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Gedichte


Und wie du das Herz
Der Pflanzen erfreueſt,
Wenn ſie entgegen dir
Die zarten Arme ſtrecken,
So haſt du mein Herz erfreut,
Vater Helios! und wie Endymion,
War ich dein Liebling,
Heilige Luna!


(Fragment.)



Stuttgart und Tuͤbingen:
in derJ. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1826.

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Inhalt.


  • Seite


    Das Schickſal. 1
  • Griechenland. An St. 5
  • Dem Genius der Kühnheit. Eine Hymne. 8
  • Lebensgenuß. An Neuffer. 12
  • Der Gott der Jugend. 13
  • An eine Roſe. 16
  • Freundeswunſch. An Roſine St. 17
  • Diotima. 19
  • Das Ahnenbild. 23
  • Der blinde Sänger. 26
  • Dichtermuth. 29
  • Natur und Kunſt, oder Saturn und Jupiter. 31
  • An unſere Dichter. 33
  • An Eduard. 34
  • Der gefeſſelte Strom. 37
  • Sonnenuntergang. 39
  • Menſchenbeifall. 40
  • Stimme des Volks. 41
  • Die ſcheinheiligen Dichter. 42
  • Die Launiſchen. 43
  • Der Zeitgeiſt. 44
  • Der Tod für's Vaterland. 45
  • Des Morgens. 46
  • Abendphantaſie. 47
  • An die Hoffnung. 49
  • Der Winter. 50
  • Der gute Glaube. 52
  • Ihre Geneſung. 53
  • Abbitte. 54
  • Ehmals und jetzt. 55
  • An die Deutſchen. 56
  • An die jungen Dichter. 57
  • Seite


    Die Kürze. 58
  • Sokrates und Alcibiades. 59
  • Die Götter. 60
  • Empedokles. 61
  • Der Neckar. 62
  • Heidelberg. 64
  • Der Main. 66
  • Ermunterung. 69
  • Die Heimath. 71
  • Die Liebe. 73
  • Lebenslauf. 75
  • Der Abſchied. 76
  • Diotima. 78
  • Rückkehr in die Heimath. 80
  • An die Parzen. 82
  • Unter den Alpen geſungen. 83
  • Der Menſch. Fragment. 85
  • Emilie an ihrem Brauttag. 87
  • An Hiller. 1793. 114
  • Seiner Großmutter zum zwei und ſiebenzigſten Ge-
    burtstag. 117
  • An L. Fragment. 120
  • Sophokles. 122
  • Der zürnende Dichter. 123
  • Die Scherzhaften. 124
  • An Diotima. 125
  • An ihren Genius. 126
  • Menons Klagen um Diotima. 127
  • Die Nacht. Fragment. 137
  • Die Herbſtfeier. An Siegfried Schmidt. 139
  • Der Wanderer. 147
  • Die Eichbäume. 153
  • An den Aether. 155
  • Der Archipelagus. 159
  • Andenken. 180
  • Die Wanderung. 183
  • Der Rhein. Fragment. 188
  • Hyperions Schickſalslied. 196
  • Der Tod des Empedokles. Fragmente eines Trauer-
    ſpiels. 198
[[1]]

Das Schickſal.


‘Πϱοσϰυνουνιεϛ την εἱμαϱμενην, σοφου.’
(Aeschylus.)

Als von des Friedens heil'gen Thalen,

Wo ſich die Liebe Kraͤnze wand,

Hinuͤber zu den Goͤttermahlen

Des goldnen Alters Zauber ſchwand,

Als nun des Schickſals eh'rne Rechte,

Die große Meiſterin, die Noth

Dem uͤbermuͤthigen Geſchlechte

Den langen, bittern Kampf gebot:

Da ſprang er aus der Mutter Wiege,

Da fand er ſie, die ſchoͤne Spur

Zu ſeiner Tugend ſchwerem Siege,

Der Sohn der heiligen Natur;

Der hohen Geiſter hoͤchſte Gabe,

Der Tugend Loͤwenkraft begann,

Im Siege, den ein Goͤtterknabe

Den Ungeheuern abgewann.

Hoͤlderlin Gedichte. 1
[2]
Es kann die Luſt der goldnen Ernte

Im Sonnenbrande nur gedeih'n;

Und nur in ſeinem Blute lernte

Der Kaͤmpfer, frei und ſtolz zu ſeyn;

Triumph! die Paradieſe ſchwanden;

Wie Flammen aus der Wolke Schoos,

Wie Samen aus dem Chaos, wanden

Aus Stuͤrmen ſich Heroen los.

Der Noth iſt jede Luſt entſproſſen,

Und unter Schmerzen nur gedeiht

Das Liebſte, was mein Herz genoſſen,

Der holde Reiz der Menſchlichkeit;

So ſtieg, in tiefer Fluth erzogen,

Wohin kein ſterblich Auge ſah,

Stilllaͤchelnd aus den ſchwarzen Wogen

In ſtolzer Bluͤthe Cypria.

Durch Noth vereiniget, beſchwuren,

Vom Jugendtraume ſuͤß berauſcht,

Den Todesbund die Dioskuren,

Und Schwerdt und Lanze ward getauſcht;

In ihres Herzens Jubel eilten

Sie, wie ein Adlerpaar, zum Streit,

Wie Loͤwen ihre Beute, theilten

Die Liebenden Unſterblichkeit.

[3]
Die Klagen lehrt die Noth verachten,

Beſchaͤmt und ruhmlos laͤßt ſie nicht

Die Kraft der Juͤnglinge verſchmachten,

Giebt Muth der Bruſt, dem Geiſte Licht;

Der Greiſe Fauſt verjuͤngt ſie wieder;

Sie koͤmmt wie Gottes Blitz heran,

Und truͤmmert Felſenberge nieder,

Und wallt auf Rieſen ihre Bahn.

Mit ihrem heil'gen Wetterſchlage,

Mit Unerbittlichkeit vollbringt

Die Noth an Einem großen Tage,

Was kaum Jahrhunderten gelingt;

Und wenn in ihren Ungewittern

Selbſt ein Elyſium vergeht,

Und Welten ihrem Donner zittern —

Was groß und goͤttlich iſt, beſteht.

O du, Geſpielin der Koloſſen,

O weiſe, zuͤrnende Natur,

Was je ein Rieſenherz beſchloſſen,

Es keimt in deiner Schule nur;

Wohl iſt Arkadien entflohen,

Des Lebens beſſ're Frucht gedeiht

Durch ſie, die Mutter der Heroen,

Die eherne Nothwendigkeit.

[4]
Fuͤr meines Lebens goldnen Morgen

Sey Dank, o Pepromene, dir!

Ein Saitenſpiel und ſuͤße Sorgen

Und Traͤum' und Thraͤnen gabſt du mir!

Die Flammen und die Stuͤrme ſchonten

Mein jugendlich Elyſium,

Und Ruh' und ſtille Liebe thronten

In meines Herzens Heiligthum.

Es reife von des Mittags Flamme,

Es reife nur von Kampf und Schmerz

Die Bluͤth' am grenzenloſen Stamme,

Wie Sproſſe Gottes, dieſes Herz!

Befluͤgelt von dem Sturm, erſchwinge

Mein Geiſt des Lebens hoͤchſte Luſt,

Der Tugend Siegesluſt verjuͤnge

Bei kargem Gluͤcke mir die Bruſt!

Im heiligſten der Stuͤrme falle

Zuſammen meine Kerkerwand,

Und herrlicher und freier walle

Mein Geiſt in's unbekannte Land!

Hier blutet oft der Adler Schwinge;

Auch druͤben warte Kampf und Schmerz!

Bis an der Sonnen letzte ringe,

Genaͤhrt vom Siege, dieſes Herz!
[5]

Griechenland.


An St.


Haͤtt' ich dich im Schatten der Platanen,

Wo durch Blumen der Iliſſus rann,

Wo die Juͤnglinge ſich Ruhm erſannen,

Wo die Herzen Sokrates gewann,

Wo Aſpaſia durch Myrten wallte,

Wo der bruͤderlichen Freude Ruf

Aus der laͤrmenden Agora ſchallte,

Wo mein Plato Paradieſe ſchuf;

Wo den Fruͤhling Feſtgeſaͤnge wuͤrzten,

Wo die Fluten der Begeiſterung

Von Minervens heil'gem Berge ſtuͤrzten —

Der Beſchuͤtzerin zur Huldigung —

Wo in tauſend ſuͤßen Dichterſtunden,

Wie ein Goͤttertraum, das Alter ſchwand.

Haͤtt' ich da, Geliebter! dich gefunden,

Wie vor Jahren dieſes Herz dich fand!

[6]
Ach! wie anders haͤtt' ich dich umſchlungen! —

Marathons Heroen ſaͤngſt du mir,

Und die ſchoͤnſte der Begeiſterungen

Laͤchelte vom trunknen Auge dir,

Deine Bruſt verjuͤngten Siegsgefuͤhle,

Und dein Haupt vom Lorberzweig umſpielt,

Fuͤhlte nicht des Lebens dumpfe Schwuͤle,

Die ſo karg der Hauch der Freude kuͤhlt.

Iſt der Stern der Liebe dir verſchwunden?

Und der Jugend holdes Roſenlicht?

Ach! umtanzt von Hellas goldnen Stunden,

Fuͤhlteſt du die Flucht der Jahre nicht!

Ewig, wie der Veſta Flamme, gluͤhte

Muth und Liebe dort in jeder Bruſt,

Wie die Frucht der Hesperiden, bluͤhte

Ewig dort der Jugend ſuͤße Luſt.

Haͤtte doch von dieſen goldnen Jahren

Einen Theil das Schickſal dir beſcheert;

Dieſe reitzenden Athener waren

Deines gluͤhenden Geſangs ſo werth;

Hingelehnt am frohen Saitenſpiele

Bei der ſuͤßen Chiertraube Blut,

Haͤtteſt du vom ſtuͤrmiſchen Gewuͤhle

Der Agora gluͤhend ausgeruht.

[7]
Ach! es haͤtt' in jenen beſſern Tagen

Nicht umſonſt ſo bruͤderlich und groß

Fuͤr ein Volk dein liebend Herz geſchlagen,

Dem ſo gern des Dankes Zaͤhre floß! —

Harre nur! ſie koͤmmt gewiß die Stunde,

Die das Goͤttliche vom Staube trennt!

Stirb! du ſuchſt auf dieſem Erdenrunde,

Edler Geiſt! umſonſt dein Element.

Attika, die Rieſin iſt gefallen;

Wo die alten Goͤtterſoͤhne ruh'n,

Im Ruin geſtuͤrzter Marmorhallen

Bruͤtet ew'ge Todesſtille nun,

Laͤchelnd ſteigt der ſuͤße Fruͤhling nieder,

Doch er findet ſeine Bruͤder nie

In Iliſſus heil'gem Thale wieder —

Ewig deckt die bange Wuͤſte ſie.

Mich verlangt in's beſſre Land hinuͤber,

Nach Alcaͤus und Anakreon,

Und ich ſchlief' im engen Hauſe lieber

Bei den Heiligen in Marathon;

Ach! es ſey die letzte meiner Thraͤnen,

Die dem heil'gen Griechenlande rann,

Laßt, o Parzen, laßt die Scheere toͤnen,

Denn mein Herz gehoͤrt den Todten an!
[8]

Dem Genius der Kuͤhnheit.


Eine Hymne.


Wer biſt du? wie zur Beute, breitet

Das Unermeßliche vor dir ſich aus,

Du Herrlicher! mein Saitenſpiel geleitet

Dich auch hinab in Plutons dunkles Haus;

So flogen auf Ortygias Geſtaden,

Indeß der Lieder Sturm die Wolken brach,

Dem Rebengott die taumelnden Maͤnaden

In wilder Luſt durch Hain und Kluͤfte nach.

Einſt war, wie mir, der ſtille Funken

Zu freier heitrer Flamme dir erwacht,

Du brausteſt ſo, von junger Freude trunken,

Voll Uebermuths durch deiner Waͤlder Nacht,

Als von der Meiſterin, der Noth, geleitet,

Dein ungewohnter Arm die Keule ſchwang,

Und drohend ſich, vom erſten Feind erbeutet,

Die Loͤwenhaut um deine Schulter ſchlang.

[9]
Wie nun im jugendlichen Kriege

Heroenkraft mit der Natur ſich maß!

Ach! wie der Geiſt, vom wunderbaren Siege

Berauſcht, der armen Sterblichkeit vergaß;

Die ſtolzen Juͤnglinge! die kuͤhnen!

Sie legten froh dem Tieger Feſſeln an,

Sie baͤndigten, von ſtaunenden Delphinen

Umtanzt, den koͤniglichen Ozean.

Oft hoͤr' ich deine Wehre rauſchen,

Du Genius der Kuͤhnen! und die Luſt,

Den Wundern deines Heldenvolks zu lauſchen,

Sie ſtaͤrkt mir oft die lebensmuͤde Bruſt;

Doch weilſt du freundlicher um ſtille Laren,

Wo eine Welt der Kuͤnſtler kuͤhn belebt,

Wo um die Majeſtaͤt des Unſichtbaren

Ein edler Geiſt der Dichtung Schleier webt.

Den Geiſt des Alls und ſeine Fuͤlle

Begruͤßte Maͤons Sohn auf heil'ger Spur,

Sie ſtand vor ihm, mit abgelegter Huͤlle,

Voll Ernſtes da, die ewige Natur;

Er rief ſie kuͤhn vom dunklen Geiſterlande,

Und laͤchelnd trat, in aller Freuden Chor,

Entzuͤckender im menſchlichen Gewande

Die namenloſe Koͤnigin hervor.

[10]
Er ſah die daͤmmernden Gebiete,

Wohin das Herz in banger Luſt begehrt,

Er ſtreuete der Hoffnung ſuͤße Bluͤthe

Ins Labyrinth, wo Keiner wiederkehrt,

Dort glaͤnzte nun in mildem Roſenlichte

Der Lieb' und Ruh' ein laͤchelnd Heiligthum,

Er pflanzte dort der Heſperiden Fruͤchte,

Dort ſtillt die Sorgen nun Elyſium.

Doch ſchrecklich war, du Gott der Kuͤhnen!

Dein heilig Wort, wenn unter Nacht und Schlaf

Verkuͤndiger des ew'gen Lichts erſchienen,

Und den Betrug der Wahrheit Flamme traf!

Wie ſeinen Blitz aus hoheu Wetternaͤchten

Der Donnerer auf lange Thale ſtreut,

So zeigteſt du entarteten Geſchlechten

Der Rieſen Sturz, der Voͤlker Sterblichkeit.

Du wogſt mit ſtreng gerechter Schale,

Wenn mit der Wage du das Schwerdt vertauſcht,

Du ſprachſt, ſie wankten, die Sardanapale,

Vom Taumelkelche deines Zorns berauſcht;

Es ſchreckt umſonſt mit ihrem Tiegergrimme

Dein Tribunal die alte Finſterniß,

Du hoͤrteſt ernſt der Unſchuld leiſe Stimme,

Und opferteſt der heil'gen Nemeſis.

[11]
Verlaß mit deinem Goͤtterſchilde,

Verlaß, o du der Kuͤhnen Genius,

Die Unſchuld nie! Gewinne dir und bilde

Das Herz der Juͤnglinge mit Siegsgenuß!

O ſaͤume nicht! erwache, ſtrafe, ſiege!

Und ſichre ſtets der Wahrheit Majeſtaͤt,

Bis aus der Zeit geheimnißvoller Wiege,

Des Himmels Kind, der ew'ge Friede, geht!
[12]

Lebensgenuß.


An Neuffer.


Noch kehrt in mich der ſuͤße Fruͤhling wieder,

Noch altert nicht mein kindiſch froͤhlich Herz,

Noch rinnt vom Auge mir der Thau der Liebe nieder,

Noch lebt in mir der Hoffnung Luſt und Schmerz.

Noch troͤſtet mich mit ſuͤßer Augenweide

Der blaue Himmel und die gruͤne Flur,

Noch reicht die Goͤttliche den Taumelkelch der Freude,

Die jugendliche, freundliche Natur.

Getroſt! Es iſt der Schmerzen werth dies Leben,

So lang uns Armen Gottes Sonne ſcheint

Und Bilder beßrer Zeit um unſre Seele ſchweben,

Und ach! mit uns ein treues Auge weint.
[13]

Der Gott der Jugend.


Gehn Dir im Daͤmmerlichte,

Wenn in der Sommernacht

Fuͤr ſelige Geſichte

Dein liebend Auge wacht,

Noch oft der Freunde Manen

Und, wie der Sterne Chor,

Die Geiſter der Titanen

Des Alterthums empor:

Wird da, wo ſich im Schoͤnen,

Das Goͤttliche verhuͤllt,

Noch oft das tiefe Sehnen

Der Liebe Dir geſtillt;

Belohnt des Herzens Muͤhen

Der Ruhe Vorgefuͤhl,

Und toͤnt von Melodieen

Der Seele Saitenſpiel:

[14]
So ſuch' im ſtillſten Thale

Den bluͤthenreichſten Hain

Und gieß' aus goldner Schale

Den frohen Opferwein!

Noch laͤchelt unveraltet

Des Herzens Fruͤhling Dir,

Der Gott der Jugend waltet

Noch uͤber Dir und mir.

Wie unter Tiburs Baͤumen,

Wenn da der Dichter ſaß,

Und unter Goͤttertraͤumen

Der Jahre Flucht vergaß,

Wenn ihn die Ulme kuͤhlte,

Und wenn ſie ſtolz und froh

Um Silberbluͤthen ſpielte,

Die Flut des Anio;

Und wie um Platons Hallen,

Wenn durch der Haine Gruͤn,

Begruͤßt von Nachtigallen,

Der Stern der Liebe ſchien,

Wenn alle Luͤfte ſchliefen,

Und, ſanft bewegt vom Schwan,

Cephiſus durch Oliven

Und Myrthenſtraͤuche rann:

[15]
So ſchoͤn iſt's noch hienieden!

Auch unſer Herz erfuhr

Das Leben und den Frieden

Der freundlichen Natur;

Noch bluͤht des Himmels Schoͤne,

Noch miſchen bruͤderlich

In unſers Herzens Toͤne

Des Fruͤhlings Laute ſich.

Drum ſuch' im ſtillſten Thale

Den duͤftereichſten Hain,

Und gieß' aus goldner Schale

Den frohen Opferwein!

Noch laͤchelt unveraltet

Das Bild der Erde dir,

Der Gott der Jugend waltet

Noch uͤber dir und mir.
[16]

An eine Roſe.


Ewig traͤgt im Mutterſchooſe,

Suͤße Koͤnigin der Flur,

Dich und mich die ſtille, große,

Allbelebende Natur.

Roͤschen! unſer Schmuck veraltet,

Sturm entblaͤttert dich und mich,

Doch der ew'ge Keim entfaltet

Bald zu neuer Bluͤthe ſich.
[17]

Freundeswunſch.


An Roſine St.


Wenn vom Fruͤhling rund umſchlungen,

Von des Morgens Hauch umweht,

Trunken nach Erinnerungen

Meine wache Seele ſpaͤht;

Wenn, wie einſt am fernen Herde,

Mir ſo ſuͤß die Sonne blinkt,

Und ihr Stral in's Herz der Erde

Und der Erdenkinder dringt;

Wenn, umdaͤmmert von der Weide,

Wo der Bach voruͤber rinnt,

Tief bewegt von Leid und Freude,

Meine Seele traͤumt und ſinnt;

Wenn im Haine Geiſter ſaͤuſeln,

Wenn im Mondenſchimmer ſich

Kaum die ſtillen Teiche kraͤuſeln:

Schau ich oft und gruͤße dich.

Hoͤlderlin Gedichte. 2
[18]
Edles Herz, du biſt der Sterne

Und der ſchoͤnen Erde werth,

Biſt des werth, ſo viel die ferne

Nahe Mutter Dir beſchert.

Sieh', mit Deiner Liebe lieben

Schoͤnes die Erwaͤhlten nur;

Denn Du biſt ihr treu geblieben,

Deiner Mutter, der Natur.

Der Geſang der Haine ſchalle

Froh, wie Du, um Deinen Pfad;

Sanft bewegt vom Weſte, walle,

Wie Dein friedlich Herz, die Saat!

Deine liebſte Bluͤthe regne,

Wo Du wandelſt, auf die Flur,

Wo Dein Auge weilt, begegne,

Dir das Laͤcheln der Natur!

Oft im ſtillen Tannenhaine

Webe Dir um's Angeſicht

Seine zauberiſche, reine

Glorie das Abendlicht!

Deines Herzens Sorge wiege

Drauf die Nacht in ſuͤße Ruh'

Und die freie Seele fliege

Liebend den Geſtirnen zu!
[19]

Diotima.


Leuchteſt Du wie vormals nieder,

Goldner Tag! und ſproſſen mir

Des Geſanges Blumen wieder

Lebenathmend auf zu Dir?

Wie ſo anders iſt's geworden!

Manches, was ich traurig mied,

Stimmt in freundlichen Akkorden

Nun in meiner Freude Lied,

Und mit jedem Stundenſchlage

Werd' ich wunderbar gemahnt

An der Kindheit ſtille Tage,

Seit ich ſie, die Eine, fand.

Diotima! edles Leben!

Schweſter, heilig mir verwandt!

Eh' ich Dir die Hand gegeben,

Hab' ich ferne Dich gekannt.

Damals ſchon, da ich in Traͤumen,

Mir entlokt vom heitern Tag,

Unter meines Gartens Baͤumen,

Ein zufriedner Knabe lag,

[20]
Da in leiſer Luſt und Schoͤne

Meiner Seele Mai begann:

Saͤuſelte, wie Zephyrstoͤne,

Goͤttliche! Dein Hauch mich an.

Ach! und da, wie eine Sage,

Jeder frohe Gott mir ſchwand,

Da ich vor des Himmels Tage

Darbend, wie ein Blinder, ſtand,

Da die Laſt der Zeit mich beugte,

Und mein Leben, kalt und bleich,

Sehnend ſchon hinab ſich neigte

In der Todten ſtummes Reich:

Wuͤnſcht' ich oͤfters noch, dem blinden

Wanderer, dies Eine mir,

Meines Herzens Bild zu finden

Bei den Schatten oder hier.

Nun! ich habe Dich gefunden!

Schoͤner, als ich ahnend ſah,

Hoffend in den Feierſtunden,

Holde Muſe! biſt Du da;

Von den Himmliſchen dort oben,

Wo hinauf die Freundſchaft flieht,

Wo, des Alters uͤberhoben,

Immerheitre Schoͤne bluͤht,

Scheinſt Du mir herabgeſtiegen,

[21]
Goͤtterbotin! weilteſt Du

Nun in guͤtigem Genuͤgen

Bei dem Saͤnger immerzu!

Sommerglut und Fruͤhlingsmilde,

Streit und Friede wechſelt hier

Vor dem ſtillen Goͤtterbilde

Wunderbar im Buſen mir;

Zuͤrnend unter Huldigungen,

Hab ich oft beſchaͤmt, beſiegt;

Sie zu faſſen, ſchon gerungen,

Die mein Kuͤhnſtes uͤberfliegt;

Unzufrieden im Gewinne,

Hab' ich ſtolz darob geweint,

Daß zu herrlich meinem Sinne

Und zu maͤchtig ſie erſcheint.

Ach! und deine ſtille Schoͤne,

Heilig holdes Angeſicht!

Herz! an deine Himmelstoͤne

Iſt gewoͤhnt das meine nicht;

Aber deine Melodieen

Heitern maͤhlig mir den Sinn,

Daß die truͤben Traͤume fliehen,

Und ich ſelbſt ein Andrer bin;

Bin ich dazu denn erkoren?

Ich zu deiner hohen Ruh'?

[22]
So zu Licht und Luſt geboren,

Goͤttlich Gluͤckliche! wie Du?

Wie Dein Vater und der meine,

Der in heitrer Majeſtaͤt

Ueber ſeinem Eichenhaine

Dort in lichter Hoͤhe geht,

Wie er in die Meereswogen,

Wo die kuͤhle Tiefe baut,

Steigend an des Himmels Bogen,

Klar und ſtillt herunterſchaut,

So will ich aus Goͤtterhoͤhen,

Neu geweiht in ſchoͤn'rem Gluͤck,

Froh zu ſingen und zu ſehen

Nun zu Sterblichen zuruͤck.
[23]

Das Ahnenbild.


Alter Vater! Du blickſt immer, wie ehmals, noch,

Da Du gerne gelebt unter den Sterblichen,

Aber ruhiger nur und

Wie die Seligen heiterer,

In die Wohnung, wo Dich Vater! das Soͤhnlein

nennt,

Wo es laͤchelnd vor Dir ſpielt und den Muthwill uͤbt,

Wie die Laͤmmer im Feld', auf

Gruͤnem Teppiche, den zur Luſt

Ihm die Mutter gegoͤnnt. Ferne ſich haltend, ſieht

Ihm die Liebende zu, wundert der Sprache ſchon

Und des jungen Verſtandes

Und des bluͤhenden Auges ſich.

Und an andere Zeit mahnt ſie der Mann, Dein

Sohn,

An die Luͤfte des Mais, da er geſeufzt um ſie,

An die Braͤutigamstage,

Wo der Stolze die Demuth lernt;

[24]
Doch es wandte ſich bald. Sicherer, denn er war,

Iſt er, herrlicher iſt unter den Seinigen

Nun der Zweifachgeliebte,

Und ihm gehet ſein Tagewerk.

Stiller Vater! auch Du lebteſt und liebteſt ſo;

Darum wohneſt Du nun, als ein Unſterblicher,

Bei den Kindern, und Segen,

Wie aus Wolken des Himmels, koͤmmt

Oefters uͤber das Haus, ruhiger Mann! von Dir,

Und es mehrt ſich, es reift, edler von Jahr zu Jahr,

In beſcheidenem Gluͤcke,

Was mit Hoffnungen Du gepflanzt.

Die Du liebend erzogſt, ſiehe! ſie gruͤnen Dir,

Deine Baͤume, wie ſonſt, breiten ums Haus den

Arm,

Voll von dankenden Gaben;

Sicher ſtehen die Staͤmme ſchon.

Und am Huͤgel hinab, wo Du den ſonnigen

Boden ihnen gebaut, neigen und ſchwingen ſich

Deine freudigen Reden,

Trunken, purpurner Trauben voll.

[25]
Aber unten im Haus ruhet, beſorgt von Dir,

Der gekelterte Wein; theuer iſt der dem Sohn,

Und er ſparet zum Feſt das

Alte, lautere Feuer ſich.

Dann beim naͤchtlichen Mahl, wenn er, in Luſt

und Ernſt,

Von Vergangenem viel, vieles von Kuͤnftigem

Mit den Freunden geſprochen,

Und der letzte Geſang noch hallt,

Haͤlt er hoͤher den Kelch, ſiehet dein Bild und ſpricht:

Deiner denken wir nun, Dein, und ſo werd' und

bleib'

„Ihre Ehre des Hauſes

„Guten Genien, hier und ſonſt!“

Und es toͤnen zum Dank hell die Kryſtalle Dir,

Und die Mutter, ſie reicht heute zum erſtenmal

Daß es wiſſe vom Feſte,

Auch dem Kinde von Deinem Trank.
[26]

Der blinde Saͤnger.


‘Eλυσεν αἰνον ἀχοϛ ἀπ̕ ὀμματων Aϱηϛ’
(Sophocles.)

Wo biſt Du, Jugendliches! das immer mich

Zur Stunde weckt des Morgens, wo biſt Du,

Licht?

Das Herz iſt wach, doch haͤlt und hemmt in

Heiligem Zauber die Nacht mich immer.

Sonſt lauſcht ich um die Daͤmmerung gern, ſonſt

harrt'

Ich gerne Dein am Huͤgel, und nie umſonſt!

Nie taͤuſchten mich, Du Holdes! Deine

Boten, die Luͤfte, denn immer kamſt Du,

Kamſt allbeſeligend den gewohnten Pfad

Herein in Deiner Schoͤne, wo biſt Du Licht?

Das Herz iſt wieder wach, doch bannt und

Hemmt die unendliche Nacht mich immer.

[27]
Mir gruͤnten ſonſt die Lauben, es leuchteten

Die Blumen, wie die eignen Augen, mir,

Nicht ferne war das Angeſicht der

Lieben, und leuchtete mir, und droben

Und um die Waͤlder ſah ich die Fittige

Des Himmels fliegen, da ich ein Juͤngling war;

Nun ſitz' ich ſtill allein, von einer

Stunde zur anderen, und Geſtalten

Aus Lieb und Leid der helleren Tage ſchafft,

Zur eignen Freude nun mein Gedanke ſich,

Und ferne lauſch' ich hin, ob nicht ein

Freundlicher Retter vielleicht mir komme.

Dann hoͤr' ich oft den Wagen des Donneres

Am Mittag, wenn der eherne nahe kommt

Und ihm das Haus bebt, und der Boden

Unter ihm droͤhnt, und der Berg es nachhallt.

Den Retter hoͤr' ich dann in der Nacht, ich hoͤr'

Ihn toͤdtend, den Befreier, belebend ihn,

Den Donnerer, vom Untergang zum

Orient eilen und ihm nach toͤnt ihr,

[28]
Ihr meiner Seele Saiten! es lebt mit ihm

Mein Geiſt, und wie die Quelle dem Strome folgt,

Wohin er trachtet, ſo geleit' ich

Gerne den Sicheren auf der Irrbahn.

