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Titan



Zweiter Band.


Berlin,: 1801.
In der Buchhandlung des Commerzien-Raths
Matzdorff.
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Zehnte Jobelperiode.

Roquairols advocatus diaboli — der Feiertag der
Freundſchaft.


53. Zykel.

Nicht nach den Kinderjahren, ſondern nach
der Jünglingszeit würden wir uns am ſehn¬
ſüchtigſten umkehren, wenn wir aus dieſer ſo
unſchuldig wie aus jenen herkämen. Sie iſt
unſer Lebens-Feſttag, wo alle Gaſſen voll
Klang und Putz ſind und um alle Häuſer gold¬
ne Tapeten hängen, und wo Daſeyn, Kunſt
und Tugend uns noch als ſanfte Göttinnen
mit Liebkoſungen locken, die uns im Alter als
ſtrenge Götter mit Geboten rufen! — Und
in dieſer Zeit wohnt die Freundſchaft noch im
Titan II. A[2] heiter ofnen griechiſchen Tempel, nicht wie ſpä¬
ter in einer engen gothiſchen Kapelle.


Herrlich und reich ſchimmerte jetzt um Al¬
bano das Leben mit Inſeln und Schiffen be¬
deckt; er hatte die ganze Bruſt voll Freund¬
ſchaft und Jugend, und durfte die drängende
Kraft der Liebe, die auf Isola bella an einer
Statue, am Vater zurückprallte, nun ungebän¬
digt und fröhlich auf einen Menſchen ſtürmen
laſſen, der ihm völlig ſo erſchien, wie ihn der
Jünglingstraum entwirft. Er konnte kei¬
nen Tag von Karl laſſen — er deckte ihm
ſeine Seele auf und ſein ganzes Leben (nur
Lianens Name ſtieg tiefer in ſein Herz zu¬
rück) — alle Vorbilder der Freundſchaft unter
den Alten wollt' er nachbilden und erneuern
und alles thun und leiden für ſeinen Gelieb¬
ten — ſein Daſeyn war jetzt ein Doppelchor,
er trank jedes Glück mit zwei Herzen, ſein Le¬
ben ſchloß ein doppelter Himmel in lauter
Äther ein.


Als er am andern Tage die befreundete
feſte Geſtalt antraf, die ihm aus dem nächt¬
lichen Specktakelſtück der Geiſterwelt übrig ge¬
[3] blieben war, wie ein blaſſer Mond aus den
weggelöſchten Sternen der Nacht; und als er
ſie ſo kahlköpfig und bleich fand — wie die
feurige Ätnas-Rauchſäule am Tage grau auf¬
ſteigt —: ſo ſah er gleichſam den vorigen Selbſt¬
mörder vor ſich ſtehen, freier, aber deſto wär¬
mer reicht' er dem einſamen Weſen, das nach
dem Sprunge über das Leben nur noch auf
ſeinem Grabe wie auf einem fernen Eiland
wohnte, die Hand hinüber. Andere ziehen ſie
eben darum weg; der geſtörte Selbſtmörder,
der das ſchöne feſte Leben durchriſſen, kehrt
aus ſeiner Todesſtunde als ein fremder unheim¬
licher Geiſt zurück, dem wir nicht mehr trauen
können, weil er in ſeiner Ungebundenheit jede
Minute das wegwerfende Spiel mit der Men¬
ſchengeſtalt wieder treiben kann.


Daher ſah Albano im chaotiſchen Leben
des Hauptmanns nur die Unordnung eines
Weſens, das einpackt und auszieht. Als er das
erſtemal in deſſen Sommerſtube trat, ſo hatt'
er freilich darin eine Bedienten- eine theatra¬
liſche Anziehſtube und ein Offizierszelt auf ein¬
mal vor ſich. Auf der Tafel lagen verworrene
A 2[4] Völkerſchaften von Büchern, wie auf einem
Schlachtfeld, und auf Schillers Tragödien das
hippokratiſche Geſicht von der Redoute, und
auf dem Hofkalender eine Piſtole — das Bü¬
cherbrett bewohnte die Degenkuppel neben ih¬
rer Seifenkugel aus Kreide, ein Schokolade¬
querl, ein leerer Leuchter, eine Pomadebüchſe,
Fidibus, das naſſe Handtuch und die einge¬
trocknete Mundtaſſe — das Glashaus der aus¬
gelaufenen Standuhr, und der Waſch- und der
Schreibtiſch ſtanden offen, auf welchem letztern
ich mit Erſtaunen umſonſt nach Unterlage und
Streuſand ſuche — der Pudermantel lehnte ſich
in der Ottomanne zurück und ein langes Hals¬
tuch ritt auf dem Ofenſchirm, und das Hirſch¬
geweihe an der Wand hatte zwei Federhüte
aufs rechte und linke Ohr geſchoben — Briefe
und Viſitenkarten waren wie Schmetterlinge
an die Fenſtervorhänge geſpießet. Ich wäre
nicht fähig, darin ein Billet zu ſchreiben, ge¬
ſchweige einen Zykel.


Giebt es aber nicht ein ſonnenhelles freiflat¬
terndes Alter, wo man alles gerne ſieht, was
reiſefertige Unruhe, Abbrechen der Zelte und
[5] Nomadenfreiheit verkündigt, und wo man mit
Dank in einem Reiſewagen haushielte und darin
ſchriebe und ſchliefe? Und hält man nicht in
dieſen Jahren gerade eine ſolche Studentenſtube
für geiſtiges Studentengut des Genies und je¬
des Chaos für ein infuſoriſches voll Leben?
Man gönne meinem Helden dieſe irrende Zeit;
es hielt ihn doch etwas Edles in ſeiner Natur
zurück, aus einem Lobredner ein Nachahmer
zu werden.


Wie nach einem weggeſchmolznen Nach¬
winter auf einmal die grüne Erdendecke in
Blumen und Blüten hoch aufflattert, ſo fuhr
in der warmen Luft der Freundſchaft und
Phantaſie auf einmal Albanos Weſen üppig
blähend und grünend aus. Karl hatte und
kannte alle Zuſtände des Herzens, er erſchuf
ſie ſpielend in ſich und andern, er war ein
zweites Sanenland, das alle Klimate von
Frankreich bis Nova Sembla beherbergt, und
worin eben darum jeder ſeines findet; er war
für andere alles, wiewohl für ſich nichts. Er
konnte ſich in jeden Karakter werfen, wiewohl
ihm eben darum zuweilen einkam, blos den be¬
[6] quemſten durchzuſetzen. Die Gurt- Bruſt-
Schwanz- und Sattelriemen des höfiſchen, klein¬
ſtädtiſchen und bürgerlichen Lebens hatte ſein
Buzephalus längſt abgeſprengt; und wenn ſich
der Graf jeden Tag über den Sprach-Lauf¬
zaum des Lektors ärgerte, der alles richtig
ſagte, Kanaſter ſtatt Knaſter, Juften ſtatt
Juchten, funfzig ſtatt fufzig, und barbieren,
(welches R ich ſelber für eine dumme Härte
halte): ſo war Roquairol ein Freidenker bis
zum renommiſtiſchen Freiredner, und ſprach nach
ſeinem eignen Ausdruck, der zugleich das Bei¬
ſpiel war, „von der Leber und vom Maule
„weg“. Dem Grafen klebte zu ſeinem Ver¬
druß eine gewiſſe epiſche von Büchern anerzo¬
gene Sprach-Würde an. Sie überdachten und
verwünſchten oft mit einander das erbärmliche
Glazen-Leben, das man hätte, wenn man, wie
der Lector, als ein wohlgewachſener Staatsbür¬
ger von Extrakzion dahin lebte, Konduite und
einen ſaubern Anzug hätte, und hübſche nicht
unebene Kenntniſſe von mehreren Fächern und
zur Erholung ſeinen Tiſchwein und Geſchmack
an treflichen Maler- und andern Meiſtern, und
[7] wenn man zu höhern Poſten avancirte, blos
um von da aus zu noch höhern aufzuſteigen,
und man ſo nach allem dieſen ſich friſiert und
gewaſchen in den Sarg ſtreckte, damit doch die
gigantiſche Körperwelt ihren Peſtizer auch der
erhabenen Geiſterwelt einhändige. — — Nein,
ſagte Albano, lieber wirf eine ſchwarze Berg¬
kette von Schmerzen ins platte Leben, damit
nur eine Ausſicht daſteht und etwas Großes. —


Aber Roquairol war nicht der, der er ihm
ſchien; — die Freundſchaft hat ihre Täuſchun¬
gen wie die Liebe — und oft wenn er dieſen
liebestrunknen hochherzigen Jüngling mit keu¬
ſchen Mädgenwangen und ſtolzer Männerſtirn,
der ein ſolches Vertrauen auf ſeine wankende
Seele ſetzte, und deſſen Herz ſo weit offen
ſtand und an deſſen Phantaſie ſogar, er die
Heiligkeit beneidete, lang anblickte: ſo rührte
ihn die Täuſchung des Edeln bis zum Schmerz
und ſein Herz drängte ſich vor und wollte ihm
mit Thränen ſagen: Albano, ich bin deiner
nicht werth. Aber dann verlier' ich ihn; ſetzt'
er allemal hinzu; denn er ſcheuete die moraliſche
Orthodoxie und die Entſchiedenheit eines Man¬
[8] nes, der nicht wie ein Mädgen ſpielend zu er¬
zürnen und wieder zu gewinnen war.


Und doch kam der wichtige Tag für beide,
wo ers that. Wie hätt' er je der Phantaſie
widerſtanden, da er nur durch Phantaſie wi¬
derſtand? — Ich thu' ihm halb Unrecht; hö¬
ret den beſſern Engel, der ſeinen Mund auf¬
ſchloß.


Roquairol iſt ein Kind und Opfer des Jahr¬
hunderts. Wie die vornehmen Jünglinge un¬
ſerer Zeit ſo früh und ſo reich mit den Roſen
der Freude überlaubt werden, daß ſie wie die
Gewürz-Inſulaner den Geruch verlieren und
nun die Roſen zum Sybariten-Polſter unter¬
betten, Roſenſyrup trinken und in Roſenöl ſich
baden bis ihnen davon nichts zum Reiz mehr
daſteht als die Dornen: ſo werden die mei¬
ſten — und oft dieſelben — von ihren philan¬
thropiſchen Lehrern anfangs mit den Früchten
der Erkenntniß vollgefüttert, daß ſie bald nur
die honigdicken Extrakte begehren, dann den
Apfel-Wein und Birnmoſt davon, bis ſie ſich
endlich mit den gebrannten Waſſern daraus
zerſetzen. Haben ſie noch dazu wie Roquairol
[9] eine Phantaſie, die ihr Leben zu einem Naphtha¬
boden macht, aus welchem jeder Fußtritt Feuer
zieht: ſo wird die Flamme, worein die Wiſſen¬
ſchaften geworfen werden, und die Verzehrung
noch größer. Für dieſe Abgebrannten des Le¬
bens giebt es dann keine neue Freude und keine
neue Wahrheit mehr und ſie haben keine alte
ganz und friſch; eine vertrocknete Zukunft voll
Hochmuth, Lebensekel, Unglauben und Wider¬
ſpruch liegt um ſie her. Nur noch der Flügel
der Phantaſie zuckt an ihrer Leiche.


Armer Karl! — Du thateſt noch mehr!
Nicht blos die Wahrheiten, auch die Empfin¬
dungen antizipierte er. Alle herrliche Zuſtände
der Menſchheit, alle Bewegungen, in welche
die Liebe und die Freundſchaft und die Natur
das Herz erheben, alle dieſe durchgieng er
früher in Gedichten als im Leben, früher
als Schauſpieler und Theaterdichter denn als
Menſch, früher in der Sonnenſeite der Phan¬
taſie als in der Wetterſeite der Wirklichkeit;
daher als ſie endlich lebendig in ſeiner Bruſt
erſchienen, konnt' er beſonnen ſie ergreifen,
regieren, ertödten und gut ausſtopfen für
[10] die Eisgrube der künftigen Erinnerung. Die
unglückliche Liebe für Linda de Romeiro, die
ihn ſpäter vielleicht geſtählet hätte, öfnete ſo
früh alle Adern ſeines Herzens und badete es
warm im eignen Blute; er ſtürzte ſich in gute
und böſe Zerſtreuungen und Liebeshändel, und
ſtellte Hinterher alles auf dem Papier und
Theater wieder dar, was er bereuete oder ſeg¬
nete; und jede Darſtellung höhlte ihn tiefer
aus, wie der Sonne von ausgeworfenen Wel¬
ten die Gruben blieben. Sein Herz konnte die
heiligen Empfindungen nicht laſſen, aber ſie
waren eine neue Schwelgerei, höchſtens ein
Stärkungsmittel (ein tonicum); und gerade
von ihrer Höhe lief der Weg zu den Sümpfen
der unheiligſten abſchüſſiger. Wie im dramati¬
ſchen Dichter engelreine und ſchmutzige Zuſtände
nebeneinander ſtehen und folgen, ſo in ſeinem
Leben; er fütterte wie in Curinam die Schweine
mit Ananas; gleich den ältern Giganten, hatt'
er hebende Flügel und kriechende Schlangenfüße.


Unglücklich iſt die weibliche Seele, die ſich in
ein ſo großes mitten im Himmel aufgeſpanntes
Gewebe verfliegt; und glücklich iſt ſie, wenn ſie
[11] ſich unvergiftet durchreiſſet und blos die Bie¬
nenflügel beſchmutzt. Aber dieſe allmächtige
Phantaſie, dieſe ſtrömende Liebe, dieſe Weich¬
heit und Stärke, dieſe erobernde Beſonnenheit
wird jede weibliche Pſyche mit Geſpinnſten über¬
ziehen, ſobald ſie nicht die erſten Fäden weg¬
ſchlägt. — Könnt' ich euch warnen, arme
Mädgen, vor ſolchen Kunturs, die mit euch in
ihren Krallen auffliegen! Der Himmel unſerer
Tage hängt voll dieſer Adler. Sie lieben euch
nicht, aber ſie glauben es; weil ſie wie die
Seeligen in Muhammeds Paradies ſtatt der
verlornen Liebes-Arme nur Fittiche der Phan¬
taſie haben. Sie ſind gleich großen Strömen
nur am Ufer warm und in der Mitte kalt.


Bald Schwärmer, bald Libertin in der
Liebe, durchlief er den Wechſel zwiſchen Aether
und Schlamm immer ſchneller bis er beide ver¬
miſchte. Seine Blüten ſtiegen am lakierten
Blumenſtabe des Ideals hinauf, der aber far¬
benlos im Boden verfaulte. Erſchreckt, aber
glaubt es, er ſtürzte ſich zuweilen abſichtlich in
die Sünde und Marter hinab; um ſich drun¬
ten durch die Wunden der Reue und Demuth
[12] den Schwur der Rückkehr tiefer einzuſchneiden;
wie etwan die Aerzte (Darwin und Sydenham)
behaupten, daß ſtärkende Mittel (China,
Stahl, Opium) kräftiger wirken, wenn vorher,
ſchwächende (Aderlas, Brechmittel ꝛc.) ver¬
ſchrieben worden.


Aeuſſere Verhältniſſe hätten ihm vielleicht
etwas helfen können und das Gelübde der Ar¬
muth hätt' ihm die beiden andern erleichtert;
hätte man ihn als Neger verkauft, ſein Geiſt
wäre ein freier Weiſſer und ein Arbeitshaus
ihm ein Purgatorium geworden. Daher ga¬
ben die erſten Chriſten den Beſeſſenen immer
Geſchäfte, z. B. Kirchenausfegen *) u. ſ. w.
Aber das müßige Offiziersleben arbeitete ihn
blos noch eitler und kecker aus.


So ſtand es in ſeiner Bruſt, als er an Al¬
banos ſeine kam — Liebe ſchwelgeriſch aufja¬
gend, aber blos um mit ihr zu ſpielen — mit
einem unwahren Herzen, deſſen Gefühl mehr
lyriſches Gedicht als wahres dichtes Weſen iſt —
[13] unfähig, wahr, ja kaum falſch zu ſein, weil jede
Wahrheit zur poetiſchen Darſtellung artete und
dieſe wieder zu jener — leichter vermögend, auf
der Bühne und auf dem tragiſchen Schreibe¬
pult die wahre Sprache der Empfindung zu
treffen als im Leben, wie Boileau nur Tänzer
nachmachen konnte, aber keinen Tanz — gleich¬
gültig, verſchmähend und keck gegen das aus¬
geſchöpfte ſtofloſe Leben, worin alles Feſte
und Unentbehrliche, Herzen und Freuden und
Wahrheiten, zerſchmolzen herumſchwammen —
mit ruchloſer Kraft vermögend, alles zu wa¬
gen und zu opfern, was ein Menſch achtet,
weil er nichts achtete, und immer nach ſei¬
nem eiſernen Schutzheiligen umblickend, nach
dem Tode — an ſeinen Entſchlüſſen verzagend
und ſogar in ſeinen Irthümern ſchwankend —
aber doch nur des Stimmhammers, und
nicht der Stimmgabel der feinſten Moralität
beraubt und mitten im Brauſen der Leiden¬
ſchaft ſtehend im hellen Lichte der Beſonnenheit,
wie der Waſſerſcheue ſeinen Wahnſinn kennt
und davor warnt. — —


Nur Ein guter Engel war nicht mit den
[14] andern entflohen, die Freundſchaft. Zur Liebe
konnte ſich ſein ſo oft aufgeblähtes und zuſam¬
mengefallenes Herz ſchwer aufheben; aber die
Freundſchaft hatt' er noch nicht verſchwendet.
Seine Schweſter hatt' er bisher befreundet ge¬
liebt, ſo brüderlich, ſo ungehemmt, ſo wach¬
ſend! Und jetzt tritt ihm Albano glänzend-ge¬
waffnet entgegen! —


Anfangs ſpielt' er auch mit ihm lügend
wie mit ſich, in der Redoute und im Tartarus.
Er merkte bald, daß ihn der ländliche Jüng¬
ling vor eignen Strahlen falſch und geblendet
ſehe; aber er wollte lieber den Irrthum wahr¬
machen als benehmen. Die Menſchen — und
er — gleichen der Quelle der Sonne neben dem
Tempel des Jupiter Ammon, die am Morgen
nur kalt war, Mittags lau, Abends warm,
Mitternachts heiß; von den Tageszeiten hieng
er nun ſo ſehr ab — wie der rüſtige geſunde
Albano ſo wenig, der ſich daher vorſtellte, ein
großer Mann ſei den ganzen Tag vom Aufſte¬
hen bis zum Niederlegen gros, wie die Heral¬
diker dem Adler immer die Schwingen aus¬
ſpreizen — daß er ſelten am Morgen und mei¬
[15] ſtens abends zu Albano gieng, wenn die ganze
Girandole ſeiner Kräfte und Gefühle brannte
in dem Weingeiſt, den er vorher aus Flaſchen
zugegoſſen.


Aber kennt ihr die Arzenei des Beiſpiels,
die Heilkraft der Bewunderung und der ſeelen¬
ſtärkenden Achtung? „Es iſt ſchändlich von
„mir“ (ſagte Roquairol); „iſt er nicht ſo gläu¬
„big und offen und bieder? — Nein, die ganze
„Welt will ich belügen, nur ſeine Seele nicht! —“
Solche Naturen wollen die Verheerung der
Menſchheit durch Treue, gegen Einen vergüten.
Die Menſchheit iſt ein Sternbild, in welchem
Ein Stern oft die Hälfte des Bildes malet.


Von dieſer Stunde an ſtand ſein Entſchluß
der herzlichſten Beichte und Buße feſt; und Al¬
ban, vor welchem das Leben noch nicht in ei¬
nen Brei der Verweſung zerlief, ſondern ſich
feſt und ſcharf und organiſch zergliederte und
der nicht wie Karl klagte, daß ihn nichts recht
erpacke und alles nur luftig umſpühle, dieſer
ſollte deſſen kranken Wünſchen Jugend wieder¬
bringen und mit dem unwandelbaren Sinn des
reinen Jünglings und mit der Gefahr der Freund¬
[16] ſchaft wollte Roquairol ſich zwingen, dieſem
das Wort der fruchttragenden Bereuung zu
halten, das er ſich ſelber zu oft gebrochen.


Laſſet uns ihm folgen in den Tag, wo er
alles ſagt.

54. Zykel.

Einſt kam Albano ſchon Vormittags zum
Hauptmann, wo dieſer ſonſt nach ſeiner Sprache
noch „ein von geſtern herabgebranntes Licht¬
ſtümpfgen auf Stacheln“ war; aber heute
ſtand er brauſend-arbeitend wechſelnd am Pia¬
noforte und am Schreibepult und war wie ein
verdorrtes Infuſionsthiergen ſchon ſo früh der
Rege und Alte, weil Wein genug aufgegoſſen
war, nämlich viel. Voll Entzückung lief er
dem willkommnen Freunde zu. Albano bracht'
ihm von Falterle die kindiſchen Blätter der Liebe
(— denn der Exerzizienmeiſter hatte nicht den
Muth gehabt, ſie ins Feuer zu werfen), die er
aus Blumenbühl an das unbekannte Herz ge¬
ſchrieben. Karl wäre darüber bis zu Thränen
gerührt geworden, wär' er's — nicht ſchon vor
der Ankunft geweſen. Der Graf mußte da blei¬
ben — den ganzen Tag — und alles verſäu¬
men[17] men — es war ſein erſter unordentlicher Tag —
komiſch wars, wie ſich der ſonſt ſo unbändige,
aber einer langen Gewohnheit täglicher An¬
ſtrengungen dienſtbare Jüngling gegen die kurze
Meerſtille, worin er keine Schiffe trieb, wie ge¬
gen eine Sünde ſträubte.


Indeſſen wars himmliſch; der tiefliegende
Kindertag, der ihn ſonſt beflügelte, wenn das
Haus voll Gäſte war und er — wo er nur
wollte, kam wieder herauf; die Geſpräche ſpiel¬
ten und beſchenkten mit allem, was uns hebt
und bereichert; alle Kräfte waren ohne Ketten
und im trunknen Tanz. Genialiſche Menſchen
haben ſo viele Feſttage als andere Werkeltage
und daher ertragen jene ſo ſchwer einen Trivial-
und Schlendrians-Schalttag — und vollends
an ſolchen Jünglingstagen! — Wenn ihm Karl
tragiſche Gewitterwolken aus Shakeſpear, Göthe,
Klinger, Schiller vorführte und ſich das Leben
koloſſaliſch im dichteriſchen Vergrößerungsſpie¬
gel beſchauete: ſo ſtanden alle ſchlafenden Rie¬
ſen ſeines Innern auf, ſein Vater kam und ſeine
Zukunft, ſelber ſein Freund ſtand neu wie aus
jener glänzenden phantaſtiſchen Kinderzeit her¬
Titan II. B[18] ausgehoben da, wo er ſich ihn in dieſen Rol¬
len vorgeträumt, und in den innern Heldenzug
wurde ſogar die Wolke, die durch den Himmel
ſchwamm, und die über den Markt wegmar¬
ſchirende Wach-Truppe eingeſchichtet. Zu groß
erſchien ihm der Freund, weil er wie alle Jüng¬
linge noch von Schauſpielern und Dichtern
glaubte, daß ſie wie die Bergleute immer die
Metalle in den Leib bekommen, in denen ſie
arbeiten. Wie oft ſagten beide in der Jüng¬
lings-Metapher: „das Leben iſt ein Traum“
und wurden blos froher und wacher dadurch!
Der Greis ſagt es anders. Und die ſchwarze
Todespforte, an welche Karl ſo gern hinführte,
wurde vor dem Jünglingsauge eine Glasthür,
hinter welcher das helle goldne Zeitalter des
verſpäteten Herzens in unermeßlichen Auen lag.


Mädgen, bekenn' ich — da ihre Geſpräche
zerſtückter, faktiſcher, und weniger berauſchend
ſind — erſtehen ſtatt eines ſolchen Eden-Parks
einen hübſchen holländiſchen Garten gut zuge¬
ſchnitten von Krebs- und Damesſcheeren, und
(nachmit-) täglich dargereicht von der ſchwar¬
zen Stunde, die ihnen auf dem Kaffee- oder
[19] Theebrette das ſchmale ſchwarze Brett einiger
übeln Nachreden, ein paar neue daſitzende
Shalws, einen wohlgewachſenen Menſchen, der
mit einem Teſtamente oder Trauſchein vorbei¬
geht, und letztlich die Hofnung des häuslichen
Referats ſervirt. — Kommt zu den Jüng¬
lingen zurück!


Gegen Abend bekam der Hauptmann ein
rothes Billet. „Es iſt ganz gut!“ ſagt' er zur
Überbringerin und nickte. „Wird nichts daraus
„Madam!“ (ſagt' er, ſich gegen Albano keh¬
rend.) — „Bruder, wahre Dich nur gegen
„Eheweiber. Schnappe einmal zum Spaße
„nach einem rothen Schminkläppgen von ihnen:
„flugs ſchieben ſie Dir die Angelhaken in die
„Rückenhaut*). Der Haken ſieben ſind in
„meiner allein, wie Du ſie da ſiehſt, ſeßhaft.“
Das unſchuldige Kind Albano! Es nahm es
für etwas moraliſch-Großes, die Freundſchaft
von ſieben Eheweibern auf einmal zu behaup¬
ten und wäre froh in Karls Fall geweſen; er
B 2[20] konnte das Schlimme nicht finden, daß die
Freundinnen wie die Römer, der Viktoria (näm¬
lich uns) gern die Flügel abſchneiden, damit
die Gottheit nicht weiter fliege. —


An einem ſchönen Tag iſt nichts ſo ſchön
als ſein Sonnenuntergang; der Graf ſchlug
vor, ins Abendroth hinauszureiten und auf der
Höhe nach der Sonne zu ſchauen. Sie trabten
durch die Straßen; Karl zog bald vor einer
ſchönen Naſe, bald vor einem großen Augen¬
paar, bald vor durchſichtigen Stirnlocken den
großen ſchiefſitzenden Hut ab. Sie flogen in
die Lindenallee, die ſich mit einer bunten Lam¬
bris von Spazier — ſitzerinnen feſtlich putzte.
Ein großes feurig durchblickendes Weib ſchritt
im rothen Shawl und gelben Kleide durch das
weibliche Blumenbeet hoch wie die Blumengöt¬
tin; es war die Konzipientin des rothen Blat¬
tes; ſie war aber aufmerkſamer auf den ſchö¬
nen Grafen als auf ihren Freund. An allen
Wänden und Bäumen blühte das Roſenſpalier
des Abendroths. Sie brauſeten die weiſſe
Straße nach Blumenbühl hinauf — an beiden
Seiten ſchlug das goldgrüne Meer des Früh¬
[21] lings die lebendigen Wellen — eine geflügelte
Welt ruderte darin und die Vögel tauchten ſich
tief in die Blumen unter — hinter den Freun¬
den brannte die Sonne, und vor ihnen lag die
Blumenbühler Höhe ganz roſenroth. Oben
wandten ſie die Pferde gegen die Sonne, die
hinter den Kuppeln und Rauchſäulen der ſtolz¬
brennenden Stadt in fernen hellen Gärten ruhte.
Nahe gerückt lag die erleuchtete Erde um ſie
her und Albano konnte die weiſſen Statuen
auf Lianens Dach lebendig unter dem blühen¬
den Gewölk erröthen ſehen. Er drängte ſein
Pferd an das fremde, um die Hand auf Karls
Achſel zu drücken; und ſo ſahen ſie ſchweigend
zu, wie die liebevolle Sonne die goldne Wol¬
kenkrone ablegte und mit dem flatternden Laub¬
gewinde um die heiſſe Stirn ins Meer hinun¬
terzog. Und als es dämmerte auf der Erde
und glühte am Himmel und Albano ſich hin¬
über neigte und ſeinen Freund ans brennende
Herz herüberzog: ſo ſtieg das Abendgeläute in
Blumenbühl herauf — „und dort drunten,“
ſagte Karl mit ſanfter Stimme und kehrte ſich
hin, „liegt Dein friedlich Blumenbühl wie ein
[22] „ſtiller Kirchhof deiner Kindertage. — Wie
„ſind die Kinder glücklich, Albano, ach, wie
„ſind die Kinder glücklich!“ — „Sind wirs
„nicht?“ (antwortete er mit freudigen Thrä¬
nen) „Karl, wie oft ſtand ich auf den Höhen
„an Abenden wie dieſer und ſtreckte inbrünſtig
„meine kindiſchen Hände aus nach Dir und
„nach der Welt. — Nun hab' ichs ja alles.
„Wahrlich du haſt nicht Recht.“ — Aber er,
am brauſenden Ohrenklingen vergangner wei¬
ter Zeiten krank, blieb taub gegen das Wort
und ſagte: nur die Wiegenlieder, nur die zu¬
rücktönenden Wiegenlieder, ſchläfern die Seele
ein, wenn ſie heiß geweinet hat.


Stiller und langſamer ritten ſie zurück. Al¬
bano trug eine neue Welt der Liebe und der
Wonne in der Bruſt; und der Jüngling, — noch
nicht ein Schuldner der Vergangenheit, ſondern
ein Gaſt der Gegenwart — ſank, vom langen
Jubel des Tags ſüß abgeſpannt, in helldunkle
Träume unter, gleichſam ein hoher Raubvogel
ſtill auf entzückt-offnen Schwingen hängend.


„Wir wollen die ganze Nacht bei Ratto
bleiben.“ ſagte Karl in der Stadt.

[23]

55. Zykel.

Sie ſtiegen in Ratto's italieniſchen Keller
hinunter. Das Haus kam anfangs nach dem
Anblicke der weiten Natur dem Grafen wie
ein Felſenſtück darüber gewälzt vor — wiewohl
ja jedes Stockwerk unter architektoniſchen Laſten
liegt —, aber das ſchwere Gefühl des unterir¬
diſchen Zwingers vergas ſich bald und ſonder¬
bar klang in die welſche Grube das hohe Raſ¬
ſeln der Wagen herein. Der Hauptmann be¬
ſtellte einen Punch royal — — Wenn er ſo
fortfährt in ſeiner guten Feuerordnung und im¬
mer ein volles Gefäß im Hauſe hat als Löſch¬
anſtalt und die Schlangenſpritzen probirt: ſo
kann mein Buch nie der Vorwurf treffen,
daß man darin wie im Grandiſon zuviel Thee
konſumire, eher zuviel ſtarkes Getränk geht
auf.


Schoppe ſaß im welſchen Souterain. Er
liebte den Hauptmann nicht, weil ſein unver¬
ſöhnliches Auge an ihm zwei ihm herzlich un¬
leidliche Fehler auswitterte, „das chroniſche Ge¬
ſchwür der Eitelkeit und ein unheiliges Schlem¬
men und Praſſen in Gefühlen.“ Karl gab die
[24] Abneigung zurück; die heißeſten Wellen ſeines
Enthuſiasmus ſetzten ſogleich vor des Titular¬
bibliothekars Geſichte Eisſpieße an. Nur heute
nicht! — Er trank ſo hinlänglich vom Königs¬
puntſch — wovon ein Paar Gläſer durch alle
Köpfe des Briareus oder der lernäiſchen
Schlange durchbrennen konnten —, daß er dann
alles ſagte, ſogar das Fromme. „Bei Gott!
„(ſagt' er, ſich im Bethesda-Teich durch — Her¬
„ausſchöpfen heilend) da es doch Lumperei mit
„dem Beſſerwerden iſt, ſo ſollte man ſich etwas
„vor die Stirn drücken, damit der gehetzte Geiſt
„nur einmal loskäme von ſeinen Wunden und
„Sünden.“ — „Von Sünden? — (ſagte Schoppe)
„Läuſe und Bandwürmer der beſſern Art wer¬
„den allerdings aus meinem Gebiet auswan¬
„dern, wenn ich mich kalt mache; aber die
„ſchlimmen trägt mein innerer Menſch gewiß
„mit hinauf. Beim Henker! wer ſagt Euch
„denn, daß dort der ganze hieſige Armeſünders¬
„Kirchhof auf einmal als eine unſichtbare Kir¬
„che voll Märtyrer und Sokrateſſe einziehen
„werde und jedes Bedlam als eine Loge zum
„hohen Licht? — Ich dachte heute ans andere
[25] „Leben, als ich eine Frau auf dem Markte
„mit fünf Schweinchen ſah, die ſie jedes mit
„einem Strick am Bein, vor ſich her treiben
„wollte, die ihr aber wie elektriſche Strah¬
„lenbüſchel auseinander fuhren; jetzt ſchon,
„ſagt' ich, mit unſern wenigen Kräften und
„Wünſchen, die das kultivirende Säkulum im
quintuplo ſtellte, geht es uns ſchon ſo erbärm¬
„lich wie der Frau mit ihrer Kuppel, wenn
„wir nun vollends zehn und mehr neue Ferkel
„(da die zweite Welt wie ein Amerika doch neue
„Objekte und Wünſche bringen muß) an den
„Strick bekommen, wie will da der Ephorus
„amthieren? — Auf größere unbeſchreibliche
„Nöthen, Lehnsfrevel und Oppoſizionen mach'
„ich mich da gefaßt.“ Aber Roquairol war
in ſeiner rothen Lohe; er ſetzte ſich über Schoppe
und ſich hinweg und läugnete die Unſterblich¬
keit geradezu, um Schoppen zu parodiren: „ein
„einziger Menſch, (ſagt' er), glaubte ſeinet we¬
„gen allein ſchwerlich die Unſterblichkeit; aber
„da er mehrere ſieht, hat er Mitleiden und
„hält es der Mühe werth und glaubt, die zweite
„Welt iſt ein monte testaceo aus Menſchen¬
[26] „Scherben. Der Menſch kann Gott und dem
„Teufel künftig nicht näher kommen, als ers
„hier ſchon that; wie ein Wirthshausſchild iſt
„ſein Revers ſo bemahlt wie ſein Avers — Aber
„wir brauchen die künſtliche Zukunft zur Ge¬
„genwart; wenn wir noch ſo ſtill ſchweben über
„unſerem Schlamm, ſo zappeln wir noch im¬
„mer wie ſtillliegende Karpfen, mit den poeti¬
„ſchen Floſſen und Flügeln. Daher müſſen wir
„den künftigen Paradieſesgarten ſo herrlich an¬
„ legen, daß nur Götter hineinpaſſen, aber ſo
„wie in Fürſtengärten, keine Hunde. Lumpe¬
„rei iſts! Wir ſchneiden uns verklärte Leiber
„zu, die den Soldatenröcken gleichen; Taſchen
„und Knopflöcher fehlen; welche Freuden
„können ſie denn faſſen? —“ Alban ſah ihn
ſtaunend an. „Weißt Du, Albano, was ich
„meine? — Juſt das Gegentheil.“ So leicht
wird der Phantaſie alles, auch Laune.


