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Johann Reinhold Forſter’s
Doctor der Rechte; Mitgl. der Geſellſch. der Wiſſenſch. und der Antiq. zu London; der Wiſſenſch.
zu Madrid, zu Goͤttingen, Upſal, der Naturf. Geſellſch. zu Danzig und zu Berlin; correſpond. Mitgl.
der Academie der Wiſſ. und auch der Inſcript. und ſchoͤnen Wiſſenſch. zu Paris
Reiſe um die Welt
waͤhrend den Jahren 1772 bis 1775
in dem
von Seiner itztregierenden
Großbrittanniſchen Majeſtaͤt

auf Entdeckungen ausgeſchickten
und
durch den Capitain Cook gefuͤhrten Schiffe the Reſolution
unternommen.


Vom Verfaſſer ſelbſt aus dem Engliſchen uͤberſetzt, mit dem Weſentlichſten aus des Capitain Cooks
Tagebuͤchern und andern Zuſaͤtzen fuͤr den deutſchen Leſer vermehrt und durch Kupfer erlaͤutert.

Erſter Band.

Mit allergnaͤdigſten Freyheiten.

Berlin:
bey Haude und Spener.1778.

[][]

An
Se. Majeſtaͤt
den
Koͤnig von Preuſſen
.


[][]
Allergnaͤdigſter,
Großmaͤchtigſter Koͤnig und Herr!

Ich wagte mich nicht an den Thron des ſiegreichen Helden, und tief-
ſchauenden Regenten, wenn ich nicht zugleich in Ihm den Menſchen-
freund und Weiſen verehrte. Von dieſem großen Character Eurer Ma-
jeſtaͤt
hoffe ich, daß auch jene entfernten Voͤlker, die noch in der Kindheit
der Cultur ſind, nicht ganz unwuͤrdige Gegenſtaͤnde fuͤr Hoͤchſt-Dero Be-
trachtung ſeyn werden.


Mit tiefſter Ehrfurcht lege ich alſo Eurer Majeſtaͤt dieſe Reiſe-
beſchreibung zu Fuͤßen. Sie iſt Geſchichte und Arbeit eines Deutſchen, der
ſtolz auf ſein Vaterland iſt, und den Augenblick ſegnet, welcher ihm geſtattet,
den Monarchen vor aller Welt zu bewundern, dem dies Vaterland ſeinen je-
tzigen Geiſt zu danken hat. Wie viele Vorurtheile druͤckten nicht Deutſchland
noch vor Funfzig Jahren nieder? Pedantiſche, froſtige Gelehrſamkeit, Go-
thiſcher Geſchmack, zum Spruͤchwort gewordene rohe Lebensart, unvertraͤg-
liche Religions-Secten, unweiſe Geſetze! Hingegen darf man jetzo fragen,
wo liebt man die Wiſſenſchaft ohne Eigennutz? Wo iſt Gelehrſamkeit und gu-
ter Geſchmack verbunden? Wo denkt man gruͤndlich und frey? Wo ſind er-
finderiſchere, wo geſchicktere, wo einſichtsvollere Kuͤnſtler und Gelehrten?
Wo iſt ungezwungener Umgang und Toleranz? Wo wahre Hoͤflichkeit, Men-
ſchenliebe, Freundſchaft? Endlich, wo ſind gluͤckliche Unterthanen und
wohlthaͤtige Geſetze? Wo liebt man den Fuͤrſten als Vater? Wo ſtirbt man
gern fuͤrs Vaterland? — Millionen, unter Eurer Majeſtaͤt Scepter
beantworten dieſe Fragen dem lehrbegierigen Norden, und den faſt neidiſchen
Voͤlkern jenſeits der Alpen und des Rheins. Das Beyſpiel des groͤßeſten
[] Koͤnigs, Seine Geſetze tiefer Weisheit voll, Seine Großmuth, Seine unermuͤ-
dete Sorge fuͤrs Volk; was haben ſie nicht vermogt, in Deutſchland das
Gluͤck der Menſchheit zu befoͤrdern, die verſchiednen Staͤnde in naͤhere Ver-
bindung zu bringen, freyere Denkungs-Art und wohlthaͤtige Philoſophie zu
erwecken, die Wiſſenſchaft in bluͤhenden Stand zu ſetzen, aͤchtes Genie zu
naͤhren, die Sitten zu veredeln, und den reinſten Geſchmack zu bilden?
Deutſchland erkennt in Eurer Majeſtaͤt den Schutzgeiſt, der es belebt,
wie das Herz den ganzen Koͤrper. Es dankt Eurer Majeſtaͤt auch ſeine
Freyheit: und wenn die Nachwelt dereinſt die Greuel der Polycratie wird
uͤberlebt haben, denn wird jeder Deutſcher Mann mit Bewundrung und Ehr-
furcht, den Landes-Vater und Koͤnig der Deutſchen nennen, deſſen
großes Beyſpiel, gehoͤrig befolgt, ſelbſt kleinern Fuͤrſten gelehrt haben wuͤrde,
groß, geliebt und bewundert zu ſeyn!


Ich opfere die feurigſten Wuͤnſche fuͤr Eurer Majeſtaͤt fortdauern-
des hohes Wohlſeyn, und gluͤckliche Regierung, zum Beſten des Vaterlan-
des, zum Gluͤck Hoch-Dero Unterthanen, und zur Ehre der Menſchheit,
und bin,

Allergnaͤdigſter Koͤnig und Herr!
Eurer Majeſtaͤt

London,
den 1ſten Sept. 1777.
allerunterthaͤnigſter, getreueſter und gehorſamſter
Georg Forſter.


[]

Vorrede.


Die Geſchichte der Vorwelt zeigt uns kein Beyſpiel ſolcher gemein-
nuͤtzigen Bemuͤhungen zur Erweiterung menſchlicher Kenntniſſe,
als die Britten waͤhrend der Regierung ihres jetzigen Koͤnigs unternom-
men haben. Lange waͤre Amerika mit allen ſeinen Schaͤtzen unentdeckt
geblieben, wenn ſich nicht ein Columbus durch ſeine Standhaftigkeit
und edle Schwaͤrmerey, trotz aller Hinderniſſe, die ihm Neid und Un-
wiſſenheit in den Weg legten, zu Ferdinand und Iſabellen,
gleichſam hingedraͤngt haͤtte. Doch dieſer unſterbliche Seemann, ward
endlich nur darum in Schutz genommen, weil er eine neue, ohnfehlbare
Quelle von Reichthuͤmern entdeckte. Umſonſt hoft man, daß Plutus und
die Muſen ein dauerhaftes Buͤndniß ſchließen koͤnnen; nur ſo lange waͤhrt
die Freundſchaft, als die holden Goͤttinnen, wie Danaïden, die Schatz-
kammer des Unerſaͤttlichen mit Golde fuͤllen.


Es war ſpaͤtern Zeiten vorbehalten, die Wiſſenſchaft als Siegerinn
zu ſehn! Drey verſchiedne Seereiſen hatte man ſchon gethan, aus der
edlen Abſicht Entdeckungen zu machen, als die vierte, auf Befehl eines
erleuchteten Monarchen, nach einem vollkommnern Plan unternommen
ward. Der erfahrenſte Seemann dieſer Zeiten, zween geſchickte Stern-
kundige, ein Gelehrter, der die Natur in ihrem Heiligthum ſtudieren, und
ein Maler der die ſchoͤnſten Formen derſelben nachahmen ſollte, wurden auf
Koſten der Nation auserleſen. Sie vollbrachten ihre Reiſe und ſind
jetzt im Begrif Rechenſchaft von ihren verſchiednen Entdeckungen zu ge-
ben, die wenigſtens fuͤr ihre Beſchuͤtzer ruͤhmlich ſeyn muß.


Die Brittiſche Regierung ſchickte und unterhielt meinen Vater auf
dieſer Reiſe als einen Naturkundiger, aber nicht etwa blos dazu, daß er Un-
kraut trocknen und Schmetterlinge fangen: Sondern, daß er alle ſeine
Talente in dieſem Fache anwenden und keinen erheblichen Gegenſtand
unbemerkt laſſen ſollte. Mit einem Wort, man erwartete von ihm
eine philoſophiſche Geſchichte der Reiſe von Vorurtheil und gemeinen

[]Vorrede.
Trugſchluͤſſen frey, worinnen er ſeine Entdeckungen in der Geſchichte
des Menſchen und in der Naturkunde uͤberhaupt, ohne Ruͤckſicht auf
willkuͤhrliche Syſteme blos nach allgemeinen menſchenfreundlichen
Grundſaͤtzen darſtellen ſollte, das heißt, eine Reiſebeſchreibung, der-
gleichen der gelehrten Welt bisher noch keine war vorgelegt worden.
Ein ſolcher viel umfaſſender Auftrag entſprach der Geiſtes-Groͤße voll-
kommen, durch welche ſich alle Rathſchlaͤge der brittiſchen Nation aus-
zuzeichnen pflegen, und in der feſten Ueberzeugung, daß mein Vater, ver-
moͤge ſeiner eignen Liebe zur Wiſſenſchaft, von ſelbſt darauf bedacht ſeyn
wuͤrde, der Gelehrſamkeit alle moͤgliche Vortheile durch dieſe Reiſe zu
verſchaffen, enthielt man ſich auf die edelmuͤthigſte Weiſe ihm deshalb
beſondere Maasregeln vorzuſchreiben.


Er unternahm alſo die Reiſe, und ſammelte ſeine Bemerkun-
gen, zufolge der Meynung, die man ſich von ihm gemacht hatte. Feſt
entſchloßen den Endzweck ſeiner Sendung auszufuͤhren und ſeine Entdeckun-
gen dem Publiko mitzutheilen, nahm er ſich nicht Zeit von den Muͤhſelig-
keiten der Reiſe zu ruhen; es waren nach ſeiner Ruͤckkunft kaum vier Mo-
nath verſtrichen als er dem Koͤnige ſchon die Erſtlinge ſeiner Arbeit wid-
mete und uͤberreichte *). Die Reiſegeſchichte, das Hauptwerk, welches man
von ihm verlangte, lies er darauf ſein angelegentlichſtes Geſchaͤft ſeyn. An-
faͤnglich wollte man, daß er aus ſeiner eignen und des Capitain Cooks
Tagebuͤchern, nur Eine Erzaͤhlung machen ſollte, worinn die wichtigen
Bemerkungen eines jeden an ihrer Stelle, und zum Unterſchied verſchiedent-
lich bezeichnet, erſcheinen ſollten. Mein Vater empfieng einen Theil des Cook-
ſchen Tagebuchs, und ſetzte einige Bogen zur Probe auf; allein, da man bald
darauf wieder andres Sinnes ward und jedes Tagebuch fuͤr ſich wollte
abdrucken laſſen, ſo ward dieſer Plan nicht weiter ausgefuͤhrt. Die Lords des
Admiralitaͤts-Collegii beſchloſſen, die neue Reiſegeſchichte mit einer Menge
Kupfer zu zieren, welche nach den Zeichnungen des Mahlers der mit am
Bord geweſen, geſtochen werden ſollten; und ſchenkten die ganzen Unkoſten
[]Vorrede.
des Stichs zu gleichen Theilen dem Capitain Cook und meinem Vater. *)
Am 13ten April 1776. ward ein Vergleich zwiſchen beyden getroffen,
und von dem Grafen Sandwich (Praͤſes des Collegii) unterzeichnet,
darinn einem jeden ſein Theil der Beſchreibung angewieſen, und beyden
das Geſchenk der Platten, von Seiten des Admiralitaͤts-Collegii, ver-
ſichert ward. Dem zufolge uͤberreichte mein Vater dem großen Sand-
wich
eine zwote Probe ſeiner Reiſebeſchreibung, mußte aber auch dieſen
Verſuch zu ſeiner nicht geringen Verwunderung von ihm gemißbilligt ſe-
hen. Endlich ward er inne, daß, weil man in gedachtem Vergleich das
Wort “Erzaͤhlung” gefliſſentlich vermieden hatte, er nicht berechtigt ſeyn
ſollte, eine zuſammenhangende Geſchichte der Reiſe zu ſchreiben, und man
kuͤndigte ihm nun auch foͤrmlich an, daß er ſich bey Verluſt ſeines Antheils
an den Kupfern ſtrenge nach dem Buchſtaben des Vergleichs richten muͤſſe.
Zwar hatte er immer geglaubt, er ſey hauptſaͤchlich ausgeſchickt worden,
die Reiſe zu beſchreiben; indeſſen bequemte er ſich jetzt zu obiger Vorſchrift,
und ſchraͤnkte ſeine Arbeit blos auf einzelne philoſophiſche Bemerkungen
ein, um nur ſeine Familie nicht von jenem glaͤnzenden Vortheil auszuſchlieſ-
ſen: Allein, ſo viel Verlaͤugnung ihm dieſer Schritt auch gekoſtet hatte, ſo
fruchtlos blieb er doch. Man verwarf nemlich ſeine Arbeit von neuem und
entzog ihm endlich das verſprochne Anrecht auf die Kupferplatten, ganz
und gar. Vielleicht wollte man ihm durch dieſe Begegnung fuͤhlen laſ-
ſen, daß er ein Auslaͤnder ſey, vielleicht fand man, ſelbſt in den weni-
gen Reflexionen, die er vermoͤge des Vergleichs noch gewagt hatte, ſeine
Denkart zu philoſophiſch-frey, vielleicht iſt es auch das Intereſſe eines drit-
ten geweſen, ihm das Geſchenk des Admiralitaͤts-Collegii voͤllig zu entziehn.


Ich geſtehe, es gieng mir zu Herzen, den Hauptendzweck von
meines Vaters Reiſe vereitelt, und das Publikum in ſeinen Erwartun-
gen getaͤuſcht zu ſehen. Allein, da ich waͤhrend der Reiſe ſein Gehuͤlfe ge-
weſen, ſo hielt ich es fuͤr meine Schuldigkeit, wenigſtens einen Verſuch
zu wagen, an ſeiner Stelle eine philoſophiſche Reiſebeſchreibung zu ver-
† 2
[]Vorrede.
fertigen. Alles beſtaͤrkte mich in dieſem Unternehmen, welches nun nicht
mehr in Seiner Willkuͤhr ſtand; ja ich ſahe es als eine Pflicht an, die wir dem
Publiko ſchuldig waren. Ich hatte hinreichende Materialien waͤhrend der
Reiſe geſammelt, und fieng mit eben ſo gutem Muthe an, als je ein
Reiſender der ſelbſt geſchrieben, oder ein Stoppler der je beſtochen
worden, die Nachrichten andrer zu verſtuͤmmeln. Kein Vergleich band
mir die Haͤnde, und ſelbſt derjenige, den mein Vater eingegangen, er-
waͤhnte Meiner nicht mit einem Worte und entzog mir nicht im mindeſten
ſeinen Beyſtand. Bey jedem wichtigen Vorfall habe ich alſo ſeine Ta-
gebuͤcher zu Rathe gezogen, und ſolchergeſtalt eine Erzaͤhlung, der ge-
naueſten hiſtoriſchen Wahrheit gemaͤs, bewerkſtelligt.


Zween Ungenannte haben ſchon etwas von unſrer Reiſe geſchrie-
ben; allein in dieſem erleuchteten Jahrhundert glaubt man keine Maͤhr-
chen mehr, die nach der romantiſchen Einbildungskraft unſrer Vorfah-
ren ſchmecken. Die Begebenheiten unſrer Reiſe ſind ſo mannigfaltig
und wichtig, daß ſie keines erdichteten Zuſatzes beduͤrfen. Unſre See-
fahrt war wechſelsweiſe reich und arm an Vorfaͤllen; doch wie der fleiſ-
ſige Landmann ſelbſt das unfruchtbarſte Feld zu nutzen weis, ſo kann
auch die oͤdeſte Wildniß einem forſchenden Geiſte Veranlaſſung zum Un-
terricht geben.


Eine andre Beſchreibung eben dieſer Reiſe um die Welt, iſt aus den
Papieren des Capitain Jacob Cook zuſammengetragen, unter deſſen Fuͤh-
rung ſie vollbracht iſt. Die Admiralitaͤt hat dieſe Beſchreibung mit einer groſ-
ſen Anzahl Kupferſtiche verſehen laſſen, welche theils Ausſichten der Laͤnde-
reyen, theils Abbildungen der Eingebohrnen, ihrer Boͤte, Waffen und
Werkzeuge vorſtellen, theils auch aus Special-Charten der verſchiedenen
Laͤnder beſtehen; und eben dieſe Platten ſind es, welche gedachtes Collegi-
um meinem Vater und dem Capitain Cook ehemals gemeinſchaftlich
verſprochen hatte.


Beym erſten Anblick koͤnnen vielleicht zwo Nachrichten von einer und
derſelben Reiſe uͤberfluͤßig ſcheinen; allein man muß in Erwaͤgung ziehen,
daß ſie aus einer Reihe wichtiger Vorfaͤlle beſtehen, welche immer durch
[]Vorrede.
die verſchiedne Erzaͤhlung zwoer Perſonen in ſtaͤrkeres Licht geſetzt wer-
den. Auch waren unſre Beſchaͤftigungen im Haven ſehr verſchieden;
Capitain Cook hatte alle Haͤnde voll zu thun, um das Schiff mit Lebens-
mitteln zu verſehen und wieder in Stand zu ſetzen; dagegen ich den mannig-
faltigen Gegenſtaͤnden nach gieng, welche die Natur auf dem Lande aus-
geſtreuet hatte. Hieraus ergiebt ſich von ſelbſt, daß unſre Vorfaͤlle
und Gegenſtaͤnde ſehr oft verſchieden geweſen ſeyn muͤſſen, und daß
folglich auch unſre Beobachtungen oft nicht das mindeſte mit einander
gemein haben. Vor allen Dingen aber iſt zu bemerken, daß man einerley
Dinge oft aus verſchiedenen Geſichtspuncten anſiehet und daß die-
ſelben Vorfaͤlle oft ganz verſchiedne Ideen hervorbringen. Dem
Seefahrer, der von Kindesbeinen an mit dem rauhen Elemente be-
kannt geworden, muß manches alltaͤglich und unbemerkenswerth duͤn-
ken, was dem Landmann, der auf dem veſten Lande lebt, neu und un-
terhaltend ſcheinen wird. Jener ſieht am Lande manches mit beſtaͤndiger
Ruͤckſicht aufs Seeweſen; dieſer hingegen beobachtet es nur in ſo weit es ei-
nen oͤconomiſchen Nutzen haben kan. Mit einem Wort, die Verſchiedenheit
unſrer Wiſſenſchaften, unſrer Koͤpfe und unſrer Herzen haben nothwendiger
weiſe eine Verſchiedenheit in unſern Empfindungen, Betrachtungen und
Ausdruͤcken hervorbringen muͤſſen. Unſre Beſchreibungen ſind noch in ei-
nem andern Umſtande ſehr weſentlich von einander verſchieden; weil ich
uͤber alles, was die innere Haushaltung des Schifs und der Matroſen be-
trift, kurz weggegangen bin. Auch habe ich mich mit gutem Bedacht
aller Erzaͤhlung der Schif-Manoͤvres enthalten, und nicht zu beſtimmen
gewagt, wie oft wir bey ſtuͤrmiſchen Wetter die Seegel einreften oder gar
einbuͤßten, wie viel Wendungen wir machten, um eine Landſpitze zu um-
fahren, und wie oft das Schiff unſerm Palinurus zum Trotz ungehorſam
ward oder nicht folgen wollte. Die Winkel, Lage und Entfernung der
Vorgebuͤrge, Bergſpitzen, Huͤgel, Hoͤhen, Bayen, Haven und Buch-
ten, nebſt ihren Beobachtungen in verſchiednen Stunden des Tages
ſind gleichfalls weggelaſſen; denn ſolche lehrreiche Kleinigkeiten gehoͤ-
ren eigentlich blos fuͤr Seefahrer. Die Geſchichte von Capitain
† 3
[]Vorrede.
Cooks erſter Reiſe um die Welt, *) ward mit großer Begierde geleſen,
ſie ward aber, hier in England, mit allgemeinem Tadel, ich moͤgte faſt
ſagen, mit Verachtung aufgenommen. Sie war von einem Manne
aufgeſetzt, der die Reiſe nicht mitgemacht hatte; und ihre uͤble Aufnah-
me wurde ſeinen geringhaltigen Beobachtungen, ſeinen unnoͤthigen
Ausſchweifungen und ſeinen ſophiſtiſchen Grundſaͤtzen zugeſchrie-
ben; obgleich wenig Leſer zu beſtimmen im Stande ſeyn moͤgten,
mit wie vielem Recht oder Unrecht ſolches geſchehen ſey. Die
Geſchaͤftigkeit des Capitain Cook und ſein unermuͤdeter Entdeckungs-
geiſt haben ihn abermals gehindert, den Abdruck ſeines Tagebuchs ſelbſt
zu beſorgen; er hat alſo auch jetzt wieder einen Dollmetſcher annehmen
muͤſſen, der an ſeiner Statt mit dem Publicum reden koͤnnte. Außer
dieſer Unannehmlichkeit hat ſeine Beſchreibung gegenwaͤrtiger Reiſe noch
einen andern Fehler mit der vorigen gemein, dieſen nemlich, daß aus
derſelben, auf gut franzoͤſiſch, manche Umſtaͤnde und Bemerkungen
weggelaſſen worden, die man auf eine oder die andre Art fuͤr nachtheilig
anſahe. Ein hoͤherer Befehl blies den Herrn von Bougainville von der
Inſel Juan Fernandez weg und brachte die engliſchen Canonen zum
Stillſchweigen, als die Endeavour die portugieſiſche Feſtung auf Ma-
dera
beſchoß **). Ohne mich weiter in dieſe Vergleichung einzulaſſen,
will ich nur bemerken, daß aus dem bishergeſagten genugſam abzunehmen,
wie die Authenthicitaͤt einer Reiſebeſchreibung beſchaffen ſeyn kann, die
vor dem Abdruck Cenſur und Verſtuͤmmlung uͤber ſich ergehen laſſen
muß!


[]Vorrede.

Die Philoſophen dieſes Jahrhunderts, denen die anſcheinenden
Widerſpruͤche verſchiedner Reiſenden ſehr misfielen, waͤhlten ſich gewiſſe
Schriftſteller, welche ſie den uͤbrigen vorzogen, ihnen allen Glauben
beymaßen, hingegen alle andre fuͤr fabelhaft anſahen. Ohne hinreichende
Kenntniß warfen ſie ſich zu Richtern auf, nahmen gewiſſe Saͤtze fuͤr wahr
an, (die ſie noch dazu nach eignem Gutduͤnken verſtellten), und bauten ſich
auf dieſe Art Syſteme, die von fern ins Auge fallen, aber bey naͤherer Un-
terſuchung, uns wie ein Traum mit falſchen Erſcheinungen betruͤgen. End-
lich wurden es die Gelehrten muͤde, durch Declamation und ſophiſtiſche
Gruͤnde hingeriſſen zu werden, und verlangten uͤberlaut, daß man doch
nur Thatſachen ſammlen ſollte. Ihr Wunſch ward erfuͤllt; in allen Weltthei-
len trieb man Thatſachen auf, und bey dem Allem ſtand es um ihre Wiſſen-
ſchaft nichts beſſer. Sie bekamen einen vermiſchten Haufen loſer ein-
zelner Glieder, woraus ſich durch keine Kunſt ein Ganzes hervorbrin-
gen lies; und indem ſie bis zum Unſinn nach factis jagten, ver-
lohren ſie jedes andre Augenmerk, und wurden unfaͤhig auch nur einen
einzigen Satz zu beſtimmen und zu abſtrahiren; ſo wie jene Mikrologen,
die ihr ganzes Leben auf die Anatomie einer Muͤcke verwenden, aus
der ſich doch fuͤr Menſchen und Vieh nicht die geringſte Folge ziehen laͤßt.
Außerdem haben ſelten zween Reiſende einerley Gegenſtand auf gleiche
Weiſe geſehen, ſondern jeder gab nach Maaßgabe ſeiner Empfindung und
Denkungsart eine beſondere Nachricht davon. Man mußte alſo erſt
mit dem Beobachter bekannt ſeyn, ehe man von ſeinen Bemerkungen
Gebrauch machen konnte. Ein Reiſender, der nach meinem Begriff alle
Erwartungen erfuͤllen wollte, muͤßte Rechtſchaffenheit genug haben, ein-
zelne Gegenſtaͤnde richtig und in ihrem wahren Lichte zu beobachten, aber
auch Scharfſinn genug dieſelben zu verbinden, allgemeine Folgerungen
daraus zu ziehen, um dadurch fich und ſeinen Leſern den Weg zu neuen
Entdeckungen und kuͤnftigen Unterſuchungen zu bahnen.


Mit ſolchen Begriffen gieng ich zur letzten Reiſe um die Welt zu
Schiffe und ſammlete, ſo viel es Zeit, Umſtaͤnde und Kraͤfte geſtatten
wollten den Stof zu gegenwaͤrtigem Werke. Ich habe mich immer be-
[]Vorrede.
muͤhet, die Ideen zu verbinden, welche durch verſchiedne Vorfaͤlle ver-
anlaßt wurden. Meine Abſicht dabey war die Natur des Menſchen ſo
viel moͤglich in mehreres Licht zu ſetzen und den Geiſt auf den Standpunct
zu erheben, aus welchem er einer ausgebreitetern Ausſicht genießt und die
Wege der Vorſehung zu bewundern im Stande iſt. Nun kommt es frey-
lich darauf an, wie fern mir dieſer Verſuch gelungen ſey oder nicht; doch
habe ich das Zutrauen, man werde meine gute Abſicht nicht verkennen.
Zuweilen folgte ich dem Herzen und ließ meine Empfindungen reden;
denn da ich von menſchlichen Schwachheiten nicht frey bin, ſo
mußten meine Leſer doch wiſſen, wie das Glas gefaͤrbt iſt, durch welches
ich geſehen habe. Wenigſtens bin ich mir bewußt, daß es nicht finſter
und truͤbe vor meinen Augen geweſen iſt. Alle Voͤlker der Erde haben
gleiche Anſpruͤche auf meinen guten Willen. So zu denken war ich im-
mer gewohnt. Zugleich war ich mir bewußt, daß ich verſchiedne Rechte
mit jedem einzelnen Menſchen gemein habe; und alſo ſind meine Bemer-
kungen mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht aufs allgemeine Beſte gemacht worden,
und mein Lob und mein Tadel ſind unabhaͤngig von National-Vorur-
theilen, wie ſie auch Namen haben moͤgen. Nicht nur die Mannigfal-
tigkeit der Gegenſtaͤnde, ſondern auch die Reinigkeit und Anmuth des
Stils beſtimmen unſer Urtheil und unſer Vergnuͤgen uͤber Werke der Lit-
teratur; und wahrlich man muͤßte allem Anſpruch auf Geſchmack und Em-
pfindung entſagen, wenn man nicht eine fließende Erzaͤhlung einer lahmen
und langweiligen vorziehen wollte. Allein ſeit einiger Zeit iſt die Achtung fuͤr
einen zierlichen Stil ſo uͤbertrieben und ſo ſehr gemisbraucht worden,
daß ſich einige Schriftſteller lediglich auf die Leichtigkeit und Fluͤßigkeit
ihrer Sprache verlaſſen und um die Sache, welche ſie vortragen wollten,
gar nicht bekuͤmmert haben, wobey denn am Ende das Publikum mit
trocknen ſeichten Werklein ohne Salbung, Geiſt und Unterricht betro-
gen wurde. Solche Herrn moͤgen ſich vielleicht den Beyfall einiger Vir-
tuoſen erwerben
Who haunt Parnaſſus but to pleaſe their ear.
Ich
[]Vorrede.
Ich bin aber uͤberzeugt, daß die mehreſten und beſſern Leſer, in Ruͤckſicht
auf neue oder nuͤtzliche Gegenſtaͤnde, die Unvollkommenheiten des Styls
gewiſſermaßen zu uͤberſehen geneigt ſeyn werden. Ich habe nicht elegant
ſeyn wollen. Mein Zweck war deutlich und verſtaͤndlich zu ſeyn. Nur
darauf habe ich meine Aufmerkſamkeit eingeſchraͤnkt. Ich hoffe
alſo Nachſicht zu finden, falls mir minder wichtige Fehler entwiſcht
ſeyn ſollten. Die Karte, worauf unſre Entdeckungen und die Um-
ſeeglungs-Linie gezeichnet worden, habe ich mit dem groͤßten Fleis nach den
richtigſten Materialien, die am Rande angezeigt ſind, entworfen. Da-
mit auch das deutſche Publikum, neben meiner Beſchreibung gegenwaͤr-
tiger Reiſe, zugleich des Capitains Cooks Nachrichten von derſelben, ohne
ausdruͤckliche Koſten, mit benutzen moͤgte; ſo habe ich aus letzteren das
Wichtigſte hier in der deutſchen Ausgabe eingeſchaltet. Dieſe Zuſaͤtze
betreffen jedoch, einen Theil der Einleitung ausgenommen, nur etliche we-
nige Vorfaͤlle, von denen ich entweder nicht ſelbſt Zeuge geweſen war, oder
die ich aus einem andern Geſichtspunkt angeſehen hatte. Zum Unter-
ſchied ſind alle dieſe Stellen mit folgendem Zeichen —“ bemerkt. (wie
man bey Seite 4. 22. 74. ꝛc. ſehen kann.) Durch dieſe Verfuͤgung habe
ich meinen Landsleuten einen Dienſt zu leiſten geſucht, deſſen das uͤber rei-
che engliſche Publicum nicht bedurfte. Nunmehro koͤnnte ich dieſe Vor-
rede fuͤglich ſchließen, wenn es mir nicht der Muͤhe werth duͤnkte, dem Le-
ſer noch einige Nachricht von der Erziehung und Ausſtattung mitzuthei-
len, welche man dem Tahitier O-Maï in England hat wieder-
fahren laſſen *). In dem engen Bezirk einer Vorrede kann ich
aber nur mit wenigen Worten andeuten, was allenfalls zu einem
ganzen Bande Stoff gaͤbe, wenn es mir jemals einkommen
ſollte, das gute Korn der Philoſophie von ſeiner Spreu zu ſchwingen!
O-Mai ward in England fuͤr ſehr dumm oder auch fuͤr beſonders geſcheut
angeſehen, je nachdem die Leute ſelbſt beſchaffen waren die von ihm ur-
theilten. Seine Sprache, die keine rauhen Mitlauter hat, und in
welcher ſich alle Worte mit einem Vocal endigen, hatte ſeine Organe ſo
††
[]Vorrede.
wenig gelaͤufig gemacht, daß er ganz unfaͤhig war, die mehr zuſammen-
geſetzten engliſchen Toͤne hervorzubringen: dieſer phyſiſche oder vielmehr
Gewohnheits-Fehler ward aber oft unrecht ausgelegt. Kaum war
er in England angekommen, ſo ward er in große Geſellſchaften gefuͤhrt,
mit den ſchimmernden Luſtbarkeiten der wolluͤſtigen Hauptſtadt
bekannt gemacht, und im glaͤnzenden Kreiſe des hoͤchſten Adels bey Hofe
vorgeſtellt. Natuͤrlicherweiſe ahmte er jene ungezwungene Hoͤflich-
keit nach, die an allen dieſen Orten uͤblich und eine der groͤßten Zierden
des geſelligen Lebens iſt; die Manieren, Beſchaͤfftigungen und Ergoͤtz-
lichkeiten ſeiner neuen Geſellſchafter wurden auch die ſeinigen, und ga-
ben ihm haͤufige Gelegenheit ſeinen ſchnellen Verſtand und lebhafte Ein-
bildungskraft ſehen zu laſſen. Um von ſeinen Faͤhigkeiten eine Probe
anzufuͤhren, darf ich nur erwaͤhnen, daß er es im Schachſpiel ſehr weit
gebracht. Er konnte aber ſeine Aufmerkſamkeit nicht beſonders auf
Sachen richten, die ihm und ſeinen Landsleuten bey ſeiner Ruͤckkehr
haͤtten nuͤtzlich werden koͤnnen: Die Mannigfaltigkeit der Gegenſtaͤnde
verhinderte ihn daran. Keine allgemeine Vorſtellung unſeres civili-
ſirten Syſtems wollte ihm in den Kopf; und folglich wußte er auch die Vor-
zuͤge deſſelben nicht zum Nutzen und zur Verbeſſerung ſeines Vaterlandes
anzuwenden. Schoͤnheit, Symmetrie, Wohlklang und Pracht bezauber-
ten wechſelsweiſe ſeine Sinne; dieſe wollten befriedigt ſeyn, und er war ge-
wohnt ihrem Ruf zu gehorchen. Der beſtaͤndige Schwindel des Genuſſes
ließ ihm keinen Augenblick Zeit auf das Kuͤnftige zu denken; und da er
nicht von wahrem Genie belebt war, wie Tupaia, der an ſeiner Stelle
gewiß nach einem feſtgeſetzten Plan gehandelt haͤtte, ſo blieb ſein Verſtand
immer unbebauet. Zwar mag er wohl oͤfters gewuͤnſcht haben, von un-
ſerm Ackerbau, unſern Kuͤnſten und Manufacturen einige Kenntniß zu
bekommen; allein es fand ſich kein freundſchaftlicher Mentor, der die-
ſen Wunſch zu befriedigen, ja was noch mehr, der ſeinen moraliſchen
Charakter zu verbeſſern, ihm unſre erhabnen Begriffe von Tugend, und
die goͤttlichen Grundſaͤtze der geoffenbarten Religion beyzubringen ge-
ſucht haͤtte. Nachdem er faſt zwey Jahre in England zugebracht und
[]Vorrede.
die Blattern-Impfung gluͤcklich uͤberſtanden hatte, kehrte er unter Fuͤhrung
des Capitain Cook, der im Julius 1776 auf dem Schiffe Reſolution
von neuem aus Plymouth abſeegelte, wieder nach Tahiti zuruͤck. Bey
dieſer Gelegenheit zeigte ſichs, daß, aller der ſittenloſen Vergnuͤgungen ohn-
erachtet, denen er in unſerm geſelligen Welttheil nicht hatte ausweichen koͤn-
nen, die guten Eigenſchaften ſeines Herzens doch noch unverderbt geblieben
waren. Beym Abſchiede von ſeinen Freunden, entfloſſen ihm Thraͤnen; und
ſein ganzes aͤußeres Betragen verrieth eine große Gemuͤths-Bewegung.
Man uͤberhaͤufte ihn bey ſeiner Abreiſe mit einer unſaͤglichen
Menge Kleider, Zierrath und andren Kleinigkeiten, dergleichen taͤg-
lich zu Befriedigung unſrer erkuͤnſtelten Beduͤrfniſſe erfunden werden.
Seine Beurtheilungskraft war noch kindiſch; daher verlangte er auch
wie ein Kind nach allem was er ſahe, und vorzuͤglich nach Dingen, die
ihn durch irgend eine unerwartete Wuͤrkung vergnuͤgt hatten. Dieſe
kindiſchen Triebe zu befriedigen, (denn aus beſſern Abſichten konnte es
wohl nicht geſchehen) gab man ihm eine Dreh-Orgel, eine Elektriſir-
Maſchine, ein Panzer-Hemd und eine Ritter-Ruͤſtung. Vielleicht
erwarten hier meine Leſer, daß er nebſt dieſen auch einige Dinge von
wahrem Nutzen fuͤr ſeine Inſel mitgenommen. — Ich erwartete eben daſ-
ſelbe, allein meine Hoffnung ward getaͤuſcht! Sein Vaterland wird von
den Englaͤndern keinen Buͤrger zuruͤcknehmen, deſſen erweiterte Kennt-
niß, oder mitgebrachte brauchbare Geſchenke, ihn zum Wohlthaͤter,
vielleicht zum Geſetzgeber ſeines Volks machen koͤnnten. In Ermangelung
deſſen koͤnnen wir uns jedoch einigermaßen damit troͤſten, daß das Schiff,
auf welchem er zuruͤck geſchickt worden, den harmloſen Tahitiern ein
Geſchenk von Hornvieh bringen ſoll. Dieſe guten Leute muͤſſen ohnfehl-
bar durch die Einfuͤhrung von Ochſen und Schaafen auf ihrer fruchtba-
ren Inſel, gluͤcklicher werden; ja durch viele auf einander folgende
Umſtaͤnde, kann dies Geſchenk dereinſt den Grund zu moraliſchen Ver-
beſſerungen geben. Aus dieſem Geſichtspuncte iſt unſre vorige Reiſe
wichtig, und wuͤrde unſern Beſchuͤtzern Ehre bringen, wenn ſie auch
kein anderes Verdienſt haͤtte, denn daß wir Ziegen auf Tahiti, Hunde auf
†† 2
[]Vorrede.
den freundſchaftlichen Inſeln und Neuen-Hebriden und Schweine auf
Neu-Seeland und Neu-Caledonien zuruͤck gelaſſen haben. Es waͤre ge-
wiß ſehr zu wuͤnſchen, daß dergleichen Entdeckungs-Reiſen, mit ſo wohlthaͤ-
tigen und wahrhaft nuͤtzlichen Abſichten noch ferner fortgeſetzt wuͤrden;*)
zumal da noch ſelbſt in der Suͤdſee viel zu thun iſt: Allein wer weiß,
ob Neid und Eigennutz nicht durchdringen, und die großmuͤthigen
Unternehmungen eines Monarchen, der die Muſen ſchuͤtzt, verei-
teln werden. — Eine einzige Bemerkung, die von großem Nutzen fuͤr
die Nachwelt iſt; nur Ein Vorfall, der unſre Mitmenſchen in jenem
entfernten Welt-Theil gluͤcklich macht; vergilt warlich alle Muͤhſelig-
keiten der Seefahrt, und ſchenkt den großen Lohn, das Bewußtſeyn gu-
ter und edler Handlungen!


London,
den 24ſten Maͤrz 1777.


Georg Forſter.

Einlei-
[]

Einleitung.


Der Antheil, den die gelehrte Welt an den neueſten Entdeckungen im Suͤd-
Meer
genommen, hat auch die aͤlteren, zum Theil ſchon vergeßnen Rei-
ſen, wiederum ins Andenken gebracht. Vermuthlich werden alſo meine Leſer
keiner weitlaͤuftigen Wiederholung derſelben beduͤrfen. Doch koͤnnte es, fuͤr einige
wenigſtens, von Nutzen ſeyn, daß ich der bisherigen Entdeckungs-Reiſen erwaͤhne,
eh’ ich zur Beſchreibung unſrer eignen ſchreite. Hiernaͤchſt iſt es auch der Muͤhe
werth, daß ich von der Ausruͤſtung unſrer Schiffe einige Nachricht voran-
ſchicke, weil ſolche, theils wegen der Originalitaͤt unſers Reiſe-Plans, theils wegen
der Erfahrungen und den Rathſchlaͤgen unſrer Vorgaͤnger, ungleich vollkommner
und in aller Abſicht merkwuͤrdiger war, als ſie bey dergleichen Expeditionen
bisher je zu ſeyn pflegte. In Anſehung des erſtern will ich mich ſo kurz als moͤg-
lich faſſen, um die Leſer mit dieſer trocknen Materie nicht zu ermuͤden; zu dem
Ende werde ich auch nur allein die wuͤrklichen Entdeckungs-Reiſen anfuͤhren,
und keinesweges ein vollſtaͤndiges Verzeichniß von allen nichtsbedeutenden Suͤd-
Seefahrten liefern.


Vorlaͤufig muß ich mich jedoch uͤber die Benennungen der Meere erklaͤ-
ren, ſo wie ich ſie in folgendem Werke gebraucht habe. Das Meer zwi-
ſchen Afrika und Amerika behaͤlt den Namen des ſuͤdlichen atlantiſchen Oce-
ans
,
von der Linie bis zum antarktiſchen Polar-Zirkel. — Das Meer zwi-
ſchen Afrika und Neu-Holland haben wir, nach dem nordlich daruͤber liegen-
den Meere, den ſuͤdlichen indianiſchen Ocean genannt; und dieſe Benen-
nung koͤnnte vom Wende-Zirkel des Steinbocks bis zum Polar-Zirkel gelten.
Das große oder eigentliche Suͤd-Meer erſtreckt ſich von Neu-Holland bis
Suͤd-Amerika. Man pflegte ihm zwar in ſeinem ganzen Umfange den Namen
des pacifiſchen Oceans oder ſtillen Meers beyzulegen. Allein dieſe Benen-
nung kann nur innerhalb der Wende-Zirkel gelten, indem die See jenſeit die-
ſer Graͤnzen wohl ſo ſtuͤrmiſch als jede andre iſt. Der Aequator theilt das
ſtille Meer in zwey faſt gleiche Theile, in das Noͤrdliche und Suͤdliche. Was
†† 3
[]Einleitung.
vom Krebs-Zirkel noͤrdlich liegt, hat bisher noch keinen eignen Namen. Was
aber ſuͤdlich vom Steinbocks-Zirkel liegt, iſt eigentlich das große Suͤd-Meer,
bis zum antarktiſchen Zirkel. Innerhalb des gefrornen Erdguͤrtels wird das
Meer nicht unrecht das ſuͤdliche Eismeer genannt.


1513.

Nachdem der Spanier Vaſco Nunnez im Jahr 1513. das Suͤd-
Meer
von den Gebuͤrgen in Panama entdeckt, und ſich darinn gebadet hatte,
um es in Beſitz zu nehmen, war Hernando Magalhaens (oder Ferdi-
nand Magellan
) ein portugieſiſcher Edelmann der erſte, der es beſchiffte. Er ver-
1519.ließ Sevilla in Spanien im Auguſt 1519. und kam durch die nach ſeinem Namen
benannte Meerenge am 27ſten November 1520 ins große Suͤd-Meer. Von da
ſeegelte er nordwaͤrts, um bald aus dem kalten Clima zu kommen, und richtete
ſeinen Lauf nicht eher nach Weſten als bis er innerhalb des Wende-Zirkels,
und nahe an die Linie gekommen war. Er entdeckte nur zwey ganz kleine un-
bewohnte Inſeln, deren Lage noch jetzt unbeſtimmt iſt. Nachdem er die Linie
paßirt, entdeckte er die Ladrones oder Diebs-Inſeln und die Philippini-
ſchen
Inſeln
, wo er ums Leben kam. *)


1536.

Cortez, der Eroberer von Mexico, ſchickte im Jahr 1536. zween ſei-
ner beſten Capitains, Pedro Alvarado und Hernando Grijalva nach den
Molukkiſchen Inſeln. Sie beſeegelten das ſtille Meer unweit der Linie und ent-
deckten einige Inſeln gegen Weſten in der Nachbarſchaft von Neu-Guinea.


1567.

Im Jahr 1567 ward Don Alvaro Mendanna de Neyra von Peru
auf Entdeckungen ausgeſchickt. Die Salomons Inſeln, welche Herr Dalrym-
ple
mit Recht fuͤr die nachher ſogenannten Inſeln Neu-Britannien und Neu-
1575.Irrland
haͤlt, wurden auf dieſer Reiſe entdeckt. Im Jahr 1575 machte Men-
danna
eine zwote Reiſe von der aber nichts bekannt iſt. Die dritte gieng
1595.1595 **) vor ſich. Mendanna durchkreutzte diesmal das ſtille Meer, ohn-
[]Einleitung.
gefaͤhr im 10ten Grade der S. Breite. Zuerſt fand er eine Gruppe von 4
Inſeln, beinahe in der Mitte des Oceans, die er Marqueſas nannte; weiter
hin etliche niedrige kleine Eilande, und endlich ganz gegen Weſten die große
Inſel Santa Cruz, die Capitain Carteret hernach wiedergefunden und Eg-
mont
genannt hat. *)


Die Falklands-Inſeln die Amerigo Veſpucci wahrſcheinlicher Weiſe1594.
ſchon im Jahr 1502 den 7ten April entdeckt hatte, **) wurden 1594 von
SirRichard Hawkins einem Engellaͤnder wiedergefunden, und zu Ehren
der Jungfraͤulichen Koͤniginn Eliſabeth,Hawkins’s Maiden-Land genannt.
Capitain Strong, ein andrer Engellaͤnder, entdeckte 1689 die Durchfahrt
zwiſchen beyden Inſeln, und legte derſelben Lord Falklands Namen bey; und
auf dieſe Art bekamen die Inſeln ſelbſt ihre jetzige Benennung.


Pedro Fernandez de Quiros hatte Mendanna’s letzter Reiſe beyge-
wohnt, und nach deſſen Tode, ſeine Wittwe nach Manilla zuruͤck gefuͤhrt.
Er ward 1605 von Peru ausgeſchickt, ein ſuͤdliches feſtes oder großes Land zu1605.
entdecken, deſſen Exiſtenz er vermuthlich zuerſt behauptet hatte. Vor ihm hatte
man ſich immer nahe an der Linie gehalten; Er aber richtete ſeinen Lauf
nach Suͤden, und entdeckte etliche Inſeln im 25ſten und 28ſten Grad der
Breite. Eine davon, la Encarnacion fand Capitain Carteret neulich
wieder, und nannte ſie Pitcairns Eyland. Der Mangel friſchen Waſſers,
noͤthigte Quiros noͤrdlich zu ſteuern. Die neunte Inſel die er entdeckte,
und Sagittaria nannte, iſt unſtreitig die von Wallis wiedergefundne Inſel
Tahiti (Otahiti). Hernach lief er weſtwaͤrts, ſahe einige kleine Inſeln,
und zuletzt das große Tierra del Eſpiritu Santo (Land des heil. Geiſtes)
welches wir nebſt Herrn von Bougainville wieder geſehn haben. Von da
gieng er uͤber die Linie nach Mexico zuruͤck. Sein Reiſe-Gefaͤhrte aber,
**)
[]Einleitung.
Luis Vaez de Torres entdeckte die Durchfahrt zwiſchen Neu-Guinea und
Neu-Holland, die Capitain Cook hernachmals Endeavours-Straße nannte.


1615.

Cornelys Schouten und Jacob Le Maire verließen Holland 1615,
und waren die erſten, die durch Le Maire’s Meer-Enge und ums Cap Horn
ſchiften. Im ſtillen Ocean machten ſie nicht betraͤchtliche Entdeckungen; gegen Oſten
von Tahiti warens etliche kleine niedrige Eylande und gegen Weſten einige hohe
Inſeln. Sie blieben innerhalb dem 10ten und 20ſten Grad der S. Breite,
bis ſie laͤngſt der noͤrdlichen Kuͤſte von Neu-Irrland und Neu-Guinea nach
den Molukkiſchen Inſeln zuruͤckkehrten. *)


1642.

Von Batavia ward 1642 Abel Janſen Taſman ausgeſchickt. Er
gieng zuerſt nach der Inſel Mauritius, und von da gen Suͤden bis zum
49° Grad. — Er ſeegelte queer uͤber den ſuͤdlichen indianiſchen Ocean, zwi-
ſchen 40 und 50 Gr. S. Breite, entdeckte Van Diemens Land, oder die ſuͤdli-
che Spitze von Neu-Holland; einen betraͤchtlichen Theil der weſtlichen Kuͤſte von
Neu-Seeland, und einige Eylande nordwaͤrts von N. Seeland im ſtillen Meere.


1675.

Anthon Roché ein Englaͤnder, kam 1675 von Peru, wo er Handlung
getrieben hatte, [zum]Cap Horn zuruͤck, und entdeckte im ſuͤdlichen atlanti-
ſchen Ocean
eine Inſel, im 54 Grade ſuͤdlicher Breite, die wir auf unſrer
Reiſe wieder geſehn haben, und im 45ſten Grade eine zwote, die man ſeit
der Zeit nicht wieder aufgeſucht hat.


1699.

Wilhelm Dampier, der erfahrenſte und ungluͤcklichſte Seemann ſei-
ner Zeit, machte 1699 verſchiedne Entdeckungen an den Kuͤſten von Neu-
Guinea
,
und nannte die Salomons-Inſeln des MendannaNeu-Britannien.


Der beruͤhmte Sternkundige, Edmund Halley, ward in eben dem
Jahr zum Capitain des engliſchen Schiffs Paramour ernannt, womit er
im ſuͤdlichen atlantiſchen Ocean auf Entdeckungen ausgieng, und bis uͤber den
51ſten Grad Suͤder Breite kam, ohne irgend ein neues Land zu finden.


Einige
[]Einleitung.

Einige Hollaͤnder ſchickten 1721, Jacob Roggewein ins Suͤd-1721
Meer, dieſer ſteuerte vom Cap Horn aus gerade nach Norden hinauf, bis er im
27ſten Grad der Suͤder-Breite Oſter-Eiland entdeckte. Von da gieng er inner-
halb dem Wendezirkel, verlohr eines ſeiner Schiffe auf einer niedrigen In-
ſel unweit Tahiti, und entdeckte noch verſchiedne andre unbetraͤchtliche Ei-
lande zwiſchen den 13ten und 15ten Grad der S. Breite.


Herr vonLoziers Bouvet ward im Jahr 1738 von der franzoͤſi-1738
ſchen oſtindiſchen Compagnie ausgeſandt, den ſuͤdlichen atlantiſchen Ocean zu un-
terſuchen. Am 1ſten Januar 1789 glaubte er Land im 54ſten Grad Suͤ-
der-Breite und 11ten Grad oͤſtlicher Laͤnge von Greenwich(*) geſehn zu
haben, und kehrte hierauf gleich wieder nach Europa zuruͤck.


Herr Duclos Guyot, in einem ſpaniſchen Schiffe, der Loͤwe ge-1756.
nannt, erblickte auf ſeiner Ruͤckreiſe von Peru eben das Land im ſuͤdlichen
atlantiſchen Ocean, welches Anthon Roché ſchon 1675 entdeckt hatte. Er
nannte es Isle de St. Pierre. Eben dieſe Inſel ward auf unſrer Reiſe
Suͤd-Georgien genannt.


Commodore Iohann Byron, der auf der Anſonſchen Eſcadre als Mid-1764
ſhipman gedient hatte, gieng 1764 mit zwey Schiffen aus, nahm die
Falklands-Inſeln in Augenſchein, lief durch die Magellaniſche Meer-Enge,
und entdeckte zwiſchen dem 15ten Grad der Suͤder-Breite und der Linie
etliche kleine Inſeln im ſtillen Meer.


Ihm folgten Capitain Wallis und Capitain Carteret, die ſich aber1766
ſchon in der Magellaniſchen Meer-Enge von einander trennten. Wallis ſahe
einige niedrige Eylande, und fand die Inſel Tahiti, die Quiros ſchon
1606 entdeckt und Sagittaria genannt hatte; ferner die Boſcawen- und Kep-
pels
-Eylande
, denen Le Maire und Schouten 1616 die Namen Cocos- und
Verraͤthers Eylande
gegeben; endlich einige noch ganz neue Eylande. — Car-
†††
[]Einleitung.
teret
richtete ſeinen Lauf mehr gen Suͤden, und fand des Quiros erſte Inſel
Encarnacion, und hernach des MendannaSanta-Cruz denen er neue
Namen gab.


1766

Herr von Boungainville ward vom franzoͤſiſchen Hofe im Jahr 1766.
auf Entdeckungen ausgeſchickt. Er fand, ſo wie viele vorige Seefahrer, einige nie-
drige aus Corallen-Klippen entſtandene Eylande oſtwaͤrts von Tahiti, und traf
auch dieſe letztere Inſel neun Monathe nach Capitain Wallis an. Nachdem
ſeine Leute ſich einige Tage lang erfriſcht hatten, ſeegelte er weiter und entdeckte
noch einige kleine Eylande gegen Weſten, ſahe des QuirosTierra del Espi-
ritu Santo
, und fand neue Laͤnder um Neu-Guinea.


1768

Im Jahr 1768 hielt die Koͤnigl. Societaͤt der Wiſſenſchaften zu London,
bey Sr. Grosbrittanniſchen Majeſtaͤt, um die Ausruͤſtung eines Schiffes an,
damit der bevorſtehende Durchgang der Venus gehoͤrig beobachtet werden
moͤgte. Capitain Iacob (James) Cook, ward alſo zum Befehlshaber, der zu
dem Ende erwaͤhlten Barke Endeavour ernannt, und ihm, nebſt Herrn Carl
Green
, von der Koͤnigl. Societaͤt die Beobachtung des Durchgangs aufge-
tragen. Herr Ioſeph Banks, ein wohlhabender junger Mann, ging aus Liebe
zur Naturgeſchichte mit auf dieſe Reiſe, und unterhielt auf eigne Koſten einen
Lehrling des beruͤhmten Ritters von Linné, Namens Solander, als ſeinen
Gefaͤhrten. Der Durchgang der Venus ward zu Tahiti beobachtet. Hernach
gieng Capitain Cook auf Entdeckungen aus. Er fand die ſogenannten Societaͤts-
Inſeln
, und lief von da, bis zum 40ſten Grad Suͤder-Breite, wohin, vor ihm
noch kein Seefahrer im Suͤd-Meer gekommen war. Die voͤllige Entde-
ckung des von Tasman geſehenen Neu-Seelands, die gefaͤhrliche Fahrt an
der noch ganz unbekannten oͤſtlichen Kuͤſte von Neu-Holland, und die wieder-
gefundne Durchfahrt des Torres zwiſchen Neu-Holland und Neu-Guinea, wa-
ren die ſehr merkwuͤrdigen Begebenheiten dieſer Reiſe. Herr Banks fand
zwiſchen zwoͤlf und funfzehnhundert verſchiedene noch unbekannte Pflanzen-Gat-
tungen, nebſt einer ſehr betraͤchtlichen Anzahl Voͤgel, Fiſche, Amphibien, In-
ſecten und Gewuͤrme.


[]Einleitung.

Im Jahr 1769. ſeegelte Herr von Surville, in Dienſten der franzoͤ-1769
ſiſchen oſtindiſchen Compagnie von Pondichery uͤber die Philippiniſchen Inſeln
nach Neu-Seeland. Er lag daſelbſt in Doubtfull-Bay, und ſahe am 9ten De-
cember den Capitain Cook in der Endeavour vorbeyſeegeln. Hernach ſtach er zwi-
ſchen 30°. und 40°. Suͤder-Breite queer uͤber das Suͤd-Meer und kam zu
Calao in Peru bey der Landung ums Leben.


Im Jahr 1772. fand Herr von Kerguelen, nebſt Herrn von St. Al-1772
louarn,
eine Inſel im ſuͤdlichen indianiſchen Ocean, die faſt unter einerley Me-
ridian mit der Mauritius-Inſel, und unter dem 48°. Suͤder-Breite lag. Noch
in demſelben Jahr ward er zum zweytenmal von Frankreich ausgeſchickt; allein
er kam unverrichteter Sachen zuruͤck.


Waͤhrend Kerguelen’s erſten Reiſe, ſeegelte Herr Dufresne Marion,
nebſt Herrn Crozet, zwiſchen 40°. und 50°. Suͤder-Breite vom Cap der guten Hoff-
nung
uͤber den ſuͤdlichen indianiſchen Ocean, nach Van Diemens Land und
Neu-Seeland, und entdeckte, Suͤdwaͤrts von Madagaſcar, einige kleine oͤde
Inſeln. Die Neu-Seelaͤnder in der Bay der Eylande, brachten Herrn Ma-
rion
ums Leben, worauf Herr Crozet die Reiſe fortſetzte, und anfangs Tas-
mans
Lauf folgte, hernach aber nach Manilla gieng.


Bey unſrer Abreiſe kamen uns nur die Entdeckungen bis auf Cooks erſte
Reiſe (incluſive) zu ſtatten, weil wir damals von den letzteren franzoͤſiſchen
Expeditionen noch keine, oder doch nur hoͤchſt unzuverlaͤßige Nachricht hatten.


Vor Capitain Cooks Ruͤckkunft in der Endeavour hatte man noch be-
hauptet, daß ſich das feſte Land im Suͤd-Meer bis zum 30ſten Grad der
Breite erſtrecke, mithin unter einem guͤnſtigen Himmelsſtrich belegen, und um
deswillen ein wichtiger Gegenſtand der europaͤiſchen Politik ſeyn muͤſſe. Zwar
hatte dieſe Meynung einen gefaͤhrlichen Stoß dadurch erhalten, daß er auf ſeiner
erſten Reiſe bis zum 40ſten Grad gekommen, und gleichwohl kein ſolches Land
geſunden hatte. Man ließ ſich aber dadurch noch immer nicht irre machen. Das
feſte Land hieß es, erſtrecke ſich vielleicht nur nicht in dem Puncte ſo weit gegen
††† 2
[]Einleitung.
Norden; Capitain Cook ſey in einen großen Meerbuſen gerathen; oder wenn
man ja etwas zugeben muͤſſe, ſo duͤrfe das feſte Land nur um 10 Grade
weiter zuruͤckgelegt werden. Ueberdem waͤre ja auch das Meer um den
Suͤdpol nach allen Himmelsgegenden bis zum 50ſten, und an einigen Orten
bis zum 40ſten Grad der Breite, zur Zeit noch immer ganz unberuͤhrt gebliebes
und noch von keinem Schiffe befahren! Um nun dieſem Streit wegen eines ſolchen
feſten Landes ein Ende zu machen, gieng unſre Reiſe auf Befehl Sr. Koͤnigl. Gros-
brittanniſchen Majeſtaͤt vor ſich. Capitain Cook erhielt Befehl, die Sommer-Mo-
nathe *) zu Entdeckungen, gegen den Suͤdpol hin, anzuwenden; ſobald aber die Jah-
reszeit kalt, ſtuͤrmiſch, neblicht und unſicher wuͤrde, nach den Wendezirkeln zuruͤck-
zukehren und die Lage der ehemals entdeckten Inſeln, vermittelſt unſrer jetzigen aſtro-
nomiſchen Inſtrumente und neuen Berechnungen genauer zu beſtimmen. Faͤnde er
kein großes feſtes Land, ſo ſollte er, ſo nahe am Suͤdpol als immer moͤglich, oſtwaͤrts
laufen, bis er die Erdkugel umſeegelt haͤtte. Unter allen Reiſen um die Welt iſt
die unſrige auch wuͤrklich die erſte, die von Weſten nach Oſten gerichtet worden.


Man hatte auf Capitain Byrons, Wallis und Carterets Reiſen er-
fahren, daß die dazu gebrauchten Kriegs-Schiffe, der Delphin und die (Swal-
low) Schwalbe, uͤbel gewaͤhlt waͤren, vornemlich weil ſie keinen hinlaͤnglichen
Vorrath von Lebensmitteln und Geraͤthſchaften einnehmen konnten. Capitain
Cook ſuchte ſich alſo, ſchon bey ſeiner erſten Reiſe, ein Fahrzeug von ganz anderer
Bauart, nemlich eins von denen Schiffen aus, die in England zum Transport
der Steinkohlen gebraucht werden. Ein Schiff, das zu Entdeckungs-Reiſen recht
tauglich ſeyn ſoll, muß, ſagte er, nach Verhaͤltniß ſeiner Bemannung, Lebensmit-
tel und andere Vorraͤthe, wenigſtens fuͤr drey Jahr lang, fuͤglich in ſich faſſen
koͤnnen, aber bey alledem weder ſehr große ſeyn, noch ſehr tief im Waſſer
gehen, damit es zur Noth in den engſten und ſeichteſten Haven einlaufen koͤnne.
Auch muß es nicht leicht auf dem Grunde ſitzen bleiben, am Boden allenfalls ei-
nen Stos aushalten, und wenn ja eine Ausbeſſerung noͤthig ſeyn ſollte, mit leich-
[]Einleitung.
ter Muͤhe ans Ufer gelegt werden koͤnnen. In einem ſolchen Schiffe kann ein
tuͤchtiger Seemann ſich uͤberall hinwagen, unverzagt an jede unbekannte Kuͤſte
laufen und ſeinen Verhaltungsbefehlen volles Genuͤge leiſten. Von dieſer Art
waren nun auch die beyden Schiffe, mit welchen wir die Reiſe um die Welt un-
ternahmen, und ich bin uͤberzeugt, daß ſie, bey allen ihren Fehlern und Unbequem-
lichkeiten, zu einer ſo gefaͤhrlichen Reiſe immer noch die tauglichſten und beſten waren.


Das groͤßere von 462 Tonnen und 16[ ]vierpfuͤndigen Kanonen, ward
die Reſolution genannt, und von Capitain Cook commandirt, das kleinere hingegen
von 336 Tonnen, oder die Adventure, von Capitain Tobias Fourneaux. Er-
ſteres fuͤhrte 112 Mann, letzteres nur 81; die Sternkundigen, Naturforſcher,
Mahler und ihre Bedienten abgerechnet. *) Verſchiedne Officiere und Unter-Of-
ficiere, nebſt einigen Matroſen hatten ſchon eine oder die andere Reiſe um die Welt
mitgemacht, und waren um ſo mehr geſchickt abermals dazu gebraucht zu werden.


In jedem Schiffe befand ſich ein Sternkundiger, den die Commißion
der Meeres-Laͤnge **) beſoldete. Im groͤßern Schiffe war es Herr Wilhelm
Wales
,
der neulich die waͤhrend der Reiſe gemachten Bemerkungen in einem
Bande herausgegeben hat; in der Adventure Herr Wilhelm Bailey, der jetzo
wieder auf einer neuen Reiſe mit Capitain Cook begriffen iſt. ***) Sie hatten
alle noͤthige aſtronomiſche und nautiſche Inſtrumente, beſonders vier Laͤngen-
††† 3
[]Einleitung.
Uhren, drey von Arnold, und eine nach dem Modell der Harriſonſchen von
Kendal verfertigt.


In der Reſolution ward auch Herr Wilhelm Hodges, ein Landſchafts-
Mahler vom Admiralitaͤts-Collegio ausgeſchickt, der nicht nur Ausſichten von den
verſchiednen Gegenden, ſondern auch, ſo weit ſeine Kenntniß von der menſchli-
chen Figur reichen wollte, die Einwohner gezeichnet hat.


Die Herren Banks und Solander, Capitain Cooks Gefaͤhrten auf
ſeiner erſten Reiſe, hatten ſich vorgenommen, zum zweytenmal mit ihm zu ge-
hen. Herr Banks hatte ſich zu dem Ende in große Koſten geſetzt und mit allen
Nothwendigkeiten verſehen. Zween junge Leute ſollten ihm (noch außer So-
landern
) in botaniſchen und zoologiſchen Beſchreibungen Huͤlfe leiſten, und
drey andre die neuentdeckten Thiere und Pflanzen zeichnen. Sogar Zoffani,
ein geſchickter deutſcher Mahler, hatte verſprochen ihn zu begleiten, und die ver-
ſchiednen Landſchaften, nebſt ihren Einwohnern, zu ſchildern. Herr Banks ver-
langte nur noch einige Aenderungen im Schiffe um etwas mehr Bequemlichkeit auf
der Reiſe zu haben. Allein der Miniſter vom Seeweſen hatte keine Achtung fuͤr
dieſe Foderungen, die er doch einem ſo uneigennuͤtzigen Eiferer fuͤr die Wiſſenſchaf-
ten wohl haͤtte zugeſtehn ſollen. Nachdem Herr Banks lange genug verge-
bens auf guͤnſtigern Beſcheid gewartet hatte; ſo erklaͤrte er ſich endlich, zehen
Tage vor dem zur Abreiſe angeſetzten Termin, daß er mit ſeiner ganzen Geſellſchaft
die Reiſe nicht antreten wolle. Daruͤber ward der Miniſter aufgebracht; er wollte
ſich raͤchen und Herrn Banks fuͤhlen laſſen, daß die Wiſſenſchaft auch ohne
ihn erweitert werden koͤnne. Von der Summe, die das Parlement zum Beſten
dieſer Reiſe ausgeſetzt hatte, waren gerade noch 4000 Pf. Sterling uͤbrig.
Nichts konnte fuͤr die Leidenſchaft des Miniſters erwuͤnſchter ſeyn. Man
forderte meinen Vater auf, als Naturforſcher mit Capitain Cook zu gehn,
huͤtete ſich aber ſorgfaͤltig, ihm etwas von der Schikane merken zu laſſen, die
dieſen Ruf veranlaßt hatte. Das Parlement geſtund ihm und mir obgedachte
Summe zu, man that noch obenein glatte Verſprechungen, und wir traten die
Reiſe an, in Hoffnung, den Verluſt wenigſtens einigermaßen zu erſetzen, der
durch Herrn Banks Weigerung fuͤr die Wiſſenſchaft zu befuͤrchten ſtand. Die
[]Einleitung.
Rachſucht eines einzigen Mannes konnte alſo in dieſem Fall ihren Nutzen
haben. Bey Gelegenheit Capitain Cooks dritter Reiſe hatte ſie ſich aber
ſchon abgekuͤhlt. Es ward zu wiederholtenmalen vorgeſchlagen, auch diesmal
wieder Naturforſcher auszuſchicken, allein die Wiſſenſchaft war nie des Mini-
ſters Object geweſen. Sie war ihm vor wie nach veraͤchtlich, und folglich
ward auf der neuen Reiſe kein Gelehrter geduldet. *)


In jedem Schiffe wurden die Beſtandtheile eines kleinen Fahrzeugs von
20 Tonnen mitgenommen, die bey Gelegenheit zuſammengeſetzt werden konn-
ten, im Fall die Schiffe verloren giengen, oder wir etwas zu verſchicken
haͤtten. Sie wurden aber nicht gebraucht, bis gegen das Ende der Reiſe, da
wir Mangel an Brennholz litten.


Mit Netzen, Angeln und dergleichen Geraͤthen zur Fiſcherey, waren wir
ebenfalls verſehen, und um Lebensmittel von den Wilden zu erhandeln, hatte
man dem Capitain allerley grobe Tuͤcher, Eiſengeraͤth und andre Waaren
mitgegeben. Auch wurden auf Befehl des Admiralitaͤts-Collegii etliche
Hundert verguldete Schaumuͤnzen, mit dem Bruſtbilde des Koͤnigs ausge-
praͤgt, um zum Denkmal der Reiſe unter die Wilden vertheilt zu werden.


Die Geſundheit des Schiffsvolks iſt ein ſo wichtiger Gegenſtand bey lan-
gen beſchwerlichen See-Reiſen, daß man zu Befoͤrderung und Erhaltung derſelben
diesmal auf außerordentliche Mittel bedacht war. Zu dem Ende hatte man ver-
ſchiedne Lebensmittel an die Stelle andrer ausfindig gemacht, und vor allen Din-
gen unſer deutſches Sauerkraut, nebſt gallert-artig eingekochter Fleiſchbruͤhe
(mehreres hievon ſiehe pag. 79) in großer Menge an Bord geſchickt.


Wir hatten in der Reſolution ſechzig große Faͤſſer Sauerkraut, die
vor unſrer Ruͤckkehr ans Vorgebuͤrge der guten Hoffnung ganz ausgeleert wur-
den. Die vielen Veraͤnderungen des Clima, denen wir unterworfen geweſen,
[]Einleitung.
hatten ihm nichts geſchadet. Ohngefaͤhr vierzehn Tage vor unſerer Ankunft in
Engelland, fanden wir die letzte Tonne, die man bis dahin durch einen Zufall
im Schiffsraum uͤberſehen hatte; und auch dieſe enthielt’ ſo friſches und ſchmack-
haftes Sauerkraut, daß verſchiedene portugieſiſche Herren, die auf der Rheede
von Fayal mit uns ſpeiſeten, nicht nur mit außerordentlichem Appetit davon
aßen, ſondern ſich den im Faſſe gebliebnen Reſt ausbaten, um ihre Freunde am
Lande damit zu bewirthen. Es ward mehrentheils zweymal die Woche, zur See
aber, und beſonders in den ſuͤdlichſten Gegenden, auch oͤfter gereichet. Die Por-
tion auf jeden Kopf war ein Pfund. Dem deutſcher Leſer die guten Eigenſchaften
dieſes Gerichts anzuruͤhmen, waͤre uͤberfluͤßig. Doch kann ich nicht umhin zu
ſagen, daß es vielleicht das allerbeſte Praͤſervativ gegen den Scharbock iſt,
weil es in Menge mitgenommen, und nicht als Medicin, ſondern in großen
Portionen als nahrhafte Speiſe gebraucht werden kann.


Die Taͤfelchen oder Kuchen von gallertartig eingekochter Fleiſchbruͤhe verdie-
nen den naͤchſten Platz, als bewaͤhrte geſunde Nahrungsmittel. Wir hatten ihrer an
5000 Pfund. Woͤchentlich kochte man dreymal Erbſen *) zu Mittage, und jedesmal
ward ohngefaͤhr zwey Loth ſolcher Fleiſchbruͤhe auf den Mann, darinn zerlaſſen.
Auch ward es bisweilen zum Fruͤhſtuͤck mit Weizen-Graupen oder Habermehl
verdickt zugerichtet.


Ein und dreyßig kleine Faͤſſer mit eingekochter Wuͤrze (Maiſche) oder
Bier, das bis zu einer Syrup aͤhnlichen Conſiſtenz eingekocht war, wurden
ebenfalls auf dieſer Reiſe mitgenommen, um gelegentlich durch den Zuſatz von
Waſſer und neuer Gaͤhrung zu geſundem Getraͤnke bereitet zu werden,
Allein, aus Mangel von Vorſichtigkeit, verloren wir dieſen Vorrath, der im
heißen Clima in Gaͤhrung gerieth und die Faͤſſer ſprengte.


Fuͤr
[]Einleitung.

Fuͤr die Kranken hatte man bey Ausruͤſtung unſrer Schiffe ebenfalls be-
ſonders geſorgt.


Salup, ein Gallert, der aus der Wurzel eines Zweyblatts (Or-
chis
) bereitet, ſehr nahrhaft und leicht verdaulich iſt, ward dem Wundarzte
zur Abwechſelung mit dem gewoͤhnlichen Sayo, fuͤr die ſcorburiſchen Kranken
anvertraut.


Robb oder dick eingekochter Saft von Citronen und Orangen, ward zur
Arzney gegen den Scharbock mitgegeben; allein, weil man wegen der Koſtbarkeit
des Mittels die Doſin viel zu geringe vorgeſchrieben hatte, ſo ließ ſich keine vollſtaͤn-
dige Cur davon erwarten. Ueberdem hielt ſich unſer rechtſchaffener Wundarzt,
Herr Patton, auch nicht fuͤr berechtigt, mit ſeinen Kranken Experimente zu ma-
chen, ſo lange er noch wuͤrklich bewaͤhrte Geneſungs-Mittel in Haͤnden hatte.
Doch verſichert er, daß der Robb von großem Nutzen ſey.


Eine Marmelade von gelben Moͤhren oder Carotten, (Daucus Carota)
die dem gewoͤhnlichen ſchwarzen Zucker-Syrup an Farbe und Geſchmack ſehr
aͤhnlich iſt, hatte der Herr Baron von Muzel Stoſch in Berlin zur Probe gegen
den Scharbock vorgeſchlagen. Sie laxirt gelinde, und kann als ein Huͤlfs-
mittel angeſehn werden; eine Cur aber wird ſie ſchwerlich zuwege bringen.


Das ſchaͤtzbarſte Mittel gegen den Scharbock, welches nach vielen
wiederholten Erfahrungen ſelbſt den gefaͤhrlichſten Grad dieſer Krankheit curirt,
iſt die friſche Infuſion von Malz. Wir hatten dreyßig Tonnen mit Malz an
Bord, und ſo bald ſich der Schaarbock merken ließ, ja in kalten Gegenden noch
eher, ward taͤglich eine friſche Infuſion gemacht, und denen die zum Scharbock
geneigt waren, als ein Praͤſervativ gereicht. Die wuͤrklichen Kranken, deren
wir ſehr wenige hatten, mußten jeden Tag bis drey Quart trinken. Bey ge-
ſchwollnen Gliedern oder Beulen, wurden die Trebern, als warme Umſchlaͤge, mit
dem beſten Erfolg gebraucht. Doctor Macbride in Irrland, war der erſte, der das
Malz als ein antiſcorbutiſches Mittel angab; und nunmehro iſt es auf der engli-
ſchen Flotte als unentbehrlich eingefuͤhrt, ſo daß ein jedes Schiff einen gewiſſen
††††
[]Einleitung.
Vorrath davon an Bord fuͤhrt. Zu Beſtaͤtigung des obigen kann ich hier aus unſers
Wundarzts Tagebuch noch folgende Stelle anfuͤhren. “Ich habe, ſagt er, die
“Malz-Infuſion (wort, Wuͤrze, Maiſche,) auf der ganzen Reiſe, in allen ſcorbu-
“tiſchen Faͤllen, aͤußerſt nuͤtzlich befunden. Zwar habe ich ſie nur ſelten recht auf die
“Probe ſtellen koͤnnen, weil viele ſie tranken, um die Krankheit zu verhuͤten; allein
“ſchon die wenigen Faͤlle, in welchen ſie mir gute Dienſte geleiſtet hat, ſind meines
“Erachtens, hinlaͤnglich, jedem Unpartheyiſchen zu beweiſen, daß dies das beſte
“bisher erfundne Mittel gegen den See-Scharbock iſt. Auch bin ich, nach
“allem, was ich von den Heilkraͤften der Malz-Infuſion und von ihrer Art zu
“wuͤrken erfahren habe, ganz uͤberzeugt, daß mit Huͤlfe der Suppen-Taͤfelchen,
“des Sauerkrauts, Zuckers, Sayo’s, und der Corinthen, jene Peſt des Mee-
“res, der Schaarbock, ſelten oder gar nicht unter dem Schiffsvolke ſelbſt auf
“den laͤngſten Reiſen erſcheinen wird.”


Hiernaͤchſt ward die Geſundheit unſers Schiffsvolk noch durch ver-
ſchiedne andere Veranſtaltungen befoͤrdert. Die wichtigſte und’nuͤtzlichſte war, daß
man die Leute bey ihrer geſalznen Speiſe, ſo viel Waſſer trinken ließ als ſie nur im-
mer mogten. Nur ſelten fanden wir uns genoͤthigt, ſie auf gewiſſe beſtimte und noch
ſeltener auf knappe Portionen von Trinkwaſſer einzuſchraͤnken. Zu dem Ende ward
auch keine Gelegenheit verſaͤumt, friſches Waſſer zu fuͤllen, wenn wir gleich noch
Vorrath davon hatten; weil es unſtreitig beſſer friſch vom Lande koͤmmt als es in
den Faͤſſern wird, nachdem es eine Zeitlang aufbewahrt worden.


Reinlichkeit iſt eine andre nothwendige Vorſicht. Es ward bey uns
nicht nur ſcharf darauf geſehen, daß die Matroſen ſich ſelbſt, ihre Kleider, Hem-
den u. ſ. w. rein hielten, ſondern auch die Kuͤchengeraͤthe wurden fleißig unter-
ſucht, damit von der Nachlaͤßigkeit der Koͤche nichts zu befuͤrchten waͤre. Ihre
Betten mußten bey trocknem Wetter des Tages aufs Verdeck gebracht werden.
Am wichtigſten aber war das Naͤuchern mit einer Miſchung von Schießpulver
und Eßig, oder auch Waſſer, und die faſt woͤchentlichen Feuer, die im Schlaf-
Raum des Volks, in den Cajuͤtten der Officiere und ſelbſt im unterſten Raum,
wohin die Pumpen reichen, angezuͤndet wurden. Ungeſunde, faule Ausduͤnſtun-
gen und Feuchtigkeiten wurden auf dieſe Art zertheilt und unſchaͤdlich gemacht,
und die Luft durchaus gereinigt. Dazu kam noch die Eintheilung der Mann-
[]Einleitung.
ſchaft in drey, nicht wie ſonſt auf Kriegsſchiffen gebraͤuchlich iſt, in zwo Wachen.
Dadurch wurden die Leute den Veraͤnderungen des Wetters minder ausgeſetzt,
und hatten Zeit, ihre Kleider, wenn ſie naß wurden, zu trocknen. Es wurden
auch auf oͤffentliche Koſten, waͤhrend unſerm Aufenthalt in kalten Gegenden,
warme Kleidungsſtuͤcke ausgetheilt, die der Mannſchaft treflich zu ſtatten kamen.


Erfahrne Aerzte, Seeleute und Menſchenfreunde, hatten dieſe Huͤlfsmit-
tel vorgeſchlagen; der Wundarzt, mein Vater und einige andere Perſonen im
Schiff, hatten den fleißigen Gebrauch derſelben [unaufhoͤrlich] angerathen; auch zeig-
ten ſich die vortreflichen Wirkungen davon bald ſo deutlich, daß man ſie in der
Folge fuͤr ganz unentbehrlich anſahe. Alle dieſe Urſachen und eigne Erfahrung,
bewogen Capitain Cook ſie bey jeder Gelegenheit anzuwenden. Unter
goͤttlicher Fuͤhrung blieben wir auf dieſe Art, ohnerachtet aller Beſchwerlich-
keiten einer harten, ungewohnten Lebensart, und oͤfterer Abwechſelung des Clima’s
bey guter Gſundheit. Der Praͤſident der koͤniglichen Geſellſchaft der Wiſſenſchaften
in London, Sir John Pringle, ſpricht davon ausfuͤhrlich als ein erfahrner
Arzt in ſeiner am 30ſten November 1776 vor der Societaͤt gehaltenen Rede,
bey Verſchenkung der Copleyſchen Denkmuͤnze an Capitain Cook. Die Lob-
ſpruͤche, die er unſerm geſchickten und beruͤhmten Seemanne giebt, muß man
dem Styl des Redners und den Umſtaͤnden zu Gute halten. Freylich laͤßt ſich
nicht leicht begreifen, wie man einen Mann deswegen ruͤhmen koͤnne, daß er
die dargebothnen Huͤlfsmittel gebraucht, vermoͤge welcher er allein ſeinen End-
zweck, die Vollendung ſeiner Reiſe, erreichen konnte? Allein, dies mußte in Ruͤckſicht
auf die Geſetze der Koͤniglichen Geſellſchaft geſchehen; als vermoͤge welcher die Me-
daille nur dem Mitgliede zuerkannt wird, der die beſte Abhandlung einreicht. Alſo
belohnte man nicht den beruͤhmten Entdecker, den Welt- Umſeegler, der den guͤltig-
ſten Anſpruch auf Belohnungen hatte, ſondern den Mann, der das negative Ver-
dienſt beſaß, die dargebotnen Mittel, worauf ſeine Erhaltung, ſein Ruhm, ſein Gluͤck
beruhte, ergriffen zu haben! Bis auf den Grad handelt man mit Chineſiſcher
Formalitaͤt in Engelland, dieſem Lande der geſunden Vernunft und freyen Den-
kungsart! Doch, was ſage ich? Iſt’s nicht genug, daß der ſtolze, reiche Britte,
der Herr, der Raͤuber und Pluͤnderer beyder Indien, zuweilen das Verdienſt be-
†††† 2
[]Einleitung.
lohnt, es ſey der Beweggrund, Rache, Ehrgeiz, Eitelkeit, Schlendrian — kurz,
was er wolle? —


— Bleib’ immer minder reich, mein deutſches Vaterland, und beſchaͤme
mit Tugenden deine uͤppigen glaͤnzenden Nachbaren, die ſich ihre eigne Grube
graben und dem Untergang entgegen eilen!


Quo Muſa tendis? Deſine pervicax
Referre Sermones Deorum.


[[1]]

Dr.Johann Reinhold Forſter’s
und
ſeines Sohnes Georg Forſter’s
Reiſe um die Welt
auf
Koſten der Grosbrittanniſchen Regierung
zu
Erweiterung der Naturkenntniß
unternommen
und

waͤhrend den Jahren 1772 bis 1775.
in dem
vom Capitain J. Cook commandirten Schiffe the Reſolution
ausgefuͤhrt.


[[2]][[3]]

Erſtes Hauptſtuͤck.
Abreiſe — Fahrt von Plymouth nach Madera
Beſchreibung dieſer Inſel.


Ubi animus ex multis miſeriis atque periculis requievit, — ſtatui res geſtas — perſcribere;
tamen (hoc) imprimis arduum videtur, — quia plerique, quæ delicta reprehenderis,
malivolentia et invidia putant, ubi de magna virtute et gloria bonorum memores, quæ
ſibi quisque facilia factu putat, æquo animo accipit; ſupra ea, veluti ficta, pro falſis
ducit.

Sallust.


Kaum war das Schiff Endeavour im Jahre 1771. wieder nach England
zuruͤckgekommen, als man ſchon den Entwurf zu einer neuen Reiſe mach-
te, auf welcher die ſuͤdlichen Gegenden unſrer Erdkugel weiter erforſcht
und unterſucht werden ſollten.


Zwey tuͤchtige, ſtarke Schiffe, die Reſolution und die Adventure
wurden zu dem Ende als Koͤnigliche Schiffe vom ſechſten Range (Sloops)
ausgeruͤſtet, und die Capitaͤne Jacob Cook und Tobias Furneaux zu Befehls-
habern ernannt. Am eilften Junius erhielten mein Vater und ich Befehle, dieſe
Reiſe gleichfalls zu unternehmen, um Gegenſtaͤnde der Naturgeſchichte, zu
ſammlen, zu beſchreiben und zu zeichnen. In moͤglichſter Geſchwindigkeit
ruͤſteten wir uns zu dieſem wichtigen Vorhaben, und ſchickten innerhalb neun
Tagen alle unſere Reiſe-Geraͤthſchaft an Bord der Reſolution, welche damals
noch bey Sheerneß lag, am 22ſten aber bereits nach Plymouth abgieng.


Am 26ten verließen auch wir London, und kamen, weil wir zu Lande
reiſten, ſchon in zween Tagen nach Plymouth, woſelbſt aber unſer Schif
noch nicht eingetroffen war. Den erſten Julius verfuͤgten wir uns am Bord der
Jagd Auguſta, und machten dem damaligen Praͤſidenten des Admiralitaͤts-Col-
A 2
[4]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Julius.
legii, dem Grafen Sandwich, unſre Aufwartung. Seine Herrlichkeit (Mylord)
glaubten, die Reſolution wuͤrde noch denſelben Tag auf der Rheede ankom-
men, und verlangten, daß wir uns Abends zwiſchen fuͤnf und ſechs Uhr an
Bord derſelben begeben moͤchten. Allein, zu unſrem großen Misvergnuͤgen erſchien
das Schif nicht, und der Graf verlies Plymouth am folgenden Morgen. *)


Fruͤhe am dritten Julius ſahen wir die Reſolution auf der Rheede vor
Anker, wo ſie in voriger Nacht angelangt war. Capitain Cook gedachte,
etwa acht bis zehen Tage hier zuzubringen, und befahl, mitlerweile in unſern
Cajuͤtten noch einige ſchlechterdings nothwendige Einrichtungen zu treffen. Da
wir inzwiſchen keine Gelegenheit zu Erweiterung der Wiſſenſchaft, oder zu un-
ſrer Belehrung verſaͤumen wollten, ſo bedienten wir uns dieſer Zeit, um die Zinn-
Bergwerke in Cornwall zu beſuchen, und nachdem wir in den großen und reich-
haltigen Gruben zu Poldyre und Kenwyn Vergnuͤgen und Unterricht gefunden
hatten, ſo kehrten wir am achten Julius nach Plymouth wieder zuruͤck.


— „Capitain Cook bekam in Plymouth Verhaltungsbefehle, vom
25ſten Junius datirt. **) Dieſen zufolge ſollte er die Adventure unter ſein Com-
mando nehmen, nach Madera ſeegeln, ſich dort mit Wein verſehen, und ſodann
zu Erfriſchung ſeiner Leute und um beyde Schiffe mit Lebensmitteln zu verſorgen,
am Vorgebuͤrge der guten Hofnung anlegen. Von da aus ſollte er ſuͤdlich lau-
fen, und wo moͤglich das Capde la Circonciſion entdecken, welches Herr Bou-
vet
unter dem 54 Grad Suͤder Breite und ohngefaͤhr 11°-20′ oͤſtlicher Laͤnge, von
[5]in den Jahren 1772 bis 1775.
Greenwich, angiebt. Entdeckte er dieſes, ſo ſollte er unterſuchen, ob es zum1772.
Julius.

feſten Lande gehoͤre, welches aller Geographen und voriger Seefahrer Aufmerk-
ſamkeit erregt hatte, oder ob es nur ein Theil einer Inſel ſey? Im erſten Fall
ſollte ſo viel als moͤglich von der Kuͤſte befahren und unterſucht, zugleich auch
Bemerkungen zum Vortheil der Handlung, der Seefahrt und der Naturgeſchichte
gemacht werden. Traͤfe man Einwohner an, ſo ſollte Capitain Cook ihren
Character, Temperament, Genie und Anzahl bemerken, und wo moͤglich freund-
ſchaftlichen Umgang mit ihnen zu haben ſuchen. So lange die Schiffe in gutem
Stande, die Leute geſund, und die Lebensmittel brauchbar blieben, ſollte er dieſe
Entdeckungen fortſetzen, und, je nachdem es die Umſtaͤnde erforderten, nach
Oſten oder Weſten laufen, dabey aber ſo weit gegen den Suͤdpol als nur im-
mer moͤglich zu dringen ſuchen. Waͤre aber das Vorgebuͤrge de la Circonciſion
nur ein Theil einer Inſel, oder koͤnnte er es gar nicht antreffen, ſo blieb ihm uͤbrig,
ſolange als er noch Hofnung haͤtte ein großes oder feſtes Land zu finden, ſuͤdwaͤrts zu
ſteuern, alsdenn aber ſeinen Lauf nach Oſten zu richten, und in hohen ſuͤdlichen
Breiten, ſo nah am Pol als thunlich ſeyn wuͤrde, rund um die Welt zu ſee-
geln, zuletzt am Vorgebuͤrge der guten Hofnung wieder zu ankern und von dort nach
Spithead bey Portsmouth zuruͤckzukehren. So oft die Jahrszeit den ferne-
ren Aufenthalt in hohen Breiten gefaͤhrlich machen wuͤrde, ſollte er ſich nach
irgend einem bekannten Orte weiter gegen Norden, unter mildere Himmelsſtriche
zuruͤck ziehen, um ſeine Leute zu erfriſchen, und die Schiffe wieder in Stand zu
ſetzen. In allen Faͤllen, welche man nicht vorhergeſehn, konnte er uͤbrigens
nach eignem Gutduͤnken verfahren, und gienge ungluͤcklicher Weiſe die Reſo-
lution
verlohren, ſo ſollte er dennoch die Fahrt im kleinern Schiffe fortſetzen. Eine
Abſchrift dieſer Befehle theilte er dem Capitain Furneaux mit, und zeigte ihm
zugleich die Sammelplaͤtze, im Fall der Trennung an.“


“Die Sternkundige, der beyden Schiffe, Herren Wales und Bay-
ley
,
machten, waͤhrend daß wir nach Cornwall gereiſet waren, ihre Beobach-
tungen auf einem kleinen Eyland (Drake’s Island) im Haven von Plymouth.
Die Laͤnge dieſes Orts mußte aſtronomiſch beſtimt werden, weil man hier die Laͤn-
gen-Uhren in Gang bringen ſollte, welche dieſe Herren mit ſich am Bord hatten.
Herr Arnold hatte deren drey verfertigt, davon zwo in der Adventure bleiben
A 3
[6]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Julius.
ſollten. Die dritte mit noch einer andern, welche Herr Kendal nach der Harriſonſchen
Uhr genau nachgemacht hatte, kam auf das andre Schiff. Alle insgeſammt wur-
den am 10ten Julius in Gang geſetzt, und in viereckigten hoͤlzernen Kaſten auf-
bewahrt. Den genauſten Berechnungen zufolge iſt die Koͤnigliche Sternwarte
in Greenwich, welche wir hier beſtaͤndig als die erſte Mittagslinie annehmen
werden, von dem kleinen Eyland in Plymouth-Haven, 4° 20′ oſtwaͤrts ent-
fernt“ —.


Sonnabend den eilften begaben wir uns an Bord, um mit dem erſten
guͤnſtigen Winde abzuſegeln. Am folgenden Tage aber, da der Wind ziemlich
heftig bließ und mein Vater zufaͤlliger Weiſe auf dem Verdeck herum gieng, be-
merkte derſelbe nicht nur eine Aenderung in der gewoͤnlichen Lage unſers Schiffs
gegen die Adventure und ein anderes Schiff, welche beide vor Anker lagen, ſon-
dern ihn duͤnkte auch, als wenn es auf die Klippen unter der Feſtung zutriebe.
Er aͤußerte dieſe Vermuthung dem Lootſen (Maſter) Herrn Gilbert, der ſich
bey ihm auf dem Verdeck befand und ſogleich gewahr ward, daß die Kette eines
der beſtaͤndigen Boys, woran man das Schif befeſtigt hatte, gebrochen ſey.
Zur Fort-Arbeitung eines Schifs, wozu dieſe Boys zu Plymouth gebraucht
werden, moͤchte ſie ſtark genug geweſen ſeyn; aber der beſtaͤndigen und man-
nichfaltigen Bewegung eines ſchwergeladnen Schifs konnte ſie nicht widerſtehn;
und alſo haͤtte man auch, meines Erachtens, kein ſolches Schiff daran legen
ſollen. Gleich auf den erſten Lerm waren alle Matroſen in Bewegung; die See-
gel wurden aufgeſpannt, und die Kabel in Bereitſchaft geſetzt: Nun liefen wir
die Adventure und das andere Schif vorbey, und entgiengen auf ſolche Art der
groͤſten Gefahr an den Felſen unter der Feſtung zu ſcheitern. Unſre Seeleute
ſchloſſen aus dieſem bedenklichen und gluͤcklichen Vorfall auf den guͤnſtigen Fort-
gang der ganzen Reiſe, und wir konnten nicht umhin die Leitung der goͤttlichen
Vorſehung in dieſem wichtigen Augenblick zu erkennen, der alle unſre Hofnun-
gen beynahe auf einmal vereitelt haͤtte.*) Und wie oft haben wir uns nicht im
[7]in den Jahren 1772 bis 1775.
Verfolg dieſer Reiſe in ſo gefaͤhrlichen Umſtaͤnden befunden, wo alle menſchli-1772.
Julius.

che Huͤlfe vergeblich geweſen ſeyn wuͤrde, wenn unſer beſſeres Schickſal nicht
unter einer hoͤhern Aufſicht geſtanden haͤtte, ohne welche kein Haar von unſerm
Haupte faͤllt? Zwar ſind wir geneigt, der Vortreflichkeit und dem wachſamen
Auge unſrer erfahrnen Welt-Umſeegler die billigſte und ruͤhmlichſte Gerechtig-
keit wiederfahren zu laſſen; allein im Grunde werden wir uns nie enthalten, al-
les auf ſeinen wahren Urſprung, fuͤrnemlich aber ſolche Vorfaͤlle auf eine hoͤhere
Macht zuruͤckzufuͤhren, wovon keine menſchliche Kunſt, waͤre ſie auch mit fre-
cher Religions-Verachtung gewaffnet, die Ehre ſich anmaßen darf.


Montags fruͤh, am 13ten, ſeegelten wir in Begleitung der Adventure
von Plymouth ab. Ich kehrte einen Abſchieds-Blick gegen Englands frucht-
bare Huͤgel zuruͤck, und lies dem natuͤrlichen Gefuͤhl der Verbindungen, woran
mich dieſe Ausſicht erinnerte, freyen Lauf; bis endlich die Heiterkeit des ſchoͤ-
nen Morgens, und die Neuheit unſrer Fahrt, durch die noch glatte See, die
Oberhand gewannen und jene truͤben Gedanken zerſtreuten. Bald blieb nun hin-
ter uns der beruͤhmte hohe Leucht-Thurm, der mitten im Meer auf dem Felſen
Eddiſtone, zum Beſten der Schiffahrt, gebauet iſt, und den man unmoͤglich an-
ſehen kann, ohne fuͤr die einſamen Waͤchter zu zittern, die oft drey Monathe
lang, von aller Gemeinſchaft mit dem feſten Lande abgeſchnitten, daſelbſt zu-
bringen muͤſſen. Denn das Schickſal eines gewiſſen Winſtanley, der unter
dem Schutt eines aͤhnlichen Gebaͤndes, das er ſelbſt auf dieſer Klippe angelegt
hatte, vergraben wurde, und die ſchwankende Bewegung des jetzigen Thurms,
wenn Wind und Wetter ihn beſtuͤrmen, muͤſſen ſie unaufhoͤrlich mit einem ſchleu-
nigen und ſchreckenvollen Untergange bedrohen.


In eben dem Maaße als wir uns vom Lande entfernten, ward der
Wind heftiger; die Wellen wuchſen an, das Schif rollte von einer Seite zur
andern und die der See nicht gewohnt waren, ja ſelbſt einige der aͤlteſten See-
leute, litten nunmehr, doch in verſchiedenem Grade, von der Seekrankheit.
Auch war dieſe Uebelkeit nicht bey allen von gleicher Dauer, und nachdem ſie
drey Tage lang angehalten hatte, fanden wir uns groͤſtentheils durch gewaͤrmten-
rothen Oporto-Wein mit Zucker und Gewuͤrzen wieder hergeſtellt.


[8]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Julius.

Am 20ten bekamen wir das Vorgebuͤrge Ortegal an der Galliciſchen
Kuͤſte in Spanien zu Geſicht; welches die Einwohner Ortiguera nennen und
vermuthlich das Promontorium trileucum der Alten iſt. Das Land iſt
in dieſer Gegend bergigt und, an denen Orten, wo man den nackten Felſen
ſahe, von weißlichter Farbe; die Gipfel der Berge aber waren mit Waldung
bedeckt. Ich bemerkte auch einige beynahe reife Kornfelder, und etliche Stellen
die mit Haide bedeckt zu ſeyn ſchienen. Jedermann am Bord ſchaute dies Land
mit ſolcher Sehnſucht an, daß man deutlich abnehmen konnte, der Menſch ſey
kein Amphibium. Dieſen Gedanken ſcheint Horaz gefuͤhlt zu haben, wenn
er ſagt:


Necquicquam Deus abſcidit
Prudens Oceano diſſociabili
Terras: ſi tamen impiœ
Non tangenda rates tranſiliunt vada.
Hor.
()

Am 22ſten ſahen wir den Leucht-Thurm bey Corunna, oder, wie es
unſre Seeleute nach ihrer Weiſe verſtuͤmmeln, the Groyn. Wir hatten eine
voͤllige Windſtille; die See war ſo eben als ein Spiegel, und Kornfelder, um-
zaͤunte Gruͤnde, kleine Doͤrfer und adeliche Hoͤfe verſchoͤnerten die bergigte
Landſchaft: Alles vereinigte ſich, die Ueberbleibſel der Seekrankheit zu ver-
treiben und erfuͤllte uns mit gutem Muth, der freylich bey leerem Magen und
ſtuͤrmenden Wellen nicht hatte Stand halten koͤnnen. Des Abends ſahen wir
nicht weit von uns eine kleine Taxtane, die uns ein Fiſcher-Boot von der
ſpaniſchen Kuͤſte zu ſeyn ſchien und in dieſer Meinung ſetzten wir ein Boot aus
um friſche Fiſche einzukaufen. Die ganze Oberflaͤche des Meeres war mit Tau-
ſenden von kleinen Krabben bedeckt, die nicht uͤber einen Zoll im Durchſchnitt
hatten, und von der Art waren, welche LinnaͤusCancer depurator nennt.
Das kleine Fahrzeug ſelbſt war eine franzoͤſiſche Tartane, aus Marſeille, von
ohngefaͤhr 100 Tonnen, mit Mehl fuͤr Ferrol und Corunna beladen. Die
Leute am Bord baten uns um etwas friſches Waſſer, weil ſie durch widrige
Winde ſeit zween Monathen verſchlagen worden, ihren ganzen Vorrath ſchon
ſeit
[9]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſeit vierzehn Tagen verbraucht und ſich ſeitdem nur von Brod und einer kleinen1772.
Julius.

Portion Wein genaͤhrt haͤtten. In dieſem elenden Zuſtande, waren ihnen ver-
ſchiedene Schiffe und beſonders etliche ſpaniſche Kriegs-Schiffe begegnet, nie-
mand aber war menſchlich genug geweſen, ihrer Noth abzuhelfen. Der Offi-
cier, welcher unſer Boot commandirte, ſchickte ſogleich die ledigen Faͤſſer an das
Schiff um ſie anfuͤllen zu laſſen, und die armen Leute nahmen ſie alsdenn mit
ſolchen Minen wieder in Empfang, aus welchen die lebhafteſte Freude ſtralte. Sie
dankten dem Himmel und uns, und freuten ſich, daß ſie endlich wieder Feuer ma-
chen und nach langem Faſten etwas warmes genießen koͤnnten. So wahr iſts,
daß ein gefuͤhlvolles Herz oft Gelegenheit hat ſeine Wohlthaͤtigkeit ohne Koſten zu
uͤben.


Des folgenden Nachmittags ſeegelten drey ſpaniſche Kriegs-Schiffe nach
dem Hafen Ferrol vorbey. Eines ſchien 74 Kanonen, die andern zwey aber nur
60 zu fuͤhren. Das letzte zog anfaͤnglich Engliſche Flaggen auf, nachdem wir
aber die unſrige gezeigt, lies es dieſe wieder herunter, feuerte eine Kanone unter
dem Winde ab, und ſteckte die ſpaniſche Flagge auf. Bald darnach feuerte es
eine Kugel nach der Adventure; weil wir aber fortſeegelten ohne uns an ſein
Feuern zu kehren, ſo kam das Spaniſche Schiff zuruͤck, und ſchoß noch eine
Kugel, welche dicht vor der Adventure vorbeygieng. Als Capitain Cook dies
ſahe lies er unſer Schiff in den Wind legen, (d. i. wir hielten mit ſeegeln inne)
und die Adventure that nun ein gleiches, doch ſchien es als ob ſie ſich hierinn
blos nach unſerm Beyſpiel richtete. Der Spanier rief dies Schif auf Engliſch an,
und frug “was fuͤr eine Fregatte die vor ihnen waͤre?“ indem er auf uns zeigte.
Sobald er hierauf Antwort bekommen hatte, wollte er eine aͤhnliche Frage, die
man ihm vorlegte, nicht beantworten, ſondern erwiderte beſtaͤndig: “Ich wuͤnſch’
euch gluͤckliche Reiſe.“ Nach dieſem Auftritte, der fuͤr die “Herren der See“
eben nicht ſchmeichelhaft war, ſetzten wir unſre Reiſe fort und paßirten das Vor-
gebuͤrge Finiſterre in der Nacht. *)


Forſters Reiſe u. d. W., erſter Th. B
[10]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Julius.

Verſchiedene Meerſchweine ſchwammen am 25ſten, gegen den Wind, vor-
bey, der, ſeit dem wir das Cap Finiſterre verlaſſen, nord-oͤſtlich geblieben war.
Des Nachts leuchtete das Meerwaſſer, beſonders ſchienen die Spitzen der Wellen,
und ein Theil des Kielwaſſers hinter dem Schiff, aus einer Maſſe von lauter
Licht zu beſtehen; doch ſahe man auch noch ohnedies eine Menge kleiner Fun-
ken, die heller als alles uͤbrige waren.


Am 28ſten um 6 Uhr des Morgens erblickten wir die Inſel Porto-San-
to
,
welche ohngefaͤhr vier bis fuͤnftehalb deutſche Meilen lang, unfruchtbar,
und ſchlecht bewohnt iſt. Sie hat nur eine Villa oder Flecken, die eben ſo heißt
und am oͤſtlichen Ufer in einem Thal liegt, welches ganz angebaut, und dem
Anſehn nach, voller Weinberge iſt. Uebrigens ſteht dieſe kleine Inſel unter
dem Gouverneur von Madera und die Zahl ihrer Einwohner belaͤuft ſich ohn-
gefaͤhr auf 700 Koͤpfe.


Kurz nachher kamen wir auf die Hoͤhe von Madera und der Ilhas de-
ſertas
,
welche unſre Seefahrer die Deſerteurs zu nennen pflegen. Die
Stadt Santa Cruz auf Madera lag Nachmittags um 6 Uhr gerade vor uns.
Hier ſahen wir die Berge von einer Menge tiefer Kluͤſte und Thaͤler durch-
ſchnitten und auf den Ruͤcken derſelben verſchiedene Landhaͤuſer, deren uͤberaus
anmuthige Lage zwiſchen Weinbergen und hohen Cypreſſen, der Gegend ein ſehr
romantiſches Anſehen gab. Wir wurden mit Booten in die Rheede von Fun-
*)
[11]in den Jahren 1772 bis 1775.
chal
boogſirt, weil es voͤllig Windſtill war, und erſt in dunkler Nacht kamen wir1772.
Julius.

vor Anker.


Fruͤhe am 29ſten wurden wir durch den maleriſchen Anblick der Stadt
Funchal ſehr angenehm uͤberraſcht. Sie liegt rund um die Rheede, auf einem
ſanft anlaufenden Grunde der Vorberge, und hat die Geſtalt eines Amphitea-
ters. Vermittelſt dieſer Lage fallen ſaͤmtliche Gebaͤude und Haͤuſer um ſo viel
vortheilhafter ins Geſicht; ſie ſind faſt durchgehends weiß angeſtrichen; viele
ſind zwey Stock hoch, und haben flache Daͤcher, welches ihnen eine Aehnlich-
keit mit der morgenlaͤndiſchen Bauart und eine Simplicitaͤt giebt, die hier in Eng-
land
, unſern ſchmalen Haͤuſern mit hohen, ſchraͤg zuſammenlaufenden und mit
einer ganzen Reihe von Schornſteinen bepflanzten Daͤchern, gaͤnzlich zu fehlen
pflegt. Am Ufer ſieht man verſchiedene Batterien und Plattformen mit Ka-
nonen, auch wird die Rheede von einem alten Kaſtell beſtrichen, welches auf
einem ſteilen ſchwarzen Felſen liegt, der bey hohem Waſſer von der See umge-
ben iſt, und von den Englaͤndern the Loo-Rock genannt wird. Hinter der
Stadt iſt noch ein andres Kaſtell, St. Joanno do Pico genannt. Die nah-
gelegnen Hoͤhen, auf welchen man uͤberall Weinberge, umzaͤunte Gruͤnde, Plan-
tagen und Buſchwerk nebſt Landhaͤuſern und verſchiedenen Kirchen erblickt, ma-
chen die Schoͤnheit der Landſchaft vollkommen. Alles erweckte den Begrif einer
bezauberten Juſul, und gab uns eine Idee von den haͤngenden Gaͤrten der Se-
miramis.


Um 7 Uhr kam ein Boot zu uns, welches das Prattique-Boot genannt
wird und einen Capitain do Sal am Boord hatte. Dieſer Officier iſt einer
von den zween Guarda-Mores des Geſundheits-Collegii, welche die Quaran-
taine der Schiffe beſtimmen, die aus der Barbarey oder Levante oder aus an-
dern verdaͤchtigen, der Peſt unterworfnen, Gegenden ankommen. Er erkundigte
ſich nach unſerm Geſundheitszuſtande und dem Lande woher wir kaͤmen, und
erfuhr was er zu wiſſen verlangte.


Kurz nachher landeten wir und giengen mit unſern Capitains zu Herrn
Loughnan, einem engliſchen Kaufmann, der, vermoͤge Contracts, alle hier ein-
laufende Koͤnigliche Schiffe mit den erforderlichen Nothwendigkeiten verſiehet.
Der juͤngſt ernannte Conſul, Herr Murray war noch nicht angekommen; Herr
B 2
[12]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Julius.
Loughnan aber empfing uns mit einer Gaſtfreyheit und einem Anſtande, der
ihm und der Nation Ehre macht.


Die Stadt entſpricht bey weiten dem Begriffe nicht, den ihr aͤußeres An-
ſehen von der Rhede aus erregt; denn die Straßen ſind eng und ſchlecht gepflaſtert
und ſchmutzig; die Haͤuſer ſind zwar von gehauenen oder gebacknen Steinen, aber
innerhalb dunkel. Nur diejenigen ſind mit Glasfenſtern verſehen, welche den engli-
ſchen Kaufleuten oder andern vornehmern Einwohnern gehoͤren, die uͤbrigen
haben gemeiniglich Laden von Lattenwerk, welche oben an Hespen befeſtigt ſind,
und als Fenſter geoͤfnet, auch erforderlichen Falls ausgehoben werden koͤnnen.
Die untern Zimmer ſind mehrentheils zu Wohnungen fuͤr Bediente, oder zu Kram-
laͤden und Waarenlagern beſtimmt.


Was die Kirchen und Kloͤſter betrift, ſo ſind es ſchlechte Gebaͤude, die
keine ſonderliche Kenntniß der Architectur verrathen. Ihr Inneres iſt ohne Ge-
ſchmack, denn das wenige Licht, welches von außen herein faͤllt, macht dem
Auge nichts als eine Menge von Flitter-Zierrathen ſichtbar, die in aller Abſicht
gothiſch ſind. Das Franciscaner-Kloſter iſt nett und raͤumlich; aber ihr Garten
ſchien in keiner guten Ordnung zu ſeyn.


Die Nonnen von St. Clara empfiengen uns ſehr hoͤflich am Gitter ih-
res Sprachzimmers, ſandten aber hernach einige alte Weiber ab, um ihre verfer-
tigte Blumen auszubiethen.


Wir machten hierauf mit Herrn Loughnan einen Spatziergang
nach ſeinem Landhauſe, welches eine engliſche Meile von der Stadt auf
einer Anhoͤhe gelegen iſt, und fanden daſelbſt eine angenehme Geſellſchaft, von
den vornehmſten engliſchen Kaufleuten auf Madera. Unſre Capitains giengen
Abends wieder an Boord; wir aber machten uns Herrn Loughnans hoͤfliches
Anerbieten, waͤhrend unſers kurzen Aufenthalts zu Madera in ſeinem Hauſe
Platz zu nehmen, mit Vergnuͤgen zu Nutze.


Am folgenden Morgen fiengen wir an, die landeinwaͤrts gelegenen Ge-
genden der Inſel zu unterſuchen, und ſetzten dieſe Beſchaͤftigung den folgenden
Tag fort. Um 5 Uhr Morgens giengen wir bergauf laͤngſt einem Bach, der
uns in die innern bergigten Gegenden fuͤhrte. Um 1 Uhr Nachmittags kamen
wir zu einem Caſtanienwalde, der nicht weit unterhalb der hoͤchſten Bergſpitze
[13]in den Jahren 1772 bis 1775.
dieſer Inſel, ohngefaͤhr 6 engliſche Meilen weit von Herrn Loughnans Gute1772.
Auguſt.

liegt. Hier war die Luft merklich kuͤhler; und da wir gern den kuͤrzeſten Ruͤckweg
nehmen wollten, ſo mietheten wir einen Schwarzen, der uns nach anderthalb
Stunden zu unſerm guͤtigen Wirthe zuruͤck brachte.


Am folgenden Tage wurden Anſtalten zu unſrer Abreiſe gemacht und ich
verließ nun mit geruͤhrrem Herzen dies reizende Land und dieſe edelmuͤthigen
Freunde, welche die Wonne, daß ſie ihren Nebenmenſchen froh ſehen, zu ſchaͤtzen,
zu empfinden und zu genießen wiſſen. Noch immer wallet mein Herz von jenen
Regungen der Dankbarkeit und Hochachtung, die mir damals den Abſchied ſo
ſchwer machten; und es bleibt mir ein wahrhaftes Vergnuͤgen, brittiſche Gaſt-
freyheit noch außerhalb Landes gefunden zu haben, von der Smollet*) in Eng-
land
ſelbſt keine Spuhr mehr zu entdecken wußte.


Ehe ich dieſe Inſel ganz verlaſſe, will ich die Anmerkungen einruͤcken, welche
ich daſelbſt zu machen und zu ſammlen Gelegenheit hatte; und ich hoffe ſie ſollen mei-
nen Leſern willkommen ſeyn, weil ſie ſich groͤßtentheils von verſtaͤndigen Englaͤn-
dern herſchreiben, die lange dort gewohnt haben. Freylich kann ich mir vorſtellen,
daß Nachrichten von Madera einigen meiner Leſer uͤberfluͤßig ſcheinen werden;
wenn ſie ſich aber in den zahlreichen Reiſen ſo vieler Seefahrer, welche die Welt
umſchift haben, nicht finden ſollten, wie dies vielleicht der Fall ſeyn moͤgte, ſo be-
duͤrfen ſie wohl keiner weitern Schutzrede. Nur gar zu leicht uͤberſieht man
Dinge, die uns gleichſam vor der Thuͤr ſind, vornemlich wenn man “auf Entde-
ckungen ausgeht,“ die gemeiniglich in eben dem Maaße fuͤr wichtiger gehalten
werden als ſie weit entferntere Laͤnder betreffen.


Die Inſel Madera iſt ohngefaͤhr 55 engliſche Meilen lang und 10 Mei-
len breit. Sie ward am 2ten Julius 1419. zuerſt entdeckt von Joao Gonzales
Zarco
;
denn die fabelhafte Erzaͤhlung, daß ſie von einem gewiſſen Englaͤnder
Machin gefunden ſeyn ſoll, hat keinen hiſtoriſch erweislichen Grund. Sie
wird in zwey Capitaneas getheilt, welche nach den darinn gelegnen Staͤdten,
Funchal und Maxico (Maſchiko) heißen. Die erſtere Capitanea enthaͤlt zween
Gerichtshoͤfe (Iudicaturas) davon der eine zu Funchal, der andre zu Cal-
B 3
[14]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
hetta
iſt; dies letztere iſt ein Staͤdtchen, deren Gebiet den Titel einer Grafſchaft
hat, und der Familie Caſtello Melhor gehoͤrt. Auch in der andern Capitanea
befinden ſich zwey Gerichte, eines zu Maxico und eins in San Vincente.


Funchal, welches die einzige Stadt, (cidade) in dieſer [Inſel] iſt, — “liegt
an der ſuͤdlichen Kuͤſte derſelben unter der noͤrdlichen Breite von 32. 33′.
34″ und in 17°. 12′.7″ weſtlicher Laͤnge von Greenwich; —“ außer dieſer Stadt
giebt es noch ſieben Staͤdtgen (oder Villas) darauf. Viere derſelben, als Cal-
hetta
, Camara de Lobos, Ribeira braba,
und Ponta de Sol, ſind in der
Hauptmannſchaft Funchal, welche in ſechs und zwanzig Kirchſpiele getheilt iſt.
Die uͤbrigen drey, namentlich: Maſchicko, San Vincente und Santa Cruz,
liegen in der Hauptmannſchaft Maſchiko, die uͤberhaupt ſiebenzehn Kirchſpiele hat.


Der Gouverneur iſt das Oberhaupt aller buͤrgerlichen und Militaͤr-De-
partements auf dieſer Inſel, auf Porto Santo, auf den Salvages und auf
den Ilhas deſertas. Don Joao Antonio de Saa Pereira bekleidete dieſe
Stelle als ich zu Madera war. Man hielt ihn fuͤr einen ſehr verſtaͤndigen und
einſichtsvollen, dabey aber ſehr zuruͤckhaltenden und bis zur Bedenklichkeit vor-
ſichtigen Herrn.


Das Juſtitz-Departement ſteht unter dem Corregidor, an welchen auch
alle Appellationen von den niedrigen Gerichtshoͤfen gerichtet werden. Der Koͤ-
nig, welcher dieſe Stelle nach Gutbefinden vergeben und wiederum nehmen kann,
pflegt gemeiniglich Perſonen aus Liſſabon zu dieſem Poſten zu ernennen. Jeder
Gerichtshof, (Iudicatura) beſteht aus einen Senat, deſſen Mitglieder ſich einen
Juiz oder Richter zu ihrem Vorſitzer waͤhlen. Zu Funchal heißt er Juiz
da Fora,
und dieſer wird, in Abweſenheit oder bey Abſterben des Corregi-
dors, als deſſelben Repraͤſentant angeſehen. Die auslaͤndiſchen Kaufleute waͤh-
len ihren eignen Richter, Providor genannt, welcher zugleich die Koͤniglichen
Zoͤlle und Einkuͤnfte einzunehmen hat. Dieſe belaufen ſich in allem ohngefaͤhr
auf 120,000 Pfund Sterling, und werden groͤßtentheils auf Beſoldung der
Koͤniglichen Bedienten und Truppen, wie auch zu Unterhaltung der oͤffentlichen
Gebaͤude wiederum verwendet. Sie beſtehen im Frucht-Zehnten, welcher
dem Koͤnige als Grosmeiſter des Chriſt-Ordens gehoͤrt; ferner in einer Auflage
von zehn Procent auf alle einkommende Waaren, Lebensmittel allein ausgenom-
[15]in den Jahren 1772 bis 1775.
men, und endlich in einer Auflage von eilf Procent von allen ausgehenden Guͤ-1772.
Auguſt.

tern. Es giebt nur eine Compagnie regulairer Truppen von hundert Mann
auf der [Inſel]; die Miliz hingegen iſt an dreytauſend Mann ſtark und in Com-
pagnien eingetheilt, deren jede ihren Capitain, einen Lieutenant und einen Faͤhn-
rich hat. Weder Officier noch Gemeine dieſer Miliz werden beſoldet, weil man
aber einen gewiſſen Rang durch ſie bekommt, ſo bemuͤht ſich ein jeder darinn
aufgenommen zu werden. Sie ſtoͤßt jaͤhrlich einmal zuſammen, und wird einen
Monath lang exercirt. Das ganze Militaͤr ſteht unter dem Serjeante Môr,
und die beyden Capitanos de Sal, welche der Gouverneur um ſich hat, thun
Adjudanten-Dienſte.


Die Anzahl der Welt-Geiſtlichen auf dieſer Inſel belaͤuft ſich auf 1200,
wovon viele als Haus-Informators gebraucht werden. Seit Vertreibung der
Jeſuiten giebts hier keine ordentliche oͤffentliche Schule, außer einem Semi-
nario, darin auf Koſten des Koͤnigs, von einem dazu geſetzten Prieſter, zehen
Studenten unterrichtet werden, welche uͤber die gewoͤhnliche ſchwarze Stu-
denten-Tracht noch einen rothen Mantel haben. Wer die Prieſterweihe haben will,
muß aber auf der neueingerichteten Univerſitaͤt Coimbra in Portugal ſtudi-
ren. Hiernaͤchſt iſt zu Madera ein Capittel unter einem Biſchof, deſſen Ein-
kuͤnfte betraͤchtlicher ſind als des Gonverneurs, denn ſie beſtehen aus einhundert
und zehn Pipen Wein und aus vierzig Muys Weitzen, wovon jedes vier und
zwanzig engliſche Buſchel haͤlt. Dies bringt ihm in gewoͤhnlichen Jahren,
nach Gelde gerechnet, ohngefaͤhr dreytauſend Pfund Sterling ein. Auch
giebt es ſechzig bis ſiebenzig Franciscaner in vier Kloͤſtern, wovon eins zu
Funchal iſt, und in eben ſo viel Kloͤſtern, ohngefaͤhr dreyhundert Nonnen,
welche zu den Orden Mercy, S. Clara, Incarnacao und Bom Jeſus
gehoͤren. Die Nonnen des letztgenannten Ordens duͤrfen das Kloſter verlaſſen
und heyrathen.


Im Jahr 1768. beſtanden die geſammten Einwohner der drey und
vierzig Kirchſpiele zu Madera aus 63,913 Koͤpfen, oder 31341 Perſonen
maͤnnlichen und 32572, weiblichen Geſchlechts. Allein in gedachtem Jahre ſtar-
ben 5243 Perſonen, und nur 2198 Kinder wurden dagegen geboren; ſo daß
3045 Todesſaͤlle mehr waren als Geburten. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß
[16]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
dies von einer epidemiſchen Krankheit hergeruͤhrt hat, denn ſonſt muͤßte die Inſel
laͤngſt entvoͤlkert ſeyn, deren Clima doch vortreflich iſt, indem das Wetter gemeinig-
lich gelinde und die Hitze ſelbſt im Sommer in den hoͤhern Gegenden ſehr gemaͤſ-
ſigt iſt, weshalb auch die Vornehmern dort ihren Sommeraufenthalt nehmen.
Im Winter ſind dieſe Berggegenden wohl mehrere Tage lang mit Schnee bedeckt,
in den niedrigern Gegenden aber, bleibt er niemals laͤnger als einen oder zwey
Tage hindurch liegen. Auf die Richtigkeit unſrer Angabe von den Gebohrnen und
Geſtorbnen kann man ſich uͤbrigens verlaſſen, weil wir Gelegenheit hatten durch
einen Secretair des Gouverneurs einen Auszug aus den Kirchenbuͤchern zu er-
halten.


Das gemeine Volk iſt ſchwaͤrzlich von Farbe und wohl gebildet, doch
haben ſie große Fuͤße, welches vermuthlich von Erſteigung der ſteilen und ſtei-
nigten Wege auf den Bergen, herkommen mag. Sie ſind von laͤnglicher Ge-
ſichtsbildung, haben ſchwarze Augen und ſchwarzes Haar, welches von Natur
in Locken faͤllt, bey einigen aber anfaͤngt ſich wollartig zu kraͤuſeln, eine Eigen-
ſchaft, die man vielleicht ihrer Vermiſchung mit Negern zuſchreiben koͤnnte.
Im Ganzen ſind ſie plump doch nicht widerlich gebildet. Die Frauensperſonen
ſind haͤßlich; es fehlt ihnen die bluͤhende Farbe, welche, nebſt der gefaͤlligen re-
gelmaͤßigen Geſtalt, dem weiblichen Geſchlecht unſerer noͤrdlichen Gegenden den
Vorzug uͤber alles andre Frauenzimmer giebt. Hier in Madera ſind ſie klein und
ſtark von Knochen, ſelbſt im Geſicht, beſonders aber am Fuswerk. Dabey iſt
nichts gefaͤlliges in ihrer Art ſich zu tragen und in ihrem Anſtande; und der
Farbe nach gehoͤren ſie zu den dunkelſten Brunetten. Allein, die richtigen Ver-
haͤltniſſe ihres Wuchſes, die ſchoͤne Geſtalt ihrer Haͤnde, und ihre großen leb-
haften Augen entſchaͤdigen ſie einigermaßen fuͤr jene Maͤngel. Die Arbeits-
leute tragen Sommers leinene Schifferhoſen, ein grobes Hembd, einen großen Hut
und Stiefeln. Außerdem hatten einige noch ein kurzes Camiſol von Tuch und einen
langen Mantel, den ſie zuweilen uͤber den Arm ſchlugen. Die Frauensperſonen
tragen Roͤcke und kurze enge Leibchen, eine Tracht, die zwar ſehr einfach iſt, aber
manche Perſonen gar nicht uͤbel kleidet. Hiernaͤchſt tragen ſie auch wohl einen
kurzen weiten Mantel, der Kopf aber bleibt voͤllig unbedeckt, und die Unverhey-
ratheten binden die Haare oben auf dem Wirbel des Haupts zuſammen.


Die
[17]in den Jahren 1772 bis 1775.

Die Leute auf dem Lande ſind ausnehmend maͤßig, und leben ſchlecht.1772.
Auguſt.

Sie naͤhren ſich mehrentheils nur von Brod und Zwiebeln oder anderm Wur-
zelwerk und etwas Fleiſch. So elend ſie ſich aber auch behelfen muͤſſen, ſo eſſen
ſie doch nicht leicht Eingeweide oder ſonſt andern Abgang von Fleiſch, weil die
aͤrmſten Bettler Caldaunen-Schlucker bey ihnen genannt werden. Ihr ge-
woͤhnlicher Trunk iſt Waſſer, oder auch (Lurike) ein duͤnnes Getraͤnk, welches
ſie aus Weintraͤbern und Waſſer zubereiten, und durch die Gaͤhrung etwas
ſcharf und ſaͤuerlich werden laſſen; es kann aber nicht lange aufbewahrt werden.
Der Wein ſelbſt, der dieſe Inſel ſo beruͤhmt gemacht hat, und der ihrer Haͤnde
Arbeit iſt, kommt ſelten vor ihren Mund. Ihre Hauptbeſchaͤftigung iſt Wein-
bau; da ſolcher aber den groͤßten Theil des Jahrs keiner Wartung bedarf, ſo koͤnn-
nen ſie ſich ihrer Neigung zum Muͤßiggang, welche in warmen und fruchtbaren
Laͤndern ſo natuͤrlich iſt, deſto eher uͤberlaſſen. Die portugieſiſche Regierung
ſcheint bis jetzo noch nicht die beſten Mittel dagegen ergriffen zu haben: Zwar
iſt neuerlich Befehl ergangen, daß Oelbaͤume angepflanzt werden ſollen, wo der
Boden fuͤr den Weinwachs zu trocken und unfruchtbar iſt; aber noch iſt man nicht
bedacht geweſen, den Landmann fuͤrs erſte unter die Arme zu greifen, oder Be-
lohnungen zu verſprechen, die ihn geneigt zu Neuerungen und willig zur Arbeit
machen koͤnnten.


Die Weinberge werden Pachtweiſe und immer nur auf ein Jahr lang
ausgethan. Die Paͤchter bekommen vier Zehntheile vom Gewaͤchs; vier andre
Zehntheile muͤſſen dem Grundherrn, ein Zehntheil an den Koͤnig und einer an
die Geiſtlichkeit entrichtet werden. Ein ſo geringer Gewinn und die Ausſicht,
daß ſie mehr fuͤr andre als fuͤr ſich ſelbſt arbeiten, muß natuͤrlicherweiſe Muth und
Hofnung niederſchlagen. Dennoch ſind ſie bey aller Unterdruͤckung luſtig und ver-
gnuͤgt, ſingen bey der Arbeit und verſammlen ſich des Abends, um nach dem
Schall einer einſchlaͤfernden Guitarre zu tanzen und zu ſpringen.


Die Einwohner der Staͤdte ſind noch haͤßlicher als die Landleute, und
dabey oft blaß und mager. Die Maͤnner gehen franzoͤſiſch und mehrentheils
ſchwarz gekleidet; aber gemeiniglich paſſen die Kleider nicht, und ſcheinen we-
nigſtens ſeit funfzig Jahren ſchon aus der Mode geweſen zu ſeyn. Die Damen
ſind feiner und angenehm gebildet; aber die Eiferſucht, welche den Maͤnnern
Forſters Reiſe um die Welt, erſter Th. C
[18]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
hier gleichſam angeboren iſt, haͤlt ſie ſtets eingeſchloſſen und beraubt ſie einer Gluͤck-
ſeligkeit, welche den aͤrmern Landweibern unbenommen bleibt. Die Vorneh-
mern machen eine Art von Adel aus; aber ihr Ahnen-Stolz macht ſie ungeſellig
und unwiſſend, und verleitet ſie zu einem laͤcherlich-affectirten, vornehmen [We-
ge]
ſen. Die Landguͤther gehoͤren einigen alten Familien, die zu Funchal und in
den uͤbrigen Staͤdten der Inſel wohnhaft ſind.


Madera beſteht aus einem einzigen großen Berge, der ſich von allen
Seiten von der See gegen die Mitte der Inſel erhebt, und daſelbſt in eine Spitze
zuſammen laͤuft, auf der ſich eine Vertiefung finden ſoll, welche von den Ein-
wohnern Val genannt wird, und, ihrer Ausſage nach, mit einem feinen, im-
mer gruͤnen Graſe bewachſen iſt. Die Steine, welche wir zu unterſuchen
Gelegenheit hatten, ſchienen alle im Feuer geweſen zu ſeyn, waren loͤchericht und
von ſchwarzer Farbe; kurz, der groͤßte Theil derſelben war Lava. Einige glichen
jener Steinart, welche von den Bergleuten in Derbyſhire, Dunſtone genannt
wird. Auf der ganzen Inſel beſteht das Erdreich aus einem Tras, welcher mit
Thon und Sand gemiſcht und gewiſſen Erdarten aͤhnlich iſt, die wir nachher auch
auf der Inſel Aſcenſion antrafen. Aus allen dieſen Umſtaͤnden glaube ich mit
Recht ſchließen zu koͤnnen, daß ein Feuerſpeyender Berg dieſe Laven und Ocher-
Erden hervorgebracht habe, und daß die oberwaͤhnte Vertieffung auf der Bergſpitze
der Inſel, der Crater, oder die Muͤndung des Vulcans geweſen ſey. Beym erſten
Anblick von Madera war ich zwar andrer Meynung; allein der ſchwarze Loo-
Felſen, imgleichen jener, auf welchem das Caſtel S. John ſteht, ferner die
Beſchaffenheit der Erd- und Steinarten und endlich die Lage vorgedachter Ver-
tiefung uͤberzeugten mich, daß hier alles eine gewaltſame Veraͤnderung vom Feuer
erlitten haben muͤſſe.


Verſchiedne Baͤche, welche von den hoͤchſten Gegenden in tiefen Schluch-
ten herab ſtroͤhmen, machen große Abtheilungen auf der Inſel; allein Ebenen,
dergleichen andre Reiſende vor uns bemerkt haben wollen, *) konnten wir hier nir-
gends finden. In den Flußbeeten jener Baͤche giebt es an manchen Stellen eine
Menge groͤßerer und kleinerer Steine, welche das Waſſer aus den hoͤheren Ge-
genden, hauptſaͤchlich zur Winterszeit, bey heftigem Regen oder bey aufgehen-
[19]in den Jahren 1772 bis 1775.
dem Schnee herabfuͤhrt. Zu Beguͤnſtigung des Weinbaues wird das Waſſer durch1772.
Auguſt.

Eindaͤmmungen und Canaͤle in die Weinberge geleitet, damit jeder Inhaber
auf eine beſtimte Zeit Gebrauch davon machen koͤnne. Einige haben es fuͤrs gan-
ze Jahr; andre woͤchentlich dreimal, andre zweymal, und noch andre gar nur ein-
mal. Da des heißen Himmelsſtrichs wegen kein Weinberg ohne Waͤſſerung beſte-
hen kann, ſo kann auch dergleichen nicht ohne große Koſten, und dazu nur in ſol-
chen Gegenden angelegt werden, wo Waſſer von denen zu erhalten ſteht, die es fuͤrs
ganze Jahr und uͤbrig haben. Wo in den hoͤhern Gegenden nur auf irgend eine
Weiſe ein Stuͤckchen ebenes Land anzutreffen iſt oder durch Handarbeit dazu ge-
macht werden kann, da pflanzen ſie Zehr-Wurzeln (arum eſculentum Linn.)
und umziehen es, der Waͤſſerung wegen, mit einem Aufwurf von Erde, weil
dieſe Pflanze in feuchten Gruͤnden am beſten fortkommt. Die Blaͤtter brauchen
ſie zum Futter fuͤr die Schweine; die Wurzel hingegen wird von den Leuten auf
dem Lande ſelbſt genoſſen. Suͤße Kartoffeln (convolvulus batatas) werden zu
eben dieſem Behuf gepflanzt und machen, nebſt den Caſtanien, die Hauptartikel
ihrer Koſt aus. Von leztern findet man große Waͤlder in den hoͤhern Gegen-
den des Landes, wo der Weinſtock nicht fortkommt; Weitzen und Gerſte wird
auch geſaͤet, vornemlich an ſolchen Stellen, wo die Reben vor Alter ausgehen
wollen oder wo dergleichen erſt neuerlich gepflanzt worden. Indeſſen reicht ihre
ganze Getreide-Erndte doch kaum auf drei Monathe hin; weshalb die Einwohner
ſich auch andrer Nahrungsmittel, beſonders des Nord-Amerikaniſchen Korns
bedienen muͤſſen, als wovon jaͤhrlich große Ladungen eingefuͤhret und gegen
Wein eingetauſcht werden. Hieran iſt nun freylich, theils der Mangel an Duͤn-
ger, theils die Faulheit des Volks, ſchuld; allein, wenn auch gleich der Ackerbau
allhier zur hoͤchſten Vollkommenheit gebracht waͤre, ſo wuͤrde dem Anſcheine nach
dennoch nicht Korn genug gewonnen werden koͤnnen. Ihre Dreſch-Tennen machen
ſie zirkelrund, und legen ſolche in einer Ecke ihres Feldes an, zu welchem Ende der
Boden dort gereinigt und feſtgeſtampft wird. Die Garben werden rund darauf
herum geſchichtet, und ein viereckigtes Brett, das unten mit ſcharfen Feuerſtei-
nen beſezt iſt, wird durch ein Paar Ochſen daruͤber hergezogen. Um das Brett
ſchwerer zu machen ſtellet ſich der Ochſen-Treiber oben drauf; hiedurch wird
das Stroh zu Haͤckerling geriſſen und das Korn zugleich aus den Aehren gebracht.


C 2
[20]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.

Die groͤßte und eintraͤglichſte Erndte zu Madera beſtehet in Wein, von
welchem die Inſel auch beruͤhmt iſt. Wo das Erdreich, die Lage und Waſſer es
erlauben, wird Wein gebauet. Jeder Weinberg wird durch einen oder mehrere
Gaͤnge, von drey bis ſechs Fuß breit, durchſchnitten, und dieſe ſind mit zwey
Fuß hohen Mauren eingeſchloſſen. Laͤngſt den Gaͤngen, welche mit ſieben Fuß
hohem Lattenwerk uͤberwoͤlbt oder bedeckt ſind, werden in gleich weiter Entfer-
nung von einander Pfaͤhle aufgerichtet, auf welche man ein Gitterwerk von Bam-
bus-Rohr befeſtiget, das von beyden Seiten des bedeckten Ganges bis ohn-
gefaͤhr zween Fuß von der Erde herabgeht und in dieſer Hoͤhe den ganzen Grund
des Weinbergs bedeckt. Auf dieſe Weiſe werden die Ranken in die Hoͤhe ge-
halten und die Arbeiter haben Platz das Unkraut, welches zwiſchen den Stoͤcken
hervorkommt, auszujaͤten. In der Weinleſe kriechen ſie unter das Lattenwerk,
ſchneiden die Trauben ab und ſammlen ſie in Koͤrbe. Ich ſahe hier Trauben,
die uͤber ſechs Pfund wogen. Dieſe Art den Grund von Unkraut rein und
feucht zu erhalten, und die Trauben im Schatten reiffen zu laſſen, giebt dem
Madera-Wein jenen vortreflichen Geſchmack und die Eigenſchaft den Mund
recht zu fuͤllen, (corps) welche ihm ſo eigenthuͤmlich iſt. Es entſteht aber aus
dieſer Behandlung des Rebenbaues die Nothwendigkeit, daß gewiſſe Plaͤtze zu
Bamboo-Pflanzungen angewandt werden muͤſſen, weil das Lattenwerk nicht
ohne Bambus-Rohr gemacht werden kann. Wenn es daher einem oder dem
andern Weinberge, ſeiner Lage nach, an dieſem unentbehrlichen Rohre fehlt,
ſo kann er nicht gehoͤrig gebauet werden und bleibt deshalb oft gaͤnzlich braache
liegen.


Der Wein iſt von verſchiedner Guͤte und ungleichen Preiſe. Der beſte wird
von einer Art Trauben gemacht, davon die Reben auf Befehl des Infanten von
PortugalDon Henrich, aus Candia hieher gebracht und angepflanzt worden
ſind. Er heißet Madera-Malvaſier (Madeira Malmſey). Die Pipe kann
auf der Stelle nicht unter vierzig bis zwey und vierzig Pfund Sterling einge-
kauft werden. Es iſt ein koͤſtlicher ſuͤßer Wein; faͤllt aber nur ſparſam. Die
naͤchſte Sorte iſt ein trocken Beeren-Wein, welche Art nach London verfahren
wird; von dieſem gilt die Pipe dreyßig bis ein und dreyßig Pfund. Geringere
Sorten fuͤr Oſt- und Weſt-Indien und fuͤr Nord-Amerika koſten nach Be-
[21]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſchaffenheit ihrer Guͤte von 28 zu 20 Pfund Sterling. Es werden, ein Jahr in das1772.
Auguſt.

andre gerechnet, jaͤhrlich ohngefaͤhr 30,000 Pipen geerndtet, jede zu ein hundert
und zehn Gallons. Von den beſten Sorten werden 13000 Pipen aus-
gefuͤhrt; das uͤbrige wird theils zur eignen Conſumtion auf der Inſel gebraucht,
theils zu Brandtewein gebrannt, der nach Braſilien gehet, und theils wird Wein-
Eßig daraus gemacht.


Die Weinberge ſind entweder mit Mauerwerk oder mit Hecken von Gra-
naten, Myrten, Brombeer und wilden Roſenſtauden umzogen. In den Gaͤrten wer-
den Pfirſichen, Apricoſen, Quitten, Aepfel, Birnen, waͤlſche Nuͤße, Caſta-
nien und andre Europaͤiſche Fruͤchte gezogen; zuweilen auch einige tropiſche Ge-
waͤchſe, als Piſangs, Goaven und Ananas.


Die zahmen Thiere welche wir in Europa haben, ſind gleichfals auf Ma-
dera
anzutreffen; und obgleich die daſigen Hammel und Ochſen nur klein ſind, ſo
iſt ihr Fleiſch doch wohlſchmeckend. Die Pferde ſind ebenfalls klein, aber ſicher
auf den Knochen. Sie klettern mit groͤſter Fertigkeit die ſteilſten Fußſteige hin-
auf, denn andre Wege giebts hier nicht. Von Raͤder-Fuhrwerk weiß man
hier zu Lande gar nichts; in der Stadt aber giebt es eine Art Schleifen oder
Schlitten die aus zween, durch Queer-Hoͤlzer verbundnen Brettern beſtehen,
welche vorne einen ſpitzen Winkel machen; man ſpannt Ochſen davor und bedient
ſich derſelben um Weinfaͤſſer oder andere ſchwere Waaren fortzubringen.


Von wildem Gefluͤgel giebt es hier mehrere Arten als von anderm Wild-
pret, von deſſen ſonſt zahlreichen Geſchlecht, hier nur das Caninchen allein, der
einzige Repraͤſentant iſt. Wir ſahen vornemlich den Sperber (falco niſus) ver-
ſchiedne Kraͤhen (corvus corone) Elſtern (corvus pica) Wald- und Feld-Ler-
chen alauda arvenſis \& arborea) Staare (ſturnus vulgaris) Goldammers
(Emberiza citrinella) gemeine und Berg-Sperlinge (fringilla domeſtica
\& montana
) gelbe Bachſtelzen und Rothkehlchen (motacilla flava \& ru-
becula
) und wilde Tauben, deren Gattung wir nicht beſtimmen konten; es kam
uns auch die Haus- und die Uferſchwalbe, (hirundo ruſtica \& apus) zu Geſicht
und einige Herren von der Engliſchen Factorey verſicherten uns, daß ſie uͤberdem
noch die Rauchſchwalbe (hirundo urbica) geſehen haͤtten. Die Schwalben
bleiben den ganzen Winter uͤber hier und verlieren ſich bey kaltem Wetter nur auf
C 3
[22]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
ein Paar Tage, waͤhrend welcher ſie ſich in die Felſen-Kluͤfte verkriechen und beym
erſten warmen Tage wieder zum Vorſchein kommen. Das rothbeinigte Rebhuhn
(tetrao rufus) iſt in den innern Theilen der Inſel gleichfals gemein, vermuth-
lich weil es dort weniger als in andern Gegenden derſelben geſtoͤhrt wird. In
Herrn Loughnans Vogel-Hauſe ſahe ich den rothſchnaͤblichten Sperling (Loxia
aſtrild
) Buchfinken, Dieſtel-Finken, Butterfinken und Canarienvoͤgel (Frin-
gilla coelebs, carduelis, butyracea
und canaria) welche alle auf der Inſel
gefangen waren. Zahm Feder-Vieh, als Truthuͤner, Gaͤnſe, Endten und Huͤh-
ner ſind ſelten, vielleicht weil es an Korn fehlt.


Es giebt hier keine einzige Schlangen-Art; aber alle Haͤuſer, Wein-
berge und Gaͤrten wimmeln von Eidechſen. Die Moͤnche eines hieſigen Klo-
ſters klagten, daß ihnen ſolche viel Schaden im Garten thaͤten; um derſelben los
zu werden hatten ſie einen großen meßingenen Keſſel in die Erde gegraben, in
welchem ſich dieſe Thiere, die beſtaͤndig nach Fraß herum laufen, bey Hunderten
fiengen und umkommen mußten, weil ſie wegen der Glaͤtte des Metals nicht wie-
der herausklettern konnten.


Laͤngſt den Kuͤſten von Madera und den benachbarten Salvages und
Ilhas deſertas fehlt es zwar der See nicht an Fiſchen, aber da ſie zu Be-
obachtung der Faſttage dennoch nicht hinreichen, ſo fuͤhren ihnen die engliſchen
Schiffe, von Gothenburg, Heeringe, desgleichen, von Neu-York und andern
Orten in Amerika, geſalznen und trocknen Stockfiſch zu.


Wir ſahen wenig Inſecten, moͤgten aber vielleicht mehr gefunden haben,
wenn wir laͤnger hier geblieben waͤren. Sie waren alle bekannt und eben nicht
von viel verſchiedenen Arten. Ich muß bey dieſer Gelegenheit eine Anmerkung
machen, die auf alle Inſeln paßt, welche wir auf dieſer Reiſe beruͤhrt haben. Vier-
fuͤßige Thiere, Amphibien und Inſecten ſind in ſolchen Inſeln, die weit vom fe-
ſten Lande liegen, nicht haͤufig; und erſtere finden ſich gar nicht darauf, wenn
ſie nicht durch Menſchen hingebracht worden. Fiſche und Voͤgel aber,
die ohne fremde Beyhuͤlfe durch Luft und Waſſer den Weg dazu finden koͤnnen,
ſind haͤufiger und in mehr verſchiedenen Gattungen anzutreffen. Große feſte Laͤn-
der hingegen ſind reich an allen obbenannten Thier-Arten, ſo auch an Voͤgeln
und Fiſchen, die, wie ſchon geſagt, uͤberall gemeiner ſind. Africa, lieferte uns
[23]in den Jahren 1772 bis 1775.
auf dieſer Reiſe, in wenig Wochen, eine Menge verſchiedener Arten von vierfuͤßi-1772.
Auguſt.

gen Thieren, Amphibien und Inſecten, wovon wir doch in allen uͤbrigen Laͤndern
nicht eine einzige neue Entdeckung hatten machen koͤnnen.


Zweytes Hauptſtuͤck.
Reiſe von Madera nach den Inſeln des gruͤnen Vorge-
buͤrges und von da nach dem Vorgebuͤrge der guten
Hofnung
.


Am erſten Auguſt giengen wir nebſt der Adventure bey ſpaͤtem Abend wie-
der unter Seegel. Ein Nordoſtwind beguͤnſtigte unſre Fahrt dermaßen,
daß wir bereits am vierten fruͤh Morgens, Palma zu Geſicht kriegten. Dies Ey-
land, “— welches unſern aſtronomiſchen Berechnungen zufolge unter dem 28°.38′.
Noͤrdlicher Breite und unter dem 17°.58′. weſtlicher Laͤnge liegt, —” gehoͤrt zu den-
jenigen, welche den Alten unter dem Namen der gluͤcklichen Inſeln (Inſulæ
fortunatæ
) bekannt waren, und eine derſelben hies damals ſchon Canaria.*)
Sie waren in Europa ganz vergeſſen, bis gegen das Ende des vierzehnten Jahr-
hunderts der Geiſt der Schiffahrt und der Entdeckungen wieder erwachte. Um
dieſe Zeit fanden einige Abentheurer ſie von neuem und Biscayiſche Seefahrer lan-
deten, namentlich, auf der Inſel Lancerota, aus welcher ſie hundert und ſieben-
zig Eingebohrne mit ſich fortſchleppten. Louis de la Cerda, ein ſpaniſcher Edel-
mann von der Koͤniglichen Familie in Caſtilien, erhielt ein Eigenthumsrecht auf
[24]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
dieſe Inſeln vermittelſt einer paͤbſtlichen Bulle und fuͤhrte derſelben zufolge,
vom Jahr 1344 an, den Titel eines Prinzen der gluͤcklichen Inſeln ohne jedoch
von dieſen ſeinen Staaten wuͤrklich Beſitz zu nehmen. Hierauf wurden ſie im Jahr
1402 abermals von Johann Baron von Bethencourt aus der Normandie
beſucht. Dieſer nahm einige derſelben in Beſitz und nannte ſich Koͤnig der Kana-
riſchen Inſeln
. Sein Enkel aber trat alles Anrecht auf ſelbige dem Don Hen-
rich
,
Infanten von Portugall ab; und endlich wurden ſie den Spaniern uͤber-
laſſen, welche ſie auch noch jetzt beſitzen.


Am folgenden Tag um 5 Uhr des Morgens, paßirten wir die Inſel
Ferro, die deshalb merkwuͤrdig iſt, weil einige Geographen die erſte Mittags-
linie durchs weſtliche Ende derſelben ziehen. Nach einer vom Capitain Cook
angeſtellten aſtronomiſchen Beobachtung, liegt dieſe weſtliche Spitze der Inſel
im 27°. 42′ noͤrdlicher Breite und im 18°.9′ weſtlicher Laͤnge. An eben dem
Tage, als wir ohngefaͤhr unterm 27 ſten Grad noͤrdlicher Breite waren, ſahen
wir verſchiedne fliegende Fiſche, die, von Bonniten und Doraden verfolgt, ſich
uͤber die Oberflaͤche des Waſſers erhoben. Sie flogen nach allen Richtungen,
bald hier bald dorthin und nicht etwa bloß gegen den Wind allein, wie Kalm
ausſchließenderweiſe zu glauben ſcheint. Auch flogen ſie nicht immer in gera-
den, ſondern auch in krummen Linien. Wenn ſie im Fluge uͤber die Oberflaͤche
der See die Spitze einer Welle antrafen, ſo giengen ſie durch ſelbige gerade durch
und flogen an der andern Seite weiter fort. Von dieſer Zeit an bis wir den
heißen Himmels-Strich (zona torrida) verließen, hatten wir faſt taͤglich
das Schauſpiel unabſehliche Zuͤge und Heere dieſer Fiſche um uns her zu ſehen.
Zuweilen wurden auch wohl einige auf dem Verdeck gefangen, wenn ſie zu ihrem
Ungluͤck zu weit geflogen oder ſich zu hoch erhoben und abgemattet hatten. Bey
dem einfoͤrmigen Leben das wir zwiſchen den Wende-Zirkeln fuͤhrten, wo Wet-
ter, Wind und See ſtets angenehm und guͤnſtig waren, gab jeder kleine Umſtand
Gelegenheit zu Betrachtungen. Wenn wir zum Beyſpiel jene ſchoͤnen Fiſche
der See, die Bonniten und Doraden, auf der Jagd der kleinern, fliegenden
Fiſche antrafen, und bemerkten, wie dieſe ihr Element verließen, um in der
Luft Sicherheit zu ſuchen; ſo war die Anwendung auf den Menſchen nur gar zu
natuͤrlich. Denn wo iſt wohl ein Reich, das nicht dem brauſenden Ocean
gliche,
[25]in den Jahren 1772 bis 1775.
gliche, und in welchem die Großen, in allem Pomp und Pracht ihrer Groͤße,1772.
Auguſt.

nicht immer die Unterdruͤckung der Kleinern und Wehrloſen ſuchen ſollten? Zu-
weilen ward das Gemaͤhlde noch weiter ausgefuͤhrt, wenn die armen Fluͤchtlinge
auch in der Luft neue Feinde antrafen und ein Raub der Voͤgel *) wurden.


Am 8ten hatte das Seewaſſer eine weisliche Farbe, und da dieſe ver-
aͤnderte Farbe des Meerwaſſers oft von einer Untiefe, einer Sandbank, oder ei-
nem Felſen herzuruͤhren pflegt, ſo warfen wir, Sicherheits halber, das Senkbley aus,
fanden aber mit funfzig Faden keinen Grund. Abends paßirten wir den Wende-
Zirkel des Krebſes. Um dieſe Zeit beſchlugen unſre Buͤcher und Geraͤthſchaften
mit Schimmel, und Eiſen und Stahl fieng in freyer Luft an zu roſten. Wegen
dieſer Beſchaffenheit der Luft ließ der Capitain das Schif fleißig mit Pulver und
Wein-Eßig ausraͤuchern. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die Luft Salz-Theilchen
enthalten mußte, denn bloße Naͤße oder feuchte Duͤnſte verurſachen keine ſolche
Wuͤrkung. **) Wie aber die ſchwerern Salz-Theilchen, in Duͤnſte aufgeloͤ-
ſet, in die Luft empor gehoben werden koͤnnen? das moͤgen die Philoſophen aus-
machen. Es duͤrfte indeſſen vornemlich zu unterſuchen ſeyn, ob nicht die vielen ani-
maliſchen Subſtanzen, welche taͤglich in der See verfaulen, eine, zu Erklaͤrung
der obigen Erſcheinung, hinreichende Menge von fluͤchtigen Alcali hervorbringen?
Die große Hitze zwiſchen den Wende-Zirkeln ſcheint die See-Salz-Saͤure, welche
im Salzwaſſer ſo wie im Kuͤchen-Salzenthalten iſt, fluͤchtig zu machen; denn man
hat angemerkt, daß z. E. an Tuͤcher, welche, in aufgeloͤßtes Alcali getunkt, uͤber
die gewoͤhnlichen Salz-Pfannen gehangen worden, ſich in kurzer Zeit Criſtallen
eines Mittel-Salzes anſetzten, das aus Salz-Saͤure und jenem Alcali beſtand mit
welchem die Tuͤcher zuvor waren getraͤnkt worden. Hieraus ſcheint zu folgen,
daß die See-Salz-Saͤure durch die Hitze dieſer Gegenden fluͤchtig gemacht wird
und alsdenn, in den Duͤnſten der Luft befindlich, die Oberflaͤche von Eiſen und
Stahl angreift; dem menſchlichen Koͤrper hingegen, der durch die Hitze des
heißen Himmelsſtrichs ſehr geſchwaͤcht wird, muß ſolche ungemein zutraͤglich ſeyn, in
Forſters Reiſe um die Welt, erſter Th. D
[26]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
ſo fern ſie beym Einathmen die Lunge ſtaͤrkt und vermittelſt ihrer gelind zuſam-
menziehenden Wuͤrkung auf die Haut, der allzuheftigen Ausduͤnſtung vorbeugt.


Zu den Vorbauungs- und Heilmitteln gegen den See-Scharbock, welche
wir von England aus mit genommen hatten, gehoͤrte auch eine verdickte Eſſenz
von Bier *) (Weert oder Woort). Von dieſer fuͤhrten wir verſchiedne Faͤſ-
ſer am Bord; allein, noch ehe wir Madera verließen, war ſie bereits in
Gaͤhrung gerathen und jetzt ſprengte ſie gar die Faͤſſer und lief aus. Der Capi-
tain glaubte dem Uebel abzuhelfen, wenn er ſie aus ihrem unteren, heißen Lager
aufs Verdeck bringen ließe wo es kuͤhler war; allein die freye Luft vermehrte
die Gaͤhrung dergeſtalt, daß ſie manchem Faſſe den Boden ausſtieß: dies geſchah
allemahl mit einem Knall, als wenn eine Flinte abgeſchoſſen wurde, und ein
Dunſt oder Dampf gieng gemeiniglich vor dem Knalle her. Auf Anrathen meines
Vaters ward eine gaͤhrende Tonne dieſer Eſſenz auf ein Faß umgefuͤllet, welches
zuvor tuͤchtig war ausgeſchwefelt worden. Dies ſtillte nun zwar die Gaͤhrung auf
einige Tage lang; nach deren Verlaufaber kam ſie dennoch wieder, vornemlich in
den Faͤſſern, welche der freyen Luft ausgeſetzt waren. Einige Tonnen, die unten
in den kleinen Ballaſt-Steinen vergraben lagen, hielten ſich beſſer, wenigſtens
ſprungen ſie nicht; vielleicht wuͤrde auch eine Beymiſchung von doppelt abgezognen
Brantwein den Fortgang der Gaͤhrung gehindert haben. Uebrigens war das Bier
welches aus dieſer Wuͤrze, blos durch Beygießung von warmen Waſſer, gemacht
ward, ſehr gut und lies ſich trinken; nur hatte es einen etwas empyrevmati-
ſchen Geſchmack, der durchs Einkochen entſtanden war.


Am 11. Auguſt entdeckten wir Bonaviſta, eine von den Inſeln des
gruͤnen Vorgebuͤrges; und als ſich am folgenden Morgen das Wetter, nach ei-
nem Regenſchauer, aufgeheitert hatte, erblickten wir auch die Inſel Mayo. Ge-
gen Mittag naͤherten wir uns endlich der Inſel San Jago und ankerten um
drey Uhr Rachmittags in der Bay von Porto-Praya, —“welche an der Suͤd-
ſeite der Inſel im 14°. 53′. 30″. noͤrdlicher Breite, und unter 23. 30′. weſtli-
cher Laͤnge liegt.“ —


[27]in den Jahren 1772 bis 1775.

Fruͤh am folgenden Tage giengen wir aus Land und beſuchten den Com-1772.
Auguſt.

mandanten im Fort, Don Joſeph de Sylva, einen gutherzigen Mann, der et-
was franzoͤſiſch ſprach und uns beym General-Gouverneur der Cap-Verdiſchen
Inſeln
einfuͤhrte. Dieſer Herr hies Don Joachim Salama Saldancha de
Lobos
. Er reſidirt ſonſt gemeiniglich zu S. Jago, als der Hauptſtadt dieſer
Inſel; weil er aber kraͤnklich war, wie ſeine blaße Geſichtsfarbe verrieth, ſo
hatte er ſich vor zween Monathen hieher begeben, als woſelbſt die Luft geſun-
der ſeyn ſoll. Er wohnte in den Zimmern des Commendanten, der ſich unter-
deſſen in einer elenden Huͤtte behelfen mußte und uns einige Nachricht von dieſen
Inſeln gab.


Antonio Nolli, wahrſcheinlicherweiſe ebender, welchen andre auch An-
toniotto
nennen, ein Genueſer, der beym Infanten von PortugalDon Hen-
rich
in Dienſten ſtand, entdeckte im Jahr 1449. einige dieſer Inſeln und lan-
dete am 1. May auf einer derſelben, die auch, ihrem Entdeckungstage zu Ehren,
den Nahmen Mayo erhielt. S. Jago erblickte er zu gleicher Zeit. Im Jahr
1460. ward abermahls eine Reiſe dahin angeſtellt um Beſitz davon zu nehmen,
eine Colonie dort anzulegen, und ſich foͤrmlich darauf niederzulaſſen, bey wel-
cher Gelegenheit dann auch die uͤbrigen Inſeln vollends entdeckt wurden. St.
Jago
iſt die groͤßte und ohngefaͤhr ſiebenzehn Stunden (leagues) lang. Die
Hauptſtadt gleiches Nahmens liegt im Innern des Landes und iſt der Sitz des Bi-
ſchofes, zu deſſen Sprengel alle Inſeln des gruͤnen Vorgebuͤrges gehoͤren; die ganze
Inſel aber iſt in eilf Kirchſpiele getheilt, wovon das volkreichſte ohngefaͤhr vier tau-
ſend Haͤuſer enthaͤlt, ſo daß ſie im Ganzen genommen nur ſchlecht bevoͤlkert iſt.


Porto-Praya liegt auf einem ſteilen Felſen, den wir auf einen ſchlaͤn-
gelnden Fußſteig hinangiengen. An der See-Seite beſtehen die Feſtungswerke
aus alten verfallnen Mauren, und gegen die Land-Seite hin nur aus einem
Aufwurff von loſen Steinen, der kaum halb Manns hoch iſt. Nahe beym Fort
ſteht ein ziemlich anſehnliches Gebaͤude, welches einer Geſellſchaft von Kaufleu-
ten zu Liſſabon gehoͤrt, die ein Handlungs-Monopolium fuͤr dieſe Inſeln haben
und zu dem Ende hier einen Agenten halten. Da wir einige friſche Lebens-
mittel alhier einkaufen wollten, verwieß uns der Gouverneur desfalls an dieſen
Agenten; allein es war ein ſehr bequemer Herr, der uns zwar alles verſprach
D 2
[28]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt
was wir nur verlangten, am Ende aber doch nichts weiter verſchafte, als einen
einzigen magern Ochſen. Die vorgedachte Handlungsgeſellſchaft tyranniſirt
uͤber die armen Einwohner und verkauft ihnen die elendeſten Waaren zu ganz un-
erhoͤrten Preiſen.


S. Jago hat wenig Einwohner. Sie ſind von mittlerer Groͤße, haͤß-
lich und faſt ganz ſchwarz, haben wollicht krauſes Haar und aufgeworfne Lip-
pen, kurz ſie ſehen wie die haͤßlichſten Neger aus. Der Herr Canonicus Pauw
zu Xanten
*) ſcheint es fuͤr ausgemacht zu halten, daß ſie von den erſten Portu-
gieſiſchen Coloniſten abſtammen, und nach und nach, durch neun Generatio-
nen, das iſt, in ohngefaͤhr dreyhundert Jahren, ihre jetzige ſchwarze Farbe be-
kommen haben, welche wir jedoch noch weit dunkler fanden als Er ſie beſchrieben
hat. Ob dieſe aber, nach ſeiner und des Abts de Manet**) Meynung, lediglich
durch die Hitze des heißen Erdſtrichs hervorgebracht worden, oder ob ſie nicht
vielmehr durch ihre Verheyrathung mit Schwarzen von der benachbarten africa-
niſchen Kuͤſte entſtanden ſey? daruͤber will ich nichts entſcheiden, wenn gleich der
Graf Buͤffon***) geradezu behauptet “daß die Farbe der Menſchen vornemlich
vom Clima abhaͤngt“ Dem ſey wie ihm wolle, ſo ſind doch jetzt hoͤchſt wenig Weiße
unter ihnen, und ich glaube, daß wir deren, den Gouverneur, den Commendan-
ten und den Handlungs-Agenten mitgerechnet, wohl nicht uͤber 5 bis 6 geſehen
haben. In einigen dieſer Inſeln ſind ſelbſt die Gouverneurs und die Prieſter,
Schwartze. Die Vornehmern gehen in alten, abgetragenen, europaͤiſchen Kleidun-
gen einher, welche ſie noch vor Errichtung der monopoliſirenden Handlungsge-
ſellſchaft eingetauſcht haben. Die uͤbrigen begnuͤgen ſich mit einzelnen Kleidungs-
ſtuͤcken, als einem Hemde, einem Camiſol, einer Hoſe oder einem Huth, und
ſcheinen ſich in ihrem Aufzuge, wie er auch iſt, wohl zu gefallen. Die Wei-
ber ſind haͤßlich und tragen bloß ein Stuͤck geſtreiftes baumwollnes Zeug uͤber die
Schultern, das bis auf die Knie vorn und hinten herabhaͤngt; die Kinder aber
gehen, bis ſie zu mannbaren Jahren kommen, gaͤnzlich nackend. Durch den
Deſpotiſmus der Gouverneurs, durch die Leitung der aberglaͤubiſchen und blinden
[29]in den Jahren 1772 bis 1775.
Pfaffen, und durch die Nachlaͤßigkeit der portugieſiſchen Regierung, iſt dies Volk1772.
Auguſt.

wuͤrklich in faſt noch elendern Umſtaͤnden, als ſelbſt die ſchwarzen Voͤlkerſchaf-
ten in Africa ſind, und eben jene Hinderniſſe werden es auch in der Folge ſtets
abhalten, ſich auszubreiten und zu vermehren, worinn doch der wahre Reich-
thum eines Landes beſteht. Es iſt natuͤrlich, daß die Bewohner des heißen Erd-
ſtrichs eine Neigung zur Faulheit haben; aber darinn werden ſie beſtaͤrkt und
muͤſſen nothwendigerweiſe gegen jede, mit Muͤhe verknuͤpfte, Verbeſſerung ihres
Zuſtandes gleichguͤltig werden, wenn ſie zum voraus wiſſen, daß alle dahin ge-
richtete Verſuche ſie nur noch geplagter und ungluͤcklicher machen. Mit
duͤſterer Fuͤhlloſigkeit uͤberlaſſen ſie ſich daher der Betteley, als dem ein-
zigen Zuſtande, der ſie gegen die gierigen Klauen ihrer tyranniſchen Herren ſchuͤ-
tzen kann. Und warum ſollten ſie auch wohl auf Koſten ihrer Ruhe und ihres
Schlafs, dieſer einzigen Erquickung in ihren Beſchwerden, arbeiten? da ſie wiſ-
ſen, daß der Lohn dafuͤr nicht ihnen zu gute kommen, ſondern bloß den Reichthum
anderer vermehren werde.


Truͤbe Ausſichten, die nicht einmal Hofnung zum Gluͤck zeigen, ſind
wahrlich keine Anlockungen zum heyrathen, und die Schwuͤrigkeiten, auch
einen nur kaͤrglichen Unterhalt zu finden, ſind eben ſo viel hinreichen-
de Gruͤnde den Haus- und Familien-Sorgen aus dem Wege zu gehn.
Hiezu kommt noch, daß die Fruchtbarkeit und der Ertrag des duͤrren Erdreichs,
lediglich davon abhaͤngt, daß zu gewiſſen Zeiten des Jahres das erforderliche
Regenwetter richtig einfalle; bleibt nun dieſes ungluͤcklicherweiſe auch nur im ge-
ringſten aus, ſo muß auf Feld und Wieſen alles verdorren und verbrennen und
die Hungersnoth iſt unvermeidlich. Es laͤßt ſich daher begreifen und annehmen,
daß dergleichen Ungluͤcksfaͤlle die Einwohner ebenfalls abſchrecken, dem Vergnuͤgen
der ehelichen Verbindung nachzuhaͤngen, weil ſie beſorgen muͤſſen, daß Elend
und Sclaverey das Loos ihrer ungluͤcklichen Kinder ſeyn werde *)


D 3
[30]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.

Die Inſeln des gruͤnen Vorgebuͤrges ſind zwar gebuͤrgigt, doch iſt auf den
niedrigern Bergen, die ſich ſanft gegen das Ufer verlaufen und geraͤumige Thaͤ-
ler zwiſchen ſich inne haben, alles ſchoͤn gruͤn. Im Ganzen fehlt es
dieſen Inſeln aber an Waſſer, denn, S. Jago ausgenommen, welches einen
ziemlichen Fluß hat, der ſich bey Ribeira grande, einem darnach benannten
Flecken, ins Meer ergießt, giebt es auf einigen derſelben nur allein Brunnen-
waſſer. So iſt z. B. zu Porto-Praya nicht mehr als ein einziger Brun-
nen, der bloß mit Feldſteinen, ohne Mauerwerk ſchlecht ausgelegt war und nicht
nur truͤbes und ſalziges, ſondern auch ſo wenig Waſſer gab, daß wir ihn taͤglich
zweymal trocken ſchoͤpften. Das Thal neben dem Fort ſcheint einen etwas
feuchten Grund zu haben und iſt hie und da mit Coconus-Palmen, Zuckerrohr,
Bananen, Baumwolle, Goaven und Papao Baͤumen bepflanzet; der groͤßte Theil
deſſelben aber iſt mit Buſchwerk uͤberwachſen oder beſteht aus Hutungen.


Dieſe letztern Umſtaͤnde wuͤrden vielleicht hoffen laſſen, daß dieſe Inſeln
wichtig und eintraͤglich gemacht werden koͤnnten, wenn ſie einem arbeitſamen,
unternehmenden und Handlung-treibenden Volke zugehoͤrten. Die Cochenill-
Pflanze, Indigo, einige Gewuͤrze und vielleicht auch Coffee, wuͤrden dem An-
ſcheine nach, in dieſem brennend heißen Clima wohl fortkommen, und gewiß
voͤllig hinreichen, den Pflanzern und uͤbrigen Einwohnern nicht nur die noth-
wendigſten Beduͤrfniſſe, ſondern auch alle Bequemlichkeiten des Lebens zu ver-
ſchaffen, wenn dieſe nemlich einer ſo wohlthaͤtigen und freyen Regierung genoͤſ-
ſen als die engliſche iſt. Alsdann wuͤrde, ſtatt des jetzigen kuͤmmerlichen Unter-
halts von Wurzelwerk, ihr Tiſch mit Ueberfluß beſetzt und ihre elenden Huͤtten in
bequeme Haͤuſer umgeſchaffen werden.



[31]in den Jahren 1772 bis 1775.

Einige der niedrigen Huͤgel waren duͤrr und unfruchtbar, dergeſtalt,1772.
Auguſt.

daß man kaum hie und da etwas gruͤnes darauf erblickte; auf andern hingegen
ſahen wir noch einige Pflanzen, ob es gleich ſchon gegen das Ende der trocknen
Jahrszeit gieng. In den Thaͤlern iſt der Boden fruchtbar genug und beſteht
aus ausgebrannten, verwitterten Schlacken und okerfarbner Aſche; aber uͤberall
iſt das Erdreich mit einer Menge von Steinen bedeckt, die verbrannt, und eine
Lava-Art zu ſeyn ſcheinen; auch die Felſen an der Kuͤſte ſind von ſchwarzer Farbe
und ſehen ebenfalls verbrannt aus. Aus dem allen iſt wahrſcheinlich, daß dieſe
Inſel große Veraͤndrungen von volcaniſchen Ausbruͤchen erlitten hat, und von
den uͤbrigen nah gelegnen Inſeln laͤßt ſich vielleicht ein gleiches ſagen, zumal da
eine derſelben, nemlich Fuogo, noch bis auf dieſen Tag aus einem wuͤrklich
feuerſpeyenden Berge beſteht. Die im Innern des Landes gelegnen Berge ſind
hoch, auch einige derſelben, dem Anſehen nach, ſehr ſteil, und moͤgen wohl
aͤltern Urſprungs ſeyn als die volcaniſchen Theile an der Kuͤſte, welche allein wir
zu unterſuchen Gelegenheit hatten.


Am Abend giengen wir an Bord zuruͤck; da aber die Brandung am Ufer
jetzt hoͤher war als am Morgen, ſo mußten wir uns nackend ausziehen, um zu
dem Boote zu waden, welches unſre beſten Schwimmer unterdeſſen mit Waſſer-
faͤſſern und ſolchen Erfriſchungen beladen hatten, als am Lande zu bekommen
geweſen waren; doch geſchahe es nicht ohne Furcht und Beſorgniß fuͤr
den Hay-Fiſchen (Sharks) deren es in dieſem Haven eine große Menge
giebt. Die Capitains, Sternſeher und Lootſen hatten den Tag mit aſtronomi-
ſchen Beobachtungen zugebracht, und ſolche auf einer im Haven belegnen, kleinen
Inſel angeſtellt, die wegen der haͤufigen Wachteln, Ilha dos Codornizes oder
die Wachtel-Inſel, genannt wird; wie denn auch der Commandant im Fort,
uns erzaͤhlte, daß ver einiger Zeit die Officiers einer franzoͤſiſchen Fregatte an
eben dieſem Orte Beobachtungen angeſtellt und verſchiedne Uhren von neuer
Erfindung bey ſich gehabt haͤtten. *)


[32]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.

Am folgenden Tage bath Capitain Cook den General-Gouverneur und
den Commendanten zum Mittag-Eſſen und wir blieben am Boord um Dolmet-
ſcher-Stelle zu vertreten. Der Capitain ſandte ſein eignes Boot, um ſie vom
Lande abzuholen, allein, es kam ohne die erwarteten Gaͤſte zuruͤck, und der
Gouverneur ließ ſein Auſſenbleiben damit entſchuldigen, daß ihm an Boord
eines Schiffes immer uͤbel werde. Der Commendant verſprach zu kommen; da
er aber vergeſſen hatte den Gouverneur ſogleich auf der Stelle um Urlaub zu bit-
ten, ſo war letzterer unterdeſſen zu ſeiner Sieſta oder Mittagsruhe gegangen,
und niemand wagte es, ihn darinn zu ſtoͤhren.


Da nicht viel friſche Lebensmittel in Porto Praya zu bekommen waren;
ſo mogten wir uns auch nicht laͤnger dort auf halten. Etliche Tonnen halb ſalzi-
ges Waſſer, ein einziger abgehungerter Ochſe, einige langbeinige Ziegen, die,
beylaͤufig geſagt, gerad emporſtehende Hoͤrner und niederhaͤngende Ohren hat-
ten, etliche magere Schweine, Truthuͤhner, Huͤhner, nebſt ein paar hundert un-
reifen Orangen und ſchlechten Piſangfruͤchten war alles was wir erlangen konn-
ten. Auf unſern botaniſchen Spatziergaͤngen hatten wir am vorigen Tage ei-
nige tropiſche Pflanzen, aber mehrentheils von bekannten Arten gefunden, unter
den Inſecten, Fiſchen und Voͤgeln hingegen, gab es einige neue. Zu den letzte-
ren gehoͤrte vorzuͤglich eine Gattung Perlhuͤhner (Guinea hens) die ſelten fliegen,
aber deſto ſchneller laufen, und wenn ſie alt ſind, ein ſehr hartes, trocknes Fleiſch
haben. Wachteln und rothbeinigte Rebhuͤhner ſollen, nach dem Bericht der
Einwohner, auch gemein ſeyn; der merkwuͤrdigſte Vogel aber, den wir hier fan-
nden, war eine Art von Eisvogel *) Er naͤhrt ſich von großen blauen und ro-
then Landkrabben, die ſich in Menge allhier auf halten und in dem trocknen, aus-
gedorrten Erdreich, runde und tiefe Loͤcher zu ihren Wohnungen machen.


Da den Matroſen alles willkommen iſt, was Zeitvertreib ſchaft, ſo kauf-
ten die unſrigen hier ohngefaͤhr funfzehn bis zwanzig Affen, die S. Jago- oder
gruͤne Affen genannt werden (Simia Sabæa.). Sie waren etwas kleiner als
Katzen
[33]in den Jahren 1772 bis 1775.
Katzen, und von einer gruͤnlich-braunen Farbe mit ſchwarzen Koͤpfen und Tatzen.1772.
Auguſt.

An jeder Seite des Mauls hatten ſie, gleich mancher andern Affenart, einen Sack,
den ſowohl die Englaͤnder in den weſtindiſchen Colonien als auch die Spanier,
alforjes nennen. Die Poſſen dieſer Creaturen waren unterhaltend genug, ſo
lange das Spielwerk noch neu war. Allein es dauerte nicht lange, ſo ward man
ihrer uͤberdruͤßig; man pruͤgelte die armen Thiere oft auf eine grauſame Weiſe aus
einer Ecke des Schiffs in die andere, und ließ ſie endlich aus Mangel friſchen
Futters gar verhungern, ſo daß nur drey davon noch lebendig nach dem Cap
kamen. Dieſe unſchaͤdlichen Thiere, aus dem ruhigen Aufenthalt in ihren
ſchattichten Waͤldern wegzuſchleppen, um ſie in unablaͤßiger Angſt und Quaal
jaͤmmerlich umkommen zu laſſen, das iſt muthwillige Grauſamkeit und ein lau-
ter Beweis der haͤrteſten Fuͤhlloſigkeit, die ich mit theilnehmendem Mitleiden be-
merkte und auch noch jetzt nicht mit Stillſchweigen uͤbergehen kann, ob ich gleich
ſonſt alles dieſer Art gern mit dem Mantel der Liebe zudecken moͤchte.


Am Abend giengen wir unter Seegel und ſteuerten nach Suͤden. Das
Wetter war die folgenden Tage uͤber gelinde, mit Regenſchauern untermengt,
und der Wind ging Nordoſt, Nord und N. Nordoſt. Am 16ten um 8 Uhr Abends
ſahen wir ein helles, feuriges Meteor, von laͤnglichter Geſtalt und blaͤulichter
Farbe. Es bewegte ſich ſehr ſchnell gegen den Horizont herab, lief Nordweſt-
waͤrts und verſchwand nach wenig Augenblicken unterhalb dem Geſichtskreiſe.
Am Mittage waren wir wenigſtens 55 gute engliſche Seemeilen (leagues) von
S. Jago entfernt, und doch folgte eine Schwalbe dem Schiff noch immer nach.
Gegen Abend ſetzte ſie ſich auf eines von den Schießloͤchern; weil ſie aber dort
allemahl beunruhigt ward, ſo oft die Seegel gerichtet oder eingenommen wur-
den; ſo ſuchte ſie in der Folge ihr Nachtquartier in dem am Hintertheil des
Schiffs befindlichen Schnitzwerk, und folgte auch die beyden naͤchſten Tage
uͤber, dem Schiffe unablaͤßig. Waͤhrend dieſer ganzen Zeit ſahen wir viele Bon-
niten um uns herum. Oft ſchoſſen ſie mit der groͤßten Geſchwindigkeit, neben uns
vorbey, vor dem Schiff her, aber alle Verſuche ſie mit Angeln oder Harpunen
zu fangen, waren vergebens; dagegen gluͤckte es unſern Matroſen einen Hayfiſch
(Shark) der fuͤnf Fus lang war, an der Angel zu fangen. Seine gewoͤhnlichen
Begleiter, den Piloten (gaſteroſteus ductor) und den Saugefiſch oder
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. E
[34]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
Remora (echeneis remora) ſahen wir zwar bey ihm, aber mit dem Unter-
ſchiede, daß erſterer ſich ſorgfaͤltig huͤtete gefangen zu werden, letzterer hingegen
am Coͤrper des Hayes ſo feſt ſaß, daß mit ihm zugleich vier Stuͤck aufs Verdeck
gezogen wurden. Am folgenden Tage aßen wir etwas vom Hay, und fanden es,
gebraten, von ganz ertraͤglichen Geſchmack, aber wegen des Fettes unverdaulich.


Zwey Tage nachher ward Henry Smock, einer von den Zimmerleuten
vermißt. Er hatte an der Auſſenſeite des Schiffes etwas zu arbeiten gehabt,
und war allem Anſchein nach ins Waſſer gefallen. Wegen ſeiner Gutherzigkeit
und geſetzten Weſens ward er ſogar von ſeinen Cameraden beklagt; eine ſichere
Gewaͤhrſchaft, daß ſein Verluſt den Seinigen noch ſchmerzlicher geweſen ſeyn
muß. Hie und da zeigte ſich in den Augen der Empfindſamen eine verſtohlne
Traͤhne, als ein freywilliger, ſchaͤtzbarer Tribut fuͤr einen vernuͤnftigen Mitmen-
ſchen, der gut und liebreich geſinnt war.


Seitdem wir S. Jago verlaſſen, hatten wir oft Regen, vornemlich
aber regnete es am 21ſten ganz auſſerordentlich ſtark. Der Capitain ließ uͤber das
ganze Schiff Zelt-Tuͤcher und Decken ausſpannen um das Regenwaſſer aufzu-
fangen, und wir bekamen auf dieſe Weiſe eine ſolche Menge davon, daß ſieben
Faͤſſer damit angefuͤllt werden konnten. Ob wir gleich keinen Mangel an Waſ-
ſer hatten, ſo war uns doch dieſer friſche Vorrath ſehr willkommen, weil es
den Matroſen nun deſto reichlicher gegeben werden konnte. Unſer Capitain hatte
aus vieljaͤhriger Erfahrung angemerkt, daß auf langen See-Reiſen eine reichli-
che Vertheilung und Genuß von friſchen Waſſer, zur Erhaltung der Geſundheit
ungemein vieles beytrage. Die Urſach hievon laͤßt ſich auch leicht erklaͤren
denn, wenn es reichlich getrunken, zum Theil auch zum Waſchen des Coͤrpers
und des leinenen Zeuges gebraucht wird, ſo verduͤnnet es nicht nur das Blut,
ſondern durch die Reinlichkeit und oͤftere Veraͤnderung der Waͤſche bleiben auch
die Schweißloͤcher der Haut ſtets offen, mithin wird die zur Geſundheit noͤthige,
unmerkliche Ausduͤnſtung nicht unterbrochen. Solchergeſtalt wird der Gefahr
fauler Krankheiten auf zwiefache Art vorgebeugt, einmahl weil die Ausduͤnſtun-
gen des Coͤrpers nicht wieder durch die Haut eingeſaugt werden koͤnnen, und
weil andrer Seits die vom beſtaͤndigen Schwitzen verlohren gegangene Feuchtig-
keiten durch haͤufiges Trinken wieder erſetzt werden, in deſſen Ermangelung die ver-
[35]in den Jahren 1772 bis 1775.
dickten Saͤfte leicht ſalzig und cauſtiſch werden, welches man eigentlich als1772.
Auguſt.

Urſachen der Entzuͤndungsfieber anzugeben pflegt.


Der heutige Regen hatte unſre arme Schwalbe durchaus naß gemacht.
Sie ſetzte ſich alſo auf das Gelender des Verdecks am Hintertheil des Schiffes
und ließ ſich geduldig fangen. Ich trocknete ſie und lies ſie, ſobald ſie ſich erholt,
im Steuer-Raum fliegen, wo ſie, unbekuͤmmert uͤber ihre Einſperrung, ſo gleich
uͤber die Fliegen herfiel, welche daſelbſt ſehr haͤufig waren. Beym Mittags-
Eſſen oͤfneten wir die Fenſter und ſie ſetzte ſich wieder in Freyheit; um ſechs Uhr
des Abends aber kam ſie in den Steuer-Raum und in die Cajuͤtte zuruͤck, gleich-
ſam uͤberzeugt, daß wir ihr nichts Uebles wolten. Nach einer abermaligen Flie-
gen-Collation, flog ſie wieder fort und blieb die Nacht uͤber auf der Außenſeite
des Schiffes. Fruͤh Morgens kam ſie nochmals in die Cajuͤte und fruͤhſtuͤckte
Fliegen. Da ſie gutes Obdach bey uns fand und wenig oder gar nicht geſtoͤhrt
wurde, ſo ward das arme Thierchen dreiſter und wagte ſich endlich durch jedes
Schießloch, Fenſter oder andre Oefnung herein ins Schiff. Einen Theil des
heutigen Vormittags brachte ſie in der Cajuͤtte des Herrn Wales ſehr munter zu,
aber nachher war ſie fort. Es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß ſie einem Fuͤhl-
loſen in die Faͤuſte gefallen und ſo gefangen worden, um ein Tractament fuͤr eine
geliebtere Katze zu werden. In den einſamen Stunden einer einfoͤrmigen See-
fahrt intereßirt den Reiſenden jeder kleine Vorfall; man muß ſich alſo nicht wun-
dern, daß ein ſo geringer Umſtand als der Mord eines unſchuldigen Vogels
dem Herzen dererjenigen doppelt wehe that, die noch nicht unempfindlich ge-
worden waren.


Die Geſchichte dieſes Vogels, welches eine gewoͤhnliche Haus-Schwalbe
war, (hirundo ruſtica Linn.) zeigt zugleich ſehr deutlich: wie einzelne Land-
voͤgel ſo weit hinaus in die See gebracht werden koͤnnen. Es ſcheint ſie folgen
den Schiffen, wenn dieſe vom Lande abgehen, gerathen hernach unvermerkt auf die
ofne See, und muͤſſen alsdann nahe beym Schiffe, als der einzigen feſten Maſſe
bleiben, welche ihnen die unabſehliche Flaͤche des Meeres darbietet. Hieraus
erhellet, “daß man, weit vom Lande, Landvoͤgel antreffen koͤnne,” ohne
daß deshalb irgendwo eine Kuͤſte in der Naͤhe ſeyn darf, welches gleichwohl oft
ganz unbedingt daraus gefolgert worden iſt. Indeß verdient ein ſolcher Irr-
E 2
[36]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Auguſt.
thum Nachſicht, weil er manchmal mit Umſtaͤnden begleitet ſeyn kann, unter
denen er nicht leicht zu entdecken iſt. Wenn z. B. zwey oder mehrere Schiffe
mit einander in Geſellſchaft ſeegelten, ſo war vielleicht ein ſolcher Vogel dem
einen vom Lande aus gefolgt, ohne daß jemand darauf Acht gegeben hatte, her-
nach aber, auf der ofnen See, gerieth er an ein andres Schiff, wo ein aufmerk-
ſamer Beobachter ihn wahrnahm und zu einem Trugſchluſſe obiger Art verleitet
wurde, weil ihm der wahre Verlauf der Sache unbekannt blieb. Aber außer
dieſem Fall lehrt die Erfahrung, daß nicht nur einzelne Voͤgel ſondern wohl ganze
Schaaren und Zuͤge derſelben auch durch heftige Stuͤrme weit vom Lande hin-
weg und bis auf die ofne See gejagt werden, da ſie denn ebenfals auf Schiffen
Ruhe ſuchen *).


Am 23. ſahen wir einige Wallfiſche von funfzehn bis zwanzig Fuß lang
nach Norden und Nordweſt am Schiff vorbey gehen. Man hielt ſie fuͤr Nord-
Caper (Delphinus Orca). Zwey Tage darauf ſahen wir Fiſche von eben der
Art, nebſt einigen kleineren von brauner Farbe, die von ihrem Springen aus dem
Waſſer, Springer (oder Skip-Jacks) genannt werden. Der Wind war ſeit
einigen Tagen Nordweſt und noͤthigte uns nach Suͤdoſt zu laufen, ſo daß wir nun
ſuͤdwaͤrts von der Kuͤſte von Guinea waren. Einige unſrer Seeleute, die oft
uͤbers atlantiſche Meer gekommen waren, ſahen dies als etwas beſonders an;
und wuͤrklich iſt es beſonders, daß obgleich der Wind zwiſchen den Wende-Zirkeln
fuͤr ſehr beſtaͤndig ja faſt unveraͤnderlich gehalten wird, derſelbe dennoch zuweilen
von der Regel abweicht. Auf dieſem Striche bemerkten wir auch einige Fregatten-
voͤgel (pelecanus aquilus.) Die Matroſen halten ſie fuͤr ein Merkmal nahen
Landes, wir waren aber jetzt uͤber 100 Seemeilen von der naͤchſten Kuͤſte, und folg-
lich hat dieſe Meynung eben ſo wenig Grund, als viel andre alte Vorurtheile.
Jede Wiederlegung eines Vorurtheils iſt Gewinn fuͤr die Wiſſenſchaft; und je-
der Beweis, daß eine herrſchende Meynung des gemeinen Mannes irrig ſey, iſt
[37]in den Jahren 1772 bis 1775.
ein Schritt zur Wahrheit, die allein verdient zum Beſten der Menſchen aufge-1772.
Septem-
ber.

zeichnet und aufbehalten zu werden.


Am erſten September zeigten ſich verſchiedne Doraden, (coryphæna
hippurus
) Auch ſahen wir nicht weit vom Schiffe einen großen Fiſch, den Wil-
loughby
, aus J. Nieuhofs Nachrichten entlehnt, in dem Anhange zu ſeiner
Geſchichte der Fiſche p. 5. auf der neunten Platte Fig. 3. hat abbilden laſſen.
Von den Hollaͤndern wird er Zee-duyvel oder See-Teufel genannt, und
ſcheint, ſeiner aͤußern Geſtalt nach, zu dem Geſchlecht der Rochen (raja) zu ge-
hoͤren, aber von einer neuen Gattung zu ſeyn; ein Beweiß, daß ſelbſt die be-
kannteſten Meere, dergleichen das Atlantiſche iſt, zu neuen Entdeckungen Stoff
liefern, wenn diejenigen, die das Bekannte vom Unbekannten zu unterſcheiden
wiſſen, nur Gelegenheit haͤtten, die noͤthigen Unterſuchungen anzuſtellen.


Am 3ten ſahen wir große Haufen von fliegenden Fiſchen und fiengen ei-
nen Bonito (Scomber pelamys) der gleich zugerichtet ward, aber ein trockneres
und unſchmackhafteres Fleiſch hatte, als man ihm gemeiniglich beyzulegen pflegt.
Zween Tage nachher gluͤckte es uns eine Dorade (coryphæna hippurus) zu er-
haſchen. Allein fuͤr die Tafel iſt auch dieſer Fiſch, ſeines trocknen Fleiſches wegen,
von keinem ſonderlichen Werth, deſto mehr aber ergoͤtzt er, wenn man ihn ſchlach-
ten ſieht, die Augen, durch das unbeſchreiblich ſchoͤne Farben-Spiel ſeiner Haut.
Dieſe veraͤndert ſich alsdenn unaufhoͤrlich und eine herrliche Farben-Miſchung
wechſelt immer mit der andern ab, ſo lange der Fiſch nur noch eine Spur von Le-
ben in ſich hat. Meiner Empfindung nach, iſt dies eins von den praͤchtigſten
Schauſpielen, die ein Reiſender in den Seen des heißen Erdſtrichs antreffen kann


But here deſcription clouds each ſhinig ray;
What terms of art can Nature’s powr’s diſplay?

Falconer.
()

Unter andern ward heute auch ein Boot ausgeſetzt um die Richtung der
See-Stroͤhmung ausfuͤndig zu machen und um die Waͤrme des See-Waſſers in
großer Tiefe zu beſtimmen. Wir ſondirten mit 250 Faden, fanden aber keinen
Grund. Das Thermometer ſtand in freyer Luft 75½ Grad; gleich unter der
E 3
[38]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Septem-
ber.
Oberſlaͤche des Waſſers fiel es auf 74; und in einer Tiefe von 85 Faden war
es bis auf 66 gefallen. Wir ließen es 30 Minuten unter Waſſer und es wurden
zum Wiederheraufziehen 27½ Minute Zeit erfordert. Auf unſrer Fahrt im
Boot ereignete ſich Gelegenheit eine Art von Blubbers oder See-Neſſeln zu
unterſuchen, die Linnaͤus, Meduſa Pelagica genant hat. Auch fingen wir ein
anders See-Thier Doris laͤvis genannt; und machten getreuere Zeichnungen
von demſelben, als die bisherigen geweſen ſind. Mittags hatten wir 0°. 52
Minuten noͤrdlicher Breite.


Am 9ten paßirten wir die Linie bey einer gelind wehenden Luft. Unſre
Matroſen tauften ihre Cameraden, welche ſie noch nie paßirt hatten und ſich
nicht durch Trankgelder loskaufen wollten. Wer die Saltz-Taufe uͤber ſich er-
gehen ließ, zog, ſo bald die Operation vorbey war, friſche Waͤſche und Kleider
an; und da das auf der See, beſonders bey heißem Wetter, nicht zu oft ge-
ſchehen kann, ſo war ihnen das Untertauchen, anſtatt eine Art von Strafe zu
ſeyn, vielmehr heilſam und geſund. Fuͤr die Trankgelder der uͤbrigen wurden
ſtarke Getraͤnke angeſchaft und dieſe vermehrten die Luſtigkeit und Laune, welche
den herrſchenden Character der Matroſen ausmacht. Der Wind drehte ſich heute
nach Suͤden, wandte ſich nach und nach durch Suͤden nach Oſten und Suͤd-Suͤd-
Oſten herum und ſetzte ſich endlich in den gewoͤhnlichen Paßat-Wind feſt.


Wir fiengen heute verſchiedne Doraden und ein fliegender Fiſch, der
voͤllig einen Fus lang war, fiel aufs Verdeck. Seit dem 8ten hatten ſich be-
ſtaͤndig mehrere Arten von See-Voͤgeln als, Fregatten (pelecanus aquilus \&
ſula
) Sturmvoͤgel, Mewen, und Tropic-Voͤgel (phaëton æthereus) ſehen
laſſen. Auch war einigemal die See mit Molluſcis bedeckt. Unter dieſen letztern
gab es eine Art die blau, ohngefaͤhr als eine Acker-Schnecke geſtaltet, und mit
vier Aermen verſehen war, die ſich in viele Aeſte theilten. Wir nannten ſie
Glaucus atlanticus. Eine andre Art war durchſichtig als Glas, und von die-
ſer hiengen oft ihrer viele, wie an einer langen Schnur aufgereihet, aneinander.
Wir rechneten ſie zu dem Geſchlecht Dagyſa, deſſen auch in Herrn Cooks Reiſe
in der Endeavour Erwaͤhnung geſchieht. *) Zwey andre Arten von Molluſ-
cis
, welche von den Matroſen Salee- und Portugieſiſche Men of war, von den
[39]in den Jahren 1772 bis 1775.
Hollaͤndern aber beſaantjes (meduſa velella \& holuthuria phyſalis) ge-1772.
Septem-
ber.

nannt werden, waren auf allen Seiten des Schifs in großer Menge zu ſehen.


Am 27. unterſuchten wir abermals die Stroͤhmung und Waͤrme des
Waſſers, mit ohngefaͤhr gleichem Erfolge als zuvor. Das Thermometer ſtand
in freyer Luft auf 72½ gleich unter der Oberflaͤche des Waſſers fiel es auf 70°.
und in einer Tiefe von 80 Faden ſank es auf 68°. Es blieb 15 Minuten
unter Waſſer, und 7 Minuten wurden zum Heraufziehen erfordert. Unter an-
dern fiel uns heute auch eine neue Art von Blubbers (Meduſa) in die Haͤnde
und eben ſo bekamen wir Gelegenheit, einen Vogel, der ſich ſeit zween Tagen
hatte ſehen laſſen, jetzt naͤher zu betrachten, da ſich denn zeigte, daß es der ge-
woͤhnliche große Sturmvogel (procellaria puffinus) war. Wir hatten nun-
mehro den fuͤnf und zwanzigſten Grad ſuͤdlicher Breite erreicht, und da wir
fanden, daß in dieſer Gegend der Wind nach und nach aus Oſt zu Suͤden, uͤber
Oſt zu Nord, in Nordoſt ſich herum ſetzte, ſo machten wir uns dieſe Gelegenheit
zu Nutze, Suͤdwaͤrts zu ſteuern. Waͤhrend unſrer Fahrt innerhalb des heißen
Himmelsſtrichs, den wir nunmehro verließen, waren wir dermaßen an die Waͤr-
me gewoͤhnt worden, daß wir jezt ſchon eine große Veraͤndrung im Clima fanden,
ob es gleich nach Angabe des Thermometers, kaum um zehen Grade kaͤlter
war als zuvor. Ich ward dieſen Unterſchied der Luft am nachdruͤcklichſten inne,
denn mir brachte derſelbe einen heftigen Schnupfen, Zahnweh und geſchwollne
Backen zuwege.


Am vierten Oetober ſahen wir, bey kaltem Wetter und ſcharfer Luft, große
Haufen der gewoͤhnlichen kleinen Sturmvoͤgel (procellaria pelagica) die von
rußbrauner Farbe ſind und weiße Steiße haben. Am folgenden Tage zeigten
ſich auch die erſten Albatroße (diomedea exulans) und Pintaden (procellaria
capenſis.
)


Am 11ten wars gelinde und faſt Meerſtill, hingegen war es einige Tage
zuvor neblig und ſtuͤrmiſch geweſen; dieſe Witterung mußte die Seevoͤgel, vor-
nemlich die Pintaden, ganz heißhungrig gemacht haben, denn letztere ſchluckten ſo
gierig nach unſren mit etwas Schweins- oder Hammelfleiſch beſteckten Angeln,
daß wir ihrer mehr als acht Stuͤck in kurzer Zeit fiengen. Am Abend beobach-
teten wir eine Mondfinſternis, deren Ende Nachmittags ohngefaͤhr um 6 Uhr
[40]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
October.
58 Minuten 45 Secunden eintraf. Am Mittage war unſre Breite 34 Grad
45 Minuten ſuͤdlich geweſen.