Wohin? wohin? ich hoͤre Dich da und dort,

Du Herrlicher! und rings um die Erde toͤnt's!

Wo endeſt Du? und was, was iſt es

Ueber den Wolken? und o wie wird mir!

Tag! Tag! Du uͤber ſtuͤrzenden Wolken! ſey

Willkommen mir! es bluͤhet mein Auge Dir.

O Jugendlicht! o Gluͤck! das alte

Wieder! doch geiſtiger rinnſt Du nieder,

Du goldner Quell aus heiligem Kelch! und Du,

Du gruͤner Boden! friedliche Wieg'! und Du,

Haus meiner Vaͤter! und ihr Lieben,

Die mir begegneten einſt, o nahet,

O kommt, daß euer, euer die Freude ſey,

Ihr alle! daß euch ſegne der Sehnende!

O nehmt, daß ich's ertrage, mir das

Leben, das Goͤttliche mir vom Herzen!
[29]

Dichtermuth.


Sind denn Dir nicht verwandt alle Lebendigen?

Naͤhrt zum Dienſte denn nicht ſelber die Parze

Dich?

Drum! ſo wandle nur wehrlos

Fort durch's Leben und ſorge nicht!

Was geſchiehet, es ſey alles geſegnet Dir,

Sey zur Freude gewandt! oder was koͤnnte denn

Dich beleidigen, Herz! was

Da begegnen, wohin du ſollſt?

Dann, wie ſtill am Geſtad, oder in ſilberner

Fernhintoͤnender Flut, oder auf ſchweigenden

Waſſertiefen der leichte

Schwimmer wandelt, ſo ſind auch wir,

Wir, die Dichter des Volks, gerne wo Lebendes

Um uns athmet und wallt, freudig, und Jedem

hold,

Jedoch trauend, wie ſaͤngen

Sonſt wir Jedem den eignen Gott?

[30]
Wenn die Woge denn auch Einen der Muthigen,

Wo er treulich getraut, ſchmeichlend hinunter

zieht,

Und die Stimmen des Saͤngers

Nun in blauender Halle ſchweigt;

Freudig ſtarb er und noch klagen die Einſamen,

Seine Haine, den Fall ihres Geliebteſten;

Oefters toͤnet der Jungfrau

Vom Gezweige ſein freundlich Lied.

Wenn des Abends vorbei Einer der Unſern koͤmmt,

Wo der Bruder ihm ſank, denket er Manches

wohl

An der warnenden Stelle,

Schweigt und gehet getroͤſteter.
[31]

Natur und Kunſt
oder
Saturn und Jupiter
.


Du walteſt hoch am Tag' und es bluͤhet Dein

Geſetz, Du haͤltſt die Wage, Saturnus Sohn!

Und theilſt die Looſ' und ruheſt froh im

Ruhm der unſterblichen Herrſcherkuͤnſte.

Doch in den Abgrund, ſagen die Saͤnger ſich,

Habſt Du den heil'gen Vater, den eignen, einſt

Verwieſen und es jammern drunten,

Da, wo die Wilden vor Dir mit Recht ſind,

Schuldlos der Gott der goldenen Zeit ſchon laͤngſt,

Einſt muͤhelos, und groͤßer, wie Du, wenn ſchon

Er kein Gebot ausſprach und ihn der

Sterblichen Keiner mit Namen nannte.

Herab denn! oder ſchaͤme des Danks Dich nicht!

Und willſt Du bleiben, diene dem Aelteren

Und goͤnn' es ihm, daß ihn vor Allen,

Goͤttern und Menſchen, der Saͤnger nenne!

[32]
Denn, wie aus dem Gewoͤlke Dein Blitz, ſo kommt

Von ihm, was Dein iſt, ſiehe! ſo zeugt von ihm,

Was Du gebeutſt, und aus Saturnus

Frieden iſt jegliche Macht erwachſen.

Und hab' ich erſt am Herzen Lebendiges

Gefuͤhlt und daͤmmert, was Du geſtalteteſt.

Und war in ihrer Wiege mir in

Wonne die wechſelnde Zeit entſchlummert:

Dann kenn' ich Dich, Kronion, dann hoͤr' ich Dich,

Den weiſen Meiſter, welcher, wie wir, ein Sohn

Der Zeit, Geſetze giebt und, was die

Heilige Daͤmmerung birgt, verkuͤndet.
[33]

An unſere Dichter.


Des Ganges Ufer hoͤrten des Freudengotts

Triumph, als allerobernd vom Indus her

Der junge Bacchus kam, mit heil'gem

Weine vom Schlafe die Voͤlker weckend.

O weckt, ihr Dichter! weckt ſie vom Schlummer auf,

Die jetzt noch ſchlafen, gebt die Geſetze, gebt

Uns Leben, ſingt, Heroen! ihr nur

Habt der Eroberung Recht, wie Bacchus.

[34]

An Eduard.


Euch alten Freunde droben, unſterbliches

Geſtirn! euch frag' ich, Helden! woher es iſt,

Daß ich ſo unterthan ihm bin, und

So der Gewaltige ſein mich nennet?

Denn wenig kann ich bieten, nur weniges

Kann ich verlieren, aber ein liebes Gluͤck,

Ein einziges, zum Angedenken

Reicherer Tage zuruͤck geblieben;

Und ſo er mir's geboͤte, dies Eine noch,

Mein Saitenſpiel, ich wagt' es, wohin er wollt',

Und mit Geſange folgt' ich, ſelbſt in's

Ende der Tapferen ihm hinunter.

„Die Wolke“ — ſaͤng' ich — „traͤnket mit Regen

Dich,

„Du Mutterboden! aber mit Blut der Menſch;

„So ruht, ſo kuͤhlt die Liebe ſich, die

„Droben und drunten nicht Gleiches findet.

[35]
„Wo iſt am Tag ihr Zeichen? wo ſpricht das Herz

„Sich aus? o wann im Leben, wann iſt es frei,

„Was unſer Wort nicht nennt, wann wird, was

„Trauert, gebannt in die Nacht, ſein Wunſch

ihm? —

„Jetzt, wann die Opfer fallen, ihr Freunde! jetzt!

„Schon tritt hinzu der feſtliche Zug, ſchon blinkt

„Der Stahl, die Wolke dampft, ſie fallen, und es

„Hallt in der Luft, und die Erde ruͤhmt es!“

Wenn ich ſo ſingend fiele, dann raͤchteſt Du

Mich, mein Achill! und ſpraͤcheſt: „er lebte doch

„Treu bis zuletzt!“ das ernſte Wort, das

Spraͤche mein Feind und der Todtenrichter!

Doch weilen wir in Ruhe, Du Lieber, noch;

Uns birgt der Wald, es haͤlt das Gebirge dort

Das muͤtterliche, noch die beiden

Bruͤder in ſicherem Arm gefangen.

Uns iſt die Weisheit Wiegengeſang; ſie webt

Um's Aug' ihr heilig Dunkel; doch oͤfters koͤmmt

Aus ferne toͤnendem Gewoͤlk die

Mahnende Flamme des Zeitengottes.

[36]
Es regt ſein Sturm die Schwingen Dir auf; Dich

ruft,

Dich nimmt der maͤcht'ge Vater hinauf; o nimm

Mich Du, und trage Deine leichte

Beute dem laͤchelnden Gott entgegen!
[37]

Der gefeſſelte Strom.


Was ſchlaͤfſt und traͤumſt Du, Juͤngling! gehuͤllt

in Dich,

Und ſaͤumſt am kalten Ufer, Geduldiger,

Und achteſt nicht des Urſprungs, Du, des

Oceans Sohn, des Titanenfreundes?

Die Liebesboten, welche der Vater ſchickt,

Kennſt Du die lebenathmenden Luͤfte nicht?

Und trifft das Wort Dich nicht, das hell von

Oben der wachende Gott Dir ſendet? —

Schon toͤnt, ſchon toͤnt es ihm in der Bruſt! es

quillt,

Wie da er noch im Schooſe der Felſen ſpielt',

Ihm auf; und nun gedenkt er ſeiner

Kraft, der Gewaltige, nun, nun eilt er,

Der Zauderer, er ſpottet der Feſſeln nun,

Und nimmt und bricht und wirft die zerbrochenen

Im Zorne, ſpielend, da und dort zum

Schallenden Ufer; und von der Stimme

[38]
Des Goͤtterſohns erwachen die Berge rings,

Es regen ſich die Waͤlder, es hoͤrt die Kluft

Den Herold fern, und ſchaudernd regt im

Buſen der Erde ſich Freude wieder.

Der neue Fruͤhling daͤmmert, es bluͤht um ihn;

Er aber wandelt hin zu Unſterblichen;

Denn nirgend darf er bleiben, als wo

Ihn in die Arme der Vater aufnimmt.
[39]

Sonnenuntergang.


Wo biſt Du? trunken daͤmmert die Seele mir

Von aller Deiner Wonne; denn eben iſt's,

Daß ich gelauſcht, wie, goldner Toͤne

Voll, der entzuͤckende Sonnenjuͤngling

Sein Abendlied auf himmliſcher Leyer ſpielt';

Es toͤnten rings die Waͤlder und Huͤgel nach,

Doch fern iſt er zu frommen Voͤlkern,

Die ihn noch ehren, hinweggegangen.
[40]

Menſchenbeifall.


Iſt nicht heilig mein Herz, ſchoͤnren Lebens voll,

Seit ich liebe? Warum achtetet ihr mich mehr,

Da ich ſtolzer und wilder,

Wortereicher und leerer war?

Ach! der Menge gefaͤllt, was auf den Marktplatz

taugt,

Und es ehret der Knecht nur den Gewaltſamen;

An das Goͤttliche glauben

Die allein, die es ſelber ſind.
[41]

Stimme des Volks.


Du ſeyeſt Gottes Stimme, ſo ahndet' ich

In heil'ger Jugend; ja, und ich ſag' es noch. —

Um meine Weisheit unbekuͤmmert

Rauſchen die Waſſer doch auch, und dennoch

Hoͤr' ich ſie gern, und oͤfters bewegen ſie

Und ſtaͤrken mir das Herz, die Gewaltigen;

Und meine Bahn nicht, aber richtig

Wandeln in's Meer ſie die Bahn hinunter.
[42]

Die ſcheinheiligen Dichter.


Ihr kalten Heuchler, ſprecht von den Goͤttern nicht!

Ihr habt Verſtand, ihr glaubt nicht an Helios

Noch an den Donnerer und Meergott;

Todt iſt die Erde, wer mag ihr danken?

Getroſt ihr Goͤtter! zieret ihr doch das Lied,

Wenn ſchon aus euren Namen die Seele ſchwamd,

Und iſt ein großes Wort vonnoͤthen,

Mutter Natur! ſo gedenkt man deiner.
[43]

Die Launiſchen.


Hoͤr' ich ferne nur her, wenn ich fuͤr mich geklagt,

Saitenſpiel und Geſang, ſchwingt mir das Herz

doch gleich;

Bald auch bin ich verwandelt,

Blinkſt du, purpurner Wein! mich an

Unter Schatten des Waldes, wo die gewaltige

Mittagsſonne mir ſanft uͤber dem Laube glaͤnzt;

Ruhig ſitz' ich daſelbſt, wenn,

Zuͤrnend ſchwerer Beleidigung,

Ich im Felde geirrt — zuͤrnen zu gerne doch

Deine Dichter, Natur! trauern und weinen leicht,

Die Begluͤckten; wie Kinder,

Die zu zaͤrtlich die Mutter haͤlt,

Sind ſie muͤrriſch und voll herriſchen Eigenſinns;

Wandeln ſtill ſie des Wegs, irret Geringes doch

Bald ſie wieder; ſie reißen

Aus dem Gleiſe ſich ſtraͤubend Dir.

Doch Du ruͤhreſt ſie kaum, Liebende! freundlich an,

Sind ſie friedlich und fromm; froͤhlich gehorchen ſie!

Du lenkſt, Meiſterin! ſie mit

Weichem Zuͤgel, wohin Du willſt.
[44]

Der Zeitgeiſt.


Zu lang ſchon walteſt uͤber dem Haupte mir

Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!

Zu wild, zu bang iſt's ringsum, und es

Truͤmmert und wankt ja, wohin ich blicke.

Ach! wie ein Knabe ſeh' ich zu Boden oft,

Such' in der Hoͤhle Rettung vor Dir, und moͤcht,'

Ich Bloͤder, eine Stelle finden,

Alleserſchuͤtt'rer! wo Du nicht waͤreſt.

Laſſ' endlich, Vater! offenen Aug's mich Dir

Begegnen! haſt denn Du nicht zuerſt den Geiſt

Mit Deinem Stral aus mir geweckt? mich

Herrlich an's Leben gebracht, o Vater!

Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft;

In milder Luft begegnet den Sterblichen,

Und wenn ſie ſtill im Haine wandeln,

Heiternd ein Gott; doch allmaͤcht'ger weckſt Du

Die reine Seele Juͤnglingen auf, und lehrſt

Die Alten weiſe Kuͤnſte; der Schlimme nur

Wird ſchlimmer, daß er baͤlder ende,

Wenn Du, Erſchuͤtterer! ihn ergreifeſt.
[45]

Der Tod fuͤr's Vaterland.


Du kommſt, o Schlacht! ſchon wogen die Juͤnglinge

Hinab von ihren Huͤgeln, hinab in's Thal,

Wo keck herauf die Wuͤrger dringen,

Sicher der Kunſt und des Arms, doch ſichrer

Koͤmmt uͤber ſie die Seele der Juͤnglinge,

Denn die Gerechten ſchlagen, wie Zauberer,

Und ihre Vaterlandsgeſaͤnge

Laͤhmen die Kniee der Ehreloſen.

O nehmt mich, nehmt mich mit in die Reihen auf,

Damit ich einſt nicht ſterbe gemeinen Tods!

Umſonſt zu ſterben, lieb' ich nicht, doch

Lieb' ich, zu fallen am Opferhuͤgel

Fuͤr's Vaterland, zu bluten des Herzens Blut

Fuͤr's Vaterland — und bald iſt's geſcheh'n! Zu euch

Ihr Theuern! komm' ich, die mich leben

Lehrten und ſterben, zu euch hinunter!

Wie oft im Lichte duͤrſtet' ich euch zu ſeh'n,

Ihr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!

Nun gruͤßt ihr freundlich den geringen

Fremdling und bruͤderlich iſt's hier unten.
[46]

Des Morgens.


Vom Thaue glaͤnzt der Raſen, beweglicher

Eilt ſchon die wache Quelle; die Birke neigt

Ihr ſchwankes Haupt und im Geblaͤtter

Rauſcht es und ſchimmert; und um die grauen

Gewoͤlke ſtreifen roͤthliche Flammen dort,

Verkuͤndende, ſie wallen geraͤuſchlos auf;

Wie Fluten am Geſtade, wogen

Hoͤher und hoͤher die wandelbaren.

Komm nun, o komm, und eile mir nicht zu ſchnell,

Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort!

Denn offner fliegt, vertrauter Dir mein

Auge, Du Freudiger! zu, ſo lang Du

In Deiner Schoͤne jugendlich blickſt und noch

Zu herrlich nicht, zu ſtolz mir geworden biſt;

Du moͤchteſt immer eilen, koͤnnt' ich,

Goͤttlicher Wanderer, mit Dir! — doch laͤchelſt

Des frohen Uebermuͤthigen Du, daß er

Dir gleichen moͤchte; ſegne mir lieber dann

Mein ſterblich Thun und heitre wieder,

Guͤtiger! heute den ſtillen Pfad mir!
[47]

Abendphantaſie.


Vor ſeiner Huͤtte ruhigem Schatten ſitzt

Der Pfluͤger, dem Genuͤgſamen rauſcht ſein Heerd.

Gaſtfreundlich toͤnt dem Wanderer im

Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

Wohl kehren jetzt die Schiffer zum Hafen auch,

In fernen Staͤdten froͤhlich verrauſcht des Markts

Geſchaͤft'ger Laͤrm; in ſtiller Laube

Glaͤnzt das geſellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen

Von Lohn und Arbeit; wechſelnd in Muͤh' und Ruh'

Iſt alles freudig; warum ſchlaͤft denn

Nimmer nur mir in der Bruſt der Stachel?

Am Abendhimmel bluͤht ein Fruͤhling auf;

Unzaͤhlig bluͤh'n die Roſen und ruhig ſcheint

Die goldne Welt; o dorthin nehmt mich

Purpurne Wolken! und moͤge droben

[48]
In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! —

Doch, wie verſcheucht von thoͤrichter Bitte, flieht

Der Zauber; dunkel wird's, und einſam

Unter dem Himmel, wie immer, bin ich.

Komm du nun, ſanfter Schlummer! zu viel begehrt

Das Herz; doch endlich, Jugend, vergluͤhſt du ja,

Du ruheloſe, traͤumeriſche!

Friedlich und heiter iſt dann das Alter.
[49]

An die Hoffnung.


O Hoffnung! holde! guͤtig geſchaͤftige!

Die du das Haus der Trauernden nicht verſchmaͤhſt,

Und gerne dienend, Edle, zwiſchen

Sterblichen walteſt und Himmelsmaͤchten;

Wo biſt du? wenig lebt' ich, doch athmet kalt

Mein Abend ſchon, und ſtille, den Schatten gleich,

Bin ich ſchon hier; und ſchon geſanglos

Schlummert das ſchauernde Herz im Buſen.

Im gruͤnen Thale, dort, wo der friſche Quell

Vom Berge taͤglich rauſcht, und die liebliche

Zeitloſe mir am Herbſtlicht aufbluͤht,

Dort in der Stille, du Holde, will ich

Dich ſuchen, oder wenn in der Mitternacht

Das unſichtbare Leben im Haine wallt,

Und uͤber mir die immer frohen

Blumen, die ſicheren Sterne, glaͤnzen.

O du, des Aethers Tochter! erſcheine dann

Aus deines Vaters Gaͤrten, und darfſt du nicht,

Mir ſterblich Gluͤck verheißen, ſchreck', o

Schrecke mit anderem nur das Herz mir.

[50]

Der Winter.


Jetzt komm und huͤlle, zaubriſcher Phantaſus,

Den zarten Sinn der Frauen in Wolken ein,

In goldne Traͤum' und ſchuͤtze ſie, die

Bluͤhende Ruhe der Immerguten.

Dem Manne laß ſein Sinnen und ſein Geſchaͤft

Und ſeiner Kerze Schein und den kuͤnft'gen Tag

Gefallen, laß des Unmuths ihm, der

Haͤßlichen Sorge zu viel nicht werden,

Wenn jetzt der immerzuͤrnende Boreas,

Mein Erbfeind, uͤber Nacht mit dem Froſt das Land

Befaͤllt, und ſpaͤt, zur Schlummerſtunde,

Spottend der Menſchen, ſein ſchrecklich Lied

ſingt,

Und unſrer Staͤdte Mauern und unſerm Zaun,

Den fleißig wir geſetzt, und den ſtillen Hain

Zerreißt, und ſelber im Geſang die

Seele mir ſtoͤret, der Allverderber.

[51]
Und raſtlos tobend uͤber den ſanften Strom

Sein ſchwarz Gewoͤlk ausſchuͤttet, daß weit umher

Das Thal gaͤhrt und, wie fallend Laub, vom

Berſtenden Huͤgel herab der Fels faͤllt.

Wohl frommer iſt, denn andre Lebendige,

Der Menſch; doch zuͤrnt es draußen, gehoͤrt er

auch

Sich eigner an und ſinnt und ruht in

Sicherer Huͤtte, der Freigeborne.

Und immer wohnt der freundlichen Genien

Noch einer gerne ſegnend mit ihm, und wenn

Sie zuͤrnten all', die ungelehr'gen

Geniuskraͤfte, doch liebt die Liebe.
[52]

Der gute Glaube.


Schoͤnes Leben! Du liegſt krank und das Herz

iſt mir

Muͤd vom Weinen und ſchon daͤmmert die Furcht

in mir;

Doch, doch kann ich nicht glauben,

Daß Du ſterbeſt, ſo lang Du liebſt.

[53]

Ihre Geneſung.


Deine Freundin, Natur! leidet und ſchlaͤft, und du

Allbelebende ſaͤumſt? ach, und ihr heilt ſie nicht

Maͤcht'ge Luͤfte des Aethers,

Nicht ihr Quellen des Sonnenlichts?

Alle Blumen der Erd', alle die froͤhlichen

Schoͤnen Fruͤchte des Hains, heitern ſie alle nicht

Dieſes Leben, ihr Goͤtter,

Das ihr ſelber in Lieb' erzogt?

Ach! ſchon athmet und toͤnt heilige Lebensluſt

Ihr im reizenden Wort wieder, wie ſonſt, und

ſchon

Glaͤnzt das Auge des Lieblings

Freundlich offen, Natur! Dich an.
[54]

Abbitte.


Heilig Weſen! geſtoͤrt hab' ich die goldene

Goͤtterruhe Dir oft, und der geheimeren,

Tiefern Schmerzen des Lebens

Haſt Du manche, getrennt von mir.

O vergiß es, vergieb! gleich dem Gewoͤlke dort

Vor dem friedlichen Mond, geh' ich dahin und Du

Ruhſt und glaͤnzeſt in deiner

Schoͤne wieder, du ſuͤßes Licht!
[55]

Ehmals und Jetzt.


In juͤngeren Tagen war ich des Morgens froh,

Des Abends weint' ich; jetzt, da ich aͤlter bin,

Beginn' ich zweifelnd meinen Tag, doch

Heilig und heiter iſt mir ſein Ende.

[56]

An die Deutſchen.


Spottet ja nicht des Kind's, wenn es mit Peitſch'

und Sporn,

Auf dem Roſſe von Holz, muthig und groß ſich

duͤnkt.

Denn, ihr Deutſchen, auch ihr ſeyd

Thatenarm und gedankenvoll.

Oder koͤmmt, wie der Stral aus dem Gewoͤlke

koͤmmt,

Aus Gedanken die That? Leben die Buͤcher bald?

O ihr Lieben! ſo nehmt mich,

Daß ich buͤße die Laͤſterung!
[57]

An die jungen Dichter.


Lieben Bruͤder! es reift unſere Kunſt vielleicht,

Da, dem Juͤnglinge gleich, lange ſie ſchon gegaͤhrt,

Bald zur Stille der Schoͤnheit;

Seyd nur fromm, wie der Grieche war!

Liebt die Goͤtter und denkt freundlich der Sterb-

lichen!

Haßt den Rauſch wie den Froſt! lehrt und be-

ſchreibet nicht!

Wenn der Meiſter euch aͤngſtigt,

Fragt die große Natur um Rath!
[58]

Die Kuͤrze.


„Warum biſt du ſo kurz? liebſt du wie vormals

denn

„Nun nicht mehr den Geſang? fand'ſt du als

Juͤngling doch

„In den Tagen der Hoffnung,

„Wenn du ſangeſt, das Ende nie?“

Wie mein Gluͤck iſt mein Lied. — Willſt du im

Abendroth

Froh dich baden? Hinweg iſt's und die Erd' iſt kalt,

Und der Vogel der Nacht ſchwirrt

Unbequem vor das Auge dir.
[59]
Sokrates und Alcibiades.
„Warum huldigeſt Du, heiliger Sokrates,

„Dieſem Juͤnglinge ſtets? kennſt Du Groͤß'res

nicht?

„Warum ſiehet mit Liebe,

„Wie auf Goͤtter, Dein Aug' auf ihn?“

Wer das Tiefſte gedacht, liebt das Lebendigſte,

Hohe Tugend verſteht, wer in die Welt geblickt,

Und es neigen die Weiſen

Oft am Ende zum Schoͤnen ſich.
[60]

Die Goͤtter.


Du ſtiller Aether! immer bewahrſt du ſchoͤn

Die Seele mir im Schmerz, und es adelt ſih

Zur Tapferkeit vor deinen Stralen,

Helios! oft die empoͤrte Bruſt mir.

Ihr guten Goͤtter! arm iſt, wer euch nicht kennt,

Im rohen Buſen ruhet der Zwiſt ihm nie,

Und Nacht iſt ihm die Welt, und keine

Freude gedeihet und kein Geſang ihm.

Nur ihr, mit euer ewigen Jugend, naͤhrt

In Herzen, die euch lieben, den Kinderſinn,

Und laßt in Sorgen und in Irren

Nimmer den Genius ſich vertrauern.
[61]
Empedokles.
Das Leben ſuchſt Du, ſuchſt, und es quillt und
glaͤnzt

Ein goͤttlich Feuer tief aus der Erde Dir,

Und Du in ſchauderndem Verlangen
Wirfſt Dich hinab in des Aetna Flammen.

So ſchmelzt' im Weine Perlen der Uebermuth
Der Koͤnigin; und mochte ſie! Haͤtteſt Du

Nur Deinen Reichthum nicht, o Dichter,

Hin in den gaͤhrenden Kelch geopfert!

Doch heilig biſt Du mir, wie der Erde Macht,

Die Dich hinwegnahm, kuͤhner Getoͤdteter!

Und folgen moͤcht' ich in die Tiefe,

Hielte die Liebe mich nicht, dem Helden.
[62]

Der Neckar.


In deinen Thaͤlern wachte mein Herz mir auf

Zum Leben, deine Wellen umſpielten mich,

Und all' der holden Huͤgel, die Dich,

Wanderer! kennen, iſt keiner fremd mir.

Auf ihren Gipfeln loͤste des Himmels Luft

Mir oft der Knechtſchaft Schmerzen; und aus dem

Thal,

Wie Leben aus dem Freudebecher,

Glaͤnzte die blaͤuliche Silberwelle.

Der Berge Quellen eilten hinab zu dir,

Mit ihnen auch mein Herz, und Du nahmſt uns mit

Zum ſtill erhabnen Rhein, zu ſeinen

Staͤdten hinunter und luſt'gen Inſeln. —

Noch duͤnkt die Welt mir ſchoͤn, und das Aug'

entflieht,

Verlangend nach den Reizen der Erde, mir

Zum goldnen Pactol, zu Smyrna's

Ufer, zu Ilions Wald. Auch moͤcht' ich

[63]
Bei Sunium oft landen, den ſtummen Pfad

Nach deinen Saͤulen fragen, Olympion!

Noch eh' der Sturmwind und das Alter

Hin in den Schutt der Athenertempel

Und ihrer Gottesbilder auch dich begraͤbt;

Denn lang ſchon einſam ſtehſt du, o Stolz der Welt,

Die nicht mehr iſt. Und o ihr ſchoͤnen

Inſeln Ioniens! wo die Meerluft

Die heißen Ufer kuͤhlt und den Lorbeerwald

Durchſaͤuſelt, wenn die Sonne den Weinſtock waͤrmt.

Ach! wo ein goldner Herbſt dem armen

Volk' in Geſaͤnge die Seufzer wandelt,

Wenn ſein Granatbaum reift, wenn aus gruͤner

Nacht

Die Pomeranze blinkt, und der Maſtirbaum

Von Harze traͤuft, und Pauck' und Cymbel

Zum labyrinthiſchen Tanze klingen.

Zu euch, ihr Inſeln! bringt mich vielleicht, zu euch,

Mein Schutzgott einſt; doch weicht mir aus treuem

Sinn

Auch da mein Neckar nicht mit ſeinen

Lieblichen Wieſen und Uferweiden.
[64]

Heidelberg.


Lange lieb' ich Dich ſchon, moͤchte Dich, mir zur Luſt,

Mutter nennen und Dir ſchenken ein kunſtlos Lied,

Du, der Vaterlandsſtaͤdte

Laͤndlich ſchoͤnſte, ſo viel ich ſah.

Wie der Vogel des Walds uͤber die Gipfel fliegt,

Schwingt ſich uͤber den Strom, wo er vorbei Dir

glaͤnzt,

Leicht und kraͤftig die Bruͤcke,

Die von Wagen und Menſchen toͤnt.

Wie von Goͤttern geſandt, feſſelt' ein Zauber einſt,

Auf die Bruͤcke mich an, da ich voruͤber gieng,

Und herein in die Berge

Mir die reizende Ferne ſchien.

Und der Juͤngling, der Strom, fort in die Ebne zog,

Traurig froh, wie das Herz, wenn es, ſich ſelbſt

zu ſchoͤn,

Liebend unterzugehen,

In die Fluten der Zeit ſich wirft.

[65]
Quellen hatteſt Du ihm, hatteſt dem Fluͤchtigen

Kuͤhle Schatten geſchenkt, und die Geſtade ſahn

All' ihm nach, und es bebte

Aus den Wellen ihr lieblich Bild.

Aber ſchwer in das Thal hieng die gigantiſche

Schickſalskundige Burg, nieder bis auf den Grund

Von den Wettern geriſſen;

Doch die ewige Sonne goß

Ihr verjuͤngendes Licht uͤber das alternde

Rieſenbild, und umher gruͤnte lebendiger

Epheu; freundliche Waͤlder

Rauſchten uͤber die Burg herab.

Straͤuche bluͤhten herab, bis wo im heitern Thal,

An den Huͤgel gelehnt, oder dem Ufer hold,

Deine froͤhlichen Gaſſen

Unter duftenden Gaͤrten ruhn.

[66]

Der Main.


(Variation des obigen: der Neckar.)


Wohl manches Land der lebenden Erde moͤcht'

Ich ſehn, und oͤfters uͤber die Berg' enteilt

Das Herz mir und die Wuͤnſche wandern

Ueber das Meer, zu den Ufern, die mir

Vor andern, ſo ich kenne, geprieſen ſind,

Doch lieb iſt in der Ferne nicht eines mir,

Wie jenes, wo die Goͤtterſoͤhne

Schlafen, das trauernde Land der Griechen.

