Wunder des Himmels,
oder
gemeinfaßliche Darſtellung
des
Weltſyſtems.
Mit Königl. Würtembergiſchem Privilegium.
Mit dem Bildniſſe des Verfaſſers und aſtronomiſchen Tafeln.
- Dritter Theil:
- Phyſiſche Aſtronomie.
- Beſchreibung und Lehre vom Gebrauch der
aſtronomiſchen Inſtrumente.
Hoffmann'ſche Verlags-Buchhandlung.
1836.
[][]
oder
Geſetze der himmliſchen Bewegungen.
Beſchreibung und Lehre vom Gebrauch
der
aſtronomiſchen Inſtrumente.
aſtronomiſchen Kunſtwörter.
Nebſt 28 aſtronomiſchen Figuren auf fünf Tafeln.
Hoffmann'ſche Verlags-Buchhandlung.
1836.
Die
Wunder des Himmels.
Dritter Band.
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder III. 1
[[2]][[3]]
Kapitel I.
Eigenſchaften der Körper.
§. 1. (Allgemeine Eigenſchaften der Körper.) Wohin wir unſere
Blicke wenden, finden wir uns von Dingen umgeben, die auf
unſere Sinne einwirken und die wir Körper nennen. Was
ſind ſie, woher kommen und worin beſtehen ſie und wie werden
wir uns ihres Daſeyns bewußt? — Die Metaphyſiker haben ſich
lange darüber geſtritten: ſie ſtreiten noch, und ſie werden es wahr-
ſcheinlich immer.
Ohne dieſen Forſchern das Vergnügen, unauflösbare Räthſel
löſen zu wollen, zu mißgönnen, werden wir uns damit begnügen,
dasjenige, was allein in unſerer Macht iſt: die Wirkungen
dieſer Körper auf einander, näher kennen zu lernen.
Unſere erſten Begriffe von den Körpern führen uns auf
Eigenſchaften derſelben, die ihnen allen zukommen, an denen wir
ſie erkennen und ohne die wir ſie uns nicht zu denken vermöchten.
Dieſe ſind Größe, Geſtalt und Undurchdringlichkeit.
§. 2. (Größe, Geſtalt und Undurchdringlichkeit.) Jeder Körper
muß einen Raum einnehmen oder ein gewiſſes Volum haben, wie
groß oder wie klein auch daſſelbe ſeyn mag. Darin beſteht ſeine
Größe. — Jeder Körper muß ferner dieſen ſeinen Raum auf
eine beſtimmte Art einnehmen und von dem übrigen Raume durch
gewiſſe Gränzen oder Flächen getrennt ſeyn, worin ſeine Form
1 *
[4]Eigenſchaften der Körper.
oder ſeine Geſtalt beſteht. Endlich können auch zwei oder meh-
rere Körper nicht zugleich an demſelben Orte ſeyn. Sie
können ſich verdrängen, um die Orte der verdrängten einzu-
nehmen; ſie können ſich neben den kleinſten Theilen anderer Körper
eindrängen, wie Waſſer in den Schwamm, wie Salz in das
Waſſer; aber dieſe kleinſten Theile ſelbſt müſſen unverändert fort-
beſtehen und der Ort, den einer dieſer Theile einnimmt, kann
nicht zugleich von einem andern eingenommen werden, wenn an-
ders unſer Begriff vom Körper nicht ſeine Bedeutung verlieren
ſoll. Darin beſteht die Undurchdringlichkeit oder die Impene-
trabilität der Körper.
Geſtalt und Volum ſind zwei verſchiedene und von einander
unabhängige Eigenſchaften jedes Körpers. Das Volum kann bei
derſelben Geſtalt ſehr verſchieden ſeyn und umgekehrt. Das Volum
der Sonne iſt Millionenmal größer, als das der Erde, aber
die Geſtalt beider iſt gleich, weil beide Kugeln ſind. So können
zwei Körper z. B. eine Kugel und ein Würfel ſehr verſchiedene
Geſtalten und doch daſſelbe Volum, d. h. denſelben Rauminhalt
haben. Eben ſo kann die Oberfläche einer Kugel gleich groß mit
der einer ebenen Tafel oder die Länge eines Kreisbogens gleich
groß mit der einer geraden Linie ſeyn, während doch die Ge-
ſtalten dieſer Flächen oder dieſer Linien ſehr verſchieden ſind.
§. 3. (Beſondere Eigenſchaften der Körper.) Wenn man
aber den Begriff eines Körpers, wie er uns durch die Erfahrung
gegeben wird, noch näher unterſucht, ſo findet man, außer jenen
allgemeinen Eigenſchaften deſſelben, noch mehrere andere, die ihm
zwar nicht mehr nothwendig zukommen, die aber, als Reſultate
unſerer Beobachtungen und wegen ihrer Anwendbarkeit in der
Folge, eine beſondere Betrachtung verdienen.
§. 4. (I. Poroſität.) Das Volum, welches die Körper ein-
nehmen, wird, der Erfahrung gemäß, von den Theilen, ſelbſt von
den kleinſten Theilen dieſer Körper nicht vollſtändig eingenommen;
denn dieſe Theile ſind nicht in abſoluter Berührung unter ein-
ander, ſondern ſie ſind durch Zwiſchenräume, Poren, getrennt,
deren Inhalt ſelbſt nicht zu dem eigentlichen Körper gehört. Das
Volum eines jeden Körpers beſteht alſo aus ſolchen, den Körper
conſtituirenden Theilen deſſelben und aus den dieſe Theile tren-
[5]Eigenſchaften der Körper.
nenden Poren, die entweder leer oder mit andern Subſtanzen
angefüllt ſind.
Wenn die Poren eines der Atmoſphäre ausgeſetzten Körpers
größer ſind, als die kleinſten Theile, aus welchen die Atmoſphäre
beſteht, ſo dringt die letzte in jene Poren ein. So ſieht man,
wenn Holz, Kreide oder Zucker auf den Boden eines mit Waſſer
gefüllten Gefäßes gebracht wird, die durch den Druck des Waſſers
aus den Poren jener Körper herausgedrängte Luft in der Geſtalt
von Blaſen auf die Oberfläche des Waſſers ſteigen. Wenn eine
lange, verticale Röhre, deren Boden mit Holz verſchloſſen iſt,
mit Queckſilber gefüllt wird, ſo ſieht man das letzte in der Ge-
ſtalt eines feinen Silberregens durch den Boden dringen. Unſere
gewöhnlichen Filtrationen beruhen ganz auf demſelben Princip,
und man wird z. B. das Waſſer von allen fremden Beſtand-
theilen reinigen, wenn man es durch ein Filtrum von Papier,
von poröſem Stein, von einem Sand- oder Kohlenlager gehen
läßt, vorausgeſetzt, daß die Poren des Filtrums kleiner ſind, als
die Dimenſionen der fremdartigen Körper, von welchem man das
Waſſer befreien will.
Dieſe Poroſität wird, ſo viel uns bekannt, bei allen Körpern,
ſelbſt bei den Metallen und Steinen angetroffen. Unter den
kieſelartigen Steinen iſt der ſogenannte Hydrophan in ſeinem ge-
wöhnlichen Zuſtande nur ſehr wenig durchſichtig, aber er wird
vollkommen diaphan, wenn er eine Zeit im Waſſer gelegen hat.
Uebrigens darf immer noch bemerkt werden, daß das, was wir
Undurchdringlichkeit der Materie nennen, vielleicht den Körpern
ſelbſt nicht eben nothwendig zukömmt. Wir ſchließen ihr Daſeyn
nur aus Erfahrungen, denen wir dann, durch Induction, eine
allgemeine Gültigkeit geben. Aber man könnte vielleicht auch
Erfahrungen für das Gegentheil anführen, z. B. die Wirkungen
des Lichts, der magnetiſchen und electriſchen Materie u. ſ. w.
Zwar ſuchen wir uns hier mit den Poren der Körper zu helfen,
aber dieſe ſind doch nur wieder angenommen, weil wir die Ma-
terie an ſich, vielleicht mit Unrecht, für undurchdringlich halten.
Glücklicher Weiſe hängen von dieſen, nicht ſowohl phyſiſchen als
metaphyſiſchen Speculationen unſere Kenntniſſe der äußeren
[6]Eigenſchaften der Körper.
Erſcheinungen der Natur nicht ab, und nur mit dieſen letzten be-
ſchäftiget ſich der eigentliche Naturforſcher.
§. 5. (II. Compreſſibilität.) Durch Druck oder Schlag können
die meiſten Körper in einen engeren Raum gebracht werden. Ihr
Volum nimmt ab, ohne daß die Anzahl ihrer kleinſten Theile
vermindert wird. Dieſer Druck muß daher die Größe der Poren
dieſer Körper vermindern, oder er muß die Theile dieſer Körper
einander näher bringen. Wenn ſie, nachdem der Druck aufgehört
hat, ihre frühere Geſtalt mit einer gewiſſen Kraft wieder anzu-
nehmen ſich beſtreben, ſo nennt man dieſe Kraft Elaſticität.
Alle elaſtiſche Körper müſſen daher compreſſibel ſeyn, aber nicht
alle compreſſible Körper ſind elaſtiſch.
§. 6. (III. Ausdehnbarkeit.) Beinahe alle Körper nehmen,
wenn ſie erwärmt werden, einen größeren Raum ein, als ſie bei
einer geringeren Temperatur eingenommen haben. Daſſelbe thun
alle luftförmige Körper (Gaſe), wenn ſie von dem auf ſie
laſtenden Drucke befreit werden. Durch dieſe Ausdehnung
muß daher die Dimenſion der Poren der Körper vergrößert werden.
Eine ſchlaffe, beinahe ganz luftleere Blaſe ſchwillt auf, wenn ſie
mit wohl verſchloſſener Oeffnung auf einen erwärmten Ofen ge-
bracht wird, und ſinkt wieder in ihren vorigen Zuſtand zurück,
wenn die in ihr verſchloſſene Luft auskühlt. Die eiſernen Schienen
unſerer Wagenräder werden gewöhnlich etwas kleiner, als die
Peripherie des Rades von Holz gemacht, aber durch ſtarke Hitze
vergrößert, paſſen ſie genau auf das Holz, welches ſie noch nach
der Auskühlung ſo ſtark anziehen, daß ſie, ſelbſt ohne Be-
feſtigung durch Nägel, lange auf dem Rade feſthalten können.
Wenn ſich Flaſchenſtöpſel nicht ohne Gefahr für die Flaſche aus-
ziehen laſſen, ſo unwindet man den Hals derſelben mit in heißes
Waſſer getauchten Tüchern, wodurch die Oeffnung der Flaſche
erweitert und der Kork ohne Mühe herausgebracht wird. Als
in dem Gebäude des Conservatoire des Arts zu Paris die beiden
gegenüberſtehenden Seitenwände an ihren oberen Stellen auswärts
gewichen waren, ließ Molard ſie durch mehrere eiſerne Stangen
verbinden, die durch beide Mauern gingen und an ihren äußerſten
Enden mit Schrauben verſehen waren. Wenn dieſe Stangen
durch untergeſtellte Lampen erhitzt und verlängert waren, wur-
[7]Eigenſchaften der Körper.
den die Schrauben näher an die Mauern gedreht, und dadurch
die Wände von den bei ihrer Verkühlung ſich wieder verkürzenden
Stangen einander näher und durch wiederholte Verſuche endlich
ganz in die frühere ſenkrechte Lage gebracht.
§. 7. (IV. Theilbarkeit.) Alle Körper von noch merkbarem
Volum, ſelbſt die kleinſten, laſſen ſich, der Erfahrung gemäß, in
noch kleinere Theile trennen. Dieſe Theilung geht, unſeren
Beobachtungen zu Folge, ungemein weit und vielleicht ſelbſt ins
Unendliche. Newton lehrte uns der erſte die ungemein geringe
Dicke mancher durchſichtigen Flächen kennen und ſelbſt berechnen,
indem er die Farben, welche ſie bei verſchiedenen Dicken zurück-
werfen, zu dieſem Zwecke benützte. Eine Seifenblaſe iſt eine hohle
Kugelſchaale, die je nach der Dicke ihrer einzelnen Stellen auch in
verſchiedenen Farben ſpielt. Kurz vor ihrem Platzen zeigt ſich auf
dem höchſten Theile derſelben ein ſchwarzgrauer Punkt und dort
iſt die Dicke der Blaſe, nach Newtons Rechnungen, noch nicht
der zwei und ein halb millionſte Theil eines Zolles. Die durch-
ſichtigen Flügel mancher Inſekten ſind ſo dünn, daß 50000 der-
ſelben übereinander gelegt, noch nicht die Dicke des vierten Theils
eines Zolls betragen würden. In unſeren vergoldeten Silber-
fäden iſt das ſie ringsum bedeckende Gold ſo ausgedehnt, daß
daſſelbe bei einem Draht von einem Fuß Länge noch nicht den
1½ millionſten Theil eines Lothes wiegt. Ein Zoll dieſes Sil-
berdrabts würde alſo nur den 18 millionſten und der noch immer
gut ſichtbare hundertſte Theil dieſes Zolles würde den 1800 mil-
lionſten Theil von einem Lothe Goldes enthalten. Daſſelbe
Stück, durch ein Mikroſcop mit einer 500maligen Vergrößerung
betrachtet, würde 500mal länger und alſo auf dieſem Silber-
faden das ihn bedeckende Gold in 900000 Millionen Theile ge-
theilt erſcheinen, deren jeder noch alle die Eigenſchaften dieſes
Metalls hat, ſeine Farbe, ſeine Dichte, ſeine frühere Verwandt-
ſchaft zu den chemiſchen Agentien u. ſ. w.
Noch viel weiter ſcheint dieſe Theilbarkeit bei den organiſchen
Körpern zu gehen. Unſer Blut z. B. iſt nicht eine gleichmäßige
rothe Flüſſigkeit, ſondern es beſteht aus kleinen rothen Kügelchen,
die in einer transparenten Flüſſigkeit, dem Serum, ſchwimmen.
Bei den Säugthieren ſind dieſe Kügelchen vollkommen rund, bei
[8]Eigenſchaften der Körper.
Vögeln und Fiſchen aber elliptiſch. In dem Blute der Menſchen
beträgt der Durchmeſſer dieſer Kügelchen nur den 4000ſten Theil
eines Zolls, woraus folgt, daß in einem ſolchen Blutstropfen,
der an der Spitze der feinſten Nadel hängen bleibt, wenigſtens
eine Million ſolcher Kügelchen enthalten ſeyn muß.
Und doch haben uns die Mikroſcope ſchon Thiere gezeigt, die
noch kleiner ſind, als dieſe Kügelchen, von denen Millionen auf
einander gehäuft noch keinem Sandkorn gleichen und die zu
Tauſenden mit Eins durch die feinſte Oeffnung einer Nadel
ſchwimmen; — und doch hat jedes derſelben ſeine Glieder und
Eingeweide, ſeine Sinne und ſeinen Inſtinkt, und, wie man
aus ihren Bewegungen ſieht, auch ſeinen freien Willen. Aus
welchen feinen Theilen muß der Organismus dieſer Weſen zu-
ſammen geſetzt ſeyn! Müſſen ſie nicht auch ein Herz, Arterien
und Venen, Muskeln und Nerven haben, und von welcher Größe
ſollen wir dieſelben annehmen? Wenn die Kügelchen ihres Blutes
zu den unſeren daſſelbe Verhältniß haben, wie die Größe ihres
ganzen Körpers zu dem unſeren, wer mag den Durchmeſſer der-
ſelben berechnen?
(Unſere Sinne ſind die feinſten Inſtrumente zu Unterſuchungen
ſolcher Art.) Da uns hier unſere feinſten Inſtrumente verlaſſen und da
unſere beſten Mikroſcope nicht mehr bis zu jenen Gränzen vorzu-
dringen im Stande ſind, ſo ſcheinen jene unbekannte Gegenden
nicht mehr für eigentliche Beobachtungen, ſondern bloß für Muth-
maßungen geeignet, mit welchen die Einbildungskraft nach Ge-
fallen ſpielen kann. Aber dieſe Muthmaßungen ſind doch ganz
anderer Art, als jene, welche unſere hyperphyſiſchen Naturphilo-
ſophen ihren Speculationen zu Grunde zu legen pflegen. Sie ſind
auf Thatſachen gebaut, auf eine eigene Gattung von Beobach-
tungen, mit einem Inſtrumente angeſtellt, das wir in uns ſelbſt
tragen und das unendlich feiner gebaut iſt, als alle diejenigen,
die bisher aus den Werkſtätten unſerer Künſtler hervorgegangen
ſind. Unſer Nervenſyſtem iſt, beſonders im gereizten Zuſtande,
von einer Empfindlichkeit, die wir nur fühlen, aber nicht mehr
berechnen oder mit dem Verſtande angeben können. Unſere Ge-
ruchsnerven z. B. zeigen uns das Daſeyn riechbarer Körper in
der Luft, von denen keine chemiſche Analyſe auch nur die geringſte
[9]Eigenſchaften der Körper.
Spur auffinden kann. Ein einziger Gran Moſchus verbreitet in
einem großen und luftigen Zimmer oft mehrere Jahre durch einen
ſtarken Geruch, und Papiere, die neben Moſchus gelegen haben,
können die Reiſe nach Oſtindien und zurück machen, ohne ihren
Geruch zu verlieren. Bedenkt man nun, wie viele Moſchus-
Theilchen ſich von einem ſolchen Körper in jeder Sekunde abſon-
dern müſſen, um nach allen Richtungen von ihm durch den Geruch
erkannt zu werden, ſo muß man über die Menge, alſo auch über
die Kleinheit dieſer Theilchen erſtaunen.
Nicht minder bewunderungswürdig erſcheint uns der Sinn
des Geſichts. Das Licht des Mondes, auch viele tauſendmale in
unſern Hohlſpiegeln und Brenngläſern verdichtet, zeigt nicht die
geringſte Wirkung, weder auf unſere Thermometer, noch auch auf
die chemiſchen Erſcheinungen der Körper, die dieſem höchſt conden-
ſirten Lichte ausgeſetzt werden. Aber ſo wie auch nur ein Strahl
des nicht verdichteten Mondlichts die Pupille unſeres Auges trifft,
zieht ſich dieſelbe ſogleich zuſammen, und doch bleibt dieſe Pupille
ganz unbeweglich, wenn man ſie mit den Spitzen einer Nadel
kratzt, wenn man ſie mit Säuren benetzt, oder wenn man electri-
ſche Funken auf die Oberfläche derſelben leitet. Dieſe Beiſpiele
mögen uns lehren, mit welcher Behutſamkeit man zu Werke gehen
muß, wenn man von Experimenten, an lebloſen Körpern ange-
ſtellt, auf jene ſchließen will, die an den mit Leben begabten
Subſtanzen ſtatt haben, und ohne Zweifel ſind unſere Phyſiologen
beſonders aus dem Grunde noch ſo weit hinter ihren eigenen
Wünſchen zurück, weil ſie ihre Beobachtungen an dem thieriſchen
Organismus gewöhnlich erſt dann anſtellen können, wenn bereits
das Leben aus ihm entflohen iſt.
§. 8. (Kryſtalliſation der Körper.) Durch Bemerkungen dieſer
Art, die ſich ſo oft darbieten, wird man verſucht, alle Körper der
Natur als ins Unendliche theilbar anzunehmen. Allein die ſon-
derbaren Phänomene der Kryſtalliſation ſcheinen dieſer Annahme
zu widerſprechen. — Wenn Salz mit Waſſer gemiſcht und das
Gemenge einer höheren Temperatur ausgeſetzt wird, ſo verdampft
das Waſſer allmählig und wenn einmal ſo viel Waſſer ſich in
Dampfgeſtalt entfernt hat, daß der noch übrige Reſt deſſelben nicht
mehr im Stande iſt, die ganze Maſſe des Salzes im flüſſigen
[10]Eigenſchaften der Körper.
Zuſtande zu erhalten, ſo ſieht man dieſes Salz in regelmäßigen
Geſtalten an dem Boden und den Wänden des Gefäßes ſich an-
ſetzen, und dieſe Geſtalten ſind durchaus dieſelben für dieſelbe
Gattung des Salzes, und verſchieden für verſchiedene Gattungen:
Kugel, Würfel, drei- vier und mehrſeitige Pyramiden u. ſ. f.
Wenn man dieſe Kryſtalle gehörig ſpaltet, um ſie in immer klei-
nere Theile zu theilen, ſo bemerkt man, daß die urſprüngliche
Geſtalt derſelben, z. B. die Würfelform, auch bei den kleinſten
Theilen dieſer Kryſtalle wieder erſcheint, und daß dieſe kleinſten
Theile an ihren Seitenflächen eine ſehr hohe Politur haben, die
man durch keine mechaniſche Kunſt erreichen kann. Es ſcheint
daher, als ob die letzten Theile der kryſtalliſirten und vielleicht
aller Körper der Natur, oder daß die Atome dieſer Körper
durchaus eine beſtimmte und für jeden Körper eigenthümliche Ge-
ſtalt haben, wie dieſe denn auch ſchon bei den meiſten, ſelbſt bei
Steinen und Metallen durch unmittelbare Beobachtungen nachge-
wieſen worden iſt. Vielleicht hängen die Eigenſchaften, durch
welche ſich dieſe Körper unter einander auszeichnen, nur von dieſen
Geſtalten und gegenſeitigen Stellungen ihrer Atome ab. Unſere
Flüſſigkeiten kryſtalliſiren alle in der Kälte, und wenn unſere Luft-
arten in eine ſo niedere Temperatur gebracht werden könnte, in
welcher ſie ebenfalls zu feſten Körpern werden, ſo würden ſie ohne
Zweifel dieſelben Erſcheinungen zeigen. Es iſt ſehr wahrſcheinlich,
daß dieſe letzten Elemente aller Körper ihrer Geſtalt und Natur
nach unveränderlich und unzerſtörbar ſind, da wir ſie nach allen,
auch den gewaltſamſten Veränderungen wieder finden, welche wir
mit dieſen Körpern, durch mechaniſche oder chemiſche Kräfte vor-
nehmen, und daß ſie endlich, obſchon ſie ſelbſt, ihrer ungemein
geringen Dimenſionen wegen, noch durch keine Kunſt in den Be-
reich unſerer Sinne gebracht werden konnten, doch von einer be-
ſtimmten, wenn gleich uns unangeblichen Größe ſeyn müſſen.
§. 9. (Bewegung der Körper; Anziehung und Abſtoßung der-
ſelben.) Außer dieſen, allen Körpern der Natur gemeinſamen Eigen-
ſchaften bemerken wir aber noch eine andere, die in ganz beſonderem
Grade unſere nähere Betrachtung verdient. Wir ſehen, daß bei-
nahe alle dieſe Körper und ſelbſt die Theile, aus welchen ſie
[11]Eigenſchaften der Körper.
beſtehen, ihre Lage gegen einander ändern, oder daß ſie ſich
bewegen.
In dieſen Körpern ſelbſt können wir aber nichts finden, was
dieſe Bewegung erzeugen ſollte. Wir ſind daher gezwungen, die
Urſache derſelben außer ihnen zu ſuchen. In den thieriſchen, be-
lebten Körpern ſcheint wohl etwas zu liegen, das eine Bewegung
derſelben hervorbringt, aber dieſe dem Willen des Thieres gehor-
chende Bewegung ſeiner Glieder kann nicht in dieſen Gliedern
ſelbſt, oder in irgend einem andern Theile des Körpers geſucht
werden, da wir ſie im Schlafe und noch mehr, nach dem Tode
des Thieres, nicht mehr finden, wenn gleich der ganze Körper
durch dieſen Tod keine merkbare Veränderung in der Zuſammen-
fügung ſeiner Theile erlitten hat. Dieſe freiwillige Bewegung
der lebenden Geſchöpfe ſcheint daher auch hier keineswegs eine
Wirkung der an ſich todten Materie ſelbſt, ſondern vielmehr ein
Reſultat des dieſe Materie belebenden und von ihr ganz verſchie-
denen Weſens zu ſeyn, deſſen Natur uns noch in tiefes Dunkel
gehüllt iſt.
Was iſt es alſo, was zwei Waſſertropfen einander nähert,
was das Eiſen dem Magnete entgegen führt; was den Stein,
den wir aus der Hand fallen laſſen, zur Erde fallen macht; was
die Planeten um die Sonne und die Satelliten um ihren Haupt-
planeten treibt? — Wir wiſſen es nicht. Wir ſehen, daß ſich
die Körper bewegen, und da wir die Urſache dieſer Bewegung
nicht in den Körpern ſelbſt vorausſetzen können, ſo ſuchen wir ſie
außer ihnen, in den andern Körpern, zu oder von denen ſich jene
bewegen. Wir ſagen, daß dieſe Körper gegen jene eine Anzie-
hung oder Abſtoßung äußern. So kömmt es uns vor, und
dieſe beiden Ausdrücke ſind auch nichts weiter, als das Bild,
welches wir uns von jenen Erſcheinungen entwerfen. Ob es aber
auch in der That der Natur gemäß ſey, ſind wir nicht im Stande,
zu entſcheiden. Wenn wir ſagen, der Magnet zieht das Eiſen
an, ſo heißt dieß nur, daß dieſe beiden Körper, wenn ſie ſich be-
gegnen, einander näher kommen und wenn ſie ſich berühren, an
einander feſt halten, ſo daß ein gewiſſer Widerſtand nöthig iſt,
ſie zu trennen. Ob aber die Urſache dieſer Annäherung, ob der
eigentliche Sitz dieſer Anziehung in dem Magnet, oder in dem
[12]Eigenſchaften der Körper.
Eiſen, oder ob er in einem dieſe beiden Körper umgebenden
Medium ſey, dieß iſt uns eben ſo [unbekannt], als die Art, auf
welche dieſe Anziehung beider Körper bewirkt werden mag. Die
Wirkung allein iſt es, die wir kennen, weil wir von ihrem
Daſeyn, von ihrer Größe und von ihren Modificationen unmit-
telbar durch unſere Sinne belehrt werden. Aus dieſen Wirkungen
ſchließen wir, daß es ein allgemeines, alle Körper der Natur um-
ſchlingendes, obgleich uns unſichtbares Band geben muß, welches
nicht nur dieſe Körper, ſondern auch die kleinſten Theile eines
jeden einzelnen Körpers unter ſich verbindet, und ohne welches
jeder Körper, jedes Atom des Körpers eine Welt für ſich aus-
machen würde, ohne Zuſammenhang und Wechſelwirkung auf
andere. Dieſes magiſche Band, dieſes räthſelhafte Weſen, was
da macht, daß jedes Atom der Materie, daß jeder Körper alle
anderen an ſich zu ziehen ſucht, nennen wir, obſchon wir daſſelbe
nicht weiter kennen, der Kürze wegen, die Kraft dieſes Körpers,
nicht ſowohl, um dadurch die Sache ſelbſt, als vielmehr nur die
uns ſichtbare Wirkung derſelben zu bezeichnen. Wir bemerken
eben ſo wenig den unſichtbaren Faden, der den fallenden Stein
zur Erde herabzieht, als wir das Seil bemerken, an welchem ſich
die Erde um die Sonne, oder der Mond um die Erde ſchwingt,
und wir wiſſen eben ſo wenig von dem, was ein Körper, was
Materie überhaupt iſt, als wir einſehen, wie dieſe Körper auf
einander wirken oder ſich gegenſeitig in Bewegung ſetzen können.
Die Entdeckung dieſer Dinge wollen wir nur auch fernerhin dem
Scharfſinne unſerer Metaphyſiker überlaſſen, die ohnehin, ſeit die
Erde ſteht, noch keine einzige nützliche gemacht haben, und uns
dafür begnügen, die Wirkungen dieſer Urſachen näher kennen zu
lernen und durch dieſe Kenntniſſe, verbunden mit der allein un-
trüglichen mathematiſchen Analyſe, auf dem Wege reiner und
vorurtheilsfreier Beobachtungen ſo viel von den Geheimniſſen der
Natur zu erforſchen, als ſie eben den menſchlichen Kräften zu
gönnen für gut gefunden hat.
§. 10. (Molecular- und allgemeine Anziehung der Körper.)
Zuvörderſt wollen wir bemerken, daß dieſe Kräfte, mit welchen
die Körper auf einander wirken, zweierlei weſentlich von einander
verſchiedener Art zu ſeyn ſcheinen. Die einen wirken nur zwiſchen
[13]Eigenſchaften der Körper.
den kleinſten Atomen eines und deſſelben Körpers, ihr Wirkungs-
kreis iſt daher, in Beziehung auf ihre Ausdehnung im Raume,
ſehr beſchränkt, und ſie erzeugen dadurch das, was wir Zuſammen-
hang, Feſtigkeit und Dichte dieſer Körper nennen. Die andern
aber wirken von einem Körper zum andern, ſelbſt auf ſehr große
Entfernungen und dieſe ſind es, welche die Bewegungen dieſer
Körper um und gegen einander, auf der Oberfläche unſerer Erde
ſowohl, als auch in jenen Höhen über uns hervorbringen. Jene
Kräfte nennt man die Molecular-Anziehung, während dieſe
die allgemeine Attraction oder auch die allgemeine Schwere
(Gravitation) genannt wird.
§. 11. (Nähere Betrachtung der Molecularkräfte.) Die Mo-
lecularkräfte ſind uns, ſelbſt in ihren Wirkungen, noch ſehr wenig
bekannt, aber ihr Daſeyn iſt darum nicht weniger gewiß, da wir,
ohne ſie, die uns von allen Seiten umgebende Welt nicht ſo ſehen
könnten, wie ſie uns in der That erſcheint. Wenn dieſe Kräfte
nicht exiſtirten, ſo würde die ganze Natur nur ein verworrenes
Aggregat unter einander geworfener Atome, einem Sandhaufen
ähnlich, ſeyn, ohne Geſtalt, Zuſammenhang und Bewegung. Es
würde keine feſten, keine flüſſigen, keine luftförmigen Körper mehr
geben; Licht und Wärme würden nicht mehr die wundervollen
Wirkungen auf dieſelbe hervorbringen; alle organiſche Weſen und
das Leben ſelbſt, ſo weit es dieſe Weſen beſeelt, würde aus der
Natur verſchwinden. Die einzelnen Elemente jenes chaotiſchen
Haufens würden in keiner weiteren Beziehung zu einander ſtehen,
ihren einmal eingenommenen Ort nicht mehr ändern und an die
Stelle des regen Lebens und der immerwährenden Bewegung, die
wir jetzt in allen Theilen der Natur bewundern, würde eine öde,
allgemeine Ruhe und die Stille des Grabes treten.
Wenn wir daher auch die Art, auf welche dieſe Kräfte wirken,
nicht näher angeben können, wie wir es wohl bei der Kraft der
allgemeinen Schwere im Stande ſind, ſo ſind wir deſſenungeachtet
von der Exiſtenz derſelben nicht weniger überzeugt. Jede Gegend,
jeder Punkt des Himmels und der Erde, auf den wir mit unſern
Fingern hindeuten, kann als ein Beweis für das Daſeyn dieſer
Kräfte dienen und die ganze materielle Welt ſelbſt iſt nur ein
[14]Eigenſchaften der Körper.
großes Reſultat der Wirkungen, welche durch dieſe Kräfte erzeugt
werden.
Wir haben oben geſehen, daß jeder Körper aus Atomen von
beſtimmter Geſtalt beſteht und daß dieſe Atome durch Zwiſchen-
räume (Poren) von einander getrennt ſind. Wir kennen weder
die Dimenſionen dieſer Atome, noch die ihrer Zwiſchenräume, aber
wir wiſſen, daß beide ungemein klein ſeyn müſſen und daß wahr-
ſcheinlich die Atome noch viel kleiner ſind, als ihre Entfernungen
von einander, ja es iſt möglich, daß bei vielen Körpern das Ver-
hältniß der Größe der Atome zu ihren Zwiſchenräumen demjenigen
gleich kömmt, das wir bei den Planeten unſeres Sonnenſyſtems
und den Räumen bemerken, die ſie von einander trennen. Ohne
Zweifel wirken die Kräfte, welche dieſe Atome gegen einander
ausüben, nur auf die kleinen Diſtanzen ihrer Zwiſchenräume und
ſind in größeren Entfernungen ganz unmerklich. Auch müſſen ſie
nicht bloß anziehende, ſondern auch abſtoßende Kräfte ſeyn, indem
jene die Cohäſion und dieſe den Widerſtand der Körper bewirken,
den ſie alle, wie wir wiſſen, ihrer Compreſſion entgegen ſetzen,
während beide zuſammen vielleicht diejenigen Wirkungen hervor-
bringen, die wir durch die Bennenung der Affinität und der
chemiſchen Erſcheinungen zu bezeichnen pflegen. Es ſcheint, daß
die abſtoßende Kraft der Atome in der nächſten Umgegend der-
ſelben, die anziehende aber erſt in etwas größern Entfernungen
von ihnen wirkſam iſt. Daher widerſtehen, bei den feſten Kör-
pern, die Atome derſelben ſowohl der Trennung, als der Com-
preſſion, und man muß oft bedeutende Kräfte anwenden, ſie zu
brechen, oder auch ſie in einen kleineren Raum zuſammen zu
preſſen. Die Intenſität dieſer anziehenden Kraft ſcheint bei allen
den Körpern, die wir hart und brüchig nennen, oft ſehr groß zu
ſeyn, wenn gleich der Durchmeſſer ihrer Wirkungsſphäre ungemein
klein iſt. Dieß iſt z. B. der Fall bei Gußeiſen, bei mehreren
Steinen und anderen Subſtanzen, die man mit keiner Gewalt
ſtrecken oder ausdehnen kann. Bei dem Bley und bei anderen
weichen Metallen ſcheint dieſe Intenſität der Attraction viel ge-
ringer und dafür die Wirkungsſphäre derſelben bedeutend größer
zu ſeyn.
Bei flüſſigen Körpern aber iſt das Gewicht der einzelnen
[15]Eigenſchaften der Körper.
Elemente, aus welchen ſie beſtehen, viel größer, als der gegen-
ſeitige Zuſammenhang derſelben durch die Molecularkraft. Wenn
daher ein ſolcher Körper an ſeinen Gränzen nicht eingeſchloſſen
wird, ſo trennen ſich die Theile deſſelben, oder ſie fließen aus ein-
ander. Wird er aber in einem Gefäße feſt gehalten, ſo ſetzt er
ſich, durch dieſes Gewicht ſeiner Elemente, in dem unterſten Theile
des Gefäßes, deſſen Raum er durchaus gleichförmig erfüllt. Auch
ein feſter Körper, in daſſelbe Gefäß gebracht, würde durch das
Gewicht ſeiner Elemente daſſelbe thun, wenn er nicht durch die
ſtärkere Cohäſion dieſer Elemente daran gehindert würde. Obſchon
aber bei den feſten Körpern dieſe Attraction der Atome viel größer
iſt, als bei den flüſſigen, ſo iſt ſie doch auch bei den letztern noch
bedeutend größer, als bei den luftförmigen Körpern. Wenn das
Waſſer erwärmt wird, ſo löst es ſich in noch viel kleinere und
noch viel weiter von einander getrennte Theile auf, die in der
Geſtalt von Dünſten ſich in die Atmoſpäre erheben, und wenn
dann dieſen Dünſten ihre höhere Temperatur wieder entzogen
wird, ſo tritt die frühere Cohäſionskraft wieder ein, welche die
zerſtreuten Theile des Dunſtes in runde Tropfen ſammelt und ſie
in ihrer früheren Geſtalt, als Waſſer, wieder der Erde zuführt.
Wenn Flüſſigkeiten in größeren Höhen, z. B. von einer Thurm-
ſpitze, ausgegoſſen werden, ſo fallen ſie, nicht in ganzen Maſſen,
ſondern wie Sand oder Staub, in runden abgeſonderten Tropfen
herab, die deſto größer ſind, je größer die Cohäſionskraft der Flüſ-
ſigkeit iſt. So fällt Oel in großen, Aether und Alcohol aber in
ſehr kleinen Tropfen zur Erde. Die Regentropfen, die an der
Außenſeite unſeres Fenſterglaſes einander näher kommen, vereini-
gen ſich und laufen in einander, ſo wie Queckſilbertropfen, die
einander auf einer horizontalen Glastafel begegnen, zum Zeichen,
daß ſie von einander angezogen werden. Dieſelbe Anziehung der
Atome gibt auch den Körnern unſeres Schrotes die kugelförmige
Geſtalt. Wenn das geſchmolzene Bley von einer größeren Höhe
herabgegoſſen wird, theilt es ſich, wie dort das Waſſer, durch
ſeine Cohäſionskraft in runde Tropfen, die, ehe ſie den Boden er-
reichen, auskühlen und daher ihre kugelförmige Geſtalt beibe-
halten. Dieſelbe Kraft, welche dieſen Tropfen ihre runde Form
gibt, hat auch jene großen Körper des Himmels, die Sonne, den
[16]Eigenſchaften der Körper.
Mond und die Planeten abgerundet, wenn dieſelben anders, wie
es ſehr wahrſcheinlich iſt, zur Zeit ihrer Entſtehung ſich in einem
flüſſigen Zuſtande befunden haben.
Dieſelbe Anziehung, welche wir zwiſchen den einzelnen Ele-
menten der feſten oder auch der flüſſigen Körper unter ſich
bemerken, zeigt ſich zwiſchen den Atomen der feſten und flüſ-
ſigen Körper ſelbſt. So fällt ein Waſſertropfen von der untern
Seite einer horizontalen Glastafel nicht herab, weil er von der
Tafel angezogen wird. Wenn die Spitze einer Nadel in eine
Flüſſigkeit getaucht und wieder aus ihr herausgezogen wird, bleibt
ein Tropfen derſelben an ihr hängen, und alle feſte, in Flüſſig-
keiten eingetauchte Körper, werden naß, wenn anders dieſe
beiden Körper ſich gegenſeitig anziehen. Wenn eine Glasröhre
in Queckſilber getaucht wird, ſo bleibt ſie trocken, aus derſelben
Urſache, aus welcher auch unſere Kleider trocken bleiben würden,
wenn es nicht Waſſer, ſondern Queckſilber regnete.
§. 12. (Capillarkraft und Affinität der Körper.) Dieſelbe
Molecular-Attraction zeigt ſich auch bei dem Aufſteigen der Flüſ-
ſigkeiten in den Poren und Zwiſchenräumen der feſten Körper,
wo ſie dann Capillar-Attraction genannt wird. So ſieht
man Waſſer oder Oel in den Schwamm und Zucker dringen oder
in dem Dochte unſerer Lampen aufſteigen; ſo kann man mit be-
netzten Seilen ſehr große Laſten heben und durch dieſelbe Kraft
ſteigt auch der größte Theil der Säfte in den Körpern der Pflanzen
und Thiere in die Höhe.
Noch auffallender erſcheint dieſe Molecularkraft in unſeren
chemiſchen Prozeſſen, wo ſie den Namen der Affinität (Ver-
wandtſchaft) erhält. Wenn zwei Flüſſigkeiten unter einander
gemengt werden, ſo ſieht man häufig eine dritte entſtehen, deren
Eigenſchaften von jenen der beiden erſten völlig verſchieden ſind.
Oft iſt das Volum der Miſchung, oft iſt auch die Temperatur,
die Farbe, ſelbſt der Zuſtand der Flüſſigkeit ganz anders, als er
bei den einzelnen Körpern vor ihrer Vermiſchung geweſen iſt.
Ein Quart Waſſer mit eben ſo viel Schwefelſäure gemiſcht, nimmt
einen bedeutend geringeren Raum ein, als zwei Quart betragen,
weil ſich die Elemente dieſer beiden Flüſſigkeiten inniger anziehen,
als die einer jeden derſelben. Auch iſt dieſe Miſchung von einer
[17]Eigenſchaften der Körper.
viel höheren Temperatur, als jeder der beiden Körper vor der-
ſelben hatte. Wenn die beiden Luftarten, die unter der Benennung
des Oxygens und Hydrogens bekannt ſind, in einem beſtimmten
Verhältniſſe unter einander gemiſcht werden, ſo entſteht keine neue
Luftart, ſondern Waſſer, womit wir das Feuer löſchen, während
doch ohne Oxygen kein Feuer unterhalten werden kann und wäh-
rend das Hydrogen einer der entzündbarſten Körper der ganzen
Natur iſt. Daſſelbe Oxygen, das an ſich farblos iſt, gibt, wenn
es mit dem weißen Queckſilber verbunden wird, in einer beſtimm-
ten Menge beider Körper ein rothes, und in einer andern Menge
ein ſchwarzes Produkt. Die Schwärze unſerer Tinte ver-
danken wir zwei Körpern, dem Eiſenvitriol und den Galläpfeln,
von welchen der eine grün und der andere gelb iſt.
§. 13. (Intenſität der Molecularkraft.) Noch iſt übrig,
etwas über die Intenſität oder über die eigentliche Größe dieſer
Molecular-Kräfte zu ſagen. Ohne dieſe Größe in beſtimmten
Zahlen angeben zu können, läßt ſich doch leicht zeigen, daß ſie,
zuweilen wenigſtens, an das Ungeheure gränzt und daß ſie nicht
nur diejenigen Kräfte, welche wir durch unſere Maſchinen, durch
Dämpfe und andere Mittel hervorbringen können, ſondern daß
ſie ſogar die meiſten übrigen Kräfte der Natur ſelbſt weit hinter
ſich zurückläßt. Wenn wir z. B. die Kraft näher betrachten,
mit welcher das Licht von den Körpern unſerer Erde gebrochen
oder zurück geworfen wird, ſo finden wir ſie in der That von
einer erſtaunenswürdigen Größe. Der in gerader Richtung bei
einem Körper ankommende Lichtſtrahl, wird von demſelben erſt dann,
wenn er dem Körper gleichſam unendlich nahe iſt, angezogen, und
zwar ſo ſtark, daß dadurch der früher geradlinige Strahl um
dreißig und ſelbſt um mehr Grade gebogen wird. Da aber die
Geſchwindigkeit des Lichts ſo ungemein groß iſt, ſo muß auch
dieſe Krümmung derſelben in einer beinahe unendlich kleinen Zeit
vor ſich gehen. Welche Kraft mag aber dazu erfordert werden,
den Weg des mit einer ſo großen Schnelligkeit ſich bewegenden
Lichtes in einem beinahe untheilbaren Augenblick, um einen
Winkel von vollen dreißig Graden abzulenken?
Um dieſe Frage näher zu betrachten, wollen wir zuerſt be-
merken, daß durch die Anziehung unſerer Erde, durch die größte
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 2
[18]Eigenſchaften der Körper.
uns bisher bekannte Kraft, die Körper auf der Oberfläche der-
ſelben in einer Sekunde nahe um 15 Fuß von ihrem Laufe abge-
lenkt werden. Vergleichen wir damit jene Kraft, welche das
Element eines Körpers auf das Licht ausübt. — Da die Zeit,
während welcher dieſe Kraft wirkt, gleich derjenigen Zeit iſt, in
welcher das Licht die Wirkungsſphäre des körperlichen Elements
durchläuft, ſo wollen wir, was gewiß nicht zu wenig iſt, den
Durchmeſſer dieſer Wirkungsſphäre gleich dem tauſendſten Theil
eines Zolles annehmen. Da aber das Licht in einer Sekunde
42000 Meilen durchläuft, ſo wird es den Raum von 1/1000 Zoll
ſchon in dem unendlich kleinen Augenblick des 12 billionſten
Theils einer Sekunde zurücklegen. Beträgt nun die durch die
Brechung des Lichtes hervorgebrachte Ablenkung deſſelben
30 Grade, ſo wird die dazu erforderliche Kraft, ſelbſt wenn ſie
eine ganze Sekunde hindurch wirkſam bliebe, die oben erwähnte
Kraft unſerer Erde ſchon gegen 32 Millionenmal übertreffen
müſſen, da 42000 Sin. 30° (22842) gleich 21000 (22842) oder
nahe gleich 15mal 32 Millionen iſt, vorausgeſetzt, daß die deut-
ſche Meile 22842 Par. Fuß beträgt. Da aber dieſe Molecular-
kraft keineswegs eine ganze Sekunde, ſondern nur den 12 billionſten
Theil derſelben, ihre Wirkung auf das Licht äußern kann, ſo muß
dieſe Kraft in demjenigen Verhältniß größer ſeyn, in welchem das
Quadrat einer Sekunde größer iſt, als das Quadrat dieſes kleinen
Theiles einer Sekunde, das heißt, ſie muß nahe 160 Quadrillio-
nenmal größer ſeyn, als wir ſo eben gefunden haben, oder mit
andern Worten, ſie muß die oben erwähnte Kraft, mit welcher
die ganze Erde die Körper auf ihrer Oberfläche anzieht, wenig-
ſtens 6720 Quintillionenmal übertreffen, eine Zahl von 34 Ziffern,
deren drei erſte 672 ſind, und von deren Größe wir uns keinen
auch nur einigermaßen genäherten Begriff mehr machen können.
§. 14. (Unterſchiede der Molecular- und der allgemeinen At-
traction.) Dieſe ſo eben erwähnte Kraft der Erde, mit welcher
ſie alle Körper auf und über der Oberfläche derſelben an ſich
zieht, iſt von allen bisher betrachteten Molecularkräften ſchon da-
durch weſentlich verſchieden, daß dieſe letzteren nur auf ſehr kleine,
ſelbſt unſerm bewaffneten Auge ganz unmerkbare Diſtanzen
wirkſam ſind, während jene ſich auf ſehr große und vielleicht ſelbſt
[19]Eigenſchaften der Körper.
auf unendliche Entfernungen von dem anziehenden Körper erſtreckt.
Denn dieſe Anziehung der Erde macht nicht bloß die ihrer Ober-
fläche zunächſt liegenden Körper, wenn ſie ihrer Unterſtützung be-
raubt werden, gegen ſie fallen, ſondern ſie iſt auch, wie wir bald
ſehen werden, die Urſache, warum der Mond in einer Entfernung
von nahe fünfzig tauſend Meilen ſich um die Erde bewegt.
§. 15. (Augenblicklicher Stoß und immerwährend wirkende
Kraft.) Indem wir aber dieſe Kraft der Erde näher unterſuchen
wollen, müſſen wir ſie zuerſt wohl von einem Impulſe oder
von einem bloßen Stoße unterſcheiden. Wenn wir einen Körper
mit der Hand ſtoßen oder werfen, oder wenn wir ihm durch einen
Stab, Hammer u. dgl. irgend eine Bewegung beibringen, ſo
wirkt dieſe auf den Körper angebrachte Kraft nur einen Augen-
blick, nur ſo lange als dieſer Stoß dauert, nach welchem dann
der Körper gleichſam ſich ſelbſt überlaſſen bleibt. Die Folge
davon iſt, daß der Körper in Folge dieſes Stoßes eine Bewegung
annehmen wird, deren Richtung die des Stoßes, und deren Größe
immer dieſelbe ſeyn wird, wenn in der That bloß dieſer Stoß
und ſonſt keine andere Kraft auf ihn wirkt. Die Bewegung
eines auf dieſe Art bewegten Körpers muß alſo erſtens geradlinig
und zweitens gleichförmig ſeyn, d. h. er muß ſich mit immer
gleicher Geſchwindigkeit in einer geraden Linie und zwar ohne
Ende fortbewegen. In der Natur können wir zwar ſolche Bewe-
gungen nicht nachweiſen, weil alle Körper, denen wir einen ſolchen
augenblicklichen Impuls durch unſere mechaniſchen Kräfte bei-
bringen, auch zugleich der Kraft der Erde ausgeſetzt ſind und
ſich überdieß in der Luft oder in andern widerſtehenden Mitteln
bewegen, daher ſie, außer jenem erſten Impulſe, auch noch dieſen
andern Kräften unterworfen ſind. Wenn wir eine Kugel auf
einem horizontalen Boden fortſtoßen, wenn wir ein Rad um
ſeine Axe ſchwingen, wenn wir eine Kugel aus unſeren Feuerge-
wehren abſchießen oder einen Stein in die Höhe werfen, ſo ſehen
wir oft, jener Behauptung entgegen, die Kugel und den Stein in
einer krummen Linie laufen, ſie und das Rad an der Axe immer
langſamer gehen und bald völlig ſtill ſtehen, weil die Reibung der
Kugel auf dem nie ganz ebenen Boden, weil die Reibung des
2 *
[20]Eigenſchaften der Körper.
Rades an ſeiner Axe, weil der Widerſtand, den der Stein in der
Luft erleidet, und weil überdieß bei allen dieſen Körpern die An-
ziehung der Erde jene erſte durch den Stoß erzeugte Bewegung
ändert, hindert und endlich ganz aufhebt. Wenn aber alle dieſe
Störungen nicht da wären, ſo würde der Körper bloß dem An-
triebe jenes erſten Stoßes folgen, und wir können keine Urſache
mehr angeben, warum er den geradlinigen Weg, den er einmal
eingeſchlagen, verlaſſen, warum er ſeine anfängliche Geſchwindig-
keit verändern, oder warum er nicht ohne Aufhören ſich in derſelben
Art fortbewegen ſollte.
Wenn wir alſo einen Körper ſich in gerader Linie und ſo bewe-
gen ſähen, daß er in derſelben Zeit, z. B. in einer jeden Sekunde,
auch immer denſelben Weg zurücklegte, oder daß ſeine [Geſchwin-
digkeit] beſtändig wäre, ſo würden wir daraus ſchließen, daß dieſer
Körper ſich in Folge eines erhaltenen Stoßes, eines urſprünglichen
Impulſes bewegte. Allein ſolche Bewegungen gibt es, wie ge-
ſagt, in der Natur oder auf der Oberfläche unſerer Erde nicht,
weil hier immer mehrere Kräfte und zwar vorzüglich die Kraft
der Erde ſelbſt auf die Körper einwirken.
§. 16. (Freier Fall der Körper auf der Oberfläche der Erde.)
Der einfachſte Fall der Bewegungen, die wir auf der Oberfläche
der Erde beobachten, iſt ohne Zweifel der, den ein Stein oder
überhaupt jeder Körper annimmt, wenn wir ihn ſeiner Unter-
ſtützung berauben. Wir ſehen ihn da ſogleich in einer auf die
Erdfläche ſenkrechten, d. h. in einer vertikalen Richtung zur Erde
und zwar deſto ſchneller fortgehen, je länger er geht. Hier iſt
alſo wohl noch eine geradlinige, aber keine gleichförmige Bewe-
gung mehr; der Weg des zur Erde fallenden Körpers iſt noch,
wie dort, eine gerade Linie, aber die Geſchwindigkeit des Falls
iſt nicht mehr gleichförmig, ſondern ſie wächst mit der Zeit.
Aber in welchem Verhältniſſe nimmt dieſe Geſchwindigkeit
mit der Zeit zu? — Dieß iſt Sache der Beobachtung. Allein
dieſe Beobachtungen ſind ſchwer mit der hier nothwendigen Ge-
nauigkeit anzuſtellen. Wir werden daher, wie dieß ſo oft in den
Naturwiſſenſchaften und beſonders in der Aſtronomie geſchieht,
irgend eine, dieſen Erſcheinungen frei fallender Körper im Allge-
meinen angemeſſene Hypotheſe annehmen und zuſehen, ob dieſe
[21]Eigenſchaften der Körper.
Annahme mit jenen beobachteten Erſcheinungen vollkommen über-
einſtimmt.
Die einfachſte und natürlichſte Hypotheſe iſt ohne Zweifel
die, daß der Mittelpunkt der Erde eine conſtante und immer
fortwirkende Kraft beſitzt, mit welcher er die Körper auf und
über der Oberfläche der Erde in der Richtung ihres Halbmeſſers,
d. h. in einer auf die Erdoberfläche ſenkrechten Richtung an ſich
zieht. Dadurch iſt dieſe Kraft der Erde gleichſam auf den oben
betrachteten Impuls zurückgeführt, nur mit dem Unterſchiede, daß
der letzte nur im Anfange der Bewegung ſich äußert, während
jener auch in jedem folgenden Augenblicke noch thätig iſt, ſo daß
alſo die Kraft der Erde als ein ſich immer wiederholender und
in ſeiner Intenſität immer gleich großer Impuls (Stoß oder
Zug) betrachtet werden kann, in deſſen Richtung die frei fallenden
Körper ſich der Erde immer mehr nähern.
§. 17. (Erſtes Geſetz dieſer Bewegung.) Nehmen wir alſo
an, daß der Körper in einem Augenblicke, in welchem er den
erſten Impuls von der Erde erhält, ſich zu bewegen anfange, und
daß er am Ende dieſes Augenblicks eine Geſchwindigkeit erhalten
habe, vermöge welcher er, wenn nun weiter keine Kraft auf ihn
wirkte, in ſeiner einmal angenommenen verticalen Richtung gleich-
förmig fortgehen und z. B. in jeder nächſtfolgenden Sekunde
g Fuß zurücklegen würde, ſo daß alſo die Geſchwindigkeit deſ-
ſelben am Ende der erſten Sekunde g Fuß beträgt. Da er am
Ende dieſer erſten, oder im Anfange der zweiten Sekunde von
der Kraft der Erde wieder einen, und zwar, weil dieſe Kraft con-
ſtant ſeyn ſoll, einen eben ſo großen Impuls erhält, wie im Anfange
der erſten Sekunde, ſo wird er auch dadurch, während der ganzen
Dauer der zweiten Sekunde ſeine bereits erlangte Geſchwindigkeit
in eben dem Maaße vermehren, wie in der erſten, oder er wird
am Ende der zweiten Sekunde eine Geſchwindigkeit von 2 g Fuß
erhalten. Eben ſo wird am Ende der dritten Sekunde ſeine Ge-
ſchwindigkeit 3 g ſeyn u. ſ. w. Nennt man alſo überhaupt v die
Geſchwindigkeit (velocitas) und t die Anzahl Sekunden, die ſeit
dem Anfange der Bewegung des Körpers verfloſſen ſind, ſo wird
man die einfache Gleichung v = gt haben, und dieſe Gleichung
drückt den Satz aus, daß, unter der Vorausſetzung einer conſtanten
[22]Eigenſchaften der Körper.
Kraft der Erde, die Geſchwindigkeiten der frei fallenden Körper ſich
wie die Anzahl der während des Falles verfloſſenen Sekunden
verhalten, oder daß dieſe Geſchwindigkeiten den Zeiten proportional
ſind. Man nennt dieß eine gleichförmig beſchleunigte
Geſchwindigkeit, weil ſie gleichförmig mit der Zeit wächst.
Allein wir ſuchen nicht ſowohl die Geſchwindigkeiten, mit
welchen der Körper am Ende einer jeden Sekunde, wenn weiter
keine Kraft auf ihn wirkt, in ganz demſelben Verhältniſſe weiter
gehen würde, ſondern wir wünſchen vielmehr den Raum
zu kennen, welchen er am Ende einer jeden Anzahl von Se-
kunden in ſeinem gleichförmig beſchleunigten Falle zurückgelegt
haben wird.
§. 18. (Zweites Geſetz dieſer Bewegung.) Zu dieſem Zwecke
wollen wir zuerſt bemerken, daß wir die Größe der Zwiſchen-
zeiten, in welchen dieſe Impulſe der Erdkraft auf einander folgen,
nicht anzugeben im Stande ſind, um ſo weniger, da dieſe Kraft
wahrſcheinlich immerwährend und ohne alle Unterbrechung wirk-
ſam iſt. Dann wird man aber der Wahrheit deſto näher kommen,
je kleiner man dieſe Zwiſchenzeiten annimmt. Wir haben oben
dafür die Dauer einer Sekunde gewählt, allein dieſelben Schlüſſe
würden auch dann noch gelten, wenn wir für jene Dauer den
hundertſten und tauſendſten Theil einer Sekunde angenommen
[hätten]. Immer würden wir, wie dort, gefunden haben, daß,
wenn die Kraft der Erde beſtändig iſt, auch der Zuwachs der
Geſchwindigkeit des fallenden Körpers beſtändig ſeyn oder daß
ſich dieſe Geſchwindigkeit wie die Zeit verhalten muß. Je kleiner
wir aber dieſe Zwiſchenräume annehmen, deſto mehr wird es uns
auch erlaubt ſeyn, die Bewegung des Körpers, während dieſer
Zeit, als völlig gleichförmig vorauszuſetzen, und man ſieht, daß
man auf dieſe Weiſe überhaupt jede andere Bewegung und zwar
deſto genauer darſtellen wird, je kleiner man dieſe Zwiſchenzeiten
gewählt hat. Fahren wir daher, der Kürze wegen, fort, dieſe
kleinſte Zeiteinheit eine Sekunde zu nennen. Im Anfange der
erſten Sekunde hatte der Körper, unſerer Annahme gemäß, gar
keine Geſchwindigkeit, da er aus der Ruhe ſeine Bewegung an-
gefangen hat. Am Ende derſelben aber hatte er, wie wir oben
geſagt haben, die Geſchwindigkeit von g Fuß. Nehmen wir alſo
[23]Eigenſchaften der Körper.
an, daß er, während dieſer erſten Sekunde, immer dieſelbe
Geſchwindigkeit hatte und mit ihr doch den Raum durchlief, den
er während ſeines Falles in der That zurückgelegt hat, ſo muß
dieſe gleichförmige Geſchwindigkeit das Mittel aus jenen beiden
ſeyn, die er im Anfange und am Ende der erſten Sekunde hatte,
d. h. ſie muß gleich ½ g, oder ſo groß geweſen ſeyn, daß er mit
dieſer gleichförmigen Geſchwindigkeit während der erſten Sekunde
den Raum ½ g durchläuft.
Im Anfange der zweiten Sekunde hatte er die Geſchwindig-
keit g und am Ende derſelben, nach dem Vorhergehenden die
Geſchwindigkeit 2 g. Er würde alſo denſelben Raum, den er im
freien Falle während der zweiten Sekunde zurückgelegt hat, auch
mit der mittleren Geſchwindigkeit d. h. mit der Geſchwindigkeit
3/2 g in vollkommen gleichförmiger Bewegung zurückgelegt haben.
Eben ſo würde er in der dritten Sekunde mit der Geſchwindig-
keit 5/2 g, die das Mittel aus 2 g und 3 g iſt, denſelben Raum,
wie im freien Falle, zurücklegen u. ſ. w. Es iſt daher, in Be-
ziehung auf den von dem Körper durchlaufenen Raum, ganz
daſſelbe, ob wir annehmen, daß er ihn mit einer gleichförmig be-
ſchleunigten Bewegung, wie er in der That thut, oder daß er
jeden kleinſten Theil dieſes Raumes immer mit derſelben, aber
jeden nächſten Theil deſſelben mit einer gleichförmig größern Ge-
ſchwindigkeit zurücklege. In dem letzten Falle geht er aber, wie
wir geſehen haben, in
- der erſten Sek. durch den Raum ½g alſo in einer Sek. durch ½ g
- ‒ zweiten ‒ ‒ ‒ ‒ 3/2 g ‒ ‒ zwei ‒ ‒ 4/2 g
- ‒ dritten ‒ ‒ ‒ ‒ 5/2 g ‒ ‒ drei ‒ ‒ 9/2 g
- ‒ vierten ‒ ‒ ‒ ‒ 7/2 g ‒ ‒ vier ‒ ‒ 16/2 g
u. ſ. w.
Dieſe kleine Tafel zeigt aber ſchon auf den erſten Blick das
Geſetz, nach welchem die letzten Zahlen derſelben, d. h. nach welchem
[24]Eigenſchaften der Körper.
die von dem Körper in 1, 2, 3 . . Sekunden durchlaufenen Räu-
me fortgehen. Man ſieht nämlich, daß man für jede willkühr-
liche Anzahl t Sekunden den ihr entſprechenden Raum durch
½ g tt ausdrücken muß, ſo daß alſo die Räume, welche die Körper
in ihrem freien Falle gegen die Erde zurücklegen, ſich wie die
Quadrate der Zeiten verhalten, während die am Ende dieſer
Zeiten erhaltenen Geſchwindigkeiten dieſen Zeiten ſelbſt proportio-
nal ſind. Nehmen wir alſo an, der Körper ſey während der
erſten Sekunde durch den Raum 1 gefallen und habe am Ende
dieſer Zeit die Geſchwindigkeit 2 erhalten, ſo zeigt die folgende
kleine Tafel den Fallraum und die Endgeſchwindigkeit für jede
folgende Sekunde.
§. 19. (Anwendung dieſer Geſetze auf ſpecielle Fälle.) Häufige
und genaue Verſuche, welche man über den Fall der Körper an-
geſtellt hat, ſtimmten mit dieſen beiden Geſetzen ſo vollkommen
überein, daß man an der Wahrheit derſelben nicht weiter
zweifeln kann.
Bei dem freien Falle der Körper verhalten ſich alſo die Ge-
ſchwindigkeiten wie die Zeiten, und die durchlaufenen Räume
wie die Quadrate der Zeiten, während welcher der Fall dauert.
Behält man daher die vorhergehenden Bezeichnungen von g v
und t bei und nennt man x den Raum, welchen der Körper in
t Sekunden zurücklegt, ſo hat man die beiden einfachen Ausdrücke
v = g t und x = ½ g t t
aus welchen man leicht noch den folgenden dritten
vv = 2 g x
ableiten wird. Mit Hülfe dieſer Ausdrücke kann man ſehr leicht
eine Menge intereſſanter Fragen über den freien Fall der Körper
[25]Eigenſchaften der Körper.
beantworten, von denen wir hier nur einige kurz anführen wollen.
Man vergleiche damit Band I. Kap. I und II.
Das höchſte von Menſchenhänden errichtete Gebäude iſt die
große Pyramide bei Cairo, deren Spitze eine Höhe von 450 Par.
Fuß über ihrem Boden hat. Nimmt man die Sekunde in dem
gewöhnlichen Sinne dieſes Wortes, nämlich für den 86400ſten
Theil eines mittleren Tages, ſo beträgt der Fall der Körper
während der erſten Sekunde, den darüber angeſtellten Beobach-
tungen gemäß, 15,098 Par. Fuß. Dieſe Größe iſt alſo, vermöge
der zweiten unſerer Gleichungen, gleich ½ g, ſo daß daher die
Größe g ſelbſt 30,198 Par. Fuß beträgt.
Mit dieſem Werthe von g findet man aus derſelben zweiten
Gleichung, wenn man in ihr x = 450 ſetzt, daß ein Stein von
dem Gipfel dieſer Pyramide bis zu dem Boden derſelben in 5½
Sekunden fallen, und daß er daſelbſt mit einer Geſchwindigkeit
ankommen würde, mit welcher er, wenn er nur gleichförmig fort-
ginge, in jeder Sekunde einen Weg von 164⅘ Fuß zurücklegen
müßte.
Der höchſte Berg der Erde, der Dhawalagiri in Indien, ſoll
24150 Par. Fuß über die Meeresfläche ſich erheben. Von ſeinem
Gipfel würde daher ein Stein in vertikaler Richtung erſt nach
40 Sekunden an der Meeresfläche, und zwar mit einer Geſchwin-
digkeit von 1520 Fuß ankommen. Dieſe Endgeſchwindigkeit iſt
bedeutend größer als die des Schalles, die nur 1038 Fuß in einer
Sekunde beträgt und ſie überſteigt die gewöhnliche Geſchwindigkeit
einer Kanonenkugel nahe dreimal.
In Norwegen, Diſtrikt Rake bei Friedrichshall, ſoll ein ſenk-
rechtes Erdloch ſich befinden, deſſen Tiefe man noch mit keinem
Senkbley ergründen konnte. Wenn man aber einen Stein in
daſſelbe fallen läßt, ſo hört man den letzten Aufſchlag deſſelben
auf den Boden der Höhle erſt nach 90 Sekunden. Nimmt man
dabei auf die Verzögerung dieſer Erſcheinung durch den Schall
keine Rückſicht, ſo zeigen unſere Gleichungen, daß die ſenkrechte
Tiefe dieſer Höhle 122294 Par. Fuß, alſo nahe fünfmal ſo viel,
als die Höhe des Dhawalagiri betrage, und daß dieſer Stein an
den Boden der Höhle mit der Geſchwindigkeit von 2718 Fuß in
einer Sekunde ankommen müßte.
[26]Eigenſchaften der Körper.
Der Mond iſt in ſeiner mittleren Diſtanz 51600 deutſche
Meilen oder 1178647000 Par. Fuß von der Erde entfernt. Wenn
wir daher die Kraft der Erde auch in dieſer Entfernung noch
gleich der an ihrer Oberfläche annehmen und überdieß voraus-
ſetzen dürften, daß der Mond nicht eine ähnliche Anziehung, wie
unſere Erde, auf die ihn umgebenden Körper ausübe, ſo würde,
wie unſere Gleichungen zeigen, ein von dem Monde in gerader
Linie zur Erde fallender Stein die letzte erſt in 8835 Sekunden
oder in 2 Stunden 27 Minuten 15 Sekunden erreichen, und auf
derſelben mit einer Geſchwindigkeit ankommen, vermöge welcher
er in einer Sekunde durch 266797 Fuß, das heißt, durch nahe
11¾ d. Meilen geht.
Allein dieſe Vorausſetzungen ſind ſehr gewagt und äußerſt
unwahrſcheinlich. In der That, wenn unſere Erde eine Kraft
beſitzt, mit welcher ſie alle Körper an ſich zieht, warum ſollten
dieſe anderen Körper, warum ſollte der Mond, die Sonne und
überhaupt alle Körper der Natur einer ſolchen Kraft beraubt ſeyn?
Welche Vorrechte ſoll irgend ein Körper der Natur vor allen
andern anſprechen dürfen? Und wenn ſie in der That alle eine
ſolche Kraft beſitzen, durch welche ſie ſelbſt auf ſehr entfernte
Körper noch eine Wirkung äußern, welchen Grund hat man vor-
auszuſetzen, daß dieſe Kraft in allen, in großen und kleinen Ent-
fernungen immer dieſelbe bleiben ſoll? Diejenigen Entfernungen
von der Erdoberfläche, die Berge und Höhlen derſelben, in wel-
chen wir unſere Beobachtungen noch anſtellen können, ſind in der
That, gegen den Halbmeſſer der Erde, ſo klein, daß ſie, ohne
merklichen Fehler, alle als gleich groß und daß alſo auch die auf
ſie wirkende Kraft der Erde durchaus als dieſelbe, oder als eine
conſtante Kraft angeſehen werden kann. Und wenn dieß, in viel
größern Diſtanzen, wie es ſcheint, nicht der Fall iſt, nach wel-
chem Geſetze ändert ſich dann dieſe Kraft in verſchiedenen Ent-
fernungen?
§. 20. (Allgemeine Bemerkungen über dieſen Gegenſtand.)
Dieſe Frage iſt noch zu beantworten übrig und die Antwort
darauf ſoll der Gegenſtand des folgenden Kapitels ſeyn. Ehe
wir aber dahin übergehen, wollen wir noch bemerken, daß auch
das meiſte von dem, was den Inhalt des gegenwärtigen Kapitels
[27]Eigenſchaften der Körper.
ausmacht, auf Sätzen beruht, die wir nicht ſtreng beweiſen, ſon-
dern vielmehr nur als Axiome annehmen können, zufrieden, wenn
die darauf gebauten Folgerungen den äußern Erſcheinungen der
Natur, d. h. unſern Beobachtungen derſelben vollkommen ent-
ſprechen. Daß ein Körper ruht, ſo lange keine äußere Kraft auf
ihn wirkt, und daß ein Körper, der, auch nur durch einen augen-
blicklichen Impuls in Bewegung geſetzt, ſich immerfort gleich-
förmig und in einer geraden Linie bewegen muß, ſo lange er
durch keine andere Kraft daran gehindert wird — dieſes Axiom,
das unter der ſonderbaren Benennung des Princips der Träg-
heit der Materie bekannt iſt; daß jede Aenderung einer ſchon
ſtatt habenden Bewegung der ſie erzeugenden Kraft proportional
iſt; daß bei jeder ſolchen Kraftäußerung zwiſchen zwei Körpern
die Wirkung des einen immer der Gegenwirkung des anderen
gleich ſeyn ſoll — dieſe und mehrere andere Sätze, welche man
als die Grundſätze unſerer Dynamik auſſtellt, ſind, ſo wahr ſie
auch an ſich ſeyn mögen, keines eigentlichen Beweiſes fähig und
in ſich ſelbſt noch manchen Dunkelheiten unterworfen. Da die
Körper, wie wir annehmen, ohne die Wirkung einer äußern Kraft
ſich nicht bewegen können, wie ſollen ſie ſich doch, derſelben An-
nahme gemäß, ohne äußere Kraft in dieſer Bewegung erhalten?
Nehmen wir vielleicht dabei ſtillſchweigend an, daß die Bewe-
gung etwas der Materie Eigenthümliches ſey? Es mag ſo ſeyn,
immerhin: aber — muß es auch ſo ſeyn? Iſt dieſes auf den Kör-
per einwirkende Weſen ſelbſt nichts Körperliches mehr, oder ge-
hören beide ihrer innern Natur nach zuſammen, oder iſt das,
was dem Körper ſeine Bewegung, gleichſam ſein Leben mittheilt,
etwas Analoges mit derjenigen, uns eben ſo wenig bekannten
Kraft, die, nur anders modificirt, auch die Urſache des organiſchen
Lebens, der Pflanzen und Thiere, die Urſache des Wachsthums
und der Gährung und vielleicht ſelbſt die eigentliche [Quelle] aller
unſerer geiſtigen Operationen bildet? — Was wiſſen wir von allen
dieſen Dingen, über die wir nur noch fragen können, und wie
viel mehr mag noch zurück ſeyn, von dem uns unſere Sinne und
ſelbſt unſere lebhafteſte Phantaſie gar nichts mehr vorſtellen
können? Auch andere Wiſſenſchaften, ja ſelbſt die Mathematik,
geht von ſolchen Axiomen, von erſten Grundſätzen aus, über die
[28]Eigenſchaften der Körper.
ſich nichts weiter mehr ausmachen läßt und die gleichſam wie
Glaubensſachen angenommen werden müſſen, um auf ihnen, als
auf einer Baſis, weiter zu bauen. Dieſe Baſis ſelbſt aber iſt
kein weiterer Gegenſtand weder der Erfahrung, noch der Ver-
nunft, ſie iſt die Gränze oder vielmehr die abſolute Scheide-
wand aller unſerer geiſtigen Thätigkeit.
[[29]]
KapitelII.
Allgemeine Schwere.
§. 21. (Vorarbeiten Anderer.) Unter allen Entdeckungen in
dem weiten Felde der Wiſſenſchaften, iſt wohl die der allgemeinen
Schwere, die wir dem großen Newton verdanken, die glänzendſte
und einflußreichſte, da ſie das Geſetz enthält, dem alle Himmels-
körper unſeres Sonnenſyſtems und, wie es ſcheint, ſelbſt alle
Körper des Weltraumes gehorchen.
