgebungen, aber wie verſchwindend ſind dieſe
gegen die Maſſe des Erdkörpers; was in einem begrenzten
Raume kaum bemerkbar iſt, erſcheint in einem unbegrenzten
unfaßbar groß. Die Luft enthält nur ein Tauſendtheil ihres
Gewichts an Kohlenſäure, ſo klein dieſer Gehalt auch ſcheint,
ſo iſt er doch mehr als hinreichend, um Jahrtauſende hinaus
die lebenden Generationen mit Kohlenſtoff zu verſehen, ſelbſt
wenn er derſelben nicht erſetzt werden würde. Das Seewaſſer
enthält 1/12400 ſeines Gewichts an kohlenſauerm Kalk, und dieſe
in einem Pfunde kaum beſtimmbare Menge iſt die Quelle,
welche Miriaden von Schaalthieren, Korallen ꝛc. mit dem Ma-
terial zu ihrem Gehäuſe verſieht.
Während die Luft nur 4 bis 6 Zehntauſendtheile ihres
Volums an Kohlenſäure enthält, beträgt der Kohlenſäuregehalt
des Meerwaſſers über hundertmal mehr (10000 Volum Meer-
waſſer enthalten 620 Vol. Kohlenſäure, Laurent, Bouillon-
Lagrange) und in dieſem Medium, worin eine ganze Welt
von andern Pflanzen und Thieren lebt, [finden] ſich in der Koh-
lenſäure und dem Ammoniak *) die nemlichen Bedingungen
ihres Lebens vereinigt, welche das Beſtehen lebender Weſen
auf der Oberfläche des feſten Landes möglich machen.
Die Wurzeln der Pflanzen ſind die ewig thätigen Samm-
ler der Alkalien, der Beſtandtheile des Seewaſſers, die der Re-
gen zuführt, des Quellwaſſers, was den Boden durchdringt,
ohne Alkalien und alkaliſche Baſen würden die meiſten Pflan-
zen nicht beſtehen, ohne die Pflanzen würden die Alkalien all-
mählig von der Oberfläche der Erde verſchwinden.
[105]Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.
Wenn man erwägt, daß das Meerwaſſer weniger wie ein
Milliontheil ſeines Gewichts an Jod enthält, daß alle Ver-
bindungen des Jods mit Alkalimetallen im hohen Grade lös-
lich im Waſſer ſind, ſo muß man nothwendig in dem Organis-
mus der Seetangen, der Fucusarten, eine Urſache voraus-
ſetzen, welche dieſe Pflanzen beſtimmt, während ihres Lebens
das Jod in der Form eines löslichen Salzes dem Meerwaſſer
zu entziehen und in der Weiſe zu aſſimiliren, daß es in das
umgebende Medium nicht wieder zurückkehren kann, dieſe Pflan-
zen ſind für das Jod ähnliche Sammler, wie die Landpflanzen
für die Alkalien, ſie ſind es, welche uns Quantitäten von Jod
liefern, deren Gewinnung aus dem Seewaſſer, die Verdam-
pfung ganzer Seeen vorausgehen mußte.
Wir ſetzen voraus, daß dieſe Seepflanzen Jodmetalle zu
ihrer Entwickelung bedürfen, und daß ihr Beſtehen an deren
Vorhandenſein geknüpft iſt. Mit demſelben Rechte ſchließen
wir von der nie fehlenden Gegenwart der Alkalien und al-
kaliſchen Erden in der Aſche der Landpflanzen auf ihre Noth-
wendigkeit für die Entwickelung dieſer Pflanzen während
ihres Lebens.
[106]Die Cultur.
Die Cultur.
In dem Vorhergehenden ſind die Bedingungen des Lebens
aller Vegetabilien betrachtet worden. Kohlenſäure, Ammoniak
und Waſſer liefern die Elemente aller Organe: Salze, Metall-
oxide, gewiſſe anorganiſche Materien, dienen zu beſonderen Ver-
richtungen in dem Organismus der Pflanze, manche davon
müſſen als Beſtandtheile einzelner Pflanzentheile angeſehen
werden.
Die atmoſphäriſche Luft und der Boden bieten den Blät-
tern und Wurzeln einerlei Nahrungsmittel dar.
Die erſtere enthält eine verhältnißmäßig unerſchöpfliche
Menge Kohlenſäure und Ammoniak, in dem Boden haben wir
in dem Humus eine ſich ſtets erneuernde Quelle von Kohlen-
ſäure, den Winter hindurch häuft ſich in dem Regen- und
Schneewaſſer, womit er durchdrungen wird, eine für die Ent-
wickelung der Blüthen und Blätter ausreichende Menge Am-
moniak.
Die völlige, ja man kann ſagen, die abſolute Unlöslichkeit
in kaltem Waſſer der in Verweſung begriffenen Pflanzentheile
erſcheint bei näherer Betrachtung als eine nicht minder weiſe
Natureinrichtung.
Wenn der Humus auch noch einen geringeren Grad von Lös-
lichkeit beſäße, als man der ſogenannten Humusſäure zuſchreibt,
ſo würde er der auflöſenden Kraft des Regenwaſſers nicht wi-
derſtehen können. Bei mehrwöchentlichem Wäſſern der Wieſen
müßte ein großer Theil davon aus dem Boden entführt wer-
[107]Die Cultur.
den, heftige und anhaltende Regen müßten den Boden daran
ärmer machen. Er löſ’t ſich aber nur auf, inſofern er ſich
mit dem Sauerſtoff verbindet und in der Form von Kohlen-
ſäure wird er vom Waſſer aufgenommen.
Bei Abweſenheit aller Feuchtigkeit erhält ſich der Humus Jahr-
hunderte lang, mit Waſſer benetzt, verwandelt er den umgebenden
Sauerſtoff in Kohlenſäure; von dieſem Augenblicke an verändert er
ſich ebenfalls nicht mehr, denn die Wirkung der Luft hört auf,
ſobald ſie ihres Sauerſtoffs beraubt iſt. Nur wenn Pflanzen in die-
ſem Boden wachſen, deren Wurzeln die gebildete Kohlenſäure
hinwegnehmen, ſchreitet die Verweſung fort, aber durch lebende
Pflanzen empfängt der Boden wieder, was er verloren hat,
er wird nicht ärmer an Humus.
Die Tropfſteinhöhlen in Franken, in der Umgebung von
Beireuth, Streitberg, ſind mit fruchtbarer Ackererde bedeckt; der
Boden über dieſen Höhlen iſt mit verweſenden Vegetabilien,
mit Humus angefüllt, der bei Gegenwart von Feuchtigkeit
und Luft unausgeſetzt Kohlenſäure entwickelt, die ſich im Re-
genwaſſer löſet.
Das mit Kohlenſäure angeſchwängerte Regenwaſſer ſickert
durch den poröſen Kalkſtein hindurch, der die Seitenwände
und Decke der Höhlen bildet, und löſ’t bei dieſem Durchgang
eine der Kohlenſäure entſprechende Menge von kohlenſauerm
Kalk auf.
In dem Innern der Höhle angekommen dunſtet von dieſer
Auflöſung das Waſſer und die überſchüſſige Kohlenſäure ab,
und der Kalkſtein, indem er ſich abſcheidet, überzieht Wände
und Decke mit Kryſtallkruſten von den mannigfaltigſten Formen.
An wenigen Orten der Erde vereinigen ſich aber in glei-
chem Grade wie an dieſen alle Bedingungen zur Erzeugung
von humusſauerm Kalk, wenn der Humus in dem Boden in
[108]Die Cultur.
der That, in der Form von Humusſäure vorhanden wäre.
Verweſende Vegetabilien, Waſſer und Kalk in Auflöſung
ſind vorhanden, allein die gebildeten Stalaktiten enthalten keine
Spur einer vegetabiliſchen Materie, ſie enthalten keine Hu-
mus-Säure, ſie ſind glänzend weiß, oder gelblich, zum Theil
durchſichtig wie Kalkſpath und laſſen ſich zum Glühen erhitzen
ohne Schwärzung.
In den alten Burgen in der Nähe des Rheins, der Berg-
ſtraße und der Wetterau bieten unterirdiſche Gewölbe, aus
Sandſtein, Granit und Baſalt aufgeführt, eine ähnliche Er-
ſcheinung wie die Kalkhöhlen dar.
Dieſe Gewölbe oder Keller ſind bedeckt mit einer mehrere
Fuß dicken Lage von Dammerde, in der ſich verweſende Ve-
getabilien befinden. Das Regenwaſſer, was auf dieſe Gewölbe
fällt, nimmt die gebildete Kohlenſäure auf, ſickert durch die
Erde hindurch, löſ’t durch ſeinen Kohlenſäuregehalt den Kalk-
mörtel auf; dieſe Auflöſung verdunſtet auf der Innenſeite der
Gewölbe wieder und überzieht ſie mit kleinen und dünnen hu-
musſäurefreien Stalaktiten.
Es ſind dieß aber durch die Natur gebaute Filtrirapparate,
in denen wir das Reſultat eines, Jahrhunderte oder Jahrtau-
ſende fortgeſetzten Verſuches vor Augen haben.
Wenn das Waſſer die Fähigkeit beſäße, auch nur ein Hun-
derttauſendtheil ſeines Gewichtes an Humusſäure oder humus-
ſauren Kalk aufzulöſen, ſo würden wir beim Vorhandenſein
von Humusſäure die Decke dieſer Gewölbe und Höhlen damit
überzogen finden, allein man iſt nicht im Stande, auch nur die
kleinſte Spur davon wahrzunehmen. Es giebt kaum ſchärfere
und überzeugendere Beweiſe für die Abweſenheit der Humus-
ſäure der Chemiker in der Ackererde und Dammerde.
Die gewöhnliche Vorſtellung, welche man ſich über die
[109]Die Cultur.
Wirkungsweiſe der Humusſäure geſchaffen hatte, gab Veran-
laſſung zu einer durchaus unerklärbaren Erſcheinung.
Eine ſehr kleine Quantität davon im Waſſer gelöſ’t färbt
daſſelbe gelb oder braun. Man ſollte nun denken, daß ein
Boden um ſo fruchtbarer ſein müſſe, je mehr Fähigkeit er be-
ſitzt, Waſſer braun zu färben, d. h. Humusſäure an daſſelbe
abzugeben.
Sonderbarer Weiſe gedeiht aber in einem ſolchen Boden
keine Pflanze und aller Dünger muß, wenn er einen wohlthä-
tigen Einfluß auf die Vegetation äußern ſoll, dieſe Eigenſchaft
verloren haben. Das Waſſer auf unfruchtbarem Torfboden,
auf ſumpfigen Wieſen, auf denen nur wenige Vegetabilien ge-
deihen, iſt reich an dieſer Humusſäure und alle Landwirthe
und Gärtner kommen darin überein, daß ſie nur den ſogenann-
ten humificirten Dünger für nützlich und gedeihlich für die
Pflanzen halten. Dieß iſt nun grade derjenige, der die Eigen-
ſchaft, das Waſſer zu färben, gänzlich verloren hat.
Dieſe im Waſſer mit brauner Farbe lösliche Materie iſt
ein Produkt der Fäulniß aller Thier- und Pflanzenſtoffe, ihr
Vorhandenſein iſt ein Zeichen, daß es an Sauerſtoff fehlt, um
die Verweſung zu beginnen oder zu vollenden. An der Luft
entfärben ſich dieſe braunen Auflöſungen, unter Aufnahme von
Sauerſtoff ſchlägt ſich ein ſchwarzer kohlenähnlicher Körper,
die ſogenannte Humuskohle nieder.
Denken wir uns einen Boden durchdrungen von dieſer
Subſtanz, ſo muß er auf die Wurzeln einer Pflanze gerade ſo
wirken, als wenn er gänzlich alles Sauerſtoffs unaufhörlich
beraubt würde; eine Pflanze wird eben ſo wenig darin wach-
ſen können, als in einer Erde, die man mit Eiſenoxidulhydrat
miſcht.
In einem Boden, in einem Waſſer, welches keinen Sauer-
[110]Die Cultur.
ſtoff enthält, ſterben alle Pflanzen, Mangel an Luft wirkt ganz
ähnlich wie ein Uebermaß an Kohlenſäure.
Auf ſumpfigem Boden ſchließt das Waſſer, was nicht wech-
ſelt, die Luft aus, eine Erneuerung des Waſſers wirkt ähnlich,
wie ein Hinzuführen von Luft, denn das Waſſer enthält Luft
in Auflöſung; geben wir dem Waſſer in dem Sumpfe Abzug,
ſo geſtatten wir der Luft freien Zutritt, der Sumpf verwandelt
ſich in die fruchtbarſte Wieſe.
Ueberreſte von Vegetabilien und Thieren, die ſich in einem
Boden befinden, in den die Luft keinen oder nur geringen
Zutritt hat, gehen nicht in Verweſung über, eben weil es an
Sauerſtoff fehlt, ſie gehen in Fäulniß über, zu deren Einlei-
tung Luft genug ſich vorfindet.
Die Fäulniß kennen wir nun als einen der mächtigſten Des-
oxidationsproceſſe, deſſen Einfluß ſich auf alles in der Nähe
befindliche, auf Wurzelfaſern und die Pflanzen ſelbſt erſtreckt.
Alle Materien, denen Sauerſtoff entzogen werden kann, geben
Sauerſtoff an den faulenden Körper ab, gelbes Eiſenoxid geht
in ſchwarzes Eiſenoxiduloxid, ſchwefelſaures Eiſenoxid, in Schwe-
feleiſen ꝛc. über.
Die öftere Lufterneuerung, die gehörige Bearbeitung des Bo-
dens, namentlich die Berührung mit alkaliſchen Metalloxiden, mit
Braunkohlenaſche, gebranntem oder kohlenſaurem Kalk, ändert die
vorgehende Fäulniß in einen reinen Oxidationsproceß um; von
dem Augenblick an, wo alle vorhandenen organiſchen Materien
in den Zuſtand der Verweſung übergehen, erhöht ſich die Frucht-
barkeit des Bodens. Der Sauerſtoff wird nicht mehr zur
Verwandlung der braunen löslichen Materie in unlösliche Hu-
muskohle verwandt, ſondern er dient zur Bildung von Kohlenſäure.
Dieſe Veränderung geht äußerſt langſam von Statten und
in ſeltenen Fällen findet ſich dadurch der Sauerſtoff völlig ab-
[111]Die Cultur.
geſchloſſen. Unter allen Umſtänden aber, wo es geſchieht, ver-
liert der Boden ſeine Fruchtbarkeit.
In der Nähe von Salzhauſen auf den ſogenannten Grün-
ſchwalheimer Wieſen bemerkt man ſtellenweiſe unfruchtbare Fle-
cken, die mit einem gelblichen Graſe bedeckt ſind. Wird in
einem derſelben ein Loch von 20 — 25 Fuß Tiefe gebohrt, ſo
entwickelt ſich daraus ein Strom kohlenſaures Gas mit einer
ſo großen Heftigkeit, daß man das Geräuſch beim Ausſtrömen
mehrere Schritte davon entfernt deutlich hört. Das von unten
in die Höhe ſteigende kohlenſaure Gas verdrängt aus dem
Boden alle Luft, und mit derſelben allen Sauerſtoff, aber
ohne Sauerſtoff kann ſich kein Saame, keine Wurzelfaſer ent-
wickeln, in Stickgas, in kohlenſaurem Gas allein, vegetirt keine
Pflanze.
Inſofern der Humus die junge Pflanze zu einer Zeit mit
Nahrung durch die Wurzeln verſieht, wo die äußeren Organe
der Ernährung, die Blätter, erſt gebildet werden, inſofern die
Nahrung, welche er liefert, dazu beiträgt, die Anzahl der Or-
gane der atmoſphäriſchen Ernährung zu vervielfältigen, erhöht
ſein Vorhandenſein die Fruchtbarkeit des Bodens.
Für manche Pflanzengattungen, namentlich für diejenigen,
welche ihre erſte Nahrung von der Subſtanz der Saamen ſelbſt
empfangen, Wurzeln und Zwiebelgewächſe, können den Humus
völlig entbehren, ſeine Gegenwart iſt nützlich, inſofern ihre
Entwickelung beſchleunigt und geſteigert wird, ſie iſt aber nicht
nothwendig, in einer gewiſſen Beziehung iſt ein Uebermaaß in
dem Anfang der [Entwickelung] einer Pflanze ſchädlich.
Die Nahrung, welche die junge Pflanze aus der Luft in
der Form von Kohlenſäure und Ammoniak aufnehmen kann,
iſt in gewiſſe Grenzen eingeſchloſſen, ſie kann nicht mehr aſſi-
miliren, als die Luft enthält.
[112]Die Cultur.
Wenn nun im Anfange ihrer Entwickelung die Anzahl der
Triebe, Halme, Zweige und Blätter durch ein Uebermaaß von
Nahrungsſtoff aus dem Boden dieſe Grenze überſchritten hat,
wo ſie alſo zur Vollendung ihrer Entwickelung, zur Blüthe und
Frucht, mehr Nahrungsſtoff aus der Luft bedarf, als dieſe bie-
ten kann, ſo wird ſie nicht zur Blüthe, zur Fruchtbildung ge-
langen. In vielen Fällen reicht dieſe Nahrung nur hin, um
die Blätter, Halme und Zweige völlig auszubilden.
Es tritt alsdann der nemliche Fall ein, wie bei den Zier-
pflanzen, wenn man beim Verſetzen in größere Töpfe den
Wurzeln geſtattet, ſich zu vergrößern und zu vervielfältigen.
Alle Nahrung wird zur Vermehrung der Wurzeln und Blätter
verwendet; ſie treiben, wie man ſagt, ins Kraut und kommen
nicht zur Blüthe.
Bei dem Zwergobſt nehmen wir gerade umgekehrt den
Bäumen einen Theil ihrer Zweige und damit ihrer Blätter;
wir hindern die Entwickelung neuer Zweige, es wird künſtlich
ein Ueberſchuß von Nahrung geſchaffen, die dann zur Vermeh-
rung der Blüthe und Vergrößerung der Frucht von der Pflanze
verwendet wird. Das Beſchneiden des Weinſtocks hat einen
ganz ähnlichen Zweck.
Bei allen perennirenden Gewächſen, bei den Sträuchern,
Frucht- und Waldbäumen geht nach der völligen Ausbildung
der Frucht ein neuer eigenthümlicher Vegetationsproceß an; wäh-
rend bei den einjährigen Pflanzen, von dieſer Periode an, die
Stengel ſich verholzen, die Blätter ihre Farbe wechſeln und
gelb werden, bleiben die Blätter der Bäume und Sträucher
bis zum Anfang des Winters in Thätigkeit. Die Bildung
der Holzringe ſchreitet fort, das Holz wird feſter und härter,
und vom Auguſt an erzeugen ihre Blätter kein Holz mehr;
alle Kohlenſäure, die ſie aufnehmen und aſſimiliren, wird zur
[113]Die Cultur.
Erzeugung von Nahrungsſtoffen für das künftige Jahr ver-
wendet; anſtatt Holzfaſer wird jetzt Amylon gebildet und durch
den Auguſtſaft (Sève d’Aout) in allen Theilen der Pflanze
verbreitet. (Hartig, in Erdmann und Schweigger-Seidels Jour-
nal V. 217. 1835.) Man kann durch gute Microscope die ab-
gelagerte Stärke, nach den Beobachtungen des Herrn Forſtmeiſter
Heyer, in ihrer bekannten Form in dem Holzkörper ſehr
leicht erkennen. Die Rinde mancher Espen und Fich-
ten *) iſt ſo reich daran, daß ſie durch Zerreiben und Waſchen mit
Waſſer, wie Kartoffelſtärke, daraus genommen werden kann, ſie fin-
det ſich ferner in den Wurzeln und Wurzelſtöcken perennirender
Pflanzen.
Sehr früher Winter oder raſcher Temperaturwechſel hin-
dern die Erzeugung dieſer Vorräthe von Nahrung für das
künftige Jahr, das Holz wird, wie beim Weinſtock z. B., nicht
reif, ſeine Entwickelung iſt das folgende Jahr in engere Gren-
zen eingeſchloſſen.
Aus dieſem Amylon entſteht im nächſten Frühjahr der Zucker
und das Gummi, und aus dieſem wieder die ſtickſtofffreien
Beſtandtheile der Blätter und jungen Triebe. Mit der Ent-
wickelung der jungen Kartoffelpflanze, mit der Bildung der
Keime nimmt der Amylongehalt der Wurzel ab; der Ahorn-
ſaft hört auf ſüß zu ſein, ſein Zuckergehalt verliert ſich mit
der Ausbildung der Knospen, der Blüthe und der Blätter.
Ein Weidenzweig, der durch ſeinen ganzen Holzkörper eine
große Menge Amylonkörnchen in ſich ſchließt, treibt in reinem
deſtillirten oder Regenwaſſer Wurzeln und Blätter, aber in dem
Grade, als ſie ſich vergrößern, nimmt der Amylongehalt ab;
8
[114]Die Cultur.
es iſt evident, das Amylon iſt zur Ausbildung der Wurzeln
und Blätter verzehrt worden. In dieſen Verſuchen hat Herr
Forſtmeiſter Heyer die intereſſante Beobachtung gemacht, daß
dieſe Zweige in (ammoniakhaltigem) Schneewaſſer vegetirend,
drei- bis viermal längere Wurzeln treiben als in reinem de-
ſtillirten Waſſer, das Regenwaſſer wird nach und nach trübe
und nimmt eine gelbbräunliche Farbe an, das deſtillirte Waſ-
ſer bleibt klar.
Bei dem Blühen des Zuckerrohrs verſchwindet ebenfalls
ein Theil des gebildeten Zuckers; und bei den Runkelrüben hat
man die beſtimmte Erfahrung gemacht, daß er ſich in
der Wurzel erſt mit Vollendung der Blattbildung anhäuft.
Dieſe ſo wohlbegründeten Beobachtungen entfernen jeden
Zweifel über den Antheil, den Zucker, Stärke und Gummi an
dem Entwickelungsproceſſe der Pflanzen nehmen; es hört auf
räthſelhaft zu ſein, woher es kommt, daß dieſe drei Materien
der entwickelten Pflanze zugeführt, keinen Antheil an ihrem
Wachsthum, an ihrem Ernährungsproceſſe nehmen.
Man hat — aber gewiß mit Unrecht — die gegen den
Herbſt hin, ſich in den Pflanzen anhäufenden Vorräthe von
Stärke, mit dem Fett der dem Winterſchlaf unterworfenen Thiere
verglichen; allein bei dieſen ſind alle Lebensfunctionen bis auf
den Reſpirationsproceß in einem Zuſtande der Ruhe; ſie bedür-
fen, wie eine ſehr langſam brennende Oellampe, nur eine an
kohlen- und waſſerſtoffreiche Materie, um den Verbrennungs-
proceß in der Lunge zu unterhalten. Mit dem Erwachen aus
dem Winterſchlaf iſt alles Fett verſchwunden, es hat nicht zur
Ernährung gedient, kein Theil ihres Körpers hat durch das
Fett an Maſſe zugenommen, die Qualität von keinem davon
hat eine bemerkbare Veränderung erlitten. Das Fett hatte mit
der eigentlichen Ernährung nicht das Geringſte zu thun.
[115]Die Cultur.
Die einjährige Pflanze erzeugt und ſammelt die Nahrung
der künftigen, auf gleiche Weiſe wie die perrennirende; ſie ſpei-
chert ſie im Saamen in der Form von vegetabiliſchem Eiweiß
von Stärkemehl und Gummi auf, ſie wird beim Keimen zur
Ausbildung der erſten Wurzelfaſern und Blätter verwendet,
mit dem Vorhandenſein dieſer Organe fängt die Zunahme an
Maſſe, die eigentliche Ernährung, erſt an.
Jeder Keim, jede Knospe einer perennirenden Pflanze iſt
der aufgepfropfte Embryo eines neuen Individuums, die im
Stamme, in der Wurzel aufgeſpeicherte Nahrung: ſie entſpricht
dem Albumen des Saamens.
Nahrungsſtoffe in ihrer eigentlichen Bedeutung ſind offen-
bar nur ſolche Materien, welche von außen zugeführt, das Le-
ben und alle Lebensfunctionen eines Organismus zu erhalten
vermögen, inſofern ſie von den Organen zur Hervorbringung der
ihnen eigenthümlichen Beſtandtheile verwendet werden können.
Bei den Thieren entſpringt aus dem Blute die Subſtanz
ihrer Muskeln und Nerven, es unterhält durch einen ſeiner
Beſtandtheile den Athmungsproceß, durch andere wieder beſon-
dere Lebensproceſſe, ein jeder Theil des Körpers empfängt Nah-
rung durch das Blut, allein die Bluterzeugung iſt eine Lebens-
funktion für ſich, ohne welche das Leben nicht gedacht werden
kann; ſetzen wir die Organe der Bluterzeugung außer Thä-
tigkeit, führen wir in die Adern eines Thieres Blut von Au-
ßen zu, ſo erfolgt der Tod, wenn ſeine Quantität eine ge-
wiſſe Grenze überſchreitet.
Wenn wir einem Baume Holzfaſer im aufgelöſ’ten Zu-
ſtande zuführen könnten, ſo würde der nemliche Fall eintreten,
wie wenn wir eine Kartoffelpflanze in Stärkekleiſter vegetiren
ließen.
Die Blätter ſind vorhanden, um Stärke, Holzfaſer und
8*
[116]Die Cultur.
Zucker zu erzeugen, führen wir Stärke, Holzfaſer und Zucker
durch die Wurzeln zu, ſo wird offenbar die Lebensfunktion der
Blätter geſtört; kann der Aſſimilationsproceß nicht eine andere
Form annehmen, ſo muß die Pflanze ſterben.
Neben der Stärke, dem Zucker und Gummi müſſen in ei-
ner Pflanze aber noch andere Materien vorhanden ſein, wenn
ſie überhaupt an der Entwickelung des Keims, der erſten Wur-
zelfaſern und Blätter Antheil nehmen ſollen.
Ein Weizenkorn enthält in ſeiner eigenen Maſſe unzweifel-
haft die Beſtandtheile des Keims und der erſten Wurzelfaſern,
und — wir müſſen vorausſetzen — genau in dem Verhältniß
als zu ihrer Entwickelung nöthig iſt.
Wenn wir dieſe Beſtandtheile mit Stärke und Kleber be-
zeichnen, ſo iſt klar, daß keiner davon allein, ſondern beide zugleich
an der Keim- und Wurzelbildung Antheil nehmen, denn bei Ge-
genwart von Luft, Feuchtigkeit und einer angemeſſenen Tem-
peratur erleiden ſie beide eine Metamorphoſe.
Die Stärke verwandelt ſich in Zucker, der Kleber nimmt
ebenfalls eine neue Form an, beide erhalten die Fähigkeit, ſich
zu löſen, d. h. einer jeden Bewegung zu folgen.
Beide werden zur Bildung der Wurzelfaſern und erſten
Blätter völlig aufgezehrt, ein Ueberſchuß von dem einen würde
ohne die Gegenwart einer entſprechenden Menge von dem an-
dern zur Blattbildung, oder überhaupt nicht verwendet werden
können.
Man ſchreibt bekanntlich die Verwandlung der Stärke in
Zucker bei dem Keimen der Getreidekörner einer eigenthümli-
chen Materie, der Diaſtaſe, zu, die ſich durch den Act der be-
ginnenden Vegetation erzeugt; aber durch Kleber allein kann
ihre Wirkungsweiſe, obwohl erſt in längerer Zeit, erſetzt wer-
den; jedenfalls enthält der gekeimte Saamen bei weitem mehr
[117]Die Cultur.
davon, als zur Umwandlung der Stärke in Zucker nöthig war,
denn man kann mit einem Theile gekeimter Gerſte, ein 5mal
größeres Gewicht Stärke noch in Zucker überführen.
Gewiß wird man dieſen Ueberſchuß von Diaſtaſe nicht für
zufällig anſehen können, eben weil ſie ſelbſt neben der Stärke
Antheil an der Bildung der erſten Organe nimmt, ſie ver-
ſchwindet mit dem Zucker.
Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer ſind die Nahrungs-
ſtoffe der Pflanzen; Stärke, Zucker oder Gummi dienen, wenn
ſie begleitet ſind von einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz, dem Em-
bryo zur erſten Entfaltung ſeiner Ernährungsorgane.
Die Ernährung des Fötus, die Entwickelung des Eies ge-
ſchieht in anderer Weiſe, als die des Thieres, was ſeine Mut-
ter verlaſſen hat, der Abſchluß der Luft, der das Leben des
Fötus nicht gefährdet, würde den Tod des Thieres bewirken,
ſo iſt denn auch reines Waſſer für das Gedeihen der jungen
Pflanze zuträglicher, als wie ein an Kohlenſäure reiches; aber
nach einem Monat iſt das Verhältniß umgekehrt. (Sauſſure.)
Die Bildung des Zuckers in den Ahornarten geht nicht in
den Wurzeln, ſondern in dem Holzkörper vor ſich. Der Zu-
ckergehalt des Saftes nimmt zu, wenn er bis zu einer gewiſſen
Höhe in dem Stamme ſteigt, über dieſem Punkt hinaus bleibt
er unverändert.
Aehnlich wie in der keimenden Gerſte eine Materie gebil-
det wird, durch deren Berührung mit Amylon das letztere ſeine
Unauflöslichkeit verliert und in Zucker übergeht, ſo muß in den
Wurzeln des Ahorns mit dem Beginn einer neuen Vegetation
eine Subſtanz erzeugt werden, die im Waſſer gelöſ’t, in ihrem
Wege durch den Holzkörper die Verwandlung der dort abge-
lagerten Stärke, oder was es ſonſt noch ſein mag, in Zucker
bewirkt; es iſt ſicher, daß wenn ein Loch oberhalb der Wurzeln
[118]Die Cultur.
in den Stamm gebohrt, mit Zucker gefüllt und wieder ver-
ſchloſſen wird, daß derſelbe in dem aufſteigenden Safte ſich lö-
ſen wird; es iſt ferner möglich, daß dieſer Zucker auf eine
ähnliche Weiſe wie der im Stamm gebildete verwendet werden
wird, jedenfalls bleibt es gewiß, das Hinzuführen dieſes Zu-
ckers wird die Wirkung des Saftes auf das Amylon nicht hin-
dern, und da ein größeres Verhältniß davon vorhanden iſt,
als das Blatt oder die Knospe verzehrt, ſo wird er auf der
Oberfläche der Blätter oder durch die Rinde wieder abgeſchie-
den werden. Gewiſſe Krankheiten von Bäumen, der ſogenannte
Honigthau, rühren offenbar von einem Mißverhältniß in der
Menge der zugeführten ſtickſtofffreien und ſtickſtoffhaltigen Nah-
rungsſtoffe her.
In welcher Form man ſich, wie man ſieht, die Zuführung
von Stoffen auch denken mag, die durch die Pflanzen ſelbſt
erzeugt werden, ſo erſcheint ſie in keinem einzigen Fall geeig-
net, der Pflanze zu erſetzen, was ſie verloren hat, oder ihre
Maſſe zu vergrößern. Zucker, Gummi und Stärke, ſind kein
Nahrungsmittel für Pflanzen, und eben ſo wenig kann die
Humusſäure dafür angeſehen werden, die in ihrer Zuſammen-
ſetzung dieſen Stoffen am nächſten ſteht.
Bei der Betrachtung der einzelnen Organe einer Pflanze
finden wir jede Faſer, jedes Holztheilchen umgeben mit einem
Safte, welcher eine ſtickſtoffhaltige Materie enthält, die Stärke-
körnchen, der Zucker findet ſich in Zellen eingeſchloſſen, gebildet
von einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz, überall in allen Säften
in den Früchten und Blüthen finden wir eine ſtickſtofffreie Ma-
terie begleitet von einer ſtickſtoffhaltigen.
In den Blättern kann das Holz des Stammes als Holz nicht
gebildet werden, ſie müſſen die Fähigkeit haben, eine Materie zu
erzeugen, die geeignet iſt, in Holz überzugehen, und dieſe muß in
[119]Die Cultur.
gelöſ’tem Zuſtande ſtets begleitet ſein von einer ſtickſtoffhaltigen
Verbindung, es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß ſich Holz und
Pflanzenleim, Amylon und Zelle gleichzeitig und zwar neben-
einander bilden, und in dieſem Falle iſt ein beſtimmtes Ver-
hältniß von beiden eine Bedingung ihrer Entſtehung.
Alles übrige gleich geſetzt, wird hiernach nur eine dem
Stickſtoffgehalt entſprechende Quantität der von den Blättern
erzeugten Subſtanzen aſſimilirbar ſein; fehlt es an Stickſtoff,
ſo wird eine gewiſſe Menge ſtickſtofffreier Subſtanz in irgend
einer Form nicht verwendet und als Excremente der Blätter,
Zweige, Rinden und Wurzeln abgeſchieden werden.
Die Ausſchwitzungen geſunder kräftiger Pflanzen von Man-
nit, von Gummi und Zucker können keiner andern Urſache zu-
geſchrieben werden *).
Es tritt hier ein ähnlicher Fall ein, wie bei der Ver-
dauung im menſchlichen Organismus; wenn jedem Theil des
Körpers erſetzt werden ſoll, was er durch Reſpiration und Ex-
halationsproceſſe verliert, ſo muß den Organen der Ver-
dauung ein beſtimmtes Verhältniß von ſtickſtofffreien und ſtick-
ſtoffhaltigen Nahrungsmitteln dargeboten werden. Iſt die
Quantität der zugeführten ſtickſtofffreien Subſtanzen überwie-
gend, ſo werden ſie entweder zur Fettbildung verwendet oder
ſie gehen unverändert durch den Organismus hindurch. Man
beobachtet dies namentlich bei Menſchen, die ſich beinahe aus-
ſchließlich von Kartoffeln nähren; ihre Excremente enthalten
eine große Menge ganz unveränderter Stärkemehlkörnchen; bei
[120]Die Cultur.
einem gehörigen Verhältniß Kleber oder Fleiſch läßt ſich keine
Spur davon entdecken, ſie ſind in dieſem Falle aſſimilirbar ge-
worden. Kartoffeln, welche neben Heufütterung die Kräfte ei-
nes Pferdes kaum zu erhalten vermögen, geben neben Brod
und Hafer ein kräftiges und geſundes Futter.
Unter dieſem Geſichtspunkte wird es einleuchtend, wie ſehr
ſich die in einer Pflanze erzeugten Produkte je nach dem Ver-
hältniß der zugeführten Nahrungsſtoffe ändern können. Ein
Ueberfluß von Kohlenſtoff, in der Form von Kohlenſäure durch
die Wurzeln zugeführt, wird bei Mangel an Stickſtoff weder in
Kleber noch in Eiweis, noch in Holz, noch in ſonſt irgend einen
Beſtandtheil eines Organs übergehen; er wird als Zucker, Amy-
lon, Oel, Wachs, Harz, Mannit, Gummi in der Form alſo
eines Excrements abgeſchieden werden, oder mehr oder weniger
weite Zellen und Gefäße füllen.
Bei einem Ueberſchuß ſtickſtoffhaltiger Nahrung wird ſich
der Kleber, der Gehalt von vegetabiliſchem Eiweis und Pflan-
zenleim vermehren, es werden Ammoniakſalze in den Säften
bleiben, wenn, wie beim Anbau der Runkelrüben, ein ſehr
ſtickſtoffreicher Dünger dem Boden gegeben, oder die Funktionen
der Blätter unterdrückt wird, indem man die Pflanze ihrer
Blätter beraubt.
Wir wiſſen in der That, daß die Ananas im wilden Zu-
ſtande kaum genießbar iſt, daß ſie bei reichlichem thieriſchen
Dünger eine Maſſe von Blättern treibt, ohne daß die Frucht
deshalb an Zucker zunimmt; daß der Stärkegehalt der Kar-
toffeln in einem humusreichen Boden wächſt, daß bei kräftigem
animaliſchen Dünger die Anzahl der Zellen zunimmt, während
ſich der Amylongehalt vermindert; in dem erſteren Falle be-
ſitzen ſie eine mehlige, in dem andern eine ſeifige Beſchaffen-
heit. Die Runkelrüben auf magern Sandboden gezogen, ent-
[121]Die Cultur.
halten ein Maximum von Zucker und kein Ammoniakſalz, und
in gedüngtem Lande verliert die Teltower Rube ihre meh-
lige Beſchaffenheit, denn in dieſem vereinigen ſich alle Bedin-
gungen für Zellenbildung.
Eine abnorme Production von gewiſſen Beſtandtheilen der
Pflanzen ſetzt in den Blättern eine Kraft und Fähigkeit der
Aſſimilation voraus, die wir mit einer gewöhnlichen, ſelbſt der
mächtigſten chemiſchen Action nicht vergleichen können. Man
kann ſich in der That keine geringe Vorſtellung davon machen,
denn ſie übertrifft an Stärke die mächtigſte galvaniſche Batte-
rie, mit der wir nicht im Stande ſind, den Sauerſtoff aus der
Kohlenſäure auszuſcheiden. Die Verwandtſchaft des Chlors
zum Waſſerſtoff, ſeine Fähigkeit, das Waſſer im Sonnenlichte
zu zerlegen und Sauerſtoff daraus zu entwickeln, iſt für nichts
zu achten, gegen die Kraft und Energie, mit welcher ein von
der Pflanze getrenntes Blatt das aufgeſaugte kohlenſaure Gas
zu zerlegen vermag.
Die gewöhnliche Meinung, daß nur das direct einfallende
Sonnenlicht, die Zerlegung der Kohlenſäure in den Blättern
der Pflanzen zu bewirken vermöge, daß das reflectirte oder
Tageslicht dieſe Fähigkeit nicht beſitzt, iſt ein ſehr verbreiteter
Irrthum, denn in einer Menge Pflanzen erzeugen ſich abſolut
die nemlichen Beſtandtheile, gleichgültig ob ſie vom Sonnen-
lichte getroffen werden, oder ob ſie im Schatten wachſen, ſie
bedürfen des Lichtes und zwar des Sonnenlichtes, aber es iſt
für ihre Funktionen durchaus gleichgültig, ob ſie die Strahlen
der Sonne direct erhalten oder nicht. Ihre Funktionen gehen
nur mit weit größerer Energie und Schnelligkeit im Sonnen-
lichte als wie im Tageslichte oder im Schatten vor ſich; es
kann keine andere Verſchiedenheit hier gedacht werden, als wie
bei ähnlichen Wirkungen, welche das Licht auf chemiſche Ver-
[122]Die Cultur.
bindungen zeigt, und dieſe Verſchiedenheit wird bemerkbar durch
einen höhern oder geringern Grad der Beſchleunigung der
Action.
Chlor und Waſſerſtoff vereinigen ſich beide zu Salzſäure,
im gewöhnlichen Tageslichte geht die Verbindung in einigen
Stunden, im Sonnenlichte augenblicklich mit einer gewaltſamen
Exploſion vor ſich, in völliger Dunkelheit beobachtet man nicht
die geringſte Veränderung.
Das Oel des ölbildenden Gaſes liefert mit Chlor in Berüh-
rung im Sonnenlichte augenblicklich Chlorkohlenſtoff, in gewöhn-
lichem Tageslichte kann der letztere ebenfalls mit derſelben Leich-
tigkeit erhalten werden, es gehört dazu nur eine längere Zeit.
Während man bei dieſem Verſuche, wenn er im Sonnenlichte
angeſtellt wird, nur zwei Produkte bemerkt (Salzſäure und Chlor-
kohlenſtoff), beobachtet man bei der Einwirkung im Tageslichte
eine Reihe von Zwiſchenſtufen, von Verbindungen nemlich, de-
ren Chlorgehalt beſtändig zunimmt, bis zuletzt das ganze Oel
in zwei Produkte übergeht, die mit denen im Sonnenlichte
erhaltenen abſolut identiſch ſind. Im dunkeln beobachtet man
auch hier nicht die geringſte Zerſetzung. Salpeterſäure zerlegt
ſich im gewöhnlichen Tageslichte in Sauerſtoffgas und ſal-
petrige Säure, Chlorſilber ſchwärzt ſich im Tageslichte ſo gut
wie im Sonnenlichte, kurz alle Actionen ganz ähnlicher Art
nehmen im Tageslichte dieſelbe Form an wie im Sonnenlichte,
nur in der Zeit, in der es geſchieht, bemerkt man einen Un-
terſchied. Bei den Pflanzen kann es nicht anders ſein, die
Art ihrer Ernährung iſt bei allen dieſelbe, und ihre Beſtand-
theile beweiſen es, daß die Nahrungsſtoffe abſolut dieſelbe Ver-
änderung erlitten haben.
Was wir alſo an Kohlenſäure einer Pflanze auch zuführen
mögen, wenn ihre Quantität nicht mehr beträgt, als was von
[123]Die Cultur.
den Blättern zerſetzbar iſt, ſo wird ſie eine Metamorphoſe er-
leiden. Wir wiſſen, daß ein Uebermaß an Kohlenſäure die Pflanze
tödtet, wir wiſſen aber auch, daß der Stickſtoff bis zu einem ge-
wiſſen Grade unweſentlich für die Zerſetzung der Kohlenſäure iſt.
Alle bis jetzt angeſtellten Verſuche beweiſen, daß friſche
Blätter, von der Pflanze getrennt, in einem Waſſer, welches
Kohlenſäure enthält, Sauerſtoffgas im Sonnenlichte entwickeln,
während die Kohlenſäure verſchwindet.
In dieſen Verſuchen iſt alſo mit der Kohlenſäure kein Stick-
ſtoff gleichzeitig zugeführt worden, und man kann hieraus keinen
andern Schluß ziehen als den, daß zur Zerſetzung der Kohlen-
ſäure, alſo zur Ausübung von einer ihrer Funktionen, kein
Stickſtoff erforderlich iſt, wenn auch für die Aſſimilation der
durch die Zerſetzung der Kohlenſäure neugebildeten Produkte,
um Beſtandtheile gewiſſer Organe der Pflanzen zu werden,
die Gegenwart einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz unentbehrlich zu
ſein ſcheint.
Der aus der Kohenſäure aufgenommene Kohlenſtoff hat
in den Blättern eine neue Form angenommen, in der er lös-
lich und überführbar in alle Theile der Pflanze iſt. Wir be-
zeichnen dieſe Form mit Zucker, wenn die Produkte ſüß ſchme-
cken, und mit Gummi oder Schleim, wenn ſie geſchmacklos
ſind, ſie heißen Excremente, wenn ſie durch die Wurzeln (Haare
und Drüſen der Blätter ꝛc.) abgeführt werden.
Es iſt hieraus klar, daß je nach den Verhältniſſen der
gleichzeitig zugeführten Nahrungsſtoffe die Menge und Quali-
täten der durch den Lebensproceß der Pflanzen erzeugten Stoffe
wechſeln werden.
Im freien wilden Zuſtande entwickeln ſich alle Theile einer
Pflanze je nach dem Verhältniſſe der Nahrungsſtoffe, die ihr
vom Standorte dargeboten werden, ſie bildet ſich auf dem ma-
[124]Die Cultur.
gerſten unfruchtbarſten Boden eben ſo gut aus, wie auf dem
fetteſten und fruchtbarſten, nur in ihrer Größe und Maſſe, in
der Anzahl der Halme, Zweige, Blätter, Blüthen oder Früchte
beobachtet man einen Unterſchied.
Während auf einen fruchtbaren Boden alle ihre einzelnen
Organe ſich vergrößern, vermindern ſie ſich auf einem andern,
wo ihr die Materien minder reichlich zufließen, die ſie zu ihrer
Bildung bedarf, ihr Gehalt an ſtickſtoffhaltigen oder ſtickſtoff-
freien Beſtandtheilen ändert ſich mit der überwiegenden Menge
ſtickſtoffhaltiger oder ſtickſtofffreier Nahrungsmittel.
Die Entwickelung der Halme und Blätter, der Blüthen
und Früchte iſt an beſtimmte Bedingungen geknüpft, deren Kennt-
niß uns geſtattet, einen gewiſſen Einfluß auf ihren Gehalt in
ihren Beſtandtheilen auf die Hervorbringung eines Maximums
in Maſſe auszuüben.
Die Ausmittelung dieſer Bedingungen iſt die Aufgabe des
Naturforſchers; aus ihrer Kenntniß müſſen die Grundſätze der
Land- und Feldwirthſchaft entſpringen.
Es giebt kein Gewerbe, was ſich an Wichtigkeit dem Acker-
bau, der Hervorbringung von Nahrungsmitteln für Menſchen
und Thiere vergleichen läßt, in ihm liegt die Grundlage des
Wohlſeins, der Entwickelung des Menſchengeſchlechtes, die
Grundlage des Reichthums der Staaten, er iſt die Grundlage
aller Induſtrie.
In keinem andern Gewerbe iſt die Anwendung richtiger
Principien von wohlthätigeren Folgen, von größerem und be-
merkbarerem Einfluß, und es muß um ſo räthſelhafter und
unbegreiflicher erſcheinen, wenn man in den Schriften der
Agronomen und Phyſiologen vergebens nach einem leitenden
Grundſatz ſich umſieht.
An allen Orten, in allen Gegenden wechſeln die Methoden
[125]Die Cultur.
des Feldbaues, und wenn man nach den Urſachen dieſer Ab-
weichung frägt, ſo erhält man die Antwort, ſie hängen von
Umſtänden ab (Les circonstances font les assolemens), es
giebt keine Antwort, in der ſich die Unwiſſenheit offenbarer aus-
ſpricht, denn Niemand hat ſich bis jetzt damit abgegeben, dieſe
Umſtände zu erforſchen.
Fragt man nach der Wirkungsweiſe des Düngers, ſo er-
hält man von den geiſtreichſten Männern die Antwort, ſie ſei
durch den Schleier der Iſis verhüllt *). Man erwäge nur,
was dieß eigentlich heißt; es will nichts anders ſagen, als
daß die Excremente von Thieren und Menſchen ein unbegreif-
liches Etwas enthalten, was den Pflanzen zur Nahrung, zur
Vermehrung ihrer Maſſe dient, und dieſe Meinung wird ge-
faßt, ohne daß man je verſucht hat, die erforſchbaren Beſtand-
theile des Düngers aufzuſuchen, oder ſich überhaupt damit be-
kannt zu machen.
Neben gleichen allgemeinen Bedingungen des Wachsthums
aller Vegetabilien, der Feuchtigkeit, des Lichtes, der Wärme
und der Beſtandtheile der Atmoſphäre, giebt es beſondere,
welche auf die Entwickelung einzelner Familien einen ausge-
zeichneten Einfluß ausüben. Dieſe beſonderen Bedingungen lie-
gen im Boden, oder ſie werden ihnen gegeben in der Form von
Stoffen, die man mit dem allgemeinen Namen Dünger bezeichnet.
[126]Die Cultur.
Was enthält aber der Boden, was enthalten die Stoffe,
die man Dünger nennt? Vor der Ausmittelung dieſer Fra-
gen kann an eine rationelle Land- und Feldwirthſchaft nicht
gedacht werden.
Zur vollſtändigen Löſung dieſer Fragen werden die Kräfte
und Kenntniſſe des Pflanzenphyſiologen, des Agronomen und
Chemikers in Anſpruch genommen, es muß dazu ein Anfang
gemacht werden.
Die Aufgabe der Cultur iſt im Allgemeinen die vortheil-
hafteſte Hervorbringung gewiſſer Quantitäten, oder eines Ma-
ximums an Maſſe von gewiſſen Theilen, oder Organen verſchie-
denartiger Pflanzen, ſie wird gelöſ’t durch die Anwendung der
Kenntniß derjenigen Stoffe, die zur Ausbildung dieſer Theile
oder Organe unentbehrlich ſind, oder der zur Hervorbringung
dieſer [Qualitäten] erforderlichen Bedingungen.
Die Geſetze einer rationellen Cultur müſſen uns in den
Stand ſetzen, einer jeden Pflanze dasjenige zu geben, was ſie
zur Erreichung ihrer Zwecke vorzugsweiſe bedarf.
Die Cultur beaſichtigt im Beſonderen eine abnorme Ent-
wickelung und Erzeugung von gewiſſen Pflanzentheilen oder
Pflanzenſtoffen, die zur Ernährung der Thiere und Menſchen,
oder für die Zwecke der Induſtrie verwendet werden.
Je nach dieſen Zwecken ändern ſich die Mittel, welche zu
ihrer Ernährung dienen.
Die Mittel, welche die Cultur anwendet, um feines weiches
biegſames Stroh für Florentiner Hüte zu erzeugen, ſind denen
völlig entgegengeſetzt, die man wählen muß, um ein Maximum
von Saamen durch die nemliche Pflanze hervorzubringen. Ein
Maximum von Stickſtoff in dieſen Saamen bedarf wieder der
Erfüllung anderer Bedingungen, man hat wieder andere zu
berückſichtigen, wenn man dem Halme die Stärke und Feſtig-
[127]Die Cultur.
keit geben will, die er bedarf, um das Gewicht der Aehre zu
tragen.
Man verfährt in der Cultur der Gewächſe auf eine ganz
ähnliche Weiſe wie bei den Thieren, die man mäſten will,
das Fleiſch der Hirſche, Rehe, überhaupt der wilden Thiere, iſt
gewöhnlich wie das Muskelfleich der Araber vollkommen fettlos,
ſie enthalten nur geringe Mengen davon. Die Production
von Fett und Fleiſch kann geſteigert werden, alle Hausthiere
ſind reich an Fett. Wir geben den Thieren Nahrungsmittel,
welche die Thätigkeit gewiſſer Organe erhöhen, welche einer
Metamorphoſe in Fett fähig ſind. Wir ſteigern die Quanti-
tät der Nahrungsſtoffe, oder wir vermindern durch Mangel an
Bewegung, den Reſpirationsproceß und die Exhalationsproceſſe.
Das Geflügel bedarf hierzu anderer Bedingungen als die vier-
füßigen Thiere, und von den Gänſen weiß man ganz beſtimmt,
daß Kohlenpulver eine abnorme Wucherung der Leber bewirkt,
die zuletzt den Tod des Thieres herbeiführt.
Eine Erhöhung oder Verminderung der Lebensthätigkeit iſt bei
den Vegetabilien allein abhängig von Wärme und Sonnenlicht,
über die wir nicht willkührlich verfügen können; es bleibt uns
nur die Zuführung von Stoffen geſtattet, welche geeignet ſind,
durch die vorhandene Thätigkeit von den Organen der Pflan-
zen aſſimilirt zu werden.
Welche ſind nun zuletzt dieſe Stoffe?
Sie ſind leicht durch eine Unterſuchung eines Bodens zu
ermitteln, welcher unter den gegebenen cosmiſchen und atmo-
ſphäriſchen Bedingungen unter allen Umſtänden fruchtbar iſt;
es iſt klar, daß die Kenntniß ſeiner Beſchaffenheit und Zuſam-
menſetzung uns in den Stand ſetzen muß, die Bedingungen zu
ermitteln, unter welchen ein ſtarker Boden fruchtbar wird.
Die Ausmittlung der Bedingungen, die in ſeiner Beſchaf-
[128]Die Cultur.
fenheit liegen, gehört dem Agronomen an, die ſeiner Zuſam-
menſetzung hat der Chemiker zu löſen. Von der letzteren kann
allein nur die Rede ſein.
Die Ackererde iſt durch die Verwitterung von Felsarten
entſtanden, von den vorwaltenden Beſtandtheilen dieſer Felsart
ſind ihre Eigenſchaften abhängig. Mit Sand, Kalk und Thon
bezeichnen wir dieſe vorwaltenden Beſtandtheile der Bodenarten.
Reiner Sand, reiner Kalkſtein, in denen außer Kieſelſäure
oder kohlenſauren oder kieſelſauren Kalk andere anorganiſchen
Beſtandtheile fehlen, ſind abſolut unfruchtbar.
Von fruchtbarem Boden macht aber unter allen Umſtänden
der Thon einen nie fehlenden Beſtandtheil aus.
Wo ſtammt nun der Thon der Ackererde her? welches ſind
die Beſtandtheile deſſelben, welche Antheil an der Vegetation
nehmen?
Der Thon ſtammt von der Verwitterung Thonerde haltiger
Mineralien, unter denen die verſchiedenen Feldſpathe (der ge-
wöhnliche) Kalifeldſpath, der Natronfeldſpath (Albit), der Kalk-
feldſpath (Labrador), Glimmer und Zeolithe die verbreitetſten
unter denen ſind, welche verwittern.
Dieſe Mineralien ſind Gemengtheile des Granits, Gneuß,
Glimmerſchiefers, Porphyrs, des Thonſchiefers, der Grauwacke,
der vulkaniſchen Gebirgsarten, des Baſalts, Klingſteins, der Lava.
Als die äußerſten Glieder der Grauwacke haben wir rei-
nen Quarz, Thonſchiefer und Kalk, bei den Sandſteinen Quarz
und Letten. In dem Uebergangskalk, in den Dolomiten ha-
ben wir Einmengungen von Thon, von Feldſpath, Feldſtein-
porphir, Thonſchiefer; der Zechſtein iſt ausgezeichnet durch ſei-
nen Thongehalt. Der Jurakalk enthält 3—20, in der wür-
tembergiſchen Alp 45—50 p. c. Thon. Der Muſchel- und
Grobkalk iſt mehr oder weniger reich an Thon.
[129]Die Cultur.
Man beobachtet leicht, daß die thonerdehaltigen Foſſilien
die verbreitetſten an der Erdoberfläche ſind, wie ſchon erwähnt,
fehlt der Thon niemals im fruchtbaren, und nur dann im cul-
turfähigen Lande, wenn ein Beſtandtheil deſſelben durch andere
Quellen erſetzt wird. In dem Thon muß an und für ſich
eine Urſache vorhanden ſein, welche Einfluß auf das Leben
der Pflanzen ausübt, welche directen Antheil an ihrer Entwicke-
lung nimmt.
Dieſe Urſache iſt ſein nie fehlender Kali- und Natron-
gehalt.
Die Thonerde nimmt an der Vegetation nur indirect, durch
ihre Fähigkeit, Waſſer und Ammoniak anzuziehen und zurück-
zuhalten, Antheil, nur in höchſt ſeltenen Fällen findet ſich
Thonerde in den Pflanzenaſchen, in allen findet ſich aber
Kieſelerde, welche in den meiſten Fällen nur durch Vermitt-
lung von Alkalien in die Pflanze gelangt.
Um ſich einen beſtimmten Begriff von dem Gehalt des
Thons an Alkalien zu machen, muß man ſich erinnern, daß
der Feldſpath 17¾ p. c. Kali, der Albit 11,43 Natron, der
Glimmer 3—5 p. c., die Zeolithe zuſammen 13—16 p. c.
an Alkalien enthalten.
Aus den zuverläſſigen Analyſen von Ch. Gmelin, Löwe,
Fricke, Meyer, Redtenbacher weiß man, daß die Kling-
ſteine, Baſalte zwiſchen ¾ bis 3 p. c. Kali und 5—7 p. c.
Natron, der Thonſchiefer 2,75 — 3,31 Kali, daß der Letten
1½—4 p. c. Kali enthält.
Berechnet man bei Zugrundelegung des ſpecifiſchen Gewich-
tes, wie viel Kali eine Bodenſchicht enthält, welche aus der
Verwitterung eines Morgens (2500 □ Meter) einer 20 Zoll
dicken Lage einer dieſer Felsarten entſtanden iſt, ſo ergiebt
ſich, daß dieſe Bodenſchicht an Kali enthält:
9
[130]Die Cultur.
- aus Feldſpath entſtanden .......... 1,152000 ℔
- aus Klingſtein ................ 200000—400000 »
- aus Baſalt ................. 47500— 75000 »
- aus Thonſchiefer .............. 100000—200000 »
- aus Letten ................. 87000—300000 »
Das Kali fehlt in keinem Thon, es iſt ſelbſt im Mergel
(Fuchs) enthalten; in allen Thonarten, die man auf Kali un-
terſucht hat, iſt dieſer Beſtandtheil gefunden worden, in dem
Thon der Uebergangsgebirge des Flotzgebirges, ſo wie in den
jüngſten Bildungen der Umgebungen von Berlin kann man
durch bloßes Eintrocknen mit Schwefelſäure, durch die Bil-
dung von Alaun (nach Mitſcherlich) den Kaligehalt nach-
weiſen, und allen Alaun-Fabrikanten iſt es wohl bekannt, daß
alle ihre Laugen eine gewiſſe Quantität Alaun fertig gebildet
enthalten, deſſen Kali aus der thonreichen Aſche der Braun-
und Steinkohlen herrührt.
Iſt nach dieſer außerordentlichen Verbreitung des Kali’s
ſein Vorkommen in den Gewächſen nicht vollkommen begreif-
lich, iſt es zu rechtfertigen, daß man, um ſein Vorhandenſein
in den Pflanzen zu erklären, zu einer Erzeugung von einem
Metalloxid durch den organiſchen Proceß, aus den Beſtandthei-
len der Atmoſphäre alſo, ſeine Zuflucht nahm? Dieſe Mei-
nung fand zu einer Zeit noch Anhänger, wo die Methoden,
das Kali in dem Boden nachzuweiſen, längſt bekannt waren.
Noch heutigen Tages ſind Vorausſetzungen dieſer Art in den
Schriften vieler Phyſiologen zu finden; man ſieht ſich in die
Zeit zurückverſetzt, wo man den Feuerſtein aus Kreide entſte-
hen ließ, wo man ſich vollkommen beruhigte, Alles, was aus
Mangel an Unterſuchungen unbegreiflich erſchien, mit einer
noch bei weitem unbegreiflichern Erſcheinung zu erklären.
Ein Tauſendtheil Letten, dem Quarz in buntem Sand-
[131]Die Cultur.
ſtein oder dem Kalk in den verſchiedenen Kalkformationen bei-
gemengt, giebt einem Boden von nur 20 Zoll Tiefe ſo viel
Kali, daß ein Fichtenwald auf dieſem Boden ein ganzes Jahr-
hundert lang damit verſehen werden kann.
Ein einziger Cubicfuß Feldſpath kann eine Waldfläche mit
Laubholz von 2500 □ Meter Fläche 5 Jahre lang mit Kali
verſehen.
Ein Boden, welcher ein Maximum von Fruchtbarkeit be-
ſitzt, enthält den Thon gemengt mit anderen verwitterten Ge-
ſteinen, mit Kalk und Sand in einem ſolchen Verhältniß, daß
er der Luft und Feuchtigkeit bis zu einem gewiſſen Grade leich-
ten Eingang verſtattet.
Der Boden in der Nähe und Umgebung des Veſuvs läßt
ſich als der Typus der fruchtbarſten Bodenarten betrachten; je
nach dem Verhältniß, als der Thon oder Sand darinn zu-
oder abnimmt, verringert ſich der Grad ſeiner Fruchtbarkeit.
Dieſer aus verwitterter Lava entſtandene Boden kann ſei-
nem Urſprung nach nicht die kleinſte Spur einer vegetabiliſchen
Materie enthalten; Jedermann weiß, daß wenn die vulkaniſche
Aſche eine Zeitlang der Luft und dem Einfluß der Feuchtigkeit
ausgeſetzt geweſen iſt, daß alle Vegetabilien darinn in der größ-
ten Ueppigkeit und Fülle gedeihen.
Die Bedingung dieſer Fruchtbarkeit ſind nun die darinn
enthaltenen Alkalien, welche nach und nach durch die Verwit-
terung die Fähigkeit erlangen, von der Pflanze aufgenommen
zu werden. Bei allen Geſteinen und Gebirgsarten ſind Jahr-
tauſende erforderlich geweſen, um ſie in den Zuſtand der Acker-
erde überzuführen, die Grenze der Verwitterung des Thons,
d. h. die völlige Entziehung alles Alkalis, wird noch eben ſo
viele Jahrtauſende erfordern.
Wie wenig das Regenwetter aus dem Boden in Jahres-
9*
[132]Die Cultur.
friſt aufzulöſen vermag, ſehen wir an der Zuſammenſetzung
des Flußwaſſers, des Waſſers der Bäche und Quellen; es ſind
dieß gewöhnlich weiche Waſſer, und der nie fehlende Kochſalz-
gehalt auch der weichſten Waſſer beweiſ’t, daß dasjenige an
alkaliſchen Salzen, was durch Flüſſe und Ströme dem Meere
zufließt, durch Seewinde und Regen dem Lande wieder zurück-
gebracht wird.
Die Natur ſelbſt zeigt uns, was die Pflanze, ihr Keim,
die erſte Wurzelfaſer, im Anfang ihrer Entwickelung bedarf.
Bequerel hat nachgewieſen, daß die Saamen der Gra-
mineen, Leguminoſen, Cruciferen, Chicoraceen,
Umbelliferen, Corniferen, Cucurbitaceen, beim Kei-
men, Eſſigſäure ausſcheiden. Eine Pflanze, welche aus der Erde,
ein Blatt, was aus der Knospe hervorbricht, enthält zu dieſer
Zeit eine Aſche, welche eben ſo ſtark und gewöhnlich mehr mit
alkaliſchen Salzen beladen iſt, als in einer andern Periode
der Vegetation. (Sauſſure.) Wir wiſſen nun aus Beque-
rels Verſuchen, wie und auf welche Weiſe dieſe alkaliſchen
Salze in die junge Pflanze gelangen, die gebildete Eſſigſäure
verbreitet ſich in dem naſſen und feuchten Boden, ſie ſättigt
ſich mit Alkalien, Kalk, Bittererde, und wird von den Wurzel-
faſern in der Form von neutralen Salzen wieder aufge-
nommen.
Nach dem Aufhören des Lebens, wo die Beſtandtheile
der Pflanze den Zerſtörungsproceſſen der Fäulniß und Ver-
weſung unterliegen, erhält der Boden wieder, was ihm ent-
zogen wurde.
Denken wir uns einen Boden, der aus den Beſtandtheilen
des Granits, der Grauwacke, des Zechſteins, Porphyrs ꝛc.
durch Verwitterung entſtanden iſt und auf dem ſeit Jahrtau-
ſenden die Vegetation nicht gewechſelt hat, er wird ein Maga-
[133]Die Cultur.
zin von Alkalien in einem von den Wurzeln der Pflanzen aſ-
ſimilirbaren Zuſtande enthalten.
Die ſchönen Verſuche von Struve haben dargethan, daß
ein kohlenſäurehaltiges Waſſer, die Gebirgsarten, welche Alka-
lien enthalten, zerlegt, daß es einen Gehalt von kohlenſaurem
Alkali empfängt. Es iſt klar, daß die Pflanzen ſelbſt, inſofern
ihre Ueberreſte durch Verweſung Kohlenſäure erzeugen, inſofern
ihre Wurzeln im lebenden Zuſtande Säuren ausſchwitzen, nicht
minder kräftig dem Zuſammenhang der Gebirgsarten entgegen-
wirken.
Neben der Einwirkung der Luft, des Waſſers und Tempe-
raturwechſels, ſind die Pflanzen ſelbſt, die mächtigſten Urſachen
der Verwitterung.
Luft, Waſſer, Temperaturwechſel bewirken die Vorbereitung
der Felsarten zu ihrer Aufſchließung, d. h. zur Auflöſung der
darinn enthaltenen Alkalien durch die Pflanzen.
Auf einem Boden, welcher Jahrhunderte lang allen Urſa-
chen der Verwitterung ausgeſetzt geweſen iſt, von dem aber die
aufgeſchloſſenen Alkalien nicht fortgeführt wurden, werden alle
Vegetabilien, die zu ihrer Entwickelung beträchtliche Mengen
Alkalien bedürfen, eine lange Reihe von Jahren hindurch hin-
reichende Nahrung finden, allein nach und nach muß er er-
ſchöpft werden, wenn das Alkali, was ihm entzogen wurde,
nicht wieder erſetzt wird; es muß ein Punkt eintreten, wo er
von Zeit zu Zeit der Verwitterung wieder ausgeſetzt werden
muß, um einer neuen Ernte Vorrath von auflösbaren Alkalien
zu geben.
So wenig Alkali es auch im Ganzen betragen mag, was
die Pflanzen bedürfen, ſie kommen ohne dieſes Alkali nicht zur
Entwickelung; ſie können es nicht entbehren.
Nach einem Zeitraume von einem oder mehreren Jahren,
[134]Die Cultur.
während welcher Zeit das Alkali dem Boden nicht entzogen
wird, kann man wieder auf eine neue Ernte rechnen.
Die erſten Coloniſten fanden in Virginien einen Boden
von der obenerwähnten Beſchaffenheit vor; ohne Dünger ern-
tete man auf einem und demſelben Felde, ein ganzes Jahrhun-
dert lang, Weizen oder Taback, und jetzt ſieht man ganze Ge-
genden verlaſſen und in unfruchtbares Weideland verwandelt,
was kein Getreide, keinen Taback mehr, ohne Dünger, hervor-
bringt. Einem Morgen von dieſem Lande wurden aber in
100 Jahren in den Blättern, dem Korn und Stroh über
1200 ℔ Alkali entzogen; er wurde unfruchtbar, weil der auf-
geſchloſſene Boden gänzlich ſeines Alkali’s beraubt war und
weil dasjenige, was im Zeitraum von einem Jahre durch den
Einfluß der Witterung zur Aufſchließung gelangte, nicht hin-
reichte, um die Bedürfniſſe der Pflanze zu befriedigen.
In dieſem Zuſtande befindet ſich im Allgemeinen alles Cul-
turland in Europa. Die Brache iſt die Zeit der Verwit-
terung.
Man giebt ſich einer unbegreiflichen Täuſchung hin, indem
man dem Verſchwinden des Humusgehaltes in dieſem Boden
zuſchreibt, was eine bloße Folge der Entziehung von Alka-
lien iſt.
Man verſetze ſich in die Umgebungen Neapels, welche be-
kannt ſind als fruchtbares Getreideland; die Ortſchaften und
Dörfer liegen 6—8 Stunden entfernt von einander, von We-
gen iſt in dieſen Gegenden keine Rede, noch viel weniger von
Dünger; ſeit Jahrtauſenden wird auf dieſen Feldern Getreide
gezogen, ohne daß dem Boden wiedergegeben wird, was man
ihm jährlich nimmt. Wie kann man unter ſolchen Verhält-
niſſen dem Humus eine Wirkung zuſchreiben, die nach tauſend
Jahren noch bemerkbar iſt, dem Humus, von dem man nicht
[135]Die Cultur.
einmal weiß, ob er je ein Beſtandtheil dieſes Bodens
war.
Die Methode der Cultur, die man in dieſen Gegenden an-
wendet, erklärt dieſe Verhältniſſe vollkommen; es iſt in den
Augen unſerer Landwirthe die ſchlechteſte von allen, für dieſe
Gegenden hingegen die vortheilhafteſte, die man wählen kann.
Man bebaut nemlich das Feld nur von drei zu drei Jahren,
und läßt es in der Zwiſchenzeit Viehheerden zu einer ſpärli-
chen Weide dienen. Während der zweijährigen Brache hat
das Feld keine andere Aenderung erlitten, als daß der Boden
den Einflüſſen der Witterung ausgeſetzt geweſen iſt, eine ge-
wiſſe Menge der darinn enthaltenen Alkalien iſt wieder in den
Zuſtand der Aufſchließbarkeit übergegangen.
Man muß erwägen, daß die Thiere, welche auf dieſen
Feldern ſich ernährt haben, dem Boden nichts gaben, was er
nicht vorher beſaß. Die Unkrautpflanzen, von denen ſie lebten,
ſtammten von dieſem Boden, was ſie ihm in den Excrementen
zurückgaben, mußte jedenfalls weniger betragen, als was ſie
von ihm empfingen. Durch das Beweiden hat das Feld nichts
gewonnen, es hat im Gegentheil von ſeinen Beſtandtheilen
verloren.