Jetzt wurd' er hinausgerufen. Er kam zu¬
rück mit einem rothen Billet. Er warf die
Halsbinde um — à la Hamlet war er da ge¬
ſeſſen — und ſagte zu Albano, in einer Stunde
flieg' er zurück. Unter der Schwelle ſtockt' er
[27] noch ſinnend, ob er weg ſolle; dann lief er
raſch die Treppe hinan.


In Albano floß der Freudenbecher, worein
der ganze Tag zugeſchüttet hatte, mit dem glän¬
zenden Schaume einer ſchalkhaften Laune über.
Beim Himmel! Die Scherzhaftigkeit ſtand ihm
ſo lieblich wie eine Rührung und er gieng oft
lange, ohne Sprechen, ſchalkhaft-lächelnd um¬
her, wie ſchlummernde Kinder lächeln, wenn,
wie man ſagt, mit ihnen Engel ſpielen.


Roquairol kam wieder mit ſonderbar em¬
pörten Augen; er hatte wild in ſein Herz hin¬
eingeſtürmt; er war ſchlecht geweſen, um zu
verzweifeln und unten auf dem Abgrund knieend
dem Freunde ſein Leben zu bekennen. Dieſer
ſo willkührliche Menſch lag unwillkührlich auf
den Windmühlen-Flügel ſeiner Phantaſie ge¬
flochten und wurde bald von der Windſtille ge¬
feſſelt, bald vom Sturme umgeſchleudert, den
er zu durchſchneiden glaubte. Er wurde nach
dem Beiſpiele der Feuerfreſſer, jetzt ein Feuer¬
ſäufer, in der unruhigen Erwartung, daß
Schoppe weiche. Dieſer wich endlich trotz Al¬
banos Bitte mit der Antwort: „kaufet die Zeit,
[28] „ſagte der Apoſtel, das heiſſet aber, friſtet
„euer Leben länger; das iſt die Zeit. Dazu
„fodern nun die beſten Kaufbuden der Zeit, die
„Apotheken, daß der Menſch nach dem Punch
royal zu Bette gehe und unmäßig ſchwitze.“ —


Wie wurd' es jetzt anders! — Da ihm Ze¬
ſara freudig um den Hals fiel — da der Ju¬
gend-Rauſch zu Liebesmelodieen wurde, wie der
Regen in der Höhle zu Derbyſhire von ferne
zu Harmonien — da dem Grafen ſüß, wie man
ſich ſchlummernd verblutet, das ganze Innere,
ſein ganzes voriges Leben von der Lippe floß
und alle Plane des künftigen, ſogar die ſtolze¬
ſten (nur der zärteſte nicht) — und da er ſich,
wie (nach der Burignon) Adam im Unſchulds-
Stand, ſo kryſtallen-durchſichtig vor das be¬
freundete Auge ſtellte, nicht aus Schwäche ſon¬
dern aus altem Drang und im Glauben, ſo
müſſe der Freund ſeyn: ſo traten dem unglück¬
lichen Roquairol helle Thränen der liebevoll¬
ſten Bewunderung über die ungeſchminkte Rein¬
heit und über die energiſche, gläubige, noch in
nichts ſchwankende Natur und über den faſt
zum Lächeln reizenden naiven hohen Ernſt des
[29] rothwangigen Jünglings in die Augen. Er
ſchluchzete an dieſer freudetrunknen Bruſt und
Albano wurde weich, weil er dachte, er ſei es
zu wenig und ſein Freund ſo ſehr.


„Hinaus, hinaus!“ ſagte Karl; und das war
lange Albano's Wunſch. Es ſchlug Ein Uhr,
als ſie auf der engen Kellertreppe die Sterne
des Frühlingshimmels oben an der Einfahrt des
Schachtes blitzen ſahen. Wie friſch quoll die
eingeathmete Nacht über die heiſſen Lippen! —
Wie feſt bauete ſich über die flüchtigen Zeltgaſ¬
ſen der Stadt die Welt-Rotunda mit ihren feſten
Sternenreihen dahin! Wie erquickte und er¬
weiterte ſich das feurige Auge Albanos an den
Rieſenmaſſen des dämmernden Frühlings, an
dem unter dem durchſichtigen Mantel der Nacht
ſchlummernden Tag! Zephyre, die Schmetter¬
linge des Tags, flatterten ſchon um ihre lieben
Blumen und ſogen aus den Blüten und trugen
Weihrauch für den Morgen ein, eine ſchlaf¬
trunkne Lerche fuhr zuweilen in den ſtillen Him¬
mel hinauf mit dem lauten Tage in der Kehle,
über die dunkeln Auen und Stauden war ſchon
der Thau gegoſſen, deſſen Juwelenmeer vor
[30] der Sonne entbrennen ſollte und in Norden
wehten die Purpur-Wimpel der Aurora, die
gen Morgen ſchifte. — — Erhebend faßte der
Gedanke den Jüngling an, daß nun dieſelbe
Minute Millionen kleine und lange Leben
meſſe und den Gang der Minirraupe und den
Flug der Sonne und daß jetzt dieſelbe Zeit
durchlebet werde vom Wurm und von Gott,
von Welten zu Welten, — überall. — „O
„Gott,“ rief er, „wie herrlich iſts, daß man
„iſt!“


Karl klebte blos mit dem hängenden ſchwe¬
ren Gefieder des Nachtvogels an den heitern
Geſtirnen um ihn: „wohl Dir,“ ſagt' er, „daß
„Du ſo ſeyn kannſt und daß die Sphinx in dei¬
„ner Bruſt noch ſchläft. Du weißt nicht, was
„ich will. Ich kannte einen Elenden, der ſie
„recht gut ſchildern konnte. In der Bruſthöhle
„des Menſchen,“ ſagt' er, „liegt das Unge¬
„heuer mit aufgehobenem Madonnengeſicht auf
„ſeinen vier Tatzen und lächelt eine Zeitlang
„umher und der Menſch mit. — Plötzlich ſpringt
„es auf, gräbt die Krallen in die Bruſt, zer¬
„ſchlägt ſie mit dem Löwenſchweif und den har¬
[31] „ten Flügeln und wühlt, drängt und tobt und
„überall rinnt Blut an der zerritzten Bruſthöh¬
„le. — Auf einmal legt es ſich blutig wieder hin
„und lächelt wieder fort mit dem ſchönen Ma¬
„donnenangeſicht. O er ſah ganz blutlos aus,
„der Elende, weil das Thier ſo von ihm zehrte
„und durſtig an ſeinem Herzen leckte.“


„Gräulich! (ſagte Albano) „und doch ver¬
„ſteh' ich Dich nicht ganz.“ — — Der Mond
hob jetzt ſich und eine finſter an ſeinen Seiten
gelagerte Wolken - Heerde empor und zog ei¬
nen Sturmwind nach, der ſie unter die Sterne
jagte. Karl fuhr wilder fort: „Anfangs hatt'
„es der Elende noch gut, er hatte noch derbe
„Schmerzen und Freuden, rechte Sünden und
„Tugenden; aber als das Unthier immer ſchnel¬
„ler lächelte und zerriß und er immer ſchneller
„Luſt und Pein, Gutes und Böſes wechſelte;
„und als Gottesläſterungen und Rothbilder in
„ſeine Gebete krochen und er ſich weder bekeh¬
„ren noch verſtocken konnte: da lag er in öder
„Verblutung in der lauen, grauen, trocknen
„Nebel-Maſſe des Lebens da und ſtarb ſo
„durch das Leben fort. — “

[32]

„Warum weineſt Du? Kennſt Du den
„Elenden?“ — „Nein,“ ſagte Albano mild. —
„Ich bins!“ — „Du?— ſchrecklicher Gott,
„Du nicht!“ — „O, ich bins; und wenn Du
„mich auch verachteſt, Du wirſt was ich...
„Nein, mein Unſchuldiger, ich ſag' es nicht.
„Sieh, jetzt ſteht die Sphinx wieder auf. O
„bete mit mir, hilf mir, daß ich nicht ſündigen
„muß, nur nicht muß. Ich muß ſaufen, ich
„muß verführen, ich muß heucheln — ich
„heuchle jetzt —“ Zeſara ſah das ſtarre Auge,
das bleiche zerriſſene Geſicht und ſchüttelte lie¬
bend-entrüſtet ihn mit beiden Armen und ſtam¬
melte gerührt: „das iſt beim Allmächtigen nicht
„wahr; Du biſt ja ſo ſanft und blas und un¬
„glücklich unſchuldig.“ —


„Roſenangeſicht (ſagte Karl), ich ſcheine
„Dir rein und hell wie der dort droben *),
„aber er wirft wie ich den langen Schatten gegen
„den Himmel hinauf.“ — Zeſara ließ ihn los,
ſah lange nach dem erhabnen dunklen wie ein
Lei¬[33] Leichenzug um das Elyſium haltenden Tartarus
und drückte bittere Thränen weg, die über die
Erinnerung floſſen, daß er darin ſeinen erſten
Freund gefunden, der ſich jetzt neben ihm auf¬
löſe. Da brach der Nachtwind eine von der
Waldraupe getödtete Tanne daraus ab und
Albano zeigte ſtumm auf die Niederbrechende;
Karl rief erſchrocken: „ja, das bin ich!“ —
„Ach Karl, hab' ich Dich denn heute verloren?“
ſagte der ſchuldloſe Freund mit unendlichem
Schmerz und die ſchönen Sterne des Frühlings
fielen wie ziſchende Funken in ſeine Wunde.


Vor dieſem Worte löſete ſich Karls ge¬
ſpanntes Herz in treue gute Thränen, ein hei¬
liger Geiſt kam über ihn und gebot ihm, die
reine Seele nicht zu quälen mit ſeiner, ihr nicht
den Glauben zu nehmen, ihr das wilde Ich
und jede Eigenſucht ſtumm zu opfern. Sanft
legt' er ſich an des Freundes Herz und mit
zauberiſch leiſen Worten und voll Demuth und
ohne Feuerbilder ſagt' er ihm ſein ganzes Herz —
und daß es nicht böſe ſey, ſondern nur unglück¬
lich und ſchwach — und daß er nur ſo herzlich-
aufrichtig gegen ihn, der zu gut von ihm
Titan II. C[34] denke, habe ſeyn müſſen wie gegen Gott —
und daß er ſchwöre bei der Stunde des Todes,
zu werden wie er, ihm ewig alles zu bekennen,
ſich zu heiligen an ihm — „Ach ich wurde
„nur noch ſo wenig geliebt!“ beſchloß er. —
Und Albano, der liebestrunkne, glühende Menſch,
der gute Menſch, der an ſich die heiligen Über¬
treibungen der Reue kannte und der dieſe Be¬
kenntniſſe für jene hielt, kehrte begeiſtert in den
alten Bund zurück mit Liebe ohne Maaß.
„Du biſt ein warmer Menſch! (ſagte Karl)
„Warum liegen denn die Menſchen immer wie
„die Todten auf den, Bernhardus-Berg *) ein¬
„ander erfroren an der Bruſt, mit ſteifem Aug',
„mit ſtarren Armen? — O warum kameſt
„Du ſo ſpät zu mir? Ich wäre anders ge¬
„worden. Warum kam jene **) ſo früh? —
„Dort im Dorfe drunten an der engen niedri¬
„gen Kirchthüre, da ſah ich Sie zuerſt, durch
[35] „die mein Leben zur Mumie ward. Wahrlich
„ich ſpreche jetzt gefaſſet. Man trug vor mir
„her, als ich heraus ſpatzieren gieng, einen lei¬
„chen-weiſſen Jüngling auf einer Bahre in den
„Tartarus; es war nur eine Statue, aber ſie
„war das Ebenbild meiner Zukunft. Ein böſer
„Genius ſagte zu mir: liebe die Schöne, die
„ich Dir zeige. Sie ſtand an der Kirchthüre
„von Kirchleuten umzingelt, die ſich über die
„Kühnheit wunderten, womit ſie mit beiden
„Händen eine ſilbergraue züngelnde Schlange
„annahm und wog. Wie eine kühne Göttin
„ſenkte ſie die feſte ebene Stirn, das ſchwarze
„Auge, die Roſenblüthen ihres Angeſichts auf
„den von der Natur platt getretnen Otterkopf
„und ſpielte damit dicht an ihrem Herzen.
„„Kleopatra!“ ſagt' ich, obwohl ein Knabe.
„Auch ſie verſtand es ſchon, blickte ruhig und
„kalt von der Schlange auf und gab ſie zu¬
„rück und wandte ſich um. O an meine junge
„Bruſt warf ſie die erkältende Leben-freſſende
„Viper. — Aber wahrlich jetzt iſts vorbei und
„ich ſpreche ruhig. Nur in den Stunden, Alba¬
„no, wo mir aus jener Nacht meine blutigen
C 2[36] „Kleider, die meine gute Schweſter aufgeho¬
„ben, zu Geſichte kommen, da leid' ich mehr
„und frage: armer gutmeinender Knabe, war¬
„um wurdeſt Du denn älter? Aber wie ge¬
„ſagt, es iſt ganz vorbei. Zu Dir, nur zu
„Dir ſpreche ein beſſerer Genius: liebe die
„Schöne, die ich Dir zeige!“ —


Aber welche Welt von Gedanken flog jetzt
auf einmal Albano zu! „Er martert (dacht'
„er,) mit dem alten Argwohne über Romeiro
„fort — ich will Herz gegen Herz öffnen und
„es dem guten Bruder ſagen, daß ich ja ſeine
„Schweſter ewig liebe.“ — Seine Wangen
glühten, ſein Herz flammte, er ſtand prieſter¬
lich vor dem Altare der Freundſchaft mit der
ſchönſten Gabe, mit der Aufrichtigkeit. „O
„jetzt, Karl,“ ſagt' er, „wäre ſie wohl anders
„gegen Dich — mein Vater reiſet mit ihr und
„Du wirſt ſie ſehen.“ — Er gieng Hand in
Hand ſchneller mit ihm einer dunklen Baum¬
gruppe zu, um im Schatten die zart-erröthen¬
de Seele zu öffnen. „Nimm mein theuerſtes
„Geheimniß hin, (fieng er an) — aber ſprich
„nicht davon — und nicht mit mir— erräthſt
[37] „Du es nicht, mein erſter Bruder? die Seele
„nicht, die ich ſo lange liebte wie Dich?“ —
Leiſe, leiſe ſetzte er dazu: „Deine Schweſter?“
und ſank ihm auf den Mund, um die erſten
Laute wegzuküſſen.


Aber Karl, im Aufruhr des Entzückens
und der Liebe wie eine Erde bei dem Aufgange
des Frühlings, bändigte ſich nicht; er preßte
ihn an ſich; er ließ ihn los; er umfaßte ihn
wieder, er weinte ſeelig, er drückte Albanos
Augen zu und ſagte neu-verſchwiſtert: Bruder!
Vergeblich wollte Albano mit der Hand jede
andere Sylbe auf ſeinen Lippen erdrücken. Er
fieng vor dem betroffenen Jüngling — der un¬
ter der einſamen und poetiſchen Bücherwelt eine
höhere Zartheit gewonnen als die Wirklichkeit
des Umgangs lehrt — Lianen abzumalen an,
wie ſie dulde und handle, wie ſie für ihn ſorge
und rede und ſogar verarme, um ſeine Schul¬
den zu tilgen; wie ſie ihn nie hart tadle, ſon¬
dern nur mild bitte, und alles das nicht aus
künſtlicher Duldung, ſondern aus heiſſer ächter
Liebe und wie doch das noch kaum das Bei¬
werk ihres Bildes ſey. Er war in ſeiner reinern
[38] Begeiſterung als ihn dieſer Abend zugelaſſen,
darum ſo ſeelig, weil er ſeine Schweſter unter
allen Menſchen am meiſten und uneigennützig¬
ſten und am freieſten von poetiſcher Schwelge¬
rei und Willkühr lieben konnte — ordentlich
dadurch geſtärkt, daß er einmal aus reiner hei¬
liger Liebe jauchzen dürfe, zog die Hände wie¬
der frei gemacht heraus, die bisher wie Milos
ſeine im Baum des Glücks und Lebens, den er
zerreiſſen wollte, eingeklemmt gefangen waren;
er athmete friſche Lebensluſt und Muth und
der Plan ſeiner innern Vollendung war jetzt
durch neues Glück und ſchönes Bewußtſeyn
hold geründet. —


Der Mond ſtand hoch, die Wolken waren
vertrieben, und nie gieng der Morgenſtern
zwei Menſchen heller auf.


[39]

Elfte Jobelperiode.

Stickrahmen — Anglaiſe — cereus serpens — mu¬
ſikaliſche Phantaſieen.


56. Zykel.

Freudig trug Roquairol am erſten Abende, da
er ſeinen Vater verreiſet wußte, zum Freunde
die Bitte, zur Mutter mitzugehen. Albano er¬
röthete zauberiſch über jene feurige Nacht zum
erſtenmale, die ihm das älteſte Geheimniß abge¬
drungen; denn bisher hatten beide in den ge¬
meinen Stunden des Lebens das Heiligthum
nicht wieder berührt. Nur der Hauptmann
konnte leicht und gern von Linda ſo wie von
jedem Verluſte ſprechen.


Liane erblickte ihren Bruder — den regie¬
renden Schöpfer ihrer weichſten Stunden —
allezeit mit herzlichſter Freude, ob er gleich mei¬
[40] ſtens etwas haben wollte, wenn er kam; vor
Freude trug ſie ihm das Buch, woraus ſie der
ſtickenden Mutter vorgeleſen, in der Hand ent¬
gegen. Sie und die Mutter hatten den ganzen
Tag heiter und einſam mit gegenſeitigem Ab¬
löſen in Sticken und Leſen verlebt; ſo oft der
Miniſter verreiſte, waren ſie zugleich von Un¬
friede und Viſiten-Chariwari frei. Wie ge¬
rührt erkannte Albano das Morgenzimmer wie¬
der, aus dem er das erſtemal das theuere Mäd¬
gen nur als Blinde in der Ferne zwiſchen Waſ¬
ſerbogen ſtehen ſehen! Die gute Liane nahm ihn
unbefangener auf, als er es durch Karls Einwei¬
hung in ſeine Wünſche bleiben konnte. Welche
paradieſiſche Miſchung von unberechneter Scheu
und überfließender Freundlichkeit, Stille und
Feuer, von Blödigkeit und Anmuth der Bewe¬
gung, von ſcherzender Güte, von ſchweigendem
Wiſſen! Dafür gebührt ihr der herrliche Beiname
Virgils, die jungfräuliche. In unſern Tagen
der weiblichen Krachmandeln, der akademiſchen
Kraftfrauen, der Hopstänze und Doublirmarſch¬
ſchritte im platten Schuh kommt der virgilia¬
niſche Titel nicht oft vor. Nur zehn Jahre
[41] lang (vom 14ten an gezählt) kann ich ihn ei¬
nem Mädchen geben; ſpäter wird es manirier¬
ter. Dreizehn und ſiebzehn Jahre zugleich iſt
gewöhnlich ein ſolches holdes Weſen alt.


Warum wareſt Du ſo reizend-unbefangen,
zarte Liane, als weil Du wie die Bourignon
nicht einmal wußteſt, was zu fliehen war und
weil Deine heilige Schuldloſigkeit noch das ver¬
dächtige Ausſpähen der entlegenſten Abſichten,
das an die Erde gebückte Behorchen des kom¬
menden Feindes und alle kokette Manifeſte
und Ausrüſtungen ausſchloß? — Die Männer
waren Dir noch gebietende Väter und Brüder;
und darum erhobeſt Du zu ihnen noch nicht
ſtolz, ſondern ſo freundlich das treue Au¬
genpaar! —


Und mit dieſem gütigen Blick und mit ih¬
rem Lächeln — deſſen Fortdauer oft auf männ¬
lichen
Geſichtern, aber nicht auf jungfräu¬
lichen
die Titelvignette der Falſchheit iſt —
nahm ſie unſern edeln Jüngling an, aber ihn
nicht allein.


Sie ſetzte ſich an den Stickrahmen; und
die Mutter ſchiffte den Grafen bald in das
[42] kühle Weltmeer allgemeiner Geſpräche ein, in
das nur zuweilen der Sohn eine grüne warme
Inſel herauf trieb. Alban ſah zu, wie Liane
ihre muſiviſchen Blumenſtücke wachſen ließ; wie
die kleine weiſſe Hand auf dem ſchwarzen At¬
lasgrunde (Froulays Thorax ſoll an ſeinem
Geburtstage die Blumen anziehen) lag, und
wie ihre reine Stirn, von gekräuſelten Haaren
durchſichtig überwebt, ſich vorbückte und wie
ſich ihr Angeſicht, wenn ſie ſprach oder wenn
ſie neue ſeidene Farben ſuchte, mit dem höhern
Feuer der Arbeit im Auge und auf der Wange
beſeelet aufrichtete. Karl ſtreckte ihr zuweilen
haſtig die Hand entgegen. Sie reichte ihre wil¬
lig hinüber, er legte ſie zwiſchen ſeine beiden
und wandte ſie um, ſah in die inwendige,
drückte ſie mit beiden und die Geſchwiſter lä¬
chelten einander liebreich an. Und da lächelte
Albano allemal treuherzig aus den Geſprächen
mit der Mutter mit herein. Aber armer Held! —
Schon an ſich iſts herkuliſche Arbeit, neben ei¬
ner feinen müßig zu ſitzen, neben Sticken, Mi¬
niaturmalen u. ſ. w.; aber vollends mit dei¬
nem Geiſte, der ſo viele Seegel nebſt einem
[43] Paar Stürmen hinter drein hat, unthätig ne¬
ben dem Stickrahmen zu ankern und nicht et¬
wan ein Herkules zu ſeyn, (das wäre leicht,)
welcher ſpinnt, ſondern einer, der nur ſpinnen
ſieht — und das vor dem großen Frühling und
Sonnenuntergange drauſſen — und noch dazu
neben der wortkargen Mutter (überhaupt iſts
ſchon neben jeder eine Unmöglichkeit, ein er¬
hebliches Geſpräch mit der Tochter einzulei¬
ten) — — das ſind ſchwere Sachen.


Er ſah ſcharf gegen die geſtickte Flora nie¬
der: „Mich ſchmerzt nichts ſo ſehr“ — ſagte
er, weil er überall philoſophierte und weil ihn
alles Vergebliche auf der Erde peinlich be¬
klemmte — „als das ſo viele tauſend künſtliche
„Zierrathen auf der Welt umſonſt geſchaffen
„werden, ohne daß ſie je ein Auge trifft und
„genießet. Mir kann es ordentlich nahe ge¬
„hen, wenn das grüne Blättchen hier nicht
„beſonders angeſehen wird.“ Mit derſelben
Trauer über fruchtloſe ungenoſſene Pflanzun¬
gen der Mühe hielt er oft ſein Auge nahe an
den Tapeten-Baumſchlag, an geblümte Zeuge,
an architektoniſche Verzierungen.


[44]

Liane konnt' es für einen maleriſchen Ta¬
del des überladenen Näh-Gartens nehmen, den
ſie blos ihrem Vater zu Liebe ſo voll ſäete —
denn Froulay, aus den Zeiten gebürtig, wo
man noch mit dem Kleide die Treſſen beſetzte,
knöpfte gern ein kleines Seiden-Herbarium an
den Leib —; aber ſie ſagte nichts als lächelnd
das: „Nun das Blättchen iſt dem böſen Schick¬
„ſal ja entgangen, es iſt angeſchaut.“


„Was thut Vergehen und Vergeblichkeit?“
(nahm Roquairol voll Gleichgültigkeit gegen
den Lektor, der eben hereintrat, das Wort und
voll Gleichgültigkeit gegen die Meinung der
Mutter, der wie dem Vater ihn nur die Bitten
der Schweſter zuweilen unterwarfen) „Genug,
„wenn etwas iſt. Über der Wüſte ſingen die
„Vögel und ziehen die Sterne und kein Menſch
„ſieht die Pracht. Wahrlich überall geht in und
„auſſer dem Menſchen mehr ungeſehen vorüber
„als geſehen. Die Natur ſchöpft aus ewigen
„Meeren und erſchöpft ſich nicht; wir ſind auch
„eine Natur und ſollen ſchöpfen und ausgie¬
„ßen und nicht immer bekümmert dem wäſſern¬
„den Nutzen jedes Strichregens und Regenbo¬
[45] „gens nachrechnen. — Sticke nur fort, Schwe¬
„ſter!“ beſchloß er ironiſch.


„Die Prinzeſſin kommt heute!“ ſagte der
Lektor und entzückt über die Hofnung küßte
Liane der Mutter die Hand. Sie ſah oft und
vertraulich von der Stickerei zu dem Hofmann
auf, der ſehr einheimiſch zu ſeyn ſchien, aber
als ein feiner Mann, eben ſo geehrt und eh¬
rend war, als ſteh' er zum erſtenmale da.


Die Anmeldung der Prinzeſſin ſetzte den
Hauptmann in eine reizende gelenke Freude;
eine weibliche Rolle war ihm zur Geſellſchaft
ſo nöthig wie den Franzoſen zur Oper, und
eine Frau, die da war, unterſtützte ihn ſo ſehr
im Doziren, wie Kant ein Knopf, der fehlte*).
Er nahm, um ſeine Schweſter von den Blu¬
men abzuführen, einer Statue auf dem Spie¬
geltiſche den rothen Flor ab und warf ihm, wie
ein kleines Morgenroth, den Lilien auf dem
Geſicht der Stickerin über; — da giengen die
[46] Thüren auf und Julienne herein — Liane ver¬
wickelte ſich in die kleine Morgenröthe unter
dem Abheben derſelben im Entgegeneilen. —
Albano reichte ihr mechaniſch die Hand zum
Empfange des Schleiers — und ſie gab ihm
dieſen und einen weiten lieben Blick dazu — —
o wie glänzte ſeiner trunken!


Julienne brachte ein Gefolge von Scherzen
mit. Der Hauptmann, der wie ein Feuerwer¬
ker, ſeinem Feuer alle Formen und Farben ge¬
ben konnte, verſtärkte ſie mit ſeinen; und ſeine
Schweſter ſäete gleichſam die Blumen, mit wel¬
chen die Zephyretten der Scherze ſpielen konn¬
ten. Julienne ſagte faſt zum Ja Nein und
zum Nein Ja. Nur gegen die Miniſterin war
ſie ernſt und nachgiebig, ein Zeichen, daß auf
ihrer Diſputir-Arena unter den Sandkörnern
noch die Goldkörner lagen, indeß für Philoſo¬
phen die Arena der Preis und der Boden iſt,
zugleich das Schlacht-, März- und elyſiſche Feld.
Den Grafen fixirte ſie leidenſchaftlich ſo kühn
als nur Fürſtinnen dürfen und pflegen; und
als er ihr wieder ins braune Auge blitzte,
ſchlug ſie es nicht nieder, ſondern ſie erinnerte
[47] ihn an ihren alten Beſuch in Blumenbühl und
fragte nach den Seinigen. Er machte jetzt gern
etwas, das ſo feurig war wie ſein Inneres —
Lobeserhebungen. Es iſt gegen den feinſten
Ton, Perſonen — Sachen darf man — mit
Heftigkeit zu loben oder zu tadeln. Indem er
mit dankbarer Erinnerung ſeine Schweſter Ra¬
bette malte: verſank Julienne ſo ernſt und tief
in ſein Auge, daß ſie auffuhr und den Lektor
nach den Touren der Anglaiſe fragte, die er in
der Redoute vorgetanzt. Als er ſein Beſtes
gethan im Nachſchildern: ſagte ſie, ſie habe kein
Wort verſtanden, man müſſ' es lieber exekutiren.


Und hiemit werden plötzlich ſämmtliche Le¬
ſerinnen von mir auf einen Hausball von zwei
Paaren geführt. Sehet die Seelenſchweſtern
neben einander wie zwei Flügel an Einer
Taube harmoniſch auf und nieder fliegen. Al¬
bano hatte erwartet, Julienne werde ſich durch
feuriges vielgelenkes Geflatter von dem ſtillen
Schweben ihrer Freundin unterſcheiden; aber
beide walleten gleich Wellen leicht neben und
in einander und keine Regung war zu viel und
keine zu ſchnell.


[48]

Daher wünſcht' ich ſo oft, die Mädchen
tanzten völlig und immer wie die Grazien und
die Horen — nämlich blos mit einander, nicht
mit uns Herren. Der jetzige Bund der weib¬
lichen Wellenlinie mit dem männlichen Schwal¬
benzickzack ſowohl in der Bekleidung als in
der Bewegung verſchönert den Tanz nicht
beträchtlich.


Liane nahm eine neue ätheriſche Geſtalt
an, wie etwan ein Engel unter dem Zurückflie¬
gen in den Himmel ſeine holde irdiſche weg¬
legt. Für die weibliche Schönheit iſt der Tanz¬
boden, was für unſere das Pferd iſt, auf bei¬
den entfaltet ſich der gegenſeitige Zauber und
nur ein Reiter holet eine Tänzerin ein. Glück¬
licher Albano! der du kaum von der dargebo¬
tenen Hand Lianens die Fingerſpitzen anzufaſ¬
ſen wagſt mit deinen! du bekommſt genug.
Und ſiehe nur dieſes freundliche Mädchen an,
deſſen Augen und Lippen die Charis ſo lachend
für den Tanz erheitert, und das doch wieder
ſo rührend erſcheinet, weil es ein wenig erblaſ¬
ſet! Wie verſchieden von jenen launiſchen oder
ungelenken Stiefſchweſtern, die, mit dem hal¬
ben[49] ben Kato von Uttika auf dem faltigen oder
geſpannten Geſichte, hopſen, abfallen und
ſchleifen. Julienne flieht freudig hin und her
und es iſt ſchwer zu ſagen, vor weſſen Augen
ſie am liebſten flattere, vor Lianens oder Al¬
bano's. —


Als es vorbei war: wollt' es Julienne wie¬
der von vornen anfangen — Liane ſah ihre
Mutter an — und bat ſogleich ihre Freundin
lieber um Abkühlung. Es iſt Vorwand! Eine
Freundin iſt gern einſam mit der Freundin; bei¬
de hatten ſich vor andern nur mit Herzen unter
dem Schleier lieb und trachteten nach der dunk¬
len Laube, wo er fallen durfte. Liane hatte
ordentlich eine liebende Ungeduld, bis ſie mit
ihrer Nebenſeele, ihrem Zwillingsherzen zeu¬
genfreie Minuten im Mai- und Abendgarten
hatte pflücken können. Sie kamen verändert
zurück, voll weichen Ernſtes. Die ſchönen We¬
ſen waren ſich vielleicht im Innerſten und im
Stillen ſo ähnlich wie im Tanze und mehr als
es ſchien.