Es kann nicht anders, als ſehr intereſſant ſeyn, zu ſehen,
auf welche Weiſe dieſer ſeltene Geiſt zu jener hohen Idee gekom-
men iſt. Selbſt wenn wir ihn kämpfen und ringen, wenn wir
ihn fehlen ſehen, kann er nur mit der innigſten Theilnahme und
hier insbeſondere mit rein menſchlicher Theilnahme betrachtet
werden. Auch ſteht er nicht allein, nicht ohne Hülfe und Beirath
von anderen da. Viele treffliche Männer gingen ihm voraus
und bahnten ihm den Weg zu ſeinem hohen Ziele. Und doch
verfehlte er viele Jahre dieſen Weg, und mühte ſich ab, die kraft-
vollſte Zeit ſeines Lebens, die Wahrheit zu finden, die er ahnte,
ja die er, aber ohne es zu wiſſen, ſchon als ein Jüngling von
kaum zwanzig Jahren gefunden hatte, und zu deren Erkenntniß
er erſt durch Andere und durch einen glücklichen Zufall geführt
werden mußte. Aber deſſenungeachtet erſcheint er als der Führer
dieſer Anderen, als ihr Herr und Meiſter und als der Vorfechter
unter den Eliten ſeiner Zeit. Denn Er war es, der ſie leitete in
[30]Allgemeine Schwere.
dem großen Kampfe, Er errang den Sieg, und was auch Jene
geleiſtet haben mögen, ihm gebührt der Lorbeer. Ein volles Jahr-
hundert iſt verfloſſen ſeit der Zeit, da er unter uns gewandelt
hat, und noch ſteht er da, unerreicht und unerreichbar, ein Rieſe
unter den Pigmäen, und ſein Haupt mit dem Strahlenkranze der
Unſterblichkeit umwunden.
§. 22. (Unterſchied der Welt- und Literatur-Geſchichte.) Die
ſogenannte Weltgeſchichte, worunter wir gewöhnlich die der
Regenten und der von ihnen geführten Kriege verſtehen, iſt in
mehr als einer Beziehung ſehr verſchieden von der Geſchichte der
menſchlichen Kultur. In jener gehen die großen Epochen der-
ſelben gewöhnlich nur von Einem Menſchen aus, und ſie ſind
nur zu oft von den heftigſten Erſchütterungen begleitet. Plötzlich
erhebt ſich, nicht ſelten aus dem Staube der Unbekanntſchaft, der
Friedensſtörer, und ſeiner Zeit und ihren Vorurtheilen, allen
göttlichen und menſchlichen Geſetzen trotzend, ſelbſt den Kampf
mit den Elementen und den Geiſtern des Schickſals nicht ſcheuend
— verbreitet er ſich mit ſeinen Heeren über ganze Länder und
Welttheile, und tritt das Glück der Völker unter ſeine Füße, um auf
den Trümmern deſſelben ſeiner Dynaſtie einen Thron und ſich ſelbſt,
am Ende ſeiner Thaten, die Verwünſchung der Nachwelt, und
auf einer wüſten Inſel im Weltmeere, ein enges Grab zu erobern.
Nicht ſo in dem großen Reiche der Wiſſenſchaften, deren
Wachsthum nur langſam, und die blutloſen Fehden der Gelehrten
etwa ausgenommen, immer friedlich vor ſich geht, und wo nur
ſelten oder nie der Einzelne, ohne Hülfe der Anderen, eine neue
Epoche begründen kann. Die meiſten großen Conceptionen, deren
unſere Kulturgeſchichte erwähnt, ſind nur ſcheinbar von einem
einzigen Manne ausgegangen. Denn nicht nur die eigentliche
Ausführung, die immer fremder Hände bedarf, ſondern die erſte
Idee ſelbſt entſprang gewöhnlich nur aus verwandten Anſichten
mehrerer vorhergegangener Geiſter. In der That findet man,
daß beinahe jede große Revolution in dem Gebiete der Kultur
von einer Art allgemeiner geiſtiger Fermentation eingeleitet
worden iſt, die beinahe alle beſſere Köpfe des Jahrhunderts, wie
durch einen höhern Inſtinct getrieben, auf denſelben Gegenſtand
gerichtet hat. Anfangs klein und unbemerkbar nimmt das Ge-
[31]Allgemeine Schwere.
dränge allmählig zu, um jenen Punkt, wo der Schatz begraben
liegt; zuerſt Einzelne, dann Mehrere rütteln an dem verſchloſſenen
Thore, bis endlich, wenn alle Vorbereitungen erſchöpft ſind, der
Sohn des Glücks hervortritt aus der Menge, und mit einem
Drucke ſeiner Hand die Riegel ſprengt, und ſofort aus der weit
geöffneten Pforte ein Strom von Licht ſich ergießt, der die ganze
unbekannte, früher in tiefe Nacht begrabene Gegend mit ſeinen
Strahlen, nicht mit jenem verzehrenden Feuer des Ehrgeizes und
der Eroberungsſucht, ſondern mit den milden, wohlthätigen Strah-
len der Wahrheit und der Erkenntniß erleuchtet.
§. 23. (Vorgänger Newtons.) Nahe zwei Jahrhunderte vor
der Entdeckung, von welcher wir hier ſprechen, hatte uns Coper-
nicus (geb. 1472, geſt. 1543) die Bewegung der Planeten in
Kreiſen gelehrt, deren gemeinſchaftlicher Mittelpunkt die Sonne
iſt, und uns dadurch den Weg gezeigt, auf dem allein eine wahre
Kenntniß des Himmels und ein Fortſchreiten der Wiſſenſchaft
möglich war. Er gab uns das neue Teſtament der Aſtronomie,
und Kepler (geb. 1571, geſt. 1630) lieferte uns eine neue, we-
ſentlich verbeſſerte Auflage deſſelben, indem er das unnütze Gerüſte
der Epicykeln niederriß, mit welchem die Alten unſer Sonnenſyſtem
überladen hatten, und welches auch Copernicus noch beizubehalten
gezwungen war. Er zeigte uns, daß ſich die Planeten nicht in
Kreiſen, ſondern in Ellipſen, in deren einem Brennpunkte die
Sonne iſt, bewegen, und er lehrte uns die drei Geſetze kennen,
nach welchen dieſe Bewegungen vor ſich gehen. Dadurch erſt ge-
wann die Sternkunde eine mathematiſche Unterlage und eine
eigentlich ſtreng wiſſenſchaftliche Geſtalt.
Aber noch war der Grund dieſer Geſetze, gleichſam das
einzige oberſte Geſetz unbekannt, von welchen jene drei nur
ein Ausfluß, eine bloße Folge ſeyn ſollten. Zwar hatte Kepler
ſelbſt mehr als eine Muthmaßung darüber aufgeſtellt, aber auch
nur Muthmaßungen, durch keine Rechnung unterſtützt und alles
eigentlichen Beweiſes entbehrend. An geiſtiger Kraft fehlte es
dem ſeltenen Manne nicht, dieſe von ihm geahnte Höhe zu
erreichen; aber ſeine kläglichen Lebensverhältniſſe, die Mißgunſt
des Glücks, ohne das nichts Großes gedeiht, und vielleicht ſelbſt
die zu große Lebhaftigkeit ſeiner Imagination, die ihn nur zu oft
[32]Allgemeine Schwere.
auf Irrwegen und grundloſer Spekulation herumführte, hin-
derten ihn, ſeinem Haupte die Krone aufzuſetzen, deren er ſo
würdig war, und die er, nicht aus Mangel an eigenem Ver-
dienſte, einem Andern überlaſſen mußte.
Dieſe beiden Männer gingen Newton in größerer Entfernung
voraus. Es fehlte aber auch nicht an anderen, näheren Vorgän-
gern, die der großen Entdeckung, durch die Jener ſich unſterblich
machte, oft nahe genug kamen. Bouilloud, ein Arzt in Frank-
reich, ſtellte in ſeiner Astronomica Philolaica, die im Jahre 1645
erſchien, bereits den Satz auf, daß die Kraft, mit welcher die
Sonne auf die Planeten wirkt, ſich verkehrt wie das Quadrat der
Entfernung dieſer Planeten von der Sonne verhalte. Dieß war im
Grunde Newtons Baſis, aber da es nur als eine Hypotheſe vor-
getragen, und durch keine Beweiſe unterſtützt war, ſo blieb es ohne
weitere Folgen und wurde bald darauf wieder vergeſſen. — Bo-
relli’s Werk über die Satelliten Jupiters, das im Jahre 1666
erſchien, ſtellte ebenfalls die Anſicht auf, „daß die Bewegungen
der Planeten um die Sonne nach denſelben Geſetzen vor ſich [gehen]
müſſen, nach welchen ſich dieſe Satelliten in ihren Bahnen um
ihren Hauptplaneten bewegen, und nach welchen zugleich der
Mond um unſere Erde geht.“ Eine eben ſo wichtige als richtige
Bemerkung, die aber, aus derſelben Urſache, ohne Früchte zu
tragen, wieder verloren ging.
Noch näher trat der Sache Robert Hooke, Newtons Zeitge-
noſſe und Gegner, ein erfindungsreicher Kopf, der ſchon in dem-
ſelben Jahre, 1666, der königl. Akademie in London eine Abhand-
lung über die Abnahme der Schwere der Körper in verſchiedenen
Höhen über der Erde vorgetragen hatte. Im May deſſelben
Jahres las er in dieſer Akademie eine Abhandlung über die
Bewegung der Planeten um die Sonne, in welcher er die Ent-
ſtehung der krummen Bahnen der Planeten durch die Verbindung
einer conſtanten Tangentialkraft dieſer Himmelskörper mit einer
veränderlichen Centrifugglkraft der Sonne zu erklären ſuchte. In
einer im Jahre 1674 von ihm herausgegebenen Schrift ſtellt er
die Sätze auf, „daß alle Himmelskörper eine gegen ihren Mittel-
punkt gerichtete Anziehungskraft haben, wodurch ſie nicht nur
auf ihre eigenen Elemente, ſondern auch auf alle anderen Körper
[33]Allgemeine Schwere.
außer ihnen wirken; daß die anziehenden Kräfte deſto ſtärker
ſind, je näher die angezogenen Körper ſtehen“ u. ſ. w.
Allein alle dieſe und ähnliche Ideen, die einer genauen und
fortgeſetzten Betrachtung würdig geweſen wären, wurden nur eben
hingeworfen, ohne ſie weiter zu verfolgen. Dieſes Verfolgen des
erſten flüchtigen Gedankens, dieſes Brüten über ihm iſt es aber,
was ihn zur Reife bringen, was allein die Wiſſenſchaft wahrhaft
fördern konnte. Wußte doch Newton ſelbſt die Anfrage ſeines
Freundes Halley, auf welche Weiſe er zu ſeinen großen Entdeckun-
gen gekommen ſey, nur mit den wenigen, aber inhaltſchweren
Worten zu erwiedern: „Indem ich unabläßig darüber nachdachte.“
Endlich wurde auch Huygens, Newtons Zeitgenoſſe und
Rival, oft auf demſelben Wege mit ihm gefunden. Huygens
(geb. 1625, geſt. 1695) war ohne Zweifel einer der größten
Geometer und der ſinnreichſten Köpfe ſeiner und ſelbſt aller Zeiten.
Seine Theorie der [Evolution], die von ihm entdeckten merkwür-
digen Eigenſchaften der Cycloide, ſeine Arbeiten über die Wahr-
ſcheinlichkeitsrechnung, ſein erſtes Aufſtellen und Ausbilden der
Theorie der Kreisbewegung und des Stoßes der Körper, ſeine
Beſtimmung des Schwingungspunkts der Pendel, ſeine weſent-
lichen Verbeſſerungen der Gewicht- und Feder-Uhren, ſeine optiſchen
Entdeckungen über die Natur des Lichtes, über die Theorie der
Fernröhre, über die doppelte Strahlenbrechung des isländiſchen
Kryſtalls, ſelbſt ſeine praktiſchen Verbeſſerungen der optiſchen
Inſtrumente, mit welchen er den erſten Satelliten Saturns und
den Ring dieſes Planeten entdeckte — alle dieſe und noch mehrere
andere, große Verdienſte ſichern ihrem Urheber eine der ausge-
zeichnetſten Stellen in der Geſchichte der wiſſenſchaftlichen Kultur,
und es fehlte vielleicht nur ein Schritt, um ihm ſelbſt die erſte,
ſelbſt die vor Newton, anzuweiſen. Denn volle fünfzehn Jahre
ſchon vor der Bekanntmachung des Princips der allgemeinen
Schwere durch Newton, hatte Huygens bereits die oben erwähnten
Eigenſchaften der Centralbewegung der Körper in Kreiſen in drei-
zehn Propoſitionen öffentlich vorgetragen, und wenn er den Ein-
fall gehabt hätte, nur zwei dieſer Propoſitionen unter ſich zu
verbinden, und ſie als ein Beiſpiel auf die Rotation der Erde
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 3
[34]Allgemeine Schwere.
um ihre Axe und auf die Bewegung des Mondes um die Erde
anzuwenden, (was Newton eigentlich ſpäter that, und wo-
durch er eben auf ſeine große Entdeckung geführt wurde),
ſo würde Er der Schöpfer des neuen Syſtems geworden ſeyn.
Aber er verſäumte es, dieſe Anwendung, dieſen letzten Schritt zu
machen, und mußte daher die Palme des Ruhmes einem Andern,
einem Glücklicheren überlaſſen.
§. 24. (Veranlaſſung zu dieſer Entdeckung Newtons.) Iſaak
Newton wurde am 25. Dez. 1642 geboren. In ſeinem 18ten
Jahre betrat er die Univerſität zu Cambridge, beinahe ohne alle
jene vorbereitende Bildung, welche die Schüler dieſes berühmten
Inſtituts bei ihrem Eintritte in daſſelbe mitzubringen pflegten.
Vielleicht aber wirkte eben dieſer Mangel vortheilhaft auf ſeinen
Geiſt. Er wurde von keinen Vorkenntniſſen unterſtützt, er hatte
aber auch keine Vorurtheile zu beſiegen. Er hatte nichts gelernt,
er durfte auch nichts verlernen, und ſein jugendlicher Geiſt konnte
ungehindert ſeinen eigenthümlichen Gang gehen, den Weg des
kleinſten Widerſtandes, ohne ſich von den Gebirgen von Hinder-
niſſen irren zu laſſen, die ſich vor ihm aufthürmten, die er aber
nicht kannte, und die er bald darauf ſo glorreich beſiegte.
Er wendete ſich, gleich im Anfange ſeiner Studien, zur Ma-
thematik. Seine Abſicht dabei ſoll geweſen ſeyn, die Irrthümer
der Aſtrologie, die zu jener Zeit noch viele Anhänger zählte, auf
geometriſchem Wege zu widerlegen. Euclid’s Werke lernte er
nur eben kennen, um ſie ſogleich wieder aus der Hand zu legen.
Er fand ſie zu leicht, und betrachtete die meiſten der in ihnen
enthaltenen Sätze nur als eben ſo viele Axiome, deren Wahr-
heit ſich gleichſam von ſelbſt verſteht. Er wendete ſich daher
ſogleich zu der viel ſchwereren Geometrie des Descartes, zu
Wallis Arithmetik des Unendlichen und zu Keplers aſtronomiſchen
Werken, welche er alle, die Feder in der Hand, las und ſich daraus
Auszüge machte, die er bis an das Ende ſeines Lebens bewahrte.
Man erkannte bald den Geiſt, der in ihm lebte, und im Jahre
1669, wurde er, an des berühmten Barrow’s Stelle, Profeſſor
der Mathematik in Cambridge, eine Stelle, die er bis zu dem
Jahre 1695 begleitete, wo er zum Vorſteher der königl. Münze in
London mit einem jährlichen Gehalte von 15000 Pf. Sterling
[35]Allgemeine Schwere.
berufen ward, welches Amt er bis an ſein Ende beibehielt, das
am 20. März 1727 im 85ſten Jahre ſeines Alters erfolgte.
Gegen das Jahr 1662 wendete ſich ſeine ganze Aufmerkſam-
keit gegen die Optik, und insbeſondere gegen die Natur des
Lichtes, über welche er auch bald darauf die glänzendſten Ent-
deckungen machte. Als aber im Jahre 1666 eine peſtartige Krank-
heit die Umgegend von Cambridge verheerte, zog er ſich auf
einige Monate in ſeinen Geburtsort, Woolſthorpe zurück, ein Dorf
in Lincolnſhire, nahe eine deutſche Meile ſüdlich von der Stadt
Grantham.
Hier ſaß er eines Tages in ſeinem Garten, als er, wie man
erzählt, durch den Fall eines Apfels von einem vor ihm ſtehenden
Baume, auf die erſte Idee der allgemeinen Schwere geleitet
wurde. Dieſer Baum war lange ein Gegenſtand der beſonderen
Beachtung aller Verehrer Newtons. Erſt im Jahre 1826 wurde
der morſche Stamm deſſelben von einem Sturme geſtürzt, und
aus ſeinem Holze wurde ein Stuhl verfertigt, der den Freunden
des hingeſchiedenen großen Mannes, wenn ſie ſeine Geburtsſtätte
beſuchen, noch jetzt mit einer Art von Andacht gezeigt zu werden
pflegt. Wenn übrigens dieſe Erzählung von dem Apfel, die erſt
in den neueſten Zeiten wieder mehrere Vertheidiger gefunden hat,
auch nicht ganz verbürgt ſeyn ſollte, ſo iſt ſie doch weder ſehr un-
wahrſcheinlich, noch die einzige ihrer Art. Auch Galilei, auf
den ſein Vaterland noch jetzt ſtolz iſt, auch er ſoll durch den
Anblick einer ſchwingenden Lampe, die von dem Innern des Kir-
chendoms zu Piſa herabhing, auf die Theorie des Pendels und
dadurch auf die eigentliche Begründung der Mechanik geführt
worden ſeyn, eine Wiſſenſchaft, deren Schöpfer er iſt, und von
welcher die Alten nicht einmal eine Ahndung hatten.
§. 25. (Fragen, die ſich Newton darboten.) Warum fällt der
Apfel, und überhaupt jeder Körper, wenn er nicht gehalten oder
unterſtützt wird? Da er immer in einer ſenkrechten Richtung zur
Erde hin fällt, ſo ſcheint in dieſer Erde etwas zu ſeyn, das ihn
an ſich zieht. Dieſes Etwas, dieſe Kraft, wie wir es nennen
wollen, auf welche Weiſe, nach welchem Geſetze wirkt ſie auf den
fallenden Körper? Und wie weit erſtreckt ſie ſich von der Erde?
3 *
[36]Allgemeine Schwere.
Wenn ſie z. B. bis zu dem Monde reichen ſollte, welche Wirkung
äußert ſie auf dieſen Himmelskörper? Er hängt doch offenbar
mit der Erde zuſammen, ſo wie jener fallende Stein, da er, wenn
er gleich nicht zur Erde fällt, ſich doch in einem Kreiſe um die
Erde bewegt. Sollte vielleicht dieſe Bewegung eine Folge jener
Kraft der Erde ſeyn, die den Stein zu ihr fallen macht? Und
wenn dieß zugegeben werden ſollte, obſchon man eben die Ver-
bindung zwiſchen dieſen beiden Erſcheinungen nicht ſieht, dürfte
man dann nicht noch weiter gehen, und dieſelben Schlüſſe auch
auf dieſe Erde ſelbſt, ja auf alle übrige Planeten unſeres Son-
nenſyſtems anwenden? — In der That, die Erde und dieſe
Planeten alle bewegen ſich, wie ſchon Copernicus gezeigt hatte,
in Kreiſen um die Sonne, ganz ſo, wie ſich der Mond in einem
Kreiſe um die Erde bewegt. Wird nun der Mond zu ſeiner Be-
wegung durch jene Kraft der Erde gezwungen, könnten nicht auch
die Erde und alle Planeten zu ihrer Bewegung um die Sonne
durch eine ähnliche, in der Sonne wohnenden Kraft gezwungen
werden?
Große Fragen fürwahr, da offenbar von ihnen die ganze
Kenntniß der Organiſation unſeres Planetenſyſtems abhängt.
Und alles dieß wegen eines Apfels, der zufällig vor uns zur Erde
fällt. Wie viele Millionen, ſeit die Erde ſteht, ſahen ſo gut wie
Newton die Körper fallen, ohne dadurch auf ſolche Fragen ge-
führt zu werden, ja ohne dabei auch nur überhaupt etwas zu
denken.
Und doch — es ſind nur Fragen, Meinungen, Hypotheſen,
und nichts weiter. Es mag ja doch, in alten und neuen Zeiten,
Menſchen gegeben haben, die bei ſolchen Gelegenheiten auf ſolche
Fragen kamen. Aber nicht die Frage — die Antwort iſt
es, auf die in ſolchen Fällen alles ankömmt. Kepler, Hooke,
Huygens waren, nach dem, was wir oben von ihnen gehört
haben, Männer, die ſich in der That, wenn auch nicht eben dieſe,
doch ihnen ſehr ähnliche Fragen vorgelegt haben müſſen. Aber
haben ſie ſie auch beantwortet, auf die einzige Art, wie man
ſolche Fragen beantworten ſoll, durch Rechnung, mit dem Griffel
in der Hand? Es fiel ihnen nicht ein, oder ſie fanden kein Mittel
dazu, dieſe Wahrheit, wenn es eine ſeyn ſollte, näher zu unter-
[37]Allgemeine Schwere.
ſuchen, und ſie auf dem allein untrüglichen Probirſtein der Rechentafel
abzureiben. Deßhalb blieb die Sache, wie ſie war, eine Mei-
nung, eine bloße Hypotheſe, die keine Folgen, keine Früchte hatte.
Die nähere Unterſuchung des Gegenſtandes forderte aber drei
Dinge, die zuerſt bekannt ſeyn mußten: I. die Art, auf welche
jene Kraft wirkt. II. Die Umlaufszeit des Mondes und III. die
wahre Größe der Erde.
§. 26. (I. Wie die Attraction wirkt.) Das erſte, was Newton
kennen mußte, war die Art, auf welche dieſe Kraft der Erde,
wenn ſie überhaupt exiſtirt, auf nahe und ferne Gegenſtände
wirken ſoll. An der Oberfläche der Erde fallen die Körper
wie die Beobachtungen zeigen, in der erſten Sekunde durch
15 (genauer durch 15,098) Par. Fuß, und man kann anneh-
men, daß dieſe Größe dieſelbe iſt, für alle Orte der Oberfläche
der Erde, und ſelbſt für alle Höhen und Tiefen, zu welchen wir
noch gelangen können. Dieſe Beſtändigkeit der Kraft der Erde
würde einen ſchwächeren Kopf verleitet haben, die ganze Unter-
ſuchung gleich anfangs wieder aufzugeben. Wenn dieſe Kraft
noch in der Höhe einer deutſchen Meile über der Erde, und ſo
hoch ſind beinahe die größten Berge, die wir kennen, noch immer
dieſelbe, wie an der Oberfläche der Erde iſt, ſo ſcheint ſie über-
haupt in allen Entfernungen dieſelbe zu bleiben. Allein Newton
ließ ſich dadurch nicht irre machen, da er zu ſehr davon über-
zeugt war, daß dieſe Kraft in größeren Entfernungen immer
kleiner werden müſſe. Vielmehr beſtärkte ihn dieß in ſeiner Ver-
muthung. Denn wenn die Kraft der Erde, ſelbſt in der Entfer-
nung einer Meile noch immer dieſelbe zu ſeyn ſcheint, ſo muß
ſie eine ſehr ſtarke Kraft ſeyn, ſo muß ſie, da ſie nun einmal
nicht immer dieſelbe bleiben kann, nur ſehr langſam abnehmen,
ſo muß ſie am Ende ſelbſt noch in der Gegend des Mondes groß
genug ſeyn, um dort, um an dieſem Himmelskörper noch bemerk-
bare Veränderungen hervorzubringen, und eben dieſe Verände-
rungen waren es, die er ſuchte.
Man kann ſich aber dieſe Anziehungskraft der Erde nicht
wohl anders vorſtellen, als durch einen Strahlen- oder Seilenbüſchel,
deſſen einzelne Linien alle aus dem Mittelpunkte der Erde aus-
laufen, wie etwa die Strahlen eines Lichtes, das in dem Mittel-
[38]Allgemeine Schwere.
punkte dieſer Erde ſeinen Sitz hat. Denkt man ſich eine hohle
Kugelfläche, deren Halbmeſſer z. B. 100 Fuß beträgt, und deren
Mittelpunkt mit jenem der Erde zuſammenfällt, ſo wird die innere
Fläche dieſer Kugelſchaale von jenem Lichte mit einer gewiſſen
Stärke beleuchtet werden. Wenn aber der Halbmeſſer dieſer Ku-
gel noch einmal ſo groß, alſo gleich 200 Fuß wäre, ſo wird dieſe
zweite hohle Kugelſchaale in ihrem Innern von demſelben Lichte offen-
bar ſchwächer beleuchtet werden. Zwar fällt alles Licht, welches
früher die kleinere Kugel beſchien, jetzt auch auf die größere; aber
da die Oberfläche der zweiten viel größer iſt, als die der erſten,
ſo werden die auf die zweite Kugel fallenden Strahlen, da ſie
divergirend von dem Mittelpunkte ausgehen, auch viel weiter von
einander entfernt ſeyn, d. h. mit andern Worten, die zweite Kugel
wird von demſelben Lichte ſchwächer erleuchtet werden, als die
erſte, und zwar genau um ſo viel ſchwächer, als die Oberfläche
dieſer zweiten Kugel größer iſt, als die Oberfläche der erſten.
Da ſich aber die Oberfläche der Kugeln bekanntlich wie die
Quadrate ihrer Halbmeſſer verhalten, ſo wird die Fläche der
zweiten Kugel, deren Halbmeſſer 2mal ſo groß iſt, als jener der
erſten, auch 2mal 2 oder 4mal ſchwächer erleuchtet werden. Eben
ſo wird für eine Kugel von einem 3mal ſo großen Halbmeſſer,
als die erſte, die Beleuchtung 3mal 3 oder 9mal ſchwächer ſeyn,
für einen 4mal ſo großen Halbmeſſer 16mal ſchwächer u. ſ. w.,
kurz, die Beleuchtung wird abnehmen, wie das Quadrat der
Entfernung zunimmt, oder, was daſſelbe iſt, die Beleuchtung
dieſer innern Kugelſchaale, in jedem einzelnen Punkte ihrer Ober-
fläche, wird ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfer-
nung verhalten.
Daſſelbe wird alſo auch von der Anziehung der Erde auf alle
Körper außer ihr gelten, wenn anders die vorhergehende Voraus-
ſetzung richtig iſt, daß dieſe beiden Dinge, Licht und Attraction,
ſich auf gleiche Weiſe von ihren Centralkörpern aus verbreiten.
Die Folge wird uns lehren, ob man ſich dieſe Vorausſetzung er-
lauben darf, d. h. ob die auf dieſe Weiſe erhaltenen Erſcheinungen
der Attraction auch in der That mit den Beobachtungen über-
einſtimmen. Von irgend einer Vorausſetzung über die Wirkungs-
art dieſer Kraft muß man ausgehen, wenn man dieſe Wirkungen
[39]Allgemeine Schwere.
einer Rechnung unterwerfen will. Die oben angenommene iſt die
natürlichſte und einfachſte, die man wählen kann. Der Erfolg
wird zeigen, ob ſie auch die wahre iſt.
(Weitere Gründe für dieſe Annahme.) Newton nahm aber
dieſe Vorausſetzung nicht auf Gerathewohl, und bloß auf die,
übrigens durch nichts bewieſene, Analogie mit dem Lichte geſtützt,
an. Er hatte noch einen anderen, beſſeren Grund, und dieſen
verdankte er den Vorarbeiten Keplers und Huygens, deren
Entdeckungen er nun zu ſeinem Zwecke benutzen konnte.
Kepler hatte nämlich im Jahre 1618 durch ſehr mühſame,
und Jahre lang mit ſeltener Ausdauer fortgeführte Rechnungen
gefunden, daß die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten um
die Sonne ſich wie die Würfel der Halbmeſſer ihrer Bahnen
verhalten (I. Kap. IX. 146). Huygens aber hatte unter den oben
erwähnten 13 Propoſitionen auch den Satz aufgeſtellt, daß bei den
in Kreiſen umlaufenden Körpern die Quadrate ihrer Umlaufszeiten
ſich verhalten, wie die Halbmeſſer dieſer Kreiſe, dividirt durch den
Druck, welchen dieſe Körper ſenkrecht auf die Peripherie ihrer
Bahn ausüben. Dieſer Druck muß aber als die Kraft ange-
ſehen werden, welche, indem ſie gegen den Mittelpunkt des Kreiſes
gerichtet iſt, eben dieſe Kreisbewegung des Körpers erzeugt.
Verbindet man daher dieſe beiden Sätze mit einander, ſo folgt,
daß bei allen Kreisbewegungen der Druck der bewegten Körper,
d. h. die im Mittelpunkte dieſer Kreiſe wohnende bewegende
oder anziehende Kraft ſich verhalten muß, wie verkehrt das
Quadrat dieſes Halbmeſſers, d. h. alſo, wie verkehrt das Quadrat
der Entfernung des angezogenen Körpers von dem anziehenden
Mittelpunkte, und dieß iſt eben der Satz, welchen wir oben für
die Attraction der Körper überhaupt, aus der Analogie derſelben
mit dem Lichte, abgeleitet haben. Newton kannte dieſe Propoſi-
tion, und benutzte ſie auch in der That zu dieſem Zwecke, wie er
dieß ſelbſt in einem ſeiner ſpätern Briefe an Halley geſtand. Die
Entdeckung Keplers aber war zu jener Zeit, als Newton ſeine
Unterſuchungen anſtellte, nicht nur ihm, ſondern der ganzen aſtro-
nomiſchen Welt bekannt, und allgemein längſt als eine unbe-
ſtreitbare Wahrheit angenommen worden.
[40]Allgemeine Schwere.
§. 27. (II. Umlaufszeit des Mondes um die Erde.) Wenn
Newton durch unmittelbare Verſuche, oder auf Beobachtun-
gen gegründete Rechnungen entſcheiden wollte, ob es in der That
dieſelbe Kraft iſt, die den Stein auf die Erde fallen macht,
und die den Mond um dieſelbe bewegt, ſo mußte er zweitens die
Zeit, in welcher der Mond ſich um die Erde bewegt, oder er
mußte die Revolution des Mondes mit großer Genauigkeit
kennen. Wir haben aber bereits oben (I. §. 123) gezeigt, daß
man, wenn man zwei in der Zeit ſehr von einander entfernte
Beobachtungen des Mondes vergleicht, die wahre Größe dieſer
Revolution mit aller nur wünſchenswerthen Schärfe beſtimmen
kann, wie denn auch bereits die alten Griechen ſie ſo genau be-
ſtimmt hatten, daß die neueren Aſtronomen nur wenig oder nichts
mehr hinzufügen konnten. Dieſe Umlaufszeit des Mondes um
die Erde, in Beziehung auf die Fixſterne oder die ſogenannte
ſideriſche Revolution deſſelben (I. §. 100) beträgt 27,3216614 Tage.
Da er in dieſer Zeit volle 360 Grade oder 1296000 Sekunden
beſchreibt, ſo findet man leicht durch eine einfache Proportion,
daß der Mond in ſeiner Bewegung um die Erde in jeder Zeit-
ſekunde den kleinen Winkel von 0,5479 Sekunden zurücklegt. Allein
man weiß, daß die halbe Peripherie eines jeden Kreiſes, deſſen
Halbmeſſer für die Einheit angenommen wird, 3,1415926 Theile
dieſes Halbmeſſers beträgt, daß alſo zu einem Winkel von 648000
Sekunden der Bogen 3,1415926 und daher auch zu einem Winkel
von einer einzigen Sekunde der Bogen von 0,0000048481 Halb-
meſſern gehört. Multiplicirt man daher die letzte Zahl durch
0,5479, ſo folgt, daß der Bogen der Mondsbahn, der von dieſen
Himmelskörpern in jeder Sekunde beſchrieben wird, gleich dem
0,0000026563ſten Theil des Halbmeſſers der Mondsbahn iſt. Es
iſt aber aus dem Kap. V. des I. Theiles bekannt, wie man die
Entfernung des Mondes von der Erde durch die Beobachtung
der Parallaxe dieſes Geſtirns findet. Dieſe Beobachtungen gaben
die Entfernung des Mondes von dem Mittelpunkte der Erde, oder
den Halbmeſſer der Mondsbahn gleich 60,16 Halbmeſſer der Erde.
Multiplicirt man daher die beiden letzten Zahlen durch einander,
ſo findet man, daß der Bogen, welchen der Mond in ſeiner
[41]Allgemeine Schwere.
Bahn während jeder einzelnen Sekunde zurücklegt, nur 0,0001598
Erdhalbmeſſer beträgt.
§. 28. (III. Beſtimmung des Halbmeſſers der Erde.) Allein
dieſe letzte Beſtimmung der Entfernung des Mondes kann noch
nicht zu unſerem Zwecke gebraucht werden. Unſere Abſicht
iſt nämlich, den Fall der Körper auf die Erde mit der Bewe-
gung des Mondes zu vergleichen, um zu ſehen, ob in der That
beide aus derſelben Urſache entſpringen. Da aber dieſer Fall in
Toiſen oder Fußen ausgedrückt iſt, ſo müſſen wir auch jenen
Bogen der Mondsbahn in demſelben Maaße kennen, oder mit
andern Worten, wir müſſen wiſſen, wie viel Toiſen der Halb-
meſſer der Erde beträgt.
Wir haben oben (I. Kap. I. und II.) das Vorzüglichſte von
dem mitgetheilt, was wir über die Geſtalt und Größe der Erde
wiſſen. Allein Newton kannte dieſe Beſtimmungen noch nicht,
da die zu dieſem Zwecke angeſtellten Meſſungen der Erde erſt
nach ihm unternommen wurden. Die erſte beſſere Gradmeſſung iſt
die von Picard in Frankreich, der im Jahre 1669, alſo drei Jahre
nach Newtons Aufenthalt in Woolſthorp, den Grad eines Me-
ridians oder den Breitengrad der Erde gleich 342360 Fuß gefun-
den hat, woraus folgt, daß der Halbmeſſer der Erde 19615780
Par. Fuß beträgt.
Zwar hatte ſchon früher, im Jahre 1615, Snellius in Hol-
land durch ſeine mit vieler Umſicht angeſtellte Vermeſſung dieſen
Grad gleich 330432 Fuß, alſo zu unſerem Zwecke genau genug,
gefunden, aber Newton ſcheint von dieſer Beſtimmung eben ſo
wenig, als von der ſeines Landsmanns Norwood, Nachricht er-
halten zu haben, welcher letzte im Jahre 1634 den Breitengrad
der Erde gleich 343800 Fuß, alſo noch genauer als ſelbſt Picard
gefunden hatte. Auch mochte er diejenigen Werke, in welchen
von dieſen damals noch neuen Meſſungen geſprochen wurde, in
der Zurückgezogenheit ſeines ländlichen Aufenthaltes nicht bei
der Hand gehabt, und, einer damals allgemein angenommenen
Vorausſetzung gemäß, den Erdgrad in runder Zahl zu 60 eng-
liſchen Meilen angenommen haben. Da die engliſche Meile
4954,19 Par. Fuß enthält, ſo betrug alſo, ſeiner Annahme ge-
[42]Allgemeine Schwere.
mäß, der Erdgrad nur 297251, und der daraus folgende Halb-
meſſer der Erde nur 17031230 Fuß. Man ſieht, daß dieſe beiden
Zahlen beträchtlich, nahe um ihr Siebentheil, kleiner ſind, als
die oben von Picards Meſſungen angeführten Reſultate. Mul-
tiplicirt man die letzte Zahl mit der oben angegebenen 0,0001598,
ſo findet man 2721,59 Pariſer Fuß für den Bogen, welchen
der Mond in ſeiner Bahn während jeder Zeitſekunde zurück-
legt. So hatte nämlich Newton dieſen Bogen gefunden. Allein
wenn er, ſtatt ſeiner fehlerhaften Vorausſetzung über die Größe
der Erde, denjenigen Halbmeſſer derſelben, nämlich 19615780
Fuß, gebraucht hätte, den Picard aus ſeinen Meſſungen abgeleitet
hat, ſo würde er für dieſen Bogen die Größe von 3134,6 Fuß
gefunden haben, welche Zahl wieder nahe um ihren Siebentheil
größer iſt, als die vorhergehende.
§. 29. (Anziehung der Erde in größeren Entfernungen von ihrem
Mittelpunkte.) Auf der Oberfläche der Erde fällt, wie wir geſehen
haben, jeder Körper in der erſten Sekunde durch 15 Fuß. Wie
tief wird er in einer Entfernung von zehn, hundert, tauſend
Meilen von der Oberfläche der Erde, in derſelben Zeit von einer
Sekunde fallen?
Die Antwort auf dieſe Frage iſt leicht, wenn man das in I.
betrachtete Geſetz der Abnahme der Anziehungskraft der Erde als
richtig vorausſetzt. Dieſer ſenkrechte Fall des Körpers zur Erde
iſt nämlich die reine Wirkung jener Kraft, und kann ſelbſt für
das eigentliche Maaß dieſer Kraft genommen werden. Der
Fall wird daher für jede in Halbmeſſern der Erde gegebene Ent-
fernung gleich ſeyn der Zahl 15, dividirt durch das Quadrat
dieſer Entfernung. Der höchſte Berg, den wir kennen, iſt ein
Pic des Himalaja in Tibet, deſſen Höhe 24100 Fuß beträgt.
Seine Höhe iſt alſo noch nicht der achthundertſte Theil des Erd-
halbmeſſers nach Picard, oder der Gipfel dieſes Berges iſt 1,0012
Erdhalbmeſſer von dem Mittelpunkte der Erde entfernt. Dividirt
man die Einheit durch das Quadrat dieſer Zahl, ſo erhält man
0,998, und dieß durch 15 multiplicirt gibt 14,970. Die Körper
fallen demnach auf der Spitze dieſes Berges in der erſten Sekunde
nur durch 14,97 Fuß oder beinahe um 4 3/10 Linien weniger tief,
als am Niveau des Meeres, oder endlich, wenn die Kraft der
[43]Allgemeine Schwere.
Erde an ihrer Oberfläche zur Einheit genommen wird, ſo iſt ſie
auf dem Gipfel jenes Berges nur mehr 0,998, alſo um ihren
zweitauſendſten Theil kleiner, als zuvor. Eine ſo geringe Ver-
ſchiedenheit konnte allerdings durch unſere Beobachtungen nicht
mehr entdeckt werden, daher man auch, zu Newtons Zeiten, die
Schwere an allen Orten der Erde gleich groß vorausſetzte.
Wenn aber der Körper um den ganzen Halbmeſſer der Erde
über die Oberfläche derſelben gebracht werden könnte, ſo würde
er in dieſer Entfernung, die die doppelte von jener an der Ober-
fläche iſt, in einer Sekunde nur mehr durch den vierten Theil
von 15 oder nur durch 3,75 Fuß fallen. In einer dreimal ſo
großen Entfernung, oder in der Diſtanz von drei Erdhalbmeſſern
von dem Mittelpunkte der Erde, wird er durch den 9ten Theil
jener Größe, oder nur durch 1,67 Fuß, in einer zehnmal größeren
Entfernung nur durch den 100ſten Theil, oder durch 0,15 Fuß
fallen u. ſ. w.
Wenn alſo endlich derſelbe Körper bis in den Ort, wo der
Mond iſt, d. h. wenn er in die Entfernung von 60,16 Erdhalb-
meſſern von dem Mittelpunkte der Erde gebracht würde, ſo würde
er daſelbſt in der erſten Sekunde durch 15, dividirt durch das
Quadrat von 60,16, das heißt, er würde in der Gegend des
Mondes nur mehr durch 0,00414 Fuß fallen, oder er würde in der
erſten Sekunde ſich nahe 6/10 einer Linie der Erde nähern.
Dieß Reſultat iſt, als Ergebniß der Rechnung, völlig gewiß,
wenn anders die obige Vorausſetzung, auf welche dieſe Rechnung
gegründet iſt, richtig iſt, daß nämlich die Attractionskraft der
Erde ſich verkehrt, wie das Quadrat der Entfernung verhält.
Allein iſt dieſe Vorausſetzung auch in der That richtig? — Dieß
eben ſoll hier entſchieden werden, und zwar durch unmittelbare
Beobachtungen, durch Beobachtungen an dem Monde entſchieden
werden. Wenn uns dieſe Beobachtungen zeigen könnten, daß der
Mond in der That in jeder Sekunde durch 0,00414 Fuß zur Erde
fällt, ſo iſt unſere Vorausſetzung richtig, und das Geſetz der
Anziehung der Erde, das Geſetz der Schwere iſt durch Experi-
mente nachgewieſen, und muß ſonach als wahr anerkannt werden.
Allein wie ſollen uns die Mondsbeobachtungen zeigen, daß
dieſer Himmelskörper in der That in jeder Sekunde ſo viel zur
[44]Allgemeine Schwere.
Erde fällt? Wir ſehen ihn nicht fallen, und wenn er auch in der
That fallen ſollte, ſo haben wir kein Mittel, die Größe dieſes
Falls zu meſſen. Alles, was wir von ſeiner Bewegung wiſſen,
iſt, daß der Bogen, den er in jeder Sekunde um die Erde be-
ſchreibt, 2721,59 oder auch 3134,6 Fuß beträgt, je nachdem wir
den Halbmeſſer der Erde nach Newton oder nach Picard anneh-
men. Was ſoll aber aus dieſem Bogen für den Fall des Mondes
zur Erde folgen?
§. 30. (Wirkung dieſer Attraction der Erde auf ruhende und
auf bewegte Körper.) Um die letzte Frage zu beantworten, müſſen
wir in unſerer Unterſuchung wieder einige Schritte zurückgehen.
Wenn der Mond durch irgend eine mächtige Hand feſtge-
halten, und dann plötzlich ausgelaſſen würde, ſo müßte er ohne
Zweifel in einer geraden Linie zur Erde fallen, und ſich ihr, wie
wir geſehen haben, in der erſten Sekunde um 0,00414 Fuß nähern,
ganz aus demſelben Grunde, wegen welchem der Stein auf der
Oberfläche der Erde in derſelben Zeit durch 15 Fuß fällt, wenn
die Hand, die ihn hält, ſich wendet, und dadurch den Stein ſei-
ner bisherigen Unterſtützung beraubt. Allein jene unſichtbare
Hand, die vielleicht auch vor Zeiten den Mond feſtgehalten hat,
kann ſich nicht bloß gewendet haben, als ſie den Mond ſich ſelbſt
oder vielmehr der Wirkung der Erde überließ, ſondern ſie muß
ihn, als ſie ihn ſeinem ferneren Schickſale überlaſſen wollte, mehr
als nur ausgelaſſen, ſie muß ihn aus der Hand geworfen
haben, und die Richtung dieſes Wurfes muß, nicht auf die Erde
zu, ſondern ſeitwärts gegangen ſeyn, weil ſonſt der Mond wieder
in einer geraden Linie zur Erde herabgefallen wäre, was er doch
nicht gethan hat, da er vielmehr, wie wir ſehen, einen Kreis um
die Erde beſchreibt.
Die Exiſtenz dieſer Bahn, die uns vor Augen liegt, führt
uns daher auf zwei Vorausſetzungen, ohne welche jene Bahn ſich
nicht als möglich denken läßt. Der Mond muß nämlich von
zwei verſchiedenen Kräften in Bewegung geſetzt werden, von einer
erſten urſprünglichen, von einer Wurfkraft, und von der im
Mittelpunkte ſeiner Bahn ruhenden Centralkraft oder von der
Anziehungskraft der Erde. Jene iſt eine nur im erſten Augen-
blicke wirkende Kraft, gleich der eines Stoßes, dieſe aber eine
[45]Allgemeine Schwere.
immerwährend thätige, und noch jetzt in jedem Augenblicke wir-
kende Kraft. Jene konnte alle möglichen Richtungen haben, nur
nicht die gerade zur Erde hin, weil ſonſt der Mond auf die Erde
gefallen wäre; dieſe aber hatte, und hat noch ihre Richtung gegen
den Mittelpunkt der Erde. Jene allein würde den Mond in
irgend einer geraden Linie im Weltraume fortgeführt, und dieſe
allein würde ihn, ebenfalls in einer geraden, aber zur Erde ge-
richteten Linie auf dieſe Erde geworfen haben, und beide zuſam-
men endlich leiten ihn in der krummen Linie, in dem Kreiſe
hin, den er eben, wie wir ſehen, um die Erde beſchreibt.
Die Kraft der Erde alſo erſcheint in ihrer Wirkung bei der
Bewegung des Mondes nicht mehr rein, ſondern mit der Wir-
kung jener Wurfkraft, jenes Stoßes vermiſcht, welchen der Mond
im Anfange ſeiner Bewegung erhalten haben muß, damit er dieſe
Bahn, die wir an ihm beobachten, in der That beſchreiben kann,
und es wird daher, ehe wir an die eigentliche Auflöſung unſeres
Problems gehen, nothwendig ſeyn, dieſe Miſchung wieder aufzu-
heben, und aus der ſo zuſammengeſetzten Bewegung des Mondes
denjenigen Theil herauszuſuchen, der, ſo wie jener Fall des Stei-
nes, bloß der Anziehung der Erde angehört.
Zu dieſem Zwecke werden wir alſo die Wirkung dieſer An-
ziehung der Erde, welche ſie auf ſchon bewegte Körper äußert,
unterſuchen müſſen. Glücklicher Weiſe können wir dieſe Unter-
ſuchung auf der Oberfläche der Erde alle Tage, und ohne viel
Mühe anſtellen. Wir ſehen den Stein, und überhaupt jeden
Körper, wenn er aus der ruhenden Hand gelaſſen wird, ſenk-
recht zur Erde fallen. Allein wenn er von derſelben Hand ge-
worfen wird, ſo ſehen wir ihn nicht mehr in gerader Linie
ſenkrecht fallen, ſondern, gleich dem Monde, eine krumme
Linie beſchreiben, offenbar aus demſelben Grunde, weil hier
zwei Kräfte auf ihn wirken, die augenblickliche Kraft des Wurfs
oder der erſte Stoß der Hand, und die immer thätige Anziehungs-
kraft der Erde. Wir bemerken ferner, daß die krumme Linie, die
er auf dieſe Weiſe beſchreibt, deſto länger iſt, je größer jene erſte
Kraft iſt, mit welcher ihn die Hand geworfen hat. Die Kugeln
unſerer Feuergewehre geben uns davon eben ſo bekannte, als auf-
fallende Beiſpiele. Dieſe Maſchinen treiben die von ihnen gewor-
[46]Allgemeine Schwere.
fenen Körper oft ſehr weit über die Erde hin, und unſere Kano-
nenkugeln beſchreiben, ehe ſie wieder zur Erde fallen, einen deſto
längeren Bogen über derſelben, je ſtärker die Ladung iſt, mit
welcher ſie abgeſchoſſen wurden. Und was hindert uns, an-
zunehmen, daß eine noch viel ſtärkere Ladung ſie noch viel weiter,
ſie endlich ganz um die Erde herum treiben würde, ſo wie auch
vielleicht der Mond von einer ſolchen erſten hinlänglich ſtarken
Kraft um die Erde getrieben wird.
Dieſe beiden Dinge ſind offenbar ſo ähnlich, und einander
in einem ſo hohen Grade analog, daß wir nur das eine derſel-
ben, den Stein oder die Kugel, deren Spiel in unſerer Nähe
vorgeht, näher betrachten dürfen, um das, was wir an ihm ge-
funden haben, auch ſogleich auf das zweite, auf den Mond zu
übertragen.
§. 31. (Fall der auf der Oberfläche der Erde geworfenen
Körper.) Denken wir uns demnach vor einer horizontal aufge-
ſtellten Kanone eine vertikale Wand in einer ſolchen Entfernung
von der Mündung des Geſchützes, daß die Kugel, wenn ſie dieſe
Mündung verläßt, jener Wand genau in der Zeit von einer Se-
kunde begegne. Bemerken wir überdieß zuerſt denjenigen Punkt
der Wand, der mit dem Mittelpunkte der Mündung in derſelben
Höhe liegt, oder den Punkt, welchen die Kugel treffen würde,
wenn ſie ſich genau in horizontaler Richtung bewegen, wenn ſie,
während ihres Laufes, von der Erde nicht angezogen werden
möchte. Bemerken wir dann aber auch, nach dem Schuſſe, den-
jenigen Punkt der Wand, wo ſie von der Kugel in der That ge-
troffen worden iſt. — Wo wird dieſer zweite Punkt liegen? —
Genau 15 Fuß unter dem erſten, wie ſich jeder ſelbſt überzeugen
kann, der das Experiment anſtellen will. Alſo genau eben ſo
viel, als ſie, in dieſer erſten Sekunde, frei gefallen wäre, wenn
man ſie, ſtatt ſie aus der Kanone zu ſchießen, bloß aus der um-
gewendeten Hand hätte fallen laſſen.
Was ſollen wir aus dieſer merkwürdigen Uebereinſtimmung
ſchließen? — Offenbar, daß, wenn zwei Kräfte auf einen Körper
wirken, jede derſelben die gleiche Veränderung in ihm hervorbringt,
die ſie hervorgebracht haben würde, wenn ſie allein auf ihn ge-
wirkt hätte, und wenn die andere gar nicht da geweſen wäre.
[47]Allgemeine Schwere.
Vermöge des Wurfes der Hand geht der Stein in der Richtung
dieſes Wurfs in einer geraden Linie, in derſelben geraden Linie
fort, die er beſchreiben würde, wenn die Erde keine anziehende
Kraft hätte. Und vermöge dieſer letzten Kraft fällt er ganz eben
ſo in ſenkrechter Richtung zur Erde, als er gefallen ſeyn würde,
wenn jener Wurf der Hand nicht ſtatt gehabt hätte, ſondern wenn
der Stein nur aus der ruhenden Hand gefallen wäre. Beide
Kräfte zuſammen aber bewirken die krummlinige Bahn dieſes
Steines, deren jedes noch ſo kleine Theilchen, jedes Element, aus
dem Elemente dieſer geraden Wurflinie und aus dem Elemente
jener ſenkrechten Falllinie zuſammengeſetzt iſt.
Daſſelbe wird alſo auch von dem Monde gelten, und unmit-
telbar auf ihn angewendet werden können. Die gerade Linie, in
welcher er ſich, vermöge ſeiner urſprünglichen Wurfkraft zu be-
wegen ſucht, wird die auf den Halbmeſſer ſeines Kreiſes ſenk-
rechte Tangente ſeyn, in welcher er jeden Augenblick von der Erde
fortgehen will, und auch in der That fortgehen würde, wenn die
Anziehung der Erde ihn nicht zurückhielte. Und dieſe Anziehung
der Erde wird wieder die kleine gerade Linie ſeyn, um welche er,
indem er die Richtung jener Tangente verläßt, in jeder Sekunde
der Erde näher rückt, oder eigentlich zu ihr hinfällt.
Welches iſt aber dieſe letzte gerade Linie, um welche ſich der
Mond in jeder Sekunde der Erde nähert? —
§. 32. (Anwendung des Vorhergehenden auf den Mond.) Sey
C Fig. I der Mittelpunkt der Erde, und zugleich jener der
Mondsbahn AMD. Indem der Mittelpunkt A des Mondes dieſen
Punkt A ſeiner Bahn verläßt, um ſeinen Weg fortzuſetzen, wird
er, wenn keine andere Kraft auf ihn wirkte, nicht anders, als in
der Richtung, die er bei ſeiner Ankunft in A hatte, d. h. er wird
in der geradlinigen Tangente AB ſeiner Bahn, die auf ſeiner
Entfernung CA ſenkrecht ſteht, fortgehen. Allein da er zugleich
von der Erde angezogen wird, ſo kann er, am Ende der erſten
Sekunde, nicht in dem Punkte B dieſer Tangente, ſondern er muß
in irgend einem der Erde C nähern Punkte, nämlich in dem
Punkte M ſeiner kreisförmigen Bahn ſeyn, ganz eben ſo, wie
vorhin die Kugel der ihr gegenüber ſtehenden Wand nicht in dem
horizontalen Viſirpunkte, ſondern in einem anderen, tieferen
[48]Allgemeine Schwere.
Punkte begegnete. Auf dieſelbe Weiſe begegnet alſo auch jetzt
der Mond dem ihm gegenüberſtehenden Halbmeſſer CB oder dieſer
ſeiner Wand nicht in dem Viſirpunkte B, ſondern in dem der
Erde nähern Punkte M, und die Diſtanz dieſer beiden Punkte,
das heißt die kleine Linie BM iſt es, um welche der Mond in
der erſten Sekunde, ſeit er von A ausging, zur Erde fiel,
und um welche er auch in der That ſchon von dem Punkte A aus
gefallen ſeyn würde, wenn bloß die Anziehung der Erde, ohne
jene Wurfkraft, auf ihn gewirkt hätte.
Dieſe kleine Linie BM alſo, die den eigentlichen Fall des
Mondes zur Erde während jeder Sekunde ausdrückt, dieſe iſt es,
deren Größe wir nun beſtimmen ſollen, um zu ſehen, ob ſie mit
derjenigen übereinſtimmt, die wir oben aus unſerer Vorausſetzung
abgeleitet haben, wo wir fanden, daß der Mond in jeder Sekunde
um 0,00414 Fuß zur Erde fallen ſoll.
Allein wie ſoll man dieſe Größe BM finden? Wir kennen
von der Mondsbahn bloß die Größe des Halbmeſſers CA oder CD
und die Größe des Bogens AM ſeiner Bahn, den der Mond in
jeder Sekunde zurücklegt.
§. 33. (Berechnung des Falls des Mondes gegen die Erde.)
Die erſten und einfachſten Elemente der Geometrie reichen ſchon
hin, zu zeigen, daß dieſe Größe BM gleich iſt dem Quadrate des
Bogens AM dividirt durch den Durchmeſſer AD des von dem
Monde beſchriebenen Kreiſes, d. h. durch die doppelte Entfernung
des Mondes von dem Mittelpunkte der Erde.
Nehmen wir nun nach Picards Meſſung den Halbmeſſer der
Erdbahn gleich 19615780 Fuß an, ſo iſt, wie wir oben geſehen
haben, der Bogen AM gleich 3134,6 Fuß, und da die Entfernung
des Mondes von der Erde 60,16 Erdhalbmeſſer beträgt, ſo iſt die
geſuchte Linie BM, um welche der Mond in einer Sekunde zur
Erde fällt, gleich dem Quadrate von 3134,6, dividirt durch das
Produkt von 60,16 in 39231560, das heißt, gleich 0,00416 Fuß,
alſo bis auf eine hier ganz unmerkliche Differenz genau ſo
groß, als wir ſo eben aus der doppelten Vorausſetzung ge-
funden haben, „daß die Kraft der Erde ſich wie verkehrt das
Quadrat der Entfernung verhalte, und daß dieſe Kraft, welche
[49]Allgemeine Schwere.
die Körper auf der Oberfläche der Erde fallen macht, dieſelbe iſt,
welche auch der Mond um ſie bewegt.“
Dieſe Uebereinſtimmung iſt alſo der ſchönſte Beweis für die
Richtigkeit der Vorausſetzung, welche auf dieſe Weiſe durch eine
unmittelbare Beobachtung der Natur, durch die Beſtimmung der
Größe der Erde, und der Umlaufszeit des Mondes, beſtätiget
war, und an deren Wahrheit man daher nicht weiter zweifeln
konnte. Aber einmal dahin gekommen, war es nun leicht, durch
Induction oder nach der Analogie den gefundenen Satz auch auf
die übrigen Körper des Himmels auszudehnen und anzunehmen,
daß auch die Planeten in ihren Bewegungen um die Sonne durch
eine ähnliche, dieſer Sonne inwohnende Kraft, die ſich verkehrt
wie das Quadrat der Entfernung verhält, bewegt werden, wie der
Mond durch eine ſolche Kraft der Erde um ſie geführt wird.
In der That boten ſich auch bald, wie wir weiter unten ſehen
werden, Beobachtungen in Menge dar, welche dieſe Erweiterung
der durch den Mond gemachten Entdeckung auf die ſchönſte und
genügendſte Weiſe beſtätigten.
§. 34. (Newtons Fehler in der Berechnung dieſer Kraft.)
Wir haben in dem Vorhergehenden, um den Zuſammenhang nicht
zu ſtören, ſogleich den nahe wahren Werth des Erdhalbmeſſers,
wie er aus Picards Meſſungen hervorgeht, angenommen, und ſo
durch eine ſehr einfache Rechnung die Beſtätigung unſerer frühe-
ren Vermuthung gefunden. Wir haben nämlich, um das Ganze
noch einmal mit andern Worten darzuſtellen, gefunden, daß man
auf zwei ganz verſchiedenen Wegen immer denſelben Werth
für den Fall des Mondes gegen die Erde erhält, man mag ihn
aus dem beobachteten Falle der Körper an der Oberfläche der
Erde, oder aus der beobachteten Umlaufszeit des Mondes um
die Erde ableiten, und eben die Uebereinſtimmung der beiden
durch ſo verſchiedene Mittel erhaltenen Reſultate, verbürgt uns
die Richtigkeit der Annahme, auf welche dieſe Rechnung ge-
gründet iſt.
Allein Newton hatte größere Schwierigkeiten, ſich von der
Wahrheit ſeiner Vorausſetzung zu überzeugen. Man ſieht aus
allem Vorhergehenden, daß die Rechnungen, welche geführt werden
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 4
[50]Allgemeine Schwere.
mußten, um die Richtigkeit der ihnen zu Grunde gelegten Hypo-
theſen zu beſtätigen, die genaue Kenntniß der Größe des Erd-
halbmeſſers vorausſetzten, und eben dieſe war es, die ihm fehlte.
Er nahm, wie wir oben geſagt haben, den Halbmeſſer der Erde
gleich 17031230 Fuß, alſo viel zu klein an, daher er auch den
Bogen AM gleich 2721,59, alſo ebenfalls zu klein gefunden hatte.
Nach dieſen Annahmen wird alſo der Fall des Mondes während
einer Sekunde gleich dem Quadrate von 2721,59, dividirt durch
das Produkt von 60,16 in 34062460, das heißt, gleich 0,00361 Fuß
ſeyn. Es ſollte aber, wenn die Vorausſetzung richtig iſt, gleich
0,00414, alſo nahe ein Siebentheil größer ſeyn. Dieſe Differenz
war aber zu beträchtlich, als daß ſie zugelaſſen werden konnte.
Man ſieht dieß in der That beſſer, wenn man aus dieſer,
von Newton gefundenen Größe von BM = 0,00361 wieder auf
den Fall der Körper über der Oberfläche der Erde rückwärts
ſchließt. Da nämlich die Entfernung des Mondes von der Erde
60,16 Halbmeſſer der Erde beträgt, ſo müßte, wenn Newtons
Beſtimmung der Größe BM auch nur beinahe richtig geweſen
wäre, der Fall der Körper auf der Oberfläche der Erde während
einer Sekunde gleich dem Quadrate von 60,16 multiplicirt in dieſe
Zahl 0,00361, das heißt, er müßte nahe gleich 13,065 Fuß ſeyn.
Allein unſeren Beobachtungen zu Folge, beträgt dieſer Fall 15
Fuß, und dieſe Beſtimmung iſt, wie Newton ſehr wohl wußte, ſo
genau, daß ſie kaum ein Zehntheil eines Fußes, nicht aber bei-
nahe volle zwei Fuß von der Wahrheit abweichen konnte.
§. 35. (Folgen, die er aus dieſer Differenz ableitete.) Newton
hätte vielleicht aus dieſer Nichtübereinſtimmung ſeiner Rechnung
mit den Beobachtungen den Schluß ziehen können, daß irgend
eines der ſeinen Rechnungen zu Grunde gelegten Elemente, der
Halbmeſſer der Erde oder die Umlaufszeit oder die Entfernung
des Monds in Erdhalbmeſſern ausgedrückt, nicht ganz richtig
ſeyn, und daher noch einer Verbeſſerung bedürfen könne. Allein
unglücklicher Weiſe vertraute er dieſen von andern geborgten Re-
ſultaten zu ſehr, und ſetzte dafür das Mißtrauen, welches ſie ver-
dient hätten, bloß auf ſeine Schlüſſe oder vielmehr auf die Hy-
potheſe, die er ſeinen Schlüſſen zu Grunde legte, und von der
er ſich, wie er nun einzuſehen glaubte, zu viel verſprochen hatte.
[51]Allgemeine Schwere.
Es iſt alſo wohl ganz unrichtig, ſagte er zu ſich ſelbſt, was ich
anfangs für ſo wohl begründet hielt; es iſt unrichtig, daß die-
ſelbe Kraft, die den Stein zur Erde fallen macht, auch den Mond
um ſie bewegt, oder es iſt doch, wenn es auch ſo wäre, unrichtig,
daß dieſe Kraft ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung
verhält. Dieß brachte ihn auf die Idee, daß bei dieſen Erſchei-
nungen der Natur wohl noch ganz andere Kräfte mit im Spiele
ſeyn könnten, und er ließ ſich ſogar, wie er ſpäter ſeinen Freunden
ſelbſt geſtand, zu der Meinung verleiten, daß die Wirbeltheorie
ſeines Vorgängers Descartes, die er doch früher ſelbſt als ganz
unſtatthaft verworfen hatte, und die doch ſo gar nichts an ſich
hatte, was einen Mann von ſeinem Geiſte länger feſthalten konnte,
doch nicht ſo ganz verworfen werden ſollte. Da aber dieſe wun-
derlichen Wirbel der Art waren, daß ſie ſich keiner eigentlichen
Berechnung, die doch hier allein entſcheiden konnte, unterwerfen
ließen, ſo brach Newton alle weitere Unterſuchungen über dieſen
Gegenſtand gänzlich ab, und erklärte ſeine frühere Idee für einen
von den vielen mißlungenen Verſuchen, die das Forſchen nach
Wahrheit auch bei Männern ſeiner Art ſo oft zu hindern und
aufzuhalten pflegen, ſo daß er dieſe ſeine Beſchäftigung mit un-
nützen Spekulationen, denn als ſolche erſchienen ſie ihm, mehrere
Jahre durch ſelbſt vor ſeinen näheren Freunden verheimlichte.
§. 36. (Weitere Verſuche Newtons, ſeine Abſichten zu er-
reichen.) Wäre die Sache in dieſem Zuſtande geblieben, ſo würde
vielleicht bis heute noch unſere ganze Aſtronomie auf der Stufe, auf
welche ſie Kepler erhoben hatte, das heißt im Grunde doch nur
auf der Stufe ihrer Kindheit, ſtehen geblieben ſeyn.
In der That war wenig Hoffnung zu einer Verbeſſerung
dieſes Zuſtandes der Wiſſenſchaft, denn als Newton, am Ende
der Krankheit, welche die Umgegenden Cambridg’s verheerte, nach
dieſer Stadt zurück kehrte, überließ er ſich ganz wieder ſeinen
optiſchen Unterſuchungen, die ihn ſchon früher zu ſo ſchönen
Entdeckungen geführt hatten. Volle zwölf Jahre kam er nicht
mehr auf jenen Gegenſtand zurück, den er, wie es ſchien,
für immer aufgegeben hatte. Im Jahre 1678 erhielt er von der
Londoner Academie den Auftrag, ſeine Anſicht über ein Werk der
4 *
[52]Allgemeine Schwere.
phyſiſchen Aſtronomie mitzutheilen, das damals einiges Aufſehen
gemacht hatte, und das jetzt ganz vergeſſen iſt. Er kam dieſem
Wunſche in einem Briefe an Hooke, Secretär dieſer Societät,
nach, in welchem er auch gelegentlich von einer ihm erſt kürzlich
beigefallenen Idee ſprach, die Rotation der Erde durch unmit-
telbare Beobachtungen zu beweiſen. Zu dieſem Zwecke ſchlug er
das nun allgemein bekannte Experiment mit von hohen Thürmen
fallenden Körpern vor (Vergl. I. §. 20) und behauptete, daß
dieſe Körper, wegen der Rotation der Erde, öſtlich von dem
Thurme zu Boden fallen müſſen, weil ſie vor ihrem Falle die
Geſchwindigkeit der Spitze des Thurms haben, die größer iſt, als
die des Fußpunktes deſſelben. Die Academie ſetzte einen großen
Werth auf dieſen Vorſchlag, und trug Hooke, der als ein genauer
Beobachter bekannt war, die Ausführung deſſelben auf. Als
dieſer anfing, ſich mit dem Gegenſtande zu beſchäftigen, bemerkte
er, daß der Körper nicht bloß öſtlich, ſondern auch, in der nörd-
lichen Hemiſphäre, etwas ſüdlich von dem Fuße des Thurmes
zur Erde kommen müſſe. In der That hat man auch in den
ſpäteren Zeiten durch genauere Rechnungen dieſes Reſultat voll-
kommen beſtätiget gefunden. Das höchſte Gebäude, welches bis-
her durch Menſchenhände errichtet worden iſt, die große Pyramide
zu Cairo, von 450 Fuß Höhe, würde nach Laplace’s und Gauß
theoretiſchen Unterſuchungen dieſes Gegenſtandes, die öſtliche Aus-
weichung der von ihrer Spitze fallenden Körper 12,36 Linien,
und die ſüdliche 0,002 Linien geben. Obſchon die letzte ſo gering
iſt, daß ſie durch Beobachtungen nicht mehr beſtimmt werden
kann, ſo iſt ſie demungeachtet nicht weniger, als jene, in der
Theorie begründet, und Newton erkannte auch ſofort die Richtig-
keit der Bemerkung. In ſeiner Antwort an Hooke ſetzte er hinzu,
daß er dieſe Sache ſeitdem noch näher unterſucht, und gefunden
habe, daß der Weg des fallenden Körpers bei der rotirenden Erde
eine Art von Spirale ſeyn müſſe.
Allein auch dieſe Bemerkung wollte Hooke nicht gelten laſſen.
Er ſchrieb nämlich nach einiger Zeit an Newton zurück, daß nach
ſeinen über dieſen Gegenſtand angeſtellten Unterſuchungen die
krumme Linie, in welcher der Körper bei einer rotirenden Erde
fällt, eine Ellipſe ſey, wenn anders die Kraft der Erde ſich wie
[53]Allgemeine Schwere.
verkehrt das Quadrat der Entfernung verhalte, und die Bewegung
des Körpers im freien Raume vor ſich gehe.
Man findet nicht, daß Newton auf dieſe zweite Verbeſſerung
Hooke’s geantwortet habe. Aber er erkannte ohne Zweifel die Rich-
tigkeit derſelben. Sie gab ihm ſogar, wie er ſelbſt in einem
ſpätern Briefe an Halley, vom 27. Julius 1686 geſteht, Veran-
laſſung, der Sache weiter nachzuforſchen, und dadurch ein ſehr
wichtiges Theorem zu entdecken, welches eigentlich nur eine Er-
weiterung des von Hooke gefundenen Satzes war. Er fand nämlich,
daß, wenn ein durch eine Centralkraft getriebener Körper in einer
Ellipſe einhergeht, und wenn dieſe Kraft in einem der Brennpunkte
der Ellipſe ihren Sitz hat, daß dann dieſe Kraft ſich verkehrt wie das
Quadrat der Entfernung des Körpers von dieſem Brennpunkte ver-
hält. Da nun ſchon lange vorher durch Kepler ausgemacht war,
daß die Planeten Ellipſen beſchreiben, in deren einem Brennpunkte
die Sonne ruht, ſo war auch dadurch das Geſetz der Attraction
der Sonne gefunden. Allein dieſe Entdeckung gehört einer ſpä-
teren Epoche an, wenigſtens machte ſie Newton erſt fünf Jahre
nachher, im Jahre 1683, der königl. Academie in London, und erſt
1687 öffentlich bekannt. Als er jenen Brief Hooke’s erhielt,
wagte er es noch nicht, dieſe vielleicht nur geahnte, aber nicht
bewieſene Entdeckung als das eigentliche Geſetz der Natur anzu-
erkennen. Das Mißlingen ſeines erſten Verſuchs, den er vor
dreizehn Jahren angeſtellt hatte, um die Bewegung des Mondes
mit jener der fallenden Körper in Uebereinſtimmung zu bringen,
machte ihn ſchüchtern, und verbreitete Zweifel und Ungewißheit
über alle ſeine Spekulationen dieſer Art, ſo wie es ihn auch ab-
hielt, die Reſultate ſeiner bisherigen Unterſuchungen bekannt zu
machen, bevor er ſie nicht von allen Seiten geprüft, und die
Wahrheit derſelben durch Rechnung über allen Zweifel erhoben
hatte. Dieſe vielleicht zu weit getriebene Vorſicht verwickelte ihn
hier, ſo wie beinahe in allen ſeinen anderen großen Entdeckungen,
in ſpätere und oft ſehr unangenehme Streitigkeiten mit den Ri-
valen ſeines Ruhmes. Wenn aber auch dieſe vielleicht nur
ſcheinbare Aengſtlichkeit aus der Individualität des ſeltenen Man-
nes hervorging, ſo kann ſie doch zugleich als ein Beweis der
höheren Kraft und der tieferen Erkenntniß deſſelben angeſehen
[54]Allgemeine Schwere.
werden, die ſelbſt da noch Mängel und Hinderniſſe erblickt, wo
der gewöhnliche gute, aber leichte Kopf nichts mehr ſieht, und
kühn den Sprung wagt, der ihn zum Ziele führen ſoll. Wenn
er aber auch die Richtigkeit dieſes Satzes ſchon früher eingeſehen
haben ſollte, ſo wußte er doch gewiß damals noch nicht auch den
umgekehrten Satz zu beweiſen, daß nämlich, wenn die Kraft der
Sonne ſich wie verkehrt das Quadrat der Geſchwindigkeit verhält,
dann auch die Bahnen der Planeten Ellipſen oder überhaupt
krumme Linien der zweiten Ordnung (I. Kap. IX.) ſeyn müſſen.
Zu jenen gehörte nur Differentialrechnung, zu dieſen aber war
der Integralcalcul nothwendig, der damals noch kaum geboren
war. Dieſem gemäß blieb es alſo noch immer zweifelhaft, ob
nicht auch andere der Sonne inwohnende Kräfte ebenfalls ſolche
elliptiſche Bahnen erzeugen können, wie denn dieß auch in der
That der Fall iſt, da z. B. wenn die Kraft der Sonne ſich wie
die Entfernung ſelbſt verhält, alſo mit ihr im gleichen Verhält-
niſſe zu- und abnimmt, dieſe Bahnen ebenfalls Ellipſen ſind, nur
mit dem Unterſchiede, daß dann die Sonne nicht in einem der
Brennpunkte, ſondern in dem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte
dieſer Ellipſen ihren Sitz hat. Endlich, wenn man auch zugeben
wollte, daß die Sache auf theoretiſchem Wege richtig und voll-
ſtändig erwieſen ſey, ſo handelte es ſich hier nicht ſowohl um ein
wiſſenſchaftliches Theorem, um einen Satz der Schule, ſondern
um eine, und zwar um eine ſehr große und weit verbreitete, Er-
ſcheinung der Natur. Dieſe letzte aber wird nicht durch
Spekulationen, ſondern durch Beobachtungen befragt, und ſo ſinn-
reich und kunſtvoll auch unſere Erklärung ihrer Phänomene ſeyn mag,
ſo iſt doch der eigentliche Prüfſtein der Wahrheit dieſer Hypotheſen
immer nur die Uebereinſtimmung derſelben mit dieſen Beobach-
tungen, und an dieſem letzten und beſten Beweiſe mußte es ihm
ſo lange fehlen, als er jenen erſten Verſuch mit dem Monde und
dem fallenden Steine nicht zu den gelungenen zählen durfte.