Als Princip des Feldbaues betrachtet man die Erfahrung,
daß ſich Weizen nicht mit Weizen verträgt; der Weizen gehört
wie der Taback zu den Pflanzen, welche den Boden erſchöpfen.
Wenn aber der Humus dem Boden die Fähigkeit geben
kann, Getreide zu erzeugen, woher kommt es denn, daß der
humusreiche Boden in vielen Gegenden Braſiliens, daß auch
in unſerm Klima der Weizen in reiner Holzerde nicht gedeiht,
daß der Halm keine Stärke erhält und ſich frühzeitig umlegt?
Es kommt daher, weil die Feſtigkeit des Halmes von kieſel-
ſaurem Kali herrührt, weil das Korn phosphorſaure Bittererde
[136]Die Cultur.
bedarf, die ihm der Humusboden nicht liefern kann, indem er
keins von beiden enthält, man erhält Kraut aber keine Frucht
Woher kommt es denn, daß Weizen nicht auf Sandboden
gedeiht, daß der Kalkboden, wenn er nicht eine beträchtliche
Menge Thon beigemiſcht enthält, unfruchtbar für dieſe Pflanze
iſt? Es kommt daher, weil dieſe Bodenarten für dieſes Ge-
wächs nicht hinreichend Alkali enthalten, es bleibt ſelbſt davon
in ſeiner Entwickelung zurück, wenn ihm alles andere im Ueber-
fluß dargeboten wird.
Iſt es denn nur Zufall, daß in den Karpathen, im Jura
auf Sandſtein und Kalk nur Nadelholz gedeiht, daß wir auf
Gneuß, Glimmerſchiefer, auf Granitboden in Baiern, daß wir
auf Klingſtein in der Rhön, auf Baſalt im Vogelsberge, auf
Thonſchiefer am Rhein und in der Eifel, die ſchönſten Laub-
holzwaldungen finden, die auf Sandſtein und Kalk, worauf
Fichten noch gedeihen, nicht mehr fortkommen. Es kommt
daher, weil die Blätter des Laubholzes, welche jährlich ſich
erneuern, zu ihrer Entwickelung die 6 bis 10fache Menge Al-
kali erfordern. Sie finden auf kaliarmem Boden das Alkali
nicht vor, ohne welches ſie nicht zur Ausbildung gelangen *).
Wenn auf Sandſtein und Kalkboden Laubholz vorkommt,
wenn wir die Rothbuche, den Vogelbeerbaum, die wilde Süß-
kirſche, auf Kalk üppig gedeihen ſehen, ſo kann man mit Ge-
wißheit darauf rechnen, daß in dem Boden eine Bedingung
ihres Lebens, nemlich die Alkalien, nicht fehlen.
Kann es auffallend ſein, daß nach dem Abbrennen von Na-
delholzwaldungen in Amerika, durch welche der Boden das in
[137]Die Cultur.
Jahrhunderten geſammelte Alkali empfängt, Laubholz gedeiht,
daß Spartium scoparium, Erysimum latifolium, Blitum
capitatum, Senecio viscosus, lauter Pflanzen, welche eine an
Alkali höchſt reiche Aſche geben, auf Brandſtätten in üppiger
Fülle emporſproſſen.
Nach Wermuth gedeiht kein Weizen, und umgekehrt auf
Weizen kein Wermuth, ſie ſchaden ſich gegenſeitig, inſofern ſie
ſich des Alkalis im Boden bemächtigen.
Hundert Theile Weizenſtengel geben 15,5 Aſche (H. Davy),
100 Theile trockner Gerſtenſtengel 8,54 Theile Aſche (Schra-
der), 100 Theile Haferſtengel nur 4,42 Aſche; dieſe Aſche
iſt bei allen dieſen Pflanzen von einerlei Zuſammenſetzung.
Sieht man hier nicht genau, was die Pflanze bedarf?
Auf einem und demſelben Felde, das nur eine Ernte Weizen
liefert, läßt ſich zweimal Gerſte und dreimal Hafer bauen.
Alle Grasarten bedürfen des kieſelſauren Kalis; es iſt kie-
ſelſaures Kali, was beim Wäſſern der Wieſen dem Boden zu-
geführt, was in dem Boden aufgeſchloſſen wird; in Gräben
und in kleinen Bächen, an Stellen, wo durch den Wechſel des
Waſſers die aufgelöſ’te Kieſelerde ſich unaufhörlich erneuert,
auf kalireichem Letten- und Thonboden, in Sümpfen gedeihen
die Equiſetaceen, die Schilf- und Rohrarten, welche ſo große
Mengen Kieſelerde oder kieſelſaures Kali enthalten, in der
größten Ueppigkeit.
Die Menge von kieſelſaurem Kali, welches in der Form
von Heu den Wieſen jährlich genommen wird, iſt ſehr beträcht-
lich. Man darf ſich nur an die zuſammengeſchmolzene glas-
artige Maſſe erinnern, die man nach einem Gewitter zwiſchen
Mannheim und Heidelberg auf einer Wieſe fand, und für
einen Meteorſtein hielt; es war, wie die Unterſuchung ergab,
kieſelſaures Kali; der Blitz hatte in einen Heuhaufen einge-
[138]Die Cultur.
ſchagen, an deſſen Stelle man nichts weiter als die zuſammen-
gefloſſene Aſche des Heues fand.
Das Kali iſt aber für die meiſten Gewächſe nicht die ein-
zige Bedingung ihrer Exiſtenz; es iſt darauf hingewieſen wor-
den, daß es in vielen erſetzbar iſt durch Kalk, Bittererde und
Natron, aber die Alkalien reichen allein nicht hin, um das
Leben der Pflanzen zu unterhalten.
In einer jeden bis jetzt unterſuchten Pflanzenaſche fand man
Phosphorſäure, gebunden an Alkalien und alkaliſche Erden;
die meiſten Saamen enthalten gewiſſe Mengen davon, die
Saamen der Getreidearten ſind reich an Phosphorſäure, ſie
findet ſich darin vereinigt mit Bittererde.
Die Phosphorſäure wird aus dem Boden von der Pflanze
aufgenommen, alles culturfähige Land, ſelbſt die Lüneburger
Haide, enthält beſtimmbare Mengen davon. In allen auf
Phosphorſäure unterſuchten Mineralwaſſern hat man gewiſſe
Quantitäten davon entdeckt, wo ſie nicht gefunden worden iſt,
hat man ſie nicht aufgeſucht. Die der Oberfläche der Erde
am nächſten liegenden Schichten von Schwefelbleilagern ent-
halten kryſtalliſirtes phosphorſaures Bleioxid (Grünbleierz);
der Kieſelſchiefer, welcher große Lager bildet, findet ſich an vie-
len Orten bedeckt mit Kryſtallen von phosphorſaurer Thonerde
(Wawellit); alle Bruchflächen ſind damit überzogen. Phos-
phorſaurer Kalk (Apatit) findet ſich ſelbſt in den vulkaniſchen
Bomben des Laacher See’s.
Aus dem Boden gelangt die Phosphorſäure in die Saa-
men, Blätter und Wurzeln der Pflanzen, aus dieſen in den
Organismus der Thiere, indem ſie zur Bildung der Knochen,
der phosphorhaltigen Beſtandtheile des Gehirns verwendet
wird. Durch Fleiſchſpeiſen, Brot, Hülſenfrüchte gelangt bei
weitem mehr Phosphor in den Körper, als er bedarf; durch
[139]Die Cultur.
den Urin und die feſten Excremente wird aller Ueberſchuß wie-
der abgeführt.
Man kann ſich eine Vorſtellung von dem Gehalt von phos-
phorſaurer Bittererde in dem Getreide machen, wenn man ſich
erinnert, daß die Steine in dem Blinddarm von Pferden, die
ſich von Heu und Hafer nähren, aus phosphorſaurer Bitter-
erde und Ammoniak beſtehen. Aus dem Maſtdarm eines Mül-
lerpferdes in Eberſtadt wurden nach ſeinem Tode 29 Steine
genommen, die zuſammen über 3 ℔ wogen, und Dr.Fr. Si-
mon beſchrieb vor Kurzem einen Stein von einem Fuhrmanns-
pferde, deſſen Gewicht 47½ Loth (über 700 Grammen) betrug.
Es iſt klar, ohne phosphorſaure Bittererde, welche einen
nie fehlenden Beſtandtheil der Saamen der Getreidearten aus-
macht, wird ſich dieſer Saame nicht bilden können; er wird
nicht zur Reife gelangen.
Außer Kieſelſäure, Kali und Phosphorſäure, die unter kei-
nerlei Umſtänden in den Culturpflanzen fehlen, nehmen die
Vegetabilien aus dem Boden noch fremde Stoffe, Salze auf,
von denen man vorausſetzen darf, daß ſie die ebengenannten
zum Theil wenigſtens in ihren Wirkungen erſetzen; in dieſer
Form kann man bei manchen Pflanzen Kochſalz, ſchwefelſau-
res Kali, Salpeter, Chlorkalium und andere als nothwendige
Beſtandtheile betrachten.
Der Thonſchiefer enthält meiſtens Einmiſchungen von Ku-
pferoxid, der Glimmerboden enthält Fluormetalle. Von dieſen
Beſtandtheilen gehen geringe Mengen in den Organismus der
Pflanze über, ohne daß ſich behaupten läßt, ſie ſeien ihr noth-
wendig.
In gewiſſen Fällen ſcheint das Fluorcalcium den phosphor-
ſauren Kalk in den Knochen und Zähnen vertreten zu können,
es läßt ſich ſonſt wenigſtens nicht erklären, woher es kommt,
[140]Die Cultur.
daß die nie fehlende Gegenwart derſelben in den Knochen der
antediluvianiſchen Thiere als Mittel dienen kann, um ſie von
Knochen aus ſpäteren Perioden zu unterſcheiden; die Schädel-
knochen von Menſchen aus Pompeji ſind eben ſo reich an
Flußſäure wie die der vorweltlichen Thiere. Werden ſie ge-
pulvert in einem verſchließbaren Glasgefäß mit Schwefelſäure
übergoſſen, ſo findet ſich dieſes auf der Innenſeite nach 24
Stunden aufs Heftigſte corrodirt (J. L.), während die Kno-
chen und Zähne der jetzt lebenden Thiere nur Spuren davon
enthalten. (Berzelius.)
Beachtenswerth für das Wachsthum der Pflanzen iſt die
Erfahrung von de Sauſſure, daß in den verſchiedenen
Stadien ihrer Entwickelung die Vegetabilien ungleiche Men-
gen von den Beſtandtheilen des Bodens bedürfen. Weizen-
pflanzen lieferten ihm einen Monat vor der Blüthe 79/1000, in
der Blüthe 54/1000, und mit reifen Saamen nur 33/1000 Aſche.
Man ſieht offenbar, daß ſie dem Boden, von der Blüthe an,
einen Theil ſeiner anorganiſchen Beſtandtheile wieder zurück-
geben, aber die phosphorſaure Bittererde iſt im Saamen zu-
rückgeblieben.
Die Brache iſt, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt,
die Periode der Cultur, wo man das Land einer fortſchreiten-
den Verwitterung vermittelſt des Einfluſſes der Atmoſphäre
überläßt, in der Weiſe, daß eine gewiſſe Quantität Alkali wie-
der fähig gemacht wird, von einer Pflanze aufgenommen zu
werden.
Es iſt klar, daß die ſorgfältige Bearbeitung des Brachlan-
des ſeine Verwitterung beſchleunigt und vergrößert; für den
Zweck der Cultur iſt es völlig gleichgültig, ob man das Land
mit Unkraut ſich bedecken läßt, oder ob man eine Pflanze darauf
baut, welche dem Boden das aufgeſchloſſene Alkali nicht entzieht.
[141]Die Cultur.
Unter der Familie der Leguminoſen ſind viele Arten, aus-
gezeichnet durch ihren geringen Gehalt von Alkalien und Sal-
zen überhaupt; die Bohne der Vicia faba enthält z. B. kein
freies Alkali, und an phosphorſaurem Kalk und Bitterde noch
kein ganzes Procent (Einhof); die grünen Blätter und Scho-
ten von Pisum sativum enthalten nur 1/1000 phosphorſaure
Salze, die reifen Erbſen geben im Ganzen nur 1,93 Aſche,
darinn 0,29 phosphorſauren Kalk. (Einhof.) Die Bohne
von Phaseolus vulgaris enthält nur Spuren von Salzen.
(Braconnot.) Der Stamm von Medicago Sativa ent-
hält nur 0,83 p. c., Ervum lens nur 0,57 p. c. phosphor-
ſauren Kalk mit Eiweiß. (Crome.) Der Buchweizen, an der
Sonne getrocknet, liefert im Ganzen nur 0,681 p. c. Aſche
und darinn nur 0,09 Theile löslicher Salze. (Zenneck.)
Die obenerwähnten Pflanzen gehören zu den ſogenannten
Brachfrüchten, in ihrer Zuſammenſetzung liegt der Grund,
warum ſie dem Getreide, was nach ihnen gepflanzt wird, nicht
ſchaden; ſie entziehen dem Boden keine Alkalien, ſondern nur
eine verſchwindende Menge von phosphorſauren Salzen.
Es iſt klar, daß zwei Pflanzen neben einander wachſend
ſich gegenſeitig ſchaden, wenn ſie dem Boden einerlei Nah-
rungsſtoffe entziehen, und es kann nicht auffallend ſein, daß
Matricaria Chamomilla, Spartium scoparium das Aufkommen
des Getreides hindern, wenn man berückſichtigt, daß beide 7
bis 7,43 p. c. Aſche geben, die 6/10 kohlenſaures Kali enthält.
Der Lolch (Trespe), das Freiſamkraut (Erigeron acre),
kommen gleichzeitig mit dem Getreide zur Blüthe und Frucht-
bildung; in dem Getreide wachſend werden ſich beide Pflanzen
in die Beſtandtheile des Bodens theilen, mit der Stärke der
Entwickelung der einen, wird die der andern abnehmen müſſen,
was die eine aufnimmt, entgeht der andern.
[142]Die Cultur.
Zwei Pflanzen werden neben einander oder hinter einan-
der gedeihen, wenn ſie aus dem Boden verſchiedenartige Ma-
terien zu ihrer Ausbildung nöthig haben, oder wenn die Sta-
dien ihres Wachsthums, die Blüthe und Fruchtbildung weit
auseinander liegen.
Auf einem an Kali reichen Boden kann man mit Vortheil
Weizen nach Taback bauen, denn der Taback bedarf keiner phos-
phorſauren Salze, die dem Weizen nicht fehlen dürfen; dieſe
Pflanze hat nur Alkalien und ſtickſtoffreiche Nahrungsmittel
nöthig.
Nach der Analyſe von Poſſelt und Reimann enthal-
ten 1000 Theile Tabacksblätter 16 Theile phosphorſauren
Kalk, 8,8 Kieſelerde und keine Bittererde, während die gleiche
Menge Weizenſtroh 47,3 Theile, und die nemliche Quantiät
Weizenkörner 99,45 Theile phosphorſaure Salze enthält.
(Sauſſure.)
Nehmen wir an, daß die Weizenkörner halb ſo viel wie-
gen als das Stroh, ſo verhalten ſich die phosphorſauren Salze,
welche vom Weizen und Taback von gleichen Gewichten der-
ſelben entzogen werden wie 97,7 : 16. Dieß iſt ein höchſt
bedeutender Unterſchied. Die Wurzeln des Tabacks nehmen
ſo gut wie die des Weizens die in dem Boden enthaltenen
phosphorſauren Salze auf, allein der erſtere giebt ſie ihm wie-
der zurück, weil ſie zu ſeiner Ausbildung nicht weſentlich noth-
wendig ſind.
[143]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Man hat ſeit Langem ſchon die Erfahrung gemacht, daß
einjährige Culturgewächſe, auf einem und demſelben Boden hin-
tereinander folgend, in ihrem Wachsthum zurückbleiben, daß
ihr Ertrag an Frucht oder Kraut abnimmt, daß trotz des
Verluſtes an Zeit eine größere Menge Getreide geerntet wird,
wenn man das Feld ein Jahr lang unbebaut liegen läßt.
Nach dieſer Zeit ſogenannter Ruhe erhält der Boden zum
großen Theil ſeine urſprüngliche Fruchtbarkeit wieder.
Man hat ferner beobachtet, daß gewiſſe Pflanzen, wie Erb-
ſen, Klee, Lein, auf einem und demſelben Felde erſt nach einer
Reihe von Jahren wieder gedeihen, daß andere, wie Hanf,
Taback, Topinambur, Rocken, Hafer, bei gehöriger Düngung
hintereinander gebaut werden können; man hat gefunden, daß
manche den Boden verbeſſern, andere ihn ſchonen, und die
letzte und häufigſte Klaſſe den Boden angreifen oder erſchöpfen.
Zu dieſen gehören die Brachrüben, Kopfkohl, Runkelrüben,
Dinckel, Sommer- und Wintergerſte, Rocken und Hafer; man
rechnet ſie zu den angreifenden; Weizen, Hopfen, Krapp, Stop-
pelrüben, Raps, Hanf, Mohn, Karden, Lein, Paſtel, Wau,
Süßholz betrachtet man als erſchöpfende.
Die Excremente von Thieren und Menſchen ſind ſeit den
älteſten Zeiten als Mittel angeſehen worden, um die Frucht-
barkeit des Bodens zu ſteigern. Es iſt eine durch zahlloſe Er-
fahrungen feſtgeſtellte Wahrheit, daß ſie dem Boden gewiſſe
[144]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Beſtandtheile wiedergeben, welche ihm in der Form von Wur-
zeln, von Kraut oder Frucht genommen wurden.
Aber auch bei der reichlichſten Düngung mit dieſen Mate-
rien hat man die Erfahrung gemacht, daß die Ernte nicht im-
mer mit der Düngung im Verhältniß ſteht, daß der Ertrag
vieler Pflanzen, trotz dem ſcheinbaren Erſatz durch Dünger,
abnimmt, wenn ſie mehrere Jahre hinter einander auf dem
nemlichen Felde gebaut wird.
Auf der andern Seite machte man die Beobachtung, daß
ein Feld, was unfruchtbar für eine gewiſſe Pflanzengattung war,
deßhalb nicht aufgehört hatte, fruchtbar für eine andere zu ſein,
und hieraus hat ſich denn in einer Reihe von Jahren ein
Syſtem der Feldwirthſchaft entwickelt, deſſen Hauptaufgabe es
iſt, einen möglichſt hohen Ertrag mit dem kleinſten Aufwand
von Dünger zu erzielen.
Es ging aus dieſen Erfahrungen zuſammengenommen her-
vor, daß die Pflanzen verſchiedenartige Beſtandtheile des Bo-
dens zu ihrem Wachsthum bedürfen, und ſehr bald ſah man
ein, daß die Mannigfaltigkeit der Cultur ſo gut wie die Ruhe
(Brache) die Fruchtbarkeit des Bodens erhalte. Es war offen-
bar, daß alle Pflanzen dem Boden in verſchiedenen Verhält-
niſſen gewiſſe Materien zurückgeben mußten, die zur Nahrung
einer folgenden Generation verwendet werden konnten.
Von chemiſchen Principien, geſtützt auf die Kenntniß der
Materien, welche die Pflanzen dem Boden entziehen, und
was ihm in dem Dünger zurückgegeben wird, iſt bis jetzt in
der Agricultur keine Rede geweſen. Ihre Ausmittelung iſt die
Aufgabe einer künftigen Generation, denn was kann von der
gegenwärtigen erwartet werden, welche mit einer Art von
Scheu und Mißtrauen alle Hülfsmittel zurückweiſ’t, die ihr
von der Chemie dargeboten werden, welche die Kunſt nicht
[145]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
kennt, die Entdeckungen der Chemie auf eine rationelle Weiſe
zur Anwendung zu bringen. Eine kommende Generation
wird aus dieſen Hülfsmitteln unberechenbare Vortheile zie-
hen.
Unter allen Vorſtellungen, die man ſich über die Urſache
der Vortheilhaftigkeit des Fruchtwechſels geſchaffen hat, verdient
die Theorie des Herrn de Candolle als die einzige genannt
zu werden, welche eine feſte Grundlage beſitzt.
De Candolle nimmt an, daß die Wurzeln der Pflan-
zen, indem ſie jede Art von löslichen Materien aufſaugen,
unter dieſen eine Menge Subſtanzen in ihre Maſſe aufnehmen,
welche unfähig zu ihrer Nahrung ſind. Dieſe Materien wer-
den durch die Wurzeln wieder abgeſchieden, und kehren als
Excremente in den Boden zurück.
Als Excremente können ſie von derſelben Pflanze zu ihrer
Aſſimilation nicht verwendet werden, und je mehr der Boden
von dieſen Stoffen enthält, deſto unfruchtbarer muß er für die
nemliche Pflanze werden.
Dieſe Materien können aber, nach de Candolle, von einer
zweiten Pflanzengattung aſſimilirbar ſein; indem ſie einer an-
dern Pflanze zur Nahrung dienen, wird dieſe den Boden von
dieſen Excrementen befreien und damit ihn wieder für die erſte
Pflanze fruchtbar machen, wenn ſie ſelbſt durch ihre Wurzeln
Stoffe abſondert, die der erſteren zur Nahrung dienen, ſo wird
der Boden dadurch auf doppelte Weiſe gewinnen.
Eine Menge Erfahrungen ſcheinen von vorne herein dieſer
Anſicht einen hohen Grad von Wahrſcheinlichkeit zu geben. Je-
der Gärtner weiß, daß man an der Stelle eines Fruchtbaums
keinen zweiten derſelben Art zum Wachſen bringt, oder erſt
nach einer gewiſſen Reihe von Jahren. Bei den Ausrotten
von Weinbergen geht einer neuen Bepflanzung mit Weinſtö-
10
[146]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
ſtöcken ſtets die mehrjährige Bebauung des Bodens mit andern
Culturgewächſen voraus.
Man hat damit die Erfahrung in Verbindung gebracht,
daß manche Pflanzen aufs beſte nebeneinander gedeihen, daß
ſich hingegen andere gegenſeitig in ihrer Entwickelung hindern.
Man folgerte daraus, daß die Begünſtigung in einer Art von
gegenſeitiger Ernährung, und umgekehrt die Hinderung des
Wachsthums auf einer Art von Vergiftung durch die Excre-
mente beruhe.
Eine Reihe directer Verſuche von Macaire-Princep,
durch welche die Fähigkeit vieler Pflanzen, durch ihre Wurzeln
extractartige Materien abzuſondern, auf eine evidente Weiſe
bewieſen und außer allem Zweifel geſtellt wurde, gaben dieſer
Theorie ein großes Gewicht; er fand, daß die Excretionen
reichlicher waren bei Nacht als am Tage (?), daß das Waſſer,
worinn er Pflanzen aus der Familie der Leguminoſen hatte
vegetiren laſſen, ſich braun färbte; Pflanzen derſelben Art, die
er in dieſem mit Excrementen angeſchwängerten Waſſer vege-
tiren ließ, blieben in ihrem Wachsthum zurück und welkten
ziemlich ſchnell; Getreidepflanzen hingegen wuchſen darinn
fort, und es war eine bemerkbare Abnahme der Farbe der
Flüſſigkeit damit wahrnehmbar, ſo daß es ſchien, als ob in
der That eine gewiſſe Menge der Excremente der Leguminoſen
in die Getreidepflanzen übergegangen ſei.
Als Reſultat dieſer Verſuche ſtellte ſich heraus, daß die
Beſchaffenheit und die Eigenſchaften der Excremente verſchie-
denartiger Pflanzengattungen von einander abweichen; die einen
ſondern ſcharfe und harzartige, die anderen milde (douce) und
gummiähnliche Stoffe aus, die erſteren können nach Macaire-
Princep als Gifte, die anderen als Nahrungsmittel angeſe-
hen werden.
[147]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Dieſe Verſuche ſind poſitive Beweiſe, daß die Wurzeln,
man kann ſagen aller Pflanzen, Materien abſondern, die in
ihrem Organismus weder in Holzfaſer noch in Stärke, vege-
tabiliſches Eiweiß, Kleber ꝛc. verwandelt werden konnten, denn
ihre Ausſcheidung ſetzt voraus, daß ſie hierzu völlig unfähig
ſind; aber ſie können nicht als Beſtätigungen der Theorie des
Herrn de Candolle angeſehen werden, denn ſie laſſen völlig
unentſchieden, ob die Stoffe aus dem Voden ſtammen, oder
ob ſie durch den Lebensproceß der Pflanze gebildet worden ſind.
Es iſt ſicher, daß die gummigen (gommeux) und harzigen
Excremente, welche Macaire-Princep beobachtete, nicht in
dem Boden enthalten waren, und da der Boden an Kohlen-
ſtoff durch die Cultur nicht ärmer wird, ſondern im Gegen-
theile ſich noch verbeſſert, ſo muß man hieraus ſchließen, daß
alle Excremente, welche Kohlenſtoff enthalten, von den Nah-
rungsmitteln herrühren, welche die Pflanze aus der Luft auf-
nimmt. Es ſind dieß Verbindungen, die in Folge der Meta-
morphoſe der Nahrungsmittel, in Folge der neuen Formen,
gebildet werden, die ſie annehmen, wenn ſie zu Beſtandtheilen
des Organismus werden.
Die Anſicht des Herrn de Candolle iſt eigentlich eine
Art von Erläuterung einer frühern Theorie der Wechſelwirth-
ſchaft, welche vorausſetzt, daß die Wurzeln verſchiedener Pflan-
zen verſchiedene Nahrungsmittel dem Boden entziehen, jede
Pflanze eine Materie von beſonderer Beſchaffenheit, die ſich
gerade zu ihrer Aſſimilation eignet. Die ältere Anſicht ſetzt
voraus, daß die nicht afſimilirbaren Stoffe dem Boden nicht
entzogen, die Anſicht des Hrn. de Candolle, daß ſie ihm in
der Form von Excrementen wieder zurückgegeben werden.
Nach beiden erklärt ſich, woher es kommt, daß man nach
Getreide kein Getreide, nach Erbſen keine Erbſen ꝛc. mit Vor-
10*
[148]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
theil ziehen kann, ſie erklärt aber nicht, wie und auf welche
Weiſe die Brache das Feld und zwar um ſo mehr verbeſſert,
je ſorgfältiger es bearbeitet wird, woher es kommt, daß beim
Anbau gewiſſer Pflanzen, von Luzerne, Esparſette, der Boden
an kohlenſtoffreichen Materien gewinnt.
Nach den theoretiſchen Betrachtungen über den Ernährungs-
proceß, ſo wie den Erfahrungen aller Landwirthe, welche eine ſo
ſchöne Erläuterung durch die Verſuche von Macaire-Princep
gefunden haben, unterliegt es keinem Zweifel, daß die Wurzeln
der Pflanzen Materien ausſchwitzen, durch die ſie dem Boden
den Kohlenſtoff wiedergeben, den ſie von ſeinem Humus in
ihrer früheſten Periode der Entwickelung empfangen haben.
Können aber, kann man fragen, dieſe Excremente in der Form,
in welcher ſie abgeſchieden werden, zur Ernährung irgend einer
andern Pflanze dienen?
Die Excremente eines Fleiſchfreſſers enthalten keinen Be-
ſtandtheil mehr, der zur Ernährung eines andern fleiſchfreſſen-
des Thieres ſich eignet; es iſt aber möglich, daß ein gras-
oder fleiſchfreſſendes Thier, ein Fiſch oder Vogel, darin noch
unverdaute Materien vorfindet, die durch ihren Organismus
verdaubar ſind, eben weil ihre Verdauungswerkzeuge eine an-
dere Einrichtung haben. Nur in dieſem Sinne iſt es denkbar,
daß die Excremente eines Thieres Nahrungsſtoffe für ein an-
deres abgeben können.
In den Nahrungsmitteln, die ein Thier genießt, kommt in
den Organismus eine Menge von Stoffen, welche durch die
Organe der Ernährung keine Veränderung erfahren, ſie wer-
den von ihm wieder ausgeſtoßen, es ſind dieß Excremente,
aber keine Excretionen; dieſe Art von Excrementen kann von
einem Thier mit andern Verdauungswerkzeugen außſchließbar,
ein Theil davon kann von dieſem aſſimilirbar ſein. In Folge
[149]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
der Veränderungen, durch welche die aſſimilirbaren Stoffe zu
Chymus und Chylus werden, in Folge von neuen Metamor-
phoſen, die dieſe wieder erleiden, inſofern ſie zu Beſtandtheilen
des Organismus werden, ſcheiden die Organe der Secretion
Verbindungen aus, die in den Nahrungsmitteln nur ihren Ele-
menten nach enthalten waren.
Dieſe letzteren ſtößt der Organismus als Excremente eben-
falls aus und es iſt hieraus klar, daß die Excremente aus
zweierlei Stoffen beſtehen müſſen, von denen die einen unver-
daubare Gemeng- oder Beſtandtheile der Nahrungsmittel, die
andern aber durch den Lebensproceß neugebildete Verbindungen
ſind; ſie ſind entſtanden in Folge der Bildung von Fett, von
Muskelfaſer, Hirn- und Nervenſubſtanz, und ſind durchaus un-
fähig, in irgend einem andern thieriſchen Organismus zu Fett,
Eiweiß, Muskelfaſer, Gehirn- und Nervenſubſtanz metamorpho-
ſirt zu werden.
In dem Lebensproceß der Pflanzen muß ein ganz ähnliches
Verhältniß ſtattfinden.
Wenn unter den Stoffen, welche von den Wurzeln einer
Pflanze aus dem Boden aufgenommen werden, ſich ſolche befin-
den, die ſie zu ihrer Ernährung nicht verwendet, ſo müſſen ſie
dem Boden wieder zurückgegeben werden; Excremente dieſer Art
können einer zweiten und dritten Pflanze zu ihrer Nahrung
dienlich, zu ihrem Beſtehen ſelbſt unentbehrlich ſein, allein die
in dem Organismus der Vegetabilien durch den Ernährungs-
proceß neugebildeten Materien, die alſo in Folge der Er-
zeugung von Holzfaſer, Amylon, Eiweiß, Kleber, Gummi,
Säuren ꝛc. entſtanden ſind, ſie können in keiner andern Pflan-
zengattung zur Bildung von Holzfaſer, Amylon, Eiweiß,
Kleber ꝛc. verwendet werden.
Man wird aus dieſen Betrachtungen die Verſchiedenheit
[150]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
in den Anſichten de Candolle’s und Macaire Princep’s
entnehmen können. Die Stoffe, welche der erſtere mit Excre-
menten bezeichnet, gehörten dem Boden an, es ſind unverdaute
Nahrungsmittel, welche die eine Pflanze verwenden kann,
während ſie einer andern entbehrlich ſind. Die Materien hin-
gegen, welche Macaire-Princep mit Excrementen bezeichnet,
ſie können nur in einer einzigen Form zur Nahrung der Ve-
getabilien dienen.
Es iſt wohl kaum nöthig daran zu erinnern, daß dieſe Excre-
mente im zweiten Jahr ihre Beſchaffenheit geändert haben müſſen;
in dem erſten iſt der Boden damit angeſchwängert worden,
während des Herbſtes und Winters gehen ſie durch die Ein-
wirkung des Waſſers und der Luft einer Veränderung ent-
gegen, ſie werden in Fäulniß und durch häufige Berührung
mit der Luft, durch Umackern, in Verweſung übergeführt. Mit
dem Beginn des Frühlings ſind ſie ganz oder zum Theil in
eine Materie übergegangen, welche den Humus erſetzt, in eine
Subſtanz, die ſich in einem fortdauernden Zuſtand der Kohlen-
ſäure-Entwickelung befindet.
Die Schnelligkeit dieſer Verweſung hängt von den Beſtand-
theilen des Bodens, von ſeiner mehr oder weniger poröſen
Beſchaffenheit ab. In einem an Kalk reichen Boden erhöht
die Berührung mit dieſem alkaliſchen Beſtandtheile die Fähig-
keit der organiſchen Excremente, Sauerſtoff anzuziehen und zu
verweſen, ſie wird durch die meiſtens poröſere Beſchaffenheit
dieſer Bodenart, welche der Luft freien Zutritt geſtattet, aus-
nehmend beſchleunigt. In ſchwererem Thon- oder Lehmboden
erfordert ſie längere Zeit.
In dem einen Boden wird man die nämliche Pflanze nach
dem 2ten Jahre, in andern Bodenarten nach dem 5ten oder
9ten Jahre mit Vortheil wieder bauen können, weil die Ver-
[151]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
wandlung und Zerſtörung der auf ihre Entwickelung ſchädlich
einwirkenden Excremente, in dem einen Fall, ſchon in dem 2ten
und im andern erſt im 9ten Jahre vollendet iſt.
In der einen Gegend geräth der Klee auf dem nämlichen
Felde erſt im 6ten, in andern erſt im 12ten, der Lein im 3ten
und 2ten Jahre wieder. Alles dieſes hängt von der chemi-
ſchen Beſchaffenheit des Bodens ab, denn in den Gegenden,
wo die Zeit der Cultur einer und der nämlichen Pflanze, weit
auseinander gelegt werden muß, wenn ſie mit Vortheil gebaut
werden ſollen, hat man die Erfahrung gemacht, daß ſelbſt bei
Anwendung von reichlichem Dünger dieſe Zeit nicht verkürzt
werden kann, eben weil die Zerſtörung ihrer eigenen Excre-
mente einer neuen Cultur vorangehen muß.
Lein, Erbſen, Klee, ſelbſt Kartoffeln gehören zu denjenigen
Pflanzen, deren Excremente auf Thonboden die längſte Zeit
zu ihrer Humifizirung bedürfen, aber es iſt klar, daß die An-
wendung von Alkalien, von ſelbſt kleinen Mengen unausge-
laugter Aſche, gebranntem Kalke das Feld in bei weitem kür-
zerer Zeit wieder in den Stand ſetzen muß, den Anbau der
nämlichen Pflanze wieder zu geſtatten.
Der Boden erlangt in der Brache einen Theil ſeiner frü-
heren Fruchtbarkeit ſchon dadurch wieder, weil in der Zeit der
Brache, neben der fortſchreitenden Verwitterung, die Zerſtörung
oder Humifizirung der darinn enthaltenen Excremente erfolgt.
Eine Ueberſchwemmung erſetzt die Brache in kalireichem
Boden in der Nähe des Rheins, des Nils, wo man ohne
Nachtheil auf denſelben Aeckern hintereinander Getreide baut.
Eben ſo vertritt das Wäſſern der Wieſen die Wirkung der
Brache; das an Sauerſtoff ſo reiche Waſſer der Bäche und
Flüſſe bewirkt, indem es ſich unaufhörlich erneuert und alle
Theile des Bodens durchdringt, die ſchnellſte und vollſtändigſte
[152]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Verweſung der angehäuften Excremente. Wäre es das Waſſer
allein, was der Boden aufnimmt, ſo würden ſumpfige Wieſen
die fruchtbarſten ſein.
Es ergiebt ſich aus dem Vorhergehenden, daß die Vortheil-
haftigkeit des Fruchtwechſels auf zwei Urſachen beruht.
In einem fruchtbaren Boden muß eine Pflanze alle zu
ihrer Entwickelung unentbehrlichen anorganiſchen Beſtandtheile
in hinreichender Menge und in einem Zuſtande vorfinden, wel-
cher der Pflanze ihre Aufnahme geſtattet.
Alle Pflanzen bedürfen der Alkalien, die eine Pflanze, wie
die Gramineen, in der Form von kieſelſauren, die andere in
der Form von weinſauren, citronenſauren, eſſigſauren, kleeſau-
ren ꝛc. Salzen.
Enthalten ſie das Alkali an Kieſelſäure gebunden, ſo geben
ſie beim Verbrennen eine Aſche, welche mit Säuren keine Koh-
lenſäure entwickelt, ſind die Alkalien mit organiſchen Säuren
vereinigt geweſen, ſo brauſ’t ihre Aſche mit Säuren auf.
Eine dritte Pflanzengattung bedarf des phosphorſauren
Kalks, eine andere der phosphorſauren Bittererde, manche kön-
nen ohne kohlenſauren Kalk nicht gedeihen.
Die Kieſelſäure iſt die erſte feſte Subſtanz, welche in die
Pflanze gelangt, ſie ſcheint die Materie zu ſein, von der aus
die Holzbildung ihren Anfang nimmt, und ähnlich zu wirken,
wie ein Stäubchen, an das ſich in einer kryſtalliſirenden Salz-
löſung die erſten Kryſtalle bilden. Aehnlich wie die Holzfaſer
bei vielen Lichenen durch ein kriſtalliſirbares Salz, durch klee-
ſauren Kalk ſich vertreten findet, nimmt die Kieſelerde bei den
Equiſetaceen und dem Bambus die Form und Funktion des
Holzkörpers an.
Bepflanzen wir nun einen Boden mehrere Jahre hinter-
einander mit verſchiedenen Gewächſen, von welchen die erſte
[153]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
in dem Boden die anorganiſchen Beſtandtheile zurückläßt, welche
die zweite, dieſe wieder, was die dritte bedarf, ſo wird er für
dieſe drei Pflanzengattungen fruchtbar ſein.
Wenn nun die erſte Pflanze z. B. Weizen iſt, welcher die
größte Menge kieſelſaures Kali conſumirt, während die auf
ihn folgenden Pflanzen nur geringe Mengen Kali dem Boden
entziehen, wie Leguminoſen, Hackfrüchte ꝛc., ſo wird man nach
dem vierten Jahre wieder Weizen mit Vortheil bauen können, denn
während dreier Jahre iſt der Boden durch die Verwitterung
wieder fähig geworden, kieſelſaures Kali in hinreichender Menge
an die jungen Pflanzen abzugeben.
Für die andern anorganiſchen Beſtandtheile muß für ver-
ſchiedene Pflanzen, wenn ſie hinter einander gedeihen ſollen,
ein ähnliches Verhältniß berückſichtigt werden.
Eine Aufeinanderfolge von Gewächſen, welche dem Bo-
den einerlei Beſtandtheile entziehen, muß im Allgemeinen
ihn nach und nach völlig unfruchtbar für dieſe Pflanzen
machen.
Eine jede dieſer Pflanzen hat während ihres Wachsthums
eine gewiſſe Menge kohlenſtoffreicher Materien an den Boden
zurückgegeben, welche nach und nach in Humus übergingen,
die meiſten ſo viel Kohlenſtoff, als ſie in der Form von Koh-
lenſäure von dem Boden empfingen; allein, wenn auch dieſer
Gehalt in der Periode des Wachsthums für manche Pflanzen
ausreicht, um ſie zur vollendeten Entwickelung zu bringen, ſo
iſt er dennoch nicht hinreichend, um gewiſſe Theile ihrer Or-
gane derſelben, Saamen und Wurzeln, mit einem Maximum
von Nahrung zu verſehen. Die Pflanze dient in der Agricul-
tur als Mittel, um Gegenſtände des Handels oder Nahrungs-
mittel für Thiere und Menſchen zu produciren, aber ein Ma-
rimum am Ertrag ſteht genau im Verhältniß zu der Menge
[154]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
der Nahrungsſtoffe, die ihr in der erſten Zeit ihrer Entwicke-
lung dargeboten werden.
Dieſe Nahrungsmittel ſind Kohlenſäure, welche der Boden
in der Form von Humus, es iſt Stickſtoff, den er in der Form
von Ammoniak erhalten muß, wenn dieſer Zweck erreicht wer-
den ſoll.
Die Bildung von Ammoniak kann auf dem Culturlande
nicht bewirkt werden, wohl aber eine künſtliche Humuserzeu-
gung. Dieſe muß als eine Hauptaufgabe der Wechſelwirth-
ſchaft und als zweite Urſache ihrer Vortheilhaftigkeit angeſehen
werden.
Das Anſäen eines Feldes mit einer Brachfrucht, mit Klee,
Rocken, Lupinen, Buchweizen ꝛc., und die Einverleibung der
ihrer Blüthe nahen Pflanzen in den Boden, durch Umackern,
löſ’t dieſe Aufgabe inſofern, als bei einer neuen Einſaat die
ſich entwickelnde junge Pflanze in einer gewiſſen Periode ihres
Lebens ein Maximum von Nahrung, d. h. eine verweſende
Materie vorfindet.
Den gleichen Zweck erreicht man, und noch vollſtändiger
und ſicherer, durch Bepflanzung des Feldes mit Esparſette oder
Luzerne. Dieſe durch eine ſtarke Wurzelverzweigung und eben
ſo ſtarken Blätterwuchs ausgezeichneten Pflanzen bedürfen aus
dem Boden nur einer geringen Menge von anorganiſchen
Stoffen. Bis zu einem gewiſſen Grade der Entwickelung
gekommen, bleibt ihnen alle Kohlenſäure, alles Ammoniak,
was die Luft und der Regen zuführen; was der Boden
nicht aufnimmt, ſaugen die Blätter ein; ſie ſind es, durch
welche die aſſimilirende Oberfläche vervier- oder verſechsfacht
wird, welche die Verdunſtung des Ammoniaks auf der Bo-
denfläche hindern, indem ſie ſie wie eine Haube bedecken.
Eine unmittelbare Folge der Erzeugung von Blattgrün und
[155]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
der übrigen Beſtandtheile der Blätter und Stengel, iſt die eben
ſo reichliche Ausſcheidung von organiſchen Stoffen, die der
Boden als [Excremente] der Wurzeln erhält.
Dieſe Bereicherung des Bodens mit Stoffen, welche fähig
ſind, in Humus überzugehen, dauert mehrere Jahre hinterein-
ander, aber nach einer gewiſſen Zeit entſtehen darauf kahle
Stellen.
Es iſt klar, daß nach 5 — 7 Jahren die Erde in dem
Grade mit dieſen Excrementen ſich anſchwängert, daß jede
Wurzelfaſer damit umgeben iſt; in dem auflöslichen Zu-
ſtande, den ſie eine Zeitlang bewahren, wird ein Theil davon
wieder von der Pflanze aufgenommen, auf welche ſie nachthei-
lig wirken, indem ſie nicht aſſimilirbar ſind.
Beobachtet man nun ein ſolches Feld eine gewiſſe Reihe
von Jahren hindurch, ſo ſieht man deutlich, daß die kahlen
Flecke ſich wieder mit Vegetation (immer derſelben Pflanze)
bedecken, während andere kahl und anſcheinend unfruchtbar für
die nemliche Pflanze werden. Dieß geht denn abwechſelnd
ſo fort.
Die Urſachen dieſes Kahl- und abwechſelnd Fruchtbarwer-
dens ſind einleuchtend. Die Excremente auf den kahlen Plä-
tzen erhalten keinen neuen Zuwachs, dem Einfluß der Luft und
Feuchtigkeit preisgegeben, gehen ſie in Verweſung über, ihr
ſchädlicher Einfluß hört auf; die Pflanze findet von dieſen
Stellen die Materien entfernt, die ihr Wachsthum hinderten,
ſie trifft im Gegentheile wieder Humus (verweſende Pflanzen-
ſtoffe) an.
Eine beſſere und zweckmäßigere Humuserzeugung, als wie
die durch eine Pflanze, deren Blätter Thieren zur Nahrung
dienen, iſt wohl kaum denkbar; als Vorfrucht ſind dieſe Pflan-
zen einer jeden andern Gattung nützlich, namentlich aber denen,
[156]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
welche wie Raps und Lein vorzugsweiſe des Humus bedürfen
von unſchätzbarem Werthe.
Die Urſachen der Vortheilhaftigkeit des Fruchtwechſels, die
eigentlichen Principien der Wechſelwirthſchaft, beruhen hiernach
auf einer künſtlichen Humuserzeugung und auf der Bebauung
des Feldes mit verſchiedenartigen Pflanzen, die in einer ſolchen
Ordnung auf einander folgen, daß eine jede nur gewiſſe Be-
ſtandtheile entzieht, während ſie andere zurückläßt oder wieder-
giebt, die eine zweite und dritte Pflanzengattung zu ihrer Aus-
bildung und Entwickelung bedürfen.
Wenn nun auch der Humusgehalt eines Bodens durch
zweckmäßige Cultur in einem gewiſſen Grade beſtändig geſtei-
gert werden kann, ſo erleidet es demungeachtet nicht den klein-
ſten Zweifel, daß der Boden an den beſonderen Beſtandthei-
len immer ärmer werden muß, die in den Saamen, Wurzeln
und Blättern, welche wir hinweggenommen haben, enthalten
waren.
Nur in dem Fall wird die Fruchtbarkeit des Bodens ſich
unverändert erhalten, wenn wir ihnen alle dieſe Subſtanzen
wieder zuführen und erſetzen.
Dieß geſchieht durch den Dünger.
Wenn man erwägt, daß ein jeder Beſtandtheil des Kör-
pers der Thiere und Menſchen, von den Pflanzen ſtammt, daß
kein Element davon durch den Lebensproceß gebildet werden
kann, ſo iſt klar, daß alle anorganiſchen Beſtandtheile der
Thiere und Menſchen, in irgend einer Beziehung, als Dünger
betrachtet werden müſſen.
Während ihres Lebens werden die anorganiſchen Beſtand-
theile der Pflanzen, welche der animaliſche Organismus nicht
bedurfte, in der Form von Excrementen wieder ausgeſtoßen,
nach ihrem Tode geht der Stickſtoff, der Kohlenſtoff in den
[157]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Proceſſen der Fäulniß und Verweſung als Ammoniak und
Kohlenſäure wieder in die Atmoſphäre über; es bleibt zuletzt
nichts weiter als die anorganiſchen Materien, der phosphor-
ſaure Kalk und andere Salze in den Knochen zurück.
Eine rationelle Agricultur muß dieſen erdigen Rückſtand, ſo
gut wie die Excremente, als kräftigen Dünger für gewiſſe Pflan-
zen betrachten, der dem Boden, von dem er in einer Reihe
von Jahren entnommen worden iſt, wiedergegeben werden
muß, wenn ſeine Fruchtbarkeit nicht abnehmen ſoll.
Sind nun, kann man fragen, die Excremente der Thiere,
welche als Dünger dienen, alle von einerlei Beſchaffenheit, be-
ſitzen ſie einerlei Fähigkeit, das Wachsthum der Pflanzen zu
befördern, iſt ihre Wirkungsweiſe in allen Fällen die nämliche?
Dieſe Fragen ſind durch die Betrachtung der Zuſammen-
ſetzung der Excremente leicht zu löſen, denn durch die Kennt-
niß derſelben erfahren wir, was denn eigentlich der Boden
durch ſie wieder empfängt.
Nach der gewöhnlichen Anſicht über die Wirkung der feſten
thieriſchen Excremente, beruht ſie auf den verwesbaren organi-
ſchen Subſtanzen, welche den Humus erſetzen, und auf ihrem
Gehalte an ſtickſtoffreichen Stoffen, denen man die Fähigkeit
zuſchreibt, von der Pflanze aſſimilirt und in Kleber und die
anderen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile verwendet zu wer-
den.
Dieſe Anſicht entbehrt, in Beziehung auf den Stickſtoffge-
halt des Kothes der Thiere, einer jeden Begründung.
Dieſe Excremente enthalten nemlich ſo wenig Stickſtoff, daß
ihr Gehalt davon nicht in Rechnung genommen werden kann;
ſie können durch ihren Stickſtoffgehalt unmöglich eine Wirkung
auf die Vegetation ausüben.
Ohne weitere Unterſuchung wird man ſich eine klare Vor-
[158]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
ſtellung über ihre chemiſche Beſchaffenheit, in Hinſicht auf ih-
ren Stickſtoffgehalt machen können, wenn man die Excremente
eines Hundes mit ſeiner Nahrung vergleicht. Wir geben dem
Hunde Fleiſch und Knochen, beide ſind reich an organiſchen
ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen, und wir erhalten als das Reſul-
tat ihrer Verdauung ein völlig weißes, mit Feuchtigkeit durch-
drungenes Excrement, was in der Luft zu einem trockenen Pulver
zerfällt und was, außer dem phosphorſauren Kalk der
Knochen, kaum 1/100 einer fremden orgaaniſchen Subſtanz ent-
hält.
Der ganze Ernährungsproceß im Thier, iſt eine fortſchrei-
tende Entziehung des Stickſtoffs aller zugeführten Nahrungs-
mittel; was ſie in irgend einer Form als Excremente von ſich
geben, muß, in Summa, weniger Stickſtoff als das Futter oder
die Speiſe enthalten.
Einen directen Beleg hierzu liefern uns die Analyſen des
Pferdemiſtes von Macaire und Marcet; er war friſch
geſammelt und unter der Luftpumpe über Schwefelſäure aller
Feuchtigkeit beraubt worden. 100 Theile davon (entſprechend
im friſchen Zuſtande 350—400 Theilen) enthielten 0,8 Stick-
ſtoff. Jedermann, welcher einige Erfahrung in dieſer Art von
Beſtimmungen hat, weiß, daß ein Gehalt, der unter einem
Procent beträgt, nicht mehr mit Genauigkeit beſtimmbar iſt.
Man nimmt immer noch ein Maximum an, wenn man ihn
auf die Hälfte herabſetzt. Ganz frei an Stickſtoff ſind übri-
gens die Excremente des Pferdes nicht; denn ſie ent-
wickeln, mit Kali geſchmolzen, geringe Quantitäten Am-
moniak.
Die Excremente der Kuh geben beim Verbrennen mit Ku-
pferoxid ein Gas, was auf 30 bis 26 Volumen Kohlenſäure,
1 Volumen Stickgas enthielt.
[159]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
100 Theile friſcher Excremente enthielten:
- Stickſtoff . . . . . . . . . 0,506
- Kohlenſtoff . . . . . . . . 6,204
- Waſſerſtoff . . . . . . . . 0,824
- Sauerſtoff . . . . . . . . . 4,818
- Aſche . . . . . . . . . . 1,748
- Waſſer . . . . . . . . . . 85,900
- 100,000
Wenn wir nun annehmen, daß das Heu, nach Bouſſin-
gault’s Analyſen, welche das meiſte Vertrauen verdienen,
ein p. c. Stickſtoff enthält, ſo wird eine Kuh in 25 ℔ Heu,
was ſie täglich zu ſich nimmt, ¼ ℔ Stickſtoff zu ihrer Nah-
rung aſſimilirt haben. Dieſe Stickſtoffmenge würde, in Mus-
kelfaſer verwandelt, 8,3 ℔ Fleiſch in ſeinem natürlichen Zu-
ſtande gegeben haben *).
Die Zunahme an Maſſe beträgt täglich bei weitem weniger
als dieß Gewicht und wir finden in der That im Harn und
in der Milch den Stickſtoff, der hier zu fehlen ſcheint. Die
milchgebende Kuh giebt weniger und einen an Stickſtoff ärme-
ren Harn, als im gewöhnlichen Zuſtande; ſo lange ſie reichlich
Milch giebt, kann ſie nicht gemäſtet werden.
Es ſind mithin die flüſſigen Excremente, in denen wir den
nicht aſſimilirten Stickſtoff zu ſuchen haben; wenn die feſten
auf die Vegetabilien überhaupt von Einfluß ſind, ſo beruht er
nicht auf ihrem Stickſtoffgehalt; ein dem trocknen Koth gleiches
Heu, müßte ſonſt dieſelbe Wirkung äußern d. h. 20—25 ℔
Heu müßten, in das Feld gebracht, ſoviel wirken, als 100 ℔
[160]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
friſcher Kuhdünger. Dieß iſt aber aller Erfahrung gänzlich
entgegen.
Welches ſind nun dieſe ſtickſtofffreien Materien in den Ex-
crementen des Pferdes und der Kuh, denen man Wirkung auf
die Vegetation zuſchreiben kann?
Wenn wir den Pferdekoth mit Waſſer ausziehen, ſo löſ’t
dieſes, indem es ſich gelblich färbt, 3—3½ p. c. auf. Dieſe
Flüſſigkeit enthält außer geringen Mengen organiſcher Sub-
ſtanzen vorzüglich phosphorſaure Bittererde und Natronſalze.
Das im Waſſer Unlösliche giebt an Weingeiſt eine braune
harzähnliche Subſtanz ab, die alle Eigenſchaften von veränder-
ter Galle zeigt, der Rückſtand beſitzt die Eigenſchafteu von aus-
gekochten Sägeſpänen; er verbrennt ohne Geruch. 100 Theile
friſcher Pferde-Excremente hinterlaſſen, nach dem Trocknen bei
100°, 25, 30 bis 31 Theile feſter Subſtanz, ſie enthalten dem-
nach 69 bis 75 Theile Waſſer.
Die trockenen Excremente hinterlaſſen nach dem Einäſchern
nach Macaire und Marcet 27 p. c., nach meinen Ver-
ſuchen von einem Pferde, was mit geſchnittenem Stroh, Ha-
fer und Heu gefüttert war, 10 p. c. Salze und erdige Sub-
ſtanzen.
Mit 3600 bis 4000 ℔ friſchem Pferdekoth, entſprechend
1000 ℔ trocknem Pferdekoth, bringen wir alſo auf den Acker
2484 bis 3000 ℔ Waſſer, ſodann: 730 ℔ bis 900 ℔ vege-
tabiliſcher Materie und veränderter Galle, zuletzt geben wir
dem Acker 100 bis 270 ℔ Salze und anorganiſche Subſtanzen.
Dieſe ſind es offenbar, die wir vorzugsweiſe in Betrachtung
zu ziehen haben; es ſind dieß nämlich lauter Subſtanzen, die
Beſtandtheile des Heues, Strohes und Hafers waren, womit
das Pferd gefüttert wurde. Der Hauptbeſtandtheil davon iſt
phosphorſaurer Kalk und Bittererde, kohlenſaurer Kalk und
[161]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
kieſelſaures Kali, das letztere iſt in dem Heu, die erſteren
in den Körnern in überwiegender Menge zugegen geweſen.
In 10 Ctrn. Pferde-Excrementen bringen wir im Maximo
die anorganiſchen Subſtanzen von 60 Ctr. Heu oder von 83 Ctr.
Hafer (der Hafer hinterläßt nach de Sauſſure 3,1 p. c.
Aſche) auf den Acker; dieß iſt hinreichend, um 1½ Ernten
Weizen mit Kali und phosphorſauren Salzen vollkommen zu
verſehen.
Der Koth der Kühe, des Rindviehes und der Schafe ent-
hält, außer den vegetabiliſchen Materien, phosphorſauren Kalk,
Kochſalz und kieſelſaures Kali; das Gewicht derſelben wechſelt
je nach der Fütterung von 9 bis 28 p. c., der Kuhkoth ent-
hält im friſchen Zuſtande 86—90 p. c. Waſſer.
Die feſten menſchlichen Excremente ſind von Berzelius
einer genauen Analyſe unterworfen worden, ſie enthalten friſch
¾ ihres Gewichts Waſſer, ferner Stickſtoff in ſehr abwechſeln-
den Verhältniſſen, im Minimum 1½, im Maximum 5 p. c.,
ſie ſind unter allen die ſtickſtoffreichſten.
Berzelius erhielt von 100 Theilen trocknen Excremen-
ten, nach dem Einäſchern, 15 Theile Aſche, deren Hauptbe-
ſtandtheile 10 Theile phosphorſauren Kalks und Bittererde
waren.
Gewiß können die vegetabiliſchen Materien, die wir in den
Excrementen der Thiere und Menſchen auf die Felder bringen,
nicht ohne einigen Einfluß auf die Vegetation bleiben; indem
ſie verweſen, werden ſie den jungen Pflanzen Kohlenſäure zur
Nahrung liefern, allein wenn man erwägt, daß ein gutbeſchaf-
fener Boden nur von 6 bis 7 Jahren, beim Umlauf mit Es-
parſette und Luzerne nur von zwölf zu zwölf Jahren einmal
gedüngt wird, daß die Quantität des Kohlenſtoffs, den man
als Dünger dem Acker zuführt, nur 5 bis 8 p. c. von dem
11
[162]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
beträgt, was man als Kraut, Stroh und Frucht hinwegnimmt,
daß das Regenwaſſer in einem Zeitraume von 6 bis 12 Jah-
ren in der Kohlenſäure bei weitem mehr Kohlenſtoff zuführt,
als dieſer Dünger, ſo wird man ſeinen Einfluß nicht ſehr
hoch anſchlagen können.
Es bleibt demnach die eigentliche Wirkung der feſten Ex-
cremente auf die anorganiſchen Materien beſchränkt, welche dem
Boden wiedergegeben werden, nachdem ſie ihm in der Form von
Getreide, von Wurzelgewächſen, von grünem und trocknem Fut-
ter genommen worden waren.
In dem Kuhdünger, den Excrementen der Schafe geben
wir dem Getreideland kieſelſaures Kali und phosphorſaure
Salze, in den menſchlichen Excrementen phosphorſauren Kalk
und Bittererde, in den Excrementen der Pferde phosphorſaure
Bittererde und kieſelſaures Kali.
In dem Stroh, was als Streu gedient hat, bringen wir
eine neue Quantität von kieſelſaurem Kali und phosphorſaure
Salze hinzu, wenn es verweſ’t iſt, bleiben dieſe genau in
dem von der Pflanze aſſimilirbaren Zuſtande im Boden.
Wie man leicht bemerkt, ändert ſich bei ſorgfältiger Ver-
theilung und Sammlung des Düngers die Beſchaffenheit des
Feldes nur wenig; ein Verluſt einer gewiſſen Menge phos-
phorſaurer Salze iſt demungeachtet unvermeidlich, denn wir
führen jedes Jahr in dem Getreide und gemäſteten Vieh ein
bemerkbares Quantum aus, was den Umgebungen großer
Städte zufließt. In einer wohleingerichteten Wirthſchaft muß
dieſer Verluſt erſetzt werden. Zum Theil geſchieht dieß durch
die Wieſen.
Zu hundert Morgen Getreideland rechnet man in Deutſch-
land als nothwendiges Erforderniß einer zweckmäßigen Cultur,
20 Morgen Wieſen, welche durchſchnittlich 500 Ctr. Heu pro-
[163]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
duciren; bei einem Gehalt von 6,82 p. c. Aſche erhält man
jährlich in den Excrementen der Thiere, denen es zur Nahrung
gegeben wird, 341 ℔ kieſelſaures Kali und phosphorſauren
Kalk und Bittererde, welche den Getreidefeldern zu Gute kom-
men und den Verluſt bis zu einem gewiſſen Grade decken.
Der wirkliche Verluſt an phosphorſauren Salzen, die nicht
wieder in Anwendung kommen, vertheilt ſich auf eine ſo große
Fläche, daß er kaum verdient in Anſchlag gebracht zu werden.
In der Aſche des Holzes, was in den Haushaltungen ver-
braucht wird, erſetzen wir den Wieſen wieder, was ſie an phos-
phorſauren Salzen verloren haben.
Wir können die Fruchtbarkeit unſerer Felder in einem ſtets
gleichbleibenden Zuſtande erhalten, wenn wir ihren Verluſt
jährlich wieder erſetzen, eine Steigerung der Fruchtbarkeit, eine
Erhöhung ihres Ertrags iſt aber nur dann möglich, wenn wir
mehr wiedergeben, als wir ihnen nehmen.
Unter gleichen Bedingungen wird von zwei Aeckern der
eine um ſo fruchtbarer werden, je leichter und in je größerer
Menge die Pflanzen, die wir darauf cultuviren, die beſonderen
Beſtandtheile ſich darauf aneignen können, die ſie zu ihrem
Wachsthum und zu ihrer Entwicklung bedürfen.
Man wird aus dem Vorhergehenden entnehmen können,
daß die Wirkung der thieriſchen Excremente erſetzbar iſt, durch
Materien, die ihre Beſtandtheile enthalten.
In Flandern wird der jährliche Ausfall vollſtändig erſetzt
durch das Ueberfahren der Felder mit ausgelaugter oder un-
ausgelaugter Holzaſche, durch Knochen, die zum großen Theil
aus phosphorſaurem Kalk und Bittererde beſtehen.
Die ausnehmende Wichtigkeit der Aſchendüngung iſt von
ſehr vielen Landwirthen durch die Erfahrung ſchon anerkannt,
in der Umgend von Marburg und der Wetterau legt man
11*
[164]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
einen ſo hohen Werth auf dieſes koſtbare Material, daß man
einen Transport von 6, 8 Stunden Weges nicht ſcheut, um
es für die Düngung zu erhalten.
Dieſe Wichtigkeit fällt in die Augen, wenn man in Erwä-
gung zieht, daß die mit kaltem Waſſer ausgelaugte Holzaſche,
kieſelſaures Kali grade in dem Verhältniß wie im Stroh ent-
hält (10 S i O3 + K O), daß ſie außer dieſem Salze nur
phosphorſaure Salze enthält.
Die verſchiedenen Holzaſchen beſitzen übrigens einen höchſt
ungleichen, die Eichenholzaſche den geringſten, die Buchenholz-
aſche den höchſten Werth.
Die Eichenholzaſche enthält nur Spuren von phosphorſau-
ren Salzen, die Buchenholzaſche enthält den fünften Theil
ihres Gewichtes, der Gehalt der Fichten- und Tannenholzaſche
beträgt 9—15 p. c. (Die Fichtenholzaſche aus Norwegen ent-
hält das Minimum von phosphorſauren Salzen, nemlich nur
1,8 p. c. Phosphorſäure. Berthier.)
Mit je hundert Pfund ausgelaugter Buchenholzaſche brin-
gen wir mithin auf das Feld eine Quantität phosphorſaurer
Salze, welche gleich iſt dem Gehalt von 460 ℔ friſchen Men-
ſchenexcrementen.
Nach de Sauſſure’s Analyſe enthalten 100 Th. Aſche von
Weizenkörnern 32 Th. lösliche und 44,5 unlösliche, im Ganzen
76,5 phosphorſaure Salze. Die Aſche von Weizenſtroh ent-
hält im Ganzen 11,5 p. c. phosphorſaure Salze. Mit 100 Pfd.
Buchenholzaſche bringen wir mithin auf das Feld eine Quan-
tität Phosphorſäure, welche hinreicht für die Erzeugung von
3820 ℔ Stroh (zu 4,3 p. c. Aſche, de Sauſſure), oder
zu 15—18000 ℔ Weizenkörner (die Aſche zu 1,3 p. c. an-
genommen, de Sauſſure).
Eine noch größere Wichtigkeit in dieſer Beziehung beſitzen
[165]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
die Knochen. Die letzte Quelle der Beſtandtheile der Knochen
iſt das Heu, Stroh, überhaupt das Futter, was die Thiere ge-
nießen. Wenn man nun in Anſchlag bringt, daß die Knochen
55 p. c. phosphorſauren Kalk und Bittererde enthalten (Ber-
zelius), und annimmt, daß das Heu ſoviel davon als das
Weizenſtroh enthält, ſo ergiebt ſich, daß 8 ℔ Knochen ſo viel
phosphorſauren Kalk als wie 1000 ℔ Heu oder Weizenſtroh
enthalten, oder 2 ℔ davon ſo viel als in 1000 ℔ Weizen oder
Haferkörner ſich vorfindet.
In dieſen Zahlen hat man kein genaues aber ein ſehr
annäherndes Maaß in Beziehung auf die Quantität phos-
phorſaurer Salze, die der Boden dieſen Pflanzen jährlich
abgiebt.
Die Düngung eines Morgen Landes mit 40 ℔ friſchen
Knochen reicht hin, um drei Ernten (Weizen, Klee und Hack-
früchte) mit phosphorſauren Salzen zu verſehen. Die Form,
in welcher die phosphorſauren Salze dem Boden wiedergegeben
werden, ſcheint hierbei aber nicht gleichgültig zu ſein. Je fei-
ner die Knochen zertheilt und je inniger ſie mit dem Boden
gemiſcht ſind, deſto leichter wird ihre Aſſimilirbarkeit ſein, das
beſte und zweckmäßigſte Mittel wäre unſtreitig, die Knochen
fein gepulvert, mit ihrem halben Gewichte Schwefelſäure und
3—4 Th. Waſſer eine Zeitlang in Digeſtion zu ſtellen, den Brei
mit etwa 100 Th. Waſſer zu verdünnen und mit dieſer ſauren
Flüſſigkeit (phosphorſaurem Kalk und Bittererde) den Acker vor
dem Pflügen zu beſprengen. In wenigen Sekunden würde ſich
die freie Säure mit den baſiſchen Beſtandtheilen des Bodens
verbinden, es würde ein höchſt fein zertheiltes neutrales Salz
entſtehen. Verſuche, die in dieſer Beziehung auf Grauwacke-
Boden angeſtellt wurden, haben das poſitive Reſultat gegeben,
daß Getreide und Gemüſepflanzen durch dieſe Düngungsweiſe
[166]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
nicht leiden, daß ſie ſich im Gegentheile aufs kräftigſte ent-
wickeln.
In der Nähe von Knochenleim-Fabriken werden jährlich
viele tauſend Centner einer Auflöſung von phosphorſauren
Salzen in Salzſäure unbenutzt verloren, es wäre wichtig zu
unterſuchen, in wie weit dieſe Auflöſung die Knochen erſetzen
kann. Die freie Salzſäure würde ſich mit den Alkalien, mit
dem Kalk auf dem Acker verbinden, es würde ein lösliches
Kalkſalz entſtehen, deſſen Wirkung als wohlthätig auf die Ve-
getation an und für ſich ſchon anerkannt iſt; der ſalzſaure Kalk
(Chlorcalcium) iſt eins der Salze, die Waſſer mit großer
Begierde aus der Luft anziehen und zurückhalten, was den
Gyps beim Gypſen vollkommen zu erſetzen vermag, indem es
mit kohlenſaurem Ammoniak ſich zu Salmiak und kohlenſau-
rem Kalk umſetzt.
Eine Auflöſung der Knochen in Salzſäure im Herbſte oder
Winter auf den Acker gebracht, würde nicht allein dem Boden
einen nothwendigen Beſtandtheil wiedergeben, ſondern demſel-
ben die Fähigkeit geben, alles Ammoniak, was in dem Regen-
waſſer in Zeit von 6 Monaten auf den Acker fällt, darauf zu-
rückzuhalten.
Die Aſche von Braunkohlen und Torf enthält mehrentheils
kieſelſaures Kali; es iſt klar, daß dieſe Aſche einen Hauptbeſtand-
theil des Kuh- und Pferdedüngers vollſtändig erſetzt, ſie ent-
halten ebenfalls Beimiſchungen von phosphorſauren Salzen.
Es iſt von ganz beſonderer Wichtigkeit für den Oekonomen,
ſich über die Urſache der Wirkſamkeit der ſo eben beſprochenen
Materien nicht zu täuſchen. Man weiß, daß ſie einen höchſt
günſtigen Einfluß auf die Vegetation haben, und ebenſo gewiß
iſt es, daß die Urſache in einem Stoff liegt, der, abgeſehen
von ihrer Wirkungsweiſe durch ihre Form, Poroſität, Fähigkeit
[167]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Waſſer anzuziehen und zurückzuhalten, Antheil an dem Pflan-
zenleben nimmt. Man muß auf Rechenſchaft über dieſen
Einfluß verzichten, wenn man den Schleier der Iſis darüber
deckt.
Die Medizin hat Jahrhunderte lang auf der Stufe geſtan-
den, wo man die Wirkungen der Arzneien durch den Schleier
der Iſis verhüllte, aber alle Geheimniſſe haben ſich auf eine ſehr
einfache Weiſe gelöſ’t. Eine ganz unpoetiſche Hand erklärte die
anſcheinend unbegreifliche Wunderkraft der Quellen in Savoyen,
wo ſich die Walliſer ihre Kröpfe vertreiben, durch einen Ge-
halt an Jod; in den gebrannten Schwämmen, die man zu
demſelben Zweck benutzte, fand man ebenfalls Jod; man fand,
daß die Wunderkraft der China in einem darin in ſehr geringer
Menge vorhandenen kryſtalliniſchen Stoff, dem Chinin, daß
die mannigfaltige Wirkungsweiſe des Opiums in einer eben
ſo großen Mannigfaltigkeit von Materien liegt, die ſich daraus
darſtellen laſſen.