Und ſo gieng vor dem Jüngling ein ſchön¬
geſtirnter Abend vorbei! Haltet ihm aber zu
Titan II. D[50] gute, daß er dieſen Blüthenſtrauß ſo feſt drückte
und faſſete, bis er einige Stacheln darin her¬
ausfühlte. Sein Herz, deſſen Liebe neben dem
fremden ſchmerzlich wuchs, mußte dieſes, ohne
ein Zeichen der Antwort, zugleich höher und
ferner finden. Ihre Liebe war Menſchenliebe
— ihr Lächeln galt jedem guten Auge — ſie
war ſo heiter — in Lilar kam ſie leicht in Rüh¬
rung und in allgemeine Betrachtungen; hier
aber nicht — freilich ſah ſie recht theilnehmend
auf den wild-liebenden Bruder hin, der ſeit
jener Beicht-Nacht gleichſam mit Eichenwur¬
zeln ſich um den Liebling ſtrickte; aber ihre
halbblinde Liebe für den Bruder konnte ja im
Trug des Wiederſcheins auf deſſen Freund nach¬
glänzen. — — Das Alles ſagte ſich der Be¬
ſcheidne. Aber was er im vollen Maaße der
Entzückung genoſſen hatte, war die ſo ſtei¬
gende, helle, zarte, ſtäte Liebe ſeines Seelen¬
bruders. — —

57. Zykel.

Ueber Lianens ſtille Geſinnung und Zeſa¬
rens Zukunft werd' ich nie Muthmaßungen an¬
ſtellen, ob ich ſie gleich vor ihrem Abdruck wie¬
[51] der wegſtreichen könnte. Ich erinnere mich,
was wir herausbrachten, wenn ich und andere
auf Hafenreffers offizielle Berichte über Sachen
von Belang vorher die Hände deckten und nun
mit bloßer Phantaſie entwickeln wollten, wie
es möchte gegangen ſeyn — — es war nicht
brauchbar. Und natürlich! Schon an und für
ſich haben die Weiber und ſpaniſchen Häuſer,
viele Thüren und wenige Fenſter und es
iſt in ihr Herz leichter zu kommen als zu
ſchauen. Vollends Mädchen! Ich meine, da
die Frauen ſowohl phyſiognomiſch als mora¬
liſch beſtimmter, kecker entwickelt und gezeichnet
ſind: ſo will ich lieber zehn Mütter als zwei
Töchter errathen, und mithin abkopiren. Die
körperlichen Portraitmaler klagen eben ſo.


Wer die Nacht beobachtet, findet, daß ſie
die Zweifel und Sorgen, die er den Abend vor¬
her über die Heldin ſeines Lebens aufgefangen,
meiſtens bis gegen den Morgen hin todtge¬
macht. — Albano ſchlug am Frühlingsmorgen
die Augen im Leben wie in einem Siegeswa¬
gen auf und die friſchen Roſſe ſtampften davor
und er durfte ihnen nur den Zügel laſſen.


D 2[52]

Er ſtieg mit ſeinem Freund bei Lianen
aus nach wenigen Jahren d. h. Tagen; der
Miniſter war noch nicht zurück. Himmel! wie
neu und blüthen-jung war ihre Geſtalt und
doch wechſellos ihr Betragen! Warum kann
ich, dacht' er, nur ihre Bewegungen, nicht alle
ihre Züge auswendig, warum kann ich dieſes
Antlitz nicht bis auf das kleinſte Lächeln wie
eine heilige Antike rein und tief in mein Gehirn
abdrücken, damit ſie in ewiger Gegenwart vor
mir ſchwebe? — Darum, Lieber, ſchöne und
junge Geſtalten ſind eben dem Gedächtniß wie
dem Pinſel ſchwer und alte, ſchroffe, männliche
beiden leichter. — Wieder mit Freuden und
Seufzern füllete er ſich durch ihr Schauen —
und ſie wurden größer durch den nahen Gar¬
ten, worein ſich der Junius mit ſeiner Abend¬
pracht lagerte — o wenn ihm nur Eine Minute
käme, wo ſeine ganze Seele begeiſtert reden
dürfte! Drauſſen lag der junge feurige Früh¬
ling wie ein Antinous im Garten und ſonnete
ſich und der Mond ſtand, ungeduldig auf die
ſchöne Juniusnacht, ſchon unter dem Morgen¬
thor und traf noch den lebendigen Tag und die
[53] zögernde Sonne an. — — Aber die Mutter
ſchlug dem fragenden Blicke Lianens den Son¬
nenuntergang ab, — — „des ungeſunden Se¬
rein
wegen*)“. Albano mit dem Herzen voll
Männerblut fand dieſen mütterlichen Verhack
um die kindliche Geſundheit ſehr klein.


Der Thorſchluß ſeines heutigen Edens hätte
ſich nun in der nächſten Minute eingeläutet,
wäre — der Hauptmann und der cereus ser¬
pens
nicht geweſen.


Jener kam vom welſchen Dache herab ge¬
laufen und verkündigte, der cereus blühe die¬
ſen Abend um zehn Uhr auf, ſage der Gärt¬
ner, und er bleibe da, „und du mit“ ſagt' er
zu Albano. Alles, was nur die doppelten
Gränzen der ſchonenden Zartheit gegen Schwe¬
ſter und Freund zuließen, ſetzt' er liebend ins
Spiel um dieſen zu erfreuen. Liane bat ihn ſel¬
ber, das Blühen abzuwarten; ſie war ſo ent¬
zückt über das nahe! — Ihre Seele hieng, wie
Bienen und Thau, an Blumen. Schon ihr
[54] Freund, der fromme Spener, der ein trunknes
Auge auf dieſe lebendigen Arabesken an Got¬
tes Throne heftete, hatte ſie mit dieſen ſtum¬
men immer ſchlafenden Kindern des Unendlichen
befreundet; aber noch mehr ihr jungfräuliches
Herz und ihr leidendes. Sind euch nie zarte
weibliche Seelen begegnet, in deren Blüthezeit
das Schickſal kalte Wolken geworfen und die
nun gleich Rouſſeau andere Blumen als die
der Freude ſuchten, und die in Thälern und
auf Felſen ſich ermüdeten und bückten, um zu
ſammeln und zu vergeſſen und von der ge¬
ſtorbnen Pomona zu flüchten zur jungen
Flora? — Der Generalbas und das Latein,
womit Hermes Mädchen zerſtreuen will, wei¬
chen hier der weiten bunten Bilderſchrift der
Natur, der reichen Botanik.


Eine namenloſe Zärtlichkeit für Liane kam
in Albano's Seele am kleinen vierſitzigen E߬
tiſch — ihm war als ſey er ihr jetzt näher und
ihr Verwandter — und doch faßte er die Ver¬
wandte nicht, wenn ſie die Mutter aus jedem
Ernſt, worein dieſe verſank, mit Scherzen zu¬
rück lockte. — Drauſſen riefen die Nachtigallen
[55] die Menſchen in die ſchöne Nacht; und keiner
ſchmachtete mehr als er hinaus.


Für Seelenaugen iſt das Himmelblau,
was für körperliche das Erdengrün, nämlich
eine innige Stärkung. Als Zeſara endlich aus
den Ketten des Zimmers, aus dieſem geiſtigen
Hausarreſt, los und ledig hinaustrat unter
das freie Reich des Himmels und aller Sterne
und auf den [magiſchen] Statuen-Olymp, nach
welchem er ſo oft ſehnſüchtig aufgeblickt: ſo
ſchlug die gewaltſam zuſammengezogne Bruſt
elaſtiſch auseinander, wie rückten die Sternbil¬
der des Lebens in hellere Formen zuſammen,
wie waltete der Frühling und die Nacht! —


Der alte Gärtner, der blos aus dankbarer
Anhänglichkeit ans „ſeelengute leutſeelige Fräu¬
lein“ mit ſeltener Mühe dem cereus serpens
ſolche Früh-Blüthen abgenöthigt hatte, ſtand
ſchon als ſcheinbarer Beobachter der Blumen,
in der That aber aufs größte Lob aufſehend,
mit einem braunen, gezackten, punktirten und
ernſten Geſichte droben, das mit keinem Lächeln
zum Lobe ausfoderte.


Liane dankte dem Gärtner, ehe ſie an den
[56] Blüthen war; dann lobte ſie dieſe und ſeine
Mühe. Der alte Mann wartete blos, bis je¬
der andere von der Geſellſchaft auch erſtaunet
war, darauf gieng er ſchläfrig mit dem feſten
Glauben fort zu Bette, Liane werd' ihn morgen
ſchon ſo bedenken, daß er zufrieden ſeyn müſſe.


Der ausländiſche Nektarduft, der in fünf
weiſſen gleichſam mit braunem Blätterwerk be¬
kränzten Kelchen perlte, ergriff die Phantaſie.
Die Wohlgerüche aus dem Frühling eines heiſ¬
ſern Welttheils zogen ſie in entlegne Träume
hin. Liane ſtrich mit leiſem Finger, wie man
über Augenlieder gleitet, nur über die kleinen
Duft-Vaſen, ohne das volle Gärtchen von zar¬
ten Staubfäden, das ſich im Kelche drängte,
raubend anzuſtreifen: „Wie lieblich, wie ſo
„gar zart (ſagte ſie kindlich-froh). — Wie
„fünf kleine Abendſterne! — Warum kommen
„ſie nur Nachts, die lieben ſcheuen Blumen?“
— Karl ſchien eine brechen zu wollen. „O laſſ'
„ſie leben (bat ſie) — morgen ſind ſie ohnehin
„todt. — Karl! ſo welkt ſo viel.“ ſetzte ſie lei¬
ſer dazu. „Alles!“ ſagt' er barſch. — Aber
die Mutter hatt' es wider Lianens Willen ge¬
[57] hört: „Solche Sterbe-Gedanken, (ſagte ſie)
„lieb' ich an der Jugend nicht, ſie lähmen ihr
„die Flügel.“ — „Und dann (verſetzte Liane,
„es mädchenhaft-umkehrend) bleibt ſie eben;
„wie der Kranich in Kleiſts Fabel, dem man
„die Flügel brach, damit er nicht fortzog mit
„den übrigen ins warme Land.“


Dieſer heitere bunte Schleier des tiefen
Ernſtes war unſerem Freunde nicht durchſichtig
genug. Aber ſpäter hatte das gute Mädchen
Mühe ſo auszuſehen, wie die ſorgſame Mut¬
ter es wollte. Die betäubende Vorſtecklilie der
Erde, der Mond — und das ganze blendende
Pantheon des Sternenhimmels — und die mit
Nacht-Lichtern durchbrochne Stadt — und die
majeſtätiſchen hohen ſchwarzen Alleen — und
auf Fluren und Bächen das milchblaſſe Lunens-
Silber, womit ſich die Erde in einen Abend¬
ſtern einſpann — und die Nachtigallen aus fer¬
nen Gärten — rührte denn das nicht jedes Herz
allmächtig an, daß es weinend ſeine Sehnſucht
bekennen wollte? Und das weichſte, das jetzt
unter den Sternen ſchlug, hätte vermocht, den
Schleier ganz über ſich zu ziehen? — Beinahe!
[58] Sie hatt' es vor der Mutter gewohnt, die
Thräne eh' ſie wuchs, ſo zu ſagen mit dem
Auge abzutrocknen.


Sonderbar erſchien ſie in der nächſten Mi¬
nute dem Grafen. Die Mutter ſprach mit dem
Sohn. Liane ſtand, fern von jenem, mit halb¬
verwandtem, vom Monde ein wenig entfärb¬
tem Geſicht neben einer weiſſen Statue der
heil. Jungfrau und blickte in die Nacht. Auf
einmal ſchauete und lächelte ſie an, gleich¬
ſam als erſchien' ihr ein lebendiges Weſen im
Aether-Abgrund und die Lippe wollte reden.
Erhabner und rührender war ihm noch keine
Erdengeſtalt begegnet; das Geländer, in das
er griff, gieng hin und her (aber er ſelber
regte es) und ſeine ganze Seele rief: heute,
jetzt lieb' ich die Himmliſche am höchſten, am
innigſten. So ſagt' er neulich auch, und ſo
wird er öfter ſagen; kann der Menſch mit den un¬
zähligen Wogen der Liebe Höhenmeſſungen an¬
ſtellen und auf diejenige zeigen, die am mei¬
ſten ſtieg?— So glaubt der Menſch ſtets, wo er
auch ſtehe, in der Mitte des Himmels zu ſtehen.


Ach in dieſer Minute wurd' er wieder über¬
[59] raſcht, aber eben mit einem Ach. Liane gieng
zur Mutter und als ſie an der Hand der Ge¬
fälligen ein kleines Schaudern fühlte, drang ſie
in ſie, aus der Nachtluft zu gehen und gab
nicht eher nach, als bis ſie mit ihr die Zauber¬
ſtätte verließ.


Die Freunde blieben zurück. Nach Alba¬
no's Rechnung wär' es freilich nicht zu viel
geweſen, hätte man ſich in dieſer offenherzigen
Zeit, worin unſere heiligern vom gemeinen
Tage bedeckten Gedanken ſich wie Steine of¬
fenbaren, bis gegen Morgen auf dem Dache
aufgehalten. Beide giengen eine Zeitlang
ſchweigend auf und ab. Endlich hielt ſie der
Rauchaltar der fünf Blumen feſt. Albano
faßte zufällig die nahe Statue mit beiden
Händen und ſagte: „an hohen Orten will man
„gern etwas hinabſtürzen — ſogar ſich oft. —
„Und hinein in die Welt, in weite ferne Län¬
„der möcht' ich mich auch ſtürzen, ſo oft ich in
„das Nachtroth dort ſchaue — und ſo oft ich
„unter Orangerie-Blüthen komme, wie unter
„dieſe. Bruder, wie iſt Dir? — Der Himmel
„und die Erde breiten ſich ſo aus: warum ſoll
[60] „denn der Geiſt ſo zuſammenkriechen?“ — „Mir
„iſt eben ſo, (ſagt' er,) und im Kopf hat der
„Geiſt überhaupt mehr Gelaß als im Herzen.“
Aber hier gieng er zart-errathend auf ſchönen
Umwegen zur zufälligen Eröffnung über, war¬
um ſeine Schweſter ſo bald hinuntergeeilet.


„Bis zum Eigenſinn, (sagt' er,) treibe ſie
„die Aufmerkſamkeit für die Mutter — das
„letztemal merkte ſie, daß die Mutter das Er¬
„blaſſen unter dem Tanze ſehe, ſofort hörte ſie
„auf — nur ihm zeige ſie das ganze Herz und
„jeden Blutstropfen und alle unſchuldigen Thrä¬
„nen dariu — beſonders glaube ſie etwas von
„der Zukunft, was ſie der Mutter ſorgſam ver¬
„decke.“ „Sie lächelte vorhin für ſich,
„(ſagte Albano und legte auf ſeine Augen
„Karls Hand,) als ſähe ſie ein Weſen aus der
„Schleier-Welt droben.“ — „Haſt Du das,
„(verſetzte Karl) auch geſehen? Und dann
„regte ſie die Lippe? — O Freund, Gott weiß,
„was ſie bethört; aber das iſt gewiß, ſie
„glaubt feſt, ſie ſterbe künftiges Jahr.“ —
Albano ließ ihn nicht weiter ſprechen, zu hef¬
tig aufgeregt drückte er ſich an des Freundes
[61] Bruſt, ſein Herz ſchlug wild und er ſagte: „O
„Bruder, bleibe ſtets mein Freund!“


Sie giengen hinab. Im Zimmer, das an
Lianens ihres ſtieß, fanden ſie ihr Pianoforte
offen. Wahrlich das wars, was dem Grafen
fehlte. In der Leidenſchaft (ſogar im bloßen
Feuer des Kopfes) greift man weniger nach
der Feder als nach der Saite; und nur in
ihr gelingt das muſikaliſche Phantaſiren beſſer,
als das poetiſche, Albano ſetzte ſich — indem
er dem Tonmuſe dankte, daß es vier und vier¬
zig Ausweichungen gebe — mit dem Vorhaben
an die Taſten, nun eine muſikaliſche Feuer¬
trommel zu rühren und wie ein Sturm in die
ſtille Aſche zu brauſen und ein helles Funken-
Heer von Tönen aufzujagen. — Er thats auch,
und gut genug und immer beſſer; aber das
Inſtrument ſträubte ſich. Es war für eine
weibliche Hand gebauet und wollte nur in
weiblichen Tönen, mit Lauten-Klagen reden
als eine Freundin mit einer Freundin.


Karl hatt' ihn nie ſo ſpielen gehört und
erſtaunte über die Fülle. Aber die Urſache war,
der Lektor war nicht da; vor gewiſſen Men¬
[62] ſchen — und darunter gehörte dieſer — gefriert
die ſpielende Hand, ſo daß man nur in einem
Paar Blechhandſchuhen hin und her arbeitet;
und zweitens, vor einer Menge ſpielt ſich's leich¬
ter als vor Einem, weil dieſer beſtimmt vor
der Seele haftet, jene aber zerfloſſen. Und
noch dazu, beglückter Albano! Du weißt, wer
dich hört. — Die Morgenluft der Hofnung um¬
flattert dich in Tönen — das wilde Jugend¬
leben ſchreitet mit rüſtigen Gliedern und lauten
Schritten vor Dir auf und ab — das Mond¬
licht, von keinem irrdiſchen groben Lichte verun¬
reinigt, heiligt das tönende Zimmer. — Lia¬
nens letzte Geſänge liegen vor dir aufgeſchla¬
gen und der anrückende Mondſchein kann dich
ſie bald leſen laſſen — und die Nachtigal in der
Mutter nahem Zimmer kämpfet, wie von der
Tuba ins Feld gerufen, mit deinen Tönen. — —


Liane trat mit ihrer Mutter erſt ſpät her¬
ein, weil das heftige Ton-Getümmel für beide
etwas Hartes und Peinigendes hatte. Er
konnte beide ſeitwärts am untern Fenſter ſitzen
ſehen und wie Liane die Hand der Mutter hielt.
Karl gieng in weiten Schritten nach ſeiner
[63] Sitte auf und ab und ſtand zuweilen an ihm
ſtill. Albano trat in dieſer Nähe der ſtillen
Seele bald aus der harmoniſchen Wildniß in
mondhelle einfache Stellen heraus, wo nur we¬
nige Töne ſich wie Grazien und eben ſo leicht
verbunden hold bewegen. Der künſtliche Wir¬
war enharmoniſcher Irrlichter iſt nur der Vor¬
läufer der melodiſchen Charitinnen; und nur
dieſe allein ſchmiegen ſich an die weicheren See¬
len an. Ihm war bis zur Täuſchung als
ſprech' er laut mit Lianen; und wenn die Töne
immer wie Liebende daſſelbe wiederholten vor
Innigkeit und Luſt: meinte er nicht Lianen,
und ſagte ihr: wie lieb ich Dich, o wie lieb
ich Dich? Fragt' er ſie nicht, was klageſt Du,
was weineſt Du? — Und ſagt' er nicht zu
ihr: blick in dies ſtumme Herz und flieh' es
nicht, o Reine, Fromme, Meine?


Wie erröthet der Gute, als plötzlich der
liebkoſende Freund ihm die Hände um die Au¬
gen legte, die bisher ungeſehen im Dunkel, vor
Liebe übergefloſſen waren! — Karl trat hef¬
tig zur Schweſter und ſie nahm ſelber ſeine
Hand und ſagte Worte der Liebe. Dann flüch¬
[64] tete ſich Albano in die brauſende Wildniß ſo
lange, bis die Augen getrocknet waren für den
beleuchteten Abſchied — langſam ließ er die
Wiege unſers Herzens ausſchwanken und ſchloß
ſo mild' und leiſe und verſtummte ein wenig
und ſtand langſam auf. — — O in dieſer
jungen ſtummen Bruſt lebte alles, womit die
herrlichſte Liebe ſegnen kann!


Sie ſchieden ernſt. — Niemand ſprach über
die Töne — Liane ſchien verklärt — Albano
wagt' es in dieſer Geiſterſtunde des Herzens
nicht, mit einem Auge, das ſich ſo kurz vorher
geſtillet hatte, lang' auf ihren milden blauen
zu ruhen. — Ihre gerührte Seele drückte ſie
wie Mädchen pflegen, blos am Bruder durch
eine heiſſere Umarmung aus. — Und dem hei¬
ligen Jüngling konnte ſie ſcheidend den Ton und
den Blick nicht verhehlen, den er nie vergiſſet. —


Er erwachte oft in dieſer Nacht und wußte
nicht, was ſein Weſen ſo ſeelig wiege — ach
der Ton war es, der durch den Schlummer
nachklang, und das liebe Auge, das ihn noch
in Träumen anblickte.


Zwölf¬[65]

Zwölfte Jobelperiode.

Froulays Geburtstag und Projekte — Extrablatt —
Rabette — die Harmonika — die Nacht — der
fromme Vater — die Wundertreppe — die Er¬
ſcheinung.


58. Zykel.

Glücklicher Albano! du wäreſt es nicht ge¬
blieben, hätteſt du am Geburtstage des Mini¬
ſters das gehöret, was er da vorbrachte!


Schon ſeit geraumer Zeit war Froulay voll
bedenklicher gewitterhafter Zeichen und jede
Minute konnte — mußte man fürchten — der
Donnerſchlag aus ihm fahren; er war nämlich
munter und mild. So drohet auch bei phlegma¬
tiſchen Kindern große Munterkeit Ausbruch der
Pocken. Da er Hausvater war und Deſpot —
die Griechen hatten für beides nur das Wort
Titan II. E[66] Deſpot —: ſo erwartete man von ihm als ehe¬
lichem Wettermacher*), er werde die gewöhn¬
lichen Stürme und Ungewitter für die Familie
beſorgen. — Eheliche Gewittermaterie zum blo¬
ßen Trüben der Ehe kann nie fehlen, wenn
man bedenkt, wie wenig ſogar zum Scheiden
derſelben gehöret, z. B. bei den Juden blos
daß die Frau zu laut ſchreie, das Eſſen an¬
brenne, ihre Schuhe am Platze der männlichen
laſſe u. ſ. w. . Noch dazu war manches da,
worüber gut zu donnern war; z. B. Liane, an
welcher man die Miſſethat des — Bruders heim¬
ſuchen konnte, weil dieſer hartnäckig wegblieb
und um keine Gnade bat. Man iſt immer
gern auf Frau, Tochter und Sohn zugleich un¬
gehalten und lieber ein Land- als Strichregen;
Ein Kind kann leichter eine ganze Familie ver¬
ſalzen als verſüßen.


[67]

Aber Froulay verblieb der lächelnde Jo¬
hannes. Ja trieb ers nicht — die Beweiſe
hab' ich — ſoweit damit, daß er, da die Toch¬
ter der Prinzeſſin einmal beim Abſchiede um den
Hals fiel, anſtatt ihr mit blitzenden Augen vor¬
zuhalten, wie man Vertraulichkeiten bei Höhern
nur annehmen, nicht erwiedern, und ſich eben
da nicht vergeſſen müſſe, wo ſie ſich vergeſ¬
ſen — und anſtatt ernſt zu fragen, ob ſie ihn
je in ſeiner wärmſten Liebe gegen den Fürſten
wider die déhors habe verſtoßen ſehen — daß er,
ſag' ich, anſtatt dieſes hagelnd und ſtürmend zu
thun, dieſesmal blos in die ſchönen Worte aus¬
brach: „Kind, Du meinſt es zu gut mit Dei¬
„ner vornehmen Freundin; frage Deine Mut¬
„ter, ſie weiß auch was freundſchaftliche
liaisons ſind.“


Blos Liane — obwohl ſo oft von dieſer
Meerſtille hintergangen — war voll unſäglicher
Hofnung und Freude über den häuslichen Frie¬
den und glaubte Beſtand, zumal in der Nähe
des väterlichen Geburtstages, dieſer Olympiade
und Normalzeit, wornach das Haus vieles
rechnete. Das ganze Jahr lauerte der Miniſter
E 2[68] auf dieſen Tag, um am Morgen, wenn die
Wünſche kamen, das ſichtbare Vergeſſen deſſel¬
ben nicht zu vergeſſen, ſondern darüber zu er¬
ſtaunen, — die Geſchäfte machens, ſagt' er —
und um Abends, wenn die Gäſte kamen — der
Geſchäfte wegen dinir' er nie, ſagt' er — er¬
ſtaunen zu laſſen. Er war wechſelnd der An¬
beter und der Bilderſtürmer der Etiquette, ihre
Miniſterial- und Oppoſizionspartei, wie es ge¬
rade ſein Schimmer gebot.


Liane drang ſo lange in den Bruder, bis
er den Vater mit etwas zu erfreuen verſprach;
er machte dazu ein Familienſtückchen, worein er
die ganze Beicht-Nacht zwiſchen ſich und Al¬
bano einſchob, nur daß er Albano in eine
Schweſter verkehrte. Gern lernte Liane noch
dieſe Rolle für den Geburtstag ein, ob ſie gleich
die blühende Weſte lieferte.


Der Miniſter nahm die Weſte, den Haupt¬
mann und deſſen Komödienzettel des abendli¬
chen Spiels wider Vermuthen — gütig auf;
da er ſonſt wie einige Väter deſto lauter knur¬
te, je öfter ihn die Kinder ſtreichelten. Er tanzte
[69] wie ein Polacke *) ganz aufgeräumt mit ſei¬
ner Familie dahin und verſteckte die Peitſche
feſt unter den Pelz. Es gieng ihm jetzt nichts
Schlimmers im Kopfe herum als blos die Frage,
wo das Liebhabertheater am beſten, ob im Sa¬
lon de lecture
oder ob im Salon der bains do¬
mestiques
aufzuſchlagen; denn beide Säle wa¬
ren ganz von einander und von andern Zim¬
mern durch die Namen unterſchieden.


Der Tag kam. Albano, deſſen Einladung
Karl ertrotzen müſſen, weil der Miniſter ſeinen
Stolz haſſete aus Stolz, brachte leider den Ton
in ſeiner Seele mit, den ihm das letztemal
Liane nach Hauſe gegeben. Seine Hofnung
hatte bisher von dieſem Tone gelebt. O ver¬
denkts ihm nicht! Das luftige Nichts eines
Seufzers trägt oft eine Schäferwelt oder einen
Orkus auf dem Ephemeren-Flügel. Alles Wich¬
[70] tige iſt wie ein Fels auf einen Punkt zu ſtel¬
len, wo es ein Kinderfinger drehen kann.


Aber der Ton war verklungen. Liane
wußt' es gar nicht anders, als daß man unter
der Viſitengemeinde — deren moraliſche Pneu¬
matophobie *) ſie nicht einmal ganz kannte —
vor jede betende Empfindung den Kirchenfächer
halten müſſe.


Logen, Parterre und Groſchengallerie wur¬
den faſt um die gewöhnliche Schauſpielszeit
mit ſtiftsfähigen Gratulanten verziert und aus¬
gefüllt. Der deutſche Herr ragte ſehr hervor
durch den reichen Trotz ſeiner Verhältniſſe.
Von der Viſitenkompagniegaſſe kann im Durch¬
gehen nur angemerkt werden, daß in ihr und
im antiphlogiſtiſchen Syſtem der Sauerſtoff
die Hauptrolle ſpielte, welchen aber weniger
die Lunge abſchied als das Herz. —


Als der Vorhang auseinander gieng und
Roquairol jene Nacht der Vergebung und Ent¬
zückung noch feuriger wieder vorbeiführte als
ſie geweſen war; als dieſe träumeriſche Nach¬
[71] äffung erſt die rechte Wirklichkeit ſchien: wie
glühend und tief brannt' er ſich dadurch in ſei¬
nes Freundes Seele ein! (Guter Albano! Dieſe
Kunſt, ſein eigner révenant, ſein Vexir- und
After-Ich zu werden, und die Prachtausgabe
des eignen Lebens nachzudrucken, hätte Dir klei¬
nere Hofnungen verſtatten ſollen!) — Der
Graf mußte in der ernſthafteſten Sozietät, die
je um ihn ſaß, ausbrechen in ein unſchickli¬
ches — Weinen. Und warum legte Karl Al¬
bano's Worte in jener Nacht der zauberiſch¬
gerührten Liane in den Mund und machte
die Liebe durch ſo viele Reize groß bis zum
Schmerz? —


Selber der deutſche Herr gab Lianen, die¬
ſem weiſſen Schwan, der erröthend durch das
Abendroth des Phöbus ſchwamm, mehrere
laute und dem Grafen verdrüßliche Zeichen des
Beifalls. Der Miniſter war hauptſächlich froh,
daß das alles zu ſeiner Ehre vorfalle und daß
die Pointe des letzten Aktes, ihm noch einen
ganz beſondern epigrammatiſchen Lorbeerkranz
auf den Scheitel werfen müſſe.


Er überkam den Kranz. — Das Kinder¬
[72] paar wurde von der anweſenden Erlanger Litte¬
raturzeitung und von der bellettriſchen ſehr günſtig
rezenſirt und mit Kronen überdeckt, mit edlen
Märtyrerkronen. — Der deutſche Herr hatte
und brauchte das laute Recht, die Krönung und
den Kronwagen anzuführen. Niedriger Menſch!
warum dürfen deine Käfer-Augen über die hei¬
ligen Roſen, welche die Rührung und die Ge¬
ſchwiſter-Liebe auf Lianens Wangen pflanzt,
nagend kriechen? — Aber wie noch viel mun¬
terer wurde der alte Herr — ſo daß er mit
den älteſten Damen badinirte —, als er den
Ritter ſein Intereſſe an Lianen nicht phan¬
taſtiſch oder ſentimentaliſch, ſondern durch ſtil¬
les ſtetes Nähern und verſtändige Aufmerkſam¬
keit, durch Scherze und Blicke und kluges An¬
reden und endlich durch etwas Entſcheidendes
herrlich an den Tag geben ſah? — Der deut¬
ſche Herr zog nämlich den alten in ein Kabinet
hinein und beide kehrten heftig-belebt daraus
zurück.


Die einſame ins eigne Herz verſenkte Liane
flüchtete vom Giftbaum des Lorbeers weg zur
erquickenden Mutter. Liane hatte mitten in
[73] den ſtürmiſchen Mühlengängen täglicher Aſſem¬
bleen eine leiſe Stimme und ein zartes Ohr be¬
halten und der Tumult hatte ſie eingezogen
und faſt ſcheu gelaſſen.


Die ſchöne Seele errieth ſelten etwas —
eine ſchöne Seele ausgenommen —; ſo leicht
ihr Ebenbild, ſo ſchwer ihr Gegenbild. Bouve¬
rots Annäherungen ſchienen ihr die gewöhnli¬
chen Vor- und Seitenpas der männlichen Höf¬
lichkeit; und ſein Ritter-Zölibat erlaubte ihr
nicht, ihn ganz zu verſtehen: — prangen nicht
die Lilien der Unſchuld früher als die Roſen
der Scham, wie die Purpurfarbe anfangs nur
bleich färbt und erſt ſpäter roth anglüht, wenn
ſie vor der Sonne liegt? — Sie hielt ſich die¬
ſen Abend der Mutter nahe, weil ſie an ihr
einen ungewöhnlichen Ernſt wahrnahm. —


Als Froulay das Geburtstag-Kränzchen,
worin mehr Stacheln und Stiele als Blumen
ſteckten, oder das Dornenkrönchen von ſeinem
Kopfe heruntergethan hatte und in der Nacht¬
mütze unter ſeiner Familie ſtand: macht' er ſich
an das Geſchäft, worauf er den ganzen Abend
geſonnen hatte. „Täubchen (ſagt' er zur Toch¬
[74] „ter) und entlehnte einen guten Ausdruck aus
„der Baſtille *) — Täubchen, laſſe mich und
Guillemette allein.“ — Er entblößte jetzt
das Ober-Gebiß durch ein eignes Grinſen und
ſagte, er hab' ihr wie er hoffe etwas Angeneh¬
mes zu hinterbringen. „Sie wiſſen (fuhr er
„fort) was ich dem deutſchen Herrn ſchuldig
„bin“ — Er meinte nicht Dank, ſondern Geld
und Rückſicht.