Ach! einmal dort an Suniums Kuͤſte moͤcht'

Ich landen, deine Saͤulen, Olympion!

Erfragen, dort, noch eh der Nordſturm

Hin in den Schutt der Athenertempel

Und ihrer Goͤtterbilder auch dich begraͤbt;

Denn lang ſchon einſam ſtehſt du, o Stolz der Welt,

Die nicht mehr iſt! — und o ihr ſchoͤnen

Inſeln Joͤniens, wo die Luͤfte

[67]
Vom Meere kuͤhl, an warme Geſtade wehn,

Wenn unter kraͤft'ger Sonne die Traube reift,

Ach! wo ein goldner Herbſt dem armen

Volk' in Geſaͤnge die Seufzer wandelt,

Wenn die Betruͤbten jetzt ihr Limonenwald,

Und ihr Granatbaum, purpurner Aepfel voll,

Und ſuͤßer Wein und Pauck' und Zithar

Zum labyrinthiſchen Tanze ladet. —

Zu euch vielleicht, ihr Inſeln! geraͤth noch einſt

Ein heimathloſer Saͤnger; denn wandern muß

Von Fremden er zu Fremden und die

Erde, die freie, ſie muß ja leider

Statt Vaterlands ihm dienen, ſo lang er lebt,

Und wenn er ſtirbt — doch nimmer vergeß ich dich,

So fern ich wandre, ſchoͤner Main! und

Deine Geſtade, die vielbegluͤckten.

Gaſtfreundlich nahmſt du, Stolzer! bei dir mich auf

Und heiterteſt das Auge dem Fremdlinge,

Und ſtill hingleitende Geſaͤnge

Lehrteſt du mich und geraͤuſchlos Leben.

[68]
O ruhig mit den Sternen, du Gluͤcklicher!

Wallſt du von deinem Morgen zum Abend fort,

Dem Bruder zu, dem Rhein; und dann mit

Ihm in den Ocean freudig nieder!
[69]

Ermunterung.


Echo des Himmels! heiliges Herz! warum

Warum verſtummſt du unter den Lebenden,

Schlaͤfſt, freies! von den Goͤtterloſen

Ewig hinab in die Nacht verwieſen?

Wacht denn, wie vormals, nimmer des Aethers

Licht?

Und bluͤht die alte Mutter, die Erde nicht?

Und uͤbt der Geiſt nicht da und dort, nicht

Laͤchelnd die Liebe das Recht noch immer?

Nur du nicht mehr! doch mahnen die Himmliſchen,

Und ſtillebildend weht, wie ein kahl Gefild,

Der Athem der Natur dich an, der

Alleserheiternde, ſeelenvolle.

O Hoffnung! bald, bald ſingen die Haine nicht

Des Lebens Lob allein, denn es iſt die Zeit,

Daß aus der Menſchen Munde ſie, die

Schoͤnere Seele ſich neu verkuͤndet,

[70]
Dann liebender im Bunde mit Sterblichen

Das Element ſich bildet, und dann erſt reich,

Bei frommer Kinder Dank, der Erde

Bruſt, die unendliche, ſich entfaltet,

Und unſre Tage wieder, wie Blumen, ſind,

Wo ſie, des Himmels Sonne ſich ausgetheilt

Im ſtillen Wechſel ſieht und wieder

Froh in den frohen das Licht ſich findet,

Und er, der ſprachlos waltet und unbekannt

Zukuͤnftiges bereitet, der Gott, der Geiſt

Im Menſchenwort, am ſchoͤnen Tage

Kommenden Jahren, wie einſt, ſich ausſpricht.
[71]

Die Heimath.


Froh kehrt der Schiffer heim an den ſtillen Strom,

Von Inſeln fernher, wenn er geerntet hat;

So kaͤm' auch ich zur Heimath, haͤtt' ich

Guͤter ſo viele, wie Leid, geerntet.

Ihr theuern Ufer, die mich erzogen einſt,

Stillt ihr der Liebe Leiden, verſprecht ihr mir,

Ihr Waͤlder meiner Jugend, wenn ich

Komme, die Ruhe noch einmal wieder?

Am kuͤhlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,

Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe ſah,

Dort bin ich bald; euch traute Berge,

Die mich behuͤteten einſt, der Heimath

Verehrte ſichre Grenzen, der Mutter Haus;

Und liebender Geſchwiſter Umarmungen

Begruͤß' ich bald, und ihr umſchließt mich,

Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,

[72]
Ihr treu geblieb'nen! aber ich weiß, ich weiß

Der Liebe Leid, dieß heilet ſo bald mir nicht,

Dieß ſingt kein Wiegenſang, den troͤſtend

Sterbliche ſingen, mir aus dem Buſen.

Denn ſie, die uns das himmliſche Feuer leihn,

Die Goͤtter ſchenken heiliges Leid uns auch,

Drum bleibe dieß. Ein Sohn der Erde

Bin ich; zu lieben gemacht, zu leiden.
[73]

Die Liebe.


Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all',

O ihr Dankbaren, ſie, euere Dichter ſchmaͤht,

Gott vergeb' es, doch ehret

Nur die Seele der Liebenden.

Denn o ſaget, wo lebt menſchliches Leben ſonſt,

Da die knechtiſche jetzt alles, die Sorge, zwingt?

Darum wandelt der Gott auch

Sorglos uͤber dem Haupt uns laͤngſt.

Doch, wie immer das Jahr kalt und geſanglos iſt,

Zur beſchiedenen Zeit, aber aus weißem Feld

Gruͤne Halme doch ſproſſen.

Oft ein einſamer Vogel ſingt.

Wenn ſich maͤhlig der Wald dehnet, der Strom

ſich regt.

Schon die mildere Luft leiſe von Mittag weht

Zur erleſenen Stunde,

So ein Zeichen der ſchoͤnern Zeit,

[74]
Die wir glauben, erwaͤchst einzig genuͤgſam nah,

Einzig edel und fromm uͤber dem ehernen,

Wilden Boden die Liebe,

Gottes Tochter, von ihm allein.

Sey geſegnet, o ſey, himmliſche Pflanze, mir

Mit Geſange gepflegt, wenn des aͤtheriſchen

Nektars Kraͤfte Dich naͤhren,

Und der ſchoͤpf'riſche Stral Dich reift.

Wachs' und werde zum Wald! eine beſeeltere,

Voll entbluͤhende Welt! Sprache der Liebenden

Sey die Sprache des Landes,

Ihre Seele der Laut des Volks!
[75]

Lebenslauf.


Groͤßeres wollteſt auch du, aber die Liebe zwingt

All' uns nieder, das Leid beuget gewaltiger,

Und es kehret umſonſt nicht

Unſer Bogen, woher er kommt.

Aufwaͤrts oder hinab! wehet in heil'ger Nacht, ‒

Wo die ſtumme Natur werdende Tage ſinnt,

Weht im nuͤchternen Orkus

Nicht ein liebender Athem auch?

Dieß erfuhr ich. Denn nie, ſterblichen Meiſtern

gleich,

Habt ihr Himmliſchen, ihr Alleserhaltenden,

Daß ich wuͤßte, mit Vorſicht,

Mich des ebenen Pfads gefuͤhrt.

Alles pruͤfe der Menſch, ſagen die Himmliſchen,

Daß er, kraͤftig genaͤhrt, danken fuͤr Alles lern',

Und verſtehe die Freiheit,

Aufzubrechen, wohin er will.
[76]

Der Abſchied.


Trennen wollten wir uns? waͤhnten es gut und klug?

Da wirs thaten, warum ſchreckte, wie Mord, die

That?

Ach! wir kennen uns wenig,

Denn es waltet ein Gott in uns.

Den verrathen? ach ihn, welcher uns alles erſt,

Sinn und Leben erſchuf, ihn, den beſeelenden

Schutzgott unſerer Liebe,

Dieß, dieß Eine vermag ich nicht.

Aber anderen Fehl denket der Menſchen Sinn,

Andern ehernen Dienſt uͤbt er und anders Recht,

Und es fordert die Seele

Tag fuͤr Tag der Gebrauch uns ab.

Wohl! ich wußt' es zuvor. Seit der gewurzelte

Allentzweiende Haß Goͤtter und Menſchen trennt,

Muß, mit Blut ſie zu ſuͤhnen,

Muß der Liebenden Herz vergehn.

[77]
Laß mich ſchweigen! o laß nimmer von nun an mich

Dieſes Toͤdtliche ſehn, daß ich im Frieden doch

Hin ins Einſame ziehe,

Und noch unſer der Abſchied ſey!

Reich die Schale mir ſelbſt, daß ich des rettenden

Heil'gen Giftes genug, daß ich des Lethetranks

Mit Dir trinke, daß alles

Haß und Liebe vergeſſen ſey!

Hingehn will ich. Vielleicht ſeh' ich in langer Zeit

Diotima! Dich hier. Aber verblutet iſt

Dann das Wuͤnſchen und friedlich

Gleich den Seligen, fremd ſind wir.

Und ein ruhig Geſpraͤch fuͤhret uns auf und ab,

Sinnend, zoͤgernd, doch itzt faßt die Vergeſſenen

Hier die Stelle des Abſchieds,

Es erwarmet ein Herz in uns,

Staunend ſeh' ich dich an, Stimmen und ſuͤßen Sang,

Wie aus voriger Zeit, hoͤr' ich und Saitenſpiel,

Und befreiet in Flammen

Fliegt in Luͤfte der Geiſt uns auf.
[78]

Diotima..


Du ſchweigſt und duldeſt, denn ſie verſtehen dich

nicht.

Du edles Leben! ſieheſt zur Erd' und ſchweigſt

Am ſchoͤnen Tag, denn ach! umſonſt nur

Suchſt du die Deinen im Sonnenlichte,

Die Koͤniglichen, welche wie Bruͤder doch,

Wie eines Hains geſellige Gipfel ſonſt

Der Lieb' und Heimath ſich und ihres

Immer umfangenden Himmels freuten.

Des Urſprungs noch in toͤnender Bruſt gedenk;

Die Dankbarn, ſie, ſie mein' ich, die einzig treu

Bis in den Tartarus die Freude

Brachten, die Freien, die Goͤttermenſchen.

Die zaͤrtlich großen Seelen, die nimmer ſind;

Denn ſie beweint, ſo lange das Trauerjahr

Schon dauert, von den vor'gen Sternen

Taͤglich gemahnet, das Herz noch immer.

[79]
Und dieſe Todtenklage, ſie ruht nicht aus,

Die Zeit doch heilt. Die Himmliſchen ſind jetzt ſtark,

Sind ſchnell. Nimmt denn nicht ſchon ihr altes

Freudiges Recht die Natur ſich wieder?

Sieh! eh noch unſer Huͤgel, o Liebe, ſinkt,

Geſchieht's und ja! noch ſiehet mein ſterblich Lied

Den Tag, der, Diotima! naͤchſt den

Goͤttern mit Helden dich nennt, und dir gleicht.
[80]

Ruͤckkehr in die Heimath.


Ihr milden Luͤfte, Boten Italiens!

Und du mit deinen Pappeln, geliebter Strom!

Ihr wogenden Gebirg'! o all' ihr

Sonnigen Gipfel! ſo ſeyd ihr's wieder.

Du ſtiller Ort! in Traͤumen erſchienſt du fern,

Nach hoffnungsloſem Tage dem Sehnenden,

Und du, mein Haus, und ihr Geſpielen,

Baͤume des Huͤgels, ihr wohlbekannten!

Wie lang' iſt's, o wie lange! des Kindes Ruh'

Iſt hin, und hin iſt Jugend und Lieb' und Gluͤck,

Doch du, mein Vaterland, du Heilig-

Duldendes, ſiehe, du biſt geblieben!

Und darum, daß ſie dulden mit dir, mit dir

Sich freu'n, erziehſt du, Theures! die Deinen auch,

Und mahnſt in Traͤumen, wenn ſie ferne

Schweifen und irren, die Ungetreuen.

[81]
Und wenn im heißen Buſen dem Juͤnglinge

Die eigenmaͤcht'gen Wuͤnſche beſaͤnftiget

Und ſtille vor dem Schickſal ſind, dann

Giebt der Gelaͤuterte dir ſich lieber.

Lebt wohl denn, Jugendtage, du Roſenpfad

Der Lieb', und all' ihr Pfade des Wanderers,

Lebt wohl! und nimm und ſegne du mein

Leben, o Himmel der Heimath, wieder!

[82]

An die Parzen.


Nur Einen Sommer goͤnnt, ihr Gewaltigen!

Und Einen Herbſt zu reifem Geſange mir,

Daß williger mein Herz, vom ſuͤſſen

Spiele geſaͤttiget, dann mir ſterbe!

Die Seele, der im Leben ihr goͤttlich Recht

Nicht ward, ſie ruht auch drunten im Orkus nicht;

Doch iſt mir einſt das Heil'ge, das am

Herzen mir liegt, das Gedicht gelungen:

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!

Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenſpiel

Mich nicht hinabgeleitet; Einmal

Lebt' ich, wie Goͤtter, und mehr bedarf's nicht.
[83]

Unter den Alpen geſungen.


Heilige Unſchuld, Du der Menſchen und der

Goͤtter liebſte Vertrauteſte! Du magſt im

Hauſe oder draußen ihnen zu Fuͤßen

Sitzen, den Alten,

Immerzufriedener Weisheit voll; denn manches

Gute kennet der Mann, doch ſtaunet er dem

Wild gleich, oft zum Himmel, aber wie rein iſt,

Reine, Dir alles!

Siehe! das rauhe Thier des Feldes, gerne

Dient und trauet es Dir, der ſtumme Wald ſpricht

Wie vor Alters, ſeine Spruͤche zu Dir, es

Lehren die Berge

Heil'ge Geſetze Dich, und was noch jetzt uns

Vielerfahrenen, offenbar der große

Vater werden heißt, Du darfſt es allein uns

Helle verkuͤnden.

[84]
So mit den Himmliſchen allein zu ſeyn, und

Geht voruͤber das Licht, und Strom und Wind, und

Zeit eilt ſie zum Ort, vor ihnen ein ſtetes

Auge zu haben,

Seliger weiß und wuͤnſch' ich nichts, ſo lange

Nicht auch mich, wie die Winde, fort die Flut nimmt,

Daß wohl aufgehoben, ſchlafend dahin ich

Muß in den Wogen;

Aber es bleibt daheim gern, wer in treuem

Buſen Goͤttliches haͤlt, und frei will ich, ſo

Lang ich darf, euch all' ihr Sprachen des Himmels!

Deuten und ſingen.
[85]

Der Menſch.


Fragment.


Kaum ſproßten aus den Waſſern, o Erde, dir

Der alten Berge Gipfel; und dufteten,

Voll junger Waͤlder, durch die Mailuft,

Ueber den Ocean hin, luſtathmend,

Die erſten gruͤnen Inſeln; und freudig ſah

Des Sonnengottes Auge die Erſtlinge,

Die Baͤum [...] und Blumen, ſeiner Jugend

Laͤchelnde Kinder, aus Dir geboren.

Da auf den Inſeln ſchoͤnſten,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lag unter Trauben einſt, nach lauer

Nacht, in der daͤmmernden Morgenſtunde,

Geboren dir, o Erde, dein ſchoͤnſtes Kind;

Und auf zum Vater Helios ſieht bekannt

Der Knab' und weiht und waͤhlt, die ſuͤſſen

Beere verſuchend, die heil'ge Rebe

[86]
Zur Amme ſich. Und bald iſt er groß; ihn ſcheun

Die Thiere, denn ein Anderer iſt, wie ſie,

Der Menſch; nicht dir und nicht dem Vater

Gleicht er . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ach! darum treibt ihn, Erde! vom Herzen dir

Sein Uebermuth, und deine Geſchenke ſind

Umſonſt, die zaͤrtlichen, zu hoch ſchlaͤgt

Immer und immer der ſtolze Buſen.

Von ſeines Ufers duftender Wieſe muß

Ins bluͤthenloſe Waſſer hinaus der Menſch,

Und glaͤnzte auch, wie die Sternennacht, von

Goldenen Fruͤchten ſein Hain, doch graͤbt er

Sich Hoͤhlen in den Bergen und ſpaͤht im Schacht,

Von ſeines Vaters heiligem Strale fern,

Dem Sonnengott auch ungetreu, der

Knechte nicht liebt und der Sorgen ſpottet.

Ach! freier athmen Voͤgel des Walds, wenn ſchon

Des Menſchen Bruſt ſich wilder und ſtolzer hebt,

Sein Trotz wird Angſt, und ſeines Friedens

Blume, die zaͤrtliche, bluͤht nicht lange.
[87]

Emilie
vor ihrem Brauttag
.


Emilie an Klara.


Ich bin im Walde mit dem Vater draus

Geweſen, dieſen Abend, auf dem Pfade,

Du kenneſt ihn, vom vor'gen Fruͤhlinge.

Es bluͤhten wilde Roſen nebenan,

Und von der Felswand uͤberſchattet' uns

Der Eichenbuͤſche ſonnenhelles Gruͤn;

Und oben durch der Buchen Dunkel quillt

Das klare fluͤchtige Gewaͤſſer nieder.

Wie oft, du Liebe! ſtand ich dort und ſah

Ihm nach aus ſeiner Baͤume Daͤmmerung

Hinunter in die Ferne, wo zum Bach

Es wird, zum Strome, ſehnte mich mit ihm

Hinaus — wer weiß wohin?

Das haſt du oft

Mir vorgeworfen, daß ich immerhin

Abweſend bin mit meinem Sinne, haſt

Mir's oft geſagt, ich habe bei den Menſchen

[88]
Kein friedlich Bleiben nicht, verſchwende

Die Seele an die Luͤfte, lieblos ſey

Ich oͤfters bei den Meinen. Gott! ich lieblos?

Wohl mag es freudig ſeyn und ſchoͤn, zu bleiben,

Zu ruhn in einer lieben Gegenwart,

Wenn eine große Seele, die wir kennen,

Vertraulich nahe waltet uͤber uns,

Sich um uns ſchließt, daß wir, die Heimatloſen,

Doch wiſſen, wo wir wohnen.

Gute! Treue!

Doch haſt Du recht. Biſt denn Du nicht mir eigen?

Und hab' ich ihn den theuern Vater nicht,

Den Heiligjugendlichen, Vielerfahrnen,

Der, wie ein ſtiller Gott auf dunkler Wolke,

Verborgenwirkend uͤber ſeiner Welt

Mit freiem Auge ruht? und wenn er ſchon

Ein Hoͤher's weiß, und ich des Mannes Geiſt

Nur ahnen kann, doch ehrt er liebend mich,

Und nennt mich ſeine Freude, ja! und oft

Giebt eine neue Seele mir ſein Wort.

Dann moͤcht' ich wohl den Segen, den er gab,

Mit Einem, das ich liebte, gerne theilen.

Und bin allein — ach! ehmals war ich's nicht!

[89]
Mein Eduard! mein Bruder! denkſt du ſein

Und denkſt du noch der frommen Abende,

Wenn wir im Garten oft zuſammenſaßen

Nach ſchoͤnem Sommertage, wenn die Luft

Um unſre Stille freundlich athmete,

Und uͤber uns des Aethers Blumen glaͤnzten?

Wenn von den Alten er, den Hohen! uns

Erzaͤhlte, wie in Freude ſie und Freiheit

Aufſtrebten, ſeine Meiſter? Toͤnender

Hub dann aus ſeiner Bruſt die Stimme ſich,

Und zuͤrnend war und liebend oft voll Thraͤnen

Das Auge meinem Stolzen; ach! den letzten

Der Abende, wie nun, da Großes ihm

Bevorſtand, ruhiger der Juͤngling war,

Noch mit Geſaͤngen, die wir gerne hoͤrten,

Und mit der Zither uns die Trauernden

Vergnuͤgt'!

Ich ſeh' ihn immer, wie er gieng.

Nie war er ſchoͤner kuͤhn, die Seele glaͤnzt'

Ihm auf der Stirne, dann voll Andacht trat

Er vor den alten Vater. Kann ich Gluͤck

Von dir empfangen! ſprach er, heil'ger Mann!

So wuͤnſche lieber mir das groͤßte, denn

Ein anderes! und betroffen ſchien der Vater.

Wenn's ſeyn ſoll, wuͤnſch' ich dir's, antwortet' er.

Ich ſtand beiſeit, und wehemuͤthig ſah

[90]
Der Scheidende mich an und rief mich laut;

Mir bebt' es durch die Glieder, und er hielt

Mich zaͤrtlich feſt, in ſeinen Armen ſtaͤrkte

Der Starke mir das Herz, und da ich aufſah

Nach meinem Lieben, war er fortgeeilt.

„Ein edel Volk iſt hier auf Korſika;“

Schrieb freudig er im letzten Briefe mir,

„Wie wenn ein zahmer Hirſch zum Walde kehrt

„Und ſeine Bruͤder trifft, ſo bin ich hier,

„Und mir bewegt im Maͤnnerkriege ſich

„Die Bruſt, daß ich von allem Weh geneſe.

„Wie lebſt Du, theure Seele! und der Vater?

„Hier unter frohem Himmel, wo zu ſchnell

„Die Fruͤhlinge nicht altern, und der Herbſt

„Aus lauer Luft die goldnen Fruͤchte ſtreut.

„Auf dieſer guten Inſel werden wir

„Uns wiederſehen; dieß iſt meine Hoffnung.

„Ich lobe mir den Feldherrn. Oft im Traum'

„Hab' ich ihn faſt geſehen, wie er iſt,

„Mein Paoli, noch eh' er freundlich mich

„Empfing und zaͤrtlich vorzog, wie der Vater

„Den Juͤngſtgebornen, der es mehr bedarf.

„Und ſchaͤmen muß ich vor den andern mich,

[91]
„Den furchtbarſtillen, ernſten Juͤnglingen.

„Sie duͤnken traurig dir bei Ruh und Spiel;

„Unſcheinbar ſind ſie, wie die Nachtigall,

„Wenn von Geſang ſie ruht; am Ehrentag'

„Erkennſt Du ſie. Ein eigen Leben iſt's! —

„Wenn mit der Sonne wir, mit heil'gem Lied'

„Heraufgehn uͤbern Huͤgel, und die Fahnen

„In's Thal hinab im Morgenwinde wehn,

„Und drunten auf der Ebne fernher ſich,

„Ein gaͤhrend Element, entgegen uns

„Die Menge regt und treibt, da fuͤhlen wir

„Frohlockender, wie wir uns herrlich lieben;

„Denn unter unſern Zelten und auf Wogen

„Der Schlacht begegnet uns der Gott, der uns

„Zuſammenhaͤlt.

„Wir thun, was ſich gebuͤhrt,

„Und fuͤhren wohl das edle Werk hinaus.

„Dann kuͤßt ihr noch den heimathlichen Boden,

„Den trauernden, und kommt und lebt mit uns,

„Emilie! — Wie wird's dem alten Vater

„Gefallen, bei den Lebenden noch Einmal

„Zum Juͤngling aufzuleben und zu ruhn

„In unentweihter Erde, wenn er ſtirbt.

„Denkſt du des troͤſtenden Geſanges noch,

„Emilie, den ſeiner theuern Stadt

[92]
„In ihrem Fall der ſtille Roͤmer ſang, *)

„Noch hab' ich Einiges davon im Sinne.

„Klagt nicht mehr! kommt in neues Land! ſo

ſagt' er.

„Der Ocean, der die Gefild' umſchweift,

„Erwartet uns. Wir ſuchen ſelige

„Gefilde, reiche Inſeln, wo der Boden

„Noch ungepfluͤgt die Fruͤchte jaͤhrlich giebt,

„Und unbeſchnitten noch der Weinſtock bluͤht,

„Wo der Olivenzweig nach Wunſche waͤchſt,

„Und ihren Baum die Feige keimend ſchmuͤckt,

„Wo Honig rinnt aus hohler Eich' und leicht

„Gewaͤſſer rauſcht von Bergeshoͤhe. Noch Manches

„Bewundern werden wir, die Gluͤcklichen.

„Es ſparte fuͤr ein frommes Volk Saturnus Sohn

„Dieß Ufer auf, da er die goldne Zeit

„Mit Erze miſchte. — Lebe wohl, du Liebe!“

Der Edle fiel des Tags darauf im Treffen

Mit ſeiner Liebſten Einem, ruht mit ihm

In Einem Grab!

In deinem Schooſe ruht

Er, ſchoͤnes Korſika! und deine Waͤlder

[93]
Umſchatten ihn, und deine Luͤfte wehn

Am milden Herbſttag freundlich uͤber ihm,

Dein Abendlicht vergoldet ſeinen Huͤgel.

Ach! dorthin moͤcht' ich wohl, doch haͤlf' es nicht.

Ich ſucht' ihn, ſo wie hier. Ich wuͤrde faſt

Dort weniger, wie hier, mich ſein entwoͤhnen.

So wuchs ich auf mit ihm, und weinen muß ich

Und laͤcheln, denk' ich, wie mir's ehmals oft

Beſchwerlich ward, dem Wilden nachzukommen,

Wenn nirgend er beim Spiele bleiben wollte.

Nun biſt du dennoch fort und laͤſſeſt mich

Allein, du Lieber! und ich habe nun

Kein Bleiben auch, und meine Augen ſehn

Das Gegenwaͤrtige nicht mehr, o Gott!

Und mit Phantomen peiniget und troͤſtet

Nun meine Seele ſich, die einſame.

Das weißt du, gutes Maͤdchen! nicht, wie ſehr

Ich unvernuͤnftig bin. Ich will dir's all'

Erzaͤhlen. Morgen! Mich beſucht doch immer

Der ſuͤße Schlaf, und wie die Kinder bin ich,

Die beſſer ſchlummern, wenn ſie ausgeweint.

Emilie an Klara.


Der Vater ſchwieg im Leide tagelang,

Da er's erfuhr; und ſcheuen mußt' ich mich,

[94]
Mein Weh ihm ſehn zu laſſen; lieber gieng

Ich dann hinaus zum Huͤgel und das Herz

Gewoͤhnte mir zum freien Himmel ſich.

Ich tadelt' oft ein wenig mich daruͤber,

Daß nirgend mehr im Hauſe mirs gefiel.

Vergnuͤgt mit Allem war ich ehmals da,

Und leicht war Alles mir. Nun aͤngſtigt es

Mich oft; noch trieb ich mein Geſchaͤft, doch leblos,

Bis in die Seele ſtumm in meiner Trauer.

Es war, wie in der Schattenwelt, im Hauſe.

Der ſtille Vater und das ſtumme Kind!

Wir wollen fort auf eine Reiſe, Tochter!

Sagt' eines Tags mein Vater und wir giengen,

Und kamen dann zu Dir. In dieſem Land',

An deines Nekars friedlichſchoͤnen Ufern,

Da daͤmmert eine ſtille Freude mir

Zum erſtenmale wieder auf. Wie oft

Im Abendlichte ſtand ich auf dem Huͤgel

Mit dir, und ſah das gruͤne Thal hinauf,

Wo zwiſchen Bergen, da die Rebe waͤchſt,

An manchem Dorf voruͤber, durch die Wieſen

Zu uns herab, von luft'ger Weid' umkraͤnzt,

Das goldne ruhige Gewaͤſſer wallte!

Mir bleibt die Stelle lieb, wo ich gelebt.

[95]
Ihr heiter freien Ebenen des Mains,

Ihr reichen, bluͤhenden! wo nahe bald

Der frohe Strom, des ſtolzen Vaters Liebling,

Mit offnem Arm' ihn gruͤßt, den alten Rhein!

Auch ihr! Sie ſind wie Freunde mir geworden,

Und aus der Seele mir vergehen ſoll

Kein frommer Dank, und trag' ich Leid im Buſen,

So ſoll mir auch die Freude lebend bleiben.

Erzaͤhlen wollt' ich dir, doch hell iſt nie

Das Auge mir, wenn deſſen ich gedenke;

Vor ſeinen kindiſchen, geliebten Traͤumen

Bebt immer mir das Herz.

Wir reiſten dann

Hinein in andre Gegenden, ins Land

Des Varusthals, dort bei den dunkeln Schatten

Der wilden, heil'gen Berge lebten wir,

Die Sommertage durch, und ſprachen gern

Von Helden, die daſelbſt gewohnt, und Goͤttern.

Noch giengen wir des Tages, ehe wir

Vom Orte ſchieden, in den Eichenwald

Des herrlichen Gebirgs hinaus, und ſtanden

In kuͤhler Luft auf hoher Heide nun.

[96]
„Hier unten in dem Thale ſchlafen ſie

„Zuſammen, ſprach mein Vater, lange ſchon,

„Die Roͤmer mit den Deutſchen, und es haben

„Die Freigebornen ſich, die ſtolzen, ſtillen,

„Im Tode mit den Welteroberern

„Verſoͤhnt, und Großes iſt und Groͤßeres

„Zuſammen in der Erde Schoos gefallen.

„Wo ſeyd ihr, meine Todten all'? Es lebt

„Der Menſchengenius, der Sprache Gott,

„Der alte Braga noch, und Hertha gruͤnt

„Noch immer ihren Kindern, und Walhalla

„Blaut uͤber uns, der heimathliche Himmel;

„Doch euch, ihr Heldenbilder, find' ich nicht.“

Ich ſah hinab und leiſe ſchauerte

Mein Herz und bei den Starken war mein Sinn,

Den Guten, die hier unten vormals lebten.