Einer jeden Wirkung entſpricht eine Urſache; ſuchen wir
die Urſachen uns deutlich zu machen, ſo werden wir die Wir-
kungen beherrſchen.
Als Princip des Ackerbaues muß angeſehen werden, daß
der Boden in vollem Maaße wieder erhalten muß, was ihm
genommen wird, in welcher Form dieß Wiedergeben geſchieht, ob
in der Form von Excrementen, oder von Aſche oder Knochen, dieß
iſt wohl ziemlich gleichgültig. Es wird eine Zeit kommen,
wo man den Acker mit einer Auflöſung von Waſſerglas (kie-
ſelſaurem Kali), mit der Aſche von verbranntem Stroh, wo
man ihn mit phosphorſauren Salzen düngen wird, die man
in chemiſchen Fabriken bereitet, gerade ſo wie man jetzt zur
Heilung des Fiebers und der Kröpfe chemiſche Präparate giebt.
Es giebt Pflanzen, welche Humus bedürfen, ohne bemerk-
[168]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
lich zu erzeugen; es giebt andere, die ihn entbehren können, die
einen humusarmen Boden daran bereichern; eine rationelle Cultur
wird allen Humus für die erſten und keinen für die anderen
verwenden, ſie wird die letzteren benutzen, um die erſteren da-
mit zu verſehen.
Wir haben in dem Vorhergehenden dem Boden Alles ge-
geben, was die Pflanzen für die Bildung der Holzfaſer, des
Korns, der Wurzel, des Stengels aus dem Boden ziehen,
und gelangen nun jetzt zum wichtigſten Zweck des Feldbaues,
nämlich zur Production von aſſimilirbarem Stickſtoff, alſo von
Materien, welche Stickſtoff enthalten. Das Blatt, was den
Holzkörper nährt, die Wurzel, aus der ſich die Blätter ent-
wickeln, was den Früchten ihre Beſtandtheile zubereitet, alle
Theile des Organismus der Pflanze enthalten ſtickſtoffhaltige
Materien in ſehr wechſelnden Verhältniſſen, die Wurzeln und
Saamen ſind beſonders reich daran.
Unterſuchen wir nun, in welcher Weiſe eine möglichſt ge-
ſteigerte Erzeugung von ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen in irgend
einer Form erreichbar iſt. Die Natur, die Atmoſphäre liefert
den Stickſtoff in hinreichender Menge zur normalen Entwicke-
lung einer Pflanze, und ihre Entwickelung muß ſchon als
normal betrachtet werden, wenn ſie nur ein einziges Saamen-
korn wieder erzeugt, was fähig iſt, in einem darauf folgenden
Jahre die Pflanze wiederkehrend zu machen. Ein ſolcher nor-
maler Zuſtand würde die Pflanzen auf der Erde erhalten,
allein ſie ſind nicht ihrer ſelbſt wegen da; die größere Anzahl
von Thieren, ſind in Beziehung auf ihre Nahrung, auf die ve-
getabiliſche Welt angewieſen, und eine weiſe Einrichtung giebt
der Pflanze die merkwürdige Fähigkeit, bis zu einem gewiſſen
Grade allen Stickſtoff, der ihr dargeboten wird, in Nahrungs
ſtoff für das Thier zu verwandeln.
[169]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Geben wir der Pflanze Kohlenſäure und alle Materien,
die ſie bedarf, geben wir ihr Humus in der reichlichſten Quan-
tität, ſo wird ſie nur bis zu einem gewiſſen Grade zur Aus-
bildung gelangen; wenn es an Stickſtoff fehlt, wird ſie Kraut
aber keine Körner, ſie wird vielleicht Zucker und Amylon,
aber keinen Kleber erzeugen.
Geben wir der Pflanze aber Stickſtoff in reichlicher Quan-
tität, ſo wird ſie den Kohlenſtoff, den ſie zu ſeiner Aſſimilation
bedarf, aus der Luft, wenn er im Boden fehlt, mit der kräf-
tigſten Energie ſchöpfen; wir geben ihr in dem Stickſtoff die
Mittel, um den Kohlenſtoff aus der Atmoſphäre in ihrem Or-
ganismus zu fixiren.
Als Dünger, der durch ſeinen Stickſtoffgehalt wirkt, können
die feſten Excremente des Rindviehes, der Schafe und des
Pferdes gar nicht in Betrachtung gezogen werden, eben weil
ihr Gehalt an dieſem Beſtandtheil verſchwindend klein iſt; die
menſchlichen Excremente hingegen ſind verhältnißmäßig reich
an Stickſtoff, ihr Gehalt iſt aber außerordentlich variirend, die
Excremente der Menſchen, welche in Städten wohnen, wo die
animaliſche Koſt vorherrſcht, ſie ſind reicher daran, als die
von Bauern und überhaupt vom Lande her genommenen; Brot
und Kartoffeln geben beim Menſchen Excremente von einer
ähnlichen Beſchaffenheit und Zuſammenſetzung, wie bei den
Thieren.
Die Excremente überhaupt haben in dieſer Beziehung einen
höchſt ungleichen Werth; für Sand- und Kalkboden, dem es
an kieſelſaurem Kali und phosphorſauren Salzen fehlt, haben
die Excremente der Pferde und des Rindviehes einen ganz be-
ſonderen Nutzen, der ſich für kalireichen Thonboden, für Baſalt,
Granit, Porphyr, Klingſtein, ſelbſt für Zechſteinboden außeror-
dentlich vermindert; für dieſe letzteren iſt der Dünger von
[170]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
menſchlichen Excrementen das Hauptmittel, um ſeine Fruchtbar-
keit auf eine außerordentliche Weiſe zu ſteigern; denſelben
Nutzen hat er natürlich für alle Bodenarten überhaupt, aber
zur Düngung der erſteren können die Excremente von Thieren
nicht entbehrt werden.
Von dem Stickſtoffgehalt der feſten Excremente abgeſehen,
haben wir nur eine einzige Quelle von ſtickſtoffhaltigen Dün-
ger, und dieſe Quelle iſt der Harn der Thiere und Menſchen.
Wir bringen den Harn entweder als Miſtjauche oder in
der Form der Excremente ſelbſt, die davon durchdrungen ſind,
auf die Felder; es iſt der Harn, der den letzteren die Fähig-
keit giebt, Ammoniak zu entwickeln, eine Fähigkeit, die er an
und für ſich nur in einem höchſt geringen Grade beſitzt.
Wenn wir unterſuchen, was wir in dem Harn den Feldern
eigentlich geben, ſo kommen wir als einziges und mittelbares
Reſultat auf Ammoniakſalze, welche Beſtandtheile des Harns
ſind, auf Harnſäure, welche ausnehmend reich an Stickſtoff iſt,
und auf phosphorſaure Salze, die im Harne ſich gelöſ’t be-
finden.
Nach der Analyſe von Berzelius enthalten 1000 Theile
Menſchenharn:
- Harnſtoff . . . . . . . . . 30,10
- Freie Milchſäure
- Milchſaures Ammoniak
- Fleiſch-Extract
- Extractivſtoffe
- Harnſäure . . . . . . . . 1,00
- Harnblaſenſchleim . . . . . . 0,32
- Schwefelſaures Kali . . . . . 3,71
- Schwefelſaures Natron. . . . . 3,16
- Latus 55,43
[171]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
- Transport 55,43
- Phosphorſaures Natron . . . . 2,94
- Zweifach-phosphorſaures Ammoniak 1,65
- Kochſalz . . . . . . . . . 4,45
- Salmiak . . . . . . . . . 1,50
- Phosphorſaure Bittererde und Kalk 1,00
- Kieſelerde . . . . . . . . . 0,03
- Waſſer . . . . . . . . . 933,00
- 1000,00
Nehmen wir aus dem Harn den Harnſtoff, das milchſaure
Ammoniak, die freie Milchſäure, Harnſäure, phosphorſaures
Ammoniak und Salmiak hinweg, ſo bleiben 1 p. c. feſter
Stoffe, die aus anorganiſchen Salzen beſtehen, die natürlicher
Weiſe auf den vegetabiliſchen Organismus ganz gleich wirken
müſſen, ob wir ſie im Harn oder in Waſſer gelöſ’t auf’s Feld
bringen.
Es bleibt, wie man ſieht, nichts übrig, als die kräftige Wir-
kungsweiſe des Urins dem Harnſtoff oder den andern Ammo-
niakſalzen zuzuſchreiben.
Der Harnſtoff iſt in dem Urin des Menſchen zum Theil
in der Form von milchſaurem Harnſtoff (Henry), eine an-
dere Portion davon iſt frei vorhanden.
Unterſuchen wir nun, was geſchehen wird, wenn wir den
Harn ſich ſelbſt überlaſſen, faulen laſſen, wenn er alſo in den
Zuſtand übergeht, in welchem er als Dünger dient; aller
an Milchſäure gebundener Harnſtoff verwandelt ſich in milch-
ſaures Ammoniak, aller frei vorhandene geht in äußerſt flüch-
tiges kohlenſaures Ammoniak über.
In wohlbeſchaffenen, vor der Verdunſtung geſchützten Dünger-
behältern wird das kohlenſaure Ammoniak gelöſ’t bleiben, bringen
wir den gefaulten Harn auf unſere Felder, ſo wird ein Theil des
[172]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
kohlenſauren Ammoniaks mit dem Waſſer verdunſten, eine andere
Portion davon wird von thon- und eiſenoxidhaltigem Boden
eingeſaugt werden, im Allgemeinen wird aber nur das milch-
ſaure, phosphorſaure und ſalzſaure Ammoniak in der Erde
bleiben, der Gehalt an dieſen allein, macht den Boden fähig,
im Verlauf der Vegetation auf die Pflanzen eine directe Wir-
kung zu äußern, keine Spur davon wird den Wurzeln der
Pflanzen entgehen.
Das kohlenſaure Ammoniak macht bei ſeiner Bildung den
Harn alkaliſch, in normalem Zuſtande iſt er, wie man weiß,
ſauer; wenn es, was in den meiſten Fällen eintritt, ſich ver-
flüchtigt und in die Luft verliert, ſo iſt der Verluſt, den wir
erleiden, beinahe gleich dem Verluſt an dem halben Gewichte
Urin; wenn wir es fixiren, d. h. ihm ſeine Flüchtigkeit nehmen,
ſo haben wir ſeine Wirkſamkeit aufs Doppelte erhöht.
Das Vorhandenſein von freiem kohlenſauren Ammoniak
in gefaultem Urin hat ſelbſt in früheren Zeiten zu dem Vor-
ſchlage Veranlaſſung gegeben, die Miſtjauche auf Salmiak zu
benutzen. Von manchem Oekonomen iſt dieſer Vorſchlag in
Ausführung gebracht worden zu einer Zeit, wo der Salmiak
einen hohen Handelswerth beſaß. Die Miſtjauche wurde in Ge-
fäßen von Eiſen der Deſtillation unterworfen und das Deſtillat
auf gewöhnliche Weiſe in Salmiak verwandelt. (Demachy.)
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Agricultur eine ſolche
widerſinnige Anwendung verwerfen muß, da der Stickſtoff von
100 ℔ Salmiak (welche 26 Theile Stickſtoff enthalten) gleich
iſt dem Stickſtoffgehalte von 1200 ℔ Weizenkörnern, 1480 ℔
Gerſtenkörnern oder 2500 ℔ Heu. (Bouſſingault.)
Das durch Fäulniß des Urins erzeugte kohlenſaure Ammo-
niak kann auf mannigfaltige Weiſe fixirt, d. h. ſeiner Fähigkeit
ſich zu verflüchtigen beraubt werden.
[173]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Denken wir uns einen Acker mit Gyps beſtreut, den wir
mit gefaultem Urin, mit Miſtjauche überfahren, ſo wird alles
kohlenſaure Ammoniak ſich in ſchwefelſaures verwandeln, was
in dem Boden bleibt.
Wir haben aber noch einfachere Mittel, um alles kohlen-
ſaure Ammoniak den Pflanzen zu erhalten, ein Zuſatz von
Gyps, Chlorcalcium, von Schwefelſäure oder Salzſäure, oder
am beſten von ſaurem phosphorſaurem Kalk, lauter Subſtan-
zen, deren Preis ausnehmend niedrig iſt, bis zum Verſchwin-
den der Alkalinität des Harns, wird das Ammoniak in ein
Salz verwandeln, was ſeine Fähigkeit ſich zu verflüchtigen
gänzlich verloren hat.
Stellen wir eine Schaale mit concentrirter Salzſäure in
einen gewöhnlichen Abtritt hinein, in welchem die obere Oeff-
nung mit dem Düngbehälter in offener Verbindung ſteht, ſo
findet man ſie nach einigen Tagen mit Kryſtallen von
Salmiak angefüllt. Das Ammoniak, deſſen Gegenwart die
Geruchsnerven ſchon anzeigen, verbindet ſich mit der Salz-
ſäure und verliert ſeine Flüchtigkeit; über der Schaale be-
merkt man ſtets dicke weiße Wolken oder Nebel von neuent-
ſtandenem Salmiak. In einem Pferdeſtall zeigt ſich die näm-
liche Erſcheinung. Dieſes Ammoniak geht nicht allein der Ve-
getation gänzlich verloren, ſondern es verurſacht noch überdieß
eine langſam aber ſicher erfolgende Zerſtörung der Mauer.
In Berührung mit dem Kalk des Mörtels verwandelt es ſich
in Salpeterſäure, welche den Kalk nach und nach auflöſ’t, der
ſogenannte Salpeterfraß (Entſtehung von löslichem ſalpeterſau-
rem Kalk) iſt die Folge ſeiner Verweſung.
Das Ammoniak, was ſich in Ställen und aus Abtritten
entwickelt, iſt unter allen Umſtänden mit Kohlenſäure verbun-
den. Kohlenſaures Ammoniak und ſchwefelſaurer Kalk (Gyps)
[174]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
können bei gewöhnlicher Temperatur nicht mit einander in Be-
rührung gebracht werden, ohne ſich gegenſeitig zu zerſetzen.
Das Ammoniak vereinigt ſich mit der Schwefelſäure, die Koh-
lenſäure mit dem Kalk zu Verbindungen, welche nicht flüchtig,
d. h. geruchlos ſind. Beſtreuen wir den Boden unſerer Ställe
von Zeit zu Zeit mit gepulvertem Gyps, ſo wird der Stall
ſeinen Geruch verlieren, und wir werden nicht die kleinſte
Quantität Ammoniak, was ſich gebildet hat, für unſere Felder
verlieren.
Die Harnſäure, nach dem Harnſtoff das ſtickſtoffreichſte unter
den Producten des lebenden Organismus, iſt im Waſſer lös-
lich, ſie kann durch die Wurzeln der Pflanzen aufgenommen
und ihr Stickſtoff in der Form von Ammoniak, von kleeſaurem,
blauſaurem oder kohlenſaurem Ammoniak aſſimilirt werden.
Es wäre von außerordentlichem Intereſſe, die Metamor-
phoſen zu ſtudiren, welche die Harnſäure in einer lebenden
Pflanze erfährt, als Düngmittel in reinem Zuſtande unter
ausgeglühtes Kohlenpulver gemiſcht, in welchem man Pflanzen
vegetiren läßt, würde die Unterſuchung des Saftes der Pflanze
oder der Beſtandtheile des Saamens oder der Frucht leicht die
Verſchiedenheiten erkennen laſſen.
In Beziehung auf den Stickſtoffgehalt ſind 100 Theile
Menſchenharn ein Aequivalent für 1300 Theile friſcher Pferde-
excremente nach Macaire’s und Marcet’s Analyſen und
600 Theile friſcher Excremente der Kuh. Man wird hieraus
leicht entnehmen, von welcher Wichtigkeit es für den Ackerbau
iſt, auch nicht den kleinſten Theil davon zu verlieren. Die kräf-
tige Wirkung des Harns im Allgemeinen iſt in Flandern vor-
züglich anerkannt, allein nichts läßt ſich mit dem Werthe ver-
gleichen, den das älteſte aller Ackerbau treibenden Völker, das
Chineſiſche, den menſchlichen Excrementen zuſchreibt, die Geſetze
[175]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
des Staates verbieten das Hinwegſchütten derſelben, in jedem
Hauſe ſind mit der größten Sorgfalt Reſervoirs angelegt, in
denen ſie geſammelt werden, nie wird dort für Getreidefelder
ein andrer Dünger verwendet.
China iſt die Heimath der Experimentirkunſt, das unabläſ-
ſige Beſtreben, Verſuche zu machen, hat das chineſiſche Volk
ſeit Jahrtauſenden zu Entdeckungen geführt, welche die Euro-
päer Jahrhunderte lang, in Beziehung auf Färberei, Malerei,
Porzellan- und Seidebereitung, Lack- und Malerfarben, bewun-
derten, ohne ſie nachahmen zu können, man iſt dort dazu ge-
langt, ohne durch wiſſenſchaftliche Principien geleitet zu werden,
denn man findet in allen ihren Büchern Recepte und Vor-
ſchriften, aber niemals Erklärungen.
Ein halbes Jahrhundert genügte den Europäern, die Chi-
neſen in den Künſten und in den Gewerben nicht allein zu
erreichen, ſondern ſie zu übertreffen, und dieß geſchah aus-
ſchließlich nur durch die Anwendung richtiger Grundſätze, die
aus dem Studium der Chemie hervorgingen, aber wie unendlich
weit iſt der europäiſche Ackerbau hinter dem chineſiſchen zurück.
Die Chineſen ſind die bewundernswürdigſten Gärtner und Er-
zieher von Gewächſen, für jedes wiſſen ſie eigends zubereiteten
Dünger anzuwenden. Der Ackerbau der Chineſen iſt der voll-
kommenſte in der Welt, und man legt in dieſem Lande, deſſen
Klima in den fruchtbarſten Bezirken ſich von dem europäiſchen
nur wenig entfernt, den Excrementen der Thiere nur einen
höchſt geringen Werth bei. Bei uns ſchreibt man dicke Bü-
cher, aber man ſtellt keine Verſuche an, man drückt in Procen-
ten aus, was die eine und die andere Pflanze an Dünger ver-
zehrt, und weiß nicht, was Dünger iſt!
Wenn wir annehmen, daß die flüſſigen und feſten Excre-
mente eines Menſchen täglich nur 1½ ℔ betragen (5/4 ℔ Urin
[176]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
und ¼ ℔ feſter Excremente), daß beide zuſammengenommen
3 p. c. Stickſtoff enthalten, ſo haben wir in einem Jahre
547 ℔ Excremente, welche 16,41 ℔ Stickſtoff enthalten, eine
Quantität, welche hinreicht, um 800 ℔ Weizen-, Rocken-, Ha-
fer- und 900 ℔ Gerſtenkörnern (Bouſſingault) den Stick-
ſtoff zu liefern.
Dieß iſt bei weitem mehr, als man einem Morgen Land
hinzuzuſetzen braucht, um mit dem Stickſtoff, den die Pflan-
zen aus der Atmoſphäre aufſaugen, ein jedes Jahr die reich-
lichſten Ernten zu erzielen. Eine jede Ortſchaft, eine jede
Stadt könnte bei Anwendung von Fruchtwechſel alle ihre Fel-
der mit dem ſtickſtoffreichſten Dünger verſehen, der noch überdieß
der reichſte an phosphorſauren Salzen iſt. Bei Mitbenutzung
der Knochen und der ausgelaugten Holzaſche würden alle Ex-
cremente von Thieren völlig entbehrlich ſein.
Die Excremente der Menſchen laſſen ſich, wenn durch ein
zweckmäßiges Verfahren die Feuchtigkeit entfernt und das freie
Ammoniak gebunden wird, in eine Form bringen, welche die
Verſendung, auch auf weite Strecken hin, erlaubt.
Dieß geſchieht ſchon jetzt in manchen Städten, und die Zu-
bereitung der Menſchenexcremente in eine verſendbare Form,
macht einen nicht ganz unwichtigen Zweig der Induſtrie aus.
Aber die Grundſätze, die man befolgt, um dieſen Zweck zu er-
reichen, ſind die verkehrteſten und widerſinnigſten, die man ſich
denken kann. Die in den Häuſern in Paris in Fäſſern ge-
ſammelten Excremente werden in Montfaucon in tiefen Gru-
ben geſammelt und ſind zum Verkaufe geeignet, wenn ſie einen
gewiſſen Grad der Trockenheit durch Verdampfung an der Luft
gewonnen haben; durch die Fäulniß derſelben in den Behäl-
tern in den Häuſern verwandelt ſich aller Harnſtoff zum größ-
ten Theil in kohlenſaures Ammoniak; es entſteht milch- und
[177]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
phosphorſaures Ammoniak, die vegetabiliſchen Theile, welche
darinn enthalten ſind, gehen ebenfalls in Fäulniß über, alle
ſchwefelſauren Salze werden zerſetzt, der Schwefel bildet Schwe-
felwaſſerſtoff und flüchtiges Schwefelammonium. Die an der
Luft trocken gewordene Maſſe hat mehr wie die Hälfte ihres
Stickſtoffgehalts mit dem verdampfenden Waſſer verloren, der
Rückſtand beſteht neben phosphorſaurem und milchſaurem Am-
moniak, zum größten Theil aus phosphorſaurem Kalk, etwas
harnſaurer Bittererde und fettigen Subſtanzen; er iſt nichts
deſto weniger noch ein ſehr kräftiger Dünger, aber ſeine Fä-
higkeit zu düngen wäre verdoppelt und verdreifacht worden,
wenn man die Excremente vor dieſem Eintrocknen durch eine
wohlfeile Mineralſäure neutraliſirt hätte.
In andern Fabriken mengt man die weichen Excremente
mit Holzaſche oder mit Erde, die eine reichliche Quantität
ätzendem Kalk enthält, und bewirkt damit eine völlige Austrei-
bung alles Ammoniaks, wobei ſie ihren Geruch aufs Vollſtän-
digſte verlieren. Wenn dieſer Rückſtand düngt, ſo geſchieht
dieß lediglich nur durch die phosphorſauren Salze, die er noch
enthält, denn alle Ammoniakverbindungen ſind zerſetzt und das
Ammoniak iſt ausgetrieben worden.
In dem ſterilen Boden der Küſten Südamerika’s düngt man
mit Guano, mit harnſauren und anderen Ammoniakſalzen, und
erhält damit eine üppige Vegetation und die reichſten Ernten.
In China giebt man den Getreidefeldern keinen anderen Dün-
ger als Menſchenexcremente; bei uns überfährt man die Fel-
der jährlich mit dem Saamen von allen Unkrautpflanzen, die
in der Beſchaffenheit und Form, welche ſie beſitzen, unverdaut
mit ihrer ganzen Keimkraft in die Excremente der Thiere wie-
der übergehen, und man wundert ſich, daß das Unkraut trotz
aller Anſtrengung auf den Aeckern, wo es ſich einmal einge-
12
[178]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
niſtet hat, nicht vertrieben werden kann; man begreift es nicht,
und ſäet es jedes Jahr von neuem an. Ein berühmter Bo-
taniker, der in den neunziger Jahren mit der holländiſchen Ge-
ſandtſchaft nach China reiſ’te, konnte auf den chineſiſchen Ge-
treidefeldern kaum irgend eine andere Pflanze finden als das
Korn ſelbſt. (Ingenhouß, die Ernährung der Pflanzen
S. 129).
Der Harn der Pferde iſt weit weniger reich an Stickſtoff
und phosphorſauren Salzen. Nach Foucroy und Vauque-
lin enthält er nur 5 p. c. feſte Subſtanz, und darinn nur
0,7 Harnſtoff. 100 Theile Menſchenharn enthalten mehr wie
viermal ſo viel.
Der Kuhharn iſt vorzüglich reich an Kaliſalzen; nach
Rouelle und Brande enthält er ſogar keine Natronſalze.
Der Harn der Schweine iſt vorzüglich reich an phosphorſau-
rem Bittererde-Ammoniak, welches die ſo häufig vorkommen-
den Steine in den Harnblaſen dieſer Thiere bildet.
Es iſt klar, daß wenn wir die feſten und flüſſigen Excre-
mente der Menſchen, und die flüſſigen der Thiere in dem Ver-
hältniſſe zu dem Stickſtoff auf unſere Aecker bringen, den wir
in der Form von Gewächſen darauf geerntet haben, ſo wird
die Summe des Stickſtoffs auf dem Gute jährlich wachſen
müſſen. Denn zu dem, welchen wir in dem Dünger zuführen,
iſt aus der Atmoſphäre eine gewiſſe Quantität hinzugekom-
men. Was wir in der Form von Getreide und Vieh an
Stickſtoff ausführen, was ſich davon in großen Städten an-
häuft, kommt andern Feldern zu gut, wenn wir ihn nicht er-
ſetzen. Ein Gut, was keine Wieſen hat und nicht Felder ge-
nug für den Anbau von Futtergewächſen beſitzt, muß ſtickſtoff-
haltigen Dünger von Außen einführen, wenn man auf ihm
ein Maximum von Ertrag erzielen will. Auf größeren Gü-
[179]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
tern erſetzen die Wieſen den jährlichen Ausfall an Stickſtoff
aufs Vollſtändigſte wieder.
Der einzige wirkliche Verluſt an Stickſtoff beſchränkt ſich
demnach auf diejenige Quantität, welche die Menſchen mit in
ihre Gräber nehmen, aber dieſe kann im Maximo nicht über
3 ℔ für jedes Individuum betragen, welche ſich auf ein gan-
zes Menſchenalter vertheilen; ſie bleibt, wie man weiß, den Ge-
wächſen unverloren, denn durch Fäulniß und Verweſung kehrt
dieſelbe in der Form von Ammoniak in die Atmoſphäre zurück.
Eine geſteigerte Cultur erfordert eine geſteigerte Düngung,
mit derſelben wird die Ausfuhr an Getreide und Vieh wach-
ſen, ſie wird gehemmt durch den Mangel an Dünger.
Der höchſte Werth als ſtickſtoffhaltigen Dünger muß nach
dem Vorhergehenden vor Allem den flüſſigen Excrementen der
Thiere und Menſchen beigelegt werden. Der größte Theil des
Mehrertrages, des Zuwachſes alſo, deſſen Steigerung wir in
der Hand haben, geht von ihnen ausſchließlich aus.
Wenn man erwägt, daß jedes Pfund Ammoniak, welches un-
benutzt verdampft, einem Verluſt von 60 ℔ Getreide gleich-
kommt, daß mit jedem Pfunde Urin ein Pfund Weizen gewonnen
werden kann, ſo iſt die Leichtfertigkeit unbegreiflich, mit welcher
gerade die flüſſigen Excremente betrachtet werden; man benutzt
an den meiſten Orten nur die, von welchen die feſten durch-
drungen und befeuchtet ſind; man ſchützt die Düngerſtätten we-
der vor dem Regen, noch vor der Verdunſtung. Die feſten
Excremente enthalten die unlöslichen, die flüſſigen alle lösli-
chen phosphorſauren Salze, und die letzteren enthalten alles
Kali, was die verzehrten Pflanzen in der Form von organiſch-
ſauern Salzen enthalten.
Die friſchen Knochen, Wolle, Lumpen, Haare, Klauen und
Horn ſind ſtickſtoffhaltige Dünger, welche gleichzeitig durch ihren
12*
[180]Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger.
Gehalt an phosphorſauren Salzen Antheil an dem vegetabili-
ſchen Lebensproceſſe nehmen.
100 Th. trockner Knochen enthalten 32—33 p. c. trockne
Gallerte, nehmen wir darinn denſelben Gehalt an Stickſtoff
wie im thieriſchen Leim an, ſo enthalten ſie 5,28 p. c. Stick-
ſtoff, ſie ſind mithin als Aequivalent für 250 Th. Menſchen-
Urin zu betrachten.
Die Knochen halten ſich in trocknem oder ſelbſt feuchtem
Boden (z. B. die in Lehm oder Gyps ſich findenden Knochen
urweltlicher Thiere) bei Luftabſchluß Jahrtauſende unverändert,
indem der innere Theil durch den äußern vor dem Angriff des
Waſſers geſchützt wird. In feingepulvertem feuchtem Zuſtande
erhitzen ſie ſich, es tritt Fäulniß und Verweſung ein, die Gallerte,
die ſie enthalten, zerſetzt ſich; ihr Stickſtoff verwandelt ſich in koh-
lenſaures Ammoniak und in andere Ammoniakſalze, welche
zum größten Theil von dem Pulver zurückgehalten werden (1 Vol.
wohl ausgeglühte weißgebrannte Knochen abſorbiren 7,5 Vol.
reines Ammoniakgas).
Als ein kräftiges Hülfsmittel zur Beförderung des Pflanzen-
wuchſes auf ſchwerem und namentlich auf Thonboden muß
ſchließlich noch das Kohlenpulver betrachtet werden.
Schon Ingenhouß hat die verdünnte Schwefelſäure als
Mittel vorgeſchlagen, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu ſtei-
gern, auf Kalkboden erzeugt ſich beim Beſprengen mit verdünn-
ter Schwefelſäure augenblicklich Gyps, den ſie alſo auf’s voll-
ſtändigſte erſetzen kann. 100 Th. concentrirte Schwefelſäure
mit 800 bis 1000 Th. Waſſer verdünnt, ſind ein Aequivalent
für 176 Th. Gyps.
[[181]]
Anhang zur Seite 57.
Beobachtungen über eine Pflanze
(Ficus Australis),
welche 8 Monate hintereinander in dem Gewächshauſe des
botaniſchen Gartens in Edinburg in der Luft hangend,
ohne mit der Erde ſich in Berührung zu befinden,
gelebt hat,
von
William Maguab,*)
Director des Pflanzengartens in Edinburg.
Die Ficus australis ſtammen aus dem ſüdlichen Theile Neu-
hollands und ſind durch Sir Joſeph Banks 1789 in unſere
Gärten eingeführt worden; ſie ſind jetzt ziemlich verbreitet in Eng-
land, wo man ſie wie die Pflanzen in den mäßig warmen
Treibhäuſern (green house) behandelt. In einem ſolchen guten
[182]Anhang.
Treibhauſe gedeihen ſie wirklich, obgleich ſie im Allgemeinen
empfindlicher gegen die Wirkungen der Kälte, als andere Pflan-
zen der nämlichen Gegend ſind.
Bei meiner Ernennung zum Director des Gartens von
Edinburg im Jahre 1810 fand ich dieſe Pflanze ein wenig
kränkelnd im Greene-Houſe; nachdem ich ſie aber 1811 in
das heiße Treibhaus verpflanzt hatte, fing ſie ſogleich mit
großer Ueppigkeit zu gedeihen an.
Der Stengel der Pflanze, von dem Boden angerechnet bis
an den Anfang der Zweige, hatte ungefähr 1 Fuß Höhe.
Auf einem der Zweige ſah ich eine Wurzel hervorkommen,
2 Fuß entfernt von ſeiner Vereinigung mit dem Stiele. Als
ſie einen Fuß Länge erreicht hatte, ſtellte ich einen irdnen Topf
mit Unterſatz darunter; ſobald dieſer Topf mit Wurzelfaſern
angefüllt war, beſchloß ich zu unterſuchen, ob er bei häufigem
Begießen zur Ernährung der ganzen Pflanze hinreichen würde,
Im Auguſt 1816 hörte ich deshalb auf das erſte Gefäß
zu begießen, während die Erde des zweiten im Gegentheil oft
befeuchtet wurde; das Ganze blieb ſo acht Monate lang. Nun
gab augenſcheinlich die völlig ausgetrocknete Erde des erſten
Topfes der Pflanze keine Nahrung mehr; demungeachtet aber
war ſie ſo üppig, als werde ihr noch von den urſprünglichen
Wurzeln Leben zugeführt. Um alle Zweifel zu heben, wurde
das Gefäß, worin ſich dieſe erſten Wurzeln befanden, im Früh-
ling 1817 weggethan; die ſie umgebende, von der Sonne
ausgetrocknete Erde fiel durch ein leichtes Rütteln ab; die
Pflanze aber ſchien nicht im Geringſten darunter zu leiden;
nur die Wurzeln zeigten ſich an ihren verſchiedenen Theilen in
größerer Anzahl, als es bisher der Fall war.
Eine dieſer neuen Wurzeln — von einem Zweige, 3 Fuß
von dem Stiele aus in der entgegengeſetzten Richtung von der-
[183]Anhang.
jenigen, welche ſeit einiger Zeit die Pflanze ernährte — wurde
zu Ende des Sommers 1817 in einen neuen Topf gepflanzt;
ſobald eine gewiſſe Anzahl Wurzelfaſern ſich gebildet hatten,
wurde ſie oft begoſſen, während man, das nämliche Verfahren
befolgend, aufhörte den 2ten Topf zu begießen; die Pflanze
litt nicht im Mindeſten. Im Frühling 1818 nahm ich das
durchaus trockne zweite Gefäß hinweg und ſchüttelte, wie es
bei den erſten Wurzeln geſchehen, die daran hängende Erde
wieder los.
Dieſer dritte Topf, von welchem nun die Pflanze alle Nah-
rung empfing, war 4 Fuß von dem äußerſten Ende des Stie-
les — und ſehr wenig von der Spitze eines der Zweige ent-
fernt. Die urſprünglichen Wurzeln ſowohl, als die in dem
zweiten Topf verpflanzten, ſchwebten in der Luft. Bei einem
dritten Verſuche — den vorhergehenden in allem gleich —
der im Mai 1819 angeſtellt wurde, nahm die Pflanze ihre
Nahrung von einem einzigen ſehr kleinen Gefäße (von nur
2 Zoll im Durchmeſſer), welches man am äußerſten Ende eines
der Zweige unter der Wurzel angebracht hatte.
Endlich im Juli 1819 dachte ich zu verſuchen, ob die
Pflanze — wenn ſchwebend in der Luft, und ohne, daß einer
ihrer Theile die Erde berühre — leben könne. Ich nahm den
oben erwähnten kleinen Topf hinweg, ließ die Erde an den
Wurzeln fallen und begnügte mich, zweimal des Tages die
Blätter mit Waſſer zu beſprengen; nun aber — obgleich dieſer
Verſuch ſeit 8 Monaten dauert — iſt die an einem Spalier
hängende Pflanze eben ſo üppig, als andere in Erde gezogene
Individuen derſelben Art.
Bemerkenswerth iſt noch, daß dieſe Pflanze, welche,
nach der gewöhnlichen Weiſe behandelt, ſelten Früchte trägt,
an dem Spalier aufgezogen, mit ſolchen beladen war; 2 Fei-
[184]Anhang.
gen ſind an dem Blattwinkel faſt eines jeden Blattes entſtan-
den, und ich habe deren kaum dickere in den Treibhäuſern von
Kew geſehen.
Von dem äußerſten Ende der Wurzel bis an das der Blät-
ter hat die Pflanze jetzt (Februar 1819) 7½ Fuß. Der Sten-
gel, da wo er am ſtärkſten iſt, hat 5½ Zoll im Umfang. Sie
fährt fort zu wachſen und ſich auszubreiten, obgleich ſeit 8
Monaten ſie ſchwebend hängt, ohne daß einer ihrer Theile in
Berührung mit Erde ſteht.
(Ausgezogen mit einigen Abkürzungen aus den Annales de Chimie et
de Physique. T. XV. 13. Edinbourg philosophical Journal No. 5)
Verſuche und Beobachtungen
über die
Wirkung der vegetabiliſchen Kohle
auf die Vegetation,
von
Eduard Lucas.
In einer Abtheilung eines niederen Warmhauſes des bo-
taniſchen Gartens zu München wurde ein Beet für junge tro-
piſche Pflanzen, ſtatt der ſonſt gebräuchlichen Lohe, mit Kohlen-
ſtaub, der überall ſehr leicht zu erhalten war, nachdem durch
ein Sieb die größern Kohlenſtücke entfernt worden, ausgefüllt.
Die Heitzung lief mittelſt einer 6 Zoll weiten Röhre von Ei-
ſenblech durch dieſes Beet in einen hohlen Raum und theilte
ihm ſo eine gelinde Wärme mit, was bei der Lohe durch den
[185]Anhang.
Proceß ihrer Gährung bezweckt wurde. Die in dieſes Kohlen-
beet eingeſenkten Pflanzen zeichneten ſich gar bald durch eine
lebhafte Vegetation und ihr friſches geſundes Anſehen aus.
Wie es in dergleichen Beeten immer der Fall iſt, daß nemlich
die Wurzeln vieler Pflanzen durch die Abzugslöcher der Töpfe
hindurchdringen und ſich dann ausbreiten, ſo auch hier, nur
zeigte ſich das Auffallende, daß dieſe in Kohle durchgewurzel-
ten Pflanzen ſich durch Trieb und Ueppigkeit vor allen anderen,
z. B. in Lohe durchgewurzelten, ſehr auszeichneten. Einige,
unter denen ich nur die ſchöne Thunbergia alata und die Gat-
tung Peireskia nenne, wucherten zum Erſtaunen; erſtere blü-
hete ſo reichlich, daß Jeder, der ſie ſah, beſtätigte, noch nie
ſolche Exemplare gefunden zu haben. Auch ſetzte ſie, was ſonſt
meiſt nur nach künſtlicher Beſtäubung geſchieht, ohne Zuthun
eine Menge Saamen an. Die Peireskien kamen ſo ſtark in
Trieb, daß die Aculeata Loten von mehreren Ellen trieb und
P. grandifolia Blätter von einem Fuß Länge machte. Solche
Erſcheinungen, wozu noch viele ſcheinbar geringere, wie das
raſche Aufkeimen von Saamen, die ſich ſelbſt ausgeſtreut hat-
ten, das häufige Erſcheinen junger Filices kommen, mußten
natürlich meine Aufmerkſamkeit rege machen, und ich wurde ſo
nach und nach zu einer Reihe von Verſuchen geführt, deren
Reſultate in doppelter Beziehung nicht unintereſſant ſein dürf-
ten, denn außer dem techniſchen Nutzen für die Cultur der mei-
ſten Pflanzen bieten ſie auch in phyſiologiſcher Beziehung Man-
ches dar.
Das Nächſte, was die Natur der Sache mit ſich brachte,
war, daß ich zu verſchiedenen Pflanzen einen Theil vegetabili-
ſcher Kohle der Erde beimiſchte und in dem Quantum ſteigerte,
je mehr ich die Vortheile dieſer Methode einſah. Ganz vor-
züglich zeigte ſich z. B. ein Beiſatz von ⅔ Kohle unter Laub-
[186]Anhang.
erde bei Gesneria und Gloxinia, ſo wie bei den tropiſchen
Aroideen mit knolligen Wurzeln. Die beiden erſteren Gattun-
gen erregten bald durch die größte Ueppigkeit aller ihrer Theile
die Bewunderung der Kenner. Die Stengel übertrafen an
Dicke, ſo wie die Blätter an dunkler Färbung und Straffheit,
die auf gewöhnliche Weiſe cultivirten Exemplare; die Blüthe
ließ nichts zu wünſchen übrig, und ihre Vegetation dauerte
ausnehmend lange, ſo daß jetzt in Mitte des Novembers, wo
die meiſten der anderen Exemplare bis auf die Knole abgeſtor-
ben, dieſe noch in üppiger Friſche daſtehen und theilweiſe blü-
hen. Die Aroideen zeigten ein ſehr raſches Wurzelvermögen,
und ihre Blätter übertreffen an Größe die nicht ſo behandel-
ten um Vieles; die Arten, welche wir ihrer ſchönen Färbung
der Blätter wegen als Zierpflanzen ziehen (man denke nur
an Caladium bicolor, pictum, paecile ꝛc.), machten ſich durch
das lebhafteſte Colorit noch bemerkbarer; auch trat hier der
Fall wieder ein, daß ihre Vegetationsperiode ungewöhnlich
lang fortdauerte. Cactus, die in einer Miſchung von gleichen
Theilen Kohle und Erde gepflanzt wurden, wucherten förmlich
und überwuchſen ihre vorherige Größe in einigen Wochen um
die Hälfte. Bei einigen Bromeliaceen und Liliaceen leiſtete
die Anwendung der Kohle weſentliche Vortheile, ebenſo bei
Citrus, Begonia und ſelbſt bei Palmen. In geringeren Quan-
titäten bei faſt allen Pflanzenarten, bei denen man Sand zur
Lockererhaltung der Erde anwendet; nach dem Verhältniß des
Sandzuſatzes, anſtatt dieſen beigemiſcht, verfehlte die Kohle ihre
Wirkung nicht und erzielte immer eine kräftige Vegetation.
Zugleich mit obigen Verſuchen der Untermiſchung der Kohle
unter Erdarten wurde ſie auch rein ohne Zuſatz zur Vermeh-
rung der Pflanzen angewendet und auch hierbei erhielt ich die
erfreulichſten Reſultate. Stöcklinge, von den verſchiedenſten
[187]Anhang.
Gattungen bewurzelten ſich darin ſehr ſchnell und gut; ich er-
wähne nur Euphorbia fastuosa und fulgens in 10 Tagen,
Pandanus utilis in 3 Monaten, P. amaryllifolius, Chamae-
dorea elatior in 4 Wochen, Piper-nigrum, Begonia, Ficus,
Cecropia, Chiococca, Buddleja, Hakea, Phyllanthus, Cappa-
ris, Laurus, Stifftia, Jacquinia, Mimosa, Cactus in 8 bis
10 Tagen einige 40 Species, Ilex und viele andere. Doch
auch Blätter und Blattſtücke, ſelbſt Pedunculi, wurden zum
Wurzeln und theilweiſe zur Augenbildung in reine Kohle ge-
bracht. So gelang es unter Anderm, die Foliola mehrerer
Cycadeen zum Wurzeln zu bringen, eben ſo einzelne Theile
des gefiederten Blattes von Bignonia Telsairiae und Jaca-
randa brasiliensis, Blätter von Euphorbia fastuosa, Oxa-
lis Barrelieri, Ficus, Cyclamen, Polyanthes, Mesembrianthe-
mum, auch zartlaubige Pflanzen, wie Lophospermum und
Martynia, Stücke eines Blattes der Agave americana, Na-
delbündel von Pinus ꝛc., alle ohne einen Anſatz eines vorbe-
reiteten Auges.
Zu Kurmittel für kranke Pflanzen hat ſich auch die reine
Kohle ſehr vortrefflich bewieſen. So wurde z. B. eine Do-
rianthes excelsa, die ſeit drei Jahren immer nur zurückgegan-
gen war, in kurzer Zeit völlig geſund hergeſtellt. Einem Pom-
meranzenbäumchen, welches die leider ſehr häufige Krankheit,
das Gelbwerden der Blätter, hatte, wurde dadurch, daß die
obere Erdſchicht hinweggenommen und 1 Zoll dick ein Ring
von Kohle in die Peripherie des Topfes geſtreut wurde, bin-
nen 4 Wochen ſeine geſunde grüne Farbe wieder gegeben. Der-
ſelbe Fall war bei Gardenia.
Es würde zu weit führen, alle Verſuche mit ihren Reſul-
taten, die mit der Kohle angeſtellt wurden, hier aufzuzählen;
es gehört auch nicht mehr in das Bereich dieſer Blätter, in-
[188]Anhang.
dem nur im Allgemeinen gezeigt werden ſollte, wie die Kohle
ihre Wirkungen auf die Vegetation äußerte. Ausführlichere
Mittheilungen mögen die verehrlichen Leſer, die beſonderes
Intereſſe an dieſem Gegenſtande finden, in der Allgemeinen
deutſchen Gartenzeitung von Otto und Dietrich in Berlin
in der Folge nachſehen.
Die Kohle, die zu obigen Verſuchen angewendet wurde,
war nur der ſtaubige Abfall von Föhren- oder Fichtenkohle,
wie derſelbe bei Schmieden, Schloſſern ꝛc. in Menge umſonſt
zu haben iſt. Dieſes Kohlenpulver zeigte ſich am wirkſamſten,
nachdem es einen Winter hindurch der Luft exponirt geweſen
war. Für die Folge werden aber auch Verſuche mit Kohle
von harten Holzarten, ſo mit Torfkohle, und mit thieriſcher
Kohle angeſtellt werden, obgleich wohl mit Wahrſcheinlichkeit
vorauszuſehen, daß keine derſelben ſo entſprechen wird, als die
Fichtenkohle, ihrer Poroſität und leichtern Zerſetzbarkeit wegen.
Zu bemerken iſt übrigens, daß alle auf erwähnte Art zu
behandelnden Pflanzen reichliches Begießen bedürfen, indem es
leicht begreiflich iſt, daß ohne dieſes, da die Luft bei weitem
leichter die Wurzelballen durchdringen und austrocknen kann,
ein Mißlingen jedes Verſuchs faſt unvermeidlich iſt.
Dieſer Wirkſamkeit der Kohle liegt wohl zuerſt zu Grunde,
die Theile der Pflanzen, die mit ihr in Berührung gebracht
werden, ſeien es Wurzeln, Zweige, Blätter oder Blattſtücke,
eine geraume Zeit unverändert in ihrer Lebensthätigkeit zu er-
halten, ſo daß das Individuum Zeit gewinnt, aus ſich ſelbſt
die Organe zu entwickeln, die zu ſeiner weiteren Erhaltung
und Fortpflanzung nothwendig ſind. Es leidet auch wohl faſt
keinen Zweifel, daß die Kohle bei ihrer Zerſetzung — nach meh-
reren, vielleicht 5 bis 6 Jahren iſt dieſelbe, wenn ſie beſtändig
in Thätigkeit bleibt, zu Kohlenerde geworden — Kohlenſtoff
[189]Anhang.
oder Kohlenoxid der Pflanze in reichlicher Menge zuführt und
durch dieſe Mittheilung des Hauptbeſtandtheils der pflanzlichen
Nahrung Wirkungen hervorzubringen vermag; wie wäre denn
ſonſt das tiefere Grün und die Ueppigkeit der Blätter, ja das
ganzen Wachsthums zu erklären, die bei der beſten Cultur in
irgend einer Erdart nach dem Urtheil erfahrener Männer nicht
erzielt werden konnte. Sie wirkt auch inſofern äußerſt gün-
ſtig, als ſie die von den Wurzeln abſorbirten Theile zerſetzt
und aufſaugt und dadurch die Erde immer rein von faulenden
Subſtanzen, die oft Urſache des Abſterbens der Spongiolen
ſind, erhält. Ihre Poroſität, ſo wie das Vermögen, das Waſſer
raſch aufzuſaugen und nach geſchehener Sättigung alles übrige
durchſickern zu laſſen, ſind gewiß nicht minder Urſache der gün-
ſtigen Ergebniſſe. Welche nahe Verwandtſchaft übrigens die
Beſtandtheile der Kohle zu allen Pflanzen haben müſſen, geht
daraus hervor, daß alle angeſtellten Verſuche die Bemühungen
krönten, und zwar bei der großen Verſchiedenheit der Pflanzen-
familien, die denſelben unterworfen wurden. (Buchner’s
Repertorium, II. Reihe XIX. Bd. S. 38.)
[[190]]
Ueber Ernährung der Pflanzen
vom
Forſt-Rathe Dr.Th. Hartig.
Wenn heute eine Sandſchelle, deren Boden kaum erkenn-
bare Spuren von Humus enthält, mit Kiefern angeſäet und
ſorgfältig bewirthſchaftet wird, ſo liefert nach einer Reihe von
Jahren der aus der Saat hervorgegangene Holzbeſtand nicht
allein eine beträchtliche Kohlenſtoffmaſſe in der Holzernte, ſon-
dern auch die Fruchtbarkeit des Bodens zeigt ſich durch einen
erhöhten Humusgehalt geſteigert. Wo kann dieſe Kohlenſtoff-
maſſe herſtammen, wenn nicht aus der Luft.
Kann in dieſem Falle ein Holzbeſtand auf ſchlechtem
Boden ſeinen und ſeines Bodens Kohlenſtoff aus der Luft
beziehen, ſo wird er dieſe Fähigkeit auf einem in ſeinen anor-
ganiſchen Beſtandtheilen beſſeren Boden in nicht geringerem
Grade beſitzen.
Wenn es eine nicht in Abrede zu ſtellende Thatſache iſt,
daß der jährliche Laubabfall geſchloſſener Waldbeſtände hinreicht,
auf fruchtbarem Boden mehr als hinreichend iſt, denſelben in
ſeinem Humusgehalte zu erhalten, ſo iſt es mathematiſch ge-
wiß, daß die geſammte Holz-Production der Wälder ihrer
Maſſe nach aus der Atmoſphäre ſtamme.
Eben ſo beſtimmt erkennen wir in unſern Wäldern, daß
[191]Anhang.
der atmoſphäriſche Kohlenſtoff durch die Blätter in die Pflanze,
aufgenommen wird, denn in geſchloſſenen Beſtänden iſt der
Blattſchirm ſo dicht, daß nur die gröbſten Niederſchläge, und
dieſe erſt dann, wenn ſie wenig Kohlenſtoff enthalten, den Bo-
den erreichen; alle feineren atmoſphäriſchen Niederſchläge und
die mit Kohlenſäure reichlich geſchwängerten erſten Tropfen
gröberer Niederſchläge werden von den Blättern gierig einge-
ſogen und erreichen den Boden nicht.
Trotz dem erkennen wir eine weit größere Abhängigkeit des
Pflanzenwuchſes von der Bodenbeſchaffenheit als vom Klima.
Guter Boden vermag in weit höherem Grade die Ungunſt
des Klima als eine günſtige Atmoſphäre die ſchlechte Beſchaf-
fenheit des Bodens zu heben; den Erfahrungen über Abhän-
gigkeit des Pflanzenwuchſes vom Boden, über den günſtigen
Einfluß, welchen beſonders der Humus äußert, müſſen ſich alle
Reſultate wiſſenſchaftlicher Unterſuchungen, alle Erkenntniß der
Nahrung und Ernährung des Pflanzenkörpers unterordnen.
Es iſt die Frage: worin die Abhängigkeit des Pflanzen-
wuchſes von der Beſchaffenheit des Standorts begründet ſei,
eine der wichtigſten für den Acker- und Forſtwirth. Meine
Erfahrungen und Anſichten hierüber ſind enthalten im erſten
Bande der achten Auflage des Lehrbuches für Förſter (Luft-,
Boden- und Pflanzenkunde in ihrer Anwendung auf Forſt-
wirthſchaft). Stuttgart bei Cotta 1840.
Neuere Verſuche haben mir einige für die Lehre von der
Ernährung der Pflanzen nicht unwichtige Reſultate geliefert.
Dem Wunſche des verehrten Herrn Verfaſſers vorliegenden
Werkes entſprechend theile ich dieſelben in Folgendem mit.
[192]Anhang.
1) Die Pflanzen nehmen keine ſogenannten Extractiv-
ſtoffe, keine Humusauflöſung aus dem Boden auf.
Vier größere Glascylinder wurden gefüllt mit einer Auf-
löſung ſogenannter Humusſäure aus Dammerde in Kali, und
zwar in der Art, daß dem erſten Glaſe die Auflöſung ſehr
concentrirt und dunkel-ſchwarzbraun jedem der folgenden Glä-
ſer mit der Hälfte Waſſer verdünnt gegeben wurde, ſo daß das
zweite Glas nur ½, das dritte nur ¼, das vierte nur ⅛
der Humusauflöſung enthielt. In dieſen Gläſern wur-
den junge Bohnenpflanzen erzogen, und es zeigt ſich ein
verhältnißmäßig kräftigeres und raſcheres Wachſen der Pflänz-
chen, je mehr Humus die Auflöſung enthielt. Nachdem ich
mich auf dieſe Weiſe von der günſtigen Wirkung des aufge-
löſ’ten humusſauren Kali im Allgemeinen überzeugt hatte, kam
es darauf zu erforſchen, ob und wieviel dieſes Stoffes von den
Wurzeln der Pflanze aufgeſogen werde. Zu dieſem Zwecke
wurden ſehr kleine Glascylinder von 3 Zoll Länge, 4 Linien
innerem Durchmeſſer und 0,35 Loth Waſſergehalt mit einer
Löſung von humusſaurem Kali gefüllt, in welcher 0,057 p. c.
des Waſſergewichtes oder in 0,35 Loth Waſſer 0,0002 Loth
trocknes humusſaures Kali aufgelöſ’t waren.
In die gefüllten Cylinder wurden kleine Bohnenpflänzchen
gebracht, welche freudig wuchſen und bald eine Menge Wur-
zeln entwickelten. In den erſten 14 Tagen wurde täglich die
Hälfte der ſtets durch deſtillirtes Waſſer ergänzten Flüſſigkeit,
in den folgenden 14 Tagen, von Morgens 5½ Uhr bis Abends
7 Uhr ¾, in der Nacht ¼ derſelben, binnen 24 Stunden da-
her durchſchnittlich die ganze Waſſermaſſe des Gefäßes, das
Doppelte des Gewichts der Pflanze betragend, von den
Wurzeln derſelben eingeſogen. Die Gewichtzunahme der einzelnen
[193]Anhang.
Pflanze während der einmonatlichen Verſuchszeit betrug 0,1076
Loth. Die Pflanzen hatten eine Höhe von 5 Zoll und eine
Stammdicke von 1½ Par. Linien erreicht. Während der Ver-
ſuchszeit konnte das Auge eine Verminderung des Humus in
der Löſung nicht entdecken. War am Abende heißer und ſon-
niger Tage die Flüſſigkeit bis auf ¼ aufgeſogen, ſo zeigte
ſich der Rückſtand verhältnißmäßig dunkler gefärbt und erhielt
nach dem Auffüllen mit deſtillirtem Waſſer und Mengung deſſel-
ben mit dem Rückſtande wieder die urſprüngliche Färbung. Die
Wurzeln nahmen alſo das Waſſer mit Zurück-
laſſung der Humuslöſung auf. Nach Verlauf eines
Monats wurde die Flüſſigkeit, in welcher die Pflanzen gewach-
ſen, unterſucht und es ergab ſich eine Verminderung der
Humusmenge von 0,0001 Loth. Dieſe höchſt unbedeutende
Verminderung rührt theils daher, daß ſich etwas Humus-
ſäure an den Wurzeln der Pflanze flockig niedergeſchla-
gen hatte. Wollte man annehmen, daß die Hälfte der Ver-
minderung = 0,00005 Loth von den Wurzeln wirklich aufgeſo-
gen, nicht durch Bildung von Kohlenſäure verſchwunden ſei, ſo
iſt dennoch die Menge im Verhältniß zur Gewicht- und Vo-
lumvermehrung der Pflanzen ſo gering, daß man ſie füglich
als unweſentlich beim Ernährungsproceſſe außer Acht laſſen kann.
Dieſelben Gläſer mit denſelben Pflanzen wurden nun nach
dieſer erſten Unterſuchung mit einer filtrirten Abkochung reiner
Dammerde von dunkelbrauner Färbung angefüllt. Nach Ver-
lauf von drei Wochen konnte auch hier das Auge keine Lich-
tung der Flüſſigkeit entdecken.
Dieſelben Verſuche wurden mit humusſaurem Ammoniak und
mit humusſaurem Natron wiederholt; aber nirgend ließ ſich
eine Verminderung der aufgelöſ’ten Stoffe und Entfärbung der
Flüſſigkeit entdecken, obgleich die Pflanzen täglich faſt die ganze
13
[194]Anhang.
Flüſſigkeit der Gefäße abſorbirten. Ich glaube daher zu dem
Schluſſe berechtigt zu ſein, daß die Pflanzenwurzeln keine Hu-
muslöſung aus dem Boden aufnehmen.
2) Die Pflanzen nehmen Kohlenſäure durch die Wurzeln
aus dem Boden auf.
Zwei Glasröhren von 8 Zoll Länge und 4 Linien innerem
Durchmeſſer wurden am unteren Ende durch eine ſehr enge
gebogene Glasröhre in Verbindung geſetzt, ſo daß die beiden
Schenkel parallel neben einander ſtanden. Nachdem der Appa-
rat mit kohlenſaurem Waſſer gefüllt worden, wurde in die
obere Oeffnung des einen Schenkels eine reich bewurzelte junge
Bohnenpflanze, deren Wurzeln 2½ Zoll tief in die Flüſſigkeit
hinab reichten, eingeſenkt, und die Oeffnung mit Kautſchuck
luftdicht verſchloſſen, der Luftzutritt zum kohlenſauren Waſſer
im zweiten Schenkel des Apparats durch eine Oelſchicht ver-
hindert. Die Pflanze abſorbirte täglich ihr eigenes Gewicht
an Feuchtigkeit, welche alle Abende in dem mit Oel abgeſperr-
ten Schenkel durch deſtillirtes Waſſer ergänzt wurde.
Die Menge des kohlenſauren Waſſers im Apparate lieferte
urſprünglich mit Kalkwaſſer einen Niederſchlag von 0,0035 Loth
kohlenſaurem Kalke; nachdem die Pflanze acht Tage in der
Flüſſigkeit vegetirt hatte, wog der Niederſchlag nur noch 0,0012
Loth. Bei der Unterſuchung wurde die obere Oeffnung des
Schenkels ohne Pflanze luftdicht verſchloſſen, aus dem andern
Schenkel die Pflanze herausgenommen und die Flüſſigkeit ſchich-
tenweiſe von 2½ zu 2½ Zoll unterſucht. In der oberen
Schicht, welche die Pflanzenwurzeln umgeben hatte, fanden ſich
kaum Spuren von Kohlenſäure; die darauf folgenden Schich-
ten zeigten kaum eine Verringerung derſelben gegen den ur-
ſprünglichen Säuregehalt. Der Schenkel ohne Pflanze enthielt
[195]Anhang.
natürlich nur wenig Kohlenſäure, da ſein kohlenſaures Waſſer
in den Pflanzenſchenkel größtentheils eingeſogen und durch de-
ſtillirtes Waſſer erſetzt worden war.
Wenn ſich hieraus ergiebt, daß die Pflanzen kohlenſaures
Waſſer aus dem Boden durch die Wurzeln aufnehmen, ſo muß
auch, da das Endreſultat der Zerſetzung des Humus Kohlen-
ſäure iſt, dem Kohlenſtoff der Dammerde Ernährungsfähigkeit
zugeſtanden werden.
Es ergiebt ſich ferner aus dem Verſuche, daß, da die Wur-
zeln das kohlenſaure Waſſer in ihrer nächſten Umgebung ent-
ſäuert hatten, die Kohlenſäure mit Auswahl und Abſcheidung
von den Wurzeln aufgenommen wird.
Der Verſuch wurde mehrere Male wiederhohlt und ziem-
lich übereinſtimmende Reſultate erlangt.
3) Die Kohlenſäure im Boden iſt nicht unbedingt nöthig
zum Wachsthume der Pflanzen, ſelbſt nicht zur
Blüthe und Fruchtbildung.
Bohnenpflanzen, gezogen in geglühtem, pulveriſirten und
geſchlemmten Quarz, wie ſolcher zur Porcellan-Fabrication ver-
wendet wird, begoſſen mit deſtillirtem Waſſer lieferten mir
Blüthe und Früchte. Ich habe eine ſolche Pflanze mit vier
kräftigen Schoten vor mir ſtehen, von denen die älteſte bereits
2 Zoll 9 Linien lang und 5½ Linien breit iſt. Organiſche
Stoffe waren hier gänzlich ausgeſchloſſen. Leider zeigte ſich
bei einer nachträglichen Unterſuchung des Quarzes derſelbe
nicht ſo frei von Kalk, Talk und Eiſen, daß ſich aus dem
Aſchenrückſtande Schlüſſe auf das Bedürfniß der Pflanze an
anorganiſchen Stoffen ziehen ließen; bei wiederholtem Verſuche
werde ich dieſen Fehler beſeitigen. Auffallend iſt der ungemein
große Gehalt der im Quarz gezogenen Pflanzen an Kieſelerde.
[[196]][[197]]
Zweiter Theil.
Der chemiſche Proceß der Gährung,
Fäulniß und Verweſung.
[[198]][[199]]
Chemiſche Metamorphoſen.
Die organiſchen Verbindungen, Holzfaſer, Zucker, Gummi
und alle übrigen erleiden bei Berührung mit andern Körpern
gewiſſe Aenderungen in ihren Eigenſchaften, ſie erleiden eine
Zerſetzung.
Dieſe Zerſetzungsweiſen nehmen in der organiſchen Chemie
zweierlei Formen an.
Denken wir uns eine aus zwei zuſammengeſetzten Körpern
beſtehende Verbindung, die kryſtalliſirte Oxalſäure z. B.,
die wir mit concentrirter Schwefelſäure in Berührung bringen, ſo
erfolgt bei der gelindeſten Erwärmung eine vollkommne Zer-
ſetzung. Die kryſtalliſirte Oxalſäure iſt eine Verbindung von
Waſſer mit Oxalſäure, die concentrirte Schwefelſäure beſitzt
zu dem Waſſer eine bei weitem größere Anziehung als die
Oxalſäure, ſie entzieht der kryſtalliſirten alles Waſſer. In
Folge dieſer Waſſerentziehung wird waſſerfreie Oxalſäure ab-
geſchieden, aber dieſe Säure kann für ſich, ohne mit einem
andern Körper verbunden zu ſein, nicht beſtehen; ihre Beſtand-
theile theilen ſich in Kohlenſäure und Kohlenoxid, die ſich zu
gleichen Raumtheilen gasförmig entwickeln.
In dieſem Beiſpiel iſt Zerſetzung in Folge des Austretens
zweier Beſtandtheile (der Elemente des Waſſers) vor ſich ge-
gangen, die ſich mit der Schwefelſäure vereinigt haben. Die
[200]Chemiſche Metamorphoſen.
größere, die überwiegende Verwandtſchaft des einwirkenden
Körpers (der Schwefelſäure) zu dieſem Waſſer war in dieſem
Fall die Urſache der Zerſetzung.
In Folge des Austretens der Beſtandtheile des Waſſers
treten die übrigen Elemente in einer neuen Form zuſammen,
wir hatten Oxalſäure und bekommen alle Elemente derſelben,
als Kohlenſäure und Kohlenoxid wieder.
Dieſe Zerſetzungsweiſe, wo alſo die Veränderung durch
einen einwirkenden Körper bewirkt wird, der ſich mit einem
oder mehreren Beſtandtheilen eines zuſammengeſetzten Körpers
verbindet, iſt vollkommen ähnlich den Zerſetzungen anorgani-
ſcher Verbindungen.
Denken wir uns ſalpeterſaures Kali, was wir mit Schwe-
felſäure zuſammenbringen, ſo wird Salpeterſäure ausgeſchieden,
in Folge der Verwandtſchaft der Schwefelſäure zum Kali,
in Folge alſo der Bildung einer neuen Verbindung (des ſchwe-
felſauren Kalis).
Eine zweite Form nimmt dieſe Zerſetzungsweiſe an, wenn
durch die chemiſche Verwandtſchaft des einwirkenden Körpers,
aus den Beſtandtheilen des Körpers, welcher zerſetzt wird,
neue Verbindungen gebildet werden, von denen ſich beide, oder
nur der eine, mit dem einwirkenden Körper vereinigen.
Nehmen wir z. B. trocknes Holz und befeuchten es mit
Schwefelſäure, ſo erfolgt nach kurzer Zeit unter Wärmeent-
wicklung eine wahre Verkohlung, wir finden die Schwefelſäure
unverändert aber mit mehr Waſſer verbunden wieder, als ſie
vorher enthielt. Dieſes Waſſer war in dem Holz nur ſeinen
Elementen nach (als Waſſerſtoff und Sauerſtoff) zugegen, beide
ſind durch die chemiſche Anziehung der Schwefelſäure, gewiſſerma-
ßen gezwungen worden ſich zu Waſſer zu vereinigen, in Folge deſ-
ſen iſt der Kohlenſtoff des Holzes als Kohle abgeſchieden worden.
[201]Chemiſche Metamorphoſen.
Blauſäure und Waſſer in Berührung mit Salz-
ſäure zerlegen ſich beide.
Aus dem Stickſtoff der Blauſäure und dem Waſſerſtoff
einer gewiſſen Quantität Waſſer entſteht Ammoniak, aus
dem Kohlenſtoff und Waſſerſtoff der Blauſäure und dem Sauer-
ſtoff des Waſſers entſteht Ameiſenſäure.
Das Ammoniak verbindet ſich mit der Salzſäure.
Die Berührung der Salzſäure mit Waſſer und Blauſäure
veranlaßte eine Störung in der Anziehung der Elemente von
beiden, in Folge welcher ſie ſich zu zwei neuen Verbindungen
ordneten, von denen die eine, das Ammoniak, die Fähigkeit be-
ſaß, eine Verbindung mit dem ſtörenden Körper einzugehen.
Auch für dieſe Zerſetzungsweiſen, welche nicht minder häufig
ſind, bietet die anorganiſche Chemie Analoga dar, allein der
organiſchen Chemie gehören noch ganz andere Zerſetzungswei-
ſen an, die ſich von den eben angeführten darin unter-
ſcheiden, daß der einwirkende Körper keine Verbindung eingeht,
mit einem Beſtandtheil der Materie, welche die Zerſetzung
oder Veränderung erfährt.
Es erfolgt in dieſen Fällen eine Störung der Anziehungen
unter den Elementen der Verbindung in der Art, daß ſie ſich
zu einer oder mehreren neuen Verbindungen ordnen, welche
unter gegebenen Bedingungen keiner weiteren Veränderung
mehr unterliegen.
Wenn eine organiſche Verbindung durch chemiſche Ver-
wandtſchaft eines zweiten Körpers, oder durch den Einfluß der
Wärme, oder durch irgend andere Urſachen ſich zerſetzt, und
zwar ſo, daß ſich aus ihren Elementen zwei oder mehrere
neue Verbindungen bilden, ſo heißt die Zerſetzung eine chemi-
ſche Metamorphoſe.
Die Bezeichnung einer chemiſchen Metamorphoſe ſchließt
[202]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
den beſtimmten Begriff in ſich ein, daß in der Zerſetzung ei-
ner organiſchen Verbindung keines ihrer Elemente einzeln in
Freiheit geſetzt wird. Die Veränderungen, welche in der or-
ganiſchen Natur mit Gährung, Fäulniß und Verwe-
ſung bezeichnet werden, ſind chemiſche Metamorphoſen, welche
bewirkt werden durch eine bis jetzt unbeachtet gebliebene Ur-
ſache, deren Exiſtenz in dem Folgenden dargelegt werden ſoll.
Die Urſache, wodurch Gährung, Fäulniß und
Verweſung bewirkt werden.
Man iſt erſt in der letzten Zeit darauf aufmerkſam gewor-
den, daß ein Körper, der ſich im Zuſtande der Verbindung
oder Zerſetzung befindet, auf das Verhalten eines andern ihn
berührenden Körpers nicht ohne Einfluß iſt. Platin z. B. zer-
legt nicht die Salpeterſäure; ſelbſt in dem Zuſtande der außer-
ordentlichen Zertheilung, wo ſeine kleinſten Theile nicht mehr
das Licht zurückwerfen, als Platinſchwarz, wird es, mit dieſer
Säure gekocht, nicht oxidirt. Eine Legirung von Platin mit
Silber löſ’t ſich hingegen leicht in Salpeterſäure. Die Oxida-
tion, welche das Silber erfährt, überträgt ſich mithin dem
Platin, es erhält in Berührung damit die Fähigkeit, die Sal-
peterſäure zu zerſetzen.
