der
Schwediſchen
Gräfinn
von G ***
1747.
Vielleicht würde ich bey der Erzäh-
lung meines Geſchlechts eben ſo
beredt oder geſchwätzig als andere
ſeyn, wenn ich anders viel zu ſagen wüßte.
Meine Aeltern ſind mir in den zarteſten
Jahren geſtorben, und ich habe von mei-
nem Vater, einem Liefländiſchen von Adel,
weiter nichts erzählen hören, als daß er
ein rechtſchaffner Mann geweſen iſt, und
wenig Mittel beſeſſen hat.
Mein Vetter, der auch ein Landedel-
mann war, doch in ſeiner Jugend ſtudi-
ret hatte, nahm mich nach meines Va-
ters Tode zu ſich auf ſein Landgut, und
erzog mich bis in mein ſechzehntes Jahr.
Jch habe die Worte nicht vergeſſen kön-
nen, die er einmal zu ſeiner Gemahlinn
ſagte, als ſie ihn fragte, wie er es künf-
tig mit meiner Erziehung wollte gehalten
A 2wiſſen.
[4]Leben der Schwediſchen
wiſſen. Vormittage, fieng er an, ſoll das
Fräulein als ein Mann, und Nachmit-
tage als eine Frau erzogen werden. Mei-
ne Muhme hatte mich ſehr lieb, zumal
weil ſie keine Tochter hatte, und ſie ſah es
gar nicht gern, daß ich, wie ihre jungen
Herren die Sprachen und andre Pedante-
reyen, wie ſie zu reden pflegte, erlernen
ſollte. Sie hätte mich dieſer Mühe gern
überhoben; allein ihr Gemahl wollte nicht.
Fürchten ſie ſich nicht, ſprach er zu ihr,
das Fräulein lernt gewiß nicht zu viel.
Sie ſoll nur klug und gar nicht gelehrt
werden. Reich iſt ſie nicht, alſo wird
ſie niemand als ein vernünftiger Mann
nehmen. Und wenn ſie dieſem gefallen,
und das Leben leicht machen helfen ſoll:
ſo muß ſie klug, geſittet und geſchickt wer-
den. Dieſer rechtſchaffene Mann hat kei-
ne Koſten an mir geſparet; Und ich wür-
de gewiß noch etliche Jahre eher vernünf-
tig geworden ſeyn, wenn ſeine Frau eini-
ge Jahre eher geſtorben wäre. Sie hat
mich
[5]Gräfinn von G **
mich zwar in Wirthſchaftsſachen gar nicht
unwiſſend gelaſſen; allein ſie ſetzte mir zu
gleicher Zeit eine Liebe zu einer ſolchen Ga-
lanterie in den Kopf, bey der man ſehr glück-
lich eine ſtolze Närrinn werden kann. Da-
mit ſie etwas zu putzen hätte, ſo hat ſie ſich
oft in ihr Zimmer mit mir verſchloſſen, und
mir die ſchönſten Kleider und den größten
Schmuck angeleget, mich vor den Spie-
gel geführt, und mir hundertmal geſagt,
daß ich recht englich ausſähe. Wenn
dieſes geſchehen war, ſo kleidete ſie ihren
Engel zum Zeitvertreibe wieder aus. Jch
war freylich damals noch nicht alt; allein
ich war alt genug, eine Eitelkeit an mich
zu nehmen, zu der unſer Geſchlecht recht
verſehn zu ſeyn ſcheinet. Aber zu meinem
Glücke ſtarb meine Frau Baſe, ehe ich
noch zehn Jahre alt war, und gab mei-
nem Vetter durch ihren Tod die Freyheit,
mich deſto ſorgfältiger zu erziehen, und die
übeln Eindrücke wieder auszulöſchen, wel-
che ihr Umgang und ihr Beyſpiel in mir
A 3gemacht
[6]Leben der Schwediſchen
gemacht hatten. Jch hatte von Natur
ein gutes Herz, und er durfte alſo nicht
ſowohl wider meine Neigungen ſtreiten,
als ſie nur ermuntern. Er lieh mir ſei-
nen Verſtand, mein Herz recht in Ord-
nung zu bringen, und lenkte meine Be-
gierde zu gefallen nach und nach von
ſolchen Dingen, die das Auge ein-
nehmen, auf diejenigen, welche die Ho-
heit der Seele ausmachen. Er ſah, daß
ich wußte, wie ſchön ich war; um deſto
mehr lehrte er mich den wahren Werth
eines Menſchen kennen, und an ſol-
chen Eigenſchaften einen Geſchmack fin-
den, die mehr durch einen geheimen Bey-
fall der Vernunft und des Gewiſſens, als
durch eine allgemeine Bewunderung be-
lohnet werden. Man glaube ja nicht, daß
er eine hohe und tiefſinnige Philoſophie
mit mir durchgieng. O nein, er brachte
mir die Religion auf eine vernünftige Art
bey, und überführte mich von den groſ-
ſen Vortheilen der Tugend, welche ſie
uns
[7]Gräfinn von G**
uns in iedem Alter, in iedem Stande, im
Glücke und Unglücke, im Tode, und nach
dieſem Leben bringt. Er hatte die Ge-
ſchicklichkeit, mir alle dieſe Wahrheiten
nicht ſo wohl in das Gedächtniß, als in
den Verſtand zu prägen. Und dieſen Be-
griffen, die er mir beybrachte, habe ichs
bey reifern Jahren zu verdanken gehabt,
daß ich die Tugend, nie als eine beſchwer-
liche Bürde, ſondern als die angenehm-
ſte Gefährtinn betrachtet habe, die uns
die Reiſe durch die Welt erleichtern hilft.
Jch glaube gewiß, daß die Religion, wenn
ſie uns vernünftig und gründlich beyge-
bracht wird, unſern Verſtand eben ſo vor-
trefflich aufklären kann, als ſie unſer Herz
verbeſſert. Und viele Leute würden mehr
Verſtand zu den ordentlichen Geſchäften
des Berufs und zu einer guten Lebensart
haben, wenn er durch den Unterricht der
Religion wäre geſchärft worden. Jch
durfte meinem Vetter nichts auf ſein Wort
glauben, ja er befahl mir in Dingen, die
A 4noch
[8]Leben der Schwediſchen
noch über meinen Verſtand waren, ſo lan-
ge zu zweifeln, bis ich mehr Einſicht be-
kommen würde. Mit einem Worte, mein
Vetter lehrte mich nicht die Weisheit,
mit der wir in Geſellſchaft prahlen, oder
wenn es hochkömmt, unſere Ehrbegier-
de einige Zeit ſtillen, ſondern die von dem
Verſtande in das Herz dringt, und uns
geſittet, liebreich, großmüthig, gelaſſen,
und im ſtillen ruhig macht. Jch würde
nichts anders thun, als beweiſen, daß
mein Vetter ſeine guten Abſichten ſehr
ſchlecht bey mir erreicht hätte, wenn ich
mir alle dieſe ſchönen Eigenſchaften beyle-
gen, und ſie als meinen Charakter den
Leſern aufdringen wollte. Es wird am
beſten ſeyn, wenn ich mich weder lobe
noch tadele, und es auf die Gerechtigkeit
der Leſer ankommen laſſe, was ſie ſich
aus meiner Geſchichte für einen Begriff
von meiner Gemüthsart machen wollen.
Jch fürchte, wenn ich meine Tugenden
und Schwachheiten noch ſo aufrichtig be-
ſtimmte,
[9]Gräfinn von G**
ſtimmte, daß ich doch dem Verdachte der
Eigenliebe oder dem Vorwurfe einer ſtol-
zen Demuth nicht würde entgehen kön-
nen.
Jch war ſechzehn Jahre alt, da ich an
den Schwediſchen Grafen von G. verhey-
rathet wurde. Mit dieſer Heyrath gieng
es folgender maſſen zu. Der Graf hatte
in dem Liefländiſchen Güter, und zwar la-
gen ſie nahe an meines Vaters Ritterſitze.
Das Jahr vor meiner Heyrath hatte der
Graf nebſt ſeinem Vater eine Reiſe aus
Schweden auf dieſe Güter gethan. Er
hatte mich etlichemal bey meinem Vetter
geſehen und geſprochen. Jch hatte ihm
gefallen, ohne mich darum zu beſtreben.
Jch war ein armes Fräulein; wie konnte
ich alſo auf die Gedanken kommen, einen
Grafen zu feſſeln, der ſehr reich, ſehr
wohlgebildet, angeſehen bey Hofe, ſchon
ein Obriſter über ein Regiment, und viel-
leicht bey einer Prinzeßinn willkommen
A 5war?
[10]Leben der Schwediſchen
war? Doch daß ich ihm nicht habe ge-
fallen wollen, iſt unſtreitig mein Glück
geweſen. Jch that gelaſſen und frey ge-
gen ihn, weil ich mir keine Rechnung
auf ſein Herz machte, an ſtatt daß ich
vielleicht ein gezwungenes und ängſtliches
Weſen an mich genommen haben würde,
wenn ich ihm hätte koſtbar vorkommen
wollen. Jn der That gefiel er mir im
Herzen ſehr wohl; allein ſo ſehr ich mir
ihn heimlich wünſchen mochte: ſo hielt ichs
doch für unmöglich, ihn zu beſitzen.
Nach einem Jahre ſchrieb er an mich,
und der ganze Jnnhalt ſeines Briefs be-
ſtund darinn, ob ich mich entſchließen
könnte, ſeine Gemahlinn zu werden, und
ihm nach Schweden zu folgen. Sein
Herz war mir unbeſchreiblich angenehm,
und die großmüthige Art, mit der er mirs
anboth, machte mirs noch angenehmer.
Es giebt eine gewiſſe aufrichtige Art, ei-
nem zu ſagen, daß man ihn liebt, welche
ganz
[11]Gräfinn von G**
ganz bezaubernd iſt. Der Verſtand thut
nicht viel dabey, ſondern das Herz redet
meiſtens allein. Vielleicht wird man das,
was ich ſagen will, am beſten aus ſeinem
Briefe ſelber erkennen:
Jch liebe Sie. Erſchrecken Sie nicht
über dieſes Bekenntniß, oder wenn Sie
ja über die Dreiſtigkeit, mit der ichs Jh-
nen thue, erſchrecken müſſen: ſo beden-
ken Sie, ob dieſer Fehler nicht eine Wir-
kung meiner Aufrichtigkeit ſeyn kann. Laſ-
ſen Sie mich ausreden, liebſtes Fräulein.
Doch was ſoll ich ſagen? Jch liebe Sie,
dieß iſt es alles. Und ich habe Sie von
dem erſten Augenblicke an geliebet, da ich
ſie vor einem Jahre geſehen und geſpro-
chen habe. Jch geſtehe Jhnen aufrichtig,
daß ich mich bemüht habe, Sie zu ver-
geſſen, weil es die Umſtände in meinem
Vaterlande verlangten; aber alle meine
Mühe iſt vergebens geweſen, und hat zu
nichts
[12]Leben der Schwediſchen
nichts gedienet, als mich von der Gewiß-
heit meiner Liebe und von ihren Verdien-
ſten vollkommner zu überzeugen. Jſt es
möglich, werden Sie durch meine Zärt-
lichkeit beleidiget? Nein, warum ſollte
Jhnen die Liebe eines Menſchen zuwider
ſeyn, deſſen Freundſchaft Sie ſich haben
gefallen laſſen. Aber werden Sie es auch
gelaſſen anhören, wenn ich Jhnen mein
Herz noch deutlicher entdecke? Darf
ich wohl fragen, ob Sie mir Jhre Liebe
ſchenken, ob Sie mir als meine Gemah-
linn nach Schweden folgen wollen? Sie
ſind zu großmüthig, als daß Sie eine
Frage unbeantwortet laſſen ſollten, von
deren Entſcheidung meine ganze Zufrie-
denheit abhängt. Ach liebſte Freundinn,
warum kann ich nicht den Augenblick er-
fahren, ob ich Jhrer Gewogenheit wür-
dig bin, ob ich hoffen darf? Ueberlegen
Sie, was Sie, ohne den geringſten Zwang
ſich anzuthun, einem Liebhaber antwor-
ten können, der in der Zärtlichkeit und
Hoch-
[13]Gräfinn von G **
Hochachtung gegen Sie ſeine größten
Verdienſte ſucht. Jch will Jhr Herz nicht
übereilen. Jch laſſe Jhnen zu Jhrem
Entſchluſſe ſo viel Zeit, als Sie verlan-
gen. Doch ſage ich Jhnen zugleich, daß
mir jeder Augenblick zu lang werden wird,
bis ich mein Schickſal erfahre. Wie in-
ſtändig müßte ich Sie nicht um Jhre Lie-
be bitten, wenn ich bloß meiner Empfin-
dung und meinen Wünſchen folgen woll-
te! Aber nein, es liegt mir gar zu viel an
Jhrer Liebe, als daß ich ſie einem andern
Bewegungsgrunde, als Jhrer freyen
Einwilligung zu danken haben wollte. So
entſetzlich mir eine unglückliche Nachricht
ſeyn wird: ſo wenig wird ſie doch meine
Hochachtung und Liebe gegen Sie ver-
ringern. Sollte ich deswegen ein liebens-
würdiges Fräulein haſſen können, weil
ſie nicht Urſachen genung findet, mir ihr
Herz auf ewig zu ſchenken? Nein, ich
werde nichts thun, als fortfahren, Sie,
meine Freundinn, hochzuſchätzen, und mich
über
[14]Leben der Schwediſchen
über mich ſelbſt beklagen. Wie ſauer
wird es mir, dieſen Brief zu ſchlieſſen!
Wie gern ſagte ich Jhnen noch hundert-
mal, daß ich Sie liebe, daß ich Sie un-
aufhörlich liebe, daß ich in Gedanken auf
Jhre geringſte Mine bey meinem Bekennt-
niſſe Achtung gebe, aus Begierde etwas
vortheilhaftes für mich darinn zu finden.
Leben Sie wohl. Ach liebſtes Fräulein,
wenn wollen Sie mir antworten?
Der Vater des Grafen hatte zugleich
an meinen Vetter geſchrieben. Kurz,
ich war die Braut eines liebenswürdigen
Grafen. Jch wollte wünſchen, daß ich
ſagen könnte, was von der Zeit an in
meinem Herzen vorgieng. Jch hatte noch
nie geliebt. Wie unglaublich wird dieſes
Bekenntniß vielen von meinen Leſerinnen
vorkommen! Sie werden mich deswe-
gen wohl gar für einfältig halten, oder
ſich einbilden, daß ich weder ſchön, noch
empfindlich geweſen bin, weil ich in mei-
nem
[15]Gräfinn von G **
nem ſechzehnten Jahre nicht wenigſtens
ein Dutzend Liebeshändel zählen konnte.
Doch ich kann mir nicht helfen. Es mag
nun zu meinem Ruhme, oder zu meiner
Schande gereichen: ſo kann man ſich dar-
auf verlaſſen, daß ich noch nie geliebet hat-
te, ob ich gleich mit vielen jungen Manns-
perſonen umgegangen war. Nunmehr
aber fieng mein Herz auf einmal an zu em-
pfinden. Mein Graf war zwar auf et-
liche vierzig Meilen von mir entfernt; al-
lein die Liebe machte mir ihn gegenwärtig.
Wo ich ſtand, da war er bey mir. Es
war nichts ſchöners, nichts vollkomm-
ners, als er. Jch wünſchte nichts als
ihn. Jch fieng oft mit ihm an zu reden.
Er erwies mir in meinen Gedanken aller-
hand Liebkoſungen, und ich weigerte
mich mit einer verſchämten Art, ſie anzu-
nehmen. Vielen wird dieſes lächerlich
vorkommen, und ich habe nicht viel dar-
wider einzuwenden. Eine unſchuldige,
eine recht zärtliche Braut iſt in der That
eine
[16]Leben der Schwediſchen
eine Creatur aus einer andern Welt, die
man nicht ohne Erſtaunen betrachten kann.
Jhr Vornehmen, ihre Sprache, ihre Mi-
nen, alles wird zu einem Verräther ihres
Herzens, ie ſorgfältiger ſie es verbergen
will. Jch aß und trank viele Wochen
nicht, und ich blühete doch dabey. Jch
ſage es im Ernſte, daß ich glaube, die
Liebe kann uns einige Zeit erhalten. Jch
ward viel reizender, als ich zuvor gewe-
ſen war.
Mein Vetter machte ſich nunmehr mit
mir auf die Reiſe nach Schweden. Es
begleiteten mich verſchiedene junge Herren
und Fräuleins einige Meilen, und der Ab-
ſchied von ihnen ward mir gar nicht ſauer.
Unſere Reiſe gieng glücklich von ſtatten;
Und es iſt mir auf einem Wege von etlichen
vierzig Meilen nicht das geringſte be-
gegnet. Meine Leſer die viel Romane
und Heldenbücher geleſen haben, wer-
den mit dieſer Nachricht gar nicht zufrie-
den
[17]Gräfinn von G **
den ſeyn. Hätte mich nicht einer von
den jungen Herren, die mich begleiteten,
entführen, und eine kleine Verwirrung in
meiner Geſchichte anrichten können? Jch
war ja ſchön, und wie die Leute ſagten,
recht ſehr ſchön; und ich bin auf einem ſo
weiten Wege nicht ein einzigmal entführet
worden? Jſt dieſes wohl glaublich? Oder
iſt es vielleicht mit meinen Annehmlichkei-
ten nicht ſo gewiß geweſen? Jch will mir
dieſe Vorwürfe gern machen laſſen. Ge-
nug, ich bin nicht entführet worden, und
ich würde mit einer ſolchen Verwegenheit
eines verliebten Räubers ſehr übel zufrie-
den geweſen ſeyn; denn mir ward ohnedieß
jeder Augenblick bis zum Anblicke mei-
nes Grafen zu lang.
Jch kam alſo, wie ich geſagt habe, in
Begleitung meines Vetters glücklich auf
dem Landgute des Grafen an. Jch fand
ihn viel liebenswürdiger, als er mir vor
einem Jahre vorgekommen war. Man
Erſter Theil. Bdarf
[18]Leben der Schwediſchen
darf ſich darüber gar nicht verwundern.
Damals wußte ich noch nicht, daß er mich
liebte; itzt aber wußte ichs. Eine Perſon
wird gemeiniglich in unſern Augen voll-
kommener und verehrungswürdiger, wenn
wir ſehen, daß ſie uns liebt. Und wenn
ſie auch keine beſondere Vorzüge hätte: ſo
iſt ihre Neigung zu uns die Vollkommen-
heit, die wir an ihr hochſchätzen. Denn
wie oft lieben wir nicht uns in andern?
Und wo würde die Beſtändigkeit in der
Liebe herkommen, wenn ſie nicht von un-
ſerm eigenen Vergnügen unterhalten
würde?
Mein Bräutigam, mein lieber Graf,
erwies mir bey meiner Ankunft die erſinn-
lichſten Liebkoſungen; und ich glaube nicht,
daß man glückſeliger ſeyn kann, als ich an
ſeiner Seite war. Unſer Beylager wur-
de ohne Gepränge, mit einem Worte, ſehr
ſtille, aber gewiß ſehr vergnügt vollzogen.
Manches Fräulein wird dieſe beyden Stü-
cke
[19]Gräfinn von G **
cke nicht zuſammen reimen können. Dem
zu gefallen muß ich eine kleine Beſchrei-
bung von meinem Beylager machen. Jch
war etwan acht Tage in Schweden, und
hatte mich völlig von der Reiſe wieder er-
holet, als mein Graf mich bat, den Tag
zu unſerer Vermählung zu beſtimmen. Jch
verſicherte ihn, daß ich die Ehre, ſeine Ge-
mahlinn zu heiſſen, nie zu zeitig erlangen
könnte; doch würde mir kein Tag angeneh-
mer ſeyn, als der, den er ſelber dazu ernennen
würde. Wir ſetzten, ohne uns weiter zu
berathſchlagen, den folgenden Tag an.
Er kam des Morgens zu mir in mein Zim-
mer, und fragte mich, ob ich noch entſchloſ-
ſen wäre, heute ſeine Gemahlinn zu wer-
den. Jch antwortete ihm mit halb nieder-
geſchlagenen Augen und mit einem freu-
digen und beredten Kuſſe. Jch hatte nur
einen leichten, aber wohl ausgeſuchten
Anzug an. Sie gefallen mir vortrefflich
in dieſem Anzuge, fieng der Graf zu mir
an. Er iſt nach ihrem Körper gemacht,
B 2und
[20]Leben der Schwediſchen
und ſie machen ihn ſchön. Jch dächte, ſie
legten heute keinen andern Staat an.
Wenn ich ihnen gefalle, mein lieber
Graf, verſetzte ich: ſo bin ich ſchön genug
angeputzt. Jch war alſo in meinem
Brautſtaate, ohne daß ichs ſelber gewuſt
hatte. Wir redten den ganzen Morgen
auf das zärtlichſte mit einander. Jch trat
endlich an das Clavecin, und ſpielte eine
halbe Stunde, und ſang auf Verlangen
meines Grafen und meines eigenen Her-
zens dazu. Auf dieſe Art kam der Mit-
tag herbey. Der Vater meines Grafen
(denn die Mutter war ſchon lange geſtor-
ben, und die einzige Schweſter auch) kam
nebſt meinem Vetter zu uns. Sie ſtatte-
ten ihren Glückwunſch ab, und ſagten,
daß der Prieſter ſchon zugegen wäre.
Wir giengen darauf herunter in das Ta-
felzimmer. Die Trauung ward ſehr
bald vollzogen, und wir ſetzten uns zur
Tafel, nämlich wir viere und der Prieſter.