§. 37. (Endliche Entdeckung ſeines Irrthums.) Er ließ alſo
alle weiteren Unterſuchungen dieſes Gegenſtandes zum zweiten Male
fallen, da er ſie nur als leere, von den Beobachtungen nicht un-
terſtützte Spekulationen betrachtete, und er würde ſie vielleicht nie
mehr aufgenommen haben, wenn er nicht volle ſechszehn Jahre
[55]Allgemeine Schwere.
nach jenem erſten Verſuche, zufällig wieder darauf zurückgeführt
worden wäre.
Es war im Junius des Jahres 1682, als er in dem Hauſe
der Academie zu London, unter den früher Angekommenen, auf
die für dieſen Tag angeſagte Verſammlung wartete. Man ſprach
hier unter andern auch von einer neuen Gradmeſſung, die kurz
zuvor ein gewiſſer, damals noch wenig bekannter Picard in Frank-
reich ausgeführt hätte, und eines der Mitglieder zeigte ein von
ihm erhaltenes Schreiben vor, in welchem die Reſultate dieſer
Vermeſſung enthalten waren. Newton nahm eine Abſchrift dieſer
Zahlen, und hörte dann den nun folgenden Vorträgen der Aca-
demie mit ungetheilter Aufmerkſamkeit zu. Nach geendeter Sitzung
wieder in ſeiner Wohnung angekommen, ſuchte er ſeine alten Rech-
nungen von dem Jahre 1666 hervor, um ſie mit den Zahlen
jenes Briefes zu vergleichen. Er bemerkte bald im Verfolge
ſeiner Rechnungen, daß er ſich der ſo lange gewünſchten Erfül-
lung ſeines Wunſches nähere; mit jeder Zeile wurde es ihm ge-
wiſſer, daß er an dem Vorabende einer großen Entdeckung ſtehe
— aber jetzt wurde er auch von einem ſo heftigen Beben ſeiner
Nerven ergriffen, daß er die angefangene Rechnung nicht vollenden
konnte. In dieſem Zuſtande vertraute er ſich einem ſeiner herein-
tretenden Freunde, der den Griffel wieder aufnahm, und die
Rechnung zu Ende brachte.
Wir haben bereits oben gezeigt, wie Picards Meſſungen in
der That ſehr gut mit Newtons Vorausſetzung übereinſtimmten,
und wie eben dadurch der ſo lange geſuchte Beweis der Rich-
tigkeit derſelben endlich gefunden wurde. — Es möchte ſchwer ſeyn,
den Eindruck zu ſchildern, den dieſes Reſultat auf einen ſol-
chen Geiſt hervorbringen mußte. Mit eins öffnete ſich nun das
ganze Weltall vor ſeinem Blicke: die Sonne mit ihren Planeten
und Kometen, dieſe Planeten ſelbſt mit ihren Satelliten, kurz das
ganze, dem menſchlichen Auge bisher verſchleierte Sonnenſyſtem
ſtand nun in ſeiner innern, wundervollen Einrichtung, und in
dem alle ſeine Bewegungen regulirenden Geſetze, klar und deut-
lich vor ſeinen Augen.
§. 38. (Nächſte Folge dieſer Entdeckung.) Nachdem ſich nun
Newton von der Wahrheit ſeiner erſten Anſicht überzeugt, nachdem
[56]Allgemeine Schwere.
er das große Geſetz der Natur, daß nämlich alle Körper ſich wie
verkehrt das Quadrat ihrer Entfernungen anziehen, gefunden, und
durch die Erſcheinungen der Natur ſelbſt nachgewieſen hatte, ging
er mit neuer Kraft an alle die früheren Verſuche, die er über
dieſen wichtigen Gegenſtand von Zeit zu Zeit angeſtellt hatte.
Er ſuchte ſie unter einander zu verbinden, und aus ihnen die
Erklärungen aller übrigen Phänomene des Himmels abzuleiten.
Er ſah bald, daß ſich aus der Anwendung des von ihm entdeckten
Geſetzes nicht nur die elliptiſche Bewegung der Himmelskörper,
ſondern auch noch eine große Anzahl von andern Erſcheinungen
derſelben, von welchen man bisher keinen Grund angeben konnte,
würden ableiten laſſen. Allein dieſe Ableitung, dieſe weitere Ent-
wicklung jenes oberſten Naturgeſetzes erforderte einen noch viel
höheren Aufwand von geiſtiger Kraft, als ſelbſt jene Entdeckung,
und ſie iſt es eigentlich, wodurch er ſeine wahre Größe beur-
kundet hat.
Vier Jahre beſchäftigte er ſich unabläſſig mit dieſen wichti-
gen und ſchwierigen Entwickelungen, deren Reſultate er endlich im
Jahre 1686, alſo erſt zwanzig Jahre nach ſeiner erſten Idee, in
ſeinem unſterblichen Werke: Principia philosophiae naturalis
mathematica, bekannt machte.
§. 39. (Kurze Inhaltsanzeige der Principien.) Dieſes größte
Werk von allen, die der menſchliche Geiſt hervorgebracht hat,
handelt zuerſt von den krummen Linien, welche die Körper be-
ſchreiben, wenn ſie von gegebenen Kräften getrieben werden.
Unter dieſen Problemen wird der Fall der Natur, wo die Central-
kraft ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung verhält, mit
der ihm gebührenden Umſtändlichkeit beſonders betrachtet. Ferner
wird gezeigt, daß bei dieſem Naturgeſetze die Anziehung der Ku-
geln auf äußere Punkte ſich ſo verhalte, als wäre ihre anziehende
Kraft, die doch jedem Elemente ihrer Maſſe zukommen muß, in
dem Mittelpunkte dieſer Kugeln vereiniget. Dadurch wird es
erlaubt, die himmliſchen Körper, ſo groß ſie auch an ſich ſeyn
mögen, in der Rechnung nur als Punkte zu betrachten, und ſich
daher die dabei vorkommenden, ſonſt unüberſteiglichen Schwierig-
keiten ungemein abzukürzen. Da jene anziehende Kraft nicht nur
der Sonne, ſondern überhaupt allen Körpern zukömmt, ſo werden
[57]Allgemeine Schwere.
nicht bloß die Planeten von der Sonne, ſondern ſie werden auch
von einander ſelbſt angezogen, und daher kommt es, daß die
Ellipſen, welche jeder Planet, wenn er allein da wäre, um die
Sonne beſchreiben würde, durch die Attraction der anderen Pla-
neten oft ſehr merklich geſtört, und in eine andere ſehr ver-
wickelte krumme Linie verwandelt wird. Glücklicher Weiſe ſind
dieſe Planeten alle ſo klein gegen die Sonne, und überdieß durch
ſo große Zwiſchenräume von einander getrennt, daß dieſe Stö-
rungen nur gering ſind, und daß man ſich ohne merklichen Fehler
erlauben kann, die Störungen jedes Planeten durch jeden andern,
einzeln betrachtet, zu unterſuchen. Wäre dieß nicht der Fall, ſo
würde man alle dieſe Störungen, welche jeder Planet von allen
andern zugleich erleidet, berechnen müſſen, und dann würden die
Schwierigkeiten ſo groß ſeyn, daß ſie die Kräfte unſerer gegen-
wärtigen, und wahrſcheinlich auch die aller künftigen Analyſe, weit
überſteigen würde. Bei dieſer Einrichtung unſeres Sonnenſyſtems
aber reicht vollkommen zur Theorie der Bewegung eines Planeten
hin, wenn man zuerſt die reinen elliptiſchen Elemente (I. Band
Kap. X.) deſſelben ſucht, und dann die Störungen auffindet,
welche derſelbe durch jeden andern Planeten, einzeln betrachtet,
erleidet. Auf dieſe Weiſe iſt die Unterſuchung auf das ſoge-
nannte Problem der drei Körper zurückgebracht, d. h. auf
die Beſtimmung der Bewegung eines Planeten, der von der Sonne
angezogen, und von einem anderen, gegen die Sonne viel ſchwä-
cheren Planeten, in ſeiner Bewegung etwas geſtört wird. Auch
in dieſer Beſchränkung bleibt dieſe Aufgabe noch immer eine der
ſchwierigſten der ganzen Aſtronomie. Newton hat ſie nicht er-
ſchöpft, wie ſie denn auch in unſern Tagen noch immer nicht als
vollendet betrachtet werden kann, ſo weit man auch in derſelben
bereits vorgerückt iſt. Aber er hat, wie beinahe in allen großen
Fragen dieſer Wiſſenſchaft, die ſeit ihm die erſten Geometer
beſchäftigte, er hat die Grundzüge, die erſten und ſchwerſten
Schritte zur Auflöſung derſelben angegeben.
Die weitere Entwickelung deſſelben Naturgeſetzes gab ihm
auch Mittel an die Hand, die Maſſen der Sonne und der Pla-
neten, die Dichtigkeiten derſelben, und die Größen zu beſtimmen,
durch welche auf der Oberfläche derſelben die Körper in der erſten
[58]Allgemeine Schwere.
Sekunde fallen, und ſo Fragen zu beantworten, welche die Alten
ſich, vernünftiger Weiſe, nicht einmal aufgeben konnten. So fand
er z. B., daß die Maſſe der Sonne 355000mal größer, als die
der Erde iſt, daß die Dichte der Sonne nur der vierte Theil
der Dichte der Erdmaſſe iſt, daß die Körper auf der Ober-
fläche der Sonne in einer Sekunde durch 430, auf der Oberfläche
Jupiters aber durch 39 Fuß fallen u. ſ. w.
Die große Abplattung Jupiters, die kurz zuvor Caſſini ent-
deckt hatte, brachte Newton auf die Unterſuchung der Urſache
derſelben, und dadurch auf die Beſtimmung der wahren Geſtalt
der Erde, die auch, wenn gleich viel weniger als jener Planet, an
ihren Polen abgeplattet iſt. Er fand, daß die aus der Rotation der
Erde entſtehende Centrifugalkraft an dem Aequator den 289ſten
Theil der Schwere beträgt, daß der Halbmeſſer des Aequators ſich
zu der halben Rotationsaxe der Erde wie 230 zu 229 verhält, und
daß die Geſtalt der Erde die eines Körpers iſt, der durch die
Rotation einer Ellipſe um ſeine kleine Axe entſteht.
Newton zeigte ferner, daß die wunderbaren Erſcheinungen der
Ebbe und Fluth des Meeres eine bloße Wirkung der Attraction
des Mondes, verbunden mit jener der Sonne ſind, und lehrte
die Größe und Zeit derſelben beſtimmen. Er erklärte die größeren
Ungleichheiten der Mondbewegungen, vorzüglich die Evection,
Variation und die jährliche Gleichung (I. §. 173) aus dem von
ihm entdeckten Naturgeſetze, und zeigte, daß ſie eben ſo eine bloße
Folge dieſes Geſetzes ſind, wie die ſchnelle Bewegung der Knoten
und der Abſiden (I. §. 170) dieſes Satelliten. Selbſt die Prä-
ceſſion der Nachtgleichen (I. §. 190) ſtellt er, den Beobachtungen
gemäß, aus dieſem Geſetze, d. h. aus der Anziehung der Sonne
und des Mondes auf die an ihren Polen abgeplattete Erde dar.
Die Kometen betrachtete er als Himmelskörper, die in eben ſo
regelmäßigen Bahnen, wie die Planeten, um die Sonne gehen,
und er lehrte uns, die Elemente dieſer Bahnen aus den Beobach-
tungen zu berechnen, wovon er ſelbſt ein Beiſpiel für den merk-
würdigen Kometen d. J. 1680 gegeben hatte. Ueberdieß findet
man noch in demſelben Werke zum erſten Male die vorzüglichſten
Lehren unſerer Hydroſtatik und Hydrodynamik oder die Theorie
des Gleichgewichts und der Bewegung der Flüſſigkeiten; tiefe und
[59]Allgemeine Schwere.
ſchwierige Unterſuchungen über die Bewegungen feſter Körper in
flüſſigen und luftförmigen Mitteln, über den Widerſtand, welche
ſie von dieſen Mitteln erleiden, über die Geſtalt der Körper, bei
welchen dieſer Widerſtand am kleinſten iſt; über die Bewegung
der Pendeln und der geworfenen Körper in widerſtehenden Mit-
teln, über die Fortpflanzung des Schalls in der Luft, über die
Bewegung des Waſſers in Röhren und Kanälen, über die Wir-
kungen des Lichts auf die Elemente der Körper u. ſ. w.
Dieß iſt eine kurze Ueberſicht des Inhalts jenes unſterblichen
Werkes. Die Größe des Gegenſtandes, den er behandelt, die
edle Einfachheit des darin aufgeſtellten Syſtems, der Scharfſinn,
mit welchem dieſe ſchweren Unterſuchungen durchgeführt werden,
und die Sicherheit, auf Rechnung gegründete Sicherheit der
darin aufgeſtellten Reſultate, verleihen den Principien einen für
alle noch kommende Jahrhunderte dauernden Namen.
§. 40. (Erſte Aufnahme dieſes Werkes.) Dieſer großen Vor-
züge ungeachtet, fanden die Principien durch mehr als fünfzig
Jahre nicht die allgemeine, günſtige Aufnahme, die ſie in ſo hohem
Grade verdienten; ſie mußten vielmehr lange mit allen den Schwie-
rigkeiten kämpfen, die ſich der Einführung jeder neuen Wahrheit
entgegen zu ſetzen pflegen. Die Irrthümer und Vorurtheile ver-
gangener Jahrhunderte hatten ſich ſelbſt der beſſern Köpfe be-
mächtigt, und dieſe waren es vorzüglich, denn die andern ver-
ſtanden es nicht, welche ſich der Aufnahme deſſelben entgegen
ſetzten. Die ſonderbare, von Descartes aufgeſtellte Philoſophie,
die alle Erſcheinungen der Natur durch Wirbel erklären wollte,
hatte ihren Scepter über ganz Europa verbreitet, und Alle eilten,
ſich für ein Syſtem zu erklären, das mehr für die Imagination,
als für den Verſtand gemacht war, und das die Meiſten deſto
leichter zu verſtehen glaubten, je weniger ſie es in der That ver-
ſtanden, oder je weniger ſie ſich von dem Grunde dieſes Glaubens
eine genügende Rechenſchaft geben konnten. Newtons Theorie
im Gegentheile war ganz und allein für den Verſtand berechnet,
und der Vortrag deſſelben war ſo kurz und dunkel, und erforderte
von dem Leſer ſo viele Vorkenntniſſe und Faſſungskraft, daß von
allen ſeinen Zeitgenoſſen kaum zwei oder drei gefunden werden
konnten, von denen man ſagen durfte, ſie ſeyen im Stande ge-
[60]Allgemeine Schwere.
weſen, das Werk vollkommen zu verſtehen. Er wählte in dieſem
Buche den ſynthetiſchen Vortrag der alten griechiſchen Geometer,
für welchen er ſein ganzes Leben durch eine beſondere Achtung
gehegt hatte. Allein es ſcheint, daß er die von ihm gemachten
Entdeckungen nicht auf dieſem, an ſich ſehr ſchwierigen, ſondern
daß er ſie auf dem viel leichteren Wege der mathematiſchen Ana-
lyſe gemacht, und dann nur wieder in die Sprache jener Syntheſe
übertragen habe. Man muß es bedauern, daß er dieſen Weg
gewählt, daß er bei der Auseinanderſetzung ſeiner Entdeckungen
nicht die Mittel angegeben hat, welche ihn dazu führten, und daß
er die Beweiſe mehrerer ſeiner Theoreme gänzlich unterdrückte,
weil er, wie es ſcheint, das Vergnügen, ſich mühſam errathen zu
laſſen, dem Zwecke, ſeine Leſer aufzuklären, vorgezogen hat. Die
Kenntniß der Methode, die das Talent zu ſeinen Entdeckungen
führt, iſt oft nicht weniger intereſſant und lehrreich zugleich, als
dieſe Entdeckungen ſelbſt.
§. 41. (Einfachere Ableitung dieſes allgemeinen Geſetzes.) Da
dieſes Geſetz die Grundlage der ganzen neueren Aſtronomie, und
ſonach von der größten Wichtigkeit iſt, ſo wird es nicht unange-
meſſen ſcheinen, die Wahrheit deſſelben noch auf einem anderen
Wege zu zeigen.
Newton wollte ſeine Idee von dieſem Geſetze, oder vielmehr
er wollte die Richtigkeit dieſer Idee durch irgend eine allgemeine
Erſcheinung in der Natur, durch eine eigentliche Beobachtung
nachweiſen, und er wählte dazu die Bewegung des Mondes, in-
dem er durch Rechnung zeigte, daß dieſer Himmelskörper, wenn
er bis zur Oberfläche unſerer Erde gebracht werden könnte, in der
erſten Sekunde eben ſo tief fallen würde, als hier, den Beobach-
tungen gemäß, jeder Stein während derſelben Zeit fällt, und daß
daher die Kraft, welche den Stein fallen macht, dieſelbe ſeyn
muß, welche den Mond in ſeiner Bahn um die Erde bewegt.
Zu dieſem Zwecke mußte er nicht nur die Bewegung des Mondes,
ſondern auch die Größe der Erde genau kennen, und da ihm die
letzte Kenntniß fehlte, ſo wurde er, wie man geſehen hat, ſo
lange in der Erfüllung ſeiner Wünſche aufgehalten. Auch
blieb, ſelbſt nachdem er endlich dieſe Entdeckung gemacht hatte,
immer noch die Frage übrig, ob daſſelbe, was er ſo eben für die
[61]Allgemeine Schwere.
Erde und den Mond gefunden hatte, auch für die Sonne, für die
Planeten und überhaupt für alle Körper unſeres Sonnenſyſtems
gelten könne, und dieſe letzte Frage war es auch eigentlich, die,
als die bei weitem allgemeinere und wichtigere, hier vorzüglich
beantwortet werden ſollte. Newton ſchloß ſie aus Induction,
indem er das, was er für die Erde in Beziehung auf den Mond
gefunden hatte, auch ſofort, der Analogie gemäß, auf die Sonne
in Beziehung auf die Planeten übertrug. Zwar ließ es der große
Mann ſpäter nicht an Beweiſen fehlen, daß ſeine Induction
richtig iſt, und eigentlich kann jedes Blatt ſeiner Principien als
ein ſolcher Beweis dienen, ſo daß in dieſer Rückſicht allerdings
nichts mehr zu wünſchen übrig iſt.
Indeß darf man doch geſtehen, daß er ſchneller zu ſeinem
Ziele, zur gewünſchten Ueberzeugung gekommen, und daß er in
ſeiner Entdeckung nicht ſo lange aufgehalten worden wäre, wenn er,
um die Wahrheit ſeiner Schlüſſe in der Natur ſelbſt nachzuweiſen,
nicht den Mond, ſondern die Planeten ſelbſt zum Gegenſtande
ſeiner Prüfung gewählt hätte. Dadurch würde er zugleich die
Auflöſung jenes allgemeinen Problemes, das er eigentlich ſuchte,
gefunden haben, von welchem das vorhergehende mit dem Monde,
nur als ein Beiſpiel, als ein bloßer beſonderer Fall erſcheint.
In der That war die Bewegung der Planeten um die Sonne
zu Newtons Zeiten nicht nur ſchon ſehr genau bekannt, ſondern
Kepler hatte bereits ein Jahrhundert vorher das Geſetz angegeben,
nach welchem dieſe Bewegungen vor ſich gehen. Er hatte näm-
lich (Vergl. I. §. 146) gefunden, daß die Quadrate der Umlaufs-
zeiten dieſer Himmelskörper ſich wie die Würfel der Halbmeſſer
ihrer Bahnen verhalten. Schon Kepler hatte gezeigt, daß dieſes,
nach ihm benannte Geſetz, beſonders bei den vier Jupitersſatelliten,
ſehr gut mit den Beobachtungen übereinſtimme, und daß man
daher an der Wahrheit deſſelben nicht weiter zweifeln kann.
Dieſem gemäß hätte Newton, um die Richtigkeit ſeiner
Schlüſſe oder ſeiner Entdeckung darzuthun, nur zeigen dürfen.
daß dieſelbe unmittelbar auf das von Kepler entdeckte Geſetz
führe, ſo daß jedes dieſer beiden Geſetze nur gleichſam als ein
anderer Ausdruck deſſelben Satzes betrachtet werden könne.
[62]Allgemeine Schwere.
In der That, Newton nahm an, daß die Kraft jedes Cen-
tralkörpers auf die ſich um ihn bewegenden Körper, daß alſo
z. B. die Kraft der Sonne, mit welcher ſie die Planeten um ſich
bewegt, ſich verkehrt wie das Quadrat der Entfernung verhalte,
oder mit andern Worten: daß dieſe Kraft der Sonne gleich ſey
der Einheit, dividirt durch den Halbmeſſer der kreisförmigen
Planetenbahn. Seine geometriſche Betrachtung dieſes Gegen-
ſtandes zeigte ihm, daß dieſe Kraft ſich wie die Linie BM, d. h. wie
dieſer Halbmeſſer multiplicirt in das Quadrat des Bogens AM,
verhalte, welchen der Planet während einer Sekunde beſchreibt.
Wenn man aber dieſe beiden Ausdrücke der Attractionskraft der
Sonne einander gleich ſetzt, ſo findet man ſofort, daß in unſerem
Sonnenſyſteme der Würfel des Halbmeſſers jeder Planetenbahn
ſich verkehrt wie das Quadrat dieſes von dem Planeten beſchrie-
benen Bogens verhält. Allein dieſe Bogen verhalten ſich, bei
verſchiedenen Planeten, verkehrt wie die Umlaufszeiten derſelben,
alſo müſſen ſich auch die Würfel der Halbmeſſer dieſer Bahnen,
wie die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten verhalten,
worin eben das dritte Kepler’ſche Geſetz beſteht, das daher nur
als eine unmittelbare Folge des von Newton entdeckten Geſetzes
zu betrachten iſt. Durch dieſe einfache Reihe von Schlüſſen war
demnach die Wahrheit des Geſetzes der allgemeinen Schwere für
alle Körper unſeres Sonnenſyſtems als erwieſen anzunehmen, da
für ſie das dritte Kepler’ſche Geſetz bereits ein Jahrhundert früh[e]r
bewieſen worden iſt.
Ja ſelbſt ohne die hier zu Hülfe gerufene geometriſche Be-
trachtung läßt ſich das Geſetz der allgemeinen Schwere auf eine
ſehr einfache Weiſe aus der Theorie der kreisförmig bewegten
Körper nachweiſen. Schon Huygens hatte in den oben erwähnten
Propoſitionen gezeigt, daß bei jedem in der Peripherie eines
Kreiſes einhergehenden Körper die Centrifugalkraft wie der
Halbmeſſer des Kreiſes, und verkehrt wie das Quadrat der Um-
laufszeit des Körpers ſich verhalte. Dieſe Centrifugalkraft iſt
ſenkrecht auf die Peripherie des Kreiſes, liegt daher in dem Halb-
meſſer der Bahn und iſt zum Mittelpunkte dieſer Bahn, iſt zur
Sonne gerichtet, und kann daher bei den Planeten für dieſe Kraft
der Sonne ſelbſt angeſehen werden. Allein nach dem erwähnten
[63]Allgemeine Schwere.
Geſetze Keplers verhalten ſich die Quadrate der Umlaufszeiten
wie die Würfel der Halbmeſſer ihrer Bahnen. Verbindet man
daher beide Sätze mit einander, ſo folgt ſofort, daß ſich bei den
in Kreiſen bewegten Planeten die Centrifugalkraft, d. h. die
Attractionskraft der Sonne, wie verkehrt das Quadrat der Halb-
meſſer ihrer Bahnen verhalte, worin eben das von Newton ent-
deckte Geſetz beſteht.
[[64]]
KapitelVI.
Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
§. 42. (Abwägung der Weltkörper.) Wir haben in dem vor-
hergehenden Kapitel das Geſetz der allgemeinen Schwere in ſeinem
einfachſten Ausdrucke betrachtet, und bereits dort die Bemerkung
aufgeſtellt, daß beinahe unſere ganze neuere Aſtronomie nur eine
weitere Entwicklung dieſes Geſetzes iſt. In der That, wie jede
neue, ſelbſt die geringfügigſten Dinge betreffende Wahrheit nur
ſelten allein ſteht, ſondern immer eine Reihe von andern oft noch
wichtigern Wahrheiten in ihrem Gefolge nach ſich zieht, ſo mußte
daſſelbe in einem noch viel höheren Grade von dieſer Entdeckung
erwartet werden, die ihrer Natur nach ſich über das ganze Son-
nenſyſtem, über den ganzen uns bekannten Theil des Himmels
verbreitet. Nachdem dieſes große Geſetz einmal bekannt geworden
war, ſah man aus ihm, wie aus einer reichen Quelle, eine grofe
Menge anderer Entdeckungen entſpringen, wichtiger und ſelbſt
wunderbarer Entdeckungen, deren Daſeyn die Alten nicht einmal
ahnden konnten, da ihnen alle Wege, die zu denſelben führten,
feſt verſchloſſen bleiben mußten, ſo lange ihnen jenes Geſetz ſelbſt,
deſſen unmittelbare Folge ſie ſind, unbekannt war.
Wenn die mit der Aſtronomie Unbekannten hören, daß man
in dieſer Wiſſenſchaft die Größe und Entfernung der Sonne und
des Monds, zu denen doch Niemand von uns gelangen kann,
[65]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
mit einer Genauigkeit *) anzugeben vermag, wie ſie dieß von der
Größe ihrer Berge, und von den Entfernungen ihrer Städte auf
der Erde nicht im Stande ſind, ſo bemächtiget ſich ihrer eine
Art von Ungläubigkeit, die nur zu oft die Neigung verrathet, die
Verſicherungen der Aſtronomen für eine prahlende Großſprecherey
zu halten, und welche gewöhnlich nur durch andere Erzählungen,
deren Wahrheit ſie nicht läugnen können, wenn ſie ſie gleich eben
ſo wenig begreifen, von ihren Ausbrüchen zurück gehalten wird;
ſo ſehen ſie in jedem Kalender die künftigen Finſterniſſe mit einer
Genauigkeit angegeben, die ſie eben ſo ungläubig belächeln wür-
den, wenn ſie nicht bereits ſo oft durch eigene Erfahrung die
Wahrheit dieſer Angaben beſtätiget gefunden hätten.
Aber welche ganz andere Gefühle werden ſich in ihnen regen,
wenn ſie nun hören, daß die Aſtronomen ſich ſogar unterfangen
haben, den Mond und die Sonne und alle Planeten auf einer
Wage abzuwägen, und nicht nur die Gewichte derſelben, ſondern
auch die größere oder kleinere Dichtigkeit des Stoffes zu beſtim-
men, aus dem jeder dieſer Himmelskörper gewebt iſt. Wenn ſie
hören, daß man, wenn die Sonne in einer Schaale dieſer Wage
liegt, in der anderen 338980 ſolcher Kugeln, wie unſere Erde iſt,
legen müſſe, um die Wage im Gleichgewichte zu erhalten; daß
dieſe Sonne groß genug iſt, um aus ihr eine und eine halbe Mil-
lion ſolcher Kugeln, wie unſere Erde iſt, formen zu können; daß
der ganze Sonnenkörper nur die Dichtigkeit unſeres Bernſteins,
Benus die des Glaſes, Saturn die des Cedernholzes habe; daß
die Steine, die auf der Oberfläche unſerer Erde in der erſten
Sekunde durch 15 Fuß fallen, auf dem Mars nur durch 6 Fuß,
auf der Sonne aber durch 430 Fuß fallen u. ſ. w., wenn ſie ſo
excentriſche, für ſie wenigſtens ſo ganz unglaubliche Behauptungen
hören, wer mag es ihnen verargen, daß ſie die vermeinten
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 5
[66]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Großſprecher entweder gar nicht, oder doch nur in der Abſicht
anhören, zu erfahren, wie geſchickt ſich der Sophiſt aus der ſich
ſelbſt gelegten Schlinge ziehen und wie fein er es anfangen werde,
ſeinen gläubigen Zuhörern Staub in die Augen zu ſtreuen, um
ſie am Ende ſeiner Produktion, von einem Galimathias hochtra-
bender und nichtsſagender Worte betäubt, unverrichteter Dinge
wieder nach Hauſe zu ſchicken.
Und doch ſind eben dieſe Fragen, deren Beantwortung auf
den erſten Blick ſo ſchwer, ja ganz unmöglich erſcheint, die leich-
teſten der ganzen Aſtronomie und der Art, daß jeder Anfänger
in der Kunſt nicht nur ihre Beantwortung, wenn ſie ihm gege-
ben wird, verſtehen, ſondern mit einigem Nachdenken auch wohl
dieſe Antwort ohne Mühe ſelbſt finden kann. Die Leſer werden
ſich davon ſogleich, wenn ich es anders nicht gar zu ſehr an mir
ſelbſt fehlen laſſe, durch eigene Erfahrung überzeugen.
§. 43. (Nähere Beſtimmung des Geſetzes der allgemeinen
Schwere.) Wir haben oben (Kap. II.) dies Geſetz der allgemeinen
Schwere, der beſſern Verſtändlichkeit wegen, in ſeiner einfachſten
Geſtalt gegeben. Wir wollen daher hier, ehe wir an die Beant-
wortung jener Fragen gehen, eine kleine, aber wichtige Berichti-
gung, die wir früher übergehen konnten, nachtragen.
Nach jenem Geſetze ziehen ſich alle Körper gegenſeitig im
verkehrten Quadrate ihrer Entfernungen an. Wenn alſo z. B.
ein Satellit Jupiters oder Saturns einen Stein in der Entfer-
nung von 100 Meilen in der erſten Sekunde um einen Fuß gegen
ſich anzieht, ſo wird er dieſen Stein in der doppelten Entfernung,
von 200 Meilen, nur mehr um ¼, in der Entfernung von 300,
400, 500 Meilen, nur um 1/9, 1/16, 1/25 Fuß in der erſten Se-
kunde anziehen, und ſo fort für jeden andern Körper, nur mit
dem Unterſchiede, daß z. B. ein zweiter Satellit jenen Stein in
der Entfernung von 100 Meilen nicht mehr um einen, ſondern
vielleicht nur mehr um einen halben Fuß in der Sekunde anziehen
wird. Bei beiden wird ſich alſo, jenem allgemeinen Geſetze ge-
mäß, die Anziehung des Steines wie verkehrt das Quadrat ſeiner
Entfernung verhalten, aber dieſe Anziehung ſelbſt wird bei dem
zweiten Satelliten nur die Hälfte des erſten ſeyn, oder ſie wird
[67]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
für 100 Meilen ½ Fuß, für 200 Meilen ⅛, für 300 Meilen 1/18,
für 400 Meilen 1/32 Fuß u. f. betragen.
Man ſieht daraus, daß die Art, nach welcher die Anziehung
der Körper wirkt, bei allen dieſelbe, daß aber die Größe dieſer
Anziehung bei verſchiedenen Körpern auch ſehr verſchieden ſeyn
kann, ganz ſo, wie z. B. alle Pferde den Wagen, vor den ſie
geſpannt werden, auf dieſelbe Weiſe ziehen, während doch das
eine derſelben ihn viel ſtärker oder ſchwächer ziehen kann, als das
andere, je nachdem es mit einer größern oder geringern Muskel-
kraft begabt iſt. Was iſt es nun, das dieſe Stelle der Muskel-
kraft bei den Körpern des Himmels vertritt?
Wir werden uns nicht bei der Unterſuchung aufhalten, was
dieſe Kraft der Himmelskörper, mit welcher ſie alle anderen Kör-
per anziehen, eigentlich ſey oder woher ſie komme. Die Meta-
phyſiker, die ſich ſo gern mit Fragen dieſer Art beſchäftigen, mögen
ſie beantworten, wenn ſie können. Uns genügt es, das Daſeyn
einer ſolchen Kraft aus ihren unbeſtreitbaren Wirkungen zu er-
kennen. Dieſe ſehen wir täglich und immerwährend in unend-
lichen Abwechslungen ſowohl um uns, als auch ſelbſt in uns.
Ueberall in der Natur bemerken wir dieſen Hang der Körper, ſich
anzuziehen, ſich zu vereinigen, ſich zur Kugelgeſtalt abzurunden
Der Thautropfen auf dem Kohlblatte, und die Geſtirne des Him-
mels ſind gleich gute Beiſpiele für den Beweis dieſes Satzes.
Aber die Urſache dieſer Erſcheinung? —
Wir empfinden den Duft, den die Blume ausbaucht; wir
ergötzen unſer Auge an dem Lichte- und an den Farben der
Körper; wir erfreuen unſer Ohr mit den harmoniſchen Tönen der
Muſik; wir ſehen die ganze Erde mit allen ihren Reitzen unter,
und den endloſen Himmel mit allen ſeinen Wundern über uns —
aber was wiſſen wir davon? Daß ſie da ſind, und nichts
weiter. Woher ſie kommen, und wohin ſie gehen, iſt uns unbe-
kannt. Wir können eben ſo wenig den Hauch der Blumen, als
die Feinheit des Lichtes berechnen, und der innere Zuſammenhang
der Dinge auf der Erde iſt uns eben ſo ein Räthſel, als jene
Zauberkraft, die den Himmel zuſammenhält oder als das magi-
ſche Band, das unſere Erde an die Sonne, und uns ſelbſt an
5 *
[68]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
dieſe Erde feſſelt. Wir wiſſen nur, oder glauben doch zu wiſſen,
was von der Außenwelt durch jene fünf Kanäle, die wir unſere
Sinne nennen, unſerem Innern zugeführt wird. Für alle andere
Dinge aber fehlt uns das Mittel, ſie aufzufaſſen, daher wir
auch nicht weiter nach ihnen fragen ſollten, da eine Antwort
auf ſolche Fragen doch unmöglich iſt, und wenn ſie möglich wäre,
uns unverſtändlich bleiben muß. Wie viel mag uns noch, ſelbſt.
in unſerer Nähe entgehen, das wir nicht einmal zu vermiſſen im
Stande ſind, von dem uns unſere feinſten Fiebern keine Vor-
ſtellung mehr geben. Ja es iſt ſogar ſehr möglich, daß wir ſelbſt
von dem, was wir noch für das Begreiflichſte halten, ſo viel als
gar nichts wiſſen. Wie ganz anders würde uns wohl die Welt
vorkommen, wenn wir ohne Augen geboren würden, oder wenn
es der Natur gefallen hätte, noch ein Paar ſolcher Klappen mehr
in uns aufzuſchließen, und uns dadurch mit der Außenwelt in
einen neuen Rapport zu ſetzen.
Wie es daher auch mit dieſer Attractionskraft der Körper,
deren Wirkung wir ſehen, ohne ihre Urſache erforſchen zu können,
beſchaffen ſeyn mag, ſo können wir doch nicht gut anders, als
dieſe Kraft einem jeden einzelnen Theile, einem jeden Elemente
dieſer Körper zuzuſchreiben, aus welchen ſie, als aus den kleinſten
Körpern ihrer Art, zuſammengeſetzt ſeyn müſſen. Dieſer noth-
wendigen Vorausſetzung gemäß wird alſo die ganze Kraft, mit
welcher ein Körper den andern anzieht, nichts anders, als die
Summe aller jener Kräfte ſeyn, die den einzelnen Elementen,
aus welchen der Körper beſteht, zukommen, und dieſe Totalkraft
des Körpers wird offenbar deſto größer ſeyn müſſen, je größer die
Anzahl dieſer Elemente, d. h. mit andern Worten, je größer die
Maſſe des ganzen anziehenden Körpers iſt, indem wir unter
dieſem Worte nur eben die Summe aller den Körper conſtitui-
tenden Atome zu verſtehen pflegen.
So fallen, um dieß auf unſere Erde anzuwenden, die Körper
auf der Oberfläche derſelben in der erſten Sekunde durch 15 Fuß,
und dieſe Erſcheinung kann als die Wirkung der Attractionskraft,
als das eigentliche Maaß der Kraft der Erde, ſo wie dieſe jetzt
iſt, angeſehen werden. Wenn aber dieſe Erde, welche bekanntlich
im Mittel die Dichtigkeit des Flußſpaths oder des ſogenannten
[69]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Spießglaſes hat, wenn ſie, ohne ihren Umfang zu ändern, fünf-
mal mehr Maſſe in ſich enthielte, oder die Dichtigkeit unſeres
Goldes hätte, ſo würde auch die Kraft ihrer Attraction, für die-
ſelbe Entfernung, fünfmal größer werden, oder die Körper würden
dann, an ihrer Oberfläche, nicht mehr 15, ſondern fünfmal ſo
viel, alſo 75 Fuß in der erſten Sekunde fallen.
Daſſelbe würde von zwei andern Kugeln gelten, deren
Maſſen unter ſich verſchieden ſind. Unſer Mond z. B. hat
nur den 70ſten Theil der Maſſe der Erde. Er wird alſo auch
einen Körper 70mal ſchwächer anziehen, als die Erde, vorausge-
ſetzt, daß derſelbe in beiden Fällen gleich weit von dem Mittel-
punkte der Erde oder des Mondes entfernt iſt.
So lange man daher nur von einem einzigen Körper ſpricht,
wird man noch immer, wie zuvor, ſagen können, daß ſich ſeine
Anziehung wie verkehrt das Quadrat ſeiner Entfernung verhält.
Aber wenn man die Anziehung von zwei oder mehreren Körpern
unter einander vergleichen, oder wenn man allgemein ſprechen
will, ſo wird man ſagen müſſen: „Die Anziehung jedes Körpers
verhält ſich direct wie ſeine Maſſe, und indirect wie das Quadrat
ſeiner Entfernung, oder mit andern Worten, die Anziehung eines
jeden Körpers iſt gleich ſeiner Maſſe, dividirt durch das Quadrat
ſeiner Entfernung.“
Nimmt man dieſe Entfernung der angezogenen Körper, wie
es unter den Aſtronomen gewöhnlich iſt, in Halbmeſſern der Erde,
ſo hat man für die Anziehung der Erde, d. h. für den Fall der
um a Erdhalbmeſſer von ihrem Mittelpunkte entfernten Körper,
während der erſten Sekunde, den Ausdruck 15 dividirt durch das
Quadrat von a. So erhält man alſo für die Anziehung der
Erde in der Entfernung von 1, 2, 3 .. Erdhalbmeſſern die Größen
15, 3¾, 1 6/9 .. Fuß, und für die Entfernung von 10, 20, 30 ..
Erdhalbmeſſern 0,15, 0,04, 0,02 .. Fuß u. ſ. w. Für Saturn
aber, deſſen Maſſe nahe 100mal größer iſt, als die der Erde,
wird man die Anziehung deſſelben auf alle Körper außer ihm
erhalten, wenn man ſeine Maſſe, d. h. wenn man die Zahl 1500
durch das Quadrat von a dividirt, wo wieder a die Entfernung
dieſer Körper von dem Mittelpunkte Saturns, in Theilen des Erd-
halbmeſſers ausgedrückt, bezeichnet. Demnach wird alſo die An-
[70]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
ziehung Saturns auf einen Körper, der von ſeinem Mittelpunkte
10, 20, 30 .. Erdhalbmeſſer entfernt iſt, gleich 16, 3 7/10, 1 7/10 ..
Fuß betragen, und ſo fort für alle anderen Planeten, deren Maſſe
man kennt.
§. 44. (Anwendung dieſes Satzes auf den Fall der Körper im
Monde.) Wir wollen von dieſem einfachen Satze ſogleich eine
Anwendung geben, und die Frage zu beantworten ſuchen, wie
tief denn wohl die Körper in der erſten Sekunde auf der Ober-
fläche des Mondes fallen mögen. — Auf den erſten Blick ſollte
man glauben, daß ſich ſo etwas nicht ohne unmittelbare Experi-
mente, auf dem Monde ſelbſt angeſtellt, ausmachen ließe. Da
nun, ſo viel wir wiſſen, noch Niemand von uns bis dahin ge-
kommen iſt, ſo müßte auch die Sache unausgemacht bleiben. —
Aber wir werden ſogleich ſehen, daß dieß keinesweges der Fall
iſt, und daß man vielmehr, ohne die Erde auch nur einen Augen-
blick zu verlaſſen, jene Frage, und zwar ohne alle Mühe, beant-
worten kann.
Auf der Oberfläche der Erde fällt der Stein in der erſten
Sekunde durch 15 Fuß. Die Maſſe des Mondes aber beträgt,
wie man aus der Theorie der Ebbe und Fluth des Meeres ge-
funden hat, nur den 70ſten Theil der Erdmaſſe, oder die Maſſe
des Mondes iſt 0,0143, wenn die Maſſe der Erde für die Einheit
angenommen wird. Der ebenfalls bekannte Halbmeſſer des Mondes
aber beträgt 230 deutſche Meilen, während der der Erde 860
Meilen hat, ſo daß jener gleich 0,2674 iſt, wenn der Halbmeſſer
der Erde für die Einheit angenommen wird.
Die Kraft der Erde, oder der Fall der Körper in der Ent-
fernung von a Erdhalbmeſſern von dem Mittelpunkte der Erde
iſt alſo, wie zuvor, gleich der Zahl 15, dividirt durch das Qua-
drat von a. Die Kraft des Mondes aber auf dieſelben Körper in
derſelben Entfernung iſt gleich dem 70ſten Theil von 15, oder
gleich der Zahl 0,2143 dividirt durch das Quadrat von a. Dieſe
Kraft des Mondes iſt alſo für Körper, die nur 1/10 Erdhalbmeſſer
von dem Mittelpunkte des Mondes entfernt ſind, gleich 21,43
Fuß; für die Entfernung von 2/10 Erdhalbmeſſer wird ſie 5,36,
für die Entfernung von 3/10 Erdhalbmeſſer 2,39 Fuß, und alſo
auch für die Entfernung von 0,2674 Erdhalbmeſſer, d. h. für die
[71]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Körper auf der Oberfläche des Mondes gleich 3 Fuß ſeyn, oder
mit andern Worten: „Auf der Oberfläche des Mondes fallen die
Körper in der erſten Sekunde durch 3 Fuß, alſo nur durch den
fünften Theil des Weges, durch welchen ſie auf der Oberfläche
der Erde fallen.“
Ganz eben ſo leicht wird man nun auch den Fall der Körper
auf der Oberfläche jedes andern Planeten unſeres Sonnenſyſtems
finden, wenn man die Maſſe und den Halbmeſſer deſſelben gegen
die Maſſe und den Halbmeſſer unſerer Erde kennt. So haben
wir bereits oben die Maſſe Saturns nahe gleich 100mal größer
als die der Erde gefunden. Allein der Halbmeſſer dieſes Plane-
ten beträgt nahe 10 Halbmeſſer der Erde. Die Anziehung dieſes
Planeten wird alſo gleich der Zahl 1500 dividirt durch das Qua-
drat von a ſeyn, und wenn man a gleich 10 nimmt, ſo wird man,
wie bereits oben gefunden wurde, für die Anziehung Saturns in
der Entfernung von 10 Erdhalbmeſſern, d. h. für die Oberfläche
dieſes Planeten ſelbſt, 15 Fuß erhalten, d. h. auf der Oberfläche
Saturns fallen die Körper in der erſten Sekunde durch 15 Fuß,
alſo nahe eben ſo tief, wie auf der Erde.
Eben ſo findet man, daß die Maſſe Jupiters 316, und die
des Mars nur 1/10 von jener der Erde beträgt, während der
Halbmeſſer Jupiters 11, und der des Mars nur 6/10 Erdhalb-
meſſer hat, woraus folgt, daß die Körper auf der Oberfläche
Jupiters in einer Sekunde durch 38 1/10, und auf der Oberfläche
des Mars nur durch 6 8/10 Fuß fallen. Die Maſſe der Sonne
endlich iſt 355000mal größer, als die der Erde, und ihr Halb-
meſſer beträgt 110 Erdhalbmeſſer, alſo fallen auch die Körper
auf der Oberfläche der Sonne in einer Sekunde durch 430 Fuß.
Da aber dieſer Fall der Körper oder, was daſſelbe iſt, da
dieſe Attraction der Planeten eigentlich das, was wir das Ge-
wicht dieſer Körper nennen, beſtimmt, ſo wird auch aus dem
Vorhergehenden unmittelbar folgen, daß ein Körper, der z. B.
bei uns ein Pfund wiegt, auf der Oberfläche des Mondes viel
leichter ſeyn, und nur mehr den fünften Theil eines Pfundes oder
nur 6⅖ Loth wiegen wird, während er auf der Sonne 430 Pfund
wiegen muß. Es verſteht ſich aber wohl von ſelbſt, daß ſich dieſe
Verſchiedenheit in dem Gewichte der Körper nicht durch unſere
[72]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Wagen nachweiſen laſſen wird, weil das eigentliche Gewicht,
was wir in die andere Wagſchaale zu legen pflegen, um dadurch
das Gewicht des Körpers zu finden, doch auch wieder ein Körper
iſt, der auch, und zwar auf dieſelbe Weiſe, von der Schwere ſeines
Planeten afficirt wird, und daher z. B. auf dem Monde auch
nur den fünften Theil ſeines irdiſchen Gewichtes haben kann.
Statt dieſes Wortes Gewicht werden wir daher, der beſſern
Verſtändlichkeit wegen, das Wort Druck gebrauchen und ſagen,
daß ein Körper, der auf der Erde mit der Kraft von einem Pfunde
auf ſeine Unterlage drückt, auf dem Monde nur mit ⅕ dieſer
Kraft, auf Jupiter mit 2⅗, und auf der Sonne mit 28 7/10 Pfun-
den auf ſeine Unterlage drücken wird.
§. 45. (Anwendung des Vorhergehenden auf künſtliche Monde.)
Wir alle wiſſen, daß, wenn ein Stein aufwärts geworfen, oder
eine Kugel ſchief gegen den Horizont abgeſchoſſen wird, dieſe
Kugel eine krumme Linie beſchreibt, an deren Ende ſie wieder
zur Erde zurückfällt. Je größer die Kraft iſt, mit welcher die
Kugel aus der Mündung des Geſchützes getrieben wird, deſto
größer iſt auch der Bogen, den ſie über der Erde beſchreibt, und
es iſt klar, daß dieſe Kraft, die Ladung der Kanone, endlich ſo
groß werden könnte, daß die Kugel gar nicht mehr zur Erde zu-
rückfallen, ſondern daß ſie eine krumme Linie um die ganze
Erde herum beſchreiben müßte. Dann würde ſie aber daſſelbe
thun, was der Mond ſchon lange thut, und wir würden auch in
der That auf dieſe Weiſe einen kleinen Mond mehr erhalten, ſo
daß wir am Ende dieſe Monde in beliebiger Menge, etwa wie
jetzt unſere Luftballone oder unſere Seifenblaſen, ſteigen laſſen
könnten, wenn wir nur unſern Geſchützen die dazu nöthige Kraft
zu ertheilen wüßten! Und wie groß müßte dieſe Kraft, wie groß
müßte die anfängliche Geſchwindigkeit ſeyn, um zu dieſem Zwecke
zu gelangen?
Die Antwort auf dieſe Frage iſt für die, welche nur mit den
erſten Elementen der Mechanik bekannt ſind, ſehr leicht. — Wenn
man die Fallhöhe der Körper in der erſten Sekunde mit dem
Durchmeſſer des Planeten multiplicirt, und aus der ſo erhaltenen
Zahl die Quadratwurzel nimmt, ſo hat man die geſuchte anfäng-
liche Geſchwindigkeit der in Frage ſtehenden Kugel.
[73]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Für die Erde z. B. iſt jene Fallhöhe 15 Fuß. Der Halb-
meſſer derſelben aber iſt 19642400 Fuß. Wird alſo die letzte
Zahl zweimal genommen, und durch 15 multiplicirt, ſo erhält
man 589272000 und von dieſer Zahl iſt die Quadratwurzel 24275.
Unſere Kanone müßte alſo eine Ladung erhalten, nach wel-
cher die Kugel in der erſten Sekunde ihres Laufes einen Weg
von 24275 Par. Fuß zurücklegte. Davon ſind aber unſere Kano-
nenkugeln, die höchſtens 700 Fuß in der erſten Sekunde zurück-
legen, noch weit entfernt.
Die Mondsbewohner aber, vorausgeſetzt, daß ſie mit beſſern
Geſchützen verſehen ſind, könnten einen ſolchen Verſuch, der für
uns noch unmöglich iſt, ſchon viel leichter ausführen; denn da
bei ihnen die Schwere der Körper nur den fünften Theil unſerer
Schwere beträgt, ſo wird auch ſchon der fünfte Theil jener La-
dung hinreichen, die Kugel zu einem Satelliten des Mondes, zu
einem Monde des zweiten Ranges zu machen. Eine anfängliche
Geſchwindigkeit von 5000 Fuß würde dieſe Kugel bereits um den
Mond herum treiben. Da aber auch dieſe Geſchwindigkeit über
ſiebenmale größer iſt, als die von unſern Kanonen erzeugte, ſo
werden auch ſie noch einige Schwierigkeiten bei der Ausführung
dieſes Experiments zu überwinden haben, beſonders wenn ſie, wie
man vermuthen darf, noch nicht ſo weit, wie wir, in der Balliſtik
vorgerückt ſeyn, oder wenn ſie vielleicht noch ganz und gar keine
Kanonen haben ſollten.
§. 46. (Vortheile der Mondsbewohner.) Immer aber werden
ſich die Seleniten in allen den Fällen eines großen Vortbeiles
über uns zu erfreuen haben, wo es ſich darum handelt, der Kraft
der Schwere entgegen zu arbeiten. Wenn ſie z. B. ihre Wagen,
ihre Hebel, ihr Rad an der Welle u. dgl., durch elaſtiſche Fe-
dern, durch entwickelte Dämpfe oder durch ihre eigene oder durch
die Muskelkraft ihrer Thiere in Bewegung ſetzen wollen, ſo wer-
den ſie mit einem fünfmal geringeren Kraftaufwande ſchon ihr
Ziel erreichen. So würden unſere Pferde auf dem Monde, unter
übrigens gleichen Umſtänden, viel größere Laſten ziehen und ohne
zu ermüden viel ſchneller laufen können, als auf der Erde, ſo wie
auch die Grotesque-Tänzer des Mondes, wenn es ſolche gibt, und
wenn ſie dieſelbe Muskelkraft, wie die unſern, beſitzen, mit der-
[74]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
ſelben Anſtrengung ſchon fünfmal höhere Sprünge machen können,
weil ſie auch nur durch eine fünfmal geringere Kraft zu ihrer
Erde zurückgezogen werden.
§. 47. (Meteorſteine.) Man hat in den neuern Zeiten die
Vermuthung aufgeſtellt, daß die Steine, welche öfter unter
heftigen Detonationen aus der Luft zur Erde fallen, und die unter
der Benennung von Aerolithen oder Meteorſteinen bekannt ſind,
Produkte der Vulkane des Mondes ſeyn mögen.
Wenn man, um die Sache ganz einfach darzuſtellen, von
der Bewegung des Mondes ſowohl, als auch von jener der Erde
abſtrahirt und annimmt, daß der Wurf eines ſolchen Steines
gerade gegen die Erde bin gerichtet ſey, ſo iſt es leicht, denjenigen
Punkt zwiſchen Mond und Erde zu finden, wo dieſer Stein von
dem Monde ganz eben ſo ſtark, wie von der Erde angezogen
wird. Setzt man nämlich voraus, daß die Kräfte dieſer beiden
Weltkörper ſich wie ihre Maſſen dividirt durch die Entfernung
des Steines von ihrem Mittelpunkte verhalten, ſo findet man,
daß dieſer Punkt nahe 7 Erdhalbmeſſer von dem Monde, alſo
auch nahe 53 Erdhalbmeſſer von dem Mittelpunkte der Erde ent-
fernt iſt. Eine einfache Rechnung zeigt, daß die anfängliche
Geſchwindigkeit, die der Stein bei ſeinem Auswurfe durch den
Vulkan erhalten, oder daß der Weg, welchen der Stein in
der erſten Sekunde zurücklegen muß, um jenen Punkt der gleichen
Anziehung zu erreichen, 8290 Par. Fuß beträgt, alſo nahe 12mal
größer iſt, als die Geſchwindigkeit einer Kanonenkugel. Wir
kennen aber die Kräfte nicht, welche unſere, und noch weniger
jene, welche die Vulkane des Mondes entwickeln, als daß wir
dadurch über die Wahrſcheinlichkeit jenes Urſprungs der Aerolithen
uns eine Entſcheidung erlauben dürften. Gewiß iſt, daß ein
Körper, der mit dieſer Geſchwindigkeit die Oberfläche des Mondes
verläßt, und in gerader Richtung auf die ruhende Erde fortgeht,
jenen Punkt der gleichen Anziehung erreichen, und daß er ihn
daher auch, wenn jene anfängliche Geſchwindigkeit nur etwas
größer iſt, auch überholen wird. Dann tritt er aber in die
Attractionsſphäre der Erde ein, und gehört fortan nicht mehr dem
Monde, ſondern uns an. Da ohne Zweifel die meiſten dieſer
Steine, wenn ſie anders dieſen Urſprung haben, in einer gegen
[75]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
die Erde ſchiefen Richtung von dem Monde ausgeworfen wer-
den, ſo werden ſie auch ihren Weg nicht in gerader Richtung auf
die Erde hinnehmen, ſondern vielmehr dieſelbe, wenn ſie einmal
die Attractionsgränze des Mondes überſchritten haben, in krummen
Linien, gleich andern, kleineren Monden, umkreiſen, wo ſie dann,
beſonders wenn ihre Anzahl, wie es ſcheint, ſehr groß iſt, oft in
den Fall kommen könnten, daß ſie die Bahn der Erde durch-
ſchneiden, oder ahe zu derſelben gelangen müßten, um von ihr
mit Heftigkeit angezogen und zum Herabſtürzen auf die Erde
gebracht zu werden.
Man könnte fragen, wie viele Zeit ein ſolcher Stein brauchte,
um von jenem Punkte der gleichen Anziehung bis zur Erde zu
kommen, oder um ſeinen Weg von 53 Erdhalbmeſſern zurückzu-
legen. — Wenn er bloß von der Erde angezogen, und durch die
Atmoſphäre derſelben in ſeinem Laufe nicht gehindert wäre, ſo
würde er dieſen Weg in 2 Stunden 18 Minuten zurücklegen, und
am Ende dieſer Zeit die Erde mit einer Geſchwindigkeit erreichen,
vermöge welcher er in einer Sekunde 251028 Fuß zurücklegte.
Da dieſe die Geſchwindigkeit unſerer Kanonenkugeln gegen 360mal
übertrifft, ſo könnte man daraus das tiefe Einſchlagen der Aero-
lithen in die Erde, und die Erſcheinung erklären, daß man ſelbſt
nach heftigen Steinregen, ſo wenige derſelben auf der Oberfläche
des Bodens, wo ſie gefallen ſind, finden kann. Allein da ein
ſolcher Stein, in dem Punkte der gleichen Attraction, auch noch,
obgleich nur ſchwach, von dem Monde angezogen wird, ſo muß
dadurch ſeine Endgeſchwindigkeit verkleinert, und dafür die Zeit,
während welcher er jene 53 Erdhalbmeſſer zurücklegt, beträchtlich
vergrößert werden. In der That findet man, daß er unter dieſer
Vorausſetzung jenen Weg erſt in nahe 64 Stunden oder in
2⅔ Tagen zurücklegen würde.
Uebrigens muß man geſtehen, daß ſich die Erde, ihrem Diener
und Fackelträger gegenüber, in einer etwas ſonderbaren Lage be-
findet, wenn anders dieſe Hypotheſe von dem Urſprunge der Aero-
lithen gegründet ſeyn ſoll. Sie muß ſich von ihm mit Steinen
werfen laſſen, ohne es verhindern, ſelbſt ohne es, nach dem Rechte
der Repreſſalien, auch nur erwiedern zu können, da uns unſere
fünfmal größere Schwere hindert, unſere Steine auch dem Monde
[76]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
wieder an den Kopf zu werfen, um wenigſtens dadurch den
unartigen Diener vielleicht beſſere Sitte zu lehren. Da man
indeß, wie unſere ſcharfſinnigen Philoſophen ſagen, am beſten ge-
duldig leidet, was man nicht ändern kann, ſo wird es auch hier
am klügſten ſeyn, ruhig zuzuſehen und abzuwarten, was etwa noch
kommen ſoll; indeſſen jedoch, in Hoffnung beſſerer Zeiten, die ver-
ſchoſſenen Kugeln des Feindes aufzuleſen, um ſie in unſeren Mi-
neralienkabinetten aufzuſtellen, und dadurch unſeren allzeitfertigen
Hypotheſenkrämern Gelegenheit zu geben, ihr Talent an ihnen
nach Luſt und Liebe auszuüben. Wir wollen es vorziehen, zuzu-
ſehen, welche weitere, verläßliche Folgerungen ſich noch aus
dem bisher betrachteten Geſetze der allgemeinen Schwere ableiten
laſſen.
§. 48. (Beſtimmung der Maſſe der Sonne.) Nach dieſem
Geſetze iſt die Attraction kraft eines jeden Körpers auf einen
außer ihm gelegenen Punkt gleich der Maſſe dieſes Körpers, divi-
dirt durch das Quadrat ſeiner Entfernung von dem angezogenen
Punkte. Alſo iſt auch ſofort umgekehrt: die Maſſe des an-
ziehenden Körpers gleich der Anziehungskraft deſſel-
ben, multiplicirt in das Quadrat der Entfernung.
So geſtellt, ſieht man ſogleich, daß dieſes Geſetz uns auch
die Maſſen der Himmelskörper kennen lehrt, wenn man ihre
Anziehung auf einen gegebenen äußern Körper kennt.
Dieſe Anziehung aber wird, (nach §. 33) durch die kleine
Linie BM (Fig. I.) ausgedrückt, um welche der angezogene Punkt
während einer Sekunde zu dem anziehenden Körper hinfällt.
Dieſe kleine Linie iſt ferner gleich der Entfernung CA des ange-
zogenen Punktes A von dem anziehenden Körper C, multiplicirt
in das halbe Quadrat des kleinen Bogens AM, welchen der an-
gezogene Punkt während einer Sekunde um den anziehenden
Körper beſchreibt. Dieſer Bogen endlich, in Theilen des Halb-
meſſers CA ſeines Kreiſes ausgedrückt, wird erhalten, wenn man
die Zahl 360 durch die in Tagen ausgedrückte Umlaufszeit des
angezogenen Punktes dividirt, und die ſo erhaltene Zahl durch
0,000004848 multiplicirt, wie dieß alles bereits oben (§. 27) um-
ſtändlich erörtert wurde.
[77]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Wenden wir dieß ſogleich auf die Beſtimmung der Maſſe
unſerer Sonne an. — Die Umlaufszeit der Erde beträgt 365,25638
Tage. Daraus folgt, daß der Winkel ACM, den die Erde in
einer Sekunde um die Sonne beſchreibt, 0,0411 Sekunden, und
daß daher der Bogen AM 0,0000001993 Halbmeſſer der Erdbahn
beträgt.
Um nun alles in Halbmeſſern der Mondsbahn auszudrücken,
bemerken wir zuerſt, daß die Entfernung der Erde von der Sonne
392mal größer iſt, als die Entfernung des Mondes von der
Erde. Wir werden alſo den Halbmeſſer CA der Erdbahn gleich
392 ſetzen, und die Hälfte dieſer Zahl oder 196 in das Quadrat
des vorhergehenden Bogens AM multipliciren, wodurch man für
die Größe BM erhält 0,000000000007782 Halbmeſſer der Monds-
bahn. So viele Halbmeſſer der Mondsbahn fällt alſo die Erde
während jeder Sekunde gegen die Sonne, oder dieß iſt das eigent-
liche Maaß der Attraction, welche ſie in derjenigen Entfernung
ausübt, in welcher die Erde ſich um ſie bewegt. Wollte man dieſen
Fall in Par. Fuß ausdrücken, ſo würde man nur die letzte Zahl
durch 1173051000 multipliciren, welches die Entfernung des
Mondes von der Erde (51355 Meilen) in Par. Fuß ausgedrückt
iſt, wodurch man für jenen Fall 0,009129 Fuß erhält.
Mit welcher Kraft würde aber die Sonne auf die Erde
wirken, wenn die Erde nur ſo weit von ihr entfernt wäre, als
der Mond von der Erde entfernt iſt? — Die Antwort auf dieſe
Frage folgt unmittelbar aus unſerem Geſetze. Da nämlich dieſe
beiden Kräfte der Sonne, indem die Maſſe des anziehenden
Körpers dieſelbe bleibt, ſich wie verkehrt die Quadrate der beiden
Entfernungen verhalten müſſen, ſo wird man die neue Kraft er-
halten, wenn man die vorhergehende, oder wenn man die letztge-
gebene Zahl durch das Quadrat von 392 multiplicirt, wodurch
man die Zahl 0,00000119581 erhält. Das heißt alſo: Wenn die
Erde ſo nahe bei dem Mittelpunkte der Sonne ſtünde, als der
Mond in der That bei der Erde ſteht, ſo würde die Attractions-
kraft der Sonne auf die Erde BM = 0,00000119581 Halbmeſſer
der Mondsbahn betragen, oder ſo würde die Erde in jeder Se-
kunde durch dieſen Raum BMgegen die Sonne fallen.
[78]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Es iſt alſo nur noch übrig, zuzuſehen, durch welchen Raum
denn der Mond während derſelben Zeit in ſeiner Bahn gegen
die Erde fällt, um ſofort die zwei Attractionskräfte, die der
Sonne und die des Mondes, für dieſelbe Entfernung, nämlich
für die Entfernung des Halbmeſſers der Mondsbahn, zu erhalten.
Da dieſe Attractionen für dieſelben Entfernungen nur mehr durch
die Maſſen der beiden anziehenden Körper, der Sonne und des
Mondes, verſchieden ſeyn können, ſo werden ſie ſich auch wie
dieſe Maſſen verhalten müſſen.
Was nun den Mond betrifft, ſo haben wir ſchon oben ge-
funden (§. 27), daß er in jeder Sekunde den Winkel von 0,5479
Sekunden, alſo den Bogen AM von 0,0000026562 Halbmeſſer der
Mondsbahn beſchreibt. Da aber in unſern gegenwärtigen Rech-
nungen dieſer Halbmeſſer der Mondsbahn für die Einheit aller
Diſtanzen angenommen worden iſt, ſo wird die Anziehungskraft
der Erde auf den Mond gleich ſeyn der Hälfte des Quadrats der
letzten Zahl, d. h. gleich 0,0000000000035278, und dieſe Zahl drückt
alſo die Anziehung der Erde auf den Mond aus.
Da ferner, wie geſagt, dieſe Anziehungen der Sonne und der
Erde, wegen der gleichen Diſtanzen der angezogenen Körper, ſich
wie die Maſſen der anziehenden Körper verhalten, ſo verhält ſich
die Maſſe der Sonne zur Maſſe der Erde, wie jene beiden Zah-
len, d. h. wie 0,00000119581 zu 0,0000000000035278 oder endlich wie
338980 zu 1, oder die Maſſe der Sonne iſt 338980 größer, als
die Maſſe der Erde.
§. 49. (Vereinfachung der vorhergehenden Rechnungen.) Wem
vielleicht die vorhergehenden Rechnungen mit den großen, oder
eigentlich mit den ſehr kleinen Zahlen nicht bequem genug dünken,
der kann ſich, mit einer geringen Aenderung, das ganze Geſchäft
ſehr abkürzen. In der That, es wurde oben geſagt, die Maſſe
ſey das Produkt der kleinen Linie BM in das Quadrat der Ent-
fernung AC des angezogenen Körpers von dem anziehenden.
Allein dieſe Linie BM iſt gleich dem halben Produkte derſelben
Entfernung AC in das Quadrat des BogensAM, oder was
hier, wo es ſich nur um Verhältniſſe handelt, daſſelbe iſt, die
Linie BM iſt gleich dem Produkte der Entfernung in das Quadrat
des WinkelsACM, welchen der angezogene Punkt in einer
[79]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Sekunde beſchreibt. Alſo iſt auch „die Maſſe des anziehenden
Körpers gleich dem Quadrate dieſes Winkels multiplicirt mit dem
Würfel der Entfernung des angezogenen Punktes.“
In dieſer Geſtalt unſeres Satzes wird die vorhergehende Be-
rechnung viel einfacher. In der That, für die Sonne wird der
erwähnte Winkel gleich 0,″0411 und die Entfernung gleich 392,
alſo iſt auch das Produkt des Quadrats der erſten Zahl in den
Würfel der zweiten, oder die Maſſe der Sonne gleich 101752. —
Für den Mond aber iſt jener Winkel 0,″54788, und die Entfer-
nung 1, alſo auch das erwähnte Produkt oder die Maſſe der Erde
gleich 0,300172; woraus ſofort folgt, daß die Maſſe der Sonne
zur Maſſe der Erde ſich verhält, wie 101752 zu 0,300172 oder wie
338980 zu 1, wie zuvor.
§. 50. (Analoge Beſtimmung der Maſſe der Planeten.) Ganz
eben ſo wird man auch die Maſſe aller derjenigen Planeten beſtim-
men können, die mit Satelliten verſehen ſind. Der vierte Sa-
tellit Jupiters z. B. vollendet den Umlauf um ſeinen Haupt-
planeten in 16,68877 Tagen, woraus folgt, daß er in einer Sekunde
den Winkel in 0,8988 Sekunden beſchreibt, während ſeine Entfer-
nung von dem Mittelpunkte Jupiters 252300 Meilen beträgt.
Die Entfernung der Erde von der Sonne aber iſt 20658000
Meilen, alſo nahe 81,8 mal größer, als jene, und der Winkel,
den die Erde während einer Sekunde um die Sonne zurücklegt,
iſt nach dem Vorhergehenden 0,0411 Sekunden. Multiplicirt man
alſo das Quadrat von 0,0411 mit dem Würfel von 81,9, ſo erhält
man für die Maſſe der Sonne die Zahl 927,98. Multiplicirt
man aber das Quadrat von 0,8988 mit dem Würfel von 1, ſo
erhält man für die Maſſe Jupiters die Zahl 0,80786. Die Maſſe
der Sonne verhält ſich daher zur Maſſe Jupiters, wie 927,98 zu
0,80786 oder wie 1149 zu 1. Oben haben wir aber die Maſſe
der Sonne 338980 mal größer als die Maſſe der Erde gefunden,
alſo iſt auch die Maſſe Jupiters 295mal größer, als die der Erde.
Eben ſo findet man, daß die Maſſe Saturns 95, und die des
Uranus 17mal größer iſt, als die der Erde.
(Andere Beſtimmung der Maſſe der Sonne gegen die der Erde.)
Man ſieht, daß die vorhergehende Beſtimmung der Maſſen ſich
eigentlich darauf reducirt, daß man für zwei Centralkörper die
[80]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Größe des Falles beſtimmt, den die von ihnen angezogenen Punkte
während einer Sekunde erleiden, und daß man nur dieſen Fall
beider Körper auf dieſelbe Entfernung bringen darf, um ſofort
auch das Verhältniß der Maſſen beider Centralkörper zu erhalten.
So iſt die Sonne der Centralkörper für die Erde, und dieſe iſt
der Centralkörper für den Mond, ſo wie Jupiter wieder der Cen-
tralkörper für ſeine vier Satelliten iſt. Ganz eben ſo kann man
aber auch den Mittelpunkt der Erde als den Centralkörper für
die auf der Oberfläche der Erde frei fallenden Körper betrachten,
und da die Größe dieſes Falles aus den Beobachtungen bekannt
iſt, ſo läßt ſich auch daraus die Maſſe der Sonne ohne Beihülfe
des Mondes unmittelbar ableiten. In der That, dieſer Fall auf
der Oberfläche der Erde beträgt, wie wir ſchon öfter erwähnt
haben, 15 Fuß während einer Sekunde, und die Entfernung
dieſer fallenden Körper von dem Mittelpunkte der Erde iſt dem
Halbmeſſer der Erde gleich. Wenn aber dieſe Körper 23600mal
weiter, d. h. wenn ſie ſo weit, als die Erde von der Sonne, von
dem Mittelpunkte der Erde entfernt wären, ſo würden ſie, unſerem
allgemeinen Geſetze gemäß, in der erſten Sekunde nur nahe durch
15, dividirt durch das Quadrat von 23600, das heißt, nur nahe
durch den Raum von 0,000000026932 Fuß gegen dieſen Mittelpunkt
der Erde, gegen ihren Centralpunkt fallen. Allein die Erde
ſelbſt fällt gegen ihren eigenen Centralpunkt, d. h. gegen die
Sonne, wie wir oben geſehen haben, in derſelben Zeit durch
0,009129 Fuß. Da nun dieſe beiden Fallhöhen ſich wie die beiden
anziehenden Kräfte, d. h. wie die Maſſen der beiden anziehenden
Körper verhalten müſſen, ſo iſt die Maſſe der Sonne zu jener
der Erde, wie die beiden letztgenannten Zahlen, d. h. wie 338974
zu 1, ſehr nahe, wie ſchon oben gefunden wurde.
§. 51. (Ausdehnung dieſes Geſetzes.) Bisher haben wir dieſes
Geſetz nur auf die Körper unſeres Sonnenſyſtems angewendet,
und wir könnten uns begnügen, zu wiſſen, daß es bis an die
äußerſte Gränze deſſelben befolgt wird, da ohnehin alles, was
jenſeits dieſer Gränze liegt, für uns größtentheils ein noch ganz
unbekanntes Land iſt, und wahrſcheinlich immer bleiben wird.
Dieſe Gränze iſt übrigens ſo weit von uns entfernt, oder
das Reich der Sonne iſt, in Vergleich mit allen Reichen der
[81]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Erde, ſo gewaltig groß, daß wir Urſache haben, uns Glück zu
wünſchen, weil es einem von uns gelungen iſt, das zwar kurze,
aber mit der größten Genauigkeit befolgte Geſetzbuch dieſer wahr-
haft unermeßlichen Monarchie, des eigentlichen Sonnenſtaates,
aufgefunden zu haben. Von den Planeten, die wir in dieſem
Sonnenſyſteme kennen, iſt Uranus der weiteſte von der Sonne.
Er iſt über 19mal weiter als die Erde, oder nahe 400 Millionen
deutſche Meilen von der Sonne entfernt.