— — Man will es ſehr preiſen an der
Familie der Quinzier**), daß ſie nie Gold
beſeſſen; ich führe — ohne tauſend andere
Familien aufzuſtellen, von denen daſſelbe zu
beſchwören iſt — nur die Froulayſche an. Ge¬
wiſſe Familien haben wie Spiesglas durchaus
keine chemiſche Verwandtſchaft mit dieſem Me¬
tall, wenn ſie auch wollten; — wahrlich Frou¬
lay wollte; er ſah ſehr auf ſeinen Vortheil (auf
etwas anderes nicht), er ſetzte (obwohl nur in
Kolliſionsfällen) gern Gewiſſen und Ehre bei
Seite; aber er brachte es zu nichts als zu gro¬
[75] ßen Ausgaben und großen Projekten, blos weil
er das Geld nicht als Endzweck des Geizes,
ſondern nur als Mittel des Ehrgeizes und der
Thätigkeit ſucht. Sogar für einige Gemälde,
die Bouverot für den Fürſten in Italien ge¬
kauft, war er jenem noch den Kaufſchilling
ſchuldig, den er von der Kammer erhoben.
Durch ſeine Schuldbriefe ſtand er wie durch
Zirkelbriefe in ausgebreiteten Verbindungen.
Er hätte gern ſeinen Ehekontrakt in einen
Schuldbrief umgeſchrieben und mit der Mini¬
ſterin wenigſtens die innigſte Gemeinſchaft —
der Güter gehabt; — denn unter den jetzigen
Umſtänden gränzten Scheidung und Konkurs
nachbarlich an einander —; aber wie geſagt,
manche Menſchen haben bei den beſten Kral¬
len — wie der Adler des römiſchen Königs *)
nichts darin. —


Er fuhr fort: „Jetzt höret dieſe Gêne viel¬
„leicht auf. Haben Sie bisher Beobachtungen
„über ihn gemacht?“ — Sie ſchüttelte. „Ich,
[76] „(verſetzt' er,) ſchon lange und ſolche, die mich
„wahrhaft ſoulagirten; — j'avois le nez bon
quant à cela — er hat reelle Neigung für
„meine Liane.“


Die Miniſterin konnte keinen Verfolg er¬
rathen und bat ihn mit verdecktem Erſtaunen,
zur angenehmen Sache zu kommen. Komiſch
rang auf ſeinem Geſicht der freundliche Schein
mit der Erwartung, er werde ſich ſogleich er¬
boßen müſſen; er verſetzte: „Iſt Ihnen das
„keine? Der Ritter meint es ernſthaft. Er
„will ſich jetzt mit ihr heimlich verloben; nach
„drei Jahren tritt er aus dem Orden und ihr
„Glück iſt gemacht. Vous étes je l'espere pour
cette fois un peu sur mes interêts, ils sont
les vôtres.“ —


Ihr ſo ſchnell und tief getroffenes Mutter¬
herz weinte und konnte kaum verhüllet werden.
„H. v. Froulay! (ſagte ſie nach einiger Faſ¬
„ſung) ich verberge mein Erſtaunen nicht. Eine
„ſolche Ungleichheit in den Jahren — in den
„Neigungen — in der Religion*)“ — —


[77]

„Das iſt des Ritters Sache, nicht unſere,“
verſetzt' er erquickt von ihrer entrüſteten Ver¬
wirrung und warf wie das Wetter in ſeiner
Kälte nur feinen ſpitzen Schnee, keinen Hagel.
— „Was Lianens Herz anlangt, dieſes bitt' ich
„Sie eben zu ſondiren.“ — „O dieſes fromme
„Herz? — Sie perſifliren!“ — „Posito! deſto
„lieber wird das fromme Herz ſich fügen, um
„das Glück des Vaters zu machen, wenn ſie
„nicht die größte Egoiſtin iſt. Ich möchte die
„gehorſame Tochter nicht gern zwingen.“ —
N'épuisés pas ce chapitre; mon coeur est en
presse. — Es wird ihr das Leben koſten,
„das ohnehin an ſo ſchwachen Fäden hängt.“
„— — Dieſe Erwähnung ſchlug allezeit Zorn¬
„feuer aus ſeinem Kieſel: „tant mieux, (ſagt'
„er) ſo bleibt es bei der Verlobung! hätt' ich
„bald geſagt — sacre — — ! Und wer iſt
„daran Schuld? So gehts mir mit dem Haupt¬
„mann auch; anfangs verſprechen meine Kin¬
„der alles, dann werden ſie nichts. — Aber,
Madame, (indem er ſich ſchnell und giftig zu¬
„ſammenfaßte und ſtatt ſeiner Lippen und Zäh¬
„ne blos die Gehörwerkzeuge eines ſchlafenden
[78] „Schooßhundes mäßig drückte,) Sie allein wiſ¬
„ſen ja alles durch Ihren Einfluß auf Liane
„zu dreſſiren und zu redreſſiren. Sie gehorcht
„Ihnen vielleicht noch eher als mir. Ich werde
„dann nicht bei dem Ritter kompromittirt. —
„Die Vortheile detaillir' ich nicht weiter.“
Seine Bruſt wurde hier ſchön erwärmt unter
dem Geierfell der Entrüſtung.


Aber die edle Frau ſtand jetzt unwil¬
lig auf und ſagte: „Herr von Froulay! Bis
„jetzt ſprach ich nicht von mir — Nie werd'
„ich es rathen, oder billigen, oder zulaſſen;
„ich werde das Gegentheil thun. — H. v. B.
„iſt meiner Liane nicht würdig.“ —


Der Miniſter hatte während der Rede
mehrmals mit der Lichtſcheere ohne Noth über
den Wachslichtern zugeſchnappt und nur die
Flammenſpitze geköpft; die fixe Luft des Zorns
ſtrich jetzt die Roſen ſeiner Lippen (wie die
chemiſche die botaniſchen) blau an. — „Bon! —
„(verſetzt' er.) — Ich verreiſe; Sie können
„darüber reflechiren — aber ich gebe mein Eh¬
„renwort, daß ich nie in irgend eine andere
„Parthie konſentire, und wäre ſie (wobei er die
[79] „Frau ironiſch anſah) noch anſehnlicher *) als
„die eben projektirte — entweder das Mädchen
„gehorcht, oder ſie leidet — decidés! — Mais
je me fie à l'amour que vous portés au pere,
„et à la fille; vous nous rendrés tous assés
contens.“ Und dann zog er fort nicht als Ge¬
witter ſondern als Regenbogen, den er aus der
achten Farbe allein verfertigte, aus der ſchwar¬
zen und zwar mit den Augenbraunen.


Nach einigen mit der Mutter und — Toch¬
ter zürnenden Tagen reiſete er als Luigi's Ge¬
ſchäftsträger nach Haarhaar zur fürſtlichen
Braut. Die bedrängte Mutter vertrauete ih¬
rem älteſten und einzigen Freunde, dem Lektor,
das trübe Geheimniß. Beide hatten jetzt ein
reines Verhältniß der Freundſchaft gegen ein¬
ander, das in Frankreich durch die höhere Ach¬
tung für die Weiber häufiger iſt. In den er¬
ſten Jahren der miniſterialiſchen Zwangsehe,
die nicht mit Morgenthau ſondern mit Mor¬
genreif anbrach, flatterte vielleicht der Dämme¬
rungsvogel, Amor, ihnen nach; aber ſpäter
[80] vertrieben die Kinder dieſe Sphinx. Über die
Mutter wird oft die Gattin verſchmerzt. Sie
nahm daher mit der ihr eignen kalten und kla¬
ren Stärke alles Schwankende in ihrem Ver¬
hältniß gegen Auguſti auf immer weg; und er
machte ihr die Feſtigkeit durch die ſeinige leich¬
ter, weil er bei mehr Ehr- als Weiber-Liebe
über kein Flechtwerk röther wurde, als über
das eines Korbes und irrig glaubte, ein Em¬
pfänger habe ſich ſo zu ſchämen wie eine
Empfängerin.


Der Lektor konnte vorausſehen, daß ſie
auch nach ihrer Eheſcheidung — die ſie nur
Lianens wegen verſchob — ſchon darum unver¬
bunden bleiben werde, um ihrer Tochter ein Al¬
lodialgut, Kloſterdorf, für deſſen Vorbehaltung
ſie nun 21 Jahre lang den Sturmbalken und
Sichelwagen und Doppelhaken des alten Mi¬
niſters blosgeſtanden, nicht zu entziehen. Ob
ſie einem ſo feſten und zarten Manne, der in
nichts von ihr abwich als in der Welt-Kälte
gegen poſitive Religion, nicht ihre theuere
Liane ſelber ſchweigend zudenke, iſt eine an¬
dere und ſchönere Frage. Eine ſolche Wechſel¬
gabe[81] gabe wäre einer ſolchen Mutter und Freundin
würdig, die aus ihrem Herzen wußte, daß
Zart- und Ehrgefühl zuſammen einer geliebten
Seele ein feſteres Glück bereiten als die Genie¬
liebe, dieſer Wechſel von fliegender Hitze und
fliegender Kälte, dieſes Feuer, das wie das elek¬
triſche ſtets zweimal zertrümmert, bei dem An¬
fliegen und bei dem Abſpringen. Der Lektor
ſelber warf jene Frage nicht auf; denn er
machte nie unſichere, kecke Plane; und wel¬
cher wär' es mehr geweſen als der einer ſol¬
chen Verbindung bei ſeiner Armuth oder bei ei¬
nem ſolchen Schwiegervater in einem Lande,
wo wie in Churſachſen ein ſo wohlthätiges Ge¬
ſetz (— für die Eltern) ſogar eine vieljährige
Ehe, die kein elterlicher Conſens geſchloſſen,
wieder abbeſtellen kann? —


Mit naſſen Augen zeigte die Miniſterin
ihm die neuen Sturmwolken, die wieder über
ſie und ihre Liane heraufſtiegen. Sie konnte
auf ſein feines Auge für die Welt, auf ſeine
ſtumme Lippe und auf ſeine gewandte Hand
für Geſchäfte bauen. Er ſagte — wie immer —
das hab' er alles vorausgeſehen; bewies ihr
Titan II. F[82] aber, daß Bouverot ſein Ritterkreuz — ſchon
aus Habſucht — nie gegen den Ehering vertau¬
ſchen werde, welche Abſichten er auch auf Lianen
nähre. Er ließ ſie, ſo weit es die Schonung
für ihre wunden Verhältniſſe vertrug, es erra¬
then, bis zu welchem Grade von Bereitwillig¬
keit für Bouverots Wünſche gerade Lianens
zerbrechliches Leben den Miniſter locken könne,
um es abzuernten, bevor es abblühe. Denn
Froulay brachte Zumuthungen gegen die Ehre
behender die Kehle hinab als Verletzungen ſei¬
ner Eitelkeit, wie der Waſſerſcheue leichter der¬
be Brocken als Flüſſiges. Doch klang das al¬
les der Miniſterin nicht ſo unmoraliſch-hart
als Leſer aus den mittlern Ständen denken
möchten; ich berufe mich auf die vernünftigern
aus den höhern.


Auguſti und die Miniſterin ſahen, man
müßte in der Abweſenheit des Miniſters doch
etwas für Liane thun; und beide trafen wun¬
derbar im Projekte zuſammen. — Liane muß
aufs Land in dieſer ſchönen Zeit — ſie muß
ihre Geſundheit rüſten für die Kriege der Zu¬
kunft — ſie muß den Beſuchen des Ritters ent¬
[83] zogen ſeyn, die nun der Geburtstag vervielfäl¬
tigen wild — der Miniſter muß ſogar ge¬
gen den Ort nichts einzuwenden haben. — —
Und wo kann dieſer liegen? — Blos unter
dem Dache des Direktors Wehrfritz, der den
deutſchen Herrn nicht ausſtehen kann, weil er
ſein vergiftendes Verhältniß zum Fürſten weiß.
Aber freilich ſind vorher noch andere Berge zu
überſteigen als der nach Blumenbühl.


Selber der Leſer muß jetzt über einen nie¬
drigen hinüber; und der iſt ein kurzes komi-tra¬
giſches Extrablatt


über den grünen Markt mit Töchtern.
Folgendes iſt gewiß: jeder Inhaber einer ſehr
ſchönen oder ſehr reichen Tochter verwahrt
gleichſam einen Pit unter dem Dach, der ihm
ſelber unbrauchbar iſt und den er erſt nach lan¬
gem Ruhen einem Regenten*) verkaufen
F 2[84] muß. Genau und merkantiliſch geſprochen ſind
Töchter eigentlich kein Handelsartikel — denn
die elterlichen Großavanturhändler kann nie¬
mand mit jenen Trödlerinnen und Ständel¬
oder Fratſchlerweibern vermengen, deren Tran¬
ſitohandel man nicht gern nennt — ſondern
eine Aktie, mit der man in einer Südſee ge¬
winnt, oder eine Scholle, womit man das
Grundſtück ſymboliſch (scotatione) übergiebt.
Je ne vends que mespaysageset donne
les
figurespar dessus le marché*), ſagte
Claude Lorraine, wie ein Vater — und konnt'
es leicht, weil er durch andere die Figuren in
ſeine Landſchaften malen ließ —; eben ſo wer¬
den nur die Ritterſitze in den Kauf- oder Ehe¬
kontrakt geſetzt und die Braut, die auf jenen
ſitzt, darein gegeben. Eben ſo höher hinauf
iſt eine Prinzeſſin blos ein blühender Zweig,
den ein fürſtlicher Sponſus nicht der Früchte
wegen, ſondern weil ſich ein Bienenſchwarm
[85] von Land und Leuten daran angelegt, ab¬
nimmt und nach Hauſe trägt.


Hat ein Vater — wie unſer Miniſter —
nicht viel, ſo kann er die Kinder, wie die Ägyp¬
ter die Eltern (nämlich die Mumien davon)
als Schuld- und Fauſtpfänder oder Reichs¬
pfandſchaften, die man nicht einlöſet, einſetzen.


Jetzt hat ſich der Kaufmannsſtand, der
ſonſt nur fremde Produkte vertrieb, auch dieſes
Handelszweigs bemächtigt; mich dünkt aber,
er hätte in ſeinem untern Kaufgewölbe Spiel¬
raum genug, eigennützig und verdammt zu
werden, ohne die Treppe hinaufzuſteigen zur
Tochter. In Guinea darf nur der Adel han¬
deln; bei uns iſt ihm faſt aller Handel, au¬
ßer dem kleinen mit den Töchtern und den übri¬
gen wenigen Dingen, die auf den eignen Gü¬
tern wachſen, abgeſchnitten und verwehrt; da¬
her hält er ſo feſt auf dieſe Handelsfreiheit und
die Nobleſſe ſcheint hier ein für dieſen zarten
Handelszweig verbundne Hanſa zu ſeyn; ſo
daß man gewiſſermaßen den erhabnen Stand
mit dem erhabnern im eigentlichen Sinn
vergleichen mag, den in Rom verkäufliche
[86] Leute beſteigen mußten*), um beſehen zu
werden.


Es iſt eine gemeine Einwendung ſogenann¬
ter gefühlvoller junger Herzen, daß dergleichen
Verhandlungen die Liebe ſehr ſperren oder gar
ſprengen; indeß ihr wohl nichts ſo ſehr vorar¬
beitet als eben dies. Denn iſt nur der Handel
geſchloſſen und vom Buchhalter (dem Pfarrer)
ins Hauptbuch eingetragen: ſo tritt ja die
Zeit ein, wo die Tochter ihr Herz bedenken und
verſorgen darf, nämlich die ſchöne Zeit nach
der Heirath, die allgemein in Frankreich und
Italien und allmählig auch in Deutſchland als
die ſchicklichere angenommen wird, wo ein weib¬
liches Herz frei unter der Männer-Schaar er¬
wählen kann; ihr Staat wird dann wie der ve¬
nezianiſche, aus einem merkantiliſchen ein ero¬
bernder. Auch den Gemahl ſelber unterbricht
das kurze Handlungsgeſchäft ſo wenig nach-
als vorher in ſeiner Liebe; nur tritt jetzt — wie
in Nürnberg dem Juden eine alte Frau — un¬
ſerem immer eine junge nach. Ja oft faſſet der
[87] eheliche Handels-Mann ſelber Neigung für das
heimgeführte Subjekt — welches ein ungemeines
Glück — und wie Moſes Mendelsſohn mit dem
ſeidnen Waaren-Bündel unter dem Arm ſeine
Briefe über die Empfindungen ausſann,
ſo meditiren beſſere Männer unter dem Han¬
del Liebesbriefe an den Handelszweig und han¬
deln mit der Jungfrau — wie Kaufleute in
Meſſina *) mit der heiligen — in Compagnie;
aber freilich ſolche profitable Verbindungen der
Liebe mit Geſchäften bleiben ſeltene Vögel und
ſind wenig zu prätendiren. — —


— Das Vorige ſchrieb ich für Eltern, die
gern ſcherzen mit — kindlichem Glück; ich will
jetzt aus ihrem und meinem Scherz Ernſt ma¬
chen. Ich frage euch erſtlich über euer Recht,
moraliſchen freien Weſen die Neigungen oder
gar den Schein derſelben vorzuſchreiben, und
durch Eine Machthandlung den giftigen Blei-
Zepter über ein ganzes freies Leben auszuſtrek¬
ken. Eure zehn Lehrjahre des Lebens mehr
[88] machen ſo wenig einen Unterſchied in der ge¬
genſeitigen Freiheit als Talent oder ſein Man¬
gel. Warum befehlt ihr denn Töchtern nicht
eben ſo gut Freundſchaft auf Lebenslang?
Warum übt ihr bei der zweiten Ehe nicht daſ¬
ſelbe Recht? Aber ihr habt eben keines zu ver¬
werfen, ausgenommen in der minorennen Zeit,
wo das Kind noch keines hat, zu wählen.
Oder fodert ihr für die Erziehung zur Freiheit
beim Abſchiede als Ehrenſold das Opfer der
Freiheit? — Ihr thut als hättet ihr erzogen,
ohne ſelber erzogen zu ſeyn, indeß ihr blos
eine ſchwere geerbte Schuld, die ihr an eure
Eltern nie bezahlen könnt, an eure Kinder
abtragt; und ich kenne hierin nur Einen unbe¬
zahlten Gläubiger, den erſten Menſchen, und
nur Einen inſolventen Schuldner, den letzten.
Oder ſchützet ihr euch noch mit dem barbari¬
ſchen unmoraliſchen römiſchen Vorurtheil, das
Kinder als weiße Neger der Eltern feilbietet,
weil die frühere erlaubte Gewalt über das
nicht-moraliſche Weſen ſich hinter der Allmäh¬
ligkeit ſeiner Entwicklung unbemerkt als eine
über das moraliſche herüberſchleicht?


[89]

Dürft ihr aus Liebe Kinder zu ihrem Glück,
ſo dürfen ſie ſpäter eben ſo gut aus Dankbar¬
keit euch zu eurem zwingen. Aber was iſt denn
das Glück, wofür ſie ihr ganzes Herz mit allen
ſeinen Träumen wegwerfen ſollen? — Mei¬
ſtens eures; eure Beleuchtung und Bereiche¬
rung, eure Feind- und Freundſchaften ſollen
ſie mit dem Opfer des Innerſten büßen und
kaufen. Dürft ihr eure ſtillen Vorausſetzungen
zum Glück einer Zwangsehe laut bekennen, z. B.
die Entbehrlichkeit der Liebe in der Ehe, die
Hofnung eines Todesfalles, die vielleicht dop¬
pelte Untreue ſowohl gegen den ehelichen Käu¬
fer als gegen den außer-ehelichen Geliebten?
Ihr müſſet Sünderinnen *) vorausſetzen, um
nicht Räuber zu ſeyn.


Thut mir nicht dar, daß Neigungsehen oft
ſchlecht und Zwangsehen oft gut genug ausge¬
fallen, wie an Hernhutern, Germanen und
Orientalern zu erſehen. Nennt mir ſonſt lieber
[90] alle barbariſche Völker und Zeiten her, worin,
weil beide ja nur den Mann, nie die Frau be¬
rechnen, eine glückliche Ehe nichts bedeutet
als einen glücklichen Mann. Niemand ſteht
nahe genug dabei, die weiblichen Seufzer zu
hören und zu zählen; der ungehörte Schmerz
wird endlich ſprachlos; neue Wunden ſchwä¬
chen das Bluten der älteſten. Ferner: am
Mißgeſchick der Neigungs-Ehen iſt eben ihr
Verwehren und euer Krieg gegen die Verehlich¬
ten Schuld. — Ferner: jede Zwangs-Ehe iſt ja
meiſtens zur Hälfte eine Neigungs-Ehe. End¬
lich: die beſten Ehen ſind im mittlern Stand, wo
mehr die Liebe, und die ſchlechteſten in den hö¬
hern, wo die Rückſicht bindet; und ſo oft in dieſen
ein Fürſt blos mit ſeinem Herzen wählte, ſo erhielt
er eines und er verlor und betrog es nie. — —


Welches iſt denn nun die Hand, in welche
ihr ſo oft die ſchönſte, feinſte, reichſte, aber wi¬
derſträubende preſſet? Gewöhnlich eine ſchwarze,
alte, welke, gierige. Denn veraltete, reiche
oder ſteigende Libertins haben zu viel Kennt¬
niß, Sättigung und Freiheit, um ſich an¬
dere Weſen zu ſtehlen als die herrlichſten; die
[91] minder vollkommnen fallen blos Liebhabern an¬
heim. Aber wie niedrig iſt ein Mann, der ver¬
laſſen vom eignen Werth, blos vom fremden
Machtgebot beſchützt, ſein Glück bezahlend mit
einem geſtohlnen, nun die unbeſchirmte Seele
von einer geliebten nachweinenden in ein lan¬
ges kaltes Leben wegſchleppen und ſie in ſeine
Arme wie in froſtige Schwerter drücken und ſie
darin ſo nahe an ſeinem Auge blutend erblei¬
chen und zucken ſehen kann! — Der Mann
von Ehre giebt ſchon erröthend, aber er nimmt
nicht erröthend; und der beſſere Löwe, der thie¬
riſche, ſchonet das Weib *); aber dieſe Seelen¬
einkäufer erpreſſen vom bezwungnen Weſen
noch zuletzt das Zeugniß der Freiwilligkeit.


Mutter des armen Herzens, das du durch
Unglück beglücken willſt, höre du mich! Ge¬
ſetzt deine Tochter härte ſich ab gegen das auf¬
gedrungene Elend: haſt du ihr nicht den reichen
Traum des Lebens zum leeren Schlafe gemacht
und ihr daraus die glückſeeligen Inſeln der
Liebe genommen und alles was auf ihnen
[92] blüht, die ſchönen Tage, wo man ſie betritt
und das ewige frohe Umſehen nach ihnen,
wenn ſie ſchon tief im Horizonte mit ihren blü¬
henden Gipfeln liegen? Mutter, war dieſe
frohe Zeit in deiner Bruſt, ſo nimm ſie der
Tochter nicht; und war ſie dir grauſam entzo¬
gen, ſo denk' an deinen bitterſten Schmerz und
erb' ihn nicht fort.


Geſetzt ferner, ſie macht den Entführer ih¬
rer Seele glücklich, rechne nun, was ſie für den
Liebling derſelben geweſen wäre und ob ſie
dann nichts verdiene als den zu ihr von Einer
Gefängnißthüre auf immer eingeſchloſſenen Ker¬
kermeiſter zu ergötzen? — Aber ſo gut iſt's
ſelten; — du wirſt ein doppeltes Mißgeſchick
auf deine Seele häufen, den langen Schmerz
der Tochter, das Erkalten des Gatten, der ſpä¬
ter die Weigerungen fühlt und rügt. — Du
haſt die Zeit verſchattet, wo der Menſch am
erſten Morgenſonne braucht, die Jugend.
O macht lieber alle andere Tageszeiten des Le¬
bens trübe, — ſie ſind ſich alle ähnlich, das
dritte, und das vierte und fünfte Jahrzehend —
nur bei Sonnenaufgang laſſet es nicht ins Le¬
[93] ben regnen; nur dieſe einzige, nie umkehrende,
unerſetzliche Zeit verfinſtert nicht.


Aber wie, wenn du nicht blos Freuden,
Verhältniſſe, eine glückliche Ehe, Hofnungen,
eine ganze Nachkommenſchaft für deine Plane
und Befehle opferteſt, ſondern das Weſen ſel¬
ber*), das du zwingſt? Wer kann dich recht¬
fertigen oder deine Thränen trocknen, wenn die
[94] beſte Tochter — denn gerade dieſe wird gehor¬
chen, ſchweigen und ſterben, wie den Mönchen
von La Trappe ihr Kloſter niederbrennt, ohne
daß einer das Gelübde des Schweigens bricht *)
— wenn ſie, ſag' ich, wie eine Frucht halb vor
der Sonne halb im Schatten, nach außen hin
blüht und nach innen kalt erbleicht, wenn ſie,
ihrem entſeelten Herzen nachſterbend, dir end¬
lich nichts mehr verhehlen kann, ſondern
Jahre lang die Bläſſe und die Schmerzen des
Unterganges mitten im Aufgange des Lebens
herumträgt — und wenn du ſie nicht tröſten
darfſt, weil du ſie zerſtöret haſt und dein Ge¬
wiſſen den Namen Kindermörderin nicht ver¬
ſchweigt — und wenn nun endlich das ermü¬
dete Opfer vor deinen Thränen daliegt und
das ringende Weſen ſo bang und früh, ſo matt
und doch lebensdurſtig, vergebend und klagend
mit brechenden und ſehnſüchtigen Blicken pein¬
lich-verworren und ſtreitend in den bodenloſen
Todesfluß mit den blühenden Gliedern unter¬
ſinkt: o ſchuldige Mutter am Ufer, die du ſie
[95] hineingeſtoßen, wer will dich tröſten? — Aber
eine ſchuldloſe würde ich rufen und ihr das
ſchwere Sterben zeigen und ſie fragen: ſoll
dein Kind auch ſo untergehen? —

59. Zykel.

Es war ein romantiſcher Tag für Zeſara,
ſogar von außen; Sonnenfunken und Regen¬
tropfen ſpielten blendend durch den Himmel.
Er hatte einen Brief von ſeinem Vater aus
Madrid bekommen, der auf den gedrohten
Tod ſeiner Schweſter endlich das ſchwarze Sie¬
gel der Gewißheit drückte und worin nichts An¬
genehmes war als die Nachricht, daß Don
Gaſpard mit der Gräfin de Romeiro, deren
Vormundſchaft er nun ſchließe, in dem Herbſte
(dem italieniſchen Frühling) nach Italien gehe.
Zwei Töne waren ihm aus der Tonleiter der
Liebe geriſſen, er erfuhr nie, wie man einen
Bruder liebe und eine Schweſter. Das Zu¬
ſammentreffen ihrer Sterbenacht mit der Tar¬
tarus-Nacht, dieſes ganze Einkrallen in die
heiligen Bilder und Wünſche ſeines Herzens em¬
pörte ſeinen Geiſt und er fühlte zornig, wie
ohnmächtig eine ganze antaſtende Welt Lia¬
[96] nens Bild in ihm wegzurücken ſuche; und fühl¬
te wieder ſchmerzlich, daß eben dieſe Liane ſel¬
ber an ihr nahes Vergehen glaube. —


So fand ihn eine unerwartete Einladung
von der — Miniſterin ſelber — — Sonnen¬
funken und Regentropfen ſpielten auch in ſei¬
nem Himmel. — Er flog; im Vorzimmer
ſtand der Engel, der die ſechs apokalyptiſchen
Siegel erbrach — Rabette. Sie war ihm ent¬
gegen gelaufen aus Scheu vor der Geſellſchaft
und hatt' ihn früher umarmt als er ſie. Wie
gern ſah er ins bekannte redliche Angeſicht!
Mit Thränen hört' er den Namen Bruder, da
er heute eine Schweſter verloren! — —


Die Urſache ihrer Erſcheinung war dieſe:
als der Direktor das letztemal bei der Mi¬
niſterin war; hatte dieſe mit leichter verdeck¬
ter Hand ſeiner Tochter „zur Kenntniß des
„leeren Stadtlebens und zur Veränderung“
— ihr Haus geöffnet, um künftig an ſeines
für ihre klopfen zu dürfen. Er ſagte, „er ſpe¬
„dir' ihr den weiblichen Wildfang mit Freuden.“
Und da ihm in Blumenbühl Rabette Nein,
dann Ja, dann Nein, dann Ja geantwortet
und[97] und ſie mit der Mutter noch vor Mitter¬
nacht eine Reichskammergerichts-Reviſion, einen
Münzprobazions-Tag über alles gehalten hat¬
te, was ein Menſch vom Land anziehen kann
in der Stadt: ſo packte ſie dort auf und
hier — ab.


„Ach ich fürchte mich drinnen, (ſagte ſie zu
„Albano,) ſie ſind alle zu geſcheut und ich bin
„nun ſo dumm!“ — Er fand außer dem Fa¬
milienkleebat noch die Prinzeſſin und die kleine
Helena aus Lilar, dieſes ſchöne Medaillon ei¬
nes ſchönen Tages für ſein gerührtes Herz. Un¬
beſchreiblich ergriff ihn Lianens weibliche Annä¬
herung an Rabette, gleichſam als theil' er ſie
mit ihr. Mit Leutſeeligkeit und Zartheit kam
die Milde, die ohne Falſch und Stolz war,
der verlegnen Geſpielin zu Hülfe, auf deren
Geſicht [die] angeborne lachende und beredte
Natur jetzt ſonderbar gegen den künſtlichen
Stummen-Ernſt abſtach. Karl war mit ſeiner
gewandten Vertraulichkeit mehr im Stand, ſie
zu umſtricken als loszuwickeln; blos Liane gab
ihrer Seele und Zunge ſchon durch den Stick¬
rahmen freies Feld; Rabette ſchrieb mit der
Titan II. G[98] Sticknadel zwar keine Zier- und Anfangsbuch¬
ſtaben, aber doch eine gute Kurrenthand.


Sie gab — das Geſicht gegen das brüder¬
liche gewandt, um Muth davon zu holen —
von dem gefährlichen Wege und Umwerfen ei¬
nen deutlichen Bericht und lachte dabei, nach
der Sitte des Volks, wenn es ſein Unglück er¬
zählt. Der Bruder war ihr auf Koſten der
Geſellſchaft ſelber die Geſellſchaft und die Welt;
nach ihm allein ſtrömte ihre Wärme und Rede
hin. Sie ſagte: ſie könn' ihn aus ihrer
Stube „klavieren“ ſehen. Liane führte beide
ſofort darein. Wie reich und erhaben über Ra¬
bettens Anſprüche ans Stadtleben war das
jungfräuliche Hoſpitium ausgeſtattet, von der
Tulpe an — keiner blühenden, ſondern einem
Arbeitskörbchen von Liane, wiewohl jede Tulpe
eines für den Frühling iſt — bis zum Klavier,
von dem ſie gegenwärtig freilich nicht mehr
verbrauchen kann als ſieben Diskanttaſten für
einen halben Walzer! Fünf mäßige Kleider¬
käſten — denn damit glaubte ſie auszukom¬
men und der Stadt zu zeigen, daß auch das
Land ſich kleiden könne — ſtellten ihm in ihren
[99] wohlbekannten Blumenſtücken und Blechbändern
gleichſam die alten Drucke (Inkunabeln) der
erſten Lebenstage vor; und heute erquickte ihn
jede Spur der alten Liebes-Zeit. Sie ließ ihn
ſeine Fenſter ſuchen, aus deren einem der Bi¬
bliothekar einen ſoliden Blick auf einen Gaſſen¬
ſtein heftete, um ihn immer zu treffen mit
Anſpucken.


Hier einſam neben dem Bruder ſagte
Liane der Schweſter das Wort der Freund¬
ſchaft lauter und verſicherte, wie ſie ſie erfreuen
wolle und wie gut und wahr ſie es mit ihr
meine. O ſehet in die Flamme der reinen reli¬
giöſen ſchweſterlichen Liebe mit keinem gelben
Auge des Argwohns! Faſſet ihr nicht, daß dieſe
ſchöne Seele eben jetzt ihre reichen Flammen
zertheile für alle Schweſterherzen, bis die Liebe
ſie zuſammendrängt in Eine Sonne, wie nach
den Alten die zerſtreueten Blitze der Nacht am
Morgen ſich zu Einer dichten Sonne ſammlen?
— Sie war überall Auge für jedes Herz; wie
eine Mutter vergaß ſie nicht einmal die Kleine
über Große; und ſie goß — keiner ſtreiche mir
dieſes kleine Beiſpiel weg — der kleinen Helena
G 2[100] die Taſſe Kaffe, die der Doktor verbot, halb
voll Sahne, damit er ohne Kraft und Nach¬
theil ſey.


Die ungeduldige Prinzeſſin hatte ſchon
zehnmal nach dem Himmel geſchauet, durch
welchen bald Lichtſtralen bald Regenſäulen flo¬
gen — bis endlich aus dem verzehrten Wolken¬
ſchnee das Blau in weiten Feldern wuchs und
Julienne die erfreueten jungen Leute in den
Garten zum Anſtoß der Miniſterin entführen
konnte, die ungern Lianen dem Serein, fünf
oder ſechs Abendwind-Stößen und dem Waten
durch das 1/19 Linie hoch ſtehende Regenwaſſer
ausſetzte. Sie ſelber blieb zurück. Wie war
alles drunten ſo neu gebohren, wiederſcheinend
und liebkoſend! Die Lerchen ſtiegen aus den
fernen Feldern wie Töne auf und ſchmetterten
nahe über dem Garten — in allen Blättern
hiengen Sterne und die Abendluft warf das
naſſe Geſchmeide, die zitternden Ohrroſen aus
den Blüthen in die Blumen herab und trieb
ſüße Düfte den Bienen entgegen. Die Idylle
des Jahrs, der Frühling, theilte ſein holdes
Schäferland unter die jungen Seelen aus. Al¬
[101] bano nahm die Hand ſeiner Schweſter, aber er
hörte mühſam auf ihre Berichte vom Hauſe.
Liane gieng mit der Prinzeſſin weit voraus
und labte ſich am offnen Himmel der Vertrau¬
lichkeit.