Die Tafel war etwan mit ſechs oder acht
Gerich-
[21]Gräfinn von G **
Gerichten beſetzt. Dieſes war die Anſtalt
zu meiner Vermählung. Sie wird man-
cher Braut lächerlich und armſelig vor-
kommen. Gleichwohl war ich ſehr wohl
damit zufrieden. Jch war ruhig, oder
beſſer zu reden, ich konnte recht zärtlich
unruhig ſeyn, weil mich nichts von dem
rauſchenden Lärmen ſtörte, der bey den
gewöhnlichen Hochzeitfeſten zur Quaal
der Vermählten zu ſeyn pflegt. Nach
der Tafel fuhren wir ſpatzieren, und zwar
zu dem Herrn R ‒‒ der meinen Gemahl
auf ſeinen Reiſen begleitet hatte, und itzt
auf einem kleinen Landgute etliche Meilen
von uns wohnte. Mein Gemahl liebte
dieſen Mann ungemein. Hier bringe ich
ihnen, fieng er zu ihm an, meine liebe
Gemahlinn. Jch habe mich heute mit
ihr trauen laſſen. Jſt es nicht wahr, ich
habe vortrefflich gewählet? Sie ſollen ein
Zeuge von meinem und ihrem Vergnügen
ſeyn; kommen ſie, und begleiten ſie uns
wieder zurück. Wir fuhren alſo in ſeiner
B 3Geſell-
[22]Leben der Schwediſchen
Geſellſchaft wieder auf unſer Landgut zu-
rück, ohne uns aufzuhalten. Kurz, der
Abend verſtrich eben ſo vergnügt, als der
Mittag.
Jtzt wundere ich mich, daß ich meinen
Gemahl noch nicht beſchrieben habe. Er
ſah bräunlich im Geſichte aus, und hatte
ein Paar ſo feurige und blitzende Augen,
daß ſie einem eine kleine Furcht ein-
jagten, wenn man ſie allein betrachtete.
Doch ſeine übrige Geſichtsbildung wuß-
te dieſes Feuer ſo geſchickt zu dämpfen,
daß nichts als Großmuth und eine leb-
hafte Zärtlichkeit aus ſeinen Minen
hervorleuchtete. Er war vortrefflich ge-
wachſen. Jch will ihn nicht weiter ab-
ſchildern. Man verderbt durch die ge-
naue Beſchreibungen oft das Bild, das
man ſeinen Leſern von einer ſchönen
Perſon machen will. Genug, mein Graf
war in meinen Augen der ſchönſte
Mann.
Nicht
[23]Gräfinn von G **
Nicht lange nach unſerer Vermählung
mußte mein Gemahl zu ſeinem Regimen-
te. Sein Vater, der bey einem hohen
Alter noch munter und der angenehmſte
Mann war, wollte mir die Abweſenheit
meines Gemahls erträglich machen, und
reiſete mit mir auf ſeine übrigen Güter.
Auf dem einen traf ich eine ſehr junge
und ſchöne Frau an, die man für die
Witwe des Oberaufſehers der Güter
ausgab. Dieſe Frau hatte ſo viel reizen-
des an ſich, und ſo viel gefälliges und
leutſeliges in ihrem Umgange, daß ich ihr
auf den erſten Anblick gewogen, und in
kurzer Zeit ihre gute Freundinn ward.
Jch bat, ſie ſollte mich wieder zurück
begleiten, und bey mir leben. Sie ſollte
nicht meine Bediente, ſondern meine
gute Freundinn ſeyn. Und wenn ſie nicht
länger bey mir bleiben wollte, ſo woll-
te ich ihr eine anſehnliche Verſorgung
ſchaffen. Sie nahm dieſen Antrag mit
Thränen an, und ſchützte bald ihren
B 4kleinen
[24]Leben der Schwediſchen
kleinen Sohn, bald die Luſt zu einem ſtil-
len Leben vor, warum ſie mir nicht folgen
könnte. Sie gieng mir indeſſen nicht von
der Seite, und bezeigte ſo viel Ehrerbie-
tung und Liebe gegen mich, daß ich ſie
hundertmal bat, mir zu ſagen, womit ich
ihr dienen könnte. Allein ſie ſchlug alle
Anerbietungen recht großmüthig aus, und
verlangte nichts, als meine Gewogenheit.
Der alte Graf wollte wieder fort, und
indem mich die junge Witwe an den Wa-
gen begleitete, ſo ſah ich ein Kind in
dem unterſten Gebäude des Hofes am
Fenſter ſtehen. Jch fragte, wem dieſes
Kind wäre? Die gute Frau kam vor
Schrecken gantz außer ſich. Sie hatte
mich beredt, daß ihr Sohn unlängſt
die Blattern gehabt hätte. Und damit
ich mich nicht fürchten ſollte; ſo hatte
ſie mir ihn bey meinem Daſeyn, ungeach-
tet meines Bittens, nicht wollen ſehen
laſſen. Allein ich ſahe, daß dieſem Kna-
ben nichts fehlete, und ich ließ nicht nach,
bis
[25]Gräfinn von G **
bis man ihn vor mich brachte. Hilf
Himmel! wie entſetzte ich mich, als ich in
ſeinem Geſichte das lebendige Ebenbild
meines Gemahls antraf. Jch konnte
kein Wort zu dem Kinde reden. Jch
küßte es, umarmte zugleich ſeine Mut-
ter, und ſetzte mich den Augenblick in
den Wagen. Der alte Graf merkte
meine Beſtürzung, und entdeckte mir mit
einer liebreichen Aufrichtigkeit das ganze
Geheimniß. Die Frau, ſprach er, die ſie
geſehen haben, iſt die ehemalige Geliebte
ihres Gemahls. Und wenn ſie dieſes Ge-
ſtändniß beleidiget, ſo zürnen ſie nicht ſo
wohl auf meinen Sohn, als auf mich.
Jch bin an der Sache Schuld. Jch ha-
be ihn von Jugend auf mit einer beſondern
Art erzogen, die ihnen in manchen Stücken
ausſchweifend vorkommen dürfte. Mein
Sohn mußte in mir nicht ſo wohl ſeinen
Vater, als ſeinen Freund lieben und ver-
ehren. Er durfte mich nicht fürchten, als
wenn er mir etwas verſchwieg. Daher
B 5geſtund
[26]Leben der Schwediſchen
geſtund er mir alles, und ich erhielt da-
durch Gelegenheit, ihn von tauſend Thor-
heiten abzuziehen, ehe er ſie begieng, oder
doch, ehe er ſich daran gewöhnete. Jch
wußte, ehe ich meinen Sohn auf Reiſen
ſchickte, daß er ein gewiſſes Frauenzim-
mer vom bürgerlichen Stande liebte, wel-
ches meine Schweſter als eine Wayſe ſehr
jung zu ſich genommen, und, weil das
Kind viel Lebhaftigkeit beſaß, in der Ge-
ſellſchaft ihrer einzigen Tochter wohl hatte
erziehen laſſen. Mein Sohn hatte mir
aus dieſer Liebe nie ein Geheimniß ge-
macht. Er bat mich, da er ſeine Reiſen
antrat, daß ich ihm erlauben möchte, die-
ſes Frauenzimmer, als ſeine gute Freun-
dinn, mitzunehmen. Kurz, ich war ent-
weder zu ſchwach, ihm dieſe Bitte abzu-
ſchlagen, oder ich willigte mit Fleiß dar-
ein, um ihn von den gefährlichen Aus-
ſchweifungen der Jugend durch ihre Ge-
ſellſchaft abzuhalten. Und dieſes iſt eben
das Frauenzimmer, das ſie itzt geſehen
und
[27]Gräfinn von G **
und nach der gemeinen Rede für eine
Witwe gehalten haben. Sie beſitzt ſehr
gute Eigenſchaften, und ich habe ihr zehn
tauſend Thaler ausgeſetzt, damit ſie hey-
rathen kann, wenn es ihr beliebt. Für
ihren Sohn habe ich auch etwas gewiſſes
zu ſeiner Erziehung beſtimmt. Und wenn
ihnen dieſe Frau gefährlich ſcheint: ſo
will ich ſie binnen wenig Tagen nach Lief-
land auf meine Güter ſchicken, und ihr
daſelbſt alle mögliche Verſorgung ver-
ſchaffen.
Man glaube ja nicht, daß ich die ehe-
malige Geliebte meines Gemahls zu haſ-
ſen anfieng. Nein, ich liebte ſie, und die
Liebe beſänftigte die Eiferſucht. Jch bat,
daß er ſie mit einer anſtändigen Heyrath
verſorgen, und ſie entfernen möchte. Bey
unſerer Zurückkunft traf ich meinen Ge-
mahl ſchon an. So ſehr ich von der
Gewißheit ſeiner Liebe verſichert war: ſo
konnte ich doch nicht ruhig werden, bis
ich
[28]Leben der Schwediſchen
ich ihn durch allerhand kleine Kaltſinnig-
keiten nöthigte, ein Geheimniß aus mir
heraus zu locken, das mein Herz nicht um-
ſonſt entdecket haben wollte. Er erſchrack,
und beklagte ſich über die Unvorſichtigkeit
ſeines Vaters, daß er mich an einen Ort
geführet hätte, der unſrer Zärtlichkeit ſo
nachtheilig ſeyn könnte. Er gab den Au-
genblick Befehl, daß man dieſes Frauen-
zimmer nebſt ihrem Sohne entfernen, und
alles, was ſie verlangte, zu ihrem Unter-
halte ausmachen ſollte. Dieſes geſchah
auch binnen acht Tagen. Jch konnte kei-
ne deutlichere Probe von ſeiner Treue ver-
langen, und es war mir unmöglich, ihn
wegen dieſer Sache auch nur einen Au-
genblick zu haſſen, ob ich mich gleich von
aller Unruhe nicht frey ſprechen will.
Er geſtund mir, daß er dieſes Frauen-
zimmer gewiß zu ſeiner Gemahlinn erwäh-
let haben würde, wenn er die Einwilligung
vom Hofe hätte erhalten können. Jn der
That
[29]Gräfinn von G**
That verdiente ſie dieſes Glück ſo wohl als
ich. Jch ſah bey nahe keinen Vorzug,
den ich vor ihr hatte, als daß ich adelich
gebohren war. Und wie geringe iſt die-
ſer Vorzug, wenn man ihn vernünftig
betrachtet! Sie hatte ſich gar nicht aus
Leichtſinn ergeben. Die Ehe war der Preis
geweſen, für den ſie ihm ihr Herz und ſich
überlaſſen hatte. Der Vater des Grafen
hatte die Liebe und die Wahl ſeines Soh-
nes gebilliget. Sie kannte das edelmü-
thige Herz ihres Geliebten. Sie war von
der Aufrichtigkeit ſeiner Zärtlichkeit über-
zeugt. Ein Frauenzimmer, das ſich un-
ter ſolchen Umſtänden in eine vertrauliche
Liebe einläßt, verdienet eher Mitleiden,
als Vorwürfe. Mein Gemahl erzählte
mir einen Umſtand, der Carolinens
Werth, ſo will ich ſeine Geliebte künftig
nennen, ſehr verſchönert. So bald ſie
geſehen, daß er die Einwilligung, ſich mit
ihr zu vermählen, nicht würde erhalten
können, ohne dabey ſein Glück in Gefahr
zu
[30]Leben der Schwediſchen
zu ſetzen, und die Gnade des Hofes zu
verlieren: ſo hatte ſie ſich des Rechts auf
ſein Herz freywillig begeben. Er zeigte
mir folgenden Brief von ihr, der mich we-
gen ſeines großmüthigen Jnnhalts unge-
mein gerühret hat.
Jch höre, daß man Jhnen den Ent-
ſchluß, mich für ihre Gemahlinn zu erklä-
ren, ſehr ſauer macht. Sie dauren mich,
weil ich gewiß weis, daß Sie mich lieben,
und daß Sie eben ſo viel Ueberwindung
brauchen, mir ihr Wort nicht zu halten,
als es mich Mühe koſtet, meine Anſprü-
che auf das edelſte und großmüthigſte Herz
fahren zu laſſen. Doch wenn ich einmal
meinen Grafen verlieren ſoll: ſo will ich
ihn mit Ruhm verlieren. Kurz, mein
liebſter Graf, ich opfere Jhrem Glücke
und Jhrem Stande meine Liebe und mei-
ne Zufriedenheit auf, und vergeſſe das
ſchmeichelhafte Glück, Jhre Gemahlinn zu
werden,
[31]Gräfinn von G **
werden, auf ewig. Sie ſind frey, und
können ſich zu einer Wahl entſchlieſſen,
welche Jhnen nur immer gefällt. Jch
bin alles zufrieden, wenn ich nur ſehe, daß
Sie glücklich wählen, und die Zufrieden-
heit an der Seite Jhrer Gemahlinn erhal-
ten, die ich Jhnen durch meine Liebe ha-
be verſchaffen wollen. Dieſes iſt, wie der
Himmel weis, mein größter Wunſch.
Und was gehöret mehr zu der Aufrichtig-
keit eines ſolchen Wunſches, als daß man
Sie liebt! Jch mache Jhnen nicht den
geringſten Vorwurf. Sie haben in mei-
nen Augen Jhr Wort vollkommen gehal-
ten; denn ich bin überzeugt, daß Sie es
erfüllen würden, wenn es bey Jhnen
ſtünde. Jch werde mich auch nie über
mich ſelbſt beklagen. Jch bin die Jhrige
unter der Bedingung geweſen, daß Sie
mich einſt öffentlich dafür erklären wür-
den. Jch habe Jhnen alſo bey aller mei-
ner Zärtlichkeit doch nie meine Tugend
aufgeopfert. Nein, das Andenken mei-
ner
[32]Leben der Schwediſchen
ner Liebe wird mir allemal die größte Be-
ruhigung geben, ſo traurig auch mein
künftiges Schickſal der Welt vorkommen
wird. Vermählen Sie ſich, mein lieber
Graf, und denken Sie künftig nur an
mich, als an Jhre Freundinn. Dieſe Be-
lohnung verdiene ich. Leben Sie wohl,
und laſſen Sie mir auf einem ihrer Güter
einen Platz anweiſen, wo ich nebſt mei-
nem Sohne in der Stille leben kann. Ver-
lieren Sie weiter kein Wort. Jch blei-
be bey meinem Entſchluſſe, Jhnen zu be-
weiſen, daß ich Jhr Glück meiner Wohl-
fahrt vorziehe. Leben Sie wohl, mein
lieber Graf.
Carolinens großmüthigem Entſchluſſe
hatte ichs alſo zu danken, daß mir der
Graf zu Theil worden war. Sie hatte ſich
nach dieſem Briefe nicht mehr, als noch
einmal, von ihm ſprechen laſſen, und ſich
ſo gleich auf das Landgut begeben, wo ich
ſie antraf. Er verſicherte mich, daß er
ſie
[33]Gräfinn von G **
ſie ſeit anderthalb Jahren nicht geſehen,
und ich hätte ihr gern das Vergnügen ge-
gönnt, den Grafen vor ihrer Abreiſe nach
Liefland noch einmal zu ſprechen, wenn es
der Wohlſtand hätte erlauben wollen.
Mein Graf verdoppelte ſeine Bemü-
hungen, mir zu gefallen, und der Him-
mel weis, daß er der liebenswürdigſte
Mann war, den man kaum zärtlicher und
edler denken konnte. Er war vernünftig
und geſittet geweſen, ehe er ein Soldat
geworden war, und daher hatte er nicht
das geringſte von dem Rohen und Wil-
den an ſich genommen, das dieſer Lebens-
art ſonſt eigen zu ſeyn pflegt. Er war
die Gutheit und Menſchenliebe ſelbſt, und
dennoch ward er im ganzen Hauſe ſo ge-
fürchtet, daß der kleinſte Wink an ſeine
Leute die Wirkung des nachdrücklichſten
Befehls that. Er ſchien mir vollkommen
zu gehorchen; es war ihm unmöglich mir
etwas abzuſchlagen; er hielt alles für ge-
Erſter Theil. Cnehm,
[34]Leben der Schwediſchen
nehm, was ich verlangte. Allein mitten
in dieſer zärtlichen Unterthänigkeit wußte
er ſich bey mir in einer gewiſſen Ehrfurcht
zu erhalten, daß ich bey aller meiner Herr-
ſchaft nicht ſo wohl meinen Willen, als
vielmehr ſein Verlangen in Gedanken zu
Rathe zog, und in der That nichts unter-
nahm, als was er befohlen haben würde,
wenn er hätte befehlen wollen. Er war
der ordentlichſte Mann in ſeinen Geſchäf-
ten, und band ſich doch ſelten an die Zeit.
Er arbeitete, ſo bald er ſich geſchickt zur
Arbeit fühlete, und arbeitete ſo lange fort,
als er ſich in dieſer Verfaſſung merkte.
Allein er ließ auch von ſeinen Verrichtun-
gen nach, ſo bald als er keine Luſt mehr
dazu verſpürte. Daher war er ſtets mun-
ter, weil er ſich niemals zu ſehr ermüdete,
und hatte ſtets Zeit zu den Vergnügun-
gen übrig, weil er die Zeit niemals mit
vergebenen Bemühungen zu arbeiten ver-
ſchwendete. Er hatte eine ſehr ſchöne Bi-
bliothek auf ſeinen Reiſen geſammlet. Jch
verſtund
[35]Gräfinn von G **
verſtund Franzöſiſch, und etwas Latein
und Jtaliäniſch. Der Bücherſal ward
mir in kurzer Zeit an der Seite meines
Gemahls der angenehmſte Ort. Er las
mir aus vielen Büchern, die theils hiſto-
riſch, theils witzig, theils moraliſch waren,
die ſchönſten Stellen vor, und brachte
mir ſeinen guten Geſchmack unvermerkt
bey. Und ob ichs gleich nicht allemal ſa-
gen konnte, warum eine Sache ſchön,
oder nicht ſchön war: ſo war doch meine
Empfindung ſo getreu, daß ſie mich ſel-
ten betrog. Unſere Ehe ſelbſt war nichts,
als Liebe, und unſer Leben nichts, als
Vergnügen. Wir hatten faſt niemanden
zu unſerm Umgange, als uns. Mein
Gemahl unterhielt mich, ich ihn, und
unſer alter Vater uns alle beyde. Dieſer
Mann von ſiebenzig Jahren vertrat die
Stelle von ſechs Perſonen. Seine Er-
fahrung in der Welt, ſeine brauchbare
Gelehrſamkeit und ſein zufriednes und red-
liches Herz machten ihn ſtets munter und
C 2belebt
[36]Leben der Schwediſchen
belebt in ſeinen Geſprächen. Jch kann
ſagen, daß ich dieſen Greis in drey Jah-
ren faſt keine Stunde unruhig geſehen ha-
be; denn ſo viele Jahre waren in meiner
Ehe verſtrichen, als er ſtarb. Gott, wie
lehrreich war das Ende dieſes Mannes!
Er bekam ſieben Tage vor ſeinem Tode
Schwulſt in den Beinen. Dieſe trat im-
mer weiter, und er ſah mit iedem Tage
ſein Ende näher kommen. Er fragte den
Arzt, wie lange es noch mit ihm dauren
würde. Wahrſcheinlicher Weiſe, ant-
wortete dieſer, über drey Tage nicht.
Recht gut, verſetzte der alte Graf. Gott
ſey gedankt, daß meine Wallfahrt ſo
glücklich abgelaufen iſt. Alſo habe ich nur
noch drey Tage von dem Leben zuzubrin-
gen, von dem ich meinem Schöpfer Re-
chenſchaft geben ſoll? Jch werde ſie nicht
beſſer anwenden können, als wenn ich
durch meine Freudigkeit den Meinigen
ein Beyſpiel gebe, wie leicht und glückſe-
lig man ſtirbt, wenn man vernünftig
und
[37]Gräfinn von G **
und tugendhaft gelebt hat. Er ließ dar-
auf alle ſeine Bedienten zuſammen kom-
men. Er rühmte ihre Treue, und bat
ſie, als ein Vater, daß ſie die Tugend
ſtets vor Augen haben ſollten. Jch,
fieng er an, bin euer Herr und Aufſe-
her geweſen. Der Tod hebt dieſen Un-
terſchied auf, und ich gehe in eine Welt,
wo ihr ſo viel, als ich ſeyn werdet, und
wo ihr für die Erfüllung eurer Pflichten
eben ſo viel Glück erhalten werdet, als ich
für die Erfüllung der meinigen. Lebt
wohl, meine Kinder! Wer mich lieb hat,
und mir vor meinem Tode noch ein Ver-
gnügen machen will, der verſpreche mir
mit der Hand, daß er meine Lehren und
meine Bitten erfüllen will. Er befahl dar-
auf, iedwedem eine gewiſſe Summe Gel-
des auszutheilen. Er ließ dieſen und den
folgenden Tag die meiſten von ſeinen Un-
terthanen zu ſich kommen, und redete mit
ihnen eben ſo, wie mit ſeinen Bedien-
ten. Wem er Geld zu ſeiner Nahrung
C 3vorge-
[38]Leben der Schwediſchen
vorgeſtrecket hatte, dem erließ ers. Und
alle durften ſich etwas von ihm ausbitten.
Die Anzahl der Armen war ſehr klein;
denn er hatte ſeine Wohlthaten und ſeine
Vorſorge gegen die Unterthanen nicht bis
an ſein Ende verſparet. Man kann ſich
die Wehmuth dieſer Leute leicht vorſtellen.