Des folgenden Tages unterſuchten wir die Stroͤhmung und die Waͤrme
des Waſſers zum drittenmahl. Wir ließen das Thermometer zwanzig Minuten
lang in einer Tieffe von einhundert Faden und nachdem es inuerhalb 7 Minuten
wieder heraufgezogen worden war, fanden wir, daß es auf 58 Grad ſtand. Dicht
unter der Oberflaͤche des Waſſers hatte es 59 und in freyer Luft 60 Grad an-
gegeben. Da es Windſtill war, ſo machten wir uns das Vergnuͤgen vom Boot
aus See-Voͤgel zu ſchießen, worunter eine kleine Meer-Schwalbe, ein großer
Sturmvogel oder Puffin, eine neue Art von Albatroßen und ein neuer Sturmvogel
war. Auch fielen uns einige Molluſcaͤ, nebſt einer violetten Schnecke, (he-
lix janthina
) in die Haͤnde, welche letztere wegen ihrer außerordentlich duͤnnen
Schale merkwuͤrdig iſt. Aus dieſer ihrer ſo zerbrechlichen Wohnung laͤßt ſich
ſchließen, daß ſie fuͤr die ofne See geſchaffen ſey, wenigſtens wuͤrde ſie ſich einer
felſigten Kuͤſte nicht ohne Gefahr naͤhern koͤnnen, wie ſchon in der Beſchreibung
von Capitain Cooks erſter Reiſe um die Welt, richtig angemerkt iſt. *) Alba-
troße, Pintaden, und Sturmvoͤgel aller Art, worunter auch der Malmuck
(procellaria glacialis) war, ließen ſich in dieſen Gegenden taͤglich ſehen.


Am
[41]in den Jahren 1772 bis 1775.

Am 17. entſtand ploͤtzlich Laͤrm. Es hieß einer unſrer Leute ſey uͤber1772.
October.

Bord gefallen. Wir wandten das Schiff ſogleich, um ihm zu Huͤlfe zu kom-
men; da wir aber in der See nirgend etwas gewahr werden konnten, ſo wurde
die Namenliſte abgerufen und zu unſrer großen Freude zeigte ſich, daß keiner fehlte.
Unſre Freunde an Bord der Adventure, welche wir einige Tage nachher be-
ſuchten, erzaͤhlten uns ſie haͤtten aus unſerm Manoͤvre die Urſach unſrer Beſorg-
niß errathen, aber zugleich ganz deutlich einen See-Loͤwen geſehen, der zu dieſem
falſchen Lerm Anlaß gegeben hatte.


Am 19ten gieng die See ſehr hoch aus Suͤden, und ein großer Wallfiſch,
desgleichen ein Hay-Fiſch der 18 bis 20 Fuß lang war, ſchwammen bey dem
Schiffe voruͤber; letzterer war von weislichter Farbe und hatte zwo Floßfedern auf
dem Ruͤcken. Da wir ſchon lange in See waren, ſo hatte der Capitain ſeit einigen
Wochen, an den Fleiſchtagen, das iſt, viermal die Woche, Sauer-Kraut unter
die Leute austheilen laſſen, wovon der Mann jedesmal ein halbes Quart (pint)
bekam. Aus Vorſorge fuͤr die Geſundheit der See-Leute war, auf Befehl
der Admiralitaͤt, ein großer Vorrath dieſes geſunden und wohlſchmeckenden Ge-
muͤſes mit an Bord beyder Schiffe genommen worden; und der Erfolg hat ge-
zeigt, daß es eins der beſten Verwahrungsmittel wieder den Scorbut ſey.


Am 24ſten da die Adventure weit zuruͤck war, lies der Capitain ein Boot
ausſetzen, in welchem verſchiedne Officier und Reiſende aufs Vogelſchießen aus-
giengen. Dies gab uns wiederum Gelegenheit die beyden Arten von Alba-
troßen, imgleichen eine große ſchwarze Art von Sturmvoͤgeln (procellaria
æquinoctialis
) zu unterſuchen. Wir hatten nun ſeit neun Wochen kein Land
geſehen und das Reiſen zur See fieng an denenjenigen unter uns verdrießlich und
laͤſtig zu werden, die eben ſo wenig an das einfoͤrmige eingeſchloßne Leben
am Bord eines Schiffs, als an das ewige Einerley der Lebensmittel und uͤbrigen
Gegenſtaͤnde gewoͤhnt waren. Auch uns wuͤrde dies zweifelsohne eben ſo un-
angenehm vorgekommen ſeyn, wenn wir nicht von Zeit zu Zeit Beſchaͤftigung ge-
funden und uns mit der Hofnung ermuntert haͤtten, daß noch manche wichtige
Entdeckung in der Natur-Geſchichte auf uns warte.


Am 29ſten fruͤh Morgens entdeckten wir das aͤußerſte Ende von Africa.
Es war mit Wolken und Nebel bedeckt, und einige Solandgaͤnſe, imgleichen
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. F
[42]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
October.
kleine Sturm-Taucher (diving petrels) nebſt verſchiedenen wilden Enten kamen
von da in See. Der zunehmende Nebel entzog uns den Anblick des Landes bald
wieder, bis ſich endlich um drey Uhr Nachmittags die Luft aushellte und uns die
Kuͤſte von neuem, zwar nicht ganz wolkenfrey, jedoch ungleich deutlicher als zu-
vor, ſehen ließ. Da der Wind ſehr friſch und die Adventure weit zuruͤck war;
ſo durften wir es nicht wagen, noch dieſe Nacht in die Tafel-Bay einzulaufen.
Wir nahmen daher bey einbrechendem Abend die Seegel ein, zumahl da das Wet-
ter ſehr finſter wurde und harter Regen mit Stoßwinden beſtaͤndig abwechſelten.


Kaum wars Nacht worden, als die See rund um uns her einen groſ-
ſen, bewundrungswuͤrdigen Anblick darboth. So weit wir ſehen konnten ſchien
der ganze Ocean in Feuer zu ſeyn. Jede brechende Welle war an der Spitze
von einem hellen Glanz erleuchtet, der dem Lichte des Phosphorus glich, und
laͤngſt den Seiten des Schiffs verurſachte das Anſchlagen der Wellen eine feuer-
helle Linie. Hiernaͤchſt konnten wir auch große leuchtende Coͤrper im Waſſer
unterſcheiden, die ſich bald geſchwind, bald langſam, jetzt in einerley Richtung
mit dem Schiff, dann wieder von uns weg, bewegten. Zuweilen ſahen wir ganz
deutlich, daß dieſe Maſſen als Fiſche geſtaltet waren, und daß die kleinern den
groͤßern aus dem Wege giengen. Um dies wunderbare Phaͤnomen genauer zu un-
terſuchen, ließen wir einen Eymer ſolchen leuchtenden See-Waſſers aufs Ver-
deck holen; und es fand ſich, daß unzaͤhlbare leuchtende Coͤrperchen von rundli-
cher Geſtalt, die mit großer Geſchwindigkeit darin herumſchwommen, jenen glaͤn-
zenden Schein hervorbrachten. Nachdem das Waſſer eine Weile geſtanden hatte,
ſo ſchien die Zahl der Funken ſich zu vermindern; ſo bald wirs aber von neuen
ruͤhrten, ſo ward es wieder ſo leuchtend als zuvor. Auch bemerkten wir, wenn
das Waſſer nach und nach ruhig ward, daß die hellen Koͤrper wieder die zit-
ternde Bewegung oder den Strohm deſſelben ſchwammen; ob ſie gleich bey ſtaͤr-
kerem Ruͤhren der Richtung, nach welcher ſich das Waſſer alsdenn bewegte, nicht
widerſtehen konnten, ſondern mit derſelben fortgeriſſen wurden. Um noch naͤ-
her zu beſtimmen, ob dieſe Thierchen ein eigenthuͤmliches Vermoͤgen haͤtten ſich
zu bewegen, oder ob ihre Bewegung vielleicht blos vom Schwanken des Schif-
fes herruͤhre, durch welche das Waſſer im Eymer unablaͤßig geruͤttelt ward,
ließen wir dieſen freyſchwebend aufhaͤngen. Dieſer Verſuch ſetzte ihre ſelbſt-
[43]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſtaͤndige Bewegungskraft durch den Augenſchein außer Zweifel, und bewieß zu-1772.
October.

gleich, daß die aͤußere Bewegung des Waſſers das Leuchten zwar nicht
hervorbringe, aber doch befoͤrdere; denn wenn das Waſſer ganz ſtill war, ſo
verminderte ſich das Funkeln nach und nach, aber bey der geringſten Bewegung
kam es wieder und nahm in eben dem Maaße zu als jene verſtaͤrkt wurde. Als
ich das Waſſer mit der Hand umruͤhrte, blieb eins von den hellen Coͤrperchen
daran haͤngen; und ich machte mir dieſen Umſtand zu Nutze um es mit dem ge-
woͤhnlichen Glaſe des verbeſſerten Ramsdenſchen Microſcops zu unterſuchen.
Hier zeigte es ſich in einer kugelfoͤrmigen Geſtalt, etwas braͤunlich und durch-
ſichtig als Gallert; mit dem ſtaͤrkſten Glaſe aber entdeckten wir an dieſem Atom
die Muͤndung einer kleinen Oefnung, und in ſelbigem vier bis fuͤnf Darm-Saͤcke
die unter ſich ſelbſt und mit jener Oefnung zuſammenhiengen. Nachdem ich auf dieſe
Art verſchiedene betrachtet hatte, die alle von gleicher Bildung waren, ſo verſuch-
te ichs, einige in einem Tropfen Waſſer zu fangen, um ſie vermittelſt eines hohlen
Glaſes, in ihrem Element unters Microſcop zu bringen, da ſich denn ihre Natur
und Organe beſſer haͤtten beſtimmen laſſen: aber ſie wurden durch die geringſte
Beruͤhrung gemeiniglich ſehr beſchaͤdigt, und ſobald ſie todt waren, ſahe man
nichts mehr an ihnen als eine unzuſammenhaͤngende Maſſe von Faſern. Nach
ohngefaͤhr zwo Stunden hoͤrte das Meer gaͤnzlich auf zu leuchten, und ob wir gleich
noch vor Verlauf dieſer Zeit einen zweyten Eymer hatten ſchoͤpfen laſſen, ſo wa-
ren doch alle wiederholte Verſuche, eins dieſer Atomen lebendig unters Glas zu
bringen, ſtets vergebens. Wir ſaͤumten daher nicht laͤnger, von dem erſt unter-
ſuchten Kuͤgelchen eine Zeichnung zu machen und unſre Beobachtung nieder zu
ſchreiben, aus der ſich mit Wahrſcheinlichkeit vermuthen laͤßt, daß dieſe kleinen
Thiere vielleicht die Bruth einer Meduſen-Art ſind; doch koͤnnen ſie auch wohl
ein eignes Geſchlecht ausmachen. *)


F 2
[44]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
October.

Es war in dieſem Phaͤnomen ſo etwas Sonderbares und Großes, daß
man ſich nicht enthalten konnte, mit ehrfurchtsvoller Verwunderung an den
Schoͤpfer zu denken, deſſen Allmacht dieſes Schauſpiel bereitet hatte. Der
Ocean weit und breit mit Tauſend Millionen dieſer kleinen Thierchen bedeckt!
Alle organiſirt zum Leben; Alle mit einem Vermoͤgen begabt ſich zu bewegen, nach
Willkuͤhr zu glaͤnzen, andre Coͤrper durch bloße Beruͤhrung zu erleuchten, und
ihre eigne leuchtende Eigenſchaft abzulegen ſo bald ſie wollen! — Dieſe Betrach-
tungen draͤngten ſich aus dem innerſten unſers Herzens empor und gebothen uns
den Schoͤpfer in ſeinen kleinſten Werken zu ehren; eine Empfindung, die ich
bey dieſer Gelegenheit auch allen meinen Leſern zutraue. Zwar ſoll man ſich,
in meinem Alter, gemeiniglich noch einen allzuguͤnſtigen Begriff von ſeinem Ne-
benmenſchen machen, allein, ſo verderbt und unwiſſend kann ich mir doch nicht
leicht jemand vorſtellen, daß ihm bey dieſer Veranlaſſung, ein religioͤſer Ge-
danke am unrechten Ort oder geringſchaͤtzig vorkommen ſollte.


Turrigeros elephantorum miramus humeros, taurorumque
colla \& truces in ſublime jactus, tigrium rapinas, leonum jubas;
Quum
rerum natura nusquam magis quam in minimis tota ſit. Quapra-
pter quæſo, ne noſtra legentes, quoniam ex his ſpernent multa, etiam
relata faſtidio damnent, quum in contemplatione naturæ nihil poſſit
videri ſupervacaneum
. Plin. Hiſt. Nat. XI. c.
2.’
()

Nach einer ſehr regnigten Nacht liefen wir endlich mit Tages Anbruch
in die Tafel-Bay ein. Die im Hinter-Grunde derſelben liegenden Berge
waren nun ohne Wolken und ſetzten uns durch ihren ſteilen, felſigten und duͤrren
Anblick in Erſtaunen. Als wir tiefer in die Bay kamen, entdeckten wir die
Stadt, am Fuß des ſchwarzen Tafelberges, und gelangten bald darauf vor An-
ker. Nachdem wir das Fort begruͤßt und von verſchiednen hieſigen Bedienten der
Hollaͤndiſch-Oſtindiſchen Companie, an Bord unſers Schiffes Zuſpruch be-
kommen hatten, giengen wir in Begleitung unſrer beyden Capitains, Cook
und Furneaux, mit der frohen Erwartung ans Land, daß wir in einem von
dem unſrigen ſo weit entfernten und auf der andern Haͤlfte der Erdkugel gelegenen
Welttheile, viel Neues fuͤr die Wiſſenſchaften finden wuͤrden.


Drit-
[45]in den Jahren 1772 bis 1775.

Drittes Hauptſtuͤck.
Aufenthalt am Cap. Nachricht von der dortigen
Colonie.


Kaum waren wir aus unſren Booten geſtiegen, ſo machten wir dem Gou-1772.
October.

verneur, Baron Joachim von Plettenberg, unſre Aufwartung. Er iſt
ein Herr von Wiſſenſchaft und großer Kenntniß, deſſen Hoͤflichkeit und Geſpraͤ-
chigkeit uns gleich einen guten Begrif von ihm beybrachte. Hiernaͤchſt verfuͤgten
wir uns auch zu den andern Rathsperſonen und ſodann zu dem gegenwaͤr-
tigen Befehlshaber in Falſe-Bay, Herrn Brand, in deſſen hier belegenen
Hauſe die Capitains der engliſchen Schiffe gemeiniglich einzukehren pflegen, und
wo auch wir unſer Quartier zu nehmen gedachten. Faſt alle hieſige Unterbedien-
ten des Compagnie-Gouvernements, die Glieder des Raths allein ausgenom-
men, vermiethen Zimmer an die Officiers und Reiſenden der Engliſchen, Fran-
zoͤſiſchen, Daͤniſchen und Schwediſchen Schiffe, die auf ihrer Fahrt, von oder
nach Indien, hier anlegen.


Der merkliche Unterſchied zwiſchen dieſer Colonie und der Portugieſi-
ſchen Inſel S. Jago war uns anffallend und angenehm. Dort hatten wir ein
Land geſehen, das zwiſchen den Wende-Zirkeln, unter dem gluͤcklichſten Himmels-
Strich gelegen iſt, ein ziemlich gutes Anſehen hat und ſehr verbeſſert werden koͤnn-
te; aber es war durch ſeine traͤge, unterdruͤckte Bewohner ganz vernachlaͤßigt.
Hier im Gegentheil, fanden wir mitten in einer Wuͤſte, die von gebrochnen
Maſſen ſchwarzer fuͤrchterlicher Berge umgeben war, eine nette Stadt aufge-
baut; mit einem Wort, wir ſahen hier uͤberall Fleiß und Arbeitſamkeit vom
Gluͤcke gekroͤnt. Das aͤußere Anſehen des Ortes nach der See-Seite iſt nicht
ſo mahleriſch als zu Funchal. Die Packhaͤuſer der Compagnie ſtehen alle nahe
am Waſſer, die Wohnungen der Privatperſonen aber liegen hinter ſelbigen an ei-
ner ſanften Anhoͤhe. Das Fort, welches die Rhede beſtreicht, befindet ſich an
der Oſt-Seite der Stadt, es ſcheint aber nicht ſtark zu ſeyn, doch ſind noch auſ-
ſerdem an beyden Seiten einige Batterien angelegt. Die Straßen ſind breit
und regelmaͤßig, die vornehmſten derſelben mit Eichen bepflanzt, und einige ha-
F 3
[46]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
October.
ben in der Mitte einen Canal; da es ihnen aber, zu Waͤſſerung derſelben, an der
erforderlichen Quantitaͤt fließenden Waſſers fehlt, ſo koͤnnen ſie, ohngeachtet
der vielfaͤltig angebrachten Schleuſen, dennoch nicht verhindern, daß nicht ein-
zelne Theile des Canals oft ganz ohne Waſſer ſeyn ſollten, die denn eben keinen
angenehmen Geruch ausduften. Der hollaͤndiſche Natlonal-Character offenbart
ſich hierin ſehr deutlich. Ihre Staͤdte ſind durchgehends mit Canaͤlen verſehen,
obgleich Vernunft und Erfahrung augenſcheinlich zeigen, daß die Ausduͤnſtungen
derſelben den Einwohnern, beſonders zu Batavia, hoͤchſt nachtheilig werden
muͤſſen


Quanto præſtantius eſſet
— viridi ſi margine clauderet undas
Herba, nec ingenuum violarent marmora tophum!

Juvenal.
()

Die Haͤuſer ſind von Backſteinen und an der Außenſeite mehrentheils mit
Kalk beworfen, die Zimmer auch gemeiniglich hoch, raͤumlich und luftig, wie
das heiße Clima ſolches erfordert. In der ganzen Stadt iſt nur eine Kirche,
und auch dieſe nicht allein von ſchlechter Bauart, ſondern dem Anſehen nach,
fuͤr die Gemeine auch zu klein. Der Duldungs-Geiſt, welcher den Hollaͤn-
dern in Europa ſo viel Nutzen verſchaft hat, iſt in ihren Colonien nicht zu
finden. Nur erſt ſeit ganz kurzer Zeit haben ſie den Lutheranern erlaubt hier
und zu Batavia Kirchen zu bauen; und ſelbſt gegenwaͤrtig haben dieſe noch
keinen eignen Prediger am Cap, ſondern muͤſſen ſich mit den Schifs-Predigern
der Daͤniſchen oder Schwediſchen Oſt-Indienfahrer begnuͤgen, die, gegen gute
Bezahlung, ein bis zweymahl des Jahrs alhier predigen und das Abendmahl
austheilen. Die Sclaven ſind in dieſem Stuͤck noch viel uͤbler dran; denn
weder die Regierung uͤberhaupt, noch die einzelnen Eigenthumsherren insbeſon-
dre, bekuͤmmern ſich um einen ſo geringfuͤgigen Umſtand, als ihnen die Reli-
gion ihrer Leibeignen zu ſeyn duͤnkt, im allergeringſten; daher denn auch dieſe,
im Ganzen genommen, gar keine zu haben ſcheinen. Einige wenige derſelben ſind
dem Mohamedaniſchen Glauben zugethan, und verſammlen ſich woͤchentlich ein-
[47]in den Jahren 1772 bis 1775.
mal in dem Hauſe eines freyen Mohamedaners, um einige Gebethe und Capitel1772.
October.

aus dem Coran zu leſen und abzuſingen, als worauf ſich ihr ganzer aͤußerlicher
Gottesdienſt alhier einſchraͤnkt, weil ſie keine Prieſter haben. *)


Die Anzahl der Sclaven, welche die Compagnie allhier zu ihrem Dienſt
haͤlt, belaͤuft ſich auf etliche hundert, die ſaͤmmtlich in einem geraͤnmigen Hauſe
wohnen, in welchem ſie auch zur Arbeit angehalten werden. Ein anderes groſ-
ſes Gebaͤude iſt zum Hoſpital fuͤr die Matroſen der Compagnie-Schiffe beſtimmt,
die hier anzulegen pflegen und auf ihren Reiſen von Europa nach Indien gemei-
niglich eine ungeheure Menge von Kranken an Bord haben. Ein ſolcher Oſt-
Indienfahrer fuͤhrt oft ſechs bis achthundert Mann Recruten nach Batavia und
da ſie auf der langen Reiſe durch den heißen Himmelsſtrich, ſehr eng zuſammenge-
ſteckt, auch an Waſſer ſehr knap gehalten werden, und nichts als Eingeſalznes zu
eſſen bekommen, ſo iſt kein Wunder, daß ihrer ſo viele drauf gehen. Es iſt was
ſehr gewoͤhnliches, daß ein Hollaͤndiſches Schiff, von Europa bis hierher 80, oder
gar 100. Mann Todte zaͤhlt und bey ſeiner Ankunft alhier noch uͤberdies zwey
bis drey hundert gefaͤhrlich Kranke ins Hoſpital ſchickt. Die geringen Koſten
und große Leichtigkeit, womit die Hollaͤndiſchen Ziel-verkoopers ihren, die
Menſchheit entehrenden, Recruten-Handel fuͤr die Oſtindiſche Compagnie zu
treiben im Stande ſind, macht ſie gegen die Erhaltung der armen Menſchen
ſo gleichguͤltig. Nichts iſt hier und in andern Hollaͤndiſchen Colonien gemeiner,
als Soldaten in der Compagnie Dienſten zu finden, die oͤffentlich geſtehen, daß
ſie in Hollandweggeſtohlen„ ſind. In der zum Hoſpital gehoͤrenden Apo-
thecke werden die noͤthigen Arzeneyen zubereitet; aber kein einziges etwas theu-
res Medicament iſt darin anzutreffen, und da zwo oder drey große Bouteillen
ohne Unterſchied fuͤr alle Patienten dienen muͤſſen, ſo ſcheint wohl die geſunde
Land-Luft nebſt den friſchen Lebensmitteln zur Geneſung der Kranken mehr bey-
[48]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
zutragen als die Geſchicklichkeit der Aerzte. Kranke die gehen koͤnnen, muͤſſen
des Morgens bey gutem Wetter in den Straßen auf und nieder ſpazieren;
und der benachbarte Garten der Compagnie, liefert ihnen alle Arten von Gar-
tengewaͤchs und antiſcorbutiſchen Kraͤutern. Verſchiedne Reiſende haben die-
ſen Garten bald gelobt und bald verachtet, je nachdem der Geſichtspunkt ver-
ſchieden war, aus dem ſie ſolchen betrachteten. Ein Paar regelmaͤßige Alleen
von gemeinen Eichen-Baͤumen, mit Ulmen- und Myrten-Hecken eingeſchloſſen,
iſt das beſte, was er aufzuweiſen hat. Daran wird nun freylich derjenige wenig
Geſchmack finden, der an die Vollkommenheit der engliſchen Gaͤrtnerey gewoͤhnt
iſt, oder gelernt hat, in Holland und Frankreich Cypreſſen, Buchsbaum und
Eyben zu bewundern, die in Geſtalt von Vaſen, Pyramiden und Statuͤen ge-
ſchnitten ſind, oder wo das gruͤne Heckenwerk, gar Haͤuſer und Pallaͤſte vorſtellt.
Wenn man aber auf der andern Seite erwaͤgt, daß dieſe Baͤume im Anfang ge-
genwaͤrtigen Jahrhunderts und mehr zum Nutzen als zum Staat gepflanzt ſind;
daß ſie zugleich den Kuͤchen-Garten des Hoſpitals gegen die Stuͤrme ſchuͤtzen,
welche hier zu Lande ſehr heftig ſind, und endlich, daß ſie die einzigen ſchattich-
ten und kuͤhlen Spatziergaͤnge fuͤr Reiſende und Kranke in dieſer heißen Gegend
ausmachen, ſo iſt es wohl nicht zu verwundern, daß ihn einige einen reitzen-
den Luſtort
*) und andre mit ſtolzer Verachtung einen Bettelmoͤnchs-Gar-
ten
**) nennen.


Den Tag nach unſrer Ankunft richteten die Aſtronomen beyder Schiffe,
Herren Wales und Baily, ihre Inſtrumente am Ufer auf, und zwar wenig Fus
weit von demſelbigen Fleck, wo die Herren Maſon und Dixon vorher ihre
aſtronomiſche Beobachtungen gleichfalls gemacht hatten. An eben dem Tage
fiengen auch wir unſre botaniſchen Spatziergaͤnge in dieſen Gegenden an. Der
Boden erhebt ſich von der Stadt nach und nach an allen Seiten gegen die drey
Berge, die hinter der Bay liegen. An der See iſt er niedrig und flach; zwi-
ſchen Falſe-Bay und der Tafel-Bay aber, wo ein kleiner Bach ſalzigen Waſ-
ſers
[49]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſers in letztere faͤllt, iſt das Erdreich moraſtig. Dieſer moraſtige Grund iſt hin1772.
Novem-
ber.

und wieder mit etwas Gruͤn bewachſen, jedoch dem groͤßtentheil nach mit Sand
bedeckt. Die hoͤheren Gegenden aber ſind, ſo duͤrr und oͤde ſie auch von der
See her ausſehen, dennoch mit einer Menge unendlich verſchiedener Pflanzen
uͤberwachſen. Auch giebt es eine ungeheure Menge von Buſchwerk allhier,
doch verdienen kaum zwey oder drey Arten deſſelben den Namen der Baͤume.
An den kleinen Baͤchen haben die Einwohner uͤberall Landſitze angelegt, welches
der Gegend ein ſehr lebhaftes Anſehen giebt. Inſecten von allerhand Arten, meh-
rere Sorten von Eidechſen, Land-Schildkroͤten und Schlangen finden ſich unter
dem trocknen Gebuͤſch, in welchem ſich auch eine große Menge verſchiedener klei-
nen Voͤgel auf haͤlt. Wir brachten daher Tag fuͤr Tag reiche Erndten von Kraͤutern
und Thieren zuruͤck, und wunderten uns, daß, beſonders von letztern, ſo viele
den Naturkundigen ganz unbekannt waren, da ſie ſich doch hart an den Mauern
einer Stadt finden, von woher die Cabinette und Sammlungen des ganzen Eu-
ropa
beſtaͤndig verſehen worden ſind.


Einer unſrer Spatziergaͤnge war nach dem Tafelberge gerichtet. Er
iſt ſteil und, wegen der vielen loſen Steine die unter des Wanderers Fuͤßen weg-
rollen, muͤhſam und ſchwer zu erſteigen. Gegen die mittlere Hoͤhe des Ber-
ges kamen wir an eine tiefe Schlucht, deren Seiten aus ſenkrechtſtehenden und
oft uͤberhaͤngenden Felſen-Schichten beſtanden, aus deren Riſſen kleine Quellen
hervorſprudelten oder von den Felſen herab traͤufelten, und in der Tiefe ganzen
Hunderten von Pflanzen und Straͤuchern Leben und Nahrung gaben. Andre
Pflanzen, die an trockneren Stellen ſtanden und aus denſelben mehr verdickte
Nahrungsſaͤfte zu ihrem Wachsthum zogen, verbreiteten aromatiſche Geruͤche,
welche uns durch eine ſanftwehende Luft von den Seiten dieſes Erdriſſes zugefuͤhrt
wurden. Nach einem dreyſtuͤndigen Marſch erreichten wir endlich den Gipfel
des Berges, der faſt ganz eben, ſehr unfruchtbar und beynahe voͤllig von Erd-
reich entbloͤßt iſt. Hie und da gab es Vertiefungen auf demſelben, die theils
mit Regenwaſſer, theils mit guter fruchtbarer Erde angefuͤllt waren, in welcher
allerhand wohlriechende Kraͤuter wuchſen. Von Thieren trift man manchmal
Ant[e]lopen, heulende Bavians, einſame Geier und Kroͤten auf dieſem Berge an.
Die Ausſicht, welche man von der Hoͤhe deſſelben genießt, iſt groß und mah-
Forſters Reiſe u. d. Wt, erſter Th. G
[50]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
leriſch. Die Bay ſchien ein kleiner Fiſchteich und die darinn liegenden Schiffe
kleine Boote zu ſeyn. Die Stadt unter unſern Fuͤßen und die regelmaͤßigen Ab-
theilungen der dabey liegenden Gaͤrten ſahen wie Kinderſpielwerke aus. Der
Loͤwenberg ward zu einem unbetraͤchtlichen, niedrigen Bergruͤcken, gleichwie
auch ein andrer Berg, der Loͤwenkopf genannt, der von unten aus hoch genug
zu ſeyn ſcheint, weit unter uns blieb, und nur der einzige Carlsberg ſtieg
neben dem Tafelberge bis in eine etwas betraͤchtliche Hoͤhe empor. Ge-
gen Norden ward die Ausſicht durch Robben-Eyland, die blauen Berge,
die Tiegerberge und, uͤber dieſe hinaus, von einer noch hoͤhern, majeſtaͤtiſchen
Kette von Bergen beſchraͤnkt. Eine Gruppe gebrochner Felſen-Maſſen ſchloß
Hout-Bay oder die Holz-Bay gegen Weſten ein und lief von da gegen Suͤ-
den fort, woſelbſt ſie die eine Seite von Tafelbay ausmachte und zuletzt ſich in
dem beruͤhmten ſtuͤrmichten Cap endigte, welches Koͤnig Emanuel von Portugal
das Vorgebuͤrge der guten Hofnung genannt hat. Gegen Suͤdoſt hatten
wir eine Ausſicht uͤber die niedrige Erdzunge, welche zwiſchen den beyden Bayen
inne liegt; und jenſeits derſelben konnten wir die Colonie von Hottentot-Hol-
land
und die Berge bey Stellenboſch erkennen. Auch vergnuͤgte uns an dieſer
Seite der Anblick einer Menge von angebauten Grundſtuͤcken, die auf der Haide
einzeln zerſtreut lagen, und durch ihr ſchoͤnes Gruͤn vom uͤbrigen Lande ſehr gut
abſtachen. Hierunter zeichnete ſich, vor andern, das unter den neuern Epikurern
ſo beruͤhmte Conſtantia aus. Nachdem wir uns zwey Stunden lang an dieſen
Schoͤnheiten ergoͤtzt hatten, und die Luft ſehr kalt und ſcharf zu werden anfieng,
ſo dachten wir an unſre Ruͤckkehr, mit dieſer Ausflucht ſehr vergnuͤgt und durch
die Vortreflichkeit und Groͤße der Ausſicht reichlich fuͤr unſre Muͤhe belohnt.


Unter allen hier umher liegenden Gegenden zog keine unſre Aufmerkſam-
keit mehr auf ſich, als die an der ſuͤdoͤſtlichen Seite des Tafelberges befindliche,
denn dieſe zeichnete ſich durch die Menge der Plantagen und durch die Mannig-
faltigkeit von Pflanzen, welche ſie hervorbrachte, vorzuͤglich aus. Nahe bey
den Bergen, diſſeits der Erdzunge, iſt der Anblick dieſer Gegend am angenehm-
ſten. An jedem kleinen Bache ſiehet man eine Plantage, die aus Weinbergen,
Kornfeldern und Gaͤrten beſteht, welche gemeiniglich mit Eichen von zehen bis
zwanzig Fus hoch, umgeben ſind, deren dickbelaubte Zweige dem Lande ein
[51]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſchoͤnes Anſehen geben und zugleich die Plantagen gegen die Stuͤrme decken.1772.
Novem-
ber.

Der letzte Gouverneur Tulbagh, den man als den Vater dieſer Colonie betrachtet,
bauete hier, zu Rondeboſch und Niewlandt, zum Beſten ſeiner Nachfolger,
einige Haͤuſer und Gaͤrten von neuem auf. Sie beſtehen groͤßtentheils nur aus
ſchattigen Alleen, ſind uͤbrigens ohne alle kuͤnſtliche Verzierungen angelegt, aber
wohl mit Waſſer verſehen, und verdienen wegen der großen Ordnung, worinn ſie
gehalten werden, hier einer Erwaͤhnung. In dieſer Gegend befinden ſich auch
die Scheuern der Compagnie, und etwas weiter hin iſt eine Brauerey, die ei-
nem Privatmann zugehoͤrt, der ein ausſchließendes Recht hat, Bier fuͤrs Cap zu
brauen; ferner liegt in einem ſchoͤnen Thale, an dieſer Seite des Berges, eine Plan-
tage, das Paradies genannt, die wegen ihres ſchoͤnen Gehoͤlzes und auch des-
wegen merkwuͤrdig iſt, weil ſie einige Fruͤchte hervorbringt, welche eigentlich nur
zwiſchen den Wendezirkeln wachſen, aber auch hier außerordentlich gut gerathen.
Alphen, die Wohnung des Herrn Kerſten, damaligen Commandeurs in Falſe-
bay
, war der letzte Ort, den wir an dieſer Seite beſuchten. Hier wurden
wir mit wahrhafter Gaſtfreyheit aufgenommen, welche der wuͤrdige Beſitzer
dieſer Plantage aus Deutſchland, ſeinem Vaterlande, mit hieher gebracht und
unveraͤndert beybehalten hatte. Es war daher kein Wunder, daß wir die we-
nigen Tage uͤber, welche wir in hieſiger Gegend verblieben, dieſen Ort zum Mit-
telpunct unſrer botaniſchen Creutzzuͤge machten. Wir waren auf dieſen letztern
ſehr gluͤcklich und brachten immer ſo anſehnliche Ladungen mit nach Hauſe, daß
wir im Ernſte beſorgt wurden, es moͤchte, alles unermuͤdeten Fleißes ohner-
achtet, uns beyden allein, dennoch nicht moͤglich ſeyn, eine ſolche Menge von Pflan-
zen zu ſammlen, zu beſchreiben, zu zeichnen und aufzubewahren, als wir in jenen
unbeſuchten Laͤndern zu finden hoften, und die dem Anſchein nach groͤßtentheils noch
neu und unbeſchrieben ſeyn mußten. Wenn wir alſo keinen Theil der Naturhiſto-
rie vernachlaͤßigen wollten, ſo war es ſehr wichtig fuͤr uns, einen geſchickten Ge-
huͤlfen zu finden; und wir ſahen es daher als einen ſehr gluͤcklichen Zufall an,
einen Gelehrten, den Dr.Sparrmann, hier anzutreffen. Er hatte unter dem
Vater der Kraͤuterkunde, dem großen Ritter Carl von Linné ſtudirt, darauf
eine Reiſe nach China, und eine zweyte nach dem Cap unternommen, um ſeine
Erkaͤnntniß zu erweitern, Der Gedanke, in voͤllig unbekannten Laͤndern neue
G 2
[52]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
Schaͤtze der Natur einzuſammlen, nahm ihn ſo ganz ein, daß er ſich alsbald an-
heiſchig machte mit uns um die Welt zu gehn, und wir haben, ich bin ſtolz
darauf es zu ſagen, dieſe ganze Zeit uͤber, einen warmen Freund der Naturge-
ſchichte, einen erfahrnen Arzt und ein Herz an ihm gefunden, das der edelſten
Gefuͤhle faͤhig und eines Philoſophen wuͤrdig iſt. Aber, ſtatt der betraͤchtlichen
phyſicaliſchen Entdeckungen, die bey Herrn Cooks erſter Reiſe in einem neuen
und ſo großen Lande als Neuholland iſt, gemacht wurden, mußten wir uns, in
Abſicht der Naturgeſchichte, mit einer ungleich eingeſchraͤnktern Erndte auf einigen
kleineren Inſeln begnuͤgen, deren Producte wir noch dazu, theils wegen unſres kur-
zen Aufenthalts, der oft nur wenige Stunden, Tage oder hoͤchſtens Wochen
dauerte, theils wegen der unſchicklichen Jahrszeit, in welche derſelbe fiel, ſel-
ten hinlaͤnglich unterſuchen konnten.


Waͤhrend unſers Hierſeyns ſetzten unſre Leute neues Takelwerk auf, rei-
nigten und beſſerten die Außenſeiten des Schiffs aus, und nahmen Branntewein
nebſt andern Beduͤrfniſſen fuͤr die Mannſchaft, imgleichen etwas Schaafvieh
fuͤr die Capitains und andre Officiers an Bord. Auch wurden etliche Widder
und Mutter-Schaafe eingeſchifft, die zu Geſchenken fuͤr die Einwohner in der
Suͤd-See beſtimmt waren; allein die lange Dauer unſrer Reiſe und die Fahrt
gegen den kalten Suͤd-Pol, brachten dieſe Thiere ſo herunter, daß jenes gute
Vorhaben gaͤnzlich vereitelt ward. Um unſre Unterſuchungen in der natuͤrlichen
Geſchichte zu erleichtern, und ſo viel moͤglich auf keinen Fall in Verlegenheit
zu ſeyn, ſchafften wir uns hier auch einen Huͤnerhund an, damit, wenn auf der
Jagd etwa ein Stuͤck Feder- oder andres Wildprett geſchoſſen wuͤrde, und ins
Waſſer oder Buſchwerk fiele, dieſer Hund es heraus holen ſollte. Es koſtete indeſ-
ſen viel Muͤhe, ein ſolches Thier aufzutreiben, und wir mußten einen ungeheuren
Preis dafuͤr bezahlen, ob er uns gleich hernachmals wenig Dienſte that. Dieſer
Umſtand moͤgte an und fuͤr ſich ſehr uͤberfluͤßig und geringfuͤgig ſcheinen; aber er
beweiſet wenigſtens auf wie viele Kleinigkeiten, die dem Leſer kaum beyfallen, ein
Reiſender achten muͤſſe, der ſeine Zeit vollkommen nuͤtzen und auf alles vorbereitet
ſeyn will.


Am 22ſten ward unſer Gepaͤck an Bord gebracht, und auch noch deſſel-
ben Tages verließen wir die Tafel-Bay. Ehe ich in der Geſchichte unſrer
[53]in den Jahren 1772 bis 1775.
Begebenheiten fortfahre, will ich verſuchen, eine kurze Nachricht von dem der-1772.
Novem-
ber.

maligen Zuſtande dieſer hollaͤndiſchen Colonie zu geben; in Hoffnung, ſie
werde meinen Leſern Genuͤge thun, und gute Auskunft geben.


Die ſuͤdlichſte Spitze von Africa ward ſchon in den Zeiten des egyptiſchen
Koͤnigs Necho und auch ſpaͤter, unter der Regierung von P[t]olomaͤus La-
thyrus
*) umſchifft. In der Folge aber vergaß man ſogar ihre Lage, dergeſtalt,
daß ſie durch Bartholomaͤus Diaz, einen portugieſiſchen Seemann im Jahr
1487. erſt von neuem wieder entdeckt werden mußte. Vabio de Gama um-
ſchiffte dieſes Vorgebuͤrge im Jahr 1497. zuerſt und fand dieſen Weg nach In-
dien
, welches man damals beynahe fuͤr ein Wunder anſahe. Indeſſen blieb
dieſe Entdeckung doch von den Europaͤern ungenutzt, bis im Jahr 1650, van
Riebeck
, ein hollaͤndiſcher Wundarzt, den Vortheil einſahe, welcher der hol-
laͤndiſchen Compagnie zuwachſen muͤßte, wenn an dieſem zwiſchen Europa und
Indien ſowohl gelegenen Orte eine Colonie angelegt wuͤrde. Er ſtiftete daher
dieſen Pflanz-Ort, der ſeitdem immer in den Haͤnden der Hollaͤnder und noch
lange nach ſeinem Tode in beſtaͤndigem Wachsthum und Flor geblieben iſt.


Der Gouverneur haͤngt unmittelbar von der Compagnie ab, und hat
den Rang eines Edlen Herren, welcher Titel den Gliedern des oberſten Raths
zu Batavia gegeben wird. Er hat den Vorſitz in einem Rath, welcher aus dem
Unter-Gouverneur, dem Fiſcal, dem im Fort commandirenden Major, dem
Secretair, dem Schatzmeiſter, dem Kellermeiſter und dem Buchhalter beſteht.
Jedes dieſer Mitglieder hat einen Zweig von der Compagnie-Handlungsgeſchaͤf-
ten in beſondrer Aufſicht. Von dem geſammten Rath haͤngen alle Civil- und
G 3
[54]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
Militaͤr-Sachen ab; doch hat der Unter Gouverneur noch ein Collegium, nem-
lich den Juſtitz-Rath, unter ſich, der aus den Mitgliedern der andern Departe-
ments beſteht, und die Criminal-Sachen unterſucht. Um gar zu großen Einfluß
oder Partheylichkeit ſo viel moͤglich zu vermeiden, duͤrfen in keinem Rath zwey
[Verwandte] zugleich Sitz haben.


Die Einkuͤnfte des Gouverneurs ſind ſehr anſehnlich, denn außer einem
Fixo an Gehalt, freyer Wohnung, Ammeublement und allem was zum Haus-
halt und zur Tafel gehoͤrt, hat er zehen Reichsthaler von jedem Faß (Legger)
Wein, welches die Compagnie von den Landleuten kauft und nach Batavia fuͤhrt.
Fuͤr ein ſolches Faß zahlt die Compagnie vierzig Thaler; davon aber bekommt
der Landmann nur vier und zwanzig, das uͤbrige faͤllt den beyden Gouverneurs,
und zwar zwey Drittheile dem erſten zu, deren jaͤhrlicher Ertrag ſich zuweilen auf
4000 Thaler belaufen ſoll. Der Unter-Gouverneur hat alles zu beſorgen, was
der Compagnie-Handlungsgeſchaͤfte allhier angeht, auch muß er alle Befehle un-
terſchreiben, welche an die unter ihm ſtehenden Departements ergehen. Er
und der Fiſcal haben den Rang von Ober-Kaufmann. Der Fiſcal verwal-
tet die Policey und laͤßt die Straf-Geſetze in Execution bringen. Sein Einkom-
men beſteht in Geldſtrafen und in Auflagen auf gewiſſe Handlungs-Artikel;
wenn er aber in Beytreibung derſelben etwas zu ſcharf iſt, ſo zieht er ſich allge-
meinen Haß zu. Die geſunde Politik der Hollaͤnder hat es gleichfalls fuͤr noͤ-
thig befunden, den Fiſcal zum Oberaufſeher der andern Compagnie-Bedienten
zu machen, damit dieſe dem Nutzen ihrer Herren nicht entgegen handeln, noch
die Geſetze des Vaterlands aus den Augen ſetzen. Zu dem Ende iſt er in Rechts-
ſachen gemeiniglich wohl erfahren und haͤngt lediglich von Holland ab. Der Ma-
jor, (welche Stelle jetzt ein Herr von Prehn bekleidet, der uns uͤberaus viel
Hoͤflichkeit erwieß,) hat den Rang eines Kaufmanns — ein Umſtand, der uns
ſonderbar ſcheint, weil wir in allen europaͤiſchen Staaten daran gewohnt ſind,
daß das Militaͤr einen ſelbſtſtaͤndigen Rang giebt, und der denen noch befrem-
dender vorkommen muß, die den beſondern Contraſt kennen, welcher in dieſem Stuͤck
zwiſchen Holland und Rußland obwaltet, wo nemlich alle Staatsbedienten ohne
Unterſchied, ſogar die Profeſſoren auf den Univerſitaͤten, einen Militaͤr-Rang
haben. Die Zahl der hieſigen regulaͤren Truppen beſteht ohngefaͤhr aus 700
[55]in den Jahren 1772 bis 1775.
Mann, wovon 400 in dem bey der Stadt befindlichen Fort zur Beſatzung lie-1772.
Novem-
ber.

gen. Die Einwohner, welche Waffen tragen koͤnnen, machen eine Militz von
4000 Mann aus, die, vermittelſt einiger Signale groͤßtentheils in Zeit von we-
nig Stunden, auf ihren angewieſenen Laͤrmplaͤtzen, zuſammengebracht werden kann.
Aus der vorgedachten Anzahl laͤßt ſich ohngefaͤhr die Volksmenge der weißen
Einwohner auf dieſer Colonie beſtimmen, die ſich gegenwaͤrtig ſo weit ausge-
breitet hat, daß die entfernteſten Coloniſten uͤber vier Wochen reiſen muͤſſen, ehe
ſie das Cap erreichen koͤnnen. Man darf aber von dem großen Umfang, worinn
ſich dieſe Plantagen ausgebreitet haben, keinesweges auf ihre Anzahl ſchlieſ-
ſen, denn zumal die aͤußerſten derſelben, liegen bisweilen ganze Tagereiſen weit
von einander, und ſind von verſchiedenen hottentottiſchen Nationen umgeben,
daher ſie denn auch nur gar zu oft empfinden, daß ihre eigne Regierung ſie in
ſo weiter Entlegenheit nicht ſchuͤtzen kann. Gegen einen weißen Einwohner zaͤh-
let man hier fuͤnf und mehr Sclaven, und die vornehmſten Perſonen am Cap
halten deren oft zwanzig bis dreyßig. Im Gantzen haben es dieſe Leibeignen
gut genug, und wenn ihre Herren Gefallen an ihnen finden, ſo bekommen ſie
recht gute Kleider, doch muͤſſen ſie alle, ohne Ausnahme, barfuß einher gehen,
indem ihre Herren ſich Schuh und Struͤmpfe zu einem Unterſcheidungs-Zeichen
vorbehalten. Dieſe Sclaven werden hauptſaͤchlich von Madagascar gebracht,
wohin gemeiniglich alle Jahre ein kleines Schiff von hier aus auf dieſen Handel
abgeſchickt wird. Doch giebt es auch außer dieſen eine Menge von Malayen,
Bengaleſen und einige Negers unter ihnen. Die Coloniſten beſtehen aus hollaͤn-
diſchen Familien, aus franzoͤſiſchen Proteſtanten, groͤßtentheils aber aus Deut-
ſchen. Der Character der Einwohner in der Stadt iſt ſehr gemiſcht. Sie ſind
fleißig, aber leben dabey gut; geſellig und gaſtfrey, aber ohne ſich dadurch hin-
dern zu laſſen, mit Vermiethung ihrer Zimmer eine Art von Wucher zu trei-
ben *), und von den Officiers der Kanffarthey-Schiffe anſehnliche Geſchenke
an fremden Zeugen und andern Waaren zu erwarten. Es fehlt ihnen gewiſſer-
maßen an Gelegenheit, ſich Kenntniſſe zu erwerben, denn auf dem ganzen Cap
[56]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
iſt keine einzige Schule von einiger Bedeutung. Die Soͤhne werden daher ge-
meiniglich nach Holland geſchickt; die Erziehung der Tochter aber iſt faſt ganz ver-
nachlaͤßigt. Ihre Abneigung gegen das Leſen und der Mangel oͤffentlicher Ver-
aͤnderungen, macht, daß ihre Geſpraͤche nichts weniger als unterhaltend ausfallen
und gemeiniglich auf Klatſchereyen hinaus laufen, die hier ſo bitter ſind als ſie in
allen kleinen Staͤdten zu ſeyn pflegen. Franzoͤſiſch, Engliſch, Portugieſiſch und
Malayiſch wird hier haͤufig geſprochen und viele Frauenzimmer wiſſen alle dieſe
Sprachen. Dies und ihre Geſchicklichkeit im Singen, Lautenſpielen und Tan-
zen, nebſt einer angenehmen Bildung, die hier nicht ſelten iſt, tritt einigermaſ-
ſen an die Stelle feiner Sitten und Sentiments, die ihnen gemeiniglich fehlen.
Doch giebts unter den Vornehmern, ſowohl des einen als des andern Ge-
ſchlechts, Perſonen, deren Betragen, weitlaͤuftige Lectuͤr und großer Verſtand
ſelbſt in Europa nicht unbemerkt und unbewundert bleiben wuͤrde *)


Da alle Lebensmittel außerordentlich wohlfeil ſind, ſo befinden ſich die
Leute faſt durchgaͤngig in guten Gluͤcksumſtaͤnden, doch giebt es hier keine ſo
großen Reichthuͤmer als in Batavia zu erwerben; denn wie man mir ſagte, ſo
hat am Cap der reichſte Mann nicht uͤber 100,000 Thaler (oder uͤber 20,000
Pfund Sterling) im Vermoͤgen.


Auf dem Lande ſind die Leute ſchlicht und recht und gaſtfrey. In den
entfernteſten Gegenden, von daher ſie ſelten zur Stadtkommen, ſollen ſie ſehr un-
wiſſend ſeyn; welches ſich leicht begreifen laͤßt, weil ſie keine Geſellſchaft als
Hottentotten haben, und oft etliche Tagereiſen weit auseinander wohnen. Wein-
bau
[57]in den Jahren 1772 bis 1775.
bau wird nur in denjenigen Plantagen getrieben, die innerhalb einiger Tagerei-1772.
Novem-
ber.

ſen von der Stadt entfernt liegen. Hier wurden ſie bereits von den erſten Co-
loniſten angelegt, deren Familien ſie auch erb- und eigenthuͤmlich zugehoͤren.
Jetzt aber giebt die Compagnie nichts mehr auf Erbe, ſondern verpachtet die
Laͤndereyen nur jahrweiſe, und obgleich der Pachtzins ſehr maͤßig iſt, indem fuͤr
60 Aecker oder Morgen Landes nicht mehr als 25 Thaler entrichtet werden, *)
ſo hindert dies dennoch die Anlage neuer Weinberge. In den entfernteren
[Plantagen] wird daher auch nur Korn und Vieh gezogen, und einige Coloniſten
geben ſich bloß mit der Viehzucht allein ab. Dieſe muß oft ſehr ins Große
gehen, denn wir hoͤrten von zween Paͤchtern, deren jeder 15000 Schaafe
und verhaͤltnißmaͤßige Heerden von Hornvieh halten ſoll. Naͤchſt dieſen giebt es
viele die 6 bis 8000 Schaafe haben und große Heerden davon zur Stadt trei-
ben; aber Loͤwen, Buͤffels und die Beſchwerlichkeiten einer ſo weiten Reiſe,
vermindern dieſe Triften oft, ehe ſie ſolche bis auf den Marktplatz bringen koͤnnen.
Sie nehmen bey dergleichen Gelegenheiten gemeiniglich ihre Familien mit ſich,
und bedienen ſich hiezu großer Wagen, die mit Leinewand oder Leder, uͤber Ton-
nenbaͤnder ausgeſpannt, bedeckt ſind und von 8. 10 oder gar 12 Paar Ochſen
gezogen werden. Außer dem Schlachtvieh bringen ſie auch Butter und Schaaf-
talg; imgleichen das Fleiſch und die Haut vom Flußpferd oder Hippopotamus,
nebſt Loͤwen und Rhinoceros-Fellen zu Markte. Zu Beſtellung ihrer Feld- und
Viehwirthſchaft, halten ſie ſich zum Theil Sclaven, miethen ſich auch gemei-
niglich noch einige aͤrmere Hottentotten dazu, und zwar, wie man uns ſagte, von
dem Stamm der ſogenannten Boſchmans oder Waldmenſchen, die kein eignes
Zuchtvieh haben, ſondern ſich von Jagd und Raub naͤhren. Reiche Paͤchter
helfen Anfaͤngern dadurch auf, daß ſie ihnen eine Heerde von 4 bis 500 Schaa-
fen anvertrauen, um ſolche auf entlegene, gute Weiden zu treiben; dafuͤr laſſen
ſie ihnen die Haͤlfte der Laͤmmer, und ſo werden ſie in kurzem eben ſo reich als
ihre Wohlthaͤter.


Ob gleich die Compagnie dadurch, daß ſie ſich das Grundrecht und Ei-
genthum der Laͤndereyen allein vorbehaͤlt, den neuen Coloniſten offenbar keine
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. H
[58]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
Ermunterung giebt, ſo hat es der Fleiß dieſer letztern dennoch ſo weit gebracht,
daß ſie ſeit einiger Zeit Iſle de France und Bourbon mit Korn verſehen, ja
[ſogar] verſchiedne Ladungen nach Holland geſchickt haben. Dieſe Ausfuhr
wuͤrde ohne Zweifel zu beſſern Preiſen geſchehen koͤnnen, wenn die Plantagen
nicht ſo weit ins Land hinein laͤgen; denn alles Korn muß zur Axe und auf ſehr
boͤſen Wegen bis nach Tafelbay gebracht werden. Man darf ſich indeſſen nicht
wundern, daß die Plantagen ſo tief ins Land und ſo weit auseinander liegen,
und daß es zwiſchen denſelben große Bezirke giebt, die ganz wuͤſte ſind, da ſie
doch zum Theil angebauet werden koͤnnten. Die Compagnie will es gerade ſo
haben; denn ſie hat ausdruͤcklich verordnet, daß kein Coloniſt ſich innerhalb ei-
ner deutſchen Meile von der naͤchſten Plantage anbauen ſolle. Staͤnde dieſe Co-
lonie unmittelbar unter den General-Staaten, ſo wuͤrde ſie zweifelsohne ungleich
volkreicher ſeyn und ſich laͤngſt großen Reichthum und Anſehen erworben haben,
wozu jetzt keine Ausſicht iſt; aber eine Handlungsgeſellſchaft von oſtindiſchen
Kaufleuten findet ihre Rechnung beſſer dabey, das Land-Eigenthum fuͤr ſich zu
behalten und dem Coloniſten die Fluͤgel zu beſchneiden, damit er nicht zu groß
und zu maͤchtig werden moͤge.


Der Wein, welcher auf dem Cap gebauet wird, iſt von unendlich verſchie-
denen Sorten. Der beſte faͤllt auf Herrn Van der Spy’s Plantage zu Con-
ſtantia
, und den kennt man in Europa groͤßtentheils wohl nur vom Hoͤrenſagen,
denn es werden jaͤhrlich, hoͤchſtens nur 30 Faß (Legger *) davon eingeerndtet,
und jedes wird auf der Stelle zu ohngefaͤhr 50 Pfund Sterling, das iſt, 300
Thaler verkauft. Die Stoͤcke von denen er kommt, ſind urſpruͤnglich von Schi-
ras
, in Perſien, hieher gebracht. Was wir in Europa fuͤr aͤchten Conſtantia trin-
ken, ſind andere ſuͤße Weine, die in denen zunaͤchſt an der Conſtantia gelegenen
Weinbergen wachſen. Man hat auch verſucht, Reben vom Burgunder-Wein
aus Frankreich, desgleichen Frontingac und Muſcatellerſtoͤcke von eben daher, hier
anzupflanzen, und die ſind alle ſo gut eingeſchlagen, daß das Gewaͤchs zuwei-
len das franzoͤſiſche uͤbertrifft. In den vornehmern Haͤuſern iſt der gewoͤhnliche
Tiſchwein, eine Art von Sect oder trocken Beerenwein, der von Madera-Reben
[59]in den Jahren 1772 bis 1775.
hier gezogen wird und eine leichte, angenehme Schaͤrfe hat. Geringere, nicht1772.
Novem-
ber.

unangenehme Sorten, fallen in großer Menge und ſind ſehr wohlfeil, ſo, daß
die Matroſen der Oſtindienfahrer ſich gemeiniglich etwas rechtes damit zu gut thun.


Das Land verſieht die Schiffe aller Nationen die hier anlegen, mit Lebens-
mitteln. Korn, Mehl, Schiffs-Zwieback, gepoͤkelt Rindfleiſch, Branntewein und
Wein ſind im Ueberfluß und zu billigen Preiſen zu haben, und das friſche Gar-
tengewaͤchs, *) imgleichen das Obſt, welches hier gezogen wird, ſind, nebſt dem
guten Hammel- und Rindfleiſch, vortrefliche Erfriſchungsmittel fuͤr diejenigen,
die von weiten Reiſen kommen. Das Clima iſt dabey ſo geſund, daß die Ein-
wohner ſelten kranken, und daß Fremde, vom Scorbut und andern Krankheiten,
ſich ſehr leicht erholen. Der Winter iſt ſo gelinde, daß bey der Stadt faſt nie-
mals Eis zu ſehen iſt; auf den Bergen aber, vornemlich weit ins Land, giebts
harten Froſt mit Schnee- oder Hagelſtuͤrmen, und die ſcharfen Suͤdoſt-
winde bringen ihnen ſogar im November, welches hier Fruͤhling iſt, manchmal noch
Nachtfroͤſte zuwege. Schnupfen und Verkaͤltungen ſind die einzigen gewoͤhnli-
chen Plagen und entſtehen von der ſchnellen Veraͤnderung der Luft bey ſtarken Win-
den, denen das Cap zu allen Jahrszeiten unterworfen iſt.


Der Hitze ohnerachtet, welche zuweilen ausnehmend iſt, haben die Ein-
wohner hollaͤndiſcher Herkunft ihre angebohrne, eigenthuͤmliche Geſtalt und Bil-
dung beybehalten. Sie ſind durchgehends dick und fett, wozu ihr gutes Leben nicht
wenig beytragen mag.


Die Hottentotten oder urſpruͤnglichen Landes-Einwohner, haben ſich in
die innern Gegenden des Landes zuruͤckgezogen, ſo daß ihr naͤchſtes Kraal oder
Dorf faſt hundert engliſche Meilen von der Stadt am Cap entfernt iſt. Dennoch
kommen ſie bisweilen hieher, theils um ihr eignes Vieh zum Verkauf zu bringen,
theils um den hollaͤndiſchen Paͤchtern, ihre Heerden zu Markt treiben zu helfen.
Wir hatten keine Gelegenheit, neue Beobachtungen uͤber dies Volk zu machen;
denn wir ſahen nur einige wenige einzelne Perſonen von ihnen, an deren kei-
ner wir etwas fanden, das Peter Kolbe nicht ſchon bemerkt haben ſollte. Daß
die ausfuͤhrlichen Nachrichten dieſes einſichtsvollen Mannes der Wahrheit gemaͤß
H 2
[60]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
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waͤren, beſtaͤtigten nicht nur die vornehmſten hieſigen Einwohner durch ihr Zeug-
niß, ſondern wir fanden auch Gelegenheit, uns zum Theil durch eigne Unter-
ſuchungen, von der Richtigkeit ſeiner Beobachtungen zu uͤberzeugen. In man-
cher Abſicht war auch ſchon auf Cooks erſter Reiſe ein gleiches geſchehen, woruͤber
man Hawkesworth’s Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. dritter Band p. 405 ꝛc.
nachleſen kann. Zwar iſt Kolbe von einigen Sachen uͤbel unterrichtet gewe-
ſen, und manches, was die Colonie betrifft, ſcheint jetzo ganz anders zu ſeyn
als es zu ſeiner Zeit war; aber bey dem allen iſt er noch immer der beſte unter
den Geſchichtſchreibern des Caps, und alſo verweiſen wir unſere Leſer auf ihn.


Der Abt la Caille, ein franzoͤſiſcher Aſtronom, haͤtte daher auch in der Be-
ſchreibung ſeiner Reiſe (die kurz nach ihres Verfaſſers Tode bekannt gemacht wor-
den iſt) den Credit von Kolbens Nachrichten nicht zu ſchwaͤchen ſuchen ſollen, zu-
mal da er uns an ihrer Stelle nichts beſſeres geliefert hat. Sein Werkchen
iſt uͤbrigens ſo ſeicht abgefaßt, daß wir deſſelben hier gar nicht erwaͤhnt haben
wuͤrden, wenn Recht und Billigkeit nicht forderten, Kolben als einen treuen und
genauen Beobachter zu rechtfertigen. Der Abt wohnte am Cap unter einer Fa-
milie, die nicht zu jenen gehoͤrte, welche es ehemals mit Kolben gehalten und ihm
wohl gewollt hatten. Er hoͤrte ihn alſo herabſetzen, ſo oft ſich die Gelegenheit dazu
ereignete, und ſchrieb getreulich alles nieder, um ſich auf ſeine Koſten wichtig zu
machen


— Nul n’aura d’eſprit,
Hors nous \& nos amis.

Boileau.
()

Die ſuͤdliche Spitze von Africa, beſtehet aus einer Maſſe hoher Berge;
davon die zunaͤchſt am Meere gelegenen, ſchwarze, ſteile und unfruchtbare Granit-
felſen ſind, in denen man weder fremde Coͤrper, als verſteinerte Muſcheln und
dergleichen, noch Laven-Arten oder andere Spuhren von ehemaligen Vulcanen
findet. An den angebaueten Orten beſtand das Erdreich aus Thon mit etwas
Sand und kleinen Steinen vermiſcht; aber gegen Falſe-Bay hin, haben faſt
alle Plantagen ſandigen Boden. In der Colonie Stellenbuſch ſoll das Erd-
reich unter allen am fruchtbarſten ſeyn, und die Pflanzungen dort beſſer als an-
[61]in den Jahren 1772 bis 1775.
drer Orten gerathen. Beſonders ruͤhmte man, daß die europaͤiſchen Eichen1772.
Novem-
ber.

dort gut fortkaͤmen, und nebſt einem ſtattlichen Anſehen auch eine betraͤchtliche
Hoͤhe erreicht haͤtten. Bey der Stadt hingegen wollen ſie nicht recht fort; denn
die groͤßten, die wir daſelbſt ſahen, waren nicht uͤber dreyßig Fuß hoch. In
den weiter Land-einwaͤrts gelegenen Bergen giebt es ohne Zweifel Metall, be-
ſonders Eiſen und Kupfer; von dieſen beyden Erzarten zeigte uns Herr Hemmy
etliche Stufen vor, und da verſchiedene Staͤmme der Hottentotten ſie zu ſchmel-
zen wiſſen, ſo muͤſſen ſie reichhaltig und leicht in Fluß zu bringen ſeyn. Man
findet auch im Innern des Landes heiße Quellen, darunter vorzuͤglich eine iſt,
deren ſich die Einwohner am Cap bedienen, weil ſie nur drey Tagereiſen weit
von der Stadt liegt. Sie ſoll gegen Krankheiten der Haut und andre Zufaͤlle
gut ſeyn, und muß alſo wohl viel Schwefel enthalten.


In dem Pflanzenreiche herrſcht hier eine verwundernswuͤrdige Man-
nigfaltigkeit. Ohngeachtet wir uns gar nicht lange allhier auf hielten, fanden
wir dennoch verſchiedne neue Arten, und zwar nahe bey der Stadt, wo wir ſie
gerade am wenigſten vermuthet haͤtten. So betraͤchtlich daher auch die Samm-
lungen unſrer bisherigen Kraͤuterkenner in dieſem Lande ausgefallen ſind, ſo ha-
ben Dr. Sparrmann und der gelehrte Dr. Thunberg*) doch noch mehr als Tau-
ſend ganz neue Arten hier [angetroffen]. Das Thierreich iſt verhaͤltnißmaͤßig eben
ſo reich. Die groͤßten vierfuͤßigen Thiere, der Elephant, das Rhinoceros und
die Giraffe oder das Camelopardalis ſind in dieſer Spitze von Africa zu Haus.
Die beyden erſten Arten fanden ſich ſonſt innerhalb der naͤchſten funfzig Meilen
von der Stadt; ſie ſind aber ſo haͤufig gejagt und verfolgt worden, daß ſie jetzt,
H 3
[62]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
viele Tagereiſen weit jenſeits der Stadt, nur noch ſelten zum Vorſchein kommen.
Das Nashorn beſonders iſt ſo rar geworden, daß das Gouvernement ſogar eine
Verordnung hat ergehen laſſen muͤſſen, um deſſelben gaͤnzliche Ausrottung zu
verhindern. Das Flußpferd (Hippopotamus) wird hier Seekuh genannt und
war ehedem ohnweit der Stadt, ſchon in Saldanha-Bay anzutreffen, jetzt aber
iſt es ebenfalls ſo ſelten geworden, daß, kraft obrigkeitlichen Verboths, innerhalb
einer großen Entfernung vom Cap keines mehr geſchoſſen werden darf. Ohner-
achtet dies Thier, ſeinem Nahmen nach, im Waſſer leben ſollte, ſo naͤhrt es ſich
doch blos von Kraͤutern, und ſoll nur auf kurze Zeit, auch nie auf groͤßere Strecken
als ohngefaͤhr auf dreyßig Schritt weit, untertauchen koͤnnen. Das Fleiſch wird
hier zu Lande gegeſſen und fuͤr einen Leckerbiſſen gehalten, gleichwohl ſchmeckte es
mir nicht beſſer als feſtes Rindfleiſch, das Fett aber hat mit Mark viel Aehnlich-
keit. Zu den uͤbrigen großen Thieren, die es allhier giebt, gehoͤrt auch der Wil-
de Buͤffel
, deſſen Hoͤrner faſt wie die vom americaniſchen wilden Ochſen (biſon)
ausſehen, woruͤber man die im neunten Theile von Buͤffons Naturgeſchichte be-
findliche Abbildung vergleichen kann. Sie halten ſich jetzt ebenfalls nur in den
entlegnern Gegenden auf und ſollen von ausnehmender Staͤrke und Wildheit ſeyn.
Die Bauern werden dies zu ihrem Schaden inne, denn ſie fallen die Heerden
oͤfters an, und bringen das Vieh um, indem ſie es mit den Fuͤßen zertreten.
Dr. Thunberg verlohr durch einen Anfall dieſer Thiere ſeine Pferde, und ſein
Begleiter, der hollaͤndiſche Compagnie-Gaͤrtner, hatte kaum noch Zeit, ſich zwi-
ſchen zwey Baͤume zu retten. Ein junger dreyjaͤhriger Ochs dieſer Art, wel-
cher dem Unter-Gouverneur zugehoͤrte, ward mit ſechs zahmen Ochſen vor einen
Wagen geſpannt, aber ſie waren zuſammen genommen nicht vermoͤgend ihn aus
der Stelle zu bringen. Außer dieſem Buͤffel-Geſchlecht giebt es noch eine andre
Art wilder Ochſen, welche von den Eingebohrnen Gnu genannt werden. Sie
haben duͤnne kleine Hoͤrner, Maͤhnen, und Haarberſten an der Naſe und den
Wammen; und ſcheinen wegen ihres feinen Baues eher zum Pferde- und Ante-
lopen- als zum Ochſen-Geſchlecht zu gehoͤren. Wir haben Zeichnungen und Be-
ſchreibungen von dieſem Thiere gemacht, davon auch eins fuͤr die Menagerie des
Prinzen von Oranien lebendig nach Europa verſchickt worden iſt. Naͤchſt allen
vorgedachten Thieren iſt dieſer Welttheil auch von jeher als das Vaterland des
[63]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſchoͤnen Gazellen- oder Antelopen-Geſchlechts *) angeſehn worden, von deſ-1772.
Novem-
ber.

ſen vielfachen Arten, wir laͤngſt eine richtigere Kenntniß wuͤrden bekommen haben,
wenn die verſchiedenen, zum Theil unſchicklichen Nahmen, die man ihnen hin und
wieder beygelegt hat, ſolches nicht verhindert und erſchweret haͤtten. An reiſe
ſenden Raubthieren fehlt es dem Cap auch nicht, und die Coloniſten koͤnnen ſich
nicht Muͤhe genug geben ſie [auszurotten]. Loͤwen, Leoparden, Tieger-Katzen, ge-
ſtreifte und fleckichte Hyaͤnen, (S. Pennants Synopſis Quadr.) Jackals und
andre dergleichen Thiere, naͤhren ſich hauptſaͤchlich von Antelopen, Haſen, Jer-
bua’s, Cavia’s und kleinen vierſuͤßigen Thieren, wovon das Land uͤberall voll iſt.


Die Anzahl der Voͤgel iſt ebenfalls ſehr groß und viele derſelben ſind
mit den ſchoͤnſten Farben gezeichnet.


[64]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.

Ich habe hier eine Veranlaſſung noch einmal auf Kolben zuruͤckzukom-
men. Er ſagt unter andern, daß es Schwalben allhier gebe, und das iſt ohn-
laͤugbar, denn wir haben ſelbſt zweyerley Arten davon geſehen. Der Abt la
Caille
hingegen findet fuͤr gut, Kolben in dieſem Punkt zu widerſprechen, wahr-
ſcheinlicherweiſe bloß darum, weil ihm ſelbſt keine zu Geſicht gekommen ſind.
Eben ſo irrt ſich der Abt auch in Anſehung des Knorrhahns; dieſer gehoͤrt
keinesweges zu den gelinottes oder grous, d. i. Birkhaͤhnen, wie er behau-
pten will; ſondern es iſt eine africaniſche Trappe (buſtard.) Ueberhaupt wuͤrde
es ſehr leicht ſeyn, faſt jeden Urtheilsſpruch des Abts gegen Kolben, zu ent-
kraͤften, wenn ſein unbedeutendes Werklein ſo viel Achtung verdiente.


Von kriechenden Inſecten allerley Art, von Schlangen, worunter einige deren
Biß toͤdtlich iſt, und von unterſchiedlichen anderm Gewuͤrm, wimmelt es gleich-
ſam am Cap; auch ſind die Kuͤſten reich an wohlſchmeckenden Fiſchen, davon
viele den Naturkuͤndigern noch unbekannt ſind. Mit einem Wort, ſo große
Reichthuͤmer des Pflanzen- und Thierreiches auch jetzt ſchon aus Africa ge-
bracht ſind, ſo giebt es doch in deſſen inneren, faſt noch ganz unbekannten Theilen
noch große Schaͤtze fuͤr die Natur-Wiſſenſchaft, und fuͤr den Beobachtungs-
geiſt eines zweyten Thunbergs oder zweyten Bruces.


Viertes
[65]in den Jahren 1772 bis 1775.

Viertes Hauptſtuͤck.
Reiſe vom Cap nach dem antarctiſchen Zirkel; erſte Fahrt
in hoͤhere ſuͤdliche Breiten; Ankunft auf der Kuͤſte
von Neu-Seeland.


Am 22ſten November Nachmittags um 4 Uhr, ſeegelten wir aus Tafelbay1772.
Novem-
ber.

und begruͤßten beym Abſchiede das Fort. Das unruhige Element, dem
wir uns nunmehro von neuem anvertrauten, bewillkommte uns auf keine ange-
nehme Art, denn wir hatten die ganze Nacht uͤber mit heftigen Stoßwinden zu
kaͤmpfen. Die See leuchtete jetzt auf eben die Art, als wir bey unſrer Ankunft
geſehen hatten, aber nicht ſo ſtark als damals. Am folgenden Tage um 8 Uhr
des Morgens verlohren wir das Cap aus dem Geſicht und liefen gegen Suͤden.
Da wir jetzt auf einer Reiſe begriffen waren, die noch Niemand vor uns unter-
nommen hatte, auch nicht wußten, wenn, oder wo wir einen Erfriſchungs-Ort
finden wuͤrden, ſo gab der Capitain die gemeſſenſten Befehle, daß mit dem Trink-
waſſer gut hausgehalten werden ſollte. Zu dem Ende ward eine Schildwache
an das Waſſerfaß geſtellt und von dem Schiffsvolk bekam der Mann taͤglich
ein gewiſſes Maas zugetheilt. Außerdem durfte ein jeder auch noch beym Faß
trinken, aber nichts mit ſich nehmen. Der Capitain ſelbſt wuſch ſich mit See-
waſſer und unſre ganze Reiſegeſellſchaft mußte ſich ein gleiches gefallen laſſen.
Auch ward die von Herrn Irving verbeſſerte Deſtillir-Maſchine beſtaͤndig im
Gange erhalten, um die taͤgliche Abnahme des ſuͤßen Waſſers wenigſtens in et-
was
wieder zu erſetzen.


Den 24ſten Nachmittags fiengen wir bey ſchoͤnem gemaͤßigtem Wetter,
nach vorhergegangenen harten Sturm, neun Albatroſſe an Schnur und Angeln,
welche man mit einem Stuͤckchen Schaafs-Fell beſteckt hatte. Einige dieſer Voͤ-
gel maaßen, von einer Spitze des ausgebreiteten Fluͤgels zum andern, uͤber zehen
Fuß. Das Gefieder der juͤngern war mit vielen braunen Federn vermiſcht; die
ausgewachſenen aber waren ganz weiß, bis auf die Fluͤgel, die ſchwaͤrzlich und
an dem obern Gelenke mit ſchwarzen Strichen geſtreift auch mit einzelnen Federn
ſchwarz geſprenkelt waren. An eben dieſem Tage ließ ſich, eine kleine Weile uͤber,
Forſters Reiſe u. d. W., erſter Th. J
[66]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Novem-
ber.
ein großer brauner Fiſch, der mit dem Sonnen-Fiſch (tetrodon mola) viel
Aehnlichkeit hatte, neben dem Schiffe ſehen.


Am 29ſten ward der Wind, welcher ſeit den drey vorhergehenden Tagen
ſehr ſtuͤrmiſch geweſen war, ſo heftig, daß wir vier und zwanzig Stunden lang
nur allein das Fock-Seegel fuͤhren konnten. Zugleich gieng die See fuͤrchterlich
hoch und brach oft uͤber dem Schiffe. Wer kein Seemann war, wußte ſich in
dieſe neue Lage gar nicht zu ſchicken, und da wir auf der Ueberfahrt von England
bis zum Cap ganz beſonders gutes Wetter gehabt hatten, ſo waren auch jetzt noch
in keiner Cajuͤtte Anſtalten gegen ſolche Stuͤrme vorgekehrt worden. Das hef-
tige Hin und Herſchwanken des Schifs richtete daher taͤglich ſchreckliche Verwuͤ-
ſtungen unter unſern Taſſen, Glaͤſern, Bouteillen, Tiſchen, Schuͤſſeln und an-
dern Geſchirr an; allein, die luſtigen Auftritte, welche bey dieſer allgemeinen
Berwirrung vorfielen, und bey denen man ſich des Lachens ohnmoͤglich enthalten
konnte, machten uns, gegen dieſen in unſrer Lage unerſetzlichen Verluſt, gelaßner
als wir ohne dies wohl nicht geblieben ſeyn moͤchten. Das uͤbelſte dabey war,
daß die Decken und Fußboͤden in allen Cajuͤtten gar nicht trocken wurden, und
das Heulen des Sturms im Tauwerk, das Brauſen der Wellen, nebſt dem ge-
waltigen Hin- und Herwerfen des Schifs, welches faſt keine Beſchaͤftigung ver-
ſtattete, waren neue und fuͤrchterliche Scenen, aber zugleich hoͤchſtbeſchwerlich und
hoͤchſt unangenehm. Hiezu kam noch, daß, ohnerachtet wir uns erſt im 42
Grade ſuͤdlicher Breite befanden, die Luft doch ſchon ſehr kalt und ſcharf zu wer-
den anfieng, gleichwie auch der haͤufige Regen dem Schiffsvolk den Dienſt noch
ſchwerer machte. Um nun die Leute einiger maßen gegen die rauhe Witterung zu
ſchuͤtzen, ließ der Capitain die Kleider unter ſie austheilen, welche zu dem Ende,
auf Koſten der Admiralitaͤt, ausdruͤcklich waren angeſchaft worden. Ein jeder,
der, im Dieuſt des Schiffs, dem Ungeſtuͤm des ſuͤdlichen Clima ausgeſetzt ſeyn
mußte, vom Lientenant an bis zum gemeinſten Matroſen, bekam ein Wamms und
ein Paar lange Schifferhoſen vom dickſten wollnen Zeuge oder ſtarken Flannel,
fearnought genannt, welche die Naͤſſe lange abhielten, und eben ſo wie alle
uͤbrige Artikel, welche die Admiralitaͤt von Lieferanten ſchaffen laͤßt, nur den ein-
zigen Fehler hatten, daß ſie faſt durchgehends zu kurz oder zu knapp waren. Das
Elend, womit das arme Schiffsvolk des Herrn von Bougainville, aus Man-
[67]in den Jahren 1772 bis 1775.
gel gehoͤriger Kleidung kaͤmpfen mußte, zeiget augenſcheinlich, daß die engliſchen1772.
Novem-
ber.

Seeleute auch in dieſer Abſicht ungleich beſſer dran ſind. Von ihrer billig und
menſchenfreundlichgeſinnten Landesregierung, koͤnnen ſie ſich uͤberall, beſonders bey
gefaͤhrlichen Expeditionen darauf verlaſſen, mit allem verſorgt zu werden, was
ſie gegen die Gefahren der See ſchuͤtzen und was in Widerwaͤrtigkeiten ihren
Muth aufrecht erhalten kann. Wenn hingegen in einem Staate dieſe Aufmerk-
ſamkeit fehlt und der Matroſe gewahr wird, daß man ſich nicht mit einer Art
von Theilnehmung um ihn bekuͤmmert; ſo wird er unwillig und muthlos im
Dienſt werden und ſich der Verzweiflung mit allen ihren ſchrecklichen Folgen uͤber-
laſſen, ſo bald eine Pruͤfungsſtunde einfaͤllt, die auf dieſem Elemente doch ſo
ſelten ausbleiben, und aus denen der entſchloſſene Muth und der gute Wille des
Schiffsvolks oft nur allein retten koͤnnen. Einen ſolchen critiſchen Augenblick
erlebten wir dieſe Nacht. Ein Unterofficier, der in dem Vordertheile des
Schiffraums ſchlief, erwachte von ohngefaͤhr und hoͤrte Waſſer durch ſeine
Schlafſtelle rauſchen, das gegen ſeine und ſeiner Cameraden Kiſten heftig an-
ſtieß; er ſprang ſogleich zum Bette heraus und fand ſich bis an die Waden im
Waſſer. Augenblicklich gab er dem Officier auf der Hinterdecke Nachricht von
dieſem fuͤrchterlichen Umſtande und in wenig Minuten war im ganzen Schiffe al-
les wach und in Bewegung. Man fieng an zu pumpen und die Officiers redeten
den Leuten mit einer ungewohnten und daher bedenklichen Guͤtlichkeit Muth ein,
daß ſie nicht nachlaſſen ſollten, aus allen Kraͤften zu arbeiten. Dennoch ſchien
das Waſſer uͤberhand zu nehmen. Jedermann war in Furcht und Schrecken und
die Dunkelheit der Nacht vergroͤßerte nur die Abſcheulichkeit unſrer Lage


Ponto nox incubat atra
Præſentemque viris intentant omnia mortem

Virgil.


For what obſcured light the heav’ns did grant
Did but convey unto
their fearfull minds
A doubtfull warrant of immediate death
.
Shakespear.
()

J 2
[68]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Decem-
ber.

Die Schoͤpf- und Ketten-Pumpen wurden in Gang gebracht und die Leute ar-
beiteten mit dem lebhafteſten Eifer. Endlich entdeckte man zum großen Gluͤck,
daß das Waſſer nicht durch ein verborgnes und unzugaͤngliches Leck eindrang,
wie jedermann beſorgt hatte, ſondern daß es in die Vorraths-Cammer des Boots-
manns, zu einem Fenſter oder Luftloch hereinkam, welches gegen die ſtuͤrmiſche
See dieſer Gegenden nicht feſt genug zugemacht und durch die Gewalt der Wel-
len eingeſchlagen worden war. Nunmehro war keine Gefahr weiter dabey; es
ward augenblicklich wieder vermacht und ſo entkamen wir diesmal ohne andern
Schaden, als daß die Kleider und das Gepaͤck der Matroſen und Officier von
dem eingedrungnen Seewaſſer ganz durchnaͤſſet worden waren. Es wuͤrde uns
indeſſen ſchwer wo nicht unmoͤglich geweſen ſeyn, das Schiff uͤber Waſſer zu hal-
ten, wenn der Unterofficier nicht gleichſam durch eine beſondre Schickung erwacht
waͤre, ehe das Uebel uͤberhand genommen hatte. Alle Gegenwart des Geiſtes
unſrer Officiers ſammt dem Muth unſers Schiffvolks, wuͤrde alsdenn ver-
gebens geweſen ſeyn, und wir haͤtten zu Grund und Boden gehen muͤſſen, ohne
daß uns wegen der ſehr finſtern Nacht und ſtuͤrmenden Wellen von dem andern
Schiffe aus die geringſte Huͤlfe haͤtte geleiſtet werden koͤnnen.


Ohngefaͤhr um dieſe Zeit wurden an alle Leute am Bord Fiſch-Angeln
und Leinen ausgetheilt, damit, ſo bald wir Land antreffen wuͤrden, ein jeder ſo-
gleich Gebrauch davon machen koͤnnte.


Das ſtuͤrmiſche Wetter dauerte inzwiſchen, abwechſelnd mit Regen und
Nebel vermiſcht, bis zum 5ten December *) fort, an welchem Tage der Wind
zum erſtenmale, nachdem wir das Cap verlaſſen hatten, wieder ſo gemaͤßigt war,
daß die hoͤchſten Braam-Seegel aufgeſetzt werden konnten. Um Mittag befanden
wir uns unter dem 47°. 10 Minuten ſuͤdlicher Breite. Die Freude uͤber das
gute Wetter war von kurzer Dauer, denn noch heute Nachmittag fiel ſchon wie-
der Regenwetter ein und die Wellen, welche ſich ſehr hoch aus Weſten her waͤlz-
ten, verkuͤndigten uns, daß wir aus dieſem Striche Wind zu gewarten haͤtten.
Er ſtellte ſich auch wuͤrklich noch in derſelben Nacht und zwar aus Suͤdweſt ein,
wodurch die Luft ſo kalt wurde, daß das Thermometer in eben dieſer Nacht von
[69]in den Jahren 1772 bis 1775.
44 auf 38 Grad herabfiel und daß wir mit Tages Anbruch etwas Schnee be-1772.
Decem-
ber.

kamen. Der Wind nahm dabey zu und am 7ten ſtuͤrmte er dermaaßen, daß wir
Nachmittags nur noch ein Seegel fuͤhren konnten. Eine Menge von Petrels
oder Sturmvoͤgeln verſchiedner Art und See-Schwalben (terns) waren uns,
bald in kleinen bald großen Hauffen, vom Cap gefolgt ohne ſich an das Stuͤrmen
des Windes und der See zu kehren, welches im Gegentheil ſie nur in immer groͤße-
rer Anzahl herbeyzufuͤhren ſchien. Die vornehmſten Arten waren der Cap-
Sturmvogel oder Pintada (Cape petrel. Procellaria capenſis) und der
blaue, der ſo genannt wird, weil er ein blaulichtgraues Gefieder hat und queer
uͤber die Fluͤgel mit einem ſchwaͤrzlichen Streif gezeichnet iſt. Auch ließen ſich
von Zeit zu Zeit die beyden obbenannten Arten von Albatroſſen *) imgleichen,
wiewohl ſelten, noch eine dritte Gattung ſehen, welche wir die rußfarbigten
(ſooty) unſre Matroſen hingegen, wegen der graubraunen Farbe, den Quaker
nannten. Am 8ten, da die See noch immer ſehr unruhig und der Wind ſehr
heftig war, hatten wir auf allen Seiten um uns her eine Menge Voͤgel von den
vorgedachten Arten, auch ließen ſich heute zum erſtenmal Pinguins**) und Hau-
fen von See-Gras, welches See-Bambu genannt wird (fucus buccinalis
Linn.
) ohnweit dem Schiffe ſehen. Dieſe Umſtaͤnde beguͤnſtigten unſre Hof-
nung Land zu finden, denn bishero wards fuͤr ausgemacht gehalten, daß See-
Gras, beſonders ſolch Felſenkraut als dieſes, und Pinguins, niemals fern von
der Kuͤſte angetroffen wuͤrden. Die Erfahrung aber hat gelehrt, daß man ſich
auf dieſe Zeichen nicht verlaſſen kann, ſondern daß ſie ihren Credit nur einzelnen,
zufaͤlligerweiſe guͤnſtig geweſenen Proben und dem Zeugniß eines oder des andern
beruͤhmten Seefahrers zu danken haben. Wenn man indeſſen auf die Erſchei-
J 3
[70]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Decem-
ber.
nung und Beſchaffenheit des See-Graſes und Treibholzes fernerhin genau Acht
geben wollte, ſo koͤnnte ſolches vielleicht dereinſt zu beſtimmtern Schluͤſſen leiten;
denn da dieſe Kraͤuter nicht in der See erzeugt werden, ſondern urſpruͤnglich auf
Felſen wachſen und von da durch die Wellen oder eine andere aͤußere Gewalt aus-
gewurzelt werden, ſo muͤſſen ſie in dieſem widernatuͤrlichen Zuſtande in Faͤulniß
uͤbergehen, aus deren groͤßeren oder geringern Grade ſich die Zeit, wie lange ſie
in See herumgeſchwommen, ja in einzelnen, ſeltnen Faͤllen vielleicht auch die
Entfernung des Landes, von welchem ſie herkommen, muthmaßlich wuͤrde erra-
then laſſen; der Strich und die Staͤrke von Wind und Wellen nebſt andern Um-
ſtaͤnden muͤßten aber in dieſem Fall freylich mit in Anſchlag gebracht werden.


Am 9ten Morgens konnten wir endlich unſre große Seegel wiederum
aufſetzen, weil der Sturm etwas nachgelaſſen hatte. Das Thermometer hinge-
gen war, des gelindern Wetters ohngeachtet, heute fruͤh um 9 Uhr, auf 35
Grad geſunken, und ſtieg Mittags nicht mehr als um einen Grad hoͤher, ob wir
uns damals gleich erſt unter 49 Grad 45 Minuten ſuͤdlicher Breite befanden.
Gegen die Nacht wards wieder kaͤlter und um halb Zehn ſtand das Thermometer
auf dem Verdeck nahe bey 32. Grad, auch fieng das Waſſer in unſerm Trinkfaſſe,
am Rande des Gefaͤßes, an zu frieren. Dieſe Kaͤlte war gleichſam der Vorbothe des
Treib-Eiſes, welches wir am folgenden Morgen in der See antrafen. Das erſte
was wir davon zu ſehen bekamen war ein großer Klumpen, dem wir eilfertigſt
ausweichen mußten. Ein anderer von gleicher Groͤße war dichte vor uns und
einen dritten erblickten wir ohngefaͤhr zwey See-Meilen weit gegen den Wind
hin, wo er, gleich einem weißen Vorgebuͤrge oder einer Kreiden-Klippe, aus dem
Meer empor ragte.


Nachmittags fuhren wir bey einer andern viereckigten, ungeheuren Eiß-
Maſſe vorbey, die ohngefaͤhr zweytauſend Fuß lang, vierhundert breit, und wenig-
ſtens noch einmal ſo hoch als unſer hoͤchſter mittelſter Braam-Maſt, das iſt, ohn-
gefaͤhr zweyhundert Fuß hoch war. Da ſich nach Boylens und Mairans*)
Verſuchen die Maſſe des Eiſes zum Seewaſſer ohngefaͤhr wie 10. zu 9: verhaͤlt;
ſo muß, nach bekannten Hydroſtatiſchen Geſetzen, die Maſſe des Eiſes uͤber dem
Waſſer zu jener, die ſich unterm Waſſer befindet, wie 1 zu 9 ſeyn. Wenn nun
[71]in den Jahren 1772 bis 1775.
das Stuͤck Eis, welches wir vor uns [ſahen], von ganz regelmaͤßiger Geſtalt ge-1772.
Decem-
ber.

weſen iſt, welches wir einmahl annehmen wollen, ſo muß es 1800 Fuß tief
ins Waſſer gegangen und im Ganzen 2000 Fuß hoch geweſen ſeyn. Rechnen
wir nun ſeine Breite auf obige 400 Fuß und fuͤr ſeine Laͤnge 2000; ſo muß
dieſer einzige Klumpen ein tauſend ſechs hundert Millionen Cubic-Fuß Eis ent-
halten haben.


Dergleichen ungeheure Eis-Maſſen treiben allem Anſchein nach nur ſehr
langſam und unmerklich; denn da der groͤßte Theil derſelben unter Waſſer iſt,
ſo kann die Gewalt des Windes und der Wellen wenig Eindruck auf ſie machen.
Stroͤhmungen in der See ſind vielleicht die Haupt-Kraͤfte, wodurch ſie in Bewe-
gung geſetzt werden, doch mag die ſchnellſte dieſer Stroͤhmungen nie ſtark genug
ſeyn, ſie in vier und zwanzig Stunden zwey Engliſche Meilen weit fort zu
fuͤhren. Was wir uns auf dieſer erſten Fahrt gegen den Suͤdpol, von dem Ur-
ſprung des Treibeiſes vorſtellten, das lief zwar damahls nur auf bloße Muth-
maßungen hinaus, die ohne weitere Erfahrung hoͤchſtens fuͤr wahrſcheinlich
haͤtten koͤnnen ausgegeben werden, nachdem wir aber unſre Reiſe um die Welt
ganz vollbracht haben, ohne das Suͤdliche feſte Land zu finden, deſſen Wirklichkeit
man in Europa durchgehends geglaubt hat: So ſind wir in unſeren ehemaligen
Vermuthungen beſtaͤrkt worden, und halten es jetzt fuͤr mehr als wahrſcheinlich,
daß dies Treib-Eis unmittelbar in freyer See hervorgebracht werde, zumal
da, wiederholten und entſcheidenden Verſuchen zufolge, ausgemacht iſt, daß
Seewaſſer gefrieren koͤnne
.*)


[72]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Decem-
ber.

Dies Treib-Eis bewies uns gleichfals, daß zwiſchen dem Clima der
nordlichen und ſuͤdlichen Halbkugel ein großer Unterſchied ſey. Wir waren
mitten im December-Monath, welcher auf dieſer ſuͤdlichen Halbkugel mit un-
ſerm Junius uͤbereinkommt; Unſre beobachtete Breite war Mittags nur 51 Grad
5 Minuten ſuͤdlich (welches mit der Polhoͤhe von London ohngefaͤhr uͤbereinſtimmt)
gleichwol hatten wir ſchon verſchiedne Berge von Treib-Eis angetroffen und un-
ſer Thermometer ſtand auf 36 Grad. Der Mangel eines feſten Landes auf der
ſuͤdlichen Halbkugel ſcheint die verhaͤltnißwiedrige Kaͤlte dieſer Weltgegend zu ver-
anlaſſen, in ſo fern nemlich hier nichts als See iſt, die, als ein durchſichtiger fluͤſ-
ſiger Coͤrper, die Strahlen der Sonne verſchluckt und nicht zuruͤck wirft, wie auf
der noͤrdlichen Halbkugel von dem Erdreich geſchiehet.


Am 11ten December um drey Uhr Nachmittags liefen wir an einer Eis-
Inſel vorbey, die wenigſtens eine halbe Engliſche Meile lang war, und uns zu
derjenigen Seite lag, von welcher der Wind her kam. Das Thermometer auf
dem Verdeck, welches um zwey Uhr ohngefaͤhr auf 36 Grad geſtanden hatte, war
wegen des ſchoͤnen Sonnenſcheins auf 41 Grad geſtiegen; als wir aber dem Eiſe
gegenuͤber kamen, ſunk es nach und nach auf 37½ herab, und ſobald wir daran vor-
bey waren kam es wieder zu dem vorigen Standpunkt von 41 Graden. Dieſer
Unterſchied von vier Graden lies ſich auch am Coͤrper empfinden und wir ſahen
hieraus augenſcheinlich, daß, naͤchſt der bereits angefuͤhrten Urſach, dieſe große
Eis-Maſſen ebenfalls das ihrige beytragen, die Luft dieſer unfreundlichen Seen ſo
kalt zu machen. Die Wellen brachen ſich mit ſolchem Ungeſtuͤm gegen die nur ge-
dachte Eis-Inſel, als ob es ein unbeweglich feſtſtehender Felſen geweſen waͤre,
und ſchlugen, ohnerachtet ſie nicht viel niedriger war als die zuerſt beſchriebene
Eis-Maſſe, dennoch ſo hoch hinan, daß der Schaum oft weit daruͤber hinaus
ſpruͤtzte, welches bey dem ſchoͤnen heitern Wetter einen ganz vortreflichen An-
blick gab. Das Seewaſſer, welches ſolchergeſtalt aufs Eis gejagt wird, frieret
daſelbſt wahrſcheinlicherweiſe feſt, ein Umſtand, der ungemein dienlich iſt die
Entſtehungsart und die Anhaͤufung deſſelben zu erklaͤren.


Der Kaͤlte des Himmelsſtrichs ohnerachtet waren unſre [Schiffe] noch im-
mer mit Sturmvoͤgeln, Albatroſſen und Pinguins umgeben. Beſonders be-
merkten wir einen Sturmvogel von der Groͤße einer Taube, ganz weis, mit
ſchwar-
[73]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſchwarzem Schnabel und blaͤulichen Fuͤſſen, der allemal um die Eis-Maſſen1772.
Decem-
ber.

her ſchwaͤrmte und deshalb als ein Vorbothe des Eiſes angeſehen werden kann.
Der Farbe wegen nannten wir ihn, die Schnee-Petrell. Ein Nordcaper und
verſchiedne Wallfiſche, welche ſich zwiſchen dem Eiſe zeigten und die traurigen
Seegegenden in dieſem eiskalten Clima einigermaßen belebten, brachten uns auf
den Gedanken, daß wir, wo nicht etwas beſſeres, doch vielleicht noch ein ſuͤdli-
ches Groͤnland zu gewarten haͤtten. Unterdeſſen nahm die Menge der Eis-Maſ-
ſen alle Tage zu, ſo daß wir am 13ten Nachmittags ohngefaͤhr 20 derſelben und
zwar von betraͤchtlichem Umfang im Geſicht hatten. Eine war voller ſchwarzen
Flecke, welche von einigen fuͤr Seehunde, von andern fuͤr Waſſer-Voͤgel ange-
ſehen wurden, ob ſie gleich unbeweglich auf einer Stelle blieben. Da nun See-
hunde bis jetzo noch fuͤr untruͤgliche Zeichen nahen Landes galten, ſo ſondirten wir
Abends mit einer Leine von hundert und funfzig Faden, fanden aber keinen Grund.
Wir waren jetzt gerade unter eben der Polhoͤhe, in welcher der Capitain Lozier
Bouvet
das Cap Circonciſion gefunden haben will, und der Meeres-Laͤnge
nach, befanden wir uns nur um wenige Grade davon, weiter gegen Oſten. Je-
dermann erwartete daher mit großer Ungeduld Land zu erblicken und der geringſte
Umſtand, wenn es auch gleichſam nur ein ſchwarzer Fleck am Eiſe war, machte
unſre ganze Aufmerkſamkeit rege. Die vor uns liegenden Wolken wurden alle
Augenblick ſorgfaͤltig betrachtet, ob nicht irgendwo eine Bergſpitze zum Vorſchein
kaͤme, denn jedweder wollte gern der erſte ſeyn Land! auszurufen. Die truͤgliche
Geſtalt der Nebelbaͤnke oder der in Schnee-Geſtoͤber gehuͤllten Eis-Inſeln hatte
ſchon manchen falſchen Laͤrm veranlaßt, und die Adventure, unſer Reiſe-Ge-
faͤhrte, ward durch ſolche Taͤuſchungen oft verleitet uns Signale zu geben, daß
ſie Land ſaͤhe. Unter andern hatte die Idee von Bouvets Entdeckung die Ein-
bildungskraft eines unſrer Lieutnants dergeſtalt erhitzt, daß er einmal uͤber das
andre auf den Maſtkorb kletterte und endlich am 14ten des Morgens um 6 Uhr,
dem Capitain ſehr ernſthaft entdeckte: Er ſehe ganz deutlich Land. Dieſe Neuig-
keit brachte uns alle aufs Verdeck. Wir ſahen aber nichts weiter als ein unge-
heures flaches Eisfeld vor uns, das am Rande in viele kleinere Stuͤcken gebrochen
war; und eine große Menge von Eis-Inſeln aller Geſtalt und Groͤße ſtieg, ſo
weit das Auge nur reichen konnte, hinter demſelben empor. Einige der entfern-
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. K
[74]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Decem-
ber.
tern ſchienen, vermittelſt der Strahlenbrechung in den Duͤnſten des Horizonts,
weit hoͤher als ſie in der That waren, und ſahen wuͤrklichen Bergen aͤhnlich. Die-
ſer Anblick war ſo taͤuſchend, daß viele unſrer Officiers dabey blieben, ſie haͤtten
hier Land geſehen, bis endlich Capitain Cook zwey Jahr und zwey Monath nach-
her (nemlich im Februar 1775), auf ſeiner Fahrt vom Cap Horn nach dem
Vorgebuͤrge der guten Hofnung, gerade uͤber denſelbigen Fleck wegſeegelte wo
es haͤtte liegen muͤſſen, wo aber damals weder Land noch Eis mehr zu ſehen war.
Ganze Haufen von Pinguins, Pintaden, Mallemucken, Schnee- und blauen
Petrels *) fanden ſich bey dieſem weit verbreiteten Eiſe und verſchiedne Wall-
fiſcharten blieſen rund um uns her Waſſer in die Hoͤhe. Zween derſelben, die
kuͤrzer als der gewoͤhnliche Wallfiſch waren, kamen uns ihrer beſondern Dicke
und ihrer weißen, oder vielmehr ihrer Fleiſchfarbe wegen, bemerkenswerth vor.
Die große Kaͤlte, welche wir in dieſen eiſigten Seen antrafen, machte, daß wir
nicht nur die Hofuung ſondern ſogar alle Gedanken an den Sommer fahren laſ-
ſen mußten, den wir, der Jahrszeit nach, bisher noch immer erwartet hatten. Un-
ſer Thermometer ſtand des Morgens auf 31 Grad und ſtieg Mittags nicht uͤber
33 obgleich die heute beobachtete Polhoͤhe nur 54. Grad 55 Minuten ſuͤdlicher
Breite war. — „Die Kaͤlte war uͤberdem noch weit empfindlicher als der Grad
des Thermometers angab, ſo daß die ganze Mannſchaft ſich ſehr daruͤber beklagte.
Ob dies daher ruͤhrte, daß wir aus einem warmen Himmelsſtrich kamen, oder
ob es irgend eine andre Bewandnis damit hat, will ich nicht entſcheiden.„ —
Am Nachmittage kamen wir durch viel gebrochnes Eis, und ſahen ein zweytes
großes Eisfeld, jenſeit deſſen verſchiedne unſrer Leute noch immer Land zu ſehen
behaupteten, ohngeachtet auch dies, ſo wie das vorige, im Grunde, aus nichts
als Nebelbaͤnken beſtand. In der Nacht ſchneite es ſtark, und bey Anbruch
des Tages ward es ſehr neblicht aber zugleich faſt Meerſtill; den letztern Umſtand
nutzte man zu Unterſuchung der Stroͤhmung, und Herr Wales nebſt meinem
Vater bedienten ſich dieſer Gelegenheit ebenfalls, um in einem kleinen Boote die
Verſuche uͤber die Waͤrme der See in großer Tiefe, zu wiederhohlen. Indem ſie
aber damit beſchaͤftigt waren ward der Nebel ſo dick, daß ſie beyde Schiffe aus
den Augen verlohren und wie Ihnen nunmehro zu Muthe ſeyn mochte, laͤßt ſich
[75]in den Jahren 1772 bis 1775.
leicht erachten! In einem kleinen Boote in welchem ſie zum Ungluͤck weder Maſt1772.
Decem-
ber.

noch Seegel, ſondern nur zwey Ruder hatten, befanden ſie ſich auf dem uner-
meßlichen Ocean, fern von irgend einer bewohnten Kuͤſte, uͤberall mit Eis um-
geben und ohne Lebensmittel! mithin in einer Lage, die an ſich erſchrecklich war,
und durch den Gedanken an die Zukunft noch fuͤrchterlicher gemacht wurde. Un-
ter beſtaͤndigem Rufen ruderten ſie eine Weile bald hier bald dorthin, aber um-
ſonſt; alles war todt ſtill um ſie her, und ſie konnten keine Boots-Laͤnge weit
vor Nebel ſehen. In dieſer Ungewißheit hielten ſie es fuͤr das beſte, ſtill zu lie-
gen, und hofften, daß wenn ſie auf einer Stelle blieben, die Schiffe wegen der
Meeres-Stille nicht wuͤrden aus dem Geſicht getrieben werden. Endlich hoͤrten
ſie in großer Entfernung eine Glocke laͤuten. Das war ihren Ohren himmliſche
Muſik. Sie ruderten alſo gleich darnach zu, und erhielten auf ſtetes Rufen end-
lich von der Adventure aus Antwort. Nunmehro eilten ſie an Bord derſelben,
hoͤchſterfreut der augenſcheinlichen Gefahr eines langſamen und fuͤrchterlichen To-
des ſo gluͤcklich entkommen zu ſeyn. Nachdem ſie eine Weile am Bord gewe-
ſen, ließen ſie zum Signal eine Canone abfeuern, und als ſich bey dem Ant-
wort-Schuſſe fand, die Reſolution ſey ſo nahe, daß ſich beyde Schiffe
abrufen konnten, ſo kehrten ſie in dem Boote wieder nach ihren feuchten Bet-
ten und baufaͤlligen Cajuͤtten zuruͤck, die ihnen nun noch einmal ſo viel werth wa-
ren, als zuvor. Man ſiehet bey dieſer Gelegenheit, einerſeits, wie unzaͤhlig vielen
Unfaͤllen der Seefahrer ausgeſetzt iſt, und wie oft ſelbſt da Gefahren entſtehen,
wo man ſie am wenigſten beſorgt; andrerſeits aber auch, wie die alles lenkende
Vorſehung ſtets uͤber unſer Schickſal wacht. Sie iſt nicht nur im Sturm ſicht-
bar, wenn ſie uns zwiſchen verborgene Klippen und Sandbaͤnke gluͤcklich hindurch
fuͤhrt, oder wenn ſie uns von der Wuth der Wellen und des Feuers rettet, ſon-
dern auch bey jenen kleinen, weniger auffallenden Begebenheiten muͤſſen wir ſie
erkennen und verehren, welche Reiſende und Leſer gemeiniglich nicht zu bemerken
oder wenigſtens ſchnell zu vergeſſen pflegen, ſo bald ſie uͤbrigens nur gluͤcklich
abgelaufen ſind.


Da wir nunmehro gegen Suͤden hin lauter feſte, große Eisfelder vor uns
fanden, ſo konnten wir auf dieſem Striche nicht weiter vordringen, und nachdem
wir zu verſchiedenen mahlen, aber immer fruchtlos, verſucht hatten, uns durch das
K 2
[76]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Decem-
ber.
dichte Eiß einen Weg zu bahnen; ſo aͤnderten wir unſern Lauf und ſteuerten laͤngſt
demſelben, oftmals mitten durch große Strecken gebrochnen Eiſes, welches die
Nordfahrer Pack-Eis nennen, hindurch, gegen Oſten. Schwere Hagel- und
Schnee-Schauer verdunkelten die Luft beſtaͤndig und ließen uns den belebenden
Blick der Sonne nur immer auf kurze Zeit genießen. Wir ſahen ſtuͤndlich große
Eis-Inſeln in allen Gegenden um uns her, ſo daß ihr Anblick uns nun ſchon eben
ſo bekannt und gemein wurde als Wolken und See. Die Menge derſelben ver-
anlaßte noch immer neue Beobachtungen, die wir hernach, durch eine noch laͤn-
gere Bekanntſchaft mit ihnen, bald zu beſtaͤtigen, bald zu berichtigen Gelegenheit
fanden. So hatten wir zum Beyſpiel ißt ſchon gelernt, daß in ſolchen Gegen-
den ohnfehlbar Eis anzutreffen ſey, aus welcher man bereits in der Ferne einen
ſtarken weißen Wiederſchein am Horizont hatte bemerken koͤnnen. Gleichwohl
iſt das Eis nicht immer weißer Farbe, ſondern oft, gemeiniglich aber gegen die
Oberflaͤche der See, mit einem ſchoͤnen Sapphyr- oder vielmehr Beryll-Blau
gefaͤrbt, welches jedoch zweifels-ohne nichts anders als blos der Widerſchein des
Waſſers iſt. Zwar zeigte ſich dieſe Farbe zuweilen wohl zwanzig bis dreyßig Fuß
hoch uͤber der See, allein dann ruͤhrte ſie wahrſcheinlicherweiſe von einigen Seewaſ-
ſertheilchen her, die bey ſtuͤrmiſchen Wettec ſo hoch auf das Eis hinaufgeſchleu-
dert und in die Zwiſchenraͤumchen deſſelben durch neuen Froſt eingeſchloſſen wor-
den waren. Oftmals konnten wir auch an großen Eis-Inſeln verſchiedne Arten
von Weiß unterſcheiden, die in Schichten von ſechs zu zwoͤlf Zoll dick uͤber ein-
ander lagen. Dieſer Umſtand beweiſet meines Erachtens, daß dergleichen
große Eis-Maſſen zum Theil auch durch Schnee nach und nach vergroͤßert wer-
den; denn da dieſer von verſchiedner Art iſt, bald klein bald grobkoͤrnicht, bald
in leichten federichten Flocken herabfaͤllt u. d. g. ſo muͤſſen die beſondere Schich-
ten deſſelben von verſchiedner Dichtigkeit ſeyn, und folglich auch eine verſchiedne
Farbe annehmen.


Ob wir gleich, wie im vorhergehenden gemeldet worden, der großen Eis-
felder wegen, unſern Lauf nach Oſten hatten richten muͤſſen, ſo verlohren wir
unſre Beſtimmung, den kalten Erdzirkel zu unterſuchen, dennoch nie aus den
Augen, und ſteuerten daher, ſo bald die See nur irgendwo etwas freyer und
ofner war, gleich wieder mehr nach Suͤden. Anfaͤnglich ruͤckten wir des gerin-
[77]in den Jahren 1772 bis 1775.
gen Windes wegen, nur wenig fort, und da bey Anbruch des folgenden Tages1772.
Decem-
ber.

faſt gar keiner zu ſpuͤhren war; ſo bedienten wir uns dieſer Gelegenheit von neuem
ein Boot auszuſetzen und in unſern Unterſuchungen uͤber die Stroͤmung und Waͤr-
me der See fortzufahren. Auch verabſaͤumten wir nicht die Sturmvoͤgel, die
haͤufig um uns her ſchwaͤrmten, naͤher zu unterſuchen, zu beſchreiben und abzu-
zeichnen, welches heute deſto beſſer geſchehen konnte, weil wir mehrere derſelben
ſchoſſen, die mit einer Art von Neugierde uͤber dem Boot herſchwebten. Wir ſuch-
ten uns zwar ſo viel moͤglich Suͤdwaͤrts zu halten, mußten aber, weil der Wind
ſich ganz in Suͤd-Suͤd-Oſt herum ſetzte, heute eine gute Strecke gegen Weſten zu-
ruͤckmachen.


Am folgenden Morgen fuͤhrte uns ein ziemlich friſcher Wind an ver-
ſchiednen Eis-Infeln vorbey, und außer unſerer gewoͤhnlichen Begleitung von
Voͤgeln, ließen ſich auch etliche Wallfiſche ſehen. Wir Paſſagiers feyerten den
heutigen erſten Chriſttag in Geſellſchaft unſrer See-Officiere, dem alten Herkom-
men nach, recht vergnuͤgt, und die Matroſen ließen ſich durch die gefaͤhrliche
Nachbarſchaft der Eisberge, womit wir gleichſam umringt waren, im geringſten
nicht abhalten, dieſen Feſttag unter wilden Laͤrm und Trunkenheit hinzubrin-
gen, wozu ſie denſelben beſonders beſtimmt zu haben ſcheinen.


Am folgenden Morgen ſeegelten wir durch viel gebrochenes oder ſoge-
nanntes Pack-Eis, darunter manches ganz ſchmutzig und thauend ausſahe.
Die untergehende Sonne verſchaffte uns heute Abend einen uͤber alle maaßen
herrlichen Anblick, denn ſie faͤrbte die Spitzen einer in Weſten liegenden Eis-In-
ſel mit funkelndem Golde und theilte der ganzen Maſſe einen blendenden Pur-
purglanz mit. Eine voͤllige Windſtille, welche am 27ſten erfolgte, verſtattete
uns, in einem Boot auf die Pinguins- und Petrell-Jagd auszugehen; ob es
uns nun gleich mit den erſteren nicht ſonderlich gluͤcken wollte, ſo beluſtigten ſie uns
doch wenigſtens durch die Geſchwindigkeit und Verſchiedenheit ihrer Bewegun-
gen. Sie tauchten zum Beyſpiel, blieben eine ganze Weile lang unter Waſſer,
kamen wieder herauf, tauchten von neuem unglaublich oft und ſchnell hintereinan-
der, und ſchoſſen zuletzt in gerader Linie fort, ſo, daß ſie mit einemmahl außer
Schuß waren, und wir die Jagd aufgeben mußten. Endlich kamen wir doch
einem nahe genug, ihn anzuſchießen; allein, ohnerachtet wir ihn ſcharf verfolgten,
K 3
[78]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Decem-
ber.
und mehr als zehenmal mit Hagel trafen, ſo mußten wir ihn doch noch zuletzt mit
einer Kugel todt ſchießen. Als wir ihn aufnahmen, zeigte ſich, daß das Schroot
auf den harten, glatten Federn abgeprellt war; denn dieſes Thier, welches gleich-
ſam ein Mittelding zwiſchen Vogel und Amphibio iſt, hat ein ſehr dickes Gefieder,
das aus langen ſchmalen Federn beſteht, die Schuppen-artig, eine dicht uͤber
die andre liegen, und den Pinguin gegen die Naͤſſe und Kaͤlte des Waſſers, wor-
inn er ſich groͤßtentheils aufhaͤlt, hinlaͤnglich ſchuͤtzen. Ueberdem hat ihm die Na-
tur noch eine dicke Haut gegeben, welche ihm, nebſt dem vielen Fette womit er
gleichſam uͤbergoſſen iſt, den beſtaͤndigen Winter dieſes unfreundlichen Clima deſto
ertraͤglicher macht. Der ganze uͤbrige Bau ſeines Coͤrpers verraͤth eben ſo viel
weiſe Abſichten der Natur. Er hat einen breiten Bauch, mit weit hinterwaͤrts
liegenden Fuͤßen und Floßfedern, welche ihm ſtatt der Fluͤgel dienen; alles
vortrefliche Werkzeuge, ſeinen plumpen Coͤrper deſto leichter im Waſſer
fort zu bewegen. Derjenige, den wir nun endlich erlegt hatten, wog eilf und
ein halb Pfund. Auch die blauen Sturnwoͤgel, welche ſich auf dieſem ganzen
ungeheuren Ocean uͤberall finden, und vornehmlich in dieſer Gegend anfingen, ſich
in großen Schaaren von vielen Hunderten auf die glatte Oberflaͤche der See nie-
derzulaſſen, waren um nichts ſchlechter gegen die Kaͤlte ausgeruͤſtet. Sie ha-
ben gleich den Pinguins ein ſehr dichtes und dickes Gefieder. Aus jeder Wurzel
wuchſen ſtatt einer Feder ihrer zwo, nemlich eine gewoͤhnliche Feder und eine
Duhne oder Pflaumfeder, davon eine in der andern lag, und ſolchergeſtalt
eine ſehr warme Decke ausmachten. Da dieſe Voͤgel faſt immer in der Luft ſind,
ſo hat ihnen die Natur ſehr ſtarke und lange Fluͤgel gegeben. Wir haben ſie auf
der See zwiſchen Neu-Seeland und America uͤber 700 gute engliſche See-Mei-
len fern vom Lande angetroffen, eine Weite, die ſie unmoͤglich haͤtten erreichen koͤn-
nen, wenn ihnen nicht eine beſondere Staͤrke der Knochen und Muskeln nebſt
der Laͤnge ihrer Fluͤgel dazu behuͤlflich geweſen waͤre. Da ſie ſich ſo weit vom
Lande uͤber das ganze Meer verbreiten, ſo muͤſſen ſie dem Anſchein nach, wie
viele andre Raubthiere ſowohl unter den Voͤgeln als unter den vierfuͤßigen
Thieren auch thun, lange Zeit ohne friſches Futter leben koͤnnen, obgleich das,
was wir hierinn von ihnen bemerkt haben, dieſe Meynung faſt eben ſo ſehr zu
entkraͤften ſcheint als es dieſelbe auf der andern Seite wiederum beſtaͤtigt. So
[79]in den Jahren 1772 bis 1775.
bald wir nemlich einen anſchoſſen, ſo ſpieen ſie eine Menge von zaͤhem ſchlei-1772.
Decem-
ber.

michten Fras aus, der dem Anſehen nach erſt friſch verdauet war, und den die
uͤbrigen gleichwohl mit einer Gierigkeit verſchlungen, die langes Faſten und groſ-
ſen Hunger anzudeuten ſchien. Es muß daher wohl allerhand Blubber-Arten
(Molluſcaͤ) in dieſen Eis-Seen geben, die bey ſchoͤnem Wetter an die Oberflaͤche
herauf kommen und dann dem gefraͤßigen Vogel zum Futter dienen. Uebrigens war
es uns angenehm, Gegenſtaͤnde zu finden, die zu ſolchen kleinen Betrachtungen
Anlaß gaben, wenigſtens dienten ſie uns bey der traurigen Einfoͤrmigkeit, womit
wir ſehr lange unangenehme Stunden, Tage und Monathe in dieſem oͤden
Theil der Welt zubringen mußten, dann und wann zu einer kleinen Ab-
wechſelung. Faſt immer in dicke Nebel eingehuͤllt; Regen, Hagel und Schnee,
die um die Wette mit einander abwechſelten; der Mitte des Sommers ohnge-
achtet eine bis zum Gefrier-Punct des Thermometers kalte Luft; rund um uns
her unzaͤhlbare Eis-Inſeln, gegen welche wir ſtets Gefahr liefen zu ſcheitern;
unſre taͤgliche Koſt nichts als Eingeſalzenes, wodurch, nebſt Froſt und Naͤſſe, unſer
ganzes Blut in Unordnung gerieth. … Dies zuſammengenommen, waren Un-
annehmlichkeiten, die uns allen den ſehnlichen Wunſch abnoͤthigten, daß wir end-
lich in eine beſſere Lage und mildere Himmelsgegend kommen moͤgten. Zum Gluͤck
waren unſre Matroſen, die bey der Abreiſe von England aus lauter geſunden
friſchen Leuten beſtanden, aller Muͤhſeligkeiten ohnerachtet noch immer guten
Muthes und vom Scorbute frey. Dies letztere hatten ſie ſonder Zweifel den
Vorbauungs- oder ſogenannten prophylactiſchen Mitteln, vornemlich den Bouil-
lon-Kuchen oder Gallert-artig eingekochter Fleiſchbruͤhe *) und dem Sauerkraute
[80]Forſter’s Reiſe um die Welt
1772.
Decem-
ber.
zu danken, die wir in großer Menge an Bord fuͤhrten, und davon ein jeder ſeine
gemeſſene Portion bekam. Nur zwey bis drey von unſern Leuten, die eine un-
geſunde Anlage hatten, konnten dem Scorbut nicht entgehen; insbeſondere ward
ein Zimmermann, Nahmens Georg Jackſon, ſchon am zehenten Tage nach un-
ſrer Abreiſe von Cap damit befallen. Das Zahnfleiſch gieng bey ihm in Faͤul-
niß uͤber und die Zaͤhne waren ſo los, daß ſie ganz ſeitwaͤrts lagen. Man machte
mit einer Marmelade von gelben Ruͤben oder Carotten, die uns gegen den Scor-
but vorzuͤglich war empfohlen worden, und davon wir ebenfalls Vorrath hatten,
einen Verſuch bey ihm; allein ſie half zu weiter nichts als daß ſie den Leib offen
hielt. Unſer Wundarzt, Herr Patton, fieng hierauf die Cur mit friſchem Maiſch
oder der gekochten Malz-Infuſion an; und dieſe brachte den Kranken nach und
nach, in wenig Wochen vollkommen wieder zurechte; ſeine Zaͤhne wurden wieder
feſt, und er bekam gleichſam ganz neues Zahnfleiſch. Da indeſſen die Urſach
ſeines Uebels, nemlich eine kraͤnkliche Anlage, nach wie vor blieb, ſo mußte er
mit dem Gebrauch der Bierwuͤrze noch nach geendigter Cur fortfahren, und
ward auf die Weiſe vor allen ferneren ſcorbutiſchen Zufaͤllen bewahrt. Wir koͤn-
nen die Wuͤrkſamkeit des Malzes nicht genug ruͤhmen; und von rechtswegen ſollte
ein ſo nuͤtzliches Mittel auf langen See-Reiſen uͤberall in Vorrath mitgenommen wer-
den, allein man kann auch nicht ſorgfaͤltig genug ſeyn, es fuͤr dem Naßwerden
und dem Schimmel zu bewahren, weil dieſes die Heilkraͤfte deſſelben ſchwaͤcht,
wie wir am Ende unſrer Reiſe haben erfahren muͤſſen.


Das neue Jahr (1773) fieng ſich mit Schnee und friſchen kalten Stuͤr-
men an, die uns gegen Weſten zuruͤck und bis nach dem Meridian hintrieben,
unter welchen das von Bouvet angeblich entdeckte Cap Circonciſion liegen ſollte.
Da ſich in dieſer Gegend abermahls Seehunde und Pinguins zeigten, ſo faßten
verſchiedene von unſrer Geſellſchaft neue Hofnung, hier Land zu erblicken, und
ließen es an fleißigen Umſehen danach nicht fehlen. Nachdem wir aber eine
gute Strecke weit auf dieſem Striche fortgeſeegelt waren, fanden ſie ſich in ihren
Erwartungen ſchmerzlich betrogen, und jene vermeinte Anzeigen verlohren bey
dieſer Gelegenheit aufs neue etwas von ihrem bisherigen Credit.


Da

[81]in den Jahren 1772 bis 1775.

Da wir uns nunmehro ſchon jenſeit des Meridians der Bouvetſchen1773.
Januar.

Entdeckung gen Weſten hin befanden, und der Wind ſich waͤhrend der Nacht
in Nordweſten umſetzte, ſo richteten auch wir unſern Lauf wieder nach Oſten.
Bey dieſer Gelegenheit kamen wir von neuem an eben die Stelle, wo wir am
31ſten December viel Eis gefunden hatten; es war aber jetzt weggetrieben, und
wir ſetzten nun unſern Lauf nach Suͤd-Oſten fort.


Am 9ten des Morgens war eine große Inſel von Eis, mit vielen
Bruchſtuͤcken umgeben, zu ſehen, und da wir eben gelindes Wetter hatten, ſo
ward beygelegt und ein Boot ausgeſetzt, um von dem loſen Eiſe ſo viel als moͤg-
lich aufzufiſchen. Dieſe Eisſchollen wurden hernach auf das Hinterdeck des
Schiffs geworfen, daſelbſt in Stuͤcken zerſchlagen und alsdenn in Faͤſſer gepackt.
Nach Tiſche ließen wir etwas davon in Keſſeln ſchmelzen, und auf das uͤbrige
in Faͤſſer gepackte Eis ganz warm ausgießen, damit dieſes deſto eher zergehen
moͤchte. Auf ſolche Art bekamen wir heute in ofner See, und unter einem un-
bewohnten Himmelsſtrich, im 61 Grad 36 Minuten ſuͤdlicher Breite, einen fuͤr
dreyßig Tage hinreichenden Vorrath an friſchen Waſſer. In Capitains Cooks
gedruckter Beſchreibung dieſer Reiſe findet man eine maleriſche Abbildung von
ſolchen Eis-Inſeln, in deren Nachbarſchaft das Schiff und die Boote, mit
Einſammlung des Eiſes beſchaͤftiget, zu ſehen ſind. Zwey Tage nachher ließen
ſich einige große Wallfiſche ſehen, die dem Augenmaaße nach ſechzig Fus
lang ſeyn mochten, und viele Pinguins trieben auf kleinen Eisſtuͤcken neben uns
vorbey, auch hatten wir wiederum Gelegenheit uns mit Eis zu verſehen; und
unſer Volk that dieſe ſaure Arbeit mit frohem Muth, ob ihnen gleich, wegen
Kaͤlte und Schaͤrfe des Seewaſſers, die Haͤnde wund dabey wurden. Das
Waſſer, welches wir aus dem geſchmolznen Eiſe erhielten, war voͤllig ſuͤß und
ſchmeckte reiner als das vom Cap aus annoch vorraͤthige. Der einzige Fehler
den man ihm ſchuld geben konnte war dieſer, daß es die fixirte Luft im Frieren ver-
lohren hatte, daher auch ein jeder von uns, der es zum Getraͤnk brauchte, mit
geſchwollnen Druͤſen am Halſe heimgeſucht ward. Schnee oder Eiswaſſer hat indeſ-
ſen immer dieſe Eigenſchaft, und eben dies iſt die Urſach, warum man unter denen
auf Gebuͤrgen wohnenden Voͤlkerſchaften, die gemeiniglich kein anderes Trink-
waſſer haben, als was aus Schnee oder Eis aufthauet, ſo viel Leute mit großen
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. L
[82]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Januar.
Kroͤpfen antrift, welche ſie, wie man verſichern will, fuͤr eine Schoͤnheit hal-
ten, die ſie vor andern Nationen voraus haͤtten. Einige Leute am Bord,
die keine Kenntniß von der Naturkunde hatten, beſorgten in rechtem
Ernſte, daß das Eis, ſo bald es ſchmoͤlze, die Faͤſſer, worinn es gepackt war,
ſprengen wuͤrde. Sie bedachten nicht, daß da es auf dem Waſſer ſchwimmt
es folglich auch mehr Raum als das Waſſer einnehmen muͤſſe. Um ihnen die Au-
gen zu oͤfnen, ließ der Capitain ein Gefaͤs voller kleinen Eisſtuͤcken in eine war-
me Cajuͤtte ſtellen, wo es nach und nach ſchmolz und ſodann ungleich weniger
Raum als zuvor einnahm. Augenſchein geht uͤber die deutlichſten Vernunft-
ſchluͤſſe und Raͤſonnement vermag uͤber Niemand weniger als uͤber das Seevolk.


Am 17ten Vormittags paßirten wir den Antarctiſchen Zirkel und traten
nunmehro in den eigentlich kalten Himmelsſtrich der ſudlichen Hemisphaͤre,
der bis dahin noch allen Seefahrern verſchloſſen geblieben war. Einige Tage
zuvor hatten wir eine neue Art Sturmvoͤgel (petrels) von brauner Farbe, mit
weißem Bauch und Rumpf, und mit einem großen weißen Fleck auf den Fluͤgeln
gezeichnet, angetroffen. Da es ſchien als gehoͤrten ſie hier zu Hauſe, indem wir
ſie jetzt nicht mehr einzeln, ſondern bey zwanzigen und dreyßigen ſahen; ſo nannten
wir ſie die antarctiſchen Sturmvoͤgel. Wir haͤtten ſie gern naͤher unterſucht,
und ſchoſſen deshalb auch verſchiedene, allein zum Ungluͤck fiel keiner dem Schiff
ſo nahe, daß man deſſelben fuͤglich haͤtte koͤnnen [habhaft] werden. Um 5 Uhr Nach-
mittags ſahen wir mehr als dreyßig große Eis-Inſeln vor uns, und am Ge-
ſichtskreiſe einen ſtarken weißen Schein in der Luft, der noch mehr Eis prophe-
zeihte. Kurz nachher paßirten wir durch viel kleines Bruch-Eis, welches loͤche-
richt, ſchwammigt und ſchmutzig ausſah[e], und ſich endlich ſo ſehr anhaͤufte, daß
die wellenfoͤrmige Bewegung des Meeres dadurch gehemmt ward, und die See
nun ganz eben zu ſeyn ſchien, ohnerachtet der Wind noch ſo friſch blies als zu-
vor. Ueber dieſes Bruch-Eis hinaus aber, erſtreckte ſich, ſo weit das Auge vom
Maſt reichen konnte, ein unabſehliches Feld von feſtem Eiſe gegen Suͤden. Da
es ſolchergeſtalt unmoͤglich war auf dieſem Striche weiter zu gehen, ſo ließ Ca-
pitain Cook itzt, da wir 67 Grad 15 Minuten ſuͤdlicher Breite erreicht hatten,
beyde Schiffe umwenden und gegen Nordoſt zu Nord ſteuern. Auf dieſer
ganzen ſuͤdlichen Fahrt hatten wir nun bisher nirgends Land, aber aller Orten
[83]in den Jahren 1772 bis 1775.
Orten viel Wallfiſche, Schnee- graue- und antarctiſche-Sturmvoͤgel ange-1773.
Januar.

troffen.


Am 19. und 20ſten erblickten wir einen Vogel, welchen einer von un-
ſern Mitreiſenden, der auf den Falklands-Inſeln geweſen war, Port Eg-
mont’s
hen *) nannte. Eigentlich war es die große nordliche Mewe, (larus
catarractes
) welche man in hoͤhern Breiten, ſowohl gegen den Suͤd- als Nord-
pol
zu, haͤufig antrifft. Auch dieſer Vogel ſollte fuͤr einen Vorbothen von Lande
gelten; allein, wir waren durch dergleichen vermeynte Zeichen ſchon ſo oft in
unſern Erwartungen getaͤuſcht worden, daß wir anfiengen wenig mehr darauf zu
bauen. Am 27. ſahen wir, naͤchſt einer Menge verſchiedener Arten von Sturm-
voͤgeln und Albatroſſen, wiederum eine ſolche Mewe; ſie ſtieg gerade in die Hoͤhe,
ſchwebte hoch uͤber dem Schiff, und drehte den Kopf bald auf dieſe bald auf jene
Seite, als ob ſie uns mit großer Aufmerkſamkeit betrachtete. Dies war etwas
neues fuͤr uns, denn alle andere Seevoͤgel dieſes Himmelsſtriches, blieben nahe
an der Oberflaͤche des Waſſers. Am folgenden Abend den 29ſten ſchwam-
men verſchiedne Meerſchweine, bald hier bald dorthin, neben uns vorbey, und
zwar mit unglaublicher Geſchwindigkeit, denn ſie giengen wenigſtens dreymal ſo
ſchnell als das Schiff ſeegelte, ohnerachtet wir damals guten Wind hatten und in
einer Stunde achtehalb engliſche See-Meilen zuruͤck legten. Uebrigens waren
ſie elſterbunt und hatten einen großen weißen Fleck an der Seite, der faſt ganz bis
auf den Ruͤcken an die oberſte Floßfeder reichte. Nachmittags ſahen wir einen klei-
nen ſchwarz und weißen Vogel, der von einigen fuͤr eine Art von Eisvogel gehal-
ten, von andern Murre, **) (Alca Alle. Linn.) genannt ward, auch ſelten oder
niemals weiter als man das Land erblicken kann, hinaus in See geht: Da wir
ihm aber nicht nahe genug kamen, um ihn genauer zu betrachten, ſo kann es auch
wohl nur ein Sturmvogel geweſen ſeyn. Indeſſen hatten wir doch noch ein an-
dres weniger zweydeutiges Merkmal, daß es hier herum Land geben koͤnne; die
See war nemlich, des friſchen Windes ohnerachtet, ziemlich ruhig und eben.
L 2
[84]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Januar.
Weil wir nun uͤberdem auch am Cap der guten Hofnung erfahren hatten, daß
in dieſer Gegend durch zwey franzoͤſiſche Schiffs-Capitains, den Herren von Ker-
guelen
und von St. Allouarn im Januar 1772. Land entdeckt worden ſey; ſo
legten wir Sicherheitshalber, dieſe und die folgende Nacht uͤber, das Schiff bey. Da
von dem Reiſe-Journal vorgedachter Herren in Frankreich gefliſſentlich nichts be-
kannt gemacht worden iſt, ſo will ich hier einige Nachrichten mittheilen, welche
ich am Cap von einigen franzoͤſiſchen Officiers erfahren habe. Herr von Kerguelen,
Lieutenant bey dem franzoͤſiſchen Seeweſen, commandirte das Schiff Fortune
und hatte ein kleineres, le gros ventre, bey ſich, welches unter dem Befehl des
Herrn von St. Allouarn ſtand. Sie ſeegelten beyde am Ende 1771. von Iſle
de France
oder Mauritius ab. Am 13ten Januar 1772. ſahe letzterer zwey
Inſeln, und nannte ſolche die Inſeln des Gluͤcks (Iſles de fortune;) am naͤchſten
Morgen erblickte er noch eine andre, die ihrer runden Geſtalt wegen den Na-
men Iſle ronde erhielt. Ohngefaͤhr um dieſelbige Zeit entdeckte auch Herr
von Kerguelen Land, das ſehr hoch war und von ziemlichen Umfang zu ſeyn ſchien;
er ſchickte deshalb einen ſeiner Officier in dem ſechsrudrigen Boote vor dem Schiff
her und ließ ſondiren. Des friſchen Windes wegen aber kam der Herr von St.
Allouarn
dem Boot des Herrn von Kerguelen zuvor, und fand eine Bay, die er
nach ſeinem Schiffe gros Ventre-Bay nannte. So bald er in dieſelbe ein-
gelaufen war, fertigte er in ſeiner Joͤlle einige Leute ab, um die franzoͤſiſche
Flagge am Lande aufpflanzen und ſolchergeſtalt foͤrmlich Beſitz von demſelben
nehmen zu laſſen. Nachdem ſie nun das Ufer der hohen Wellen wegen, mit Muͤhe
erreicht, und ihren Auftrag ausgerichtet hatten, kehrten ſie an Bord des gros
Ventre
zuruͤck, wohin ihnen auch die Mannſchaft des von dem Herrn von Kergue-
len
abgeſchickten Bootes folgte. Mittlerweile daß dieſes vorgieng, war
das andre Schiff, die Fortune, deſſen ſchwache Maſten dem Sturme nicht hin-
laͤnglichen Widerſtand leiſten konnten, wenigſtens 60 engliſche See-Meilen weit
vom Lande verſchlagen worden, und der Befehlshaber deſſelben, Herr von Ker-
guelen
hatte ſich dieſerhalb kurz und gut entſchloſſen, geradesweges wieder nach
Iſle de France zuruͤckzugehen. Der Herr von St. Allouarn, der dies weder
wußte noch auch vermuthen konnte, ſuchte ſeinen Gefaͤhrten drey Tage lang in
der See auf, und fuhr hernach, da er ihn nicht fand, noch eine Zeit lang fort,
[85]in den Jahren 1772 bis 1775.
die Lage dieſes Landes aufzunehmen, bey welcher Gelegenheit er durch einen1773.
Januar.

Sturm, das der Fortune zugehoͤrige Boot einbuͤßte, welches die Mannſchaft
deſſelben an ſein Schiff befeſtigt hatte. Als er um das noͤrdliche Ende der In-
ſel herum kam, fand ſich, daß die Kuͤſte nach Suͤd-Oſten herab lief und nach-
dem er auf dieſer Seite ohngefaͤhr 20 engliſche See-Meilen laͤngſt daran hinge-
ſeegelt war, das Land aber uͤberall bergig, unzugaͤnglich und ganz von Holz entbloͤßt
fand; ſo richtete er ſeinen Lauf nach Neuholland und kam endlich uͤber Timor
und Batavia ebenfalls nach Iſle de France wieder zuruͤck, ſtarb aber daſelbſt
bald nachher. So bald Herr von Kerguelen nach Europa zuruͤck kam, ward er
gleich von neuem mit einem Schiffe von 64 Canonen, der Roland genannt, und
einer Fregatte l’Oiſeau, Capitain Rosnevet, wieder ausgeſandt. Er machte
aber auf dieſer zweyten Reiſe keine neuen Entdeckungen; denn kaum hatte er das
auf der vorigen Fahrt entdeckte Land wiederum zu Geſicht bekommen, ſo mußte er,
gewiſſer Umſtaͤnde halber geraden Weges um, und wieder zuruͤck kehren. Die noͤrd-
liche Kuͤſte deſſelben liegt im 48ſten Grade ſuͤdlicher Breite und ohngefaͤhr unterm
82ſten Grade oͤſtlicher Laͤnge von Ferro, welches 6 Grad oͤſtlich von Iſle de
France
und ohngefaͤhr 64 Grad 20 Minuten oͤſtlich von Greenwich iſt.


Auch Herr von Marion, den die franzoͤſiſche Regierung als Chef der beyden
Schiffe le Maſcarin und le Caſtrie, jenes vom Capitain Crozet, dieſes vom
Capitain Clesmure gefuͤhrt, im Jahr 1772. auf eine Entdeckungs-Reiſe aus-
ſchickte, fand im Monath Januar gedachten Jahres an drey verſchiednen Stel-
len, nemlich unter 46½. und 47½. Grad ſuͤdlicher Breite, und 37. 46½. und
48½ Grad oͤſtlich von Greenwich, einige kleine Inſeln, die aber alleſamt nur
von unbetraͤchtlichem Umfange, hoch, felſig, ohne Baͤume und faſt ganz unfrucht-
bar waren. Beyde Schiffe gingen von hier nach dem ſuͤdlichen Ende von Neu-
Holland
, oder van Diemens Land, welches Tasmann zuerſt entdeckt hat, und
von da nach der Inſel-Bay in Neu-Seeland, wo Herr von Marion das Un-
gluͤck hatte, nebſt acht und zwanzig ſeiner Leute von den Einwohnern erſchlagen
zu werden, wie ich in der Folge mit mehrerem erzaͤhlen will. Nach dieſem Ver-
luſt ſeegelte Herr von Crozet, auf den nunmehro das Commando gefallen war,
durch den weſtlichen Theil der Suͤd-See nach den Philippiniſchen Inſeln hinauf,
und kehrte von dort aus nach Iſle de France zuruͤck. Dieſen Nach-
L 3
[86]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Januar.
richten gemaͤß ſind die Entdeckungen der franzoͤſiſchen Seefahrer in jene vortrefliche
Charte von der ſuͤdlichen Halbkugel eingetragen worden, welche der Herr von
Vaugondy
unter Aufſicht des Herzogs von Croy gezeichnet und zu Anfang
des Jahres 1773. oͤffentlich herausgegeben hat.


Am 31ſten, Abends, da wir ohngefaͤhr im 50ſten Grade ſuͤdlicher
Breite waren, paßirten wir bey einer großen Eis-Inſel, die eben in demſelbigen
Augenblicke als wir an derſelben vorbey kamen, mit ſchrecklichem Krachen in
Stuͤcken zerfiel.


Am folgenden Morgen trieb ein großer Haufen. See-Gras bey dem
Schiffe voruͤber; und Nachmittags rief uns der Capitain Furneaux von der
Adventure aus zu, er ſey bey einem großen Beet von treibenden Seegraſe vor-
bey gekommen, und habe eine Menge Taucher geſehen, die denen im engliſchen
Meer aͤhnlich waͤren. In der Ungewißheit, ob dieſer Anzeigen wegen nicht
Land in der Naͤhe ſeyn moͤchte, legten wir die Nacht uͤber bey, und ſeegelten erſt
mit Anbruch des Tages wiederum fort nach Oſten, auf welchem Striche uns
mancherley Arten, beſonders ſchwarze Sturmvoͤgel (Shearwaters) begleiteten.
Auch zeigte ſich etwas Seegras, imgleichen eine einzelne Seeſchwalbe (ſterna;
tern.
) die einen gabelfoͤrmigen Schwanz hatte und von den Matroſen gemei-
niglich der Ey-Vogel (egg-bird) genannt wird. Mittags befanden wir uns
unter dem 48ſten Grad 36 Minuten ſuͤdlicher Breite; da nun dies ohngefaͤhr
die Polhoͤhe iſt, unter welcher die franzoͤſiſchen Entdeckungen liegen ſollen; ſo
richteten wir, zu Aufſuchung derſelben, am Nachmittag unſern Lauf gegen Suͤd-
Suͤd-Weſten, bekamen aber auf dieſem Striche am folgenden Tage ſo heftigen
Wind, daß wir die Bram-Seegel einnehmen mußten, und bis des andern
Morgens den 4ten um 8 Uhr nur allein die großen, unteren Seegel fuͤhren konn-
ten. Nachdem wir in vorgedachter Richtung bis zu Mittage fortgeſeegelt waren,
ohne irgend etwas vom Lande anſichtig zu werden; ſo wandten wir nunmehro
das Schiff gen Nord-weſten, um in dieſer Gegend nach Land zu ſuchen. Auf
dieſem Striche gelangten wir am 6ten bis unter den 48ſten Grad ſuͤdlicher Breite
und ohngefaͤhr 60 Grad weit oſtwaͤrts von Greenwich; da nun auch hier
nirgends Land zu finden war; ſo gaben wir alle fernere Nachſuchungen auf und
giengen, der Hauptabſicht unſrer Reiſe gemaͤß, von neuem nach Suͤdoſt. Der
[87]in den Jahren 1772 bis 1775.
Wind kam uns ziemlich heftig aus Oſten entgegen, weil aber gleichwohl die See1773.
Januar.

ruhig blieb, ſo glaubten wir, daß gegen Oſten hin Land ſeyn muͤſſe, *) in wel-
cher Meynung wir jetzt, durch die vom Herrn Vaugondy herausgegebene Char-
te, noch mehr beſtaͤrkt worden ſind, denn der Lage zufolge, welche man den fran-
zoͤſiſchen Entdeckungen in vorgedachter Charte angewieſen hat, koͤnnen wir am
2ten Februar, an welchem Tage wir uns in der fuͤr dieſe Inſeln angegebenen
Breite, am weiteſten gegen Oſten befunden haben, hoͤchſtens nur noch zwey Laͤn-
gen-Grade weſtwaͤrts davon geweſen ſeyn. Ob wir nun gleich das Land ſelbſt
nicht fanden, ſo haben wir dennoch der Geographie durch unſer hin und her
kreutzen in dieſer Gegend einen Dienſt gethan, indem daraus unlaͤugbar erhel-
let, daß die franzoͤſiſche Entdeckung nichts weiter als eine kleine Inſel, keines-
weges aber, wie man anfaͤnglich geglaubt, das noͤrdliche Ende eines unter dieſem
Himmelsſtrich belegenen großen feſten Landes ſey.


Am 8ten des Morgens bekamen wir einen außerordentlich dicken Nebel,
in welchem wir unſre Begleiterinn, die Adventure, aus dem Geſicht verlohren.
Dieſes Vorfalls wegen ließ unſer Capitain den ganzen heutigen und auch den
folgenden Tag hindurch, erſt alle halbe Stunden, und hernach alle Stunden eine
Canone abfeuern, allein es erfolgte keine Antwort, und auch die Leucht-Feuer,
welche wir dieſe beyden Naͤchte unterhielten, halfen zu nichts.


Da nun alle Verſuche unſre Begleiterinn wieder zu finden umſonſt wa-
ren, ſo ſahen wir uns am 10ten fruͤh Morgens in die traurige Nothwendigkeit
verſetzt, in dem unangenehmen Lauf nach Suͤden allein fortzufahren und uns den
Gefahren dieſes eiskalten Himmelsſtrichs von neuem bloszuſtellen, wiewohl ohne
die bisherige einzige Hofnung, von unſern Gefaͤhrten Huͤlfe und Rettung zu erlan-
gen, falls unſer eignes Schiff ungluͤcklicherweiſe verlohren gehen ſollte. Jeder-
mann fuͤhlte dies ſo innig, daß ein Matroſe ſelten in die weite See hinaus ſahe,
ohne zugleich ſeine Betruͤbniß uͤber unſre Trennung von der Adventure zu aͤuſ-
ſern, und daruͤber zu klagen, daß wir nunmehro auf dieſem ungemeßnen, un-
befahrnen Ocean, allein ſeegeln muͤßten, wo der Anblick eines treuen Gefaͤhrten un-
ſern Muth ehedem wechſelſeitig geſtaͤrkt, und die Muͤhſeligkeiten der Reiſe
[88]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Januar.
ertraͤglicher gemacht hatte. Die Pinguins, die kleinen Sturm-Taucher, (di-
ving petrels
) beſonders aber eine Art von rechten Tauchern, (colymbi) verlei-
teten uns zu dem nicht weniger kraͤnkenden Gedanken, daß, indeß wir mit Eis und
Sturm zu kaͤmpfen hatten, die Adventure vielleicht hier in der Nachbarſchaft
Land getroffen haben koͤnne, und wuͤrklich muͤſſen wir, nach Vaugondy’s Char-
te, damals nur um ein weniges ſuͤdwaͤrts davon entfernt geweſen ſeyn.


Am 17ten nahmen wir ohngefaͤhr unter dem 58ſten Grad ſuͤdlicher Brei-
te, viel Eisſchollen ein und fuͤllten unſre Waſſerfaͤſſer damit an. Eine Menge
verſchiedener Arten von Sturmvoͤgeln und Albatroſſen, hatte uns beſtaͤndig be-
gleitet, gleichwie ſich auch von Zeit zu Zeit die große nordliche Mewe, (larus
catarractes
) welche unſre Leute port-Egmont-hens nannten; ferner viel
Pinguins, einige Seehunde und Wallfiſche ſehen ließen. In vergangner Nacht
hatten wir ein ſchoͤnes Phaͤnomenon bemerkt, welches ſich auch heut und ver-
ſchiedene folgende Naͤchte uͤber von neuem zeigte. Es beſtand in langen Saͤu-
len eines hellen weißen Lichts, die ſich am oͤſtlichen Horizont faſt bis zum Zenith
herauf erhoben, und nach und nach uͤber den ganzen ſuͤdlichen Theil des Him-
mels verbreiteten. Zuweilen waren ſie am obern Ende ſeitwaͤrts gebogen und
den Nordlichtern unſres Welttheils zwar in den mehreſten Stuͤcken aͤhnlich,
aber doch darinn von ſelbigen verſchieden, daß ſie nie eine andre als weißlichte
Farbe hatten, da unſre Nordlichter hingegen unterſchiedliche, beſonders die Feuer-
und Purpur-Farbe anzunehmen pflegen. Bisweilen konnte man vor dem Schein
dieſer Suͤd-Lichter (aurora auſtralis) deren meines Wiſſens noch kein Reiſen-
der gedacht hat, die darunter verborgenen Sterne nicht entdecken, und zu andern
Zeiten ſahe man ſie hoͤchſtens nur ganz blaß hindurch ſchimmern. Der Himmel
war mehrentheils klar, wenn dies Phaͤnomen ſich zeigte, und die Luft ſo ſcharf
und kalt, daß das Thermometer gemeiniglich auf dem Gefrierpunkt ſtand.


Am 24. da wir ohngefaͤhr im 62. Grad ſuͤdlicher Breite waren, und
abermals auf ein feſtes Eisſeld trafen, beſchloß der Capitain endlich, zur groͤß-
ten Zufriedenheit eines jeden unter uns, fuͤr diesmal nicht weiter nach Suͤden
zu gehen. Wir waren nun auch lange genug ohne Erfriſchung in See geweſen;
die Jahrszeit in welcher es angieng, unter dieſer kalten Himmelsgegend Entde-
ckungen zu machen, war beynahe verſtrichen; das Wetter ward taͤglich rauher
und
[89]in den Jahren 1772 bis 1775.
und ließ uns gleichſam ſchon zum voraus empfinden, wie ſchrecklich in dieſen1773.
Februar.

Seen der Winter ſeyn muͤſſe; auch wurden die Naͤchte bereits ungleich laͤnger,
und unſre Schiffarth dadurch immer gefaͤhrlicher. Es war alſo wohl ſehr natuͤr-
lich, daß unſre Matroſen, durch eine ſo muͤhſelige Fahrt und aus Mangel geſun-
der Speiſen ganz entkraͤftet, anfiengen ſich nach einem Ruhe- und Erfriſchungs-
Orte zu ſehnen, und herzlich froh ſeyn mußten, einen Welttheil zu verlaſſen, in
welchem ſie dergleichen zu finden ſich keine Hoffnung machen konnten. Indeſſen
waͤhrte es doch noch bis zum 17ten des folgenden Monats, ehe wirkliche Anſtalt ge-
macht wurde aus dieſen kalten Gegenden Abſchied zu nehmen, denn bis zu ge-
dachtem Tage ſteuerten wir abwechſelnd zwiſchen dem 61. und 58ſten Grade ſuͤd-
licher Breite noch immer gegen Oſten. Waͤhrend dieſer Zeit hatten wir viel
Oſtwind, der gemeiniglich Nebel und Regen brachte, und uns mehr als ein-
mal in augenſcheinliche Gefahr ſetzte, an den hohen Eis-Inſeln zu ſcheitern. Die
Geſtalt derſelben war mehrentheils ſonderbar und, des zertruͤmmerten Anſehens we-
gen, oft mahleriſch genug. Unter andern kamen wir an einer vorbey die von
außerordentlicher Groͤße war, und in der Mitte ein Grottenaͤhnliches Loch hatte,
das durch und durch gieng, dergeſtalt, daß man das Tageslicht an der andern
Seite ſehen konnte. Einige waren wie Kirchthuͤrme geſtaltet; noch andre ga-
ben unſrer Einbildungskraft freyes Spiel, daraus zu machen was ſie wollte,
und dienten uns die Langeweile zu vertreiben, die nunmehro ſehr uͤberhand zu
nehmen anfieng, weil der taͤgliche Anblick von See-Voͤgeln, Meerſchweinen,
See-Hunden und Wallfiſchen, den Reitz der Neuheit laͤngſt verlohren hatte.
Unſrer guten Praͤſervative und namentlich des Sauerkrautes ohnerachtet, zeigten
ſich bey einigen unſrer Leute nunmehro ſtarke Symptome vom Scorbut, das iſt,
manche hatten boͤſes Zahnfleiſch, ſchweres [Athemhohlen], blaue Flecke, Aus-
ſchlag, Laͤhmung der Glieder, und gruͤne fettichte Filamente im Urin. Es ward
ihnen alſo friſche Bier-Wuͤrze verordnet, wodurch einige von dieſer ſchrecklichen
Krankheit ganz, andere wenigſtens zum Theil, befreyet wurden. Das rauhe
Clima ward auch den Schaafen, die wir vom Vorgebirge der guten Hoffnung
mitgenommen hatten, ſehr nachtheilig. Sie wurden kraͤtzig, fielen zu Haut und
Knochen zuſammen, und wollten faſt gar nicht mehr freſſen. Unſre Ziegen und
Schweine warfen, aber die Jungen kamen in dem ſtuͤrmiſchen Wetter entweder
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. M
[90]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Maͤrz.
todt zur Welt oder verklammten doch bald darauf vor Kaͤlte. Kurz wir ſahen
aus ſo vielen zuſammenſtimmenden Umſtaͤnden, daß es Zeit ſey die hoͤhern ſuͤdli-
chen Breiten zu verlaſſen, und nach einem Haven zu eilen, wo wir unſre Leute
erfriſchen und die noch wenigen uͤbrigen Schafe retten koͤnnten, welche den Ein-
wohnern der Suͤd-See-Inſeln zum Geſchenk beſtimmt waren.


Am 16ten da wir uns ohngefaͤhr unterm 58. Grade ſuͤdlicher Breite
befanden, leuchtete des Nachts die See, welches uns, der angezeigten hohen Breite
und der Kaͤlte des Himmelsſtrichs wegen, merkwuͤrdig duͤnkte, obgleich das [Leuch-
ten]
hier nicht ſo ſtark als am Cap, ſondern nur in einzelnen Funken zu ſehen war.
Das Thermometer ſtand am Mittag auf 33 ½ Grad, und in der Nacht vom
16ten und 19ten ließ ſich das Suͤdlicht wiederum ſehen; das letztemal mach-
ten die Licht-Saͤulen einen Bogen uͤber den ganzen Himmel und waren leuch-
tender als wir ſie zuvor je geſehen hatten. Nunmehro fingen wir auch, wie
bereits gemeldet, endlich an nach Nordoſten hinauf zu ſteuern, um das Suͤd-
Ende von Neu-Seeland zu erreichen. Auf dieſem ganzen Strich hatten wir
ſtarke Winde, und ſahen oft Seegras, beſonders Felskraut, imgleichen eine große
Menge von Sturm- und andern Seevoͤgeln. Von den letztern beluſtigten uns
vornehmlich einige große graue Mewen die auf einen großen weißen Albatros
Jagd machten. Der Laͤnge ſeiner Fluͤgel ohngeachtet konnte er ihnen doch nicht
entgehen, und wenn ſie ihn eingehohlt hatten ſuchten ſie ihm vornehmlich von
unten unterm Bauche beyzukommen, wo er, wie ſie wißen mußten, am wehr-
loſeſten ſeyn mag. Der Albatros hatte alsdenn kein andres Mittel ihrer los zu
werden, als daß er ſich aufs Waſſer ſetzte, da ſein fuͤrchterlicher Schnabel ſie denn
in Reſpect zu halten ſchien. Dieſe Mewen ſind ſtark und raubſuͤchtig, wie ſie denn
auf den Faͤrroer-Inſeln oftmals Laͤmmer in Stuͤcken reißen und ſolche in ihre Ne-
ſter bringen. Die Albatroſſe hingegen ſind dem Anſchein nach weniger raubſuͤchtig
und leben mehrentheils von kleinen Seethieren beſonders von den Molluſca- und
Meduſen Arten. Sobald wir uͤber den funfzigſten Grad der ſuͤdlichen Breite nach
Norden hinauf kamen, hatten wir ihrer eine große Menge um uns, dagegen wa-
ren nur wenige einzelne ſo weit gen Suͤden vorgedrungen als wir, und folglich
muͤſſen ſie eigentlich wohl nur unter dem gemaͤßigten Himmelsſtrich wohnen.


[91]in den Jahren 1772 bis 1775.

Je weiter wir nun nach Norden hin gelangten, je mehr Seehunde ka-1773.
Maͤrz.

men uns von der Kuͤſte von Neu-Seeland her entgegen, und am 25ten ſahe man
den Stamm eines Baumes und verſchiedene Klumpen Gras voruͤber ſchwim-
men, deren Anblick unſre Matroſen mit neuem Muthe belebte. Kurz nachher
erblickte man in Nord-Oſt zu Oſt, Land, und ohnerachtet ſolches damahls noch
weit entfernt zu ſeyn ſchien; ſo befanden wir uns doch, mit Huͤlfe eines guͤnſti-
gen Windes, am Nachmittag um 5 Uhr nur noch wenig Meilen weit von einer
gebrochenen, felſigen Kuͤſte, wo verſchiedne Oefnungen uns eine geraͤumige
Bay oder Sund erwarten ließen, und hinter welcher, im Innern des Landes, hohe
Berge empor ragten. Da wir der Kuͤſte ſo nahe waren, wurde das Senkbley
ausgeworfen, man fand aber mit 30 Faden keinen Grund; deſto unvermutheter
war es uns, als die Schildwache ploͤtzlich vom Maſtbaum herabrief, daß wir
dicht an einigen Felſenklippen waͤren. Das Schiff ward dieſerwegen in groͤßter
Eil umgewandt, und da das Wetter zu gleicher Zeit dunkel und regnicht ward, ſo
entfernten wir uns Sicherheitshalber vom Lande. Am folgenden Morgen fand ſich,
daß der vor uns liegende Theil von [Neu-Seeland] gerade die vom Cap Weſt
ſuͤdwaͤrts gelegene aͤußerſte Spitze dieſes Landes war, welche Capitain Cook auf
ſeiner vorigen Reiſe, in der Endeavour, noch nicht unterſucht hatte.


Hier endigte ſich nun unſre erſte Fahrt, in die hohen ſuͤdlichen Breiten,
auf welcher wir vier Monath und zween Tage ohne Land zu ſehen zugebracht hat-
ten, gleichwohl dieſe ganze Zeit uͤber von der allwaltenden Vorſehung vor beſonderen
Ungluͤcksfaͤllen bewahrt, durch mancherley Gefahren ſicher hindurch gefuͤhrt und,
einige wenige ausgenommen, allerſeits bey beſtaͤndig guter Geſundheit erhalten
worden waren. Dies war um ſo viel mehr zu verwundern, als wir auf der gan-
zen Reiſe vom Vorgebuͤrge der guten Hofnung an, bis nach Neu-Seeland, un-
aufhoͤrlich mit Muͤhſeeligkeiten zu kaͤmpfen gehabt hatten, die uns deſto
mehr befuͤrchten ließen, je weniger ſie irgend jemand, vor uns, verſucht und
erfahren hatte. Unſre Seegel waren zerrißen, unſer Tauwerk in Stuͤcken, das
Schiff ward entweder durch die Wellen auf das heftigſte hin und her gewor-
fen, oder wenn das nicht geſchahe, ſo legte es der Wind ganz ſchief auf die Seite,
wodurch, nebſt dem beſtaͤndigen Handthieren der Matroſen im Takelwerk, die Ca-
juͤtten und das oberſte Verdeck uͤberall wandelbar wurden; die ſchrecklichen Wuͤr-
M 2
[92]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Maͤrz.
kungen und Folgen fuͤrchterlicher Stuͤrme, die der trefliche Geſchichtſchreiber von
Anſon’s Reiſe, mit ſo natuͤrlichen, ſchwarzen Farben geſchildert hat — das alles
waren gewißermaßen nur die geringſten unſrer Plagen. — Noch außer dieſen
mußten wir mit der Strenge eines ungewoͤhnlich rauhen Clima’s kaͤmpfen; Ma-
troſen und Officier waren beſtaͤndig Regen, Hagel oder Schnee ausgeſetzt; das
Tau und Takelwerk war durchaus mit Eis uͤberzogen und wehe den Haͤnden,
welche daran arbeiten mußten; unſer Vorrath von friſchen Waßer konnte nicht
anders als mit Treibeis erſetzt werden, und das Aufnehmen deſſelben aus eis-
kaltem. Seewaßer ging ohne erfrohrne und blutige Haͤnde nicht ab; unaufhoͤr-
lich mußten wir befuͤrchten gegen die hohen Eismaſſen anzulaufen, womit der [un-
ermeßliche]
ſuͤdliche Ocean gleichſam angefuͤllet iſt; und dergleichen Gefahr kam
oft ſo ſchnell und ſo vielfaͤltig, daß die Leute ſelten ihre gewoͤhnlichen Ruheſtunden ge-
nießen konnten, ſondern denen Wachthabenden alle Augenblick zu Huͤlfe kommen
und das Schif mit unablaͤßiger Vorſicht regieren, oder in der aͤußerſten Geſchwin-
digkeit wenden mußten. Zu dieſen Unannehmlichkeiten geſellte ſich noch die
duͤſtere Traurigkeit, welche unter dem antarctiſchen Himmel herrſcht, wo wir oft
ganze Wochen lang in undurchdringliche Nebel verhuͤllt zubringen mußten, und
den erfreulichen Anblick der Sonne nur ſelten zu ſehen bekamen, ein Umſtand,
der ſchon allein vermoͤgend iſt den Entſchloſſenſten und Lebhafteſten niedergeſchla-
gen zu machen. Endlich ſo hatten auch die Angeln und Leinen, welche bereits
im November waren ausgetheilt worden, bis jetzt noch zu nichts gedient, weil
in dieſen hoͤhern Breiten das Meer uͤberall grundlos war, und nirgends andre
als Wallfiſche zum Vorſchein kamen. Doch ließ ſich freylich, da wir nun ein-
mal nicht ſo gluͤcklich waren Land zu treffen, nichts beſſeres erwarten; denn es iſt
bekannt, daß man nur im heißen Himmelsſtriche allein, fern vom Ufer und Sand-
baͤnken, in unergruͤndlichen Gegenden der See mit der Angel Fiſche zu fangen
hoffen kann


Atrum
Defendens piſces hiemat mare.

Horatius.
()

Auf ſolche Weiſe war denn die lange Zeit, welche wir in ofner See ohne
Land zu ſehen und ohne irgend eine Art von Erfriſchungen zu genießen zubringen
[93]in den Jahren 1772 bis 1775.
mußten, wohl in der That nicht anders als eine ſtete Reihe von Muͤhſeeligkeit1773.
Maͤrz.

und Elend zu nennen, und es verdient wahrlich als ein deutliches Merkmahl der
goͤttlichen Obhut angeſehen zu werden, daß wir von alle den Folgen nichts er-
litten, welche von ſo mannigfaltigem und gehaͤuften Elende zu gewarten und
zu befuͤrchten waren.


Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
Aufenthalt in Dusky-Bay. Beſchreibung derſelben.
Nachricht von unſern Verrichtungen.


Nach einer Fahrt von einhundert und zwei und zwanzig Tagen, auf welcher
wir ohngefaͤhr dreytauſend fuͤnfhundert Seemeilen in ofner See zuruͤckge-
legt hatten, kahmen wir endlich am 26ſten Maͤrz zu Mittage in Dusky Bay an.
Dieſe Bay, welche an der Nordſeite des Cap Weſt liegt, hatte Capitain
Cook auf ſeiner vorigen Reiſe in der Endeavour bereits entdeckt, ihr auch da-
mahls ſchon einen Nahmen gegeben, ohne ſie jedoch ſelbſt zu beſuchen. *) Aus
großer Ungedult bald vor Anker zu [kommen], wuͤnſchten wir, daß ſolches gleich
an der Muͤndung der Bay thunlich ſeyn moͤchte: Allein, da das Senkbley dort eine
allzu große Tiefe, nemlich von vierzig Faden anzeigte, und etwas weiter hin
gar mit ſechzig Faden kein Grund mehr zu finden war, ſo mußten wirs uns ge-
fallen laßen, noch ungleich weiter hinein zu ſeegeln. Das Wetter war indeſ-
ſen ſchoͤn und in Verhaͤltniß zu demjenigen, das wir bisher hatten empfinden muͤſ-
ſen, recht erquickend warm. Sanft wehende Winde fuͤhrten uns nach und nach
bey vielen felſichten Inſeln vorbei, die alle mit Baͤumen und Buſchwerk uͤber-
wachſen waren, deren mannigfaltiges, dunkleres Immergruͤn, (evergreen) mit
dem durch die Herbſtzeit verſchiedentlich ſchattirten Gruͤn des uͤbrigen Laubes
maleriſch vermiſcht war und ſehr angenehm gegen einander abſtach. Ganze
M 3
[94]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Maͤrz.
Schaaren von Waſſervoͤgeln belebten die felſigten Kuͤſten und das Land ertoͤnte
uͤberall vom wilden Geſang der gefiederten Waldbewohner. Je laͤnger wir uns
nach Land und friſchen Gewaͤchſen geſehnt hatten, deſto mehr entzuͤckte uns nun
dieſer Proſpect, und die Regungen der innigſten Zufriedenheit, welche der Anblick
dieſer neuen Scene durchgaͤngig veranlaßte, waren in eines jeglichen Augen
deutlich zu leſen.


Um drey Uhr Nachmittags kamen wir endlich unter der Spitze einer In-
ſel vor Anker, woſelbſt wir einigermaßen gegen die See gedeckt und der Kuͤſte ſo
nahe waren, daß man ſie mit einem kleinen Taue erreichen konnte. Kaum war das
Schiff in Sicherheit, als unſre Matroſen ihre Angeln auswarffen; und in wenig
Augenblicken ſahe man an allen Seiten des Schifs eine Menge vortreflicher Fi-
ſche aus dem Waſſer ziehen, deren viel verſprechender Anblick die Freude uͤber
unſre gluͤckliche Ankunft in der Bay ungemein vermehrte. Wir fanden ſie von vor-
treflichen Geſchmack und da wir zumahl ſo lange darauf gefaſtet hatten, ſo war
es kein Wunder, daß uns dieſe erſte Neu- Seelaͤndiſche Mahlzeit als die herr-
lichſte in unſerm ganzen Leben vorkam. Zum Nachtiſch ergoͤtzte ſich das Auge
an der vor uns liegenden, wildnißartigen Landſchaft, die Salvator Roſa nicht
ſchoͤner haͤtte mahlen koͤnnen. Sie war ganz im Geſchmack dieſes Kuͤnſtlers und
beſtand aus Felſen, mit Waͤldern gekroͤnt, deren Alter in die Zeiten vor der
Suͤndfluth hinauf zu reichen ſchien, und zwiſchen welche ſich aller Orten Waſſer-
baͤche mit ſchaͤumenden Ungeſtuͤm herabſtuͤrzten. Zwar haͤtte es bey weitem nicht
ſo vieler Schoͤnheiten bedurft um uns zu entzuͤcken, denn nach einer langen Ent-
fernung vom Lande iſt es warlich ſehr leicht, ſelbſt die oͤdeſte Kuͤſte fuͤr das herr-
lichſte Land in der Schoͤpfung anzuſehen. Und aus dieſem Geſichtspuncte muß
man auch die feurigen Beſchreibungen der wilden Klippen von Juan Fer-
nandez
und der undurchdringlichen Waͤlder von Tinian betrachten.


Gleich nach Tiſche wurden zwei Boote ausgeſetzt, um verſchiedne Gegen-
den der Bay zu unterſuchen, hauptſaͤchlich aber um fuͤr unſer Schif einen ſichern
Haven ausfindig zu machen, indem unſer jetziger Ankerplatz offen, unbequem und
nur fuͤrs erſte gut genug war. Wir machten uns dieſe Gelegenheit zu Nutze
Unterſuchungen in der natuͤrlichen Geſchichte anzuſtellen, und trennten
uns, um von beiden Booten und ihren verſchiedenen Entdeckungen zu gleicher
[95]in den Jahren 1772 bis 1775.
Zeit Gebrauch zu machen. Beide Partheien fanden bequeme und wohlgedeckte1773.
Maͤrz.

Haven, nebſt Ueberfluß an Holz und Waßer; auch trafen ſie allenthalben ſo
viel Fiſche und Waſſer-Voͤgel an, daß man nicht leicht einen Mangel an Le-
bensmitteln dieſer Art beſorgen durfte, wenn wir gleich noch ſo lange hier ver-
bleiben wollten. So guͤnſtige Ausſichten bewogen den Capitain Cook, einige
Zeit hier zuzubringen, zumahl da er auf ſeiner erſten Reiſe das ſuͤdliche Ende
von Neu-Seeland nur fluͤchtig unterſucht hatte. Unſrer Seits fanden wir, ſo
wohl in dem Thier- als Pflanzenreiche, neue Reichthuͤmer, und es gab kaum eine
einzige Gattung, die mit den bekannten voͤllig uͤbereinſtimmte, ja viele wollten
ſich gar nicht einmal unter die bekannten Geſchlechter bringen laßen. Hieran
glaubten wir nun waͤhrend unſers Aufenthalts hinlaͤnglich Beſchaͤftigung zu
finden, obgleich der Herbſt dem Pflanzenreiche ſchon den Untergang anzukuͤndigen
ſchien.


Am folgenden Morgen ward in aller Fruͤhe, ein kleines Boot gegen die
Kuͤſte geſchickt und nach Verlauf dreyer Stunden brachte es bereits ſo viele Fi-
ſche, die blos mit Angeln gefangen waren, zuruͤck, daß das ganze Schiffsvolk
eine Mahlzeit davon halten konnte. Der beſte und wohlſchmeckendſte darunter
war eine Art von Cabeljau (cod) den die Matroſen, der Farbe wegen, den Koh-
lenfiſch nannten. Außerdem bekamen wir auch verſchiedne Arten von vortrefli-
chen duͤnnen See-Rappen (Sciœnœ) Meer-Scorpionen (Scorpens) Dick-Koͤ-
pfe (mugil. mullet) Baſtard-Mackrelen (Scomber Trachurus) und andre
wohlſchmeckende Fiſche mehr, die in Europa ganz unbekannt ſind. Um 9 Uhr
giengen wir von unſerm bisherigen, unzulaͤnglichen Anckerplatz unter Seegel, und
liefen in den geſtern ausfindig gemachten und Pickersgill genannten Hafen ein.
Hier lagen wir in einer kleinen Bucht, und ſo nahe am Ufer, daß wirs mit ei-
nem Geruͤſte von wenigen Planken erreichen konnten. Die Natur kam uns
dabey mit einem großen Baum zu Huͤlfe, der vom Lande aus in horizontaler
Richtung ſchief uͤber das Waſſer hingewachſen war. Das aͤußerſte Ende befeſtig-
ten wir mitten aufs Schiff und machten laͤngſt dem Baume einen Steg von Bret-
tern. Am Ufer ſelbſt fanden wir fuͤr unſre Beduͤrfniſſe nicht weniger Bequem-
lichkeiten. Die Baͤume ſtanden ſo nahe am Schiffe, daß die Aeſte bis an unſre
Maſten hinreichten und ein ſchoͤner Strohm friſchen Waßers floß nur einen Pi-
[96]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Maͤrz.
ſtolenſchuß weit hinter dem Schiffe. Da nun Holz und Waßer die Hauptartickel
waren, welche wir vom Lande aus an Bord zu ſchaffen hatten, ſo gereichte
uns die nahe Nachbarſchaft derſelben zu einer großen Erleichterung. Wir lieſ-
ſen es unſre erſte Arbeit ſeyn einen nahgelegenen Huͤgel, vom Holz kahl zu ma-
chen, um die Sternwarthe und Schmiede daſelbſt aufzuſtellen, denn unſer Ei-
ſenwerk hatte einer ſchleunigen Ausbeſſerung noͤthig. Zu gleicher Zeit wurden
fuͤr die Seegelmacher, Boͤttiger, Waſſertraͤger und Holzhauer am Waſſerplatze
Zelte aufgeſchlagen. Bey Gelegenheit dieſer Arbeiten verringerte ſich ſchon die
hohe Meynung, welche unſre Leute von dieſem Lande gefaßt hatten; denn die
ungeheure Menge von Schling-Stauden (climbers) Dornen, Strauchwerk und
Farrnkraut, womit die Waͤlder durchwachſen und uͤberlaufen waren, machte es
ungemein muͤhſam ein Stuͤck Land zu reinigen, und ließ uns ſchon zum voraus
ſehen, daß es aͤußerſt ſchwer, wo nicht unmoͤglich ſeyn wuͤrde, tief in das Inn-
re des Landes einzudringen. Und in der That iſt es nicht nur hiſtoriſch wahr-
ſcheinlich, daß in dieſem ſuͤdlichen Theile von Neu Seeland die Waͤlder noch unan-
getaſtet, in ihrem urſpruͤnglich wilden, erſten Stande der Natur geblieben ſind,
ſondern der Augenſchein beweiſet ſolches beynahe unleugbar. Wir fanden es
z. E. nicht nur des obgedachten uͤberhand genommenen Unkrauts wegen, faſt un-
moͤglich darin fortzukommen, ſondern es lag auch uͤberall eine Menge von ver-
faulten Baͤumen im Wege, die entweder vom Winde umgeworfen oder vor Al-
ter umgefallen, und durch die Laͤnge der Zeit zu einer fetten Holzerde geworden
waren, aus welcher bereits neue Generationen von jungen Baͤumen, paraſitiſchen
Pflanzen, Farn-Kraͤutern und Mooſen reichlich wieder aufſproßten. Oft bedeckte eine
taͤuſchende Rinde, das innere verfaulte Holz eines ſolchen umgefallnen Stammes
und wer es wagte darauf zu treten, fiel gemeiniglich bis mitten an den Leib
hinein. Das Thierreich lieferte ſeiner Seits auch einen Beweis, daß dieſer
Theil des Landes, bis jetzt wohl noch keine Veraͤndrung von Menſchen erlitten
haben koͤnne, und ließ uns beym erſten Anblick vermuthen, daß Dusky-Bay
gaͤnzlich unbewohnt ſeyn muͤße; denn eine Menge kleiner Voͤgel ſchienen noch
nie eine menſchliche Geſtalt geſehen zu haben, ſo unbeſorgt blieben ſie auf den
naͤchſten Zweigen ſitzen, oder huͤpften wohl gar auf dem aͤußerſten Ende unſrer
Vogelflinten herum, und betrachteten uns als fremde Gegenſtaͤnde mit einer
Neu-
[][]

[figure]

[97]in den Jahren 1772 bis 1775.
Neugierde, die der unſrigen einigermaßen gleich kam. Dieſe unſchuldige Drei-1773.
Maͤrz.

ſtigkeit ſchuͤtzte ſie anfaͤnglich, denn wer haͤtte hartherzig genug ſeyn koͤnnen ſie zu
ſchießen, wenn ſie ſo nahe waren; aber in wenig Tagen ward ſie ihnen ſehr nach-
theilig und verderblich, weil eine Katze aus unſerm Schiff nicht ſo bald ausfindig
gemacht hatte, daß hier ſo trefliche Gelegenheit zu einem herrlichen Fraße
ſey, als ſie richtig alle Morgen einen Spatziergang ins Holz vornahm, und eine
ſchreckliche Niederlage unter den kleinen Voͤgeln anrichtete, die ſich vor dieſem ſo
hinterliſtigen Feinde nicht huͤteten, weil ſie nichts Arges von ihm vermutheten.


Bey dem Ueberfluß an Fiſchen und der Menge von Waßervoͤgeln, die
uns mehrere Arten von Fleiſchſpeiſen zu verſprechen ſchien, fehlte es unſrer Tafel
gleichſam nur noch allein an friſchem Gemuͤſe. Dieſem Mangel ſuchten wir da-
her auf unſren erſten botaniſchen Spatziergaͤngen abzuhelfen, und fanden auch
gleich den Tag nach unſrer Ankunft, einen zum Myrthen-Geſchlecht gehoͤrigen,
ſchoͤnen Baum, der eben in Bluͤthe ſtand, und davon auf Capitain Cook’s erſter
Reiſe eine Infuſion, ſtatt Thees, war getrunken worden. Ohngeachtet uns dies
noch keine Schuͤſſel gab; ſo war es uns doch, als ein friſches Krant, willkommen,
und ward daher auch gleich verſucht. Die Blaͤtter waren angenehm aromatiſch,
etwas zuſammenziehend und gaben beym erſten Aufguß dem Waſſer einen ganz
beſonders lieblichen Geſchmack, allein, wenn zum zweytenmahl ſiedendes Waſſer
aufgegoſſen ward, ſo verſchwand dieſer angenehme Geſchmack, und ſtatt deſſen be-
kam die Infuſion eine ungemeine Bitterkeit, daher wir es auch nie zum zwey-
tenmahle ziehen ließen. Der Gebrauch dieſer Pflanze, ward unter unſern Leu-
ten bald allgemein, und trug dem Anſehn nach viel dazu bey, das Blut zu rei-
nigen und alle ſcorbutiſche Symptomen zu vertreiben. Da dieſe Pflanze kuͤnfti-
gen Seefahrern ſehr nuͤtzlich werden kann, ſo verdiente ſie bekannter und folg-
lich gezeichnet zu werden. Wir haben daher dem Capitain Cook ſehr gern er-
laubt, von unſrer Zeichnung Gebrauch zu machen; und ſie iſt auf Befehl der Ad-
miralitaͤt geſtochen und ſeiner Reiſebeſchreibung beygefuͤgt. Auch in gegenwaͤrti-
ger deutſchen Ausgabe unſrer Reiſegeſchichte wird ſie der naturkundige Leſer, hof-
fentlich mit Vergnuͤgen, antreffen. In gutem Boden und dicken Waͤldern
waͤchſt ſie bis zur Groͤße eines anſehnlichen Baums, der oft dreißig bis vierzig
Fus hoch iſt, und einen Fus im Durchſchnitt haͤlt. In bergichten trocknen
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. N
[98]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Maͤrz.
Erdreich hingegen, habe ich ſie als eine kleine Staude ohngefaͤhr nur ſechs Zoll
hoch gefunden, und daß ſie, dieſer geringen Groͤße ohnerachtet, geſund und voll-
kommen war, bezeugten Frucht und Bluͤthe. Gewoͤhnlicher Weiſe wird ſie aber
acht bis zehen Fus hoch, und ohngefaͤhr drey Zoll im Durchſchnitt ſtark. In
dieſem Fall iſt der Stamm unregelmaͤßig und ungleich, treibt kurz uͤber der Erde
ſchon Zweige aus, die mit dem Stamm gemeiniglich ſpitze Winkel ausmachen,
und nur allein an den aͤußerſten Enden Blaͤtter und Bluͤthen haben. Die Blu-
men ſind weis und geben der Pflanze eine große Zierde. Man verſuchte es auch die
Blaͤtter eines andern Baumes, der in dieſer Gegend ſehr haͤufig wuchs, *) zur In-
fuſion zu gebrauchen; allein, ſeiner Aehnlichkeit mit dem Fichtengeſchlecht und ei-
nes gewiſſen harzichten Geſchmacks wegen, fanden wir bald, daß er ſich zwar nicht
zum Thee, hingegen zu jenem geſunden und angenehmen Getraͤnk, das in Weſt-
indien
unter dem Namen Spruce- oder Sproſſen Bier bekannt iſt, noch beſſer als
der americaniſche Spruce-Baum (Spruce-tree) ſchicken wuͤrde. Wir braueten
auch wuͤrklich, mit einem Zuſatz von etwas Bier- Wuͤrz- Eßenz und Syrup,
eine ſehr gute Art von Bier daraus, und machten dieſes in der Folge durch eine
Beymiſchung von Bluͤthen und Blaͤttern des neuen Theebaums noch angeneh-
mer und beßer. Der Geſchmack war lieblich aber etwas bitter; und der einzige
Fehler, den wir daran finden konnten, beſtand darinn, daß es fruͤh, bey nuͤchter-
nem Magen getrunken, zuweilen Uebelkeit verurſachte. In jedem andern Betracht
hingegen war es vortreflich und geſund. Der Neu-Seelaͤndiſche Spruce-
Baum iſt von ſchoͤnem Gewaͤchs und Anſehn, denn er ſchießt bisweilen
zu einer Hoͤhe von hundert Fuß auf und hat alsdenn wohl zehn Fuß im Umfange.
Wegen ſeiner niederhaͤngenden Aeſte faͤllt er ſehr in die Augen, und ſein
Laub beſteht aus einer Menge langer, hellgruͤner Blaͤtter, die den Kiehn-Nadeln
gleichen und als Faden von den Zweigen herabhaͤngen, wie aus der hier beyge-
fuͤgten Abbildung zu erſehen iſt. Ohngeachtet ſich in den hieſigen Waͤldern nur
allein der Spruce- und der Theebaum fand, von welchen man etwas genießen
konnte, ſo waren doch die uͤbrigen, in großer Menge und Verſchiedenheit vor-
handenen Baͤume, theils zum Schiffbau, theils zu Tiſchler- und andrer Holz-
[]

[figure]

[][99]in den Jahren 1772 bis 1775.
arbeit gut zu brauchen; und Capitain Cook mußte geſtehen, daß er auf ganz Neu-1773.
Maͤrz.

Seeland
keine beſſere Waldung als hier in Dusky-Bay angetroffen habe, aus-
genommen laͤngſt den Ufern des Fluſſes Thames (Themſe), der die noͤrdliche Inſel
dieſes Landes durchſtroͤhmt und den er auf ſeiner vorigen Reiſe befahren hatte. *)


Wir waren nicht uͤber zween Tage in dieſer Bay geweſen, ſo wurden wir
bereits uͤberzeugt, daß ſie nicht unbewohnt ſeyn muͤſſe. Als nehmlich am 28ſten
Morgens einige unſrer Officier in einem kleinen Boote auf die Jagd gingen, und
etwa zwei oder drey engliſche Meilen weit vom Schiffe in eine Bucht hineinru-
derten, wurden ſie am Strande einige Einwohner gewahr, die ein Ca-
not
**) (Kahn) ins Waſſer ſetzen wollten. Bey ihrer Annaͤherung fiengen die
Neu-Seelaͤnder an uͤberlaut zu rufen; und da man ſie ihrem Schreyen nach fuͤr
zahlreicher hielt als ſie wuͤrklich waren, ſo giengen die Officiers zuruͤck und gaben
dem Capitain Nachricht von dieſer Entdeckung; eine Vorſicht, die ihnen deſto
noͤthiger duͤnkte, weil das Wetter ſehr regnicht war und ihr Schießgewehr leicht
haͤtte hindern koͤnnen Feuer zu geben. Kaum waren ſie am Boord zuruͤck, als
ſich neben einer hervorragenden Land-Ecke, die ohngefaͤhr eine engliſche Meile weit
vom Schiff entfernt ſeyn mochte, ein Canot ſehen ließ. Es war mit ſieben
oder acht Leuten beſetzt, die uns eine Zeitlang anguckten, aber durch keine Zeichen
der Freundſchaft als Zurufen, Aushaͤngen von weißen Tuͤchern, Vorzeigung von
Glas-Corallen und dergleichen, ſich wollten bewegen laſſen, naͤher zu kommen;
ſondern nach einer Weile den Weg zuruͤck ruderten, den ſie gekommen waren. So
viel ſich in der Entfernung unterſcheiden ließ, giengen ſie in Matten gekleidet
und hatten breite Ruder, mit welchen ſie ihr Canot, eben ſo wie die Einwohner
des noͤrdlichen Theils von Neu-Seeland, fortarbeiteten. Capitain Cook nahm
ſich vor ſie noch heute Nachmittag am Lande zu beſuchen, um ihnen die Beſorg-
niß zu benehmen, worinn ſie unſerntwegen zu ſeyn ſchienen. Er ließ zu dem Ende
zween Boote ausſetzen und fuhr nebſt uns und verſchiednen Officiers nach der
N 2
[100]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Maͤrz.
Bucht hin, wo ſich die Wilden zuerſt hatten ſehen laſſen. Hier fanden wir ein
doppeltes Canot, das ohnweit etlicher alten niedrigen Huͤtten aufs Land gezo-
gen war, und in der Nachbarſchaft ſahe man einige Stellen wo Feuer ge-
brannt hatte, auch lagen Fiſchnetze und Fiſche umher. Das Canot war alt und
in ſchlechtem Stande. Es beſtand aus zween Troͤgen oder Booten, die in der
Mitte durch Queerhoͤlzer verbunden und mit Stricken von der Neu-Seelaͤn-
diſchen, hier abgebildeten Flachs-Pflanze *) zuſammen gekoppelt waren. Ein Je-
des einzelne dieſer beyden Boote, war fuͤr ſich aus Planken verfertigt, die mit
Schnuͤren aneinander genaͤhet und am Vordertheil durch ein grobgeſchnitztes
Menſchengeſicht verzieret waren, in welchem ſie ſtatt der Augen kleine Stuͤcken
von perlmutterartigen Seeohr-Muſcheln eingeſetzt hatten. In dieſem Canot
fanden wir zween Ruder, einen Korb voll Beeren von der coriaria ruſcifolia
Linnæi,
und einige Fiſche. Von den Leuten aber bekamen wir nichts zu hoͤren
und zu ſehen, weil ſie, allem Anſchein nach, in den Wald gefluͤchtet waren. Um
uns ihr Vertrauen und Zuneigung zu erwerben, legten wir ihnen einige Schau-
muͤnzen, Spiegel, Glas-Corallen und andre Kleinigkeiten in das Canot und
giengen, ohne weitern Aufenthalt, wieder zu unſerm Boot, um tiefer in die Bucht
hinein zu rudern und einen Plan von derſelben aufzunehmen. Bey dieſer Ge-
legenheit fanden wir einen ſchoͤnen Bach, der ſich uͤber den flachen Strand ins
Meer ergoß, welches hier eine ganze Strecke lang ſo ſeicht war, daß wir mit dem
Boote einigemal auf den Grund ſtießen. Endten, See-Raben (Shags) ſchwarze
Auſterfaͤnger (Oyſter catcher) und Kybits-Arten (ployers) gab es hier in
großer Menge. Auf dem Ruͤckwege konnten wir uns nicht enthalten, noch
einmal nach dem Canot hinzuſehen; fanden aber noch alles wie wir es verlaſſen
hatten. Den Werth, der bereits vorher zuruͤckgelaßnen Geſchenke zu erhoͤhen,
fuͤgten wir jetzt noch ein Beil hinzu, und um ihnen den Gebrauch deſſelben be-
greiflich zu machen, hieben wir einige Spaͤhne von einem Baume ab, und lieſ-
ſen es alsdenn in dem Stamm ſtecken. Allein unſre Hauptabſicht erreichten wir
bey dieſem zweyten Beſuch eben ſo wenig als bey dem vorhergehenden, denn wir
bekamen abermals keinen von den Einwohnern zu ſehen, ohnerachtet ſie, unſerm
[]

[figure]

[][101]in den Jahren 1772 bis 1775.
Beduͤnken nach, nicht weit weg ſeyn konnten, und wir ſo gar den Rauch von ih-1773.
April.

ren Feuern zu riechen glaubten. Vermuthlich waͤren ſie in dem nah gelegenen
Walde leicht zu entdecken geweſen; da ſie uns aber ſo gefliſſentlich aus dem
Wege gegangen zu ſeyn ſchienen, ſo wollte ſie der Capitain nicht aufſuchen laſſen,
ſondern es lieber der Zeit und ihrem freyen Willen anheim ſtellen, ob ſie naͤher
mit uns bekannt werden wollten oder nicht. Unterdeſſen war die Zeit ſo weit
verſtrichen, daß wir erſt am ſpaͤten Abend wieder an das Schiff zuruͤck kamen.


Den ganzen folgenden Morgen regnete es heftig; Nachmittags aber
klaͤrte ſich das Wetter auf und verſtattete uns, in das auf dem jenſeitigen Ufer der
Bucht gelegene Holz zu gehen; Doch fanden wir es jetzt doppelt muͤhſam darinn
fortzukommen, denn außer den bereits angezeigten Schwuͤrigkeiten ſich durch die
Schling-Stauden und durch die umgefallenen Baͤume hindurch zu arbeiten, hatte
der heutige Regen das Erdreich dermaßen durchgeweicht und ſchluͤpfrig gemacht,
daß man faſt bey jedem Schritt ausgleitete. Indeſſen ward unſre Muͤhe wenig-
ſtens dadurch belohnt, daß wir noch einige Pflanzen in der Bluͤthe antrafen, ohn-
erachtet es hier zu Lande ſch[o]n ſehr ſpaͤt im Jahre war. Außerdem erregte eine
Menge von unbekannten Baͤumen und Straͤuchern unſre Verwunderung uͤber den
Reichthum dieſes Landes an neuen Pflanzen, allein dabey mußten wir es auch
bewenden laſſen, denn es waren weder Bluͤthen noch Frucht mehr daran vorhan-
den, und folglich keine naͤhere botaniſche Unterſuchung moͤglich.


Die beyden folgenden Tage uͤber hielt uns das regnichte und ſtuͤrmiſche
Wetter am Bord eingeſchloſſen, und benahm uns faſt den Muth; denn wenn
dieſe Witterung ſo anhielt, welches der Jahreszeit nach allerdings zu befuͤrchten
ſtand, ſo ließ ſich voraus ſehen, wie unangenehm wir die Zeit unſers uͤbrigen Auf-
enthalts allhier zubringen wuͤrden. In dieſer Beſorgniß wandten wir, am 1ſten
April Nachmittags, den erſten heitern Augenblick dazu an, die Bucht wieder zu
beſuchen, in welcher wir die Indianer geſehen hatten. Wir fanden daſelbſt noch
alles, wie wir es gelaſſen, und es ſchien die ganze Zeit uͤber Niemand bey dem
Canot geweſen zu ſeyn. Da das Wetter ſehr hell war, ſo konnte man dieſe
Bucht heute nach allen Seiten hin uͤberſehen. Sie iſt ſo geraͤumig, daß eine
ganze Flort: darinn vor Anker liegen kann, und hat an der Suͤdweſt-Seite ei-
nige hohe Berge, die beynahe von dem Gipfel an bis ganz an das Ufer herab
N 3
[102]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
mit Holz bewachſen ſind. Die verſchiednen Landſpitzen, die in die See hinaus
laufen, und die Inſeln in der Bay, bieten von hier aus einen ſchoͤnen, mahleri-
ſchen Anblick dar. Die Spiegelflaͤche des Waſſers, welche beym Untergang
der Sonne herrlich erleuchtet ward, die Mannigfaltigkeit des Gruͤns und der
Geſang der Voͤgel, welche ſich an dieſem ſtillen Abende um die ganze Bay herum
hoͤren ließen, milderten die rauhen und wilden Umriſſe dieſer Landſchaft auf eine
ſehr angenehm contraſtirende Weiſe.


Das Vergnuͤgen dieſes Abends, lockte uns, bey dem ſchoͤnen hellen Wetter
des folgenden Tages, ſchon mit Sonnen-Aufgang wiederum nach dieſer Bucht
und hielt uns bis am ſpaͤten Abend dort zuruͤck, da wir mit einer ganzen La-
dung von neuen Voͤgeln und Pflanzen wieder auf dem Schiffe anlangten. Wir
hatten einen jungen Hund, den ſich einige Officier am Vorgebuͤrge der guten
Hofnung
angeſchaft, mit uns genommen, um zu verſuchen, ob er ſich nicht
an das Schießen gewoͤhnen und zur Jagd abrichten ließe. Aber kaum ward
die erſte Flinte abgefeuert, als er davon und ins Holz lief, auch allem Rufen
und Locken ohnerachtet nicht zu uns zuruͤck kommen wollte. In unſrer Abweſen-
heit hatte Capitain Cook ſich das ſchoͤne Wetter ebenfalls zu Nutze gemacht,
um verſchiedene Gegenden der Bay genauer zu unterſuchen. Er kam bey dieſer
Gelegenheit an einem kleinen Felſen, ohnweit unſerm erſten Ankerplatz vorbey,
den wir damals ſchon Seal rock oder Seehund-Felſen genannt hatten, weil
eine Menge von dieſen Thieren ihr gewoͤhnliches Nachtlager dort zu nehmen pfleg-
ten. Auch heute fand er ihrer eine große Anzahl daſelbſt und erlegte drey Stuͤck.
Einer von dieſen Seehunden, der zu wiederholtenmalen angeſchoſſen war, ward
zuletzt ganz wuͤtend, und fiel das Boot an, welches ihm denn vollends das Le-
ben koſtete. Er war ohngefaͤhr 6 Fus lang, und wog, ohnerachtet er nur ſehr ma-
ger war, doch 220 Pfund. Von hier aus lief der Capitain an verſchiedenen
kleinen Inſeln vorbey und gelangte zuletzt an das Nord-Weſt-Ende der Bay, wel-
ches die Point five finger genannte Landſpitze ausmacht. Allda fand er in
einer ſchoͤnen Bucht, eine Menge verſchiedener Waſſervoͤgel, von denen er viele
ſchoß und an Boord brachte.


Nach dieſer kleinen Luſtreiſe mußten wir, des von neuem einfallenden Re-
gens halber, wiederum eine Pauſe machen und an Bord bleiben, wo eine Art klei-
[103]in den Jahren 1772 bis 1775.
ner Erd Muͤcken (tipula alis incumbentibus), die uns ſchon vom erſten Eintritt1773.
April.

in Dusky-Bay an gepeinigt hatten, jetzt, bey dem naſſen Wetter, ungemein be-
ſchwerlich fiel. Am Lande waren ſie beym Eingange in die Waͤlder beſonders
haͤufig anzutreffen, und unſre Matroſen nannten ſie Sandfliegen. Ohnerachtet ſie
kaum halb ſo groß als Muͤcken oder Muskito’s ſeyn mochten; ſo war ihr Stich gleich-
wohl ſehr ſchmerzhaft, und, ſobald die geſtochene Hand oder das Geſicht warm ward,
erfolgte ein unertraͤgliches Jucken, welches beym geringſten Reiben oder Kratzen eine
ſtarke Geſchwulſt und große Schmerzen nach ſich zog. Jedoch hatten wir nicht alle
gleich viel von ihnen auszuſtehen: Ich fuͤr mein Theil empfand keine beſondre
Ungelegenheit davon; andre hingegen wurden abſcheulich von ihnen gequaͤlt,
insbeſondre hatten ſie meinen Vater ſo uͤbel zugerichtet, daß er nicht im Stande
war die Feder zu halten, um nur die taͤglichen Vorfaͤlle in ſeinem Journal nie-
derzuſchreiben, und die Nacht fiel er ſogar in ein heftiges Wundfieber. Zwar
verſuchte man allerhand Mittel dagegen, aber ohne Nutzen. Das Beſte war, die
Haͤnde und das Geſicht mit weicher Pomade einzureiben und beſtaͤndig Hand-
ſchuh zu tragen.