Eine Kanonenkugel, die in jeder Sekunde, ohne zu ermatten,
600 Par. Fuß zurücklegte, würde dieſen Weg erſt in 480 Jahren
vollenden. Allein dieſer Planet iſt noch weit von der uns be-
kannten Gränze jenes Reiches entfernt. Derjenige Himmels-
körper, der ſich unter den bisher berechneten am meiſten von der
Sonne entfernt, iſt der große Komet, der im Jahre 1680 erſchie-
nen iſt. Er ſteht in ſeiner Sonnenferne über 880mal weiter als
die Erde, oder nahe 17600 Millionen Meilen von der Sonne
ab, und jene Kugel würde ihn erſt in 21400 Jahren erreichen.
Aber auch er gehorcht, wie die Rechnungen der Aſtronomen zeigen,
dem oben (I. §. 146) erwähnten dritten Geſetze Keplers, alſo
auch dieſem allgemeinen Geſetze der Schwere, von welchem jenes,
wie wir geſehen haben, nur eine Folge iſt.
Aber außer dieſem Reiche? Jenſeits der Gränzen des Son-
nengebietes? — Wir haben bereits geſagt, daß dort nur unbe-
kanntes Land für uns iſt, und daß wir ſonach nicht beſtimmen
können, welche Geſetze in jenen ungemeſſenen Entfernungen gelten
mögen. Wir haben oben (I. §. 70) geſagt, daß unſere
Kenntniſſe dieſer Gränze durchaus nur negativer Art ſind, und
daß wir bloß wiſſen, daß der nächſte Fixſtern nicht unter vier
Billionen deutſche Meilen von uns entfernt ſeyn kann. Ob er
aber noch zwei- oder zehn- oder hundertmal weiter von uns ab-
ſteht, iſt uns gänzlich unbekannt. Demnach ſind die andern Son-
nen, die Fixſterne, welche wir in ſo großer Zahl über uns glänzen
ſehen, wenigſtens ſo weit von uns entfernt, daß zwiſchen den
nächſten derſelben und zwiſchen der Sonnenferne jenes äußerſten
Kometen noch ein Zwiſchenraum von 3980000 Millionen Meilen,
eine ungeheuere Wüſte von dieſer Breite liegt, die unſern Staat
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 6
[82]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
ringsum von allen andern Sonnengebieten trennt, und deren
Oberfläche über 50 Quadrillionen Quadratmeilen beträgt.
Es ſcheint verwegen, um die Ereigniſſe, welche dort vorgehen,
und um die Geſetze zu fragen, nach welchen ſie vorgehen.
Und doch — die Auflöſung dieſes Räthſels, ſo ſchwer es auch
ſcheint, iſt dem menſchlichen Geiſte bereits gelungen.
Wir haben oben von einer eigenen Gattung von Fixſternen
geſprochen, die man immer Paarweiſe, ſehr nahe neben einander
ſtehend, antrifft.
Wir erwähnten, daß bei mehreren dieſer Doppelſterne
der eine ſich um den andern bewegt, daß man ſogar bei
mehreren derſelben ſchon die Geſtalt der Bahn beſtimmt hat, in
welcher dieſe Bewegung vor ſich geht, und dabei das überra-
ſchende Reſultat fand, daß die Bahn des einen dieſer Sterne eine
Ellipſe iſt, in deren einem Brennpunkt der andere Stern liegt,
ganz ſo wie bei den Planeten und Satelliten unſeres Syſtems,
von deren elliptiſchen Bahnen auch der eine Brennpunkt von der
Sonne oder von dem Hauptplaneten eingenommen wird. Allein
ſchon Newton hat gezeigt, daß ſolche Bewegungen eine noth-
wendige Folge des Geſetzes der allgemeinen Schwere ſind, ſo daß
alſo auch in jenen ungemeſſenen Fernen das Geſetz unſeres Son-
nenſyſtems anerkannt wird, und daß es daher höchſt wahrſchein-
lich das allgemeine Geſetz der ganzen, endloſen Natur iſt. —
Welches Entzücken würde Newton zu Theil geworden ſeyn, ihm,
der ſchon vor Freude über die Entdeckung des Geſetzes unſeres
Syſtems erkrankte, wenn er dieſe Ausdehnung ſeiner Entdeckung
über den ganzen Weltenraum auch nur hätte ahnen können.
§. 52. (Beſtimmung der Maſſen dieſer Doppelſterne.) Wir ga-
ben oben bereits von mehreren dieſer Sternenpaare die Umlaufszeit
des einen um den anderen. So beträgt ſie bei dem ſchönen
Doppelſtern Caſtor in den Zwillingen 253, bei ξ im großen Bä-
ren 61, bei η in der nördlichen Krone 43 Jahre u. ſ. w. Wenn
wir nun auch durch künftige Beobachtungen dahin gelangen ſoll-
ten, die Halbmeſſer der Bahnen dieſer Sterne in einem uns be-
kannten Maaße, z. B. in Meilen, anzugeben, ſo würden wir
daraus, ganz ſo wie oben bei den Planeten, auch den Fall dieſer
Geſtirne gegen ihren Centralkörper finden können, und daraus
[83]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
mittelſt des allgemeinen Geſetzes der Schwere, auch denjeni-
gen Fall beſtimmen, den das Geſtirn haben würde, wenn
es von ſeinem Centralkörper eben ſo weit, als die Erde von der
Sonne, entfernt wäre. Dieſen Fall mit demjenigen verglichen,
welchen unſere Erde in der That hat, wird uns ſofort die Maſſe
jenes Centralkörpers in Beziehung auf die Maſſe unſerer Sonne
kennen lehren.
Nehmen wir an, der Halbmeſſer der Bahn eines ſolchen
Doppelgeſtirns ſey zwanzigmal größer, als der Halbmeſſer der
Erdbahn, und ſein Fall gegen den Centralkörper betrage 1/10 Fuß
während einer Sekunde. Da unſere Erde in dieſer Zeit um
0,009129 Fuß gegen die Sonne fällt, ſo würde ſie, jenem allge-
meinen Geſetze gemäß, wenn ſie, ſo wie jener Sterne 20mal
weiter von der Sonne entfernt wäre, in jeder Sekunde nur durch
0,009129, dividirt durch 400, das heißt, nur durch 0,0000228 Fuß
fallen, während doch jener Stern in der That durch 1/10 Fuß
fällt. Daraus folgt, daß ſich die Maſſe jenes Centralſterns zur
Maſſe unſerer Sonne verhält, wie 0,1 zu 0,0000228 oder wie 4380
zu 1. — Oder auch umgekehrt: Der Stern fällt in ſeiner Ent-
fernung von 20 Erdweiten in einer Sekunde durch 0,1 Fuß. Er
würde daher, wenn er ſeinem Centralſtern 20mal näher, d. h. ſo
nahe, als die Erde der Sonne wäre, in derſelben Zeit durch
400mal 0,1, das heißt durch 40 Fuß fallen, woraus wieder folgt,
daß die Maſſe des Centralkörpers ſich zu der Sonnenmaſſe ver-
hält, wie 40 zu 0,009129 oder wie 4380 zu 1, wie zuvor.
§. 53. (Größe der Himmelskörper.) Wir haben bereits oben
(I. Kap. V.) die Mittel angezeigt, deren ſich die Aſtronomen be-
dienen, die Entfernungen der himmliſchen Körper von der Erde
zu finden. Wenn aber einmal dieſe Entfernung, z. B. in Meilen,
bekannt iſt, ſo braucht man nur noch den Winkel zu beobachten,
unter welchen uns der Halbmeſſer dieſer Körper erſcheint, um
ſofort auch die wahre Größe dieſes Halbmeſſers in Meilen zu
erhalten. Man multiplicirt nämlich dieſen Winkel durch die ge-
gebene Entfernung, und durch die bekannte Zahl 0,000004848
(§. 66), und das Produkt iſt der Halbmeſſer des Geſtirns in
Meilen. So erſcheint uns der Halbmeſſer der Sonne unter dem
6 *
[84]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Winkel von 996 Sekunden, und ihre Entfernung von der Erde
beträgt 20658000 Meilen, alſo beträgt auch der wahre Halbmeſſer
derſelben 99750 Meilen. Da nun der Halbmeſſer der Erde be-
kanntlich nur 859 Meilen hat, ſo iſt der Halbmeſſer, alſo auch
der Durchmeſſer der Sonne nahe 116mal größer als jener der
Erde. Da ferner die Oberfläche der Kugeln ſich wie die Qua-
drate, und die Inhalte oder Volumina derſelben wie die Würfel
ihrer Halbmeſſer verhalten, ſo iſt die Oberfläche der Sonne
13456mal größer als die der Erde, und ihr Volum iſt 1560000
mal größer, als das der Erde. Eben ſo findet man das Volum
Saturns 928, und das Jupiters 1330mal größer als das Volum
der Erde.
§. 54. (Dichtigkeit der Himmelskörper.) Nachdem wir nun
das Volum ſowohl, als auch die Maſſe der Himmelskörper
kennen gelernt haben, wird es keine weitere Schwierigkeit mehr
haben, auch die Dichtigkeit derſelben oder das Verhalten des
Stoffes, aus dem ſie beſtehen, zu dem unſere Erde zu beſtimmen.
Die Dichtigkeit eines jeden Körpers iſt nämlich nichts anders,
als das Verhältniß ſeiner Maſſe zu ſeinem Volum, indem die
Dichte derſelben offenbar in demſelben Verhältniſſe größer werden
muß, in welchem die Maſſe bei demſelben Volum größer, oder
in welchem das Volum bei derſelben Maſſe kleiner wird. Man
darf daher nur die Maſſe eines Körpers durch ſein Volum divi-
diren, um die Dichtigkeit deſſelben zu erhalten.
So fanden wir oben für unſere Sonne die Maſſe 338980,
und das Volum 1560000, wenn Maſſe und Volum der Erde
als Einheit vorausgeſetzt wird. Alſo iſt auch die Dichte der
Sonne 0,22, oder nahe ¼ von der Dichte der Erde. Die Maſſe
Saturns wurde oben gleich 100 oder genauer 95, und das Volum
dieſes Planeten gleich 928 von dem der Erde gefunden, alſo iſt
auch die Dichte Saturns 0,12 oder nur der zehnte Theil von der
Dichte der Erde. Die Dichte unſerer Erde aber, dieſelbe im
Ganzen betrachtet, iſt nach Maskelyne’s Verſuchen 4,5, und nach
Cavendish ſinnreichem Experimente 5,2 der Dichtigkeit des reinen
Waſſers, welche beide Zahlen man im Mittel zu 4,85 oder nahe 5
nehmen kann.
[85]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
Nimmt man die Dichtigkeit der Erde als Einheit an, ſo
findet man für die Dichtigkeiten der Himmelskörper unſeres Sy-
ſtemes folgende Zahlen:
- Sonne _ _ 0,22
- Uranus _ _ 0,20
- Saturn _ _ 0,12
- Jupiter _ _ 0,22
- Mars _ _ 0,69
- Erde _ _ 1,00
- Venus _ _ 1,07
- Merkur _ _ 3,61
- Mond _ _ 0,70
- Jupiters Satellit I. _ _ 0,2
- — — II. _ _ 0,4
- — — III. _ _ 0,3
- — — IV. _ _ 0,4
Um dieſe Dichtigkeiten mit denen unſerer bekannteſten irdi-
ſchen Körper zu vergleichen, wollen wir dieſes Kapitel mit einem
kleinen Verzeichniſſe derſelben beſchließen, das uns bei anderen
Gelegenheiten wieder nützlich ſeyn kann. Die in demſelben an-
gegebenen Dichtigkeiten ſetzen die des reinen oder deſtillirten
Waſſers gleich der Einheit voraus.
- Schwefeläther _ _ 0,71
- Reinſter Alcohol _ _ 0,79
- Terpentinöl _ _ 0,87
- Olivenöl _ _ 0,91
- Wein, Bordeaux _ _ 0,99
- Milch _ _ 1,03
- Meerwaſſer _ _ 1,02
- Salpeterſäure _ _ 1,22
- Schwefelſäure _ _ 1,84
- Korkholz _ _ 0,24
- Pappelholz _ _ 0,38
- Cedernholz _ _ 0,56
- Tannenholz _ _ 0,66
- Apfelholz _ _ 0,73
- Eſcheuholz _ _ 0,84
- Pottaſche _ _ 0,86
- Eis _ _ 0,97
- Alaun _ _ 1,80
- Elfenbein _ _ 1,92
- Schwefel _ _ 2,03
- Porcellan _ _ 2,14
- Feldſpath _ _ 2,56
- Bergkryſtall _ _ 2,65
- Korallen _ _ 2,69
- Perlen _ _ 2,75
- Smaragd, grün _ _ 2,77
- Onix _ _ 2,81
- Marmor _ _ 2,84
- Asbeſt _ _ 2,99
- Turmalin _ _ 3,15
- Flintglas _ _ 3,33
- Diamant _ _ 3,53
- Topas, orient. _ _ 4,01
- Saphir, orient. _ _ 3,99
- Spath _ _ 4,43
- Jode _ _ 4,95
- Chrome _ _ 5,90
- Zink _ _ 6,86
[86]Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper.
- Eiſen, Guß- _ _ 7,21
- Eiſen, geſchmiedet _ _ 7,79
- Stahl _ _ 7,81
- Nickel _ _ 8,28
- Arſenik _ _ 8,31
- Kupfer _ _ 8,79
- Wismuth _ _ 9,82
- Silber _ _ 10,47
- Rhodium _ _ 11,00
- Palladium _ _ 11,30
- Blei _ _ 11,33
- Queckſilber _ _ 13,60
- Gold, geſchmiedet _ _ 19,36
- Platin, geſchmiedet _ _ 20,34
[[87]]
KapitelIV.
Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
§. 55. (Bewegungen in krummen Linien überhaupt.) Wir
haben oben (II. §. 15) geſehen, daß, wenn ein Körper ſich in
einer geraden Linie, und mit gleichförmiger Geſchwindigkeit be-
wegt, dieſe Bewegung nur die Folge eines erſten Impulſes ſeyn
kann, der bloß einen Augenblick thätig iſt, deſſen Wirkung aber,
nach dem Geſetze der Trägheit (II. §. 20) ohne Ende fortdauert,
wenn keine anderen, äußeren Einwirkungen dieſe Bewegung ſtören.
Wenn daher ein Körper ſich entweder in einer krummen Linie
mit gleichförmiger Geſchwindigkeit, oder in einer geraden Linie
mit ungleichförmiger Geſchwindigkeit, oder endlich, wenn er ſich
in einer krummen Linie mit veränderlicher Geſchwindigkeit bewegt,
ſo werden wir in allen dieſen Fällen annehmen müſſen, daß we-
nigſtens zwei Kräfte auf ihn wirken. Die eine derſelben kann
ebenfalls ein bloßer Impuls, ein anfänglicher, augenblicklicher
Stoß oder Zug ſeyn, in deſſen Folge der Körper wie zuvor eine
gerade Linie, deren Richtung die dieſes Stoßes iſt, mit gleichför-
miger Geſchwindigkeit durchlaufen würde. Wenn aber die wahre
Bahn, die wir den Körper beſchreiben ſehen, eine krumme Linie,
d. h. eine ſolche iſt, deren Richtung ſich immerwährend und in
jedem Augenblicke ändert, ſo kann die andere der beiden auf ihn
wirkenden Kräfte nicht mehr von der Art eines augenblicklichen
[88]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
Stoßes, ſondern ſie muß, wie die oben (II. §. 16) betrachtete
Attraction der Erde, eine ebenfalls immerwährend und in jedem
Augenblicke fortwirkende Kraft ſeyn, weil nur durch eine ſolche
Kraft die immerwährende Aenderung der Richtung der Bahn, ſo
wie die ſtetige Aenderung der Geſchwindigkeit des Körpers ſich
erklären läßt.
§. 56. (Zerlegung der Kräfte.) Es ſcheint auf den erſten
Blick keine leichte Aufgabe zu ſeyn, die Bahn eines ſolchen, von
zwei Kräften nach verſchiedenen Richtungen getriebenen Körpers
zu beſtimmen. Allein wir haben bereits oben (II. §. 31) eines
allgemeinen Grundſatzes der Mechanik erwähnt, der uns hier
ganz beſonders zu ſtatten kommen wird. Nach dieſem Grundſatze,
der mit der Erfahrung vollkommen übereinſtimmt, bringt jede
der beiden Kräfte auf die Körper ganz dieſelbe Wirkung hervor,
die ſie hervorgebracht haben würde, wenn ſie ganz allein auf ihn
gewirkt hätte, und wenn die andere gar nicht da geweſen
wäre. Dieſem Grundſatze, den man das Princip der Zerlegung
der Kräfte nennt, gemäß, wird man alſo die Wirkungen der
beiden Kräfte abgeſondert betrachten können, wodurch das
Geſchäft der Bahnbeſtimmung ungemein erleichtert wird. Einige
Beiſpiele werden dieß ſogleich näher erklären.
Wenn ein Körper A (Fig. 2) durch irgend eine Kraft M
während einer beſtimmten Zeit, und in gleichförmiger Bewegung
von A nach B, und zugleich von irgend einer andern Kraft N in
derſelben Zeit von A nach C getrieben wird, ſo findet man den
Weg, welchen er in Folge der vereinten Wirkung beider Kräfte
beſchreibt, auf folgende Art: Man ziehe die Linie BD mit AC
und CD mit AB parallel, ſo entſteht das Parallelogramm ABCD,
und der geſuchte Weg des von beiden Kräften getriebenen Körpers
wird die Diagonale AD dieſes Parallelogramms ſeyn. Denn da
die Kraft N nach der Richtung von AC, die mit BD parallel iſt,
wirkt, ſo wird dieſe Kraft, vermöge des erwähnten Principes, die-
jenige Bewegung des Körpers, mit welcher er ſich der Linie BD
zu nähern ſucht, nicht ändern, und er wird daher dieſe Linie BD
in derſelben oben erwähnten Zeit erreichen, die Kraft N mag auf
ihn wirken oder nicht. Dieſer Körper wird alſo am Ende dieſer
Zeit irgendwo in dieſer Linie BD ſeyn müſſen. Ganz eben ſo
[89]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
wird man auch zeigen, daß er bloß vermöge der Kraft N am
Ende derſelben Zeit irgendwo in der Linie CD ſeyn müſſe, die
Kraft M mag auf ihn wirken oder nicht. Der Körper wird daher
am Ende dieſer Zeit ſowohl in der Linie BD, als auch irgendwo
in der Linie CD, das heißt, er wird in dem gemeinſchaftlichen
Durchſchnittspunkte D dieſer beiden Linien ſeyn, und daher die
Diagonale AD des Parallelogramms beſchrieben haben, von welchen
die Seitenlinien AB und AC die beiden auf ihn wirkenden
Kräfte, ihrer Größe und Richtung nach, vorſtellen.
Auf dieſe Weiſe und mit denſelben Worten hat Newton
im erſten Buche ſeiner Principien dieſes Theorem von der Zerle-
gung der Kräfte erklärt, deſſen wir ſchon oben (I. §. 80) Erwäh-
nung gethan haben. Seine Nachfolger haben ſich bemüht, es
ſtrenge zu beweiſen. Es wäre aber zu wünſchen, daß dieſe ein-
fache und gemeinverſtändliche Darſtellung wenigſtens in unſern
Lehrbüchern beibehalten worden wäre, und daß man, aus zu weit
getriebener Vorliebe für die Rigoroſität der Beweiſe, eine Er-
klärung, die Newton in ſein unſterbliches Werk aufgenommen
hat, nicht unter der ſcholaſtiſchen Würde gehalten hätte, mit
welcher unſere Dogmatiker ſich noch immer ſo gerne brüſten.
Das Vorhergehende bezieht ſich übrigens nur auf geradlinige
und gleichförmige Bewegungen. Allein man ſieht, daß es unmit-
telbar auch auf jede andere Bewegung angewendet werden kann,
wenn man die krumme Linie der Bahn, wie dieß in der Geome-
trie und Mechanik geſchieht, in ſo kleine Theile zerlegt, daß man
ſie, ohne merklichen Fehler, als gerade Linien, deren jede mit
gleichförmiger Bewegung zurückgelegt wird, betrachten kann.
§. 57. (Bahn der geworfenen Körper auf der Erde.) Es
werde nun ein Körper A (Fig. 3) auf der Oberfläche der Erde
in einer horizontalen Richtung Aδ geworfen, und zugleich in jedem
Augenblicke von der Kraft der Erde angezogen. Wenn bloß der
erſte augenblickliche Impuls des Wurfes auf ihn wirkt, ſo würde
er in jeder Sekunde die gleich großen Theile Aα, αβ, βγ.. der
horizontalen Linie Aαβγ.. beſchreiben, von welchen z. B. jeder
dieſer Theile hundert Fuß betragen ſoll. — Wenn aber bloß die
Anziehung der Erde auf ihn wirkte, welche Wirkung man hier,
aus der bereits oben (§. 19) angeführten Urſache als conſtant,
[90]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
und in unter ſich parallelen oder ſenkrechten Richtungen annehmen
kann, ſo würde dieſer Körper in der erſten Sekunde (nach §. 19)
um 15,098 Fuß ſenkrecht zur Erde fallen. Wir wollen dieſe Größe,
der Kürze wegen, ein Maaß nennen. Wenn er alſo während
der erſten Sekunde durch ein Maaß fällt, ſo wird er, nach der
Tafel des §. 18, während der zweiten durch 4, während der
dritten durch 9, während der vierten Sekunde durch 16 Maaß
fallen u. ſ. w.
Dieß vorausgeſetzt, ziehe man alſo durch die Endpunkte
α, β, γ .. jener gleichen Theile der horizontalen Linie Aδ die
darauf ſenkrechten, oder die vertikalen Linien αb, βc, γd.. und
nehme auf ihnen die Stücke
- αB gleich 1 Maaß
- βC — 4 —
- γD — 9 —
- δE — 16 — u. ſ. f.
ſo werden A, B, C, D.. die Punkte ſeyn, in welchen ſich der ge-
worfene Körper im Anfange der 1. 2. 3. 4ten Sekunde befindet.
Vereinigt man dann dieſe Punkte durch eine etwa mit freier
Hand gezogene krumme Linie ABCD.. ſo erhält man die geſuchte
Bahn des geworfenen Körpers. Je kleiner man die anfänglichen
gleichen Theile der horizontalen Linie Aδ genommen hat, deſto
genauer wird man auch dieſe krumme Linie erhalten. Dieſelbe
Zeichnung zeigt auch, daß man dieſe krumme Linie als eine Folge
der Diagonalen von den Parallelogrammen jener beiden Kräfte
anſehen kann. In der erſten Sekunde ſind dieſe beiden Kräfte
Aα und αB, und AB die Diagonale ihres Parallelogramms.
Wenn am Ende dieſer erſten Sekunde die Schwere der Erde nicht
auf den Körper wirkte, ſo würde er in der Verlängerung dieſer
Diagonale, in der einmal erhaltenen Richtung fortgehen. Allein
durch dieſe Schwere wird er, während der erſten Sekunde, um
die Linie Bb fallen, alſo wird er die Diagonale BC der beiden
Kräfte Bb und bC beſchreiben. In der dritten Sekunde würde
er, vermöge der in C erhaltenen Geſchwindigkeit in der Richtung
der Verlängerung von BC fortgehen, aber von der Schwere um
Cc ſenkrecht herabgezogen werden, ſo daß er die Diagonale CD
der beiden Kräfte Cc und cD beſchreibt u. ſ. w.
[91]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
Da für die gleichen Abſtände Aα, αβ, βγ.. der horizontalen
Linie die darauf ſenkrechten Linien αB, βC, γD.. ſich wie 1, 4,
9.., das heißt wie die Quadrate der natürlichen Zahlen ver-
halten, und da dieß eine bekannte Eigenſchaft der Parabel iſt, ſo
iſt dadurch auch die Bahn der über der Erde geworfenen Körper
geometriſch beſtimmt. Uebrigens ſieht man, daß ein ſolcher Kör-
per einen deſto größern paraboliſchen Bogen über der Erde be-
ſchreiben, oder daß er die Oberfläche derſelben deſto ſpäter errei-
chen wird, je größer die anfängliche Wurfkraft, d. h. je größer
die Linie Aα iſt, ſo wie, daß dieſe Linie endlich auch ſo groß
werden kann, daß der geworfene Körper die Erde gar nicht mehr
erreicht, ſondern eine krumme Linie um ſie beſchreibt, wo wir
dann wieder auf denjenigen Fall zurückkommen, von welchem
wir bereits oben (§. 45) geſprochen haben, nämlich auf einen
künſtlichen Satelliten der Erde, der gleich unſerem Monde, ſeine
Bahn um dieſe Erde beſchreibt.
§. 58. (Princip der Erhaltung der Flächen bei Bewegungen
durch Centralkräfte.) Dieß leitet uns gleichſam von ſelbſt auf die
Bewegung der Satelliten um ihre Hauptplaneten, und auf die
dieſer Planeten um die Sonne, als um den Centralpunkt
ihrer Bahnen. — Nehmen wir alſo an, ein Planet A (Fig. 4)
habe im Anfange ſeiner Bewegung durch irgend eine äußere
Veranlaſſung einen Stoß erhalten, in deſſen Folge er während
der erſten Sekunde die gerade Linie AB zurücklegt. Wenn weiter
keine Kraft auf den Planeten wirkte, ſo würde er in der zweiten
Sekunde, in derſelben Richtung die eben ſo große Linie Bc = AB
zurücklegen. Wenn aber auch die immer thätige Kraft der Sonne,
deren unveränderlichen Ort wir in S annehmen wollen, auf ihn
wirkt, ſo wird ſie den Planeten während der zweiten Sekunde in
der Richtung BS, etwa um die Linie Bm, an ſich ziehen. Dem-
nach hat der Planet, wenn er in dem Punkte B ankommt, zwei
Geſchwindigkeiten: die eine Bc, nach dem Geſetze der Trägheit,
in der Tangente ſeiner Bahn, und die andere Bm nach der Rich-
tung gegen die Sonne S. Zieht man daher durch c die gerade
Linie cC gleich und parallel mit Bm, und ergänzt das Parallelo-
gramm BCcm, ſo wird die Diagonale BC dieſes Parallelogramms
den eigentlichen Weg des Planeten während der zweiten Sekunde
[92]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
vorſtellen, und derſelbe wird, am Ende dieſer Sekunde, in dem
Punkte C ſeyn. Allein die beiden Dreiecke ASB und BSc haben
gleiche Flächen, weil ihre Grundlinien AB und Bc gleich groß,
und ihre Scheitel in demſelben Punkte S, alſo in derſelben Höhe
über ihrer Grundlinie haben. Aber auch die beiden Dreiecke
BSc und BSC haben gleiche Flächen, weil ſie eine gemeinſchaft-
liche Grundlinie SB, und ihre Scheitel C und c in einer Linie
Cc haben, die zu jener Grundlinie parallel iſt, ſo daß alſo auch
dieſes zweite Dreieckspaar, wie das erſte, gleiche Baſis und Höhe
hat. Daraus folgt demnach, daß auch die beiden äußerſten
dieſer Dreiecke, nämlich das Dreieck ASB und BSC gleiche Flä-
chen haben, und eben daſſelbe wird auch von den beiden Dreiecken
BSC und CSD gelten, wenn der Planet am Ende der dritten
Sekunde in dem Punkte D iſt, und ſo fort für jeden folgenden
Punkt.
Man ſieht daraus, daß, wenn die anziehende Kraft einen
feſten Punkt S einnimmt, oder eine ſogenannte Centralkraft iſt,
die Bewegung der von ihr angezogenen Körper immer ſo be-
ſchaffen ſeyn muß, daß die Flächen ASB, BSC, CSD.. welche die
Radien SA, SB, SC.. um den Sitz S der Kraft beſchreiben, der
Zeit proportional ſind, oder daß dieſe Flächen immer in 2, 3, 4..
Sekunden auch 2, 3, 4.. mal ſo groß ſind, als in einer Sekunde.
Dieß iſt das erſte Geſetz Keplers, welches wir ſchon oben
(I. §. 132) betrachtet haben. Kepler hatte daſſelbe durch unmit-
telbare Beobachtungen auf bloß praktiſchem Wege, und nur für
die elliptiſchen Bahnen der Planeten gefunden. Man ſieht
aber aus der vorhergehenden einfachen Deduction, daß daſſelbe
überhaupt für alle Bahnen gilt, die durch eine Centralkraft er-
zeugt werden, und es iſt leicht zu zeigen, daß derſelbe Satz auch
umgekehrt ſtatt hat, daß nämlich, ſo oft die von den Radien eines
Körpers um einen feſten Punkt beſchriebenen Flächen der Zeit pro-
portional ſind, die ſie bewegende Kraft eine Centralkraft ſeyn
müſſe, die in dieſem feſten Punkte ihren Sitz hat.
§. 59. (Allgemeine Betrachtung der Kegelſchnitte.) In der
That iſt es auch nicht nothwendig, daß die von den Planeten
um die Sonne beſchriebenen Bahnen immer die Geſtalt einer
Ellipſe haben, ſelbſt dann nicht, wenn die Kraft der Sonne, wie
[93]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
wir oben gezeigt haben, ſich wie verkehrt das Quadrat der Ent-
fernung verhält.
Man kann nämlich durch Rechnung zeigen, daß bei einer ſo
geſtalteten Kraft der Sonne die Bahnen der um ſie gehenden
Körper überhaupt ſogenannte Linien der zweiten Ordnung, oder
daß ſie Kegelſchnitte ſeyn werden, deren es im allgemeinen
drei Gattungen gibt, die wir hier etwas näher betrachten wollen.
Wenn man durch den Mittelpunkt eines horizontalen Kreiſes
eine vertikale gerade Linie errichtet, und dann eine zweite gerade
Linie um den höchſten Punkt dieſer Vertikalen ſo herumführt,
daß ſie immer durch dieſen Punkt und durch die Peripherie
des Kreiſes geht, ſo beſchreibt dieſe zweite, bewegliche Gerade eine
krumme Oberfläche, die man einen Kegel nennt, von welchem
jener oberſte Punkt der Scheitel iſt. Man kann ſich die beweg-
liche gerade Linie auch über dieſen Punkt unbeſtimmt verlängert
denken, wo ſie dann durch ihre oben angegebene Bewegung einen
Doppelkegel beſchreiben wird, von welchem jener feſte Punkt
als Mittelpunkt betrachtet werden kann. In Fig. 5 iſt
der untere Theil eines ſolchen Kegels vorgeſtellt, wo C der
Mittelpunkt des Kreiſes BD, und CA die darauf ſenkrechte
Gerade, AB oder AD die bewegliche Gerade, und A der Scheitel
des Kegels iſt.
Denken wir uns die Oberfläche dieſes Kegels in irgend einem
Punkte M derſelben durch eine auf der Ebene ſenkrecht ſtehende
Ebene MN geſchnitten, ſo wird der Durchſchnitt der Kegelfläche
mit der ſchneidenden Ebene MN eine ſogenannte Linie der zwei-
ten Ordnung ſeyn. Dieſe Linie wird aber ganz andere Geſtalten
und Eigenſchaften erhalten, wenn die ſchneidende LinieMN
ſelbſt von verſchiedener Lage iſt. Man bemerkt hier vorzüglich
drei Fälle. Um ſie leichter zu unterſcheiden, wollen wir zuerſt
die fixe ſchneidende Linie MO parallel mit der gegenüberſtehenden
Seite AB des Kegels ziehen, und von ihr ausgehen, um auch
die anderen Schnitte, die über und unter dieſem fixen Schnitte
liegen, zu betrachten.
§. 60. (Ellipſen.) Hier bemerken wir zuerſt, daß, ſo lange
die ſchneidende Linie MN über der fixen Linie MO, oder irgendwo
in dem Winkel AMO liegt, der Schnitt der Ebene mit dem
[94]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
Kegel immer auch die dem Einſchnittpunkte M gegenüber liegende
Seite AB des Kegels trifft, und daß daher die durch dieſen
Schnitt erzeugte krumme Linie eine ringsum geſchloſſene Curve
bilden wird. Dieſe Curven ſind es, die in der Geometrie Ellip-
ſen genannt werden. Wir haben ihre vorzüglichſten Eigenſchaften
bereits oben (I. §. 136) betrachtet. Wenn die ſchneidende Linie
ſehr nahe an MA liegt, ſo wird die ſo entſtehende Ellipſe ſehr
länglich oder ſehr excentriſch ſeyn. Wie dieſe Linie MN von MA
weiter gegen MO herabrückt, wird die Excentricität der Ellipſe
kleiner, und wenn MN in eine ſolche Lage gekommen iſt, daß ſie
mit der Ebene des Kreiſes parallel, oder daß ſie ſenkrecht auf
die Axe AC des Kegels ſteht, ſo verſchwindet dieſe Excentricität
völlig, und der Kegelſchnitt wird zu einem Kreiſe, der als eine
Ellipſe mit verſchwindender Excentricität betrachtet werden kann.
Wenn aber die ſchneidende Linie MN noch weiter gegen die fixe
Linie MO herabſinkt, ſo entſtehen wieder Ellipſen, deren Größe
und deren Excentricität immer bedeutender wird, je tiefer die
ſchneidende Linie MN herabſinkt. Da man die Seitenlinien AB
und AD des Kegels auch unter den Kreis BD unbeſtimmt ver-
längert ſich vorſtellen kann, ſo ſieht man, daß der Schnitt, ſo
lange er nur innerhalb des Winkels AMO ſtatt hat, immer noch die
gegenüberſtehende Seite AB oder ihre Verlängerung treffen, daß
alſo die ſo entſtehende Linie immer noch eine geſchloſſene Linie,
eine Ellipſe ſeyn wird.
§. 61. (Parabeln.) Allein ſo wie die ſchneidende Linie MN
dieſe Gränze erreicht, und in die Lage der fixen Linie MO kömmt,
iſt dieß nicht mehr der Fall. Hier geht nämlich der Schnitt
nicht mehr durch die dem Punkte M gegenüber liegende Seite
AB des Kegels, weil die beiden Linien MO und AB einander
parallel ſind, und ſich daher nie ſchneiden können, ſo weit
man auch den Kegel auf der untern Seite des Kreiſes BD ver-
längert. Hier iſt alſo auch die Curve des Schnitts keine ge-
ſchloſſene, in ſich ſelbſt zurückkehrende, ſondern ſie iſt eine gegen-
über von M offene Linie, die von ihrem Scheitel M zu beiden
Seiten der Linie MO, mit zwei gleichen Aeſten ſich ins Unend-
liche ausbreitet. Dieſe krumme, von der Ellipſe weſentlich ver-
ſchiedene Linie heißt Parabel.
[95]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
§. 62. (Hyperbeln.) Tritt nun die ſchneidende Linie MN
noch weiter, oder auf die andere, untere Seite der fixen Linie
MO, d. h. fällt MN zwiſchen die Schenkel OM und MD des
Winkels OMD, ſo bleibt die durch den Schnitt entſtehende Linie,
wie man ſieht, auf der dem Punkte M gegenüberſtehenden Seite
offen, indem ſie da, wie zuvor bei der Parabel, in zwei gleiche
und unendliche Aeſte ausläuft. Allein ſie iſt demungeachtet ſehr
von der Parabel verſchieden. — Verlängert man nämlich die
Seiten BA und DA des Kegels über dem Punkte A, und ſtellt
man dadurch in der Zeichnung den oben erwähnten Doppel-
kegel her, ſo ſieht man, daß die ſchneidende Linie MN, wenn
ſie in den Winkel OMD fällt, nicht nur den unteren, ſondern
daß ſie auch den oberen Kegel trifft, daß alſo die Ebene des
Schnitts in dieſem Falle durch beide Kegel geht, was nicht ge-
ſchehen kann, ſo lange die ſchneidende Linie MN in dem Winkel
AMO oder über der fixen Linie MO liegt. Die hier entſtehende
krumme Linie beſteht alſo aus zwei von einander abgeſonderten,
ähnlichen Theilen, welche ihre Scheitel einander zukehren, und
von welchen jede auf der ihren Scheitel gegenüberſtehenden Seite
mit zwei gleichen Aeſten in’s Unendliche ausläuft. Dieſe krumme
Linie mit vier unendlichen Aeſten heißt Hyperbel.
So lange alſo die ſchneidende Linie MN über der fixen Linie
MO, oder in dem Winkel AMO liegt, entſtehen Ellipſen; fällt
die ſchneidende Linie in die fixe, ſo entſteht die Parabel, und liegt
endlich die ſchneidende Linie unter der fixen, oder in dem Winkel
OMD, ſo entſtehen Hyperbeln. Die Parabel iſt demnach die
Gränze, welche die Ellipſen von den Hyperbeln trennt, ſo wie
auch der Kreis die Gränze von denjenigen Ellipſen iſt, die über
und unter ihm liegen, und deren Excentricität immer größer
wird, je weiter ſie ſich von dieſem Kreiſe, zu den beiden Seiten
deſſelben, entfernen. Für jeden Punkt M des Kegels, wo der Schnitt
anfangen ſoll, gibt es, wie man ſieht, nur eine einzige Lage der
ſchneidenden Ebene, die den Schnitt zur Parabel macht, ſo wie
auch nur eine einzige andere Lage den Kreis erzeugt; für die
Ellipſe und die Hyperbel aber gibt es unendlich viele Lagen, und
es iſt genug, daß die ſchneidende Ebene nur überhaupt über oder
[96]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
unter dem paraboliſchen Schnitte liegt, um in dem erſten Falle
eine Ellipſe, und in dem zweiten eine Hyperbel zu erzeugen.
§. 63. (Anwendung auf die Bewegung der Planeten und Ko-
meten.) Dieſes vorausgeſetzt, gehen wir nun wieder zu der Be-
wegung der Planeten um die Sonne zurück. Dieſe wird, nach
dem Vorhergehenden, durch zwei Kräfte bewirkt. Die eine der-
ſelben iſt die Kraft der Sonne, die ſich verkehrt wie das
Quadrat der Entfernung des Planeten von der Sonne rer-
hält, und die daher, je nach der Verſchiedenheit dieſer Entfer-
nungen, ſelbſt als eine veränderliche Kraft betrachtet werden muß.
Die andere aber iſt der augenblickliche Impuls, der Stoß, den
der Planet im Anfange ſeiner Bewegung, entweder unmittelbar
durch die Hand der Allmacht, oder auch durch die Anziehung
irgend eines ihm damals nahe ſtehenden Körpers erhalten hat.
Die erſte dieſer beiden Kräfte würde, wenn ſie allein da wäre,
oder wenn der Planet ſeine Bewegung aus der Ruhe angefangen
hätte, dieſen Planeten in einer geraden Linie, und mit immer
beſchleunigter Geſchwindigkeit zur Sonne geführt haben, weil die
Richtung dieſer Kraft immer gegen die Sonne zu geht. Die
zweite Kraft aber würde, wenn ſie allein da geweſen wäre, den
Planeten zwar auch in einer geraden Linie, aber, vermöge des
Geſetzes der Trägheit, mit einer immer gleichen Geſchwindigkeit
nach derjenigen Gegend des Himmels hingeführt haben, nach
welcher jener urſprüngliche Stoß ſelbſt gerichtet war. Beide
Kräfte zuſammen aber werden den Planeten in einer krummen
Bahn um die Sonne führen. Durch jenen erſten Impuls hat
er nämlich in dem erſten Augenblicke ſeiner Bewegung eine be-
ſtimmte Geſchwindigkeit nach irgend einer Richtung, die nicht
durch die Sonne geht, erhalten. Allein in demſelben Augenblicke
wurde er auch von der Sonne angezogen, und er geht daher,
weder in der Richtung jenes Impulſes, noch in der Richtung
dieſer zur Sonne gekehrten Kraft, ſondern er geht in der Dia-
gonale des Parallelogramms (§. 56) einher, deſſen Seiten die
Größe und Richtung jener beiden Kräfte darſtellen. Dieſe Dia-
gonale iſt alſo die Tangente ſeiner krummen Bahn während des
erſten Augenblickes. Sei AB (Fig. 4) das Stück ſeiner Tangente,
welches der Planet im erſten Augenblicke zurücklegt. Wenn am
[97]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
Ende deſſelben die Kraft der Sonne nicht weiter auf ihn wirkte,
ſo würde er mit der nun erhaltenen Geſchwindigkeit und Richtung
ſeinen Weg in dieſer Tangente weiter verfolgen, und den Weg
Bc = AB zurücklegen. Allein die Sonne, die ihn auch während
des zweiten Augenblickes wieder zu ſich zu ziehen ſtrebt, zwingt
ihn, jene erſte Tangente zu verlaſſen, und neuerdings in der Dia-
gonale BC des Parallelogramms einherzugehen, deſſen Seiten
Bm und Bc die Größe und Richtung der Kraft der Sonne und
derjenigen Kraft vorſtellen, die am Ende des erſten Augenblicks
auf den Planeten gewirkt hat, und die ſelbſt wieder eine Com-
plication von der Kraft der Sonne, und von der des erſten Im-
pulſes iſt. Dieſe Diagonale BC wird alſo der Weg des Planeten
während des zweiten Augenblickes, oder ſie wird wieder die Tan-
gente ſeiner Bahn in dieſer Zeit ſeyn. Eben ſo wird die Diago-
nale CD das erſte Element der Tangente der Bahn während des
dritten Augenblickes ſeyn u. ſ. w., und der ganze Weg des Pla-
neten wird durch die gebrochene gerade Linie ABCD.. vorgeſtellt
werden, die einer krummen Linie deſto näher kömmt, je kleiner
wir ihre Theile oder je kleiner wir die Zwiſchenzeiten annehmen,
während welcher wir den Planeten in ſeinen nach einander fol-
genden Stellungen betrachten wollen. Man kann daher auch
annehmen, daß der Planet in jedem Punkte B ſeiner Bahn von
zwei veränderlichen Kräften getrieben wird, nämlich von der
CentralkraftBm der Sonne, nach welcher er in jedem Augen-
blicke ſich in gerader Linie der Sonne zu nähern, und von der
TangentialkraftBc, nach welcher er in demſelben Augen-
blicke ebenfalls in gerader Richtung, nämlich in der Richtung der
letzten Tangente ſeiner Bahn fortzugehen ſtrebt. Wie viel aber
die Krümmung ſeiner Bahn in dem erſten, und in jedem folgen-
den Augenblicke ſeiner Bewegung betragen ſoll, dieß hängt von
dem Verhältniſſe der Stärke des erſten Stoßes zu der Stärke
der Anziehung der Sonne ab. Dieſes Verhältniß wird alſo auch
beſtimmen, ob die Bahn des Körpers eine Ellipſe, Parabel oder
eine Hyperbel iſt, und ob z. B. dieſe Ellipſe ſehr ſtark oder nur
wenig excentriſch ſeyn wird.
§. 64. (Nähere Beſtimmung der anfänglichen Geſchwindigkeit.)
Man kann dieſe verſchiedenen Fälle durch Rechnungen mit großer
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 7
[98]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
Genauigkeit angeben. Es iſt hier nicht der Ort, die Gründe dieſer
Rechnungen anzuführen, aber die einfachen Reſultate derſelben
dürfen nicht ganz übergangen werden. — Nimmt man der Kürze
wegen an, daß der Planet in demjenigen Punkte ſeiner Bahn,
wo er der Sonne am nächſten iſt, alſo in ſeinem Perihelium
(I. Kap. IX.) entſtanden iſt, und nennt man a die Entfernung
dieſes Periheliums von dem Mittelpunkte der Sonne, in Theilen
der halben großen Axe der Erdbahn ausgedrückt, ſo ſey b gleich
der Zahl 5,804, dividirt durch die Quadratwurzel von a. Dieſes
vorausgeſetzt, darf man nur die Größe jenes erſten Impulſes,
d. h. die Geſchwindigkeit des Planeten oder den Weg, in deut-
ſchen Meilen ausgedrückt, kennen, den er in ſeiner Sonnennähe
während einer Sekunde zurücklegt, um daraus ſogleich zu ent-
ſcheiden, welchen der oben angeführten Kegelſchnitte der Planet
um die Sonne beſchreiben muß.
Iſt nämlich die anfängliche Geſchwindigkeit des Planeten, in
Meilen ausgedrückt, kleiner als die vorhergehende Zahl b, ſo iſt
die Bahn des Planeten eine Ellipſe; iſt ſie eben ſo groß, als b,
ſo iſt die Bahn eine Parabel, und iſt ſie endlich größer als b,
ſo iſt die Bahn eine Hyperbel.
So lange alſo die anfängliche Geſchwindigkeit zwiſchen Null
und der Größe b liegt, entſtehen immer Ellipſen, aber dieſe
Ellipſen ſind anfangs, bei einer ſehr kleinen Geſchwindigkeit, ſehr
länglich oder excentriſch. Wie dieſe Geſchwindigkeit zunimmt,
nimmt die Excentricität der Ellipſen ab, bis ſie endlich, wenn
dieſe Geſchwindigkeit nahe drei Viertheile von b beträgt, ganz
verſchwindet, und die Bahn ein vollkommener Kreis wird. Wenn
von dieſem Punkte an die Geſchwindigkeit noch weiter wächst, ſo
nimmt auch die Excentricität der nun entſtehenden Ellipſen immer
mehr zu, bis ſie endlich, wenn die Geſchwindigkeit genau gleich
b wird, in die Parabel, bei einer noch größern Geſchwindigkeit
in Hyperbeln übergehen. Man ſieht, daß auch hier, bei der
eigentlich aſtronomiſchen Betrachtung der Kegelſchnitte, wie dort
bei der geometriſchen, die Parabel als die Gränze zwiſchen den
Ellipſen und Hyperbeln erſcheint, und daß eben ſo der Kreis den
Uebergang von der einen Gattung von Ellipſen zu der andern
bildet.
[99]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
§. 65. (Anwendung des Vorhergehenden auf die Bahn der
Erde.) Dieſe Beſtimmung der Planetenbahnen ſetzt alſo die
Kenntniß der urſprünglichen Geſchwindigkeit derſelben voraus.
Allein woher ſollen wir dieſe nehmen? Dieſe Körper des Him-
mels ſind vielleicht vor Millionen von Jahren, zu einer Zeit ent-
ſtanden, wo das ganze Menſchengeſchlecht noch nicht exiſtirte.
In welchem Archive ſollen wir denn die Nachrichten aus jenen
Zeiten ſuchen? — Wir werden unten ſehen, daß die Bewegungen
der Planeten, wie ſie uns von den älteſten Beobachtern überliefert
worden ſind, auf das genaueſte mit denen übereinkommen, die wir
ſelbſt in unſern Tagen beobachten, und daß man [ſehr] gute
Gründe hat, die Unveränderlichkeit dieſer Bewegungen ſelbſt noch
für viel größere Zeiträume mit Sicherheit vorauszuſetzen. Wir
dürfen daher nur jetzt die Geſchwindigkeit eines dieſer Himmels-
körper zur Zeit, wo er der Sonne am nächſten iſt, beobachten,
um verſichert zu ſeyn, daß er viele Jahrtauſende durch, ſo oft er
dieſen Punkt ſeiner Bahn erreicht, auch immer wieder dieſelbe
Geſchwindigkeit, ſo wie denſelben Abſtand von der Sonne haben
werde.
Unſere Erde z. B., um das Vorhergehende ſogleich auf ſie
anzuwenden, iſt in ihrem Perihelium um den 0,9832ſten Theil der
halben großen Axe ihrer elliptiſchen Bahn von dem Mittelpunkte
der Sonne entfernt, und ſie hat in dieſem Punkte ihres Weges
eine Geſchwindigkeit, mit welcher ſie in einer Sekunde 4,28 deut-
ſche Meilen zurücklegt. Für dieſen Fall iſt alſo die Größe a
gleich 0,9832, und daher die Größe b gleich 5,85 Meilen. Wäre
alſo die Geſchwindigkeit der Erde, zur Zeit ihrer Entſtehung in
der Sonnennähe, gleich 5,85 Meilen, ſo würde die Bahn der Erde
eine Parabel geworden ſeyn. Wäre dieſe Geſchwindigkeit aber
noch größer geweſen, als 5,85 Meilen, ſo würde ſich die Erde in
einer Hyperbel um die Sonne bewegt haben. In dieſen beiden
Fällen würde ſich alſo unſere Erde, in den unendlichen Aeſten
dieſer krummen Linien, immer mehr von der Sonne entfernt
haben, ohne je wieder zu ihr zurückkehren zu können. Es iſt
mehr als wahrſcheinlich, daß mehrere unſerer Kometen in der
That in ſolchen Bahnen einhergehen. Welche Veränderungen,
7 *
[100]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
welche Schickſale würden aber die Erde mit ihren Bewohnern ge-
troffen haben, wenn ſie im Augenblicke ihrer Entſtehung von
dieſem Falle, dem ſie, wie man ſieht, nahe genug geſtanden iſt,
getroffen worden wäre. Ihre anfängliche Geſchwindigkeit war
4,28 Meilen, nur 1½ Meile kleiner als jene, die ihr ſo verderblich
hätte werden können. Und eben weil ſie kleiner als 5,85 war,
wurde die Bahn der Erde eine Ellipſe. Wäre dieſe Geſchwindig-
keit nur ein Drei-Viertheil von 5,85, oder wäre ſie 4,39 Meilen
geweſen, ſo würde die Erdbahn ein vollkommener Kreis geworden
ſeyn. Die wahre Geſchwindigkeit derſelben beträgt aber nur 4,28
Meilen, iſt alſo nahe ein Zehntheil kleiner noch, als die Kreis-
geſchwindigkeit, daher unſere Ellipſe zu denen gehört, die (in
Fig. 5) über dem Kreiſe, gegen den Scheitel A des Kegels bin
liegen. Auch liegt ſie viel näher bei dem Kreiſe, als bei dieſem
Scheitel, daher auch ihre Excentricität ſehr klein iſt, oder ihre
Bahn der eines Kreiſes ſehr nahe kömmt, was alles mit unſern
Beobachtungen vollkommen übereinſtimmt.
Anders verhält es ſich ſchon mit Merkur, dieſem der Sonne
nächſten Planeten, deſſen Excentricität ſehr groß iſt; für ihn iſt
die Größe a gleich 9,64 Meilen. Eine ſolche Geſchwindigkeit
würde ſeine Bahn zu einer Parabel, und eine noch größere zu
einer Hyperbel gemacht haben. Allein ſeine beobachtete Geſchwin-
digkeit im Perihel iſt 8,34, alſo 1,8 Meilen kleiner als jene, und
im Gegentheile 1,7 Meilen größer als die Kreisgeſchwindigkeit,
daher die Bahn Merkurs wohl noch eine Ellipſe, aber eine von
dem Kreiſe ſehr entfernte, oder eine ſehr excentriſche Ellipſe iſt.
Für Uranus hat man die beobachtete Geſchwindigkeit im Perihel
gleich 1,02 Meilen, während die für den Kreis 0,97, und die für
die Parabel 1,37 Meilen betragen würde.
§. 66. (Wahrſcheinlichkeit der Ellipſe.) Man ſieht, daß unter
allen möglichen unzähligen Geſchwindigkeiten, die ein Körper er-
halten kann, nur eine einzige den Kreis, und ebenfalls nur eine
einzige die Parabel hervorbringt, während es im Gegentheile un-
endlich viele gibt, welche die Bahn zu einer Ellipſe oder zu einer
Hyperbel machen. Daraus folgt die äußerſt geringe Wahrſchein-
lichkeit, daß ein Körper unſeres Sonnenſyſtems ſich in einem
Kreiſe oder in einer Parabel bewege, wohingegen bei weitem die
[101]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
meiſten Bahnen derſelben entweder Ellipſen oder Hyperbeln ſeyn
werden. Selbſt unter dieſen beiden letzten Kegelſchnitten wird
wieder die Ellipſe ſehr viel wahrſcheinlicher ſeyn, als die Hyper-
bel, aus dem Grunde, weil für die Ellipſe ſchon die geringſte
Geſchwindigkeit, ſchon die leiſeſte Anziehung irgend eines andern
Himmelskörpers hinreicht, während im Gegentheile für die Hy-
perbeln durchaus nur ſolche Geſchwindigkeiten erfordert werden,
die eine beſtimmte Größe überſteigen. In der That haben wir
auch bisher in der Natur noch kein Beiſpiel von einem Planeten
oder Kometen gefunden, deſſen Bahn genau kreisförmig oder pa-
raboliſch wäre. Daſſelbe gilt ſehr nahe auch von den hyperboliſchen
Bahnen, in welchen man bisher bloß zwei Kometen, den von
1771 und von 1824 einhergehen laſſen wollte. Allein die Beobach-
tungen dieſer beiden Kometen laſſen immer noch einige Zweifel
über die Geſtalt ihrer Bahnen übrig, und es iſt nahe eben ſo
wahrſcheinlich, daß dieſelben nur ſehr excentriſche Ellipſen ſind.
Wir werden alſo annehmen können, daß die im verkehrten
Verhältniſſe ihrer Entfernung wirkende Kraft der Sonne, ver-
bunden mit der Kraft eines Impulſes, welchen der Planet im
Augenblicke ſeiner Entſtehung erhalten hat, dieſen Planeten im
Allgemeinen in einer Ellipſe um die Sonne führt, indem die letzte
einen der beiden Brennpunkte dieſer Ellipſe einnimmt. Da ſich
nun der Planet, wenn er von ſeinem Aphelium ausgeht, in der
erſten Hälfte ſeiner Bahn der Sonne nähert, in der darauf fol-
genden zweiten Hälfte aber wieder von ihr entfernt, ſo hört man
von den mit dem Gegenſtande weniger bekannten Leſern öfter den
Zweifel aufwerfen, wie es möglich ſey, daß die Kraft der Sonne,
die doch den Planeten in allen Punkten ſeiner Bahn anziehen
ſoll, ihn auch zuweilen von ſich entfernen können? — Eine ge-
ringe Ueberlegung wird aber bald die Antwort auf dieſen Ein-
wurf finden. Wenn ein Planet von ſeiner Sonnennähe ausgeht,
ſo ſteht die Richtung ſeiner Bewegung, die immer durch die Tan-
gente ſeiner Bahn angedeutet wird, ſenkrecht auf ſeinen Radius
oder auf die Linie, welche ihn mit der Sonne verbindet. Da er
hier der Sonne am nächſten iſt, ſo wird er auch am ſtärkſten von
ihr angezogen. Da aber auch ſeine Geſchwindigkeit in der Tan-
gente hier die größte iſt, und da, wie die Rechnung zeigt, dieſes
[102]Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper.
Fortſchreiten in der Tangente während einer beſtimmten Zeit viel
beträchtlicher iſt, als die Annäherung zur Sonne in derſelben
Zeit, ſo iſt hier, im Perihelium, die Tangentialkraft die über-
wiegende, und der Planet muß ſich von der Sonne entfernen.
Während er nun in dieſer erſten Hälfte ſeiner Bahn einhergeht,
ſucht ihn die Kraft der Sonne immerwährend an ſich zu ziehen,
und ſeiner jetzt ſtatthabenden von der Sonne abgewendeten Be-
wegung entgegen zu wirken. Dadurch vermindert ſich allmählig
die Tangentialgeſchwindigkeit des Planeten ſo lange, bis er end-
lich in ſeinem Aphelium ankömmt. In dieſem Punkte iſt ſeine
Tangentialkraft am kleinſten, ſo wie auch die Attraction der
Sonne, wegen der ſich bisher immer vergrößernden Entfernung
des Planeten, am ſchwächſten geworden iſt. Allein demungeachtet
iſt die letzte Kraft in dieſem Punkte der Bahn beträchtlich größer,
als die Tangentialkraft, die Centralkraft überwiegt, und der Pla-
net muß ſich daher in der zweiten Hälfte ſeiner Bahn der Sonne
wieder nähern, bis er im Perihelium ankömmt, um von da ganz
auf dieſelbe Weiſe eine zweite Revolution um die Sonne zu wie-
derholen.
[[103]]
Kapitel V.
Störungen der Planeten überhaupt.
§. 67. (Allgemeine Ueberſicht dieſer Störungen.) Wenn bloß
die Erde nebſt der Sonne in unſerem Planetenſyſteme da wäre,
ſo würde es ein Leichtes ſeyn, die Bahn der Erde nach allen
ihren Beziehungen auf das genaueſte zu beſtimmen. Dieſe Bahn
würde nämlich, nach dem vorhergehenden Kapitel, eine Ellipſe
ſeyn, und ſchon wenige gute Beobachtungen würden hinreichen, die
Lage, Größe und Geſtalt dieſer Ellipſe kennen zu lernen.
Allein nebſt dieſer Erde bewegen ſich noch mehrere Planeten,
und vielleicht unzählige Kometen um die Sonne, und da dieſe
Körper, wie überhaupt alle, dieſelbe Eigenſchaft haben, alle an-
dern; Körper nach dem oben (§. 26 und §. 43) angegebenen
allgemeinen Geſetze anzuziehen, ſo wird dadurch die Ellipſe,
welche jeder dieſer Körper, wenn er allein da wäre, um die Sonne
beſchreiben würde, auf das mannigfaltigſte abgeändert. Während
z. B. Jupiter durch die Kraft der Sonne in ſeiner großen ellip-
tiſchen Bahn um dieſes Geſtirn geführt wird, ſuchen ihn auch
alle übrige, beſonders die ihm näher ſtehenden Planeten, Saturn
und Mars, durch ähnliche Kräfte immerwährend aus dieſer Bahn
heraus zu ziehen. Nach der verſchiedenen Lage und Entfernung
der ihn umgebenden Planeten, wird er von denſelben bald zur
Sonne hin, bald von ihr weg gezogen; dieſer bewegt ihn auf
[104]Störungen der Planeten überhaupt.
ſeinem Wege vor, und jener zurück; dieſer erhebt ihn über, und
jener zieht ihn unter ſeine urſprüngliche Bahn. Auf dieſe Weiſe
iſt dieſer Planet, und daſſelbe gilt auch von allen übrigen, weit
entfernt, eine reine Ellipſe um die Sonne zu beſchreiben, ſondern
ſeine Bahn iſt vielmehr eine äußerſt zuſammengeſetzte, eine jeden
Augenblick veränderliche krumme Linie, deren nähere Beſtimmung
alle Kräfte unſerer Analyſe überſteigt und ſo gut als ganz un-
möglich iſt. Dazu kömmt noch, daß die Ecliptik, auf die wir in
unſern Rechnungen alle Orte der Planeten beziehen, durch eine
ähnliche Wirkung aller Planeten auf die Erde, ſelbſt wieder jeden
Augenblick eine andere Lage einnimmt. Durch dieſe Aenderungen,
ſo wie durch die bereits oben (I. Kap. XII.) betrachteten Verän-
derungen der Präceſſion und Nutation, wird gleichſam die ganze
Sphäre des Himmels erſchüttert, der Anfangspunkt, von dem wir
alle Orte der Geſtirne zählen, verrückt, und aus dem letzten
dieſer Geſtirne das erſte, aus dem erſten das letzte gemacht, ſo
daß an dem Himmel, an welchem wir früher nur Ordnung
und Harmonie zu bewundern pflegten, jetzt alles Unordnung und
Verwirrung wird, und daß von der großen Karte, die wir uns
von demſelben entworfen haben, am Ende auch nicht ein einziger
Punkt in Ruhe bleibt, durch welchen wir dieſe nach allen Rich-
tungen unter einander verſchlungene Bewegungen feſſeln, und
dieſes verworrene Chaos um ſo weniger überſehen können, da wir
daſſelbe nicht einmal von einem feſten Standpunkte, ſondern wieder
von einer jährlich um die Sonne, und täglich um ſich ſelbſt ſich
wälzende Kugel beobachten müſſen, die überdieß ſelbſt wieder von
allen Planeten hin und wieder gezogen, und auch noch mit
einer Hülle umgeben iſt, welche, die Quelle unzähliger Täuſchun-
gen, uns kein einziges dieſer Geſtirne an dem Orte erblicken läßt,
welches daſſelbe in der That am Himmel einnimmt.
§. 68. (Schwierigkeit der Beſtimmung derſelben.) Aus dieſem
Geſichtspunkte betrachtet, erſcheint uns die Beſtimmung eines
einzigen Ortes am Himmel, und überhaupt die ganze Aſtronomie
alle menſchlichen Kräfte weit zu überſteigen, und wenn man be-
denkt, wie viele Jahrtauſende erfordert wurden, bis der menſchliche
Geiſt nur die größte und auffallendſte und ihm zunächſt liegende
von allen dieſen Erſcheinungen, die Exiſtenz der doppelten Bewe-
[105]Störungen der Planeten überhaupt.
gung ſeiner Erde, erkennen lernte, ſo muß man an der Auflöſung
dieſes auf das höchſte verwickelten Problems ſelbſt für alle Folge-
zeit beinahe verzagen.
Und doch hat man es gewagt, und glücklich ausgeführt.
Dieß muß auch der mit den Mitteln, die zu dieſem Zwecke füh-
ren, ganz Unbekannte willig zugeben, da jeder gemeine Kalender
unwiderlegliche Beweiſe für dieſe Behauptung liefert. Die Aſtro-
nomen berechnen in dieſen Volksbüchern die Finſterniſſe der Sonne
und des Mondes auf Sekunden voraus, und Jedermann weiß
aus eigener Erfahrung, wie genau ſie zutreffen. Sie haben
Jahrhunderte vorher den Augenblick berechnet, wenn auf einer
beſtimmten Stelle in Lappland oder auf der Inſel Otaheiti die
Venus vor der Sonne erſcheinen wird. Voll Vertrauen in ihre
Vorausſagungen hat man Schiffe ausgerüſtet, um dieſe Erſcheinung
an dieſen und noch an vielen andern Orten der Erde zu beobach-
ten, und das Vertrauen wurde nicht getäuſcht. Kurz, die Sache
ſteht jetzt ſo, daß jeder wahre Aſtronom um jeden Preis eine
ſichere Wette eingehen kann, daß Jupiter oder irgend ein anderes
Geſtirn des Himmels nach einer beſtimmten Anzahl von Jahren
zu einer gegebenen Sekunde unter dem Spinnenfaden ſeines heute
geſtellten Fernrohrs erſcheinen wird. Wer die Präciſion der heu-
tigen aſtronomiſchen Tafeln kennt, wird dieſe Angabe nicht über-
trieben finden. — Allein wenn dieß ſo iſt, — und wie geſagt,
kein Aſtronom, der ſeine Wiſſenſchaft näher kennt, kann daran
zweifeln, — ſo muß auch das oben erwähnte große Problem
aufgelöst ſeyn, da ohne daſſelbe dieſe Leiſtungen offenbar unmög-
lich wären.
§. 69. (Durch welche Mittel die Berechnung dieſer Störungen
erleichtert wird.) Und durch welche Mittel, durch welche Kunſt-
griffe iſt es uns möglich geworden, dieſe Aufgabe, die größte und
höchſte, die wohl je dem menſchlichen Geiſte gegeben worden iſt,
aufzulöſen? — Die Leſer werden nicht erwarten, daß ich ſie in
das Labyrinth der mathematiſchen Berechnungen einführe, in
welchem ſie dem leitenden Faden der Ariadne wohl nur mit Wider-
ſtreben folgen würden. Wir wollen uns daher begnügen, nur
einige von den Umſtänden anzugeben, durch welche uns, dieſe
[106]Störungen der Planeten überhaupt.
unter anderen Verhältniſſen allerdings unüberſteiglichen Hinder-
niſſe zu beſiegen, möglich geworden iſt.
§. 70. (I. Große Entfernung der Planeten von uns.) Zuerſt
wollen wir bemerken, daß die ungemeine Präciſion, mit welcher
die Aſtronomen die Lage der Geſtirne angeben, oft nur ſcheinbar
iſt, und daß ſie uns in den meiſten Fällen ſehr ungenau erſcheinen
würden, wenn wir ſie, mit dem Maaßſtabe in der Hand, an Ort
und Stelle nachmeſſen könnten. Sie werden dieſes ſelbſt ohne
Zweifel willig zugeben, wenn wir dafür, der Wahrheit zur Steuer,
eben ſo willig zugeſtehen, daß ſie deſſen ungeachtet mit den größten
Schwierigkeiten ſiegreich gekämpft, daß ſie ihre Wiſſenſchaft zu
dem Stolze des menſchlichen Geiſtes erhoben, und dieſelbe viel
weiter gebracht haben, als man von irgend einer andern rühmen
kann. — Sie können den Ort eines jeden Planeten, auf Jahr-
hunderte voraus, bis auf die Genauigkeit der Dicke eines Haares
am Himmel beſtimmen. Das ſcheint allerdings eine ſehr große,
und iſt auch in der That, wenn man die dabei zu überwindenden
Schwierigkeiten bedenkt, eine bewunderungswürdige Genauigkeit.
Aber dieſe Dicke eines Haares, vor unſer Auge gehalten, bis es
am reinſten erſcheint, wie viel bedeckt ſie wohl an der Sphäre
des Himmels? — Das feinſte derſelben wenigſtens zehn Sekunden.
Und dieſe zehn Sekunden, wie viel betragen ſie z. B. von dem
Umkreiſe der Uranusbahn? — Wenigſtens achtzehntauſend Meilen
oder mehr als zehnmal den Durchmeſſer unſerer ganzen Erde. Bei
dem uns nächſten Fixſtern, wenn er in der That (I. §. 70) vier
Billionen Meilen von uns abſteht, würden dieſe zehn Sekunden
volle zweihundert Millionen Meilen betragen. Solche Dinge nennen
ſie eine Kleinigkeit, und mit Recht, denn ein Fehler von zehn Se-
kunden in der Peripherie eines Kreiſes beträgt doch erſt den
129600ſten Theil des Ganzen. Wie viele Dinge ſind aber, ſelbſt unter
denen, die uns hier unten zunächſt umgeben, deren Durchmeſſer
oder deren Umfang wir bis auf den hunderttauſendſten Theil ihrer
Größe kennen? Deſſenungeachtet bleibt es wahr, daß dieſe Größen
an ſich ſelbſt ſehr bedeutend ſind, ſo gering ſie uns auch in jenen
großen Entfernungen erſcheinen. Und wohl uns, daß ſie uns ſo
erſcheinen. Denn wenn wir dieſes Gewirre von zahlloſen Him-
melskörpern, gleichſam in einem viele Millionenmal verkleinerten
[107]Störungen der Planeten überhaupt.
Modelle, ganz nahe vor unſern Augen hätten, und jede kleine
Abweichung der ſo wunderbar unter einander verſchlungenen Be-
wegungen mit unſern ſtärkſten Mikroſcopen noch vergrößert ſehen
könnten, ſo würde es wahrſcheinlich keinem von uns einfallen, die
Geſetze aufzuſuchen, nach welchen alle dieſe Erſcheinungen vor ſich
gehen. Dort oben aber, in jenen ungemeſſenen Räumen, zeigen
ſich die Veränderungen, welche mit den Himmelskörpern vorgehen,
für uns nur in ihren großen, gleichſam in ihren rohen Zügen,
daher es uns noch möglich wird, die Hauptmomente derſelben
rein aufzufaſſen, ohne uns von dem Detail dieſer Erſcheinungen
beirren oder übertäuben zu laſſen. In dieſer Beziehung alſo iſt
das Problem, die wahre Bahn eines Planeten unſeres Sonnen-
ſyſtems zu beſtimmen, ſo ſchwer es auch an ſich ſeyn mag, doch
immer noch unendlich leichter, als die Bahn eines der Millionen
Sonnenſtäubchen zu berechnen, die uns in unſerer nächſten Nähe
umgeben. Aus dieſer Urſache ſind wir auch in der Phyſik, ſo
weit ſich dieſe Wiſſenſchaft nur mit den Körpern der Erde, die
wir unmittelbar vor unſern Augen haben, beſchäftiget, viel mehr
zurück, als in der Aſtronomie, die es nur mit ſehr entfernten
Gegenſtänden zu thun hat. Gar vieles läßt ſich nur gut erkennen,
wenn es aus einer gewiſſen Ferne geſehen wird, und das Detail
verſteckt nur zu oft die großen Züge des Ganzen. Wenn man
mehreren Perſonen ein großes Frescogemälde vorlegte, und ſie
daſſelbe nur durch ein ſtarkes Mikroſcop beſähen, ſo würde jeder
eine andere Idee davon erhalten, und der eine würde es für ein
Haus, der zweite für einen Baum, und ein anderer wohl gar für
ein Portrait anſehen. Die Bewohner des Mondes, die fünfzig
tauſend Meilen von uns entfernt ſind, und eben dadurch die
ganze Erde im Großen überſehen, kannten gewiß Amerika und
Neuholland lange vorher, ehe ſie von uns, die wir doch die Erde
ſo nahe haben, entdeckt wurden, und daß die Erde eine Kugel
iſt, die ſich täglich um ſich ſelbſt dreht, mußten ſie lange vorher,
ehe Copernicus es finden konnte, auf den erſten Blick geſeh[e]n
haben.
Allein dieß iſt nicht die einzige Urſache, durch welche uns die
Auflöſung jenes großen Problems möglich geworden iſt. Es gibt
vielmehr noch mehrere beſondere Eigenthümlichkeiten unſeres
[108]Störungen der Planeten überhaupt.
Sonnenſyſtems, die uns jene Auflöſung ungemein erleichtern, und
es ſcheint beinahe, als hätte die gegen uns auch ſonſt ſo gütige
Natur dieſe Einrichtungen abſichtlich getroffen, um den ſchwachen
Kräften der Menſchen nachzuhelfen, und den Beſſeren von ihnen
die Freude zu machen, wenigſtens einige von ihren Geheimniſſen
zu enthüllen.
§. 71. (II. Große Maſſe der Sonne gegen die der Planeten.)
Alle die Ungleichheiten der Bewegung, welche durch die Anziehung
der Planeten unter ſich entſtehen, ſind doch immer nur ſehr klein
gegen die eigentlich elliptiſche Bewegung derſelben, welche letzte
bloß von der Anziehung der Sonne kömmt, und von welcher jene
erſten nur gleichſam als geringe Unregelmäßigkeiten zu betrachten
ſind, die man daher auch die Störungen oder die Perturba-
tionen der elliptiſchen Bewegung zu nennen pflegt. Wir haben
oben (§. 43) geſehen, daß alle himmliſche Körper ſich im geraden
Verhältniſſe ihrer Maſſe, und im verkehrten des Quadrates ihrer
Entfernung anziehen. Wenn nun z. B. Jupiter zu einer Zeit
von der Sonne eben ſo weit als Saturn entfernt iſt, ſo würde
er, wenn die Maſſe Saturns eben ſo groß wäre, als die der
Sonne, von dieſen beiden Körpern gleich ſtark angezogen werden,
und die Folge davon würde eine ſehr große Störung, eine totale
Umänderung ſeiner Bewegung und ſeiner Bahn ſelbſt ſeyn. Allein
die Maſſe Saturns iſt noch nicht einmal der dreitauſendſte Theil
von jener der Sonne, und in eben dieſem Verhältniſſe ſteht alſo
auch die Anziehung, welche er und die Sonne auf Jupiter aus-
üben, wenn beide gleich weit von dieſem Planeten entfernt ſind.