Ein ieder beweinte in ihm den Verluſt ei-
nes Vaters. Nach dieſer Verrichtung
fragte der ſterbende Graf, ob noch iemand
in ſeinem Hauſe wäre, der nicht Abſchied
von ihm genommen hätte. Jch ſagte
ihm, daß ich niemanden wüßte, außer die
Soldaten, die mein Gemahl bey ſich hät-
te. Auch dieſe, ſagte er, ſind mir liebe
Leute. Sie brauchen am meiſten den
Tod kennen zu lernen, weil ſie ihn vor
andern unvermuthet gewärtig ſeyn müſſen.
Laßt ſie herein kommen. Hierauf traten
vier Leute herein, denen die Wildheit
und Unerſchrockenheit aus den Augen ſah.
Der alte Graf redete ſie liebreich an, und er
hatte kaum angefangen; ſo weinten dieſe
dem
[39]Gräfinn von G **
dem Anſcheine nach ſo beherzte und bar-
bariſche Männer, wie die Kinder. Er
fragte ſie, wie lange ſie gedienet hät-
ten. Sie hatten faſt alle zwanzig Jahre
die Waffen getragen. O, fieng der
Graf an, ihr verdient, daß ihr die Ruhe
des Lebens ſchmeckt, weil ihr die Unruhe
ſo lange ausgehalten habt. Mein Sohn
mag euch den Abſchied ertheilen. Und
ihr ſollt euch in meinem Dorfe niederlaſ-
ſen, und ſo lange ihr lebet, noch ſo viel
bekommen, als eure ordentliche Löhnung
austrägt. Einer von dieſen Leuten hat
nachdem meinem Gemahle einen ſehr wich-
tigen Dienſt geleiſtet.
Die Nacht vor ſeinem letzten Ende brach
nunmehr an. Er fragte den Doctor noch
einmal um die Zeit ſeines Todes, und hör-
te mit der gröſten Standhaftigkeit, daß
er kaum vier und zwanzig Stunden noch
auf der Welt ſeyn würde. Er forderte
darauf zu eſſen. Er aß, und ließ ſich auch
C 4ein
[40]Leben der Schwediſchen
ein Glas Wein reichen. Gütiger Gott,
fieng er an, es ſchmeckt mir bey meinem
Ende noch ſo gut, als es mir vor funfzig
Jahren geſchmeckt hat. Hätte ich nicht
mäßig gelebt: ſo würden meine Gefäße
zu dieſer Erqvickung nicht mehr geſchickt
ſeyn. Nun, fuhr er fort, will ich mich
zu meinem Aufbruche aus der Welt noch
durch einige Stunden Schlaf erholen.
Er ſchlief drey Stunden. Alsdann rief
er mich, und bat, ich ſollte ihm aus ſei-
nem Schreibetiſche ein gewiſſes Manu-
ſcript hohlen. Dieſes war ein Ver-
zeichniß ſeines Lebens ſeit vierzig Jahren.
Und dieſes mußte ich ihm bis zu anbre-
chendem Tage vorleſen. Als wir fertig
waren, ſo that er das brünſtigſte Gebet
zu Gott, und dankte ihm für die Güte
und Liebe, welche er ihm in der Welt
hatte genießen laſſen, auf eine ganz ent-
zückende Weiſe, und bat, daß er ihn in
der künftigen Welt die Wahrheit und
Tugend, der er hier unvollkommen nach-
geſtrebt,
[41]Gräfinn von G **
geſtrebt, möchte vollkommen erreichen
laſſen. Er ließ ſeinen Sohn rufen,
nam uns beyde in die Arme, und fieng
an zu weinen. Dieſes, ſagte er, ſind ſeit
vierzig und mehr Jahren die erſten Thrä-
nen, die ich vergieße. Sie ſind keine
Zeichen meiner Wehmuth und Furcht-
ſamkeit, ſondern meiner Liebe. Jhr habt
mir mein Leben angenehm gemacht; allein
das Glück, das ich nach meinem Tode
hoffe, macht mir den Abſchied von euch
ſehr erträglich. Liebt getreu, und ge-
nießt das Leben, das uns die Vorſehung
zum Vergnügen und zur Ausübung der
Tugend geſchenkt hat. Er gab mir noch
allerhand Regeln, wie ich meine Kinder
ziehen ſollte, wenn unſre Ehe fruchtbar
ſeyn würde. Und in eben der Bemü-
hung, auch ſeine Nachkommen durch ei-
ne weiſe Vorſorge noch glücklich zu ma-
chen, ſtarb er.
Wir lebten darauf noch einige Jahre
in der größten Zufriedenheit auf unſerm
C 5Land-
[42]Leben der Schwediſchen
Landgute. Endlich erhielt mein Gemahl
Befehl am Hofe zu erſcheinen, und ich
folgte ihm dahin.
Jch war kaum bey Hofe angekommen:
ſo ward ich verehrt und bewundert. Es
war, wie es ſchien, niemand ſchöner, nie-
mand geſchickter und vollkommner, als ich.
Jch konnte vor der Menge der Aufwar-
tungen und vor dem ſüſſen Klange der
Schmeicheleyen kaum zu mir ſelber kom-
men. Zu meinem Unglücke bekam mein
Gemahl Ordre zum Marſche, und ich
mußte zurück bleiben. Es hieß, ich ſollte
ihm bald nachfolgen; allein es vergiengen
drey Monate, ehe ich ihn zu ſehen bekam.
Jch hatte meine ganze Philoſophie nöthig,
die ich bey meinem Vetter, meinem Ge-
mahle und ſeinem Vater gelernet hatte,
wenn ich nicht eitel und hochmüthig wer-
den wollte. Die Ehre, die mir allenthal-
ben erwieſen ward, war eine gefährliche
Sache für eine junge und ſchöne Frau,
die den Hof zum erſtenmal ſah.
Ein
[43]Gräfinn von G **
Ein gewiſſer Prinz von S--, der ſchon
eine Gemahlinn, und unſtreitig nicht die
erlaubteſten Abſichten gegen mich hatte,
ſuchte ſich die Abweſenheit meines Ge-
mahls zu Nutze zu machen. Er bedien-
te mich bey aller Gelegenheit mit einer
ungemeinen Ehrerbietung, und mit einem
Vorzuge, der recht prächtig in die Augen
fiel. Er wagte es zuweilen mir von einer
Neigung zu ſagen, die ich verabſcheuete.
Dennoch wußte ich der Ehrerbietung, die
er ſtets mit untermengte, nicht genug zu
widerſtehen. Jch war ſo treu und tu-
gendhaft, als man ſeyn kann; allein viel-
leicht nicht ſtrenge genug in dem äußerli-
chen Bezeigen. Hierdurch machte ich
den Prinzen nur beherzter. Er kam an
einem Nachmittage unangemeldet zu mir.
Er machte mir allerhand kleine Liebkoſun-
gen; doch bey der erſten Freyheit, die er
ſich heraus nahm, ſagte ich zu ihm: Er-
lauben ſie mir, daß ich es ihrer Gemah-
linn darf melden laſſen, daß Sie bey mir
ſind,
[44]Leben der Schwediſchen
ſind, damit ſie mir das Glück ihrer Ge-
genwart auch gönnt. Sie iſt ſchon in
Gedanken bey mir, fieng er an. Und
mein Gemahl, antwortete ich, iſt auch
bey mir, wenn er gleich im Felde iſt. Dar-
auf machte er mir ein froſtig Compli-
ment, und gieng fort. Wie rachgierig
dieſer Herr war, wird die Folge aus-
weiſen.
Mein Gemahl kam wieder zurück, und
nach ſeiner Ankunft ward ihm der Hof
verbothen. Dieſes war die erſte Ra-
che eines beleidigten Prinzen. Wir gien-
gen darauf auf unſer Landgut. Jch ent-
deckte meinem Gemahle ohne Bedenken
die Urſache der erlittenen Ungnade, und
bat ihn tauſendmal um Vergebung. Jch
bin ſehr wohl, ſprach er, mit meinem Un-
glücke zu frieden. Fahren ſie nur fort,
mich durch ihre Tugend zu beleidigen; ich
will ihnen zeitlebens dafür danken. Jch
habe es voraus geſehen, daß ihnen der
Hof
[45]Gräfinn von G **
Hof gefährlich ſeyn würde. Jch konnte
mir einbilden, daß man ſie bewundern,
und daß ihr Herz der Verſuchung der Lob-
ſprüche und Ehrenbezeigung nicht gleich
den erſten Augenblick widerſtehen würde.
Die erlittene Ungande iſt nichts, als ein
Beweis, daß ich eine liebenswürdige
und tugendhafte Frau habe.
Wir lebten auf unſerm Landgute ſo ru-
hig und zärtlich, als iemals. Und damit
wir den Verluſt unſers klugen Vaters de-
ſto weniger fühlten: ſo nahm mein Ge-
mahl ſeinen ehemaligen Reiſegefährten,
den Herrn R-- zu ſich. Er war noch
ein junger Mann, der aber in einer groſ-
ſen Geſellſchaft zu nichts taugte, als ei-
nen leeren Platz einzunehmen. Er war
ſtumm und unbelebt, wenn er viele Leu-
te ſah. Doch in dem Umgang von drey
oder vier Perſonen, die er kannte, war
er ganz unentbehrlich. Seine Beleſenheit
war außerordentlich, und ſeine Beſchei-
den-
[46]Leben der Schwediſchen
denheit eben ſo groß. Er war in der Tu-
gend und Freundſchaft ſtrenge bis zum
Eigenſinn. So traurig ſeine Mine aus-
ſah, ſo gelaſſen und zufrieden war er doch.
Er ſchlug keine Vergnügung aus; allein
mir kam es immer vor, als ob er ſich nicht
ſo wohl an den Ergötzlichkeiten ſelbſt, als
vielmehr an dem Vergnügen beluſtigte,
das die Ergötzlichkeiten andern machten.
Sein Verlangen war, alle Menſchen ver-
nünftig, und alle Vernünftige glücklich zu
ſehen. Daher konnte er die großen Ge-
ſellſchaften nicht leiden, weil er ſo viel
Zwang, ſo viel unnatürliche Höflichkeiten
und ſo viel Verhinderungen, frey und ver-
nünftig zu handeln, darinnen antraf. Er
blieb in allen ſeinen Handlungen uneigen-
nützig, und gegen die Glücksgüter, und
gegen alle Ehrenſtellen faſt gar zu gleich-
gültig. Die Schmeichler waren ſeine
ärgſten Feinde. Und er glaubte, daß
dieſe Leute der Wahrheit und Tugend
mehr Schaden thäten, als alle Ketzer und
Frey-
[47]Gräfinn von G **
Freygeiſter. Einem geringen Manne dien-
te er mit größern Freuden, als einem
vornehmen. Und wenn man ihn um die
Urſache fragte, ſo ſagte er: Jch fürchte,
der vornehme möchte mich bezahlen, und
durch eine reiche Belohnung mich zu ei-
nem Laſtträger ſeiner Meynungen, und
zu einem Beförderer ſeiner Affecten er-
kaufen wollen. Er hatte einen geſchick-
ten Bedienten, der ihm aber des Tages
nicht mehr, als etliche Stunden, aufwar-
ten durfte. Als er ſeinen Herrn in un-
ſerer Gegenwart einmal fragte, ob er
nichts zu thun hätte; ſo ſagte er: Denkt
ihr denn, daß ihr bloß meinetwegen und
meiner Kleider und Wäſche wegen in der
Welt ſeyd? Wollt ihr denn ſo unwiſſend
ſterben, als ihr gebohren ſeyd? Wenn
ihr nichts zu thun habt, ſo ſetzt euch hin,
und überlegt, was ein Menſch iſt; ſo wer-
den euch Beſchäftigungen genug einfallen.
Er gab ihm verſchiedene Bücher zu leſen.
Und wenn er ihn auskleidete: ſo mußte er
ihm
[48]Leben der Schwediſchen
ihm allemal ſagen, wie er den Tag zuge-
bracht hätte. Wer ſich ſchämt, ſagte er,
einen Menſchen vernünftig und tugendhaft
zu machen, weil er geringe iſt, der ver-
dient nicht, ein Menſch zu ſeyn. Mein
Gemahl liebte den Herrn R--, als ſeinen
Bruder, und wir beſchloſſen niemals et-
was wichtiges, ohne ihn zu Rathe zu
ziehen.
Um dieſe Zeit bekam mein Gemahl Be-
fehl zum Marſche, weil Schweden mit der
Krone Pohlen in einen Krieg verwickelt
wurde. Nunmehr gieng mein Elend an.
Mein Gemahl hatte einen engen und ge-
fährlichen Paß vertheidigen ſollen. Al-
lein er hatte das Unglück gehabt, ihn und
faſt alle ſeine Mannſchaft zu verlieren.
Man glaubte der Prinz von S--, der mit
zu Felde war, hätte ihn mit Fleiß zu die-
ſer gefährlichen Unternehmung beſtimmt,
um ihn zu ſtürzen. Genug, mein Gemahl
ward zur Verantwortung gezogen. Man
gab
[49]Gräfinn von G **
gab ihm Schuld, er hätte ſeine Pflicht
nicht in Acht genommen, und es ward
ihm durch das Kriegsrecht der Kopf ab-
geſprochen. Gott, in welch Entſetzen
brachte mich folgender Brief von meinem
Gemahl!
Lebt wohl, liebſte Gemahlinn, lebt
ewig wohl! Es hat der Vorſicht gefal-
len, meinen Tod zu verhängen. Er
kömmt mir nicht unvermuthet; doch wür-
de mich die Art meines Todes erſchrecken,
wenn ich meinen Ruhm mehr in der Ehre
der Welt, als in einem guten Gewiſ-
ſen ſuchte. Gerechter Gott! Jch ſoll
durch das Schwerdt ſterben, weil ich es
nicht beherzt genug für das Vaterland ge-
führet habe. Der Himmel weis, daß ich
unſchuldig bin. Und fünf Wunden, die
ich bey meiner Gegenwehr empfangen ha-
be, mögen Zeugen ſeyn, ob ich meiner
Pflicht nachgelebt. Der Prinz von S--,
den ihr durch eure Tugend beleidiget habet,
Erſter Theil. Diſt
[50]Leben der Schwediſchen
iſt ohne Zweifel die Urſache meines ge-
waltſamen Todes. Vergebt es ihm, daß
er euch euren Gemahl entreißt. Es iſt
weit weniger, als wenn er euch eure Tu-
gend entriſſen hätte. Lebt wohl, meine
Gemahlinn, und betet, daß ich bey dem
Anblicke meines Todes ſo beherzt ſeyn
mag, als ich itzt bin. Meine Wunden
ſind gefährlich. Wollte Gott, daß ſie
tödtlich wären, und mich der Schmach
entriſſen, als ein Verbrecher vor den Au-
gen der Welt zu ſterben. Jn fünf Ta-
gen ſoll mein Urtheil vollſtreckt werden.
Nehmet von dem redlichen R-- in mei-
nem Namen Abſchied. Er wird euch in
eurem Unglück nicht verlaſſen. Jch ha-
be den König in einem Bittſchreiben er-
ſucht, daß er euch meine Güter laſſen ſoll;
aber ich glaube nicht, daß es geſchehen
wird. Seyd unbekümmert, meine Ge-
treue! Flieht, wohin ihr wollt, nur daß
ihr den Nachſtellungen des Prinzen ent-
geht. Lebt wohl. Ach wenn doch der
fünfte
[51]Gräfinn von G **
fünfte Tag ſchon da wäre! O warum
muß ich denn ein Schlachtopfer meiner
Feinde werden! Doch es iſt eine Schi-
ckung. Jch will meinen Tod mit Stand-
haftigkeit erwarten. Lebt noch einmal
wohl, liebſte Gemahlinn. Jch fühle den
Augenblick eine außerordentliche Schwach-
heit in meinem Körper. Vielleicht ſterbe
ich noch heute an meinen Wunden. Mein
Feldprediger kömmt. Jch will ihn bit-
ten, daß er euch dieſen Brief zuſtellen
läßt. Faßt euch. Jch liebe euch ewig,
und ich ſehe euch in der künftigen Welt
gewiß wieder.
Meinen Schmerz über dieſe Nachricht
kann ich nicht beſchreiben. Die Spra-
chen ſind nie ärmer, als wenn man die
gewaltſamen Leidenſchaften der Liebe und
des Schmerzes ausdrücken will. Jch
habe alles geſagt, wenn ich geſtehe, daß
ich etliche Tage ganz betäubt geweſen bin.
Alle Troſtgründe der Religion und der
D 2Ver-
[52]Leben der Schwediſchen
Vernunft waren bey meiner Empfindung
ungültig, und ſie vermehrten nur meine
Wehmuth, weil ich ſah, daß ſie ſolche
nicht beſänftigen konnten. Der angeſetz-
te Todestag meines Gemahls brach an.
Jch brachte ihn mit Thränen und Gebete
zu, und fühlte den Streich mehr, als ein-
mal, der meinem Gemahle das Leben
nehmen ſollte. Niemand ſtund mir in
meinem Elende redlicher bey, als der Herr
R--. Er klagte und weinte mit mir,
und erwarb ſich durch ſeine Traurigkeit
den Vortheil, daß ich die Troſtgründe
anhörte, mit denen er mich nunmehr an-
fieng aufzurichten.
Binnen acht Tagen kam der Reitknecht
meines Gemahls, und brachte mir die
Poſt, daß ſein Herr drey Tage vor dem
Tage des Urthels an ſeinen Wunden ge-
ſtorben wäre. Dieſe Nachricht vergnüg-
te mich, ſo betrübt ſie war, doch unend-
lich. So iſt er denn, als ein Held, an
ſeinen
[53]Gräfinn von G **
ſeinen Wunden geſtorben? rief ich aus.
So hat er die traurigen Zubereitungen zu
einem gewaltſamen Tode, welche ärger
als der Tod ſelber ſind, nicht mit anſehen
dürfen? Nunmehr bin ich ruhig. Jch
fragte, ob man ihn ohne Schimpf zur Er-
den beſtattet hätte. Er ſagte mir, daß
dieſes gar nicht hätte geſchehen können,
weil in der Nacht, da er geſtorben wäre,
die Feinde das Dorf angefallen, und das
Bataillon, bey dem mein Gemahl gefan-
gen geſeſſen, genöthiget hätten, ſich in der
gröſten Eil und mit Verluſt zurückzuzie-
hen. Jn eben dieſer Unordnung wäre er
mit gewichen, und der Feldprediger von
meines Gemahls Regimente hätte ihm
Gelegenheit geſchafft, mit einem Deta-
ſchement zurückzugehen, und mir die
Nachricht und etliche Kleinodien von mei-
nem Gemahle zu überbringen.
Der Feldprediger hatte ſelbſt an mich
geſchrieben, und mir in meines Gemahls
D 3Namen
[54]Leben der Schwediſchen
Namen gerathen, Schweden ſo bald
zu verlaſſen, als es möglich wäre, da-
mit ich nicht der Rache des Prinzen
oder ſeiner Wolluſt weiter ausgeſetzt ſeyn
möchte. Der Befehl wegen der Einzie-
hung unſerer Güter war, wie ich erfuhr,
ſchon vor meines Gemahls Tode unter-
zeichnet worden. Jch entſchloß mich alſo
zur Flucht, und bat den Herrn R--
Schweden mit mir zu verlaſſen. Wir
gaben in unſerm Hauſe eine Reiſe auf die
andern Güter vor, und nahmen nichts,
als die Chatoulle, in welcher etwan tau-
ſend Ducaten waren, (denn mein Ge-
mahl hatte ſein baares Vermögen der Kro-
ne vorgeſtreckt) nebſt dem Geſchmeide und
den Kleinodien mit uns. Alles Silber-
geſchirr lieſſen wir im Stiche, und kamen
in Begleitung des vorhin gedachten Reit-
knechts, und des Bedienten des Herrn R--
glücklich über die Grenzen. Wir erfuh-
ren bald darauf, daß man die Güter ein-
gezogen, und daß man mir etliche Meilen
hatte
[55]Gräfinn von G **
hatte nachſetzen laſſen. Wir waren nun-
mehr in Liefland; allein ich war deswe-
gen noch nicht ſicher. Der Prinz wollte
mich in ſeiner Gewalt haben. Mein Vet-
ter, der mich nach Schweden gebracht
hatte, war todt, und ich wußte nicht,
welches Land ich zu meinem Aufenthalte
ausſuchen ſollte. Mein getreuer Beglei-
ter ſollte mein Rathgeber werden. Er
ſchlug mir Holland vor, weil er in Am-
ſterdam Freunde hatte, und er verſi-
cherte mich, daß es mir an dieſem Orte
gefallen würde. Hier können ſie ſich,
ſagte er, ein Paar Jahre aufhalten, bis
ſich die Umſtände in Schweden ändern.
Vielleicht glückt es ihnen, daß ſie durch
Vorbitte mit der Zeit einen Theil von ih-
res Gemahls Vermögen zurück bekom-
men.
Die Furcht, in des rachgierigen Prin-
zen Hände zu fallen, machte mir alle
Länder angenehmer, als mein Vaterland.
D 4Jch
[56]Leben der Schwediſchen
Jch entſchloß mich alſo mit ihm nach Am-
ſterdam zu gehen, und ich wünſchte, daß
mich die ehemalige Geliebte meines Ge-
mahls dahin begleiten möchte. Wir wa-
ren etwan achtzehn Meilen von ihr ent-
fernet, denn wir bildeten uns ein, daß
ſie noch auf meines Gemahls Gütern
wäre, die er in Liefland hatte. Herr
R-- reiſete alſo dahin ab, um ſich nach ihr
zu erkundigen. Er war kaum weg, ſo
brachte mir der Reitknecht die Nachricht,
daß er Carolinen in der Kirche des Dor-
fes, in welchem ich mich insgeheim auf-
hielt, geſehen, aber nicht geſprochen hät-
te. Jch ſchickte ihn fort, und binnen we-
nig Stunden ſah ich ſie zu meinem größ-
ten Vergnügen bey mir. Sie hatte bin-
nen den acht Jahren, da ich ſie nicht ge-
ſehen, etwas von ihren äußerlichen Rei-
zungen, doch nichts von ihrer Annehm-
lichkeit im Umgange verlohren. Jch er-
zählte ihr mein Schickſal, und fragte ſie,
ob ſie mit mir nach Amſterdam gehen
wollte.