Fruͤh am 6ten giengen einige Officier nach der Bucht, welche der Capi-
tain am 2ten entdeckt hatte; der Capitain ſelbſt aber nahm ein andres Boot und
gieng nebſt Herrn Hodges, Dr. Sparrman, meinem Vater und mir, nach der
Nordſeite, um fuͤr ſeine Perſon in Abzeichnung der Bay fortzufahren, Herr
Hodges, um Ausſichten nach der Natur aufzunehmen, und wir, um die natuͤr-
lichen Merkwuͤrdigkeiten des Landes zu unterſuchen. In dieſer Gegend trafen
wir eine ſchoͤne geraͤumige Bucht an, die ſo tief und ſchraͤg ins Land hinein ragte,
daß man von dort aus die See gar nicht ſehen konnte. Das Ufer derſelben war
ſteil und von demſelben ſtuͤrzten ſich verſchiedene kleine Waſſerfaͤlle aus großen
Hoͤhen herab, welches eine uͤberaus herrliche Scene darſtellte. Sie ſtroͤhmten
mitten aus dem Walde hervor und fielen alsdenn in durchſichtig hellen Waſſer-
Saͤulen ſo ſenkrecht herunter, daß ein Schiff ganz nahe bey denſelben ſich haͤtte
ans Ufer legen, und vermittelſt eines Schlauchs von Seegeltuche (hoſe) ſeine
Waſſerfaͤſſer allenfalls an Boord ſelbſt, in aller Sicherheit anfuͤllen koͤnnen.
Im Hintergrunde gab es einen Fleck, wo das Waſſer ſeicht und moraſtig war, das
Ufer aber aus Muſchel-Sand beſtand, uͤber welches hier, ſo wie in allen Buch-
[104]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
ten dieſer Bay, ein kleiner Bach herabrieſelte. An dieſer Stelle fanden wir viel
Federwildpret, beſonders wilde Endten, davon wir vierzehn Stuͤck erlegten, und
daher den Ort auch Duck-Cove, das iſt, Endten-Bucht nannten. Auf dem
Ruͤckwege kamen wir an einer Inſel vorbey, die eine weit hervorragende Fel-
ſenſpitze hatte, auf welcher wir einen Menſchen ſehr laut rufen hoͤrten. Da
dies niemand anders als einer von den Eingebohrnen ſeyn konnte, ſo nannten
wir dieſe Inſel Indian-Island, d. i. Indianer-Inſel, und naͤherten uns dem
Ufer derſelben, um zu erfahren, von wem die Stimme herkaͤme. Als wir wei-
ter heran kamen, entdeckte man, daß es ein Indianer war, der mit einer Keule
oder Streit-Art bewafnet, auf der Felſenſpitze ſtand, und hinter ihm erblickte man
in der Ferne, am Eingang des Waldes, zwo Frauensperſonen, deren jede ei-
nen Spieß in der Hand hielt. Sobald wir mit dem Boot bis an den Fus des
Felſen hingekommen waren, rief man ihm in der Sprache von Taheiti zu: Tay[o]
Harre
maï, d. i. Freund komm hier! Allein das that er nicht, ſondern blieb
an ſeinem Poſten, auf ſeine Keule gelehnt ſtehen und hielt in dieſer Stellung
eine lange Rede, die er bey verſchiednen Stellen mit großem Nachdruck und
Heftigkeit ausſprach, und alsdenn zugleich die Keule um den Kopf ſchwenkte.
Da er nicht zu bewegen war naͤher zu kommen, ſo gieng Capitain Cook vorn
ins Boot, rief ihm freundlich zu und warf ihm ſein und andrer Schnupftuͤcher
hin, die er jedoch nicht auflangen wollte. Der Capitain nahm alſo etliche
Bogen weiß Papier in die Hand, ſtieg unbewaffnet auf dem Felſen aus und
reichte dem Wilden das Papier zu. Nunmehro zitterte der gute Kerl ſichtbarer
Weiſe uͤber und uͤber, nahm aber endlich, wiewohl noch immer mit vielen deut-
lichen Merkmalen von Furcht, das Papier hin. Da er dem Capitain jetzt ſo nahe
war, ſo ergrif ihn dieſer bey der Hand und umarmete ihn, indem er des Wil-
den Naſe mit der ſeinigen beruͤhrte, welches ihre Art iſt ſich unter einander zu
begruͤßen. Dieſes Freundſchaftszeichen benahm ihm mit einemmale alle Furcht,
denn er rief die beyden Weiber zu ſich, die auch ungeſaumt herbey kamen, in-
deß daß von unſrer Seite ebenfalls verſchiedne aus Land ſtiegen, um dem Capi-
tain Geſellſchaft zu leiſten. Hierauf erfolgte zwiſchen uns und den India-
nern eine kleine Unterredung, wovon aber Niemand etwas rechtes verſtand, weil
keiner in des andern Sprache hinreichend erfahren war. Herr Hodges zeichnete
gleich
[105]in den Jahren 1772 bis 1775.
gleich auf der Stelle einen Umriß von ihrer Geſichtsbildung und aus ihren1773.
April.

Minen ließ ſich abnehmen, daß ſie begriffen was er vor hatte. Sie nann-
ten ihn desfalls tóa-tóa, welches Wort vermuthlich eine Beziehung auf die
bildenden Kuͤnſte haben mußte. Der Mann hatte ein ehrliches gefaͤlliges An-
ſehen, und die eine von den beyden Frauensperſonen, die wir fuͤr ſeine Tochter
hielten, ſahe gar nicht ſo unangenehm aus, als man in Neu-Seeland wohl haͤtte
vermuthen ſollen, die andre hingegen war ausnehmend haͤßlich und hatte an der
Ober-Lippe ein ungeheures garſtiges Gewaͤchs. Sie waren alle dunkelbraun
oder Olivenfarbicht, hatten ſchwarzes und lockichtes Haar, das mit Oehl und
Rothſtein eingeſchmiert, bey dem Mann oben auf dem Wirbel in einen Schopf
zuſammen gebunden, bey den Weibern aber kurz abgeſchnitten war. Den Ober-
theil des Coͤrpers fanden wir wohl gebildet; die Beine hingegen außerordentlich
duͤnne, uͤbel geſtaltet und krumm. Ihre Kleidung beſtand aus Matten von Neu-
Seelaͤndiſchen Flachs *) und war mit Federn durchwebt. In den Ohren tru-
gen ſie kleine Stuͤcke von Albatros-Haut, mit Roͤthel oder Ocher gefaͤrbt. Wir
boten ihnen einige Fiſche und Endten an, ſie warfen ſolche aber zuruͤck und ga-
ben uns zu verſtehen, daß ſie keinen Mangel an Lebensmitteln haͤtten. Die
einbrechende Nacht noͤthigte uns von unſern neuen Freunden Abſchied zu neh-
men, wir verſprachen ihnen aber, ſie morgen wieder zu beſuch[e]n. Bey der Ab-
fahrt ſahe uns der Mann in ernſthafter Stille und mit einer Aufmerkſamkeit
nach, welche tiefes Nachdenken anzuzeigen ſchien; die juͤngſte Frauensperſon hin-
gegen, die waͤhrend unſrer Anweſenheit in einem fort und mit ſo gelaͤufiger
Zunge geplaudert hatte, als keiner von uns je gehoͤrt zu haben, ſich erinnern konn-
te, ſieng nunmehro an zu tanzen, und fuhr fort eben ſo laut zu ſeyn als vorher.
Unſre Seeleute erlaubten ſich dieſes Umſtandes halber einige grobe Einfaͤlle auf Ko-
ſten des weiblichen Geſchlechts, wir aber fanden durch dieſes Betragen die Bemer-
kung beſtaͤtigt, daß die Natur ſich nicht begnuͤgt habe, dem Manne zu Erleichterung
ſeiner Sorgen und Muͤhſeligkeiten eine Gehuͤlfin zu geben, ſondern daß ſie dieſer auch,
durchgehends, die Begierde eingepflanzt habe, vermittelſt eines hoͤhern Grades von
Lebhaftigkeit und Geſpraͤchigkeit zu gefallen. In Capitain Cooks gedruckter Reiſe-
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. O
[106]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
Geſchichte findet man dieſe kleine Familie nebſt der Gegend, in welcher ſich die
vorgedachte Scene zutrug, ſchoͤn und richtig abgebildet.


Am folgenden Morgen kehrten wir zu den Indianern zuruͤck und brachten
ihnen allerhand Sachen, die wir zu Geſchenken, vom Schiffe aus, mit uns
genommen hatten. Der Mann bewieß bey dieſer Gelegenheit ungleich mehr Ver-
ſtand und Beurtheilungskraft als man bisher unter ſeinen uͤbrigen Landsleuten
und unter den mehreſten Einwohnern der Suͤd-See-Inſeln angetroffen hat-
te, *) denn er begrif nicht nur, gleich beym erſten Anblick, den vorzuͤglichen
Werth und Gebrauch der Beile und großen Naͤgel, ſondern er [ſ]ahe auch uͤber-
haupt alles mit Gleichguͤltigkeit an, was ihm keinen wahren Nutzen zu haben
ſchien. Bey dieſem Beſuch machte er uns mit ſeiner ganzen Familie bekannt.
Sie beſtand aus zwo Frauensperſonen, die wir fuͤr ſeine Weiber hielten; dem ob-
gedachten jungen Maͤdchen; einem Knaben von ohngefaͤhr funfzehen Jahren und
drey kleinen Kindern, wovon das juͤngſte noch an der Bruſt lag. Man konnte es
ſehr deutlich merken, daß der Mann die Frau mit dem Gewaͤchs an der Oberlippe
gar nicht achtete, welches vermuthlich wegen ihrer unangenehmen Geſtalt ge-
ſchahe. Sie fuͤhrten uns bald darauf nach ihrer Wohnung, welche nur wenige
Schritt weit im Walde, auf einem kleinen Huͤgel lag und in zwo ſchlechten Huͤt-
ten beſtand, die aus etlichen an einander gelehnten Stangen aufgebauet und mit
trocknen Blaͤttern der Flachspflanze gedeckt waren, uͤber welche ſie Baum-Rin-
den hergelegt hatten. Um uns Gegengeſchenke zu machen, ließen ſie es ſich
verſchiedne Zierrathen und Waffen, vornemlich einige Streit-Aexte koſten, doch
erſtreckte ſich ihre Freygebigkeit nicht bis auf die Speere, die ihnen folglich wohl
das liebſte und koſtbarſte ſeyn muͤſſen. Als wir abfahren wollten, kam der
Mann an den Strand herab und ſchenkte dem Capitain Cook eine Kleidung von
Matten, aus Flachs gewebt, einen Guͤrtel, der von Gras geflochten war, ei-
nige aufgereihete corallenfoͤrmige Kuͤgelchen, die aus kleinen Vogelknochen ge-
macht waren, und verſchiedne Albatros-Haͤute. Wir glaubten anfaͤnglich, daß
dies alles noch Gegengeſchenke ſeyn ſollten, allein, er zog uns bald aus dem
Irrthum, indem er ein großes Verlangen aͤußerte, einen von unſern Boot
[107]in den Jahren 1772 bis 1775.
Maͤnteln *) zu haben. Indeſſen waren wir nicht gefaͤllig genug, Kleidungs-1773.
April.

ſtuͤcke weg zu geben, welche wir nicht wieder anſchaffen konnten, doch ließ der
Capitain, ſo bald wir an Boord zuruͤck kamen, gleich einen großen Mantel von
rothen Boy (baize) in Arbeit nehmen, um dem Manne bey unſerm naͤchſten Be-
ſuch ein Geſchenk damit zu machen.


Am folgenden Morgen hinderte uns der Regen zu ihm zu kommen
als ſich aber Nachmittags das Wetter aufzuklaͤren ſchien, fuhren wir nach
der Indianer-Inſel hin. Da ſie wußten, daß wir ſie beſuchen wollten, ſo
befremdete es uns, daß ſich keiner von ihnen zur Bewillkommung am Strande
ſehen ließ, noch mehr aber, daß ſo gar auf unſer Rufen nicht einmal Antwort
erfolgte. Wir ſtiegen indeſſen ans Land, und wanderten unter allerhand Muth-
maßungen nach ihrer Wohnung, woſelbſt wir die Urſach dieſes unerwarteten
Betragens bald gewahr wurden. Sie bereiteten ſich nemlich, uns in allem
ihrem Schmuck und Staat zu empfangen. Einige waren ſchon voͤllig geputzt;
andere hingegen noch damit beſchaͤftigt. Sie hatten ſich gekaͤmmt und die Haare
mit Oel oder Fett eingeſchmiert, auf der Scheitel zuſammen gebunden, auch
weiße Federn oben in den Schopf geſteckt. Einige trugen dergleichen Federn, an
einer Schnur aufgereihet, um die Stirn gebunden; und andre hatten Stuͤcke von
Albatros-Fell, auf welchen noch die weißen Dunen ſaßen, in den Ohren. In dieſem
Staate erhoben ſie bey unſrer Ankunft ein Freudengeſchrey und empfingen uns
ſtehend mit mannigfaltigen Zeichen von Freundſchaft und geſelligem Weſen. Der
Capitain, welcher den neuen Mantel von rothen Boy ſelbſt umgenommen hat-
ten, legte ihn ab und uͤbereichte ihn dem Manne, der ſo hoͤchlich daruͤber er-
freut war, daß er ſogleich ein Pattu-Pattu oder eine kurze, flache Streit-Axt,
von einem großen Fiſchknochen verfertigt, aus ſeinem Guͤrtel zog, und dem Ca-
pitain ein Gegengeſchenk damit machte. Wir verſuchten es, uns in eine Unter-
redung mit ihnen einzulaſſen, und hatten zu dem Ende den Corporal Gibſon
von den See-Soldaten mit uns genommen, weil dieſer von der Landes-Spra-
O 2
[108]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
che *) mehr als ſonſt Jemand an Boord verſtehen ſollte; allein, wir konnten
demohngeachtet nicht zu Stande kommen, weil dieſe Familie eine beſonders
harte, und daher unverſtaͤndliche Ausſprache zu haben ſchien. Wir nahmen
alſo Abſchied von ihnen und beſchaͤftigten uns den Reſt des Tages uͤber, ver-
ſchiedne Theile der Bay in einen Riß zu bringen, neben her ein wenig zu fiſchen
oder Voͤgel zu ſchießen, und Muſcheln nebſt andern See-Coͤrpern zwiſchen den Fel-
ſen aufzuleſen. Das Wetter war die ganze Zeit uͤber wolkicht, doch kam es,
in den Gegenden wo wir waren, nicht zum Regen. Als wir aber nach der Bucht
zuruͤck gelangten, wo das Schiff vor Anker lag, ſagte man, daß es in unſrer Ab-
weſenheit beſtaͤndig geregnet haͤtte, und in der That bemerkten wir auch in der
Folge, daß es in Duſky-Bay mehrmalen an einer Stelle regnete, indeß daß
nicht weit davon kein Tropfen fiel. Dieſes veranlaſſen wahrſcheinlicherweiſe die
laͤngſt der ſuͤdlichen Kuͤſte der Bay, gegen die weſtliche Landſpitze hinlaufenden
Berge, welche ihrer Hoͤhe wegen, faſt beſtaͤndig mit Wolken bedeckt ſind.
Da nun unſre Bucht gerade unterhalb denſelben lag, und ſo zu ſagen, uͤberall
damit umgeben war, ſo ward ſie gleichſam der Sammelplatz der Duͤnſte, die be-
ſtaͤndig aus dem Waſſer aufſtiegen, und an den Seiten der Berge ſo ſichtbarlich
hinzogen, daß die Gipfel der Baͤume ſtets in eine Art von weißen halbdurchſich-
tigen Nebel eingehuͤllt waren, der zuletzt wie ein ſtarker Thau oder Regen herab-
fiel und uns bis auf die Haut naß machte. An der noͤrdlichen Seite der Bay hin-
gegen iſt dies anders, denn dort liegen lauter flache Inſeln, und uͤber dieſe giengen
die Ausduͤnſtungen der See gerade weg nach denen im Hintergrunde der Bay ge-
legenen Alpen, die beſtaͤndig mit Schnee bedeckt ſind. Die beyden folgenden Tage
uͤber war der Regen ſo heftig, daß nichts vorgenommen werden konnte. Da ſol-
chergeſtalt die Luft in unſrer Bucht beſtaͤndig feucht war, ſo ward es im Schiff
aller Orten dunſtig, welches freylich ungeſund ſeyn mußte, und zugleich
auch die Sammlungen von Pflanzen, die wir bis jetzt gemacht hatten,
in den Grund verdarb. Das Schiff lag ſo nahe an einem ſteilen und mit uͤber-
haͤngendem Baum und Buſchwerk bewachſenen Ufer, daß es in den Cajuͤtten,
[109]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſelbſt bey hellem Wetter, vornemlich aber bey Nebel und Regen, beſtaͤndig dun-1773.
April.

kel war, und daß wir ſogar zu Mittage oft Licht anſtecken mußten. Doch lieſ-
ſen wir uns dieſe Unannehmlichkeiten noch gern genug gefallen, weil in dieſer
Gegend immer friſche Fiſche zu haben waren, und wir vermittelſt einer ſo ge-
ſunden Koſt, desgleichen bey Sproſſen-Bier (ſpruce-beer) und Myrten-
Thee, wenigſtens immer friſch und munter blieben. Seit unſerm Hier-
ſerm Hierſeyn waren wir wuͤrkliche Fiſchfreſſer (Ichthyophagi) geworden; denn
viele von uns aßen ſchlechterdings nichts als Fiſch. Aus Beſorgniß, daß wir
dieſer treflichen Speiſe in der Folge uͤberdruͤßig werden koͤnnten, ſuchten wir oft
neue Zubereitungs-Arten hervor. Wir machten Fiſch-Suppen und Fiſch-Pa-
ſteten, wir kochten, wir brateten, wir roͤſteten, wir ſtobten ſie: Aber es war
beſonders, daß alle Kuͤnſteleyen der Kochkunſt, den Ekel, den wir damit ver-
huͤten wollten, nur deſto geſchwinder hervor brachten, denn diejenigen, die ſich
weißlich begnuͤgten, ihre Fiſche ſchlechtweg aus See-Waſſer gekocht zu eſſen,
blieben nur allein bey recht exemplariſchem Appetit:
As if increaſe of appetite had grown
By what it fed on —

(Shakespear.)

Noch ſonderbarer war es, daß um keinen Ekel gegen das Fiſcheſſen zu bekommen,
wir uns bey der ſo großen Mannigfaltigkeit, gleichwohl nur auf eine einzige Art
von Fiſchen einſchraͤnkten, die unſre Matroſen, der ſchwarzen Farbe wegen,
Kohlſiſche nannten, und in Geſchmack und Art dem engliſchen Cabeljau aͤhn-
lich waren. Sie haben ein feſtes ſaftiges und nahrhaftes, aber nicht ſo delicates
Fleiſch als wohl einige andre hieſige Fiſcharten, die wir jedoch nicht zu unſerm
beſtaͤndigen Eſſen machen mogten, weil ſie, ihres Fettes wegen, gemeiniglich eine
ſehr weichliche Speiſe waren. Eine ſchoͤne aber groͤßere Art von Hummern (cancer
homarus Linnæi
) als der gewoͤhnliche Seekrebs, einige Schaalfiſche und zu-
weilen ein Seerabe (Corvorant), eine Endte, Taube oder Papagay, machten
dann und wann eine angenehme Abwechſelung in unſrer taͤglichen Koſt, welche in
Vergleich deſſen was ſie zur See geweſen, nun uͤppig und verſchwenderiſch zu
nennen war.


O 3
[110]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.

Unſre ganze Reiſegeſellſchaft vom Capitain bis zum geringſten Matroſen
empfand die guten Wuͤrkungen dieſer veraͤnderten und verbeſſerten Diaͤt; ſo
gar jedes Thier am Boord ſchien ſich dabey zu erholen, nur unſre Schaafe nicht;
doch konnten dieſe auch, vermoͤge der Natur des Landes, bey weitem nicht ſo gut
dran ſeyn als wir, weil das ganze ſuͤdliche Ende von Tamai-poe-namu, (wie
die ſuͤdliche Inſel von Neu-Seeland, in der Landesſprache heißt,) und beſonders
das Land um Dusky-Bay herum, uͤberall aus ſteilen, felſichten Bergen beſteht,
die durch tiefe Kluͤfte von einander abgeſondert und unterhalb mit dicken Waͤldern
bewachſen, an den Gipfeln aber entweder unfruchtbar oder mit Schnee bedeckt
ſind, dergeſtalt, daß es nirgends, weder Wieſen, noch flache Gruͤnde giebt. Die
einzigen Stellen, wo ein Fleck flaches Land anzutreffen war, fanden ſich im Hinter-
grunde der Buchten, da, wo irgend ein Bach ins Meer floß. Dergleichen Baͤche hat-
ten allem Anſcheine nach Erde und Steine aus den Hoͤhen herabgefuͤhrt und ſolche an
ihren Ufern abgeſetzt, wodurch nach und nach ein niedriger, flacher Grund entſtan-
den war; allein auch dort wuchſen mehrentheils Stauden und Dornengebuͤſch, oder
wenn es ja nahe am Waſſer etwas Riedgras gab, ſo war es doch zu wenig, auch
ſo hart und grob, daß es nicht zur Weide dienen konnte. Was das aͤrgſte war,
ſo mußten wir ſehen, daß ſelbſt unſre Muͤhe, die juͤngſten Grasſproſſen zum
Futter aufzuſuchen, zu nichts diente, denn auch dieſes wollten die Schaafe, zu je-
dermanns Verwundrung, nicht anruͤhren. Bey genanerer Unterſuchung fand
ſich, daß ihre Zaͤhne los waren, und daß ſie alle Anzeigen eines recht boͤsar-
tigen Scorbuts an ſich hatten. Von vier Mutter-Schaafen und zweyen Boͤ-
cken, die Capitain Cook vom Vorgebuͤrge der guten Hofnung mitgenommen,
um ſie an der Kuͤſte von Neu-Seeland auszuſetzen, hatten wir nur zwey Stuͤcke,
nemlich ein Schaaf und einen Widder erhalten koͤnnen, und auch dieſe waren in
ſo elenden Umſtaͤnden, daß es noch ſehr dahin ſtand, ob ſie am Leben bleiben oder
gleich den andern ebenfalls drauf gehen wuͤrden. Wenn daher in der Folge
irgend ein Seefahrer, ſo ſchaͤtzbare Geſchenke als Vieh, unter die Einwohner
der Suͤd-See auszutheilen willens iſt, ſo wird er dieſe wohlthaͤtige Abſicht nicht
anders erreichen und das Vieh geſund dahin bringen koͤnnen, als wenn er die
Ueberfahrt auf das geſchwindeſte zuruͤckzulegen und der Kaͤlte auszuweichen ſucht,
zu welchem Ende er in der beſten Jahreszeit den kuͤrzeſten Weg vom Cap nach
[111]in den Jahren 1772 bis 1775.
Neu-Seeland nehmen, und ſich beſtaͤndig in mittlern, temperirten Breiten hal-1773.
April.

ten muß.


Am 11ten ſchien uns die klar und helle Luft einen ſchoͤnen Tag zu ver-
ſprechen, der uns ſo viel erwuͤnſchter war, weil wir ſeit unſrer Ankunft in Dusky-
Bay
, des naſſen Wetters halber, die Seegel und das Leinen-Zeug noch nicht hatten
trocknen koͤnnen. Da die Boote heute zu miſſen waren, ſo ließen wir uns, um
Naturalien aufzuſuchen, nach der Bucht uͤberſetzen, wo wir das erſte indiani-
ſche Boot angetroffen, und von weitem auch einen Waſſerfall geſehen hatten, von
welchem dieſe Bucht Cascade Cove oder Cascaden-Bucht war benannt wor-
den. Dieſer Waſſerfall ſcheint in einer Entfernung von anderthalb engliſchen
Meilen eben nicht betraͤchtlich zu ſeyn, dies ruͤhrt aber von ſeiner ſehr hohen Lage
her. Denn nachdem wir angelangt waren, mußten wir den Berg, auf wel-
chem er gelegen iſt, wenigſtens 600 Fus hoch hinan klettern, ehe wir ihn voͤl-
lig zu Geſicht bekamen. Von dort her iſt die Ausſicht groß und praͤchtig. Der
Gegenſtand, der zuerſt in die Augen faͤllt, iſt eine klare Waſſerſaͤule, die ge-
gen 24 bis 30 Fus im Umfange haͤlt, und ſich mit reißendem Ungeſtuͤm uͤber
einen ſenkrechtſtehenden Felſen, aus einer Hoͤhe von ohngefaͤhr 300 Fuß, herab-
ſtuͤrzt. Am vierten Theile der Hoͤhe trift dieſe Waſſerſaͤule auf ein hervortre-
tendes Stuͤck deſſelbigen Felſens, der von da an etwas abhaͤngig zu werden an-
faͤngt, und ſchießt alsdann, in Geſtalt einer durchſichtigen, ohngefaͤhr 75 Fus
breiten Waſſer-Wand, uͤber den hindurchſcheinenden flachen Felſen-Ruͤcken
hinweg. Waͤhrend des ſchnellen Herabſtroͤmens faͤngt das Waſſer an zu ſchaͤumen
und bricht ſich an jeder hervorragenden Ecke der Klippe, bis es unterhalb in ein
ſchoͤnes Becken ſtuͤrzt, das ohngefaͤhr 180 Fuß im Umfange halten mag und an
drey Seiten durch eine ziemlich ſenkrechte Felſenwand eingefaßt, vorn aber von
großen und unordentlich uͤber einander geſtuͤrzten Stein-Maſſen eingeſchloſſen iſt.
Zwiſchen dieſen draͤngt es ſich wieder heraus und faͤllt ſchaͤumend und ſchnell am
Abhange des Berges in die See herab. Mehr als 300 Fus weit umher fanden
wir die Luft mit Waſſer-Dampf und Dunſt angefuͤllt, der von dem heftigen Falle
entſtehet, und ſo dicht war, daß er unſre Kleider in wenig Minuten dermaßen
durchnaͤßte, als ob wir in dem heftigſten Regen geweſen waͤren. Wir ließen
uns indeſſen durch dieſe kleine Unannehmlichkeit im geringſten nicht abhalten, dies
[112]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
ſchoͤne Schauſpiel noch von mehrern Seiten her zu betrachten, und ſtiegen zu
dem Ende auf die hoͤchſten Steine vor dem Baſſin. Wenn man von hier aus
in daſſelbe herab ſahe, ſo zeigte ſich ein vortreflicher Regenbogen, der bey hoch-
ſtehender Mittags-Sonne in den Duͤnſten der Cascade voͤllig cirkelrund und ſowohl
vor, als unter uns, zu ſehen war. Außer und neben dieſem Licht- und Farben-
Cirkel war der Waſſerſtanb mit prismatiſchen Farben, aber in verkehrter Ord-
nung, gefaͤrbt. Zur Linken dieſer herrlichen Scene ſtiegen ſchroffe braune Felſen
empor, deren Gipfel mit uͤberhaͤngendem Buſchwerk und Baͤumen gekroͤnt waren.
Zur Rechten lag ein Haufen großer Steine, den, allem Anſchein nach, die Ge-
walt des vom Berge herabſtroͤmenden Waſſers zuſammengethuͤrmt hatte; uͤber
dieſem hinaus erhob ſich eine abhaͤngige Felſen-Schicht zu einer Hoͤhe von etwa
150 Fus, und auf dieſe war eine 75 Fuß hohe, ſenkrechte Felſenwand mit
Gruͤn- und Buſchwerk uͤberwachſen, aufgeſetzt. Weiter zur Rechten ſahe man
Gruppen von gebrochenen Felſen, durch Moos, Farnkraut, Gras und aller-
hand Blumen verſchiedentlich ſchattirt, den dort herkommenden Strohm aber
zu beyden Seiten mit Baͤumen eingefaßt, die, vermoͤge ihrer Hoͤhe von ohnge-
faͤhr 40 Fus, das Waſſer gegen die Strahlen der Sonne decken. Das Getoͤſe
des Waſſerfalls war ſo heftig, und ſchallte von den benachbarten, wiedertoͤnenden
Felſen ſo ſtark zuruͤck, daß man keinen andern Laut dafuͤr unterſcheiden konnte.
Die Voͤgel ſchienen ſich deshalb auch etwas davon entfernt zu halten, weiter hin
aber ließ ſich die durchdringend helle Kehle der Droſſeln (thrushes), die tiefere
Stimme des Barth-Vogels (wattle-bird) und der bezaubernde Geſang ver-
ſchiedner Baumlaͤufer oder Baumklettrer (creepers) an allen Seiten hoͤren,
und machte die Schoͤnheit dieſer wilden, romantiſchen Gegend vollkommen. Als
wir uns um- und dem Waſſerfall den Ruͤcken zuwandten, ſahen wir die weite Bay,
mit kleinen hochbewachsnen waldichten Inſeln beſaͤet, unter uns, und uͤber ſel-
bige hinaus, an der einen Seite das feſte Land, deſſen hohe, mit Schnee be-
deckte Berge bis in die Wolken reichten; an der andern aber, begraͤnzte der un-
abſehlich weite Ocean die Ausſicht. Dieſer Proſpect iſt ſo bewundernswuͤrdig
groß, daß es der Sprache an Ausdruͤcken fehlt, die Majeſtaͤt und Schoͤnheit
deſſelben, der Natur gemaͤß zu beſchreiben, und daß nur der kuͤnſtliche Pinſel
des auf dieſe Reiſe mit ausgeſchickten Mahlers, Herrn Hodges, allein im Stande
war,
[113]in den Jahren 1772 bis 1775.
war, dergleichen Scenen mit meiſterhafter Taͤuſchung nachz[u]ahmen. Die Stuͤcke1773.
April.

dieſes Kuͤnſtlers machen ſeinen Talenten und ſeiner Beurtheilungskraft, ſo wie
dem Geſchmack und der Wahl ſeiner Befoͤrderer ungemein viel Ehre.


Nachdem wir uns an dieſem praͤchtigen Schauſpiel lange genug vergnuͤgt
hatten, wandten wir unſre Aufmerkſamkeit auf die Blumen, welche in dieſer Ge-
gend den Boden belebten, und auf die Voͤgel, die ſo luſtig um uns her ſungen.
Bis jetzt hatten wir noch an keinem Ort der Bay die Natur im Pflanzen- und
Thierreiche ſo ſchoͤn und reich gefunden, als hier. Vielleicht machte die ſtaͤrkere
Brechung der Sonnenſtrahlen an den ſteilen Felſenwaͤnden und die bedeckte Lage
gegen die Stuͤrme, das Clima hier milder als anderer Orten, denn der Boden
an und fuͤr ſich war um nichts beſſer als an andern Stellen der Bay. Er beſtand
hier, wie uͤberall, aus guter fruchtbarer Erde, und die Felſen und Steine um
die Cascade waren theils Granit-Maſſen (Saxum), theils eine Art von gelblichen
talkichten Thonſtein in Schichten, der durch ganz [Neu-Seeland] ſehr gemein iſt.


Gegen Abend kehrten wir, mit unſern heutigen Entdeckungen uͤberaus
zufrieden, an Bord zuruͤck. Bey der Ankunft daſelbſt erzaͤhlte man uns, daß
die indianiſche Familie, welche wir des Morgens in ihrem groͤßten Staat nach
der Bucht hatten hineinrudern ſehen, ſich nach und nach, aber mit großer Be-
hutſamkeit, dem Schiffe genaͤhert habe. Capitain Cook war ihnen in einem
Boot entgegen gegangen, hatte ſie aber nicht bewegen koͤnnen an Bord des
Schiffs zu kommen, und mußte ſie daher ihrem eignen Willen uͤberlaſſen. Die-
ſer fuͤhrte ſie, nicht lange nachher, in eine kleine Bucht nahe bey der unſrigen,
allwo ſie ſich, dem Schiffe gegenuͤber, aus Ufer ſetzten, und ſo nahe waren, daß
man ſie hoͤren und mit ihnen ſprechen konnte. Der Capitain ließ die Queerpfeife und
den Dudelfack ſpielen und dazu trommeln, allein auch dies konnte ſie nicht naͤher
locken, denn aus dem Pfeifen ſchienen ſie ſich gar nichts zu machen, und auf das
Trommeln achteten ſie eben ſo wenig. Da ſolchergeſtalt nichts vermoͤgend war ſie
an das Schiff zu bringen, ſo ruderten verſchiedne Officiere und Seeleute zu
ihnen heruͤber. Die Wilden nahmen ſie mit treuherzigem Weſen auf, aber
alle Verſuche durch Zeichen mit ihnen zu reden, waren vergebens, denn keiner
von beyden Theilen konnte ſie dem andern verſtaͤndlich genug machen. Das Maͤd-
chen hatte anfaͤnglich eine beſondre Neigung und Zudringlichkeit zu einem jungen
Forſters Reiſe u. d. W., erſter Th. P
[114]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
Matroſen gezeigt, den ſie, ihrem Betragen nach, fuͤr eine Perſon ihres Ge-
ſchlechts zu halten ſchien. Ob er ſich aber in der Folge unſchickliche Freyheiten
genommen, oder ob ſie eine andre Urſach zur Unzufriedenheit uͤber ihn gehabt,
wiſſen wir nicht; genug ſie wollte ihm nachher nie erlauben ihr wieder nahe zu
kommen. Da die Indianer bey unſrer Zuruͤckkunſt noch an dem angezeigten
Ort ohnweit dem Schiffe waren, ſo giengen auch wir zu ihnen ans Land. Der
Mann verlangte, daß wir uns neben ihn ſetzen ſollten, und zeigte mehrmahlen
auf unſre Boote, die zwiſchen dem Schiff und dem Lande ab- und zu giengen, als
ob er Luſt haͤtte, auch eins zu beſitzen. Da ihm aber hierinn nicht gewillfahret
werden konnte, ſo gaben wir uns eben keine beſondre Muͤhe zu erfahren, ob ſein
Deuten dieſe oder eine andere Meynung gehabt habe. Nach einiger Zeit mach-
ten ſie, ohngefaͤhr 100 Schritte weit von unſerm Waſſerplatz, ein Feuer an, und
bereiteten ſich einige Fiſche zum Abendbrod, blieben auch die ganze Nacht uͤber
auf dieſer Stelle, welches uns, als ein deutliches Merkmahl ihres gaͤnzlich un-
beſorgten Vertrauens zu uns, nicht wenig gefiel. Eine Parthey Officier die den
morgenden Tag zur Jagd beſtimmt hatten, giengen noch heut Abend in einem klei-
nen Boote nach der Nordſeite der Bay ab, um die Nacht daſelbſt zuzubringen,
und morgen gleich mit Tages Anbruch auf dem Platz zu ſeyn.


Am folgenden Morgen ließ Capitain Cook ein Boot bemannen, und
fuhr in Begleitung meines Vaters nach der Muͤndung der Bay, um die dort ge-
legenen Klippen und Inſeln aufzunehmen. An der Suͤdoſt-Seite jener Inſel,
wo wir zuerſt geankert, und ſolche desfalls die Anker-Inſel genannt hatten,
fanden ſie eine kleine artige Bucht, und in derſelben einen angenehmen Bach, an
deſſen Ufer ſie ſich niederließen, um von einigen mitgenommenen Krebſen, ein
zweytes Fruͤhſtuͤck zu halten, dem zu Ehren dieſe Bucht Luncheon-cove
genannt wurde. Nach dieſer kleinen Erfriſchung ſetzten ſie ihre Fahrt nach den
entlegenſten Inſeln fort, und trafen auf den dortigen Klippen eine Menge
Seehunde, von denen ſie vierzehn Stuͤck mit Kugeln ſchoſſen, und an
Boord brachten. Es waͤre ihnen leicht geweſen, noch mehrere zu erlegen,
wenn ſie der Braudung wegen auf allen Klippen haͤtten landen koͤnnen. Die
See-Hunde in dieſer Bay ſind alle von der Art, welche man See-Baͤren *) nennt
[115]in den Jahren 1772 bis 1775.
und vom Profeſſor Steller auf Berings-Eyland bey Kamtſchatka zuerſt aus-1773.
April.

findig gemacht und beſchrieben worden. Sie ſind folglich eben ſo wohl auf der noͤrd-
lichen als auf der ſuͤdlichen Halbkugel der Erde anzutreffen. An den ſuͤdlichen
Spitzen von America und Africa, desgleichen bey Neu-Seeland und auf
van Diemens-Land findet man ſie haͤufig. Der einzige Unterſchied zwiſchen
denen, welche ſich in Dusky-Bay, und jenen, die ſich bey Kamtſchatka auf-
halten, beſteht in der Groͤße, wornach die hieſigen kleiner ſind. Bey Gelegenheit
dieſer Jagd zeigte ſich, daß ſie ein ſehr hartes Leben haben: denn manche, die ſchwer
verwundet waren, entwiſchten in die See, ob ſie gleich ſoviel Blut verlohren
hatten, daß Fels und Meer damit gefaͤrbt war. Fuͤr die Tafel ſind ſie nicht ſonder-
lich zu nutzen, indem das Fleiſch faſt ganz ſchwarz und nicht zu genießen iſt. Herz und
Leber hingegen laſſen ſich eſſen. Erſteres konnte man bey ſtarken Appetit und etwas
Einbildung fuͤr Rindfleiſch halten; und die Leber ſchmeckt vollkommen wie Kaͤlber-
Geſchlinge. Nur mußte alles Fett ſorgfaͤltig weggeſchnitten werden ehe man es
kochte, denn ſonſt hatte es einen unertraͤglich thranichten Geſchmack. Der Ca-
pitain machte ſich dies zu Nutze und ließ aus dem Fett einen Vorrath von Brenn-
Oel kochen, auch die Felle ſorgfaͤltig aufbewahren, weil ſie zum Ausflicken des
Takelwerks gut zu brauchen waren.


Der gluͤckliche Fang des vorigen Tages, bewog ihn eine abermalige Reiſe
nach den Seehund-Inſeln vorzunehmen, und mein Vater begleitete ihn, wie ge-
ſtern; allein heute war ihnen die See zuwider, denn ſie gieng ſo hoch, daß es unmoͤg-
lich war, ſich den Klippen zu naͤhern, viel weniger darauf zu landen. Mit vieler
Muͤhe arbeiteten ſie ſich zwar um die ſuͤdweſtliche Spitze der Anker-Inſel herum,
fanden es aber dort noch aͤrger, denn die Wellen ſtuͤrzten ihnen mit ſo großen Un-
geſtuͤm entgegen, und thuͤrmten ſich ſo hoch, daß ſelbſt die Matroſen Seekrank
davon wurden. Gleichwohl ließ ſich der Capitain dadurch nicht zuruͤck halten,
vollends bis an die noͤrdliche Kuͤſte der Inſel und laͤngſt derſelben hinzuru-
dern, um die Lage verſchiedner Land-Ecken aufzunehmen. Es war ein Gluͤck,
daß ſie dieſen Weg genommen hatten, denn das kleine Boot, in welchen am
elften des Abends etliche Officiers auf die Jagd ausgegangen waren, hatte ſich bey
dem ungeſtuͤmen Wetter vom Ufer losgeriſſen und trieb eben auf eine Klippe hin,
an welcher es zerſchmettert worden waͤre, wenn des Capitains Boot nicht gluͤck-
P 2
[116]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
licherweiſe dazu gekommen und die Leute es noch zu rechter Zeit ergriffen haͤtten.
Man brachte es ſogleich nach einer kleinen Bucht in Sicherheit, und die Matroſen
machten ſich fuͤr ihre Muͤhe durch die Lebensmittel bezahlt, welche die Officiers
noch darinn vorraͤthig hatten. Als ſie eine kleine Mahlzeit davon gehalten, ließ
der Capitain nach der Stelle hinſteuern, wo ſeiner Meynung nach, die Herren
ſeyn mußten, denen das Boot weggeſchwommen war. Zwiſchen 7 und 8 Uhr
Abends, erreichten ſie die Bucht, und fanden ihre Jaͤger auf einer kleinen In-
ſel, an welche ſie aber nicht heran kommen konnten, weil der Ebbe-Zeit wegen
das Waſſer nicht tief genug war. Sie mußten daher auf einer benachbarten
Landſpitze ausſteigen und des bereits verſtrichnen Tages wegen ſich gefallen laſ-
ſen, die Nacht daſelbſt zuzubringen. Mit vieler Muͤhe brachten ſie endlich ein Feuer
zuwege, brateten an demſelben einige Fiſche und legten ſich nach gehaltner Mahl-
zeit, unbequem genug, ſchlafen, denn der ſteinichte Strand war ihr Bette und
der Himmel ihre Decke.


Um 3 Uhr Morgens, als die Fluth hinlaͤnglich angewachſen, machten ſie
ſich auf und brachten die Officiers von jener unwirthbaren Inſel, auf welcher ſie
von ihrem Boote abgeſchnitten, ſo lange hatten aushalten muͤſſen, nach der
Bucht hin, wo dieſes geſtern war zuruͤck gelaſſen worden. Hier fanden ſie
bey dem regnigten und windigen Wetter eine unendliche Menge Sturm-
voͤgel von der blaͤulichten Art, die auf dem ganzen ſuͤdlichen Ocean ſo gemein
iſt. *) Einige flogen herum, andere aber ſteckten im Walde zwiſchen den Baum-
wurzeln in Hoͤhlen oder in Fels-Ritzen, wo man ihnen nicht gut beykommen
konnte und wo ſie dem Anſchein nach ihre Neſter und Jungen hatten. Dieſe lieſ-
fen ſich laͤngſt den Seiten des Berges mit mannigfaltigem Geſchrey hoͤren, denn ei-
nige hatten eine durchdringend helle, andre eine quaͤkende Stimme, welche wie das
Coaxen der Froͤſche klang. Bey dieſer Gelegenheit erinnere ich mich, daß wir
ein andermahl unzaͤhlige Hoͤhlen auf der Spitze einer von den Seehund-In-
ſeln fanden, und in ſelbigen ebenfalls die jungen Sturmvoͤgel hoͤrten; da aber
dieſe Hoͤhlen unter einander zuſammen hiengen, und die Jungen ſich aus einer in
die andre verkriechen konnten, ſo wars nicht moͤglich ihnen beyzukommen. Den
Tag uͤber ließ ſich von den Alten nicht ein einziger ſehen, weil ſie alsdenn in See
[117]in den Jahren 1772 bis 1775.
waren um Futter zu holen, wenigſtens hatte man ſie des Morgens ausfliegen,1773.
April.

und des Abends wieder kommen ſehen, vermuthlich um die Jungen zu fuͤttern.
Da wir um dieſe Zeit von unſern Creuzzuͤgen zuruͤckzukehren pflegten, ſo ſahen wir
ſie gemeiniglich um und neben uns her fliegen, man hatte ſie aber, der Daͤmmerung
wegen, eine ganze Zeitlang fuͤr Fledermaͤuſe gehalten. Sie haben einen breiten
Schnabel und einen ſchwaͤrzlichen Strich uͤber die Fluͤgel und den Leib, ſind aber
nicht ſo groß als die gewoͤhnlichen Puffins oder Mank petrels unſrer Seen. Der
Inſtinct dieſer Thiere, ſich fuͤr ihre Jungen Loͤcher in die Erde zu graben, uͤber
den ganzen Ocean her zu ſchwaͤrmen, um Futter fuͤr ſie zu ſuchen, und alsdenn
viele hundert Meilen weit ihren Ruͤckweg nach der Kuͤſte zu finden, iſt in der
That ſehr bewundrungswuͤrdig. Nachdem die Geſellſchaft einige Augenblicke lang
bey dieſer Unterſuchung verweilt hatte, ſo ſtiegen die Officiers in ihr wiederge-
fundnes Boot und kamen nebſt dem Capitain, des Morgens um ſieben Uhr, von
der unruhig zugebrachten Nacht nicht wenig ermuͤdet, bey dem Schiffe an. Die
Indianer mochten das heutige boͤſe Wetter vorhergeſehen haben; wenigſtens wa-
ren ſie von dem Platze, wo ſie die vorhergehende Nacht ohnweit dem Schiff
campirt hatten, weg, und nach ihren auf der Indianer-Inſel belegenen Woh-
nungen zuruͤckgegangen.


Am 15. des Morgens klaͤrte ſich das Wetter etwas auf. Der Capitain
ging alſo von neuem aus um in Abzeichnung der nordweſtlichen Seite der Bay
fortzufahren, wir aber geſellten uns zu einigen Officiers, welche die folgende Nacht
in einer Bucht am Lande zuzubringen gedachten. Auf der Hinfahrt kamen wir
an dem Fiſcherboot vorbey, welches alle Morgen ausgieng, um das ganze Schiff
mit einer Mittagsmahlzeit zu verſorgen. Wir wunderten uns nicht wenig in dem-
ſelben den jungen ſchwarzen Hund wahrzunehmen, der uns am 2ten dieſes ent-
laufen war. Die Leute erzaͤhlten, daß ſich bey Tages Anbruch, als ſie nicht
weit vom Ufer geweſen, ein jaͤmmerliches Heulen auf der naͤchſten Landſpitze habe
hoͤren laſſen, und als ſie ſich darnach umgeſehen, ſey ihnen der Hund entgegen ge-
kommen, auch bey ihrer Annaͤherung ſogleich ins Boot geſprungen. Ob er
gleich vierzehn Tage lang im Walde geblieben, ſo war er doch keinesweges aus-
gehungert, ſondern im Gegentheil gut bey Leibe und ſahe ganz glatt aus. Vermuth-
lich hatte er ſich dieſe Zeit uͤber von einer großen Art von Wachtelkoͤnigen die
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[118]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
wir Waſſerhuͤhner nannten und in dieſem Theile von Neu Seeland ſehr haͤufig
antrafen, vielleicht auch von Seemuſcheln oder todten Fiſchen genaͤhret, derglei-
chen die See auszuwerfen pflegt. Wenn es daher in Neu-Seeland uͤberhaupt
fleiſchfreſſende Thiere gaͤbe, ſo muͤßten ſie, der vorhandnen Menge des Futters
nach zu urtheilen, und beſonders wenn ſie ſo ſchlau zum Raube waͤren als die
Fuchs- und Katzen-Arten, ohnfehlbar ſehr zahlreich ſeyn. In dieſem Fall wuͤr-
den ſie aber, theils von unſern vielfaͤltig und in verſchiedene Gegenden ausge-
ſchickten Partheyen nicht unbemerkt, theils auch den Landes-Einwohnern ſelbſt
nicht unbekannt geblieben ſeyn; und die letzteren wuͤrden die Baͤlge von derglei-
chen Thieren in dieſem feuchten und rauhen Clima, gewiß zur Kleidung genutzt
haben, anſtatt ſich, wie ſie wirklich thun, bloß mit Hund und Vogelfellen zu
behelfen. Auch wir inſonderheit, hatten ſeit dem erſten Augenblick unſrer An-
kunſt allhier alle moͤgliche Aufmerkſamkeit angewendet um ausfindig zu machen,
ob es wilde vierfuͤßige Thiere in Neu-Seeland gebe; allein wir fanden keine
Spur. Zwar wollte einer unſrer Leute, der ſich gar nicht einbilden konnte,
daß es einem ſo großen Lande an neuen und unbekannten Thieren fehlen ſollte,
zu zweyenmahlen ein braunes Thier geſehen haben, das dem Anſehen nach etwas
kleiner als ein Jackal oder kleiner Fuchs, mit Anbruch des Tages ohnweit un-
ſern Zelten auf einer Baumſtubbe geſeſſen, bey ſeiner Annaͤherung aber davon gelau-
fen ſey. Allein, da es außer ihm niemand anders wahrgenommen hat, ſo ſcheint’s
wohl, daß er ſich in der Dunkelheit geirrt, und entweder eins von den Waſſerhuͤh-
nern, (woodhen) welche brauner Farbe ſind und oft unter den Buͤſchen herum
kriechen, oder eine unſrer Katzen, die gemeiniglich hinter den Voͤgeln her zu ſeyn
pflegte, fuͤr ein neues vierfuͤßiges Thier angeſehen habe.


Nachdem wir von den Fiſchern die Geſchichte des Hundes vernommen
hatten, ſeegelten wir weiter und in eine Bucht, in welcher wir eine Menge Enten
von vier verſchiednen Arten antrafen und von jeglicher etliche ſchoſſen. Eine
war ſo groß als die Eyder-Ente, und hatte ein vorzuͤglich ſchoͤnes, ſchwarzbrau-
nes, mit weis geſprenkeltes Gefieder; der Rumpf und Steis war eiſenfarbigt,
auf den Fluͤgeln hatte ſie einen weißen, ſchildfoͤrmigen Fleck, die Schwing- und
Schwanzfedern hingegen waren ſchwarz und die Mittelfedern gruͤn. Eine andre
Art war ohngefaͤhr ſo groß, als unſre Stock-Ente (mallard) aber ganz hellbraun.
[119]in den Jahren 1772 bis 1775.
Jede Feder hatte eine gelblich weiße Einfaſſung, von welcher Farbe auch an den1773.
April.

Seiten des Kopfs und um die Augbraunen ein Streif zu ſehen war. Die Iris des
Auges fanden wir ſchoͤn gelb und auf den Fluͤgeln einen glaͤnzenden, blau-gruͤnen
Fleck in ſchwarzen Linien eingeſchloſſen. Die dritte Art war eine blaͤulicht-graue Pfeif-
Ente (whiſtling duck) ohngefaͤhr ſo groß als die Bles-Ente (wigeon) und an
beyden Seiten des Schnabels mit einer membranoͤſen Subſtanz verſehen, um die
Seewuͤrmer, wovon ſie ſich naͤhret, und welche vornemlich zur Ebbezeit in dem zuruͤck-
gebliebenen Schlamm des Meeres zu finden ſind, deſto leichter einzuſaugen. Die
Bruſt war mit eiſenfarbichten Federn geſprengt und auf den Fluͤgeln ein großer
weiſſer Fleck. Die vierte und gemeinſte Art iſt eine kleine braune Endte, der
engliſchen Knarr-Ente (gadwall) faſt in allen Stuͤcken aͤhnlich. Nachdem wir
mit Unterſuchung aller hier umher liegenden Haven fertig waren, auch genug
Fiſche und Endten zum Abendeſſen fuͤr uns alle, theils gefangen theils erlegt
hatten, eilte ein jeder nach dem verabredeten Sammelplatz, wo wir kurz vorm
Dunkelwerden anlangten und von unſern Seegeln und Rudern eine Art von Zelt
aufſchlugen. Wir hatten ſo guten Appetit, daß wirs mit der Kuͤche ſo genau
nicht nahmen, und unſre Fiſche die ganz à l’indienne zugerichter, das iſt, an
hoͤlzerne Speiler geſteckt und bey einem großen Feuer gebraten wurden, ſchmeckten
vortreflich. Nach dieſer Mahlzeit und einem Trunk Sproſſen-Bier (ſpruce-
beer
), wovon wir ein Toͤnnchen mitgenommen, legten wir uns zur Ru-
he, freylich nicht ſo bequem als in unſern Betten, doch brachten wir die Nacht
hin. Am folgenden Morgen ward ein Boot in die Bucht hinauf geſchickt um
das Wildpret aufzujagen; und das gelung auch vortreflich, nur ereignete ſich
der einzige kleine Nebenumſtand, daß uns wegen des naßgewordnen Schießge-
wehrs faſt alle Endten entwiſchten. Nach dieſem mislungenen Manoͤvre ſtieg
der Capitain in der Bucht aus und gieng zu Fus uͤber eine ſchmale Erdzunge,
wodurch dieſe Bucht von einer andern, an der Nordſeite von Five-Finger-Land
gelegnen, abgeſondert wird. Hier fand er eine erſtaunliche Menge von Waſſerhuͤh-
nern, an denen er ſich fuͤr die fehlgeſchlagne Endten-Jagd erholte und zehen Paar
davon mit zuruͤck brachte, doch war ihm dieſe Schadloshaltung ſauer genug gewor-
den, denn er hatte ſich ihrentwegen durch verwachſenes Holz und Buſchwerk, oftmals
bis halb an den Leib im Waſſer, durcharbeiten muͤſſen. Um 9 Uhr waren alle
[120]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
unſre zerſtreute Partheyen wiederum beyſammen und wir dachten nunmehro
an den Ruͤckweg nach dem Schiffe. Da man aber unterwegens uͤberall an-
hielt, um jeden Winkel, Bucht und Haven durchzuſuchen und Endten zu ſchieſ-
ſen, ſo ward es ſieben Uhr Abends ehe wir an Bord zuruͤck kamen. Von die-
ſer zweytaͤgigen Jagd brachten wir ſieben Dutzend verſchiedenes Gefluͤgel mit,
worunter ohngefaͤhr dreyßig Endten waren, und die ganze Ausbeute ward, ſo
weit ſie zureichen wollte, unter die verſchiedenen Tiſchgeſellſchaften der Officiers,
Unterofficiers und Matroſen ausgetheilt. Wir haben hier eine ſchickliche Gele-
genheit anzumerken, daß kein Theil von Neu-Seeland ſo reichlich mit Gefluͤgel
verſehen iſt als Dusky-Bay, denn außer verſchiedenen Arten wilder Endten,
gab es hier auch Seeraben (Shags) rechte Seeraben (corvorants) Auſterſaͤnger
oder See-Elſtern, Waſſer oder Waldhuͤhner (water-or wood-hens) Albatroſſe,
Solandgaͤnſe (gannets) Mewen, Pinguins und andre Waſſervoͤgel mehr. Von
Landvoͤgeln fanden wir Habichte, Papagayen, Tauben, nebſt viel kleinen neuen
und unbekannten Arten. Die Papagayen waren von zwey Sorten, eine kleine
gruͤnliche, und eine ſehr große graulicht-gruͤne mit roͤthlicher Bruſt. Da dieſe
Voͤgel mehrentheils nur in waͤrmern Laͤndern wohnen, ſo wunderten wir uns
nicht wenig, ſie hier unter einer Polhoͤhe von 46 Graden und in einem ſo un-
freundlichen und naſſen Clima zu finden, als dieſes, der hohen Berge wegen, in
Dusky-Bay gemeiniglich zu ſeyn pflegt.


Am folgenden Tage wars ſo regnicht, daß Niemand vom Schiff kommen
konnte; da es aber am Montage vortreflich Wetter wurde, ſo ſtieg mein Vater
auf den an unſerm Waſſerplatz gelegenen Berg. Eine halbe Meile aufwaͤrts
kam er durch Farnkraut, verfaultes Holz und dicke Waldung zu einem ſchoͤnen See
ſuͤßen Waſſers, der ohngefaͤhr eine halbe engliſche Meile im Durchſchnitt halten
mogte. Das Waſſer war klar und wohlſchmeckend, hatte aber von den hinein-
gefallnen Baumblaͤttern eine braune Farbe angenommen. Von Fiſchen fand
ſich nur eine einzige, kleine, Forellen-aͤhnliche Art (eſox) darinn, die keine Schup-
pen hatten. Sie waren braun und mit gelblichen Flecken geſprengt, welche wie
alte orientaliſche Buchſtaben ausſahen. Der ganze See war mit einem dicken
Walde umgeben, der aus den groͤßten Baͤumen beſtand, und die Berge rund
umher ragten in mancherley Geſtalten empor. Alles war oͤde und ſtill. Nirgends
ver-
[121]in den Jahren 1772 bis 1775.
vernahm man einen Laut; ſelbſt die hier zu Lande gemeinſten Voͤgel ließen ſich1773.
April.

nicht hoͤren, denn es war auf dieſer Hoͤhe ſehr kalt. Keine Pflanze bluͤhete.
Kurz, die ganze Gegend war fuͤr ernſte Melancholie geſchaffen und ſehr ge-
ſchickt Einſiedlers-Betrachtungen zu erregen.


Das ſchoͤne Wetter veranlaßte unſre guten Freunde, die Wilden, uns ei-
nen abermaligen Beſuch zu machen. Sie ſchlugen ihr Quartier auf demſelbigen
Platze auf, wo ſie ſich vor acht Tagen hingelagert hatten; und als man ſie von neuem
bat an Boord zu kommen, ſo verſprachen ſie es auf folgenden Tag. Mittler-
weile aber zankten ſie ſich untereinander. Der Mann ſchlug die beyden Frauens-
perſonen, welche wir fuͤr ſeine Weiber hielten; das Maͤdchen hingegen ſchlug ihn
und fieng darauf an zu heulen. Die Urſach ihres Gezaͤnks konnten wir nicht aus-
machen; wenn aber das Maͤdchen des Mannes Tochter war, welches wir
eben ſo wenig zu entſcheiden vermogten, ſo muß man in Neu-See-
land
ſehr verworrene Begriffe von den Pflichten der Kinder haben; oder, wel-
ches vielleicht der Wahrheit am naͤchſten kommt, dieſe einſam lebende Familie
handelte vielmehr gar nicht nach Grundſaͤtzen und uͤberlegter Ordnung, welche ge-
meiniglich nur das Werk geſitteter Geſellſchaften ſind; ſondern ſie folgte in allen
Stuͤcken geradezu der Stimme der Natur, die ſich gegen jede Art von Unter-
druͤckung empoͤrt.


Des Morgens ſchickte der Mann die beyden Weiber mit den Kindern
im Canot auf den Fiſchfang aus; fuͤr ſeine Perſon aber machte er Anſtalt, mit
dem Maͤdchen, uns an Bord zu beſuchen. In dieſer Abſicht kamen ſie beyde von
jener Seite der Bucht nach dem Geruͤſt oder der Bruͤcke hin, die zum Schiffe her-
auf fuͤhrte. Von hieraus brachte man ſie zuerſt nach einem nahe gelegenen um-
zaͤunten Fleck auf dem Berge, um ihnen die Ziegen und Schaafe zu zeigen. Bey
dem Anblick dieſer Thiere ſchienen ſie ſehr erſtaunt und wuͤnſchten ſolche zu be-
ſitzen; da wir aber wußten, daß es hier nirgends Futter fuͤr ſie gab, ſo konnte
man ihnen darinn nicht willfahren, ohne das Vieh [geradezu] hinzuopfern. Als
ſie von dort zuruͤck kamen, gieng ihnen Capitain Cook und mein Vater auf der
Bruͤcke entgegen; und der Mann ſchenkte beyden, nachdem er ſie, wie gewoͤhn-
lich, bey der Naſe begruͤßt hatte, eine neue Kleidung oder vielmehr ein Stuͤck
Zeug, das aus Fibern von der Flachs-Pflanze geflochten, auch mit Papageyen-
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. Q
[122]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
Federn artig durchwebt war; dem Capitain aber gab er noch uͤberdies ein Stuͤck
Lapis nephriticus, oder Neu-Seelaͤndiſchen gruͤnen Talkſtein, *) der wie die
Klinge eines Beils geſchliffen war. Ehe er einen Fus auf die Bruͤcke ſetzte, trat
er ſeitwaͤrts, ſteckte ein Stuͤck von einer Vogelhaut, an welcher noch weiße Fe-
dern ſaßen, ſtatt eines Gehaͤnges, in das eine Ohr, und brach von einem Buſche
einen gruͤnen Zweig ab. Mit dieſem in der Hand gieng er nunmehro vorwaͤrts;
ſtand aber ſtill, als er ſo weit gekommen war, daß er die Seitenwaͤnde des
Schiffes eben erreichen konnte und ſchlug an dieſe, ſo wie an das daran befe-
ſtigte Tauwerk des Hauptmaſtes, zu wiederholtenmalen mit dem gruͤnen Zweige.
Hierauf fieng er an, eine Art von Anrede- oder Gebeths- oder Beſchwoͤrungs-
Formel, gleichſam im Tacte, als nach einem poetiſchen Sylbenmaaß, herzuſagen,
und hielt die Augen unverruͤckt auf die Stelle geheftet, welche er zuvor mit dem
Zweige beruͤhrt hatte. Er redete lauter als gewoͤhnlich und ſein ganzes Betragen
war ernſthaft und feyerlich. Waͤhrend dieſer Ceremonie, welche ohngefaͤhr 2 bis
3 Minuten dauerte, blieb das Maͤdchen, die ſonſt immer lachte und tanzte, ganz
ſtill und ernſthaft neben ihm ſtehen, ohne ein Wort dazwiſchen zu ſprechen. Bey
Endigung der Rede ſchlug er die Seiten des Schiffs nochmals, warf ſeinen Zweig
zwiſchen die Wandketten und ſtieg an Bord. Dieſe Art feyerliche Anreden
zu halten und, wie wir’s auslegten, Frieden zu ſtiften, iſt bey allen Voͤlkern
der Suͤdſee uͤblich. Beyde, der Mann und das Maͤdchen, welche Speere in den
Haͤnden hatten, wurden ſodann aufs Berdeck des Hintertheils (Quarter deck)
gebracht. Hier bewunderten ſie alles was ihnen vorkam, beſonders zogen etliche
Gaͤnſe, die in einem Gegitter eingeſperrt waren, ihre ganze Aufmerkſamkeit an
ſich. Auch machten ſie ſich viel mit einer ſchoͤnen Katze zu ſchaffen, ſtreichelten ſie
aber immer verkehrt, daß die Haare in die Hoͤhe zu ſtehen kamen, ob ihnen
gleich gezeigt wurde, wie man ſie eigentlich ſtreichen muͤſſe. Doch thaten ſie es
vermuthlich, um das ſchoͤne dickgewachſene Haar dieſes Thieres zu bewundern.
Der Mann ſahe alles, was ihm neu war, mit Erſtaunen an; allein ſeine Auf-
merkſamkeit verweilte nie laͤnger als einen einzigen Augenblick bey einem und dem-
ſelben Gegenſtande, daher ihm auch viele unſrer Kunſtwerke eben ſo unbegreiflich,
als die Werke der Natur vorgekommen ſeyn muͤſſen. Die vielfach auf einander
[123]in den Jahren 1772 bis 1775.
gebauten Verdecke (Stockwerke) unſres Schiffs und die feſte Bauart dieſer und1773.
April.

andrer Theile deſſelben erregten ſeine Bewundrung mehr denn alles uͤbrige. Als
das Maͤdchen Herrn Hodges antraf, deſſen Arbeit ihr bey der erſten Zuſam-
menkunft (ſ. S. 105.) ſo wohlgefallen, ſchenkte ſie ihm ein Stuͤck Zeug von eben
der Art als der Capitain und mein Vater von dem Manne bekommen hatten.
Die Gewohnheit, Geſchenke zu machen, iſt ſonſt, in andern Gegenden von Neu-
Seeland
nicht ſo gemein, als in den kleinern Inſeln zwiſchen den Wende-Zirkeln;
es ſchien aber dieſe Familie ſich uͤberhaupt weniger nach den allgemeinen Gebraͤu-
chen ihrer Nation zu richten, als vielmehr ſich in jedem einzelnen Fall ſo zu
betragen, wie es ihnen ihre ehrliche Gemuͤthsart und eine kluge Ruͤckſicht auf ihre
Lage eingab, vermoͤge welcher ſie ſich in unſrer Gewalt ſahen. Wir noͤ-
thigten ſie in die Cajuͤtte, und nach langer Berathſchlagung ließen ſie ſichs end-
lich gefallen die Treppe herunter zu ſteigen. Hier bewunderten ſie nun alles und
jedes, vornemlich aber den Gebrauch der Stuͤhle, und daß ſie von einer Stelle
an die andre gebracht werden konnten. Der Capitain und mein Vater ſchenkten
ihnen Beile und andre Dinge von geringerm Werth. Letztere legte der Mann auf
einen Haufen beyſammen und wuͤrde ſie auch beym Abſchiede dort haben liegen
laſſen, wenn man ihn nicht daran erinnert haͤtte; Beile und große Naͤgel hin-
gegen ließ er nie aus den Haͤnden, ſo bald man ſie ihm einmal gegeben hatte. Als
ſie ſahen, daß wir uns zum Fruͤhſtuͤck niederließen, ſetzten ſie ſich neben uns,
waren aber durch kein Bitten zu bewegen, das geringſte von unſerm Eſſen zu ko-
ſten. Sie erkundigten ſich vornemlich wo wir ſchliefen; der Capitain fuͤhrte ſie
deshalb nach ſeiner Hangmatte (cot) die noch ausgeſpannt da hing und ihnen viel
Freude machte. Aus der Cajuͤtte giengen ſie nach dem zweyten Verdeck herab
in des Conſtabels-Cammer; und als ſie auch da einige Geſchenke erhalten hatten,
kamen ſie zum Capitain zuruͤck. Nun zog der Mann ein kleines ledernes Beutel-
chen, vermuthlich von Seehund-Fell, hervor, und ſteckte unter vielen Ceremonien
die Finger hinein, um dem Capitain mit Oehl oder Fett den Kopf zu ſalben; dieſe
Ehre ward aber verbethen, weil die Salbe unſern Naſen ſehr zuwider war, ob
ſie gleich von dem ehrlichen Mann fuͤr ungemein wohlriechend und als ſeine
koͤſtlichſte Gabe angeſehen werden mogte. Der ſchmutzige Beutel machte ſie
noch ekelhafter. Herr Hodges kam indeſſen ſo gut nicht weg; denn das Maͤd-
Q 2
[124]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
chen, welches einen in Oehl getauchten Federbuſch an einer Schnur vom Halſe
herabhaͤngen hatte, beſtand darauf, ihn damit auszuputzen und aus Hoͤflichkeit
gegen ihr Geſchlecht konnte er das wohlriechende Geſchenk ohnmoͤglich von ſich
weiſen. Wir uͤberließen es ihnen nunmehro, ſich in den uͤbrigen Theilen des
Schiffes nach eignem Gefallen umzuſehen, und giengen mit dem Capitain und
einigen andern Officiers in zween Booten aus, um einen Arm von der See zu
unterſuchen, deſſen Muͤndung von hier aus gegen Oſten hin vor uns lag. Je
tiefer wir in denſelben hinein kamen, deſto hoͤher, ſteiler und unfruchtbarer fanden
wir die Berge. Die Baͤume wurden nach und nach niedriger und duͤnner, ſo
daß ſie zuletzt nicht viel beſſer als Strauchwerk waren, welches in andern Laͤn-
dern ganz umgekehrt iſt, wo die beſten Waͤlder und das ſtaͤrkſte Holz gemeinig-
lich am weiteſten von der See und in den mehr landeinwaͤrts gelegnen Gegenden
anzutreffen ſind. Die innere Kette von Bergen, welche wir die ſuͤdlichen Alpen
zu nennen pflegten, konnte man von hier aus, ihrer betraͤchtlichen Hoͤhe und den
Schnee bedeckten Gipfeln nach, ſehr deutlich erkennen. Vermoͤge der vielen ſchat-
tichten Inſeln, bey denen wir voruͤber kamen, und an welchen es allenthalben klei-
ne Buchten und Waſſerfaͤlle gab, war die Fahrt auf dieſem Arm der See unge-
mein angenehm und noch mehr verſchoͤnert ward die Ausſicht durch einen praͤchtigen
Waſſerfall der ſich der letzten Inſel gegenuͤber von einem ſteilen, mit Buͤſchen und
Baͤumen bewachſenen Felſen herabſtuͤrzte. Das Waſſer war in dieſem Canal
ganz ruhig und ſo klar, daß der Wiederſchein der Landſchaft ſich auf der
Spiegelflaͤche deſſelben mahlte, wobey die Menge der romantiſch-geſtalteten ſteilen
Felſen-Gebuͤrge ihrer verſchiedenen Form und Beleuchtung wegen, eine vor-
trefliche Wuͤrkung machten. Zu Mittage liefen wir in eine kleine Bucht ein, um
Fiſche zu fangen und Voͤgel zu ſchießen, und ruderten von hier aus bis gegen
die Abenddaͤmmerung, da wir das Ende dieſes langen Seearms, und an dem-
ſelben eine ſchoͤne Bucht erreichten, in welcher das Waſſer ſo ſeicht ward, daß
wir nicht ganz hineinrudern konnten, ſondern unſer Quartier auf dem erſten
Strande, wo ſichs anlanden ließ, aufſchlagen mußten. Es duͤnkte uns, wir
ſaͤhen hier Rauch; da ſich aber nichts weiter zeigte, das uns in dieſer Meynung
beſtaͤrken konnte, auch als es dunkel wurde, nirgends Feuer zu ſehen war, ſo
beruhigten wir uns gar bald mit dem Gedanken, daß Nebel oder ſonſt etwas
[125]in den Jahren 1772 bis 1775.
dergleichen uns in der Daͤmmerung leichtlich koͤnne hintergangen haben und wa-1773.
April.

ren nun luſtig daruͤber her, die Einrichtungen zu unſerm Nachtlager zu machen,
wobey Jeder ſein Stuͤck Arbeit bekam. Damit man ſich von dergleichen Strei-
fereyen, als wir jetzt, und ſonſt oft vornahmen, einen deſto beſſern Be-
griff machen koͤnne, wird es nicht undienlich ſeyn, hier zu erzaͤhlen, wie es
dabey herzugehen pflegte. So bald wir eine Stelle am Ufer gefunden
hatten, wo man bequem ans Land ſteigen konnte, und wo ein Bach nebſt Hol-
zung in der Naͤhe war, gieng unſre erſte Sorge dahin, die Ruder, Seegel,
Maͤntel, Flinten, Beile u. ſ. w. ans Land zu ſchaffen. Ein Faͤßchen mit Sproſ-
ſen-Bier, vielleicht auch eine Flaſche Branntewein wurden dabey nicht vergeſ-
ſen. Alsdenn legten die Matroſen die Boote vor einen kleinen Anker und mach-
ten ſie vermittelſt eines Stricks am naͤchſten Baume auf dem Ufer feſt. Waͤh-
rend dieſer Zeit ſuchten einige von uns trocknes Feuerholz, welches in einer ſo naſ-
ſen Gegend, als Duſky-Bay iſt, oft ſchwer genug zu finden war; andre rich-
teten an einer Stelle, die trocken, und wo moͤglich, gegen Wind und Regen gedeckt
war, ein Zelt oder Wetter-Schirm von Rudern, Seegeln und ſtarken Baum-
Aeſten auf, und noch andre machten ein Feuer vor dem Zelt, welches mehren-
theils durch Werk und Schieß-Pulver angezuͤndet ward. Bey der Bereitung
des Abendeſſens faßten wir uns gemeiniglich kurz. Einige Matroſen nahmen
die Fiſche aus, zogen den Waſſervoͤgeln die Haut ab, reinigten und brateten beydes.
Unterdeſſen ward der Tiſch herbey geholt. Dies pflegte eine Queerbank aus dem
Boot zu ſeyn, welche rein gewaſchen wurde, und alsdann ſtatt Schuͤſſel und Teller
dienen mußte; ſo wie ſtatt der Meſſer und Gabeln oft mit Fingern und Zaͤhnen vorge-
legt ward. Eine ſolche Lebensart, wird zwar dem geſitteten Leſer, ſchon der Beſchrei-
bung nach, unreinlich und ekelhaft vorkommen, uns aber lehrte dazumahl der ge-
ſunde Appetit, den wir der ſtarken Leibes-Uebung und der friſchen Luft zu danken
hatten, dergleichen Begriffe bald genug uͤberwinden, und nie empfanden wir
ſtaͤrker denn bey dergleichen Gelegenheiten, mit wie wenigem die Natur zur Er-
haltung des Menſchen zufrieden iſt. Nach dem Eſſen hoͤrte man eine Weile
der originalen comiſchen Laune der Matroſen zu, die ums Feuer herum lagen, ihr
Abendbrod machten und manches luſtige Geſchichtgen mit Fluchen, Schwuͤren
und ſchmutzigen Ausdruͤcken aufgeſtutzt, ſelten aber ohne wuͤrkliche Laune
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[126]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
zum Beſten gaben; denn ward das Zelt mit Farnkraut ausgeſtreuet; man
wickelte ſich in die Boot-Maͤntel, mit Flinte und Schieß-Taſche unterm Kopfe
ſtatt des Kuͤſſens, und jeder legte ſich zum Schlaf zurecht ſo gut er konnte.


Nachdem wir auch dieſe Nacht ſo hingebracht hatten, gieng Capitain
Cook und mein Vater, bey Tages Anbruch von zween Leuten begleitet, in ei-
nem kleinen Boote ab, um das aͤußerſte Ende der Bucht zu unterſuchen. Dort
trafen ſie einen ziemlichen Fleck flaches Land an, auf welchem ſie ausſtiegen und
das Boot nach der andern Seite hinrudern ließen, um ſich dort wieder einzuſetzen.
Indeſſen waren ſie nicht weit gegangen, als ihnen einige wilde Endten auf-
ſtießen, denen ſie durch das Gebuͤſch nachkrochen und eine davon ſchoſſen; allein
kaum hatten ſie losgefeuert, als ſich von mehreren Seiten um ſie her ein fuͤrch-
terliches Geſchrey erhob. Sie beanworteten ſolches auf gleiche Art, und eil-
ten der Klugheit gemaͤß, ohne jedoch die Ente im Stich zu laſſen, mit ſtarken
Schritten nach dem Boot hin, das jetzt wenigſtens eine halbe engliſche Meile
von ihnen entfernt war. Die Wilden, die das Geſchrey erregt hatten, ließen
ſich noch immer hoͤren, kamen aber nirgends zum Vorſchein, denn wie wir nach-
her erfuhren, ſo befand ſich zwiſchen beyden Partheyen ein tiefer Fluß, und die
Eingebohrnen waren auch nicht zahlreich genug, um Feindſeeligkeiten anzufan-
gen. Unterdeſſen daß dieſes vorfiel, waren wir uͤbrigen nicht weit von dem
Ort an welchem wir die Nacht zugebracht hatten, ins Holz gegangen, um Pflan-
zen zu ſuchen. So bald wir daſelbſt das Geſchrey der Wilden hoͤrten, warfen wir
uns in das andre zuruͤckgebliebne Boot, und ruderten dem erſtern nach, um
den Capitain und meinen Vater zu unterſtuͤtzen. Da wir ſie aber bey unſrer
Ankunft wohlbehalten und ſchon wieder in ihrem Boote antrafen, auch nirgends
ein Feind zum Vorſchein kam, ſo liefen wir mit einander den Fluß hinauf, und
ſchoſſen ganz vergnuͤgt Endten, deren es hier die Menge gab. Endlich ließ ſich
ein Mann, nebſt ſeinem Weibe und einem Kinde auf dem linken Ufer ſehen, und
das Weib winkte uns mit einem weißen Vogel-Fell, wahrſcheinlicherweiſe zum
Zeichen des Friedens und der Freundſchaft. Da das Boot, in welchem ich mich
befand, den Wilden am naͤchſten war, ſo rief Capitain Cook, dem darinn
commandirenden Officier zu, daß er ans Land ſteigen, und ihre dargebothne
Freundſchaft annehmen ſolle, indeſſen daß Er, ſeiner Seits, dem Lauf des Fluſſes ſo
[127]in den Jahren 1772 bis 1775.
weit als moͤglich nachſpuͤhren wolle. Ob der Officier, Capitain Cooks Meynung1773.
April.

nicht verſtand, oder ob er aufs Endten-Schießen zu ſehr erpicht war, will ich dahin
geſtellt ſeyn laſſen. Genug, wir landeten nicht, und die armen Leute, die ſich allem
Anſchein nach, nichts Gutes von Unbekannten verſprachen, welche ihre Friedens-
Anerbietungen gering ſchaͤtzten, flohen eiligſt in den Wald zuruͤck. Bey dieſer
Gelegenheit war es mir beſonders auffallend, daß auch dieſe Nation, gleich
wie faſt alle Voͤlker der Erden, als haͤtten ſie es abgeredet, die weiße Farbe oder
gruͤne Zweige fuͤr Zeichen des Friedens anſieht, und daß ſie, mit einem oder dem
andern verſehen, den Fremden getroſt entgegen gehen. Eine ſo durchgaͤngige
Uebereinſtimmung muß gleichſam noch vor der allgemeinen Zerſtreuung des
menſchlichen Geſchlechts getroffen worden ſeyn, wenigſtens ſiehet es einer Ver-
abredung ſehr aͤhnlich, denn an und fuͤr ſich haben weder die weiße Farbe, noch
gruͤne Zweige, eine ſelbſtſtaͤndige unmittelbare Beziehung auf den Begrif von
Freundſchaft. Der Capitain, der unterdeſſen noch eine halbe Meile hoͤher hin-
auf gerudert war, hernach aber, wegen der Heftigkeit des Strohms, und einiger
großen Felſen, die im Fluſſe lagen, nicht weiter hatte kommen koͤnnen, brachte
uns von dort eine neue Art von Endten mit, welche unter denen, die wir in
Dusky-Bay angetroffen hatten, nunmehro ſchon die fuͤnfte Sorte und etwas
kleiner als eine Kriek-Endte, (teal) auf dem Ruͤcken glaͤnzend und ſchwarz-
gruͤnlich; unterm Bauche hingegen von einem dunklen ruß-grau war. Am Kopfe
glaͤnzten die Federn purpurfarbig, Schnabel und Fuͤße waren bleyfarben, die
Augen goldgelb, und uͤber die kleinern Schwungfedern hatte ſie einen weißen
Strich. Kaum war der Capitain in ſeinem Boote wiederum zu uns geſtoßen,
als auf der andern Seite des Fluſſes, der Stelle gegen uͤber, wo ſich die friedfer-
tige Familie hatte ſehen laſſen, zwey Maͤnner aus dem Walde zum Vorſchein ka-
men. Der Capitain, dem es darum zu thun war, Bekanntſchaft mit ihnen zu
machen, ruderte dem Ufer zu; allein, bey Annaͤherung des Boots wichen ſie
ins Gehoͤlz zuruͤck, und dies war hier ſo dick, daß man ſie darinn weder ſe-
hen noch ohne offenbare Unvorſichtigkeit ihnen dahin nachfolgen konnte. Da auch
uͤberdem die Fluthzeit eben verſtrichen war, ſo kehrten wir mit Huͤlfe der Ebbe aus
dem Fluſſe nach jenen Platz zuruͤck, wo wir die Nacht uͤber campirt hatten, fruͤh-
ſtuͤckten daſelbſt ein wenig, und ſetzten uns alsdenn in die Boote, um nach dem
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1773.
April.
Schiffe wiederum zuzueilen. Kaum waren wir vom Lande, als die beyden
Wilden die von jener Seite her durch den Wald gegangen ſeyn mußten, hier auf
einem freyen Platze hervorkamen, und uns zuriefen. Der Capitain ließ ſogleich
beyde Boote zu ihnen hinrudern, und da das ſeinige an einer ſeichten Stelle auf
den Grund ſitzen blieb, ſo ſtieg er unbewaffnet, einen Bogen weiß Papier in
der Hand haltend, aus, und wadete in Begleitung zweyer Leute bis ans Land.
Die Wilden ſtanden ohngefaͤhr hundert Schritt weit vom Ufer, und waren
beyde mit Speeren bewaffnet. Als der Capitain mit ſeinen beyden Leuten
auf ſie zu kam, wichen ſie zuruͤck. Da dies vermuthlich der groͤßern Anzahl
wegen geſchahe, ſo ließ er ſeine Begleitung Halte machen, und gieng allein
vorwaͤrts, konnte es aber dennoch nicht dahin bringen, daß die Wilden ihre
Speere von ſich legten. Endlich faßte der eine Herz, ſteckte ſeine Lanze in die
Erde, und kam dem Capitain mit etwas Gras in der Hand entgegen; ein
Ende davon ließ er den Capitain anfaſſen, das andre behielt er in den Haͤnden,
und hielt in dieſer Stellung mit lauter Stimme eine feyerliche Anrede, die ohn-
gefaͤhr zwey Minuten dauren mochte, und in welcher er einige mahl inne hielt,
wahrſcheinlicherweiſe um eine Antwort zu erwarten. Nach Endigung dieſer
Ceremonie begruͤßten ſie ſich, und der Neu-Seelaͤnder nahm einen neuen
Mantel von ſeinen Schultern, womit er dem Capitain ein Geſchenk machte, und
ein Beil dagegen bekam. Als ſolchergeſtalt Friede und Freundſchaft aufgerichtet
waren, wagte ſich auch der zweyte Wilde heran und begruͤßte den Capitain, von
welchem er, gleich ſeinem Cameraden mit einem Beil beſchenket ward. [Nun-
mehro]
ſtiegen aus unſern Booten mehrere ans Land, doch waren die Eingebohr-
nen uͤber den Anwachs unſerer Anzahl nicht im mindeſten beunruhigt, ſondern
begruͤßten Jeden, der herbey kam, mit vieler Treuherzigkeit. Zwar ließen
ſich itzt auch von ihrer Seite im Hintergrunde des Waldes noch mehrere ſehen,
dem Anſchein nach waren es jedoch nur Weiber. Die beyden Maͤnner baten uns
hierauf durch wiederholte Zeichen, daß wir mit zu ihren Wohnungen gehen moͤgten,
und gaben uns zu verſtehen, daß wir daſelbſt zu Eſſen haben ſollten; allein die
Ebbe und andre Umſtaͤnde erlaubten uns nicht von ihrer Einladung Gebrauch
zu machen. Wir ſchieden daher von einander, und ſie begleiteten uns bis an
die Boote; als ſie aber, queer uͤber dieſelben, unſre Flinten liegen ſahen, getraue-
ten
[129]in den Jahren 1772 bis 1775.
ueten ſie ſich nicht naͤher, ſondern baten, daß wir das Gewehr weglegen ſoll-1773.
April.

ten; ſo bald dieſes geſchehen, kamen ſie heran, und halfen uns die Boote wie-
der ins Waſſer ſchieben, welches damals der Ebbe wegen vom Ufer zuruͤckgetreten
war. Wir mußten indeſſen auf alle unſre Sachen genau Acht haben, denn es
ſchien ihnen alles anzuſtehen was ſie nur ſahen und erreichen konnten; blos an
das Schießgewehr wollten ſie ſich nicht wagen, ohne Zweifel, weil ſie die toͤdtliche
Wuͤrkung deſſelben, vom Walde aus, bemerkt haben mußten als wir Endten da-
mit erlegten. So viel wir ſahen, hatten ſie keine Canots, ſondern ſtatt alles Fahr-
zeugs nur etliche, in Form einer Floͤße aneinander gebundene Stuͤcken Holz, die
freylich vollkommen hinreichend waren, damit uͤber die Fluͤſſe zu ſetzen, und dies
iſt auch wohl der ganze Gebrauch, den ſie davon machen, denn Fiſche und Feder-
Wildpret gab es in ſo großem Ueberfluß, daß ſie darnach nicht weit gehen durften, zu-
mal da ihre ganze Anzahl hoͤchſtens aus drey Familien beſtehen mochte. Da nun
außer einer einzigen andern Familie keine Einwohner weiter in Dusky-Bay
ſind, ſo haben ſie auch keine Ueberlaſt von boͤſen Nachbarn zu befuͤrchten, mit-
hin auch aus dieſem Grunde keine Fahrzeuge noͤthig, um dem Feinde etwa
ſchnell entfliehen oder ihren Wohnplatz oft veraͤndern zu koͤnnen. Die Geſichts-
bildung dieſer Leute duͤnkte uns etwas wild, jedoch nicht haͤßlich. Sie hatten dickes
Haar und ſchwarze krauſe Baͤrte. Sonſt aber waren ſie, ſowohl in Anſehung der
Mahogany-braunen Geſichtsfarbe, als auch der Kleidung und des uͤbrigen Betra-
gens, jener Familie, auf der Indianer-Inſel, voͤllig aͤhnlich; von mittle-
rer Statur und ſtark, Schenkel und Beine aber ſehr duͤnne, die Knie hingegen,
verhaͤltnißweiſe zu dick. Der Muth dieſes Volks iſt von ſonderbarer Art.
Ihrer Schwaͤche und geringen Anzahl ohnerachtet ſcheinen ſie den Gedanken
nicht ertragen zu koͤnnen, “daß ſie ſich verkriechen muͤßten”; wenigſtens verſte-
cken ſie ſich nicht ohne verſucht zu haben, ob ſie mit den Fremden in Verbindung
kommen und erfahren koͤnnen, wie ſie geſinnet ſind. Bey der Menge von In-
ſeln und Buchten, imgleichen der dicken Waͤlder wegen, die es hier herum
uͤberall giebt, wuͤrde es uns unmoͤglich geweſen ſeyn, die Familie ausfindig zu
machen, welche wir auf Indian-Eyland ſahen; wenn ſie ſich nicht ſelbſt
entdeckt und die erſten Schritte zur Bekanntſchaft gethan haͤtte. Auch wuͤr-
den wir dieſe Bucht hier verlaſſen haben, ohne zu wiſſen daß ſie bewohnt ſey,
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. R
[130]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
wenn die Einwohner, bey Abfeurung unſers Gewehrs, uns nicht zugerufen haͤt-
ten. In beyden Faͤllen ließen ſie, meines Erachtens, eine offenherzige Drei-
ſtigkeit und Ehrlichkeit blicken, die ihrem Character zur Empfehlung gereicht;
denn haͤtte ſelbiger die mindeſte Beymiſchung von verraͤtheriſchen heimtuͤckiſchen
Weſen, ſo wuͤrden ſie geſucht haben uns unverſehens zu uͤberfallen, wozu es
ihnen auch keinesweges an Gelegenheit fehlte, denn ſie haͤtten ja unſre klei-
nen Partheyen, die aller Orten einzeln in den Waͤldern herumſchwaͤrmten, oft
und leicht genug abſchneiden koͤnnen.


Ueber dieſer Unterhandlung mit den Wilden war es Mittag geworden als
wir ſie verließen und nordwaͤrts den langen See-Arm wieder herabgiengen, wo-
von Capitain Cook unterwegens eine Zeichnung aufnahm. Die Nacht uͤbereilte
uns ehe er damit fertig war; wir mußten daher einen andern aͤhnlichen Arm der
See ununterſucht laſſen und nur eilen, daß wir zum Schiffe zuruͤck kamen, wo-
ſelbſt wir erſt Abends um 8 Uhr anlangten. Man erzaͤhlte uns, daß der Wilde mit
dem Maͤdchen bis Mittags an Bord geblieben ſey; und als man ihm zu verſte-
hen gegeben, daß in ſeinem doppelten Canot, in Cascade-Bucht, einige Ge-
ſchenke fuͤr ihn waͤren hingelegt worden; habe er etliche ſeiner Leute abge-
ſchickt, ſie von dort zu holen, ſey auch mit ſeiner ganzen Familie bis dieſen
Morgen in der Nachbarſchaft des Schiffes verblieben. Seit der Zeit aber ha-
ben wir ſie nicht wieder zu ſehen bekommen, und das war um ſo außerordentli-
cher, da wir ſie nie mit leerer Hand hatten von uns gehen laſſen, ſondern ihnen,
nach und nach, ohngefaͤhr neun oder zehen Beile und wenigſtens viermal ſo viel
große Naͤgel, nebſt andern Dingen geſchenkt hatten. In ſo fern dieſe Artikel als
Reichthuͤmer unter ihnen angeſehen werden, in ſofern iſt dieſer Mann der reichſte
in ganz Neu-Seeland; denn vor der zweyten Ankunft engliſcher Schiffe war
auf der ganzen Inſel zuſammen genommen, nicht ſo viel Eiſen-Geraͤthe anzutref-
fen. Da Dusky-Bay ſo wenig bewohnt iſt, ſo fuͤhren die einzelnen Fami-
lien in derſelben wahrſcheinlicherweiſe ein unſtaͤtes, nomadiſches Leben und
ziehen, vielleicht der Fiſcherey, vielleicht anderer Umſtaͤnde wegen, in verſchied-
nen Jahrszeiten aus einer Gegend nach der andern. Wir vermutheten daher
auch, daß unſre Freunde bloß aus dieſem Grunde weggezogen waͤren; allein
[131]in den Jahren 1772 bis 1775.
es hieß: der Wilde habe vor ſeinem Abzuge durch Zeichen zu verſtehen gegeben,1773.
April.

er wolle aufs Todtſchlagen ausgehen und dazu die Beile gebrauchen. Hat man
ihn recht verſtanden, ſo war damit unſre angenehme Hoffnung, den Ackerbau
und andre nuͤtzliche Arbeiten, durch Austheilung von brauchbaren Werkzeugen
gewiſſermaßen zu befoͤrdern und zu erleichtern, auf einmahl vernichtet. Gleich-
wohl waͤre es ſehr ſeltſam, ja beynahe unbegreiflich, daß eine einzelne Familie,
die von der ganzen Welt getrennt, in einer geraͤumigen Bay wohnte, wo ſie we-
gen ihrer geringen Anzahl und wenigen Beduͤrfniſſe, weder an Lebensmitteln noch
an andern Nothwendigkeiten, jemals Mangel leiden, mithin in ihrer Einſam-
keit friedlich und gluͤcklich leben konnte, — daß die dennoch auf Krieg
mit ihren Nebenmenſchen, auf Mord und Todtſchlag bedacht ſeyn ſollte!
Indeſſen mag die tiefe Barbarey, in welcher ſich die Neu-Seelaͤnder befinden,
und die immer nur das Geſetz des Staͤrkern erkennt, vielleicht ſchuld daran
ſeyn, daß ſie mehr als jedes andre Volk der Erden geneigt ſind, ihren Mitmen-
ſchen bey der erſten Gelegenheit umzubringen, ſo bald Rachſucht oder Beleidigung
ſie dazu auffordert, und ihr angebohrner wilder Muth laͤßt es denn auch wohl
ſelten an der wuͤrklichen Ausfuͤhrung eines ſo grauſamen Vorhabens fehlen.
Ich darf hier nicht vergeſſen, ein ganz beſondres Merkmahl von der Herzhaftigkeit
des alten Mannes anzufuͤhren, der jetzt von uns weggezogen war. Unſre Officiers
hatten in ſeiner Gegenwart zu wiederholtenmalen Schießgewehre abgefeuert.
Eines Tages verlangte er es ſelbſt zu verſuchen und man gab ihm ein Gewehr.
Das Maͤdchen, welche wir fuͤr ſeine Tochter hielten, bath ihn fusfaͤllig, mit den
deutlichſten Zeichen von Furcht und Vorſorge, es nicht zu thun. Aber, er war von
ſeinem Vorhaben nicht abzubringen, ſondern feuerte das Gewehr drey oder vier-
mal hintereinander los. Dieſe kriegriſche Neigung und das jaͤhzornige Tempera-
ment des ganzen Volks, das nicht die geringſte Beleidigung ertragen kann, ſcheint
dieſe einzelne Familie und die wenigen uͤbrigen, die wir an den Ufern jenes lan-
gen See-Arms antrafen, zur Trennung von ihren Landsleuten gezwungen zu ha-
ben. Wenn wilde Voͤlker einander bekriegen, ſo ruhet die eine Parthey ge-
meiniglich nicht eher, als bis die andre gaͤnzlich vertilgt iſt, es ſey denn, daß dieſe
ſich noch zu rechter Zeit mit der Flucht rettet. Auch dies kann der Fall bey den
Einwohnern in Dusky-Bay ſeyn, und wenn er es wuͤrklich iſt, ſo ſind ſie
R 2
[132]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
außer allem Zweifel blos in der Abſicht von hier wegzogen, um ſich an ihren Fein-
den und Unterdruͤckern zu raͤchen.


Am 23ſten fruͤhe giengen verſchiedne Officiers nebſt Dr. Sparrmann,
nach Cascade-Bucht, um daſelbſt einen der hoͤchſten Berge in der ganzen Bay zu
beſteigen. Um 2 Uhr erreichten ſie die Spitze, und gaben uns ſolches durch An-
zuͤndung eines großen Feuers zu erkennen. Wir haͤtten ſie gern begleitet; aber
Durchlauf und Colik hielten uns am Bord zuruͤck. Beydes kam von der
Sorgloſigkeit des Kochs her, der unſer kupfernes Kuͤchen-Geſchirr ganz von
Gruͤnſpan hatte anlaufen laſſen. Doch befanden wir uns gegen Abend wieder ſo
weit beſſer, daß wir unſern Spatziergaͤngern bis nach Cascaden-Bucht entgegen
gehen konnten, und kamen hernach mit verſchiednen Pflanzen und Voͤgeln beladen,
in ihrer Geſellſchaft an Bord zuruͤck. Unterdeſſen hatte das zum Signal ange-
zuͤndete Feuer, auf der Spitze des Berges, das Geſtraͤuch ergriffen, und ſich rund
um den Gipfel in einen Flammen-Cirkel verbreitet, der fuͤr das heutige Georgen-
Feſt eine ſchoͤne Illumination ausmachte. Die Geſellſchaft, welche dort gewe-
ſen war, ſagte, man koͤnne von der Hoͤhe die ganze Bay und die See jenſeits der
Berge, in Suͤden, Suͤdweſt und Nordweſt, mehr als zwanzig See-Meilen in
die Ruͤnde, uͤberſehen, wozu ihnen das heutige helle und ſchoͤne Wetter aus-
nehmend behuͤlflich geweſen; die Berge im Innern des Landes ſchienen ſehr un-
fruchtbar zu ſeyn, indem ſie aus großen wildgebrochnen Felſen-Maſſen beſtaͤnden
und an der Spitze mit Schnee bedeckt waͤren. Aber auf dem Gipfel desjenigen
Berges den ſie beſtiegen, hatte es allerhand kleines Strauchwerk und Alpen-
Kraͤuter gegeben, welche ſonſt nirgends anzutreffen waren. Etwas niedriger ſtand
hoͤheres Buſchwerk; noch weiter herab fanden ſie einen Fleck, auf welchem die
Baͤume alle ausgegangen und abgeſtorben waren; und denn ging ein gruͤner Wald
an, der in eben der Maaße hoͤher und ſchoͤner ward als ſie tiefer herab kamen.
Das Hinaufſteigen war wegen der verwickelten Schling-Stauden und Dornen
muͤhſam; das Herunterſteigen aber, wegen der Abgruͤnde gefaͤhrlich, denn
ſie mußten mehrentheils laͤngſt denſelben herabrutſchen und ſich an Baͤumen und
Buͤſchen feſtzuhalten ſuchen. Ziemlich weit auf dem Berg hinauf, fanden ſie
drey bis vier Baͤume, die ihnen Palmen zu ſeyn duͤnkten, von dieſen faͤllten ſie
einen und ließen ſich den mittelſten Schoͤßling zur Erfriſchung dienen. Im
[133]in den Jahren 1772 bis 1775.
Grunde gehoͤrten aber dieſe Baͤume nicht zu den rechten Kohl-Palmen, (Cab-1773.
April.

bage-palms) ja uͤberhaupt nicht zu den Palmen, denn die wachſen nur un-
ter mildern Himmelsſtrichen, ſondern eigentlich war es eine neue Art von
Drachen-Baum mit breiten Blaͤttern, (dracæna auſtralis,) dergleichen wir
nachher noch mehrere in dieſer Bay antrafen, und deren Kernſchuß, ſo lang er
zart iſt, ohngefaͤhr als ein Mandelkern, jedoch etwas kohlartig ſchmeckt.


Am folgenden Morgen begleitete ich Capitain Cook zu einer an der nord-
weſtlichen Seite der Bay gelegenen Bucht, die, unſrer dortigen Verrichtung we-
gen, die Gaͤnſe-Bucht genannt ward. Wir hatten nemlich noch fuͤnf lebendige
Gaͤnſe von denen am Vorgebuͤrge der guten Hofnung mitgenommenen uͤbrig, und
waren willens ſie auf Neu-Seeland zu laſſen, um ſich daſelbſt zu vermehren und
wild zu werden. Hiezu duͤnkte uns dieſe Bucht am bequemſten, denn es gab
daſelbſt keine Einwohner, dagegen aber reichliches Futter. Wir ſetzten ſie alſo
ans Ufer und ſprachen zum Beſten kuͤnftiger Seefahrer und Bewohner von
Neu-Seeland, das: “Seyd fruchtbar und mehret euch und fuͤllet die Erde!”
uͤber ſie aus. So bald ſie am Lande waren, liefen ſie im Schlamm ihrem Fraße
nach, und werden ohne Zweifel in dieſem abgelegenen Winkel gut fortkommen,
ja ſich hoffentlich mit der Zeit, unſrer Abſicht gemaͤß, uͤber das ganze Land aus-
breiten. Den Ueberreſt des Tages brachten wir mit Vogelſchießen hin, und er-
legten unter andern auch einen weißen Reyher (ardea alba) der in Europa ge-
mein iſt.


Das ſchoͤne Wetter, welches ſich nun volle acht Tage hintereinander ge-
halten hatte, war am 25ſten ganz zu Ende. Es fieng Abends an zu regnen
und regnete in eins fort bis folgenden Mittag. Wahrſcheinlicherweiſe iſt das
gute Wetter in Duſky-Bay, vornemlich in dieſer Jahrszeit, ſelten ſo anhal-
tend, wenigſtens blieb es weder vor noch nachher, jemals zwey Tage hinter ein-
ander ſchoͤn. Wir hatten uns daher auch vorgeſehen und dieſe Zeit zu Ergaͤn-
zung des Holz- und Waſſer-Vorraths genutzt, imgleichen das Schiff wieder in
ſeegelfertigen Stand geſetzt. Alle unſre Leute ſtellten ſich an Bord ein; die Bruͤcke
ward abgeworfen und wir giengen aus unſerm Winkel mitten in die Bucht
heraus, um mit erſtem guten Winde abzuſeegeln. Die Vorzuͤge einer civiliſirten
Verfaſſung uͤber den rohen Zuſtand des Menſchen, fielen durch nichts deutlicher in
R 3
[134]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
die Augen, als durch die Veraͤnderungen und Verbeſſerungen, die auf dieſer
Stelle vorgenommen worden waren. In wenig Tagen hatte eine geringe An-
zahl unſerer Leute, das Holz von mehr als einem Morgen Landes wegge-
ſchafft, welches funfzig Neu-Seelaͤnder, mit ihren ſteinernen Werkzeugen, in
drey Monathen nicht wuͤrden zu Stande gebracht haben. Den oͤden und wilden
Fleck, wo ſonſt unzaͤhlbare Pflanzen, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wuchſen und
wieder vergiengen, hatten wir zu einer lebendigen Gegend umgeſchaffen, in
welcher hundert und zwanzig Mann unablaͤßig auf verſchiedne Weiſe beſchaͤftigt
waren


Quales apes œſtate nova per florea rura
Exercet ſub ſole labor.

Virgil.
()

Wir faͤllten Zimmer-Holz, das ohne uns durch Zeit und Alter umgefallen und
verfault ſeyn wuͤrde und unſre Brett-Schneider ſaͤgten Planken daraus oder es ward
zu Brennholz gehauen. Hier, an einem rauſchenden Bach, dem wir einen bequeme-
ren Ausfluß in die See verſchafften, ſtand die Arbeit unſrer Boͤttcher, ganze Rei-
hen von neuen oder ausgebeſſerten Faͤſſern, um mit Waſſer gefuͤllt zu werden.
Dort, dampfte ein großer Keſſel, in welchem aus einlaͤndiſchen, bisher nicht ge-
achteten Pflanzen, ein geſundes, wohlſchmeckendes Getraͤnk fuͤr unſre Arbeiter ge-
brauet ward. Ohnweit davon kochten unſre Leute vortrefliche Fiſche fuͤr ihre Ca-
meraden, die zum Theil an den Außenſeiten und Maſten des Schiffes arbeite-
ten, um ſolches zu reinigen, zu kalfatern und das Tauwerk wieder in Stand zu
ſetzen. So verſchiedene Geſchaͤfte belebten die Scene und ließen ſich mit mannichfal-
tigem Geraͤuſche hoͤren, indeß der benachbarte Berg von den abgemeßnen
Schlaͤgen der Schmiedehaͤmmer laut wiederſchallte. Selbſt die ſchoͤnen Kuͤnſte
bluͤhten in dieſer neuen Colonie auf. Ein Anfaͤnger in der Kunſt, *) zeichnete
hier in ſeinem Noviciat die verſchiednen Thiere und Pflanzen dieſer unbeſuchten
Waͤlder; die romantiſchen Proſpecte des wilden, rauhen Landes hingegen, ſtanden
[135]in den Jahren 1772 bis 1775.
mit den gluͤhenden Farben der Schoͤpfung geſchildert da, und die Natur wunderte1773.
April.

ſich gleichſam, auf des Kuͤnſtlers (Herrn Hodges) Staffeley, ſo richtig nachge-
ahmt zu erſcheinen. Auch die hoͤheren Wiſſenſchaften hatten dieſe wilde Einoͤde
mit ihrer Gegenwart beehrt. Mitten unter den mechaniſchen Werkſtaͤtten ragte eine
Sternwarte empor, die mit den beſten Inſtrumenten verſehen war, durch welche
der Sternkundigen wachender Fleis den Gang der Geſtirne beobachtete. Die
Pflanzen, die der Boden hervor brachte, und die Wunder des Thierreichs in
Waͤldern und Seen, beſchaͤfftigten die Weltweiſen, deren Stunden beſtimmt
waren, ihren Unterſchied und Nutzen auszuſpuͤhren. Kurz uͤberall, wo wir nur
hin blickten, ſahe man die Kuͤnſte auf bluͤhen, und die Wiſſenſchaften tagten in ei-
nem Lande, das bis jetzt noch eine lange Nacht von Unwiſſenheit und Barbarey
bedeckt hatte! Allein, dies ſchoͤne Bild der erhoͤhten Menſchheit und Natur war
von keiner Dauer. Gleich einem Meteor verſchwand es faſt ſo geſchwind als es
entſtanden war. Wir brachten unſre Inſtrumente und Werkzeuge wieder zu
Schiffe, und ließen kein Merkmahl unſers Hierſeyns, als ein Stuͤck Land, das von
Holz entbloͤßt war. Zwar hatten wir eine Menge von europaͤiſchem Garten-
Geſaͤme der beſten Art daſelbſt ausgeſtreuet, allein das Unkraut umher wird jede
nuͤtzliche Pflanze bald genug wieder erſticken und in wenig Jahren wird der Ort
unſers Aufenthalts nicht mehr zu kennen, ſondern zu dem urſpruͤnglichen, ehao-
tiſchen Zuſtande des Landes wiederum herabgeſimken ſeyn. Sic tranſit glo-
ria mundi!
Augenblicke oder Jahrhunderte der Cultur machen in Betracht
der vernichtenden Zukunft keinen merklichen Unterſchied!


Ehe ich dieſen Ort unſers bisherigen Aufenthalts ganz verlaſſe, will ich
aus Capitain Cook’s Tagebuch noch folgende aſtronomiſche Bemerkungen ein-
ruͤcken: —


“Die Sternwarte, welche wir in Pickersgill-Haven errichtet hatten,
war unterm 45° 47′ 26½″ ſuͤdlicher Breite, und dem 166° 18′ oͤſtlicher
Laͤnge von Greenwich gelegen. Hier fand ſichs, daß Kendals Laͤngen-Uhr
1° 48′ Arnolds hingegen nur 39′ 25″ weniger als die wahre Laͤnge angab.
Am Vorgebuͤrge der guten Hoffnung hatte Kendals Uhr zum Erſtaunen die wahre
Laͤnge, bis auf eine Minute angezeigt, ſo wie die Herren Maſon und Dixon
ſolche dort aſtronomiſch obſervirt und berechnet hatten. Es iſt aber zu merken,
[136]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
daß dieſe Uhren nicht immer gleichfoͤrmig giengen, und daher mußten
an jedem Orte wo wir anlegten, Beobachtungen gemacht werden, um ihren wah-
ren Gang zu beſtimmen. Die große Abweichung die wir in Dusky Bay fan-
den, kam zum Theil daher, weil wir zum Grunde gelegt, Kendals Uhr habe
beſtaͤndig die mittlere Zeit (mean time) angezeigt, da wir doch am Cap ge-
funden daß dies nicht mehr der Fall ſey. Jetzt hatte der Aſtronomus, Herr
Wales bemerkt, daß Kendals Uhr taͤglich 6″ 461 uͤber die mittlere Zeit gewoͤn-
ne, Arnolds hingegen, als welche immer groͤßern Ausſchweifungen unterwor-
fen war, 99″, 361 verloͤre. —“


Am 27ſten hatte man eine neue Ausfahrt in die See, gegen Norden, ent-
deckt; und da dieſe bequemer zu paßiren war, als jene, durch welche wir in
die Bay eingelaufen waren; ſo gedachten wir uns derſelben zu bedienen und ho-
ben am 29ſten Nachmittags den Anker, um die Bay hinauf darnach hinzuſee-
geln; allein es ward mit einemmale windſtill, weshalb wir in einer Tiefe
von 43 Faden, an der Nordſeite einer Inſel die wir Long-Eyland nannten,
und ohngefaͤhr zwey Meilen von der Bucht wo wir bisher gelegen hatten, wie-
derum vor Anker kommen mußten. Am folgenden Tage giengen wir fruͤh um
9 Uhr mit einem gelinden Winde aus Weſten wieder vorwaͤrts, allein er war
ſo ſchwach, daß wir wenig gegen den Strohm ausrichten konnten, denn ohnge-
achtet uns noch außerdem alle unſre Boote boogſiren mußten, ſo hatten wir um
6 Uhr Abends doch mit der groͤßten Muͤhe nicht mehr als fuͤnf Meilen gewonnen,
und mußten um dieſe Zeit an eben derſelben Inſel, ohngefaͤhr hundert Schritte
weit vom Ufer, die Anker aufs Neue fallen laſſen.


Bey Tages Anbruch verſuchten wir gegen den Wind zu laviren, denn es
gieng ein ſanftes Luͤftchen die Bay hinab; da es aber bald gaͤnzlich ſtill ward, ſo
trieb uns die Stroͤhmung des Waſſers ruͤckwaͤrts, und wir geriethen mit dem
Hintertheil des Schiffs an einem ſenkrechtſtehenden Felſen, wo kein Grund zu
finden war, ſo nahe ans Ufer, daß der Flaggen-Stock ſich in die Baum-Zweige
verwickelte. Indeſſen wurden wir mit Huͤlfe unſrer Boote ohne Schaden wie-
der davon wegboogſirt, und ließen unterhalb jener Stelle, auf welcher wir die
vergangne Nacht uͤber geankert hatten, in einer kleinen Bucht an der Nordſeite
von Long-Eyland, abermals den Anker fallen. Wir trafen hier zwey Huͤtten
und
[137]in den Jahren 1772 bis 1775.
und Feuerſtellen an, woraus ſich abnehmen ließ, daß der Ort noch vor kur-1773.
May.

zem muͤſſe bewohnt geweſen ſeyn. Wir fanden auch waͤhrend unſers Aufent-
halts in dieſer Bucht verſchiedene neue Voͤgel und Fiſche; desgleichen einige
europaͤiſche Fiſcharten, als die Baſtard-Mackrele, nebſt dem gefleckten und
ſchlichten Hayfiſch. (Scomber trachurus, Squalus canicula \& Squalus
muſtelus Linnæi.
) Der Capitain ward von einem Fieber und heftigen
Ruͤcken-Schmerzen befallen, die ſich mit einer rhevmatiſchen Geſchwulſt des
rechten Fußes endigten, und vermuthlich davon herruͤhrten, daß er ſo viel im
Waſſer gewadet, hernach aber, mit den naſſen Kleidern auf dem Leibe, im
Boote lange ſtill geſeſſen hatte.


Nachdem uns Windſtillen mit beſtaͤndigem Regen begleitet, in dieſer
Bucht bis zum 4ten Nachmittags aufgehalten hatten, ſo erhob ſich endlich ein
leichter Wind aus Suͤdweſten, mit deſſen Huͤlfe wir jedoch kaum bis in den
Durchgang zur See gelangt waren, als er ſich ſchon wieder umſetzte und uns derge-
ſtalt entgegen zu blaſen anfieng, daß wir an der Oſtſeite des Einganges, vor einem
ſandichten Strande, abermals die Anker auswerfen mußten. Dieſer mehrmalige
Aufſchub gab uns Gelegenheit die Kuͤſten zu unterſuchen, und nie kamen wir
ohne neue Reichthuͤmer aus dem Thier- und Pflanzenreiche zuruͤck. Des Nachts
hatten wir ſchwere Windſtoͤße mit Regen, Hagel, Schnee, auch einigen harten
Donnerſchlaͤgen auszuſtehen, und fanden bey anbrechendem Tage, alle Spitzen
der Berge um uns her mit Schnee bedeckt. Um 2 Uhr Nachmittags, erhob
ſich ein gelinder Wind aus Suͤd-Suͤdweſt, der uns mit Beyhuͤlfe unſrer Boote
durch den Paß bis vor die ofne See herunter brachte, woſelbſt wir um 8 Uhr
Abends, an der aͤußerſten Land-Ecke die Anker fallen ließen. In dem Durch-
gang waren die Kuͤſten zu beyden Seiten ſteiler, als wir ſie jemals geſehen
hatten, und formirten wilde Landſchafts-Proſpecte, die an manchen Stellen mit
unzaͤhligen Cascaden und viel Drachenbaͤumen (dracæna) geziert waren.


Da der Capitain wegen ſeines Rhevmatiſmus nicht aus der Cajuͤtte kom-
men durfte, ſo ſchickte er einen Officier ab, um den zunaͤchſt gen Suͤden liegenden
See-Arm, der aus dieſem neuen Durchgange, oſtwaͤrts, in das Innere des Lan-
des hinein lief, unterſuchen zu laſſen, und mein Vater ſowohl als ich, giengen
mit auf dieſe Expedition aus. In unſrer Abweſenheit ward auf des Capitains
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. S
[138]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
Befehl, das ganze Schiff zwiſchen den Verdecken geſaͤubert, und die Luft
durch angezuͤndete Feuer uͤberall gereinigt und erneuert; eine Vorſicht, die man
in einem feuchten und rauhen Clima nie unterlaſſen ſollte. Mittlerweile ru-
derten wir dieſe neue Oefnung hinauf und vergnuͤgten uns an den ſchoͤnen Casca-
den, die auf beyden Seiten zu ſehen waren, wir fanden auch uͤberall gute Anker-
plaͤtze, desgleichen Fiſche und wildes Gefluͤgel in Menge. Der Wald hinge-
gen, der mehrentheils aus Buſchwerk beſtand, fieng bereits an ſehr oͤde aus-
zuſehen, denn das Laub war groͤßtentheils abgefallen und was etwa noch an
den Zweigen ſaß, ſahe verwelkt und blaßgelb aus. Dergleichen Vorbothen des
herannahenden Winters, waren in dieſem Theile der Bay beſonders in die Au-
gen fallend; doch iſt es wahrſcheinlich, daß an einem ſo fruͤhzeitigen winter-
maͤßigen Anſehen, bloß die Nachbarſchaft der hohen Berge, welche ſchon mit
Schnee bedeckt waren, Schuld ſeyn mogte. Um 2 Uhr lenkten wir in eine
Bucht ein, um ein kleines Mittagbrod von Fiſchen zu bereiten, und nachdem wir
ſolche verzehret, ruderten wir bis zu einbrechendem Abend weiter, um nicht fern
von dem aͤußerſten Ende dieſes See-Armes, auf einem kleinen flachen Ufer das
Nachtquartier zu nehmen. Hier ward Feuer angemacht, doch konnten
wir wenig ſchlafen, weil die Nacht ſehr kalt, und unſre Schlafſtellen ſehr hart
waren. Am folgenden Morgen liefen wir nordwaͤrts in eine kleine Bucht, allwo
ſich dieſer See-Arm, nach einem Laufe von ohngefaͤhr 8 Meilen endigte. Wir
hielten uns daſelbſt eine Weile mit Vogelſchießen auf, und fiengen bereits
an nach der Reſolution zuruͤckzukehren, als das ſchoͤne Wetter auf einmal um-
ſchlug, und ſtatt deſſelben ein Sturm aus Nordweſten mit harten Windſtoͤßen
und heftigem Regen einbrach. Wir ruderten dieſerhalb in moͤglichſter Eil den
See-Arm herunter; und als wir bis an die Einfahrt in den Canal gelangt wa-
ren, in welchem das Schiff vor Anker lag, theilten wir den Ueberreſt einer Fla-
ſche Rum mit unſern Bootsleuten, um ihnen Muth zu machen, denn von hier
aus bis zum Schiffe hin war noch das ſchwerſte Stuͤck Arbeit uͤbrig. Nach
dieſer Herzſtaͤrkung wagten wir uns nun getroſt weiter; allein die Wellen, wel-
che hier von der ofnen See her eindringen konnten, giengen erſtaunlich ſchnell
und hoch, und der Wind, gegen den wir jetzt gar keinen Schutz mehr vom
Lande hatten, war ſo heftig, daß er uns, aller angewandten Muͤhe ohnerachtet, in-
[139]in den Jahren 1772 bis 1775.
nerhalb wenig Minuten, eine halbe Meile weit vor ſich her trieb. Bey ſo gefaͤhr-1773.
May.

lichen Umſtaͤnden mußten wir alle Augenblick gewaͤrtig ſeyn, daß das Boot um-
ſchlagen oder verſinken wuͤrde, und alſo war es unſer ſehnlichſter Wunſch, wieder
in den See-Arm zu gelangen, welchen wir kurz zuvor ſo dreiſt verlaſſen hatten. Mit
unſaͤglicher Muͤhe gelang uns dies endlich und ohngefaͤhr um 2 Uhr Nachmit-
tags, liefen wir, an der Nordſeite deſſelben, in eine kleine huͤbſche Bucht ein.
Hier ward das Boot, ſo gut ſichs thun ließ, in Sicherheit gebracht und Anſtalt
zum Mittagbrod getroffen. In dieſer Abſicht kletterten wir einen oͤden Felſen
hinauf, und zuͤndeten ein Feuer an, um einige Fiſche zu braten; allein, ob
wir gleich bis auf die Knochen naß waren und wegen des ſchneidenden Windes
jaͤmmerlich froren, ſo war es uns doch unmoͤglich, nahe beym Feuer zu blei-
ben, denn der Sturm wirbelte die Flamme beſtaͤndig umher und noͤthigte uns
alle Augenblicke eine andre Stelle zu nehmen, um nicht verbrannt zu werden.
Endlich ward er vollends ſo heftig, daß man auf dieſem gaͤnzlich freyen Platze
kaum aufrecht ſtehen bleiben konnte; wir beſchloſſen alſo, zu unſrer und des
Boots groͤßerer Sicherheit, an der andern Seite der Bucht Schutz zu ſuchen
und das Nachtquartier im Gehoͤlze aufzuſchlagen. Zu dem Ende ergrif ein je-
der einen Feuer-Brand, und in dieſem fuͤrchterlichen Aufzuge eilten wir ins Boot,
wo man uns, dem Anſehn nach, fuͤr eine Parthey verzweifelter Leute haͤtte nehmen
ſollen, die auf irgend eine heilloſe Unternehmung ausgiengen. Zu unſrer groͤßten
Verlegenheit fanden wir es aber im Gehoͤlz faſt noch aͤrger als auf dem Felſen,
von welchem uns der Sturm vertrieben hatte, denn hier war es ſo naß, daß
wir kaum das Feuer brennend erhalten konnten. Wir hatten kein Obdach gegen
den heftigen Regen, der von den Baͤumen doppelt auf uns herab goß, und da
der Rauch, des Windes wegen, nicht in die Hoͤhe ſteigen konnte, ſo haͤtten
wir dabey erſticken moͤgen. Auf ſolche Weiſe war weder an Abendbrod noch
an Erwaͤrmen zu gedenken, ſondern wir mußten uns hungrig und halb erfro-
ren, in unſre naſſen Maͤntel gehuͤllt, auf den feuchten Boden niederlegen. So er-
baͤrmlich indeſſen auch dieſe Lage, beſonders fuͤr diejenigen unter uns war, die ſich
durch die Erkaͤltung Reißen in den Gliedern zugezogen hatten, ſo war gleichwohl
jedermann dermaßen abgemattet, daß wir auf einige Augenblicke in Schlaf fielen.
Doch ohngefaͤhr um zwey Uhr des Nachts wurden wir durch einen harten Don-
S 2
[140]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
nerſchlag wieder auf die Beine gebracht. Um dieſe Zeit war der Sturm
aufs hoͤchſte geſtiegen und zu einem vollkommnen Orcan geworden. Er riß um
uns her die groͤßten Baͤume aus, warf ſie mit fuͤrchterlichem Krachen zu Boden
und brauſte in den dickbelaubten Gipfeln des Waldes ſo laut, daß das ſchreckliche
Getoͤſe der Wellen manchmal kaum dafuͤr zu hoͤren war. Aus Beſorgniß fuͤr
unſer Boot wagten wir uns in der dickſten Finſterniß der Nacht nach dem Stran-
de hin, als ein flammender Blitz den ganzen See-Arm mit einmahl erhellete und
uns die aufgethuͤrmten Fluthen ſehen ließ, die in blauen Bergen, ſchaͤumend uͤber
einander herſtuͤrzten. Mit einem Wort alle Elemente ſchienen der Natur den
Untergang zu drohen
Non han piu gli elementi ordine o ſegno
S’odono orrendi tuoni, ognor più creſce
De’ fieri venti il furibondo ſdegno.
Increſpa e inlividiſce il mar la faccia
E s’alza contra il cìel che lo minaccia.

(Tassone.)

Unmittelbar auf den Blitz folgte der heftigſte Donnerſchlag den wir jemals ge-
hoͤrt, und deſſen langes fuͤrchterliches Rollen von den gebrochnen Felſen rund umher
ſiebenfach wiederhallte. Wie betaͤubt ſtanden wir da und das Herz bebte uns
bey dem Gedanken, daß dieſer Sturm oder der Blitz das Schiff vernichtet haben
koͤnne und daß wir dann in dieſem oͤden Theil der Welt wuͤrden zuruͤckbleiben
und umkommen muͤſſen. Unter dergleichen aͤngſtlichen Vermuthungen brachten wir
den Reſt der Nacht hin, die uns die laͤngſte unſers Lebens zu ſeyn duͤnkte. Endlich
ließ der Sturm ohngefaͤhr um 6 Uhr des Morgens nach, und ſo bald der Tag
graute, begaben wir uns wieder ins Boot und erreichten nicht lange nachher das
Schiff, welches gluͤcklicherweiſe noch unbeſchaͤdigt war, aber des Sturmes wegen
die Segelſtangen und die Stengen hatte herunter nehmen muͤſſen. Der See-Arm,
davon wir jetzt eine Zeichnung aufgenommen, ward wegen der abſcheulichen Nacht,
die wir darin ausgeſtanden, und wegen der naſſen Jacken, die wir uns da ge-
holt hatten, Wet-Jacket-arm genannt. Nunmehro war nur noch ein einzi-
ger See-Arm, dem vorigen gegen Norden hin, zu unterſuchen uͤbrig; und da
[141]in den Jahren 1772 bis 1775.
der Capitain ſich jetzt wieder ziemlich erholt hatte, ſo gieng er gleich nach unſrer1773.
May.

Zuruͤckkunft ab, um dieſe letzte Arbeit in hieſigen Gegenden ſelbſt zu uͤberneh-
men. Ohngefaͤhr zehen Meilen weit von der Muͤndung konnte man beynahe
das aͤußerſte Ende dieſes Arms ſehen und es fanden ſich hier, eben ſo wie in dem
zuvorgenannten, viele gute Haven, friſches Waſſer, Holz, Fiſche und Federwild-
pret. Auf der Ruͤckkehr hatten die Leute bey heftigem Regen gegen den Wind
zu arbeiten und kamen erſt um 9 Uhr Abends durchaus naß an Bord zuruͤck. Am
folgenden Morgen war die Luft hell, der Wind blieb uns aber entgegen; Da
wir ſolchergeſtalt nicht in See gehen konnten, ſo bekam der Capitain Luſt nach dem
neuen See-Arm zuruͤck zu kehren um Voͤgel zu ſchießen, und wir begleiteten ihn
dahin. Die Jagd waͤhrte den ganzen Tag und fiel ergiebig genug aus, dahin-
gegen einige Officiers, die in einer andern Gegend hatten jagen wollen, faſt mit
ganz leerer Hand zuruͤck kamen.


Des Windes wegen, der am naͤchſten Tage noch immer aus Weſten,
und ziemlich hart blies, hielts der Capitain nicht fuͤr rathſam in See zu gehn.
Dagegen ließ er ſich am Nachmittage, als das Wetter etwas gelinder ward, nach
einer Inſel uͤberſetzen, die vor dem Eingange des Canals lag und auf welcher ſich
eine Menge Seehunde befanden. Von dieſen ſchoß er mit Huͤlfe ſeiner Mann-
ſchaft zehen Stuͤck, ſie konnten aber, des Raums wegen, nicht mehr als fuͤnfe mit
an Bord bringen, und mußten die uͤbrigen vor der Hand daſelbſt liegen laſſen.


In der Nacht bekamen wir ſo viel Schnee, daß am folgenden Mor-
gen die Berge faſt bis zur Haͤlfte bedeckt waren, und folglich allem An-
ſehen nach, der Winter nunmehro voͤllig da zu ſeyn ſchien. Das Wetter war
hell, die Luft aber ſcharf und kalt; da indeſſen der Wind guͤnſtig ward, ſo ließ der
Capitain die Anker lichten und ſchickte mittlerweile ein Boot ab, um die ge-
ſtern zuruͤckgelaßnen Seehunde abzuholen. So bald dieſe an Bord waren, ſee-
gelten wir aus Dusky-Bay ab und befanden uns um Mittagszeit bereits ganz
außerhalb Landes in ofner See.


Wir hatten nun ſechs Wochen und vier Tage lang allhier zugebracht,
ſtets Ueberfluß an friſchen Lebensmitteln gehabt, dabey fleißig gearbeitet und es
nicht an Bewegung fehlen laſſen. Dies zuſammengenommen hatte zur Wieder-
herſtellung dererjenigen, welche bey unſrer Ankunft ſcorbutiſch geweſen waren, und
S 3
[142]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
zur Staͤrkung der uͤbrigen ohnleugbar viel beygetragen. Doch moͤchten wir
ohne das Sproſſenbier wohl ſchwerlich ſo geſund und friſch geblieben ſeyn; denn
das Clima iſt, die Wahrheit zu geſtehen, in Dusky-Bay nicht das beſte. Fuͤr
geſund kann man es wenigſtens nicht ausgeben, in ſo fern wir nemlich waͤhrend un-
ſers Hierſeyns nur eine einzige Woche hindurch anhaltend gutes Wetter, die ganze
uͤbrige Zeit aber faſt beſtaͤndig Regen hatten. Indeſſen mochte dieſe Witterung un-
ſern Leuten freylich weniger ſchaden als irgend einer andern Nation, denn der Eng-
laͤnder iſt von ſeinem Vaterlande her einer mehrentheils feuchten Luft gewohnt. Ein
andrer Fehler von Dusky-Bay iſt dieſer, daß es weder wilden Sellery, noch
Loͤffelkraut, noch ſonſt einige antiſcorbutiſche Kraͤuter daſelbſt giebt, die hingegen
im Charlotten-Sunde und andern Gegenden von Neu-Seeland ſo haͤuffig an-
zutreffen ſind. Nicht minder unangenehm iſt es, daß die Erd-Muͤcken hier
ſo ſchlimm ſind, indem ſie mit ihrem giftigen Biß wirklich blatternaͤhnliche Ge-
ſchwuͤre verurſachen; ferner, daß hier herum nichts denn Waldung und dieſe
uͤberall verwachſen und undurchdringlich iſt; endlich, daß die Berge entſetzlich ſteil
ſind und folglich nicht angebauet werden koͤnnen. Indeſſen fallen dieſe Unan-
nehmlichkeiten, wenigſtens die letztern beyden, mehr den Einwohnern des Lan-
des zur Laſt als den Seefahrern, die blos auf eine kurze Zeit hier vor Anker
gehen wollen um ſich zu erfriſchen. Fuͤr ſolche Reiſende wird Dusky-Bay, aller
dieſer Unannehmlichkeiten ohnerachtet, immer einer der beſten Zufluchts-Oerter
ſeyn, zumal wenn ſie, ſo wie wir lange Zeit, ohne Land zu ſehen, in ofner
See und unter beſtaͤndigen Muͤhſeligkeiten zugebracht haben ſollten. Die Ein-
fahrt iſt ſicher und nirgends Gefahr dabey die man nicht uͤberm Waſſer ſehen koͤnn-
te, auch giebts aller Orten ſo viel Haven und Buchten, daß man ohnmoͤglich
wegen eines Anker-Platzes in Verlegenheit ſeyn kann, wo ſich nicht Holz, Waſſer,
Fiſche und Feder-Wildprett in hinreichender Menge finden ſollte.


Sechſtes
[143]in den Jahren 1772 bis 1775.

Sechſtes Hauptſtuͤck.
Reiſe von Dusky-Bay nach Charlotten-Sund. Wie-
dervereinigung mit der Adventure. Verrichtungen
daſelbſt.


Sobald das Boot mit den Seehunden wieder zuruͤckgekommen war, ſteuer-1773.
May.

ten wir, bey hohen aus Suͤdweſt gehenden Wellen und von ganzen
Schaaren rußbrauner Albatroße und blauer Sturmvoͤgel begleitet, gegen Nor-
den. Je weiter wir an der Kuͤſte herauf kamen, je niedriger ſchienen die Berge
zu werden, und in den erſten vier und zwanzig Stunden ſtieg das Thermome-
ter ſchon 7½ Grad; denn als wir Dusky-Bay verließen, hatte es auf 46
Grad geſtanden, und des andern Morgens um 8 Uhr wars 53½.


In der Gegend von Cap Foul-Wind, (boͤſer Wind) neben welchem
wir uns am 14ten befanden, hoͤrte der gute Wind auf, und ward uns, gleich-
ſam um die Benennung des Caps wahr zu machen, voͤllig zuwider. Den 16ten
ſtuͤrmte es den ganzen Tag und wir lagen dieſe Zeit uͤber dicht unter Rocks
point
ſtill.


Um 4 Uhr des folgenden Morgens giengen wir mit gutem Winde oſt-
waͤrts, und waren um 8 Uhr dem Cap Farewell gerade gegenuͤber. Das Land
ſahe hier an der Kuͤſte flach und ſandig aus; gegen das Innere des Landes aber
ragten hohe Berge mit beſchneiten Gipfeln hervor. Ganze Schaaren von klei-
nen Sturm-Taͤuchern (procellaria tridactyla, little diving petrels) flatter-
ten oder ſchwommen auf der See herum, und tauchten zum Theil mit bewun-
dernswuͤrdiger Geſchwindigkeit, auf große Strecken weit, unter. Sie ſchienen
mit jenen von einerley Art zu ſeyn, die ſich am 29ſten Januar und am 8ten Fe-
bruar hatten ſehen laſſen, als wir unterm 48 Grad ſuͤdlicher Breite nach Kergue-
lens
Inſeln
ſuchten. (ſ. weiter oben S. 86 und 88.)


Nachmittags um vier Uhr, als wir uns ohngefaͤhr neben dem Cap Ste-
phens
befanden, war wenig oder gar kein Wind zu ſpuͤren. Um dieſe Zeit ſa-
hen wir in Suͤd-Weſten dicke Wolken und an der Suͤd-Seite des Caps regnete
es. Es waͤhrte nicht lange, ſo erblickte man dort ploͤtzlich einen weislichten
[144]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
Fleck auf der See aus welchem eine Waſſer-Saͤule empor ſtieg, die wie eine
glaͤſerne Roͤhre anzuſehen war. Eine andre dergleichen Dunſt-Saͤule ſenkte ſich
aus den Wolken herab und ſchien mit jener ſich vereinigen zu wollen. Dies er-
folgte auch wirklich, und ſo entſtand das Meteor, welches Waſſerhoſe, Trom-
be,
oder Waterſpout genannt wird. Kurz nachher ſahen wir noch drey andre
dergleichen Saͤulen, die eben wie die erſte entſtanden. Die naͤchſte war ohngefaͤhr
drey engliſche Meilen von uns, und mochte unten am Fus, im Durchſchnitt,
ohngefaͤhr 70 Klafter dick ſeyn. Das Thermometer ſtand auf 56½° als dies
Phaͤnomen ſich zu formiren anfieng. Da die Natur und Urſach deſſelben bis
jetzt noch ſo wenig bekannt iſt, ſo waren wir auf alle, ſogar auf die geringſten
Umſtaͤnde aufmerkſam, welche ſich dabey ereigneten. Die Baſis der Saͤulen,
woran ſich das Waſſer heftig bewegte und in gewundener Richtung (nach einer
Spiral-Linie) gleich einem Dunſt empor ſtieg, nahm einen großen Raum in der
See ein, der, wenn die Sonne darauf ſchien, ſchoͤn und gelblich in die Augen
fiel. Die Saͤulen ſelbſt waren von cylindriſcher Form, doch nach oben
hin dicker als am untern Ende. Sie ruͤckten ziemlich ſchnell auf der Oberflaͤche
der See fort; da ihnen aber die Wolken nicht mit gleicher Geſchwindigkeit folg-
ten, ſo bekamen ſie eine gebogne und ſchiefe Richtung. Oft giengen ſie neben
einander vorbey, die eine hier die andre dorthin; da es nun windſtill war, ſo
ſchloſſen wir aus dieſer verſchiedenen Bewegung der Waſſerhoſen, daß jede derſel-
ben einen eignen Wind hervorbringen oder davon fortgetrieben werden muͤſſe.
Endlich brachen ſie eine nach der andern, vermuthlich, weil der Obertheil ſich
gemeiniglich ungleich langſamer bewegte als der Untertheil und die Saͤule ſolcher-
geſtalt allzukrumm und zu weit in die Laͤnge gezogen ward. In eben dem Ver-
haͤltniß als uns die ſchwarzen Wolken naͤher kamen, entſtanden kurze krauſe Wel-
len auf der See, und der Wind lief um den ganzen Compaß herum, ohne ſich in
einem Striche feſtzuſetzen. Gleich nachher ſahen wir, daß die See an einer
Stelle ohngefaͤhr zweyhundert Klaftern weit von uns, in heftige Bewegung ge-
rieth. Das Waſſer kraͤuſelte ſich daſelbſt, aus einem Umfang von funfzig
bis ſechzig Faden, gegen den Mittelpunct hin zuſammen, und zerſtaͤnbte alsdenn
in Dunſt, der durch die Gewalt der wirblenden Bewegung, in Geſtalt einer ge-
wundnen Saͤule gegen die Wolken empor getrieben wurde. Um dieſe Zeit fiel
etwas
[145]in den Jahren 1772 bis 1775.
etwas Hagel aufs Schiff und die Wolken uͤber uns hatten ein ſchrecklich ſchwar-1773.
May.

zes und ſchweres Anſehen. Gerade uͤber jenen Waſſerwirbel ſenkte ſich eine
Wolke langſam herab, und nahm nach und nach die Geſtalt einer langen, duͤn-
nen Roͤhre an. Dieſe ſchien ſich mit dem Dunſt-Wirbel vereinigen zu wollen,
der unterdeſſen hoch aus dem Waſſer aufgeſtiegen war; es waͤhrete auch nicht
lange, ſo hiengen ſie wuͤrklich zuſammen und machten eine gerade aufſtehende,
cylindriſche Saͤule aus. Man konnte deutlich ſehen, wie das Waſſer innerhalb
des Wirbels mit Gewalt aufwaͤrts geriſſen ward; und es ſchien als ließe es in
der Mitte einen hohlen Zwiſchenraum. Auch duͤnkte uns als wenn das
Waſſer keine dichte, ſondern nur eine hohle Saͤule ausmachte; und in dieſer
Vermuthung wurden wir durch ihre Farbe beſtaͤrkt, indem ſie einer durchſichtigen
glaͤſernen Roͤhre voͤllig aͤhnlich war. Kurz nachher beugte ſich auch dieſe letzte Waſ-
ſerhoſe und brach wie die andern, nur mit dem Unterſchied, daß ſich, bey ihrer
Zertrennung ein Blitzſtrahl ſehen ließ, auf den jedoch kein Donnerſchlag folgte.
Dieſe ganze Zeit uͤber befanden wir uns in einer hoͤchſtgefaͤhrlichen und beunru-
higenden Lage. Die ſchreckenvolle Majeſtaͤt eines Meteors, welches See und
Wolken vereinigte, machte unſre aͤlteſten Seeleute verlegen. Sie wußten kaum
was ſie thun oder laſſen ſollten; denn ob gleich die mehreſten ſolche Waſſerſaͤulen
ſchon ehemals von ferne geſehen hatten, ſo waren ſie doch noch nie ſo umringt
damit geweſen als diesmal, und ein jeder wußte fuͤrchterliche Geſchichten zu er-
zaͤhlen, was fuͤr ſchreckliche Verwuͤſtungen ſie anrichteten, wenn ſie uͤber ein
Schiff weggingen oder ſich gegen daſſelbe braͤchen. Wir machten uns auch wuͤrk-
lich aufs Schlimmſte gefaßt und nahmen unſre Stengen-Seegel ein. Doch war
jedermann der Meynung, daß uns dies wenig ſchuͤtzen ſondern Maſten und
Seegelſtangen drauf gehen wuͤrden, wenn wir in den Wirbel gerathen ſollten.
Zwar wollte man wiſſen, daß Canonen-Schuͤſſe, vermittelſt der ſtarken Bebung
in der Luft dergleichen Waſſerſaͤulen zu zertheilen pflegten, daher auch Be-
fehl gegeben ward, daß ein Vierpfuͤnder in Bereitſchaft gehalten werden
ſollte; da aber die Leute, wie gewoͤhnlich, lange damit zubrachten, ſo war die
Gefahr uͤber, ehe der Verſuch angeſtellt werden konnte. In wie fern die Ele-
ctricitaͤt als eine Urſach dieſes Phaͤnomens angeſehen werden darf, konnten wir
nicht eigentlich beſtimmen; daß ſie aber uͤberhaupt einigen Antheil daran haben
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. T
[146]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
muͤſſe, laͤßt ſich wohl aus dem Blitze abnehmen, welcher beym Zerplatzen der letzten
Waſſer-Saͤule deutlich zu ſehen war. Von Entſtehung der erſten bis zum Auf-
hoͤren der letzten, vergingen drey Viertelſtunden. Als um 5 Uhr die letzte erſchien,
ſtand das Thermometer auf 54., mithin 2½ Grad niedriger als beym Anfang
der erſten. Die See war an der Stelle, wo wir uns damals befanden, ſechs
und dreyßig Faden tief, und die Gegend von eben der Beſchaffenheit als jene, in
welchen andre Reiſende ſolche Waſſerhoſen ſonſt angetroffen haben; nem-
lich eine Art von Meer-Enge oder eine ſogenannte See-Straße. Dr. Shaw und
Thevenot, ſahen dergleichen in der mittellaͤndiſchen und perſiſchen See; auch
bey den weſtindiſchen Inſeln, in der Straße von Malacca und in der chineſiſchen
See
ſind ſie gewoͤhnlich. So ſehr wir auch gewuͤnſcht haͤtten, bey dieſer Gelegenheit
einige beſondre Entdeckungen uͤber dies Phaͤnomenon zu machen; ſo wenig gluͤckte
uns ſolches doch. Indeſſen dienen unſre Bemerkungen wenigſtens zu Beſtaͤtigung
deſſen, was andre bereits beobachtet haben, und woruͤber ſich Dr. Benjamin Frank-
lin
ſchon umſtaͤndlich herausgelaſſen hat. Seine ſinnreiche Hypotheſe, daß Wirbel-
winde und Waſſerhoſen einerley Urſprung haben, iſt durch unſre Bemerkungen im
mindeſten nicht geſchwaͤcht; und wir verweiſen unſre philoſophiſchen Leſer auf ſeine
Schriften, *) in welchen die vollſtaͤndigſte und beſte Nachricht von dieſem Phoͤno-
men zu finden iſt.


Am folgenden Morgen, fruͤh um 5 Uhr erreichten wir die Muͤndung von
Charlotten-Sund, und um ſieben Uhr ſahe man es von der Suͤd-Spitze von
Motu Aro her, woſelbſt laut Capitain Cook’s voriger Reiſebeſchreibung ein
Hippah oder feſtes Dorf liegt, **) dreymahl aufblitzen. Wir vermutheten
gleich, daß dieſes Signale von Europaͤern waͤren, und daß ſie ſich wohl
von unſern Freunden in der Adventure herſchreiben koͤnnten. Der
Capitain ließ deshalb etliche Vierpfuͤnder abfeuern, die auch zu unſerm Vergnuͤ-
gen aus Schip-Cove, der Inſel gegenuͤber, alsbald beantwortet wurden.
Gegen Mittag konnten wir unſern alten Reiſe-Gefaͤhrten ſchon vor Anker liegen
ſehen, und kurz nachher kamen uns verſchiedne Officiers mit einem Geſchenk
von friſchen Fiſchen entgegen, und erzaͤhlten wie es ihnen ſeit unſrer Trennung
[147]in den Jahren 1772 bis 1775.
ergangen ſey. Nachmittags ward es windſtill, daher wir uns in die Bucht1773.
May.

boogſieren laſſen mußten, und nicht eher als gegen 7 Uhr Abends vor Anker ge-
langten. Mitlerweile kam auch Capitain Furneaux an Bord, und um ſeine
Freude uͤber unſre Wiedervereinigung zu bezeugen, ließ er uns, von ſeinem
Schiffe aus, mit dreyzehn Canonenſchuͤſſen begruͤßen, die unſere Leute mit
Freuden erwiederten. Wer in aͤhnlichen Umſtaͤnden geweſen iſt, wird ſich unſre
gegenſeitige Entzuͤckung vorſtellen koͤnnen, zu welcher wir doppelte Urſach hatten,
wenn wir an die vielfaͤltigen Gefahren zuruͤck dachten, denen wir, auf unſerer ver-
ſchiednen Fahrt, beyderſeits ausgeſetzt geweſen, aber unter goͤttlichen Schutz,
gluͤcklich entgangen waren.


Die Adventure hatte, nachdem ſie uns aus dem Geſicht verlohren, ihren
Lauf zwiſchen 50. und 54. Grad ſuͤdlicher Breite nach Norden hinauf genom-
men, und beſtaͤndig heftige Stuͤrme aus Weſten gehabt. Am 28ſten Februar,
da ſie ohngefaͤhr unterm 122. Grad weſtlicher Laͤnge von Greenwich war, fand
Caytain Furneaux fuͤr gut, nach und nach bis gegen Van Diemens
Land
, als der von Abel Janſen Tasman im November 1642. entdeckten ſuͤd-
lichen Spitze von Neu-Holland, heraufzugehn. Am 9ten Maͤrz gerieth er an
den ſuͤdweſtlichen Theil der Kuͤſte und lief um das Suͤd-Ende nach der Oſt-Seite
des Landes herum, an welcher er am 11ten des Nachmittags in einer Bay vor
Anker kam, die ſeinem Schiff zu Ehren Adventure-Bay genannt wurde, auch
allem Anſchein nach, eben dieſelbige iſt, in welcher ſich Tasman einſt auf hielt
und die er Friedrich Henrichs-Bay nannte. Das ſuͤdliche Ende
dieſes Landes beſtand aus großen, gebrochnen, unfruchtbaren und ſchwarzen
Felſen-Maſſen, und ſahe in dieſer Abſicht den aͤußerſten Spitzen von Africa und
Amerika aͤhnlich. Um die Adventure-Bay herum war der Boden ſandig und
bergigt, und auf den am weiteſten von der See entlegenen Bergen gab es
mancherley Baͤume, doch ſtanden ſie nur duͤnn, hatten auch kein Unter-
holz. An der Weſtſeite befand ſich ein See von ſuͤßen Waſſer, der mit wilden
Endten und andren Waſſer-Voͤgeln, haufenweiſe bedeckt war. Gegen Nord-
Oſten hin lagen ohnweit der Kuͤſte mehrere ziemlich hohe und gleichfalls mit Holz
bewachſene Eylande, welche Tasman nur fuͤr eine einzige große Inſel angeſe-
hen zu haben ſcheint und ſie in ſeinen Charten unter dem Namen Marien-In-
T 2
[148]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
ſel
angezeigt hat. In dieſer Bay lag die Adventure nur fuͤnf Tage lang, und Ca-
pitain Furneaux nahm daſelbſt etwas friſch Waſſer ein, ſammlete auch einige
merkwuͤrdige Thiere, worunter eine neue Marter- oder Viverra-Art und ein ſchoͤ-
ner weißer Habicht war. Uebrigens ſahen ſie dort herum nirgends Einwohner,
glaubten aber tief im Lande Rauch wahrgenommen zu haben.


Am 15ten Abends ſeegelten ſie aus der Adventure-Bay wiederum ab
und ſteuerten gegen Norden laͤngſt der Kuͤſte hin, die hier ſandig und bergigt war.
Aus den inneren Gegenden des Landes ragten ungleich hoͤhere Berge empor, und
an manchen Stellen lagen Inſeln vor der Kuͤſte, unter denen ſie beſonders
diejenigen anmerkten, welche Tasman,Schoutens- und Van der Linds-
Eylande
genannt hat. Ohngefaͤhr im 41ſten Grad 15 Minuten, ſuͤdlicher Breite,
gelangten ſie an die Muͤndung einer kleinen Bay, die wegen verſchiedner, ohne
Zweifel von den Wilden angezuͤndeten Feuer, den Namen der Feuer-Bay be-
kam. Von hier aus fuhren ſie bis zum 19ten Maͤrz fort die Kuͤſte zu unterſu-
chen, welches jedoch, der Untiefen halber, oͤfters mit Gefahr verknuͤpft war. Als
ſie endlich an gedachtem Tage zu Mittage 29 Grad 20 Minuten ſuͤdlicher Breite
erreicht hatten und das Land ſich noch immer nach Nordweſten hin erſtreckte, ſo
ſchloſſen ſie hieraus, daß Van Diemens Land mit dem feſten Lande von Neu-
Holland
zuſammen haͤngen muͤſſe. Da nun Capitain Furneaux bloß zur Ent-
ſcheidung dieſer bisher ſtreitigen Frage hieher gegangen war, und ſeine vorge-
dachte wahrſcheinliche Vermuthung ihm zu Aufloͤſung derſelben genug zu ſeyn
duͤnkte; ſo ließ er das Schiff umwenden, und fing an, nach dem angewie-
ſenen, auf Neu-Seeland belegenen Sammelplatz hinzuſteuern. — Es bleibt in-
deſſen noch einigem Zweifel unterworfen, ob jene beyden Laͤnder wuͤrklich zuſam-
men haͤngen: Denn, einmal hatte ſich Capitain Furneaux, der Untiefen wegen,
oft ſo weit vom Lande entfernen muͤſſen, daß er die Kuͤſte gaͤnzlich aus dem Ge-
ſicht verlohr, und folglich koͤnnte es an einer oder der andern dieſer Stellen,
vielleicht eine Durchfahrt geben, ohne daß er ſolche haͤtte bemerken koͤnnen;
zweytens iſt von der letzten Land-Ecke, die er gegen Norden hin geſehen, bis
zu Point-Hicks, als der ſuͤdlichſten Stelle, welche Capitain Cook auf
ſeiner vorigen Reiſe im Jahr 1770. erreicht hatte, noch eine unbefahrne
Strecke von 20 ſtarken See-Meilen, mithin Raum genug zu einer Straße oder
[149]in den Jahren 1772 bis 1775.
Durchgang zwiſchen dem feſten Lande von Neu-Holland und van Diemens-1773.
May.

Land
, uͤbrig. Was hingegen dieſe moͤgliche Trennung beyder Laͤnder wieder-
um unwahrſcheinlich macht, iſt dieſes, daß man auf letzterem vierfuͤßige Thiere
gefunden hat, dergleichen es doch ſonſt ſelten auf Inſeln zu geben pflegt, wie be-
reits S. 30. angemerkt worden. Dem ſey wie ihm wolle, ſo verdient doch
dem Anſchein nach kein Theil der Welt mehr unterſucht zu werden, als das
große feſte Land von Neu-Holland, weil wir deſſen bloße Außenlinie kaum ganz
kennen, und die natuͤrlichen Reichthuͤmer deſſelben uns gewiſſermaßen noch gaͤnz-
lich unbekannt ſind. Von den Einwohnern wiſſen wir nicht viel mehr, als daß
ſie, dem einſtimmigen Bericht aller Reiſenden zufolge, ungleich roher denn ir-
gend ein anderes, unter dem heißen Himmelsſtrich wohnendes, Volk ſind und
ganz nackend einhergehen; auch muͤſſen ſie eben nicht zahlreich ſeyn, weil
dem Anſchein nach bloß die Kuͤſten bewohnt ſind. Solchergeſtalt iſt dies Land
fuͤr nichts anders als eine noch voͤllig unbekannte Wildniß zu achten, die aber
um nichts kleiner ſeyn kann als ganz Europa, auch groͤßtentheils unter den
Wende-Creyſen gelegen iſt, mithin, ſowohl ihrer Groͤße, als ihres gluͤckli-
chen, vortreflichen Himmelsſtrichs wegen, vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit ver-
dient und hohe Erwartungen erregt. Die Menge von Merkwuͤrdigkeiten aus
dem Thier- und Pflanzenreich, welche auf Capitain Cooks voriger Reiſe, in
der Endeavour, bloß an den See-Kuͤſten allhier gefunden worden, berechtigt
uns zu dergleichen Erwartungen und macht es faſt ohnfehlbar gewiß, daß die in-
neren Gegenden unendliche Schaͤtze der Natur enthalten, die dem erſten civiliſir-
ten Volk zu Theil und nuͤtzlich werden muͤſſen, welches ſich die Muͤhe geben
wird, ſie aufzuſuchen. An der ſuͤdweſtlichen Ecke dieſes ſo unbekannten feſten
Landes, moͤgte vielleicht ein Eingang zu den inneren Gegenden deſſelben vorhan-
den ſeyn; denn es iſt nicht wahrſcheinlich, daß ein ſo großes Land zwiſchen den
Wende-Cirkeln, ohne einem ſchiffbaren großen Fluſſe ſeyn ſollte und vorgedachter
Theil der Kuͤſte ſcheint fuͤr den Ausfluß deſſelben in die See am beſten gelegen
zu ſeyn. — Doch ich kehre zu meiner Erzaͤhlung zuruͤck.


Die Adventure brachte auf der Ueberfahrt von van Diemens-Land
nach Neu-Seeland, widrigen Windes wegen, funfzehen Tage zu. Am 3ten April
erreichte ſie die ſuͤdliche Kuͤſte dieſes letzteren Landes in der Gegend von Rocks-
T 3
[150]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
Point
, und kam hierauf am 7ten im Charlotten-Sunde, namentlich in Ship-
Cove
, gluͤcklich vor Anker.


Die Mannſchaft hatte waͤhrend ihres Hierſeyns eben ſolche Einrichtungen
am Lande getroffen als wir in Dusky-Bay; doch war an keine Brauerey ge-
dacht worden, weil ſie davon gar nichts wußten. Sie fanden die auf der ſuͤd-
lichen Spitze von Motu-Aro gelegene Hippah oder Feſtung der Einwohner
verlaſſen, und ihr Aſtronom ſchlug daſelbſt ſein Obſervatorium auf. Die
Eingebohrnen, welche ohngefaͤhr aus einigen hundert Koͤpfen beſtehen moͤgen
und verſchiedne unabhaͤngige Partheyen ausmachen, die untereinander oft Krieg
fuͤhren, hatten mit ihnen zu handeln angefangen. Auch aus dem Innern des Lan-
des waren einigemal Leute zu ihnen gekommen, und da ſie allemal ſehr wohl auf-
genommen wurden, ſo hatten ſie kein Bedenken getragen, an Bord zu gehen, ſon-
dern im Gegentheil bey den Matroſen ganz unbeſorgt, und mit großem Appetit
geſchmaußt, vornemlich aber am See-Zwieback und an Erbs-Suppen großen Ge-
ſchmack gefunden. Kleidungs-Stuͤcke, Handwerks-Zeug und Waffen, der-
gleichen ſie in Menge mit ſich brachten, hatten ſie gegen Naͤgel, Beile und
Zeug ſehr gern und eifrig vertauſcht.


Am 11ten May als an demſelben Tage, da wir aus Dusky-Bay ſee-
gelten, hatten verſchiedne Leute von der Adventure, die ſich theils der Ar-
beit, theils der Jagd wegen am Lande befanden, den Stos eines Erdbebens
ſehr merklich gefuͤhlt; die andern hingegen, welche auf dem Schiffe geblieben wa-
ren, hatten nichts davon empfunden. Dieſer Vorfall macht es faſt mehr als
wahrſcheinlich, daß feuerſpeyende Berge auf Neu-Seeland, entweder noch jetzt,
oder doch ehemals geweſen ſind, denn dieſe beyden großen Phoͤnomena ſcheinen
beſtaͤndig mit einander verbunden zu ſeyn.


Wir kamen in Charlotten-Sund an, als die Leute der Adventure
ſchon alle Hoffnung, uns jemals wieder zu finden, aufgegeben, und ſich bereits
darauf eingerichtet hatten, den ganzen Winter in dieſem Haven zuzubrin-
gen. Ihr Capitain ſagte uns, er habe bis zu Eintritt des Fruͤhlings allhier
verbleiben und alsdenn wiederum nach Oſten, auf die Unterſuchung der hoͤhern
ſuͤdlichen Breiten ausgehen wollen. Capitain Cook hingegen war keinesweges
geſonnen, hier ſo viele Monathe lang unthaͤtig zu liegen. Er wußte,
[151]in den Jahren 1772 bis 1775.
daß auf den Societaͤts-Inſeln, welche er auf voriger Reiſe beſucht hatte, gute1773.
May.

Erfriſchungen zu haben waͤren. Er befahl alſo beyde Schiffe, ſo bald als moͤg-
lich, in ſeegelfertigen Stand zu ſetzen; und da es dem unſrigen an nichts fehlte,
ſo half die Mannſchaft deſſelben den Leuten von der Adventure das Werk
foͤrdern.


Wir unſrer Seits fingen gleich den Tag nach unſrer Ankunft an, das
Land zu unterſuchen und fanden in den Waͤldern, an Baͤumen und Kraͤutern,
ohngefaͤhr eben das was wir in Dusky-Bay angetroffen hatten; doch waren
Witterung und Clima hier zum Botaniſiren guͤnſtiger, dergeſtalt, daß verſchie-
dene Pflanzen noch in der Bluͤthe ſtanden; auch bekamen wir einige noch un-
bekannte Voͤgel. Allein der groͤßte Vorzug dieſes Havens vor unſerm ehe-
maligen Erfriſchungs-Platze, beſtand vornemlich darinn, daß es hier uͤberall
antiſcorbutiſche Kraͤuter gab, die uns in Dusky-Bay gefehlt hatten. Wir
brachten bald einen großen Vorrath von wilden Sellery und wohlſchmeckendem
Loͤffelkraut (lepidium) zuſammen, und beydes wurde hernach taͤglich in einer
Suppe von Weitzen- oder Habermehl zum Fruͤhſtuͤck gegeben, oder auch zum Mit-
tags-Eſſen reichlich an die Erbsſuppe gethan; und des Volk von der Adventure,
welches bisher nicht gewußt hatte, daß dieſe Kraͤuter zu genießen waͤren, fieng
bald an, ſich derſelben, ſo wie wir, zu Nutze zu machen. Naͤchſt dieſen fanden
wir noch eine Art von Sau-Dieſteln (Sonchus oleraceus) nebſt einem andren
Kraut, welches unſre Leute lambs quarters nannten (tetragonia cornuta);
beyde ließen wir uns oftmals anſtatt Salats gut ſchmecken. Hatten wir nun
gleich nicht ſo viel Feder-Wildpret und Fiſche als in Dusky-Bay, ſo konnte
man ſich dagegen an dieſen treflichen Gemuͤſen reichlich ſchadlos halten. Die
Spros-Tanne (ſpruce) und der Theebaum von Neu-Seeland wuchſen hier
ebenfalls in großer Menge, und wir lehrten unſre Freunde, auf welche Art
auch dieſe zur Erfriſchung zu gebrauchen waͤren.


Am folgenden Tage giengen wir nach der Hippah oder Feſtung der In-
dianer, wo Herr Bailey, der Aſtronom der Adventure, ſeine Sternwarte
aufgeſchlagen hatte. Sie liegt auf einem ſteilen, freyſtehenden Felſen, und iſt
nur von einer Seite, vermittelſt eines unbequemen Fusſteiges zugaͤnglich, in wel-
chem kaum zwey Mann neben einander gehen koͤnnen. Der Gipfel war ehedem
[152]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
mit Palliſaden umgeben geweſen; die Matroſen hatten ſie aber ſchon mehren-
theils ausgeriſſen und zu Brennholz verbraucht. Innerhalb dieſer Schutzwehr
ſtanden die Wohnungen der Einwohner ohne Ordnung durch einander. Dieſe
Huͤtten waren ohne Seitenwaͤnde aufgefuͤhrt, indem das ganze Haus nur aus ei-
nem Dache beſtand, welches oben in eine ſcharfe Spitze zuſammen lief. Die inwen-
dige Seite hatten ſie mit Baumzweigen, wie ein Zaun oder Huͤrden-Werk aus-
geflochten, alsdenn Baumrinde daruͤber hergelegt, und von außen mit den ſtaͤrk-
ſten Fibern der hieſigen Flachspflanze gedeckt. Die Leute erzaͤhlten uns, daß
dieſe Huͤtten voll Ungeziefers, beſonders aber voll Floͤhe geweſen waͤren, und wun-
derten ſich gewiſſermaßen, daß ſie dieſen Anzeigen nach zu urtheilen, ſo ganz kuͤrz-
lich noch bewohnt geweſen ſeyn ſollten. Ich glaube aber uͤberhaupt, daß derglei-
chen feſte Plaͤtze den Einwohnern jedesmal nur auf kurze Zeit zur Wohnung die-
nen, auf ſo lange nemlich, als ſie etwa wegen Annaͤherung eines Feindes in Ge-
fahr ſeyn moͤgen. Zu vorgedachtem Ungeziefer gehoͤrten auch Ratten, die un-
ſre Reiſenden auf dieſem Hippah-Felſen in ſo großer Anzahl fanden, daß ſie,
um derſelben nur einigermaßen los zu werden, ſtatt anderer Fallen etliche große
Toͤpfe in den Boden eingruben, in welchen ſich denn dieſe Thiere des Nachts
haͤufig fingen. Ihrer Menge nach zu urtheilen, muͤſſen ſie entweder mit zu den
urſpruͤnglichen Bewohnern von Neu-Seeland gehoͤren, oder wenigſtens ſchon
fruͤher dahin gekommen ſeyn, als dies Land von Europaͤern entdeckt worden iſt. Ca-
pitain Furneaux zeigte uns einige Stuͤcke Land auf dem Felſen, die er hatte
umgraben und mit Garten-Gewaͤchs beſaͤen laſſen. Es gerieth daſelbſt ſo
wohl, daß oft Salat und andre Arten von europaͤiſchen Gemuͤſe auf unſern Tiſch
kamen, ob es gleich hier zu Lande ſchon tief in den Winter hinein war. Dieſe
Annehmlichkeit hatten wir aber dem Clima zu verdanken, welches hier ungleich
beſſer als in Dusky-Bay, und ſo gelinde war, daß es, der nahgelegnen und
mit Schnee bedeckten Berge ohnerachtet, in Charlotten-Sund nur ſelten hart
frieren mag; wenigſtens erlebten wir es nicht waͤhrend unſers Hierſeyns, wel-
ches gleichwohl bis zum 6ten Junius dauerte, der auf dieſer Halbkugel, mit un-
ſerm December uͤbereinkommt.


Am 22ſten giengen wir nach einer im Sunde gelegenen Inſel, die Capi-
tain Cook auf ſeiner vorigen Reiſe Long-Eyland genannt hatte. Sie be-
ſteht
[153]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſteht aus einem langen Bergruͤcken, der an beyden Seiten zwar ſehr ſteil, ober-1773.
May.

waͤrts aber faſt ganz eben, obſchon an den mehreſten Stellen nur ſchmal iſt. Auf
der Nordweſtſeite fanden wir einen ſchoͤnen Strand, und uͤberhalb demſelben ein
kleines Stuͤck flaches Land, das groͤßtentheils moraſtig und mit verſchiednen Gras-
Arten bewachſen war; das uͤbrige Land brachte allerhand antiſcorbutiſche Kraͤu-
ter, imgleichen den Neu-Seelaͤndiſchen Flachs (phormium) hervor, welcher
letztere ſich am haͤufigſten neben den alten verlaßnen Huͤtten der Einwohner fand.
Wir ließen hier etliche Stuͤcken Land umgraben und zurecht machen und ſaͤeten eu-
ropaͤiſches Garten-Geſaͤme hinein das, allem Anſchein nach, gut fortkommen
wird. Hierauf erſtiegen wir die Spitze dieſer Inſel, fanden aber nichts als tro-
cknes, bereits verwelktes Gras und allerhand niedriges Strauchwerk darauf,
unter welchem eine Menge Wachteln, die den Europaͤiſchen voͤllig aͤhnlich wa-
ren, ihre Wohnung aufgeſchlagen hatten. Einige tiefe und ſchmale Erdriſſe,
die von der Hoͤhe gegen die See herab liefen, waren mit Baͤumen, Stauden
und [Schling] verwachſen und voll kleiner Voͤgel, darunter es auch
Falken gab. Wo die Klippen ganz ſenkrecht aus dem Meer empor ſteigen, oder
ſchief uͤber das Waſſer hiengen, da hatten große Schaaren einer ſchoͤnen
Seeraben-Art (Shags) geniſtet, entweder auf kleinen Felſenſtuͤcken, oder wo
moͤglich, in kleinen Hoͤhlungen, die ohngefaͤhr einen Fus ins Gevierte haben
mogten, und manchmal von den Voͤgeln ſelbſt erweitert zu ſeyn ſchienen. Hiezu
iſt der thonartige Stein, aus welchem die mehreſten Berge in Charlotten-Sund
beſtehen, oft weich genug. Er liegt in ſchief haͤngenden Schichten, die ſich
gemeiniglich gegen Suͤden ſenken, iſt theils gruͤnlich grauer, theils blauer, theils
gelbbraͤunlicher Farbe, und enthaͤlt zuweilen Quarz-Adern. Auch findet man in
ſelbigem den gruͤnen Talkſtein, lapis nephriticus genant, der, wenn er die ge-
hoͤrige Haͤrte hat, halb durchſichtig iſt und eine feine Politur annimmt; doch
giebt es ungleich mehr weichere, undurchſichtige und blaßgruͤne, als Feuerſtein-
harte und halbdurchſichtige. Die Einwohner machen Meißel, Beile, zuwei-
len auch Pattu-Pattuhs oder Streit-Aexte daraus, und es iſt eben dieſelbige Stein-
Art, welche bey den engliſchen Juwelierern, Jade heißt. Naͤchſt dieſem fanden wir,
an verſchiednen Stellen, auch Schichten eines ſchwarzen Felsſteins (Saxum
Linn.
), der aus ſchwarzem dichten Glimmer (mica) und kleinen Quarz-Theilchen
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. U
[154]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
beſtand. Von Hornſteinen und Thonſchiefer findet man ebenfalls verſchiedene
Arten in maͤchtigen Schichten; beſonders iſt der Thonſchiefer ſehr haͤufig und
gemeiniglich in gebrochenen Stuͤcken am See-Ufer anzutreffen. Die Seeleute
nennen ihn Shingle und unter dieſem Namen iſt deſſelben auch in der Be-
ſchreibung von Capitain Cooks voriger Reiſe gedacht worden. Er ſiehet oft
roſtfarben aus, welches offenbar von Eiſentheilchen herkommt; und es laͤßt ſich
hieraus, gleichwie auch aus den vorbeſchriebnen Mineralien, mit Grunde ver-
muthen, daß dieſer Theil von Neu-Seeland Eiſen, ja vielleicht noch andre Erz-
arten, enthalten muͤſſe. Auf dem Strande ſammleten wir verſchiedne Feuerſtein-
und Kieſel-Arten; imgleichen einige Stuͤcke ſchwarzen, dichten und ſchweren
Baſalts ein, daraus die Eingebohrnen ebenfalls Streit-Aexte oder Pattu-
Pattuhs
verfertigen. Endlich fanden wir auch, kurz vor unſrer Abreiſe, noch
einige Stuͤcke von weißlichten Bimsſtein am See-Ufer, und dieſe, nebſt der
obgenanten Baſalt-Lava, dienen zu untruͤglichen Beweiſen, daß es in Neu-See-
land
, entweder noch jetzt Volcane geben oder doch ehemals vergleichen gegeben
haben muͤſſe.


Am 23ſten des Morgens kamen zwey kleine Canots und in denſelben fuͤnf
Indianer auf uns zu, welches die erſten waren, die ſich ſeit unſrer Ankunft
fehen ließen. Sie waren ohngefaͤhr von eben der Art als die Leute in Dusky-
Bay
, jedoch mit dem Unterſchied, daß dieſe gleich von Anfang weniger miß-
trauiſch und beſorgt gegen uns thaten als jene. Wir kauften ihnen Fiſche ab
und machten ihnen auch einige Geſchenke. So wenig ſie Bedenken trugen
aufs Schiff zu kommen, eben ſo wenig Umſtaͤnde machten ſie auch uns in die Ca-
juͤtte zu folgen, und da wir uns gerade zu Tiſch ſetzten, ſo aßen ſie ganz getroſt
mit von unſern Speiſen; im Trinken hingegen wollten ſie uns nicht Geſell-
ſchaft leiſten, wenn es auf Wein oder Branntewein ankam, ſondern gegen bey-
des bezeugten ſie einen unuͤberwindlichen Abſcheu und tranken nichts als Waſſer.
Sie waren ſo unſtaͤtt, daß ſie von unſerm Tiſche nach den Steuer-Raum hinab
liefen und auch da, bey den Officieren, eine neue tuͤchtige Mahlzeit hielten,
imgleichen eine Menge Waſſer ſoffen, die ihnen mit Zucker ſuͤß gemacht wurde, weil
man wußte, daß ſie darnach ungemein luͤſtern waren. Was ſie ſahen oder
erreichen konnten, ſtand ihnen an; ſo bald man ſie aber nur im mindeſten
[155]in den Jahren 1772 bis 1775.
bedeutete, daß wir es nicht miſſen koͤnnten oder wollten, ſo legten ſie es willig1773.
May.

wiederum hin. Glas-Bouteillen, welche ſie Tawhaw nannten, mußten ihnen be-
ſonders ſchaͤtzbar ſeyn, denn wo ſie dergleichen nur anſichtig wurden, da wieſen ſie
auch darauf hin, und ſagten mokh, indem ſie die Hand auf die Bruſt legten, wel-
ches allemahl bedeutete, daß ſie etwas zu haben wuͤnſchten. Aus Corallen, Baͤn-
dern, weißen Papier und andern ſolchen Kleinigkeiten machten ſie ſich nichts; aber
Eiſen, Naͤgel und Beile waren ihnen ſehr angenehm; ein Beweis, daß ſie den
inneren Werth dieſer Waaren nunmehro durch die Erfahrung hatten kennen und
ſchaͤtzen lernen, und daß die Gleichguͤltigkeit, welche ſie bey Capitain Cooks
voriger Reiſe dagegen blicken ließen, blos daher ruͤhrte, weil ſie von der Nutzbar-
keit und Dauerhaftigkeit des Eiſenwerks damals noch gar keinen Begriff hatten.
Einige von unſern Leuten waren ſo frey geweſen, ſich nach Tiſche ihrer Canots zu
bedienen um damit ans Land zu fahren; allein die Indianer, denen mit einer
ſolchen Vertraulichkeit eben nicht gedient ſeyn mochte, kamen gleich in die Ca-
juͤtte, um ſich beym Capitain daruͤber zu beſchweren. Man ſahe folglich, daß
ſie begriffen haben mußten, der Capitain habe den Leuten zu befehlen; und da er
ihnen auch ſogleich Gerechtigkeit wiederfahren, und die Canots wieder geben ließ,
ſo kehrten ſie alle hoͤchſt vergnuͤgt ans Land zuruͤck.


Am folgenden Morgen kamen ſie ſchon bey Anbruch des Tages wieder
und brachten noch vier andre Leute mit ſich, worunter auch ein Weib nebſt ver-
ſchiednen Kindern war. Sie ſchienen des Handels wegen gekommen zu ſeyn, wor-
inn wir ſie auch nicht ſtoͤhren wollten, ſondern gleich nach dem Fruͤhſtuͤck mit den
Capitains der beyden Schiffe nach einem ſehr breiten See-Arm ausruderten, der
an der Nord-Seite des Sundes gelegen und auf der vorigen Reiſe Weſt-Bay
genannt worden war. Unterwegens begegneten wir einem doppelten Canot,
welches mit dreyzehen Mann beſetzt, zu uns heran kam. Dieſe Leute ſchienen ſich
des Capitain Cook’s zu erinnern, denn ſie wandten ſich an ihn und fragten nach
Tupaya, *) dem Indianer von O-Taheitti, welchen er auf ſeiner vorigen
U 2
[156]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773
May.
Reiſe bey ſich gehabt, und der bey des Schiffes Anweſenheit in Neu-Seeland
noch am Leben geweſen war. Als ſie hoͤrten, daß er todt ſey, ſchienen ſie ganz
betruͤbt daruͤber und ſagten einige Worte in einem klagenden Tone her. Wir
machten ihnen Zeichen, daß ſie an Bord des Schiffs nach Ship-Cove gehen
moͤgten; als ſie aber ſahen, daß wir nach einer andern Gegend hinruderten,
kehrten auch ſie nach der Bucht zuruͤck, aus welcher ſie gekommen waren.


Wir fanden die Berge in dieſer Gegend des Landes nicht voͤllig ſo ſteil als
ſie an dem ſuͤdlichen Ende von Neu-Seeland zu ſeyn pflegten, beſonders waren ſie
an der Kuͤſte hier alle niedriger als dort, aber faſt durchgaͤngig mit Waldung be-
wachſen, und dieſe war eben ſo dick und undurchdringlich als in Dusky-Bay.
Dagegen gab es hier ungleich mehr Tauben, Papagayen und kleine Voͤgel, die zum
Theil jene kalte Gegenden im Winter verlaſſen haben und nach dieſem waͤrmern
Theile gezogen ſeyn mochten. Auſterfaͤnger oder See-Elſtern und verſchiedne See-
raben-Arten machten es an den Kuͤſten lebhaft; aber Endten waren ſelten. Uebri-
gens giebt es in Weſt-Bay eine Menge ſchoͤner Buchten, die alle guten Anker-
grund haben. Rund umher ſteigen die Berge in ſanften Anhoͤhen empor und ſind
mit Buſchwerk und Baͤumen beſetzt, doch findet man auch einige die an der
Spitze ohne Holz ſind, und ſtatt deſſen nur eine Art von gemeinen Farnkraut
(acroſtichum furcatum) hervorbringen. Ohngefaͤhr eben ſo ſiehet das Land
auf verſchiednen Inſeln im Sunde und auf einem großen Theil der ſuͤdoͤſtlichen
Kuͤſte deſſelben, vom Cap Koamaru gegen Oſt-Bay hin, aus. Nachdem wir
eine Menge neuer Pflanzen, worunter auch eine faſt wie Ingwer ſchmeckende
Pfeffer-Art war, eingeſammlet, imgleichen allerhand Voͤgel geſchoſſen hatten, ſo
kehrten wir des Abends ſpaͤt an Bord zuruͤck.


In unſrer Abweſenheit war, aus Norden her, ein großes Canot mit
zwoͤlf Indianern an Bord gekommen, die eine Menge von ihren Kleidungsſtuͤcken,
einige ſteinerne Streit-Aexte, Keulen, Speere, ja ſo gar ihre Ruder verhandelt
*)
[157]in den Jahren 1772 bis 1775.
hatten. Das große Boot, welches am Morgen nach einer nahgelegnen Bucht1773.
May.

hin geſchickt worden war, um fuͤr unſer Schiffsvolk Gemuͤſe und fuͤr die Ziegen
und Schaafe Gras zu holen, war bey unſrer Ruͤckkunft an Bord noch nicht
wieder eingetroffen; und da es auch den folgenden Tag ausblieb, ſo wurden wir
wegen der zwoͤlf Mann, womit es beſetzt war, ſehr unruhig. Unter dieſen befan-
den ſich der dritte Schiffs-Lieutenant, der Lieutenant der See-Soldaten, Herr
Hodges, der Zimmermann und der Conſtabel. Wir hatten um ſo viel mehr
Urſach von ihrem Außenbleiben die ſchlimmſten Vermuthungen zu hegen, da Wind
und Wetter nicht ſchuld daran haben konnten, indem beydes bis zum 25ſten
Morgens vollkommen gut geweſen war und alsdenn erſt angefangen hatte, reg-
nicht und ſtuͤrmiſch zu werden.


Am 26ſten Nachmittags, als ſich das Wetter etwas aufklaͤrte, kam das
vermißte Boot endlich wieder, die Leute aber waren von Arbeit und Hunger
aͤußerſt erſchoͤpft. Der ganze Vorrath von Lebensmitteln, den ſie mitgenom-
men, hatte aus drey Zwiebacken und einer Flaſche Brantewein beſtanden, und
des ſtuͤrmiſchen Wetters wegen war auch nicht ein einziger Fiſch zu fangen gewe-
ſen. Sie hatten aus allen Kraͤften gegen die Wellen gearbeitet, um wieder an
das Schiff zu kommen, aber gegen das Ungeſtuͤm der See nichts auszurichten
vermocht, und nachdem ſie eine Zeitlang tuͤchtig herumgeſchleudert worden,
ihre Zuflucht nach einer Bucht genommen, wo ihnen einige von den India-
nern verlaßne Huͤtten, zum Obdach dienen mußten. Indeſſen waͤren ſie doch bey-
nahe verhungert, denn ihr ganzer Unterhalt beſtand nur aus einigen Muſcheln,
die hier und da an den Felſen klebten.


Am folgenden Morgen ſpatzierten wir rund an dem Ufer der Bucht um-
her, um Pflanzen und Voͤgel aufzuſuchen; und Nachmittags giengen wir nach
der felſichten Kuͤſte von Point Jackſon, um Meer-Raben (Shags) zu ſchießen,
die wir nun ſtatt wilder Enten zu eſſen gelernt hatten. In der Zwiſchenzeit be-
kamen wir einen zweyten Beſuch von der indianiſchen Familie, welche am 23ſten
ſchon bey uns geweſen war, doch ſchien es diesmal blos aufs Miteſſen angeſe-
hen zu ſeyn, denn zum Vertauſchen hatten ſie nichts mitgebracht. Wir frag-
ten nach ihren Namen; es waͤhrte aber eine lange Zeit ehe ſie unſre Meynung
verſtehen konnten. Endlich erfuhren wir, daß der aͤlteſte unter ihnen Towa-
U 3
[158]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
hangha
, die andern aber Kotughaͤ-a, Koghoaͤaͤ, Khoaͤaͤ, Kollaͤkh, und
Taywaherua hießen. Dieſer letztbenannte war ein Knabe von ohngefaͤhr
vierzehen Jahren, der etwas ſehr gefaͤlliges an ſich hatte, auch der lebhafteſte und
verſtaͤndigſte von allen zu ſeyn ſchien. Wir nahmen ihn mit uns in die Ca-
juͤtte, und behielten ihn zu Tiſche, wo er ſichs tapfer ſchmecken ließ. Unter an-
dern verzehrte oder verſchlang er vielmehr, mit recht gefraͤßigein Appetit, ein
Stuͤck von einer See-Raben-Paſtete, (Shag-pye) und wider alle Erwartung
war ihm der Teig davon lieber als das Fleiſch. Der Capitain ſchenkte ihm
Madera-Wein ein, wovon er etwas mehr als ein Glas trank, anfaͤnglich aber
viel ſaure und ſchiefe Geſichter dabey machte. Als hierauf eine Flaſche von ganz
ſuͤßem Cap-Wein auf den Tiſch kam, ſo ward ihm auch davon ein Glas vor-
geſetzt; dieſer ſchmeckte ihm ſo gut, daß er die Lippen ohne Aufhoͤren darnach
leckte, und bald noch ein zweytes Glas verlangte, welches ihm auch gegeben
ward. Nunmehro fieng er an uͤberaus lebhaft und geſpraͤchig zu werden. Er
tanzte in der Cajuͤte herum, und verfiel mit einemmal darauf des Capitains
Boot-Mantel zu haben, der auf einem Stuhle lag. Als er eine abſchlaͤgige
Antwort hierauf bekam, ward er ſehr verdruͤßlich. Es waͤhrte nicht lange, ſo
forderte er eine ledige Bouteille, und da ihm auch dieſe verſagt ward; ſo lief
er im groͤßten Zorn zur Cajuͤtte hinaus. Auf dem Verdeck fand er einige un-
ſrer Bedienten, die Leinenzeug zuſammen legten, welches ſie getrocknet hat-
ten. Von dieſem hatte er in einem Augenblick ein Tiſchtuch weggehaſcht;
man nahm es ihm aber gleich wieder ab. Nun wußte er ſich gar nicht
mehr zu baͤndigen; er ſtampfte mit den Fuͤßen, drohte, brummte oder
grunzte vielmehr etwas zwiſchen den Zaͤhnen her, und ward zuletzt ſo
tuͤckiſch, daß er kein Wort mehr ſprechen wollte. Die empfindliche, leicht zu
beleidigende Gemuͤthsart dieſes Volks zeigte ſich nirgends deutlicher als in
dieſes Knaben Auffuͤhrung; und wir ſahen bey dieſer Gelegenheit, welch ein Gluͤck
es fuͤr ſie iſt, daß ſie von berauſchenden Getraͤnken nichts wiſſen, denn derglei-
chen wuͤrde ſie ohnfehlbar noch wilder und unbaͤndiger machen.


Am folgenden Morgen hatten wir verſchiedne Canots um uns her, in de-
nen zuſammen genommen etwa dreyßig Indianer ſeyn mochten. Sie brachten
allerhand Werkzeuge und Waffen zu Markte, und bekamen eine Menge andrer
[159]in den Jahren 1772 bis 1775.
Sachen dagegen, weil unſre Leute ſo eifrig aufs Eintauſchen waren, daß einer1773.
May.

den andern immer uͤberboth. Es befanden ſich auch einige Weiber unter ihnen;
dieſe hatten ſich die Backen mit Rothſtein und Oehl [geſchminkt], die Lippen hin-
gegen ſahen, vom Puncktiren oder Taͤttowiren, welches hier zu Lande ſehr Mode
iſt, ganz ſchwaͤrzlich blau aus. Wir fanden, daß ſie, gleichden Leuten in
Dusky-Bay, faſt durchgaͤngig duͤnne krumme Beine, mit dicken Knieen hatten.
Dies muß ohne Zweifel davon herruͤhren, daß ſie ſolche wenig gebrauchen, in-
dem ſie eines theils am Lande die mehreſte Zeit unthaͤtig liegen moͤgen, andern
theils aber in den Canots ſtets mit untergeſchlagnen Fuͤßen, zu ſitzen pflegen.
Uebrigens waren ſie von ziemlich heller Farbe, die ohngefaͤhr zwiſchen Oliven-
und Mahogany-braun das Mittel halten mochte; dabey hatten ſie pechſchwarzes
Haar, runde Geſichter, und vielmehr dicke, als platte Naſen und Lippen. Auch hat-
ten ſie ſchwarze Augen, die oft lebhaft und nicht ohne Ausdruck waren, ſo wie der
ganze Obertheil des Corpers wohl gebildet und ihre Geſtalt uͤberhaupt gar nicht
wiedrig ins Auge fiel. Unſre Matroſen hatten ſeit der Abreiſe vom Cap mit kei-
nen Frauensperſonen Umgang gehabt; ſie waren alſo ſehr eifrig hinter dieſen her,
und aus der Art wie ihre Antraͤge aufgenommen wurden, ſahe man wohl, daß es
hier zu Lande mit der Keuſchheit ſo genau nicht genommen wuͤrde, und daß die
Eroberungen eben nicht ſchwer ſeyn muͤßten. Doch hiengen die Gunſtbezeigun-
gen dieſer Schoͤnen nicht blos von ihrer Neigung ab, ſondern die Maͤnner mußten,
als unumſchraͤnkte Herren, zuerſt darum befragt werden. War deren Einwilli-
gung durch einen großen Nagel, ein Hemd oder etwas dergleichen erkauſt; ſo hat-
ten die Frauensperſonen Freiheit mit ihren Liebhabern vorzunehmen was ſie
wollten, und konnten alsdenn auch noch ein Geſchenk fuͤr ſich ſelbſt erbitten.
Ich muß indeſſen geſtehen, daß einige derſelben ſich nicht anders als mit dem
aͤußerſten Wiederwillen zu einem ſo ſchaͤndlichen Gewerbe mißbrauchen ließen, und
die Maͤnner mußten oft ihre ganze Autoritaͤt ja ſogar Drohungen anwenden, ehe
ſie zu bewegen waren, ſich den Begierden ſolcher Kerl preis zu geben, die ohne
Empfindung ihre Thraͤnen ſehen und ihr Wehklagen hoͤren konnten. Ob unſre
Leute, die zu einem geſitteten Volk gehoͤren wollten und doch ſo viehiſch ſeyn konn-
ten, oder ob jene Barbaren, die ihre eignen Weibsleute zu ſolcher Schande
zwungen, den großten Abſcheu verdienen? iſt eine Frage, die ich nicht beantwor-
[160]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
ten mag. Da die Neu Seelaͤnder fanden, daß ſie nicht wohlfeiler und leichter
zu eiſernem Geraͤthe kommen konnten, als vermittelſt dieſes niedertraͤchtigen Ge-
werbes; ſo liefen ſie bald genug im ganzen Schiffe herum und bothen ihre Toͤchter
und Schweſtern ohne Unterſchied feil. Den verheiratheten Weibern aber, ver-
ſtatteten ſie, ſo viel wir ſehen konnten, nie die Erlaubniß, ſich auf aͤhnliche Weiſe
mit unſern Matroſen abzugeben. Ihre Begriffe von weiblicher Keuſchheit ſind in
dieſem Betracht ſo ſehr von den unſrigen verſchieden, daß ein unverheirathetes
Maͤdchen viele Liebhaber beguͤnſtigen kann, ohne dadurch im mindeſten an ihrer
Ehre zu leiden. So bald ſie aber heirathen, wird die unverbruͤchlichſte Beob-
achtung ehelicher Treue von ihnen verlangt. Da ſie ſich ſolchergeſtalt, aus
der Enthaltſamkeit unverheyratheter Frauensperſonen nichts machen; ſo wird
man vielleicht denken, die Bekanntſchaft mit ausſchweifenden Europaͤern koͤnne den
moraliſchen Character dieſes Volks eben nicht verſchlimmert haben: Allein
wir haben alle Urſach zu vermuthen, daß ſich die Neu-Seelaͤnder zu einem der-
gleichen ſchaͤndlichen Maͤdchen-Handel nur ſeitdem erſt erniedrigt hatten, ſeit-
dem vermittelſt des Eiſengeraͤthes neue Beduͤrfniſſe unter ihnen waren veranlaßt
worden. Nun dieſe einmal ſtatt fanden, verfielen ſie erſt, zu Befriedigung
derſelben, auf Handlungen, an welche ſie zuvor nie gedacht haben mochten und
die nach unſern Begriffen auch nicht einmal mit einem Schatten von Ehre
und Empfindſamkeit beſtehen koͤnnen.


Es iſt ſchon Ungluͤcks genug, daß alle unſre Entdeckungen ſo viel unſchuldigen
Menſchen haben das Leben koſten muͤſſen. Allein, ſo hart das auch fuͤr die kleinen, un-
geſitteten Voͤlkerſchaften ſeyn mag, welche von Europaͤern aufgeſucht worden
ſind, ſo iſts doch warlich nur eine Kleinigkeit in Vergleich mit dem unerſetzlichen
Schaden, den ihnen dieſe durch den Umſturz ihrer ſittlichen Grundſaͤtze zugefuͤgt
haben. Waͤre jenes Uebel gewiſſermaßen dadurch wieder gut gemacht, daß man
ſie wahrhaft nuͤtzliche Dinge gelehret oder irgend eine unmoraliſche und ver-
derbliche Gewohnheit unter ihnen ausgerottet haͤtte; ſo koͤnnten wir uns wenig-
ſtens mit dem Gedanken troͤſten, daß ſie auf einer Seite wieder gewonnen haͤtten,
was ſie auf der andern verlohren haben moͤgten. So aber beſorge ich leyder,
daß unſre Bekantſchaft den Einwohnern der Suͤd-Seedurchaus nachtheilig ge-
weſen iſt; und ich bin der Meynung, daß gerade diejenigen Voͤlkerſchaften am be-
ſten
[161]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſten weggekommen ſind, die ſich immer von uns entfernt gehalten und aus Be-1773.
May.

ſorgniß und Mistrauen unſerm Seevolk nie erlaubt haben, zu bekannt und zu
vertraut mit ihnen zu werden. Haͤtten ſie doch durchgaͤngig und zu jeder Zeit
in den Minen und Geſichtszuͤgen deſſelben den Leichtſinn leſen und ſich vor der
Liederlichkeit fuͤrchten moͤgen, welche den See Leuten uͤberhaupt und mit Recht
zur Laſt gelegt wird! —


Man fuͤhrte einige von dieſen Wilden in die Cajuͤtte, wo ſichs Herr
Hodges angelegen ſeyn lies diejenigen zu zeichnen in deren Geſicht der meh-
reſte Character war. Zu dem Ende gaben wir uns Muͤhe ſie auf einige Au-
genblicke zum Stillſitzen zu bringen, indem wir ihnen allerhand Kleinig-
keiten vorzeigten und zum Theil auch ſchenkten. Vornemlich befanden ſich ei-
nige bejahrte Maͤnner mit grauen Koͤpfen, desgleichen etliche junge Leute darun-
ter, in deren Phyſionomien vorzuͤglich viel Ausdruck war. Die letzteren hatten
ungemein ſtraubicht und dickgewachſenes Haar, das ihnen uͤber die Geſichter
herhieng und ihr natuͤrlich wildes Anſehen noch vermehrte. Sie waren faſt alle
von mittlerer Statur; und, ſowohl der Geſtalt, als der Farbe und Tracht nach,
den Leuten in Dusky-Bay beynahe vollkommen aͤhnlich. Ihre Kleidungen
waren aus den Fibern der Flachs-Pflanze zuſammen geflochten, aber nie mit
Federn durchwebt, ſondern an deren ſtatt war der Mantel auf den vier Ecken
mit Stuͤcken von Hundefell beſetzt, eine Zierrath die man in Dusky-Bay nicht
haben konnte, weil es daſelbſt keine Hunde giebt. Außerdem trugen auch die
Leute, der ſpaͤten Jahreszeit wegen, in welcher das Wetter ſchon kalt und reg-
nicht zu werden anfieng, faſt beſtaͤndig ihren Boghi-Boghi, welches ein rau-
her Mantel iſt, der als ein Bund zuſammengewundnes Stroh vom Halſe uͤber die
Schultern herabhaͤngt. *) Ihre uͤbrigen Kleidungsſtuͤcke von Zeug waren gemei-
niglich alt, ſchmutzig und nicht ſo fein gearbeitet als ſie in der Geſchichte von
Capitain Cooks voriger Reiſe beſchrieben ſind. **) Die Maͤnner hatten das Haar
nachlaͤßig um den Kopf haͤngen; die Frauensperſonen hingegen trugen es kurz
abgeſchnitten und dieſer Unterſchied ſcheint durchgehends bey ihnen beobachtet zu
werden. Auch hatten ſie den Kopfputz oder die Muͤtze von braunen Federn,
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. X
[162]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
deren in Captain Cooks voriger Reiſebeſchreibung erwaͤhnt iſt. Nachdem ſie
ein Paar Stunden an Bord geweſen, fiengen ſie an zu ſtehlen und alles auf die
Seite zu bringen, was ihnen in die Haͤnde fiel. Man ertappte einige die eben
eine vierſtuͤndige Sand-Uhr, eine Lampe, etliche Schnupftuͤcher und Meſſer fort-
ſchleppen wollten. Dieſes Diebes-Streichs wegen ließ ſie der Capitain zum
Schiffe hinaus werfen und ihnen andeuten, daß ſie nie wieder an Bord kommen
ſollten. Sie fuͤhlten vollkommen, wie ſehr ihnen eine ſolche Begegnung zur
Schande gereiche, und ihr hitziges Temperament, das keine Kraͤnkung ertragen
kann, gerieth daruͤber in Feuer und Flammen, ſo daß der eine ſich nicht enthalten
konnte von ſeinem Canot aus zu drohen, als wolle er zu Gewaltthaͤtigkeiten
ſchreiten. Dazu kom es indeſſen nicht, ſondern am Abend giengen ſie alle
ruhig ans Land und richteten, dem Schiffe gegenuͤber, aus Baumzweigen einige
Huͤtten auf, um die Nacht darunter zuzubringen. Hierauf zogen ſie die Ca-
nots aufs Land, zuͤndeten ein Feuer an und bereiteten ihr Abendeſſen, das aus
einigen Fiſchen beſtand, welche ſie in ihren Fahrzeugen, nicht weit vom Ufer, mit be-
ſonderer Geſchicklichkeit in einem Reiſen-Netz gefangen hatten. Beydes, ſo-
wohl das Netz als die Art ſich deſſelben zu bedienen, ſind in Cook’s voriger
Reiſe beſchrieben. *)


Am folgenden Morgen fuhren wir, bey ſchoͤnem gelinden Wetter
nach Long-Eyland, um nach dem Heu zu ſehen, welches unſre Leute vor
acht Tagen allda gemacht hatten. Auch wollten wir, in der Nachbarſchaft ei-
nes daſelbſt befindlichen aber verlaßnen indianiſchen Wohnplatzes, Gemuͤſe fuͤr
das Schiffsvolk einſammlen. Bey dieſer Gelegenheit ſanden wir wiederum ei-
nige neue Pflanzen und ſchoſſen auch etliche kleine Voͤgel-, die von den bis-
her bekannten verſchieden waren. Nachmittags gab der Capitain mehreren Ma-
troſen Erlaubniß ans Land zu gehen, woſelbſt ſie von den Wilden allerhand
Curioſitaͤten einhandelten, und ſich zu gleicher Zeit um die Gunſt manches Maͤd-
chens bewarben, ohne ſich an die ekelhafte Unreinlichkeit derſelben im geringſten
zu kehren. Haͤtten ſie indeſſen nicht gleichſam aller Empfindung entſagt gehabt;
ſo wuͤrde die widrige Mode dieſer Frauensperſonen, ſich die Backen mit Oker
und Oel zu beſchmieren, ſie ſchon allein von dergleichen vertrauten Verbindungen
[163]in den Jahren 1772 bis 1775.
abgehalten haben. Außerdem ſtanken die Neu-Seelaͤnderinnen auch dermaſ-1773.
May.