Jetzt ſtand ein Juͤngling, der, uns ungeſehen,

Am einſamen Gebuͤſch beiſeit geſeſſen,

Nicht ferne von mir auf. O Vater! mußt'

Ich rufen, das iſt Eduard! — Du biſt

Nicht klug, mein Kind! erwiedert er und ſah

Den Juͤngling an; es mocht' ihn wohl auch treffen,

Er faßte ſchnell mich bei der Hand und zog

Mich weiter. Einmal mußt' ich noch mich umſehn.

Derſelbe wars und nicht derſelbe! Stolz und groß,

[97]
Und Aug' und Stirn' und Locke; ſchaͤrfer blickt'

Er nur, und um die ſeelenvolle Miene

War, wie ein Schleier, ihm ein ſtiller Ernſt

Gebreitet. Und er ſah mich an. Es war,

Als ſagt' er, gehe nur auch du, ſo geht

Mir alles hin, doch duld' ich aus und bleibe.

Wir reisten noch deſſelben Abends ab,

Und langſamtraurig fuhr der Wagen weiter

Und weiter durchs unwegſame Gebirg.

Es wechſelten in Nebel und in Regen

Der Baͤum' und des Gebuͤſches dunkle Bilder

Im Walde nebenan. Der Vater ſchlief,

In dumpfem Schmerze traͤumt' ich hin, und kaum

Nur eben noch, die lange Zeit zu zaͤhlen,

War mir die Seele wach.

Ein ſchoͤner Strom

Erweckt' ein wenig mir das Aug'; es ſtanden

Im breiten Boot die Schiffer am Geſtad';

Die Pferde traten folgſam in die Faͤhre,

Und ruhig ſchifften wir. Erheitert war

Die Nacht, und auf die Wellen leuchtet'

Und Huͤtten, wo der fromme Landmann ſchlief,

Aus blauer Luft das ſtille Mondlicht nieder;

Und alles duͤnkte friedlich mir und ſorglos,

In Schlaf geſungen von des Himmels Sternen.

Hoͤlderlin Gedichte. 7
[98]
Und ich ſollt' ohne Ruhe ſeyn von nun an,

Verloren ohne Hoffnung mir an Fremdes

Die Seele meiner Jugend! Ach! ich fuͤhlt'

Es jetzt, wie es geworden war mit mir.

Dem Adler gleich, der in der Wolke fliegt,

Erſchien und ſchwand mir aus dem Auge wieder,

Und wieder mir des hohen Fremdlings Bild,

Daß mir das Herz erbebt' und ich umſonſt

Mich faſſen wollte. Schliefſt du gut, mein Kind!

Begruͤßte nun der gute Vater mich,

Und gerne wollt' ich auch ein Wort ihm ſagen.

Die Thraͤnen doch erſtickten mir die Stimme,

Und in den Strom' hinunter mußt' ich ſehn,

Und wußte nicht, wo ich mein Angeſicht

Verbergen ſollte.

Gluͤckliche! die du

Dieß nie erfahren, uͤberhebe mein

Dich nicht. Auch du, und wer von allen mag

Sein eigen bleiben unter dieſer Sonne?

Oft meint' ich ſchon, wir leben nur, zu ſterben,

Uns opfernd hinzugeben fuͤr ein Anders.

O ſchoͤn zu ſterben, edel ſich zu opfern,

Und nicht ſo fruchtlos, ſo vergebens, Liebe!

Das mag die Ruhe der Unſterblichen

Dem Menſchen ſeyn.

[99]
Bedaure du mich nur!

Doch tadeln, Gute, ſollſt du mir es nicht!

Nennſt du ſie Schatten, jene, die ich liebe?

Da ich kein Kind mehr war, da ich ins Leben

Erwachte, da aufs neu mein Auge ſich

Dem Himmel oͤffnet' und dem Licht, da ſchlug

Mein Herz dem Schoͤnen; und ich fand es noch;

Wie ſoll ichs nennen, nun es nicht mehr iſt

Fuͤr mich? O laßt! Ich kann die Todten lieben,

Die Fernen; und die Zeit bezwingt mich nicht.

Mein oder nicht! du biſt doch ſchoͤn, ich diene

Nicht Einem, was der Stunde nur gefaͤllt,

Dem Taͤglichen gehoͤr ich nicht; es iſt

Ein Anders, was ich lieb'; unſterblich

Iſt, was du biſt, und du bedarfſt nicht meiner,

Damit du groß und gut und liebenswuͤrdig

Und herrlich ſeyſt, du edler Genius!

Laßt nur mich ſtolz in meinem Leide ſeyn,

Und zuͤrnen, wenn ich ihn verlaͤugnen ſoll;

Bin ich doch ſonſt geduldig, und nicht oft

Aus meinem Munde koͤmmt ein Maͤnnerwort.

Demuͤthigt michs doch ſchon genug, daß ich,

Was ich dir lang verborgen, nun geſagt.

[100]

Emilie an Klara.


Wie dank' ich dir, du Liebe, daß du mir

Vertrauen abgewonnen, daß ich dir

Mein ſtill Geheimniß ausgeſprochen.

Ich bin nun ruhiger ‒ wie nenn' ichs dir?

Und an die ſchoͤnen Tage denk' ich, wenn ich oft

Hinaus ging mit dem Bruder, und wir oben

Auf unſerm Huͤgel beieinander ſaßen,

Und ich den Lieben bei den Haͤnden hielt,

Und mirs gefallen ließ am offnen Feld'

Und an der Straß', und ins Gewoͤlb' hinauf

Des gruͤnen Ahorns ſtaunt', an dem wir lagen.

Ein Sehnen war in mir, doch war ich ſtill.

Es bluͤhten uns der erſten Hoffnung Tage,

Die Tage des Erwachens.

Holde Daͤmm'rung!

So ſchoͤn iſts, wenn die guͤtige Natur

Ins Leben lockt ihr Kind. Es ſingen nur

Den Schlummerſang am Abend unſre Muͤtter.

Sie brauchen nie das Morgenlied zu ſingen.

Dieß ſingt die andre Mutter uns, die gute;

Die wunderbare, die uns Lebensluſt

In unſern Buſen athmet, uns mit ſuͤßen

Verheißungen erweckt.

Wie iſt mir, Liebe!

[101]
Ich kann an Jugend heute nur, und nur

An Jugend denken.

Sieh! ein heitrer Tag

Iſts eben auch. Seit fruͤhem Morgen ſitz' ich

Am lieben Fenſter, und es wehn die Luͤfte,

Die zaͤrtlichen, herein, mir blickt das Licht

Durch meine Baͤume, die zu nahe mir

Gewachſen ſind, und maͤhlig mit den Bluͤthen

Das ferne Land verhuͤllen, daß ich mich

Beſcheiden muß, und hie und da noch kaum

Hinaus mich find' aus dieſem freundlichen

Gefaͤngniß! und es fliegen uͤber ihnen

Die Schwalben und die Lerchen, und es ſingen

Die Stunde durch genug die Nachtigallen,

Und wie ſie heißen, all die Lieblinge

Der ſchoͤnen Jahrszeit; eigne Namen moͤcht'

Ich ihnen geben, und den Blumen auch,

Den ſtillen, die aus dunklem Beete duften,

Zu mir herauf wie junge Sterne glaͤnzend.

Und wie es lebt und gluͤcklich iſt im Wachsthum,

Und ſeiner Reiſe ſich entgegen freut!

Es findet jedes ſeine Stelle doch,

Sein Haus, die Speiſe, die das Herz ihm ſaͤttigt,

Und jedes ſegneſt du mit eignem Segen,

[102]
Natur! und giebſt dich ihnen zum Geſchaͤft,

Und traͤgſt und naͤhrſt zu ihrer Bluͤthenfreud'

Und ihrer Frucht ſie fort, du guͤtige!

Und klagteſt du doch oͤfters, trauernd Herz!

Vergaßeſt mir den Glauben, dankteſt nicht,

Und dachteſt nicht, wenn dir dein Thun zu wenig

Bedeuten wollt', es ſey ein frommes Opfer,

Das du, wie andre, vor das Leben bringeſt,

Wohl meinend, wie der Lerche Lied, das ſie

Den Luͤften ſingt, den freudegebenden. —

Nun geh' ich noch hinaus und hole Blumen,

Dem Vater aus dem Feld', und bind' ihm ſie

In Einen Straus, die drunten in dem Garten,

Und die der Bach erzog; ich wills ſchon richten,

Daß ihm's gefallen ſoll. Und dir? dir bring' ich

Genug des Neuen. Da iſt's immer anders.

Jetzt bluͤhn die Weiden; jetzt vergolden ſich

Die Wieſen; jetzt beginnt der Buche Gruͤn,

Und jetzt der Eiche ‒ nun! leb' wohl indeſſen!

Emilie an Klara.


Ihr Himmliſchen! das war er. Kannſt du mir

Es glauben? ‒ Beſte! ‒ waͤrſt du bei mir! ‒ Er!

Der Hohe, der Gefuͤrchtete, Geliebte! ‒

Mein bebend Herz, haſt du ſo viel gewollt?

[103]
Da gieng ich ſo zuruͤck mit meinen Blumen,

Sah auf den Pfad, den abendroͤthlichen,

In meiner Stille nieder, und es ſchlief

Mir ſanft im Buſen das Vergangene,

Ein kindlich Hoffen athmete mir auf;

Wie wenn uns zwiſchen ſuͤßem Schlaf und Wachen

Die Augen halb geoͤffnet ſind, ſo war

Ich Blinde. Sieh! da ſtand er vor mir mein

Heroe und ich Arme war, wie todt,

Und ihm, dem Bruͤderlichen, uͤberglaͤnzte

Das Angeſicht, wie einem Gott, die Freude.

„Emilie!“ — das war ſein frommer Gruß,

Ach! alles Sehnen weckte mir und all

Das liebe Leiden, ſo ich eingewiegt,

Der goldne Ton des Juͤnglings wieder auf!

Nicht aufſehn durft' ich! keine Sylbe durft'

Ich ſagen! O, was haͤtt' ich ihm geſagt!

Was mein' ich denn, du Gute? — laß mich nur!

Nun darf ich ja, nun iſts ſo thoͤricht nimmer,

Und ſchoͤn iſt's, wenn der Schmerz mit ſeiner

Schweſter

Der Wonne ſich verſoͤhnt, noch eh' er weggeht.

O Wiederſehn! das iſt noch mehr, du Liebe!

[104]
Als wenn die Baͤume wieder bluͤhn, und Quellen

Von neuem froͤhlich rauſchen —

Ja! ich hab'

Ihn oft geſucht und ernſtlich oft es mir

Verſagt, doch wollt' ich ſein Gedaͤchtniß ehren.

Die Bilder der Geſpielen, die mit mir

Auf gruͤner Erd' in ſtummer Kindheit ſaßen,

Sie daͤmmern ja um meine Seele mir,

Und dieſer edle Schatte, ſollt' er nicht?

Das Herz im Buſen, das unſterbliche,

Kann nicht vergeſſen, ſieh! und oͤfters bringt

Ein guter Genius die Liebenden

Zuſammen, daß ein neuer Tag beginnt,

Und ihren Mai die Seele wieder feiert.

O wunderbar iſt mir! auch er! — daß du

Hinunter mußteſt, Lieber! ehe dir

Das deine ward, und dich die frohe Braut

Zum Maͤnnerruhme ſegnete! Doch ſtarbſt

Du ſchoͤn, und oft hab' ich gehoͤrt, es fallen

Die Lieblinge des Himmels fruͤh, damit

Sie ſterblich Gluͤck und Leid und Alter nicht

Erfahren. Nimmermehr vergeſſ' ich dich,

Und ehren ſoll er dich. Dein Bild will ich

Ihm zeigen, wenn er koͤmmt; und wenn der Stolze

Sich dann verwundert, daß er ſich bei mir

[105]
Gefunden, ſag' ich ihm, es ſey ein Andrer,

Und den er lieben muͤſſe. O er wirds!

Emilie an Klara.


Da ſchrieb er mir. Ja theures Herz! er iſts,

Den ich geſucht. Wie dieſer Juͤngling mich

Demuͤthiget und hebt! Nun! lies es nur!

„So biſt du's wieder und ich habe dich

„Gegruͤßt, gefunden, habe dich noch Einmal

„In deiner frommen Ruh' geſtoͤrt, du Kind

„Des Himmels! — Nein, Emilie! du kannteſt

„Mich ja. Ich kann nicht fragen. Wir ſind's,

„Die Laͤngſtverwandten, die der Gott getraut,

„Und bleiben wird es, wie die Sonne droben.

„Ich bin voll Freude, ſchoͤne Seele! bin

„Der neuen Melodien ungewohnt.

„Es iſt ein anders Lied, als jenes, ſo

„Dem Juͤnglinge die Parze lehrend ſingt,

„Bis ihm, wie Wohllaut, ihre Weiſe toͤnt;

„Dann goͤnnt ſie ihm, du Friedliche! von dir

„Den ſuͤßern Ton, den liebſten, einzigen,

„Zu hoͤren. Mein? o ſieh! du wirſt in Luſt

„Die Muͤhe mir, und, was mein Herz gebeut,

„Du wirſt es all in heilge Liebe wandeln.

„Und hab' ich mit Unmoͤglichem gerungen,

[106]
„Und mir die Bruſt zu Treu und Ruh gehaͤrtet,

„Du waͤrmeſt ſie mit frommer Hoffnung mir,

„Daß ſie vertrauter mit dem Siege ſchlaͤgt.

„Und wenn das Urbild, das, wie Morgenlicht,

„Mir aus des Lebens dunkler Wolke ſtieg,

„Das Himmliſche, mir ſchwindet, ſeh' ich dich,

„Und, eine ſchoͤne Goͤtterbotin, mahnſt

„Du laͤchelnd mich an meinen Phoͤbus wieder;

„Und wenn ich zuͤrne, ſaͤnftigeſt du mich.

„Dein Schuͤler bin ich dann, und lauſch' und lerne.

„Von deinem Munde nehm' ich, Zauberin

„Des Ueberredens ſuͤße Gabe mir,

„Daß ſie die Geiſter freundlich mir bezwingt;

„Und wenn ich ferne war von dir, und wund

„Und muͤd dir wiederkehre, heilſt du mich,

„Und ſingſt in Ruhe mich, du holde Muſe!

„Emilie! daß wir uns wiederſahn!

„Daß wir uns einſt gefunden, und du nun

„Mich nimmer fliehſt, und nahe biſt! Zu gern

„Zu gern entwich dein ſtolzes Bild dem Wandrer,

„Das zarte, reine, da du ferne warſt,

„Du Heiligſchoͤnes! doch ich ſah dich oft,

„Wenn ich des Tags allein die Pfade gieng,

„Und Abends in der fremden Huͤtte ſchwieg.

„O heute! gruͤße, wenn du willſt, den Vater!

[107]
„Ich kenn' ihn wohl; auch meinen Namen kennt er;

„Und ſeiner Freunde Freund bin ich. Ich wußte nicht,

„Daß er es war, da wir zuerſt einander

„Begegneten, und lang erfuhr ich's nicht.

„Bald gruͤß' ich ſchoͤner dich. — Armenion.“

Emilie an Klara.


Er woll' ihn morgen ſprechen, ſagte mir

Mein Vater, morgen! und er ſchien nicht freundlich.

Nun ſitz' ich hier und meine Augen ruhn

Und ſchlummern nicht; — ach! ſchaͤmen muß ich mich,

Es dir zu klagen, — will ich ſtille werden,

So regt ein Laut mich auf; ich ſinn' und bitte,

Und weiß nicht, was? und ſagen moͤcht' ich viel,

Doch iſt die Seele ſtumm; — o fragen moͤcht' ich

Die ſorgenfreien Baͤume hier, die Stralen

Der Nacht und ihre Schatten, wie es nun

Mir endlich werden wird.

Zu ſtill iſt's mir

In dieſer ſchoͤnen Nacht, und ihre Luͤfte

Sind mir nicht hold, wie ſonſt. Die Thoͤrin!

So lang er ferne war, ſo liebt' ich ihn;

Nun bin ich kalt, und zag' und zuͤrne mir

Und andern. — Auch die Worte, ſo ich dir

In dieſer boͤſen Stunde ſchreibe, lieb'

[108]
Ich nicht, und was ich ſonſt von ihm geſchrieben,

Unleidlich iſt es mir. Was iſt es denn?

Ich wuͤnſche faſt, ich haͤtt' ihn nie geſehn.

Mein Friede war doch ſchoͤner. Theures Herz!

Ich bin betruͤbt, und anders, denn ichs war,

Da ich um den Verlornen trauerte.

Ich bin es nimmer, nein! ich bin es nicht,

Ich bin nicht gut, und ſeellos bin ich auch.

Mich laͤßt die Furcht, die haͤßliche, nicht ruhn.

O daß der goldne Tag die Ruhe mir,

Mein eigen Leben wiederbraͤcht'! —

Ich will

Geduldig ſeyn, und wenn der Vater ihn

Nicht ehrt, mir ihn verſagt, den Theuren,

So ſchweig' ich lieber, und es ſoll mir nicht

Zu ſehr die Seele kraͤnken; kann ich ſtill

Ihn ehren doch, und bleiben, wie ich bin.

Emilie an Klara.


Nun muß ich laͤcheln uͤber alles Schlimme,

Was ich die vor'ge Nacht getraͤumt; und hab'

Ich dir es gar geſchrieben? Anders bin

Ich itzt geſinnt.

[109]
Er kam, und mir frohlokte

Das Herz, wie er herab die Straße ging,

Und mir das Volk den fremden Herrlichen

Beſtaunt'! und lobend uͤber ihn geheim

Die Nachbarn ſich beſprachen, und er jetzt

Den Knaben, der an ihm voruͤberging,

Nach meinem Hauſe fragt'! ich ſahe nicht

Hinaus, ich konnt', an meinem Tiſche ſitzend,

Ihn ohne Scheue ſehn — wie red' ich viel?

Und da er nun herauf die Treppe kam,

Und ich die Tritte hoͤrt' und ſeine Thuͤre

Mein Vater oͤffnete, ſie draußen ſich

Stillſchweigend gruͤßten, daß ich nicht

Ein Wort vernehmen konnt', ich Unvernuͤnft'ge,

Wie ward mir bange wieder? Und ſie blieben

Nicht kurze Zeit allein im andern Zimmer,

Daß ich es laͤnger nicht erdulden konnt',

Und dacht': ich koͤnnte wohl den Vater fragen

Um dieß und jenes, was ich wiſſen mußte.

Dann haͤtt' ichs wohl geſehn in ihren Augen,

Wie mir es werden ſollte. Doch ich kam

Bis an die Schwelle nur, gieng lieber doch

In meinen Garten, wo die Pflanzen ſonſt,

In andrer Zeit, die Stunde mir gekuͤrzt.

Und froͤhlich glaͤnzten, von des Morgens Thau

Geſaͤttiget, im friſchen Lichte ſie

[110]
Ins Auge mir, wie liebend ſich das Kind

An die betruͤbte Mutter draͤngt, ſo waren

Die Blumen und die Bluͤthen um mich rings,

Und ſchoͤne Pforten woͤlbten uͤber mir

Die Baͤume.

Doch ich konnt' es jetzt nicht achten,

Nur ernſter ward und ſchwerer nur, und baͤnger

Das Herz mir Armen immer, und ich ſollte

Wie eine Dienerinn von ferne lauſchen,

Ob ſie vielleicht mich riefen, dieſe Maͤnner!

Ich wollte nun auch nimmer um mich ſehn,

Und barg in meiner Laube mich und weinte,

Und hielt die Haͤnde vor das Auge mir.

Da hoͤrt' ich ſanft des Vaters Stimme nah,

Und laͤchelnd traten, da ich noch die Thraͤnen

Mir trocknete, die beyden in die Laube:

„Haſt du dich ſo geaͤngſtiget, mein Kind!

„Und zuͤrnſt du, ſprach der Vater, daß ich erſt

„Fuͤr mich den edlen Gaſt behalten wollt'?

„Ihn haſt du nun. Er mag die Zuͤrnende

„Mit mir verſoͤhnen, wenn ich Unrecht that.“

So ſprach er; und wir reichten alle drey

Die Haͤnd' einander, und der Vater ſah

Mit ſtiller Freud' uns an. —

[111]
„Ein Trefflicher

„Iſt dein geworden, Tochter! ſprach er jetzt,

„Und dein, o Sohn! dieß heiligliebend Weib.

„Ein freudig Wunder, daß die alten Augen

„Mir uͤbergehen, ſeyd ihr mir, und bluͤht,

„Wie eine ſeltne Blume mir, ihr Beyden!

„Denn nicht gelingt es immerhin den Menſchen,

„Das Ihrige zu finden. Großes Gluͤck

„Zu tragen und zu opfern giebt der Gott

„Den Einen, weniger gegeben iſt

„Den Andern; aber hoffend leben ſie.

„Zwey Genien geleiten auf und ab

„Uns Lebende, die Hoffnung und der Dank.

„Mit Einſamen und Armen wandelt jene,

„Die Immerwache; dieſer fuͤhrt aus Wonne

„Die Gluͤcklichen des Weges freundlich weiter,

„Vor boͤſem Schikſal ſie bewahrend. Oft,

„Wenn er entfloh, erheben ſich zu ſehr

„Die Freudigen, und raͤchend traf ſie bald

„Das ungebetne Weh.

„Doch gerne theilt

„Das freie Herz von ſeinen Freuden aus,

„Der Sonne gleich, die liebend ihre Stralen

„An ihrem Tag' aus goldner Fuͤlle giebt;

[112]
„Und um die Guten daͤmmert oft und glaͤnzt

„Ein Kreis von Licht und Luft, ſo lang ſie leben.

„O Fruͤhling meiner Kinder, bluͤhe nun

„Und altre nicht zu bald, und reife ſchoͤn!“

So ſprach der gute Vater. Vieles wollt'

Er wohl noch ſagen, denn die Seele war

Ihm aufgegangen; aber Worte fehlten ihm.

Er gab ihn mir und ſegnet' uns und gieng

Hinweg.

Ihr Himmelsluͤfte, die ihr oft

Mich troͤſtend angeweht, nun athmetet

Ihr heiligend um unſer goldnes Gluͤck!

Wie anders wars, wie anders, da mit ihm,

Dem Liebenden, dem Freudigen, ich jetzt,

Ich Freudige, zu unſrer Mutter auf,

Zur ſchoͤnen Sonne ſah! nun daͤmmert es

Im Auge nicht, wie ſonſt im ſehnenden,

Nun gruͤßt' ich helle dich, du ſtolzes Licht!

Und laͤchelnd weilteſt du, und kamſt und ſchmuͤckteſt

Den Lieben mir, und kraͤnzteſt ihm mit Roſen

Die Schlaͤfe, Freundliches!

[113]
Und meine Baͤume,

Sie ſtreuten auch ein hold Geſchenk herab,

Zu meinem Feſt, vom Ueberfluß der Bluͤthen!

Da ging ich ſonſt; ach! zu den Pflanzen fluͤchtet'

Ich oft mein Herz, bey ihnen weilt' ich oft,

Und hing an ihnen; dennoch ruht' ich nie,

Und meine Seele war nicht gegenwaͤrtig.

Wie eine Quelle, wenn die jugendliche

Dem heimathlichen Berge nun entwich,

Die Pfade bebend ſucht, und flieht und zoͤgert,

Und durch die Wieſen irrt und bleiben moͤcht',

Und ſehnend, hoffend immer doch enteilt.

So war ich; aber liebend hat der ſtolze,

Der ſchoͤne Strom die fluͤchtige genommen,

Und ruhig wall' ich nun, wohin der ſichre

Mich bringen will, hinab am heitern Ufer.

[114]

An Hiller.


1793.


Du lebteſt, Freund! — Wer nicht die

koͤſtliche

Reliquie des Paradieſes, nicht

Der Liebe goldne koͤnigliche Frucht,

Wie Du, auf ſeinem Lebenswege brach,

Wem nie im Kreiſe freier Juͤnglinge

In ſuͤßem Ernſt der Freundſchaft trunkne Zaͤhre

Hinab ins Blut der heil'gen Rebe rann,

Wer nicht, wie Du, aus dem begeiſternden

Dem ewigvollen Becher der Natur

Sich Muth und Kraft, und Lieb' und Freude trank,

Der lebte nie, und wenn ſich ein Jahrhundert,

Wie eine Laſt, auf ſeiner Schulter haͤuft. —

Du lebteſt, Freund! es bluͤht nur wenigen

Des Lebens Morgen, wie er Dir gebluͤht;

Du fandeſt Herzen, Dir an Einfalt, Dir

An edelm Stolze gleich; es ſproßten Dir

Viel ſchoͤne Bluͤthen der Geſelligkeit;

Auch adelte die innigere Luſt,

Die Tochter weiſer Einſamkeit, Dein Herz;

Fuͤr jeden Reitz der Huͤgel und der Thale,

[115]
Fuͤr jede Grazien des Fruͤhlings ward

Ein offnes unumwoͤlktes Auge Dir.

Dich, Gluͤcklicher, umfieng die Rieſentochter

Der ſchaffenden Natur, Helvetia;

Wo frei und ſtark, der alte, ſtolze Rhein

Vom Fels hinunter donnert, ſtandeſt Du,

Und jubelteſt ins herrliche Getuͤmmel.

Wo Fels und Wald ein holdes zauberiſches

Arkadien umſchließt, wo himmelhoch Gebirg,

Deß tauſendjaͤhr'gen Scheitel ew'ger Schnee,

Wie Silberhaar des Greiſen Stirne, kraͤnzt,

Umſchwebt von Wetterwolken und von Adlern,

Sich unabſehbar in die Ferne dehnt,

Wo Tells und Walters heiliges Gebein

Der unentweihten freundlichen Natur

Im Schooſe ſchlaͤft, und manches Helden Staub

Vom leiſen Abendwind emporgeweht,

Des Sennen ſorgenfreies Dach umwallt,

Dort fuͤhlteſt Du, was groß und goͤttlich iſt,

Von ſeligen Entwuͤrfen gluͤhte Dir

Von tauſend goldnen Traͤumen Deine Bruſt;

Und als Du nun vom lieben heilgen Lande

Der Einfalt und der freien Kuͤnſte ſchiedſt,

Da woͤlkte freilich ſich die Stirne Dir,

Doch ſchuf Dir bald mit deinem Zauberſtabe

Manch ſelig Stuͤndchen die Erinnerung.

[116]
Wohl ernſter ſchlaͤgt ſie nun, die Scheideſtunde;

Denn ach! ſie mahnt die unerbittliche,

Daß unſer liebſtes welkt, daß ew'ge Jugend

Nur druͤben im Elyſium gedeiht;

Sie wirft uns auseinander, Herzensfreund!

Wie Maſt und Segel vom zerriſſ'nen Schiffe

Im wilden Ocean der Sturm zerſtreut.

Vielleicht indeß uns andre nah und ferne

Der unerforſchten Pepromene Wink

Durch Steppen oder Paradieſe fuͤhrt,

Fliegſt du der jungen ſeligeren Welt

Auf Deiner Philadelphier Geſtaden

Voll frohen Muths im fernen Meere zu;

Vielleicht, daß auch ein ſuͤßes Zauberband

Ans abgelebte feſte Land Dich feſſelt!

Denn traun! ein Raͤthſel iſt des Menſchen Herz!

Oft flammt der Wunſch, unendlich fortzuwandern,

Unwiderſtehlich herrlich in uns auf;

Oft daͤucht uns auch im engbeſchraͤnkten Kreiſe

Ein Freund, ein Huͤttchen, und ein liebes Weib

Zu aller Wuͤnſche Saͤttigung genug. —

Doch werfe, wie ſie will, die Scheideſtunde

Die Herzen, die ſich lieben, auseinander!

Es ſcheuet ja der Freundſchaft heil'ger Fels

Die traͤge Zeit, und auch die Ferne nicht.

Wir kennen uns, Du Theurer! — Lebe wohl!
[117]

Seiner Mutter zum zwei und ſieben-
zigſten Geburts-Tag
.


Vieles haſt Du erlebt, Du theure Mutter! und

ruhſt nun

Gluͤcklich, von Fernen und Nah'n liebend beim

Namen genannt,

Mir auch herzlich geehrt in des Alters ſilberner

Krone,

Unter den Kindern, die Dir reifen und wachſen

und bluͤh'n.

Langes Leben hat Dir die ſanfte Seele gewonnen,

Und die Hoffnung, die Dich freundlich im Leiden

gefuͤhrt.

Denn zufrieden biſt Du und fromm, wie die

Mutter, die einſt den

Beſten der Menſchen, den Freund unſerer Erde,

gebar.

Ach! ſie wiſſen es nicht, wie der Hohe wandelt'

im Volke,

Und vergeſſen iſt faſt, was der Lebendige war.

Wenige kennen ihn doch, und oft erſcheint erheiternd

Mitten in ſtuͤrmiſcher Zeit ihnen das himmliſche

Bild.

[118]
Allverſoͤhnend und ſtill, mit armen Sterblichen

gieng er,

Dieſer einzige Mann, goͤttlich im Geiſte, dahin.

Keins der Lebenden war aus ſeiner Seele geſchloſſen,

Und die Leiden der Welt trug er an liebender

Bruſt.

Mit dem Tode befreundet' er ſich, im Namen der

Andern

Gieng er aus Schmerzen und Muͤh'n, ſiegend,

zum Vater zuruͤck.

Und Du kenneſt ihn auch, Du theuere Mutter,

und wandelſt

Glaubend und duldend und ſtill ihm dem Er-

habenen nach.