Ja ſelbſt die Maſſen aller Planeten unſeres Syſtems zu-
ſammen genommen, betragen noch nicht den achthundertſten Theil
der Sonnenmaſſe, und ſie können daher, auch wenn ſie alle in
einem einzigen Punkte vereiniget wären, die Hauptwirkung, welche
jede derſelben von der Sonne erhält, nur unbedeutend abändern.
Durch dieſe Einrichtung hat unſer Planetenſtaat eine ſtreng mo-
narchiſche Geſtalt erhalten, in welcher die Gewalt des Regenten
über die eines jeden, auch des mächtigſten Unterthanen viel zu
weit vorherrſcht, und in welcher jede Unordnung, jeder kleine
Ungehorſam ſofort wieder unter die Herrſchaft des großen Ge-
ſetzes zurückgebracht wird, das unmittelbar von dem Monarchen
[109]Störungen der Planeten überhaupt.
ſelbſt ausgeht, der die legislative und executive Gewalt in ſich
vereinigt, und mit Fug und Recht, weil er an Maſſe, die dort
die Stelle der Geiſteskraft vertritt, die aller ſeiner Unterthanen
über achthundertmal übertrifft. Dieſe Einrichtung unſeres Pla-
netenſyſtems ſcheint ein charakteriſtiſches Kennzeichen, nicht bloß
im Ganzen, ſondern auch in den einzelnen Theilen deſſelben zu
ſeyn. In der That iſt die Ungleichheit der Stände in dieſem
Staate ſo auffallend, daß wir hier unten, ſo bunt es auch zu-
weilen zugehen mag, kaum etwas ähnliches aufzuweiſen haben
werden, und doch bemerkt man in demſelben ſeit Jahrtauſenden
keine bedeutende Unordnung, indem auch die mächtigſten Unter-
thanen denſelben Gehorſam gegen ihren gemeinſchaftlichen Herr-
ſcher äußern, den ſie wieder mit derſelben Strenge von ihren
Untergebenen fordern, und mit demſelben Rechte, kann man hin-
zuſetzen, da auch ſie wieder an innerer Kraft ihre Unterthanen oft
eben ſo weit übertreffen, als ſie ſelbſt alle zuſammen von dem
Autokraten des ganzen, großen Reiches übertroffen werden.
Unſere Erde bildet mit ihrem Monde einen ſolchen kleinen Staat
im Staate, ſie führt ihn auf ihrer weiten Reiſe um die Sonne
als ihren Diener in ſchweigendem Gehorſam mit ſich, aber ihre
Maſſe übertrifft auch die ihres Begleiters mehr als ſiebenzigmal.
Jupiter wird auf ſeiner noch viel größeren Bahn von vier ſolcher
Diener begleitet, die aber alle zuſammen noch nicht den zehn-
tauſendſten Theil der Maſſe ihres Herrn beſitzen. Auf eine ähn-
liche Weiſe verhält ſich Uranus zu ſeinen ſechs, und Saturn zu
ſeinen ſieben Satelliten, obſchon wieder mehrere derſelben ſelbſt
manchen Hauptplaneten, wie z. B. Merkur, an Maſſe übertreffen.
Auf dieſe Weiſe werden alſo dieſe Monde gezwungen, die Ober-
herrſchaft ihrer Hauptplaneten, und dieſe wieder, die alles über-
wiegende Macht der Sonne anzuerkennen.
§. 72. (III. Kleine Excentricitäten und Neigungen der Pla-
netenbahnen.) Aber dieſer günſtige Umſtand würde doch noch
nicht hinreichen, die hieher gehörenden Rechnungen ausführbar zu
machen, wenn ſich nicht noch mehrere andere zu demſelben Zwecke
vereinigten. Wenn z. B. alle Planetenbahnen vollkommene Kreiſe
wären, ſo würde weder die große Axe, noch die Excentricität der-
ſelben irgend eine Störung erleiden. Wenn aber, wie dieß in
[110]Störungen der Planeten überhaupt.
der That der Fall iſt, dieſe Bahnen Ellipſen ſind, ſo ſieht man
leicht, daß die Störungen der Planeten, welche in ſolchen Bahnen
einhergehen, im Allgemeinen deſto größer ſeyn werden, je mehr
dieſe Ellipſen von Kreiſen abweichen, oder je größer ihre Excen-
tricitäten ſind. Wenn z. B. die Bahn Jupiters, des größten
aller Planeten, eine Excentricität gleich der Hälfte ihrer großen
Halbaxe hätte, ſo würden dadurch nicht nur dieſe Bahn ſelbſt,
ſondern auch die ihr nahe liegenden der andern Planeten ſehr
große Störungen erleiden, die am Ende eine Umänderung
unſeres ganzen Sonnenſyſtems hervorbringen könnten. Allein
die Jupitersbahn iſt weit entfernt, eine für das Ganze ſo ver-
derbliche Geſtalt zu haben, da ihre Excentricität noch nicht der
fünfhundertſte Theil ihrer Halbaxe iſt. Selbſt die Merkursbahn,
die unter den Bahnen der älteren Planeten am meiſten abge-
plattet iſt, hat eine Excentricität, die nur den fünften Theil ihrer
Halbaxe beträgt, und nahe daſſelbe bemerkt man auch bei den
beiden neuen Planeten Pallas und Juno. Dieſe drei Planeten
ſind überdieß alle ſehr klein, und der erſte iſt noch der Sonne
ſo nahe, daß ſich von ihnen keine bedeutende Störungen befürchten
laſſen.
Eben ſo iſt es mit den Neigungen der Bahnen gegen die
Ecliptik. Wenn alle dieſe Bahnen genau in der Ecliptik lägen,
ſo würden ſie unter ſich ſelbſt die Lagen dieſer Bahnen offenbar
gar nicht, alſo auch im Gegentheile deſto mehr verrücken, unter
je größeren Winkeln ſie gegen einander geneigt wären. Allein
auch dieſer Fall hat in unſerm Planetenſyſteme nicht ſtatt, wo
alle ältere Planetenbahnen höchſtens einen Winkel von drei
Graden unter einander bilden, wieder Merkur und die neueren
Planeten ausgenommen, von welchen der erſte eine Neigung von
ſieben, und Pallas ſogar eine von fünfunddreißig Graden hat, die
aber deſſenungeachtet aus der bereits angegebenen Urſache keinen
ſchädlichen Einfluß auf die übrigen Planeten äußern können.
§. 73. (IV. Große Entfernungen der Planeten unter einander.)
Endlich ſind auch die Räume, welche die Planeten von einander
trennen, ſo ungemein groß gegen dieſe Körper ſelbſt, daß die An-
ziehung, welche ſie gegen einander ausüben, ſchon aus dieſem
Grunde allein nicht anders als ſehr gering ſeyn kann. Die ſo
[111]Störungen der Planeten überhaupt.
weit präponderirende Maſſe der Sonne, die kleinen Excentricitä-
ten und Neigungen der Planetenbahnen, und die großen Diſtanzen
endlich, in welchen dieſe Körper ſich bewegen, alle dieſe Umſtände
ſind eben ſo viele Urſachen, warum die Störungen, welche die
Planeten von einander leiden, an ſich ſelbſt immer nur ſehr gering
ſind, und uns überdieß wegen ihrer großen Entfernungen von
uns noch geringer erſcheinen. Durch dieſe günſtigen Verhältniſſe
iſt es uns alſo möglich geworden, die Auflöſung jenes großen
Problems, der Beſtimmung dieſer Störungen durch unmittelbare
Berechnung, zu Ende zu führen, aber, wie man ſchon aus dieſen
Hülfsmitteln ſelbſt ſieht, nicht die ſtrenge, allgemeine, ſondern nur
eine genäherte Auflöſung des Problemes, aber doch auch ſo weit
genähert, als es nur immer von dem gegenwärtigen Zuſtande der
Analyſis und der Beobachtungskunſt ſelbſt gefordert werden kann.
Da es nämlich, auch unter dieſen günſtigen Verhältniſſen, noch
immer unmöglich wäre, die wahren Werthe dieſer Störungen in
ſogenannten geſchloſſenen analytiſchen Ausdrücken anzugeben, ſo
hat man dieſelben, was viel leichter iſt, und in allen Fällen an-
geht, in unendliche Reihen entwickelt, welche nach den natür-
lichen Potenzen der ſtörenden Maſſen, der Excentricitäten und
Neigungen fortſchreiten. Da aber dieſe drei Größen, wie ſo eben
gezeigt worden iſt, ſehr klein ſind, ſo werden auch die Glieder
dieſer Reihen immer kleiner, je weiter man in ihnen fortgeht,
und man kann ſich in den meiſten Fällen, ohne einen merkbaren
Fehler, mit dem erſten, oder doch mit den beiden erſten dieſer
Glieder begnügen.
Bemerken wir noch den hier ſehr weſentlichen Umſtand, daß
die Planeten alle ſehr nahe die Geſtalt einer Kugel haben, und
daß das Newton’ſche Geſetz die ihm ausſchließend zukommende
Eigenſchaft hat, daß jede Kugel alle außer ihr befindliche Körper
genau ſo anzieht, als ob die ganze Maſſe dieſer Kugel in ihrem
Mittelpunkte vereiniget wäre. Dadurch wird die Berechnung der
gegenſeitigen Störungen der Planeten auf die von einzelnen
Punkten zurückgeführt, da man ſonſt auch auf die Geſtalt derſelben
Rückſicht nehmen müßte, wodurch die Auflöſung unſeres Problems,
ſelbſt unter allen den oben erwähnten Erleichterungen, für unſere
Kräfte unmöglich geworden wäre.
[112]Störungen der Planeten überhaupt.
§. 74. (V. Abgeſonderte Betrachtung dieſer Störungen.) Ja
ſelbſt unter dieſer Geſtalt würden die Berechnungen der Stö-
rungen, die jeder Planet von allen übrigen erleidet, ſehr ſchwer,
und ſelbſt für den geübteſten und geduldigſten Rechner beinahe
unausführbar ſeyn, wenn man in der That alle dieſe Störungen
auf einmal beſtimmen ſollte. Um z. B. die Perturbationen, welche
die Erde von den übrigen Planeten in jedem Augenblicke erleidet,
zu beſtimmen, ſollte man, wenn man nach aller Strenge verfahren
wollte, zuerſt die Störungen kennen, welche jeder dieſer die Erde
ſtörenden Planeten wieder von allen übrigen, die Erde ſelbſt mit ein-
geſchloſſen, in dieſem Augenblicke erfährt. Allein da, wie geſagt,
dieſe Störungen alle nur gering ſind, ſo kann man ſich, ohne
Nachtheil zu befürchten, erlauben, nur diejenigen Perturbationen
zu beſtimmen, welche jeder einzelne Planet von jedem anderen
einzelnen Planeten unſeres Sonnenſyſtems unter der Vorausſetzung
erleidet, daß dieſer andere Planet ſelbſt nicht weiter in ſeiner Bahn
geſtört werde, ſondern bloß in ſeiner reinen elliptiſchen Bewe-
gung um die Sonne gehe. Auf dieſe Weiſe iſt unſer Problem
eigentlich dahin gebracht, daß man nur immer drei Körper auf
einmal betrachtet, nämlich die Sonne, den ſtörenden, und den von
ihm geſtörten Planeten, und ſo iſt das berühmte Problem der
drei Körper entſtanden, das größte und ſchwerſte, das viel-
leicht je der menſchliche Geiſte erörterte, und deſſen bloß genä-
herte Auflöſung ſeit Newton, der es zuerſt aufgeſtellt und
wenigſtens in ſeinen vorzüglichſten Theilen gelöst hat, von den
vorzüglichſten Geometern und Aſtronomen, D’Alembert, Euler,
Laplace, Lagrange u. a. verſucht, und erſt in unſern Tagen zu
einem Grade der Vollkommenheit ausgebildet wurde, die wohl nur
wenig mehr zu wünſchen übrig läßt.
§. 75. (Ueber Wahrheit und Annäherung zu derſelben.) Wenn
es aber den Aſtronomen, aller ihrer Anſtrengungen ungeachtet,
bisher doch nur gelungen iſt, von dieſer wichtigſten Aufgabe ihrer
Wiſſenſchaft bloß eine genäherte Auflöſung zu geben — muß
man da nicht beſorgen, daß dieſe Wiſſenſchaft, die man doch ſo
oft die Königin aller andern nennen hört, noch ſehr unvollkom-
men, und noch weit von der Vollendung entfernt iſt, die ſie allein
zu der Annahme einer ſolchen Benennung berechtigen könnte? —
[113]Störungen der Planeten überhaupt.
Es iſt möglich, daß die mathematiſche Analyſe, wenn ſie gleich
den menſchlichen Geiſt auf jene höchſte Stufe der Erkenntniß ge-
ſtellt hat, die irdiſche Weſen unſerer Art überhaupt noch einnehmen
können, — es iſt möglich, daß auch ſie faſt nichts als Stückwerk
und ein höchſt unvollkommenes Spielzeug, eine bemitleidenswerthe
Krücke iſt, mit welcher wir uns auf unſerem Wege zur Wahrheit
mühſam genug fortſchleppen, und auf die vielleicht ein höherer
Geiſt, der dieſer Hülfsmittel nicht bedarf, nur mit Lächeln herab-
ſieht. Aber dieſes Mittel, ſo unvollkommen es auch an ſich ſelbſt
ſeyn mag, hat uns doch dahin gebracht, die Bewegungen der
Planeten mit derſelben Genauigkeit zu berechnen, mit welcher wir
ſie mit unſern vollkommenſten Inſtrumenten beobachten können;
es hat dieſe Rechnungen mit den Beobachtungen in eine Ueber-
einſtimmung, in eine Harmonie gebracht, deren ſich keine andere
Wiſſenſchaft erfreut; es hat uns endlich alle Erſcheinungen des
Himmels, ſo verwickelt ſie auch ſeyn mögen, nicht nur die unſerer
Tage, die wir ſelbſt beobachten können, ſondern auch die der
längſt verfloſſenen Jahrhunderte in ihren erſten Urſachen ent-
ſchleyert, und uns ſelbſt bei den künftigen Beobachtungen unſerer
Nachfolger verweilen laſſen, um Phänomene zu beſtimmen, die
ſich erſt in der ſpäten Folgezeit zutragen werden, und die wir jetzt
mit Gewißheit vorausſagen können, obſchon ſie uns, ohne dieſes
Hülfsmittel, ohne dieſes Fernrohr unſeres geiſtigen Auges, viel-
leicht ewig verborgen geblieben wären.
Uebrigens, wer von uns dieſe Annäherung zur Wahrheit ver-
ſchmäht, wer Wahrheit, reine Wahrheit ſelbſt fordert — in wel-
cher anderen menſchlichen Erkenntniß kann er ſich des Beſitzes
dieſes Kleinods rühmen? Alle unſere ſogenannten menſchlichen
Wahrheiten, was ſind ſie anders, als Annäherungen — und oft noch
ſehr unvollkommene Annäherungen zu einem Ziele, das noch kein
Sterblicher erreicht hat. Man pflegt gewöhnlich die Mathematik
anzuführen, um zu beweiſen, daß uns wenigſtens in Einem Felde
unſeres Wiſſens, die Erkenntniß der Wahrheit nicht verſagt
ſeyn ſoll. Allein, ohne von den erſten Grundſätzen zu ſprechen,
auf denen doch das ganze Gebäude dieſer Wiſſenſchaft errichtet
iſt, ſind die Mittel, deren ſie ſich bedient, ihre ſogenannten Wahr-
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 8
[114]Störungen der Planeten überhaupt.
heiten zu finden, ſind die Zahlen ſelbſt, mit denen wir rechnen,
etwas anderes, als bloße Annäherung zu den wahren Zahlen,
mit denen wir gerne rechnen möchten, ohne es zu können? Wel-
ches ſind z. B. die Zahlen, die, mit ſich ſelbſt multiplicirt, zwei
oder drei geben? — Wir wiſſen es nicht. Wir können ſie wohl,
aber nur näherungsweiſe, angeben; ſie ſelbſt erreichen aber können
wir nie. Unſere größten und beſten Logarithmen-Tafeln, dieſel-
ben, welche die Aſtronomen bei allen ihren Rechnungen brauchen,
und welche auch Andere brauchen würden, wenn ſie ihren eige-
nen Vortheil beſſer verſtünden, dieſe Tafeln enthalten über viermal-
hunderttauſend Zahlen, und von ihnen allen ſind kaum zwanzig
richtig oder völlig genau bekannt, während alle andern bloß an-
nähernd, bloß beinahe wahr ſind, und doch beruhen auf ihnen
alle unſere Berechnungen des Himmels und der Erde.
Nachdem wir ſo die Störungen, welche die Planeten von
ihrer gegenſeitigen Anziehung erleiden, im Allgemeinen betrachtet
haben, wollen wir nun die merkwürdigſten derſelben etwas näher
unterſuchen.
[[115]]
KapitelVI.
Periodiſche Störungen.
§. 76. (Zwei Klaſſen dieſer Störungen.) Die Anziehung,
welche die Planeten unter einander erleiden, wird ſich zunächſt in den
Orten dieſer Körper ſelbſt äußern, indem ſich dadurch die Längen
und Breiten (I. S. 32) ſo wie die Entfernungen derſelben von der
Sonne, alſo auch von der Erde ändern. Dieſe Störungen werden
aber offenbar nur von den Orten der beiden Planeten in ihren
Bahnen, oder von ihren gegenſeitigen Stellungen abhängen, und
da dieſe Stellungen nach einigen Umläufen beider Planeten
immer wieder dieſelben ſeyn müſſen, ſo werden auch die davon
abhängigen Störungen in beſtimmten Perioden wiederkehren,
aus welcher Urſache man ſie auch die periodiſchen Störun-
gen genannt hat.
Allein man ſieht leicht, daß dieſe, bloß von ihren gegenſeitigen
Stellungen abhängenden Aenderungen der Planeten in ihren Bah-
nen endlich auch auf dieſe Bahnen ſelbſt einen Einfluß äußern,
und daß dadurch die Geſtalt, die Lage, und vielleicht ſelbſt die
Größe dieſer Bahnen Aenderungen erleiden werden. Dieſe Aen-
derung der Jupitersbahn z. B. in jeder gegebenen Zeit wird aber
nicht mehr, wie zuvor von der Stellung der dieſem Planeten zu-
nächſt ſtehenden Mars oder Saturn in derſelben Zeit, ſondern ſie
8 *
[116]Periodiſche Störungen.
wird vielmehr von dem Complex aller Stellungen der auf Ju-
piter wirkenden Planeten ſeit mehreren Jahrhunderten, von der
Lage aller übrigen Planetenbahnen gegen die Jupitersbahn ab-
hängen. Dieſe Lagen ſind nun, wie wir bald näher ſehen werden,
ebenfalls veränderlich, und ſelbſt in gewiſſen obgleich ſehr langen
Zeiträumen, wiederkehrend, daher alſo auch dieſe Störungen, die
ſich nicht auf den geſtörten Planeten ſelbſt, ſondern nur auf die
Elemente ſeiner Bahn beziehen, zwar auch im Allgemeinen in
Perioden, aber in ſehr lange, mehrere Jahrtauſende umfaſſende
Perioden eingeſchloſſen ſind, und aus dieſer Urſache, zum Unter-
ſchiede mit den zuerſt betrachteten, ſäculäre Störungen ge-
nannt werden.
Beide Gattungen von Perturbationen haben die Aſtronomen
durch Rechnungen, von welchen wir hier keine nähere Anzeige
geben können, entwickelt, und dadurch den Planetentafeln eine
Genauigkeit gegeben, die bis auf wenige Sekunden mit den beſten
Beobachtungen übereinſtimmt, während man früher, wo man dieſe
Störungen noch nicht kannte, oft viele Minuten und ſelbſt ganze
Grade von Unterſchieden zwiſchen der Theorie und der Beobach-
tung gefunden hatte. Auf dieſe Weiſe iſt es ihnen gelungen, die
verwickelten Erſcheinungen des Himmels mit einer ſie ſelbſt über-
raſchenden Präciſion darzuſtellen, und alle ohne Ausnahme aus
dem einzigen und einfachen Geſetze der allgemeinen Schwere ab-
zuleiten. Denn weit entfernt, dieſe Störungen, wie ihre Benen-
nung zu ſagen ſcheint, als Ausnahmen von der allgemeinen Regel
oder als wahre Unordnung des Sonnenſyſtems zu betrachten, iſt
vielmehr jede derſelben nur eine neue Beſtätigung jenes großen
Geſetzes geworden, dem alle Körper des Himmels, ſelbſt in ihren
ſcheinbaren Abweichungen von demſelben, in ſtiller Unterwerfung
gehorchen.
§. 77. (Periodiſche Störungen des Mondes.) Wir wollen
nun zuerſt die periodiſchen Störungen der Planeten, und unter
ihnen beſonders die des Mondes betrachten, weil dieſe uns zu-
nächſt angehen, und ſich durch ihre Größe vor allen andern aus-
zeichnen, daher auch mehrere von ihnen ſelbſt von den alten
Griechen ſchon bemerkt worden ſind, obſchon es ihnen unmöglich
war, die Urſache derſelben anzugeben.
[117]Periodiſche Störungen.
Die elliptiſche Bahn der Erde, und der Ort der Erde ſelbſt
in dieſer Bahn wird von den ſie zunächſt umgebenden Planeten
nur ſehr wenig geſtört. Im ungünſtigſten Falle kann dieſer Ort
der Erde in ſeiner Bahn nur um 40 Sekunden, und ihre Ent-
fernung von der Sonne kaum um den zehntauſendſten Theil ihrer
mittleren Diſtanz von derſelben verrückt werden. Die Urſache
davon liegt, wie bereits im vorhergehenden Kapitel bemerkt wurde,
vorzüglich in den geringen Maſſen der ſtörenden Planeten,
und in den großen Entfernungen, in welchen ſie von der Erde
abſtehen. Eben ſo gering, ja noch viel geringer ſind alſo auch die
Störungen, welche der Mond von denſelben Planeten erleidet, von
welchen er, als der beſtändige Begleiter der Erde, im Mittel
immer nahe eben ſo weit entfernt iſt, als ſie ſelbſt. Aber mit
der Sonne verhält es ſich ganz anders. — Der Mond bewegt
ſich nämlich in einer Ellipſe, in deren einem Brennpunkte die
Erde iſt, er bewegt ſich alſo eigentlich um die Erde, und wenn
außer dieſer Erde kein anderer Himmelskörper mehr groß genug
oder auch nahe genug wäre, um durch ſeinen Einfluß dieſe Be-
wegung des Mondes zu verändern, ſo würde auch der Mond un-
geſtört in ſeiner elliptiſchen Bahn um die Erde gehen. Die
Sonne iſt nun zwar nahe 400mal weiter, als der Mond, von
der Erde entfernt, aber ihre Maſſe iſt dafür auch (§. 48) über
300000mal größer, als die der Erde, und dieſe ungeheuere Prä-
potenz iſt die Urſache, daß die Wirkung der Sonne auf die Be-
wegung des Mondes, ihrer großen Entfernung ungeachtet, noch
ſo bedeutend iſt, daß ſie den Ort des Mondes in ſeiner Bahn
um die Erde um mehr als zwei Grade verrücken kann. Eigent-
lich iſt es nicht die Erde, ſondern der gemeinſchaftliche Schwer-
punkt der Erde und des Mondes, der in der Zeit eines Jahres
ſeine elliptiſche Bahn um die Sonne zurücklegt. Wenn man
zwei in ihrer Größe ſehr ungleiche Kugeln durch einen Stab
verbindet, an dem gemeinſchaftlichen Schwerpunkt derſelben ein
Band befeſtiget, und das ganze, gleich einer Schleuder, um die
Hand bewegt, ſo hat man ein Bild von dieſer Bewegung des
Mondes um die Erde, und mit dieſer zugleich um die Sonne,
nur mit dem Unterſchiede, daß hier die beiden Kugeln, die Erde
und der Mond, an Größe ſo ſehr verſchieden ſind, daß der
[118]Periodiſche Störungen.
Schwerpunkt des ganzen Syſtems ſehr nahe zu dem Mittelpunkte,
und noch in den Körper der Erde ſelbſt fällt. Die Sonne iſt, wie
geſagt, vierhundertmal weiter von der Erde entfernt, als der
Mond in ſeiner mittleren Diſtanz von der Erde abſteht. Alſo iſt
auch die Diſtanz der Sonne von dem Monde zuweilen 1/400mal
kleiner, und zuweilen wieder eben ſo viel größer, als die Diſtanz
der Sonne von der Erde. So wenig dieß ſcheint, ſo hat es doch,
wie wir ſehen werden, einen ſehr großen Einfluß auf die Bewe-
gung des Mondes. Dazu kömmt noch, daß die Richtung der
Bewegung des Mondes bald zur Sonne hin, bald von ihr weg
gewendet iſt, wodurch die Geſchwindigkeit dieſes Satelliten bald
vergrößert, bald wieder vermindert wird, ſo daß alſo, durch dieſe
Störungen der Sonne, die Entfernung des Mondes ſowohl, als
auch die Größe und Richtung ſeiner Bewegung oft beträchtlich
verändert werden kann.
§. 78. (Evection.) Unter dieſen Störungen des Mondes
durch die Sonne, ſind beſonders die merkwürdig, welche dieſer
Satellit in ſeiner Länge erleidet. Da die Excentricität ſeiner
Bahn ſo beträchtlich iſt, ſo kann ſchon die Gleichung der Bahn
(I. §. 141) auf mehr als ſechs Grade gehen, wodurch daher ſelbſt
die rein elliptiſche Bewegung des Mondes um die Erde, ſelbſt
ohne Zuthun der Sonne, ſehr ungleichförmig wird. Allein durch
die Wirkung der Sonne werden noch viele andere Ungleichheiten
eingeführt, von welchen die größte, unter dem Namen der Evec-
tion bekannte, ſchon von Ptolemäus (130 Jahre nach Chr. G.)
entdeckt wurde. Durch dieſe Störung iſt die Länge des
Mondes in den Syzygien, d. h. zur Zeit des Neu- und Voll-
mondes immer größer, als ſie nach der rein elliptiſchen Bewe-
gung ſeyn ſoll, während ſie wieder zur Zeit der beiden Quadra-
turen um dieſelbe Größe, d. h. um nahe 1,27 Grade zu klein iſt.
Nennen wir der Kürze wegen A die Differenz der Länge des
Mondes und der Sonne, B die mittlere Anomalie (I. S. 279) des
Mondes, und C die mittlere Anomalie der Sonne, ſo läßt ſich
die Evection durch das Produkt von 1,27 in den Sinus von
2 A — B ausdrücken. In den Syzygien iſt A gleich 0 oder 180,
in den Quadraturen aber iſt A gleich 90 oder 270°, alſo iſt dort
die Evection negativ, und am größten, während ſie hier ihren
[119]Periodiſche Störungen.
größten poſitiven Werth erreicht. Man ſieht daraus zugleich,
daß die Evection eine Periode von 31,8 Tagen hat, in welcher
Zeit ſie alle ihre Veränderungen regelmäßig durchlauft. Die
alten Griechen vor Ptolemäus beobachteten den Mond nur zur
Zeit der Finſterniſſe, d. h. in den Syzygien, wo der vorherge-
hende Ausdruck gleich 1,27° Sin. B wird, wenn B, wie zuvor, die
mittlere Anomalie des Mondes bezeichnet. Allein ganz dieſelbe
Form hat auch die Gleichung des Mittelpunkts (I. §. 141), und
dieß iſt die Urſache, warum jene alte Aſtronomen die Gleichung
der Mondsbahn um 1,27° zu klein, oder warum ſie die Monds-
bahn in ihrer Geſtalt einem Kreiſe viel näher angenommen haben,
als ſie in der That iſt. Ptolemäus oder vielleicht ſchon Hipparch
(140 Jahre vor Chr. G.), deſſen Arbeiten Ptolemäus benützte,
beobachtete den Mond auch zur Zeit ſeiner Quadraturen, wo die
Länge deſſelben, vermöge der Evection, größer erſcheint, als ſie
ſeyn ſoll, da ſie doch in den Syzygien kleiner war. Weil er dieſe,
wenn auch nur ſcheinbaren Widerſprüche weder vereinigen, noch
erklären konnte, ſo nahm er die Excentricität der Mondsbahn
veränderlich an, indem er vorausſetzte, daß ſie ſich zur Zeit der
Neu- und Vollmonde mehr zu einem Kreiſe abrunde, zur Zeit
der Quadrat [...]ren aber zu einer ſehr länglichen Ellipſe ausdehne.
Eine Vorausſetzung, die nicht gegründet iſt, und die man auch
ſofort verwarf, als man die wahre Urſache der Evection in der
Störung des Mondes durch die Sonne kennen gelernt hatte.
Wir werden unten ſehen, daß die große Axe der Mondsbahn,
oder daß die Abſidenlinie dieſer Bahn eine ſehr ſchnelle Bewegung
am Himmel hat, ſo daß ſie ihren Ort während der Zeit eines
Jahres um mehr als 40 Grade ändert. Wenn nun dieſe Abſiden
zu irgend einer Zeit mit den Quadraturen zuſammen fallen, ſo
wird dadurch, wie eine einfache Rechnung zeigt, die Centralkraft
der Erde, für die ganze Bahn des Mondes, durch die Sonne
weniger verändert, als ſonſt der Fall iſt. Geht daher der Mond
von der Erdnähe zur Erdferne, ſo wird er ſich dabei weniger von
der Erde entfernen, als er ſonſt gethan haben würde, d. h. ſeine
Excentricität wird kleiner erſcheinen. Geht er aber von der Erd-
ferne zur Erdnähe über, ſo wird er, da er ſchwächer, als es die
reine Ellipſe fordert, von der Erde angezogen wird, in der Erd-
[120]Periodiſche Störungen.
nähe ſich weiter von der Erde entfernen, und die kleinſte Entfer-
nung wird gegen die mittlere größer, d. h. ſeine Excentricität
wird wieder kleiner erſcheinen.
Wenn aber für eine andere Zeit die Abſiden mit den Syzy-
gien zuſammen fallen, ſo ändert ſich, wie durch dieſelbe Rechnung
gezeigt werden kann, die Centralkraft der Erde mehr, als in
allen andern Fällen, woraus daher, durch Wiederholung derſelben
Schlüſſe, folgt, daß dann die Excentricität der Mondsbahn
größer erſcheinen muß. Als Endreſultat alles Vorhergehenden
werden wir alſo annehmen, daß die Excentricität, oder was daſ-
ſelbe iſt, die Gleichung des Mittelpunktes der Mondsbahn am
größten erſcheint, wenn die Abſiden in die Syzygien, und am
kleinſten, wenn ſie in die Quadraturen fallen, und das iſt es,
worauf die eigentliche Erklärung der Evection beruht.
§. 79. (Variation.) Die zweite große Ungleichheit der
Mondslänge heißt die Variation. Sie kann ſich bis auf 0,65
Grade erheben, und hat dieſen ihren größten Werth in den vier
Punkten, die zwiſchen den Syzygien und Quadraturen in der
Mitte liegen, das heißt, in den vier Octanten, während ſie in
den Syzygien und Quadraturen ſelbſt verſchwindet. Ihr Aus-
druck iſt 0°,65Sin 2 A, wo wieder A gleich der Länge des Mon-
des weniger jener der Sonne iſt. Daraus folgt zugleich, daß die
Periode dieſer Störung gleich 14,76 Tagen, oder gleich einem halben
ſynodiſchen (I. §. 98) Monat iſt.
Es läßt ſich nämlich durch eine einfache Rechnung, die wir
aber hier, unſerem Zwecke gemäß, nicht näher anführen wollen,
leicht zeigen, daß die Tangentialkraft (vergl. §. 63) des Mondes
im Allgemeinen, in den Syzygien am größten, und in den Qua-
draturen am kleinſten iſt, und daß ſie daher in den Octanten in
ihrem mittleren Werthe ſeyn muß, woraus dann unmittelbar
folgt, daß die Geſchwindigkeit des Mondes im erſten und dritten
Quadranten von A, durch die Wirkung der Sonne vermindert, im
zweiten und vierten Quadranten aber vermehrt wird, was mit
der erwähnten Erſcheinung der Variation unmittelbar im Zuſam-
menhange ſteht.
§. 80. (Jährliche Gleichung des Mondes.) Eine dritte be-
trächtliche Störung des Mondes durch die Sonne, die jährliche
[121]Periodiſche Störungen.
Gleichung, iſt ebenfalls ſchon von Tycho entdeckt worden. Ihr
Ausdruck iſt 0°,19Sin C, wenn C die mittlere Anomalie (I. §. 140)
der Sonne bezeichnet. Dieſe Gleichung zeigt, daß dadurch die
Länge des Mondes in den erſten ſechs Monaten des Jahrs ver-
mindert, in den andern aber um eben ſo viel vermehrt wird. Zur
Zeit der mittleren Entfernung der Erde von der Sonne, d. h.
im Anfange des April und Oktober verſchwindet dieſe Störung,
deren Periode ſonach gleich der Länge unſeres Jahres iſt.
Man kann nämlich durch einige einfache geometriſche Be-
trachtungen leicht zeigen, daß die Centralkraft (§. 63), welche die
Erde auf den Mond ausübt, daß alſo auch die elliptiſche Bewe-
gung dieſes Satelliten, durch die Sonne in den Quadraturen um
ihren 1/182ſten Theil vermehrt, und in den Syzygien nahe um das
Doppelte, alſo um ihren 1/91 Theil vermindert, alſo im Ganzen
mehr verkleinert als vergrößert, d. h. überhaupt verkleinert
werde. Dieſe im Allgemeinen conſtante Verminderung der Cen-
tralkraft der Erde vertheilt ſich aber in ihrer Wirkung über die
ganze Bahn des Mondes, und iſt, in ſeinem vorzüglichſten Gliede,
dem Coſinus des Winkels C proportional. Wenn aber die Cen-
tralkraft abnimmt, ſo nimmt auch die Geſchwindigkeit des Mon-
des ab, und zwar um eine Größe, die dem Sinus deſſelben
Winkels proportional iſt, woraus die Erklärung der jährlichen
Gleichung des Mondes von ſelbſt folgt.
Dieß ſind die drei vorzüglichſten Störungen der Längen des
Mondes. Ihre beträchtliche Größe und die kurzen Zeiträume, in
welchen ſie wiederkehren, ſind die Urſache, warum ſie ſchon von
unſeren Vorgängern, ihrer unvollkommenen Inſtrumente unge-
achtet, gefunden wurden, obſchon ihre wahre Erklärung erſt
nach der Entdeckung des Geſetzes der allgemeinen Schwere und
der Auflöſung des Problems der drei Körper (§. 74) gegeben
werden konnte.
§. 81. (Mondsſtörungen von langer Periode.) Allein es gibt
noch eine große Anzahl anderer Störungen, die in der That viel
kleiner ſind, als jene, deren Kenntniß uns aber doch unentbehrlich
war, wenn wir die Bewegung des Mondes genau darſtellen, und
dieſelbe zur Beſtimmung der geographiſchen Länge, beſonders auf
dem Meere, mit Vortheil anwenden ſollten. Die Theorie dieſer
[122]Periodiſche Störungen.
Störungen gab uns ſehr bald die allgemeine Form dieſer Glei-
chungen, allein die abſolute Größe derſelben ließ ſich noch vor
wenig Jahren nicht gut anders, als auf praktiſchem Wege be-
ſtimmen. Erſt in unſeren Tagen iſt es den Aſtronomen gelungen,
die Tafeln des Mondes auf eine ähnliche Weiſe, wie man bisher
bei den Planeten gethan hat, aus den bloßen Elementen (I. §. 142)
der Mondsbahn zu entwickeln, welche letzte unmittelbar aus den
Beobachtungen genommen wurde, während alles andere der reinen
Theorie anheim fiel. Auf dieſe Weiſe ſind die Mondstafeln von
Damoiſeau entſtanden, die ſo genau mit dem Himmel überein-
ſtimmen, daß wohl nur wenig mehr zu wünſchen und unſeren
Nachfolgern hinzuzufügen übrig bleiben mag.
Unter dieſen kleineren Störungen des Mondes von der Sonne
hat Laplace, dem wir die gegenwärtige Vollkommenheit der Theo-
rie dieſes Satelliten vorzüglich verdanken, einige beſonders merk-
würdige gefunden, die hier eine nähere Anzeige verdienen. Die
erſte derſelben, die in ihrem größten Werthe nur 14 Sekunden
beträgt, hat eine ſehr lange Periode von nahe 184 Jahren. Nicht
einmal die Exiſtenz, viel weniger noch die Größe und Periode
einer ſolchen Gleichung würde man auf dem bloßen Wege der
Beobachtungen gefunden haben. Ihre Kenntniß war aber ſehr
wichtig, weil wir ſonſt die Wirkung einer ſolchen Störung mit
der mittleren Bewegung des Mondes vermengt haben würden,
die dadurch ſelbſt veränderlich geworden wäre, da ſie doch, ihrer
Natur nach, beſtändig ſeyn ſoll.
§. 82. (Beſtimmung der Sonnenparallaxe und der Erdabplat-
tung durch die Störungen des Mondes.) Eine andere dieſer kleinen
Störungen hat daſſelbe Argument, wie die Variation; ſie wurde
nämlich gleich a Sin. A gefunden, und der größte Werth derſelben
oder der Faktor a iſt der Art, daß ſeine Größe von der Sonnen-
parallaxe abhängt. Man fand dieſen Werth von a durch eine
große Anzahl von Mondsbeobachtungen gleich 122 Sekunden,
und daraus wurde die Größe der Sonnenparallaxe gleich 8,6 Se-
kunden abgeleitet, ſehr nahe mit demjenigen übereinſtimmend. den
man aus den Durchgängen der Venus vor der Sonnenſcheibe in
den Jahren 1761 und 1769 gefunden hat, wo man viele Schiffe
[123]Periodiſche Störungen.
mit großen Koſten ausgerüſtet hatte, um dieſe Durchgänge von
verſchiedenen Orten der Erde zu beobachten.
Eine ähnliche Störung der Länge, ſo wie auch eine der Breite
des Mondes, hängt in ihrem Coefficienten von der Abplattung
der Erde an ihren beiden Polen ab. Die Beobachtungen des
Mondes haben den größten Werth der erſten dieſer Gleichungen
gleich 6,8 Sekunden gegeben, woraus die Abplattung 1/305 folgt
(vergl. I. §. 22). Wäre dieſe Abplattung, wie Einige wollten,
nahe noch einmal ſo groß, ſo würde auch der Coefficient jener
Störung doppelt ſo groß, oder nahe 14 Sekunden ſeyn, was mit
den Mondsbeobachtungen im Widerſpruche ſteht. Ganz auf die-
ſelbe Weiſe gab auch die erwähnte Störung der Breite dieſe
Abplattung der Erde gleich 1/304. Man erhält auf dieſe Weiſe
die Abplattung unſerer Erde ganz unabhängig von den Unregel-
mäßigkeiten ihrer Oberfläche und ihrer Dichtigkeit an verſchiedenen
Orten, was bei den Meridianvermeſſungen, und ſelbſt bei den
Pendelbeobachtungen, durch welche allein wir bisher die Geſtalt
der Erde beſtimmen konnten, nicht der Fall iſt.
Die Parallaxe des Mondes (vergl. I. Kap. V.) kann durch
bloße Theorie aus der bekannten Länge des Sekundenpendels und
aus den Gradmeſſungen abgeleitet werden, alſo kann man auch
umgekehrt aus der Länge des Pendels, und aus der bekannten
Parallaxe des Mondes den Halbmeſſer der Erde beſtimmen.
Dieſe Parallaxen kann man aber durch bloße Beobachtungen des
Mondes in verſchiedenen Höhen über ſeinem Horizonte finden,
ohne daß es nöthig iſt, ſeinen Beobachtungsort zu verändern,
oder weit entfernte Gegenden der Erde zu dieſem Zwecke auf-
zuſuchen.
So iſt alſo der Aſtronom in den Stand geſetzt, bloß durch
die Vergleichung der Theorie mit ſeinen Beobachtungen, ohne
ſeine Sternwarte auch nur einen Augenblick zu verlaſſen, nicht
nur die Größe, ſondern auch die Geſtalt, und ſogar die Ent-
fernung der Erde von der Sonne zu beſtimmen, ohne mühſame
geodätiſche Meſſungen auszuführen, ohne koſtbare Reiſen in fremde
Welttheile zu unternehmen, und ohne endlich alte, Jahrtauſende
von uns entfernte Beobachtungen zu Hülfe zu rufen.
[124]Periodiſche Störungen.
Alles Vorhergehende zeigt, wie innig die Erſcheinungen des
Himmels unter einander und mit dem allgemeinen Geſetze der
Schwere zuſammen hängen, und daß der Mond mit ſeinen zahl-
loſen, und ſo mannigfaltig in ſich verwickelten Störungen
vorzüglich geeignet iſt, uns dieſen wunderbaren Zuſammenhang,
und zugleich die große Macht der mathematiſchen Analyſe zu be-
weiſen, dieſes wahrhaft vortrefflichen Inſtrumentes, ohne deſſen
Hülfe es dem menſchlichen Geiſte unmöglich geweſen wäre, in
jene Tiefen einzudringen, und eben dort, wo auf den erſten Blick
nur Unordnung und Verwirrung zu herrſchen ſcheint, die ſchönſte
Harmonie zu finden.
§. 83. (Periodiſche Störungen der Planeten überhaupt.) In-
dem wir nun von den periodiſchen Störungen des Mondes zu
denen der Planeten übergehen, bemerken wir zuerſt, daß dieſe
Störungen bloß von den Stellungen der beiden Planeten, d. h.
von den Differenzen ihrer Längen und ihrer Entfernungen von
einander abhängen. Dieſe Entfernungen aber werden nicht bloß
von der Lage dieſer Planeten ſelbſt im Raume, ſondern auch von
ihrer Lage gegen die großen Axen ihrer elliptiſchen Bahnen be-
ſtimmt. Will man alſo z. B. die Störung des Mars, die er
durch Jupiter erfährt, beſtimmen, und bezeichnet man durch ♂ die
Länge des erſten, durch ♃ die des zweiten Planeten, und durch
π die Länge des Periheliums des einen oder des andern dieſer
beiden Himmelskörper, ſo wird die geſuchte Störung bloß von
den Größen ♂, ♃ und π abhängen. Da dieſe Störungen, wie
bereits oben geſagt worden iſt, in beſtimmten Zeiträumen perio-
diſch wieder kommen, ſo werden ihre analytiſchen Ausdrücke
die Sinus oder Coſinus dieſer drei Winkel enthalten, in-
dem dieſe trigonometriſchen Funktionen, wie bekannt, für die Peri-
pherie des Kreiſes ebenfalls periodiſch wiederkehren, und ſich
daher, als für jene Ausdrücke vorzüglich geeignet, gleichſam von
ſelbſt darbieten. Die Theorie zeigt, daß dieſe Störungen, ſo weit
ſie die Länge der Planeten betreffen, alle durch den Sinus, und
daß eben ſo die Störungen des Abſtandes der Planeten
von der Sonne durch den Coſinus des Winkels (m♂ — n♃ — π)
vorgeſtellt werden können, wo m und n nach der Ordnung die
Zahlen 1, 2, 3 .. bezeichnen.
[125]Periodiſche Störungen.
Die Aſtronomen haben dieſe Störungen für alle ſieben
älteren Planeten, Uranus und die Erde auf das genaueſte
berechnet. Man findet ſie in dem dritten Theile der Mécanique
céleste von Laplace. Auf dieſe Rechnungen ſind dann die Tafeln
gegründet worden, durch welche die Beſtimmung des Ortes jedes
Planeten für jede gegebene Zeit zugleich ungemein erleichtert und
geſichert wird. Die beſten Planetentafeln, deren wir uns jetzt
bedienen, ſind die der Sonne, oder vielmehr der Erde von De-
lambre und Carlini, — des Merkur, der Venus und des Mars
von Lindenau, und endlich der drei von der Sonne entfernteſten
Planeten von Bouvard; für die vier neuen Planeten hat man
noch keine ſolche Tafeln entworfen, weil ihre großen Excentrici-
täten und Neigungen der genauen Beſtimmung derſelben noch zu
viele Hinderniſſe entgegen ſtellen.
§. 84. (Merkwürdige Störung zwiſchen Jupiter und Saturn.)
Unter dieſen periodiſchen Störungen der Planeten ſind vorzüglich
zwei, die zwiſchen den beiden größten Planeten unſeres Sonnen-
ſyſtems ſtatt haben, merkwürdig geworden. Schon Halley, New-
tons Coaeve, hatte bemerkt, daß die Umlaufszeit Saturns zur
Zeit des Hipparch (140 Jahre vor Chr.) größer, und die des Ju-
piter im Gegentheile kleiner war, als zu ſeiner Zeit, oder daß
die mittlere Bewegung des Saturn ſeitdem langſamer, und die
des Jupiter geſchwinder geworden ſey. Dieſe Entdeckung war
um ſo auffallender, da man bei allen andern Planeten dieſe Um-
laufszeiten aus den älteren und neueren Beobachtungen durchaus
conſtant oder unveränderlich gefunden hatte (I. §. 125), und da
man bald darauf auch durch die Theorie belehrt wurde, daß
dieſes Element der Planetenbahnen in der That immer daſſelbe
bleiben müſſe.
Euler war der erſte, der dieſe ſonderbare Entdeckung der
Analyſe zu unterwerfen ſuchte. Er fand auch in der That eine
ſolche Verzögerung des einen, und eine Beſchleunigung des an-
dern jener beiden Planeten, aber da er durch ſeine Theorie beide
von gleicher Größe gefunden hatte, was mit den Beobachtungen
nicht übereinſtimmte, ſo konnte ſeine Erklärung dieſer Erſcheinung,
ſo ſinnreich ſie auch war, nicht angenommen werden. Auch La-
grange beſchäftigte ſich ſpäter mit dieſem eben ſo ſchwierigen, als
[126]Periodiſche Störungen.
intereſſanten Gegenſtande, aber auch ohne Erfolg. Dieſe und
mehrere andere ausgezeichnete Geometer ſuchten den Grund dieſer
Ungleichheit bald in dem Widerſtande des Aethers, in welchem
ſich die Planeten bewegen ſollen, bald in den Störungen, welche
die Kometen auf dieſelben äußern, bald in der Zeit, welche
die Kraft der Schwere brauchen ſoll, von der Sonne bis zu
dieſem entfernten Planeten zu gelangen u. dgl. Dieſe Muth-
maßungen gaben allerdings zu andern, nicht minder wichtigen
Entdeckungen Veranlaſſung, aber ſie ließen doch den Gegenſtand,
den man durch ſie ſuchte, in ſeinem Dunkel.
In den letzten Decennien des verfloſſenen Jahrhunderts
verglich Lambert diejenigen Beobachtungen Saturns und Jupi-
ters, die Tycho angeſtellt hatte, mit ſeinen eigenen, und fand,
zur noch größeren Ueberraſchung der Aſtronomen, daß, ganz im
Widerſpruche mit Halleys Entdeckung, die mittlere Bewegung
Saturns ſeit jener Zeit bis auf ſeine Tage ſich beſchleunigt, und
die des Jupiter im Gegentheile ſich verzögert habe. Dieß machte
viele an der Exiſtenz dieſer beiden Ungleichheiten zweifeln, indem
ſie die bloß ſcheinbare Veränderung dieſer beiden Bewegungen
bloß der Unvollkommenheit der älteren Beobachtungen zuſchrieben.
Allein Laplace, der ſich durch dieſe grundloſen Vermuthungen nicht
irren ließ, glaubte vielmehr eben in dieſem äußern Widerſpruche
das Daſeyn einer Störung von ſehr langer Periode zu erkennen,
durch welche die Bewegungen dieſer beiden Planeten mehrere
Jahrhunderte durch abwechſelnd bald beſchleunigt, bald wieder
verzögert werden könnten. Um dieſe Ungleichheit aufzuſuchen,
mußte er die Geſammtſtörung dieſer beiden Planeten, die man
bisher, wie bereits oben geſagt wurde, nur in den erſten, und
ſonach größten Gliedern ihrer unendlichen Reihen entwickelt hatte,
noch auf mehrere der folgenden Glieder fortführen und zuſehen,
ob ſich unter dieſen letzten eine Störung von ſehr langer Periode
finde, die den beobachteten Ungleichheiten jener beiden Planeten
entſpricht.
Bei dieſer mühevollen Unterſuchung kam ihm eine andere
wichtige Entdeckung zu ſtatten, die man ſchon früher gemacht
hatte. — Es iſt bereits oben geſagt worden, daß die periodiſchen
Störungen dieſer beiden Planeten durch die Sinus und Coſinus
[127]Periodiſche Störungen.
der Winkel (m♃ — n♄ — π) ausgedrückt werden, wo ♄ und ♃
von den mittlern Längen, oder was hier daſſelbe iſt, von den
Umlaufszeiten der beiden Planeten abhängen, und wo die Größen
m und n die ganzen Zahlen 1, 2, 3 … bezeichnen. Gewöhnlich
braucht man nur diejenigen Glieder zu unterſuchen, wo m ſowohl
als n entweder gleich 1 oder gleich 2 iſt, da die folgenden, wo
m oder n gleich 3, 4, 5 … iſt, ſchon ſo kleine Werthe haben,
daß man ſie ohne merklichen Fehler ganz übergehen kann.
Nun iſt es eine, unmittelbar aus der äußeren analytiſchen
Form dieſer Störungsglieder hervorgehende Eigenſchaft derſelben,
daß ſie, ſo gering ſie auch an ſich ſelbſt ſeyn mögen, in allen
den Fällen einen bedeutenden Werth erhalten, wo die Umlaufs-
zeiten oder was daſſelbe iſt, wo die mittleren täglichen Bewegun-
gungen der beiden Planeten ſich ſehr nahe wie die zwei ganzen
Zahlen verhalten, die man eben für m und n ſetzen ſoll. Wenn
z. B. die mittleren Bewegungen zweier Planeten ſich nahe wie
5 zu 7 verhalten, ſo kann es ſehr leicht geſchehen, daß die erſten
Glieder der erwähnten Reihen, in welchen m und n gleich 1, 2, 3 ..
geſetzt werden, ſämmtlich nur unbeträchtlich ſind, während doch
das erſt ſpäter folgende Glied, in welchem m = 5 und n = 7,
oder umgekehrt iſt, einen ſehr großen Werth erhalten kann. Ein
ſolcher Fall trat auch in der That bei jenen beiden Planeten ein.
Die ſideriſche Umlaufszeit Jupiters beträgt 4332,58, und die des
Saturn 10759,22 Tage (I. §. 142), und dieſe beiden Zeiten
verhalten ſich ſehr nahe wie die beiden ganzen Zahlen 2 und 5,
woraus daher folgt, daß man bei der Entwickelung der gegenſei-
tigen Störungen dieſer zwei Himmelskörper vorzüglich auf die-
jenigen Glieder Rückſicht nehmen müßte, in welchen m = 2 und
n = 5, und umgekehrt geſetzt wird. Indem Laplace dieſe Unter-
ſuchung vornahm, fand er auch ſeine frühere Vermuthung voll-
kommen beſtätiget. Er fand nämlich unter den Störungen, die
Saturn von Jupiter leidet, ein Glied, das bis auf 2950 Sekun-
den ſteigen konnte, und unter den Störungen Jupiters ein ande-
res, jenem entſprechendes, deſſen größter Werth 1200 Sekunden
betrug. Die Periode dieſer Störungen aber iſt für beide nahe
gleich 930 Jahren, und beide ſind endlich ſo beſchaffen, daß die
eine derſelben immer eine Beſchleunigung andeutet, wenn die an-
[128]Periodiſche Störungen.
dere eine Verzögerung enthält. Alles dieß ſtimmte aber mit den
bisher geſammelten Beobachtungen jener Planeten aus den alten
nicht minder, als aus den mittlern und neuen Zeiten ſo wohl zu-
ſammen, daß an der Richtigkeit dieſer Erklärung einer früher ſo
räthſelhaften Erſcheinung nicht weiter gezweifelt werden konnte.
Im Jahre 1560 haben dieſe beide Störungen ihren größten
Werth erreicht, und zu dieſer Epoche war die Bewegung Saturns
am langſamſten, die des Jupiter aber am ſchnellſten. Seitdem
näherten ſich dieſe beiden Bewegungen ihren wahren immer mehr,
bis ſie i. J. 1790 denſelben ganz gleich kamen, und i. J. 2020
werden ſie wieder ihre größten Werthe erreichen. Man ſieht nun,
wie Halley und Lambert ſo ganz verſchiedene Reſultate finden
konnten, wenn ſie Beobachtungen von ſolchen Epochen mit ein-
ander verglichen, wo dieſe beiden Planeten in Beziehung auf ihre
mittleren Bewegungen in ganz andern Verhältniſſen ſich befanden.
Wenn das Wiederaufleben der Wiſſenſchaften in Europa etwa
500 Jahre ſpäter eingetreten wäre, ſo würden die Beobachtungen
die entgegengeſetzten Erſcheinungen von denen angezeigt haben,
die Halley gefunden hat. Die aſtronomiſchen Tafeln der Indier,
denen dieſes Volk ein ſo hohes Alterthum beilegt, zeigen deutlich,
daß ſie zu einer Zeit entworfen worden ſind, wo die Bewegung
Saturns die langſamſte, und die Jupiters die ſchnellſte war, und
es läßt ſich daher eben daraus mit einiger Sicherheit die Zeit
der Entſtehung dieſer Tafeln ableiten. Vereiniget man damit
die Excentricitäten, welche dieſe Tafeln mehreren Planetenbahnen
beilegen, ſo wird es, wie Laplace gezeigt hat, ſehr wahrſcheinlich,
daß dieſe Tafeln, weit entfernt, viertauſend Jahre vor dem An-
fange unſerer Zeitrechnung entſtanden zu ſeyn, wie die Indier
vorgeben, erſt gegen den Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts
nach Chr. G. nach dem Muſter der europäiſchen Tafeln zuſam-
men getragen wurden.
[[129]]
KapitelVII.
Säculäre Störungen.
§. 85. (Säculäre Störungen des Mondes; Bewegung der
Knotenlinie.) Es iſt bereits im Anfange des vorhergehenden Ka-
pitels bemerkt worden, daß man unter den ſäculären Störun-
gen der Planeten diejenigen verſteht, welche nicht ſowohl dieſe
Planeten ſelbſt, als vielmehr die Bahnen derſelben durch die Ein-
wirkung der andern Planeten erleiden.
Um auch hier wieder die ſäculären Störungen des Mon-
des zuerſt zu betrachten, ſo iſt für ſich klar, daß dieſer Satellit,
der ſich in einer nahe fünf Grade gegen die Ecliptik geneigten
Ebene bewegt, durch die Attraction der Sonne, die in der Ecliptik
liegt, dieſer Ecliptik ſelbſt genähert werden muß. Dieſe Annähe-
rung des Mondes zur Ecliptik hat offenbar immer ſtatt, der
Mond mag ſich auf der nördlichen oder auf der ſüdlichen Seite
der Ecliptik befinden, und die Folge derſelben muß ſeyn, daß der
Mond die Ecliptik immer eher erreicht, als er ohne dieſe At-
traction der Sonne gethan hätte. Das heißt aber mit an-
dern Worten: die Knoten der Mondsbahn (I. 99) rücken dem
Monde entgegen, und da der Mond von Weſt gen Oſt um die
Erde geht, ſo werden die Knoten ſeiner Bahn von Oſt gen Weſt,
oder rückwärts gehen. Nach den Beobachtungen beträgt dieſe
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 9
[130]Säculäre Störungen.
retrograde Bewegung der Mondsknoten in Beziehung auf die Fix-
ſterne jährlich 19,35 Grade (I. §. 170). Dieſe Bewegung der
Knoten iſt übrigens nicht immer dieſelbe, ſondern ſie hängt von
der Entfernung der Sonne und der Erde von dem Monde ab.
Man findet, daß ſie zur Zeit der Syzygien am größten, und
während der Quadraturen am kleinſten iſt. Im Mittel beträgt
die Umlaufszeit der Knoten der Mondsbahn in Beziehung auf
die Geſtirne oder die ſideriſche Revolution (I. S. 222) derſelben
6793,2859 Tage, und die Revolution des Mondes ſelbſt in Bezie-
hung auf ſeine Knoten, d. h. die Zeit, die zwiſchen zwei nächſten
Durchgängen des Mondes durch ſeinen Knoten verfließt, iſt 27,2121
Tage, welche Zwiſchenzeit man den Drachenmonat zu nennen
pflegt.
§. 86. (Bewegung der Abſiden der Mondsbahn.) Da die
Attraction der Sonne die Entfernung des Mondes von der
Erde bald vermehrt und bald wieder vermindert, ſo folgt
daraus auch eine Aenderung der Lage der großen Axe der Monds-
bahn. Man ſieht im Allgemeinen, daß dieſe Axe der Sonne
folgen, alſo von Weſt nach Oſt fortrücken wird. Die Beobach-
tungen zeigen, daß dieſe Fortrückung der Abſiden der Monds-
bahn, in Beziehung auf die Fixſterne, jährlich 40,65 Grade beträgt.
Daraus folgt die ſideriſche Umlaufszeit der Abſiden des Mondes
gleich 3232,567 Tagen, und die Revolution des Mondes ſelbſt in
Beziehung auf dieſe Abſiden gleich 27,555 Tagen, welche letzte Zeit
man die anomaliſtiſche Revolution des Mondes zu nennen
pflegt. Auch dieſe Bewegung iſt übrigens mehreren Ungleichheiten
unterworfen, die ebenfalls von dem Stande der Sonne gegen die
Erde und gegen den Mond abhängen.
§. 87. (Geſchichte der Entdeckung.) Dieſe Bewegung der
Abſiden des Mondes hat die Geometer des verfloſſenen Jahr-
hunderts lange beſchäftigt. Schon Newton hat ſie aus dem Ge-
ſetze der allgemeinen Schwere abzuleiten geſucht, aber durch ſeine
Rechnungen nur nahe halb ſo groß gefunden, als ſie durch die
Beobachtungen angezeigt wird. Später fand Clairaut durch eine
viel ſorgfältigere Analyſe nahe daſſelbe, und die ihm folgenden
Unterſuchungen Eulers und D’Alemberts ſchienen dieſes Reſultat
[131]Säculäre Störungen.
zu beſtätigen. Dieß war alſo gleichſam der erſte Fall, wo die
Theorie mit der Beobachtung nicht übereinſtimmte, und das
Newton’ſche Geſetz der allgemeinen Schwere nicht hinreichend ge-
funden wurde, um daraus alle Erſcheinungen des Himmels zu
erklären. Auch ließ ſich Clairaut, ſeines ſeltenen Scharfſinns
ungeachtet, durch dieſe Nichtübereinſtimmung verführen, ein an-
deres, complicirteres Geſetz der Natur anſtatt jenes einfachen, das
Newton aufgeſtellt hatte, auf die Bahn zu bringen. Er fand
zwar dabei Widerſpruch von einem Manne, deſſen Anſehen in dem
Felde der Naturgeſchichte zu jener Zeit für eine ſehr große Auto-
rität galt. Buffon wollte das von Clairaut vorgeſchlagene Geſetz
durchaus nicht annehmen, aber bloß aus dem Grunde, weil das
von Newton aufgeſtellte das einfachere wäre, und weil, nach ſeiner
Anſicht, die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke immer die ein-
fachſten Mittel wählen müſſe. Allein dieſer gleichſam teleologiſche
oder metaphyſiſche Grund wollte Clairaut nicht einleuchten, der
ihm dafür die Reſultate ſeiner Analyſis entgegenſetzte, die jener
nicht widerlegen konnte, weil er ſie nicht verſtand. Doch hatte
dießmal der Metaphyſiker, dem Geometer gegenüber, Recht. Clai-
raut bemerkte nämlich ſpäter, daß er die Annäherung ſeiner Be-
rechnung nicht weit genug getrieben hatte, und als er dieſelbe mit
mehr Umſicht wiederholte, fand er, daß die Theorie auch hier mit
den Beobachtungen in vollkommenem Einklang ſey. Nach ihm
wurde dieſe weſentliche Verbeſſerung auch von Euler und D’Alem-
bert als richtig erkannt, und die neueſten Beſtimmungen der
Bewegung der Abſiden der Mondsbahn, die Laplace in ſeiner
Mécanique céleste gegeben hat, weichen nur mehr um ihren
1/440 ſten Theil von den Beobachtungen ab. So wurde daher
dieſelbe Erſcheinung, die man früher als eine Ausnahme von dem
allgemeinen Geſetze der Schwere betrachtete, — jetzt einer der
ſchönſten Beweiſe für das Daſeyn dieſes Geſetzes. Denn dieß
war das Loos jener glänzenden Entdeckung, daß jedes neue Hin-
derniß, das ſich gegen dieſelbe zu erheben ſchien, der Gegenſtand
eines neuen Triumphes für ſie wurde.
§. 88. (Acceleration der mittleren Bewegung des Mondes.)
Einen ähnlichen Fall, der den Aſtronomen noch mehr Mühe ko-
ſtete, bot die Beobachtung der mittleren Bewegung des Mondes
9 *
[132]Säculäre Störungen.
dar. Es iſt bereits oben (Kap. VI.) geſagt worden, daß die
Umlaufszeit der Planeten um die Sonne, alſo auch die der Sa-
telliten um ihre Hauptplaneten aus theoretiſchen Gründen, von
welchen wir ſpäter ſprechen werden, als conſtant oder als unver-
änderlich erkannt worden iſt. Da mit dieſen Umlaufszeiten, nach
dem dritten Kepler’ſchen Geſetze, die halben großen Axen der
Bahnen in unmittelbarem Zuſammenhange ſtehen, indem, nach
dieſem Geſetze, eines durch das andere gegeben iſt, ſo wurden
auch dieſe Halbaxen der Bahnen als für alle Zeiten unver-
änderlich erkannt, und die Beobachtungen der älteſten Zeit ſtimm-
ten auch mit dieſer Vorauſetzung bei allen Planeten vollkommen
überein.
Nicht ſo bei dem Monde. Auch hier, wie oben (S. 124)
bei den beiden größten Planeten unſeres Sonnenſyſtems, hatte
Halley zuerſt gefunden, daß die Umlaufszeit des Mondes um die
Erde ſeit den Zeiten der griechiſchen Beobachtungen, d. h. nahe
ſeit zweihundert Jahren vor Chr. G. bis auf unſere Tage immer
kürzer, alſo die mittlere Bewegung des Mondes immer ſchneller
werde, wodurch daher der Mond der Erde immer näher kommen,
und endlich, wenn dieſe Bewegung ohne Aufhören in derſelben
Art fortſchreitet, auf ſie fallen muß, um ſich für immer mit
ihr zu vereinigen.
Dieſe befremdende Erſcheinung hat die Aſtronomen lange ge-
quält, da ſie die Urſache derſelben nicht finden konnten. Man
ſuchte dieſelbe in der Wirkung der Planeten, in der Abweichung
des Mondes und der Erde von der Kugelgeſtalt, in dem Wider-
ſtande des Aethers, in der allmählichen Fortpflanzung der
Schwere u. f., aber immer vergebens. Indeß war die Ueberein-
ſtimmung aller anderen Phänomene des Himmels mit dem Ge-
ſetze der allgemeinen Schwere ſo groß, daß man nicht ohne leb-
haftes Bedauern dieſe Ausnahme ſehen konnte, welche bloß die
mittlere Bewegung des Mondes von dieſem Geſetze machen ſollte.
Dieß bewog die beiden größten Geometer ihrer Zeit, Lagrange
und Laplace, dem Grunde dieſer auffallenden Erſcheinung weiter
nachzuforſchen. Sie gingen von der Anſicht aus, daß dieſe Aus-
nahme nur ſcheinbar ſey, und ihre Urſache in demſelben Geſetze,
und zwar in der Anziehung der Sonne auf den Mond, haben
[133]Säculäre Störungen.
müſſe, aus welchen überhaupt alle Störungen dieſes Satelliten
zu erklären ſeyn ſollen. Wenn in der That die Erde in ihrer
Bahn ſich der Sonne allmählich näherte, oder von ihr entfernte, ſo
würde ſich dadurch auch die Entfernung des Mittelpunkts der
Mondsbahn von der Sonne ändern, und es iſt kein Zweifel, daß
dadurch eine Vergrößerung oder eine Verkleinerung dieſer Monds-
bahn ſelbſt hervorgebracht werden müßte. Allein die große Axe
der Erdbahn iſt, wie die aller Planeten, unveränderlich, und jene
Vorausſetzung einer veränderlichen Entfernung der Erde von der
Sonne ſcheint ſonach unzuläſſig zu ſeyn.
Erinnert man ſich aber, daß die Excentricität der Erdbahn,
den Beobachtungen gemäß, ſeit den älteſten Zeiten immer kleiner
wird, daß alſo auch die elliptiſche Erdbahn, obſchon die große
Axe derſelben unveränderlich iſt, einem Kreiſe immer näher
kömmt, ſo folgt daraus, daß auch die Sonne ſeit jener Zeit dem
Mittelpunkte der Mondsbahn im Allgemeinen immer näher rücken,
und daß dadurch die Wirkung der Sonne auf die Bewegung des
Mondes vergrößert werden muß. Lagrange hat der Erſte dieſen
Grund der Acceleration der mittleren Bewegung des Mondes
nachgewieſen, und Laplace hat denſelben durch ſeine darüber an-
geſtellten Berechnungen über allen Zweifel erhoben. Die Wir-
kung der Sonne auf den Mond hängt von der Entfernung der
Sonne von der Erde ab; dieſe Entfernung aber hängt von der
Excentricität der Erdbahn ab, und da die letzte veränderlich iſt,
ſo muß es auch die erſte ſeyn. Die mathematiſche Analyſe gibt
die Größe dieſer Aenderung des Sonneneinfluſſes, alſo auch die
Größe der daraus entſpringenden Veränderung in der mittleren
Bewegung des Mondes, und zwar mit den Beobachtungen voll-
kommen übereinſtimmend. Nennt man t die, ſeit dem Jahre 1800
verfloſſenen Jahrhunderte, ſo beträgt dieſe Aenderung der mittle-
ren Länge des Mondes 10,72tt Sekunden, oder dieſe Länge iſt
i. J. 1900 um 10,72 Sekunden größer, als ſie aus der Umlaufs-
zeit, die der Mond i. J. 1800 hatte, folgen würde.
§. 89. (Säculäre Bewegung der Abſiden- und Knoten-Linie.)
Dieſelbe Theorie hat auch gezeigt, daß die oben (§. 85 und 86)
erwähnten Bewegungen der Abſiden- und der Knoten-Linie der
Mondsbahn ähnlichen ſäculären Störungen unterworfen ſind, die
[134]Säculäre Störungen.
aus derſelben Quelle entſpringen. Während nämlich die mittlere
Bewegung des Mondes in ſeiner Bahn mit der Zeit immer
ſchneller wird, nimmt die Bewegung des Perigeums, und die der
Knotenlinie immer ab, und zwar in einem Jahrhundert jene um
32,16, und dieſe um 7,88 Sekunden, ſo daß dieſe drei ſäculären
Störungen ſich wie die Zahlen 1, 3 und ¾ verhalten. Die
Beobachtungen der künftigen Jahrhunderte werden dieſe Bewe-
gungen noch genauer beſtimmen, da ſie ſich in der Folge der
Zeiten anhäufen. Durch ſie wird einſt die Länge des Mondes
um volle neun, und die Länge des Perigeums der Mondsbahn
ſogar um volle dreißig Grade verändert werden, und aus dieſem
großen Unterſchiede wird man mit Sicherheit auf die viel gerin-
gere Veränderung der Excentricität der Erdbahn zurückſchließen,
von welcher jene Unterſchiede die unmittelbaren Folgen ſind.
Dieſe Excentricität ändert ſich in einem Jahre äußerſt wenig, und
nur durch 0,15 einer Meile, aber durch dieſe Aenderung wird in
der Folge der Jahrhunderte das Perigeum der Mondsbahn um
dreißig Grade, d. h. um volle 27000 Meilen, verrückt werden,
und unſere ſpäten Nachfolger werden daher die Veränderung,
welche ſeitdem in der Bahn der Erde vorgegangen iſt, in der
Bahn des Mondes, wie in einem unermeßlichen Hohlſpiegel,
vergrößert erblicken. Schon ſeit den Zeiten der Griechen bis auf
unſere Tage iſt die Länge des Mondes um zwei, und die des
Perigeums ſeiner Bahn um volle 6⅗ Grade verändert worden,
während ſich doch in derſelben Zeit und aus derſelben Urſache die
Gleichung des Mittelpunkts (I. §. 141) der Sonne nur um acht
Minuten, alſo nur um den 49ſten Theil der Bewegung des
Perigeums verändert hat.
§. 90. (Gränzen und Perioden dieſer Störungen.) Wenn
aber dieſe ſäculäre Störung des Mondes ohne Aufhören in der-
ſelben Richtung fortginge, ſo würde ſie, wie bereits erwähnt, den
Mond der Erde immer näher bringen, und denſelben endlich ganz
auf ſie ſtürzen. Allein dieſe verderbliche Folge haben wir nicht
zu befürchten. Die Analyſe hat uns nämlich gezeigt, daß die
Excentricität der Erdbahn nicht immer, ſondern nur bis zu einem
gewiſſen Grade abnehmen, und dann wieder wachſen werde, ſo daß die
Veränderungen derſelben in beſtimmte Gränzen eingeſchloſſen ſind,
[135]Säculäre Störungen.
welche dieſe Excentricität nie überſchreiten kann. Die Perioden,
während welcher ſie von ihren größten Werthen zu ihren kleinſten,
und umgekehrt übergeht, enthalten viele Jahrtauſende, und kön-
nen jetzt, wo die Maſſen der Planeten noch nicht mit aller Schärfe
bekannt ſind, nicht mit Genauigkeit beſtimmt werden. Nach den
vorläufig darüber angeſtellten Rechnungen war die Excentricität
der Erdbahn in dem Jahre 11400 vor Chr. G. in ihrem größten
Werthe, und betrug 0,0196. Von jener Zeit nimmt ſie durch
48300 Jahre immer ab, und wird erſt i. J. 36900 nach Chriſto
ihren kleinſten Werth 0,00393 haben, und dann allmählig wieder
zunehmen, ſo daß alſo ihre Periode nahe 48300 Jahre beträgt,
in welchen ſie um 0,01567 Theile der großen Halbaxe der Erdbahn
abgenommen hat.
§. 91. (Säculäre Störungen der Planeten.) Nach dieſen
kurzen Betrachtungen der ſäculären Störungen des Mondes gehen
wir nun zu denen der Planeten über. Es wurde bereits oben
geſagt, daß die ſtrenge Auflöſung dieſes Problems die Kräfte
unſerer Analyſe überſteigt, und daß man ſich daher mit einer
bloßen Annäherung begnügen muß, die uns glücklicherweiſe durch
mehrere Einrichtungen unſeres Sonnenſyſtems ſehr erleichtert
wird. Demungeachtet iſt die Aufgabe auch ſo noch ſehr ſchwer
und verwickelt, wie ſie denn auch den vorzüglichſten Geometern,
die ſeit Newton gelebt haben, Beſchäftigung genug gegeben hat.