ſen, daß man ſie gemeiniglich ſchon von weitem riechen konnte und ſaßen uͤberdem
ſo voll Ungeziefer, daß ſie es oft von den Kleidern abſuchten und nach Gelegenheit
zwiſchen den Zaͤhnen knackten. Iſts alſo nicht zum Erſtaunen, daß ſich Leute fanden,
die ſich auf eine viehiſche Art mit ſolchen ekelhaften Creaturen abzugeben im
Stande waren, und daß weder ihr eignes Gefuͤhl noch die Neigung zur Rein-
lichkeit, die dem Englaͤnder doch von Jugend auf beygebracht wird, ihnen einen
Abſcheu vor dieſen [Menſchen] erregte!


‒ ‒ ‒ Vnde
Hæc tetigit,
Gradive, tuos urtica nepotes?

(Juvenal.)

Ehe ſie an Bord zuruͤck kamen, hatte eine von dieſen Schoͤnen, einem
Matroſen die Jacke weggeſtohlen und ſolche einem jungen Kerl von ihren Lands-
leuten gegeben. Der Eigenthuͤmer fand ſie in den Haͤnden dieſes letztern und
nahm ſie ihm wieder ab. Dieſer verſetzte ihm dagegen einige Fauſtſchlaͤge, die
der Englaͤnder jedoch nur fuͤr Spas aufnahm; wie er ſich aber umwandte und
ins Boot ſteigen wollte, warf der Wilde mit großen Steinen nach ihm. Nun
fieng der Matroſe Feuer, gieng auf den Kerl los und ſieng auf gut Engliſch an,
ihn tuͤchtig zuſammen zu boxen. Im Augenblick hatte der Neu-See-
laͤnder ein blaues Auge und eine blutige Naſe weg, und dem Anſehn nach ge-
nung; denn er gab in vollem Schrecken das Treffen auf und lief davon.


Capitain Cook hatte ſich vorgenommen, alle moͤgliche Sorgfalt anzu-
wenden, daß die europaͤiſchen Garten-Gewaͤchſe in dieſem Lande fortkommen
moͤchten. Zu dem Ende ließ er das Erdreich beſtellen, ſtreute allerley Saamen
aus und verſetzte hernach die jungen Pflanzen auf vier oder fuͤnf verſchiedne Stel-
len des Sundes. Einen dergleichen Fleck legte er am Ufer von Long-Eyland an,
einen andern auf dem Hippah-Felſen, zwey auf Motu-Aro und hiernaͤchſt
einen fuͤnften auf einem ziemlich großen Platz im Hintergrunde von Ship-Cove,
wo unſre Schiffe vor Anker lagen. Er richtete hiebey ſein vornehm-
ſtes Augenmerk auf nuͤtzliches, nahrhaftes Wurzelwerk, vornemlich auf Cartof-
X 2
[164]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
eln, wovon wir das Gluͤck gehabt, einige friſch zu erhalten. Auch hatte er verſchied-
ne Arten von Korn, imgleichen große Bohnen, Faſel-Bohnen und Erbſen
ausgeſaͤet, und ſich die letzte Zeit unſers Hierſeyns uͤber faſt damit allein be-
ſchaͤftiget.


Am 1ſten Junius kamen in der Fruͤhe verſchiedne Canots mit Wilden
zu uns, die wir noch nicht geſehen hatten. Ihre Fahrzeuge waren von ver-
ſchiedner Groͤße und drey derſelben mit Seegeln verſehen, die man ſonſt eben
nicht haͤufig unter ihnen antrift. Das Seegel beſtand aus einer großen drey-
eckigten Matte, und war auf einer Seite an dem Maſte, auf der andern an einer
Stange befeſtigt, welche beyde, unterwaͤrts, in einem ſcharfen Winkel zuſammen ſtieſ-
ſen und ſehr leicht losgemacht und niedergelaſſen werden konnten. Der obere oder
breitere Theil des Seegels war an dem Saum mit fuͤnf braunen Federbuͤſchen
ausgeziert. Der Boden der Canots beſtand aus einem ausgehoͤhlten Baum-
ſtamm, die Seiten aber aus Brettern oder Planken. Von dieſen hatten ſie
immer eine auf die andre geſetzt, vermittelſt kleiner Loͤcher, durch Schnuͤre von der
Neu-Seelaͤndiſchen Flachspflanze feſt zuſammen gebunden, und hernach die
Fugen mit der Wolle von Schilf-Keulen (typha latifolia) dicht verſtopft.
Unter dieſen Canots gab es etliche doppelte, das iſt, zwey derſelben waren alsdann
mit Queerhoͤlzern und Stricken neben und aneinander befeſtigt; die uͤbrigen, ein-
fachen, hatten einen ſogenannten Ausleger (outrigger) oder ein ſchmales Bret,
das an einer Seite des Canots an Queerhoͤlzer, parallel mit dem Fahrzeug
befeſtigt war und daſſelbe fuͤr dem ſonſt allzu leichten Umſchlagen ſichern ſollte.
Alle dieſe Canots waren alt und ſchienen beynahe ausgedient zu haben, auch
keines derſelben ſo reich mit Schnitzwerk und kuͤnſtlicher Arbeit geziert, als jene,
welche Capitain Cook bey ſeiner erſten Reiſe, an der noͤrdlichen Inſel dieſes
Landes, angetroffen und beſchrieben hat; doch waren ſie im Ganzen eben ſo
gebauet und hatten z. B. durchgehends ein unfoͤrmlich geſchnitztes Menſchen-
Geſicht am Vordertheil, hohe Hintertheile, imgleichen ſcharfgeſpitzte Ruder-
Schaufeln. Die Eigenthuͤmer derſelben brachten verſchiedne von ihren Zierra-
then zum Verkauf, die mehrentheils aus Stuͤcken von gruͤnem Lapis ne-
phriticus
geſchnitten, und uns der Form nach, zum Theil, neu waren. Ei-
nige waren flach und hatten eine ſcharfe Schneide, als Beil- oder Axt- Klin-
[165]in den Jahren 1772 bis 1775.
gen. Andre waren lang und duͤnn und dienten zu Ohrgehaͤnken, wieder andre1773.
Junius.

waren zu kleinen Meißeln geſchliffen und in hoͤlzerne Griffe gefaßt; und endlich
gab es noch einige, mit vieler Muͤhe und Arbeit, in Form hockendſitzender Fi-
guren geſchnitzte, die zuweilen einer menſchlichen Geſtalt etwas aͤhnlich ſahen,
und mit eingeſetzten, ungeheuer großen Augen von Perlmutter verſehen zu ſeyn
pflegten. Dieſen Zierrath, e-Tighi genannt, trugen ſo wohl Maͤnner als Wei-
ber, ohne Unterſchied des Geſchlechts, an einer auf die Bruſt herabhaͤngenden
Halsſchnur, und wir vermutheten, daß er eine oder die andre religioͤſe Be-
deutung haben muͤſſe. Unter andern verkauften ſie uns eine Knie-Schuͤrze, die
aus dichtgeflochtnen Zeuge verfertigt, mit rothen Federn beſetzt, an den Seiten
mit weißen Hundefell verbraͤmt und mit Stuͤcken von See-Ohr-Muſcheln
geziert war; dergleichen die Weiber bey ihren Taͤnzen tragen ſollen. Außerdem
handelten wir auch eine Menge Fiſch-Angeln ein; dieſe waren ſehr unfoͤrmlich,
aus Holz gemacht und an der Spitze mit einem Stuͤck ausgezackten Knochen
verſehen, welches ihrer Ausſage nach, Menſchen-Knochen ſeyn ſollten. Neben
dem Tighi oder anſtatt deſſelben, trug mancher etliche Schnuren von aufge-
reiheten Menſchen-Zaͤhnen. Sie hielten ſolche aber keinesweges fuͤr ſo un-
ſchaͤtzbar als in Capitain Cook’s voriger Reiſebeſchreibung angegeben wird;
ſondern verkauften ſie ganz gern gegen Eiſengeraͤthe oder andre Kleinigkeiten. Auch
hatten ſie eine Menge Hunde in ihren Canots und ſchienen viel auf dieſe Thiere zu
halten, denn jeder hatte den ſeinigen mit einer Schnur mitten um den Leib ange-
bunden. Es war eine langhaarichte Art mit zugeſpitzten Ohren, dem gemei-
nen Schaͤfer-Hunde oder des Grafen Buͤffon’schien de Berger, (Siehe deſſen
Hiſt. naturelle \&c.) ſehr aͤhnlich, und von allerhand Farben, nemlich einige
gefleckt, einige ſchwarz; andre wiederum ganz weiß. Sie werden groͤßtentheils
mit Fiſchen gefuttert, und leben folglich in dieſer Abſicht ſo gut als ihre Her-
ren, dagegen muß ihr Fleiſch dieſen hinwiederum zur Speiſe, die Felle aber zu
mancherley Zierrathen und Kleidungsſtuͤcken dienen. Wir kauften ihnen etliche
ab, allein die Alten wollten nicht bey uns gedeyhen, denn ſie graͤmten ſich und
wollten nicht freſſen; die Jungen hingegen gewoͤhnten ſich ſehr bald an unſre
Speiſen. Von den Neu-Seelaͤndern die mittlerweile ins Schiff gekommen wa-
ten, wurden verſchiedene in die Cajuͤtte gefuͤhrt, wo man ihnen einige Geſchenke
X 3
[166]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
machte; doch ließ nicht ein einziger das Erſtaunen, das Nachdenken und die
Aufmerkſamkeit blicken, welche man an unſerm alten Freund in Dusky-Bay
wahrgenommen hatte. Einige waren im Geſicht auf eine ſonderbare Weiſe mit tief
eingeritzten Schnecken-Linien gezeichnet; und insbeſondre waren dieſe Merk-
mahle bey einem langen, ſtarken Mann von mittleren Alter, nach einer ganz
regulaͤren Zeichnung an der Stirne, der Naſe und dem Kinn ſo tief in die Haut
eingepraͤgt, daß ſein Bart, der ſonſt ſehr dick und ſtark geweſen ſeyn muͤßte,
nur aus einzelnen zerſtreuten Haaren beſtand. Er hieß Tringho-Waya und
ſchien uͤber die andern ein gewiſſes [Ansehn] zu haben, dergleichen wir unter den
kleinen Haufen, die bisher zu uns gekommen waren, noch nicht bemerkt hatten.
Von allen unſern Waaren tauſchten ſie Hemden und Bouteillen am liebſten ein;
aus letztern machten ſie ſich beſonders viel, wahrſcheinlicherweiſe, weil ſie zu
Aufbewahrung fluͤßiger Dinge keine andre Gefaͤße haben als eine kleine Art
von Calabaſſen oder Kuͤrbiſſen (gourds), die nur in der noͤrdlichen Inſel
wachſen aber ſchon hier, in Charlotten-Sund, nur in weniger Leuten Haͤnden wa-
ren. Uebrigens ſuchten ſie es immer ſo einzurichten, daß ſie bey keinem Tauſch zu
kurz kamen und forderten fuͤr jede Kleinigkeit, die ſie ausbothen, ſehr hohe Preiſe,
ließen ſich es aber nicht verdrießen, wenn man nicht ſo viel dafuͤr geben wollte
als ſie verlangten. Da einige dieſer Leute in beſonders guter Laune waren, ſo
gaben ſie uns auf dem Verdeck des Hintertheils einen Heiva oder Tanz zum Be-
ſten. Zu dem Ende legten ſie ihre dicken zotigten Oberkleider ab und ſtellten ſich
in eine Reihe; alsdenn fing der eine an ein Lied anzuſtimmen, ſtreckte dabey
wechſelsweiſe die Arme aus und ſtampfte gewaltig, ja faſt wie raſend mit den
Fuͤßen dazu. Die andern alle machten ſeine Bewegungen nach und wiederholten
von Zeit zu Zeit die letzten Worte ſeines Geſanges, die man vielleicht als einen
réfrain oder chorus anſehen muß. Wir konnten eine Art von Sylbenmaße
darinn erkennen, waren aber nicht gewiß, ob es gereimte Verſe waͤren. Die
Stimme des Vorſaͤngers war ſchlecht genug, und die Melodie ſeines Liedes hoͤchſt
einfach, denn ſie beſtand nur in einer Abwechslung von etlichen wenigen Toͤnen.
Gegen Abend giengen die Indianer alle nach dem obern Ende des Sundes,
woher ſie gekommen waren, wieder zuruͤck.


[167]in den Jahren 1772 bis 1775.

Am folgenden Morgen begleiteten wir die Capitains Cook und Fur-1773.
Junius.

neaux
nach Oſt-Bay und Gras-Cove, woſelbſt ſie eine Boots-Ladung anti-
ſcorbutiſcher Kraͤuter einzuſammeln, und zugleich einen neuen Verſuch zum Be-
ſten des Landes zu machen gedachten. Da wir uns nemlich, wie im vorhergehen-
den gemeldet worden, bereits hatten angelegen ſeyn laſſen, allerhand nuͤtzli-
ches europaͤiſches Kraͤuter- und Wurzelwerk allhier anzupflanzen; ſo wollten
wir nunmehro auch die Wildniſſe mit Thieren zu bereichern ſuchen, welche in der
Folge den Eingebohrnen und auch kuͤnftigen Seefahrern zum Nutzen gereichen
koͤnnten. In dieſer Abſicht hatte Capitain Furneaux bereits einen Eber und
zwey Saͤue in Canibal-Cove ans Land und in Freyheit geſetzt, damit ſie ſich
in den Waͤldern vermehren moͤgten, und auch wir ließen es uns einen Bock
und eine Ziege koſten, welche an einer oͤden Stelle in Oſt-Bay jetzt an Land
geſetzt wurden. Dieſe Gegenden hatte man vor andern hiezu ausgewaͤhlt, weil
unſre neuen Coloniſten, dem Anſchein nach, hier vor den Einwohnern am ſicher-
ſten ſeyn konnten, als welches die einzigen Feinde ſind, fuͤr denen ſie ſich zu fuͤrch-
ten haben. Denn das war wohl nicht zu vermuthen, daß die unwiſſenden Neu-
Seelaͤnder Ueberlegung genug haben wuͤrden, um einzuſehen, was fuͤr Nutzen ihnen
aus der ungeſtoͤhrten Vermehrung dieſer nuͤtzlichen Thiere zuwachſen koͤnnte. —
In der Gegend von Gras-Cove erblickten wir ein großes Thier im Waſſer, wel-
ches der Groͤße nach zu urtheilen, ein See-Loͤwe ſeyn mogte; doch konnten wir
ihm nicht nahe genug kommen, um es zu ſchießen und zu unterſuchen. Iſt es
aber wuͤrklich ein See-Loͤwe geweſen, ſo war vermittelſt dieſes Thieres und
einer kleinen Art von Fledermaͤuſen, die wir in den Waͤldern angetroffen hat-
ten, desgleichen mit Innbegrif des hieſigen zahmen Hundes, die Liſte der Neu-
Seelaͤndiſchen Saͤugthiere nunmehro ſchon bis auf fuͤnf Geſchlechter ange-
wachſen; und viel hoͤher duͤrfte ſich die Zahl derſelben wohl uͤberhaupt ſchwer-
lich belaufen, ja vielleicht bey allen kuͤnftigen Unterſuchungen nicht ein
einziges neues mehr zu entdecken uͤbrig ſeyn. Nachdem wir weit und breit im
Walde herumgeſtreift, und nicht nur einen ziemlichen Vorrath von wilden
Sellery und Loͤffelkraut zuſammengebracht, ſondern auch abermals etliche neue
Pflanzen und Voͤgel geſunden hatten, ſo kehrten wir ſpaͤt an Bord zuruͤck.


[168]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.

Am dritten Junins wurden einige Boote nach Long-Eyland geſchickt, um von
dort her das Heu an Bord zu holen; und da man nunmehro die Schiffe in ſeegel-
fertigen Stand geſetzt, und Holz und Waſſer eingenommen hatte, auch das Volk,
vermittelſt der hieſigen geſunden Kraͤuterkoſt voͤllig erfriſcht war; ſo hinderte uns
nichts mehr, bey erſter Gelegenheit wiederum abzuſegeln. Eins von un-
ſern Booten ſahe auf ſeinem Ruͤckwege nach dem Schiffe, ein groſ-
ſes doppeltes und noch ein andres einfaches Canot, in welchen ohngefaͤhr
funfzig Mann ſeyn mochten. Beyde Fahrzeuge machten ſogleich Jagd auf das
Boot, da aber unſre Leute nicht bewafnet waren, ſo ſpannten ſie ein Seegel auf
und befanden ſich bald ſo weit von den Neu-Seelaͤndern, daß dieſe das Nach-
ſetzen aufgaben und nach Oſt-Bay umkehrten, woher ſie gekommen waren. Wir
koͤnnen zwar nicht behaupten, daß ſie feindſelige Abſichten gehabt, allein es
waͤre doch der Klugheit nicht gemaͤß geweſen, wenn es die Unſrigen gleichſam haͤt-
ten darauf ankommen laſſen wollen, unter eine ungleich uͤberlegne Anzahl von
Leuten zu gerathen, die ohne Ueberlegung und Billigkeit, immer nur nach In-
ſtinkt und Eigenſinn zu Werke gehen.


Am folgenden Morgen als den 4ten Junii ließen wir die St. Ge-
orgen-Flagge, Fahnen und Wimpel wehen, um den Geburts-Tag Sr. Ma-
jeſtaͤt des Koͤnigs mit den zur See gewoͤhnlichen Feyerlichkeiten zu begehen. Die
indianiſche Familie, deren Namen ich oben S. 219 angegeben und die nun-
mehro ſehr bekannt mit uns geworden war, weil ſie ihren Wohnplatz ohnweit
dem Schiffe in einer Bucht aufgeſchlagen hatte, kam heute ſehr zeitig an Bord.
Als wir uns mit ihnen im Steuer-Raum, eben zum Fruͤhſtuͤck niedergeſetzt hat-
ten, meldete ein Officier dem Capitain, daß ſich, von Norden her, ein großes
doppeltes und ſtark bemanntes Canot naͤhere. Wir machten uns alſo aufs Ver-
deck, und fanden, daß es ohngefaͤhr nur noch einen Buͤchſenſchuß von uns
entfernt und mit acht und zwanzig Mann beſetzt war. Sie ruderten bey
der Adventure vorbey und auf unſer Schiff zu, vermuthlich, weil ſie aus der
Groͤße deſſelben ſchloſſen, daß dies das Haupt-Schiff ſeyn muͤſſe. Die In-
dianer, welche ſich bey uns an Bord befanden, behaupteten, daß die Neu-An-
kommenden feindſelige Abſichten gegen uns haͤtten; und wollten deshalb, daß
wir auf ſie feuern ſollten. Ja Towahanga, das Oberhaupt dieſer Familie,
ſprang
[169]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſprang auf den Gewehr-Kaſten, der auf dem Hintertheil des Verdeckes ſtand,1773.
Junius.

ergrif einen Pruͤgel, machte eine Menge kriegeriſcher und drohender Stellun-
gen damit, und fieng alsdenn an mit vieler Heftigkeit, jedoch in einem feyerlichen
Tone gegen ſie herabzureden; zu gleicher Zeit ſchwenkte er, gleichſam herausfor-
derungsweiſe, ein großes Beil von gruͤnen Neu-Seelaͤndiſchen Stein um den
Kopf, welches wir vorher noch nie bey ihm geſehen hatten. Mittlerweile kam das
Canot dicht heran, achtete aber im geringſten nicht auf unſern Freund und
Vorredner, daher wir ihn auch bathen, er moͤgte es gut ſeyn laſſen und ſtill ſchwei-
gen. Zwey Leute von einer ſchoͤnen Statur, ſtanden aufrecht im Canot,
der eine auf dem Vordertheil, der andre in der Mitte deſſelben; die uͤbrigen
aber ſaßen alle. Der erſtere hatte einen [durchaus] ſchwarzgefaͤrbten Mantel an,
der aus dickgewuͤrktem Zeuge gemacht und felderweiſe mit viereckigen Stuͤcken von
Hundefell beſetzt war. In der Hand hielt er eine gruͤne Neu-Seelaͤndiſche
Flachspflanze und ließ von Zeit zu Zeit einzelne Worte von ſich hoͤren. Der
andre aber hielt eine vernehmlich articulirte, laute und feyerliche Anrede, wußte
auch ſeine Stimme auf eine ſehr mannichfaltige Weiſe bald zu erheben, bald ſinken
zu laſſen. Aus dem verſchiednen Tone, in welchem er ſprach, und aus den Bewe-
gungen, womit er ſeine Rede begleitete, ſchien er wechſelsweiſe zu fragen, zu
prahlen, zu drohen, herauszufordern und dann, uns wieder guͤtlich zuzureden. Zu-
weilen blieb er lange in einem gemaͤßigten Tone, mit einem mahle aber
ward er alsdann ungewoͤhnlich laut und ſchrie ſo heftig, daß er hernach gemei-
niglich eine kleine Pauſe machen mußte um wieder zu Athem zu kommen. So
bald er mit ſeiner Rede fertig war, noͤthigte ihn der Capitain an Bord zu
kommen. Anfaͤnglich ſchien er unſchluͤßig und beſorgt zu ſeyn, doch waͤhrte es
nicht lange, ſo gewann ſeine natuͤrliche Dreiſtigkeit uͤber alles Mißtrauen die
Oberhand und er kam zum Schiff herauf. Alle ſeine Leute machten es bald eben
ſo und ein jeder von ihnen begruͤßte, ſo wie er an Bord kam, die bey uns befindli-
che indianiſche Familie, dem Landesgebrauch nach, durch gegenſeitiges Aneinan-
derhalten der Naſen, oder, wie unſre Matroſen ſich auszudruͤcken beliebten: ſie
naſeten ſich untereinander
; und eben dieſe Ehre erwieſen ſie uns allen
ſo viel unſerer auf dem Verdeck waren. Man noͤthigte hierauf die beyden Spre-
cher, als die Hauptperſonen, in die Cajuͤtte. Der zweyte, welches der eigent-
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. Y
[170]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
liche Redner war, hies Teiratu, und gehoͤrte, ſeiner Ausſage nach, auf der
noͤrdlichen Inſel dieſes Landes, Thira-Whittie genannt, zu Hauſe. Sie fragten
gleich nach Tupaya, und als man ihnen ſagte, daß er nicht mehr am Leben
ſey, ſcheinen ſie, gleich den vorerwaͤhnten Indianern, ganz betruͤbt daruͤber, ſpra-
chen auch, gleich jenen, einige Worte in einem traurigen und klagenden Ton her.
So ſehr hatte ſich dieſer Mann durch ſeine Naturgaben und durch ſeine Leutſelig-
keit der Achtung und Liebe dieſes unwiſſenden und rohen Volks empfohlen. Ver-
muthlich wuͤrde es ihm auch viel eher als irgend einem von uns gelungen ſeyn,
dieſer Nation mehr Cultur zu geben, weil er, nebſt einer gruͤndlichen Kennt-
niß der Landesſprache, zugleich mehr Analogie mit ihrem Genie und Begriffen
beſaß als wir Europaͤer. Uns hindert in dieſem Geſchaͤft der allzu große Ab-
ſtand, der ſich zwiſchen unſern weit ausgedehnten Kenntniſſen und ihren gar zu
eingeſchraͤnkten Begriffen befindet, und wir wiſſen gleichſam nicht, wo wir die
Glieder zu der Kette hernehmen ſollen, die ihre Einſichten mit den unſrigen ver-
einigen koͤnnte.


Teiratu und ſeine Begleiter waren eine groͤßere Art von Leuten, als wir
bisher in Neu-Seeland geſehen hatten. Keiner unter ihnen war von kleiner,
und viele von mehr denn mittlerer Statur. Auch waren ihre Kleidungen,
Schmuck und Waffen, reicher als ſie bey den Einwohnern von Charlotten-
Sund
zu ſeyn pflegten, und ſchienen eine Art des Wohlſtandes und Ueber-
fluſſes anzuzeigen, dergleichen wir hier zu Lande noch nirgends bemerkt hatten.
Unter ihren Kleidungsſtuͤcken waren einige Maͤntel durchaus mit Hundefell
gefuͤttert. Auf dieſe ſchienen ſie beſonders viel zu halten, und in der That hatte
ein ſolcher Pelz nicht nur ein ſtattliches Anſehen, ſondern er mochte ihnen auch,
bey dem kalten Wetter das ſich jetzt empfinden ließ, gute Dienſte leiſten. Unter
ihren uͤbrigen, aus den Faſern des Neu-Seelaͤndiſchen Flachſes (Phormium)
verfertigten Kleidern, gab es viele ganz neue, die mit eingewuͤrkten bunten Raͤndern
verziert waren. Dieſe Raͤnder waren roth, ſchwarz und weiß, aber allemal nach
einem ſo regulaͤren Muſter gearbeitet, daß man ſie fuͤglich fuͤr das Werk eines
weit cultivirteren Volks haͤtte halten koͤnnen. *) Die ſchwarze Farbe ihrer
Zeuge iſt ſo aͤcht und dauerhaft, daß ſie die Aufmerkſamkeit der engliſchen Manu-
[][]

[figure]

[171]in den Jahren 1772 bis 1775.
facturiſten verdient, denen es bis jetzt noch an einer dauerhaften Farbe dieſer Art1773.
Junius.

fuͤr Stoffe aus dem Pflanzenreiche fehlt. Blos unſre mangelhafte Kenntniß ihrer
Sprache hinderte uns hieruͤber naͤheren Unterricht von ihnen zu erlangen. Ihre
Kleidung iſt eine Art von Mantel, der aus einem viereckigen Stuͤck Zeug
beſtehet. Die beyden oberſten Enden deſſelben binden ſie vorn auf der Bruſt,
entweder mit Baͤndern oder ſie ſtechen ſolche mit einer Nadel von Knochen, Fiſch-
bein oder gruͤnem Stein, zuſammen. Ohngefaͤhr in der Mitte des Mantels iſt
ein Guͤrtel, von dichtgeflochtnen Graſe, innerhalb befeſtigt, der mitten um den
Leib gebunden werden kann, ſo daß der Mantel alsdenn auf den Huͤften feſt an-
liegt und die unteren Enden bis gegen die Knie, manchmal auch wohl bis auf die
Waden herabhaͤngen. *) Ohnerachtet ſie, dem Aeußern nach, ſo viel vor den Ein-
wohnern von Charlotten-Sund voraus hatten; ſo waren ſie denſelben doch in
der Unreinlichkeit vollkommen aͤhnlich, dergeſtalt, daß das Ungeziefer haufenwei-
ſe auf ihren Kleidern herum kroch. Das Haar trugen ſie, dem Landesgebrauch
nach, mitten auf dem Kopf zuſammen gebunden, mit Fett eingeſchmiert und mit
weißen Federn beſteckt; auch hatten einige große Kaͤmme von Wallfiſchknochen
hinter dem Haarſchopfe eingeſteckt, die gerade in die Hoͤhe ſtanden. Viele von
ihnen waren im Geſicht mit ſchneckenfoͤrmigen Linien punctirt, und einige auch
mit rothem Oker und Oel geſchminkt, wie ſie denn durchgehends einen großen
Gefallen daran hatten, wenn wir ihnen etwas rothes auf die Backen ſchmier-
ten. Sie fuͤhrten einige kleine Calabaſſen bey ſich, in welchen das Oel befind-
lich war, womit ſie ſich einzubalſamiren pflegen; ob dieſes aber aus dem Pflan-
zen- oder Thierreiche ſeyn mochte? konnten wir nicht herausbringen. Alle
Geraͤthſchaften, die ſie bey ſich fuͤhrten, waren ungemein zierlich geſchnitzt und
uͤberhaupt mit großem Fleiße gearbeitet. Sie verkauften uns eine Art, de-
ren Klinge aus dem feinſten gruͤnen Talk-Steine beſtand und einen mit erhobe-
ner Arbeit uͤberaus kuͤnſtlich verzierten Stiel hatte. Auch fanden wir ei-
nige muſicaliſche Inſtrumente bey ihnen, nemlich eine Trompete oder vielmehr
ein hoͤlzernes Rohr, das vier Fus lang und ziemlich duͤnn war. Das Mund-
Y 2
[172]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
ſtuͤck mochte hoͤchſtens zwey, und das aͤußerſte Ende ohngefaͤhr 5 Zoll im Durch-
ſchnitt halten. Sie blieſen damit immer in einerley Ton, der ohngefaͤhr wie das
Bloͤken eines Thieres klang, doch moͤchte ein Waldhorniſt vielleicht etwas mehre-
res und beſſeres darauf herausgebracht haben. Eine andre Trompete war
aus einem großen Tritons-Horn (murex Tritonis) gemacht, mit kuͤnſtlich
ausgeſchnitztem Holz eingefaßt, und an demjenigen Ende, welches zum Mund-
ſtuͤck dienen ſollte, mit einer Oefnung verſehen. Ein ſchrecklich boͤlkender Ton
war alles was ſich herausbringen ließ. Ein drittes Inſtrument, welches unſere
Leute eine Floͤte nannten, beſtand aus einem hohlen Rohr, das in der Mitte am
weiteſten war und in dieſer Gegend, desgleichen an beyden Enden, eine Oeffnung
hatte. Dies und das erſte Inſtrument waren beyde, der Laͤnge nach, aus zwey
hohlen Stuͤcken von Holz zuſammengeſetzt, welche eins fuͤr das andre ſo eben zu-
recht geſchnitten waren, daß ſie genau auf einander paßten und eine vollkommne
Roͤhre ausmachten. Das doppelte Canot, in welchem ſie zum Theil gekommen
waren, ſchien noch neu und ohngefaͤhr 50 Fuß lang zu ſeyn. Sowohl das
vordere Ende, als das hohe Hintertheil, waren kuͤnſtlich durchbrochen und mit
ſchneckenfoͤrmigen, eingeſchnittenen Zuͤgen verziert, ſo wie ſie in der Geſchich-
te von Capitain Cooks voriger Reiſe, abgebildet und beſchrieben ſind. Ein
ungeſtaltes Ding, an welchem man mit vieler Muͤhe eine Aehnlichkeit mit einem
Menſchenkopfe entdecken konnte, war mit ein Paar Augen von Perlmutter und
mit einer langen Zunge verſehen, die aus dem Rachen heraus hieng; dieſe Zier-
rath machte das aͤußerſte Ende des Vordertheils aus. Dergleichen Figuren bringen
ſie uͤberall zur Verzierung an, vornemlich an ſolchen Geraͤthſchaften, die zum
Kriege und zur Waffenruͤſtung gehoͤren. Vermuthlich hat die hier zu Lande durch-
gehends uͤbliche Gewohnheit, den Feind durch Ausſtreckung der Zunge zu ſchim-
pfen und auszufordern, zu ſo haͤufiger Abbildung ſolcher Fratzengeſichter Gelegen-
heit gegeben. Man ſiehet dergleichen nicht nur am Vordertheil ihrer Kriegs-Ca-
nots und an den Griffen ihrer Streit-Aexte, ſondern ſie tragen ſolche auch an
einer Schnur um den Hals auf der Bruſt haͤngend; ja ſie ſchnitzen ſie ſogar
auf die Schoͤpf-Schaufeln und an die Ruder, womit ſie ihre Canots fortar-
beiten.


[173]in den Jahren 1772 bis 1775.

Sie verweilten nicht lange bey uns an Bord, denn da es anfieng ſehr1773.
Junius.

windig zu werden, ſo giengen ſie insgeſammt wieder in ihre Fahrzeuge und ruder-
ten nach Motu Aro uͤber. Um Mittagszeit ließ ſich auch der Capitain in Beglei-
tung einiger Officiers nach dieſer Inſel uͤberſetzen, und fand daſelbſt ſieben Ca-
nots auf den Strand gezogen, in welchen ohngefaͤhr neunzig Indianer hier
angekommen waren. Man ſahe ſie ſaͤmmtlich beſchaͤftigt ſich Huͤtten zu machen,
und ſie nahmen unſre Leute mit allen erſinnlichen Freundſchafsbezeugungen auf.
Der Capitain erwiederte ſolche durch Austheilung von mancherley Geſchenken,
darunter ſich auch vergoldete kupferne Medaillen befanden, die einen und drey
Viertel-Zoll im Durchſchnitt dick, und zum Andenken dieſer Reiſe waren geſchla-
gen worden, um ſie unter die verſchiedenen Voͤlker auszutheilen, welche
wir auf dieſer Reiſe antreffen wuͤrden. Auf einer Seite ſahe man das
Bruſtbild des Koͤnigs mit der Inſchrift: George. III. king. of. great.
britain. france. and. ireland
.
Auf der andern Seite zwey Krieges-
Schiffe mit der Beyſchrift ihres Namens resolution. und adventure.
und unten im Abſchnitt war zu leſen: sailed. from. england. march.
mdcclxxii
.
*) Von vergleichen Schauſtuͤcken waren auch bereits etliche unter
die Einwohner von Dusky-Bay, desgleichen hier in Charlotten-Sund
ausgetheilt worden. Die große Anzahl von Indianern, welche unſre Leute
hier beyſammen fanden, verſchaffte ihnen eine gute Gelegenheit, gegen Eiſen-Zeug
und Glas-Corallen, eine große Menge von Waffen, Geraͤthſchaften, Kleidern
und Zierrathen einzutauſchen, von welchen allen dieſe Neu-Seelaͤnder ungleich
mehr beſaßen, als wir ſonſt bey ihren Landsleuten angetroffen hatten. Der Ca-
pitain und ſeine Geſellſchaft bemerkten, daß Teiratu der Befehlshaber aller die-
ſer Leute ſeyn muͤſſe, denn ſie bezeigten ihm durchgehends viel Ehrfurcht. Was
es aber mit dieſer Art von Oberherrſchaft eigentlich fuͤr eine Bewandniß habe, konnte
man nicht ausfuͤndig machen. Bejahrte Leute pflegen ſie durchgehends in
Ehren zu halten, wahrſcheinlicher Weiſe ihrer langen Erfahrung wegen; allein
dies konnte hier der Fall nicht ſeyn, denn ſolche Anfuͤhrer dergleichen uns Tei-
ratu
einer zu ſeyn duͤnkte, ſind ſtarke, muntre Leute in der Bluͤthe der Jahre.
Y 3
[174]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
Vielleicht wiſſen aber die Neu-Seelaͤnder, ſo gut als die Nord-Amerikaniſchen
Wilden, daß bey Entſtehung eines Krieges ein großer Haufe von Menſchen
einen Anfuͤhrer haben muß, auf deſſen groͤßere Geſchicklichkeit und Talente die
andern ihr Vertrauen und Hoffnung ſetzen koͤnnen, und zu einem ſolchen Po-
ſten taugen dann freylich keine andre als dergleichen junge Leute die noch Feuer
haben. Je mehr wir die kriegeriſche Neigung dieſer Nation und die vielen klei-
nen Partheyen erwaͤgen, worin ſie getheilt ſind, deſto nothwendiger ſcheint uns
eine ſolche Art von Regierungsform zu ſeyn. Sie muͤſſen ohne Zweifel erfahren
oder eingeſehen haben, daß die Faͤhigkeiten eines Anfuͤhrers nicht erblich ſind,
und folglich vom Vater nicht allemal auf den Sohn gebracht werden; viel-
leicht haben ſie auch Beweiſe unter ſich erlebt, daß erbliches Regiment natuͤr-
licher Weiſe zum Deſpotismus fuͤhrt.


Capitain Cook fuͤrchtete, daß die Indianer unſern auf dieſer Inſel an-
gelegten Garten finden und aus Unwiſſenheit verwuͤſten moͤgten. Er fuͤhrte
alſo den Befehlshaber Teiratu ſelbſt dahin, zeigte ihm alle die verſchiedenen
Pflanzen, beſonders aber die Cartoffeln. Dieſe ſchien der Wilde ſehr hoch zu
ſchaͤtzen, und er kannte ſie ohne Zweifel ſchon, weil ein aͤhnliches Gewaͤchs,
naͤmlich die virginiſche ſuͤße Cartoffel (convolvulus batatas) in einigen Ge-
genden der noͤrdlichen Inſel, auf welcher er zu Hauſe gehoͤrte, gebauet wird.
Er verſprach dem Capitain auch, daß er den Garten nicht vernichten, ſon-
dern alles unangeruͤhrt wolle ſtehen, wachſen und ſich vermehren laſſen; mit
dieſer Abrede ſchieden ſie von einander. So bald der Capitain auf unſer Schiff
zuruͤck gekommen war, gaben die See-Soldaten, zur Ehre des Koͤniglichen Ge-
burtsfeſtes, drey Salven, und unſer Seevolk machte ein dreymaliges Huzzah!


Nachmittags ward der Wind ſehr friſch und hielt die folgenden zwey
Tage mit gleicher Heſtigkeit an, ſo daß wir bis zum 7ten liegen bleiben mußten;
alsdann aber hoben wir am Morgen den Anker und ſegelten nebſt der Adven-
ture
aus Ship-Cove ab. Unſer bisheriger Aufenthalt in Charlotten-Sund
war unſern Leuten ſo wohl bekommen, daß ſie jetzt wieder voͤllig ſo geſund
waren, als bey der Abreiſe aus England. In unſerm Schiffe hatten wir nur
einen einzigen Kranken, einen See-Soldaten, der ſeit der Abreiſe von England
immer ſchwindſuͤchtig und waſſerſuͤchtig geweſen war.


[175]in den Jahren 1772 bis 1775.

Siebentes Hauptſtuͤck.
Reiſe von Neu-Seeland nach O-Tahiti
.


Nachmittags gelangten wir in Cooks-Straße*) liefen ſelbige nach1773.
Junius.

Suͤden zu herab, und hatten nun den unermeßlichen Ocean vor uns,
der unter dem Namen der Suͤd-See bekannt iſt. Dieſes große Meer war,
demjenigen Theile nach der unter dem gluͤcklichern warmen Himmels-Strich
belegen iſt, bereits vielfaͤltig durchſchifft worden; die kaͤltern Gegenden oder die
ſogenannten mittlern Breiten hingegen, hatte vor Capitain Cooks erſter Reiſe
in der Endeavour, das iſt, bis im Jahr 1770, noch kein europaͤiſcher See-
fahrer zu unterſuchen gewagt. Gleichwohl glaubte man durchgehends, daß
in ſelbigen ein großes Land liegen muͤſſe, und die Erdbeſchreiber, die es in
ihren Landcharten dasſuͤdliche feſte Land (Terra auſtralis) nannten, hielten
dafuͤr, daß auf der Weſt-Seite, Neu-Seeland, auf der Oſt-Seite aber ein
Strich Landes, der dem Vorgeben nach gegen Amerika hin ſollte entdeckt worden
ſeyn, die Kuͤſten deſſelben ausmachten. Da aber Capitain Cook auf ſeiner vo-
rigen Reiſe gefunden hatte, daß Neu-Seeland nichts mehr als zwey große In-
ſeln
waͤren, und daß auch weder gegen Oſten, nach Amerika hin, noch bis zum
40ſten Grade gegen Suͤden herab, Land vorhanden ſey; ſo war das Suͤd-Land
ſeitdem ſchon in engere Schranken gebracht; doch waren auch dieſe immer noch an-
ſehnlich und weitlaͤuftig genug um die Aufmerkſamkeit kuͤnftiger Seefahrer zu
verdienen. Wir ſollten nun den noch unerforſchten Theil dieſer See befah-
ren, und ſtanden jetzo, ohnerachtet es mitten im Winter war, im Begriff,
zwiſchen dem 50 und 40ſten Grade ſuͤdlicher Breite, auf die Entdeckung neuer
Laͤnder, nach Oſten hin, aus zu gehen. Viele unſrer Mitreiſenden unternahmen
dieſe gefaͤhrliche Reiſe mit der gewiſſen Zuverſicht, daß wir die Kuͤſten dieſes
Suͤd-Landes bald finden, und daß die Neuheit und Nutzbarkeit ſeiner Natur-Pro-
dukte uns fuͤr alle deshalb ausgeſtandene Muͤhe und Gefahren, reichlich beloh-
nen wuͤrde. Capitain Cook aber und verſchiedene andere, die nach dem Er-
[176]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
folge der vorigen Reiſe und nach dem was ſie auf der jetzigen bereits erfah-
ren und beobachtet hatten, urtheilten, machten ſich wenig Hoffnung neue Laͤnder
zu entdecken, ja ſie zweifelten ſogar, daß es uͤberhaupt ein ſolches Suͤd-Land
gaͤbe.


Am folgenden Morgen um acht Uhr waren wir noch in der Muͤndung der
Straße und hatten die hohen mit Schnee bedeckten Berge der ſuͤdlichen Inſel
noch immer im Geſicht. Dieſes wintermaͤßigen Anſehens ohnerachtet war in un-
ſrer niedrigern Atmosphaͤre das Wetter hell und ſo gelinde, daß das Thermo-
meter im Schatten auf 51 Grad ſtand. Große Zuͤge von verſchiednen Wall-
fiſch-Arten giengen beym Schiff vorbey; ſie waren mehrentheils ganz ſchwarz
und hatten einen weißen Fleck vor der hinterſten Ruͤcken-Finne. Wir feuerten
auf ſie, und trafen einen ſo nachdruͤcklich am Kopf, daß er nicht mehr tauchen
konnte, ſondern auf der blutgefaͤrbten Oberflaͤche des Waſſers gewaltig um ſich
zu ſchlagen anfieng. Er ſchien ohngefaͤhr neun Fuß lang zu ſeyn, war ſchlank von
Coͤrper hatte aber einen ſtumpf geformten Kopf, daher ihn unſre Matroſen
botle-noſe nannten. Dieſen Namen fuͤhrt aber beym Dale ein ganz anderer
Fiſch, nemlich der Butskopf oder Schnabel-Wallfiſch (beaked whale), deſ-
ſen Naſe einem Bouteillen-Halſe aͤhnlich ſieht *). Weil wir damals eben ſo
guten Wind hatten, daß wir in einer Stunde drey und eine halbe engliſche Meile
ſeegelten, ſo hielt es der Capitain nicht der Muͤhe werth beylegen zu laſſen um
den todten Fiſch einzunehmen. “— Als heute zu Mittage der Capitain und
der Aſtronomus die Laͤngen-Uhren aufziehen wollten, war keiner vermoͤgend die
Spindel an Herrn Arnolds Uhr umzudrehen, und alſo mußte man ſie ablau-
fen laſſen. —”


So bald wir das Land aus dem Geſicht verlohren hatten, ſchwaͤrmte
eine unendliche Menge Albatroßen, von drey verſchiednen Arten, um uns her.
Die gemeinſte oder groͤßte Art war von unterſchiedlichen Farben, die wir ihrem
verſchiednen Alter zuſchrieben. Die Aelteſten waren faſt ganz weiß, die juͤngern
etwas mehr braun geſprenkelt, die juͤngſten aber ganz braun. Einige unſerer
Matro-
[177]in den Jahren 1772 bis 1775.
Matroſen, die ehemals auf Oſtindienfahrern gedient hatten, verſicherten ihre Ca-1773.
Junius.

meraden, daß eine Reiſe nach Oſtindien, in Vergleich derer Muͤhſeeligkeiten welche
wir auf dieſer hier auszuſtehen haͤtten, fuͤr gar nichts zu rechnen waͤre. Sie er-
zaͤhlten hierauf wie gut und bequem ſichs unter andern die Capitains auf derglei-
chen Reiſen zu machen pflegten, und nach mancher Anecdote und Spoͤtterey
daruͤber, geriethen ſie endlich auf den poßierlichen Einfall, daß die abgeſchiede-
nen Seelen aller dieſer Capitains, zur Strafe fuͤr ihre ehemalige uͤppige Lebens-
art zur See, hier in dieſe Albatroße wandern muͤßten, und nun auf die Suͤd-
See
gebannt waͤren, fuͤr die ſie ſich bey ihren Lebzeiten wohl zu huͤten ge-
wußt haͤtten. Hier muͤßten ſie ſich, ſtatt ihres vorigen Ueberfluſſes, kaͤrglich
genug behelfen, und waͤren nun endlich ein Spiel der Stuͤrme und Wellen, wo-
von ſie ſich ſonſt in ihren Cajuͤtten nicht viel haͤtten anfechten laſſen. Dieſer Ein-
fall iſt witzig und poetiſch genug, um zu Beſtaͤtigung deſſen zu dienen, was ich
ſchon weiter oben, von der originellen Laune der Seeleute, geſagt habe.


Die Officiers, denen nach der Neu-Seelaͤndiſchen friſchen Koſt das
eingeſalzne Fleiſch noch nicht wieder ſchmecken wollte, ließen ihren ſchwarzen
Hund, deſſen ich oben Seite 102. u. 117. erwaͤhnt habe, abſchlachten, und
ſchickten dem Capitain die Haͤlfte davon. Wir ließen die Keule braten und ſpeiſten
ſolchergeſtalt heute zum erſtenmale Hundefleiſch. Es ſchmeckt vollkommen wie
Hammelfleiſch, ſo daß nicht der geringſte Unterſchied zu bemerken war. In
unſern kalten Laͤndern, wo Fleiſch-Speiſen ſo uͤblich ſind, und wo es vielleicht
dem Menſchen natuͤrlich oder unumgaͤnglich noͤthig iſt von Fleiſch zu leben, iſt es
warlich ſonderbar, daß man einen juͤdiſchen Abſcheu gegen Hundefleiſch hat,
da doch das Fleiſch von dem unreinlichſten aller Thiere, naͤmlich vom Schwei-
ne, ohne Bedenken gegeſſen wird. In Betracht ſeiner ſchnellen und haͤufi-
gen Vermehrung, ſcheint die Natur den Hund ausdruͤcklich dazu geſchaffen zu
haben, daß er uns zur Speiſe dienen ſolle. Man koͤnnte vielleicht beſorgen,
daß es uns, wegen der natuͤrlichen Faͤhigkeiten unſrer Hunde, ſchwer ankom-
men moͤchte ſie umzubringen und zu eſſen Allein man bedenkt alsdenn
nicht, daß ihre großen Faͤhigkeiten und ihre Anhaͤnglichkeit an uns blos Fol-
gen der Erziehung ſind die wir an ſie wenden! In Neu-Seeland und, wie aͤltere
Seefahrer melden, auch in den Inſeln der Suͤd-See, zwiſchen den Wende-
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. Z
[178]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
Cirkeln, ſind die Hunde das dummſte und einfaͤltigſte Thier das man ſich vor-
ſtellen kann. Sie ſcheinen daſelbſt um nichts kluͤger und gelehriger zu ſeyn
als unſre Schaafe, die man fuͤr Sinnbilder der groͤßten Einfalt und Dumm-
heit gelten laͤßt. In Neu-Seeland werden ſie mit Fiſchen gefuttert; in den
andern Inſeln mit Fruͤchten und Kraͤutern. Vielleicht veraͤndert beydes ihre
natuͤrliche Anlage; vielleicht bringt auch die Erziehung neue Inſtincte hervor.
Die Neu-Seelaͤndiſchen Hunde kriegen was von ihrer Herren Mahlzeiten uͤbrig
bleibt, mithin auch andre Hundeknochen abzunagen; und ſo werden die jungen
Hunde, von Klein auf, Cannibalen. Wir hatten einen jungen Neu-Seelaͤndiſchen
Hund an Bord, der, wie wir ihn kauften, wohl noch nichts als Muttermilch
geſchmekt hatte, gleichwohl fras er von dem heutigen Hundebraten, das Fleiſch
ſo gut als die Knochen, mit großer Gierigkeit, dahingegen andre, von europaͤi-
ſcher Art, die wir vom Cap mitgenommen, beydes nicht anruͤhren, geſchweige
freſſen mochten.


Bis zum 16ten ſteuerten wir immer ſuͤdoſtwaͤrts und waren ſtets von
Sturmvoͤgeln und Albatroßen, zuweilen auch wohl von einzelnen grauen Moͤven,
(larus catarractes) umgeben, und große Haufen von See-Gras ſchwom-
men vielfaͤltig in der See: Allein an alles dies waren wir ſchon zu ſehr gewoͤhnt,
als daß wirs haͤtten wagen ſollen einige Folgerungen daraus herzuleiten. Das
Thermometer, deſſen Standpunkt allemahl des Morgens um 8 Uhr beobachtet
wurde, und welches bey unſrer Abreiſe von Neu-Seeland 51. Grad angezeigt
hatte, fiel, in eben dem Verhaͤltniß als wir gen Suͤden herab giengen, auf 48.
zuweilen auch auf 47. Doch muß ich ſagen, daß Waͤrme und Wetter uͤber-
haupt ſehr veraͤnderlich waren. Daher kams, daß wir alle Tage, und gemeinig-
lich des Morgens, Regenbogen oder wenigſtens Stuͤcke davon auf dem Hori-
zont zu ſehn bekamen. Auch der Wind war bisher immer ſehr abwechſelnd und
lief rund um den Compas von Weſten uͤber Norden nach Oſten und ſo weiter,
doch kam er die mehreſte Zeit aus Oſten, welches wir nicht nur keinesweges er-
wartet hatten, ſondern auch uͤbel damit zufrieden waren, weil er uns ſolchergeſtalt
gerade entgegen blies und uͤberdem gemeiniglich mit Nebel, Regen und hoch-
laufenden Wellen begleitet zu ſeyn pflegte. Nachdem wir 46 Grad 17 Minu-
[179]in den Jahren 1772 bis 1775.
ten ſuͤdlicher Breite erreicht hatten, ſteuerten wir, ſo weit der Wind es geſtat-1773.
Junius.

ten wollte, nach Nord-Oſt.


Am 23ſten waren Wind und Wetter gelinde. Capitain Furneaux
machte ſich dieſes und die Nachbarſchaft beyder Schiffe zu Nutz, um zu uns
an Bord zu kommen und mit uns zu ſpeiſen. Er berichtete dem Capitain, daß
ſeine Leute ſich noch wohl befaͤnden, einen oder zwey Mann ausgenommen, wel-
che von ihrem Umgange mit ungeſunden Frauensperſonen ekelhafte Nachwehen
ausſtehen muͤßten. Dieſe Nachricht war uns in ſo fern ſehr unangenehm,
weil man daraus abnehmen konnte, daß jene haͤßliche Krankheit auch ſchon
Neu-Seeland erreicht hatte, denn ſonſt nirgends konnten die Leute angeſteckt wor-
den ſeyn. In Betracht der ſchrecklichen Folgen, welche dies verderbliche Ue-
bel auf die Neu-Seelaͤnder bringen mußte, hielten wir es der ernſthafteſten Un-
terſuchung werth, ob, und bey welcher Gelegenheit ſie es wohl von Europaͤern
haͤtten bekommen koͤnnen? Der erſte Entdecker des Landes, Abel Janßen
Tasman
,
kam im Jahr 1642. dahin. Er hatte aber mit den Einwohnern
nicht den mindeſten freundſchaftlichen Umgang, ja es iſt wahrſcheinlich, daß
nicht ein einziger von ſeinen Leuten am Lande geweſen iſt. Capitain Cook war
der naͤchſte Seefahrer, der nach dieſer Zeit Neu-Seeland beſuchte, ob er gleich
laͤnger als hundert Jahre hernach, nemlich erſt in den Jahren 1769. und 1770.
an den Kuͤſten deſſelben anlangte. Er kam damals, in ſeinem Schiff Endeavour,
von O-Tahiti und den Societaͤts-Inſeln, wo verſchiedne ſeiner Leute waren
angeſteckt worden. Da er aber auf der Ueberfahrt von dieſen Inſeln nach Neu-
Seeland
faſt zwey Monathe unterwegens zubrachte, ſo hatte der Chirurgus Zeit ge-
habt, die Leute gaͤnzlich zu heilen und bey der Ankunft auf dieſer Kuͤſte verſicherte
er den Capitain ausdruͤcklich, daß bey keinem dieſer Kranken die geringſte Spur
des Uebels mehr zu merken ſey. Dem ohnerachtet gebrauchte Capitain Cook
die Vorſicht, niemanden ans Land gehen zu laſſen, der unter der Cur geweſen war,
aus Beſorgniß, er moͤgte vielleicht noch verborgne Ueberreſte dieſes anſteckenden
Uebels im Corper haben; ja um alle Moͤglichkeit abzuſchneiden, daß dieſe
Seuche einem ſchuldloſen Volke mitgetheilt wuͤrde, durften auch ſchlechterdings
keine Frauensperſonen an Bord kommen. Der dritte Europaͤer, welcher Neu-
Seeland
beſuchte, war ein franzoͤſiſcher Seefahrer, Herr von Surville. Dieſer
Z 2
[180]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Junius.
ſeegelte in dem Schiffe St. Jean le Baptiſte von Pondichery aus, durch die
Straße von Malacca; gieng an den Baſhee‒Inſeln vor Anker, ſteuerte um
Manilla herum; entdeckte Suͤdoſtwaͤrts von Neu-Brittannien, unter der Breite
von 10¾ und unterm 158ſten Grade oͤſtlicher Laͤnge, Land, welchem er den
Namen Port Surville gab und kam ſodann nach Neu-Seeland. Von da
gieng er, um Handlung zu treiben, nach Callao in Suͤd-Amerika, hatte aber,
als er an dieſem Orte ans Land gehen wollte, das Ungluͤck im Waſſer umzu-
kommen, und da mit ihm zugleich alle ſeine Empfehlungs-Schreiben verloren
gegangen waren, ſo ward das Schiff faſt zwey Jahre lang aufgehalten, nach deren
Verlauf aber, mit allen Waaren wieder nach Frankreich zuruͤckgeſchickt. Herr
von Surville lag am 9ten December 1769. in Doubtles-Bay auf Neu-
Seeland
und ſahe die Endeavour bey ſich vorbey ſeegeln; Capitain Cook
hingegen hatte das franzoͤſiſche Schiff nicht wahrnehmen koͤnnen, weil es gerade
hinter einem Berge vor Anker lag. Was Herr von Surville daſelbſt ausge-
richtet und wie er mit den Einwohnern geſtanden habe, weis ich nicht:
Allein [Doubtles-Bay] liegt ſo weit von Charlotten-Sund, daß die Einwohner
dieſer beyden Orte wohl ſchwerlich einigen Umgang mit einander pflegen, und
folglich laͤßt ſich nicht begreifen, wie die Krankheit von dorther ſchon ſo weit ge-
gen Suͤden ſollte um ſich gegriffen haben, wenn man auch annehmen wollte,
daß Herr von Survillens Schiff ſie nach [Doubtles-Bay] gebracht haͤtte. Ein
gleiches laͤßt ſich von Herrn von Marion und dem Capitain Crozet, jenen bey-
den franzoͤſiſchen Seefahrern ſagen, deren Reiſe vom Jahr 1772. ich oben
S. 85. u. f. erwaͤhnt habe; denn der Umgang den ihr Schiffs-Volk mit
den Eingebohrnen hatte, ſchraͤnkte ſich blos auf die Inſel-Bay ein, und
dieſe liegt am noͤrdlichſten Ende der noͤrdlichen Inſel, mithin ebenfalls aͤußerſt
weit von Charlotten-Sund. Unmittelbar nach dieſen beyden Schiffen kamen
wir nach Neu-Seeland; allein wir hatten nicht die mindeſte Urſach zu vermu-
then, daß unſere Leute etwas von dem veneriſchen Uebel mit hieher braͤchten. Es
war bereits ſechs Monat her, da wir das Vorgebirge der guten Hoffnung
verlaſſen hatten, und das war der letzte Ort, wo die Matroſen es moͤglicher
weiſe haͤtten bekommen koͤnnen. Seitdem waren ſie fuͤnf Monate lang beſtaͤn-
dig in offner See geweſen, und innerhalb einer ſolchen Zeit haͤtte es von Grund
[181]in den Jahren 1772 bis 1775.
aus geheilt werden muͤſſen, es ſey denn, daß die Krankheit aͤußerſt boͤsartig1773.
Junius.

und unheilbar geweſen waͤre. Wir hatten aber, ganz im Gegentheil, nicht
einen einzigen veneriſchen Patienten am Bord, und man wird doch wohl nim-
mermehr vermuthen, daß das Gift dieſe ganze Zeit uͤber habe verborgen bleiben
koͤnnen, unter Leuten die nichts als eingeſalzene Speiſen zu eſſen und nichts
als ſpirituoͤſe Getraͤnke zu trinken hatten, dabey auch Naͤſſe und Kaͤlte nebſt
allem uͤbrigen Ungemach des ſuͤdlichen Clima ausſtehen mußten? Aus allen die-
ſen Umſtaͤnden machten wir den Schluß, daß die veneriſchen Krankheiten in
Neu-Seeland zu Hauſe, und nicht von Europaͤern herein gebracht ſind; wir
haben auch im Verfolg unſerer Reiſe, und bis itzt noch, keine Urſach ge-
funden, unſre Meynung hieruͤber zu aͤndern. Sollten jedoch, alles Anſcheins
ohnerachtet, unſre Vermuthungen irrig ſeyn, ſo koͤmmt alsdenn auf Rech-
nung der geſittetern Europaͤiſchen Nationen eine Schandthat mehr, und das
ungluͤckliche Volk, welches ſie mit dieſem Gifte angeſteckt haben, wird und muß
ihr Andenken dafuͤr verfluchen. Der Schaden den ſie dieſem Theile des
menſchlichen Geſchlechts dadurch zugefuͤgt haben, kann nimmermehr und auf kei-
ne Weiſe, weder entſchuldigt noch wieder gut gemacht werden. Zwar ſie haben
die Befriedigung ihrer Luͤſte erkauft und bezahlet, allein das kann um ſo we-
niger fuͤr eine Entſchaͤdigung des Unrechts gelten, weil ſelbſt der Lohn den ſie
dafuͤr ausgetheilt, (das Eiſenwerk) neue ſtrafbare Folgen veranlaßt, und die
moraliſchen Grundſaͤtze dieſes Volks vernichtet hat, indeß die ſchaͤndliche Krank-
heit doch nur den Koͤrper ſchwaͤcht und zu Grunde richtet. Ein Volk, das ſeiner
rohen Wildheit, hitzigen Temperaments und grauſamen Gewohnheiten ohnerach-
tet, tapfer, edelmuͤthig, gaſtfrey und keiner Argliſt faͤhig iſt, verdient dop-
pelt Mitleid, wenn ſelbſt die Liebe, der ſuͤßeſten und gluͤcklichſten Empfindun-
gen Quelle, ihnen die ſchrecklichſte Geiſſel des Lebens werden ohne ihr Ver-
ſchulden werden muß. —


Bis zum Anfang des Julius blieb der Wind immer ſo veraͤnderlich, als
ich zuvor ſchon angezeigt habe. Er war wider den Lauf der Sonne mehr als vier-
mal um den ganzen Compas herumgelaufen. Dieſe ganze Zeit uͤber ſahen wir
haͤufig Albatroſſe, Sturmvoͤgel und Seekraut. Auch erblickten wir faſt alle
Z 3
[182]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Julius.
Morgen Regenbogen; ja einmal ſahen wir ſogar einen ſtarken Regenbogen des
Nachts bey Mondſchein.


Am 9ten waren wir ohngefaͤhr in derſelbigen Laͤnge, in welcher ſich Ca-
pitain Cook auf ſeiner voriger Reiſe unter dem 40 Grad 22 Minuten ſuͤdlicher
Breite befunden hatte.*) Diesmal aber waren wir 2¼ Grad weiter gegen Suͤden.
Hier fiel uns ein junger Ziegenbock uͤber Bord, den man zwar wieder auffiſchte
und alles moͤgliche an ihm verſuchte, als Reiben, Tabaks-Clyſtiere u. d. gl.
allein umſonſt, er war nicht wieder zum Leben zu bringen.


Am 17. da wir uͤber den 227. Grad oͤſtlicher Laͤnge hinaus und ohnge-
faͤhr im 40. Grade ſuͤdlicher Breite waren, ließ der Capitain endlich gerade gen
Norden hinauf ſteuern. Bisher hatten wir uns nemlich, zu Aufſuchung des
Suͤd-Landes, mehrentheils gegen Oſten und zwar in den Breiten gehalten, wo
dieſes Land, dem allgemeinen Vorgeben nach, ſchlechterdings liegen ſollte. Allein auf
dieſer ganzen Fahrt war uns allen die Zeit herzlich lang geworden, denn die
Jahreszeit war unangenehm und rauh, der Wind uns mehrentheils zuwider und
an keine Art von Abwechslung zu denken, ſondern ſtatt derſelben hatten wir ein
ewiges Einerley von laͤngſt bekannten Gegenſtaͤnden vor uns. Das einzige, was
wir damit gewonnen, war die Gewißheit, “daß in den mittlern Breiten
der Suͤd-See kein großes Land zu finden iſt.“ In Zeit von fuͤnf Tagen erreich-
ten wir bereits den 31ſten Grad ſuͤdlicher Breite. Nunmehro verloren ſich die
Albatroſſe und Sturmvoͤgel, das Thermometer ſtieg auf 61½, und wir konn-
ten jetzt, ſeit unſrer Abreiſe vom Cap zum erſtenmal, die Winterkleider able-
gen. Je naͤher wir den Wende-Cirkeln kamen, deſto beſſern Muths ward
unſer Seevolk. Die Matroſen fingen ſchon an, ſich des Abends auf dem Ver-
deck mit mancherley Spielen zu beluſtigen. Die belebende Mildigkeit und
Waͤrme der Luft war uns etwas ganz neues, und behagte uns ſowohl, daß wir
dem warmen Clima bald vor allen andern den Vorzug einraͤumten, und es der
Natur des Menſchen am zutraͤglichſten hielten. Am 25ſten Nachmittags ſa-
hen wir einen tropiſchen Vogel, ein ſicheres Zeichen, daß wir in das mildere
Clima, uͤber 30 Grad ſuͤdlicher Breite, heraufgekommen waren. Die unterge-
hende Sonne erleuchtete die Wolken mit den glaͤnzendſten Goldfarben, und be-
[183]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſtaͤrkte uns in der Meynung, daß die Luft nirgends ſo ſchoͤn, der Himmel nir-1773.
Julius.

gends ſo praͤchtig ſey, als zwiſchen den Wende-Cirkeln.


Am 28ſten war die Adventure ſo nahe bey uns, daß wir mit den Leu-
ten derſelben ſprechen konnten. Sie erzaͤhlten uns, daß vor drey Tagen ihr
Koch geſtorben und daß zwanzig Mann am Scorbute krank waͤren. Dieſe Nach-
richt war uns deſto unerwarteter, da in unſerm Schiff kaum bey einem oder dem
andern von unſern Leuten Anzeigen des Scorbuts vorhanden waren, und wir uͤber-
haupt auch nur einen einzigen gefaͤhrlich Kranken an Bord hatten. Um jenen den
Verluſt zu erſetzen, ſchickte Capitain Cook gleich am folgenden Tage einen ſeiner
Seeleute, mit der Beſtallung als Koch, auf die Adventure; und verſchiedne un-
ſrer Herren Mitreiſenden bedienten ſich dieſer Gelegenheit an Bord des gedach-
ten Schiffs zu gehen und daſelbſt zu ſpeiſen. Sie fanden Capitain Furneaux,
nebſt andern, mit Gliederreiſſen, viele ſeiner Leute aber mit Fluͤſſen geplagt. Un-
ter den ſcorbutiſchen Patienten war der Zimmermann am uͤbelſten dran, denn er
hatte ſchon große blaue Flecken auf den Beinen. Dieſer Unterſchied in den Ge-
ſundheits-Umſtaͤnden unſers beyderſeitigen Schiffsvolks ruͤhrte vermuthlich da-
her, daß es auf der Adventure an friſcher Luft fehlte. Unſer Schiff war hoͤ-
her uͤber dem Waſſer, und daher konnten wir, ſelbſt bey ungeſtuͤmen Wetter,
mehr Luftloͤcher offen halten, als jene. Ueberdem aßen unſere Leute haͤufiger
Sauerkraut, brauchten auch mehr Wohrt; vornemlich aber bedienten ſie ſich
der Malzkoͤrner zu Umſchlaͤgen auf die ſcorbutiſchen Flecke und geſchwoll-
nen Glieder, welches man dagegen in der Adventure nie zu thun pflegte.
Bey dieſer Gelegenheit wird es nicht unſchicklich ſeyn zu bemerken, daß der
Scorbut in warmen Laͤndern am gefaͤhrlichſten und boͤsartigſten iſt. So lange
wir uns in hoͤhern und kaͤltern Breiten befanden, zeigte er ſich nicht, oder hoͤch-
ſtens doch nur bey einzelnen Perſonen, die von Natur ungeſund und dazu geneigt
waren. Allein, kaum hatten wir zehen Tage lang warmes Wetter gehabt, als
ſchon am Bord der Adventure ein Patient daran ſtarb und viel andre von
den ſchlimmſten Symptomen deſſelben befallen wurden. Die Hitze ſcheint
alſo die Entzuͤndung und Faͤulniß zu befoͤrdern; und ſelbſt bey denen, die am
Scorbute eben nicht gefaͤhrlich krank waren, brachte ſie große Mattigkeit und
Schwaͤche hervor.


[184]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.

“— Am 1ſten Auguſt waren wir im 25°. 1′. ſuͤdlicher Breite und folg-
lich in der Gegend, wo Capitain Carterets Angabe nach, Pitcairns Inſel
liegen ſoll; wir ſahen uns deshalb fleißig darnach um, konnten aber nicht das
geringſte davon entdecken. Zwar vermuthete Capitain Cook, daß ſie, Car-
terets
Tagebuch nach zu urtheilen, ohngefaͤhr noch 15 engliſche See-Mei-
len weiter gegen Oſten liegen muͤſſe: Da ſich aber die Mannſchaft des andern
Schiffs in ſo mißlichen Geſundheits Umſtaͤnden befand; ſo war es nicht rathſam,
mit Aufſuchung dieſer Inſel Zeit zu verlieren —“


Am 4ten warf eine junge Dachs-Huͤndin vom Cap, welche von einem
Pudel belegt war, zehen Junge, wovon eins todt zur Welt kam. Der junge
Neu-Seelaͤndiſche Hund, deſſen ich oben erwaͤhnt und der vom Hundebraten ſo
begierig gefreſſen, fiel ſogleich uͤber dieſen jungen Hund her und fras davon mit
dem groͤßten Appetit. Dies kann, duͤnkt mich, zu einem Beweiſe dienen,
in wie fern die Erziehung, bey den Thieren, neue Inſtincte hervorzubringen und
fortzupflanzen vermag. Europaͤiſche Hunde werden nie mit Hundefleiſch gefuͤt-
tert. Sie ſcheinen vielmehr einen Abſcheu dafuͤr zu haben. Die Neu Seelaͤn-
diſchen hingegen bekommen wahrſcheinlicherweiſe von jung auf die Ueberbleibſel
von ihrer Herren Mahlzeit ohne Unterſchied zu freſſen, mithin ſind ſie zu Fiſch-
Hunde- und Menſchen-Fleiſch gewoͤhnt; und was anfaͤnglich, bey einzelnen Hun-
den, nur Gewohnheit war, iſt vielleicht durch Laͤnge der Zeit, allgemeiner In-
ſtinct der ganzen Art geworden. Wenigſtens war dies augenſcheinlich der
Fall mit unſerm cannibaliſchen Hunde, denn er kam ſo jung aufs Schiff, daß
er wohl kaum etwas anders als Muttermilch gekoſtet haben mochte, folglich we-
der an Hunde- noch weniger aber an Menſchen-Fleiſch gewoͤhnt ſeyn konnte:
Gleichwohl fras er, wie vorgeſagt, Hundefleiſch, gebraten und roh, und
als ein Matroſe ſich in den Finger geſchnitten und ihm ſolchen hin hielt, ſo war
er nicht nur begierig daruͤber her, das Blut abzulecken, ſondern verſuchte
es auch ohne Umſtaͤnde ihm hinein zu beißen.


Nachdem wir vielfaͤltig Windſtillen gehabt hatten, ſo ſtellte ſich endlich
am 16ten Nachmittags, da wir eben 19½ Grad ſuͤdlicher Breite erreicht hat-
ten, der oͤſtliche Paſſatwind ein, und fing, nach einigen heftigen Regenſchau-
ern, an ganz friſch zu wehen. Von rechtswegen haͤtten wir ihn ungleich fruͤ-
her,
[185]in den Jahren 1772 bis 1775.
her, nemlich ſchon bey unſerm Eintritt in die Wende-Cirkel bekommen ſollen;1773.
Auguſt.

denn dieſe Gegend wird eigentlich fuͤr die Graͤnze deſſelben angeſehen: Vermuth-
lich aber war blos die Jahreszeit Schuld daran, daß wir ihn erſt um ſo viel
ſpaͤter bekamen; weil nemlich die Sonne ſich dazumal noch auf der andern
Halbkugel befand, oder vielmehr, weil wir auf der ſuͤdlichen noch Winter hat-
ten. *) Am aller ſonderbarſten aber war uns der Wind von unſrer Abreiſe aus
Charlotten-Sund an bis zu der Zeit vorgekommen, da ſich der aͤchte Paſſat-
wind einſtellte. Wir hatten nemlich erwartet, daß wir den groͤßten Theil dieſer
Zeit uͤber, den wir in den mittleren Breiten zwiſchen dem 50. und 40ſten
Grade ſuͤdlich zubrachten, ſtaͤte Weſtwinde haben wuͤrden, ſo wie wir ſolche,
im Winter, auf der noͤrdlichen Halbkugel zu haben pflegen. Statt deſſen aber fan-
den wir, daß der Wind in zwey oder drey Tagen um den ganzen Compaß herum
lief, und nirgends als auf oͤſtlichen Strichen einigermaßen beſtaͤndig war, von da
aus er auch zuweilen ſehr heftig blies. Der Name des ſtillen Meeres, womit man
bisher die ganze ſuͤdliche See belegt hat, paßt alſo, meinem Beduͤnken nach, nur
allein auf denjenigen Theil derſelben, der zwiſchen den Wendezirkeln gelegen iſt,
denn da allein iſt der Wind beſtaͤndig, das Wetter gemeiniglich ſchoͤn und ge-
linde, und die See weniger unruhig als in den hoͤheren Breiten.


Albekoren, Boniten und Doraden jagten hier nach fliegenden Fiſchen,
eben ſo als wir es im atlantiſchen Meere geſehen hatten; einige große ſchwarze
Voͤgel aber, mit langen Fluͤgeln und gabelfoͤrmigen Schwanze, welche Fregat-
ten (men of war, Pelecanus aquilus Linnæi) genannt werden, und gemei-
niglich hoch in der Luft ſchwebten, ſchoſſen zuweilen mit unglaublicher Geſchwin-
digkeit, gleich einem Pfeil auf die Fiſche, die unter ihnen ſchwammen, herab,
und verfehlten mit ihrem Schnabel der Beute nie. Aufgleiche Art wiſſen die So-
landgaͤnſe
in den engliſchen Seen, welche zu eben dieſem Geſchlecht gehoͤren,
die Fiſche zu erhaſchen. Die Fiſcher ſind daher auf den Einfall gerathen,
dieſe Voͤgel vermittelſt eines Pilchards oder Herings zu fangen, den ſie auf ein
ſpitziges Meſſer ſtecken, welches auf einem kleinen, frey herumſchwimmenden
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. A a
[186]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
Bretchen befeſtigt iſt; wenn nun der Vogel darauf herabſchießt, ſo iſt es um
ihn geſchehen, denn er ſpießt ſich ohnfehlbar.


Am 11ten Morgens erblickten wir, ohngefaͤhr 6 Meilen von uns, ge-
gen Suͤden, eine niedrige Inſel, die 4 Meilen lang und eben ſo flach wie die
See zu ſeyn ſchien. Nur hie und da ſahe man einzelne, gleichſam aus der See
aufgewachſene Gruppen von Baͤumen, unter welchen die hohen Gipfel der Co-
cos-Palme weit uͤber die andern empor ragten. Nach einer ſo verdrießlichen,
langweiligen Fahrt als wir gehabt, war uns ſchon der bloße Anblick des Lan-
des etwas ſehr erfreuliches, ob wir gleich nicht das geringſte davon zu gewar-
ten hatten; und ohnerachtet an der ganzen Inſel uͤberhaupt nichts beſonders
Schoͤnes zu ſehen war, ſo gefiel ſie doch dem Auge wegen ihres von Natur ein-
fachen Anſehens. Das Thermometer hielt ſich beſtaͤndig zwiſchen 70 und 80
Graden, gleichwohl war die Hitze nicht uͤbermaͤßig; denn wir hatten, bey
ſchoͤnem hellen Wetter, einen angenehm kuͤhlenden, ſtarken Paſſatwind, und un-
ſre auf dem hintern Verdeck aufgeſchlagne Zelt-Decken verſchaften uns auch
Schatten. Die Inſel ward Reſolution-Eyland genannt, und vermuthlich hat
auch Herr von Bougainville, ſeinem Tagebuch nach zu urtheilen, dieſelbe ge-
ſehen. Sie liegt unterm 17 Grade 24 Minuten ſuͤdlicher Breite und unterm
141 Grade 39 Minuten weſtlicher Laͤnge von Greenwich. Mittags befan-
den wir uns im 17 Grad 17 Minuten ſuͤdlicher Breite und ſteuerten faſt gerade
nach Oſten. Abends um halb 6 Uhr kam uns eine andre ’Inſel von gleicher
Art zu Geſicht, die etwa 4 See-Meilen weit entfernt ſeyn mochte und Doubtful-
Eyland
genannt wurde. Da die Sonne ſchon untergegangen war, ſo hielten
wir uns ſo lange gegen Norden, bis wir ganz bey derſelben voruͤber waren und
nicht mehr beſorgen durften, in der Finſterniß auf die Kuͤſte zu ſtoßen. Am
folgenden Morgen, vor Tages Anbruch, erſchreckte uns das unerwartete Ge-
raͤuſch von Wellen die ſich, kaum eine halbe Meile weit vor uns, ſchaͤumend in
der See brachen. So gleich aͤnderten wir unſern Lauf, und nachdem wir der Adven-
ture
durch Signale Nachricht von der Gefahr gegeben, ſo ſteuerten wir rechts, laͤngſt
dem Ryf*) hin. So bald es hell ward, entdeckten wir an der Stelle, wo ſich
[187]in den Jahren 1772 bis 1775.
die Wellen brachen, eine zirkelrunde Inſel, und auf derſelben ein großes1773.
Auguſt.

Baßin oder einen großen Teich von Seewaſſer. An der Nordſeite war die Kuͤſte
mit Palmen und andern Baͤumen beſetzt, die in mehreren Gruppen, von ganz zier-
lichem Anſehn, umherſtanden; den uͤbrigen Theil der Inſel aber machte
nur eine ſchmale Reihe von niedrigen Felſen aus, uͤber welche die See in einer
gewaltigen Brandung wegſchlug. Der Farbe des Waſſers nach zu urtheilen,
mußte der Salz-See, inwaͤrts nach uns her, ſeicht, aber gegen die waldige
noͤrdliche Kuͤſte hin tiefer ſeyn, denn an jenem Ende ſahe er weißlicht, an die-
ſem hingegen blau aus. Capitain Cook nannte dieſe Inſel Furneaux-Eyland.
Sie liegt unterm 17 Grad und 5 Minuten ſuͤdlicher Breite und unterm 143ſten
Grad 16 Minuten weſtlicher Laͤnge. Als wir vor der Suͤd-Seite des Riefs
voruͤber waren, erblickte man am noͤrdlichen Ende der Inſel ein Canot unter
Seegel, und mit Huͤlfe der Fernglaͤſer ließ ſich erkennen, daß es etwa mit ſechs bis
ſieben Leuten bemannt war, davon einer auf dem Vordertheil ſtand und mit
einer Ruder-Schaufel ſteuerte. Sie ſchienen indeſſen nicht unſerntwegen in
See gegangen zu ſeyn; denn ſie kamen nicht gegen das Schiff herab, ſondern blie-
ben oberhalb, dicht an der waldichten Kuͤſte der Inſel. Wir ſetzten unſern
Lauf, den ganzen Tag uͤber, bey guͤnſtigem Winde und ſchoͤnen Wetter bis ge-
gen Untergang der Sonne fort. So bald es aber anfing dunkel zu werden,
legten wir bey, weil die Menge von niedrigen Inſeln und Klippen die hier
uͤberall umher liegen, und gemeiniglich nicht ehe zu ſehen ſind, als bis man dicht
bey ihnen iſt, die Schifffahrt gefaͤhrlich machen. Fruͤh am folgenden Morgen gien-
gen wir wieder unter Seegel und kamen bey einer andern ſolchen Inſel vorbey,
die zur Rechten des Schiffs liegen blieb und Adventure-Eyland genannt wurde.
Sie liegt im 17 Grad 4 Minuten ſuͤdlicher Breite und im 144ſten Grade 30
Minuten weſtlicher Laͤnge. Um eben dieſe Zeit ſprachen wir mit der Adven-
ture,
und hoͤrten, daß ſie dreyßig Mann auf der Kranken-Liſte haͤtte, faſt lau-
ter ſcorbutiſche Patienten. In unſerm Schiff hingegen waren die Leute faſt noch
A a 2
*)
[188]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
immer frey von dieſer Krankheit; auch ward alles angewandt, um ſie bey ſo
guter Geſundheit zu erhalten. Sie aßen zu dem Ende fleißig Sauerkraut, ihre
Hangmatten wurden alle Tage geluͤftet und das ganze Schiff ward oft mit Pulver
und Wein Eßig ausgeraͤuchert.


Nachmittags ſahen wir eine Inſel gerade vor uns, die aus einer Reihe
von niedrigen Felſen beſtand, welche vermittelſt verſchiedner Klumpen von Baͤu-
men zuſammen hiengen. Der Lage und dem Anſehen nach zu urtheilen, mußte es
eben dieſelbe ſeyn, welche Capitain Cook auf ſeiner vorigen Reiſe Chain-Iſland
oder Ketten-Inſel genannt hatte. *) Damit wir indeſſen dieſe Nacht nicht, wie in
der vorigen, wiederum beylegen und dadurch in unſerm Laufe aufgehalten werden
moͤgten, ließ der Capitain ein Boot mit einer Laterne vor dem Schiffe her-
ſ[e]egeln, und befahl den Leuten, uns, ſobald ſie irgendwo eine gefaͤhrliche Stelle
antreffen ſollten, durch Signale Nachricht davon zu geben. Dieſe Vorſicht
war der vielen niedrigen Inſeln wegen noͤthig, die man, wie ich ſchon geſagt
habe, in der Suͤdſee, zwiſchen den WendeCirkeln antrift und die mehrentheils
von ganz ſonderbarer Bauart ſind. Sie beſtehen nemlich aus Felſen, die vom
Grunde des Meeres auf, ſenkrecht, wie die Mauern, empor ſteigen, an den
mehreſten Stellen aber kaum uͤber dem Waſſer hervorragen, und auch da, wo
ſie am hoͤchſten ſind, doch nicht mehr als etwa 6 Fuß uͤber die Oberflaͤche der See
hervorſtehen. Oft ſind ſie von zirkelfoͤrmiger Geſtalt und haben in der Mitte
ein Baßin von Seewaſſer, und rings an den Ufern her iſt das Meer uͤberall
unergruͤndlich. Ohne Zweifel muß es auf denſelben nur wenig Gewaͤchſe ge-
ben, und unter dieſen mag der Coco-Nußbaum noch das beſte und nutzbarſte
ſeyn. Einer ſo armſeligen Beſchaffenheit und ihres oft nur geringen Umfangs
ohnerachtet, ſind dennoch manche bewohnt. Wie ſie aber moͤgen bevoͤlkert wor-
den ſeyn? iſt eben ſo ſchwer zu beſtimmen, als wie die hoͤhern Inſeln der Suͤd-
See
mit Einwohnern beſetzt worden? Der Commodore, (jetzige Admiral) By-
ron
,
und nach ihm Capitain Wallis ſchickten, als ſie auf ihren Reiſen um die
Welt, hier an dieſen niedrigen Inſeln voruͤber kamen, einige ihrer Leute an
die Kuͤſte, gegen welche ſich die Einwohner ſcheu und eiferſuͤchtig bewieſen.
Scheu ſind ſie vielleicht ihrer geringen Anzahl wegen, um deren willen ſie fuͤrch-
[189]in den Jahren 1772 bis 1775.
ten muͤſſen, leicht uͤberwaͤltigt zu werden; eyferſuͤchtig aber, weil ſie Muͤhe genug1773.
Auguſt.

haben moͤgen auf ihren kleinen Felſen-Bezirken, fuͤr ſich ſelbſt den noͤthigen Un-
terhalt zu finden, und folglich die Fremden nicht mit gleichguͤltigen Augen anſehen
koͤnnen, da dieſe ihnen denſelben zu ſchmaͤlern drohen. Bey ſo bewandten
Umſtaͤnden koͤnnen wir von ihrer Abſtammung gar nichts ſagen, weil ihre Spra-
che und Gebraͤuche uns bis jetzt noch gaͤnzlich unbekannt, und dieſes gleichwohl
die einzigen Merkmale ſind, aus welchen ſich das Herkommen ſolcher Voͤlker
errathen laͤßt, die keine Schriften und Urkunden beſitzen.


Fruͤh am 15ten Auguſt erblickten wir einen hohen Pik mit einer flachen
Spitze. Capitain Wallis entdeckte ſolchen zuerſt und nannte ihn Osnabruck-
Eyland
.
Herr von Bougainville ſahe ihn nachher, und in ſeiner Charte
heißt er Pic de la Boudeuſe oder le Boudoir. Der Berg ſchien ziemlich hoch
und der Gipfel gleichſam abgebrochen, oder wie die Muͤndung eines Vulcans,
der daſelbſt vor Zeiten gebrannt haben mag, ausgehoͤhlt zu ſeyn. Die Inſel
war beynahe zirkelrund, und der Berg, der an allen Seiten ſteil empor ſtieg,
hatte die Geſtalt eines Kegels. An der Kuͤſte war wenig oder gar kein flaches Land
zu ſehen, wo es aber eine ebene Stelle am Ufer gab, da war das Erdreich, gleich
wie uͤberhaupt der ganze Berg, mit anmuthigem Gruͤn bewachſen. Indem wir uns an
dieſer angenehmen Ausſicht ergoͤtzten, erzaͤhlte uns einer von unſeren Officiers, der
vom Capitain Wallis vormals dicht an die Kuͤſte war geſchickt worden, daß
auf dieſen Baͤumen die Brodfrucht wuͤchſe, die in Anſons, Byrons, Wal-
lis
und Cooks Reiſen ſo ſehr geruͤhmt worden. Er ſetzte hinzu, die Inſel
hieße in der Landesſprache Maͤatua,*) und die Bewohner derſelben waͤren
eben eine ſolche Gattung von Leuten, als man auf den Societaͤts-Inſeln, oder
auf O-Tahiti antraͤfe; welche letztere nur eine halbe Tagereiſe von hier ent-
fernt ſeyn ſollte. Ein mehreres konnten wir von dieſer Inſel erfahren, denn
wir blieben wenigſtens 4 gute Seemeilen davon, und das mochte vermuthlich auch
die Urſach ſeyn, warum von der Kuͤſte her kein Canot zu uns heran kam. Da
wir wenig Wind hatten, ſo ward ein Boot nach der Adventure geſchickt,
A a 3
[190]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
welches den Capitain Furneaux zum Mittageſſen zu uns heruͤber holte. Wir
hatten das Vergnuͤgen von ihm zu vernehmen, daß der Durchlauf, der ohn-
laͤngſt unter ſeinen Leuten eingeriſſen war, bereits nachgelaſſen, und daß auch
am Scorbut keiner ſehr gefaͤhrlich krank ſey; wir konnten alſo, der Nachbar-
ſchaft von O-Tahiti wegen hoffen, daß dem Uebel durch friſche Kraͤuterkoſt
bald gaͤnzlich wuͤrde abzuhelfen ſeyn. Bey Untergang der Sonne ſahe man be-
reits die Berge dieſer erwuͤnſchten Inſel aus den vergoldeten Wolken uͤber dem
Horizont hervorragen. Jedermann an Bord, einen oder zwey ausgenommen,
die ſich nicht ruͤhren koͤnnten, eilte begierigſt aufs vordere Verdeck, um die Au-
gen an dem Anblick dieſes Landes zu weiden, von dem man die groͤßten Erwar-
tungen haben mußte, weil nach dem einſtimmigen Zeugniß aller Seefahrer die
da geweſen, nicht nur Ueberfluß an friſchen Lebensmitteln daſelbſt vorhanden,
ſondern auch die Einwohner von beſonders gutherzigem und gefaͤlligem Cha-
racter ſeyn ſollten. Aller Wahrſcheinlichkeit nach, iſt dieſe Inſel von einem Spa-
nier, nemlich von Pedro Fernandez de Quiros zuerſt entdeckt worden. Die-
ſer war am 21ſten December 1605. aus Lima in Peru abgeſeegelt, und hatte
am 10ten Februar 1606. eine Inſel gefunden, welche er Sagittaria nannte, *)
die aber, nach allen Nebenumſtaͤnden zu urtheilen, vermuthlich das heutige O-Ta-
hiti
geweſen iſt. An der Suͤdſeite derſelben, wo er an die Kuͤſte kam, war
kein Haven anzutreffen, er begnuͤgte ſich alſo einige ſeiner Leute, im Boote ans
Land zu ſchicken, und dieſe wurden freundſchaftlich und guͤtig aufgenommen.
Nach ihm fand Capitain Wallis dieſe Inſel am 18ten Junius 1767. und
nannte ſie Georg des dritten Inſel. Eines ungluͤcklichen Mißverſtaͤndniſſes
wegen, das bey ſeiner Ankunft zwiſchen ihm und den Eingebohrnen entſtand,
ließ er Feuer auf ſie geben, wodurch funfzehen erſchoſſen und eine große Zahl
verwundet wurden; doch die gutartigen Leute vergaßen den Verluſt und die Wun-
den ihrer Bruͤder, machten gleich nachher Friede und verſahen ihn mit einem
Ueberfluſſe von Lebensmitteln, die groͤßtentheils aus allerhand Wurzelwerk, ver-
ſchiedenen Arten von treflichen Baumfruͤchten, Huͤhnern und Schweinen be-
ſtanden. Herr von Bougainville kam am 2ten April 1768. oder ohngefaͤhr
[191]in den Jahren 1772 bis 1775.
zehentehalb Monate nach des Capitain Wallis Abreiſe auf der oͤſtlichen Kuͤſte1773.
Auguſt.

an, und entdeckte den wahren Namen der Inſel. Er blieb zehen Tage lang
auf derſelben, genoß in dieſer Zeit von den Einwohnern viel Achtung und Freund-
ſchaft, welche er treulich erwiederte, gleich wie er uͤberhaupt dem liebenswuͤrdigen
Character dieſes Volks Gerechtigkeit wiederfahren ließ. Hierauf langte Capitain
Cook mit dem Schiffe Endeavour im April 1769 allhier an, um den Durch-
gang der Venus zu beobachten. Er hielt ſich hieſelbſt drey Monathe lang auf,
nahm, vermittelſt eines Bootes, die ganze Inſel rund umher in Augenſchein, und
hatte taͤglich Gelegenheit, die vorigen Bemerkungen und Nachrichten von die-
ſem Lande zu pruͤfen und zu beſtaͤtigen.


Wir ſteuerten nun die ganze Nacht uͤber gegen die Kuͤſte hin und unter-
hielten uns, in Erwartung des Morgens, mit den angenehmen Schilderungen,
welche unſre Vorgaͤnger von dieſem Lande gemacht hatten. Schon fingen wir
an, die unter dem rauhen ſuͤdlichen Himmelsſtriche ausgeſtandne Muͤhſeligkeiten
zu vergeſſen; der truͤbe Kummer, der bisher unſre Stirne umwoͤlkt hatte, ver-
ſchwand; die fuͤrchterlichen Vorſtellungen von Krankheit und Schrecken des To-
des wichen zuruͤck, und alle unſre Sorgen entſchliefen.


Somno poſiti ſub nocte ſilenti
Lenibant curas \& corda oblita laborum.

Virgil.
()

Achtes
[192]Forſter’s Reiſe um die Welt

Achtes Hauptſtuͤck.
Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-
Inſel O-Tahiti — Ankern in Matavai-Bay.


Devenere locos lætos \& amæna vireta
Fortunatorum nemorum, ſedesque beatas.
Largior hic campos aether \& lumine veſtit
Purpureo.

Virgil.
()

1773.
Auguſt.

Ein Morgen war’s! ſchoͤner hat ihn ſchwerlich je ein Dichter beſchrieben,
an welchem wir die Inſel O-Tahiti, 2 Meilen vor uns ſahen. Der
Oſtwind, der uns bis hieher begleitet, hatte ſich gelegt; ein vom Lande wehendes
Luͤftchen fuͤhrte uns die erfriſchendſten und herrlichſten Wohlgeruͤche entgegen und
kraͤuſelte die Flaͤche der See. Waldgekroͤnte Berge erhoben ihre ſtolzen Gipfel
in mancherley majeſtaͤtiſchen Geſtalten und gluͤhten bereits im erſten Morgenſtrahl
der Sonne. Unterhalb denſelben erblickte das Auge Reihen von niedrigern, ſanft
abhaͤngenden Huͤgeln, die den Bergen gleich, mit Waldung bedeckt, und mit ver-
ſchiednem anmuthigen Gruͤn und herbſtlichen Braun ſchattirt waren. Vor die-
ſen her lag die Ebene, von tragbaren Brodfrucht-Baͤumen und unzaͤhlbaren Pal-
men beſchattet, deren koͤnigliche Wipfel weit uͤber jene empor ragten. Noch
erſchien alles im tiefſten Schlaf; kaum tagte der Morgen und ſtille Schatten
ſchwebten noch auf der Landſchaft dahin. Allmaͤhlig aber konnte man unter den
Baͤumen eine Menge von Haͤuſern und Canots unterſcheiden, die auf den
ſandichten Strand heraufgezogen waren. Eine halbe Meile vom Ufer lief eine
Reihe niedriger Klippen parallel mit dem Lande hin, und uͤber dieſe brach ſich die
See in ſchaͤumender Brandung; hinter ihnen aber war das Waſſer ſpiegelglatt
und verſprach den ſicherſten Ankerplatz. Nunmehro fing die Sonne an die
Ebene zu beleuchten. Die Einwohner erwachten und die Ausſicht begonn zu
leben.


Kaum bemerkte man die großen Schiffe an der Kuͤſte, ſo eilte alles nach
dem Strande herab und einige ſtießen Canots ins Waſſer um zu uns herzuru-
dern,
[193]in den Jahren 1772 bis 1775.
dern. Es dauerte nicht lange, ſo waren ſie durch die Oeffnung des Riefs,1773.
Auguſt.

und eines kam uns ſo nahe, daß wir es abrufen konnten. Zwey faſt ganz nackte
Leute, mit einer Art von Turban auf dem Kopfe und mit einer Scherfe um die
Huͤften, ſaßen darinn. Sie ſchwenkten ein großes gruͤnes Blatt in der Luft
und kamen mit einem oft wiederholten lauten Tayo! heran, *) ein Ausruf, den
wir ohne Muͤhe und ohne Woͤrterbuͤcher als einen Freundſchafts-Gruß ausle-
gen konnten. Das Canot ruderte dicht unter das Hintertheil des Schiffs, und
wir ließen ihnen ſogleich ein Geſchenk von Glas-Corallen, Naͤgeln und Medail-
len herab. Sie hinwiederum reichten uns einen gruͤnen Piſang-Schoß zu, der
bey ihnen ein Sinnbild des Friedens iſt, und baten ſolchen dergeſtalt ans Schiff
zu befeſtigen, daß er einem jeden in die Augen fiele. Dem zufolge ward er an die
Wand (das Tauwerk) des Hauptmaſts feſt gemacht; worauf unſre Freunde ſo-
gleich nach dem Lande zuruͤckkehrten. Es waͤhrete nicht lange, ſo ſahe man das
Ufer mit einer Menge Menſchen bedeckt, die nach uns hinguckten, indeſſen daß
andere, voll Zutrauens auf das geſchloßne Friedens-Buͤndniß, ihre Canots ins
Waſſer ſtießen und ſie mit Landes-Producten befrachteten. In weniger als einer
Stunde umgaben uns Hunderte von dergleichen Fahrzeugen, in deren jedem ſich
ein, zwey, drey, zuweilen auch vier Mann befanden. Ihr Vertrauen zu uns gieng
ſo weit, daß ſie ſaͤmmtlich unbewafnet kamen. Von allen Seiten erſchallte das be-
willkommende Tayo! und wir erwiederten es mit wahrhaftem und herzlichen
Vergnuͤgen uͤber eine ſo guͤnſtige Veraͤnderung unſrer Umſtaͤnde. Sie brachten
uns Coco-Nuͤſſe und Piſangs in Ueberfluß, nebſt Brodfrucht und andern Ge-
waͤchſen, welche ſie ſehr eifrig gegen Glas-Corallen und kleine Naͤgel vertauſchten.
Stuͤcken Zeug, Fiſch-Angeln, ſteinerne Aexte, und allerhand Arten von Werk-
zeugen wurden gleichfalls zum Verkauf ausgeboten und leicht angebracht. Die
Menge von Canots, welche zwiſchen uns und der Kuͤſte ab- und zu giengen,
ſtellæ ein ſchoͤnes Schauſpiel, gewiſſermaßen eine neue Art von Meſſe, auf dem
Waſſer dar. Ich fing ſogleich an durch die Cajuͤtten-Fenſter, um Naturalien
zu handeln, und in einer halben Stunde hatte ich ſchon zwey bis drey Arten
unbekannter Voͤgel und eine große Anzahl neuer Fiſche beyſammen. Die
Farben der letztern waren, ſo lange ſie lebten, von ausnehmender Schoͤnheit,
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. B b
[194]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
daher ich gleich dieſen Morgen dazu anwendete, ſie zu zeichnen und die hellen
Farben anzulegen, ſolche ſie mit dem Leben verſchwanden.


Die Leute, welche uns umgaben, hatten ſo viel Sanftes in ihren Zuͤgen,
als Gefaͤlliges in ihrem Betragen. Sie waren ohngefaͤhr von unſrer Groͤße,
blaß mahogany-braun, hatten ſchoͤne ſchwarze Augen und Haare, und trugen ein
Stuͤck Zeug von ihrer eignen Arbeit mitten um den Leib, ein andres aber in man-
cherley mahleriſchen Formen, als einen Turban um den Kopf gewickelt. Die
Frauensperſonen, welche ſich unter ihnen befanden, waren huͤbſch genug, um
Europaͤern in die Augen zu fallen, die ſeit Jahr und Tag nichts von ihren Lands-
maͤnninnen geſehen hatten. Die Kleidung derſelben beſtand in einem Stuͤck Zeug,
welches in der Mitte ein Loch hatte um den Kopf durchzuſtecken und hinten und
vornen bis auf die Knie herabhieng. Hieruͤber trugen ſie ein anderes Stuͤck
von Zeuge, das ſo fein als Neſſeltuch und auf mannigfaltige, doch zierliche
Weiſe, etwas unterhalb der Bruſt als eine Tunica um den Leib geſchlagen war,
ſo daß ein Theil davon, zuweilen mit vieler Grazie, uͤber die Schulter hieng.
War dieſe Tracht gleich nicht vollkommen ſo ſchoͤn als jene an den griechiſchen
Statuͤen bewunderten Draperien, ſo uͤbertraf ſie doch unſre Erwartungen gar
ſehr und duͤnkte uns der menſchlichen Bildung ungleich vortheilhafter als jede
andre, die wir bis jetzt geſehen. Beyde Geſchlechter waren durch die von an-
dern Reiſenden bereits beſchriebenen, ſonderbaren, ſchwarzen Flecke geziert oder
vielmehr verſtellt, die aus dem Punctiren der Haut und durch nachheriges Ein-
reiben einer ſchwarzen Farbe in die Stiche entſtehen. Bey den gemeinen Leu-
ten, die mehrentheils nackt giengen, waren dergleichen, vornemlich auf den
Lenden zu ſehen, ein augenſcheinlicher Beweis, wie verſchieden die Menſchen,
in Anſehung des aͤußerlichen Schmuckes denken und wie einmuͤthig ſie gleich-
wohl alle darauf gefallen ſind, ihre perſoͤnlichen Vollkommenheiten auf eine oder
die andre Weiſe zu erhoͤhen. Es dauerte nicht lange, ſo kamen verſchiedne
dieſer guten Leute an Bord. Das ungewoͤhnlich ſanfte Weſen, welches ein
Hauptzug ihres National-Characters iſt, leuchtete ſogleich aus allen ihren Ge-
behrden und Handlungen hervor, und gab einem jeden, der das menſchliche
Herz ſtudierte, zu Betrachtungen Anlaß. Die aͤußern Merkmahle, durch wel-
che ſie uns ihre Zuneigung zu erkennen zu geben ſuchten, waren von verſchiedener
[195]in den Jahren 1772 bis 1775.
Art; einige ergriffen unſre Haͤnde, andre lehnten ſich auf unſre Schultern,1773.
Auguſt.

noch andre umarmten uns. Zu gleicher Zeit bewunderten ſie die weiße Farbe un-
ſrer Haut und ſchoben uns zuweilen die Kleider von der Bruſt, als ob ſie ſich erſt
uͤberzeugen wollten, daß wir eben ſo beſchaffen waͤren als ſie.


Da ſie merkten, daß wir Luſt haͤtten ihre Sprache zu lernen, weil wie
uns nach den Benennungen der gewoͤhnlichſten Gegenſtaͤnde erkundigten, oder ſie
aus den Woͤrterbuͤchern voriger Reiſenden herſagten, ſo gaben ſie ſich viel Muͤhe
uns zu unterrichten, und freuten ſich, wenn wir die rechte Ausſprache eines
Wortes treffen konnten. Was mich anlangt, ſo ſchien mir keine Sprache leich-
ter als dieſe. Alle harte und ziſchende Conſonanten ſind daraus verbannt,
und faſt jedes Wort endigt ſich mit einem Selbſtlauter. Was dazu erfordert
ward, war blos ein ſcharfes Ohr, um die mannichfaltigen Modificationen der
Selbſtlauter zu unterſcheiden, welche natuͤrlicherweiſe in einer Sprache vor-
kommen muͤſſen, die auf ſo wenig Mitlauter eingeſchraͤnkt iſt, und die, wenn
man ſie einmal recht gefaßt hat, die Unterredung ſehr angenehm und wohlklingend
machen. Unter andern Eigenſchaften der Sprache bemerkten wir ſogleich, daß
das O und E, womit ſich die mehreſten Nennwoͤrter und Namen in Herrn
Cooks erſter Reiſe anfangen, nichts als Artickel ſind, welche in vielen morgen-
laͤndiſchen Sprachen, vor den Nennwoͤrtern herzugehen pflegen, die ich aber im
Verfolg dieſer Erzaͤhlung entweder weglaſſen oder durch einen Strich von dem
Nennwort trennen werde. Ich habe bereits im vorhergehenden angemerkt,
daß Herr von Bougainville das Gluͤck hatte, den wahren Namen der Inſel,
ohne Artikel, ſogleich ausfuͤndig zu machen, er hat ihn auch, ſo weit es die
Beſchaffenheit der franzoͤſiſchen Sprache erlauben will, in der Beſchreibung
ſeiner Reiſe, vermittelſt des Worts Taïti, ganz richtig ausgedruckt, doch
ſprechen es die Indianer mit einer leichten Aspiration, nemlich Tahiti aus.


In dem vor uns liegenden Rief befand ſich eine Oefnung, und dies war
der Eingang zu dem auf der kleinern Halb-Inſel von O-Tahiti gelegenen
Haven Whaï-Urua. Wir ſandten deshalb ein Boot aus, um beydes, die Ein-
fahrt und den Haven ſelbſt, ſondiren zu laſſen. Die Leute fanden guten Anker-
grund und giengen nach dieſer Verrichtung vollends bis aus Land, wo ſich ſo-
gleich eine Menge Einwohner um ſie her verſammlete. Wir lagen der Kuͤſte
B b 2
[196]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
ſo nahe, daß wir ſchon das Quiken junger Ferkel hoͤren konnten, und dieſer
Ton klang uns damals lieblicher als die herrlichſte Muſic des groͤßten Virtuoſen.
Indeſſen waren unſre Leute nicht ſo gluͤcklich, einige davon zu erhandeln, viel-
mehr weigerte man ſich, ſie ihnen zu verkaufen, unter dem Vorwande, daß ſie
insgeſammt dem Erih oder Koͤnige zugehoͤrten.


Mittlerweile, daß dies am Lande vorgieng, langte beym Schiff ein groͤße-
res Canot an, in welchem ſich ein ſchoͤner wohlgebildeter Mann befand, der
ohngefaͤhr 6 Fus groß ſeyn mochte und drey Frauensperſonen bey ſich hatte.
Dieſe kamen allerſeits an Bord, und der Mann meldete uns gleich beym Ein-
tritt daß er O-Taï hieße. Er ſchien in dieſer Gegend der Inſel von einiger
Bedeutung zu ſeyn und mochte wohl zu der Claſſe von Vaſallen oder Freyen ge-
hoͤren, welche in Capitain Cooks erſter Reiſe Manahunaͤ’s genannt werden.
Er geſellete ſich alsbald zu den Officieren, die auf dem Verdeck beyſammen waren,
vermuthlich, weil er glaubte, daß ſich dieſe Geſellſchaft und dieſer Platz
am beſten fuͤr ihn ſchickten. Er war um ein merkliches weißer als irgend einer von
ſeinen Landsleuten, ſo viel wir deren noch geſehen, und gab in dieſem Betracht
den weſtindiſchen Meſtizen wenig nach: Dabey hatte er wuͤrklich ſchoͤne und
regelmaͤßige Zuͤge; die Stirn war hoch, die Augenbrauen gewoͤlbt, die großen
ſchwarzen Augen voll Ausdrucks und die Naſe wohl proportionirt. In der
Bildung des Mundes lag etwas beſonders angenehmes und gefaͤlliges; die Lip-
pen waren zwar etwas dick, aber nicht unangenehm oder aufgeworfen. Der
Bart war ſchwarz und fein gekraͤuſelt und ſein pechſchwarzes, von Natur lockig-
tes Haar hieng ihm, der Landesart nach, um den Hals. Da er aber ſahe, daß
wir unſre Haare im Nacken zuſammen gebunden trugen, ſo war er gleich dar-
uͤber her dieſe Mode nachzuahmen und bediente ſich hiezu eines ſchwarzen ſeidnen
Halstuches, welches ihm Herr Clerke geſchenkt hatte. Im Ganzen war der Coͤr-
per wohlgebildet, jedoch etwas zu dick; und auch die Fuͤße verhaͤltnißweiſe
zu groß. Mit Huͤlfe unſrer Woͤrter-Buͤcher legten wir ihm verſchiedne
Fragen vor. Eine der erſten war, ob Tutahah*) noch wohl ſey? Wir
[197]in den Jahren 1772 bis 1775.
erhielten zur Antwort: er ſey todt und von den Einwohnern auf Teiarrabu1773.
Auguſt.

oder der kleinen Halbinſel erſchlagen; auf welcher letzterer Aheatua e-Erih
oder Koͤnig ſey. Dieſe Nachricht beſtaͤtigte ſich bald durch die einſtimmige
Ausſage aller ſeiner Landesleute. Von den drey Weibern, die er bey ſich hatte,
war die eine ſeine Frau, und die beyden andern ſeine Schweſtern. Letztere
fanden ein beſonderes Vergnuͤgen daran uns zu lehren, wie wir ſie bey ihren Na-
men nennen muͤßten, die wohlklingend genug waren; die eine hies nemlich
Maroya und die andre Maroraï. Sie waren noch heller von Farbe als
O-Taï, aber wenigſtens um 9 bis 10 Zoll kleiner als er. Letzterwaͤhnte
Maroraï war eine grazioͤſe Figur, und beſonders am Obertheil des Coͤrpers,
von ungemein ſchoͤnem und zarten Bau. Zwar hatte ſie bey weitem nicht ſo
regelmaͤßige Zuͤge als ihr Bruder; aber dagegen ein angenehmes rundliches Ge-
ſicht, uͤber welches ein unausſprechlich holdes Laͤcheln verbreitet war. Es ſchien
als waͤren ſie noch nie auf einem Schiffe geweſen ſeyn, ſo ſehr bewunderten ſie
alles was ihnen darauf vorkam; auch ließen ſie es nicht dabey bewenden, ſich
auf dem Verdeck umzuſehen; ſondern giengen in Begleitung eines unſrer Herren
Mitreiſenden nach den Officier-Cajuͤtten hinab und beſahen auch da alles mit
der groͤßten Aufmerkſamkeit. Maroraï fand an ein Paar Bett-Tuͤchern, wel-
che ſie auf einem Bette erblickte, beſonderes Wohlgefallen, und verſuchte es
auf allerhand Art und Weiſe, ſie von ihrem Begleiter geſchenkt zu bekommen,
allein umſonſt. Er war zwar nicht abgeneigt, ihr ſolche zu uͤberlaſſen, ver-
langte aber eine weſentliche Gunſtbezeugung dafuͤr, zu welcher ſich Maroraï an-
faͤnglich nicht verſtehen wollte. Als ſie indeſſen ſahe, daß kein anders Mittel ſey
zu ihrem Zweck zu gelangen, ſo ergab ſie ſich endlich nach einigem Widerſtreben.
Schon bereitete ſich der Sieger ſeinen Triumph zu feyern, als das Schiff, zur
ungelegenſten Zeit von der Welt, gegen einen Felſen ſtieß, und ihm ungluͤcklicher-
weiſe die ganze Freude verdarb. Der erſchrockne Liebhaber, der die Ge-
fahr des Schiffs deutlicher einſahe als ſeine Geliebte, flog ſogleich aufs
Verdeck, wohin auch alle uͤbrigen Seeleute, ein jeder an ſeinen Poſten eilten,
ohne ſich weiter um die indianiſche Geſellſchaft zu bekuͤmmern. Wir fanden
bald, daß uns die Fluth, waͤhrend der gaͤnzlichen Windſtille, unvermerkt ge-
gen die Felſen hin getrieben hatte, und daß wir auch wuͤrklich ſchon auf denſelben
B b 3
[198]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
feſt ſaßen, ehe es noch moͤglich war, den Eingang des Havens zu erreichen,
ohngeachtet wir kaum noch einen Steinwurf weit davon entfernt ſeyn moch-
ten. Mittlerweile ſchlug das Schiff einmal uͤber das andre auf den Felſen an,
ſo daß es allerdings mißlich um uns ausſahe: Zum Gluͤck war die See eben
nicht unruhig, mithin auch keine ſonderliche Brandung an den Felſen; haͤtte
ſich indeſſen der ſonſt gewoͤhnliche Seewind eingeſtellt, ſo waͤre das Schiff un-
moͤglich zu retten geweſen, allein auch der blieb dieſen ganzen Tag uͤber aus.
Officier und Paſſagier, ohne Unterſchied, thaten bey dieſer Gelegenheit ihr
aͤußerſtes. Es ward ungeſaͤumt ein Boot ausgeſetzt, auf ſelbigem nicht weit
von uns ein Anker ausgeworfen, und vermittelſt deſſen das Schiff los gehoben
und wiederum flott gemacht. Da die Indianer an Bord ſahen, wie ſauer
wir es uns werden ließen, ſo legten ſie mit Hand an; ſie arbeiteten an der Win-
de, halfen uns die Taue einnehmen und verrichteten andre dergleichen Arbeit
mehr. Waͤren ſie im mindeſten verraͤtheriſch geſinnt geweſen, ſo haͤtten ſie jetzt
die beſte Gelegenheit gehabt, uns in Verlegenheit zu ſetzen; aber ſie bezeigten
ſich, bey dieſem gleichwie bey allen andern Vorfaͤllen, hoͤchſtfreundſchaftlich und
gutherzig. Waͤhrend dieſer muͤhſamen Arbeit hatten wir eine ausnehmende Hitze
auszuſtehen, denn das Thermometer ſtand im Schatten auf 90 Grad, die Son-
ne ſchien brennend heiß, und am ganzen Horizont war nirgends ein Woͤlkchen
zu ſehen, auch nicht das geringſte Luͤftchen zu ſpuͤhren. Als uns dieſer Unfall
begegnete, war die Adventure dicht bey uns, ſie entgieng aber der Gefahr
dadurch, daß ſie eilends die Anker auswarf. Zu den gluͤcklichen Umſtaͤn-
den, denen wir unſre Rettung zu danken hatten, gehoͤrte auch der, daß die Fel-
ſen, auf welche wir gerathen waren, Abſaͤtze hatten, und der Anker folglich ir-
gendwo faſſen konnte, welches ſonſt ſelten der Fall iſt, indem die Corallen-Felſen
gemeiniglich ganz ſenkrecht zu ſeyn pflegen. Es war ohngefaͤhr um 3 Uhr,
als wir nach anderthalbſtuͤndigem Arbeiten wieder los kamen. Wir nah-
men nun eiligſt einige Erfriſchungen zu uns, und da dieſe Gegend ſehr ge-
faͤhrlich war, im Fall ſich ein Oſtwind aufgemacht haͤtte; ſo bemanneten wir
die Boote beyder Schiffe und ließen uns durch dieſelben wieder in See boog-
ſiren. Ohngefaͤhr um 5 Uhr kam uns eine leichtwehende Landluft zu Huͤlfe. Wir
entließen daher die Boote ſogleich ihres bisherigen Dienſtes und ſchickten ſie nach
[199]in den Jahren 1772 bis 1775.
der Adventure hin, um dieſer die Anker lichten zu helfen. Die Leute hatten1773.
Auguſt.

aber dies nicht abgewartet, ſondern das Cabel bereits laufen laſſen, um den
guͤnſtigen Wind, ohne allen Aufſchub zu nutzen, und uns zu folgen. Wir la-
virten hierauf mit beyden Schiffen die ganze Nacht ab und zu, und ſahen die ge-
faͤhrlichen Felſen mit einer Menge von Feuern erleuchtet, bey deren Schein die
Indianer fiſchten. Als einer der Officiers ſchlafen gehen wollte, fand er ſein
Bett ohne Bett-Tuͤcher, welche vermuthlich von der ſchoͤnen Maroraï waren
mitgenommen worden, da ſie ſich von ihrem Liebhaber ſo ſchleunig verlaſſen
ſahe. Sie mußte indeſſen dieſe kleine Angelegenheit ſehr behende und in aller
Kuͤrze ausgefuͤhrt haben, denn ſonſt wuͤrde ſie auf dem Verdeck vermißt worden
und ihr Außenbleiben gleich verdaͤchtig geweſen ſeyn.


Am folgenden Morgen naͤherten wir uns der Kuͤſte von neuem und ſteu-
reten laͤngſt der Nordſeite der kleinern Halbinſel hin. Es dauerte nicht lange, ſo
waren wir, wie am vergangenen Tage, wieder mit Canots umgeben, in welchen
uns die Eingebohrnen Erfriſchungen in Menge, nur kein Fleiſch, zubrachten und
uns mit ihrem freundſchaftlichen Zuruf bisweilen ganz betaͤubten. Die Fahrzeuge
ſchlugen oft um, aber das war kein großer Unfall fuͤr die Leute die darinnen [ſaſ-
ſen]
, indem beydes Maͤnner und Weiber vortrefliche Schwimmer ſind und die
Canots in großer Geſchwindigkeit wieder umzukehren wiſſen. Da ſie fanden,
daß ich mich nach Pflanzen und andern natuͤrlichen Merkwuͤrdigkeiten erkun-
digte, ſo brachten ſie mir dergleichen; aber oftmals nur die Blaͤtter ohne
Bluͤthen, und umgekehrt zuweilen Blumen ohne Blaͤtter; doch erkannte ich
unter denſelben, dieſer Verſtuͤmmelung ohnerachtet, die gemeine Art des
ſchwarzen Nacht-Schattens (black night Shade) und eine ſchoͤne Erythrina
oder Coral-Blume. Auch bekam ich auf dieſe Weiſe allerhand Muſcheln, Co-
rallengewaͤchſe, Voͤgel u. d. g.


Um 11 Uhr ankerten wir in einem kleinen Haven O-Aitepieha ge-
nannt, der am noͤrdlichen Ende der ſudlichen oder kleinen Halbinſel von O-
Tahiti
liegt, die in der Landesſprache Teiarrabu heißt. Nunmehro gieng
der Zulauf des Volks erſt recht an und die Canots kamen von allen Seiten her-
bey. Die Leute waren auf unſere Corallen, Naͤgel und Meſſer ſo erpicht, daß
wir gegen dieſe Waaren eine unglaubliche Menge ihres Zeuges, ihrer Matten,
[200]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
Koͤrbe und andre Geraͤthſchaften, desgleichen Coco-Nuͤſſe, Brodfrucht, Yams
und Piſangfruͤchte in großen Ueberfluß zuſammen brachten. Die Verkaͤufer
kamen zum Theil aufs Verdeck und nahmen der Gelegenheit wahr, allerhand
Kleinigkeiten wegzuſtehlen; einige machten es gar ſo arg, daß ſie unſre erhan-
delten Coco-Nuͤſſe wieder uͤber Bord und ihren Cameraden zu practicirten, und
dieſe verkauften ſie unſern Leuten alsdenn zum zweytenmal. Um nicht wieder
ſo betrogen zu werden, wurden die Diebe vom Schiffe gejagt und mit einigen
Peitſchen-Hieben gezuͤchtigt, welche ſie geduldig ertrugen.


Die Hitze war heute eben ſo groß als geſtern. Das Thermometer ſtand
auf 90 im Schatten, wenn der Himmel mit Wolken bedeckt war; und um Mit-
tag ward es wieder windſtill. Ob wir gleich bey dieſer Hitze heftig ſchwitzten,
ſo war ſie uns uͤbrigens doch gar nicht ſo empfindlich und zur Laſt, als man
wohl denken moͤchte. Wir befanden uns im Gegentheil ungleich friſcher und
muntrer, als es, vornemlich der geſtrigen abmattenden Arbeit nach, zu ver-
muthen war. Dieſen Vortheil hatten wir aber ohne Zweifel blos der Nachbar-
ſchaft des Landes zu verdanken; die Brodfrucht und die Yams, welche man
uns von dorther zubrachte, ſchmeckten und bekamen uns beſſer als unſer wurm-
ſtichigter Zwieback; und die Piſangs, nebſt einer Apfel-Frucht, die von den Ein-
wohnern E-vie genannt wird, gaben einen herrlichen Nachtiſch ab. Das ein-
zige, was wir uns an friſchen Lebensmitteln noch wuͤnſchen konnten, waren
Huͤhner und Schweine, damit wir anſtatt des taͤglichen Poͤckelfleiſches eine
Abwechslung haben moͤgten.


Nachmittags giengen die Capitains, nebſt einigen anderen Herren zum
erſtenmal ans Land, um den O-Aheatua zu beſuchen, den alle Einwohner hie-
ſiger Gegenden fuͤr ihren Erih oder Koͤnig erkannten. Waͤhrend dieſer
Zeit war das Schiff mit einer Menge von Canots umringt, die außer allerhand
Kraͤuterwerk, auch große Quantitaͤten einlaͤndiſchen Zeugs verhandelten. So
gar auf den Verdecken wimmelte es von Indianern, unter welchen es ver-
ſchiedne Frauensperſonen gab, die ſich ohne Schwierigkeiten den Wuͤnſchen un-
ſrer Matroſen uͤberließen. Einige von denen, die dieſes Gewerbe trieben,
mochten kaum neun oder zehen Jahr alt ſeyn und hatten noch nicht das geringſte
Zeichen der Mannbarkeit an ſich. So fruͤhzeitige Ausſchweifungen ſcheinen ei-
nen
[201]in den Jahren 1772 bis 1775.
nen ſehr hohen Grad von Wolluſt anzudeuten und muͤſſen im Ganzen allerdings1773.
Auguſt.

Einfluß auf die Nation haben. Die natuͤrlichſte Folge davon, die mir auch
ſogleich in die Augen fiel, beſtand darinn, daß das gemeine Volk, zu welchem
alle dieſe liederlichen Weibsbilder gehoͤren, durchgehends von kleiner Statur
war. Nur wenige einzelne Leute aus demſelben, waren von mehr als mitt-
lerer Groͤße; die uͤbrigen alle unter dieſem Maaße — ein Beweis, daß die Mey-
nung des Grafen Buͤffon, uͤber die fruͤhzeitige Vermiſchung beyder Geſchlech-
ter (S. deſſen Hiſt. naturelle) ſehr gegruͤndet iſt. Sie hatten unregelmaͤßige,
gemeine Geſichtszuͤge, aber ſchoͤne, große Augen, die durchgehends ſehr lebhaft
waren; naͤchſt dieſen erſetzte auch ein ungezwungnes Laͤcheln und ein beſtaͤndiges
Bemuͤhen zu gefallen, den Mangel der Schoͤnheit ſo vollkommen, daß unſre
Matroſen ganz von ihnen bezaubert wurden und auf die leichtſinnigſte Weiſe
von der Welt, Hemder und Kleider weggaben, um ſich dieſen neuen Maͤtreſſen ge-
faͤllig zu bezeigen. Die ungekuͤnſtelte Einfalt der Landes-Tracht, die einen wohl-
gebildeten Buſen nebſt ſchoͤnen Armen und Haͤnden unbedeckt ließ, mogte freylich
das ihrige beytragen, unſre Leute in Flammen zu ſetzen; und der Anblick ver-
ſchiedner ſolcher Nymphen, welche bald in dieſer, bald in jener verfuͤhre-
riſchen Poſitur behend um das Schiff her ſchwammen, ſo nackt als die Natur
ſie gebildet hatte, war allerdings mehr denn hinreichend, das bischen Vernunft
ganz zu blenden, das ein Matroſe zu Beherrſchung der Leidenſchaften etwa noch
uͤbrig haben mag. Eine Kleinigkeit hatte Veranlaſſung dazu gegeben, daß
ihrer ſo viel neben uns herum ſchwammen. Einer von den Officiers, welcher ſeine
Freude an einem Knaben von ohngefaͤhr 6 Jahren hatte, der dicht am Schiff in
einem Canot war, wollte demſelben vom hintern Verdeck herab, eine Schnur
Corallen zuwerfen; der Wurf gieng aber fehl und ins Waſſer; nun beſann ſich
der Junge nicht lange, ſondern plumpte hinter drein, tauchte und brachte die
Corallen wieder herauf. Um dieſe Geſchicklichkeit zu belohnen, warfen wir
ihm mehrere zu, und das bewog eine Menge von Maͤnnern und Weibern, uns
ihre Fertigkeit im Waſſer ebenfalls zu zeigen. Sie holten nicht nur einzelne
Corallen, davon wir mehrere auf einmal ins Waſſer warfen, ſondern auch
große Naͤgel wieder herauf, ohngeachtet dieſe, ihrer Schwere wegen, ſehr ſchnell
in die Tiefe hinab funken. Manchmal blieben ſie lange unter Waſſer; was uns
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. C c
[202]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
aber am bewundrungswuͤrdigſten duͤnkte, war die außerordentliche Geſchwin-
digkeit, womit ſie gegen den Grund hinabſchoſſen, und welche ſich bey dem
klaren Waſſer ſehr deutlich bemerken ließ. Da man hier zu Lande gewohnt iſt
ſich vielfaͤltig zu baden, wie bereits Capitain Cook auf ſeiner vorigen Reiſe ange-
merkt hat, ſo lernen die Leute ohne Zweifel ſchon von der fruͤheſten Kindheit an
ſchwimmen, und beſitzen daher auch eine ſolche Fertigkeit darinn, daß man ſie
der Behendigkeit im Waſſer und der Biegſamkeit ihrer Glieder nach, faſt fuͤr
Amphibien halten ſollte. Nachdem ſie dieſe Schwimmer-Uebungen und andere
Beſchaͤfftigungen bis zu Untergang der Sonne fortgeſetzt hatten, kehrten ſie all-
maͤhlig nach dem Ufer zuruͤck.


Um dieſe Zeit kamen auch die Capitains mit ihrer Geſellſchaft wieder
an Bo[r]d, ohne den Koͤnig geſehn zu haben; der ſie, wer weis aus was fuͤr
mißtrauiſcher Beſorgniß, nicht hatte vor ſich kommen, ſondern ihnen nur
verſichern laſſen, daß er ſie am folgenden Tage ſelbſt beſuchen wuͤrde. Um
indeſſen nicht ganz vergebens am Lande geweſen zu ſeyn, nahmen ſie laͤngſt der
Kuͤſte, nach Oſten hin, einen Spatziergang vor. Eine Menge von Einwohnern
folgte ihnen uͤberall nach, und als ſie unterwegens an einen Bach kamen, bo-
ten ſich die Leute um die Wette an, ſie auf den Schultern heruͤber zu tragen.
Jenſeits deſſelben aber zerſtreueten ſich die Indianer nach und nach, ſo daß ſie end-
lich nur einen einzigen Mann bey ſich hatten. Dieſen ließen ſie als Wegwei-
ſer vorauf gehen, und folgten ihm nach einer unbebaueten Landſpitze, welche ſich
ins Meer erſtreckte. Der Ort war mit wild aufgeſchoßnen Pflanzen und Stau-
den verwachſen; und als ſie ſich durch dieſes Buſchwerk hindurch gearbeitet hat-
ten, ſtand ein pyramidenfoͤrmiges Gebaͤude von Steinen vor ihnen, deſſen Ba-
ſis, vorn, ohngefaͤhr zwanzig Schritte (60 Fus) breit ſeyn mochte. Ihr Be-
gleiter ſagte ihnen, es ſey eine Grabſtelle oder ein heiliger Verſammlungsplatz,
Maraï, und er nannte es, Maraïno-Aheatua, den Begraͤbnißplatz des A-
heatua
,
der jetzt Koͤnig auf Teiarrabu iſt. Das ganze Gebaͤude war aus meh-
reren Terraſſen oder Stufen uͤbereinander aufgefuͤhrt, die aber, beſonders gegen
die Landſeite hin, ziemlich verfallen und ſchon mit Gras und Buſchwerk uͤber-
wachſen waren. Rund um das Gebaͤude ſtanden funfzehen duͤnne, faſt ſenkrecht
in die Erde geſteckte, hoͤlzerne Pfoſten, die zum Theil 18 Fus lang ſeyn mochten,
[203]in den Jahren 1772 bis 1775.
und an deren jeder man ſechs bis acht kleine, theils maͤnnliche, theils weibliche Men-1773.
Auguſt.

ſchen-Figuren, ziemlich kruͤpplicht eingeſchnitten fand, die dem Geſchlecht nach,
ohne Unterſchied eine uͤber die andre ſtanden, jedoch ſo, daß die oberſte immer eine
maͤnnliche war. Durchgehends aber hatten ſie das Geſicht gegen die See hinge-
kehrt und dieſes ſahe den geſchnitzten Menſchen-Geſichtern aͤhnlich, die man an
den Vordertheilen ihrer Canots wahrnimmt, und die e-tie oder e-tihi genannt
werden. Etwas abwaͤrts von dem Marai, ſtand eine Art von Strohdach auf
vier Pfoſten, vor ſelbigem aber ein Spalierwerk oder Verzaͤunung von Latten
errichtet, welches mit Piſangfruͤchten, desgleichen mit Cocosnuͤſſen, no t’ Etua,
fuͤr die Gottheit behangen war. Hier ſetzten ſie ſich nieder, um im Schatten dieſes
Obdachs auszuruhen, und ihr Begleiter both ihnen zur Erfriſchung einige von den
Piſangfruͤchten an, mit der Verſicherung, ſie waͤren mâa maitai, gut zu eſſen.
Eine ſolche Einladung war nicht zu verſchmaͤhen, und da das Obſt auch wuͤrklich ſo
gut war als ihr Fuͤhrer es ihnen angeprieſen hatte; ſo trugen ſie kein Bedenken,
es ſich recht tapfer ſchmecken zu laſſen, ohnerachtet es auf Koſten der Goͤtter ging.
Bey einbrechendem Abend kehrten ſie, mit der von dieſem gutherzigen Volke genoß-
nen guten Aufnahme ungemein zufrieden, nach dem Schiff zuruͤck, und brachten
uns einige Pflanzen mit, welche wir ſogleich fuͤr Gewaͤchſe erkannten, die nur
zwiſchen den Wende-Cirkeln zu Hauſe ſind. Als wir am folgenden Tage fruͤh
aufs Verdeck kamen, um die kuͤhle Morgenluft zu genießen, fanden wir die
herrlichſte Ausſicht vor uns; und der Morgenglanz der Sonne breitete gleich-
ſam doppelte Reitze uͤber die natuͤrlichen Schoͤnheiten der Landſchaft aus. Der
Haven, in welchem wir lagen, war nur klein, dergeſtalt, daß unſre bey-
den Schiffe ihn faſt gaͤnzlich ausfuͤllten; das Waſſer aber war in ſelbigem ſo
klar als Cryſtall, und ſo glatt als ein Spiegel, indeß ſich um uns her, die
See an den aͤußern Felſen in ſchneeweißſchaͤumenden Wellen brach. Auf der
Landſeite erblickte das Auge vor den Bergen her, eine ſchmale Ebene, deren frucht-
bares Anſehen, all ihren Bewohnern Ueberfluß und Gluͤckſeligkeit zu gewaͤhren
ſchien. Dem Schiffe gerade gegen uͤber oͤfnete ſich, zwiſchen den Bergen, ein
enges wohlbebauetes Thal, das voller Wohnungen und auf beyden Seiten mit
Waldbedeckten Huͤgeln eingefaßt war, die laͤngſt der ganzen weiten Strecke
deſſelben in mannigfaltig gebrochnen Linien hinauf liefen und ſich in verſchiednen
C c 2
[204]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
Farben und Entfernungen zeigten. Ueber dieſe und das Thal hinaus, ragten aus
dem Innern des Landes, mancherley romantiſch-geformte, ſteile Berg-Gipfel
hervor, davon beſonders der eine auf eine mahleriſch-ſchoͤne, aber fuͤrchterliche
Weiſe uͤberhieng und gleichſam den Einſturz drohte. Der Himmel war hei-
ter und die Luft erquickend warm; kurz, alles floͤßte uns neues Leben und neuen
Muth ein. Mittlerweile wurden die Boote beyder Schiffe nach o-Whai-urua
geſchickt um die Anker zu holen, welche wir daſelbſt im Grunde hatten ſitzen laſ-
ſen als wir auf den Felſen ſtießen. Zu gleicher Zeit ward eine Parthey See-
Soldaten und Matroſen beordert ans Land zu gehen, um Lebensmittel einzuhan-
deln, und unſre ledigen Faͤſſer mit friſchem Waſſer zu fuͤllen. Zu Ausfuͤhrung
dieſes Vorhabens faßten ſie ohnweit dem Strande in einer verlaſſenen Wohnung
Poſto, die ihnen nicht nur Schatten gegen die Sonne, ſondern auch, vermittelſt
der Umzaͤunung, Sicherheit gegen die Diebereyen des Volks verſchaffte. Als
wir eben im Begriff waren, mit dem Capitain ans Land zu gehen, bekam die-
ſer einen Beſuch von einem angeſehenen Manne, der o-Pue hies und ſeine bey-
den Soͤhne bey ſich hatte. Sie brachten dem Capitain etwas Zeug und einige
andre Kleinigkeiten zum Geſchenk, und erhielten dagegen Meſſer, Naͤgel, Co-
rallen, und ein Hemde, welches letztere einer von ihnen anlegte, und in dieſent
Aufzuge begleiteten ſie uns ans Land.


So bald wir ausgeſtiegen waren, eilten wir von dem ſandichten Stran-
de, wo fuͤr unſre Wiſſenſchaft keine Entdeckungen zu erwarten waren, weg,
und nach den Plantagen hin, die uns vom Schiffe her ſo reizend ausgeſehen
hatten. Ohnerachtet der ſpaͤten Jahreszeit wegen Laub und Gras ſchon durchgehends
mit herbſtlichem Braun gefaͤrbt war, ſo bemerkten wir doch bald, daß dieſe Gegen-
den in der Naͤhe nichts von ihren Reizen verloͤren, und daß Herr von Bougain-
ville
nicht zu weit gegangen ſey, wenn er dies Land als ein Paradies beſchrie-
ben. Wir befanden uns in einem Wald von Brodfrucht-Baͤumen, auf denen
aber bey dieſer Jahrszeit keine Fruͤchte mehr waren, und beym Ausgang des Ge-
hoͤlzes ſahen wir einen ſchmalen, von Gras entbloͤßten Fuspfad vor uns, ver-
mittelſt deſſen wir bald zu verſchiednen Wohnungen gelangten, die unter man-
cherley Buſchwerk halb verſteckt lagen. Hohe Cocos-Palmen ragten weit uͤber
die andren Baͤume empor und neigten ihre haͤngenden Wipfel auf allen Seiten ge-
[205]in den Jahren 1772 bis 1775.
gen einander hin. Der Piſang prangte mit ſeinen ſchoͤnen breiten Blaͤttern1773.
Auguſt.

und zum Theil auch noch mit einzelnen traubenfoͤrmigen Fruͤchten. Eine ſchat-
tenreiche Art von Baͤumen, mit dunkelgruͤnem Laube, trug goldgelbe Aepfel, die
den wuͤrzhaften Geſchmack und Saft der Ananas hatten. Der Zwiſchenraum
war bald mit jungen chineſiſchen Maulbeerbaͤumen (morus papyrifera) be-
pflanzt, deren Rinde von den Einwohnern zu Verfertigung der hieſigen Zeuge
gebraucht wird, bald mit verſchiednen Arten von Arum- oder Zehrwurzeln,
(Arum oder Eddoes) mit Yams, Zuckerrohr und andern nutzbaren Pflanzen
beſetzt. Die Wohnungen der Indianer lagen einzeln, jedoch ziemlich dicht ne-
ben einander, im Schatten der Brodfrucht-Baͤume, auf der Ebene umher, und
waren mit mancherley wohlriechenden Stauben, als Gardenia, Guettarda
und Calophyllum umpflanzt. Die einfache Bauart und die Reinlichkeit der-
ſelben ſtimmte mit der kunſtloſen Schoͤnheit des um ſie her liegenden Waldes uͤber-
aus gut zuſammen. Sie beſtanden nemlich mehrentheils nur aus einem Dach,
das auf etlichen Pfoſten ruhte und pflegten uͤbrigens, an allen Seiten offen,
ohne Waͤnde zu ſeyn. Dieſe ſind auch, bey dem vortreflichen Clima des Landes
welches vielleicht eins der gluͤcklichſten auf Erden iſt, vollkommen zu ent-
behren; denn Tau und Regen, die einzigen Veraͤnderungen der Witterung, gegen
welche die Einwohner Schutz noͤthig haben, werden in den mehreſten Faͤllen durch
ein bloßes Dach genugſam abgehalten. Zu dieſen liefert ihnen der Pandang oder
Palm-Nußbaum, *) ſeine breiten Blaͤtter ſtatt der Ziegel und die Pfeiler wer-
den aus dem Stamm des Brodfrucht-Baums gemacht, der ihnen ſolchergeſtalt
auf mehr denn einerley Art nutzbar wird. Indeſſen gab es doch mit unter
einige Wohnungen, die, vermuthlich nur deswegen damit man innerhalb ver-
borgner ſeyn moͤgte, mit einer Art von geflochtnen Rohr-Huͤrden eingeſchloſſen
waren, und folglich einem großen Vogelbauer ziemlich aͤhnlich ſahen. In
dieſem Wandwerk war eine Oeffnung zur Thuͤr gelaſſen, die mit einem Brette
zugemacht werden konnte. Vor jeder Huͤtte ſabe man eine kleine Gruppe von
Leuten, die ſich ins weiche Gras gelagert hatten oder mit kreuzweis uͤbereinan-
dergeſchlagnen Beinen beyſammen ſaßen und ihre gluͤcklichen Stunden entweder
C c 3
[206]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
verplauderten oder ausruheten. Einige ſtanden bey unſrer Annaͤherung auf und folg-
ten dem Haufen der mit uns gieng; viele aber, beſonders Leute von reiferem Alter,
blieben unverruͤckt ſitzen und begnuͤgten ſich, uns im Voruͤbergehen, ein freundſchaft-
liches Tayo! zuzurufen. Da unſre Begleiter gewahr wurden, daß wir Pflanzen
ſammleten, ſo waren ſie ſehr emſig, dieſelbigen Sorten zu pfluͤcken und herbey zu
bringen, die ſie von uns hatten abbrechen ſehen. Es gab auch in dieſen Plantagen in
der That eine Menge von allerhand wilden Arten, die untereinander in jener ſchoͤ-
nen Unordnung der Natur aufſproßten, welche uͤber das ſteife Putzwerk kuͤnſtlicher
Gaͤrten immer unendlich erhaben, aber alsdenn vollends bewundernswuͤrdig iſt,
wenn die Kunſt ihr am rechten Ort aufzuhelfen weiß. Vornemlich fanden wir
verſchiedene Grasarten, die, ohnerachtet ſie zarter und feiner als unſre noͤrdlichen
waren, dennoch, weil ſie im Schatten wuchſen, ein ſehr friſches Anſehen hat-
ten und einen weichen Raſen ausmachten. Sie dienten zugleich das Erdreich
feucht zu erhalten, und ſolchergeſtalt den Baͤumen Nahrung zu verſchaffen, die
auch ihrer Seits im vortreflichſten Stande waren. Mancherley kleine Voͤgel
wohnten auf den ſchattigen Zweigen der Brodfrucht- und andren Baͤume und
ſungen ſehr angenehm, ob man gleich, ich weis nicht warum, in Europa den
Wahn hegt, daß es in heißen Laͤndern den Voͤgeln an harmoniſchen Stimmen
fehle. In den Gipfeln der hoͤchſten Cocosnuß-Baͤume pflegte ſich eine Art klei-
ner, ſchoͤner Saphir-blauer Papagayen aufzuhalten, und eine andre gruͤndlichte
Art mit rothen Flecken, ſahe man unter den Piſang-Baͤumen haͤufig, traf ſie
auch oft zahm in den Haͤuſern an, wo die Einwohner ſie der rothen Federn
wegen, ſehr gern zu haben ſchienen. Ein Eisvogel, von dunkelgruͤnem
Geſieder und rings um die weiße Kehle mit einem ringfoͤrmigen Streif von vor-
gedachter Farbe gezeichnet; ein großer Kuckuck und verſchiedne Arten von
Tauben, huͤpften froͤhlich auf den Zweigen herum, indeß ein blaͤulichter Rey-
her gravitaͤtiſch am See-Ufer einher trat, um Muſcheln, Schnecken und Wuͤr-
mer aufzuleſen. Ein ſchoͤner Bach, der uͤber ein Bette von Kieſeln rollte, kam
in ſchlaͤngelndem Lauf das ſchmale Thal herab, und fuͤllte beym Ausfluß in die
See unſre leeren Faͤſſer mit ſilberhellem Waſſer. Wir giengen laͤngſt ſeinem krum-
men Ufer eine gute Strecke weit hinauf, bis uns ein großer Haufen India-
ner begegnete, der hinter dreyen Leuten herzog, die in verſchiedne Stuͤcke ihres
[207]in den Jahren 1772 bis 1775.
rothen und gelben Zeuges gekleidet waren und, von eben dergleichen, zierliche1773
Auguſt.

Turbans auf hatten. Sie trugen lange Stoͤcke oder Staͤbe in der Hand, und
einer hatte eine Frauensperſon bey ſich, welches ſeine Frau ſeyn ſollte. Wir
fragten, was dieſer Aufzug zu bedeuten habe, und erhielten zur Antwort: es
waͤren die Te-apunie; da die Indianer aber merkten, daß wir noch nicht ge-
nug von ihrer Sprache wußten, um dieſen Ausdruck zu verſtehen, ſo ſetzten ſie
hinzu, es waͤren Tata-no-t’ Eatua, das iſt: Maͤnner, die der Gottheit und
dem Maraï oder Begraͤbniß- und Verſammlungsplatze angehoͤrten. Man
moͤgte ſie alſo wohl Prieſter nennen duͤrfen. Wir blieben einige Zeit ſtehen, um
abzuwarten, ob ſie etwa eine Art von gottesdienſtlicher Handlung oder andre
beſondre Ceremonien vornehmen wuͤrden, da aber nichts dergleichen erfolgte, ſo
kehrten wir nach dem Strande zuruͤck. Um Mittagszeit gieng Capitain Cook
mit uns und den beyden Soͤhnen des oberwaͤhnten O-Pue (S. 204) wieder an
Bord, ohne den Aheatua geſehen zu haben, der, aus Urſachen die kein
Menſch errathen konnte, uns noch immer nicht vor ſich kommen laſſen wollte.


Unſre beyden indianiſchen Gaͤſte ſetzten ſich mit zu Tiſche und aßen von
unſern Zugemuͤſen; das Poͤckelfleiſch aber ließen ſie unberuͤhrt. Nach Tiſche
nahm einer der Gelegenheit wahr, ein Meſſer und einen zinnernen Loͤffel zu mau-
ſen, ob ihm gleich der Capitain, ohne alles Gegengeſchenk, eine Menge von Sa-
chen gegeben hatte, daran er ſich allerdings haͤtte genuͤgen laſſen und die Geſetze
der Gaſtfreyheit nicht auf eine ſo haͤßliche Weiſe uͤbertreten ſollen. So bald
er ſahe, daß die Dieberey entdeckt war, und daß man ihn deshalb vom Verdeck
wegjagen wollte, beſann er ſich nicht lange, ſondern ſprang uͤber Bord, ſchwamm
nach dem naͤchſten Canot hin, und ſetzte ſich ruhig in demſelben nieder, unſrer
Uebermacht gleichſam zum Trotze. Capitain Cook konnte ſich aus Unwillen
uͤber das ſchaͤndliche Betragen dieſes Kerls nicht enthalten, ihm eine Flinten-
kugel uͤbern Kopf hinzufeuern, allein dies fruchtete nichts mehr, denn daß der
Indianer von neuen ins Waſſer ſprang und das Canot umſchlagen machte. Man
feuerte zum zweytenmal nach ihm, allein, ſo bald er das Feuer von der Pfanne
aufblitzen ſahe, tauchte er unter, und eben ſo machte ers beym dritten Schuß.
Nunmehro bemannte der Capitain ſein Boot und ruderte nach dem Canot hin,
[208]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
unter welches ſich der Taucher verſteckt hatte. Dieſer aber wartete ſo lange
nicht, ſondern verließ ſein Fahrzeug und ſchwamm nach einem doppelten Canot,
das nicht weit von ihm war. Auch dem ward nachgeſetzt. Es entkam aber
durch die Brandung auf den Strand, und die Indianer fiengen von daher
an mit Steinen nach unſren Leuten zu werfen, ſo daß dieſe es fuͤr rathſam hiel-
ten, ſich zuruͤckzuziehen. Endlich ward ein Vierpfuͤnder gegen das Land abge-
feuert, und dieſer machte dem Handel auf einmal ein Ende, denn er jagte jenen
ein ſolches Schrecken ein, daß unſre Leute zwey doppelte Canots ohne Wider-
ſtand wegnehmen und mit ſich ans Schiff bringen konnten.


Nachdem dieſer Tumult uͤber war, giengen wir ans Land, um ohn-
weit dem Orte, wo unſre Waſſerfaͤſſer gefuͤllt wurden, nach Tiſche einen
Spatziergang zu machen und das Zutrauen des Volks wieder zu gewinnen,
welches uns, der eben erzaͤhlten Feindſeligkeiten wegen, mit einemmal verlaſſen
hatte. Wir waͤhlten einen andern Weg, als den wir am Morgen genommen
hatten, und fanden auf demſelben eine Menge Piſange, Yams, Zehrwurzeln
u. d. gl. um die Haͤuſer herumgepflanzt. Die Bewohner waren freund-
ſchaftliche, gutherzige Leute, jedoch des Vorgefallnen wegen, etwas ſcheuer und
zuruͤckhaltender als zuvor. Endlich gelangten wir an ein großes mit Rohr-
waͤnden verſehenes Haus, welches ein artiges Anſehen hatte. Es ſollte dem Ahea-
tua
angehoͤren, welcher ſich jetzt, wie es hieß, in einer andern Gegend aufhielt.
Wir fanden hier ein Schwein und etliche Huͤhner, die erſ[t]en, welche uns
die Einwohner zu Geſicht kommen ließen, indem ſie ſolche bisher ſorgfaͤltig
verſteckt und nie hatten verkaufen wollen, unter dem Vorwande, daß ſie dem
Erih oder Koͤnige zugehoͤrten. Sie machten jetzt eben die Entſchuldigung,
ohnerachtet wir ihnen ein Beil dafuͤr anboten, welches, ihren Meynungen und
Beduͤrfniſſen nach, gleichwohl das hoͤchſte war was ſie dagegen verlangen
konnten. Nach einem kurzen Aufenthalte kehrten wir auf eben dem Wege wie-
der zuruͤck und brachten eine kleine Parthey neuer Pflanzen mit an Bord. Ge-
gen Untergang der Sonne ward ein Boot vor den Haven hinausgeſchickt, um
einen See-Soldaten, Namens Iſaac Taylor, in der See zu begraben, der
nach langem Kraͤnkeln heute Morgen geſtorben war. Seitdem wir England
verlaſſen, war er beſtaͤndig fieberhaft, ſchwindſuͤchtig und aſthmatiſch geweſen.
Dieſe
[209]in den Jahren 1772 bis 1775.
Dieſe Zufaͤlle hatten je laͤnger je mehr uͤberhand genommen, und ſich zuletzt in1773.
Auguſt.

eine Waſſerſucht verwandelt, die ſeinem Leben ein Ende machte. Alle unſre uͤbri-
gen Leute am Bord waren nun wohl, einen einzigen Mann ausgenommen, der
ſeiner zum Scorbut geneigten Leibesbeſchaffenheit wegen, allemal von neuem
bettlaͤgerig wurde, ſo oft wir in See giengen, und mit genauer Noth beym Le-
ben zu erhalten war, ohnerachtet man ihn beſtaͤndig, die kraͤftigſten prophyla-
ctiſchen Mittel und Worth gebrauchen ließ. Jedoch auch dieſer Mann, ſowohl
als die am Scorbut kranken Leute von der Adventure, erholten ſich außerordent-
lich geſchwind, durch bloßes Spatzierengehen am Ufer und durch den taͤglichen
Genuß von friſcher Kraͤuterkoſt.


Fruͤh am folgenden Morgen kamen etliche Indianer in einem Canot zu
uns und bathen um die Zuruͤckgabe der beyden groͤßern, die man ihnen Tages zu-
vor weggenommen hatte. Da Capitain Cook inne geworden war, daß der Han-
del des geſtrigen Vorfalls wegen ins Stecken gerathen ſey, weil ſeitdem niemand
ans Schiff, und auch nur wenige an den Waſſerplatz hin gekommen wa-
ren; ſo ließ er ihnen die Canots alsbald zuruͤck geben, um das gute Vernehmen
mit den Eingebohrnen ſo bald als moͤglich wieder herzuſtellen. Nun wuͤrkte zwar
dieſe Probe von unſrer Billigkeit ſo ſchleunig nicht; als wir es wohl gewuͤnſcht
haͤtten; doch blieb der Erfolg davon wenigſtens nicht lange aus, denn nach
Verlauf zweyer oder dreyer Tage war der Handel wiederum voͤllig auf den vori-
gen Fus hergeſtellt.


Nach dieſen Friedens-Vorkehrungen giengen wir aufs Botaniſiren ans
Land. Ein tuͤchtiger Regenſchauer, der vorige Nacht gefallen, hatte die Luft
merklich abgekuͤhlt, und machte unſern Spatziergang ſehr angenehm, indem die
Sonnenhitze heute nicht ſo fruͤh als ſonſt uͤberhand nehmen konnte. Das ganze
Land war durch den Regen verſchoͤnert. Baͤume und Pflanzen waren wie von
neuem belebt und in den Waͤldern duftete das erfriſchte Erdreich einen angeneh-
men Wohlgeruch aus. Eine Menge von kleinen Voͤgeln begruͤßte uns mit
ihrem lieblichen Morgengeſang, den wir ſonſt noch nie ſo in ganzen Choͤren ge-
hoͤrt hatten, vielleicht, weil wir bisher noch nie ſo fruͤh ausgegangen, vielleicht
auch, weil oder Morgen vorzuͤglich ſchoͤn war. Kaum mochten wir etliche hun-
dert Schritte weit gegangen ſeyn, ſo entſtand im Walde ein lautes Klopfen, als
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. D d
[210]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
ob Zimmerleute daſelbſt arbeiteten. Da dieſer Schall unſre Neugier erregte,
ſo ſpuͤrten wir ihm nach und gelangten endlich an einen kleinen Schoppen, unter
welchen fuͤnf oder ſechs Weibsleute zu beyden Seiten eines langen viereckigten
Balkens ſaßen, auf welchem ſie die faſerichte Rinde vom Maulbeerbaume klo-
pften, um Zeug daraus zu machen. Das Inſtrument, deſſen ſie ſich hiezu be-
dienten, war ein ſchmales vierſeitiges Stuͤck Holz, in welchem der Laͤnge nach uͤber-
all parallele Furchen eingeſchnitten waren, die auf jeder von den vier verſchiede-
nen Seiten des Hammers, immer tiefer wurden *) und immer dichter neben
einander lagen. Sie hielten eine Weile mit Arbeiten inne, damit wir die Rin-
de, die Haͤmmer und den Balken betrachten koͤnnten. Auch zeigten ſie uns
eine Art von Leimwaſſer in einer Cocos-Nußſchaale, mit welchem ſie waͤhrend
des Klopfens die Rinde von Zeit zu Zeit beſprengten, um die einzelnen Stuͤcken
derſelben, in eine zuſammenhaͤngende Maſſe zu bringen. Dieſer Leim, der, ſo
viel wir verſtehen konnten, vom Hibiscus eſculentus gemacht war; iſt zur
Verfertigung der Arbeit unentbehrlich, weil die Stuͤcken Zeug zuweilen 6 bis
9 Fus breit und gegen 150 Fus lang ſind, gleichwohl aber aus lauter kleinen ein-
zelnen Stuͤcken Rinde zuſammengeſchlagen werden muͤſſen. Es darf keine andre
Rinde als von jungen Baͤumen dazu genommen werden; daher man auch in ih-
ren Maulbeerpflanzungen nicht einen einzigen alten Stamm findet. So bald
ſie eines guten Daumens dick, das iſt, ohngefaͤhr zwey Jahr alt ſind, werden
ſie abgehauen, ohne daß dieſer fruͤhen und haͤufigen Nutzung wegen Mangel
daran zu beſorgen waͤre; denn kaum iſt der Bamu abgehauen, ſo ſproſſen ſchon
wieder junge Schoͤßlinge aus der Wurzel auf, und ließe man ihn zu Bluͤthen
und Fruͤchten kommen, ſo wuͤrde er, ſeinem ſchnellen Wachsthum nach zu ur-
theilen, ſich vielleicht uͤbers ganze Land verbreiten. Sie ſuchen die Baͤume
durchgehends ſo gerade und ſo hochſtaͤmmig als moͤglich zu ziehen, leiden auch
unterhalb der Krone keinen Aſt, damit die Rinde deſto glaͤtter ſey und beym Ab-
ſchaͤlen recht lange Stuͤcken gebe. Wie ſie aber zubereitet werde, ehe ſie
unter den Hammer kommt, war uns noch unbekannt. Die Weiber, weiche
wir bey dieſer Beſchaͤftigung fanden, waren ganz duͤrftig in alte ſchmutzige Zeug-
[211]in den Jahren 1772 bis 1775.
Lumpen gekleidet, und daß die Arbeit eben nicht leicht ſeyn muͤſſe, konnte man1773.
Auguſt.

aus der dicken hornharten Haut abnehmen, welche ihre Haͤnde davon bekommen
hatten. Wir ſetzten nun unſern Weg weiter fort und gelangten bald in ein ſchma-
les Thal. Ein wohlausſehender Mann, bey deſſen Wohnung wir voruͤber ka-
men, lag im Schatten da, und lud uns ein, neben ihm auszuruhen. So bald
er ſahe, daß wir nicht abgeneigt dazu waren, ſtreute er Piſang-Blaͤtter auf einen
mit Steinen gepflaſterten Fleck vor dem Hauſe, und ſetzte einen kleinen aus
Brodbaum-Holz verfertigten Stuhl hin, auf welchen er denjenigen von uns,
den er fuͤr den Vornehmſten hielt, ſich niederzulaſſen bath. Nachdem auch die
uͤbrigen ſich ins Gras gelagert hatten, lief er ins Haus, holte eine Menge ge-
backne Brod-Frucht und ſetzte uns ſolche auf den Piſangblaͤttern vor. Naͤchſt
dieſem brachte er noch einen Mattenkorb voll Vih oder Tahitiſcher Aepfel, wel-
ches eine Frucht von der Spondias-Art und im Geſchmack der Ananas aͤhnlich
iſt, und nunmehro bath er uns, zuzulangen. Es ſchmeckte uns allen herzlich wohl,
denn der Spatziergang und die friſche Morgenluft hatten uns guten Appetit ver-
ſchaft und uͤberdies waren die Fruͤchte vortreflich. Wir fanden die Tahitiſche
Zubereitung der Brodfrucht (die ſo wie alle andre Speiſen, vermittelſt heißer
Steine in der Erde gebacken wird) unendlich beſſer als unſre Art ſie zu kochen.
Bey jener Bereitung bleibt aller Saft beyſammen und wird durch die Hitze
noch mehr verdickt; beym Kochen hingegen ſaugt ſich viel Waſſer in die Frucht
und vom Geſchmack und Saft geht viel verloren. Um das Tractament zu
beſchließen, brachte der Wirth fuͤnf Coco-Nuͤſſe, die er auf eine ſehr ungekuͤn-
ſtelte Art oͤfnete, indem er die aͤußeren Faͤden mit den Zaͤhnen wegriß. Den kuͤh-
len hellen Saft derſelben goß er in eine reine Schaale einer reifen Coco-Nuß,
und reichte ſie einem jeden von uns nach der Reihe zu. Die Leute w[ar]n hier
bey allen Gelegenheiten gutherzig und freundſchaftlich geweſen, und hatten uns
zuweilen, wenn wir es begehrten, Coco-Nuͤſſe und andre Fruͤchte, fuͤr Glas-
Corallen verkauft; allein ſo uneigennuͤtzig und wahrhaft gaſtfrey als dieſer
Mann, hatte ſich waͤhrend unſers kurzen Hierſeyns, noch keiner gegen uns be-
wieſen. Wir hieltens daher fuͤr unſre Pflicht, ihn nach Vermoͤgen zu beloh-
nen, und ſchenkten ihm das beſte, was wir bey uns hatten, eine Menge durch-
D d 2
[212]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
ſichtiger Glas-Corallen und Naͤgel, womit er aͤußerſt vergnuͤgt und zufrie-
den war.


Ausgeruhet und erquickt ſchieden wir nunmehro von dieſem friedlichen
Sitze [patriarchaliſcher] Gaſtfreyheit und giengen noch weiter ins Land hinauf,
ohne uns daran zu kehren, daß unter dem großen Haufen von Indianern, die
uns begleiteten, viele waren, denen damit eben nicht gedient zu ſeyn ſchien. Wir
hatten indeſſen von ihrem Mißvergnuͤgen weiter keinen Schaden, als daß ſich un-
ſer Gefolge verminderte, indem die mehreſten, jetzt nach ihren Wohnungen
zuruͤckkehrten, welches wir uns gern gefallen ließen. Die wenigen, die noch bey
uns blieben, uͤbernahmen es, die Stelle von Wegweiſern zu vertreten, und ſo
erreichten wir bald das Ende des Thals. Hier hoͤrten die Huͤtten und Pflanzun-
gen der Indianer auf, und wir hatten nun die Berge vor uns, zu denen ein ſtark
betretner Fusſteig, der hie und da von hohen Baͤumen beſchattet war, durch wil-
des Gebuͤſch hinauf fuͤhrte. An den verwachſenſten Stellen, die wir mit Fleis
durchſuchten, fanden ſich verſchiedne Pflanzen, desgleichen einige Voͤgel, wel-
che den Naturforſchern, bis jetzt, noch unbekannt geblieben waren. Mit dieſem
kleinen Lohn fuͤr unſre Muͤhe, kehrten wir nach dem Ufer zuruͤck, woruͤber unſre
indianiſchen Freunde und Begleiter herzlich froh waren. Am Strande trafen
wir auf dem Handelsplatze einen großen Zuſammenfluß von Landeseinwohnern
an, und ſahen, daß unſre Leute eine Menge von Zehrwurzeln (eddoes) und an-
dern Gewaͤchſen, an Brodfruͤchten hingegen nur wenig zuſammengebracht hat-
ten. Dies letztere ruͤhrte von der ſpaͤten Jahreszeit her, in welcher nur auf
wenig einzelnen Baͤumen hin und wieder noch eine Frucht hieng, die mehreſten
aber ſchon wieder fuͤr die naͤchſte Erndte angeſetzt hatten. Die ausnehmende
Hitze reitzte uns zum baden, und ein Arm des nahgelegnen Fluſſes, der einen
tiefen Teich von ziemlichen Umfang ausmachte, bot uns die bequemſte Gelegen-
heit hiezu an. Nachdem wir uns in dieſem kuͤhlen Waſſer genugſam erfriſcht hatten,
kehrten wir zum Mittagbrod an das Schiff zuruͤck. Nachmittags ward es ſehr
regnigt und ſtuͤrmiſch; der Wind trieb die Adventure vom Anker, doch ward
ſie durch ſchleunige gute Anſtalten ihrer Leute, bald wieder in die vorige Lage ge-
bracht. Da dies ſchlimme Wetter uns an Bord eingeſchloſſen hielt; ſo beſchaͤf-
tigten wir uns dieſe Zeit uͤber, um die bisher geſammleten Pflanzen und Thiere in
[213]in den Jahren 1772 bis 1775.
Ordnung zu bringen und die unbekannten zu zeichnen. Ohngeachtet wir aber be-1773.
Auguſt.

reits drey Tage lang aufs Botaniſiren ausgegangen waren, ſo belief ſich die
Anzahl der neuentdeckten Pflanzen doch noch gar nicht hoch, welches bey einer ſo
bluͤhenden Inſel als Tahiti, ein uͤberzeugender Beweis ihrer hohen Cultur iſt.
Waͤre ſie weniger angebauet; ſo wuͤrde das Land, dem herrlichen Boden
und Clima nach, uͤberall mit hunderterley Arten von Kraͤutern, wild uͤberwachſen
geweſen ſeyn, anſtatt daß jetzt dergleichen kaum hie und da einzeln aufſproßten.
Auch von Thieren gab es nur wenige allhier, weil dieſe Inſel nicht allein von
geringem Umfange, ſondern auch auf allen Seiten gar zu weit vom feſten Lande
entfernt iſt. Außer einer ungeheuren Menge von Ratten, welche die Einge-
bohrnen aller Orten ungehindert herum laufen ließen, ohne zur Vertilgung oder
Verminderung derſelben irgend ein Mittel vorzukehren, fanden wir kein andres
vierfuͤßiges Thier allhier, als zahme Schweine und Hunde. Das Geſchlecht
der Voͤgel hingegen war ſchon ungleich zahlreicher, und von Fiſchen gab es
vollends eine ſo große Menge neuer Arten, daß man faſt jedesmal auf Entde-
ckungen rechnen konnte; ſo oft den Indianern ein neuer, friſchgefangner Vor-
rath davon abgekauſt ward. Die große Mannichfaltigkeit, welche wir in dieſer
Claſſe der Geſchoͤpfe fanden, ruͤhrt natuͤrlicherweiſe daher, daß ſie aus einem
Theile des Oceans ſo leicht und ungehindert nach dem andern gelangen koͤnnen,
und eben daher kommt es auch, daß man, zumal unter den Wende-Creyſen,
gewiſſe Arten derſelben rund um die ganze Welt antrifft.


Im Pflanzenreiche ſahe es hier nur allein fuͤr die Botanik unange-
nehm, in aller andern Abſicht aber deſto vortheilhafter aus. Von wilden Kraͤu-
tern, die der Naturforſcher in Menge zu finden wuͤnſchte, gab es nemlich, wie
geſagt, nur wenige, dagegen deſto mehr eßbare Gewaͤchſe und Fruͤchte, als
Yams, Zehrwurzeln, (eddoes) Tahiti-Aepfel, Piſang- und Brodfruͤchte. Von
allen dieſen, beſonders von den erſteren drey Arten, als fuͤr welches es gerade die
rechte Jahreszeit war, brachten uns die Eingebohrnen ſo große Quantitaͤten zum
Verkauf, daß die geſammte Mannſchaft beyder Schiffe damit geſpeiſet werden
konnte. Bey einer ſo geſunden Koſt erholten ſich unſre mit dem Scorbut be-
hafteten Kranken gleichſam zuſehends; ja wir alle befanden uns, bis auf einen
Durchlauf, den die ſchleunige Veraͤnderung der Nahrungsmittel im Anfang ver-
D d 3
[214]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
urſachte, ungemein wohl dabey. Das einzige, woran es uns noch fehlte,
war friſches Schweinefleiſch, deſſen Mangel uns deſto haͤrter ankam,
da wir dergleichen Thiere, auf allen unſern Spatziergaͤngen, in Menge an-
trafen, ob ſich gleich die Leute immer Muͤhe gaben, ſie vor uns verſteckt zu
halten. Zu dem Ende ſperrten ſie ſolche in kleine Staͤlle ein, die ganz nie-
drig gebauet und oben flach mit Brettern belegt waren, ſo daß eine Art von
Platteform daraus entſtand, auf welche ſie ſich ſelbſt ſetzten oder niederlegten.
Wir ſuchten ſie durch alle erſinnliche Mittel dahin zu bewegen, daß ſie uns wel-
che ablaſſen moͤgten. Wir boten ihnen Beile, Hemden und andre Waaren an,
die hier zu Lande in hohen Werth ſtanden; aber alles war umſonſt. Sie blieben
dabey, die Schweine gehoͤrten dem Erih oder Koͤnig. Anſtatt mit dieſer Ant-
wort zufrieden zu ſeyn und dem guten Willen der Leute Gerechtigkeit wiederfah-
ren zu laſſen, die uns, wenn gleich nicht mit Schweinen, doch mit andern
Lebensmitteln verſorgten, welchen unſre Kranken ihre Wiederherſtellung, und
wir alle unſre Erquickung zu verdanken hatten, ward den Capitains von einigen
Leuten an Bord der Vorſchlag gethan, eine hinlaͤngliche Anzahl Schweine zu
unſerm Gebrauche mit Gewalt wegzunehmen, und hernachmals den Ein-
wohnern ſo viel an europaͤiſchen Waaren zu geben, als das geraubte Vieh, dem
Gutduͤnken nach, werth ſeyn moͤgte. Da aber ein ſolches Verfahren ganz und
gar tyranniſch, ja auf die niedertraͤchtigſte Weiſe eigennuͤtzig geweſen waͤre; ſo
ward der Antrag mit aller gebuͤhrenden Verachtung und Unwillen verworfen.


Unſre Sammlung von Naturalien war bis jetzt noch immer ſo unbetraͤcht-
lich, daß uns die Zeichnung und Beſchreibung derſelben wenig zu thun machte,
und daß wir Muße genug uͤbrig hatten, taͤglich von neuem ans Land zu gehen,
ſowohl um mehrere zu ſuchen, als auch um den Character, die Sitten und den
gegenwaͤrtigen Zuſtand der Einwohner genauer zu beobachten.


Am 20ſten nahm ich nebſt verſchiednen Officiers, um Mittagszeit, ei-
nen Spatziergang nach der oͤſtlichen Landſpitze des Havens vor. Auf dem
Wege dahin, fanden wir einen Bach vor uns, der zum durchwaden zu tief und
zu breit war; wir wagten es alſo, uns in ein indianiſch Canot einzuſchiffen,
und kamen auch gluͤcklich damit hinuͤber. Auf dem jenſeitigen Ufer ſchimmerte
aus dem Buſchwerk ein ziemlich großes Gebaͤude hervor, und bey unſrer Annaͤ-
[215]in den Jahren 1772 bis 1775.
herung fanden wir vor demſelben, auf dem Graſe, eine Menge des feineren Ta-1773.
Auguſt.

hitiſchen Zeuges, ausgebreitet liegen, das nach der Indianer Ausſage, in dem Fluß
gewaſchen war. Dicht neben dem Hauſe hieng auf einer Stange ein Bruſt-
Schild von halb cirkelfoͤrmiger Geſtalt, der aus Coco-Nußfaſern, ohngefaͤhr
ſo wie Korbmacher-Arbeit zuſammengeflochten und auf der aͤußern oder rechten
Seite mit den glaͤnzenden blaugruͤnen Federn einer Taubenart bedeckt, imglei-
chen mit drey bogenfoͤrmigen Reihen von Hayſiſch-Zaͤhnen gezieret war. Ich
frug, ob dieſe Ruͤſtung zu verkaufen ſey? Es hies aber Nein, und folglich
mochte ſie vielleicht da haͤngen um geluͤftet zu werden. Ein Mann von mitt-
lern Alter, der in dieſer Huͤtte ſeiner Ruhe pflegte, noͤthigte uns Platz bey
ihm zu nehmen, und ſo bald dieſes geſchehen, unterſuchte er meine Kleidung
mit vieler Aufmerkſamkeit. Er hatte ſehr lange Naͤgel an den Fingern, worauf er
ſich nicht wenig zu gut that. Ich merkte auch bald, daß dies ein Ehrenzeichen
ſey, in ſo fern nemlich nur Leute die nicht arbeiten, die Naͤgel ſo lang
wachſen laſſen koͤnnen. Eben dieſe Gewohnheit findet man unter den Chineſern,
und auch die ſind ſehr ſtolz darauf. Ob aber die Einwohner von Tahiti ſie aus
China her bekommen, oder ob zufaͤlligerweiſe beyde Voͤlker, ohne einige Ge-
meinſchaft mit einander zu haben, auf einerley Einfall gerathen ſeyn moͤgen:
Das duͤnkt mich ſelbſt fuͤr den Scharfſinn eines Needham und des Guignes
zu hoch. In verſchiednen Winkeln der Huͤtte ſaßen, hier die Mannsleute, dort
die Frauensperſonen beyſammen und nahmen, ſo von einander abgeſondert, ihr
Mittagsmahl zu ſich, welches in Brodfrucht und Piſangen beſtand. Beyde Par-
theyen ſchienen, je nach dem wir uns einer oder der andern naͤherten, zu wuͤn-
ſchen, daß wir mit eſſen moͤgten. Es iſt allerdings eine ſehr ſonderbare Gewohnheit,
daß ſich hier zu Lande beyde Geſchlechter beym Eſſen von einander trennen muͤſſen;
warum dies aber geſchiehet, oder was Veranlaſſung zu dieſem Gebrauch gege-
ben haben mag? konnten wir eben ſo wenig als Capitain Cook auf ſeiner vori-
gen Reiſe in Erfahrung bringen.


Nachdem wir dieſe Huͤtte verlaſſen, ſo gelangten wir durch ein wohl-
riechendes Gebuͤſch zu einer andern, in der ſich O-Taï, nebſt ſeiner Frau und
Kindern, imgleichen ſeine beyden Schweſtern, die Maroya und Maroraï
befanden. Der Officier, welcher ſeine Bett-Tuͤcher eingebuͤßt, war bey uns,
[216]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
hielt es aber fuͤr vergebliche Muͤhe darnach zu fragen, und ſuchte vielmehr
ſeine Schoͤne durch neue Geſchenke zu gewinnen. Corallen, Naͤgel und andre
Kleinigkeiten wurden reichlich dran gewandt. Das Maͤdchen nahm ſie auch freund-
lich genug an, blieb aber bey den feurigſten Wuͤnſchen ihres Liebhabers unerbitt-
lich. Was ihr ſo ſehr am Herzen gelegen und wofuͤr allein ſie ſich ihm ergeben
haben wuͤrde, das mogten die Bett-Tuͤcher geweſen ſeyn, und die hatte ſie ver-
muthlich weg; nunmehro ſchien ihr folglich nichts mehr reizend genug zu ſeyn,
um einen Liebhaber zu erhoͤren, den ſie doch nur auf kurze Zeit gehabt haben
wuͤrde. So erklaͤrten wir uns wenigſtens ihr Betragen; dazu kam
noch, daß ſie zu einer angeſehenen Familie gehoͤrte, und waͤhrend Capitain
Cook’s vorigen langen Aufenthalt auf der Inſel, hatte man wenig oder gar
keine Beyſpiele gefunden, daß Frauenzimmer von beſſerem Stande, ſich
ſo gemein gemacht haben ſollten. Wir konnten uns diesmal nicht lange bey ih-
nen aufhalten, weil der Tag Abſchied zu nehmen anfieng. Es war wuͤrklich
ſchon ſo ſpaͤt, daß unſre Boote bereits nach dem Schiffe zuruͤckgekehrt waren
als wir wieder an den Strand kamen. Ich bedachte mich indeſſen nicht lange,
ſondern ward mit einem Indianer einig, daß er mich fuͤr eine einzige Glas-Co-
ralle, die mir vom heutigen Spatziergang noch uͤbrig geblieben war, in ſei-
nem Canot nach dem Schiffe uͤberſetzen ſollte, und ſo kam ich gluͤcklich an Bord,
ohnerachtet das armſelige Fahrzeug nicht einmal einen Ausleger (outrigger)
hatte.


Bey Anbruch des folgenden Tages, giengen wir wiederum ans Land
und von neuem nach Oſten hin. Je naͤher wir der oͤſtlichen Spitze des Havens
Aitepieha kamen, je breiter ward die Ebene; die Pflanzungen von Brodfrucht-
und Coco-Nußbaͤumen, von Piſangen und andern Gewaͤchſen, an denen man
ſchon durchgehends den Anſatz zur kuͤnftigen Erndte ſahe, wurden immer anſehn-
licher. Auch die Anzahl der Wohnhaͤuſer nahm in dieſer Gegend zu, und viele
derſelben ſchienen uns reinlicher und neuer zu ſeyn als beym Ankerplatze. Unter
andern erblickten wir in einem dergleichen, welches mit Rohrwaͤnden verſehen
war, große Ballen von Zeug und eine Menge von Bruſtſchild-Futteralen, die
inwendig am Dache hiengen. Alles dieſes, ſo wie das Haus ſelbſt, gehoͤrte dem
Koͤnig, Aheatua zu. Wir ſpatzierten ohngefaͤhr 2 Meilen weit beſtaͤndig in den
anmu-
[217]in den Jahren 1772 bis 1775.
anmuthigſten Waͤldern und Pflanzungen von Brodfrucht-Baͤumen fort, und1773.
Auguſt.

ſahen, wie die Leute aller Orten wieder an ihr Tagewerk giengen, vornem-
lich hoͤrten wir die Zeugarbeiter fleißig klopfen. Man muß ſich indeſſen nicht
vorſtellen, daß die Leute eben durch Noth und Mangel genoͤthigt werden, ſo
unablaͤßig zu arbeiten: denn wo wir nur hinkamen, verſammlete ſich gemeinig-
lich bald ein großer Haufen um uns her und folgte uns den ganzen Tag uͤber,
zum Theil ſo unermuͤdet nach, daß mancher das Mittagbrod daruͤber verſaͤumte.
Doch giengen ſie nicht ſo ganz ohne Neben-Abſicht mit. Im Ganzen war
ihr Betragen allemal gutherzig, freundſchaftlich und dienſtfertig; aber ſie
paßten auch jede Gelegenheit ab, eine oder die andre Kleinigkeit zu entwenden
und damit wußten ſie ausnehmend gut Beſcheid. Wenn wir ſie freundlich anſa-
hen oder ihnen zulaͤchelten, ſo hielten manche es fuͤr die rechte Zeit, von unſerm
guten Willen Gebrauch zu machen und in einem bittenden Ton ein: Tayo, poe!
hoͤren zu laſſen. Das bedeutete ſo viel als: Freund! ein Coralchen! Nun
mogten wir ihnen hierinn willfahren oder nicht, ſo brachte dis doch niemals eine Aen-
drung in ihrem Betragen hervor, ſondern ſie blieben ſo aufgeraͤumt und freund-
lich als vorhin. Wenn ſie mit dieſem Anliegen zu haͤufig kamen, ſo zogen wir
ſie auf und wiederholten ihre kindiſche Betteley im nemlichen Tone, woruͤber
denn unter dem ganzen Haufen immer ein lautes Gelaͤchter entſtand. Sie
redeten gemeiniglich ſehr laut untereinander, und mehrentheils waren wir der
Gegenſtand ihrer Unterredung. Jedem neu Ankommenden, der die Zahl unſrer
Begleiter vermehren half, wurden wir ſogleich mit Namen genannt, die nach ihrer
Ausſprache auf wenige Vocalen und weichere Conſonanten eingeſchraͤnkt zu ſeyn
pflegten; dann ward einem Jedem erzaͤhlt, was wir den ganzen Morgen uͤber
gethan oder geſagt haͤtten. Die erſte Bitte beſtand gewoͤhnlich darinn, daß wir
ein Gewehr abfeuern moͤgten; und das thaten wir unter der Bedingung, wenn
ſie uns einen Vogel zum Ziel zeigen koͤnnten. Doch waren wir dabey mehr als
einmal in Verlegenheit, weil ſie uns oft Voͤgel zeigten, welche vier bis fuͤnfhun-
dert Schritte weit von uns ſaßen. Sie wußten nicht, daß die Wuͤrkung un-
ſers Gewehrs nur bis auf gewiſſe Entfernungen reicht; und da es eben nicht rath-
ſam war, ſie das Geheimniß zu lehren, ſo ſtellten wir uns gemeiniglich als
koͤnnten wir den Vogel nicht gewahr werden, bis wir unter dieſem Vorwande ſo
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. E e
[218]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
nahe heran gekommen, daß er zu erreichen war. Der erſte Schuß machte im-
mer großes Schrecken; einige fielen daruͤber platt zur Erde oder rannten ohn-
gefaͤhr zwanzig Schritt weit zuruͤck, bis wir ihnen durch freundliches Zureden die
Furcht benommen, oder ihre herzhafteren Landsleute den geſchoßnen Vogel auf-
gelangt hatten. Sie gewoͤhnten ſich indeſſen bald beſſer daran, und wenn ſie
gleich noch bey jedem neuen Schuſſe zuſammen fuhren, ſo ließen ſie ihre Furcht
wenigſtens zu keinem weitern Ausbruche kommen.


So freundſchaftlich wir nun auch aller Orten aufgenommen wurden, ſo
ſuchte man gleichwohl uͤberall die Schweine vor uns zu verſtecken; und wenn
wir darnach frugen, ſo waren die Leute entweder verlegen, oder ſagten, ſie haͤt-
ten keine, oder verſicherten, ſie gehoͤrten Aheatua’n zu. Wir hielten es
alſo fuͤrs beſte, uns gar nicht weiter darum zu bekuͤmmern, und ob wir gleich,
faſt in jeder Huͤtte, Schweine genug verborgen fanden, ſo ſtellten wir uns doch
als merkten wir es nicht, oder als waͤre uns nichts darum zu thun. Dies
Betragen machte ihr Vertrauen zu uns deſto groͤßer.


Nachdem wir etliche Meilen weit gegangen waren, ſetzten wir uns auf
einige große Steine nieder, die vor einer Huͤtte eine Art von erhoͤhtem Pflaſter
ausmachten, und baten die Einwohner, daß ſie uns, gegen baare Zahlung
in Corallen, etwas Brodfrucht und Coco-Nuͤſſe verſchaffen moͤgten. Sie waren
ſehr willig dazu, brachten herbey was ſie hatten und in der Geſchwindigkeit ſtand
das Fruͤhſtuͤck aufgetiſcht vor uns. Um es deſto ruhiger zu verzehren, ließen
wir den ganzen Haufen unſrer Begleiter in einiger Entfernung von uns nie-
derſitzen, damit ſie keine Gelegenheit haben moͤgten, Gewehr oder andre Dinge
zu erhaſchen, die wir beym Eſſen von uns legen mußten. Die guten Leute ge-
dachten unſre Collation recht vollſtaͤndig und ſchoͤn zu machen; in dieſer Abſicht
brachten ſie uns eine Cocosnuß-Schaale voll kleiner Fiſche, welche ſie in Salzwaſ-
ſer eingetunkt, roh zu eſſen pflegen. Wir koſteten davon und fanden ſie gar nicht
unangenehm, weil wir aber nicht an rohe Speiſen ſolcher Art gewohnt waren,
ſo vertheilten wir dieſe Leckerbiſſen nebſt den uͤbriggebliebenen Fruͤchten unter die-
jenigen von unſren Begleitern, die uns am liebſten waren.


Als wir nach eingenommenem Fruͤhſtuͤck weiter gegen die Berge zu gehen
wollten, ſuchten uns die Indianer zu uͤberreden, daß wir lieber in der Ebne
[219]in den Jahren 1772 bis 1775.
bleiben moͤgten. Da wir aber augenſcheinlich ſahen, daß dieſe Bitte blos aus1773.
Auguſt.

Traͤgheit herkam, damit ſie nemlich der Muͤhe uͤberhoben waͤren, die bergigten
Gegenden zu erſteigen, *) und es uns um ihre Begleitung eben nicht ſehr zu thun
war; ſo giengen wir ohngeachtet ihres dringenden Begehrens weiter, worauf denn
der groͤßte Theil unſeres Gefolges hinter uns drein gaffend ſtehen blieb, die uͤbri-
gen aber ein jeder ſeine Straße zog. Nur ein Paar von ihnen, die weniger be-
quem als die uͤbrigen ſeyn mogten, blieben bey uns, und erbothen ſich zu
Wegweiſern. Sie fuͤhrten uns einen Erdriß zwiſchen zween Bergen hinauf,
woſelbſt wir einige neue wilde Pflanzen und eine Menge kleiner Schwalben
antrafen, die uͤber einen Bach hinſtrichen, der auf einem Kieſelgrunde herab
rauſchte. Das Ufer, deſſen ſchlaͤngelnder Kruͤmmung wir aufwaͤrts folgten,
brachte uns zu einem ſenkrecht ſtehenden und mit mancherley wohlriechendem
Gebuͤſch behangenen Felſen, von welchem ſich eine Cryſtallhelle Waſſer-Saͤule
in einen glatten klaren Teich herabſtuͤrzte, deſſen anmuthiges Geſtade uͤberall
mit bunten Blumen prangte. Dies war eine der ſchoͤnſten Gegenden die ich
in meinem Leben geſehen. Kein Dichter kann ſie ſo ſchoͤn mahlen. Wir ſa-
hen von oben herab auf die fruchtbare uͤberall angebaute und bewohnte Ebene,
und jenſeits dieſer in das weite, blaue Meer hinaus! Die Baͤume, welche
ihre dickbelaubten Zweige gegen den Teich hin ausbreiteten, gewaͤhrten uns kuͤh-
len Schatten, und ein angenehmes Luͤftchen welches uͤber das Waſſer her we-
hete, milderte die Hitze des Tages noch mehr. Hier legten wir uns auf den
weichen Raſen hin, um beym feyerlich einfoͤrmigen Geraͤuſch des Waſſerfalls,
dazwiſchen dann und wann ein Vogel ſchlug, die eingeſammelten Pflanzen zu
beſchreiben, ehe ſie verwelkten. Unſre Tahitiſchen Begleiter lagerten ſich
ebenfalls unter das Gebuͤſch hin, und ſahen uns mit ſtiller Aufmerkſamkeit
zu. Wir haͤtten den ganzen Tag in dieſer reizenden Einoͤde zubringen moͤ-
gen! allein unſer Beruf geſtattete keine Unthaͤtigkeit; ſo bald wir alſo mit
den Beſchreibungen fertig waren, begnuͤgten wir uns die romantiſche Gegend
noch einmal zu betrachten, und kehrten alsdenn nach der Ebene zuruͤck. Hier
kam uns ein großer Haufen Indianer entgegen, welche Herren Hodges und Grin-
E e 2
[220]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
dall
begleiteten, zu denen auch wir uns geſelleten. Herr Hodges hatte einem
jungen Burſchen von ungemein gluͤcklicher Bildung, der eine beſondre Neigung
zu ihm verrieth, ſein Zeichnungs-Portefeuille anvertrauet. Keine Gunſtbe-
zeigung, glaub ich, haͤtte dieſem jungen Menſchen mehr Vergnuͤgen machen koͤn-
nen, als dieſer oͤffentliche Beweis des auf ihn geſetzten Vertrauens; wenigſtens
ſchien er ganz ſtolz darauf zu ſeyn, daß er im Angeſicht aller ſeiner Landsleute, mit
dem Portefeuille untern Arm, neben uns her gehen konnte. Ja auch die andern
Indianer thaten heute insgeſammt vertraulicher und zudringlicher als ſonſt, viel-
leicht weil ſie alle ſich durch den Vorzug, der ihrem Landsmann wiederfuhr, fuͤr
geehrt hielten, vielleicht auch weil es ihnen gefallen mogte Herrn Hodges und
Grindall, ſo unbeſorgt unter ſich zu ſehen, indem dieſe beyde Herren voͤllig
unbewafnet waren. In dieſem friedlichen Aufzuge gelangten wir nun an eine
geraͤumige Huͤtte, in welcher eine zahlreiche Familie beyſammen war. Ein alter
Mann, aus deſſen Blicken Friede und Ruhe hervorleuchtete, lag auf einer rei-
nen Matte und ſein Haupt ruhte auf einem Stuhle, der ihm zum Kuͤſſen
diente. Es war etwas ſehr Ehrwuͤrdiges in ſeiner Bildung. Sein ſilber-
graues Haar hieng in vollen Locken um das Haupt her, und ein dicker Bart, ſo
weiß als Schnee, lag auf der Bruſt. In den Augen war Leben, und Geſund-
heit ſas auf den vollen Wangen. Der Runzeln, welche unter uns das An-
theil der Greiſe ſind, waren wenig; denn Kummer, Sorgen und Ungluͤck, die
uns ſo fruͤhzeitig alt machen, ſcheinen dieſem gluͤcklichen Volke gaͤnzlich unbe-
kannt zu ſeyn. Einige Kinder, welche wir fuͤr ſeine Gros-Kinder anſahen, der
Landesgewohnheit nach ganz nackend, ſpielten mit dem Alten, deſſen Handlungen,
Blicke und Minen augenſcheinlich bewieſen, daß Einfalt des Lebens vermoͤgend
ſey, die Sinnen bis ins hohe Alter bey vollen Kraͤften zu erhalten. Einige
wohlgebildete Maͤnner und kunſtloſe Dirnen hatten ſich um ihn her gelagert
und bey unſerm Eintritt ſchien die ganze Geſellſchaft, nach einer laͤndlich fruga-
len Mahlzeit, im vertraulichen Geſpraͤch begriffen zu ſeyn. Sie verlangten, daß
wir uns an ihrer Seite auf den Matten niederlaſſen moͤgten, wozu wir uns nicht zwey-
mal noͤthigen ließen. Es ſchien, als haͤtten ſie noch keinen Europaͤer in der Naͤhe
geſehen, wenigſtens fiengen ſie ſogleich an, unſre Kleidungen und Waffen neu-
gierigſt zu unterſuchen, doch ließ ihr angebohrnes flatterhaftes Weſen nicht zu,
[221]in den Jahren 1772 bis 1775.
laͤnger als einen Augenblick bey einerley Gegenſtande zu verweilen. Man bewun-1773.
Auguſt.

derte unſre Farbe, man druͤckte uns die Haͤnde und konnte nicht begreifen, warum
keine Puncturen darauf waren und daß wir keine lange Naͤgel haͤtten. Man er-
kundigte ſich ſorgfaͤltig nach unſern Namen und machte ſich eine Freude daraus,
ſie uns mehrmalen nachzuſprechen. Dies kam aber, der indianiſchen Mundart
nach, allemal ſo verſtuͤmmelt heraus, daß ſelbſt Etymologiſten von Profeßion
Muͤhe gehabt haben wuͤrden, ſie wieder zu errathen. Forſter ward in Mata-
ra
veraͤndert; Hodges in Oreo; Grindall in Terino; Sparman in Pa-
mani
, und George*) in Teori. An Gaſtfreyheit, die wir in jeder
Huͤtte fanden, fehlte es auch hier nicht; man bot uns Cocos-Nuͤſſe und E-vihs
an, um den Durſt zu loͤſchen, und der Alte ließ uns oben drein eine Probe
von den muſicaliſchen Talenten ſeiner Familie hoͤren. Einer von den jungen
Maͤnnern blies mit den Naſenloͤchern eine Floͤte von Bamburohr, die drey Loͤ-
cher hatte **) und ein andrer ſang dazu. Die ganze Muſic war, ſowohl von
Seiten des Floͤtenſpielers als auch des Saͤngers, nichts anders als eine einfoͤr-
mige Abwechſelung von drey bis vier verſchiednen Toͤnen, die weder unſern gan-
zen, noch den halben Toͤnen aͤhnlich klangen, und dem Werth der Noten nach,
ein Mittelding zwiſchen unſern halben und Vierteln ſeyn mochten. Uebrigens
war nicht eine Spur von Melodie darinn zu erkennen; eben ſo wenig ward auch
eine Art von Tact beobachtet, und folglich hoͤrte man nichts als ein einſchlaͤfern-
des Summen. Auf die Art konnte die Muſic das Ohr freylich nicht durch
falſche Toͤne beleidigen, aber das war auch das beſte dabey, denn lieblich war
ſie weiter eben nicht zu hoͤren. Es iſt ſonderbar, daß, da der Geſchmack an
Muſic unter alle Voͤlker der Erde ſo allgemein verbreitet iſt, dennoch die Be-
griffe von Harmonie und Wohlklang bey verſchiednen Rationen ſo verſchieden
ſeyn koͤnnen. — Wir ſahen in dieſer Huͤtte das Bild von wahrer Volks-Gluͤck-
ſeligkeit realiſirt, und Herr Hodges konnte ſich nicht enthalten, von einem ſo
ſeltnen Gemaͤhlde verſchiedne Zeichnungen zu entwerfen, die der Nachwelt anſchau-
ende Begriffe von dieſen Scenen geben werden, als welche ſich beſſer fuͤhlen, denn
E e 3
[222]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
durch Worte ausdruͤcken laſſen. Aller Indianer Augen waren auf ſein Zeich-
nen geheftet, aber wie groß war ihr Erſtaunen und Vergnuͤgen, als ſie zwiſchen
ſeiner Arbeit und den Geſichtszuͤgen einiger ihrer anweſenden Landsleute eine auf-
fallende Aenlichkeit gewahr wurden. Ohnerachtet wir uns ſeit unſerm Hierſeyn
ſchon viel Muͤhe gegeben hatten die Sprache zu erlernen, ſo waren wir doch noch
nicht weit darinn gekommen und mußten daher Verzicht auf das Vergnuͤgen
thun, welches uns die Unterhaltung mit dieſen gluͤcklichen Leuten ohne Zweifel ge-
waͤhret haben wuͤrde. Einzelne Woͤrter und ſtumme Pantomime war alles, wo-
durch wir uns ausdruͤcken konnten. Aber ſelbſt das war hinreichend, die guten
Leute zu vergnuͤgen, und unſre Gelehrigkeit und Beſtreben ihnen zu gefallen, war
ihnen wenigſtens eben ſo angenehm als ihre Gefaͤlligkeit uns zu dienen und zu
unterrichten. Der alte Mann aͤnderte unſerntwegen ſeine Stellung nicht. Ohne
ſein Haupt vom Stuhl zu erheben, that er verſchiedne kleine Fragen an uns:
Z. E. wie der Erih oder Befehlshaber des Schiffs hieße? wie das Land genannt
werde aus dem wir kaͤmen? wie lang wir bleiben wuͤrden? ob wir unſre [Frau-
ens]
bey uns haͤtten? u. d. gl. Er ſchien zwar von alle dem ſchon durch ſeine Lands-
leute unterrichtet zu ſeyn, doch mochte er entweder von uns ſelbſt die Beſtaͤtigung
ihrer Ausſage hoͤren, oder uns blos durch das Geſpraͤch unterhalten wollen. Wir
beantworteten ſeine Fragen ſo gut wir konnten; theilten hierauf einige Corallen,
Medaillen und andre Kleinigkeiten unter ſeine Familie aus, und giengen als-
denn weiter. Auf dieſe Weiſe haͤtten wir zu Fuß um die ganze Inſel wandern
koͤnnen. Einerſeits ließ uns die Gaſtfreyheit der Einwohner in jeder Huͤtte, wo wir
haͤtten einkehren moͤgen, die noͤthigen Erfriſchungen hoffen, und andern Theils wuͤr-
de es ſich auch in Abſicht des Weges uͤberall haben gut fortkommen laſſen, denn die
Ebene zwiſchen den Bergen und der See, laͤuft um die ganze Inſel ohnunter-
brochen herum; der Boden iſt auf dieſem ſchmalen Landſtrich voͤllig eben und
der Weg an vielen Stellen mit feinem Graſe bewachſen. Kein einziges ſchaͤd-
liches Thier ſchreckte uns; nicht einmal Muͤcken oder Muskito-Fliegen ſummten
um uns her. Die Brod Frucht-Waͤlder machten ſelbſt gegen die Mittags-Sonne
einen angenehmen Schatten und die Hitze ward noch uͤberdies durch eine kuͤhle
Seeluft gemaͤßigt. Da aber die Einwohner gewohnt ſind, waͤhrend den Mit-
tags-Stunden zu ruhen, ſo verliefen ſie ſich auch jetzt einer nach dem andern
[223]in den Jahren 1772 bis 1775.
in die Buͤſche und nur ſehr wenige von ihnen blieben noch bey uns. Nachdem1773.
Auguſt.

wir ohngefaͤhr noch 2 Meilen weiter gegen Suͤdoſt gegangen waren, befanden wir
uns an der See, die hier ziemlich weit in die Kuͤſte herein gieng und eine
kleine Bucht ausmachte. Rings um uns her waren uͤberall Plantagen und
mitten auf einem ſchoͤnen Grasplatze, trafen wir auch ein Marai oder Begraͤbniß
an, das aus drey Reihen oder Stufen von Steinen uͤbereinander erbauet war.
Jede Stufe mochte ohngefaͤhr viertehalb Fus hoch ſeyn, und alle waren mit Gras,
Farnkraut und kleinem Strauchwerke bewachſen. Vor dem Marai war an der
Landſeite hin, eine Mauer von feſt uͤbereinander gepackten Steinen aufgefuͤhrt,
die ohngefaͤhr 3 Fus Hoͤhe hatte, und innerhalb dieſer ſtanden nach dem Gebaͤude
zu, zwey bis drey einſam hingepflanzte Cocos-Palmen nebſt verſchiednen jungen Ca-
ſuarinen, die mit ihren traurig herabhaͤngenden Zweigen der ganzen Scene ein
feyerlich melancholiſches Anſehen gaben. Nicht weit von dieſem Marai, das
mit dickem Buſchwerk umgeben war, ſahen wir eine kleine Huͤtte, (Tupa-
pau
) und unter dieſer lag ein todter Coͤrper, mit einem Stuͤck weißen Zeuge be-
deckt, welches auf den Seiten in langen Falten herabhieng. Junge Cocos-Palmen
und Piſange ſproßten hier aus der Erde und der Drachenbaum bluͤhte umher.
Nahebey ſtand eine andre Huͤtte, darinn ein Vorrath von Lebensmitteln fuͤr
die Gottheit (Eatua) befindlich, und ohnweit derſelben ein Pfahl aufgerichtet
war, an welchen ein in Matten eingewickelter Vogel hieng. In dieſer letzteren
Huͤtte, welche auf einer kleinen Anhoͤhe lag, erblickten wir eine Frauensperſon,
die in betruͤbter gedankenvoller Stellung da ſaß. Bey unſrer Annaͤherung ſtand
ſie auf und winkte, daß wir nicht naͤher kommen moͤgten. Wir boten ihr von
fern ein kleines Geſchenk, ſie wollte es aber nicht annehmen, und wir erfuhren
von unſern indianiſchen Begleitern, daß dieſe Perſon zu dem Marai gehoͤre, daß
der todte Coͤrper eine Frauensperſon ſey, und daß erſtere vermuthlich mit den
Trauer-Ceremonien beſchaͤftigt ſeyn wuͤrde.