Sieh! es haben mich ſelbſt verjuͤngt die kindlichen

Worte,

Und es rinnen, wie einſt, Thraͤnen vom Auge

mir noch;

Und ich denke zuruͤck an laͤngſt vergangene Tage,

Und die Heimath erfreut wieder mein einſam

Gemuͤth,

Und das Haus, wo ich einſt bei deinen Segnungen

aufwuchs,

Wo, von Liebe genaͤhrt, ſchneller der Knabe gedieh.

Ach! wie dacht' ich dann oft, Du ſollteſt meiner

Dich freuen,

Wenn ich ferne mich ſah wirkend in offener Welt.

[119]
Manches hab' ich verſucht und getraͤumt und habe

die Bruſt mir

Wund gerungen indeß, aber ihr heilet ſie mir

O ihr Lieben; und lange, wie Du, o Mutter!

zu leben,

Will ich lernen; es iſt ruhig das Alter und

fromm.

Kommen will ich zu Dir, dann ſegne den Enkel

noch einmal,

Daß Dir halte der Mann, was er, als Knabe,

gelobt.

[120]

An L.


Fragment.


Komm! in's Offene, Freund! zwar glaͤnzt ein

Weniges heute

Nur herunter und eng ſchließet der Himmel uns

ein.

Weder die Berge ſind, noch aufgegangen des Waldes

Gipfel nach Wunſch, und leer ruht vom Geſange

die Luft.

Truͤb iſt's heut, es ſchlummern die Gaͤng' und die

Gaſſen, und faſt will

Mir es ſcheinen, es ſey, als in der bleiernen

Zeit.

Dennoch gelinget der Wunſch, Rechtglaubige zwei-

feln an Einer

Stunde nicht, und der Luſt bleibe geweihet der

Tag.

Denn nicht wenig erfreuet, was wir vom Himmel

gewonnen,

Wenn er's weigert und doch goͤnnet den Kindern

zuletzt.

[121]
Nur daß ſolcher Reden und auch der Schritt' und

der Muͤhe

Werth der Gewinn und ganz wahr das Ergoͤtz-

liche ſey.

Darum hoff' ich ſogar, es werde, wenn das Ge-

wuͤnſchte

Wir beginnen und erſt unſere Zunge geloͤſt,

Und gefunden das Wort, und aufgegangen das

Herz iſt,

Und von trunkener Stirn' hoͤher Beſinnen ent-

ſpringt,

Mit den unſern zugleich des Himmels Bluͤthe

beginnen,

Und dem offenen Blick offen der Leuchtende ſeyn.

[122]

Sophokles.


Viele verſuchten umſonſt, das Freudigſte freudig

zu ſagen,

Hier ſpricht endlich es mir, hier in der Trauer,

ſich aus.

[123]

Der zuͤrnende Dichter.


Fuͤrchtet den Dichter nicht, wenn er edel zuͤrnet,

ſein Buchſtab

Toͤdtet, aber es macht Geiſter lebendig der Geiſt.

[124]

Die Scherzhaften.


Immer ſpielet und ſcherzt! ihr muͤßt, o Freunde!

mir geht dieß

In die Seele, denn dieß muͤſſen Verzweifelte

nur.

[125]

An Diotima.


Komm und beſaͤnftige mir, die du einſt Elemente
verſoͤhnteſt,

Wonne der himmliſchen Muſe, das Chaos der
Zeit!

Ordne den tobenden Kampf mit Friedenstoͤnen des
Himmels,

Bis in der ſterblichen Bruſt ſich das entzweite
vereint,

Bis der Menſchen alte Natur, die ruhige, große,

Aus der gaͤhrenden Zeit maͤchtig und heiter ſich
hebt!

Kehr' in die duͤrftigen Herzen des Volks, lebendige
Schoͤnheit,

Kehr' an den gaſtlichen Tiſch, kehr' in die Tempel
zuruͤck!

Denn Diotima lebt, wie die zarten Bluͤthen im
Winter,

Reich an eigenem Geiſt, ſucht ſie die Sonne
doch auch.

Aber die Sonne des Geiſts, die ſchoͤnere Welt,
iſt hinunter,

Und in froſtiger Nacht zanken Orkane ſich nun.

[126]

An ihren Genius.


Send' ihr Blumen und Fruͤchte aus nie verſiegender

Fuͤlle,

Send' ihr, freundlicher Geiſt, ewige Jugend

herab!

Huͤll' in deine Wonnen ſie ein und laß ſie die

Zeit nicht

Sehn, wo einſam und fremd ſie, die Athenerin,

lebt,

Bis ſie im Lande der Seligen einſt die fuͤrſtlichen

Schweſtern,

Die zu Phidias Zeit herrſchten und liebten, um-

faͤngt.

[127]

Menons Klage um Diotima.


1.


Taͤglich geh' ich heraus und ſuch' ein Anderes immer,

Habe laͤngſt ſie befragt, alle die Pfade des Lands;

Droben die kuͤhlenden Hoͤhn, die Schatten alle

beſuch' ich,

Und die Quellen; hinauf irret der Geiſt und

hinab,

Ruh' erbittend; ſo flieht das getroffene Wild in

die Waͤlder,

Wo es um Mittag ſonſt ſicher im Dunkel geruht;

Aber nimmer erquickt ſein gruͤnes Lager das Herz

ihm,

Jammernd und ſchlummerlos treibt es der

Stachel umher.

Nicht die Waͤrme des Lichts, und nicht die Kuͤhle

der Nacht hilft,

Und in Wogen des Stroms taucht es die Wun-

den umſonſt.

Und wie ihm vergebens die Erd' ihr froͤhliches

Heilkraut

Reicht, und das gaͤhrende Blut keiner der Ze-

phyre ſtillt,

[128]
So, ihr Lieben, auch mir, ſo will es ſcheinen,

und Niemand

Kann von der Stirne mir nehmen den traurigen

Traum?

2.


Ja! es frommet auch nicht, ihr Todesgoͤtter! wenn

einmal

Ihr ihn haltet, und feſt habt den bezwungenen

Mann,

Wenn ihr Boͤſen hinab in die ſchaurige Nacht ihn

genommen,

Dann zu ſuchen, zu flehn, oder zu zuͤrnen mit

euch,

Oder geduldig auch wohl im furchtſamen Banne

zu wohnen,

Und mit Laͤcheln von euch hoͤren das nuͤchterne

Lied.

Soll es ſeyn, ſo vergiß dein Heil, und ſchlummere

klanglos!

Aber doch quillt ein Laut hoffend im Buſen

Dir auf,

Immer kannſt Du noch nicht, o meine Seele, noch

kannſt Du's

Nicht gewohnen, und traͤumſt mitten im eiſernen

Schlaf!

[129]
Feſtzeit hab' ich nicht, doch moͤcht' ich die Locke

bekraͤnzen;

Bin ich allein denn nicht? aber ein Freundliches

muß

Fernher nahe mir ſeyn, und laͤcheln muß ich und

ſtaunen,

Wie ſo ſelig doch auch mitten im Leide mir iſt.

3.


Licht der Liebe! ſcheineſt du denn auch Todten, du

goldnes!

Bilder aus hellerer Zeit leuchtet ihr mir in die

Nacht?

Liebliche Gaͤrten, ſeyd, ihr abendroͤthlichen Berge,

Seyd willkommen, und ihr, ſchweigende Pfade

des Hains,

Zeugen himmliſchen Gluͤcks, und ihr, hochſchauende

Sterne,

Die mir damals oft ſegnende Blicke gegoͤnnt!

Euch, ihr Liebenden, auch, ihr ſchoͤnen Kinder des

Maitags,

Stille Roſen und euch, Lilien, nenn' ich noch oft!

Ihr Vertrauten! ihr Lebenden all' einſt nahe dem

Herzen,

Einſt wahrhaftiger, einſt heller und ſchoͤner ge-

ſehn.

Hoͤlderlin Gedichte. 9
[130]
Wohl gehn Fruͤhlinge fort, ein Jahr verdraͤnget

das andre,

Wechſelnd und ſtreitend, ſo tost droben voruͤber

die Zeit

Ueber ſterblichem Haupt, doch nicht vor ſeligen Augen,

Und den Liebenden iſt anderes Leben geſchenkt.

Denn ſie alle, die Tag' und Jahre der Sterne,

ſie waren

Diotima! um uns innig und ewig vereint.

4.


Aber wir, zufrieden geſellt, wie die liebenden

Schwaͤne,

Wenn ſie ruhen am See, oder auf Wellen gewiegt,

Niederſehn in die Waſſer, wo ſilberne Wolken ſich

ſpiegeln,

Und aͤtheriſches Blau unter den Schiffenden wallt,

So auf Erden wandelten wir. Und drohte der

Nord auch,

Er, der Liebenden Feind, klagenbereitend, und

fiel

Von den Aeſten das Laub, und flog im Winde der

Regen,

Ruhig laͤchelten wir, fuͤhlten den eigenen Gott

Unter trautem Geſpraͤch, in Einem Seelengeſange,

Ganz in Frieden mit uns kindlich und freudig

allein.

[131]
Aber das Haus iſt oͤde mir nun, und ſie haben

mein Auge

Mir genommen, auch mich hab' ich verloren mit

ihr.

Darum irr' ich umher und wohl, wie die Schatten,

ſo muß ich

Leben, und ſinnlos duͤnkt lange das Uebrige mir.

6.


Feiern moͤcht' ich, aber wofuͤr? und ſingen mit

Andern,

Aber ſo einſam fehlt jegliches Goͤttliche mir.

Dieß iſt's, dieß mein Gebrechen, ich weiß, es

laͤhmet ein Fluch mir

Darum die Sehnen, und wirft, wo ich beginne,

mich hin,

Daß ich fuͤhllos ſitze den Tag und ſtumm, wie die

Kinder,

Nur vom Auge mir kalt oͤfters die Thraͤne noch

ſchleicht,

Und die Pflanze des Felds, und der Voͤgel Singen

mich truͤb macht,

Weil mit Freuden auch ſie Boten des Himmli-

ſchen ſind,

Aber mir in ſchaudernder Bruſt die beſeelende Sonne,

Kuͤhl und fruchtlos mir daͤmmert, wie Stralen

der Nacht,

[132]
Ach! und nichtig und leer, wie Gefaͤngnißwaͤnde,

der Himmel,

Eine beugende Laſt, uͤber dem Haupte mir haͤngt!

6.


Sonſt mir anders bekannt! o Jugend! und bringen

Gebete,

Dich nicht wieder, Dich nie? fuͤhret kein Pfad

mich zuruͤck?

Soll es werden auch mir, wie den Goͤtterloſen,

die vormals

Glaͤnzenden Auges doch auch ſaßen am ſeligen

Tiſch,

Aber uͤberſaͤttiget bald, die ſchwaͤrmenden Gaͤſte,

Nun verſtummet, und nun, unter der Luͤſte Ge-

ſang,

Unter bluͤhender Erd' entſchlafen ſind, bis dereinſt

ſie

Eines Wunders Gewalt, ſie, die Verſunkenen,

zwingt,

Wiederzukehren und neu auf gruͤnendem Boden

zu wandeln. —

Heiliger Odem durchſtroͤmt goͤttlich die lichte

Geſtalt,

Wenn das Feſt ſich beſeelt, und Fluten der Liebe

ſich regen,

Und vom Himmel getraͤnkt, rauſcht der lebendige

Strom,

[133]
Wenn es drunten ertoͤnt, und ihre Schaͤtze die

Nacht zollt,

Und aus Baͤchen herauf glaͤnzt das begrabene

Gold.

7.


Aber o Du, die ſchon am Scheidewege mir damals,

Da ich verſank vor Dir, troͤſtend ein Schoͤneres

wies,

Du, die, Großes zu ſehn und froher die Goͤtter

zu ſingen,

Schweigend, wie ſie, mich einſt ſtille begeiſternd,

gelehrt,

Goͤtterkind! erſcheineſt Du mir, und gruͤßeſt, wie

einſt, mich,

Redeſt wieder, wie einſt, hoͤhere Dinge mir zu?

Siehe! weinen vor Dir und klagen muß ich, wenn

ſchon noch

Denkend edlerer Zeit, deſſen die Sele ſich ſchaͤmt.

Denn ſo lange, ſo lang' auf matten Pfaden der

Erde

Hab' ich, Deiner gewohnt, Dich in der Irre

geſucht,

Freudiger Schutzgeiſt! aber umſonſt, und Jahre

zerrannen,

Seit wir ahnend um uns glaͤnzen die Abende

ſahn.

[134]

8.


Dich nur, Dich erhaͤlt Dein Licht, o Heldin! im

Lichte,

Und Dein Dulden erhaͤlt liebend, o Guͤtige!

Dich;

Und nicht einmal biſt Du allein, Geſpielen genug

ſind,

Wo bluͤheſt und ruhſt unter den Roſen des

Jahrs;

Und der Vater, er ſelbſt, durch ſanft muthath-

mende Muſen

Sendet die zaͤrtlichen Wiegengeſaͤnge Dir zu.

Ja! noch iſt ſie es ganz! noch ſchwebt vom Haupte

zur Sohle,

Still herwandelnd, wie ſonſt, mir die Athene-

rin vor.

Und wie, freundlicher Geiſt! von heiterſinnender

Stirne

Segnend und ſicher Dein Stral unter die Sterb-

lichen faͤllt,

So bezeugeſt Du mir's, und ſagſt mir's, daß ich

es Andern

Wiederſage, denn auch Andere glauben es nicht,

Daß unſterblicher doch, denn Sorg' und Zuͤrnen,

die Freude

Und ein goldener Tag taͤglich am Ende noch iſt.

[135]

9.


So will ich, ihr Himmliſchen! denn euch danken

und endlich

Athmet aus leichter Bruſt, wieder des Saͤngers

Gebet.

Und wie, wenn ich mit ihr, auf ſonniger Hoͤhe

mit ihr ſtand,

Spricht belebend ein Gott innen im Tempel

mich an.

Leben will ich denn auch! ſchon gruͤnt's! wie von

heiliger Leier

Ruft es von ſilbernen Bergen Appollons voran!

Komm! es war wie ein Traum! Die blutenden

Fittige ſind ja

Schon geneſen, verjuͤngt leben die Hoffnungen all!

Großes zu finden, iſt viel, iſt viel noch uͤbrig, und

wer ſo

Liebte, gehet, er muß, gehet zu Goͤttern die

Bahn.

Und geleitet ihr uns, ihr Weiheſtunden! ihr ernſten,

Jugendlichen! o bleibt, heilige Ahnungen, ihr,

Fromme Bitten, und ihr, Begeiſterungen, und

all ihr

Guten Genien, die gerne bei Liebenden ſind,

Bleibt ſo lange mit uns, bis wir mit gemeinſamem

Boden,

Dort, wo die Seligen all niederzukehren bereit,

[136]
Dort, wo die Adler ſind, die Geſtirne, die Boten

des Vaters,

Dort, wo die Muſen, woher Helden und Lie-

bende ſind,

Dort uns, oder auch hier, auf thauender Inſel

begegnen,

Wo die Unſrigen erſt, bluͤhend in Gaͤrten geſellt,

Wo die Geſaͤnge wahr, und laͤnger die Fruͤhlinge

ſchoͤn ſind,

Und von neuem ein Jahr unſerer Sele beginnt!

[137]

Die Nacht.


Fragment.


Rings um ruhet die Stadt, ſtill wird die erleuchtete

Gaſſe,

Und mit Fackeln geſchmuͤckt rauſchen die Wagen

hinweg.

Satt gehen heim, von Freuden des Tags zu ruhen,

die Menſchen,

Und Gewinn und Verluſt waͤget ein ſinniges Haupt

Wohl zufrieden zu Haus; leer ſteht von Trauben

und Blumen,

Und von Werken der Hand ruht der geſchaͤftige

Markt.

Aber das Saitenſpiel toͤnt fern aus Gaͤrten; viel-

leicht, daß

Dort ein Liebender ſpielt, oder ein einſamer Mann

Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und

die Brunnen,

Immerquillend und friſch, rauſchen an duftendem

Beet.

Still in daͤmmriger Luft ertoͤnen gelaͤutete Glocken,

[138]
Und der Stunden gedenk rufet ein Waͤchter die

Zahl.

Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel

des Hains auf,

Sieh! und das Ebenbild unſerer Erde, der Mond

Kommet geheim nun auch; die Schwaͤrmeriſche, die

Nacht kommt,

Voll mit Sternen und wohl wenig bekuͤmmert um

uns,

Glaͤnzt die Erſtaunende dort, die Fremdlingin unter

den Menſchen,

Ueber Gebirgeshoͤhn traurig und praͤchtig herauf.

[139]

Die Herbſtfeier.


An Siegfried Schmidt.


1.


Wieder ein Gluͤck erlebt! Die gefaͤhrliche Duͤrre

geneſet,

Und die Schaͤrfe des Lichts ſenget die Bluͤthe

nicht mehr,

Offen ſteht jetzt wieder ein Saal, und geſund iſt

der Garten,

Und von Regen erfriſcht rauſchet das glaͤnzende

Thal

Hoch von Gewaͤchſen, es ſchwellen die Baͤch', und

alle gebund'nen

Fittige wagen ſich wieder in's Reich des Geſangs.

Voll iſt die Luft von Froͤhlichen jetzt, und die Stadt

und der Hain iſt

Rings von zufriedenen Kindern des Himmels

erfuͤllt.

Gerne begegnen ſie ſich und irren unter einander,

Sorgenlos und es ſcheint keines zu wenig, zu

viel.

[140]
Denn ſo ordnet das Herz es an, und zu athmen

die Anmuth,

Sie, die geſchickliche, ſchenkt ihnen ein goͤttlicher

Geiſt.

Aber die Wanderer auch ſind wohl geleitet und

haben

Kraͤnze genug und Geſang, haben den heiligen Stab

Voll geſchmuͤckt mit Trauben und Laub, bei ſich,

und der Fichte

Schatten; von Dorfe zu Dorf jauchzt es, von

Tage zu Tag,

Und wie Wagen, beſpannt mit freiem Wilde, ſo

ziehn die

Berge voran, und ſo traͤget und eilet der Pfad.

2.


Aber meineſt du nun, es haben die Thore ver-

gebens

Aufgethan und den Weg freudig die Goͤtter

gemacht?

Und es ſchenken umſonſt zu des Gaſtmahls Fuͤlle

die Guten

Nebſt dem Weine noch auch Blumen und Honig

und Obſt?

Schenken das purpurne Licht zu Feſtgeſaͤngen, und

kuͤhl und

Ruhig zu tieferem Freundesgeſpraͤche die Nacht?

[141]
Haͤlt ein Ernſteres dich, ſo ſpar's dem Winter,

und willſt du

Freien, habe Geduld, Freier begluͤcket der Mai.

Jetzt iſt Anderes Noth, jetzt komm und feire des

Herbſtes

Alte Sitte, noch jetzt bluͤhet die edle mit uns.

Eins nur gilt fuͤr den Tag, das Vaterland, und

des Opfers

Feſtlicher Flamme wirft jeder ſein Eigenes zu.

Darum kraͤnzt der gemeinſame Gott umſaͤuſelnd

das Haar uns,

Und den eigenen Sinn ſchmelzet, wie Perlen,

der Wein.

Dieß bedeutet der Tiſch, der gelehrte, wenn, wie

die Bienen,

Rund um den Eichbaum, wir ſitzen und ſingen

um ihn.

Dieß der Pokale Klang und darum zwinget die wilden

Seelen der ſtreitenden Maͤnner zuſammen der

Chor.

3.


Aber damit uns nicht, gleich Allzuklugen, entfliehe

Dieſe neigende Zeit, komm' ich entgegen ſogleich,

Bis an die Grenze des Lands, wo mir den lieben

Geburtsort

Und die Inſel des Stroms blaues Gewaͤſſer

umfließt.

[142]
Heilig iſt mir der Ort, an beiden Ufern, der Fels

auch,

Der mit Garten und Hausgruͤn aus den Wellen

ſich hebt.

Dort begegnen wir uns, o guͤtiges Licht! wo zuerſt

mich,

Deiner gefuͤhlteren Stralen mich einer betraf.

Dort begann und beginnt das liebe Leben von

Neuem,

Aber des Vaters Grab ſeh' ich, und weine dir

ſchon?

Wein' und halt' und habe den Freund und hoͤre

das Wort, das

Einſt mir in himmliſcher Kunſt Leiden der Liebe

geheilt.

Andres erwacht! Ich muß die Landesheroen ihm

nennen!

Barbaroſſa! dich auch, guͤtiger Chriſtoph, und

dich

Konradin! wie du fielſt, ſo fallen Starke, der

Epheu

Gruͤnt am Fels, und die Burg deckt das bac-

chantiſche Laub,

Doch Vergangenes iſt, wie Kuͤnftiges, heilig den

Saͤngern,

Und in Tagen des Herbſts ſuͤhnen die Schatten

wir aus.

[143]

4.


So der Gewalt'gen gedenk und des herzerhebenden

Schickſals,

Thatlos ſelber und leicht, aber vom Aether doch

auch

Angeſchauet und fromm, wie die Alten, die goͤtt-

licherzognen

Freudigen Dichter, ziehn freudig das Land wir

hinauf.

Groß iſt das Werden umher. Dort von den aͤu-

ßerſten Bergen

Stammen der Juͤnglinge viel, ſteigen die Huͤgel

herab.

Quellen rauſchen von dort und hundert geſchaͤftige

Baͤche,

Kommen bei Tag und bei Nacht nieder und

bauen das Land.

Aber der Meiſter pfluͤgt in der Mitte des Landes

die Furchen

Ziehet der Neckarſtrom, ziehet der Segen herab.

Und es kommen mit ihm Italiens Luͤfte, die See

ſchickt

Ihre Wolken, ſie ſchickt praͤchtige Sonnen mit ihm;

Darum waͤchſet uns auch faſt uͤber das Haupt die

gewalt'ge

Fuͤlle, denn hieher ward hier in die Ebne das

Gute.

[144]
Reicher den Lieben gebracht, den Landsleuten,

doch neidet

Keiner an Bergen dort ihnen die Gaͤrten, den Wein,

Oder das uͤppige Gras und das Korn und die

gluͤhenden Baͤume,

Die am Wege gereiht uͤber den Wanderern ſtehn.

5.


Aber indeß wir ſchaun und die maͤchtige Freude

durchwandeln,

Fliehet der Weg und der Tag uns, wie den

Trunkenen, hin.

Denn mit heiligem Laub umkraͤnzt erhebet die

Stadt ſchon,

Die geprieſene, dort, leuchtend ihr prieſterlich

Haupt.

Herrlich ſteht ſie, und haͤlt den Rebenſtab und die

Tanne

Hoch in den ſeligen purpurnen Wolken empor.

Sey uns hold, dem Gaſt und dem Sohn, o Fuͤr-

ſtin der Heimath,

Gluͤckliches Stuttgart! nimm freundlich den

Fremdling mir auf!

Immer haſt du Geſang mit Floͤten und Saiten

gebilligt,

Wie ich glaub', und des Lieds kindlich Geſchwaͤtz,

und der Muͤhn

[145]
Suͤße Vergeſſenheit bei gegenwaͤrtigem Geiſte,

Drum erfreueſt du auch gerne den Saͤngern das

Herz.

Aber ihr, ihr Groͤßeren auch, ihr Frohen, die

allzeit

Leben und walten, erkannt, oder gewaltiger auch,

Wenn ihr wirket und ſchafft in heiliger Nacht und

alleinherrſcht,

Und allmaͤhlig emporziehet ein ahnendes Volk,

Bis die Juͤnglinge ſich der Vaͤter droben erinnern,

Muͤndig und hell vor euch ſteht der beſonnene

Menſch.

Engel des Vaterlands! o ihr, vor denen das Auge,

Sey's auch ſtark, und das Knie bricht dem

vereinzelten Mann,

Daß er halten ſich muß an die Freund' und bitten

die Theuern,

Daß ſie tragen mit ihm all die begluͤckende Laſt,

Habt, o Guͤtige, Dank fuͤr den und alle die Andern,

Die mein Leben, mein Gut unten den Sterb-

lichen ſind.

6.


Aber die Nacht kommt! Laß uns eilen, zu feyern

das Herbſtfeſt.

Heut noch! voll iſt das Herz, aber das Leben

iſt kurz,

Hoͤlderlin Gedichte. 10
[146]
Und was uns der himmliſche Tag zu ſagen geboten,

Das zu nennen, mein Schmidt, reichen wir

Beide nicht aus.

Trefliche bring' ich dir und das Freudenfeuer wird

hoch auf

Schlagen, und heiliger ſoll ſprechen das kuͤhnere

Wort.

Siehe! da iſt es rein! Und des Gottes freundliche

Gaben

Die wir theilen, ſie ſind zwiſchen den Liebenden

nur

Anderes nicht — o kommt, o macht es wahr!

denn allein ja

Bin ich und Niemand nimmt mir von der Stirne

den Traum?

Kommt und reicht, ihr Lieben, die Hand! das

moͤge genug ſeyn,

Aber die groͤßere Luft ſparen dem Enkel wir auf.

[147]

Der Wanderer.


Einſam ſtand ich und ſah in die afrikaniſchen duͤrren

Ebnen hinaus; vom Olymp regnete Feuer herab.

Fernhin ſchlich das hagre Gebirg, wie ein wandelnd

Gerippe,

Hohl und einſam und kahl blickt' aus der Hoͤhe

ſein Haupt.

Ach! nicht ſprang, mit erfriſchendem Gruͤn, der

ſchattende Wald hier

In die ſaͤuſelnde Luft uͤppig und herrlich empor,

Baͤche ſtuͤrzten hier nicht in melodiſchem Fall vom

Gebirge,

Durch das bluͤhende Thal ſchlingend den ſilbernen

Strom,

Keiner Heerde verging am plaͤtſchernden Brunnen

der Mittag,

Freundlich aus Baͤumen hervor blickte kein wirth-

liches Dach.

Unter dem Strauche ſaß ein ernſter Vogel ge-

ſanglos,

Aengſtig und eilend flohn wandernde Stoͤrche

vorbei.

[148]
Nicht um Waſſer rief ich dich an, Natur, in der

Wuͤſte,

Waſſers bewahrte mir traulich das fromme Kamel,

Um der Haine Geſang, um Geſtalten und Farben

des Lebens

Bat ich, vom lieblichen Glanz heimiſcher Fluren

verwoͤhnt.

Aber ich bat umſonſt; du erſchienſt mir feurig und

herrlich,

Aber ich hatte dich einſt goͤttlicher, ſchoͤner geſehn.

Auch den Eispol hab' ich beſucht; wie ein ſtarren-

des Chaos

Thuͤrmte das Meer ſich da ſchrecklich zum Him-

mel empor.

Todt in der Huͤlle von Schnee ſchlief hier das

gefeſſelte Leben,

Und der eiſerne Schlaf harrte des Tages umſonſt.

Ach! nicht ſchlang um die Erde den waͤrmenden

Arm der Olymp hier,

Wie Pygmalions Arm um die Geliebte ſich ſchlang.

Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke

den Buſen,

Und in Regen und Thau ſprach er nicht freundlich

zu ihr.

Mutter Erde! rief ich, du biſt zur Wittwe ge-

worden,

Duͤrftig und kinderlos lebſt du in langſamer Zeit.

[149]
Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in ſor-

gender Liebe,

Alternd im Kinde ſich nicht wiederzuſehn, iſt

der Tod.

Aber vielleicht erwarmſt du dereinſt am Strale des

Himmels,

Aus dem duͤrftigen Schlaf ſchmeichelt ſein Odem

dich auf;

Und, wie ein Samenkorn, durchbrichſt du die

eherne Huͤlſe,

Und die knospende Welt windet ſich ſchuͤchtern

heraus.

Deine geſparte Kraft flammt auf in uͤppigem

Fruͤhling,

Roſen gluͤhen und Wein ſprudelt im kaͤrglichen

Nord.

Aber jetzt kehr' ich zuruͤck an den Rhein, in die

gluͤckliche Heimath,

Und es wehen, wie einſt, zaͤrtliche Luͤfte mich an.

Und das ſtrebende Herz beſaͤnftigen mir die ver-

trauten

Friedlichen Baͤume, die einſt mich in den Armen

gewiegt,

Und das heilige Gruͤn, der Zeuge des ewigen,

ſchoͤnen

Lebens der Welt, es erfriſcht, wandelt zum

Juͤngling mich um.

[150]
Alt bin ich geworden indeß, mich bleichte der

Eispol,

Und im Feuer des Suͤds fielen die Locken mir

aus.

Doch wie Aurora den Tithon, umfaͤngſt du in laͤcheln-

der Bluͤthe

Warm und froͤhlich, wie einſt, Vaterlandserde,

den Sohn.

Seliges Land! kein Huͤgel in dir waͤchſt ohne den

Weinſtock,

Nieder ins ſchwellende Gras regnet im Herbſte

das Obſt.

Froͤhlich baden im Strome den Fuß die gluͤhenden

Berge,

Kraͤnze von Zweigen und Moos kuͤhlen ihr ſon-

niges Haupt.

Und, wie die Kinder hinauf zur Schulter des

herrlichen Ahnherrn,

Steigen am dunkeln Gebirg Veſten und Huͤtten

hinauf.

Friedſam geht aus dem Walde der Hirſch an's

freundliche Tagslicht;

Hoch in heiterer Luft ſiehet der Falke ſich um.