Plötzlich ſtand Julienne mit ihr ſcherzend
ſtill, um den Grafen heranzulaſſen und zu fra¬
gen nach Briefen von Don Gaſpard und nach
Nachrichten von der Gräfin Romeiro. Er
theilte mit erglühendem Geſicht den Inhalt des
heutigen mit. In Juliennens Phyſiognomie
lächelte faſt Neckerei. Auf die Nachricht von
Linda's Reiſe verſetzte ſie: „daran erkenn' ich
„ſie: alles will ſie lernen — alles bereiſen. — Ich
„parire, ſie ſteigt auf den Montblanc und in
„den Veſuv. Liane und ich nennen ſie darum
„die Titanide.“ Wie freundlich hörte dieſe zu,
mit den Augen ganz auf der Freundinn! „Sie
„kennen ſie nicht?“ fragte ſie den Gepeinig¬
ten. Er verneinte heftig. Roquairol kam nach;
passés, Monsieur,“ ſagte ſie Platz machend
und ihn fortwinkend. Liane blickte ſehr ernſt
nach. „La voici!“ ſagte Julienne, indem ſie
an einem Ringe ihrer kleinen Hand durch einen
[102] Druck die Decke eines Bildniſſes aufſpringen
ließ. — — Guter Jüngling! es war ganz die
Geſtalt, welche in jener Zaubernacht aus dem
Lago maggiore aufſtieg, dir von den Geiſtern
zugeſchickt! — „Sie iſt getroffen“ ſagte ſie zu
dem erſchütterten Menſchen. „Sehr!“ ſagt' er
verwirrt. Sie unterſuchte dieſes widerſprechende
„Sehr“ nicht; aber Liane ſah ihn an: „ſehr —
„ſchön und kühn!“ (fuhr er fort) aber ich liebe
„Kühnheit an Weibern nicht.“ — „O, das
„glaubt man den Männern gern, verſetzte Ju¬
„lienne; keine feindliche Macht liebt ſie an der
„andern.“


Sie giengen jetzt in der Kaſtanienallee vor
der heiligen Stätte vorbei, wo Albano die
Braut ſeiner Hofnungen zum erſtenmale hinter
den Waſſerſtralen hatte glänzen und leiden ſe¬
hen. O er hätte hier mit dieſer vom Gegen¬
einanderarbeiten wunderbarer Verhältniſſe bang'¬
erhitzten Seele gern vor dem nahen ſtillen En¬
gel niederknieen mögen! — Die zarte Julienne
merkte, ſie habe ein bewegtes Herz zu ſchonen;
nach einem ziemlich lauten Schweigen ſagte
ſie in ernſtem Ton: „ein holder Abend! Wir
[103] „wollen aufs Waſſerhäuschen. — Liane wurde
„da geheilt, Graf! Die Fontainen müſſen auch
„ſpringen.“ — „O die Fontainen!“ ſagte Al¬
bano und ſah unbeſchreiblich-gerührt Lianen
an. Sie dachte aber, er meine die im Flöten¬
thal. Helena gebot hinter ihnen, zu warten
und kam mit zwei Händchen voll gepflückter
thauiger Aurikeln nachgetrippelt und gab ſie
alle Lianen, von ihr als der Kollatorin der
Benefizien die Blumen-Spende erwartend:
„auch die Kleine denkt noch an den ſchönen
„Sonntag in Lilar“ ſagte Liane. Sie gab der
Prinzeſſin ein Paar und Helena nickte; und
als Liane ſie anſah, nickte ſie wieder zum Zei¬
chen, der Graf ſoll' auch etwas haben; —
„noch mehr!“ rief ſie als er bekommen; und je
mehr jene gab, deſto mehr rief ſie „mehr!“
— wie Kinder in den Hyperbeln ihres Hanges
zur Unendlichkeit pflegen.


Man gieng über eine grüne Brücke und
kam in ein niedliches Zimmer. Statt des vo¬
rigen Pianofortes ſtand ein gläſernes Heiligen¬
haus der Tonmuſe da, eine Harmonika. Der
Hauptmann ſchraubte innen hinter einem Ta¬
[104] petenthürchen und ſogleich fuhren draußen alle
feſtgebundnen Springwaſſer mit ſilbernen Flü¬
geln gen Himmel. O wie brannte die bereg¬
nete Welt, als ſie hinaus auf die Höhe traten!


Warum warſt du, mein Albano, gerade
in dieſer Stunde nicht ganz glücklich? — War¬
um ſtechen denn durch alle unſre Bündniſſe
Schmerzen und warum blutet das Herz wie
ſeine Adern am reichſten, wenn es erwärmt
wird? — Ueber ihnen lag der ſtille verwun¬
dete Himmel im Verband eines langen weißen
Gewölkes — die Abendſonne ſtand noch hinter
dem Pallaſt, aber auf beiden Seiten deſſelben
wallete ihr Purpurmantel aus Wolken in weiten
Falten über den Himmel hin — und wenn man
ſich umkehrte nach Oſten, zu den Bergen von
Blumenbühl, ſo liefen grüne Lebens-Flammen
hinauf und wie goldne Vögel hüpften die Irr¬
lichter durch die feuchten Zweige und an die
Morgenfenſter, aber die Fontainen warfen
noch ihr weiſſes Silber in das Gold. — —


Da ſchwamm die Sonne mit rother hei¬
ßer Bruſt goldne Kreiſe in den Wolken zie¬
hend hervor und die gebognen Waſſerſtralen
[105] brannten hell.... Julienne ſah Albano, neben
welchem ſie immer gleichſam gutmachend ge¬
blieben, herzlich an als ob es ihr Bruder wäre,
und Karl ſagte zu Liane: „Schweſter, Dein
„Abendlied!“ — „Von Herzen gern:“ ſagte
ſie; denn ſie war recht froh über die Gelegen¬
heit, ſich mit dem wehmüthigen Ernſt ihres Ge¬
nuſſes zu entfernen und drunten in der einſa¬
men Stube auf den Harmonikaglocken alles
laut zu ſagen, was die Entzückung und die
Augen verſchweigen.


Sie gieng hinab, das melodiſche Requiem
des Tages ſtieg herauf — der Zephyr des Klan¬
ges, die Harmonika, flog wehend über die Gar¬
ten-Blüthen — und die Töne wiegten ſich auf
den dünnen Lilien des aufwachſenden Waſſers
und die Silberlilien zerſprangen oben vor Luſt
und Sonne in flammige Blüthen — und drüben
ruhte die Mutter Sonne lächelnd in einer Aue
und ſah groß und zärtlich ihre Menſchen
an. — — Hältſt du denn dein Herz, Albano,
daß es mit ſeinen Freuden und Leiden verbor¬
gen bleibt, wenn du die ſtille Jungfrau im
Mondſchein der Töne wandeln hörſt? O
[106] wenn der Ton, der im Aether vertropft, ihr
das frühe Verrinnen ihres Lebens anſagt und
wenn ihr die langen weichen Melodien als das
Roſenöl vieler zerdrückter Tage entfließen:
denkſt du daran nicht, Albano? — Wie der
Menſch ſpielet! Die kleine Helena wirft mit
Aurikeln nach den lodernden Waſſeradern, da¬
mit ſie eine mit aufſchleudern; und der Jüngling
Zeſara bückt ſich weit über das Geländer und
läſſet an der ſchiefen Hand den Waſſerſtrahl
auf ſein heißes Geſicht und Auge abſpringen,
um ſich damit zu kühlen und zu verhüllen. —
Durch ſeine Schweſter wurde ihm der feurige
Schleier geraubt, Rabette gehörte unter die
Menſchen, welche dieſes tönende Beben ſogar
phyſiſch zernagt — ſo wie wieder den Haupt¬
mann die Harmonika wenig ergriff, der immer
am wenigſten gerührt war, wenn es andere
am meiſten waren —; die Unſchuldige war mit
keinen Schmerzen weniger vertraut als mit ſü¬
ßen; die bitterſüße Wehmuth, worein ſie in der
müßigen Einſamkeit der Sonntage verſank, hat¬
ten ſie und andere blos für Verdrießlichkeit ge¬
ſcholten. Jetzt fühlte ſie auf einmal mit Errö¬
[107] then ihr rüſtiges Herz wie von heißen Strudeln
gefaſſet, umgedreht und durchgebrannt. Ohne¬
hin war es heute durch das Wiederfinden des
Bruders, durch das Verlaſſen der Mutter und
die verlegne Bangigkeit vor Fremden und ſel¬
ber durch den ſonnenrothen Blumenbühler Berg
hin und her bewegt. Umſonſt kämpften die
friſchen braunen Augen, und die überreife volle
Lippe gegen den aufwühlenden Schmerz, die
heißen Quellen riſſen ſich durch und das blü¬
hende Angeſicht mit dem kräftigen Kinn ſtand
erröthend voll Thränen. Schmerzlich verſchämt
und bange, für ein Kind gehalten zu werden,
zumal da alle Rührungen der Andern unſicht¬
bar geblieben waren, drückte ſie das Schnupf¬
tuch über das brennende Geſicht und ſagte zum
Bruder: „ich muß fort, mir iſt nicht wohl, es
„will will erſticken.“ — und lief hinab zur
ſanften Liane.


Dahin trage nur die ſcheuen Schmerzen!
Liane wandte ſich und ſah ſie ſchnell und heftig
die Augen trocknen. Ach ihre waren ja auch
voll. Da Rabette es ſah: ſagte ſie muthig:
„ich kanns ja nicht hören — ich muß heulen —


[108]

„ich ſchäme mich wohl recht.“ — „O Du lie¬
„bes Herz, (rief Liane freudig ihr um den Hals
„fallend) ſchäme Dich nicht und blick’ in mein
„Auge — Schweſter, komme zu mir, ſo oft
„Du bekümmert biſt, ich will gern mit Deiner
„Seele weinen und will Dein Auge noch eher
„abtrocknen als meines.“ — Ein überwältigen¬
der Zauber war in dieſen Liebestönen, in die¬
ſen Liebesblicken, weil Liane wähnte, ſie trauere
über irgend einen verfinſterten Stern des Le¬
bens. — Und nie hat die furchtſame Dankbar¬
keit ein verehrtes Herz friſcher und jugendlicher
umarmet als Rabette Lianen.


Da kam Albano. Vom Austönen des Wie¬
genliedes erwachend war er ihr nachgeeilt, ohne
alle kalte und andere Tropfen von ſeinen feuri¬
gen Wangen zu wiſchen; „wie iſt Dir, Schwe¬
„ſter?“ fragt’ er eilig. Liane, noch in der Umar¬
mung und Begeiſterung ſchwebend, antwortete
ſchnell: „Sie haben eine gute Schweſter, ich
„will ſie lieben wie ihr Bruder.“ Die ſüßen
Worte, die ſo innig gerührten Seelen, der feu¬
rige Sturm ſeines Weſens riſſen ihn dahin und
er umſchloß die Umarmenden und drückte die
[109] verſchwiſterten Herzen an einander und küßte
die Schweſter; als er über Lianens beſtürztes
Wegbeugen des Kopfes erſchrack und bluthroth
aufflammte. — —


Er mußte entfliehen. Mit dieſen wilden
Erſchütterungen konnt' er nicht vor Lianen und
vor den kalten Spiegeln der Geſellſchaft blei¬
ben. Aber die Nacht ſollte ſo wunderbar wer¬
den wie der Tag; er eilte mit Lebens-Blicken,
die wie zornige ausſahen, aus der Stadt zur
Titanide, zur Natur, die uns zugleich ſtillet
und erhebet. Er gieng vor aufgedeckten Müh¬
lenrädern vorbei, um welche ſich der Strom
ſchäumend wand. — Die Abendwolken ſtreckten
ſich wie ausruhende Rieſen aus und ſonnten
ſich im Morgenroth Amerikas — und der
Sturm fuhr unter ſie und die feurigen Zenti¬
manen ſtanden auf — die Nacht bauete den
Triumphbogen der Milchſtraße und die Rieſen
zogen finſter hindurch. — Und in jedem Ele¬
mente ſchlug die Natur wie ein Sturmvogel den
rauſchenden Flügel.


Albano lag, ohne es kaum zu wiſſen, auf
der Wald-Brücke Lilars, worunter die Wind¬
[110] ſtröme durchrauſchten. Er glühte gleich den
Wolken, von ſeiner Sonne nach — ſeine in¬
nern Flügel waren wie die des Strauſſes, voll
Stacheln und verwundeten ihn im Erheben —
— der romantiſche Geiſtertag, der Brief des
Vaters, Lianens Auge voll Thränen, ſeine
Kühnheit und ſeine Wonne und Reue darüber
und jetzt die erhabne Nacht- Welt auf allen
Seiten um ihn her, zogen erſchütternd im jun¬
gen Herzen hin und her — er berührte mit der
Feuer-Wange die beregneten Gipfel und kühlte
ſich nicht, und war dem tönenden fliegenden
Herzen, der Nachtigal, nahe und hörte ſie kaum.
— — Wie eine Sonne geht das Herz durch die
blaſſen Gedanken und löſchet auf der Bahn ein
Sternbild nach dem andern aus. — — Auf
der Erde und an dem Himmel, in der Ver¬
gangenheit und in der Zukunft ſtand vor Al¬
ban nur eine Geſtalt; „Liane“ ſagte ſein Herz,
„Liane“ ſagte die ganze Natur.


Er gieng die Brücke hinab und ſtieg die
weſtlichen Triumphbogen hinauf, das däm¬
mernde Lilar ruhte vor ihm. — Siehe da ſah
er den alten „frommen Vater“ auf dem Gelän¬
[111] der des Bogens eingeſchlummert. Aber wie an¬
ders war die verehrte Geſtalt als er ſie ſich
nach der des verſtorbnen Fürſten vorgemalt!
Die unter dem Quäkerhute reichvorwallenden
weißen Locken, die weiblich und poetiſch runde
Stirn, die gebogne Naſe und die jugendliche
Lippe, die noch nicht im ſpäten Leben einwelkte,
und das Kindliche des ſanften Geſichts verkün¬
digten ein Herz, das in der Dämmerung des
Alters ausruht und nach Sternen blickt. Wie
einſam iſt der heilige Schlaf! Der Todesengel
hat den Menſchen aus der lichten Welt in die
finſter überbauete Einſiedelei geführt, ſeine
Freunde ſtehen drauſſen neben der Klauſe; drin¬
nen redet der Einſiedler mit ſich und ſein Dun¬
kel wird immer heller und Edelſteine und Auen
und ganze Frühlingstage entglimmen endlich —
und alles iſt hell und weit! — Albano ſtand
vor dem Schlaf mit einer ernſten Seele, die
das Leben und ſeine Räthſel anſchauet, — —
nicht nur der Ein- und Ausgang des Lebens
iſt vielfach überſchleiert, auch die kurze Bahn
ſelber; wie um ägyptiſche Tempel, ſo liegen
Sphinxe um den größten Tempel und anders
[112] als bei der Sphinx löſet das Räthſel nur der,
welcher ſtirbt. —


Der alte Mann ſprach hinter dem Sprach¬
gitter des Schlafs mit Todten, die mit ihm
über die Morgen-Auen der Jugend gezogen
waren und redete mit ſchwerer Lippe den tod¬
ten Fürſten und ſeine Gattin an. Wie erhaben
hieng der mit einem langen Leben übermalte
Vorhang des veralteten Angeſichts vor der hin¬
ter ihm tanzenden Schäferwelt der Jugend nie¬
der und wie rührend wandelte die graue Ge¬
ſtalt mit dem jugendlichen Kranz im kalten
Abendthau des Lebens umher und hielt ihn für
Morgenthau, und ſah nach Morgen und der
Sonne! — Nur die Locke des Greiſes rührte
der Jüngling liebend-ſchonend an; er wollte
ihn — um ihn nicht mit einer fremden Geſtalt
zu erſchrecken — verlaſſen ehe der aufgehende
Mond ſeine Augenlieder weckend berührte.
Nur wollt' er vorher den Lehrer ſeiner Gelieb¬
ten mit den Zweigen eines nahen Lorbeerbäum¬
chens bekränzen. Als er davon zurückkam:
drang ſchon der Mond mit ſeinem Glanze durch
die[113] die großen Augenlieder; und der Greis ſchlug
ſie auf vor dem erhabnen Jüngling, der mit
dem glühenden Roſenmond ſeines Angeſichts
vom Monde verkläret vor ihm wie ein Genius
mit dem Kranze ſtand. „Juſtus! (rief der Alte)
„biſt Du es?“ Er hielt ihn für den alten Für¬
ſten, der eben mit blühenden Wangen und off¬
nen Augen in der Unterwelt des Traums mit
ihm gegangen war.


Aber er kam bald aus dem träumeriſchen
Elyſium ins botaniſche zurück und wußte ſogar
Albano's Namen. Der Graf faßte mit offner
Miene ſeine Hände und ſagte ihm, wie lange
und innig er ihn achte. Spener erwiederte we¬
nig und ruhig, wie Greiſe thun, die alles auf
der Erde ſo oft geſehen. Der Glanz des Mond¬
lichts floß jetzt an der langen Geſtalt herab
und das ruhig-offne Auge wurde erleuchtet,
das nicht ſowohl eindringt als alles eindrin¬
gen läſſet. Die faſt kalte Stille der Züge, der
junge Gang der langen Geſtalt, die ihre Jahre
aufrecht trug als einen Kranz auf dem Haupte
nicht als Bürde auf dem Rücken, mehr als Blu¬
Titan II. H[114] men denn als Früchte, die ſonderbare Miſchung
von vorigem männlichen Feuereifer und weib¬
licher Zartheit, alles dieſes weckte vor Albano
gleichſam einen Propheten des Morgenlandes
auf. Dieſer breite Strom, der durch die Alpen
der Jugend niederbrauſete, zieht jetzt ſtill und
eben durch ſeine Auen; aber werft ihm Felſen
vor, ſo ſteht er wieder brauſend auf.


Der Greis ſah den jugendlichen Jüng¬
ling je öfter je wärmer an, in unſern Tagen
iſt Jugend an Jünglingen eine körperliche
und geiſtige Schönheit zugleich. Er lud ihn
ein, ihn in dieſer ſchönen Nacht in ſein ſtilles
Häuschen zu begleiten, welches droben neben
der Thurmſpitze ſteht, die oben ins Flötenthal
herein ſchauet. Auf den ſonderbaren Irrſteigen,
die ſie jetzt wandelten, verwirrte ſich Lilar vor
Albano zu einer neuen Welt, wie nächtliche flie¬
gende Silber-Wolken baueten ſich die däm¬
mernden Schönheiten in immer andere Reihen
durcheinander und zuweilen drangen beide durch
ausländiſche Gewächſe mit grellfärbigen Blü¬
then und wunderlichen Düften. Der fromme
[115] Vater fragt' ihn theilnehmend ſein voriges und
jetziges Leben ab.


Sie kamen vor einen dunkeln Gang in der
Erde. Spener faßte freundlich Albano's rechte
Hand und ſagte, dieſer führe zu ſeiner Berg¬
wohnung hinauf. Aber bald ſchien es hinab¬
zugehen. Der Strom des Thales, die Roſana,
klang noch herein, aber nur einzelne Tropfen
des Mondlichts ſikerten durch zerſtreuete mit
Zweigen überſponnene Bergöffnungen durch.
Die Höhlung ſank weiter nieder — noch ferner
rauſchte das Waſſer im Thale. — Und doch
ſang eine Nachtigal immer nähere Lieder —
Albano ſchwieg gefaſſet. Überall giengen ſie
vor engen Pforten des Glanzes vorbei, den
blos ein Stern des Himmels herein zu werfen
ſchien. — Sie ſtiegen jetzt zu einer fernen er¬
leuchteten Zauberlaube hinab aus hellrothen
und giftigen dunkeln Blumen, aus kleinen Zak¬
kenblättern und großem breiten Laube zugleich
gewölbt und ein verwirrendes weißes Licht,
halb von hereinſchäumenden Strahlen lebendig
verſpritzt und halb aus Lilien nur als weißer
H 2[116] Staub angeflogen, zog das Auge in einem
trunknen Schwindel — Zeſara trat geblendet
hinein und indem er rechts nach dem einreg¬
nenden Feuer ſah, fand er Speners Auge ſcharf
links geheftet — er blickte hin und ſah im Vor¬
übereilen einen alten Mann, ganz dem ver¬
ſtorbnen Fürſten ähnlich, in eine Nebenhöhle
ſchreiten — ſeine Hand zuckte erſchrocken, Spe¬
ners ſeine auch — dieſer drang eilig weiter
hinab — und endlich glänzte eine blaue ge¬
ſtirnte Öffnung — ſie traten hinaus . . . . .


Himmel! ein neues Sternengewölbe — eine
blaſſe Sonne zieht durch die Sterne und ſie
ſchwimmen ihr ſpielend nach — unten ruht eine
entzückte Erde voll Schimmer und Blumen, ihre
Berge laufen leuchtend am Himmelsbogen hin¬
auf und beugen ſich herüber nach dem Si¬
rius — und durch das unbekannte Land wan¬
deln Entzückungen wie Träume, worüber der
Menſch vor Freude weint.


„Was iſt das? Bin ich in oder über der
„Erde? (ſagte Albano erſtaunt und flüchtete das
[117] „irrende Auge auf das Angeſicht eines lebendigen
„Menſchen) — ich ſah einen Todten.“ — —
Viel liebreicher als vorher antwortete der Greis:
„das iſt Lilar, hinter uns iſt mein Häuschen.“
Er erklärte den mechaniſchen Schein *) des
Hinabſteigens. „Hier ſtand ich nun ſchon
„ſo viel tauſendmal und ergötzte mich herzin¬
„niglich an den Werken Gottes. — Wie ſah die
„Geſtalt aus, mein Sohn?“ — „Wie der
„todte Fürſt,“ ſagte Alban. Betroffen, aber
faſt gebietend ſagte Spener leiſe: „ſchweig
„wie ich bis zu ſeiner Zeit — er war's nicht —
„Dein Heil und vieler Heil hängen daran —
„gehe heute nicht mehr durch den Gang.“ —


Albano durch den ganzen ſonderbaren Tag
halb entrüſtet ſagte: „Gut, ſo geh' ich durch
„den Tartarus zurück. Aber was bedeutet das
[118] „Geiſter-Weſen, was mich überall verfolgt?“ —
„Du haſt (ſagte der Alte, ihm liebend und er¬
„quickend, auf die Stirn die Finger legend)
„lauter unſichtbare Freunde um Dich — und
„verlaſſe Dich überall auf Gott. Es ſagen ſo
„viele Chriſten, Gott ſey nahe oder ferne, ſeine
„Weisheit und ſeine Güte erſcheine ganz ab¬
„ſonderlich in einem Saeculo oder in einem
„andern — das iſt ja eitel Trug — iſt er nicht
„die unveränderliche ewige Liebe und er liebt
„und ſeegnet uns in der einen Stunde nicht
„anders als in der andern?“ Wie wir die
Sonnenfinſterniß eigentlich eine Erdfinſterniß
nennen ſollten, ſo wird nur der Menſch verfin¬
ſtert, nie der Unendliche; aber wir gleichen dem
Volke, das der Verfinſterung der Sonne im
Waſſer zuſieht und dann wenn dieſes zittert,
ausruft: ſeht wie die liebe Sonne kämpft.


Albano trat in die Einſamkeit der reinli¬
chen geordneten Wohnung des alten Mannes,
nur beklommen, weil in der heißen Aſche ſeines
Vulkans alles üppiger trieb und grünte. Spe¬
ner zeigte von ſeinem Bergrücken hinüber auf
[119] das ſogenannte „Donnerhäuschen*)“ und rieth
ihm, es dieſen Sommer zu bewohnen. Albano
ſchied endlich, aber ſein bewegtes Herz war ein
Meer, in welchem die Morgenſonne glühend
noch halb ſteht und in welches ſich in Abend
ein bleifarbiges Gewitter taucht und das glän¬
zend ſchwillt unter dem Sturm. Er ſah aus
der Tiefe nach dem nachblickenden Greiſe hin¬
auf; aber er hätte ſich heut kaum gewundert,
wenn dieſer verſunken oder aufgeſtiegen wäre.
In zornig-muthigen Entſchlüſſen, für ſeine
Liebe, wornach kalte Hände griffen, mit ſeinem
Leben zu bürgen und zu opfern, ſchritt er durch
den vom Vergrößerungsſpiegel der Nacht zum
ſchwarzen Rieſen-Troß aufgezognen Tartarus
ohne alle Furcht; ſo iſt die Geiſterwelt nur
ein Welttheil unſerer innern, und das Ich fürch¬
tet nur das Ich. Da er vor dem Altare
des Herzens in der ſtummen Nacht, wo nichts
laut war als der Gedanke, ſtand, ſo rieth ihm
der kühne Geiſt einigemale, den alten Todten
[120] zu rufen und laut zu ſchwören bei ſeinem
Herzen voll Staub —; aber als er zum ſchö¬
nen Himmel aufſah, wurde ſein Herz geheiligt
und es betete nur: „o guter Gott, gieb mir
„Liane! —“


Es wurde finſter, die Wolken, die er für
glänzende in den Himmel herübergebogne Ge¬
birge einer neuen Erde genommen, hatten den
Mond erreicht und düſter überzogen.


[121]

Dreizehnte Jobelperiode.

Roquairols Liebe — Philippica gegen die Liebha¬
ber — die Gemälde — Albano Albani — das
harmoniſche tête-à-tête. — die Blumenbühler
Reiſe.


60. Zykel.

Aus den Tropfen, welche die Harmonika aus
Rabettens Herzen gezogen hatte, bereitet der alte
Zauberer, das Schickſal, wie andere Zauberer
aus Blut, vielleicht finſtere Geſtalten; denn Ro¬
quairol hatte es geſehen und ſich über das Ge¬
fühl eines Herzens verwundert, das bisher mehr
Arbeiten als Romane in Bewegung geſetzt hat¬
ten. Nun trat er ihr mit Antheil näher. Er
hatte ſeit der Nacht des Schwurs ſein Herz
aus allen unwürdigen Ketten gezogen. In die¬
ſer Freiheit des Sieges gieng er ſtolzer einher
[122] und ſtreckte die Arme leichter und ſehnſüchtiger
nach edler Liebe aus. Er beſuchte jetzt ſeine
Schweſter unaufhörlich; aber er hielt noch an
ſich. Rabette war ihm nicht ſchön genug ne¬
ben der zarten Schweſter, eine Bandroſe neben
einer von van der Ruyſch; ſie ſagte ſelber naiv,
ſie ſehe mit ihrer Dorf-Farbe im weißen Linon
wie brauner Thee in weißen Taſſen aus. Aber
in ihren geſunden noch nicht von tragiſchen
Tropfen mattgebaizten Augen und auf den fri¬
ſchen Lippen glühte Leben, ihr kräftiges Kinn
und ihre gebogne Naſe drohten und verſpra¬
chen Muth und Kraft und ihr aufrichtiges
Herz ergriff und verſtieß entſchieden und heftig.
Er beſchloß ſie zu — prüfen. Der Talmud *)
verbietet, nach dem Preis einer Sache zu fra¬
gen, wenn man ſie nicht kaufen will; aber die
Roquairols feilſchen immer und gehen weiter.
Sie reiſſen eine Seele, wie Kinder eine Biene
entzwei, um aus ihr den Honig zu eſſen, den
ſie ſammlen will. Sie haben vom Aale nicht
nur die Leichtigkeit, zu entſchlüpfen, ſondern
[123] auch die Kraft, den Arm zu umſchlingen und
zu zerbrechen.


Er lies nun vor ihr alle blendenden Kräfte
ſeines vielgeſtaltigen Weſens ſpielen — das
Gefühl ſeiner Überlegenheit ließ ihn ſich frei
und ſchön bewegen und das ſorgloſe Herz ſchien
nach allen Seiten offen — er kettete den Ernſt
an den Scherz, die Gluth an den Glanz, das
Größte ans Kleinſte ſo frei und die Kraft an
die Milde. — Unglückliche! nun biſt du ſein;
und er trägt dich von deinem feſten Boden mit
Raubſchwingen in die Lüfte und dann wirft er
dich herab. Wie ein Gewächs am Gewitterab¬
leiter wirſt du deine Kräfte reich an ihm ent¬
falten und hinaufgrünen; aber er wird den
Blitz auf ſich und deine Blüthen ziehen und
dich entblättern und zerſchlagen.


Rabette hatte einen ſolchen Menſchen nie
gedacht, geſchweige geſehen; er drang gewalt¬
ſam in ihr geſundes Herz und eine neue Welt
folgte ihm nach. Durch Lianens Liebe gegen
den Hauptmann gieng ihre noch höher auf;
und beide konnten von ihren Brüdern in freund¬
lichem Wechſel ſprechen. Die gute Liane ſuchte
[124] der Freundinn mancherlei beizubringen, was
ſich ſchwer feſtſetzen wollte, beſonders die My¬
thologie, welche ihr durch die franzöſiſche Aus¬
ſprache der Götter noch unbrauchbarer wurde.
Sogar mit Büchern ſuchte Liane ſie zuſammen¬
zubringen; ſo daß Lektüre ihr eine Art von
Wochen-Gottesdienſt dem ſie mit wah¬
rer Andacht beiwohnte und deſſen Ende ſie ſtets
ergötzte. Durch alle dieſe Schöpfräder der Er¬
kenntniß ſtrömte Roquairol's Liebe hindurch
und half treiben und ſchöpfen. — Wie viele
Erröthungen flogen jetzt ohne allen Anlaß über
ihr ganzes Geſicht! Das Lachen, womit ſie
ſonſt heiter war, kam jetzt zu oft und bedeute¬
te nur ein unbeholfnes Herz, das ſeufzen will.


So ſtand ihr Verhältniß, als Karl einſt
ſcherzend hinter ſie ſchlich und ihr die Augen
mit einer Hand verdeckte um ihr unter der
Maſke der brüderlichen Stimme ſanfte ſchwe¬
ſterliche Namen zu geben. Sie verwechſelte die
ähnliche Stimme, ſie drückte inbrünſtig die
Hand, aber ihr Auge war heiß und naß. Da
fand ſie den Irrthum und floh mit der bedeck¬
ten Abend- und Morgenröthe ihres Angeſichts
[125] aus dem Zimmer. Jetzt ſchaute er Lianen, die
ihn darüber tadelte, näher ins Auge und auch
ihres hatte geweint. Sie wollte ihm anfangs
den Gegenſtand der verſchwiſterten Rührung
verhehlen; aber das fremde Nein war für ihn
von jeher ein Hülfswort, ein Rückenwind, der
ihn in den Hafen brachte. Liane wurde immer
bewegter, endlich erzählte ſie, daß Rabettens
Berichte von Albano's Jugendgeſchichte ihr die
von den ſeinigen abgefodert und daß ſie ihr die
Sterbe-Nacht auf der Redoute gemalt und ſo¬
gar ſein blutiges Kleid gewieſen habe. „Und
„da weinte ſie, (ſagte Lianen) mit mir ſo herzlich
„als wenn ſie deine Schweſter wäre. — O es
„iſt ein liebes Herz!“ Karl ſah beide wie
zwei Auen mit einander verbunden, nähmlich
durch den Regenbogen, der auf beiden mit
Tropfen aufſteht; er zog ſie mit dankender Lie¬
be an die Bruſt. „Biſt du denn glücklich?“
fragte Liane mit einem Ton, der etwas Trübes
weiſſagt.


Sie mußte ihr volles Herz aufſchließen und
ihm alles ſagen — — ſtaunend höret er, daß
ihr die ganze Tartarus-Nacht, worin die un¬
[126] bekannte Stimme Linda de Romeiro ſeinem
Freunde zugeſprochen, bekannt geworden.
Durch wen? — Sie ſchwieg unerbittlich; er
beruhigte ſich, weil es doch nur Auguſti ſeyn
konnte, der allein es wußte. „Und nun glaubſt
„du, du Herz von Himmel, (ſagt' er,) ich und
„mein Seelenbruder könnten uns je raubend
„entzweien? O es iſt all' anders, all' anders!
„— Er verflucht die Aſter-Geiſter und den
„Zweck der Äfferei — o er liebt mich; und
„mein Herz wird am Tage glücklich ſeyn, wo
„es ſeines wird.“ Der vielfache rührende Sinn
dieſer letzten Worte löſte ihn in eine heilige
Wehmuth auf.


Aber ſie nahm ſich mitten in der herzlich¬
ſten Ergießung, wie aus Frömmigkeit der Gei¬
ſter an und ſagte: „ſprich nicht ſo von Geiſter-
„Erſcheinungen! Sie ſind, das weiß ich. —
„Nur nicht zu fürchten braucht man ſie. —“
Sie hielt aber hier mit feſter Hand den Schlei¬
er über ihren Erfahrungen feſt; auch wußt' er
längſt, daß ſie, ungeachtet ihres faſt zuckend-
weichen Gefühls, das ſogar den Anblick der
blauen Adern auf der Lilien-Hand wie eine
[127] Wunde ſcheuete, doch vor Todten und in den
Geiſterſtunden der Phantaſie unerwartet be¬
herzt erſchien.


Hinter den Wellen ſo verſchiedner Art, die
jetzt ſein Herz auf und abtrieben, war Rabette
verdunkelt. Er brannte nun blos nach der
Stunde, wo er ſeinem Albano die ſonderbare
Verrätherei des Lektors ſagen konnte.

61. Zykel.

Noch ehe der Hauptmann ſeinem Freunde
Auguſti's wahrſcheinliche Verrätherei entdekte:
war Albano faſt ganz mit dem Lehrer-Paar
in Zwiſt. In einem Kreiſe voll Jünglingsher¬
zen, die für einander ſchlagen und noch lieber
fechten, faſſen immer zwei unzerreißlich in ein¬
ander und werden eins auf fremde Koſten.