Wir ließen ſie alſo ungeſtoͤrt, und ſo bald Herr Hodges mit einer
Zeichnung von dieſem Platz fertig war, giengen wir wiederum zuruͤck. Es war
etwas Großes in dieſer Scene, die in allen Stuͤcken zu Religions-Betrachtungen
Anlaß geben konnte. Auf dem Ruͤckwege nach dem Waſſerplatz, als woſelbſt
wir gemeiniglich anzulanden und des Abends uns wiederum einzuſchiffen pflegten,
[224]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
kamen wir neben einem geraͤumigen Hauſe vorbey, das in der angenehmſten Lage
unter einem Haufen niedriger Cocos-Palmen erbauet war, die voller Fruͤchte
hiengen. Etliche kleine gebratene Fiſche, die man uns fuͤr ein Paar Corallen
verkaufte, wurden hier zum Anbiß vorgelegt; Andre von unſrer Geſellſchaft,
denen es nicht ums Eſſen zu thun war, badeten unterdeſſen in der See und er-
ſchienen alsdenn, anſtatt in ihrer gewoͤhnlichen Tracht, nach Tahitiſcher Manier,
in Ahaus von hieſigem Zeuge gekleidet, welches den Leuten um uns her zum
groͤßten Vergnuͤgen gereichte. Von hier aus fuͤhrte uns der Weg laͤngſt dem
See-Ufer hin, neben einem andern Marai vorbey, das dem vorigen ſehr aͤhn-
lich war, und jenſeits dieſem kamen wir zu einem huͤbſchen Hauſe, in welchem ein
ſehr fetter Mann ausgeſtreckt da lag, und in der nachlaͤßigſten Stellung, das
Haupt auf ein hoͤlzernes Kopfkuͤſſen gelehnt, faullenzte. Vor ihm waren zwey
Bediente beſchaͤftigt ſeinen Nachtiſch zu bereiten. Zu dem Ende ſtießen ſie et-
was Brodfrucht und Piſange in einem ziemlich großen hoͤlzernen Troge klein,
miſchten etwas von dem gegohrnen, ſauren Teige der Brodfrucht, welcher
Mahei genannt wird, darunter, und goſſen Waſſer hinzu bis das Gemiſche ſo duͤnn
als ein Trank war. Das Inſtrument, womit ſie es durcheinander rieben, war eine
Moͤrſer-Keule von einem ſchwarzen polirten Steine, der eine Baſalt-Art zu
ſeyn ſchien. *) Inmittelſt ſetzte ſich eine Frauensperſon neben ihn und ſtopfte
ihm von einem großen gebacknen Fiſche und von Brodfruͤchten jedesmal eine
gute Hand voll ins Maul, welches er mit ſehr gefraͤßigem Appetit verſchlang.
Man ſahe offenbar, daß er fuͤr nichts als den Bauch ſorgte, und uͤberhaupt war
er ein vollkommnes Bild pflegmatiſcher Fuͤhlloſigkeit. Kaum wuͤrdigte er uns
eines Seitenblicks und einſylbigte Woͤrter, die er unterm Kauen zuweilen hoͤren
ließ, waren nur eben ſo viel Befehle an ſeine Leute, daß ſie uͤber dem Hingucken nach
uns, das Futtern nicht vergeſſen moͤgten. Das große Vergnuͤgen, welches wir
auf unſern bisherigen Spatziergaͤngen in der Inſel, beſonders aber heut, em-
pfunden hatten, ward durch den Anblick und durch das Betragen dieſes vorneh-
men Mannes nicht wenig vermindert. Wir hatten uns bis dahin mit der ange-
nehmen Hofnung geſchmeichelt, daß wir doch endlich einen kleinen Winkel der
Erde
[225]in den Jahren 1772 bis 1775.
Erde ausfuͤndig gemacht, wo eine ganze Nation einen Grad von Civiliſation1773.
Auguſt.

zu erreichen und dabey doch eine gewiſſe frugale Gleichheit unter ſich zu erhalten
gewußt habe, dergeſtalt, daß alle Staͤnde mehr oder minder, gleiche Koſt, gleiche
Vergnuͤgungen, gleiche Arbeit und Ruhe mit einander gemein haͤtten. Aber wie
verſchwand dieſe ſchoͤne Einbildung beym Anblick jenes traͤgen Wolluͤſtlings, der
ſein Leben in der uͤppigſten Unthaͤtigkeit ohne allen Nutzen fuͤr die menſchliche
Geſellſchaft, eben ſo ſchlecht hinbrachte, als jene privilegirten Schmarotzer in
geſitteten Laͤndern, die ſich mit dem Fette und Ueberfluſſe des Landes maͤſten,
indeß der fleißigere Buͤrger deſſelben im Schweiß ſeines Angeſichts darben muß!
Die traͤge Weichlichkeit dieſes Inſulaners glich gewiſſermaßen dem Luxus dieſer
Art, der in Indien und andern Morgenlaͤndern unter den Großen ſo allgemein
im Schwange iſt, und uͤber welchen ſich Sir John Mandeville, in der Beſchrei-
bung ſeiner aſiatiſchen Reiſen, mit gerechtem Unwillen auslaͤßt. Dieſer brave
Rittersmann, deſſen Denkungsart und Heldenmuth ganz auf den ritterhaften Ton
ſeiner Zeiten geſtimmt waren, brachte ſein Leben in beſtaͤndiger Thaͤtigkeit hin,
und gerieth in nicht geringen Eifer, als er irgendwo ein Ungeheuer von Faulheit
antraf, das ſeine Tage verſtreichen ließ, “ohne einziges ritterliches [Abentheuer] und
“ſo immerfort faullenzte als ein Schwein, das auf dem Stalle gefuͤttert wird,
“um gemaͤſtet zu werden.“ *)


Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. F f
[226]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.

Nachdem wir dieſem Tahitiſchen Freſſer eine Weile zugeſehen hatten,
ſo trennte ſich unſre Geſellſchaft. Ich meines Theils blieb bey Herrn Hodges und
Grindall, und da dieſe von dem gutherzigen jungen Burſchen, der erſterem das
Portefeuille trug, gebeten worden waren, mit nach ſeiner Eltern Hauſe zu kom-
men, ſo begleitete ich ſie dahin. Es war 5 Uhr Abends, als wir daſelbſt an-
kamen. Die Wohnung war klein, aber niedlich, und das vor demſelben be-
findliche Steinpflaſter fanden wir mit friſchem Laube beſtreuet, auf welchem
ein großer Vorrath der beſten Coco-Nuͤſſe und wohlbereiteter Brodfrucht in
ſchoͤnſter Ordnung aufgetragen war. Zwey aͤltliche Perſonen, welche die Rat-
ten von den Speiſen abzuhalten ſuchten, ſtanden dabey; auf dieſe lief der junge
Menſch zu und ſtellte ſie uns, bey unſerer Annaͤherung, als ſeine Eltern vor.
Man konnte es ihnen augenſcheinlich anſehen, wie herzlich verguuͤgt ſie daruͤber
waren, die Freunde ihres Sohnes bey ſich zu ſehen und ſie bewirthen zu koͤn-
nen. In dieſer Abſicht bathen ſie, daß wir uns die veranſtaltete Mahlzeit
gefallen laſſen moͤgten. Wir konnten anfaͤnglich nicht begreifen wie es zu-
gehe, daß ſie bey unſeer Ankunft ſchon voͤllig bereitet war. Es fiel uns aber
nachher bey, daß unſer junge Begleiter etliche Stunden zuvor einen ſeiner
Cameraden voraus geſchickt, und durch dieſen hatte er vermuthlich das Gaſtmahl
beſtellen laſſen. Da dies heute die erſte rechte Mahlzeit war, zu der wir
uns niederließen, ſo kann man ſich vorſtellen, daß wir mit gutem Appetit dar-
uͤber herfielen, was man ſich aber vielleicht nicht ſo lebhaft wird verſtellen koͤn-
nen, war die Freude welche die gaſtfreyen Alten und ihr gutdenkender Sohn
daruͤber bezeugten, daß uns ihr Mahl ſo wohl ſchmeckte. Bey dieſem alten ehr-
wuͤrdigen Paare, das uns bey Tiſch bediente, haͤtten wir auf eine poetiſche
*)
[227]in den Jahren 1772 bis 1775.
Weiſe vergeſſen moͤgen, daß wir Menſchen waͤren und auf den Gedanken kom-1773.
Auguſt.

men koͤnnen, daß wir als Goͤtter von Philemon und Baucis bewirthet wuͤrden;
allein, unſer Unvermoͤgen ſie zu belohnen, erinnerte uns nur zu ſehr an unſre
Sterblichkeit. Indeſſen ſuchten wir an eiſernen Naͤgeln und Corallen zuſammen
was wir allerſeits noch uͤbrig hatten, und ſchenkten ihnen dieſe Kleinigkeiten
mehr zum Zeichen unſrer Dankbarkeit, als zur Vergeltung ihres guten Willens.
Beym Abſchied packte der Knabe alles, was wir nicht hatten verzehren koͤnnen,
zuſammen, und trug uns ſolches bis aus Schiff nach. Hier machten ihm ſeine
Freunde ein Beil, ein Hemde und andre Artikel von geringerem Werthe zum
Gegengeſchenk, durch die er ſich fuͤr weit reichlicher als er ſelbſt es erwartet ha-
ben mochte, belohnt zu halten ſchien, und noch deſſelben Abends ganz vergnuͤgt
zu ſeinen Eltern zuruͤck kehrte. Waͤhrend unſrer Abweſenheit war, ſo wohl bey
den Schiffen als am Strande, der Tauſchhandel wie gewoͤhnlich fortgefuͤhrt wor-
den, und nichts beſonders vorgefallen, außer daß Capitain Cook einen ſeiner al-
ten Bekannten, den Tuahau wieder angetroffen, der ihn auf der vori-
gen Reiſe, als er die ganze Inſel mit einem Boot umſchiffte, ſehr weit beglei-
tet hatte. *) Bey unſrer Zuruͤckkunft fanden wir ihn nebſt zween ſeiner Landsleute
noch am Bord, indem ſie allerſeits geſonnen waren, die Nacht uͤber bey uns
zu bleiben. Waͤhrend Capitain Cooks erſter Anweſenheit, als er in Mata-
vai
-Bay
vor Anker lag, hatten es die Indianer oͤfters ſo gemacht; ſeit unſerm
diesmaligen Hierſeyn aber hatte es noch keiner wagen wollen. Tuahau dem
unſre Lebensart und die Gegenſtaͤnde im Schiffe ſchon bekannt waren, uͤberließ
es ſeinen unerfahrnern beyden Landesleuten, ſolche mit Verwunderung in Augen-
ſchein zu nehmen, dahingegen er fuͤr ſeine Perſon gleich eine ſehr lebhafte Un-
terredung mit uns anfieng. Er fragte nach Tabane, Herrn Banks, Tolano,
Dr. Solander, Tupaya
und [verſchiednen] andern Perſonen die er ehemals
hier geſehen, und deren Namen er ſich erinnerte. Es freute ihn zu hoͤren,
daß Herr Banks und Dr. Solander noch wohl waͤren. Er wiederholte dieſe
Frage oft, als ob ſie ihm die angelegentlichſte waͤre, und er bekam immer die-
ſelbe Antwort. Endlich frug er mit einem Blick, worinn man ſeine Sehn-
F f 2
[228]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
ſucht ſie wieder zu ſehn leſen konnte, ob ſie nicht noch einmal nach Tahiti kom-
men wuͤrden? Als er von Tupaya’s Ableben hoͤrte, verlangte er zu wiſſen, ob
derſelbe eines gewaltſamen oder natuͤrlichen Todes geſtorben ſey? und es war
ihm angenehm, aus unſern gebrochnen Worten und Zeichen abnehmen zu koͤn-
nen, daß Krankheit ſeinem Leben ein Ende gemacht habe. Wir unſrer Seits
fragten auf was fuͤr Art denn Tutahah, der waͤhrend Capitain Cooks
vormaligen Beſuchs die Stelle eines hoͤchſten Befehlshabers zu bekleiden ſchien,
ums Leben gekommen waͤre? Davon wußte er nun ein Langes und Breites zu
erzaͤhlen, welches wir, wenn gleich nicht ganz im Detail, doch wenigſtens der
Hauptſache nach, deutlich verſtanden, und darauf hinaus lief, daß zwiſchen dem-
ſelben und dem alten Aheatua, *) als dem Vater des jetzigen Koͤnigs auf Teiar-
rabu
, ein großes See-Treffen vorgefallen ſey, welches auf keiner Seite ent-
ſcheidend geweſen; Tutahah ſey nachmals mit ſeinem Heer uͤber die Land-Enge
gegangen, die beyde Halbinſeln verbindet, daſelbſt habe er in einem ungluͤcklichen
hartnaͤckigen Gefecht nebſt Tuborai-Tamaide und andern ihm zugethanen Leuten
von Stande, das Leben verloren. Bald nach Tutahahs Tode ſey mit O-Tu**)
der zuvor nur den Titel eines Regenten von Tahiti gehabt, nunmehro aber zur
wuͤrklichen Verwaltung dieſer Wuͤrde gelangt war, Friede gemacht worden.
Der alte Aheatua habe indeſſen die Fruͤchte ſeiner Siege nicht lange genoſſen, in-
dem er wenig Monath nach erfolgtem Frieden geſtorben, und nunmehro ſey
ihm ſein Sohn gleiches Namens, der bey des Vaters Lebzeiten, der Landes-
gewohnheit nach, ſchon den Titel Te-Erih***) gefuͤhrt und die damit verbund-
nen Ehrenbezeugungen genoſſen, auch in dem weſentlichen Theil der koͤnigli-
chen Wuͤrde, der Regierung ſelbſt nachgefolgt.


Als Tuahau mit Erzaͤhlung dieſer Staatsgeſchichte fertig war, nahmen
wir die Charte von O-Tahiti zur Hand, die zu Capitain Cook’s voriger Reiſe-
beſchreibung in Kupfer geſtochen worden, und legten ihm ſolche vor, ohne zu
ſagen was es ſey. Er war aber ein viel zu erfahrner Pilote, als daß ers nicht
[229]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſogleich ſollte ausfuͤndig gemacht haben. *) Voller Freuden eine Abbildung1773.
Auguſt.

ſeines Vaterlandes zu ſehn, zeigte er uns ſogleich mit der Spitze des Fingers
die Lage aller Whennua’s oder Diſtricte, und nannte ſie in derſelben Ordnung
her, als ſie auf der Charte geſchrieben waren. Als er an den Diſtrict O-
Whai-urua
gekommen war, der von unſrer jetzigen Ankerſtelle etwas ſuͤd-
waͤrts lag, zog er uns beym Arm, um aufmerkſam auf die Charte zu ſehn, und
erzaͤhlte uns, daß in dem daſelbſt befindlichen Haven, vor einiger Zeit, ein
Schiff, welches er immer Pahie no Peppe nannte, angekommen und fuͤnf
Tage allda vor Anker gelegen habe; die Mannſchaft deſſelben haͤtte zehen
Schweine von den Einlaͤndern bekommen; und einer von den Boots-Leuten, der
von dieſem Schiffe entlaufen ſey, halte ſich noch jetzt in der Inſel auf. Wir
vermutheten, daß dies ein ſpaniſches Schiff geweſen ſeyn muͤſſe, weil es gar nicht
unwahrſcheinlich war, daß die wiederholte Anweſenheit von engliſchen Schiffen
die Spanier auf dieſe von ihrer Nation vermuthlich zuerſt entdeckte Inſel von
neuem aufmerkſam, und wegen ihrer benachbarten weitlaͤuftigen Beſitzungen
in Suͤd America, vielleicht auch beſorgt gemacht haben moͤgte. In dieſer Ver-
muthung beſtaͤtigte uns, ſo ſeltſam es auch beym erſten Anblick ſcheinen mag, der
Name Peppe, der zwar, dem Klange nach, von Eſpanna ſehr verſchieden iſt, aber
uns ſchien doch davon abgeleitet zu ſeyn, weil wir ſchon wußten, daß die Einwohner
von Tahiti fremde Namen noch aͤrger als Englaͤnder und Franzoſen zu verſtuͤm-
meln pflegen. Um indeſſen mehr Licht in der Sache zu bekommen, legten wir dem
Tuahau noch manche Frage wegen dieſes Schiffes vor, konnten aber nichts
weiter herausbringen, als daß der entlaufne Matroſe immer bey Aheatua ſey
und ihm angerathen habe, uns keine Schweine zukommen zu laſſen. Was fuͤr
eigennuͤtzige oder bigotte, ſchwaͤrmeriſche Abſichten dieſer Mann hiezu auch ge-
habt haben mag, ſo ſcheint es doch warlich der freundſchaftlichſte und beſte Rath
geweſen zu ſeyn, den er ſeinem Beſchuͤtzer haͤtte geben koͤnnen. Der ſicherſte
Weg die Reichthuͤmer ſeiner Unterthanen im Lande zu behalten, wozu hier fuͤr
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allen Dingen auch die Schweine gehoͤren, und die beſte Methode, zu hindern,
daß keine neuen Beduͤrfniſſe unter dieſem gluͤcklichen Volke entſtehen moͤgten,
war ohnfehlbar, uns ſo bald als moͤglich zur Abreiſe zu noͤthigen, und hiezu war
die Verſagung der Erfriſchungen, deren wir am mehreſten bedurften, das dienlich-
ſte Mittel. Es iſt wuͤrklich im Ernſte zu wuͤnſchen, daß der Umgang der Euro-
paͤer mit den Einwohnern der Suͤd-See-Inſeln in Zeiten abgebrochen werden
moͤge, ehe die verderbten Sitten der civiliſirtern Voͤlker dieſe unſchuldigen Leute
anſtecken, welche hier in ihrer Unwiſſenheit und Einfalt ſo gluͤcklich leben.
Aber es iſt eine traurige Wahrheit, daß Menſchenliebe und die politiſchen
Syſteme von Europa nicht mit einander harmoniren!


Am folgenden Tage brachten einige unſrer Leute, die einen Spatziergang
an der Kuͤſte gemacht hatten, die Nachricht mit an Bord, daß ſie Aheatua
angetroffen, und daß er ausdruͤcklich in dieſen Diſtrict gekommen ſey, um uns
Audienz zu geben. Sie waren ohne Ceremonie vor ihn gelaſſen worden, und
Se. Majeſtaͤt hatten, mitten in Dero Hofhaltung, die Haͤlfte ihres Stuhls einem
unſrer Steuermaͤnner, Herrn Smith eingeraͤumt. Auch hatte er ſich gnaͤdigſt
verlauten laſſen, daß es ihm lieb ſeyn ſollte, den Capitain Cook zu ſehen, und
daß er ihm eine beliebige Anzahl Schweine ablaſſen wolle, wenn dieſer fuͤr jegli-
ches ein Beil zu geben geſonnen ſey. Das war nun allerdings die erfreulichſte
Neuigkeit, die wir ſeit langer Zeit gehoͤrt hatten. Unſre Leute wollten bey die-
ſer Gelegenheit auch einen Mann bemerkt haben, der der Farbe und Geſichtsbil-
dung nach, einem Europaͤer aͤhnlich geweſen, auf ihre Anrede aber unter dem
großen Haufen verſchwunden ſey. Ob es wuͤrklich ein Europaͤer geweſen, oder
ob Tuahau’s Erzaͤhlung ihnen nur im Kopfe geſteckt? koͤnnen wir nicht be-
ſtimmen. So viel aber iſt gewiß, daß keiner von uns ihn jemals nachher zu
ſehen bekommen hat.


Um von Aheatua’s guten Geſinnungen gleich auf friſcher That Ge-
brauch zu machen, begaben ſich die Capitains mit verſchiednen Officiers, imglei-
chen Dr. Sparmann, mein Vater und ich, am folgenden Morgen fruͤh aus Land.
Opao, einer der Indianer, welche uͤber Nacht am Bord geblieben waren,
diente uns zum Fuͤhrer, und rieth uns an, laͤngſt dem Fluſſe, aus dem die
Waſſerfaͤſſer angefuͤllet wurden, hinauf zu gehen. Als wir auf dieſem Wege
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ohngefaͤhr eine Meile zuruͤckgelegt hatten, trafen wir einen großen Hau-1773.
Auguſt.

fen Menſchen an, die, ſo viel wir erkennen konnten, allerſeits ihre Ober-
Kleider hatten herunter fallen laſſen, um die Schultern zu entbloͤßen, welche Eh-
renbezeigung nur allein dem Koͤnige wiederfaͤhrt. Wir vermutheten daher, daß
er in der Naͤhe ſeyn muͤſſe, und fanden ihn auch bald mitten unter dieſem Hau-
fen, wo er ſich auf einen großen, aus feſtem Holz verfertigten Stuhl niedergeſetzt
hatte, der ihm bis dahin von einem ſeiner Leute war nachgetragen worden.
Aheatua erinnerte ſich Capitain Cooks ſobald er ihn anſichtig wurde, und machte
auch gleich Raum fuͤr ihn auf feinem Seſſel, immittelſt Capitain Furneaux und
wir uͤbrigen uns auf große Steine niederließen. Kaum hatten wir Platz ge-
nommen, ſo draͤngte ſich von allen Seiten eine unzaͤhlbare Menge Indianer her-
bey, und ſchloß uns in einen ſehr engen Zirkel ein, worinn es bald ſo heiß
ward, daß des Koͤnigs Bediente die Leute oft mit Schlaͤgen zuruͤcktreiben muß-
ten um uns Luft zu ſchaffen.


O-Aheatua, Koͤnig von O-Tahiti-iti (Klein-Tahiti) ſonſt Teiar-
rabu
genannt, war ein junger Mann von ſiebenzehn bis achtzehn Jahren,
wohl gebaut, und bereits 5 Fuß 6 Zoll hoch, ohnerachtet er, dem Anſchein
nach, ſeine voͤllige Groͤße noch nicht erreicht hatte. In ſeiner Mine war et-
was ſanftes aber unbedeutendes und hatte ſie ja einigen Ausdruck, ſo verrieth ſie,
wenigſtens bey unſerm erſten Beſuche, nichts als Furcht und Mißtrauen,
welches freylich zur Majeſtaͤt nicht paßt, ſondern vielmehr oft das Kennzeichen
eines boͤſen Gewiſſens und unrechtmaͤßiger Herrſchaft iſt. Er war heller von
Farbe als alle ſeine Unterthanen, und hatte ſchlichtes, langes, lichtbraunes Haar,
das an den Spitzen ins roͤthlichtgelbe fiel. Seine ganze Kleidung beſtand fuͤr
diesmal nur in einer breiten Scherfe (Marro) vom feinſten weiſſen Zeuge, die
von den Huͤften bis auf die Knie herabreichte. Der Kopf und uͤbrige Theil
des Leibes war unbedeckt. Neben ihm ſaßen zu beyden Seiten einige Be-
fehlshaber und Adliche, die ſich durch ihre große und dicke Statur auszeichne-
ten, ein Vorzug, den dieſe Claſſe von Leuten ihrer traͤgen Lebensart und wohl-
beſetzten Tafel [zu] verdanken hat. Einer derſelben war auf eine ſonderbare
Weiſe punctirt, dergleichen wir ſonſt noch nicht bemerkt; ſeine Arme, Beine,
Schenkel und Seiten, waren naͤmlich faſt uͤber und uͤber, mit großen ſchwar-
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zen Flecken von allerhand Geſtalt bedeckt. Eben dieſer Mann, der E-Tith
hieß, war auch wegen ſeiner ungeheuren Corpulenz fuͤr andern auffallend, und
ſchien uͤberdies beym Koͤnige (Erih) in beſondern Anſehn zu ſtehen, indem dieſer
ihn faſt bey jedem Vorfalle um Rath frug. So lange der Koͤnig auf dem Stuhle
oder ſeinem Throne ſas, betrug er ſich ungleich ernſthafter und ſteifer, als man
es von ſeiner Jugend wohl haͤtte erwarten ſollen. Es ſchien aber ein auswen-
dig gelerntes, angenommenes Weſen zu ſeyn, wodurch unſre Audienz ein
deſto feyerlicheres Anſehen bekommen ſollte. Bey einigen altfraͤnkiſchen Staats-
maͤnnern moͤchte ihm das vielleicht zum Verdienſt gerechnet werden; es war
doch aber im Grunde nichts als eine Maskerade von Heucheley und Verſtel-
lung, die wir zu Tahiti kaum erwartet haͤtten.


Nach der erſten Begruͤßung uͤberreichte Capitain Cook dem Aheatua
ein Stuͤck rothen Boy (baize) ein Bett-Tuch, eine breite Zimmer-Art, ein
Meſſer, Naͤgel, Spiegel und Corallen. Mein Vater gab ihm aͤhnliche Ge-
ſchenke, und unter andern eine Aigrette von Scharlachroth gefaͤrbten Federn,
die an einem gewundenen Drathe oder Zitter-Nadel befeſtigt waren. Dieſe ſchaͤtz-
ten Se. Majeſtaͤt ungemein hoch und beym Anblick derſelben brach die ganze
Verſammlung in ein lautes Au- waͤh aus, welcher Ausruf Erſtaunen und
Bewundrung andeutet. Der Koͤnig fragte nunmehro nach Herrn Banks,
nach welchen vor ihm nur der einzige Tuahau gefragt hatte. Sodann erkun-
digte er ſich wie lange wir bleiben wuͤrden, und gab dabey zu verſtehen,
es ſollte ihm lieb ſeyn, wenn wir fuͤnf Monath verweilen wollten. Capitain
Cook antwortete, daß er im Gegentheil unverzuͤglich wieder abſegeln muͤſſe,
weil nicht Lebensmittel genug zu bekommen waͤren. Der Koͤnig ſchraͤnkte alſo
ſeine Bitte auf einen Monath, und endlich auf fuͤnf Tage ein. Da aber
Capitain Cook immer bey ſeiner vorigen Erklaͤrung blieb; ſo verſprach Ahea-
tua
uns am folgenden Tage Schweine zu ſchicken. Dergleichen Verſprechun-
gen waren uns indeſſen ſchon mehr als einmal gemacht worden, ohne daß je-
doch etwas darauf erfolget waͤre. Wir rechneten alſo auch jetzt nicht darauf.
Denn ſo wenig uͤbrigens Teiarrabu als ein hoch verfeinerter Staat angeſehen
werden kann, ſo hatten wir doch laͤngſt gefunden, daß ſich von der thaͤtigen
Gutherzigkeit, welche uns der Mittelſtand, durch Gaſtfreyheit und eine Menge
dienſt-
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dienſtfertiger und edler Handlungen bezeigte, im geringſten nicht auf die1773.
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Denkungsart des Hofes und der Hofleute ſchließen laſſe, ſondern daß es mit
der ſcheinbaren und glaͤnzenden Hoͤflichkeit derſelben blos darauf abgeſehen ſey,
unſre Hoffnungen durch leere Verſprechungen zu naͤhren und von einer Zeit
zur andern aufzuhalten.


Waͤhrend dieſer Unterredung mit dem Koͤnige ward das umherſtehende
gemeine Volk, welches aus wenigſtens fuͤnfhundert Menſchen beſtand, zuwei-
len ſo uͤberlaut, daß man ſein eigen Wort nicht hoͤren konnte. Des Koͤnigs
Bediente mußten daher auch mehrmalen mit durchdringender Stimme Manu!
(ſtill!) ausrufen und dieſem Befehl mit tuͤchtigen Stockſchlaͤgen Nachdruck ge-
ben. Als der Erih ſahe, daß Capitain Cook die Zeit ſeines Hierbleibens
ſchlechterdings nicht verlaͤngern wollte, ſtand er auf und ſagte, er wuͤrde uns nach
dem Strande hinab begleiten, wohin ihm ſeine Bedienten den Stuhl und die
empfangenen Geſchenke nachtragen mußten. Nunmehro legte er die waͤhrend
der Audienz angenommene Ernſthaftigkeit bey Seite, und unterhielt ſich auf
dem Wege mit unſern gemeinſten Matroſen ganz vertraut. Mich bat er, daß
ich ihm alle diejenigen bey Namen nennen moͤchte, die von beyden Schiffen
am Lande waren; auch verlangte er zu wiſſen, ob ſie ihre Weiber am Bord haͤt-
ten? und als ich mit Nein antwortete, rieth ihnen Se. Majeſtaͤt in
einem Ausbruch guter Laune, ſie moͤchten unter den Toͤchtern des Landes waͤh-
len; man ſahe aber dieſe Einladung fuͤr ein bloßes Compliment an. Als wir
bald nachher bey einem Hauſe mit Rohrwaͤnden vorbey kamen, ſetzte er ſich im
Schatten deſſelben nieder, und wir ſuchten innerhalb demſelben Schutz vor
der Sonne, die bis jetzt hinter Gewoͤlken verborgen geweſen war. Er forderte
einige Coco-Nuͤſſe und ſieng an von Pahie no Peppe oder dem ſpaniſchen
Schiffe zu ſprechen, wovon uns Tuahau die erſte Nachricht gegeben hatte. Nach
ſeiner Erzaͤhlung war das Schif fuͤnf Monathe vorher zu Whai-Urua gewe-
ſen, und hatte ſich daſelbſt zehn Tage lang aufgehalten. Er ſetzte hinzu, der
Capitain habe viere von ſeinen Schiffsleuten aufhaͤngen laſſen, ein fuͤnfter
aber ſey dieſer Strafe entlaufen. Wir fragten eine lange Weile nach dieſem
Europaͤer, den ſie O-Pahutu nannten, konnten aber nichts von ihm heraus-
bringen, und da endlich die Hofſchranzen Sr. Majeſtaͤt merkten, daß wir uns
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. G g
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ſo genau und aͤngſtlich nach dieſem Mann erkundigten, verſicherten ſie uns, er
ſey todt. Wir haben nachher erfahren, daß um dieſelbige Zeit, welche die
Indianer angaben, Don Juan de Langara y Huarte, von Callao in Peru,
ausgeſchickt worden, und Tahiti beſucht habe; von den beſonderen Umſtaͤnden
ſeiner Reiſe aber iſt bis itzt noch nichts kund geworden. Waͤhrend daß wir
uns in dieſem Hauſe allerſeits ausruhten, fragte E-Tie (Eti) der dicke Mann,
den wir fuͤr den vornehmſten Rath des Koͤnigs anſahen, ob wir in unſerm
Lande einen Gott (Eatua) haͤtten, und ob wir ihn anbeteten? (Epuhre?)
Als wir ihm antworteten, daß wir einen Gott erkennten, der alles erſchaf-
fen habe, aber unſichtbar ſey, und daß wir auch gewohnt waͤren, unſre Bitten
und Gebete an ihn zu richten, ſchien er hoͤchlich daruͤber erfreuet und wie-
derholte es mit einigen, vermuthlich erlaͤuternden, Zuſaͤtzen gegen verſchiedene
von ſeinen Landesleuten, die zunaͤchſt um ihn ſaßen. Hierauf wandte er ſich
wieder gegen uns und ſagte, ſo viel wir verſtehen konnten, daß ſeiner Landsleute
Begriffe mit den unſrigen in dieſem Stuͤck uͤbereinſtimmten. Und in der That
laͤßt ſich aus mehreren Umſtaͤnden abnehmen, daß dieſer einfache und einzige
richtige Begriff von der Gottheit, in allen Zeiten und Laͤndern bekannt geweſen
iſt, und daß jene verwickelten Lehrgebaͤude von ungereimter Vielgoͤtterey, die
man faſt bey allen Voͤlkern der Erden angetroffen hat, nur der Kunſtgriff eini-
ger verſchlagenen Koͤpfe geweſen, die ihr Intereſſe dabey fanden dergleichen
Irrthuͤmer allgemein zu machen. Herrſchſucht, Wolluſt und Faulheit ſcheinen
dem zahlreichen Haufen der heidniſchen Pfaffen den teufliſchen Gedanken ein-
gegeben zu haben, den Geiſt der Voͤlker durch Aberglauben zu feſſeln und zu
blenden. Es iſt ihnen auch nicht ſchwer geworden, dieſen Entwurf durchzu-
ſetzen, weil der Menſch von Natur ſo ſehr zum Wunderbaren geneigt iſt, und eben
dieſe Neigung iſt Schuld daran, wenn jene damit uͤbereinſtimmende Vorurtheile
ſich ſo feſt und ſo tief in die Syſteme menſchlicher Kenntniß hineingeſchlungen
haben, daß ſie bis auf dieſen Augenblick noch in Ehren gehalten werden, und daß
der groͤßte Theil des menſchlichen Geſchlechts ſich in dem Punkt noch immer
auf die groͤbſte Weiſe blindlings hintergehen laͤßt.


Immittelſt E-Tie von Religions-Sachen ſprach, ſpielte Koͤnig Ahea-
tua
mit Capitain Cooks Taſchen-Uhr. Er betrachtete die Bewegung der
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Raͤder, die ſich von ſelbſt zu bewegen ſchienen, mit großer Aufmerkſamkeit.1773.
Auguſt.

Erſtaunt uͤber ihr Geraͤuſch, welches er nicht begreifen und ausdruͤcken konn-
te, gab er ſie zuruͤck mit der Aeußerung „ſie ſpraͤche“ (parau) und fragte da-
bey wozu das Ding gut ſey? Mit vieler Schwierigkeit machte man ihm begreif-
lich, daß wir ſie gebrauchten um die Tageszeit daran zu erkennen, welche er
und ſeine Landsleute, aus dem Fortruͤcken der Sonne am Horizont, zu ſchaͤtzen
gewohnt waͤren. Nach dieſer Erklaͤrung nannte ers eine kleine Sonne, um
damit anzudeuten, daß er uns voͤllig verſtanden.


Wir waren eben im Begriff nach dem Strande zuruͤck zu kehren, als
ein Mann mit einem Schweine ankam, welches der Koͤnig dem Capitain unter
der Verſicherung ſchenkte, daß er noch eins bekommen ſolle. Mit dieſem klei-
nen Anfange waren wir vor der Hand zufrieden und beurlaubten uns nunmehro
von Se. Majeſtaͤt, zwar ohne langweilige Ceremonie, blos mit einem herzli-
chen Tayo (Freund); doch war in dieſem einzigen Ausdruck gewiß mehr Be-
deutung als in mancher kuͤnſtlichen Rede.


Nachmittags giengen die Capitains abermals mit uns zum Koͤnige. Wir
fanden ihn noch auf eben dem Platze, wo wir ihn beym Abſchiede verlaſſen hat-
ten, und bey dieſem Beſuch bat er uns von neuen, daß wir wenigſtens noch ein
Paar Tage laͤnger bleiben moͤgten. Man gab ihm aber eben die Antwort als zu-
vor, und ſagte gerade heraus, daß wir blos deswegen abreiſen wuͤrden, weil
er uns nicht mit lebendigem Vieh verſehen wollte. Hierauf ließ er ſogleich
zwey Schweine herbey bringen und ſchenkte jedem Capitain eins, welche Frey-
gebigkeit durch allerhand Eiſen-Geraͤthſchaften erwiedert ward. Zu Unterhaltung
Sr. Majeſtaͤt ließen wir einen unſrer See-Soldaten, einen Bergſchotten, auf
dem Dudelſack ſpielen; und obgleich ſeine rauhe Muſik unſern Ohren faſt un-
ausſtehlich war, ſo fanden doch der Koͤnig und die ganze indianiſche Verſamm-
lung ein ſo ausnehmendes Vergnuͤgen daran, als man ſich nicht vorſtellen
ſollte. Das Mißtrauen, welches er bey unſrer erſten Unterredung hatte blicken
laſſen, war nun verſchwunden; und waͤren wir laͤnger geblieben, ſo moͤgte es
ſich vielleicht in ein unbeſchraͤnktes Vertrauen verwandelt haben, wenigſtens
ſchien er, ſeiner Jugend und gutherzigen Gemuͤthsart nach, von Natur geneigt
dazu zu ſeyn. Das ſtudierte und gezwungen-gravitaͤtiſche Weſen ward ganz
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bey Seite geſetzt, ja einige ſeiner Beſchaͤftigungen kamen nun beynahe kindiſch her-
aus. Um nur ein Beyſpiel davon anzufuͤhren: ſo fanden Se. Majeſtaͤt ein
hohes Wohlgefallen daran, mit einem unſrer Beile kleine Stoͤcke zu zerhacken und
junge Piſang-Pflanzungen abzuhauen. Ob wir nun aber gleich, ſeines nunmeh-
rigen vertraulichen Betragens wegen, gewiſſermaßen hoffen konnten, daß er im
Ernſte Anſtalt machen wuͤrde, uns mit einem Vorrath von Schweinen zu ver-
ſorgen; ſo wollten wir es doch nicht auf den bloßen Anſchein wagen, laͤn-
ger hier zu bleiben. Daher nahmen wir gegen Abend foͤrmlichen Abſchied
von ihm, giengen an Bord zuruͤck und lichteten die Anker noch ehe es Nacht
ward.


Da die Einwohner am folgenden Morgen ſahen, daß wir die Seegel in
Ordnung brachten und andre ernſthafte Anſtalten zur Abreiſe vorkehrten, ſo ka-
men ſie haufenweiſe mit kleinen Canots voll Coco-Nuͤſſe und andrer Gewaͤchſe
an die Schiffe, und verkauften alles zu ſehr geringen Preiſen, damit ſie nur die
Gelegenheit europaͤiſche Waaren zu bekommen nicht ungenutzt vorbey laſſen
moͤgten. Der Geſchmack an Kleinigkeiten und Spielzeug, der auf eine
ſo unbegreifliche Weiſe, mehr oder minder, uͤber die ganze Welt verbreitet iſt,
gieng hier ſo weit, daß die Leute ein Dutzend der ſchoͤnſten Coco-Nuͤſſe fuͤr eine ein-
zige Glas-Coralle hingaben, und auf dieſen unbedeutenden Schmuck bisweilen
einen hoͤheren Werth legten als auf einen Nagel, der doch einigen Nutzen ha-
ben konnte. Wir fanden, daß die Inſulaner jetzt weit ehrlicher zu Werk gien-
gen als bey unſrer Ankunft. Vielleicht beſorgten ſie, daß die geringſte Betruͤ-
gerey dem Handel alsbald ein Ende machen wuͤrde, der ihnen ſeitdem erſt recht am
Herzen liegen mochte, als ſie ſahen, daß er uͤberhaupt nicht lange mehr dau-
ern wuͤrde. Um die Vortheile deſſelben noch ſo lange als moͤglich zu genießen,
begleiteten ſie uns bis ein paar Meilen außerhalb des Ryfs und kehrten dann erſt
zum Strande zuruͤck, woſelbſt wir den Lieutenant Pickersgill mit einem Boot
zuruͤckgelaſſen hatten, um auch unſrer Seits von der Neigung welche das Volk
jetzt zum Handel blicken ließ, noch einigen Nutzen zu ziehen.


Nunmehro, da wir gleichſam von neuem wieder uns ſelbſt uͤberlaſſen wa-
ren, konnte man ſich ein wenig erholen und einmal wieder zu Athem kommen,
welches ſich waͤhrend des kurzen Aufenthalts auf der Inſel, bey der Menge von
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neuen Gegenſtaͤnden, kaum thun laſſen wollte. Dieſe Ruhe war uns um1773.
Auguſt.

ſo willkommner, da ſie uns Zeit gab, den mancherley Betrachtungen nachzu-
haͤngen, zu denen wir waͤhrend unſers Hierſeyns ſo vielfaͤltigen Stof geſammelt
hatten. Nach allem, was wir auf dieſer Inſel geſehen und erfahren, duͤnkte
ſie uns, im Ganzen genommen, einer von den gluͤcklichſten Winkeln der Erde.
Zwar waren uns ehemals, nachdem wir lange Zeit nichts als See, Eis
und Luft vor uns geſehen hatten, auch ſelbſt die oͤden Felſen von Neu-Seeland ſo
vortheilhaft ins Geſicht gefallen, daß wir anfaͤnglich ebenfalls ſehr guͤnſtige Urtheile
daruͤber faͤllten: Allein dieſe erſten Eindruͤcke waren doch bald genug wieder ver-
ſchwunden, und wir hatten in der Folge taͤglich mehr Gelegenheit bekommen, uns
zu uͤberzeugen, daß ſich dieſes Land allerdings noch in einem wilden chaotiſchen
Zuſtande befaͤnde. Bey O-Tahiti hingegen verhielt es ſich ganz umgekehrt.
Dieſe Inſel ſahe nicht nur ſchon von fern ſehr reizend aus, ſondern je naͤher wir der-
ſelben kamen, deſto ſchoͤner wurden auch die Proſpecte, ja ſelbſt bey jedem Spatzier-
gang entdeckten wir neue Annehmlichkeiten. Je laͤnger wir alſo blieben, je mehr
wurden die Eindruͤcke des erſten Anblicks beſtaͤtigt, ohngeachtet wir hier wegen
der Erfriſchungen ſchlimmer daran waren als auf Neu-Seeland, woſelbſt es
groͤßern Ueberfluß an Fiſchen und Voͤgeln gab, ſtatt deren man ſich hier mit ein-
geſalznen Speiſen behelfen mußte. Auch hatte die Jahreszeit, welche mit unſerm
Februar uͤbereinſtimmt, natuͤrlicherweiſe einen Mangel an Baumfruͤchten
verurſacht; denn obgleich hier zu Lande der Winter nicht in kalter Witterung
beſtehet, als in Laͤndern die weit von den Wende-Cirkeln liegen, ſo iſt er den-
noch hier ſo gut als uͤberall die Jahrszeit, in welcher das ganze Pflanzenreich
die Saͤfte zu einer neuen Erndte bereitet. Daher hatten einige Baͤume ihre Blaͤt-
ter ganz verlohren, verſchiedene Pflanzen waren bis auf die Wurzeln abgeſtor-
ben, und die uͤbrigen alle, ſahen voͤllig vertrocknet aus, weil nemlich der Regen
ſich erſt alsdenn einſtellt, wenn die Sonne wieder im ſuͤdlichen Hemispherio iſt.
Bey ſo bewandten Umſtaͤnden hatten Laub und Kraut auf dem flachen Lande
uͤberall eine dunkelbraune Farbe bekommen. Ein lebhafteres Gruͤn fand man
nur allein noch in denen Waͤldern, welche die hoͤheren Berg-Gipfel kroͤnen,
denn dieſe ſind faſt beſtaͤndig in Wolken verhuͤllt, und folglich iſt es dort immer
feucht. Von daher brachten uns die Einwohner unter andern auch eine Menge
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wilder Piſange, Vehie (Wehi) und das wohlriechende Holz e-ahaï, womit ſie
ihrem Coconuß-Oele einen ſo ſtarken Geruch geben. Die haͤufigen Erdriſſe und
die zerruͤttete Form der hoͤheren Bergſpitzen, ruͤhren allem Anſchein nach von
ehemaligen Erdbeben her; und die Laven, woraus die Berge zum Theil beſtehen
und wovon die Einwohner allerhand Werkzeuge machen, uͤberzeugten uns noch
mehr, daß vor Zeiten brennende Berge auf der Inſel geweſen ſeyn muͤſſen. Eben
dies beweiſen auch der fruchtbare Boden in der Ebne, der aus recht fetter Gar-
ten-Erde beſteht die mit den Ueberbleibſeln volcaniſcher Ausbruͤche vermiſcht iſt,
imgleichen der ſchwarze Eiſen-Sand, der ſich oft am Fuße der Berge findet.
In der vorderſten Reihe von Bergen giebt es mehrere, die ganz unfruchtbar
ſind und aus gelben, mit Eiſen-Ocher vermiſchten Thon beſtehen; andre hinge-
gen haben gutes fruchtbares Erdreich und dieſe ſind, gleich den dahinter liegen-
den, hoͤheren Bergen, mit Waldung verſehen. An manchen Orten findet man
Quarz-Stuͤcke; von edlen Metallen aber gab es weiter keine Spuren, als
daß man in den Laven hie und da Eiſentheilchen entdeckte. Indeſſen moͤgen
die Berge dennoch wohl ſchmelzwuͤrdiges Eiſen-Erz enthalten. Was aber das
Stuͤck Salpeter, ſo groß als ein Ey betrift, welches, laut Capitain Wallis
Zeugniß, hier auf der Inſel ſoll gefunden worden ſeyn, *) ſo muß ich, der Ach-
tung fuͤr ſeine uͤbrigen Einſichten ohnbeſchadet, an der Richtigkeit der Sache ſelbſt
zweifeln, weil man bis jetzt noch keinen gediegnen Salpeter in Klumpen gefun-
den hat, wie ſolches mit mehrerem aus Cronſtedts Mineralogie zu erſehen iſt.


Zu vorſtehenden wenigen Anmerkungen uͤber die Foßilien von Tahiti, be-
wog uns der Anblick dieſer Inſel, an deren Kuͤſte wir nun nordwaͤrts hinſeegel-
ten und noch immer nach der Gegend hinſahen, die uns ſowohl gefallen und
zu ſo mancher Unterſuchung Stoff gegeben hatte. Mitten in dieſen Betrachtun-
gen wurden wir zu Tiſche gerufen, wo ein Gericht friſches Schweinefleiſch
unſrer erwartete. Die Eilfertigkeit, mit welcher wir uns dahin begaben, und
der gute Appetit, den wir bey dieſer Schuͤſſel bewieſen, zeigten deutlich, daß uns
lange genug darnach verlangt hatte. Es wunderte uns, daß dies Fleiſch im min-
deſten nichts von dem geilen Geſchmack hatte, den es wohl in Europa zu haben
pflegt. Das Fett war mit Mark zu vergleichen und das Magre ſchmeckte faſt
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ſo zart als Kalbfleiſch. Dieſer Unterſchied ruͤhrt vermuthlich daher, daß die1773.
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Tahitiſchen Schweine mit nichts als Fruͤchten gefuttert werden, und vielleicht
hat dieſe Nahrung auch einen Einfluß auf den Inſtinct dieſer Thiere. Sie ſind
von der kleinen ſogenannten chineſiſchen Art, und haben keine haͤngende lappichte
Ohren, die Graf Buͤffon als Kennzeichen der Sclaverey unter den Thieren an-
ſieht. Auch waren ſie reinlicher, und muͤſſen ſich folglich wohl nicht ſo im
Schlamme herum waͤlzen als unſre europaͤiſchen Schweine. Dieſes Vieh
gehoͤrt zwar zu den wuͤrklichen Reichthuͤmern von Tahiti, doch darf man
ſie deshalb nicht fuͤr einen Hauptartickel des Unterhalts anſehen; denn in dem
Betracht koͤnnte dieſe ganze Thierart ausgerottet werden, ohne daß die Nation
im Ganzen dabey verloͤre, weil ſie nemlich den Großen des Landes allein und
ausſchließungsweiſe zugehoͤren. Nur ſelten, ja vielleicht nie anders als bey
feyerlichen Gelegenheiten, werden einige davon geſchlachtet; aber denn verſchlingen
auch die Vornehmen das Fleiſch mit eben ſo viel Gierigkeit, als gewiſſe Leute in
England (Aldermen of London) bey einem guten Schildkroͤten-Schmauſe bezeigen
ſollen. Der gemeine Mann kriegt aͤußerſt ſelten davon zu koſten, und es bleibt ein
Leckerbiſſen fuͤr ihn, ohngeachtet gerade dieſe Claſſe des Volks die Muͤhe allein auf
ſich hat, ſie zu warten und zu maͤſten.


Gegen Abend fiel eine Windſtille ein, die faſt bis zum Morgen anhielt;
alsdenn aber bekamen wir Suͤd-Oſtwind, und mit deſſen Huͤlfe bald den noͤrd-
lichen Theil von O-Tahiti, imgleichen die dabey liegende Inſel Eimeo, zu Ge-
ſichte. Die Berge machten hier groͤßere Maſſen und fielen daher ſchoͤner ins
Auge als zu Aitepieha. Die niedrigern Berge waren nicht ſo ſteil, jedoch al-
lenthalben ohne Baͤume und Gruͤn: und die Ebene vom Ufer an bis zu den erſten
Bergen hin, war hier weitlaͤuftiger als dort, indem ſie an manchen Orten uͤber
eine Meile breit zu ſeyn ſchien. Gegen 10 Uhr hatten wir das Vergnuͤgen,
verſchiedne Canots vom Lande gegen uns heran kommen zu ſehen. Ihre langen
ſchmalen Seegel, die aus zuſammengenaͤhten Matten beſtanden, ihre Feder-
Wimpel und die treflichen Coco-Nuͤſſe und Piſang-Fruͤchte, davon hochaufge-
thuͤrmte Haufen aus den Booten hervorragten, machten zuſammen genommen ei-
nen ſchoͤnen mahleriſchen Anblick aus. Sie uͤberließen uns ihre Ladungen fuͤr
wenige Corallen und Naͤgel, und kehrten alsdenn gleich wieder nach dem Ufer
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zuruͤck, um mehrere zu holen. Gegen Mittag kam auch unſer Boot mit dem
Lieutenant Pickersgill wieder an. Er war in ſeinem Einkauf zu Aitepieha
ſehr gluͤcklich geweſen und brachte neun Schweine nebſt vielen Fruͤchten von da-
her mit. Des Koͤnigs Aheatua Majeſtaͤt, waren die ganze Zeit uͤber auf dem
Marktplatze geblieben, hatten ſich neben den Eiſen-Waaren hingeſetzt, und
ſichs ausgebeten, fuͤr uns mit ihren Unterthanen zu handeln; waren auch da-
bey ſehr billig zu Werk gegangen, indem ſie fuͤr groͤßere und kleinere Schweine,
auch groͤßere und kleinere Beile gegeben hatten. Neben her aber hatten ſich
Hochdieſelben, wie Abends zuvor, wieder die Veraͤnderung gefallen laſſen, kleine
Stoͤcke zu zerhacken, zum großen Vergnuͤgen unſrer Matroſen, die bey der Ge-
legenheit, nach ihrer Art, ſehr feine Anmerkungen uͤber koͤniglichen und kindi-
ſchen Zeitvertreib gemacht hatten. Sobald Herr Pickersgill alle ſeine Waa-
ren los geworden war, gieng er Nachmittags von Aitepieha ab und kam den
Abend nach Hiddia, in den Diſtrict des O-Rettie (Ereti), wo Herr von
Bougainville
im Jahr 1768. vor Anker lag. Er ward daſelbſt von dem wuͤr-
digen Alten ſehr gaſtfrey aufgenommen, deſſen Character und Betragen der
galante franzoͤſiſche Seemann ſo viel Gerechtigkeit hat wiederfahren laſſen. Am
folgenden Morgen kam der Bruder deſſelben, Tarurie, zu Herrn Pickersgill,
und bat dieſen, daß er ihn in ſeinem Boote mit nach den Schiffen nehmen moͤch-
te, die man von da aus unter Seegel ſahe. Als er an Bord kam, bemerkten
wir, daß er einen Fehler an der Ausſprache hatte und den Buchſtaben T. alle-
mal wie ein K. ausſprach; eben dieſen Fehler fanden wir in der Folge auch bey
mehreren von ſeinen Landsleuten. Unterdeſſen war aus vorgedachtem Diſtrict
ſchon zuvor ein andrer Mann, Namens O-Wahau, in ſeinem Canot an Bord
gekommen, und dieſer ſowohl als Tarurie ſpeißten beyde mit uns zu Mittage.
Mein Vater hatte dem erſtern, zum freundlichen Willkommen, ein Paar Coral-
len und einen kleinen Nagel geſchenkt. Der ehrliche Inſulaner erwiederte dies
Geſchenk ſogleich mit einer ſchoͤn gearbeiteten Fiſchangel von Perlmutter. Die-
ſer Beweis ſeiner Gutherzigkeit ward durch einen groͤßern Nagel belohnt, und
kaum hatte er ſolchen empfangen, als er einen Knaben in ſeinem Canot nach
dem Lande abfertigte, der um 4 Uhr von daher zuruͤck kam, und ſeinen Bru-
der, nebſt einem Geſchenke von Cocos-Nuͤſſen, Piſangen und Matten an Bord
brachte.
[241]in den Jahren 1772 bis 1775.
brachte. Dieſes Betragen O-Wahau’s hatte etwas ſo edles an ſich, und war1773.
Auguſt.

uͤber die gewoͤhnlichen Begriffe von Tauſch und eigennuͤtziger Abmeſſung ei-
nes Gegenwerthes ſo weit erhaben, daß wir eine recht hohe Meynung und Ach-
tung fuͤr ihn bekamen. Wir machten ihm deshalb auch ein weit anſehnlicheres Ge-
ſchenk als zuvor, jedoch mehr um ihn in ſeiner edlen Denkungsart zu beſtaͤrken, als
um ſeine Gaben dadurch zu bezahlen. Hiemit gieng er des Abends von uns, ſo
voller Freuden als haͤtte er ein ganz unerwartetes Gluͤck gemacht.


Mit Beyhuͤlfe einer gelind wehenden Landluft naͤherten wir uns nun
allgemach dem Ufer, und betrachteten die Schoͤnheiten der Landſchaft, die vom
blendenden Glanz der Sonne, gleichſam vergoldet, vor uns lag. Schon konn-
ten wir jene weit hervorragende Landſpitze unterſcheiden, die wegen der ehemals
darauf gemachten Beobachtungen Point Venus genannt war; und es koſtete
uns keine Schwierigkeit, denen die bereits vor uns hier geweſen waren, auf ihr
Wort zu glauben, daß dies der ſchoͤnſte Theil der Inſel ſey. Der Diſtrict
von Matavai, dem wir nunmehro gegenuͤber kamen, zeigte uns eine ungleich
weitlaͤuftigere Ebne als wir erwartet hatten; und das holzreiche Thal, das zwi-
ſchen den Bergen herauf lief, ſahe, in Vergleichung mit den kleinen engen Kluͤf-
ten und Berg-Riſſen von Teiarrabu, als ein betraͤchtlich großer Wald aus *)
Es mogte ohngefaͤhr 3 Uhr des Nachmittags ſeyn, als wir um vorgedachte Land-
ſpitze herum kamen. Das Ufer derſelben war uͤberall voller Menſchen, die uns
mit der ſchaͤrfſten Aufmerkſamkeit betrachteten, doch groͤßtentheils eben ſobald
uͤber Hals und Kopf davon liefen, als ſie ſahen, daß wir in der Bay vor
Anker giengen. Sie rannten laͤngſt dem Strande, uͤber den One-Tree-hill
weg, und nach O-Parre, dem naͤchſten gen Weſten belegnen Diſtricte hin,
als ob ſie vor uns fluͤchteten. Unter dem ganzen Haufen erblickten wir nur ei-
nen einzigen Mann, der nach hieſiger Landesart vollſtaͤndig gekleidet war, und
unſers Freundes O-Wahau’s Ausſage nach, ſollte dies O-Tu ſelbſt, der Koͤ-
nig von O-Tahiti-Nue oder von Gros-Tahiti ſeyn. Er war ungemein groß und
wohlgebauet, lief aber gleich einem großen Theil ſeiner Unterthanen ſehr eil-
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. H h
[242]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
fertig davon, welches die Indianer an Bord ſo ausdeuteten, daß er ſich fuͤr
uns fuͤrchtete.


Obgleich die Sonne beynahe untergehen wollte als wir die Anker war-
fen, ſo waren doch unſre Verdecke gar bald mit Indianern von verſchiednem Alter
und Stande angefuͤllt. Viele derſelben erkannten ihre alten Freunde unter den
Officiers und Matroſen, mit einer gegenſeitigen Freude, die ſich nicht leicht
beſchreiben laͤßt. Unter dieſen war auch der alte ehrwuͤrdige O-Whaa, deſ-
ſen friedfertiger Character und Freundſchafts-Dienſte in Herrn Cooks erſter
Reiſe ruͤhmlichſt erwaͤhnt worden, beſonders bey Gelegenheit eines unange-
nehmen Vorfalls, da die Seeſoldaten einen Indianer erſchoſſen hatten. *)
So bald er Herrn Pickersgill ſahe, erinnerte er ſich ſeiner augenblick-
lich, nannte ihn bey ſeinem Tahitiſchen Namen Petrodero, und rechnete
ihm an den Fingern her, es ſey nun das drittemahl, daß er auf die Inſel kom-
me; wie denn auch Herr Pickersgill ſowohl bey des Capitain Wallis, als bey des
Capitain Cooks erſter Reiſe wuͤrklich hier geweſen war. Ein vornehmer
Mann, Namens Maratata**) beſuchte Capitain Cook mit ſeiner Gemahlinn
(Tedua)-Erararie, welches eine huͤbſche junge Perſon war. Man ſchenkte ihr
und ihrem Manne eine Menge von Sachen, die ſie jedoch ſchon deswegen eben
nicht verdienten, weil ſie beyderſeits blos in dieſer eigennuͤtzigen Abſicht an
Bord gekommen zu ſeyn ſcheinen. Eben ſo beguͤnſtigte auch das Gluͤck Marata-
ta’s
Schwiegervater, einen großen dicken Mann, der mit zu ihrer Geſell-
ſchaft gehoͤrte und ſich auf eine recht unverſchaͤmte Weiſe von jedermann etwas
erbettelte. Zum Zeichen der Freundſchaft verwechſelten ſie ihre Namen mit
den unſrigen, ein jeder von ihnen waͤhlte ſich nemlich einen Freund, dem er be-
ſonders zugethan war. Dieſe Gewohnheit hatten wir auf unſerm vorigen Anker-
platze nicht bemerkt, denn da waren die Einwohner zuruͤckhaltender und mißtraui-
ſcher. Um 7 Uhr verließen ſie groͤßtentheils das Schiff, verſprachen aber fol-
genden Morgen wieder zu kommen, woran wir auch wegen ihrer guten Aufnah-
me nicht zweifeln durften.


[243]in den Jahren 1772 bis 1775.

Der Mond ſchien die ganze Nacht ſehr hell. Kein Woͤlkchen war zu1773.
Auguſt.

ſehn. Die glatte Flaͤche der See glaͤnzte wie Silber, und die vor uns liegende
Landſchaft ſahe ſo reizend aus, daß man ſich kaum uͤberreden konnte, ſie ſey etwas
mehr als das ſchoͤpferiſche Werk einer fruchtbaren, lachenden Fantaſie. Sanfte
Stille herrſchte rund um uns her, nur hie und da hoͤrte man einen Indianer
plaudern, deren etliche an Bord geblieben waren, um den ſchoͤnen Abend bey
ihren alten Freunden und Bekannten zuzubringen. Sie hatten ſich an den
Seiten des Schiffes herum geſetzt, ſprachen von allerhand Dingen und mach-
ten ſich durch Zeichen verſtaͤndlicher, wenn es mit Worten nicht gelingen wollte.
Wir hoͤrten zu, und fanden, daß ſie zum Theil frugen, wie es unſern Leuten
ſeit ihrer letzten Abreiſe von hier ergangen ſey, zum Theil auch das traurige
Schickſal Tutahah’s und ſeiner Freunde erzaͤhlten. Gibſon, ein See-Sol-
dat, dem die Inſel ſo wohl gefallen, daß er es ehemals, bey Capitain Cooks
voriger Reiſe, gar darauf anlegte hier zu bleiben, *) hatte den mehreſten An-
theil an der Unterredung, denn er verſtand von der Landesſprache mehr als ir-
gend ſonſt einer von uns, weshalb ihn die Einwohner auch beſonders hoch ſchaͤtz-
ten. Die guten Leute bezeigten hier noch ungleich mehr Zutrauen und Frey-
muͤthigkeit gegen uns als zu Aitepieha, und dies gereichte ihnen in unſern Au-
gen zu deſto groͤßerer Ehre, weil ſich daraus deutlich genug abnehmen ließ, daß
ſie die ehemaligen Beleidigungen edelmuͤthig vergeſſen hatten, und daß ihr gu-
tes unverderbtes Herz auch nicht eines Gedanken von Rachſucht oder Bitterkeit
faͤhig ſey. Warlich eine troͤſtliche Vorſtellung fuͤr ein empfindſames Gemuͤth,
daß Menſchenliebe dem Menſchen natuͤrlich ſey und daß die wilden Be-
griffe von Mißtrauen, Bosheit und Rachſucht, nur Folgen einer allmaͤhli-
gen Verderbniß der Sitten ſind. Man findet auch in der That nur wenig
Beyſpiele vom Gegentheil, daß nemlich Voͤlker, welche nicht ganz bis zur
Barbarey herabgeſunken, der Liebe zum Frieden, dieſem allgemeinen Grundtriebe
des Menſchen, zuwider gehandelt haben ſollten. Was Columbus, Cortez und
Pizarro bey ihren Entdeckungen in America, und was Mendanna, Quiros,
Schouten, Tasman
**) und Wallis in der Suͤd-See hieruͤber erfahren
H h 2
[244]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
haben, das ſtimmt mit unſrer Behauptung vollkommen uͤberein. Selbſt
der Angriff, den die Tahitier ehemals auf den Dolphin wagten, wider-
ſpricht derſelben nicht. Es duͤnkt mir nemlich hoͤchſtwahrſcheinlich, daß un-
ſere Leute, wenn ſie ſich deſſen gleich nicht bewußt ſeyn moͤgen, durch irgend
eine Beleidigung Gelegenheit dazu gegeben haben muͤſſen. Geſetzt aber auch,
das waͤre nicht; ſo iſt doch Selbſterhaltung das erſte Geſetz der Natur, und der
Anſchein berechtigte die Einwohner allerdings unſre Leute [fuͤr] ungebetne Gaͤſte
und fuͤr den angreifenden Theil zu halten, ja was mehr als das alles iſt, ſie hat-
ten Urſach fuͤr ihre Freiheit beſorgt zu ſeyn. Als ſie endlich die traurigen Wuͤr-
kungen der europaͤiſchen Obermacht empfunden und man ihnen zu verſtehen gege-
ben hatte, daß das Schiff nur einige Erfriſchungen einnehmen, auch nur eine
kurze Zeit hier bleiben wolle, kurz, ſo bald ſie ſelbſt einſahen, daß die Fremden
nicht ganz unmenſchlich und unbillig, und daß Britten wenigſtens nicht wilder
und barbariſcher waͤren als ſie ſelbſt, ſo waren ſie auch gleich bereit, die Fremd-
linge mit offnen Armen zu empfangen, das vorgefallne Misverſtaͤndnis zu ver-
geſſen, und ſie freygebig an den Naturguͤtern der Inſel Theil nehmen zu laſ-
ſen. Einer uͤbertraf den andern an Gaſtfreyheit und Freundſchaft, vom ge-
ringſten Unterthanen an bis zur Koͤniginn, damit ihre Gaͤſte beym Abſchied
von dem freundſchaftlichen Lande berechtigt ſeyn moͤgten zu ſagen:


Invitus, regina, tuo de littore ceſſi.
(Virgil.)

Neun-
[245]in den Jahren 1772 bis 1775.

Neuntes Hauptſtuͤck.
Aufenthalt in Matavai-Bay
.


Capitain Cook hatte ſchon bey ſeiner ehemaligen Anweſenheit auf dieſer In-1773.
Auguſt.

ſel bemerkt, daß, wenn man hier in Matavai-Bay, einen hinlaͤnglichen
Vorrath von Lebensmitteln erhalten wollte, ohne Gewalt zu gebrauchen und die
blutigen Auftritte vergangner Zeiten zu wiederholen, es alsdenn unumgaͤnglich
noͤthig ſey, ſich das Wohlwollen des Koͤnigs zu erwerben. Um in dieſer Angele-
genheit noch heute den erſten Schritt zu thun, machte er ſo gleich Anſtalt nach O-
Parre
abzugehen, woſelbſt Koͤnig O-Tu ſich aufhalten ſollte. Doch war-
tete er mit der Abreiſe dahin, bis Maratata und ſeine Frau ihrem Verſpre-
chen gemaͤs an Bord gekommen waren. Dieſe brachten ihm fuͤr die geſtern
erhaltenen Geſchenke einige Stuͤcke ihres beſten Zeuges, und bildeten ſich nicht
wenig darauf ein, daß ſie in die große Cajuͤtte kommen durften, immittelſt ihre
uͤbrigen Landsleute draußen bleiben mußten. So bald hierauf auch Capitain
Furneaux von der Adventure angelangt war, begab ſich Capitain Cook nebſt
ihm, dem Dr. Sparrmann, meinem Vater und mir in die Pinnaſſe. Mara-
tata
und ſeine Frau kamen ohne Ceremonie auch mit herein und nahmen ſogleich
die beſte Stelle auf dem Hintertheil ein. Eine Menge andrer Indianer folgten
ihrem Beyſpiel bis das Boot ſo voll war, daß ſich die Matroſen mit den
Rudern nicht ruͤhren konnten. Der groͤßte Theil dieſer ungebetnen Gaͤſte mußte
alſo wieder ausſteigen und zwar zu ihrem nicht geringen Leidweſen, indem ſich nem-
lich jedermann eine Ehre und ein Vergnuͤgen daraus zu machen ſchien, wenn er in
unſerm Boote ſitzen durfte. Hiezu mogte das gute Anſehen deſſelben nicht we-
nig beytragen, denn es war eben neu angemahlt und mit einem gruͤnen Son-
nen-Schirme oder Zeltdecke verſehen, die angenehmen Schatten machte. Wir
ruderten nunmehro queer uͤber die Bay und naͤherten uns dem Ufer bey einer
Landſpitze, auf welcher aus dickem Gebuͤſch ein ſteinernes Marai hervorragte,
dergleichen wir ſchon zu Aitepiha geſehn hatten. Capitain Cook kannte die-
ſen Begraͤbniß- und Verſammlungs-Platz unter dem Namen von Tutaha’s
Marai
; als er ihn aber alſo benannte, fiel ihm Maratata in die Rede, um
H h 3
[246]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
ihm zu ſagen, daß es Tutahah nach ſeinem Tode nicht mehr gehoͤre, ſondern
jetzt O-Tu’s Marai genannt werde. Eine herrliche Moral fuͤr Fuͤrſten und
Koͤnige, ſie an die Sterblichkeit zu erinnern und ſie zu lehren, daß ihnen nach
ihrem Tode nicht einmal der Ruheplatz ihres Coͤrpers eigen bleibe! Ma-
ratata
und ſeine Frau entbloͤßten im Vorbeyfahren ihre Schultern — eine
Ehre, welche alle Einwohner, ohne Unterſchied des Standes, dem Marai
bezeigen, und woraus ſich abnehmen laͤßt, daß ſie dieſe Plaͤtze fuͤr beſonders heilig
anſehen muͤſſen. Vielleicht halten ſie dafuͤr, daß die Gottheit an ſolchen Stellen
unmittelbar gegenwaͤrtig ſey, wie denn von jeher, ein jedes Volk etwas
aͤhnliches von ſeinen heiligen Verſammlungs-Oertern geglaubt hat.


Wir kamen auf dieſer Fahrt an einem der ſchoͤnſten Diſtricte von O-
Tahiti
vorbey. Die Ebenen ſchienen hier von betraͤchtlichem Umfange zu
ſeyn; die Berge hatten durchgehends ſanfte Anhoͤhen und verloren ſich auf der
Ebene in ziemlich weit hervorragenden, gewoͤlbten Spitzen. Das Ufer, wel-
ches mit dem ſchoͤnſten Raſen bewachſen und, bis an den Strand herab, von Pal-
men beſchattet war, ſtand voller Menſchen, welche, ſo bald wir aus dem Boot
ſtiegen, ein lautes Freuden-Geſchrey erhoben. Man fuͤhrte uns ohnverzuͤglich
nach einigen Haͤuſern, die unter Brodfrucht-Baͤumen verſteckt lagen und vor
einem der groͤßten Haͤuſer trafen wir einen Platz von zwanzig bis dreyßig
Schritte im Gevierte an, der mit einem ohngefaͤhr 18 Zoll hohen Gitterwerk
von Rohr umzaͤunt war. Mitten auf dieſem Platze ſaß der Koͤnig, mit kreuz-
weis uͤbereinander geſchlagnen Beinen, auf der Erde. Um ihn her ſtand ein
großer Kreis von Leuten beyderley Geſchlechts, die ihrer Statur, Farbe und
Betragen nach, zu den Vornehmſten des Landes gehoͤren mußten. Sobald die
Matroſen unſre Geſchenke, als welche Capitain Cook’s Creditiv ausmachten,
vor dem Koͤnige auf die Erde niedergelegt hatten, traten wir alle naͤher, und wur-
den gebeten, uns um Se. Majeſtaͤt herum zu ſetzen. Ohnerachtet das Volk im
Aeußern viel Achtung fuͤr ſeinen Beherrſcher zu haben ſcheint, wie ſich zum Theil
ſchon daraus abnehmen laͤßt, daß in ſeiner Gegenwart jedermann, ohne Aus-
nahme, die Schultern entbloͤßen muß; ſo reichte ſolche doch nicht ſo weit, daß
man ſich nicht von allen Seiten her mit der ungeſtuͤmſten Neugierde auf uns
zugedraͤngt haben ſollte, und da die Menge der Menſchen, mithin auch das
[247]in den Jahren 1772 bis 1775.
Gedraͤnge hier ungleich groͤßer waren als waͤhrend unſrer Audienz bey Ahea-1773.
Auguſt.

tua
; ſo mußten ſichs die auf den Ecken des umzaͤunten Platzes geſtellten koͤnigli-
chen Bedienten rechtſchaffen ſauer werden laſſen, um die Leute nur einigerma-
ßen in Schranken zu halten. Einer insbeſondre, der auf dem Wege vor uns
Platz machen ſollte, hieb ganz unbarmherzig drauf los und ſchlug mehr denn
einen Stock auf den Koͤpfen entzwey, welches ohnfehlbar Loͤcher und Blut geſetzt
haben muß


Menava quella mazza fra la gente
Ch’ un imbriaco Svizzero paria
Di quei, che con villan modo inſolente,
Sogliono innanzi ’l Papa il dì di feſta
Rompere a chi le braccia, a chi la teſta.

Tasso.
()

Dem ohnerachtet draͤngten ſie ſich eben ſo hartnaͤckig wieder herbey als der
aͤrgſte engliſche Poͤbel nur thun kann, jedoch mit dem Unterſchiede, daß ſie
die Inſolenz der koͤniglichen Bedienten ein gut Theil geduldiger zu ertragen
ſchienen. Der Koͤnig von O-Tahiti hatte, waͤhrend Capitain Cook’s erſter
Anweſenheit allhier, unſre Leute nie zu ſehen bekommen, vermuthlich aus po-
litiſchen Abſichten ſeines Oncles Tutahah, der damals die ganze Regierung in
Haͤnden hatte, und vielleicht beſorgen mogte, an ſeinem Anſehn bey den Euro-
paͤern zu verlieren, wenn ſie erfahren haͤtten, daß er nicht der erſte und groͤßte
Mann auf der Inſel ſey. Es iſt nicht wohl auszumachen, ob Tutahah’s
Anſehn und Gewalt uſurpirt war oder nicht; wiewohl das wieder ihn zu ſeyn
ſcheint, daß O-Tu (der jetzige Koͤnig) ſchon vier bis fuͤnf und zwanzig Jahr alt,
und gleichwohl erſt kuͤrzlich zur Regierung gelangt war. Nicht nur als Regent,
ſondern auch der Statur nach war er, wenigſtens ſo viel wir ſahen, der groͤßte
Mann auf der Inſel, denn er mas voͤllige 6 Fus 3 Zoll. Er hatte ſtarke und
wohlproportionirte Gliedmaßen, war uͤberhaupt wohl gemacht, und hatte
auch vor der Hand noch keinen Anſatz zu uͤbermaͤßiger Corpulenz. Ohnerachtet ſich
etwas finſteres, und vielleicht ſchuͤchternes in ſeinem Anſehen fand, ſo leuchteten
doch uͤbrigens Majeſtaͤt und Verſtand daraus hervor, auch fehlte es ſeinen
[248]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
lebhaften ſchwarzen Augen gar nicht an Ausdruck. Er hatte einen ſtarken Kne-
bel-Bart, der gleich dem Unterbart und dem ſtarken lockigten Haupt-Haar pech-
ſchwarz war. Sein Portrait iſt, nach einer Zeichnung von Herrn Hodges, zu
Capitain Cooks Nachricht von dieſer Reiſe in Kupfer geſtochen. Durch eine
aͤhnliche Leibesgeſtalt und gleichen Haarwuchs, der, wie eine uͤberall gleich-dick-
gekraͤuſelte Paruͤcke, gerade aufwaͤrts um den Kopf ſtand, zeichneten ſich auch ſeine
Bruͤder und Schweſtern aus. Von den erſteren mogte der aͤltere ohngefaͤhr ſech-
zehen und der juͤngſte etwa zehen Jahr alt ſeyn. Seine aͤlteſte Schweſter aber,
welche diesmal nur allein gegenwaͤrtig war, ſchien fuͤnf bis ſechs und zwanzig
Jahr zu ſeyn. Da die Frauensperſonen hier zu Lande das Haar gemei-
niglich kurz abgeſchnitten tragen; ſo war der Haarputz dieſer Dame als
etwas Außerordentliches anzuſehen und mogte vielleicht ein beſonderes
Vorrecht der koͤniglichen Familie ſeyn. Ihr hoher Rang befreyte ſie jedoch
nicht von der allgemeinen Etiquette, die Schultern in Gegenwart des Koͤnigs zu
entbloͤßen, ein Brauch, der dem Frauenzimmer auf unzaͤhlige Art Gelegenheit
gab, ihre zierliche Bildung ungemein vortheilhaft ſichtbar zu machen. Ihr gan-
zes Gewand beſtehet aus einem langen Stuͤck von weißem Zeuge, ſo duͤnn als
Mußlin, das auf hundert verſchiedne ungekuͤnſtelte Weiſe um den Coͤrper geſchla-
gen wird, je nachdem es der Bequemlichkeit, dem Talente und dem guten Ge-
ſchmack einer jeden Schoͤne am zutraͤglichſten ſcheint. Sie wiſſen nichts von
allgemeinen Moden, die mehrentheils nur einigen wenigen Perſonen gut ſte-
hen und die uͤbrigen mehr verſtellen als putzen; ſondern angebohrne Freyheit
gilt hier auch beym Anzuge und natuͤrliche Grazie verſchoͤnert die edle Einfalt
ihrer Tracht und Bildung. — Die einzige Perſon, welche die Schultern nicht zu
entbloͤßen brauchte, war des Koͤnigs Hoa*) ein Hofbedienter, der ſich am be-
ſten mit einem Cammerherrn vergleichen laͤßt und deren der Koͤnig zwoͤlfe
haben ſoll, welche nach der Reihe die Aufwartung haben. Zu dieſen gehoͤrten
die Leute, welche vorher ſo ſchweizermaͤßig aufs Volk gepruͤgelt und Platz gemacht
hatten.
[249]in den Jahren 1772 bis 1775.
hatten. Wir ſaßen zwiſchen den Oncles, Tanten, Vettern und andern Ver-1773.
Auguſt.

wandten des Koͤnigs. Alle dieſe Standesperſonen wetteiferten mit einander uns
freundlich und zaͤrtlich anzublicken, Freundſchafts-Verſicherungen zu geben und
— um Corallen und Naͤgel zu bitten. Die Art und Weiſe aber, womit ſie dieſe
Kleinigkeiten zu erhalten ſuchten, war ſehr verſchieden, und fiel deshalb auch
nicht immer gleich gluͤcklich fuͤr ſie aus. Wenn wir zum Beyſpiel unter eine
oder die andere Art von Leuten Corallen austheilten, ſo draͤngten ſich bisweilen
junge unverſchaͤmte Burſche herbey und hielten die Haͤnde auch her, als haͤtten
ſie ebenfalls Anſpruch oder Recht auf unſre Freygebigkeit. Unter ſolchen Umſtaͤn-
den bekamen ſie aber allemal eine abſchlaͤgige Antwort. Schon ſchwerer war
es, alten ehrwuͤrdigen Maͤnnern eine Gabe zu verſagen, wenn ſie mit bebender
Hand die unſrigen ergriffen, ſie herzlich druͤckten und in vollkommnen Vertrauen
auf unſre Guͤte uns ihr Anliegen ins Ohr fluͤſterten. Die aͤlteren Damen hal-
fen ſich mit etwas Kunſt und Schmeicheley. Sie frugen gemeiniglich wie wir
hießen, nahmen uns an Kindesſtatt an, und machten uns mit ihren Verwandten
bekannt, die auf dieſe Weiſe auch die unſrigen wurden. Nach andern kleinen
Schmeicheleyen kam denn im bittenden Ton, mit liebaͤugelnden Minen, ein:
Aima poe ihti no te tayo mettua? heraus, welches ſo viel iſt, als: „Iſt denn
kein Coralchen fuͤr das liebe Muͤtterchen da? Das hieß nun unſre kindliche Geſin-
nungen auf die Probe ſetzen, und wenn das geſchahe, ſo hatten die guten Alten faſt
allemal gewonnen. Eine ſolche Einkleidung ihres Anliegens mußte uns nemlich
von dem National-Character dieſes Volks ungemein vortheilhafte Begriffe ma-
chen, denn gute Geſinnungen von andern zu erwarten, wenn man ſie ſelbſt nicht
hat, iſt eine Verfeinerung der Sitten, die blos ganz civiliſirten Voͤlkern eigen
iſt. Unſre juͤngere Verwandtinnen, die in der Bluͤthe der Jugend ſtanden,
hatten wieder andre Kunſtgriffe zu Gebote. Außerdem daß ſie gemeiniglich auf
eine oder die andre Art huͤbſch waren, gieng auch ihr ganzes Tichten und Trachten
dahin, uns zu gefallen, und da ſie ſich noch uͤberdies auf die zaͤrtlichſte Art von der
Welt unſre Schweſtern nannten; ſo durften ſie, aus mehr denn einer Urſach, in
ihren Anliegen nicht leicht eine abſchlaͤgige Antwort beſorgen, denn wer haͤtte ſo
huͤbſchen jungen und gefaͤlligen Maͤdchen widerſtehen koͤnnen? Mittlerweile,
daß wir den Damen und Herren vom Hofe allerhand Geſchenke austheilten,
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. J i
[250]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
hatten die erſteren ihre Bedienten (Tutuhs) abgeſchickt, und große Stuͤcke ihres
beſten Zeuges, Scharlach, Roſenroth oder Blasgelb gefaͤrbt und mit dem feinſten
wohlriechenden Oel parfumirt, holen laſſen, um uns Gegenpraͤſente damit zu
machen. Sie legten uns ſolche uͤber unſre Kleidungen an und beladeten uns
ſo ſehr damit, daß wir uns kaum zu ruͤhren im Stande waren. Mancherley
Fragen Tabane, (Herrn Banks,) Tolano, (Dr. Solander,) und andre
Bekannte betreffend, folgten dem wichtigern Geſchaͤft Geſchenke zu empfangen;
aber nach Tupaya (Tupeia) oder Parua, wie er gemeiniglich genannt ward,
fragten nur einige einzelne Perſonen, die auch die Nachricht von ſeinem Tode
mit ziemlicher Gleichguͤltigkeit anhoͤrten, ohnerachtet die weitlaͤuftige Kenntniß
dieſes Mannes, ihn unſrem Beduͤnken nach, ſeinen Landsleuten werth und
angenehm haͤtte machen ſollen. Waͤhrend dieſer Unterredung ſpielte unſer Berg-
ſchotte einige Stuͤcke auf dem Dudelſack, zum unendlichen Vergnuͤgen der Zuhoͤ-
rer, die uͤber ſeine Muſic voll Verwundrung und Entzuͤcken waren. Koͤnig
O-Tu insbeſondre war mit ſeiner Kunſt, die warlich nicht viel bedeutete,
ſo ausnehmend zufrieden, daß er ihm ein großes Stuͤck des groͤbern Zeuges zur
Belohnung reichen ließ.


Da dies nur eine Ceremonien-Viſite war, ſo wollten wir uns nicht lange
aufhalten, und waren eben im Begriff Abſchied zu nehmen, als wir durch die
Ankunft von E-Happaï*), den Vater des Koͤnigs, noch eine Weile aufgehal-
ten wurden. Er war ein langer, magrer Mann mit grauem Barte und grauem
Kopfe, ſchien aber, ſeines hohen Alters ohnerachtet, noch nicht abgelebt zu ſeyn.
Was ihm die Capitains ſchenkten, nahm er mit jener kalten Gleichguͤltigkeit
an, die alten Leuten wohl eigen zu ſeyn pflegt. Wir waren zwar ſchon durch die
vorigen Reiſebeſchreibungen von der ſonderbaren Verfaſſung unterrichtet, ver-
moͤge welcher der Sohn noch bey Lebzeiten des Vaters die Regierung annimmt: **)
doch wunderte es uns, daß der alte Happai ſich uͤberdies noch der Landesgewohn-
heit unterwerfen, und in Gegenwart ſeines Sohns die Schultern ſo gut als je-
der andre entbloͤßen mußte. Der Begriff von Blutsverwandtſchaft iſt alſo hier
[251]in den Jahren 1772 bis 1775.
ganz aus den Augen geſetzt, um der koͤniglichen Wuͤrde deſto mehr Anſehen zu1773.
Auguſt.

verſchaffen, und eine ſolche Verlaͤugnung der natuͤrlichen Verhaͤltniſſe, zeigt
meines Erachtens einen hoͤhern Grad von Cultur und Einſicht an, als andre Rei-
ſende den Einwohnern von Tahiti zugeſtanden haben. Ohnerachtet aber Hap-
pai
die oberſte Herrſchaft nicht mehr in Haͤnden hatte, ſo lies ihm dennoch das ge-
meine Volk, ſeiner Geburt und ſeines Standes wegen, große Ehre wiederfahren, und
auch der Koͤnig hatte ihn mit einem anſtaͤndigen Unterhalte verſorgt. Der Di-
ſtrict oder die Provinz O-Parre ſtand nemlich unmittelbar unter ſeinen Be-
fehlen, und aus dieſer zog er fuͤr ſich und ſeine Bedienten was er noͤthig hatte.
Wir hielten uns dieſes alten Herrn wegen nur um ein weniges laͤnger auf als
wir zuvor willens geweſen waren, beurlaubten uns ſodann vom Vater und
Sohne und kehrten wieder nach der Pinnaſſe zuruͤck, welche Maratata die ganze
Zeit uͤber nicht verlaſſen hatte, vermuthlich, um ſich dadurch bey ſeinen Landsleu-
ten das Anſehen zu geben, als ob er in beſondern Credit bey uns ſtaͤnde. Waͤh-
rend unſrer Abweſenheit waren auf (der Landſpitze) Point Venus fuͤr die Holz-
hauer, die Waſſertraͤger und die Kranken der Adventure etliche Zelte aufge-
ſchlagen worden. Auch hatten die Aſtronomen beyder Schiffe ihre Sternwar-
ten ohngefaͤhr auf eben dem Platz errichtet, wo auf der vorigen Reiſe von
Herrn Green und Capitain Cook der Durchgang der Venus beobachtet wor-
den war. Bey unſerer Ruͤckkunft an Bord fanden wir das Schiff voller India-
ner und unter denſelben auch verſchiedne Perſonen von hoͤherem Range. Dieſe
hatten ihres Standes wegen im ganzen Schiff uͤberall freyen Zutritt, aber eben
deshalb war man auch, vor ihrer Betteley um Glas-Corallen und andre Klei-
nigkeiten, in keinem Winkel ſicher. Um dieſer unertraͤglichen Unverſchaͤmtheit
zu entgehen, verfuͤgten ſich die Capitains bald wieder nach den Zelten zuruͤck,
und wir begleiteten ſie dahin, um zu ſehen, was fuͤr natuͤrliche Merkwuͤrdig-
keiten das Land hervorbringe. In gleicher Abſicht machten wir auch nach Tiſche
einen neuen Spatziergang; da wir aber beydemal nicht weit hatten kommen
koͤnnen, ſo beſtanden unſre Entdeckungen nur aus wenigen Pflanzen und Voͤ-
geln, dergleichen wir zu Aitepiha noch nicht geſehen hatten.


Am folgenden Morgen, ſehr fruͤhe, kam eine Menge Canots von Parre
ans Schiff und in einem der kleinſten befand ſich der Koͤnig, der ſeine Gegenge-
J i 2
[252]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
ſchenke dem Capitain Cook in eigner Perſon uͤberbringen wollte. Es waren
allerhand Lebensmittel, nemlich ein lebendiges Schwein, etliche große Fiſche, als
eine Stuhr-Makrele (Cavalha, Scomber hippos,) imgleichen eine weiße Ma-
krele, (Albecore) ohngefaͤhr 4 Fus lang und voͤllig zugerichtet, und endlich eine
Menge von Koͤrben mit Brodfrucht und Piſangen; dies alles ward eins nach dem
andern aufs Schiff gereicht. Capitain Cook ſtand auf dem Bord des Schiffs
und bat Se. Majeſtaͤt herauf zu kommen; Dieſelben blieben aber unverruͤckt
ſitzen, bis ſich der Capitain, der Tahitiſchen Etiquette gemaͤß, in eine unglaub-
liche Menge des beſten hieſigen Zeuges hatte einkleiden laſſen, und auf die Art
zu einer ungeheuer dicken Figur geworden war. Sobald dieſer Punkt des Ceremo-
niels beobachtet war, wagte ſich O-Tu aufs Verdeck des Hintertheils und umarmte
den Capitain, ſchien aber noch ſehr beſorgt zu ſeyn, ohnerachtet man ihn durch
das freundſchaftlichſte Betragen zu uͤberzeugen ſuchte, daß er keine Urſach dazu
habe. Weil das Verdeck von des Koͤnigs Verwandten und Angehoͤrigen,
uͤberall gedraͤngt voll war, ſo hat man ihn in die Cajuͤtte zu kommen; allein auf
einer Treppe, zwiſchen den Verdecken darnach hinab zu ſteigen? das duͤnkte
ihm, ohne naͤhere Unterſuchung, ein wenig zu gefaͤhrlich. Er ſchickte alſo ſei-
nen Bruder, einen huͤbſchen Juͤngling von ſechzehen Jahren der voͤlliges Ver-
trauen in uns ſetzte, vorauf. Dieſem gefiel die Cajuͤtte, und er ſtattete einen
ſo vortheilhaften Bericht davon ab, daß der Koͤnig ſich nun gleich hinunter wagte.
Hier uͤberreichte man ihm von neuem allerhand koſtbare Geſchenke. Das hohe
Gefolge Sr. Majeſtaͤt, draͤngte ſich jetzt dermaßen nach der Cajuͤtte, daß wir uns
kaum darinn ruͤhren konnten. Capitain Cook war hiebey am uͤbelſten dran, denn
dem wards unter der Laſt ſeines Tahitiſchen Ceremonien-Kleides, ohnehin
ſchon zu warm. Ein jeder von dieſen Indianern, waͤhlte ſich, wie ſchon er-
waͤhnt, einen beſondern Freund unter uns, und gegenſeitige Geſchenke beſtaͤ-
tigten gemeiniglich die neugeſchloßne Freundſchaft. Unter dieſer Zeit war auch
Capitain Furneaux an Bord gekommen, und wir ſetzten uns nunmehro zum
Fruͤhſtuͤck hin. Unſre Gaͤſte waren bey dieſem fuͤr ſie neuen Auftritt ſehr ruhig
und hatten ſich bereden laſſen, auf Stuͤhlen Platz zu nehmen, die ihnen etwas
ganz fremdes und ungemein bequem zu ſeyn ſchienen. Der Koͤnig war auf un-
ſer Fruͤhſtuͤck, welches fuͤr diesmal halb aus engliſchen und halb aus Tahiti-
[253]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſchen Gerichten beſtand vorzuͤglich aufmerkſam, und ſtaunte uns nicht wenig an,1773.
Auguſt.

daß wir heiß Waſſer (Thee) tranken und Brodfrucht mit Oel (Butter) aßen.
Er ſelbſt war nicht zum Miteſſen zu bewegen; einige von ſeinem Gefolge hin-
gegen, waren nicht ſo uͤbermaͤßig vorſichtig, ſondern aßen und tranken nach
Herzensluſt was ihnen vorgeſetzt ward. Nach dem Fruͤhſtuͤck fiel O-Tu meines
Vaters Pudel in die Augen, der ſonſt gut genug, damals aber ziemlich ſchmu-
tzig ausſahe, indem er mit Theer und Pech, recht Matroſen-maͤßig beſudelt
war. Dem ohnerachtet wuͤnſchten Se. Majeſtaͤt ihn zu beſitzen und thaten auch
keine Fehlbitte. Hocherfreut daruͤber, beorderten ſie ſogleich einen ihrer Cammer-
herren oder Hoas, den Hund in Verwahrung zu nehmen, und ließen ſich ſolchen
auch nachher von demſelben uͤberall nachtragen. Es waͤhrte nicht lange, ſo aͤuſ-
ſerte er gegen Capitain Cook, daß er wieder am Lande zu ſeyn wuͤnſche, und
ſtieg zu dem Ende mit ſeinem ganzen Gefolge und allen erhaltnen Geſchenken
aufs Verdeck. Capitain Furneaux ſchenkte ihm hier noch einen Bock und eine
Ziege, welche er in dieſer Abſicht von ſeinem Schiffe mitgebracht hatte. Es koſtete
uns wenig Muͤhe, dem Koͤnige die Nutzbarkeit dieſer Thiere und wie ſie gehal-
ten werden muͤßten, begreiflich zu machen; denn er verſprach ſogleich, ſie nicht
zu ſchlachten, nicht zu trennen und die Jungen in Acht zu nehmen. Die
Pinnaſſe war nun fertig, und der Koͤnig nebſt den Capitains und anderen Her-
ren giengen in ſelbiger nach O-Parre ab, woſelbſt S. Majeſtaͤt damals reſi-
dirten. Auf der Ueberfahrt war O-Tu ungemein vergnuͤgt, that mancherley
Fragen und ſchien ſeine vorige mißtrauiſche Furcht ganz abgelegt zu haben. Die
Ziegen hatten ſich ſeiner Aufmerkſamkeit dermaßen bemaͤchtigt, daß er faſt von
nichts anderm redete, und es ſchien als koͤnnte ers nicht oft genug hoͤren, wie
ſie gefuͤttert und gehalten werden muͤßten. Sobald wir aus Land kamen, ward
ihm ein ſchoͤner Grasplatz, der von Brodfrucht-Baͤumen beſchattet war, mit
dem Bedeuten angezeigt, daß er die Ziegen ſtets an ſolchen Stellen weiden laſſen
moͤgte. Das ganze Ufer war von Indianern bedeckt, die ihren Koͤnig beym
Ausſteigen aus dem Boote mit lautem Freudengeſchrey empfiengen. Unter dem
Haufen befand ſich auch Tutaha’s Mutter, eine ehrwuͤrdige graue Matrone,
die, ſobald ſie den Capitain Cook gewahr ward, ihm entgegen lief und
als den Freund ihres Sohns umarmte. Sie erinnerte ſich bey dieſer Gele-
J i 3
[254]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
genheit ihres Verluſtes ſo lebhaft, daß ſie zu unſrer nicht geringen Ruͤhrung,
uͤberlaut zu weinen anfieng. Eine ſo zaͤrtliche Empfindlichkeit zeugt offenbar
von der urſpruͤnglichen Guͤte des menſchlichen Herzens, und nimmt uns immer
zum Vortheil dererjenigen ein, an welchen wir ſie gewahr werden.


Wir eilten von hier nach unſern Zelten auf Point-Venus, wo die Einge-
bohrnen einen ordentlichen Markt errichtet hatten, auf welchem alle Arten von
Fruͤchten, und zwar ſehr wohlfeil zu haben waren, indem ein Korb voll Brod-
frucht oder Coco-Nuͤſſe nicht mehr als eine einzige Coralle galt. Mein Vater
traf hier ſeinen Freund O-Wahau an, der ihm abermals einen großen Vor-
rath Fruͤchte, einige Fiſche, etwas feines Zeug, imgleichen ein Paar Angelha-
ken von Perlmutter ſchenkte. Wir wollten ſeine Freygebigkeit erwiedern, allein
der edelmuͤthige Mann ſchlug es rund ab, das geringſte dafuͤr anzunehmen, und
ſagte: er haͤtte meinem Vater jene Kleinigkeiten als Freund geſchenkt, ohne
Abſicht dabey zu gewinnen. Solchergeſtalt ſchien es als wollte ſich heute alles
vereinigen, um uns von dieſem liebenswuͤrdigen Volke vortheilhafte Begriffe zu
geben.


Gegen Mittagszeit kehrten wir an Bord zuruͤck und beſchaͤftigten uns nach
Tiſche, die bisher geſammelten Naturalien zu zeichnen und zu beſchreiben. Die
Verdecke waren immittelſt beſtaͤndig mit Indianern beyderley Geſchlechts ange-
fuͤllt, welche alle Winkel durchſtoͤrten, und maußten, ſo oft ſie Gelegenheit fan-
den. Abends erlebten wir einen Auftritt, der uns neu und ſonderbar, denen
aber etwas Bekanntes war, die ſchon zuvor auf Tahiti geweſen waren. Unſre
Matroſen hatten nemlich eine Menge Weibsleute vom niedrigſten Stande aufs
Schiff eingeladen, die nicht nur ſehr bereitwillig gekommen waren, ſondern auch,
obwohl alle ihre Landsleute zuruͤckkehrten, nach Untergang der Sonne noch an Bord
blieben. Wir wußten zwar ſchon von unſerm vorigen Ankerplatze her, wie feil
die Tahitiſchen Maͤdchen ſind; doch hatten ſie dort ihre Ausſchweifungen nur
bey Tage getrieben, des Nachts hingegen ſich nie gewagt auf dem Schiffe zu blei-
ben. Hier aber, zu Matavaï, hatte man den engliſchen Seemann ſchon
beſſer ausſtudirt, und die Maͤdchen wußten ohne Zweifel, daß man ſich
demſelben ſicher anvertrauen koͤnne, ja daß dies die herrlichſte Gelegenheit
von der Welt ſey, ihm an Corallen, Naͤgeln, Beilen oder Hemden alles
[255]in den Jahren 1772 bis 1775.
rein abzulocken. Es gieng alſo heute Abend zwiſchen den Verdecken1773.
Auguſt.

vollkommen ſo ausſchweifend luſtig zu, als ob wir nicht zu Tahiti,
ſondern zu Spithead vor Anker gelegen haͤtten. Ehe es ganz dunkel ward,
verſammelten ſich die Maͤdchen auf dem Verdeck des Vordertheils. Eine von
ihnen blies die Naſen-Floͤte; die uͤbrigen tanzten allerhand Taͤnze, worunter
verſchiedne waren, die mit unſern Begriffen von Zucht und Ehrbarkeit eben
nicht ſonderlich uͤbereinſtimmten. Wenn man aber bedenkt, daß ein großer
Theil deſſen, was nach unſern Gebraͤuchen tadelnswerth zu nennen waͤre, hier,
wegen der Einfalt der Erziehung und Tracht, wuͤrklich fuͤr unſchuldig gelten
kann; ſo ſind die Tahitiſchen Buhlerinnen im Grunde minder frech und ausſchwei-
fend als die geſittetern Huren in Europa. Sobald es dunkel ward, verloren
ſie ſich zwiſchen den Verdecken und konnten ihnen ihre Liebhaber friſch Schwei-
nefleiſch vorſetzen, ſo aßen ſie davon ohne Maas und Ziel, ob ſie gleich zuvor, in
Gegenwart ihrer Landsleute, nichts hatten anruͤhren wollen, weil, einer hier ein-
gefuͤhrten Gewohnheit zufolge, von welcher ſich kein Grund angeben laͤßt, Manns-
und Frauensperſonen nicht mit einander ſpeiſen duͤrfen. Es war erſtaunend,
was fuͤr eine Menge von Fleiſch dieſe Maͤdchen verſchlingen konnten, und ihre
Gierigkeit duͤnkte uns ein deutlicher Beweis, daß ihnen dergleichen, zu Hauſe,
ſelten oder niemals vorkommen mogte. Die zaͤrtliche Wehmuth von Tutahahs
Mutter, die edle Gutherzigkeit unſers Freundes O-Wahau, und die vortheil-
haften Begriffe von den Tahitiern uͤberhaupt, waren in ſo friſchen Andenken
bey uns, daß der Anblick und die Auffuͤhrung ſolcher Creaturen uns deſto auf-
fallender ſeyn mußte, die alle Pflichten des geſellſchaftlichen Lebens hintan ſetz-
ten und ſich lediglich viehiſchen Trieben uͤberließen. Die menſchliche Natur
muß freylich ſehr unvollkommen ſeyn, daß eine ſonſt ſo gute, einfaͤltige und gluͤck-
liche Nation zu ſolcher Verwilderung und Sittenloſigkeit hat herabſinken
koͤnnen; und es iſt allerdings herzlich zu bejammern, daß die reichlichſten und
beſten Geſchenke eines guͤtigen Schoͤpfers am leichteſten gemißbraucht werden
und daß Irren ſo menſchlich iſt!


Am folgenden Morgen kam O-Tu, nebſt ſeiner Schweſter Tedua-
Tauraï
und verſchiednen ſeiner Verwandten fruͤh ans Schiff, und ließ uns ein
Schwein und eine große Albecore an Bord reichen, ſie ſelbſt aber wollten nicht
[256]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
aus Schiff kommen. Er hatte eben dergleichen Geſchenke fuͤr Capitain Fur-
neaux
mitgebracht, getraute ſich aber nicht nach der Adventure hin, bis mein
Vater ſich erbot, ihn zu begleiten. Auch da mußte die Ceremonie, den Capi-
tain in Tahitiſches Zeug einzuwickeln, wiederum vorgenommen werden, ehe
ſich Se. Majeſtaͤt an Bord wagen wollten. Sobald dies aber geſchehen war,
duͤnkte er ſich vollkommen ſicher, und kam aufs Verdeck, wo Capitain Fur-
neaux
ſeine Geſchenke erwiederte. Unterdeſſen daß O-Tu hier verweilte, hat-
te ſich ſeine Schweſter Tedua-Tauraï bewegen laſſen, auf des Capitain Cooks
Schiff zu ſteigen, und man bemerkte bey dieſer Gelegenheit, daß alle anweſende
Frauensperſonen ihr durch Entbloͤßung der Schultern dieſelbe Ehre bezeigten,
welche die ganze Nation dem Koͤnige ſchuldig iſt. Der muntere Juͤngling
Watau, der ſeinen Bruder den Koͤnig begleitete, genoß dieſe Ehre ebenfalls
und ward T’Erih Watau genannt; es ſcheint folglich, daß der Titel Erih,
ob er gleich allen Befehlshabern der Diſtricte und dem Adel uͤberhaupt beyge-
legt wird, doch eigentlich und in vorzuͤglichem Maaße den Perſonen von der koͤ-
niglichen Familie zukomme. Nach einem kurzen Aufenthalt langte O-Tu von
der Adventure wieder auf der Reſolution an, holte ſeine Schweſter ab, und ward,
in Geſellſchaft derſelben, von beyden Capitains nach O-Parre begleitet.


Am 29. ließen wir, gleich bey Anbruch des Tages, unſre Zelte an Land
ſchaffen und giengen aus um die natuͤrliche Beſchaffenheit der Inſel naͤher zu un-
terſuchen. Es war die Nacht uͤber ein ſtarker Thau gefallen, der alle Pflanzen
erfriſcht hatte, und dieſes, nebſt der angenehmen Kuͤhle des Morgens, machte
unſern Spaziergang ſehr angenehm. Bey den Zelten fanden wir nur wenig In-
dianer, doch begleiteten uns einige derſelben nach dem Fluſſe, den wir zu paßi-
ren hatten, weil es bey dieſer Gelegenheit gemeiniglich etwas zu verdienen
gab; ſie pflegten uns nemlich fuͤr eine einzige Glascoralle auf den Schul-
tern hinuͤber zu tragen, ohne daß wir einen Fus naß machen durften. Die
mehreſten Einwohner waren eben erſt aufgeſtanden, und badeten zum Theil noch
im Matavai-Fluß, welches ſie des Morgens allemal ihr erſtes Geſchaͤft ſeyn
laſſen. In dieſem warmen Lande muß es auch ſehr noͤthig und zutraͤglich ſeyn,
ſich oͤfters zu baden, beſonders des Morgens, da das Waſſer kuͤhl und friſch,
mithin im Stande iſt die Nerven zu ſtaͤrken, die ſonſt bey der beſtaͤndigen Hitze
erſchlaf-
[257]in den Jahren 1772 bis 1775.
erſchlaffen wuͤrden. Außerdem iſt die koͤrperliche Reinlichkeit, welche daraus1773.
Auguſt.

entſteht, nicht nur eins der beſten Verwahrungsmittel gegen faulende Krankhei-
ten; ſondern ſie befoͤrdert zugleich die Geſelligkeit unter dem Volk: Dahingegen
andre unciviliſirte Nationen, die nicht viel aufs Baden halten, meiſtens ſo un-
reinlich zu ſeyn pflegen, daß, ſchon deshalb ihrer nicht viel beyſammen woh-
nen und, des Geſtanks wegen, auch kein Fremder bey ihnen lange ausdauern
kann. — Wir giengen nunmehro nach einer kleinen Huͤtte, in welcher eine arme
Witwe mit ihrer zahlreichen Familie lebte. Ihr aͤlteſter Sohn Nuna, ein
lebhafter, caſtanienbrauner Knabe von zwoͤlf Jahren und ungemein gluͤcklicher,
einnehmender Bildung, hatte jederzeit beſondre Neigung zu den Europaͤern bli-
cken laſſen. Dabey beſaß er viel Faͤhigkeiten, denn wir durften zum Beyſpiel nur ein
halbes Wort ſagen, ſo begrif er was wir damit meynten, beſſer als ſeine Lands-
leute, bey welchen wir es oft mit unſrer ganzen Staͤrke in der Pantomime und
mit Huͤlfe aller Woͤrterbuͤcher nicht ſo weit bringen konnten. Mit dieſem Bur-
ſchen waren wir geſtern Abend eins geworden, daß er fuͤr heute unſer Wegweiſer
ſeyn ſollte. Als wir ankamen, fanden wir ſeine Mutter, welche Cocosnuͤſſe und andre
Lebensmittel fuͤr uns angeſchaft hatte, auf den Steinen vor der Huͤtte ſitzend, mit ih-
ren Kindern um ſich her; davon das juͤngſte uns etwa vier Jahr alt duͤnkte. Sie
ſchien zwar noch munter genug zu ſeyn, hatte aber doch ſchon ſo viel Runzeln
im Geſicht, daß wir ſie, in einem Lande wo die Maͤdchen ſo fruͤh mannbar wer-
den als hier, nicht fuͤglich mehr fuͤr die Mutter ſo kleiner Kinder halten konn-
ten. Mittlerweile kam eine juͤngere wohlgeſtaltete Perſon von drey bis vier und
zwanzig Jahren herbey, welche wie wir erfuhren, Nuna’s aͤlteſte Schweſter war.
Nach dem Alter dieſes Maͤdchens zu urtheilen, mogte alſo die Mutter nahe an
vierzig Jahr ſeyn, daß ſie aber ungleich aͤlter ausſahe, iſt in ſo fern nicht zu ver-
wundern, weil bekanntermaßen das andre Geſchlecht in heißen Laͤndern durchge-
hends fruͤher aufhoͤrt huͤbſch zu ſeyn als in kalten Gegenden. Hingegen iſt das zu
verwundern, daß die hieſigen Weiber, ihrer fruͤhen Mannbarkeit ohnerachtet,
gleichwohl zwanzig und mehr Jahre hinter einander fruchtbar bleiben! Dieſen
Vorzug haben ſie indeſſen, allem Anſchein nach, der gluͤcklichen Einfalt zu ver-
danken, in welcher ſie ihr Leben mit Sorgen und Mangel unbekannt zubringen,
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. K k
[258]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
und eben dies iſt ohne Zweifel auch die naͤchſte Urſache der hieſigen ſtarken Be-
voͤlkerung.


Wir wurden mit einem ſtarken Kerl eins, daß er uns die Lebensmittel,
welche die gaſtfreye alte Frau fuͤr uns angeſchaft hatte, unterwegens nachtra-
gen ſollte. Zu dem Ende hieng er ſie, zu gleichen Theilen, an die Enden ei-
ner 4 Fus langen Stange und dieſe legte er auf die Schulter. Nuna und ſein
kleiner Bruder Toparri, der ohngefaͤhr vier Jahr alt war, begleiteten uns
luſtig und guter Dinge, nachdem wir die ganze Familie beym Abſchiede mit Co-
rallen, Naͤgeln, Spiegeln und Meſſern beſchenkt hatten.


Eines Berges wegen, den wir erſteigen mußten, war der Anfang un-
ſers Marſches etwas beſchwerlich, und dennoch blieb unſre Muͤhe hier unbe-
lohnt, denn auf dem ganzen Berge fanden wir, außer ein Paar kleinen zwer-
gichten Buͤſchen und etwas trocknem Farnkraut, auch nicht eine einzige Pflanze.
Dagegen ſahen wir, zu unſrer nicht geringen Verwunderung, von dieſer trock-
nen, unfruchtbaren Hoͤhe, eine Flucht wilder Endten vor uns aufſteigen. Was
dieſe aus ihrem gewoͤhnlichen Lager im Rohre und von den moraſtigen Fluß-Ufern
hieher gebracht haben konnte? laͤßt ſich ſo leicht nicht begreifen. Kurz nachher ka-
men wir uͤber einen andern Berg, auf welchem das Farnkraut und uͤbrige
Buſchwerk erſt ohnlaͤngſt mußte abgebrannt worden ſeyn, denn unſre Kleider
wurden im Anſtreifen noch uͤber und uͤber ſchwarz davon. Im Herabſteigen ge-
langten wir endlich in ein fruchtbares Thal, durch welches ein huͤbſcher Bach
gegen die See hinaus lief. Die Einwohner hatten ihn hin und wieder mit
Steinen aufgedaͤmmt, um dadurch das Waſſer auf die Felder zu bringen, die mit
Zehrwurzeln (Arum eſculentum) bepflanzt waren, weil dieſe Pflanze einen
moraſtigen und uͤberſchwemmten Boden erfordert. Es gab hier zwey Arten
davon; die eine hatte große glaͤnzende Blaͤtter und die Wurzel war wohl 4 Schuh
lang, aber ſehr grob faſericht, die zweyte Art hingegen, hatte kleine ſammet-
artige Blaͤtter und an dieſer war die Wurzel feiner und wohlſchmeckender. Doch
ſind beyde von ſcharfen und beißendem Geſchmack, ſo lange bis ſie verſchiedenemal
in Waſſer abgekocht worden; die Schweine freſſen ſie indeſſen auch ohne Wider-
willen und ohne Schaden roh. Je weiter wir dem Bache folgten, deſto enger
ward das Thal und deſto ſteiler und waldichter die Berge zu beyden Seiten.
[259]in den Jahren 1772 bis 1775.
Wo aber der Boden nur einigermaßen eben war, da ſtanden uͤberall Coco-Nuß-1773.
Auguſt.

baͤume, Piſang, Maulbeer-Baͤume und mancherley Wurzelwerk; auch ſahe
man eine Menge wohl- und nahe bey einander gelegener Haͤuſer. An ver-
ſchiednen Stellen fanden wir große Betten loſer Kieſel, welche von den Bergen
herabgeſchwemmt zu ſeyn ſchienen und durch die beſtaͤndige Bewegung des Waſ-
ſers allerhand runde Formen bekommen hatten. An den Bergen ſamleten wir ver-
ſchiedne neue Pflanzen, wobey wir aber mehr als einmal Gefahr liefen die Haͤlſe
zu brechen, denn die Felſenſtuͤcken rollten uns zuweilen unter den Fuͤßen weg.
Eine große Menge Indianer verſammlete ſich um uns her und brachte Coco-
nuͤſſe, Brodfrucht und Aepfel in großem Ueberfluß zum Verkauf. Wir verſorgten
uns daher mit einem hinlaͤnglichen Vorrath und mietheten einige Leute, um uns
das Eingekaufte nachtragen zu laſſen. Nachdem wir ohngefaͤhr fuͤnf engliſche
Meilen weit gegangen waren, ſetzten wir uns auf einen ſchoͤnen Raſen unter
den Baͤumen nieder, um Mittag zu halten. Außer den unterwegens ange-
ſchaften Fruͤchten beſtand unſre Mahlzeit aus etwas Schweinefleiſch und Fi-
ſchen, welche wir vom Bord mitgenommen hatten. Die Tahitier machten einen
Creis um uns her, unſern Wegweiſern und Helfern aber gaben wir Erlaub-
niß, ſich neben uns zu ſetzen. Sie ließen ſich’s herzlich gut ſchmecken, wun-
derten ſich aber, daß wir jeden Biſſen in ein weißes Pulver tunkten, das ihnen
gaͤnzlich unbekannt war. Wir hatten nemlich vom Schiffe aus etwas Salz
mitgenommen und aßen es zu allen Speiſen, ſo gar zur Brodfrucht. Verſchie-
dene von ihnen wuͤnſchten es zu koſten, und fanden zum Theil Geſchmack dar-
an, der ihnen auch nicht fremd ſeyn konnte, weil ſie bey ihren Fiſch- und
Fleiſchſpeiſen Seewaſſer als eine Bruͤhe zu gebrauchen pflegen *)


Um 4 Uhr Nachmittags duͤnkte es uns Zeit an den Ruͤckweg zu denken.
Wir ſahen jetzt eine Menge Indianer, mit wilden Plantanen beladen, uͤber
die Berge herkommen, woſelbſt dieſe Frucht ohne Wartung waͤchſt, aber
auch von ungleich ſchlechterer Art iſt als jene, die in den Ebenen ordentlich ge-
hegt wird. Sie wollten dieſen Vorrath, nach den Gezelten, zu Markte brin-
K k 2
[260]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt
gen, und da unſer Weg ebenfalls dahin gieng, ſo folgten wir ihnen den Bach
herab. An einer Stelle deſſelben hatten die herbeygelanfnen Kinder kleine
Krebſe (prawns) zwiſchen den Steinen aufgeſucht und boten uns ſolche an.
Als ein Beytrag zur Naturgeſchichte dieſer Inſel waren ſie uns ganz willkom-
men, daher wir den Kindern eine Kleinigkeit von Corallen dafuͤr ſchenkten; kaum
aber ſahen dies die Alten, als ihrer mehr denn funfzig, theils Maͤnner, theils
Weiber in den Bach wadeten, und uns eine ſolche Menge von dergleichen
Krebſen brachten, daß wir ihre Muͤhe bald verbitten und unbelohnt laſſen muß-
ten. In Zeit von zwey Stunden langten wir endlich bey unſern Zelten auf Point-
Venus
wiederum an, und fanden den ehrlichen O-Wahau daſelbſt, der mei-
nem Vater abermals ein Geſchenk von Fruͤchten machte. Wir hatten auf un-
ſerm heutigen Spatziergange bemerkt, daß es hier mehr muͤßige Leute als zu
Aitepieha gab; auch ſchienen die Haͤuſer und Pflanzungen hier verfallner und
vernachlaͤßigter zu ſeyn als dort, und ſtatt freundſchaftlicher Einladungen mußten
wir nichts als unbeſcheidne Bitten um Corallen und Naͤgel hoͤren. Doch
hatten wir im Ganzen noch immer Urfach mit den Einwohnern zufrieden zu ſeyn;
denn ſie ließen uns wenigſtens in ihrem herrlichen Lande uͤberall ungeſtoͤrt herum
ſtreifen. Daß ſie zu allerhand kleinen Diebereyen ſehr geneigt waͤren,
hatten wir zwar ebenfalls verſchiedentlich erfahren, doch niemals etwas von eini-
gem Werthe dadurch eingebuͤßt; denn in den Taſchen, denen am leichteſten beyzu-
kommen war, fuͤhrten wir gemeiniglich nichts als das Schnupftuch, und die-
ſes beſtand uͤberdem nur in einem Stuͤck duͤnnen Tahitiſchen Zeuges, daher ſie
ſich bey allem Gluͤcke und Geſchicklichkeit unſre Taſchen auszuleeren, hintergan-
gen fanden und ihre Beute gemeiniglich laͤchelnd wieder brachten. Meiner
Meynung nach, iſt dieſe Neigung bey den Tahitiern minder ſtrafbar als bey
uns; denn ein Volk, deſſen Beduͤrfniſſe ſo leicht zu befriedigen, und deſſen Le-
bensart ſo gleichfoͤrmig iſt, kann wuͤrklich unter ſich nur wenig Veranlaſſungen
zur Dieberey haben, wie denn auch ihre offenen Haͤuſer, ohne Thuͤr und Riegel zur
Gnuͤge beweiſen, daß in dieſer Abſicht keiner von dem andern etwas zu beſorgen
hat. Wir ſind alſo an dieſer ihrer Untugend in ſo fern ſelbſt ſchuld, weil wir die
erſte Veranlaſſung dazu gegeben, und ſie mit Dingen bekannt gemacht haben,
deren verfuͤhreriſchem Reiz ſie nicht widerſtehen koͤnnen. Ueberdies halten ſie
[261]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſelbſt, dem Anſchein nach, ihre Diebereyen eben fuͤr ſo ſtrafbar nicht, weil1773.
Auguſt.

ſie vermuthlich glauben, daß uns dadurch doch kein ſonderlicher Schaden zu-
gefuͤgt werde.


In unſrer Abweſenheit hatten die Capitains den Koͤnig zu Parre beſucht,
und es war ihnen zu Ehren ein dramatiſcher Tanz aufgefuͤhrt worden, worinn
Ihro Koͤnigl. Hoheit Tauraï die Hauptrolle ſpielte. Sie erſchien eben ſo ge-
kleidet, und ihre Pantomime war eben ſo beſchaffen als in Capitain Cooks vo-
riger Reiſe beſchrieben iſt. *) Zween Mannsperſonen tanzten in den Zwiſchen-
zeiten, wenn ſich die Prinzeßinn ausruhte, und ſungen oder ſprachen alsdenn
auch, mit ſeltſam verzerrten Grimaſſen, einige Worte her, die ſich allem An-
ſchein nach auf den Gegenſtand des Tanzes bezogen, unſern Leuten aber un-
verſtaͤndlich waren. Die ganze Vorſtellung dauerte ohngefaͤhr anderthalb
Stunden und Tedua Tauraï zeigte dabey eine bewundrungswuͤrdige Geſchick-
lichkeit, die alles uͤbertraf, was man in dieſer Art auf der vorigen Reiſe zu
Ulietea geſehn hatte.


Am folgenden Morgen ſandte Capitain Cook den Lientenant Pickers-
gill
in aller Fruͤhe nach dem ſuͤdweſtlichen Theil der Inſel, um friſche Lebens-
mittel, beſonders aber einige Schweine einzukaufen, weil wir bis jetzt von dem
Koͤnige nur zwey Stuͤcke erhalten hatten. Wir unſers Theils blieben dieſen
ganzen Tag uͤber am Bord, um die geſtern eingeſammleten Pflanzen zu be-
ſchreiben. Abends um 10 Uhr, entſtand am Strande, dem Schiffe ge-
genuͤber, ein gewaltiger Laͤrmen; die Capitains vermutheten ſogleich, daß
ſolcher auf eine oder die andre Weiſe von unſern Leuten herruͤhren muͤſſe und
ſandten deshalb ohnverzuͤglich etliche Boote mit den erforderlichen Officiers da-
hin, welche denn auch die Thaͤter bald an Bord brachten. Es waren verſchiedne
See-Soldaten und ein Matroſe, welche ſich von dem bey den Zelten befehlha-
benden Officier Erlaubniß ausgebeten, ſpatzieren zu gehen, jedoch uͤber die Zeit
ausgeblieben waren und einen Indianer gepruͤgelt hatten. Der Capitain ließ
ſie ſogleich in Ketten legen, weil es von der aͤußerſten Wichtigkeit war, ihr Ver-
gehen exemplariſch zu beſtrafen, um mit den Einwohnern in gutem Vernehmen
K k 3
[262]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
zu bleiben. O-Tu hatte verſprochen, am folgenden Morgen mit ſeinem Va-
ter an Bord zu kommen; dieſer Laͤrm aber, wovon er eine halbe Stunde
nachher ſogleich Nachricht erhalten, machte ihn mißtrauiſch gegen uns. Er
ſchickte alſo einen ſeiner vornehmſten Hofbedienten, Namens E-Ti, als Bo-
then oder Geſandten (Whanno no t’ Eri) *) ab, um ſich wegen ſeines Auſ-
ſenbleibens entſchuldigen zu laſſen. Ehe dieſer aber aus Schiff kam, waren
Dr. Sparrmann und ich ſchon wieder nach dem Lande und zwar nach dem
Platze hingegangen, wo geſtern Abend der Handel vorgefallen war, von da wir
weiter ins Innere des Landes zu gehen gedachten. Der alte O-Whaa, **) der
immer ſo friedfertige Geſinnungen geaͤußert, kam uns am Strande entgegen, und
gab uͤber den geſtrigen Vorfall ſein Mißvergnuͤgen zu erkennen. Wir verſi-
cherten ihn dagegen, daß es uns nicht minder unangenehm ſey, daß aber die
Verbrecher ſchon in Eiſen waͤren und harte Strafe zu gewarten haͤtten, und dies
ſtellte ihn voͤllig zufrieden. Da wir vom Schiffe niemand mit uns genommen
hatten, ſo baten wir O-Whaa uns Jemanden zu ſchaffen, dem wir unſer Ge-
raͤthe ꝛc. zu tragen anvertrauen koͤnnten. Es bothen ſich verſchiedne dazu an,
er waͤhlte aber nach ſeinem eignen Gefallen einen ſtarken tuͤchtigen Kerl, dem
denn auch gleich ein Sack fuͤr die Pflanzen und einige Koͤrbe mit Tahitiſchen
Aepfeln eingehaͤndigt wurden, welche wir hier ſo eben erhandelt hatten. In
dieſem Aufzuge wanderten wir nunmehro mit unſerm Begleiter uͤber One-
Tree-hill
weg und gelangten in eins der vorderſten Thaͤler von O-Parre.
Hier beguͤnſtigte uns das Gluͤck mit einer botaniſchen Entdeckung. Wir fanden
nemlich einen neuen Baum, der das praͤchtigſte Anſehen von der Welt hatte.
Er prangte mit einer Menge ſchoͤner Bluͤthen, die ſo weiß als Lilien, aber
groͤßer und mit einem Buͤſchel Staubfaͤden verſehen waren, welche an den Spi-
tzen eine glaͤnzende Carmoſinrothe Farbe hatten. †) Es waren ihrer bereits ſo viele
abgefallen, daß der ganze Boden voll davon lag. Dieſen ſchoͤnen Baum
nannten wir Barringtonia, in der Landesſprache aber heißt er Huddu
(huddoo,) und die Einwohner verſicherten, wenn man die nußartige Frucht deſ-
[]

[figure]

[][263]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſelben zerſtoßen, und, mit dem Fleiſch der Muſcheln vermiſcht, ins Meer werfe,1773.
Auguſt.

wuͤrden die Fiſche auf einige Zeit dergeſtalt betaͤubt davon, daß ſie oben
aufs Waſſer kaͤmen und ſich mit den Haͤnden fangen ließen. Es iſt ſonderbar,
daß verſchiedne Seepflanzen zwiſchen den Wendezirkeln eben dieſe Eigenſchaft
haben; dergleichen ſind vornemlich die Kuckels-Koͤrner (cocculi indici,)
welche in Oſtindien bekannt ſind und zu gleicher Abſicht gebraucht werden. Wir
waren uͤber unſern botaniſchen Fund viel zu ſehr erfreut, als daß wir mit der
naͤheren Unterſuchung deſſelben, bis zur Ruͤckkunft ans Schiff haͤtten warten
koͤnnen. In dieſer Abſicht ſprachen wir ohne Umſtaͤnde in ein huͤbſches Haus von
Rohr ein, um welches wohlriechende Stauden und einige Coco-Nußbaͤume ge-
pflanzt waren. Vermoͤge der ſo oft belobten Gaſtfreyheit des Landes, ließ der
Eigenthuͤmer deſſelben, gleich bey unſerm Eintritt, einen Knaben auf eine der
hoͤchſten Palmen ſteigen, um Nuͤſſe fuͤr uns zu holen, und der junge Burſche
richtete ſeinen Auftrag mit wunderbarer Geſchicklichkeit aus. Er befeſtigte
nemlich an beyden Fuͤßen ein Stuͤck von der zaͤhen Piſang-Rinde, welches juſt ſo
lang war, daß es rings um den Stamm reichte, und ihm als ein Tritt oder feſter
Punct diente, immittelſt er ſich mit den Haͤnden hoͤher hob. Die natuͤrliche
Bildung der Coco-Palme, die alle Jahr einen dicken Ring um den Stamm
anſetzt, erleichterte ihm zwar dieſe Art des Aufſteigens; doch blieb die Geſchwin-
digkeit und Leichtigkeit, mit welcher er dabey zu Werke gieng, immer ſehr bewun-
drungswerth. Wir wuͤrden dieſer Guͤte und Aufmerkſamkeit unwerth ge-
weſen ſeyn, wenn wir dem Wirth beym Abſchied nicht ein klein Geſchenk ge-
macht und den Knaben fuͤr ſeine Geſchicklichkeit nicht belohnt haͤtten.


Von hier aus giengen wir das Thal weiter hinauf welches, wieder die
gewoͤhnliche Art, in der Mitte keinen Bach hatte, und gegen die Berge zu in die
Hoͤhe lief. Zur Linken war es von einem Berge eingeſchloſſen, den wir, ſo ſteil
er auch war, zu beſteigen gedachten. Es ward uns aber herzlich ſauer, und
unſer Tahitiſcher Begleiter lachte uns aus, daß wir vor Muͤdigkeit alle Augen-
blick niederſitzen mußten, um wieder zu Athem zu kommen. Wir hoͤrten wie
er hinter uns, zwar ſehr langſam, aber mit ofnem Munde, ſehr ſtark ſchnaubte.
Wir verſuchten alſo nachzumachen, was vermuthlich die Natur ihn gelehrt hat-
te, und fanden dieſe Methode auch wuͤrklich beſſer als das oͤftere kurze Athem-
[264]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
holen, bey welchem es uns zuvor immer an Luft fehlte. Endlich erreich-
ten wir den Gipfel des Berges, wo der Weg wieder eben wurde, und noch
uͤberdies ein angenehmes Luͤftchen uns ungemein erfriſchte. Nachdem wir aber
auf dieſer hohen Flaͤche eine Strecke weiter gegangen waren, noͤthigte uns
die vom duͤrren Boden zuruͤckprallende brennende Sonnenhitze, im Schatten ei-
nes einſam ſtehenden Pandangs oder Palm-Nußbaums *) niederzuſitzen, wo-
durch ſelbſt unſerm Begleiter ein großer Dienſt geſchahe. Die Ausſicht war
von hier aus vortreflich. Wir ſahen tief auf die Ebne von Matavai herab, die
alle ihre Reize gleichſam zu unſern Fuͤßen ausbreitete; vor derſelben lag die Bay
mit den Schiffen, von einer Menge Canots bedeckt und mit dem Ryf eingeſchloſſen,
welches O-Tahiti umgiebt. Die Mittagsſonne warf ein ſtaͤtes, ruhiges und
gleichformiges Licht auf den ganzen Proſpect, und in einer Entfernung von ohn-
gefaͤhr 6 ſtarken engliſchen See-Meilen (leagues,) erblickte man die niedrige In-
ſel Tedhuroa. Sie beſtand aus einem kleinen Zirkel von Felſen, die mit einigen
Palmen beſetzt waren, und jenſeits derſelben verlor ſich die Ausſicht in das weite
Meer hinaus. Von den uͤbrigen benachbarten Inſeln, die wir nicht ſehen konn-
ten, zeigte unſer Begleiter uns wenigſtens die Lage, und erzaͤhlte dabey, ob
und was daſelbſt wachſe? ob die Inſeln bergigt oder flach, bewohnt oder unbe-
wohnt, oder nur dann und wann beſucht wuͤrden? Tedhuroa gehoͤrte zu der
letztern Art, und es kamen eben zwey Canots mit aufgeſetzten Segeln von daher
zuruͤck. Der Tahitier ſagte: ſie wuͤrden vermuthlich auf den Fiſchfang aus
geweſen ſeyn, der in dem dortigen beſchloßnen See ungemein ergiebig waͤre. Nach-
dem wir uns auf dieſer Stelle ein Weilchen ausgeruht hatten, ſo giengs wieder
fort und auf die im Innern der Inſel gelegenen Berge los. Dieſe lockten uns
nicht nur durch den ſchoͤnen Anblick ihrer noch reich belaubten Waͤlder, in de-
nen wir mache neue Pflanze zu finden hoffen konnten, ſondern auch durch ihre
anſcheinende Nachbarſchaft. Hievon wurden wir indeſſen bald das Gegentheil ge-
wahr; es waren nemlich von hier aus, noch eine Menge duͤrrer Berge und Thaͤ-
ler zu paßiren, die uns keine Hoffnung uͤbrig ließen, noch heute dahin zu
kom-
[265]in den Jahren 1772 bis 1775.
kommen. Wir gedachten deshalb die Nacht unterwegens zuzubringen, allein1773.
Auguſt.

bey naͤherer Ueberlegung fanden wir es nicht rathſam, weil niemand
wußte, wenn der Capitain eigentlich abzuſeegeln gedachte und weil wir auch nicht
mit Lebensmitteln verſehen waren. Ueberdem ſagte uns unſer Begleiter, wir wuͤr-
den auf den Bergen weder Menſchen, noch Wohnungen, noch Lebensmittel
finden; daher es beſſer ſey, wieder nach dem Thal von Matavai zuruͤckzukeh-
ren, dahin man, vermittelſt eines ſchmalen Fusſteiges, den er uns anzeigte,
geraden Weges hinab kommen koͤnne. Wir folgten alſo ſeinem Rath, fanden
aber das Herunterſteigen auf dieſem Wege gefaͤhrlicher als das Heraufſteigen
von jener Seite geweſen war. Wir ſtrauchelten alle Augenblick, und an
manchen Stellen mußten wir uns gar niederſetzen und herabrutſchen. Unſre
Schuhe waren von dem trocknen Graſe, worauf wir gegangen, ſo glatt geworden,
daß wir es in dieſer Abſicht weit uͤbler hatten als unſer Indianer, der barfus, und
deshalb ungleich ſichrer gieng. Wir gaben ihm unſre Vogel-Flinten, damit
wir auch von den Haͤnden Gebrauch machen koͤnnten; endlich nahmen wir ſie
wieder, ließen ihn vorauf gehen und lehnten uns, an den gefaͤhrlichſten
Stellen, auf ſeine Arme. Als wir ohngefaͤhr halb herunter waren, rief er ei-
nigen Leuten im Thal zu; wir glaubten aber daß ſie ihn, wegen der Entfernung,
nicht gehoͤrt haben wuͤrden, zumal da er keine Antwort bekam. Indeſſen waͤh-
rete es nicht lange, ſo ſahen wir etliche derſelben ſehr geſchwind den Berg her-
auf kommen und in weniger denn einer halben Stunde waren ſie bey uns. Sie
brachten drey friſche Cocos-Nuͤſſe mit, die uns ungleich beſſer ſchmeckten, denn
irgend eine, welche wir je gekoſtet hatten. Ob dem wuͤrklich alſo war, oder
ob es uns der damaligen Ermuͤdung wegen nur ſo vorkam? will ich
nicht entſcheiden. Sie beſtanden darauf, daß wir ein wenig ausruhen moͤch-
ten; und vertroͤſteten uns auf eine ganze Parthey Cocos-Nuͤſſe, welche ſie etwas
weiter herab in Bereitſchaft gelegt, vor erſt aber nur dieſe wenige haͤtten herauf
bringen wollen, damit wir nicht zu eilig trinken moͤgten. Ihre Vorſorge verdiente
in aller Abſicht Dank, allein wir waren ſo durſtig, daß wir’s kaum erwarten konn-
ten, bis ſie uns erlauben wollten weiter zu gehen Endlich machten wir uns wieder
auf den Weg und kamen, auf einem flachen Grunde, in ein herrliches kleines
Gebuͤſch, wo wir, ins friſche Gras gelagert, den kuͤhlen Nectar ge-
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. L l
[266]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
noſſen, welchen unſre Freunde herbey geſchaft hatten. Durch dieſe Erfriſchung
fuͤhlten wir uns ganz geſtaͤrkt und giengen mit neuen Kraͤften vollends nach
dem Thal hinab. Gleich verſammlete ſich eine Menge Indianer, die uns
allerſeits uͤber die Ebne nach der See hin begleiten wollten. Eben da
ſie Anſtalt dazu machten, kam ein wohl ausſehender Mann, nebſt ſeiner Toch-
ter, einem jungen Maͤdchen von ſechzehen Jahren, herbey, und bat uns, in
ſeinem Hauſe, welches etwas weiter aufwaͤrts lag, eine Mahlzeit einzunehmen.
Ob wir nun gleich ſo herzlich muͤde waren, daß wir dieſer Ehre gern waͤren uͤber-
hoben geweſen; ſo wollten wir ſeine Hoͤflichkeit doch nicht verſchmaͤhen und
folgten ihm alſo. Der Weg gieng ohngefaͤhr 2 Meilen weit, an den herrlichen
Ufern des Matavai-Fluſſes, uͤberall durch ſchoͤne Pflanzungen von Cocos- Brod-
frucht- Aepfel- und Maulbeer-Baͤumen, die mit Feldern von Piſang- und Arum-
Wurzeln abwechſelten. Laͤngſt dem ganzen Thal hinauf, ſchlaͤngelte ſich der Fluß
immer queer uͤber den Weg, ſo daß man oft durchwaden mußte; allein unſer
Fuͤhrer, nebſt ſeinen Bedienten, beſtanden darauf, uns jedesmahl auf
ihren Ruͤcken hindurchzutragen. Endlich kamen wir bey unſres Wirthes
Hauſe an, das auf einem kleinen Huͤgel lag, neben welchem der Fluß uͤber ein
Kieſelbette ſanft vorbey rauſchte. Die Anſtalten zur Mahlzeit waren bald ge-
macht; in einer Ecke des Hauſes breitete man eine ſchoͤne Matte auf die Erde
und die Verwandten unſers Freundes ſetzten ſich neben derſelben um uns her.
Seine Tochter uͤbertraf an zierlicher Bildung, heller Farbe und angenehmen Ge-
ſichtszuͤgen, faſt alle Tahitiſchen Schoͤnheiten, die wir bisher geſehn, und Sie
ſowohl als andre ihrer jungen Geſpielen ließen es gewiß an nichts fehlen, ſich
beliebt zu machen. Das thaͤtigſte Mittel, welches ſie außer ihrem gewoͤhnli-
chen Laͤcheln anwandten, unſre ſchlaͤfrige Muͤdigkeit zu vertreiben, beſtand dar-
inn, daß ſie uns mit ihren weichen Haͤnden die Arme und die Schenkel gelinde
rieben und dabey die Muskeln zwiſchen den Fingern ſanft zuſammen druͤckten.
Dieſe Operation bekam uns vortreflich. Ob ſie den Umlauf des Bluts in den
feinern Gefaͤßen befoͤrdern, oder den erſchlaften, muͤden Muskeln ihre vorige
Elaſticitaͤt unmittelbar wieder geben mochte? will ich nicht entſcheiden; genug,
wir wurden nach derſelben ganz munter und ſpuͤrten in kurzer Zeit nicht das ge-
ringſte mehr von unſrer vorigen Ermuͤdung. Capitain Wallis gedenkt dieſer
[267]in den Jahren 1772 bis 1775.
hier eingefuͤhrten Behandlung ebenfalls und ruͤhmt die wohlthaͤtige Wuͤrkung1773.
Auguſt.

derſelben aus eigner Erfahrung. *)Osbeck ſagt in der Beſchreibung ſeiner
Reiſe nach China, daß dieſe Operation daſelbſt ſehr gewoͤhnlich ſey, und daß
beſonders die Chineſiſchen Barbierer ausnehmend gut damit umzugehen wuͤß-
ten. **) Endlich, findet man in Groſe’s oſtindiſcher Reiſebeſchreibung
umſtaͤndliche Nachricht von einer Kunſt, die bey den Oſtindianern Tſchamping
genannt wird, und nichts anders als eine wolluͤſtige Verfeinerung eben dieſes
Staͤrkungsmittels zu ſeyn ſcheint, ja er fuͤhrt ſogar aus dem Martial und
Seneca Stellen an, ***) aus welchen ſich mit Wahrſcheinlichkeit ſchließen
laͤßt, daß auch den Roͤmern dieſer Handgrif bekannt geweſen ſeyn muͤſſe:
Percurrit agili corpus arte tactatrix
Manumque doctam ſpargit omnibus membris.

Martial.
()

Wir hatten nun nicht laͤnger Urſach uͤber Mangel von Appetit zu klagen, woran
es uns zuvor, blos der Muͤdigkeit wegen, gefehlt hatte; denn ſobald das Eſſen auf-
getragen ward, welches, der laͤndlichen Genuͤgſamkeit der Einwohner gemaͤs, aus
nichts als Fruͤchten und Wurzelwerk beſtand, ſo fielen wir ganz herzhaft dar-
uͤber her und fanden uns, nach eingenommener Mahlzeit wiederum ſo munter,
als wir am fruͤhen Morgen kaum geweſen waren. Nachdem wir auf ſolche Art
wohl zwey Stunden bey dieſer gaſtfreyen Familie zugebracht hatten, ſo beſchenk-
ten wir unſern guͤtigen Wirth, imgleichen ſeine ſchoͤne Tochter nebſt ihren Freun-
dinnen, deren Sorgfalt wir die geſchwindere Herſtellung unſrer Kraͤfte haupt-
ſaͤchlich zu verdanken hatten, ſo reichlich es unſer Vorrath von Corallen, Naͤgeln
und Meſſern zulaſſen wollte, und ſchieden alsdenn ohngefaͤhr um 3 Uhr von ihnen.


Auf dem Ruͤckwege kamen wir bey vielen Haͤuſern vorbey, deren Be-
wohner ſich im Schatten ihrer Frucht-baͤume truppweiſe hingelagert hatten und
den ſchoͤnen Nachmittag gemeinſchaftlich mit einander genoſſen. In einem die-
L l 2
[268]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Auguſt.
ſer Haͤuſer ſahen wir einen Mann mit der Zubereitung einer rothen Farbe beſchaͤſ-
tigt, welche ſie zu dem aus der Staude des Chineſiſchen Maulbeerbaums ver-
fertigten Zeuge gebrauchen. Wir fanden zu unſrer großen Verwundrung, daß
der gelbe Saft einer kleinen Feigen-Art, hier Mattih genannt, und der gruͤne
Saft eines Farren- oder andern Krautes, die einzigen Ingredienzien dieſer Farbe
ausmachten. Durch bloße Miſchung derſelben, entſtand ein hohes Carmo-
ſin-Roth, welches die Frauen mit den Haͤnden uͤber das Stuͤck herrieben, wenn
es durchaus gleich gefaͤrbt werden ſollte: Wollten ſie es aber nur geſprenkelt oder
nach beſondern Muſtern aufgetragen haben; ſo bedienten ſie ſich eines Bambu-
Rohrs dazu, das in den Saft eingetunkt, und bald in dieſer, bald in jener Rich-
tung aufgedruckt wurde. Dieſe Farbe iſt aber ungemein zart; außerdem daß
ſie keine Art von Naͤſſe, nicht einmal Regen vertragen kann, verſchießt ſie auch,
blos von der Luft, ſehr bald und bekommt alsdenn ein ſchmutziges Anſehen.
Dem ohnerachtet ſtehet das damit gefaͤrbte oder vielmehr gemahlte Zeug bey den
Tahitiern in ſehr hohen Werth, und wird nur von den vornehmern Leuten getra-
gen. Fuͤr Naͤgel und Corallen kauften wir etliche Stuͤcke deſſelben von verſchied-
nen Arten, und kehrten darauf nach unſern Gezelten zuruͤck, die von dem Orte
wo wir geſpeißt hatten, wenigſtens 5 Meilen entfernt waren. Hier verabſchiede-
ten und belohnten wir unſern ehrlichen Gefaͤhrten, den uns O-Wahau empfoh-
len und der uns mit groͤßerer Treue und Redlichkeit gedient hatte, als man bey
der herrſchenden Neigung des Volks zum Diebſtahl haͤtte erwarten ſollen. Sein
Betragen war um ſo verdienſtlicher, da er waͤhrend dieſer Tagereiſe mehr denn
einmal Gelegenheit gehabt hatte, mit allen unſern Naͤgeln und Flinten ohnge-
hindert davon zu laufen —, warlich, eine ſo ſtarke Verſuchung, daß ein hier
zu Lande ungewoͤhnlicher Grad von Rechtſchaffenheit erfordert ward, ihr zu wi-
derſtehen. Fuͤr ein Paar Corallen ließen wir uns ſodann in einem Canot nach dem
Schiffe uͤberſetzen.


Der Capitain und mein Vater, die in unſrer Abweſenheit einen Spa-
tziergang gen Weſten vorgenommen hatten, waren eben erſt wieder an Bord zu-
ruͤck gelangt. Sie erzaͤhlten uns, daß gleich nachdem wir ſie heute fruͤh verlaſſen
haͤtten, E-ti, als Geſandter des Koͤnigs, zu ihnen gekommen ſey, und dem Ca-
pitain ein Schwein, imgleichen Fruͤchte zum Geſchenk uͤberbracht, aber dabey
[269]in den Jahren 1772 bis 1775.
gemeldet habe, daß O-Tuh, des geſtrigen Vorfalls wegen, matau, das1773.
Auguſt.

heißt, in Furcht geſetzt und zugleich uͤbel auf uns zu ſprechen ſey. Um ihn
nun zu uͤberfuͤhren, daß wir ſelbſt die Ausſchweifungen unſrer Leute nicht gut
hießen, wurden die Verbrecher aufs Verdeck gebracht und bekamen in ſeiner
Gegenwart, zum Schrecken aller anweſenden Tahitier, ein jeder zwoͤlf Strei-
che. Nach dieſer Execution ließ Capitain Cook drey Schaafe, als ſo viel
ihrer von denen am Cap eingekauften noch uͤbrig waren, ins Boot ſchaffen, und
gieng in Begleitung Capitain Furneaux und meines Vaters, aus Land, um
das Vertrauen des Koͤnigs wieder zu gewinnen, ohne welches im ganzen Lande
keine Lebensmittel zu erhalten waren. Als ſie nach Parre kamen, ſagte man
ihnen, der Koͤnig ſey von hier nach Weſten aufgebrochen; ſie folgten ihm alſo
4 bis 5 Meilen weiter und landeten endlich in einem Diſtrict, Tittahah ge-
nannt, wo ſie einige Stunden auf ihn warten mußten. Wuͤrklich hatte er ſich
aus Furcht fuͤr uns, in aller Eil, 9 Meilen weit von Matavai-Bay entfernt.
Eine ſo ſchnelle und durch eine ſolche Kleinigkeit veranlaßte Flucht, ver-
rieth freylich von ſeiner Seite ungemein viel Feigherzigkeit; doch iſt ſie ihm
zu vergeben, wenn man bedenkt, wie blutig und furchtbar die Eu-
ropaͤer dieſem Volke ihre Gewalt und Uebermacht ehemals gezeigt hatten. —
Es ward 3 Uhr Nachmittags, ehe er mit ſeiner Mutter bey den Capitains an-
kam, Er voll Furcht und Mißtrauen und Sie mit Thraͤnen in den Augen.
Sobald ihm aber E-Ti Bericht abgeſtattet hatte, daß die Verbrecher in ſeiner
Gegenwart waͤren abgeſtraft worden, ward er ruhiger, und der Anblick einer
neuen Art von Thieren, die ihm Capitain Cook unter wiederholten Freundſchafts-
verſicherungen ſchenkte, ſtellte das gute Vernehmen bald wieder gaͤnzlich her.
Auf Sr. Majeſtaͤt Verlangen mußte nun auch unſer Bergſchotte wieder auf
dem Dudelſack ſpielen, und die geringfuͤgige Kunſt dieſes Virtuoſen war hier
ſo wuͤrkſam als Davids Harfe, deren harmoniſchere Toͤne Sauls Schwermuth
zu vertreiben pflegten. Die gute Wuͤrkung der Muſie zeigte ſich bald thaͤtig.
Der Koͤnig ließ ein Schwein kommen, und ſchenkte es dem Capitain Cook; und
bald nachher ließ er noch ein zweytes fuͤr Capitain Furneaux bringen. Da
dieſe Herren bald von der Inſel abzuſegeln gedachten, und daher glaubten,
dies ſey die letzte Gelegenheit, Geſchenke von Sr. Majeſtaͤt zu erhalten, ſo ver-
L l 3
[270]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
langten ſie, daß Er fuͤr Matara, oder meinen Vater, auch eins hergeben moͤgte.
Dies geſchah, es war aber nur ein kleines Ferken. Als unſre Leute uͤber dieſen
Unterſchied einiges Mißvergnuͤgen zu erkennen gaben, trat ſogleich einer von
des Koͤnigs Verwandten in aufſteigender Linie, die alle Medua (Vater) genannt
werden, aus dem Gedraͤnge hervor, redete, unter gewaltigen Geſticulationen,
den Koͤnig mit lauter Stimme an, und zeigte bald auf unſre Leute, bald auf die
erhaltnen Schaafe und bald auf das kleine Ferken. Kaum hatte der Redner
zu ſprechen aufgehoͤrt, als letzteres wieder weggenommen und an deſſen Statt ein
großes Schwein herbeygebracht wurde. Dieſe Bereitwilligkeit belohnte man
durch freygebige Austheilung von allerhand Eiſengeraͤthſchaften und andern
Kleinigkeiten, die Indianer aber erwiederten ſolches durch mancherley Ahau’s oder
Stuͤcken von hieſigen Zeuge, in welche ſie unſre Leute einkleideten, worauf dieſe
ſich vom ganzen Hofe beurlaubten und ohngefaͤhr um 5 Uhr an die Schiffe zu-
ruͤckkamen.


Da der Capitain am folgenden Tage die Inſel gaͤnzlich zu verlaſſen gedach-
te; ſo wurden Vorkehrungen zur Abreiſe gemacht. Beym Anblick dieſer Zuruͤ-
ſtungen, deren Bedeutung die Indianer ſchon von ehemals her kannten, eilten
ſie zu guter letzt mit Fiſchen, Muſcheln, Fruͤchten und Zeuge noch haufenweiſe
herbey, und wurden alles los. Der Lieutenant Pickersgill, der ſeit vorgeſtern
vom Schiffe abweſend war um Lebensmittel einzuhandeln, kam heute gegen
3 Uhr Nachmittags von dieſer Expedition zuruͤck. Er war noch jenſeits der
fruchtbaren Ebnen von Paparra geweſen, wo O-Ammo, *) der ehemals als
Koͤnig uͤber ganz Tahiti geherrſcht hatte, mit ſeinem Sohn dem jungen T’Eri-
Derre
**) ſich aufhielt. Die erſte Nacht hatte er auf der Graͤnze eines klei-
nen Diſtricts zugebracht, der gegenwaͤrtig der bekannten Koͤniginn O-Purea
(Oberea)
zugehoͤrte. So bald ihr die Nachricht von ſeiner Ankunft war hin-
terbracht worden, kam und bewillkommte ſie ihn, als einen ihrer alten Bekann-
ten mit den lebhafteſten Freundſchaftsbezeugungen. Schon ſeit des Capitain
Wallis Abreiſe, hatte ſie ſich von ihrem Gemahl ***) getrennt und
[271]in den Jahren 1772 bis 1775.
war nunmehro von jener Groͤße, die ihren Namen in der Geſchichte dieſes1773.
Septem-
ber.

Landes und unter den Europaͤern ehemals ſo beruͤhmt gemacht hatte, gaͤnzlich
herabgeſunken. *) Hieran waren vornemlich die innerlichen Kriege zwiſchen den
beyden Halbinſeln ſchuld, denn durch dieſe war Sie, und der ganze Diſtrict Pa-
parra
, in großen Verfall gerathen. Sie klagte gegen den Lieutenant, daß
ſie tihtih (arm) ſey, und ihren Freunden, den Europaͤern, nicht einmal ein
Schwein zu ſchenken vermoͤgte. Da auf ſolche Weiſe von ihr nichts zu er-
warten war, ſo gieng er am folgenden Morgen nach Paparra zuruͤck, und be-
ſuchte daſelbſt den vorigen Gemahl, der O-Purea, Namens Ammo, der ſeit-
dem eine der huͤbſcheſten jungen Maͤdchen im Lande genommen hatte, fuͤr ſeine
Perſon aber alt und unthaͤtig geworden war. Seine Schoͤne ſchenkte unſern Leu-
ten ein Schwein, und geſellte ſich, als ſie abreiſen wollten, nebſt einigen ihrer
weiblichen Bedienten zu ihnen, fuhr auch den ganzen Tag uͤber getroſt mit in
unſerm Boote; indeß ihr eignes Canot neben her ging, um ſie wieder zuruͤckzu-
bringen. Sie ſchien ungemein neugierig zu ſeyn und mußte wohl nie Euro-
paͤer geſehen haben; denn unter andern zweifelte ſie, ob ſolche in allen Stuͤcken
wie ihre Landsleute beſchaffen waͤren, bis ihr der Zweifel ganz foͤrmlich, durch
klaren Augenſchein, benommen ward. Mit dieſer ihrer Begleiterin landeten
ſie endlich zu Attahuru, woſelbſt ein angeſehener Befehlshaber, Namens
Potatau**) ſie gut aufnahm und in ſeinem Hauſe die zweyte Nacht uͤber beher-
bergte. Auch dieſer hatte ſich von ſeiner Frau Polatehera geſchieden und eine
juͤngere genommen, immittelſt jene ſich ebenfalls einen neuen Liebhaber oder
Mann zugelegt hatte; doch lebten beyde Theile, dieſer Familien-Veraͤnderung
ohngeachtet, ſo friedlich als je, noch immer unter einem Dache. Am folgen-
den Morgen ließ ſich Potatau gegen Herrn Pickersgill verlauten, daß er
ihn gern nach Matavai begleiten wuͤrde, um Capitain Cook zu beſuchen, wenn
er nur gewiß waͤre, von dieſem gut aufgenommen zu werden? Das koͤnnte
ihm Herr Pickersgill allerdings gewiß verſprechen; Potatau aber zog, meh-
rerer Sicherheit wegen, ein Paar gelbe Federn hervor, band ſie in einen
kleinen Buſch zuſammen, und bath Herrn Pickersgill, ſolchen in der Hand
[272]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
zu halten und dabey zu verſprechen, “daß Tute (Capitain Cook) Potatau’s
“Freund ſeyn wolle.“ So bald dies geſchehen war, wickelte er die Federn
ſorgfaͤltig in ein Stuͤckgen Tahitiſches Zeug und ſteckte ſie in ſeinen Turban.
Daß die Einwohner dieſer Inſel dergleichen rothe und gelbe Federn bey ihren
Gebeten zu gebrauchen pflegen, war uns ſchon aus den Nachrichten unſrer
Vorgaͤnger bekannt; daß ſie ſolche aber auch, nach Maasgabe vorbeſchriebner
Ceremonie, zu feyerlichen Betheurungen anwenden, und folglich gewiſſe Be-
griffe vom Eyde unter ſich haben, — das duͤnkte uns eine ganz neue Bemer-
kung zu ſeyn. Potatau mußte das groͤßte Vertrauen in dieſe Ceremonie ſetzen und
vermoͤge derſelben von der Redlichkeit ſeiner Freunde vollkommen uͤberzeugt ſeyn,
denn unmittelbar darauf machte er ſich, in Begleitung ſeiner Gemahlinnen und
verſchiedner Bedienten, die ein Paar Schweine und eine Menge Zeug mit-
nehmen mußten, nach Herrn Pickersgills Boote hin, auf den Weg. Allein
kaum war er unter einem großen Gedraͤnge von Volk bis ans Ufer gekommen,
als ihn die Leute insgeſammt bathen, ſich nicht unter uns zu wagen. Einige
fielen ihm ſo gar zu Fuͤßen und umfaßten ſeine Knie um ihn zuruͤck zu halten. Ver-
ſchiedne Frauensperſonen ſchrien mit thraͤnenden Augen, mehr als einmal, Tute
wuͤrde ihn umbringen, ſo bald er an Bord kaͤme! und ein bejahrter Mann, der
in Potataus Hauſe wohnte und ein alter treuer Diener der Familie zu ſeyn
ſchien, zog ihn bey den Kleidern zuruͤck. Potatau war geruͤhrt; ließ auf
etliche Augenblicke lang einige Beſorgniß blicken, ermannte ſich jedoch bald wie-
der, ſties den warnenden Alten auf die Seite und rief mit entſchloßner
Stimme: Tute aipa matte te tayo, d. i. Cook wird ſeinen Freund nicht
umbringen! Bey dieſen Worten ſprang er ins Boot, mit einer ſtolzen, ih-
res eignen Werths ſich bewußten Dreiſtigkeit, die unſere Englaͤnder mit einer
Art von Ehrfurcht bewunderten. So bald er bey uns auf dem Schiffe an-
kam, eilte er nebſt ſeiner Gemahlin Whainie-au, imgleichen mit ſeiner vo-
rigen Gemahlin und derſelben Liebhaber alsbald nach der Cajuͤtte herab, um dem
Capitain Cook ſeine Geſchenke zu uͤberreichen. Potatau war einer der groͤße-
ſten Maͤnner, die wir auf der Inſel geſehen hatten; dabey waren ſeine Geſichts-
zuͤge ſo voller Sanftmuth, Schoͤnheit und Majeſtaͤt, daß Herr Hodges ſich
gleich daran machte, nach ihm, als einem der edelſten Modelle in der Natur
zu
[273]in den Jahren 1772 bis 1775.
zu zeichnen. Man findet dies Portrait in Capitain Cooks Beſchreibung ge-1773.
Septem-
ber.

genwaͤrtiger Reiſe. Der ganze Coͤrper dieſes Mannes war ungemein anſehnlich
und beſonders ſtark von Gliedern; ſein Schenkel war zum Beyſpiel vollkommen
ſo dick als unſer ſtaͤrkſter Matroſe im Leibe. Seine weitlaͤuftigen Kleidungen nebſt
dem zierlichen weißen Turban ſchickten ſich ſehr gut zu dieſer Figur; und ſein edles
freymuͤthiges Betragen gefiel uns, beſonders in Vergleichung mit O-Tuhs
mißtrauiſchem Weſen, uͤber alle Maaße. Polatehera, ſeine erſte Gemahlin,
war ihm an Groͤße und Corpulenz vollkommen aͤhnlich, und in dieſem Betracht
duͤnkte ſie uns allen die ſonderbarſte Figur von einer Frauensperſon zu ſeyn,
die wir je geſehen hatten. Beydes, ihr Anblick und ihr Betragen, waren
ungemein maͤnnlich, und der Begriff von Gewalt und Herrſchaft ſchien in ihrer
Geſtalt perſonificirt zu ſeyn. Als das Schiff Endeavour hier vor Anker lag,
hatte ſie einen uͤberzeugenden Beweis davon gegeben. Sie nannte ſich da-
mals des Capitain Cooks Schweſter *)Tuaheine no Tute, und als man
ſie, dieſes Namens ohnerachtet, eines Tages nicht ins Fort auf Point
Venus
hineinlaſſen wollte, ſchlug ſie die Schildwache, welche es ihr zu
wehren ſuchte, zu Boden, und klagte darauf ihrem adoptirten Bruder die
ſchimpfliche Begegnung welche ihr wiederfahren waͤre. — Sie waren noch
nicht lange bey uns geweſen, als ſie erfuhren, daß wir ſo gleich unter See-
gel gehen wuͤrden. Daher fragten ſie uns mit allen erfinnlichen Freund-
ſchafts-Bezeugungen und mit Thraͤnen in den Augen, ob wir jemahls wieder
nach Tahiti kommen wuͤrden? Capitain Cook verſprach, in ſieben Monaten
wiederum hier zu ſeyn. Dies ſtellte ſie voͤllig zufrieden; ſie beurlaubten
ſich ganz gelaſſen, und giengen ſodann in ihren Booten, die ihnen bis ans
Schiff gefolgt waren, weſtwaͤrts, nach der Gegend ihres Wohnſitzes zuruͤck.
Mittlerweile kam ein junger Tahitier vom geringſten Stande, wohlgebil-
det und ohngefaͤhr ſiebenzehn Jahr alt, mit ſeinem Vater ans Schiff.
Er hatte ſchon vor einigen Tagen gegen den Capitain geſagt, daß er mitgehn
wolle, no te whennua tei Bretane d. i, „nach dem Lande Britannien.“
Seine ganze Equipage beſtand aus einem ſchmalen Stuͤck Zeug, welches um die
Huͤften geſchuͤrzt war; und in dieſem ganz wehrloſen, huͤlfsbeduͤrftigen Zu-
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. M m
[274]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
ſtande uͤberließ er ſich unſrer Vorſorge und unſerm Schutze voͤllig unbeſorgt.
Sein Vater war ein Mann von mittlern Alter; dieſem gab Capitain Cook
ein Beil und einige andere Sachen von mindern Werthe zum Geſchenk, wor-
auf er ſehr gefaßt und ruhig wieder in ſein Canot hinab ſtieg, ohne bey
der Trennung von ſeinem Sohn die geringſte Betruͤbniß ſpuͤhren zu laſſen.
Kaum aber waren wir zum Rief hinaus, als ein Canot mit zwey oder drey
Indianern nachkam, die den Burſchen, in des Koͤnigs O-Tuh Namen, zuruͤck fo-
derten, und einige Stuͤcke Zeug bey ſich hatten, welche ſie dem Capitain dafuͤr zum
Geſchenk uͤberbringen ſollten. Weil ſie jedoch das Eiſenwerk nicht vorzeigen
konnten, welches wegen des armen Schelmen war verwandt worden, ſo muß-
ten ſie unverrichteter Dinge wieder abziehen. Der Burſche, deſſen Name
Porea war, ſprach, vom Hintertheil des Schiffes aus, lange mit ihnen, und
ſie ließen es gewiß an nichts fehlen, ihn von ſeinem Vorhaben abzubringen, denn,
ſo viel wir verſtehen konnten, prophezeyten ſie ihm den Tod, wenn er bey uns
bleiben wuͤrde; allein dieſe Drohungen machten ihn nicht wankend. Als aber
das Canot wieder nach der Inſel zuruͤckkehrte, konnte er ſich doch nicht enthalten,
ſeinen Cameraden noch lange mit ſehnſuchtsvollen Blicken nachzuſehen, und ward
endlich ſo wehmuͤthig, daß er ſich durch einen Strohm von Thraͤnen Luft
ſchaffen mußte. Um dieſe traurige Stimmung zu unterbrechen, ließen wir
ihn in die Cajuͤtte kommen, wo er uns hoͤchſt betruͤbt vorklagte, daß er nun
ganz gewiß ſterben muͤſſe, und daß ſein Vater ſeinen Verluſt ſchmerzlich bewei-
nen werde. Capitain Cook und mein Vater troͤſteten ihn, und verſprachen,
daß ſie Vaters Stelle an ihm vertreten wollten. Auf dieſe Verſicherung fiel er ih-
nen um den Hals, kuͤßte und druͤckte ſie und gerieth mit einem male aus der
aͤußerſten Verzweiflung in einen hohen Grad von Freude und Luſtigkeit.
Beym Untergang der Sonne aß er ſein Abendbrod und legte ſich alsdenn auf
den Boden der Cajuͤte nieder; da er aber ſahe daß wir uns noch nicht zur
Ruhe begaben, ſo ſtand er wieder auf und blieb bey uns bis wir ebenfalls zu
Nacht gegeſſen hatten.


Es that uns ungemein leid, daß wir dieſe herrliche Inſel jetzt ſchon verlaſſen
ſollten, eben da wir mit den gluͤcklichen Bewohnern derſelben erſt recht bekannt zu
werden anfiengen; denn unſer Aufenthalt hatte in allem nur vierzehn Tage gedauert,
[275]in den Jahren 1772 bis 1775.
und davon waren zween, auf der Reiſe von einem Haven zum andern, gleichſam1773.
Septem-
ber.

verlohren gegangen. Ueberdem hatten wir uns waͤhrend dieſer allzukurzen
Zeit in einem beſtaͤndigen Taumel von Beſchaͤftigungen befunden, und folglich
nur wenig Augenblicke eruͤbrigen koͤnnen, um die Natur der Einwohner zu
ſtudieren. An dieſen fanden wir, in Abſicht ihrer Haushaltung, ihrer Sit-
ten und Gebraͤuche, ſo viel neues und merkwuͤrdiges, daß unſre Aufmerk-
ſamkeit, durch die Menge von Gegenſtaͤnden beym erſten Anblick gleichſam be-
taͤubt wurde; in der Folge aber zeigte ſich, daß das mehreſte ſchon von unſern
Vorgaͤngern war beobachtet worden. Um alſo die Nachſicht der Leſer nicht zu
misbrauchen, habe ich meine gleichſtimmigen Bemerkungen uͤber dieſe Arti-
kel weggelaſſen, und verweiſe ſie wegen der Wohnungen, Kleidungen, Spei-
ſen, haͤuslichen Beſchaͤftigungen, Schiffarth, Krankheiten, Religion und Beer-
digungs-Gebraͤuchen, imgleichen wegen der Waffen, Kriege und Regierungs-
Verfaſſung dieſer Inſulaner, auf Capitain Cooks vorige Reiſe in dem Schiff
Endeavour, welche Dr. Hawkesworth, nebſt mehrern, zum Druck befoͤrdert
hat. Solchergeſtalt wird man vorſtehende Nachrichten von Tahiti nur als
eine Nachleſe und als Erlaͤuterung deſſen anſehen muͤſſen, was bereits vor
mir
davon bekannt geweſen iſt. Bey dem allen hoffe ich, wird gegenwaͤrtige Er-
zaͤhlung doch unterhaltend genug ſeyn, und die beſonderen, eigenthuͤm-
lichen Geſichtspunkte, aus welchen ich verſchiedene ſchon bekannte Gegen-
ſtaͤnde betrachtet habe, werden in manchen Faͤllen auch zu neuen und wichtigen
Betrachtungen Anlaß geben.


—“Capitain Cook bemerkt in ſeiner Reiſebeſchreibung, (1 B. S. 188)
daß der Haven O-Aetipieha auf der kleinern Halbinſel, in 17° 46′ 28″ Suͤdli-
cher Breite und 149° 13′ 24″ weſtlicher Laͤnge von Greenwich gelegen ſey.
Hieraus ſchließt er, daß die Groͤße der ganzen Inſel, welche er in der erſten
Reiſe auf 30 See-Meilen angegeben hatte, *) um ein Merkliches zu geringe
ſey. Die Beobachtungen wegen der Lage der Landſpitze Venus, kamen auf
dieſer Reiſe mit jenen, die der verſtorbene Herr Green ehemals allhier ge-
macht hatte, bis auf ein paar Secunden uͤberein.” —


M m 2
[276]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.

Der Wind, mit welchem wir abſegelten, war ſo ſchwach, daß wir
die Inſel den ganzen Abend hindurch noch nahe im Geſicht behielten, und
die uͤberſchwenglich ſchoͤne Ausſicht auf die Ebene vor uns hatten, welche,
ſelbſt bey dieſer todten Winter-Jahrszeit, den ſchoͤnſten Landſchaften in andern
Gegenden der Welt noch immer zur Seite geſetzt werden konnte. Der fruchtbare
Boden und das wohlthaͤtige Clima bringen von ſelbſt ſo vielerley Arten nahrhaf-
ter Gewaͤchſe hervor, daß die Einwohner in dieſer Abſicht wohl auf eine ungeſtoͤrte
ſorgenfreye Gluͤckſeligkeit rechnen koͤnnen ja, in ſo fern unterm Monde nirgends
etwas vollkommnes, ſondern Gluͤckſeligkeit immer nur ein relativer Begriff iſt,
in ſo fern, duͤrften, im Ganzen genommen, ſchwerlich mehrere Voͤlker der Er-
den ſich einer ſo erwuͤnſchten Lage ruͤhmen koͤnnen! Da nun alle Lebensmittel leicht
zu haben, und die Beduͤrfniſſe dieſes Volks ſehr eingeſchraͤnkt ſind, ſo iſt, natuͤr-
licherweiſe, auch der große Endzweck unſeres coͤrperlichen Daſeyns, die Her-
vorbringung vernuͤnftiger Creaturen, hier nicht mit ſo vielen druͤckenden La-
ſten uͤberhaͤuft und beſchweret, als in civiliſirtern Laͤndern, wo Noth und
Kummer den Eheſtand oft ſo muͤhſelig und ſauer machen. Die guten Leute fol-
gen hier dem Triebe der Natur ganz ohngehindert, und daraus entſteht eine
Bevoͤlkerung, die in Verhaͤltniß zu dem angebauten, nur kleinen Theile der
Inſel ſehr groß iſt. Bis jetzt ſind nur allein die Ebenen und die Thaͤler be-
wohnt, obgleich, der Beſchaffenheit des Erdreichs nach, auch viele von den
Bergen angebauet werden, und noch eine ungeheure Menge von Einwohnern er-
naͤhren koͤnnten. Sollte alſo die Bevoͤlkerung in langer Zeit durch nichts geſtoͤrt
werden, ſo duͤrften die Einwohner auch wohl jene Gegenden zu bauen
anfangen, die gegenwaͤrtig ganz ungenutzt, und ſo zu ſagen, uͤberfluͤßig ſind.
Das Volk lebt in einer Verfaſſung, die ſich gewiſſermaßen mit dem alten eu-
ropaͤiſchen Feudal-Syſtem vergleichen laͤßt; es ſtehet nemlich unter einem allge-
meinen Oberherrn und iſt in die drey Claſſen von Erihs, Manahaunaͤ’s und
Tautaus getheilt. Ohngeachtet zwiſchen dieſen dreyen Claſſen ein weſentlicher
Unterſchied vorhanden iſt; ſo wird die Gluͤckſeligkeit des Volks, im Ganzen ge-
nommen, doch ungleich weniger dadurch beeintraͤchtiget als man glauben ſollte,
denn die Lebensart der Nation iſt uͤberhaupt zu einfach, als daß die Verſchie-
denheit des Standes einen merklichen Unterſchied in ſelbiger zulaſſen koͤnnte.
[277]in den Jahren 1772 bis 1775.
Wo Clima und Landes-Sitte es nicht ſchlechterdings erfordern, daß man ſich1773.
Septem-
ber.

von Kopf bis zu Fuß kleide; wo man auf dem Felde uͤberall Materialien fin-
det, aus denen ſich eine anſtaͤndige und eingefuͤhrte Kleidung verfertigen laͤßt;
und wo endlich alle Beduͤrfniſſe des Lebens einem Jeden faſt ohne Muͤhe und
Handanlegung zuwachſen: Da muͤſſen Ehrgeiz und Neid, natuͤrlicherweiſe, bey-
nahe gaͤnzlich unbekannt ſeyn. Zwar ſind die Vornehmern hier faſt ausſchlieſ-
ſungsweiſe im Beſitz von Schweinen, Fiſchen, Huͤhnern und Kleidungs-Zeuge:
allein, der unbefriedigte Wunſch den Geſchmack mit ein Paar Leckerbiſſen zu kitzeln,
kan hoͤchſtens nur einzelne Menſchen, nicht aber ganze Nationen ungluͤcklich machen.
Dies kann nur gaͤnzlicher Mangel an den unentbehrlichſten Nothwendigkeiten und
gerade dieſer pflegt in civiliſirten Staaten das Loos des gemeinen Mannes, ſo
wie eine Folge von der Ueppigkeit der Großen zu ſeyn. Zu O-Tahiti hingegen,
iſt zwiſchen dem Hoͤchſten und Niedrigſten, im Ganzen genommen, nicht ein-
mal ein ſolcher Unterſchied, als ſich in England zwiſchen der Lebensart eines
Handwerksmannes und eines Tageloͤhners findet. Das gemeine Volk in Ta-
hiti
,
ließ bey allen Gelegenheiten gegen die Vornehmern der Nation ſo viel Liebe
blicken, daß es ſchien, als ſaͤhen ſie ſich insgeſammt nur fuͤr eine einzige Familie
und die Befehlshaber gleichſam nur als ihre aͤlteren Bruͤder an, denen
nach dem Recht der Erſtgeburt, Vorzug gebuͤhre. Vielleicht war auch ihre
Regierungsverfaſſung urſpruͤnglich ganz patriarchaliſch, dergeſtalt, daß man den
allgemeinen Regenten nur “als den Vater des ganzen Volks” achtete, ſo
lange, bis dieſe einfache Regierungsform ſich nach und nach in die jetzige
abaͤnderte. Aber auch jetzt noch finden ſich, in der Vertraulichkeit zwiſchen
dem Koͤnig und ſeinen Unterthanen, Spuren jenes ehemaligen patriarchali-
ſchen Verhaͤltniſſes. Der geringſte Mann kann ſo frey mit dem Koͤnig
ſprechen als mit ſeines gleichen; und ihn ſo oft ſehen als er will. Dies
wuͤrde ſchon mehrern Schwierigkeiten unterworfen ſeyn, ſo bald der Despotis-
mus Grund faſſen ſollte. Auch beſchaͤftigt ſich der Koͤnig zu Zeiten auf eben
die Art als ſeine Unterthanen; noch unverdorben von den falſchen Begriffen eit-
ler Ehre und leerer Praͤrogative rechnet er ſichs keinesweges zur Schande,
nach Maaßgabe der Umſtaͤnde, in ſeinem Canot ſelbſt Hand ans Ruder zu legen.
Wie lange aber dieſe gluͤckliche Gleichheit noch dauern moͤgte? kann man wohl
M m 3
[278]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
nicht fuͤglich beſtimmen; doch ſcheint die Faulheit der Vornehmen, ihr eben
nicht die laͤngſte Dauer zu verſprechen. Vor der Hand iſt zwar die Feld- und
Landarbeit den Tautaus, welche ſie verrichten muͤſſen, noch nicht laͤſtig;
allein, da die ganz arbeitloſen Vornehmen ſich in einem ungleich ſtaͤrkern Ver-
haͤltniſſe vermehren muͤſſen, als jene; ſo wird die dienſtbare Claſſe kuͤnftig im-
mer mehr mit Arbeit beſchwert werden und von dem Uebermaaß derſelben
allerhand uͤble Folgen zu gewarten haben. Das gemeine Volk wird davon un-
geſtalt und ihre Knochen kraftlos werden; die Nothwendigkeit mehr in der
brennenden Sonne zu ſeyn, wird ihre Haut ſchwaͤrzen, und ſie werden, durch
die haͤufigen und fruͤhen Ausſchweifungen ihrer Toͤchter mit den Großen des
Landes, endlich zu zwergigten kleinen Geſtalten ausarten, indeß jene vorneh-
men Muͤßiggaͤnger die Vorzuͤge einer großen Leibesgeſtalt, einer ſchoͤnen Bil-
dung und einer hellern Farbe ausſchließungsweiſe beybehalten werden, weil ſie
allein ihrem gefraͤßigen Appetit ohne Einſchraͤnkung folgen und ſtets in ſorgloſer
Unthaͤtigkeit leben koͤnnen. Endlich wird das gemeine Volk dieſen Druck em-
pfinden und die Urſachen deſſelben gewahr werden, alsdenn aber wird auch das
Gefuͤhl der gekraͤnkten Rechte der Menſchheit in ihnen erwachen und eine Revo-
lution veranlaſſen. Dies iſt der gewoͤhnliche Cirkel aller Staaten. Vor der Hand
ſteht freylich fuͤr Tahiti noch lange keine ſolche Veraͤnderung zu befuͤrchten; ob aber
die Einfuͤhrung des fremden Luxus die Ankunft dieſer ungluͤcklichen Periode
nicht beſchleunigen werde? das muß man den Europaͤern zur ernſtlichen Er-
waͤgung anheim ſtellen. Warlich! wenn die Wiſſenſchaft und Gelehrſamkeit
einzelner Menſchen auf Koſten der Gluͤckſeligkeit ganzer Nationen erkauft wer-
den muß; ſo waͤr’ es, fuͤr die Entdecker und Entdeckten beſſer, daß die Suͤdſee
den unruhigen Europaͤern ewig unbekannt geblieben waͤre.


Zehn-
[279]in den Jahren 1772 bis 1775.

Zehntes Hauptſtuͤck.
Nachricht von unſerm Aufenthalt auf den
Societaͤts-
Inſeln
.


Der Wind, mit welchem wir von Tahiti ſeegelten, ward nach Untergang1773.
Septem-
ber.

der Sonne friſcher und beſchleunigte unſre Entfernung von dieſer gluͤck-
lichen Inſel, die wir jedoch beym Mondenlicht noch immer ſehen konnten.


Am folgenden Tage, den 2ten September, um 11 Uhr, erblickten
wir die Inſel Huaheine, die ohngefaͤhr 25 See-Meilen weit von Tahiti
liegt und vom Capitain Cook am eilften Jul. 1769 entdeckt wurde. Viele
unſrer Leute empfanden nunmehro ſchon die Folgen ihres liederlichen Umgangs
mit den Frauensperſonen in Matavai-Bay, doch hatten alle dergleichen Pa-
tienten die Krankheit nur in einem ſehr gelinden und gutartigen Grade. Man
hat daruͤber geſtritten, ob dies Uebel, durch franzoͤſiſche oder durch engliſche See-
fahrer, nach Tahiti gebracht worden? ohne daran zu denken, daß, zum
Vortheil beyder ſtreitenden Partheyen, noch ein dritter Fall moͤglich ſey. Warum
ſollte man nicht annehmen duͤrfen, daß dieſe Krankheit bereits auf der Inſel
vorhanden war, ehe noch irgend ein Europaͤer dahin kam? Der Umſtand, “daß
keiner von des Capitain Wallis Leuten hier angeſteckt worden,” iſt dieſer
Hypotheſe wenigſtens nicht entgegen, denn er beweiſet nur ſo viel, daß gerade
die Frauensleute rein geweſen ſind, mit denen jene zu thun gehabt. Es kann
ja leicht ſeyn, daß die Einwohner alle mit dieſer Seuche behaftete Weibsperſo-
nen damals ausdruͤcklich von den Europaͤern zuruͤckgehalten haben, weil ſie den
Zorn der maͤchtigen Fremdlinge auf ſich zu laden fuͤrchteten, wenn ſie denſelben
ein ſo haͤßliches Ubel zubraͤchten. *) Wir hoͤrten zwar von einer andern Krank-
heit, welche ſie O-paͤh-no-Peppe (das Geſchwuͤr von Peppe) nannten, und
vorgaben, daß ihnen ſolche von dem eben ſo genannten Schiffe zugefuͤhret wor-
den ſey, welches zwey, oder wie andre wollten, drey, ja gar fuͤnf Monathe
vor uns, hier vor Anker gelegen hatte: Allein, nach der Beſchreibung der
[280]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
Symptomen zu urtheilen, war dieſe Krankheit wohl nicht mehr als eine Art
von Ausſatz; und an der Ausbreitung derſelben, koͤnnen die Spanier oder die
Fremden in dieſem Schiffe, noch uͤberdies ganz unſchuldig ſeyn. Die Krankheit
brauchte nur auszubrechen, als das Schiff ankam, und zwiſchen den Kranken
und der Equipage deſſelben einige, ſelbſt entfernte, Verbindung ſtatt gefunden
haben, ſo war das zur Veranlaſſung jenes Irrthums ſchon genug. Dies iſt um ſo
wahrſcheinlicher, da die Einwohner ohnedem mit verſchiednen Arten von Aus-
ſatz behaftet ſind. Man findet nemlich die Elephantiaſis, die den Yaws aͤhn-
lich iſt: imgleichen einen Ausſatz uͤber die ganze Haut, und endlich ein unge-
heures, faulendes Geſchwuͤr unter ihnen, das abſcheulich anzuſehen iſt. Doch
ſind alle dieſe Gattungen ungemein ſelten anzutreffen, vornemlich die letzte Art,
welches ohne Zweifel dem treflichen Clima und der einfachen unſchuldigen Koſt
dieſer Inſulaner zuzuſchreiben iſt; ein Vorzug ihrer Lebensart, der nie genug
angeruͤhmt und mit Recht als die Haupturſach angeſehn werden kann, daß jene
Zufaͤlle ſo ſelten, ja uͤberhaupt faſt keine gefaͤhrliche und toͤdtliche Krankheiten in
Tahiti anzutreffen ſind.


Bey Untergang der Sonnen legten wir, 2 See-Meilen von Hua-
heine
,
bey; giengen am folgenden Morgen um 4 Uhr um das Nord-Ende die-
ſer Inſel herum, und ſteuerten ſodann dem Haven O-Wharre zu. Hua-
heine
wird durch einen tiefen See-Arm in 2 Halb-Inſeln getheilt, die vermit-
telſt einer niedrigen Landenge zuſammenhaͤngen, welche zur Fluthzeit gaͤnzlich
unter Waſſer ſtehet. Die Berge ſind nicht ſo hoch als auf Tahiti, und ſchei-
nen, dem aͤußern Anſehen nach, ehemals Volcane geweſen zu ſeyn. Der Gipfel
des hoͤchſten war ſo geformt als es der Schlund eines feuerſpeyenden Ber-
ges zu ſeyn pflegt, und an einer Seite gab es einen ſchwarzen ſchwammichten
Fels, der ungemein Laven-artig ausſahe. Bey Aufgang der Sonne erblickten wir
noch etliche andre, zu den Societaͤts-Inſeln gehoͤrige Eylande, als O-
Raietea
*)O-Taha und Borabora**). Letzteres beſtehet, gleich der In-
ſel
[281]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſel Maͤatea, aus einem einzigen hohen Berge, der aber ungleich anſehn-1773.
Septem-
ber.

licher iſt als jenes. Die oberſte Spitze dieſes Berges hatte ebenfalls die Form
eines volcaniſchen Schlundes. Es giebt zwo Einfahrten in den Haven O-
Wharre
,
in deren ſuͤdlichſte wir einzulaufen gedachten, und da uns eben ein
ſtarker Wind vom Lande her entgegen blies, ſo hatten unſre Seeleute Gele-
genheit ihre Kunſt zu verſuchen, um ſich dagegen hineinzuarbeiten. Der Ein-
gang iſt ohngefaͤhr 5 bis 6 hundert Schritt lang, und zwiſchen den beyden Fel-
ſen-Rieffs kaum drey hundert Fus breit; gleichwohl machte unſer Schiffs-
Volk, in dieſer engen und gefaͤhrlichen Durchfahrt, mit bewundrungswuͤrdiger
Geſchicklichkeit, ſechs bis ſieben Seitenwendungen, deren jede nur ohngefaͤhr
2 oder 3 Minuten dauerte. Wir waren noch nicht ganz hindurch, als die Adven-
ture,
die hinter uns her ſeegelte, beym Umwenden dem einen Rieffe zu nahe
kam, und ungluͤcklicherweiſe mit der Seite an dem Coral-Felſen ſitzen blieb.
Wir konnten ihr in dieſem Augenblick nicht gleich Huͤlfe leiſten, weil wir ſelbſt
alle Haͤnde voll zu thun hatten, um unſer eigenes Schiff gluͤcklich durchzubringen.
So bald wir aber vor Anker gekommen waren, welches nicht lange anſtand,
ſchickten wir unſre Boote ab, und ließen ſie in den Haven hereinboogſieren.
Sie hatte keinen Schaden gelitten, ſondern war ſo gut davon gekommen als
unſer Schiff bey Teiarrabu, woſelbſt es ehemals auch auf den Grund gera-
then war. (S. weiter oben Seite 198.)


Das Land ſahe hier eben ſo aus als zu Tahiti, nur waren die Ge-
genden und Ausſichten alle nach einem kleinern Maasſtabe als dort, denn die
ganze Inſel hat nur ohngefaͤhr 6 bis 8 See-Meilen im Umkreiſe. Es giebt
folglich nirgends große Ebenen, auch nur ſelten dergleichen kleine ſanfte An-
hoͤhen, als man zu Tahiti vor den hoͤheren, landeinwaͤrts gelegenen Bergen findet
welche letzteren hier, zu Huaheine, unmittelbar bis auf die Ebenen reichen. Im
Ganzen [fehlt] es indeſſen keineswegs an ſchoͤnen Stellen, nur daß ſie durchgaͤngig
von geringem Umfange ſind. Außerhalb des Rieffs kam uns nicht ein einziges
Canot entgegen; wir waren aber kaum vor Anker gegangen, als ſich verſchie-
dene, mit Coconuͤſſen, Brodfrucht und großen Huͤhnern, einfanden. Der An-
blick von Huͤhnern war uns beſonders angenehm, denn zu Tahiti hatten wir
nur ein einziges Paar auftreiben koͤnnen, ſo ſehr war dieſe Inſel durch die vorigen
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. N n
[282]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
Seefahrer davon entbloͤßet worden. Einer von den Indianern, die zu uns
an Bord kamen, hatte einen ungeheuren Hodenbruch, doch mußte ihm ſolcher
wohl nicht viel Unbequemlichkeit verurſachen, wenigſtens ſtieg er die aͤußere
Schiffsleiter ganz ſchnell und leicht herauf. Das Volk redete dieſelbige Spra-
che, war eben ſo gebildet und auch eben ſo gekleidet als die Leute auf Tahiti,
aber von Frauensperſonen kam nicht eine einzige zum Vorſchein. Im Handel
giengen ſie ſehr ehrlich zu Werke, und in kurzer Zeit hatten wir fuͤr Naͤgel und
Corallen ein Dutzend großer Haͤhne von vortreflichem Gefieder eingekauft. Ge-
gen 11 Uhr verfuͤgten ſich die Capitains ans Land, nach einem Wetterdache hin,
das bis auf die Erde herabreichte, um ein großes doppeltes Canot zu ſchuͤtzen,
welches unter demſelben aufs trockne gezogen war. Hier ſtellten ſie Jemanden
an, um mit den Einwohnern Handel zu treiben, und dieſer gieng ſo gut von ſtatten,
daß wir, noch ehe es Abend war, ſchon zwanzig Schweine und ohngefaͤhr ein
Dutzend Hunde, gegen große Naͤgel und kleine Beile beyſammen hatten. Die
Hunde waren das dummſte Vieh ihrer Art, wurden aber von den Einwoh-
nern, unter allem Fleiſchwerk, fuͤr das ſchmackhafteſte gehalten. Beym erſten
Ausgange ſtießen unszwey Pflanzen auf, die wir noch nie geſehen hatten; auch
fanden wir, daß die Brodfrucht-Baͤume hier ſchon junge Fruͤchte, ſo groß als
kleine Aepfel, angeſetzt hatten, doch gehoͤrten nach Ausſage der Einwohner wohl
noch vier Monathe Zeit dazu bis ſie reif wurden. Der Gegend, wo wir lande-
ten, ſchien es ganz an Piſang zu fehlen, allein aus einem andern Diſtrikt brach-
ten uns die Einwohner etliche Buͤſchel von dergleichen Frucht, und folglich muͤſ-
ſen ſie ihre Obſtbaͤume ſo zu behandeln wiſſen, daß einige fruͤher, andere ſpaͤ-
ter tragen. Dieſe ſpaͤten Fruͤchte koͤnnen aber, wie leicht zu erachten, eben
nicht in Menge gezogen werden, und moͤgen wohl nur fuͤr die Tafeln der Großen
beſtimmt ſeyn.


Zum Mittags-Eſſen kehrten wir an Bord zuruͤck, giengen aber gleich
nach Tiſche wiederum ans Land, und erfuhren bey dieſer Gelegenheit, daß die
Befehlshaber der Inſel am folgenden Tage zum Vorſchein kommen wuͤrden.
Beym Spatzierengehen hatten wir hier weder ſo viele, noch ſo laͤſtige Begleiter,
als in Tahiti. Wenn ich den Ort neben dem Wetterdach, wo Markt gehalten
wurde, und andre dergleichen allgemeine Sammelplaͤtze ausnehme, ſo waren
[283]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſelten mehr als 15 bis 20 Perſonen um uns. Dieſer Unterſchied ruͤhrte wohl1773.
Septem-
ber.

hauptſaͤchlich daher, daß Huaheine ungleich kleiner, mithin auch weniger volk-
reich iſt als Tahiti; außerdem waren die hieſigen Einwohner auch noch nicht
bekannt genug mit uns, um vom Mitlaufen Vortheil zu erwarten; und uͤber-
haupt fanden wir ſie weder ſo neugierig, noch ſo furchtſam als die Tahitier,
welche freylich hinreichende Urſach hatten unſre Guͤte zu ehren und die Ueber-
macht unſers Feuergewehrs zu fuͤrchten.


Unſer Tahitiſcher Reiſe-Gefaͤhrte Porea gieng, in einem linnenen Ober-
rock und ein Paar Schifferhoſen, mit ans Land. Er trug Capitain Cooks
Pulverhorn und Hagel-Beutel, und wuͤnſchte, daß man ihn hier fuͤr einen von
unſern Leuten anſehen moͤchte. Zu dem Ende redete er ſeine Mutterſprache nie;
ſondern murmelte allerhand unverſtaͤndliche Toͤne her, wodurch ſich das hieſige
Volk auch wirklich hintergehen ließ. Um dieſen Betrug noch mehr zu beguͤn-
ſtigen, wollte er auch nicht laͤnger bey ſeinem Tahitiſchen Namen Porea genannt
ſeyn, ſondern einen Engliſchen haben. Die Matroſen nannten ihn daher
Tom, womit er ſehr wohl zufrieden war; auch lernte er bald die gewoͤhnliche
Antwort: Sir! die er aber Dſjorro ausſprach. Wir konnten nicht abſe-
hen, was er mit dieſer Masquerade vorhabe, vermuthlich aber glaubte er in
der Geſtalt eines engliſchen Matroſen mehr zu bedeuten als ein Tahitiſcher
Tautau.


Am folgenden Tage begleitete mein Vater die Capitains nach dem
Markt-Platze, von da ſie ſich wieder einſchifften und bis an das Nord-Ende des
Havens hinauffuhren. Hier landeten ſie bey einem nahe am Ufer gelegenen Hauſe,
vor welchem der Befehlshaber Ori, (der im Namen ſeines Neffen des eigent-
lichen Koͤniges Tehritaͤria die Regierung der ganzen Inſel verwaltete) un-
ter einer Menge ſeiner Bedienten im Graſe ſaß. Bey dieſem Anblick wollten
ſie eiligſt aus dem Boote ſteigen, zwey Indianer aber, die ſich am Markt-
platze mit eingeſchifft hatten, baten ſie, noch ſitzen zu bleiben, bis man ihnen
einige junge Piſangſtaͤmme zum Zeichen des Friedens und der Freundſchaft wuͤrde
N n 2
[284]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
uͤberreicht haben. Ehe dieſes erfolgte, brachten die Indianer zwey dergleichen
kleine Baͤume herbey, die von unſrer Seite uͤberreicht und zu dem Ende mit
Naͤgeln, Spiegeln, Medaillen und andern Kleinigkeiten mehr behangen wer-
den ſollten. So bald dies geſchehen war, trugen ſie ſolche vor einem Theil
unſrer Mannſchaft her, ans Land, und uͤbergaben ſie daſelbſt in ihrem Bey-
ſeyn dem Ori. Bey Darreichung des erſten bathen ſie zu ſagen: No t’ Ea-
tua!
d. i. fuͤr die Gottheit; und bey dem zweyten: na te tayo O-Tute no
Ori
d. i. vom Freunde Cook an Ori. Dagegen wurden, von Seiten der
Inſulaner, unſern Leuten fuͤnf andre Plantan-Zweige, einer nach dem andern,
mit folgenden Umſtaͤnden uͤberliefert:


Der erſte ward, nebſt einem Schweine, mit den Worten na t’ Erih, d. i.
“von Seiten des Koͤnigs” uͤberreicht. Unter dem Koͤnige ward T’ Erih
Taͤria,
ein Kind von ſieben bis acht Jahren, verſtanden.


Der zweyte, ebenfalls mit einem Schweine, no t’ Eatua “fuͤr die
Gottheit.”


Der dritte, no te Toimoi. Dies verſtanden wir damals nicht, in
der Folge aber zeigte ſich, daß es ſo viel als: “zum Wilkommen!” bedeute.