[57]Gräfinn von G **
wollte. Sie vergoß tauſend Thränen
über mein Unglück, und über die Liebe,
die ich noch gegen ſie hatte. Sie ver-
fahren, ſprach ſie, gar zu liebreich mit mir.
Sie bezeigen mir die ſtärkſte Gewogenheit
und hätten doch vielleicht Urſache mich zu
haſſen. Jch halte es für mein größtes
Unglück, daß ich ihnen nicht folgen kann;
allein ich bin ſeit einem Jahre, denn ſo
lange iſt es, daß ich mich von ihres Ge-
mahls Gütern an dieſen Ort begeben ha-
be, ſehr krank geweſen, und ſie werden
mir es leicht anſehen, daß es mir unmög-
lich iſt, eine ſo weite Reiſe mit ihnen zu
thun. Jndeſſen ſchwöre ich ihnen zu,
daß mich, wofern ich wieder geſund wer-
de, nichts in der Welt abhalten ſoll, ih-
nen nachzufolgen. Und damit ich ſie von
der Gewißheit meines Verſprechens deſto
ſtärker überführe: ſo will ich ihnen mei-
nen Sohn mit geben, wenn er ihnen
nicht zur Laſt wird. Er iſt bey mir. Jch
habe mir für das Geld, das der Herr Va-
D 5ter
[58]Leben der Schwediſchen
ter ihres Gemahls zu meiner und meines
Kindes Erhaltung ausgeſetzet hat, ein
kleines Landgut hier in dieſem Dorfe ge-
kauft, und ich biete es ihnen nicht allein
zu ihrem Aufenthalte, ſondern mit dem
größten Vergnügen zu ihrem Eigenthume
an. Wollte Gott ſie blieben unerkannt
bey mir, wie ruhig wollten wir nicht le-
ben! Das Verlangen, ihnen zu dienen, ſoll-
te mich wieder geſund und munter ma-
chen.
Jch wagte es, mich auf ihren kleinen
Ritterſitz zu begeben. Jch traf keinen
Reichthum, keinen Ueberfluß da an; aber
Ordnung und Beqvemlichkeit, die von
dem guten Geſchmacke der Beſitzerinn zeug-
ten. Jch fand eine Menge ſchöner Bü-
cher in ihrer beſten Stube. Und ſie war
ſo beſcheiden, daß ſie ſagte, ſie gehörten
ihrem Sohne, da ich doch leicht merken
konnte, daß ſie ihr ſelber zugehörten. Es
waren faſt alle die Franzöſiſchen und
Schwe-
[59]Gräfinn von G **
Schwediſchen Bücher, welche mein Ge-
mahl hochzuhalten pflegte, und ich konn-
te leicht errathen, wem ſie dieſen guten
Geſchmack zu danken hatte. Unter ihrem
Spiegel hieng das Bildniß meines Ge-
mahls. So bald ſie merkte, daß mirs in
die Augen fiel: ſo überreichte ſie mirs zum
Geſchenke, und geſtund mir, daß ſie es
ſelber gemahlet hätte; denn ſie konnte vor-
trefflich in Miniatür malen. Jch hielt es
für eine Grauſamkeit, ſie um dieſes An-
denken zu bringen. Darum bat ich ſie,
das Bild noch einmal zu malen, und die-
ſes ſo lange zu behalten.
Jhr Sohn war noch nicht völlig drey-
zehn Jahr alt. Er war ein ſehr artiger
und lebhafter Knabe. Sie hatte ihn
ſchon in ſeinen zarteſten Jahren einem ge-
ſchickten Manne zur Aufſicht anvertraut,
und ihn itzt nur auf etliche Wochen zu ſich
kommen laſſen, weil ſie wegen der anhal-
tenden Krankheit ihr Ende vermuthet.
Sie
[60]Leben der Schwediſchen
Sie geſtund mir zu gleicher Zeit, daß ſie
von meinem verſtorbenen Gemahle auch
eine Tochter gehabt hätte. Sie wäre mit
ihr in Holland darnieder gekommen, und
hätte ſie bey ihrem Bruder, einem Kauf-
manne im Haag, theils auf ſein Bitten,
theils aus andern Urſachen zurück gelaſ-
ſen; dieſes Kind aber wäre in ſeinem
ſechsten Jahre geſtorben, wie ihr ihr Bru-
der geſchrieben hätte. Jch wollte wün-
ſchen, fuhr ſie fort, daß ſie ihren Auf-
enthalt in Holland bey meinem Bruder
nehmen könnten. Doch, ſo viel ich weis,
iſt er nicht mehr in den beſten Umſtänden.
Jch habe lange keine Nachricht von ihm,
und weis nicht, ob er ſich von ſeinem ſtar-
ken Bankerotte wieder erholet hat, oder
nicht?
Der Herr R-- kam unterdeſſen von
ſeiner vergebenen Reiſe wieder. Es
war Zeit, daß wir uns von einem Orte
weg machten, wo wir länger nicht wohl
ver-
[61]Gräfinn von G **
verborgen bleiben konnten. Ehe wir
noch fortgiengen, ſo ſtarb der Bediente
des Herrn R--, deſſen Verluſt uns nicht
wenig daurete. Dieſer redliche Menſch
gab ſeinem Herrn vor ſeinem Tode vier
hundert Stück Ducaten. Dieſes Geld,
ſagte er, habe ich in ihrem Dienſte und
durch ihre Freygebigkeit geſammlet, und
ich bin froh, daß ich es ihnen wieder ge-
ben kann. Jhrer Güte, ihrem Unterrich-
te und ihrem Exempel habe ichs zu dan-
ken, daß ich itzt gelaſſen und freudig ſter-
ben kann. Wenn ſie nur wieder einen
Menſchen hätten, auf den ſie ſich verlaſſen
könnten. So gewiß iſts, daß man auch
den niedrigſten Menſchen edelmüthig ma-
chen kann, wenn man ihn nicht bloß als
ſeinen Bedienten und Sclaven, ſondern
als ein Geſchöpf anſieht, das unſerer Auf-
ſicht anvertraut, und zu einem allgemei-
nen Zwecke nebſt uns gebohren iſt.
Wir verließen nunmehr Carolinen,
in Begleitung ihres Sohnes. Sie ver-
ſprach,
[62]Leben der Schwediſchen
ſprach, ſo bald es möglich wäre, uns zu
folgen, und ihr Landgütchen zu verkau-
fen. Wir kamen glücklich in Amſterdam
an. Der Vetter des Herrn R--, bey dem
wir uns aufhalten wollten, war zwar ge-
ſtorben, doch lebte ſeine Tochter noch.
Sie kannte den Herrn R--, ſo bald ſie
ihn ſah; denn er war, wie ich ſchon ge-
ſagt habe, mit meinem Gemahl ehedem
durch Holland gereiſet. Sie nahm uns
ſehr gütig auf, und ihr Ehemann war
ebenfalls ein vernünftiger und dienſtferti-
ger Mann. Jch entdeckte mich ihnen, und
bat, daß ſie meinen Stand nicht allein
verſchwiegen halten, ſondern ihn auch ver-
geſſen, und mich nicht mehr als eine Grä-
finn, ſondern als eine unglückliche Freun-
dinn betrachten möchten. Sie hatten
von dem Schickſale meines Gemahls ſchon
durch die Zeitungen gehöret. Und wenn
ich auch keine Eigenſchaften gehabt hätte,
mich bey dieſen Leuten in Gewogenheit
und Anſehen zu ſetzen: ſo war doch mein
Unglück
[63]Gräfinn von G **
Unglück ſchon die beſte Empfehlung. Ja
ich erfuhr, daß ein groſſes Unglück in den
Gemüthern vieler Menſchen faſt eben die
Wirkungen hervor bringt, welche ſonſt
ein groſſes Glück zu verurſachen pflegt.
Man ſchätzt uns hoch, weil wir viel erlit-
ten oder viel verlohren haben, und man
macht unſern Unfall zu unſerm Verdien-
ſte, ſo wie man oft unſer Glück, ob wir
gleich nichts dazu beygetragen haben, als
unſre Vollkommenheit anſieht. Mit ei-
nem Worte, dieſe Leute erwieſen mir,
ehe ich ſie noch kannte, mehr Hochach-
tung und Gefälligkeit, als ich fordern
konnte. Sie gaben mir einen ganzen
Theil von ihrem Hauſe zu meiner Woh-
nung ein; ich nahm aber nicht mehr, als
ein Paar Zimmer. Und damit ich dieſen
gutthätigen Leuten nicht zur Laſt werden
möchte: ſo entdeckte ich dem Herrn R--
daß ich willens wäre, meine Juwelen zu
Gelde zu machen, und das Geld in die
Handlung ſeiner Frau Muhme zu legen.
Er
[64]Leben der Schwediſchen
Er ſagte, daß er es mit ſeinen vier hun-
dert Ducaten, die ihm ſein Bedienter ge-
geben, ſchon alſo gemacht hätte. Mein
dienſtwilliger Wirth verhandelte meine
Juwelen für zwölf tauſend Thaler, und
ſagte, daß er mir keine Jntereſſen, ſon-
dern den ordentlichen Gewinnſt davon ab-
geben wollte, der bey der Rechnung in
ſeinem Handel auf dieſes Capital fallen
würde. Jch bat ihn, daß er mir keine
Rechnung ablegen, ſondern mich und mei-
ne beyden Reiſegefährten, an ſtatt der
Jntereſſen, erhalten ſollte. Jch lebte
hier ſo ruhig, daß ich mir keinen andern
Ort wünſchte. Herr R-- hatte den Sohn
von Carolinen bey ſich. Weil er kein
Amt hatte: ſo gab er ſich ſelber eins, und
zog dieſen jungen Menſchen mit ſo vieler
Sorgfalt auf, als ein Mann thun kann,
der in dem Bewuſtſeyn edler Abſichten
und nützlicher Thaten ſeine Belohnung
ſucht. Und wie ſehr würden nicht die
Groſſen viele niedrige und unberühmte
Männer
[65]Gräfinn von G **
Männer beneiden, wenn ſie die Beloh-
nung kennten, welche ſolchen Leuten das
Gedächtniß ihrer rühmlichen Abſichten
und guten Thaten zu ſchenken pflegt. Er
unterrichtete den jungen Menſchen in den
Sprachen und Künſten, und brachte ihm
die edelſten Meynungen von der Religion
und der Tugend bey. Was ſein Unter-
richt nicht that, das richtete ſein Exempel
aus. Der Schüler ward ſeinem Lehrer
ähnlich, und belohnte deſſen Mühe durch
einen fähigen Verſtand und durch ein gu-
tes Herz. Jch brachte meine Zeit mei-
ſtens mit Studiren zu, wenn anders ein
Frauenzimmer ohne Eitelkeit dieſes von
ſich ſagen kann. Jch redte des Tages ge-
meiniglich eine Stunde mit unſerm jungen
Schüler, und ſuchte ihm das Wohlan-
ſtändige beyzubringen, das junge Manns-
perſonen oft am erſten von einem Frauen-
zimmer lernen können. Jch ſuchte ſein
flüchtiges und feuriges Weſen der Jugend
durch meine Ernſthaftigkeit zu mäßigen.
EJch
[66]Leben der Schwediſchen
Jch that ſtets fremd gegen ihn, und ſtell-
te verſchiedene Perſonen vor, damit er
meinen Umgang nicht zu gewohnt werden,
und in meiner Geſellſchaft immer etwas
neues finden ſollte. Mit der Tochter mei-
ner Wirthinn, welche ein Mädchen von
etwan acht Jahren war, vertrieb ich mir
manche Stunde. Jch lehrte ſie franzö-
ſiſch, zeichnen, ſticken, und auch ſingen.
Kurz, ich führte eine ſehr ruhige Lebens-
art. Mein Wirth und ſeine Frau be-
qvemten ſich nach meinem Geſchmacke, und
lernten mir die Vergnügungen ab, mit
welchen ſie mich unterhalten wollten. Sie
brachten mich niemals in große Geſell-
ſchaften. Sie ſtörten mich nicht in mei-
ner Einſamkeit, als bis ich geſtört ſeyn
wollte. Jch durfte weder befehlen, noch
bitten, wenn ich ein Vergnügen haben
wollte. Jch durfte nur wählen. Man
hielt mich in unſerm Hauſe für eine An-
verwandtinn der Wirthinn. Und wer
ſonſt mit mir umgieng, wußte es auch
nicht
[67]Gräfinn von G **
nicht beſſer. Mein verſchwiegener Stand
nöthigte mich alſo nicht den glänzenden
und ſehr beſchwerlichen Charackter einer
Standsperſon in Geſellſchaften zu behaup-
ten, und dieſes zu meinem großen Vor-
theile. Hätte man gewußt, daß ich eine
Gräfinn wäre; ſo würde man, an Statt
mich zu bewundern, nur mein gutes für
einen nothwendigen Antheil meines Stan-
des angeſehen haben. Oder wenn es
hoch gekommen wäre; ſo würde man mich
nur verehret haben, da man mich gegen-
theils itzt zugleich verehrte und liebte, und
meinen Umgang ſuchte.
Vier Jahre hatte ich nunmehr in Am-
ſterdam zugebracht, und zu verſchiedenen
malen an Carolinen geſchrieben, und ſie
an ihr Verſprechen, zu mir zu kommen,
erinnert; allein ſie blieb aus.
Jhr Sohn ſollte ſich nunmehr eine Le-
bensart erwählen, welche er wollte. Er
E 2bezeig-
[68]Leben der Schwediſchen
bezeigte Luſt zu dem Soldatenſtande, und
der Herr R-- war ſo wenig dawider, daß
er ſeine Wahl vielmehr billigte. Geſitte-
te und geſchickte Leute, ſagte er, ſind nir-
gends nöthiger und nützlicher, als wo es
viele Ungeſittete giebt. Werden ſie ein
Soldat, und zeigen ſie, daß man uner-
ſchrocken, tapfer, ſtrenge, und doch auch
weiſe, vorſichtig und liebreich ſeyn kann.
So lange ſie die Religion und ein gutes
Gewiſſen haben werden: ſo lange wer-
den ſie den Tod zwar nicht gleichgültig
anſehen; aber doch ohne Entſetzen erwar-
ten, und nie aus Zagheit vermeiden. Die-
ſes iſt die wahre Tapferkeit. Wir kauf-
ten ihm eine Fähndrichsſtelle; und er
gieng zu ſeinem Regimente ab, welches
nachmals an die Grenze von Holland zu
ſtehen kam.
Nunmehr kömmt eine von den wunder-
ſamſten Begebenheiten meines Lebens,
welche mir von Leuten, die den Stand
lieben,
[69]Gräfinn von G **
lieben, und die Menſchen nicht nach ihren
Neigungen und Eigenſchaften, ſondern
ſtets nach der Geburt und nach dem Ran-
ge unter einander vergleichen, ſchwerlich
wird vergeben werden. Jch war noch
in meinen beſten Jahren, und die An-
nehmlichkeiten in meiner Bildung waren
noch nicht verlohren gegangen, oder höch-
ſtens zum Theile nur ſo verloſchen, wie
die kleinen Züge in einem Gemälde die
man nicht ſehr vermißt. Es fanden ſich
verſchiedene Holländer von Anſehen und
groſſem Vermögen, die mich zur Frau be-
gehrten. Allein ihr Suchen war um-
ſonſt. Wer einen ſo liebenswürdigen und
vortrefflichen Gemahl, als ich, gehabt,
konnte in der Liebe leicht etwas eigenſin-
nig ſeyn. Ob nun gleich keiner von mei-
nen Freyern ſeine Abſicht erreichte: ſo
weckten ſie doch die Erinnerung von der
Süßigkeit der Liebe bey mir wieder auf.
Du willſt, dachte ich, um dieſer Herren
los zu werden, dich ſelbſt zu einer Wahl
E 3ent-
[70]Leben der Schwediſchen
entſchließen. Dieſe Urſache zu einer Ehe
iſt etwas weit hergeholet. Jndeſſen war
es gewiß, daß ich ſie bey mir ſelber vor-
wand, weil es mein Herz haben wollte.
Der Herr R-- kam an einem Nachmit-
tage zu mir auf meine Stube und fragte
mich, ob ich mich bald der Ehe zum Be-
ſten entſchloſſen hätte. Rathen ſie mir
denn, ſprach ich, daß ich wieder heyra-
then ſoll? Nicht ehe, verſetzte er, als bis
ich ſehe, daß es ihnen ihr eigen Herz ge-
rathen hat. Sie kennen meine Aufrich-
tigkeit, und ſie wiſſen, daß ich nichts für
ein Glück halte, was man nicht verlangt
und freywillig wählt. Unter der großen
Anzahl Männer, die ſich um ihr Herz be-
mühen, gefällt mir keiner beſſer, als der
Herr von der H--; Nicht deswegen, weil er
ſehr gelehrt iſt; ſondern weil er außer ſeinen
Wiſſenſchaften und ſeiner wichtigen Be-
dienung ſehr viele Vortheile hat, die ihm
Liebe erwerben, und ihn zur Liebe geſchickt
machen. Jch habe gewiß Recht, daß er
ein
[71]Gräfinn von G **
ein liebenswürdiger Mann iſt; allein die-
ſem Urtheile dürfen ſie darum nicht
trauen. Jch betrachte den Mann zwar
nach einerley Begriffen mit ihnen, al-
lein nicht nach einerley Empfindungen.
Jch liebe ihn als einen Freund, und als
ein Freund kann er ihnen angenehm
und liebenswerth vorkommen, aber dar-
um noch nicht als ein Ehemann. Un-
ſer Herz iſt oft ſo beſchaffen, daß es die
Liebe gegen eine ihm angenehme Perſon
zurück hält, ſo bald es auf das genaue-
ſte mit ihr verbunden werden ſoll. Viel-
leicht, fuhr er fort, gefällt ihnen einer
von den andern Herren beſſer zur Liebe,
ob ihnen dieſer gleich zu einem guten
Freunde genug gefällt.
Jch verſicherte ihn, daß ich mich ſei-
nes Raths bedienen würde, ſo bald ich
meine eigene Neigung zu Rathe gezogen
hätte. Warum, fuhr ich fort, heirathen
ſie denn nicht? O, ſagte er, ich würde
E 4es
[72]Leben der Schwediſchen
es gewiß gethan haben, wenn meine Um-
ſtände und die Liebe mir zur Ehe gera-
then hätten. Die Liebe und meine Phi-
loſophie ſind einander gar nicht zuwider.
Eine recht zufriedene Ehe bleibt nach
allen Ausſprüchen der Vernunft die
größte Glückſeligkeit des geſellſchaftlichen
Lebens. Zeigen ſie mir nur eine Per-
ſon, die mir anſtändig iſt, und die ihnen
die Verſicherung giebt, daß ſie mich zu
beſitzen wünſcht: ſo werde ich ſie, ſo
bald ich ſie kenne, mit der größten Zu-
friedenheit zu meiner Gattinn wählen.
Wir haben alle eine Pflicht, uns das
Leben ſo vergnügt und anmuthig zu
machen, als es möglich iſt. Und wenn
es wahrſcheinlich iſt, daß es durch die
Liebe geſchehen kann: ſo ſind wir auch
zur Liebe und Ehe verbunden. Allein,
verſetzte ich, ſie haben ja, ſo lange ich
ſie kenne, gegen unſer Geſchlecht ſehr
gleichgültig zu ſeyn geſchienen; wie kömmt
es denn, daß ſie der Liebe itzt das Wort
reden?
[73]Gräfinn von G **
reden? Jch bitte, ſprach er, vermengen
ſie die Beſcheidenheit nicht mit der
Gleichgültigkeit. Jch weis, daß man
dem andern mit ſeiner Liebe oft ſo be-
ſchwerlich fallen kann, als mit ſeinem
Haſſe. Und aus dieſem Grunde bin
ich ſtets behutſam, aber darum nicht
gleichgültig gegen das Frauenzimmer.
Jch weis eine Perſon, hub ich an, die
ſie liebt, und ich glaube nicht, daß ſie
ihnen misfallen wird. Allein deswegen
weis ich auch noch nicht, ob es eben
diejenige iſt, mit der ſie das genaueſte
Band der Liebe ſchlieſſen wollen. Er
ward beſtürzt, und fragte mich wohl
zehnmal, wer ſie wäre. Jch hielt ihn
lange auf, und endlich verſprach ich ihm,
daß er ſie Nachmittage zu ſehen bekom-
men ſollte. Nachmittage ſchickte ich ihm
mein Portrait, und ſchrieb ein Billet
ungefehr dieſes Jnnhalts an ihn:
So hat die Perſon in ihrer Jugend
ausgeſehn, die ſie liebt. Erſt hat ſie nur
E 5Freund-
[74]Leben der Schwediſchen
Freundſchaft und Erkenntlichkeit gegen
ſie empfunden. Die Zeit und ihr Werth
hat dieſe Regungen in Liebe verwandelt.
Der liebſte Freund meines Gemahls hat
das erſte Recht auf mein Herz. Sie
ſind ſo großmüthig und tugendhaft mit
mir umgegangen, daß ich Sie lieben muß.
Antworten Sie mir ſchriftlich. Entſchul-
digen Sie ſich nicht mit ihrem Stande.