Aber unten im Thal, wo die Blume ſich naͤhrt

von der Quelle,

Streckt das Doͤrfchen vergnuͤgt uͤber die Wieſe

ſich aus.

[151]
Still iſts hier; kaum rauſcht von fern die geſchaͤf-

tige Muͤhle,

Und vom Berge herab knarrt das gefeſſelte Rad.

Lieblich toͤnt die gehaͤmmerte Senf' und die Stimme

des Landmanns,

Der am Pfluge dem Stier, lenkend, die Schritte

gebeut,

Lieblich der Mutter Geſang, die im Graſe ſitzt

mit dem Soͤhnlein,

Das die Sonne des Mais ſchmeichelt in laͤcheln-

den Schlaf.

Aber druͤben am See, wo die Ulme das alternde

Hofthor

Uebergruͤnt und den Zaun wilder Holunder um-

bluͤht,

Da umfaͤngt mich das Haus und des Gartens

heimliches Dunkel,

Wo mit den Pflanzen mich einſt liebend mein

Vater erzog,

Wo ich froh, wie das Eichhorn, ſpielt' auf den

liſpelnden Aeſten,

Oder in's duftende Heu traͤumend die Stirne

verbarg.

Heimathliche Natur! wie biſt du treu mir ge-

blieben!

Zaͤrtlichpflegend, wie einſt, nimmſt du den Fluͤcht-

ling noch auf.

[152]
Noch gedeihn die Pfirſiche mir, noch wachſen gefaͤllig

Mir an's Fenſter, wie ſonſt, koͤſtliche Trauben

herauf.

Lockend roͤthen ſich noch die ſuͤßen Fruͤchte des

Kirſchbaums,

Und der pfluͤckenden Hand reichen die Zweige

ſich ſelbſt.

Schmeichelnd zieht mich, wie ſonſt, in des Walds

unendliche Laube

Aus dem Garten der Pfad, oder hinab an den

Bach,

Und die Pfade roͤtheſt du mir, es waͤrmt mich und

ſpielt mir

Um das Auge, wie ſonſt, Vaterlandsſonne!

dein Licht;

Feuer trink' ich und Geiſt aus deinem freudigen

Kelche,

Schlaͤfrig laͤſſeſt du nicht werden mein alterndes

Haupt.

Die du einſt mir die Bruſt erweckteſt vom Schlafe

der Kindheit,

Und mit ſanfter Gewalt hoͤher und weiter mich

triebſt,

Mildere Sonne! zu dir kehr' ich getreuer und weiſer,

Friedlich zu werden, und froh unter den Blumen

zu ruhn.

[153]

Die Eichbaͤume.


Aus den Gaͤrten komm' ich zu euch, ihr Soͤhne

des Berges!

Aus den Gaͤrten, da lebt die Natur, geduldig

und haͤuslich,

Pflegend und wieder gepflegt, mit dem fleißigen

Menſchen zuſammen.

Aber ihr, ihr Herrlichen! ſteht, wie ein Volk von

Titanen,

In der zahmeren Welt, und gehoͤrt nur euch und

dem Himmel,

Der euch naͤhrt' und erzog, und der Erde, die

euch geboren.

Keiner von euch iſt noch in der Menſchen Schule

gegangen,

Und ihr draͤngt euch, froͤhlich und frei, aus kraͤfti-

ger Wurzel

Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler,

die Beute,

Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die

Wolken

Iſt euch heiter und groß die ſonnige Krone gerichtet.

[154]
Eine Welt iſt jeder von euch, wie die Sterne des

Himmels

Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zu-

ſammen.

Koͤnnt' ich die Knechtſchaft nur erdulden, ich nei-

dete nimmer

Dieſen Wald und ſchmiegte mich gern an's geſellige

Leben.

Feſſelte nur nicht mehr an's geſellige Leben das

Herz mich,

Das von Liebe nicht laͤßt, wie gern wuͤrd' ich unter

euch wohnen!

[155]

An den Aether.


Treu und freundlich, wie du, erzog der Goͤtter

und Menſchen

Keiner, o Vater Aether! mich auf; noch ehe die

Mutter

In die Arme mich nahm und ihre Bruͤſte mich

traͤnkten,

Faßteſt du zaͤrtlich mich an, und goſſeſt himmli-

ſchen Trank mir,

Mir den heiligen Odem zuerſt in den keimenden

Buſen.

Nicht von irdiſcher Koſt gedeihen einzig die Weſen,

Aber du naͤhreſt ſie all' mit deinem Nektar, o

Vater!

Und es draͤngt ſich und rinnt aus deiner ewigen

Fuͤlle

Die beſeelende Luft durch alle Roͤhren des Lebens.

Darum lieben die Weſen dich auch und ringen und

ſtreben

Unaufhoͤrlich hinauf nach dir in freudigem Wachs-

thum.

[156]
Himmliſcher! ſucht nicht dich mit ihren Augen die

Pflanze,

Streckt nach dir die ſchuͤchternen Arme der niedrige

Strauch nicht?

Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Same

die Huͤlſe;

Daß er belebt von dir in deiner Welle ſich bade,

Schuͤttelt der Wald den Schnee, wie ein uͤberlaͤſtig

Gewand ab.

Auch die Fiſche kommen herauf und huͤpfen ver-

langend

Ueber die glaͤnzende Flaͤche des Stroms, als be-

gehrten auch dieſe

Aus der Wiege zu dir; auch den edeln Thieren

der Erde

Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das ge-

waltige Sehnen,

Die geheime Liebe zu dir ſie ergreift, ſie hinauf-

zieht.

Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener

Stahl ſtrebt

In die Hoͤhe ſein Hals, mit der Hufe beruͤhrt

es den Sand kaum.

Wie zum Scherze, beruͤhrt der Fuß der Hirſche

den Grashalm.

Huͤpft, wie ein Zephyr, uͤber den Bach der reißend

hinabſchaͤumt,

[157]
Hin und wieder ſchweift, kaum ſichtbar durch die

Gebuͤſche.

Aber des Aethers Lieblinge, ſie, die gluͤcklichen Voͤgel

Wohnen und ſpielen vergnuͤgt in der ewigen Halle

des Vaters!

Raums genug iſt fuͤr alle. Der Pfad iſt keinem

bezeichnet,

Und es regen ſich frei im Hauſe die Großen und

Kleinen.

Ueber dem Haupt frohlocken ſie mir und es ſehnt

ſich auch mein Herz

Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche

Heimath

Winkt es von oben herab und auf die Gipfel der

Alpen

Moͤcht' ich wandern und rufen von da dem eilenden

Adler,

Daß er, wie einſt in die Arme des Zeus den ſe-

ligen Knaben,

Aus der Gefangenſchaft in des Aethers Halle mich

trage.

Thoͤricht treiben wir uns umher; wie die irrende

Rebe,

Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel

ſie aufwaͤchst,

Breiten wir uͤber den Boden uns aus und ſuchen

und wandern

[158]
Durch die Zonen der Erd', o Vater Aether! ver-

gebens,

Denn es treibt uns die Luſt in deinen Gaͤrten zu

wohnen.

In die Meeresfluth werfen wir uns, in den freie-

ren Ebenen

Uns zu ſaͤttigen, und es umſpielt die unendliche

Woge

Unſern Kiel, es freut ſich das Herz an den Kraͤf-

ten des Meergotts.

Dennoch genuͤgt ihm nicht! denn der tiefere Ocean

reitzt uns,

Wo die leichtere Welle ſich regt — o wer dort an

jene

Goldnen Kuͤſten das wandernde Schiff zu treiben

vermoͤchte!

Aber indeß ich hinauf in die daͤmmernde Ferne

mich ſehne,

Wo du fremde Geſtad umfaͤngſt mit blaͤulicher Woge,

Koͤmmſt du ſaͤuſelnd herab von des Fruchtbaums

bluͤhenden Wipfeln,

Vater Aether! und ſaͤnftigeſt ſelbſt das ſtrebende

Herz mir,

Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blu-

men der Erde.

[159]

Der Archipelagus.


Kehren die Kraniche wieder zu dir? und ſuchen

zu deinen

Ufern wieder die Schiffe den Lauf? umathmen er-

wuͤnſchte

Luͤfte dir die beruhigte Flut, und ſonnet der Delphin,

Aus der Tiefe gelockt, am neuen Lichte den Ruͤcken?

Bluͤht Jonien? iſt es die Zeit? denn immer im

Fruͤhling,

Wenn den Lebenden ſich das Herz erneut und die

erſte

Liebe den Menſchen erwacht, und goldner Zeiten

Erinnrung,

Komm' ich zu dir, und gruͤß' in deiner Stille dich,

Alter!

Immer, Gewaltiger! lebſt du noch und ruheſt im

Schatten

Deiner Berge, wie ſonſt; mit Juͤnglingsarmen

umfaͤngſt du

Noch dein liebliches Land, und deiner Toͤchter, o

Vater,

[160]
Deiner Inſeln iſt noch, der bluͤhenden, keine ver-

loren.

Kreta ſteht, und Salamis gruͤnt, umdaͤmmert von

Lorbeern,

Rings von Stralen umbluͤht, erhebt zur Stunde

des Aufgangs

Delos ihr begeiſtertes Haupt, und Cenos und

Chios

Haben der purpurnen Fruͤchte genug, von trun-

kenen Huͤgeln

Quillt der Cypriertrank, und von Kalauria fallen

Silberne Baͤche, wie einſt, in die alten Waſſer

des Vaters.

Alle leben ſie noch, die Heroenmuͤtter, die Inſeln,

Bluͤhend von Jahr zu Jahr, und wenn zu Zeiten,

vom Abgrund

Losgelaſſen, die Flamme der Nacht, das untre

Gewitter,

Eine der Holden ergriff und die Sterbende dir in

den Schooß ſank,

Goͤttlicher! du, du dauerteſt aus, denn uͤber den

dunkeln

Tiefen iſt Manches ſchon dir auf und unterge-

gangen.

Auch die Himmliſchen, ſie , die Kraͤfte der Hoͤhe

die ſtillen,

[161]
Die den heiteren Tag und ſuͤßen Schlummer und

Ahnung

Fernher bringen uͤber das Haupt der fuͤhlenden

Menſchen

Aus der Fuͤlle der Macht, auch ſie, die alten Ge-

ſpielen,

Wohnen, wie einſt, mit dir, und oft am daͤm-

mernden Abend,

Wenn von Aſiens Bergen herein das heilige

Mondlicht

Koͤmmt und die Sterne ſich in deiner Woge be-

gegnen,

Leuchteſt du von himmliſchem Glanz, und ſo, wie

ſie wandeln,

Wechſeln die Waſſer dir, es toͤnt die Weiſe der

Bruͤder

Droben, ihr Nachtgeſang im liebenden Buſen dir

wieder.

Wenn die allverklaͤrende dann, die Sonne des

Tages,

Sie, des Orients Kind, die Wunderthaͤtige, da iſt,

Dann die Lebenden all im goldenen Traume be-

ginnen,

Den die Dichtende ſtets des Morgens ihnen be-

reitet,

Dir, dem trauernden Gott, dir ſendet ſie froheren

Zauber,

Hoͤlderlin Gedichte. 11
[162]
Und ihr eigen freundliches Licht iſt ſelber ſo ſchoͤn

nicht,

Denn das Liebeszeichen, der Kranz, den immer,

wie vormals,

Deiner gedenk, doch ſie um die graue Locke dir

windet.

Und umfaͤngt der Aether dich nicht, und kehren

die Wolken,

Deine Boten, von ihm mit dem Goͤttergeſchenke,

dem Strale

Aus der Hoͤhe dir nicht? Dann ſendeſt du uͤber

das Land ſie,

Daß am heißen Geſtad die gewittertrunkenen Waͤlder

Rauſchen und wogen mit dir, daß bald, dem wan-

dernden Sohn gleich,

Wenn der Vater ihn ruft, mit den tauſend Baͤ-

chen Maͤander

Seinen Irren enteilt, und aus der Ebne Kayſter

Dir entgegen frohlockt, und der Erſtgeborne, der Alte,

Der zu lange ſich barg, dein majeſtaͤtiſcher Nil itzt

Hochherſchreitend aus fernem Gebirg, wie im

Klange der Waffen,

Siegreich koͤmmt und die offenen Arme der ſeh-

nende reichet.

Dennoch einſam duͤnkeſt du dir, in ſchweigender

Nacht hoͤrt

[163]
Deine Weheklage der Fels, und oͤfters entflieht dir

Zuͤrnend von Sterblichen weg die gefluͤgelte Woge

zum Himmel.

Denn es leben mit dir die edlen Lieblinge immer,

Die dich geehrt, die einſt mit den ſchoͤnen Tem-

peln und Staͤdten

Deine Geſtade bekraͤnzt, und immer ſuchen und

miſſen,

Immer beduͤrfen ja, wie Heroen den Kranz, die

geweihten

Elemente zum Ruhme das Herz der fuͤhlenden

Menſchen.

Sage, wo iſt Athen? iſt uͤber den Urnen der

Meiſter

Deine Stadt, die geliebteſte dir, an den heiligen

Ufern

Trauernder Gott, dir ganz in Aſche zuſammen

geſunken?

Oder iſt noch ein Zeichen von ihr, daß etwa der

Schiffer,

Wenn er voruͤber koͤmmt, ſie nenn' und ihrer ge-

denke?

Stiegen dort die Saͤulen empor und leuchteten

dort nicht

Sonſt vom Dache der Burg herab die Goͤtterge-

ſtalten?

[164]
Rauſchte dort die Stimme des Volks, die ſtuͤr-

miſchbewegte,

Aus der Agora nicht her, und eilt' es aus freu-

digen Pforten

Dort die Gaſſen dir nicht zu geſegnetem Hafen

herunter?

Siehe! da loͤste ſein Schiff der fernhinſinnende

Kaufmann,

Froh, denn es wehet' ihm auch die befluͤgelnde

Luft und die Goͤtter

Liebten ſo, wie den Dichter, auch ihn, dieweil er

die guten

Gaben der Erd' ausglich und Fernes Nahem vereinte.

Fern nach Eypros ziehet er hin und ferne nach

Tyros,

Strebt nach Kolchis hinauf und hinab zum alten

Aegyptos,

Daß er Purpur und Wein und Korn und Vlieſſe

gewinne

Fuͤr die eigene Stadt, und oͤfters uͤber des kuͤhnen

Herkules Saͤulen hinaus, zu neuen ſeligen Inſeln

Tragen die Hoffnungen ihn und des Schiffes Fluͤ-

gel, indeſſen,

Anders bewegt, am Geſtade der Stadt ein ein-

ſamer Juͤngling

Weilt, und die Woge belauſcht, und Großes ahnet

der Ernſte,

[165]
Wenn er zu Fuͤßen ſo des erderſchuͤtternden Meiſters

Lauſchet und ſitzt, und nicht umſonſt erzog ihn der

Meergott.

Denn des Genius Feind, der vielgebietende Perſe,

Jahrlang zaͤhlt' er ſie ſchon, der Waffen Menge,

der Knechte,

Spottend des griechiſchen Lands und ſeiner weni-

gen Inſeln,

Und ſie daͤuchten dem Herrſcher ein Spiel, und

noch wie ein Traum war

Ihm das innige Volk, vom Goͤttergeiſte geruͤſtet.

Leicht aus ſpricht er das Wort, und ſchnell, wie

der flammende Bergquell,

Wenn er, fruchtbar umher vom gaͤhrenden Aetna

gegoſſen,

Staͤdte begraͤbt in der purpurnen Flut und bluͤ-

hende Gaͤrten,

Bis der brennende Strom im heiligen Meere ſich

kuͤhlet,

So mit dem Koͤnige nun, verſengend, ſtaͤdtever-

wuͤſtend,

Stuͤrzt von Ekbatana daher ſein praͤchtig Getuͤmmel;

Weh! und Athene, die Herrliche, faͤllt; wohl

ſchauen und ringen

Vom Gebirg, wo das Wild ihr Geſchrei hoͤrt,

fliehende Greiſe

[166]
Nach den Wohnungen dort zuruͤck und den rau-

chenden Tempeln;

Aber es weckt der Soͤhne Gebet die heilige Aſche

Nun nicht mehr, im Thal iſt der Tod, und die

Wolke des Brandes

Schwindet am Himmel dahin, und weiter im Lande

zu ernten,

Zieht, vom Frevel erhitzt, mit der Beute der

Perſe voruͤber.

Aber an Salamis Ufern o Tag! an Salamis Ufern,

Harrend des Endes ſtehn die Athenerinnen, die

Jungfraun,

Stehn die Muͤtter, wiegend im Arm das gerettete

Soͤhnlein,

Aber den Horchenden ſchallt aus Tiefen die Stimme

des Meergotts

Heilweiſſagend herauf, es ſchaun die Goͤtter des

Himmels

Waͤgend und richtend herab, denn dort an den

bebenden Ufern

Wankt ſeit Tagesbeginn, wie langſam wandelnd

Gewitter,

Dort auf ſchaͤumenden Waſſern die Schlacht, und

es gluͤhet der Mittag

Unbemerket im Zorn, ſchon uͤber dem Haupte den

Kaͤmpfern.

[167]
Aber die Maͤnner des Volks, die Heroenenkel,

ſie walten

Helleren Auges jetzt, die Goͤtterlieblinge denken

Des beſchiedenen Gluͤcks, es zaͤhmen die Kinder

Athenes

Ihren Genius, ihn, den todverachtenden, jetzt

nicht.

Denn wie aus rauchendem Blut das Wild der

Wuͤſte noch einmal

Sich zuletzt verwandelt erhebt, der edleren Kraft

gleich,

Und den Jaͤger erſchreckt, kehrt jetzt im Glanze

der Waffen,

Bei der Herrſcher Gebot furchtbargeſammelt den

Wilden

Mitten im Untergang, die ermattete Seele noch

einmal.

Und entbrannter beginnt's; wie Paare ringender

Maͤnner,

Faſſen die Schiffe ſich an, in die Woge taumelt

das Steuer,

Unter den Streitern bricht der Boden und Schif-

fer und Schiff ſinkt.

Aber in ſchwindelnden Traum vom Liede des Ta-

ges geſungen,

[168]
Rollt der Koͤnig den Blick; irrlaͤchelnd uͤber den

Ausgang,

Droht er und fleht und frohlockt, und ſendet, wie

Blitze, die Boten;

Doch er ſendet umſonſt, es kehret keiner ihm

wieder.

Blutige Boten, Erſchlagne des Heers, und ber-

ſtende Schiffe,

Wirft die Raͤcherin ihm zahllos, die donnernde

Woge,

Vor den Thron, wo er ſitzt am bebenden Ufer,

der Arme,

Schauend die Flucht, und fort in die fliehende

Menge geriſſen,

Eilt er, ihn treibt der Gott, es treibt ſein irrend

Geſchwader

Ueber die Fluten der Gott, der ſpottend ſein eitel

Geſchmeid ihm

Endlich zerſchlug und den Schwachen erreicht' in

der drohenden Ruͤſtung.

Aber liebend zuruͤck zum einſam harrenden Strome

Kommt der Athener Volk, und von den Bergen

der Heimath

Wogen, freudig gemiſcht, die glaͤnzenden Schaa-

ren herunter

[169]
Ins verlaſſene Thal, ach! gleich der gealterten

Mutter,

Wenn nach Jahren das Kind, das verloren geach-

tete, wieder

Lebend ihr an den Buſen kehrt, ein erwachſener

Juͤngling.

Aber im Gram iſt ihr die Seele gewelkt, und die

Freude

Koͤmmt der Hoffnungsmuͤden zu ſpaͤt und muͤhſam

vernimmt ſie,

Was der liebende Sohn in ſeinem Danke geredet;

So erſcheint den Kommenden dort der Boden der

Heimath.

Denn es fragen umſonſt nach ihren Hainen die

Frommen,

Und die Sieger empfaͤngt die freundliche Pforte

nicht wieder,

Wie den Wanderer ſonſt ſie empfieng, wenn er

froh von den Inſeln

Wiederkehrt', und die ſelige Burg der Mutter

Athene

Ueber ſehnendem Haupt ihm fernherglaͤnzend her-

aufgieng.

Aber wohl ſind ihnen bekannt die veroͤdeten Gaſſen

Und die trauernden Gaͤrten umher und auf der Agora,

Wo des Portikus Saͤulen geſtuͤrzt, und die goͤtt-

lichen Bilder

[170]
Liegen, da reicht, in der Seele bewegt, und der

Treue ſich freuend,

Jetzt das liebende Volk zum Bunde die Haͤnde

ſich wieder.

Bald auch ſuchet und ſieht den Ort des eigenen

Hauſes

Unter dem Schutte der Mann; ihm weint am

Halſe, der trauten

Schlummerſtaͤtte gedenk, ſein Weib, es fragen

die Kindlein

Nach dem Tiſche, wo ſonſt in lieblicher Reihe ſie

ſaßen,

Von den Vaͤtern geſehn, den laͤchelnden Goͤttern

des Hauſes.

Aber Gezelte bauet das Volk, es ſchließen die alten

Nachbarn wieder ſich an, und nach des Herzens

Gewohnheit

Ordnen die luͤftigen Wohnungen ſich umher an

den Huͤgeln.

So indeſſen wohnen ſie nun, wie die Freien, die

Alten,

Die, der Staͤrke gewiß und dem kommenden Tage

vertrauend,

Wandernden Voͤgeln gleich, mit Geſange von Berge

zu Berg einſt,

Zogen, die Fuͤrſten des Forſts und des weitum-

irrenden Stromes.

[171]
Doch umfaͤngt noch, wie ſonſt, die Muttererde,

die treue,

Wieder ihr edel Volk, und unter heiligem Himmel

Ruhen ſie ſanft, wenn milde, wie ſonſt die Luͤfte

der Jugend

Um die Schlafenden wehn und aus Platanen

Iliſſus

Ihnen heruͤberrauſcht und, neue Tage verkuͤndend,

Lockend zu neuen Thaten, bei Nacht die Woge des

Meergotts

Fernher toͤnt und froͤhliche Traͤume den Lieblingen

ſendet.

Schon auch ſproſſen und bluͤhn die Blumen maͤhlig,

die goldnen,

Auf zertretenem Feld, von frommen Haͤnden ge-

wartet,

Gruͤnet der Oelbaum auf, und auf Kolonos Ge-

filden

Naͤhren friedlich, wie ſonſt, die atheniſchen Roſſe

ſich wieder.

Aber der Muttererd' und dem Gott der Woge zu

Ehren,

Bluͤhet die Stadt jetzt auf, ein herrlich Gebild,

dem Geſtirn gleich

Sicher gegruͤndet, des Genius Werk, denn Feſſeln

der Liebe

[172]
Schafft er gerne ſich ſo, ſo haͤlt in großen Geſtalten,

Die er ſelbſt ſich erbaut, der Immerrege ſich

bleibend.

Sieh! und dem Schaffenden dienet der Wald,

ihm reicht mit den andern

Bergen nahe zur Hand der Pentele Marmor und

Erze.

Aber lebend, wie er, und froh und herrlich ent-

quillt es

Seinen Haͤnden, und leicht, wie der Sonne, ge-

deiht das Geſchaͤft ihm.

Brunnen ſteigen empor, und uͤber die Huͤgel in

reinen

Bahnen gelenkt, ereilt der Quell das glaͤnzende

Becken;

Und umher an ihnen erglaͤnzt, gleich feſtlichen

Helden,

Am gemeinſamen Kelch, die Reihe der Wohnun-

gen, hoch ragt

Der Prytanen Gemach, es ſtehn Gymnaſien offen,

Goͤttertempel entſtehn, ein heiligkuͤhner Gedanke,

Steigt, Unſterblichen nah, das Olympion auf in

den Aether

Aus dem ſeligen Hain; noch manche der himmli-

ſchen Hallen!

Mutter Athene, dir auch, dir wuchs dein herrli-

cher Huͤgel

[173]
Stolzer aus der Trauer empor und bluͤhte noch

lange,

Gott der Wogen und dir, und deine Lieblinge ſangen

Frohverſammelt noch oft am Vorgebirge den Dank

dir.

O die Kinder des Gluͤcks, die frommen! wandeln

ſie fern nun

Bei den Vaͤtern daheim, und der Schickſalstage

vergeſſen,

Druͤben am Letheſtrom, und bringt kein Sehnen

ſie wieder?

Sieht mein Auge ſie nie? ach! findet uͤber den

tauſend

Pfaden der gruͤnenden Erd', ihr goͤttergleichen Ge-

ſtalten!

Euch das ſuchende nie, und vernahm ich darum

die Sprache,

Darum die Sage von euch, daß immertrauernd

die Seele

Vor der Zeit mir hinab zu euern Schatten ent-

fliehe?

Aber naͤher zu euch, wo eure Haine noch wachſen,

Wo ſein einſames Haupt in Wolken der heilige

Berg huͤllt,

Zum Parnaſſos will ich, und wenn im Dunkel

der Eiche

[174]
Schimmernd, mir Irrenden dort Kaſtalias Quelle

begegnet,

Will ich, mit Thraͤnen gemiſcht, aus bluͤtheum-

dufteter Schale

Dort auf keimendes Gruͤn das Waſſer gießen,

damit doch,

O ihr Schlafenden all' ein Todtenopfer euch werde.

Dort im ſchweigenden Thal, an Tempe's hangen-

den Felſen,

Will ich wohnen mit euch, dort oft, ihr herrlichen

Namen!

Her euch rufen bei Nacht, und wenn ihr zuͤrnend

erſcheinet,

Weil der Pflug die Graͤber entweiht, mit der

Stimme des Herzens

Will ich, mit frommem Geſang, euch ſuͤhnen, hei-

lige Schatten!

Bis, zu leben mit euch, ſich ganz die Seele ge-

woͤhnet.

Fragen wird der Geweihtere dann euch Manches,

ihr Todten!

Euch, ihr Lebenden, auch, ihr hohen Kraͤfte des

Himmels,

Wenn ihr uͤber dem Schutt mit euren Jahren

vorbeigeht,

Ihr in der ſicheren Bahn! denn oft ergreifet das

Irrſal

[175]
Unter den Sternen mir, wie ſchaurige Luͤfte, den

Buſen,

Daß ich ſpaͤhe nach Rath, und lang ſchon reden

ſie nimmer

Troſt den Beduͤrftigen zu, die prophetiſchen Haine

Dodona's,

Stumm iſt der delphiſche Gott, und einſam liegen

und oͤde

Laͤngſt die Pfade, wo einſt, von Hoffnungen leiſe

geleitet,

Fragend der Mann zur Stadt des redlichen Se-

hers heraufſtieg.

Aber droben das Licht, es ſpricht noch heute zu

Menſchen,

Schoͤner Deutungen voll, und des großen Don-

nerers Stimme,

Ruft es: Denket ihr mein? und die trauernde

Woge des Meergotts

Hallt es wieder: gedenkt ihr nimmer meiner, wie

vormals?

Denn es ruhn die Himmliſchen gern am fuͤhlen-

den Herzen,

Immer, wie ſonſt, geleiten ſie noch, die begei-

ſternden Kraͤfte,

Gerne den ſtrebenden Mann, und uͤber den Ber-

gen der Heimath

Ruht und waltet und lebt allgegenwaͤrtig der Aether,

[176]
Daß ein liebendes Volk, in des Vaters Armen

geſammelt,

Menſchlich freudig, wie ſonſt, und Ein Geiſt allen

gemein ſey.

Aber weh! es wandelt in Nacht, es wohnt, wie

im Orkus,

Ohne Goͤttliches unſer Geſchlecht. An's eigene

Treiben

Sind ſie geſchmiedet allein, und ſich in der to-

ſenden Werkſtatt

Hoͤret jeglicher nur und viel arbeiten die Wilden

Mit gewaltigem Arm, raſtlos, doch immer und immer

Unfruchtbar, wie die Furien, bleibt die Muͤhe der

Armen.

Bis, erwacht vom aͤngſtigen Traum, die Seele

den Menſchen

Aufgeht, jugendlich froh, und der Liebe ſegnender

Odem

Wieder, wie vormals oft, bei Hellas bluͤhenden

Kindern,

Wehet in neuer Zeit, und uͤber freierer Stirne

Uns der Geiſt der Natur, der fernherwandelnde,

wieder

Stilleweilend der Gott in goldnen Wolken er-

ſcheinet.

Ach und ſaͤumeſt du noch? und jene, die goͤttlich

gebornen,

[177]
Wohnen immer, o Tag! noch als in den Tiefen der

Erde

Einſam unten, indeß ein immerlebender Fruͤhling

Unbeſungen uͤber dem Haupt den Schlafenden

daͤmmert?

Aber laͤnger nicht mehr! ſchon hoͤr' ich ferne des

Feſttags

Chorgeſang auf gruͤnem Gebirg, und das Echo der

Haine,

Wo der Juͤnglinge Bruſt ſich hebt, wo die Seele

des Volks ſich

Still vereint in freierem Lied, zur Ehre des

Gottes,

Dem die Hoͤhe gebuͤhrt, doch auch die Thale ſind

heilig;

Denn, wo froͤhlich der Strom in wachſender Ju-

gend hinauseilt,

Unter Blumen des Lands, und wo auf ſonnigen

Ebnen

Edles Korn und der Obſtwald reift, da kraͤnzen

am Feſte

Gerne die Frommen ſich auch, und auf dem Huͤ-

gel der Stadt glaͤnzt,

Menſchlicher Wohnung gleich, die himmliſche Helle

der Freude.