Der vierte mit einem Hunde, no te Taura, „vom Strick.“ Ob wir
gleich das Wort verſtanden, ſo war uns doch die Bedeutung davon noch dunk-
ler als die vorhergehende, und was das ſchlimmſte iſt, ſo haben wir auch nie
dahinter kommen koͤnnen.


Der letzte ward wiederum mit einem Schweine, na te tayo Ori
no Tute,
„von Freund Ori an Cook“ uͤberliefert.


Beym Schluſſe der Ceremonie, zog der Mann, der alle dieſe Dinge
gebracht hatte, noch ein rothes Beutelchen hervor, worinn ein Rechenpfennig
und eine Zinnplatte verwahrt wurde, auf welcher ſich folgende Inſchrift fand:
His Britannic Majeſty’s Ship Endeavour. Lieutenant Cook
commander. 16. July 1769
. Huahine.

d. i. Seiner Koͤniglich-Großbrittanniſchen Majeſtaͤt Schiff Endeavour, unter
dem Befehl des Lieutenant Cook, am 16. Jul. 1769. zu Huaheine.*)
[285]in den Jahren 1772 bis 1775.
Dies Zeugnis von Capitain Cooks erſtem Beſuch auf der Inſel Huaheine, hatte1773.
Septem-
ber.

letzterer dem Orih ehemals mit dem Bedeuten eingehaͤndigt, daß ers nie aus
ſeiner Verwahrung kommen laſſen muͤſſe; und dieſer ließ es jetzt vermuth-
lich deshalb wieder vorzeigen, damit man ſehen ſollte, daß jene Vorſchrift
genau befolgt worden ſey. So bald der Capitain alle dieſe Sachen in
Empfang genommen hatte, ſtieg er mit ſeinem ganzen Gefolge ans Land, und
umarmte den Orih, der ein alter, magerer, triefaͤugiger Mann, zwiſchen 50
und 60 Jahren war. Er nahm unſre Leute als gute Bekannte und Freunde auf,
ſchenkte auch dem Capitain noch uͤberdies etliche große Ballen Zeug. Und nun
waͤhrete es nicht lange, ſo fanden ſich die Einwohner haufenweiſe bey der Woh-
nung ihres Befehlshabers ein, und brachten Huͤhner, Schweine und Hunde in
Menge zum Verkauf, die wir auch gegen Naͤgel, Meſſer und kleine Beile ſehr
bald einhandelten.


Immittelſt daß dieſes vorgieng, marſchirte ich nebſt Doct. Sparmann
vom Marktplatze aus, zu Lande, hieher nach Ori’s Wohnhauſe. Unterwegens
ſahen wir aller Orten viel Schweine, Hunde und Huͤhner. Letztere liefen frey
in den Waͤldern umher, und ſaßen auf den Brodfrucht-Baͤumen. Auch die
Schweine hatten Freyheit herum zu laufen, doch bekamen ſie ihr abgemeſ-
ſenes Futter, welches ihnen gemeiniglich von alten Weibern gegeben ward.
Vorzuͤglich ſahen wir die beſondere Manier, wie eine alte Frau ein kleines Ferken
mit dem geſaͤuerten Brodfrucht-Teige (Mahei) fuͤtterte. Sie hatte das Thier
in einer Hand, und mit der andern hielt ſie ihm ein Stuͤck Schweinefell vor.
So bald es nun das Maul oͤfnete, um darnach zu ſchnappen, fuhr ſie ihm
mit einer Handvoll des ſauren Teiges hinein, den es ohne dieſen Kunſtgriff
nicht mochte. Die Hunde waren ihrer außerordentlichen Dummheit ohnerachtet
bey dem hieſigen Frauenzimmer in hohen Gnaden. Keine europaͤiſche Dame
nach der Mode haͤtte die Sorgfalt fuͤr ihr Schoßhuͤndchen weiter treiben und
ſich laͤcherlicher dabey geberden koͤnnen. Unter andern reichte eine Frau von
mittlerm Alter einem jungen Hunde ihre volle Bruſt hin. In der Meynung
daß dieſes bloß aus uͤbertriebener Zaͤrtlichkeit fuͤr das Thier geſchaͤhe; konnten
wir uns nicht enthalten, ihr dieſen Misbrauch zu verweiſen, allein ſie lachte
nur dazu, und ſagte, daß ſie ſich zuweilen auch von kleinen Ferken ſaugen
N n 3
[286]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
laſſe. Indeſſen erfuhren wir, bey weiterer Nachfrage, daß ſie ohnlaͤngſt ein
ſaͤugendes Kind verlohren habe, und folglich hatten wir ihr durch unſre Vermu-
thung zu viel gethan, denn in dergleichen Faͤllen iſt es ein ganz erlaubtes und
ſelbſt in Europa hin und wieder uͤbliches Mittel, ſich von einem Hunde ſaugen
zu laſſen. *) Die Hunde auf dieſen Inſeln ſind kurz von Leibe, und von
ſehr verſchiedener Groͤße, vom Schooshunde an, bis zum groͤßten Pudel. Der
Kopf iſt dick; die Schnautze ſpitzig; die Augen ſind ſehr klein; die Ohren ſte-
hen aufrecht und das Haar iſt lang, ſchlicht, hart und von allerhand Farben,
gemeiniglich aber weiß und braun. Sie bellten faſt niemals; dagegen heulten
ſie zuweilen, und gegen Fremde waren ſie ausnehmend ſcheu.


Wir trafen hier unterſchiedliche Voͤgel an, dergleichen wir auch auf
Tahiti gefunden hatten; außer dieſen aber noch einen blauen, weisbaͤuchigten
Eisvogel und einen grauen Reiher. Als wir von letztern beyden Gattungen
etliche ſchoſſen, zeigte ſich, daß verſchiedene Leute eine Art von religioͤſer Ehrerbie-
thung dafuͤr hegten, indem ſie dieſelben Eatua’s nannten, ein Name den ſie ſonſt
nur der Gottheit beyzulegen pflegen. Doch gab es auch wieder eben ſo viel wo
nicht noch mehr andre, die uns dergleichen Voͤgel von freyen Stuͤcken aufſu-
chen halfen und todt zu ſchießen baten; auch bezeigte von der Gegenpartey nie-
mand ausdruͤcklichen Unwillen, wenn wir einen ſolchen Vogel erlegt hatten.
Fuͤr Goͤtter ſehen ſie dieſelben nicht an, denn nach ihren Religions-Begriffen
ſind die Goͤtter unſichtbar; allein die Benennung Eatua ſcheint doch einen hoͤ-
hern Grad von Achtung anzudeuten, als man in unſern Laͤndern wohl gegen
Schwalben, Stoͤrche und andere dergleichen Voͤgel bezeigt, die man vor den
Verfolgungsgeiſt muthwilliger Jungen ſicher zu ſtellen wuͤnſcht. In dieſem und
andern die Religion und Landes-Verfaſſung betreffenden Umſtaͤnden, ſind wir
aber nicht im Stande hinlaͤngliche Auskunft zu geben; denn wegen der Kuͤrze
unſers Aufenthalts und mangelhaften Kenntniß der Landes-Sprache wars nicht
moͤglich von allem gehoͤrigen Unterricht zu erlangen.


Mittlerweile waren wir immer weiter gegen die Nord-Seite des Havens
fortgegangen, wo Herr Smith die Aufſicht uͤber die Matroſen hatte, die un-
[287]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſre leeren Waſſerfaͤſſer anfuͤllen mußten. Wir trafen eine Menge Indianer1773.
Septem-
ber.

bey ihm an, die ſo viel Schweine zu Kaufe brachten, daß wir nun reichlichen
Vorrath an friſchem Fleiſch hatten, und alle Leute auf beyden Schiffen damit
ſpeiſen konnten. Fruͤchte und gruͤnes Kraͤuterwerk hingegen war ſo ſelten, daß
wir faſt gar keine Piſange, Brodfruͤchte, oder Coconuͤſſe zu ſehen bekamen, ſon-
dern uns mit Yamwurzeln begnuͤgen mußten, die wenn ſie abgekocht waren,
ſtatt des Brodts zum Fleiſch gegeſſen wurden. Von hieraus giengen wir
weiter laͤngſt dem Strande, der aus feinem weißen Muſchel-Sande be-
ſtand, und von niedrigen Cocos-Palmen nebſt allerhand anderm Gebuͤſch
beſchattet wurde, langten um Mittagszeit bey Orihs Wohnung an, und
fuhren endlich mit dem Capitain Cook und der uͤbrigen Geſellſchaft
wieder an Bord zuruͤck. Letzterer war im Handel mit den Eingebohr-
nen noch gluͤcklicher geweſen als alle die andern dazu beſtellten Leute, ſo
daß wir fuͤr der Menge des Eingekauften kaum Platz im Boote hatten. Nach-
mittags giengen wir abermals nach Ori’s Hauſe und trafen eine große Anzahl
der vornehmſten Inſulaner bey ihm. Wir hatten alſo Gelegenheit eine Menge
von Leuten allerhand Standes beyſammen zu ſehen, fanden ſie aber durchge-
hends den Tahitiern ſo aͤhnlich, daß uns zwiſchen beyden Voͤlkern, im Aeußern
kein Unterſchied zu ſeyn duͤnkte; auch konnten wir nicht abſehen, daß die Frau-
ensperſonen hier heller von Farbe und ſchoͤner als auf den uͤbrigen Inſeln ſeyn
ſollten, *) wie andre Reiſende wollen bemerkt haben. Indeſſen koͤnnen auch
hierinn die Umſtaͤnde oft den Schein aͤndern, und das mag bey unſern Vor-
gaͤngern der Fall geweſen ſeyn. Wodurch ſich aber die hieſigen Frauenzimmer
von den Tahitierinnen wuͤrklich unterſchieden, war, daß ſie um Corallen und
andre ſolche Geſchenke nicht ſo ſehr bettelten, desgleichen mit ihren Gunſtbe-
zeigungen nicht ſo freygebig waren als jene. Zwar nahmen etliche Frauensleute,
ſowohl bey unſrer Landung als auch bey unſrer Ruͤckkehr nach dem Boote eine
eben ſo unanſtaͤndige Ceremonie vor, als in Capitain Cooks voriger Reiſe von
einer Tahitierinn, Namens Uraͤtua erzaͤhlet wird; doch waren es nur Per-
ſonen vom niedrigſten Volke, auch machten ſie nie ſolche Vorbereitungen dazu
[288]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
als jene; *) Allein, in ihrem Betragen waren beyde Nationen ſchon merklicher
von einander verſchieden. Ueber einen allzu hohen Grad von Gaſtfreyheit,
hatten wir uns zum Exempel hier in Huaheine eben nicht zu beſchweren, auch
war es hier gar nicht, wie wohl in Tahiti, Mode, von freyen Stuͤcken Ge-
ſchenke, oder wenigſtens Gegengeſchenke, zu machen. Dagegen fielen uns die
Leute, wenn wir ſpatzieren giengen, auf keine Weiſe zur Laſt, waren auch, im
Ganzen genommen, viel gleichguͤltiger und bey weitem nicht ſo furchtſam
als die Tahitier, weshalb ſie auch beym Losbrennen unſeres Schießge-
wehrs keine Verwunderung, geſchweige Schreck verriethen. Jedoch, alles das war
augenſcheinlich blos eine Folge der verſchiednen Begegnung, welche die Ein-
wohner beyder Inſeln von den Europaͤern ehemals erfahren hatten. In Ab-
ſicht der Gaſtf[v]eyheit muß ich noch anzeigen, daß es auch hier nicht an einzel-
nen Beyſpielen fehlte. Unter andern wurde mein Vater von einem Befehlshaber,
Namens Taunua, nach ſeinem Hauſe eingeladen, welches in der Mitte der Ebne
lag; hieſelbſt ward er ſehr wohl bewirthet und hatte außerdem noch Gelegenheit
ein ſolches Bruſtſchild einzukaufen, deren weiter oben, in der Geſchichte un-
ſers Aufenthalts zu O-Tahiti gedacht worden iſt.


Ori kam am folgenden Morgen fruͤhe mit ſeinen Soͤhnen an Bord.
Der aͤlteſte, ein huͤbſcher Knabe von ohngefaͤhr 11 Jahren, nahm unſre Ge-
ſchenke mit großer Gleichguͤltigkeit an; dagegen fand er, ſo wie alle uͤbrigen
Bewohner dieſer Inſel, großen Wohlgefallen am Dudelſack, und bat, daß
beſtaͤndig darauf geſpielt werden moͤgte. Bey der ehemaligen Anweſenheit des
Capitain Cooks,**) hatte Ori den Namen Cuki angenommen, und ließ ſich,
auch noch jetzt, beſtaͤndig alſo nennen. Nachdem dieſer vornehme Gaſt eine
Zeitlang an Bord geweſen war, gingen wir mit ihm ans Land zuruͤck, und theil-
ten uns in verſchiedne Partheyen, um Pflanzen und andre Merkwuͤrdigkeiten
aufzuſuchen. Als wir Abends wieder zuſammen ſtießen, erzaͤhlte uns Doct.
Sparrmann, der ganz allein bis an das noͤrdliche Ende der Inſel gegangen war,
daß er einen großen Salz-See angetroffen, der einige Meilen lang, und mit
dem
[289]in den Jahren 1772 bis 1775.
dem See-Ufer parallel, aber rings umher von faulem Schlamm umgeben waͤre,1773.
Septem-
ber.

welches einen unertraͤglichen Geſtank verurſache. Er hatte daſelbſt verſchiedne
Pflanzen gefunden, die in Oſtindien haͤufig genug, in den uͤbrigen Suͤd-See-
Inſeln
aber nicht ſo gemein ſind. Der Indianer, durch den er ſich die
eingeſammelten Pflanzen hatte nachtragen laſſen, war ihm außerordentlich
treu geweſen. Wenn Er ſich niederließ, um Pflanzen zu beſchreiben, ſo ſetzte
der Indianer ſich hinter ihn und hielt die Schoͤße ſeines Kleides in beyden
Haͤnden feſt, um, wie er ſagte, die Taſchen vor den Dieben in Acht zu nehmen.
Vermittelſt dieſer Vorſicht war dem Doctor auch nicht das geringſte entwandt wor-
den; einige Indianer aber hatten ihn durch Schimpfworte und ſchiefe Geſichter
ausgehoͤhnt, vermuthlich in der Meynung, daß ſie nichts dabey wagten, weil
er ſo allein war.


Am folgenden Tage gieng er von neuem, ohne alle Begleitung, ſpatzie-
ren, indeß wir und Capitain Cook auf dem Marktplatze blieben. Ehe wir
es uns verſahen, draͤngte ſich ein Indianer, Namens Tubaï, der in verſchiedne
große Stuͤcke rothgefaͤrbten Zeuges gekleidet war und einige Buͤndel Vogelfedern
am Guͤrtel haͤngen hatte, aus dem großen Haufen hervor, und verbot dem Volk,
uns weder Schweine noch Brodfrucht zu verkaufen; zu gleicher Zeit bemaͤchtigte
er ſich eines Beutels mit Naͤgeln, den der Schiff-Schreiber in Haͤnden hatte:
Als aber dieſer um Huͤlfe rief, ließ er ihn wieder fahren, und nahm dagegen ei-
nem unſrer juͤngern Mitreiſenden, der eben um ein großes Huhn handelte, mit
Gewalt einen Nagel ab, unter der Bedrohung, ihn zu Boden zu ſchlagen, wenn
er ſich widerſetzen wuͤrde. Capitain Cook, der ſchon im Begriff war, ſich nach
dem Schiffe uͤberſetzen zu laſſen, hoͤrte kaum von dieſem Vorfalle, als er ſogleich
umkehrte und darauf beſtand, daß Tubai, den Marktplatz augenblicklich ver-
laſſen ſollte. Weil nun dieſer keine Luſt dazu bezeigte, gieng er ihm ſogleich zu
Leibe und bemaͤchtigte ſich der beyden Keulen, die jener in Haͤnden hatte.
Er ſtraͤubte ſich zwar dagegen, ſo bald aber der Capitain den Hirſchfaͤnger zog, lief er
davon. Die Keulen, welche von Caſuarina-Holz waren, wurden hierauf nach des
Capitains Vorſchrift zerbrochen und in die See geworfen. Dem Anſehen nach be-
fuͤrchteten die Einwohner von dieſem Auftritt ſchlimme Folgen, denn ſie fiengen an ſich
gleich von dem Marktplatz zu entfernen; man rief ſie aber wieder zuruͤck, und alle
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. O o
[290]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
geſtanden, Tubai ſey: tata-ihno (ein boͤſer Mann.) Sie ſchienen folglich uͤber-
zeugt, daß das Recht auf unſrer Seite ſey; gleichwohl hatte ſich Capi-
tain Cook kaum ins Boot geſetzt, um zur Sicherheit des Marktplatzes ein
Commando See-Soldaten vom Schiffe zu holen, als der ganze Haufen mit
einemmale von uns fortrannte. Wir konnten nicht begreifen, was hieran
ſchuld ſey; allein es dauerte kaum ein Paar Minuten, ſo klaͤrte ſich das Raͤtzel von
ſelbſt auf, indem Dr. Sparrman faſt ganz nackend und mit ſichtbaren Merkma-
len einiger harten Schlaͤge zu uns hergelaufen kam. Es hatten ſich nemlich zwey
Indianer zu ihm geſellet und ihn, unter ſteten Freundſchaftsverſicherungen und mit
vielfaͤltigem Tayo! gebeten, weiter ins Land heraufzugehen; allein, ehe er
ſichs verſahe, riſſen ſie ihm den Hirſchfaͤnger, welches ſein einziges Gewehr
war, von der Seite, und als er ſich hierauf buͤckte, um nach einem Steine zu
greifen, gaben ſie ihm einen Schlag uͤber den Kopf, daß er zu Boden fiel und riſſen
ihm alsdann die Weſte nebſt andern Kleidungsſtuͤcken, die ſich abſtreifen ließen,
vom Leibe. Zwar machte er ſich wieder von ihnen los und rannte gegen den
Strand herab; allein ungluͤcklicherweiſe blieb er mit einem Fus in dem klei-
nern Strauchwerk haͤngen, worauf ſie ihn wieder einholten und mit Schlaͤgen
mißhandelten, davon verſchiedene in die Schlaͤfe trafen. Von dieſen letztern
betaͤubt, zogen ſie ihm das Hemd uͤber den Kopf, und da es durch die Knoͤpfe
feſt gehalten ward, ſo waren ſie ſchon im Begriff, ihm die Haͤnde abzuhacken, als
er zum großen Gluͤck wieder zu ſich ſelbſt kam, und die Ermel mit den Zaͤhnen auf-
biß, da denn die Raͤuber mit ihrer Beute davon liefen. Kaum hundert Schritt
weit von dem Ort, wo dieſes vorgegangen war, ſaßen einige Indianer bey ihrer
Mittagsmalzeit, die ihn im Vorbeylaufen baten, ſich bey ihnen niederzulaſſen;
allein er eilte was er konnte nach dem Marktplatze zu. Etwas weiter traf er zwey
Indianer an, die, als ſie ihn nackend ſahen, ſogleich ihre eigne Ahaus (Kleider)
auszogen, ihn darinn einhuͤlleten und bis zum Marktplatz hin begleiteten. Nach-
dem man dieſe rechtſchaffnen Leute aufs Beſte belohnt hatte, eilten wir alle
an Bord, in der Abſicht mit ſtaͤrkerer Mannſchaft wieder nach dem Lande
zuruͤckzukehren. Dr. Sparrman zog andre Kleider an und verfuͤgte ſich ſo-
dann mit uns nach Orihs Wohnung, wo wir unſre Klage anbrachten. Der
gute Alte war gleich bereit mit Capitain Cook gemeinſchaftliche Sache zu ma-
[291]in den Jahren 1772 bis 1775.
chen und die Diebe aufzuſuchen; ohnerachtet dieſer Entſchluß alle ſeine Ver-1773.
Septem-
ber.

wandten in Furcht und Schrecken ſetzte. Mehr als funfzig anweſende Perſonen,
Maͤnner und Weiber, fiengen an bitterlich zu weinen, als ſie ſahen, daß er mit
uns ins Boot ſtieg. Einige ſuchten, mit den ruͤhrendſten Stellungen, ihn da-
von abzurathen; Andre umarmten und hielten ihn zuruͤck. Allein er ließ ſich
nichts anfechten und aͤußerte im Mitgehen, er habe nichts zu fuͤrchten, weil
er ſich nichts vorzuwerfen habe. Mein Vater erbot ſich, zu ihrer Beruhigung,
als Geißel bey ihnen zu bleiben, allein Orih wollte es nicht zugeben, und nahm,
von allen ſeinen Verwandten, nur einen einzigen mit an Bord. Wir ruder-
ten nunmehro in eine, den Schiffen gerade gegenuͤber liegende, tiefe Bucht,
als in welcher Gegend die Raͤuberey vorgegangen war. Von hieraus mar-
ſchirten wir tief ins Land hinein, jedoch ohne Erfolg, weil die Leute, welche
Ori zu Ergreifung der Raͤuber abgeſchickt, ihre Schuldigkeit nicht gethan hat-
ten. Wir mußten alſo unbefriedigt wieder um- und nach dem Schiffe zuruͤck-
kehren, wohin uns auch Orih begleitete, ohne ſich durch die Thraͤnen einer alten
Frau und ihrer ſchoͤnen Tochter davon abhalten zu laſſen. Als die junge Perſon
ſahe, daß ihr Weinen nichts helfen wollte, ergrif ſie in einer Art von Verzweif-
lung etliche Muſchel-Schaalen, und ritzte ſich damit am Kopf, daß das Blut
darnach floß, die Mutter aber entriß ihr ſolche und begleitete uns, ſowohl als
Ori, nach dem Schiffe. Dieſer ließ ſichs ſehr gut bey uns ſchmecken; die Frau
hingegen wollte, der Landesgewohnheit nach, von unſern Speiſen nichts anruͤh-
ren. Nach Tiſche brachten wir ihn wieder nach ſeinem Hauſe zuruͤck, woſelbſt
ſich die vornehmſten Familien der Inſel verſammlet hatten und in großer Be-
truͤbniß, zum Theil weinend, auf der Erde ſaßen. Wir ſetzten uns ganz geruͤhrt
zu ihnen und boten alle unſre Tahitiſche Beredſamkeit auf, um ſie wieder
vergnuͤgt und guten Muths zu machen. Die Frauensperſonen waren vorzuͤg-
lich niedergeſchlagen und konnten ſich in langer Zeit nicht wieder zufrieden ge-
ben. Die Betruͤbniß dieſer Inſulaner war in gegenwaͤrtigem Fall ein ſo augen-
ſcheinlicher Beweis von der Guͤte ihrer Herzen, daß wir uns nicht enthalten
konnten, aufrichtigen Antheil an derſelben zu nehmen, und da ſie ſahen, daß
es uns ein Ernſt ſey ihnen Troſt zuzuſprechen; ſo beruhigten ſie ſich endlich und
gewannen wiederum neues Zutrauen. Unter den Bemerkungen, welche wir
O o 2
[292]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
auf dieſer Reiſe zu machen Gelegenheit hatten, iſt das wuͤrklich eine der an-
genehmſten, daß wir die Einwohner dieſer Inſeln nicht ſo ganz in Sinnlichkeit
verſunken fanden, wie ſie von andren Reiſenden faͤlſchlich dargeſtellt wor-
den, ſondern daß wir vielmehr Geſinnungen bey ihnen wahrgenommen
haben, die der Menſchheit Ehre machen. Laſterhafte Gemuͤthsarten
giebts unter allen Voͤlkern; aber einem Boͤſewichte in dieſen Inſeln koͤnnten
wir in England oder andern civiliſirten Laͤndern funfzig entgegen ſtellen.


Nunmehro gieng der Handel, der durch jenen Vorfall auf eine Zeitlang
war unterbrochen worden, wiederum von neuem an, und zwar ſo lebhaft als
zuvor; es gluͤckte uns auch, einen ziemlichen Vorrath von Fruͤchten und Wur-
zelwerk einzukaufen. Gegen Abend kamen zween von Orih’s Bothen mit Dr.
Sparrmanns Hirſchfaͤnger und einem Stuͤck von ſeiner Weſte zuruͤck, welches
uns beydes zugeſtellt wurde, worauf wir wieder an Bord giengen.


Des folgenden Morgens verfuͤgten ſich die Capitains, bey anbrechendem
Tage, abermals nach Orih’s Hauſe und gaben ihm die zinnerne Platte wieder,
auf welcher die Anzeige von der erſten Entdeckung dieſer Inſel eingegraben war;
ferner ſtellten ſie ihm noch eine kleine kupferne Platte zu, mit der Inſchrift:
His Britannick Majeſty’s ſhips Reſolution and Adventure. Septem-
ber. 1773.
d. i. Sr. Grosbrittanniſchen Majeſtaͤt Schiffe Reſolution und
Adventure. September 1773. und ſchenkten ihm zugleich eine Anzahl Me-
daillen, mit dem Bedeuten, daß er alles dieſes denen Fremden vorzeigen moͤgte,
die etwa nach uns hieher kommen duͤrften. So bald ſie an Bord zuruͤckgelangt
waren, wurden die Anker gelichtet und wir giengen nebſt der Adventure wieder
in See. Waͤhrend unſers dreytaͤgigen Aufenthalts allhier, hatten wir einen großen
Vorrath von lebendigen Schweinen und Huͤhnern eingehandelt; woraus ſich ge-
nugſam abnehmen laͤßt, daß dieſe Inſulaner den Nutzen des Eiſengeraͤthes ſehr
gut hatten kennen und ſchaͤtzen lernen. Unſer Schiff hatte allein 209 Schweine,
30 Hunde und ohngefaͤhr 50 Huͤhner an Bord, und das andre, die Adventure,
nicht viel weniger. Kaum waren wir unter Seegel, als Orih in einem kleinen Ca-
not ans Schiff und mit der Nachricht an Bord kam, daß er ſowohl die
Diebe als den Reſt der geraubten Sachen wieder bekommen habe, und daß
beyde Capitains, imgleichen der Dr. Sparrmann, mit ihm ans Land gehen
[293]in den Jahren 1772 bis 1775.
moͤgten, um Zeugen von der Beſtrafung zu ſeyn. Allein, zum Ungluͤck ver-1773.
Septem-
ber.

ſtand man ihn nicht recht und alſo verfehlten wir die Gelegenheit, zu ſehen,
wie ihre Strafen beſchaffen ſind. Capitain Cook glaubte, daß Orih einige
von ſeinen Unterthanen zuruͤckfordere, die ſich wider ſeinen Willen auf der Ad-
venture
eingeſchifft haͤtten; und in dieſer Meynung ſchickte er gleich ein Boot ab,
um ſie von jenem Schiffe abholen zu laſſen. Da aber dieſes weit voraus war,
und auch wir, des guten Windes wegen, ſehr geſchwind in die See hinaus trie-
ben; ſo wollte Ori nicht laͤnger warten, ſondern nahm herzlich Abſchied von
uns allen, und kehrte in ſeinem kleinen Canot, in welchem er nur einen ein-
zigen Gehuͤlfen hatte, wieder nach dem Lande um. Bald nachher kam unſer
Boot von der Adventure zuruͤck und brachte uns den O-Maï an Bord,
welches der einzige Indianer war der ſich hier eingeſchifft hatte, um mit nach
England zu gehen. Capitain Cook behielt ihn auf unſerm Schiffe bis wir
Raietea erreichten, wohin unſer Lauf gerichtet war; ſobald wir aber dort an-
langten, ward er wieder auf die Adventure gebracht, in welcher er auch nach
England gekommen, und daſelbſt eine Zeitlang der Gegenſtand der allgemeinen
Neugierde geweſen iſt. Waͤhrend ſeiner Anweſenheit bey uns lernten wir ihn
als einen Menſchen vom geringſten Stande kennen. Er hatte auch damals nicht
Ehrgeiz genug, mit dem Capitain umzugehn, ſondern hielt ſich zu dem Buͤch-
ſenſchmidt und andern gemeinen See-Leuten: Als er aber ans Vorgebirge
der guten Hoffnung
kam, wo ihn der Capitain Fourneaux in ſeiner eigenthuͤm-
lichen Tracht auftreten lies, und in die beſten Geſellſchaften brachte, ſo gab er
vor, er ſey kein Tautau, oder gemeiner Menſch, ſondern ein Hoa, d. i. ein
koͤniglicher Cammerherr oder Begleiter des Koͤnigs. Man hat das Publicum
verſchiedentlich mit allerhand fabelhaften Nachrichten von dieſem Indianer un-
terhalten, dahin gehoͤrt unter andern das laͤcherliche Vorgeben, daß er ein
Prieſter der Sonne ſey, dergleichen es doch in ſeinem Vaterlande nirgends giebt.
Er war lang von Statur, aber ſehr ſchlank, und hatte beſonders feine und zier-
lich gebildete Haͤnde. Aus ſeinen Geſichtszuͤgen hingegen konnte man ſich im
geringſten keinen richtigen Begriff von der Schoͤnheit machen, die den
Einwohnern auf Tahiti eigenthuͤmlich iſt; wir koͤnnen vielmehr, ohne ihm Un-
recht zu thun, behaupten, daß uns auf Tahiti und allen Societaͤts-Inſeln
O o 3
[294]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
nur wenig ſo mittelmaͤßige Geſichter vorgekommen ſind, als das ſeinige. Da-
bey war er von ſo ſchwarzer Farbe als wir ſie kaum unter dem gemeinſten
Volke angetroffen hatten, und am allerwenigſten ſtimmte ſolche mit dem Range
uͤberein, den er hernachmals annahm. Schade war es in der That, daß man
gerade dieſen Menſchen zur Probe eines Volks auswaͤhlte, welches alle See-
fahrer als ſchoͤn von Bildung und hell von Farbe beſchrieben hatten. Sein
Herz und Verſtand waren ſo wie beydes unter ſeinen Landsleuten gewoͤhnlich
zu ſeyn pflegt. Er war kein außerordentliches Genie als Tupaia; aber er hatte
ein gefuͤhlvolles Herz, und einen offnen Kopf, der bald etwas begriff, daneben
war er dankbar, mitleidig und lebhaft, aber auch fluͤchtig. Mehrere Nach-
richten von dieſem O-Maï werden meine Leſer in der Vorrede gefunden haben,
wo von ſeinem Aufenthalt in England, von dem Unterricht den er daſelbſt ge-
noſſen, und von ſeiner Zuruͤckreiſe verſchiedenes angefuͤhrt iſt.


Nachdem wir Huaheine verlaſſen, richteten wir unſern Lauf gen We-
ſten, und ſegelten um das Suͤd-Ende einer Inſel, die Capitain Cook im
Jahr 1769 entdeckt, und in ſeinen Charten unter dem Namen Ulietea*) an-
gezeigt hat, da ſie doch bey den Tahitiern und uͤbrigen Einwohnern der Socie-
taͤts-
Inſeln
eigentlich O-Raietea heißt. Am folgenden Morgen ankerten
wir an derſelben in einer Oeffnung des Riefs und brauchten den ganzen Tag
dazu, uns in den Haven Hamaneno einbugſieren zu laſſen. Dieſe Inſel
hatte dem aͤußern Anſehn nach viel Aehnlichkeit mit Tahiti; denn da ſie ohnge-
faͤhr dreymal groͤßer iſt als Huaheine, ſo waren die Ebenen und die Berge hier
beynahe ſo groß als auf der erſtgenannten. Die Einwohner umringten uns bald in
einer Menge von Canots und brachten Schweine zum Verkauf; weil wir aber in
Huaheine ſehr reichlich damit waren verſorgt worden, ſo machten ſich unſre Leute
nicht viel daraus und boten nur wenig dafuͤr. In einem der Canots fand ſich
ein Befehlshaber mit Namen Oruwherra, der von der benachbarten Inſel
Borabora (Bolabola) gebuͤrtig war. Dieſer Mann war von einer wuͤrklich
athletiſchen Bildung, hatte aber nur ſehr kleine Haͤnde und war auf den Armen
mit ſonderbaren viereckigen Flecken; uͤber die Bruſt, den Bauch und den Ruͤcken,
mit langen, ſchwarzen Streifen; an den Huͤften und Lenden aber, durchaus ſchwarz
[295]in den Jahren 1772 bis 1775.
punctirt. Er brachte einige gruͤne Zweige und ein kleines Ferken, welches er1773.
Septem-
ber.

meinem Vater ſchenkte, indem ſich ſonſt niemand um ihn bekuͤmmerte. Nachdem
er ein Gegengeſchenk von Eiſengeraͤthe bekommen hatte, gieng er ſogleich wieder
in ſeinem Canot ans Land zuruͤck. Bald darauf ſchickte er an ſeinen neuen
Freund ein zweytes Canot mit Coco-Nuͤſſen und Bananen, fuͤr welche ſeine
Leute ſchlechterdings kein Gegengeſchenk annehmen wollten. Man kann ſich
vorſtellen, wie ſehr uns eine ſo uneigennuͤtzige Gutherzigkeit gefallen haben muͤſſe,
denn fuͤr einen Menſchenfreund kann es wohl kein groͤßeres Vergnuͤgen geben,
als wenn er an ſeines gleichen gute und liebenswuͤrdige Eigenſchaften findet.


Nachmittags beſuchte uns ein anderer Befehlshaber, der auch von Bo-
rabora
gebuͤrtig war und meines Vaters Namen annahm, dagegen mein Va-
ter den ſeinigen annehmen mußte. Er hies Herea, und war ſo dick als wir ſonſt
niemanden in der Suͤd-See geſehen hatten. Um den Bauch mas er 54 Zoll,
und jeder ſeiner Schenkel hatte 31 und ¾ Zoll im Umfange. Auch ſein Haar war
merkwuͤrdig; es hieng ihm in langen, ſchwarzen, wellenfoͤrmig- geſchlaͤngelten
Flechten bis auf die Huͤften herab, und war ſo ſtark, daß ſein Kopf davon noch
einmal ſo dick zu ſeyn ſchien als von Natur. Corpulenz, Farbe und Punctu-
ren waren bey ihm, ſo wie beym Oruwherra, Unterſcheidungszeichen ſeines
Ranges, welcher ihn, gleich den Großen auf Tahiti, zum Faullenzen und zur
Schwelgerey berechtigte. Es wird vielleicht nicht unrecht ſeyn, wenn ich bey
dieſer Gelegenheit anzeige wie es zugieng, daß dieſe aus Borabora gebuͤrti-
gen Befehlshaber, hier in Raietea Anſehen und Eigenthum hatten. Aus
Capitain Cooks voriger Reiſebeſchreibung wird man ſich noch erinnern, daß
O-Puni, Koͤnig von Borabora, nicht nur Raietea und O-Taha, welche
beyde Inſeln innerhalb eines Felſen-Rieffes eingeſchloſſen ſind; ſondern auch die
Inſel Maurua, funfzehn Seemeilen weiter gegen Weſten, erobert hatte. *)
Von dieſen eroberten Laͤndereyen hatte er einen betraͤchtlichen Theil unter ſeine
Krieger und andere von ſeinen Unterthanen zur Belohnung ausgetheilt. Dem
uͤberwundnen Koͤnig von Raietea, Namens U-Uru, ließ er zwar Tittel und
Wuͤrde, ſchraͤnkte aber die Herrſchaft deſſelben blos auf den Diſtrict Opoa ein,
und nach Taha ſchickte er einen feiner Anverwandten, Namens Boba, zum
[296]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
Vice-Koͤnige. Zur Zeit dieſer Revolution waren aus jenen Inſeln viele
Einwohner nach Huaheine und Tahiti gefluͤchtet, in der Hoffnung ihr Vater-
land dereinſt wieder in Freyheit zu ſetzen. Auch Tupaia und O-Maï, die
beyderſeits aus Raietea gebuͤrtig waren und auf engliſchen Schiffen von hier
giengen, ſcheinen, bey ihrer Reiſe, die Befreyung ihres unterdruͤckten Vater-
landes zur Abſicht gehabt zu haben, denn ſie ſchmeichelten ſich, in England
Feuer-Gewehr in Menge zu erhalten. Waͤre Tupaia am Leben geblieben, ſo
haͤtte er vielleicht dieſen Plan ausgefuͤhrt; O-Maï aber war nicht ſcharfſichtig
genug, noch von hinlaͤnglich aufgeklaͤrten Verſtande, um ſich von unſerer Kriegs-
kunſt einen Begriff zu machen, und ſie hernachmals auf die beſondre Lage ſeiner
Landsleute anzuwenden. Demohnerachtet war er von dem Gedanken, ſein Vater-
land in Freyheit zu ſetzen, ſo voll, daß er ſich in England mehrmalen hat ver-
lauten laſſen, wenn ihm Capitain Cook zu Ausfuͤhrung dieſes Vorhabens nicht
behuͤlflich waͤre; ſo wolle er ſchon dafuͤr ſorgen, daß ſeine Landsleute demſelben
keine Lebensmittel ſollten zukommen laſſen. Er blieb auch unwandelbar bey dieſem
Vorſatz, bis gegen ſeine Abreiſe, da er endlich auf vieles Zureden friedferti-
gere Geſinnungen anzunehmen ſchien. Wir konnten nicht abſehen was einen
Bewohner dieſer Inſeln, gleich dem Koͤnige O-Puni, bewogen haben ſollte,
ein Eroberer zu werden? Nach der Ausſage aller von Borabora gebuͤr-
tigen Leute, war ihre Inſel nicht minder fruchtbar und angenehm als jene,
welche ſie ſich mit gewaffneter Hand unterworfen hatten. Sie koͤnnen alſo
durch nichts als Ehrgeiz dazu angetrieben worden ſeyn, ſo wenig auch dieſer
ſich mit der Einfalt und dem edlen Character des Volks reimen laͤßt. Ein
neuer Beweis, daß leider! ſelbſt unter den beſten Geſellſchaften von Menſchen
große Unvollkommenheiten und Schwachheiten ſtatt finden!


Am zweyten Tage unſers Hierſeyns begleiteten wir die Capitains nach
einem großen Hauſe das dicht am Waſſer ſtand, und in welchem Orea, der
Befehlshaber dieſes Diſtricts wohnte. Er ſaß in ſelbigem nebſt ſeiner Familie
und vielen Leuten von Stande auf der Erde. Kaum hatten wir neben ihnen Platz
genommen, als ſich unverzuͤglich ein großer Schwarm von Einwohnern um uns
her verſammelte, ſo daß es von dem ſtarken Gedraͤnge entſetzlich heiß wurde.
Orea
[297]in den Jahren 1772 bis 1775.
Orea war ein dicker Mann von mittler Statur, mit einem duͤnnen roͤthlich-1773.
Septem-
ber.

braunen Bart. Er hatte einen ungemeinen lebhaften verſtaͤndigen Blick, und
ſcherzte und lachte recht herzlich mit uns, ohne ſteife Ceremonie oder dergleichen
geziertes Weſen anzunehmen. Seine Frau war eine aͤltliche Perſon; der Sohn
und die Tochter aber erſt zwoͤlf bis vierzehn Jahr alt. Letztere hatte eine
ungemein weiße Farbe, auch in ihren Geſichtszuͤgen uͤberhaupt nur wenig von
dem National-Charakter dieſes Volks; die Naſe war vorzuͤglich ſchoͤn gebildet,
und den Augen nach haͤtte man ſie fuͤr eine Chineſerinn halten moͤgen. Sie
war zwar nicht groß; allein von zierlichem und wohl proportionirten Glieder-
bau; vornemlich waren die Haͤnde unbeſchreiblich ſchoͤn, Fuͤße und Beine hin-
gegen etwas zu dick; auch ſtand es ihr nicht gut an, daß das Haar kurz abge-
ſchnitten war. Sonſt hatte ſie etwas ſehr Gefaͤlliges in ihrem Weſen, und gleich
den mehreſten ihrer Landsmaͤnninnen, eine ſanfte angenehme Stimme. Es
war nicht moͤglich ihr etwas abzuſchlagen, wenn ſie um Corallen oder andre
dergleichen Kleinigkeiten bath. Weil wir indeſſen keinesweges ans Land gekom-
men waren, um hier in einem Hauſe zu bleiben, ſo ſtanden wir bald wieder
auf und ſpazierten unter die Baͤume hin, um Voͤgel zu ſchießen und Pflan-
zen zu ſuchen. Zu unſerer wahren Freude trafen wir hier unter dem gemei-
nen Volk, was wir bey den Leuten in Huaheine vermißt hatten, jenes Zutrauen
und die zudringliche Vertraulichkeit, der Tahitier, ohne das unertraͤgliche
Betteln dieſer letztern. Nach Tiſche machten wir abermals einen Spatziergang
und ſchoſſen verſchiedne Eisvoͤgel. Bey der Ruͤckkehr von der Jagd begegneten
wir Orea nebſt ſeiner Familie und Capitain Cook, die in der Ebene mit ein-
ander ſpatzieren giengen. Orea bekuͤmmerte ſich nicht um den geſchoßnen Vo-
gel den wir in Haͤnden hatten, ſeine ſchoͤne Tochter hingegen beklagte den Tod
ihres Eatua und lief von uns weg, wenn wir ihr damit zu nahe kamen.
Ihre Mutter und die uͤbrigen Frauensleute ſchienen uͤber dieſen Zufall nicht min-
der betruͤbt zu ſeyn; und als wir wieder nach dem Schiffe zuruͤck fahren wollten,
bat uns Orea in einem ganz ernſtlichen Tone, keine Eisvoͤgel und Reyher
mehr auf ſeiner Inſel zu toͤdten; andre Voͤgel moͤgten wir ſo viel ſchießen
als uns beliebte. Zwar unterließen wir nicht auch bey dieſer Gelegenheit
nachzufragen, was die Urſach von der Verehrung dieſer beyden Vogel-Gat-
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. P p
[298]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
tungen ſeyn moͤgte, konnten aber ſo wenig Auskunft daruͤber erlangen als
zuvor.


Am folgenden Tage erſtiegen wir einen von den nahe gelegnen Bergen,
und trafen auf dem Wege dahin, in den Thaͤlern, verſchiedne neue Pflanzen an.
Der Gipfel des Berges beſtand aus einer Art von gelblichem Thonſtein, und
im Heraufgehen fanden wir hin und wieder einzelne Feuerſteine, imgleichen
Stuͤcke von einer loͤcherichten, ſchwammichten, weißfarbigen Lava, worinn ſich
einige Spuhren von Eifen zeigten. Dies ſo allgemein brauchbare und nuͤtzliche
Metall, welches faſt in allen Gegenden des ganzen Erdbodens zu finden iſt, mag
vielleicht auch in dieſen Bergen haͤufig vorhanden ſeyn. Die Lava beſtaͤtigte
unſre Muthmaßung, daß dieſe Inſel, gleich den uͤbrigen Eylanden die wir bis-
her geſehn, ehemals durch den Ausbruch eines unterirdiſchen Feuers muͤſſe ent-
ſtanden ſeyn. Ein Indianer, der uns begleitet und eine kleine Proviſion von
Lebensmitteln nachgetragen hatte, zeigte uns von dieſem Berg-Gipfel aus ver-
ſchiedne Gegenden in der See, wo ſeiner Ausſage nach, ebenfalls Inſeln liegen
ſollten, doch waren ſolche außerhalb des Geſichtskreifes. Gegen Weſten,
ſagte er, laͤge die Inſel Mopiha, und ohngefaͤhr in Suͤd-Weſt eine andre,
Namens Whennua-aurah. Er ſetzte hinzu, daß beyde nur aus zirkelfoͤrmi-
gen, hin und wieder mit Palmen bewachſenen Coral-Rieffen beſtaͤnden, aber
unbewohnt waͤren, weshalb ſie auch, ſo wohl von hier als andern Inſeln aus,
nur dann und wann beſucht wuͤrden. Wahrſcheinlicher Weiſe ſind es eben
dieſelben, die Capitain Wallis entdeckte, und ſie Lord Howe’s und Seilly-
Eyland
nannte. Als wir am Mittage wieder vom Berge herab kamen, wa-
ren die Capitains eben an Bord zuruͤckgekehrt, nachdem ſie zuvor einen großen
dramatiſchen Tanz mit angeſehen hatten, der von den vornehmſten Frauenzim-
mern auf der Inſel war aufgefuͤhrt worden. Da das Wetter uͤberaus heiß
war; ſo eilten auch wir vom Lande an Bord und fanden beyde Schiffe von ei-
ner Menge Canots umgeben, in welchen verſchiedne Leute von Stande wa-
ren, die eine Menge Zeug von Maulbeer-Rinde bey ſich hatten und ſolches
gegen kleine Naͤgel zum Verkauf ausbothen. Unſre Corallen ſtanden, als Putz-
werk betrachtet, bey den Damen in hohem Werth; als Handlungswaare aber
waren ſie bey weiten nicht ſo gut zu gebrauchen wie Naͤgel, denn man wollte
[299]in den Jahren 1772 bis 1775.
uns kaum Fruͤchte dafuͤr geben, ohngeachtet dieſe das wohlfeilſte und gering-1773.
Septem-
ber.

ſte aller Producte zu ſeyn pflegten. In Tahiti ſchaͤtzte man dergleichen Spielwerke
ungleich mehr. Sollte die dortige vorzuͤgliche Neigung zu ſolchen Kleinigkei-
ten und Flitterſtaat, nicht einen hoͤhern Grad von allgemeinen Wohlſtand an-
zeigen und durch denſelben veranlaßt werden? Reichthum pflegt wenigſtens
ſonſt insgemein zur Verſchwendung zu leiten. —


Die Hitze hielt den ganzen Ueberreſt des Tages dermaßen an, daß
wir erſt bey Untergang der Sonne wieder ans Land gehen konnten. Wir ſtiegen
an dem Waſſer-Platze aus, allwo ein kleines Tupapau, oder Obdach befindlich
war, unter welchem auf einem Geruͤſte ein todter Coͤrper ruhete. Dieſer Begraͤb-
niß-Ort lag mitten in einem dichten Haine ſchattenreicher Baͤume. Ich hatte bis-
her, weder hier noch auf den vorigen Inſeln, dergleichen Begraͤbnißplaͤtze geſehen
und wunderte mich daher nicht wenig, daß der todte Coͤrper auf eine ſo ſorgloſe
Weiſe der Verweſung und andern Zufaͤllen uͤberlaſſen war, auch der ganze Bo-
den umher uͤberall voller Todten-Koͤpfe und Todten-Knochen lag. Gern
haͤtte ich mich mit einem Indianer daruͤber beſprechen moͤgen, konnte aber in
dieſer Gegend keinen anſichtig werden. Ich ſtrich eine ganze Zeitlang
umher, ohne jemand anzutreffen, denn wie ich nachher erfuhr, ſo hatten ſich
die Einwohner dieſes Diſtricts ſaͤmmtlich bey der Wohnung ihres Befehlsha-
bers verſammlet, allwo durch die Trommeln das Zeichen zu einem abermaligen
Hiva oder oͤffentlichen Tanze war gegeben worden. Sie halten viel auf dieſen
Zeitvertreib und laufen demſelben zu Gefallen aus weit entfernten Gegenden
zuſammen. Der ſtille Abend und die Schoͤnheit des Landes machten mir dieſen
Spatziergang uͤberaus angenehm; und die Entfernung der Einwohner brachte
eine ſo einſame Stille zuwege, daß ich beynahe in einer bezauberten Inſel zu
ſeyn glaubte. Endlich begegneten uns, noch diſſeits des Strandes, etliche India-
ner, davon der eine ein ſehr verſtaͤndiger Mann zu ſeyn ſchien. Dieſen fragten
wir unter andern, ob, und was fuͤr Inſeln hier in der Nachbarſchaft umher laͤ-
gen, worauf er uns ihrer neune mit Namen angab: Mopiha; Whennua-
Aurah
; Adiha; Tautihpa; Wauwan; Uborruh;
Tabuaï; Auhaͤiau
und Rorotoa. Von den beyden erſten hatten wir, heute Morgen ſchon, durch
unſern indianiſchen Begleiter etwas erfahren, und von den ſieben andern ver-
P p 2
[300]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
ſicherte uns unſer jetziger Geſellſchafter, ſie waͤren ſaͤmmtlich bewohnt, bis auf
Adiha, welches nur dann und wann beſucht wuͤrde. Uborruh ſollte nach ſei-
nem Bericht ein Whennua oder hohes Land, alle uͤbrigen hingegen Motuh,
d. i. dergleichen flache Inſeln ſeyn, die nur aus Coral-Rieffen beſtehen.


Dieſe Nachrichten waren aber fuͤr unſre Neugierde nichts weniger als
befriedigend. Wir wandten uns alſo, naͤherer Auskunft wegen, an Orea,
der am folgenden Morgen, nebſt ſeinem Sohn Tehaïura und verſchiednen
andern Befehlshabern, an Bord kam. Die Ausſage dieſer Leute ſtimmte
mit dem Bericht unſers geſtrigen Fuͤhrers, nur zum Theil uͤberein; denn
von allen neun Inſeln, deren jener gedacht hatte, nannten ſie uns nicht mehr
als die erſte, zweyte, ſiebente und neunte; behaupteten auch, die zweyte ſey
allerdings bewohnt. Dagegen ſprachen ſie noch von Worio oder Woriea,
einer großen Inſel, imgleichen von einer andern, Orimatarra genannt, die
beyde beſtaͤndig bewohnt waͤren; wo aber dieſe Inſeln eigentlich liegen ſollten,
und wie weit von hier, darinn waren ſie gar nicht einig. Auch war von allen
denen, die wir darum befragten, keiner ſelbſt da geweſen. So unbeſtimmt
indeſſen dieſe Berichte lauten; ſo laͤßt ſich aus denſelben doch abnehmen, daß
die Schifffahrt dieſer Voͤlker vordem ziemlich ausgebreitet geweſen ſeyn muͤſſe,
wenn ſie es gleich jetzt nicht mehr ſeyn mag. Der bekannte Tupaia, der ſich
ehemals, von Tahiti aus, auf der Endeavour einſchiffte, hatte eine ungleich
groͤßere Anzahl von Inſeln nahmhaft gemacht, und ſolche, ihrer Groͤße und Lage
nach, auf eine Charte gezeichnet, von welcher mir der Lieutenant Pickersgill
eine Copey mitgetheilt hat. Dieſe ſchien in gewiſſer Abſicht glaubwuͤrdig genug
zu ſeyn, denn wir fanden alle vorerwaͤhnte Namen, nur allein Uborruh und
Tubuaï nicht, auf derſelben anzeigt; dagegen konnten die Groͤßen und Lagen
der Inſeln unmoͤglich richtig angegeben ſeyn, weil wir ſonſt auf unſrer
nachmaligen Fahrt, ſchlechterdings mehrere derſelben haͤtten beruͤhren muͤſ-
ſen, welches gleichwohl nicht geſchahe. Es iſt daher ſehr wahrſcheinlich,
daß Tupaia, um ſich das Anſehn einer groͤßern Einſicht und Wiſſen-
ſchaft zu geben, dieſe Charte der Suͤd-See blos aus der Fantaſie entworfen
und vielleicht manche Namen erdichtet habe, denn er hatte deren mehr als funf-
zig angezeigt.


[301]in den Jahren 1772 bis 1775.

Orea und ſein Sohn fruͤhſtuͤckten mit uns und giengen, nach reichlicher1773.
Septem-
ber.

Erwiederung ihrer Geſchenke, ans Land zuruͤck. Wir folgten bald nachher und
wurden von ihm eingeladen, einem dramatiſchen Tanze oder Hiwa beyzuwoh-
nen, welches uns deſto lieber war, da wir dergleichen noch nicht geſehen hatten.
Der Schauplatz beſtand aus einem ebnen Wieſengrunde, der zwiſchen zweyen pa-
rallel liegenden Haͤuſern mitten inne, ohngefaͤhr 75 Fus lang und 15 Fus breit
war. Das groͤßere dieſer beyden Haͤuſer konnte eine Menge Zuſchauer faſſen;
das andre hingegen, welches auf einer Reihe Pfoſten ſtand, war nur eine enge
Huͤtte, nach dem Schauplatz hin offen, ſonſt aber uͤberall zugehangen. Innerhalb
derſelben hatte man eine Scheidewand von Gitterwerk und Matten gemacht,
hinter welcher ſich die Schauſpieler ankleideten. Der Fusboden war mit drey
großen, ſchoͤn gearbeiteten, und auf den Ecken ſchwarz geſtreiften Matten be-
legt. An der offnen Seite der kleinern Huͤtte ſtanden drey, aus hartem Holze
geſchnitzte und mit Hayfiſch-Fell uͤberzogene Trommeln, davon die groͤßte ohn-
gefaͤhr 3 Fuß hoch ſeyn und 12 Zoll im Durchſchnitt halten mogte. Dieſe
wurden von vier oder fuͤnf Leuten blos mit den Fingern, aber mit unglaubli-
cher Geſchwindigkeit, geſchlagen. Nachdem wir eine ganze Weile in dem ge-
genuͤber liegenden Hauſe, unter den vornehmſten Damen des Landes, geſeſſen
hatten, erſchienen endlich die Actrizen. Eine derſelben war Poyadua,
Orea’s
ſchoͤne Tochter, und die zwote eine lange wohlgebildete Frau, ſchoͤn von
Geſicht und Farbe. Die Kleidung dieſer Taͤnzerinnen wich von ihrer ſonſt
gewoͤhnlichen Tracht merklich ab. Sie hatten ein Stuͤck einlaͤndiſchen braunen
Zeuges, manche auch ein Stuͤck blauen europaͤiſchen Tuches, dicht um die Bruſt
zuſammengeſchlagen, welches unſern glatt anliegenden Damens-Kleidern nicht
ungleich ſahe. Um die Huͤften war ein Wulſt von vier, uͤbereinander liegen-
den, Reihen ihres einheimiſchen Zeuges, wechſelsweiſe von rother und weißer
Farbe, mit einem Stricke feſtgeguͤrtet. Von da hieng eine Menge weißen
Zeuges, bis auf die Fuͤße herab, und machte eine Art von Rock, der ſo lang
und weit war, daß wir fuͤrchteten, er wuͤrde ihnen im Tanzen hinderlich
ſeyn. Hals, Schultern und Arme blieben nackend; auf dem Kopf aber tru-
gen ſie eine Menge Flechten von Menſchenhaaren, Tamau genannt, die zir-
kelfoͤrmig uͤbereinander aufgethuͤrmt lagen und einen ohngefaͤhr 8 Zoll hohen
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[302]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
Turban ausmachten, der unten enger als oben, innerhalb hohl, und mit wohl-
riechenden Bluͤthen des Cap-Jasmins (Gardenia,) angefuͤllt war. An der
Vorder-Seite dieſes Turbans ſahe man drey bis vier Reihen von kleinen, weißen
Blumen, die ſternfoͤrmig eingeſteckt waren und auf dem pechſchwarzen Haar
des Kopfputzes eben ſo ſchoͤn abſtachen als Perlen. Die Taͤnzerinnen
bewegten ſich nunmehro nach dem Schall der Trommel, und, wie es ſchien,
unter Anfuͤhrung eines alten Mannes, der mit tanzte und einige Worte hoͤren
ließ, die wir, dem Ton nach, fuͤr eine Art von Geſang hielten. Sie machten
verſchiedne Stellungen und allerhand mannichfaltige Bewegungen mit den
Haͤnden, darunter manche wohl etwas frey, jedoch bey weiten nicht ſo unan-
ſtaͤndig waren als ein und andres, was die keuſchen Augen der engliſchen Da-
men nach der Mode, in den Opern, *) nur durch den Faͤcher, zu ſehen ge-
zwungen ſind. In ihrer Art die Arme zu bewegen, iſt warlich viel Grazie und
in dem beſtaͤndigen Spiel ihrer Finger ebenfalls etwas ungemein zierliches. Das
einzige, was mit unſern Begriffen von Schoͤnheit, Anſtand und Harmonie nicht
uͤbereinſtimt, war die haͤßliche Gewohnheit, den Mund auf eine ſo abſcheuliche
Art zu verzerren, daß es ihnen keiner von uns gleich thun konnte. Sie zogen
den Mund ſeitwaͤrts, in eine herabhaͤngende Linie, und brachten zu gleicher Zeit
die Lippen in eine wellenfoͤrmig-convulſiviſche Bewegung, als ob ihnen, aus lan-
ger Gewohnheit, der Krampf gleichſam zu Gebote ſtaͤnde. Nachdem ſie ohngefaͤhr
10 Minuten lang getanzt hatten, begaben ſie ſich in denjenigen Theil der Huͤtte,
den ich zuvor das Kleidezimmer genannt habe, und fuͤnf in Matten gehuͤllte Manns-
perſonen traten dagegen auf, um eine Art von Drama vorzuſtellen. Dieſes be-
ſtand wechſelsweiſe in unanſtaͤndigem Tanzen und einer Unterredung, die nach
einem abgemeßnen Sylbenmaaß abgefaßt zu ſeyn ſchien, und in welcher ſie zu-
weilen insgeſammt einige Worte uͤberlaut ausſchrien. Ihre Stellungen kamen,
dem Anſehen nach, mit dem Innhalt genau uͤberein. Einer kniete nieder und
ließ ſich von einem andern ſchlagen und beym Barte zupfen, der dieſe Poſſen noch
an zween andern verſuchte, davon aber der letzte unrecht verſtand, und ihn mit ei-
nem Stocke durchpruͤgelte. Hierauf giengen ſie ab, und die Trommeln kuͤndig-
[303]in den Jahren 1772 bis 1775.
ten den zweyten Act des Tanzes an, der von zwey Frauensperſonen, ohngefaͤhr ſo1773.
Septem-
ber.

wie der erſte, aufgefuͤhrt ward; alsdenn traten die Mannsperſonen abermals auf;
und endlich beſchloſſen die Taͤnzerinnen das Schauſpiel mit einem vierten Tanz-
Acte. Nach Endigung dieſes letztern, ſetzten ſie ſich ganz abgemattet und in heftiger
Tranſpiration nieder. Eine Taͤnzerinn insbeſondre, die etwas ſtark war, hatte von
der Erhitzung eine ſichtbare Roͤthe im Geſicht bekommen, woraus man abnehmen
kann, wie fein und weiß, vergleichungsweiſe, ihre Haut geweſen ſeyn muͤſſe. Orea’s
Tochter hatte ihre Rolle bewundrungswuͤrdig ſchoͤn gemacht, ohnerachtet ſie ſich
erſt geſtern, zweymal, in einem ſolchen Hiwa hatte ſehen laſſen. Die Officiers
beyder Schiffe, und auch wir uͤberhaͤuften die Taͤnzerinnen, zur wohlverdien-
ten Belohnung ihrer Geſchicklichkeit, mit Corallen und anderm Putzwerk.


Nachmittags kam U-Uru, der Koͤnig von Raietea, nebſt Orea und ver-
ſchiednen Damen ans Schiff, um Capitain Cook zu beſuchen. Er brachte ein
Schwein zum Geſchenk mit und erhielt dagegen allerhand europaͤiſche Waaren.
Unter den Frauenzimmern, die ihn begleiteten, war auch die Taͤnzerinn, deren
ſchoͤne Farbe wir ſo ſehr bewundert hatten. Sie hieß Teina oder Teinamai,
und die gewoͤhnliche Kleidung, in welcher ſie jetzt erſchien, ſtand ihr ungleich
beſſer als der ſchwerfaͤllige thearraliſche Habit. Ihr langes unverſchnittnes Haar
war mit einem ſchmalen Streif weißen Zeuges nachlaͤßig durchflochten und fiel in
natuͤrliche Locken, ſchoͤner als die Fantaſie eines Mahlers ſolche je geformt hat.
Ihre Augen blickten voll Feuer und Ausdruck aus dem rundlichen Geſicht her-
vor, uͤber welches ein angenehmes Laͤcheln verbreitet war. Herr Hodges
ſuchte ſie bey dieſer Gelegenheit abzuzeichnen, ihre Lebhaftigkeit und Fluͤchtigkeit
aber machten es ihm ungemein ſchwer, ja faſt ohnmoͤglich. Dies iſt auch wahr-
ſcheinlicherweiſe Urſach, weshalb es ihm mit dieſem Bildniß, welches ſich in
Capitain Cooks eigner Nachricht von gegenwaͤrtiger Reiſe befindet, nicht ſo
gut als ſonſt, hat gluͤcken wollen. So meiſterhaft daſſelbe auch von Herrn
Sherwin in Kupfer geſtochen iſt; ſo bleibt es dennoch unendlich weit unter der
Delicateſſe des reizenden Originals. Fehlt ihm indeſſen gleich die Aehnlichkeit
mit der Perſon die es eigentlich vorſtellen ſoll; ſo kann man es doch als eine
Probe von der gewoͤhnlichen Geſichtsbildung dieſer und der benachbarten In-
ſulaner gelten laſſen, und ſich, nach demſelben, einen ziemlich richtigen Begriff
[304]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
von einem zehnjaͤhrigen Tahitiſchen Knaben machen. Gegen Untergang der
Sonne giengen unſre vornehmen Gaͤſte, mit der genoßnen Aufnahme ungemein
zufrieden, allerſeits wieder aus Land; von dem gemeinen Volk hingegen, blieb
eine Menge Frauensperſonen im Schiffe und bezeigte ſich gegen die Matroſen
eben ſo gefaͤllig als die Tahitiſchen Maͤdchen.


Es war ſonderbar, daß ſelbſt dieſe Gattung von Frauensleuten einen
gewiſſen Grad von Eitelkeit beſaß; denn ſie nannten ſich untereinander nicht an-
ders als Tedua, (Madame) ein Titel, der hier zu Lande nur den adelichen Da-
men zukommt, ja eigentlich vorzugsweiſe nur den Prinzeßinnen gebuͤhret. Dies
wußten wir von Tahiti aus; wenn z. E. dort des Koͤnigs Schweſter irgendwo
voruͤber kam, ſo pflegte derjenige Indianer, der ſie zuerſt erblickte, uͤberlaut
auszurufen: Tedua harremai, Madame kommt! damit ſeine Landsleute
ihre Schuldigkeit beobachten und die Schultern entbloͤßen moͤchten; oft ſagten
ſie in dergleichen Faͤllen auch blos Eri, welches dann jederzeit eine Perſon von
koͤniglichem Gebluͤte andeutete. — Unſre Matroſen aber, welche die hieſige
Sprache nicht verſtanden, glaubten ſteif und feſt, daß ihre Dulcineen hier alle
einerley Namen haͤtten, welches denn oft luſtige Auftritte veranlaßte.


Die beyden folgenden Tage brachten wir damit hin, laͤngſt der Kuͤſte
botaniſch- und phyſicaliſche Unterſuchungen anzuſtellen. Gegen das Nord-Ende
der Inſel fanden wir viel tiefe Buchten, die ſich in ſumpfigte Gegenden endigten,
allwo es wilde Endten und Schnepfen in Menge gab. Dieſes Wildpret war
aber ſcheuer als wir erwarteten; denn wie ſich nach der Hand auswies, ſo halten
es die Einwohner, ſo gut als wir, fuͤr Leckerbiſſen und jagen darnach. Am Sonn-
tage gab man uns noch einen Hiwa oder dramatiſchen Tanz zum beſten; er ward
durch eben die Perſonen aufgefuͤhrt, und war eben ſo beſchaffen, als der zu-
vor erwaͤhnte, nur dauerte er nicht ſo lange.


Am 14ten, bey Anbruch des Tages, ſandten Capitain Cook und Four-
neaux
,
jeder ein Boot nach der Inſel O-Taha, die 2 bis 3 See-Meilen
von hier und innerhalb deſſelben Felſen-Rieffs liegt als Raietea. Sie hofften
dort einen Vorrath von Fruͤchten zu bekommen, die auf letzterer Inſel, wo wir
vor Anker lagen, ſelten waren. Zu dem Ende nahm ſowohl der Lieutenant Pi-
ckersgill
,
als auch Herr Rowe, einen Vorrath von Corallen und Naͤgeln mit
ſich.
[305]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſich. Dr. Sparrmann und mein Vater wollten die Gelegenheit, jene Inſel zu1773.
Septem-
ber.

unterſuchen, nicht aus den Haͤnden laſſen, und giengen alſo auch mit.


Waͤhrend ihrer Abweſenheit wurden wir vom Orea, der in dem Diſtrict der
Inſel, wo wir vor Anker lagen, Befehlshaber war, zu Gaſte genoͤthigt. Es verfuͤg-
ten ſich daher die Capitains beyder Schiffe, nebſt verſchiednen Officiers und Paſ-
ſagiers, unter welchen auch ich war, zu Mittage aus Land, wohl verſehen,
mit Pfeffer, Salz, Meſſern, Gabeln und etlichen Flaſchen Wein. Bey der
Ankunft in unſers Wirthes Hauſe fanden wir den Boden groͤßtentheils mit
Blaͤttern beſtreuet, die ſtatt Tiſchtuchs dienten. Rund um dieſen Bezirk
nahmen wir und die Vornehmſten des Landes unſre Plaͤtze ein. Wir hatten
nicht lange geſeſſen, als ein gemeiner Indianer herein kam, der ein gebratenes
Schwein, in Piſang-Blaͤtter gewickelt, auf den Schultern hatte, und ſolches
mitten vor uns, auf die Erde, hinwarf. Eben dies that ein zweyter mit ei-
nem kleineren Schweine; und dieſen folgten verſchiedne andre mit Koͤrben
voll Brodfrucht, Bananen, und gegohrnem Brodfrucht-Teige Mahei genannt.
Der Wirth bat, wir moͤgten uns ſelbſt bedienen, worauf denn in kurzer Zeit
beyde Schweine zerlegt waren. Nun draͤngten ſich die Leute gewaltig her-
bey; die Frauensperſonen und uͤberhaupt alles gemeine Volk bat in betteln-
dem Tone, um Schweinebraten, doch theilte jeder der etwas bekam, ſeinen
Nachbarn redlich davon mit, ja ſie reichten es, von Hand zu Hand, bis ans
aͤußerſte Ende des Haufens, von woher die Leute, des Gedraͤnges wegen, nicht
herbey kommen konnten. Die Maͤnner verzehrten ihren Antheil mit großem
Appetit; die Frauensleute hingegen wickelten ihre Portionen in Blaͤtter und
verwahrten ſie bis ſie allein ſeyn wuͤrden. Sowohl die Gierigkeit mit der ſie uns
plagten und womit ſie ihre Bitten unablaͤſſig wiederholten, als auch die neidiſchen
Blicke der Vornehmern, wenn wir den Bittenden etwas mittheilten, uͤberzeug-
ten uns, daß der gemeine Mann in dieſer Inſel kein Recht und keine Anſpruͤche
auf dergleichen Leckerbiſſen habe. Das Schweinefleiſch ſchmeckte nach hieſiger Zu-
bereitung, uns allen, ungleich beſſer als nach irgend einer europaͤiſchen Manier zu-
gerichtet. Es war ſaftiger als unſer gekochtes und auf alle Weiſe zaͤrter als unſer
gebratnes. Vermittelſt der gleichfoͤrmigen Hitze, worinn es unter der Erde gehal-
ten wird, bleibt Saft und Kraft durchaus beyſammen. Das Fett hatte nicht den
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. Q q
[306]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
geringſten geilen oder widrigen Geſchmack, und die Haut, die an unſern
Schweine-Braten gemeiniglich ſteinhart zu ſeyn pflegt, war hier ſo zart als alles
uͤbrige Fleiſch. Beym Schluß der Mahlzeit kamen unſre Weinflaſchen dran
und Freund Orea ließ ſich ſein Glaͤschen ſchmecken ohne ein Auge zu verdrehen,
woruͤber wir uns um ſo mehr wunderten, als die Einwohner dieſer Inſeln ſonſt
uͤberall einen Widerwillen gegen unſre ſtarken Getraͤnke bezeigt hatten. Die Tu-
gend der Nuͤchternheit iſt auch wuͤrklich faſt allgemein unter ihnen, beſonders un-
ter dem gemeinen Volk. Doch haben ſie ein berauſchendes Getraͤnk, auf wel-
ches vorzuͤglich einige alte Oberhaͤupter ſehr viel halten. Es wird aus dem
Saft einer Pfeffer-Baum-Wurzel, hier zu Lande Awa genannt, auf eine hoͤchſt
ekelhafte Weiſe verfertigt, wie ich an einem der erſten Tage nach unſerer An-
kunft ſelbſt mit angeſehen habe. Nachdem die Wurzel in Stuͤcken geſchnitten iſt,
wird ſie von etlichen Leuten vollends klein gekauet und, die mit Speichel wohl
durchweichte Maſſe, in ein großes Gefaͤß voll Waſſer oder Coco-Nuß-Milch
geſpuckt. Dieſer ungemein appetitliche Brey wird hierauf durch Coco-Nuß-Fa-
ſern geſeiget, und die gekaueten Klumpen ſorgfaͤltig ausgedruckt, damit der zu-
ruͤckgebliebne Saft ſich vollends mit der Coco-Nuß-Milch vermiſchen moͤge. Zu-
letzt wird der Trank in eine andre große Schaale abgeklaͤrt, und iſt alsdenn zum
Gebrauch fertig. Dies haͤßliche Gemaͤngſel verſchlucken ſie mit ungemeiner Gie-
rigkeit: und einige alte Saͤuffer thun ſich nicht wenig darauf zu gut, daß ſie viel
Schaalen davon leer machen koͤnnen. Unſer Paſſagier Porea, der hier nicht
ſo zuruͤckhaltend als auf Huaheine war, brachte eines Tages einen ſeiner neuen
Bekannten in die Cajuͤtte des Capitains, und ſetzte ſich ſogleich mit ihm nieder,
um jene Schmiererey nachzumachen. Als ſie damit zu Stande gekommen wa-
ren, trank er ohngefaͤhr ein Noͤßel, ward aber, in weniger denn einer Vier-
telſtunde, ſo berauſcht davon, daß man ihn ohne Bewegung auf dem Boden lie-
gend fand. Sein Geſicht war feuerroth und die Augen ſtanden ihm gleichſam
zum Kopf heraus. In dieſem Zuſtande ſchlief er einige Stunden ohne von ſeinen
Sinnen zu wiſſen, als er aber wieder zu ſich kam, ſchaͤmte er ſich dieſer Aus-
ſchweifung. Die Voͤllerey bleibt indeſſen, gleich jeder andern Ausſchweifung,
auch hier nicht ungeſtraft. Die Alten, welche dieſem Laſter nachhaͤngen, ſind
duͤrr und mager, haben eine ſchuppichte, ſchaͤbige Haut, rothe Augen, und rothe
[307]in den Jahren 1772 bis 1775.
Flecke uͤber den ganzen Leib. Alles dieſes ſind, ihrem eignen Geſtaͤndniß nach,1773.
Septem-
ber.

unmittelbare Folgen des Soffes und folglich muͤſſen die Beſtandtheile der Pfeffer-
pflanze wohl die eigenthuͤmliche Eigenſchaft haben, daß ſie den Ausſatz hervorbrin-
gen. Außerdem aber gilt dieſe Wurzel, bey den Einwohnern aller dieſer Inſeln,
auch fuͤr ein Sinnbild des Friedens, vielleicht weil Trunkenheit gute Camerad-
ſchaft macht.


Sobald wir abgeſpeißt hatten, machten ſich unſre Matroſen und Be-
dienten mit den uͤbriggebliebenen Brocken luſtig; und die Indianer, welche ſich
vorher bey unſrer Freygebigkeit ſo wohl befunden hatten, machten ihnen nun
die Cour. Doch waren die Matroſen nur gegen die huͤbſchen Maͤdchen
gefaͤllig; und verlangten, vermoͤge ihres natuͤrlichen Hanges zur groben Sinn-
lichkeit, fuͤr jeden Biſſen Fleiſch, bald dieſe, bald jene Unanſtaͤndigkeit.


Um die Freuden dieſes Tages vollkommen zu machen, befahl Orea, daß
abermals ein Hiwa aufgefuͤhrt werden ſollte. Bey dieſem wurden wir in die
Couliſſen oder ins Kleide-Zimmer gelaſſen, damit wir ſehen ſollten wie ſich die
Taͤnzerinnen ankleiden wuͤrden. Dieſe Erlaubniß brachte ihnen manches kleine
Geſchenk zuwege; ſo geriethen wir z. E. auf den Einfall ihren Kopfſchmuck
durch verſchiedene Schnuren von Corallen zu verſchoͤnern, womit ſie ganz wohl
zufrieden waren. Unter den Zuſchauern befanden ſich einige der groͤßten Schoͤn-
heiten des Landes; vornemlich war eine Frauensperſon viel weißer von Farbe
als wir ſie ſonſt in dieſen Inſeln uͤberall gefunden hatten. Ihre Haut war
als weißes etwas fahlgraues Wachs anzuſehen, ohne daß etwa eine Krank-
heit daran ſchuld geweſen waͤre, die dergleichen Farbe ſonſt wohl anzudeuten
pflegt. Ihre ſchoͤnen ſchwarzen Augen und Haare contraſtirten damit vortreflich,
und zogen ihr unſre einſtimmige Bewunderung zu. Man huldigte ihrer Schoͤn-
heit auch bald durch allerhand kleine Geſchenke; allein, ſtatt ſich an dieſen
genuͤgen zu laſſen, ward ihre Liebe zum Putz und Flitterwerk nur deſto mehr er-
regt, und ſie plagte einen jeden von uns, ſo lange ſie nur vermuthen konnte, daß
wir noch eine einzige Coralle in der Taſche haͤtten. Einer von unſrer Geſellſchaft
hielt zufaͤlligerweiſe ein kleines Vorhaͤngeſchloß in Haͤnden. Kaum fiel ihr dieſes
in die Augen, ſo verlangte ſie es zu haben. Der Beſitzer ſchlugs ihr anfaͤnglich
ab, da ſie aber nicht auf hoͤrte darum zu betteln, ließ er ſich endlich erweichen,
Q q 2
[308]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
war aber ſo leichtfertig es ihr ins Ohr zu haͤngen mit der Verſicherung, daß es
dahin gehoͤre und daran getragen werden muͤſſe. Eine Zeitlang wußte ſie ſich
was rechts damit, und war von dieſem neuen Putz ungemein zufrieden: Allein
bald darauf, da es ihr zu ſchwer und zu ſchmerzhaft fiel, verlangte ſie
deſſelben los zu ſeyn. Nun warf er den Schluͤſſel weg, und gab ihr
zu verſtehen, ſie habe es ausdruͤcklich von ihm begehrt, und wenn ſie
es beſchwerlich finde, ſo moͤgte ſie es immerhin zur Strafe ihres ungeſtuͤmen
Bettlens im Ohre behalten. Daruͤber war ſie untroͤſtlich, weinte ihre bit-
terſten Thraͤnen, und bat einen nach dem andern ihr von dem Schloſſe zu helfen;
allein, ſo gern auch mancher gewollt haͤtte, ſo gieng es doch nicht an, weil kein
Schluͤſſel dazu [vorhanden] war. Sie wandte ſich alſo an den Befehlshaber, und die-
ſer legte, nebſt ſeiner Frau, Sohn und Tochter, ein Vorwort fuͤr das Maͤdchen
ein; ja ſie boten ſogar Zeug, Raͤucherholz und Schweine zum Loͤſegeld; aber
alles umſonſt. Endlich fand man doch einen Schluͤſſel, der zum Schloſſe
paßte, und damit ward dem Wehklagen des armen Maͤdchens ein Ende gemacht,
und Ruhe und Freude unter ihren Geſpielen wieder hergeſtellt. Dieſer Zufall
hatte indeſſen die gute Wuͤrkung, daß ſie und andre ihrer Landsmaͤnninnen von der
Gewohnheit zu Betteln abließen. Nachdem nun auf die Art bey der gaſtfreyen Auf-
nahme unſers Wirthes und dem guten Betragen des uͤbrigen Volks dieſer Tag ganz
vergnuͤgt vergangen war; ſo kehrten wir gegen Abend ſehr zufrieden an Bord zu-
ruͤck. Deſto mehr befremdete es uns aber, daß ſich am folgenden Morgen, ganz
wieder die Gewohnheit der Inſulaner, nicht ein einziges Canot bey dem Schiffe
ſehen ließ. Um die Urſach einer ſo ſchleunigen Veraͤnderung zu erfahren, eil-
ten wir nach Orea’s Hauſe, fanden es aber zu unſerer noch groͤßeren Verwun-
derung von ihm und ſeiner ganzen Familie verlaſſen. Endlich erfuhren wir
durch etliche Indianer, die auch ihrer Seits uͤberaus ſchuͤchtern thaten, Orea
habe ſich nach dem Nord-Ende der Inſel begeben, aus Furcht wir wuͤrden ihn
gefangen nehmen. Je weniger wir begreifen konnten, was dieſe ungegruͤndete Be-
ſorgniß moͤgte veranlaßt haben, deſto mehr eilten wir, ihm ſolche zu benehmen
und unſrer Freundſchaft aufs neue zu verſichern. In dieſer Abſicht fuhren wir
einige Meilen laͤngſt der Kuͤſte bis nach dem Orte hin, wohin er gefluͤchtet war.
Hier fanden wir alles um ihn her in Thraͤnen und mußten allerhand Schmeiche-
[309]in den Jahren 1772 bis 1775.
leyen anwenden, um das vorige Zutrauen wieder zu gewinnen. Corallen,1773.
Septem-
ber.

Naͤgel und Beile leiſteten uns hiebey die beſten Dienſte. Orea’s Anverwand-
ten klagten uns, Capitain Cook wuͤrde ſie gefangen nehmen, um ihre Lands-
leute dadurch zu zwingen, daß ſie unſre nach O-Taha entlaufnen Matroſen
wieder herbeybringen ſollten. Nun ſahen wir ihren Irrthum ein, und verſi-
cherten ihnen, dieſe Leute waͤren keinesweges entlaufen, ſondern wuͤrden ganz
gewiß noch heute wieder kommen. Orea war aber damit noch nicht zufrieden,
ſondern nannte jede Hauptperſon in beyden Booten bey Namen, und frug bey
einem jeden insbeſondre, ob auch der wiederkommen wuͤrde? Da ihm nun
durchaus mit Ja geantwortet wurde, ſo gab er ſich endlich zufrieden. Indem
wir alſo mit Orea’s Familie in einem Cirkel beyſammen ſaßen, kam Porea un-
ſer Tahitier, der mit nach England gehen wollte, eiligſt zum Capitain gelau-
fen, haͤndigte ihm das Pulverhorn ein, welches er bis dahin beſtaͤndig in Ver-
wahrung gehabt hatte, und ſagte mit wenig Worten, er wuͤrde ſogleich wieder-
kommen. Nachdem wir aber eine lange Weile vergebens gewartet, ſo mußten wir end-
lich ohne ihn ans Schiff zuruͤckkehren, bekamen ihn auch nachher nie wieder zu Ge-
ſicht. Von den Einwohnern wußte uns niemand zu ſagen wo er hingekommen ſey,
und damit kein neuer Allarm unter ihnen entſtehen moͤgte, wollte der Capitain
auch eben nicht gar zu ſcharfe Nachfrage halten. Nach Tiſche begleitete ich
den Capitain abermals um dem Orea einen Beſuch abzuſtatten. Bey dieſer
Gelegenheit wandte ſich ein ſchoͤner junger Menſch an mich, und bat, daß wir
ihn mit nach England nehmen moͤchten. Er hieß O-Hedidi, war ohngefehr
ſiebenzehen Jahr alt und ſchien, der Farbe und Kleidung nach, von gutem Her-
kommen zu ſeyn. Ich wollte anfaͤnglich nicht glauben, daß er das bequeme Leben
der vornehmern Leute auf dieſen Inſeln zu verlaſſen geneigt ſey, und erzaͤhlte ihm
mit laͤchelndem Munde was fuͤr Unannehmlichkeiten er ſich durch ſeinen Entſchluß
ausſetzen wuͤrde. Aber alle meine Vorſtellungen, daß er rauhe Witterung an-
treffen, und mit ungewohnter ſchlechter Koſt wuͤrde vorlieb nehmen muͤſſen,
vermogten bey ihm nichts. Er blieb bey ſeinem Vorſatz, und endlich ſtimmten
auch viele ſeiner Freunde in den Wunſch ein, daß man ihn mitnehmen moͤgte.
Ich ſtellte ihn alſo dem Capitain Cook vor, der ohne Schwierigkeit in ſein
Verlangen willigte. Hierauf kehrten wir alle an Bord zuruͤck, und noch vor
Q q 3
[310]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
Sonnen-Untergang trafen auch die nach O-Taha abgeſchickten Boote, mit einer
dort aufgekauften Ladung Bananen und Coco-Nuͤſſen, imgleichen mit einigen
Schweinen, wieder bey dem Schiffe ein. Sie waren an eben dem Tage, da
ſie von uns gegangen, des Morgens bey guter Zeit, an der oͤſtlichen Seite einer
ſchoͤnen Bay, O-Hamane genannt, vor Anker gelangt. Ihrer Beſchrei-
bung nach, war ſowohl das Land als die Einwohner dieſer Inſel, von eben ſol-
cher Beſchaffenheit als in den uͤbrigen Inſeln dieſes Archipelagus. Und
wuͤrklich ſind Gewaͤchſe und Thiere hier uͤberall von einerley Art, nur daß man
in einer Inſel dieſe, in anderen jene Gattung ſeltner oder haͤufiger antrifft. So
war zum Exempel der Baum, den unſre Seeleute einen Apfelbaum nannten
(Spondias) ſehr haͤufig auf Tahiti, hingegen ſehr ſelten auf Raietea und
Huaheine, und auf Taha ebenfalls nicht gemein. Huͤhner fanden wir auf
Tahiti faſt gar nicht: Dagegen gab es deren auf den Societaͤts-Inſeln
die Menge. Ratten, welche Tahiti bey tauſenden plagten, waren nicht ſo
zahlreich auf O-Taha, noch ſeltner auf Raietea, und auf Huaheine bekam
man dergleichen kaum zu ſehen.


Nachdem unſre Leute im Haven O-Hamane zu Mittage geſpeißt hat-
ten, begaben ſie ſich nach der zunaͤchſt gegen Norden gelegnen Bucht, um dem
dortigen Befehlshaber O-Tah, einen Beſuch abzuſtatten, bey deſſen Hauſe
auch ein Hiwa oder oͤffentlicher Tanz angeſtellt werden ſollte. Auf dem Wege
dahin erblickten ſie von fern eine Frauensperſon, die ganz ſonderbar gekleidet
und uͤber und uͤber ſchwarz gemacht war. Es hieß, ſie traure und ſey eben mit
den Beerdigungs-Ceremonien beſchaͤftigt. Je naͤher ſie der Wohnung des Be-
fehlshabers kamen, deſto groͤßer ward, ſowohl um ihrer, als um des Hiwa’s
willen, das Gedraͤnge. Endlich langten ſie bey dem Hauſe an; der Erih war
ein aͤltlicher Mann und ſas auf einem hoͤlzernen Stuhle, wovon er, gleich bey
Erblickung der Fremden, meinem Vater die Haͤlfte zum Sitz einraͤumte. Es
waͤhrete nicht lange, ſo eroͤffneten drey junge Maͤdchen den Tanz, wovon die aͤltere
nicht uͤber zehn, und die juͤngſte nicht voͤllig fuͤnf Jahr alt war. Die Muſic be-
ſtand, wie gewoͤhnlich, aus drey Trommeln; und zwiſchen den Acten fuͤhrten
drey Mannsleute ein pantomimiſches Drama auf, in welchem ſchlafende Rei-
ſende vorgeſtellt wurden, denen einige Diebe mit großer Geſchicklichkeit die
[311]in den Jahren 1772 bis 1775.
Bagage wegſtohlen, ohnerachtet ſich jene, groͤßerer Sicherheit wegen, rund um1773.
Septem-
ber.

dieſelbe herum gelegt hatten. Waͤhrend dieſer Vorſtellung mußte das Volk
fuͤr einige Leute Platz machen, die ſich dem Hauſe Paar-weiſe naͤherten, aber an
der Thuͤr ſtehen blieben. Es waren theils erwachſne Perſonen, theils Kin-
der, die am obern Theil des Coͤrpers gaͤnzlich nackend giengen und mit Cocos-Oel
eingeſalbt waren, um die Huͤften aber Scherffen von rothem Zeuge und um
den Kopf Tamau, oder Schnuͤre von geflochtnem Haar trugen. O-Tah
nannte ſie die O-Da-widdi,*) welches nach Maasgabe der Zeichen die er da-
bey machte, ſo viel als Leidtragende zu bedeuten ſchien. Als ſich dieſe Leute dem
Hauſe naͤherten, ward der Platz vor ſelbigem mit Zeug belegt, ſolches aber bald
wieder aufgerollt und an die Trommelſchlaͤger ausgetheilt. Einer von dieſen
gerieth mit einem andern Indianer in Wortwechſel, und ehe man ſichs verſahe,
wurden ſie handgemein und zerrten einander bey den Haaren herum: Damit
aber das Feſt nicht unterbrochen wuͤrde, ſtellte man gleich einen andern an die
Trommel und jagte die beyden Zaͤnker zum Haufe hinaus. Gegen das Ende
des Tanzes, mußten die Zuſchauer nochmals Platz machen, weil die O-Da-
widdi
von neuem wieder zum Vorſchein kamen; doch blieben ſie, wie zuvor, an
dem Eingange des Hauſes ſtehen, ohne irgend eine beſondre Ceremonie vorzu-
nehmen.


Vor des Befehlshabers Wohnung waren viele Canots aufs Ufer gezo-
gen, und in einem derſelben, welches ein Dach oder Decke hatte, lag der Leich-
nam des Verſtorbenen, um deſſentwillen obgedachte Trauer-Ceremonien angeſtellt
wurden. Dieſes Umſtands wegen mußten unſre Reiſenden ihre Boote etwas
weiter hin vor Anker bringen, doch fand ſich zum Gluͤck auch dort ein Haus,
unter deſſen Obdach ſie die regnigte und ſtuͤrmiſche Nacht hindurch guten Schutz
hatten.


Am folgenden Morgen machte ihnen O-Tah ſeinen Gegenbeſuch, und
erbot ſich, ſie uͤberall zu begleiten. Sie nahmen ihn alſo mit ins Boot, und
ſeegelten um das Nord-Ende der Inſel herum, an welchem, innerhalb des
Riefs, eine Menge langer und flacher Inſeln liegen, die mit Palmen und
andern Baͤumen beſetzt ſind. In dieſer Gegend kauften ſie einen guten Vor-
[312]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
rath von Bananen, und ſpeißten hierauf, etwas weiter gen Suͤden, bey dem
Hauſe des oberſten Befehlshabers Boba, den der Koͤnig von Borabora,
Opuni,
zum Statthalter allhier eingeſetzt hatte. Sie lernten ihn jedoch nicht
perſoͤnlich kennen, denn er war damals eben verreiſet. Nach Tiſche fand ſich,
daß man ihnen waͤhrend der Mahlzeit den ganzen Reſt ihrer Handelswaaren, der
in einem Beutel mit Naͤgeln, Spiegeln und Corallen beſtand, geſtohlen hatte.
In dieſer Verlegenheit hielten es die Officiers fuͤr das ſicherſte, wenn man
den Einwohnern eine Parthey Vieh und andre Habſeligkeiten wegnaͤhme, und
ſo lange an ſich behielte, bis jene ſich bequemten, das Geraubte wieder herbey
zu ſchaffen. Mit dieſem Zwangsmittel ward gleich auf dem Marktplatz der
Anfang gemacht; man nahm daſelbſt ein Schwein, einige Perlmutter-Schaa-
len und etliche Ballen Zeug in Beſchlag, welches die Einwohner jedoch nicht an-
ders, als auf ernſtliche Bedrohung mit dem Feuergewehr, geſchehen ließen.
Hierauf theilten ſich unſre Leute; einige mußten die Boote, andre die confiſcir-
ten Waaren bewachen, und die uͤbrigen giengen unter Anfuͤhrung des Lieute-
nants weiter, um die Execution fortzuſetzen. Der alte Befehlshaber O-Tah
begleitete ſie, doch ſchien ihm bey dem ganzen Handel nicht um ein Haar beſſer
zu Muthe zu ſeyn als den Hunden in der Fabel (S. Phaͤdri Fab.). Ueberall
wo ſie hinkamen, flohen die Einwohner und trieben ihr Vieh ins Gebuͤrge. Um
zu verſuchen, was das Schießgewehr fuͤr Wuͤrkung auf ſie machen wuͤrde, ließ
der Officier drey Musqueten in die Luft feuern; auf dieſen Schreckſchuß kehrte
einer von den Fluͤchtlingen, ein vornehmer Mann, der von der Elephantiaſis
einen ungeheuer dick geſchwollnen Fus und Schenkel hatte, wieder um, und uͤberlie-
ferte ſeine Schweine, nebſt etlichen Packen Zeug. Hiernaͤchſt bemaͤchtigten
ſich unſre Leute, in Boba’s Wohnung, noch zweyer Bruſtſchilder und einer
Trommel, und kehrten darauf mit ihrer Beute nach dem zum Sammelplatz be-
ſtimmten Hauſe zuruͤck. Gegen Abend ſchied O-Tah von ihnen, kam aber bald
nachher mit dem geſtohlnen Beutel wieder, in welchem noch ohngefaͤhr die Haͤlfte
der Naͤgel, Corallen u. d. g. befindlich war, und blieb ſodann die Nacht uͤber
bey ihnen. Am folgenden Morgen ward den Eigenthuͤmern der in Beſchlag
genommnen Effecten bekannt gemacht, daß ihnen alles zuruͤck gegeben werden
ſollte, wenn ſie die entwandten Corallen und Naͤgel wieder herbey ſchaften. Un-
ter
[313]in den Jahren 1772 bis 1775.
ter der Zeit, daß dieſe Anſtalt dazu machten, wanderten unſre Leute nach O-1773.
Septem-
ber.

Herurua
, einer an der ſuͤdweſtlichen Seite der Inſel gelegnen Bay. Sie wa-
ren noch nicht weit gekommen, als O-Tah und der andre Befehlshaber, der
mit ſeinem geſchwollnen Beine ſo gut als ein andrer zu Fus war, den groͤßten
Theil des fehlenden Eiſenwerks ꝛc. ſchon herbey brachten, mit dem Bedeuten,
daß ſolches hin und wieder in den Gebuͤſchen verſteckt geweſen ſey. Hierauf
gaben auch unſre Leute das Zeug, die Schweine, die Bruſtſchilder und alles
uͤbrige zuruͤck, was ſie bisher an ſich behalten hatten. Auch belohnten ſie
den Mann, in deſſen Huͤtte ſie die Nacht zugebracht; imgleichen den alten
Befehlshaber, weil ſich beyde ungemein treu und willfaͤhrig gegen ſie bewieſen
hatten. Vermittelſt der wieder erhaltnen Corallen, waren ſie im Stande, in dem
Diſtrict Herurna und in der Bay A-Poto Poto (oder der runden Bay)
eine Parthie Bananen aufzukaufen. An letzterm Orte befand ſich ein ungleich
groͤßeres Haus als ſie in den uͤbrigen Societaͤts-Inſeln je geſehen hatten. Es war
voller Einwohner, und verſchiedne wohnten mit ihrer ganzen Familie in demſel-
ben, wie es denn uͤberhaupt ein oͤffentliches Gebaͤude und, gleich den Caravanſerais
in der Levante, fuͤr Reiſende beſtimmt zu ſeyn ſchien. Nachdem unſre Leute den
Reſt von Naͤgeln und Corallen gaͤnzlich losgeworden waren, auch Mittagbrod
gegeſſen hatten, ſo kehrten ſie nach den Schiffen zuruͤck, und langten endlich,
ohngefaͤhr um 4 Uhr Nachmittags, von den Wellen, die unterwegens in die
Boote hereingeſchlagen, ganz durchnaͤſſet, bey uns an.


Am folgenden Morgen kam Orea nebſt ſeiner Familie, und eine Menge
anderer Perſonen, um Abſchied zu nehmen. Der groͤßte Theil dieſes Zu-
ſpruchs galt unſern neuen Reiſegefaͤhrten O-Hedidi, der geſtern mit an Bord
gegangen war. Alle ſeine Freunde und Bekannten draͤngten ſich nun noch herbey
und brachten ihm eine Menge Zeug, imgleichen eine gute Proviſion gegohrnen
Brodfrucht-Teig zur Zehrung auf die Reiſe. Dieſer Teig iſt eins der beſten
Nahrungsmittel. Bey dieſer Gelegenheit kam Orea’s Tochter, die es bisher
nie gewagt hatte uns zu beſuchen, ebenfalls an Bord, um ſich von dem Capi-
tain die gruͤne Zeltdecke unſers Bootes auszubitten, welche ihr beſonders wohl
gefallen haben mußte. Sie erhielt eine Menge Geſchenke; in dem Hauptgeſuch
aber konnte ihr der Capitain nicht willfahren. Die Indianer ließen ſich zu guter
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. R r
[314]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem-
ber.
letzt den Handel noch recht angelegen ſeyn, und verkauften uns viel von ihrem
Handwerkszeug, Hausrath, u. d. g. Als wir endlich unter Seegel giengen,
verließen uns die guten Leute mit großer Betruͤbniß und ihre Thraͤnenguͤſſe
ſchienen manchem von uns vorzuwerfen, daß er unempfindlich ſey. In der
That werden auch ſolche Gemuͤthsregungen bey unſrer Erziehung zu ſehr ein-
geſchraͤnkt. Es wird uns zu oft eingepraͤgt, daß man ſich derſelben zu ſchaͤ-
men habe und daruͤber gehen ſie leider am Ende gar verloren. Auf dieſen In-
ſeln hingegen, laſſen die unverdorbnen Kinder der Natur allen ihren Em-
pfindungen freyen Lauf und freuen ſich ihrer Neigung fuͤr den Nebenmenſchen:


Molliſſima corda
Humano generi dare ſe natura fatetur
Quae lacrymas dedit; haec noſtri pars optima ſenſus.

Iuvenal.
()

Eilftes
[315]in den Jahren 1772 bis 1775.

Eilftes Hauptſtuͤck.*)
Reiſe von den Societaͤts-Inſeln nach denfreundſchaft-
lichen Inſeln
; und Nachricht von unſerm Aufenthalt daſelbſt.


Um 10 Uhr waren wir gluͤcklich zum Rief von Hamaneno hinaus und1773.
Septem-
ber.

ſteuerten nunmehro nach Weſt-Suͤd-Weſt, ſo daß uns die Inſeln
Raietea, Taha und Borabora noch immer im Geſicht blieben. Ohnerachtet
es nicht laͤnger als einen Monath her war, daß wir zu Tahiti angekommen;
ſo befanden wir uns doch von den Folgen jener langen beſchwerlichen Reiſe,
die wir waͤhrend der ſchlimmſten Jahrszeit im kalten und naſſen Clima zuge-
bracht hatten, allerſeits hergeſtellt. Selbſt diejenigen, die vom Scorbut am
mehreſten gelitten, waren wieder ſo geſund als die uͤbrigen. An dieſer ſchleu-
nigen Cur hatten die friſchen Kraͤuter und Baumfruͤchte der Societaͤts-Inſeln
wahrſcheinlicherweiſe den wuͤrkſamſten Antheil; denn als wir von unſerm er-
ſten Erfriſchungs-Platz, Aetepieha, abſeegelten, befanden ſich die Kranken ſchon
merklich beſſer, ohnerachtet wir dort noch kein friſches Fleiſch gekoſtet hat-
ten. Deſto ſicherer konnten wir uns jetzt auch fuͤr den naͤchſten Monat,
eine gleiche Fortdauer von Geſundheit verſprechen, weil wir mit friſchen Lebens-
mitteln hinlaͤnglich verſehen waren. Wir hatten nemlich in jedem Schiff zwi-
ſchen zwey und dreyhundert Schweine, eine große Anzahl Huͤhner und einige
Hunde, imgleichen eine anſehnliche Menge von Bananen vorraͤthig, welche
letztere auf dem Hintertheil des Schiffs, wie in einem Obſtgarten, umher la-
gen. Zwar verurſachte der Mangel an Raum, daß einige Schweine crepir-
R r 2
[316]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Septem
ber.
ten; und der hartnaͤckige Widerwillen der alten Schweine gegen das ungewohnte
Futter, welches ſie bekamen, brachte uns ebenfalls um eine große Anzahl derſelben.
Wir geriethen aber bald auf eine gute Methode dieſem Uebel vorzubeugen, indem wir
alle Schweine ſchlachteten und einſalzten, denen der enge Raum nicht bekom-
men wollte. Auf dieſe Weiſe blieb das Fleiſch eßbar und ſaftig, wenigſtens
war es ungleich ſchmackhafter und geſuͤnder als das Poͤckelfleiſch, welches wir
noch aus England her vorraͤthig hatten, denn dieſes war nunmehro dermaßen vom
Salz durchdrungen, daß, wenn man es auswaͤſſerte, zugleich alle Kraft und
Saft mit weggewaͤſſert ward. Die einzige Unannehmlichkeit, welche wir von
unſerm Aufenthalte auf dieſen Inſeln verſpuͤrten, beſtand darinn; daß viele
unſrer Seeleute, wegen ihres genauen Umgangs mit liederlichen Frauensperſo-
nen, leiden mußten. Doch waren die dadurch verurſachten Krankheiten ſo gut-
artig, daß ſie durch die gelindeſten Mittel geheilt und die Patienten keinesweges
am Dienſt gehindert wurden.


Unſer junge Freund O-Hedidi, den wir ſtatt des Tahitiers Porea
mitgenommen, war ungemein Seekrank, weil er an die Bewegung des Schiffs
nicht gewoͤhnt war. Doch erzaͤhlte er uns, indem wir nach dem hohen Pik
von Borabora ausſahen, daß er auf dieſer Inſel geboren und mit O-Puni,
dem kriegeriſchen Koͤnige, verwandt ſey, der Taha und Raietea erobert hatte.
Er entdeckte uns auch, daß er eigentlich Maheine heiße, aber ſeinen Namen
mit einem Befehlshaber auf Eimeo, der ſich O-Hedidi genannt, vertauſcht
habe. Dieſe Gewohnheit iſt, wie ich ſchon bemerkt, auf allen dieſen Inſeln
eingefuͤhrt. Koͤnig O-Puni befand ſich, nach der Ausſage unſers Gefaͤhrten,
dazumal eben auf der Inſel Maurua, bey welcher wir Nachmittags voruͤber
kamen. Sie beſtehet aus einem einzigen, kegelfoͤrmigen Berge, und iſt, ſo
viel wir aus den Beſchreibungen der Einwohner auf Raietea, welche perſoͤn-
lich da geweſen, abnehmen konnten, ohngefaͤhr von eben der Beſchaffenheit als
die uͤbrigen Inſeln.


Unſer arme Freund bekam erſt am folgenden Nachmittage ſeinen Appetit
wieder, da er ſich denn, zum Anfang, ein Stuͤck von einer acht und zwanzig-
pfuͤndigen Dorade ſchmecken ließ, die einer unſrer Leute gefangen hatte. Wir
wolltens ihm auf unſre Art zubereiten laſſen; er verſicherte aber, es ſchmecke
[317]in den Jahren 1772 bis 1775.
roh beſſer und bat ſich nur eine Schaale Seewaſſer aus, um den Fiſch darinn1773.
Septem-
ber.

einzutunken; dabey biß er wechſelsweiſe in einen Klumpen Mahei, oder ſau-
ren Brodfrucht-Teig, der ihm ſtatt Brods diente. Ehe er ſich aber zum
Eſſen niederſetzte, nahm er ein Stuͤckchen von dem Fiſche und etwas Mahei, als
ein Opfer fuͤr Eatua oder die Gottheit, und ſprach dabey ein Paar Worte
aus, die wir fuͤr ein kurzes Gebeth hielten. Eben dieſe Ceremonie beobachtete
er auch ein Paar Tage nachher, als er ein rohes Stuͤck vom Hayfiſch verzehrte.
Alles das uͤberzeugte uns, daß ſeine Landsleute gewiſſe beſtimmte Religions-
Begriffe hegen und ſelbſt eine Art von ceremonioͤſen Gottesdienſt beobachten, den
ſie vielleicht ſeit der erſten Trennung von ihren Vorfahren auf dem feſten Lande
moͤgen beybehalten haben.


Bis zum 23ſten ſetzten wir unſern Lauf fort ohne daß irgend etwas
merkwuͤrdiges vorgefallen waͤre; an gedachtem Tage aber, erblickten wir, bey
Aufgang der Sonne, eine niedrige [Inſel] die zur Linken des Schiffes lag. Nach
dieſer ſteuerten wir hin, und fanden gegen Mittag, daß ſie aus zwey Theilen
beſtand. Einer Obſervation zufolge, war unſre ſuͤdliche Breite damals 19 Grad
8 Minuten. Das Land war mit einer Menge Buſchwerk und andern dick be-
laubten Baͤumen bewachſen, uͤber welche die hohen Gipfel der Cocos-Palmen in
großer Anzahl empor ragten. Mit Huͤlfe der Fernglaͤſer bemerkten wir, daß
die Kuͤſte ſandig, hin und wieder aber mit Gruͤn uͤberwachſen war, welches
wahrſcheinlicherweiſe nichts anders als das in dieſem Himmelsſtrich gewoͤhn-
liche Schlingkraut, (Convolvulus Braſilienſis) ſeyn mogte. Beyde Inſeln
oder beyde Stuͤcke Land hingen, dem Anſehen nach, durch einen Felſen-Rief
zuſammen; ſchienen aber, ſo angenehm ſie auch ausſahen, dennoch ganz
unbewohnt zu ſeyn. Capitain Cook nannte dieſe Inſel, dem nunmehri-
gen Grafen von Briſtol zu Ehren, Hervey-Eyland. Tages zuvor hatte ſich
ein Vogel, der im Fluge und Geſange einem Sandlaͤufer (Sandpiper) glich,
neben dem Schiffe ſehen laſſen, und koͤnnte, dem Erfolge nach zu urtheilen, der
Vorbothe dieſer Inſel geweſen ſeyn; allein dergleichen Anzeigen ſind, wie
ich ſchon mehrmalen angemerkt habe, ſehr truͤglich. Wir ſahen zum Bey-
ſpiel, drey Tage nachher, von neuem einen Vogel, der ſich ſogar ins Ta-
ckelwerk ſetzte, trafen aber gleichwohl kein andres Land an. Von Hervey-
R r 3
[318]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
Eyland
, welches unter dem 19ten Grad 18 Minuten ſuͤdlicher Breite, und
Unterm 158 Grade 54 Minuten weſtlicher Laͤnge von Greenwich gelegen iſt,
ſteuerten wir immer weſtwaͤrts bis zum 1ſten October, an welchem Tage, um
2 Uhr Nachmittags, Land! gerufen wurde. Es lag gerade vor uns und ſchien
ziemlich hoch zu ſeyn. In Zeit von vier Stunden waren wir kaum noch 2 oder
3 See-Meilen von der Kuͤſte. Die Berge waren mit Holz uͤberwachſen und
fielen zwar nicht praͤchtig, doch ganz angenehm ins Auge. Am ſuͤdweſtlichen
Ende bemerkten wir eine kleine felſichte Inſel; und noͤrdlich ein flaches Land, das
ſich weiter hin erſtreckte. Die Gegend und alle Umſtaͤnde uͤberzeugten uns, daß
die vor uns liegende Inſel eben dieſelbe ſey, welche Abel Janßen Tasmann
im Jahr 1643. Middelburgh genannt, und daß die noͤrdliche, ein von eben
dieſem [Seefahrer] entdecktes und Amſterdam genanntes Eyland ſey. Weil
es Nacht wurde, legten wir bey, giengen aber mit Tages Anbruch, um die
ſuͤdweſtliche Spitze von Middelburgh herum und liefen ſodann laͤngſt
der weſtlichen Kuͤſte hin. Am Fuß der Berge ſchien etwas flaches Land zu ſeyn, auf
welchem junge Bananen ſtanden, deren lebhaftes friſches Gruͤn mit dem verſchie-
dentlich colorirten Buſchwerk und der braunen Cocos-Palme ungemein ſchoͤn
contraſtirte. Das Tages-Licht war noch ſo ſchwach, daß wir an verſchiednen Or-
ten die Huͤtten Feuer der Einwohner durch die Buͤſche ſchimmern ſahen; und bald
darauf kamen auch einige Leute am Strande zum Vorſchein. Die Bergewaren
niedrig und ragten uͤber die Meeresflaͤche kaum ſo hoch empor als die Inſel
Wight. Auf denſelben gab es hin und wieder einzelne, ſehr anmuthig zer-
ſtreute Haufen von Baͤumen, und zwiſchen dieſen war der Boden, ſo ſchoͤn
als hie und da in England, mit Gras uͤberwachſen Nunmehro ſtießen
verſchiedene von den Eingebohrnen ihre Canots ins Waſſer und ruderten
nach uns her. Einem derſelben, das ziemlich dicht ans Schiff kam, warfen
wir ein Tau zu, welches auch einer von denen darinn befindlichen Leuten ſo-
gleich auffing, ſeinen Kahn vollends heran zog und augenblicklich zu uns an
Bord kam. Beym Eintritt uͤberreichte er uns die Pfeffer-Wurzel, deren bey
den Societaͤts-Inſeln gedacht worden iſt, darauf beruͤhrte er unſre Naſen
mit der ſeinigen, wie die Neu-Seelaͤnder zum Zeichen der Freundſchaft zu
thun pflegen, und ſetzte ſich alsdann, ohne ein Wort zu ſprechen, auf dem Ver-
[319]in den Jahren 1772 bis 1775.
decke nieder. Der Capitain ſchenkte ihm einen Nagel, den er ſogleich uͤber1773.
October.

den Kopf empor hielt und dabey das Wort Fagafetai hoͤren ließ, welches, allem
Anſehen nach, eine Dankſagung bedeuten ſollte. Bis auf den Unterleib gieng
er unbekleidet, von da aber bis zu den Knien, hatte er ein Stuͤck braungefaͤrbtes
Zeug um ſich geſchlagen. Dieſes ſchien mit dem Tahitiſchen von einerley Art
und Arbeit zu ſeyn; doch war es mit Leim oder Firniß ſteif und waſſerdicht
gemacht. Der Mann war von mittler Statur, und hatte eine ſanfte, ziem-
lich regelmaͤßige Geſichtsbildung. An Farbe glich er den gemeinen Tahi-
tiern,
*) das iſt, er war hell Mahogany- oder Caſtanien-braun. Den Bart
trug er kurz geſchoren; und ſein ſchwarzes Haar hieng ihm in kurzen Locken
um den Kopf, ſo kraus als wenn es gebrannt waͤre. Auf jedem Arm hatte
er drey runde Flecke, ohngefaͤhr ſo groß als ein Wilder-Manns-Gulden, die, in
Form erhabener Punkte, nach Tahitiſcher Manier, in die Haut punetirt, jedoch
nicht mit ſchwarzer Farbe eingerieben waren. Der Figur nach, ſtellten ſie lau-
ter in einander paſſende Zirkel vor, davon die aͤußerſten am groͤßten waren, die
innern hingegen immer kleiner wurden. Außerdem hatte er noch andre ſchwarze
Flecke auf dem Leibe. Im Ohrlaͤpchen befanden ſich zwey Loͤcher, darinn er ei-
nen kleinen runden Stab trug, und an der linken Hand fehlte ihm der kleine Fin-
ger. Er blieb eine ganze Weile ohne ein Wort zu ſprechen; indeß verſchiedne
andre, die nach ihm ſich an Bord wagten, weit geſpraͤchiger waren, und gleich
nach verrichtetem Naſengruß, uns in ihrer Sprache anredeten, von welcher wir
damals noch kein Wort verſtanden. Mittlerweile hatten wir die nordweſtliche
Spitze der Inſel erreicht und kamen allda um 9 Uhr, in einer ofnen Rheede
auf einem guten ſichern Grunde, gluͤcklich vor Anker. Kaum war dies ge-
ſchehn, ſo draͤngten ſich vom Lande her eine Menge Canots zu uns, in deren
jedem drey bis vier Leute ſaßen, die große Haufen ihres Zeuges zum Verkauf
ausbothen. Die Canots waren klein, ohngefaͤhr 15 Fus lang, ſehr ſpitz gebauet
und an beyden Enden bedeckt. Sie hatten, gleich den kleinen Fahrzeugen der
Tahitier, mehrentheils Ausleger von Stangen; duͤnkten uns aber ungleich
[320]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
beſſer und ſauberer gearbeitet als jene, denn ſie waren mit einer bewunderns-
wuͤrdigen Genauigkeit zuſammengefuͤgt und abgeglaͤttet. Die Ruder hatten
hier, wie zu Tahiti, kurze, breite Schaufeln, waren aber ebenfalls beſſer ge-
arbeitet und von beſſerm Holze. Die Leute machten viel Lerm um uns her, denn
ein jeder zeigte was er zu verkaufen hatte, und rief jedem von uns zu, der ſich
auf dem Verdeck blicken ließ. Die Sprache klang nicht unangenehm und
ward uͤberdem in einem ſingenden Ton geredet. Einige waren dreiſt genug
an Bord zu kommen, und darunter ſchien ein Befehlshaber oder Mann von
Stande zu ſeyn, der in dieſem Betracht allerhand Geſchenke erhielt. So
oft man ihm etwas gab, hob er es uͤber den Kopf empor, und ſagte jedesmal
Fagafetai dazu. Unſer engliſches Tuch und Linnen bewunderte er am mehre-
ſten; naͤchſtdem aber gefiel ihm unſre Eiſenwaare am beſten. Er war nichts
weniger als beſorgt, oder ſchuͤchtern, ſondern gieng ohne Bedenken in die Cajuͤtte
hinab und wohin man ihn ſonſt zu bringen fuͤr gut fand. Wir erfuhren von
ihm, daß die Inſel, an welcher wir vor Anker lagen (und die TasmannMid-
delburgh
genannt) in der Landesſprache Ea-Uwhe hieße; und daß die andre,
gegen Norden gelegene, (oder TasmansAmſterdam) Tonga-Tabu genannt
werde. Mehrerer Gewißheit wegen befragten wir uns dieſerhalb noch bey an-
dern von ſeinen Landsleuten, erhielten aber durchgehends dieſelbe Antwort.


Nach dem Fruͤhſtuͤcke giengen wir, in des Capitains und des vorneh-
men Mannes Geſellſchaft, ans Land. In dieſer Gegend war die Kuͤſte von
einem mit dem Strande parallel laufenden Corallen-Rief gedeckt, der nur
hie und da eine Luͤcke hatte, wo Canots und andere kleine Boote hindurch
konnten. So wohl die in den Fahrzeugen als die auf dem Ufer befindlichen
Eingebohrnen, bewillkommten uns mit großem Freudengeſchrey. Die
Canots ruderten dicht an unſer Boot, und die Leute warfen uns aus den-
ſelben große Packete Zeug zu, ohne etwas dagegen zu verlangen. Andere, ſo-
wohl Manns- als Frauensperſonen, ſchwammen um uns her, und hielten Klei-
nigkeiten zum Verkauf in die Hoͤhe, als Ringe von Schildkroͤten-Schalen,
Angel-Haken von Perlmutter und dergleichen. Sobald wir durch das Ge-
draͤnge der Canots durchkommen konnten, und uns dem Strande ſo weit ge-
naͤhert hatten, als ſichs, des ſeichten Ufers wegen, thun ließ, erboten ſich die
Ein-
[321]in den Jahren 1772 bis 1775.
Einwohner von freyen Stuͤcken, uns auf ihren Schultern vollends ans Land zu1773.
October.

tragen. Nachdem wir auf ſolche Art die Kuͤſte erreicht hatten, verſammle-
ten ſie ſich mit allen erſinnlichen Zeichen der Freundſchaft um uns her, und bo-
then uns etwas Fruͤchte, Waffen und Hausgeraͤth zum Geſchenk an. Beſſer
haͤtte uns das Volk gar nicht aufnehmen koͤnnen, wenn es von unſern friedferti-
gen Geſinnungen ſchon durch eigne Erfahrung uͤberzeugt, oder wenigſtens gewohnt
geweſen waͤre, von Zeit zu Zeit europaͤiſche Schiffe bey ſich zu ſehn: Allein das
war gar nicht der Fall, denn noch hatten ſie wohl keinen Europaͤer
unter ſich geſehn, auch konnten ſie von Tasmans ehemaliger Anweſenheit auf der
benachbarten Inſel Amſterdam, hoͤchſtens nur von Hoͤrenſagen etwas wiſſen.
Bey ſo bewandten Umſtaͤnden mußten wir uns von ihrer Gemuͤthsart aller-
dings die vortheilhafteſten Begriffe machen und ſie fuͤr offenherzige gut ge-
ſinnte Leute halten, die nichts weniger als mißtrauiſch waͤren. Dieſe gute
Meynung ward dadurch noch mehr beguͤnſtigt, daß ſich auch eine große
Anzahl von Frauensperſonen unter ihnen befand, welche die indiani-
ſchen Nationen ſonſt mehrentheils von den Fremden entfernt zu hal-
ten pflegen. Dieſe hier waren von den Huͤften an bis auf die Fuͤße be-
kleidet, und ſchienen uns durch ein gutherziges freundliches Laͤcheln ein-
zuladen, daß wir getroſt naͤher kommen moͤchten. Herr Hodges entwarf von
dieſer merkwuͤrdigen freundſchaftlichen Aufnahme ein ſchoͤnes Gemaͤhlde, welches
zu Capitain Cooks Nachricht von dieſer Reiſe geſtochen iſt. So geneigt
ich indeſſen bin, den Arbeiten dieſes geiſtreichen Kuͤnſtlers ihr gebuͤhrendes Lob
wiederfahren zu laſſen, wenn ſie der Wahrheit ganz treu ſind; ſo wenig kann ich
doch bey dieſer Gelegenheit umhin, zu bemerken, daß vorgedachte Platte von den
Einwohnern auf Ea-Uwhe und Tongatabu gar keinen richtigen Begriff
giebt; ohnerachtet ſie uͤbrigens von Herrn Sherwin meiſterhaft in Kupfer geſto-
chen iſt. Der Vorwurf, welchen man denen zu Capitain Cooks voriger
Reiſe in Kupfer geſtochnen Platten mit Recht gemacht hat, daß ſie nemlich, ſtatt
indianiſcher Geſtalten, nur ſchoͤne Figuren vorſtellten, die ſowohl der Form als
der Drapperie nach, im Geſchmack der Antike gezeichnet waͤren; eben dieſer
Vorwurf trift auch jene Kupfertafel. Ja man ſollte faſt glauben,
Herr Hodges habe ſeine nach der Natur gemachte Original-Skizze
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. S s
[322]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
verloren, und hernach aus eleganter mahleriſcher Fantaſie eine neue Zeich-
nung von dieſem Stuͤck, bloß idealiſch entworfen. Denn Kenner
finden in dieſer Platte griechiſche Conture und Bildungen, dergleichen es in
der Suͤdſee nie gegeben hat; und ſie bewundern ein ſchoͤnes fließendes Gewand,
das Kopf und Coͤrper bedeckt, da doch in dieſer Inſel, die Frauensleute Schul-
ter und Bruſt faſt niemals bedecken. Die Figur eines alten ehrwuͤrdigen
Mannes mit einem langen weißen Barte iſt vortreflich; allein die Leute auf
Ea-Uwhe laſſen den Bart nicht wachſen, ſondern zwicken ihn mit Muſchel-
ſchaalen kurz. Doch, ich kehre zur Geſchichte: Wir verweilten nicht
lange auf der Kuͤſte, ſondern folgten dem Befehlshaber, der uns wei-
ter ins Land zu gehen bat. Vom See-Ufer ab, war der Boden etliche
Schritt weit ziemlich ſteil, denn aber dehnte er ſich in eine ebne ſchoͤne Wieſe
aus, die mit hohen Baͤumen und dickem Buſchwerk umgeben war, ſo daß
man nur nach der See hin eine freye Ausſicht hatte. Am Ende dieſer
Wieſe, ohngefaͤhr 150 Schritt weit vom Landungs Platze, ſtand ein ſehr huͤb-
ſches Haus, deſſen Dach bis zwey Fuß von der Erde, herabreichte. Der Weg der
auf daſſelbe zufuͤhrte, gieng durch vorgedachte gruͤne Ebne, die ſo glatt und gras-
reich war, daß ſie uns an die ſchoͤnſten Raſen-Gruͤnde in England erinner-
te. So bald wir bey dem Hauſe ankamen, noͤthigte man uns innerhalb aus-
zuruhen; der Fußboden war mit den ſchoͤnſten Matten zierlich aus-
gelegt, und in einer Ecke ſahen wir eine bewegliche Abtheilung von geflocht-
ner Arbeit, hinter welcher, nach den Zeichen der Einwohner zu urthei-
len, die Schlafſtelle war. Das Dach, welches an allen Seiten gegen den
Boden herablief, beſtand aus Sparren und runden Hoͤlzern, die ſehr genau
mit einander verbunden und mit einer Matte von Bananen-Blaͤttern bedeckt
waren.


Kaum hatten wir in dieſem Hauſe, von mehr denn hundert Menſchen
umringt, Platz genommen, als zwey oder drey Frauenzimmer uns mit einem
Geſange bewillkommten, der, ſo einfach die Melodie auch war, doch ganz an-
genehm und ungleich muſicaliſcher klang als die Lieder der Tahitier. Die
Saͤngerinnen hatten ungemein wohlklingende Stimmen und ſecundirten ſich un-
[323]in den Jahren 1772 bis 1775.
tereinander; zu gleicher Zeit ſchlugen ſie, mit dem erſten Finger und dem Dau-1773.
October.

men, Knippchen dazu nach dem Takt, und hielten indeß die uͤbrigen drey Finger
jeder Hand gerade in die Hoͤhe. Als die erſten drey aufgehoͤrt hatten, fiengen drey
andre eben dieſelbige Melodie an, und endlich ward ein allgemeines Chor daraus
gemacht. Einer unſrer mitreiſenden Herren, ſchrieb mir eins ihrer Lieder auf,
welches ich meinen muſicaliſchen Leſern zur Probe der hieſigen Tonkunſt mitthei-
len will:

[figure]

Weiter als auf dieſe vier Noten erſtreckte ſich der Umfang ihres Geſanges nicht;
ſie giengen nie tiefer als A. und nie hoͤher als E. Dabey ſangen ſie ſehr lang-
ſam und ſchloſſen zuweilen mit dem Accord


[figure]

Die Gutherzigkeit des Volks aͤußerte ſich in ihren kleinſten Handlungen,
ja in jeder Gebehrde. Sie ließen ſichs ſehr angelegen ſeyn, uns mit Cocos-
Nuͤſſen zu bewirthen, deren Milch uͤberaus wohlſchmeckend war. Alles ver-
einigte ſich, uns dieſen Aufenthalt angenehm zu machen; ſelbſt die Luft, die wir
einathmeten, war mit balſamiſchen Duͤnſten angefuͤllt. Anfaͤnglich wußten wir
nicht, wo dieſer vortrefliche Geruch herkam; bey naͤherer Unterſuchung aber
fand ſich, daß wir ihn einer ſchattenreichen Art von Citronen-Baͤumen zu ver-
danken hatten, die hinter dem Hauſe und eben in voller Bluͤthe ſtanden. Wir
durften uns nicht lange an dem bloßen Geruch begnuͤgen, denn die Einwohner
ſetzten uns bald auch Fruͤchte von dieſem Baume vor. In Weſtindien ſind
ſolche unter dem Namen Shaddocks bekannt; zu Batavia aber und in den
oſtindiſchen Inſeln, werden ſie Pompelmuſen genannt. Dieſe hier waren ku-
gelrund, beynahe ſo groß als ein Kindeskopf und von ganz vortreflichem Ge-
ſchmack. Zu beyden Seiten der vor dem Hauſe befindlichen Wieſe, lief ein Zaun
von Rohrſtaͤben hin, welche durchaus creutzweis geflochten und feſt mit einander
S s 2
[324]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
verbunden waren. Durch dieſen Zaun gelangte man, vermittelſt einer Thuͤr von
Brettern, die ſtatt der Hespen an Stricken hieng, in eine ordentlich angelegte Plan-
tage oder Baumgarten. Die Thuͤr war ſo gehangen, daß ſie von ſelbſt hinter uns zufiel;
und das Rohrgehaͤge war mit Zaunwinden (Convolvulus) uͤberwachſen, die groͤß-
tentheils himmelblaue Bluͤthen hatten. Um die guten Anſtalten der Einwohner ge-
nauer zu unterſuchen, trennten wir uns in verſchiedne Partheyen und fanden bey
jedem Schritt neue Urſach, zufrieden zu ſeyn. Das Land ſahe uͤberall wie ein weit-
laͤuftiger Garten aus, indem es durchgehends mit hohen Cocos-Palmen und
Bananen, imgleichen mit ſchattigen Citronen- und Brodfrucht-Baͤumen beſetzt
war. In dieſen anmuthigen Gefilden ſtreiften wir einzeln umher und fanden
eine Menge neuer Pflanzen, dergleichen auf den Societaͤts-Inſeln nicht wuchſen.
Ein Fusſteig leitete uns endlich nach einem Wohnhauſe, welches gleich jenem auf
der Wieſe angelegt und mit Gebuͤſch umgeben war, deſſen Bluͤthe die ganze
Luft mit Wohlgeruch erfuͤllte. Die Einwohner ſchienen thaͤtiger und fleißiger
als die Tahitier zu ſeyn. Sie ließen uns uͤberall ungehindert gehen, beglei-
teten uns auch nie, wenn wir ſie nicht ausdruͤcklich darum baten, und alsdenn
konnten wir fuͤr unſre Taſchen unbeſorgt ſeyn; nur mußten wir keine Naͤgel
bey uns fuͤhren, denn dieſe ließen ſie nicht leicht unangeruͤhrt. Wir kamen nach
und nach durch mehr als zehn ſolcher Plantagen oder Gaͤrten, die alle beſonders
verzaͤunt waren, und vermittelſt Thuͤren von vorbeſchriebner Art, Gemeinſchaft
mit einander hatten. Faſt in jedem dieſer Gaͤrten fanden wir ein Haus, die Be-
wohner aber waren durchgehends abweſend. Die Verzaͤunung ihrer Laͤndereyen
ſchien einen hoͤhern Grad von Cultur anzudeuten, als man hier wohl ver-
muthet haͤtte. In der That war auch das Volk, ſowohl in Hand-Arbeiten
als in Manufactur-Sachen und in der Muſic, weiter und ausgebildeter als die
Einwohner der Societaͤts-Inſeln, welche dagegen, beſonders in Tahiti, wohl-
habender, aber auch traͤger waren als dieſe. So viel wir ſahen, gab es hier nur
wenig Huͤhner und Schweine; auch waren die Brodfrucht-Baͤume, welche dort
einen ſo reichlichen und vortreflichen Unterhalt geben, hier ſehr ſelten, daher ſich
denn die Einwohner hauptſaͤchlich von Wurzelwerk, imgleichen von Bananen zu
naͤhren ſcheinen. In Abſicht der Kleidung waren ſie ebenfalls nicht ſo reich
als die Tahitier; wenigſtens gieng man in dieſem Artikel hier noch nicht ſo wie
[325]in den Jahren 1772 bis 1775.
dort, bis zur Verſchwendung. Endlich fanden wir auch ihre Wohnungen, zwar1773.
October.

ſehr artig gebauet und allemal in wohlriechendem Gebuͤſche angelegt, ſie wa-
ren aber weder ſo raͤumlich noch ſo bequem als in Tahiti. Unter dieſen Be-
obachtungen kehrten wir wieder nach dem Landungs-Platz zuruͤck, wo-
ſelbſt ſich viele Hundert Einwohner verſammlet hatten. Ihr aͤußeres Anſehen
bewies, daß, wenn ſchon ihr Land nicht ſo reich an Natur-Guͤtern war
als Tahiti; dieſe Reichthuͤmer doch mit mehrerer Gleichheit unter dem Volk aus-
getheilt ſeyn mußten. Dort konnte man den Vornehmen gleich an der hellern
Geſichts-Farbe und an dem wohlgemaͤſteten Coͤrper erkennen: Hier aber war aller
aͤußere Unterſchied aufgehoben. Der Befehlshaber, der ſich zu uns an Bord bege-
ben und uns darauf ans Land begleitet hatte, war, ſelbſt der Kleidung nach,
nicht vom gemeinen Mann verſchieden. Blos aus dem Gehorſam, den das
Volk gegen ſeine Befehle blicken ließ, konnte man urtheilen, daß er von hoͤhe-
rem Stande ſeyn muͤſſe. Wir miſchten uns unter den hier verſammleten Haufen,
und wurden von Alt und Jung, Maͤnnern und Weibern auf das ſchmeichelhafteſte
bewillkommt. Sie umarmten uns, kuͤßten uns zuweilen die Haͤnde und druͤck-
ten ſie an ihre Bruſt; kurz, ſie ſuchten uns ihre Liebe und Freundſchaft auf hun-
dertfaͤltige Art zu bezeugen. Die Maͤnner ſind von unſrer gewoͤhnlichen mitt-
lern Statur, von 5 Fus 3 Zoll, zu 5 Fus 10 Zoll, uͤberaus proportionirlich
gebaut und ſchoͤn von Gliedern, aber etwas musculoͤſer als die Tahi-
tier,
welches wahrſcheinlicherweiſe von der groͤßern und beſtaͤndigen Anſtren-
gung des Coͤrpers herkommt, die ihre Art des Landbaues und der Hauswirth-
ſchaft erfordert. Ihre Geſichtsbildung war ſanft und ungemein gefaͤllig, aber
laͤnglichter als bey den Tahitiern, beſonders war die Naſe ſchaͤrfer und die
Lippen duͤnner. — “Sie hatten ſchoͤne ſchwarze Augen, groß und ſelbſt bey
den bejahrteſten Perſonen noch voll Feuer. Ihre Zaͤhne waren geſund,
weiß und ſchoͤn geſetzt. Das Haar, welches gemeiniglich ſchwarz und ſtark gekraͤu-
ſelt war, trugen Maͤnner und Weiber kurz verſchnitten, und zum Theil auf-
waͤrts gekaͤmmt, ſo daß es, wie Borſten, in die Hoͤhe ſtand. Den Kindern
hatte man es noch kuͤrzer geſchnitten und nur einen Schopf von Haaren auf dem
Wirbel, imgleichen einen auf jeder Seite uͤber dem Ohr ſtehen laſſen.” — Die
Baͤrte waren geſchoren oder vielmehr mit ein Paar ſcharfen Muſchel-
S s 3
[326]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
Schaalen (mytuli) dicht an der Haut abgezwickt. Die Weibsleute
waren durchgehends ein Paar Zoll kleiner als die Mannsperſonen; jedoch nicht
ſo klein als die gemeinen Frauensleute auf Tahiti und den Societaͤts-Inſeln.
Der Obertheil des Coͤrpers war allemal von ungemein ſchoͤner Proportion, und
die Haͤnde nebſt den Armen voͤllig eben ſo fein gebildet als bey dem Tahitiſchen
Frauenzimmer; dagegen hatten ſie, gleich jenen, zu große Fuͤße und zu dicke
Beine. Ihre Geſichtszuͤge waren eben nicht regelmaͤßig ſchoͤn, hatten aber et-
was ſehr angenehmes, welches in den Societaͤts-Inſeln, bey dem weiblichen Ge-
ſchlecht durchgehends der Fall zu ſeyn pflegte; doch gab es dort unter den Vor-
nehmern einzelne Schoͤnheiten, dergleichen wir hier nirgends antrafen. So-
wohl die Manns-als Frauensperſonen waren, ohne Unterſchied des Standes-
von hell caſtanienbrauner Leibesfarbe, und ſchienen durchgehends einer vollkomm-
nen Geſundheit zu genießen. Unter den Maͤnnern war das Punctiren und Ein-
ſchwaͤrzen der Haut allgemein; vornemlich pflegten der Bauch und die Lenden
eben ſo ſtark, und in noch kuͤnſtlichern Figuren taͤttowirt oder bezeichnet zu ſeyn,
als wir es auf Tahiti geſehen hatten. Selbſt die zarteſten Glieder des Coͤrpers,
auf denen die Operation nicht nur ſehr ſchmerzhaft, ſondern auch, wegen der
glanduloͤſen Theile, ſehr gefaͤhrlich ſeyn muß, waren nicht unpunctirt. Mit
Recht erſtaunten wir daruͤber:


Nam et picta pandit ſpectacula cauda.
Horat.
()

Bey den Frauensleuten hingegen war es nicht uͤblich ſich auf dieſe Art haͤßlich
zu verſchoͤnern. Sie hatten blos, gleich den Maͤnnern, drey runde Flecke auf
jedem Arm, die eine Menge in einander paſſenden Cirkel vorſtellten, und in die
Haut punctirt aber nicht mit ſchwarzer Farbe eingerieben waren. Naͤchſt dieſer
Verzierung begnuͤgten ſie ſich mit ein Paar ſchwarzen Puncten auf den Haͤn-
den. Die Maͤnner giengen faſt gaͤnzlich nackend, indem ſie mehrentheils nur
ein ſchmales Stuͤck Zeug, wie eine Scherfe, um die Huͤften geſchlagen hatten;
doch war es manchmal etwas laͤnger, und reichte alsdenn, faſt wie ein
Frauensrock, von den Huͤften bis uͤber die Knie hinab. Die Weiber hinge-
gen ſchlugen das Zeug unmittelbar unter der Bruſt um den Leib, und von da
[327]in den Jahren 1772 bis 1775.
hieng es bis auf die Waden herunter. Es war mit dem Tahitiſchen von1773.
October.

gleicher Beſchaffenheit, aber in viereckigen Feldern, nach Art eines Brettſpiels
gemahlt; auch mit einem Leim oder Firniß uͤberzogen, der dem Waſſer
lange Widerſtand that. Statt des Zeuges trugen ſie auch wohl Matten, die ſehr
gut geflochten, im Aeußern den Tahitiſchen aͤhnlich, und bisweilen, jedoch ſelten,
uͤber die Schultern und Bruſt zuſammen geſchlagen waren. Zum Zierrath dieute
den Maͤnnern eine Perlmutter-Schaale, die vermittelſt einer Schnur um den
Hals befeſtigt war und auf die Bruſt herabhieng. Die Frauensleute aber trugen
mehrere Schnuͤre um den Hals, an welchen man kleine Schnecken, Saamen-
Koͤrner und Fiſchzaͤhne aufgereihet ſah, und in der Mitte war der runde Deckel
einer Schnecke, (operculum) ohngefaͤhr ſo groß als ein Thalerſtuͤck, befind-
lich. In beyden Ohrlaͤppchen hatten ſie Loͤcher, bisweilen zwey in je-
dem, und in dem Fall war ein kleines rundes Stuͤck von Schildkroͤten-Schaale,
oder ein Knochen hereingeſteckt. Nicht ſelten beſtanden dieſe Cylinder aus bloßem
Rohr, das mit einer rothen feſten Subſtanz angefuͤllt, außerhalb bunt ange-
mahlt und gebeizt war. Das Sonderbarſte aber, was wir an dieſer
Nation bemerkten, war, daß viele den kleinen Finger, zuweilen gar an beyden
Haͤnden, verloren hatten. Geſchlecht und Alter machten hierinn keinen Unter-
ſchied; denn ſelbſt von den wenigen Kindern, die wir herumlaufen ſahen, wa-
ren ſchon die mehreſten auf dieſe Art verſtuͤmmelt. Nur einige wenige alte
Leute hatten ihre voͤllige Fingerzahl, und machten folglich eine Ausnahme von
der allgemeinen Regel. Wir vermutheten ſogleich, daß der Tod eines Anver-
wandten oder Freundes zu dieſer ſonderbaren Verſtuͤmmlung Anlaß geben
moͤgte, um welcher Urſach willen ſie auch bey den Hottentotten in Afrika, *) bey
den Guaranos in Paraguay, und unter den Einwohnern von Californien
uͤblich iſt. Dieſe Vermuthung beſtaͤtigte ſich hernach auch auf wiederholtes
Nachfragen. Noch eine andre Sonderbarkeit, die wir an ihnen bemerkten,
beſtand darinn, daß ſie faſt durchgehends auf beyden Backen-Knochen einen
runden Fleck hatten, der eingebrannt oder mit blaſenziehenden Sachen einge-
aͤtzt zu ſeyn ſchien. Bey einigen waren dieſe Flecke noch ganz friſch, bey
[328]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
andern ſchon mit einem Schorf uͤberzogen, und bey vielen waren nur noch ganz
geringe Spuren davon uͤbrig. Wir konnten nicht erfahren, wie und zu wel-
chem Ende dieſe Flecke gemacht werden; doch ruͤhren ſie vermuthlich von ir-
gend einem cauſtiſchen Heilmittel her, welches hier, ohngefaͤhr ſo wie in
Japan die Moxa, zur Heilung von mancherley Krankheiten, gebraucht
werden mag.


Des gefaͤlligen Betragens der Einwohner ohnerachtet, ſahen wir zum
Voraus, daß unſers Bleibens hier nicht lange ſeyn wuͤrde, denn die Capi-
tains konnten nicht ſo viel friſche Lebensmittel bekommen, als zum taͤglichen Un-
terhalt auf beyden Schiffen erfordert ward. Indeſſen mochte die Urſach hie-
von nicht ſowohl an einem wuͤrklichen Mangel derſelben, als vielmehr daran
liegen, daß man gleich anfaͤnglich mit allzu großer Begierde Waffen und Haus-
rath kaufte, und auf dieſe Art den Einwohnern Anlaß gab, mit dem ſchaͤtz-
barſten, nemlich mit den Lebensmitteln zuruͤckzuhalten. Sie hatten uns zwar
hie und da etliche Yams, Bananen, Coco-Nuͤſſe und Pompelmoſen zum Ver-
kauf gebracht; allein ſie hielten mit dieſen Artickeln bald wieder inne und ſchraͤnk-
ten den Handel blos auf Sachen von ihrer Haͤnde Arbeit ein. Vornemlich
verkauften ſie unſern Leuten eine unglaubliche Menge von Fiſch-Angeln, die mit
Haken von Schildkroͤten-Schaale verſehen, zum Theil ſieben Zoll lang und
eben ſo geſtaltet waren als die in Tahiti, unter dem Namen Witti-Witti*)
bekannten. Naͤchſtdem uͤberließen uns die Maͤnner ihre Bruſtzierrathen von
Muſchelſchalen, und die Weiber ihre Halsbaͤnder, Armbaͤnder von Perlmut-
ter, nebſt kleinen runden Stoͤckchen von Holz oder Rohr, deren ſie ſich
ſtatt Ohrringe bedienen. Wir handelten auch eine Art von Kaͤmmen ein, die
mehr zum Putz als zu anderm Gebrauch dienten, und aus einer Anzahl kleiner
flacher Stoͤcke, ohngefaͤhr 5 Zoll lang beſtanden. Dieſe waren von gelbem Holze, als
Buxbaum geſchnitzt und am obern Ende feſt jedoch zierlich, durch ein buntes
Flechtwerk von braunen und ſchwarz gefaͤrbten Cocosfaſern mit einander verbun-
den
[][]

[figure]

[329]in den Jahren 1772 bis 1775.
den, wie auf der hier beygefuͤgten Kupfertafel, vermittelſt der Figur 1, mit1773.
October.

mehrerm zu erſehen iſt. Aus dergleichen Faſern machten ſie auch allerhand
Koͤrbe, die oft in braun und ſchwarzen Feldern geflochten, zuweilen auch durch-
aus von gleicher Farbe, nemlich braun, und Reihen-weiſe mit runden, flachen
Corallen beſetzt waren. Dieſe Corallen ſchienen aus Schnecken geſchnitten
oder geſchliſſen zu ſeyn. Die Koͤrbe waren, ſowohl der Form als dem Muſter
nach, ſehr verſchieden, aber allemal ungemein ſauber und mit vielem Geſchmack
gearbeitet. Ein Paar derſelben findet man auf eben dieſer Kupfertafel Figur
2. und 3. abgebildet. Die kleinen hoͤlzernen Stuͤhle, welche man in dieſen
Inſeln ſtatt Kopf-Kuͤſſen gebraucht, waren hier haͤufiger als auf Tahiti. Auch
gab es viel flache Speiſe-Schaalen und Spateln, womit der Brodfrucht-Teig
durcheinander geruͤhrt wird, ſaͤmmtlich von Caſuarina-Holz (caſuarina equi-
ſetifolia
) geſchnitzt. Unſre [Matroſen] nannten dieſe Holzart, Keulen-Holz
(clubwood,) weil in allen Suͤdſee-Inſeln, Keulen und Streit-Kolben
daraus gemacht werden. Letztere waren hier von ſehr mannichfaltiger Form,
und zum Theil ſo ſchwer, daß wir ſie nicht leicht mit einer Hand fuͤhren konn-
ten. Der untere Theil, oder die eigentliche Kolbe war mehrentheils vierſei-
tig und von blattfoͤrmiger Geſtalt, der Schaft ebenfalls viereckig, jedoch
oberhalb, gegen den Handgrif zu, rund. (Man ſehe hiebey die auf folgender
Seite befindliche Platte, Figur 1. nach.) Andre ſahen ſchaufelfoͤrmig, flach
und zackicht aus; noch andre hatten lange Griffe und eine Fliet-aͤhnliche Schneide,
und wiederum andre waren krumm, knoticht u. ſ. w. Die mehreſten fanden wir,
uͤber und uͤber, nach allerhand felderweiſe abgetheilten Muſtern geſchnitzt, welches
viel Zeit und eine unglaubliche Geduld erfordern muß, indem ein ſcharfer Stein
ein Stuͤckchen Coralle oder eine Muſchel die einzigen Werkzeuge ſind, womit ſie
dergleichen Arbeit machen koͤnnen. Die Abtheilungen, oder Felder, dieſes
Schnitzwerks kamen an Groͤße und Ebenmaaß auf das genaueſte miteinander
uͤberein, und die Oberflaͤche der ungeſchnitzten Keulen war ſo ſchoͤn ge-
glaͤttet, als man es von den geuͤbteſten und mit dem beſten Handwerkszeuge ver-
ſehenen Kuͤnſtlern nur haͤtte erwarten koͤnnen. Außer den Keulen hatten ſie auch
Speere von vorgedachter Holzart, die oftmals nur aus langen, zugeſpitzten
Stoͤcken beſtanden, oft aber auch mit dem Schwanz der Stachel-Roche, als mit
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. T t
[330]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
einer furchtbaren Spitze, verſehen waren, (Fig. 2. u. 3.) Naͤchſt dieſen Waffen
fuͤhrten ſie auch Bogen und Pfeile von ganz beſonderer Einrichtung, wie aus
beygefuͤgter Abbildung, Fig. 4. zu ſehen iſt. Der Bogen war 6 Fus lang,
ohngefaͤhr ſo dick als ein kleiner Finger und, wenn er nicht geſpannt war, nur we-
nig gekruͤmmt. Laͤngſt der convexen oder aͤußern Seite lief fuͤr die Senne ein
vertiefter Falz, oder eine halbe Hohlroͤhre, welche zuweilen ſo tief ausgeſchnit-
ten war, daß auch der ohngefaͤhr 6 Fus lange Pfeil, der aus einem Rohrſtabe
gemacht und mit hartem Holz zugeſpitzt war, darinn Platz hatte. Wenn [nun] der
Bogen geſpannt werden ſolte; ſo mußte ſolches nicht, wie ſonſt gewoͤhnlich, durch
ſtaͤrkere Biegung ſeiner Kruͤmmung geſchehn, ſondern voͤllig umgekehrt, ſo daß
der Bogen erſt gerade, und denn, nach der entgegenſtehenden Seite hin, krumm
gebogen ward. Die Senne durfte dabey niemals ſtraff angezogen werden,
denn durch bloße Aendrung der natuͤrlichen Biegung des Bogens, bekam der
Pfeil Trieb genug, und das Wiedereinſpringen des Bogens und der Senne
war nie ſo heftig, daß die Hand oder der Arm des Schuͤtzen davon haͤtte be-
ſchaͤdigt werden koͤnnen. Ehe unſre Seeleute mit dieſem Gewehr umgehen
lernten, zerbrachen ſie viele Bogen, indem ſie ſolche nach der ſonſt gewoͤhnli-
chen Manier aufſpannen wollten. Die ungeheure Menge von Waffen, welche
wir bey den Einwohnern fanden, ſtimmte aber gar nicht mit der friedfertigen
Geſinnung, die ſie in ihrem ganzen Betragen gegen uns, und vornemlich auch
durch die Bereitwilligkeit aͤußerten uns ſolche zu verkaufen. Sie muͤſſen folglich,
ihrer friedfertig ſcheinenden Gemuͤthsart ohnerachtet, oft Haͤndel untereinander ha-
ben, oder auch mit den benachbarten Inſeln Krieg fuͤhren; doch konnten wir hie-
von, bey aller Nachfrage, nichts befriedigendes erfahren. Alle obbenannten Ar-
tikel, nebſt den verſchiedenen Sorten ihres Zeuges, ihrer Matten und andre
Kleinigkeiten brachten ſie zum Verkauf, und nahmen ſehr gern kleine Naͤgel,
bisweilen auch wohl Corallen dagegen. In Betracht der letztern waren ſie
jedoch mit den Tahitiern nicht von gleichem Geſchmack; denn jene waͤhlten im-
mer durchſichtige, hier aber galten die Dunklen am mehreſten, welche rothe,
weiße oder blaue Streiffen hatten. Wir handelten mit ihnen bis zu Mittage,
da wir wieder an die Schiffe zuruͤckkehrten, und einen kleinen Boot-Anker ver-
mißten, den die Einwohner faſt in eben dem Augenblick als er ausgewor-
[]

[figure]

[][331]in den Jahren 1772 bis 1775.
fen worden, hatten zu ſtehlen und auf die Seite zu bringen gewußt. Ihre1773.
October.

freundlichen Blicke und Zurufen folgten uns bis an Bord, woſelbſt in einer
Menge Canots, eben ſolche Waaren zum Verkauf ausgeboten wurden, als wir
am Lande eingehandelt hatten. Auf dieſen Farzeugen befanden ſich einige
Ausſaͤtzige, bey denen die Krankheit einen ſehr hohen Grad erreicht hatte.
Ein Mann insbeſondre hatte uͤber den ganzen Ruͤcken und uͤber die Schultern,
ein großes krebsartiges Geſchwuͤr, das innerlich voͤllig blau, auf dem Rande
aber goldgelb war. Und ein armes Weib, hatte auf eben dieſe elende Weiſe,
faſt das ganze Geſicht eingebuͤßt. Statt der Naſe ſahe man nur noch ein Loch;
die Backen waren geſchwollen und eiterten aller Orten; die Augen waren blu-
tig und wund, und ſchienen aus dem Kopfe fallen zu wollen. Mit einem Wort
ich erinnere mich nicht, je etwas bejammernswuͤrdigers geſehen zu haben. Den-
noch ſchienen dieſe Ungluͤcklichen uͤber ihr Elend unbekuͤmmert, und handelten ſo
friſch drauf los als die uͤbrigen, ja was das ekelhafteſte war, ſie hatten Lebens-
mittel zu verkaufen.


Nach Tiſche blieb ich an Bord, woſelbſt mir Dr. Sparmann die am
Morgen eingeſammelten natuͤrlichen Merkwuͤrdigkeiten in Ordnung bringen half;
mein Vater aber gieng mit den Capitains wieder ans Land um noch mehr auf-
zuſuchen. Bey Untergang der Sonne, kamen ſie von ihrer Wanderſchaft zu-
ruͤck, und mein Vater gab mir, von dem was ihnen begegnet, folgende
Nachricht:


Am Landungs-Platze begruͤßten uns die Einwohner, gleichwie ſie des
Morgens gethan hatten, mit einem Freuden-Geſchrei; und da ihrer eine große
Menge war, ſo gieng der Handel luſtig von ſtatten; Lebensmittel aber konnte
man nur ſparſam, und Pompelmoſen, der fruͤhen Jahreszeit wegen, faſt gar nicht
bekommen. Herr Hodges, ich und mein Bedienter, verließen den Handelsplatz
mit zwey Indianern, die uns, als Wegweiſer nach dem im Innern des Landes ge-
legenen Berge hinbringen ſollten. Der Weg dahin gieng durch viel ſchoͤne
Baumpflanzungen oder Gaͤrten, die wir theils mit Rohr, theils mit lebendigen
Hecken von ſchoͤnen Korallenſchothen, (erythrina corallodendron) verzaͤunt
fanden. Jenſeits derſelben kamen wir in einen ſchmalen Steig, der zwiſchen
zwey Verzaͤunungen hinlief, innerhalb welchen, auf beyden Seiten, Bananen und
T t 2
[332]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
Yams, reihenweiſe, ſo ordentlich und regelmaͤßig angepflanzt waren, als in
unſern Gaͤrten. Dieſer ſchmale Weg brachte uns auf eine große mit dem herr-
lichſten Graſe prangende Wieſe. Nachdem wir queer uͤber dieſelbe weg ge-
gangen waren, ſo fanden wir eine vortrefliche Allee von vier Reihen Coco-Nuß-
Baͤumen, die ohngefaͤhr zweytauſend Schritt lang ſeyn moͤchte, und
wiederum zu einem ſchmalen Gange fuͤhrte, der, gleich dem vorigen, zwiſchen
regelmaͤßig angelegten Gaͤrten hinlief, die an den aͤußern Seiten mit Pompel-
moſen und andern Baͤumen beſetzt waren. Vermittelſt dieſes Ganges kamen wir
durch ein wohlangebautes Thal nach einer Stelle hin, wo verſchiedene Fuß-
fteige zuſammen trafen. Hier befanden wir uns auf einer mit dem zarteſten Raſen
bewachſenen und ringsum mit großen ſchattenreichen Baͤumen eingefaßten Wieſe.
In einer Ecke derſelben zeigte ſich ein Haus, das damals ledig ſtand, weil
die Bewohner vermuthlich nach der Seekuͤſte herabgegangen ſeyn mochten.
Herrn Hodges gefiel dieſe Gegend ſo wohl, daß er ſich niederſetzte und ſie zeich-
nete, welches auch wuͤrklich der Muͤhe lohnte. Die Luft war rein, und ſo
wohlriechend, daß ein Sterbender davon aufs neue haͤtte belebt werden muͤſſen.
Ein ſanfter Seewind ſpielte in unfern Locken und faͤchelte uns Kuͤhlung zu; kleine
Voͤgel zwitſcherten auf allen Seiten und wilde Tauben girrten zaͤrtlich auf den
ſchattenreichſten Zweigen des Baumes worunter wir uns gelagert hatten. Die-
ſer Baum war in Abſicht ſeiner Wurzeln werkwuͤrdig, denn es trennten ſich ſelbige
8 Fus hoch uͤber Erde ſchon vom Stamme, und liefen alsdenn einzeln zum
Boden herab; auch trug er eine ſonderbare Art von Schoten, die uͤber 3 Fus
lang und zwey bis 3 Zoll breit waren. Bey dieſer einſam gelegenen und von
der Natur ſo reichlich geſegneten Gegend, wo wir ohne andre Geſellſchaft als
unſre beyden Indianer im Graſe ruheten, fielen uns mit Recht die Beſchrei-
bungen der Dichter von bezauberten Inſeln ein, die, als das Werk einer unbe-
ſchraͤnkten Einbildungskraft, gemeiniglich mit allen moͤglichen Schoͤnheiten ge-
ſchmuͤckt zu ſeyn pflegen. Wuͤrklich hatte dieſer Fleck viel Aehnlichkeit mit
dergleichen romantiſchen Schilderungen. Horaz ſelbſt haͤtte nicht leicht eine gluͤck-
lichere Lage zu ſeiner Einſiedeley waͤhlen koͤnnen, wenn es hier nur eine Cry-
ſtall-Quelle oder einen kleinen murmelnden Bach gegeben haͤtte! aber Waſſer
iſt gerade das einzige, worau es dieſer reizenden kleinen Inſel fehlt. Linker
[333]in den Jahren 1772 bis 1775.
Hand von hier aus fanden wir einen andern ſchattigen Gang, der aber-1773.
October.

mals auf eine Gras-Flur leitete, an deren Ende wir einen kleinen Huͤgel
und auf ſelbigem zwey Huͤtten antrafen. Rings um die Anhoͤhe ſtanden Rohr-
ſtaͤbe, einen Fus weit von einander, in die Erde geſteckt; und vor derſelben waren
etliche grosaſtige Caſuarina-Baͤume hingepflanzt. Weiter als bis an die Umzaͤu-
nung wollten ſich unſre Indianiſchen Begleiter dieſer Anhoͤhe nicht naͤhern; wir
aber giengen vollends herauf, und gukten, wiewohl nicht ohne Schwierigkeit,
in die Huͤtten herein, indem das Dach faſt bis auf eine Spanne weit zur Erde
herabgieng. In einer dieſer Huͤtten fanden wir einen neuerlich beygeſetzten tod-
ten Koͤrper; die andre Huͤtte aber war leer. Der Caſuarina- oder Keulen-
Baum (Toa) dient alſo, gleichwie auf den Societaͤts-Inſeln, auch hier, zu
Bezeichnung der Begraͤbnißplaͤtze: Und wirklich ſchickt er ſich, wegen ſeiner
braun-gruͤnen Farbe, und der langen niederhaͤngenden Aeſte, an denen die
ſchmalen und faſerichten Nadeln duͤnn und traurig abwaͤrts ſtehen, zu der Me-
lancholie ſolcher Plaͤtze voͤllig eben ſo gut als die Cypreſſe. Vermuthlich hat
man auch in dieſem Theil der Welt, den Caſuarina-Baum, aus einer aͤhnli-
chen Folge oder Verbindung von Ideen, zum Baum der Trauer auser-
ſehen, als bey uns die Cypreſſe dazu gewaͤhlt worden iſt. Der Huͤgel,
worauf die Huͤtte lag, beſtand aus kleinen zuſammengetragnen Coral-Felsſteinen,
die als ein Haufen Bachkieſel ohne alle Haltbarkeit locker uͤber einander hinge-
ſchuͤttet waren. Wir giengen von hier aus noch etwas weiter, und fanden uͤberall
dergleichen reizende Baumgaͤrten, gemeiniglich in der Mitte, mit Wohn-
haͤuſern verſehen. In einem dieſer Gaͤrten noͤthigten uns unſre Beglei-
ter zum Niederſitzen, und verſchaften uns zur Erfriſchung etliche ſehr milchreiche
Cocos-Nuͤſſe. Als wir an den Strand zuruͤck kamen, waren die Boote ſchon
im Begriff nach dem Schiffe abzugehen, weshalb wir uns zugleich mit uͤber ſetzen
ließen. Auf unſerm Spatziergange hatten wir nur wenig Leute angetroſſen,
und wenn uns hie oder da einer begegnete, ſo gieng er, ohne ſich um uns
zu bekuͤmmern, ſeines Weges fort, gemeiniglich nach dem Handlungs-Platze
hin. Haͤtten wir nicht zwey Leuthe zu Wegweiſern mitgenommen, ſo waͤren wir
vermuthlich ohne alle Begleitung geblieben; niemand wuͤrde uns nachgelaufen
oder ſonſt auf irgend eine Art hinderlich geweſen ſeyn. Der Knall und die Wuͤr-
T t 3
[334]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
kung unſers Schießgewehrs machte keinen beſondern Eindruck auf ſie, doch hat-
ten wir auch nicht Urſach ſie damit in Furcht zu ſetzen, denn ſie betrugen ſich durch-
gehends freundlich und willfaͤhrig gegen uns. Die Frauensleute waren, im Ganzen
genommen, zuruͤckhaltend, und bezeigten gegen das ausgelaßne Betragen unſers
Schiff-Volks ausdruͤcklichen Widerwillen; doch gab es mit unter freylich auch
einige die minder keuſch waren, und die durch unanſtaͤndige Geberden den Ma-
troſen veranlaßten alles zu verſuchen und alles zu erhalten.


Am folgenden Morgen giengen wir mit den Capitains wiederum ans Land,
und beſchenkten den Befehlshaber mit einer Menge Garten-Geſaͤme, deren großer
Nutzen ihm ſo viel moͤglich, durch Zeichen zu verſtehn gegeben ward. Darinn
beſtand bis jetzt noch unſre Unterredung; doch hatten wir ſchon eine hinlaͤngliche
Anzahl von Woͤrtern geſammlet, aus denen ſich, nach den allgemeinen Be-
griffen vom Bau der Sprachen und den Abaͤnderungen der Dialecte, deutlich
urtheilen ließ, daß die hieſige Mundart mit der Sprache auf Tahiti und den
Societaͤts-Inſeln ſehr nahe verwandt ſey. O-Maï und Maheine oder O-
Hedidi
, die beyden Indianer von Raietea und Borabora, welche bey [uns]
an Bord waren, behaupteten anfaͤnglich, daß ſie die hieſige Sprache ganz und
gar nicht verſtaͤnden. Allein [kaum]: hatten wir ihnen die Aehnlichkeit derſelben
mit ihrer Landesſprache an verſchiedenen Worten gezeigt; ſo faßten ſie das Ei-
genthuͤmliche dieſes Dialectes ſehrleicht, und konnten ſich den Eingebohrnen
beſſer verſtaͤndlich machen, als einer von uns nach langer Zeit kaum gelernt ha-
ben wuͤrde. Das Land gefiel ihnen ſehr wohl, doch ſahen ſie auch bald ein,
woran es demſelben fehle; ſie klagten uns nemlich, daß es wenig Brodfrucht,
wenig Schweine und Huͤhner, und gar keine Hunde allhier gebe, welches auch
der Wahrheit voͤllig gemaͤß war. Dagegen fanden ſie großes Wohlgefallen an
dem vielen Zucker-Rohr und berauſchenden Pfeffer-Getraͤnk, wovon die Ein-
wohner, unter andern, auch dem Capitain Cook zu trinken angebothen hatten.


Sobald die Capitains ihre Geſchenke abgegeben, kehrten ſie nach den
Schiffen zuruͤck, und der Befehlshaber kam mit uns an Bord. Wir hoben
den Anker, die Seegel wurden aufgeſetzt, und wir verließen dies gluͤckliche Ey-
land, deſſen Schoͤnheiten wir kaum im Vorbeygehn hatten kennen lernen. Waͤh-
rend der Anſtalten zur Abfahrt, verkaufte uns der Befehlshaber noch eine Menge
[335]in den Jahren 1772 bis 1775.
von Fiſch-Angeln gegen Naͤgel und Corallen, und rief darauf ein vorbeyfah-1773.
October.

rendes Canot ans Schiff, in welchem er, mit mannichfaltigen Zeichen und Bli-
cken, aufs freundſchaftlichſte und gutherzigſte Abſchied von uns nahm.


Wir ſegelten nunmehr laͤngſt dem weſtlichen Geſtade der Inſel hin, die Tas-
mann
Amſterdam
genannt hat, die aber, in der Sprache ihrer Einwohner, Ton-
gatabu
heißt. Sie liegt, der Mitte nach, ohngefaͤhr unterm 21ſten Grade
11 Minuten ſuͤdlicher Breite, und unterm 175ſten Grade weſtlicher Laͤnge. In
Vergleich mit der vorhergehenden Inſel iſt das Land nur ſehr niedrig, denn dem Au-
genmaaß nach, ſcheint es an den hoͤchſten Stellen, kaum 18 bis 20 Fus ſenkrecht
uͤber die Meeresflaͤche erhaben zu ſeyn; im Umfange hingegen, iſt dieſe Inſel
groͤßer als Ea-Uwhe. Vermittelſt unſrer Fernglaͤſer entdeckten wir hier eben
ſo regelmaͤßige Pflanzungen als dort; auch war die Kuͤſte voller Einwohner, die
uns durchgehends, und vermuthlich nicht minder aufmerkſam betrachteten als wir
ſie. — “Einige derſelben rannten laͤngſt dem Ufer hin und her und ließen
weiße Fahnen wehen, die wir fuͤr Friedenszeichen und als eine Art von Bewill-
kommung in der Ferne, anſahen.” — Als wir zwiſchen beyden Inſeln ohn-
gefaͤhr mitten inne, das iſt, von jeder etwa 3 See-Meilen weit entfernt wa-
ren, begegneten uns ſchon verſchiedne Canots mit Leuten, die an das Schiff
heran kommen wollten; allein wir waren ſo weit vor dem Winde, daß ſie uns
nicht mehr einholen konnten, dagegen erreichten ſie die Adventure und gien-
gen auf ſelbiger an Bord.


Nachmittags gelangten wir an das noͤrdliche Ende der Inſel, woſelbſt
gegen Oſten hin einige kleine Inſeln lagen, die mit einem Rief verbunden waren,
und gen Nordweſten hin gab es eine verborgne Klippe, an welcher ſich die See
mit großem Ungeſtuͤm brach. Beydes, ſowohl jene kleinen Inſeln als dieſe Klip-
pe, uͤberzeugten uns, daß wir gerade in derſelben Gegend waren, wo Tas-
mann
im Jahr 1643. vor Anker gelegen und ſolche Van Diemens Rhede ge-
nannt hatte. Hier ließen nun auch wir die Anker fallen, ohnerachtet der Grund
aus einem bloßen Coral-Felſen beſtand. Es dauerte nicht lange, ſo wurden
wir von einer Menge Einwohnern umringt, die theils in Canots, theils ſchwim-
mend, herbeykamen, ohnerachtet wir uͤber eine Viertelmeile weit vom Ufer
lagen. Sie waren den Bewohnern von Ea-Uwhe in aller Abſicht aͤhnlich, auch
[336]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
eben ſo ſehr zum Handel geneigt. Sie boten uns gleich eine ungeheure Menge
von Zeug, Matten, Netzen, Hausrath, Waffen und Putz zum Verkauf, und
nahmen Naͤgel und Corallen dagegen: Allein dieſer Handlungszweig ward ihnen
bald abgeſchnitten; denn kaum waren die Schiffe vor Anker, als der Capitain an-
befehlen ließ, daß niemand dergleichen Curioſitaͤten einkaufen ſollte. Den Ein-
gebohrnen hingegen gab man zu verſtehen, daß ſie ſtatt deſſen Coco-Nuͤſſe, Brod-
frucht, Yams und Bananen, imgleichen Schweine und Huͤhner herbeybrin-
gen moͤgten. Alle dieſe Artikel wußten wir ſchon in ihrer Sprache zu nennen.
Um dieſem Begehren deſto mehr Eingang zu verſchaffen, wurden die wenigen
Lebensmittel, welche heute zu bekommen waren, gut bezahlt, alle andre Waaren
aber mußten die Einwohner ohnangeruͤhrt wieder mit ſich ans Land nehmen.
Die guten Folgen dieſes Verhaltens zeigten ſich ſchon am naͤchſten Morgen, indem
gleich bey Anbruch des Tages ganze Boots-Ladungen voll Fruͤchte und Huͤhnern
anlangten. Viele von den Eingebohrnen kamen ſo dreiſt und zutraulich an
Bord, als ob wir uns ſchon lange gekannt haͤtten, und als ob ſie gar nicht wuͤßten
was Mißtrauen waͤre. Unter dieſen befand ſich ein wohlgeſtalter Mann von
ſehr offner, einnehmender Geſichtsbildung, der, gleich unſerm Bekannten zu
Ea-Uwhe, einiges Anſehn uͤber ſeine Landsleute zu haben ſchien. Er ſtieg in
die Cajuͤtte hinunter, und ſagte uns, ſein Name ſey Attahha. Von den Geſchen-
ken, die man ihm ſeines Standes wegen machte, bezeugte er uͤber das Eiſen-
werk und rothen Boy die mehreſte Freude, und nach dem Fruͤhſtuͤck gieng er in
der Pinnaſſe mit uns ans Land. Die Kuͤſte war mit einem Corallen-Rief ge-
deckt, der ohngefaͤhr einen Buͤchſenſchuß weit vor dem Ufer hinlief, und nur
eine ſehr ſchmale Einfahrt hatte. Innerhalb des Riefs war der Grund ſo ſtei-
nigt und das Waſſer ſo ſeicht, daß wir mit dem Boot nicht bis an den Strand
kommen konnten, ſondern uns hin tragen laſſen mußten. Sobald wir allerſeits
gelandet waren, bekam der Schifsſchreiber den Auftrag, Lebensmittel einzuhan-
deln, wobey ihm ein Commando von See-Soldaten zur Wache dienen mußte.
Die Eingebohrnen bezeigten uͤber dieſe Anordnung weder Verwundrung noch
Mißvergnuͤgen; doch mochten ſie die Abſicht derſelben freylich wohl nicht erra-
then und folglich auch keinen Argwohn daraus ſchoͤpfen. Man empfieng
uns, wie zu Ea-Uwhe, mit Freuden-Geſchrey, und bat, daß wir uns auf dem
Felſen-
[337]in den Jahren 1772 bis 1775.
Felſen-Ufer niederſetzen moͤgten. Dieſe Felſen waren eine Art von Corallen-1773.
October.

Stein und mit Muſchel-Sand bedeckt. Unter andern Sachen brachten uns die
Einwohner auch allerhand ſchoͤne, ganz zahme Papagayen und Tauben zum
Verkauf. Unſer junge Reiſegefaͤhrte von Borabora, Maheine oder Ohedidi,
handelte ſeiner Seits ſehr emſig um Putzwerk von rothen Federn, welche, wie er
verſicherte, zu Tahiti und auf den Societaͤts-Inſeln in außerordentlichem Werth
ſtanden. Dergleichen Federn waren hier gemeiniglich auf Schuͤrzen geklebt,
die aus Coco-Nuß-Fibern geflochten ſind und den Frauenzimmern, beym Tan-
zen, zum Putz dienen; oft pflegten ſie auch auf Bananenblaͤtter befeſtigt zu ſeyn,
und wurden als eine Kopfzierrath vor die Stirn gebunden. Von letzteren findet
man eine Abbildung auf der S. 329. eingefuͤgten Platte, Fig. 4. Ohedidi war
uͤber ſeinen Einkauf ganz außer ſich vor Freuden, und verſicherte uns, daß ein
Stuͤckchen dieſes Federputzes, ſo groß als zwey oder drey Finger breit, in ſeiner
Inſel hinreichen wuͤrde das groͤßte Schwein zu kaufen. Er ſowohl als O-Maï,
waren mit den Bewohnern dieſer Inſeln ſehr zufrieden, und beyde fiengen an die
Sprache ſchon ziemlich gut zu verſtehn.


Nachdem wir unſre neuen Freunde einigermaßen hatten kennen lernen,
machten wir uns auf, um das Land naͤher in Augenſchein zu nehmen. Nicht
weit vom Ufer, wo das Erdreich um etliche Fus hoͤher war als an der Kuͤſte,
kamen wir in einen ſchmalen aber deſto laͤngern Strich Waldung, der theils aus
hohen Baͤumen, theils aus niedrigem Geſtraͤuch beſtand. An manchen Stellen
war er kaum 300 Fus tief, dagegen reichte er an der ganzen Kuͤſte von Van-
Diemens Rhede
herunter, und jenſeits deſſelben war das Land durchaus flach.
Zunaͤchſt an den Wald ſtieß ein Revier, ohngefaͤhr 500 Schritte breit, das zum
Theil mit Yams bepflanzt geweſen zu ſeyn ſchien, zum Theil aber mit Gras be-
wachſen war und in der Mitte einen kleinen Sumpf hatte, in welchem ſich eine
Menge violetter Waſſerhuͤhner, (poule Soultane), aufhielt. Hinter die-
ſem Fleck war das Land abgetheilt und eingezaͤunt. Ein ſchmaler Gang, der
ohngefaͤhr 6 Fus breit und zu beyden Seiten mit einem Zaun von Rohr einge-
faßt war, lief, ſo wie bey uns die Feldwege, mitten durch die angebauten Laͤnde-
reyen hin. Hier begegneten uns viele Indianer, die mit großen Trach-
ten von Lebensmitteln nach dem Strande giengen und im Vorbeygehen ſehr hoͤf-
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. U u
[338]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
lich eine Verbeugung mit dem Kopfe machten, auch gemeiniglich ein oder das
andre einſylbichte Wort hoͤren ließen, welches, der Bedeutung nach, mit dem
Tahitiſchen Tayo uͤbereinzukommen ſchien. Die Zaͤune, Plantagen und Haͤu-
ſer waren hier voͤllig eben ſo geſtaltet als auf Ea-Uwhe, und die Wohnun-
gen durchgehends mit wohlriechendem Geſtraͤuch umpflanzt. Der Maulbeer-
baum, deſſen Rinde zu Zeug verarbeitet wird, und der Brodfrucht-Baum
waren hier ſeltner als auf den Societaͤts-Inſeln, und der dortige Apfelbaum hier
ganz unbekannt; ſtatt deſſen aber hatten ſie Pompelmoſen. Der Fruͤhling, der
die Pflanzen mit Blumen ſchmuͤckte und alles neu belebte, mochte freylich mit
Urſach ſeyn, daß uns dies Land ſo wohl gefiel, doch trug der wirthſchaft-
liche Fleiß und das gute Bezeigen der Einwohner nicht weniger dazu bey. Es
war auch wuͤrklich ein Vergnuͤgen zu ſehn, wie viel Ordnung in der Anlegung
und Bepflanzung ihrer Grundſtuͤcke herrſchte, und wie nett ihre Handarbeit be-
ſchaffen war. Beydes ſetzte einen Grad von Einſicht und Geſchmack voraus,
bey welchem es dieſer Nation an Gluͤck und Wohlſtand nicht fehlen konnte.


Einer von den Feldwegen, die zwiſchen den verzaͤunten Laͤndereyen durch-
giengen, brachte uns zu einem kleinen wild aufgewachſenen Gehoͤlz, dem es, wenn
gleich an kuͤnſtlicher Regelmaͤßigkeit, doch nicht an natuͤrlicher Anmuth und
Schoͤnheit fehlte. Ein ungeheurer Caſuarina-Baum, der aus demſelben weit
empor ragte, war mit einer Menge ſchwarzer Thierchen bedeckt, die wir in
der Ferne fuͤr Kraͤhen hielten, bey naͤherer Unterſuchung aber fuͤr Fle-
dermaͤuſe erkannten. Sie hatten ſich, vermittelſt ihrer an den Spitzen der Fluͤ-
gel und an den Fuͤßen befindlichen Krallen an die Zweige feſt gehangen, oft mit
dem Kopf nach der Erde herab, oft aber auch anders. Auf den erſten Schuß
brachten wir ſechs bis acht Stuͤck herunter, da ſich denn fand, daß ſie zu der
Vampyr-Art gehoͤrten (Rougette de Buffon, Vampirus Linnæi \&
Pennantii,
) und, von einem Ende der ausgebreiteten Fluͤgel bis zum andern, zwi-
ſchen 3 und 4 Fus maaßen. Durch das Feuern in ihrer Ruhe geſtoͤrt, flatter-
ten ſie zum Theil, mit ſehr ſchwerfaͤlligem langſamen Fluge vom Baume, und
ließen zugleich einen durchdringend pfeifenden Ton hoͤren, andre kamen von weit
entfernten Gegenden einzeln herbeygeflogen, die mehreſten aber blieben unver-
ruͤckt in ihrer Stellung. Es ſcheint, daß ſie nur des Nachts auf Nahrung aus-
[339]in den Jahren 1772 bis 1775.
gehen, doch moͤgen ſie in den Baumgaͤrten der Eingebohrnen viel Schaden an-1773.
October.

richten, denn ſie leben groͤßtentheils von Fruͤchten. Dies ſchloſſen wir unter an-
dern daraus, weil die Leute, welche bey Abfeurung unſrer Flinten zugegen wa-
ren, ein großes Wohlgefallen uͤber die Niederlage bezeugten, die wir unter ih-
ren Feinden anrichteten. Sie wiſſen dieſe Thiere auch lebendig zu fangen und
ſperren ſie alsdenn in Kaͤfige von geflochtner Arbeit, die gleich den Fiſch-Reu-
ſen, ſehr kuͤnſtlich, mit einem trichterfoͤrmigen Eingange, verſehen ſind, ſo
daß das Thier ſehr leicht hineingebracht werden, aber nicht wieder herauskom-
men kann; man verſicherte uns, daß dieſe Creaturen ſehr beißig waͤren, wozu
es ihnen auch nicht an großen ſcharfen Zaͤhnen fehlte. Da wir von Tahiti, den
Societaͤts-Inſeln, und Ea-Uwhe her wußten, daß, an dem Orte, wo ein Caſua-
rina-
Baum ſtehe, ein Begraͤbniß Platz gemeiniglich nicht weit ſey; ſo vermutheten
wir beym Anblick dieſes traurigen Baums, deſſen Anſehn die ſchwarzen Fleder-
maͤuſe noch finſtrer machten, daß auch hier ein Grabhuͤgel in der Naͤhe ſeyn
muͤſſe: Und ſo war es in der That. Wir gelangten nemlich bald auf einen ſchoͤ-
nen Grasplatz, der rund umher von Caſuarinas, Pandangs, wilden Sayo-
Palmen und andern Baͤumen beſchattet war. Vornemlich ſtand laͤngſt der einen
Seite eine Reihe von Barringtonia’s, die ſo dick als die ſtaͤrkſten Eichen
waren und deren große ſchoͤne Bluͤthen mehrentheils auf der Erde umher lagen.
Am obern Ende dieſes Platzes ſahen wir eine Erhoͤhung von 2 bis 3 Fus,
die am untern Seitenrande mit viereckig gehauenen Coralſteinen ausgelegt und,
zu deſto bequemern Hinaufſteigen, mit zwey Stufen von Coralſtein verſehen war.
Oben war der Huͤgel mit gruͤnem Raſen bedeckt, und eine Huͤtte darauf er-
bauet, die der Todten-Huͤtte auf Ea-Uwhe gleich ſahe. Sie war ohn-
gefaͤhr 20 Fus lang, 15 breit und 10 Fus hoch; das Dach beſtand aus Pi-
ſangblaͤtter und reichte faſt bis ganz auf die Erde herab. Innerhalb hatte man
den Fusboden mit kleinen weißen Coralſteinen beſtreuet, und auf dieſen lag in
einer Ecke eine ohngefaͤhr 8 Fus lange und 12 Zoll hohe Schicht von ſchwarzen
Kieſeln. Nach der Ausſage eines Indianers, der mit in die Huͤtte gieng,
indeß die uͤbrigen in einiger Entfernung ſtehen blieben, lag hier ein Mann begra-
ben; er deutete waͤhrend ſeiner Erzaͤhlung auf die Stelle, wo ihm der kleine
Finger fehlte, und erklaͤrte ſich ganz deutlich, daß dieſe Verſtuͤmmlung bey
U u 2
[340]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
dem Todesfall der Maduas (d. i. der Eltern oder vielleicht andrer Verwand-
ten in aufſteigender Linie) vorgenommen zu werden pflege. Unſerm Aſtronomen,
Herrn Wales, begegnete zwar einſtmals ein Mann, dem an beyden Haͤnden
kein Finger fehlte, ohnerachtet die Eltern deſſelben, ſeinem hohen Alter nach zu ur-
theilen, wohl ſchwerlich mehr am Leben ſeyn konnten: Allein, ein ſolcher ein-
zelner Fall entſcheidet nichts gegen das Ganze, und da es uͤberall Sonderlinge
giebt, ſo koͤnnte ja auch wohl auf Tonga-Tabu einer oder der andere gewiſſe
Ceremonien nicht mit machen wollen, zumal da man in der Suͤd-See durchge-
hends ſehr tolerant iſt. — Wir fanden auf dieſer Grabſtaͤtte auch zwey aus
Holz geſchnitzte Figuren, die, gleich den E-Tihs auf Tahiti, einer Menſchen-
geſtalt aͤhnlich ſeyn ſollten; doch bezeigte man ihnen hier eben ſo wenig als dort,
eine Art von Achtung oder Verehrung, ſondern man ließ ſie ſorglos auf der Erde
herum liegen und ſtieß ſie nach Gelegenheit mit den Fuͤßen aus einem Winkel
in den andern. Dergleichen Begraͤbnißplaͤtze heißen in der Landes-Sprache Faye-
tuca
, und ſind immer in einer ſehr anmuthigen Gegend, auf gruͤnen Grasplaͤtzen,
unter ſchoͤnen, ſchattenreichen Baͤumen angelegt. Herr Hodges zeichnete den,
von welchem hier die Rede iſt, und man findet in Capitain Cooks Reiſebe-
ſchreibung eine getreue Abbildung deſſelben. Nachdem wir dieſen Ort zur Ge-
nuͤge unterſucht hatten, ſo ſetzten wir unſern Weg weiter fort, der, wie bisher
immer zwiſchen Plantagen hindurch gieng; es kamen uns aber nur wenig Ein-
wohner zu Geſicht, indem ſie ſich mehrentheils nach dem Handlungsplatze herab
verfuͤgt hatten, und wenn wir ja welche antrafen, ſo blieben ſie entweder unge-
ſtoͤrt bey ihrer Arbeit oder giengen beſcheiden neben uns vorbey. Weit ent-
fernt es nicht gern zu ſehen oder gar hindern zu wollen, daß wir ihr Land ſo
durchſtreiften, blieben ſie unſertwegen kaum einmal aus Neugier ſtehen; ſon-
dern gruͤßten uns vielmehr in einem freundlichen Ton. Wir ſprachen in ver-
ſchiednen Haͤuſern ein, fanden ſie aber durchgehends leer, jedoch immer mit Mat-
ten ausgelegt und mit wohlriechendem Geſtraͤuch umgeben. Zuweilen waren
ſie von den Baumgaͤrten oder andern Pflanzungen noch durch einen eignen
Zaun abgeſondert, der ſo wie die Zaͤune in Ea-Uwhe, eine beſondre Thuͤr hatte,
die inwendig verriegelt werden konnte. In ſolchem Fall war das wohlrie-
chende Buſchwerk allemal innerhalb der kleinern Verzaͤunung hingepflanzt.


[341]in den Jahren 1772 bis 1775.

Wir waren nunmehro ſchon drey Meilen weit marſchirt, und ſahen1773.
October.

endlich das oͤſtliche Ufer der Inſel vor uns, wo die Kuͤſte einen tiefen Winkel
macht, den Tasman, Maria-Bay genannt hat. In dieſer Gegend ward
der Boden allmaͤhlig niedriger und endigte ſich in einen ſandigen Strand; an der
noͤrdlichen Spitze hingegen beſtand das Ufer aus einem ſenkrechten Coral-
Felſen, der an manchen Stellen untergraben und uͤberhaͤngend war. Dieſe
Steinart wird aber nie anders als unterhalb dem Waſſer erzeugt, und folglich
kann man ſicher darauf rechnen, daß an ſolchen Stellen, wo ſie auſſerhalb
dem Waſſer angetroffen wird, eine große Veraͤnderung mit dem Erdboden muͤſſe
vorgegangen ſeyn. Ob nun dieſe hier, durch eine allmaͤhlige Abnahme der See,
oder durch ſonſt eine gewaltſamere Revolution mag veranlaßt worden ſeyn? will
ich nicht zu entſcheiden wagen. Nimmt man indeſſen an, daß ſolches auf die
zuerſt erwaͤhnte Art geſchehen ſey; ſo muͤßte, falls die Beobachtungen einiger Ge-
lehrten in Schweden, von der dortigen allmaͤhligen Verminderung der See zuver-
laͤßig ſind, *) dieſe Inſel hier ziemlich neuen Urſprungs ſeyn, und alsdenn waͤre
nicht wohl zu begreiffen, wie ſie ſchon mit Erde, Kraut und Waͤldern bedeckt,
ſo ſtark bevoͤlkert und bereits ſo gut angebaut ſeyn koͤnnte, als wir ſie wuͤrklich ge-
funden haben. — Am Fuß des ſteilen Felſen der uns zu dieſen Betrachtun-
gen Anlaß gab, hieng eine Menge See-Schnecken, denen zu Gefallen wir auf
einem Rief bis an die Knie im Waſſer waden mußten, denn die Fluth fieng
ſchon an einzutreten. Es waͤhrete auch nicht lange, ſo noͤthigte uns das Aufſchwel-
len der See, das Trockne wieder zu ſuchen, der Felſen ſelbſt aber war hier uͤberall
ſo ſteil, daß wir mit aller Muͤhe kaum eine Stelle fanden, wo man hinauf
kommen konnte. Innerhalb den Plantagen, durch welche wir nunmehro den
Ruͤckweg antraten, begegneten uns verſchiedene Eingebohrne die vom Handels-
platz zuruͤckkehrten. Wir kauften ihnen im Vorbeygehen eine große Anzahl
Fiſch-Angeln, und allerhand Putzwerk, imgleichen ein Fiſch-Netz ab, das, wie
unſre Zugnetze geſtaltet und, gleich denſelben, aus duͤnnen aber ſtarken Zwirn-
aͤhnlichen Faden zuſammengeknuͤpft war. Eben dieſe Leute uͤberließen uns
auch verſchiedene geflochtene Matten und etliche Stuͤcken Zeug. Das ſonder-
U u 3
[342]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
bahrſte was wir von ihnen erhandelten war eine Knie-Schuͤrze mit ſternfoͤrmi-
gen Figuren von Coco-Nuß-Faſern geziert, dergleichen S. 337. gedacht wor-
den; dieſe Sterne, davon jeder 3 bis 4 Zoll im Durchſchnitt hielt, ſtießen mit
den Spitzen zuſammen, und waren mit kleinen rothen Federn und Muſchel-Co-
rallen aufgeputzt. Unterwegens ſahen wir einen neuen Beweis von der Sorg-
falt, welche ſie auf den Landbau wenden; wir fanden nemlich an mehrern Stellen,
das Unkraut ſorgfaͤltig ausgejaͤthet und auf einen Haufen zuſammengewor-
fen, damit es vertrocknen ſollte. Nachdem wir eine geraume Zeit gegangen
waren, ſo zeigte ſich’s, daß wir uns verirrt hatten, wir nahmen alſo einen In-
dianer zum Wegweiſer, und dieſer brachte uns, vermittelſt eines von den oft be-
ſchriebenen Feldwegen, zwiſchen zwey Verzaͤunungen, gerade auf den Faye-
tuca
oder Begraͤbniß-Platz zuruͤck, uͤber den wir zuvor ebenfalls gekommen wa-
ren. Hier fanden wir die Capitains Cook und Furneaux nebſt Herrn Hod-
ges
unter einer großen Menge Indianer im Graſe ſitzen. Sie waren eben
mit einem alten triefaͤugigten Mann im Geſpraͤch begriffen, der bey ſeinen Lands-
leuten in beſondern Anſehen ſtehen mußte, indem ihn aller Orten ein großer
Haufen Volks begleitete. Dieſer Mann hatte unſre Herren Reiſegefaͤhrten
nach zweyen Fayetucas hingefuͤhrt, und, mit dem Geſicht gegen das Gebaͤude
gewandt, eine feyerliche Rede oder Gebet gehalten; waͤhrend deſſelben kehrte
er ſich, wie man uns erzehlte, oͤfters gegen den Capitain Cook, und ſchien
ihn zu befragen, hielt auch jedesmal eine Weile inne, als ob er eine Antwort
erwarte; und wenn dann der Capitain mit dem Kopf nickte, ſo fuhr jener in ſei-
ner Rede fort. Zuweilen ſchien ihm aber das Gedaͤchtniß untreu zu werden, in
welchem Fall ihm von den Umſtehenden einer oder der andre wieder zurecht half.
Aus dieſer Ceremonie und dem Platze wo ſie vorgieng, ſchloß man, daß dieſer
Mann ein Prieſter ſey. Doch laͤßt ſich hieraus keinesweges folgern, daß ſie
eine Art von abgoͤttiſcher Religion haͤtten, denn ſo weit unſre Kenntniß ihrer got-
tesdienſtlichen Gebraͤuche reicht, haben wir nicht die geringſte Spur gefunden,
daß ſie, gleich den Tahitiern, gewiſſe Voͤgel oder andre Creaturen beſonders
verehrten, ſondern ſie ſchienen blos ein unſichtbares hoͤchſtes Weſen anzuneh-
men und anzubeten. Was aber, ſowohl dieſe Leute, als die Einwohner auf Ta-
hiti
und den Societaͤts-Inſeln, veranlaßt haben mag, ihren Gottesdienſt neben
[343]in den Jahren 1772 bis 1775.
den Graͤbern zu verrichten? bleibt uns dunkel; denn die Religions-Artikel eines1773.
October.

Volks ſind gemeiniglich dasjenige, wovon der Reiſende die wenigſte und ſpaͤ-
teſte Kenntniß erlangt, zumal wenn er in der Landesſprache ſo unerfahren iſt
als wirs in der hieſigen waren. Außerdem pflegt die Kirchen-Sprache von der
gemeinen oft ſehr verſchieden, und die Religion ſelbſt in Geheimniſſe gehuͤllt zu
ſeyn, beſonders in ſolchen Laͤndern, wo es Prieſter giebt, deren Vortheil es mit
ſich bringt, die Leichtglaͤubigkeit des Volks zu mißbrauchen.


Von hier aus eilten wir wieder nach der Kuͤſte herab, wo fleißig um Fruͤch-
te, Vieh und Schweine gehandelt wurde. Als eine Curioſitaͤt kauften wir
ein großes flaches Bruſtſchild, welches aus einem runden Knochen beſtand, der ver-
muthlich von einer Wallfiſchart ſeyn mochte. Es war ohngefaͤhr 18 Zoll im
Durchmeſſer groß, ſo weiß als Elfenbein und ſchoͤn poliert. Naͤchſtdem brachte
man uns auch ein neues muſicaliſches Inſtrument, das aus neun bis zehn
Rohrpfeifen beſtand, welche ohngefaͤhr 9 Zoll lang und mit Coco-Nuß-Faſern
zuſammen verbunden waren, wie aus der im Vorhergehenden, bey S. 329.
befindlichen Kupfertafel, vermittelſt der Figur 5. noch deutlicher erſehen werden
kann. Die Laͤnge der Pfeifen war ſelten merklich verſchieden, auch waren lange
und kurze ohne Ordnung durcheinander gemiſcht. Am oberen Ende hatten ſie eine
Oeffnung, in welche man mit den Lippen hinein blies, indeß das Inſtrument
vor dem Munde hin und her gezogen ward, um auf dieſe Art die verſchiedenen
Toͤne in beliebiger Maaße anzugeben. Es hatte deren gemeiniglich vier bis
fuͤnf und gieng nie auf eine ganze Octave. Die Aehnlichkeit, welche ſich zwi-
ſchen dieſem Inſtrument und der Syrinx- oder Pan-Floͤte der alten Griechen be-
fand, gab ihm in unſern Augen mehr Werth als ſeine muſicaliſche Vollkom-
menheit; denn ſchon aus der Art wie es geſpielt wurde, werden die Muſic-Lieb-
haber genugſam einſehn koͤnnen, daß dieſe goͤttliche Kunſt hier noch in ihrer Kind-
heit ſey. Die Vocal-Muſic war mit der auf Ea-Uwhe einerley und die Stim-
men fielen harmoniſch genug ins Ohr. Auch hier ſchlagen die Weiber Knippchen
unterm Singen, und beobachten den Tact damit ſehr genau; da aber der Geſang
innerhalb vier Toͤne eingeſchraͤnkt iſt, ſo findet keine große Modulation ſtatt. Zu
ihren muſicaliſchen Inſtrumenten gehoͤrt noch eine Pfeife von Bambu-Rohr,
die ohngefaͤhr ſo dick als unſre Floͤten war und hier auf eben die Art wie zu
[344]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
Tahiti, durch die Naſeloͤcher, geblaſen wurde. Gemeiniglich waren ſie mit
allerhand kleinen eingebrannten Figuren geziert, und hatten vier bis fuͤnf Ton-
Loͤcher, da hingegen die Tahitiſchen Floͤten nur drey in allem hatten. Die
Auszierungen mit eingebrannten Figuren, fanden wir auch auf ihren Speiſe-
Schalen und anderm hoͤlzernen Hausrath angebracht.


Ohnerachtet es beynahe Abend war als wir mit unſern eingekauften und
aufgefundnen Merkwuͤrdigkeiten an Bord zuruͤck kamen, fanden wir das Schiff
doch noch von einer Menge Eingebohrnen umgeben, die theils in Canots herbey
gekommen waren, theils im Waſſer herum ſchwammen und nicht wenig Lerm
machten. Unter den letztern gab es ſehr viel Frauensperſonen, welche wie Am-
phibia im Waſſer herumgaukelten, und ſich leicht bereden ließen an Bord zu
kommen, nackt als die Natur ſie geſchaffen hatte. Um Keuſchheit war es ihnen
auch eben ſo wenig zu thun als den gemeinen Maͤdchen auf Tahiti und den
Societaͤts-Inſeln, und man kann wohl denken, daß unſere Seeleute ſich den
guten Willen dieſer Schoͤnen zu Nutze machten. Sie ließen uns auch hier
wieder Scenen ſehen, welche der Tempel Cytherens werth geweſen waͤren. Ein
Hemd, ein Stuͤck Zeug, oder ein Paar Naͤgel waren zuweilen hinreichende Lo-
ckungen fuͤr die Dirnen, ſich ohne Schaam preis zu geben. Doch war dieſe Lie-
derlichkeit nichts weniger als allgemein, und ich glaube gewiß, daß nicht eine
einzige verheirathete Perſon ſich einer ehelichen Untreue ſchuldig gemacht habe.
Haͤtten wir von der Verſchiedenheit der Staͤnde hinlaͤngliche Kenntniß
gehabt, ſo wuͤrde ſich wahrſcheinlicher weiſe gefunden haben, daß, wie in Tahiti
ſo auch hier, die liederlichen Frauensperſonen, nur vom niedrigſten Poͤbel waren.
Mit alle dem bleibt es immer ein ſonderbarer Zug in dem Character der ſuͤd-
lichen Inſulaner, daß unverheirathete Perſonen ſich ohne Unterſchied einer
Menge von Liebhabern preis geben duͤrfen! Sollten ſie denn wohl erwarten, daß
Maͤdchen, welche den Trieben der Natur Gehoͤr und freyen Lauf gegeben, beſſere
Weiber wuͤrden als die unſchuldigen und eingezogenern? Doch es iſt umſonſt, fuͤr
die willkuͤrlichen Grillen der Menſchen vernuͤnftige Gruͤnde aufſuchen zu wollen,
vornemlich in Betracht des andern Geſchlechts, wegen deſſen man zu allen Zeiten
und in allen Laͤndern ſo ſehr verſchiedner Meynung geweſen iſt! In einigen
Gegenden von Indien wird kein Mann von Stande eine Jungfer heirathen;
in
[345]in den Jahren 1772 bis 1775.
in Europa hingegen iſt eine verungluͤckte Jungfer faſt ohne Hoffnung, je1773.
October.

wieder zu Ehren zu kommen. Tuͤrken, Araber, Tartaren treiben ihre Eifer-
ſucht ſogar bis auf eingebildete Zeichen der Jungferſchaft, aus welcher ſich
der Malabar ſo wenig macht, daß er ſie ſeinem Goͤtzen opfert. —


Keine von dieſen Weibsperſonen blieb nach Untergang der Sonne am
Schiff, ſondern ſie kehrten alle wieder aus Land zuruͤck, um ſich, gleich den meh-
reſten ihrer Landsleute, nicht weit von der Kuͤſte, unter die Baͤume hin zu le-
gen. Dort zuͤndeten ſie viele Feuer an, und man hoͤrte ſie den groͤſten Theil der
Nacht zuſammen plaudern. Sie ſchienen auf den Handel mit uns ſo erpicht
zu ſeyn, daß ſie blos deswegen nicht zu ihren entfernten Wohnungen zuruͤck
kehrten. Unſere Waaren ſtanden in hohem Werth bey ihnen. Ein Huhn galt
gemeiniglich einen großen Nagel; fuͤr kleinere aber bekamen wir nur Fruͤchte,
als Bananen, Cocosnuͤſſe und dergleichen. Die Einwohner wandten dies Eiſen-
werk zum Putz an, und trugen die Naͤgel mehrentheils an einem Bande um
den Hals oder ſteckten ſolche durchs Ohr. Die Huͤhner waren von ausnehmender
Groͤße und von vortreflichem Geſchmack; hatten auch gemeiniglich ein ſehr
glaͤnzendes Gefieder, das ins Rothe und Goldfarbige ſpielte. Die Haͤhne aber
wurden gern von den Matroſen gekauft, um ſich das barbariſche Vergnuͤgen
zu machen, ſie kaͤmpfen zu ſehn. Seit unſerer Abreiſe von Huaheine hatten ſie die
armen Thiere taͤglich gemartert, ihnen die Fluͤgel zu ſtutzen und ſie gegen einan-
der aufzubringen; mit den Haͤhnen von Huaheine war es ihnen auch ſo gut ge-
lungen, daß viele derſelben eben ſo erhitzt fochten, als die beſten engliſchen
Kampfhaͤhne. Mit den hieſigen aber wollte es ihnen nicht gluͤcken; und weil
ſie denn nicht fechten wollten, ſo mußten die Matroſen ſich ſchon entſchließen ſie
aufzufreſſen.