Kupfer zerlegt das Waſſer nicht beim Sieden mit verdünn-
ter Schwefelſäure, eine Legirung von Kupfer, Zink und Nickel
löſ’t ſich leicht unter Waſſerſtoffgasentwickelung in waſſerhalti-
ger Schwefelſäure.
[203]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
Zinn zerlegt die Salpeterſäure mit außerordentlicher Leich-
tigkeit, das Waſſer hingegen nur ſchwierig; bei der Auflöſung
von Zinn in verdünnter Salpeterſäure geht mit der Zerſetzung
der Salpeterſäure eine lebhafte Waſſerzerſetzung vor ſich, neben
einem Oxide des Zinns bildet ſich Ammoniak.
In den angeführten Beiſpielen läßt ſich die Verbindung
oder Zerſetzung nur bei dem letzteren durch chemiſche Verwandt-
ſchaft erklären; allein bei den andern ſollte gerade durch elec-
triſche Action die Oxidationsfähigkeit des Platins oder Kupfers
bei Berührung mit Silber oder Zink verhindert oder aufgeho-
ben werden, die Erfahrung zeigt aber, daß hierbei der Einfluß
von entgegengeſetzt electriſchen Zuſtänden bei weitem von der
chemiſchen Action überwogen wird.
In einer minder zweifelhaften Form tritt die Erſcheinung
bei Materien ein, in welchen die Elemente nur mit einer ſchwa-
chen Kraft zuſammengehalten ſind. Man weiß, daß es chemi-
ſche Verbindungen ſo ſchwacher Art giebt, daß Aenderungen
der Temperatur, des Electricitätszuſtandes, die bloße mechani-
ſche Reibung, oder die Berührung mit anſcheinend durchaus
indifferenten Körpern, eine Störung der Anziehung zwiſchen den
Beſtandtheilen dieſer Körper in der Art bewirken, daß ſie ſich
zerlegen, daß dieſe Beſtandtheile nämlich ſich zu neuen Ver-
bindungen ordnen, ohne eine Verbindung mit den einwirkenden
Körpern einzugehen. Dieſe Körper ſtehen an der Grenze der
chemiſchen Verbindungen, auf ihr Beſtehen über Urſachen ei-
nen aufhebenden Einfluß, welche auf Verbindungen von ſtär-
kerer Verwandtſchaft durchaus wirkungslos ſind. Durch eine
geringe Erhöhung der Temperatur trennen ſich die Elemente
des Chloroxids mit der heftigſten Licht- und Wärmeentwicke-
lung, Chlorſtickſtoff explodirt in Berührung mit einer Menge
von Körpern, die ſich bei gewöhnlicher Temperatur weder mit
[204]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
Chlor noch mit Stickſtoff verbinden, und die Berührung ir-
gend einer feſten Subſtanz reicht bei dem Jodſtickſtoff und dem
Silberoxid-Ammoniak hin, um ein Zerfallen mit Exploſion zu
Wege zu bringen.
Niemand hat je daran gedacht, die Urſache der Zerlegung
dieſer Körper einer beſonderen von der chemiſchen Verwandt-
ſchaft verſchiedenen Kraft zuzuſchreiben, welche thätig wird z. B.
durch Berührung mit dem Barte einer Feder und die in Folge
ihres Auftretens die Zerſetzung bedingt; man betrachtete von
jeher dieſe Körper als chemiſche Verbindungen der ſchwächſten
Art, in denen alſo die Beſtandtheile in einem Zuſtande der
Spannung ſich befinden, die in jeder auch der geringſten Stö-
rung die chemiſche Verwandtſchaft überwiegt. Dieſe Verbin-
dungen beſtehen nur durch die Kraft der Trägheit (vis inertiae),
ein jedes in Bewegung ſetzen, die Reibung, ein Stoß, reichen hin,
um das ſtatiſche Moment der Anziehung der Beſtandtheile, d. h.
das Beſtehen in einer beſtimmten Form, aufzuheben.
Das Waſſerſtoffhyperoxid gehört zu dieſer Klaſſe von Kör-
pern; es zerlegt ſich mit allen Subſtanzen, die ihm den Sauer-
ſtoff entziehen, es zerlegt ſich ſelbſt augenblicklich durch Berüh-
rung mit vielen Körpern, wie mit Platin und metalliſchem
Silber, welche keine Verbindung hierbei eingehen, und in die-
ſer Beziehung wird ſeine Zerſetzung offenbar durch die nem-
liche Urſache bedingt, welche das Zerfallen des Jodſtickſtoffs
und Knallſilbers veranlaßt. Bei dem Waſſerſtoffhyperoxide
hat man, merkwürdiger Weiſe, die Urſache der plötzlichen
Trennung ſeiner Beſtandtheile als eine, von den gewöhn-
lichen Urſachen verſchiedene angeſehen, und ſie einer neuen
Kraft zugeſchrieben, der man den Namen katalytiſche
Kraft gegeben hat; man hat dabei aber nicht erwogen, daß
die Wirkung des Platins und Silbers nur eine beſchleu-
[205]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
nigende iſt, denn auch ohne Berührung mit dieſen Metallen
zerlegt es ſich unabwendbar von ſelbſt, obwohl erſt in länge-
rer Zeit, beim bloßen Aufbewahren. Die plötzliche Trennung der
Beſtandtheile des Waſſerſtoffhyperoxids unterſcheidet ſich von
der des gasförmigen Chloroxids oder des feſten Jodſtickſtoffs
nur inſofern, als ſeine Zerſetzung in einer Flüſſigkeit vor
ſich geht.
Die merkwürdigſte Erſcheinung in dem Verhalten des
Waſſerſtoffhyperoxids, und gerade diejenige, welche vor allem
Andern die Aufmerkſamkeit feſſelt, inſofern ſie aus der Reihe
der bekannten heraustritt, iſt die Reduction, welche gewiſſe
Oxide bei Berührung mit Waſſerſtoffhyperoxid erleiden, in dem
Augenblicke, wo ſich ſein Sauerſtoff von dem Waſſer trennt;
hierher gehören Silberoxid, Bleihyperoxid und andere, in de-
nen aller oder ein Theil des Sauerſtoffs nur mit einer ſchwa-
chen Kraft gebunden iſt.
Während andere Oxide, in denen die Beſtandtheile durch
eine mächtige Verwandtſchaft zuſammengehalten werden, durch
Berührung mit dem Waſſerſtoffhyperoxid ſeine Zerlegung be-
wirken, ohne die geringſte Aenderung zu erleiden, trennt ſich,
bei Anwendung von Silberoxid, mit dem ſich entwickelnden
Sauerſtoff des Waſſerſtoffhyperoxids aller Sauerſtoff des Sil-
beroxids und es bleibt metalliſches Silber; von dem Bleihyper-
oxid trennt ſich, unter denſelben Umſtänden, die Hälfte Sauer-
ſtoff und entweicht als Gas. Man iſt ſelbſt im Stande, auf
dieſem Wege eine Zerlegung des Manganhyperoxids in Sauer-
ſtoffgas und Oxidul zu bewerkſtelligen, wenn man gleichzeitig
eine chemiſche Verwandtſchaft auf das Manganoxidul in Thä-
tigkeit treten läßt, eine Säure z. B., welche mit dem Oxidul
ein lösliches Salz bildet. Verſetzt man Waſſerſtoffhyperoxid
mit Salzſäure und bringt ſodann gepulvertes Manganhyper-
[206]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
oxid hinzu, ſo erhält man bei weitem mehr Sauerſtoffgas als
das erſtere für ſich zu liefern im Stande iſt, man findet aber
in der rückſtändigen Flüſſigkeit ein Manganoxidulſalz, entſtan-
den aus Manganhyperoxid, deſſen Hälfte Sauerſtoff ſich als Gas
entwickelt hat.
Eine ganz ähnliche Erſcheinung bietet das kohlenſaure Sil-
beroxid dar, wenn es mit manchen organiſchen Säuren zu-
ſammengebracht wird. Pyro-Traubenſäure z. B. verbindet ſich
leicht mit reinem Silberoxid zu einem weißen im Waſſer ſchwer-
löslichen Salze; mit kohlenſaurem Silberoxid zuſammengebracht,
trennt ſich mit der entweichenden Kohlenſäure der Sauerſtoff
von einem Theil des Silberoxids und es bleibt reguliniſches
Silber als ſchwarzes Pulver zurück. (Berzelius)
Man kann den angeführten Erſcheinungen keine andere Er-
klärung unterlegen, als daß hierbei Zerſetzung oder Verbindung
in Folge der Berührung mit einem andern Körper herbeige-
geführt wird, der ſich ſelbſt im Zuſtande der Zerſetzung oder
Verbindung befindet. Es iſt klar, daß die Action, in der ſich
die Atome des einen Körpers befinden, auf die Atome des
danebenliegenden zweitens Körpers von Einfluß iſt; ſind dieſe
Atome fähig, die nämliche Veränderung zu erfahren, ſo erlei-
den ſie dieſe Veränderung; ſie gehen Verbindungen oder Zer-
ſetzungen ein; allein wenn ſie dieſe Fähigkeit für ſich nicht be-
ſitzen, ſo hört ihre weitere Veränderung von dem Augenblick
an auf, wo ſich die Atome des erſteren Körpers in Ruhe be-
finden, wo mithin die Veränderung oder die Metamorphoſe
dieſes Körpers vollendet iſt.
Der eine Körper übt auf den andern eine ähnliche Wir-
kung aus, wie wenn ein brennender Körper mit einem ver-
brennlichen zuſammengebracht wird, nur mit dem Unterſchiede,
daß die Urſache der Mittheilung des Zuſtandes und der Fort-
[207]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
dauer dieſes Zuſtandes, eine andere iſt. Bei dem verbrennli-
chen Körper iſt dieſe Urſache die Temperatur, welche ſich in
jedem Zeitmomente wieder neu erzeugt; in den Zerſetzungs-
und Verbindungserſcheinungen, die wir betrachten, iſt dieſe Ur-
ſache ein in chemiſcher Action begriffener Körper, und nur ſo
lange thätig, als dieſe Action dauert.
Wir kennen aus zahlloſen Erfahrungen, welchen Einfluß
das bloße in Bewegung ſetzen auf die Aeußerung der chemi-
ſchen Kräfte ausübt, in einer Menge von Salzlöſungen äußert
ſich z. B. die Cohäſionskraft nicht, wenn ſie in der Wärme
geſättigt, bei völliger Ruhe erkalten; das aufgelöſ’te Salz ſchei-
det ſich nicht kriſtalliniſch aus, aber ein Sandkorn in die Flüſſig-
keit geworfen, die kleinſte Erſchütterung reicht hin, um die
ganze Auflöſung plötzlich und unter Wärmeentwickelung zum
Erſtarren zu bringen; wir ſehen die nämliche Erſcheinung bei
Waſſer, was weit unter 0° bei völliger Ruhe erkaltet werden
kann, ohne zu gefrieren, was aber in dem Momente feſt wird,
wo ſeine Theile in Bewegung geſetzt werden.
Um in einer beſtimmten Weiſe ſich anzuziehen und zu
ordnen, muß die Trägheit zuerſt überwunden werden, die Atome
müſſen in Bewegung geſetzt werden.
Eine verdünnte Auflöſung eines Kaliſalzes mit Weinſäure
gemiſcht, giebt in der Ruhe keinen Niederſchlag; ſetzt man die
Flüſſigkeit durch heftiges Umſchütteln in Bewegung, ſo treibt
ſie ſich augenblicklich und ſetzt Kriſtalle von Weinſtein ab.
Eine Auflöſung von einem Bittererdeſalz, welche durch
phosphorſaures Ammoniak nicht getrübt wird, ſetzt augenblick-
lich phosphorſaures Bittererde-Ammoniak an den Gefäßwän-
den ab, an den Stellen, wo ſie mit einem Glasſtabe in der
Flüſſigkeit gerieben werden.
Die Bewegung, mithin die Ueberwindung der Trägheit,
[208]Urſache der Gährung, Fäulniß nnd Verweſung.
des Beharrungsvermögens, verurſacht in den ſo eben angeführ-
ten Bildungs- und Zerſetzungsproceſſen eine augenblickliche an-
dere Lagerung der Atome eines Körpers, d. h. die Entſtehung
einer Verbindung, die vorher nicht vorhanden war.
Wie ſich von ſelbſt verſteht, müſſen dieſe Atome die Fähig-
keit beſitzen, ſich auf dieſe beſtimmte Weiſe zu ordnen, denn
ſonſt würde Reibung und Bewegung, ohne den geringſten Ein-
fluß darauf ſein.
Das bloße Beharren in der Lage, wo ſich die Atome ei-
nes Körpers befinden, macht, daß uns viele Körper in anderen
Zuſtänden mit anderen Eigenſchaften begabt erſcheinen, als ſie
nach ihren natürlichen Anziehungen beſitzen. Geſchmolzener
und raſch erkalteter Zucker und Glas ſind durchſichtig, von
muſchlichem Bruch, beide bis zu einem gewiſſen Grade elaſtiſch
und biegſam; der erſtere wird beim Aufbewahren matt und un-
durchſichtig und zeigt alsdann im Bruche regelmäßige Spal-
tungsflächen, welche dem kriſtalliſirten Zucker angehören; das
Glas nimmt dieſen Zuſtand an und wird weiß und undurch-
ſcheinend, hart, ſo daß es am Stahle Funken giebt, wenn es
lange Zeit hindurch bei einer hohen Temperatur im weichen
Zuſtande erhalten wird. Offenbar beſaßen die Atome der bei-
den Körper, in dieſen verſchiedenen Zuſtänden, verſchiedene La-
gen, in dem erſteren war ihre Anziehung nicht in den Rich-
tungen thätig, in denen ihre Cohäſionskraft am ſtärkſten war.
Wir wiſſen, daß der geſchmolzene Schwefel beim raſchen Ab-
kühlen in kaltem Waſſer weich, durchſichtig und elaſtiſch bleibt
und ſich in lange Fäden ziehen läßt, und daß er erſt nach
Stunden oder Tagen wieder hart und kryſtalliniſch wird.
Das Bemerkenswertheſte hierbei iſt unſtreitig, daß der
amorphe Zucker oder Schwefel, ohne Mitwirken einer äußeren
Urſache, in den kriſtalliniſchen Zuſtand wieder zurückkehrt, denn
[209]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
dieß ſetzt voraus, daß ihre Atome eine andere Lage angenom-
men haben, daß ſie mithin ſelbſt im feſten Zuſtande bis zu
einem gewiſſen Grade Beweglichkeit beſitzen. Die raſcheſte Um-
ſetzung oder Formänderung dieſer Art kennt man vom Arra-
gonit, identiſch in ſeiner chemiſchen Zuſammenſetzung mit dem
Kalkſpath, beweiſ’t ſeine verſchiedene Kryſtallform und Härte, daß
ſeine Atome auf eine andere Weiſe geordnet ſind, als wie
beim Kalkſpath; beim Erwärmen eines Arragonitkryſtalls, bei
dem Inbewegungſetzen ſeiner Atome durch die Ausdehnung
heben wir ihr Beharrungsvermögen auf und mit großer Kraft
zerſpringt in Folge deſſen der Arragonitkryſtall zu einem Hauf-
werk von Kryſtallen und Kalkſpath.
Es iſt unmöglich, ſich über die Urſachen dieſer Verände-
rungen zu täuſchen, ſie iſt eine Aufhebung des Zuſtandes der
Ruhe, in Folge welcher die in Bewegung geſetzten Theilchen
eines Körpers entweder andern, oder ihren eigenen natürlichen
Anziehungen folgen.
Wenn aber, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die
mechaniſche Bewegung ſchon hinreicht, um bei vielen Körpern
eine Form und Zuſtandsänderung zu bewirken, ſo kann es um
ſo weniger zweifelhaft erſcheinen, daß ein im Zuſtand der Ver-
bindung oder Zerſetzung begriffener Körper fähig iſt, gewiſſen
andern Körpern den nämlichen Zuſtand der Bewegung oder
Thätigkeit zu ertheilen, in welchem ſich ſeine Atome befinden,
durch ſeine Berührung alſo mit andern Körpern, dieſe zu be-
fähigen, Verbindungen einzugehen oder Zerſetzungen zu erleiden.
Dieſer Einfluß iſt durch die angeführten Thatſachen aus
dem Verhalten anorganiſcher Körper hinreichend belegt worden,
er zeigt ſich bei den organiſchen Materien bei weitem häufiger
und nimmt die Form an von den umfaſſendſten und bewun-
dernswürdigſten Naturerſcheinungen.
14
[210]Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung.
Mit Gährung, Fäulniß und Verweſung bezeichnet
man im Allgemeinen die Form- und Eigenſchaftsänderungen,
welche die complexen organiſchen Materien erleiden, wenn ſie
von den Organismen getrennt, bei Gegenwart von Waſſer und
einer gewiſſen Temperatur ſich ſelbſt überlaſſen werden. Gäh-
rung und Fäulniß ſind Zerſetzungsproceſſe von der eigenthüm-
li chenArt, die wir mit Metamorphoſen bezeichnet haben, die
Elemente der Körper, welche in Gährung oder Fäulniß über-
zugehen fähig ſind, ordnen ſich zu neuen Verbindungen, und
in dieſer Ordnungsweiſe nehmen meiſtens die Beſtandtheile
des Waſſers einen beſtimmten Antheil.
Die Verweſung iſt verſchieden von der Gährung
und Fäulniß, inſofern ſie ohne Zutritt der Luft nicht ſtatt-
findet, deren Sauerſtoff hierbei von dem Körper aufgenommen
wird, es iſt eine langſame Verbrennung, bei welcher unter
allen Umſtänden Wärme und zuweilen auch Licht entwickelt wird;
bei den Zerſetzungsproceſſen, die man Fäulniß und Gährung
nennt, entwickeln ſich ſehr häufig luftförmige Produkte, die
entweder geruchlos ſind oder einen unangenehmen Geruch ver-
breiten.
Man iſt gewiſſermaßen übereingekommen, mit dem Ausdruck
Gährung die Metamorphoſe derjenigen Materien zu bezeichnen,
welche geruchloſe gasförmige Produkte entwickeln, während die
Bezeichnung Fäulniß gewöhnlich für diejenigen von ſelbſt
erfolgenden Zerſetzungen gebraucht wird, in denen übelriechende
Gasarten gebildet werden. Der Geruch kann aber, wie ſich
von ſelbſt verſteht, keinesweges über die Natur der Zerſetzung
als entſcheidender Character gelten, beide, Gährung und Fäul-
niß, ſind einerlei Zerſetzungsproceſſe, die erſtere von ſtickſtofffreien,
die andere von ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen.
Man iſt ferner gewöhnt, ein gewiſſe Klaſſe von Metamor-
[211]Gährung und Fäulniß.
phoſen von der Gährung und Fäulniß zu trennen und zwar
diejenige, wo Veränderungen und Umſetzungen erfolgen, ohne
Entwickelung von gasförmigen Produkten. Allein die Zuſtände,
in denen die neuen Verbindungen ſich darſtellen, ſind, wie man
weiß, rein zufällig, und deshalb nicht der entfernteſte Grund
vorhanden, Zerſetzungen dieſer Art, wie man gethan hat, einer
beſondern Urſache zuzuſchreiben.
Gährung und Fäulniß.
Manche Materien gehen dem Anſchein nach von ſelbſt in
Gährung und Fäulniß über, und dieß ſind namentlich dieje-
jenigen, welche Stickſtoff oder ſtickſtoffhaltige Subſtanzen bei-
gemengt enthalten, und das Merkwürdigſte hierbei iſt, daß
außerordentlich kleine Quantitäten derjenigen Subſtanzen, die
in den Zuſtand der Gährung und Fäulniß übergegangen ſind,
die Fähigkeit beſitzen, in unbegrenzten Mengen der nämlichen
Materien denſelben Act der Zerſetzung hervorzurufen.
Eine kleine Quantität gährenden Traubenſaft zu nicht gäh-
rendem zugeſetzt, bringt die ganze Quantität in Gährung.
Die kleinſte Quantität im Zuſtande der Gährung begriffener
Milch, Mehlteig, Rübenſaft, faulenden Fleiſches, Blut ꝛc. mit
friſcher Milch, Rübenſaft, Mehlteig, Fleiſch oder Blut in Be-
rührung gebracht, macht, daß dieſe Materien in den nämlichen
Zerſetzungsproceß übergehen.
Dieſe Erſcheinungen treten, wie man leicht bemerkt, aus
14*
[212]Gährung und Fäulniß.
der Klaſſe der gewöhnlichen Zerſetzungen, die durch chemiſche
Verwandtſchaften bewirkt werden, heraus; ihre Elemente ordnen
ſich in Folge einer Störung nach ihren Verwandtſchaften; es ſind
Aeußerungen chemiſcher Thätigkeiten, Umwandlungen oder Zer-
ſetzungen, die vor ſich gehen, in Folge der Berührung mit
Körpern, die ſich in dem nemlichen Zuſtande befinden.
Um ſich ein klares Bild über dieſe Vorgänge zu verſchaffen,
muß man analoge aber minder verwickelte Erſcheinungen in’s
Auge faſſen.
Die Zuſammengeſetztheit der organiſchen Atome und ihr
Verhalten gegen andere Materien im Allgemeinen führt von
ſelbſt auf die wahre Urſache, durch welche dieſe Metamorphoſen
herbeigeführt werden.
Aus dem Verhalten der einfachen Körper weiß man, daß
bei Bildung von Verbindungen die Kraft, mit welcher die Be-
ſtandtheile zuſammenhängen, in demſelben Verhältniß abnimmt,
in welchem die Anzahl der Atome in dem zuſammengeſetzten
Atome zunimmt.
Manganoxidul geht durch Aufnahme von Sauerſtoff in
Oxid, in Hyperoxid, in Mangan und Uebermanganſäure
über, wodurch die Anzahl der Sauerſtoffatome in dem er-
ſteren um die Hälfte vermehrt, oder verdoppelt, verfünf-
facht wird, aber alle Sauerſtoffmengen über die hinaus,
welche in dem Oxidul enthalten iſt, ſind bei weitem ſchwä-
cher gebunden, die bloße Glühhitze treibt Sauerſtoff aus dem
Hyperoxide aus und die Manganſäuren können von den
Baſen nicht getrennt werden, ohne augenblicklich eine Zerſetzung
zu erfahren.
Die umfaſſendſten Erfahrungen beweiſen, daß die am ein-
fachſten zuſammengeſetzten anorganiſchen Verbindungen die be-
ſtändigſten, die den Veränderungen am meiſten widerſtehenden
[213]Gährung und Fäulniß.
ſind, und daß mit ihrer Zuſammengeſetztheit, ihre Veränder-
lichkeit, ihre leichte Zerſetzbarkeit zunimmt, offenbar nur deshalb,
weil mit der Anzahl der Atome, welche in Verbindung treten,
die Richtungen ſich vervielfältigen, in denen ihre Anziehung
thätig iſt.
Welche Art von Vorſtellung man auch über die Natur der
Materie haben mag, die Exiſtenz der chemiſchen Proportionen
weiſ’t jeden Zweifel über das Vorhandenſein von gewiſſen be-
grenzten Gruppen oder Maſſen von Materie zurück, über deren
weitere Spaltung oder Theilung wir keine Erfahrungen beſitzen.
Dieſe in der Chemie Aequivalente benannten Maſſen ſind
nicht unendlich klein, denn ſie wiegen, indem ſie je nach ihren
Anziehungen ſich auf die mannigfaltigſte Weiſe ordnen, gehen
aus dieſer Verbindung die zahlloſen zuſammengeſetzten Atome
hervor, deren Eigenſchaften in der organiſchen Natur nach der
Form, ja man kann bei vielen ſagen, nach der Richtung, nach
dem Platze wechſeln, den ſie in dem zuſammengeſetzten Atome
einnehmen.
Vergleicht man nun die Zuſammenſetzung der organiſchen
mit den anorganiſchen Verbindungen, ſo wird man wahrhaft
überraſcht durch die Exiſtenz von Verbindungen, in denen ſich
90 und mehrere hundert einzelne Atome oder Aequivalente
vereinigt finden, zu einem einzigen zuſammengeſetzten Atom.
Das Atom einer organiſchen Säure von einfacher Zuſammen-
ſetzung, die Eſſigſäure z. B. enthält 12 Aequivalente, 1 Atom,
Chinaſäure enthält 33, 1 Atom Zucker 36, Amygdalin ent-
hält 90 und 1 Atom Talgſäure 138 Aequivalente an Elemen-
ten und die Beſtandtheile der thieriſchen Körper übertreffen die
genannten bei weitem noch an Zuſammengeſetztheit.
In eben dem Grade, als die anorganiſchen Verbindungen
die organiſchen an Einfachheit in ihrer Zuſammenſetzung über-
[214]Gährung und Fäulniß.
treffen, weichen ſie von dieſen durch ihr Verhalten ab. Wäh-
rend z. B. ein zuſammengeſetzter Atom, das ſchwefelſaure Kali,
mit einer Menge von Materien in Berührung, nicht die ge-
ringſte Veränderung in ſeinen Eigenſchaften erleidet, während
bei ſeiner Zerlegung mit andern Subſtanzen die Cohäſions-
kraft, die Fähigkeit von einem ſeiner Beſtandtheile mit den be-
rührenden Körper eine unlösliche feſte, oder bei gewiſſer Tem-
peratur flüchtige Verbindung zu bilden, während alſo andere
Urſachen mitwirken, um ſeine Zerlegung zu bewerkſtelligen,
finden wir bei complexen organiſchen Atomen nichts ähnliches.
Betrachten wir die Formel des ſchwefelſauren Kalis:
SKO4, ſo haben wir darin nur 1 Aeq. Schwefel und 1 Aeq.
Kalium, wir können im höchſten Fall den Sauerſtoff uns ungleich
in der Verbindung vertheilt denken und bei einer Zerſetzung
einen Theil oder allen Sauerſtoff der Verbindung entziehen,
oder einen der Beſtandtheile erſetzen, eine verſchiedene Lagerung
der Atome können wir aber nicht hervorbringen, eben weil es
die einfachſte Form iſt, in welcher die gegebenen Elemente zu
der Verbindungen zuſammenzutreten die Fähigkeit beſitzen.
Vergleichen wir damit die Zuſammenſetzung des Trauben-
zuckers, ſo haben wir darin, auf 12 Aeq. Kohlenſtoff, 12 Aeq.
Waſſerſtoff und 12 Aeq. Sauerſtoff; wir haben darin eine An-
zahl von Atomen, von denen wir wiſſen, daß ſie die mannigfal-
tigſten Verbindungen mit einander einzugehen vermögen; die For-
mel des Zuckers kann ausdrücken ein Hydrat des Kohlenſtoffs,
oder ein Hydrat des Holzes, oder der Stärke, oder des Milch-
zuckers, oder eine Verbindung von Aether mit Alkohol, oder
von Ameiſenſäure mit Sachulmin, wir können mit einem Worte,
wenn wir die Elemente von Waſſer hinzutreten laſſen oder
einzelne Elemente in dem Zucker erſetzen, die meiſten bekannten
ſtickſtofffreien organiſchen Stoffe durch Rechnung daraus ent
[215]Gährung und Fäulniß.
wickeln; die Elemente dazu ſind alſo in der Zuſammenſetzung
des Zuckers enthalten, und man kann hinzufügen, die Fähigkeit,
zahlloſe Verbindungen mit einander zu bilden, iſt in der An-
ziehung, welche dieſe Elemente zu einander gegenſeitig haben,
ebenfalls vorhanden.
Unterſuchen wir nun, wie ſich der Zucker bei Berührung
mit Materien verhält, die eine bemerkbare Wirkung auf ihn
haben, ſo finden wir, daß die Veränderungen, die er erfährt,
nicht in die engen Grenzen eingeſchloſſen ſind, die wir bei den
anorganiſchen Verbindungen bemerken; dieſe Veränderungen
haben in der That keine Grenzen.
Die Elemente des Zuckers folgen jeder Anziehung und zwar
einer jeden auf eine eigenthümliche Weiſe. Während bei den
anorganiſchen Verbindungen eine Säure durch den Grad ihrer
Verwandtſchaft zu einem der Beſtandtheile der Verbindung, die
davon zerſetzt wird, wirkt und ihren chemiſchen Character nie
aufgiebt, in welcher Form ſie auch angewendet werden mag,
zerſtört und verändert ſie den Zucker, nicht, indem ſie eine
vorhandene Baſis vermöge ihrer größeren Verwandtſchaft in
Beſchlag nimmt, ſondern indem ſie das Gleichgewicht in der
Anziehung der Elemente des Zuckers aufhebt. Salzſäure und
Schwefelſäure, in ihrer Wirkungsweiſe und Zuſammenſetzung
ſo ſehr von einander verſchieden, wirken auf einerlei Weiſe
auf den Zucker, in verdünntem Zuſtande anders, als wie in
concentrirtem, bei gelinder Wärme wieder anders, als beim
Sieden. Während die concentrirte Schwefelſäure bei mäßiger
Concentration den Zucker, unter Bildung von Ameiſenſäure
und Eſſigſäure, in eine ſchwarze kohlige Materie verwandelt,
zerlegt ſie ihn, bei Gegenwart von mehr Waſſer, in zwei braune
Subſtanzen, die beide Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers
enthalten. Durch die Einwirkung der Alkalien entſtehen aus
[216]Gährung und Fäulniß.
den Elementen des Zuckers eine Reihe von durchaus verſchie-
denen neuen Producten, und durch oxidirende Materien, durch
Salpeterſäure z. B., entwickeln ſich daraus Kohlenſäure, Amei-
ſenſäure, Eſſigſäure, Zuckerſäure und noch viele andere Pro-
ducte, die nicht unterſucht ſind.
Wenn man ſich nach dieſen Erfahrungen eine Vorſtellung
über die Kraft macht, mit welcher die Elemente des Zuckers
zuſammenhängen, und die Größe dieſer Anziehung nach dem
Widerſtande beurtheilt, welchen ſie einem darauf einwirkenden
Körper entgegenſetzen, ſo ſcheint der Zuckeratom als ſolcher
nur durch die Trägheit ſeiner Elemente zu beſtehen, durch das
Beharren an dem Orte und in dem Zuſtande alſo, in dem ſie
ſich befinden, denn ein Behaupten dieſes Zuſtandes durch ihre
eigene Anziehung, wie bei dem ſchwefelſaurem Kali, beobachten
wir nicht.
Gerade diejenigen organiſchen Verbindungen nun, die ſich
dem Zucker ähnlich verhalten, ſehr zuſammengeſetzte organiſche
Atome alſo, ſind allein fähig, die Zerſetzungen zu erleiden,
welche wir Gährung und Fäulniß nennen.
Wir haben geſehen, daß Metalle die Fähigkeit erhalten,
Waſſer oder Salpeterſäure zu zerlegen, eine Fähigkeit, die ſie
für ſich nicht beſaßen, durch die bloße Berührung mit andern,
die ſich in dem Zuſtande der Verbindung befinden; wir ſehen
bei dem Waſſerſtoffhyperoxid und Waſſerſtoffhyperſulfid, daß
in dem Act ihrer Zerſetzung, Verbindungen ähnlicher Art, in
denen die Elemente bei weitem ſtärker gebunden ſind, ohne daß
eine chemiſche Verwandtſchaft hierbei mitwirkt, die nämliche
Zerlegung erfahren, und man wird in den Materien, welche Gäh-
rung und Fäulniß bewirken, bei genauerer Beachtung die näm-
liche Urſache erkennen, welche die obigen Erſcheinungen bedingt.
Es iſt dieſe Urſache ein jeder Körper, der ſich im Zuſtande
[217]Gährung und Fäulniß.
der Zerſetzung befindet, ſie iſt eine Störung des ſtatiſchen Mo-
ments der Anziehungen der Elemente, eines completen organi-
ſchen Atoms, in deren Folge ſich die Elemente nach ihren ſpe-
ciellen Anziehungen auf’s Neue gruppiren.
Die Beweiſe für die Exiſtenz dieſer Urſache laſſen ſich leicht
entwickeln; ſie gehen aus dem Verhalten der Körper hervor,
welche Gährung und Fäulniß bewirken; ſie ergeben ſich aus
der Regelmäßigkeit, man kann ſagen, Geſetzmäßigkeit, in wel-
cher die Theilung der Elemente in den erfolgenden Metamor-
phoſen vor ſich geht, und dieſe Regelmäßigkeit iſt ausſchließ-
lich begründet in der ungleichen Verwandtſchaft, die ſie in iſo-
lirtem Zuſtande zu einander befitzen. Aus dem Verhalten der
Holzkohle zum Waſſer, aus dem der einfachſten Stickſtoffver-
bindung, dem Cyan, zu demſelben Körper, laſſen ſich alle
Metamorphoſen ſtickſtofffreier und ſtickſtoffhaltiger Körper ent-
wickeln.
[218]Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper.
Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper.
Bringen wir Sauerſtoff und Waſſerſtoff in der Form von
Waſſerdämpfen demnach in gleichen Wirkungswerthen mit Kohle
in einer Temperatur zuſammen, bei welcher ſie die Fähigkeit
beſitzt, eine Verbindung mit einem dieſer Elemente einzugehen,
ſo ſieht man, daß ſich unter allen Umſtänden ein Oxid des Koh-
lenſtoffs, Kohlenoxid oder Kohlenſäure, bildet, während je
nach der Temperatur Kohlenwaſſerſtoff oder Waſſerſtoff in Frei-
heit geſetzt wird; es findet demnach eine Theilung des Kohlen-
ſtoffs in die Elemente des Waſſers, in den Waſſerſtoff und
Sauerſtoff ſtatt, und eine noch vollkommenere Theilung dieſer
Art beobachten wir bei allen Metamorphoſen, durch welche Art
von Urſachen ſie auch bewirkt werden mögen.
Eſſigſäure und Meconſäure erleiden durch den Einfluß der
Wärme eine wahre Metamorphoſe, d. h. eine Spaltung in
neue Verbindungen ohne Ausſcheidung eines ihrer Elemente.
Aus der Eſſigſäure entſteht Kohlenſäure und Aceton, aus der
Meconſäure Kohlenſäure und Komenſäure, durch höhere Tem-
peratur erleidet die letztere eine neue Metamorphoſe; ſie zerlegt
ſich wieder in Kohlenſäure und Pyromeconſäure.
Der Kohlenſtoff dieſer Materien theilt ſich in den Sauer-
ſtoff und Waſſerſtoff; auf der einen Seite ſehen wir Kohlen-
ſäure, auf der andern ein Oxid eines Kohlenwaſſerſtoffs auf-
treten, in welchem aller Waſſerſtoff enthalten iſt.
Bei der Metamorphoſe von Alkoholdämpfen in mäßiger
Glühhitze theilt ſich der Kohlenſtoff auf ähnliche Weiſe und es
[219]Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper.
entſteht ein Oxid einer Kohlenwaſſerſtoffverbindung, die allen
Sauerſtoff enthält, und gasförmige Kohlenwaſſerſtoffverbin-
dungen.
Bei dieſen Metamorphoſen durch Wärme ſind, wie man
ſieht, keine fremden Verwandtſchaften thätig; es ſind die beſon-
deren Anziehungen der Elemente allein im Spiel, die ſich je
nach dem Grade ihrer Verwandtſchaften zu neuen Verbindun-
gen ordnen, beſtändig und unveränderlich unter den Bedingun-
gen, in welchen ſie gebildet werden, ſich aufs neue umſetzend,
wenn dieſe Bedingungen geändert werden. Vergleichen wir nun
die Producte miteinander, zu denen zwei in ihrer Zuſammen-
ſetzung ähnliche, aber in ihren Eigenſchaften verſchiedene Mate-
rien in zwei durch verſchiedene Urſachen erfolgende Metamorpho-
ſen Veranlaſſung geben, ſo finden wir, daß die Art der Um-
ſetzung der Atome abſolut die nämliche iſt.
In den Metamorphoſen des Holzes auf dem Boden von
Sümpfen, die wir Fäulniß nennen, theilt ſich ſein Kohlenſtoff
in den Waſſerſtoff und Sauerſtoff ſeiner eigenen Subſtanz und
den des Waſſers, neben reiner Kohlenſäure entwickelt ſich ein
Kohlenwaſſerſtoff, der eine der Kohlenſäure ähnliche Zuſammen-
ſetzung beſitzt.
In der Metamorphoſe des Zuckers, die wir Gährung nen-
nen, theilen ſich ſeine Elemente in Kohlenſäure, welche ⅔ von
dem Sauerſtoff des Zuckers, und in Alkohol, der allen Waſſer-
ſtoff enthält.
In der Metamorphoſe der Eſſigſäure durch Glühhitze ent-
ſteht Kohlenſäure, welche ⅔ von dem Sauerſtoff der Eſſigſäure
und Aceton, welches allen Waſſerſtoff enthält.
Man ſieht leicht, daß die Elemente einer complexen Ver-
bindung ihren ſpeciellen Anziehungen überlaſſen (und dieß ge-
ſchieht bei jeder Störung in den Anziehungen der Elemente ei-
[220]Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
ner Verbindung, durch welche Urſache ſie auch erfolgen mag),
daß die Theilung dieſer Elemente, ihre Umſetzung, zu neuen
Verbindungen ſtets nach einer und derſelben Weiſe vor ſich
geht, mit dem einzigen Unterſchiede jedoch, daß die Natur der
gebildeten Producte ſtets abhängig bleibt von der Anzahl der
Atome der Elemente, die in Action treten, daß alſo die Pro-
ducte je nach der Zuſammenſetzung der Subſtanz ins Unend-
liche wechſeln.
Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
Wenn wir die Materien ins Auge faſſen, welche die Ei-
genſchaft, Metamorphoſen, Gährung und Fäulniß zu bewirken,
im vorzüglichſten Grade beſitzen, ſo finden wir, daß es ohne
Ausnahme ſolche ſind, in deren Zuſammenſetzung der Stickſtoff
einen Beſtandtheil ausmacht. Wir finden, daß in vielen der-
ſelben eine Umſetzung ihrer Elemente zu neuen Producten von
ſelbſt erfolgt, von dem Augenblicke an, wo ſie aufhören dem
lebenden Organismus anzugehören, wo ſie alſo aus der Sphäre
der Anziehung heraustreten, durch die allein ſie zu beſtehen
vermögen.
Wir kennen zwar ſtickſtofffreie Körper, die ebenfalls nur in
Verbindung mit andern einen gewiſſen Grad von Beſtändig-
keit beſitzen, die im iſolirten Zuſtande alſo unbekannt ſind, eben
weil ihre Elemente, der Kraft entzogen, durch deren Wirkung
ihre Elemente zuſammengehalten ſind, ſich nach ihren eigenen
[221]Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
Anziehungen ordnen; Uebermanganſäure, Manganſäure, unter-
ſchweflige Säure ſind ſchon als Verbindungen dieſer Claſſe be-
zeichnet worden, allein wie bemerkt, dieſe Eigenſchaft kommt
nur wenigen ſtickſtofffreien Verbindungen zu.
Ganz anders verhält es ſich mit den ſtickſtoffhaltigen Kör-
pern; man kann ſagen, daß in der eigenthümlichen Natur des
Stickſtoffs die Urſache der außerordentlichen Leichtigkeit gegeben
iſt, welche ihre eigene Zerſtörung herbeiführt. Als das indiffe-
renteſte unter den bekannten Elementen zeigt er keine hervor-
ſtechende Anziehung zu irgend einem andern einfachen Körper,
und dieſen Character trägt der Stickſtoff in alle Verbindungen
über, die er einzugehen fähig iſt, ein Character, der ſeine leichte
Trennung von den Materien, mit denen er verbunden iſt, er-
klärlich macht.
Nur wenn ſeine Quantität im Verhälniß zu den Elemen-
ten, mit denen er verbunden iſt, eine gewiſſe Grenze überſteigt,
wie bei Melamin, Ammelin ꝛc, fangen die Stickſtoffverbindun-
gen an, eine gewiſſe Beſtändigkeit zu erhalten; ſie verlieren
ebenfalls bis zu einem gewiſſen Grade ihre Veränderlichkeit,
wenn ſeine Quantität zu der Maſſe der Elemente, mit denen
er verbunden iſt, zu der Summe ihrer Anziehungen alſo, ein
Minimum beträgt, wie bei den organiſchen Baſen.
Wir ſehen in den beiden Knallſilbern, dem Knallqueckſilber,
dem Jod- und Chlorſtickſtoff in den ſogenannten fulminirenden
Verbindungen dieſen Character der leichten Umſetzung am ent-
ſchiedenſten hervortreten.
Alle anderen erhalten die nämliche Fähigkeit, ſich zu zer-
legen, wenn ihnen die Elemente des Waſſers dargeboten wer-
den, ja die meiſten ſind keiner Metamorphoſe fähig, wenn
dieſe Bedingung ihrer Umſetzung ausgeſchloſſen iſt.
Die veränderlichſten ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen, Theile
[222]Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
von Organismen, gehen in trocknem Zuſtande nicht in Fäul-
niß über.
Aus den Reſultaten der bekannten Metamorphoſen ſtickſtoff-
haltiger Körper ergiebt ſich nun, daß hierbei das Waſſer nicht
bloß als Medium dient, welches den ſich umſetzenden Elemen-
ten Bewegung geſtattet; es ſtellt ſich klar daraus hervor, daß
ſie in Folge von chemiſcher Verwandtſchaft vor ſich gehen.
Fragen wir nun nach den Veränderungen, welche die ſtick-
ſtoffhaltigen Körper im Allgemeinen erleiden, wenn ihnen die
Beſtandtheile des Waſſers unter Umſtänden dargeboten werden,
wo ihre Zerſetzung, gleichgültig durch welche Urſache, her-
beigeführt wird, ſo ergiebt ſich als eine Regel, die keine Aus-
nahme kennt, daß unter dieſen Bedingungen der Stickſtoff die-
ſer Subſtanzen ſtets bei vollendeter Zerſetzung als Ammo-
niak in Freiheit geſetzt wird. Alle ſtickſtoffhaltigen organi-
ſchen Materien entwickeln durch die Einwirkung von Alkalien,
allen Stickſtoff in der Form von Ammoniak; Säuren und eine
erhöhte Temperatur wirken auf die nämliche Weiſe; nur beim
Mangel an Waſſer oder ſeinen Elementen bilden ſich Cyan
und andere Stickſtoffverbindungen.
Man kann hieraus entnehmen, daß das Ammoniak die
ſtärkſte Stickſtoffverbindung iſt, daß Waſſerſtoff und Stickſtoff
zu einander einen Grad von Verwandtſchaft beſitzen, der die
Anziehung des Stickſtoffs zu allen übrigen übertrifft.
Bei den ſtickſtofffreien Materien haben wir in der ausge-
zeichneten Verwandſchaft, welche der Kohlenſtoff zum Sauerſtoff
beſitzt, eine Urſache kennen gelernt, welche die Spaltung der
Elemente eines complexen organiſchen Atoms nach einer be-
ſtimmten Weiſe herbeiführt; in den ſtickſtoffhaltigen macht
nur der Kohlenſtoff einen nie fehlenden Beſtandtheil aus und
in dieſen kommt in der hervorſtechenden Verwandtſchaft des
[223]Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
Stickſtoffs zum Waſſerſtoff eine neue höchſt kräftige Urſache
einer leichteren Umſetzung der Beſtandtheile hinzu.
Bei den ſtickſtofffreien Körpern haben wir ein Element, bei
den ſtickſtoffhaltigen zwei Elemente, die ſich in die Elemente
des Waſſers theilen, wir haben darin zwei entgegengeſetzte
Verwandtſchaften, die ihre Wirkung gegenſeitig verſtärken.
Wir wiſſen nun, daß wir im Stande ſind, durch den Ein-
fluß zweier Verwandtſchaften die ſtärkſten Anziehungen zu über-
winden, wir bringen mit der größten Leichtigkeit eine Zerſetzung
der Thonerde hervor, wenn wir die Verwandtſchaft der Kohle
auf ihren Sauerſtoff und die des Chlors auf das Aluminium
in Thätigkeit ſetzen, eine Zerſetzung, die mit jedem allein nicht
bewirkt werden kann, und es iſt mithin in der Natur und der
Conſtitution der Stickſtoffverbindungen ſelbſt eine Art von
Spannung der Beſtandtheile, eine hervorſtechende Neigung zu
Metamorphoſen gegeben, welche bei vielen eine von ſelbſt er-
folgende Umſetzung von dem Augenblick an bewirkt, wo ſie mit
Waſſer oder mit den Elementen des Waſſers in Berührung
gebracht werden.
Das Verhalten der einfachſten aller Stickſtoffverbindungen,
des Cyanſäurehydrats iſt vielleicht am beſten im Stande eine
beſtimmte Vorſtellung über dieſe Theilungsweiſe zu geben.
Dieſe Säure enthält Kohlenſtoff, Stickſtoff und Sauerſtoff
genau in den Verhältniſſen, daß mit dem Hinzutreten einer
gewiſſen Menge Waſſer die Elemente dieſes Waſſers gerade
hinreichen, ſein Sauerſtoff einerſeits, um mit ihrem Kohlenſtoff
und Sauerſtoff Kohlenſäure und ſein Waſſerſtoff andererſeits,
um mit ihrem Stickſtoff Ammoniak zu bilden.
Bei dieſen Körpern vereinigen ſich alſo die günſtigſten Be-
dingungen, um die vollkommenſte Metamorphoſe zu erleiden,
und es iſt wohl bekannt, daß dieſe Spaltung augenblick-
[224]Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
lich erfolgt, ſobald die Cyanſäure mit Waſſer zuſammenge-
bracht wird; unter lebhaftem Aufbrauſen verwandelt ſie ſich in
Kohlenſäure und Ammoniak.
Dieſe Zerſetzung läßt ſich als Typus aller Metamorphoſen
ſtickſtoffhaltiger Körper betrachten, es iſt die Fäulniß in ihrer
reinſten und vollendetſten Form, denn die neuen Produkte,
Kohlenſäure und Ammoniak, ſind keiner weiteren Metamorphoſe
mehr fähig.
Eine ganz andere und weit verwickeltere Form nimmt aber
die Fäulniß an, wenn die erſten Produkte, welche gebildet wer-
den, einer fortſchreitenden Veränderung unterliegen, ſie zerfällt
in dieſen Fällen in mehrere Perioden, bei denen es unmöglich
iſt die Grenze zu beſtimmen, wo die eine aufhört und die an-
dere anfängt.
Die Metamorphoſe einer aus Kohlenſtoff und Stickſtoff be-
ſtehenden Verbindung des Cyans, des einfachſten unter allen
ſtickſtoffhaltigen Körpern, giebt eine klare Vorſtellung von der
Mannigfaltigkeit der Produkte, die hierbei auftreten, es iſt die
einzige Fäulniß einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz, die einigerma-
ßen unterſucht iſt.
Eine Auflöſung von Cyan im Waſſer trübt ſich nach kur-
zer Zeit und ſetzt eine ſchwarze oder braun-ſchwarze
Materie ab, welche die Ammoniakverbindung eines Kör-
pers iſt, der durch eine einfache Vereinigung von Cyan mit
Waſſer entſteht. Dieſe Subſtanz iſt unlöslich im Waſſer und
entzieht ſich durch ihren Zuſtand jeder weiteren Veränderung.
Eine zweite Metamorphoſe wird bedingt durch die Theilung
des Cyans in die Elemente des Waſſers, es entſteht Cyan-
ſäure, indem ſich eine gewiſſe Menge Cyan mit Sauerſtoff
verbindet, es bildet ſich Blauſäure, indem eine andere Por-
tion Cyan ſich mit dem freiwerdenden Waſſerſtoff vereinigt.
[225]Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
Eine dritte Metamorphoſe erfährt das Cyan, indem eine
vollkommene Spaltung der Elemente des Cyans und eine
Theilung dieſer Elemente in die Beſtandtheile des Waſſers
ſtattfindet. Oxalſäure auf der einen Seite, Ammoniak
auf der andern, ſind die Producte dieſer Spaltung.
Cyanſäure, deren Bildung ſo eben erwähnt worden iſt,
kann in Berührung mit Waſſer nicht beſtehen; ſie zerſetzt ſich
im Moment ihrer Bildung, wie oben erwähnt, in Kohlen-
ſäure und Ammoniak, die ſich neu bildende Cyanſäure ent-
geht aber dieſer Zerſetzung; indem ſie mit dem freigeworde-
nen Ammoniak in Verbindung tritt, entſteht Harnſtoff.
Die Blauſäure zerſetzt ſich ebenfalls in eine braune Materie,
welche Waſſerſtoff und Cyan, das letztere in einem größeren
Verhältniß als wie im gasförmigen enthält; es wird bei ihrer
Zerſetzung ebenfalls Oxalſäure, Harnſtoff und Kohlenſäure ge-
bildet, und durch Spaltung ihres Radikals tritt Ameiſen-
ſäure als neues Produkt auf.
Eine Subſtanz mithin, welche nur Kohlenſtoff und Stick-
ſtoff enthält, liefert im Ganzen acht von einander durchaus
verſchiedene Produkte.
Einige dieſer Produkte ſind durch die Metamorphoſe des
urſprünglichen Körpers, durch die Theilung ſeiner Elemente in
die Beſtandtheile des Waſſers, andere in Folge einer weitern
Spaltung der erſteren entſtanden.
Der Harnſtoff, das kohlenſaure Ammoniak ſind durch die
Verbindung von zwei der gebildeten Produkte entſtanden; an
ihrer Bildung haben alle Elemente Antheil genommen.
Wie aus den ebenangeführten Beiſpielen entnommen wer-
den kann, umfaſſen die Zerſetzungen durch Gährung oder Fäul-
niß in ihren Reſultaten verſchiedene Erſcheinungen.
Es ſind entweder Umſetzungen der Elemente einer com-
15
[226]Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper.
plexen Verbindung zu neuen Verbindungen, welche mit oder
ohne Hinzuziehung der Elemente des Waſſers vor ſich gehen.
In den neuen auf dieſe Weiſe gebildeten Produkten findet
man entweder genau das Verhältniß der Beſtandtheile wieder,
welche vor der Metamorphoſe in der Materie enthalten waren,
oder man findet darin einen Ueberſchuß, der in den Elementen
des Waſſers beſteht, welche Antheil an der Theilung der Ele-
mente genommen haben.
Oder es ſind Umſetzungen zweier und mehrerer complexer
Verbindungen, aus welchen die Elemente beider ſich wechſels-
weiſe mit oder ohne Hinzutreten der Elemente des Waſſers
zu neuen Produkten ordnen. Bei dieſer Art von Metamor-
phoſen enthalten alſo die neuen Produkte die Summe der Be-
ſtandtheile aller Verbindungen, welche an der Zerſetzung An-
theil genommen haben.
Die erſtere Zerſetzungsweiſe characteriſirt die eigentliche
Gährung, die andere die ſogenannte Fäulniß. Wir wer-
den in dem folgenden dieſe Bezeichnungsweiſe ſtets nur für die
beiden in ihren Erfolgen ſich weſentlich von einander unter-
ſcheidenden Metamorphoſen, beibehalten.
[227]Gährung des Zuckers.
Gährung des Zuckers.
Die eigenthümliche Zerſetzung, welche der Zucker erfährt,
läßt ſich als der Typus aller der Metamorphoſen betrachten,
welche mit Gährung bezeichnet werden.
Wenn in eine mit Queckſilber gefüllte graduirte Glocke
1 Cubiccentimeter mit Waſſer zu einem dünnen Brei angerührte
Bierhefe und 10 Grammen einer Rohrzuckerlöſung gebracht
wird, die 1 Gramme reinen Zucker enthält, ſo findet man in
der Glocke nach 24 Stunden, wenn das Ganze einer Tempe-
ratur von 20—25° ausgeſetzt geweſen iſt, ein Volumen Koh-
lenſäure, welches bei 0° und 0,76 Meter B. 245 bis 250 CC.
entſpricht. Rechnet man hierzu 11 CC. Kohlenſäure, womit
die 11 Grm. Flüſſigkeit ſich geſättigt finden, ſo hat man mit-
hin im Ganzen 255—259 CC. Kohlenſäure erhalten; dieſes Vo-
lum Kohlenſäure entſpricht aber 0,503 bis 0,5127 Grm. dem
Gewichte nach. Thénard erhielt ferner von 100 Grm. Rohr-
zucker 0,5262 abſoluten Alkohol. 100 Th. Rohrzucker liefern alſo
im Ganzen 103,89 Th. an Kohlenſäure und Alkohol zuſammen-
genommen. In dieſen beiden Producten ſind aber 42 Th.
Kohlenſtoff enthalten, und dieß iſt genau die Menge, welche
urſprünglich in dem Zucker enthalten war.
Die Analyſe des Rohrzuckers hat auf eine unzweifelhafte
Weiſe ergeben, daß er die Elemente von Kohlenſäure und
Alkohol, minus 1 Atom Waſſer, enthält.
Aus den Produkten ſeiner Gährung ergiebt ſich, daß der
15*
[228]Gährung des Zuckers.
Alkohol und die Kohlenſäure zuſammen 1 Atom Sauerſtoff und
2 Atome Waſſerſtoff, die Elemente alſo von 1 Atom Waſſer
mehr enthalten als der Zucker, und dieß erklärt auf die befrie-
digendſte Weiſe, woher der Gewichtsüberſchuß an den erhaltenen
Produkten kommt, es haben die Elemente von 1 Atom Waſſer
Antheil genommen an der Metamorphoſe des Zuckers.
Dem Verhältniß nach, in welchem ſich der Rohrzucker mit
Aequivalenten von Baſen verbindet, ſo wie aus der Zuſam-
menſetzung ſeines Oxidationsproducts, der Zuckerſäure, weiß
man, daß 1 Atom Zucker 12 Aequivalente oder Atome
Kohlenſtoff enthält.
Keins von dieſen Kohlenſtoffatomen iſt darin in der Form
von Kohlenſäure enthalten, denn man erhält dieſe ganze Quan-
tität Kohlenſtoff als Oxalſäure wieder, wenn man den Zucker
mit übermanganſaurem Kali behandelt. Kleeſäure wird aber
als eine niedere, die Kohlenſäure als die höchſte Oxidations-
ſtufe des Kohlenſtoffs betrachtet, und es iſt unmöglich, durch
einen der kräftigſten Oxidationsproceſſe, wie durch Behandlung
mit übermanganſaurem Kali, ein niederes Oxid aus einem hö-
heren entſtehen zu machen.
Der Waſſerſtoff des Zuckers iſt in dieſem Körper nicht in
der Form von Alkohol vorhanden, denn durch Behandlung mit
Säuren, namentlich mit einer ſauerſtofffreien, der Salzſäure,
wird der Zucker in Waſſer und eine moderartige Kohle zer-
ſetzt, und man weiß, daß keine Alkoholverbindung eine ſolche
Zerſetzung erfährt.
Der Zucker enthält mithin weder fertig gebildete Kohlen-
ſäure noch Alkohol; dieſe Körper ſind in Folge einer Spal-
tung ſeines eigenen Atoms, mit Zuziehung der Elemente des
Waſſers, gebildet worden.
Bei dieſer Metamorphoſe des Zuckers findet man alſo in
[229]Gährung des Zuckers.
den Producten keinen Beſtandtheil der Subſtanz, durch deren
Berührung ſeine Zerſetzung herbeigeführt wurde, die Elemente
der Bierhefe nehmen an der Umſetzung der Elemente des Zuckers
keinen nachweisbaren Antheil.
Nehmen wir jetzt nun einen Pflanzenſaft, welcher reich iſt
an Zucker, und der neben dieſem Beſtandtheil noch andere Ma-
terien, vegetabiliſches Eiweiß, Kleber ꝛc enthält, wie z. B. den
Saft von gelben Möhren, Runkelrüben, Zwiebeln ꝛc, über-
laſſen wir ihn mit Bierhefe der gewöhnlichen Temperatur, ſo
geräth er in Gährung, wie das Zuckerwaſſer; es entweicht unter
Aufbrauſen Kohlenſäure, und in der rückſtändigen Flüſſigkeit findet
man eine dem Zuckergehalt genau entſprechende Menge Alkohol;
überlaſſen wir ihn ſich ſelbſt bei einer Temperatur von 35—40°,
ſo geräth er ebenfalls in Gährung, es entwickeln ſich Gaſe in
beträchtlicher Menge, welche von einem unangenehmen Geruch
begleitet ſind, und wenn die Flüſſigkeit nach vollendeter Zer-
ſetzung unterſucht wird, ſo findet man darin keinen Alkohol.
Der Zucker iſt verſchwunden und mit dem Zucker alle vorher
in dem Saft enthaltenen ſtickſtoffhaltigen Körper. Beide ha-
ben ſich gleichzeitig mit und neben einander zerſetzt; der Stick-
ſtoff der ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen findet ſich in der Flüſſig-
keit als Ammoniak wieder und neben dem Ammoniak drei neue
Producte, welche aus den Beſtandtheilen des Pflanzenſaftes er-
zeugt worden ſind. Die eine iſt eine wenig flüchtige in dem
thieriſchen Organismus vorkommende Säure, die Milchſäure,
die andere iſt der kriſtalliniſche Körper, der den Hauptbeſtand-
theil der Manna ausmacht und die dritte iſt eine feſte dem
arabiſchen Gummi ähnliche Maſſe, welche mit Waſſer einen
dicken zähen Schleim bildet. Die drei Producte zuſammen
wiegen, ohne das Gewicht der gasförmigen Producte zu rech-
nen, mehr, als der im Saft enthaltene Zucker; ſie ſind alſo
[230]Hefe, Ferment.
nicht aus den Elementen des Zuckers allein entſtanden; keins
von den dreien war vor dieſer Metamorphoſe in dem Safte
zu entdecken, ſie ſind alſo durch eine Umſetzung der Beſtand-
theile des Zuckers mit denen der fremden Subſtanzen gebildet
worden und dieſes Ineinandergreifen von zwei und mehreren
Metamorphoſen iſt es, was wir die eigentliche Fäulniß
nennen.
Hefe, Ferment.
Wendet man ſeine Aufmerkſamkeit den Materien zu, durch
welche Gährung und Fäulniß in andern Körpern erregt wird,
ſo findet man bei genauem Beachten ihres Verhaltens und
ihrer Verbindungsweiſe, daß ſie ohne Ausnahmen Subſtanzen
ſind, deren eigene Elemente ſich im Zuſtand der Umſetzung
befinden.
Betrachten wir zuvörderſt die merkwürdige Materie, die
ſich aus gährendem Bier, Wein und Pflanzenſäften in unlös-
lichem Zuſtande abſetzt, und die den Namen Ferment, Gäh-
rungsſtoff von ihrem ausgezeichneten Vermögen erhalten
hat, Zucker und ſüße Pflanzenſäfte in Gährung zu verſetzen,
ſo beobachten wir, daß das Ferment ſich in jeder Hinſicht
wie ein in Fäulniß und Verweſung begriffener ſtick-
ſtoffhaltiger Körper verhält.
Das Ferment verwandelt den Sauerſtoff der umgebenden
Luft in Kohlenſäure und entwickelt noch Kohlenſäure aus ſei-
[231]Hefe, Ferment.
ner eigenen Maſſe (Colin), unter Waſſer fährt es fort, Koh-
lenſäure und übelriechende Gaſe zu entwickeln (Thénard),
und iſt zuletzt in eine dem alten Käſe ähnliche Maſſe verwan-
delt (Prouſt); ſeine Fähigkeit, Gährung zu erregen, iſt mit
Vollendung dieſer Fäulniß verſchwunden.
Zur Erhaltung der Eigenſchaften des Ferments iſt die Ge-
genwart von Waſſer eine Bedingung; ſchon durch bloßes Aus-
preſſen wird ſeine Fähigkeit, Gährung zu erregen, verringert,
durch Austrocknen wird ſie vernichtet; ſie wird gänzlich aufge-
hoben durch Siedhitze, Alkohol, Kochſalz, ein Ueber-
maß von Zucker, Queckſilberoxid, Sublimat,
Holzeſſig, ſchweflige Säure, ſalpeterſaures Sil-
beroxid, ätheriſche Oele, durch lauter Subſtanzen alſo,
welche der Fäulniß entgegenwirken.
Der unlösliche Körper, den man Ferment nennt,
bewirkt die Gährung nicht. Wird die Bier- oder Wein-
hefe mit ausgekochtem kaltem deſtillirtem Waſſer ſorgfältig aus-
gewaſchen mit der Vorſicht, daß die Subſtanz ſtets mit Waſſer
bedeckt bleibt, ſo bringt der Rückſtand die Gährung in Zucker-
waſſer nicht mehr hervor.
Der lösliche Theil des Ferments bewirkt die
Gährung ebenfalls nicht. Ein in der Wärme bereiteter
klarer wäſſriger Aufguß von Ferment kann mit Zuckerwaſſer
in einem verſchloſſenen Gefäße zuſammengebracht werden, ohne
das mindeſte Zeichen von Zerſetzung hervorzubringen. Wo
iſt nun, kann man fragen, der Stoff oder die Materie, wo
iſt der Erreger der Gährung in dem Ferment, wenn die un-
löslichen und löslichen Beſtandtheile des Ferments dieſe Zer-
ſetzung nicht hervorzubringen vermögen? Dieß iſt von Colin
auf die entſchiedenſte Weiſe beantwortet worden; ſie wird
durch den aufgelöſ’ten Stoff bewirkt, wenn der
[232]Hefe, Ferment.
wäſſrige Aufguß an der Luft erkaltet und eine Zeitlang mit
der Luft in Berührung gelaſſen war; in dieſem Zuſtande mit
Zuckerwaſſer zuſammen gebracht, bringt er eine lebhafte Gäh-
rung hervor; ohne zuvor der Luft ausgeſetzt geweſen zu ſein,
tritt keine Gährung ein.
Bei dem Contact mit der Luft erfolgt aber eine Abſorbtion
des Sauerſtoffs und man findet in dem Aufguß nach einiger
Zeit freie Kohlenſäure.
Die Hefe bringt mithin Gährung hervor in Folge einer
fortſchreitenden Zerſetzung, die ſie bei Gegenwart von Luft in
Berührung mit Waſſer erleidet.
Unterſuchen wir ferner, ob und welche Veränderung mit
der Hefe vor ſich geht, wenn ſie in Berührung war mit Zucker-
waſſer, in welchem die Metamorphoſe des Zuckers vollendet
iſt, ſo zeigt ſich, daß mit der Verwandlung des Zuckers in
Kohlenſäure und Alkohol ein Verſchwinden des Ferments ver-
knüpft iſt.
Von 20 Th. friſcher Bierhefe und 100 Th. Zucker erhielt
Thénard nach vollendeter Gährung 13,7 unlöslichen Rück-
ſtand, der ſich mit neuem Zuckerwaſſer, auf dieſelbe Weiſe an-
gewendet, auf 10 Theile verminderte; dieſe 10 Theile waren
weiß, beſaßen die Eigenſchaften der Holzfaſer und verhielten
ſich völlig wirkungslos gegen friſches Zuckerwaſſer.
Es ergiebt ſich hieraus auf eine unzweifelhafte Weiſe, daß
bei der Gährung des reinen Zuckers mit Ferment beide neben-
einander eine Zerſetzung erleiden, in deren Folge ſie beide ver-
ſchwinden. Wenn das Ferment nun ein Körper iſt, der ſich
im Zuſtande der Fäulniß befindet, und Gährung in Folge ſei-
ner eigenen Zerſetzung erregt, ſo müſſen alle Materien, die ſich
in dem nämlichen Zuſtande befinden, auf den Zucker eine gleiche
Wirkung haben.
[233]Hefe, Ferment.
Dieß iſt in der That der Fall. Faulendes Muskel-
fleiſch, Urin, Hauſenblaſe, Osmazom, Eiweiß, Käſe,
Gliadin, Kleber, Legumin, Blut bringen, in Zucker-
waſſer gebracht, die Fäulniß des Zuckers (Gährung) hervor,
ja das Ferment ſelbſt, was durch anhaltendes Auswaſchen
ſeine Fähigkeit, Gährung zu erregen, gänzlich verloren hat, er-
hält ſie wieder, wenn es, an einem warmen Ort ſich ſelbſt
überlaſſen, in Fäulniß übergegangen iſt.
Das Ferment, die faulenden thieriſchen und vegetabiliſchen
Materien, indem ſie in anderen Körpern den Zuſtand der Zer-
ſetzung herbeiführen, den ſie ſelbſt erleiden, wirken mithin wie
das Waſſerſtoffhyperoxid auf Silberoxid; die Störung in der
Anziehung ſeiner Beſtandtheile, welche ſeine eigne Zerſetzung
herbeiführt, der Act ſeiner Zerſetzung bewirkt eine Störung in der
Anziehung der Beſtandtheile des Silberoxids, indem das eine
zerſetzt wird, erfolgt eine ähnliche Zerſetzung des andern Kör-
pers.
Beachten wir nun, um zu gewiſſen Anwendungen zu kom-
men, den Verlauf der Gährung des reinen Zuckers mit Fer-
ment, ſo beobachten wir zwei Fälle, die ſtets wiederkehren. Iſt
die Menge des Ferments im Verhältniß zu dem vorhandenen
Zucker zu gering, ſo iſt ſeine Fäulniß früher beendigt, als die
Metamorphoſe des Zuckers; es bleibt Zucker unzerſetzt, inſofern
die Urſache ſeiner Metamorphoſe, nämlich die Berührung mit
einem in Zerſetzung begriffenen Körper, fehlt.
Iſt die Menge des Ferments vorwaltend, ſo bleibt, indem
ſeine Unlöslichkeit im Waſſer an und für ſich eine langſamere
Zerſetzung bedingt, eine gewiſſe Menge in Zerſetzung begriffen
zurück. Dieſe in friſches Zuckerwaſſer gebracht, fährt fort, wie-
der Gährung zu erregen, bis ſie ſelbſt alle Perioden ihrer eige-
nen Metamorphoſe durchlaufen hat.
[234]Hefe, Ferment.
Eine gewiſſe Menge Hefe iſt alſo erforderlich, um eine be-
ſtimmte Portion Zucker zur Vollendung ſeiner Metamorphoſe
zu bringen, aber ſeine Wirkung iſt keine Maſſenwirkung, ſon-
dern ihr Einfluß beſchränkt ſich lediglich auf ihr Vorhandenſein
bis zu dem Endpunkte hin, wo das letzte Atom Zucker ſich zer-
ſetzt hat.
Aus den dargelegten Thatſachen und Beobachtungen ergiebt
ſich demnach für die Chemie die Exiſtenz einer neuen Urſache,
welche Verbindungen und Zerſetzungen bewirkt, und dieſe Ur-
ſache iſt die Thätigkeit, welche ein in Zerſetzung oder Verbin-
dung begriffener Körper auf Materien ausübt, in denen die
Beſtandtheile nur durch eine ſchwache Verwandtſchaft zuſam-
mengehalten ſind; dieſe Thätigkeit wirkt ähnlich einer eigen-
thümlichen Kraft, deren Träger ein in Verbindung oder Zer-
ſetzung begriffener Körper iſt, eine Kraft, die ſich über die
Sphäre ſeiner Anziehungen hinaus erſtreckt.
Ueber eine Menge bekannter Erſcheinungen kann man ſich
jetzt genügende Rechenſchaft geben.
Aus friſchem Pferdeharn erhält man beim Zuſatz von Salz-
ſäure eine reichliche Menge Hippurſäure; läßt man den Harn
iu Fäulniß übergehen, ſo läßt ſich keine Spur mehr davon ent-
decken. Menſchenharn enthält eine beträchtliche Quantität
Harnſtoff; in gefaultem Harn iſt aller Harnſtoff verſchwunden.
Harnſtoff, den man einer gährenden Zuckerlöſung zugeſetzt hat,
zerlegt ſich in Kohlenſäure und Ammoniak; in einem gegoh-
renen Auszug von Spargeln, Althäwurzeln iſt kein Asparagin
mehr vorhanden.