Denn voll goͤttlichen Sinns iſt alles Leben ge-

worden,

Hoͤlderlins Gedichte. 12
[178]
Und vollendend, wie ſonſt, erſcheinſt du wieder

den Kindern

Ueberall, o Natur! und, wie vom Quellengebirg,

rinnt

Segen von da und dort in die keimende Seele

dem Volke.

Dann, dann, o ihr Freuden Athens! ihr Thaten

in Sparta!

Koͤſtliche Fruͤhlingszeit im Griechenlande! wenn

unſer

Herbſt koͤmmt, wenn ihr, gereift, ihr Geiſter alle

der Vorwelt!

Wiederkehret und ſiehe! des Jahrs Vollendung

iſt nahe!

Dann erhalte das Feſt auch euch, vergangene Tage!

Hin nach Hellas ſchaue das Volk, und weinend

und dankend

Saͤnftige ſich in Erinnerungen der ſtolze Triumph-

tag!

Aber bluͤhet indeß, bis unſre Fruͤchte beginnen,

Bluͤht, ihr Gaͤrten Joniens, nur, und die an

Athens Schutt

Gruͤnen, ihr Holden! verbergt dem ſchauenden

Tage die Trauer!

Kraͤnzt mit ewigem Laub, ihr Lorberwaͤlder! die

Huͤgel

[179]
Eurer Todten umher, bei Marathon dort, wo die

Knaben

Siegend ſtarben, ach! dort auf Chaͤroneas Gefilden,

Wo mit Waffen hinaus die letzten Athener enteilten,

Fliehend vor dem Tage der Schmach, dort, dort

von den Bergen

Klagt in's Schlachtthal taͤglich herab, dort ſinget

von Oetas

Gipfeln das Schickſalslied, ihr wandelnden Waſſer,

herunter!

Aber du, unſterblich, wenn auch der Griechenge-

ſang ſchon

Dich nicht feiert, wie ſonſt, aus deinen Wogen,

o Meergott!

Toͤne mir in die Seele noch oft, daß uͤber den

Waſſern

Furchtlos rage der Geiſt, dem Schwimmer gleich,

in der Starken

Friſchem Gluͤcke ſich uͤb', und die Goͤtterſprache

das Wechſeln

Und das Werden verſteh'; und wenn die reißende

Zeit mir

Zu gewaltig das Haupt ergreift, und die Noth

und das Irrſaal

Unter Sterblichen mir mein ſterblich Leben er-

ſchuͤttert,

Laß der Stille mich dann in deiner Tiefe gedenken!
[180]

Andenken.


Der Nordoſt weht,

Der liebſte unter den Winden

Mir, weil er feurigen Geiſt

Und gute Fahrt verheißet den Schiffern.

Geh' aber nun und gruͤße

Die ſchoͤne Garonne,

Und die Gaͤrten von Bourdeaux,

Dort wo am ſchroffen Ufer

Hingehet der Steg und in den Strom

Tief faͤllt der Bach, daruͤber aber

Hinſchauet ein edel Paar

Von Eichen und Silberpappeln!

Noch denket das mir wohl und wie

Die breiten Gipfel neiget

Der Ulmwald uͤber die Muͤhl',

Im Hofe aber waͤchſt ein Feigenbaum,

An Feiertagen gehn

Die braunen Frauen daſelbſt

Auf ſeidnen Boden,

Zur Maͤrzenzeit,

Wenn gleich iſt Nacht und Tag,

[181]
Und uͤber langſamen Stegen,

Von goldenen Traͤumen ſchwer,

Einwiegende Luͤfte ziehen.

Es reiche aber,

Des dunkeln Lichtes voll,

Mir Einer den duftenden Becher,

Damit ich ruhen moͤge; denn ſuͤß

Waͤr' unter Schatten der Schlummer.

Nicht iſt es gut,

Seellos vor ſterblichen

Gedanken zu ſeyn, doch gut

Iſt ein Geſpraͤch und zu ſagen

Des Herzens Meinung, zu hoͤren viel

Von Tagen der Lieb',

Und Thaten, welche geſchahen.

Wo aber ſind die Freunde? Bellarmin

Mit dem Gefaͤhrten? Mancher

Traͤgt Scheue, an die Quelle zu gehn;

Es beginnt nehmlich der Reichthum

Im Meere. Sie,

Wie Mahler, bringen zuſammen

Das Schoͤne der Erd' und verſchmaͤhn

Den gefluͤgelten Krieg nicht, und

Zu wohnen einſam, jahrlang, unter

Dem entlaubten Maſt, wo nicht die Nacht durch-

glaͤnzen

[182]
Die Feiertage der Stadt,

Und Saitenſpiel und eingeborner Tanz nicht.

Nun aber ſind zu Indiern

Die Maͤnner gegangen,

Dort an der luftigen Spitz'

An Traubenbergen, wo herab

Die Dordogne kommt

Und zuſammen mit der praͤcht'gen

Garonne meerbreit

Ausgehet der Strom. Es mehret aber

Und giebt Gedaͤchtniß die See

Und die Lieb' auch heftet fleißig die Augen,

Was bleibt aber, ſtiften die Dichter.
[183]

Die Wanderung.


Gluͤckſelig Sunvien, meine Mutter!

Auch du, der glaͤnzenderen, der Schweſter

Lombarda druͤben gleich,

Von hundert Baͤchen durchfloſſen!

Und Baͤume genug, weißbluͤhend und roͤthlich,

Und dunklere, wild, tief gruͤnendes Laub's voll —

Und Alpengebirg auch uͤberſchattet,

Uraltes, dich; denn nah dem Herde des Hauſes

Wohnſt du, und hoͤrſt, wie drinnen

Aus ſilbernen Opferſchalen

Der Quell rauſcht, ausgeſchuͤttet

Von reinen Haͤnden, wenn beruͤhrt

Von warmen Stralen

Kryſtallenes Eis, und umgeſtuͤrzt

Vom leichtanregenden Lichte

Der ſchneeige Gipfel uͤbergießt die Erde

Mit reineſtem Waſſer. Darum iſt

Dir angeboren die Treue. Schwer verlaͤßt

Was nahe dem Urſprung wohnet, den Ort.

Und deine Kinder, die Staͤdte

Am weithindaͤmmernden See,

An Neckars Weiden, am Rheine,

[184]
Sie alle meinen, es waͤre

Sonſt nirgend beſſer zu wohnen.

Ich aber will dem Kaukaſos zu!

Denn ſagen hoͤrt' ich

Noch heut in den Luͤften:

Frei ſey'n, wie Schwalben, die Dichter.

Auch hat in juͤngern Tagen

Sonſt Eines mir vertraut:

Es ſeyen vor alter Zeit

Die Unſrigen einſt, ein ſinnig Geſchlecht,

Still fortgezogen von Wellen der Donau,

Dort mit der Sonne Kindern

Am Sommertage, da dieſe

Sich Schatten ſuchten, zuſammen

Am ſchwarzen Meere gekommen,

Und nicht umſonſt ſey dieß

Das gaſtfreundliche genennet.

Denn als ihr Staunen voruͤber war,

Da nahten die Andern zuerſt; dann ſetzten auch

Die Unſeren ſich neugierig unter den Oelbaum.

Doch, als ſich ihre Gewande beruͤhrt,

Und Keiner vernehmen konnte

Die eigene Rede des Andern, waͤre wohl

Entſtanden ein Zwiſt, wenn nicht aus Zweigen

herunter

Gekommen waͤre die Kuͤhlung,

Die Laͤcheln uͤber das Angeſicht

[185]
Der Streitenden oͤfters breitet; und eine Weile

Sah'n ſtill ſie auf. Dann reichten ſie ſich

Die Haͤnde liebend einander. Und bald

Vertauſchten ſie Waffen und all'

Die lieben Guͤter des Hauſes,

Vertauſchten das Wort auch und es wuͤnſchten

Die freundlichen Vaͤter umſonſt nichts

Beim Hochzeitjubel den Kindern.

Denn aus den Heiligvermaͤhlten

Wuchs ſchoͤner, denn Alles,

Was vor und nach

Von Menſchen ſich nannt', ein Geſchlecht auf.

Wo aber wohnt ihr, liebe Verwandten,

Daß wir das Buͤndniß wiederbegehn,

Und der theuern Ahnen gedenken?

Dort an den Ufern, unter den Baͤumen

Ionias, in Ebenen des Kayſtros,

Wo Kraniche, des Aethers froh,

Umſchloſſen ſind von fernhindaͤmmernden Bergen,

Dort wart auch ihr, ihr Schoͤnſten! oder pflegtet

Der Inſeln, die, mit Wein bekraͤnzt,

Voll toͤnten von Geſang; noch Andere wohnten

Am Tayget, am vielgepriesnen Hymettos,

Und dieſe bluͤhten zuletzt. Doch von

Parnaſſos Quell bis zu des Tmolos

Goldglaͤnzenden Baͤchen erklang

Ein ewig Lied, So rauſchten

[186]
Die heiligen Waͤlder und all'

Die Saitenſpiele zuſammt,

Von himmliſcher Milde geruͤhret.

O Land des Homer!

Am purpurnen Kirſchbaum, oder wenn,

Von dir geſandt, im Weinberg mir

Die jungen Pfirſiche gruͤnen,

Und die Schwalbe fernher kommt und Vieles er-

zaͤhlend

An meinen Waͤnden ihr Haus baut, in

Den Tagen des Mais, auch unter den Sternen

Gedenk' ich, o Ionia! dein. Doch Menſchen

Iſt Gegenwaͤrtiges lieb. Drum bin ich

Gekommen, euch, ihr Inſeln, zu ſehn und euch,

Ihr Muͤndungen der Stroͤme, o ihr Hallen der

Thetis,

Ihr Waͤlder euch, und euch, ihr Wolken des Ida!

Doch nicht zu bleiben gedenk' ich,

Unfreundlich iſt und ſchwer zu gewinnen

Die Verſchloſſene, der ich entkommen, die Mutter.

Von ihren Soͤhnen einer, der Rhein,

Mit Gewalt wollt' er an's Herz ihr ſtuͤrzen und

ſchwand,

Der Zuruͤckgeſtoßene, niemand weiß, wohin in die

Ferne.

Doch ſo nicht wuͤnſcht' ich gegangen zu ſeyn

Von ihr, und nur euch einzuladen

[187]
Bin ich zu euch, ihr Grazien Griechenlands,

Ihr Himmelstoͤchter gewandert,

Daß wenn die Reiſe zu weit nicht iſt,

Zu uns ihr kommet, ihr Holden!

Wenn milder athmen die Luͤfte,

Und liebende Pfeile der Morgen

Uns Allzugeduldigen ſchickt,

Und leichte Gewoͤlke bluͤhn

Uns uͤber den ſchuͤchternen Augen,

Dann werden wir ſagen, wie kommt,

Ihr Charitinnen, zu Wilden?

Die Dienerinnen des Himmels

Sind aber wunderbar,

Wie alles Goͤttlichgeborne.

Zum Traume wird's ihm, will es Einer

Beſchleichen und ſtraft den, der

Ihm gleichen will mit Gewalt.

Oft uͤberraſcht es den,

Der eben kaum es gehofft hat.

[188]

Der Rhein.


Fragment.


Im dunkeln Epheu ſaß ich, an der Pforte

Des Waldes, eben, da der goldene Mittag

Den Quell beſuchend, herunterkam

Von Treppen des Alpengebir'gs,

Das mir die goͤttlichgebaute,

Die Burg der Himmliſchen heißt

Nach alter Meinung, wo aber

Geheim noch Manches entſchieden

Zu Menſchen gelanget; von da

Vernahm ich ohne Vermuthen

Ein Schickſal, denn noch kaum

War mir im warmen Schatten

Sich Manches beredend, die Seele

Italia zugeſchweift

Und an die Kuͤſten Morea's.

Jetzt aber, drinn im Gebirg,

Tief unter den ſilbernen Gipfeln,

Und unter froͤhlichem Gruͤn,

Wo die Waͤlder ſchauernd zu ihm

[189]
Und der Felſen Haͤupter uͤbereinander

Hinabſchaun, taglang, dort

Im kaͤlteſten Abgrund hoͤrt'

Ich um Erloͤſung jammern

Den Juͤngling, es hoͤrten ihn, wie er tobt',

Und die Mutter Erd' anklagt',

Und den Donnerer, der ihn gezeuget,

Erbarmend die Eltern, doch

Die Sterblichen flohn von dem Ort,

Denn furchtbar war, da lichtlos er

In den Feſſeln ſich waͤlzte,

Das Raſen des Halbgotts.

Die Stimme war's des edelſten der Stroͤme,

Des freigeborenen Rheins,

Und Anderes hoffte der, als droben von den

Bruͤdern,

Dem Teſſin und dem Rhodanus,

Er ſchied und wandern wollt', und ungeduldig ihn

Nach Aſia trieb die koͤnigliche Seele.

Doch unverſtaͤndig iſt

Das Wuͤnſchen vor dem Schickſal.

Die Blindeſten aber

Sind Goͤtterſoͤhne, denn es kennet der Menſch

Sein Haus und dem Thier ward, wo

Es bauen ſolle, doch jenen iſt

[190]
Der Fehl, daß ſie nicht wiſſen wohin?

In die unerfahrne Seele gegeben.

Ein Raͤthſel iſt Reinentſprungenes. Auch

Der Geſang kaum darf es enthuͤllen. Denn

Wie du anfiengſt, wirſt du bleiben,

So viel auch wirket die Noth

Und die Zucht, das Meiſte nemlich

Vermag die Geburt

Und der Lichtſtral, der

Dem Neugebornen begegnet.

Wo aber iſt Einer,

Um frei zu bleiben

Sein Leben lang und des Herzens Wunſch

Allein zu erfuͤllen, ſo

Aus himmliſchguͤnſtigen Hoͤh'n

Und ſo aus reineſtem Schooße

Gluͤcklich geboren, wie jener.

Drum iſt ein Jauchzen ſein Wort.

Nicht liebt er, wie andere Kinder

In Wickelbanden zu weinen;

Und wenn, wo die Ufer ſich ihm

An die Seite ſchleichen, die krummen,

Und durſtig umwindend ihn,

Den Unbedachten, zu ziehn

Und wohl zu behuͤten begehren

Im eignen Schlunde, lachend,

[191]
Zerreißt er die Schlangen und ſtuͤrzt

Mit der Beut', und wenn in der Eil'

Ein Groͤßerer ihn nicht zaͤhmt,

Ihn wachſen laͤßt, wie der Blitz muß er

Die Erde ſpalten, und wie Bezauberte fliehn

Die Waͤlder ihm nach und zuſammenſinkend die

Berge.

Ein Gott will aber ſparen den Soͤhnen

Das eilende Leben und laͤchelt,

Wenn unenthaltſam, aber gehemmt

Von heiligen Alpen, ihm

In der Tiefe, wie jener, zuͤrnen die Stroͤme.

In ſolcher Eſſe wird dann

Auch alles Lautre geſchmiedet

Und ſchoͤn iſt's, wie er drauf,

Nachdem er die Berge verlaſſen,

Stillwandelnd ſich im deutſchen Lande

Begnuͤget und das Sehnen ſtillt

Im guten Geſchaͤfte, wenn er das Land baut,

Der Vater Rhein, und liebe Kinder naͤhrt

In Staͤdten, die er gegruͤndet.

Doch nimmer, nimmer vergißt er's.

Denn eher muß die Wohnung vergehn

Und die Satzung und zum Unbild werden

Der Tag der Menſchen, ehe vergeſſen

[192]
Ein Solcher duͤrfte den Urſprung

Und die reine Stimme der Jugend.

Wer war es, der zuerſt

Die Liebesbande verderbt

Und Stricke von ihnen gemacht hat?

Dann haben des eigenen Rechts

Und gewiß des himmliſchen Feuers

Geſpottet die Trotzigen, dann erſt,

Die ſterblichen Pfade verachtend,

Verweg'nes erwaͤhlt,

Und den Goͤttern gleich zu werden getrachtet.

Es haben aber an eigner

Unſterblichkeit die Goͤtter genug, und beduͤrfen

Die Himmliſchen eines Dings,

So ſind's Heroen und Menſchen,

Und Sterbliche ſonſt. Denn weil

Die Seligſten nichts fuͤhlen von ſelbſt,

Muß wohl, wenn Solches zu ſagen

Erlaubt iſt, in der Goͤtter Namen

Theilnehmend fuͤhlen ein Andrer —

Den brauchen ſie; jedoch ihr Gericht

Iſt, daß ſein eigenes Haus

Zerbreche der, und das Liebſte

Wie den Feind ſchelt' und ſich Vater und Kind

Begrabe unter den Truͤmmern,

Wenn Einer, wie ſie, ſeyn will, und nicht

[193]
Ungleiches dulden, der Schwaͤrmer.

Drum wohl ihm, welcher fand

Ein wohlbeſchiedenes Schickſal,

Wo noch der Wanderungen

Und ſuͤß der Leiden Erinnerung

Aufrauſcht am ſichern Geſtade,

Daß da und dorthin gern

Er ſehn mag bis an die Graͤnzen,

Die bei der Geburt ihm Gott

Zum Aufenthalte gezeichnet.

Dann ruht er, ſelig beſcheiden,

Denn Alles, was er gewollt,

Das Himmliſche, von ſelber umfaͤngt

Es unbezwungen, laͤchelnd

Jetzt, da er ruhet, den Kuͤhnen.

Halbgoͤtter denk' ich jetzt,

Und kennen muß ich die Theuern,

Weil oft ihr Leben ſo

Die ſehnende Bruſt mir bewegt.

Wem aber, wie dir,

Unuͤberwindlich die Seele,

Die ſtark ausdauernde ward,

Und ſicherer Sinn

Und ſuͤße Gabe zu hoͤren,

Zu reden ſo, daß er aus heiliger Fuͤlle

Wie der Weingott thoͤrig, goͤttlich

Hoͤlderlin Gedichte. 13
[194]
Und geſetzlos ſie, die Sprache der Reineſten giebt,

Verſtaͤndlich den Guten, aber mit Recht

Die Achtungsloſen mit Blindheit ſchlaͤgt,

Die entweichenden Knechte, wie nenn' ich den

Fremden?

Die Soͤhne der Erde ſind, wie die Mutter,

Allliebend, ſo empfangen ſie auch

Muͤhlos, die Gluͤcklichen, Alles.

Drum uͤberraſchet es auch,

Und ſchreckt den ſterblichen Mann,

Wenn er den Himmel, den

Er mit den liebenden Armen

Sich auf die Schultern gehaͤuft,

Und die Laſt der Freude bedenket.

Dann ſcheint ihm oft das Beſte,

Faſt ganz vergeſſen da,

Wo der Stral nicht brennt,

Im Schatten des Wald's,

In friſcher Gruͤne zu ſeyn,

Und ſorglosarm an Toͤnen

Anfaͤngern gleich, bei Nachtigallen zu lernen.

Und herrlich iſt's aus heiligem Schlafe dann

Erſtehen und aus Waldeskuͤhle

Erwachend, Abends nun

Dem milderen Licht entgegenzugehen,

Wenn, der die Berge gebaut

Und den Pfad der Stroͤme gezeichnet,

[195]
Nachdem er laͤchelnd auch

Der Menſchen geſchaͤftiges Leben

Das odemarme, wie Segel,

Mit ſeinen Luͤften gelenkt hat,

Auch ruht und vor der Schuͤlerin jetzt,

Der Bildner vor der Braut,

Der herrliche Pygmalion,

Der Tagsgott vor der Erde ſich neiget.

Dann feiern das Brautfeſt Menſchen und

Goͤtter,

Es feiern die Lebenden all,

Und ausgeglichen

Iſt eine Weile das Schickſal.

Und die Fluͤchtlinge ſuchen die Herberg'

Und ſuͤßen Schlummer die Tapfern.

Die Liebenden aber

Sind, was ſie waren, ſie ſind

Zu Hauſe, wo die Blume ſich freuet

Unſchaͤdlicher Glut, und die finſteren Baͤume

Der Geiſt umſaͤuſelt, aber die Unverſoͤhnten

Sind umgewandelt und eilen,

Die Haͤnde ſich ehe zu reichen,

Bevor das freundliche Licht

Hinunter geht und die Nacht kommt.
[196]

Hyperions Schickſalslied.


Ihr wandelt droben im Licht

Auf weichem Boden, ſelige Genien!

Glaͤnzende Goͤtterluͤfte

Ruͤhren euch leicht,

Wie die Finger der Kuͤnſtlerin

Heilige Saiten.

Schickſallos, wie der ſchlafende

Saͤugling, athmen die Himmliſchen;

Keuſch bewahrt

In beſcheidener Knoſpe,

Bluͤhet ewig

Ihnen der Geiſt,

Und die ſeligen Augen

Blicken in ſtiller

Ewiger Klarheit.

Doch uns iſt gegeben,

Auf keiner Staͤtte zu ruh'n,

Es ſchwinden, es fallen

[197]
Die leidenden Menſchen

Blindlings von einer

Stunde zur andern,

Wie Waſſer von Klippe

Zu Klippe geworfen,

Jahrlang in's Ungewiſſe hinab.
[[198]]

Der Tod des Empedokles.


Fragmente eines Trauerſpiels.


Mekades. Hermokrates.


Mekades.

Hoͤrſt du das trunk'ne Volk?


Hermokrates.

Sie ſuchen ihn.


Mekades.

Der Geiſt des Manns
Iſt maͤchtig unter ihnen.


Hermokrates.

Ich weiß, wie duͤrres Gras
Entzuͤnden ſich die Menſchen.


Mekades.

Daß Einer ſo die Menge bewegt, mir iſt's,
Als wie wenn Jovis Blitz den Wald
Ergreift, und furchtbarer.


Hermokrates.

Drum binden wir den Menſchen auch
Das Band um's Auge, daß ſie nicht
[199] Zu kraͤftig ſich am Lichte naͤhren.
Nicht gegenwaͤrtig werden
Darf Goͤttliches vor ihnen,
Es darf ihr Herz
Lebendiges nicht finden.
Kennſt du die Alten nicht,
Die Lieblinge des Himmels man nennt?
Sie naͤhrten die Bruſt
An Kraͤften der Welt
Und den Hellaufblickenden war
Unſterbliches nahe,
Drum beugten die Stolzen
Das Haupt auch nicht,
Und vor den Gewaltigen konnt'
Ein Anderes nicht beſtehn,
Es ward verwandelt vor ihnen.


Mekades.

Und er?


Hermokrates.

Das hat zu maͤchtig ihn
Gemacht, daß er vertraut
Mit Goͤttern worden iſt.
Es toͤnt ſein Wort dem Volk'
Als kaͤm es vom Olymp;
Sie danken's ihm,
Daß er vom Himmel raubet
[200] Die Lebensflamm' und ſie
Verraͤth den Sterblichen.


Mekades.

Sie wiſſen nichts, denn ihn,
Er ſoll ihr Gott
Er ſoll ihr Koͤnig ſeyn.
Sie ſagen, es hab' Apoll
Die Stadt gebaut den Trojern,
Doch beſſer ſey, es helf'
Ein hoher Mann durch's Leben.
Noch ſprechen ſie viel Unverſtaͤndiges
Von ihm und achten kein Geſetz
Und keine Noth und keine Sitte.
Ein Irrgeſtirn iſt unſer Volk
Geworden und ich fuͤrcht',
Es deute dieſes Zeichen
Zukuͤnft'ges noch, das er
Im ſtillen Sinne bruͤtet.


Hermokrates.

Sey ruhig, Mekades!
Er wird nicht.


Mekades.

Biſt du denn maͤchtiger?


Hermokrates.

Der ſie verſteht,
[201] Iſt ſtaͤrker, denn die Starken,
Und wohlbekannt iſt dieſer Seltne mir.
Zu gluͤcklich wuchs er auf;
Ihm iſt von Anbeginn
Der eigne Sinn verwoͤhnt, daß ihn
Geringes irrt; er wird es buͤßen,
Daß er zu ſehr geliebt die Sterblichen.


Mekades.

Mir ahndet ſelbſt,
Es wird mit ihm nicht lange dauern,
Doch iſt es lang genug,
So er erſt faͤllt, wenn ihm's gelungen iſt.


Hermokrates.

Und ſchon iſt er gefallen.


Mekades.

Was ſagſt du?


Hermokrates.

Siehſt du denn nicht? es haben
Den hohen Geiſt die Geiſtesarmen
Geirrt, die Blinden den Verfuͤhrer.
Die Seele warf er vor das Volk, verrieth
Der Goͤtter Gunſt gutmuͤthig den Gemeinen,
Doch raͤchend aͤffte leeren Wiederhall's
Genug denn auch aus todter Bruſt den Thoren.
Und eine Zeit ertrug er's, graͤmte ſich
[202] Geduldig, wußte nicht,
Wo es gebrach; indeſſen wuchs
Die Trunkenheit dem Volke; ſchaudernd
Vernahmen ſie's, wenn ihm vom eignen Wort
Der Buſen bebt', und ſprachen:
So hoͤren wir nicht die Goͤtter!
Und Namen, ſo ich dir nicht nenne, gaben
Die Knechte dann dem ſtolzen Trauernden.
Und endlich nimmt der Durſtige das Gift,
Der Arme, der mit ſeinem Sinn nicht
Zu bleiben weiß und Aehnliches nicht findet,
Er troͤſtet mit der raſenden
Anbetung ſich, verblindet, wird wie ſie,
Die ſeelenloſen Aberglaubigen;
Die Kraft iſt ihm entwichen,
Er geht in einer Nacht, und weiß ſich nicht
Herauszuhelfen und wir helfen ihm.


Mekades.

Deß biſt du ſo gewiß?


Hermokrates.

Ich kenn' ihn.


Mekades.

Ein uͤbermuͤthiges Gerede faͤllt
Mir bei, das er gemacht, da er zuletzt
Auf der Agore war. Ich weiß es nicht,
Was ihm das Volk zuvor geſagt; ich kam
[203] Nur eben, ſtand von fern; ihr ehret mich,
Antwortet' er, und thuet recht daran;
Denn ſtumm iſt die Natur,
Es leben Sonn' und Luft und Erd' und ihre Kinder
Fremd um einander,
Die Einſamen, als gehoͤrten ſie ſich nicht.
Wohl wandeln immer kraͤftig
Im Goͤttergeiſte die freien
Unſterblichen Maͤchte der Welt
Rings um der andern
Vergaͤnglich Leben,
Doch wilde Pflanzen
Auf wilden Grund
Sind in den Schooß der Goͤtter
Die Sterblichen alle geſaͤet,
Die Kaͤrglichgenaͤhrten, und todt
Erſchiene der Boden, wenn Einer nicht
Deß wartete, lebenerweckend,
Und mein iſt das Feld. Mir tauſchen
Die Kraft und Seele zu Einem
Die Sterblichen und die Goͤtter.
Und waͤrmer umfangen die ewigen Maͤchte
Das ſtrebende Herz und kraͤft'ger gedeihn
Vom Geiſte der Freien die fuͤhlenden Menſchen,
Und wach iſt's! denn ich
Geſelle das Fremde,
Das Unbekannte nennet mein Wort,
[204] Und die Liebe der Lebenden trag'
Ich auf und nieder; was Einem gebricht,
Ich bring es vom andern, und binde
Beſeelend und wandle verjuͤngend die zoͤgernde
Welt
Und gleiche Keinem und Allen.
So ſprach der Uebermuͤthige.


Hermokrates.

Das iſt noch wenig. Aergers ſchlaͤft in ihm.
Ich kenn' ihn, kenne ſie, die uͤbergluͤcklichen
Verwoͤhnten Soͤhne des Himmels,
Die anders nicht, denn ihre Seele, fuͤhlen.
Stoͤrt einmal ſie der Augenblick heraus —
Und leicht zerſtoͤrbar ſind die Zaͤrtlichen —
Dann ſtillet nichts ſie wieder, brennend
Treibt eine Wunde ſie, unheilbar gaͤhrt
Die Bruſt. Auch er! ſo ſtill er ſcheint,
So gluͤht ihm doch, ſeit ihm das arme Volk
Den hohen Geiſt — —


Empedokles. Pauſanias.


Empedokles.

— — — — — — O jene Zeit!
Ihr Liebeswonnen, da die Seele mir
Von Goͤttern, wie Endymion, geweckt,
Die kindlich ſchlummernde, ſich oͤffnete,
Lebendig ſie, die Immerjugendlichen,
[205] Des Lebens große Genien
Erkannte — ſchoͤne Sonne! Menſchen hatten mich
Es nicht gelehrt, mich trieb mein eigen Herz
Unſterblichliebend zu Unſterblichen,
Zu dir, zu dir, ich konnte Goͤttlichers
Nicht finden, ſtilles Licht! und ſo wie du
Das Leben nicht an deinem Tage ſparſt
Und ſorgenfrei der goldnen Fuͤlle dich
Entledigeſt, ſo goͤnnt' auch ich, der deine,
Den Sterblichen die beſte Seele gern
Und furchtlos offen gab
Mein Herz, wie du, der ernſten Erde ſich,
Der ſchickſalvollen, ihr in Juͤnglingsfreude
Das Leben ſo zu eignen bis zuletzt;
Ich ſagt' ihr's oft in trauter Stunde zu,
Band ſo den theuern Todesbund mit ihr.
Da rauſcht' es anders, denn zuvor, im Hain,
Und zaͤrtlich toͤnten ihrer Berge Quellen —
All' deine Freuden, Erde! wahr, wie ſie,
Und warm und voll, aus Muͤh' und Liebe reifen,
Sie alle gabſt du mir. Und wenn ich oft
Auf ſtiller Bergeshoͤhe ſaß und ſtaunend
Der Menſchen Irrſal uͤberſann,
Zu tief von deinen Wandlungen ergriffen,
Und nah mein eignes Welken ahnete,
Dann athmete der Aether, ſo wie dir,
Mir heilend um die liebeswunde Bruſt,
[206] Und, wie Gewoͤlk der Flamme, loͤſeten
Im hohen Blau die Sorgen mir ſich auf.