Gewöhnlich ſtellt man ſich dabei einen imaginären Planeten vor,
der ſich nach Keplers Geſetze in einer Ellipſe bewegt, deren Ele-
mente ſelbſt ſich allmählig ändern, während ſich um dieſen einge-
bildeten Planeten der wahre in einer kleinen Bahn bewegt,
deren Natur von den periodiſchen Störungen abhängt, indeß die
erwähnten Aenderungen der elliptiſchen Elemente die ſäculären
Störungen des Planeten geben. Es würde dem Zwecke dieſer
Schrift ganz unangemeſſen ſeyn, uns in eine nähere Darſtellung
der hieher gehörenden Berechnungen einzulaſſen, daher wir uns
begnügen, nur die vorzüglichſten Reſultate derſelben mehr ge-
ſchichtlich, als mit ihren Gründen, anzuführen.
§. 92. (Störung der Knoten und Neigungen.) Wenn man
ſich zwei einander ſchneidende Planetenbahnen, z. B. auf der
Oberfläche eines Globus, vorzeichnet, ſo ſieht man gleichſam auf
[136]Säculäre Störungen.
den erſten Blick, daß in Folge der gegenſeitigen Anziehung der
beiden Planeten die Bahnen derſelben ſich nähern, und daß daher
der geſtörte Planet die Ebene des ſtörenden eher erreichen wird,
als er ohne dieſe Störung gethan haben würde. Dieß wird
der Fall ſeyn, der ſtörende Planet mag über, oder, in der an-
deren Hälfte ſeiner Bahn, unter der Ebene des geſtörten ſich
befinden. Der Winkel aber, welchen die beiden Bahnen mit ein-
ander bilden, wird in der einen Hälfte derſelben offenbar ver-
mehrt, und in der andern vermindert werden. Da nun beide
Planeten, vermöge ihrer elliptiſchen Bewegung von Weſt gen
Oſt, um die Sonne gehen, und da der geſtörte Planet, wie geſagt,
die Ebene des ſtörenden früher erreicht, ſo wird dadurch der
Knoten beider Bahnen dem Laufe des geſtörten Planeten entge-
gen, alſo von Oſt gegen Weſt gebracht, während im Gegentheile
die Neigung beider Bahnen abwechſelnd vergrößert und verkleinert
wird. Mit andern Worten: durch die Störungen zweier Pla-
neten gegen einander weichen die Knoten der geſtörten Bahn auf
den ſtörenden immer zurück, während die Neigungen beider
Bahnen, kleine periodiſche Schwankungen ausgenommen, im All-
gemeinen als beſtändig betrachtet werden können.
Dieß gilt von der Lage zweier Planetenbahnen gegen ein-
ander. Wenn man aber, wie es dem aſtronomiſchen Gebrauche
angemeſſen iſt, die Lage eines jeden Planeten auf eine dritte
Ebene, z. B. auf die Ecliptik bezieht, ſo hat jene einfache Dar-
ſtellung nicht mehr ſtatt, und dann kann der Knoten der geſtörten
Bahn mit der Ecliptik ſowohl vor- als rückwärts gehen, und die
Neigung der Bahn gegen die Ecliptik kann eben ſo, wie der
Knoten, beſtändig zu- oder abnehmen. Dieß iſt ſelbſt dann der
Fall, wenn die Ecliptik als eine feſte Ebene betrachtet wird.
Allein das iſt ſie nicht, da ſie, als die Ebene der Erdbahn, von
allen andern Planeten ebenfalls in ihrer Lage am Himmel ge-
ſtört wird. Nach den aſtronomiſchen Rechnungen nähert ſich, in
Folge dieſer Störungen der Erde durch die Planeten, die Ecliptik
dem Aequator in jedem Jahrhundert um 48,37 Sekunden, wäh-
rend der Durchſchnittspunkt derſelben mit dem Aequator, oder
während der Frühlingspunkt um die kleine Größe von 16,44
Sekunden vorwärts, oder von Weſt nach Oſt geht. Wir haben
[137]Säculäre Störungen
aber bereits oben (I. §. 190) geſehen, daß, den Beobachtungen
zu Folge, der Frühlingspunkt in einem Jahrhundert um 5021,13
Sekunden rückwärts geht, und daß dieß im Allgemeinen eine
Folge der Anziehung der Sonne und des Mondes auf die abge-
plattete Erde iſt, die wir dort die Präceſſion genannt haben.
Da aber die Wirkung der Planeten den Frühlingspunkt in einem
Jahrhundert um 16,44 Sekunden vorwärts bewegt, ſo beträgt
die eigentliche Wirkung der Sonne und des Mondes 5037,57
Sekunden, oder die beobachtete Präceſſion, nach welcher der Früh-
lingspunkt in jedem Jahre um 50,2113 Sekunden rückwärts geht,
beſteht aus zwei Theilen. Vermöge des erſten, oder vermöge
der Einwirkung der Sonne und des Mondes auf die abgeplattete
Erde geht der Frühlingspunkt jährlich um 50,3757 Sekunden rück-
wärts, und vermöge des zweiten, der Einwirkung der Planeten
auf die Erdbahn, geht derſelbe jährlich um 0,1644 Sekunden vor-
wärts. Der erſte iſt ſeiner Natur nach conſtant, und für alle
Zeiten derſelbe, wenn anders die mittlere Entfernung jener beiden
Geſtirne, und die Abplattung der Erde ſich nicht mit der Zeit
ändert. Der zweite Theil aber hängt von der Lage, von der
Vertheilung der Planetenbahnen gegen die Erdbahn ab, und
iſt daher veränderlich, da in der Folge der Jahrhunderte dieſe
Lage der Planeten, durch ihre gegenſeitigen Störungen ſelbſt, eine
ganz andere ſeyn wird, als diejenige iſt, welche wir jetzt beobachten.
§. 93. (Veränderung der Länge des tropiſchen Jahres.) Dieſe
Bemerkung hat einen wichtigen Einfluß auf die Länge des Jah-
res, und dadurch auf unſere geſammte Zeitrechnung. Das wahre
Jahr der Erde oder die ſideriſche Umlaufszeit (I. §. 100) der-
ſelben um die Sonne iſt bei ihr, wie bei allen andern Planeten,
eine völlig unveränderliche Größe. Allein das tropiſche Jahr
(I. §. 123), oder die Umlaufszeit der Erde in Beziehung auf
den Frühlingspunkt, iſt kürzer als das ſideriſche Jahr, und zwar
um die Zeit, welche die Erde braucht, mit ihrer mittleren Bewe-
gung den Bogen zurückzulegen, welcher von dem Frühlingspunkte
vermöge der beobachteten Präceſſion zurückgelegt wird. Dieſer
Bogen enthält aber, nach dem Vorhergehenden, einen obſchon
kleinen Theil, deſſen Werth in verſchiedenen Jahrhunderten ver-
änderlich iſt. Alſo iſt auch die Zeit, in welcher die Sonne dieſen
[138]Säculäre Störungen.
Bogen zurücklegt, und ſomit das tropiſche Jahr ſelbſt, eine ver-
änderliche Größe.
In unſerer Zeit z. B. beträgt jener veränderliche, von den
Planeten kommende Theil der Präceſſion, wie oben geſagt wurde,
0,1644 Sekunden. Da die Sonne in einem Tage 0° 59′ 8,33″ zu-
zurücklegt, ſo wird ſie einen Bogen von 0,1644″ in vier Zeitſekun-
den beſchreiben, d. h. unſer gegenwärtiges Jahr iſt um 4 Sekun-
den größer, als das wahre oder mittlere tropiſche Jahr. Die
Theorie zeigt, daß das tropiſche Jahr am größten, nämlich um
38 Sekunden größer als das mittlere, gegen das Jahr 3040 vor
Chr. G. war, und daß es ſeit jener Zeit bis auf unſere Tage
abgenommen hat, und noch weiter abnehmen wird bis zu dem
Jahre 7600 nach Chr., wo es am kleinſten, und zwar wieder
um 38 Sekunden kleiner, als das mittlere ſeyn, von welcher Zeit
an es aber dann wieder allmählig wachſen wird. Die Länge des
tropiſchen Jahres betrug nämlich, den Beobachtungen zu Folge,
im Anfange des 19ten Jahrhunderts 365,242255 Tage oder 365 Tage,
5 Stunden, 48 Minuten, 50,83 Sekunden. Im Jahre 3040 vor
Chr. war ſeine größte Länge 365 Tage, 5 Stunden, 49 Minuten,
24,83 Sekunden. Im Jahre 2360 nach Chr. wird es ſeine mitt-
lere Länge von 365 Tagen, 5 Stunden, 48 Minuten, 46,83 Se-
kunden, und endlich im Jahre 7600 nach Chr. ſeine kürzeſte
Dauer von 365 Tagen, 5 Stunden, 48 Minuten, 8,83 Sekunden
haben. Seit Hipparch’s Zeiten (140 Jahre vor Chr. G.) bis
auf unſere Tage iſt daher das tropiſche Jahr, nach welchem ſich
alle unſere Zeitrechnungen, unſer Kalender und ſelbſt unſere Jah-
reszeiten richten, um 14 Sekunden kürzer geworden.
§. 94. (Allgemeine Bemerkungen über die Störungen der
Knoten und der Neigungen.) Die folgende kleine Tafel zeigt die
durchaus rechtläufige tropiſche Bewegung der Knoten der älteren
Planetenbahnen gegen die Ebene der Ecliptik, und die Aenderung
ihrer Neigungen gegen dieſe Ebene in 100 Jahren.
[139]Säculäre Störungen.
Säculäre Aenderung.
- der Knoten der Neigung
- Merkur . . 4238,9 18,3 zunehmend
- Venus . . 3151,3 4,5 abnehmend
- Mars . . 2692,7 0,1 abnehmend
- Jupiter . . 3443,6 22,6 abnehmend
- Saturn . . 2754,7 15,5 abnehmend
- Uranus . . 1423,2 1,1 zunehmend.
Subtrahirt man die Zahlen der erſten Columne dieſer Tafel
von der beobachteten Präceſſion 5021,″13 in einem Jahrhundert,
ſo erhält man die ſäculäre ſideriſche Bewegung dieſer Knoten in
Beziehung auf die Fixſterne, die daher, wie man ſieht, durchaus
rückgängig oder von Oſt nach Weſt gerichtet iſt. So iſt die ſä-
culäre ſideriſche Bewegung der Knoten Merkurs 782,23″, der
Venus 1869,8″ u. ſ. w. Uebrigens ſind alle dieſe Zahlen nur
genähert, und können bloß für einige Jahrhunderte vor und nach
der gegenwärtigen Zeit gelten, daher man auch nicht annehmen
darf, daß z. B. die Knoten der Planetenbahnen auf der Ecliptik
immer in derſelben Richtung fortgehen, oder daß die Neigungen
derſelben immerwährend zu- oder abnehmen. Vielmehr ſind dieſe
Größen alle in beſtimmte Gränzen eingeſchloſſen, die ſie nie über-
ſteigen können. So wanken z. B. die aufſteigenden Knoten der
Jupitersbahn immer zwiſchen den beiden Längen von 90 und 117
Graden, und die des Saturn zwiſchen 72 und 136, ſo daß der
mittlere Ort beider Knoten nahe in der Länge von 104 Graden
liegt, von welchen die Ausweichung bei Jupiter 13, und die bei
Saturn 32 Grade beträgt. Eben ſo iſt auch die Neigung der
Jupitersbahn gegen die Ecliptik immer zwiſchen den Gränzen
1°17′ und 2°3′, und die der Saturnsbahn zwiſchen 0°47′ und 2°33′
enthalten, aber die Perioden, in welchen dieſe Größen von einer
Gränze zur andern übergehen, ſchließen eine große Anzahl von
Jahrtauſenden, nahe 25000 Jahre, in ſich; beide werden erſt von
unſern ſpätern Nachkommen mit der nöthigen Schärfe beſtimmt
werden können.
§. 95. (Säculäre Störungen der Abſidenlinie.) Nachdem
wir ſo die Aenderungen beider Elemente, durch welche die Lage
der Planetenbahnen im Weltraume beſtimmt wird, kennen gelernt
[140]Säculäre Störungen.
haben, wollen wir nun auch diejenigen Störungen betrachten,
welche die Excentricitäten, die Lage der großen Axen der Ellipſen,
und endlich die Größe dieſer Axen ſelbſt erleiden.
Die Aenderung der Lage der großen Axen oder der Länge
der Abſiden hat das Eigenthümliche, daß ſie, und zwar ſie allein,
nicht in beſtimmte Gränzen eingeſchloſſen iſt, zwiſchen welchen ſie
periodiſch auf und nieder geben, ſondern daß ſie mit der Zeit im-
merwährend nach derſelben Seite fortſchreiten, und endlich die
ganze Peripherie des Kreiſes, oder volle 360 Grade zurücklegen.
Die folgende Tafel gibt die tropiſche ſäculäre Bewegung des
Periheliums der älteren Planeten, die bei allen direct oder von
Weſt nach Oſt gerichtet iſt.
- Merkur . . 5604,7
- Venus . . . 4753,3
- Erde . . . 6200,9
- Mars . . . 6603,6
- Jupiter . . . 5685,0
- Saturn . . 6958,2
- Uranus . . 5260,5.
Subtrahirt man von dieſen Zahlen die ſäculäre Präceſſion
5021,1″, ſo erhält man die eigentliche oder ſideriſche Bewegung
der Abſiden in hundert Jahren, die alſo bei Merkur 583,6″, und
bei der Erde 1179,8″ beträgt, und die ebenfalls bei allen Plane-
ten, Venus allein ausgenommen, direct iſt. Nach dieſer Tafel
fiel das Perihelium der Erdbahn nahe um das Jahr 4100 vor
Chriſti Geburt mit dem Frühlings-Nachtgleichenpunkte zuſam-
men, und es iſt immer merkwürdig, daß die meiſten Chronologen
die Entſtehung der Erde in dieſelbe Zeit geſetzt haben. Um das
Jahr 1250 nach Chriſti machte die große Axe der Erdbahn mit
der Linie der Nachtgleichen einen rechten Winkel, und im An-
fange des 19ten Jahrhunderts fiel das Perihelium der Erdbahn
nahe mit der Linie des Winterſolſtitiums zuſammen. Die nähere
Folgen dieſer Bewegung der Abſidenlinie wurde ſchon oben
(I. §. 152) angeführt. Hier wollen wir nur noch bemerken, daß
die Lage der großen Axe einer Planetenbahn, wenigſtens ſo lange
die Excentricität derſelben nur gering iſt, weder auf ihren eigenen,
noch auf die anderen Planeten irgend einen weſentlichen Einfluß
[141]Säculäre Störungen.
äußern kann, und daß es daher im Allgemeinen gleichgültig iſt,
nach welchem Punkte des Himmels dieſelbe gerichtet iſt. Dieß
iſt wahrſcheinlich auch die Urſache, warum die Bewegung derſel-
ben in keine Gränzen eingeſchloſſen iſt, ſondern ſich mit der Zeit
über alle Punkte ihres Umkreiſes verbreitet.
§. 96. (Säculäre Störung der Excentricität.) Nicht ſo
mag es ſich aber mit der Größe der Excentricität dieſer ellipti-
ſchen Bahnen verhalten, da von dieſer die mittlere Temperatur
der Oberfläche der Planeten, und die Größe der Variation der
Jahreszeiten abhängt. Man kann durch eine einfache Rechnung
zeigen, daß der mittlere Betrag der Erwärmung und Erleuch-
tung, die ein Planet von der Sonne erhält, wenn die große Axe
der Bahn dieſelbe bleibt, ſich wie die kleine Axe dieſer Bahn ver-
hält. So wie dieſe letzte ſich ändert, ändert ſich auch die Excen-
tricität, und alſo auch die Temperatur auf der Oberfläche des
Planeten.
Bei der Erde z. B. beträgt die Aenderung der Diſtanz der-
ſelben von der Sonne nahe den 30ſten Theil ihrer mittleren Ent-
fernung, und die erwärmende Kraft der Sonne im Winter und
Sommer wird demnach auf das Doppelte oder auf den 15ten
Theil des Ganzen ſteigen. Wenn daher die Excentricität der
Bahn der Erde oder die eines andern Planeten einmal ſehr groß
werden könnte, ſo würde dadurch der Unterſchied der beiden
jährlichen Extreme der Temperatur ebenfalls ſehr beträchtlich,
und endlich dem Pflanzen- und Thierreiche ſchädlich werden kön-
nen. Dieß iſt aber nicht der Fall, und die Analyſe zeigt, daß
die Excentricitäten aller Planetenbahnen, ſo wie oben die Knoten
und Neigungen, in Gränzen, und zwar in ſehr enge Gränzen
eingeſchloſſen ſind, die ſie nie überſteigen können. Die folgende
Tafel zeigt dieſe Aenderungen der Excentricitäten in hundert Jah-
ren für die älteren Planeten in unſeren Zeiten:
- Merkur . . 0,000004 zunehmend
- Venus . . 0,000062 abnehmend
- Erde . . . 0,000042 abnehmend
- Mars . . . 0,000090 zunehmend
- Jupiter . . 0,000159 zunehmend
[142]Säculäre Störungen.
- Saturn . . 0,000312 abnehmend
- Uranus . . 0,000025 abnehmend.
Man ſieht daraus, daß die Excentricität bei Merkur, Mars
und Jupiter wächst, während ſie bei allen übrigen abnimmt, oder
daß die Bahnen der drei erſten Planeten ſich jetzt immer mehr
von der Kreisgeſtalt entfernen, während die vier andern ſich dieſer
Geſtalt immer mehr nähern. Aber in der Folge der Jahrhun-
derte wird ſich dieſes Verhältniß ändern, und die erſten werden
ſich allmählig wieder zu Kreiſen abrunden, während die andern
ſich davon entfernen, ohne doch je, weder in die Kreisform, noch
in die einer ſtark abgeplatteten Ellipſe überzugehen.
Die größten und kleinſten Werthe der Excentricität der Erd-
bahn haben wir bereits oben angegeben. Sie iſt immer zwiſchen
den beiden Gränzen von 0,00393 und 0,01960 enthalten, und legt
den Weg zwiſchen ihnen erſt in 48000 Jahren zurück. Wenn
man eben ſo bloß die gegenſeitige Wirkung der zwei größten
Planeten unſeres Sonnenſyſtems betrachtet, und den viel geringe-
ren Einfluß der übrigen Planeten übergeht, ſo zeigt die Analyſe,
daß die Excentricität Jupiters zwiſchen den Gränzen 0,0604 und
0,0261, und die des Saturn zwiſchen 0,0841 und 0,0134 liegen, ſo
daß die größte Excentricität des einen dieſer Planeten immer
mit der kleinſten des andern zu gleicher Zeit ſtatt hat, oder daß
die eine wächst, während die andere abnimmt. Die Periode
zwiſchen beiden Extremen beträgt bei beiden Planeten nahe 70000
Jahre. Um das Jahr 16000 vor Chr. G. war die Excentricität
Jupiters am kleinſten, oder ſeine Bahn kam damals einem Kreiſe
am nächſten, während zu derſelben Zeit die Bahn des Saturn
am meiſten von der Kreisform entfernt war. Seit jener Epoche
wächst die Excentricität Jupiters, und nimmt die von Saturn
ab, bis gegen das Jahr 54000 nach Chr. jene am größten, und
dieſe am kleinſten ſeyn wird. Aehnliche Erſcheinungen zeigen
auch die anderen Planeten, aber es iſt ſchwer, ſie jetzt ſchon mit
Genauigkeit zu beſtimmen, weil die Maſſen der Planeten noch
nicht mit hinlänglicher Schärfe bekannt ſind. Wenn aber einmal
unſere ſpäten Nachkommen die von den gegenwärtigen ſehr ver-
ſchiedenen ſäculären Störungen ihrer Zeit beobachtet haben wer-
den, ſo werden ſie zugleich das Mittel beſitzen, aus dieſen Diffe-
[143]Säculäre Störungen.
renzen der Störungen jene Maſſen mit der größten Präciſion
abzuleiten.
Dadurch werden ſie ſich in den Stand geſetzt ſehen, auf die
Veränderungen zurückzugehen, welche unſer Planetenſyſtem vor
vielen Jahrtauſenden erlitten hat, ſo wie ſie auch mit Sicherheit
diejenigen beſtimmen werden, welche erſt die Folge der künftigen
Zeiten heraufführen wird, ſo daß dann der Geometer durch die
Hülfe ſeiner Analyſe alle vergangenen und künftigen Phänomene
dieſes Syſtems gleichſam mit einem einzigen Blicke zu überſehen
im Stande ſeyn wird.
§. 97. (Säculäre Störungen als Mittel zur Beſtimmung der
Maſſen.) Außer den Mitteln nämlich, die wir oben (Kap. III.)
zur Beſtimmung der Maſſen der Planeten angegeben haben, und
die ſich nur auf die von Satelliten begleiteten Planeten beziehen,
geben dieſe Störungen, welche die Planeten überhaupt von ein-
ander erleiden, noch einen andern, und zwar oft ſehr ſicheren
Weg, die Maſſen derſelben zu beſtimmen. Nach dem Geſetze der
allgemeinen Schwere verhält ſich die Anziehung jedes Körpers
wie ſeine Maſſe dividirt durch das Quadrat der Entfernung deſ-
ſelben von dem angezogenen Körper. Wie mannigfaltig daher
auch dieſe Attraction eines Planeten auf den anderen durch äußere
Umſtände modificirt werden mag, immer wird die eigentliche
Größe dieſer Anziehung von der Maſſe des anziehenden Planeten
abhängen, oder immer wird der analytiſche Ausdruck der Stö-
rung, welche ein Planet auf den andern ausübt, die Maſſe des
ſtörenden Planeten als Factor enthalten. Wird nun in der
Zeitfolge die wahre Größe dieſer Störung durch unmittelbare
Beobachtung genau beſtimmt, ſo wird man dieſen numeriſchen
Ausdruck jenem analytiſchen Ausdrucke derſelben gleich ſetzen, und
dadurch eine ſogenannte Gleichung erhalten, in welcher man die
Maſſe des ſtörenden Planeten als die einzige unbekannte Größe
anzuſehen, und daher dieſelbe durch Hülfe dieſer Gleichung zu be-
ſtimmen hat. Dieſes Verfahren läßt ſich, wie man ſieht, nicht nur
bei den ſäculären, ſondern auch bei den periodiſchen Störungen
der Planeten immer dort mit Nutzen anwenden, wo dieſe Stö-
rungen ſelbſt groß genug ſind, um durch die Beobachtungen mit
Schärfe aufgefaßt und von anderen unterſchieden zu werden.
[144]Säculäre Störungen.
Auf dieſe Weiſe hat man in den neueren Zeiten die Maſſe Ju-
piters durch die Störungen, welche er auf die vier neuen Pla-
neten ausübt, mit einer viel größeren Schärfe beſtimmt, als es
früher durch die Beobachtung der vier Satelliten dieſes Planeten
möglich war, eine Verbeſſerung von großer Wichtigkeit, da Ju-
piter unter allen Planeten bei weitem die größte Maſſe hat, und
daher auch auf das ganze Planetenſyſtem den bedeutendſten Ein-
fluß äußert. Künftig wird es daher beſſer ſeyn, die Beobach-
tungen dieſer Satelliten und der Störungen, die ſie von der
Sonne erleiden, zur Beſtimmung ihrer eigenen Maſſen zu be-
nützen, wie dieß Laplace mit den vier Monden Jupiters ſchon
gethan hat. Er hat auf dieſem Wege die Maſſen dieſer Satel-
liten, wie folgt, gefunden.
- Maſſe Jupiters . . . 1
- des I. Satelliten 0,000017
- II. — — 0,000023
- III. — — 0,000088
- IV. — — 0,00004 [...]
Die Bewegungen der ſieben Monde Saturns und noch mehr
die der ſechs des Uranus ſind uns noch zu wenig bekannt, um
ſie zu demſelben Zwecke anwenden zu können, und zwar, weil ſie
ſelbſt, beſonders die letzten, ſehr lichtſchwach und demnach nur mit
den vorzüglichſten Teleſcopen zu ſehen ſind. Es iſt überraſchend, dieſe
kleinen Körper, dieſe Atome des Himmels in derſelben Waage
abwägen zu ſehen, in welcher wir oben (Kap. III.) das Gewicht
der ungeheueren Maſſe der Sonne beſtimmt haben, deren Maſſe
die des kleinſten dieſer Satelliten wenigſtens 50 millionenmal
übertrifft.
Bemerken wir noch zum Schluſſe dieſes Gegenſtandes, daß
die Bewegungen, welche durch die gegenſeitigen Störungen der
Planeten in den Excentricitäten ihrer Bahnen hervorgebracht
werden, zu den langſamſten gehören, die wir in der Natur
finden. Die Excentricität der Merkursbahn ändert ſich in hun-
dert Jahren erſt um den 0,000004ſten Theil ihrer Halbaxe, d. h.
um nahe 31 3/10 Meilen, ſo daß alſo dieſe Excentricität in einem
Tage nur um nahe 20 Fuß zunimmt, während Merkur ſelbſt in
dieſer Bahn im Mittel täglich ſich um 576000 Meilen bewegt,
[145]Säculäre Störungen.
und während das Licht in derſelben Zeit 3620 Millionen Meilen
zurücklegt, alſo in der Zeit von einer einzigen Sekunde die ſo-
genannte Reiſe um die Welt, oder den Weg von 5400 Meilen,
achtmal gemacht hat, ſo daß alſo das Licht nahe vier Billionen-
mal geſchwinder iſt, als die Veränderung der Excentricität der
Merkursbahn.
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder III. 10
[[146]]
KapitelVIII.
Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
§. 98. (Anfängliche runde Geſtalt der Körper.) Nachdem wir
in den beiden vorhergehenden Kapiteln die Wirkungen der gegen-
ſeitigen Anziehung der Planeten unterſucht haben, welche ſie
auf die Bahnen und auf den Ort dieſer Körper in ihren Bahnen
äußert, wollen wir nun noch kurz den Einfluß betrachten, welchen
daſſelbe Geſetz der allgemeinen Attraction auf die Geſtalt der
Planeten ſowohl, als auch auf die ihrer atmoſphäriſchen Umge-
bungen ausübt.
Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſe Körper nicht auf einmal,
ſondern daß ſie erſt nach und nach aus der primitiven Materie,
aus dem Urſtoffe des Weltalls entſtanden ſind, in welchem ein-
zelne vorherrſchende Punkte die ſie zunächſt umgebende, anfangs
wahrſcheinlich noch flüſſige Maſſe anzogen, und in mehr oder
weniger regelmäßigen Schichten um ſich ablagerten. Wo immer jene
Materie nahe gleichförmig vertheilt war, und wo dieſe Ablagerung
in einer beſtimmten Ordnung vor ſich ging, mußte ſich auch der
ſo entſtehende und allmählich fortbildende Körper zu einer regel-
mäßigen Form, im Allgemeinen zur Kugelform ausbilden,
deren Dichtigkeit gegen den Mittelpunkt derſelben immer größer
wurde, weil hier die Kraft der Anziehung des Mittelpunkts ſo-
wohl, als auch der Druck der weiter entfernten Schichten größer
[147]Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
war, als in bedeutenden Diſtanzen von dem Mittelpunkte. Wir
ſehen in der That dieſe Art der Entſtehung und Fortbildung bei
allen flüſſigen Körpern der Erde, und jeder Regentropfen kann
uns als Beiſpiel für jene großen Tropfen des Himmels dienen.
§. 99. (Abplattung durch Rotation.) Da aber dieſe Ablage-
rungen ohne Zweifel nicht in ganz ungeſtörter Ordnung vor ſich
gehen, und da während der allmählichen Ausbildung des neuen
Weltkörpers, auch andere, ihm benachbarte, auf ihn einwirken
mußten, ſo iſt es auch nicht wahrſcheinlich, daß dieſe Kugelgeſtalt
derſelben ganz rein erhalten werden konnte. Der anfangs noch
weiche Planet, deſſen feſte und flüſſige Theile noch unter einander
gemiſcht waren, und der, durch die Anziehung der benachbarten
Körper in eine Bewegung um ſich ſelbſt, in Rotation geſetzt
wurde, mußte durch die Centrifugalkraft (I. §. 21) dieſer Ro-
tation an ſeinem Aequator ſich erheben, und die Geſtalt einer
an ihren beiden Polen abgeplatteten Kugel erhalten. Die Beob-
achtungen zeigen uns in der That dieſe Geſtalt bei allen Him-
melskörpern, die uns nahe genug ſind, um ihre Abplattung noch
zu unterſcheiden.
Man kann durch Rechnung ſtreng beweiſen, daß eine Maſſe
von durchaus gleicher Dichte durch die Rotation die Geſtalt eines
Sphäroids, d. h. eines Körpers erhalten müſſe, der durch die
Umdrehung einer Ellipſe um ihre kleine Axe entſtanden iſt.
Wendet man dieſe Rechnungen unmittelbar auf unſere Erde an,
ſo findet man ihre Abplattung nahe gleich 1/580. Allein nach den
Beobachtungen iſt ſie gleich 1/300, alſo nahe doppelt ſo groß, zum
Zeichen, daß die Vorausſetzung einer durchaus gleichen Dichte der
Erdmaſſe unzuläſſig iſt.
§. 100. (Rückſicht auf die verſchiedene Dichtigkeit der Erd-
maſſe.) In der That iſt es auch nebſt den ſo eben angeführten,
auch noch aus anderen Gründen ſehr wahrſcheinlich, daß die
Dichte der Erde gegen ihren Mittelpunkt zunimmt. Schon die
zur Bewohnbarkeit der Erde für Thiere und Pflanzen ſo noth-
wendige Stabilität der Meere fordert es, daß die mittlere
Dichte der feſten Erde viel größer ſey, als die Dichte des Waſ-
ſers, weil ſonſt die von Winden bewegten Wellen des Oceans
10 *
[148]Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
immerwährend aus ihren Geſtaden treten, und das Feſtland über-
ſchwemmen würden, wie dieß z. B. der Fall wäre, wenn unſere
großen Meeresbecken Queckſilber ſtatt Waſſer enthielten. — Bei
einer nicht homogenen Erdmaſſe aber hat die theoretiſche Beſtim-
mung ihrer Geſtalt große Schwierigkeiten, doch iſt man endlich
dahin gekommen, zu zeigen, daß auch in dieſem Falle noch die
Erde eine elliptiſche Geſtalt haben müſſe, wenn ſie mit ſich ſelbſt
im Gleichgewichte verbleiben ſoll. Dieſelbe Analyſe hat uns zu-
gleich gelehrt, daß die beiden Bewegungen der Erdaxe, die wir
oben (I. Kap. XII.) unter dem Namen der Präceſſion und Nu-
tation kennen gelernt haben, eine bloße Folge der Anziehung des
Mondes und der Sonne auf die abgeplattete Erde ſind. Die
nähere Angabe der hieher gehörenden Berechnungen würde aber
dem Zwecke dieſer Blätter unangemeſſen ſeyn.
§. 101. (Entfernung des urſprünglichen Stoßes von dem Mit-
telpunkte des Planeten.) Es wurde bereits oben (I. Kap. II. u. IV.)
gezeigt, daß ſich die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne
ſowohl, als auch zugleich die tägliche Rotation um ihre Axe aus
einem anfänglichen Stoße oder Zuge erklären läßt, deſſen Rich-
tung weder durch den Mittelpunkt der Sonne, noch auch durch
den der Erde gegangen iſt. Wir haben geſehen (§. 64), auf
welche Weiſe durch die Größe eines ſolchen urſprünglichen Stoßes
die Geſtalt des Kegelſchnitts, in welchem der Planet um die
Sonne geht, näher beſtimmt wird. Ganz eben ſo läßt ſich nun
auch durch eine ſehr einfache Rechnung derjenige Punkt des Halb-
meſſers des Planeten beſtimmen, auf welchen jener Stoß gerichtet
ſeyn mußte, damit der Körper eben dieſe und keine andere Rota-
tion um ſeine Axe erhalte. Bei der Erde z. B. war dieſer Punkt
nahe 0,006 eines Erdhalbmeſſers von dem Mittelpunkte der Erde,
alſo nur ſehr wenig entfernt, daher auch die Abplattung der Erde
nicht groß, die Umdrehungszeit derſelben im Gegentheile noch be-
deutend groß iſt.
Bei Jupiter aber betrug dieſe Entfernung nahe 0,38 ſeines
Halbmeſſers, eine viel größere Diſtanz als bei der Erde. Daher
auch die Abplattung dieſes Planeten 1/14 oder ſehr groß, und
die Umdrehungszeit (nahe 10 unſerer Stunden) ſo ungemein klein
iſt. Bei dem Monde endlich iſt dieſe Entfernung nur 0,002 ſeines
[149]Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
Halbmeſſers, alſo noch viel kleiner als bei der Erde, daher auch
ſeine Rotation, die bekanntlich ſeiner Revolution gleich iſt, volle
27 3/10 Tage dauert.
§. 102. (Mittelpunkt der freien Rotation der Planeten.) So-
wohl die jährlichen Bewegungen der Planeten um die Sonne,
als auch die täglichen Rotationen derſelben um ihre Axen gehen
alle in derſelben Richtung, von Weſt gegen Oſt, vor ſich. Und
daſſelbe gilt auch von den Satelliten dieſer Planeten. Es iſt dieß
eine Eigenheit unſeres Sonnenſyſtems, auf die wir ſpäter wieder
zurückkommen werden, und die, wie es ſcheint, ganz vorzüglich
zur Erhaltung deſſelben beiträgt. Dieſem gemäß, hat alſo jeder
Punkt derjenigen Hälfte der Planeten, die eben der Sonne zuge-
kehrt iſt, eine doppelte, und in ihrer Richtung entgegen geſetzte
Bewegung, nämlich erſtens die um die Sonne, die überhaupt
allen Punkten des Planeten gemein iſt und von Weſt nach Oſt
geht, und zweitens die tägliche um die Axe des Planeten,
die in dieſer Hälfte von Oſt nach Weſt geht, alſo mit der vor-
hergehenden eine entgegengeſetzte Richtung hat. Dieſe letzte
iſt, da ſie aus der Rotation entſpringt, deſto größer, je weiter der
Punkt, den man eben betrachtet, von dem Mittelpunkte des Pla-
neten entfernt iſt, welcher letzte gar keine tägliche Bewegung hat.
Es wird daher, in dieſer der Sonne zugekehrten Hälfte des Pla-
neten auch irgend einen Punkt geben müſſen, deſſen jährliche,
öſtliche Bewegung genau gleich der täglichen, weſtlichen iſt, und
der daher, während der doppelten Bewegung des Planeten, als
vollkommen ruhend betrachtet werden kann. Man nennt in der
Mechanik dieſen Punkt den Mittelpunkt der freien Rota-
tion, und man findet ſeine Entfernung von dem Mittelpunkte
des Planeten, wenn man die Größe 0,4 durch die ſo eben be-
trachtete Entfernung des urſprünglichen Stoßes dividirt. So
hatten wir für die Erde die Entfernung des Stoßes gleich 0,006
gefunden, alſo iſt auch die Diſtanz des ruhenden Punktes von
dem Mittelpunkte der Erde gleich oder 66⅗ Halbmeſſern
der Erde, ſo daß alſo hier dieſer Punkt weit außer die Erde,
zwiſchen ſie und die Sonne fällt. Bei Jupiter iſt dieſe Diſtanz
[150]Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
gleich 1,06, ſo daß alſo hier der Mittelpunkt der freien Rotation
ſehr nahe an der Oberfläche des Planeten liegt. Bei dem Monde
endlich iſt ſie gleich 200 Mondhalbmeſſern, oder nahe 60 Erdhalb-
meſſern, d. h. ſehr nahe gleich der mittleren Entfernung des Mon-
des von der Erde. Für den Mond fällt alſo jener Punkt ſehr
nahe in den Mittelpunkt der Erde, ein merkwürdiges Zuſammen-
treffen, das vielleicht noch einmal nähere Aufſchlüſſe über das
geheimnißvolle Band geben wird, welches den Mond mit der
Erde verbindet.
§. 103. (Alter der Erde.) Da der urſprüngliche Stoß, von
welchem wir oben geſprochen haben, die Bewegung der Erde um
die Sonne in der Ebene der Ecliptik erzeugt hat, ſo muß die
Richtung dieſes Stoßes mit der Ecliptik ſelbſt parallel, und zu-
gleich nahe ſenkrecht auf die urſprüngliche Entfernung der Erde
von der Sonne geweſen ſeyn, weil die elliptiſche Bahn derſelben
eine ſo geringe Excentricität hat, oder einer kreisförmigen Bahn
ſo ähnlich iſt, in welcher bekanntlich der Halbmeſſer auf der Tan-
gente des Kreiſes immer ſenkrecht ſteht. Da aber auch derſelbe
anfängliche Stoß die Urſache der täglichen Rotation der Erde
um ihre Axe ſeyn ſoll, und da dieſe Rotation in der Ebene des
Aequators vor ſich geht, ſo muß die Richtung deſſelben aus der-
ſelben Urſache auch mit der Ebene des Aequators parallel geweſen
ſeyn. Daraus kann man den Schluß ableiten, daß die Erde zur
Zeit ihrer Entſtehung in einer ihrer zwei Solſtitien geweſen ſeyn
muß, weil nur dort die Ecliptik dem Aequator parallel liegt, und
daß ſie zugleich in einem ihrer beiden Abſiden geweſen ſeyn muß,
weil nur in dieſen beiden Punkten die Bahn der Erde auf ihrer
Entfernung von der Sonne ſenkrecht ſteht. Die Erde ſcheint daher
in der Nähe einer der beiden Sonnenwenden, und zwar zu einer
Zeit entſtanden zu ſeyn, wo die Abſiden der Erdbahn mit dieſen
Sonnenwenden zuſammenfielen. Nimmt man an, daß die Länge
des Periheliums der Erde im Jahre 1800 unſerer Zeitrechnung
99° 30′, und daß die tropiſche Bewegung deſſelben in 100 Jahren
1,722° beträgt, ſo fiel die große Axe der Erdbahn oder die Abſi-
denlinie derſelben mit einer der beiden Sonnenwenden zuſammen
in den Jahren 9204 oder 19656 oder 30108 u. ſ. w. vor dem
Anfang unſerer Zeitrechnung. Ueberhaupt aber hat man folgende
[151]Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
Lagen des Periheliums der Erdbahn für verſchiedene Jahr-
hunderte:
Dieſe Tafel mag unſeren allzeitfertigen Geologen Stoff zu
neuen Hypotheſen geben; wir wollen uns begnügen, ſie angezeigt
zu haben. Uebrigens mag es dem bloßen Rechner erlaubt ſeyn,
ſolchen Spekulationen einen Augenblick nachzuhängen, ohne einen
größern Werth darauf zu legen, als ſie in der That verdienen.
Uebrigens iſt das hohe Alter unſerer Erde wohl keinem bedeuten-
den Zweifel unterworfen, vielmehr vereinigen ſich mehrere Erſchei-
nungen für daſſelbe. Wir haben bereits oben (I. Kap. XII.) von
den Thierkreiſen zu Esne und Denderah in Oberägypten geſprochen.
Aber noch ältere Denkmäler ſcheint Indien aufzuweiſen, welches
Land, nach John Call’s neueſten Unterſuchungen, vom Ganges
bis zum Cap Comorin viele Spuren einer ſehr frühen Kultur
enthält, da dieſe Gegenden ganz mit Palläſten, Tempeln und den
Ruinen derſelben bedeckt ſind, deren Bauart von einer bereits ſehr
weit vorgerückten Kunſt zeugt. In einem dieſer Tempel fand er
einen Thierkreis, der das Sommerſolſtitium in dem Sternbilde
der Jungfrau zeigt, wo daſſelbe am Himmel bereits vor 10000
Jahren geſtanden hat. Eben ſo fand A. Humboldt in Amerika
auf dem Felſen im Norden der Ruinen von Canur, unter dem
ſiebenten Grad der nördlichen Breite, Zeichnungen und Inſchrif-
ten, die offenbar das Werk eines ſehr gebildeten Volkes geweſen
ſeyn müſſen, das aber vor undenklichen Zeiten daſelbſt gelebt haben
mag, da die gegenwärtigen Bewohner dieſer Gegenden weder eine
Erinnerung an ſie aufbehalten haben, noch auch über die Bedeu-
tung dieſer Inſchriften etwas mittheilen konnten. Nach Pallas
findet man in Sibirien nordöſtlich von Baikalſee ähnliche, viele
[152]Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
Meilen weit fortlaufende, mit Charakteren und Zeichnungen be-
deckte Felſen. Dieſes Land enthält in ſeinem Boden mehr foſſiles
Elfenbein, als ganz Indien jetzt an lebenden Elephanten hat.
Wenn Chevalier’s Conjecturen gegründet ſind, ſo müſſen die be-
rühmten Eiſenminen der Inſel Elba und Korſika ſchon ſeit vierzig
tauſend Jahren bebaut worden ſeyn.
Wie ſich aber auch dieſe und andere Erſcheinungen verhalten
mögen, die man für das hohe Alter der Erde anführen kann,
immer wird man mit dem folgenden Ausſpruche eines unſerer
erſten und ausgezeichnetſten Naturforſcher übereinſtimmen müſſen:
Nous voyons l’homme vivre et mourir sur les ruines d’un
vaste edifice reconstruit, renversé et reconstruit encore,
sans que l’imagination même la plus active puisse atteindre
et fixer les premiers bouleversemens.
§. 104. (Höhe der Atmoſphäre.) Unſere Erde iſt bekanntlich
von einer luftförmigen Hülle, von einer Atmoſphäre umgeben,
deren Daſeyn die Beobachtungen auch ſchon bei Venus, Mars
und Jupiter nachgewieſen haben, und die vielleicht bei keinen Him-
melskörpern fehlt. Es ſcheint, daß die Elaſticität derſelben, die
an der Oberfläche der Erde dem Drucke der auf ihr laſtenden obern
Schichten proportional iſt, in größeren Höhen viel ſchneller, als
dieſer Druck abnimmt, und daß dadurch eine Verdünnung der
höheren Luft entſteht, bei welcher ſie ganz ohne Elaſticität iſt, und
wo ſie daher ihre Gränze haben muß. Diejenige Höhe der Luft,
wo ſie noch Kraft genug hat, die Sonnenſtrahlen zurückzuwerfen,
hat man, aus den Erſcheinungen der Morgen- und Abend-Däm-
merung, zu zehn Meilen berechnet. Allein die Sternſchnuppen
und andere meteoriſche Phänomene ſcheinen nach den bisherigen
Beobachtungen, ſelbſt eine Höhe von dreißig Meilen über der
Oberfläche der Erde zu erreichen, und diejenigen Gegenden der
Atmoſphäre, in welcher noch Wärme, Licht und Electricität thätig
iſt, liegen wahrſcheinlich in einer noch viel größeren Höhe.
Die eigentliche letzte Gränze der Atmoſphäre muß ohne Zwei-
fel dort angenommen werden, wo die Centrifugalkraft der mit
der Erde zugleich rotirenden Luft mit der Schwere der Erde
gleich groß geworden iſt, da ſich die Luft jenſeits dieſer Gränze,
wo die Centrifugalkraft überwiegt, von der Erde entfernen müßte,
[153]Geſtalt und Atmoſphären der Planeten.
und nicht mehr bei ihr bleiben könnte. Wegen dieſer Centrifu-
galkraft wird alſo auch die Atmoſphäre, ſo wie die Erde ſelbſt,
an ihren Polen abgeplattet ſeyn, und unter dem Aequator eine
erhabene Geſtalt annehmen. Wegen der ungemeinen Beweglich-
keit ihrer Elemente, und der großen Entfernung derſelben von der
Erde wird dieſe Abplattung oft ſehr bedeutend ſeyn können. Die
Rechnung zeigt aber, daß dieſe Abplattung ihre Gränzen habe,
die ſie nicht überſteigen kann, und daß, bei der größtmöglichen
Abplattung, die kleine Axe des Luftſphäroids zur großen ſich wie
die Zahlen 2 zu 3 verhalten müſſe.
§. 105. (Zodiakallicht.) Man hat das Zodiakallicht als
die Atmoſphäre der Sonne anſehen wollen. Dieſes der Milch-
ſtraße ähnliche, aber hellere Licht erſtreckt ſich in der Geſtalt eines
Kegels, deſſen Baſis die Sonne iſt, und deſſen Axe in der Ecliptik
liegt, ſelbſt noch weit über die Erdbahn heraus. Man ſieht es am
deutlichſten, beſonders in den Tropenländern, in den Monaten
April und Mai gleich nach Sonnenuntergang, und im Sep-
tember und October kurz vor Sonnenaufgang. Es hat offenbar
die Geſtalt einer ſchmalen Linſe, deren große Axe veränderlich
ſcheint, aber wenigſtens fünfmal größer iſt, als die kleine. Schon
dieſes Verhältniß der beiden Axen zeigt, daß das Zodiakallicht keine
Atmoſphäre der Sonne ſeyn kann, bei welcher, nach dem Vorher-
gehenden dieſes Verhältniß, ſelbſt wenn es am größten iſt, nur
gleich 3 zu 2 ſeyn kann. Auch läßt ſich durch Rechnung zeigen,
daß die Atmoſphäre der Sonne, wenn ſie exiſtirt, noch lange nicht
bis zur Bahn des Merkurs ſich erſtrecken kann, da doch das Zo-
diakallicht noch über die Erdbahn herausgeht. Vielleicht beſteht
daſſelbe bloß in dem durch die Nähe der Sonne verdichteten
Aether, an deſſen Daſeyn im Weltraume man jetzt nicht wohl
mehr zweifeln kann; vielleicht iſt dieſes Licht ein Ausfluß, eine
Sammlung von Kometenmaterie, die bei dem Durchgange dieſer
Himmelskörper durch ihr Perihelium abgeſetzt wird, und ſich um
die Sonne lagert; vielleicht iſt es ein eigenthümlicher, ſchwacher
Nebel, in welchen die Sonne eingehüllt iſt, ſo daß dann dieſelbe
zu den Nebelſternen gezählt werden müßte. Immer ſcheint es,
daß wir die nähere Unterſuchung dieſes räthſelhaften Gegenſtandes
unſern Nachkommen überlaſſen müſſen.
[[154]]
KapitelIX.
Ebbe und Fluth des Meeres und der Atmoſphäre
der Erde.
§. 106. (Impoſantes Schauſpiel der Ebbe und Fluth.) Ob-
ſchon das, die Erde bedeckende Meer ſchon ſeit Jahrtauſenden mit
ihr und mit ſich ſelbſt im Gleichgewichte zu ſchweben ſcheint, und
die Geſtade nicht mehr verläßt, die es in der Vorzeit ſo oft durch-
brochen hat, um das Feſtland mit ſeinen Fluthen zu bedecken, ſo
ſieht man doch dieſe gewaltige Waſſermaſſe in regelmäßiger
Oſcillation ſich täglich auf und nieder bewegen, und ſich von dem
Mittelpunkte der Erde erheben, um bald darauf wieder zu ihm
zurückzuſinken. Es iſt in der That ein erhabenes Schauſpiel für
den ſtillen Zuſchauer an dem Ufer des Meeres, zu ſehen, wie die
Fluthen deſſelben hin und wieder wogen, und ſich ungeſtüm an
den ſie einſchließenden Geſtaden brechen, die ſie wechſelweiſe zu
erſtürmen, und wieder zu verlaſſen ſtreben. Daß der Mond in
jedem Monate um die Erde, daß die Erde in jedem Jahre um
die Sonne, und in jedem Tage um ſich ſelbſt geht — dieß ſind
allerdings große und wunderbare Erſcheinungen. Aber wir füh-
len ſie nicht, und ſind bereits längſt daran gewöhnt. Nur das
feinere Auge des Geometers und des Aſtronomen lehrte uns dieſe
Bewegungen kennen, die für den größten Theil der übrigen Men-
ſchen beinahe ganz unbemerkt vorüber gehen. Aber dieſelben
[155]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
Kräfte, welche dieſe Phänomene erzeugen, ſind auch zugleich die
Urſache jenes periodiſchen, und ſelbſt den gleichgültigſten Zuſchauer
ergreifenden Auf- und Niederwogens des Weltmeeres, in welchem
die Natur, die ſonſt ihre Geheimniſſe der allgemeinen Schwere ſo
ſorgfältig vor unſern Blicken zu verbergen ſcheint, uns dieſelben
mit großen unverkennbaren und ſelbſt den roheſten Wilden ver-
ſtändlichen Charakteren geoffenbart hat.
§. 107. (Erſcheinung der Ebbe und Fluth im Allgemeinen.)
Zweimal an jedem Tage erheben und ſenken ſich die Gewäſſer
des Oceans in immer wieder kommender regelmäßiger Folge.
Die erſten ſechs Stunden des Tages ſind ſie im Steigen begrif-
fen; ſie überſchwemmen ihre flachen Geſtade, ſuchen die ſteilen
Küſten zu erſtürmen, und dringen in die Mündungen der Flüſſe
ein, um ſie meilenweit vor ihren Ufern anzuſchwellen. Dieß iſt
die Zeit der Fluth (flux). Wenn das Waſſer ſeine größte Höhe
erreicht hat, verweilt es daſelbſt als Hochmeer (la haute mer).
Bald darauf ſinkt es eben ſo regelmäßig wieder zu ſeiner erſten
Tiefe herab, die Zeit der Ebbe (reflux) die ebenfalls nahe ſechs
Stunden dauert, bis es ſeine größte Tiefe (basse mer) erreicht
hat, wo es einige Zeit verweilt, um dann wieder zu ſeiner frü-
heren Höhe zu ſteigen, und in derſelben Ordnung dieſelben
Veränderungen regelmäßig zu durchlaufen.
Dieſe Bewegungen des Weltmeeres werden allerdings durch
die Wirkung der Winde vermehrt, aber ſie entſpringen nicht aus
ihnen, da man die Ebbe und Fluth auch bei dem ſtillſten Wetter
und dem reinſten Himmel immer in derſelben Ordnung abwechſeln
ſieht. Dieſe Ordnung iſt ſo groß, daß man die verſchiedenen Mo-
mente dieſer Erſcheinungen für verſchiedene Orte ſelbſt auf ganze
Jahre mit derſelben Sicherheit vorausſagen kann, mit welcher die
Aſtronomen die Finſterniſſe der Sonne und des Mondes be-
ſtimmen.
§. 108. (Perioden der Ebbe und Fluth.) Dieſe Regel-
mäßigkeit des Phänomens ſetzt eine eben ſo regelmäßige und
dauernde Urſache voraus, welche jene Wirkungen hervorbringt.
Um dieſe Urſache zu entdecken, muß man dieſe Erſcheinun-
gen ſelbſt durch eine längere Zeit aufmerkſam beobachten, und
vor allem die Perioden beſtimmen, in welchem ſie wiederkehren.
[156]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
Man fand auf dieſe Art, daß dieſe Perioden mit dem ſynodiſchen
Mondmonat (I. §. 98 und 162), das heißt, mit der Zeit des
Neu- und Vollmondes in auffallendem Zuſammenhange ſtehen,
und daß ſie beſonders von den Stellungen des Mondes gegen die
Erde abhängen. Zwar ſind dieſe Perioden nicht immer gleich
unter einander, aber wenn man aus mehreren auf einander fol-
genden das Mittel nimmt, ſo erhält man für die Dauer derſelben
24 Stunden, 50 Minuten, in welchem Zeitraum immer zwei
Ebben und eben ſo viele Fluthen ſich ereignen. Dieß iſt aber
genau die Zeit, in welcher der Mond, für jeden Beobachter auf
der Erde, vermöge der mittleren Bewegung dieſes Satelliten,
wieder zu ſeinem Meridian zurückkömmt, eine Zeit, die man den
Mondtag nennen kann, ſo wie man die Zeit von 24 Stunden
zwiſchen zwei nächſten Culminationen der Sonne einen Sonnentag
zu nennen pflegt. (I. §. 155.)
Wenn alſo für irgend einen Hafen heute das Hochmeer
genau in den Mittag dieſes Ortes fällt, oder um 12 Uhr ſtatt
hat, ſo wird es am erſten folgenden Tag um 12 Uhr 50 Minuten
Abends, am zweiten um 1 Uhr 40 Minuten, am dritten um
2 Uhr 30 Minuten eintreten, ſo daß es täglich um 50 Minuten
ſpäter kommt, und zwiſchen je zwei ſolchen Abendfluthen wird
immer auch eine Morgenfluth in der Mitte liegen, von welcher
die erſte um 12 Uhr 25 Minuten Morgens, die am erſtfolgenden
Tag um 1 Uhr 15 Minuten, am zweiten um 2 Uhr 10 Min., am
dritten um 3 Uhr 0 Min. Morgens … eintritt u. ſ. w. Zwar ſind
dieſe Intervalle, wie ſchon geſagt, zuweilen einige Minuten größer
oder kleiner, als ſie angegeben wurden, aber eben dieſe Ungleich-
heiten ſind nun wieder ein neuer Beweis, daß die ganze Erſchei-
nung von dem Monde kommt, da auch dieſer, wie wir oben
(Kap. VI.) geſehen haben, ſeine Geſchwindigkeit ſehr ſtark ändert,
und da man, wenn man die Unregelmäßigkeit beider aufmerkſam
betrachtet, eine ſehr genaue Uebereinſtimmung beider findet.
§. 109. (Urſachen der Ebbe und Fluth.) Doch iſt der Mond
zwar die wichtigſte, aber keineswegs die einzige Urſache dieſer Er-
ſcheinungen. Man darf ſie in der That nur durch einige Mo-
nate beobachtet haben, um zu bemerken, daß die Fluthen, welche
[157]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
zur Zeit des Neu- oder Vollmondes eintreten, durchaus viel grö-
ßer, und die der Quadraturen im Gegentheile beträchtlich kleiner
ſind, als die mittleren Fluthen. Wenn man dieſe Beobachtungen
noch weiter fortſetzt, ſo findet man, daß die Fluth und eben ſo
die Ebbe immer größer wird, wenn der Mond oder die Sonne
der Erde näher kömmt, und daß ſelbſt die Declinationen dieſer
beiden Geſtirne noch einen Einfluß auf dieſe Erſcheinungen äußern,
wobei jedoch der des Mondes immer als der überwiegende er-
kannt wird.
§. 110. (Lokalverhältniſſe, welche die Ebbe und Fluth be-
dingen.) Alles Vorhergehende gilt eigentlich nur in ſeiner ganzen
Stärke von großen freien Meeren, von dem eigentlichen Welt-
meere. In kleineren Seen, ſelbſt in dem kaspiſchen Meere,
und überhaupt nahe am Ufer oder in engen Häfen werden die
Gewäſſer in ihrem regelmäßigen Laufe aufgehalten und geſtört,
und der Moment, ſelbſt die Größe des Hochmeers wird dadurch
oft bedeutend modificirt. An den Küſten von Frankreich ſind
dieſe Zeiten, oft ſelbſt ſchon für zwei benachbarte Häfen, ſehr
verſchieden, obſchon ſie für einen und denſelben Hafen eben ſo
conſtant ſind, wie auf der hohen See. In Dünkirchen z. B. tritt
das Hochmeer erſt zwölf Stunden nach der Culmination des
Mondes ein, und in St. Malo (Breite 48° 39′) ſechs Stunden,
während am Cap der guten Hoffnung die Fluth ſchon 1½ Stunde
nach der Culmination des Mondes ihre größte Höhe erreicht.
§. 111. (Hafenetabliſſement und Totalfluth.) Man pflegt die
Zeit ſeit der Culmination des Mondes, wo das Hochmeer am
Tage des Neumondes für jeden Hafen eintritt, das Etablisse-
ment du port (establishment of the port) zu nennen, und man
geht von dieſem Augenblicke aus, um alle folgenden Momente
des Hochmeers für dieſen Monat durch Rechnung zu beſtimmen.
Dieſes Hafenetabliſſement beträgt in
- Hamburg . 5 St. 0 Min.
- Amſterdam . 3 — 0 —
- Fliſſingen . 1 — 0 —
- Oſtende . . 0 — 20 —
- Calais . . 11 — 40 —
- Dieppe . . 10 — 30 —
- St. Malo . 6 St. 0 Min.
- Liſſabon . 4 — 0 —
- London . . 2 — 45 —
- Plymouth . 6 — 5 —
- Dublin . . 9 — 45 —
- Gröningen . 11 — 15 —
[158]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
- Berg-op-Zom 3 St. 0 Min.
- Antwerpen . 4 — 25 —
- Dünkirchen 11 — 45 —
- Boulogne . 10 — 40 —
- Cherbourg . 7 — 45 —
- Breſt . . 3 St. 45 Min.
- Cadix . . 1 — 15 —
- Portsmouth 11 — 40 —
- Lwerpool . 11 — 0 —
- Briſtol . . 6 — 45 —
Es wäre ſehr wünſchenswerth, dieſe Angaben, ſo wie auch
die Höhen der Fluthen für mehrere Orte mit großer Genauigkeit
zu haben, da von ihnen die Berechnung der künftigen Fluthen
abhängen, deren Kenntniß für die Bewohner der Meeresufer ſo
nützlich und ſelbſt nothwendig iſt, um die Unfälle zu vermeiden,
die ſo oft aus den Ueberſchwemmungen dieſer Ufer entſtehen. Man
nennt Totalfluth (marée totale) die halbe Summe zweier
nächſten Hochmeere über dem Niveau der zwiſchen ihnen liegenden
tiefſten Ebbe. Beträgt z. B. die Höhe der erſten Fluth 4,4 Toi-
ſen über dem Niveau der nächſtfolgenden Ebbe, und die der zweiten
Fluth 3,6 Toiſen, ſo iſt die Totalfluth 4 Toiſen. Dieſe Total-
fluth beträgt im Mittel aus ſehr vielen Beobachtungen für Breſt
3,21, für Cherbourg 2,70, für St. Malo 5,98, und für Dieppe
2,87 Meter. In den franzöſiſchen Häfen ereignen ſich die größ-
ten Fluthen immer ein und einen halben Tag nach dem Neu-
und Vollmonde, und dieſe größten Fluthen ſind es, deren Kenntniß
beſonders intereſſant iſt. Man findet ſie aber auf folgende Art.
§. 112. (Berechnung der Ebbe und Fluth.) Laplace hat in
ſeiner Mec. céleste Vol. II. p. 289 einen einfachen Ausdruck
gegeben, durch welchen man die Höhe der Fluth für alle Neu-
und Vollmondstage eines Jahres berechnen kann. Die Reſultate
dieſer Berechnung werden von den Aſtronomen in Paris jährlich
bekannt gemacht. So hat man z. B. für das Jahr 1834 ge-
funden:
- Fluthhöhe
- 10 März Neumond um 11 Uhr Morgens . 0,84 Meter
- 25 — Vollmond um 6 Uhr Morgens . 1,13
Um nun zu wiſſen, welches die größte Fluthhöhe für Breſt
im Monat März des Jahres 1834 ſeyn wird, multiplicirt man
die größere der beiden vorhergehenden Zahlen, nämlich 1,13 durch
die Totalfluth von Breſt, d. h. durch 3,21, wodurch man für die
geſuchte größte Fluth 3,63 Meter erhält, und da dieſe anderthalb
[159]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
Tage nach dem Vollmonde ſtatt haben ſoll, ſo fällt ſie auf den
26. März um 6 Uhr Abends, für St. Malo findet man an dem-
ſelben Tage die größte Fluth dieſes Monats 6,76 Meter, oder
20,81 Par. Fuß.
§. 113. (Erklärung dieſer Erſcheinungen.) Da die Voraus-
beſtimmungen dieſer Erſcheinungen ſo gut mit den Beobachtungen
übereinſtimmen, ſo kann man nicht zweifeln, daß auch die Vor-
ausſetzungen, auf welche ſich jene Rechnungen gründen, der Wahr-
heit gemäß ſind, daß nämlich dieſe Erſcheinungen eine bloße Folge
der Anziehung der Sonne, und beſonders des Mondes auf die,
die Oberfläche der Erde bedeckenden Gewäſſer des Meeres ſind.
Sey T (Fig. 6) der Mittelpunkt des Mondes und S der
Mittelpunkt der Erde ABmn, alſo A der nächſte, und B der von
dem Monde weiteſte Punkt der Oberfläche der Erde, wo der
Beobachter in A den Mond in ſeinem Zenith, und B in ſeinem
Nadir (Einl. §. 8) hat. Da die Anziehung des Mondes, wie die
aller Körper, ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung ver-
hält, ſo iſt dieſe Anziehung des Mondes für den Punkt A der
Erde die größte, und für den Punkt B die kleinſte von allen,
während ſie für die beiden zwiſchen jenen liegenden Punkte m
und n nahe eben ſo groß, als für den Mittelpunkt S der Erde,
alſo nahe gleich der mittleren Anziehung des Mondes iſt. Da
alſo der Punkt A ſtärker, als der Mittelpunkt S der Erde, von
dem Monde angezogen wird, ſo wird auch dieſer Punkt A ſich
dem Monde T zu nähern, oder von dem Punkte T zu entfernen
ſuchen; der Punkt A und alſo auch das ihm zunächſt umgebende
Waſſer wird daher ſteigen. Da aber eben ſo der Mittelpunkt
S an dem Monde T mehr, als der entfernteſte Punkt B angezogen
wird, ſo wird ſich auch der Punkt S dem Monde mehr nähern,
als der Punkt B, oder mit andern Worten, der Punkt B und
alſo auch das ihn umgebende Waſſer, wird hinter dem Mittel-
punkte S der Erde zurückbleiben, ſich von ihm entfernen, und
daher ebenfalls ſteigen. Daſſelbe wird auch, obſchon in gerin-
germ Grade, für alle die Punkte der Erde gelten, die mit den
beiden Punkten A und B in einerlei Meridian liegen, oder für
die der Mond zu derſelben Zeit culminirt. Die übrigen Punkte
der Erde aber werden ſich deſto weniger von dem Mittelpunkte
[160]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
derſelben entfernen, werden deſto weniger ſteigen, je weiter ſie von
jenem Meridian entfernt ſind. Die Punkte m und n, die den
Mond in oder nahe bei ihrem Horizonte ſehen, werden nur mit
der mittleren Kraft des Mondes, mit derſelben Kraft, wie der
Mittelpunkt S angezogen, und bleiben daher ungeſtört, oder viel-
mehr die, dieſe beiden Punkte umgebenden Gewäſſer müſſen an
Höhe abnehmen oder ſinken, weil ein großer Theil dazu verwendet
worden iſt, die Gewäſſer bei A und B zu erhöhen.
Man ſieht daraus ſchon ohne alle Rechnung, daß zwiſchen
je zwei nächſten Culminationen des Mondes auch eine doppelte
Ebbe und Fluth ſtatt haben, und daß die Fluth für jeden Ort der
Erde in die Zeit ſeiner oberen oder unteren Culmination (Einl.
§. 26), die der Ebbe aber nahe ſechs Stunden vor und nach der-
ſelben ſtatt haben muß.
Was ſo eben von dem Monde geſagt worden iſt, gilt auch
von der Sonne, nur wegen ihrer zu großen Entfernung in viel
geringerem Maaße. Die Sonnenfluthen werden für jeden Ort in
den Augenblick ſeines Mittags und ſeiner Mitternacht fallen, und
wenn jeden Monat einmal die Culmination des Mondes in die-
ſelbe Zeit fällt, d. h. zur Zeit der Neu- und Vollmonde, ſo wer-
den die Wirkungen der Sonne und des Mondes ebenfalls zuſam-
menfallen und die Fluthhöhe vergrößern, während im Gegen-
theile zur Zeit der Quadraturen, wo der Mond in der Linie
BST und die Sonne in der verlängerten Linie mSn liegt, die
Fluthhöhe des Mondes durch die der Sonne vermindert
werden muß. Aus derſelben Urſache wird die Fluth des Mondes
ſowohl, als auch die der Sonne deſto ſtärker ſeyn, je näher dieſe
Geſtirne bei der Erde ſtehen, was alles mit den Beobachtungen
ganz genau übereinſtimmt. Daß das Hochmeer an jedem Orte
nicht in den Augenblick der Culmination ſelbſt trifft, ſondern oft
erſt mehrere Stunden ſpäter ſtatt hat, kömmt offenbar daher, daß
das Waſſer, von m und n nach A oder nach B zu kommen, und
ſich in dieſen beiden letzten Punkten auf die größte Höhe zu brin-
gen, eine gewiſſe Zeit erfordert, da die Trägheit des Waſſers, die
Reibung ſeiner Theile, die Unebenheiten des Meeresbodens u. dgl.
dieſer Bewegung deſſelben mehrere Hinderniſſe entgegen ſetzen.
Aus derſelben Urſache fällt bekanntlich auch die größte Hitze des
[161]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
Tages nicht auf den Mittag, ſondern 1½ oder 2 Stunden ſpäter,
ſo wie die höchſte Temperatur des Jahres nicht auf den Augen-
blick des Sommerſolſtitiums, wo die Sonne am höchſten ſteht,
ſondern mehr als einen Monat ſpäter fällt, weil die Accumulation
der Wärme ebenfalls nur allmählig fortſchreitet, und ſich ſelbſt
nach dem höchſten Stande der Sonne noch einige Zeit durch an-
häuft.
Es wurde bereits geſagt, daß alle die Orte, welche mit den
Punkten A und B in demſelben Meridian liegen, zu gleicher Zeit ihre
Fluthen haben, aber in geringerem Grade, offenbar in einem um ſo
geringeren je weiter ſie von den beiden Punkten A und B entfernt
ſind. Da aber die Sonne und der Mond ſich nie ſehr weit von
der Ebene des Aequators entfernen, ſo werden auch dieſe Orte
A und B, welche die größten Fluthen haben, immer in der Nähe
des irdiſchen Aequators ſeyn, oder ſie werden in die heiße Zone
fallen. Die Fluthen werden alſo in den Tropenländern am größ-
ten ſeyn, und immer kleiner werden, je näher man den beiden
Polen der Erde kömmt. Auch dieß iſt der Erfahrung vollkom-
men gemäß. In Oſtindien und an den tropiſchen Küſten Ame-
rika’s ſteigen dieſe Fluthen gewöhnlich ſehr hoch, obſchon ſie auch
durch Localurſachen an andern Orten oft ſehr erhöht werden. In
dem Hafen von St. Malo beträgt dieſe Höhe gewöhnlich 50 Fuß.
In der Nord- und Oſtſee iſt die Erhebung und Senkung des
Meeres ſchon viel kleiner, und an den nördlichen Küſten von
Norwegen bemerkt man ſie gar nicht mehr, ſo wenig als in klei-
neren oder ringsum eingeſchloſſenen Meeren, wie in dem ſchwarzen
oder dem kaspiſchen See.
§. 114. (Beſtimmung der Mondmaſſe und Geſchichte der Theorie
dieſer Erſcheinung.) Wenn man den Einfluß, welchen der Mond
auf die Fluth hat, von jenem der Sonne geſchickt ſondert, ſo geben
dieſe Erſcheinungen ein gutes Mittel, die Maſſe des Mondes zu
beſtimmen. Man hat auf dieſem Wege gefunden, daß die Maſſe
dieſes Satelliten nahe den 75ſten Theil der Maſſe der Erde beträgt,
übereinſtimmend mit anderen aſtronomiſchen Beſtimmungen.
Die Theorie dieſer Erſcheinungen, in ihrer ganzen Vollſtän-
digkeit aufgefaßt, iſt übrigens eine der ſchwerſten, mit welchen ſich
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 11
[162]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
unſere Geometer bisher beſchäftiget haben, wie ſchon aus den
vielen vergeblichen Verſuchen folgt, welche ſeit Newtons
Zeiten angeſtellt wurden, dieſen Zweck zu erreichen. Schon
Kepler wollte eine ſolche Theorie liefern, aber die Analyſe war
damals noch in einem zu unvollkommenen Zuſtande, um
ein ſo ſchwieriges Problem genügend aufzulöſen. Galilei, der
die Anſicht Keplers bekämpfte, ſtellte eine andere auf, die aber
eben ſo wenig angenommen zu werden verdiente. Newton, der
den Gegenſtand zuerſt aus dem wahren Geſichtspunkte betrachtete,
ſtellte ſeine Theorie i. J. 1687 auf, allein ſo richtig auch ſeine
Ideen waren, ſo bedurften ſie doch noch einer großen Entwickelung
und Ausbildung, um den Erſcheinungen der Natur vollkommen
zu genügen. Im Jahre 1738 machte die k. Akademie der Wiſſen-
ſchaften zu Paris dieſes Problem zum Gegenſtande einer Preis-
frage, die vier gekrönte Memoiren zur Folge hatte. Die drei
erſten waren von Daniel Bernoulli, Leonhard Euler und Mac-
laurin, welche alle mit ſehr viel Scharfſinn die von Newton ſchon
früher eingeſchlagene Bahn verfolgten. Die vierte aber hatte den
bekannten Jeſuiten Cavalleri zum Verfaſſer, und dieſer ſuchte die
gegebene Frage durch die Anwendung der carteſiſchen Wirbel zu
erklären, eine auf nichts gegründete Theorie, an welcher aber die
Pariſer Akademie noch viele Jahre feſtzuhalten ſuchte, nachdem
bereits Newton ſein Syſtem der allgemeinen Schwere aufgeſtellt,
und die Nichtigkeit der Wirbel des Descartes dargethan hatte.
Die gegenwärtige hohe Ausbildung dieſes Gegenſtandes verdanken
wir vorzüglich Laplace, der ſeine tiefen Unterſuchungen darüber
in den beiden letzten Theilen ſeiner Mec. céleste mitgetheilt hat.
§. 115. (Ebbe und Fluth der Atmoſphäre.) Da die Wirkung
der Sonne und des Mondes auf unſere Meere ſo bedeutend iſt,
ſo wird ſie wahrſcheinlich auf das unſere Erde rings umgebende
Luftmeer, wegen der großen Beweglichkeit deſſelben, noch viel be-
trächtlicher ſeyn. An der oberſten Gränze der Atmoſphäre ſind
dieſe Wirkungen ohne Zweifel auch ſehr groß, aber wir bewohnen
nur den Grund dieſes Meeres, und ſind in dieſer Beziehung
in demſelben Falle mit den Bewohnern der Tiefe des Oceans,
die von den großen Veränderungen, welche an ſeiner Oberfläche
vorgehen, wohl nur ſehr wenig fühlen. Indeß erkennen wir dieſe
[163]Ebbe u. Fluth d. Meeres und d. Atmoſphäre d. Erde.