Sie haben die Verdienſte; was geht die
Vernünftigen die Ungleichheit des Stan-
des an? Um die Unvernünftigen dürfen
wir uns nicht bekümmern, weil hier nie-
mand von meinem Stande weis.
Er kam den Augenblick zu mir. Und
eben der Mann, der ſo wohl bey mei-
nes Gemahls Lebzeiten, als nach ſeinem
Tode nie ſo gethan hatte, als ob er mir
eine Liebkoſung erweiſen wollte, wußte
mir itzt ſeine Zärtlichkeit mit einer ſo an-
ſtändigen und einnehmenden Art zu be-
zeigen, daß ich ihn würde zu lieben an-
gefangen
[75]Gräfinn von G **
gefangen haben, wenn ich ihn noch nicht
geliebt hätte. Nunmehr, ſagte er, ha-
ben ſie mir das Recht gegeben, ihnen
mein Herz ſehen zu laſſen. Und nun-
mehr kann ich ihnen ohne Fehler das ge-
ſtehen, was mich die Ehrerbietung ſonſt
hat verſchweigen heiſſen. Jch habe an
das Glück, das ſie mir itzt anbieten, wie
der Himmel weis, kaum gedacht. Und
wenn ich auch daran gedacht hätte: ſo
würde mich meine wenige Eigenliebe nie-
mals dieſen Gedanken haben fortſetzen
laſſen. Es fehlt zu meiner Zufriedenheit
nichts, als daß ſie mich überzeugen, daß
ich ihrer werth bin: ſo will ich mich für
den glücklichſten Menſchen ſchätzen. Kurz,
wir giengen zu unſerer Wirthinn, wir
ſagten ihr unſern Entſchluß, und ſie war
nebſt ihrem Manne über dieſe unvermu-
thete Nachricht ausnehmend erfreut. Un-
ſere kleinen Capitale hatten ſich binnen
ſechs Jahren in der Handlung faſt um
noch einmal ſo viel vermehret, und wir
hätten
[76]Leben der Schwediſchen
hätten beyde ſehr gemächlich davon le-
ben können. Allein unſer freundſchaft-
licher Wirth wollte uns nicht aus ſei-
nem Hauſe laſſen. Er behielt unſer
Geld, und erwies uns, wie zuvor, alle
mögliche Gefälliakeiten. Alſo war Herr
R-- mein Gemahl, oder wenn ich nicht
mehr ſtandesmäßig reden ſoll, mein lie-
ber Mann. Jch liebte ihn, wie ich auf-
richtig verſichern kann, ganz ausnehmend,
und ſo zärtlich, als meinen erſten Ge-
mahl. An Gemüthsgaben war er ihm
gleich, wo er ihn nicht noch in gewiſſen
Stücken übertraf. Aber an dem äußer-
lichen kam er ihm nicht bey. Er war
wohl gewachſen; allein er hatte gar nicht
das Einnehmende an ſich, das gleich auf
das erſtemal rührt. Nein, man mußte
ihn etliche mal geſehen, man mußte ihn
geſprochen haben, wenn man ihm recht
gewogen ſeyn wollte. Jch will deswe-
gen nicht behaupten, daß er ſich für alle
Frauenzimmer geſchickt haben würde.
Genug,
[77]Gräfinn von G **
Genug, er gefiel mir, und ich fand jeden
Tag in ſeinem Umgange eine neue Ur-
ſache, ihn zu lieben. Er war nahe an
vierzig Jahre, und er hatte ſeit der Zeit,
daß ich ihn bey meinem Gemahle kennen
lernen, ſich gar nicht von Perſon geän-
dert. Seine ordentliche und ſtille Le-
bensart erhielten ihn ſo geſund, als ob
er erſt zu leben anfieng. Wer war
glücklicher, als wir! Unſer Glück fiel nie-
manden in die Augen, und deſto ruhiger
konnten wir es genießen. Wir lebten
ohne zu befehlen, und ohne zu gehor-
chen. Wir durften niemanden von un-
ſern Handlungen Rechenſchaft geben, als
uns ſelbſt. Wir hatten mehr, als wir
begehrten, und alſo genug, andern wohl
zu thun. Wir hatten eine Geſellſchaft,
die ſich zu unſern Neigungen ſchickte.
Wir lebten an dem volkreichſten Orte
in der größten Stille. Dieſes war un-
ſer Verlangen. Wir konnten uns beyde
mit dem edelſten Zeitvertreibe, mit Leſen
und
[78]Leben der Schwediſchen
und Denken unterhalten. Wir ſtudirten,
ohne daß uns deswegen jemand bewun-
dern ſollte. Wir ſtudirten zu unſerer
eigenen Ruhe. Und daß ich alles mit
einmal ſage, wir wußten in unſerer Ehe
von keinem andern Wechſel, als von
Gefälligkeiten und Gegengefälligkeiten.
Viele können es nicht vertragen, wenn
ſie die Liebe verehlichter Perſonen ſo zärt-
lich abgeſchildert ſehen, als die Liebe zwi-
ſchen, unverehlichten, weil man ſieht, daß
die meiſten Ehen die Liebe eher auslö-
ſchen. als vermehren. Doch ſolche Leu-
te wiſſen nicht, was Klugheit und Be-
hutſamkeit in der Ehe für Wunder thun
können. Sie erhalten die Liebe und be-
fördern ihren Fortgang, wie das Herz
durch ſeine Bewegung den Umlauf des
Geblüts. Es iſt wahr, eine beſtändige
und ſich ſtets gleiche Zärtlichkeit iſt in der
Ehe nicht möglich. Doch wenn nur auf
beyden Seiten eine gegründete Liebe
vorhanden iſt: ſo kann ſie bis in die ſpä-
teſten
[79]Gräfinn von G **
teſten Jahre feurig und lebhaft bleiben.
Unſere Empfindungen können wohl et-
was abnehmen, allein dieſe Abnahme
heißt wenig. Derjenige hat allemal ge-
nug Vergnügen, ſo lange er ſo viel hat,
als das Maaß ſeiner Empfindungen ver-
langt. Genug, wir ſind nach vielen
Jahren noch ſo verliebt in einander ge-
weſen, als wenn wir uns erſt zu lieben
angefangen hätten. Man denke ja nicht,
weil wir die Wiſſenſchaften liebten, daß
wir an uns nur unſere Seelen geliebt
hätten. Jch habe bey allen meinen Bü-
chern über die metaphyſiſche Geiſterliebe
nur lachen müſſen. Der Körper gehört
ſo gut, als die Seele, zu unſerer Natur.
Und wer uns beredet, daß er nichts als
die Vollkommenheiten des Geiſtes an
einer Perſon liebt, der redet entweder
wider ſein Gewiſſen, oder er weis gar
nicht, was er redet. Die ſinnliche Lie-
be, die bloß auf den Körper geht, iſt
eine Beſchäftigung kleiner und unfrucht-
barer
[80]Leben der Schwediſchen
barer Seelen. Und die geiſtige Liebe,
die ſich nur mit den Eigenſchaften der
Seele gattet, iſt ein Hirngeſpinſte hochmü-
thiger Schulweiſen, die ſich ſchämen,
daß ihnen der Himmel einen Körper
gegeben hat, den ſie doch, wenn es von
den Reden zur That käme, um zehen
Seelen nicht würden fahren laſſen.
Jch komme wieder zu meiner Ge-
ſchichte. Wir lebten, wie ich geſagt
habe, ſo vergnügt, als man nur le-
ben kann. Wir meldeten Carlſo-
nen, ſo hieß Carolinens Sohn, der
Fähndrich, unſere Heirath, und baten
ihn, daß er uns beſuchen ſollte, wenn
es möglich wäre; denn wir hatten ihn
nun wohl in vier Jahren nicht geſehen.
Er ſchrieb uns, daß er Lieutenant wor-
den wäre, daß es ihm ſehr wohl gienge,
und daß er ſich vor wenig Wochen mit
einem Frauenzimmer, die ihm zu gefal-
len das Kloſter heimlich verlaſſen, ver-
heirathet
[81]Gräfinn von G **
heyrathet hätte. Von ihrem Stande
könnte er uns nichts ſagen, weil ſie in
dem ſechſten Jahre in das Kloſter ge-
kommen, und darinnen bloß unter dem
Namen Mariane bekannt geweſen wäre.
Sie möchte indeſſen von dem niedrig-
ſten Herkommen ſeyn; ſo wäre ſie doch
ſo liebenswürdig, daß er ſich nur einen
hohen Stand wünſchen wollte, um ſeine
Geliebte darein ſetzen zu können. Denn
Carlſon wußte nichts weiter von ſeiner
Geburt, als daß ſein Vater ein Auf-
ſeher auf den Gütern meines erſten
Gemahls geweſen und ihm jung geſtor-
ben wäre. Er bat uns unbeſchreiblich,
daß wir nach dem Haag kommen ſollten,
von welchem Orte er itzt nur etliche
Meilen weit in dem Quartiere ſtünde.
Dieſe Nachricht erſchreckte uns faſt
mehr, als ſie uns erfreuete. Wir ver-
mutheten bey dieſer Ehe zwar genug
Liebe, aber nicht genug Ueberlegung.
Jndeſſen ſchickten wir ihm etliche hun-
Erſter Theil. Fdert
[82]Leben der Schwediſchen
dert Ducaten, daß er ſeine Umſtände
deſto bequemer einrichten könnte. Wir
verſprachen auch, ihn ſo bald zu beſu-
chen, als es die Jahrszeit und meine
Umſtände erlauben würden; denn ich war
mit einer Tochter darnieder gekommen.
Wir reiſeten den folgenden Frühling
nach dem Haag ab. Wir fanden an
unſerm Carlſon und ſeiner Frau ein Paar
Eheleute, die einander werth waren.
Mariane war ein ganz außerordentlich
ſchönes Frauenzimmer. Sie war blond,
und hatte ein Paar große blaue und
ſchmachtende Augen, die ſich zu ſchämen
ſchienen, daß ſie die Verräther von ei-
nem ſehr zärtlichen Herzen ſeyn ſollten.
Und wenn auch die übrigen Theile ihres
Geſichts nicht ſo ausnehmend wohlge-
ſtalt und recht abgemeſſen geweſen wä-
ren: ſo hätte ſie doch bloß ihrer Augen
wegen den Namen einer Schönheit ver-
dient. Von ihrem Verſtande will ich
nicht viel ſagen. Sie war in dem Klo-
ſter
[83]Gräfinn von G **
ſter erzogen. Jhr unſchuldiges und auf-
richtiges Herz hätte auch den Mangel
des Witzes tauſendmal erſetzt, wenn ſie
gleich weniger Einſicht gehabt hätte, als
ſie in der That hatte. Es hieng ihr
noch etwas Schüchternes aus dem Klo-
ſter an; allein ſelbſt dieſe Schüchternheit
ſchickte ſich ſo wohl zu ihrer Unſchuld,
daß man ſie ungern würde vermißt ha-
ben. Ja, ich ſage noch mehr, man lieb-
te ſo gar an ihr die Schüchternheit; ſo
wie oft ein Fehler unter gewiſſen Um-
ſtänden zu einer Schönheit werden
kann.
Jch ſuche die Worte vergebens, mit
denen ich ihre Zärtlichkeit gegen ihren
Mann beſchreiben will. Man ſtelle ſich
einen ſehr einnehmenden, feurigen und
blühenden Mann, (denn dieſes war Carl-
ſon) und dann ein von Natur zärtliches
Frauenzimmer vor, die von Jugend auf
eine Nonne geweſen war, und bey der die
F 2ſüſ-
[84]Leben der Schwediſchen
ſüſſen Empfindungen nur deſto mächtiger
geworden waren, weil ſie an der ſtren-
gen Lebensart und an den Regeln einer
hohen Keuſchheit einen beſtändigen Wi-
derſtand gefunden hatten: ſo wird man
die innbrünſtige und ſchmachtende Liebe
dieſer jungen Frau einigermaaßen denken
können. Jch war ſo wohl mit unſers
Carlſons Wahl zufrieden, als mein
Mann, und wir vergnügten uns an der
Zufriedenheit dieſes Paars ſo ſehr, daß
wir nicht wieder von ihm kommen konn-
ten. Wir ließen Geld aus Amſterdam
kommen, und blieben ein ganzes Jahr,
und länger bey dieſen zärtlichen Eheleu-
ten. Nichts fehlte uns, als Carlſons
redliche Mutter. Wir hatten Briefe von
ihr, daß es ſich mit ihrer Geſundheit ge-
beſſert hätte, und daß ſie im Stande
wäre, bald zu uns zu kommen. Wir
ſchickten auch den Reitknecht, der mir
ehemals die Poſt von meines Gemahls
Tode gebracht hatte, fort, daß er ſie ab-
holen
[85]Gräfinn von G **
holen und zu uns bringen ſollte. Er
hatte ſie bereits unterwegs angetroffen,
und ſie war bey uns, ehe wir es ver-
mutheten. Sie hatte ſich recht verjüngt,
und ſie ward durch die Freude über ih-
res Sohnes Glück und mein Vergnü-
gen alle Tage belebter und munterer.
Jndeſſen verſicherte uns dieſe rechtſchaf-
fene Frau, daß ihr Vergnügen gar zu
groß ſey, als daß es lange Beſtand ha-
ben könnte. Mariane kam mit einer
Tochter darnieder. Auch dieſes diente
uns zu einer neuen Freude. Doch ie
mehr wir Urſache hatten, mit Marianen
zufrieden zu ſeyn, deſto begieriger wur-
den wir, etwas gewiſſes von ihrer Her-
kunft zu erfahren. Gleichwohl war alle
unſere angewandte Mühe vergebens, uns
dieſes Geheimniß zu entdecken. Maria-
ne hatte ihrem Manne zu Liebe das
Kloſter heimlich verlaſſen, und wir muß-
ten bey unſerer Nachforſchung ſehr be-
hutſam gehen, damit wir ſie nicht in die
F 3Gefahr
[86]Leben der Schwediſchen
Gefahr ſetzten, entdeckt zu werden. Jm
Kloſter fertigte man diejenigen, die wir
insgeheim nachfragen ließen, mit der Ant-
wort ab, daß ihnen Marianens Stand
und Geburt unbekannt wäre, daß ſie in
ihrem ſechſten Jahre von einem gemeinen
Manne in das Kloſter gebracht worden,
der ein gewiſſes Geld zu ihrer Erziehung
da gelaſſen, und nichts geſagt hätte, als
daß ſie die Tochter eines unglücklichen
Holländers wäre, der ſie nicht in der re-
formirten Religion erziehen laſſen wollte.
Vielleicht könnte er der Aebtiſſinn mehr
vertraut haben, dieſe aber wäre todt.
Kurz, wir erfuhren nichts, und es konnte
ſeyn, daß man in dem Kloſter ſelbſt nichts
gewiſſes von Marianens Herkunft wußte.
Denn wie viele Kinder werden nicht un-
ter einem fremden Namen in die Klöſter
gebracht, und durch unbekannte Hände
erhalten.
Endlich mußten wir uns doch entſchlieſ-
ſen, wieder nach Amſterdam zurück zu ge-
hen.
[87]Gräfinn von G **
hen. Unſere Umſtände forderten dieſe
Trennung. Caroline begleitete uns nach
dem Haag. Sie erkundigte ſich hier, ob
ſie nicht iemanden antreffen könnte, der
ihr von ihrem Bruder, Andreas, Nach-
richt geben könnte. Allein ſie erfuhr
nichts weiter, als was wir ſchon wußten,
nämlich, daß er nach ſeiner Frauen To-
de unglücklich in ſeiner Handlung gewor-
den, und weil er ſein Vermögen einge-
büßet hätte, mit einem Schiffe nach Oſt-
indien gegangen wäre, ſein Glück von
neuem zu verſuchen. Wir blieben noch
etliche Tage in dem Haag, und nahmen
unſere Reiſegelder in Empfang. Und
eben da wir fort wollten, ſo ließ uns der
Kaufmann, der ſie uns ausgezahlt hatte,
ſagen, daß in Amſterdam vor etlichen
Tagen ein Oſtindienfahrer, und auf die-
ſem Schiffe zugleich Herr Andreas, der
Kaufmann, nach dem wir ehedem gefragt
hätten, zurück gekommen, und heute bey
ihm geweſen wäre. Dieſe Zeitung war
F 4zu
[88]Leben der Schwediſchen
zu wichtig, als daß wir unſere Reiſe hät-
ten fortſetzen ſollen, ohne den Herrn An-
dreas zu ſprechen. Aber wollte der Him-
mel, daß wir ihn in unſerm Leben nicht
geſehen hätten! Er kam den andern Tag
zu uns. Carolinens erſte Frage war,
warum er ihr denn vor ſeiner Abreiſe
nach Oſtindien nichts ausführliches von
dem Tode ihrer Tochter geſchrieben hät-
te? Jſt denn Mariane todt? rief er. Was
willſt du denn mit der Mariane? ver-
ſetzte ſeine Schweſter. Meine Tochter
hieß ja, wie ich, Caroline. Wo iſt ſie
denn? Jſt ſie nicht todt? Ach wenn doch die-
ſes Gott wollte! Ja doch, ſprach Andreas,
ich weis es wohl, ſie hieß Caroline; aber
aus Liebe zu meiner Frau, und weil ich
ſie an Kindesſtatt angenommen hatte,
nennte ich ſie nach meiner Frau, Maria-
ne. Jch will dir alles erzählen; aber
verſprich mir, daß du mir auch alles ver-
geben willſt. Meine liebe Frau ſtarb
mir, wie ich dir vor zehn Jahren gemel-
det
[89]Gräfinn von G **
det habe. Mariane war ebenfalls tödt-
lich krank, und ich hielt ſie ſchon für ver-
loren. Allein es beſſerte ſich mit ihr.
Jndeſſen nöthigte mich mein Bankerott,
mein Glück anderwärts zu verſuchen.
Jch gieng nach Oſtindien. Du weist,
daß ich der Catholiſchen Religion zuge-
than bin. Jch liebte deine Tochter, oder
vielmehr meine an Kindesſtatt angenom-
mene Mariane recht väterlich. Um ſie
nun theils in meiner Religion erziehen
zu laſſen, theils ſie wohl zu verſorgen:
ſo nahm ich, was ich noch hatte, und
that dieſes liebe Kind vor meiner Abrei-
ſe, und ohne iemanden etwas zu ſagen, in
ein Kloſter an der Grenze der Oeſter-
reichiſchen Niederlande. Jch war eben
im Begriffe dahin zu reiſen, und zu ſehen,
ob Mariane noch lebte, als ich hieher
gerufen ward. Jch kann nicht länger
warten, ich muß wiſſen, ob ſie noch lebt.
Komm mit, ſprach er zu Carolinen. Wir
wollen den Augenblick in das Kloſter fah-
F 5ren.
[90]Leben der Schwediſchen
ren. Jn drey Tagen ſind wir wieder
hier. Und ohne ein Wort weiter zu
ſprechen, giengen ſie beyde fort. Mein
Mann und ich hatten kaum das Herz
uns anzuſehen, geſchweige zu reden. Ein
heimlicher Schauer lief mir durch alle
Glieder. Gott, was ſoll das werden!
fieng endlich mein Mann an. Mariane,
das Kloſter-- und nicht weit von der
Grenze. Was ſind dieſes für entſetzli-
che Nachrichten! Ach der arme, der un-
glückliche Carlſon! Möchte doch dieſes-
mal unſere Muthmaßung falſch ſeyn!
Wäre doch Andreas wieder da, oder
wäre er vielmehr nimmermehr wieder
nach Europa gekommen! Seine Gegen-
wart wird uns ganz gewiß das traurig-
ſte Geheimniß offenbaren, das uns ewig
hätte verborgen bleiben ſollen. Wird
nicht Caroline, um ihre Tochter wieder
zu finden, ſie als Frau aus den Armen
ihres eigenen Sohns reiſſen müſſen?
Mit dieſen grauſamen Vorſtellungen qväl-
ten
[91]Gräfinn von G **
ten wir uns, bis Andreas mit ſeiner
Schweſter, der Caroline, wieder zurück
kam. Jhr Anblick ließ uns zu unſerem
Unglücke die Sache auf einmal errathen.
Caroline zerfloß faſt in Thränen. Sie
that untröſtlich, und ihr Bruder, als ein
harter Mann, ließ zwar äußerlich keine
Traurigkeit ſpüren; allein er ſaß ganz be-
täubt. Wir konnten aus beyden lange
Zeit kein Wort bringen. Sie hatten mit
einem Worte in dem Kloſter erfahren, daß
eine Nonne, mit Namen Mariane, welche
um das und das Jahr, (Tag und Jahr
traf beydes ein,) in das Kloſter gebracht
wäre, vor anderthalb Jahren daſſelbe
heimlich verlaſſen, und, ſo viel man wüß-
te, ſich mit einem jungen von Adel ver-
heyrathet hätte. Was war zu thun?
Wir mußten, an Statt nach Amſterdam
zu reiſen, wieder zurück nach Carlſons
Qvartier. Wir ſahen alle viere nur mehr
als zu gewiß, daß dieſe Nonne niemand
anders, als Carlſons Frau ſeyn würde.