Albano ſchied ſich keck von jedem, dem
Karl mißfiel. Schoppe wurde ohnehin von
wenigen lange geliebt, weil wenige einen ganz
freien Menſchen erdulden; die Blumenketten
halten beſſer, denken ſie, wenn Galeerenketten
durch ſie laufen. Er litt' es daher nicht, wenn
einer „mit zu enger Liebe ſich ſo feſt um ihn
[128] „klammerte, daß er die Arme ſo wenig freibehielte
„als trag' er ſie in Bandagen von 80 Köpfen.“
Die ſarkaſtiſche Lebhaftigkeit ſeiner Pantomime
erkältete durch den Schein einer ſtrengern Be¬
obachtung den Hauptmann mehr als das ge¬
laſſene Geſicht des Lektors, der eben darum al¬
les ſchärfer ins ſtille Auge faßte.


Der gute Schoppe hatte einen Fehler, den
kein Albano vergiebt; nähmlich ſeine Intoleranz
gegen die „weiblichen Heiligenbilder von Hau¬
„ſenblaſe,“ wie er ſagte, gegen die ſanften Ir¬
rungen des Herzens, gegen die heiligen Über¬
treibungen, durch welche der Menſch ins kurze
Leben eine noch kürzere Freude einwebt. Einſt
gieng Karl wie auf einer Bühne mit unterge¬
ſteckten Armen und niedergeſenktem Kopfe auf
und ab und ſagte zufällig, daß es der Titular-
Bibliothekar vernahm: „o ich wurde noch we¬
„nig von den Menſchen verſtanden in meiner
„Jugend.“ Weiter ſagt' er nichts; aber man
ſchütte aus Scherz ein Mandel Horniſſe, ein
Schock Krebſe, eine Kanne voll Waldameiſen
auf einmal über die bibliothekariſche Haut;
und beobachte flüchtig die Wirkungen des
Ste¬[129] Stechens, Kneipens, Beißens: ſo kann man ſich
doch einigermaßen vorſtellen, was in ihm zuckte,
ſchwoll und auffuhr, ſobald er die obige Phra¬
ſis vernahm. „Herr Hauptmann, (fieng er tief¬
„einathmend an,) ich halte viel auf dieſer roſti¬
„gen Tölpel-Erde aus, Hungersnoth —
„Peſtilenz — Höfe — den Stein — und die
„Narren von Pol zu Pol — aber Ihre Phra¬
„ſis überſteigt meine Schultern. H. Haupt¬
„mann, Sie dürfen — ganz gewiß — die Re¬
„densart mit Fug gebrauchen, weil Sie wie
„Sie ſagen, nicht verſtanden werden. Aber o
„Himmel, o Teufel! ich höre ja 30000 Jüng¬
„linge und Mädchen von Leihbibliothek zu
„Leihbibliothek alle mit aufgeblähter Bruſt,
„rings umher ſagen und klagen, es faſſe ſie
„niemand, weder der Großvater noch die Pa¬
„then, noch der Konrektor, da doch das pack¬
„papierne Alltags-Pack ſelber nicht faſſet.
„Aber der Junge meint damit blos ein Mäd¬
„chen und das Mädchen einen Jungen; dieſe
„können einander faſſen. Aus der Liebe will ich
„wie aus den Kartoffeln 14 verſchiedene Ge¬
„richte zubereiten; man ſcheer' ihr, wie dem Bären
Titan II. J[130] „in Göttingen, das thieriſche Haar ab, kein
„Blumenbach kennt ſie mehr.


„H. v. Froulay, ich habe dieſe verdammte
„Erhebung der Seelen blos aus Niedrigkeit
„wohl öfters mit den engliſchen Pferdeſchwän¬
„zen verglichen, die auch immer gen Himmel
„ſtehen, blos weil man ihre Sehnen durch¬
„ſchnitten. Soll man nicht toll werden, wenn
„man alle Tage höret und alle Tage lieſet,
„wie die gemeinſten Seelen, die Leberreime und
„Trompeterſtückchen der Natur, ſich durch die
„Liebe über alle Leute erhoben denken wie
„Katzen, die mit angeſchnallten Schweinsblaſen
„fliegen; — wie ſie ſich ins Haſenlager und
„in die Stapelſtadt der Liebe, in die andere
„Welt beſtellen wie auf einen Blocksberg, und
„wie ſie auf dieſem Finkenheerd in dieſer thea¬
„traliſchen Anziehſtube — die dann das Gegen¬
„theil wird — ihr Weſen treiben, bis ſie kopu¬
„lirt ſind. Dann iſts vorbei, Phantaſien und
„Poeſien, die ihnen jetzt erſt recht dienlich wä¬
„ren, ſind geholt! Sie laufen von ihnen weg wie
„Läuſe von Todten, ob dieſen gleich die Haare
„dazu fortſprießen. Vor der zweiten Welt
[131] „grauſet ihnen; und werden ſie Wittwer und
„Wittwen, ſo machen ſie ihre Liebſchaft recht
„gut ab ohne Schweinsblaſen und ohne das
„Federſpiel und die ſpaniſche Wand der zweiten
„Welt. — So etwas, H. Hauptmann, bringt
„nun auf und dann muß in der Hitze der Ge¬
„rechte mit dem Ungerechten leiden, wie Sie
„leider hören.“ — —


Alban, der nie leichtſinnig vergab, ſonder¬
te ſich ſchweigend von einem Herzen ab, das
wie er unrecht ſagte, die Flammen der Liebe
mit ſatiriſcher Galle auslöſchte.


In der Kette der Freundſchaft mit Auguſti
brach vollends ein Ring nach dem andern ent¬
zwei. Der Graf fand im Lektor den Kleinig¬
keitsgeiſt, der ihm widriger war als jeder böſe
— die Eleganz des guten Hofmanns — ſein An¬
ſtand, ſelber in der Einſamkeit — ſeine Nei¬
gung, die kleinſten Myſterien ſo gut zu verwah¬
ren als die großen — ſeine Sucht, hinter jeder
Handlung einen langen Plan aufzutreiben —
ſein Wahrheitsdurſt nach ächten hiſtoriſchen
Quellen am Hofe und in der Stadt — und
ſeine Kälte gegen die Philoſophie trocknete das
J 2[132] Bild, das ſich Albano, von ihm aufgeſpannt, ſo
aus, daß es einrunzelte und riſſig wurde. Sol¬
che Unähnlichkeiten ſchlagen unter gebildeten
Menſchen nie zu ofnen Fehden aus; aber ſie
legen heimlich den innern Menſchen ein Waf¬
fenſtück nach dem andern an, bis er hartgepan¬
zert da ſteht und losſchlägt.


Nun war noch dazu der Lektor dem Haupt¬
mann von Herzen gram, weil dieſer der Mi¬
niſterin viele bange Stunden und Lianen und
ſogar dem Grafen viel Geld koſtete und weil
er ihm den Jüngling zu verdrehen ſchien. Die
ſonſt gerade aufſteigende Flamme Albano's wur¬
de jetzt durch die Hinderniſſe der Liebe nach allen
Seiten gebogen und glühte wie Löthfeuer ſchär¬
fer; aber dieſe Schärfe ſchrieb Auguſti dem
Freunde zu. Albano erſchien denen, die er lieb¬
te, wärmer, denen, die er ertrug, kälter als er
war und ſein Ernſt wurde leicht mit Trotz und
Stolz vermengt; aber der Lektor glaubte, ihm
ſey deſſen Liebe geſtohlen von Karl.


Er verſuchte mit gleichviel Feinheit und
Freimüthigkeit, dem Grafen eine gute Karte
von den Flecken zuzuſpielen, die im Himmels¬
[133] körper dieſes Jupiter ausgeſäet waren. Aber
er zerriß jede Karte — Karls ſchmerzliche Be¬
kenntniſſe in jener Nacht löſchten alle fremde
Nachträge aus — und Albano's herrlicher Glau¬
be, man müſſe den Freund ganz decken und
ihm ganz vertrauen, wehrte jeden Einfluß ab.
O es iſt eine heilige Zeit, worin der Menſch
für den Altar der Freundſchaft und Liebe noch
Opfer und Prieſter ohne Fehl begehrt und —
erblickt; und es iſt eine zu harte, worin die ſo
oft belogne Bruſt ſich an der fremden mitten
im Liebestrunk des Augenblicks die kalte Nach¬
barſchaft der Gebrechen weiſſagt! —


Da der Lektor überall ſah, daß Alban
über manche ſeiner Rügen an Karl, z. B. deſſen
Wildheit und Unordnung, darum kalt bleibe,
weil er ſelber unter fremdem Tadel gemeinet zu
ſeyn glauben konnte, wie die Franzoſen (nach
Thickneß) das Lob eines Fremden an Ein¬
heimiſche richten; ſo griff er ſtatt der Ähnlich¬
keit eine vollendete Unähnlichkeit des Haupt¬
manns an, ſeinen Leichtſinn gegen das Ge¬
ſchlecht. — Aber damit verdarb er noch mehr.
Denn in der Liebe war ihm Karl der höhere
[134] Feueranbeter und der Lektor nur der den die
Kohle dieſes Feuers ſchwärzt. Auguſti nährte
über die Liebe ziemlich die Grundſätze der gro¬
ßen Welt, die er blos aus Ehre nie in Thaten
ausprägte; und gab nur den Erde-nahen Wol¬
kenhimmel der Liebe zu; der Hauptmann aber
ſprach von einem dritten oder Freudenhimmel
derſelben, worin nur Heilige die Seeligen ſind.
Auguſti ſprach nach der Sitte der großen Welt
viel freier als er handelte und zuweilen ſo
offen als ſpeiſ' er in einem — Brunnenſaal;
Karl ſprach mädchenhaft. Das jungfräuliche
Ohr Albano's — das leicht in guten Viſiten¬
zimmern abfällt, und das in Studirſtuben feſt
ſitzt — vereinigt mit ſeinem Mangel an der
Erfahrung, — daß ſich eine zyniſche Zunge oft
bei den enthaltſamſten Menſchen z. B. bei un¬
ſern poſſenreißenden Vorfahren und eine aſze¬
tiſche in beſcheidnen Libertins aufhalte — bei¬
des mußte den reinen Menſchen in einen dop¬
pelten Irrthum verwickeln.


So jagte in ihm Auguſti immer mehr
Sturmvögel auf. Beide ſtanden oft nahe an
völliger Trennung und Ausforderung; denn der
[135] Lektor hatte zu viel Ehre, um ſich vor irgend
etwas zu fürchten, und wagte mit kaltem Blut
ſo viel als andere mit heißem.


Jetzt entdeckte Karl nun vollends ſeinem
Freunde, obwohl mit aller Zartheit der Freund¬
ſchaft, Lianens Bekanntſchaft mit jener Tarta¬
rus-Nacht. — Der ſonſt verſchwiegene Lektor
muß nähere Vortheile durch ſein Plaudern ſu¬
chen, ſchloß Albano und nun ſog ſich die Kröte
der Eiferſucht, die im lebendigen Baume lebt
und wächſt ohne ſichtbaren Eingang und Aus¬
gang, in ſeinem warmen Herzen feſt. Die un¬
beantwortete Liebe iſt ohnehin die eiferſüchtig¬
ſte. Gott weiß, ob er nicht der Maſchinendi¬
rektor der mit ſo vielen Rädern in einander
gehenden Geiſterſzenen iſt. Alles das ſind Al¬
bano's verhüllte Schlüſſe; ofne Anklagen wa¬
ren ſeinem Ehrgefühl verſagt. Aber ſein war¬
mes ſich immer ausſprechendes Herz forderte eine
wärmere Nachbarſchaft; und dieſe fand er,
wenn er dem frommen Vater folgte und
nach Lilar ins Donnerhäuschen zog, — mit¬
ten unter die Blumen und Gipfel, um näher
[136] am Herzen der Natur gelagert ſchöner zu
träumen und zu geneſen.


Nur eine warme ſonnen-helle Stelle war
für ihn in Karls hiſtoriſchem Gemälde: es war
die Hofnung nämlich, daß vielleicht blos die
Irrthümer über ſein Verhältniß zur Gräfin, aus
denen der Bruder Lianen geholfen, ihr das bis¬
herige immer gleich-kalte Benehmen gegen ihn
vorgezeichnet haben. Auf dieſe ſonnige Stelle
warf Rabette ein Billet, worin ſie ihm ſchrieb,
ſie reiſe Sonnabends zu ihren Eltern zurück,
weil der Miniſter komme. Jene Hofnung —
dieſe Nachricht — die künftig ungünſtigern
Umgebungen — ſein Ziehen nach Lilar, das
alles entſchied in ihm den Vorſatz, eine einſa¬
me Minute an ſich zu reißen und darin vor
Lianen den Schleier von ſeiner Seele zu wer¬
fen und von ihrer.

62. Zykel.

Sonderbar durchſchnitten ſich die Zufälle
an dem Tage, wo Albano ins miniſterialiſche
Haus zum Abſchiednehmen von Rabetten —
und von Lianen, ſagte in ihm eine zitternde
[137] Stimme — kam. Rabette winkt ihn aus dem
Fenſter in ihr Zimmer. Sie hatte die Ikarus¬
flügel ihres Anzugs in die Käſten zuſammen¬
gelegt. Über ihr Inneres fuhr ein beugender
Sturm hin und her; Karl hatte das Gleichge¬
wicht ihres Herzens durch ſeine Wärme aufge¬
hoben und es durch kein Wort der Belohnung
wieder hergeſtellt. Gleich den Tauben flattert
ſie um das hohe Schadenfeuer; o möge ſie
nicht wie jene mit verzehrtem Gefieder entwei¬
chen und wieder kommen und endlich darin zer¬
fallen! — Sie ſagte, ſie ſehne ſich zu den Ihri¬
gen, ſeit ſie geſtern eine Heerde Schaafe durch
die Stadt treiben ſehen. Sie begleiten am
Sonnabend Liane und die Mutter, um der Ein¬
weihung der Kirche und der Beiſetzung des
Fürſtenpaares beizuwohnen. Er bat ſie ſo
ſchnell und haſtig, ihm heute im Garten eine
einſame Minute mit der Freundin zuzubereiten,
daß er ihre ſchöne Nachricht von Lianens Zu¬
rückbleiben und Aufenthalt bei ihr gar nicht
hörte.


Leider fand er bei der Miniſterin den
Vorzeiger herrlicher Gemälde, der wie die Natur
[138] nicht nur den Anfang ſeines Lenzes ſondern
auch das Ende ſeines Herbſtes mit Giftblu¬
men *) machte, H. v. Bouverot. Dian hatt'
ihm vier himmliſche Kopien aus Rom geſandt;
dieſe ſchlug er mit trocknem Kunſtgaumen auf.
— Liane empfieng den Grafen wieder wie im¬
mer. War etwan Raphaels Madonna della
Sedia
, in deren vom Himmel geſunknes Palla¬
dium ſich ihre zarte Seele eingeſenkt, die Sie¬
gelbewahrerin ihres heiligſten Geheimniſſes?
Der alles vergeſſende Künſtler-Eifer ließ ihr ſo
hold! Ihre Sehnerven waren durch ihr langes
Malen gleichſam weiche Fühlfäden geworden,
die ſich eng um ſchöne Formen ſchloſſen. Gewiſſe
weibliche Bilder— wie dieſes, regten ihre gan¬
ze Seele auf. Sie hatte nämlich in der Kindheit
ſich von den Heldinnen der Romane und über¬
all von ungeſehenen Weibern glänzende Stern¬
bilder in ihren innern Himmel hingezeichnet,
große Ideen von ihrem Muthe, ihrem himmli¬
[139] ſchen Wandel, ihrer Erhabenheit über alles,
was ſie je geſehen und ſie hatte gleichviel Scheu
und Sehnſucht empfunden, einer zu begegnen.
Daher gieng ſie aus dieſem koloſſaliſchen Nym¬
phäum ihrer Phantaſie ſo leicht geblendet und
mit ſolcher feurigen Herzens-Achtung reinen
Freundinnen, und der Gräfin Romeiro entge¬
gen. Gewiſſe Gemälde führten nun dieſe Altar¬
blätter wie Kopien zurück. Die Gute dachte
nicht daran, aber wohl ihr Freund, daß man die¬
ſer liebend niederſehenden Marie die Augen blos
lebendig zu regen und dieſe Lippen blos mit
Lauten zu erwärmen brauche — dann hatte
man Liane.


Der deutſche Herr fuhr fort und legte
nun Raphaels Joſeph, der den Brüdern einen
Traum erzählt, und den ältern Joſeph, der
dem König einen erklärt, neben einander und
fieng an, die drei Raphaele in Worte zu über¬
ſetzen und das mit ſo vielem Glück und nicht
nur mit ſo vieler Einſicht ins Mechaniſche und
Genialiſche, ſondern auch mit einer ſo beſtimm¬
ten Hervorhebung jedes menſchlichen und mo¬
raliſchen Zugs, daß — Alban ihn für einen
[140] Heuchler hielt und Liane für einen ſehr guten
Menſchen. Sie ergriff jedes Wort mit einem
weit ofnen Herzen. Als Bouverot den weiſſa¬
genden Joſeph mahlte, zugleich als kindlich,
unbefangen, ſtill und felſenfeſt und glühend
und drohend: ſo ſtand das Urbild an ihrer
Seite.


Dem deutſchen Herrn entfuhr weiter viel
Gedachtes über da Vinci's Chriſtus-Knaben
im Tempel, über die herrlich vollführte Ver¬
brüderung und Einkindſchaft des Knaben und
Jünglings in Einem Geſicht. — — Liane hat¬
te die Kopie auch kopirt, allein ſie und die
Mutter verſchwiegen es beſcheiden. —


Aber endlich ſtörte Franziſkus Albani mit
ſeiner „Ruhe auf der Flucht“ die bisherige
Ruhe. Indem er den Traumdeuter dieſer ma¬
leriſchen Träume machte und Rabette ſcharf
auf dem mit dem ofnen Buche neben Marie
ſitzenden h. Joſeph dieſes Bildes haftete: ſag¬
te Liane unglücklicher Weiſe: ein ſchöner Al¬
bani
! — „Ich dächte nicht, (ſagte Rabette
„leiſe,) der Bruder iſt viel ſchöner als dieſer
„betende Joſeph!“ — Sie hatte Albani mit
[141] Albano vermengt, ihre ganze Bildergallerie
ſteckte in dem Geſangbuch, deſſen Lieder ſie mit
goldnen rothen Heiligen auseinanderſperrte.
Die andern verſtanden nichts — ſie kannten ihn
nur als Grafen von Zeſara — aber Liane
warf auf Rabette ſüßerröthend einen zärtlich
ſtrafenden Blik und ſah mit ſtummen Erdulden
ein anderes Gemälde näher an. Nie hatte
Albano — in welchem ſich die ſtärkſten und die
zärteſten Gefühle paarten, wie das Echo den
Donner lauter und die Muſik leiſer macht —
die bitterſüße Miſchung von Liebe und Mit¬
leiden und Schamröthe wärmer gearbeitet und
er hätte vor dem Mädchen zugleich knieen
und doch ſchweigen mögen.


Der deutſche Herr war fertig und ſagte zu
den Männern mit einer Mine voll Sieg, „er
„habe doch noch etwas in der Taſche was es
„mit den Raphaels aufnehme; und er bitte ſie,
„ins Nebenzimmer zu folgen.“ Unterwegs
merkt' er an, wenige Werke ſeyen mit ſo herrli¬
cher Frechheit und keckem Muthwillen ausge¬
führt. Im Zimmer packt' er einen erzenen
[142] kleinen Satyr aus, gegen den ſich eine einge¬
holte Nymphe wehrt. „Göttlich (ſagte Bouve¬
„rot und hielt die Gruppe an einem Faden,
„um den Roſt nicht abzugreifen) göttlich! Ich
„ſetze den Satyr an den Chriſtus!“ Wenige
haben vom Erſtaunen meines Helden nur ei¬
nen mäßigen Begriff, als dieſer auf ein¬
mal den Kritikus Tugend und Laſter an einen
runden Tiſch ohne Rangſtreitigkeit ſetzen ſah.


Mit einem Feuerblick der Verachtung
wandt' er ſich ab und wunderte ſich, daß der
Lektor blieb. Ihm ſcheint unbekannt zu ſeyn,
daß die Malerei wie die Dichtkunſt ſich nur in
ihrer Kindheit auf Götter und Gottesdienſt
bezogen, daß ſie aber ſpäter als ſie höher her¬
an wuchſen, aus dieſem engen Kirchhof heraus¬
ſchreiten muſten wie eine Kapelle urſprünglich
eine Kirche mit Kirchenmuſik war, bis man bei¬
des weg ließ und die reine Muſik behielt.
Bouverot hatte die Achtung für reine Form in
ſo hohem Grade, daß ihn nicht nur der ſchmu¬
zigſte unſittlichſte Stoff, ſondern ſogar auch der
frömmſte, andächtigſte nicht den Genuß verun¬
reinigte; gleich dem Schiefer beſtand er die
[143] beiden Proben, zu glühen und zu gefrieren,
ohne ſich zu ändern.


Albano hatte die Mädchen durch das Fenſter
in der Allee geſehen und eilte zum Abſchiede
von der Schweſter hinunter und zu etwas
Wichtigerem. Er kam mit vollern Roſen auf
den Wangen, als um ihn glühten, zu einer Gras¬
bank, wo Liane neben der Schweſter hinter dem
rothen Sonnenſchirm mit halbgeſenkten Augen¬
liedern und ſeitwärts geneigtem Haupte ruhte
— ſanft in die Ernte des Abends verſunken —
ſonnenroth übergoſſen vom Schirme — im wei¬
ßen Kleide — mit einem dünnen ſchwarzen
Kreuzchen auf der zarten Bruſt — und mit ei¬
ner vollen Roſe; ſie blickte unſern Geliebten
ſo unbefangen an, ihre Stimme war ſo ſchwe¬
ſterlich und alles ſo reine ſorgloſe Liebe! Sie
ſagte ihm, wie ſie ſich freue auf ſeinen Jugend-
Ort und auf das Landleben und wie Rabette ſie
überall hinführen werde — und beſonders auf
die Einweihungsrede, die am Sonntage ihr
Beicht-Vater Spener halte. Sie ſprach ſich
ins Feuer durch das Gemälde, wie die große
Bruſt des Greiſes der Klage- und der Siegs¬
[144] geſang über dem Aſchen-Gehäuſe des fürſtli¬
chen Freundes groß bewegen werde.


Rabette hatte nichts im Sinne als die ein¬
ſame Minute, die ſie dem Bruder mit ihr ge¬
ben wollte. Sie bat ſie aufgeweckt, ihr noch
einmal auf der Harmonika vorzuſpielen. Al¬
bano pflückte ſich bei dieſem Antrage einen
mäßigen Straus von — Baumlaub. Liane
ſah ſie warnend an, gleichſam als wolle ſie
ſagen: ich verderbe Dir wieder Deine Munter¬
keit. Aber ſie blieb dabei. Albano überflog bei
dem Eintritte ins Waſſerhäuschen ein leichtes
Erröthen über die letzte Vergangenheit und
nächſte Zukunft.


Liane machte eilig die Harmonika auf,
aber das Waſſer, das Kolofonium der Glocken,
fehlte. Rabette wollte unten ein Glas am
Springbrunnen füllen, um — beide allein zu laſ¬
ſen; aber der Graf kam ihr aus männlicher
Unbehülflichkeit, in eine Liſt ſchnell einzugreifen,
höflich zuvor und holte es ſelber. Kaum hatte
endlich das liebliche gefällige Weſen ſeufzend
die zarten Hände auf die braunen Glocken gelegt:
als Rabette ihr ſagte, ſie wolle in die Allee
hin¬[145] hinunter, um zu hören, wie es ſich von Wei¬
tem anhöre. Gleichſam zum ſchmerzlichen Son¬
nenſtich einer zu ſchnellen und großen Luſt fuhr
ſein Herz auf, er hörte den Siegeswagen der
Liebe von ferne rollen und er wollte in ihn
ſpringen und dahin rauſchen ins Leben. Die
gläubige Liane hielt das Entfernen für einen
Schleier, den Rabette über das in den Tönen
ſüß brechende Auge werfen wolle; und zog ſo¬
gleich die Hände von den Glocken; aber Ra¬
bette küßte ſie bittend, drückte ihr die Hände
ſelber darauf und lief hinab. „Das treue
„Herz!“ ſagte Liane; aber das argloſe helle
Vertrauen auf die Freundin rührte ihn und er
konnte nicht Ja ſagen.


Wenn in den Fluren Perſiens ein Glückli¬
cher, der auf der üppigen Aue tief unter Nelken
und Lilien und Tulpen ſchlief, vor dem erſten
Abendrufe der Nachtigal ſeelig die Augen auf¬
ſchlägt in die laue ſtille Welt und in die bunte
Dämmerung, durch welche einige Goldfaden der
Abendſonne glühend fließen : ſo gleicht der See¬
lige dem Jüngling Albano im magiſchen Zim¬
Titan II. K[146] mer — die Jalouſiefenſter ſtreueten gebrochne
Lichter, grüne zitternde Schatten aus und es
dämmerte heilig wie in Hainen um Tempel —
nur tönende Bienchen flogen aus der lauten
fernen Welt durch die ſchweigende Klauſe wie¬
der ins Getöſe — einige ſcharfe Sonnenſtreife,
gleichſam Blitze vor Schlafenden wurden ro¬
mantiſch neben der Roſe hin und her geweht
— und in dieſer träumeriſchen Grotte mitten im
rauſchenden Walde der Welt wurde die Ein¬
ſamkeit nicht einmal durch das Schattenweſen
eines Spiegels geſtört. —


In dieſen Zauber ließ ſie die Töne wie Nach¬
tigallen aus ihren Händen fliegen — die Tö¬
ne wurden Albano wie von einem Sturme bald
heller bald matter zugetrieben — er ſtand vor
ihr mit gefalteten Händen wie betend und ruh¬
te mit tauſend Blicken der Liebe auf der nie¬
derſchauenden Geſtalt. — Einmal hob ſie das
heilige Auge voll Antheil langſam zu ihm auf,
aber ſie ſchlug es ſchnell vor dem Sonnenblick
des ſeinigen nieder.


Nun deckten die großen Augenlieder unbe¬
[147] weglich die ſüßen Blicke zu und gaben ihr wie
ein Schlaf den Schein der Abweſenheit — ſie
ſchien eine weiße Maiblume auf winterlichem
Boden, die das Blüthenglöckchen ſenkt — ſie war
eine ſterbende Heilige in der Andacht der Harmo¬
nie, die ſie mehr hörte als machte — nur die ro¬
the Lippe nahm ſie als einen feurigen Wieder¬
ſchein des Lebens, als eine letzte Roſe mit, die
den eilenden Engel ſchmückt — o konnt' er die¬
ſes Beten der Tonkunſt ſtören mit ſeinem
Wort? —


Mit immer engern Kreiſen faßten ihn die
magnetiſchen Wirbel der Töne und der Liebe
an. — Und nun da das Ziehen der Harmo¬
nika wie das Waſſerziehen der ſtechenden Son¬
ne ſein Herz aufleckte — und da die Blitze der
Leidenſchaft über ſein ganzes Leben fuhren und
das Gebirge der Zukunft und die Höhlen der
Vergangenheit beleuchteten und da er ſein
ganzes Daſeyn in einen Augenblick zuſammen¬
faßte: ſo ſah er einige Tropfen aus Lianens
geſenkten Augen quellen und ſie blickte heiter
auf, um ſie fallen zu laſſen — da riß Albano
K 2[148] die Hand aus den Tönen und rief mit dem
herzzerſchneidenden Ton ſeiner Sehnſucht: o
Gott, Liane! —


Sie zitterte, ſie erröthete, ſie ſah ihn an
und wuſte nicht, daß ſie fortweinte und anſah
und nicht mehr fortſpielte. — Nein, Albano,
nein! ſagte ſie ſanft und zog die Hand aus
ſeiner und verhüllte ſich — erſchrak über den
Stillſtand der Töne — und ermannte ſich, und
ließ ſie wieder langſam ſtrömen und ſagte
mit zitternder Stimme: „Sie ſind ein edler
„Menſch — Sie ſind wie mein Karl, aber eben
„ſo heftig. — Nur Eine Bitte! — Ich verlaſſe
„die Stadt eine Zeitlang“ .....


Sein Erſchrecken darüber wurde Entzückung
als ſie den Ort beſtimmte, ſein Blumenbühl. Sie
fuhr mühſam fort vor dem Erfreueten — ihre
Hand lag oft lange auf der Diſſonanz im Ver¬
geſſen der Auflöſung — ihre Augen ſchimmer¬
ten feuchter ob ſie gleich nichts weiter ſagte,
als das Folgende: „Sein Sie meinem Bruder,
„der Sie unausſprechlich liebt wie noch keinen,
[149] „o ſeyn Sie ihm alles. Meine Mutter erkennt
„Ihren Einfluß — Ziehen Sie ihn — ich ſag' es
„heraus — beſonders vom hohen Spiele ab.“


Er konnte kaum das Ja verwirrt betheu¬
ern, als Rabette mit der faſt unſchicklich akzen¬
tuirten Bothſchaft hereilte, daß die Mutter
komme. Wahrſcheinlich hatte dieſe Rabettens
Alleinſeyn geſehen. Albano trennte ſich mit
abgebrochnen Reiſe-Wünſchen von dem Paare
und vergaß im Sturm, Rabettens Bitte um
Beſuche zu bejahen. Die begegnende Mutter
ſchrieb ſein Feuer dem brüderlichen Scheiden zu.


Indem er durch die Fülle der Jahrs-Zeit
eilte, dacht’ er an die reiche Zukunft, an Lia¬
nens Stammeln und Verhüllen: brauchen nicht
ſchöne weibliche Seelen wie jene Engel vor dem
Propheten nur zwei Flügel zum Erheben aber
vier zum Verhüllen? — Das Meer des Le¬
bens gieng in hohen Wellen, aber überall
leuchtete es auf ſeiner weiten Fläche und Fun¬
ken tropften vom Ruder.

[150]

63. Zykel.

Ach am Morgen darauf wurde freilich aus
dem Abendrothe eines ganzen Himmels ein
trübes Gewölke. Denn Liane gieng dem Jüng¬
ling in ſo langen dichten Schleiern dahin.
Irgend ein Geheimniß der Noth wirft kalte
Kloſtermauern zwiſchen nahen Herzen auf —
das iſt offenbar. Bis hieher bogen mancher¬
lei Zufälle einige Blumen, die Liane verhüllend
über das Herz gezogen, wie die Erdſtockwerke
in Sädten durch Blumen und Reben das Ein¬
ſehen in die Fenſter abwehren, von der dun¬
kelſten Ecke des Hintergrundes weg, in der et¬
wan die Rückſeite eines Bruſtbildes hieng, das
umgedreht vielleicht dem Grafen glich. Aber
noch hängt das Bild mit dem Geſichte gegen
die Wand. — Indeß gleicht ein weibliches
Herz oft dem Marmor; der geſchickte Steinmetz
thut tauſend Schläge, ohne daß der pariſche
Block nur in die Linie eines Sprunges reiße;
aber auf einmal bricht er auseinander eben in
die Form, die der geſchickte Steinmetz ſo lange
hämmernd verfolgte.


[151]

Am Sonnabend, wo die Miniſterin und
das Freundinnen-Paar nach Blumenbühl ab¬
reiſen wollten, um das Begraben und Einwei¬
hen anzuſehen, kam der Hauptmann nicht nur
voll Freude — denn er hatte gern aus Liebe
zu Rabetten für Lianen zwar nicht die Flügel
aber doch die Flügeldecken machen und aus
dreifachem Intereſſe gegen den Freund am Flug¬
werk ſpannen helfen — ſondern auch voll
Angſt zum Grafen.... Aber ihr Muſen! war¬
um ſind in der poetiſchen Welt alle die Begeb¬
niſſe ſelten ſo vielfach motivirt als häufig in
der wirklichen?....