Fluctuationen unſerer Atmoſphäre ſelbſt auf der Erde noch durch
die täglichen Aenderungen des Barometers, und an denjenigen
Winden, deren Richtung und Stärke von den Tageszeiten ab-
hängt und die daher periodiſch ſind. Jene Variationen des Baro-
meters ſind allerdings nur klein, da ſie ſelbſt unter dem Aequator,
wo ſie am größten ſind, nur etwa drei Zehntheile einer Linie be-
tragen. Demungeachtet hat man ſich durch fortgeſetzte Beobach-
tungen an guten Inſtrumenten, ſelbſt in höheren Breiten, von
ihrem Daſeyn nicht nur, ſondern auch von ihrer Größe überzeugt.
Dieſen Beobachtungen zu Folge liegt die größte Höhe des Baro-
meterſtandes zwiſchen 9 und 10 Uhr Morgens; hierauf nimmt die
Höhe bis 4 Uhr Abends ab, wo ſie am kleinſten iſt. Von da
ſteigt ſie wieder, bis ſie um 11 Uhr Abends zum zweitenmale
eine größte Höhe erreicht, und dann wieder fällt, bis ſie um
4 Uhr Morgens zu ihrer zweiten größten Tiefe ſinkt. Aus dieſer
Epoche ſieht man aber ſchon, daß ſie ſich nicht nach dem Laufe
des Mondes, ſondern vielmehr nach dem der Sonne richtet. Auch
zeigt die Theorie, daß die Anziehung dieſer beiden Geſtirne auf
unſere Atmoſphäre, ſelbſt unter dem Aequator, höchſtens eine
Aenderung von 0,02 Linien in der Höhe des Barometers hervor-
bringen könnte. Jene beobachtete Aenderung ſcheint daher eine
Wirkung der Temperatur zu ſeyn, die durch die Sonne in
unſerer Atmoſphäre erzeugt wird.
11 *
[[164]]
KapitelX.
Andere merkwürdige Folgen der Störungen der
Planeten.
§. 116. (Bei dem Monde iſt die Revolution der Rotation
gleich.) Wir haben im Vorhergehenden geſehen, daß ſich aus dem
einfachen Geſetze der allgemeinen Attraction nicht nur die ellipti-
ſche Bewegung der Planeten um die Sonne, und der Satelliten
um ihre Hauptplaneten erklären läßt, ſondern daß auch die man-
nigfaltigen Abweichungen dieſer Körper von ihren elliptiſchen
Bahnen, daß die periodiſchen ſowohl als die ſäculären Störungen
aus derſelben Quelle fließen, die zugleich die Urſache der ſphä-
roidiſchen Geſtalt dieſer Planeten und ihrer Atmoſphären, ſo wie
derjenigen Erſcheinungen iſt, welche unter der Benennung der Prä-
ceſſion und der Nutation der Erdaxe, und der Ebbe und Fluth
des Meeres bekannt ſind. Es gibt aber noch mehrere andere
Folgen deſſelben großen Geſetzes, die zwar eben ſo wenig, als die
bereits angeführten, in dieſen Blättern umſtändlich und mit
ihren Gründen mitgetheilt werden können, die aber doch zu wich-
tig und intereſſant ſind, als daß es erlaubt ſeyn ſollte, ſie hier
ganz zu übergehen.
Da uns der Mond immer dieſelben Flecken zeigt, oder da
er uns immer dieſelbe Seite zuwendet, ſo muß er ſich um ſeine
Axe drehen, und zwar in derſelben Zeit, in welcher er ſich um
[165]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
die Erde bewegt, ſo daß alſo die Rotation des Mondes der Re-
volution deſſelben gleich iſt. Man wird ſich von der Wahrheit
dieſes Schluſſes leicht überzeugen, wenn man ſich einen Beobach-
ter außer der Mondsbahn z. B., in der Sonne, denkt, für welchen
der Mond während jeder ſeiner Revolutionen um die Erde nach
und nach alle Seiten ſeiner Oberfläche dem Beobachter zuwenden
wird. Beide Bewegungen ſind alſo bei dem Monde gleich, und
zwar ganz genau gleich, weil ſchon der geringſte Unterſchied, in-
dem er mit der Zeit ſich anhäufen müßte, uns längſt auch die
andere Seite des Mondes zugewendet hätte, die doch bisher noch
kein menſchliches Auge geſehen hat. Dieſe Uebereinſtimmung der
Notation mit der Revolution bei dem Monde iſt ſehr merkwürdig,
und wir werden ſehen, daß dieſelbe auch bei den Satelliten der
andern Planeten ſtatt hat. Nicht ſo bei den Hauptplaneten, wo zwi-
ſchen dieſen beiden Bewegungen die größte Verſchiedenheit herrſcht.
So dreht ſich die Erde 366mal, Jupiter 10000mal und Saturn
25000mal um ſich ſelbſt, während jeder dieſer Körper nur einen
einzigen Umlauf um die Sonne macht.
§. 117. (Scheinbare Librationen des Mondes.) Zwar bemerkt
man mit einiger Aufmerkſamkeit, daß die dem Rande zunächſt
ſtehenden Flecken zuweilen auf die von uns abgewendete Hemi-
ſphäre des Mondes treten, und uns unſichtbar werden, und daß
eben ſo andere, die wir zuerſt nicht geſehen hatten, auf der uns
zugewendeten Hälfte dieſes Satelliten erſcheinen. Allein man ſiebt
bald, daß dieß nur ſcheinbare Bewegungen ſind, die von der un-
gleichförmigen Bewegung des Mondes um die Erde, und von
unſerer Stellung gegen dieſen Himmelskörper kommen. Wegen
ſeiner elliptiſchen Bewegung, ſo wie auch wegen der großen Stö-
rungen, die er von der Sonne erleidet (S. 116), geht er in ſeiner
Bahn bald mit einer größeren, bald wieder mit einer kleineren
Geſchwindigkeit fort, und muß uns daher, die wir im Mittel-
punkte ſeiner Bahn ſtehen, bald von dem öſtlichen, bald wieder
von dem weſtlichen Rande einen kleinen Theil ſeiner von uns im
Allgemeinen abgewendeten Seite zukehren. Da ferner die Ro-
tationsaxe des Mondes auf der Ebene ſeiner Bahn nicht genau
ſenkrecht ſteht, ſondern um einen Winkel von nahe 83 Graden
gegen ſie geneigt iſt, ſo werden wir, wenn er den höchſten Punkt
[166]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
ſeiner Bahn einnimmt, von ſeinem nördlichen Rande etwas we-
niger, und von ſeinem ſüdlichen etwas mehr erblicken, als wenn
er in dem tiefſten Punkte ſeiner Bahn ſtünde. Da endlich derjenige
Punkt des Mondrandes, der bei ſeinem Aufgange am höchſten
ſteht, bei ſeinem Untergange nahe am tiefſten erſcheint, ſo wird
ein Beobachter auf der Oberfläche der Erde an dem äußerſten
Rande des Mondes auch andere Flecken ſehen, als der Antipode
deſſelben. Allein alle dieſe, übrigens ſehr geringen Verände-
rungen, die man die ſcheinbaren Librationen des Mondes
nennt, haben ihren Grund nur in unſerer Stellung gegen den-
ſelben, und ſind daher bloß als optiſche Erſcheinungen zu betrach-
ten, die mit den Bewegungen des Mondes ſelbſt in keinem
unmittelbaren Zuſammenhange ſtehen. Die erſte dieſer Libratio-
nen, in der Länge, kann, aus dem Mittelpunkte des Mondes
geſehen, höchſtens 8 Grade, die Libration der Breite 6,8° und
endlich die dritte oder die Libration der Parallaxe einen Grad
betragen.
§. 118. (Säculäre Aenderungen der Rotation des Mondes.)
Wir werden daher annehmen müſſen, daß die Rotation des Mon-
des um ſeine Axe der mittleren Bewegung deſſelben um die
Erde vollkommen gleich iſt. Allein welcher mittleren? — Denn wir
haben oben (I. S. 330) geſehen, daß dieſe mittlere Bewegung
des Mondes ſelbſt wieder veränderlich iſt, indem ſie ſeit mehr als
20000 Jahren immer zugenommen hat, und nahe eben ſo lange
noch zunehmen, dann aber wieder allmählig langſamer werden
wird. Wenn daher die Rotation des Mondes eine für alle Zeiten
unveränderliche Größe wäre, wie dieß bei der Erde und den Pla-
neten in der That der Fall iſt, ſo müßte ſie in der Folge der Jahr-
hunderte ſchon längſt von der Revolution dieſes Satelliten verſchieden
geworden ſeyn, und wir würden daher ſchon ſeit Jahrtauſenden
einen großen Theil der von uns noch immer abgewendeten He-
miſphäre deſſelben zu Geſichte bekommen haben. Da dieß gegen
die Erfahrung iſt, ſo muß man annehmen, daß auch die Rota-
tion des Mondes einer ähnlichen ſäculären Veränderung, wie die
Revolution, unterworfen ſey. Weil aber auf der andern Seite jede
freie Rotation eines Körpers ihrer Natur nach nicht anders als
gleichförmig ſeyn kann, ſo muß es eine beſondere äußere Kraft
[167]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
geben, die auf den Mond einwirkt, und ihn zwingt, jeden Augen-
blick der Erde dieſelbe Seite unverwandt zuzukehren.
§. 119. (Urſache dieſer Erſcheinungen.) Dieſe Kraft kann
aber offenbar nur in der Erde liegen. Nimmt man, wie dieß
ſehr wahrſcheinlich iſt, an, daß der Mond zur Zeit ſeiner Ent-
ſtebung ein flüſſiger Körper war, ſo wird die Erde, wegen
ihrer großen Nähe, den ihr nächſten Punkt, d. h. den Mittel-
punkt der uns ſichtbaren Scheibe des Mondes, unter allen am
ſtärkſten angezogen, und ſo ſich dieſen Punkt noch mehr ge-
nähert haben. Dadurch erhielt die Oberfläche dieſes Satelliten
die Geſtalt eines Ellipſoids, deſſen kleinſte Axe die Rotationsaxe,
und deſſen größte gegen die Erde gekehrt war. Es iſt äußerſt
unwahrſcheinlich, daß der primitive Stoß, welcher dem Monde
(S. 87) ſeine Bewegung gab, genau eine ſolche Beſchaffenheit hatte,
wodurch die drehende und die fortſchreitende Bewegung deſſel-
ben einander ganz gleich geworden wären. Allein unter der Vor-
ausſetzung, daß die große Axe des Mondſphäroids urſprünglich
gegen die Erde gerichtet war, iſt es ſchon hinlänglich, dieſe beiden
Bewegungen nur nicht zu ſehr verſchieden anzunehmen, um daraus
jene Erſcheinung der Gleichheit beider Bewegungen zu erklären.
Wenn nämlich auch dieſe große Axe des Mondes jeden Augen-
blick von der Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde ſich
zu entfernen ſtrebt, ſo wird ſie doch durch die Anziehung der Erde
ſelbſt immer wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht werden,
ſo wie z. B. die Schwere der Erde ein in Bewegung begriffenes
Pendel, ſo oft es ſich von ſeiner Verticallinie entfernt, immer
wieder zu derſelben zurückführt. Durch dieſe Attraction der Erde
entſteht alſo eine Art von wahrer, nicht bloß ſcheinbarer Libra-
tion des Mondes, die aber ſehr gering ſeyn muß, da unſere
Beobachtungen ſie noch nicht zu erkennen gegeben haben. Auch
die Abplattung des Mondes an ſeinen beiden Polen iſt ſo klein,
daß ſie bisher unſern ſchärfſten Inſtrumenten entging, und
daß wir daher die Geſtalt dieſes Satelliten ohne merklichen Fehler
als vollkommen kugelförmig annehmen können. Nach der Theorie
aber iſt die kleine Axe deſſelben gleich 0,9989, wenn die große,
gegen den Mittelpunkt der Erde gekehrte Axe für die Einheit
[168]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
angenommen wird, ſo daß alſo ſeine Abplattung nur den tauſend-
ſten Theil dieſer Axe beträgt.
§. 120. (Der Mond in Verbindung mit Kometen.) Wenn
der Mond je einem Kometen nahe gekommen iſt, was ſeit der
undenklichen Zeit ſeiner Exiſtenz wohl geſchehen ſeyn mag, ſo
muß doch die Maſſe eines ſolchen Kometen ungemein gering ge-
weſen ſeyn. Denn wenn ſie auch nur den hunderttauſendſten Theil
der Erdmaſſe betragen hätte, ſo würde ein Zuſammentreffen dieſer
beiden Körper, wie die Rechnung zeigt, die wahren Librationen des
Mondes ſchon ſo groß gemacht haben, daß ſie unſern Beobach-
tungen nicht mehr hätten entgehen können. — Aber vielleicht war
der Mond ſelbſt einmal ein Komet, der in der graueſten Vorzeit
der Erde nahe gekommen iſt, und nun, von ihr feſtgehalten, ſie
auf ihrer Bahn um die Sonne begleiten muß? Es hat nicht an
Aſtronomen gefehlt, die dieſe Meinung aufgeſtellt haben. Allein
wenn man, mit Hülfe der Analyſe, auch in die entfernteſte Zeiten
zurück geht, ſo findet man, daß der Mond ſich immer in einer
nahe kreisförmigen Bahn um die Erde, ſo wie die Planeten um
die Sonne, bewegt habe, und daß daher ein ſolcher Urſprung deſ-
ſelben ganz unwahrſcheinlich iſt.
§. 121. (Störungen der Kometen von den Planeten und von
dem Aether.) Dieſe Kometen erleiden von den Planeten unſeres
Sonnenſyſtems, wenn ſie aus ihrer weiten Ferne zu denſelben
herabſteigen, oft große Störungen, die auf eine ganz andere Art
berechnet werden müſſen, als die Störungen der Planeten unter
ſich, weil die große Excentricität ihrer Bahnen nicht mehr die Ab-
kürzungen erlaubt, die man bei den Planeten mit ſo viel Vor-
theil anzuwenden pflegt. Schon Halley erkannte die großen Wir-
kungen dieſer Störungen an dem nach ihm genannten Kometen,
deſſen auf einander folgende Umlaufszeiten, in Folge dieſer Stö-
rungen, mehr als ein ganzes Jahr von einander verſchieden
waren. Aber erſt 75 Jahre ſpäter verſuchte es Clairaut, dieſe
Störungen der Analyſe zu unterwerfen. Dieſe Kometen ſcheinen
ſelbſt noch eine andere Art von Störung zu erleiden, dergleichen
wir bei den Planeten noch kein Beiſpiel gefunden haben. Es iſt
nicht unwahrſcheinlich, daß die Räume, welche die Körper unſeres
Sonnenſyſtems von einander trennen, mit einer vielleicht äußerſt
[169]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
feinen und durchſichtigen Materie erfüllt ſind, und daß die
Körper, wenn ſie ſich in dieſem Aether bewegen, von demſelben
einen Widerſtand erfahren. Bei den Planeten, dieſen dichten und
feſten Kugeln, wird ſolcher Widerſtand ohne Zweifel nur ſehr ge-
ring ſeyn können, wie wir denn auch bisher durch keine Beobach-
tung die Exiſtenz deſſelben nachzuweiſen vermögen. Allein die Ko-
meten, dieſe ungemein ausgebreiteten, und aus einem ſo lockeren
Gewebe beſtehenden Körper, daß ſie vielleicht nicht einmal unſern
Wolken zu vergleichen ſind, würden allerdings einen viel größern
Widerſtand von jenem Mittel erleiden können. Man hat eine
ſolche Bewegung der Analyſe unterworfen und gefunden, daß,
wenn dieſes Mittel eine ſehr geringe Dichtigkeit, und die ellipti-
ſche Bahn des Kometen eine ſehr kleine Excentricität hat, die
große Axe der Ellipſe immerwährend abnehmen, alſo auch die
Umlaufszeit des Kometen kleiner, die Winkelgeſchwindigkeit deſ-
ſelben aber immer größer werden müßte, während die Excentri-
cität der Bahn, und die Lage der großen Axe periodiſchen Ab-
wechslungen unterworfen ſeyn würde, die ſich mit jedem Umlaufe
des Kometen um die Sonne wieder herſtellen. Dieſe immerwäh-
rende Abnahme der großen Axe würde daher eine beſtändige An-
näherung des Kometen zur Sonne, und ein endliches Zuſammen-
fallen beider Körper zur Folge haben. Encke hat bei dem nach
ihm benannten Kometen von 1200 Tagen Umlaufszeit in der That
eine ſolche Verkürzung der Revolution bemerkt, und dadurch Ver-
anlaſſung gegeben, auf dieſen bisher ganz vernachläſſigten Gegen-
ſtand in der Folge eine größere Aufmerkſamkeit zu wenden.
§. 122. (Unveränderliche Gegenſtände des Sonnenſyſtems.)
Wir haben bisher geſehen, wie durch die Wirkung der, allen Kör-
pern unſeres Sonnenſyſtemes gemeinſamen Anziehung keiner der-
ſelben in abſoluter Ruhe, wie vielmehr alles in gegenſeitiger, oft
durch viele Urſachen zugleich mannigfaltig modificirter Bewegung
ſich befindet, wie die Ebenen, auf welche wir alle Lagen
der himmliſchen Körper beziehen, die Ecliptik und der Aequator,
ja wie ſelbſt die Punkte dieſer Ebenen, von welchen wir dieſe
Lagen zu zählen anfangen, die Aequinoctialpunkte der Himmels-
ſphäre, ähnlichen immerwährenden Aenderungen unterliegen.
Zwar ſind wir dahin gelangt, von allen dieſen Veränderungen
[170]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
ſtrenge Rechenſchaft zu geben, und zu zeigen, daß dieſe bloß ſchein-
baren Unordnungen nur eine Folge, ein unmittelbarer Ausfluß
deſſelben Geſetzes der allgemeinen Schwere ſind. Aber je ſchwerer
die Aufgabe iſt, deren Löſung hier der menſchliche Geiſt durch die
Hülfe der Analyſe unternommen, und in ihren Hauptpunkten
wenigſtens glücklich zu Ende geführt hat; je größer und verworre-
n[e]r das Gewühl aller dieſer beinahe unüberſehbaren Körper iſt, das
uns von allen Seiten umgibt, deſto wünſchenswerther muß es
uns erſcheinen, in dieſen zahlloſen, und ſich ſo wunderbar durch-
kreuzenden Bewegungen wenigſtens einige Punkte aufzufinden,
die an dem ewigen Wechſel keinen Theil nehmen, die mitten
in dieſem beſtändig auf und nieder wogenden Meere in abſoluter
Ruhe bleiben, und an die wir daher, als an fixe Punkte, alle
anderen anknüpfen, und die Bewegungen derſelben davon abmeſſen
können.
Wir kennen bisher drei ſolcher conſtanten, und, wie es
ſcheint, für immerwährende Zeiten unveränderlichen Dinge: die
Stabilität der Drehungsaxe der Erde, die Länge des Tages, und
die mittlere Entfernung der Erde und aller Planeten von der
Sonne. Wir wollen dieſe drei Gegenſtände nach der Reihe näher
betrachten.
§. 123. (I. Unveränderlichkeit der Erdaxe.) Die Tiefe unſerer
Meere beträgt, den darüber angeſtellten Verſuchen zu Folge, nur
einen ſehr geringen Theil des Halbmeſſers der Erde, wie auch
ſchon daraus hervorgeht, daß daſſelbe ſo große Strecken des Feſt-
landes unbedeckt gelaſſen hat. Man wird ohne merklichen Fehler
annehmen können, daß der Boden des Meeres nahe eben ſo tief
unter dem Spiegel des Waſſers liegt, als das höchſte Feſtland
über demſelben ſteht, eine Größe, die nahe 30000 Fuß beträgt,
alſo ſelbſt noch ein kleiner Theil der Abplattung iſt, die über drei
Meilen oder gegen 70000 Fuß hat. Obſchon es ſehr wahrſchein-
lich iſt, daß dieſes Meer in der Vorzeit wenigſtens zuweilen einen
großen Theil des Continents bedeckt hat, wie die auf den höchſten
Bergen zurückgelaſſenen Spuren deſſelben zeigen, ſo konnte daſ-
ſelbe doch eben wegen ſeiner geringen Tiefe, oft große Strecken
bedecken und wieder verlaſſen, ohne jene gewaltſamen Revolutio-
nen anzunehmen, für welche mehrere unſerer Geologen ſogar
[171]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
eine Verſetzung des Aequators in die Gegenden, welche jetzt die
Pole einnehmen, zu Hülfe gerufen haben. Man hat dieſe
extravaganten Hypotheſen ausgedacht, um dadurch die Ueberreſte
von Thieren der Tropenländer, die man in den kalten Zonen
fand, zu erklären. So wurde im Jahr 1771 an dem ſandigen
Ufer des Fluſſes Wilhui in Sibirien ein ganz gut erhaltenes
Rhinoceros einige Fuß tief unter der Erde entdeckt, deſſen Haut
noch nicht von der Verweſung ergriffen war, und i. J. 1799
wurde am Ausfluſſe der Lena ein ungewöhnlich großer Elephant,
in einen Eisblock eingeſchloſſen, gefunden, deſſen Fleiſch noch ſo
friſch geweſen ſeyn ſoll, daß die Jakuten ihre Hunde damit füttern
konnten. Dieſe und ähnliche Erſcheinungen wollte man aus einer
ſolchen Verſetzung des Aequators, der früher durch jene Gegenden
gegangen ſeyn ſoll, und durch den dadurch verurſachten Sturz
des Weltmeers von Süd nach Nord erklären, ohne zu bedenken,
daß dieſe Thiere unmittelbar nach ihrem Tode hätten einfrieren
müſſen, um vor der Fäulniß bewahrt zu bleiben.
§. 124. (Erklärung dieſer Erſcheinungen) Eine ſolche plötz-
liche Verſetzung des Aequators der Erde könnte nur von irgend
einer fremden äußern Kraft gekommen ſeyn, und man ſieht da
nichts, als etwa einen Kometen, der in der Vorzeit mit der Erde
zuſammengetroffen ſeyn mag. Allein wir haben bereits oben ge-
zeigt, wie unwahrſcheinlich ein ſolches Zuſammentreffen, und wie
noch viel unwahrſcheinlicher eine ſo bedeutende Folge dieſes Con-
flictes iſt, da die Maſſen aller Kometen ſo ungemein klein ſind.
Aber iſt es nicht möglich, daß vor Zeiten auch in dem ge-
genwärtigen Klima Sibiriens Elephanten in der That gelebt
haben? — Der an der Lena gefundene war allerdings, ſeiner
Größe und Geſtalt nach, denen gleich, die wir noch jetzt im ſüd-
lichen Aſien finden. Seine beiden Hauzähne hatten neun Fuß
Länge, und ſein Kopf wog vier Zentner. Aber ſeine Haut war
bedeckt mit einer dichten braunen Wolle, aus der ſtarke, ſchwarze
Haare hervorragten, und der Hals des Thieres war mit einer
löwenartigen Mähne beſetzt. Eben ſo war die Haut jenes Rhi-
noceros mit ſteifen, drei Zoll langen Borſten oder Haaren be-
deckt. Unter einem ſolchen Pelze konnten dieſe Thiere das Klima
Sibiriens ſehr wohl ertragen, während die ihres Gleichen, wenn
[172]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
anders ſie das ſind, in Indien jene ſtrenge Kälte nicht ertragen
würden. Uebrigens wandern auch dieſe Thiere des Südens zur
Sommerszeit oft ſehr weit gegen Norden hin, und man ſieht den
ſogenannten Königs-Tiger Indiens ſeine Excurſionen bis an
den weſtlichen Abhang des Altaiberges, nahe bei Barnul (53°
nördlicher Breite) ausdehnen. Daſſelbe konnte auch in der Vor-
zeit mit den Elephanten geſchehen ſeyn, und dann war ein Ein-
ſinken deſſelben im leichten Grunde, oder ein Erdfall mit einer
darauf folgenden ſtrengen Kälte ſchon hinreichend, dieſe Thiere zu
begraben, und ihre Körper vor der Verweſung zu ſchützen, ohne
erſt, wie unſere Geologen wollen, die Pole der Erde aus ihren
Angeln zu heben. Auf eine ähnliche Weiſe wollte auch Halley
die Kälte in Nordamerika erklären, die nach dem Zeugniſſe aller
Reiſenden viel größer iſt, als in denſelben Breiten Europas.
Nach ſeiner Anſicht wurde der Pol der Erde, der früher in der
Nähe der Hudſonsbay gelegen war, durch den Stoß eines Kome-
ten in diejenige Gegend, die er jetzt einnimmt, verſetzt, und die
einer ſo großen Kälte ausgeſetzte Gegend des frühern Nordpols
hat ſeitdem noch keine Zeit gehabt, ſich zu erwärmen. Allein die
beobachtete größere Kälte Amerikas gilt nur von der öſtlichen
Seite, während man auf der weſtlichen Küſte des großen Oceans
dieſe Differenz nicht mehr bemerkt. Aber wohl tritt dieſelbe Er-
ſcheinung wieder im nordöſtlichen Aſien hervor, wo eine viel
ſtrengere Kälte herrſcht, als unter derſelben Breite in Europa, ſo
daß ſowohl in der alten, als auch in der neuen Welt der öſtlichere
Theil bei weitem der kältere iſt.
§. 125. (Andere Beweiſe für die Unveränderlichkeit der Erdaxe.)
Ueberhaupt ſind dieſe Verſetzungen der Pole, ſo oft man ſie auch
zu geologiſchen Erklärungen zu Hülfe gerufen hat, und zwar nicht
nur jene gewaltſamen und plötzlichen, ſondern ſelbſt geringe und
langſam fortſchreitende Veränderungen derſelben, durch nichts er-
wieſen, und mit den Beobachtungen, ſo wie mit der Theorie in
directem Widerſpruche. Seit der Zeit, wo man durch die Er-
findung der Fernröhre die Polhöhen ſo vieler Orte mit großer
Genauigkeit beſtimmt hat, wurde auch nicht an einem derſelben
eine Aenderung bemerkt, die größer wäre, als die bisher noch
unvermeidlichen Beobachtungsfehler. Das die Erde zum Theil
[173]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
bedeckende Meer ſtört die Lage der Erdaxen ſo wenig, daß es
vielmehr, durch ſeine große Beweglichkeit, der Erde erſt den ſichern
und dauernden Zuſtand des Gleichgewichtes gibt, der ſonſt, bei
einer ganz ſtarren Maſſe der Erde, durch die kleinſte äußere Ein-
wirkung ſchon geſtört werden könnte.
§. 126. (Freie Axen der Rotation.) Wir haben bereits oben
(S. 32) von der Schwungkraft geſprochen, durch welche jedes
Element eines Körpers, der ſich um eine gerade Linie als um
ſeine Axe dreht, ſich in ſenkrechter Richtung von dieſer Axe zu
entfernen ſtrebt. Da aber dieſe Elemente, durch den Zuſammen-
hang des Körpers, an dieſer Entfernung gehindert werden, ſo
entſteht daraus ein Druck auf die Rotationsaxe. Dieſer Druck
liegt, ſo wie die Centrifugalkraft, in der Richtung der Linie, die
von dem Elemente ſenkrecht auf die Axe gezogen wird, und iſt
offenbar deſto größer, je größer dieſe Linie, d. h. je weiter das
Element von der Rotationsaxe entfernt liegt. Iſt nun der Körper,
in Beziehung auf dieſe Axe, nicht zu allen Seiten derſelben ſym-
metriſch geſtellt, ſo wird dieſer Druck ein Wanken der Rotationsaxe
und eine Störung der ſonſt gleichförmigen Drehung des Körpers
erzeugen. Iſt aber der Körper ſo gebaut, und die Rotationsaxe
durch ihn ſo geſtellt, daß jedes Element deſſelben, auf der einen
Seite der Axe, ein anderes gleich großes und gleich entferntes
auf der andern Seite derſelben hat, ſo wird zwar jedes dieſer
zwei Elemente einen Druck auf die Axe erzeugen, aber beide
Preſſungen werden erſtens gleich groß, und zweitens auf einander
in ihrer Richtung entgegengeſetzt ſeyn, d. h. beide Preſſungen
werden ſich gegenſeitig aufheben, und die Axe wird durch dieſes
Elementenpaar keinen Druck erleiden. Da daſſelbe von jeden
zwei anderen eben ſo gegen einander geſtellten Elementen gilt,
und da, der Vorausſetzung gemäß, der ganze Körper nur aus
ſolchen Elementenpaaren beſteht, ſo wird auch die Drehungsaxe
eines ſolchen Körpers von keinem Elemente deſſelben einen Druck
erleiden, oder ſie wird eine ſogenannte freie Axe ſeyn. Für eine
Kugel z. B. ſind alle Durchmeſſer derſelben ſolche freie Axen,
und eben ſo iſt für ein Ellipſoid, das durch die Umdrehung einer
Ellipſe um ſeine große oder kleine Axe entſteht, dieſe große oder
dieſe kleine Axe eine freie, weil in der That alle auf dieſe Ro-
[174]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
tationsaxe ſenkrechten Schnitte des Ellipſoids Kreiſe ſind, deren
Mittelpunkte ſämmtlich in dieſer Axe liegen, wie dieß bei der
Kugel für jeden ihrer Durchmeſſer der Fall iſt.
Weitere geometriſche oder vielmehr mechaniſche Unterſuchungen
haben gezeigt, daß jeder Körper, ſo unregelmäßig er auch geformt
ſeyn mag, immer wenigſtens drei ſolche freie Axen habe, und
daß ſich dieſelben in dem Schwerpunkte des Körpers unter, einan-
der ſenkrechten Richtungen durchſchneiden. Bei der Kugel ſind,
wie geſagt, alle Durchmeſſer derſelben freie Axen, und bei dem
ſo eben erwähnten Ellipſoid iſt nicht nur diejenige Axe, um welche
die Ellipſe gedreht wird, ſondern auch noch jeder Durchmeſſer des
Aequators des Körpers eine freie Axe.
§. 127. (Anwendung auf die Erde.) Wenden wir das Vor-
hergehende auf die Erde oder überhaupt auf die Planeten an, die
zur Zeit ihrer Entſtehung wahrſcheinlich die Geſtalt einer Kugel
hatten. Der primitive Stoß, dem ſie ihre Bewegung verdanken,
gab ihnen eine Rotation um einen ihrer Durchmeſſer, d. h. alſo
um eine freie Axe. Durch die ſo entſtehende Rotation der Kugel
wurde ſie an ihren Polen abgeplattet, die Kugel wurde in ein
Ellipſoid verwandelt, das durch die Umdrehung einer Ellipſe um
ihre kleine Axe entſteht. Dadurch hörte alſo die urſprüngliche
Drehungsaxe nicht auf, eine freie Axe zu ſeyn. Die Planeten
bewegen ſich alſo um ſolche vollkommen freie Axen, die
keinen Druck erleiden, daher ſie auch ihre Rotation um dieſe,
immer dieſelbe Lage beibehaltenden Axen ungeſtört und ohne
Ende fortſetzen. Ja dieſe Abplattung der Erde trägt ſelbſt weſent-
lich dazu bei, die Lage der Rotationsaxe derſelben immer in der
gleichen Lage zu erhalten, da ſie, wenn ſie auch durch äußere Kräfte
etwas aus ihrer Richtung gebracht werden ſollte, eben durch dieſe
Abplattung ſogleich wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht
werden müßte, während im Gegentheile, wenn die große Axe der
erzeugenden Ellipſe die Rotationsaxe des Körpers geworden wäre,
ſchon die geringſte Störung derſelben hinreichend geweſen ſeyn
würde, dieſe Axe immer mehr von ihrer früheren Lage zu entfernen,
ohne ſie je wieder in ihre erſte Stellung zurückführen zu können.
§. 128. (Unveränderlichkeit der Länge des Tages.) Dieſelben
Gründe, welche wir ſo eben für die Unveränderlichkeit der Lage
[175]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
der Erdaxe angegeben haben, ſprechen auch für die immer gleich-
förmige Rotation der Erde um dieſe Axe, d. h. für die Unver-
änderlichkeit der Länge des Tages. Die genaueſten theoretiſchen
Unterſuchungen über die Störungen, welche die tägliche Drehung
der Erde um ihre Axe erleiden könnte, haben durchaus keine, un-
ſeren Sinnen bemerkbare Aenderung in der Geſchwindigkeit dieſer
Drehung erkennen laſſen, und die ſchärfſten aſtronomiſchen Beob-
achtungen haben ſich mit der Theorie vereinigt, dieſen Grund-
pfeiler der geſammten Sternkunde, die Unveränderlichkeit der
Dauer des Sterntages (I. §. 159), über allen Zweifel zu erheben.
§. 129. (Aus den Umlaufszeiten der Planeten.) Die alten
Griechen haben ihre Beſtimmungen der Umlaufszeiten der Pla-
neten um die Sonne mit einer ſo großen Genauigkeit vorgenom-
men, daß wir, nach ſo viel tauſend neuen, mit den beſten Inſtru-
menten angeſtellten Beobachtungen, nichts Weſentliches daran zu
ändern geſunden haben. Da dieſe Umlaufszeiten, wie wir bald
ſehen werden, ſelbſt für alle Zeiten unveränderlich ſind, ſo müſſen
wir annehmen, daß auch die Länge des Tages, in welchen jene
Umlaufszeiten ausgedrückt werden, ſeit jener Zeit bis auf unſere
Tage, keine Aenderung erlitten hat, weil ſich dieſe ſofort in den
Revolutionen der Planeten gezeigt haben würde. Wenn unſer
Tag um eine Sekunde kleiner oder größer wäre, als der zur Zeit
der Griechen, ſo würden wir die Revolution Jupiters, die ſie
gleich 4332,5848 Tage fanden, um 0,05 Tage oder um eine Stunde
und zwölf Minuten anders finden, während wir doch in unſeren
neueſten Beſtimmungen kaum einige Sekunden von jener alten
abweichen. Selbſt wenn der Tag ſich nur um den hundertſten
Theil einer Sekunde ſeit jener Zeit geändert hätte, ſo würden
wir jetzt die Revolution Jupiters um volle 43 Zeitſekunden anders
finden, als die Griechen, was mit allen Beobachtungen aus jenen
und aus unſeren Zeiten in directem Widerſpruche ſteht.
Man hat geglaubt, daß die Paſſatwinde, welche zwiſchen den
Wendekreiſen beſtändig von Oſt nach Weſt ziehen, oder daß das
Herabſteigen des Polarkreiſes gegen den Aequator, und andere
Verſetzungen großer Maſſen auf der Oberfläche der Erde oder des
Meeres, daß Erdbeben, Vulkane u. dgl. die Geſchwindigkeit der
Rotation derſelben verändern könnten. Allein eine nähere Be-
[176]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
trachtung dieſes Gegenſtandes hat die Zweifel zerſtreut, und
man kennt durchaus keine Urſache, welche großen Theilen der
Erdmaſſe ſo beträchtliche Ortsveränderungen geben könnte, um
dadurch die Länge des Tages auf eine uns merkbare Weiſe zu
ſtören.
§. 130. (Aus der ſäculären Gleichung der mittlern Mondsbe-
wegung.) Wir haben oben (§. 88) gefunden, daß die mittlere
Bewegung des Mondes ſeit undenklichen Zeiten immer ſchneller
wird, und daß dadurch die Länge des Mondes in t Jahrhunderten
um 10,72tt Sekunden zunimmt. Wer das Verfahren näher
kennt, wie man zu dieſer Kenntniß kam, wird ohne Anſtand
zugeben, daß dieſe Zahl 10,72 wenigſtens bis auf eine Se-
kunde genau iſt. — Nehmen wir nun an, daß die Dauer des
Tages jetzt z. B. um eine Sekunde größer ſey, als zu Hipparchs
Zeiten (150 Jahre vor Chr. G.). Dieß vorausgeſetzt, würde alſo
auch ein Jahrhundert oder 36525 Tage um eben ſo viele oder
um 36525 Sekunden, d. h. um 10 Stunden, 8 Minuten, 45 Se-
kunden größer ſeyn, als zur Zeit Hipparchs. In 10 Stunden,
8 Minuten, 45 Sekunden beſchreibt aber der Mond in ſeiner
mittleren Bewegung einen Bogen von 5 Grad, 34 Minuten,
13 Sekunden oder von 20053 Sekunden. Daraus folgt, daß
bloß durch dieſe kleine Vergrößerung des Tages von einer Se-
kunde die gegenwärtige Säcularbewegung des Mondes um 20053
Sekunden größer erſcheinen müßte, als zur Zeit Hipparchs. Allein
dann müßte zugleich der vorhergehende Faktor von tt, nicht 10,72
Sekunden, ſondern 542 Sekunden, alſo über 50mal größer ſeyn,
da er doch, wie wir bereits geſagt haben, den neueſten Beobach-
tungen gemäß höchſtens um eine einzige, nicht aber um 530 und
mehr Sekunden unrichtig ſeyn kann. Es iſt alſo ganz und gar
unwahrſcheinlich, daß die Länge des Tages ſeit dem Anfange
unſerer Zeitrechnung, nicht bloß um eine ganze, ſondern auch nur
um den hundertſten Theil einer Sekunde ſich geändert habe.
Wenn man ſich aus dem Vorhergehenden (I. §. 123) erin-
nert, mit welcher ungemeinen Präciſion die Umlaufszeiten der
Planeten beſtimmt werden können, und in der That auch ſchon
von den Alten beſtimmt worden ſind, ſo wird man es nicht nur
nicht übertrieben, ſondern vielmehr ſehr billig finden, daß die
[177]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
Aſtronomen die Unveränderlichkeit der Länge des Tages nur zwi-
ſchen den Gränzen des hundertſten Theiles einer Sekunde ange-
nommen haben, da ſie, wie die vorhergehenden Schlüſſe zeigen,
mit Sicherheit noch viel engere Gränzen hätten annehmen können.
§. 131. (III. Unveränderlichkeit der großen Axen der Planeten-
bahnen.) Wir haben oben (im ſiebenten Kapitel) die ſäculären
Störungen der Planeten betrachtet, und die Aenderungen angege-
ben, welche, durch den gegenſeitigen Einfluß dieſer Körper, die
Neigung und die Lage ihrer Knoten ſowohl, als auch die Excen-
tricität und die Länge der Abſidenlinie ihrer Bahnen erleidet.
Wir haben daſelbſt geſehen, daß dieſe Größen ſämmtlich verän-
derlich ſind, und zwiſchen beſtimmten Gränzen in ſehr großen
Perioden von mehreren Jahrtauſenden hin und wieder gehen, die
Abſiden allein ausgenommen, die in keine ſolche Gränzen einge-
ſchloſſen ſind und in der Folge der Zeiten ihren ganzen Kreis
um die Sonne zurücklegen. Dieſe Ausnahme ſcheint ihre Urſache
darin zu haben, daß es für die Erhaltung des ganzen Syſtems
offenbar gleichgültig iſt, nach welcher Seite der Himmelsſphäre
hin die große Axe der Planetenbahnen gerichtet ſeyn mag, um ſo
mehr, da dieſe Bahnen ohnehin nur ſehr wenig von Kreiſen ver-
ſchieden, und da ſie überdieß durch ſo große Zwiſchenräume von
einander getrennt ſind.
Allein es gibt noch ein anderes und ſehr wichtiges Element
dieſer Bahnen, von deſſen ſäculären Störungen wir bisher noch
nicht geſprochen haben. Die große Axe der Bahn, oder die ſo-
genannte mittlere Entfernung des Planeten von der Sonne hängt,
wie das dritte Geſetz Keplers (I. §. 146) zeigt, unmittelbar mit
der Umlaufszeit deſſelben um die Sonne zuſammen, ſo daß beide
zugleich wachſen oder abnehmen müſſen.
§. 132. (Folgen, die eine Aenderung dieſer Axen haben würde.)
Welche Folgen würde aber eine ſolche Zu- oder Abnahme dieſes
Elementes nach ſich ziehen? — Es iſt leicht einzuſehen, daß eine
Aenderung deſſelben, auch die geringſte, wenn ſie einmal ſtatt
hat, nicht mehr in einem periodiſchen Wachſen und Abnehmen
beſtehen kann, ſondern daß es, ſeiner Natur nach, immer in
demſelben Sinne fortgehen, und ſich mit der Zeit anhäufen muß.
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 12
[178]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
Ein ſolcher Planet, deſſen mittlere Entfernung ſich auch nur einen
Augenblick ändert, wird daher immerwährend der Sonne näher
kommen, oder ſich immer weiter von ihr entfernen, und jeder
von dieſen beiden Fällen wird ohne Zweifel von dem größten
und wichtigſten Einfluſſe auf den Planeten und die ihn bewohnen-
den Geſchöpfe ſeyn.
Wir haben oben (S. 98) geſehen, daß es von der Geſchwin-
digkeit in ſeiner urſprünglichen Entfernung von der Sonne ab-
hängt, ob die Bahn deſſelben eine Ellipſe, oder aber eine Hyperbel
iſt. In jener krummen Linie wird er eine geſchloſſene, in ſich ſelbſt
wiederkehrende Bahn um die Sonne beſchreiben, in dieſer aber,
ſo wie in der Parabel, wird er, wenn er einmal ſein Perihelium zu-
rückgelegt hat, ſich immer weiter von der Sonne entfernen, und end-
lich die Anziehungsſphäre derſelben gänzlich verlaſſen, und in fremde
Fixſternſyſteme eintreten, ohne je wieder zu unſerm Syſteme zurück-
zukehren. Wenn nun auch ein Planet, vermöge ſeiner anfänglichen
Geſchwindigkeit, die er in einer beſtimmten Entfernung von der
Sonne erhalten hat, eine Ellipſe beſchreibt, ſo wird er doch, wenn
ſeine mittlere Diſtanz ſich ändert, und er das nächſtemal wieder
zu derſelben Entfernung von der Sonne gelangt, eine ganz andere
Geſchwindigkeit haben, mittelſt welcher er fortan keine Ellipſe
mehr um die Sonne beſchreiben kann. So bewegt ſich z. B.
Jupiter in ſeinem Perihelium während einer Sekunde durch 1,85
Meilen, während Saturn in ſeiner Sonnennähe während derſelben
Zeit nur 1,38 Meilen zurücklegt. Dieſe beiden Geſchwindigkeiten
ſind zugleich ihre anfänglichen geweſen, wenn anders dieſe Plane-
ten im Perihelium entſtanden. Wenn aber Saturn in dieſer
ſeiner kleinſten Entfernung von der Sonne einmal die erwähnte
Geſchwindigkeit Jupiters haben ſollte, ſo würde die früher ellip-
tiſche Bahn Saturns in eine Parabel übergehen, und daher ſich
immer weiter von der Sonne entfernen, und ſammt ſeinem Ringe
und ſeinen ſieben Monden endlich ganz aus unſerem Syſteme
verſchwinden. Eben ſo könnte ſchon eine geringe Vergrößerung
der anfänglichen Geſchwindigkeit die Bahn eines Planeten, wenn
ſie auch keine Hyperbel wird, zu einer ſehr excentriſchen Ellipſe
machen, und ſo den Himmelskörper ganz aus der Reihe der eigent-
lich ſogenannten Planeten entfernen und ihn unter die Kometen
[179]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
verſetzen. Durch dieſe Erweiterung der Planetenbahnen würden
dieſe Himmelskörper, die jetzt, durch ſo große Räume von ein-
ander getrennt, ihre Wege friedlich, und ohne einander bedeutend
zu ſtören, zurücklegen, einander näher gerückt werden, ſich auf
ihren Bahnen begegnen, Unordnungen und ſelbſt Zerſtörungen
verurſachen, und endlich das ſchöne Verhältniß, welches jetzt unter
ihnen beſteht, gänzlich aufheben, und das ganze Syſtem ſeiner
Auflöſung entgegenführen. Noch wichtiger würde eine Vermin-
derung dieſer Geſchwindigkeit ſeyn, da ſie den Planeten der Sonne
immer näher bringen, und endlich ganz mit ihr vereinigen müßte.
Der Planet würde nämlich, wenn die Tangential-Geſchwindigkeit,
mit welcher er jetzt nahe einen Kreis um die Sonne beſchreibt,
immer kleiner würde, von der immer mehr überwiegenden Cen-
kralkraft der Sonne auch immer mehr zu ihr hingezogen werden,
er würde in ſtets engeren Windungen und mit ſtets wachſender
Winkelgeſchwindigkeit eine Spirale um die Sonne beſchreiben
und endlich auf ſie ſtürzen.
§. 133. (Geſchichte dieſer Entdeckung.) Durch eine in der
That bewunderungswürdige Einrichtung unſeres Sonnenſyſtems
iſt dieſen beiden Extremen dadurch vorgebeugt worden, daß die
großen Axen, alſo auch die Umlaufszeiten ſämmtlicher Planeten
um die Sonne, eine für alle Zeiten conſtante und unveränder-
liche Größe ſind.
Der berühmte Geometer Lagrange hat nämlich die merk-
würdige Entdeckung gemacht, daß man, wenn man in dem durch
die Rechnung gegebenen allgemeinen analytiſchen Ausdruck der
ſäculären Störungen der großen Axe eines Planeten diejenigen
Zahlen ſubſtituirt, welche den einzelnen Planeten zukommen, alle
Glieder dieſes Ausdrucks ſich aufheben, woraus folgt, daß dieſe
große Axe ſelbſt, durch die Einwirkung der anderen Planeten,
keine Störung leidet, oder daß ſie, und unter allen Elementen
der Bahn ſie allein, unveränderlich iſt. Laplace hat dieſe
Theorie noch weiter ausgebildet, und Poiſſon hat erſt in unſe-
ren Tagen gezeigt, daß dieſe Unveränderlichkeit der großen Axen
der Bahnen oder der mittleren Bewegungen der Planeten auch
dann noch ſtatt hat, wenn man bei den Berechnungen der Stö-
12 *
[180]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
rungen derſelben auf die kleinen Glieder Rückſicht nimmt, die
man bisher vernachläſſigen zu können glaubte. Zwar fand der
letzte, daß der analytiſche Ausdruck der großen Axe einige Glieder
enthält, die eine ſäculäre Veränderung derſelben darſtellen, aber
auch zugleich, daß dieſe Glieder ſo ungemein klein ſind, daß ſie
noch viele Jahrtauſende hindurch den ſchärfſten Beobachtungen un-
merklich ſeyn werden.
§. 134. (Erklärung dieſer Erſcheinung.) Durch welches Mit-
tel aber hat die Natur dieſen für die Erhaltung ihres Werkes ſo
wichtigen Zweck erreicht? — Durch eine Einrichtung, die auf den
erſten Blick eben ſo geringfügig als zufällig erſcheint.
Die Umlaufszeiten aller Planetenbahnen ſind unter ſich in-
commenſurabel, d. h. es gibt auch nicht zwei ſolcher Umlaufs-
zeiten, die ſich zu einander genau, wie zwei ganze Zahlen ver-
halten. — Dieß iſt das Geheimniß, dieß iſt der feine Faden, an
welchen die Natur die Dauer des Planetenſyſtems geknüpft hat.
Die Umlaufszeit Jupiters z. B. beträgt nahe 4332, und die
des Saturn 10759 Tage, und dieſe beiden Zahlen verhalten ſich
beinahe, wie 2 zu 5. Wenn ſie ſich aber genau wie 2 zu 5
verhielten, wenn z. B. die erſte 4312, und die zweite 10780 Tage
betrüge, ſo würde daraus eine immerfort gebende Aenderung der
Axen dieſer beiden Planetenbahnen entſtehen: die eine derſelben
würde zu- und die andere abnehmen, und die Folge davon würde
eine endliche Zerſtörung dieſer beiden größten Planeten unſeres
Sonnenſyſtemes ſeyn. In der That hat auch ſchon der Umſtand,
daß dieſe beiden Umlaufszeiten ſich nur beinahe, wie die Zahlen
2 und 5 verhalten, die Folge, daß dieſe beiden Planeten von ein-
ander eine viel größere Störung, die bei Saturn bis auf 2950
Sekunden geht, erleiden, als man bei allen andern Planeten
findet, und dieſe Störung würde noch viel größer ſeyn, wenn
jenes Verhältniß dem der Zahlen 2 zu 5 noch näher wäre, ja ſie
würde endlich in ein immerdauerndes Wachſen der Axe der Ju-
pitersbahn, und in eine ſtets abnehmende Entfernung Saturns
von der Sonne übergehen, wenn jenes Verhältniß vollkommen
hergeſtellt wäre. Wir haben bereits oben (§. 84) von den aus
dieſer Quelle entſpringenden großen Störungen dieſer beiden
Planeten geſprochen, und gezeigt, daß ſie in beſtimmte Gränzen
[181]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
eingeſchloſſen ſind, zwiſchen welchen ſie während einer Periode von
930 Jahren auf und nieder gehen. Je näher die Umlaufszeiten
dieſer Planeten jenen Verhältniſſen kommen, deſto mehr würden
ſich dieſe Gränzen ſowohl, als auch die Dauer dieſer Periode
erweitern, bis endlich die Zügel, welche die beiden größten Him-
melskörper unſeres Syſtemes in ihren Bahnen gehalten haben,
nachgäben, und das Ganze ſeinem unvermeidlichen Untergange
entgegen eilen würde.
§. 135. (Die Erde war anfänglich in einem flüſſigen Zuſtande.)
Die vorhergehenden Betrachtungen über die Unveränderlichkeit der
Länge des Tages ſtehen noch mit einem andern Gegenſtande in
naher Verbindung, der zu intereſſant iſt, als daß er hier ganz
übergangen werden könnte.
Wir hatten ſchon öfter Gelegenheit zu erwähnen, daß unſere
Erde zur und nach der erſten Zeit ihrer Entſtehung in einem Zu-
ſtande der Flüſſigkeit geweſen iſt. Die Abplattung derſelben an
ihren Polen iſt dafür ein hinlänglicher Beweis. Wäre die Erde
urſprünglich ein feſter Körper geweſen, ſo würde ſie, ihrer Rota-
tion ungeachtet, ihre erſte Geſtalt im Allgemeinen beibehalten
haben. Die Theorie zeigt uns bei der gegebenen Größe der Erde
und der Geſchwindigkeit ihrer Rotation, vorausgeſetzt, daß ſie an-
fangs flüſſig war, — nicht nur die Größe ihrer Abplattung, ſondern
auch die ſphäroidiſche Geſtalt ihrer Oberfläche, und die Reſultate
dieſer Theorie ſtimmen zu wohl mit unſern Beobachtungen, mit
unſern Meridianvermeſſungen und Pendellängen zuſammen, als
daß man an der Richtigkeit der Vorausſetzung, worauf jene
Theorie gebaut iſt, weiter zweifeln könnte.
§. 136. (Urſache dieſes urſprünglichen Zuſtandes der Erde.)
Welches iſt aber die Urſache dieſes urſprünglichen Zuſtandes un-
ſerer Erde? — In der Antwort auf dieſe Frage haben ſich unſere
Geologen von jeher in zwei Klaſſen getheilt, die ſich, wie es bei
allen Spaltungen, die ſich auf Meinungen gründen, zu geſchehen
pflegt, zuweilen nicht freundlich bekämpften. Die Neptuniſten
behaupten, daß zur Zeit der Entſtehung der Erde die feſten und
flüſſigen Theile unter einander gemengt, daß jene durchaus im
Waſſer aufgelöst geweſen ſind, und daß die feſte Rinde und über-
haupt alle ſolide Theile der Erde, die wir jetzt auf derſelben
[182]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
bemerken, nur auf dem Wege der Austrocknung und der Präcipi-
tation, des Bodenſatzes erhalten werden konnten. Die Pluto-
niſten im Gegentheile wollten von allen dieſen Auflöſungen und
Niederſchlägen nichts wiſſen, und erklären daher den in der Vor-
zeit flüſſigen Zuſtand der Erde, den beide Parteien als eine That-
ſache zugeben müſſen, für eine Folge des Feuers, der hohen Tem-
peratur, mit welcher anfänglich die ganze Erde durchdrungen ge-
weſen ſey, und welche ſich, ſeit ſo vielen Jahrtauſenden, gegen
den Mittelpunkt der Erde zurückgezogen habe, während die äußeren
Theile derſelben erkalteten, erſtarrten und dadurch in den feſten
Zuſtand geriethen, in welchem wir ſie jetzt erblicken.
Dieſe beiden Parteien zankten ſich lange genug, aber die Be-
weiſe, welche ſie für und gegen die aufgeſtellten Meinungen vor-
brachten, waren nicht der Art, um die Sache zu entſcheiden, und
den langen Kampf zu einem glücklichen Ende zu führen. Zu
dieſem Zwecke gab es nur ein Mittel; die Spuren jenes Central-
feuers aufzuſuchen, welche zu finden ſeyn mußten, wenn anders
die Hypotheſe der Plutoniſten gegründet ſeyn ſollte.
§. 137. (Centralfeuer der Erde.) Man weiß, daß in einer
mäßigen Tiefe unter der Oberfläche der Erde, in unſern Kellern
z. B., die Temperatur den ganzen Tag und das ganze Jahr
immer unverändert dieſelbe iſt. Aber in größeren Tiefen? —
Auch darüber hat man lange genug geſtritten, ob in dieſen grö-
ßern Tiefen die Temperatur ſich ändere, und wenn ſie dieß thut,
in welchem Verhältniſſe ſie es thue. Das Eintreten der äußern
Luft in unſere Bergwerke, die Luftzüge, die daſelbſt herrſchen,
ſelbſt das Verweilen mehrerer Menſchen in denſelben, verbunden
mit den Schwierigkeiten der Beobachtungen, alles erregte Zweifel
und ließ lange zu keinem ſtehenden Reſultate gelangen. Endlich
wurde es durch zweckmäßig angeſtellte Verſuche in unſern Minen
ausgemacht, daß die Temperatur der Erde mit der Annäherung
zu ihrem Mittelpunkte ſteige, und zwar in allen Breiten und zu
allen Jahreszeiten nahe um einen Grad Reaumur für je 60 Fuß
Vertiefung. Nachdem dieſe Thatſache einmal über alle Zweifel
erhoben war, war auch das Recht der Plutoniſten hergeſtellt, da
dieſe Erſcheinung, deren Daſeyn nicht weiter geläugnet werden konnte,
nicht anders, als durch eine ſehr hohe Temperatur im Mittel-
[183]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
punkte der Erde ſich erklären ließ, die ſich allmählig gegen dieſen
Punkt zurückgezogen habe, während die anfangs flüſſige Oberfläche
derſelben durch Verkühlung ſich erhärtete.
Dieſe Verkühlung, welche bisher bloß auf die Oberfläche
und die ihr zunächſt liegenden Theile der Erde gewirkt hat,
mußte aber auch noch eine andere Wirkung, die ſich über die
ganze Erde erſtreckte, gehabt haben. Alle Körper dehnen ſich
bekanntlich aus, wenn ſie erwärmt werden, ſo wie ſie ſich wieder
durch die Kälte zuſammen ziehen. Daſſelbe mußte alſo auch
mit der Erde geſchehen ſeyn. Zu der Zeit ihrer Entſtehung, wo
ſie von einem ſehr hohen Grad der Temperatur durchdrungen
war, muß ſie auch viel größer geweſen ſeyn, als jetzt, ſie muß
ſich durch die ſeit ſo vielen Jahrtauſenden auf ihrer Oberfläche
vorgegangene Verkühlung auf einen viel kleineren Raum zurück-
gezogen haben, als der iſt, den ſie urſprünglich eingenommen hat.
Wir werden weiter unten noch einen anderen, wichtigern Grund
für dieſe allmählige Zuſammenziehung der Erde finden. Daß
aber die anfängliche Temperatur der ganzen Erde ſehr hoch ge-
weſen ſeyn muß, wird man nicht leicht in Abrede ſtellen können,
wenn man bemerkt, daß nach dem angegebenen Verhältniſſe der
Zunahme der Wärme in größeren Nähen bei dem Mittelpunkte
der Erde, für eine Tiefe von einer deutſchen Meile unter der Ober-
fläche der Erde die Zunahme der Temperatur ſchon 381 Grad R.
betragen müſſe, bei welcher Hitze ſchon das Blei im flüſſigen Zu-
ſtande ſich erhält. In der Tiefe von 3 7/10 Meilen unter der
Oberfläche der Erde würde Gold, und in einer Tiefe von 34
Meilen würde ſelbſt Eiſen und Platin ſchmelzen, und wahrſchein-
lich nimmt die Temperatur in den größern Tiefen noch ſchneller
zu, als in den geringen, in welchen allein wir ſie bisher zu
beobachten Gelegenheit hatten, ſo daß man alſo mit Recht in
dem Mittelpunkte der Erde auch jetzt noch eine alle unſere Be-
griffe überſteigende Hitze annehmen kann.
§. 138. (Wirkung dieſer Abnahme der Temperatur der Erde
auf ihre Rotation.) Dieſe mit der Zeit an Volum abnehmende
kugelförmige Erde dreht ſich aber um ihre Axe. Welches immer
die Kraft geweſen ſeyn mag, die dieſe Drehung hervorgebracht
hat, ihre Wirkung auf die Rotation der Erde, d. h. die Ge-
[184]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
ſchwindigkeit dieſer Rotation mußte, nach dem Geſetze der Träg-
heit (S. 27) dieſelbe bleiben, ſo lange die Größe, das Volum
der Erde dieſelbe blieb. Aber eben dieſes Volum nahm, durch
die allmählige Verkühlung der Erde, immerwährend ab, und
was iſt die Folge dieſer Abnahme? — Offenbar eine Vermehrung
der Geſchwindigkeit, eine ſchnellere Drehung der Erde um ihre
Axe. Ganz eben ſo wird ein Rad, mit derſelben Kraft ange-
ſtoßen, ſich deſto geſchwinder drehen, je kleiner daſſelbe iſt und
umgekehrt. — Die Erde muß alſo, wenn alles Vorhergehende
richtig iſt, ſich jetzt ſchneller drehen, als in der Vorzeit, der Tag
muß jetzt kürzer ſeyn, als er ehedem geweſen iſt, und wenn wir
wiſſen könnten, wie viel der Tag kürzer geworden iſt, ſo würden
wir auch ein Mittel haben, zu meſſen, wie viel die Erde kleiner,
ja ſelbſt wie viel ſie kälter geworden iſt, als ſie vor einer beſtimm-
ten Anzahl von Jahrtauſenden geweſen ſeyn mag.
§. 139. (Dieſe Wirkung der Temperatur auf die Rotation der
Erde iſt unmerklich.) Dieß würde uns demnach auf eine andere,
ſo oft aufgeworfene Frage führen, ob es wahr iſt, wie die älteren
Leute vorzüglich ſo gern klagen, daß unſere Sommer nicht mehr
ſo warm ſind, als ſie in der Vorzeit geweſen ſeyn ſollen.
Es könnte ſeyn, wenn nämlich der Tag jetzt in der That um
vieles kürzer iſt, als er früher war. Allein wir haben oben (S. 176)
gefunden, daß die Länge des Tages ſeit dem Anfange unſerer
Zeitrechnung gewiß nicht einmal um den hundertſten Theil einer
Sekunde kleiner geworden iſt. — Nehmen wir an, daß die mitt-
lere Temperatur der ganzen Erde, nicht bloß die der Oberfläche
derſelben, ſeit zwei Jahrtauſenden um einen Grad des Thermo-
meters R. ſich vermindert habe. Nehmen wir noch an, daß die
Maſſe, aus welcher die Erde beſteht, ſich im Allgemeinen nur ſo
wenig, als das Glas, d. h. um ſeinen hunderttauſendſten Theil für
jeden Grad des Thermometers ausdehne, daß alſo auch das ganze
Volum der Erde ſeit jener Zeit um ſeinen hunderttauſendſten Theil
kleiner geworden ſey. Die Mechanik lehrt uns, daß bei einer ſolchen
Verminderung der Erdkugel die Geſchwindigkeit der Umdrehung
derſelben um ihre Axe um ihren 1/50000 Theil vergrößert, daß
alſo auch der Tag von 86400 Sekunden um ſeinen 86400/50000 ſten
Theil, das heißt, um 1 7/10 Sekunde verkürzt würde. Allein
[185]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
er wurde, wie wir geſehen haben, in der That nicht einmal um
den hundertſten Theil einer Sekunde verkürzt, eine Größe die
170mal kleiner iſt als 1 7/10 Sekunden. Alſo iſt auch die oben
angenommene Abkühlung der Erde, ein Grad für 2000 Jahre,
170mal größer, als man ſie dieſen Schlüſſen gemäß, annehmen
kann, oder mit andern Worten: die mittlere Temperatur der
Erde kann ſeit den letzten zwei Jahrtauſenden noch nicht um den
1/170ſten Theil eines Grades Reaumur abgenommen haben. Die
Klagen, welche unſere alten Leute, dieſe laudatores temporis
acti, über die Abnahme der Wärme der Erde ſo gern anſtim-
men, ſind daher ungegründet, ſo weit nämlich dieſe Abnahme
von der ſeitdem ſtatt gehabten Abkühlung der ganzen Maſſe
der Erde, und von dem Zurückziehen jenes Centralfeuers gegen
den Mittelpunkt der Erde kommen ſoll.
§. 140. (Verhalten der Temperatur auf der Oberfläche der
Erde.) Ganz anders aber verhält es ſich auf der Oberfläche der
Erde. Hier bewirkt nicht bloß jenes Centralfeuer, ſondern auch
die Gegenwart der Sonnenſtrahlen, und zwar dieſe letzten in einem
viel höheren Grad, als jenes, die von uns auf dieſer Oberfläche
beobachtete Temperatur. Zwar behaupteten Mairan, Buffon und
Bailly, daß der Beitrag, den dieſes Centralfeuer zu der Tempe-
ratur der Oberfläche der Erde liefere, denjenigen, welcher von
der unmittelbaren Wirkung der Sonnenſtrahlen komme, im Som-
mer 30 und im Winter 400mal übertreffe. Dieſe Herren brauch-
ten die großen Zahlen zur Unterſtützung ihrer ſchönen Romane
von der Atlantis, und von dem berühmten Urvolke, das vor un-
denklichen Zeiten in den Hochebenen des mittleren Aſiens alle
Wiſſenſchaften, und beſonders die Aſtronomie bis zu einem bisher
unerreichten Grad der Vollkommenheit ausgebildet haben ſoll.
Allein Fourier hat dieſen Gegenſtand, nicht einer leeren Decla-
mation, ſondern einer ſtrengen Rechnung unterworfen, und ge-
funden, daß der Beitrag, den das Centralfeuer der Erde zu der
auf der Oberfläche derſelben herrſchenden Temperatur liefert, ge-
genwärtig nur den dreißigſten Theil eines Grades Reaumur be-
trage. Dieß iſt alſo ſehr weit entfernt, die ſo ſorgfältig ausge-
ſchmückten Träume jener Geologen zu beſtätigen. Jene Central-
wärme der Erde, ſo groß ſie auch in beträchtlichen Tiefen unter
[186]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
der Oberfläche derſelben iſt, hat ſich doch ſchon ſo ſehr gegen den
Mittelpunkt zurückgezogen, daß ſie die mittlere Temperatur der
Oberfläche kaum mehr auf eine für unſere Inſtrumente merkbare
Art vergrößert.
Die gänzliche Verſchwindung dieſes Centralfeuers, welche die
Folge der Zeiten einmal heraufführen wird, kann daher auch nicht
im Stande ſeyn, die von der Einbildungskraft jener Schriftſteller
aufgeſtellten Beſorgniſſe zu unterſtützen, nach welchen dann die
Oberfläche der Erde einer entſetzlichen, alles Leben und jede Vege-
tation zerſtörenden Kälte ausgeſetzt werden ſoll. Uebrigens, wenn
die Erde bei ihrer Entſtehung wie es ſehr wahrſcheinlich iſt, in
der That in einem Zuſtande der Incandeſcenz, die ſich auch auf
ihre Oberfläche erſtreckte, geweſen iſt, welche Reihe von Jahr-
tauſenden mag erforderlich geweſen ſeyn, dieſe Temperatur bis
auf die des dreißigſten Theils eines Grades herab zu bringen?
§. 141. (Wirkung der Sonne auf die Temperatur der Erd-
oberfläche.) Die Sonne iſt daher bei weitem die vorzüglichſte,
man kann ſagen, die einzige Urſache der Temperatur, welcher ſich
die Oberfläche der Erde erfreut. Dieſe Wirkung der Sonne auf
die Erde iſt aber eine doppelte. Die erſte iſt periodiſch und geht
bloß zu einer Tiefe von nahe fünfzig Fuß. Hart unter der Ober-
fläche und noch mehr über derſelben iſt dieſe Wirkung täglichen
ſowohl, als auch jährlichen Variationen unterworfen, die wir an
unſeren ſogenannten Tages- und Jahreszeiten erkennen. Dieſe
Variationen nehmen mit der Tiefe ab, und fünfzig Fuß unter
der Oberfläche ſind ſie ſchon nicht mehr bemerkbar. Die zweite
Wirkung der Sonne auf die Erde fängt im Gegentheile erſt mit
der Tiefe von 100 Fuß an, fühlbar zu werden. Hier gießt die
Sonne täglich ihre Wärme aus, die ſich dann in dieſen tiefen
Gegenden ſammelt und vorzüglich die dem Aequator nahen Orte
durchdringt, aber auch von da allmählig zu den Polen hin ſich
verbreitet.
Von den Wärmeſtrahlen der Sonne, welche die Erde errei-
chen, gehen die einen durch die Atmoſphäre und die Gewäſſer
des Oceans, während andere von dieſen Flüſſigkeiten abſorbirt,
und wieder andere von ihnen in den Weltraum zurückgeworfen
werden. Dieſer letzte, unermeßliche Raum iſt der Sammelplatz
[187]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
aller Wärme, die ſeit dem Anfange aller Dinge von den Him-
melskörpern, von der Sonne, den Planeten und Kometen, und
von den Fixſternen ausgeſtrömte. Jeder dieſer Körper hat
ſeine ihm eigenthümliche, urſprüngliche Wärme, die er in Folge
der Zeit durch Verkühlung immer mehr verliert. Aber auch jener
Weltraum ſelbſt, in welchem ſich dieſe Körper bewegen, ſcheint
ſeine eigene Wärme zu beſitzen, die nicht bloß das Reſultat jener
Wärmeausſtrahlung der Himmelskörper iſt. Wenn dieſer Raum
ohne alle Wärme wäre, ſo würden die Pole unſerer Erde einer
ungemeinen Kälte ausgeſetzt ſeyn, die Temperatur von dem Aequa-
tor zu den Polen würde viel ſchneller abnehmen, die kleinſten
Variationen in der Entfernung der Sonne von uns würden die
Wärme auf der Oberfläche der Erde ſehr ſtark ändern, und der
Wechſel des Tages mit der Nacht würde einen plötzlichen, den
meiſten Thieren und Pflanzen unerträglichen Wechſel der Tempe-
ratur erzeugen. Da bei unſerer Erde, wie wir geſehen haben,
und wahrſcheinlich auch bei den andern Planeten, die urſprüng-
liche Centralwärme derſelben beinahe keinen Einfluß mehr auf die
Oberfläche derſelben äußert, ſo werden die Pole dieſer Weltkörper
nahe die Temperatur des Weltraumes haben, während die dem
Aequator nahen Gegenden von der Sonne in einer viel höheren
Temperatur erhalten werden. Aber für die äußerſten Planeten
unſeres Syſtemes, für Uranus z. B., iſt ohne Zweifel der Einfluß
der Sonne ſchon ſo gering, daß die Temperatur der ganzen Ober-
fläche eines ſolchen Planeten von jener des Weltraumes wohl nur
unbedeutend verſchieden ſeyn wird.
§. 142. (Wirkung der Sonne auf andere Planeten.) Dieſe
Sonne iſt alſo die Quelle, nicht nur der Bewegungen ſo vieler
Planeten und Kometen, ſondern auch des Lichts und der Wärme,
deren ſich die Bewohner dieſer Himmelskörper erfreuen. Ihr
wohlthätiger Einfluß iſt es, der die Thiere und Pflanzen belebt,
welche die Erde bedecken, und die aller Wahrſcheinlichkeit nach,
wenn auch anders geſtaltet und organiſirt, auf den Planeten
wieder gefunden werden. Wie dürfte man auch annehmen, daß
die Natur, deren Fruchtbarkeit wir hier ſo ſehr zu bewundern
Gelegenheit haben, auf ſo viel größeren Planeten unthätig ſeyn
ſollte, auf Jupiter z. B., der ſo, wie unſere Erde ſeine Tage und
[188]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
Nächte und ſeine Jahreszeiten hat, und auf deſſen Oberfläche wir
ſelbſt in der großen Ferne, die uns von ihm trennt, noch Ver-
änderungen vorgehen ſehen, die von einer ungemeinen Kraft und
Thätigkeit der Natur in jenen Gegenden zeugen. Der Menſch
allerdings iſt nur für die Temperatur dieſer Erde geſchaffen, von
der er kömmt, und zu welcher er wieder zurückkehrt, aber anderen
Himmelskörpern werden ohne Zweifel auch andere Organiſationen
nicht weniger angemeſſen ſeyn. Wenn auf unſerer Erde der ein-
zige Unterſchied des Klimas ſchon ſo viele Abwechslungen in die
Produkte derſelben gebracht hat; welche noch viel größere Ver-
ſchiedenheiten dürfen wir bei allen dieſen Planeten und den Sa-
telliten derſelben erwarten? Die lebhafteſte Imagination kann
ſich dieſe Variationen nicht mehr vorſtellen, aber das Daſeyn der-
ſelben ſcheint deſſenungeachtet nicht minder gewiß.
§. 143. (Ueberblick des Vorhergehenden.) Alles Vorherge-
bende zeigt, daß die Bewegungen unſeres Sonnenſyſtems ſehr zu-
ſammen geſetzt ſind, und daß ein ſeltener Scharfſinn und die
Vereinigung der höchſten Geiſter aller Jahrhunderte nöthig war,
dieſe Verwicklungen zu entfalten, und in dem Ganzen ein einziges,
alles beherrſchende Geſetz zu entdecken. Der Mond beſchreibt ſeine
beinahe kreisförmige Bahn um die Erde; aber, von der Sonne
geſehen, ſcheint er eine Reihe von Epicykeln zu beſchreiben, deren
Mittelpunkte auf der Peripherie des großen Kreiſes liegen, in
welchem die Erde ihre jährliche Bahn um die Sonne vollendet.
Aber auch dieſe Sonne bewegt ſich in dem unermeßlichen Welt-
raume, und wird auf dieſem Wege, wie der Mond von der Erde,
von allen ihren Planeten und Kometen begleitet. Alſo auch dieſe
Erde und alle Planeten beſchreiben wieder andere Epicykeln, deren
Mittelpunkte auf der Peripherie der Bahn liegen, welche die
Sonne um den Schwerpunkt desjenigen Sternenſyſtems zurück-
legt, von dem ſie ſelbſt mit allen ihren Begleitern nur als ein
kleiner, aber integrirender Theil zu betrachten iſt. Dieſe Sonne
ſelbſt wieder beſchreibt neue Epicykeln, deren Mittelpunkte auf der
Bahn liegen, die der Schwerpunkt jenes Sternenſyſtems um den
gemeinſchaftlichen Schwerpunkt eines Aggregats von ähnlichen
Syſtemen bildet, und ſo fort und fort ohne Ende, wie es allein
[189]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
dem ſelbſt unendlichen Urheber der Natur würdig und angemeſſen
gedacht werden kann.