Es iſt früher berührt worden, daß in der überwiegenden
Verwandtſchaft des Stickſtoffs zu dem Waſſerſtoff, ſo wie in
der ausgezeichneten Verwandtſchaft des Kohlenſtoffs zum Sauer-
ſtoff, in ihrem entgegengeſetzten Streben alſo, ſich der Elemente
[235]Hefe, Ferment.
des Waſſers zu bemächtigen, in allen Stickſtoffverbindungen
eine vorzugsweiſe leichte Spaltung ihrer Elemente gegeben iſt,
und wenn wir finden, daß kein ſtickſtofffreier Körper in reinem
Zuſtande die Eigenſchaft beſitzt, ſich in Berührung mit Waſ-
ſer von ſelbſt zu zerlegen, ſo liegt es in der Natur der Stick-
ſtoffverbindungen, und weil ſie gewiſſermaßen höher organiſirte
Atome darſtellen, daß ihnen vor allen dieſe Fähigkeit zukommt.
Wir finden in der That, daß jeder ſtickſtoffhaltige Beſtand-
theil des thieriſchen oder vegetabiliſchen Organismus, ſich ſelbſt
bei Gegenwart von Waſſer und einer höheren Temperatur über-
laſſen, in Fäulniß übergeht.
Die ſtickſtoffhaltigen Materien ſind demnach ausſchließlich
die Erreger von Gährung und Fäulniß bei vegetabiliſchen
Subſtanzen.
Die Fäulniß gehört in ihren Erfolgen, als eine inein-
ander greifende Metamorphoſe verſchiedener Subſtanzen, zu den
mächtigſten Desoxidationsproceſſen, durch welche die ſtärkſten
Verwandtſchaften überwunden werden.
Eine Auflöſung von Gyps in Waſſer, die man mit einer
Abkochung von Sägeſpänen oder irgend einer Fäulniß fähigen
organiſchen Materie in einem verſchloſſenen Gefäße ſich ſelbſt
überläßt, enthält nach einiger Zeit keine Schwefelſäure mehr,
an ihrer Stelle findet man Kohlenſäure und freie Schwefel-
waſſerſtoffſäure, die ſich in den vorhandenen Kalk theilen. In
ſtehenden Waſſern, welche ſchwefelſaure Salze enthalten, beob-
achtet man an den verfaulenden Wurzelfaſern die Bildung von
kryſtalliſirtem Schwefelkies.
Man weiß nun, daß unter Waſſer, alſo beim Abſchluß der
Luft, faulendes Holz ſich in der Weiſe zerlegt, daß ſich ein
Theil ſeines Kohlenſtoffs mit ſeinem eigenen und dem Sauer-
ſtoff des Waſſers zu Kohlenſäure verbindet, während ſein Waſ-
[236]Hefe, Ferment.
ſerſtoff und der Waſſerſtoff des zerſetzten Waſſers als reines
Waſſerſtoffgas oder als Sumpfgas in Freiheit geſetzt werden;
die Produkte dieſer Zerſetzung ſind mithin von derſelben Art,
wie wenn Waſſerdämpfe über glühende Kohlen geleitet werden.
Es iſt nun klar, daß, wenn das Waſſer eine an Sauerſtoff
reiche Materie enthält, wie Schwefelſäure z. B., ſo wird von
der faulenden Materie dieſer Sauerſtoff mit dem des Waſſers
zur Bildung von Kohlenſäure in Anſpruch genommen werden,
und aus dem gleichzeitig frei gewordenen Schwefel und dem
Waſſerſtoffgas, die ſich im Entſtehungsmomente verbinden, ent-
ſteht Schwefelwaſſerſtoffſäure, die ſich mit den vorhandenen Me-
talloxiden zu Schwefelmetallen umſetzt.
Die gefaulten Blätter der Waidpflanze, in Berührung mit
blauem Indigo und Alkali, bei Gegenwart von Waſſer, gehen
in eine weitere Zerſetzung über, deren Reſultat eine Desoxida-
tion des Indigo’s, ſeine Auflöſung iſt.
Vergleicht man die Zuſammenſetzung des Mannits, welcher
durch Fäulniß von zuckerhaltigem Rüben- und andern Pflan-
zenſäften gebildet wird, mit der des Traubenzuckers, ſo findet man,
daß er die nämliche Anzahl von Atomen Kohlenſtoff und Waſ-
ſerſtoff, aber zwei Atome Sauerſtoff weniger enthält, als der
Traubenzucker; es iſt außerordentlich wahrſcheinlich, daß ſeine
Entſtehung auf eine ähnliche Weiſe aus dem Traubenzucker ge-
folgert werden muß, wie die Verwandlung des blauen Indigo
in desoxidirten weißen Indigo.
Bei der Fäulniß des Klebers entwickelt ſich kohlenſaures
Gas und reines Waſſerſtoffgas, es entſteht phosphorſaures,
eſſigſaures, käſeſaures, milchſaures Ammoniak in ſolcher Menge,
daß die weitere Zerſetzung aufhört; wird das Waſſer erneuert,
ſo geht die Zerſetzung weiter, außer jenen Salzen entſteht koh-
lenſaures Ammoniak, eine weiſſe glimmerähnliche kryſtalliniſche
[237]Hefe, Ferment.
Materie (Käſeoxid), Schwefelammonium und eine durch Chlor
gerinnende ſchleimige Subſtanz. Als ein ſelten fehlendes
Produkt der Fäulniß organiſcher Körper tritt im Beſonderen
die Milchſäure auf.
Wenn man, von dieſen Erſcheinungen ausgehend, die Gäh-
rung und Fäulniß mit der Zerſetzung vergleicht, welche die
organiſchen Verbindungen durch den Einfluß höherer Tempe-
raturen erfahren, ſo erſcheint die trockne Deſtillation als ein Ver-
brennungsproceß in dem Innern einer Materie von einem Theile
ihres Kohlenſtoffs auf Koſten von allem oder einem Theil ihres
eigenen Sauerſtoffs, in deren Folge waſſerſtoffreiche andere
Verbindungen gebildet werden. Die Gährung ſtellt ſich dar
als eine Verbrennung derſelben Art, die bei einer, die gewöhn-
liche, nur wenig überſchreitenden Temperatur im Innern einer
Flüſſigkeit zwiſchen den Elementen einer und derſelben Materie
vor ſich geht, und die Fäulniß als ein Oxidationsproceß, an
dem der Sauerſtoff aller vorhandenen Materien Antheil nimmt.
[238]Verweſung.
Verweſung.
In der organiſchen Natur begegnen wir neben den Zer-
ſetzungsproceſſen, die mit Gährung und Fäulniß bezeichnet wer-
den, einer nicht minder umfaſſenden Klaſſe von Veränderungen
die ſie durch den Einfluß der Luft erfahren; es iſt dies der
Act der allmäligen Verbindung ihrer verbrennlichen Elemente
mit dem Sauerſtoff der Luft, eine langſame Verbrennung, die
den Namen Verweſung erhalten hat.
Zu dieſer Klaſſe gehört die Verwandlung des Holzes in
Humus, die Eſſigſäurebildung aus Alkohol, die Salpeterbildung
und zahlloſe andere Vorgänge.
Pflanzenſäfte irgend einer Art, mit Waſſer durchdrungene
Theile thieriſcher und vegetabiliſcher Subſtanzen, feuchte Säge-
ſpäne, Blut ꝛc. können mit der Luft nicht in Berührung ge-
bracht werden, ohne von dem Augenblick an eine fortſchreitende
Veränderung der Farbe und Eigenſchaften zu erfahren, von
welcher ſtets eine Aufnahme des Sauerſtoffs der Luft als die
erſte Urſache ſich zu erkennen giebt.
Dieſe Veränderung findet beim Abſchluß alles Waſſers und
bei ſeinem Gefrierpunkte nicht ſtatt, und man beobachtet, daß
bei verſchiedenen Körpern verſchiedene Wärmegrade erforderlich
ſind, um die Sauerſtoffaufnahme und ihr zufolge Verweſung
zu bewirken.
In dem ausgezeichnetſten Grade gehört dieſe Fähigkeit den
ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen an.
[239]Verweſung.
Dampft man Pflanzenſäfte beim Zutritt der Luft in gelin-
der Wärme ab, ſo ſchlägt ſich als Product der Einwirkung
des Sauerſtoffs eine braune oder braunſchwarze Subſtanz nie-
der, die bei allen Pflanzenſäften von ähnlicher Beſchaffenheit
zu ſein ſcheint, ſie wird mit dem Namen Extractivſtoff
bezeichnet, ſie iſt im Waſſer ſchwer oder unlöslich und wird
von Alkalien leicht aufgenommen.
Durch die Einwirkung der Luft auf feſte thieriſche oder
vegetabiliſche Gebilde entſteht eine ähnliche pulverige braun-
ſchwarze Subſtanz, die man Humus (Terreau) nennt.
Die Bedingungen zur Einleitung der Verweſung ſind von
der mannigfaltigſten Art; viele und namentlich gemiſchte orga-
niſche Materien oxidiren ſich an der Luft beim bloßen Befeuch-
ten mit Waſſer, andere beim Zuſammenbringen von Alkalien,
und die meiſten gehen in den Zuſtand der langſamen Verbren-
nung über, wenn ſie mit andern verweſenden Materien in
Berührung gebracht werden.
Die Verweſung einer organiſchen Materie kann durch alle
Subſtanzen aufgehoben oder gehindert werden, welche der Fäul-
niß oder Gährung entgegenwirken; Mineralſäuren, Queck-
ſilberſalze, aromatiſche Subſtanzen, brenzliche Oele,
Terpentinöl beſitzen in dieſer Beziehung einerlei Wirkung; die
letzteren verhalten ſich gegen verweſende Körper, wie gegen
Posphorwaſſerſtoffgas, deſſen Selbſtentzündlichkeit ſie vernichten.
Viele Materien, welche für ſich oder mit Waſſer befeuchtet
nicht in den Zuſtand der Verweſung übergehen, gehen bei
Berührung mit einem Alkali einer langſamen Verbrennung
entgegen.
Die Gallusſäure, das Hämatin und viele andere Stoffe
laſſen ſich in ihrer wäſſerigen Löſung unverändert aufbewahren,
die kleinſte Menge freies Alkali ertheilt aber dieſen Materien
[240]Verweſung.
die Fähigkeit Sauerſtoff anzuziehen, und ſich, häufig unter Ent-
wickelung von Kohlenſäure, in braune humusähnliche Subſtan-
zen zu verwandeln (Chevreul).
Die merkwürdigſte Art der Verweſung ſtellt ſich bei vielen
vegetabiliſchen Subſtanzen ein, wenn ſie mit Ammoniak und
Waſſer der Luft ausgeſetzt werden; ohne Entwickelung von
Kohlenſäure ſtellt ſich eine raſche Sauerſtoffaufnahme ein,
es entſtehen, wie beim Orcin, Erythrin und andern prachtvoll
violett oder roth gefärbte Flüſſigkeiten, welche jetzt eine ſtick-
ſtoffhaltige Subſtanz enthalten, in welcher der Stickſtoff nicht
in der Form von Ammoniak enthalten iſt.
Bei allen dieſen Vorgängen hat ſich herausgeſtellt, daß die
Einwirkung des Sauerſtoffs ſich nur ſelten auf den Kohlen-
ſtoff der Materien erſtreckt, was der Verbrennung in höheren
Temperaturen vollkommen entſpricht.
Man weiß z. B., daß, wenn zu einer verbrennenden Koh-
lenwaſſerſtoff-Verbindung nicht mehr Sauerſtoff zugelaſſen wird,
als gerade hinreicht, um den Waſſerſtoff zu oxidiren, daß in die-
ſem Fall kein Kohlenſtoff verbrennt, ſondern als Kienruß ab-
geſchieden wird; iſt die hinzutretende Sauerſtoffmenge noch ge-
ringer, ſo werden die waſſerſtoffreichen Kohlenwaſſerſtoffver-
bindungen, in waſſerſtoffarme, in Naphthalin und andere ähn-
liche zurückgeführt.
Wir haben kein Beiſpiel, daß ſich Kohlenſtoff direct bei
gewöhnlicher Temperatur mit Sauerſtoff verbindet, aber zahl-
loſe Erfahrungen, daß der Waſſerſtoff in gewiſſen Zuſtänden
der Verdichtung dieſe Eigenſchaft beſitzt. Geglühter Kienruß
bildet, im Sauerſtoffgas aufbewahrt, keine Kohlenſäure; mit
waſſerſtoffreichen Oelen getränkter Kienruß erwärmt ſich in der
Luft und entzündet ſich von ſelbſt, und mit Recht hat man die
Selbſtentzündlichkeit der zur Pulverfabrication dienenden waſſer-
[241]Verweſung.
ſtoffreichen Kohle gerade dieſem Waſſerſtoffgehalte zugeſchrieben,
denn während des Pulveriſirens dieſer Kohle findet man in
der umgebenden Luft keine Spur Kohlenſäure; ſie tritt nicht
eher auf, als bis die Temperatur der Maſſe die Glühhitze er-
reicht hat. Die Wärme ſelbſt, welche die Entzündung bedingt,
iſt mithin nicht durch die Oxidation des Kohlenſtoffs gebildet
worden.
Man kann die verweſenden Materien in zwei Klaſſen tren-
nen; in Subſtanzen, welche ſich mit dem Sauerſtoff der Luft
verbinden, ohne Kohlenſäure zu entwickeln, und in andere, bei
denen die Abſorbtion des Sauerſtoffs begleitet iſt von einer
Abſcheidung von Kohlenſäure.
Bittermandelöl, der atmoſphäriſchen Luft ausgeſetzt, ver-
wandelt ſich in Benzoeſäure durch Aufnahme von 2 At. Sauer-
ſtoff; man weiß, daß die Hälfte davon an den Waſſerſtoff des
Oels tritt und damit Waſſer bildet, was in Verbindung bleibt
mit der entſtandenen waſſerfreien Benzoeſäure.
Nach den Erfahrungen von Döbereiner abſorbiren 100
Th. Pyrogallusſäure bei Gegenwart von Ammoniak und Waſſer
38,09 Th. Sauerſtoff; ſie wird in eine moderartige Sub-
ſtanz verwandelt, die weniger Sauerſtoff wie vorher ent-
hält. Es iſt klar, daß das entſtandene Product kein höheres
Oxid iſt, und wenn man die Menge des aufgenommenen
Sauerſtoffs mit ihrem Waſſerſtoffgehalt vergleicht, ſo ergiebt
ſich, daß derſelbe genau hinreicht, um mit dieſem Waſſerſtoff
Waſſer zu bilden.
Bei der Bildung des blutrothen Orceins aus farbloſem
Orcin, was man bei Gegenwart von Ammoniak in Berührung
ließ mit Sauerſtoff, geht durch die Aufnahme von Sauer-
ſtoff mit den Elementen beider Subſtanzen, dem Ammoniak
und dem Orcin, keine andere Veränderung vor ſich, als
16
[242]Verweſung.
die Abſcheidung von Waſſer. 1 Aeq. Orcin C18H24O8 und
1 Aeq. Ammoniak nehmen 5 Aeq. Sauerſtoff auf, und es
trennen ſich 5 Aeq. Waſſer, indem Orcein C18H20O8N2
gebildet wird. (Dumas.) Hier iſt alſo offenbar der aufge-
nommene Sauerſtoff ausſchließlich an den Waſſerſtoff getreten.
So wahrſcheinlich es nun auch erſcheint, daß bei der Ver-
weſung organiſcher Materien die Wirkung des Sauerſtoffs ſich
zuerſt und vorzugsweiſe auf das verbrennlichſte Element, den
Waſſerſtoff, erſtreckt, ſo läßt ſich daraus nicht ſchließen, daß
dem Kohlenſtoff abſolut die Fähigkeit mangele, ſich mit Sauer-
ſtoff zu verbinden, wenn jedes Theilchen davon in Berührung
iſt mit Waſſerſtoff, der ſich leichter damit verbindet.
Wir wiſſen im Gegentheil, daß der Stickſtoff, welcher
direct mit Sauerſtoff nicht verbunden werden kann, ſich zu
Salpeterſäure oxidirt, wenn er mit einer großen Menge Waſſer-
ſtoffgas gemengt, im Sauerſtoffgas verbrannt wird. Hier wird
offenbar durch den verbrennenden Waſſerſtoff ſeine Verwandt-
ſchaft geſteigert, indem ſich die Verbrennung des Waſſerſtoffs
auf den ihn berührenden Stickſtoff überträgt. Auf eine ähn-
liche Weiſe iſt es denkbar, daß in manchen Fällen ſich Kohlen-
ſtoff direct mit Sauerſtoff zu Kohlenſäure oxidirt, indem er
durch den verweſenden Waſſerſtoff eine Fähigkeit erhält, die er
bei gewöhnlicher Temperatur für ſich nicht beſitzt; aber für die
meiſten Fälle muß die Kohlenſäurebildung bei der Verweſung
waſſerſtoffreicher Materien einer andern Urſache zugeſchrieben
werden. Sie ſcheint auf ähnliche Art gebildet zu werden wie
die Eſſigſäure bei der Verweſung des ſalicyligſauren Kalis. Die-
ſes Salz, der feuchten Luft ausgeſetzt, abſorbirt 3 Atome Sauer-
ſtoff; es entſteht ein humusähnlicher Körper, die Melanſäure,
in Folge deren Bildung ſich die Elemente von 1 At. Eſſig-
ſäure von denen der ſalicyligen Säure trennen.
[243]Verweſung.
Bei der Berührung einer alkaliſchen Löſung von Hämatin
mit Sauerſtoff abſorbiren 0,2 Grm. in zwei Stunden 28,6
Cubiccentimeter Sauerſtoffgas, wobei das Alkali einen Gehalt
von 6 CC. Kohlenſäure erhält (in Chevreul); da dieſe
6 CC. Kohlenſäure nur ein gleiches Volumen Sauerſtoff ent-
halten, ſo geht aus dieſer Erfahrung mit Gewißheit hervor,
daß ¾ des aufgenommenen Sauerſtoffs nicht an Kohlenſtoff
getreten ſind. Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß mit der Oxi-
dation ihres Waſſerſtoffs ein Theil des Kohlenſtoffs der
Subſtanz ſich mit ihrem eigenen Sauerſtoff in der Form von
Kohlenſäure von den übrigen Elementen getrennt hat.
Die Verſuche von Sauſſure über die Verweſung der
Holzfaſer laſſen über eine ſolche Trennung kaum einen Zweifel
zu. Feuchte Holzfaſer entwickelt nämlich für jedes Volumen
Sauerſtoff, was davon aufgenommen wird, ein gleiches Volu-
men Kohlenſäure, welche, wie man weiß, das nämliche Volu-
men Sauerſtoff enthält. Da nun die Holzfaſer Kohlenſtoff
und die Elemente des Waſſers enthält, ſo iſt der Erfolg der
Einwirkung des Sauerſtoffs gerade ſo, als wenn reine Kohle
ſich direct mit Sauerſtoff verbunden hätte.
Das ganze Verhalten der Holzfaſer zeigt aber, daß die Ele-
mente des Waſſers, welche Beſtandtheile davon ausmachen,
nicht in der Form von Waſſer darin wirklich enthalten ſind;
denn in dieſem Falle müßte man Stärke, Zucker und Gummi
ebenfalls als Hydrate der Kohle betrachten.
Wenn aber der Waſſerſtoff nicht in der Form von Waſſer
in der Holzfaſer vorhanden iſt, ſo kann man die directe Oxi-
dation des Kohlenſtoffs neben dieſem Waſſerſtoff nicht anneh-
men, ohne in Widerſpruch mit allen Erfahrungen zu gerathen,
die man über Verbrennungsproceſſe in niederer Temperatur ge-
macht hat.
16*
[244]Verweſung.
Betrachten wir den Erfolg der Einwirkung des Sauer-
ſtoffs auf eine waſſerſtoffreiche Materie, den Alkohol z. B., ſo
ergiebt ſich mit unzweifelhafter Gewißheit, daß die directe Bil-
dung der Kohlenſäure ſtets das letzte Stadium ihrer Oxidation
iſt, und daß bis zu ihrem Auftreten die Materie eine gewiſſe
Anzahl von Veränderungen durchlaufen hat, deren letzte eine
völlige Verbrennung ihres Waſſerſtoffs iſt.
In dem Aldehyd, der Eſſigſäure, Ameiſenſäure, Oxalſäure
und Kohlenſäure haben wir eine zuſammenhängende Reihe von
Oxidationsproducten des Alkohols, in welcher man die Ver-
änderungen, durch die Einwirkung des Sauerſtoffs, mit Leichtig-
keit verfolgen kann. Der Aldehyd iſt Alkohol, minus Waſſer-
ſtoff; die Eſſigſäure entſteht aus dem Aldehyd, indem ſich dieſer
direct mit Sauerſtoff verbindet. Durch weiteres Hinzutreten
von Sauerſtoff entſteht aus der Eſſigſäure Ameiſenſäure und
Waſſer; wird aller Waſſerſtoff in der Ameiſenſäure hinwegge-
nommen, ſo hat man Oxalſäure, und tritt zu dieſer eine neue
Quantität Sauerſtoff hinzu, ſo verwandelt ſie ſich in Kohlen-
ſäure.
Wenn nun auch bei der Einwirkung oxidirender Materien
auf Alkohol alle dieſe Producte gleichzeitig aufzutreten ſcheinen,
ſo bleibt doch kaum ein Zweifel, daß die Bildung des letzten
Products, der Kohlenſäure, eine vorhergehende Hinwegnahme
alles Waſſerſtoffs vorausſetzt.
In der Verweſung der trocknenden Oele iſt die Abſorbtion
des Sauerſtoffs offenbar nicht bedingt durch die Oxidation
ihres Kohlenſtoffs, denn bei dem rohen Nußöl z. B., welches
nicht frei war von Schleim und anderen Stoffen, bildete ſich
für 146 Vol. abſorbirten Sauerſtoff nur 21 Vol. kohlenſau-
res Gas.
Man muß erwägen, daß eine Verbrennung in niederer Tem-
[245]Verweſung.
peratur, in ihren Reſultaten ganz ähnlich iſt einer Verbrennung
in höherer Temperatur bei beſchränktem Sauerſtoffzutritt.
Das verbrennlichſte Element einer Verbindung, die man der Ein-
wirkung des Sauerſtoffs ausſetzt, wird ſich zuerſt und vorzugs-
weiſe mit Sauerſtoff verbinden, und dieſe Verbrennlichkeit wird
bedingt durch die Fähigkeit, bei einer Temperatur eine Verbin-
dung mit dem Sauerſtoff einzugehen, in welcher die andern
Elemente ſich nicht damit verbinden. Dieſe Fähigkeit wirkt
hier wie eine größere Verwandtſchaft.
Die Verbrennlichkeit des Kaliums iſt für uns kein Maß-
ſtab für ſeine Verwandtſchaft zum Sauerſtoff; wir haben Grund
zu glauben, daß Magneſium und Aluminium das Kalium in
ihrer Anziehung zum Sauerſtoff übertreffen; aber beide oxi-
diren ſich nicht in der Luft und nicht im Waſſer bei ge-
wöhnlicher Temperatur, während Kalium das Waſſer mit
der größten Heftigkeit zerſetzt und ſich ſeines Sauerſtoffs be-
mächtigt.
Phosphor und Waſſerſtoff verbinden ſich bei gewöhnlicher
Temperatur mit dem Sauerſtoff, der erſtere in feuchter Luft,
der andere bei Berührung mit feinzertheiltem metalliſchen Pla-
tin; die Kohle bedarf der Glühhitze, um eine Verbindung mit
dem Sauerſtoff einzugehen.
Es iſt evident, Phosphor und Waſſerſtoff ſind verbrenn-
licher als Kohle, ihre Verwandtſchaft zum Sauerſtoff iſt bei
gewöhnlicher Temperatur größer, und dieſer Schluß erleidet
keine Aenderung durch die Erfahrung, daß die Kohle die Ver-
wandtſchaft beider zum Sauerſtoff unter andern Bedingungen
bei weitem übertrifft.
Bei der Fäulniß ſind die Bedingungen, in denen die grö-
ßere Verwandtſchaft des Kohlenſtoffs zum Sauerſtoff ſich thätig
zeigt, offenbar gegeben; Expanſion, Gaszuſtand oder Cohäſion
[246]Verweſung.
wirken ihrer Aeußerung nicht entgegen, in der Verweſung ſind
alle dieſe Hinderniſſe zu überwinden.
Das Auftreten der Kohlenſäure bei Verweſung vegetabili-
ſcher und thieriſcher Subſtanzen, welche reich ſind an Waſſer-
ſtoff, muß hiernach einer ähnlichen Umſetzung der Elemente
oder Störung ihrer Anziehungen zugeſchrieben werden, als wie
die Bildung derſelben bei der Gährung und Fäulniß. Indem
der Waſſerſtoff der Subſtanz durch Verweſung hinweggenom-
men und oxidirt wird, trennen ſich von ihren übrigen Ele-
menten Kohlenſtoff und Sauerſtoff in der Form von Koh-
lenſäure.
Bei dieſer Klaſſe von Materien iſt demnach die Verweſung
eine Zerſetzung, ähnlich der Fäulniß ſtickſtoffhaltiger Materien.
Wir haben bei dieſen zwei Verwandtſchaften, die des Stick-
ſtoffs zum Waſſerſtoff und die des Kohlenſtoffs zum Sauerſtoff,
durch welche unter geeigneten Umſtänden eine leichtere Spal-
tung der Elemente erfolgt; bei den Körpern, die unter Bil-
dung von Kohlenſäure verweſen, ſind ebenfalls zwei Verwandt-
ſchaften thätig, die des Sauerſtoffs der Luft zu dem Waſſer-
ſtoff der Subſtanz, welche die Anziehung des Stickſtoffs zu dem
nämlichen Elemente hier vertritt, und andrerſeits die Verwandt-
ſchaft des Kohlenſtoffs zu dem Sauerſtoff der Subſtanz, die
unter allen Umſtänden unverändert bleibt.
Bei der Fäulniß des Holzes auf dem Boden von Süm-
pfen trennt ſich von ſeinen Elementen Kohlenſtoff und Sauer-
ſtoff in der Form von Kohlenſäure, ſein Waſſerſtoff in der
Form von Kohlenwaſſerſtoff; in ſeiner Verweſung, in ſeiner
Fäulniß beim Zutritt der Luft verbindet ſich ſein Waſſerſtoff
nicht mit Kohlenſtoff, ſondern mit Sauerſtoff, zu dem er bei
gewöhnlicher Temperatur eine weit größere Verwandtſchaft
beſitzt.
[247]Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung.
Von dieſer vollkommen Gleichheit der Action rührt es
unſtreitig her, daß verweſende und faulende Körper ſich in
ihrer Wirkung auf einander gegenſeitig erſetzen können.
Alle faulende Körper gehen bei ungehindertem Zutritt der
Luft in Verweſung, alle verweſenden Materien in Fäulniß
über, ſobald die Luft abgeſchloſſen wird.
Eben ſo ſind alle verweſenden Körper fähig, die Fäulniß
in andern Körpern einzuleiten und zu erregen, auf dieſelbe
Weiſe, wie dieß von andern faulenden geſchieht.
Verweſung ſtickſtofffreier Körper.
Eſſigbildung.
Alle Materien, welche, wie man gewöhnlich annimmt, die
Fähigkeit beſitzen, von ſelbſt in Gährung und Fäulniß überzu-
gehen, erleiden in der That bei näherer Betrachtung dieſe Zu-
ſtände der Zerſetzung, ohne eine vorangegangene Störung, nicht.
Es tritt zuerſt Verweſung ein, ehe ſie in Fäulniß oder Gäh-
rung übergehen, und erſt nach Abſorbtion einer gewiſſen Menge
Sauerſtoff beginnen die Zeichen einer im Innern der Materien
vorgehenden Metamorphoſe.
Es giebt kaum einen Irrthum, welcher mehr verbreitet iſt,
als die Meinung, daß organiſche Subſtanzen ſich ſelbſt über-
laſſen, ohne äußere Urſache, ſich zu verändern vermögen.
Wenn ſie nicht ſelbſt ſchon im Zuſtande der Veränderung begriffen
[248]Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung.
ſind, ſo bedarf es ſtets einer Störung in dem Zuſtande des
Gleichgewichts, in dem ſich ihre Elemente befinden, und die
allgemeinſte Veranlaſſung zu dergleichen Störungen, die ver-
breitetſte Urſache iſt unſtreitig die Atmoſphäre, welche alle
Körper umgiebt.
Der am leichteſten veränderliche Pflanzenſaft in der Frucht
oder dem Pflanzentheil, vor der unmittelbaren Berührung mit
dem Sauerſtoff der Luft geſchützt, behält ſo lange ſeine Eigen-
ſchaften unverändert bei, als die Materie der Zelle oder des
Organs dieſer Einwirkung widerſteht; erſt nach erfolgter Be-
rührung mit der Luft, erſt nach Abſorbtion einer gewiſſen
Menge Sauerſtoff zerlegen ſich die in der Flüſſigkeit gelöſ’ten
Materien.
Die ſchönen Verſuche Gay Luſſac’s über die Gährung
des Traubenſaftes, ſowie die überaus wichtigen Anwendungen,
zu denen ſie geführt haben, ſind die beſten Belege für den An-
theil, den die Atmoſphäre an den Veränderungen organiſcher
Subſtanzen nimmt.
Der Saft von Weintrauben, welcher durch Auspreſſen
unter einer mit Queckſilber gefüllten Glocke bei Abſchluß aller
Luft erhalten worden war, kam nicht in Gährung.
Die kleinſte Menge hinzutretender Luft brachte, unter Ab-
ſorbtion einer gewiſſen Menge Sauerſtoffgas, augenblicklich die
Gährung hervor.
Wurde der Traubenſaft bei Zutritt der Luft ausgepreßt,
durch die Berührung alſo mit Sauerſtoff die Bedingung gege-
ben, in Gährung überzugehen, ſo trat dennoch keine Gährung ein,
wenn der Saft in verſchloſſenen Gefäßen bis zum Siedepunkte
des Waſſers erhitzt worden war; er ließ ſich in dieſem Zuſtande
vor der Luft geſchützt Jahre lang aufbewahren, ohne ſeine
Fähigkeit, in Gährung überzugehen, verloren zu haben. Dieſe
[249]Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung.
Fähigkeit erhielt er wieder bei erneuter Berührung mit der
Luft.
Fleiſchſpeiſen jeder Art, die am leichteſten veränderlichen Ge-
müſe gerathen nicht in Fäulniß, wenn ſie in luftdicht verſchloſſenen
Gefäßen der Siedhitze des Waſſers ausgeſetzt werden; man hat
Speiſen dieſer Art nach 15 Jahren in demſelben Zuſtande der
Friſche und des Wohlgeſchmacks bei dem Eröffnen wiedergefun-
den, den ſie bei dem Einfüllen beſaßen.
Man kann ſich über die Wirkungsweiſe des Sauerſtoffs in
dieſen Zerſetzungsproceſſen nicht täuſchen, ſie beruht in der
Veränderung, welche in dem Traubenſafte und den Pflanzen-
ſäften die aufgelöſ’ten ſtickſtoffhaltigen Materien erfahren, in
dem Zuſtande der Entmiſchung, in welchen ſie in Folge der Be-
rührung mit dem Sauerſtoff übergehen.
Der Sauerſtoff wirkt hierbei ähnlich, wie Reibung, Stoß
oder Bewegung, welche gegenſeitige Zerſetzung zweier Salze,
welche das Kryſtalliſiren einer geſättigten Salzauflöſung, das
Explodiren von Knallſilber bewirken, er veranlaßt die Auf-
hebung des Zuſtandes der Ruhe und vermittelt den Uebergang
in den Zuſtand der Bewegung.
Iſt dieſer Zuſtand einmal eingetreten, ſo bedarf es ſeiner
Gegenwart nicht mehr. Das kleinſte Theilchen des ſich zer-
ſetzenden, des ſich umſetzenden ſtickſtoffhaltigen Körpers wirkt
an ſeiner Stelle, die Bewegung fortpflanzend, auf das neben
ihm liegende. Die Luft kann abgeſchloſſen werden, und die
Gährung oder Fäulniß geht ununterbrochen bis zu ihrer Voll-
endung fort. Bei manchen Früchten hat man bemerkt, daß
es nur des Contacts der Kohlenſäure bedarf, um die Gäh-
rung des Saftes hervorzubringen.
Unter den Bedingungen zur Einleitung der Verweſung
können als chemiſche die Berührung mit Ammoniak und mit
[250]Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung.
Alkalien im Allgemeinen bezeichnet werden, da ſie bei vielen
Materien eine Abſorbtion des Sauerſtoffs bewirken, wodurch
eine Zerſetzung herbeigeführt wird, die ſie für ſich, in Be-
rührung mit dem Alkali oder dem Sauerſtoff allein, nicht
erfahren.
So verbindet ſich der Alkohol bei gewöhnlicher Temperatur
nicht mit dem Sauerſtoff der Luft, eine Auflöſung von Kali-
hydrat in Alkohol färbt ſich hingegen unter raſcher Sauerſtoff-
aufnahme gelb und braun, man findet nach einiger Zeit Eſſig-
ſäure, Ameiſenſäure und die Zerſetzungsprodukte des Aldehyds
durch Alkalien, zu denen der harzartige Körper gehört, wel-
cher die Flüſſigkeit braun färbt.
Die allgemeinſte Bedingung zur Einleitung der Verweſung
in organiſchen Stoffen iſt Berührung mit einem in Verweſung
oder Fäulniß begriffenen Körper; der Ausdruck einer wahren
Anſteckung iſt hier um ſo bezeichnender, da in der That eine
Uebertragung des Zuſtandes der Verbrennung das Reſultat der
Berührung iſt.
Es iſt das verweſende Holz, was das friſche in den näm-
lichen Zuſtand verſetzt, es iſt die höchſt feinzertheilte verweſende
Holzfaſer, welche in den befeuchteten Galläpfeln die darin ent-
haltene Gerbſäure ſo raſch in Gallusſäure überführt.
Das merkwürdigſte und entſcheidendſte Beiſpiel von der
Uebertragung des Zuſtandes der Verbrennung iſt von Sauſ-
ſure beobachtet worden. Es iſt erwähnt worden, daß ange-
feuchtete, in Verweſung und Gährung übergegangene Holzfaſer,
Baumwolle, Seide, Gartenerde das umgebende Sauerſtoffgas
in kohlenſaures Gas ohne Aenderung des Volums verwandeln.
Sauſſure ſetzte dem Sauerſtoffgas eine gewiſſe Menge Waſ-
ſerſtoffgas zu, und es zeigte ſich von dem Augenblick an eine
Raumverminderung, von dem Waſſerſtoffgas war eine gewiſſe
[251]Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung.
Quantität verſchwunden und mit dieſem eine Portion Sauer-
ſtoffgas, und zwar ohne Bildung einer dieſem Sauerſtoffgas
entſprechenden Menge Kohlenſäure. Waſſerſtoff und Sauerſtoff
waren beide in dem Verhältniß verſchwunden, in welchem ſie
ſich zu Waſſer verbinden, es erfolgte alſo eine wahre Verbren-
nung des Waſſerſtoffs durch die bloße Berührung mit ver-
weſenden Materien. Ihre Wirkung war in ihrem Reſultate
ganz ähnlich der des feinzertheilten Platins, aber die Verſchie-
denheit in der Urſache, durch die ſie bedingt wurde, zeigte ſich
ſchon darin, daß ein gewiſſes Volumen Kohlenoxid, welches
die Wirkung des Platins auf das Knallgas völlig vernichtet,
in keiner Beziehung die Verbrennung des Waſſerſtoffs in Be-
rührung mit den verweſenden Materien verhinderte.
Alle die Fäulniß aufhebenden Subſtanzen vernichteten in
Sauſſure’s Verſuchen die Eigenſchaft der gährenden Mate-
rien. Die nämlichen Subſtanzen beſaßen ſie für ſich ebenfalls
nicht, bevor ſie in Gährung und Verweſung übergegangen waren.
Man denke ſich an die Stelle des Waſſerſtoffgaſes in Sauſ-
ſure’s Verſuchen in Berührung mit den verweſenden organi-
ſchen Stoffen den Dampf einer waſſerſtoffreichen flüchtigen Sub-
ſtanz, ſo weiß man, daß der Waſſerſtoff derſelben in dem Zu-
ſtande der Verdichtung, in welchem er in der Verbindung ſelbſt
der Wirkung des Sauerſtoffs ſich darbietet, eine noch bei wei-
tem raſchere Oxidation erfährt; dieſer Waſſerſtoff wird eine
noch raſchere Verbrennung erfahren. Wir finden in der That in
der Schnelleſſigfabrikation alle Bedingungen zur Verweſung des
Alkohols und zu ſeiner Verwandlung in Eſſigſäure.
Der Alkohol wird der Einwirkung des Sauerſtoffs bei einer
erhöhten Temperatur und einer außerordentlich vergrößerten
Oberfläche dargeboten, aber dieſe Bedingungen ſind nicht hin-
reichend, um ſeine Oxidation zu bewirken. Der Alkohol muß
[252]Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung.
eine durch den Sauerſtoff der Luft leicht veränderliche Materie
enthalten, welche entweder durch den bloßen Contact mit dem
Sauerſtoff in Verweſung übergeht, oder die durch ihre Fäul-
niß und Gährung Produkte liefert, welche dieſe Eigenſchaft
beſitzen.
Eine kleine Quantität Bier, in Säurung begriffener Wein,
ein Malzabſud, Honig, zahlloſe Materien dieſer Art können ſich
in ihrer Wirkung hier erſetzen.
Die Verſchiedenheit der Subſtanzen bei derſelben Wir-
kungsweiſe beweiſ’t hier, daß keine von ihnen einen Stoff ent-
halten kann, welcher als Erreger der Verweſung wirkt, ſie ſind
nur Träger einer Thätigkeit, die ſich über die Sphäre ihrer
eignen Anziehungen hinaus erſtreckt, es iſt der Zuſtand ihrer
eignen Zerſetzung und Verweſung, welcher den gleichen Zuſtand,
die nämliche Thätigkeit, den Atomen des Alkohols ertheilt, ge-
rade ſo, wie in einer Legirung von Platin mit Silber, das
erſtere die Fähigkeit, ſich mit Sauerſtoff zu vereinigen, durch
das Silber erhält und zwar durch den Act ſeiner eigenen
Oxidation; der Waſſerſtoff des Alkohols oxidirt ſich unter be-
merkbarer Wärmeentwickelung, auf Koſten des berührenden
Sauerſtoffs, zu Waſſer, es entſteht Aldehyd, welcher mit der-
ſelben Begierde, wie ſchweflige Säure, ſich direct mit Sauer-
ſtoff zu Eſſigſäure verbindet.
[253]Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung.
Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien.
Salpeterbildung.
Wenn man in Beziehung auf die Verweſung ſtickſtoffhal-
tiger Materien die Erfahrungen zu Hülfe nimmt, welche man
bei Verbrennungen ſtickſtoffhaltiger Materien gemacht hat, ſo
weiß man, daß in höheren Temperaturen der Stickſtoff nie
direct eine Verbindung mit dem Sauerſtoff eingeht. Die ſtick-
ſtoffhaltigen organiſchen Subſtanzen enthalten ohne Ausnahme
Kohlen- und Waſſerſtoff, die beide zum Sauerſtoff eine über-
wiegende Anziehung haben
Bei ſeiner ſchwachen Verwandtſchaft zum Sauerſtoff befin-
det ſich der Stickſtoff, neben dieſen, in derſelben Lage, wie ein
Uebermaß von Kohle bei Verbrennung ſehr waſſerſtoffreicher Sub-
ſtanzen, ſowie bei dieſen ſich hierbei Kohlenſtoff in Subſtanz
ausſcheidet, ſo iſt die Verbrennung ſtickſtoffhaltiger Materien
ſtets von einer Abſcheidung von reinem Stickſtoff begleitet.
Ueberläßt man eine feuchte ſtickſtoffhaltige thieriſche Materie
der Einwirkung der Luft, ſo bemerkt man unter allen Umſtän-
den ein Freiwerden von Ammoniak, nie wird hierbei Salpeter-
ſäure gebildet.
Bei Gegenwart von Alkalien und alkaliſchen Baſen geht
unter denſelben Umſtänden eine Verbrennung des Stickſtoffs
vor ſich, unter andern Oxidationsprodukten bilden ſich ſalpeter-
ſaure Salze.
[254]Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung.
Obwohl wir in den großen Zerſetzungsproceſſen, welche in
der Natur vor ſich gehen, ſtets die einfachſten Mittel und die
directeſten Wege in Anwendung und Thätigkeit ſehen, ſo fin-
den wir demungeachtet, daß das letzte Reſultat ſtets an eine
Aufeinanderfolge von Actionen geknüpft iſt, und daß dieſe Suc-
ceſſion von Erſcheinungen weſentlich von der chemiſchen Natur
der Körper abhängt.
Wenn wir beobachten, daß in einer Reihe von Erſcheinun-
gen ſich der Character einer Subſtanz ſtets gleich bleibt, ſo
haben wir keinen Grund, einen neuen Character zu erfin-
den, um eine einzelne Erſcheinung zu erklären, deren Erklärung
nach den bekannten Erfahrungen keine Schwierigkeiten darbietet.
Die ausgezeichnetſten Naturforſcher nehmen an, daß der
Stickſtoff einer thieriſchen Materie, bei Gegenwart von Waſſer,
einer alkaliſchen Baſe und hinreichendem Zutritt von Sauer-
ſtoff ſich direct und unmittelbar mit dem Sauerſtoff zu Sal-
peterſäure zu verbinden vermag, allein, wie ſchon oben er-
wähnt, wir haben keine einzige Erfahrung, wodurch ſich dieſe
Meinung rechtfertigen ließe. Nur durch Vermittelung eines
großen Uebermaßes von verbrennendem Waſſerſtoff geht das
Stickgas in ein Oxid des Stickſtoffs über.
Verbrennen wir eine Kohlenſtickſtoff-, eine Cyanverbindung
in reinem Sauerſtoffgas, ſo oxidirt ſich der Kohlenſtoff allein,
leiten wir Cyangas über glühende Metalloxide, ſo wird nur
in ſeltenen Fällen ein Oxid des Stickſtoffs gebildet, und nie-
mals in dem Fall, wenn Kohlenſtoff im Uebermaß zugegen iſt.
Nur wenn es mit einem Ueberſchuß von Sauerſtoffgas gemengt
über glühenden Platinſchwamm geleitet wird, erzeugte ſich in
Kuhlmanns Verſuchen Salpeterſäure.
Die Fähigkeit, ſich mit Sauerſtoff direct zu verbinden, beob-
achten wir aber an dem reinen Stickgas nicht; ſelbſt unter den
[255]Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung.
günſtigſten Bedingungen bei Anwendung von Platinſchwamm
in graduell verſchiedenen Temperaturen war Kuhlmann
nicht im Stande, ſeine Oxidation zu bewerkſtelligen.
Der Kohlenſtoff in dem Cyangas war demnach der Ver-
mittler der Verbrennung des Stickſtoffs.
Wir beobachten auf der andern Seite, daß die Verbindung
des Stickſtoffs mit Waſſerſtoff, das Ammoniak, einer Einwir-
kung des Sauerſtoffs nicht ausgeſetzt werden kann, ohne ein
Oxid des Stickſtoffs und in Folge deſſen Salpeterſäure zu
bilden.
Gerade die Leichtigkeit, mit welcher der Stickſtoff in der
Form von Ammoniak ſich in Salpeterſäure verwandelt, iſt die
Urſache von der einzigen und großen Schwierigkeit, der wir
in der Analyſe bei der Beſtimmung des Stickſtoffs in Stick-
ſtoffverbindungen begegnen, in denen dieſer Körper entweder in
der Form von Ammoniak zugegen iſt, oder aus denen er ſich
bei Erhöhung der Temperatur als Ammoniak entwickelt. Wir
bekommen ihn ganz oder zum Theil in der Form von Stick-
oxid wieder, wenn dieſes Ammoniak von dem glühenden Kupfer-
oxide verbrannt wird.
Leiten wir Ammoniakgas über glühendes Manganhyperoxid
oder Eiſenoxid, ſo erhalten wir bei Ueberſchuß von Ammoniak
eine reichliche Menge von ſalpeterſaurem Ammoniak; daſſelbe
geſchieht, wenn Ammoniak und Sauerſtoffgas über glühenden
Platinſchwamm geleitet werden.
Nur in ſeltenen Fällen vereinigt ſich alſo bei Verbrennun-
gen der Stickſtoff in Kohlenſtickſtoffverbindungen mit dem
Sauerſtoff; dieß geſchieht in allen, wo Ammoniak verbrennt;
ſtets wird hierbei Salpeterſäure gebildet.
Die Urſache, warum der Stickſtoff in der Form von Am-
moniak eine ſo hervorſtechende Neigung zeigt, in Salpeterſäure
[256]Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung.
überzugehen, liegt unſtreitig darin, daß in der Oxidation der
Beſtandtheile des Ammoniaks zwei Producte gebildet werden,
die ſich mit einander zu verbinden vermögen. Dieß iſt nicht
der Fall bei der Verbrennung von Kohlenſtickſtoffverbindungen;
bei dieſen wird Kohlenſäure gebildet, und abgeſehen von der grö-
ßeren Verwandtſchaft des Kohlenſtoffs zum Sauerſtoff, muß die
Bildung der gasförmigen Kohlenſäure der Oxidation des Stick-
ſtoffs ſchon dadurch entgegenwirken, daß ſie ſeine Berührung
mit dem Sauerſtoff hindert.
Bei der Verbrennung von Ammoniak, bei hinreichendem
Sauerſtoffzutritt entſteht neben der Salpeterſäure Waſſer, mit
dem ſie ſich verbindet; ein Körper, von dem man ſagen kann,
daß er die Salpeterſäurebildung bedingt, inſofern die Salpeter-
ſäure ohne Waſſer nicht zu beſtehen vermag.
Beachtet man nun, daß die Verweſung eine Fäulniß iſt,
nur inſofern von der gewöhnlichen Fäulniß verſchieden, als
der Sauerſtoff der Luft Antheil an den vorgehenden Metamor-
phoſen nimmt; erwägt man, daß bei der Umſetzung der
Elemente ſtickſtoffhaltiger Körper der Stickſtoff ſtets die Form
von Ammoniak annimmt, daß unter allen Stickſtoffverbindun-
gen, die man kennt, das Ammoniak den Stickſtoff in einer
Form enthält, in welcher ſeine Neigung ſich zu oxidiren ent-
ſchieden größer iſt, als in allen anderen Stickſtoffverbindun-
gen, ſo läßt ſich wohl ſchwerlich dem Schluſſe etwas entgegen-
ſetzen, daß das Ammoniak die [Quelle] iſt von der Salpeter-
ſäurebildung auf der Oberfläche der Erde.
Die ſtickſtoffhaltigen thieriſchen Materien ſind hiernach nicht
die Bedinger, ſondern nur die Vermittler der Salpeterſäure-
erzeugung, ſie wirken, indem ſie langſam andauernde Quellen
von Ammoniak darſtellen.
Durch das in der Atmoſphäre vorhandene Ammoniak können
[257]Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung.
ſich ſalpeterſaure Salze in Materien bilden, die keine ſtick-
ſtoffhaltigen Subſtanzen enthalten; wir wiſſen, daß die meiſten
poröſen Subſtanzen die Fähigkeit haben, Ammoniak in Menge
zu verdichten, daß es wenige Eiſenerze giebt, die beim Glü-
hen nicht ammoniakaliſche Producte entwickeln, daß die Urſache
des Geruches, den man beim Anhauchen der thonigen Mine-
ralien bemerkt, in ihrem Ammoniakgehalt beruht; wir haben,
wie man ſieht, in dem Ammoniak eine höchſt verbreitete Ur-
ſache der Salpeterbildung in der Atmoſphäre, die überall ſich
thätig zeigt, wo die Bedingungen zur Oxidation des Ammo-
niaks ſich vereinigen. Es iſt wahrſcheinlich, daß in Verweſung
begriffene andere organiſche Subſtanzen die Verbrennung des
Ammoniaks vermitteln, wenigſtens ſind die Fälle ſelten, wo
ſich Salpeterſäure am Ammoniak erzeugt unter Umſtänden, wo
alle der Verweſung fähigen Materien fehlen.
Aus den vorhergegangenen Betrachtungen über die Urſa-
chen der Gährung, Fäulniß und Verweſung ergeben ſich einige
Anwendungen für die Berichtigung der gewöhnlichen Anſichten
über Wein- und Biergährung und über mehrere in der Natur
vorgehende umfaſſende Zerſetzungsproceſſe.
17
[258]Wein- und Biergährung.
Wein- und Biergährung.
Es iſt erwähnt worden, daß der Traubenſaft beim Zutritt
der Luft in Gährung geräth, und daß die Zerſetzung des Zuckers
in Alkohol und Kohlenſäure bis zu ſeinem Verſchwinden fort-
ſchreitet, ohne daß die Luft weitern Antheil an dieſer Meta-
morphoſe nimmt.
Neben dem Alkohol und der Kohlenſäure beobachtet man als ein
anderes Product der Gährung des Saftes eine gelbliche oder
graue unauflösliche Subſtanz, welche reich iſt an Stickſtoff; es
iſt dieß der Körper, welcher die Fähigkeit beſitzt, in friſchem
Zuckerwaſſer wieder Gährung hervorzubringen, das ſogenannte
Ferment.
Wir wiſſen, daß der Alkohol und die Kohlenſäure den Elemen-
ten des Zuckers und das Ferment den ſtickſtoffhaltigen Beſtandthei-
len des Saftes ſeinen Urſprung verdankt. Dieſe ſtickſtoffhaltigen
Beſtandtheile haben den Namen Kleber oder vegetabiliſches Ei-
weiß erhalten.
Nach den Verſuchen von Sauſſure entwickelt friſcher unrei-
ner Kleber nach 5 Wochen ſein 28faches Volumen Gas, wel-
ches zu ¾ aus Kohlenſäure und zu ¼ aus reinem kohlenfreien
Waſſerſtoffgaſe beſteht; es bilden ſich dabei Ammoniakſalze
mehrerer organiſchen Säuren. Bei der Fäulniß des Klebers
wird alſo Waſſer zerſetzt, deſſen Sauerſtoff in Verbindung tritt,
während ſein Waſſerſtoff in Freiheit geſetzt wird; das letztere
geſchieht nur in Zerſetzungsproceſſen der energiſchſten Art;
Ferment oder eine ihm ähnliche Materie wird hierbei nicht
[259]Wein- und Biergährung.
gebildet, eben ſo wenig beobachtet man bei der Gährung von
zuckerhaltigen Pflanzenſäften ein Auftreten von Waſſerſtoffgas.
Man beobachtet leicht, daß die Veränderung des Klebers
für ſich und ſeine Zerſetzung in den Pflanzenſäften, in welchen
er gelöſ’t iſt, zwei verſchiedenen Metamorphoſen angehört.
Man hat Gründe, zu glauben, daß ſein Uebergang in den un-
löslichen Zuſtand von einer Sauerſtoffaufnahme herrührt; denn
ſeine Abſcheidung kann unter gewiſſen Bedingungen, durch un-
gehinderten Luftzutritt, ohne Gegenwart von gährendem Zucker,
bewirkt werden, und man weiß, daß die Berührung des Trau-
ben- oder Pflanzenſaftes mit der Luft, ehe die Gährung ein-
tritt, eine Trübung, die Bildung nämlich eines unlösli-
chen Niederſchlags, von der Beſchaffenheit des Ferments, zur
Folge hat.
Aus den Erſcheinungen, die wir bei der Gährung der
Bierwürze beobachten, ergiebt ſich mit zweifelloſer Gewißheit,
daß das Ferment aus dem Kleber während und in der Me-
tamorphoſe des Zuckers gebildet wird; denn die Bierwürze
enthält den ſtickſtoffhaltigen Körper des Getreides, den man
Kleber nennt, in dem nämlichen Zuſtande, wie er im Trauben-
ſaft vorhanden iſt; durch zugeſetztes Ferment wird die Bier-
würze in Gährung verſetzt, allein nach vollendeter Zerſetzung
hat ſich ſeine Quantität um das Dreißigfache vermehrt.
Bier- und Weinhefe zeigen mit geringen Verſchiedenheiten, un-
ter dem Mikroskope betrachtet, einerlei Form und Beſchaffenheit,
ſie zeigen einerlei Verhalten gegen Alkalien und Säuren, ſie be-
ſitzen einerlei Fähigkeit, Gährung in Zuckerwaſſer aufs Neue
einzuleiten, man muß ſie als identiſch betrachten.
Die Zerſetzung des Waſſers, bei der Fäulniß des Klebers,
iſt eine völlig bewieſene Thatſache, und in welcher Form er
ſich auch zerſetzen mag, ob im gelöſ’tem oder ungelöſ’tem Zu-
17*
[260]Wein- und Biergährung.
ſtande, das Streben ſeiner kohlenſtoffhaltigen Beſtandtheile, ſich
des Sauerſtoffs des Waſſers zu bemächtigen, dieſes Streben
iſt ſtets vorhanden, und wenn, wie alle Erfahrungen zu be-
weiſen ſcheinen, ſein Uebergang in den unlöslichen Zuſtand in
Folge einer Oxidation geſchieht, ſo muß der Sauerſtoff, der
hierzu verwendet wird, von den Elementen des Waſſers oder
von dem Zucker genommen werden, welcher Sauerſtoff und
Waſſerſtoff in dem nämlichen Verhältniß wie im Waſſer enthält.
Dieſer Sauerſtoff wird in der Wein- und Biergährung kei-
nesfalls von der Atmoſphäre genommen.
Die Gährung des reinen Zuckers in Berührung mit Wein-
oder Bierhefe iſt, wie man ſieht, ſehr verſchieden von der
Gährung des Traubenſaftes oder der Bierwürze.
In der erſteren verſchwindet die Hefe mit der Zerſetzung
des Zuckers, in der andern geht neben der Metamorphoſe des
Zuckers eine Metamorphoſe des Klebers vor ſich, in Folge wel-
cher, als erſtes Product, Ferment erzeugt wird. In dem einen
Falle wird die Hefe alſo zerſtört, in dem andern wird ſie
gebildet.
Da nun unter den Producten der Bier- und Weingährung
freies Waſſerſtoffgas nicht nachweisbar iſt, ſo iſt klar, daß die
Oxidation des Klebers, ſein Uebergang in Ferment, nur auf Ko-
ſten des Sauerſtoffs des Waſſers, oder auf Koſten des Sauerſtoffs
des Zuckers geſchehen kann. Der freiwerdende Waſſerſtoff des
Waſſers muß neue Verbindungen eingegangen ſein, oder durch
Desoxidation des Zuckers müſſen waſſerſtoffreiche, oder ſauer-
ſtoffarme, Verbindungen entſtanden ſein, die den Kohlenſtoff
des Zuckers enthalten.
In der That iſt es eine wohlbekannte Erfahrung, daß der
Wein, daß gegohrene Flüſſigkeiten überhaupt neben dem Alko-
hol noch andere Producte enthalten, Materien, welche vor
[261]Wein- und Biergährung.
der Gährung des Traubenſaftes oder der Zucker haltenden
Flüſſigkeiten darin nicht nachweisbar waren und ſich auf eine
ähnliche Art, wie der Mannit, während der Gährung gebildet
haben müſſen. Der Geruch, der Geſchmack, welcher den Wein
von allen gegohrenen Flüſſigkeiten unterſcheidet, wir wiſſen,
daß er einem Aether einer flüchtigen, höchſt brennbaren Säure
von ölartiger Beſchaffenheit, dem Oenanthſäureäther, ange-
hört, wir wiſſen, daß der Getreide- und Kartoffelbranntwein,
ihren Geruch und Geſchmack eigenthümlichen öligen Materien
verdanken, die unter dem Namen Fuſelöle bekannt ſind, ja daß
die letzteren dem Alkohol, in ihren chemiſchen Eigenſchaften,
näher ſtehen, als wie allen andern organiſchen Subſtan-
zen.
Dieſe Körper ſind Producte von Desoxidationsproceſſen der
in den gährenden Flüſſigkeiten gelöſ’ten Materien, ſie enthalten
weniger Sauerſtoff, als der Zucker oder Kleber, ſie zeichnen
ſich durch einen großen Gehalt an Waſſerſtoff aus.
In der Oenanthſäure haben wir, bei einer großen Differenz
in dem Sauerſtoffgehalte, Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in dem Ver-
hältniß von gleichen Aequivalenten, alſo genau wie im Zucker;
in dem Fuſelöl der Kartoffeln finden wir viel mehr Waſſer-
ſtoff, als dieſem Verhältniß entſpricht.
So wenig man auch zweifeln kann, daß dieſe flüchtigen
Flüſſigkeiten, in Folge eines gegenſeitigen Aufeinanderwirkens
der Elemente des Zuckers und Klebers, in Folge alſo einer
wahren Fäulniß entſtanden ſind, ſo haben auf ihre Bildung
und Eigenthümlichkeit nichts deſto weniger noch andere Urſachen
Einfluß gehabt.
Die riechenden und ſchmeckenden Beſtandtheile des Weins,
erzeugen ſich in der Gährung ſolcher Traubenſafte, welche einen
gewiſſen Gehalt beſitzen an Weinſäure; ſie fehlen in allen Wei-
[262]Wein- und Biergährung.
nen, welche frei ſind von Säure, oder welche eine andere or-
ganiſchen Säure, z. B. Eſſigſäure, enthalten.
Die ſüdlichen Weine beſitzen keinen Weingeruch, in den
franzöſiſchen Weinen tritt er entſchieden hervor, in den Rhein-
weinen iſt er am ſtärkſten. Die Traubenſorten am Rhein,
welche am ſpäteſten und nur in ſeltenen Fällen vollkommen
reif werden, der Rießling und Orleans beſitzen den ſtärkſten
Weingeruch, das hervorſtechendſte Bouquet, ſie ſind verhältniß-
mäßig reich an Weinſäure. Die früh reifenden Traubenſorten,
der Ruländer und andere, ſind reicher an Alkohol, in ihrem Ge-
ſchmacke ähnlich den ſpaniſchen Weinen, allein ſie haben kein
Bouquet.
Die am Cap reifenden, von dem Rhein aus verpflanzten
Rießlinge geben einen vortrefflichen Wein, allein er beſitzt das
Aroma nicht, was den Rheinwein auszeichnet.
Man ſieht leicht, daß Säure und Weingeruch zu einander
in einer beſtimmten Beziehung ſtehen, beide ſind ſtets neben
einander vorhanden, und es kann keinem Zweifel unterliegen,
daß die Gegenwart der erſteren von beſtimmtem Einfluß war
bei der Bildung des Bouquets.
Am deutlichſten zeigt ſich dieſer Einfluß bei der Gährung
von Flüſſigkeiten, in welchen alle Weinſäure fehlt, namentlich
in ſolchen, welche ſehr nahe neutral oder alkaliſch ſind, wie
namentlich bei der Gährung der Kartoffeln- oder Getreide-
meiſche.
Der Kartoffel- und Getreidebranntwein enthalten eine den
ätheriſchen Oelen ähnliche Verbindung, die dieſen Flüſſigkeiten
ihren eigenthümlichen Geſchmack ertheilt. Dieſe Materie erzeugt
ſich in der Gährung der Meiſche, ſie iſt in der gegohrenen
Flüſſigkeit fertig gebildet vorhanden, denn durch die bloße Er-
höhung der Temperatur deſtillirt ſie mit den Alkoholdämpfen über.
[263]Wein- und Biergährung.
Man hat die Beobachtung gemacht, daß mit der Neutralität
der Meiſche, bei Zuſatz von Aſche, kohlenſaurem Kalk, die
Quantität des gebildeten Alkohols bis zu einem gewiſſen Grade
zunimmt, aber mit einer größeren Ausbeute an Branntwein,
wächſt ſein Gehalt an Fuſelöl.
Man weiß überdieß, daß der Branntwein aus Kartoffel-
ſtärke, nach vorangegangener Verwandlung in Zucker durch ver-
dünnte Schwefelſäure, völlig frei von Fuſelöl iſt, daß mithin
dieſe Subſtanz in Folge einer Veränderung erzeugt wird, welche
der Faſerſtoff der Kartoffeln während der Gährung erfährt.
Unleugbare Erfahrungen beweiſen, daß die gleichzeitige
Fäulniß oder Gährung dieſes Faſerſtoffs, in Folge welcher
Fuſelöl erzeugt wird, bei dem Getreidebranntwein vermieden
werden kann *).
Das nämliche Malz, welches in der Branntweinbereitung
ein Fuſelöl haltiges Deſtillat giebt, liefert in der Bierbereitung
eine ſpirituöſe Flüſſigkeit, welche keine Spur Fuſelöl enthält,
der Hauptunterſchied bei der Gährung beider liegt darin, daß
in der Gährung der Bierwürze eine aromatiſche Subſtanz zu-
geſetzt wird, der Hopfen, und es iſt gewiß, daß ſein Vorhan-
denſein eine Aenderung in den vorgehenden Metamorphoſen
bedingt hat. Wir wiſſen, daß das ätheriſche Oel des
Senfs, ſowie brenzliche Oele, die Gährung des Zuckers, den
Einfluß der ſich zerlegenden Hefe gänzlich vernichten. Das
ätheriſche Oel des Hopfens beſitzt dieſe Eigenſchaft nicht, aber
es vermindert in hohem Grade den Einfluß von ſich zerſetzen-
den ſtickſtoffhaltigen Materien auf die Verwandlung des Wein-
[264]Wein- und Biergährung.
geiſtes in Eſſig, und man hat mithin Grund zu glauben, daß
es aromatiſche Subſtanzen giebt, durch deren Zuſatz zu Gähr-
miſchungen die mannigfaltigſten Aenderungen in der Natur der
ſich erzeugenden Producte hervorgebracht werden können.
Welche Meinung man auch über die Entſtehung der flüch-
tigen riechenden Materien in der Weingährung haben mag, ſo viel
iſt gewiß, der Weingeruch rührt von dem Aether einer organiſchen,
den fetten Säuren ähnlichen, Säure her, die ſich während der
Gährung bildet.
Nur in Flüſſigkeiten, welche andere leicht lösliche Säuren
enthalten, ſind die fetten Säuren, iſt die Oenanthſäure fähig,
eine Verbindung mit dem Aether des Alkohols einzugehen,
d. h. Geruch zu erzeugen. Wir finden dieſen Aether in allen
Weinen, welche freie Säure enthalten, er fehlt in den Weinen,
welche frei ſind von Säuren; dieſe Säure war mithin den
Geruch vermittelnd, ohne ihr Vorhandenſein würde ſich kein
Oenanthäther gebildet haben.
Das Fuſelöl des Getreidebranntweins beſteht zum größten
Theil aus einer nicht ätherificirten fetten Säure; es löſ’t Kup-
feroxid, überhaupt Metalloxide auf und kann durch Alkalien
gebunden werden.
Der Hauptbeſtandtheil dieſes Fuſelöls iſt eine der Oenanth-
ſäure in ihrer Zuſammenſetzung identiſchen, in ihren Eigen-
ſchaften aber verſchiedenen Säure. (Mulder.) Es wird in
gährenden Flüſſigkeiten gebildet, welche, wenn ſie ſauer rea-
giren, nur Eſſigſäure enthalten, eine Säure, welche auf die
Aetherbildung anderer Säuren ohne Einfluß iſt.
Das Fuſelöl des Kartoffelbranntweins iſt das Hydrat
einer organiſchen Baſe, ähnlich dem Aether, fähig alſo, mit
Säuren Verbindungen einzugehen; es wird in gährenden Flüſ-
ſigkeiten in vorzüglicher Menge gebildet, welche neutral oder
[265]Wein- und Biergährung.
ſchwach alkaliſch ſind, unter Umſtänden alſo, wo es an und
für ſich unfähig iſt, eine Verbindung mit einer Säure einzu-
gehen.
Unter den Producten der Gährung und Fäulniß neutraler
Pflanzenſäfte, Pflanzen- und Thierſtoffe bemerkt man ſtets die
Gegenwart flüchtiger, meiſt übelriechender Materien, aber das
evidentſte und merkwürdigſte Beiſpiel von der Erzeugung eines
wahren ätheriſchen Oels, liefert die Gährung des vollkommen
geruchloſen Krautes der Herba centauri minoris. Mit Waſ-
ſer einer etwas erhöhten Temperatur ausgeſetzt, geht es in Gäh-
rung über, die ſich durch einen durchdringenden angenehmen
Geruch zu erkennen giebt.
Durch Deſtillation erhält man aus dieſer Flüſſigkeit eine
ätheriſch ölige Subſtanz von großer Flüchtigkeit, welche ſtechen-
den Reiz und Thränen der Augen hervorbringt. (Büchner.)
Die Blätter der Tabackspflanzen verhalten ſich ganz auf
dieſelbe Weiſe; das friſche Kraut hat keinen oder einen ſehr
wenig hervorſtechenden Geruch; mit Waſſer der Deſtillation
unterworfen, erhält man eine ſchwach ammoniakaliſche Flüſſig-
keit, auf welcher eine weiße, fettartige, kriſtalliſirbare, ſtickſtoff-
freie, geruchloſe Materie ſchwimmt. Das nämliche Kraut im
getrockneten Zuſtand mit Waſſer befeuchtet und in kleinen Bün-
deln auf Haufen geſetzt, erleidet einen eigenthümlichen Zerſetzungs-
proceß; es tritt eine Gährung unter Abſorbtion von Sauer-
ſtoff ein, die Blätter erhitzen ſich und verbreiten von jetzt an
den eigenthümlichen Geruch des Rauch- und Schnupftabacks;
er kann durch ſorgfältige Leitung der Gährung, Vermeidung
zu ſtarker Erhitzung verfeinert und erhöht werden, und nach
dieſer Gährung findet ſich in dieſen Blättern eine ölartige,
ſtickſtoffreiche, flüchtige Materie, das Nicotin, von baſiſchen
Eigenſchaften, welche vorher nicht vorhanden war. Die ver-
[266]Wein- und Biergährung.
ſchiedenen Tabacksſorten unterſcheiden ſich von einander, wie
die Weine, durch die abweichendſten Riechſtoffe, die neben die-
ſem Nicotin mit erzeugt werden.
Wir wiſſen, daß in den meiſten Blüthen und Pflanzen-
ſtoffen, wenn ſie riechen, dieſer Geruch einem darin vorhan-
denen ätheriſchen Oel angehört, allein es iſt eine nicht minder
poſitive Erfahrung, daß andere nur inſofern riechen, als ſie
ſich verändern, oder als ſie ſich in Zerſetzung befinden.
Das Arſen, die arſenige Säure ſind beide geruchlos, nur in
dem Act ſeiner Oxidation verbreitet es den penetranteſten Knob-
lauchgeruch; ſo riechen Hollunderbeerenöl, viele Terpentinöl-
ſorten, Citronenöl nur in dem Act ihrer Oxidation, ihrer Ver-
weſung, daſſelbe iſt der Fall bei vielen Blüthen, und beim
Moſchus hat Geiger bewieſen, daß er ſeinen Geruch einer
fortſchreitenden Fäulniß und Verweſung verdankt.