Seine Angſt war blos die, daß ſein Vater
früher anfahre als ſeine Mutter ab — denn
er kannte den Miniſter. Letzterer wollte nach
ſeinen Briefen Montags, Dienſtags (ſpäteſtens
am Sonnabend) anlangen; allein dies konnte —
da Froulay gern die Seinigen im breiten Spiel¬
raum des Erwartens ſchwimmen ließ — noch
gewiſſer drohen, daß er — weil er wie die
Baſler Uhren immer eine Stunde zu früh blos
[152] in der Hofnung ausſchlug und kam, ſeine Leu¬
te über irgend etwas recht Häßlichem zu ertap¬
pen — in jeder Minute zum Hofthore herein
jage. Kam er angejagt, an dieſem Vormit¬
tage oder in der Minute, wo der Bediente die
Tochter in den Wagen hob und die Mutter
ſchon darin ſaß: ſo war ſo viel durch tauſend
Schlüſſe aus der Obſervanz gewiß, daß beide
wieder hinauf muſten in die Zimmer — daß
er alle Kiſten und Schachteln wieder abpak¬
ken hieß und daß er die Landſchafts-Direktors
Tochter nach ihren 10000 Bitten — wiewohl
ihr ſchon die zweite auf der Lippe erfröre —
freundlich mit ganz ſpaßhafter Gleichmuth als
einſame Konklaviſtin im zugemachten Wagen
nach Hauſe würde ziehen laſſen. Gewiſſe Men¬
ſchen — und er iſt ihr Generaliſſimus — wiſſen
ſich kein ſüßeres Labſal, als den Ihrigen die
Gartenthüre irgend eines Arkadiens, wozu ſie
ihnen nicht die Reiſeroute und die Landkarte
aufgeſetzt, vor der Naſe ins Schloß zu werfen
und ſolche gerichtlich zu verſiegeln. Kurz vor
einer Luftfahrt ſetzen ohnehin die meiſten El¬
tern Galle ab; konnte Froulay vollends eine
[153] verriegeln, ſo war ihm das ſo viel als komm'
er von einer roth und munter nach Hauſe. —


Nachmittags um 3 Uhr giengen unſere
Freunde unter dem ſchönſten Himmel ſpazieren
— alles war ſchon geordnet, Karl wollte mor¬
gen nachgehen, Albano erſt, nach der allge¬
meinen Rückreiſe, am Montag (ſeine zarten
Rückſichten und fremde harte entſchieden) —
und es zog durch das ganze gewölbte Blau
kein Nebel als Karls Beſorgniß, die zweite
Lokazion der Fürſten-Leichen ziehe ſeinen Va¬
ter noch heute her — — als er plötzlich heraus¬
fluchte: dort fahr' er. Er kannt' ihn an dem
Tyger-Poſtzug, und noch mehr an den lang
vorgeſpannten Vorderpferden. Eine Fegfeuer-
Lebens-Minute! — Der Wagen fuhr raſch
die Straße herab — die Vorderpferde zogen
noch länger ganz unförmlich voraus — man
wunderte ſich — endlich wurde die Ziehweite
einen Acker lang — das ſchien ganz unmöglich
— als Albano's Adlerauge keine lederne Ver¬
bindung zwiſchen dem Poſtzug und zuletzt gar
entdeckte, daß bloß ein fremder Kerl mit zwei
[154] Pferden zufällig vor dem Wagen herreite. Und
in dieſer Minute ſahen ſie den ofnen Triumph¬
wagen mit der weiblichen Dreieinigkeit langſam
die Blumenbühler Höhe hinaufziehen und das
vermengte Tulpenbeet der drei Sonnenſchirme
ſchimmerte ihnen lange zurück.


[155]

Vierzehnte Jobelperiode.

Albano und Liane.


64. Zykel.

In unſerer innern Welt fliegen ſo viele zarte
und heilige Empfindungen herum, die wie En¬
gel nie den Leib einer äußern That annehmen
können; ſo viele reiche gefüllte Blumen ſtehen
darin, die keinen Samen tragen, daß es ein
Glück iſt, daß man die Dichtkunſt erfunden,
die alle jene ungebornen Geiſter und den Blu¬
menduft leicht in ihrem limbus aufbewahret.
Mit dieſer faſſ' ich, lieber Albano, deinen herr¬
lich verduftenden Sonntag auf und halte den
unſichtbaren Weihrauch feſt für die Schneider¬
ſche Haut die Welt! —


Am Sonntage bezog er das Donnerhäuschen
in Lilar. Der Lektor hielt ſich mit der Hofnung
[156] aufrecht, der Graf werde das Blumenparterre
des neuen Genuſſes ſchon bald ſo platt und
welk zuſammentreten wie einen Kreuzweg. Es
war ein ſchöner Morgen — vom Thau ganz
beregnet — ein friſcher Wind wehte von Lilar
über das blühende Korn — und die Sonne
brannte allein in einem kühlen Himmel. Auf
der Blumenbühler Straße zog ein Menſchen-
Gewimmel hinan und niemand gieng lange al¬
lein; auf der Morgenhöhe ſah' er ſeinen
Freund Karl mit dem gebognen Federbuſch der
Sonne entgegenſprengen.


Lilars Lüfte flogen Orangenduft-ausath¬
mend entgegen und wehten die Aſche weg, die
auf den glühenden Altarkohlen jenes erſten
herrlichen Sonntags ſtand. Er gieng die Brücke
hinab und der früh geputzte Pollux trieb ihm
einen aufgeblätterten Truthahn entgegen. Eine
Soeur servante des alten Speners kochte ſchon
eine Stunde lang bei der Chariton, bloß um
ihn vorbei gehen zu ſehen. Dieſe lief feſtlich-
geſchmückt aus dem Häuschen, das ſich heiter
mit allen Fenſtern dem ganzen Himmel öffnete,
ihm entgegen und brach in der Verlegenheit
[157] der Freude mit der Hauptſache zuerſt heraus,
es ſey nämlich droben im Häuschen alles ſchön
parat und ob er das Eſſen hinaufhaben wollte.
Sie wollte mitten im Geſpräch Polluxen aus
des Grafen — Fingern ziehen, aber er lies ihn
zum Kuſſe aufſchweben und erntete damit jedes
Herz, auch das alte hinter der Küchenflamme.


Indem er nach ſeinem Häuschen durch den
weſtlichen Triumphbogen hinausgieng, fühlt'
er unbeſchreiblich ſtark und ſüß, daß die holde
Jugendzeit unſer Welſch- und Griechenland iſt
voll Götter, Tempel und Luſt — ach und wel¬
ches ſo oft Gothen mit Tatzen durchſtreifen
und ausleeren. —


Seine blühende Bahn lief endlich in die
Tiefen- und Höhentreppe die er mit Spener
beſtiegen — einzelne Tages-Streifen brannten
ſich dem naſſen Boden ein und färbten zer¬
ſtreuete Zweige feurig und golden. — An der
myſtiſchen Laube, wo vor ihm der todte Fürſt
in der Seitenhöhle geſchritten war, fand er
dieſe nicht, ſondern nur eine leere Niſche. Er
trat oben heraus wie aus der Hüfte der Erde.
Sein Häuschen lag auf dem herumgebognen
[158] Bergrücken. Drunten ruhten um ihn die Ele¬
phanten der Erde, die Hügel, und das ſich in
Blüthen herrlich blähende Lilar und er ſchauete
aus ſeinen Fenſtern in das Lager der Rieſen
der Natur.


Inzwiſchen konnt' er jetzt nicht auf dem
Fenſterſtocke bleiben, oder neben der begeiſtern¬
den Äolsharfe, oder im Augen-Kerker, den
Büchern; durch Ströme und Wälder und über
Berge zu ſchweifen verlangte die friſche Natur.
Das that er.


Es giebt zwiſchen den Alltags-Tagen des
Lebens — wo der Regenbogen der Natur uns
nur zerbrochen und als ein unförmlicher bunter
Klumpe am Horizont erſcheint — zuweilen ei¬
nige Schöpfungstage, wo ſie ſich in eine ſchöne
Geſtalt ründet und zuſammenzieht, ja wo ſie le¬
bendig wird und wie eine Seele uns anſpricht.
Heute hatte Albano dieſen Tag zum erſtenmal.
Ach es gehen Jahre dahin und ſie bringen keinen.
Indem er ſo auf dem Bergrücken auf beiden
Seiten dahin wandelte, fluthete der Nord-Oſt
ihm immer voller entgegen; — ohne Wind
war ihm eine Landſchaft eine ſteife feſtgenagelte
[159] Wandtapete — und wühlte das feſte Land zum
flüſſigen um. Die nahen Bäume ſchüttelten ſich
wie Tauben ſüß-ſchauernd in ſeinem Bade,
aber in der Ferne ſtanden die Wälder wie ge¬
rüſtete Heere feſt und ihre Gipfel wie Lanzen.
— Majeſtätiſch ſchwammen durch das Blau
die ſilbernen Inſeln, die Wolken, und auf der
Erde ſchritten Schatten rieſenhaft über Ströme
und über Berge — im Thale blitzte die Roſana
und rollte in den Eichenhain. — Er trat ins
warme Thal hinab, die Weiden ſchäumten und
ihr Same ſpielte in ſeiner Wolken-Flocke eh'
ihn die Erde befeſtigte — der Schwan dehnte
wollüſtig den langen Flügel, gepaarte Tauben
ätzten ſich vor Liebe und überall lagen die
Beete und Zweige voll heißer Mutterbrüſte
und Eier. — Wie ein herrlicher blauer Blu¬
menſtrauß ſchillerte in hohen Gräſern der Hals
des ruhenden Pfaues. — Er trat unter die
Eichen, die mit knotigen Armen den Himmel an¬
faßten und mit knotigen Wurzeln die Erde. —
Die Roſana ſprach allein mit dem brauſenden
Wald und fraß ſchäumend an Felſenſtücken
und am morſchen Ufer — Nacht und Abend
[160] und Tag verfolgten einander im myſtiſchen
Hain. — Er trat in den Fluß und gieng mit
ihm hinaus vor eine rege warme Ebene voll
Dörfer und aus ihnen klang der Sonntag und
aus den Ährenfeldern fuhren Lerchen und an
den Bergen krochen Menſchen-Steige hinauf,
die Bäume regten ſich als Lebendige und die
fernen Menſchen ſchienen feſtzuwurzeln und
wurden nur Schößlinge an der tiefen Rinde
des ungeheuern Lebensbaumes. — —


Die Seele des Jünglings wurde in das
heilige Feuer geworfen, wie Asbeſtpapier zog
er ſie ausgelöſcht und unbeſchrieben heraus,
ihm war als wiſſ' er nichts, als ſey er Ein
Gedanke und hier trat ihn auf eine wunderbar
neue Weiſe das Gefühl an, das iſt die Welt,
du biſt auf der Welt — er war Ein Weſen
mit ihr — alles war Ein Leben, Wolken und
Menſchen und Bäume. — Er fühlte ſich von
unzähligen Polypenarmen ergriffen und zu¬
gleich mit ihnen verſchlungen und doch fort¬
rinnend im unendlichen Herz.


Trunken kam er vor ſeine Wohnung, von
welcher ſich ihm der kleine Pollux den Berg
her¬[161] herab entgegenrollte um ihn zum Eſſen zu ru¬
fen. Im Häuschen wurde das was er meinte
ausgeſprochen von der Äolsharfe am ofnen
Fenſter. Indes das Kind mit den Fäuſtchen
auf dem Klaviere nachdonnerte und die Vögel
aus den Bäumen freudig darein ſchrieen: ſo
fuhr der Weltgeiſt durch die Äols-Saiten jauch¬
zend und ſeufzend, regellos und regelmäßig,
ſpielend mit den Stürmen und ſie mit ihm;
und Albano hörte wie die Ströme des Lebens
laut rauſchten zwiſchen den Ufern der Länder —
und durch die Blumen und Eichenadern —
und durch die Herzen — um die Erde, Wolken
tragend — und den Strom, der durch die
Ewigkeit donnert, goß ein Gott aus unter dem
Schleier — —


Albano kam mit dem unſchuldigen vor¬
tanzenden Knaben zur fortlächelnden Mutter.
Sogar hier zwiſchen den vier Wänden zogen
ihn noch die Segel fort, die der große Mor¬
gen aufgebläht. Nichts fiel ihm auf, nichts
ſchien ihm gemein, nichts fern, die Woge und
der Tropfe im unendlichen Meere des Lebens
verfloſſen untheilbar mit den Strömen und
Titan II. L[162] Strudeln, welche darin giengen. Vor Chariton
ſtand er wie ein glänzender Gott und ſie hätte
gern entweder ihn verſchleiert oder ſich. Nie war
die Menſchheit in reinere Formen, die kein Wulſt
irgend eines Geburtslandes verkrüppelte, geſon¬
dert als in dieſem Freudenkreiſe, worin die Kind¬
heit, die Weiblichkeit und die Männlichkeit von
Blumen durchwunden ſich begegneten und ſanft
anfaßten.


Chariton ſprach immer von Liane nicht
blos aus Liebe zur Fernen ſondern auch zum
Nahen; denn ob ſie gleich mit jenen offnen
Augen ſchaute, die mehr ſtill abzuſpiegeln als
anzublicken, mehr einzulaſſen als einzuziehen
ſcheinen, ſo war ſie doch wie Kinder, Jung¬
frauen, Landleute und Wilde zugleich offenher¬
zig-wahr und ſchlau. Sie hatte Albano's
Liebe leicht erlauſcht, weil überall den Weibern
alles leichter zu verdecken iſt, ſogar der Haß,
als ſein Gegentheil. Sie lobte Lianen unend¬
lich, beſonders die unvergleichliche Güte,
und „ihr Herr habe geſagt, wenige Männer
„hätten ſo viel Herz als ſie, denn ſie ſey oft
„ohne alle Furcht Nachts mit ihr im Tartarus
[163] „geweſen.“ Allerdings war das auch dem
Grafen nicht erklärlich. Das Wunderbare iſt
der Heiligenſchein eines geliebten Hauptes; eine
Sonne zum Menſchenantlitz beſänftigt ergreift
weniger als ein geliebtes zum Sonnenbild
verklärt.


Sie immer heiſſer erfreuet durch ſeine Freu¬
de bot ihm an, ihn in Lianens Zimmer zu füh¬
ren. Ein einfaches Zimmerchen — vom Wein¬
laube gründämmernd — einige Bücher von
Fenelon und Herder — alte Blumen noch in
ihren Waſſergläſern — kleine ſineſiſche Taſſen —
Juliennens Portrait und ein anderes von einer
verſtorbenen Jugendfreundinn, welche Karoline
hies — ein unbeflecktes Schreibzeug mit engli¬
ſchem gepreßten Papier — — das fand er.
Die heiligen Frühlingsſtunden der Jungfrau
zogen vor ihm wie ſonniges Gewölke thauend
vorüber.


Zufällig berührte er ein Federmeſſer, als
ihm Chariton Kiele zum Schneiden brachte,
„weil man, (ſagte ſie,) ſo viel Noth damit hätte
„ſeit ihr Herr weg ſey.“ Denn eine Frau kann
leichter jede Feder führen — ſogar die epiſche
L 2[164] und kantiſche — als eine ſchneiden; und hier
muß wie in mehr Fällen das ſtärkere Geſchlecht
dem ſchwachen unter die Arme greifen.


Albano wünſchte noch das Arbeits-Zimmer
ſeines Lehrers zu ſehen; aber dieſes ſchlug ſie —
ob ſie gleich durch ein ſtundenlanges Zuſam¬
meneſſen nicht muthiger geworden — doch ent¬
ſchieden ab, weil es ihr Herr verboten habe.
Er bat noch einmal; aber ſie lächelte immer
ſchmerzlicher und blieb bei dem freundlichen
Nein.


Er verträumte nun den Rauſch des Mor¬
gens im magiſchen Garten, auf deſſen Waſſer
und Steige der Mond- und Wiederſchein der
Erinnerung ſpielte. Wie treten aus den 9 Mil¬
lionen Quadratmeilen der gemeinen Erde doch
einige poetiſche Länder heraus durch ein poeti¬
ſches Herz! Auf dem Berg mit dem Altare,
wo er ſie unten einmal verſchwinden ſehen,
wehte ihn, umflattert vom freiern Äther, das
Nachmittagsgeläute von Blumenbühl an; und
ſein Kindheitsleben und die jetzigen Szenen dort
und Liane gaben ihm ein weiches Herz und er
[165] überſchauete mit dunklern Augen das verklärte
Land.


Abends kamen frohe Kirchgänger aus
Blumenbühl und prieſen das Einweihen und
Beiſetzen gewaltig. Er ſah noch den from¬
men Vater drüben auf dem Bergrücken ſtehen.
Der Morgen, wo er einen ganzen Tag Lianen
ſehen und ihr vielleicht alles ſagen konnte,
überzog ſein Leben mit einem ihn in prächti¬
gen Regenbogenkreiſen umſchimmernden Mor¬
genthau. Noch im Bette ſang er vor Luſt das
Morgenlied der Ruderleute auf dem Lago
maggiore
— die Sternbilder über Blumenbühl
glänzten in das ofne Fenſter ſeines Alpenhäus¬
chens herüber an das zuſinkende Auge. —
Als ihn der helle Mond und Flötentöne aus
dem Thal wieder weckten: glühte das ſtille Ent¬
zücken unter der Aſche des Schlafes noch fort
und das größere drückte die Augen wieder zu.

65. Zykel.

Unter einem friſchen Morgenblau gieng
er voll Hofnungen, heute ſein immer in weiſſe
[166] Nebel hineinlaufendes Leben aufzuhellen, je¬
nen alten Weg, den er einmal (im 23ſten Zy¬
kel) Nachts herwärts gemacht, um auf dem
Berge Elyſium und Liane zu ſehen. Der gan¬
ze blühende Steig war ihm eine römiſche Erde,
woraus er ſchönbemalte Vaſen der Vergan¬
genheit ausgrub; und je näher dem Dorfe,
deſto breiter wurden die geheiligten Plätze. Er
wunderte ſich, daß die Lämmer und Hirten¬
knaben nicht wie das Gras, länger aufgeſchoſ¬
ſen während ſeiner Entfernung, die ihm durch
den Wachsthum ſeines Herzens und den bun¬
ten Wechſel ſeiner Erfahrungen ſelber verlän¬
gert vorkam. Wie ein Morgentrunk von hellem
Alpenwaſſer rann der alte Klang des Hirten¬
horns in ſeine Bruſt; aber die enge Erlenbahn,
worin er das Reitpferd des Direktors vor dem
Abſatteln getummelt, und ſelber der Schloßhof,
ſogar die vier Wände und das Deckenge¬
mälde des häuslichen Glücks krempten ſeiner
treibenden Seele, die in die Erde und in den
Himmel hinein wachſen wollte, Wurzel und
Gipfel ein; er war noch in den Jahren, wo
man vom Klavikord des Lebens mit einem
[167] Fußtritt den Deckel hoch lüftet, damit das har¬
moniſche Brauſen überall vorwalle.


Wie verſchwenderiſch wurde im Schloſſe
ſein Herz mit Herzen bedeckt und die jüngſte
Liebe durch alte übertäubt, von der leicht-wei¬
nenden Mutter Albine an bis zu den hände¬
gebenden alten Bedienten, die ſeinetwegen die
verſteinerten Glieder behender bewegten! —
Er fand alle ſeine Lieben — Liane ausgenom¬
men — in Wehrfrizens Muſeum, weil dieſer
„junges-Volk“ und Diſkurſe lieb hatte und all¬
zeit darauf beſtand, daß man das Frühſtück
auf ſeinem Aktentiſch auſſetzte, der wie er ſagte,
ſo gut ſey als ein Frühſtück-Tiſch mit lackirten
Fratzen, die niemand anſehe. Albano plagte ſich
mit der Furcht, die Miniſterin ſey die Kirchen¬
räuberin einer Göttin ſelber geworden und
habe geſtern Liane zurückgeführt — bis der
Hauptmann die Unſichtbarkeit eilig erklärte. Die
gute Seele hatte geſtern die Bewegungen ihres
theilnehmenden Herzens mit Migraine büßen
müſſen. Ihr geliebter Lehrer Spener mit ſei¬
ner erhabenen Seelen-Stille — die Augen, die
nicht mehr über die Erde weinten, auf das be¬
[168] freundete Fürſtenpaar geſenkt — mit dem
Haupte unter dem kalten Polarſtern der Ewig¬
keit ſtehend, das wie der Pol keine Sterne
mehr auf- und untergehen ſah —, ruhig und
mit apoſtoliſch ineinander gelegten Händen
allmächtig redend über den Schmerz und das
Ziel des bleichen Lebens, begeiſtert die Herzen
nahe an die weinende Rührung drängend, und
doch ſie mit erhabener Beſänftigung zurückzie¬
hend vom höchſten Schmerz, damit nur das
Herz weine ohne das Auge — und nun die
Einſegnung der gepaarten Särge und der Kir¬
che — o in der weichen Liane mußten dieſe Rüh¬
rungen ja zu Leiden arten und alles was ihr
Lehrer verſchwieg, wurde in ihr ausgeſprochen.
Noch dazu hatte ſie nicht die gewöhnliche Kur,
ſich ſtill zu halten, gebraucht ſondern alle Stiche
hinter thätige Freude verſteckt, um der fortrei¬
ſenden Mutter keine Schmerzen zu geben, ob¬
wohl ſich viel zu große.


In dieſe Erzählung trat ſie ſelber freundlich
herein im weißen Morgenkleid mit einem Straus
von ſineſiſchen Röschen — ein wenig blaß und
müde — träumeriſch-weich aufblickend — die
[169] Stimme leiſer— die Wangenroſen zu Knoſpen
geſchloſſen — und wie ein Kind jedes Herz
anlächelnd du Engel des Himmels, wer
darf dich lieben und belohnen? Sie erblickte
den hohen Jüngling alle Lilien ihres
ſtillen Angeſichts wurden wider ihre Gewohn¬
heit in ein himmliſches Morgenroth der Freude
getaucht und ein zarter Purpur blieb an ihnen.


Sie fragte ihn offen, warum er geſtern
nicht zur Feſtlichkeit gekommen und entdeckte
angelegentlich, daß ſie alle heute den frommen
Vater, für welchen ihre Zwerg-Roſen gebunden
waren, beſuchen würden. Er nahm gern die
vierte Stimme im Konzert der Luftfahrt. Wel¬
cher herrliche hängende Garten mit ſeinen liebſten
Blumen und Ausſichten iſt in die Abendſtun¬
den hineingebauet! Wie viel Glückliche bedekt
ein einziges Dach!


Die redliche Rabette, vor ſtillem Freuen
flinker und geſchäftiger war unverdroſſen Lia¬
nens Kranken- und Roquairols Löwen-Wär¬
terin und die maitresſe de plaiſirs, welche je¬
den mütterlichen Grundriß einer Luſt noch um
die Hälfte breiter machte und das ganze Weſen
[170] war ſo glücklich! Ach ihr armes reines Herz wur¬
de ja noch von keinem geliebt und darum glüht
es mit den friſchen Kräften der erſten Liebe ſo
hell und treu vor einem mächtigen, das zu ihm
ſegnend wie ein liebender Gott niederzukommen
ſcheint und einen ganzen Himmel nachzieht! —
Roquairol ſah, wie reizend die arbeitſame Be¬
weglichkeit im Spielraum ihres Eigenthums
und ihrer Geſchäfte das ſchwer niederhängende
Laub verſchiebe, das im Viſitenzimmer ſich fin¬
ſter über ihren Werth herzog; ſie wurde ſogar
ſchöner durch das dunklere nette Hauskleid,
nachdem er durch Predigten jede weiſſe Drap¬
perie ihrer brünetten Geſtalt in den Kleider¬
ſchrank zurückgeſchickt. Sie gehorchte der Mut¬
ter hierin nicht eher als bis er es verlangt hat¬
te. Ja er hatte ſie geſtern dahingebracht, die
Uhr womit die ſtolze Miniſterin ſie beſchenkt,
wirklich an ſich herumzutragen mit heißem Er¬
röthen über den ungewohnten Schmuck. Indes
wollt' er mit ihr gleichſam einen recht geſchlän¬
gelten Blumenweg zum Altare ſeines lauten
Ja's der Liebe nehmen — das ſtumme ſagt'
er hinlänglich —; er wußte, ſie ſitze ſogleich ein,
[171] ſobald er mit dem Muſchelwagen der Venus
vorfahre, wovor er eine Taube und einen Ha¬
bicht vorgehängt.


Wie herrlich flog der Vormittag dahin auf
goldnen Flügeldecken und auf durchſichtigen
Flügeln! Der geliebte Albano wurde in alle
Veränderungen des Hauſes eingeführt; die
ſchönſte war in ſeiner Studierſtube, welche Ra¬
bette in ihre Putz-, Näh- und Studierſtube um¬
gekleidet hatte, die ſeit geſtern wieder zum Gaſt-
und Leſeſtübchen Lianens geworden. Wie gern
trat er ans Fenſter nach Abend, wo er ſo oft
im Kryſtallſpiegel ſeiner Phantaſie ſeinen un¬
ſichtbaren Vater und die Geliebte überirrdiſch
erſcheinen laſſen! In die Scheiben waren von
ſeiner Knabenhand viele L. und R. gezogen. Li¬
ane fragte, was die R bedeuteten; — „Roquai¬
„rol“ ſagte er, denn ſie fragte nicht nach
dem L. Unendlich ſüß floß die Betrachtung um
ſein Herz, daß doch ſeine Geliebte in der träu¬
meriſchen Klauſe ſeines erſten grünen Lebens
einige blühende Tage verlebe. Liane zeigte
ihm mit kindlicher Freude, wie ſie alles, näm¬
lich das Zimmer, redlich mit Rabetten theile in
[172] ihrer Doppelwirthſchaft und Stuben-Kamme¬
radſchaft, und wie ſie ihre Wirthin ſelber zu
ihrem Gaſte gemacht.


Ich habe oft das ſchöne leichte Nomaden-
Leben der Mädchen in ihren arkadiſchen Le¬
bens-Abſchnitten bewundert mit Neid; leicht
flattern dieſe Flugtauben in eine fremde Fa¬
milie und nähen und lachen und beſuchen da
mit der Tochter des Hauſes ein oder zwei Mo¬
nate lang und man hält das Kopulirreis für
einen Familienzweig; — hingegen wir Stu¬
bentauben werden ſchwer verſetzt und ein¬
heimiſch und reiten meiſtens nach einigen Ta¬
gen wieder zurück. Da wir als ſprödere Ma¬
terie ſchwerer mit dem Familien-Guß verſchmel¬
zen; da wir unſere Arbeiten nicht ſo leicht —
weil uns Wagen voll Arbeitsgeräthe nachfah¬
ren müſſen — wie Mädchen ihre einweben in
fremde und da wir viel brauchen und — an¬
ſtiften: ſo iſt daraus unſer Laufzettel ſehr gut
abgeleitet ohne unſern geringſten Nachtheil.


Nach einer halben Ewigkeit der Anklei¬
dung — da in der Nähe der Geliebten eine
Stunde der Abweſenheit länger dauert als ein
[173] Monat in ihrer Ferne — traten die reiſeferti¬
gen Mädchen im ſchwarzen Schmucke der
Bräute herein. Wie reizend, ſtehen Rabetten
die Roſen im dunkeln Haar und der dunkle
Spitzen-Saum auf dem weißen Hals und die
furchtſamen Flammen ihres reinen Auges und
die anfliegenden Erröthungen! — Und Liane
— ich rede nicht von dieſer Heiligen. Sogar
der gute alte Direktor mußte, als ihn das
fromme Angeſicht unter dem blos einfach und
nonnenhaft herübergelegten weißen Kopfſchleier
von indiſcher mit Goldlahn beſprengter Mouſ¬
ſeline kindlich anblickte, ſeinem Wohlgefallen
die Worte geben: wie eine Nonne, wie ein
Engel! — Sie antwortete: „ich wollte auch
„einmal eine werden mit einer Freundinn; aber
„nun nehm' ich den Schleier ſpäter als ſie“ ſetzte
ſie mit wunderbarem Ton dazu.


Sie hieng heute mit zärtlicher Schwärmerei
an Rabette, vielleicht aus ſiecher Weichheit, viel¬
leicht aus Liebe zu Albano und zu den Eltern
und vielleicht, weil Rabette durch die Liebe ſo
gut und ſchön war und weil ſie ſelber nichts
war als Herz. Sie hatte den heiligen Fehler
[174] zu ſchwärmeriſcher Vorſtellungen von ihren
Freundinnen in welchen die edlern Mäd¬
chen leicht fallen und womit blos Ehefrauen
wenig behaftet ſind — ſonſt noch höher getrie¬
ben: ſo konnte ſie z. B. ihre Freundin Karo¬
line, die ihr wie eine Romanenheldin nur im
romantiſchen Spielraum der Freundſchaft und
der ſchönen Natur begegnet war, ſich anfangs
gar nicht ohne Abbruch des poetiſchen Heili¬
genſcheins mit Händen denken, welche die Näh¬
nadel und Plätte und anderes Geräthe des
weiblichen Ackers führten.


Wer die zärteſte Mitfreude fühlen will,
der ſehe nicht frohe Kinder an ſondern die El¬
tern, die ſich über frohe erfreuen. Niemals
blickte die blau- und rundäugige Albine — in
deren Geſicht die Zeit manche Lebenstöne drei¬
mal geſtrichen hatte worunter aber kein ſtief-
und ſchwiegermütterlicher Mißton vorkam —
öfter hin und her und ſegnender als unter die¬
ſen — Paaren; denn das wurden ſie nach der
mütterlichen Sterndeuterei der Aberrazionen und
Perturbazionen dieſer Doppelſterne. — Der
[175] Vater, der die „Kopf- und Ohrenhängerei des
„jetzigen jungen Volks“ gegen die Ehrenſprün¬
ge ſeiner Kammeraden hielt, wurde an den
Hauptmann gekettet, der ſich als Regiſſeur ſei¬
nes innern Theaters heute die Rolle eines fro¬
hen Jünglings zugetheilt hatte. Er gefiel ihm
ſogar durch die derben Redeblumen, die das
verborgne Wehen von ihm losblätterte; denn
da jedes Genie ſein Grobians-Idiotikon, ſei¬
ne Knittelverſe haben muß: ſo hatt' er — an¬
dere haben den Teufel, den Henker, — den
genialiſchen Handwerksgruß: Lump ſammt den
Derivativis Lumperei u. ſ. w. Aber wie noch
hinreißender nahm Albano alle weibliche Her¬
zen durch die Stille weg, womit er wie ein
ruhiger Nachſommer ſeine Früchte fallen lies.
Die Eltern ſchrieben dieſe weiche Haltung dem
Stadtleben zu, als wäre nicht Karl länger in
dieſe Malerſchule gegangen. Nein, die Liebe
iſt die italieniſche Schule des Mannes; und
der kräftigere und höhere iſt eben der höhern
Zartheit fähig, wie auf hohen Bäumen ſich
das Obſt milder und ſüßer ründet als auf nie¬
drigen. Nicht an unmännlichen Karaktern
[176] entzückt die Milde, ſondern an männlichen; wie
nicht an unweiblichen die Kraft, ſondern an
weiblichen.


Der gute Jüngling! — So unſchuldig lo¬
dert dir — indes Karl es allzeit leider deut¬
lich wußte, wenn ſein Blick brannte und blitzte
— aus den Augen ein glühendes Herz, das es
nicht weiß! Möge dein Abend das Samen¬
korn einer blüthenvollen Jugend werden! Der
Wagen rollet vor, dir ungewiß ob er ein Eli¬
as- oder Phaeton's Wagen wird, ob du durch
ihn den Himmel erfliegſt oder aus ihm fällſt!

66. Zykel.

Der Wagen flog durchs Dorf mit den vier
jungen Menſchen — wie thut unſerm Jüngling
die Weite des Himmels und der Erde wohl! Das
Portal des Lebens, die Jugend, war mit Blu¬
men und Lichtern behangen. Sie rollten unten
am Berge vor der Vogelſtange vorbei, der
Zeigerſtange eines Knaben-Arkadiens, vor der
Wiege, wo er kindlich-ſchlaftrunken nach dem
hohen Himmel langte mit dem Knaben-Arm —
und durch das ihm jetzt nur zu Gebüſch ge¬
ſunkne[177] ſunkne Birkenwäldchen, das er an jenem gold¬
nen Morgen ſo breit und lang gefunden —
und vorbei vor den öſtlichen ofnen Triumph¬
bogen, hinter denen das Meer des vielgeſtalti¬
gen Lilars ſeine Reize wogen ließ — und hin¬
ter der Bergmauer des Flötenthals ſchickten ſie
den Wagen zurück.


Sie gingen auf einer herrlichen Erde un¬
ter einem herrlichen Himmel. Rein und weiß
ſchwamm die Sonne wie ein Schwan durch
die blaue Fluth — Fluren und Dörfer dräng¬
ten ſich dichter an die fernen niedrigen Ge¬
bürge — ein ſanfter Wind trieb die grünen
Ähren-Wogen auf der Ebene umher — an
den Hügeln ruhten Schatten unter den Schwin¬
gen weiſſer Wölkchen feſt — und hinter den
Gipfeln der Anhöhe zogen die Maſtbäume der
Rheinſchiffe majeſtätiſch weg.


Wie Albano ſo nahe neben der Geliebten
gieng, fiel das unter ſeinem Eden brennende
Fegfeuer immer tiefer in den Erdkern zurück;
voll Unruhe und Hofnung warf er das feurige
Auge bald auf den Sommer, bald auf den milden
Heſperus-Stern, der ſo nahe an ihm aus dem
Titan II. M[178] Frühlingsäther ſchimmerte. Die Gute ſchien
heute ſtiller, ernſter und unruhiger als ſonſt.
Als ſie durch ein überall ofnes Laubwäldchen
am Hügelrücken, der das Flötenthal umzog,
hingingen: ſagte Liane plötzlich zum Grafen,
ſie höre Flöten. Kaum konnt' er ſagen, er höre
nur ferne Turteltauben: als ſie auf einmal ſich
wie zu etwas Wunderbarem ſammlete — ihr
Auge in den Himmel heftete — lächelte — und
plötzlich ſich nach Albano umſah und roth
wurde. Sie redete ihn an: „ich will aufrichtig
„ſeyn, ich höre jetzt in mir Muſik — *) ſehen
„Sie mir heute meine Schwäche und Weichheit
„nach; es kommt von geſtern.“ — „Ich —
„Ihnen?“ ſagt' er heftig; denn er, um welchen
in Krankheiten nur brennende Bilder ſtürmten,
wurde zur Verehrung eines Weſens begeiſtert,
[179] zu welchem gleichſam aus ſeiner höhern [Welt]
in ſeinen Schmerzen wie goldne Sonnenſtralen
leiſe Töne reichen, die verhüllt durch die rauhe
Tiefe gehen.