Am naͤchſten Morgen kam des Capitains Freund Attaha, oder Attag-
ha
, ſehr zeitig an Bord und fruͤhſtuͤckte mit uns. Seine Kleidung beſtand aus
Matten, wovon er eine, des kalten Morgens wegen, uͤber die Schultern geſchla-
gen hatte. Herr Hodges wuͤnſchte ihn bey dieſer Gelegenheit abzuzeichnen;
da es aber dem Indianer an einem gewiſſen Grad von Aufmerkſamkeit und
Nachdenken fehlte, den man bey allen unciviliſirten Voͤlkern vermißt; ſo koſtete
es uns nicht wenig Muͤhe, ihn eine Zeitlang zum Stillſitzen zu bringen. Dem
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. X x
[346]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
ohnerachtet gerieth die Zeichnung ſehr gut; Herr Hodges hat die Stellung
gewaͤhlt, da Attaha einen eiſernen Nagel, den man ihm geſchenkt, zum Zei-
chen der Dankſagung uͤber den Kopf empor haͤlt. Dies Bildniß iſt von Herrn
Sherwin meiſterhaft in Kupfer gebracht, und man kann ſich, nach den ſanften
Geſichtszuͤgen dieſes Mannes, von dem Charakter der Nation uͤberhaupt, einen
richtigen Begriff machen. Nach eingenommenen Fruͤhſtuͤck ſchickten der Capi-
tain und mein Vater ſich an, ihn wieder nach dem Lande zu begleiten. Als ſie
in dieſer Abſicht aufs Verdeck kamen, fiel ihm ein tahitiſcher Hund in die Au-
gen. Ueber dieſen Anblick gerieht er fuͤr Entzuͤcken gleichſam außer ſich. Er
ſchlug beyde Haͤnde an die Bruſt, wandte ſich gegen den [Capitain] und ruſte
voller Freuden, mehr als zwanzig mal, Guri!*) aus.


Es wunderte uns daß ihm der Name eines Thieres bekannt war, dergleichen
es doch in ſeinem Lande keine giebt. Die Kenntniß davon muß alſo, entweder
von einer Tradition ihrer Vorfahren herruͤhren, die aus andern Inſeln oder vom
feſten Lande, wo es ſolche Thiere gegeben hat, hieher gekommen ſind; oder
aber, ſie muͤſſen ehemals ſelbſt welche auf der Inſel gehabt haben, und durch
einen oder andern Zufall darum gekommen ſeyn; oder endlich, ſie muͤſſen noch
jetzt mit andern Laͤndern in Verbindung ſtehen, allwo es Hunde giebt. Um
indeſſen die Freude des ehrlichen Attaha vollſtaͤndig zu machen, ſchenkten wir
ihm einen Hund und eine Huͤndinn, die er ganz entzuͤckt mit ſich ans Land nahm.


Ich meines theils blieb den ganzen Tag am Bord, um die Pflanzen und
Voͤgel in Ordnung zu bringen, die wir bey unſerer erſten Landung geſammlet
hatten, und deren Anzahl, in Betracht des geringen Umfangs der Inſel, ſehr
anſehnlich war. Die Eingebohrnen hielten ſich beſtaͤndig mit einer Menge von
Canots bey dem Schiffe auf, und andre, die vermuthlich nicht reich genug
waren um ſich ein eigenes Canot zu halten, ſchwammen vom Ufer ab und zu.
Ihre Fahrzeuge waren von verſchiedener Bauart. Die gewoͤhnlichen kleinen Ca-
nots, in welchen ſie Waaren zu Markte brachten, hatten einen ganz ſcharfen Kiel,
und waren vorn und hinten gleich ſehr zugeſpitzt, aber dabey ſo ſchmal, daß die
Wellen oft uͤber die aͤußer ſten Enden ganz zuſammen ſchlugen; damit nun in der-
gleichen Faͤllen das Canot nicht voll Waſſer wuͤrde; ſo waren die beyden
[347]in den Jahren 1772 bis 1775.
Spitzen, oberhalb mit Brettern verdeckt oder zugeſchlagen. Zu Verhuͤtung1773.
October.

des Umſchlagens waren ſie gemeiniglich mit einer leichtgebauten Auslage, oder
einem Balancier (Gegengewicht) von Stangen, verſehen. Das Canot an
und fuͤr ſich beſtand aus mehreren Planken von hartem braunem Holze, die mit
Coco-Nus-Faſern, eine auf die andere genaͤhet, und ſo kuͤnſtlich zuſammenge-
fuͤgt waren, daß ſie ausnehmend waſſerdicht zu ſeyn ſchienen. Die Tahitier
begnuͤgten ſich, unmittelbar durch die Planken, Loͤcher zu bohren, und durch
dieſe die Cocos-Faͤden durchzuziehen; aber eben deshalb waren auch ihre Canots
faſt immer leck. Zu Tongatabu hingegen, iſt an der Inſeite der Planken,
dicht am Rande der Fuge, ein vorſpringender Falz oder Leiſte befindlich, und
nur durch dieſe, nicht durch die ganze Dicke der Planken, gehen die Schnuͤre
welche die Nath ausmachen. Laͤngſt dem aͤußern Rande des Verdecks, oder des
ſchmalen Brettes an beyden Enden des Canots, ſind ſieben bis acht runde,
knotenfoͤrmige Erhoͤhungen angebracht, die eine Nachahmung der kleinen Flos-
federn (pinnulae ſpuriae) am Bauche der Bonniten, Albecoren oder Makre-
len zu ſeyn ſcheinen. Ich glaube auch wuͤrklich, daß die Inſulaner, im Bau
ihrer Boote, dieſe ſchnellen Fiſche zum Modell genommen haben. Ohnerachtet
die Canots gemeiniglich 15 bis 18 Fus lang ſind; ſo ſind ſie doch, von einem
Ende bis zum andern, ſo ſchoͤn als unſre beſte Tiſchler-Arbeit geglaͤttet, welches
deſto mehr zu bewundern iſt, da das hieſige Handwerks-Zeug nur aus elenden
Stuͤckchen von Corallen und die Hobeln nur aus Rochenhaut beſtehen. Die
Ruder ſind nicht minder ſchoͤn polirt als die Fahrzeuge, auch von eben der
Holzart gemacht, und haben kurze, blattfoͤrmige breite Schaufeln, wie die Ta-
hitiſchen
. Die zweyte Art von Canots war zum ſeegeln eingerichtet; und
Leute, die das Seeweſen und den Schiffbau verſtanden, mußten bekennen, daß
ſie dazu vortreflich taugten. Wir ſahen eines davon in Marien-Bay, das aus
zween kleinern beſtand, die dicht an einander befeſtigt waren. Die Planken wa-
ren, auf eben die Art als bey den vorbeſchriebenen, zuſammen genaͤhet, beyde Ca-
nots aber ganz bedeckt, und, gleich den Tahitiſchen Kriegsfahrzeugen, mit einem
erhabnen Geruͤſt oder Platteform verſehen. *) Einige dieſer Seegel-Boote
X x 2
[348]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
moͤgen einhundert und funfzig Mann tragen koͤnnen. Die Seegel, welche drey-
eckigt ſind, beſtehen aus ſtarken Matten, in welche zuweilen die Figur einer
Schildkroͤte, oder eines Hahns, wiewohl nach einer ziemlich unfoͤrmlichen Zeich-
nung, eingewuͤrkt iſt. *) Da indeſſen genauere Beſchreibungen vom Schiff bau den
mehreſten Leſern nur langweilig und blos fuͤr Seefahrer lehrreich ſeyn wuͤrden, ſo
will ich mich darauf nicht einlaſſen; verlangt aber jemand noch ausfuͤhrlichern
Unterricht, der kann ſich an den Zeichnungen der Durchſchnitte und Verhaͤlt-
niſſe, die Herr Hodges angefertigt hat, und die auch in Kupfer geſtochen ſind,
weiter Raths erholen. Schon aus dem Wenigen, was ich von der guten
Bauart dieſer Seegel-Boote geſagt habe, wird der Leſer abnehmen, daß die
Einwohner dieſer Inſeln weit erfahrnere und beſſere Seeleute ſeyn muͤſſen, als
die Einwohner von Tahiti und den Societaͤts-Inſeln.


Unter der Menge von Leuten, welche um die Schiffe her ſchwaͤrmten, be-
merkte ich verſchiedne, deren Haar an den Spitzen verbrannt zu ſeyn ſchien und
gepudert war. Bey genauerer Unterſuchung fand ſich, daß dieſer Puder aus
Muſchel- oder Corallen-Kalk zubereitet war, der vermoͤge ſeiner freſſenden Ei-
genſchaft, die Haare angegriffen und gleichſam verſengt oder verbrannt hatte.
Der Geſchmack am Haarpuder gieng hier ſo weit, daß man ſchon auf die Kuͤnſte-
ley verfallen war, ihm allerhand Farben zu geben, denn einer von den Maͤnnern
hatte blaues, und mehrere Leute, ſowohl Maͤnner als Weiber, ein orangenfarb-
nes Puder, von Curcuma, gebraucht. Der Heilige Hieronymus, der gegen
die Eitelkeiten ſeiner Zeiten predigte, warf ſchon damals den roͤmiſchen Damen eine
aͤhnliche Gewohnheit vor: ne irrufet crines \& anticipet ſibi ignes gehen-
næ!
Die Thorheiten der Menſchen ſind ſich alſo ſo aͤhnlich, daß man die laͤngſt
vergeßnen Moden der ehemaligen Bewohner von Europa, noch heut zu Tage
unter den neuern Antipoden wieder findet! Und unſre abgeſchmackten Petitmaͤ-
ters, deren ganzer Ehrgeiz darinn beſteht, eine neue Mode zu erfinden, koͤnnen
dieſe unbedeutende Ehre nicht einmal fuͤr ſich allein behalten, ſondern muͤſſen
ihren Ruhm mit den unciviliſirten Einwohnern einer Inſel in der Suͤdſee theilen!


[349]in den Jahren 1772 bis 1775.

Mein Vater kam erſt am Abend wieder, weil er einen weiten Gang,1773.
October.

nemlich bis nach dem ſuͤdlichſten Ende der Inſel vorgenommen hatte. In
der Mittagsſtunde hatte ihn ein ſtarkes Regenwetter uͤberfallen, und in eine
Plantage zu gehen genoͤthigt um daſelbſt in der Huͤtte Obdach zu ſuchen. Zum
Gluͤck fuͤr ihn war der Eigenthuͤmer derſelben zu Hauſe. Er nahm meinen
Vater freundlich auf und bat ihn, auf den reinlichen Matten, die den Fußbo-
den bedeckten, Platz zu nehmen. Mittlerweile gieng er fort, um zur Bewirthung
Anſtalt zu machen; kam aber in wenig Augenblicken zuruͤck und brachte etliche
Coro-Nuͤſſe mit. Darauf oͤfnete er ſeinen Ofen unter der Erde und langte ei-
nige Bananen und Fiſche heraus, die in Blaͤtter gewickelt, vollkommen gahr und
von vortreflichem Geſchmack waren. Die hieſige Kochart iſt alſo mit der Ta-
hitiſchen
einerley, und die Inſulaner ſind eben ſo gaſtfrey als jene. Daß wir
aber nicht ſo viel Proben davon gehabt haben, ruͤhrte blos daher, weil wir ſehen
jemand zu Hauſe trafen, indem ſich die Leute mehrentheils nach dem Handlungs-
platze an der See begeben hatten. Mein Vater belohnte ſeinen Wirth, fuͤr die
genoſſene gutherzige Aufnahme, mit Naͤgeln und Corallen, die jener unter dem
gewoͤhnlichen Fagafetai uͤber den Kopf hielt und dankbarlich annahm. Er be-
gleitete auch ſeinen Gaſt bis an den Strand und trug ihm ſehr willig und ſorg-
faͤltig eine Menge von Speeren und Keulen nach, die er unterwegens eingehandelt
hatte.


So harmlos ſich aber die guten Leute auch gegen uns betrugen, ſo blie-
ben ſie dennoch von den Ungluͤcksfaͤllen nicht verſchont, die bey Entdeckung frem-
der Laͤnder nur gar zu oft vorfallen. Unſre Waaren hatten fuͤr ſie gewiß nicht we-
niger Werth und Reiz als den ſie fuͤr die Tahitier hatten; kein Wun-
der alſo, daß ſie auch eben ſo geneigt waren, als jene, ſich daran zu ver-
greifen. Die Capitains waren am naͤchſtfolgenden Tage nicht lange am Lande
geweſen, als ein Inſulaner die Gelegenheit wahrnahm, eine Jacke aus unſerm
Boote wegzuſtehlen. Um ſeine Beute zu ſichern tauchte er gleich unters Waſſer
und lief, ſobald er den Strand erreicht hatte, unter ſeine Landsleute, da, wo
das Gedraͤnge am dickſten war. Gleichwohl ließen ſich die Matroſen dadurch
nicht abhalten auf ihn zu feuern, und, ohne daß es der Capitain befahl, geſcha-
hen ſieben Schuͤſſe nach ihm. Dadurch wurden nun natuͤrlicherweiſe meh-
X x 3
[350]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
rere, ganz unſchuldige Leute verwundet, und bey alledem war das Volk ſo gut-
herzig, daß ſie weder Ufer noch Handelsplatz verließen, auch wegen dieſes uͤber-
eilten Betragens nicht das geringſte Mistrauen ſchoͤpften; ſondern vielmehr ſich
die Kugeln getroſt um die Ohren pfeifen ließen. Wenige Stunden nachher
machte es ein andrer am Bord unſers Schiffes eben ſo; er ſchlich ſich in die
Cajuͤte des Piloten und entwandte daſelbſt verſchiedne mathematiſche Buͤcher,
einen Degen, ein Lineal und andre Kleinigkeiten, wovon er in ſeinem Leben kei-
nen Gebrauch machen konnte. Indeſſen ward die Sache entdeckt, als er eben
in einem Canot entwiſchen wollte, man ſchickte ihm daher ein Boot nach, um
das geſtohlne wieder habhaft zu werden. Sobald er ſahe, worauf es angelegt
ſey, warf er alles uͤber Bord; man ließ alſo die Sachen durch ein andres Boot
auffiſchen, inmittelſt das erſte den Dieb zu verfolgen fortfuhr. Um ihn einzuho-
len, ſchoſſen unſre Leute eine Flintenkugel durch das Hintertheil ſeines Canots,
worauf er, nebſt verſchiednen andern ins Waſſer ſprang. Ob man nun gleich nicht
aufhoͤrte ihm nachzuſetzen, ſo ſchuͤtzte ihn doch ſeine bewundernswuͤrdige Hurtig-
keit noch eine ganze Zeit lang; er tauchte zuweilen unter das Boot in welchem un-
ſre Leute waren, und einmal hob er ihnen gar das Steuer-Ruder aus, ohne daß
ſie ihn erwiſchen konnten. Endlich ward einer von den Matroſen des Spiels
uͤberdruͤßig, und warf den Boothaken nach ihm; ungluͤcklicherweiſe drang das
Eiſen ihm unter die Rippen in den Leib; es ward alſo dem Matroſen nicht ſchwer,
den Indianer vollends bis ans Boot heran zu ziehen und ihn an Bord zu heben.
Allein er ſahe die Zeit ab, ſprang ehe man ſichs verſahe wieder in die See, und
entkam auch, ohnerachtet er viel Blut verlohren hatte, gluͤcklich, vermittelſt eini-
ger Canots, die zu ſeiner Rettung vom Lande abgeſtoßen hatten, und ihn auf-
nahmen. Es iſt gewiß ſehr zu verwundern, daß die barbariſche Verfolgung
und Mißhandlung dieſes armen Schelmen, uns weder das [Vertrauen] noch die
Zuneigung der Einwohner raubten! Alles blieb ſo ruhig und friedlich als zuvor.
Die Capitains brachten Attagha und einen andern Befehlshaber zum Eſſen mit
an Bord, und der Handel gieng eben ſo gut von ſtatten als ob nichts vorgefallen
waͤre. Der Befehlshaber der mit Attagha kam, ſchien von hoͤheren Range zu
ſeyn, weil dieſer, der ſonſt mit uns am Tiſch zu ſitzen pflegte, ſich jetzt ein
Paar Schritte hinter jenen auf den Fusboden niederſetzte, und durch nichts
[351]in den Jahren 1772 bis 1775.
dahin zu bringen war, daß er in des andern Gegenwart gegeſſen haͤtte. Jener1773.
October.

war ein triefaͤugigter aͤltlicher Mann, fuͤr welchen die uͤbrigen Leute in den Canots ſo
viel Achtung bezeugten, daß unſre Matroſen nach ihrer Art meynten, er muͤſſe we-
nigſtens Admirals-Rang haben. Aus ſeiner Kleidung konnte man indeſſen
nicht ſehen, daß er von hoͤheren Stande waͤre, denn wie es ſcheint, ſo wiſſen die
Inſulaner uͤberhaupt noch nichts von Verſchwendung und Kleiderpracht, doch
laſſen ſie es darum keinesweges an Ehrfurcht gegen die Vornehmern ihrer Na-
tion fehlen. Auf den Societaͤts-Inſeln hingegen verhielt ſichs gerade umgekehrt.
Die Achtung welche Attagha dem andern Befehlshaber bezeigte, war zwar
groß, aber doch nichts in Vergleich mit dem was wir nach Tiſche am Lande
erfuhren. Wir trafen daſelbſt einen Mann von mittlerm Alter, der beym
Handelsplatze auf der Erde ſaß und einen Kreis von Einwohnern um ſich hatte.
Einige unſerer Leute die auf der Jagd geweſen waren, erzaͤhlten, daß ihnen
eben dieſer Mann bey Marien-Bay begegnet waͤre, und daß alle Eingebohrnen,
die neben ihm vorbey gegangen, ſich vor ihm auf die Erde geworfen, ſeine Fuͤße
gekuͤßt, und ſolche auf ihre Koͤpfe geſetzt haͤtten. Bey genauerer Nachfrage haͤt-
ten ſie von unterſchiedlichen Leuten vernommen, er ſey das Oberhaupt der gan-
zen Inſel, in eben der Maaße als Cucki (Capitain Cook) Befehlshaber auf
unſren Schiffen ſey, und heiße Ko-Haghi-Tu-Fallango. *) Ob aber dies
ſein Name oder ſein Titel ſey, kann ich nicht beſtimmen, denn wir hoͤrten dieſe
Woͤrter, nach der Hand, von keinem Eingebohrnen wieder. So viel wir aber
deren fragten, ſo verſicherten ſie uns durchgehends, daß er ihr Arighi**) oder Koͤ-
nig ſey. Sie ſetzten hinzu, er wuͤrde Latu-Nipuru genannt: [Vermuthlich] deutet
Latu den Titel an, denn eben dieſes Wort iſt, laut Schouten und Le Maires
Bericht, auch in jener Sprache vorhanden, die auf den Cocos-Verraͤther- und
Horne-Inſeln
geredet wird, welche hier in der Nachbarſchaft nur etliche Grade
weiter gen Norden liegen, und von gedachtem Seefahrer im J. 1616 beſucht
wurden. †) Wir glaubten dieſe Vermuthung deſto eher annehmen zu duͤrfen,
[352]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
weil, laut den Woͤrterbuͤchern vorgedachter Seefahrer, die dortige Sprache
mit der hieſigen noch in mehrern Faͤllen genau uͤberein kam, und weil auch das
Betragen und die Gebraͤuche jener Inſulaner, der Beſchreibung nach, mit dem
wie wir es hier fanden, ungemein viel Aehnlichkeit hatte. Doch dem ſey wie
ihm wolle, es war uns darum zu thun, dieſen Latu naͤher kennen zu lernen;
wir giengen alſo zu ihm heran, und die Capitains machten ihm allerhand Ge-
ſchenke, die er ſo hoͤlzern und gleichguͤltig annahm, daß man ihn fuͤr ganz unem-
pfindlich und einfaͤltig haͤtte anſehen moͤgen. Unter andern war auch ein Hemde
dabey, welches ſie ihm anzogen, damit ers zu gebrauchen wuͤßte. Allein, bey ſeiner
ſtupiden Unbehuͤlflichkeit koſtete ihnen das nicht wenig Muͤhe. Vermuthlich
wuͤrde er ihnen auch nicht einmal dafuͤr gedankt haben, wenn nicht ein altes Weib,
die hinter ihm ſaß, ihn ſo oft daran erinnert haͤtte. Dieſes fruchtete endlich ſo
viel, daß er ein Stuͤck nach dem andern uͤber den Kopf empor hob, doch ſagte
er, ſo gut als der geringſte ſeiner Unterthanen, nichts mehr als ſchlechtweg,
Fagafetaï dazu. Der Prieſter, welcher die beyden Capitains am erſten Tage
nach unſrer Ankunft zu dem Begraͤbniß- oder Verſammlungs-Platz gebracht
hatte, befand ſich in eben dem Zirkel von Eingebohrnen, in welchem auch der
Latu ſaß, und ließ ſich das berauſchende Pfefferwaſſer *) tapfer ſchmecken. Es
ward ihm in kleinen viereckigten Bechern von kuͤnſtlich gefalteten und geflochtnen
Bananas-Blaͤttern gereicht, **) und er verlangte, daß man auch uns von die-
ſem koͤſtlichen Getraͤnk mittheilen ſollte. Man bot uns alſo mit vieler Hoͤflich-
keit etwas davon an, und aus bloßer Hoͤflichkeit koſteten wir es auch. Es war
von Milch-weißer Farbe, hatte aber einen eckelhaften, faden Geſchmack und
ließ eine unangenehme brennende Empfindung auf der Zunge zuruͤck. Von die-
ſem eckelhaften Zeuge, nahm der heilige Mann alle Abend ſo reichliche Portionen
zu ſich, daß er immer ganz berauſcht ward. Kein Wunder alſo, daß ihm das
Ge-
[353]in den Jahren 1772 bis 1775.
Gedaͤchtniß beym Gebeth verſagte, daß ſein ganzer Coͤrper mager, die Haut1773.
October.

ſchaͤbicht, das Geſicht runzlicht und die Augen roth und triefend waren. Er ſtand
bey dem Volke in großem Anſehen, und eine Menge Bedienten waren ge-
ſchaͤfftig, ihm mit vollen Bechern zur Hand zu gehn. Die Geſchenke, welche
wir ihm gaben, behielt er fuͤr ſich, dahingegen Attagha und andre, alles was ſie
von uns bekamen, an ihre Obern ablieferten. Er hatte eine Tochter, die von
unſern Leuten viel Geſchenke erhielt, denn ſie war ungemein wohl gebildet, und
heller von Farbe als die andern hieſigen Frauensperſonen, welche auch durchge-
hends einige Achtung fuͤr ſie zu haben ſchienen. Hellere Farbe und ſanftere Ge-
ſichtszuͤge ſind natuͤrliche Folgen einer bequemen, unthaͤtigen Lebensart, bey wel-
cher man ſich der Sonnenhitze nicht auszuſetzen braucht, und wobey man an allem,
was das Land Gutes und Koͤſtliches liefert, Ueberfluß hat. Dies auf den gegenwaͤr-
tigen Fall angewandt, ſo wird es, dem Aaſchein nach, auch hier ſchon darauf
angelegt, die Religion zum Deckmantel der Ueppigkeit und des Wohllebens zu
gebrauchen, und auch dieſe Nation, gleich ſo vielen andern, der Bequemlich-
keit eines traͤgen wolluͤſtigen Pfaffen zinsbar zu machen. Bis jetzt mag das
freylich ſo weit noch nicht gehen, aber ein einziger Funke davon iſt auch
ſchon genug, um in der Folge weit, und unaufhaltſam um ſich zu greifen. Der
Gehorſam und die Ergebenheit des Volks gegen die Obern, beweiſen zur Gnuͤge,
daß die hieſige Verfaſſung, wenn gleich nicht voͤllig deſpotiſch, doch auch weit
von der democratiſchen entfernt iſt, und auf die Art kann denn freylich der Luxus
bald Eingang finden. Was ich hier von dieſen beyden Inſeln geſagt habe,
das laͤßt ſich auch uͤberhaupt von jenen behaupten, die in dieſer Gegend weiter
gegen Weſten liegen: Denn die zuverlaͤßigen Beſchreibungen, welche Schouten,
Le Maire
und Tasmann uns von letzteren hinterlaſſen haben, ſtimmen mit
dem, was wir ſelbſt auf dieſen hier beobachtet, ſo genau uͤberein, daß alles,
was auf dieſe paßt, auch von jenen gelten kann. Die Bewohner derſelben ſind
durchgehends zum Handel geneigt und haben von je her, die Fremden, welche
bey ihnen landeten, freundlich und leutſelig aufgenommen. Dies bewog uns
dieſe urſpruͤnglich von Schouten und Tasmann entdeckten Eylande, zuſam-
men genommen, die freundſchaftlichen Inſeln (friendly Iſlands) zu nen-
nen. Ich weiß zwar, daß Schoutens Boote auf den Cocos-Verraͤther-Hoff-
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. Y y
[354]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
nungs- und Horn-Eylanden
von den Eingebohrnen feindſelig angegriffen wur-
den, allein das thut jenem Namen keinen Eintrag; denn, ſo hart der Hollaͤnder
dieſen Vorfall auch ahndete, ſo hatte es doch im Grunde nicht viel damit zu ſagen,
auch blieb er, nachdem der erſte Lermen auf Horn-Eyland vorbey war, die
uͤbrige Zeit ſeiner Anweſenheit in beſtaͤndig gutem Vernehmen mit den Inſu-
lanern. Tasmann, der ſieben und zwanzig Jahr darauf, einige andere In-
ſeln, nemlich Tonga-Tabu und Anamocka (oder Amſterdam und Rotterdam)
entdeckte, die 6 Grade weiter gen Suͤden liegen als jene, ward von den dortigen
Einwohnern uͤberaus friedlich und freundſchaftlich aufgenommen, ohnerach-
tet er der erſte Europaͤer war, der zu ihnen kam. Zwar kann es ſeyn, daß
ſie ſich nur deshalb ſo freundſchaftlich gegen ihn betrugen, weil ſie von ihren
Nachbarn, den Bewohnern von Cocos-Hofnungs- und Horn-Eyland, gehoͤrt
haben mochten, wie theuer es ihnen zu ſtehen gekommen, daß ſie ſich gegen die
Fremden aufgelehnt; vielleicht aber brachte es auch ihr von Natur friedfertiger
Character alſo mit ſich, ob es freylich wohl wahrſcheinlicher iſt, daß ſie von
der Uebermacht der Europaͤer ſchon zuvor etwas gehoͤrt hatten und ſich alſo vor
dem moͤrderiſchen Schießgewehr fuͤrchteten. — Nach Tasmann ſahe auch Ca-
pitain Wallis, auf ſeiner Reiſe um die Welt im Jahr 1767, zwey von
dieſen Inſeln; denn was er Boseawen und Keppels-Eyland genannt hat, iſt
mit Schouten’sCocos- und Verraͤther-Inſel einerley. Seine Leute hatten
mit den Einwohnern faſt gar keinen Umgang, dennoch fanden ſie fuͤr noͤthig,
ihnen durch Abfeurung einer Musquete einen Schreck einzujagen. Herr von
Bougainville
ſahe ebenfalls einige von den nordoͤſtlichſten Inſeln dieſes Ar-
chipelagus, deren Einwohner, ſeiner Schilderung nach, im Ganzen von eben
der Gemuͤthsart zu ſeyn ſcheinen als ihre Nachbarn. Er nannte dieſen Hau-
fen von Inſeln, ganz ſchicklich, l’Archipel des navigateurs, denn es ſind in
der That mehrere Seefahrer darauf zugetroffen. Hier auf der Inſel Amſterdam
war aber ſeit Tasmanns Zeiten kein Europaͤer hingekommen; und ohnerachtet das
einhundert und dreyßig Jahr her iſt, ſo fanden wir doch die Beſchreibungen die-
ſes Seefahrers noch in den mehreſten Stuͤcken paſſend. Es haben alſo die Einwoh-
ner, dieſen ganzen Zeitraum hindurch, ihre Sitten, Kleidungen, Lebensart und
Geſinnungen faſt unveraͤndert beybehalten. Wir waren in ihrer Sprache nicht
[355]in den Jahren 1772 bis 1775.
bewandert genug, um zuverlaͤßig zu erfahren, ob ſie von Tasmanns Anweſenheit1773.
October.

noch etwas wuͤßten? Wir fanden aber etliche eiſerne Naͤgel bey ihnen, die ſich
noch von der Zeit herſchreiben muͤſſen. Einen derſelben kauften wir; er war
nur ſehr klein und faſt ganz vom Roſt zerfreſſen, dennoch aber ſorgfaͤltig aufbe-
wahrt und in einen hoͤlzernen Grif gefaßt, vermuthlich um ſtatt eines Bohrers
dienen zu koͤnnen. Er iſt jetzt im brittiſchen Muſeo verwahrlich nieder-
gelegt. Auch kauften wir etliche kleine irdene Toͤpfe, die an der Außenſeite
ganz ſchwarz von Rus waren, und unſerm Vermuthen nach, ebenfalls durch
Tasmann hieher gekommen ſeyn mochten; allein in der Folge fanden wir Ur-
ſach zu glauben, daß ſie auf der Inſel ſelbſt verfertigt worden. Schoutens,
Tasmanns
und Bougainvilles Nachrichten von den Einwohnern, ſtimmen
mit den unſrigen darinn voͤllig uͤberein, daß ſie zu kleinen Diebereyen ſehr aufge-
legt und geſchickt ſind. Auch ſind Tasmann und Capitain Wallis darinn
mit uns einſtimmig, daß ſich dieſe Inſulaner den kleinen Finger abzuſchnei-
den pflegen; und Schouten und Le Maire verſichern, daß die Einwohner auf
Horn-Eyland ſich gegen ihren Koͤnig eben ſo kriechend und unterwuͤrfig bezeugen,
als die Leute auf Tongatabu. Das Bewußtſeyn von der Uebermacht der
Auslaͤnder machte ſie ehemals ſclaviſch demuͤthig gegen die Hollaͤnder; der Koͤ-
nig warf ſich vor dem hollaͤndiſchen Schiffsſchreiber zu Fuͤßen, und die gerin-
geren Befehlshaber giengen noch weiter, denn zum Zeichen der Unterthaͤnig-
keit, ſetzten ſie gar die Fuͤße des Hollaͤnders auf ihren Nacken. *) Hier-
aus ſollte man ſchließen, daß ſie niedertraͤchtig und feige waͤren; allein, wir
unſers Theils koͤnnen ihnen dieſe Fehler nicht Schuld geben, denn gegen uns
betrugen ſie ſich ſo freymuͤthig und dreiſt, als es Leuten zukommt, die ſich recht-
ſchaffner Geſinnungen bewußt ſind. Sie waren zwar ſehr hoͤflich, aber keines we-
ges kriechend. Daß es indeſſen auch hier, ſo wie in jeder andern menſchlichen
Geſellſchaft, Ausnahmen von dem allgemein guten National-Character gebe,
das mußte ich ſelbſt noch heute gewahr werden. Dr. Sparrmann und ich
entfernten uns vom Strande, um, in dem nahen Gehoͤlz unſrer Lieblings-Wiſ-
ſenſchaft, der Botanik nachzugehen, indeſſen der Reſt unſrer Geſellſchaft
Y y 2
[356]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
nicht muͤde ward, den Latu anzuſehn. Auf den erſten Schuß, den ich nach
einem Vogel that, kamen drey Leute herbey, mit welchen wir uns, ſo gut es
gehen wollte, in Unterredung einließen. Mitlerweile vermißte Dr. Sparr-
mann
das Bayonet von ſeinem Gewehr, und gieng alſo zuruͤck um darnach zu
ſuchen. Dies mußte einem von den dreyen Indianern der rechte Augenblick
duͤnken, um etwas zu wagen; denn er grif nach meiner Vogel-Flinte, und ſuchte
ſie mir aus den Haͤnden zu winden; ſeine beyden Cameraden hingegen, entliefen,
als ob ſie an dieſem haͤmiſchen Angrif nicht den geringſten Theil haben woll-
ten. Unterdeſſen daß ich mich mit dem Kerl herumbalgte und meinen Freund
zu Huͤlfe rief, verwickelten wir uns ins Strauchwerk und fielen beyde zu Boden.
Der Wilde fuͤhlte entweder, daß er ſeinen Zweck nicht erreichen wuͤrde, oder er
fuͤrchtete ſich, daß Dr. Sparrmann dazu kommen moͤchte, kurz, er rafte ſich
vor mir auf und lief davon. Als mein Freund herzu kam war alles voruͤber, und
wir geſtanden einander, daß es zwar von Seiten des Indianers haͤmiſch und
verraͤtheriſch, jedoch auch an unſrer Seite ſehr unvorſichtig geweſen ſey, daß
wir ihn durch unſre Trennung veranlaßt haͤtten, ſeine Staͤrke und Geſchicklich-
keit zu verſuchen. Wir ſtreiften darauf noch eine Weile herum, ohne daß uns
ſonſt etwas begegnet waͤre, und endlich kehrten wir wieder nach dem Han-
delsplatze um, woſelbſt die Leute, welche wir allda zuruͤck gelaſſen, faſt noch
alle beyſammen waren. Sie hatten ſich zum Theil in verſchiednen Haufen, wel-
ches vermuthlich eben ſo viel verſchiedne Familien ſeyn mochten, hingeſetzt, und
waren alle in lebhafter Unterredung, die, dem Anſchein nach, uns und unſere
Schiffe galt. Einige Frauensperſonen ſangen, andre ſpielten Ball. Unter
allen dieſen zog ein junges Maͤdchen unſre Aufmerkſamkeit am mehreſten an ſich.
Sie hatte eine ſchoͤne regelmaͤßige Geſichtsbildung, Augen, die von Feuer gleich-
ſam gluͤhten, und einen uͤberall vortreflichen Wuchs; am mehreſten zeichnete
ſie ſich durch ihren Kopfputz aus, ſie hatte nemlich, der hieſigen Landes-Sitte zu-
wider das Haar nicht kurz verſchnitten, ſondern trug es, in ſchoͤnen Locken, lang
und frey herabhaͤngend. Dies reizende Maͤdchen, ſo lebhaft, ſo ungezwungen in
allem was ſie that, ſpielte mit fuͤnf kleinen Kuͤrbiſſen, davon ſie einen um den
andern in die Hoͤhe warf und jenen wiederfieng, indeß dieſer noch in der Luft
ſchwebte ꝛc. Wir ſahen dieſem Spielchen wohl eine Viertelſtunde lang zu, ohne
[357]in den Jahren 1772 bis 1775.
daß ſie einen Wurf verfehlte. Die Lieder, welche die andern Frauensleute ſan-1773.
October.

gen, waren von eben der Melodie, als in Ea-Uwhe. Auch hier ſecundirten ſie
einander ganz harmoniſch, und ſtimmten zuweilen ein allgemeines Chor an. Ich
habe zwar keinen von den Einwohner tanzen ſehen; daß aber auch dieſe Art von
Ergoͤtzlichkeit allhier eingefuͤhrt ſeyn muͤſſe, ließ ſich zur Genuͤge aus den Zei-
chen abnehmen, durch welche ſie uns den Gebrauch jener ſternfoͤrmig ausgezierten
Schuͤrzen begreiflich zu machen ſuchten, die wir von ihnen einkauften, und die,
wie ich ſchon weiter oben geſagt habe, mit Federn und Muſchel-Schalen auf-
geputzt, gemeiniglich von Coco-Nußfaſern, oft aber auch von Mattenwerk ge-
flochten waren. Nach jenen Zeichen und Poſituren zu urtheilen, muͤſſen ihre
Taͤnze, wie in den Societaͤts-Inſeln die Hiwahs, dramatiſch und oͤffentlich
ſeyn. Dieſe Vermuthung erhaͤlt dadurch noch mehr Gewicht, daß Schouten
und Le Maire dergleichen Taͤnze auch auf Horn-Eyland angetroffen haben.
Die Gebraͤuche und Sprache dieſer Inſulaner ſcheinen uͤberhaupt eine große
Aehnlichkeit mit den Tahitiſchen zu haben; warum ſollte ſie nicht auch bey
ihren Taͤnzen ſtatt finden? Beyde Nationen muͤſſen doch um Grunde von einem
gemeinſchaftlichen Stamm-Volke herkommen; auch ſiehet man, ſelbſt in denen
Stuͤcken, wo ſie am merklichſten von einander abweichen, daß der Unter-
ſchied bloß von der Verſchiedenheit des Bodens und des Clima beyder Inſeln
herruͤhre. Auf den Societaͤts-Inſeln giebts z. E. viel Holz, denn die Spitzen
der Berge ſind dort mit unerſchoͤpflichen Waldungen bedeckt. Auf den freund-
ſchaftlichen Inſeln
hingegen iſt dieſer Artickel ſchon ſeltner, weil das Land
faſt durchaus mit Fruchtbaͤumen beſetzt, oder mit naͤhrendem Wurzelwerk be-
pflanzt iſt. Eine natuͤrliche Folge dieſer Verſchiedenheit, zeigt ſich darinn, daß in
jenen die Haͤuſer ungemein raͤumlich und groß ſind; kleiner aber und unbe-
quemer in dieſen. Dort giebts eine faſt unzaͤhlbare Menge und zum Theil
ſehr große Canots; hier, ſind ſie ſowohl an Zahl als Groͤße ungleich gerin-
ger. Auf den Societaͤts-Inſeln ſind die Berge hoch und ziehen folglich die
Duͤnſte der Atmosphaͤre beſtaͤndig an ſich; daher findet man dort ſo viel Baͤche,
die ſich von den Bergen herab in die See ergießen, und den Einwohnern auf viel-
faͤltige Art Vortheil ſchaffen. Vermittelſt derſelben haben ſie nicht nur reichliches
und geſundes Trinkwaſſer, ſondern auch Gelegenheit ſich oft zu baden, und ſind
Y y 3
[358]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
folglich gegen alle Krankheiten der Haut, die aus Unreinlichkeit entſpringen, ziem-
lich geſichert. Ganz anders muß es dagegen bey einem Volk ausſehen, dem es
an dieſem Vortheil fehlt, und das ſich, gleich den Bewohnern von Tongata-
bu
,
entweder mit faulem ſtinkenden Regenwaſſer aus etlichen wenigen ſchlam-
migen Pfuͤtzen, oder gar mit ſalzigem Waſſer behelfen muß. Um ſich nur
einigermaßen reinlich zu erhalten, und dadurch gewiſſen Krankheiten vorzu-
beugen, ſind ſie genoͤthigt ihre Zuflucht zu andern Huͤlfsmitteln zu nehmen: Sie
ſtutzen ſich alſo die Haare, zwicken ſich den Bart, ꝛc. und werden folglich, ſchon
dadurch, den Tahitiern im Aeußern unaͤhnlicher, als ſie ohne das nicht ſeyn wuͤr-
den. Gleichwohl ſind in Ermangelung genugſamen und guten Waſſers, alle
dieſe kuͤnſtlichen Huͤlfsmittel zur Reinlichkeit nicht hinreichend, ſie vor dem Aus-
ſatz zu ſichern, der vielleicht, durch den Gebrauch des Pfefferwaſſers, noch
nebenher beguͤnſtigt wird. Zur Verhuͤtung oder Heilung deſſelben ſchien jenes
Mittel gebraucht zu werden, dem wir die wundgemachten Flecke auf den Backen-
knochen zuſchrieben, die ſo allgemein unter ihnen ſind, daß faſt kein einziger ohne
dergleichen Merkmahl war. Auf den Societaͤts-Inſeln iſt das Erdreich in
den Ebenen und Thaͤlern ſo fett und reich und bekoͤmmt durch die vielen Baͤche
ſo viel Zufluß an gehoͤriger Feuchtigkeit, daß die mehreſten Gewaͤchſe faſt
ohne alle Cultur gedeihen. Dieſe ungemeine Fruchtbarkeit veranlaßt und un-
terhaͤlt dann auch die Ueppigkeit und Schwelgerey unter den dortigen Vorneh-
men. Davon aber findet man auf Tongatabu keine Spur. Auf dieſer
Inſel iſt der Coral-Felſen blos mit einer duͤnnen Schicht von Erde bedeckt,
in welcher die Baͤume nur kuͤmmerliche Nahrung finden und der nuͤtzlichſte
von allen, der Brodtfrucht-Baum, kommt faſt gar nicht fort, weil er keine
andere Waͤſſerung als Regen findet. Auf ſolche Art erfordert die Bearbeitung
des Landes hier weit mehr Muͤhe als auf Tahiti. Daher kommts, daß
die Leute mehr Fleis auf ihre Pflanzungen wenden, denenſelben eine regelmaͤſ-
ſige Form geben, und daß jeder das ſeinige genau einzaͤunt. Aus eben dieſer
Urſach laͤßt ſich aber auch begreifen, warum ſie auf die Lebensmittel immer einen
hoͤhern Werth legten, als auf ihre Geraͤthe, Kleider, Schmuck und Waffen
(ob ihnen dieſe gleich in manchen Faͤllen unſaͤgliche Arbeit muͤſſen gekoſtet ha-
ben): Sie ſehen nemlich wohl ein, daß Lebensmittel ihr groͤßter Reichthum
[359]in den Jahren 1772 bis 1775.
fey, deſſen Abgang ſchwer zu erſetzen iſt. Daß ſie von Perſon ſchlanker, und1773.
October.

muskuloͤſer ſind als die Tahitier, ruͤhrt natuͤrlicher Weiſe davon her, daß ſie
mehr arbeiten und ihren Coͤrper mehr anſtrengen als jene. Durch die Beſchaf-
fenheit des Erdreichs zu vieler Arbeit genoͤthigt, iſt ihnen die Arbeitſamkeit
endlich dermaaßen zur Gewohnheit geworden, daß ſie nicht nur die vom Acker-
bau uͤbrige Zeit zur Verfertigung von mancherley Handwerkszeng und Geraͤ-
then anwenden, die viel Muͤhe, Geduld und Geſchicklichkeit erfordern; ſondern
auch ſogar bey ihren Ergoͤtzlichkeiten Thaͤtigkeit und Erholung mit einander
zu verbinden wiſſen. Dieſe Arbeitſamkeit iſt auch Schuld daran, daß ſie
nach und nach auf neue Erfindungen gefallen ſind und es in den Kuͤnſten un-
gleich weiter gebracht haben als die Tahitier. — “Dabey ſind ſie von ſehr
aufgeraͤumten Weſen und ſehen ſtets vergnuͤgt aus, denn ihre Beduͤrfniſſe, de-
ren vermuthlich nur ſehr wenige ſind, werden alle befriedigt. Das Frauenzim-
mer iſt vorzuͤglich aufgeweckt, und konnte des Plauderns nicht ſatt werden, ſo
lange wir den geringſten Antheil an ihrer Unterhaltung zu nehmen ſchienen. —
Wenn man annimmt, daß ohne einen gewiſſen Grad von Freyheit ein Volk ohn-
moͤglich gluͤcklich und ohne gluͤcklich zu ſeyn, auch nicht froh ſeyn koͤnne; ſo iſt es
allerdings zu verwundern, daß dieſe Inſulaner ſo vergnuͤgt ſind, da doch bey ih-
rer politiſchen Verfaſſung nur wenig allgemeine Freyheit ſtatt zu finden ſcheint:
Allein, ohne dieſes Phaͤnomens wegen bis nach der Suͤdſee zu gehen, ſehen wir ja taͤg-
lich mit Augen, daß eine benachbarte Nation, die bekanntermaßen unter dem Druck
der groͤßten Sclaverey lebt, gleichwohl eine der luſtigſten und witzigſten auf Erden iſt.
Ueberdem glaube ich, daß der großen Unterwuͤrfigkeit, die in Tongatabu herrſcht,
ohnerachtet, die Leute immer noch Urſach haben moͤgen froh zu ſeyn, denn, außer je-
nen ſonderbaren Zeichen von ſclaviſcher Verehrung, fordert der Koͤnig vermuthlich
nichts von ihnen, das ſie ihrer eignen Beduͤrfniſſe berauben und arm oder elend
machen koͤnnte. Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo viel iſt wohl ausge-
macht, daß ihr Regierungs- und Religions-Syſtem dem Tahitiſchen aͤhnlich,
und, ſo weit wir es beurtheilen koͤnnen, aus einer und eben derſelben Quelle,
vielleicht unmittelbar aus dem gemeinſchaftlichen Vaterlande beyder Colonien
hergefloſſen iſt. Die geringe Verſchiedenheit, welche man heut zu Tage, in
einzelnen Gebraͤuchen und Meynungen dieſer beyden Voͤlker wahrnimmt, ſcheint
blos aus einer allmaͤhligen Abweichung von ihren ehemals gemeinſchaftlichen
[360]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
Begriffen herzuruͤhren, als welche ſich nach und nach, theils zufaͤlligerweiſe theils
auf Veranlaſſung beſondrer Grillen, moͤgen veraͤndert haben. — “Wir fanden hier
wie auf Tahiti einen Koͤnig (Ariki) mit vielen ihm untergebenen Prinzen oder
Chefs, denen vermuthlich gewiſſe Bezirke gehoͤren, und denen das gemeine Volk,
noch mehr als die Tahitier ihrem Adel, ergeben war. Auch glaubten wir
einen dritten Stand bemerkt zu haben, der mit den Manahaunaͤ’s auf den
Societaͤts-Inſeln uͤbereinſtimmet, und vielleicht war Attaha ein Mann von
dieſer Art. Ohnſtreitig iſt alles Land hier ein Privat-Eigenthum, denn wo
der Boden ſo aͤußerſt [ſorgfaͤltig] bearbeitet wird, daß nicht ein Fleckchen unge-
nutzt bleibt, da kann unmoͤglich alles gemeinſchaftlich ſeyn, ſonſt waͤre ja der
Muͤßiggaͤnger gluͤcklicher als der Arbeitſame. Oft habe ich ſechs, acht bis zehn
Leute mit Fruͤchten und andern Lebensmitteln beladen ans Ufer kommen ſehn;
ein Mann, oder auch eine Frau, die neben her gieng, verkaufte dies alles, und
ohne ihren Willen durften die andern nicht ein Stuͤckchen gegen unſere Waaren
vertauſchen. Dergleichen Leute als die Traͤger, machen alſo hier, ſo wie die
Tautaus in Tahiti, die geringſte Claſſe von Menſchen aus, und muͤſſen den
andern dienen, und fuͤr ſie arbeiten.” — Der entſcheidendſte Beweis von der
Verwandtſchaft beyder Voͤlker liegt in der Aehnlichkeit ihrer Sprachen. Die
mehreſten Arten von Lebensmitteln, welche beyde Inſeln mit einander gemein ha-
ben, die Glieder des Coͤrpers, kurz die erſten und gewoͤhnlichſten Begriffe, wur-
den auf den Societaͤts- und auf den freundſchaftlichen Inſeln durch ein und
eben dieſelben Worte ausgedruͤckt. Der Dialect der auf Tongatabu geredet
wird, war ſo ſanfttoͤnend und wohlklingend nicht, als zu Tahiti; denn jene
Inſulaner haben das F. K. und S. in ihre Mundart aufgenommen, und folglich
mehr mitlautende Buchſtaben als dieſe. Dagegen wird die hieraus entſte-
hende Haͤrte dadurch wieder gemildert, daß man hier nicht nur die ſanft fließenden
Buchſtaben L. M. N.; imgleichen die melodiſchen Selbſtlauter E. und J. haͤufig
gebraucht, ſondern auch in einem gewiſſen ſingenden Ton zu ſprechen pflegt.
Doch es iſt Zeit wieder einzulenken.


Wir verließen unſre Freunde nicht eher als bey Untergang der
Sonnen, und verſprachen ihnen, ſie am folgenden Morgen nochmals zu be-
ſuchen. Beyde Schiffe waren nun wieder mit einem guten Vorrath von
Piſangs,
[361]in den Jahren 1772 bis 1775.
Piſangs, Yams und Coconuͤſſen verſehen, auch hatte man, des geringen Umfangs1773.
October.

der Inſel und der Kuͤrze unſers Hierſeyns ohnerachtet, ſechzig bis achtzig
Schweine, nebſt einer großen Menge von Huͤhnern zuſammen gebracht. Fri-
ſches Waſſer hingegen war nirgends zu finden geweſen, ob man ſchon, auch
an der Oſt-Seite der Inſel, darnach hatte ſuchen laſſen. Bey dieſer Ge
legenheit hatte der dorthin geſchickte Loots die Marien-Bay, nebſt
denen davor liegenden flachen Inſeln aufnehmen muͤſſen, und die genaue
Uebereinſtimmung ſeiner Zeichnung mit Tasmanns aͤlteren Charten, gab
einen neuen Beweis ab, wie ſehr man ſich auf die Treue und Genauigkeit
jenes Seefahrers verlaſſen koͤnne. Auf einer von vorgedachten flachen Inſeln,
woſelbſt der Loots ausſtieg, gab es eine erſtaunende Menge gefleckter Waſſer-
ſchlangen mit platten Schwaͤnzen. Dieſe Art heißt beym Linnaͤuscoluber
laticaudatus,
iſt aber ganz unſchaͤdlich. Ich muß bey dieſer Veranlaſſung
uͤberhaupt anmerken, daß auch wir, als Naturforſcher, gar ſehr Urſach hatten
von unſerm hieſigen Aufenthalt zufrieden zu ſeyn; denn ſo klein die Inſel auch
war; ſo fanden ſich doch verſchiedene neue Pflanzen auf derſelben, unter andern
eine neue Art von bittrer Fieber- oder China-Rinde, die vielleicht nicht minder
brauchbar ſeyn duͤrfte als die Peruaniſche. Wir bekamen auch mehrere un-
bekannte Voͤgel, und kauften verſchiedene davon lebendig, welches neue
Spielarten des Papagoyen- und Tauben-Geſchlechts waren. Die Einwoh-
ner ſcheinen gute Vogelfaͤnger zu ſeyn, und Gefallen an dieſen Thieren zu fin-
den, denn ſie trugen manchmal Tauben auf einem Stocke mit ſich herum; daß
aber dieſes ein Unterſcheidungs-Zeichen des Standes ſeyn ſollte, wie Schouten
auf Horn-Eyland bemerkt haben will, *) konnten wir nicht abſehen. Als
unſer Boot geſtern zum letztenmal vom Lande nach dem Schiffe heruͤber kam,
brachte es eine Menge Fruͤchte und Wurzelwerk, desgleichen ein voͤllig berei-
tetes Schwein mit, welches insgeſammt der Latuh oder Koͤnig, dem Capi-
tain zum Geſchenk uͤberſandte. Um dieſe Hoͤflichkeit nicht unerwiedert
zu laſſen, nahmen wir am folgenden Morgen ein Hemd, eine Saͤge, ein Beil,
einen kupfernen Keſſel, nebſt andern Kleinigkeiten von geringern Werthe, mit
uns ans Land, und haͤndigten ihm ſolche nicht weit vom Strande ein, wo-
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. Z z
[362]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
ſelbſt er im Graſe ſaß. Er nahm dieſe Sachen mit jener finſtern Ehrbarkeit an,
die wir nun ſchon an ihm gewohnt waren und die er auch nur ein einzigesmal
ablegte, da man ihn in einer Unterredung mit Attagha laͤcheln ſahe. Unter dem
verſammleten Volke bemerkten wir einen Mann, der, dem eingefuͤhrten Landes-
gebrauch zuwider, ſein Haar hatte wachſen laſſen, welches in verſchiedne dicke Kno-
ten aufgeſchuͤrzt war, die ihm wild um die Ohren hiengen. Dieſer Mann und ein
junges Maͤdchen, deſſen S. 356. gedacht worden, waren die einzigen, welche
das Haar nicht kurzgeſchnitten trugen.


Wir hielten uns nicht lange bey den Einwohnern auf, ſondern kehrten
bald an Bord zuruͤck, und gleich nach eingenommenen Fruͤhſtuͤck wurden die An-
ker gelichtet. Indeſſen lagen die verſchiedentlich eingekauften Lebensmittel noch
auf dem Verdeck ſo unordentlich umher, daß wir nicht gleich in See ſtechen konn-
ten, ſondern unter der Inſel beylegen mußten. Endlich gegen Abend, da
alles uͤber Seite geraͤumt war, giengen wir unter Seegel und ſteuerten gen
Suͤden.


Am folgenden Morgen, als am achten October, hatten wir Windſtille. Waͤh-
rend derſelben ward ein Hayfiſch von 8 Fus gefangen, welches der groͤßte war,
den wir bisher geſehen. Nachmittags erblickten wir die kleine Inſel, welche Tas-
mann
,
Pylſtaerts-Eyland nennt. Er gab ihr dieſen Namen wegen einer
gewiſſen Art von Voͤgeln, die ihm hier zu Geſicht kamen, und allem Vermuthen
nach, tropiſche Voͤgel geweſen ſeyn muͤſſen, denn Pylſtaert bedeutet buchſtaͤblich
ſo viel als Pfeil-Schwanz, und bezieht ſich auf die zwey langen, hervorſtehen-
den Schwanzfedern dieſes Vogels, um deren willen ihn die Franzoſen paille
en queue
nennen. *) Gedachte Inſel liegt unter dem 22ſten Grad 26 Minu-
ten ſuͤdlicher Breite und im 170ſten Grad 59 Minuten weſtlicher Laͤnge. Das
Land iſt eben nicht flach, vorzuͤglich befinden ſich zwey Anhoͤhen darauf, deren ſuͤd-
lichſte die betraͤchtlichſte iſt. Gegen Abend bekamen wir widrigen Wind aus
Suͤdweſt, der zwey Tage lang anhielt, und uns dieſe Zeit uͤber, in der Nach-
barſchaft jener kleinen Inſel zu laviren noͤthigte. Am zehnten aber ſtellte ſich
der Paſſatwind wieder ein, und brachte uns ſo ſchnell fort, daß um 2 Uhr
Nachmittags die Inſel ſchon nicht mehr zu ſehen war. Nunmehro verließen wir
[363]in den Jahren 1772 bis 1775.
die tropiſchen Gegenden dieſes Oceans und ſteuerten zum zweytenmal nach Neu-1773.
October.

Seeland
hin, von da wir vor vier Monaten hergekommen waren, um, waͤhrend des
Winters, die Suͤdſee hier in den mittlern Breiten zu durchkreuzen. Dieſe Abſicht
war nun erreicht: wir hatten zwiſchen den Wende-Zirkeln einen Strich von
mehr als 40 Grad der Laͤnge unterſucht, und ein und dreyßig Tage lang, theils
auf den Societaͤts- theils auf den freundſchaftlichen Inſeln zugebracht, wel-
ches unſerm geſammten Schiffsvolk ungemein wohl bekommen war. Der Som-
mer, als die tauglichſte Jahrszeit den ſuͤdlichern Theil dieſes Weltmeeres zu
unterſuchen, nahte heran, und die oͤden Klippen von Neu-Seeland ſollten uns
nur auf ſo lange Zeit zum Obdach dienen, als dazu erfordert ward, das leich-
tere oder Sommer-Takelwerk abzunehmen und ſtaͤrkeres aufzuſetzen, welches den
Stuͤrmen und aller uͤbrigen ſtrengen Witterung jener rauhen Himmels-Gegend
beſſern Widerſtand leiſten konnte.



[364]Forſter’s Reiſe um die Welt

Zwoͤlftes Hauptſtuͤck.
Seefahrt von den freundſchaftlichen Inſeln nach
Neu-
Seeland
. — Trennung von der Adventure. — Zweyter
Aufenthalt in Charlotten-Sund.


1773
October.

Kaum hatten wir den heißen Erdſtrich zwiſchen den Wende-Zirkeln verlaſ-
ſen, ſo fanden ſich ſchon wieder große Zuͤge von See-Voͤgeln ein und
ſchwebten mit leichtem Fluge uͤber den Wellen hin, die der guͤnſtige Wind vor
ſich her trieb. Am 12ten ſahen wir, unter eine Menge von Voͤgeln, die nur
im gemaͤßigtern Erdſtrich anzutreffen ſind, einen Albatroß; dieſe Art kommt nie
bis innerhalb der Wende-Zirkel; aber jenſeits derſelben findet man ſie bis gegen
den Pol hin. So ſorgfaͤltig hat die Natur jedem Thiere ſeinen Wohnplatz an-
gewieſen!


Nachdem das Wetter bis zum 16ten Morgens ſchoͤn und guͤnſtig geblie-
ben war, fiengs an regnicht zu werden. Um dieſe Zeit fand man, unten im
Schiff, beym Pumpen-Kaſten, einen Hund, der auf Huaheine war eingekauft
worden, der aber, gleich vielen andern, ſich nicht an unſer Futter hatte gewoͤhnen
wollen, und allem Vermuthen nach, ſchon neun und dreißig bis vierzig Tage in
dieſem Loche, ohne alle Nahrung, zugebracht haben mußte. Der ganze Coͤr-
per war zu einem bloßen Gerippe abgemergelt; die Beine waren gelaͤhmt und
klares Blut gieng aus dem Hintern von ihm. So jaͤmmerlich indeſſen der An-
blick dieſes armen Thiers war, ſo ſtiftete er doch etwas Gutes, denn unſre Leute
nahmen ſichs von nun an vor, blos junge Hunde dieſer Art einzukaufen; die Al-
ten wollten ſich auch ſchlechterdings nicht zu unſerm Futter bequemen, man mogte
es anfangen wie man wollte.


In der Nacht giengen verſchiedne Blubbers (Meduſen) neben dem
Schiffe vorbey. Sie wurden durch ihr phosphoriſches Licht ſichtbar, und fun-
kelten ſo hell, daß die See glaͤnzendere Sterne zu enthalten ſchien als der Him-
mel. Meergras, Sturmvoͤgel und Albatroſſe ſahen wir taͤglich immer mehr, je
naͤher wir der Kuͤſte von Neu-Seeland kamen. Am 19ten leuchtete die See; am
20ſten verkuͤndigten uns ganze Schaaren von Sturm-Taͤuchern, (diving petrels)
daß wir nicht mehr weit vom Lande ſeyn koͤnnten, und am folgenden Morgen
[365]in den Jahren 1772 bis 1775.
um 5 Uhr, entdeckten wir die Berggipfel deſſelben. Den ganzen Tag uͤber1773.
October.

ſteuerten wir gegen die Kuͤſte hin, und um 4 Uhr Nachmittags waren wir
dem Table-Cap und Portland-Eyland*) gegenuͤber, welches letztere mit
jenem durch eine Reihe Klippen zuſammenhaͤngt. Die Kuͤſte beſtand aus
weißen, ſteilen Felſen, und wir konnten ſchon die Huͤtten und Feſtungen der
Einwohner unterſcheiden, welche wie die Adlers-Neſter oben auf den Klippen er-
bauet waren. Die Eingebohrnen liefen in ziemlicher Anzahl laͤngſt den Bergen
hin, um uns nachzuſehen. Viele ſetzten ſich auf die Landſpitze gegen Suͤden,
aber keiner gab ſich die Muͤhe, ſein Canot ins Meer zu bringen um zu uns
heran zu kommen. Wir ſeegelten zwiſchen den verborgnen Klippen und dem
Lande durch, liefen bey Hawkes-Bay voruͤber, und ſteuerten ſodann, die
Nacht uͤber, laͤngſt der Kuͤſte hin.


Am Morgen waren wir jenſeit des Cap Kidnappers und naͤherten uns
dem ſchwarzen [Cap]. Nach dem Fruͤhſtuͤck ſtießen drey Canots vom Lande,
welches in dieſer Gegend zwiſchen den Bergen und der Kuͤſte eine kleine Ebene
bildet. Da wir nicht weit vom Strande waren, ſo holten ſie uns bald ge-
nug ein. In einem derſelben, befand ſich ein vornehmer Mann, der ohne
Bedenken ſogleich aufs Verdeck kam. Er war groß, von mittlern Alter, und
hatte ein Paar gute, von hieſigem Flachs gemachte, neue Kleidungs-Stuͤcke
an. Sein Haar war nach der Landes-Art im feinſten Geſchmack aufgeſetzt,
das heißt auf der Scheitel aufgebunden, mit Oel eingeſchmiert und mit Fe-
dern beſteckt. In beyden Ohrlaͤppchen trug er ein Stuͤck Albatros-Fell, daran
noch die weißen Pflaum-Federn ſaßen, und das Geſicht war uͤber und uͤber in
krummen und gewundnen Linien punctirt. Herr Hodges zeichnete ſein Por-
trait, welches auch ſehr gut in Kupfer geſtochen iſt. Der Capitain ſchenkte die-
ſem Manne ein Stuͤck rothen Boy, etwas Garten-Geſaͤme, ein Paar Schwei-
ne und drey Paar Huͤhner. Maheine, unſer junge Reiſegefaͤhrte aus Bo-
rabora
,
der die Sprache der Neu-Seelaͤnder nicht als Tupaia, gleich
bey der erſten Unterredung, verſtehen konnte, hoͤrte nicht ſobald daß es hier
Z z 3
[366]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
weder Coco-Palmen noch Yams gebe; als er von ſeiner eignen Proviſion etliche
ſolche Nuͤſſe und Wurzeln hervorſuchte, um dem Wilden ein Geſchenk damit zu
machen. Da wir ihm aber ſagten, daß in dieſem Clima keine Cocos-Baͤume
wachſen wuͤrden, ſo gab er ihm nur die Yams und uͤberließ es uns, dem Neu-
Seelaͤnder die Nutzbarkeit dieſer fremden Lebensmittel zu erklaͤren. Wir wand-
ten auch alle Muͤhe an, ihm wenigſtens ſoviel beyzubringen, daß er die Schwei-
ne und Huͤhner zur Zucht behalten, die Wurzeln aber pflanzen muͤßte. Nach
langen Erklaͤrungen ſchien er endlich zu begreifen was wir ſagen wollten; und um
uns ſeine Dankbarkeit zu bezeugen, beraubte er ſich einer neuen Mahipeh oder
Streitaxt, die kuͤnſtlich geſchnitzt und mit Papagay-Federn, imgleichen mit
weißem Hunde-Haar ausgeziert war. Hierauf empfahl er ſich, und ſtieg wie-
der aufs Verdeck, woſelbſt ihm Capitain Cook noch etliche große Naͤgel ſchenk-
te, uͤber die er ungleich mehr Freude bezeugte denn uͤber alles andre. Er hatte
bemerkt, daß der Capitain ſie aus einem Loche in der Anker-Winde hervor-
langte, wo der Schiffſchreiber ſie zufaͤlligerweiſe hingelegt hatte. Er drehte
alſo die Winde ganz herum, und unterſuchte jedes Loch, ob nicht mehrere
darinn verborgen waͤren. Dieſer Umſtand beweißt zur Gnuͤge, daß man den
Werth des Eiſengeraͤths nunmehro vollkommen hatte einſehen lernen, ohnerachtet
es die Neu-Seelaͤnder, bey Capitain Cooks erſten Anweſenheit allhier, im
Jahr 1769, an manchen Orten kaum annehmen wolten. Zum Abſchied gaben
unſre Gaͤſte uns einen Hiwa- oder Krieges-Tanz zum beſten, der aus Stampfen
mit den Fuͤßen, drohender Schwenkung der Keulen und Speere, ſchrecklichen
Verzerrungen des Geſichts, Ausſtreckung der Zunge und wildem heulenden
Geſchrey beſtand, wobey aber durchgehends ein gewiſſer Tact beobachtet ward.
Die Art, wie ſie mit den Huͤhnern umgiengen, lies uns eben nicht viel Hoff-
nung, daß wir unſre gute Abſicht erreichen und dies Land mit zahmen Haus-
thieren wuͤrden beſetzen koͤnnen, denn es ſchien faſt, daß ſie kaum lebendig ans
Land kommen wuͤrden. Wir mußten uns alſo damit beruhigen, daß wenigſtens
von unſrer Seite alles geſchehen ſey.


Waͤhrend der Zeit, daß dieſe Wilden bey uns geweſen waren, hatte ſich
der Wind gedrehet; er blies jetzt gerade vom Lande und war uns ſehr zuwider.
Gegen Abend ſtuͤrmte es ſo heftig, daß wir uns ſcharf am Winde halten und
[367]in den Jahren 1772 bis 1775.
mehrentheils laviren mußten, um nicht zu weit von der Kuͤſte verſchlagen zu1773.
October.

werden; dabey regnete es ſo ſtark, daß man in keiner Cajuͤtte des Schiffs tro-
cken blieb; und von Zeit zu Zeit kam ein jaͤhlinger Windſtoß und riß uns die
morſchen Seegel in Stuͤcken. Hiernaͤchſt machte der Wind, der von den beſchney-
ten Bergen des Landes herabwehete, die Luft ſo empfindlich kalt, daß das Ther-
mometer am naͤchſten Morgen auf 50 Grad ſtand. Wir hatten nicht erwar-
tet, unterm 40ſten Grade ſuͤdlicher Breite ſo ſchlimm empfangen zu werden! So
ſtuͤrmiſch und brauſend indeſſen dieſer Anfang war, ſo ruhig ward es doch bald
wieder; allein, die Stille hatte kaum etliche Stunden gewaͤhrt, als der Sturm
von neuem los gieng und dieſe Nacht nicht minder als in der geſtrigen wuͤthete.
Am folgenden Morgen ließ er in ſo weit nach, daß wir wieder gegen die Kuͤſte
hinſteuern konnten, mit Einbruch der Nacht aber ward er fuͤrchterlicher als
je und die Matroſen hatten nicht einen Augenblick Ruhe. Am 24ſten Abends
ſahen wir endlich die Einfahrt von Cooks Straße, namentlich das Cap
Palliſer
vor uns, durften es aber nicht wagen, in der Dunkelheit hinein-
zuſteuern, und ehe wir am naͤchſten Morgen Anſtalt dazu machen konnten, er-
hob ſich der Sturm abermals, und ward um 9 Uhr ſo raſend, daß wir beyle-
gen, und alle Seegel, bis auf eins, einnehmen mußten. Ohnerachtet wir uns
ziemlich dicht an der Kuͤſte hielten, woſelbſt wir von den hohen Bergen haͤtten
Schutz haben ſollen; ſo rollten die Wellen gleichwohl ſo lang und ſtiegen ſo
entſetzlich hoch, daß ſie, beym Brechen, durch den Sturm voͤllig zu Dunſt
zerſtaͤubt wurden. Dieſer Waſſerſtaub breitete ſich uͤber die ganze Oberflaͤche
der See aus, und da kein Woͤlkchen am Himmel zu ſehen war, die Sonne
vielmehr hell und klar ſchien, ſo gab die ſchaͤumende See einen uͤberaus blen-
denden Anblick. Endlich ward der Wind ſo wuͤtend, daß er uns vollends das
einzige Seegel zerriß, welches wir noch aufgeſpannt zu laſſen gewagt hatten.
Nun waren wir ein vollkommnes Spiel der Wellen; ſie ſchleuderten uns
bald hier, bald dorthin, ſchlugen oft mit entſetzlicher Gewalt uͤber dem Verdeck
zuſammen und zerſchmetterten alles was ihnen im Wege war. Von dem
beſtaͤndigen Arbeiten und Werfen des Schiffs litt das Tau- und Takelwerk unge-
mein, auch die Stricke, womit Kiſten und Kaſten feſt gebunden waren, gaben
nach, und riſſen endlich los, ſo daß alles in der groͤßten [Verwirrung] vor und
[368]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
um uns her lag. Als das Schiff einmal außerordentlich ſtark rollte, riß auch
der Gewehrkaſten der auf dem Verdeck des Hintertheils befeſtigt war, los,
und ſtuͤrzte gegen das Seiten-Gelender, an welchem ſich einer unſerer jungen
Reiſegefaͤhrten, Herr Hood, ſo eben hingeſtellt hatte. Kaum blieb ihm ſo
viel Zeit uͤbrig, ſich niederzubuͤcken; doch wuͤrde auch das ihn nicht gerettet ha-
ben, wenn der Kaſten nicht ſchraͤg gegen das Gelender gefallen und unter-
halb ein hohler Zwiſchenraum geblieben waͤre, in welchem Herr Hood gluͤckli-
cherweiſe unbeſchaͤdigt blieb. So wild es aber auch mit den Elementen
durcheinander gieng, ſo waren die Voͤgel doch nicht ganz weggeſcheucht. Noch
immer ſchwebte uͤber der brauſenden aufgewuͤhlten Flaͤche der See hie und
da ein ſchwarzer Sturmvogel hin, und wußte ſich hinter den hohen Wellen,
ſehr kuͤnſtlich gegen den Sturm zu ſchirmen. Der Anblick des Oceans
war praͤchtig und fuͤrchterlich zugleich. Bald uͤberſahen wir von der Spitze
einer breiten ſchweren Welle, die unermeßliche Flaͤche des Meeres, in un-
zaͤhlbare tiefe Furchen aufgeriſſen; bald zog uns eine brechende Welle mit
ſich in ein ſchroffes fuͤrchterliches Thal herab, indeß der Wind von jener Seite
ſchon einen neuen Waſſerberg mit ſchaͤumender Spitze herbey fuͤhrte und
das Schiff damit zu bedecken drohte. Die Annaͤherung der Nacht vermehrte
dieſe Schrecken, vornemlich bey denenjenigen, die nicht von Jugend auf an
das See-Leben gewohnt waren. In des Capitains Cajuͤtte wurden
die Fenſter ausgenommen, und ſtatt derſelben Bretter-Schieber eingeſetzt, da-
mit die Wellen nicht hineindringen moͤchten. Dieſe Veraͤnderung brachte einen
Scorpion, der ſich zwiſchen dem Holzwerk eines Fenſters verborgen gehalten
hatte, aus ſeinem Lager hervor. Vermuthlich war er, auf einer von den letztern
Inſeln, unter einem Buͤndel Fruͤchte oder Wurzelwerk mit an Bord gekom-
men. Maheine verſicherte uns zwar, es ſey ein ganz unſchaͤdliches Thier,
allein der bloße Anblick deſſelben war fuͤrchterlich genug uns bange zu machen.
In den andern Cajuͤtten waren die Betten durchaus naß; doch, wenn auch das
nicht geweſen waͤre, ſo benahm uns das fuͤrchterliche Brauſen der Wellen, das
Knacken des Holzwerks, nebſt dem gewaltigen Schwanken des Schiffs ohnehin
alle Hoffnung ein Auge zuzuthun. Und um das Maaß der Schrecken voll zu ma-
chen, mußten wir noch das entſetzliche Fluchen und Schwoͤren unſrer Ma-
troſen
[369]in den Jahren 1772 bis 1775.
troſen mit anhoͤren, die oftmals Wind und Wellen uͤberſchrieen. Von Ju-1773.
October.

gend auf, zu jeder Gefahr gewoͤhnt, ließen ſie ſich auch jetzt den drohenden
Anblick derſelben nicht abhalten, die frechſten gotteslaͤſterlichſten Reden auszu-
ſtoßen. Ohne die geringſte Veranlaſſung, um derenwillen es zu entſchuldigen
geweſen waͤre, verfluchten ſie jedes Glied des Leibes in ſo mannigfaltigen und
ſonderbar zuſammengeſetzten Ausdruͤcken, daß es uͤber alle Beſchreibung geht.
Auch weis ich die fuͤrchterliche Energie ihrer Fluͤche mit nichts als dem Fluch
des Ernulphus zu vergleichen, der dem Chriſtenthum Schande macht. *) Unter-
deſſen raste der Sturm noch immer nach wie vor, als es um 2 Uhr des Mor-
gens mit einemmale aufhoͤrte zu wehen und gaͤnzlich windſtill ward. Nun
ſchleuderten die Wellen das Schiff erſt recht umher! es ſchwankte ſo gewaltig
von einer Seite zur andern, daß manchmal die mittlern Waͤnde, ja ſelbſt das
hintere Verdeck zum Theil ins Waſſer tauchte.


Nach Verlauf einer Stunde erhob ſich endlich ein friſcher, guͤnſtiger
Wind, mit welchem wir, den ganzen Tag uͤber, dem Lande wieder zu ſeegelten,
denn der Sturm hatte uns weit in die See hinaus verſchlagen. Pintaden,
ſchwarze und andre Sturmvoͤgel ſchwaͤrmten von neuem, Haufen-weiſe um
uns her, und ein Albatros, neben welchem wir vorbey fuhren, war auf ofner
See feſt eingeſchlafen, ſo ſehr mußte der vorige Sturm ihn ermuͤdet haben.


Am folgenden Tage gieng es uns an der Muͤndung von Cooks-
Straße
nicht beſſer als zuvor. Wir bekamen nemlich abermals widrigen
Wind, der, ehe es Nacht ward, in einen vollkommnen Sturm ausartete.
Eben ſo blieb das Wetter die beyden folgenden Tage faſt ohne Unterlaß. Am
29ſten fruͤh Morgens erblickte der wachthabende Officier verſchiedene Tromben
oder Waſſerhoſen, und kurz nachher hatten wir einen leichten Regen und gu-
ten Wind. Abends verloren wir das andre Schiff die Adventure aus
dem Geſichte, und bekamen es die ganze Reiſe uͤber nicht mehr zu ſehn. Der
widrige Wind der am folgenden Morgen einfiel, muß uns vollends auseinan-
der gebracht haben, denn die Adventure war ungleich weiter vom Lande
als wir, und folglich konnte der Sturm ſeine Gewalt weit mehr gegen ſie,
denn gegen uns, auslaſſen.


Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. A a a
[370]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.

Es wuͤrde unnuͤtz und langweilig ſeyn, wenn ich noch ferner der Laͤnge nach
erzaͤhlen wollte, welchergeſtalt widrige Stuͤrme und guͤnſtige Winde noch immer
mit einander abwechſelten. Genug wir wurden neun elende lange Naͤchte in der
See herumgeworfen, ohne daß Schlaf in unſre Augen kam, und wir gaben bey-
nahe alle Hoffnung auf, an dieſer Kuͤſte je wieder vor Anker zu gelangen. Endlich
erreichten wir, am 1ſten November, Cooks-Straße. Das Wetter blieb
zwar noch immer unbeſtaͤndig und ward uns von neuem zuwider, als wir
bald an das auf der nordlichen Inſel gelegene Cap Tera Witti heran waren,
doch gluͤckte es uns, am 2ten, in eine Bay einzulaufen, die wir hart unter
dieſem Vorgebirge, gegen Weſten hin, entdeckten. Die Kuͤſte beſtand daſelbſt
aus lauter fuͤrchterlichen, ſchwarzen, unfruchtbaren Bergen, die ſehr hoch, faſt
ganz ohne Holz und Buſchwerk waren, und in langen, ſpitzigen, ſaͤulenfoͤrmigen
Felſen in die See hinaus ragten. Die Bay ſelbſt ſchien tief zwiſchen den
Bergen hinein zu gehen, und ließ uns, ihrer Richtung nach, vermuthen, daß
das Land, worauf Cap Tera-Witti liegt, vielleicht eine von Eaheino-
Mauwe
getrennte Inſel ſey. So kahl und oͤde indeſſen auch dieſe Ge-
gend ausſahe, ſo war ſie doch bewohnt, denn wir lagen noch keine halbe
Stunde vor Anker, als ſchon verſchiedene Canots bey uns anlangten. Die
Leute giengen ſehr duͤrftig in alte lumpichte Maͤntel oder ſogenannte Boghi-
Boghi’s
gekleidet. Der Rauch, dem ſie in ihren niedrigen kleinen Huͤt-
ten beſtaͤndig ausgeſetzt ſind, und der Schmutz, der ſich vermuthlich von ih-
rer Jugend an, ungeſtoͤrt auf der Haut angehaͤuft hatte, machte, daß ſie
uͤber und uͤber haͤßlich gelbbraun ausſahen, und daß man von ihrer wahren
Farbe nicht urtheilen konnte. Den Winter hindurch, der eben zu Ende
gieng, mochten ſie ſich vielleicht oft mit halb verfaulten Fiſchen haben behel-
fen muͤſſen; dieſe ekelhafte Nahrung aber und das ranzige Oel, womit ſie ſich
das Haar einſchmieren, hatte ihren Ausduͤnſtungen einen ſo unertraͤglichen
Geſtank mitgetheilt, daß man ſie ſchon von weitem wittern konnte. Sie
brachten einige Fiſch-Angeln und gedoͤrrte Krebsſchwaͤnze zu Kauf, und nah-
men dagegen unſre Eiſenwaaren imgleichen Tahitiſches Tuch ſehr gierig an. Ca-
pitain Cook ſchenkte ihnen ein Paar Huͤhner, mit dem Bedeuten, daß ſie
ſolche zur Bruth beybehalten moͤchten, allein es iſt wohl ſchwerlich zu vermu-
[371]in den Jahren 1772 bis 1775.
then, daß dieſe elenden Wilden auf die zahme Viehzucht bedacht ſeyn wer-1773.
Novem-
ber.

den. Ihre Gedankenloſigkeit laͤßt vielmehr befuͤrchten, daß, ſo bald es ih-
nen einmal an Lebensmitteln fehlen ſollte, unſre armen Huͤhner wohl ohne
Bedenken werden herhalten muͤſſen. In irgend einer von den noͤrdlichſten
Bayen wuͤrde das zahme Vieh vielleicht noch ehe in Acht genommen werden,
denn dort ſind die Einwohner geſitteter, wenigſtens ſchon an die Landwirth-
ſchaft gewoͤhnt, indem ſie verſchiedene esbare Wurzeln bauen. *)


Um drey Uhr Nachmittags ward es voͤllig windſtill, kurz nachher aber
erhob ſich in der Straße ein ſuͤdlicher Wind, der nicht ſo bald das Waſſer
unruhig zu machen anfieng, als wir die Anker wiederum lichteten und die Bay
verließen; auch war es ein Gluͤck, daß wir nicht laͤnger damit gewartet hat-
ten, denn in wenig Minuten ward es ſo ſtuͤrmiſch, daß das Schiff unglaub-
lich ſchnell forttrieb; doch kamen wir bey den gefaͤhrlichen Klippen, die Bruͤ-
der
genannt, an denen ſich{[ ]}die Wellen fuͤrchterlich brachen, ohne Schaden
voruͤber, und gelangten endlich bey einbrechender Nacht, unter dem Cap
Koa-Maruh
, in Charlotten-Sund vor Anker.


Am folgenden Tage um Mittag trafen wir gluͤcklich wieder in Schip-
Cove
ein, von da wir ohngefaͤhr fuͤnf Monath zuvor ausgeſeegelt waren.
Der fruͤhen Jahreszeit wegen ließ ſich zwar nicht erwarten, daß wir jetzt ſo viel
geſunde friſche Kraͤuter finden wuͤrden als das erſtemal, dagegen aber machten
wir uns große Hoffnung hier wieder mit der Adventure zuſammen zu ſtoſ-
ſen, weshalb auch Capitain Cook einige Zeit allhier zu bleiben gedachte.


Kaum hatten wir geankert, ſo beſuchten uns verſchiedene Indianer,
die vom Fiſchen zuruͤck kamen, und was ſie gefangen hatten zum Verkauf
ausboten. Es waren einige von unſern ehemaligen Bekannten unter ihnen,
die ſehr erfreut zu ſeyn ſchienen, daß wir ſie bey Namen zu nennen wuß-
ten; vermuthlich glaubten ſie, daß wir ſehr viel Antheil an ihrer Wohlfahrt
nehmen muͤßten, weil wir uns ihrer ſo genau erinnerten. Das Wetter war
ſchoͤn und in Betracht der Jahrszeit warm zu nennen; die Neu-Seelaͤnder
erſchienen aber doch noch in ihren Winterkleidern. Wir erkundigten uns
nach dem Befinden unſrer uͤbrigen Bekannten von ihrer Nation, und erhiel-
A a a 2
[372]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
ten verſchiedentliche Nachrichten davon; unter andern erzaͤhlten ſie, daß Gu-
ba
ïa
, einer ihrer alten Befehlshaber, mit den beyden Ziegen, welche wir
in den Waͤldern bey Gras-Cove gelaſſen, eine Jagd angeſtellt, ſie geſchlach-
tet und gegeſſen habe. Dieſe Nachricht war uns hoͤchſt unangenehm, denn
auf ſolche Art durften wir uns gar keine Hoffnung machen, dies Land je mit
vierfuͤßigen Thieren beſetzt zu [ſehn].


Nachmittags beſuchten wir die Pflanzungen, die wir am Strande von
Ship-Cove, auf dem Hippah-Felſen und auf Motu-Aro angelegt hat-
ten. Die Ruͤben und faſt alle andre Wurzeln waren in Saamen geſchoſ-
ſen; der Kohl und die gelben Moͤhren ſtanden ſehr ſchoͤn, und die Peterſilie
und Zwiebeln nicht minder gut; die Erbſen und Bohnen hingegen mußten von
den Ratten verheeret worden ſeyn, denn kaum war noch eine Spur davon zu
finden. Auch die Cartoffeln waren faſt alle fort, doch ſchien es, daß ſie von
den Eingebohrnen ſelbſt waren ausgegraben worden. Der gute Zuſtand der
Gartengewaͤchſe bewieß, daß der Winter in dieſem Theile von Neu-Seeland
ſehr gelinde ſeyn muͤſſe; denn da alle vorgedachte Pflanzen bey uns nicht uͤber-
wintern, ſo kann es hier unmoͤglich hart gefroren haben. Die einlaͤndiſchen
Pflanzen waren noch ziemlich weit zuruͤck; das Laubholz und Strauchwerk
insbeſondere fieng eben erſt an auszuſchlagen, und ſtach, vermoͤge des helleren
Laubes, gegen die dunklere Farbe der immergruͤnen Baͤume, ungemein gut
ab. Der Flachs hingegen, woraus die Einwohner ihren Hanf bereiten, ſtand
ſchon in Bluͤthe; ſo auch verſchiedne andre fruͤhe Pflanzen. Wir ſammle-
ten was wir finden konnten, brachten einen großen Vorrath von Sellery und
Loͤffelkraut zuſammen, und ſchoſſen einige Waſſerhuͤhner, womit wir Abends
an Bord zuruͤck kehrten. Von allem was in der Naturgeſchichte neu war,
wurden ſogleich Zeichnungen und Beſchreibungen gemacht, vornehmlich von der
Flachspflanze (phormium tenax) als welche, ihres oͤconomiſchen Nutzens
wegen bekannter zu ſeyn verdient. Und weil es uns vorzuͤglich darum zu thun
iſt, unſern Nebenmenſchen auf alle Art und Weiſe nuͤtzlich zu werden, ſo haben
wir, auf Verlangen des Grafen Sandwich, unſre Zeichnung von dieſer Pflanze
gern dazu hergegeben, daß ſie in Kupfer geſtochen werden moͤgte.


[373]in den Jahren 1772 bis 1775.

Am folgenden Morgen kamen die Indianer in groͤßerer Anzahl und mit1773.
Novem-
ber.

mehrern Canots zu uns als Tages zuvor. Unter den neuen Ankoͤmmlingen be-
fand ſich auch der Befehlshaber Teiratuh, den wir ehemals ſchon hatten kennen
lernen, und von dem wir, bey unſrer vorigen Anweſenheit, mit einer langen Re-
de waren bewillkommt worden. Jetzt zog er ziemlich ſchlecht einher, und ſchien,
wenn ich ſo ſagen darf, en deshabillé zu ſeyn. Statt bunt geflochtner und mit Hun-
defell verbraͤmter Matten, die er vormals zu tragen pflegte, hatte er ſich ganz
einfach gekleidet, und das Haar nur ſchlechtweg in einen Zopf aufgebun-
den, ungekaͤmmt und ungeſalbt. Der Redner und Befehlshaber ſchien zu
dem Stande eines gemeinen Fiſchkraͤhmers herabgeſunken zu ſeyn; auch er-
kannten wir ihn in dieſem Aufzuge nicht gleich wieder, ſo bald wir uns aber
ſeiner Phyſiognomie erinnerten, wiederfuhr ihm alle gebuͤhrende Ehre. Man
noͤthigte ihn nemlich in die Cajuͤtte, und machte ihm ein Geſchenk von Naͤ-
geln. Das Eiſenwerk und das tahitiſche Zeug welches wir bey uns fuͤhr-
ten, waren in feinen Augen ſo wichtige Artikel, daß er und alle ſeine Be-
gleiter ohnverzuͤglich Anſtalt machten, ihren Wohnplatz in der Nachbarſchaft
aufzuſchlagen; vermuthlich um des Handels wegen immer bey der Hand zu ſeyn,
vielleicht aber auch, um deſto mehr Gelegenheit zu haben auf andere Art etwas
an ſich zu bringen. Das Schiff lag nahe am Strande, nicht weit von der Ge-
gend, wo die Waſſerfaͤſſer angefuͤllt werden ſollten. Zu dieſem Behuf war auch
ſchon ein Zelt fuͤr die Waſſerleute, ein andres fuͤr die Holzſchlaͤger, und
die Sternwarte fuͤr den Aſtronomen aufgeſchlagen. Wir giengen Vor- und
Nachmittags ans Land, mußten uns aber allemal durch ein Labyrinth von
Schlingpflanzen hindurch arbeiten, die von einem Baume zum andern uͤberge-
laufen waren. Maheine oder Ohedidi kam gemeiniglich mit ans Land und
ſtreifte in dieſen unwegſamen Waͤldern herum, ganz erſtaunt uͤber die Ver-
ſchiedenheit der Voͤgel, uͤber ihren ſchoͤnen Geſang und ihr praͤchtiges Ge-
fieder. In einem unſrer Gaͤrten, wo die Radieſe und Ruͤben in der Bluͤthe ſtan-
den, hielt ſich vorzuͤglich eine Menge kleiner Voͤgel auf, welche den Nectar-
ſaft aus den Blumen [saugten], und ſie daruͤber oft von den Stengeln riſſen. Wir
ſchoſſen verſchiedene davon und Maheine, der in ſeinem Leben noch nie eine
Flinte in Haͤnden gehabt, erlegte ſeinen Vogel beym erſten Schuſſe. Es ge-
A a a 3
[374]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
hoͤrt mit zu den koͤrperlichen Vorzuͤgen der halb civiliſirten Voͤlker, daß ihre
Sinne durchaus ſchaͤrfer ſind als die unſrigen, die durch tauſend Umſtaͤnde und
Verhaͤltniſſe der ſogenannten verfeinerten Lebensart, ſtumpf gemacht und ver-
dorben werden. Maheine gab in vorgedachtem Fall ein Beyſpiel davon
ab, und in Tahiti war es nichts neues, daß uns die Leute in dicken Baͤumen
kleine Voͤgel, oder Enten und Waſſerhuͤhner im dickſten Schilf zeigten, wo
doch keiner von uns das geringſte entdecken konnte.


Das angenehme und warme Wetter beguͤnſtigte unſre zoologiſchen
Unterſuchungen dermaaßen, daß wir gleich vom erſten Ausgang eine Menge
Voͤgel mit an Bord brachten. Ehe wir am folgenden Morgen noch Anſtalt
machten wieder ans Land zu gehen, lief von unſern dort campirenden Leuten
ſchon Klage ein, daß die Indianer in der Nacht, einen Waͤchtermantel und
einen Beutel mit Linnen, aus dem Waſſerzelt weggeſtohlen haͤtten. Da die
Bucht, in welcher die Wilden ſich aufhielten, nur durch einen Huͤgel von un-
ſerm Waſſerplatz abgeſondert, mithin ganz in der Naͤhe war, ſo begab ſich der
Capitain unverzuͤglich zu ihnen, und ſetzte ihren Anfuͤhrer Teiratuh, des Dieb-
ſtahls wegen, zur Rede. Dieſer ſchickte auch alsbald nach den geſtohlnen Sa-
chen, und lieferte ſie ohne Wiederrede zuruͤck, betheuerte aber, daß er nicht
das mindeſte davon gewußt, geſchweige denn perſoͤnlichen Antheil daran gehabt
habe. Bey dieſer Erklaͤrung ließen es unſre Leute um ſo eher bewenden, weil
ſie auf einer andern Seite wieder Vortheil von den Indianern hatten, und es
alſo nicht gern mit ihnen verderben wollten. Sie verſahen uns nemlich, fuͤr
eine Kleinigkeit an tahitiſchen Zeuge, taͤglich mit friſchen Fiſchen, die wir ſelbſt
weder ſo leicht, noch ſo reichlich zu fangen wußten. Bey dieſer Gelegenheit
fand man auch eine von den Sauen die Capitain Furneaux in Cannibal-Cove
zuruͤckgelaſſen hatte; und als Teiratuh befragt ward, wo die beyden andern
geblieben waͤren, wies er nach verſchiedenen Gegenden der Bay hin, um an-
zudeuten, daß man ſie hier und dorthin geſchlept haͤtte. Durch ſolche Tren-
nung der Thiere, die ſie als Beute unter einander theilen, hindern dieſe
rohen Leute das Fortkommen derſelben. Immer nur darauf bedacht fuͤr den
gegenwaͤrtigen Augenblick zu ſorgen, nur das dringendſte Beduͤrfniß zu be-
[375]in den Jahren 1772 bis 1775.
friedigen, vernachlaͤßigen ſie die Mittel, durch welche man ihnen einen be-1773.
Novem-
ber.

ſtaͤndigen Unterhalt zu verſchaffen und ſie gluͤcklicher zu machen wuͤnſcht!


Am 6ten Nachmittags kam, aus verſchiedenen Gegenden der Bay,
eine Menge andrer Indianer mit Fiſchen, Kleidern, Waffen u. d. g. zu uns,
und vertauſchten alle dieſe Waaren gegen tahitiſches Zeug. Abends begaben
ſie ſich, dem Schiffe gegen uͤber, in eine Bucht, zogen dort ihre Canots ans
Land, richteten Huͤtten auf, zuͤndeten Feuer an, und machten ſich ein Abend-
brodt von Fiſchen zurecht. Fruͤh am folgenden Morgen waren ſie alle fort,
ſelbſt die in Ship-Cove. Wir konnten nicht begreifen, warum ſie alle-
ſammt ſo ploͤtzlich aufgebrochen waͤren, endlich aber zeigte ſichs, daß ſie ſechs
kleine Faͤſſer, vermuthlich der eiſernen Reifen wegen, vom Waſſerplatze ent-
wandt hatten. Im Grunde haͤtten ſie nicht noͤthig gehabt ihre Zuflucht zum
Stehlen zu nehmen, denn wenn ſie uns noch einen einzigen Tag laͤnger mit
Fiſchen verſorgten, ſo bekamen ſie wenigſtens drey bis viermal ſo viel und noch
dazu brauchbareres Eiſenwerk als jetzt; unſre Leſer werden aber ſchon bey meh-
reren Gelegenheiten angemerkt haben, daß es der Neu-Seelaͤnder Sache eben
nicht ſey, ſich mit Nachdenken den Kopf zu brechen, und daß ſie, ohne ir-
gend eine Ruͤckſicht, mehr auf das Gewiſſe denn aufs Ungewiſſe rechnen. Ihre
Entfernung war uns in gegenwaͤrtigem Fall empfindlicher als der Verluſt den ſie
uns zugefuͤgt hatten, denn nun mußten wir ſelbſt fiſchen, ob wir gleich den
Strich und Stand der Fiſche ſo gut nicht kannten als die Eingebohrnen,
auch die Leute dazu nicht fuͤglich miſſen konnten. Die Matroſen hatten alle
Haͤnde voll zu thun das Schiff abzuputzen und zu kalfatern, neues Tau- und
Takelwerk aufzuſetzen, kurz alles in Ordnung zu bringen, was zu der be-
ſchwerlichen Fahrt gegen den Suͤdpol erfordert ward. Ein Theil derſelben
blieb am Lande, um die Waſſerfaͤſſer zu fuͤllen, Holz zu ſchlagen, und den
Schiffs-Zwieback durchzuſehen, der in ſehr uͤblen Umſtaͤnden war. Un-
gluͤcklicherweiſe hatte man ihn bey der Abreiſe aus Engelland in neue oder gruͤne
Faͤſſer eingepackt, wodurch er feucht und ſchimmlig geworden, ja zum Theil ganz
verfault war. Damit nun dieſes Uebel nicht noch weiter um ſich greifen moͤchte,
ward alles Brod ans Land geſchafft, das Verdorbne ſorgfaͤltig von dem Es-
[376]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
baren abgeſondert, und letzteres von neuem in einem Ofen ausgetrocknet und
aufgebacken.


Das Wetter blieb dieſe Zeit uͤber mehrentheils eben ſo ſtuͤrmiſch und
unbeſtaͤndig als es bey unſerer Annaͤherung auf dieſer Kuͤſte geweſen war.
Selten vergieng ein Tag ohne heftige Windſtoͤße und Regenguͤſſe, die von
den Bergen mit verdoppelter Gewalt herabſtuͤrzten und unſre Leute oft an der
Arbeit hinderten; dabey war die Luft gemeiniglich kalt und rauh. Das Wachs-
thum der Pflanzen gieng daher langſam von ſtatten und die Voͤgel hielten ſich nur
in ſolchen Thaͤlern auf, wo ſie gegen den kalten Suͤdwind Schutz fanden. Dieſe
Art von Witterung ſcheint auch den ganzen Winter hindurch, und weit in den
Sommer hinein, die herrſchende zu ſeyn, ohne im Winter merklich kaͤlter oder
im Sommer merklich waͤrmer zu werden. Ueberhaupt duͤnkt mich, daß alle
Inſeln, die weit von großen Laͤndern oder wenigſtens nicht nahe bey einem
kalten Lande liegen, ſtets eine ziemlich gleiche Temperatur der Luft haben
muͤſſen, woran wohl die Natur der See vornemlich Schuld ſeyn mag. Aus
den in Port-Egmont auf den Falklands-Inſeln angeſtellten Wetter-Beobach-
tungen, *) ergiebt ſich, daß die groͤßte daſelbſt bemerkte Hitze und Kaͤlte in ei-
nem ganzen Jahre nicht uͤber 30 Grad des Fahrenheitiſchen Thermometers aus-
einander iſt. Dieſer Haven liegt unterm 51ſten Grade 25 Minuten ſuͤdlicher
Breite; Ship-Cove aber, in Charlotten-Sund, liegt nur unter 41 Grad
5 Minuten ſuͤdlicher Breite. Bey einem ſo betraͤchtlichen Unterſchied der Him-
melsgegend muß zwar das Clima von Neu-Seeland, an und fuͤr ſich, gelinder
ſeyn als das Clima auf den Falklands-Inſeln; allein das thut nichts zur Sa-
che, denn wenn meine Hypotheſe von der Temperatur der Luft auf den Inſeln
richtig iſt, ſo muß ſie fuͤr alle Polhoͤhen gelten. Ueberdem duͤrfte zwiſchen dem
Clima von Neu-Seeland und den Falklands-Inſeln, der Unterſchied auch
wohl ſo betraͤchtlich nicht ſeyn, als man, nach der Lage beyder Laͤnder, vielleicht
urtheilen ſollte; wenigſtens ſind in Neu-Seeland die Berge uͤberaus hoch und
zum Theil das ganze Jahr hindurch mit Schnee bedeckt, welches die Luft be-
kann-
[377]in den Jahren 1772 bis 1775.
kanntermaßen ſehr kalt macht. Es wuͤrde mich daher nicht wundern, wenn es1773.
Novem-
ber.

hier faſt eben ſo kalt waͤre als auf den Falklands-Inſeln, die zwar 10 Grad
weiter nach dem Pol hin liegen, dagegen aber ungleich flacher und nie-
driger ſind.


So raub indeſſen die [Witterung] auch war, ſo ließen ſich doch die Einge-
bohrnen dadurch nicht abhalten, in dieſem weitlaͤuftigen Sunde herum zu ſtrei-
fen. Nachdem wir drey ganzer Tage von ihnen verlaſſen geweſen waren, kam
am 9ten dieſes wiederum eine Parthey in dreyen Canots zu uns, wovon das
eine am Hintertheile ſehr kuͤnſtlich mit erhobner und durchbrochener Arbeit
verziert war. Sie verkauften uns einige Merkwuͤrdigkeiten und begaben ſich
ſodann, dem Schiffe gegen uͤber, an Land. Am folgenden Tage ſtießen noch
zwey Canots zu ihnen, darinn ſich unſer Freund Towahangha mit ſeiner gan-
zen Familie befand. Als ein alter Bekannter ſaͤumte er nicht uns zu beſuchen,
und brachte ſeinen Sohn Khoaàh, imgleichen ſeine Tochter Ko-parrih mit an
Bord. Wir kauften ihm eine Menge gruͤner Nephritiſchen Steine ab, die
zu Meißeln und Aexten geſchliffen waren, und fuͤhrten ihn ſodann in die Ca-
juͤtte wo er vom Capitain Cook allerhand Sachen, der kleine Junge aber ein
Hemde zum Geſchenk bekam. Kaum hatte man dem Knaben ſeinen neuen Staat an-
gezogen, als er fuͤr Freuden gleichſam außer ſich kam, und mit guten Worten ſchlech-
terdings nicht laͤnger in der Cajuͤtte zu behalten war. Er wollte vor ſeinen Lands-
leuten auf dem Verdeck paradiren, und um des Plagens los zu ſeyn, muß-
ten wir ihm ſeinen Willen laſſen. Dieſe kleine Eitelkeit kam ihm aber theuer
zu ſtehn. Ein alter Ziegenbock der, zum großen Mißvergnuͤgen der Neu-Seelaͤn-
der, die ſich vor ihm fuͤrchteten, ebenfalls auf dem Verdeck ſeinen Stand hatte,
ſchien uͤber die laͤcherliche Geſtalt des armen Khoaàh, der ſich in dem weit-
laͤuftigen Hemde nicht finden konnte, und doch, mit ſo vielem Wohlgefallen uͤber
ſich ſelbſt, ſo poßierlich herumgaukelte, boͤſe zu werden; denn er ſprang ihm ganz
ergrimmt in den Weg, hob ſich auf den Hinterfuͤßen, zielte und ſties mit gan-
zer Gewalt den armen Jungen zu Boden, daß er alle viere von ſich ſtreckte.
Vom Schreck betaͤubt oder vielleicht beſorgt an ſeinem neuen Staat etwas zu
verderben, wagte ers nicht ſich wieder aufzuraffen und davon zu laufen, ſondern
begnuͤgte ſich aus Leibeskraͤften zu ſchreyen: Dadurch aber ward ſein baͤrtiger
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. B b b
[378]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
Widerſacher ſo boͤſe, daß er von neuen Mine machte ihm eins zu verſetzen,
welches den Ritter der traurigen Geſtalt vielleicht auf immer zum Schweigen
gebracht haben wuͤrde, wenn unſre Leute nicht dazwiſchen gekommen waͤren. Man
half dem Knaben wieder auf die Beine, allein Hemd, Geſicht und Haͤnde war
alles gleich ſchmutzig. In dieſer klaͤglichen Verfaſſung kam er nun, fuͤr ſeine
Eitelkeit ſehr gedemuͤthigt, in vollem Heulen nach der Cajuͤtte zuruͤck, und klagte
ſeinem Vater was ihm fuͤr ein Ungluͤck begegnet; allein dieſer, ſtatt Mitleid
mit dem armen Schelm zu haben, ward vielmehr zornig, und gab ihm, zur
Strafe ſeiner Thorheit, noch einige derbe Schlaͤge, ehe wir uns ins Mittel
legen und ſie beyderſeits wieder zufrieden ſprechen konnten. Das Hemd ward
wieder rein gemacht, und er ſelbſt uͤber und uͤber gewaſchen, welches ihm
vielleicht ſein Lebelang noch nicht wiederfahren ſeyn mochte. Nunmehr war
alles wieder gut, der Vater aber, der fuͤr einen neuen Unſtern nicht ſicher ſeyn
mogte, rollte das Hemd ſorgfaͤltig zuſammen, nahm ſein eignes Kleid ab und
machte aus beyden ein Buͤndel, worinn er alle Geſchenke zuſammen packte die
wir ihm und ſeinem Sohn gegeben hatten.


An dieſem und dem folgenden Tage, die beyde regnigt waren, fuhren
die Einwohner noch immer fort, uns Merkwuͤrdigkeiten und Fiſche zu verkau-
fen. Am 12ten Morgens, da ſich das Wetter wieder aufgeklaͤrt hatte, gieng
ich, nebſt Dr. Sparrmann und meinem Vater nach Indian-Cove. Wir
trafen aber keinen von den Eingebohrnen daſelbſt an, und giengen deshalb auf
einem Fusſteige weiter, der uns durch den Wald einen ziemlich hohen und ſteilen
Berg hinan brachte, vermittelſt deſſen Indien- und Shag-Cove von einander
abgeſondert ſind. Dieſer Fusſteig ſchien blos des vielen Farrnkrautes wegen
angelegt zu ſeyn, welches ſich auf der Hoͤhe des Berges findet, und wovon
die Wurzel den Neu-Seelaͤndern zur Nahrung dient. In der unterſten Gegend,
woſelbſt der Pfad am ſteilſten war, hatte man ordentliche Stuffen gemacht und
ſolche mit Schiefer ausgelegt; weiter hinauf aber mußten wir uns, durch die in
einander gewachſnen Schlingpflanzen, erſt einen Weg bahnen. An der Suͤd-
ſeite war der Berg von oben bis unten, auf den uͤbrigen Seiten aber nur bis
zur Haͤlfte mit Waldung, und jenſeits derſelben, nach dem Gipfel hin, mit nie-
drigem Strauchwerk und Farrnkraut bewachſen, ob wohl vom Schiff her die
[379]in den Jahren 1772 bis 1775.
ganze obere Gegend kahl und nackend ausſahe. Auf dieſer Hoͤhe ſproßten1773.
Novem-
ber.

verſchiedne Pflanzen, die in Dusky-Bay nur in den Thaͤlern und an der
Kuͤſte wuchſen, woraus man abnehmen kann, um wie viel rauher das Clima
in jenem Theile von Neu-Seeland iſt, denn in dieſer Gegend. Der ganze
Berg beſtand bis oben hinauf aus ſolchem Talk-Thon als man hier uͤberall
haͤufig findet, und der, wenn er zu Stein erhaͤrtet, durch Luft und Wetter
in ſchieferichte Blaͤtter zerfaͤllt. Dieſe Steinart iſt weißlicht, graulicht, zu-
weilen auch von Eiſentheilchen gelb-roth gefaͤrbt. Von dem Gipfel aus hatten
wir eine große und ſchoͤne Ausſicht. Eaſt-Bay (Oſt-Bay) lag, als ein klei-
ner Fiſchteich, gleichſam unter unſern Fuͤßen, und außerhalb der Straße konnte
man bis nach dem Cap Tera-witti hinſehen. Suͤdwaͤrts war die Gegend
uͤberall rauh und wild, indem man, ſo weit das Auge reichte, nichts als hohe
mit Schnee bedeckte Gebuͤrge erblickte. Um ein Merkmahl von unſrer An-
weſenheit zuruͤck zu laſſen, legten wir ein Feuer an und ließen einen Theil des
Geſtraͤuchs niederbrennen. Am folgenden Morgen giengen wir nach Long-
Eyland
,
woſelbſt es eine Menge Pflanzen und verſchiedne Voͤgel gab, die uns
neu waren. In dem gegen Oſten gelegenen Walde hoͤrten wir die Sturmvoͤ-
gel (petrels) in ihren Hoͤhlen unter der Erde, zum Theil als Froͤſche quaͤken,
zum Theil als Huͤhner kakeln. Vermuthlich waren es ſogenannte Sturm-Taͤu-
cher (diving petrels,) denn das ganze Geſchlecht der Sturmvoͤgel ſcheint unter
der Erde zu niſten, wenigſtens hatten wir die blaue und ſilberfarbne Art, in
Dusky-Bay, ebenfalls in dergleichen unterirdiſchen Hoͤhlen angetroffen.


Seit dem 13ten war das Wetter gelind und ſchoͤn. Die Indianer, die
ihre Wohnhuͤtten dem Schiffe gegenuͤber aufgeſchlagen hatten, verſahen uns
noch immer reichlich mit Fiſchen, ſo wie auch unſre Seeleute ihre Galanterien
mit den hieſigen Frauensperſonen noch immer fortſetzten, ohnerachtet nur eine
einzige derſelben ertraͤgliche und etwas ſanfte Geſichtszuͤge hatte. Dieſes Maͤd-
chen war von ihren Eltern einem unſrer jungen Reiſegefaͤhrten, der ſich hier
durchgaͤngige Liebe erworben, ordentlich zur Frau uͤberlaſſen. Er hatte ſich
nemlich beſonders viel mit den Leuten zu thun gemacht, und bey jeder Gelegen-
heit Zuneigung fuͤr ſie blicken laſſen, welches ſelbſt unter den Wilden weder un-
bemerkt noch unerwiedert bleibt. Toghiri, ſo hies das Maͤdchen, war ihrem
B b b 2
[380]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
Manne eben ſo treu und ergeben, als ob er ein Neu-Seelaͤnder geweſen waͤre.
Sie verwarf die Antraͤge andrer Seeleute, mit dem Ausdruck, ſie ſey eine ver-
heirathete Perſon (tirra-tàne.) So gern aber der Englaͤnder ſie auch leiden
mogte, ſo brachte er ſie doch nie an Bord, und in der That waͤre dort, fuͤr die
zahlreiche Geſellſchaft die auf ihren Kleidern und in den Haaren haufenweiſe
herumkroch, nicht fuͤglich Platz geweſen. Er beſuchte ſie alſo nur den Tag uͤber,
am Lande, und trug ihr gemeiniglich den ausrangirten verdorbnen Schiffszwie-
back zu, den ſie und ihre Landesleute immer noch als einen Leckerbiſſen mit
großer Begierde verzehrten. Maheine von Borabora, unſer indianiſcher
Reiſegefaͤhrte, war in ſeinem Vaterlande ſo ſehr gewoͤhnt, jedem Ruf der Na-
tur zu folgen, daß er gar kein Bedenken trug, ihrer Stimme auch in Neu-
Seeland
Gehoͤr zu geben. Er ſahe freylich wohl, daß die Frauensperſonen
hier weder ſo ſchoͤn noch ſo artig waren als in ſeinem Vaterlande; allein die Staͤrke
des Inſtincts brachte ſeine Delicateſſe zum Schweigen und das iſt wohl um ſo we-
niger zu verwundern, da es die geſittetern Europaͤer ſelbſt nicht beſſer machten.
In jedem andern Betracht waren ſeine Geſinnungen und ſein Betragen gegen
die Neu-Seelaͤnder deſto untadelhafter. Er bemerkte ganz richtig, daß ſie
weit uͤbler dran waͤren, als die Bewohner der tropiſchen Inſeln, und wenn er
uns vergleichungsweiſe die Vortheile herrechnete, welche dieſe vor jenen voraus
haͤtten; ſo unterließ er niemals ſie deshalb herzlich zu bedauren. Wie ernſtlich er
es hierinn meynte, das zeigte er auch bey allen Gelegenheiten durch die That.
So theilte er z. B. den Leuten die uns am Cap Blake beſuchten, aus ſeinem
eignen Vorrath, Yamwurzeln mit, und wenn der Capitain ausgieng, um ein
Stuͤck Land zu beſaͤen oder zu bepflanzen, ſo war er allemal als ein treuer Gehuͤlfe
dabey zugegen. Ihre Sprache verſtand er zwar nicht genugſam, um ſich ſo gelaͤu-
fig mit ihnen unterreden zu koͤnnen, als vom Tupaia erzaͤhlt wird; doch begrif er
bald mehr von derſelben, als irgend ſonſt einer an Bord, und dazu war ihm na-
tuͤrlicherweiſe die Analogie mit ſeiner Mutterſprache ſehr behuͤlflich. Wir ſelbſt
verſtanden jetzt, nachdem wir uns eine Zeitlang in den tropiſchen Inſeln aufge-
halten hatten, den Neu-Seelaͤndiſchen Dialect weit beſſer als zuvor, denn er
hat ungemein viel Aehnlichkeit mit der Sprache auf den freundſchaftlichen In-
ſeln
, von denen wir ſo eben herkamen. Dergleichen kleine Umſtaͤnde verdienen
[381]in den Jahren 1772 bis 1775.
deshalb angezeigt zu werden, weil ſich daraus vielleicht am erſten errathen laͤßt,1773.
Novem-
ber.

von woher das ſo weit gen Suͤden gelegene Neu-Seeland mag bevoͤlkert wor-
den ſeyn?


Da das Wetter bis zum 14ten Abends gut blieb, ſo verfuͤgte ſich der
Capitain und mein Vater auf die Sternwarte ans Land, um die Emerſion eines
Jupiters-Trabanten zu beobachten. Nach dem Reſultat vieler Obſervationen,
die von unſerm genauen und unermuͤdeten Aſtronom, Herrn W. Wales, zu
verſchiedenen Zeiten angeſtellt worden, iſt Charlotten-Sund 174°. 25′. oͤſt-
licher Laͤnge von Greenwich.


Am folgenden Morgen begleiteten wir den Capitain nach Eaſt Bay, wo-
ſelbſt an verſchiedenen Stellen etliche einzelne Familien von Indianern wohn-
ten. Sie nahmen uns durchgehends ſehr freundſchaftlich auf; ſchenkten uns
Fiſche, das Beſte, was ſie geben konnten, und verkauften uns, gegen Eiſen
und Tahitiſches Zeug, verſchiedne ſolcher großen Fiſcher-Netze, als in den Nach-
richten unſrer Vorgaͤnger ſchon beſchrieben worden. Am hinterſten Ende der
Bay, beſtiegen wir eben denſelben Berg, den Capitain Cook auf ſeiner er-
ſten Reiſe auch beſucht hatte, *) und von deſſen Gipfel wir uns in der offnen See,
nach der Adventure umſehen wollten. Als wir aber hinauf kamen, war es
ſo nebligt auf dem Waſſer, daß man kaum 2 bis 3 See-Meilen weit vor ſich hin
ſehen konnte. Das vom Capitain Cook ehemals allhier errichtete Monument,
welches aus einem Haufen zuſammengeworfner Steine beſtanden hatte, worun-
ter etliche Muͤnzen, Kugeln ꝛc. und dergleichen Sachen waren vergraben wor-
den, lag jetzt ganz zerſtoͤrt. Vermuthlich hatten die Wilden hier einen Schatz
von europaͤiſchen Waaren zu finden geglaubt. Am Fuße des Berges kamen
uns etliche Indianer entgegen, denen wir allerhand Waffen, Hausgeraͤth und
Kleider abkauften. Sonderbar iſt es, daß dem Capitain auf eben dieſer Stelle
ehemals ein gleiches begegnete. Nachmittags probirten wirs mit unſern neu-
gekauften Netzen zu fiſchen und der Verſuch lief ziemlich gluͤcklich ab. Sie waren
von geſpaltnen oder gerißnen Blaͤttern, der getrockneten und alsdenn geklopften
Flachspflanze verfertigt, deren ich ſchon mehrmals erwaͤhnt habe. Der Hanf
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[382]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
oder Flachs der davon faͤllt, iſt außerordentlich ſtark, und, ſo wenig ſich auch
die Neu-Seelaͤnder auf die Zubereitung deſſelben verſtehen, gleichwohl ſehr
glaͤnzend und dabey ungemein weich; wir haben etwas davon in England
umarbeiten und gehoͤrig zubereiten laſſen, welches faſt voͤllig ſo glaͤnzend als
Seide geworden iſt. Dieſe Pflanze kommt in jeder Art von Boden fort, erfor-
dert auch faſt gar keine Wartung oder Cultur, und kann, weil ſie perennirend oder
uͤberwinternd iſt, alle Jahr bis auf die Wurzel abgeſchnitten werden.


Wir brachten am 17ten faſt den ganzen Morgen mit Abhauung vieler ho-
hen Baͤume zu, von welchen wir gern die Bluͤthen gehabt haͤtten; aber alle an-
gewandte Muͤhe war vergebens, denn wenn wir gleich einen Stamm abgehauen
hatten, ſo fiel der Baum doch nicht, ſondern blieb in tauſend Schlingpflanzen,
die ihn von unten bis oben umwunden und den Gipfel an andere Baͤume
feſtgeſchlungen hatten, gleichſam ſchwebend haͤngen. Die drey folgenden Tage
regnete es ſo heftig, daß wir an Bord bleiben mußten; es ließ ſich auch dieſe
ganze Zeit uͤber nicht ein einziger Wilder ſehen.


Am 21ſten des Morgens kamen zwey Canots mit Frauensperſonen an
das Schiff. Dieſe gaben uns zu verſtehen, daß ihre Maͤnner gegen eine an-
dre Parthey zu Felde gezogen, und daß ſie wegen derſelben gar ſehr beſorgt
waͤren. So viel ſich aus den Zeichen urtheilen ließ, wodurch ſie uns die
Gegend anzudeuten ſuchten, nach welcher ihre Maͤnner hingegangen waren,
mußten die Feinde irgendwo in der Admiralitaͤts-Bay wohnen.


Da am 22ſten das Wetter ſchoͤn und gelinde war, ſo begleiteten wir
den Capitain nach Weſt-Bay, um dort, in dem tiefſten und entlegenſten Win-
kel des Waldes, zwey Sauen nebſt einem Eber, imgleichen drey Haͤhne und zwey
Hennen in die Wildniß auszuſetzen. Dieſe Gegend iſt ſumpfig, und wird,
allem Anſehen nach, von den Einwohnern nicht ſonderlich beſucht; wir hoff-
ten daher, daß dieſe Thiere ſich hier ungeſtoͤhrt wuͤrden vermehren koͤnnen, zumal
da wir unſer Geſchaͤft ganz unbemerkt ausgefuͤhrt hatten. Es war uns nemlich
nur am Eingange der Bay ein einziges Canot mit etlichen wenigen Indianern
begegnet, und dieſe konnten wohl ohne Zweifel nicht errathen, daß wir einer
ſo beſondern Abſicht wegen hieher gekommen waͤren. Sollte alſo, vermittelſt
dieſer Anlage, die ſuͤdliche Inſel von Neu-Seeland dereinſt mit Schweinen und
[383]in den Jahren 1772 bis 1775.
Huͤhnern verſehen werden; ſo wird ſolches lediglich der Vorſicht zuzuſchreiben1773.
Novem-
ber.

ſeyn, daß dieſe wenigen Zuchtthiere hier ſo ſorgfaͤltig verſteckt worden.


Als wir wieder auf dem Schiffe eintrafen, kamen ſieben oder acht Ca-
nots von Norden hergerudert; ein Theil derſelben ſtach, ohne ſich im mindeſten
um uns zu bekuͤmmern, geradenweges nach Indian-Cove uͤber. Die an-
dern kamen zu uns an Bord, und brachten eine große Menge von Kleidern und
Waffen zum Verkauf. Dieſe Leute waren ſo ſtattlich geſchmuͤckt als wir, ſeit un-
ſerm diesmaligen Aufenthalt in Charlotten-Sund, noch keine geſehn hatten.
Sie hatten ſich das Haar ſehr nett aufgebunden, und die Backen roth ge-
ſchminkt. Alle dieſe Umſtaͤnde ſtimmten leyder nur gar zu wohl mit der Nach-
richt uͤberein, welche wir den Tag zuvor von den Weibern erhalten hatten; denn
die Wilden pflegen ſich mit ihren beſten Kleidern zu putzen, wenn ſie gegen den
Feind gehen. Ich fuͤrchte, wir ſelbſt hatten Schuld daran, daß ihre un-
ſeligen Zwiſtigkeiten mit andern Staͤmmen wieder rege geworden waren:
denn unſre Leute begnuͤgten ſich nicht, von ihren Bekannten unter den India-
nern, ſo viel ſteinerne Aexte, Pattu-Pattuhs, Streit-Kolben, Kleider, gruͤne
Steine und Fiſchangeln ꝛc. aufzukaufen, als dieſe im Vermoͤgen hatten; ſon-
dern ſie verlangten immer mehrere, und ſuchten die armen Leute, durch Vorzei-
gung ganzer Ballen von Tahitiſchem Zeuge, anzulocken, daß ſie noch ferner
Waffen und Hausgeraͤth herbeyſchaffen moͤchten. Wenn ſich aber die Neu-
Seelaͤnder, wie wohl zu vermuthen ſteht, durch ſolche Verſuchungen hinreißen
ließen; ſo werden ſie auch wohl geſucht haben, ſich das, woran es ihnen fehlte,
auf die leichteſte und ſchnellſte Art zu verſchaffen, und dieſes Mittel mag viel-
leicht in Beraubung ihrer Nachbarn beſtanden haben. Der große Vorrath
von Waffen, Putz und Kleidern, mit welchem ſie jetzt zu Markt kamen, ließ aller-
dings vermuthen, daß ſie einen Streich von dieſer Art ausgefuͤhrt hatten, und
das wird ſchwerlich ohne Blutvergießen abgelaufen ſeyn.


Am folgenden Morgen ſahen wir, daß die Wilden am Waſſerplatze zum
Fruͤhſtuͤck Wurzeln aßen, die ſie vorher zubereitet hatten. Herr Whitehouſe,
einer der erſten Unter-Officiers brachte von dieſem Gericht etwas an Bord,
und man fand, daß es faſt von beſſerm Geſchmack war als unſre Ruͤben. Mein
Vater gieng alſo mit ihm ans Land, kaufte den Indianern ein Paar ſolcher Wur-
[384]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
zeln ab, und bewog zween derſelben ihn nebſt Herrn Whitehouſe in den Wald
zu begleiten, und ſie die Pflanze kennen zu lehren, von welcher dieſe Wurzel
koͤmmt. Im voͤlligen Vertrauen auf die Rechtſchaffenheit ihrer wilden Fuͤhrer,
folgten ſie denſelben ganz unbewafnet; nachdem ſie ein gut Stuͤck Weges mit
einander gegangen waren, zeigten ihnen jene eine Art von Farrenbaum, der
hier zu Lande Mamaghu genannt wird, mit dem Bedeuten, daß eben dieſer
die vorgedachte esbare Wurzel liefere. Sie lehreten ſie auch den Unterſchied
zwiſchen dem Mamaghu und dem Ponga, welches ein anderer Baum iſt, der
jenem ſehr aͤhnlich ſiehet, deſſen Wurzel aber nicht zu genießen iſt. Beyde
gehoͤren zum Geſchlecht der Farrnbaͤume. Bey erſterem iſt der innere Theil des
Holzes, oder das Herz des Stammes, eine weiche pulpoͤſe Subſtanz, die beym
Durchſchneiden einen roͤthlichen klebrichten Saft von ſich gab, der ungemein viel
Aehnlichkeit mit dem Sago hatte. Im Grunde iſt auch der wahre Sago-
baum
ſelbſt nichts anders als eine Art von Farrenbaum. Die gute eßbare
Wurzel des Mamaghu muß aber nicht mit der Wurzel des Farrenkrauts
(acroſtichum furcatum Linnaei) verwechſelt werden, denn letztere, die der
Neu-Seelaͤnder gewoͤhnlichſte Speiſe zu ſeyn pflegt, iſt faſt durchaus holzig
und weder ſchmackhaft noch naͤhrend. Die Einwohner braten ſie eine Weile
uͤber dem Feuer und ſchlagen oder quetſchen ſie hierauf zwiſchen zween Steinen
oder zwey Stuͤcken Holz, um aus dieſer muͤrbe geklopften Maſſe ein wenig Saft
ausſaugen zu koͤnnen; das uͤbrigbleibende ſind trockne Faſern, die alsdenn
weggeworfen werden. Die Mamaghu-Wurzel hingegen giebt ein ziemlich
gutes Eſſen ab; nur Schade, daß ſie nicht haͤufig genug anzutreffen iſt, um ein
taͤgliches, beſtaͤndiges Nahrungsmittel abzugeben. Als mein Vater mit ſeinen
Begleitern aus dem Walde zuruͤck kam, hatte er Gelegenheit zu bemerken, wie
roh die Sitten dieſer Wilden ſind. Ein Junge von ohngefaͤhr ſechs bis ſieben
Jahren, verlangte von ſeiner Mutter ein Stuͤck von einem gebratnen Pinguin,
welches ſie in Haͤnden hatte, und da ſie ihm nicht gleich zu Gefallen war, ergrif
er einen großen Stein und warf nach ihr. Sie lief auf ihn zu, um dieſe Unge-
zogenheit zu ahnden, kaum aber hatte ſie ihm einen Schlag gegeben, als ihr
Mann hervorſprang, ſie zu Boden warf und unbarmherzig pruͤgelte. Unſre
am Waſſerplatz campirenden Leute erzaͤhlten meinem Vater, ſie waͤren von der-
gleichen
[385]in den Jahren 1772 bis 1775.
gleichen Grauſamkeiten vielfaͤltig Zeugen geweſen und haͤtten mehr denn ein-1773.
Novem-
ber.

mal geſehen, daß, auch die Kinder ſogar, Hand an ihre ungluͤcklichen Muͤtter leg-
ten und ſolche in Gegenwart des Vaters ſchluͤgen, der gleichſam nur Acht
gaͤbe, ob ſich jene etwa wehren oder wiederſetzen wuͤrden. Zwar pflegen faſt
alle wilde Voͤlker, in ſo fern ſie blos das Recht des Staͤrkern unter ſich gelten
laſſen, ihre Weiber durchgehends als Sclavinnen anzuſehn, die den Maͤnnern
Kleider verfertigen, Huͤtten bauen, Speiſen kochen und zutragen, und bey aller
ihrer Dienſtbarkeit doch noch mit der haͤrteſten Begegnung vorlieb nehmen muͤſ-
ſen: Allein in Neu-Seeland ſcheint dieſe Tyranney viel weiter getrieben zu ſeyn,
denn ſonſt irgend wo. Die Mannsperſonen werden daſelbſt von Kindheit auf ordent-
lich dazu angehalten, daß ſie ihre Muͤtter gegen alle Grundſaͤtze der Sittlichkeit ver-
achten muͤſſen. Ich will mich indeſſen uͤber dieſe Barbarey nicht weiter heraus-
laſſen, um die Vorfaͤlle des heutigen Tages vollends zu erzaͤhlen, als welche
uns, uͤber die Verfaſſung der Neu-Seelaͤnder, noch manchen Aufſchluß gaben.
Der Capitain, nebſt Herrn Wales und meinem Vater, ließen ſich am Nachmit-
tage nach Motu-Aro uͤberſetzen, um die Pflanz-Gaͤrten zu beſehen und Kraͤu-
terwerk fuͤr das Schiff einzuſammlen, indeß verſchiedne von den Lieutenants
nach Indian Cove giengen, um mit den dortigen Indianern Handel zu trei-
ben. Das erſte, was dieſen hier in die Augen fiel, waren die Eingeweide
eines Menſchen, die nahe am Waſſer auf einem Haufen geſchuͤttet lagen. Kaum
hatten ſie ſich von der erſten Beſtuͤrzung uͤber dieſen Anblick erholt, als ihnen
die Indianer verſchiedne Stuͤcke vom Coͤrper ſelbſt vorzeigten, und mit Worten
und Gebehrden zu verſtehen gaben, daß ſie das uͤbrige gefreſſen haͤtten. Unter
den vorhandenen Gliedmaaßen war auch noch der Kopf befindlich, und nach die-
ſem zu urtheilen, mußte der Erſchlagne ein Juͤngling von funfzehn bis ſech-
zehn Jahren geweſen ſeyn. Die untere Kinnlade fehlte, und uͤber dem einen
Auge war der Hirnſchedel, vermuthlich mit einem Paͤttu-Paͤttu, eingeſchlagen.
Unſre Leute fragten die Neu-Seelaͤnder, wo ſie dieſen Coͤrper her haͤt
ten? worauf jene antworteten, daß ſie ihren Feinden ein Treffen geliefert, und
verſchiedne derſelben getoͤdtet, von den Erſchlagnen aber nur allein den Leichnam
dieſes Juͤnglings mit ſich haͤtten fortbringen koͤnnen. Sie ſetzten hinzu, daß
auch von ihrer Parthey verſchiedne umgekommen waͤren und zeigten zu gleicher
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. C c c
[386]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
Zeit auf einige ſeitwaͤrts ſitzende Weiber, die laut wehklagten und ſich zum
Andenken der Gebliebnen die Stirn mit ſcharfen Steinen verwundeten. Was
wir alſo von den Zwiſtigkeiten der Indianer bisher nur blos vermuthet hatten,
das fanden wir jetzt durch den Augenſchein beſtaͤtigt, und allem Anſchein nach, war
die Muthmaßung, daß wir ſelbſt zu dieſem Unheil Gelegenheit gegeben haͤtten,
nicht minder gegruͤndet. Hiernaͤchſt blieb uns nun auch kein Zweifel mehr uͤbrig,
die Neu-Seelaͤnder fuͤr wuͤrkliche Menſchenfreſſer zu halten. Herr Pickers-
gill
wuͤnſchte den Kopf an ſich zu kaufen, und ſolchen zum Andenken dieſer
Reiſe mit nach England zu nehmen. Er both alſo einen Nagel dafuͤr und erhielt
ihn, um dieſen Preiß, ohne das mindeſte Bedenken. *) Als er mit ſei-
ner Geſellſchaft an Bord zuruͤck kam, ſtellte er ihn, oben auf das Gelaͤnder des
Verdecks, zur Schau hin. Indem wir noch alle darum her waren ihn zu betrach-
ten, kamen einige Neu-Seelaͤnder vom Waſſerplatze zu uns. So bald ſie des
Kopfes anſichtig wurden, bezeugten ſie ein großes Verlangen nach demſelben,
und gaben durch Zeichen deutlich zu verſtehen, daß das Fleiſch von vortreflichem
Geſchmack ſey. Den ganzen Kopf wollte Herr Pickersgill nicht fahren laſſen,
doch erbot er ſich ihnen ein Stuͤck von der Backe mitzutheilen, und es ſchien als
freuten ſie ſich darauf. Er ſchnitt es auch wuͤrklich ab und reichte es ihnen;
ſie wolltens aber nicht roh eſſen, ſondern gar gemacht haben. Man ließ
alſo das Stuͤck in unſrer aller Gegenwart ein wenig uͤber dem Feuer
braten, worauf es die Neu-Seelaͤnder vor unſern Augen mit der
groͤßten Gierigkeit verſchlungen. Nicht lange nachher kam der Capitain
mit ſeiner Geſellſchaft an Bord zuruͤck, und da auch dieſe Verlangen trugen,
eine ſo ungewoͤhnliche Sache mit anzuſehen, ſo wiederholten die Neu-Seelaͤnder
das Experiment noch einmal in Gegenwart der ganzen Schiffsgeſellſchaft. Die-
ſer Anblick brachte bey allen denen die zugegen waren, ſonderbare und ſehr verſchie-
dne Wuͤrkungen hervor. Einige ſchienen, dem Eckel zum Trotze, der uns durch die
Erziehung gegen Menſchenfleiſch beygebracht worden, faſt Luſt zu haben mit an-
zubeißen, und glaubten etwas ſehr witziges zu ſagen, wenn ſie die Neu-Seelaͤn-
diſchen Kriege fuͤr Menſchen-Jagden ausgaben. Andre hingegen waren unver-
nuͤnftigerweiſe auf die Menſchenfreſſer ſo erbittert, daß ſie die Neu-Seelaͤnder alle
[387]in den Jahren 1772 bis 1775.
todt zu ſchießen wuͤnſchten, gerade als ob ſie Recht haͤtten uͤber das Leben eines1773.
Novem-
ber.

Volks zu gebieten, deſſen Handlungen gar nicht vor ihren Richterſtuhl ge-
hoͤrten! Einigen war der Anblick ſo gut als ein Brechpulver. Die uͤbrigen be-
gnuͤgten ſich, dieſe Barbarey eine Entehrung der menſchlichen Natur zu nennen,
und es zu beklagen, daß das edelſte der Geſchoͤpfe dem Thiere ſo aͤhnlich werden
koͤnne! Nur allein Maheine, der junge Menſch von den Societaͤts-Inſeln, zeigte
bey dieſem Vorfall mehr wahre Empfindſamkeit als die andern alle. Geboren
und erzogen in einem Lande, deſſen Einwohner ſich bereits der Barbarey entriſſen
haben und in geſellſchaftliche Verbindungen getreten ſind, erregte dieſe Scene
den heftigſten Abſcheu bey ihm. Er wandte die Augen von dem graͤßlichen
Schauſpiel weg, und floh nach der Cajuͤtte, um ſeinem Herzen Luft zu machen.
Wir fanden ihn daſelbſt in Thraͤnen, die von ſeiner inneren Ruͤhrung das un-
verfaͤlſchteſte Zeugniß ablegten. Auf unſer Befragen, erfuhren wir, daß er
uͤber die ungluͤckſeligen Eltern des armen Schlacht-Opfers weine! Dieſe Wen-
dung ſeiner Betrachtungen machte ſeinem Herzen Ehre; dann man ſahe dar-
aus, daß er fuͤr die zaͤrtlichſten Pflichten der Geſellſchaft ein lebhaftes inniges
Gefuͤhl haben und gegen ſeine Nebenmenſchen uͤberaus gut geſinnt ſeyn mußte.
Er war ſo ſchmerzlich geruͤhrt, daß einige Stunden vergiengen, ehe er ſich
wieder beruhigen konnte, und auch in der Folge ſprach er von dieſem Vorfall
nie ohne heftige Gemuͤthsbewegung. Philoſophen, die den Menſchen nur von
ihrer Studierſtube her kennen, haben dreiſt weg behauptet, daß es, aller aͤlteren
und neueren Nachrichten ohnerachtet, nie Menſchenfreſſer gegeben habe: Selbſt
unter unſern Reiſegefaͤhrten waren dergleichen Zweifler vorhanden, die dem ein-
ſtimmigen Zeugniß ſo vieler Voͤlker bisher noch immer nicht Glauben beymeſſen
wollten. Capitain Cook hatte indeſſen ſchon auf ſeiner vorigen Reiſe aus guten
Gruͤnden gemuthmaaßt, daß die Neu-Seelaͤnder Menſchenfreſſer ſeyn muͤßten;
und jetzt, da wir es offenbahr mit Augen geſehen haben, kann man wohl im
geringſten nicht mehr daran zweifeln. Ueber den Urſprung dieſer Gewohnheit
ſind die Gelehrten ſehr verſchiedener Meynung, wie unter andern aus des Herrn
Canonicus Pauw zu Xantenrecherches philoſophiques ſur les Ame-
ricains
erſehen werden kann. Er ſelbſt ſcheint anzunehmen, daß die Men-
ſchen urſpruͤnglich durch Mangel und dringende Noth darauf verfallen ſind,
C c c 2
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1773.
Novem-
ber.
einander zu freſſen. *) Dagegen aber laſſen ſich ſehr wichtige Einwuͤrfe
machen, und folgender iſt einer der ſtaͤrkſten: Wenig Winkel der Erde ſind
dermaßen unfruchtbar, daß ſie ihren Bewohnern nicht ſo viel Nahrungsmit-
tel liefern ſollten als dieſe zu ihrer Erhaltung beduͤrfen; und diejenigen Laͤnder,
wo es noch jetzt Menſchenfreſſer giebt, koͤnnen gerade am wenigſten fuͤr ſo elend
ausgegeben werden. Die noͤrdliche Inſel von Neu-Seeland, die beynahe
400 See-Meilen im Umfange haben mag, enthaͤlt, ſo viel ſichs berechnen laͤßt,
kaum einhundert Tauſend Einwohner; welches fuͤr ein ſo großes Land, ſelbſt
alsdann noch, eine ſehr geringe Anzahl iſt, wenn auch nur allein die Kuͤſten, und
nicht die innern Gegenden des Landes durchaus bewohnt ſeyn ſollten. Geſetzt aber
daß ihrer auch noch weit mehrere waͤren; ſo wuͤrden ſie ſich doch alle von dem Ueber-
fluß an Fiſchen und vermittelſt des Landbaues der in der Bay of Plenty und
andrer Orten angefangen iſt, zur Genuͤge ernaͤhren, ja ſogar den Fremden noch
davon mittheilen koͤnnen, welches ſie auch wuͤrklich gethan haben. Zwar mag
vor Einfuͤhrung der Kuͤnſte, ehe ſie Netze hatten und Cartoffeln pflanzten, der
Unterhalt ſparſamer und muͤhſeliger geweſen ſeyn; aber damals war auch die An-
zahl der Bewohner gewiß weit unbetraͤchtlicher. Bey alle dem laͤugne ich kei-
nesweges, daß es nicht Faͤlle gegeben haͤtte, wo ein Menſch den andern wirk-
lich aus Noth gefreſſen hat: Allein, davon ſind doch nur einzelne Beyſpiele
vorhanden, und aus einzelnen Beyſpielen laͤßt ſich, fuͤr die Gewohnheit des Men-
ſchenfreſſens im Ganzen genommen, durchaus nichts beweiſen. Nur ſo viel kann
man daraus abnehmen, daß der Menſch, in manchen Faͤllen, durch Hunger
und Elend zur Wahl außerordentlicher Mittel gebracht werden koͤnne. Im Jahr
1772. da Deutſchland Mißwachs hatte und viele Provinzen Hunger lei-
den mußten, ward auf den Boineburgiſchen Guͤtern, an der Graͤnze von Thuͤ-
ringen
, ein Hirte eingezogen, und, wo ich nicht irre, am Leben beſtraft, weil
er, durch Hunger gezwungen, einen jungen Burſchen erſchlagen und gefreſſen,
auch verſchiedne Monathe lang, in gleicher Abſicht, bloß des Wolſchmacks we-
[389]in den Jahren 1772 bis 1775.
gen, zu morden fortgefahren hatte. Er ſagte im Verhoͤr aus, daß ihm das1773.
Novem-
ber.

Fleiſch junger Leute vorzuͤglich gut geſchmeckt habe, und eben das ließ ſich auch
aus den Mienen und Zeichen der Neu-Seelaͤnder ſchließen. Ein altes Weib
in der Provinz Matogroßo in Braſilien, geſtand dem damaligen portugieſiſchen
Gouverneur Chevalier Pinto, der jetzt portugieſiſcher Geſandter zu London iſt,
daß ſie mehrmalen Menſchenfleiſch gegeſſen, daß es ihr ungemein gut geſchmeckt
habe, und daß ſie auch noch ferner dergleichen eſſen moͤchte, beſonders junges Kna-
benfleiſch. Wuͤrde es aber nicht abgeſchmackt ſeyn, wenn man aus dieſen
Beyſpielen folgern wollte, daß die Deutſchen und die Braſilianer, ja uͤber-
haupt irgend eine andere Nation, Menſchen umzubringen, und ſich mit dem
Fleiſche der Erſchlagnen etwas zu Gute zu thun pflegen? Eine ſolche Ge-
wohnheit kann ja mit der geſellſchaftlichen Verfaſſung der Menſchen nicht beſtehen.
Wir muͤſſen alſo der Veranlaſſung dazu auf einem andern Wege nachſpuͤhren.
Man weis, daß ſehr geringe Urſachen oft die wichtigſten Begebenheiten auf dem
Erdboden veranlaßt, und daß unbedeutende Zaͤnkereyen die Menſchen ſehr oft
bis zu einem unglaublichen Grad gegen einander erbittert haben. Eben ſo be-
kannt iſt es, daß die Rachſucht bey wilden Voͤlkern durchgaͤngig eine heftige Lei-
denſchaft iſt, und oft zu einer Raſerey ausartet, in welcher ſie zu den unerhoͤr-
teſten Ausſchweifungen aufgelegt ſind. Wer weiß alſo, ob die erſten Men-
ſchenfreſſer die Koͤrper ihrer Feinde nicht aus bloßer Wuth gefreſſen haben, da-
mit gleichſam nicht das geringſte von denſelben uͤbrig bleiben moͤgte? Wenn
ſie nun uͤberdem fanden, daß das Fleiſch geſund und wohlſchmeckend ſey, ſo duͤr-
fen wir uns wohl nicht wundern, daß ſie endlich eine Gewohnheit daraus ge-
macht und die Erſchlagenen allemal gefreſſen haben: Denn, ſo ſehr es auch
unſrer Erziehung zuwider ſeyn mag, ſo iſt es doch, an und fuͤr ſich, weder un-
natuͤrlich noch ſtrafbar Menſchenfleiſch zu eſſen. Nur um deswillen iſt es
zu verbannen, weil die geſelligen Empfindungen der Menſchenliebe und des Mit-
leids dabey ſo leicht verloren gehen koͤnnen. Da aber ohne dieſe keine menſch-
liche Geſellſchaft beſtehen kann; ſo hat der erſte Schritt zur Cultur bey allen Voͤl-
kern dieſer ſeyn muͤſſen, daß man dem Menſchenfreſſen entſagt und
Abſcheu dafuͤr zu erregen geſucht hat. Wir ſind keine Cannibalen, gleichwohl
finden wir es weder grauſam noch unnatuͤrlich zu Felde zu gehen, und uns
C c c 3
[390]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
bey Tauſenden die Haͤlſe zu brechen, ohne einen andern Bewegungsgrund als um
den Ehrgeiz eines Fuͤrſten, oder die Grillen ſeiner Maitreſſe zu befriedigen. Iſt es
aber nicht Vorurtheil, daß wir vor dem Fleiſche eines Erſchlagnen Abſcheu haben,
da wir uns doch kein Gewiſſen daraus machen ihm das Leben zu nehmen? Ohne
Zweifel wird man ſagen, daß erſteres den Menſchen brutal und fuͤhllos machen
wuͤrde: Allein, es giebt ja leyder Beyſpiele genug, daß Leute von civiliſirten
Nationen, (ſo wie einige unſrer Matroſen,) bey dem bloßen Gedanken von
Menſchenfleiſch-Eſſen Ekel empfinden, und gleichwohl Barbareyen begehen
koͤnnen, die ſelbſt unter Cannibalen nicht erhoͤrt ſind! Was iſt der Neu-
Seelaͤnder, der ſeinen Feind im Kriege umbringt und frißt, gegen den Europaͤer,
der, zum Zeitvertreib, einer Mutter den Saͤugling, mit kaltem Blut, von der
Bruſt reißen und ſeinen Hunden vorwerfen kann?*)


Neque hic lupis mos nec fuit leonibus,
Nunquam niſi in diſpar feris.

Horat.
()

Die Neu-Seelaͤnder freſſen ihre Feinde nicht anders als wenn ſie ſolche im
Gefecht und in der groͤßten Wuth erlegt haben. Sie machen nicht Gefangne,
um ſie zu maͤſten und denn abzuſchlachten, noch weniger bringen ſie ihre Ver-
wandten in der Abſicht um, ſie zu freſſen: denn ſie eſſen ſolche nicht einmal,
wenn ſie natuͤrlichen Todes geſtorben ſind, **) ob gleich alles das mit mehrerer
oder minderer Glaubwuͤrdigkeit von gewiſſen americaniſchen Nationen erzaͤhlt wor-
den iſt. Es iſt alſo nicht unwahrſcheinlich, daß in der Folge der Zeit dieſer Ge-
brauch bey ihnen gaͤnzlich abkommen wird. Die Einfuͤhrung von neuem zahmen
Schlacht-Vieh kann dieſe gluͤckliche Veraͤnderung vielleicht befoͤrdern, in ſo fern
nemlich groͤßerer Ueberfluß, mehr Viehzucht und Ackerbau, das Volk naͤher zuſam-
menbringen und es geſelliger machen wird. Auch von Seiten ihrer Religion ſtehet
jener Hoffnung kein Hindernis im Wege, denn, ſo viel wir bemerken konnten, ſind ſie
nicht ſonderlich aberglaͤubiſch und nur unter ſehr aberglaͤubiſchen Voͤlkern hat man,
[391]in den Jahren 1772 bis 1775.
auch nach ihrer Cultur, noch Menſchen-Opfer gefunden. Tupaia,*) der einzige1773.
Novem-
ber.

Mann, der ſich ohne Anſtos mit den Neu-Seelaͤndern unterhalten konnte, erfuhr gar
bald, daß ſie ein hoͤchſtes Weſen erkennen, welche Kenntniß auch, bey allen Voͤl-
kern der Erde, gleichſam als ein Funke der goͤttlichen Offenbahrung uͤbrig zu ſeyn
ſcheint. Naͤchſt dieſem Begriff nehmen die Neu-Seelaͤnder gewiſſe Unter-Gott-
heiten an, die mit denen auf Tahiti ſo genau uͤberein kommen, daß das Syſtem
ihrer Vielgoͤtterey ſehr alt und von den gemeinſchaftlichen Vor-Eltern beyder
Nationen herzuſtammen ſcheint. Wir bemerkten auf Neu-Seeland keine ein-
zige Ceremonie, die einige Beziehung auf die Religion gehabt haͤtte; und ich
weis nur von zwey Umſtaͤnden, die auf eine entfernte Art Aberglauben zu verra-
then ſcheinen. Eins iſt der Name Etui oder Vogel der Gottheit, welchen ſie
zuweilen einer Art von Spechten (certhia cincinnata) beylegten.**) Dieſe Be-
nennung ſcheint eine Verehrung anzudeuten, dergleichen die Tahitier und die
uͤbrigen Bewohner der Societaͤts-Inſeln den Reyhern und Eisvoͤgeln wiederfah-
ren laſſen; doch kann dieſe Achtung eben ſo weit nicht gehen, wenigſtens haben
wir nie bemerkt, daß ſie dieſen Vogel mehr als jeden andern beym Leben zu er-
halten gewuͤnſcht haͤtten. Der zweyte Umſtand beſteht in Tragung eines Amu-
lets von gruͤnen Stein, welches an einer Halsſchnur auf der Bruſt haͤngt, ohn-
gefaͤhr die Groͤße eines harten Thalers hat, und einer Menſchengeſtalt gewiſſer-
maßen aͤhnlich ſieht. Sie nennen es Etighi, welche Benennung zweifelsohne
mit dem tahitiſchen Eti uͤbereinkommt.†) Daſelbſt und in den benachbarten In-
ſeln bedeutet Eti ein hoͤlzernes Menſchenbild, das, zum Andenken der Todten,
keinesweges aber zu gottesdienſtlicher Verehrung, bey den Graͤbern auf einem
Pfahle aufgerichtet wird. Das Neu-Seelaͤndiſche Tighi ſcheint aus gleicher Ab-
ſicht getragen und auch in aller Abſicht nicht hoͤher geſchaͤtzt zu werden: Fuͤr eine
Kleinigkeit gaben ſie es zwar nicht weg, wenn wir aber eine halbe Elle Tuch oder
rothen Kirſey daran wenden wollten, uͤberließen ſie es uns ohne Bedenken; denn
dieſe Zeuge waren ihnen, von allen unſern Tauſchwaaren, das ſchaͤtzbarſte und
annehmlichſte. Außer dergleichen Figuren tragen ſie zuweilen Schnuͤre mit auf-
[392]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
gereiheten Menſchen-Zaͤhnen um den Hals; allein auch dieſer Zierrath hat keine
aberglaͤubiſche Bedeutung, ſondern gilt blos fuͤr ein Kennzeichen der Tapferkeit:
Es ſind nemlich die Zaͤhne ihrer im Gefechte erſchlagnen Feinde. Von Prieſter
oder Zauberern wiſſen ſie, ſo viel wir bemerken konnten, gar nichts, und
dann iſt es freylich nicht zu verwundern, daß ſie ſo wenig aberglaͤu-
biſch ſind. Sollten ſie aber, in der Folge einmal, zu mehreren Bequemlich-
keiten des Lebens gelangen; ſo iſt es leicht moͤglich, daß einige unter ihnen
verſchlagen genug ſeyn werden, ihres eignen Vortheils wegen, die Religions-
Begriffe der Nation zu erweitern; denn die Geſchichte zeigt uns nur zu viel
Beyſpiele, daß das heiligſte und unſchaͤtzbarſte Geſchenk des Himmels, die Re-
ligion, zum Deckmantel von Betruͤgereyen iſt gemißbraucht worden. —


Da das Schiff nunmehro voͤllig in Stand geſetzt war, dem rauhen
Wetter der ſuͤdlichern See-Gegenden Trotz zu bieten, wir auch mit friſchem Vorrath
von Trinkwaſſer und mit genugſamen Brennholz von neuem verſorgt waren; ſo
wurden die Zelte wieder an Bord geſchafft, und am 24ſten des Morgens die letzten
Anſtalten zur Abreiſe gemacht. Kaum ſahen die Indianer, daß wir unſern bisheri-
gen Wohnplatz am Strande verlaſſen hatten, als ſie ſich unverzuͤglich daſelbſt
einfanden, und mit großer Begierde uͤber den weggeworfnen Schiffs-Zwieback
herfielen, den doch ſogar unſre Schweine nicht mehr hatten freſſen wollen. Was
die Wilden hiezu verleiten mochte? weiß ich ſelbſt kaum. Hunger konnte es
wenigſtens nicht ſeyn, denn ſie hatten ſolchen Ueberfluß an friſchen Fiſchen, daß
ſie, außer ihrem eignen Beduͤrfniß, auch uns, alle Tage reichlich damit zu ver-
ſorgen pflegten. Die Urſach mußte folglich, entweder an der Verſchiedenheit
ihres Geſchmacks liegen, oder die Liebe zur Abwechſelung machte ihnen dieſe
verdorbne vegetabiliſche Speiſe blos um deswillen angenehm, weil ſie etwas
neues und ſeltnes fuͤr ſie war. Indeſſen ſchien es ihnen nicht ſo ganz allein um
den Zwieback, ſondern auch um die wenigen Kleinigkeiten zu thun zu ſeyn, die
unſre Leute waͤhrend ihres Aufenthalts am Strande verloren oder weggeworfen
haben mochten. Unter der Zeit, daß ſie uͤberaus emſig nach Naͤgeln, alten Stuͤcken
Zeug und dergleichen Koſtbarkeiten umher ſuchten, kamen andre aus den ent-
fernteſten Gegenden der Bay und brachten eine Menge Waffen und Geraͤthſchaf-
ten zum Verkauf.


Nach-
[393]in den Jahren 1772 bis 1775.

Nachmittags ward ein Boot abgeſchickt, um eine Flaſche mit einem1773.
Novem-
ber.

Briefe an Capitain Furneaux unter einem Baume zu vergraben, falls er etwa
nach unſrer Abreiſe, noch hieher kommen ſollte. *) In einem andern Boote gieng
mein Vater mit verſchiedenen Officiers nach Indien-Cove, woſelbſt die Men-
ſchen-Eingeweide noch immer auf der Erde lagen. Auch das Canot war noch
da, in welchem die Wilden ihre Krieges-Expedition ausgefuͤhrt hatten. An
dem mit Schnitzwerk und braunen Federbuͤſchen ausgezierten Vordertheil deſſel-
ben, befand ſich eine vierzackige Gabel, auf welcher das Herz des erſchlagenen
Juͤnglings angeſpießt war. Die unſrigen kauften bey dieſer Gelegenheit eine Par-
thie zubereiteten Flachs oder Hanf, und eine Menge Angelhaken mit knoͤchernen
Spitzen, die, nach dem Vorgeben der Indianer, aus Menſchen-Gebeinen, na-
mentlich aus den Roͤhrknochen des Arms gemacht ſeyn ſollten.


Am folgenden Morgen um 4 Uhr ward ein Boot nach Motu-Aro ge-
ſchickt, um etwas Kohl aus unſerm Garten zu holen, und mein Vater gieng mit
dahin, um die Kuͤſte nochmals durchzuſuchen. Seine Muͤhe war auch nicht
vergebens, denn er fand verſchiedene neue Pflanzen. Unterdeſſen hatten wir den
Anker ſchon gelichtet, waren unter Seegel gegangen, und nahmen erſt unterwe-
gens das Boot wiederum ein; da aber Wind und Strom uns entgegen kamen,
ſo mußten wir um 7 Uhr zwiſchen Motu-Aro und Long-Eyland die Anker
von neuem fallen laſſen. Nachdem wir ein Paar Stunden daſelbſt zugebracht,
ward der Wind guͤnſtiger und fuͤhrte uns in kurzer Zeit nach Cooks Straße.


Wir hielten uns daſelbſt in der Gegend des Cap Terawitti dicht am
Lande, und feuerten von Zeit zu Zeit Canonen ab, um der Adventure von
unſrer Ankunft Nachricht zu geben, falls ſie in einem der benachbarten Haͤven
gelegen haͤtte. Zwiſchen dem Cap Terawitti und Palliſer, entdeckten wir
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. D d d
[394]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
eine Bay, die weit ins Land hinauf zu reichen ſchien. Die Ufer derſelben waren
durchgehends flach, und ließen vermuthen, daß rings umher eine betraͤchtliche Ebe-
ne vorhanden ſeyn muͤſſe, hauptſaͤchlich am hinterſten Ende, woſelbſt die Berge
ſo weit entfernt lagen, daß man kaum die Gipfel entdecken konnte. Sollte die
Bay fuͤr große Schiffe tief genug ſeyn, woran wohl nicht zu zweifeln iſt; ſo
waͤre dieſer Platz zur Anlegung einer Colonie ganz vorzuͤglich bequem. Denn man
faͤnde hier einen großen Strich bauwuͤrdigen Landes vor ſich, der mit genugſamer
Waldung, vermuthlich auch mit einem ſchiffbaren Strom verſehen iſt, und, ſeiner
Lage nach, in den beſten Vertheidigungsſtand geſetzt werden koͤnnte. Da dieſe
Gegend auch nicht ſonderlich bewohnt zu ſeyn ſcheint, ſo wuͤrde deſto weniger Ge-
legenheit zu Streitigkeiten mit den Eingebohrnen vorhanden ſeyn. Vortheile, die
ſich an andern Stellen von Neu-Seeland wohl ſelten ſo gluͤcklich vereinigt
finden duͤrften. Der Flachs (phormium tenax,) wovon die Einwohner
ihre Kleider, Matten, Stricke und Netze verfertigen, iſt von ſo vortreflichem
Glanz, Elaſticitaͤt und Staͤrke, daß die neue Colonie ſchon mit dieſem einzigen
Artikel einen betraͤchtlichen Handel nach Indien treiben koͤnnte, weil dort Taue und
Seegeltuch in fehr hohen Preiſen ſtehen. Vielleicht werden die Europaͤer, wenn ſie
dereinſt ihre americaniſchen Colonien verloren haben, auf neue Niederlaſſungen in
entferntern Laͤndern bedacht ſeyn; moͤgte nur alsdenn der Geiſt der ehemaligen Ent-
decker nicht mehr auf ihnen ruhen! moͤgten ſie die einheimiſchen Bewohner der
Suͤd-See als ihre Bruͤder anſehen, und ihren Zeitgenoſſen zeigen, daß man
Colonien anlegen koͤnne, ohne ſie mit dem Blut unſchuldiger Nationen befle-
cken zu duͤrfen!


Auch jenſeits dieſer Bay fuhren wir noch immer fort Kanonen abzu-
feuern, aber alle Verſuche unſre Begleiterien wieder zu finden, waren umſonſt.
Es erfolgte keine Antwort auf unſre Signale, ob wir gleich mit einer Aufmerk-
ſamkeit und Sehnſucht darnach lauſchten, aus denen ſich deutlich genug abneh-
men ließ, wie ungern wir, ohne Geſellſchaft, den zahlloſen Gefahren eines
zweyten Zuges gen Suͤden entgegen giengen. Am folgenden Morgen erreichten
wir die Ausfahrt aus der Straße, liefen um das Cap Palliſer herum und nordwaͤrts
an der Kuͤſte hinauf, noch immer in Hoffnung die Adventure hier irgendwo an-
zutreffen. Da uns aber auch dieſe Erwartung fehl ſchlug; ſo gaben wir alle Ge-
[395]in den Jahren 1772 bis 1775.
danken zur Wiedervereinigung auf, nahmen um 6 Uhr des Abends Abſchied1773
Novem-
ber.

von Neu-Seeland und ſteuerten nach Suͤd-Suͤd-Oſt.


Auf unſerer erſten Fahrt gegen Suͤden, vom Vorgebuͤrge der guten Hoffnung
aus, hatte ſich bey verſchiedenen von unſern Leuten der Scorbut geaͤußert:
Allein, waͤhrend des Aufenthalts in Dusky-Bay, war dieſe Krankheit, ver-
mittelſt der geſunden Fiſch-Speiſen, wie auch durch den Genuß des Sproſſenbiers,
gluͤcklich vertrieben worden. Zwar hatten ſich auf der folgenden unangenehmen
Winter-Reiſe, von Neu-Seeland nach Tahiti, bey manchem neue und zum Theil
gefaͤhrliche Symptomen dieſes Uebels eingefunden: Allein, der große Vorrath
friſcher Pflanzen, den wir auf letztgedachter Inſel erhielten, und das vortref-
liche Schweinefleiſch, das wir auf den Societaͤts- und freundſchaftlichen In-
ſeln
ſo reichlich einlegten, ſtellte die Patienten ſehr bald wieder her. Bey un-
ſerm diesmaligen zweyten Aufenthalt in Charlotten-Sund war es ohne Zweifel
dem haͤufigen Genuß des Sellery und Loͤffelkrauts beyzumeßen, daß wir von den
uͤblen Folgen der eingeſalznen Speiſen verſchont blieben und bey unſrer nunmeh-
rigen Abreiſe, allerſeits in guten Geſundheits-Umſtaͤnden zu ſeyn ſchienen.
Aber bey dem allen hatten wir, jetzt vielleicht mehr als je, Urſach, uns fuͤr den
Anfaͤllen des Scharbocks zu fuͤrchten, denn die Muͤhſeligkeiten des See-
Lebens, die wir nun ſchon ſo geraume Zeit hindurch erlitten, mußten unſre Con-
ſtitutionen wohl allerdings geſchwaͤcht und uns die Kraft benommen haben, den
kuͤnftigen Beſchwerlichkeiten, ſo gut als bisher, zu widerſtehen. Vornemlich ſahen
die Officier und Paſſagier, auf der nunmehrigen Reiſe gegen den Suͤdpol, man-
cherley Unannehmlichkeiten vor ſich, wovon ſie vorher nichts gewußt. Ihr
jetziger Vorrath von lebendigem Vieh war gegen den, womit ſie ſich ehedem
vom Vorgebuͤrge der guten Hoffnung aus verſorgt gehabt, fuͤr gar nichts zu rech-
nen; folglich hoͤrte der geringe Unterſchied, der bisher zwiſchen ihrer Tafel
und dem Eſſen der gemeinen Matroſen ſtatt gefunden hatte, gaͤnzlich auf, und ſie
waren nun, in dieſem Betracht, um nichts beſſer, ja faſt noch ſchlimmer daran
als die gemeinen Seeleute, die ſich von Jugend auf an keine andere als die ei-
gentliche Schiffskoſt gewoͤhnt, dahingegen Officier und Paſſagier ſolche gleichſam
nie verſucht hatten. Hiernaͤchſt war auch die Hoffnung neue Laͤnder zu entdecken,
nun ſchon verſchwunden; die Gegenſtaͤnde der freundſchaftlichen Unterredung
D d d 2
[396]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
waren erſchoͤpft; die Fahrt gegen Suͤden konnte nichts Neues mehr darbieten;
ſondern lag mit allen ihren mannigfaltigen Gefahren und Schrecken vor uns, die
deſto mehr Eindruck machten, da wir nun ohne Geſellſchaft ſeegeln mußten.
Zwiſchen den Wendezirkeln hatten wir wenigſtens einige gluͤckliche Tage genoſſen;
unſre Tafel war dort ſo gut beſetzt geweſen, als es die Producte dieſer Inſeln zu-
laſſen wollten, und die Abwechſelung ſo mancher neuen Gegenſtaͤnde, die wir unter
den verſchiedenen Nationen antrafen, hatte uns auf das angenehmſte unterhal-
ten: Nunmehro ſahen wir aber, auf eine ziemlich lange Periode, nichts als Ne-
bel, kaltes Wetter, Faſten und die langweiligſte Einfoͤrmigkeit vor uns! Der
Abt Chappe, oder vielmehr der Herausgeber ſeiner Reiſe nach Californien,
Caſſini,
bemerkt, *) “daß Abwechſelung allein dem Reiſenden angenehm iſt,
und daß er, ſolcher zu gefallen, von Land zu Lande gehe.“ Seine Philoſophie
iſt zugleich ſo erhabner Natur, daß er den Ausſpruch thut, †) „das Seeleben
“ſey nur denen langweilig und gleichfoͤrmig, die nicht gewohnt find, um ſich zu
“ſchauen, ſondern die Natur mit Gleichguͤltigkeit anſehen.” Waͤre aber der gute
Herr Abt ſo ungluͤcklich geweſen, den antarctiſchen Zirkel zu beſuchen, ohne ein
Paar Hundert fette Capaunen bey ſich zu haben, womit er ſich, auf ſeiner
Reiſe von Cadiz nach Vera-Cruz, wohl weislich zu verſorgen wußte; ſo duͤrfte
vielleicht ſeine Philoſophie minder hochtrabend geweſen ſeyn. Was dieſen Ver-
dacht gar ſehr beſtaͤtigt, iſt, daß er die Abwechslung in Mexico nicht fand,
die er doch zur See ſo haͤufig angetroffen zu haben vorgab. **) Gleich-
wohl durchreiſte er daſelbſt große Striche ungebautes Land und weitlaͤuftige
Waͤlder, und ſahe die Natur in einem ſehr wilden Zuſtande. Er geſteht zwar,
daß ſie reich und ſchoͤn ſey; allein in wenig Tagen ward ihm die Mannigfaltig-
keit ihrer Reize ſchon unſchmackhaft und gleichguͤltig; und doch verſichert man
uns von dieſem Mann, er ſey zugleich Aſtronom, Botaniſt, Zoolog, Minera-
loge, Chymiſt und Philoſoph geweſen!


Wir unſrer Seits waren, bey der Abreiſe von Neu-Seeland, von der er-
habnen Philoſophie des franzoͤſiſchen Abts ſehr weit entfernt. Wenn noch je
[397]in den Jahren 1772 bis 1775.
etwas die traurige Ausſicht der Zukunft in unſern Augen mildern konnte,1773.
Novem-
ber.

ſo wars die Hoffnung, daß die Reiſe um den Suͤdpol in irgend einer hohen
noch unbefahrnen Breite, wenigſtens nicht laͤnger als den bevorſtehenden
Sommer uͤber dauern, und daß wir innerhalb acht Monathen wieder nach
England zuruͤckkommen wuͤrden. Dieſe Hoffnung erhielt das Volk, waͤhrend
des groͤßten Theils der Reiſe und des boͤſen Wetters, bey gutem Muth.
Am Ende zeigte ſich freylich, daß dieſer Gedanke nichts mehr als ein ſuͤßer
Traum geweſen war; allein dann troͤſtete uns ſchon wieder die gewiſſe Aus-
ſicht, daß wir, ſtatt deſſen, auf den gluͤcklichen Inſeln des heißen Erdſtrichs,
abermals einige Monathe zubringen wuͤrden.


Drey-
[398]Forſter’s Reiſe um die Welt

Dreyzehntes Hauptſtuͤck.
Zweyte Fahrt in die ſuͤdlichen Breiten, von Neu-Seeland

nach Eaſter- oder Oſter-Eyland.


1773.
Decem-
ber.

Am Morgen nach unſrer Abreiſe von Neu-Seeland, hatten wir Nord-
Nord-Weſtwind, bey dem das Thermometer auf 64 Grad ſtieg. Die
beyden folgenden Tage ſtand es auf 54. denn auf 48., und als wir ohnge-
faͤhr unterm 49ſten Grade ſuͤdlicher Breite waren, ſank es auf 44½. Am
28ſten November erblickten wir eine Menge Seehunde oder vielmehr See-Loͤwen,
die eine Strecke weit vom Schiff vorbey giengen und ihren Weg nach den
Kuͤſten des Landes zu nehmen ſchienen, welches wir ſo eben verlaſſen hatten.
Von dieſer Zeit an bis zum 6ten December, ſahen wir große Haufen von blauen
und andern Sturmvoͤgeln, nebſt verſchiednen Arten von Albatroſſen, Skua’s
oder grauen Mewen, viel Pinguins, und viel Seegras. Gedachten Tages
befanden wir uns um 7 Uhr Abends, im 51ſten Grade 33 Minuten ſuͤdlicher
Breite und unterm 180ſten Grade der Laͤnge; folglich gerade auf dem Punct der
Antipoden von London. Hier noͤthigte die Erinnerung dort zuruͤckgelaßner
haͤuslicher Gluͤckſeligkeit und geſellſchaftlicher Freuden, jedem Herzen, das noch
vaͤterliche oder kindliche Liebe zu fuͤhlen im Stande war, eine Empfindung des
Heimwehes ab! Wir waren die erſten Europaͤer, und ich darf wohl hinzuſetzen die
erſten menſchlichen Creaturen, die auf dieſen Punct gekommen, den auch
nach uns vielleicht Niemand wieder beſuchen wird. Zwar traͤgt man ſich in
England mit einer Erzaͤhlung von Sir Francis Drake; der zufolge er, auf
der andern Halbkugel, gerade uͤber den Strich weggeſeegelt ſeyn ſoll, in welchem
auf der diſſeitigen „der mittlere Bogen der alten Bruͤcke von London befindlich
iſt.” Das iſt aber ein Irrthum, denn er lief nur laͤngſt der Kuͤſte von America
hin, und es ſchreibt ſich jene Sage vermuthlich davon her, weil er unter den
Perioͤcis oder unter 180 Grade der Laͤnge, und unter demſelben Zirkel der
noͤrdlichen Breite an der Kuͤſte von Californien durchgegangen iſt.


Je weiter wir gen Suͤden kamen, deſto tiefer fiel das Thermometer.
Am 10ten des Morgens, da uns der Wind entgegen blies, ſank es auf 37 Grad,
[399]in den Jahren 1772 bis 1775.
Mittags hatten wir den 59ſten Grad ſuͤdlicher Breite erreicht und noch kein Eis1773.
Decem-
ber.

geſehen, dagegen ſich vorm Jahre, (am 10ten December,) ſchon zwiſchen dem
50ſten und 51ſten Grade ſuͤdlicher Breite welches gezeigt hatte. Die Urſach
dieſes Unterſchiedes iſt ſchwer zu beſtimmen. Der vorjaͤhrige Winter mochte
vielleicht kaͤlter als der diesjaͤhrige geweſen, und aus dieſer Urſach die See damals
mit mehr Eis angefuͤllt ſeyn, als jetzt; wenigſtens verſicherten uns die Einwoh-
ner am Cap, daß ſie einen weit haͤrtern Winter gehabt haͤtten als ſonſt. Vielleicht
hatte auch ein ſtarker Sturm das Eis um den Suͤdpol her zertruͤmmert, und die
einzelnen Stuͤcke ſo weit gen Norden getrieben als wir ſie vorgedachtermaßen fan-
den. Vielleicht hatten beyde Urſachen gleich vielen Antheil daran.


Am 11ten des Nachts nahm die Kaͤlte zu. Das Thermometer ſtand
auf 34 Grad, und um 4 Uhr des andern Morgens zeigte ſich eine große Inſel
von Treibeis, neben welcher wir eine Stunde nachher vorbey fuhren. Ohner-
achtet uns vors erſte nur dies einzige Stuͤck zu Geſicht kam; ſo mußte doch in der
Nachbarſchaft mehr vorhanden ſeyn, denn die Luft war mit einemmal ſo viel kaͤl-
ter geworden, daß nach Verlauf weniger Stunden, nemlich um 8 Uhr, das
Thermometer bereits auf 31½ Grad geſunken war. Um Mittag befanden wir uns
im 61ſten Grade 46 Minuten ſuͤdlicher Breite. Am folgenden Morgen war
das Thermometer wieder um einen halben Grad geſtiegen, und wir liefen mit
einem friſchen Winde gen Oſten, ohne uns an das dicke Schneegeſtoͤber zu kehren,
bey dem man oft kaum zehn Schritte weit vor dem Schiff hinſehen konnte.
Unſer Freund Maheine hatte ſchon an den vorhergehenden Tagen uͤber die
Schnee- und Hagelſchauer große Verwundrung bezeigt, denn dieſe Wit-
terungsarten ſind in ſeinem Vaterlande gaͤnzlich unbekannt. “Weiße Stei-
ne” die ihm in der Hand ſchmolzen, waren Wunder in ſeinen Augen, und
ob wir uns gleich bemuͤheten, ihm begreiflich zu machen, daß ſie durch Kaͤlte
hervorgebracht wuͤrden, ſo glaube ich doch, daß ſeine Begriffe davon immer
ſehr dunkel geblieben ſeyn moͤgen. Das heutige dicke Schneegeſtoͤber ſetzte ihn
in noch groͤßere Verwundrung, und nachdem er auf ſeine Art die Schnee-
flocken lange genug betrachtet, ſagte er endlich, er wolle es, bey ſei-
ner Zuruͤckkunſt nach Tahiti, weißen Regen nennen. Das erſte S[t]uͤck Eis,
welches uns aufſties, hatte er nicht zu ſehen bekommen, weil es am fruͤhen
[400]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Decem-
ber.
Morgen vorbey trieb, da er noch ſchlief. Deſto groͤßer war ſein Erſtaunen, als er
zwey Tage nachher, ohngefaͤhr unterm 65ſten Grade ſuͤdlicher Breite, ein un-
geheures Stuͤck Eis erblickte. Am folgenden Tage ſtießen wir auf ein großes
Eisfeld, das unſerm Weiterſeegeln gen Suͤden ein Ende, ihm aber viel Freude
machte, weil ers fuͤr Land hielt. Wir erzaͤhlten ihm, es ſey nichts weniger
als das, ſondern es beſtehe blos aus erhaͤrtetem ſuͤßen Waſſer: Allein, da war
an keine Ueberzeugung zu denken, bis wir ihn auf dem Verdeck an das offne
Waſſerfaß brachten, und ihm augenſcheinlich zeigten, wie ſich das Eis dort nach
und nach anſetzte. Dennoch blieb er dabey, daß ers auf allen Fall, und, um
es von anderm Lande zu unterſcheiden, weißes Land nennen werde. Schon
auf Neu-Seeland hatte er ſich eine Anzahl duͤnner Stoͤckchen geſammlet, die er
ſorgfaͤltig in ein Buͤndelchen zuſammen band und als ein Tagebuch gebrauchte.
Jedes dieſer Stoͤckchen bedeutete bey ihm eine von den Inſeln, die wir
ſeit unſerer Abreiſe von Tahiti, entweder beſucht, oder wenigſtens geſehen hatten.
Er konnte alſo jetzt ſchon neun bis zehn ſolcher Hoͤlzchen aufzeigen, und wußte ſie
alle bey ihren Namen, in eben der Ordnung herzunennen, als die Inſeln der
Reihe nach auf einander gefolgt waren. Das weiße Land oder Whennua
tea-tea
war das letzte. Er fragte ſehr oft, wie viel andre Laͤnder wir noch auf
unſerm Wege nach England antreffen wuͤrden? und dafuͤr machte er ein beſonde-
res Buͤndelchen, welches er alle Tage eben ſo fleißig durchſtudirte als das erſtere.
Die Langweiligkeit unſrer jetzigen Fahrt mogte ihn vielleicht begierig nach dem
Ende machen; und die eingeſalznen Speiſen nebſt dem kalten Wetter trugen wohl
ebenfalls das ihrige dazu bey, ihm das Reiſen nach gerade zu verleiden. Seine ge-
woͤhnliche Beſchaͤftigung beſtand in Abtrennung der rothen Federn von den Tanz-
Schuͤrzen, die er zu Tongatabu gekauft hatte. Er band acht oder zehn Stuͤck derſel-
ben, vermittelſt einiger Coco-Nußfaſern, in kleine Buͤſchchen zuſammen. Die uͤbrige
Zeit brachte er mit Spatzierengehen auf dem Verdeck zu, oder er beſuchte die
Officiers, oder er waͤrmte ſich beym Feuer in des Capitains Cajuͤtte. Bey
muͤßigen Stunden machten wir uns ſeine Geſellſchaft zu Nutze, um in der ta-
hitiſchen
Sprache weiter zu kommen: Unter andern giengen wir das ganze
Woͤrterbuch mit ihm durch, welches wir auf den Societaͤts-Inſeln zuſammenge-
tragen hatten. Auf dieſe Art erlangten wir von ſeiner und den benachbarten
Inſeln
[401]in den Jahren 1772 bis 1775.
Inſeln manche neue Kenntniß, mit deren Huͤlfe wir bey unſrer Ruͤckkunſt wegen1773.
Decem-
ber.

verſchiedener Umſtaͤnde, genauere und richtigere Nachfrage halten konnten,
als zuvor.


Am 15ten des Morgens erblickten wir in mehrern Gegenden Eisfelder
um uns her; und waren auf gewiſſe Weiſe damit ſo umringt, daß wir keine Moͤg-
lichkeit vor uns ſahen, weiter gen Suͤden zu gehn, ſondern vielmehr um
wieder ins Freye zu kommen, nach Nord-Nord-Oſt ſteuern mußten. Der Nebel, der
ſich am Morgen ſchon gezeigt hatte, ward gegen Mittag immer dicker, dergeſtalt
daß wir von der Menge der Eis-Felſen, die auf allen Seiten um uns her ſchwam-
men, die groͤßte Gefahr zu beſorgen hatten. Um 1 Uhr, da die Leute eben Mit-
tag hielten, wurden wir durch den ploͤtzlichen Anblick einer großen Eis-Inſel,
die dicht vor uns lag, in großen Schrecken geſetzt. Es war ganz unmoͤglich, das
Schiff mit oder gegen den Wind herumzudrehen; das einzige, was uns zu thun
uͤbrig blieb, war dieſes, ſo dicht als moͤglich am Winde hin zu laufen, und zu ver-
ſuchen, ob auf die Weiſe der Gefahr auszuweichen ſey. Man kann den-
ken, in welcher fuͤrchterlichen Ungewißheit wir die wenigen Minuten zubrachten,
ehe ſich unſer Schickſal entſchied, und in der That es war ein bewunderns-
wuͤrdiges Gluͤck, daß wir ohne Schaden davon kamen, denn die Eismaſſe blieb
im Vorbeyfahren kaum eine Schiffslaͤnge weit von uns entfernt. Dergleichen und
andern aͤhnlichen Gefahren, ſahen wir uns auf dieſem unbeſchifften Ocean alle Au-
genblick ausgeſetzt, doch waren die Leute bey weiten nicht ſo verlegen daruͤber
als man haͤtte vermuthen koͤnnen. Wie im Treffen der Tod ſeine Schre-
cken verliert, ſo ſeegelten auch wir, oft nur eine Handbreit, neben immer
neuen Gefahren, ganz unbekuͤmmert dahin, als ob Wind und Wellen und Eis-
Felſen nicht vermoͤgend waͤren, uns Schaden zu thun. Die Eisſtuͤcken hatten
diesmal wieder eben ſo verſchiedne Formen, als jene, welche wir auf unſerer
vorjaͤhrigen Fahrt, vom Vorgebuͤrge der guten Hoffnung nach Suͤden herab, ge-
ſehen hatten. Wir konnten uns wechſelsweiſe Pyramiden, Obelisken, Kirch-
thuͤrme und Ruinen dabey vorſtellen, und fanden mehrere Stuͤcken darunter,
die dem Eisblock, den wir im Jahr 1772. mit dem erſten Eiſe erblickt hatten,
Forſters Reiſe u. d. W erſter Th. E e e
[402]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Decem-
ber.
weder an Hoͤhe noch an Ausdehnung etwas nachgaben, zum Theil auch oberhalb
eben ſo platt waren.


Die Menge von Voͤgeln, die wir bisher angetroffen, wuͤrde vielleicht
jeden andern Reiſenden verleitet haben, in der Naͤhe Land zu vermuthen. Wir
aber waren ſchon zu ſehr daran gewoͤhnt, ſie in offner See um uns zu ſehen,
als daß wir ſie noch ferner fuͤr dergleichen guͤnſtige Vorbothen haͤtten gelten laſ-
ſen ſollen. Große Zuͤge von blauen Sturmvoͤgeln und Pintaden, eine Menge
Albatroſſe, mit unter auch einzelne Skuas hatten uns taͤglich begleitet; und
als wir uns dem Eiſe naͤherten, geſellten ſich noch Schnee und antarctiſche
Sturmvoͤgel, imgleichen Malmucken dazu (Fulmars) Pinguins aber, Seegras
und Seehunde hatten ſich ſeit dem 10ten nicht mehr ſehen laſſen.


Das Wetter war außerordentlich naß und dabey empfindlich kalt. Den Tau-
ben, die wir zum Theil auf den Societaͤts- und freundſchaftlichen Inſeln
eingekauft hatten, wollte es gar nicht bekommen, und den Singvoͤgeln, die
auf Neu-Seeland mit großer Muͤhe waren gefangen worden, behagte es eben ſo we-
nig. Mein Vater und ich, hatten fuͤnf Tauben von dort mitgenommen; ſie ſtarben
aber, vor dem 16ten December, eine nach der andern, weil es in unſern Ca-
juͤtten ungemein kalt und ſelbſt in dem Schlafraum der Matrofen waͤrmer war
denn bey uns. Das Thermometer ſtand in unſern beyden Cajuͤtten nie mehr denn
5 Grad hoͤher als in freyer Luft, und da ſie zum Ungluͤck gerade vor dem Hauptmaſt
gelegen waren, woſelbſt das Schiff am ſtaͤrkſten arbeitet, ſo hatten wir nicht nur
beſtaͤndigen Windzug auszuſtehen, ſondern mußten uns auch bey regnigten oder
ſtuͤrmiſchen Wetter gefallen laſſen, daß uͤberall Waſſer herein drang.


Am 16ten Nachmittages und auch am 17ten wurden die Boote ausge-
ſetzt, um loſe Eisſtuͤcken, zur Anfuͤllung unſrer Waſſerfaͤſſer, einzunehmen.
Das Eis war alt, ſchwammigt und mit Salzwaſſer-Theilchen durchdrungen,
weil es ſchon lange Zeit und thauend in der See herumgeſchwommen; doch ließ
ſich das Waſſer davon noch wohl trinken, wenn die Stuͤcke eine Weile auf dem Ver-
deck liegen blieben, damit das Salzwaſſer abtroͤpfeln konnte. Vom 17ten bis zum
20ſten, ſahen wir keine Voͤgel um uns. Sie waren mit einemmale wie ver-
ſchwunden, ohne daß wir irgend eine Urſach davon anzugeben wußten. An letzt-
gedachtem Tage aber zeigten ſich wieder einige Albatroſſe.


[403]in den Jahren 1772 bis 1775.

Da wir waͤhrend dieſer Zeit neben dem Eis-Felde, welches uns im We-1773.
Decem-
ber.

geweſen, ganz vorbey waren; ſo ſteuerten wir nun, wie vorher, wiederum
gerade gen Suͤden; denn darauf gieng die Haupt-Abſicht unſrer Reiſe. Am
20ſten Nachmittags kamen wir zum zweytenmale durch den Antarctiſchen Zirkel.
Das Wetter war naß und nebligt; — Eisinſeln haͤufig um uns her; — der Wind
ſehr friſch. Eine Menge antarctiſcher Sturmvoͤgel, und ein Wallfiſch der ohnweit
dem Schiffe das Waſſer aufſpruͤzte, ſchienen uns beym Eintritt in den kalten
Erdſtrich gleichſam zu bewillkommen. Zu Nachts erblickten wir zwey See-
hunde; deren ſich ſeit vierzehn Tagen keine hatten ſehen laſſen. Einige unſrer
Mitreiſenden muthmaßeten hieraus, daß wir Land antreffen wuͤrden. Allein dieſe
Hofnung ward bald wieder vernichtet, indem wir nach wenig Tagen, innerhalb
des antarctiſchen Zirkels bis auf 67 Grad 12 Minuten ſuͤdlicher Breite ge-
langten, ohne etwas anders als Eis wahrzunehmen.


Am 23ſten Nachmittages waren wir mit Eis-Inſeln umgeben und die
See war faſt uͤber und uͤber mit kleinen Eis-Stuͤcken bedeckt. Wir legten
alſo bey; ließen die Boote in See ſetzen, und Eisſchollen an Bord bringen.
Die Voͤgel waren jezt ſehr haͤufig um uns her; die Officiers ſchoſſen auch von
den Booten aus etliche antarctiſche Sturmvoͤgel, welches uns Gelegenheit
verſchafte, Zeichnungen und Beſchreibungen davon zu machen. Um dieſe Zeit
klagten viele von uns uͤber rhevmatiſche Beſchwerden, Kopfweh, geſchwollne Druͤ-
ſen, und [Schnupfen-Fieber], lauter Zufaͤlle, die dem aus Eis aufgethauten Trinkwaſ-
ſer zugeſchrieben wurden. Mein Vater hatte ſich ſeit einigen Tagen, einer Verkaͤl-
tung wegen, nicht wohl befunden, die heute in einen ſtarken Rhevmatiſmus ausge-
ſchlagen und mit einem Fieber begleitet war, welches ihn bettlaͤgerig machte. Bey-
des ſchien dadurch veranlaßt zu ſeyn daß er ſich, aus Mangel einer beſſern Einrich-
tung, in einer ſo elenden Cajuͤtte behelfen mußte, wo, der beſtaͤndigen Naͤſſe we-
gen, alles ſchimmelte und verfaulte. Die Kaͤlte war vornemlich heute ſo em-
pfindlich, daß er zwiſchen dem Thermometer in ſeiner Cajuͤte und dem auf
dem Verdeck nur zwey und einen halben Grad Unterſchied fand.


Sobald wir die Boote wieder eingenommen hatten, ſegelten wir dieſe Nacht
und den folgenden Tag uͤber nordwaͤrts, ſo weit der wiedrige Wind es geſtatten
wollte. Am 25ſten war das Wetter hell und ſchoͤn, der Wind verlohr ſich in
E e e 2
[404]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Decem-
ber.
eine voͤllige Windſtille und mehr als neunzig große Eis-Inſeln ſahen wir Mit-
tags um uns her. Da es Chriſt-Tag war, ſo bath der Capitain, dem Her-
kommen gemaͤs, alle Officiers zum Mittags-Eſſen; und einer von den Lieute-
nants bewirthete die Unter-Officiers. Die Matroſen hatten eine doppelte Por-
tion Pudding und thaten ſich mit ihrem Brandtwein guͤtlich, den ſie, aus
großer Vorſorge, heute ja recht voll zu werden, ſchon ganze Monathe lang zu-
ſammen geſpart hatten. Das iſt auch in der That das einzige, wofuͤr ſie ſorgen,
alles uͤbrige kuͤmmert ſie wenig oder gar nicht.


Der Anblick ſo vieler Eis-Maßen, zwiſchen welchen wir lediglich durch
den Strom fortgetrieben wurden, und ſtets Gefahr liefen, daran zu ſcheitern, war
nicht vermoͤgend ſie von ihrer Lieblings-Neigung abzuhalten. Sie verſicher-
ten, daß ſo lange der Brandtwein noch waͤhrete, ſie auch den Chriſttag als Chri-
ſten feyern wollten, wenn ſich gleich alle Elemente gegen ſie verſchworen haͤt-
ten. Ihre Gewohnheit ans Seeleben hatte ſie laͤngſt gegen alle Gefahren,
ſchwere Arbeit, rauhes Wetter und andre Widerwaͤrtigkeiten abgehaͤrtet, ih-
re Muskeln ſteif, ihre Nerven ſtumpf, kurz ihre Gemuͤthsart ganz unempfind-
lich gemacht. Da ſie fuͤr ihre eigne Erhaltung keine große Sorge tragen,
ſo iſt leicht zu erachten, daß ſie fuͤr andre noch weniger Gefuͤhl haben. Stren-
gem Befehl unterworfen, uͤben ſie auch tyranniſche Herrſchaft uͤber diejenigen
aus, die das Ungluͤck haben in ihre Gewalt zu gerathen. Gewohnt ihren Fein-
den unter die Augen zu treten, iſt Krieg ihr Wunſch. Die Gewohnheit um-
zubringen und zu morden iſt Leidenſchaft bey ihnen geworden, wovon wir leyder
nur zu viele Beweiſe auf dieſer Reiſe haben ſehen muͤſſen, indem ſie bey jeder
Gelegenheit die unbaͤndigſte Begierde zeigten, um der geringſten Veranlaſſung
willen ſogleich auf die Indianer zu feuern. Ihre Lebensart entfernet ſie von dem
Genuß der ſtillen haͤuslichen Freuden und da treten dann grobe viehiſche Be-
gierden an die Stelle beſſerer Empfindungen.


At laſt, extinct each ſocial feeling, fell
And joyleſs inhumanity pervades
And petrifies the heart.

Thompson.
()

[405]in den Jahren 1772 bis 1775.

Ohnerachtet ſie Mitglieder geſitteter Nationen ſind, ſo machen ſie doch gleich-1773.
Decem-
ber.

ſam eine beſondere Claſſe von Menſchen aus, die ohne Gefuͤhl, voll Leiden-
ſchaft, rachſuͤchtig, zugleich aber auch tapfer, aufrichtig und treu gegen ein-
ander ſind.


Um Mittag ward die Sonnenhoͤhe genommen, da ſich denn zeigte, daß
wir in 66 Grad 22 Minuten ſuͤdlicher Breite, mithin ſo eben uͤber den antarcti-
ſchen Zirkel wieder zuruͤckgegangen waren. Waͤhrend unſers Aufenthalts innerhalb
deſſelben hatten wir faſt gar keine Nacht, und ich finde in meines Vaters Jour-
nal viele Stellen, die wenig Minuten vor Mitternacht, bey Sonnenſchein, ge-
ſchrieben ſind. Auch heute Nacht war die Sonne ſo kurze Zeit unter dem Ho-
rizont, daß wir immer eine helle Daͤmmerung behielten. Maheine erſtaunte
uͤber dies Phaͤnomenon und wollte kaum ſeinen Augen trauen. Alle Bemuͤhun-
gen ihm die Sache zu erklaͤren, waren umſonſt; und er verſicherte uns, er duͤrfe nicht
hoffen bey ſeinen Landsleuten Glauben zu [finden], wenn er ihnen bey ſeiner Zu-
ruͤckkunft die Wunder des „verſteinerten Regens, und des beſtaͤndigen Tages“
erzaͤhlen werde. Die erſten Venetianer welche die noͤrdlichen Spitzen von Eu-
ropa
umſchifften, waren eben ſo erſtaunt daruͤber, die Sonne beſtaͤndig am Hori-
zont zu ſehen. “Wir konnten, ſagen ſie, Tag und Nacht nicht anders als an dem
Inſtinct der Seevoͤgel unterſcheiden, die ohngefaͤhr auf vier Stunden,
zur Ruhe ans Land zu gehen pflegten.”*) Da aber allem Anſehen nach, in dieſer
Gegend weit und breit kein Land vorhanden war, ſo konnten wir die Richtig-
keit dieſer Bemerkung nicht unterſuchen, wir haben vielmehr oftmals noch des
Nachts um 11 Uhr, ja die ganze Nacht hindurch, viel Voͤgel im Fluge um das
Schiff gehabt.


Um 6 Uhr des Morgens zaͤhlten wir ein hundert und fuͤnf große Eis-
Maßen um uns her. Das Wetter blieb ſehr klar, ſchoͤn und ſtill. Am Mittag
des folgenden Tages befanden wir uns noch in eben der Lage, nur daß unſre
Leute toll und voll waren und daß wir oben vom Maſt 168 Eis-Inſeln ſehen
E e e 3
[406]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Decem-
ber.
konnten, darunter manche eine halbe Meile lang und keine von geringern Umfange
war als das Schiff. Dies ſtellte einen großen und fuͤrchterlichen Anblick dar. Es
ſchien, als ob wir die Truͤmmern einer zerſtoͤhrten Welt, oder, nach den Beſchrei-
bungen der Dichter gewiſſe Gegenden der Hoͤlle vor uns ſaͤhen, eine Aehnlich-
keit die uns um ſo mehr auffiel, weil von allen Seiten ein unablaͤßiges Fluchen
und Schwoͤren um uns her toͤnte.


Nachmittags erhob ſich ein ſchwacher Wind, mit deſſen Huͤlfe wir lang-
ſam nach Norden vorruͤckten. Die Eis-Inſeln verminderten ſich in eben der
Maaße, als wir uns vom Antarctiſchen Zirkel entfernten. Des folgenden Mor-
gens um 4 Uhr wurden die Boote ausgeſetzt um friſches Eis einzunehmen.
Kaum waren ſie damit fertig, ſo aͤnderte ſich der Wind und brachte aus
Nord-Oſt Schnee und Hagel mit. Mein Vater und zwoͤlf andre
Perſonen klagten wiederum uͤber rhevmatiſche Schmerzen und mußten das
Bette huͤten. Vom Scorbut aͤußerten ſich zwar noch keine gefaͤhrliche Anzei-
gen, doch mußten ich und alle diejenigen, welche im geringſten damit behaftet zu
ſeyn ſchienen, zweymal des Tages viel friſche und warme Bier-Wuͤrze trinken,
und der eingeſalzuen Speiſen uns ſo viel moͤglich enthalten. Wenn aber gleich
keine foͤrmliche Krankheit unter uns herrſchte, ſo hatten wir doch alle ohne Un-
terſchied ein ſieches, ausgemergeltes Anſehen, das ſchlimme Folgen anzukuͤndi-
gen ſchien. Capitain Cook ſelbſt war blas und mager, verlohr den Appetit
und litt an einer hartnaͤckigen Verſtopfung.