Daher mag es denn auch kommen, daß in der Gährung
von zuckerhaltigen Pflanzenſäften das eigenthümliche Princip
vieler Pflanzenſtoffe, dem ihr Geruch angehört, erſt gebildet
und entwickelt wird, wenigſtens reichen kleine Quantitäten von
Veilchen-, Hollunder-, Linden- und Schlüſſelblumenblüthen, wenn
ſie während der Gährung zugeſetzt werden, hin, der gegohrenen
Flüſſigkeit den ſtärkſten Geruch und Geſchmack nach dieſen Ma-
terien mitzutheilen, ein Reſultat, was man durch Zuſatz eines
Deſtillats von hundertmal größeren Mengen nicht erzielt. In
Baiern ganz beſonders, wo der verſchiedene Geſchmack der Biere
ſie in zahlloſe Sorten trennt, läßt man bei manchen Bieren
geringe Mengen Kräuter und Blüthen verſchiedenen Pflanzen
mit der Bierwürze gähren, und auch am Rhein wird betrüge-
riſcher Weiſe in vielen Weinen ein künſtliches Bouquet durch
Zuſatz von manchen Salbey- und Rautenarten erzeugt, inſo-
fern verſchieden von dem echten Aroma, als es bei weitem
[267]Wein- und Biergährung.
veränderlicher iſt, und ſich nach und nach bei der Aufbewah-
rung des Weines wieder verliert.
Die Verſchiedenheit der Traubenſäfte in verſchiedenen Klimaten
beruht nun nicht allein auf dem Gehalt an freier Säure, ſon-
dern in der ungleichen Menge von Zucker, den ſie gelöſ’t ent-
halten; man kann annehmen, daß ihr Gehalt an ſtickſtoffhaltiger
Materie überall gleich iſt, man hat wenigſtens im ſüdlichen
Frankreich und am Rhein, in Beziehung auf die ſich in der
Gährung abſcheidende Hefe, keinen Unterſchied beobachtet.
Die in heißen Ländern gereiften Trauben, ſo wie die ge-
kochten Traubenſäfte ſind verhältnißmäßig reich an Zucker; bei der
Gährung dieſes Saftes iſt die völlige Zerſetzung der ſtickſtoff-
haltigen Beſtandtheile, ihre völlige Abſcheidung im unlöslichen
Zuſtande, früher beendigt, ehe aller Zucker ſeine eigene Meta-
morphoſe in Alkohol und Kohlenſäure erlitten hat, es bleibt
eine gewiſſe Menge Zucker dem Weine unzerſetzt beigemiſcht,
eben weil die Urſache einer weiteren Zerſetzung fehlt.
In den Traubenſäften der gemäßigten Zone iſt mit der
Metamorphoſe des Zuckers die völlige Abſcheidung der ſtick-
ſtoffhaltigen Materien im ungelöſ’ten Zuſtande nicht bewirkt
worden. Dieſe Weine enthalten keinen Zucker mehr, ſie ent-
halten aber wechſelnde Mengen von unzerſetztem Kleber in Auf-
löſung.
Dieſer Klebergehalt ertheilt dieſen Weinen die Fähigkeit,
von ſelbſt, bei ungehindertem Zutritt der Luft, in Eſſig überzu-
gehen, indem er den Sauerſtoff aufnimmt und unauflöslich
wird, überträgt ſich dieſe Oxidation auf den Alkohol, er ver-
wandelt ſich in Eſſig.
Durch das Lagern der Weine in Fäſſern, bei ſehr gehin-
dertem Luftzutritt und möglichſt niederer Temperatur, wird die
Oxidation dieſer ſtickſtoffhaltigen Materien bewirkt, ohne daß
[268]Wein- und Biergährung.
der Alkohol, welcher dazu einer höheren Temperatur bedarf,
Antheil daran nimmt; ſo lange der Wein in den Lagerfäſſern
Unterhefe abſetzt, kann er durch Zuſatz von Zucker wieder in
Gährung verſetzt werden, aber der alte wohl abgelagerte Wein
hat die Fähigkeit, durch Zuckerzuſatz zu gähren und von ſelbſt
in Eſſig überzugehen, verloren, eben weil in ihm die Bedin-
gung zur Gährung und Verweſung, nämlich eine in Zerſetzung
oder Verweſung begriffene Materie, fehlt.
Bei dem Abfüllen der jungen Weine, welche noch reich
an Kleber ſind, hindern wir ſeinen Uebergang in Eſſig, ſeine
Verweſung, durch Zuſatz von ſchwefliger Säure, durch eine
Subſtanz alſo, die den aufgenommenen Sauerſtoff der Luft, in
dem Faß und in dem Wein, hindert, an die organiſche Mate-
rie zu treten, inſofern ſie ſich ſelbſt damit verbindet.
Auf eine ähnliche Weiſe, wie in den Weinen, unterſcheiden
ſich die Bierſorten von einander.
Die engliſchen, franzöſiſchen und die meiſten deutſchen Biere
gehen beim Zutritt der Luft in Eſſig über; dieſe Eigenſchaft
fehlt den baierſchen Lagerbieren, ſie laſſen ſich, ohne ſauer zu
werden, in vollen und halbgefüllten Fäſſern ohne Veränderung
aufbewahren. Dieſe ſchätzbare Eigenſchaft haben dieſe Biere
durch ein eigenthümliches Verfahren in der Gährung der Bier-
würze, durch die ſogenannte Untergährung, erhalten, und
eine vollendete Experimentirkunſt hat damit eins der ſchönſten
Probleme der Theorie gelöſ’t.
Die Bierwürze iſt verhältnißmäßig reicher an aufgelöſ’tem
Kleber als an Zucker, bei ihrer Gährung auf die gewöhnliche
Weiſe ſcheidet ſich eine große Menge Hefe als dicker Schaum
ab, die ſich entwickelnde Kohlenſäure hängt ſich in Bläschen
den Hefetheilchen an, macht ſie ſpecifiſch leichter und hebt ſie
auf die Oberfläche der Flüſſigkeit empor.
[269]Wein- und Biergährung.
Neben den ſich zerlegenden Zuckertheilchen befinden ſich
Theile des in Oxidation im Innern der Flüſſigkeit begriffenen
Klebers. Kohlenſäure von dem Zucker, unauflösliches Ferment
von dem Kleber, ſcheiden ſich gleichzeitig neben einander ab,
und der letzte Act von Verbindung zeigt ſich in beiden durch
Adhäſion.
Nach der Vollendung der Metamorphoſe des Zuckers bleibt
noch eine große Menge Kleber in der gegohrenen Flüſſigkeit in
Auflöſung, und dieſer Kleber, durch ſeine ausgezeichnete Nei-
gung, Sauerſtoff anzuziehen und zu verweſen, veranlaßt den
Uebergang des Alkohols in Eſſig; mit ſeiner gänzlichen Ent-
fernung und mit der Entfernung aller oxidationsfähigen Ma-
terien, würde das Bier, ſeine Fähigkeit, ſauer zu werden, ver-
loren haben. Dieſe Bedingungen werden nun vollkommen er-
füllt durch das baierſche Gährverfahren.
Die gehopfte Würze läßt man in ſehr weiten offenen Ku-
fen in Gährung übergehen, in welchen die Flüſſigkeit der Luft
eine große Oberfläche darbietet; man läßt ſie an kühlen Or-
ten vor ſich gehen, deren Temperatur 6—8° R. nicht über-
ſteigt. Die Gährung dauert 3 bis 6 Wochen; die Kohlen-
ſäure entwickelt ſich nicht in großen voluminöſen, auf der
Oberfläche zerplatzender Baſen, ſondern in feinen Bläschen
wie aus einem Säuerling, wie aus einer Flüſſigkeit, die da-
mit in höherem Drucke überſättigt war. Die Oberfläche der
Flüſſigkeit iſt kaum mit Schaum bedeckt, und alle Hefe ſetzt
ſich auf den Boden der Kufe in Geſtalt eines feinen zähen
Schlammes als ſogenannte Unterhefe ab.
Um ſich eine klare Vorſtellung von der großen Verſchieden-
heit der beiden Gährungsproceſſe, der Ober- und Unter-
gährung zu verſchaffen, genügt es vielleicht, darauf zurückzu-
weiſen, daß die Metamorphoſe des Klebers, oder der ſtickſtoff-
[270]Wein- und Biergährung.
haltigen Beſtandtheile überhaupt, in mehrere Perioden zerfällt.
In der erſten Periode geht ſeine Verwandlung in unauf-
lösliches Ferment in dem Innern der Flüſſigkeit vor ſich, Koh-
lenſäure und Hefe ſcheiden ſich nebeneinander ab; wir wiſſen,
daß dieſe Abſcheidung mit einer Sauerſtoffaufnahme verknüpft
iſt, und ſind nur zweifelhaft darüber, ob dieſer Sauerſtoff von
den Elementen des Zuckers, des Waſſers oder von ſeiner eige-
nen Maſſe genommen wird, ob dieſer Sauerſtoff geradezu ſich
damit verbindet, oder ob er an den Waſſerſtoff des Klebers
tritt, damit Waſſer bildend. Bezeichnen wir, um einen Begriff
feſtzuhalten, dieſe erſtere Veränderung mit Oxidation, ſo ſind
alſo die Oxidation des Klebers und die Umſetzung der Atome
des Zuckers in Kohlenſäure und Alkohol die beiden Actionen,
die ſich gegenſeitig bedingen; ſchließen wir die eine aus, ſo
hört damit die andere auf.
Oberhefe, d. h. Hefe, die ſich auf die Oberfläche der
Flüſſigkeit begiebt, iſt aber nicht das Product einer vollendeten
Zerſetzung, ſondern es iſt oxidirter Kleber, welcher im feuch-
ten Zuſtaude einer Umſetzung ſeiner Beſtandtheile, einer neuen
Metamorphoſe entgegen geht. Durch dieſen Zuſtand iſt er fä-
hig, in Zuckerwaſſer wieder Gährung zu erregen, und wenn
neben dieſem Zucker Kleber zugegen iſt, ſo veranlaßt der ſich
zerſetzende Zucker die Metamorphoſe des aufgelöſ’ten Klebers
in Hefe, in einem gewiſſen Sinne ſcheint ſich alſo die Hefe
reproducirt zu haben.
Die Oberhefe iſt faulender oxidirter Kleber, deſſen Zu-
ſtand der Fäulniß in den Elementen des Zuckers eine ähnliche
Metamorphoſe hervorruft.
Die Unterhefe iſt Kleber im Zuſtande der Verweſung,
es iſt verweſender oxidirter Kleber. Der abweichende Zer-
ſetzungsproceß, in dem ſich ſeine Elemente befinden, bringt in
[271]Wein- und Biergährung.
dem Zucker eine äußerſt verlangſamte Fäulniß (Gährung) her-
vor. Die Intenſität der Action iſt in dem Grade gehemmt,
daß kein Theilchen des aufgelöſ’ten Klebers Antheil daran
nimmt. Aber der Contact des verweſenden Klebers (der Un-
terhefe) veranlaßt die Verweſung des in der Bierwürze ge-
löſ’ten Klebers, bei Zutritt der Luft wird Sauerſtoffgas auf-
genommen, aller gelöſ’ter Kleber ſcheidet ſich als Unterhefe voll-
ſtändig ab.
Man kann aus gährendem Bier den Abſatz, die Oberhefe,
durch Fibration entfernen, ohne die Gährung aufzuheben, allein
die Unterhefe kann nicht von der Flüſſigkeit getrennt werden,
ohne alle Erſcheinungen der Untergährung zu unterbrechen; ſie
hört auf oder geht bei höherer Temperatur in Obergährung
über.
Die Unterhefe bringt keine Obergährung hervor, ſie iſt
zum Stellen des Backwerks gänzlich untauglich, aber die Ober-
hefe kann die Untergährung bewirken.
Wenn man zur Würze bei einer Temperatur von 4—6° R.
Oberhefe zuſetzt, ſo erfolgt eine langſame nicht ſtürmiſche Gäh-
rung, welche, wenn man den Bodenſatz benutzt, um neue Würze
wieder unter denſelben Umſtänden in Gährung zu bringen,
nach mehrmaligem Wiederholen in wahre Untergährung übergeht;
es wird zuletzt Unterhefe gebildet, die alle Eigenſchaft verloren
hat, Obergährung hervorzubringen und ſelbſt bei 10° R. Un-
tergährung bewirkt.
In einer Bierwürze, welche in einer niedrigen Temperatur
mit Unterhefe der Gährung unterworfen wird, haben wir alſo
die Bedingung zur Metamorphoſe des Zuckers in der Gegen-
wart der Unterhefe ſelbſt, allein die Bedingung zur Verwand-
lung des Klebers in Ferment in Folge einer im Innern der
Flüſſigkeit vorgehenden Oxidation des Klebers iſt nicht vorhanden.
[272]Wein- und Biergährung.
In ſeiner Fähigkeit und ſeinem Streben, Sauerſtoff auf-
zunehmen durch den Contact mit Unterhefe, die ſich im Zu-
ſtande der Verweſung befindet, erhöht, und in dem freien
ungehinderten Zutritt der Luft haben wir aber alle Bedingun-
gen zu ſeiner eigenen Verweſung, zu ſeinem Uebergang in den
oxidirten Zuſtand. Gegenwart von freiem Sauerſtoff und auf-
gelöſ’ten Kleber, haben wir als die Bedinger der Verweſung
des Alkohols zu ſeinem Uebergang in Eſſig kennen gelernt, al-
lein beide ſind ohne Einfluß auf den Alkohol, bei niederen
Temperaturen. Der Ausſchluß der Wärme wirkt hemmend auf
die langſame Verbrennung des Alkohols; der Kleber verbindet
ſich von ſelbſt, wie die im Waſſer gelöſ’te ſchweflige Säure, mit
dem Sauerſtoff der Luft; dieſe Eigenſchaft geht dem Alkohol ab,
und während der Oxidation des Klebers in niedrigen Tempera-
turen, befindet ſich der Alkohol neben ihm in derſelben Lage, wie
bei dem Schwefeln des Weins der Kleber neben der ſchwefligen
Säure. Der Sauerſtoff, der bei ungeſchwefeltem Wein ſich mit
dem Kleber und dem Alkohol verbunden haben würde, tritt an
keinen von beiden, er verbindet ſich mit der ſchwefligen Säure.
So tritt denn in der Untergährung der Sauerſtoff der Luft
nicht an Alkohol und Kleber zugleich, ſondern an letzteren al-
lein, in höheren Temperaturen würde er an beide getreten
ſein, d. h. es würde ſich Eſſig gebildet haben.
So iſt denn dieſer merkwürdige Proceß der Untergährung
eine gleichzeitig vorgehende Fäulniß und Verweſung. Zucker
befindet ſich in der Metamorphoſe der Fäulniß, der aufge-
löſ’te Kleber im Zuſtande der Verweſung.
Die Appert’ſche Aufbewahrungsmethode und die Unter-
gährung des Biers beruhen auf einerlei Princip.
In der Untergährung des Biers wird durch ungehinderten
Zutritt der Luft, alle der Verweſung fähige Materie, bei einer
[273]Wein- und Biergährung.
niedrigen Temperatur abgeſchieden, in welcher der Alkohol kei-
nen Sauerſtoff aufzunehmen fähig iſt; mit ihrer Entfernung
vermindert ſich die Neigung des Biers, in Eſſig überzugehen,
d. h. eine weitere Metamorphoſe zu erleiden.
In der Appert’ſchen Aufbewahrungsmethode von Spei-
ſen, läßt man den Sauerſtoff bei einer hohen Temperatur,
in Verbindung treten, mit der Materie der Speiſen, in einem
Wärmegrade, in welcher wohl Verweſung, aber keine Fäul-
niß, keine Gährung ſtattfindet. Mit der Hinwegnahme des
Sauerſtoffs und der Vollendung der Verweſung iſt jede Ur-
ſache zur weiteren Störung entfernt. In der Untergährung
wird die der Verweſung fähige Subſtanz, in der Appert’-
ſchen Aufbewahrungsmethode der Verweſer, der Sauerſtoff,
entfernt.
Es iſt S. 270 berührt worden, daß es ungewiß iſt, ob
der Kleber, wenn er in Oberhefe übergeht, wenn er alſo aus
gährenden Flüſſigkeiten ſich in unlöslichem Zuſtande ausſcheidet,
ſich geradezu mit dem Sauerſtoff verbindet, ob alſo das Ferment
ſich von dem Kleber lediglich durch einen größeren Sauerſtoffgehalt
unterſcheidet. Dieß iſt in der That eine höchſt ſchwie-
rig zu entſcheidende Frage, da ſie ſelbſt durch die Analyſe mög-
licher Weiſe nicht lösbar iſt. Beachten wir z. B. das Ver-
halten des Alloxans und Alloxantins, von Materien alſo, welche
die nämlichen Elemente wie der Kleber, obwohl in ganz an-
dern Verhältniſſen enthalten, ſo weiß man, daß das eine aus
dem andern durch eine bloße Sauerſtoffaufnahme entſtehen
oder rückwärts der eine in das andere durch Reductionsmittel
verwandelt werden kann. Beide ſind abſolut aus denſelben
Elementen gebildet, bis auf 1 Aeq. Waſſerſtoff, was das Alloxan-
tin mehr enthält.
Behandeln wir das Alloxantin mit Chlor und Salpeter-
18
[274]Wein- und Biergährung.
ſäure, ſo wird es in Alloxan verwandelt, in einen Körper alſo,
welcher Alloxantin iſt, immer 1 Aeq. Waſſerſtoff.
Leiten wir durch eine Auflöſung von Alloxan Schwefel-
waſſerſtoff, ſo wird Schwefel abgeſchieden und Alloxantin ge-
bildet. In dem erſten Fall, kann man ſagen, iſt der Waſſerſtoff
ganz einfach hinweggenommen worden, in dem andern iſt er
wieder hinzugetreten.
Aber die Erklärung nimmt eine nicht minder einfache Form
an, wenn man beide als verſchiedene Oxide eines und deſſel-
ben Radikals betrachtet, das Alloxan als eine Verbindung von
2 Aeq. Waſſer mit einem Körper C8 N4 H4 O8, das Alloxan-
tin als eine Verbindung von 3 At. Waſſer, mit einem Körper
C8 N4 H4 O7. Die Verwandlung des Alloxans in Alloxantin
würde hiernach erfolgen, indem die 8 At. Sauerſtoff, die es
enthält, auf 7 At. reducirt werden, und umgekehrt würde ſich
aus Alloxantin Alloxan bilden durch die Aufnahme von 1 At.
Sauerſtoff, den es der Salpeterſäure entzieht.
Man kennt nun Oxide, die ſich mit Waſſer verbinden und
ſich ähnlich wie Alloxan und Alloxantin verhalten; man kennt
aber keine Waſſerſtoffverbindung, welche Hydrate bildet, und
die Gewohnheit, welche das Unähnliche bis zur Entſcheidung
der Eigenthümlichkeit zurückweiſ’t, läßt uns eine Meinung vor-
ziehen, für die man, genau betrachtet, keine Gründe hat, als
die Analogie. In den Iſatis-, den Neriumarten, dem
Waid iſt nun, wie man weiß, eine ſtickſtoffhaltige Materie,
ähnlich in mancher Beziehung dem Kleber, enthalten, eine
Subſtanz, welche ſich als blauer Indigo abſcheidet, wenn
der wäſſerige Aufguß der getrockneten Blätter, der Einwir-
kung der Luft ausgeſetzt wird. Man iſt durchaus im Zwei-
fel, ob der blaue unlösliche Indigo ein Oxid des farb-
loſen löslichen, oder der letztere die Waſſerſtoffverbindung des
[275]Wein- und Biergährung.
blauen iſt. Dumas hat nämlich in beiden dieſelben Elemente
gefunden, bis auf 1 Aeq. Waſſerſtoff, was der lösliche Indigo
mehr enthält als der blaue.
Wie man leicht bemerkt, kann man den löslichen Kleber
als eine Waſſerſtoffverbindung betrachten, welche der Luft un-
ter geeigneten Bedingungen ausgeſetzt, durch die Einwirkung
des Sauerſtoffs eine gewiſſe Quantität Waſſerſtoff verliert und
dadurch zu unlöslichem Ferment wird; jedenfalls geht aus der
Abſcheidung der Hefe in der Conſervation des Weins und der
Untergährung bei dem Bier, welche in beiden Fällen nur bei
Zutritt von Sauerſtoff erfolgt, bis zur Evidenz hervor, daß
der Sauerſtoff den unlöslichen Zuſtand bedingt.
In welcher Form nun auch der Sauerſtoff hinzu treten
mag, gleichgültig, ob er ſich direct mit dem Kleber verbindet,
oder ob er an eine Portion ſeines Waſſerſtoffs tritt und damit
Waſſer bildet; die Producte, welche in Folge ſeiner Verwand-
lung in Ferment im Innern der gährenden Flüſſigkeit gebildet
werden, dieſe Producte müſſen einerlei Beſchaffenheit beſitzen.
Denken wir uns den Kleber als eine Waſſerſtoffverbindung,
ſo wird ſein Waſſerſtoff in der Gährung des Traubenſaftes
und der Bierwürze hinweggenommen werden, indem er ſich
mit Sauerſtoff verbindet, gerade ſo wie bei der Verweſung des
Alkohols zu Aldehyd.
Die Atmoſphäre iſt abgeſchloſſen; dieſer Sauerſtoff wird
alſo nicht aus der Luft, er kann nicht von den Elementen des
Waſſers genommen werden, weil es unmöglich iſt, anzuneh-
men, daß ſich der Sauerſtoff von dem Waſſerſtoff des Waſſers
trenne, um mit dem Waſſerſtoff des Klebers wieder Waſſer
zu bilden. Die Elemente des Zuckers müſſen demnach dieſen
Sauerſtoff liefern, d. h. es muß in Folge der Bildung des
Ferments eine Portion Zucker auf eine andere Weiſe zerſetzt
18*
[276]Wein- und Biergährung.
werden, als dieß durch ſeine eigene Metamorphoſe geſchieht;
eine gewiſſe Portion Zucker wird keinen Alkohol und keine
Kohlenſäure liefern; es müſſen ſich aus ſeinen Elementen an-
dere, an Sauerſtoff ärmere Producte bilden.
Es iſt ſchon früher auf dieſe Producte hingewieſen wor-
den, ſie ſind es, welche eine ſo große Verſchiedenheit in den
Qualitäten der gegohrenen Flüſſigkeiten und namentlich in
ihrem Alkoholgehalt bedingen.
Der Traubenſaft, die Bierwürze liefern alſo in der Ober-
gährung keineswegs eine dem Zuckergehalt entſprechende Menge
von Alkohol, eben weil eine Portion Zucker zur Verwandlung
des Klebers in Ferment, in Hefe, und nicht zur Alkoholbildung
verwendet wird. Dieß muß aber vollſtändig in der Untergäh-
rung, dieß muß aufs Vollkommenſte bei allen Gährungen
ſtattfinden, wo die Metamorphoſe des Zuckers nicht begleitet
iſt von Hefenbildung.
Es iſt eine entſchiedene Thatſache, daß in der Branntwein-
brennerei aus Kartoffeln, wobei ſich keine oder nur eine dem
Malzzuſatz entſprechende Quantität Hefe bildet, daß bei der
Gährung der Kartoffelmeiſche, eine dem Kohlenſtoffgehalt der
Stärke genau entſprechende Menge von Alkohol und Kohlen-
ſäure gewonnen werden kann, und daß das Volum der Koh-
lenſäure, die ſich durch Gährung aus den Runkelrüben ent-
wickelt, keine ſcharfe Beſtimmung ſeines Zuckergehaltes zuläßt,
weil man weniger an Kohlenſäure erhält, als dieſer Zucker
für ſich in reinem Zuſtande liefern würde.
Bei gleichen Quantitäten Malz enthält das durch Unter-
gährung erhaltene Bier mehr Alkohol und iſt berauſchender
als das obergährige. Man ſchreibt gewöhnlich den kräftigen
Geſchmack des erſteren einem größeren Gehalt von Kohlenſäure,
einer feſteren Bindung derſelben zu, allein mit Unrecht. Beide
[277]Wein- und Biergährung.
Bierſorten ſind nach Vollendung der Gährung des einen wie
des andern abſolut gleich mit Kohlenſäure geſättigt; wie alle
Flüſſigkeiten müſſen beide in der Gährung von der aus ihrem
Innern entweichenden Kohlenſäure, eine Quantität zurückbe-
halten, die genau ihrem Auflöſungsvermögen, d. h. ihrem Vo-
lumen entſpricht.
Die Temperatur, in welcher die Gährung vor ſich geht,
hat einen höchſt wichtigen Einfluß auf die Quantität des er-
zeugten Alkohols; es iſt erwähnt worden, daß Runkelrübenſaft,
den man bei 30° bis 35° in Gährung übergehen läßt, keinen
Alkohol liefert, daß man an der Stelle des Zuckers eine der
Gährung nicht fähige ſauerſtoffärmere Subſtanz, den Mannit,
daß man Milchſäure und Schleim vorfindet. Mit der Ab-
nahme der Temperatur vermindert ſich die Bildung dieſer Pro-
ducte; allein es iſt in ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſäften natürlich
unmöglich, die Grenze feſtzuſetzen, wo die Metamorphoſe des
Zuckers allein erfolgt, wo ſie alſo unbegleitet iſt von einer ein-
greifenden ſtörenden Zerſetzungsweiſe.
Aus der Untergährung des Biers weiß man, daß durch die
Mitwirkung des Sauerſtoffs der Luft, neben der niedrigen Tem-
peratur, durch zwei Bedingungen alſo, die vollkommene Me-
tamorphoſe des Zuckers erfolgt, weil die Urſache der Störung der-
ſelben, weil dem Streben des Klebers, ſich in unlösliches Fer-
ment zu verwandeln, durch Hinzuführung von Sauerſtoff von
außen her genügt wird.
Bei dem Beginn der Gährung des Traubenſaftes und der
Bierwürze iſt die Menge der in Metamorphoſe begriffenen
Materien natürlich am größten, alle Erſcheinungen, welche ſie
begleiten, Gasentwickelung und Erhöhung der Temperatur,
treten in dieſer Periode am ſtärkſten ein; mit der Zerſetzung
der größeren Menge Zucker und Kleber vermindern ſich die
[278]Wein- und Biergährung.
Zeichen der im Innern vorgehenden Zerſetzung, ohne daß ſie
aber eher als vollendet angeſehen werden kann, als bis ſie
völlig verſchwinden.
Die langſam fortdauernde Zerſetzung nach der ſchnell ein-
tretenden ſtürmiſchen oder lebhaften Gasentwickelung nennt
man Nachgährung; bei dem Weine, wie bei dem Biere,
dauert ſie bis zur völligen Verſchwindung ihres Zuckergehaltes
fort, das ſpecifiſche Gewicht der Flüſſigkeit nimmt viele Mo-
nate hindurch noch ab. Die Nachgährung iſt in den meiſten
Fällen eine wahre Untergährung, in welcher zum Theil die
Metamorphoſe des noch aufgelöſ’ten Zuckers in Folge der fort-
ſchreitenden Zerſetzung der Unterhefe bewirkt wird, ohne daß
übrigens damit bei Luftausſchluß eine vollkommene Ausſchei-
dung der gelöſ’ten ſtickſtoffhaltigen Materien bedingt wird.
In mehreren deutſchen Staaten hat man den günſtigen
Einfluß eines rationellen Gährungsverfahrens auf die Quali-
tät der Biere ſehr wohl erkannt; man hat z. B. im Großher-
zogthum Heſſen beträchtliche Preiſe auf die Darſtellung von
Bier nach dem baier’ſchen Gährungsverfahren ausgeſetzt, und
dieſe Preiſe werden Demjenigen zuerkannt, welcher nachweiſen
kann, daß ſein Fabricat ſich 6 Monate lang in Lagerfäſſern
aufbewahren ließ, ohne ſauer zu werden. Hunderte von Fäſ-
ſern Bier ſind an den meiſten Orten im Anfange zu Eſſig ge-
worden, bis man zu einer empiriſchen Kenntniß der Bedingun-
gen gelangte, deren Einfluß durch die Theorie vorausgeſetzt
und zum Bewußtſein gebracht wird.
Weder der Alkoholgehalt, noch der Hopfen allein, noch beide
zuſammen, ſchützen das Bier vor dem Sauerwerden; in Eng-
land gelingt es mit einem Verluſt der Zinſen eines ungeheuern
Kapitals, die beſſeren Sorten Ale und Porter vor dem Ueber-
gang in Säure dadurch zu ſchützen, indem man ſie in damit
[279]Verweſung der Holzfaſer.
angefüllten ungeheuern faßartigen verſchloſſenen Gefäßen, deren
Oberfläche mit Sand bedeckt iſt, mehrere Jahre liegen läßt,
daß man ſie alſo ähnlich behandelt, wie die Weine in dem
ſogenannten Ablagern.
Durch die Poren des Holzes findet ein ſchwacher Luftwech-
ſel ſtatt; die Menge der ſtickſtoffhaltigen Materie im Verhält-
niß zu dem zutretenden Sauerſtoff iſt ſo groß, daß dieſer
Sauerſtoff dadurch gehindert wird, an den Alkohol zu treten;
aber auch das nach dieſem Verfahren behandelte Bier hält
ſich bei Luftzutritt in kleineren Gefäßen nicht über zwei Mo-
nate lang.
Die Verweſung der Holzfaſer.
Die Verwandlung der Holzfaſer in die Materien, welche
man Humus und Moder genannt hat, iſt durch ihren Einfluß
auf die Vegetation einer der merkwürdigſten Zerſetzungsproceſſe,
welche in der Natur vor ſich gehen.
Von einer andern Seite erſcheint die Verweſung nicht min-
der wichtig, inſofern ſie der große Naturproceß iſt, in welchem
die Vegetabilien den Sauerſtoff an die Atmoſphäre wieder zu-
rückgeben, den ſie im lebenden Zuſtande derſelben entzogen
haben.
Wir haben bei der Holzfaſer drei in ihren Reſultaten ver-
ſchiedene Zerſetzungsweiſen in Betrachtung zu ziehen.
[280]Verweſung der Holzfaſer.
Die eine geht vor ſich im befeuchteten Zuſtande, bei freiem
und ungehindertem Zutritt der Luft, die zweite bei Abſchluß
der Luft, und die dritte, wenn die Holzfaſer mit Waſſer be-
deckt, ſich in Berührung befindet mit faulenden organiſchen
Stoffen.
In trockner Luft oder unter Waſſer erhält ſich die Holz-
faſer, wie man weiß, Jahrtauſende ohne bedeutende Verände-
rung, aber ſie kann im befeuchteten Zuſtande mit der Atmoſphäre
nicht in Berührung gebracht werden, ohne von dem Augenblick
an eine Veränderung zu erleiden, ſie verwandelt ohne Aende-
rung des Volums den umgebenden Sauerſtoff, wie ſchon er-
wähnt, in Kohlenſäure, und geht nach und nach in eine gelb-
braune, braune oder ſchwarze Materie von geringem Zuſam-
menhang über.
In den Verſuchen von de Sauſſure verwandelten 240 Th.
trockne Eichenholzſpäne 10 Cubiczoll Sauerſtoff in eben ſo viel
kohlenſaures Gas, welches 3 Gewichtstheile Kohlenſtoff enthält;
das Gewicht der Späne fand ſich aber um 15 Th. vermindert.
Es hatten ſich demnach hierbei noch 12 Gewichtstheile Waſſer
von den Elementen des Holzes getrennt.
Kohlenſäure, Waſſer und Moder oder Humus ſind mithin
die Producte der Verweſung des Holzes.
Wir haben angenommen, daß das Waſſer aus dem Waſ-
ſerſtoff des Holzes entſteht, der ſich mit dem Sauerſtoff der
Atmoſphäre verbindet, und daß in dem Acte dieſer Oxidation
Kohlenſtoff und Sauerſtoff in der Form von Kohlenſäure ſich
von den Elementen des Holzes trennen.
Es iſt ſchon früher erwähnt worden, daß die reine Holzfaſer
Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers enthält. Der Hu-
mus entſteht aber nicht durch Verweſung der Holzfaſer allein,
ſondern durch die Verweſung des Holzes, was außer der rei-
[281]Verweſung der Holzfaſer.
nen Holzfaſer noch fremde, lösliche und unlösliche organiſche
Stoffe enthält.
Das relative Verhältniß der Elemente des Eichenholzes
iſt deshalb ein anderes als beim Buchenholz, und beide ſind
wieder in ihrer Zuſammenſetzung verſchieden von der reinen Holz-
faſer, die ſich in allen Vegetabilien gleichbleibt. Die Unterſchiede
ſind nichts deſto weniger ſo unbedeutend, daß ſie in den Fra-
gen, die wir einer Discuſſion unterwerfen, unbeachtet bleiben
können, um ſo mehr, da der Gehalt an dieſen Materien je
nach der Jahreszeit wechſelt.
Nach den mit Sorgfalt von Gay-Luſſac und Thénard
ausgeführten Analyſen des bei 100° getrockneten und mit Waſſer
und Weingeiſt von allen darin löslichen Theilen befreiten Eichen-
holzes enthielt daſſelbe 52,53 Kohlenſtoff und 47,47 Waſſerſtoff,
und Sauerſtoff in dem Verhältniß wie im Waſſer.
Es iſt nun früher erwähnt worden, daß ſich das feuchte
Holz im Sauerſtoffgas gerade ſo verhält, wie wenn ſich ſein
Kohlenſtoff direct mit dem Sauerſtoff verbunden hätte, es ent-
ſteht nämlich gasförmige Kohlenſäure und Humus.
Wenn die Wirkung des Sauerſtoffs ſich ausſchließlich auf
den Kohlenſtoff des Holzes erſtreckt haben würde, wäre weiter
nichts als Kohlenſtoff von den Beſtandtheilen des Holzes hin-
weggenommen worden, ſo müßte man die übrigen Elemente
unverändert, aber mit weniger Kohlenſtoff verbunden, in dem
Humus wiederfinden. Das Endreſultat dieſer Einwirkung
würde demnach ein gänzliches Verſchwinden des Kohlenſtoffs
ſein, es würden zuletzt nur die Elemente des Waſſers übrig
bleiben.
Wenn wir aber das verweſende Holz in ſeinen verſchiede-
nen Stadien ſeiner Verweſung einer Unterſuchung unterwerfen,
ſo gelangen wir zu dem merkwürdigen Reſultat, daß der Koh-
[282]Verweſung der Holzfaſer.
lenſtoff des rückſtändigen feſten Produkts beſtändig zunimmt,
daß alſo, abgeſehen von der Kohlenſäurebildung durch den Ein-
fluß der Luft, die Veränderung des Holzes in Humus als eine
Trennung der Beſtandtheile des Waſſers von dem Kohlenſtoff
ſich darſtellt.
Die Analyſe liefert nämlich von vermodertem Eichenholze,
was aus dem Innern eines hohlen Eichſtammes genommen
worden war, eine chokoladebraune Farbe beſaß, und noch voll-
kommen die Structur des Holzes zeigte, in 100 Theilen
53,36 Kohlenſtoff und 46,44 Waſſerſtoff und Sauerſtoff,
in dem Verhältniß, wie im Waſſer. Eine andere Probe von
einer andern Eiche, von lichtbrauner Farbe, leicht zerreib-
lich zu feinem Pulver, gab 56,211 Kohlenſtoff und 43,789
Waſſer.
Aus dieſen unverwerflichen Thatſachen ergiebt ſich bis zur
Evidenz die Gleichheit der Verweſung des Holzes mit allen
andern langſamen Verbrennungen waſſerſtoffreicher Materien.
Wie ſonderbar würde in der That dieſe Verbrennung ſich dar-
ſtellen, wenn der Kohlenſtoff des Holzes direct ſich mit dem
Sauerſtoff verbände, eine Verbrennung, wo der Kohlegehalt
des verbrennenden Körpers, anſtatt abzunehmen, ſich beſtändig
vergrößert. Es iſt offenbar der Waſſerſtoff, der auf Koſten
des Sauerſtoffs der Luft oxidirt wird, die Kohlenſäure ſtammt
von den Elementen des Holzes; nie, unter keinerlei Bedin-
gungen, vereinigt ſich bei gewöhnlicher Temperatur der Kohlen-
ſtoff direct mit dem Sauerſtoff zu Kohlenſäure.
In welchem Stadium der Verweſung das Holz ſich auch
befinden mag, ſtets müſſen darin die Elemente ausdrückbar
ſein durch die Aequivalentenzahlen.
[283]Berweſung der Holzfaſer.
Die folgenden Formeln drücken dieſe Verhältniſſe mit gro-
ßer Schärfe aus:
C36 H44 O22 Eichenholz, nach Gay Luſſac und Thénard*).
C35 H40 O20 Humus von Eichenholz (Meyer) **).
C34 H36 O18 » » » (Dr.Will***).
Man beobachtet leicht, daß für je zwei Aequivalente Waſ-
ſerſtoff, der ſich oxidirt, 2 Atome Sauerſtoff und 1 Aequi-
valent Kohlenſtoff, von den übrigen Elementen abgeſchieden
werden.
Unter den gewöhnlichen Bedingungen bedarf die Pflanzen-
faſer zu ihrer Verweſung einer ſehr langen Zeit, ſie wird, wie
ſich von ſelbſt verſteht, ausnehmend beſchleunigt durch erhöhte
Temperatur und ungehinderten, freien Zutritt der Luft, ſie wird
aufgehalten und verlangſamt durch Abweſenheit von Feuchtig-
keit und durch Umgebung mit einer Atmoſphäre von Kohlen-
ſäure, durch welche letztere der Zutritt des Sauerſtoffs zu der
verweſenden Materie abgeſchloſſen wird.
Schweflige Säure, alle antiſeptiſchen Materien halten die
Verweſung der Pflanzenfaſer auf; man hat bekanntlich Queckſilber-
ſublimat, welcher die Fähigkeit zu faulen, gähren und verweſen
aller, auch der am leichteſten veränderlichen, vegetabiliſchen
und thieriſchen Stoffe gänzlich vernichtet, als das kräftigſte
Mittel in Anwendung gebracht, um das Holz, was zum Schiff-
bau dient und dem abwechſelnden Zutritt von Feuchtigkeit und
Luft ausgeſetzt iſt, vollkommen vor der Verweſung zu ſchützen.
Auf der andern Seite wird durch die Berührung mit Alka-
lien und alkaliſchen Erden, welche die Abſorbtion des Sauer-
[284]Verweſung der Holzfaſer.
ſtoffs ſelbſt in denjenigen Subſtanzen zu erwirken vermögen,
denen an und für ſich dieſe Fähigkeit abgeht, wie beim Alkohol
(S. 250), der Gallusſäure, dem Gerbeſtoff, den vegetabili-
ſchen Farbeſtoffen (S. 239), die Verweſung der vegetabiliſchen
Materien im Allgemeinen ausnehmend befördert. Durch die
Gegenwart von Säuren wird ſie im Gegentheil aufgehalten
und verlangſamt.
In ſchwerem Lehmboden hält ſich die eine Bedingung zur
Verweſung der darin enthaltenen vegetabiliſchen Stoffe, die
Feuchtigkeit nämlich, am längſten, allein ſein feſter Zuſammen-
hang hindert die häufige Berührung mit der Luft.
In feuchtem Sandboden, und namentlich in einem aus
kohlenſaurem Kalk und Sand gemengten Boden geht durch
die Berührung mit dem ſchwach alkaliſchen Kalk die Verweſung
am ſchnellſten von ſtatten.
Betrachten wir nun die Verweſung der Holzfaſer in einer
unendlich langen Zeit, indem wir die Bedingung ſeiner Ver-
änderung, nämlich die fortſchreitende Hinwegnahme ſeines Waſ-
ſerſtoffs, in der Form von Waſſer, und die Trennung ſeines
Sauerſtoffs in der Form von Kohlenſäure feſthalten, ſo iſt
klar, daß, wenn wir von der Formel C36 H44 O22 die 22 Aeq.
Sauerſtoff mit 11 Aeq. Kohlenſtoff abziehen und die 22 Aeq.
Waſſerſtoff (H2 = 1 Aeq.) uns durch den Sauerſtoff der
Luft oxidirt und in der Form von Waſſer abgeſchieden denken,
daß von 1 At. Eichenholz zuletzt 25 At. Kohlenſtoff in reinem
Zuſtande übrig bleiben werden, d. h. von 100 Th. Eichenholz,
welche 52,5 Kohlenſtoff enthalten, werden 37 Theile Kohle
übrig bleiben, welche als reiner Kohlenſtoff, dem die Fähigkeit,
bei gewöhnlicher Temperatur ſich zu oxidiren, gänzlich abgeht,
ſich unverändert erhalten werden.
Zu dieſem Endreſultat gelangen wir bei der Verweſung des
[285]Verweſung der Holzfaſer.
Holzes unter den gewöhnlichen Bedingungen nicht, und zwar
deshalb nicht, weil mit der Zunahme des Kohlenſtoffs in dem
rückſtändigen Humus, mit ſeiner Maſſe alſo, wie bei allen Zer-
ſetzungen dieſer Art, die Größe ſeiner Anziehung zu dem Waſ-
ſerſtoff, der noch in [Verbindung] bleibt, wächſt, bis zuletzt die
Verwandtſchaft des Sauerſtoffs zu dieſem Waſſerſtoff und die
des Kohlenſtoffs zu demſelben Körper ſich gegenſeitig im Gleich-
gewicht halten.
Wir finden aber in demſelben Grade, als ſeine Verweſung
vorgeſchritten iſt, eine Abnahme einer Fähigkeit, mit Flamme
zu verbrennen, d. h. bei ſeinem Erhitzen gasförmige Kohlen-
waſſerſtoffverbindungen zu bilden; das verfaulte Holz verbrennt
beim Anzünden ohne Flamme, es verglimmt nur, und hier-
aus kann kein anderer Schluß gezogen werden, als der, daß
der Waſſerſtoff, den die Analyſe nachweiſ’t, nicht mehr in der
Form darin enthalten iſt, wie im Holz.
In dem verfaulten Eichenholze finden wir mehr Kohlenſtoff;
wir finden ferner Waſſerſtoff und Sauerſtoff in dem nämlichen
Verhältniß, wie im friſchen Holz.
Der Natur der Sache nach ſollte es mit der Zunahme an
Kohlenſtoff eine leuchtendere, kohlenreichere Flamme bilden, es
verbrennt im Gegentheil, wie feinzertheilte Kohle, wie wenn
kein Waſſerſtoff darin vorhanden wäre. Im gewöhnlichen
Leben, wo die Anwendung des Holzes als Brennmaterial auf
ſeiner Fähigkeit beruht, mit Flamme zu brennen, hat deshalb
das verfaulte oder kranke Holz einen weit geringeren Handels-
werth. Wir können uns dieſen Waſſerſtoff in keiner andern
Form, als in der des Waſſers denken, weil ſie allein genü-
gende Rechenſchaft über dies Verhalten giebt.
Denken wir uns die Verweſung in einer Flüſſigkeit vor
ſich gehen, welche reich iſt an Kohlenſtoff und Waſſerſtoff, ſo
[286]Verweſung der Holzfaſer.
wird, ähnlich wie bei der Erzeugung der kohlereichſten, kryſtalli-
niſchen Subſtanz, des farbloſen Naphtalins aus gasförmigen
Kohlenwaſſerſtoffverbindungen, eine an Kohlenſtoff ſtets reichere
Verbindung gebildet werden, aus der ſich zuletzt als Endreſul-
tat ihrer Verweſung Kohlenſtoff in Subſtanz und zwar kryſtal-
liniſch abſcheiden muß.
Die Wiſſenſchaft bietet in allen Erfahrungen, die man kennt,
außer dem Proceſſe der Verweſung, keine Analogien für die
Bildung und Entſtehung des Diamants dar. Man weiß ge-
wiß, daß er ſeine Entſtehung nicht dem Feuer verdankt, denn
hohe Temperatur und Gegenwart von Sauerſtoff ſind mit
ſeiner Verbrennlichkeit nicht vereinbar; man hat im Gegen-
theil überzeugende Gründe, daß er auf naſſem Wege, daß er
in einer Flüſſigkeit ſich gebildet hat, und der Verweſungspro-
ceß allein giebt eine bis zu einem gewiſſen Grade befriedigende
Vorſtellung über ſeine Entſtehungsweiſe.
So ſind der Bernſtein, die foſſilen Harze und die Säure in
dem Honigſtein, die Begleiter von Vegetabilien, welche den
Verweſungsproceß erlitten haben, ſie finden ſich in Braunkoh-
len, und ſind offenbar durch einen ähnlichen Zerſetzungsproceß
aus Subſtanzen entſtanden, die in einer ganz andern Form in
den lebenden Pflanzen enthalten waren, ſie zeichnen ſich alle
durch einen verhältnißmäßig geringen Waſſerſtoffgehalt aus,
und von der Honigſteinſäure weiß man, daß ſie das nämliche
Verhältniß im Kohlenſtoff und Sauerſtoffgehalt enthält, wie
die Bernſteinſäure, und daß die letztere ſich nur durch ihren
Waſſerſtoffgehalt davon unterſcheidet.
[287]Dammerde.
Dammerde.
Unter Dammerde (terreau) verſteht man ein Gemenge von
verwitterten Mineralſubſtanzen mit Ueberreſten vegetabiliſcher
und Thierſtoffe; ihrer ganzen Beſchaffenheit nach läßt ſie ſich
als Erde betrachten, in welcher ſich Humus im Zuſtande der
Zerſetzung befindet. Ihre Wirkungsweiſe auf die Luft iſt
durch die Verſuche von Ingenhouß und de Sauſſure
auf’s Klarſte ermittelt worden.
In einem mit Luft erfüllten Gefäße, in befeuchtetem Zu-
ſtande entzieht ſie derſelben, mit noch größerer Schnelligkeit
als das faule Holz, allen Sauerſtoff und erſetzt ihn durch ein
gleiches Volumen Kohlenſäure. Wird die Kohlenſäure hin-
weggenommen und die Luft erneuert, ſo wiederholt ſich dieſe
Umwandlung.
Klates Waſſer löſ’t aus der Dammerde nahe 1/10000 ihres
Gewichts auf; dieſe Auflöſung iſt farblos und klar, und
giebt abgedampft einen Rückſtand, welcher Kochſalz, Spuren
von ſchwefelſaurem Kalk und Kali enthält und ſich beim Glü-
hen vorübergehend ſchwärzt. Kochendes Waſſer färbt ſich mit
Dammerde gelb oder gelbbraun; dieſe Auflöſung entfärbt ſich
an der Luft unter Abſorption von Sauerſtoff, unter Bildung
eines ſchwarzen leichten Bodenſatzes; im gefärbten Zuſtande
abgedampft giebt ſie einen Rückſtand, der ſich beim Glühen
ſchwärzt und eine Maſſe hinterläßt, aus der durch Waſſer koh-
lenſaures Kali ausgezogen wird.
[288]Dammerde.
Behandelt man die Dammerde mit einer Auflöſung von
Kali, ſo erhält man eine ſchwarzgefärbte Flüſſigkeit, welche mit
Eſſigſäure ohne Trübung vermiſcht werden kann. Verdünnte
Schwefelſäure ſchlägt daraus leichte braunſchwarze Flocken nie-
der, die ſich durch Waſchen mit Waſſer nur ſchwierig von
aller freien Säure befreien laſſen. Wenn man den gewaſche-
nen Niederſchlag feucht unter eine Glocke mit Sauerſtoffgas
bringt, ſo wird daſſelbe raſch eingeſaugt; bei dem Trocknen an
der Luft bei gewöhnlicher Temperatur geſchieht dieß ebenfalls;
mit der Entfernung aller Feuchtigkeit verliert ſie die Fähig-
keit, ſich im Waſſer zu löſen auf’s Vollſtändigſte, ſelbſt Al-
kalien löſen daraus nur noch Spuren auf.
Es iſt hiernach klar, daß das ſiedende Waſſer aus der
Dammerde eine Materie auszieht, deren Löslichkeit durch die
Gegenwart der in den Pflanzenüberreſten enthaltenen alkaliſchen
Salze vermittelt wurde. Dieſe Subſtanz iſt ein Product der
unvollkommenen Verweſung der Holzfaſer; es ſteht in ſeiner
Zuſammenſetzung zwiſchen der Holzfaſer und dem eigentlichen
Humus, und verwandelt ſich in den letzteren durch Ausſetzung
im feuchten Zuſtande an die Luft.
[289]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
Vermoderung.
Papier, Braunkohle und Steinkohle.
Unter Vermoderung begreift man eine Zerſetzung des Hol-
zes, der Holzfaſer und aller vegetabiliſchen Körper, bei Gegen-
wart von Waſſer und gehindertem Zutritt der Luft.
Die Braunkohle und Steinkohle ſind Ueberreſte von Vege-
tabilien der Vorwelt; ihre Beſchaffenheit zeigt, daß ſie Pro-
ducte der Zerſetzungsproceſſe ſind, die man mit Fäulniß und
Verweſung bezeichnet. Es iſt leicht, durch die Analyſe derſel-
ben die Art und Weiſe feſtzuſtellen, in welcher ſich die Be-
ſtandtheile geändert haben in der Vorausſetzung, daß ihre
Hauptmaſſe aus Holzfaſer entſtanden iſt.
Um ſich eine beſtimmte Vorſtellung über die Entſtehung
der Braunkohle und Steinkohle zu verſchaffen, iſt es nöthig,
eine eigenthümliche Veränderung zu betrachten, welche die Holz-
faſer bei Gegenwart von Feuchtigkeit und dem völligen Abſchluß
oder bei gehindertem Zutritt der Luft erfährt.
Es iſt bekannt, daß reine Holzfaſer, Leinwand z. B., mit
Waſſer zuſammengeſtellt, ſich unter beträchtlicher Wärmeent-
wickelung zu einer weichen zerreiblichen Maſſe zerſetzt, welche
ihren Zuſammenhang zum größten Theil verloren hat; es iſt
dieß die Subſtanz, woraus man, vor der Anwendung des
Chlors, Papier bereitete. Auf Haufen geſchichtet bemerkt man
während der Erhitzung eine Gasentwickelung, und die Lumpen
19
[290]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
erleiden hierbei einen Gewichtsverluſt, welcher auf 18—25 p. c.
ſteigt.
Ueberläßt man befeuchtete Holzſpäne ſich ſelbſt in einem
verſchloſſenen Gefäße, ſo entwickeln ſie, wie bei Luftzutritt, koh-
lenſaures Gas; es tritt eine wahre Fäulniß ein; das Holz
nimmt eine weiße Farbe an; es verliert ſeinen Zuſammenhang
und wird zu einer morſchen zerreiblichen Materie.
Das weiße faule Holz, was man in dem Innern von ab-
geſtorbenen Holzſtämmen findet, die mit Waſſer in Berührung
waren, verdankt der nämlichen Zerſetzung ſeine Entſtehung.
Eine Probe eines weißen faulen Holzes aus dem Innern
eines Eichſtammes gab durch die Analyſe bei 100° getrocknet:
- Kohlenſtoff 47,11 . . . . 48,14
- Waſſerſtoff 6,31 . . . . 6,06
- Sauerſtoff 45,31 . . . . 44,43
- Aſche 1,27 . . . . 1,37
- 100,00 100,00
Wenn man dieſe Zahlen in Proportionen ausgedrückt mit
der Zuſammenſetzung des Eichenholzes nach der Analyſe von
Gay-Luſſac und Thénard vergleicht, ſo ſieht man ſogleich,
daß eine gewiſſe Quantität Kohlenſtoff ſich von den Beſtand-
theilen des Holzes getrennt, während der Waſſerſtoffgehalt ſich
vergrößert hat. Dieſe Zahlen entſprechen ſehr nahe der For-
mel C33 H52 O24, (Sie giebt 47,9 Kohlenſtoff, 6,1 Waſſerſtoff
und 46 Sauerſtoff.)
Mit einer gewiſſen Quantität Sauerſtoff aus der Luft ſind
offenbar die Beſtandtheile des Waſſers in die Zuſammenſetzung
des Holzes aufgenommen worden, während ſich davon die Ele-
mente der Kohlenſäure getrennt haben.
Fügt man der Zuſammenſetzung der Holzfaſer des Eichen-
holzes die Elemente zu von 6 At. Waſſer und 2 At. Sauer-
[291]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
ſtoff, und zieht davon 3 At. Kohlenſäure ab, ſo hat man
genau die Formel für das weiße vermoderte Holz.
- Holz . . . . . . . . C36 H44 O22
- Hierzu 6 At. Waſſer . . . H10 O5
- 3 Atom Sauerſtoff . . . . O3
- C36 H54 O30
- Hiervon ab 3 At. Kohlenſäure C3 O6
- bleibt C33 H54 O24
Der Proceß der Vermoderung iſt danach eine gleichzeitig
eintretende Fäulniß und Verweſung, in welcher der Sauerſtoff
der Luft und die Beſtandtheile des Waſſers Antheil nehmen.
Je nachdem der Zutritt des Sauerſtoffs mehr oder weniger
gehindert wird, muß ſich die Zuſammenſetzung des weißen
Moders ändern. Weißes vermodertes Buchenholz gab in der
Analyſe 47,67 Kohlenſtoff, 5,67 Waſſerſtoff und 46,68 Sauer-
ſtoff, entſprechend der Formel C33 H50 O24.
Die Zerſetzung des Holzes nimmt alſo zweierlei Formen
an, je nachdem der Zutritt der Luft ungehindert oder gehemmt
einwirkt, in beiden Fällen erzeugt ſich Kohlenſäure; in letzterem
Fall tritt eine gewiſſe Menge Waſſer in chemiſche Ver-
bindung.
Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß bei dieſem Fäulnißproceß,
wie bei allen andern, der Sauerſtoff des Waſſers Antheil ge-
nommen hat an der Bildung der Kohlenſäure.
Die Braunkohle muß auf ähnliche Weiſe durch einen der
Vermoderung ähnlichen Zerſetzungsproceß entſtanden ſein; es
iſt aber nicht leicht, eine Braunkohle zu finden, die ſich zu einer
Analyſe eignet; ſie ſind meiſtens mit reſinöſen oder erdigen
Materien durchdrungen, durch welche die Zuſammenſetzung der
Theile, die von der Holzfaſer ſtammen, weſentlich geändert
wird. Unter allen Braunkohlenarten ſind die, welche in der
19*
[292]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
Wetterau in zahlreich verbreiteten Lagern vorkommen, durch
unveränderte Holzſtructur und durch Mangel an Bitumen aus-
gezeichnet; zu der folgenden Analyſe wurde ein Stück gewählt,
in dem man die Jahrringe noch zählen konnte; ſie wird in
der Nähe von Laubach gewonnen; von dieſem Stück enthiel-
ten 100 Theile
- Kohlenſtoff 57,28
- Waſſerſtoff 6,03
- Sauerſtoff 36,10
- Aſche 0,59
- 100,00
Von vorn herein fällt bei dieſer Braunkohle der größere
Gehalt von Kohlenſtoff, bei dem bei weitem geringeren an
Sauerſtoff in die Augen; es iſt klar, daß von dem Holz, aus
dem ſie entſtanden iſt, eine gewiſſe Menge Sauerſtoff ſich ge-
trennt hat. In Verhältnißzahlen wird dieſe Analyſe genau
durch die Formel C33 H42 O16 ausgedrückt. (Sie giebt 57,5
Kohlenſtoff und 5,98 Waſſerſtoff.)
Verglichen mit der Analyſe des Eichenholzes, iſt die Braun-
kohle aus Holzfaſer entſtanden, von der ſich 1 Aeq. Waſ-
ſerſtoff und die Elemente von 3 At. Kohlenſäure getrennt
haben.
- 1 At. Holz . . . . . C36 H44 O22
- minus 1 Aeq. Waſſerſtoff
und 3 At. Kohlenſäure C3 H2 O6 - Braunkohle . . . . . C33 H42 O16
Alle Braunkohlen, von welcher Lagerſtätte ſie aufgenommen
werden mögen, enthalten mehr Waſſerſtoff als das Holz; ſie
enthalten weniger Sauerſtoff, als nöthig iſt, um mit dieſem
Waſſerſtoff Waſſer zu bilden; Alle ſind demnach durch einer-
lei Zerſetzungsproceß entſtanden. Der Waſſerſtoff des Holzes
[293]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
blieb entweder unverändert in demſelben oder es iſt Waſſerſtoff
von Außen hinzugetreten.
Die Analyſe einer Braunkohle, welche in der Nähe von
Caſſel bei Ringkuhl vorkommt und in der nur ſelten Stücke
mit Holzſtructur ſich finden, gab bei 100° getrocknet:
- Kohlenſtoff 62,60 . . . . 63,83
- Waſſerſtoff 5,02 . . . . 4,80
- Sauerſtoff 26,52 . . . . 25,45
- Aſche 5,86 . . . . 5,86
- 100,00 100,00
Die obigen Verhältniſſe am Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und
Sauerſtoff laſſen ſich ſehr nahe durch die Formel C32H30O9
ausdrücken, oder durch die Beſtandtheile des Holzes, von dem
ſich die Elemente von Kohlenſäure, Waſſer und 2 Aeq. Waſſer-
ſtoff getrennt haben.
- C36H44O22 = Holz.
- Hiervon ab C4H14O13 = 4 At. Kohlenſäure + 5 At. Waſſer
- + 4 At. Waſſerſtoff.
- C32H30O9 = Braunkohle von Ringkuhl.
Die Bildung beider Braunkohlen iſt, wie dieſe Formeln
ergeben, unter Umſtänden vor ſich gegangen, wo die Einwir-
kung der Luft, durch welche eine gewiſſe Menge Waſſerſtoff
oxidirt und hinweggenommen wurde, nicht ganz ausgeſchloſſen
war; in der That findet ſich die Laubacher Kohle durch ein
Baſaltlager, durch das ſie bedeckt wird, von der Luft ſo gut
wie abgeſchloſſen; die Kohle von Ringkuhl war von der un-
terſten Schicht des Kohlenlagers genommen, welches eine Mäch-
tigkeit von 90—120 Fuß beſitzt.
Bei der Entſtehung der Braunkohle haben ſich demnach
entweder die Elemente der Kohlenſäure allein, oder gleichzeitig
mit einer gewiſſen Menge Waſſer von den Beſtandtheilen des
[294]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
Holzes getrennt; es iſt möglich, daß die höhere Temperatur
und Druck, unter welcher die Zerſetzung vor ſich ging, die
Verſchiedenheit der Zerſetzungsweiſe bedingte, wenigſtens gab
ein Stück Holz, welches ganz die Beſchaffenheit und das Aus-
ſehen der Laubacher Braunkohle beſaß, und in dieſen Zuſtand
durch mehrwöchentliches Verweilen in dem Keſſel einer Dampf-
maſchine verſetzt worden war (in der Maſchinenfabrik des Herrn
Oberbergraths Henſchel in Caſſel) eine ganz ähnliche Zu-
ſammenſetzung.
Die Veränderung ging in Waſſer vor ſich, was eine Tem-
peratur von 150—160° beſaß, und einem entſprechenden Druck
ausgeſetzt war, und dieſem Umſtande iſt unſtreitig auch die
höchſt geringe Menge Aſche zuzuſchreiben, die dieſes Holz nach
dem Verbrennen hinterließ; ſie betrug 0,51 p. c., alſo noch
etwas weniger als wie die der Laubacher Braunkohle. Die
von Berthier unterſuchten Pflanzenaſchen hinterlaſſen ohne
Ausnahme eine bei weitem größere Quantität.
Die eigenthümliche Zerſetzungsweiſe der vorweltlichen Ve-
getabilien, d. h. eine fortſchreitende Trennung von Kohlenſäure,
ſcheint noch jetzt in großen Tiefen in allen Braunkohlenlagern
fortzudauern; es iſt zum wenigſten höchſt bemerkenswerth, daß
vom Meißner in Kurheſſen an bis zur Eifel hin, wo dieſe
Lager ſehr häufig ſind, an eben ſo vielen Orten Säuerlinge
zu Tage kommen. Dieſe Mineralquellen bilden ſich auf dem
Platze ſelbſt, wo ſie vorkommen, aus ſüßem Waſſer, was aus
der Tiefe kommt, und aus Kohlenſäuregas, was gewöhnlich
von der Seite zuſtrömt.
In der Nähe der Braunkohlenlager von Salzhauſen be-
fand ſich vor einigen Jahren ein vortrefflicher Säuerling, wel-
cher von der ganzen Umgegend in Gebrauch genommen war;
man beging den Fehler, dieſe Quelle in Sandſtein zu faſſen,
[295]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
mit dem die Seitenöffnungen, aus welchen das Gas ſtrömte,
zugemauert wurden. Von dieſem Augenblicke an hatte man
ſüßes Quellwaſſer.
In einer geringen Entfernung von den Braunkohlenlagern
von Dorheim entſpringt die an Kohlenſäure überaus reiche
Schwalheimer Mineralquelle, bei welcher Herr Salinendirector
Wilhelmi längſt beim Ausräumen die Beobachtung gemacht
hat, daß ſie ſich auf dem Platze ſelbſt aus ſüßem Waſſer, was
von unten, und kohlenſaurem Gas, was von der Seite kommt,
bildet. Die nämliche Erfahrung wurde von Herrn Oberberg-
rath Schapper bei dem berühmten Fachinger Brunnen ge-
macht.
Das kohlenſaure Gas von den Kohlenſäurequellen in der
Eifel iſt nach Biſchof nur ſelten gemengt mit Stickgas und
Sauerſtoffgas; es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß es ſeinen Ur-
ſprung einer ähnlichen Urſache verdankt; die Luft ſcheint we-
nigſtens nicht den geringſten Antheil an der Bildung derſelben
in den eigentlichen Säuerlingen zu nehmen; ſie kann in der
That weder durch eine Verbrennung in niederer, noch in hö-
herer Temperatur gebildet worden ſein; denn in dieſem Fall
würde das kohlenſaure Gas auch bei der vollkommenſten Ver-
brennung mit ⅘ Stickgas gemengt ſein, allein es enthält keine
Spur Stickgas. Die Blaſen, welche unabſorbirt durch das
Waſſer der Mineralquellen in die Höhe ſteigen, werden bis
auf einen unmeßbaren Rückſtand von Kalilauge aufgenommen.
Die Dorheimer und Salzhäuſer Braunkohle ſind offenbar
durch eine ähnliche Urſache entſtanden, wie die Laubacher, die
in der Nähe vorkommen, und da dieſe genau die Elemente
der Holzfaſer, minus einer gewiſſen Quantität Kohlenſäure ent-
halten, ſo ſcheint ſich aus dieſer Zuſammenſetzung von ſelbſt
eine Erklärung zu ergeben.
[296]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
Daß übrigens die Luft in den oberen Lagen der Braun-
kohlenſchichten unaufhörlich eine fortſchreitende Veränderung,
nämlich eine Verweſung bewirkt, durch welche ihr Waſſerſtoff
wie beim Holze hinweggenommen wird, giebt das Verhalten
derſelben beim Verbrennen und die fortſchreitende Bildung von
Kohlenſäure in den Gruben zu erkennen.
Die Gaſe, welche die Arbeit in Braunkohlenwerken gefähr-
lich machen, ſind nicht wie in anderen Gruben entzündlich und
brennbar, ſondern ſie beſtehen gewöhnlich aus kohlenſaurem
Gas, was nur ſelten eine Beimiſchung von brennbarem Gas
enthält.
Die Braunkohlen aus der mittleren Schicht des Lagers bei
Ringkuhl geben in der Analyſe 65,40—64,01 Kohlenſtoff auf
4,75—4,76 *) Waſſerſtoff, alſo auf daſſelbe Verhältniß von
Kohlenſtoff bei weitem weniger Waſſerſtoff, als die aus grö-
ßerer Tiefe genommenen.
Die Braunkohlen und Steinkohlen ſind begleitet von Schwe-
felkies oder Schwefelzink, die ſich aus ſchwefelſauren Salzen
bei Gegenwart von Eiſen und Zink bei allen Fäulnißproceſſen
vegetabiliſcher Stoffe noch heute bilden; es iſt denkbar, daß
der Sauerſtoff der ſchwefelſauren Salze in dem Innern der
Braunkohlenlager es iſt, durch welchen die Hinwegnahme des
Waſſerſtoffs, den ſie weniger als das Holz enthalten, bewirkt
wird.
Nach den Analyſen von Richardſon und Regnault
wird die Zuſammenſetzung der brennbaren Materien der Splint-
kohle von Newcaſtle und der Cannelkohle von Lancaſhire durch
[297]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
die Formel C24H26O ausgedrückt. Verglichen mit der Zuſam-
menſetzung der Holzfaſer iſt ſie daraus entſtanden, indem ſich
von ihren Elementen, in der Form von brennbaren Oelen,
Sumpfgas und kohlenſaurem Gas, gewiſſe Quantitäten getrennt
haben; nehmen wir von der Zuſammenſetzung der Holzfaſer
3 At. Sumpfgas, 3 At. Waſſer und 9 At. Kohlenſäure hin-
weg, ſo haben wir die Zuſammenſetzung der beiden Stein-
kohlenarten
Das Sumpfgas iſt der gewöhnliche Begleiter aller Stein-
kohlen, andere enthalten durch Deſtillation mit Waſſer abſcheid-
bare flüchtige Oele (Reichenbach). Das Steinöl mag in
den meiſten Fällen einem ähnlichen Zerſetzungsproceſſe ſeinen
Urſprung verdanken.
Die Backkohle von Caresfield bei Newcaſtle enthält die
Elemente der Cannelkohle, von denen ſich die Beſtandtheile des
ölbildenden Gaſes C4H8 getrennt haben.
Die brennbaren entzündlichen Gaſe, welche aus den Spal-
ten in Steinkohlenlagern oder den Gebirgsarten ſtrömen, in
denen Steinkohlen ſich vorfinden, enthalten nach einer zuver-
läſſigen Unterſuchung von Biſchoff ohne Ausnahme kohlen-
ſaures Gas, ferner Sumpfgas, ölbildendes Gas, was vor
Biſchoff nicht beobachtet worden iſt, und Stickgas. Nach
der Abſorbtion der Kohlenſäure durch Kali gab das Gru-
bengas
[298]Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle.
Die Entwicklung dieſer Gaſe beweiſ’t auf eine unzweideu-
tige Weiſe, daß auch in den Steinkohlenlagern unaufhörlich
fortſchreitende Veränderungen vor ſich gehen.
In den Braunkohlenlagern beobachten wir eine fortſchrei-
tende Trennung von Sauerſtoff in der Form von Kohlenſäure,
in Folge welcher das Holz nach und nach der Zuſammenſetzung
der Steinkohle ſich nähern muß, in den Steinkohlenlagern
trennt ſich von den Beſtandtheilen der Kohle Waſſerſtoff in
der Form von Kohlenwaſſerſtoffverbindungen; eine völlige Ab-
ſcheidung von Waſſerſtoff würde die Kohle in Anthracit
überführen.
Die Formel C36H44O22, welche für das Holz angegeben
iſt, iſt als der empiriſche Ausdruck der Analyſe gewählt
worden, um alle Metamorphoſen, welche die Holzfaſer fähig
iſt, unter einem gemeinſchaftlichen Geſichtspunkte betrachten zu
können.
Wenn nun auch die Richtigkeit der Formel als theoretiſcher
Ausdruck bis zu dem Zeitpunkte in Zweifel geſtellt werden
muß, wo wir die Conſtitution der Holzfaſer mit Sicherheit
kennen, ſo kann dieß nicht den geringſten Einfluß auf die Be-
trachtungen haben, zu denen wir in Beziehung auf die Ver-
änderungen gelangt ſind, welche die Holzfaſer nothwendig
[299]Gift, Contagien, Miasmen.
erlitten haben muß, um in Braun- oder Steinkohle über-
zugehen. Der theoretiſche Ausdruck bezieht ſich auf die Summe,
der empiriſche auf das relative Verhältniß allein, in wel-
chem die Elemente zu Holzfaſer zuſammengetreten ſind.