Aber Liane, wie um ſein Feuer abzuwen¬
den, kam auf ihre Freundinn Karoline und
ſagte: wie ſie ihr an ſolchen Tagen und zumal
auf dieſem Spaziergange immer vorſchwebe.
„Anfangs ſucht' ich ſie auf, (ſagte Liane,) weil
„ſie meiner Linda glich. Sie war meine Leh¬
„rerin, ob ſie gleich nur einige Wochen älter
„war als ich. Ihr frommer, ſtrenger, uner¬
„ſchrockner Karakter und ihre Willigkeit, ſich
„freudig und ſtumm aufzuopfern, machte ſie
„ſogar, wenn ich es ſo ſagen darf, in den Au¬
„gen ihrer Mutter verehrungswürdig. Man
„ſah ſie niemals weinen, ſo weich ſie auch war,
„blos um ihre Mutter immer heiter zu machen.
„Wir wollten miteinander den Schleier neh¬
„men, um beiſammen zu bleiben; ich würde
„nicht alt werden, ſagte ſie, und ich müßte mein
„kurzes Leben froh und ohne Sorgen, aber auch
„in Zubereitung auf das andere verbringen.
„Ach ſie gieng ſelber voran! Die Nachtwachen
M 2[180] „am Krankenbette ihrer Mutter und der
„Schmerz über den Tod nahmen ſie dahin.
„Sie empfieng das heilige Nachtmahl, auf das
„wir uns miteinander zubereiteten, im Sterben
„allein. — Da gab mir der Engel dieſen
„Schleier, worin ich ihr einſt folgen ſoll. — O,
„gute, gute Karoline!“ — Sie weinte unver¬
hohlen und drückte bewegt Albano's Hand. „O
„ich hätte nicht davon anfangen ſollen! —
„Dort kommt ſchon unſer Freund; wir wollen
„recht heiter ſeyn.“ —


Sie waren jetzt durch ein hohes Gebüſche,
das neckend die umherſchweifenden Landſchaf¬
ten auf- und zudeckte, nahe an die über das
Flötenthal hereinſchauende Thurmſpitze gelangt,
neben welcher eine einſame Kirche und Speners
Wohnung lag und unten in der Ebene das
ofne Dorf. Spener gieng ſeiner Schülerin, —
nach Greiſen-Sitte um andere unbekümmert —
entgegen und ein junges Reh lief, ihm nach.
Eine ſchöne Stelle! Kleine weiße Pfauen —
freie Turteltauben — eine Bienenſtadt mitten
in ihrer Bienenflora— alles ſagte den ruhigen
Alten an, dem nun die ehrende Erde dient und
[181] der gleichgültig gegen ſie, nur in Gott lebt.
Er kam gegen die Erwartung eines kirchlichen
Ernſtes mit einem leichten Scherz über die
bunte Reihe an und legte die ſegnenden Fin¬
ger auf Lianens Stirn, die ſeine Enkelin zu
ſeyn ſchien, gleichſam eine zweite Baum-Blüthe
im Spätherbſt des Lebens. Sie ſteckte ihm
töchterlich den Straus der Zwerg-Röſchen an
die Bruſt und gab ſehr Acht, ob es ihn beſon¬
ders freue. Sie lächelte ganz heiter und alle
ihre Thränen ſchienen verweht; aber ſie glich
dem beregneten Baum unter der wiederlachen¬
den Sonne, die kleinſte Erſchütterung wirft den
alten Regen vom ſtillen Laub.


Der alte Mann erfreuete ſich über die
Theilnahme der jungen Leute und blieb mit
ihnen auf der blühenden und lärmenden An¬
höhe, welche zwiſchen einer weiten Land¬
ſchaft und zwiſchen den reichbeladen ins Ely¬
ſium hineinlaufenden Bergrücken thronte. Sie
ließen ihn, da zu ihm wie zu einem der im
Luftſchif aufſteigt, die Töne der Erde nicht ſo
weit nachreichten als die Geſtalten, mehr re¬
den als hören, wie man Alte ſchonet.


[182]

Er ſprach bald von dem, worin ſein Herz
athmete und lebte; aber in einer ſonderbaren
halb theologiſchen halb franzöſiſchen, Wolfiani¬
ſchen und poetiſchen Sprache. Man ſollte von
manches Schwärmers Poeſie und Philoſophie
ſtatt der Verbal-, Realüberſetzungen geben, da¬
mit man ſähe, wie die gold-reine Wahrheit
unter allen Hüllen glühe. Spener ſagt in mei¬
ner Überſetzung: „er habe ſich ſonſt, eh' er das
„Rechte gefunden, in jeder menſchlichen Freund¬
„ſchaft und Liebe gemartert. Er habe, wenn
„er inbrünſtig geliebt wurde, zu ſich geſagt,
„daß er ſich ſelber ja nie ſo anſehen oder lie¬
„ben könne; und eben ſo könne ja das geliebte We¬
„ſen, nicht ſo von ſich denken wie das liebende,
„und wär' es noch ſo vollkommen oder ſo ei¬
„genliebig. Sähe jeder den andern an wie
„er ſich: ſo gäb' es keine feurige Liebe. Aber
„jede fordere einen unendlichen Werth und
„ſterbe an jedem unauflößlichen deutlich er¬
„kannten Fehl; ſie hebe ihren Gegenſtand aus
„allen heraus und über alle, und verlange eine
„Gegenliebe ohne Gränze, ohne allen Eigennutz,
„ohne Theilung, ohne Stillſtand, ohn' Ende.
[183] „Das ſey ja das göttliche Weſen, aber nicht
„der flüchtige, ſündige, wechſelnde Menſch. Da¬
„her müſſe ſich das liebekranke Herz in die
„Geber dieſer und jeder Liebe ſelber, in die
„Fülle alles Guten und Schönen, in die unei¬
„gennützige, unbegränzte All-Liebe ſenken und
„darin zergehen und aufleben, ſeelig im Wech¬
„ſel des Zuſammenziehens und Ausdehnens.
„Dann ſieht es zurück auf die Welt und ſin¬
„get überall Gott und ſeinen Wiederſchein —
„die Welten ſind ſeine Thaten — jeder from¬
„me Menſch iſt ein Wort, ein Blick des All¬
„Liebenden; denn die Liebe zu Gott iſt das
„göttliche und ihn meint das Herz in jedem
„Herz.“ — —


„Aber — (ſagte Albano, deſſen friſches
„energiſches Leben aller myſtiſchen Vernichtung
„widerſträubte — ) wie liebt uns denn Gott?“
„Nie ein Vater ſein Kind, nicht weil es das
„beſte iſt, ſondern weil es ihn braucht.“ *) „Und
[184] „woher, (fragt' er weiter,) kommt denn das
„Böſe im Menſchen und der Schmerz?“ —
„Vom Teufel“ ſagte der Greis und mahlte un¬
unterbrochen mit verklärter Freude den Him¬
mel ſeines Herzens aus, wie es immer umge¬
ben ſey vom all-geliebten All-Liebenden, wie
es gar kein Glück und keine Gaben von ihm
begehre, (die man nicht einmal in der irrdi¬
ſchen Liebe wünſche,) ſondern nur immer hö¬
here Liebe gegen ihn ſelber, und wie es, indem
der Abendnebel des Alters immer dichter um
ſeine Sinne ziehe, ſich im Lebens-Dunkel im¬
mer feſter von den unſichtbaren Armen um¬
ſchlungen fühle. „Ich bin bald bei Gott!“
ſagt' er mit einem Glanze der Liebe auf dem
vom Leben erkälteten und unter den Jahren
einbrechenden Geſicht. Man hätt' es ausgehal¬
ten, ihn ſterben zu ſehen. So ſteht der Mont¬
blanc vor dem aufgehenden Mond; die Nacht
verhüllt ſeinen Fuß und ſeine Bruſt, aber der
*)[185] lichte Gipfel hängt hoch im dunkeln Himmel,
als ein Stern unter den Sternen.


Liane hatte wie eine Tochter das Auge und
die Hand nicht von ihm gelaſſen und jeden
Laut ſchmachtend eingeſogen; ihr Bruder hatt'
ihn mit mehr Freude als Alban gehört, aber
blos um den myſtiſchen Heros ganz in den
mimiſchen Berg Athos ſeiner Nachbildung
reiner abzuformen, und Rabette hatt' ihn wie
in einer Kirche unter gläubigen — Nebenge¬
danken angeſchauet.


Er entfernte ſich jetzt ohne Umſtände, um
für ſeine Thiere zu ſorgen, die er wie alles
Unwillkürliche, z. B. die Kinder, wie aus der
erſten Hand Gottes kommend liebte; alles ſey
göttlich, ſagt' er, und nichts irrdiſch als das
Unmoraliſche. Er konnte keine Bienen ſchwe¬
feln, keine Blumen im Scherben-Käfig ver¬
durſten laſſen, kein abgetriebnes, wundes Pferd
ertragen und gieng vor einer Fleiſchbank nur
mit ſchaudernden Gliedern vorüber.


„Wollen wir, (ſagte der Freund Karl,) den
„herrlichen Abend auf der prächtigen Berg¬
„ ſtraße einnehmen und Dein Donnerhäuschen
[186] „beſehen und jeden Leidens-Kelch herunterwer¬
„fen in die Thäler hinein?“ — Welche magi¬
ſche Nachbarſchaft durchzogen ſie nun auf dem
gebognen Gebirge zum Donnerhäuschen! Zur
Rechten gleichſam den Occident der Natur, zur
Linken ihren Orient — vor ihnen das pran¬
gende Lilar in der Abendfeerei — der glänzen¬
den Roſana in den Armen liegend — Ähren¬
gold hinter Pappelſilber — und darüber den
Himmel, gefüllt mit lebenstrunknen lärmenden
Weſen — und der Sonnengott ſchreitet über
ſeinen Abend weg und bückt ſich ein wenig
unter der Mitternacht, um in Oſten das goldne
Haupt zu erheben. Albano gieng an Lianens
heiliger Hand voraus. „O wie iſt alles ſo ſchön!
„(ſagt' er.) Wie rauſchet die aufgeblätterte Welt¬
„karte mit langen Flüſſen und Wäldern — wie
„ſonnen ſich die Morgenberge in feſter Ruhe —
„wie ſteigen die Haine mit glühenden Stämmen
„die Hügel hinauf — man möchte ſich in die
„rauchenden Thäler ſtürzen und in die kalten
„glänzenden Wellen — ach Liane, wie iſt alles
„ſo ſchön!“ „Und Gott iſt auf der Welt“ ſagte
ſie — „und in dir!“ ſagte er und dachte an
[187] das Wort des Greiſen, daß die Liebe Gott
meine und er im Herzen wohne, das wir ehren.


Jetzt rollten ihm ſchon die großen Wogen
entgegen, welche die Äolsharfe im Donnerhäus¬
chen ſchlug; und ſein Genius flog vor ihm
vorbei mit den Worten: ſag' ihr darin dein
ganzes Herz.


Vor der kleinen Hütte der geſtrigen Träu¬
me gieng ſein ſtürmendes Herz auseinander;
und Sonne und die Erde ſchwankten vor den
wilden Thränen. Da er hineintrat mit ihr in
den füllenden Roſenglanz der Abendſonne
und in das Geiſtergetümmel der einſam mit¬
einander redenden Töne: ſo faßte er Lianens
Hände und drückte ſie wild an ſeine Bruſt
und ſank vor ihr ohne Laut und geblendet
nieder — Flammen und Thränen flogen über
Augen und Wangen — der Wirbelwind der
Töne wehte in ſeine lodernde Seele — der milde
Engel der Unſchuld bückte ſich weinend und
bebend gegen den brennenden Sonnengott —
und es ſchlängelte ſich ein Schmerz wie eine
bleiche Schlange durch die Roſen des milden
[188] Angeſichts — — und Albano ſtammelte: Liane, ich
liebe dich — . . . .


Da kehrte die Schlange um und faßte und
bedeckte die ſüße Roſen-Geſtalt „O guter
„Menſch, Du biſt unglücklich, aber ich bin un¬
„ſchuldig.“ Sie trat erhaben zurück und zog
ſchnell den weiſſen Schleier über ihr Geſicht
herab und ſagte außer ſich: „liebſt Du die Tod¬
„ten? Das iſt mein Leichenſchleier; im künfti¬
„gen Jahre liegt er auf dieſem Geſicht.“ —
„Das iſt nicht wahr“ ſagte Albano. „Karoline,
„antworte ihm!“ ſagte ſie und ſah ſtarr in
die brennende Sonne wie nach einer höhern
Erſcheinung. Fürchterliche Minute! wie bei dem
Erdbeben das Meer wogt und die Luft fürchter¬
lich ſtill ruht, ſo war ſeine Lippe neben der
Verſchleierten ſtumm und das ganze Herz ein
Sturm — auf den Saiten wandelte eine ſeuf¬
zende Geiſterwelt vorüber und der letzte endigte
mit einem ſcharfen Schrei — die Schönheit der
Erde verzerrte ſich vor ihm und in das Abend¬
gewölk waren breite Feuerfahnen gepflanzt und
das Sonnenauge ſchloß ſich blutend zu. — —


Auf einmal faltete Liane wie betend die
[189] Hände und lächelte und erröthete; da hob ſie
den Schleier von den göttlichen Augen und
die Verklärte, vom Roſen-Wiederſchein ange¬
ſtrahlt, ſah ihn zärtlich an — und ſchlug das
Auge nieder — und hob es wieder auf — und
ſenkt' es nieder — und der Schleier fiel wieder
vor und ſie ſagte leiſe: „ich will dich lieben,
„guter Albano, wenn ich dich nicht elend ma¬
„che.“ — „Ich ſterbe mit dir, ſagt' er, was
„iſts?“ — — Und nun verhülle die heilige
Wolke den Sonnengott, der flammend durch
ſeine Sterne zieht! — —


Seine Einſamkeit und Lianens Auflöſung
ſo vieler Wunder wurden durch den Eintritt
Rabettens und Karls verſchoben, welche beide
mehr gerührt als beglückt ſchienen, ſie durch
die tröſtende Nähe des Geliebten, er durch die
ſonderbare Lage und durch den zwingenden
Abend; denn gewiſſen Menſchen geht ein Sturm
nach und ſie müſſen die Schritte, die ſie thun,
wider Willen ſchneller machen.


Als Albano wieder mit dem Friedensengel
ſeines Lebens, mit der Geliebten, die mitten im
Rauſchen der Gefühle doch die Stimme ihrer
[190] Freundinn hörte, allein vorausgieng auf den
Felſen-Damm zwiſchen duftenden Tempethä¬
lern in der dämmernden Welt: ſo war ihm als
habe ſich ſein Leben wie ein Adler durch eine
Sturmwolke durchgearbeitet und der ſchwarze
Sturm laufe unter ſeinen Flügeln weiter und
der ganze Sternenhimmel brenne hell über ſei¬
nem Haupt. Liane, jungfräulich-edel und feſt,
gab ihm, eh' er eine Frage gethan, die Ant¬
wort: „Ihnen muß ich nun ein Geheimniß
„ſagen, was ich jedem und ſogar meiner Mut¬
„ter verbarg, weil es ſie beunruhigt hätte.
„Ich erzählte vorhin von meiner unvergeßlichen
„Karoline. Am Tage meines Abendmals, das
„ich mit ihr empfangen wollen, gieng ich Nachts
„von meinem Lehrer zur Mutter zurück, und
„zwar durch die ſonderbare lange Höhle, worin
„man niederzuſteigen glaubt, wenn man auf¬
„wärts ſteigt. Mein Mädchen gieng mit der
„Laterne voraus. In der romantiſchen Laube,
„wo ein Hohlſpiegel ſteht, kehr' ich mich gegen
„den hereinſtrömenden Vollmond, aus Furcht
„vor dem wilden Spiegel, der den Menſchen zu
„grauſam verzieht. Plötzlich hör' ich ein himm¬
[191] „liſches Konzert wie nachher öfters wieder in
„Krankheiten — ich denke an meine ſeelige
„Freundinn — und ſchaue voll Sehnſucht in den
„Mond. — — Da ſah' ich ſie mir gegenüber,
„mit unzähligen Strahlen, — in ihren ſchönen
„Augen war ein zärtlicher Blick, aber doch
„etwas Auflöſendes; der zarte, faſt allein leben¬
„dige Mund glich einer rothen aber durchſichti¬
„gen Frucht, und alle ihre Farben ſchienen nur
„Licht zu ſeyn. Doch nur im blauen Auge und
„rothen Munde ſchien der Engel Karolinen
„ähnlich. Ich könnt' ihn zeichnen, wenn man
„mit Licht malen könnte. Ich wurde gefährlich
„krank; da erſchien ſie mir öfter und erquickte
„mich mit unſäglich-ſüßen Lauten — es wa¬
„ren keine rechte Worte — worauf ich immer
„in einen ſanften Schlaf wie in einen ſüßen
„Tod verſank. Einmal fragt' ich ſie — mehr
„mit innern Worten — ob ich denn bald zu
„ihr ziehe ins Reich des Lichts. Sie antwortete,
„ich ſtürbe jetzt nicht, ſondern etwas ſpäter,
„und ſie nannte recht deutlich das künftige
„Jahr und ſogar den Tag, den ich aber ver¬
„geſſen. . . . O lieber Albano! vergeben Sie
[192] „mir nur einige Worte! Ich genas bald und
„trauerte über die lange ſchleppende Zeit..... “


„Nein — (unterbrach Albano ſie, deſſen
„Gefühle wie Schwerter gegen einander ſchlu¬
„gen —) ich ehre, aber haſſe Ihr gefährliches
„Schreckbild. Phantaſie und Krankheit ſind die
„Eltern des luftigen Würgengels, der wie ein
„taubes Wetterleuchten ſengend über alle Blü¬
„then der Jugend fliegt.“


Sie antwortete gerührt: „o du guter,
„frommer Geiſt! du haſt mich nie betrübt, du
„haſt mich ſtets getröſtet, geleitet, froh und
„fromm gemacht. — Ein Schreckbild iſt er,
„Albano? — Eben gegen alle Schreckbil¬
„der, gegen alle Geiſterfurcht bewahrt er
„mich, weil er immer um mich iſt. Warum, wenn
„er nur ein Traumbild iſt, erſcheint er mir nie
„in meinen Träumen? *) Warum kommt er
nicht.[193] „nicht, wenn ich will? Sondern blos in wichti¬
„gen Fällen; dann frag' ich ihn und gehorche
„ſehr gern. Er iſt mir heute, Albano, (ſetzte ſie
„leiſer und blöder hinzu) ſchon zweimal erſchie¬
„nen, unterwegs als ich die innere Muſik hörte,
„und vorhin im Donnerhäuschen als die Sonne
„untergieng, und hat mir liebreich geantwortet.“


„Und was ſagt' er, Himmliſche?“ fragte
Albano unſchuldig. — „Ich ſah ihn unter¬
„wegs nur an und fragte nichts“ verſetzte die
Kindliche erröthend; und hier ſtand auf einmal
ihre heilige Seele unwiſſend ohne Flor vor ihm;
denn ſie hatte im Donnerhäuschen von der un¬
ſichtbaren Karoline das Ja zu ihrer Liebe em¬
pfangen, weil jene ihr Geſchöpf war und die¬
ſes ihre — Eingebung. Ja wohl Himmliſche!
du ſtehſt vor dem Spiegel mit dem jungfräu¬
lichen Schleier über deiner Geſtalt, und wenn
dein Bild ſeinen leiſe hebt, glaubſt du dich
noch verhüllt! —


Kein Wort ſpricht Albano's Verehrung
eines ſo geheiligten Herzens aus, das ver¬
klärte Weſen ſo helle träumte — deſſen goldne
Blumen auf dem Gedanken des Todes, wie
Titan II. N[194] irrdiſche auf Gottesäckern, nur höher wuchſen —
das zugleich mit ihm unſichtbare Hände in
zwei ähnliche Träume *) gezogen — dem man
ſich ſchämte gemeine Wahrheiten zu geben für
ſeine heiligen Irrthümer. — — „Du biſt vom
„Himmel, — (ſagt' er begeiſtert und ſeine Freu¬
„de wurde die im Auge zerſchmolzene Perle
„die den Durſt des Menſchenherzens löſcht —)
„darum willſt du wieder dahin!“ — „O Ich
„weihe Dir, mein Freund, (ſagte ſie lächelnd-
„weinend und drückte ſeine Hand an ihr from¬
„mes Herz) das ganze kleine Leben das ich habe,
„jede Stunde bis zur letzten und vorher will
„ich dich auf alles zubereiten, was Gott ſchickt.“


Eh ſie in des frommen Vaters Hütte traten:
griff Albano nach des Freundes Hand und die
Schweſtern vereinigten ſich. Die Freunde gien¬
gen eine Zeitlang ſtumm voraus; Karl blickte
Albano an und fand den Frieden der Seelig¬
keit auf ſeinem Angeſicht. Als dieſer ſah, wie
[195] Liane das überfüllte Herz an das ſchweſterliche
drückte: ſo wurde die Aufrichtigkeit und Freude
in ihm zu ſtark und er fiel ohn' ein Wort dem
lieben Bruder der ewigen Braut ans Herz
und lies ihn ſtumm alles errathen aus den
Thränen der Seeligkeit. O er hätt' es doch
errathen aus dem bräutlichen Blick der Liebe,
den ſeine Schweſter von ſeinem Freunde ſelte¬
ner wegzog, und aus der Innigkeit, womit ſie
Rabetten — gleichſam als würden beide bald
einander verwandt, als würde ſelber der Bru¬
der bald ſchöner ſprechen, da er ſie lange nicht
mehr die kleine Linda hieß — an ihrem Her¬
zen einweihte für das brüderliche. Bei dem
frommen Vater verſteckte ſich der entzückte Blick
wenig, den Albano gleichſam unter dem Thore
der Ewigkeit ſtehend in die Himmel warf, die
wie Welten hintereinander ſchimmerten; er
war ſtill, ſanft und in ſeinem Herzen wohnten
alle Herzen. O liebe Eines rein und warm,
ſo liebſt du alle nach und das Herz in ſeinem
Himmel ſieht wie die wandelnde Sonne vom
Thau bis zum Meere nichts als Spiegel, die
es wärmt und füllt.


[196]

Aber in Roquairol fuhr ſogleich, als er
das himmliſche Glück ſo nahe ſah, der aufrüh¬
reriſche Geiſt ſeiner Vergangenheit und ſchlug
epileptiſch die Glieder des innern Menſchen
blutig — die unſterblichen Seufzer nach dem
ewig fliehenden Frieden quälten ihn wieder,
ſeine Fehltritte und Irrthümer und ſogar die
Stunden, wo er unſchuldig litt, wurden ihm
ſchmerzlich vorgerechnet — und da ſprach er
(und rührte jedes Herz, am meiſten aber das
der armen Rabette, das er ſich zu erwärmen
an ſich preßte wie nach der Sage der Adler
die Taube, der dann ſie nicht zerreißet.) Da ſprach
er edel von der Wüſtenei des Lebens und vom
Schickſal, das den Menſchen wie den Veſuv
zum Krater ausbrenne und dann wieder kühle
Auen darein ſäe und ihn wieder mit Feuer
fülle — und vom einzigen Glück des hohlen
Lebens, von der Liebe, und von der Ver¬
letzung, wenn das Geſchick mit ſeinen Win¬
den eine Blume *) reibend hin und her be¬
[197] wege und dadurch die grüne Rinde an der
Erde durchſchneide. — —


Aber indem er ſo ſprach, ſah er die glü¬
hende Rabette an und wollte durch dieſe Er¬
wärmungen gleichſam die feſte Blumen-Knoſpe
ſeiner Liebe gewaltſam ſprengen und die Blät¬
ter unter die Sonne breiten — o ganz glücklich
war doch der Verworrene und Sehnſüchtige
auch heute nicht und er wollte weniger andere
rühren als ſich.


Wie ſeelig-ahnend traten ſie wieder heraus
vor die Sphinx der Nacht, welche lächelnd mit
ſanften Sternenblicken vor ihnen lag. Gien¬
gen ſie nicht durch eine ſtille, dämmernde Un¬
terwelt, leicht und frei ohne die ſchwere, kleben¬
de Erde an den Füßen und im weiten Elyſium
flattert nur der warme Äther, weil ihn unſicht¬
bare Pſychen mit ihren Flügeln ſchlagen? Und
aus dem Flötenthale ſendet ihnen der Greis
ſeine Töne als ſüße Liebespfeile nach, damit
das ſchwellende Herz an ihren Wunden ſeelig
blute. — Albano und Liane kamen vor eine
Ausſicht, wo die weite Morgenlandſchaft mit
den Lichtſtreifen von blühenden Mohnfeldern
[198] und mit dunkeln Dörfern an die ſanften Gebir¬
ge hinanſtieg, wo der Mond aufwachte und
der Glanz ſeines Gewandes ſchon wie der ei¬
nes Geiſtes durch den Himmel ſtreifte — hier
blieben ſie auf die Luna wartend ſtehen. Al¬
bano hielt ihre Hand. Alle Gebirge ſeines Le¬
bens ſtanden im glühenden Morgenroth. „Li¬
„ane, (ſagt' er,) ſo unzählige Frühlinge ſind jetzt
„droben auf den Welten, die herunter hän¬
„gen; aber dieſer iſt der ſchönſte.“ — „Ach
„das Leben iſt lieblich und heute wird es
„mir zu lieb“ — Albano (ſetzte ſie leiſe da¬
„zu, und ihr ganzes Angeſicht wurde eine er¬
„habne thränenloſe Liebe und die Sterneweb¬
„ten und ſtickten ihr Brautkleid) wenn mich
„Gott fodert, ſo laſſ' er mich Dir immer erſchei¬
„ nen wie mir Karoline; o wenn ich dich nur
„ſo durch dein ganzes liebes Leben begleiten
„und tröſten und warnen könnte, ich wünſchte
„gern keinen andern Himmel.“


Aber als er die Fülle ſeiner Liebe und den
zürnenden Schmerz über den Todeswahn aus¬
ſprechen wollte, ſo kam ſein wilder Freund, der
wie ein Veſuv Lava- und Regenſtröme zugleich
[199] über die gläubige Rabette ausgießend ihr und
ſich das Herz nur voller, nicht leichter gemacht;
da ſah Karl die verherrlichten Menſchen an
und den blauen Horizont, wo ſchon der Mond
ſeinen Schimmer zwiſchen den feſten Maſtſpi¬
tzen und Gipfeln vorauswarf und blickte wie¬
der in den Glanz der heiligen Liebe. — — Da
konnt' er ſich nicht länger halten, ſein quaal¬
volles Herz ſtieg wie zu Gott, auf zu einem
ewigen Entſchluß und er umfaßte Albano und
Rabette und ſagte: Geliebter! — Geliebte! —
behaltet mein unglückliches Herz! —


Rabette umklammerte ihn mitleidig wie
eine Mutter das Kind und gab ihm heis¬
weinend ihre ganze Seele hin. — Albano um¬
ſchloß ſtaunend den Liebesbund. — Liane wur¬
de vom Strudel der Wonne an die geliebten
Herzen gezogen. — Ungehört riefen die Flö¬
ten fort, ungeſehen wehten die weißen Fahnen
der Sterne darüber. — Karl ſprach wahnſinni¬
ge Worte der Liebe und wilde Wünſche des
Freuden-Todes. — Albano berührte bebend
Lianens Blumenlippe wie Johannes Chriſtum
küßte und die ſchwere Milchſtraße bog ſich wie
[200] eine Wünſchelruthe hernieder zu ſeinem goldnen
Glück. — Liane ſeufzete: o Mutter, wie ſind dei¬
ne Kinder glücklich.— Der Mond war ſchon wie
ein weißer Engel des Friedens in das Blau
geflogen und verklärte die große Umarmung;
aber die Seeligen merkten es nicht. Wie ein
Waſſerfall überdeckte ſie brauſend das reiche
Leben und ſie wußten es nicht, daß die Flöten
ſchwiegen und alle Hügel glänzten.


Ende des zweiten Bandes.

[][][]
Notes
*)

Simons chriſtl. Alterthümer, von Murſinna ꝛc.
p. 143
*)

Anſpielung auf die Art, Fröſche mit einem
Stückchen rothen Tuch zu angeln.
*)

Der Mond.
*)

Die unbekannten Erfrornen werden von den
Mönchen unbegraben an einander jeder an die
Bruſt des andern angelehnt.
**)

Linda de Romeiro.
*)

Er ſoll lehrend immer auf die leere Knopf-
Stätte eines Studenten geſehen haben; und
wurde irre, als dieſer ſie beſetzt hatte.
*)

Die Zeit des Sonnenuntergangs, welche die
ſüdlichen Länder ſo ſehr fliehen.
*)

Tempestiarii oder Wettermacher hießen im Mit¬
telalter die Hexenmeiſter, welche Ungewitter er¬
regen konnten. Man brauchte in Kirchen Wet¬
tergebete gegen ſie; und andere Hexenmeiſter, die
jenen entgegenarbeiteten.
*)

Die pohlniſchen Tänzer tragen immer eine
Peitſche unter dem Pelze, damit die Tänzerin
durch die Schläge entſchuldigt iſt, wenn ſie mit
ihm fehlet. Oberſchleſ. Monatsſchrift, 1ſtes St.
Jul. 1788.
*)

Geiſterſcheu.
*)

So nannten ihre Schließer die Gefangnen.
**)

Alexand. ab Al. V. 4.
*)

Um ſich von dem Adler des Kaiſers zu unter¬
ſcheiden, der in beiden Fängen etwas hält.
*)

Bouverot war katholiſch.
*)

Er meinte eine mit dem armen Lektor.
*)

Ich meine nicht (wie es etwa aus dem Ver¬
kaufen ſcheint) Pit den Miniſter, ſondern Pit
den Diamanten, den der Vater des jetzigen dem
Herzog Regenten von Frankreich verhandelte
und für deſſen Splitter er noch 12000 Dukaten
bekam.
*)

Ich verkaufe bloß die Landſchaften und gebe
die Figuren zum Kauf darein.
*)

Plaut. Bach. Act. 4. Scen. 7. 4. 16. 17.
*)

7ter Theil der neuen Sammlung der Reiſe¬
beſchreibungen.
*)

Ich ſpreche mehr von Töchtern, weil dieſe die
gewöhnlichſten und größten Opfer ſind; die
Söhne ſind unblutige Meßopfer.
*)

Plin. H. N. VIII. 16.
*)

Und das iſt durchaus wahrſcheinlich. D. Eduard
Hill berechnete, daß in England jährlich 8000
an der unglücklichen Liebe — am gebrochnen
Herzen, wie die Engländerinnen rührend ſa¬
gen — ſterben. Beddoes erweiſet, daß die
vegetabiliſche Koſt — und dieſe lieben gerade
dieſe Weſen — die Schwindſucht nähre und daß
die weiblichen ſich zu dieſer neigen. Noch dazu
fallen die Zeiten der Sehnſucht, die ſchon ohne
Fehlſchlagen, wie das Heimweh zeigt, eine ver¬
giftend-herumziehende Bleikugel iſt, in die Ju¬
gend ein, wo der Same der Bruſtkrankheiten
am leichteſten aufgeht. O manche fallen in der
Ehe unter falſchen Auslegungen vor dem Todes¬
engel, dem ſie vor ihr das Schwert geſchärft
und gegeben.
*)

Forſters Anſichten. I B.
*)

Weigel in Jena erfand die Verkehrtbrücke
(pons heteroclitus), eine Treppe, wo der
Menſch hinabzugehen glaubt durch Aufſteigen.
Buſch Handbuch der Erfindungen. 7. B.
*)

Es hatte den Namen von ſeiner Höhe und von
dem öftern Einſchlagen des Blitzes.
*)

Baſa Mezia. c. 4. m. 10.
*)

Bekanntlich ſind die Frühlingsblumen wegen
der Näſſe und des Schattens meiſt verdächtige;
wie die Herbſtblumen.
*)

Dieſes Selbſt-Ertönen — wie die Rieſenharfe
bei verändertem Wetter unberührt anklingt — iſt
in Migraine und andern Krankheiten der Schwä¬
che häufig; daher im Sterben; z. B. in Jakob
Böhme ſchlug das Leben wie eine Konzertuhr
ſeine Stunde von Harmonien umrungen aus.
*)
Irgend eine uneigennützige Liebe muß ewig ge¬
*)
weſen ſeyn. Wie es ewige Wahrheiten giebt, ſo
muß es auch eine ewige Liebe geben.
*)

Darum vielleicht, warum der Dichter ſeine ſo
beſtimmt und oft angeſchaueten Geſchöpfe, nicht
in ſeinen Träumen unter den Bildern des Ta¬
ges gehen ſieht.
*)

Denn an ſeinem und ihrem Abendmahlstage
hatt' er an ihren Tod durch das Gewitter ge¬
glaubt.
*)

z. B. die Winterlevkoje.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Titan. Titan. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmkf.0