Doch
[92]Leben der Schwediſchen
Doch man müßte das menſchliche Herz
nicht kennen, wenn man glaubte, daß
wir zu unſerm Troſte keine Ausflüchte ge-
wußt hätten. Eine Nachricht, von der
uns die Gewißheit erſchreckt, und das
Gegentheil erfreut, mag noch ſo wahr-
ſcheinlich ſeyn, als ſie will, ſo ſind wir
doch ſinnreich genug, ſie zweifelhaft zu
machen. Sollte ich, ſagte Caroline, denn
mein Kind, mein leiblich Kind nicht ken-
nen? Sollte es denn keine Aehnlichkeit
mit mit mir haben? Gleichwohl hatte ſie
es verlaſſen, da es kaum einige Monate
alt geweſen war. Ein junger von Adel,
fieng mein Mann oft unterwegs an, ein jun-
ger von Adel? Wenn hat ſich denn Carl-
ſon dafür ausgegeben? Er iſt viel zu be-
ſcheiden, als daß er ſich einen Stand an-
dichten ſollte, in dem er nicht erzogen wor-
den iſt. Nein, nein, ſprach ich, das wol-
le Gott nicht! Hätte er ſich auch für ei-
nen Edelmann ausgegeben, warum hät-
te er nicht geſagt, daß er ein Officier
wäre?
[93]Gräfinn von G **
wäre? Vielleicht iſt in eben dem Jahre
noch ein Kind in das Kloſter gekommen,
das ebenfalls den Namen Mariane gehabt
hat. Andreas, der der Philoſophie wegen
nicht nach Oſtindien gereiſet war, meynte,
es läge ſchon in der Natur, daß ein Paar
ſo nahe Blutsfreunde einander nicht als
Mann und Frau lieben könnten. Jch
glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf
dieſer Reiſe widerſprachen, ohne es zu
merken. Voll Zittern und Hoffnung
kamen wir alſo bey unſerm Carlſon wie-
der an. Wir hatten uns vorgenommen,
recht behutſam zu gehn, und die Urſache
unſerer Zurückkunft weder ihm noch ihr
merken zu laſſen. Wir wollten ſagen,
daß wir aus Vergnügen über die Ankunft
des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt
wären. Wenn auch, ſprachen wir alle,
Mariane die rechte Mariane ſeyn ſollte:
ſo würden dieſe zärtlichen Eheleute doch
beyde in Verzweifelung gerathen, wenn
wir ihnen dieſes traurige Geheimniß auf
ein-
[94]Leben der Schwediſchen
einmal entdeckten. Nein, fieng ich an,
wir bringen Marianen auf dieſe Art um
das Leben. Jſt ſie die wahre Caroline:
ſo will ich ſie bitten, daß ſie mir zu Liebe
auf einige Zeit mit nach Amſterdam rei-
ſen ſoll. Jhr Mann wird ihr dieß Ver-
gnügen nicht abſchlagen. Jſt ſie einmal
in Amſterdam: ſo wird es Zeit ſeyn, ihr
das Geheimniß nicht ſo wohl zu entde-
cken, als es ſie nach und nach entdecken
zu laſſen. Weis es Mariane: ſo ſoll es
Carlſon auch erfahren. Er muß ſie in
ſeinem Leben nicht wieder zu ſehn bekom-
men. Dieſes wird der einzige Troſt ſeyn,
mit dem wir ihm in ſeinem mitleidenswür-
digen Jrrthume beyſtehen können. Er
kennt die Religion, und hört die Ver-
nunft. Die Tochter aus dieſer unglück-
lichen Ehe will ich erziehen laſſen, damit
Mariane den traurigen Beweis einer ſo
zärtlichen und nunmehr unerlaubten Liebe
nicht vor Augen hat. Jn dieſer Berath-
ſchlagung langten wir bey Carlſon an.
Er
[95]Gräfinn von G **
Er trat in die Thüre, indem wir anka-
men, und lief uns mit Verwunderung
entgegen. Wir heiterten unſere Geſichter
ſo gut auf, als es möglich war, nnd ſag-
ten ihm, daß Herr Andreas, Caroli-
nens Bruder, den wir in dem Haag von
ſeiner Wiederkunft aus Jndien angetrof-
fen hätten, die Urſache unſerer Zurückkunft
wäre. Wer war froher, als er! Wir
traten in die Stube zu ſeiner Mariane.
Kaum hatte Andreas Marianen erblickt:
ſo fiel er ihr um den Hals, und ſchrie mit
einem entſetzlichen Tone: Ach das Gott
erbarme, ſie iſt es, ſie iſt es! Jch un-
glücklicher Mann, ich bin an allem Schuld!
Dieſes war die Erfüllung von dem Vor-
ſatze, bey der Sache behutſam zu gehen.
Caroline lief als verzweifelnd zur Thüre
hinaus. Mariane wollte ſich von dem
Andreas los machen; allein er ließ ſie
nicht aus ſeinen Armen. Jch hatte nicht
ſo viel Gewalt über mich, daß ich hingehen,
und ihn von ihr los reiſſen konnte. Carl-
ſon
[96]Leben der Schwediſchen
ſon blieb auf einer Stelle ſtehen, und frag-
te hundertmal, was es wäre. Mein Mann
wollte es ihm ſagen, und kehrte doch bey
iedem Worte wieder ein. Mariane kam
endlich auf mich zu. Jch ſollte ihr entde-
cken, was es wäre. Jch fieng an zu re-
den, ohne zu wiſſen was. Jch bat ſie um
Vergebung. Jch verſicherte ſie meiner
ewigen Freundſchaft. Jch umarmte ſie.
Dieſes war es alles. Jndeſſen kam ihr
Mann, und wollte ſie aus meinen Armen
nehmen. Nein, nein, ſchrie ich, Mariane
iſt nicht ihre Frau, Mariane iſt ihre Schwe-
ſter. Jn dieſem Augenblicke ſank Mari-
ane nieder, und ich erwachte darüber, als
wie aus einem unruhigen Schlafe. Jch
und mein Mann waren am erſten wieder
bey uns ſelbſt. Wir brachten Marianen
auf ein Bette, und ſie erholte ſich aus ei-
ner Ohnmacht, um in die andre zu fal-
len. Jhre Leibesbeſchaffenheit trug zu
dieſer Schwachheit vermuthlich viel bey.
Sie war ſchwanger. Wir brachten
ſie
[97]Gräfinn von G **
ſie den ganzen Tag nicht wieder zu ſich
ſelbſt.
Mein Mann war indeſſen nach Caro-
linen gegangen, die wir, ſeit dem ſie aus
der Stube gelaufen war, nicht wieder ge-
ſehn hatten. Wenn ich einen Roman
ſchriebe, ſo hätte ſie Zeit genug gehabt,
ſich indeſſen mit einem Dolche, oder mit
Gifte, um das Leben zu bringen. Allein
die Verzweiflung in den Romanen, und
die Verzweiflung im gemeinen Leben,
haben nicht allemal einerley Wirkung.
Mein Mann hatte ſie in dem Garte hau-
ſe auf den Knien angetroffen. Jch will
gleich auf den andern Tag kommen. Das
Gewaltſame unſers Affects hatte ſich ge-
legt, und ſich an Statt deſſen das Bange
der Traurigkeit eingeſtellt. Thränen und
Seufzer, welche die Beſtürzung geſtern
zurück gehalten, hatten nun ihre Freyheit,
und wir ſuchten unſern Troſt in Klagen
und im Mitleiden. Carlſon kam vor das
Erſter Theil. GBette
[98]Leben der Schwediſchen
Bette ſeiner Mariane, und mit ihm Weh-
muth, Furcht, Schaam, Reue und ge-
kränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich
anzuſehen, wie ſich dieſe beyden Leute ge-
gen einander bezeigten. Die Religion
hieß ſie die Liebe der Ehe in Schweſter-
und Bruderliebe verwandeln, und ihr
Herz verlangte das Gegentheil. Sie hat-
ten einander unbeſchreiblich geliebt. Sie
waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe,
und ſie ſollten dieſes Band itzt ohne An-
ſtand zerreiſſen. Sie hatten einander in
ihrem Leben nicht geſehen, und alſo kam
ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe,
die ſonſt die Liebe unter Blutsverwandten
auszulöſchen pflegt. Jhre Natur ſelbſt
that den Ausſpruch zu ihrem Beſten. Wie
konnten ſie etwas in ſich fühlen, das ihre
Liebe verdammte, da ſie den Zug der
Blutsfreundſchaft nie gefühlt hatten. Ach,
mein Bruder, rief Mariane einmal über
das andere aus, verlaßt mich, verlaßt
mich! Unglückſeliger Gemahl fangt mich
an
[99]Gräfinn von G **
an zu haſſen. Jch bin eure Schweſter.
Doch nein! Mein Herz ſagt mir nichts
davon. Jch bin euer, Jch bin euer. Uns
verbindet die Ehe. Gott wird uns nicht
trennen. Jhr Gemahl war nicht beſſer
geſinnt. Er hörte die Stimme der Lei-
denſchaften, um den Befehl der Reli-
gion nicht zu hören. Er hütete ſich ge-
nau, ſie nicht ſeine Schweſter zu nennen.
Er hieß ſie ſeine Mariane. Er war be-
redt und unerſchöpflich in Klagen, die bis
in das Herz drungen, weil ſie das Herz
hervorbrachte. Er fieng zuweilen mitten
in ſeinen Klagen an zu philoſophiren, und
wie man leicht glauben kann, ſehr eigen-
nützig. Er erwies, daß ihre Ehe vor
Gott erlaubt wäre, wenn ſie auch die
Welt verdammte. Und er that doch
nichts, als daß er zehnmal nach einan-
der ſagte, daß ſie öffentlich verbunden
wären, und daß nichts als der Tod
dieſes Bündniß trennen ſollte. Er
wünſchte unzähligemal, in der Sprache
G 2des
[100]Leben der Schwediſchen
des Affects, das Andreas geſtorben ſeyn
möchte, ehe er den Athem zur Entde-
ckung dieſes Geheimnißes hätte ſchöpfen
können. Dieſer ſaß da, als ob er ſein
Todesurtheil anhören ſollte. Jch glau-
be, daß er gern mit etlichen Jahren von
ſeinem Leben das zerſtörte Vergnügen
dieſer Zärtlichen wieder erkauft hätte.
Caroline trat endlich zu Marianen an das
Bette, und hieß Carlſonen weggehen.
Meine Tochter, fieng ſie an, ich habe dich
wieder gefunden, um dich aus den Ar-
men deines Bruders zu reiſſen. Woll-
te Gott, daß ich dieſer betrübten Pflicht
zeitlebens hätte überhoben ſeyn können!
Vielleicht iſt es die Strafe, daß ich ---
doch Gott hat es verhänget. Jhr ſeyd
beyde keines Verbrechens ſchuldig. Eure
Unwiſſenheit rechtfertiget eure Liebe, und
die Gewißheit verbeut ſie nunmehr. Jch
bin eure Mutter, und ich liebe euch, als
meine Kinder; aber ich verabſcheue euch,
wenn ihr das Band der Ehe dem Ban-
de
[101]Gräfinn von G **
de des Blutes vorzieht. Die Anrede
war ſehr fromm; allein ſie war zu heftig,
und zu früh angebracht. Sie weckte
die Verzweiflung in beyden von neuem
auf. Mein Mann erwählte einen gelin-
dern Weg, die zärtlichen Gemüther zu
beſänftigen. Er bediente ſich eines Schein-
grundes, der in der Stunde des Affects
eben ſo viel Kraft zu haben pflegt, als die
Wahrheit. Er ſagte, es wäre eine Ge-
wiſſensſache, die wir nicht entſcheiden
könnten. Wir wollen den Ausſpruch ver-
ſtändigen Gottesgelehrten überlaſſen. Er
glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt
finden könnte. Dieſes war eine Arzney,
welche die Wehmuth der beyden Leute
verminderte, und zugleich ihrer Liebe Wi-
derſtand that. Sie entſchloſſen ſich, ſich
dem Ausſpruche der Geiſtlichen zu un-
terwerfen; aber gewiß nicht aus Ueber-
zeugung, ſondern aus Verlangen, deſto
ruhiger ihre Liebe fortſetzen zu können.
Wir machten uns indeſſen ihre Bereit-
G 3willig-
[102]Leben der Schwediſchen
willigkeit zu Nutze, und ermunterten Ma-
rianen, uns, ſo bald es ihre Umſtände
zuließen, nach Amſterdam zu folgen; viel-
leicht wäre es möglich, daß man von Rom
Diſpenſation erlangen könnte. Jhr Mann
ſollte ſich Urlaub auf ein halb Jahr aus-
bitten, und wenn er ihn erhielte, uns
nachkommen. Alles dieſes ließen ſich
die beyden Leute gefallen. Es ſtrichen
einige Tage dahin, und Mariane war in
den Umſtänden, die Reiſe mit anzutreten.
Jndem wir uns dazu anſchickten, ſo er-
hielt Carlſon Ordre, ſich unverzüglich,
und bey Verluſt ſeiner Stelle, zu dem Re-
gimente zu verfügen, weil es marſchiren
ſollte. Dieſe Nachricht that eine unglei-
che Wirkung. Carlſon war darüber
erfreut, und Mariane ward von neuem
niedergeſchlagen. Kaum ſah ſie ſeine Zu-
friedenheit über dieſe Poſt: ſo machte ſie
ihm die grauſamſten Vorwürfe. Sie
hieß ihn einen Ungetreuen, der ihrer los
zu ſeyn wünſchte. Sollte man wohl
glau-
[103]Gräfinn von G **
glauben, daß eine Frau, die da wußte,
daß ihr Mann ihr Bruder war, noch auf ei-
nen ſolchen Verdacht fallen könnte? Al-
lein was iſt in der Liebe und in dem Trau-
me wohl unmöglich? Wir ſahen alſo lei-
der nur mehr, als zu deutlich, wie heftig
Mariane ihren Mann noch liebte, und wie
ſie in ihrem Herzen nichts weniger be-
ſchloſſen hatte, als ihn fahren zu laſſen.
Carlſon verſicherte ſie mit den größten Be-
theurungen, daß er ſie noch unendlich
liebte, und daß er über die Nachricht zum
Marſche nur deswegen vergnügt wäre,
weil er ihn als eine Gelegenheit anſähe,
die der Himmel beſtimmt hätte, der Sa-
che den Ausſchlag zu geben. Vielleicht,
ſprach er, verliere ich mein Leben, wenn
es zu einem Feldzuge kömmt. Und wer
iſt alsdann glücklicher, als wir? Soll
ich den Tod nicht geringer ſchätzen, als
die Qvaal, euch zu ſehen, und euch zu
lieben? Und wollt ihr nicht lieber mit
Gewalt von mir getrennt ſeyn, als die
G 4Pein
[104]Leben der Schwediſchen
Pein ausſtehen, mich freywillig zu ver-
laſſen, und doch dieſe Freyheit niemals
von eurer Liebe zu erhalten? Seyd getroſt,
liebſte Mariane! Komme ich wieder zu-
rück: ſo iſt es ein Zeichen, daß der Him-
mel unſre Ehe billiget. Verliere ich mein
Leben: ſo iſt es ein Beweis, daß ihr ei-
nen Mann verloren habt, der nur euer
Bruder, und nicht euer Ehemann ſeyn
ſollte. Welche glückſelige Dienſte leiſtet
nicht der Jrrthum in gewiſſen Umſtän-
den! Und wie gut iſt es nicht oft, daß
wir das Vergnügen haben, uns ſelbſt zu
betrügen! Genug Carlſons Jrrthum war
in Anſehung des Erfolgs vortrefflich. Er
beruhigte ihn, und endlich auch Maria-
nen. Sie ließen die Sache auf den Him-
mel ankommen. Und ſie verſprachen ſich
von dieſem Richter nichts als Gerechtig-
keit, das iſt, nichts, als was ſie wünſch-
ten. Sie flehten Gott um Beyſtand an,
nicht anders, als ob ihnen die Menſchen
unrecht thäten. Kurz, ſie waren voll Zu-
ver-
[105]Gräfinn von G **
verſicht und Vertrauen, die alle Wahr-
heit nicht würde zuwege gebracht haben.
Carlſon reiſete fort, als ob er in dem
Treffen ſeine Mariane gewinnen ſollte,
und Mariane that ſo geſetzt, als ob ſie
ihn von ſich ließe, um ihn auf ewig wie-
der zu bekommen. So bald er fort war,
ſo folgte ſie uns ganz getroſt nebſt ihrer
Tochter und ihrer Mutter nach Amſter-
dam. Andreas, der ſich in Oſtindien wie-
der ein kleines Vermögen erworben hat-
te, blieb in dem Haag, um von neuem
ſeinen Handel anzufangen, wozu ihm Ca-
roline einen Theil von ihren Geldern gab,
die ſie aus Deutſchland mitgebracht hat-
te. Wir trafen unſern gütigen Wirth in
Amſterdam noch in ſeinen vorigen Umſtän-
den an. Wir gaben Marianen für Carl-
ſons Frau aus, und Caroline war ſeine
Mutter.
Jn wenig Monaten erhielten wir die
Nachricht, daß Carlſon zwar nicht gegen
G 5den
[106]Leben der Schwediſchen
Feind, ſondern an einer hitzigen Feld-
krankheit geblieben wäre. Caroline, ich
und mein Mann bedaureten ihn ſehr; aber
wenn wir an ſeine Ehe dachten, ſo war
uns ſein Tod eine erwünſchte Nachricht.
Denn wer konnte die gefährliche Sache
beſſer ſchlichten, als der Tod? Die Aus-
ſprüche der Geiſtlichen würden ganz ge-
wiß wider dieſe Ehe geweſen ſeyn. Und
Mariane und ihr Mann hätten entweder
einander nicht verlaſſen, oder ohne einan-
der das unglückſeligſte Leben geführet.
Gleichwohl war uns für Marianen noch
ſehr bange. Sie hatte ſich zwar dem End-
urtheile des Himmels ergeben; aber, wie
ich ſchon erinnert, in keiner andern Hoff-
nung, als daß es vortheilhaft für ſie aus-
fallen würde. Wir ſahen, daß Maria-
nens Verzweiflung von neuem wieder
aufwachen würde. Dennoch mußte ſie
es erfahren. Wir ließen ſie auf unſer
Zimmer rufen, und mein Mann nahm es
über ſich, ihr ihres Mannes Tod zu ent-
decken.
[107]Gräfinn von G **
decken. Nicht wahr, Mariane, fieng er
an, ſie errathen ſchon, was ich ihnen hin-
terbringen will? Erſchrecken ſie nur,
denn ſie müſſen doch erſchrecken. Hier
iſt ein Brief aus dem Lager. Sagen ſie
mir nichts mehr, verſetzte Mariane. Jch
kann den Jnnhalt des Briefs ſchon wiſ-
ſen. Mein Gemahl iſt todt. Jch un-
glückſelige Frau! Doch ich bin zufrieden,
daß mir ihn nicht die Welt, ſondern der
Himmel entzogen hat. Nun ſehe ich, daß
es Gott nicht hat haben wollen. Wie
iſt er denn geſtorben? Jſt er im Treffen
geblieben?
Wir erſtaunten über dieſe unvermuthe-
te Gelaſſenheit, die einer Gleichgültigkeit
nicht unähnlich ſah. Wir hatten uns auf
die beſten Troſtgründe vergebens gefaßt
gemacht. Gleichwohl wußten wir auch
nicht, ob wir Marianen trauen durften.
Jndeſſen that ſie gelaſſen, und betraurete
ihren Mann mehr durch ſtille Thränen,
als
[108]Leben der Schwediſchen
als durch eine tobende Wehmuth und Un-
geduld. Jn etlichen Wochen erhielten
wir wieder einen Brief, und die Aufſchrift
war Carlſons Hand. Soll ichs aufrich-
tig geſtehen, ſo erſchrack ich weit mehr,
daß er noch lebte, als ich zuerſt über ſei-
nen Tod erſchrocken war. Gott, dachte
ich, was wird dieſes wieder werden?
Carlſon wird ſeiner Krankheit wegen das
Lager verlaſſen, und wohl gar abgedankt
haben. Die Liebe wird ihn wieder zu
Marianen rufen. Mariane nur war vor
Freuden ganz außer ſich. Der Brief
war an ſie, und ſie brach ihn nicht etwan
gleich auf. O nein, ſo viel Zeit ließ ihr
ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab
ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie
behielt ihn in den Händen, als einen
unbekannten Schatz, den man nicht eröff-
nen will, bis man ſich zehnmal vorgeſtel-
let hat, wie viel darinnen ſeyn könnte.
Da ſie ihn endlich erbrach, ſo war der
Brief ſchon viele Wochen älter, als der-
jenige,
[109]Gräfinn von G **
jenige, der uns Carlſons Tod berichtet
hatte. Kurz, es war ein Abſchiedsbrief
an Marianen. Jch will die Abſchrift
herſetzen.
Dieſes ſind ſeit vier Wochen die er-
ſten Stunden, da ich mich beſinnen und
euch meine Krankheit melden kann. Wie
glückſelig bin ich, daß ich krank geweſen,
und dem Tode ſo nahe gekommen bin,
ohne beydes zu wiſſen! Wie viel würde
ich eurentwegen binnen der Zeit ausge-
ſtanden haben, wenn ich meiner mäch-
tig geweſen wäre! Gott ſey für dieſe
Art des Todes gedankt! Jch bin völlig
ausgezehrt, völlig entkräftet. Und ich
ſehe die Stunden, da ich mir wieder be-
wußt bin, für nichts als Augenblicke an,
die mir Gott gönnt, mich noch einmal
in der Welt, und in meiner eignen See-
le umzuſehen, und an das Zukünftige
zum letztenmale zu denken. So lebt denn
wohl,
[110]Leben der Schwediſchen
wohl, Mariane, lebt ewig wohl! Be-
weint mich nicht als euren Mann, ſon-
dern als euren Bruder. Trauriger Na-
me! Verſchweigt unſerer Tochter unſer
Schickſal, wenn ſie leben bleibt. Ver-
bergt es, wenn es möglich iſt, vor euch
ſelbſt. Mein Gewiſſen macht mir keinen
Vorwurf, daß ich euch geliebt habe; al-
lein es beunruhiget mich, daß ich euch,
nach der traurigen Entdeckung, als meine
Frau zu lieben nicht habe aufhören wol-
len. Gott, wie viel anders denken wir
auf dem Todbette, als in unſerm Leben!