Welche Form dem erſteren auch gegeben werden mag, der
empiriſche Ausdruck bleibt damit ungeändert.
Gift, Contagien, Miasmen.
Eine große Anzahl chemiſcher Verbindungen, ſowohl anor-
ganiſche, als ſolche, die in Thieren und Pflanzen gebildet
werden, bringen in dem lebenden thieriſchen Organismus eigen-
thümliche Veränderungen, Krankheitsproceſſe hervor; die Lebens-
functionen einzelner Organe werden zerſtört und bei einer ge-
wiſſen Steigerung derſelben erfolgt der Tod.
Die Wirkung anorganiſcher Verbindungen von Säuren,
Alkalien, Metalloxiden und Salzen iſt in den meiſten Fällen
leicht erklärbar, ſie wirken entweder den Zuſammenhang
einzelner Organe aufhebend, oder ſie gehen Verbindungen
damit ein.
Die Wirkung der Subſtanzen, welche den Organismus zer-
ſtören, von concentrirter Schwefelſäure, Salzſäure, Oxalſäure,
Kalihydrat ꝛc. läßt ſich mit der eines Stücks Eiſen vergleichen,
mit welchem, wenn es in den Zuſtand des Glühens oder in
den eines ſcharf geſchliffenen Meſſers verſetzt wird, durch Ver-
[300]Gift, Contagien, Miasmen.
letzung gewiſſer Organe der Tod herbeigeführt werden kann;
ſie laſſen ſich im engern Sinne nicht als Gifte betrachten, da
ihre giftige Wirkung von ihrem Zuſtande abhängig iſt.
Die Wirkung der eigentlichen anorganiſchen Gifte beruht
in den meiſten Fällen auf der Bildung einer chemiſchen Ver-
bindung des Giftes mit den Beſtandtheilen der Organe, ſie
beruht auf einer chemiſchen Verwandtſchaftsäußerung, welche
ſtärker iſt, wie die Lebensthätigkeit.
Betrachten wir, um zu einer klaren Anſchauung zu gelan-
gen, die Wirkung von anorganiſchen Subſtanzen überhaupt,
ſo finden wir, daß eine gewiſſe Klaſſe von löslichen Verbin-
dungen, verſchiedenen Theilen des Körpers dargeboten, in das
Blut aufgenommen werden, aus welchem ſie wieder durch die
Secretionsorgane, verändert oder unverändert abgeſchieden werden.
Jodkalium, Schwefelcyankalium, Blutlaugenſalz,
Salpeter, chlorſaures Kali, kieſelſaures Kali und
im Allgemeinen Salze mit alkaliſcher Baſis, welche Menſchen
und Thieren in verdünnnten Löſungen innerlich oder äußerlich
gegeben werden, laſſen ſich im Blute, Schweiße, im Chylus,
in der Galle, in den Milzvenen unverändert nachweiſen, ohne
Ausnahme werden ſie zuletzt durch die Harnwege aus dem
Körper wieder entfernt.
Dieſe Materien bringen, jedes für ſich, eine beſondere Art
von Störung in dem Organismus hervor, ſie üben eine me-
diciniſche Wirkung aus, allein ſie haben in ihrem Wege durch
den Organismus keine Zerſetzung erlitten, und wenn ſie die
Fähigkeit hatten, eine Verbindung in irgend einem Theile des
Körpers einzugehen, ſo war dieſe nicht feſter Art, denn ihr
Wiedererſcheinen in dem Harne ſetzt voraus, daß dieſe Verbin-
dung durch die Lebensthätigkeit wieder aufgehoben werden
konnte.
[301]Gift, Contagien, Miasmen.
Neutrale citronenſaure, weinſaure und eſſig-
ſaure Alkalien werden bei ihrem Wege durch den Organismus
verändert, ihre Baſen laſſen ſich zwar in dem Harne nach-
weiſen, allein die Säuren ſind völlig verſchwunden; an ihrer
Stelle finden ſich die Baſen mit Kohlenſäure vereinigt (Gil-
bert Blane, Wöhler).
Die Verwandlung der genannten pflanzenſauren Alkalien
in kohlenſaure Salze ſetzt voraus, daß zu ihren Elementen
Sauerſtoff in bedeutender Menge hinzugetreten iſt, denn um
z. B. 1 Aeq. eſſigſaures Kali in kohlenſaures zu verwandeln,
müſſen 8 Aeq. Sauerſtoff hinzugeführt werden, von denen 2
oder 4 Aeq. (je nachdem ſich neutrales oder ſaures Salz ge-
bildet hat) in der Verbindung mit dem Alkali bleiben, wäh-
rend die andern 6 oder 4 Aequivalente als freie Kohlenſäure
austreten.
Wir bemerken nun in dem lebenden Körper, dem man
Salze dieſer Art mitgetheilt hat, kein Zeichen, daß einer ſei-
ner Beſtandtheile eine ſo große Quantität Sauerſtoff, als zu
ihrer Umwandlung nöthig iſt, abgegeben hat, und es bleibt
nichts übrig, als dieſe Oxidation dem Sauerſtoff der Luft zu-
zuſchreiben.
Während ihrem Wege durch die Lunge nehmen die Säuren
dieſer Salze Antheil an dem eigenthümlichen Verweſungspro-
ceß, welcher in dieſem Organe vor ſich geht, eine gewiſſe
Portion des aufgeſaugten Sauerſtoffgaſes tritt an ihre Beſtand-
theile und verwandelt den Waſſerſtoff in Waſſer, den Kohlen-
ſtoff in Kohlenſäure. Von der letzteren bleibt eine gewiſſe
Quantität (1 oder 2 Aeq.) vereinigt mit dem Kali zu einem Salze,
welches durch Oxidationsproceſſe keine weitere Veränderung
mehr erfährt, es iſt dieſes Salz, was durch die Nieren oder
die Leber wieder abgeſchieden wird.
[302]Gift, Contagien, Miasmen.
Es iſt evident, daß das Vorhandenſein dieſer pflanzenſau-
ren Salze im Blute eine Aenderung in dem Reſpirationspro-
ceſſe herbeiführen mußte; wären ſie nicht gegenwärtig geweſen,
ſo würde der eingeathmete Sauerſtoff, wie gewöhnlich, an die
Beſtandtheile des Blutes getreten ſein, ein Theil davon hat
ſich aber mit den Beſtandtheilen des Salzes vereinigt und iſt
nicht in’s Blut übergegangen; die unmittelbare Folge davon
muß eine verminderte Erzeugung von arteriellem Blute ſein,
oder was das nämliche iſt, der Reſpirationsproceß iſt verlang-
ſamt worden.
Neutrale citronenſaure, weinſaure, eſſigſaure Alkalien ver-
halten ſich in Berührung mit Luft und mit verweſenden thie-
riſchen und vegetabiliſchen Körpern ganz auf die nämliche Weiſe
wie in der Lunge, ſie nehmen Theil an der Verweſung und
gehen auf dieſelbe Weiſe wie im lebenden Körper in kohlen-
ſaure Salze über; werden ihre wäſſrigen Löſungen im un-
reinen Zuſtande ſich ſelbſt überlaſſen, ſo verſchwinden nach und
nach ihre Säuren auf’s vollſtändigſte.
Freie Mineral- oder nicht flüchtige Pflanzenſäuren, ſowie
Salze von Mineralſäuren mit alkaliſchen Baſen heben in ge-
wiſſen Mengen alle Verweſungsproceſſe auf, in kleineren Quan-
titäten wird durch ſie der Verweſungsproceß verlangſamt und
gehemmt, ſie bringen in dem lebenden Körper ähnliche Er-
ſcheinungen hervor, wie neutrale pflanzenſaure Salze, allein
ihre Wirkung hängt von einer andern Urſache ab.
Einer Aufnahme großer Mengen von Mineralſalzen in das
Blut, wodurch dem Verweſungsproceſſe in der Lunge eine Grenze
geſetzt werden könnte, widerſetzt ſich eine ſehr merkwürdige Ei-
genſchaft aller thieriſchen Membranen, Häute, Zellgewebe,
Muskelfaſer ꝛc.
Dieſe Eigenſchaft beſteht darin, daß ſie unfähig ſind, von
[303]Gift, Contagien, Miasmen.
ſtarken Salzauflöſungen durchdrungen zu werden, nur bei einem
gewiſſen Grade der Verbindung mit Waſſer werden ſie davon
aufgenommen.
Eine trockne Blaſe bleibt in geſättigten Löſungen von Koch-
ſalz, Salpeter, Blutlaugenſalz, Schwefelcyankalium, Bitterſalz,
Chlorkalium, Glauberſalz, mehr oder weniger trocken, dieſe
Flüſſigkeiten fließen davon ab, wie Waſſer von einer mit Fett
beſtrichenen Glasplatte.
Beſtreuen wir friſches Fleiſch mit Kochſalz, ſo ſchwimmt
nach 24 Stunden das Fleiſch in einer Salzlake, obwohl kein
Tropfen Waſſer zugeſetzt wurde.
Dieſes Waſſer ſtammt von der Muskelfaſer, dem Zellge-
webe her; mit Kochſalz zuſammengebracht, bildet ſich an den
Berührungsflächen eine mehr oder weniger concentrirte Salz-
auflöſung, das Salz verbindet ſich mit dem eingeſchloſſenen
Waſſer und letzteres verliert hierdurch ſeine Fähigkeit, thieriſche
Theile zu durchdringen, es trennt ſich von dem Fleiſche; es
bleibt in dieſem nur Waſſer von einem beſtimmten, verhältniß-
mäßig kleinen Salzgehalte zurück, in einem Grade der Ver-
dünnung, in welchem es abſorbirbar iſt von thieriſchen Theilen.
Im gewöhnlichen Leben benutzt man dieſe Eigenſchaft, um
den Waſſergehalt von Theilen von Thieren, ähnlich wie durch
Austrocknen, auf eine Quantität zurückzuführen, wo er auf-
hört, eine Bedingung zur Fäulniß abzugeben. Nur bei einem
gewiſſen Waſſergehalte können ſie in Fäulniß übergehen.
Der Alkohol verhält ſich in dieſer phyſikaliſchen Eigen-
ſchaft ganz ähnlich den Mineralſalzen, er iſt unfähig, thieriſche
Subſtanzen zu befeuchten d. h. zu durchdringen, und er entzieht
deshalb den waſſerhaltigen das Waſſer, zu dem er Verwandt-
ſchaft beſitzt.
Bringen wir Salzlöſungen in den Magen, ſo werden ſie
[304]Gift, Contagien, Miasmen.
bei einem gewiſſen Grade der Verdünnung abſorbirt, im con-
centrirten Zuſtande wirken ſie grade umgekehrt, ſie entziehen
dem Organe Waſſer, es entſteht heftiger Durſt, es entſteht in
dem Magen ſelbſt ein Austauſch von Waſſer und Salz, der
Magen giebt Waſſer ab, ein Theil der Salzlöſung wird
in verdünntem Zuſtande von ihm aufgenommen, der größere
Theil der concentrirten Salzlöſung bleibt unabſorbirt, ſie wird
nicht durch die Harnwege entfernt, ſondern ſie gelangt in die
Eingeweide und den Darmcanal, und verurſachen dort eine
Verdünnung der abgelagerten feſten Stoffe, ſie purgiren.
Jedes von dieſen Salzen beſitzt neben der allgemeinen pur-
girenden Wirkung, welche abhängig iſt von einer phyſikaliſchen
Eigenſchaft, die ſie gemein haben, noch beſondere mediciniſche
Wirkungen, eben weil jeder Theil des Organismus, den ſie
berühren, diejenige Quantität davon aufnimmt, die überhaupt
davon abſorbirbar iſt.
Mit der purgirenden Wirkung haben die Beſtandtheile die-
ſer Salze nicht das Geringſte zu thun, denn es iſt vollkom-
men gleichgültig für die Wirkung (nicht für die Stärke der-
ſelben), ob die Baſis Kali oder Natron, in vielen Fällen Kali
oder Bittererde und die Säure, Phosphorſäure, Schwefelſäure,
Salpeterſäure, Chlorwaſſerſtoffſäure ꝛc. iſt.
Außer dieſen Salzen, deren Wirkung auf den Organismus
nicht abhängig iſt von ihrer Fähigkeit Verbindungen einzu-
gehen, giebt es eine große Klaſſe von anderen, welche, in den
lebenden Körper gebracht, Aenderungen ganz anderer Art be-
wirken, welche in mehr oder weniger großen Gaben Krank-
heiten oder Tod zur Folge haben, ohne daß man eine eigent-
liche Zerſtörung von Organen wahrnimmt.
Es ſind dieß die eigentlichen anorganiſchen Gifte, deren
Wirkung auf ihrer Fähigkeit beruht, feſte Verbindungen mit
[305]Gift, Contagien, Miasmen.
der Subſtanz der Membranen, Häute, Muskelfaſer einzu-
gehen.
Hierher gehören Eiſenoxidſalze, Bleiſalze, Wismuthſalze,
Kupfer — Queckſilberſalze ꝛc.
Bringen wir Auflöſungen davon mit Eiweiß, mit Milch,
Muskelfaſer, thieriſchen Membranen, in hinreichender Menge,
zuſammen, ſo gehen ſie damit eine Verbindung ein und ver-
lieren ihre Löslichkeit. Das Waſſer, worin ſie gelöſ’t ſind,
verliert ſeinen ganzen Gehalt an dieſen Salzen.
Während die Salze mit alkaliſcher Baſis thieriſchen Thei-
len das Waſſer entziehen, verbinden ſich gerade umgekehrt die
Salze der ſchweren Metalloxide mit den thieriſchen Stoffen;
die letzteren entziehen ſie dem Waſſer.
Wenn wir die genannten Subſtanzen einem Thiere im le-
benden Zuſtande beibringen, ſo werden ſie von den Häuten,
Membranen, dem Zellgewebe, der Muskelfaſer aufgenommen,
ſie verlieren ihre Löslichkeit, indem ſie damit in Verbindung
treten; nur in ſeltenen Fällen können ſie demnach ins Blut
gelangen. Nach allen damit angeſtellten Verſuchen ſind ſie im
Harne nicht nachweisbar, eben weil ſie bei ihrem Wege durch
den Organismus mit einer Menge von Stoffen in Berührung
kommen, die ſie zurückhalten.
Durch das Hinzutreten dieſer Körper zu gewiſſen Organen
oder Beſtandtheilen von Organen müſſen ihre Functionen eine
Störung erleiden; ſie müſſen eine anormale Richtung erhalten,
die ſich in Krankheitserſcheinungen zu erkennen giebt.
Die Wirkungsweiſe des Sublimats und der arſenigen
Säure ſind in dieſer Beziehung beſonders merkwürdig. Man
weiß, daß beide im höchſten Grade die Fähigkeit haben, Ver-
bindungen mit allen Theilen von thieriſchen und vegetabiliſchen
Körpern einzugehen, und daß dieſe dadurch den Character der
20
[306]Gift, Contagien, Miasmen.
Unverwesbarkeit oder der Unfähigkeit zu faulen erhalten; ſelbſt
Holz und Gehirnſubſtanz, die ſich bei Gegenwart von Waſſer
und Luft ſo leicht und ſchnell verändern, laſſen ſich, wenn ſie
eine Zeitlang mit arſeniger Säure oder Sublimat in Berührung
waren, ohne Farbe und Anſehen zu ändern, allen Einflüſſen
der Atmoſphäre preisgeben.
Man weiß ferner, daß bei Vergiftungen mit dieſen Mate-
rien diejenigen Theile, die damit in Berührung kamen und
alſo eine Verbindung eingegangen waren, unverwesbar und
der Fäulniß unfähig werden, und man kann hiernach über die
Urſache der Giftigkeit dieſer Körper nicht im Zweifel ſein.
Es iſt klar, daß wenn arſenige Säure und Sublimat durch
die Lebensthätigkeit nicht gehindert werden, Verbindungen mit
den Beſtandtheilen des Körpers einzugehen, wodurch ſie den Cha-
racter der Unverwesbarkeit und der Unfähigkeit zu faulen erhal-
ten, ſo will dieß nichts anders ſagen, als daß die Organe ihren Zu-
ſtand des Lebens, die Haupteigenſchaft verlieren, Metamorphoſen
zu bewirken und Metamorphoſen zu erleiden, d. h. das organiſche
Leben wird vernichtet. Iſt die Vergiftung nur oberflächlich,
iſt die Quantität des Giftes ſo gering, daß nur einzelne Theile
des Körpers, welche fähig ſind, reproducirt zu werden, eine
Verbindung dieſer Art eingegangen ſind, ſo entſtehen Schorfe,
Erſcheinungen ſecundärer Art; die Verbindung der geſtorbenen
Theile wird von den geſunden Theilen abgeſtoßen. Man wird
leicht hieraus entnehmen können, daß alle inneren Zeichen von
Vergiftung ſchwankend und ungewiß werden, indem Fälle vor-
kommen können, wo kein ſichtbares Merkmal von Veränderung
dem Auge des Beobachters ſich darbietet, indem, wie bemerkt,
der Tod ohne Zerſtörung von Organen erfolgen kann.
Wenn Arſen in Auflöſung gegeben worden iſt, ſo kann
es ins Blut gelangen; umgeben wir eine bloßgelegte Ader
[307]Gift, Contagien, Miasmen.
mit einer Auflöſung davon, ſo wird zuletzt jedes Blutkügelchen
in Verbindung treten, d. h. es wird vergiftet.
Arſenverbindungen, welche keine Verbindung mit Theilen
von Organismen einzugehen vermögen, werden auch in großen
Gaben ohne Einfluß auf das Leben ſein; es iſt bekannt, daß
viele unlösliche baſiſche Salze der arſenigen Säure nicht giftig
ſind, und eine der reichſten Arſenverbindungen, die in ihrer
Zuſammenſetzung den organiſchen Verbindungen am nächſten
ſteht, das von Bunſen entdeckte Alkargen, beſitzt nicht die ge-
ringſte nachtheilige Wirkung auf den Organismus.
Aus dieſem Verhalten läßt ſich mit einiger Sicherheit die
Grenze fixiren, in welcher dieſe Subſtanzen aufhören, als Gifte
zu wirken; denn da die Verbindung nur nach chemiſchen Ge-
ſetzen vor ſich gehen kann, ſo muß unausbleiblich der Tod er-
folgen, wenn das mit dem Gifte in Berührung ſtehende Or-
gan hinreichend davon vorfindet, um Atom für Atom eine Ver-
bindung damit einzugehen; iſt weniger davon vorhanden, ſo
wird ein Theil davon ſeine Lebensfunctionen beibehalten.
Den Verhältniſſen nach, in welchen ſich der Faſerſtoff mit
Salzſäure, Bleioxid und Kupferoxid verbindet, muß nach den
Unterſuchungen von Mulder ſein Aequivalent durch die Zahl
6361 (Poggendorff’s Annalen, Band 40. S. 259) ausgedrückt
werden; annäherungsweiſe kann man annehmen, daß ſich eine
Quantität von 6361 Faſerſtoff verbindet mit 1 Aeq. arſeniger
Säure oder mit 1 Aeq. Sublimat.
Wenn wir 6361 Faſerſtoff im waſſerfreien Zuſtande
mit 30,000 Waſſer verbinden, ſo haben wir ihn in dem Zu-
ſtande, wie er im menſchlichen Körper, in der Muskelfaſer oder
im Blute enthalten iſt. In dieſem Zuſtande werden 100 Gran Fa-
ſerſtoff zu gleichen Atomgewichten eine geſättigte Verbindung ein-
gehen mit 34/10 Gran arſeniger Säure und 5 Gran Sublimat.
20*
[308]Gift, Contagien, Miasmen.
Das Atomgewicht des Eiweißſtoffs im Ei und im Blut
ergiebt ſich aus ſeinen Verbindungen mit Silberoxid zu 7447,
das der Leimſubſtanz (thieriſchen Gallerte) wird durch die
Zahl 5652 ausgedrückt.
Auf eine ähnliche Weiſe mit ihrem ganzen Waſſergehalte,
den ſie im lebenden Körper haben, berechnet, gehen 100 Gran
Eiweiß eine Verbindung ein mit 1¼ Gran arſeniger Säure.
Dieſe Verhältniſſe, die man als Maxima betrachten kann,
zeigen in den außerordentlich hohen Atomgewichten der orga-
niſchen Subſtanzen von ſelbſt, in welch kleinen Doſen Körper,
wie Sublimat und arſenige Säure, tödtliche Wirkungen haben
können.
Alle Materien, welche als Gegenmittel in Vergiftungsfällen
gegeben werden, wirken ausſchließlich nur dadurch, daß ſie dem
Arſenik und Sublimat den urſprünglichen Character nehmen,
durch den ſie als Gift wirken, die Fähigkeit alſo, ſich mit thie-
riſchen Materien zu verbinden. Leider werden ſie in dieſer
Fähigkeit von keinem andern Körper übertroffen; die Verbin-
dungen, die ſie eingegangen haben, können nur durch gewalt-
ſame, auf den lebenden Körper nicht minder ſchädlich wirkende
Verwandtſchaften aufgehoben werden. Die Kunſt des Arztes
muß ſich deßhalb begnügen, denjenigen Theil dieſer Gifte, der
noch unverbunden und frei vorhanden iſt, eine Verbindung
mit einem andern Körper eingehen zu machen, welche unver-
daubar, unzerſetzbar iſt unter gegebenen Bedingungen, und in
dieſer Hinſicht iſt das Eiſenoxidhydrat von unſchätzbarem Werthe.
Wenn ſich die Wirkung des Sublimates und Arſens nur
auf die Oberfläche der Organe beſchränkt, ſo ſtirbt nur derje-
nige Theil derſelben ab, welcher eine Verbindung damit einge-
gangen iſt; es entſteht ein Schorf, der nach und nach abge-
ſtoßen wird.
[309]Gift, Contagien, Miasmen.
Sicher würden die löslichen Silberſalze nicht minder tödt-
lich wirken wie Sublimat, wenn im menſchlichen Körper nicht
eine Urſache vorhanden wäre, welche bei nicht überwiegenden
Mengen ihre Wirkung aufhebt.
Dieſe Urſache iſt der in allen Flüſſigkeiten vorwaltende
Kochſalzgehalt. Man weiß, daß ſalpeterſaures Silberoxid ſich
wie Sublimat mit thieriſchen Theilen verbindet, und daß dieſe
Verbindungen einen vollkommen gleichen Character haben: ſie
werden unfähig zu faulen und zu verweſen.
Salpeterſaures Silberoxid, auf die Haut, mit Muskelfaſer ꝛc.
zuſammengebracht, vereinigt ſich im aufgelöſ’tem Zuſtande au-
genblicklich damit; thieriſche Materien in Flüſſigkeiten bilden
damit unlösliche Verbindungen; ſie werden, wie man ſagt,
coagulirt.
Die entſtandenen Verbindungen ſind farblos, unzerſetzbar
durch andere kräftige chemiſche Agentien; ſie werden an dem
Lichte wie alle Silberverbindungen ſchwarz, indem durch den
Einfluß des Lichtes ein Theil des Silberoxids zu Metall re-
ducirt wird; die Materien im Körper, welche ſich mit dem
Silberſalze vereinigt haben, gehören dem lebenden Körper nicht
mehr an, ihrer Lebensfunction iſt durch ihre Verbindung mit
Silberoxid eine Grenze geſetzt; wenn ſie reproducirbar ſind, ſo
ſtößt ſie der lebende Theil in der Form eines Schorfs ab.
Bringen wir ſalpeterſaures Silberoxid in den Magen, ſo
wird es augenblicklich, wenn ſeine Menge nicht zu groß iſt,
von dem Kochſalz oder der freien Salzſäure in Chlorſilber, in
eine Materie verwandelt, die in reinem Waſſer abſolut unlös-
lich iſt.
In Kochſalzlöſung oder Salzſäure löſ’t ſich das Chlorſil-
ber, wiewohl in außerordentlich geringer Menge, auf; es iſt
dieſer Theil, welcher die Wirkung ausübt; alles übrige Chlor-
[310]Gift, Contagien, Miasmen.
ſilber geht durch die gewöhnlichen Wege wieder aus dem Kör-
per. Die Löslichkeit, die Fähigkeit alſo, einer jeden Bewegung
zu folgen, iſt in dem menſchlichen Körper eine Bedingung zu
jeder Wirkſamkeit.
Von den löslichen Bleiſalzen wiſſen wir, daß ſie alle Ei-
genſchaften der Silber- und [Queckſilberſalze] theilen; allein alle
Verbindungen des Bleioxids mit organiſchen Stoffen ſind zer-
legbar durch verdünnte Schwefelſäure. Man weiß, daß die
Bleikolik in allen Bleiweißfabriken unbekannt iſt, wo die Ar-
beiter gewöhnt ſind, täglich als Präſervativ und Gegenmittel
ſogenannte Schwefelſäure-Limonade (Zuckerwaſſer mit Schwe-
felſäure angeſäuert) zu ſich zu nehmen.
Die organiſchen Materien, welche ſich im lebenden Körper
mit Metalloxiden oder Metallſalzen verbunden haben, verlieren
ihre Fähigkeit, Waſſer aufzuſaugen und zurückzuhalten, ohne
damit die Eigenſchaft einzubüßen, Flüſſigkeiten durch ihre Po-
ren durchzulaſſen. Eine ſtarke Zuſammenziehung, Schwinden
der Oberflächen iſt die Folge der Berührung mit dieſen Körpern.
Eine beſondere Eigenſchaft beſitzt noch überdieß der Subli-
mat und manche Bleiſalze, indem ſie bei vorherrſchenden Men-
gen die zuerſt gebildeten unlöslichen Verbindungen aufzulöſen
vermögen, wodurch das Gegentheil von Contraction, nämlich
eine Verflüſſigung des vergifteten Organs, herbeigeführt wird.
Kupferoxidſalze werden ſelbſt in Verbindung mit den ſtärk-
ſten Säuren durch viele vegetabliſche Subſtanzen, namentlich
durch Zucker und Honig, in Metall oder in Oxidul reducirt,
in Materien, denen die Fähigkeit abgeht, ſich mit thieriſchen
Stoffen zu verbinden; ſie ſind als die zweckmäßigſten Gegen-
mittel ſeit Langem ſchon in Anwendung gekommen.
Was die giftigen Wirkungen der Blauſäure, der organi-
ſchen Baſen, des Strychnins, Brucins ꝛc. betrifft, ſo
[311]Gift, Contagien, Miasmen.
kennen wir keine Thatſachen, welche geeignet wären, zu einer
beſtimmten Anſicht zu führen; allein es läßt ſich mit poſitiver
Gewißheit vorausſehen, daß Verſuche über ihr chemiſches Ver-
halten zu thieriſchen Subſtanzen ſehr bald die genügendſten
Aufſchlüſſe über die Urſache ihrer Wirkſamkeit geben werden.
Eine ganz beſondere Art von Stoffen, welche durch Zer-
ſetzungsproceſſe eigenthümlicher Art erzeugbar ſind, wirken auf
den lebenden Organismus als tödtliche Gifte, nicht durch ihre
Fähigkeit, eine Verbindung einzugehen, eben ſo wenig weil ſie
einen giftigen Stoff enthalten, ſondern durch den Zuſtand, in
dem ſie ſich befinden.
Um eine klare Vorſtellung über die Wirkungsweiſe dieſer
Körper zu haben, iſt es nöthig, ſich an die Urſache zu erin-
nern, welche die Erſcheinungen der Gährung, Fäulniß und
Verweſung bedingt.
In der einfachſten Form läßt ſich dieſe Urſache durch fol-
genden Grundſatz ausdrücken, welcher von La Place und
Berthollet ſeit Langem aufgeſtellt, für chemiſche Erſcheinun-
gen aber erſt in der neueren Zeit bewieſen wurde. »»Ein
durch irgend eine Kraft in Bewegung geſetztes Atom
(Molécule) kann ſeine eigene Bewegung einem an-
dern Atom mittheilen, welches ſich in Berührung
damit befindet.««
Es iſt dieß ein Geſetz der Dynamik, beweisbar für alle Fälle,
wo der Widerſtand (die Kraft, Verwandtſchaft, Cohä-
ſion), der ſich der Bewegung entgegenſetzt, nicht hinreicht,
um ſie aufzuheben.
Wir wiſſen, daß das Ferment, die Hefe, ein Körper iſt,
der ſich im Zuſtande der Zerſetzung, deſſen Atome ſich im Zu-
ſtande der Umſetzung, der Bewegung befinden; mit Zucker und
Waſſer in Berührung überträgt ſich der Zuſtand, worin ſich die
[312]Gift, Contagien, Miasmen.
Atome der Hefe befinden, den Elementen des Zuckers; die
letzteren ordnen ſich zu zwei neuen einfacheren Verbindungen,
zu Kohlenſäure und Alkohol. Es ſind dieß Verbindungen, in
denen die Beſtandtheile mit einer weit größeren Kraft zuſam-
mengehalten ſind, wie im Zucker, mit einer Kraft, die ſich einer
weiteren Formänderung durch die nämliche Urſache entgegenſetzt.
Wir wiſſen ferner, daß der nämliche Zucker durch andere
Materien, deren Zuſtand der Zerſetzung ein anderer iſt, wie
z. B. der, worin ſich die Theilchen der Hefe befinden, durch
Lab oder durch die faulenden Beſtandtheile von Pflanzenſäften,
durch Mittheilung alſo einer verſchiedenen Bewegung, daß ſeine
Elemente ſich alsdann zu andern Producten umſetzen; wir er-
halten keinen Alkohol und keine Kohlenſäure, ſondern Milch-
ſäure, Mannit und Gummi.
Es iſt ferner auseinandergeſetzt worden, daß Hefe, zu reiner
Zuckerlöſung geſetzt, nach und nach völlig verſchwindet, daß
aber in einem Pflanzenſaft, worin ſich Kleber befindet, der
Kleber zerſetzt und in der Form von Hefe abgeſchieden wird.
Die Hefe, womit man die Flüſſigkeit in Gährung verſetzte,
ſie ſelbſt iſt urſprünglich Kleber geweſen.
Die Umwandlung des Klebers in Hefe war in dieſem
Falle abhängig von dem in Zerſetzung übergegangenen (gäh-
renden) Zucker; denn wenn derſelbe vollſtändig verſchwunden
iſt, und es iſt noch Kleber frei in der Flüſſigkeit vorhanden,
ſo erleidet dieſer in Berührung mit der abgeſchiedenen Hefe
keine weitere Veränderung, er behält ſeinen Character als
Kleber.
Die Hefe iſt ein Product der Zerſetzung des Klebers, welche
bei Gegenwart von Waſſer in jedem Zeitmomente einem zwei-
ten Stadium der Zerſetzung entgegengeht.
Durch dieſen letzteren Zuſtand iſt ſie fähig, friſches Zucker-
[313]Gift, Contagien, Miasmen.
waſſer wieder in Gährung zu bringen, und wenn das Zuckerwaſſer
Kleber enthält (Bierwürze z. B. iſt), ſo erzeugt ſich in Folge
der Umſetzung der Elemente des Zuckers wieder Hefe.
Von einer Reproduction der Hefe, ähnlich wie Samen aus
Samen, kann nach dieſer Auseinanderſetzung keine Rede ſein.
Es geht aus dieſen Thatſachen hervor, daß ein in Zer-
ſetzung begriffener Körper, wir wollen ihn Erreger nennen,
in einer gemiſchten Flüſſigkeit, die ſeine Beſtandtheile enthält,
ſich auf eine ähnliche Weiſe wiedererzeugen kann, wie Ferment
in einem kleberhaltigen Pflanzenſafte. Dieß muß um ſo ſicherer
ſtattfinden, wenn unter den Beſtandtheilen der gemiſchten
Flüſſigkeit ſich derjenige befindet, aus welchem der Erreger ur-
ſprünglich entſtanden iſt.
Es iſt ferner klar, daß, wenn der Erreger nur einem ein-
zigen Beſtandtheil der gemiſchten Flüſſigkeit ſeinen eignen Zu-
ſtand der Metamorphoſe zu übertragen vermag, ſo wird er in
Folge der vorgehenden Zerſetzung dieſes einen Körpers wie-
der erzeugbar ſein.
Wenden wir dieſe Grundſätze auf organiſche Materien,
auf Theile von thieriſchen Organismen an, ſo wiſſen wir, daß
alle ihre Beſtandtheile aus dem Blute ſtammen; wir erkennen
in dem Blute ſeiner Beſchaffenheit und ſeinen Beſtandtheilen
nach die zuſammengeſetzteſte aller exiſtirenden Materien.
Die Natur hat das Blut zur Reproduction eines jeden
einzelnen Theiles des Organismus eingerichtet; ſein Haupt-
character iſt gerade der, daß ſich ſeine Beſtandtheile einer jeden
Anziehung unterordnen; ſie ſind in einem beſtändigen Zuſtande
des Stoffwechſels begriffen, von Metamorphoſen, die durch die
Einwirkung verſchiedener Organe auf die mannigfaltigſte Weiſe
bedingt werden.
Während durch die einzelnen Organe, durch die Thätigkeit
[314]Gift, Contagien, Miasmen.
des Magens z. B., durch ſeine wunderbare Fähigkeit, alle einer
Metamorphoſe fähigen, organiſchen Stoffe beſtimmt werden,
neue Formen anzunehmen, während er ihre Elemente zwingt,
zu einer und der nämlichen Subſtanz zuſammenzutreten, welche
beſtimmt iſt zur Blutbildung, fehlt dem Blute alle Fähigkeit,
Metamorphoſen zu bewirken; ſein Hauptcharacter iſt es grade,
ſich zu Metamorphoſen zu eignen. Keine andere Materie kann
in dieſer Beziehung mit dem Blute verglichen werden.
Wir wiſſen nun, daß in Fäulniß begriffenes Blut, Gehirn-
ſubſtanz, Galle, faulender Eiter ꝛc. auf friſche Wunden gelegt,
Erbrechen, Mattigkeit und, nach längerer oder kürzerer Zeit, den
Tod bewirken.
Es iſt eine nicht minder bekannte Erfahrung, daß Leichen
auf anatomiſchen Theatern häufig in einen Zuſtand der Zer-
ſetzung übergehen, der ſich dem Blute im lebenden Körper mit-
theilt; die kleinſte Verwundung mit Meſſern, die zur Section
gedient haben, bringt einen lebensgefährlichen Krankheitszu-
ſtand hervor.
Das Wurſtgift, eins der furchtbarſten Gifte, gehört zur
Klaſſe dieſer in Zerſetzung begriffenen Körper.
Man kennt bis jetzt mehrere hundert Fälle, wo der Tod
durch den Genuß verdorbener Würſte verurſacht wurde.
Vergiftungsfälle dieſer Art kommen namentlich in Würtem-
berg vor, wo man gewohnt iſt, die Würſte aus höchſt ver-
ſchiedenartigen Materien zu bereiten.
Blut, Leber, Speck, Gehirn, Kuhmilch, Mehl und Brod
werden mit Salz und Gewürzen zuſammengemengt, in Blaſen
oder Gedärmen gefüllt, gekocht und geräuchert.
Bei guter Zubereitung halten ſich dieſe Würſte Monate
lang und geben ein geſundes wohlſchmeckendes Nahrungsmittel
ab, beim Mangel an Gewürzen und Salz, und namentlich bei
[315]Gift, Contagien, Miasmen.
verſpäteter und unvollkommener Räucherung gehen ſie in eine
eigenthümliche Art von Fäulniß über, welche von dem Mittel-
punkte der Wurſt ihren Anfang nimmt. Ohne bemerkbare
Gasentwickelung färben ſie ſich inwendig heller, die in Zer-
ſetzung übergegangenen Theile ſind weicher und ſchmieriger, als
die geſunden, ſie enthalten freie Milchſäure oder milchſaures
Ammoniak, die unter den Producten faulender thieriſcher und
vegetabiliſcher Materien niemals fehlen.
Man hat die Urſache der Giftigkeit dieſer Würſte der Blau-
ſäure, ſpäter der Fettſäure zugeſchrieben, ohne nur entfernt
das Vorhandenſein dieſer Materien bewieſen zu haben; allein
die Fettſäure iſt ebenſo wenig giftig, wie die Benzoeſäure, mit
der ſie viele Eigenſchaften gemein hat, und die Vergiftungs-
ſymptome weiſen die Meinung, daß das Gift in den Würſten
Blauſäure ſei, auf das entſchiedenſte zurück.
Der menſchliche Körper ſtirbt nämlich nach dem Genuß
dieſer giftigen Würſte, an einer allmäligen Verſchwindung der
Muskelfaſer und aller ihr ähnlich zuſammengeſetzten Beſtand-
theile des Körpers; der Kranke trocknet völlig zu einer Mumie
aus, die Leichen ſind ſteif, wie gefroren, und gehen nicht in
Fäulniß über. Während der Krankheit iſt der Speichel zähe
und ſtinkend.
Man hat vergeblich in dieſen Würſten nach einem Stoffe
geſucht, dem man die giftige Wirkung zuſchreiben könnte. Sie-
dendes Waſſer und Behandlung mit Alkohol rauben denſelben
völlig ihre Giftigkeit, ohne daß ſie dieſe Flüſſigkeiten erhalten.
Dieß iſt nun gerade der ausſchließliche Character aller
Materien, welche durch ihren Zuſtand eine Wirkung ausüben,
es iſt dieß der Character derjenigen Subſtanzen, deren Theile
ſich in einem Act der Zerſetzung befinden, in einem Zuſtande
der Umſetzung, welcher durch Siedhitze und Alkohol aufgehoben
[316]Gift, Contagien, Miasmen.
werden kann, ohne daß dieſe die Urſache der Wirkung aufneh-
men; denn eine Thätigkeit oder Kraft läßt ſich in einer Flüſ-
ſigkeit nicht aufbewahren.
Sie üben eine Wirkung auf den Organismus aus, inſofern
dem Magen, demjenigen Theile, der damit in Berührung kam,
die Fähigkeit abgeht, der Zerſetzung, in welcher ſich ihre Be-
ſtandtheile befinden, eine Grenze zu ſetzen; gelangen ſie in
irgend einer Weiſe mit ihrer ganzen Thätigkeit in das Blut,
ſo überträgt ſich ihre eigene Action auf die Beſtandtheile des
Blutes.
Das Wurſtgift wird durch den Magen, nicht wie das Blat-
terngift und andere, zerſtört; alles der Fäulniß Fähige im Kör-
per geht in der Krankheit nach und nach in Zerſetzung über,
und nach erfolgtem Tode bleibt nichts wie Fett, Sehnen und
Knochen, Subſtanzen, die unter gegebenen Bedingungen keiner
Fäulniß fähig ſind.
Es iſt unmöglich, ſich über die Wirkungsweiſe dieſer Kör-
per zu täuſchen, denn es iſt eine durch Colin völlig bewieſene
Thatſache, daß faulendes Muskelfleiſch, faulender
Urin, Käſe, Gehirnſubſtanz ꝛc., daß dieſe ihren Zuſtand
der Zerſetzung einer weit weniger leicht zerſetzbaren Materie,
als wie das Blut iſt, übertragen können, wir wiſſen, daß ſie
mit Zuckerwaſſer in Berührung die Fäulniß des Zuckers, die
Umſetzung ſeiner Beſtandtheile in Kohlenſäure und Alkohol zu
bewirken vermögen.
Wenn faulendes Muskelfleiſch, faulender Eiter ꝛc. auf friſche
Wunden gelegt, Krankheit und Tod bewirken, ſo überträgt ſich
offenbar der Zuſtand ihrer Fäulniß auf das geſunde Blut, aus
welchem ſie ſtammen, gerade ſo wie in Fäulniß oder Ver-
weſung begriffener Kleber, durch ſeinen Zuſtand, in Zuckerwaſ-
ſer eine ganz ähnliche Metamorphoſe hervorbringt.
[317]Gift, Contagien, Miasmen.
Auch in lebenden Körpern werden in beſonderen Krank-
heiten Gifte dieſer Art erzeugt und gebildet. In der Blat-
ternkrankheit, der Peſt, der Syphilis ꝛc. entſtehen aus
den Beſtandtheilen des Blutes Stoffe eigenthümlicher Art,
welche dem Blute eines geſunden Menſchen mitgetheilt, eine
ähnliche Zerſetzungsweiſe deſſelben bedingen, wie die iſt, in
welcher ſie ſich ſelbſt befinden, es entſteht und entwickelt ſich in
dem geſunden Menſchen die nämliche Krankheit; wie Samen
aus Same ſcheint ſich der Krankheitsſtoff reproducirt zu haben.
Dieſer eigenthümliche Proceß iſt der Wirkung der Hefe auf
Zucker- und Kleber-haltige Flüſſigkeiten ſo außerordentlich ähn-
lich, daß man beide ſeit Langem ſchon, wenn auch nur bild-
weiſe, mit einander verglichen hat. Bei genauerer Betrachtung
ergiebt ſich aus allen Erſcheinungen, daß ihre Wirkung in der
That einerlei Urſache angehört.
In trockner Luft, bei Abweſenheit von Feuchtigkeit erhalten
ſich alle dieſe Gifte lange Zeit unverändert, in feuchtem Zu-
ſtande, bei Berührung mit der Luft verlieren ſie ſehr bald
ihre ganze Wirkſamkeit. In dem einen Fall ſind die Bedin-
gungen vereinigt, welche der Zerſetzung, in der ſie ſich befinden,
eine Grenze ſetzen, ohne ſie zu vernichten, in dem andern ſind
die Bedingungen gegeben, unter denen ſich ihre Zerſetzung
vollendet.
Siedhitze, Berührung mit Alkohol heben ihre Wir-
kung auf. Säuren, Queckſilberſalze, ſchweflige Säure,
Chlor, Jod, Brom, gewürzhafte Stoffe, flüchtige
Oele und namentlich brenzliche Oele, Rauch, ein Kaf-
feeabſud, alle dieſe Subſtanzen vernichten völlig die Fähig-
keit dieſer Stoffe Anſteckung zu bewirken, theils indem ſie ſich
damit verbinden, oder in anderer Weiſe zerſetzen.
Die ſo eben genannten Materien ſind aber ohne Ausnahme
[318]Gift, Contagien, Miasmen.
ſolche, welche der Gährung, Fäulniß und Verweſung überhaupt
entgegen wirken, welche dieſen beſondern Zerſetzungsweiſen
überall eine Grenze ſetzen, wenn ſie in hinreichender Menge
zugegen ſind.
Eben ſo wenig als in den vergifteten Würſten iſt man im
Stande geweſen, aus der Blatternmaterie, dem Peſtgifte eine
eigenthümliche Materie zu iſoliren, der man die Wirkung zu-
ſchreiben könnte; eben weil ihre Wirkung nur in einer eigen-
thümlichen Thätigkeit liegt, deren Exiſtenz für unſere Sinne
nur durch Erſcheinungen erkennbar iſt.
Man hat zur Erklärung der Fähigkeit der Contagien, An-
ſteckung zu bewirken, dieſen Stoffen ein eigenthümliches Leben
zugeſchrieben, ähnlich wie der Keim eines Samens es beſitzt;
eine Fähigkeit alſo, ſich unter gewiſſen günſtigen Bedingungen
zu entwickeln, fortzupflanzen und zu vervielfältigen. Es giebt
gewiß kein richtigeres Bild für dieſe Erſcheinungen, eben ſo
anwendbar auf Contagien als wie auf Ferment, auf thieriſche
und vegetabiliſche Subſtanzen, die ſich im Zuſtande der Fäul-
niß, Gährung und Verweſung befinden, auf ein Stück faules
Holz, was durch ſeine bloße Berührung friſches Holz nach
und nach gänzlich in Moder, faules Holz, verwandelt.
Wenn man mit Leben die Fähigkeit einer Materie
bezeichnet, in irgend einer andern eine Veränderung
hervorzurufen, in Folge welcher die erſtere mit al-
len ihren Eigenſchaften wieder erzeugt wird, ſo gehö-
ren allerdings alle dieſe Erſcheinungen dem Leben an; aber
nicht bloß dieſe müſſen wir alsdann lebendig nennen, ſondern
dieſer Ausdruck umfaßt in dieſem Sinne den größten Theil
aller Erſcheinungen der organiſchen Chemie; überall, wo chemi-
ſche Kräfte walten, wird man Leben vorausſetzen müſſen.
Ich nehme einen Körper A, er ſei Oxamid (eine im
[319]Gift, Contagien, Miasmen.
Waſſer kaum lösliche, völlig geſchmackloſe Subſtanz), und
bringe damit die Materie B zuſammen, welche ſich wiederer-
zeugen ſoll, es ſei aufgelöſ’te Oxalſäure, ſo bemerken
wir Folgendes. Unter den geeigneten Bedingungen, in wel-
chen beide auf einander eine Wirkung äußern, wird das Oxa-
mid durch die Kleeſäure zerſetzt; zu den Beſtandtheilen des
Oxamids treten die Beſtandtheile des Waſſers; es entſteht
aus dem Oxamid auf der einen Seite Ammoniak, und auf
der andern wieder Oxalſäure, beide genau in dem Verhält-
niß, in dem ſie ſich zu neutralem Salze vereinigen.
Wir haben Oxamid und Oxalſäure zuſammengebracht; in
Folge einer Metamorphoſe hat ſich das Oxamid in Oxalſäure
und Ammoniak zerſetzt; die urſprünglich zugeſetzte Oxalſäure,
ſowie die neuerzeugte, theilen ſich in das Ammoniak, dieß will
mit anderen Worten ſagen, es iſt nach vorgegangener Zer-
ſetzung genau ſo viel freie Kleeſäure wie vorher und mit ih-
rem ganzen Wirkungswerthe vorhanden. Gleichgültig, ob die
anfänglich freie gebunden und die neu gebildete frei iſt, oder
umgekehrt, ſoviel iſt gewiß, durch die Zerſetzung iſt ſie in glei-
cher Quantität reproducirt worden.
Bringen wir nun nach der Zerſetzung eine, der erſten
gleiche Quantität Oxamid zu der nämlichen Miſchung, und
unterwerfen wir ſie derſelben Behandlung, ſo wiederholt ſich
in ganz gleicher Weiſe die nämliche Zerſetzung; die frei vor-
handene Kleeſäure iſt in Verbindung getreten, es iſt eine ihr
gleiche Menge wieder frei geworden. Man kann auf dieſe
Weiſe mit einer außerordentlich kleinen Menge Oxalſäure Hun-
derte von Pfunden Oxamid zur Zerſetzung bringen, man kann
durch einen einzigen Gran unbegrenzte Mengen von Kleeſäure
entſtehen machen.
Durch den Contact des Blatterngiftes mit Blut entſteht
[320]Gift, Contagien, Miasmen.
eine Veränderung im Blute, in Folge welcher ſich aus ſeinen
Beſtandtheilen wieder Blatterngift erzeugt. Dieſer Metamor-
phoſe wird erſt durch die gänzliche Verwandlung aller der
Zerſetzung fähigen Bluttheilchen eine Grenze geſetzt. Durch
den Contact der Oxalſäure mit Oxamid entſteht Oxalſäure,
welche auf neues Oxamid die nämliche Wirkung ausübt. Nur
die begrenzte Menge des Oxamids ſetzt dieſer Metamorphoſe
eine Grenze. Der Form nach gehören beide Metamorphoſen
in einerlei Klaſſe; aber nur ein befangenes Auge wird dieſem
Vorgang, obwohl er ein ſcharfer Ausdruck des gegebenen Be-
griffs vom Leben iſt, eine lebendige Thätigkeit unterlegen; es iſt
ein chemiſcher Proceß, abhängig von den gewöhnlichen chemi-
ſchen Kräften.
Der Begriff von Leben ſchließt neben Reproduction noch
einen andern ein, nämlich den Begriff von Thätigkeit durch
eine beſtimmte Form, das Entſtehen und Erzeugen in
einer beſtimmten Form. Man wird im Stande ſein, die
Beſtandtheile der Muskelfaſer, der Haut, der Haare ꝛc. durch
chemiſche Kräfte hervorzubringen; allein kein Haar, keine Mus-
kelfaſer, keine Zelle kann durch ſie gebildet werden. Die Her-
vorbringung von Organen, das Zuſammenwirken eines Appa-
rates von Organen, ihre Fähigkeit aus den dargebotenen Nah-
rungsſtoffen, nicht nur ihre eigenen Beſtandtheile, ſondern ſich
ſelbſt der Form, Beſchaffenheit und mit allen ihren Eigen-
ſchaften wieder zu erzeugen, dieß iſt der Character des orga-
niſchen Lebens, dieſe Form der Reproduction iſt unabhängig
von den chemiſchen Kräften.
Die chemiſchen Kräfte ſind der unanſchaubaren Urſache, durch
welche dieſe Form bedingt wird, unterthan; ſie ſelbſt, dieſe
Urſache, wir haben nur Kenntniß von ihrer Exiſtenz durch
die eigenthümlichen Erſcheinungen, die ſie hervorbringt; wir
[321]Gift, Contagien, Miasmen.
erforſchen ihre Geſetze wie die der anderen Urſachen, welche
Bewegung und Veränderungen bewirken.
Die chemiſchen Kräfte ſind die Diener dieſer Urſache, ſowie
ſie Diener der Electricität, der Wärme, einer mechaniſchen Be-
wegung, des Stoßes, der Reibung ſind; ſie erleiden durch dieſe
letzteren eine Aenderung in der Richtung, eine Steigerung, eine
Verminderung in ihrer Intenſität, eine völlige Aufhebung, eine
vollkommene Umkehrung ihrer Wirkſamkeit.
Es iſt dieſer Einfluß und kein anderer, den die Lebenskraft
auf die chemiſchen Kräfte ausübt; aber überall, wo Verbindung
und Trennung vor ſich geht, iſt chemiſche Verwandtſchaft und
Cohäſion in Thätigkeit.
Wir kennen die Lebenskraft nur durch die eigenthümliche Form
ihrer Werkzeuge, durch Organe, die ihre Träger ſind; welche
Art von Thätigkeit eine Materie auch zeigen mag, wenn
ſie formlos iſt und wir keine Organe beobachten, von denen
der Impuls der Bewegung oder Aenderung ausgeht, ſo
lebt ſie nicht; ihre Thätigkeit iſt alsdann eine chemiſche
Action, an welcher Licht, Wärme, Electricität, oder was ſonſt
darauf Einfluß hat, Antheil nehmen, die ſie ſteigern, vermin-
dern oder eine Grenze ſetzen, allein ohne die Bedinger der
Action zu ſein.
In dieſer Art und Weiſe beherrſcht die Lebenskraft in dem
lebendigen Körper die chemiſchen Kräfte; Alles, was wir Nah-
rungsmittel nennen, alle Stoffe, die in dem Organismus dar-
aus gebildet werden, ſind chemiſche Verbindungen, in denen alſo
von der Lebenskraft, um zu Beſtandtheilen des Organismus
zu werden, kein anderer Widerſtand als die chemiſchen Kräfte
zu überwinden ſind, durch welche ihre Beſtandtheile zuſammen-
gehalten werden; beſäßen ſie, die Nahrungsmittel, ein eigen-
thümliches Leben, ſo würde dieſes mit den chemiſchen Kräften
21
[322]Gift, Contagien, Miasmen.
überwunden werden müſſen, es würde ihren Widerſtand ver-
ſtärken.
Alle Materien, die zur Aſſimilation dienen, ſind höchſt zu-
ſammengeſetzte Körper; es ſind complexe Atome, welche keine
oder nur eine höchſt ſchwache chemiſche Action ausüben.
Sie ſind durch das Zuſammentreten von zwei und meh-
reren einfacheren Verbindungen entſtanden und in dem näm-
lichen Grade, als die Anzahl der Atome ihrer Beſtandtheile
ſich vergrößert (mit der höheren Ordnung), nimmt ihr Streben
ab, weitere Verbindungen einzugehen; dieß heißt, ſie verlieren
ihre Fähigkeit, eine Wirkung auf andere auszuüben.
Mit ihrer Zuſammengeſetztheit nimmt aber ihr Vermögen
zu, durch den Einfluß äußerer Urſachen verändert zu
werden, eine Zerſetzung zu erleiden. Jede einwirkende Kraft,
in manchen Fällen ſchon Stoß und mechaniſche Reibung, ſtört
das Gleichgewicht in der Anziehung ihrer Beſtandtheile; ſie
ordnen ſich entweder zu neuen, einfacheren, zu feſteren Verbin-
dungen, oder wenn eine fremde Anziehung auf ſie einwirkt, ſo
ordnen ſie ſich dieſer Anziehung unter.
Der beſondere Character eines Nahrungsmittels, einer Sub-
ſtanz, die zur Aſſimilation dient, iſt Mangel einer chemiſchen
Action (Zuſammengeſetztheit) und Fähigkeit, Metamorphoſen zu
erleiden.
Durch die Lebenskraft wird das Gleichgewicht der chemi-
ſchen Anziehungen der Beſtandtheile der Nahrungsmittel ge-
ſtört, wie es durch zahlloſe andere Urſachen geſtört werden
kann; allein das Zuſammentreten ihrer Elemente zu neuen
Verbindungen, zu neuen Formen, zeugt von einer eigenthüm-
lichen Anziehungsweiſe, es beweiſ’t die Exiſtenz einer beſonde-
ren Kraft, verſchieden von allen anderen Naturkräften.
Alle Körper von einfacher Zuſammenſetzung beſitzen ohne
[323]Gift, Contagien, Miasmen.
Ausnahme ein unaufhörliches mehr oder weniger ſtarkes Stre-
ben, Verbindungen einzugehen (die Oxalſäure z. B. iſt die
einfachſte, die Talgſäure eine der zuſammengeſetzteſten organi-
ſchen Säuren; die erſte iſt die ſtärkſte, die andere eine der
ſchwächſten in Beziehung auf chemiſchen Character); durch dieſe
Thätigkeit üben ſie überall, wo ſich kein Widerſtand entgegen-
ſetzt, eine Veränderung aus; ſie gehen Verbindungen ein und
veranlaſſen Zerſetzung.
Es iſt die Lebenskraft, welche der unaufhörlichen Einwir-
kung der Atmoſphäre, der Feuchtigkeit, der Temperatur auf den
Organismus einen, bis zu einem gewiſſen Grade, unüberwind-
lichen Widerſtand entgegenſetzt; es iſt die unaufhörliche Aus-
gleichung, es iſt die ſtete Erneuerung dieſer Thätigkeiten, welche
Bewegung, welche Leben erhält.
Das größte Wunder im lebenden Organismus iſt es
gerade, daß eine unergründliche Weisheit in die Urſache einer
unaufhörlichen Zerſtörung, in die Unterhaltung des Reſpira-
tionsproceſſes, die Quelle der Erneuerung des Organismus,
das Mittel gelegt hat, um allen übrigen atmoſphäriſchen Ein-
flüſſen dem Wechſel der Temperaturen, der Feuchtigkeit zu wi-
derſtehen.
Bringen wir in den Magen oder einen andern Theil des
Organismus eine chemiſche Verbindung von einfacher Zuſam-
menſetzung, die alſo das Vermögen und Streben beſitzt, neue
Verbindungen einzugehen oder Veränderungen zu bewirken, ſo
iſt klar, daß ſie auf alle Materien, die mit ihr in Berührung
kommen, eine chemiſche Action ausüben muß; ſie wird eine
Verbindung einzugehen oder zu verändern ſtreben.
Die chemiſche Action der Subſtanz hat, wie ſich von ſelbſt
verſteht, die Lebenskraft zu überwinden; die letztere ſetzt ihr
einen Widerſtand entgegen, es entſteht je nach der Stärke der
21*
[324]Gift, Contagien, Miasmen.
Einwirkung eine Ausgleichung zwiſchen beiden Kräften, eine
Veränderung ohne Vernichtung der Lebenskraft, eine arznei-
liche Wirkung, oder der einwirkende Körper unterliegt, er
wird verdaut, oder die chemiſche Action behält die Ober-
hand, er wirkt als Gift.
Alle Materien ſind Nahrungsmittel, welche ihre Ei-
genthümlichkeit durch die Einwirkung der Lebenskraft verlieren,
ohne eine chemiſche Action auf das einwirkende Organ aus-
zuüben.
Eine andere Klaſſe ändert die Richtung, die Stärke, die
Intenſität des Widerſtandes (der Lebenskraft), in Folge welcher
ihre Träger, die Function ihrer Organe, verändert wird;
ſie bringen eine Störung durch ihr Vorhandenſein oder dadurch
hervor, daß ſie ſelbſt eine Veränderung erleiden, dieß ſind
die Arzneimittel.
Eine dritte Klaſſe heißen Gifte, wenn ſie ſich mit den
Organen oder Beſtandtheilen der Organe zu verbinden ver-
mögen, und wenn dieſes Streben ſtärker iſt als der Wider-
ſtand durch die Lebenskraft.
Maſſe und Zuſtand ändern, wie ſich von ſelbſt ergiebt,
gänzlich die Art der chemiſchen Einwirkung.
Ein Arzneimittel wird in größerer Maſſe, die überall ein
Aequivalent für größere Verwandtſchaft iſt, als Gift, ein
Gift in kleinen Gaben als Arzneimittel wirken können.
Ein Nahrungsmittel wird Krankheit bewirken, es wird
Gift werden, wenn es durch ſeine Maſſe eine chemiſche Action
ausübt, oder wenn ſein Zuſtand, ſeine Gegenwart die Bewe-
gung der Organe verlangſamt, hindert oder aufhebt.
Ein Körper wirkt als Gift, wenn alle Theile des Organs,
mit dem er in Berührung iſt, zu einer chemiſchen Verbin-
dung mit ihm zuſammengetreten ſind; er kann als Arzneimit-
[325]Gift, Contagien, Miasmen.
tel wirken, wenn er nur eine partielle Aenderung hervorge-
bracht hat.
Unter allen Beſtandtheilen des lebenden Organismus giebt
es keinen, welcher in ſeiner Schwäche des Widerſtandes gegen
äußere Thätigkeiten mit dem Blute verglichen werden kann;
denn es iſt nicht ein entſtandenes, ſondern ein entſtehendes Or-
gan, es iſt die Summe der entſtehenden Organe; die chemi-
ſche Kraft und Lebenskraft halten ſich einander in ſo vollkom-
menem Gleichgewichte, daß jede auch die kleinſte Störung, durch
welche Urſache es auch ſei, eine Veränderung im Blute be-
wirkt; es kann nicht von dem Körper getrennt werden, ohne
eine augenblicklich erfolgende Umwandlung zu erfahren, es kann
mit keinem Organ im Körper in Berührung treten, ohne ſei-
ner Anziehung zu unterliegen.
Jede, auch die ſchwächſte Einwirkung einer chemiſchen Thä-
tigkeit, ſie übt, in das Blut gebracht, eine nachtheilige Verän-
derung aus, ſelbſt der durch Zellen und Häute vermittelte mo-
mentane Contact mit der Luft in der Lunge ändert Farbe und
Beſchaffenheit; eine jede chemiſche Action pflanzt ſich im Blute
fort, der Zuſtand einer in Zerſetzung, Fäulniß, Gährung und Ver-
weſung begriffenen Materie, die chemiſche Action, in welcher die
Beſtandtheile eines in Zerſetzung begriffenen Körpers ſich be-
finden, ſie ſtören den Zuſtand des Gleichgewichts zwiſchen der
chemiſchen Kraft und der Lebenskraft im Blut. Die erſtere
erhält das Uebergewicht; zahlloſe Modificationen in der Zu-
ſammenſetzung, dem Zuſtande, der aus den Elementen des Blu-
tes gebildeten Verbindungen, ſie gehen aus dem Kampf der
Lebenskraft mit der chemiſchen Action, die ſie unaufhörlich zu
überwältigen ſtrebt, hervor.
Dem ganzen Verhalten aller Erſcheinungen nach läßt ſich
den Contagien kein eigenthümliches Leben zuſchreiben; ſie üben
[326]Gift, Contagien, Miasmen.
eine gewiſſe Wirkung aus, welche eine große Aehnlichkeit
mit Vorgängen im lebenden Organismus hat; allein die Ur-
ſache dieſer Wirkung iſt chemiſche Action, welche aufgehoben
werden kann durch andere chemiſche Actionen, durch entgegen-
geſetzte Thätigkeiten.
Von dem im lebendigen Körper durch Krankheitsproceſſe
erzeugbaren Gifte verlieren einige im Magen ihre ganze
Wirkſamkeit, andere werden nicht zerſtört.
Wie bedeutſam und entſcheidend für ihre chemiſche Natur
und Wirkungsweiſe iſt hier der Umſtand, daß diejenigen von
ihnen, welche neutral ſind oder eine alkaliſche Beſchaffenheit
zeigen, wie das Milzbrandgift, das Blatterngift, daß dieſe im
Magen ihre Anſteckungsfähigkeit verlieren, während das Wurſt-
gift, welches ſauer reagirt, ſeine ganze furchtbare Wirkung
behält.
Es iſt die im Magen ſtets vorhandene freie Säure, welche
die ihr entgegengeſetzte chemiſche Thätigkeit in dem einen Fall
aufhebt, während ſie in dem andern die Wirkung verſtärkt,
oder jedenfalls kein Hinderniß entgegenſetzt.
Man hat bei mikroscopiſchen Unterſuchungen in bösartigem
faulenden Eiter, in Kuhpockenlymphe ꝛc. eigenthümliche, den
Blutkügelchen ähnliche Bildungen beobachtet; ihr Vorhanden-
ſein gab der Meinung Gewicht, daß die Anſteckung von der
Entwickelung eines krankhaften organiſchen Lebens ausgehe;
man hat in dieſen Formen den lebendigen Saamen der Krank-
heit geſehen.
Dieſe Anſicht iſt keiner Discuſſion fähig; ſie hat die Na-
turforſcher, welche die Erklärungen von Erſcheinungen in For-
men zu ſuchen gewohnt ſind, dahin geführt, die Hefe, die ſich
in der Biergährung bildet, ebenfalls als belebt zu betrachten,
für Pflanzen oder Thiere, die ſich von dem Zucker nähren und
[327]Gift, Contagien, Miasmen.
Alkohol und Kohlenſäure als Excremente wieder von ſich
geben.
Wunderbar und auffallend würde es vielleicht erſcheinen,
wenn in den Zerſetzungsproceſſen der Fäulniß und Gährung
aus organiſchen Materien und Theilen von Organen ſich
Stoffe bilden würden von kriſtalliniſcher Structur, Stoffe, die
eine geometriſche Geſtalt beſitzen. Wir wiſſen im Gegentheil,
daß der völligen Auflöſung in unorganiſche Verbindungen eine
Reihe von Metamorphoſen vorhergeht, in welchen ſie erſt nach
und nach ihre Formen aufgeben.
In Zerſetzung begriffenes Blut kann dem Auge in un-
veränderter Form erſcheinen, und wenn wir in einem flüſſigen
Contagium die Blutkügelchen wiedererkennen, ſo kann dieß höch-
ſtens beweiſen, daß ſie keinen Antheil an dem Zerſetzungsproceß
genommen haben. Wir können aus Knochen allen phosphor-
ſauren Kalk entfernen, ſo daß ſie durchſichtig und biegſam wie
Leder werden, ohne im Geringſten ihre Form zu verlieren.
Wir brennen die Knochen weiß, zu einem Skelett von phos-
phorſaurem Kalk, was ganz die Form des Knochens behält.
So können in dem Blut Zerſetzungsproceſſe vor ſich gehen,
die ſich nur auf einzelne Beſtandtheile erſtrecken, auf Materien,
welche zerſtört werden und verſchwinden, während durch andere
die urſprüngliche Form behauptet wird.
Unter den Contagien giebt es mehrere, die ſich durch die
Luft fortpflanzen, wo man alſo gezwungen wäre, einem Gaſe,
einem luftförmigen Körper Leben zuzuſchreiben.
Alles, was man als Beweiſe für ein organiſches Leben in den
Contagien betrachtet, ſind Vorſtellungen und Bilder, welche
die Erſcheinungen verſinnlichen, ohne ſie zu erklären. Dieſe
Bilder, mit denen man ſich in allen Wiſſenſchaften ſo gern
und leicht befriedigt, ſie ſind die Feinde aller Naturforſchung,
[328]Gift, Contagien, Miasmen.
ſie ſind der fata morgana ähnlich, die uns die täuſchendſte
Kunde von Seen, von fruchtbaren Gefilden und Früchten giebt,
aber uns verſchmachten läßt, wenn wir ſie am nöthigſten
haben.
Es iſt gewiß, daß die Wirkungsweiſe der Contagien auf
einer eigenthümlichen Thätigkeit beruht, abhängig von chemiſchen
Kräften, welche in keiner Beziehung ſteht zu der Lebenskraft,
eine Thätigkeit, welche aufgehoben wird durch chemiſche Actio-
nen, die ſich überall äußert, wo ſie keinen Widerſtand zu über-
winden hat; ſie giebt ſich der Beobachtung durch eine zuſam-
menhängende Reihe von Veränderungen, von Metamorphoſen
zu erkennen, die ſich auf alle Materien, welche fähig ſind,
eine ähnliche Verwandlung zu erfahren, überträgt.
Eine, im Zuſtande der Zerſetzung begriffene thieriſche
Subſtanz, oder in Folge eines Krankheitsproceſſes im lebenden
Körper aus ſeinen Beſtandtheilen erzeugte Materie, überträgt
ihren Zuſtand allen Theilen eines lebenden Individuums,
welche fähig ſind, eine ähnliche Metamorphoſe einzugehen,
wenn ſich ihrer Action, in dieſen Theilen, keine Urſache entge-
genſetzt, die ſie aufhebt und vernichtet.
Es entſteht Krankheit durch Anſteckung.
Die in der entſtandenen Krankheit hervorgerufene Meta-
morphoſe nimmt eine Reihe von Formen an.
Betrachten wir, um zu einer klaren Anſchauung zu ge-
langen, die Veränderungen, welche ein bei weitem einfacherer
Körper, der Zucker, durch die Einwirkung ähnlicher Urſachen
zu erleiden fähig iſt, ſo wiſſen wir, daß faulendes Blut, in
Metamorphoſe begriffene Hefe eine Umſetzung der Elemente
des Zuckers in Alkohol und Kohlenſäure bewirken.
Ein in Zerſetzung begriffenes Stück Lab veranlaßt eine
andere Lagerung der Elemente des Zuckers, ohne daß ein
[329]Gift, Contagien, Miasmen.
Element hinzutritt oder hinweggenommen wird, verwandelt er
ſich in Milchſäure. (1 Atom Trauben-Zucker C12H24O12 giebt
2 At. Milchſäure = 2 (C6H12O6.)
Laſſen wir ihn im Zwiebelſafte, Runkelrübenſafte bei hö-
heren Temperaturen gähren, ſo erhält man daraus Milchſäure,
Mannit und Gummi. Nach der verſchiedenen Umſetzungs-
weiſe, in der ſich die Elemente der Erreger befanden, haben
ſich alſo die Elemente des Zuckers in einer ebenſo verſchiedenen
Form geordnet, es ſind verſchiedene Produkte entſtanden. —
Es war der unmittelbare Contact der ſich zerlegenden
Subſtanz, welche die Form und Beſchaffenheitsänderung der
Zuckertheilchen bedingte; entfernen wir ſie, ſo hört damit die
Zerſetzung des Zuckers auf; iſt ihre Metamorphoſe vollendet
und ſind noch Zuckertheile übrig, ſo bleiben dieſe unzerſetzt.
Bei keiner der erwähnten Zerlegungsweiſen hat ſich der
Erreger reproduzirt, es fehlten unter den Elementen des Zu-
ckers die Bedingungen ſeiner Wiedererzeugung.