Pauſanias.

O Sohn des Himmels!


(Auf dem Aetna.)

Empedokles,
vom Schlaf erwachend; dann

Pauſanias.

Euch ruf' ich uͤber das Gefild herein
Vom langſamen Gewoͤlk, ihr heißen Stralen
Des Mittags, ihr gereifteſten, daß ich
An euch den neuen Lebenstag erkenne.
Denn anders iſts, wie ſonſt! vorbei, vorbei
Das menſchliche Bekuͤmmerniß! als wuͤchſen
Mir Schwingen an, ſo iſt mir wohl und leicht
Hier oben, hier, und reich genug und froh
Und herrlich wohn' ich, wo den Feuerkelch,
Mit Geiſt gefuͤllt bis an den Rand, bekraͤnzt
Mit Blumen, die er ſelber ſich erzog,
Gaſtfreundlich mir der Vater Aetna beut.
Und wenn das unterirdiſche Gewitter
Itzt feſtlich auferwacht, zum Wolkenſitz
Des nahverwandten Donners fliegt hinauf
Und zu den Sternen toͤnt, da waͤchst das Herz
mir auch.
Mit Adlern ſing' ich hier Naturgeſang.
[207] Das dacht' er nicht, daß in der Fremde mir
Ein andres Leben bluͤhte, da er mich
Mit Schmach hinweg aus unſrer Stadt verwies,
Mein koͤniglicher Bruder. Ach! er weiß es nicht,
Der kluge, welchen Segen er bereitete,
Da er von Menſchenbande los, da er mich frei
Erklaͤrte, frei, wie Fittige des Himmels.
Drum galt es auch! drum waffnete das Volk,
Das mein war, gegen meine Seele ſich
Mit Hohn und Fluch.
Und ſtieß mich aus; und nicht vergebens gellt
Im Ohre mir das hundertſtimmige
Gelaͤchter, da der fromme Traͤumer,
Der naͤrriſche, des Weges weinend gieng.
Beim Todtenrichter! wohl hab' ich's verdient!
Und heilſam wars; die Kranken heilt das Gift,
Und eine Suͤnde ſtraft die anderen.
Denn viel geſuͤndiget von Jugend auf,
Geliebt hab' ich die Menſchen ohne Maaß,
Gedient, wie Waſſer nur dem Feuer dient.
Darum begegneten auch menſchlich ſie
Mir nicht, o darum ſchaͤndeten ſie mir
Mein Angeſicht, und hielten mich, wie dich,
Allduldende Natur! du haſt mich nun,
Du haſt mich, und es daͤmmert zwiſchen dir
Und mir die alte Liebe wieder auf.
Du rufſt, du ziehſt mich nah und naͤher an,
[208] Und hier iſt kein Bedenken mehr. Es ruft
Der Gott —

(Da er den Pauſanias gewahr wird:)


und dieſen Allzutreuen muß
Ich auch befrein, mein Pfad iſt ſeiner nicht.


Pauſanias. Empedokles.


Pauſanias.

Du ſcheineſt freudig auferwacht, mein Wandrer!


Empedokles.

Schon hab' ich, Lieber, und vergebens nicht,
Mich in der neuen Heimath umgeſehn.
Die Wildniß iſt mir hold.


Pauſanias.

Sie haben uns verbannt, ſie haben dich,
Du Guͤtiger! verſchmaͤht, und glaub' es mir,
Unleidlich warſt du ihnen laͤngſt und innig.
In ihre Truͤmmer ſchien, in ihre Nacht,
Zu helle den Verzweifelten das Licht.


Empedokles.

Nun moͤgen ſie vollenden ungeſtoͤrt!
Vergeſſenheit! o wie ein gluͤcklich Segel,
Bin ich vom Ufer los, —
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —


Pauſanias.

Nun! laſſ' ſie nur! ſie moͤgen ungeſtalt
[209] Lichtſcheu am Boden taumeln, der ſie traͤgt,
Und allbegehrend, allgeaͤngſtiget,
Sich muͤde rennen. Brennen mag der Brand,
Bis er erliſcht; wir wohnen ruhig hier!


Empedokles.

Ja! ruhig wohnen wir! es oͤffnen groß
Sich hier vor uns die heil'gen Elemente.
Die Muͤheloſen regen immergleich
In ihrer Kraft ſich freudig hier um uns.
An ſeinen feſten Ufern wacht und ruft
Das alte Meer; und das Gebirge ſteigt
Mit ſeiner Stroͤme Klang; es wogt und rauſcht
Sein gruͤner Wald von Thal zu Thal hinunter
Und oben weilt das Licht, der Aether ſtillt
Den Tapfern das geheimere Verlangen.


Pauſanias.

So bleibſt du wohl und bleibſt in deiner Welt.
Doch hab' ich ſchon ein wenig vorgeſorgt,
Ich diene dir und ſehe, was uns noth iſt.


Empedokles.

Nur weniges iſt noth — — —
— — — — — — — — — — —


Pauſanias.

Indeß du gut auf kahler Erde hier
Hoͤlderlins Gedichte. 14
[210] In heißer Sonne ſchliefſt, gedacht' ich doch
Ein weicher Boden und die kuͤhle Nacht
In einer ſichern Halle waͤre beſſer.
Auch ſind wir hier, die Allverdaͤchtigen,
Den Wohnungen der andern faſt zu nah,
Nicht lange wollt' ich ferne ſeyn von dir
Und eilt' hinauf und gluͤcklich fand ich bald,
Fuͤr dich und mich gebaut, ein ruhig Haus,
Ein tiefer Fels von Eichen dicht umſchirmt,
Dort in der dunkeln Seite des Gebirgs,
Und nah entſpringt ein Quell, es gruͤnt umher
Die Fuͤlle guter Pflanzen, und zum Bett
Iſt Ueberfluß von Laub und Gras bereitet.
Da laſſen ſie dich ungeſchmaͤht, und tief und ſtill
Iſts, wenn du ſinnſt, und wenn du ſchlaͤfſt, um dich.
Ein Heiligthum iſt mir mit dir die Grotte.
Komm, ſiehe ſelbſt, und ſage nicht, ich tauge
Dir kuͤnftig nicht, wem taugt' ich anders denn?


Empedokles.

Du taugſt zu gut.


Pauſanias.

Wie koͤnnt' ich dieß?


Empedokles.

Auch du
Biſt allzutreu, du biſt ein thoͤricht Kind.


[211]
Pauſanias.

Das ſagſt du wohl, doch kluͤgers weiß ich nicht,
Wie deß zu ſeyn, dem ich geboren bin.


Empedokles.

Wie biſt du ſicher?


Pauſanias.

Und ich ſollte nicht?
Wofuͤr denn haͤtteſt du mir einſt, da ich,
Der Waiſe gleich, am heldenarmen Ufer
Mir einen Schutzgott ſucht' und traurig irrte,
Du Guͤtiger, die Haͤnde mir gereicht?
Wofuͤr mit deinem Auge waͤreſt du
Auf deiner ſtillen Bahn, du edles Licht,
In meiner Daͤmmerung mir aufgegangen?
Seitdem bin ich ein anderer,
Und naͤher dir und einſamer mit dir,
Waͤchst fruͤher nur die Seele mir und freier.


Empedokles.

O ſtill davon!


Pauſanias.

Was iſts? Warum? Wie kann
Ein freundlich Wort dich irren, theurer Mann?


Empedokles.

Geh. Folge mir, und ſchweig' und ſchone mich,
[212] Und rege du nicht auch das Herz mir auf,
Fuͤr mich iſt, was voruͤber iſt, nicht mehr.


Pauſanias.

Ich weiß es nicht, was dir voruͤber iſt,
Doch du und ich, wir ſind uns ja geblieben!


Empedokles.

Sprich lieber mir von anderem, mein Sohn!
Habt ihr zum Dolche die Erinnerung
Nicht mir gemacht? — Nun wundern ſie ſich noch,
Und treten vor das Auge mir und fragen —
Nein! du biſt ohne Schuld, — nur kann ich, Sohn!
Was mir zu nahe koͤmmt, nicht wohl ertragen.


Pauſanias.

Und mich, mich ſtoͤßeſt du von dir? — — — —
— — — — — — — — — — —


Empedokles.

Verſteheſt du mich auch? Hinweg. Ich hab'
Es dir geſagt: es iſt nicht ſchoͤn, daß du
So ungefragt mir an die Seele dringeſt,
An meine Seite ſtets, als wuͤßteſt du
Nichts andres mehr, mit armer Angſt dich haͤngſt,
Du mußt es wiſſen: dir gehoͤr' ich nicht,
Und du nicht mir, und deine Pfade ſind
Die meinen nicht; mir bluͤht es anderswo,
Und was ich mein' es iſt von heute nicht,
[213] Da ich geboren wurde, war's beſchloſſen.
Sieh auf und wag's! was Eines iſt, zerbricht,
Die Liebe ſtirbt in ihrer Knoſpe nicht
Und uͤberall in freier Freude theilt
Des Lebens luft'ger Baum ſich auseinander.
Kein zeitlich Buͤndniß bleibet, wie es iſt;
Wir muͤſſen ſcheiden, Kind! und halte nur
Mein Schickſal mir nicht auf und zaudre nicht.
O ſieh! es glaͤnzt der Erde trunknes Bild,
Das Goͤttliche, dir gegenwaͤrtig, Juͤngling!
Es rauſcht und regt durch alle Lande ſich
Und wechſelt, jung und leicht, mit frommem Ernſt
Den luft'gen Reigentanz, womit den Geiſt
Die Sterblichen, den alten Vater, feyern.
Da gehe du und wandle taumellos
Und menſchlich mit und denk' am Abend mein.
Mir aber ziemt die ſtille Halle, mir
Die hochgelegene, geraͤumige,
Denn Ruhe brauch' ich wohl, zu traͤge ſind
Die Glieder mir geworden — —
— — — — und hab' ich ſonſt
Ein feiernd Lied in Jugendluſt geſungen,
Zerſprungen iſt das zarte Saitenſpiel.
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —


Pauſanias.

Das hofft' ich nicht, wenn wir Geaͤchteten
[214] Den Wohnungen der Menſchen — —
— — — — — — — — — — —
— — — wenn mit den Thraͤnen dir
Vom Angeſichte trof des Himmels Regen,
Wenn laͤchelnd du das rauhe Sklavenkleid
Mittags an heißer Sonne trockneteſt
Auf ſchattenloſem Sand, wenn du die Spuren
Wohl manche Stunde, wie ein wundes Wild,
Mit deinem Blute zeichneteſt, das auf
Den Felſenpfad von nackter Sohle rann.
Ach! darum ließ ich nicht mein Haus, und lud
Des Volkes und des Vaters Fluch mir auf:
Daß du mich, wo du wohnen willſt und ruhn,
Wie ein verbraucht Gefaͤß, bei Seite werfeſt! — —
Ich wandre mit; zwar ſteh' ich nicht, wie du
Mit Kraͤften der Natur im trauten Bunde,
Mir ſteht, wie dir, Zukuͤnftiges nicht offen.
Doch freudig in der Goͤtter Nacht hinaus
Schwingt ſeine Fittige mein Geiſt —
Ja, waͤr' ich auch ein Schwacher, dennoch waͤr'
Ich, weil ich ſo dich liebe, ſtark, wie du.
Beim goͤttlichen Herakles! ſtiegſt du auch
Um die Gewaltigen, die drunten ſind,
Verſoͤhnend, die Titanen heimzuſuchen,
Ins bodenloſe Thal, vom Gipfel dort
Und wagteſt dich ins Heiligthum des Abgrunds,
Wo duldend vor dem Tage ſich das Herz
[215] Der Erde birgt und ihre Schmerzen dir
Die dunkle Mutter ſagt — o du der Nacht,
Des Aethers Sohn! ich folgte dir hinunter!


Empedokles.

So bleib!


Pauſanias.

Wie meinſt du dieß?


Empedokles.

Du giebſt
Dich mir; biſt mein: ſo frage nicht!


Pauſanias.

Es ſey!


Empedokles.

Und ſagſt du mirs noch einmal, Sohn? und giebſt
Dein Blut und deine Seele mir fuͤr immer?


Pauſanias.

Als haͤtt' ich ſo ein loſes Wort geſagt,
Und zwiſchen Schlaf und Wachen dir's verſprochen.
Unglaubiger! ich ſag's und wiederhol' es.
Auch dieß, auch dieß — es iſt von heute nicht:
Da ich geboren wurde, war's beſchloſſen.


Empedokles.

Ich bin nicht, der ich bin, Pauſanias
— — — — — — — — — — —
[216] Ein Schimmer nur, der bald voruͤbergeht,
Im Saitenſpiel ein Ton —


Pauſanias.

So toͤnen ſie,
So ſchwinden ſie zuſammen in die Luft!
Und freundlich ſpricht der Wiederhall von ihnen.
Verſuche nun mich laͤnger nicht und laß'
Und goͤnne du die Ehre mir, die mein iſt.
Hab' ich nicht Leid genug, wie du, in mir?
Wie moͤchteſt du mich noch beleidigen?


Empedokles.

O alles opfernd Herz! und dieſer giebt
Schon mir zu lieb die goldne Jugend hin.
Noch biſt du nah, indeß die Stunde flieht,
Und bluͤheſt mir, du Freude meiner Augen!
Noch iſt's, wie ſonſt, ich halt' im Arme dich
Und mich bethaut der holde Traum noch einmal.
So Arm in Arm, ſtatt Eines Einſamen
Ein feſtlich Paar, am Tagesende —
Und gerne naͤhm' ich, was ich hier geliebt,
Wie ſeine Quellen all ein edler Strom.
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —
Doch beſſer iſt's, es gehe ſeinen Pfad
Ein Jeder, wie der Gott es ihm beſchieden,
Und billig iſt's, und recht, daß uͤberall
[217] Des Menſchen Sinn ſich eigen angehoͤre,
Und leichter traͤgt der Mann die eigne Buͤrde.
So wachſen ja des Waldes Eichen auch,
Und Keines kennt, ſo alt ſie ſind, das Andre.


Pauſanias.

Du ſagſt es mir, und wahr iſts wohl, und lieb
Iſt billig mir dieß letzte Wort von dir.
So geh' ich denn! ich ſtoͤre deine Ruhe
Dir kuͤnftig nicht, auch meineſt du es gut,
Daß meinem Sinne nicht die Stille tauge.


Empedokles.

Doch, Lieber! zuͤrnſt du nicht?


Pauſanias.

Mit dir? mit dir?


Empedokles.

Was iſt es denn? ja! weißſt du nun, wohin?


Pauſanias.

Gebiet' es mir!


Empedokles.

Es war mein letzt Gebot
Pauſanias! die Herrſchaft iſt zu Ende.


Pauſanias.

Mein Vater! rathe mir!


Empedokles.

Wohl manches ſollt'
Ich ſagen, doch verſchweig' ichs,
[218] Es will zu ſterblichem Geſpraͤche mir
Und eitlem Wort die Zunge nimmer dienen.
Sieh! Liebſter! anders iſt mir ſchon, und leichter
Und freier athm' ich auf, und wie der Schnee
Des hohen Aetna, der am Sonnenlichte
Erwarmt und ſchimmert und vom Gipfel wogt,
Und uͤber den entſtuͤrzenden Gewaͤſſern
Sich bluͤhend Iris ſtiller Bogen ſchwingt:
So rinnt und reißt vom Herzen mir ſich los,
So rauſcht es weg, was mir die Zeit gehaͤuft,
Und freier bluͤht das Leben mir daruͤber.
Nun! wandre muthig, Sohn! ich geb' und kuͤſſe
Verheiſſungen dir auf die reine Stirn:
Es daͤmmert dort Italiens Gebirg;
Das Roͤmerland, das thatenreiche, winkt;
Dort wirſt du wohl gedeihn, dort, wo ſich froh
Die Maͤnner in der Kaͤmpferbahn begegnen.
O Heldenſtaͤdte dort, und du Tarent!
Ihr bruͤderlichen Hallen, wo ich oft
Frohſinnend einſt mit meinem Plato ging,
Und immer neu uns Juͤnglingen das Jahr
Und jeder Tag erſchien in heil'ger Schule.
Beſuch' ihn auch, o Sohn! und gruͤſſ' ihn mir,
Den alten Freund, an ſeiner Heimat Stroͤmen,
Am blumigen Iliſſus, wo er wohnt;
Und will die Seele dir nicht ruhn, ſo geh'
Zum andern Strande, — — —
[219] Dort hoͤreſt du das ernſte Saitenſpiel,
Dort wird dir vieles heller ſeyn und offner
— — — — — — — — — — —


Empedokles. Der Greis. (Manes.)


Der Greis.

Willkommen hier! was ſuchſt du, Empedokles?


Empedokles.

Wer biſt du, Mann?


Greis.

Ein Sterblicher, wie du.
Zu rechter Zeit geſandt, dir, der du dich
Des Himmels Liebling duͤnkſt, des Himmels Zorn,
Des Gottes, der nicht muͤßig iſt, zu ſagen.


Empedokles.

Ha! kennſt du den?


Greis.

Ich habe manches dir
Am fernen Nil geſagt.


Empedokles.

Und du? du hier?
Kein Wunder iſt's! Seit ich den Lebenden
Geſtorben, ſtehen mir die Schatten auf!


Greis.

Die Schatten reden nicht, wo du ſie fragſt.
Doch, wenn du eines Worts bedarfſt, vernimm!


[220]
Empedokles.

Die Stimme, die mich ruft, vernehm' ich ſelbſt.


Greis.

So wird es mit dir? — ſprich!


Empedokles.

Was ſoll die Rede, Fremder?


Greis.

Ja! fremde bin ich hier, und unter Kindern!
Das ſeyd ihr Griechen all! Ich hab' es oft
Vormals geſagt. Doch wollteſt du mir nicht
Wie dirs ergieng bei deinem Volke, ſagen?


Empedokles.

Was mahnſt du mich, was rufſt mir noch einmal —
Mir ging es, wie es ſoll.


Greis.

Ich wußt' es auch
Schon laͤngſt voraus, ich hab' es dir geweiſſagt.


Empedokles.

Nun denn! was haͤltſt du es noch auf? was drohſt
Du mit der Flamme mir des Gottes, den
Ich kenne, dem ich gern zum Spiele diene;
Und richteſt mir mein heilig Recht, du Blinder!


Greis.

Was dir begegnen muß, ich aͤndr' es nicht.


Empedokles.

So kamſt du her, zu ſehen, wie es wird?


[221]
Greis.

O ſcherze nicht, und ehre doch dein Feſt,
Umkraͤnze dir dein Haupt, und ſchmuͤck' es aus,
Das Opferthier, das nicht vergebens faͤllt.
Der jaͤhe Tod, er iſt von Anbeginn,
Das weißt du wohl, den Unverſtaͤndigen
Die deinesgleichen ſind, zuvor beſchieden.
Du willſt es, und ſo ſey's, doch ſollſt du mir
Nicht unbeſonnen, wie du biſt, hinab,
Ich hab' ein Wort, und dieß bedenke, Trunkner!
Nur Einer darfs in dieſer Zeit, nur Einer,
Nur Einen adelt' ſie, die ſchwarze Stunde,
Ein Groͤßrer iſts, denn ich! denn wie die Rebe
Von Erd' und Himmel zeugt, wenn ſie getraͤnkt
Von hoher Sonn' aus dunklem Boden ſteigt,
So waͤchst er auf, aus Licht und Nacht geboren:
Es gaͤhrt um ihn die Welt, was irgend nur
Beweglich und verderbend iſt im Buſen
Der Sterblichen, iſt aufgeregt von Grund aus,
Der Herr der Zeit, um ſeine Herrſchaft bang,
Thront finſter blickend uͤber der Empoͤrung,
Sein Tag erliſcht, und ſeine Blitze rauchen.
Doch was von oben flammt, entzuͤndet nur,
Und was von unten ſtrebt, die wilde Zwietracht.
Der Eine doch, der neue Retter, faßt
Des Himmels Stralen ruhig auf, und liebend
Nimmt er, was ſterblich iſt, an ſeinen Buſen,
Hoͤlderlin Gedichte. 15
[222] Und milde wird in ihm der Streit der Welt,
Die Menſchen und die Goͤtter ſoͤhnt er aus,
Und naͤher wieder leben ſie, wie vormals.
Und daß, wenn er erſchienen iſt, der Sohn
Nicht groͤßer, denn die Eltern ſey, und nicht
Der heil'ge Lebensgeiſt gefeſſelt bleibe,
Vergeſſen uͤber ihm, dem Einzigen,
So lenkt er aus, der Abgott ſeiner Zeit,
Zerbricht, er ſelbſt, damit durch ſeine Hand
Dem Reinen das Nothwendige geſchehe,
Sein eigen Gluͤck, das ihm zu gluͤcklich iſt,
Und giebt, was er beſaß, dem Element,
Das ihn verherrlichte, gelaͤutert wieder. —


Biſt du der Mann? derſelbe? biſt du der?


Empedokles.

Ich kenne dich im finſtern Wort, und du,
Du Alles Wiſſender! erkennſt mich auch.
O ſage, wer du biſt! und wer bin ich?
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —
Ein Knabe war ich, wußte nicht, was mir
Ums Auge fremd am Tage ſich bewegt',
Und wunderbar umfiengen mir die großen
Geſtalten dieſer Welt, die freudigen,
Mein unerfahren ſchlummernd Herz im Buſen.
Und ſtaunend hoͤrt' ich oft die Waſſer gehn,
[223] Und ſah die Sonne bluͤhn, und ſich an ihr
Den Jugendtag der ſtillen Erd' entzuͤnden.
Da ward in mir Geſang, und helle ward
Mein daͤmmernd Herz im dichtenden Gebet, —
Wenn ich die Fremdlinge, die gegenwaͤrt'gen,
Die Goͤtter der Natur, mit Namen nannte,
Und mir der Geiſt im Wort — — —
Im ſeligen, des Lebens Raͤthſel loͤſ'te.
So wuchs ich ſtill herauf und anderes
War ſchon bereitet. Denn gewaltſamer
Wie Waſſer, ſchlug die wilde Menſchenwelle
Mir an die Bruſt, und aus dem Irrſal kam
Des armen Volkes Stimme mir zum Ohre.
Und wenn, indeß ich in der Halle ſchwieg,
Um Mitternacht der Aufruhr weheklagt',
Und durchs Gefilde ſtuͤrzt', und lebensmuͤd
Mit eigner Hand ſein eignes Haus zerbrach — —
Wenn ſich die Bruͤder flohn, und ſich die Liebſten
Voruͤber eilten, und der Vater nicht
Den Sohn erkannt' und Menſchenwort nicht mehr
Verſtaͤndlich war und menſchliches Geſetz:
Da faßte mich die Deutung ſchaudernd an,
Es war der ſcheidende Gott meines Volks!
Den hoͤrt' ich, und zum ſchweigenden Geſtirn
Sah' ich hinauf, wo er herabgekommen.
Und ihn zu ſuͤhnen ging ich hin. Noch wurden uns
Der ſchoͤnen Tage viel. Noch ſchien es ſich
[224] Am Ende zu verjuͤngen; und es wich, —
Der goldnen Zeit, der allvertrauenden,
Des hellen, kraͤft'gen Morgens eingedenk, —
Der Unmuth mir, der furchtbare, vom Volke,
Und freie, feſte Bande knuͤpften wir.
Doch oft, wenn mich des Volkes Dank bekraͤnzte,
Wenn naͤher immer mir, und mir allein,
Des Volkes Seele kam, befiel es mich.
Denn wo ein Land erſterben ſoll, da waͤhlt
Der Geiſt noch Einen ſich am End', durch den
Sein Schwanenſang, das letzte Leben toͤnet.
Wohl ahndet' ich's; doch dient' ich willig ihm.


Es iſt geſchehn, den Sterblichen gehoͤr' ich
Nun nimmer an.


O Ende meiner Zeit!
O Geiſt, der uns erzog, der du geheim
Am hellen Tag und in der Wolke walteſt,
Und du, o Luft! und du, o Mutter Erde!
Hier bin ich ruhig, denn es wartet mein
Die laͤngſtbereitete, die neue Stunde,
Nun nicht im Bilde mehr, und nicht, wie ſonſt,
Bei Sterblichen, im kurzen Gluͤck, — ich find',
Im Tode find' ich den Lebendigen,
Und heute noch begegn' ich ihm; denn heute
Bereitet er, der Herr der Zeit, zur Feier,
Zum Zeichen ein Gewitter mir und ſich.
[225] Kennſt du die Stille rings? kennſt du das Schweigen
Des ſchlummerloſen Gotts? erwart' ihn hier!
Um Mitternacht wird er es uns vollenden.
Und wenn du, wie du ſagſt, des Donnerers
Vertrauter biſt, und, Eines Sinns mit ihm,
Dein Geiſt mit ihm, der Pfade kundig, wandelt,
So komm mit mir, wenn jetzt zu einſam ſich
Das Herz der Erde klagt und eingedenk
Der alten Einigkeit die dunkle Mutter
Zum Aether aus die Feuerarme breitet,
Und ißt der Herrſcher koͤmmt in ſeinem Stral,
Dann folgen wir, zum Zeichen, daß wir ihm
Verwandte ſind, hinab in heil'ge Flammen.
Doch wenn du lieber ferne bleibſt, fuͤr dich:
Was goͤnnſt du mir es nicht? wenn dir es nicht
Beſchieden iſt zum Eigenthum, was nimmſt,
Und ſtoͤrſt du mir's! O euch, ihr Genien!
Die ihr, da ich begann, mir nahe waret,
Ihr waltenden! euch dank' ich, daß ihr mir's
Gegeben habt, die lange Zahl der Leiden
Zu enden hier, befreit von andrer Pflicht,
In freiem Tod, nach goͤttlichem Geſetze!
Dir iſts verbotne Frucht! drum laß und geh,
Und kannſt du mir nicht nach, ſo richte nicht!


Manes.

Dir hat der Schmerz den Geiſt entzuͤndet, Armer!


[226]
Empedokles.

Was heilſt du denn, Unmaͤchtiger, ihn nicht?


Manes.

Wie iſt's mit uns? ſiehſt du es ſo gewiß?


Empedokles.

Das ſage du mir, der du Alles ſiehſt!


Manes.

Laß ſtill uns ſeyn, o Sohn! und immer lernen.


Empedokles.

Du lehrteſt mich; heut lerne du von mir.


Manes.

Haſt du nicht alles mir geſagt?


Empedokles.

O nein!


Manes.

So gehſt du nun?


Empedokles.

Noch geh' ich nicht, o Alter!
Von dieſer gruͤnen, guten Erde ſoll
Mein Auge mir nicht ohne Freude ſcheiden.
Und denken moͤcht ich noch vergangner Zeit,
Der Freunde meiner Jugend noch, der theuern,
Die fern in Hellas frohen Staͤdten ſind,
Des Bruders auch, der mir geflucht — ſo mußt'
Es werden. — Laß mich izt; wenn dort der Tag
Hinunter iſt, ſo ſieheſt du mich wieder.

[]

Appendix A

Verbeſſerungen.


Seite 1Zeile 2lies: σοφοι
- 10- 4v. u. l. ſchreckt'
- 21- 9l. beſiegt,
- 22- 10l. ſtill
- 27- 2l. eigenen
- 28- 3v. u. l. der Sehende!
- 29- 11l. Denn
- ebd.- 2v. u. l. Jedem trauend,
- 31- 10l. jammre
- 40- 2l. ſchöneren
- 43- 3l. ſchweigt
- ebd.- 6l. des Walds
- 46- 5v. u. l. Wandrer
- ebd.- 3v. u. l. denn
- 47- 3l. raucht
- ebd.- 4v. u. l. blühet
- 50- 4v. u. l. unſern Zaun
- 55- 2l. jüngern
- 59- 3l. kenneſt
- 60- 4v. u. l. eurer
- 62- 2v. u. l. goldenen
- 70- 6l. Wo ſie des
- 71- 4v. u. l. Haus (ohne ;)
- 73- 12, 13, 14ſtatt der . ſind , zu ſetzen.
- 78- 2l. verſtehn
- 85- 11l. Da auf der Inſeln ſchönſter
- 86- 11l. Und glänzt' auch,
- 89- 3v. u. l. Ein andres!
- 92- 12l. Bergeshöh'n
- 134- 7l. Wo du
- 134- 9l. ſanftmuthathmende
- 137- 7l. Satt gehn
- 141- 14l. der geehrte,
- 142- 3l. Haus gruͤn
- 143- 18l. Landes,
- ebd.- 2v. u. l. hieher ward, hier in die Ebne,
das Gut
- 144- 1l. Landesleuten
Seite 145Zeile 9lies: empor ziehet
- ebd.- 12l. Menſch,
- ebd.- 20l. unter
- 146- 11l. nur
- 148- 3l. treulich
- 156- 14l. Aus der Woge
- 158- 6l. MeeresfluthEbnen
- 160- 8l. Ceos
- 163- 4l. nimmer
- 177- 2v. u. l. Halle
- 183- 2l. Suevin,
[][][][]
Notes
*)
Horaz Epod. 16, v. 39 sqq.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmqh.0