Was ſieht nicht unſere Vernunft, wie
viel ſieht ſie nicht, wenn unſere Leiden-
ſchaften ſtille und entkräftet ſind! Ja,
ja, ich ſterbe, ich ſterbe getroſt. Doch
Gott! ich ſoll euch nicht wiederſehn?
Jch ſoll euch verlaſſen, liebſte Mariane?
Jch ſoll ſterben? Welche entſetzliche Em-
pfindungen fangen itzt in mir an zu ent-
ſtehen! Ach ich kann nicht mehr ſchrei-
ben! --- So weit war ich vor einer
halben
[111]Gräfinn von G **
halben Stunde gekommen. Jch bin wie-
der beruhiget. Die Liebe zum Leben
hat ſich zum letztenmale geregt. Lebt
wohl, meine Mariane! Grüßt meine
Mutter, und meine beyden großmüthi-
gen Freunde. Mein liebſter Freund,
Dormund, den ihr ſo vielmal bey mir ge-
ſehen habt, iſt itzt bey mir. Er will
mich nicht eher verlaſſen, als bis ich todt
bin. Könnt ihr euch entſchließen, wieder
zu lieben: ſo vergeßt nicht, daß euer ſter-
bender Mann euch niemanden gegönnet
hat, als ihm. Er wird euch meine Uhr
mit eurem Portrait überbringen. Die
andern Sachen habe ich meinen armen
Soldaten geſchenkt. Jch fühle meinen
Tod. Lebt wohl!
So bald ſie geſehen hatte, daß es
ein Abſchiedsbrief war, und daß ſie ſich
in der bey dem Titel gefaßten Hoffnung
betrogen, ſo gieng das Wehklagen erſt
recht an. Jch will ihre Troſtloſigkeit und et-
liche
[112]Leben der Schwediſchen
liche ſchlimme Folgen, die für ſie und
uns daraus entſtunden, nicht erzählen.
Es ſind Umſtände, an denen wir Theil
nahmen, weil wir gleichſam darein ge-
flochten waren. Sie waren in Anſehung
unſerer Empfindung wichtig; Allein, ich
würde übel ſchließen, wenn ich glauben
wollte, daß ſie deswegen dem Leſer merk-
würdig vorkommen, und ihn rühren wür-
den. Jch will daher vieles überge-
hen.
Wir lebten wieder ruhig. Es ſchien,
als ob uns der Himmel mit Gewalt
reich machen wollte. Unſere Capitale
brachten mehr ein, als wir verlangten,
und weit mehr, als wir brauchten. Und
ich dachte nicht einmal daran, meine bey
der Krone ſtehende Gelder zu fordern.
Jch war vielmehr ruhig, wenn ich nicht
an dieſes Land denken durfte. Ueberdie-
ſes war es auch durch den Krieg ganz
erſchöpft und entblößt. Genug, ich lebte
unbe-
[113]Gräfinn von G **
unbekannt und zufrieden. Jch war die
Frau eines angenehmen und klugen Man-
nes. Und ich hätte ſo wenig mit der
vornehmſten Reichsgräfinn getauſcht, als
ſie mit mir getauſcht haben würde. Das
Unglück, das uns zeither betroffen, hatte un-
ſere Gemüther gleichſam aufgelöſet, die Ru-
he nunmehr deſto ſtärker zu ſchmecken. Man
dürfte faſt ſagen, wer lauter Glück hät-
te, der hätte gar keines. Es iſt wohl
wahr, daß das Unglück an und für ſich
nichts angenehmes iſt. Allein es iſt es doch
in der Folge und in dem Zuſammenhan-
ge. Wenigſtens gleichet es den Arze-
neyen, die unſerm Körper einen Schmerz
verurſachen, damit er deſto geſünder
wird.
Mitten in unſerer Zufriedenheit, die
nunmehr über ein Jahr gedauert hatte,
kam Herr Dormund, Carlſons guter
Freund, und überbrachte Marianen die
in dem Briefe erwähnte goldene Uhr mit
Erſter Theil. Hihrem
[114]Leben der Schwediſchen
ihrem Portrait. Mariane hatte ihn oft
bey ihrem Manne, wir ihn aber noch
gar nicht geſehen. Doch was brauchte
er zu ſeiner Empfehlung mehr, als den
Namen eines guten Freundes von un-
ſerm Carlſon? Er war ein Holländer
von Geburt, und von Perſon ſehr an-
genehm. Er gewann unſere Vertrau-
lichkeit ſehr bald. Er war ein Stabs-
officier, hatte nunmehr abgedankt, und
wollte von ſeinen Renten für ſich le-
ben. Er war noch jung. Er hatte
nicht ſtudirt; allein er hatte doch etlichen
Büchern und dem Umgange einen ge-
wiſſen Witz zu danken, der im An-
fange ſehr einnahm. Er konnte etliche
Sprachen, und auch gut deutſch. Er
ließ ſich in Amſterdam nieder, und wir
konnten ſeine Abſicht leicht merken. Ma-
riane war ſein Wunſch, und Mariane
verdiente in der That, daß man ihrent-
wegen Feld und Hof verließ. Sie war
noch vollkommen ſchön. Das Unglück
hatte
[115]Gräfinn von G **
hatte ihr von ihren äußerlichen Reizungen
nichts entzogen, und zu der Schönheit ih-
res Gemüths noch vieles hinzugeſetzt. Sie
war durch den Umgang nur noch liebens-
würdiger geworden. Sie war erſt acht-
zehn oder neunzehn Jahre alt, und noch
in ihrem völligen Frühlinge. Dormund
wußte ſich bald bey ihr gefällig zu machen.
Vielleicht liebte ſie in dem Freunde ihres
verſtorbenen Mannes noch ihren Mann.
Genug, er gewann ihr Herz. Sie kam
einmal zu mir, und fieng mit einer vielbe-
deutenden Stimme an: Madam, es wäre
doch wohl billig geweſen, daß wir Herr
Dormunden die Uhr, die er mir von mei-
nem Manne überbracht, zu einem Anden-
ken gelaſſen hätten. Jch würde es gewiß
gethan haben, wenn mein Portrait nicht
darinn geweſen wäre; allein ſo ſchickt
ſichs wohl nicht. Jch verſtund dieſe Spra-
che ſehr gut. Mariane, ſagte ich, was
machen ſie ſich für ein Bedenken, dem ihr
Portrait zu geben, dem ſie unſtreitig ihr
H 2Herz
[116]Leben der Schwediſchen
Herz ſchon überlaſſen haben. Jch merke,
ſie wollen Herr Dormunden gern eine Ge-
fälligkeit erweiſen, die das Anſehen einer
Erkenntlichkeit haben ſollte, ob ſie gleich
die Liebe zum Grunde hat. Jch will ih-
nen bald aus der Sache helfen. Geben
ſie mir die Uhr. Es wird ſich ſchon eine
Gelegenheit zeigen, die nicht ſtudirt läßt,
bey der ich ſie ihm anbieten kann. Auf
die Uebergabe der Uhr folgte bald die Ue-
bergabe des Herzens. Mariane ward Dor-
munden zu Theil, und ſie ſchienen beyde
einander zum Vergnügen gebohren zu ſeyn.
Und wenn ja Mariane ihren Mann zuwei-
len beunruhigte, ſo geſchah es doch aus ei-
nem Grunde, den ein Ehemann ſchwerlich
übel nehmen kann. Jhr Fehler war die
Eiferſucht, der erbliche Fehler unſers Ge-
ſchlechts. Jch beſinne mich, daß Maria-
ne einmal mit Thränen auf meine Stube
kam. Sie konnte vor Wehmuth nicht re-
den, und ich befürchtete, das größte Unglück
von ihr zu hören. Allein was kam end-
lich
[117]Gräfinn von G **
lich heraus? Sie ſeufzete über die Gleich-
gültigkeit ihres Ehemannes, und hätte lie-
ber von ſeiner Untreue geſprochen. Jch
fragte nach der Urſache. Da erfuhr ich fol-
gende Kleinigkeit. Jhr Mann hätte kurz
vorher Briefe geſchrieben; Sie wäre zu
ihm an den Tiſch getreten; Sie hätte ihn
einigemal recht zärtlich geküſſet, er aber
hätte ihr weder mit einem Gegenkuſſe, noch
mit einem Blicke geantwortet, ſondern im-
mer fortgeſchrieben, nicht anders, als wenn
er ſie nicht ſehen wollte. Ach Gott! fuhr
ſie fort, wer weis, an wen der Untreue
ſchreibt? Konnten ſie denn nichts in dem
Briefe leſen? fieng ich an. Nein, nichts,
nichts, als daß der Anfang hieß: Mein Herr.
Wer ſollte wohl glauben, daß eine vernünf-
tige Frau keine ſtärkere Urſache zur Eifer-
ſucht nöthig hätte, als ſo eine? Doch, war-
um kann ich noch fragen? Wie oft thut
nicht die Liebe einen Schritt über die Gren-
zen der Vernunft! Und wenn dieſer Schritt
gethan iſt, ſo hilft es nichts, daß wir eine
H 3gute
[118]Leben der Schwediſchen
gute Vernunft haben. Ueberhaupt entſte-
hen wohl die meiſten Uneinigkeiten, die in
der Ehe vorkommen, aus Kleinigkeiten.
Sie heiſſen im Anfange nichts; allein ſie
nehmen im Fortgange unſere Einbildung
und andere Dinge zu Hülfe, und werden
alsdann wichtige Urſachen zur Gleichgül-
tigkeit, oder zur Eiferſucht.
Marianens Ehe hatte nunmehr etwan
drey Vierteljahre gedauert, als ihr Mann
gefährlich krank ward. Er ſtund zween
Monate große Schmerzen aus, und man
merkte ſehr deutlich, daß ihn eine Gemüths-
unruhe eben ſo ſtark quälte, als die Krank-
heit. Er bat ſeine Frau oft um Gottes
willen, daß ſie ihn verlaſſen ſollte. Er konn-
te auch Carolinen nicht leiden, vielweniger
Marianens Kind, das ſie mit Carlſonen
erzeugt hatte. Jch und mein Mann ſollten
ohne Aufhören bey ihm bleiben, und ihm
Troſt zuſprechen. Er wollte getröſtet ſeyn,
und wir wußten doch nicht, was ihn beun-
ruhigte, vielweniger hatten wir das Herz
ihn
[119]Gräfinn von G **
ihn zu fragen. Sein Ende ſchien immer
näher herbey zu kommen, und die Aerzte
ſelbſt kündigten es ihm an. Es war um
Mitternacht, da er uns beyde plötzlich zu
ſich rufen ließ. Er rang halb mit dem To-
de. Alles mußte aus der Stube. Dar-
auf fieng er mit gebrochenen und erpreßten
Worten an, ſich und die Liebe auf das ab-
ſcheulichſte zu verfluchen. Gott, wie war
uns dabey zu Muthe! Er nannte ſich den
größten Miſſethäter, den die Welt geſehen
hätte. Jch bin, ſchrie er, Carlſons Mör-
der. Jch habe ihm mit eigener Hand Gift
beygebracht, um Marianen zu bekommen.
Jch Unſinniger! Welche Gerechtigkeit,
welch Urtheil wartet auf mich! Jch bin
verloren. Jch ſehe ihn, ich ſehe ihn! Bringt
mich um, rief er wieder. Mein Mann re-
dete ihm zu, er ſollte ſich beſinnen, er würde
in einer ſtarken Phantaſie gelegen haben.
Nein, nein, rief er, es iſt mehr als zu ge-
wiß. Mein Gewiſſen hat mich lange ge-
nug gemartert. Jch bin der Mörder mei-
H 4nes
[120]Leben der Schwediſchen
nes beſten Freundes; Jch Barbar! Jch
Böſewicht! Carlſon beſſerte ſich nach dem
Abſchiedsbriefe an Marianen wieder, und
weil ich mir ſchon Hoffnung auf ſeinen
Tod und auf Marianen gemacht hatte, ſo
brachte ich ihm Gift bey. Mein Mann
nahm alle ſeine Vernunft und Religion zu
Hülfe, und ſuchte dieſem Unglückſeligen
damit beyzuſtehen. Seine Verzweiflung
wollte ſich nicht ſtillen laſſen. Er verlang-
te Marianen noch einmal zu ſehen, und ihr
ſeine Bosheit ſelbſt zu entdecken. Wir ba-
ten ihn um Gottes willen, daß er Maria-
nen dieſe That nicht offenbaren ſollte; Er
würde ſeinem Gewiſſen dadurch nichts hel-
fen, und durch ſein Bekenntniß nur noch
einen Mord begehen. Mariane kam, ehe
ſie gerufen ward. Dormund redete ſie an;
allein ſie hörte und ſah vor Wehmuth
nicht. Er nahm ſie bey der Hand, und
wollte das entſetzliche Bekenntniß wieder-
holen. Jch hielt ihm den Mund zu. Wir
fiengen an zu beten und zu ſingen. Doch
er
[121]Gräfinn von G **
er ſchrie nur deſto mehr. Mariane mußte es
erfahren, was er gethan hatte. Er wie-
derholte ſeinen Mord umſtändlich. Er be-
rufte ſich auf den Regimentsfeldſcheerer
und auf den Feldmedicum, die Carlſonen,
weil er es befohlen, nach ſeinem Tode ge-
öffnet, und das Gift gefunden, und geglaubt
hatten, daß er ſich ſelbſt damit vergeben.
Mariane gerieth in eine ordentliche Raſe-
rey. Sie ſtieß die grauſamſten Namen
wider ihn aus. Wir mußten ſie endlich
mit Gewalt bey Seite bringen. Er ſchlief
zwey Tage und Nächte nach einander, oh-
ne ſich zu ermuntern. Wir glaubten auch
gewiß, daß er nicht wieder aufwachen wür-
de; allein er erholte ſich. Wir kamen zu
ihm. Wir mußten ihn als einen Mörder
haſſen; doch die allgemeine Menſchenliebe
verband uns auch zum Mitleiden. Er
war ruhiger, als zuvor, und bat uns mit
tauſend Thränen um Vergebung. Er ver-
ſicherte uns, wenn er leben bliebe, daß er
uns nicht zum Entſetzen vor den Augen
H 5herum
[122]Leben der Schwediſchen
herum gehen, ſondern ſich den entlegen-
ſten Ort zu ſeinem Aufenthalte, und zur
Reue über ſeine Schandthat ausſuchen
wollte. Er bat, daß wir ihm Marianen
nicht möchten wieder ſehen laſſen. Die-
ſe war auch ſchon in unſrer Wohnung;
denn Dormund hatte ein Haus allein be-
zogen. Wir hatten nun genug an Ma-
rianen zu tröſten, und konnten Dormun-
den in zween Tagen nicht beſuchen. Doch
hörten wir, daß es ſich beſſerte. Mein
Mann gieng den dritten Tag zu ihm. Al-
lein Dormund war fort, und hatte folgen-
den Brief an ihn zurück gelaſſen:
Jch gehe, ſo weit als mich die Rache
des Himmels kommen läßt. Mariane
ſoll mich nicht wieder ſehen. O Gott,
wozu kann einen nicht die Liebe verleiten!
Der Schatten meines ermordeten Freun-
des wird mich auf allen Schritten verfol-
gen: Doch ich will lieber alles ausſtehen,
als dieſen Mord durch einen Selbſtmord
häufen
[123]Gräfinn von G **
häufen. Verfluchen ſie mein Gedächtniß
in ihrem Herzen. Jch bin es werth; doch
entdecken ſie meine Schande der Welt
nicht. Jch bin beſtraft genug, daß ich
Marianen und ihre großmüthigen Freun-
de verlaſſen muß. Jch will wieder in den
Krieg gehen. Vielleicht verliere ich bald
ein Leben, das mir eine Marter iſt. Mein
zurück gelaſſenes Vermögen ſoll Maria-
nen. Wollte ihnen doch Gott die Freund-
ſchaft vergelten, die Sie mir in meiner
Krankheit erwieſen haben. Doch Sie ha-
ben ſie ja einem Unmenſchen erwieſen. Jch
bin nicht werth, daß Sie mich bedauren.
Ach die unglückſelige Mariane!
Dormund war fort. Wir haben auch
in unſerm Leben nichts weiter von ihm
gehört. Jch wünſche, daß er ſich nicht
aus Verzweiflung ſelbſt umgebracht ha-
ben mag. Unſere Mariane war in eine
ordentliche Schwermuth gerathen. Sie
weinte Tag und Nacht, und wir mußten
ihr
[124]Leben der Schwediſchen
ihr auf einmal zwo Adern ſchlagen laſſen.
Sie ſchlief in meiner Stube, und verſi-
cherte mich, daß ihr viel beſſer zu Muthe
wäre, und daß ſie dieſe Nacht wohl zu
ſchlafen hoffte. Der Morgen wies dieſe
Prophezeyung aus. Jch warf kaum die
Augen auf ihr Bette, ſo ſah ich ganze
Ströme Blut davon herunter laufen.
Was konnte ich anders vermuthen, als
daß ihr die Adern im Schlafe aufgegan-
gen ſeyn würden? Mariane lag in einem
fühlloſen Schlummer, oder vielmehr in
einer Ohnmacht. Jch ſchrie nach Hülfe,
und wir banden ihr die Adern zu. Das
entſetzlichſte war, daß die Binden nicht
abgefallen, ſondern mit Fleiß aufgemacht
zu ſeyn ſchienen. Mariane kam gegen
Abend etwas wieder zu ſich. Sie geſtund,
daß ſie die Binden aus Luſt zum Tode
ſelbſt aufgemacht hätte, und wünſchte
nichts mehr, als daß ihr Ende bald da
ſeyn möchte. Sie küßte mich und ſank,
ohne ein Wort weiter zu reden, in einen
Schlum-
[125]Gräfinn von G **
Schlummer, und in etlichen Stunden
darauf war ſie todt.
Mir gieng es, wie denen Leuten, die in
einer Gefahr heftig verwundet werden,
und es doch nicht eher fühlen, bis ſie aus der
Gefahr ſind. So bald Mariane todt war,
ſo gieng erſt meine Marter an. Jch hät-
te mir lieber die Schuld von ihrem Tode
beygemeſſen, weil ich dieſelbe Nacht nicht
genauer auf ſie Achtung gegeben hatte.
Allein welche menſchliche Klugheit kann
alles voraus ſehen! Jch hatte Marianen
in der That zur Heyrath mit Dormunden
gerathen. Jch ſah, daß dieſer Mann
Schuld an ihrem Selbſtmorde war. Jch
dachte an Marianens Schickſal in der an-
dern Welt. Und ich würde noch tauſend-
mal mehr ausgeſtanden haben, wenn mir
die Liebe zu Marianen verſtattet hätte, ſie
für unglücklich zu halten. Jhre Mutter
war noch weit gelaſſener, als ich. Jch
weis nicht, wem ſie ihren Beyſtand zu
danken
[126]Leben der Schwediſchen
danken hatte; vermuthlich der Religion.
Sie ſah alles für ein Verhängniß an, deſ-
ſen Urſachen ſie nicht ergründen könnte.
Sie tröſtete ſich mit der Weisheit und Gü-
te des Schöpfers, und verherrlichte ihr
Unglück durch Standhaftigkeit. Es iſt
gewiß, daß der Beyſtand der Religion
in Unglücksfällen eine unglaubliche Kraft
hat. Man nehme nur den Unglücklichen
die Hoffnung einer beſſern Welt: ſo ſehe
ich nicht, womit ſie ſich aufrichten ſollen.
Unſer Unglück ſchien nunmehr beſänf-
tiget zu ſeyn. Wir ſchmeckten die Ruhe
eines ſtillen Lebens von neuem wieder.
Wir kehrten zu unſern Büchern zurück, und
die Liebe verſüßte uns das Leben, und be-
nahm den traurigen Erinnerungen des
Vergangenen ihre Stärke. Mein Mann
ſchrieb um dieſe Zeit ein Buch: Der ſtand-
hafte Weiſe im Unglück. Etwan ein
Vierteljahr nach Marianens Tode ſtarb
unſer Wirth, und ſeine Frau hatte auch
bereits
[127]Gräfinn von G **
bereits die Welt verlaſſen. Dieſer Todes-
fall machte eine groſſe Veränderung in un-
ſern Umſtänden. Wir mußten unſere
Capitale übernehmen, die durch Dor-
munds Verlaſſenſchaft ſehr hoch angewach-
ſen waren. Jn der That war dieſes eine
groſſe Laſt für uns. Weder ich, noch
mein Mann, noch Caroline wußten recht
mit dem Gelde umzugehen. Und ich
glaube, wir hätten ehe die Hälfte wegge-
ſchenkt, als daß wir es in unſerer Ver-
wahrung hätten behalten ſollen. An-
dreas, Carolinens Bruder, hatte wieder
eine Handlung in dem Haag angefangen.
Wir ſchenkten ihm einige tauſend Thaler,
und von dem übrigen Gelde bothen wir
ihm die Hälfte in ſeine Handlung an; mit
der andern Hälfte dienten wir guten Freun-
den. Wenn die Vorſichtigkeit bey dem
Gelde eine Tugend ohne Ausnahme iſt:
ſo muß ich ſagen, daß wir oft nachläßig
damit umgiengen. Es war uns oft ge-
nug, es hinzugeben, wenn wir wußten,
daß
[128]Leben der Schwediſchen
daß derjenige, der uns darum bat, ein
rechtſchaffener Mann war, der das Geld
nöthiger brauchte, als wir. Ein Wort
galt bey meinem Manne ſo viel, als ein
Wechſel. Wir haben in der That auf
dieſe Art viel Geld eingebüßt; aber wir
ſind niemals darum betrogen worden. Un-
ſere Schuldner hatten ein gutes Herz; aber
wenig Glück. Sie wollten gern wieder
bezahlen, je mehr ſie unſere Dienſtfertig-
keit ſahen. Und ſie machten uns durch
ihre Aufrichtigkeit freygebig, wenn wir es
auch von Natur nicht geweſen wären.