Aehnlich wie Hefe, faulendes Fleiſch, in Zerſetzung begrif-
fener Kalbsmagen den Zucker zur Zerlegung brachten, ohne ſich
ſelbſt wiederzuerzeugen, bringen Miasmen und gewiſſe Anſte-
ckungsſtoffe, Krankheiten in dem menſchlichen Organismus her-
vor, in denen ſich der Zuſtand der Zerſetzung, in welchem ſie
ſich befinden, auf gewiſſe Theile des Organismus überträgt,
ohne daß ſie in dem Acte der Zerſetzung, in ihrer eigenthümli-
chen Form und Beſchaffenheit wieder gebildet werden.
Die Krankheit ſelbſt iſt in dieſem Falle nicht anſteckend.
Wenn wir aber Hefe nicht zu reinem Zuckerwaſſer, ſon-
dern zu Bierwürze bringen, welche Zucker und Kleber ent-
hält, ſo wiſſen wir, daß der Act der Zerſetzung des Zuckers
eine Form und Beſchaffenheitsänderung des Klebers bedingt,
der Kleber ſelbſt geht einer erſten Metamorphoſe entgegen; ſo
[330]Gift, Contagien, Miasmen.
lange noch gährender Zucker vorhanden iſt, wird Kleber in
verändertem Zuſtande, er wird als Hefe abgeſchieden, welche
wieder fähig iſt, friſches Zuckerwaſſer oder Bierwürze in Gäh-
rung zu verſetzen. Iſt der Zucker verſchwunden und noch
Kleber vorhanden, ſo bleibt dieſer Kleber, er geht nicht in
Hefe über. Die Reproduction des Erregers iſt hier abhängig
- 1) von dem Vorhandenſein derjenigen Materie, aus der er
urſprünglich entſtanden iſt, - 2) von der Gegenwart einer zweiten Materie, welche fähig
iſt, durch Berührung mit dem Erreger in Zerſetzung
übergeführt zu werden.
Wenn wir der Reproduction der Contagien in anſtecken-
den Krankheiten den nämlichen Ausdruck unterlegen, ſo iſt
vollkommen gewiß, daß ſie ohne Ausnahme aus dem Blute
entſpringen, daß alſo in dem Blute eines geſunden Menſchen
derjenige Beſtandtheil ſich vorfindet, durch deſſen Zerſetzung
der Erreger gebildet werden kann.
Es muß ferner, wenn Anſteckung erfolgt, vorausgeſetzt
werden, daß das Blut einen zweiten Beſtandtheil enthält, wel-
cher fähig iſt, durch den Erreger in Zerſetzung übergeführt zu
werden.
Erſt in Folge der Umwandlung dieſes zweiten Körpers
kann der urſprüngliche Erreger wieder gebildet werden.
Empfänglichkeit für Anſteckung ſetzt mithin die Gegenwart,
einer gewiſſen Quantität, dieſes zweiten Körpers im Blute ei-
nes geſunden Menſchen voraus; mit ſeiner Maſſe ſteigt die
Empfänglichkeit, die Stärke der Krankheit, mit ſeiner Abnahme,
mit ſeinem Verſchwinden ändert ſich ihr Verlauf.
Bringen wir in das Blut eines geſunden Menſchen, wel-
cher empfänglich iſt für Anſteckung, eine wenn auch nur ver-
ſchwindend kleine Menge des Anſteckungsſtoffs, des Erregers,
[331]Gift, Contagien, Miasmen.
ſo wird er ſich im Blute wiedererzeugen, ähnlich, wie ſich
Hefe in Bierwürze reproduzirt, ſein Zuſtand der Metamor-
phoſe wird ſich auf den einen Beſtandtheil des Blutes über-
tragen, und in Folge der Metamorphoſe, die dieſer erleidet,
wird aus einem andern Beſtandtheile des Blutes ein dem
Erreger gleicher oder ähnlicher Körper gebildet werden können,
deſſen Maſſe beſtändig zunehmen muß, wenn die weitere Me-
tamorphoſe des neuerzeugten Erregers langſamer erfolgt, als
die Verbindung im Blute, die er zur Zerſetzung bringt.
Ginge z. B. die Metamorphoſe der wiedererzeugten Hefe
in der Gährung der Bierwürze mit eben der Schnelligkeit vor
ſich, wie die der Zuckertheilchen, ſo würden, nach Vollendung
aller Gährung, beide mit und nebeneinander verſchwinden, die
der Hefe bedarf aber einer weit längeren Zeit, es bleibt da-
von, wenn aller Zucker verſchwunden iſt, eine weit größere
Menge wie zuvor in unaufhörlich weiter fortſchreitender Me-
tamorphoſe, d. h. mit ihrer ganzen Wirkungsweiſe, zurück.
Die Zerſetzung, in der ſich ein Bluttheilchen befindet,
theilt ſich einem zweiten und folgenden, zuletzt allen im gan-
zen Körper, ſie theilt ſich einem geſunden Bluttheilchen eines
zweiten, dritten Individuums ꝛc mit, d. h. ſie veranlaßt in
dieſen die Entſtehung derſelben Krankheit.
Die Exiſtenz von einer großen Anzahl beſonderer Materien
in dem Blute verſchiedener Menſchen, in dem Blute eines ein-
zelnen Menſchen in den verſchiedenen Perioden ſeiner Entwi-
ckelung, in den Thieren, kann nicht geläugnet werden.
In dem Kindesalter, in der Jugend enthält das Blut ei-
nes und deſſelben Individuums wechſelnde Mengen von Sub-
ſtanzen, die in einem andern Stadium fehlen, die Empfänglich-
keit für Anſteckung durch eigenthümliche Erreger im Kindes-
alter, ſetzt nothwendig eine Fortpflanzung, eine Wiedererzeu-
[332]Gift, Contagien, Miasmen.
gung dieſer Erreger, in Folge der Metamorphoſe vorhandener
Stoffe voraus; wenn ſie fehlen, kann keine Anſteckung erfolgen.
Die Krankheitsform heißt gutartig, wenn die Metamor-
phoſen zweier für das Leben unweſentlicher Beſtandtheile des
Körpers ſich neben einander vollenden, ohne daß andere an
der Zerſetzung Antheil nehmen; ſie heißt bösartig, wenn ſie
ſich auf Organe fortpflanzt, wenn dieſe daran Antheil nehmen.
Ein Stoffwechſel im Blute, ein Uebergang ſeiner Beſtand-
theile zu Fett, Muskelfaſer, Nerven-, Gehirnſubſtanz, zu Kno-
chen, Haaren ꝛc., eine Metamorphoſe von Nahrungsſtoff in
Blut, ohne gleichzeitige Bildung von neuen Verbindungen,
welche durch die Organe der Secretion wieder aus dem Kör-
per entfernt werden, iſt nicht denkbar.
In einem erwachſenen Menſchen ſind dieſe Secretionen
von wenig wechſelnder Beſchaffenheit und Quantität; alle ſeine
Theile ſind völlig ausgebildet, was er aufnimmt dient nicht
zur Vermehrung ſeiner Maſſe, ſondern lediglich nur zum Er-
ſatz des verbrauchten Stoffs, denn jede Bewegung jede Kraft-
äußerung, jede organiſche Thätigkeit wird bedingt durch Stoff-
wechſel, durch eine neue Form, welche ſeine Beſtandtheile an-
nehmen *).
In dem kindlichen Alter kommt zu dieſer normalen Thä-
tigkeit der Erhaltung eine abnorme Thätigkeit der Zunahme
und Vermehrung der Maſſe des Körpers, eines jeden einzel-
nen ſeiner Theile; es müſſen in dem jugendlichen Körper
[333]Gift, Contagien, Miasmen.
eine weit größere Menge von fremden, dem Organismus
nicht angehörigen Stoffen vorhanden ſein, welche durch das
Blut in alle ſeine Theile verbreitet werden.
Bei normaler Thätigkeit der Secretionsorgane werden ſie
aus dem Körper entfernt, durch jede Störung der Functionen
derſelben müſſen ſie im Blute, oder in einzelnen Theilen des
Körpers ſich anhäufen. Die Haut, die Lunge oder andere
Organe übernehmen die Function der kranken Secretionsap-
parate, und ſind die abgeſchiedenen Stoffe in dem Zuſtande
einer fortſchreitenden Metamorphoſe begriffen, ſo heißen ſie an-
ſteckend, ſie ſind alsdann fähig, in einem andern geſunden
Organismus den nämlichen Krankheitszuſtand hervorzurufen;
aber nur dann, wenn dieſer empfänglich dafür iſt, d. h.,
wenn er eine Materie enthält, welche den nämlichen Zerſe-
tzungsproceß erleiden kann.
Die Erzeugung von Materien dieſer Art, welche den Kör-
per empfänglich für Anſteckung machen, können durch die Lebens-
weiſe, durch Nahrung bedingt werden, ein Uebermaß von kräf-
tigen und geſunden Speiſen wird eben ſo gut ſich dazu eignen,
wie Mangel, Schmutz, Unreinlichkeit und der Genuß von ver-
dorbenen Nahrungsmitteln.
Alle dieſe Bedingungen zur Anſteckung müſſen als zufällig
angeſehen werden, ihre Bildung, ihre Anhäufung im Körper
kann verhütet, ſie können aus dem Körper entfernt werden,
ohne ſeine Hauptfunctionen, ohne die Geſundheit zu ſtören,
ihre Gegenwart iſt nicht nöthig zum Leben.
Die Wirkung und Erzeugung von Contagien iſt nach die-
ſer Anſicht ein chemiſcher Proceß, welcher vor ſich geht im
lebendigen Körper, an welchem alle Materien im Körper, alle
Beſtandtheile derjenigen Organe Antheil nehmen, in denen die
Lebenskraft die einwirkende chemiſche Thätigkeit nicht über-
[334]Gift, Contagien, Miasmen.
wältigt, er verbreitet ſich demnach entweder durch alle Theile
des Körpers, oder er beſchränkt ſich lediglich auf gewiſſe Or-
gane; die Krankheit ergreift je nach der Schwäche oder der
Intenſität des Widerſtandes alle Organe, oder nur einzelne
Organe.
In der abſtract chemiſchen Bedeutung ſetzt die Wiedererzeu-
gung eines Contagiums eine Materie voraus, welche gänzlich
zerſetzt wird, und eine zweite, welche durch den Act der Meta-
morphoſe der erſten in Zerſetzung übergeht. Dieſe im Zuſtande
der Zerſetzung begriffene zweite Materie iſt das regenerirte
Contagium.
Die zweite Materie iſt unter allen Umſtänden urſprünglich
ein Beſtandtheil des Blutes geweſen, die erſte kann ein zufäl-
liger oder ein zum Leben ebenfalls nothwendiger ſein.
Sind beide Beſtandtheile zur Unterhaltung der Lebensfunc-
tionen gewiſſer Hauptorgane unentbehrlich, ſo endigt ſich die
Metamorphoſe mit dem Tode.
Wird hingegen durch die Abweſenheit des zerſtörten einen
Beſtandtheiles des Blutes den Functionen der wichtigſten Or-
gane keine unmittelbare Grenze geſetzt, dauern ſie fort, wenn
auch in anormalem Zuſtande, ſo erfolgt Reconvaleszenz; die
noch vorhandenen Producte der Metamorphoſe des Blutes
werden in dieſem Falle zur Aſſimilation ſelbſt verwendet, es
entſtehen in dieſem Zeitpunkte Secretionen von beſonderer Be-
ſchaffenheit.
Iſt der zerſtörte Beſtandtheil des Blutes ein Product einer
anormalen Lebensweiſe, gehört ſeine Erzeugung nur einem ge-
wiſſen Alter an, ſo hört mit ſeinem Verſchwinden die Em-
pfänglichkeit für Anſteckung auf.
Die Wirkungsweiſe der Kuhpocken-Materie beweiſ’t, daß
ein zufälliger Beſtandtheil des Blutes in einem beſonderen
[335]Gift, Contagien, Miasmen.
Zerſetzungsproceß zerſtört wird, ſie bewirkt, dem Blute einge-
impft, eine Metamorphoſe deſſelben, an der die andern Beſtand-
theile keinen Antheil nehmen.
Wenn man ſich an die Wirkungsweiſe der Unterhefe (ſ. S. 270)
erinnert, ſo kann man kaum über die der Kuhpockenlympfe
zweifelhaft ſein.
Die Unterhefe und Oberhefe ſtammen beide aus Kleber,
ähnlich wie die Kuhpocken-Materie und das Blatterngift beide
aus dem Blute entſpringen.
Die Oberhefe und das Blatterngift bewirken beide eine
ſtürmiſche tumultuariſche Metamorphoſe, die erſtere in Pflan-
zenſäften, das andere im Blute, die ihre Beſtandtheile enthal-
ten, ſie erzeugen ſich beide mit allen ihren Eigenſchaften wieder.
Die Unterhefe wirkt lediglich nur auf den Zucker, ſie ver-
anlaßt eine ausnehmend verlangſamte Zerſetzung deſſelben, eine
Metamorphoſe, an welcher der Kleber keinen Antheil nimmt,
nur inſofern die Luft dabei einwirkt, erleidet dieſer eine neue
Form und Beſchaffenheitsänderung, in Folge welcher ſie eben-
falls wieder mit allen ihren Eigenſchaften gebildet wird.
Aehnlich wie die Wirkungsweiſe der Unterhefe muß die der
Kuhpocken-Materie ſein; ein Beſtandtheil des Blutes geht
durch ſie in Zerſetzung über, aus einem zweiten erzeugt ſie
ſich wieder, aber in einer durchaus geänderten Zerſetzungsweiſe;
das Product beſitzt die milde Form, alle Eigenſchaften der Kuh-
pockenlymphe.
Die Empfänglichkeit für Anſteckung durch Blatterngift muß
nach der Einimpfung der Kuhpocken aufhören, eben weil durch
einen künſtlich erregten, beſonderen Zerſetzungsproceß diejenige
Materie zerſtört und entfernt worden iſt, deren Vorhandenſein
die Empfänglichkeit bedingte. Sie kann ſich in dem nämlichen
Individuum wieder erzeugen, es kann wieder empfänglich für
[336]Gift, Contagien, Miasmen.
Anſteckung werden, und eine zweite und dritte Impfung ver-
mag ihn wieder zu entfernen.
In keinem Organe pflanzen ſich chemiſche Actionen leichter
und ſchneller fort als in der Lunge, keine Art von Krankheiten
findet ſich häufiger und iſt gefährlicher, als die Lungenkrank-
heiten.
Wenn man annimmt, daß im Blute die chemiſche Action
und die Lebenskraft ſich gegenſeitig im Gleichgewichte halten,
ſo iſt es als gewiß zu betrachten, daß in der Lunge ſelbſt, in
welcher Luft und Blut ſich mittelbar berühren, der chemiſche
Proceß bis zu einem gewiſſen Grade das Uebergewicht behaup-
tet, denn das Organ ſelbſt iſt von der Natur dazu eingerichtet,
um ihn zu begünſtigen; es ſetzt der Veränderung, die das ve-
nöſe Blut erleidet, keinen Widerſtand entgegen.
Durch die Bewegung des Herzens wird der Contact der
Luft mit dem venöſen Blut auf eine außerordentlich kurze Zeit
beſchränkt, jeder ferneren bis über einen beſtimmten Punkt hin-
aus ſich erſtreckenden Störung wird durch raſche Entfernung
des arteriellen Blutes vorgebeugt.
Eine jede Störung der Functionen des Herzens, eine jede,
wenn auch ſchwache chemiſche Action von Außen veranlaßt eine
Aenderung in dem Reſpirationsproceß, ſelbſt feſte Subſtanzen,
Staub von vegetabiliſchen (Mehl), thieriſchen (Wollenfaſern)
und anorganiſchen Materien, ſie wirken auf dieſelbe Weiſe,
wie wenn ſie in eine geſättigte, im Kryſtalliſiren begriffene
Flüſſigkeit gebracht werden, ſie veranlaſſen eine Ablagerung
von feſten Stoffen aus dem Blute, durch welche die Einwir-
kung der Luft gehindert wird.
Gelangen gasförmige, in Zerſetzung begriffene Subſtanzen,
oder ſolche, welche eine chemiſche Action ausüben, wie Schwe-
felwaſſerſtoffſäure, Kohlenſäure ꝛc. in die Lunge, ſo ſtellt ſich
[337]Gift, Contagien, Miasmen.
ihnen in dieſem Organe weniger wie in irgend einem andern,
ein Widerſtand entgegen. Der chemiſche Proceß der Verweſung
welcher in der Lunge vor ſich geht, wird geſteigert durch alle
in Fäulniß und Verweſung begriffene Materien, durch Ammo-
niak und Alkalien; er wird vermindert durch empyreumatiſche
flüchtige Subſtanzen, ätheriſche Oele, durch Säuren. Schwe-
felwaſſerſtoffſäure zerlegt das Blut augenblicklich, ſchweflige
Säure verbindet ſich mit der Subſtanz der Häute, Zellen und
Membranen.
Nimmt durch den Contact mit einer in Zerſetzung begrif-
fenen Materie der Reſpirationsproceß eine andere Richtung an,
überträgt ſich die Zerſetzung, die ſie erleidet, der Blutmaſſe
ſelbſt, ſo erfolgt Krankheit.
Iſt die in Zerſetzung begriffene Materie Product einer
Krankheit, ſo heißt ſie ebenfalls Contagium, iſt ſie das Pro-
duct von Fäulniß und Verweſung thieriſcher und vegetabiliſcher
Subſtanzen, wirkt ſie durch ihren chemiſchen Character (alſo
nicht durch ihren Zuſtand), indem ſie eine Verbindung eingeht
oder eine Zerſetzung veranlaßt, ſo heißt ſie Miasma.
Ein gasförmiges Contagium iſt ein Miasma, was aus
dem lebenden Blute ſtammt, und fähig iſt, im lebenden Blut
ſich wieder zu erzeugen.
Ein Miasma bewirkt Krankheit, ohne ſich zu reproduciren.
Alle Beobachtungen, die man über gasförmige Contagien
gemacht hat, beweiſen, daß ſie ebenfalls Materien ſind, die ſich
in einem Zuſtande der Zerſetzung befinden. Auf Gefäße, die
mit Eis angefüllt ſind, ſchlägt ſich an der Außenſeite aus der
Luft, welche gasförmige Contagien enthält, Waſſer nieder, wel-
ches gewiſſe Mengen darin gelöſ’t enthält. Dieſes Waſſer
ändert ſeinen Zuſtand in jedem Zeitmomente, es trübt ſich und
geht, wie man gewöhnlich ſagt, in Fäulniß über, oder was
22
[338]Gift, Contagien, Miasmen.
ohne Zweifel richtiger iſt, der Zuſtand der Zerſetzung, in dem
ſich der gelöſ’te Anſteckungsſtoff befindet, vollendet ſich in dem
Waſſer.
Alle Gaſe, die ſich aus faulenden thieriſchen und vegetabi-
liſchen Materien, die ſich in Krankheitsproceſſen entwickeln, be-
ſitzen gewöhnlich einen eigenthümlich widrigen, unangenehmen
oder ſtinkenden Geruch, der in den meiſten Fällen das Vor-
handenſein einer Materie beweiſ’t, die ſich im Zuſtande der
Zerſetzung, d. h. einer chemiſchen Action, befindet. Das Rie-
chen ſelbſt kann in vielen Fällen als die Reaction der Ge-
ruchsnerven betrachtet werden, als der Widerſtand, den die
Lebensthätigkeit der chemiſchen Action entgegenſetzt.
Eine Menge von Metallen geben beim Reiben Geruch,
aber keins von denen, die wir edle nennen, d. h. welche in
Luft bei Gegenwart von Feuchtigkeit keine Veränderung erlei-
den; Arſenik, Phosphor, Leinöl, Citronöl, Terpentinöl, Rauten-
öl, Pfeffermünzöl, Moſchus ꝛc. riechen nur im Acte ihrer Ver-
weſung. (Oxidation bei gewöhnlicher Temperatur.)
So verhält es ſich denn mit allen gasförmigen Contagien;
ſie ſind mehrentheils begleitet von Ammoniak, was man in
vielen Fällen als den Vermittler der Gasform des Contagiums
betrachten kann, ſo wie es der Vermittler iſt des Geruches
von zahlloſen Subſtanzen, die an und für ſich nur wenig flüch-
tig, von vielen, die geruchlos ſind. (Robiquet in den Ann.
de chim. et de phys. XV. 27.)
Das Ammoniak iſt der Begleiter der meiſten Krankheits-
zuſtände; es fehlt nie bei denen, in welchen ſich Contagien er-
zeugen; es iſt ein nie fehlendes Product aller im Zuſtande der
Zerſetzung ſich befindenden thieriſchen Stoffe. In allen Kran-
kenzimmern, vorzüglich bei anſteckenden Krankheiten, läßt ſich
die Gegenwart des Ammoniaks nachweiſen; die durch Eis
[339]Gift, Contagien, Miasmen.
verdichtete Feuchtigkeit der Luft, welche das flüchtige Contagium
enthält, bringt in Sublimatlöſung einen weißen Niederſchlag
hervor, grade wie dieß durch Ammoniakauflöſung geſchieht.
Das Ammoniakſalz, was man aus dem Regenwaſſer nach Zu-
ſatz von Säuren und Verdampfen erhält, entwickelt, wenn man
durch Kalk das gebundene Ammoniak wieder austreibt, den
unverkennbarſten Leichengeruch oder den Geruch, der den Miſt-
ſtätten eigenthümlich iſt.
Durch Verdampfen von Säuren in einer Luft, welche gas-
förmige Contagien enthält, neutraliſiren wir das Ammoniak;
wir hindern die weitere Zerſetzung und heben die Wirkung
des Contagiums, ſeinen Zuſtand der Zerſetzung, gänzlich auf.
Salzſäure und Eſſigſäure, in manchen Fällen Salpeterſäure,
ſind allen andern vorzuziehen.
Chlor, was das Ammoniak und organiſche Materien ſo
leicht zerſtört, hat auf die Lunge einen ſo nachtheiligen und
ſchädlichen Einfluß, daß man es zu den giftigſten Stoffen zu
rechnen hat, welches nie an Orten, wo Menſchen athmen, in
Anwendung kommen darf.
Kohlenſäure und Schwefelwaſſerſtoff, die ſich häufig aus
der Erde, in Kloaken entwickeln, gehören zu den ſchädlichſten
Miasmen. Die erſtere kann durch Alkalien, der Schwefelwaſſer-
ſtoff durch Verbrennen von Schwefel (ſchweflige Säure) oder
durch Verdampfen von Salpeterſäure aufs Vollſtändigſte aus
der Luft entfernt werden.
Für die Phyſiologie und Pathologie, namentlich in Be-
ziehung auf die Wirkungsweiſe von Arzneimitteln und Gif-
ten, iſt das Verhalten mancher organiſcher Verbindungen beach-
tenswerth und bedeutungsvoll.
Man kennt mehrere, dem Anſcheine nach, ganz indifferente
Materien, die bei Gegenwart von Waſſer nicht mit einander
22*
[340]Gift, Contagien, Miasmen.
zuſammengebracht werden können, ohne eine vollſtändige Me-
tamorphoſe zu erfahren; alle Subſtanzen, die eine ſolche gegen-
ſeitige Zerſetzung auf einander ausüben, gehören zu den zuſam-
mengeſetzteſten Atomen.
Amygdalin z. B. iſt eine völlig neutrale, ſchwach bittere,
im Waſſer ſehr leichtlösliche Subſtanz; es iſt ein Beſtandtheil
der bitteren Mandeln; wenn es mit einem in Waſſer gelöſ’ten
Beſtandtheil der ſüßen Mandeln, dem Synaptas, bei Gegen-
wart von Waſſer zuſammengebracht wird, ſo verſchwindet es
völlig ohne Gasentwickelung; in dem Waſſer findet ſich jetzt
freie Blauſäure, Benzoylwaſſerſtoff (ſtickſtofffreies Bittermandel-
öl), eine beſondere Säure und Zucker, lauter Subſtanzen, die
nur ihren Beſtandtheilen nach im Amygdalin vorhanden wa-
ren; daſſelbe geſchieht, wenn die bitteren Mandeln, welche den
nämlichen weißen Stoff wie die ſüßen enthalten, zerrieben und
mit Waſſer befeuchtet werden. Daher kommt es denn, daß die
Kleie von bitteren Mandeln, nach vorangegangener Behandlung
mit Weingeiſt, bei der Deſtillation mit Waſſer kein blauſäurehalti-
ges Bittermandelöl mehr giebt; denn derjenige Körper, der zur
Entſtehung dieſer flüchtigen Materien Veranlaſſung giebt, löſ’t
ſich ohne Veränderung im Weingeiſt auf, er iſt aus der
Kleie hinweggenommen worden. Die zerriebenen bitteren Man-
deln, einmal mit Waſſer befeuchtet, liefern kein Amygdalin
mehr; es iſt gänzlich zerſetzt worden.
In dem Saamen von Sinapis alba und nigra giebt der
Geruch keine flüchtigen Materien zu erkennen. Beim Auspreſſen
erhält man daraus ein fettes Oel von mildem Geſchmack, in
dem man keine Spur einer ſcharfen oder flüchtigen Subſtanz
nachweiſen kann; wird der Saamen zerrieben und mit Waſſer
deſtillirt, ſo geht mit den Waſſerdämpfen ein flüchtiges Oel
von großer Schärfe über; wenn er aber, vor der Berührung
[341]Gift, Contagien, Miasmen.
mit Waſſer, mit Alkohol behandelt wird, ſo erhält man aus
dem Rückſtande kein flüchtiges Oel mehr; in dem Alkohol fin-
det ſich eine kryſtalliniſche Materie, das Sinapin, und mehrere
andere nicht ſcharfe Körper, durch deren Contact mit Waſſer
und dem eiweißartigen Beſtandtheil des Saamens das flüch-
tige Oel gebildet wurde.
Körper, welche die anorganiſche Chemie abſolut indifferent
nennt, indem ſie keinen hervorſtechenden chemiſchen Character
beſitzen, bringen, wie dieſe Beiſpiele ergeben, bei ihrem Con-
tact mit einander eine gegenſeitige Zerſetzung hervor; ihre Be-
ſtandtheile ordnen ſich auf eine eigenthümliche Weiſe zu neuen
Verbindungen; ein complexes Atom zerfällt in zwei und meh-
rere minder complexe, durch eine bloße Störung in der An-
ziehung ſeiner Elemente.
Ein gewiſſer Zuſtand in der Beſchaffenheit der weißen, dem
geronnenen Eiweiß ähnlichen Beſtandtheile der Mandeln und
des Senfs iſt eine Bedingung ihrer Wirkſamkeit auf Amygda-
lin und auf die Beſtandtheile des Senfs, woraus ſich das
flüchtige ſcharfe Oel bildet.
Werfen wir zerriebene und geſchälte ſüße Mandeln in
ſiedendes Waſſer, behandeln wir ſie mit kochendem Weingeiſt
oder mit Mineralſäuren, bringen wir ſie mit Queckſilberſalzen
in Berührung, ſo wird ihr Vermögen, in dem Amygdalin eine
Zerſetzung zu bewirken, völlig vernichtet. Das Synaptas iſt
ein ſtickſtoffreicher Körper, welcher ſich, im Waſſer gelöſ’t, nicht
aufbewahren läßt; ſehr raſch trübt ſich die Auflöſung, ſetzt
einen weißen Niederſchlag ab und nimmt einen Fäulnißge-
ruch an.
Es iſt ausnehmend wahrſcheinlich, daß der eigenthümliche
Zuſtand der Umſetzung der Beſtandtheile des im Waſſer ge-
löſ’ten Synaptas die Urſache der Zerſetzung des Amygdalins,
[342]Gift, Contagien, Miasmen.
der Bildung von neuen Producten iſt; ſeine Wirkung iſt der
des Labs auf Zucker in dieſer Beziehung außerordentlich
ähnlich.
Das Gerſtenmalz, gekeimte Saamen von Getreidearten
überhaupt, enthalten eine während dem Keimungsproceß aus
dem Kleber gebildete Subſtanz, die Diaſtaſe, welche mit
Amylon und Waſſer bei einer gewiſſen Temperatur, ohne eine
Aenderung in dem Amylon zu bewirken, nicht zuſammengebracht
werden kann.
Streuet man gemahlenes Gerſtenmalz auf warmen Stärke-
kleiſter, ſo wird er nach einigen Minuten flüſſig wie Waſſer;
die Flüſſigkeit enthält jetzt eine dem Gummi in vielen Eigen-
ſchaften ähnliche Subſtanz; bei etwas mehr Malz und länger
dauernder Erhitzung nimmt die Flüſſigkeit einen ſüßen Ge-
ſchmack an, alle Stärke findet ſich in Traubenzucker verwandelt.
Mit der Metamorphoſe der Stärke haben ſich aber die
Beſtandtheile der Diaſtaſe ebenfalls zu neuen Verbindungen
umgeſetzt.
Die Verwandlung aller ſtärkemehlhaltigen Nahrungsmittel
in Traubenzucker, welche in der zuckrigen Harnruhr (Diabetes
mellitus) vor ſich geht, ſetzt das Vorhandenſein einer Materie,
eines Beſtandtheils oder der Beſtandtheile eines Organs vor-
aus, die ſich im Zuſtande einer chemiſchen Action befinden, im
Zuſtande einer Thätigkeit, der die Lebenskraft im kranken
Organ keinen Widerſtand entgegenſetzt. Die Beſtandtheile
des Organs müſſen gleichzeitig mit dem Stärkemehl eine
fortdauernde Aenderung erleiden, je mehr wir von dem letzteren
zuführen, deſto ſtärker und intenſiver wird die Krankheit; füh-
ren wir ausſchließlich nur ſolche Nahrungsſtoffe zu, welche
durch die nämliche Urſache keine Metamorphoſe erleiden, ſtei-
gern wir durch Reizmittel und kräftige Speiſen die Lebens-
[343]Gift, Contagien, Miasmen.
thätigkeit, ſo gelingt es zuletzt, die freie chemiſche Action zu
überwältigen, d. h. die Krankheit zu heben.
Die Verwandlung der Stärke in Zucker kann ebenfalls
durch reinen Kleber, ſie kann bewirkt werden durch verdünnte
Mineralſäuren.
Ueberall ſieht man, daß in complexen organiſchen Atomen
die mannigfaltigſten Umſetzungen, Zuſammenſetzungs- und Eigen-
ſchafts-Aenderungen durch alle Urſachen, welche eine Störung
in der Anziehung ihrer Elemente veranlaſſen, bewirkt werden
können.
Bringen wir feuchtes Kupfer in Luft, welche Kohlenſäure
enthält, ſo wird durch den Contact mit dieſer Säure die Ver-
wandtſchaft des Metalls zu dem Sauerſtoff der Luft in dem
Grade geſteigert, daß ſich beide mit einander verbinden, ſeine
Oberfläche bedeckt ſich mit grünem kohlenſaurem Kupferoxid.
Zwei Körper, welche die Fähigkeit haben, ſich zu verbinden,
nehmen aber entgegengeſetzte Elektricitäts-Zuſtände an in dem
Moment, wo ſie ſich berühren.
Berühren wir das Kupfer mit Eiſen, ſo wird durch Er-
regung eines beſonderen Elektricitäts-Zuſtandes die Fähigkeit
des Kupfers vernichtet, eine Verbindung mit dem Sauerſtoff
einzugehen; es bleibt unter gleichen Bedingungen blank.
Setzen wir Blauſäure und Waſſer einer Temperatur von
180° aus, ſo wird die Stärke und Richtung der chemiſchen
Kraft geändert, es werden die Bedingungen geändert, unter
welchen die Beſtandtheile der Blauſäure die Fähigkeit erhielten,
zu Blauſäure zuſammenzutreten; ihre Elemente ordnen ſich, in
Folge der Störung durch die Wärme, mit denen des Waſſers
auf eine neue Weiſe, es entſteht ameiſenſaures Ammoniak.
Eine bloße mechaniſche Bewegung, Reibung und Stoß
reichen hin, um die Beſtandtheile der fulminirenden Silber-
[344]Gift, Contagien, Miasmen.
und Queckſilber-Verbindungen zu einer Umſetzung, zu einer neuen
Ordnung zu bringen, um in einer Flüſſigkeit die Bildung von
neuen Verbindungen zu veranlaſſen.
Aehnlich wie die Elektricität und Wärme auf die Aeuße-
rung der chemiſchen Verwandtſchaft einen beſtimmbaren Einfluß
äußert, ähnlich wie ſich die Anziehungen, welche Materien zu
einander haben, zahlloſen Urſachen unterordnen, die den Zu-
ſtand dieſer Materien, die die Richtung ihrer Anziehungen än-
dern, auf eine ähnliche Weiſe iſt die Aeußerung der chemiſchen
Thätigkeiten in dem lebenden Organismus abhängig von der
Lebenskraft.
Die Fähigkeit der Elemente, zu den eigenthümlichen Ver-
bindungen zuſammenzutreten, welche in Pflanzen und Thieren
erzeugt werden, dieſe Fähigkeit war chemiſche Verwandtſchaft,
aber die Urſache, welche ſie hinderte, ſich nach dem Grade
der Anziehung, die ſie unter anderen Bedingungen zu einan-
der haben, mit einander ſich zu vereinigen; die Urſache alſo,
die ihre eigenthümliche Ordnung und Form in dem Körper
bedingte, dieß war die Lebenskraft.
Nach der Hinwegnahme, mit dem Aufhören der Bedingung
ihrer Entſtehung, der Urſache, die ihr Zuſammentreten beherrſchte,
mit dem Verlöſchen der Lebensthätigkeit behaupten die meiſten
organiſchen Atome ihren Zuſtand, ihre Form und Beſchaffen-
heit nur in Folge des Beharrungsvermögens; ein großes um-
faſſendes Naturgeſetz beweiſ’t, daß die Materie in ſich ſelbſt
keine Selbſtthätigkeit beſitzt; ein in Bewegung geſetzter Körper
verliert ſeine Bewegung nur durch einen Widerſtand; es muß
auf jeden ruhenden Körper eine äußere Urſache einwirken, wenn
er ſich bewegen, wenn er irgend eine Thätigkeit darbieten ſoll.
In den complexen organiſchen Atomen, in Verbindungen ſo
zuſammengeſetzter Art, deren Bildung auf gewöhnliche Weiſe
[345]Gift, Contagien, Miasmen.
ſich zahlloſe Urſachen entgegenſetzen, bei dieſen veranlaſſen gerade
dieſe zahlloſen Urſachen eine Veränderung und Zerſetzung,
wenn ſich ihrer Wirkungsweiſe die Lebenskraft nicht mehr entge-
genſetzt. Berührung mit der Luft, die ſchwächſte chemiſche Action
bewirken eine Veränderung; ein jeder Körper, deſſen Theile
ſich im Zuſtande der Bewegung, der Umſetzung befinden, die
Berührung damit reicht in vielen Fällen ſchon hin, um den
Zuſtand der Ruhe, das ſtatiſche Moment der Anziehung ihrer
Beſtandtheile aufzuheben. Eine unmittelbare Folge davon iſt,
daß ſie ſich nach dem verſchiedenen Grade ihrer Anziehung
ordnen, d. h. es entſtehen neue Verbindungen, in welchen die
chemiſche Kraft vorherrſcht, in welcher ſie ſich jeder weiteren
Störung durch die nämliche Urſache entgegenſetzt, neue Producte,
in welchen die Beſtandtheile, in einer andern Ordnung verei-
nigt, der einwirkenden Thätigkeit eine Grenze, oder, unter ge-
gebenen Bedingungen, einen unüberwindlichen Widerſtand ent-
gegenſetzen.
[[346]]
Nachtraͤge.
Zuſatz zur S. 89. u. 90.
Nach der Beſtimmung de Sauſſure’s lieferten 1000 Th.
Fichtenholz vom Mont Breven 11,87 Th. und 1000 Th. des
nämlichen Holzes vom Mont la Salle 11,28 Th. Aſche. Man
kann hiernach, ohne einen bemerklichen Fehler zu begehen, an-
nehmen, daß beide Bäume von verſchiedenen Standörtern ei-
nerlei Mengen von anorganiſchen Beſtandtheilen enthalten.
Daſſelbe iſt bei den Analyſen von Berthier angenommen
worden, in denen ſich nur bei der Analyſe des norwegiſchen
Tannenholzes der Gehalt an Aſche angegeben fand.
Zuſatz zur Seite 114.
» »Was den Einfluß des Abpflückens der Blüthen auf
höheren Kartoffelertrag betrifft, ſo hat ein auf dem landwirth-
ſchaftlichen Verſuchsfelde im Jahr 1839 angeſtellter Verſuch die
Sache vollkommen beſtätigt, indem ihr Ertrag bei ſonſt ganz
gleichen Verhältniſſen betragen hat beim Abpflücken 47 Mal-
ter, beim Nichtabpflücken 37 Malter pr. Morgen (2600 Qua-
dratmeter).« «
(Oekonomierath Zeller in der Zeitſchrift des landwirthſchaftlichen Vereins
im Großherzogthume Heſſen vom 8 Juni 1840.)
Zuſatz zur S. 154.
Der Fruchtwechſel mit Eſparſette und Luzerne iſt in einer
[347]Nachträge.
der fruchtbarſten Gegenden vom Rhein, bei Bingen und in
der Umgegend, ſo wie in der Pfalz allgemein eingeführt; die
Aecker erhalten dort nur nach 9 Jahren wieder Dünger. In
dem erſten Jahre werden weiße Rüben, in dem darauf folgen-
den Gerſte mit Klee angeſäet, in dem ſiebenten Jahre folgen
Kartoffeln, in dem achten Weizen, im neunten Gerſte, im zehn-
ten wird gedüngt, und es beginnt ein neuer Umlauf mit
Rüben.
Als einige der merkwürdigſten Beweiſe für die aufgeſtellten
Principien des Feldbaues, namentlich für die Wirkungsweiſe
des Düngers und für den Urſprung des Kohlenſtoffs und
Stickſtoffs, verdienen die folgenden Beobachtungen in einem
größeren Kreiſe bekannt zu werden, da ſie beweiſen, daß ein
Weinberg ſeine Fruchtbarkeit unter gewiſſen Umſtänden ohne
Zufuhr von animaliſchem Dünger, oder überhaupt ohne Zu-
fuhr von Außen behält, wenn die Blätter und das abgeſchnit-
bene Rebholz von dem Weinberg nicht entfernt, ſondern unter-
gehackt und als Dünger benutzt werden. Nach der erſteren Angabe
war dieſe Düngungsweiſe ſeit acht, nach der anderen, welche
gleiche Glaubwürdigkeit verdient, ſeit zehn Jahren mit dem
teſten Erfolge fortgeſetzt worden; es laſſen dieſe Erfahrungen
über den Urſprung des Kohlen- und Stickſtoffs nicht den klein-
ſten Zweifel zu. Mit dem Holze, welches man den Weinber-
gen nimmt, entführen wir ihm höchſt bedeutende Mengen von
Alkali, die in dem thieriſchen Dünger wieder erſetzt werden;
dasjenige, was in dem Weine ausgeführt wird, beträgt, wie
dieſe Beiſpiele belegen, nicht mehr als diejenige Quantität, die
jährlich in dem Boden zur Verwitterung gelangt und auf-
ſchließbar wird. Man rechnet am Rheine im Durchſchnitt ei-
nen jährlichen Ertrag von einem Litre Wein auf einen Qua-
dratmeter Weinberg; wenn wir nun annehmen, daß der Wein
[348]Nachträge.
zu ¾ geſättigt iſt mit Weinſtein (ſaurem weinſaurem Kali) ſo
nehmen wir in dieſer Flüſſigkeit dem Boden 1,8 Grm. reines
Kali im Maximo. Dieſe Schätzung iſt, den Kaligehalt der
Hefe mit inbegriffen, jedenfalls das Höchſte, was man anneh-
men darf; da 100 Th. Champagner-Wein nur 1,54 und 1000
Th. Wachenheimer nur 1,72 Th. trockenen, geglühten Rück-
ſtand hinterlaſſen. Auf jeden Quadratmeter Weinberg kann
man aber einen Weinſtock rechnen, deſſen abgeſchnittenes Holz
nach dem Einäſchern in 1000 Th. 56—60 Th. kohlenſaures
Kali = 38—40 Th. reinem Kali zurückläßt. Man ſieht hier-
nach leicht, daß 45 Grm., = 1½ Unze, Rebholz ſo viel Kali
enthalten als 1 Litre Wein; es wird aber dem Rebſtock
jährlich die 8—10fache Quantität an Holz genommen. Die
Anlage neuer Weinberge in der Umgegend von Johannisberg,
Rüdesheim und Büdesheim beginnt mit der Ausrottung der
alten Stöcke, mit dem Anſäen von Gerſte und Luzerne oder
Eſparſette, welche fünf Jahre auf dem Felde ſtehen bleibt; in
dem ſechsten Jahre wird der junge Weinberg angepflanzt, und
in dem neunten Jahr wird er zum erſten Male gedüngt.
Zuſatz zur Seite 167.
Vor ganz kurzer Zeit war die Wirkungsweiſe des Kuh-
koths in der Färberei eben ſo unbegreiflich, wie die des Dün-
gers in der Landwirthſchaft. Bei den mit Alaunbeize oder
eſſigſaurem Eiſen bedruckten Zeugen muß das Verdickungsmit-
tel der Beize aufgelöſ’t und hinweggenommen werden; die un-
verbundene Beize muß entfernt, ſie muß verhindert werden,
ſich im Bade aufzulöſen und in den weißen Grund zu ſchla-
gen; die mit der Faſer verbundene Beize muß damit noch voll-
kommener vereinigt und auf dieſelbe befeſtigt werden. Alle
dieſe, für die Färberei höchſt wichtigen Zwecke erreicht man
[349]Nachträge.
durch das heiße Kuhmiſtbad; es ſchien früher ganz unerſetz-
bar durch andere Materien zu ſein, eben weil der thieriſche
Organismus dazu gehörte, um den Kuhmiſt hervorzubringen.
Jetzt, ſeitdem man weiß, daß alle dieſe Wirkungen den phos-
phorſauren Alkalien in dieſem Kothe angehören, wendet man
in England und Frankreich keinen Kuhkoth mehr an; man
bedient ſich ſtatt deſſelben einer Miſchung von Salzen, in wel-
chen der Hauptbeſtandtheil phosphorſaures Natron iſt.
Gründüngung in Weinbergen.
(Aus einem Schreiben des Herrn Verwalters Krebs zu Seeheim.)
In Bezug auf den Artikel in der landwirthſchaftlichen Zei-
tung Nr. 7. 1838, meine Weinbergsanlage betreffend, ſo wie
auf den Artikel: »Gründüngung in den Weinbergen« in der-
ſelben Zeitſchrift Nr. 29. 1839, kann ich nicht umhin, den Ge-
genſtand noch einmal aufzunehmen und Jedem, der noch zwei-
felt, daß man in den Weinbergen keine andere Düngung, als
den der Weinſtock ſelbſt abwirft, nöthig hat, zuzurufen: Komm
her und überzeuge Dich! Nun ſteht mein Weinberg im achten
Jahr und hat noch keinen andern Dünger erhalten, demun-
geachtet möchte kaum Jemand einen ſchöneren, kräftigeren im
Trieb, noch voller Frucht aufzuweiſen haben, und ſtünde er in
der Dunggrube.
Ich hätte nach der hier gewöhnlichen Weiſe, die Weinberge
zu düngen, jetzt ſchon dreimal düngen müſſen, wozu ich jedes
[350]Nachträge.
Mal 25 Wagen voll Dünger gebraucht und die mich, bis ſie
im Boden geweſen, 3 fl. pr. Wagen, alſo 75 fl. und für
drei Mal 225 fl. gekoſtet hätten. Dieſe ſind erſpart und
meine Aecker ſind in ſehr gutem Zuſtande.
Wenn ich im Früh- und Spätjahr die mühevolle Arbeit
anſehe, wie der Dünger mit 2 bis 3 und oft mit 4 Pferden
an die Weinberge gefahren, dann durch viele Leute, oft noch
weit, auf dem Kopfe getragen wird, während ihre Sandäcker
ihn ſo nöthig haben, dann möchte ich ihnen zurufen: Kommt
doch in meinen Weinberg und ſeht, wie der gütige Schöpfer
ſchon dafür geſorgt hat, daß der Weinſtock ſo gut wie der
Baum im Walde ſeinen Dünger ſelbſt abwirſt, ja ich behaupte:
noch reichlicher und beſſer. Das Laub im Walde fällt erſt im
Herbſte, wenn es dürr iſt, ab und liegt jahrelang, bis es ver-
weſet, und kann, weil die Luft alle Kraft ausgeſogen hat, dem
Reblaub, welches in der letzten Hälfte Juli oder Anfangs Au-
guſt ſammt den Reben ab- und kleingehauen und grün unter-
gehackt wird, keineswegs gleichgerechnet werden, indem dieſes,
was mich die Erfahrung lehrte, binnen 4 Wochen ſo in Ver-
weſung übergeht, daß auch nicht die entfernteſte Spur mehr
zu finden iſt. Sodann ſtehen auf dem Raume, den ein Buch-
und Eichbaum einnimmt, wenigſtens 10 Weinſtöcke, die weit
mehr Dünger als der größte Baum abwerfen, wenn man be-
denkt, wie viel manchmal dem Walde entzogen wird und er
dennoch fortbeſteht.
Anmerkung der Redaction. In Al. Henderſohn’s
Geſchichte der Weine der alten und neuen Zeit heißt es:
»Das beſte Dungmittel für den Weinſtock ſind die beim
Beſchneiden deſſelben erhaltenen friſch untergebrachten Reben.«
An der Bergſtraße, badiſcher Seits, wird das Rebholz
noch längſt da und dort als Dungmittel der Weinberge
[351]Nachträge.
benutzt. So ſagt z. B. Peter Frauenfelder zu Großſachſen,
Amts Weinheim *):
»Ich erinnere mich, daß vor 20 Jahren dahier ein gewiſſer
Peter Müller obiges Dungmittel in hieſigen Weinbergen an-
gewendet und über 30 Jahre fortgeſetzt hat. Derſelbe zerſchnitt
die abgeſchnittenen Rebhölzer in handlange Stücke und ließ ſie
fallen, dann wurden ſie beim Hacken untergebracht. Seine
Weinberge befanden ſich immer in einem kräftigen Zuſtande,
und man ſpricht heutzutage noch davon, daß der alte Müller
keinen Dung in ſeine Weinberge brachte und dieſe doch ſo gut
im Stande waren.«
Ferner der Wingertsmann W. Ruf zu Schriesheim:
»Seit 10 Jahren konnte ich keinen Dung in meinen Wein-
berg thun, weil ich arm bin und keinen kaufen konnte. Zu
Grunde wollte ich meinen Weinberg auch nicht gehen laſſen,
da er meine einzige Nahrungsquelle in meinem Alter iſt; da
ging ich oft betrübt in demſelben auf und ab und wußte mir
nicht zu helfen. Endlich bemerkte ich, durch die größte Noth
aufmerkſam gemacht, daß von einigen Rebenhaufen, die im
Pfade liegen geblieben ſind, das Gras größer und maſter war
als an den Orten, wo keine Reben lagen; ich dachte näher
nach und ſagte endlich zu mir ſelbſt: Könnt ihr Reben ma-
chen, daß das Gras um euch herum größer, ſtärker und grü-
ner wird, ſo könnt ihr auch machen, daß die Stöcke und Re-
ben in meinem armen, magern Wingert beſſer wachſen, ſtärker
und grüner werden.
Ich zog meinen Weinberg ſo tief zu, als wenn ich Dung
hineinthun wollte, fing an zu ſchneiden, ſchnitt die abgeworfe-
nen Reben noch zwei- auch dreimal durch, legte ſie in die ge-
[352]Nachträge.
machten Furchen und bedeckte ſie mit Erde. Im Jahre darauf
ſah ich mit der größten Freude, wie ſich mein magerer Wein-
berg kräftig erholte. Ich ſetzte dieſes Mittel von Jahr zu
Jahr fort und ſiehe, mein Weinberg wuchs herrlich, blieb den
ganzen Sommer grün, auch wenn die größte Hitze eintrat.
Meine Nachbarn wundern ſich oft, daß mein Wingert ſo
maſt iſt, ſo grün ausſieht, ſo ſtarke lange Reben treibt, da ſie
doch wiſſen, daß ich ſeit 10 Jahren keinen Dung hineingethan.«
Dieß dürften für die wohlgemeinten, wohlzubeherzigenden
Worte des Herrn Verwalter Krebs hinlängliche Belege ſein.
(Zeitſchrift für die landwirthſchaftlichen Vereine des Großherzogthums Heſſen.
1840. Nr. 28.)
[]
Appendix A Berichtigungen.
- Seite 13 Zeile 16 v. o. ſtatt 895 l. 89,5.
- » 14 » 2 v. o. ſtatt 800 Th. l. 800 ℔.
- » — » 13 v. u. ſtatt nahmen l. nehmen.
- » 20 » 13 v. u. ſtatt aus l. auf.
- » 23 » 8 v. u. ſtatt Meyer l. Meyen.
- » 32 » 13 v. o. ſtatt Coriphäen l. Koryphäen.
- » 58 » 14 v. u. ſtatt Kalk l. Kali.
- » 61 » 4 v. o. ſtatt Humbold l. Humboldt.
- » 66 » 5 v. o. ſtatt bildet es l. bildet das Ammoniak.
- » — » 8 v. o. ſtatt Aepfelwurzelrinde l. Wurzelrinde des Aepfel-
baums. - » — » 10 v. o. ſtatt Erynthrin l. Erythrin.
- » 69 » 8 v. o. ſtatt 0,767 l. 767 Grm.
- » 70 » 18 v. o. ſtatt erſten vorübergehenden l. zuerſt überge-
henden. - » 81 » 13 v. o. ſtatt an lies von.
- » 100 » 9 v. u. ſtatt Neuheim l. Nauheim.
- » 103 » 12 v. o. ſtatt Naueim l. Nauheim.
- » 107 » 3 v. o. ſtatt und l. nur.
- » — » 15 v. o. ſtatt Beireuth l. Baireuth.
- » 110 » 2 v. o. ſtatt und l. nur.
- » 111 » 9 v. u. ſtatt können den Humus völlig entbehren l. iſt
der Humus völlig entbehrlich. - » 126 » 10 v. o. ſtatt Quantitäten l. Qualitäten.
- » 132 » 11 v. o. ſtatt Chicoraceen l. Cichoraceen.
- » — » 12 v. o. ſtatt Corniferen l. Coniferen.
- » 142 » 12 v. o. ſtatt 1000 Th. l. 10000 Th.
- » 148 » 13 v. u. ſtatt fleiſchfreſſendes l. körnerfreſſendes.
- » 177 » 15 v. o. ſetze nach Quantität von.
- » 207 » 8 v. u. ſtatt treibt l. trübt.
- » 209 » 12 v. o. ſtatt und Kalkſpath l. von Kalkſpath.
- » 217 » 3 v. u. ſtatt dem Cyan l. des Cyans.
- » 234 » 3 v. o. ſtatt ſeine l. ihre.
- » 240 » 8 v. o. ſetze nach andern ein Komma.
- » 257 » 7 v. u. ſtatt am l. aus.
- » 265 » 9 v. u. ſtatt der Herba centauri minoris l. von Cen-
taurium minus. - » 268 » 10 v. o. ſtatt ſeinen l. ihren — ſtatt ſeine l. ihre.
- » 269 » 10 v. u. ſtatt zerplatzender Baſen l. zerplatzenden Blaſen.
- » 271 » 10 v. o. ſtatt Fibration l. Filtration.
- » 274 » 2 v. o. ſtatt immer l. minus.
- » 276 » 8 v. u. ſtatt ſeines l. ihres.
- » 291 » 4 v. o. ſtatt 6 l. 5.
- » 297 » 11 v. o. ſtatt 3 At. Sauerſtoffgas l. 3 At. Sumpfgas.
[][][][]
wiſſenſchaft, Herrn Forſtmeiſter Dr.Heyer.
Sauerſtoffgas verbrannt, lieferten 51,93 Waſſer, 165,8 Kohlenſäure
und 6,82 Aſche. Dieß giebt 45,87 Kohlenſtoff, 5,76 Waſſerſtoff,
31,55 Sauerſtoff, 6,82 Aſche. Das lufttrockene Heu verliert bei 100°,
erhitzt 11,2 p. c. Waſſer. (Dr.Will.)
100 Theile, bei 100° getrocknet, 46,37 Kohlenſtoff, 5,68 Waſſerſtoff,
43,93 Sauerſtoff, 4,02 Aſche, das lufttrockene Stroh verliert bei der
Siedhitze 18 p. c. Waſſer. (Dr.Will.)
21000/100000 Sauerſtoffgas. Ein Menſch verzehrt in einem Jahre
166,075 Cubicfuß Sauerſtoffgas (45000 Cubiczoll in einem Tage
nach Lavoiſier, Seguin und Davy), tauſend Millionen Menſchen
verzehren demnach in einem Jahre 166 Billionen Cubicfuß, = 1/1000
der Quantität, welche in der Luft in der Form von Kohlenſäure ent-
halten iſt. In 1000 Jahren müßte ſich der Gehalt der Kohlenſäure
verdoppeln, und in 303 Mal ſo viel Jahren würden die Menſchen
allein allen Sauerſtoff verzehrt und in Kohlenſäure verwandelt haben.
Der Verbrauch durch Thiere und Verbrennungsproceſſe iſt hierbei nicht
in Anſchlag gebracht.
den kann, giebt folgende Rechnung zu erkennen: Bei dem Weißen
eines kleinen Zimmers von 105 Meter Fläche (Wände und Decke zu-
ſammengenommen) erhält es in 4 Tagen 6 Anſtriche mit Kalkmilch,
es wird ein Ueberzug von kohlenſaurem Kalk gebildet, zu welchem
die Luft die Kohlenſäure liefert. Nach einer genauen Beſtimmung
erhält ein Quadratdecimeter Fläche einen Ueberzug von kohlenſaurem
Kalk, welcher 0,732 Grm. wiegt. Obige 105 Meter ſind mithin be-
deckt mit 7686 Grm. kohlenſauren Kalk, welche 4325,6 Grm. Koh-
lenſäure enthalten. Das Gewicht eines Cubicdecimeters Kohlenſäure
zu 2 Grm. angenommen (er wiegt 1,97978 Grm.) abſorbirt mithin
obige Fläche 2,163 Cubicmeter Kohlenſäure in 4 Tagen.
Ein Morgen Land = 2500 Quadratmeter würde bei einer gleichen
Behandlung in 4 Tagen 51½ Cubicmeter Kohlenſäure = 3296 Cu-
bicfuß, Kohlenſäure abſorbiren, in zweihundert Tagen würde dieß 2575
Cubicmeter = 164,800 Cubicfuß = 10300 ℔ Kohlenſäure = 2997 ℔
Kohlenſtoff, alſo etwa dreimal mehr betragen, als die Blätter und
Wurzeln der Pflanzen, die auf dieſem Boden wachſen, wirklich aſſi-
miliren.
Wie das Entſtehen einer Pflanze durch irdiſche allgemeine Thätigkeit
bedingt iſt, ſo auch ihr Wachſen und Beſtehen. Das Wachſen der
Pflanzen geſchieht allſeitig und nur vorherrſchend ſtärker nach gewiſſen
Richtungen unter beſtimmten Umſtänden. Um die Geſetze, nach wel-
chen das Wachſen und das Geſtalten der Pflanzen ſtattfindet, nur
einigermaßen begreiflich finden zu können, muß man die folgenden
naturwiſſenſchaftlichen Anſichten ſich deutlich gemacht haben.
- 1. Jeder ſtoffige Körper iſt ſeinem Weſen nach der Schwere unter-
worfen, und auch der Pflanzenkörper folgt ihr, und die Pflanze über-
windet nur theilweiſe durch eigene Selbſtthätigkeit dieſe Kraft.
- 2. Das Licht offenbart ſich in der Natur als das unendlich Schaffende,
ſo daß es (nach Steffens) das für die Natur iſt, was das Be-
wußtſein für das geiſtige Leben. Durch Licht iſt daher alles Leben
erſt möglich und jede Pflanze verlangt ihrem Weſen nach eine be-
ſtimmte Einwirkung des Lichtes, ſo daß bei zu viel Licht die Pflanze
an Ueberreiz, und bei zu wenig Licht aus Mangel an Ueberreiz ſtirbt. - 3. Kälte und Wärme ſind begleitende Erſcheinungen der Dinge beim
Uebergange zum formloſen, theils zum beſonderen mit innerem Ge-
genſatze, und ſie zeigen überhaupt nur Zuſtände der Dinge an. Da
nun im Zuſtande der Kälte Alles erſtarrt und nur in dem der Wärme
etwas thätig oder flüſſig ſein kann, ſo können auch Pflanzen nur
im Zuſtande der Wärme thätig ſein, alſo entſtehen und wachſen, und
jede beſondere Pflanze wird einen beſonderen Zuſtand der Wärme
verlangen. - 4. Das Erdige, zuſammengeſetzt aus Kohlenſtoff, Sauerſtoff und Waſſer-
ſtoff, iſt ein Hauptbeſtandtheil der Pflanze. Weil jedoch der Koh-
lenſtoff als die Grundlage der Erde, als Element erſcheint, ſo iſt
dieſer die unentbehrliche Nahrung für die Pflanzen; darum ſind
auch alle Pflanzen verbrennlich und verwandeln ſich durch das Ver-
brennen in Kohle. Im luftförmigen Zuſtande (als Gas) iſt der
Kohlenſtoff nicht rein, ſondern mit dem Sauerſtoffgas als kohlen-
ſaures Gas (Kohlenſäure, Urſäure, wie Schwere die Urkraft
iſt) verbunden, und dieſe Kohlenſäure iſt ja ſo ungemein günſtig zum
Gedeihen der Pflanzen. - 5. Das Waſſer iſt der ſichtbarſte Beſtandtheil (oft ⅔) der Pflanzen, ſo
daß ohne daſſelbe ebenfalls keine Pflanze möglich iſt. Da mithin
das Waſſer hauptſächlich aus Sauerſtoff, etwas vom ſogenannten
Waſſerſtoff und einem Minimum des Kohlenſtoffs beſteht, ſo ſtellt der
Sauerſtoff die Grundlage des Waſſerelements dar. Ohne den Sauer-
ſtoff keimt nicht einmal ein Saamen, geſchweige daß eine Pflanze ohne
ihn wachſen könnte.
des Unendlichen im Endlichen, da nun das Unendliche das Abſolute,
Alleinige, das Endliche aber das Relative, Mannichfaltige iſt, ſo giebt
es auch nur zwei weſentliche Urformen der Naturthätigkeit.
»In der pflanzlichen und thieriſch bewußtloſen Zeugung iſt die Be-
fruchtung eine electriſche Wirkung bei offner Kette.«
»Bei der innerlichen Begattung wirkt er (der Saame) auf das weib-
liche Leben ſelbſt, ſteigert ſein Daſein zu einer magnetiſchen Ent-
faltung, welche in einer Zerſetzung des Fruchtſtoffs ſich ausſpricht,
und darin beſteht das Weſen der Befruchtung.«
Burdach’s Phyſiologie als Erfahrungswiſſenſchaft III. S. 184 bei Ge-
legenheit, wo von den Beſtandtheilen der Butter die Rede iſt.
Die traurige Zeit, wo ſich geiſtreiche und verdienſtvolle Männer,
mit ähnlichen hohlen nichtsſagenden Phraſen, mit Bildern und Phan-
taſiegemälden in der Form von Erklärungen überboten, ſie kann als
vorübergehend angeſehen werden, ſeitdem eine neue Aera durch Tiede-
mann’s und Gmelin’s, Müller’s, Valentin’s, Arnold’s, Wag-
ner’s, Schwann’s und Anderer Forſchungen begonnen hat, eine un-
erſchöpfliche Quelle von Entdeckungen liegt vor ihnen, alles iſt von
ihren Vorgängern geſchehen, um ihnen die Entdeckung der wichtigſten
Wahrheiten ungeſchmälert zu überlaſſen.
- 6. Durch die Luft, als Element, wird beim Einathmen jedes Leben der
Pflanzen (und Thiere) erhalten, und wenn durch ihre Einwirkung, we-
gen ihrer großen Leichtigkeit, auch die Pflanzenmaſſe nicht ſehr ver-
größert wird, ſo müſſen, zum Belebtſein, doch alle Theile von ihr
ſtetig durchdrungen und umgeben ſein. Die Grundlage der Luft iſt
das Stickgas, da dieſes aber nicht einfach, ſondern mit dem Sauer-
ſtoff gemengt erſcheint, welche luftförmige Verbindung dann Waſſer-
ſtoff genannt wird (weil ſie beim Zerſetzen des Waſſers in einer
glühenden eiſernen Röhre entſteht!), ſo kann man ſagen, die Luft be-
ſtehe aus Sauerſtoff, Waſſerſtoff (Stickſtoff) und Kohlenſtoff, und der
Waſſerſtoff macht einen weſentlichen Beſtandtheil der Pflanzen aus.
Das Vorſtehende wird hier als Beiſpiel der Behandlung der Pflanzen-
phyſiologie und der Anſichten mancher Botaniker über die Ernährung der
Gewächſe gegeben; es iſt aus J. A. Reum’s, Profeſſor in Tharand
(Mitglied mehrerer wiſſenſchaftlichen Vereine ꝛc.), Forſtbotanik. 3te
Auflage, Leipzig, Arnold’ſche Buchhandlung, 1837.
wird, ſo wie ihres Blutes, würde über dieſe Krankheit großes Licht
verbreiten. Verweſung und Fäulniß bedingen ſich gegenſeitig, wie in
dem zweiten Theile auseinander geſetzt iſt. Die Zerſetzung, welche
das Blut in der Lunge erfährt, iſt in der Lungenſucht eine wahre
Fäulniß. Der ganze Körper verwandelt ſich in Blut, um das meta-
morphoſirte zu erſetzen. Gewiß verdient es Beachtung, daß alle Mit-
tel, welche dieſe ſchreckliche Krankheit mildern und ihren Ausgang ver-
zögern, lauter ſolche ſind, welche der Fäulniß entgegenwirken und ſie
unter Umſtänden aufzuheben vermögen. In Gasfabriken, in Salmiak-
hütten, in Holzeſſigfabriken, Theerſchweelereien, in Gerbereien iſt dieſe
Krankheit ganz unbekannt, aber alle Subſtanzen, mit denen die Ar-
beiter in dieſen Anſtalten umgehen, ſind Materien, die keine Art von
Fäulniß aufkommen laſſen. Das Einathmen von Chlor, von Eſſigſäure
und aromatiſchen Subſtanzen ſind als Linderungsmittel längſt erprobt.
durch einen höchſt ausgezeichneten jungen Phyſiologen Dr.Vogel
aufs Vollſtändigſte beſtätigt worden.
welche ſie zur Zeit der Brut bewohnen, es ſind die verfaulten Excre-
mente derſelben, welche den Boden mit einer mehre Fuß hohen Schicht
bedecken.
Theilen:
- Harnſtoff ....... 7 Theile,
- hippurſaures Natron 24 »
- Salze und Waſſer . 979 »
- 1000 Theile.
Spur meconſauren Kalk, während andere Sorten ihm ſehr beträcht-
liche Quantitäten davon gaben. (Ann. de chim. LIII. p. 425.)
des Sciences a Paris 1re Semestre 1837. p. 12.
den mudenförmigen feuchten Vertiefungen der Dünen wachſen, nament-
lich die der Sandgräſer, auf einen Alkaligehalt zu prüfen. (Hartig)
Wenn das Kali darin fehlt, ſo iſt es ſicher durch Natron wie bei den
Salſolaarten, oder durch Kalk wie bei den Plumbagineen, erſetzt.
haften Zuſtandes angeſehen, ebenſo die Läufe bei Kindern, die Erzeu-
gung von Miesmuſcheln in einem Fiſchteiche, von Salzpflanzen in der
Nähe von Salinen, von Neſſeln und Gräſern, von Fiſchen in den Re-
Naturforſcher nicht unmöglich.« Man bedenke, daß einem Boden, der
aus verwitterten Felsarten, faulenden Vegetabilien, Regenwaſſer, Salz-
waſſer ꝛc. beſteht, die Fähigkeit zugeſchrieben wird, Muſcheln, Forellen,
Salicornien ꝛc. zu erzeugen. Wie alle Forſchungen vernichtend ſind
Meinungen dieſer Art, von einem Lehrer ausgehend, der ſich eines
verdienten Beifalls erfreut, der ſich durch gediegene Arbeiten Zutrauen
und Anerkennung verſchafft hat. Alles dieß ſind doch zuletzt nur Ge-
genſtände der oberflächlichſten Beobachtung geweſen, die ſich zum Ge-
genſtand gründlicher Unterſuchung wohl eignen, allein das Geheimniß-
volle, Dunkle, Myſtiſche, das Räthſelhafte, es iſt zu verführeriſch für
den jugendlichen, für den philoſophiſchen Geiſt, welcher die tiefſten
Tiefen der Natur durchdringt, ohne wie der Bergmann eines Schach-
tes und Leitern zu bedürfen. Dies iſt Poeſie, aber keine nüchterne
Naturforſchung.
- 26,660 Kochfalz.
- 4,660 ſchwefelſaures Natron.
- 1,232 Chlorkalium.
- 5,152 Chlormagneſia.
- 1,5 ſchwefelſauren Kalk.
in eine Retorte bis zum Glühen erhitzt, ſo erhält man ein Sublimat
von ſalzſaurem Ammoniak (Marcet).
Brod gebacken.
(Clerodendron fragrans), in deren Blattdrüſen im September, wo ſie
im Zimmer vegetirte, große farbloſe Tropfen ausſchwitzen, die zu den
regelmäßigſten Kryſtallen von Kandis-Zucker eintrockneten; es iſt mir
nicht bekannt, ob der Saft dieſer Pflanze Zucker enthält.
Stuttgart bei Cotta, ſagt vom Dünger: » » O des verwickelten gordi-
ſchen Knotens, den die ſcharfſinnigſten algebraiſchen Formeln wohl nimmer
löſen, ſelbſt die pfropfenzieherförmigen Atome des Carteſius nicht zu Tage
fördern werden! Es iſt nicht gut, ſagt Plato, die Aufſuchung der
Dinge zu weit zu treiben. Die Naturwiſſenſchaften finden ihre Gren-
zen, über die hinaus Iſis Schleier das Geheimniß deckt, oder kann
Jemand uns das Weſen von Kraft, Leben und Bewegung enthüllen?«
(Dritter Theil. Seite 33.)
24 Theile lösliche Alkalien befinden, dieſelbe Quantität Fichtenblätter
giebt nur 29 Theile Aſche, welche 4, 6 Theile lösliche Salze ent-
hält (Sauſſure).
100 Theilen der letzteren ſind 18 Theile Stickſtoff.
1834, Seite 932. lebte dieſe Pflanze noch 16 Jahre nach dem in
der Abhandlung angeführten Datum.
ſtänden eine ſo beträchtliche Menge Fuſelöl aus Kartoffelnbranntwein
erhalten, daß es zum Beleuchten des ganzen Fabriklocals benutzt
werden konnte.
Kühnert aus Kaſſel, ſowie alle in dieſem Werke überhaupt erwähn-
ten, in dem hieſigen Laboratorium ausgeführt worden
von Gerüchen, die ſich aus Blut entwickeln, dem man etwas Schwe-
felſäure zugeſetzt hat, beweiſen jedenfalls die Exiſtenz beſonderer Ma-
terien in verſchiedenen Individuen, das Blut eines blonden Menſchen
giebt einen andern Geruch, als das eines braunen, das Blut verſchie-
dener Thiere weicht in dieſer Beziehung ſehr bemerkbar von dem der
Menſchen ab.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmr9.0