1774.
Januar.

Wir ſteuerten nunmehro nach Norden, ſo weit und ſo geſchind die Winde
es zulaſſen wollten; und am 1ſten Januar 1774. unterm 59 Grade 7 Minu-
ten ſuͤdlicher Breite verlohren wir das Eis gaͤnzlich aus dem Geſicht. Am 4ten
blies ein ſtuͤrmiſcher Wind von Weſten und noͤthigte uns alle Seegel doppelt aufzu-
reffen oder halb einzunehmen. Die Wellen giengen ſehr hoch und warfen das
Schiff ganz gewaltig von einer Seite zur andern. Dies unangenehme Wetter
dauerte bis zum 6ten Mittags, da wir den 51 Grad ſuͤdlicher Breite erreichten
und mit dem guͤnſtigſten Winde nach Nord-Nord-Oſten liefen. Wir waren jezt
nur wenig Grade von dem Strich, den wir im verwichnen Junius und Julius,
auf der Fahrt von Neu-Seeland nach Tahiti gehalten hatten; auch ſteuerten
wir ausdruͤcklich wieder nach dieſer Gegend hin, um keinen anſehnlichen Theil
[407]in den Jahren 1772 bis 1775.
dieſes großen Oceans ohnunterſucht zu laſſen. So weit wir bis jetzt gekommen1774.
Januar.

waren, hatten wir nirgends Land, auch nicht einmal Anzeigen davon geſehen.
Auf unſerm erſten Zuge hatten wir die Suͤd-See in den mittlern Breiten, oder
zwiſchen 40 und 50 Grad, durchkreuzt. Auf der diesmaligen Fahrt hatten wir,
bis Weyhnachten, den groͤßten Theil derſelben zwiſchen 60 Grad und dem an-
tarctiſchen Zirkel unterſucht; und von Weyhnachten bis jetzt hatten wir, auf dem
Lauf gen Norden, den Zwiſchenraum zwiſchen den beyden vorigen Zuͤgen durchſee-
gelt. Haben wir alſo Land verfehlt, ſo muß es ein Eyland ſeyn, das ſeiner
Entfernung von Europa und ſeines rauhen Clima wegen, fuͤr England von kei-
ner Wichtigkeit ſeyn kann. Es faͤllt einem Jeden in die Augen, daß, um
eine ſo weitlaͤuftige See, als die Suͤd-See iſt, wegen des Daſeyns oder
Nicht Daſeyns einer kleinen Inſel zu unterſuchen, viele Reiſen in unendlichen
Strichen erforderlich ſeyn wuͤrden, welches von einem Schiffe und auf einer
Expedition nicht zu erwarten ſteht. Fuͤr uns iſts genug, erwieſen zu haben,
daß, unter dem gemaͤßigten Himmelsſtrich in der Suͤd-See, kein großes feſtes
Land anzutreffen ſey, und wenn dergleichen uͤberhaupt vorhanden ſeyn ſollte,
daß es “innerhalb des antarctiſchen Zirkels” liegen muͤſſe.


Unſer langer Aufenthalt in dieſen kaltem Himmelsſtrich, fieng nunmehro
an, den Leuten ſehr hart zu fallen; denn die Hoffnung, dies Jahr noch nach
Haus zu kommen, womit ſie ſich bisher aufgerichtet hatten, war nun ganz da-
hin. Anfaͤnglich ſahe man dieſerhalb auf jedem Geſicht ſtumme Verzweiflung
ausgedruͤckt, denn wir mußten nun befuͤrchten, daß es im naͤchſten Jahr wiederum
nach Suͤden gehen wuͤrde. Nach und nach aber fanden ſich die Leute in ihr
Schickſal und ertrugen es mit finſterer Gleichguͤltigkeit. Es war aber auch in der
That ſehr niederſchlagend, daß wir in Abſicht unſrer kuͤnftigen Beſtimmung in
beſtaͤndiger Unwiſſenheit gehalten wurden, indem, ohne ſichtbare Urſach, gegen
Jeden von uns ein Geheimniß daraus gemacht ward.


Einige Tage lang ſteuerten wir gerade nach Nord-Oſt; am 11ten die-
ſes Monats aber, da wir 47 Grad 52 Minuten ſuͤdlicher Breite erreichten, wo
das Thermometer auf 52 Grad ſtieg, aͤnderten wir um Mittag unſern bisherigen
Lauf, und fiengen wieder an, nach Suͤd-Oſten zu gehen. Wie nachtheilig eine
[408]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Januar.
ſo oͤftere und ſchleunige Veraͤnderung des Clima der Geſundheit ſeyn mußte,
brauche ich wohl kaum zu ſagen.


Am 15ten ward der Wind ſtaͤrker und verwandelte ſich bald darauf in
einen heftigen Sturm


which took the ruffian billows by the top
Curling their monſtruous heads and hanging them
With deafning clamours in the ſlippery ſhrouds.

Shakespear.
()

Waͤhrend deſſelben ſchlug, des Abends um 9 Uhr eine berghohe Welle mit-
ten uͤbers Schiff und fuͤllte die Verdecke mit einer Suͤndfluth von Waſſer. Es
ſtuͤrzte durch alle Oeffnungen uͤber uns herein, loͤſchte die Lichter aus und ließ
uns einige Augenblicke lang ungewiß, ob wir nicht, ganz uͤberſchwemmt, ſchon
zu Grunde giengen. In meines Vaters Cajuͤtte floß alles; ſogar ſein Bette
war durchaus naß; unter ſolchen Umſtaͤnden mußte der Rhevmatiſmus frey-
lich heftiger werden, an dem er ſeit vierzehn Tagen die groͤßten Schmerzen
ausſtand, ſo daß er kein Glied am Leibe ruͤhren konnte. Unſre Lage war nun-
mehro in der That hoͤchſt elend, ſelbſt fuͤr diejenigen die noch geſund waren, und
den Kranken, die an ihren gelaͤhmten Gliedern beſtaͤndige Schmerzen litten, war
ſie im eigentlichſten Verſtande unertraͤglich. Der Ocean um uns her war wuͤtend,
und ſchien uͤber die Keckheit einer Hand voll Menſchen, die es mit ihm aufnahmen,
ganz erboßt zu ſeyn. Finſtre Melancholie zeigte ſich auf der Stirn unſrer Rei-
ſegefaͤhrten, und im ganzen Schiff herrſchte eine fuͤrchterliche Stille. Die ein-
geſalznen Speiſen, unſre taͤgliche Koſt, waren uns allen, ſogar denen zum Ekel
geworden, die von Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Eſſens
war uns verhaßt, denn der Geruch der Speiſen, kam uns nicht ſobald unter
die Naſe, als wirs ſchon unmoͤglich fanden, mit einigen Appetit davon zu genuͤſſen.
Dies alles beweiſet wohl genugſam, daß dieſe Reiſe mit keiner von den vorher-
gehenden zu vergleichen ſey. Wir hatten mit einer Menge von Muͤhſeligkeiten
und Gefahren zu kaͤmpfen, die unſern Vorgaͤngern in der Suͤdſee unbekannt ge-
blieben waren, weil ſie ſich mehrentheils nur innerhalb der Wendezirkel, oder
doch wenigſtens in den beſten Gegenden des gemaͤßigten Himmelsſtrichs gehalten
hatten.
[409]in den Jahren 1772 bis 1775.
hatten. Dort fanden ſie immer gelindes Wetter; blieben faſt immer im Ge-1774.
Januar.

ſicht des Landes, und dieſes war ſelten ſo armſelig und unfruchtbar, daß es ih-
nen nicht von Zeit zu Zeit einige Erfriſchung gegeben haben ſollte. Solch eine
Reiſe waͤre fuͤr uns eine Luſtreiſe geweſen; bey der beſtaͤndigen Unterhaltung
mit neuen und groͤßtentheils angenehmen Gegenſtaͤnden, wuͤrden wir gutes
Muths, aufgeweckt und geſund, mit einem Wort, gluͤcklich und froͤhlich gewe-
ſen ſeyn. Aber von alle dem, war unſre Reiſe gerade das Gegentheil. Die
Fahrt gegen Suͤden war ein ewiges und im hoͤchſten Grade langweiliges Einer-
ley. Eis, Nebel, Stuͤrme, und eine ungeſtuͤme See, machten finſtere
Scenen, die ſelten genug durch einen voruͤbergehenden Sonnenblick erheitert
wurden. Das Clima war kalt, und unſere Nahrungsmittel beynahe verdorben
und ekelhaft. Kurz, wir lebten nur ein Pflanzen-Leben, verwelkten, und
wurden gegen alles gleichguͤltig, was ſonſt den Geiſt zu ermuntern pflegt. Unſre
Geſundheit, unſer Gefuͤhl, unſre Freuden opferten wir der leidigen Ehre
auf, einen unbeſeegelten Strich durchkreuzt zu haben! Das war im eigentlichen
Verſtande:


Propter vitam vivendi perdere cauſas.
Iuvenal.
()

Die gemeinen Matroſen waren eben ſo uͤbel daran als die Officiers; aber aus
einer andern Urſach. Ihr Zwieback, der auf Neu-Seeland von neuem
gebacken und denn wieder eingepackt worden, war jetzt faſt eben ſo elend
als zuvor. Bey der Muſterung, welche man dort damit vorgenommen
hatte, war aus allzu großer Sparſamkeit nicht ſtrenge genug verfahren,
und daher manches verdorbene Stuͤck unter dem Eßbaren beybehalten worden;
theils lag es an den Faͤſſern, die nicht genugſam durchraͤuchert und ausgetrock-
net waren. Von dieſen halb verdorbnen Brod bekamen die Leute, aus oͤconomi-
ſchen Urſachen, nur zwey Drittel der gewoͤhnlichen Portion; da aber eine volle
Portion, ſelbſt wenn ſie ganz eßbar iſt, ihren Mann kaum ſaͤttigt, ſo war der
verminderte Theil verdorbenen Brods natuͤrlicherweiſe noch weit weniger hinrei-
chend. Dennoch blieben ſie in dieſer elenden Lage bis auf dieſen Tag, da der erſte
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. F f f
[410]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Januar.
Unterofficier (Mate) zum Capitain kam und bitterlich klagte, daß er ſo wenig
als ſeine Leute den Hunger ſtillen koͤnnten; wobey er zugleich ein Stuͤck von dem
verfaulten und ſtinkenden Zwieback vorzeigte. Auf dieſe Klage bekamen die Leute
endlich ihre volle Portion. Der Capitain beſſerte ſich, ſo wie wir ſuͤdlich giengen;
die rhevmatiſchen Kranken aber blieben alle ſo ſchlecht als zuvor.


Am 20ſten dieſes, trafen wir auf dieſen Strich unterm 62ſten Grade 30 Mi-
nuten ſuͤdlicher Breite die erſten Eis-Inſeln an, doch nahm ihre Anzahl nicht zu, als
wir weiter nach Suͤden kamen. Wir giengen alſo immer weiter und gelangten am
26ſten abermals innerhalb des antarctiſchen Zirkels, wo wir nur einige wenige Eis-
ſtuͤcken ſahen. An eben dieſem Tage glaubten wir in der Ferne, Berge zu entde-
cken; nach Verlauf einiger Stunden aber fanden wir, daß es Wolken waren,
die nach und nach verſchwanden. Am folgenden Tage um Mittag waren wir
unter 67 Grad 52 Minuten ſuͤdlicher Breite; folglich dem Pole naͤher als wir
je geweſen, und trafen gleichwohl noch kein Eis, das uns weiter zu gehen ge-
hindert haͤtte. Die blauen und kleinen Sturmvoͤgel, imgleichen die Pintade
begleiteten uns noch immer; die Albatroſſe aber hatten uns ſeit einiger Zeit
verlaſſen. Wir waren nun abermals ohne Nacht und hatten Sonnenſchein
um Mitternacht.


Am 28ſten Nachmittags kamen wir neben einen großen Bette gebroch-
nen Eiſes vorbey. Die Boote wurden alſo ausgeſetzt, und eine große Menge
Eisſchollen aufgedieht, um unſern Vorrath von Trinkwaſſer damit zu ergaͤnzen.
Um Mitternacht war das Thermometer nicht tiefer als 34 Grad, und am fol-
genden Morgen hatten wir den angenehmſten Sonnenſchein, den wir je in die-
ſen kalten Erdſtrich angetroffen. Mein Vater wagte ſich alſo nach vierwoͤ-
chentlicher Bettlaͤgerigkeit zum erſtenmale aufs Verdeck.


Wir machten uns jetzt Hoffnung eben ſo weit gegen Suͤden zu kommen,
als andre Seefahrer gegen den Nordpol geweſen; am 30ſten aber um 7 Uhr
Morgens entdeckten wir ein feſtes Eisfeld von unabſehlicher Groͤße, das von Oſt
zu Weſt vor uns lag, und verſchiedne Fus uͤber die See empor zu ragen ſchien.
Auf der Flaͤche deſſelben lag, ſo weit das Auge nur reichen wollte, eine Menge ho-
her Eismaſſen unregelmaͤßig aufgethuͤrmt, und vor demſelben her trieb eine
Bank von Brucheis in der See herum. Unſre Breite war damals 71 Grad
[411]in den Jahren 1772 bis 1775.
10 Minuten ſuͤdlich, und wir waren alſo nicht voͤllig 19 Grad mehr vom Pol ent-1774.
Januar.

fernt. Da es aber unmoͤglich war weiter vorzudringen; ſo kehrten wir um,
wohlzufrieden mit unſrer gefaͤhrlichen Expedition und voͤllig uͤberzeugt, daß ſich
kein Seemann die Muͤhe geben werde weiter zu gehen. Unſre Laͤnge war da-
mals ohngefaͤhr 106 Grad 54′ weſtlich. Das Thermometer ſtand hier 32
und eine Menge Pinguins ließen ſich mit ihrem koaxenden Geſchrey hoͤren,
ob wir ſie gleich des einfallenden Nebels wegen, nicht anſichtig werden konnten.


So oft wir bis jetzt noch gegen Suͤden gekommen waren, eben ſo oft hat-
ten wir auch nie Land angetroffen, ſondern waren allemal bald fruͤher, bald
ſpaͤter durch feſtruhende, unabſehliche Eis-Baͤnke in unſerm Laufe aufge-
halten worden. Zugleich hatten wir den Wind immer maͤßig, und in den
hoͤhern Breiten, gemeiniglich oͤſtlich gefunden, eben ſo als er in den hoͤhern
noͤrdlichen Breiten ſeyn ſoll. Aus dieſen Umſtaͤnden ſchließt mein Vater, daß
der ganze Suͤdpol bis auf 20 Grad, mehr oder weniger, mit feſtem Eiſe be-
deckt iſt, und daß nur die aͤußerſten Enden oder Spitzen davon jaͤhrlich durch
Stuͤrme abgebrochen, durch die Sonne geſchmolzen und im Winter wieder erſetzt
werden.


——— Stat glacies iners
Menſes per omnes
——
Horat.
()

Dieſe Meynung hat um ſo vielmehr Wahrſcheinlichkeit vor ſich, als einer Seits,
zur Hervorbringung des Eiſes nicht nothwendigerweiſe Land erforderlich, und
andrer Seits auch nur wenig Urſach vorhanden iſt zu glauben, daß in dieſem
Erdſtrich einiges Land von betraͤchtlicher Groͤße zu finden ſeyn ſollte.


Von dieſem Eisfelde aus, liefen wir bis zum 5ten Februar mit gelinden
Winde nordwaͤrts; gedachten Tages aber bekamen wir, nach einer kurzen
Windſtille, einen friſchern Wind. Am 6ten ſetzte er ſich um in Suͤd-Oſt, und
ward des Nachts ſo heftig, daß etliche Seegel dabey in Stuͤcken giengen. Da
er uns aber, um noͤrdlich zu gehen, ſehr erwuͤnſcht war, ſo kuͤmmerten wir
uns nicht um ſeine Heftigkeit. Er fuͤhrte uns auch ſo ſchnell fort, daß wir in
F f f 2
[412]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Februar.
den naͤchſten vier und zwanzig Stunden drey ganze Grade der Breite zuruͤck-
legten. Dieſer guͤnſtige Wind hielt bis zum 12ten an und hatte uns in dieſer
Zeit bis unter 50 Grad 15 Minuten ſuͤdlicher Breite fortgebracht. Das
Thermometer ſtand nun ſchon wieder auf 48 Grad. Nunmehro eroͤfnete man uns
endlich, daß wir den herannahenden Winter, ſo wie den vorigen, unter den tropi-
ſchen Inſeln des ſtillen Meers zubringen ſollten. Die Ausſicht neuer Entde-
ckungen und guter Erforſchungen, die wir dort hoffen konnten, belebte unſern
Muth von neuen und wir waren ſogar ganz wohl damit zufrieden, daß wir noch
ferner an der Weſtſeite des Cap Horn verbleiben ſollten.


Des waͤrmern Clima ohnerachtet litten doch viele von unſrer Leuten noch
immer von rhevmatiſchen Schmerzen, und waren zum Theil nicht im Stande ſich
zu ruͤhren. Ihre gaͤnzliche Entkraͤftung ſchien allein Schuld daran zu ſeyn,
daß nicht vollends gar ſchleichende Fieber dazu kamen. Das Sauerkraut
hatte zwar den Ausbruch des Scorbuts im kalten Wetter gehindert, allein
blos fuͤr ſich iſt es doch nur eine vegetabiliſche Speiſe und nicht nahrhaft genug
um davon, ohne Zwieback und [Poͤckelfleiſch], leben zu koͤnnen. Erſterer
aber war verfault und letzteres vom Salze faſt verzehrt. Bey ſolchen Nah-
rungsmitteln konnten ſich die Kranken nicht anders als ſehr langſam erholen,
denn ſie hatten nichts zu ihrer Staͤrkung. Mein Vater, welcher auf die-
ſem ſuͤdlichen Zuge groͤßtentheils ſchmerzhaft krank geweſen war, hatte nun
Zahnweh, geſchwollne Backen und Hals, und empfand bis Mitten im Fe-
bruar am ganzen Leibe Schmerzen. Einem Schatten aͤhnlich fieng er nunmehro
wieder an auf dem Verdeck herumzuſchleichen. Aber in eben der Maſſe, als das
warme Wetter ihm heilſam war, ward es der Geſundheit des Capitains nach-
theilig. Seine Gallen Krankheit war zwar waͤhrend unſers letzten Zuges gegen
Suͤden verſchwunden, er hatte aber nie wieder zu Appetit kommen koͤnnen.
Jezt bekam er wieder eine gefaͤhrliche Verſtopfung, die er zum Ungluͤck anfangs
nicht achtete, noch Jemanden im Schiff entdeckte, ſondern vielmehr fuͤr
ſich allein durch Hunger abzuhelfen ſuchte. Hiedurch aber verſchlimmerte
er nur das Uebel, denn ſein Magen war ſo ſchon ſchwach genug. Es ſtellten
ſich alſo bald gewaltige Schmerzen ein, die ihn in wenig Tagen bettlaͤgerig mach-
ten, und Huͤlfe bey dem Arzte zu [ſuchen] noͤthigten. Man gab ihn ein Abfuͤh-
[413]in den Jahren 1772 bis 1775.
rungsmittel; allein ſtatt des gewoͤhnlichen Effects verurſachte daſſelbe ein heftiges1774.
Januar.

Erbrechen, welches der Arzt ſogleich durch Brechmittel noch mehr befoͤrderte.
Aber alle Verſuche, auf eine andre Art Oefnung zu verſchaffen waren umſonſt.
Speiſe und Arzeneyen giengen durch Brechen wieder fort, und nach ein Paar Ta-
gen zeigte ſich ein fuͤrchterliches Aufſtoßen, welches ganzer vier und zwanzig
Stunden ſo ſtark anhielt, daß man an ſeinem Leben verzweifelte. Endlich tha-
ten warme Baͤder, und Magen-Pflaſter von Theriac, was Opiate und Clyſtiere
nicht vermogt hatten. Sie erweichten nemlich den Koͤrper und hoben allmaͤh-
lig die Verſtopfung, nachdem er eine ganze Woche lang in groͤßter Ge-
fahr des Lebens geweſen war. Unſer Bedienter ward zugleich mit dem Capi-
tain krank. Er hatte eben dieſelbe Krankheit und kam zwar mit genauer Noth
davon, blieb aber faſt immer ſchwach und die ganze Zeit unſers Aufenhalts zwi-
ſchen den Wende-Zirkeln, zum Dienſt unfaͤhig.


Mitlerweile giengen wir ſehr ſchnell nordwaͤrts; ſo daß wir am 22ſten
36 Grad 10 Minuten ſuͤdlicher Breite erreichten. Hier verließen uns die Al-
batroſſe. Da wir ohngefehr 94½ Grad weſtlicher Laͤnge von Greenwich er-
reicht hatten, ſo lenkten wir unſern Lauf nunmehro gen Suͤdweſten, um eine ver-
meynte Entdeckung des Juan Fernandez aufzuſuchen, die, nach dem Be-
richt von Juan Luiz Arias, unterm 40 Grad ſuͤdlicher Breite gelegen ſeyn
ſoll und auf Herrn Dalrymples Charte 90 Grad weſtlicher Laͤnge von London
verzeichnet iſt. *) Bis zum 23ſten Mittags fuhren wir fort weſtwaͤrts zu ſteu-
ern und waren nunmehro bis auf 37 Grad 50 Minuten ſuͤdlicher Breite und
ohngefaͤhr 101 Grad weſtlicher Laͤnge gekommen; da wir aber demohnerachtet
nirgends Land erblickten, ſo wandten wir uns etwas mehr nach Norden. Waͤre
der Capitain um dieſe Zeit nicht ſo gefaͤhrlich krank geweſen; ſo waͤren wir viel-
leicht noch weiter gen Suͤdweſten gegangen und haͤtten die Sache voͤllig außer
Zweifel geſetzt; allein jetzt war es aͤußerſt nothwendig nach einem Erfriſchungs-
Platz zu eilen, denn das war das einzige Mittel, wodurch er beym Leben erhal-
ten werden konnte.


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[414]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Januar.

Am 26ſten befand ſich Capitain Cook auf die verordneten Arzeneymit-
tel etwas beſſer, und waͤhrend der drey folgenden Tage erholte er ſich ſo weit,
daß er bisweilen aufſitzen und etwas Suppe zu ſich nehmen konnte. Naͤchſt
der Vorſehung war er ſeine Geneſung hauptſaͤchlich der Geſchicklichkeit unſers
Wundarztes Herrn [Pattons] ſchuldig und dieſem hat man es zu verdanken, daß der
noch uͤbrige Theil unſerer Reiſe dem urſpruͤnglichen Plan gemaͤß, mit eben ſo viel
Genauigkeit und Eifer wie bisher konnte fortgeſetzt und ausgefuͤhret werden, denn
alle Hofnungen kuͤnftiger Entdeckungen und fortdauernder Einigkeit im Schiff
beruhete lediglich auf des Capitains Erhaltung. Die Sorgfalt, womit dieſer
wuͤrdige Mann den Capitain waͤhrend der ganzen Krankheit behandelte, kann nicht
genug geprieſen werden. Aber eben dieſe unermuͤdete Sorgfalt haͤtte dem guten
Arzte ſelbſt beynahe das Leben gekoſtet. Da er viele Naͤchte hintereinander gar
nicht geſchlafen, auch bey Tage ſelten gewagt hatte eine Stunde zu ruhen, ſo
war er dermaßen erſchoͤpft, als daß uns fuͤr ſein Leben bange ward, als wovon
doch das Leben faſt aller und jeder im Schiffe abhieng. Er bekam eine Gallen-
Krankheit, die wegen der Schwaͤche ſeines Magens Gefahr beſorgen ließ und es
iſt ſehr wahrſcheinlich, daß wenn wir nicht bald Land erreicht und daſelbſt einige
Erfriſchungen bekommen haͤtten, er ein Opfer der Beharrlichkeit und Puͤnktlich-
keit in ſeinen Pflichten geweſen ſeyn wuͤrde.


Seit dem 22ſten Februar hatten wir oͤſtliche Winde, die vermuthlich
durch den Stand der Sonne veranlaßt wurden, als welche noch immer im ſuͤd-
lichen Hemisphaͤrio war. Nunmehro befanden wir uns wieder in einem beſſe-
ren Clima, denn das Thermometer ſtand ſchon auf 70 Grad; Von Zeit zu Zeit
ließen ſich graue Meerſchwalben ſehen, die nach unſers Freundes Maheine
Ausſage nie weit vom Lande gehen ſollen. Am 1ſten Maͤrz ſahen wir etliche
Boniten ſchnell beym Schiffe voruͤber ſchwimmen und am folgenden Tage, da
wir 30 Grad ſuͤdliche Breite hatten, erblickten wir auch wieder tropiſche Voͤgel.


Um dieſe Zeit fieng der Scorbut an, im Schiffe uͤberhaupt und vor-
zuͤglich bey mir uͤberhand zu nehmen. Ich hatte empfindliche Schmerzen,
blaue Flecken, faul Zahnfleiſch, und geſchwollene Beine. Dieſe gefaͤhrlichen
Symptomen brachten mich in wenigen Tagen ſehr herunter, ehe ich ſelbſt kaum
glaubte, daß ich ſo krank ſey. Ich hatte mich ſo viel als moͤglich der ungeſun-
[415]in den Jahren 1772 bis 1775.
den und wiedrigen Speiſen enthalten, dadurch aber war mein Magen-1774.
Maͤrz.

ſo geſchwaͤcht worden, daß ich die Bierwuͤrze nicht in hinreichender Men-
ge zu mir nehmen und dadurch das Uebel mindern konnte. Eben ſo gieng es
noch mehrerern von unſern Leuten, die mit großer Muͤhe noch auf dem Ver-
deck herum krochen.


Vom 3ten bis zum 6ten hatten wir faſt immer Windſtille, das Wetter
war hell und warm, aber dieſe Annehmlichkeiten konnten uns fuͤr den Man-
gel eines guͤnſtigen Windes nicht ſchadlos halten, denn ſo lange es daran fehlte
kamen wir nicht von der Stelle und doch verlangte uns herzlich nach einem Er-
friſchungs-Platz.


Am 5ten des Nachts ſahen wir in Suͤden einige hohe Wolken und ei-
nen Dunſt uͤber den Horizont. Wir hoften, das wuͤrde uns guten Wind
bedeuten. Es erfolgten auch bey einbrechender Nacht einige tuͤchtige
Regenſchauer, und um 8 Uhr des Morgens kamen unmittelbare Vorlaͤufer des
Windes, kleine ſchaͤumende Wellen, aus Suͤd-Oſt, uͤber die Flaͤche der See
hergebraußt, worauf wir ſogleich Seegel aufſetzten und von nun an mit gutem
Winde forteilten. Am folgenden Morgen fiengen wir vier große Albecoren,
wovon der kleinſte drey und zwanzig Pfund wog. Sie gaben uns eine herrli-
che Mahlzeit, denn es war nun laͤnger als drey Monathe her, daß wir keinen
friſchen Fiſch gekoſtet hatten. Puffins, Seeſchwalben, Solansgaͤnſe und
Fregatten zeigten ſich haͤufig auf der Jagd nach fliegenden Fiſchen, die theils
durch unſer Schif, theils durch Boniten, Albekoren und Doraden aus dem
Waſſer aufgeſcheucht wurden.


Am 8ten hatten wir, um Mittag, den 27ſten Grad ſuͤdlicher Breite
erreicht und ſteuerten von nun an gerade nach Weſten um die von Jacob Rog-
gewein
, im Jahr 1722 entdeckte Oſterinſel[Eaſter-Eyland] aufzuſuchen, wel-
che erſt vor kurzem, nehmlich im Jahr 1770 *) auch von den Spaniern beſucht,
und bey dieſer Gelegenheit S. Carls Inſel genannt worden war. Am 10ten
Morgens ſchwaͤrmten die grauen Meerſchwalben in unzaͤhliger Menge um uns
her. Wir machten jede Stunde ſieben Meilen, des Nachts aber legten wir bey,
[416]Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Maͤrz.
um nicht in der Finſterniß aufs Land zu ſtoßen, welches hier in der Naͤhe liegen
mußte. Am naͤchſten Morgen um 5 Uhr entdeckten wir es auch in der That.
Die Freude, welche ſich daruͤber auf jedem Geſicht verbreitete, iſt nicht auszu-
druͤcken. Seit einhundert und drey Tagen hatten wir kein Land geſehen; und
die ſtrenge Witterung in den ſuͤdlichen See-Gegenden, die Beſchwerlichkeit,
in Stuͤrmen und zwiſchen den gefaͤhrlichen Eismaſſen weder Tag noch Nacht
Ruhe zu haben, die oͤftere Veraͤnderung des Clima, und die elende Koſt hatten
uns allerſeits ohne Ausnahme kraftlos und ſiech gemacht. Bey dem Anblick des
Landes erwartete nun jeder das ſchleunige Ende ſeines Ungemachs, und freute
ſich im voraus auf die Menge von Huͤhnern und Fruͤchten, die nach dem Zeug-
niß des Hollaͤndiſchen Entdeckers auf dieſer Inſel vorhanden ſeyn ſollten. Je-
der war daruͤber froͤhlich und guter Dinge.


E l’uno a l’altro il moſtra e in tanto oblia
La noia, e’l mal de la paſſata via.

Tasso.
()

Indeſſen naͤherten wir uns der Kuͤſte nur langſam, zum großen Ver-
druß der ganzen Schiffgeſellſchaft, die um ſo begieriger nach dem Lande ward,
je mehrere Schwuͤrigkeiten ſich einfanden, die ihre verdruͤßliche Lage ver-
laͤngern konnten. Die Inſeln ſchienen maͤßig hoch und in verſchiedne Anhoͤ-
hen getheilt zu ſeyn, die ſanft gegen das Meer herabliefen. Der Umfang
war nicht anſehnlich; ob ſie aber fruchtbar ſeyn, und was fuͤr Erfriſchungen
ſie vielleicht liefern moͤgten? das konnten wir der allzugroßen Entfernung we-
gen noch nicht beurtheilen. Am folgenden Morgen war es Windſtille. Wir
befanden uns damals fuͤnf Seemeilen vom Lande, das von hier aus ein ſchwar-
zes trauriges Anſehn hatte, und fiengen zum Zeitvertreib Hayfiſche, wovon ei-
nige ums Schiff herſchwammen, und an die mit gepoͤckelten Schweinfleiſch ver-
ſehene Angeln ſehr begierig anbiſſen. Nachmittages erhob ſich der Wind,
worauf wir der Kuͤſte zu ſteuerten, in Hoffnung, noch ehe es Nacht wuͤrde, vor
Anker zu kommen. Ohnerachtet wir jetzt dem Lande ungleich naͤher waren als
heute fruͤh; ſo hatte es doch noch immer kein guͤnſtigeres Anſehen, indem nur
wenig
[409[417]]in den Jahren 1772 bis 1775.
wenig Gruͤn und kaum ein Buͤſchgen darauf zu erblicken war; da wir aber ſo1774.
Maͤrz.

lange unter allen moͤglichen Unannehmlichkeiten einer langweiligen Seefahrt
geſchmachtet, ſo wuͤrde uns der kahlſte Felſen ein willkommner Anblick geweſen
ſeyn. Neben zweyen Huͤgeln entdeckten wir eine große Anzahl ſchwaͤrzlicher
Saͤulen, die in verſchiedenen Haufen aufrecht neben einander ſtanden, und der
Gegend nach eben dieſelbigen zu ſeyn ſchienen, welche Roggeweins Leute fuͤr
Goͤtzenbilder hielten, *) wir waren aber jetzt ſchon, ohne genauere Unterſu-
chung, anderer Meynung, und vermutheten daß es ſolche Denkmaͤler der Tod-
ten ſeyn moͤgten, als die Tahitier und andre Einwohner der Suͤd-See bey den
Begraͤbniß-Plaͤtzen errichten und E-Ti nennen.


Der Wind war ſchwach und uns zuwider. Dazu kam die Nacht her-
an, und wir hatten keinen Anker-Platz an der Oſtſeite der Inſel; alſo mußten
wir uns abermals gefallen laſſen, noch eine Nacht unter Seegel zu bleiben. So
bald es finſter war, erblickten wir verſchiedne Feuer neben den vorerwaͤhnten
Saͤulen. Das ſahen die Hollaͤnder auch, und nannten es Goͤtzenopfer; es iſt
aber wahrſcheinlicher, daß es blos Feuer waren, wobey die Einwohner kochten.


Die Nacht uͤber lavirten wir ab und zu, um vor dem Winde nahe an
der Inſel zu bleiben, weil wir am Morgen fortfahren wollten, Anker-Grund
aufzuſuchen. Wir konnten bey dieſer Gelegenheit nicht umhin, die vortrefli-
chen Mittel zur bewundern, womit wir zu Beſtimmung der Meeres-Laͤnge ver-
ſehen waren. Mit Beyhuͤlfe derſelben, waren wir ohne langes Umherkreuzen,
gerade auf dieſe Inſel zugetroffen, dahingegen andre Seefahrer, als Byron,
Carteret
und Bougainville ſolche nicht hatten finden koͤnnen, ob ſie ſchon
von ungleich kleineren Diſtanzen, nemlich nur von der Inſel Juan Fernan-
dez
,
darauf ausgeſeegelt waren. Capitain Carteret ſcheint ſie bloß deshalb ver-
fehlt zu haben, weil ihre Breite in ſeinen geographiſchen Tabellen nicht richtig
angegeben war. Das konnte aber, bey den andern beyden, nicht der Fall
ſeyn. Um deſto mehr hatten wir Urſach, die vortrefliche Einrichtung der bey-
den Uhren zu bewundern, die wir bey uns fuͤhrten, die eine war von Herrn
Kendal, genau nach dem Muſter der Harriſonſchen; die andre von Herrn
Arnold, nach ſeinem eignen Plan verfertigt. Sie giengen beyde ungemein re-
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. G g g
[410[418]]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
gelmaͤßig. Die letzte gerieth ungluͤcklicherweiſe gleich nach unſrer Abreiſe von
Neu-Seeland im Junius 1773. in Stillſtand; erſtere aber blieb bis zu unſrer
Zuruͤckkunft nach England im Gange und verdiente allgemeinen Beyfall. Doch
ſind bey langen Reiſen richtige Beobachtungen des Mondes wohl ſicherer als die
Angaben der Laͤngen-Uhren, weil derſelben Lauf und Bewegung vielen Ver-
aͤnderungen unterworfen iſt. Die Methode, die Meeres-Laͤnge aus den
Entfernungen der Sonne und des Mondes, oder aus den Entfernungen des
Mondes und der Sterne zu beſtimmen, iſt eine der wichtigſten Entdeckungen
fuͤr die Seefahrt. Tobias Mayer, der ein Deutſcher und Profeſſor zu Goͤttin-
gen
war, unternahm zuerſt die muͤhſeelige Berechnung der dazu erforderlichen
Monds-Tafeln; wofuͤr ſeine Erben eine vom Parlement ausgeſetzte Belohnung
erhalten haben. Nachdem er die Bahn gebrochen, iſt dieſe Methode durch
hinzugefuͤgte anderweitige Berechnungen ſo ſehr erleichtert worden, daß die
Meeres-Laͤnge wohl niemals genauer als auf dieſe Art wird beſtimmt werden
koͤnnen.


Die Breite von Eaſter- oder Oſter-Eyland, trift auf eine oder zwey
Minuten mit derjenigen uͤberein, welche in Admiral Roggeweins geſchriebe-
nen Journal angegeben iſt; und ihre Laͤnge iſt daſelbſt nur um einen Grad irrig
angezeigt. *) Nach unſern Obſervationen liegt dieſe Inſel 109 Grad 46 Mi-
nuten weſtlich von Greenwich. Die ſpaniſchen Angaben von der Breite ſind
auch richtig; in der Laͤnge aber fehlen ſie um 30 See-Meilen.


Vierzehn-
[411[419]]in den Jahren 1772 bis 1775.

Vierzehntes Hauptſtuͤck.
Nachricht von Oſter-Eyland und unſerm Aufenthalt

daſelbſt.


Am 13ten, fruͤh Morgens, liefen wir dicht unter die ſuͤdliche Spitze der In-1774.
Maͤrz.

ſel. Die Kuͤſte ragte in dieſer Gegend ſenkrecht aus dem Meer empor,
und beſtand aus gebrochnen Felſen, deren ſchwammigte und ſchwarze eiſenfar-
bigte Maſſe volcaniſchen Urſprungs zu ſeyn ſchien. Zwey einzelne Felſen, lagen
ohngefaͤhr eine Viertelmeile vor dieſer Spitze in See. Einer derſelben hatte
eine ſonderbare Form, er glich nemlich einer großen Spitz-Saͤule oder Obelisk,
und beyde waren von einer ungeheuren Menge Seevoͤgel bewohnt, deren widri-
ges Geſchrey uns die Ohren betaͤubte. Nicht lange nachher entdeckten wir eine
andre Landſpitze, ohngefaͤhr 10 Meilen von der erſten; und hier ward das Land
nach dem Ufer herab, etwas flacher und ebener. In dieſer Gegend entdeckten
wir auch einige bepflanzte Felder; doch ſchien die Inſel, im Ganzen genommen,
einen elenden duͤrren Boden zu haben. Der Pflanzungen waren ſo wenige, daß
wir uns eben keine Hoffnung zu vielen Erfriſchungen machen durften; dennoch
blieben unſre Augen unablaͤßig darauf gerichtet. Mittlerweile ſahen wir
viele, faſt ganz nackte Leute eiligſt von den Bergen gegen die See herabkommen.
So viel wir unterſcheiden konnten, waren ſie unbewaffnet, welches uns ein
Merkmal friedlicher Geſinnungen zu ſeyn duͤnkte. Wenig Minuten nachher,
ſchoben ſie ein Canot ins Waſſer, in welchen ſich zwey von ihnen zu uns auf den
Weg machten, die indem ſie ſehr raſch ruderten, in kurzer Zeit neben dem Schiff
waren. Sie riefen, wir moͤgten ihnen einen Strick zu werfen, deſſen Benen-
nung in ihrer Sprache eben ſo als in der Tahitiſchen lautete. So bald wirs
gethan hatten, befeſtigten ſie einen großen Klumpen reife Piſangs daran, und
winkten nun, daß man den Strick wieder heraufziehen moͤgte. Welche allge-
meine und unvermuthete Freude der Anblick dieſer Fruͤchte bey uns verurſacht habe,
iſt kaum zu beſchreiben; nur Leute, die eben ſo elend ſind, als wir damals wa-
ren, koͤnnen ſich einen richtigen Begriff davon machen. Mehr als funfzig
Perſonen fiengen aus Uebermaaß der Freude auf einmal an, mit den Leuten im
G g g 2
[412[420]]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
Canot zu ſprechen, die natuͤrlicherweiſe keinem einzigen antworten konnten. Ca-
pitain Cook nahm allerhand Baͤnder, befeſtigte Medaillen und Corallen daran,
und ließ ihnen ſolche zum Gegengeſchenk herab. Sie bewunderten dieſe Klei-
nigkeiten ſehr; eilten aber unverzuͤglich wieder ans Land. Als ſie auf dem Ruͤck-
wege um das Hintertheil des Schiffs herum ruderten, und daſelbſt eine ausge-
worfne Angelſchnur vom Verdeck herabhaͤngen ſahen, banden ſie zum Abſchieds-
Geſchenk, noch ein klein Stuͤckchen Zeug daran. Beym Heraufziehen fanden
wir, daß es aus eben ſolcher Baumrinde als das Tahitiſche verfertigt und gelb
gefaͤrbt war. Den wenigen Worten nach zu urtheilen, die wir von ihnen gehoͤrt
hatten, duͤnkte uns ihre Sprache ein Dialect der Tahitiſchen zu ſeyn. Es
wird alſo an beyden Enden der Suͤdſee einerley Sprache geredet. Ihr ganzes
Anſehen ließ uns vermuthen, daß ſie ein Zweig deſſelbigen Volk-Stamms ſeyn
muͤßten. Sie waren von mittlerer Groͤße, aber mager, und der Geſichtsbil-
dung nach, den Tahitiern aͤhnlich, jedoch nicht ſo ſchoͤn. Der eine von den
beyden, die im Canot waren, hatte einen Bart, der bis auf einen halben Zoll
abgeſchnitten war. Der andre war ein junger Menſch von ſiebzehn Jahren.
Sie hatten uͤber den ganzen Coͤrper eben ſolche Puncturen als die Neu-Seelaͤn-
der, und als die Einwohner der Societaͤts- und der freundſchaftlichen In-
ſeln
; giengen aber voͤllig nackend. Das Sonderbarſte an ihnen war die Groͤße
ihrer Ohren, deren Zipfel oder Lappen ſo lang gezogen war, daß er faſt auf den
Schultern lag; darneben hatten ſie große Loͤcher hinein geſchnitten, daß man
ganz bequem vier bis fuͤnf Finger durchſtecken konnte. Dies ſtimmte genau
mit der Beſchreibung uͤberein, welche Roggewein in ſeinem Reiſe-Journal
von ihnen macht. *) Ihr Canot war in ſeiner Art nicht minder ſonderbar. Es
beſtand aus lauter kleinen Stuͤckchen Holz, die ohngefaͤhr 4. 5 Zoll breit und
von 3 bis 4 Fus lang, ſehr kuͤnſtlich zuſammengeſetzt waren. Ueberhaupt mogte es
ohngefaͤhr 10 bis 12 Fus lang ſeyn. Das Vor- und [Hintertheil] war jedes ſehr
hoch; in der Mitte aber war das Fahrzeug ſehr niedrig. Es hatte einen Aus-
leger oder Balancier von drey duͤnnen Stangen, und jeder von den Leuten fuͤhrte
ein Ruder, deſſen Schaufel gleichfalls aus verſchiednen Stuͤcken zuſammenge-
[413[421]]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſetzt war. Auch dieſen Umſtand findet man in den hollaͤndiſchen Nachrichten,1774.
Maͤrz.

welche von Roggeweins Reiſe im Jahr 1728. zu Dort gedruckt iſt, *) ganz
gleichlautend angezeigt. Da ſie die Sparſamkeit mit dem Holze ſo weit treiben;
ſo iſt zu vermuthen, daß die Inſel Mangel daran haben muͤſſe, wenn gleich in
einer andern Reiſebeſchreibung **) das Gegentheil behauptet wird.


Ohnerachtet wir der Stelle gegenuͤber, von wo das Canot abgegangen
war, einen Anker Platz fanden, ſo liefen wir doch, in Hoffnung noch beſſern
Ankergrund zu finden, noch weiter laͤngſt der Kuͤſte, und bis an die noͤrdliche
Spitze derſelben hin, die wir geſtern, wiewohl von der andern Seite, geſehen
hatten. Die Hoffnung aber, hier eine bequemere Rhede zu finden, ſchlug uns
fehl, und alſo kehrten wir nach vorgedachten Platze wieder zuruͤck. An
dem Ufer ſahe man eine Menge ſchwarzer Saͤulen oder Pfeiler, die zum Theil auf
Platteformen errichtet waren, welche aus verſchiednen Lagen von Steinen beſtan-
den. Wir konnten nun an dieſen Saͤulen nach gerade ſo viel unterſcheiden, daß ſie
am obern Ende eine Aehnlichkeit mit dem Kopf und den Schultern eines Menſchen
hatten; der untere Theil aber ſchien blos ein roher unbearbeiteter Steinblock zu ſeyn.
Von angebauten Laͤndereyen bemerkten wir hier am noͤrdlichen Ende der Inſel nur
wenig, denn das Land war in dieſer Gegend ſteiler als nach der Mitte der Inſel
hin. Auch ſahen wir nunmehro ganz deutlich, daß auf der ganzen Inſel kein
einziger Baum uͤber 10 Fus hoch war.


Nachmittages ſetzten wir ein Boot aus, in welchem der Lootſe ans Land
gehen ſollte um die Rhede zu ſondiren, von wo das Canot zu uns gekommen war.
Sobald die Einwohner unſer Boot vom Schiff abrudern ſahen, verſammelten
ſie ſich am Ufer, in der Gegend, nach welche unſre Leute zu ſteuern ſchienen.
Der groͤßte Theil der Indianer war nackt, nur einige wenige hatten ſich in Zeug
von ſchoͤner hellgelber- oder vielmehr Orange-Farbe gekleidet, und dieſe mußten
unſern Beduͤnken nach die Vornehmern der Nation ſeyn. Nunmehro konnten
wir auch ihre Haͤufer bereits unterſcheiden. Sie waren dem Anſchein nach un-
gemein niedrig, aber lang; in der Mitte hoch und gegen beyde Seiten ſchraͤg ab-
G g g 3
[414[422]]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
laufend, ſo daß ſie der Form nach einem umgekehrten Canot nicht unaͤhnlich ſa-
hen. In der Mitte ſchienen ſie eine kleine Oefnung oder Thuͤr zu haben, die
aber ſo niedrig war, daß ein Mann von gewoͤhnlicher Groͤße ſich buͤcken mußte,
um hinein zu kommen. Gegen Abend giengen wir an der Suͤdweſtlichen Seite
der Inſel vor Anker, woſelbſt wir vierzig Faden Tiefe und einen guten Kies-
Grund hatten. Bald nachher kam der Lootſe von ſeiner Expedition zuruͤck und
brachte einen der Eingebohrnen mit an Bord. Dieſer Kerl war ohne Ceremo-
nie oder Einladung dreiſt ins Boot geſprungen, als es dicht am Ufer lag, und
hatte ſogleich Verlangen geaͤußert, ans Schiff gebracht zu werden. Er war
von caſtanienbrauner Farbe und mittler Statur, ohngefehr 5 Fus 8 Zoll groß;
und auf der Bruſt und uͤber den ganzen Leib merklich haarigt. Der Bart und
das Haupthaar waren in gleichem Verhaͤltniß ſtark, beydes von ſchwarzer Farbe
und erſterer geſtutzt. Er hatte ſo lange Ohrlappen, daß ſie ihm faſt bis auf die
Schultern herabhiengen; und ſeine Schenkel waren felderweiſe oder nach wuͤr-
felfoͤrmigen Figuren, und in einem Geſchmack punktirt, dergleichen wir ſonſt noch
nirgends bemerkt hatten. Statt aller uͤbrigen Bekleidung trug er blos einen Guͤrtel
um den Leib, woran vorne ein Netzwerk herabhieng, das aber nichts bedeckte.
Um den Hals hatte er eine Schnur, an welcher vorn auf der Bruſt ein breiter
und ohngefaͤhr 5 Zoll langer Knochen befeſtigt war, der die Figur einer Zunge
vorſtellen ſollte. Er erzaͤhlte uns, dieſer Knoche ſey von einem Meer-Schwein,
Ivi toharra, welcher Name in der tahitiſchen Sprache gerad eben ſo lautet.
Um ſich noch deutlicher zu erklaͤren, nannte er dieſen Bruſt-Zierrath auch Ivi-
Ika,
welches, wie wir wohl verſtanden, einen Fiſchknochen bedeutet. *) So
bald er ſich im Boote niedergeſetzt, gab er durch ſehr vernemliche Zeichen zu ver-
ſtehen, daß ihm friere. Herr Gilbert der Lootſe, gab ihm alſo eine Jacke und
ſetzte ihm einen Hut auf; in dieſem Staat erſchien er bey uns auf dem Schiff.
Der Capitain und die Paſſagiers ſchenkten ihm Naͤgel, Medaillen und Corallen-
Schnuͤre. Letztere verlangte er um den Kopf gewunden zu haben. Anfaͤnglich
war er etwas furchtſam und mißtrauiſch, denn er fragte, ob wir ihn als einen
[415[423]]in den Jahren 1772 bis 1775.
Feind umbringen wuͤrden? (Matte-toa?) Da wir ihm aber gute Begegnung1774.
Maͤrz.

verſprachen, ſo ſchien er voͤllig beruhigt und ſicher zu ſeyn, und redete von nichts
als Tanzen (Hiwa.) Anfaͤnglich koſtete es uns einige Muͤhe, ſeine Sprache
zu verſtehen; als wir ihn aber fragten, wie er die Hauptglieder des Leibes nenne,
fand ſich bald, daß es eben die Mundart ſey, welche auf den Societaͤts-Inſeln
geredet wird, denn die Namen der Gliedmaßen lauteten hier eben ſo als dort.
Wenn wir ein Wort ſagten, das er nicht verſtand, ſo wiederholte ers oft, und
mit einem Blick, der ſehr lebhaft ausdruͤckte, daß er nicht wiſſe, was wir da-
mit meynten. Bey herrannahender Nacht gab er uns zu verſtehen, daß er
ſchlafen wolle, und daß ihm friere. Mein Vater gab ihm alſo ein großes
Stuͤck von dem groͤbſten tahitiſchen Zeuge. Darinn wickelte er ſich, und
ſagte, daß er nun voͤllig warm ſey. Man brachte ihn in des Lootſen Cajuͤtte,
wo er ſich auf einen Tiſch niederlegte und die ganze Nacht ſehr ruhig ſchlief.
Maheine, der ſchon ungeduldig daruͤber war, daß er noch nicht hatte ans Land
gehen koͤnnen, freuete ſich ungemein, daß die Leute eine Sprache redeten, die
der ſeinigen aͤhnlich war. Er hatte ſchon verſchiedenemal verſucht, ſich mit
unſern Gaſt in Unterredung einzulaſſen, er war aber noch immer durch ſo viel
andre Fragen daran gehindert worden.


In der Nacht riß der Anker aus und das Schiff trieb fort, daher wir
die Seegel wieder aufſetzen mußten, um unſern vorigen Ankerplatz wieder zu er-
reichen. Gleich nach dem Fruͤhſtuͤck gieng der Capitain mit dem Wilden, der
Maruwahai hies, imgleichen mit Maheinen, meinen Vater, Doct. Sparr-
mann
und mir an Land. Mir waren Beine und Schenkel ſo dick geſchwollen,
daß ich faſt gar nicht gehen konnte. Wir fanden hier eine gute Bucht, die fuͤr
Boote tief genug und am Landungsplatze durch Klippen gegen die berg-hohen
Wellen gedeckt war, welche an den uͤbrigen Stellen der Kuͤſte gewaltig gegen
das Ufer anſchlugen. Ohngefaͤhr hundert bis hundert und funfzig Einwohner,
hatten ſich in dieſer Gegend verſammlet. Sie waren faſt alle nackend, doch trugen
einige einen Guͤrtel um den Leib, von welchem ein Stuͤckchen Zeug 6 bis 8 Zoll
lang oder auch ein kleines Netz herabhieng. Etliche wenige hatten Maͤntel, welche
bis auf die Knie reichten. Das Zeug dazu war von derſelben Art als das
Tahitiſche, aber, um ſolches dauerhafter zu machen, mit Zwirn geſtept oder
[416[424]]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
durchnaͤhet, und mehrentheils mit Curkuma-Wurzel gelb gefaͤrbt. Die Leute
ließen uns ruhig an Land ſteigen und machten uͤberhaupt nicht die mindeſte un-
freundliche Bewegung; ſondern fuͤrchteten ſich vielmehr vor unſerm Feuergewehr,
deſſen toͤdliche Wuͤrkung ihnen bekannt zu ſeyn ſchien. Sie waren groͤßtentheils
unbewaffnet; doch fuͤhrten einige unter ihnen Lanzen oder Speere, von unfoͤrm-
lich und hoͤckerigt gewachſenen Holz gemacht und mit einem ſcharfen dreyeckigten
Stuͤck ſchwarzer Glas-Lava (pumex vitreus Linnaei) zugeſpitzt. Einer hatte
eine Streit-Kolbe, die aus einem dicken Stuͤck Holz verfertigt, 3 Fus lang, und
an einem Ende mit Schnitzwerk verziert war, und ein Paar andre hielten kurze,
hoͤlzerne Keulen in der Hand, die den Neu-Seelaͤndiſchen Pattu-Pattus von
Fiſchknochen voͤllig aͤhnlich ſahen. Mit unter hatte einer einen europaͤiſchen
Hut, ein andrer eine dergleichen Muͤtze, dieſer ein geſtreiftes baumwollnes
Schnupftuch, jener eine alte zerrißne Jacke von blauen wollnen Zeuge an; alles
ohnſtreitige Denkmaͤler oder Ueberbleibſel von der letztern Anweſenheit der
Spanier, die im Jahre 1770 hier geweſen waren. Uebrigens konnte man
es den Eingebohrnen in aller Abſicht anſehen, daß ihr Land ſehr armſeelig ſeyn
muͤſſe. Sie waren von Geſtalt kleiner als die Neu-Seelaͤnder und als die Ein-
wohner der Societaͤts- und freundſchaftlichen Inſeln, ja wir fanden nicht einen
einzigen unter ihnen, den man haͤtte groß nennen koͤnnen. Dabey waren ſie
mager, und ſchmaler von Geſicht als die uͤbrigen Bewohner der Suͤdſee zu ſeyn
pflegen. Ihr Mangel an Kleidung und ihre Begierde nach unſren Waaren,
ohne daß ſie uns dafuͤr wieder etwas angeboten haͤtten, waren zuſammengenom-
men, hinreichende Merkmale ihrer Armſeligkeit. Sie waren durchgehends
uͤber den ganzen Leib ſehr ſtark punctirt, vornemlich aber im Geſicht. Ihre
Frauensperſonen, die ſehr klein und zart gebauet waren, hatten auch Punctu-
ren im Geſicht, die an Geſtalt den Schoͤnpflaͤſterchen unſrer Damen glichen.
Doch befanden ſich unter dem ganzen hier verſammleten Haufen nicht uͤber zehn
bis zwoͤlf Frauensleute. Sie waren gemeiniglich mit ihrer natuͤrlichen hell-
braunen Farbe nicht zufrieden, ſondern hatten ſich noch das ganze Geſicht mit
rothbraunen Roͤthel uͤberſchmiert, uͤber dem denn das ſchoͤne Oranienroth der
Curkuma-Wurzel geſetzt war; zum Theil hatten ſie ſich auch das Geſicht mit
zierlichen Streifen von weißen Muſchel-Kalk verſchoͤnert. Die Kunſt, ſich
anzu-
[425]in den Jahren 1772 bis 1775.
anzumahlen, iſt alſo nicht blos auf die Damen eingeſchraͤnkt, welche das Gluͤck1774.
Maͤrz.

haben die Franzoͤſiſchen Moden nachzuahmen. Die Weiber waren alle in Zeug
gekleidet, aber ſo ſparſam, daß es in Vergleichung mit den vollſtaͤndigen und
verſchwenderiſchen Trachten, die in Tahiti Mode waren, hier ungleich ſeltner
zu ſeyn ſchien. Maͤnner und Weiber hatten hagere Geſichtsbildungen, doch
war nichts wildes in ihren Zuͤgen; dagegen hatte die brennende Sonnenhitze,
fuͤr welche man in dieſem kahlen Lande faſt nirgends Schatten findet, bey verſchie-
denen eine wiedernatuͤrliche Verzerrung des Geſichts zuwege gebracht, indem die
Augenbraunen zuſammen und die Muskeln vom Untertheil des Geſichts gegen
die Augen heraufgezogen waren. Die Naſen ſind nicht breit, zwiſchen den Au-
gen aber ziemlich flach. Die Lippenſtark, aber nicht ſo dick als bey den Negern.
Das Haar iſt ſchwarz und kraͤuſelt ſich, aber durchgehends verſchnitten, und nie
uͤber drey Zoll lang. Ihre Augen ſind ſchwarzbraun und klein; und das Weiße
derſelben iſt nicht ſo helle als bey den andern Voͤlkern der Suͤdſee; daß ſie lange
Ohren, und in den Ohrlaͤppchen ungewoͤhnlich große Loͤcher haben, iſt bereits
erwaͤhnt. Um letztere ſo groß zu machen, bedienten ſie ſich eines Blattes von
Zuckerrohr, das aufgerollt hindurch geſteckt war, und vermoͤge ſeiner eigenthuͤm-
lichen Elaſticitaͤt den Einſchnitt im Ohre beſtaͤndig aufgeſpannt hielt. Die un-
ertraͤgliche Sonnenhitze hat ſie genoͤthigt auf allerhand Mittel zu denken, um den
Kopf dagegen zu ſchuͤtzen. In dieſer Abſicht trugen die Maͤnner zum Theil ei-
nen zwey Zoll dicken Ring von ſtark und kuͤnſtlich geflochtnen Graſe um den Kopf,
der rund umher mit einer Menge langer ſchwarzer Federn vom Halſe des Fregat-
tenvogels beſteckt war. Andre hatten große buſchichte Muͤtzen von braunen Me-
wen-Federn, die faſt eben ſo dick waren, als die großen Doctor-Peruͤcken des vo-
rigen Jahrhunderts. Noch andre hatten einen bloßen hoͤlzernen Reif auf dem
Kopfe, in welchem eine große Anzahl langer weißer Federn von der Soland-Gans
befeſtigt waren, die bey dem geringſten Luͤftchen hin und her ſchwankten, und auf
die Art den Kopf nicht nur vor der Sonne ſchuͤtzten, ſondern zugleich kuͤhl erhiel-
ten. Die Frauensperſonen trugen einen weiten Hut von artigen Mattenwerk.
Vorn war er ſpitz; die Vertiefung fuͤr den Kopf aber, war nicht wie bey unſerm
Hute rund und oben platt, ſondern laͤngligt, und von beyden Seiten, nach oben
hin, ſchraͤg zuſammen laufend, und hinten fielen zwey einzelne Krempen herab,
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. H h h
[426]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
welche vermuthlich die Schultern ſchuͤtzen ſollten. Dieſe Huͤte fanden wir unge-
mein kuͤhlend. Herr Hodges zeichnete eine Frauensperſon mit einem ſolchen
Hute, und eine Mannsperſon mit einer von den vorbeſchriebenen Kopf-Trachten.
Sie ſind beyde ungemein characteriſtiſch ausgefallen und ſehr gut in Kupfer ge-
ſtochen worden. Die einzigen Zierrathen, die wir bey dieſen Leuten antrafen,
beſtanden in dem vorgedachten Zungenfoͤrmigen Stuͤck Knochen, welches Maͤn-
ner und Weiber auf der Bruſt trugen, und naͤchſt dieſen in Halsbaͤndern und in
Ohrringen von Muſchel-Schaalen.


Nachdem wir eine Weile am Strande bey den Eingebohrnen geblieben
waren, ſo giengen wir tiefer ins Land hinauf. Der ganze Boden war mit Felſen
und Steinen von verſchiedener Groͤße bedeckt, die alle ein ſchwarzes, verbrann-
tes, ſchwammigtes Anſehen hatten, und folglich einem heftigen Feuer ausgeſetzt
geweſen ſeyn mußten. Zwey bis drey Grasarten wuchſen zwiſchen dieſen Steinen
kuͤmmerlich auf und milderten einigermaßen, ob ſie gleich ſchon halb vertrock-
net waren, das verwuͤſtete oͤde Anſehn des Landes. Ohngefaͤhr funfzehn
Schritte vom Landungsplatze, ſahen wir eine Mauer von viereckigten, gehaue-
nen Steinen, davon jeder anderthalb bis 2 Fus lang und einen Fus breit war.
In der Mitte betrug die Hoͤhe ohngefaͤhr 7 bis 8 Fus; an beyden Enden aber
war ſie niedriger und uͤberhaupt ohngefaͤhr zwanzig Schritt lang. Das Son-
derbarſte war die Verbindung dieſer Steine, die ſo kuͤnſtlich gelegt und ſo genau
in einander gepaßt waren, daß ſie ein ungemein dauerhaftes Stuͤck von Archi-
tectur ausmachten. Der Stein, woraus ſie gehauen, iſt nicht ſonderlich hart,
ſondern nur eine ſchwarzbraune, ſchwammigte, ſproͤde Stein-Lava. Der Bo-
den lief von der Kuͤſte immer bergauf, dergeſtalt, daß eine zweyte Mauer, welche
parallel mit dieſer, und zwoͤlf Schritte weiter hinauf lag, nur 2 bis 3 Fus
hoch ſeyn durfte, um in dem Zwiſchenraum eine Art von Terraſſe zu formiren, auf
welcher das Erdreich eine ebene Flaͤche ausmachte, die mit Gras bewachſen war.
Funfzig Schritt weiter gegen Suͤden, fanden wir einen andern erhabnen ebnen
Platz, deſſen Oberflaͤche mit eben ſolchen viereckten Steinen gepflaſtert war, als
man zum Mauerwerk gebraucht hatte. In der Mitte dieſes Platzes ſtand eine
ſteinerne Saͤule, aus einem Stuͤck, die eine Menſchen-Figur bis auf die Huͤf-
ten abgebildet, vorſtellen ſollte und 20 Fus hoch und 5 Fus dick war. Dieſe
[427]in den Jahren 1772 bis 1775.
Figur war ſchlecht gearbeitet, und bewies, daß die Bildhauerkunſt hier noch1774.
Maͤrz.

in der erſten Kindheit ſey. Augen, Naſe und Mund waren an dem plumpen
ungeſtalten Kopfe kaum angedeutet. Die Ohren waren nach der Landes-Sitte
ungeheuer lang, und beſſer als das uͤbrige gearbeitet, ob ſich gleich ein europaͤi-
ſcher Kuͤnſtler derſelben geſchaͤmt haben wuͤrde. Den Hals fanden wir unfoͤrmig
und kurz; Schultern und Arme aber nur wenig angedeutet. Auf dem Kopfe war
ein hoher runder cylindriſcher Stein aufgerichtet, der uͤber 5 Fus im Durch-
ſchnitt und in der Hoͤhe hatte. Dieſer Aufſatz, der dem Kopfputze einiger egypti-
ſchen Gottheiten gleich ſahe, beſtand aus einer andern Steinart, denn er war von
roͤthlicher Farbe; auch war an deſſen beyden Seiten ein Loch zu ſehen, als haͤtte
man ihm ſeine runde Form durch ein Dreh- oder Schleifwerk gegeben. Der Kopf
nebſt dem Aufſatz machte die Haͤlfte der ganzen Saͤule aus, ſo weit ſie uͤber der
Erde ſichtbar war. Wir merkten uͤbrigens nicht, daß die Inſulaner dieſen Pfei-
lern, Saͤulen oder Statuͤen einige Verehrung erwieſen haͤtten; doch mußten ſie
wenigſtens Achtung dafuͤr haben, denn es ſchien ihnen manchmal ganz unan-
genehm zu ſeyn, wenn wir uͤber den gepflaſterten Fusboden oder das Fusgeſtell
giengen, und die Steinart unterſuchten, wovon ſie gemacht waren.


Einige von den Inſulanern begleiteten uns weiter ins Land nach einem klei-
nen Gebuͤſche hin, woſelbſt wir im Pflanzenreich etwas neues anzutreffen hofften.
Der Weg war ungemein rauh, er gieng uͤber lauter volcaniſche Steine, die un-
ter den Fuͤßen weg rollten und an die wir uns bey jeden Schritt ſtießen. Die
Eingebohrnen hingegen, die daran gewoͤhnt waren, huͤpften ohne einige Schwuͤ-
rigkeit von Stein zu Stein. Unterwegens erblickten wir etliche ſchwarze Rat-
ten, die auf allen Inſeln der Suͤdſee anzutreffen ſind. Das Gebuͤſch, um deſ-
ſentwillen wir dieſe Wanderung unternommen, beſtand aus einer kleinen Pflan-
zung von Papier-Maulbeerbaͤumen, aus deren Rinde hier, ſo wie auf Tahiti,
das Zeug zur Kleidung gemacht wird. Die Staͤmme waren 2 bis 4 Fus hoch,
und zwiſchen großen Felſen, woſelbſt der Regen ein wenig Erde angeſchlemmt
hatte, ordentlich in Reihen angepflanzt. Nicht weit von hier ſtanden auch ei-
nige Buͤſche vom Hibiscus populneus Linnaei, der in allen Suͤdſee-Inſeln
angetroffen, und von den Einwohnern zum Gelbfaͤrben gebraucht wird. End-
lich gab es an dieſem Fleck noch eine Mimoſa, welches das einzige Gewaͤchs iſt,
H h h 2
[428]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
das den Einwohnern Holz zu ihren Keulen, Pattu-Pattus, und kuͤmmerlich
zuſammengeflickten Canots liefert.


Je weiter wir ins Land kamen, deſto kahler und unfruchtbarer fanden
wir den Boden. Das kleine Haͤufchen von Einwohnern, die uns am Landungs-
Platze entgegen gekommen, ſchien der Hauptſtamm des ganzen Volks geweſen zu
ſeyn, denn unterwegens hatten wir nicht einen einzigen Menſchen zu Geſicht be-
kommen; auch waren in der ganzen großen Gegend, die wir uͤberſchauen konnten,
nicht mehr als zehn bis zwoͤlf Huͤtten zu ſehen. Eine der ſtattlichſten war
auf einem kleinen Huͤgel erbauet, der ohngefaͤhr eine halbe Meile weit von der
See lag. Die Neugier trieb uns darnach hin, allein es war eine elende
Wohnung, die von der Armuth ihrer Eigenthuͤmer zeugte. Das Fundament
beſtand aus Steinen, die zwoͤlf Fus lang und in zwey gegeneinander laufenden
krummen Linien, flach auf den Boden gelegt waren. In der Mitte, wo ſich die
groͤßte Kruͤmmung befand, lagen die beyden Reihen Grundſteine, ohngefaͤhr
6 Fus, an den aͤußerſten Enden, hingegen kaum einen einzigen Fus breit eine
von der andern. In jedem dieſer Steine bemerkten wir ein bis zwey Loͤcher,
worinn Stangen geſteckt waren. Die mittelſten Stangen waren 6 Fus hoch,
die andern aber wurden nach beyden Seiten hin immer kuͤrzer, ſo daß die letzten
nur 2 Fus Hoͤhe hatten. Oben neigten ſich alle dieſe Stangen zuſammen, und
waren an Queerſtangen gebunden, wodurch ſie zuſammen gehalten wurden.
Das Dach war aus duͤnnen Ruthen zitterfoͤrmig geflochten und außerhalb mit
einer tuͤchtigen Matte von Zucker-Rohrblaͤttern belegt. Es ruhete auf den vor-
gedachten Stangen, die das Geruͤſt der Huͤtte ausmachten, reichte unterhalb
bis ganz auf den Boden herab und lief oberwaͤrts von beyden Seiten, ſchraͤg in
einen ſcharfen Winkel zuſammen. Auf der einen Seite war eine Oeffnung, die
ohngefaͤhr 18 Zoll bis 2 Fus hoch und durch ein vorſpringendes Wetterdach
gegen die Naͤſſe geſchuͤtzt war. Dies ſtellte die Thuͤre vor, wer hinein oder
heraus wollte, mußte auf allen Vieren kriechen. Auch dies ließen wir nicht
unverſucht, allein es war der Muͤhe nicht werth, denn das innere der Huͤtte war
platterdings leer und kahl. Man fand nicht einmal ein Bund Stroh darinn,
worauf man ſich haͤtte legen koͤnnen. Blos in der Mitte konnten wir aufrecht
ſtehen, und außer dieſer Unbequemlichkeit war es auch ganz und gar finſter dar-
[429]in den Jahren 1772 bis 1775.
inn. Unſre indianiſchen Begleiter erzaͤhlten uns, daß ſie die Nacht in dieſen1774.
Maͤrz.

Huͤtten zubraͤchten; allein das muß ein elender Aufenthalt ſeyn, zumal da ſie
wegen der geringen Anzahl derſelben gleichſam einer uͤber den andern liegen muͤſ-
ſen, es ſey denn, daß der gemeine Mann unter freyen Himmel ſchlaͤft, und
dieſe erbaͤrmlichen Wohnungen den Vornehmern uͤberlaͤßt, oder nur bey ſchlim-
men Wetter dahin ſeine Zuflucht nimmt.


Außer dieſen Huͤtten ſahen wir auch etliche Steinhaufen, die an einer
Seite ganz ſteil waren, und daſelbſt eine Oeffnung hatten, welche unter die Erde
gieng. Allem Anſchein nach, konnte der innere Raum nur ſehr klein ſeyn, und
dennoch iſts zu vermuthen, daß auch dieſe Loͤcher des Nachts zum Obdach dien-
ten. Vielleicht haͤngen ſie aber mit natuͤrlichen, unterirdiſchen Hoͤhlen zuſam-
men, deren es in volcaniſchen Laͤndern, wo alte Lavaſtroͤhme vorhanden ſind,
ſo viele giebt. Dergleichen Hoͤhlen findet man in Island ſehr haͤufig, und
noch bis jetzt ſind ſie dafuͤr bekannt und beruͤhmt, daß die ehemaligen Be-
wohner des Landes ſich darinn aufgehalten haben. Herr Ferber, der erſte
mineralogiſche Geſchichtſchreiber des Veſuvs, meldet unter andern, daß er eine
ſolche Hoͤhle in einer der neueſten Laven angetroffen habe. Gern haͤtten wir dies
genauer unterſucht; die Einwohner wollten uns aber nie hineinlaſſen.


Eine Zuckerrohr- und Piſang-Pflanzung, die neben dieſem Hauſe an-
gelegt waren, ſtanden dagegen in deſto ſchoͤnerer Ordnung, ſo weit es der ſtei-
nigte Boden geſtatten wollte. Um jede Piſangpflanze her, war eine Vertie-
fung von 12 Zoll gemacht, vermuthlich in der Abſicht, daß der Regen da zu-
ſammenlaufen und die Pflanze deſto feuchter ſtehen moͤgte. Das Zucker-Rohr
wuchs, ſo duͤrre auch das Land iſt, 9 bis 10 Fus hoch, und enthielt einen un-
gemein ſuͤßen Saft, den die Eingebohrnen uns ſehr oft anboten, beſonders,
wenn wir zu trinken verlangten. Der letztere Umſtand brachte uns auf die Ge-
danken, daß es gar kein friſches Waſſer auf dieſer Inſel geben muͤſſe; als wir
aber wieder nach dem Landungsplatz zuruͤck kamen, trafen wir den Capitain Cook
bey einem Brunnen an, den ihm die Einwohner nachgewieſen hatten. Er lag
nicht weit von der See und war tief in den Felſen gehauen, aber voll Unreinig-
keiten. Als ihn unſre Leute gereinigt hatten, fanden ſie das Waſſer brackiſch, gleich-
wohl tranken es die Einwohner mit großen Wohlgefallen.


H h h 3
[430]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.

Der Capitain war im Handel mit den Leuten nicht gluͤcklich geweſen.
Sie ſchienen keine Lebensmittel uͤbrig zu haben. Ein Paar Matten-Koͤrbe mit
ſuͤßen Kartoffeln, etwas Zucker-Rohr, einige Klumpen Piſangs und zwey oder
drey kleine ſchon gahr gemachte Huͤhner; das war alles, was er fuͤr etwas Eiſen-
Geraͤthſchaften und Tahitiſches Zeug einzuhandeln im Stande geweſen war. Er
hatte den Leuten Corallen geſchenkt, welche ſie aber immer mit Verachtung weit
von ſich geworfen, was ſie hingegen von andern Sachen an und um uns ſahen,
verlangten ſie zu haben, ob ſie ſchon nichts wieder zu geben hatten. Waͤhrend
unſrer Abweſenheit hatten ſie ſich vom Landungsplatze ziemlich verlaufen,
und ſchienen nach ihren Wohnungen zum Mittags-Eſſen gegangen zu ſeyn. Die
Zahl der Weiber war in Verhaͤltniß zu den Maͤnnern immer ſehr geringe. Bey
unſrer Landung ſahen wir ihrer nicht uͤber zwoͤlf oder funfzehn, und jetzt waren
nur noch ſechs oder ſieben zugegen. Sie waren weder zuruͤckhaltend noch keuſch;
fuͤr ein Stuͤckchen Tahitiſches Zeug hatten unſre Matroſen von ihnen was ſie
wollten. Ihre Geſichtszuͤge duͤnkten uns ſanft genug, und der große geſpitzte
Hut gab ihnen ein leichtfertiges, buhleriſches Anſehen. Noch ehe es Mittag
war, kehrten wir an Bord zuruͤck und theilten die eingekauften Baͤume, Fruͤchte
und Wurzeln, ſo weit ſie reichen wollten, unter die Mannſchaft aus, zur
großen Staͤrkung unſrer Kranken, die nach einer Erfriſchung ſchmachteten.
Wir koſteten auch von den Huͤhnern, die in gruͤne Blaͤtter gewickelt, mit heißen
Steinen unter der Erde gahr gemacht zu ſeyn ſchienen, welche Art der Zurich-
tung in allen Inſeln der Suͤdſee, ſo viel wir deren bisher gefunden hatten, uͤblich
iſt. Die Kartoffeln waren goldgelb und ſo ſuͤß als gelbe Ruͤben; daher ſchmeck-
ten ſie auch nicht einem Jeden; doch waren ſie nahrhaft und ſehr antiſcorbutiſch.
Der Saft aller hieſigen Gewaͤchſe, ſchien durch die Hitze und die Trockenheit
des Bodens ungemein concentrirt zu ſeyn. Die Piſangs wurden in ihrer Art
fuͤr vortreflich gehalten, und das Zucker-Rohr war ſuͤßer als wirs in Tahiti ge-
funden hatten.


Nachmittages giengen wir wiederum ans Land, und in einem andern
Boote ward ein Officier mit der noͤthigen Mannſchaft ans Land geſchickt, um
beym Brunnen die Waſſerfaͤſſer fuͤllen zu laſſen. Wir trafen nur wenig Leute
am Landungsplatze an, unter ſelbigen aber bemerkten wir einen, der ein gewiſſes
[431]in den Jahren 1772 bis 1775.
Anſehen zu haben ſchien, und ſehr geſchaͤftig war, den Capitain uͤberall wo er nur1774.
Maͤrz.

Luſt bezeigte, hinzufuͤhren. Er that nicht ſo ſcheu als ſeine Landsleute; ſon-
dern gieng immer dreiſt neben uns, dahingegen die andern bey der geringſten
ungewoͤhnlichen Bewegung ſtutzten und in Schrecken geriethen. Aber bey aller
ihrer Furchtſamkeit leerten ſie uns die Taſchen aus, und entwandten was ihnen
ſonſt anſtand. Wir waren noch keine halbe Stunde am Lande, als einer leiſe hin-
ter den Maheine herſchlich, ihm die ſchwarze Muͤtze die er auf hatte ſchnell vom
Kopfe riß, und damit uͤber den holprichten Boden voller Steine fortrannte, wo
hin keiner von uns nachzulaufen im Stande war. Maheine gerieth daruͤber in
ſolches Schrecken, daß er erſt eine ganze Weile nachher Worte finden
konnte, es dem Capitain zu klagen; da war aber der Dieb ſchon uͤber alle Berge.
Um eben die Zeit ſaß Herr Hodges auf einer kleinen Anhoͤhe, um einen Proſpect
zu zeichnen, und verlohr auf gleiche Weiſe ſeinen Hut. Herr Wales ſtand
mit einer Flinte neben ihm, war aber, wie billig, der Meynung, daß ein ſo ge-
ringes Verbrechen keine Kugel verdiene.


Indem wir an der Seekuͤſte hinſpatzierten, fanden wir ein Paar Stau-
den ſolchen Sellerys, dergleichen auf dem Strande von Neu-Seeland ſo haͤufig
waͤchſet. Auch bemerkten wir ein paar andre kleine Pflanzen, die wir dort
ebenfalls wahrgenommen hatten. Ob dieſe Kraͤuter hier einheimiſch oder von
Saamen aufgeſchoſſen ſeyn moͤgen, den die See hergeſchwemmt oder die Voͤgel
hergebracht, kann ich nicht entſcheiden. Wir fanden auch ein Stuͤck Land mit
Yams bepflanzt, (dioſcorea alata Linnaei) welches der armſeligen Oſter-Eylaͤn-
diſchen Flora in unſern Augen einen großen Zuwachs gab. — Die Ueberein-
ſtimmung, welche ſich in den Geſichtszuͤgen, den Gebraͤuchen und der Sprache
dieſes Volks mit den Einwohnern der andern Suͤdſee-Inſeln findet, machte
uns Hoffnung, daß wir auch die Hausthiere hier finden wuͤrden, welche wir
auf Tahiti und Neu-Seeland angetroffen. Allein des ſorgfaͤltigſten Nach-
ſuchens ohnerachtet, fanden wir nichts als das gemeine Huhn, welches hier
von ſehr kleiner Art und von unanſehnlichen Gefieder war. Zwar bemerkten
wir auch zwey oder drey ſchwarze Meerſchwalben (ſterna ſtolida,) die ſo zahm
waren, daß ſie den Einwohnern auf der Schulter ſaßen; es ließ ſich aber dar-
aus nicht ſchließen, daß ſie eine ordentliche Zucht davon haͤtten.


[432]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.

Bey Untergang der Sonne verließen wir den Waſſerplatz, und gien-
gen nach der Bucht, wo unſer Boot vor Anker lag. Unterwegens kamen wir
uͤber den ebnen Platz, auf welchem die vorbeſchriebne Saͤule aufgerichtet iſt. Einige
Einwohner, die uns noch begleiteten, winkten uns, daß wir auf dem Graſe am
Fus des Piedeſtals, und nicht uͤber das Mauerwerk gehen ſollten; da wir uns aber
nicht daran kehrten, ſo hatten ſie auch nichts dawider. Wir erkundigten uns
bey einigen die am verſtaͤndigſten zu ſeyn ſchienen, was dieſe Steine zu bedeu-
ten haͤtten, und ſo viel wir aus ihrer Antwort ſchließen und errathen konnten,
muͤſſen es Denkmaͤhler ihrer Eriki’s oder Koͤnige ſeyn. Alſo iſt das gemauerte
Piedeſtal vermuthlich als der Begraͤbnißplatz anzuſehn; und bey genauerer Un-
terſuchung fanden wir wuͤrklich nicht weit davon eine Menge Menſchen-Gebeine,
welches denn unſre Vermuthung beſtaͤtigte. Die Laͤnge der Knochen paßte zu
Koͤrpern mittlerer Laͤnge, und ein Schenkelbein, das wir maaßen, kam genau
mit der Maaße deſſelbigen Knochens an einer Perſon uͤberein, die ohngefaͤhr
5 Fus neun Zoll lang war. An der Weſt-Seite der Bucht ſtanden drey Saͤu-
len, auf einem ſehr breiten und erhoͤheten Poſtement, in einer Reihe aufge-
richtet. Dieſe Reihe nannten die Einwohner Hanga-roa. Die vorerwaͤhnte
einzelne Saͤule aber hießen ſie Obina. Nahe bey dieſen Pfeilern ſaßen zehn
oder zwoͤlf von den Einwohnern um ein kleines Feuer, an welchem ſie ein Paar
Kartoffeln brateten. Dies war ihr Abendeſſen, und ſie boten uns, als wir
vorbey giengen, etwas davon an. In einen ſo armſeligen Lande war uns dieſe
Gaſtfreyheit unerwartet. Man vergleiche ſie einmal mit den Gebraͤuchen der
eiviliſirten Voͤlker, die ſich faſt aller Empfindungen gegen ihren Nebenmenſchen
zu entledigen gewußt haben! Uebrigens war es uns ſehr angenehm, bey dieſer Gele-
genheit augenſcheinlich uͤberzeugt zu werden, daß die Vermuthung der Hollaͤnder,
wegen ſolcher Feuer ungegruͤndet geweſen, denn wir fanden nicht den mindeſten
Grund, dieſe Feuer fuͤr eine religioͤſe Ceremonie anzuſehen. Mit einem kleinen Vor-
rath von Kartoffeln, den wir eingekauft und ohngefaͤhr ſechs oder ſieben bekannten
Pflanzen, die wir geſammlet, kehrten wir nun an Bord zuruͤck. Den
ſcorbutiſchen Patienten bekam unſer Spatziergang ungemein wohl und beſſer
denn jeden andern. Ich fuͤr meine Perſon, der ich am Morgen noch geſchwollne
Beine hatte, und kaum darauf ſtehen konnte, befand mich heute Abend
ſchon
[433]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſchon weit beſſer. Die Geſchwulſt hatte ſich etwas gelegt und die Schmerzen1774.
Maͤrz.

waren gaͤnzlich verſchwanden. Dieſe ſchleunige Beſſerung mußte ich einzig und
allein der Bewegung zuſchreiben, vielleicht hatten auch die antiſcorbutiſchen
Ausduͤnſtungen des Landes mitgewaͤrkt, denn wie man ſagt, ſollen die
ſchon allein hinreichend ſeyn, diejenigen wieder geſund zu machen, die ſich durch
langen Aufenthalt auf der See den Scorbut zugezogen haben.


Fruͤh, am folgenden Morgen, beorderte Capitain Cook die Lieutenants
Pickersgill und Edgecumbe, mit einer Parthey Seeſoldaten und Matroſen,
das Innere des Landes zu unterſuchen, um wo moͤglich, zu erfahren, ob es in
irgend einer andern Gegend beſſer angebauet und ſtaͤrker bewohnt waͤre. Herr
Wales und Hodges, Doctor Sparrman und mein Vater, machten ſich mit
auf den Weg, ſo daß das ganze Detaſchement aus ſieben und zwanzig Mann
beſtand.


Ich hingegen gieng nach dem Fruͤhſtuͤck mit Capitain Cook und einigen
andern Officiers ans Ufer, wo wir ohngefaͤhr zweyhundert Einwohner, und unter
dieſen, vierzehn oder funfzehn Weiber, nebſt ein Paar Kindern, verſammlet
fanden. Es war uns unmoͤglich, die Urſach dieſer Ungleichheit in der Zahl
der beyden Geſchlechter, zu errathen; da aber alle Weibsleute, die wir bisher
geſehen, ungemein freygebig mit ihren Gunſtbezeugungen waren, ſo vermuthete
ich damals, daß die Verheyratheten und Eingezognern, welche vielleicht die
groͤßte Zahl ausmachten, keinen Gefallen finden moͤgten, mit uns bekannt zu
werden, oder vielleicht durch die Eiferſucht der Maͤnner gezwungen wuͤrden, in
den entferntern Theilen der Inſel zuruͤck zu bleiben. Die wenigen, welche wir
hie und da anſichtig wurden, waren die ausſchweifendſten Creaturen, die wir
je geſehen. Sie ſchienen uͤber alle Schaam und Schande voͤllig weg zu ſeyn;
und unſre Matroſen thaten auch, als wenn ſie nie von ſo etwas gehoͤrt haͤtten;
denn der Schatten der coloſſaliſchen Monumente, war ihnen in Hinſicht auf ihre
Ausſchweifungen ſchon Obdachs genug.


Herr Patton, Lieutenant Clerke, und ich, machten uns von der Kuͤſte,
wo der Zuſammenlauf am groͤßten war, hinweg, und giengen tiefer ins Land.
Die Sonne ſtach unbeſchreiblich: denn ihre Strahlen wurden aller Orten von
dem kahlen, ſteinigten Boden zuruͤckgeworfen, und es war auch kein Baum, der
Forſters Reiſe u. d. W erſter Th. J i i
[434]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
uns einigen Schatten haͤtte geben koͤnnen, in der ganzen Gegend zu ſehen.
Meine Herren Begleiter hatten ihre Vogelflinten mitgenommen, weil ſie einiges
Gevoͤgel unterwegs anzutreffen glaubten; aber ihre Hoffnung war verge-
bens, und dem Anſchein nach, giebts auf der ganzen Inſel kein ander Landge-
fluͤgel, als die gemeinen Huͤhner, die zahm und noch dazu ſehr ſelten ſind.
Wir giengen einem Fusſteig nach, den die Einwohner gemacht hatten, bis wir
an ein bebauetes Feld kamen, das mit Kartoffeln, Yams, Arum-Wurzel, und
einer Art von Nachtſchatten beſetzt war. Letzteres wird zu Tahiti und auf den
benachbarten Inſeln als ein Wundmittel (ſolanum nigrum) gebraucht, und
koͤnnte vielleicht auch bey uns, in gleicher Abſicht, gebauet werden. Das Gras,
das ſonſt uͤberall im einem angebaueten Boden hervor waͤchſt, war hier ſorgfaͤl-
tigſt ausgejaͤtet und ſtatt des Duͤngers uͤber das ganze Feld geſtreuet, oder auch
vielleicht um die Wurzeln und Pflanzen gegen die brennenden Strahlen der
Sonne, dadurch zu ſchuͤtzen. Aus allem dieſen ergiebt ſich, daß die Einge-
bohrnen nicht ganz unwiſſend im Ackerbau ſind, ſondern vielmehr den Boden,
mit vieler Muͤhe und Arbeit bauen. Nicht weit von dieſen Feldern, trafen
wir zwey kleine Huͤtten an, aber noch kleiner als die oben beſchriebne. Der
Eingang war mit einer großen Menge Strauchwerk verſtopft, und beym erſten
Annaͤhern, kam es uns vor, als wenn wir Weiberſtimmen darinn hoͤrten; da
wir aber ſchaͤrfer zuhorchten, vernahmen wir weiter nichts, das uns in der Mey-
nung beſtaͤrkt haͤtte. Wir giengen von da zu einem Huͤgel, der mit Buſchwerk
bewachſen war. Es beſtand aus einer Mimoſa, die aber kaum acht Fus hoch
waͤchſt und uns alſo wenig Schatten gegen die Sonne gab. Wir ruhten uns
hier eine Weile aus und nahmen dann unſern Weg zu andern Feldern, die eben ſo,
als die vorigen, beſtellt waren. Sie hatten aber keine Verzaͤunungen, wie
Roggeweins Reiſebeſchreiber, in ihrer Erzaͤhlung mit anfuͤhren. Vermuth-
lich haben ſie dies aus eigner Fantaſie hinzugeſetzt. — Die immer zunehmende
Tageshitze hatte uns ganz erſchoͤpft, und doch hatten wir noch einen langen Weg,
nach der See zuruͤck zu machen. Gluͤcklicherweiſe kamen wir bey einem Manne
vorbey, der eben beſchaͤfftigt war, Kartoffeln aus einem Stuͤck Ackers aufzu-
nehmen. Dem klagten wir unſern Durſt; ſogleich lief der gute Alte zu einer
großen Zuckerrohr-Pflanzung, und brachte uns eine ganze Menge von dem be-
[435]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſten und ſaftigſten dieſer labenden Pflanzen, um uns damit zu erquicken. Wir1774.
Maͤrz.

machten ihm dafuͤr ein kleines Geſchenk zur Vergeltung, nahmen unſer Rohr
und ſchnitten es zu Spatzierſtoͤcken, ſchaͤlten es unterwegens und ſogen es aus.
Der Saft deſſelben war ungemein erfriſchend.


Bey unſrer Zuruͤckkunſt am Landungsplatze, fanden wir den Capitain
Cook noch im Handel mit den Eingebohrnen beſchaͤfftigt. Sie brachten
ihm Huͤhner, die ſchon zubereitet waren, und einige Matten-Koͤrbe mit ſuͤßen
Kartoffeln; zuweilen aber betrogen ſie ihn, indem ſie die Koͤrbe unten mit Stei-
nen gefuͤllt und obenher nur mit einigen Kartoffeln bedeckt hatten. Die ſchaͤtz-
barſten Artickel unter unſern Waaren, wogegen ſie uns die ihrigen vertauſchten,
waren ledige Coco-Nußſchalen, die wir auf den Societaͤts- und freundſchaftli-
chen Inſeln
bekommen hatten. Indeſſen fanden dieſe nur dann einen gewiſſen
Werth bey ihnen, wenn ſie nur eine kleine Oeffnung oder einen Deckel hatten.
Naͤchſt dieſen wurde das tahitiſche und europaͤiſche Zeug, zum Eintauſch ge-
braucht, und bey der Schaͤtzung kam es hauptſaͤchlich auf die Groͤße an. Eiſen-
waare hatte hier den geringſten Preis. Der groͤßte Theil der Leute, die mit uns
handelten, lief gemeiniglich ſogleich, als der Kauf geſchloſſen war, mit dem
eingehandelten Zeuge, Nuß-Schalen oder Naͤgeln davon. Sie beſorgten viel-
leicht, daß uns der Handel gereuen moͤgte, wenn ſie auch vor ihr Theil ganz
ehrlich dabey zu Werk gegangen waren. Einige hatten indeſſen Kuͤhnheit genug, vor
Ablieferung ihrer Guͤter mit den bedungenen und erhaltnen Preiſen davon zu
laufen; ein Umſtand, der den erbaͤrmlichen Zuſtand dieſer elenden Menſchen
ſehr deutlich an den Tag legt. Der Mangel an Kleidungszeuge war unter ihnen
ſehr groß. Aus Noth giengen ſie mehrentheils nackend, und dennoch verkauften
ſie ihr bischen eignes Zeug gegen andres von Tahiti. Die Begierde etwas
von dieſem zu beſitzen, machte, daß ſie manches von ihren eignen Habſeligkei-
ten verkauften, was ſie ſonſt wohl nicht weggegeben haben wuͤrden. Dahin ge-
hoͤrten ihre verſchiednen Huͤte und Kopfdecken, ihre Halsbaͤnder, Ohrzierra-
then, und verſchiedne kleine Menſchen-Figuren, die aus ſchmalen achtzoͤlligen
oder zweyfuͤßigen Stuͤcken Holz, aber ſein und proportionirter geſchnitzt
waren, als wir, nach der plumpen Arbeit ihrer großen ſteinernen Statuen zu
urtheilen, erwartet haͤtten. Sie ſtellten Perſonen beyderley Geſchlechts vor:
J i i 2
[436]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
Die Geſichtszuͤge derſelben waren freylich nicht angenehm, und die ganze Figur
war gemeiniglich zu lang; aber etwas characteriſtiſches, aus dem ſich ein ge-
wiſſer Geſchmack fuͤr die Kuͤnſte abnehmen ließ, war bey dem allen darinn anzu-
treffen. Das Holz, woraus ſie beſtanden, war ſchoͤn polirt, dabey dicht und
von dunkelbrauner Farbe, wie das Holz von der Caſuarina. Da wir aber die-
ſen Baum hier noch nicht gefunden hatten, ſo erwarteten wir die Ruͤckkunft unſrer
Partheygaͤnger mit deſto groͤßerer Begierde, in Hoffnung, daß ſie auch in Ab-
ſicht dieſes Umſtandes einige naͤhere Entdeckungen gemacht haben wuͤrden. Ma-
heine
fand an dieſen geſchnitzten menſchlichen Figuren ein großes Wohlgefallen;
denn ſie waren weit beſſer gearbeitet als die E-Tis, die man bey ihm zu Lande
verfertigt. Er kaufte auch verſchiedne davon, mit der Verſicherung, daß ſie
zu Tahiti ungemein hoch geſchaͤtzt werden wuͤrden. Da er ſich viel Muͤhe gab,
dieſe Seltenheiten aufzuſuchen, ſo fand er eins Tages eine geſchnitzte Frauens-
Hand von gelben Holz, ungefaͤhr in der natuͤrlichen Groͤße. Die Finger der-
ſelben waren aufwaͤrts gebogen, wie ſie die Taͤnzerinnen auf Tahiti zu halten
pflegen; und die Naͤgel daran waren ſehr lang; denn ſie ſtunden mehr als drey-
viertel Zoll uͤber die Spitzen der Finger hervor. Sie war von dem ſeltnen,
wohlriechenden tahitiſchen Holz gemacht, womit man allhier dem Oel einen gu-
ten Geruch zu geben pflegt. Auch dieſes Holz hatten wir auf Oſter-Eyland
nicht gefunden, eben ſo wenig als wir bemerkt hatten, daß man hier lange
Naͤgel zu tragen gewohnt ſey: Wir konnten alſo nicht begreifen, wie dies huͤbſch
gearbeitete Stuͤck hieher gekommen. Maheine ſchenkte es hernachmals meinem
Vater, der es im brittiſchen Muſeo niedergelegt hat. Eben ſo ließ ſich Maheine
auch ſehr angelegen ſeyn, ſo viel Federhuͤte, als moͤglich, zuſammen zu brin-
gen; beſonders waren ihm die von Fregatten-Federn ſehr angenehm, weil dieſer
Vogel zu Tahiti ſelten iſt, und wegen ſeiner glaͤnzenden, ſchwarzen Federn ſehr
hoch geſchaͤtzt wird.


Indeſſen, daß Capitain Cook in der Bucht war, ward auch am Waſ-
ſerplatze um Kartoffeln gehandelt. Aus Begierde nach unſern Guͤtern, ließen
ſich hier die Einwohner verleiten, eine Untreue an ihren eignen Landsleuten zu
begehen. Dicht neben dem Brunnen lag ein Feld mit ſuͤßen Kartoffeln, und
eine Menge Leute, alt und jung durcheinander, waren emſig daruͤber her, ſie
[437]in den Jahren 1772 bis 1775.
auszugraben und zu verkaufen. Dieſer Handel dauerte ſchon einige Stunden,1774.
Maͤrz.

als ein andrer Indianer dazu kam, ſie mit vielen Unwillen davon trieb, und
darauf allein Kartoffeln auszugraben fortfuhr. Er war der rechte Eigenthuͤmer
des Feldes, und die andern hatten ihn beſtohlen, weil ſie eine ſo gute Gelegen-
heit fanden, ihre geſtohlnen Guͤter an den Mann zu bringen. Außer Zweifel ge-
hen auf den Societaͤts-Inſeln zuweilen eben ſolche Diebereyen vor; denn
die Einwohner erzehlten uns oft, daß ſie mit dem Tode beſtraft wuͤrden, wiewohl
wir niemals ein Beyſpiel ſolcher Strafe geſehen haben. Auf Oſter-Ey-
land
aber ſahen wir das Verbrechen ganz ungeſtraft hingehen. Der Grund
davon liegt wahrſcheinlich in dem verſchiednen Grade der Cultur, den man unter
dieſen beyden Voͤlkerſchaften, ſo nahe ſie auch ſonſt einander verwandt ſind,
antrifft.


Zu Mittag giengen wir an Bord, und ſpeißten ein paar Huͤhner mit
Kartoffeln, die wir nach unſerm muͤhſamen Spatziergange, uͤberaus vortreflich
fanden. Wir trafen einige Inſulaner auf dem Schiffe, die es gewagt hatten
vom Lande herzuſchwimmen, ob es gleich noch drey viertel Meilen davon entfernt
war. Sie ſchienen uͤber alles, was ſie ſahen, erſtaunt, und jeder von ihnen,
maaß die Laͤnge des Schiffs, von einem Ende bis zum andern, mit ausgebreite-
ten Armen aus. Einem Volke, deſſen Canots aus lauter kleinen Stuͤckchen zu-
ſammengeflickt ſind, mußte natuͤrlicherweiſe, eine ſolche Menge von Zimmerholz,
und noch dazu, von ſolcher Groͤße, etwas ſehr unbegreifliches ſeyn. Die Be-
gierde zu gewinnen, hatte auch eine Weibsperſon ſo beherzt gemacht,
ſich durch Schwimmen an unſer Schiff zu begeben. Sie beſuchte erſt einige
Unter-Officier, wandte ſich darauf an die Matroſen, und ihre Begierden waren
unerſaͤttlicher als einer Meßalina.*) Ein paar engliſche Lumpen und einige
Stuͤcke Tahitiſches Zeug, war alles was ſie fuͤr ihre Dienſte davon trug. Sie
ward in dem zuſammengeflickten Canot abgehohlt, welches das einzige auf der
Inſel zu ſeyn ſchien. Den Tag vorher hatte eine andre Weibsperſon auch
durch Huͤlfe des Schwimmens, das Schiff beſucht, und war eben ſo ausſchwei-
fend, als jene geweſen. Wir wußten warlich nicht, woruͤber wir uns mehr
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[438]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
wundern ſollten; uͤber ihr Gluͤck bey unſern kraͤnklichen, ausgehungerten Seeleu-
ten? oder uͤber ihre unerſaͤttliche Liederlichkeit?


Nachmittags giengen wir wieder ans Land, und ich beſuchte die Berge
gegen Suͤden; die ſehr leicht zu erſteigen waren, weil ſie auſſerordentlich ſanft in
die Hoͤhe giengen. Ich fand eine große Piſang-Pflanzung darauf, und weiter
hinauf einige Ruinen von einer verfallnen Mauer, auf welcher vielleicht vor al-
ten Zeiten eine Bildſaͤule geſtanden hatte. Von da lief ich uͤber einige Felder,
auf denen ich eine Familie beym Ausgraben ihrer Kartoffeln antraf. Ich gieng
auf ihre Huͤtte zu, die ſo klein war, als ich je eine geſehen. Als ich mich etwas
mehr genaͤhert hatte, verſammelten ſich die Leute um mich her, und ich ſetzte mich mit-
ten unter ihnen nieder. Es waren ohngefaͤhr 6 oder 7 Perſonen, worunter ſich
ein Weib und zwey kleine Jungens befanden. Sie uͤberreichten mir etwas von
ihrem Zuckerrohr, wofuͤr ich ihnen ein klein Stuͤck Tahitiſches Zeug, das ſie ſo-
gleich um den Kopf wickelten, zum Gegengeſchenk machte. Sie waren bey wei-
tem nicht ſo neugierig, als die Leute auf den Societaͤts-Inſeln, ſondern giengen
bald wieder an ihre Arbeit, mit der ich ſie beſchaͤftigt gefunden hatte. Einige
hatten Feder-Huͤthe auf, die ſie mir zum Tauſch gegen ein Stuͤck Zeug von
der Groͤße eines Schnupftuches anboten. Neben der Huͤtte ſahe ich einige Huͤh-
ner, welches die einzigen waren, die ich bis jetzt lebendig auf der Inſel angetrof-
fen hatte. Ihr Betragen gegen mich, war dem allgemeinen Charaeter der
Suͤd-See-Voͤlker gemaͤß, ganz friedlich. Nach den Ausdruͤcken der Rogge-
weinſchen
Reiſebeſchreiber ſcheint es faſt, als wenn die Hollaͤnder nur zum Zeit-
vertreib auf dieſe armen Leute, die ihnen doch nichts zu leide thaten, gefeuert,
und eine große Menge von ihnen, bloß um den uͤbrigen ein Schrecken dadurch
einzujagen, niedergeſchoſſen haͤtten. Es iſt leicht moͤglich, daß die Furcht vor
dem moͤrdriſchen Europaͤiſchen Gewehr, worinn der Spaniſche Beſuch ſie viel-
leicht beſtaͤrkt haben mogte, in ihnen bey unſrer Ankunft wieder erwachte,
und ſie ſo furchtſam und ſcheu in ihrem Betragen gegen uns machte; doch iſt
auch nicht zu leugnen, daß ſie uͤberall in ihren Character etwas ſanftes, mit-
leidiges und gutherziges haben, welches ſie gegen die Fremden ſo willfaͤhrig, und
ſo weit es ihnen das elende Land zu ſeyn erlaubt, ſo gaſtfrey macht.


[439]in den Jahren 1772 bis 1775.

Ich gieng hierauf meinen vorigen Weg zuruͤck und kehrte mit Capitain1774.
Maͤrz.

Cook wieder an Bord. Um 9 Uhr waren wir am Ufer, und feuerten zum
Signal, daß wir ein Boot haben wollten, eine unſerer Musketen, ab.
Man ſchickte ſogleich unſere Pinnaſſe, und ſo kam unſer Detaſchement wie-
der an Bord. Mein Vater war wegen ſeiner langerlittenen, rheumatiſchen
Schmerzen mehr, als die uͤbrigen abgemattet und mußte ſogleich zu Bette gehen;
die andern Herren aber ſpeißten mit uns das Abendbrod, wozu wir ein Paar
Huͤhner, die ſchon zubereitet waren, am Lande gekauft hatten. Sie erzaͤhlten
uns von ihren Verrichtungen, und da man es vielleicht lieber ſehen wird, etwas
zuſammenhaͤngendes daruͤber zu hoͤren, ſo will ich hier einen Auszug aus meines
Vaters Tagebuch einruͤcken:


“Sobald wir gelandet, giengen wir ſogleich ins Land hinein, nahmen
unſern Weg laͤngſt dem Fus des hoͤchſten Berges, der gegen Suͤden liegt, bis
wir die andre Seite der Inſel erreichten. Ohngefaͤhr einhundert von den Ein-
gebohrnen, darunter vier bis fuͤnf Frauensperſonen waren, begleiteten uns auf
dieſer Wallfahrt, und verkauften uns eine Menge Kartoffeln und etliche Huͤh-
ner, die unſern Vorrath an Lebensmitteln etwas anſehnlicher machten. Ein
Mann von mittlerm Alter, der uͤber den ganzen Leib punctirt war, und ſich das
Geſicht mit weißer Farbe angeſtrichen hatte, gieng voran, und hielt ein weißes
Tuch, auf einem kleinen Stecken empor, wobey er ſeine Landsleute aus dem
Wege gehen hieß. Der Boden war uͤberall mit Steinen von verſchiedner
Groͤße bedeckt, die loͤcherigt, ſchwammigt und von ſchwarzer brauner oder roͤth-
licher Farbe waren, und unlaͤugbare Spuren volcaniſchen Feuers an ſich hatten,
Die Fusſteige waren einigermaßen von den Steinen gereinigt, aber ſo
eng, daß wir mit den Fuͤßen ganz einwaͤrts gehen mußten, ein Umſtand, der
den Einwohnern eben nicht ſchwer fiel, indem ſie im Gehen beſtaͤndig einen
Fus vor den andern zu ſetzen pflegen. Uns war dieſe Art zu gehen, etwas un-
gewohnt und daher ſehr ermuͤdend. Wir ſtießen oft an und verloren daruͤber
nicht ſelten das Gleichgewicht. Zu beyden Seiten des Fusſteiges war der Boden
mit duͤnnem perennirenden Graſe (paspalum) beſetzt. Es wuchs hier in klei-
nen Buͤſcheln, und war ſo ſchluͤpfrig, daß man faſt nicht darauf gehen konnte.
Auf der Oſtſeite der Inſel, kamen wir zu einer Reihe Bildſaͤulen, ſieben an der
[440]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
Zahl, wovon viere noch aufrecht ſtanden; eine unter dieſen aber hatte auch
ſchon die Mutze verloren. Sie ſtanden alle auf einem Piedeſtal, wie die, ſo
auf der andern Seite der Inſel waren, und die Steine im Geſtell waren an bey-
den auf gleiche Art behauen und paßten ſich wohl aneinander. Ob gleich der
Stein, woraus dieſe Bildſaͤulen verfertigt waren, ziemlich weich zu ſeyn ſcheint,
indem er aus dem rothen Tufo beſteht, der die ganze Inſel bedeckt, ſo iſt
doch ſchwer zu begreifen, wie ein Volk, das kein Handwerkszeug und andere
mechaniſche Huͤlfsmittel hat, ſo große Maſſen habe bearbeiten und aufrichten
koͤnnen. Die allgemeine Benennung dieſer oͤſtlichen Reihe, war Hauga-Te-
bau;
das Wort Hanga wird dem Namen aller dieſer Bildſaͤulen-Reihen vor-
geſetzt. — Die einzelnen Bildſaͤulen hießen: Ko-*)Tomoai, Ko-Tomo-
iri, Ko-Hu-u, Morahina, Umariwa, Winabu, Winape
.“


“Wir giengen von da noͤrdlich an der See heraus, und kamen rechter
Hand bey einen tiefen Abgrund vorbey. Der Boden beſtand eine weite Strecke
lang, aus demſelbigen eiſenſchuͤſſigen Tufo, woraus jene Bildſaͤulen gemacht
ſind, und war mit kleinen Bruchſteinen angefuͤllt. Kurz darauf geriethen wir an ei-
nen Platz, der aus einem einzigen, feſten, zuſammenhaͤngenden Felſen, oder
ſchwarzer geſchmolzner Lava, die etwas Eiſen in ſich zu halten ſchien, beſtand.
Erde, Gras oder Pflanzen, wie ſie auch Namen haben moͤgen, waren gar nicht
darauf anzutreffen. Weiter hin kamen wir durch verſchiedne Felder von Piſang,
Kartoffeln, Yams und Arum-Wurzeln. Das Gras, ſo ſich hie und da zwiſchen
den Steinen findet, war ausgejaͤtet und uͤbers Land geſtreuet, um es entweder gegen
die Sonne zu decken, und dadurch feucht zu erhalten, oder es damit zu duͤngen.


„Wo wir hin kamen, wurden uns gahr gemachte Kartoffeln, zum
Kauf angeboten, und bey einer Huͤtte, wo wir Halte machten, verkaufte man uns
einige Fiſche. Etliche der Eingebohrnen waren bewaffnet. Die Waffen aber
beſtunden aus nichts anders, als aus denen ſchon oben angefuͤhrten Stoͤcken, die mit
einem Stuͤck ſchwarzer, glasartiger Lava verſehen, und ſorgfaͤltig in kleine Stuͤck-
chen Zeug eingewickelt waren. Nur einer hatte eine Streit-Axt, die kuͤrzer
als
[441]in den Jahren 1772 bis 1775.
als die Neu-Seelaͤndiſchen, uͤbrigens aber dieſen voͤllig aͤhnlich war. Auf je-1774.
Maͤrz.

der Seite war ein Kopf geſchnitzt, in welchen, ſtatt der Augen, ein paar Stuͤck-
chen von ebengedachten ſchwarzen Glaſe eingeſetzt waren. Sie hatten auch einige
ungeſtalte Menſchen-Figuren von Holz, deren Gebrauch oder Bedeutung wir
aber nicht erfahren konnten; doch glaubten wir nicht, daß unſre Unwiſſen-
heit uns berechtigte, ſie fuͤr Goͤtzenbilder zu halten, wie man, in der That allzu
oft, das Bildwerk unbekannter Nationen dafuͤr ausgegeben hat.


“Wir verlieſſen dieſe Huͤtte und giengen noch etwas weiter gegen Nor-
den, ohne jedoch was neues anzutreffen. Aus ein paar nahe gelegnen Haͤuſern
kamen uns ein Mann und eine Frau entgegen, jeder mit einem großen Beutel,
der aus zierlich gearbeiteten Matten verfertigt war, worinnen ſie warme Kartof-
feln hatten. Sie ſtellten ſich damit an der Seite des Fusſteigs, den wir gehen
mußten. Als wir naͤher kamen, gab der Mann einem jeden von uns, einige
von ſeinen Kartoffeln, und nachdem er dem ganzen Haufen ſchon viele da-
von ausgetheilt, lief er mit der groͤßten Geſchwindigkeit, zu den voͤrderſten in
unſerm Zuge, um auch die uͤbrigen bis auf die allerletzte auszutheilen. Ich
gab ihm, fuͤr mein erhaltenes Theil, ein großes Stuͤck Zeug, zur Vergeltung,
und das war auch das einzige Gegengeſchenk, ſo er fuͤr ſeine Freygebigkeit, wo-
von ich nicht einmal zu Tahiti ein aͤhnliches Beyſpiel geſehen habe, einerndtete.
Bald darauf ſagten uns die Leute: ihr Eri oder Hariki, oder Koͤnig, kaͤme
uns entgegen. Es giengen etliche Perſonen vor ihm her, und gaben jedem un-
ter uns zum Freundſchafts-Zeichen, einiges Zuckerrohr, wobey ſie das Wort
Hio ausſprachen, das nach ihrer Mundart ſo viel als Freund bedeutet. *)
Gleich darauf ſahen wir den Koͤnig auf einer Anhoͤhe ſtehen und begaben uns zu
ihm hinauf. Herr Pickersgill und ich, machten ihm einige Geſchenke. Wir
frugen nach ſeinen Namen: Er ſagte uns: er heiße Ko-Tohitai, ſetzte aber
auch ſogleich hinzu, daß er Eri ſey. Wir erkundigten uns weiter, ob er nur
Befehlshaber eines gewiſſen Diſtricts, oder Oberherr der ganzen Inſel waͤre:
Auf dieſe Anfrage ſtreckte er beyde Arme aus, als wolle er die ganze Inſel um-
faſſen, und ſagte dabey: Waihu. Um ihm zu zeigen, daß wir ihn verſtuͤn-
den, legten wir unſre Haͤnde auf ſeine Bruſt, nannten ihn bey ſeinem Namen,
Forſters Reiſe u. d. W. erſter Th. K k k
[442]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
und ſetzten den Titel: Koͤnig von Waihu hinzu. Daruͤber war er, dem An-
ſchein nach, ſehr zufrieden, und unterredete ſich darauf eine lange Weile mit
ſeinen Unterthanen. — Er war von mittlerm Alter und ziemlich gros. Geſicht
und Coͤrper waren punctirt. Sein Anzug beſtand aus einem Stuͤck Zeug von
Maulbeer-Rinde, das mit Gras durchnaͤhet und mit Kurkuma gelb gefaͤrbt
war. Auf dem Kopfe hatte er einen Aufſatz von langen, glaͤnzenden, ſchwar-
zen Federn, den man allenfalls ein Diadem haͤtte nennen koͤnnen. Wir bemerk-
ten aber nicht, daß ihm das Volk einige vorzuͤgliche Ehrerbietung erwieſen
haͤtte, und warlich, in einem ſo armſeligen Lande, konnte er ſich auch eben keine
große Vorrechte anmaßen, ohne offenbar den natuͤrlichen Rechten des Menſchen,
zu nahe zu treten, welches gefaͤhrliche Folgen haͤtte hervorbringen koͤnnen. Als wir
weiter vorwaͤrts gehen wollten, ſchien er daruͤber etwas unzufrieden: Denn
er bat uns umzukehren, und erbot ſich uns zu begleiten; da aber unſer Offi-
cier entſchloſſen war, weiter zu gehen, ſo ließ er ſichs auch gefallen und
gieng mit uns.


„Wir giengen auf eine Anhoͤhe zu, wo wir, als wir oben waren,
Halte machten, um einige Erfriſchungen zu uns zu nehmen, hiernaͤchſt auch,
Herrn Hodges Zeit zu laſſen, einige Monumente zu kopieren. Bey einem
derſelben fanden wir ein vollſtaͤndiges Menſchen-Skelet. Von etlichen dieſer
Monumente iſt in Capitain Cooks Nachricht von dieſer Reiſe eine naͤhere Vor-
ſtellung beygefuͤgt. Unſre Leute ſetzten ſich auf die Erde nieder und legten ihren
Vorrath von eingehandelten Lebensmitteln vor ſich hin, indeſſen daß die Offi-
ciers und andre von unſrer Begleitung, ſich mit den Inſulanern in allerley Un-
terredungen einließen. Einer von den Matroſen, der meinen Pflanzen-Sack,
nebſt einigen Naͤgeln, die darinn befindlich waren, tragen mußte, gab nicht
gnug darauf Acht. Dieſer Gelegenheit bediente ſich einer von den Wilden,
nahm ihn und lief damit fort. Es wurd’ es niemand gewahr, als Lieutenant
Edgecumbe; dieſer ſchoß ſogleich ſein Gewehr, mit Hagel geladen, hinter dem
Diebe her, und ſetzte uns alle dadurch gewiſſermaßen in Unruhe. Der Wilde,
welcher fuͤhlte, daß er verwundet war, warf eilends den Beutel hin, und un-
ſre Leute holten ihn wieder zu uns. Der arme Schelm fiel bald nachher ſelbſt
zu Boden. Seine Landsleute nahmen ihn auf, und entfernten ſich eine
[443]in den Jahren 1772 bis 1775.
Weile, bis wir ihnen zuruͤckzukommen winkten, welches ſie auch faſt alle tha-1774
Maͤrz.

ten. Ob dies gleich nur der einzige Fall war, in welchem die Einwohner auf
dieſer Inſel, waͤhrend unſers Hierſeyns, gefeuert wurde, ſo iſt es darum doch
nicht weniger zu bedauern, daß Europaͤer ſich ſo oft ein Strafrecht uͤber Leute
anmaßen, die mit ihren Geſetzen ſo ganz unbekannt ſind.


Von hier giengen wir noch weiter ins Land hinein, und kamen an einen
tiefen Brunnen, der durch die Kunſt gehauen zu ſeyn ſchien und gutes ſuͤßes
Waſſer hatte, das aber etwas truͤb war. Wir trunken alle davon, weil wir
herzlich durſtig waren, und giengen weiter neben einigen großen Statuͤen vor-
bey, die umgeworfen waren. Von hier aus ſahen wir die beyden Huͤgel, bey
welchen wir am 12ten dieſes, vom Schiffe her, die mehreſten Bildſaͤulen
bemerkt hatten. In der Naͤhe war eine Anhoͤhe, von der wir die See auf
beyden Seiten der Inſel, weit uͤber eine Ebne hinaus, die uns auch vom
Schiffe zu Geſicht gekommen war, ſehen konnten. Wir uͤberſahen zugleich die
ganze oͤſtliche Kuͤſte, und die daſelbſt befindlichen zahlreichen Bildſaͤulen; und
wurden uͤberzeugt, daß auf der dortigen Seite der Inſel weder Bay noch Haven
anzutreffen ſey. Mit dieſer Entdeckung begaben wir uns von da zuruͤck, und
kamen zu einer großen Statuͤe, die von den Einwohnern Mangototo genannt
wird. Im Schatten derſelben hielten wir unſer Mittagsmahl. Nahe dabey
zeigte ſich uns eine andre noch groͤßre Statuͤe, aber umgeworfen. Sie hatte
27 Fus Laͤnge und 9 Fus im Durchſchnitte, und uͤbertraf an Groͤße alle
uͤbrigen, die wir bis dahin geſehen hatten.


“Auf dem Ruͤckwege hielten wir zum andernmal bey dem Brunnen an,
um unſern Durſt zu loͤſchen, welchen die gewaltige Sonnenhitze, deren Strahlen
unaufhoͤrlich von den kahlen Felſen zuruͤckprallten, ſehr heftig erregt hatte.
Von da giengen wir auf die Berge zu, welche queer uͤber die Inſel lau-
fen; funden aber den Fusſteig, der dahin fuͤhrte, rauher und beſchwerlicher als je-
mals: Denn der Boden war uͤberall mit volcaniſchen Schlacken bedeckt und weit
und breit oͤde, ob ſich gleich hie und da Spuren fanden, daß er vor Zeiten
angebauet geweſen. Hier fuͤhlte ich, wie ſehr ich durch die lang anhalten-
den Rheumatiſmos geſchwaͤcht worden war. Alle meine Glieder waren, ſo
zu ſagen, verkruͤppelt. Ich konnte den uͤbrigen kaum nachkommen; ob ich
K k k 2
[444]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
gleich bey andern Gelegenheiten und ſonſt uͤberhaupt ſo leicht nicht zu ermuͤden
war. Die Leute von der Inſel waren zuruͤck geblieben, weil ſie geſehen
hatten, daß wir einen ſo muͤhſeligen Weg nahmen; bloß ein Mann und ein
kleiner Junge blieben bey uns. Da unſre Officiers und ihre Parthey den naͤch-
ſten Weg nach dem Schiff verfehlt hatten, ſo trennte ich mich von ihnen, und
nahm mit Doctor Sparrman, einem Matroſen, und den beyden Indianern,
den naͤchſten Weg, den uns die letztern gezeigt hatten. Der alte Mann ſahe,
daß ich ſehr ſchwach war. Er bot mir alſo die Hand und gieng neben mir auf
den loſen Steinen an der Außenſeite des Fusſteiges, und ſo brachte er mich, mit
großer Geſchicklichkeit, eine lange Strecke, weit gemaͤchlicher, fort. Der
kleine Junge lief voraus, um die Steine aus dem Wege zu raͤumen, die im Fus-
ſteig lagen. Nach vielem wiederholten Ausruhen erreichten wir endlich die Hoͤhe
eines Berges, von dem wir die Weſt-See, und auf derſelben unſer Schiff vor
Anker liegen ſahen. Der Berg war mit der Mimoſa uͤberwachſen, die hier 9
bis 10 Fus hoch wuchs. Einige Staͤmme waren dicht uͤber der Wurzel ſo
dick, als ein Mannsſchenkel. Unterweges ſtießen wir noch auf eine Quelle.
Das Waſſer aber hatte einen faulen Geſchmack, und roch, wie Schwefelleber.
Indeſſen trunken wir doch davon. Die Sonne war nun ſchon im Untergehen,
ſo daß wir faſt zwey Stunden lang, im Dunkeln den Berg hinunter giengen,
wobey mir der Beyſtand meines Indianers doppelt zu ſtatten kam. Ich wartete
auf Herrn Pickersgill und deſſen Commando; denn ich war ihnen faſt 3 Mei-
len zuvor gekommen. — Wenigſtens 25 Meilen hatten wir auf den beſchwer-
lichſten Wegen gemacht, ohne ein Baͤumchen anzutreffen, das uns gegen die
brennende Sonne haͤtte ſchuͤtzen koͤnnen. Meinem freundſchaftlichen Fuͤhrer
gab ich zur Vergeltung, alles Tahitiſche Zeug und allen Vorrath von
Naͤgeln, ſo ich bey mir hatte, und kam endlich mit dem ganzen Commando
gluͤcklich wieder an Bord.“


Man ſiehet aus dieſer Nachricht, daß ſelbſt die ſorgfaͤltigſten Nachfor-
ſchungen noch nicht hinreichend geweſen ſind, ein gewiſſes Licht uͤber die bewun-
dernswuͤrdigen Gegenſtaͤnde zu verbreiten, die wir auf dieſer Inſel antrafen. Was
beſonders die rieſenmaͤßigen Monumente anlangt, die hier uͤberall ſo haͤufig ſind,
und doch die Kraͤfte der gegenwaͤrtigen Einwohner gar weit zu uͤbertreffen ſcheinen,
[445]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſo muß man wohl billig annehmen, daß ſie Ueberbleibſel vormaliger beſſerer Zeiten1774.
Maͤrz.

ſind. Denn die Zahl der Einwohner haben wir nach unſern genaueſten Be-
rechnungen niemals hoͤher als auf 700. fuͤr die ganze Inſel, anſetzen koͤnnen,*)
und dieſe alle haben faſt keinen Augenblick ihres Lebens zu etwas andern uͤbrig,
als ſich die nothduͤrftigſten Erforderniſſe zum Fortkommen in ihrem jaͤmmerlichen Zu-
ſtande zu ſchaffen. Es fehlt ihnen an Handwerkszeug: Sie haben nicht ein-
mal ihr noͤthiges Obdach und die unentbehrlichſte Kleidung. Hunger und Man-
gel verfolgen ſie zu ſehr, als daß ſie auf Verfertigung ſolcher Bildſaͤulen denken
koͤnnten, zu deren Vollendung ihr ganzes Leben und zu deren Aufrichtung die
vereinten Kraͤfte des ganzen Volks erforderlich ſeyn wuͤrden. Wir ſahen auch
uͤberall auf unſerer Wallfahrt, kein einziges Inſtrument, das zur Bildhauerey
oder Baukunſt im mindeſten haͤtte dienlich ſeyn koͤnnen, eben ſo wenig, als
wir etwa neue Steinbruͤche oder unvollendete Statuͤen antrafen, die man als
Arbeiten der jetzigen Bewohner der Inſel haͤtte betrachten duͤrfen. Das wahr-
ſcheinlichſte iſt alſo, daß die Einwohner ehemals weit zahlreicher, wohlhabender
und gluͤcklicher geweſen ſeyn muͤſſen, als ſie es heutiges Tages ſind, und wenig-
ſtens Zeit genug uͤbrig gehabt haben, um der Eitelkeit ihrer Prinzen durch Errich-
tung verewigender Denkmaͤler ſchmeicheln zu koͤnnen. Die Spuren alter Pflan-
zungen, ſo man noch hier und da auf den Spitzen der Berge antrift, beſtaͤtigen
einigermaßen dieſe Vermuthung. Uebrigens laͤßt ſichs ſchwer beſtimmen, durch was
fuͤr Zufaͤlle dies Volk, ſowohl in Abſicht der Zahl, als des Wohlſtandes, ſo weit
herunter gekommen ſey. Allerdings koͤnnen mancherley Urſachen, die dieſen
Umſturz veranlaßt haben, angefuͤhrt werden. Nur eine Urſache zu nennen,
ſo war Verwuͤſtung, welche durch einen Volkan angerichtet werden kann, voͤllig
hinreichend, hundertfaches Elend uͤber ein Volk zu bringen, das in einem ſo
kleinen Erdraum eingeſchloſſen war. Wer weis, ob dieſe Inſel nicht ehemals
grade durch einen Volcan hervorgebracht worden: Denn alle hieſige Steinarten
K k k 3
[446]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
ſind volcaniſch. Und eben ſo konnte ſie auch durch neuere volcaniſche Ausbruͤche
wieder zu Grunde gerichtet werden. Alle Baͤume und Pflanzen, alle zahmen
Thiere, ja ein großer Theil ihrer Bewohner, koͤnnen in dieſer fuͤrchterlichen Re-
volution vernichtet worden ſeyn: und auf dieſe Art mußten Hunger und Elend,
leider! nur allzu maͤchtige Verfolger derer werden, welche dem Erdbrande ent-
giengen. Die kleinen geſchnitzten Menſchen-Figuren, deren wir oben er-
waͤhnt haben, und die Hand einer Taͤnzerinn, welche Maheine fand, koͤnnen
wir bis jetzt noch, eben ſo wenig erklaͤren: denn ſie ſind aus einer Art Holz ge-
macht, welches heutiges Tages nicht mehr auf der Inſel anzutreffen iſt. Alles,
was uns auch hiebey einfallen konnte, war dies: daß ſie in weit fruͤhern Zeiten
verfertigt worden, und bey der allgemeinen Kataſtrophe, die mit dieſem Lande
vorgegangen zu ſeyn ſcheint, entweder durch einen bloßen Zufall, oder durch
eine beſondre Sorgfalt ſo lange ſey erhalten worden. Alle Weibsleute, welche
wir in den verſchiednen Theilen der Inſel geſehen haben, machten zuſammen nicht
dreyßig aus, und doch hatten unſre Leute die ganze Inſel, faſt von einem Ende
bis zum andern, durchſtreift, und nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit gefun-
den, daß ſich die uͤbrigen etwa in einem oder dem andern entlegnen Diſtrict der
Inſel verſteckt haͤtten. Waren ihrer wuͤrklich nicht mehr als dreyßig oder vier-
zig, gegen ſechs oder ſiebenhundert Maͤnner, ſo muß die ganze Nation bald
ausſterben, oder alles, was man bisher uͤber die Mehrheit der Maͤnner (Po-
lyandrie
) angenommen hat, muß unrichtig ſeyn. Die mehreſten Frauensper-
ſonen, welche uns zu Geſicht kamen, gaben uns freylich nicht Anlaß, zu vermuthen,
daß ſie an einen einzigen Mann gewoͤhnt waͤren; ſondern ſie ſchienen vielmehr
ganz des Geiſtes der Meſſalina oder der Kleopatra zu ſeyn: Bey dem allen iſt
doch dies ungluͤckliche Verhaͤltniß zwiſchen beyden Geſchlechtern ein ſo ſonderba-
res Phaͤnomen, daß wir es noch nicht fuͤr ſo ganz ausgemacht und richtig halten
koͤnnen, und daß wir lieber jedes Argument, ſo man uns dagegen beybrin-
gen moͤgte, annehmen wollen, wenn es auch mit noch ſo großen Schwuͤrigkei-
ten verknuͤpfet waͤre. Zwar hat keine einzige unſrer Partheyen irgendwo ein
entferntes oder abgeſondertes Thal gefunden, in welchen ſich vielleicht die uͤbri-
gen Weiber, waͤhrend unſers Hierſeyns verborgen haben koͤnnten; allein wir
muͤſſen den Leſer an die Hoͤhlen erinnern, deren wir oben erwaͤhnt haben, und
[447]in den Jahren 1772 bis 1775.
wozu uns die Einwohner niemals den Eingang geſtatten wollten. Die islaͤndi-1774.
Maͤrz.

ſchen Hoͤhlen ſind ſo geraͤumig, daß einige Tauſend Menſchen darinn Platz ha-
ben; und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß aͤhnliche Hoͤhlen, in einem eben ſo
volcaniſchen Lande geraͤumig genug ſeyn koͤnnen, um einige Hundert Menſchen
zu faſſen. Wir ſahen zwar nicht ein, warum die Oſter-Eylaͤnder auf ihre Wei-
ber eiferſuͤchtiger ſeyn ſollten, als die Tahitier; wir wiſſen aber, wie aus-
ſchweifend und zuͤgellos das Seevolk iſt, beſonders wenn es uͤber die Indianer
eine ſolche Ueberlegenheit hat, als die Hollaͤnder und Spanier uͤber die Leute auf
Oſter-Eyland gehabt haben muͤſſen. Der ſtaͤrkſte Einwurf, den man noch ge-
gen dieſe Hypotheſe machen koͤnnte, liegt darinn, daß die Anzahl von Kindern,
die uns hier zu Geſicht kam, und die man doch eben nicht zu verbergen noͤthig
hatte, wenigſtens nicht aus dem Grunde, aus dem man etwa die Weiber
verſteckt haben mogte, eben ſo gering und unbetraͤchtlich war. Wir muͤſſen die
Sache unentſchieden laſſen. Sollte indeſſen die Anzahl der Weiber wuͤrklich ſo
geringe ſeyn, als wir ſie angegeben haben, ſo muß ſie durch einen ganz außeror-
dentlichen Zufall vermindert worden ſeyn, und davon waͤren die Einwohner
allein im Stande geweſen, uns einige Nachricht mitzutheilen; aber bey allen
unſern Verſuchen und Nachfragen, konnten wir wegen Mangel der Bekannt-
ſchaft mit ihrer Sprache nichts entſcheidendes herausbringen.


Am folgenden Morgen ward ein Boot ans Land geſchickt, um Waſſer
einzunehmen; und da es grade windſtille war, ſo gieng ein zweytes ab, um un-
ſern Vorrath von Kartoffeln, durch Handel mit den Einwohnern zu vermehren.
Auch einer von den Eingebohrnen gieng in dem geflickten Canot vom Lande ab
und zu, um Kartoffeln und Piſangs aus Schiff zu bringen. Ein ſtarker Regen-
Guß gab unſern Leuten Gelegenheit, einen guten Vorrath friſches Waſſer mit
Huͤlfe der Seegel und Decken, aufzufangen. Nachmittags gieng noch ein Boot
ans Land; da ſich aber gegen Abend, ein Wind erhob, ſo wurde eine Canone
abgefeuert, worauf es ſogleich an Bord zuruͤck kam, und hierauf ſeegelten wir
von Nord-Weſt nach Weſten ab.


Wir hatten geglaubt, daß wir hier einen guten Erfriſchungs- und Hand-
lungsplatz finden wuͤrden; aber unſre Hoffnung fehl []geſchlagen. Den einzigen
[448]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
Artikel, der noch von einigem Belang war, machten die ſuͤßen Kartoffeln,
aber nach gleicher und richtiger Vertheilung des ganzen Vorrathes, welchen
wir eingekauft, konnte der gemeine Mann nur ein paar kleine Mahlzeiten davon
machen. Piſangs, Yams und Zucker-Roͤhre gab es ſo wenig, daß es kaum
des Handels werth war. Die Zahl der Huͤhner, welche wir erhielten, und die noch
dazu von ſehr kleiner Art waren, belief ſich nicht auf funfzig Stuͤck; ſelbſt des hier
gefuͤllten Waſſers war wenig, geſchweige daß es einen ſchlechten Geſchmack hatte.
Indeſſen, ſo unbetraͤchtlich auch dieſe Erfriſchungen waren, ſo bekamen wir ſie doch
zur rechten Zeit, und ſie halfen uns wenigſtens ſo viel, daß wir von den ſtaͤrke-
ren Scorbut-Angriffen und Gallenkrankheiten ſo lange verſchont blieben, bis
wir einen beſſern Erfriſchungsplatz erreichen konnten. Bey dem erbaͤrmlichen
Zuſtande der Einwohner, iſt es noch zu verwundern, daß ſie uns ſo viel von
ihren Lebensmitteln, deren Anbau ihnen ſo ſauer und muͤhſam geworden ſeyn
muß, zukommen ließen. Der unfruchtbare harte Boden, die Seltenheit und
Abnahme des zahmen Viehes, der Mangel an Reuſen und andern Fiſcher-Ge-
raͤthe, muͤſſen ihren Lebens-Unterhalt ſehr eingeſchraͤnkt, muͤhſam und ungewiß
machen. Gleichwohl ließen ſie ſich von der Begierde nach unbekannten Klei-
nigkeiten und Merkwuͤrdigkeiten hinreißen, uns einen Theil davon abzulaſſen,
ohne zu bedenken, wie groß und dringend ihr eignes Beduͤrfniß ſey. So-
wohl hierin, als in unzaͤhligen andern Umſtaͤnden, kommen ſie mit den Ein-
wohnern von Neu-Seeland, Tahiti und den freundſchaftlichen Inſeln, die glei-
chen Urſprungs mit ihnen zu ſeyn ſcheinen, ſehr nahe uͤberein. Ihre Geſichts-
zuͤge ſind der Bildung jener Voͤlker ſo aͤhnlich, daß man den gemeinſchaftlichen
Character der Nation ſogleich daran erkennen kann. Ihre gelbbraune Farbe iſt
wie die Haut der Neu-Seelaͤnder; ihr Punctiren der Haut; ihre Kleidung von
Maulbeer-Rinde; ihre beſondre Neigung zur rothen Farbe und Kleidung; die
Form und Arbeit ihrer Keulen; die Art wie ſie ihre Speiſen zubereiten — alles
das giebt ihnen mit obbenannten Voͤlkern eine große Aehnlichkeit. Hieher iſt noch
die Uebereinſtimmung ihrer Sprachen zu rechnen. Der Dialekt auf Oſter-Ey-
land
, kommt in vielen Stuͤcken mit dem Neu-Seelaͤndiſchen, vornemlich in der
harten Ausſprache und dem Gebrauch der Guttural-Buchſtaben, uͤberein. In
andrer Abſicht hat er auch viel aͤhnliches mit dem Tahitiſchen Dialect. Auch
die
[449]in den Jahren 1772 bis 1775.
die monarchiſche Regierungsform macht einen Zug der Aehnlichkeit zwiſchen den1774.
Maͤrz.

Oſter-Eylaͤndern und den Einwohnern der Suͤdſee-Inſeln, die zwiſchen den
Wendezirkeln liegen, aus. Der ganze Unterſchied, der ſich zwiſchen ihnen be-
merken laͤßt, liegt lediglich in der mehrern oder mindern Fruchtbarkeit der In-
ſeln und dem groͤßern oder geringern Maaß des Reichthums und der Wolluſt-Liebe
der Einwohner. Oſter-Eyland, oder Waihu, wie es in der Landesſprache genannt
wird, iſt ſo außerordentlich unfruchtbar, daß nicht uͤber zwanzig verſchiedne
Gattungen von Pflanzen †) darauf wachſen, und dieſe muͤſſen noch dazu groͤß-
tentheils auf bearbeiteten Feldern, welche bey weiten den geringſten Theil des
ſonſt wuͤſtliegenden Landes ausmachen, ordentlich gebauet werden. Der Bo-
den iſt durchgehends ſteinigt und von der Sonne verbrannt. Waſſer iſt ſo
ſelten, daß ſich die Einwohner mit Brunnenwaſſer, das noch dazu etwas faul
iſt, behelfen muͤſſen; ja einige unſrer Leute haben ſo gar geſehen, daß ſie,
um den Durſt zu loͤſchen, auch wohl zuweilen Seewaſſer getrunken. Alle dieſe Um-
ſtaͤnde zuſammengenommen, muͤſſen natuͤrlicherweiſe auf die Beſchaffenheit ihres
Coͤrpers einen beſondern Einfluß haben. — Sie ſind mager und ihre Muskeln
hart und ſteif. Sie leben ſehr ſchlecht und armſelig, gehen faſt alle na-
ckend, und haben keine Bedeckung als fuͤr den Kopf, weil derſelbe von der Hitze
am meiſten leidet; doch beſteht die ganze Bedeckung nur in einer Feder-Muͤtze.
Der uͤbrige unbedeckte Theil des Gefichts iſt punctirt, oder mit Farben be-
ſchmiert. Ihre Begriffe von Anſtaͤndigkeit muͤſſen natuͤrlicherweiſe ſehr ver-
ſchieden von den Begriffen gekleideter Voͤlker ſeyn. Der Reinlichkeit wegen
ſtutzen ſie Bart und Haare, ſo wie ſolches auch zu Tongatabu geſchieht; doch
ſchienen ſie dem Ausſatz weniger, als jene, unterworfen zu ſeyn. Man kann
ſich vorſtellen, daß der Koͤnig eines ſolchen Volks eben keine ſonderliche und
merkliche Vorzuͤge vor dem Unterthan genießt. Wenigſtens bemerkten wir
nichts, das etwa dafuͤr haͤtte angeſehen werden koͤnnen. Die Religion der Einwoh-
ner iſt uns ganz unbekannt geblieben, weil dergleichen abſtracte Ideen, waͤhrend
Forſter’s Reiſe u. d. W. erſter Th. L l l
[450]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
eines ſo kurzen Aufenthalts, als der unſrige war, nicht leicht ausgeforſcht wer-
den konnten. Die Statuͤen, welche zum Andenken ihrer Koͤnige errichtet ſind,
haben eine große Aehnlichkeit mit denen hoͤlzernen Figuren, Ti’s genannt, die
man auf den Marais oder Begraͤbniſſen der Vornehmern zu Tahiti aufge-
ſtellet findet. Wir konnten ſie aber nicht fuͤr Goͤtzenbilder halten, wie
Roggeweins Leute ſie dafuͤr ausgegeben haben. Die Feuer, welche ſie als
Opferfeuer anſahen, dienten den Einwohnern zur Bereitung ihres Eſſens;
und obgleich die Spanier vermutheten, daß etwas aberglaͤubiſches damit ver-
bunden ſeyn koͤnnte, ſo irrten ſie doch vielleicht eben ſo ſehr. Denn der
Mangel des Brennholzes ſetzt die Einwohner in die Nothwendigkeit, ſehr ſpar-
ſam damit umzugehn, und ſich in Acht zu nehmen, daß die Speiſen, wenn
ſie einmal mit geheitzten Steinen in die Erde vergraben ſind, nicht zur Unzeit
wieder herausgeholt werden.


Vom Zeitvertreib der Oſter-Eylaͤnder wiſſen wir nichts zu ſagen, weil
wir ſie niemals bey ſo etwas angetroffen, auch nie ein muſikaliſches In-
ſtrument bey ihnen geſehen haben. Doch ſcheint es ihnen nicht ganz daran zu
fehlen, weil Maru-wahai, der bey uns am Bord ſchlief, ſo viel von Tanzen
ſprach, ſobald wir nur erſt ſeine Beſorgniß, wegen der Sicherheit ſeiner Per-
ſon, gehoben hatten. Kriegeriſch ſind ſie im mindeſten nicht geſinnt;
denn ihre Zahl iſt zu unbetraͤchtlich und ihre Armuth zu allgemein, als
daß etwa innerliche Unruhen unter ihnen entſtehen koͤnnten. Eben
ſo [unwahrſcheinlich] iſt es, daß ſie in auslaͤndiſche Kriegen verwickelt werden
koͤnnten, weil man bis jetzt noch von keiner Inſel weiß, die ihnen dazu nahe
genug waͤre, oder mit der ſie ſonſt einiges Verkehr haben koͤnnten. Wenigſtens
konnten wir hieruͤber von den Einwohnern keine belehrende Nachricht einzie-
hen. Etwas ſonderbares iſt es indeſſen, daß ſie dem ohnerachtet mit ver-
ſchiedenen Arten von Gewehr, das dem Neu-Seelaͤndiſchen gleicht, verſe-
hen ſind; — Wir wiſſen aber hieruͤber eben ſo wenig, als uͤber manches
andre, Aufklaͤrung zu geben.


Wenn wir, wie wir uns ſchon oben daruͤber geaͤußert haben, voraus-
ſetzen, daß Oſter-Eyland etwa ehemals das Ungluͤck gehabt, durch volcani-
ſches Feuer zerſtoͤrt zu werden, ſo ſind die Einwohner weit mehr zu bedau-
[451]in den Jahren 1772 bis 1775.
ern, als jedes weniger civiliſirte Volk. Denn in dieſem Fall, muͤſſen ſie1774.
Maͤrz.

von vielen Vortheilen und Annehmlichkeiten des Lebens, die ſie vorzeiten
gehabt haben, wiſſen, und das Andenken davon, und ihr jetziger Mangel,
muͤſſen ihnen dann ſehr bitter ſeyn. Maheine bejammerte ihre Armſelig-
keit ſehr oft, und er ſchien mit ihnen mehr Mitleid zu haben, als mit den
Neu-Seelaͤndern, weil ſie auch wuͤrklich armſeliger ſind, und in manchen
Stuͤcken weit groͤßern Mangel leiden, als jene. Er that deshalb zu dem Buͤn-
del ſeines Journals ein zweytes Stoͤckchen, und erinnerte ſich Oſter-Eylands
immer mit der Bemerkung: Tàta maitaïwhennua ino, d. i. das Volk
ſey gut, aber die Inſel ſehr elend. Zu Neu-Seeland ſtunden ihm die Ein-
wohner weniger an, als das Land ſelbſt. Sein Gefuͤhl blieb immer das
Gefuͤhl eines warmen Herzens, das durch Erziehung mit aufrichtiger Menſchen-
Liebe erfuͤllt war; auch wars gemeiniglich richtig, weil er unverdorben und
ſcharfſinnig, und ſein Verſtand zwar ungebauet, aber doch von vielen Vor-
urtheilen frey war.


Ende des erſten Bandes.


[][][][]
Notes
*)
Characteres Generum Plantarum quas in Inſulis Maris Auſtralis, collegg. \&c.
Joannes Reinoldus Forſter \& Georgius Forſter. cum 78 tabb. an. 4 Lond. \& Berol.
apud Haude \& Spener 1776. 8 thlr.
*)
Dieſe Unkoſten belaufen ſich auf mehr als 2000 ℔ Sterling, weil die Kupfer von den
beſten [Kuͤſtlern] geſtochen worden.
*)
In der Endeavour in den Jahren 1768-1771. vollfuͤhrt und beſchrieben von Dr. Haw-
kesworth
, drey Baͤnde in gros
4. mit 62 Kupf. u. Chart. Berlin bey Haude u. Spener.
**)
Die hier beruͤhrten Umſtaͤnde ſind notoriſche Facta aber in den bekanntgemachten Reiſen
unterdruͤckt. Herr von Bougainville hielt ſich einige Zeit auf Juan Fernandez
auf und nahm daſelbſt Erfriſchungen ein, ob er gleich zu verſtehen giebt, daß ihn widri-
ge Winde gehindert, dieſe Inſel zu beruͤhren. Capt. Cook in der Endeavour und eine
engliſche Fregatte beſchoſſen das Loo-Fort auf Madera, um die Ehre der brittiſchen Flagge
aufrecht zu erhalten, ohne daß dieſer Umſtand in Hawkesworths Sammlung auch nur mit
einem Worte beruͤhrt worden waͤre.
*)
Man hat ſeinen Namen bisher unrichtig Omiah genannt. Capitain Fourneaux brachte
ihn in der Adventure nach England, ein mehreres von ihm ſiehe man pag. 293. ꝛc.
*)
Auch von Seiten der Unkoſten ſtehen einem ſolchen Wunſche keine beſondere Schwierigkei-
ten im Wege; denn die ganze Ausruͤſtung unſrer letzten Reiſe um die Welt, den Ankauf
beyder Schiffe, und alle Nebenausgaben mitgerechnet, betrug nicht mehr als 25000
Pfund Sterling, welches fuͤr die engliſche Nation eine Kleinigkeit iſt.
*)
Weitlaͤuftigere und vollſtaͤndigere Nachrichten trift man in der vortreflichen Sammlung
von Reiſen, die Herr Alexander Dalrymple herausgegeben hat; ſie heißt: An hiſtori-
cal Collection of the ſeveral Voyages \& Diſcoveries in the South Pacifik Ocean.
London Vol. II. 1771. Quarto
mit Charten und Kupfern.
**)
Die Reiſen der Englaͤnder, Sir Franz Drake 1577-1580. und Sir Thomas Candiſh
1586, 1[5]88 gehoͤren nicht hieher. Sie machten keine Entdeckung. Ihr Object war
Raub und Beute. Drake kam jedoch ſchon damals an der N. W. Kuͤſte von Amerika
*)
Die hollaͤndiſchen Reiſen eines Simon de Cordes, Olivier von Noorts und Georg
Spielbergens
, kommen wieder nicht in meinen Plan. Sie pluͤnderten nur die Spani-
ſchen Colonien in Peru, und nahmen alsdenn den bekannten Curs nach den Ladroniſchen
Inſeln
in der noͤrdlichen Halbkugel.
**)
Ramuſio. Vol. I. p. 126. 4.
**)
weiter als die Spanier ſich ſeither (bis auf die letztverfloßnen zehn Jahre) gewagt haben,
und nannte das Land nordwaͤrts von CalifornienNeu-Albion.
*)
Die hollaͤndiſche Reiſe von Jacob L’Hermite und Hugho Schapenham 1623-1626 war
keine Entdeckungs-Reiſe. Blos die Lage des Cap Horn und der umliegenden Eylande
von Terra del Fuego, ward dadurch beſſer als zuvor beſtimmt.
(*)
Greenwich iſt die Koͤnigl. Grosbrittanniſche Sternwarte 4′, oͤſtlich von London.
*)
Es verſteht ſich, daß hier vom Sommer der ſuͤdlichen Halbkugel die Rede iſt, der un-
ſerm Winter entſpricht.
*)
Bey unſrer Abreiſe vom Cap waren wir 118 Mann, (Doct. Sparrman mitgerechnet.)
**)
The Board of Longitude.
***)
Auf dieſe Reiſe ſind zwey Schiffe ausgeſchickt. Das groͤßte, die Reſolution, com-
mandirt Capitain Cook; das kleinere die Discovery (Entdeckung,) Capitain Clerke.
Am 13ten Jul. verließ Capitaln Cook den Haven Plymouth; Capitain Clerke ſeegelte
einige Wochen ſpaͤter. Sie vereinigten ſich am Cap der guten Hoffnung, und ſeegelten
von dannen am 29ſten November. Die Abſicht iſt, O-Mai nach ſeinem Vaterlande zu-
ruͤckzufuͤhren, und von Tahiti nach der nordweſtlichen Kuͤſte von Amerika, oder Sir
Franz DrakensNeu-Albion,
auf Entdeckung zu gehn. Das Parlement hat eine
Belohnung von 20000 ℔ Sterl. auf die Entdeckung einer Nord-Weſt, oder auch nord-
oͤſtlichen Durchfahrt geſetzt, und 5000 ℔, wenn ein engliſcher Seefahrer bis auf einen
Grad vom Pol dringen ſollte. Dies ſind wichtige Bewegungs-Gruͤnde.
*)
Das Beyſpiel des Vorgeſetzten, hat zuweilen auf die Untergebnen großen Einfluß. Ca-
pitain Cook war hier, und gewiß nicht zu ſeiner Ehre, das Echo des Miniſters.
*)
Ungluͤcklicherweiſe waren unſre Erbſen ſehr ſchlecht, und blieben, ohnerachtet alles Kochens,
hart und unverdaulich. Die oben angefuͤhrten Sachen, hielten uns aber zum Theil
ſchadlos und verhinderten die uͤble Wuͤrkung, die dieſe harte Speiſe, nebſt dem Poͤckel-
Fleiſch haͤtte verurſachen koͤnnen.
*)
Dieſer Umſtand ſcheint beym erſten Anblick ziemlich unbedeutend und die Erwaͤhnung deſ-
ſelben uͤberfluͤßig zu ſeyn: Allein fuͤr die Reiſenden war er wichtig. Waͤre das Schif noch
vor der Abreiſe des Grafen Sandwich in Plymouth eingetroffen ſo haͤtte es dieſer Herr,
billiger weiſe, ſelbſt in Augenſchein nehmen muͤſſen, und dann wuͤrden zur Bequemlichkeit
und zum Nutzen der Herren Forſter in den Cajuͤtten und andern Dingen gewiſſe Einrich-
tungen getroffen worden ſeyn, die jetzt, weil Mylord Sandwich die Sachen nicht mit eige-
nen Augen geſehen hatte, entweder ganz unterblieben, oder doch nur unvollkommen vorge-
nommen wurden, und uͤber deren Mangel unſre Reiſenden, in der Folge, ſich mit Recht zu
beklagen hatten A. d. V.
**)
Man ſehe Cooks Reiſebeſchreibung im Engliſchen, 1ſter Band: pag. 2. woraus ich die
obenangefuͤhrte Inſtruction zu Ergaͤnzung meines Werks dem deutſchen Publikum vor-
trage.
*)
Es iſt nichts ungewoͤhnliches, daß Schiffe bey aͤhnlichen Gelegenheiten zu Schaden kom-
men. Das Kriegs-Schif Aldborough, ward am 16ten May 1776. von eben ſolchem
Boy losgeriſſen, und trieb auf die Felſen von Drake-Eyland, wo es die Wellen zer-
ſchmetterten.
*)
Zum Beſten mancher Leſer auf dem feſten Lande, wird vielleicht die nachſtehende Erlaͤu-
terung obiger Stelle nicht ganz uͤberfluͤßig ſeyn. Wenn ein Kriegesſchiff, ein Kaufſar-
they- oder ein kleineres Kriegsſchiff anhalten will, um daſſelbe entweder auszufragen oder
gar zu durchſuchen, ſo geſchiehet das gewoͤhnliche Zeichen dazu, durch Abfeurung einer
*)
Kanonenkugel, welche jedoch ſo gerichtet wird, daß ſie das Schiff nicht trifft, ſondern nur
bey demſelben vorbey ſtreicht. Wenn ein ſolchergeſtalt angehaltenes Schiff die Superiori-
taͤt des andern und die Rechtmaͤßigkeit eines ſolchen Verfahrens nicht anerkennt, ſo ſetzt
es entweder ſeinen Lauf fort, ohne ſich an die Aufforderung des andern zu kehren, oder
es erwidert die Unbeſcheidenheit des Fremden wohl gar durch eine ernſtliche Antwort aus
ſeinen eigenen Canonen. Haͤlt es ſich im Gegentheil fuͤr verbunden, dem andern zu ge-
horchen, ſo nimmt es zum Zeichen ſeiner Unterthaͤnigkeit die Seegel ein, laͤßt auch wohl
ſeine Flagge nieder, kurz, es haͤlt ſtill oder ſchickt gar Leute im Boote ab, um auf die
vorgelegten Fragen des andern zu antworten. In dem Text wird daher geruͤget, daß die
Capitains Cook und Furneaux, und zwar erſterer durch ſein Beyſpiel, der Ehre der drittiſchen
Nation, (die ſeit der Koͤnigin Eliſabeth Zeiten her den ſtolzen Titel von Herren der See
gegen alle Maͤchte behauptet), hier etwas vergeben haͤtten, indem ſie den Spaniern eine
bis hieher von keinem Englaͤnder eingeſtandene Oberherrſchaft, in dieſen Gewaͤſſern ein-
raͤumten. A. d. V.
*)
in ſeinem Humphrey Klinker ꝛc.
*)
S. Hawkesworth’s Geſchichte der engl. See-Reiſen um die Welt.
*)
Es iſt wahrſcheinlich, daß nicht nur die Kanariſchen Inſeln, ſondern auch Madera und
Porto-Santo den Alten bekannt geweſen, und wenn man dies annimmt, ſo laſſen ſich
ihre verſchtednen Nachrichten von der Anzahl dieſer Inſeln gar wohl erklaͤren. Plin. Hiſt.
Nat. VI.
37. Die Beſchreibungen der Alten ſtimmen auch mit den neuern uͤberein. Voſſius
ad Melam cap. X. 20. “Ex iisdem quoque inſulis \&c.
d. i. “Auch ward von dieſen
“Inſeln Einnober nach Rom gebracht; und noch jetzo findet ſich auf ſelbigen der Baum,
“welcher den Cinnober hervorbringt. Er wird Drachenblut genaunt.“ Auch haben wir
vom Plinius die Nachricht VI. 36. daß Juba Koͤnig von Mauretanien auf dieſen Inſeln,
gegenuͤber dem Lande der Autololier, Purpur faͤrben lies.
*)
Dergleichen Raubvoͤgel ſind der Toͤlpel, (Pelecanus piſcator. Boobies) die Fregatten,
(Pelecanus aquitus. Man of war bird.) und Tropic-Voͤgel (Phaeton æthereus.)
**)
Dieſe Meynung iſt von Herrn Ellis, in ſeiner Reiſe nach der Hudſons-Bay, mit vie-
lem Scharfſinn unterſucht.
*)
Bier-Wuͤrze oder Maiſch war ſo lange eingekocht worden bis dies Getraͤnke die Conſiſtenz
von Syrup bekommen hatte; dies nannte man Bier-Eſſenz oder Wuͤrz-Eſſenz.
*)
Recherches philoſophiques ſur les Americains Vol. I. p. 186.
**)
Nouvelle hiſtoire de l’Afrique françoiſe. Paris 1767 12mo. Vol. II. p. 224.
***)
Hiſt. nat. 12mo Vol. VI. p. 260.
*)
Als wir im Jahr 1775. auf unſerer Ruͤckkehr nach England wieder an das Vorgebuͤrge
der guten Hofnung
kamen, erzaͤhlte man uns, daß dieſe Inſeln in den beyden vor-
hergehenden Jahren von einer allgemeinen Hungersnoth betroffen worden waͤren. Hun-
derte der Einwohner waren damals Hungers geſtorben, und der Capitain eines hollaͤn-
*)
diſchen Schiffs, der um dieſe Zeit bey St. Jago vor Anker lag, hatte eine ganze Anzahl
derſelben mit Weib und Kindern an Bord genommen, die ſich ihm zu Leibeigen uͤbergeben
hatten, nur um dem Hunger zu entgehen. Er machte ſich ihrer Noth zu Nutze, brachte ſie
an das Vorgebuͤrge der guten Hofnung und verkaufte ſie daſelbſt. So bald indeſſen die
hollaͤndiſche Regierung am Cap Nachricht von dieſem ſchaͤndlichen Handel bekam, erhielt
er Befehl, dieſe Ungluͤcklichen auf ſeine eigne Koſten wieder einzuloͤſen, ſie in ihr Vater-
land zuruͤckzufuͤhren, und vom portugieſiſchen Gouvernement Beſcheinigung beyzu-
bringen, daß ſolches geſchehen ſey.
*)
Dies war die Fregatte Iſis unter Commando des Herrn Fleurieu, an deren Boord
ſich Herr Pingre’ mit verſchiednen Laͤngen-Uhren (Time Keepers) befand. Das
Journal von der Reiſe dieſes Schiffs, und die auf demſelben angeſtellten Beobachtungen
ſind in zween Quartbaͤnden herausgegeben.
*)
Eben dieſe Art findet ſich im gluͤcklichen Arabien. S. ForskalsFauna Arabica. So
auch in Abyßinien. S. die vortreflichen und ſchaͤtzbaren Zeichnungen des Herrn James
Bruce
.
*)
Capitain Cook beſtaͤtigte mir dies aus eigner Erfahrung. Er befand ſich einſt zwiſchen Nor-
wegen
und England in einem heftigen Sturme waͤhrend deſſen eine Flucht von viel hundert
Voͤgeln ſich ins Tau- und Takelwerk des Schiffs ſetzte. Außer einer Menge kleiner
Voͤgel waren auch einige Habichte darunter die uͤber die kleinern herfielen und ein reich-
liches Mahl hielten.
*)
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, p. 2.
*)
Hawkesworths Geſch. d. engl. See-Reiſ. B. 2. S. 13. Wir finden am Ende dieſer Stelle
eine Anmerkung die weit geringhaltiger iſt und zu beweiſen ſcheint, daß man die Alten nicht
nachgeſchlagen. Wer nur je in den Plinius gekuckt hat, kann nicht die geringſte Vermu-
thung hegen, daß obbenannte duͤnnſchalichte Muſchel, die Purpur-Schnecke der Alten
ſeyn koͤnne. Sie kannten verſchiedne Schnecken, die [Purpur] gaben, aber dieſes waren
lauter Klippen-Schnecken (rockſhells) Earum genera plura, pabulo \& SOLO diſcreta
IX. 61. Exquiruntur omnes ſcopuli gætuli muricibus ac purpuris. V.
1. Eben
ſo deutlich und unleugbar iſts, daß die Geſtalt und Haͤrte ihrer Purpur-Schnecken von
der kleinen helix janthina ganz verſchieden waren. PVRPVRA vocatur, cunicula-
tim procurrente roſtro \& cuniculi latere introrſus tabulato qua proferatur lingua.
IX. 61. — Lingua purpuræ longitudine digitalis qua paſcitur, perforando reli-
qua conchyha, tanta DVRITIA aculeo eſt. IX. 60. — Præterea clavatum eſt ad
turbinem usque aculeis in orbem ſeptenis fere. IX.
61. D. Ant. Ulloa’s Reiſen
nach Suͤd Amerika verdienen hieruͤber nachgeleſen zu werden.
*)
Ein Freund hat im Julius und Auguſt ein aͤhnliches Schauſpiel bey warmen ſuͤdweſtlichen
Wind und Wetter in der Nord See geſehen. Meduſen, Blubbers und Molluſcaͤ hatten
ſich Tages zuvor ſehr haͤuffig gezeigt; und alle Umſtaͤnde waren mit obigen uͤbereinſtim-
mend. Die Geſtalt dieſer leuchtenden Thierchen ſcheint durchaus mit den Infuſions-
thierchen der May-Blumen uͤbereinzukommen. Aber, leuchten leztere? Quis ſcruta-
tus eſt?
*)
Wir ſind nicht gemeinet dies den Hollaͤndern allein ſchuld zu geben; denn es iſt zu be-
kannt, daß alle Neger in Engliſchen und Franzoͤſiſchen Colonien, in dieſem Punkt eben
ſo vernachlaͤßigt ſind. Wir wuͤnſchten nur unter den Coloniſten aller Nationen ein mit-
leidiges Gefuͤhl gegen dieſe Ungluͤcklichen rege zu machen; und ſie, die das unſchaͤtzbare
Gluͤck der Freyheit ſelbſt genießen oder wenigſtens darnach ſtreben, — zu erinnern, daß
ſie menſchlich und guͤtig gegen Elende ſeyn ſollen, denen ſie den Seegen der Freiheit, viel
leicht ohne alles Mitleid vorenthalten.
*)
S. Commodore (Admiral) Byrons Reiſe in Hawkesworth Geſchichte der engl.
See-Reiſen in 4. erſter Band, pag. 133.
**)
S. Bougainville’s Reiſe um die Welt.
*)
Siehe Schmidt Opusc. Diſſ. IV. de commerc. \& navig. Aegyptiorum pag. 160.
vornemlich aber Schloͤtzers Handlungs-Geſchichte S. 300. Herodotus ſagt ausdruͤcklich:
Afrika ſey mit Waſſer umgeben, und das ſey durch Phoͤniciſche Seeleute ausgefunden, wel-
che Pharao Necho, von der rothen See abſchickte und die hernach durchs mittellaͤndiſche Meer
zuruͤck kamen. IV. 42. Strabo im zweyten Buche erwaͤhnt einer Expedition des Eudo-
xus
, um Africa, unter Ptolomaͤus Lathyrus; und nach dem Plinius haben auch die
Carthaginenſer die Kuͤſten dieſes großen Landes unterſucht. Hiſt. nat. 11. 67. “Et
Hanno Carthaginis potentia florente, circumvectus a Gadibus ad finem Ara-
biæ
, navigationem eam prodidit ſcripto.”
Ob[ ]man gleich glauben muß, daß Hanno
nie Africa umſeegelt, weil das Gegentheil aus ſeinem Periplus erhellet.
*)
Die Bedingungen finden ſich in Cooks voriger Reiſe, S. Hawkesworths Geſchichte
der engl. See Reiſen in 4. dritter Band, pag. 401. Die Glieder des Raths machen hier-
inn eine Ausnahme.
*)
Ohne Ungerechtigkeit duͤrfen wir nicht vergeſſen, hier vorzuͤglich zu nennen, den Gou-
verneur Baron Joachim von Plettenberg, einen Herrn, der durch ſeine Gaſtfrey-
heit und Geſpraͤchigkeit ſeiner Nation Ehre macht; Herrn Hemmy, den zweyten Gou-
verneur, und ſeine Familie; Herrn von Prehn, den Major; den Herrn Secretarius
Bergh, einen Mann von Wiſſenſchaft und edler philoſophiſcher Denkungsart, deſſen Fa-
milie durch Schoͤnheit und Verſtand ſich von der ganzen Capiſchen Jugend auszeichnet;
Herrn Kerſten; Herrn de Wit, und unſern wuͤrdigen Hauswirth, Herrn Chriſtoph
Brandt
, Commandeur von Falſebay — alle insgeſammt mit ihren Familien. Es iſt
eine wahre Freude, ſo vieler ſchaͤtzbaren Glieder der Geſellſchaft und ſo vieler Menſchen-
freunde Andenken zu erhalten.
*)
Der Acker oder Morgen Landes beſteht hier aus 666 rheiniſchen Quadrat-Ruthen, und die
Ruthe haͤlt 12 Fus. Das Verhaͤltniß des rheiniſchen zum engliſchen Fus iſt wie 116. zu 120.
*
Ein Legger iſt ohngefaͤhr 108 Gallons engliſches Maßes, davon jedes 4 ordinaire Bou-
teillen giebt.
*)
Vornemlich ſind die Weintrauben und Orangen hier ganz unvergleichlich.
*)
Ein geſchickter Schuͤler des Herrn von Linné, der zuerſt D.Burmans Kraͤuter-
ſammlung zu Leyden in Ordnung brachte, darauf drey Jahre lang am Kap botaniſirte,
und, nach mancher daſelbſt gemachten neuen Entdeckung, auf Koſten der Oſtindiſchen Com-
pagnie nach Batavia geſchickt ward, um von da im Jahr 1775 nach Japan zu gehen.
Auf D.Sparrmanns Bitte nahm er Herrn Franz Maſſon, einen Unter-Gaͤrtner des
Koͤniglichen Gartens zu Kew, mit auf ſeine botaniſchen Reiſen am Cap. Dieſer Maſſon
war an Bord der Reſolution nach dem Cap geſandt worden, um ſowohl friſche Pflan-
zen als auch Geſaͤme fuͤr den Koͤniglichen botaniſchen Garten, nach England zu bringen.
D.Thunberg lehrte ihn was merkwuͤrdig war, und er iſt mit einer reichen Erndte nach
England zuruͤckgekommen.
*)
Nur wenige Arten, die ſich in Indien und andern Theilen von Aſien finden, und eine
einzige, die in Europa anzutreffen, ſind hiervon auszunehmen. Die verſchiedenen Ar-
ten derſelben, welche es am Cap giebt, ſind alle vorzuͤglich, entweder wegen der zierlichen
Bildung, oder wegen der Farbe, oder wegen der Hoͤrner oder auch wegen der Groͤße.
Der Cuhduh oder Kolbens Bock ohne Namen, wovon dem Anſchein nach Buͤffons
Condoma
entſtanden, iſt der Strepſiceros des Linnaͤus und Pallas. Er iſt ſo groß
als ein Pferd und ſoll ungemein hoch ſpringen koͤnnen. Das Cap-Elendthier des
Kolbe, oder PallasAntelope oryx, iſt ohngefaͤhr von der Groͤße eines Hirſches. Der
bonte bock (oder der bunte Bock) iſt die Antelope ſcripta beym Pallas. Die Antelope,
welche am Cap ſehr uneigentlich Hirſch genannt wird, iſt des PallasAntelope bubalis. Die
egyptiſche Antelope oder Gazella des Linnaͤus und Pallas, oder Buͤffonspaſan, wird
hier Gemsbock genannt, mit welchem ſie doch nicht die mindeſte Aehnlichkeit hat. Die
blaue Antelope (blauwe bock) iſt wirklich blauer Farbe, verliert aber den blauen, ſam-
metartigen Schein der Haare ſo bald ſie todt iſt. Der Springbock, welches eine ſchoͤne
Art iſt und beym Pallaspygargus heißt, haͤlt ſich in den innern Theilen von Africa auf.
Man findet ſie in großen Heerden bey einander, die im Sommer, des Waſſers und des
Futters wegen, nach Suͤden ziehen, aber von ganzen Haufen Loͤwen, Panthern, Hyaͤ-
nen und Jackals verfolgt werden. Ein Thier dieſer Art hatten wir bey unſerer Ruͤck-
kunft nach England die Ehre Ihro Majeſtaͤt der Koͤnigin lebendig zu uͤberreichen Zwey
kleine Arten, ohngefaͤhr ſo groß als Dannhirſche, nebſt verſchiedenen noch nicht genug
beſchriebnen Spiel-Arten geben fuͤr die hieſigen vornehmen Einwohner ein wohlſchme-
ckendes Wildpret ab. Der Duyker oder die Tauch-Antilope wird ſo genannt, weil ſie
ſich auf der Jagd im Buſchwerk niederduckt und nur von Zeit zu Zeit wieder hervor-
kommt; auch dieſe iſt noch nicht hinlaͤnglich bekannt, und der hieſige Rehbock verdient
ebenfalls noch genauer unterſucht zu werden.
*)
Wir hatten in dem bisherigen ſtuͤrmiſchen Wetter ſechs greße Schweine und einige Schafe
verlohren.
*)
Siehe oben S. 39.
**)
Dieſen Vogel hat, ſeit Sir John Narboroughs Zeit, faſt ein jeder Seefahrer erwaͤhnt,
der das ſuͤdliche Ende von Amerika beruͤhrt hat; und ſie ſind den Leſern aus Anſons, By-
rons
, Bougainvilles, Pernetty’s und andern Nachrichten ſo bekannt, daß es kaum noͤthig ſeyn
moͤgte, ſie hier zu beſchreiben. Man k[a]nn ſie auf gewiſſe Weiſe als Amphibia anſe-
hen, denn ihre Fluͤgel ſind nicht zum Fliegen, ſondern beſtehen nur aus ſtarken fleiſchig-
ten Membranen, welche ſie zugleich als Flos-Federn gebrauchen. Den Naturkuͤndigern
ſind jetzt ſchon zehn verſchiedene Arten bekannt worden.
*)
Mairan’s Diſſertation ſur la Glace. Paris 1749. p. 261.
*)
Herr Adanſon hatte auf ſeiner Zuruͤckkunſt vom Senegal einige Flaſchen mit Seewaſſer
unter verſchiedenen Polhoͤhen angefuͤllt, und als er ſie mitten im Winter von Breſt nach
Paris mit ſich genommen, ſo waren ſie unterwegens durchaus zu Eis gefroren, und
die Flaſchen geſprungen. Das Eis gab ſuͤßes Waſſer; das wenige concentrirte Salz-
waſſer, welches nicht zu Eis hatte verwandelt werden koͤnnen, war ausgelaufen. Siehe
deſſen Reiſe nach Senegal. S. 190. Herr Edw. Nairne, Mitglied der Londner
Academie, hat in dem harten Froſt des Jahres 1776 Verſuche mit Seewaſſer angeſtellt,
davon im LXVI. Theile der engliſchen Transactionen Nachricht zu finden iſt. Sie be-
weiſen unleugbar, daß Seewaſſer zu dichtem Eiſe gefrieren kann, und hernach beym Auf-
thauen ſuͤßes Waſſer giebt.
*)
Aptenodytes antarctica; Procellaria capenſis, glacialis, nivea et vittata.
*)
Dergleichen Bouillon-Kuchen werden zu London und in andern See-Haͤven Englands,
unter dem Namen portable Soup in erſtaunender Menge aus friſchem Fleiſch, be-
ſonders Rindfleiſch, Knochen und andern Abfall verfertigt, zur Dicke eines braunen Gal-
lerts oder Leims eingekocht, und denn in kleine Kuchenformen gegoſſen. Sie hatten die Farbe
und Haͤrte von Tiſchler-Leim, wozu ſie auch gebraucht werden koͤnnen. Sie halten ſich viele
Jahre lang, wenn ſie gegen Naͤſſe und Schimmel verwahrt werden, und von auf langen,
beſonders See Reiſen, wo es am friſchen Fleiſch fehlt, ſehr bequem und von großen Nutzen.
Ein oder zwey Loth davon, zerſchnitten und in heißen Waſſer zerlaſſen oder aufgekocht,
geben fuͤr eine Perſon eine gute und kraͤftige Bruͤhe oder Suppe. Sie werden Pfundweis und
zu ſehr billigen Preiſen verkauft, weil Knochen und Abfall dazu gebraucht werden koͤnnen.
*)
Die Kunſt der Koͤche hat gewiß nie eine beſſere Erfindung hervorgebracht. Wir hatten
fuͤr unſer Schiff allein 3000 Pfund in blechernen Buͤchſen, jede von 25 Pfund, mit-
genommen.
*)
Eben dieſes Vogels wird auch in Herrn Cooks erſter Reiſe in der Endeavour gedacht.
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engliſchen See-Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 279.
**)
Martens, in ſeiner Beſchreibung von Spitzbergen, nennt dieſe Art Voͤgel Rotges.
*)
in ſo fern nemlich hohe Berge den Wind abhalten, daß er nicht auf die Oberflaͤche der
See wuͤrken, das iſt, keine Wellen verurſachen kann. A. d. V.
*)
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. dritter Band, pag. 15.
*)
Dieſer nuͤzliche Baum verdiente zwar ebenfalls fuͤr die Seefahrer genauer beſchrieben zu
werden; wir konnten aber der ſpaͤten Jahrszeit wegen weder Bluͤthen noch Fruͤchte da
von auſtreiben.
*)
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engliſchen Seereiſen in 4. zweyter Band, pag. 349.
352. und dritter Band, pag. 32.
**)
Wir werden uns allezeit dieſes Worts bedienen, um ein indianiſches Fahrzeug anzu-
deuten, es ſey denn, daß bey einer oder der andern Gelegenheit dieſer allgemeine Ausdruck
fuͤr unſre Abſicht nicht zureichend waͤrt.
*)
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. dritter Band, pag. 34. u. f.
*)
Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. dritter Band, S. 34.
*)
G. vielfaͤltig in Hawkesworths Geſch. der engl. See Reiſen.
*)
Dergleichen ſogenannte Boot-Maͤntel ſind ſo groß und weit, daß man ſie einigemal um
den Leib ſchlagen kann.
*)
Er war in der Sprache von O-Taheiti beſonders erfahren; und zwiſchen dieſer und der
Sprache von Neu-Seeland, iſt nur ein ſolcher Unterſchied als zwiſchen zwey Dialecten zu
ſeyn pflegt.
*)
Phoca urſina Linn. Viſine Seal. Pennants Syn. Quadr. 271.
*)
S. oben, Seite 69. ꝛc.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. dritter Band, pag. 54.
*)
Unter dieſem beſcheidenen Namen meynt ſich der Verfaſſer dieſer Reiſebeſchreibung, Herr
Georg Forſter, ſelbſt. Mit vielen andern ſeltnen Talenten verbindet er nemlich eine
große Fertigkeit im Zeichnen, davon Er hier, gleichſam zum erſtenmal, oͤffentliche Proben ab-
legt (Anmerkung des Verlegers.
*)
Experiments on Electricity 4to. fifth Edition, London 1774.
**)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See Reiſen, in 4. zweyter Band, S. 383. 392. 401.
*)
Dieſer Mann iſt den Leſern von HawkesworthsGeſchichte der engl. See-Reiſen,
unter dem Namen Tupia bekannt. Man kann aber verſichert ſeyn, den Namen deſſel-
ben, gleich vielen andern Woͤrtern aus den Suͤdſee-Sprachen, hier richtiger als im vor-
*)
hergehenden Werk ortographirt zu finden; denn der Verfaſſer des gegenwaͤrtigen iſt ein
Deutſcher, die gemeiniglich nicht nur mehr Diſpoſition haben fremde Sprachen zu lernen,
ſondern auch in der Ausſprache und Rechtſchreibung derſelben ungleich genauer zu ſeyn
pflegen als die Englaͤnder, Franzoſen ꝛc. Es ſind auch zum Behuf der Deutſchen, alle
fremde Woͤrter hier ſo geſchrieben, wie ſie der deutſchen Ausſprache nach eigentlich lauten.
A. d. V.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engliſchen See-Reiſen in 4. dritter Band, pag. 43. u. f.
**)
Ebendaſelbſt, S. 45.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 389.
*)
S. Hawkesworths Geſch, der engl. See Reiſen in 4. B. III.[.]. pag. 45.
*)
Mit dieſer Beſchreibung vergleiche man die Figur, eines ſo gekleideten Neu-Seelaͤnders,
in der Kupfer-Zugabe zur Geſchichte der engl. See-Reiſen, 4. dritter Band, pag. 44.
*)
Die Admiralitaͤt wollte anfaͤnglich, daß beyde Schiffe ſchon im Maͤrz ſeegeln ſollten, doch
geſchah es erſt im Junius, weil man mit der Ausruͤſtung nicht fruͤher fertig werden konnte.
*)
Die Beſitzer von Hawkesworth Geſchichte der engliſchen See Reiſen, werden bey dieſer und
aͤhnlichen Stellen die in mehrgedachtem Werk befindlichen Charten mit Nutzen zu Rathe
ziehen koͤnnen.
*)
Pennant’s British Zoology. B. III. p. 53. der neuen vermehrten Edition in Quarto,
von 1776.
*)
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen ꝛc.
*)
Mit dieſer Bemerkung ſtimmt uͤberein, was wir im Auguſt 1772 zu Madera erfuhren, denn
auch da ſchon hatten wir den Paſſat-Wind, ob dieſe Inſel gleich unterm 33ſten Grade
nordlicher Breite belegen iſt.
*)
Ryf oder Rief heißt in vielen noͤrdlichen, von der deutſchen abſtammenden Sprachen,
eine Bank oder Strecke von Felſen, oder ſonſt eine ſeichte Stelle in der See, die ent-
*)
weder etwas unter Waſſer ſtehet, ſo daß man noch, wenn gleich nicht mit großen Schiffen,
daruͤber wegfahren kann, oder auch wohl ſo ſeicht iſt, daß die See daruͤber wegbricht und
Brandungen verurſachet.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See Reiſen, in 4. B. II. S 78.
*)
In Hawkesworths Geſchichte der engl. See Reiſen, in 4. B. II. S. 78. ſteht faͤlſchlich
Maitea.
*)
S. Hiſtorical collection of the ſeveral voyages and diſcoveries in the ſouth pacific Ocean by
Alex. Dalrymple
Esq. Vol. I. pag.
109-117.
*)
S. Bougainvilles Reiſen.
*)
In Hawkesworths Geſch der engl. See Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 85. iſt die-
ſer Name, der engl. Schreibart nach, Tootahah ortographirt, weiches Tutahah aus-
geſprochen wird Dieſer Mann war damals Regent, oder doch Adminiſtrator der Landes-
gierung, S. ebendaſ. Seite 105. 120.
*)
Athrodactylis. Char. Gen. nov. Forſter. London. 1776. Bromelia ſylveſtris Linn.
Flora Ceyl. Keura. Forſkal Flor. Arab. Pandanus. Rumph. Amboin.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. B. II. pag 209.
*)
Dies erklaͤrt einen aͤhnlichen Vorfall der, einige Seiten zuvor, pag. 212 erzaͤhlt worden.
*)
Der juͤngere Herr Forſter ließ ſich, zum Unterſchied von ſeinem Herrn Vater bey dieſem
Vornahmen nennen. A. d. V.
**)
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen, in 4. 2ter Band, pag. 97 u. f.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 199.
*)
Die Stelle iſt im Alt Engliſchen ungemein naif und faͤngt ſich alſo an: „From that lond in
“returuynge be ten jorneys thorge out the lond of the grete
Chane, is another gode yle
“and a grete Kyugdom, where the Kyng is fulle riche and myghty \&c
.
Wir wollen ſie
aber dem deutſchen Leſer zu gefallen lieber deutſch geben. “Von dem Lande zehen Tagerei-
“ſen ruͤckwaͤrts durchs Land des großen Kans iſt ein andres gutes Eyland und ein großes
“Koͤnigreich, deſſen Koͤnig ſehr reich und maͤchtig iſt. Und unter den Großen des Lan-
“des iſt ein uͤberſchwenglich reicher Mann, der nicht Prinz, nicht Herzog, nicht Graf iſt;
“aber er hat mehr Vaſallen, die Land und Herrſchaften von ihm zu Lehen tragen, denn
“er iſt reicher als Prinzen, Herzoge und Grafen ſeyn moͤgen. Hat jedes Jahr an Ren-
“ten 300,000 Roſſe mit Korn verſchiedner Art und mit Reis beladen. Lebt nach Lan-
“des Brauch als ein rechter Edelmann und koͤſtlich. Hat jeden Tag funfzig ſchoͤne Maͤgd-
“lein, die Jungfrauen ſind, ihm aufzuwarten bey Tiſch, und bey ihm zu liegen des
“Nachts und zu thun mit ihnen was ihm wohlgefaͤllt. Und wenn er bey Tiſche iſt,
“ſo bringen ſie die Speiſen je fuͤnf und fuͤnf; und ſingen dabey ein Liedlein, und zerlegen
“denn das Eſſen und ſteckens ihm ins Maul, denn er ruͤhrt nichts an und thut nichts
“mit den Haͤnden, die er immer vor ſich haͤlt auf dem Tiſche, weil er ſo lange Naͤgel an
*)
“den Fingern hat, daß er dafuͤr nichts anruͤhren oder anfaſſen kann, und das Kennzei-
“chen des Adels in dieſem Lande beſteht in langen Naͤgeln, ſo lang ſie nur wachſen wollen. —
“Und die Maͤgdlein ſingen ſo lang der reiche Mann iſſet; und wenn er vom erſten Gange
“nicht mehr eſſen mag, ſo bringen fuͤnf und fuͤnf andre huͤbſche Jungfrauen den zweyten
“Gang und ſingen wie bevor, bis das Mahl zu Ende iſt. Und ſo bringt er ſein Leben hin,
“und ſo verlebtens ſeine Vaͤter, und ſo werdens diejenigen verleben, die aus ſeinen Lenden
“entſproſſen ſind.“ S. The Voyage and Travayle of Sir Iohn Maundevile, Knight,
which treateth of the way to Hieruſalem \& of Marvayles of Inde, with other
Haunds and Countryes. From an original MS. in the Cotton library. 8vo 1727.
p.
376.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 157 und 161.
*)
Waheatua genannt, in Hawkesworths Geſch. B. II. p. 155.
**)
Outou genannt, im Hawkesworth.
***)
Beym Hawkeswoth wird dieſer Titel ſtets fuͤr ſeinen Namen ausgegeben.
*)
In ſo fern ihm nemlich die Geſtalt jeder Landſpitze, Bay und anderer Theile der Kuͤſte, als
einem alten Schiffsmann genau bekannt ſeyn mußte, in ſo fern konnte er ſie an ihrer
Form auf dem Papier leicht erkennen. A. d. V.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen, in 4. erſter Theil, pag. 232.
*)
In Capitain Cook’s engliſcher Reiſebeſchreibung iſt eine uͤberaus mahleriſche Abbildung
dieſer herrlichen Gegend in Kupfer geſtochen.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. erſter Band, pag. 222 und
folgende S. woſelbſt ſeiner uͤberall nur unter dem Namen des Greiſes gedacht wird. —
zweyter Band, pag 81. Owhah ꝛc. und namentlich pag. 90, ꝛc.
**)
Ebendaſelbſt S. 155. Maraïtata.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 175.
**)
Die Wilden von Neu-Seeland machen eine Ausnahme.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen, in 4. zweyter Band, wo pag. 240.
ſtehet: eowa no l’ earee, welches aber heißen ſoll: e-hoa no te erih (das iſt: Freund
des Koͤnigs.)
*)
S. Hawkesworths Geſch der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 152. wo er
Whappai genannt wird.
**)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 241.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 197.
und f.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 261. —
Auch die Kupferplatte Nro. 38. ob ſolche gleich keinen Begrif von den Tahitiern giebt.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 240.
**)
S. oben pag. 242. und Hawkesworths Geſch. II. Band, pag. 81. 91. ꝛc.
†)
Die hier beygefuͤgte Abbildung dieſer ſchoͤnen Bluͤthe wird dem Leſer vermuthlich willkom-
men ſeyn. A. d. V.
*)
Pandanus Rumph. Herb. Amb. AthrodactylisForſter. Nov. Gen. Plantarum —
Keura. Forſkal.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See Reiſen, in 4. erſter Band, pag. 238.
**)
Osbecks und Toreens Reiſen nach China.
***)
Groſe’s Voyage engliſche Ausgabe, Vol. I. p. 113.
*)
S. in Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 151.
u. 164 woſelbſt dieſer Name Oamo ortographirt iſt.
**)
S. Ebendaſelbſt pag. 152. allwo dieſer Name in Terridiri entſtellt iſt.
***)
Siehe ebendaſelbſt.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen, in 4. erſter Band, pag. 236.
u. folg. Imgleichen zweyter Band, pag. 151. 152. 164. u. 173. ꝛc.
**)
S Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen, in 4. zweyter Band, pag. 169.
*)
Capitain Cook iſt ein ungemein langer aber hagerer Mann.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der [engl.] See-Reiſen, in 4. zweyter Band. pag. 168.
*)
S. Bougainville’s Reiſen und Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zwey-
ter Band,
pag. 230. Herr von B. zweifelt, ob die Krankheit vor ſeiner Ankunft zu
Tahiti geweſen ſey; der Englaͤnder iſt poſitiver in ſeiner Meynung.
*)
In Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 252. wird
dieſe Inſel unrichtigerweiſe Ulietea genannt.
**)
Siehe ebendaſelbſt — — p. 253. u. 256. wo dieſe Inſel irrigerweiſe Bolabola heißt.
Tittel und Name ſcheinen hier in der Ausſprache zuſammen gezogen zu ſeyn, vermuthlich
ſollte es heißen T’-Erih-Taͤria.
*)
S. Hawkesworth Geſchichte der engl. See Reiſen in 4. zweyter Band,p. 250.
*)
Die eingebohrnen Americanerinnen bedienen ſich eben dieſes Mittels. Siehe Pauw Re
cherches philoſophiques ſur les Americains. Vol. I. p.
55.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 124.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 124.
imgleichen erſter Band, pag. 214. 215. 219.
**)
Ebendeſſelben — zweyter Band, pag. 247.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 252.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See. Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 258.
*)
In England wird auf dem italiaͤniſchen Theater gemeiniglich nur Opera buffa gegeben.
A. d. H.
*)
O-Hedidi und O-Maï nannten ſie Hih-Biddhi, und ſagten, es bedeute Anverwandten.
*)
Im engliſchen Original iſt dieſes Hauptſtuͤck alſo uͤberſchrieben: Beſchreibung einer Reiſe
um die Welt, zweyten Buchs erſtes Hauptſtuͤck. Die Verleger der deutſchen Aus-
gabe haben es aber fuͤr ſchicklicher gehalten, den neuen Abſchnitt, oder das zweyte Buch,
erſt mit dem zweyten Bande des ganzen Werks angehen zu laſſen.
*)
Da die Einwohner von Tahiti und den Societaͤts Inſeln faſt in allen Stuͤcken mit
einander uͤbereinkommen, ſo werde ich, im Verfolg dieſer Geſchichte, jeden Gebrauch Ta-
hitiſch
nennen, der entweder zu Tahiti ſelbſt oder doch auf den Societaͤts-Inſeln uͤblich iſt.
*)
Siehe Kolbens Beſchreibung des Vorgebuͤrges der guten Hoffnung, und Recherches
philoſophiques ſur les Americains par Mr. Pauw.
Vol. II. pag.
224. 229.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 8. zweyter Band.pag. 527.
*)
S. Abhandlungen der Koͤn. Schwediſchen Academie zu Stockholm.
*)
Uri bedeutet zu Tahiti einen Hund; Guri bedeutet eben das auf Neu-Seeland.
*)
S. in Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. die im zweyten Bande pag. 252.
befindliche Abbildung.
*)
Die Abbildung eines Canots in Schoutens Reiſen giebt von den Seegel-Booten zu
Tongatabu einen guten Begriff. S. Dalrymple’s Collection Vol. II. p. 17. 18.
*)
Ko iſt hier und auf Neu-Seeland der Artikel, welcher mit dem Tahitiſchen O oder E.
uͤbereinſtimmt.
**)
Eben das Wort heißt im Tahitiſchen Dialect Eri.
†)
Dalrymples hiſtorical collection of voyages and diſcoveries in the South Pacific
Ocean
II Vol. 4to 1771. London. Vol. II. p.
27. 28.
*)
Zu Tahiti Awa, hier aber und auf Horn-Eyland, Kawa genannt.
**)
Capitain Cook ſetzt in ſeiner Reiſebeſchreibung hinzu, daß dieſe Becher ohngefaͤhr einen
halben Schoppen (½ pint) hielten, und daß niemand zweymal, auch nie zwey Perſonen aus
demſelben Geſchirr tranken. Jeder hatte ſeinen Becher, und nahm, ſo oft er trank, einen
neuen. Die Weiber waren von dieſen Zechen nicht ausgeſchloſſen. Die Tahitiſche Gewohn-
heit, daß jedes Geſchlecht abgeſondert ſpeißt, iſt alſo hier wohl nicht uͤblich. A. d. V.
*)
S. Dalrymples Collection of Voyages. Vol. II. pag. 47.
*)
In Dalrymples collection Vol. II. p. 46.
*)
S. Dalrymples. Collection Vol. II. pag. 75. wo ſie wilde Endten genannt werden.
*)
Man ſehe hieruͤber die in Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4., im zwey-
ten
Bande befindliche Charte von Neu-Seeland.
*)
S. Triſtram Shandy.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band.pag. 309.
*)
S. Dalrymples collection of Voyages in the Southern Atlantic Ocean, die Wet-
ter-Beobachtungen, fangen im Februar 1766 an und hoͤren mit dem Jenner 1767. auf.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band, pag. 294 ꝛc.
*)
Dieſer Kopf befindet ſich jetzt in Herrn Joh. Hunters anatomiſchen Cabinet zu London.
*)
Seine Gedanken hieruͤber hat D. Hawkesworth ſich zugeeignet, ohne Herrn Pauw zu
nennen. S. Hawkesworth. III. B. in 4. p. 36. u. f. Sic itur ad aſtra in einem Lande, das
nach Voltaire’s Ausſage und nach dem Vorurtheil der Deutſchen noch jetzt fuͤr das
Vaterland der Original-Denker gehalten wird.
*)
Der Biſchof Las Caſas ſahe dieſe Abſcheulichkeit unter den erſten ſpaniſchen Eroberern
von Amerika.
**)
S. Hawkesworths Geſch. zweyter Band, in 4. p. 386. u. f.
*)
Hawkesworth Geſch. der engl. See-Reiſen, 4. III. Band ꝛc. pag. 62.
**)
Der gewoͤhnliche Name dieſes Vogels in der Neu-Seelaͤndiſchen Sprache iſt Kogo.
†)
Eigentlich auszuſprechen: Eti-ih.
*)
Ein gewoͤhnliches Mittel, deſſen ſich die Seefahrer bedienen, wenn ſie, auf unbewohnten
oder neu entdeckten Kuͤſten ihren Nachfolgern etwas bekannt machen wollen. Man ſteckt
einen ſolchen Brief deshalb in eine Flaſche, um ihn vor der Naͤſſe zu bewahren, und die Bou-
teille wird ſodann, an einem leicht in die Augen fallenden Ort, gemeiniglich in der Gegend
wo die Anweſenden ihre Waſſerfaͤſſer gefuͤllt haben, unter einem Baume vergraben, der
entweder durch eine angehaͤngte Tafel, oder durch eingehauene Zeichen kenntlich gemacht
wird, damit der Neuankommende gleich gewahr werde, an welcher Stelle er nachgra-
ben muͤſſe.
*)
Pag. 22.
†)
Pag. 13.
**)
Pag. 22.
*)
Pietro Qvirino reißte dahin im April 1431. Er litte Schiffbruch auf der Inſel Roͤſt
oder Ruͤſten unterm Polar-Zirkel an der Kuͤſte von Norwegen. Raccolta di Ramuſio.
Venezia, 1574. Vol. II. p.
204-210.
*)
S. Dalrymple’s hiſtorical Collection Vol. I. pag. 53. imgleichen die Charte.
*)
Dalrymples hiſtorical collection Vol. II. p. 85. alſo his Lettres to D. Hawkes-
worth
.
1773.
*)
Dalrymples hiſtorical collection of Voyages. Vol. II. p. 91.
*)
Leben der Gouverneurs von Batavia. — Die Lage iſt daſelbſt angegeben 27°. 4′. ſuͤd-
licher Breite und 265°. 42′. oͤſtlicher Laͤnge von Teneriffa, welches uͤbereinkommt mit
110°. 45.′ weſtlicher Laͤnge von London.
*)
Dalrymples hiſtorical collection. Vol. II. p. 90. 94. Hiſtoire de l’expedition de trois
vaiſſeaux Tome I. p. 133. à la Haye.
1739.
*)
Dalrymples Collect. Vol. II. p. 3.
**)
Ibid. Vol. II. p. 95. Hiſtoire \&c. Vol. I. p. 138.
*)
Iya zu Tahiti und Ika auf Neu-Seeland und den freundſchaftlichen Inſeln, bedeuten
einen Fiſch.
*)
Plin. H. nat. X. c. 63. Tacit. Ann. XI. Juven. Sat. VI. v. 129.
*)
Ko iſt der gewoͤhnliche Artikel in der Sprache von Neu-Seeland und der freundſchaftli-
chen Inſeln
.
*)
Hoa auf den Societaͤts-Inſeln; Woa auf den freundſchaftlichen Inſeln.
*)
Die Spanier im S. Lorenzo und der Fregatte Roſalia, geben die Einwohner auf Oſter-
Eyland
auf 2. bis 3000 an. Sie ſcheinen aber das Innere des Landes, nicht ſo genau
als wir, unterſucht zu haben. S. Dalrymples Letter to D. Hawkesworth.
†)
Die Spanier erwaͤhnen weißer Calebaſſen (pompions) unter den Pflanzen der Inſel. Uns
kamen keine zu Geſicht. S. Dalrymples Letter to Dr. Hawkesworth.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt während den Jahren 1772 bis 1775. Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt während den Jahren 1772 bis 1775. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bk1k.0