Man glaubt es kaum, was es für ein
Vergnügen iſt, wenn man wackern Leuten
dienen kann. Es gehört, wie mich deucht,
weit mehr Ueberwindung dazu, das Ver-
mögen, zu dienen, zurück zu halten, als es
zu erfüllen.
Endlich verlieſſen wir aus verſchiedenen
Urſachen Amſterdam, und wandten uns
mit unſerer Tochter, nebſt Carolinen und
Carl-
[129]Gräfinn von G **
Carlſons Tochter nach dem Haag zu dem
Herrn Andreas. Unſer verſtorbener Wirth
hatte uns bey ſeinem Tode ſeine Tochter,
als die unſrige, anbefohlen. Dieſe nah-
men wir alſo mit uns. Jhr Vermögen
blieb in Amſterdam in guten Händen.
Dieſes Frauenzimmer, welches nunmehr
etwan funfzehn Jahr alt war, ſah eben
nicht ſchön aus; ſie hatte aber ſehr gute
natürliche Gaben. Sie gefiel, ohne daß
ſie ſich einbildete, gefallen zu haben. Die
Artigkeit vertrat bey ihr die Stelle der
Schönheit. Und wenn man die Wahl
hat, ob man ein ſchönes Frauenzimmer, das
nicht artig iſt, oder ein artiges, das nicht
ſchön iſt, lieben ſoll: ſo wird man ſich
leicht für das letzte entſchlieſſen. Jch kann
ohne Prahlerey ſagen, daß ich dieſes Kind,
welches Florentine hieß, meiſtens erzogen
hatte. Und wenn ich geſtehe, daß ſie
außerordentlich viel Geſchicklichkeit beſaß,
ſo will ich nicht ſagen, daß ich ſie ihr bey-
gebracht, ſondern ihr nur zur Gelegen-
Erſter Theil. Jheit
[130]Leben der Schwediſchen
heit gedienet habe, ſich ſolche zu erwerben.
Sie hatte Carolinen und dem Umgange
mit meinem Manne ſehr vieles zu danken.
Sie war mehr unter Mannsperſonen, als
unter ihrem Geſchlechte aufgewachſen.
Dieſes halte ich allemal für ein Glück bey
einem Frauenzimmer. Denn wenn es
wahr iſt, daß die Mannsperſonen in dem
Umgange mit uns artig und manierlich
werden: ſo iſt es ebenfalls wahr, daß wir
in ihrer Geſellſchaft klug und geſetzt wer-
den. Jch meyne aber gar nicht ſol-
che Mannsperſonen, die insgemein für
galant ausgeſchryen werden, und die ſich
bemühen, ein junges Mädchen durch nie-
derträchtige Schmeicheleyen zu vergöttern;
die ihr durch ieden Blick, durch iede Be-
wegung des Mundes und der Hand von
nichts als einer abgeſchmackten Liebe ſa-
gen. Solche Leute müſſen freylich nicht
die Sittenlehrer der Frauenzimmer wer-
den, wenn man haben will, daß eine jun-
ge Schöne keine Närrinn werden ſoll.
Mir
[131]Gräfinn von G **
Mir wäre es am wenigſten zu vergeben
geweſen, wenn ich Florentinen nicht ſo
wohl erzogen hätte, als es ſeyn kann, da
ich Zeit, Gelegenheit, und ihre gute Fä-
higkeit vor mir hatte, und ſeit ihrem ſie-
benten Jahre faſt beſtändig um ſie gewe-
ſen war. Jhre guten Eigenſchaften mach-
ten ſie nachgehends zur Frau eines Man-
nes, der in Holland eine der höchſten
Ehrenſtellen bekleidete, und an dem ſein
Stand noch das wenigſte war, was ihn
groß und hochachtungswerth machte.
Doch ich will von unſerer Florentine ein
andermal reden.
Wir waren kaum einige Monate in
dem Haag, ſo lief ein Schiff aus Rußland
mit Waaren für unſern Andreas ein. Er
bat uns, daß wir mit an Bord gehen,
und die Ladung anſehen möchten. Wir
ließen uns dieſen Vorſchlag gefallen, und
fuhren dem ankommenden Schiffe etwan
eine halbe Stunde auf der See entgegen.
J 2Nun-
[132]Leben der Schwediſchen
Nunmehr komme ich auf einen Period
aus meinem Leben, der alles übertrifft,
was ich bisher geſagt habe. Jch muß mir
Gewalt anthun, indem ich ihn beſchreibe;
ſo ſehr weigert ſich mein Herz, die Vor-
ſtellung einer Begebenheit in ſich zu er-
neuern, die ihm ſo viel gekoſtet hat. Jch
weis, daß es eine von den Haupttugen-
den einer guten Art zu erzählen iſt, wenn
man ſo erzählt, daß die Leſer nicht die
Sache zu leſen, ſondern ſelbſt zu ſehen glau-
ben, und durch eine abgenöthigte Empfin-
dung ſich unvermerkt an die Stelle der Per-
ſon ſetzen, welcher die Sache begegnet iſt.
Allein ich zweifle, daß ich dieſe Abſicht er-
halten werde. Wir fuhren, wie ich ge-
fagt habe, dem ankommenden Schiffe
eine halbe Stunde entgegen. Es waren
zehn bis zwölf Deutſche Reiſende auf dem-
ſelben, und auch etliche Ruſſen. Dieſe
ſtiegen in unſerm Angeſichte ans Land, und
gratulirten den Herrn Andreas zur glückli-
chen Ankunft ſeines Schiffes, weil ſie hörten,
daß
[133]Gräfinn von G **
daß er der Herr davon war. Andreas,
der die See ſtets in Gedanken hatte, hörte
ihnen begierig zu. Nur mir ward die
Zeit zu lang. Jch trat daher mit meinem
Manne auf die Seite, und bat ihn, daß
er wieder zurück fahren möchte. Da ich
noch mit ihm rede, ſo kömmt einer von den
Paſſagiern auf mich zugeſprungen, um-
armet mich, und ruft: Ja, ja, ſie ſind es,
ich habe meinen Augen nicht trauen wol-
len; aber ſie ſind meine liebe Gemahlinn.
Er drückte mich einige Minuten ſo feſt
an ſich, daß ich nicht ſehen konnte, wer mir
dieſe Zärtlichkeit erwies. Das Schrecken
kam darzu, und ich glaubte nicht anders,
als daß ein unſinnig Verliebter mich ange-
fallen hätte. Aber ach Himmel, wen
ſah ich endlich in meinen Armen! Mei-
nen Grafen in Ruſſiſcher Kleidung, mei-
nen erſten Mann, den ich zehn Jahr für
todt gehalten hatte. Jch kann nicht ſagen,
wie mir ward. So viel weis ich, daß ich
kein Wort aufbringen konnte. Mein
J 3Graf
[134]Leben der Schwediſchen
Graf ſtund und weinte. Er erblickte end-
lich ſeinen ehemaligen Freund, als meinen
itzigen Mann. Er umarmte ihn; doch von
beyden habe ich kein Wort gehört, oder vor
Beſtürzung nichts verſtehen können. Un-
ſer Wagen hielt gleich neben uns. Nach
dieſem lief ich zu, ohne meine beyden Män-
ner mit zu nehmen, aber beyde folgten mir
nach. Jch umarmte den Grafen unzäh-
ligemal in dem Wagen; was ich ihm aber
geſagt habe, das iſt mir unbekannt. Wir
waren nunmehr in unſerer Behauſung,
und ich fieng an mich wieder ſelber zu ver-
ſtehen. Mein Graf bezeigte eine unendli-
che Zufriedenheit, daß er mich wieder ge-
funden hatte, und zwar an einem Orte,
wo er mich am wenigſten vermuthet. Er
ſagte mir wohl tauſendmal, daß ich noch
eben ſo liebenswürdig wäre, als da er mich
verlaſſen hätte. Sein Vergnügen war
um deſto ſtärker, weil er mich für todt ge-
halten hatte, da ich ihm auf etliche Briefe
nicht geantwortet. Er glaubte, ich hätte
es
[135]Gräfinn von G **
es erfahren, daß er noch am Leben wäre.
Kurz, er hatte von mir eben ſo wenig ge-
wußt, als ich von ſeinem Leben. Herr R--
hatte uns verlaſſen, ohne daß wir es ge-
merkt. Wir waren alſo ganz allein. Mein
Graf erzählte mir ſein gehabtes Schickſal,
davon ich bald reden will, und verlangte
nunmehr zu wiſſen, wie es mir gegangen
wäre. Er fragte mich hundertmal, und ich
konnte ihm mit nichts, als Thränen und
Umarmungen antworten. Liebe und
Schaam machten mich ſprachlos. Einen
Mann hatte ich wieder gefunden, den ich
ausnehmend liebte, und einen ſollte ich ver-
laſſen, den ich nicht weniger liebte. Man
muß es fühlen, wenn man wiſſen will,
was es heißt, von zween Affecten zugleich
beſtürmt zu werden, von denen einer ſo
groß, als der andere iſt. Mein Gemahl
muthmaßete aus meiner Wehmuth etwas
widriges für ſich. Er hielt noch inſtändi-
ger an, daß ich ihm mein Herz entdecken,
und ihm ſein Glück oder Unglück wiſ-
J 4ſen
[136]Leben der Schwediſchen
ſen laſſen ſollte. Aber umſonſt. Was
konnte ich ihm ſagen, wenn ich nicht
ſagen wollte, daß ich verheyrathet wäre?
Jch ſchwleg, ich ſeufzete; doch dieſes war
genug geſagt. Sind ſie nicht mehr meine
Gemahlinn? fieng er an. Das wolle
Gott nicht! Lieber meinen Tod, als dieſe
Nachricht. Jn eben dem Augenblicke trat
meine kleine Tochter, ein Kind von fünf
Jahren, in das Zimmer, und vermehrte
meine Beſtürzung, und entdeckte zu gleicher
Zeit das Geheimniß, vor welchem ich zit-
terte. Sie ſah mich weinen; ſie trat zu
mir. Was fehlt ihnen denn liebe Mama,
fieng ſie an, daß ſie weinen? Jch komme
von dem Papa, der weint auch, und will
gar nicht mit mir reden. Jch habe ihnen
doch nichts gethan. Mein Gott, ſprach
der Graf zu mir, ſie ſind verheyrathet! Jch
unglückſeliger Mann! Habe ich ſie darum
wieder finden müſſen, damit meinem Her-
zen keine Art von Marter unbekannt blie-
be? Wer iſt denn ihr Gemahl? Sagen
ſie
[137]Gräfinn von G **
ſie mirs nur. Jch will ſie durch meine
Gegenwart nicht länger quälen. Jch will
ſie gleich verlaſſen. Sie ſind mir nicht
untreu geworden. Sie haben mich für todt
gehalten. Jch mache ihnen keine Vorwürfe.
Niemand iſt an meinem Unglücke Schuld,
als das Verhängniß. Vielleicht iſt dieſes
die Strafe für die Liebe mit Carolinen.
Ueberwinden ſie ſich und reden ſie mit
mir, fuhr er fort. Jch kann es von
niemanden, als von ihnen anhören, wer
ihr Mann iſt. Jch ſprang von dem
Stuhle auf, und fiel ihm in die Arme, aber
ich ſagte noch kein Wort. Nein, fieng er
an, erweiſen ſie mir keine Zärtlichkeiten.
Jch verdiene ſie, das weis mein Herz; aber
ihr itziger Ehegemahl kann ihre Liebe allein
fordern, und ich muß dem Schickſale und
der Tugend mit meiner Liebe weichen.
Durch dieſes Geſtändniß brachte er mich
nur mehr in Bewegung. Er fragte end-
lich das kleine Kind, wo der Papa wäre,
und warum er nicht herein käme? Er iſt
J 5ja
[138]Leben der Schwediſchen
ja mit ihnen in dem Wagen gekommen,
hub ſie an. Er iſt in ſeiner Stube und
weint. Alſo, fieng der Graf zu mir an,
iſt mein liebſter Freund ihr Gemahl? Die-
ſes macht mein Glück noch erträglich. Dar-
auf bat er meine kleine Tochter, daß ſie ih-
rem Papa rufen ſollte. Allein er kam nicht,
ſondern ſchickte durch eben dieſes Kind
dem Grafen ein franzöſiſch Billet von die-
ſem Jnnhalte:
Sie dauern mich unendlich. Jch habe
ſie durch die unſchuldigſte Liebe ſo ſehr be-
leidigt, als ob ich Jhr Feind geweſen wäre.
Jch habe Jhnen Jhre Gemahlinn entzo-
gen. Können Sie dieſes wohl von mir
glauben? Der Jrrthum, oder vielmehr
die Gewißheit, daß Sie nicht mehr am Le-
ben wären, hat mir den erlaubten Beſitz
ihrer Gemahlinn gegönnt; ihre Gegen-
wart aber verdammt nunmehr das ſonſt ſo
tugendhafte Band. Sie ſind zu großmü-
thig, und wir zu unſchuldig, als daß Sie
uns
[139]Gräfinn von G **
uns mit Jhrem Haſſe beſtrafen ſollten.
Unſere Unſchuld verringert Jhr Unglück;
allein ſie hebt es nicht auf. Das einzige
Mittel mich zu beſtrafen iſt, daß ich fliehe.
Jch verlaſſe Sie, liebſter Graf, und werde
mich zeitlebens vor mir ſelber ſchämen.
Wollte Gott, daß ich durch meine Abwe-
ſenheit und durch die Marter, die ich
ausſtehe, Jhren Verluſt erſetzen könnte!
Entfernen Sie das Kind, das Jhnen die-
ſen Brief bringt, damit Sie das traurige
Merkmaal Jhres Unglücks nicht vor den Au-
gen haben dürfen. Jſt es möglich, ſo den-
ken Sie bey dieſem Briefe zum letztenmale
an mich. Sie ſollen mich nicht wieder
ſehen.
Der Graf verließ mich, ſo bald er die-
ſen Brief geleſen hatte, und ſuchte meinen
Mann. Doch er war fort, und niemand
wußte, wohin. Dieſe Nachricht ſetzte mich
in eine neue Beſtürzung. Mein ganzes
Herz empörte ſich. Jch hatte meinen er-
ſten Mann wieder gefunden. Jch wußte,
daß
[140]Leben der Schwediſchen
daß ich ſie beyde nicht beſitzen konnte; al-
lein welcher Trieb hört die Vernunft we-
niger, als die Liebe. Es war in meinen
Augen die grauſamſte Wahl, wenn ich da-
ran dachte, welchen ich wählen ſollte. Jch
gehörte dem letzten ſo wohl, als dem erſten
zu. Und nichts war mir entſetzlicher, als
einen von beyden zu verlaſſen, ſo gewiß ich
auch von dieſer Nothwendigkeit überzeugt
war. Der Herr R-- war indeſſen fort, und
der Graf wollte nicht ruhen, bis er ſeinen
Freund wieder ſähe. Er ſchickte ſo gleich
nach dem Hafen, damit er nicht etwan mit
einem Schiffe abgehen ſollte. Jch hatte
ihm indeſſen erzählt, daß ich den Herrn R--
freywillig zu meinem Manne erwählt, und
daß ich ſeine großmüthige Freundſchaft nicht
beſſer zu belohnen gewußt hätte, als durch
die Liebe. Jch weis genug, fieng der Graf
an, weder ſie, noch mein Freund haben
mich beleidiget. Es iſt ein Schickſal, das
wir nicht erforſchen können. Jn wenig
Stunden kam Herr R-- zurück. Er war
ſchon
[141]Gräfinn von G **
ſchon im Begriffe geweſen, mit einem Schif-
fe fortzugehen. Er dankte dem Grafen
auf das zärtlichſte, daß er ihn wieder hätte
zurück rufen laſſen. Jch will nichts, als
Abſchied von ihnen nehmen, fieng er an,
von ihnen und ihrer Gemahlinn. Gönnen
ſie mir dieſe Zufriedenheit noch, es wird ge-
wiß die letzte in meinem Leben ſeyn. So
gleich nahm er mich bey der Hand, und
führte mich zu dem Grafen. Hier, ſprach
er, übergebe ich ihnen meine Gemahlinn,
und verwandele meine Liebe von dieſem Au-
genblicke an in Ehrerbietung. Hierauf
wollte er Abſchied nehmen; doch der Graf
ließ ihn nicht von ſich. Nein, ſagte er,
bleiben ſie bey mir. Jch fange auf ihr
Verlangen mit meiner Gemahlinn die zärt-
lichſte Ehe wieder an. Sie iſt mir noch ſo
koſtbar, als ehedem. Jhr Herz iſt edel und
beſtändig geblieben. Sie hat nicht gewußt,
daß ich noch lebe. Nein, mein lieber
Freund, bleiben ſie bey uns. Wollen ſie
mich etwan darum verlaſſen, daß ich nicht
eifer-
[142]Leben der Schwediſchen
eiferſüchtig werden ſoll, ſo beleidigen ſie die
Treue meiner Gemahlinn und mein Ver-
trauen. Bitten ſie ihn doch, Madam,
fieng er zu mir an, daß er bleibt. Jch hatte
kaum ſo viel Gewalt über mich, daß ich zu
ihm ſagte: Warum wollen ſie uns verlaſ-
ſen? Mein lieber Gemahl bittet ſie ja, daß
ſie hier bleiben ſollen. Und ich müßte ſie
niemals geliebt haben, wenn mir ihre Ent-
fernung gleichgültig ſeyn ſollte. Bleiben
ſie wenigſtens in Amſterdam, wenn ſie nicht
in unſerm Hauſe bleiben wollen. Jch
werde ſie lieben, ohne es ihnen weiter zu
ſagen, und ob ich gleich aufhören werde,
die ihrige zu ſeyn, ſo unterſagt mir doch die
Liebe zu meinem Gemahle nicht, ihnen be-
ſtändig Zeichen der Hochachtung und
Freundſchaft zu erkennen zu geben. Er
blieb auf unſer Bitten auch wirklich in
Amſterdam. Er ſpeiſete oft mit uns, und
ſeine Aufführung war ſo edel, als man nur
denken kann. Wenn auch ich weniger
tugendhaft geweſen wäre, ſo hätte mich
doch ſein großmüthiges Bezeigen tugend-
haft erhalten müſſen. Er that gar nicht,
als ob er jemals mein Mann geweſen wäre.
Kein vertrauliches Wort, keine vertrauli-
liche
[143]Gräfinn von G **
che Mine durfte ihm entfahren. Wie er
vor meiner Ehe mit mir umgegangen war,
ſo gien er itzt mit mir um. Er unterhielt
mich mit Freundſchaft und Hochachtung,
und beförderte mein und meines Grafen
Vergnügen mit Aufopferung des ſeinigen.
Er war oft ganze Tage bey mir allein. Jch
glaube, daß ich ſo viel Schwachheit gehabt
hätte, ihn anzuhören, wenn er an die vori-
gen Zeiten gedacht hätte. Und wer weis,
ob ich ihm nicht wider meinen Willen durch
manchen Blick ein ſtummes Bekenntniß
von meiner Liebe gethan habe, ſo gewiſſen-
haft ich auch mit ihm umgieng, und ſo ſehr
ich meinen Grafen liebte. Ueber die Ge-
genwart der Caroline erſtaunte der Graf
ſehr. Er hätte es lieber geſehen, wenn ſie
unſere Wohnung verlaſſen hätte. Allein
ich bat ihn, daß er mir ihre Geſellſchaft
nicht entziehen ſollte. Können ſie meiner
Tugend trauen, ſagte ich zu ihm, ſo müſſen
ſie wiſſen, daß ich der ihrigen gewiß bin.
Das Schickſal der beyden Kinder, die er mit
Carolinen erzeugt, war eine Sache, die ihn
oft ganze Stunden niedergeſchlagen machte.
Er führte ſich indeſſen gegen Carolinen ſehr
liebreich auf. Er ſcherzte oft mit uns bey-
den
[144]Leben der Schwed. Gräf. v. G **
den; allein ſein Scherz war ſo behutſam,
daß er weder ſie kränken, noch mich belei-
digen konnte. Wie es uns ferner gegan-
gen, will ich künftig erzählen. Jtzt muß
ich nur von meines Gemahls, des Grafen
Abweſenheit noch kürzlich ſo viel erwähnen.
Die Ruſſen hatten von dem Dorfe Beſitz
genommen, darinn mein Gemahl auf den
Tod gelegen, und von den Schweden als
todt war zurück gelaſſen worden. Da er
nach und nach wieder geſund worden, hatte
man ihn als einen gefangenen Officier mit
nach Rußland geſchickt. Er hatte ſeinen
Namen aus Furcht, daß man ihn deſto eher
an die Schweden ausliefern möchte, ver-
ſchwiegen, und ſich für einen Capitain aus-
gegeben. Seine erlittenen Unglücksfälle,
und wie er fünf Jahre in Siberien hat zu-
bringen müſſen, damit will ich die Fortſet-
zung von meiner Geſchichte anfangen.
Der arme Graf hat viel ausſtehen müſſen.
Er ſtarb. --- Doch ich will itzt
nichts mehr ſagen.
Ende des erſten Theils.
Appendix A
Leipzig, druckts Ulrich Chriſtian Saalbach.
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- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bk2x.0