§. 144. (Gegenſtände der Unterſuchung für künftige Jahr-
hunderte.) Die Aſtronomie hat uns die Bewegung der Erde und
die Epicykeln kennen gelehrt, die der Mond und die übrigen Sa-
telliten um ihre Hauptplaneten beſchreiben. Sie hat uns mit dem
Geſetze, dem großen Regulator aller dieſer Bewegungen bekannt
gemacht, und ſelbſt die ſcheinbaren Störungen und Ausnahmen
von dieſem Geſetze wieder unter die Herrſchaft deſſelben zurück-
geführt. Große Schritte, fürwahr! — Aber wenn es volle ſechs
Jahrtauſende, denn ſo lange etwa währt unſere Menſchengeſchichte,
gebraucht hat, dieſe Bewegungen der Planeten und ihrer Satelli-
ten zu erkennen, welche Zeit wird erfordert werden, um auch die
Bewegungen der Sonne, und die der Fixſterne zu beſtimmen.
Schon fangen die Beobachtungen an, uns wenigſtens die Exiſtenz
derſelben erkennen zu laſſen. Die ſogenannte eigene Be-
wegung der Fixſterne ſcheint, wenigſtens größtentheils, von
einer Veränderung des Orts der Sonne im Weltraume zu kom-
men, und die erſt ſeit Kurzem entdeckten Bewegungen der dop-
pelten und vielfachen Sterne ſind gleichſam die erſten Blicke des
menſchlichen Geiſtes jenſeits der Gränze des Sonnenſyſtems,
deſſen Eigenſchaften und Wunder uns bisher allein beſchäftiget
haben.
Aber ſelbſt in dieſem Syſteme, wie viel iſt noch übrig, wie
viele Arbeiten ſind noch zu vollenden, die wir kaum angefangen
haben. Die Satelliten Saturns ſind uns nur wenig, und die
des Uranus beinahe ganz und gar nicht bekannt. Gibt es nicht
jenſeits des Uranus oder zwiſchen Mars und Jupiter noch meh-
rere Planeten? Die Störungen der vier neu entdeckten Planeten,
die ſie durch Jupiter erleiden, ſind ſo groß, daß die bisherige
Entwicklung der Theorie der Perturbationen nicht mehr hinreicht,
und daß neue Bereicherungen unſerer Analyſe erfordert werden,
um die Bewegungen derſelben mit der unſeren gegenwärtigen
Beobachtungen angemeſſenen Genauigkeit darzuſtellen. Auch die
ſäculären Störungen der anderen Planeten werden erſt in der
Folge mit mehr Genauigkeit beſtimmt werden, wenn wir zu einer
genaueren Kenntniß der Maſſen dieſer Himmelskörper gelangt
[190]Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
ſind. Die Theorie der Geſtalt der Erde erwartet ebenfalls noch
wichtige Verbeſſerungen, und ohne Zweifel wird einſt ganz Europa
mit einem großen Netze von Dreiecken überzogen ſeyn, die uns
die Lage, Größe und Krümmung eines jeden Punktes dieſes
Welttheils kennen lehren werden. Zahlreiche und genaue Beobach-
tungen der Pendellängen an allen Orten der Erde, ſo wie der
Ebbe und Fluth an allen Meeresküſten; die Entdeckung neuer
und die genauere Beſtimmung ſchon bekannter Kometen; die Berech-
nung der Störungen, welche dieſe Himmelskörper von den Pla-
neten erleiden, der Einfluß, den die nächſten Fixſterne und viel-
leicht auch der Aether, in dem ſich die Himmelskörper bewegen,
auf die Planeten ausüben — alle dieſe und noch ſo viele andere
Eigenſchaften unſeres Sonnenſyſtems müſſen den Unterſuchungen,
dem Fleiße und der Einſicht der Nachwelt überlaſſen bleiben.
Und wenn ſie einſt dieſe Arbeiten vollendet haben wird,
welche ganz neue Wege der Forſchung werden ſich ihr dann
jenſeits dieſes Sonnenſyſtems eröffnen! — Die Beſtimmung der
Entfernung der Fixſterne von einander, und von der Sonne; die
Bewegung der doppelten und vielfachen Sterne und die der Stern-
gruppen um ihren gemeinſchaftlichen Schwerpunkt, die periodiſchen
Lichtabwechslungen der ſogenannten veränderlichen, und die
wunderbaren Erſcheinungen der neuen Sterne; ein vollſtändiges
Verzeichniß aller Geſtirne des Himmels, die genaue Beſtimmung
der Geſtalt der Nebelflecken und der Veränderungen, welche die
Zeit an ihnen erzeugt — dieß ſind die Gegenſtände jenſeits unſe-
res Sonnenſyſtems, mit denen ſich unſere ſpäten Nachkommen
mit Freuden beſchäftigen werden, ſo lange der Sinn für Wiſſen-
ſchaft und für alles, was gut und groß iſt, unter ihnen nicht
erſtirbt, und der Genius der europäiſchen Kultur nicht ſeine Fackel
löſcht, um andere Welttheile mit ihren wohlthätigen Strahlen zu
erleuchten.
[[191]]
KapitelXI.
Urſprung des Weltſyſtems.
§. 145. (Bisher aufgeſtellte Geologien.) Die Erde, die wir
bewohnen, und ſelbſt das ganze Sonnenſyſtem, das uns von allen
Seiten umgibt, iſt ohne Zweifel nicht immer in dem Zuſtande
geweſen, in dem wir es jetzt erblicken. Wie alles, was wir um
und ſelbſt in uns bemerken, verſchiedene Stufen ſeiner Ausbildung
durchgeht, bis es den höchſten Gipfel derſelben erreicht, von wel-
chem es dann wieder allmählig zurückſchreitet, und einer, wenigſtens
ſcheinbaren Vernichtung, einer gänzlichen Umformung ſeines Weſens
entgegen geht, ſo kann auch wohl der gegenwärtige Zuſtand unſe-
res Sonnenſyſtems nur eine der vielen Verwandlungen ſeyn, die
daſſelbe durchzugehen hat, um den ihm von der Natur geſetzten
Zweck zu erreichen.
Es kann nicht unſere Abſicht ſeyn, die Stufenleiter aller dieſer
vergangenen und künftigen Metamorphoſen zu verfolgen, da deren
nächſte Sproſſen ſchon ſo weit von uns abliegen, daß ein Unter-
nehmen ſolcher Art, für einen menſchlichen Geiſt, nicht nur verwe-
gen, ſondern abſurd und rein unmöglich erſcheint. Deſſenungeachtet
können wir es uns kaum verſagen, wenigſtens einige Blicke rück-
wärts in die dunkle Nacht zu werfen, aus der alles, was wir um
uns ſehen, aus der wir ſelbſt hervorgegangen ſind, und daſelbſt
einige lichte Punkte aufzuſuchen, die vielleicht dazu dienen können,
[192]Urſprung des Weltſyſtems.
unſern eigenen und den Stammbaum des ganzen großen Hauſes,
dem wir angehören, wenn auch nicht bis zu ſeinen Wurzeln,
doch bis zu den uns zunächſt umgebenden Stellen etwas näher
kennen zu lernen.
Dieſe Luſt, ſeine Abſtammung zu erfahren, und ſie auf ſo
viele Generationen, als nur immer möglich auszudehnen, dieſe
dem menſchlichen Geſchlechte, wie es ſcheint, angeborene Sucht
hat, nebſt einer anderen bekannten Kaſte, beſonders die Sekte
unſerer ſogenannten Geologen ergriffen. Ueber keinen Gegenſtand
hat man, in unſerer hypotheſenreichen Zeit, ſo viele, und man
darf es kühn hinzuſetzen, ſo alberne Theorien aufgeſtellt, als über
die Entſtehung der Erde. Nur die drei letzten Decennien haben
ihrer mehr als ſechszig ausgebrütet, ſo daß auf jedes Jahr we-
nigſtens zwei derſelben kommen, und man iſt dabei auf eine Art
zu Werke gegangen, daß man ſich eigentlich nur darüber wundern
muß, warum man nicht noch mehr, warum man in derſelben Zeit
nicht wenigſtens Tauſend und Eines dieſer Mährchen zu Tage
gefördert hat. Allerdings wagt man es in unſerer Zeit nicht
mehr, mit einem großen Geologen des ſiebenzehnten Jahrhunderts,
der auch zugleich ein großer Theolog geweſen ſeyn ſoll, zu be-
haupten, daß die großen Zähne, die man an den Ufern des Ohio
gefunden hat, die Backenzähne der gefallenen Engel ſeyn ſollen.
Solche Behauptungen ſind nicht mehr nach dem Geſchmacke unſerer
Zeit, woraus aber im geringſten nicht folgt, daß die neuen Moden
auch zugleich beſſer oder vernünftiger ſind, als jene, denen wir
kaum mehr ein gutmüthiges Lächeln gönnen. Der Quäcker Bur-
nett, aus der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, macht
es um kein Haar beſſer, als ſein Vorgänger, und benimmt ſich
dabei ſo dreiſt, als ob er ſelbſt bei der Schöpfungsgeſchichte einer
der allernächſten Zuſchauer geweſen wäre. Der berühmte Wood-
ward nahm, um die Revolutionen, welche die Erde in der Vor-
zeit erfahren hat, zu erklären, ohne Weiteres an, daß einige der
ewigen Geſetze der Natur auf gewiſſe Zeit aufgehoben ſeyn mußten,
und er macht ſeine Sache ſo arg, daß man, um die Revolutio-
nen, die in ſeinem eigenen Kopfe vorgegangen ſeyn mochten, zu
erklären, die nicht minder ewigen Geſetze des Denkens, wenigſtens
wieder auf einige Zeit, aufzuheben gezwungen war. Daß endlich erſt in
[193]Urſprung des Weltſyſtems.
unſeren Tagen die Erde als ein lebendes Thier dargeſtellt wurde,
das mit Eingeweiden und Sinnen verſehen, und allen animali-
ſchen Verrichtungen des Einathmens, der Verdauung, Abſonde-
rung u. f. unterworfen iſt, wird nſern Leſern bekannt genug
ſeyn, um hier keine weitere Erläuterung dieſer geiſtreichen Hypo-
theſe zu ſuchen. Wir wollen uns nicht damit befaſſen, die
Meinungen dieſer Gelehrten hier umſtändlich anzuführen, und
noch weniger, ſie zu widerlegen, was doch, wenigſtens in Bezie-
hung auf ſie ſelbſt, unmöglich wäre. Man muß dieſe Leute gehen
laſſen, und ſie vielleicht ſogar um ihr Glück beneiden. Wir
andern, die wir die Autokratie der ſogenannten Vernunft anerken-
nen, und an den Feſſeln der Denkgeſetze liegen, wir Armen ſind
gar nicht im Stande zu begreifen, wie glücklich ein Mann ſeyn
muß, der ohne alle Geſetze und ohne allen Zwang, ſo allein für
ſich, in den Tag hineindenken darf.
§. 146. (Hypotheſe des Leibnitz und Whiſton.) Da man die
vorzüglichſten Meinungen, welche über dieſen Gegenſtand aufge-
ſtellt worden ſind, ihrer Sonderbarkeit wegen, wenigſtens hiſtoriſch
kennen ſoll, ſo wollen wir uns begnügen, dieſelben hier ſo kurz
als möglich mitzutheilen.
Leibnitz ſtellte die Anſicht auf, daß alle Planeten und Ko-
meten, die Erde nicht ausgenommen, in der Vorzeit eben ſo viele
wahre Sonnen geweſen ſeyen, die aber, nachdem ſie älter geworden
waren, ihre frühere jugendliche Kraft, und mit ihr auch ihr ſelbſt-
ſtändiges Licht verloren haben. Woher aber jene Sonnen kamen,
und warum die noch ſcheinende Sonne nicht auch älter und
ſchwächer geworden iſt, fand er nicht für gut, uns zu erklären,
wie denn überhaupt ſeine ganze Kosmogenie nur eine der vielen
hingeworfenen Ideen war, mit welchen der große Mann ſich in
den Stunden zu vergnügen pflegte, in welchen er das Feld der
ſichern Geometrie verließ, um auf dem weichen Boden der Phan-
taſie auszuruhen.
Whiſton im Gegentheile machte dieſe Speculationen zu dem
eigentlichen Gegenſtande ſeines Lebens, und brütete darüber mit
einer Vorliebe und mit einem Eifer, der einer beſſern Sache
würdig geweſen wäre. Er hatte ſich in die Kometen verliebt,
und wußte auch aus ihnen alles, ſeine eigenen Thorheiten nicht
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 13
[194]Urſprung des Weltſyſtems.
ausgenommen, mit der bündigſten Schärfe abzuleiten. Nach ſei-
ner Meinung war die Erde anfangs ſelbſt ein Komet, aber ohne
Arendrehung, daher auch ohne Bewohner, ein todter Klotz, der
ſich indeß doch um die Sonne bewegte. Nach vielen Millionen
von Jahren ſtieß er zufällig mit einem andern Kometen zuſam-
men, wodurch er anfing, ſich um ſeine Axe zu drehen. Der
Wechſel des Tages und der Nacht, der dadurch auf der Erde
entſtand, lockte Pflanzen und Thiere auf ihre Oberfläche hervor.
Jahrtauſende durch dauerte auf derſelben eine paradieſiſche Zeit,
die unſer Gelehrter mit nicht minder lebhaften Farben ſchildert,
als die darauf folgende Periode einer allgemeinen Verderbniß, die
endlich ſo ſehr überhand genommen hatte, daß es eines neuen
Kometen bedurfte, um das ganze verruchte Geſchlecht in ſeinem
Waſſer zu erſäufen. Seitdem geht es, wie wir alle wiſſen, und
da es, wie ebenfalls bekannt, bereits ſtark Berg ab geht, ſo ſteht
in Kurzem ein vierter und letzter Komet zu erwarten, der aber,
weder ſo ſtößig wie der zweite, noch auch ſo wäſſerig wie der
dritte, ſondern der vielmehr ganz feuriger Natur ſeyn, und die
arme Erde mit allem, was in und auf ihr iſt, zu Staub und
Aſche verbrennen wird.
Bemerken wir noch zur Ehre unſeres Geſchlechts, daß das
Werk Whiſtons (Astronomical principles) in welchem er uns
dieſe Dinge zum Beſten gibt, bei ſeiner Erſcheinung als eines
der höchſten Produkte des menſchlichen Scharfſinns bewundert,
und von Klein und Groß mit einer Gierde geleſen wurde, deren
ſich noch kein anderer Roman bisher zu erfreuen das Glück ge-
habt hat.
§. 147. (Büffon’s Hypotheſe) Auch Büffon, der Plinius
unſerer Zeiten, verſuchte ſeine Kraft an dieſem intereſſanten Ge-
genſtande. Nach ihm war im Anfang aller Dinge bloß die Sonne
und eine Unzahl von Kometen da, welche letztere in allen mög-
lichen Richtungen um die erſte ſchwärmten. Einige von dieſen
Kometen mußten mit der Zeit der Sonne näher kommen, als es
ihnen vielleicht ſelbſt lieb ſeyn mochte. Da geſchah von zwei
Dingen eines: entweder begegnete der Komet der Sonne beinabe
in einer auf die letzte ſenkrechten Richtung, und dann blieb er an
der Sonne hängen, um ihre Maſſe zu vermehren, und den Ver-
[195]Urſprung des Weltſyſtems.
luſt zu erſetzen, den ſie durch das Ausſtrömen ihres Lichtes er-
leidet — oder der Komet begegnete der Sonne nur in ſchiefer
Richtung, er ſtreifte bloß die Oberfläche derſelben, und riß daher
ein größeres oder kleineres Stück der Sonne ab, um es fortan
auf ſeiner großen Bahn mit ſich weiter zu führen. Da die Sonne
ihrer Natur nach, die Büffon ſehr genau kennt, flüſſig iſt, und
da alle Kometen, wie er ebenfalls mit Sicherheit beſtimmen kann,
von der Weſtſeite kommen müſſen, wenn ſie an die Sonne ſtoßen
wollen, ſo erklärt ſich daraus ohne allen Anſtand die Entſtehung
ſowohl, als auch die Bewegung aller unſerer Planeten. Jenes
abgeriſſene Stück der flüſſigen Sonne ſchleppte nämlich der Komet
in Form eines Baches, eines Waſſerſchweifes, hinter ſich her,
und dieſer Strom trennte ſich in mehrere Theile, in verſchiedene
größere und kleinere Kugeln, die je nach ihrer Entfernung von
der Sonne, in welcher ſie entſtanden, eine verſchiedene Geſchwin-
digkeit um dieſe Sonne, und auch zugleich eine Rotation um ihre
eigene Axe hatten. Auf dieſe Weiſe ſind alſo die Planeten, und
auf eine ganz ähnliche ſind auch die Satelliten dieſer Planeten
entſtanden. Da der Komet, wie geſagt, von Weſt gen Oſt zur
Sonne kam, ſo iſt dadurch auch ſofort erklärt, warum die jähr-
liche ſowohl, als auch die tägliche Bewegung der Planeten in
derſelben Richtung, von Weſt gen Oſt, vor ſich geht.
Da man zu Büffons Zeiten die oben erwähnte Hypotheſe
Whiſtons ſchon wieder vergeſſen hatte, ſo wurde dieſe neue Dar-
ſtellung des großen franzöſiſchen Naturforſchers ſehr lange als
die beſte, ja als die einzig wahre allgemein angenommen.
§. 148. (Franklin’s Hypotheſe.) Franklin’s Anſicht dieſes Ge-
genſtandes hat uns Lichtenberg mitgetheilt, und was Männer,
wie dieſe beiden, auch nur in Nebenſtunden, und gleichſam im Vor-
beigehen, aufzunehmen der Mühe werth finden, kann auch keinem
Anderen unwillkommen ſeyn, daher wir ſie hier mit den Worten
des Letztern, nur etwas abgekürzt, mittheilen wollen.
Zum beſſeren Verſtändniſſe von Franklins Idee wird man
ſich der bereits früher (I. §. 183) erwähnten Entdeckung Mariotte’s
erinnern, nach welcher unſere atmoſphäriſche Luft, wenn ſie zu-
ſammen gedrückt wird, an Dichtigkeit gerade ſo zunimmt, wie die
Gewichte, durch welche der Druck bewirkt wird, ſo daß alſo ein
13 *
[196]Urſprung des Weltſyſtems.
doppelter oder dreifacher Druck auch zwei- oder dreimal ſo
dicht macht. Die Phyſiker haben die hieher gehörenden Ex-
perimente ſchon ſehr weit getrieben, und man kann ſagen, daß
ſich die Luft endlich ſo ſtark zuſammendrücken läßt, daß z. B.
das Gold auf ihr ſchwimmen würde. Denkt man ſich eine ſenk-
rechte, oben offene Höhle im Innern der Erde, und nimmt man
an, daß die Temperatur der Luft in der Höhle mit der außer
derſelben, mit welcher ſie im freien Zuſammenhange iſt, die gleiche
Temperatur habe, und daß endlich das Mariotte’ſche Geſetz durch-
aus für jede Tiefe, für jede Dichte der Luft gelte, ſo würde die
Luft in der Höhle immer dichter werden, je tiefer ſie läge, und
bei einer Tiefe unter der Oberfläche der Erde von 7½ deutſchen
Meilen würde das Waſſer, von 10½ Meilen das Zinn, von
11 Meilen das Silber, und von 11½ Meilen das Gold in dieſer
Luft ſchwimmen. Würde z. B. das Gold durch irgend eine Kraft
noch unter dieſe Tiefe von 11½ Meilen, in eine noch dichtere
Luft gebracht, und dann ſich ſelbſt überlaſſen, ſo würde es, gleich
einem unter dem Waſſer ausgelaſſenen Korkholze, bis zu der vo-
rigen Tiefe von 11½ Meilen hinauffahren.
Nun geht Franklin von dem Gedanken aus, daß die Zerſtö-
rungen, die wir auf der Erde bemerken, zu groß ſind, als daß
ſie hätten entſtehen können, wenn die ganze Erde, auch in unſern
gegenwärtigen Zeiten, eine durchaus ſolide Maſſe wäre. Er
meint alſo, ſie beſtehe in ihrem Innern aus einer Flüſſigkeit, die
dichter iſt, als alle feſte Körper, die wir auf der Erde kennen,
und auf der daher dieſe feſten Körper ſchwimmen können. Da
nun die Luft, wie wir geſehen haben, durch Vermehrung des auf
ihr laſtenden Druckes einer ſo großen Dichtigkeit fähig werden
kann, ſo wäre es möglich, daß ſie aus Luft beſteht, daß ſie aus
Luft entſtanden iſt, die ſich gegen den Mittelpunkt hin, etwa
nach dem Mariotte’ſchen Geſetze, immer mehr und mehr ver-
dichtet habe. In dieſer Luft werden ſich alle feſten Körper, die
entweder in ſie gerathen, oder die aus ihr ſelbſt und ihren ur-
ſprünglichen, heterogenen Beſtandtheilen entſtehen, jeder in eine
beſtimmte Entfernung von dem Mittelpunkte der Erde ſetzen,
und wenn ihrer mehrere in gleichen Entfernungen von dem Mittel-
punkte zuſammen kommen, auch wohl eine Art von harter Kruſte
[197]Urſprung des Weltſyſtems.
bilden, eine Rinde oder Kugelſchaale, welche die innere, noch dich-
tere Luft ringsum einſchließt, und die an manchen ihrer Stellen
ſo dünn ſeyn kann, daß ſie durch eine von innen auf ſie wirkende
Kraft leicht dem Zerbrechen ausgeſetzt wird.
Nimmt man alſo mit Franklin an, daß alle Materien mit
ihren Kräften anfänglich wie ein Dunſt durch den Weltraum
verbreitet geweſen ſind, ſo mußten ſich, wenn die Anziehung der
einzelnen Theile dieſer Materie zu wirken anfing, die ſchweren
Dunſttheilchen dem Mittelpunkte mehr nähern, und da ſie ſich,
vermöge ihrer Elaſticität, auch einander abſtoßen, zugleich immer
dichter werden, je mehr ſie ſich anhäuften, wodurch denn eben
die erwähnte Luftkugel entſtanden ſeyn kann, welcher ſich
die übrigen Körper auf die angegebene Weiſe feſtſetzten. Viele
dieſer Körper, die anfangs zu tief in die Luft durch ihren Fall
eingeſunken waren, ſtiegen nachher wieder auf, ſchloſſen ſich an
die übrigen an, und bildeten endlich dieſe Kruſte, dieſe Ober-
fläche der Erde, die wir bewohnen, und die jetzt ſo tief in die
ganze Luftkugel eingeſenkt iſt, daß bloß unſere gegenwärtige
Atmoſphäre darüber noch hervorſteht. Chemiſche Prozeſſe, Gas-
entwickelungen, Exploſionen von Dämpfen, die unter dieſer Kruſte
in der ſo ſtark verdichteten Luft ſtatt haben, werden dieſe Kruſte
an einzelnen Stellen durchbrechen, wodurch die neptuniſchen und
vulkaniſchen Revolutionen erklärt werden können, die unſere Erde
ſchon ſo oft erlitten zu haben ſcheint, oder ſie werden, wenn ſie
jene Kruſte nicht zerbrechen können, in der untern Luft Wellen
verurſachen, die ſich auf Tauſende von Meilen erſtrecken, und uns
als Erdbeben fühlbar ſeyn werden.
Dieſer urſprüngliche Dunſt, dieſer Nebel, dieſe chaotiſche Ur-
materie, oder wie man ſie ſonſt nennen will, iſt nicht mit unſerer
atmoſphäriſchen Luft identiſch, da dieſe letzte gleichſam nur ein
Produkt, oder der feinſte Theil von jenen iſt. Wir haben bereits
oben, bei Betrachtung der Sterngruppen und Nebelmaſſen des
Himmels geſehen, daß die Annahme einer ſolchen nebelartigen
Urmaſſe ſehr viel Wahrſcheinlichkeit für ſich habe, eine Meinung,
die ſchon Newton hatte, indem er behauptete, daß die ganze
Welt ſich aus einem flüchtigen Weſen niedergeſchlagen zu haben
ſcheine, wie ſich Waſſer aus Dampf niederſchlägt, und daß
[198]Urſprung des Weltſyſtems.
dann dieſer Niederſchlag zu den mannigfaltigſten Formen zu-
ſammen geronnen ſey, die wir jetzt an den Körpern der Erde
bemerken.
Wem der Ausdruck, daß alle, auch die feſten Körper, in letzter
Analyſe, aus Luft beſtehen, zu auffallend erſcheint, der erinnere
ſich nur, daß inflammable Luft mit dephlogiſtiſirter vermiſcht,
Waſſer gebe, und daß aus Waſſer Eis werden kann, zu welchem
ſich jene gemiſchte Luft unmittelbar nicht verdichten läßt. Dieſes
Waſſer auf gebrannten Gyps gegoſſen, verhärtet ſich mit ihm zu
einem ſteinförmigen Körper, aus dem wir Statuen machen, welche
letztere alſo im Grunde aus zwei Luftarten beſtehen. Waſſer
entſteht aus Luft, viele Pflanzen entſtehen aus dem Waſſer, und
unzählige Thiere leben allein von Waſſer, Luft und Pflanzen,
alſo von Luft und von ſolchen feſten Körpern, die früher auch
Luft geweſen ſind. Was ſind daher dieſe Thiere ſelbſt geweſen?
— So ſteht mit Eins der Elephant mit aller ſeiner Majeſtät
und ſeinem Elfenbein da, aus Dunſt zuſammen geronnen, wie
Franklins Welt. — In der That, da die Natur die Pflanzen und
Thiere nicht baut, wie wir unſere Häuſer bauen, ſondern ſich der-
jenigen Kräfte dabei bedient, die ſie in die kleinſten Elemente der
Körper gelegt hat, und da dieſe Kräfte nur in den kleinſten Di-
ſtanzen wirkſam ſind (S. 16), ſo iſt immer Flüſſigkeit nöthig,
damit ſich alles finden, und an einander fügen kann. Da aber
auch dieſe ſich bald verlieren oder durch ihre eigene Schwere nach
den tiefſten Stellen ziehen würde, ſo müſſen dieſe flüſſigen Körper
auch in elaſtiſche übergehen, d. h. in luftförmige Körper, auf die
wir [daher] immer wieder in letzter Inſtanz zurück zu kommen ge-
zwungen ſind.
§. 149. (Beſondere Eigenſchaften des Planetenſyſtems.) Ob-
ſchon die Elemente des Planetenſyſtems, wie es ſcheint, ganz will-
kührlich ſind, ſo haben ſie doch mehrere ſehr merkwürdige Eigen-
heiten, die allen Bahnen gemeinſchaftlich ſind, und die daher auch
eine beſondere Betrachtung verdienen.
Man bemerkt nämlich nicht ohne Verwunderung, daß ſich
alle Planeten ohne Ausnahme in einer und derſelben Richtung,
von Weſt nach Oſt bewegen. Auch die Satelliten gehen in der-
ſelben Richtung um ihre Hauptplaneten. Ja ſelbſt die täglichen
[199]Urſprung des Weltſyſtems.
Umdrehungen dieſer Körper gehen ſämmtlich von Weſt nach Oſt.
Dieß iſt in der That ſehr auffallend. Unſer Syſtem, ſo weit wir
es jetzt kennen, beſteht aus eilf Planeten und achtzehn Satelliten.
Von denjenigen, deren tägliche Rotation durch die Beobachtungen
bereits ausgemacht iſt, kennen wir ſechs Planeten, die Sonne
ſelbſt, unſern Mond, vier Monde Jupiters und einen Mond ſo
wie den Ring Saturns. Dieß gibt demnach zuſammen dreiund-
vierzig Bewegungen, die alle nach derſelben Seite gerichtet ſind.
Gne ſo große Anzahl kann nicht gut die Folge eines bloßen Zu-
fals ſeyn. Wendet man darauf die bekannten Regeln der Wahr-
ſcheinlichkeit an, ſo findet man, daß man vier Billionen gegen
eins wetten kann, daß dieſer auffallenden Uebereinſtimmung ſo
vieler Bewegungen eine einzige gemeinſchaftliche Urſache zu Grunde
liege. Eine ſo große Wahrſcheinlichkeit beſitzt aber vielleicht
keine einzige aller unſerer ſogenannten hiſtoriſchen Wahrheiten.
Wir ſind daher beinahe gezwungen, anzunehmen, daß irgend eine
uns unbekonnte Kraft dieſe Bewegungen hervorgebracht hat.
Eine andere nicht minder auffallende Eigenſchaft unſeres
Sonnenſyſtens iſt die geringe Excentricität, die wir bei
allen Planetenbahnen bemerken. Die ſieben älteren haben alle
ſehr nahe eine kreisförmige Bahn; von den vier neuen fügt ſich
auch Ceres und Veſta demſelben Verhältniſſe, während Juno und
Pallas bereits eine etwas größere, aber doch noch lange nicht
eine ſo große Excentricität haben, wie die Kometenbahnen. Ueber-
haupt ſind die Bahnen der Planeten und die der Kometen durch
dieſe zwei Eigenſchaften weſentlich und zwar ſo ſtark von einan-
der unterſchieden, daß ſelbſt der Uebergang von der einen zu der
andern gänzlich vermißt wird. Von den Planeten kennt man
keinen, deſſen Bewegung nicht beinahe ganz von Weſt gen Oſt
gerichtet wäre. Wenn nur einer derſelben ſich z. B. nahe von
Süd gen Nord oder umgekehrt bewegte, wo man ihm dann
weder eine weſtliche, noch eine öſtliche Bewegung zuſchreiben könnte,
ſo würde dieſer gleichſam ein Verbindungsglied, einen Ring zwi-
ſchen den zwei Ketten bilden, an deren einer die Planeten, und
an der andern die Kometen angereiht ſind. Aber man kennt keinen
ſolchen Planeten, wohl aber mehrere Kometen, die ſich auf dieſe
Weiſe, und ſehr viele, die ſich von Oſt gen Weſt bewegen. Daſ-
[200]Urſprung des Weltſyſtems.
ſelbe gilt von der Excentricität. Alle Planetenbahnen haben eine
ſehr kleine Excentricität; ſelbſt die der Juno, die größte unter
allen, beträgt nur den vierten Theil ihrer großen Halbaxe, wäh-
rend im Gegentheile diejenige Kometenbahn, welche unter allen
uns bekannten noch dem Kreiſe am nächſten liegt, die des Biela’-
ſchen Kometen ſchon eine Excentricität hat, die drei Viertheile
ihrer halben großen Axe beträgt.
Daſſelbe gilt endlich auch von den Neigungen dieſer Bab-
nen gegen die Ecliptik oder vielmehr gegen den Sonnenäquater.
Dieſe iſt bei allen älteren Planeten ungemein klein, und ſelbſt bei
den meiſten neuen noch immer gering, während im Gegent [...]eile
die Neigungen der Kometenbahnen alle Grade des Halbkreiſes von
0° bis 180° durchlaufen.
§. 150. (Laplace’s Hypotheſe.) Dieſe drei, allen Planeten
zukommenden Eigenſchaften, die jährliche und tägliche Bewegung
von Weſt gen Oſt, die geringe Excentricität und die ebenfalls
ſehr kleine Neigung ihrer Bahnen, von denen man bisher noch
keine Rechenſchaft geben konnte, ſcheinen auf eine da[s] ganze Sy-
ſtem umfaſſende, gemeinſchaftliche Kraft zu deuten die bei dem
Entſtehen dieſes Syſtems wirkſam geweſen iſt, und aus deren
Kenntniß wir vielleicht etwas Näheres über dieſe Entſtehung ſelbſt
ableiten können. Dieſen Weg hat Laplace genommen, um den
Urſprung des Planetenſyſtems zu erklären, und man wird bald
ſehen, daß er ſeiner ſchönen und ſinnreichen Hypotheſe im Allge-
meinen dieſelbe Idee, wie oben Franklin, zu Grunde legt, nur
mit dem Unterſchiede, daß er ſie mit Hülfe jener drei merkwür-
digen Eigenſchaften weiter entwickelt, und ihre Uebereinſtimmung
mit den Beobachtungen genauer nachweist.
Welches auch die Urſache, die jene drei Erſcheinungen erzeugte,
geweſen ſeyn mag, ſo muß ſie doch alle Planeten umfaßt haben,
und da dieſe letzten durch ſo große Zwiſchenräume von einander
getrennt ſind, ſo kann jene Urſache nur in einer, anfänglich viel-
leicht bloß luftförmigen, Flüſſigkeit von ungeheurer Ausdehnung
geſucht werden. Da ſie allen Planeten eine beinahe kreisförmige
Bewegung, in einer und derſelben Richtung, um die Sonne ge-
geben hat, ſo muß dieſe Flüſſigkeit die Sonne in Geſtalt einer
Atmoſphäre umgeben haben. Dieſe Atmoſphäre der Sonne, die
[201]Urſprung des Weltſyſtems.
vielleicht urſprünglich nur eine Fortſetzung des eigenen Sonnen-
körpers war, hatte alſo anfänglich, wahrſcheinlich durch die Wir-
kung einer in ihr herrſchenden außerordentlichen Hitze, eine Aus-
dehnung, die noch über die Bahn des Uranus herausreichte, und
die ſich ſpäterhin, in Folge ihrer Abkühlung, bis auf die gegen-
wärtige Gränze der Sonne zurückgezogen hat.
Damals glich alſo unſere Sonne einem jener Nebelſterne
(II. S. 368), einem vielleicht nur kleinen lichten Punkte, umge-
ben von einer ſphäriſchen Dunſthülle. Vor dieſer Zeit mag ſelbſt
jener lichte Kern noch nicht da geweſen ſeyn, und das Ganze
einem äußerſt dünnen, weit verbreiteten, chaotiſchen Nebel gegli-
chen haben.
Wenn jener lichte Kern, der Embryo der künftigen Sonne,
durch irgend eine Kraft, wozu ſchon die Anziehung der benach-
barten Theile der Sonnenatmoſphäre hinreichend war, eine Be-
wegung, eine Rotation um ſich ſelbſt hatte, ſo mußte an dieſer
Rotation auch die ganze Atmoſphäre der Sonne allmählig Theil
nehmen. Wenn nun die anfangs ſo große Hitze aus einzelnen
Theilen oder Schichten dieſer Atmoſphäre entfloh, ſo mußte da-
durch eine Trennung der Atmoſphäre in einzelnen Schichten ſtatt
finden, deren Beſtandtheile ſich nach den bekannten Kepler’ſchen
Geſetzen um die Sonne bewegten. War ferner irgendwo in dieſen
Schichten eine dichtere Maſſe vorhanden, ſo zog dieſe nach und
nach die benachbarten Theile der Schichten an ſich, und die Pla-
neten entſtanden. Man ſieht, daß bei einer ſolchen Entſtehung
dieſer Körper die Richtung der Bewegung derſelben um die Sonne
mit derjenigen übereinſtimmen mußte, welche die Sonne ſelbſt
hatte, daß alſo dadurch die gemeinſchaftliche jährliche Bewegung
dieſer Planeten von Weſt gen Oſt ſehr gut erklärt wird.
Da ferner die von der Sonne entfernteren Theile eines auf
dieſe Weiſe entſtandenen Planeten, wegen der Rotation des ganzen
Sonnenkörpers, eine größere Geſchwindigkeit hatten, als die dem
Kern näheren Theile, ſo mußte hieraus auch eine Rotation dieſer
Planeten um ihre Axe, und zwar in der Richtung ihrer jährlichen
Bewegung folgen, wodurch die gemeinſchaftliche Richtung der
täglichen Rotation dieſer Planeten auf eine ſehr einfache Weiſe
dargeſtellt wird.
[202]Urſprung des Weltſyſtems.
Dieſe Planeten, die aus der Verdichtung der benachbarten
Theile einer Schichte der Sonnenatmoſphäre entſtanden, werden
anfangs, wo die ihrem Innern zukommende Temperatur noch
immer ſehr hoch geweſen ſeyn mag, einen viel größern Raum
eingenommen, und ſich, wie oben die Sonnenatmoſphäre ſelbſt,
durch allmählige Abkühlung zu einem dichtern Kern, mit einer
eigenen Dunſthülle, ausgebildet haben, wo dann die allmähliche
Abkühlung der äußerſten Schichte dieſer Planetenatmoſphäre ganz
auf dieſelbe Art die Satelliten erzeugen konnte, wie die Plane-
ten ſelbſt aus der Sonnenatmoſphäre erzeugt wurden.
Bei der Abſonderung der ſich allmählig abkühlenden Schich-
ten von der übrigen, inneren Atmoſphäre der Sonne, mußte die
Maſſe, aus welcher dieſe Schichten beſtanden, durch die Rotation
der Sonne gegen den Aequator derſelben hingetrieben werden,
wodurch die zweite der oben erwähnten Erſcheinungen erklärt
wird, daß nämlich die Bahnen aller Planeten nur in der Nähe
des Sonnenäquators getroffen werden, oder daß ihre Neigungen
gegen die Ebene dieſes Aequators ſämmtlich ſehr klein ſind.
Wenn ſich die äußerſte Kugelſchaale der Sonnenatmoſphäre,
in Geſtalt einer bereits mehr erkalteten, aber immer noch ſehr
erwärmten Flüſſigkeit, durch die Rotation des Sonnenkörpers, auf
eine für alle Theile dieſer Schichte gleichmäßige Art zu dem
Aequator herabſenkt, ohne ſich in ihren einzelnen Partien zu tren-
nen, und wenn auch die Conglomeration der Maſſe dieſer Schichte
um ihren neuen Kern mit ungeſtörter Regelmäßigkeit vor ſich
geht, ſo wird ein flüſſiger, ſpäter durch weitere Abkühlung ſich
conſolidirender Ring um dieſen Kern entſtehen. Aber die Re-
gelmäßigkeit, die zur Bildung eines ſolchen Rings erfordert wird,
wird eine Erſcheinung dieſer Art immer ſehr ſelten machen, daher
wir auch in unſerem ganzen Sonnenſyſteme nur ein einziges
Beiſpiel eines ſolchen Rings, bei Saturn, haben. In den meiſten
Fällen wird der Ring ſchon in den erſten Zeiten ſeiner Bildung
in mehrere abgeſonderte Maſſen berſten, die dann für ſich, als die
Satelliten des neuen Planeten, ihren Weg um denſelben zurücklegen.
Dieſelbe Regelmäßigkeit der Bildung der Planeten würde,
wenn ſie in der That ſtatt gehabt hätte, die Planeten vollkommen
in die Ebene des Sonnenäquators, und die Satelliten genau in
[203]Urſprung des Weltſyſtems.
die Ebene der Aequatoren ihrer Hauptplaneten gelegt haben, ſo
wie ſie auch die Bahnen aller dieſer Körper zu vollkommenen
Kreiſen gemacht haben würde. Jede kleine Störung dieſer
Regelmäßigkeit wird aber Veränderungen in den Neigungen
ſowohl, als auch in den Excentricitäten dieſer Bahnen hervorge-
bracht haben, und es ſcheint, daß dieſe Störungen nie groß genug
geweſen ſind, um das eine oder das andere dieſer beiden Elemente
zu ſtark von ihrem urſprünglichen Zuſtande zu entfernen, daher
wir die Neigungen ſowohl, als auch die Excentricitäten aller
Planetenbahnen in ſo enge Gränzen eingeſchloſſen finden.
Nach dieſer Hypotheſe, die mit den früher (II. S. 387)
mitgetheilten Erſcheinungen bei den Nebelmaſſen des Himmels ſehr
wohl übereinſtimmt, befand ſich alſo die Sonne, oder wenigſtens
die nächſte Umgebung, die Atmoſphäre ihres Kerns, urſprünglich
in einem luftförmigen Zuſtande. Die Maſſe dieſer Atmoſphäre
mag nahe den ſiebenhundertſten Theil der ganzen Sonnemmaſſe
betragen haben, da die Maſſen aller Planeten und Satelliten, die
aus dieſer Atmoſphäre entſtanden ſind, daſſelbe Verhältniß zur
gegenwärtigen Maſſe der Sonne haben. Da dieſe Atmoſphäre
in der Nähe der Sonne dichter, als an ihrer äußerſten Gränze
ſeyn mußte, ſo ſollten auch die unteren Planeten (I. S. 214) eine
größere Dichtigkeit haben, als die weiter von der Sonne entfern-
ten, oberen Planeten, was auch in der That ſehr nahe mit den
bisher über die Dichtigkeit der Planeten erhaltenen Beobachtungen
zuſammentrifft.
§. 151. (Rückſicht auf die Kometen bei dieſer Hypotheſe.) Bei
dieſer Darſtellung des Urſprungs unſeres Planetenſyſtems iſt, wie
man ſieht, auf die Kometen keine Rückſicht genommen worden.
Wenn man aber die Kometen für, den Nebelmaſſen des Himmels
ähnliche Körper hält, mit denen ſie ſo vieles gemein zu haben
ſcheinen, ſo kann man nicht ohne viele Wahrſcheinlichkeit anneh-
men, daß dieſe kleineren Nebelmaſſen von einem Sonnenſyſteme
zu dem anderen in dem Weltenraume umherirren, und daß ſie
durch die Condenſation des Urnebels entſtehen, der in ſo erſtau-
nenswürdiger Menge in dem Univerſum zerſtreut iſt. Aus dieſem
Geſichtspunkte betrachtet wären daher die Kometen für das Son-
nenſyſtem das, was die Aerolithen für unſere Erde ſind, da dieſe
[204]Urſprung des Weltſyſtems.
der Erde eben ſo fremd zu ſeyn ſcheinen, als jene der Sonne.
Dieſe Kometen ſehen jenen Nebelmaſſen zuweilen ſo täuſchend
ähnlich, daß man ſie oft genug mit ihnen verwechſelt hat, und
daß man ſie nur durch ihre eigene Bewegung von jenen unter-
ſcheiden kann. Auch zeigen ſie uns, wie ihre in den Aphelien
vielleicht ſehr feſte Maſſe durch die hohe Temperatur, welcher ſie
in ihren Sonnennähen ausgeſetzt ſind, ſich bis zu einer luftförmigen
Dunſtwolke von einer ſo geringen Dichtigkeit verbreitet, daß man
durch dieſelbe, ihres enormen Volums ungeachtet, doch noch die
feinſten Sterne durchblicken ſieht. Warum ſollte ein Zuſtand,
den dieſe Körper bei jedem ihrer Durchgänge durch das Perihe-
lium erfahren, nicht auch einmal bei der Sonne ſelbſt zur Zeit
ihrer Entſtehung möglich geweſen ſeyn?
Man kann daher annehmen, daß unſer Sonnenſyſtem an-
fänglich bloß aus dem Hauptkörper, aus der Sonne ſelbſt, die
aber damals einen viel größeren Raum einnahm, beſtanden habe,
und daß dieſelbe von den in allen Gegenden des Weltraums
zerſtreuten, ihr ſelbſt aber fremden, Kometen umkreist worden
ſey. Da ſie ſonach auf ihren Bahnen der Sonne mit verſchiede-
nen Geſchwindigkeiten und in verſchiedenen Richtungen begegneten,
ſo mußten auch ihre Neigungen alle möglichen Lagen gegen die
Ecliptik haben, wie dieß den Beobachtungen vollkommen gemäß iſt.
Nicht minder genügend wird auch dadurch die große Excentri-
cität der Bahnen dieſer Kometen erklärt. Wenn ſie elliptiſch ſind,
ſo müſſen ſie auch zugleich ſehr länglich ſeyn, weil ihre großen
Axen wenigſtens ſo groß, als der Durchmeſſer der Sonne zu der
Zeit ſeyn mußten, da dieſer Centralkörper ſelbſt noch ſo ſtark aus-
gedehnt war. Viele dieſer Bahnen ſind aber auch ohne Zweifel
hyperboliſch; allein da wir die Kometen nur dann ſehen können,
wenn ſie der Erde, alſo auch der Sonne näher kommen, ſo wird
in dieſer Nähe der hyperboliſche Bogen der Bahn, wegen der
ungemeinen Größe ſeiner Axe, einem paraboliſchen immer ſehr
nahe kommen, und daher leicht mit ihm verwechſelt werden
können.
Dieß mag die Urſache ſeyn, warum wir noch keinen Kometen
gefunden haben, deſſen Bahn ganz ſicher als eine hyperboliſche
erkannt wurde, da im Gegentheile bei den meiſten derſelben
[205]Urſprung des Weltſyſtems.
die Parabel hinreicht, die Beobachtungen dieſer Himmelskörper
darzuſtellen.
Einige dieſer Kometen ſind auch wohl in die Atmoſphäre
der Sonne zu der Zeit geſtürzt, als dieſe noch in ihrer Bildung
begriffen war. In dieſem Falle mußten ſie, in dem widerſtehenden
Mittel dieſer Atmoſphäre, Spiralen beſchreiben, und entweder ſich
mit dem Kern der Sonne vereinigen, oder, wenn ſie früher einem
Planeten begegneten, durch ihren Stoß die Ebene der Bahn und
des Aequators dieſer Planeten von der Ebene des Sonnenäqua-
tors entfernen, wodurch die verſchiedenen Neigungen dieſer Bahnen
und die ſchiefe Stellung ihrer Rotationsaxen erklärt werden.
Wenn aber in den von der Sonne bereits verlaſſenen Zonen
ſich noch Nebelmaſſen fanden, die zu fein oder zu weit verbreitet
waren, um ſich zu Planeten zu vereinigen, ſo mußten ſie in dieſer
ihrer urſprünglichen Geſtalt fortfahren, als große Dunſtwolken
ſich um die Sonne zu bewegen, und in dieſem Zuſtande uns alle
die Erſcheinungen zeigen, die wir an dem Zodiacallichte be-
merken, ohne eben die Bewegung der Planeten bedeutend zu
hindern, da ihre Dichtigkeit ſo ungemein klein, und da ihre eigene
Bewegung der jenen Planeten nahe gleich iſt.
§. 152. (Wahrſcheinlichkeit dieſer Hypotheſe.) Schon das
Vorhergehende reicht hin, die hier aufgeſtellte Hypotheſe von dem
Urſprunge unſeres Planetenſyſtems ſehr wahrſcheinlich zu machen.
Zu demſelben laſſen ſich aber auch noch mehrere andere Gründe
anführen. — Daß unſere Erde und überhaupt alle Planeten ur-
ſprünglich in einem flüſſigen Zuſtande geweſen ſind, folgt ſchon
aus der Abplattung derſelben an den Polen ihrer Rotation, oder
aus der beobachteten regelmäßigen Abnahme der Schwere der
Erde, wenn man von dem Aequator ſich den beiden Polen nähert.
Daß aber dieſer flüſſige Zuſtand der Planeten ſeinen Grund in
einer anfänglichen ſehr hohen Temperatur dieſer Körper habe, iſt
bereits oben (Kap. VIII) gezeigt worden, und dadurch wird es ſehr
wahrſcheinlich, daß dieſer urſprüngliche Zuſtand der Himmels-
körper nicht bloß ein flüſſiger, ſondern ein luftförmiger geweſen iſt.
Die genaue Uebereinſtimmung der Dauer der Revolution
und Rotation bei den Satelliten unſeres Syſtems kann ebenfalls
als ein Beweis der Richtigkeit jener Hypotheſe angeſehen werden.
[206]Urſprung des Weltſyſtems.
Es iſt nämlich äußerſt unwahrſcheinlich, daß dieſe Gleichheit
beider Bewegungen ſchon gleich bei dem Entſtehen dieſer Satel-
liten in aller Strenge ſtatt gehabt habe. Aber wenn es auch
nur beinahe beſtand, ſo mußte, wie man durch Rechnung zeigen
kann, die Attraction des Hauptplaneten eine Oſcillation des
Mondes um den, dem Planeten zugewendeten Halbmeſſer dieſes
Mondes und zugleich, wenn anders der Satellit anfangs in
einem flüſſigen Zuſtande war, eine Verlängerung dieſes
Halbmeſſers erzeugen, und man ſieht, wie durch dieſe Verlänge-
rung jene Oſcillationen des Mondes immer kleiner werden, und
endlich ganz verſchwinden mußten, ſo daß ſich endlich jene Gleich-
heit der beiden Bewegungen in aller Strenge herſtellte. Dieſe
ſehr wahrſcheinliche Erklärung jenes Phänomens iſt alſo eben-
falls auf jenem anfänglichen Zuſtand der Himmelskörper ge-
baut, welcher unſerer Hypotheſe von der Entſtehung des ganzen
Syſtems zu Grunde liegt. Auch ſieht man zugleich, daß eben
dieſe Gleichheit der beiden Bewegungen bei den Satelliten aller
Bildung von Ringen um dieſelben oder von ſecundären Monden
hindernd entgegen treten mußte, daher auch unſere ſchärfſten
Beobachtungen noch keine Erſcheinungen dieſer Art an den Sa-
telliten entdecken konnten.
Die drei nächſten Monde Jupiters gewähren uns eine noch
auffallendere Erſcheinung, nach welcher die mittlere Bewegung
des erſten oder nächſten, mehr der zweifachen des dritten, weniger
der dreifachen des zweiten dieſer Satelliten immer gleich Null
iſt. (Vergl. oben S. 337.) Allein wenn man, unſerer Hypotheſe
gemäß, auch dieſe Satelliten, zur Zeit ihrer Entſtehung, in einem
flüſſigen Zuſtande vorausſetzt, ſo iſt es, wie die Analyſe zeigt,
ſchon hinreichend, wenn jenes Verhältniß, das in ſeiner ganzen
Genauigkeit außerordentlich unwahrſcheinlich und völlig uner-
klärbar wäre, im Anfange auch nur beinahe ſtatt gefunden
hat, wo dann die Anziehung dieſer drei Satelliten und die des
Hauptplanet n ſchon hinreichend waren, dieſes urſprünglich nur
genäherte Verhältniß mit der Zeit ganz genau herzuſtellen.
[[207]]
KapitelXII.
Dauer des Weltſyſtems.
§. 153. (Welche Art von Störungen hier betrachtet werden.)
Nachdem wir in dem vorhergehenden Kapitel es gewagt haben,
unſere Unterſuchungen über den Zuſtand des Sonnenſyſtems in
der grauen Vorzeit auszudehnen, wollen wir nun auch unſern
Blick in die ferne Zukunft richten und zuſehen, was wir da zu
hoffen oder zu fürchten haben.
Wir haben in dieſem Syſteme mehrere Eigenheiten entdeckt,
die uns in den Stand ſetzten, auf den Zuſtand deſſelben in einer
Epoche, von welcher der Anfang unſerer Menſchengeſchichte ohne
Zweifel ſehr weit entfernt iſt, wenigſtens mit einiger Wahrſchein-
lichkeit zurückzuſchließen. Sollte es nicht auch einige andere Eigen-
heiten dieſes Syſtems geben, die uns Mittel darbieten, den
Zuſtand deſſelben in der fernen Zukunft wenigſtens ſo weit zu
entſchleiern, um daraus einige Beruhigung für die fernere Dauer
dieſes großen und wunderbaren Gebäudes abzuleiten? Wenn
auch wir ſelbſt und alles, was mit uns auf dieſer Erde lebt,
wieder zu dem Staube zurückkehren muß, von dem wir genommen
ſind, und wenn wir uns willig in dieſes allen lebenden Weſen
gemeinſame Loos ergeben, ſo können wir doch den Wunſch nicht
unterdrücken, daß nach unſerem Abtreten von dieſem Schauplatze
wieder andere Weſen, in immer fortgehender Reihe, auf derſelben
[208]Dauer des Weltſyſtems.
Bühne ſich ihres Lebens freuen, daß der Himmel, der jetzt über
uns ausgeſpannt iſt, bleiben und beſtehen, und daß dieſelbe Sonne
und derſelbe Mond, die uns in unſerem Leben oft ſo freundlich
geleuchtet haben, auch noch die Blumen beſcheinen möge, die in
der fernſten Zukunft über unſern Gräbern blühen werden.
Man ſieht ohne mein Erinnern, daß bei Unterſuchungen
dieſer Art nicht von ſolchen Störungen die Rede ſeyn kann, die
durch unvorherzuſehende, äußere Kräfte bewirkt werden. Vielleicht
wird ein uns noch unbekannter Komet unſere Erde zertrümmern,
oder in ſeinen Fluthen erſäufen, oder ſie zu Aſche verbrennen und
die Trümmer derſelben mit ſich in fremde Sonnenſyſteme führen;
vielleicht wird einſt dieſes ganze Syſtem, wie jener Fixſtern
in der Caſſiopeia, durch irgend eine uns ebenfalls unbe-
kannte Urſache in Brand gerathen und auflodern, ſo daß von
allem, was uns jetzt umgibt, keine Spur mehr zu finden ſeyn
wird. Solche Kataſtrophen, ſie mögen nun möglich ſeyn oder
nicht, ſind nicht vorauszuſehen, und ſtehen in keinem weitern Zu-
ſammenhange mit einer in der Folge der Zeiten auf natürlichem Wege
nothwendigen oder vorauszuberechenden Zerſtörung, von der hier
allein die Rede ſeyn kann. Daß ein Menſch vom Blitze getödtet
wird, kann keinen Einfluß auf die kürzere oder längere Dauer
des ganzen Geſchlechts haben. Aber daß alle Menſchen und
überhaupt alle lebende Weſen immerwährenden Reibungen und
Abnutzungen ihrer Körper unterworfen ſind, dieß läßt uns nur
gar zu gewiß auf einen endlichen Stillſtand der ganzen Maſchine
ſchließen. Und jene große, bewunderungswürdige Maſchine über
uns — trägt ſie auch ſolche Spuren, aus denen wir, wenn auch
in der fernſten Zukunft, auf ihren Stillſtand, auf ihre Auflöſung
ſchließen können?
Man ſieht, daß hier vorzüglich von den Störungen die
Rede iſt, welchen die einzelnen Körper unſeres Sonnenſyſtems
unterworfen ſind. Wir haben bereits oben (S. 115) geſehen, daß
dieſe Störungen zweierlei Art ſind. Die periodiſchen, welche
bloß den Ort des Planeten in ſeiner Bahn angehen, und die ſä-
culären, welche dieſe Bahn ſelbſt mit der Zeit verändern. Die
erſten können offenbar keinen Einfluß auf eine einſtige Zerſtörung
[209]Dauer des Weltſyſtems.
des Ganzen haben. Aber die zweiten? — Sie könnten es, und
ſie würden es auch, wenn anders dieſe Aenderungen der Bahnen
mit der Zeit, alſo ohne Ende, und immer nach derſelben Rich-
tung fortgingen. Allein das thun ſie nicht, wie wir bereits oben
gezeigt haben. Und ſo ſcheint denn auch, von dieſer Seite wenig-
ſtens, nichts zu fürchten.
§. 154. (Vorzügliche Rückſicht auf drei Elemente der Plane-
tenbahnen.) Da dieſe Sache ſchon an ſich, und beſonders in Be-
ziehung auf uns ſelbſt von ſo großer Wichtigkeit iſt, ſo wird es
nicht unangemeſſen ſeyn, ſie etwas näher zu betrachten.
Es iſt bereits oben (I. S. 280) geſagt worden, daß jede Bahn
eines Planeten oder Kometen ſechs Beſtimmungsſtücke oder Ele-
mente hat, an denen man ſie erkennen und von allen andern
unterſcheiden kann. Dieſe Elemente ſind: 1) die große Axe oder
die Umlaufszeit; 2) die Excentricität; 3) die Neigung der Bahn;
4) die Länge des Periheliums; 5) die Länge der Knotenlinie und
6) die Epoche oder der Ort des Planeten in ſeiner Bahn zu einer
gegebenen Zeit.
Es wird nicht nothwendig ſeyn, hier umſtändlich zu zeigen,
daß die drei letzten der ſechs genannten Elemente in Beziehung
auf die längere Fortdauer des ganzen Syſtems ganz gleichgültig
und ohne allen Einfluß ſind. Ob die große Axe nach dieſer oder
nach einer andern Gegend des Himmels gerichtet iſt, ob die Pla-
netenbahn die Ebene der Ecliptik in dieſer oder in einer anderen
Linie ſchneidet, das kann die Stabilität des Ganzen offenbar eben
ſo wenig ſtören, als dieſelbe von dem Orte des Planeten in ſeiner
Bahn zu irgend einer Zeit abhängig ſeyn kann.
Nicht ſo iſt es aber mit den drei erſtgenannten Elementen.
Die große Axe darf durchaus gar keiner Aenderung unterworfen
ſeyn, ſelbſt nicht einer periodiſchen, weil eine ſolche, der Natur
der Sache nach, ſo fort in ein immerwährendes Wachſen
oder Abnehmen derſelben übergehen würde, deren für das Ganze
zerſtörende Folgen wir bereits oben (§. 132) näher angegeben
haben. Die beiden anderen Elemente aber, die Excentricität und
die Neigung der Bahn, können wohl ſolche Aenderungen leiden,
aber dieſe Aenderungen müſſen in beſtimmte, wenn auch ſehr lange
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 14
[210]Dauer des Weltſyſtems.
Perioden eingeſchloſſen ſeyn, wenn ſie das Syſtem in die Länge
nicht gefährden ſollen.
Nun zeigt die Analyſe, daß die Entwicklung der drei letztge-
nannten Elemente aus Reihen beſteht, deren Glieder alle nur
Sinus von Winkeln enthalten, die mit der Zeit fortgehen. Da
aber die Sinus bekanntlich ſelbſt nur periodiſch zu- und abneh-
mende Größen ſind, ſo würden auch jene drei Elemente dergleichen
Größen ſeyn, wenn jene Reihe nicht noch ein Glied enthielte, das
der Zeit ſelbſt proportional iſt. Vermöge dieſes letzten Gliedes
können alſo jene drei Elemente ſelbſt ohne Gränzen wachſen, und
ſie thun dieſes auch, doch, wie geſagt, ohne alle Gefahr für die
Stabilität des ganzen Syſtems. Die drei erſten Elemente aber
zeigen, wenn ſie ebenfalls in Reihen entwickelt werden, durchaus
nur Glieder, welche die Coſinus jener Winkel, und kein der Zeit
ſelbſt proportionales Glied enthalten, woraus man denn den
Schluß gezogen hat, daß auch dieſe drei Elemente keine mit der
Zeit fortgehende, ſondern nur periodiſch wiederkehrende Aenderungen
erleiden können.
§. 155. (Berichtigung der vorhergehenden Betrachtung.) Allein
dieſer Schluß, mit welchem man ſich lange begnügte, iſt nicht
ganz richtig. Poiſſon hat zuerſt gezeigt (Conn. des tems 1830)
daß es nicht genug iſt, wenn dieſe Reihen bloße Coſinus enthal-
ten, damit jene Elemente nicht ohne Aufhören wachſen, oder ab-
nehmen können, ſondern daß auch noch dieſe Reihen convergent
ſeyn, d. h. daß ihre auf einander folgenden Glieder immer kleiner
ſeyn müſſen, wenn jener auf ſie gebaute Schluß vollkommen
ſtreng ſeyn ſoll.
Was nun die Reihe für die große Axe der Bahnen betrifft,
ſo iſt ſie, wie man zeigen kann, immer convergent, und überdieß
der Art, daß ihre Veränderung, wenn man ſtatt der in ihr ent-
haltenen allgemeinen Zeichen die numeriſchen Werthe für jeden
Planeten ſubſtituirt, immer gleich Null iſt, wie ſchon oben (§. 133)
geſagt wurde. Von dieſer Seite, und ſie iſt die wichtigſte von
allen, iſt alſo für eine Störung der Stabilität unſeres Sonnen-
ſyſtems weiter nichts zu beſorgen.
Die Entwicklung für die Excentricität und die Neigungen
der Bahnen aber gibt Reihen, von welchen es ſehr ſchwer iſt, mit
[211]Dauer des Weltſyſtems.
Beſtimmtheit zu ſagen, ob ſie convergiren oder nicht. Poiſſon
hat jedoch gefunden, daß die Beſchaffenheit dieſer beiden Elemente
auch von zwei Gleichungen abhänge, die in Beziehung auf un-
ſern Gegenſtand von der größten Wichtigkeit ſind. Wenn näm-
lich dieſe Gleichungen auch nur zwei reelle und gleiche, oder auch
wenn ſie zwei imaginäre Wurzeln haben, ſo mögen jene Reihen
immerhin convergent ſeyn: dieſe beiden Elemente können doch
proportional mit der Zeit, d. h. ohne Ende wachſen, und die end-
liche Zerſtörung des Syſtems würde darum nicht weniger gewiß
heraufgeführt werden.
Nun hat aber ſchon früher Laplace gezeigt, daß die Wurzeln
dieſer beiden Gleichungen in einem beſtimmten Falle immer reell
und unter ſich ungleich ſeyn werden, und dieſer Fall tritt dann
ein, wenn die Planeten alle ſich nach derſelben Richtung um die
Sonne bewegen. Dieß hat aber glücklicher Weiſe in unſerem
Syſteme ſtatt, wo ſich alle Planeten ohne Ausnahme von Weſt
nach Oſt bewegen, und die unmittelbare Folge davon iſt, daß
die Excentricitäten ſowohl, als auch die Neigungen der Bahnen
dieſer Planeten nicht mehr ohne Ende wachſen, ſondern daß ſie
immer nur zwiſchen zwei Gränzen, und zwar zwiſchen zwei ſehr
engen Gränzen auf und nieder gehen können, und dadurch ge-
ſchieht es endlich, daß die Stabilität unſeres Syſtems geſichert,
und die Fortdauer deſſelben gleichſam für immerwährende Zeiten
bedingt wird.
§. 156. (Merkwürdige, hieher gehörende Gleichungen.) Der-
ſelbe Laplace nämlich, dem wir ſo viele ſchöne Entdeckungen in
dieſen höheren Gefilden der Sternkunde verdanken, hat gefunden,
daß zwiſchen den drei Elementen, von welchen hier vorzüglich die
Rede iſt, und zwiſchen den Maſſen der Planeten mehrere Glei-
chungen exiſtiren, deren Grund wir zwar hier nicht näher angeben
können, die aber zu wichtig und zu intereſſant ſind, um ganz über-
gangen zu werden.
Man denke ſich von irgend einem Planeten, z. B. von Merkur
das dreifache Produkt, deſſen Faktoren die Maſſe dieſer Planeten,
das Quadrat ſeiner Excentricität, und die Quadratwurzel ſeiner
großen Axe ſind. Nennt man dieſes Produkt für Merkur a, für
Venus a', für die Erde a'' u. ſ. w., ſo zeigen jene höheren Rech-
14 *
[212]Dauer des Weltſyſtems.
nungen, daß die Summe aller dieſer Größen a, a', a'' .. für
alle Zeiten eine conſtante oder unveränderliche Größe ſeyn müſſe.
Nun iſt die Maſſe eines jeden Planeten, wenn man die Sonnen-
maſſe als Einheit annimmt, ſo wie auch das Quadrat der Excen-
tricität, wenn man die halbe große Axe der Bahn als Einheit
vorausſetzt, den Beobachtungen gemäß, bei allen Planeten eine
ſehr kleine Größe, alſo muß auch die Größe a, a', a'' .. und
daher auch jene Conſtante, wenigſtens bei dem gegenwärtigen Zu-
ſtande unſers Planetenſyſtems, eine ſehr kleine Größe ſeyn. Allein
da dieſe Conſtante, wie geſagt, eine für alle Zeiten unveränderliche,
alſo auch immer nur eine ſehr geringe Größe iſt, ſo müſſen auch
die einzelnen Glieder a, a', a'' .. jener Summe immer nur ſehr
klein ſeyn. Dieſe Glieder beſtehen aber aus den Maſſen und den
halben Axen der Bahnen, die, wie bereits bekannt, immer dieſel-
ben bleiben, und endlich aus den Excentricitäten dieſer Bahnen,
welche letztere daher ebenfalls immer ſehr klein bleiben müſſen,
weil die Glieder a, a', a'' .. wie wir geſehen haben, nur ſehr
kleine Werthe haben können.
In der That, wenn auch nur ein einziges dieſer Glieder
a, a', a'' .. mit der Zeit ſehr groß werden könnte, d. h. alſo,
wenn nur eine einzige Excentricität unſeres Sonnenſyſtems ohne
Ende wachſen könnte, ſo würde dadurch jene Summe, oder, was
daſſelbe iſt, jene Conſtante ſelbſt unendlich groß werden. Allein
ſie iſt jetzt, wie die Beobachtungen zeigen, ſehr klein, und muß
daher, da ſie eine Conſtante iſt, immer ſehr klein bleiben, alſo
kann auch nicht eine einzige jener Excentricitäten über alle Gränzen
hinaus wachſen, und alle müſſen vielmehr immer zwiſchen zwei
engen Werthen, über welche ſie ſich nie entfernen können, einge-
ſchloſſen bleiben, — vorausgeſetzt nämlich, daß alle jene Glieder
a, a', a'' … poſitive Größen ſind. Wenn auch nur eines
derſelben einen negativen Werth erhielte, ſo würden die obigen
Schlüſſe offenbar nicht mehr angewendet werden können; denn
dann könnten zwei dieſer Glieder ohne Anſtand in’s Unendliche
zunehmen, und ihre Summe doch noch eine ſehr kleine Größe
bleiben, wenn nämlich das eine dieſer Glieder poſitiv, und das
andere negativ wäre. Allein dieſer Fall kann in unſerem Plane-
tenſyſtem nie eintreten. Und warum nicht? — Aus dem bereits
[213]Dauer des Weltſyſtems.
oben angegebenen Grunde, weil nämlich die Bewegungen aller
Planeten durchaus nach derſelben Richtung vor ſich geben. In
dieſem Falle muß man nämlich von den beiden Zeichen, die jeder
Quadratwurzel, alſo auch der oben erwähnten Wurzel der großen
Axe eigen ſind, in allen Gliedern a, a', a'' .. immer daſſelbe
Zeichen nehmen, ſo daß die poſitiven Werthe dieſer Größen ge-
nommen werden müſſen, wenn die Planeten von Weſt nach Oſt,
und die negativen, wenn ſie von Oſt nach Weſt gehen. Da nun
in unſerem Sonnenſyſteme alle Planeten von Weſt nach Oſt ſich
um die Sonne bewegen, und da überdieß die Maſſen derſelben,
ſo wie die Quadrate der Excentricitäten ihrer Bahnen, ſchon an
ſich poſitive Größen ſind, ſo ſind auch alle jene Glieder a, a', a'' ..
ſelbſt poſitiv, und der angeführte Schluß, daß dieſe Excentricitäten
für immerwährende Zeiten nur kleine Größen bleiben müſſen oder
nie über beſtimmte Gränzen hinauswachſen können, iſt daher hier
in ſeiner ganzen Stärke anwendbar.
Einen ganz ähnlichen Ausdruck erhält man auch für die Nei-
gungen der Bahnen gegen die Ecliptik. Nennt man nämlich
wieder b das dreifache Produkt der Maſſe eines Planeten in das
Quadrat der Tangente der Neigung, und in die Quadratwurzel der
großen Axe der Bahn, und bezeichnet man für einen zweiten Plane-
ten daſſelbe Produkt durch b', für einen dritten durch b'' u. ſ. w.,
ſo zeigt die Analyſe, daß die Summe der Größen b, b', b'' .. in
unſerm Syſteme eine für alle Zeiten unveränderliche Größe iſt.
Dieſe Größe iſt aber jetzt, den Beobachtungen gemäß, ſehr klein,
alſo muß ſie auch immerfort ſehr klein bleiben, und zwar aus
derſelben Urſache, weil die Größen b, b', b'' .. alle poſitiv, oder,
mit andern Worten, weil die Bewegungen der Planeten alle nach
derſelben Seite gerichtet ſind.
§. 157. (Folgerungen aus dem Vorhergehenden.) Wir ſehen
daher, daß vermöge einer ſehr einfachen Einrichtung unſeres
Sonnenſyſtems die großen Axen der Bahnen ganz unveränderlich
ſind, und daß die Excentricitäten und die Neigungen derſelben
ſich zwar ändern, aber daß auch dieſe Aenderungen in beſtimmte,
meiſtens ſehr enge Gränzen eingeſchloſſen ſind, welche dieſe beiden
Größen nie überſchreiten können. Da aber die Beſtändigkeit dieſer
drei Elemente es vorzüglich iſt, von welcher die Erhaltung unſers
[214]Dauer des Weltſyſtems.
Syſtems und die ungeſtörte Ordnung deſſelben für die Folgezeit
abhängt, ſo dürfen wir daraus den Schluß ziehen, daß es bei
der Entſtehung dieſes Syſtems in der Abſicht der Natur lag, ihm
dieſe Erhaltung zu ſichern, und demſelben das Siegel einer immer-
währenden Dauer aufzudrücken. Dieſen Zweck hat ſie vorzüglich
durch zwei, auf den erſten Blick nur geringfügig ſcheinende Mittel
erreicht, indem ſie nämlich für die großen Axen, oder was daſſelbe
iſt, für die Umlaufszeiten dieſer Planeten keine andere, als irra-
tionale Zahlen (§. 134) gewählt hat, wodurch ſie die Unverän-
derlichkeit der großen Axe, dieſes für die Stabilität des Ganzen
wichtigſten Elementes (§. 132) ſicherte, und indem ſie die Bewe-
gungen der Planeten ſo eingerichtet hat, daß ſie ſich alle nach
derſelben Seite um die Sonne bewegen.
§. 158. (Andere Gründe für die Stabilität des Sonnenſyſtems.)
Eine andere ſchon der geringſten Aufmerkſamkeit auffallende Ein-
richtung des Planetenſyſtems ſcheint denſelben Zweck zu haben.
Der ganze Sonnenſtaat iſt, wie ſchon früher bemerkt wurde, nicht
nur in ſeinem Ganzen, ſondern ſelbſt in den einzelnen Theilen
deſſelben weſentlich monarchiſch geordnet. Die Sonne, der Mit-
telpunkt der Bewegungen der Planeten, überwiegt alle dieſe Pla-
neten zuſammen genommen an Maſſe, d. h. an eigener intenſiver
Stärke mehr als ſiebenhundertmal, und eine ähnliche Präponde-
ranz bemerken wir auch bei allen Hauptplaneten in Beziehung
auf ihre Satelliten. Die Maſſe der Erde iſt 70mal größer als
die des Mondes, und die Maſſe Jupiters übertrifft die aller ſeiner
vier Monde ſogar gegen 6000mal. Die daraus folgenden mäch-
tigen Anziehungen der Sonne auf die Planeten, und der Haupt-
planeten auf ihre Satelliten laſſen keine ſo beträchtliche Stö-
rungen in dieſem Staate aufkommen, von denen man eine Zer-
rüttung oder auch nur eine größere Unordnung des Ganzen beſorgen
könnte. Wenn z. B. Jupiter plötzlich aus dieſem Syſteme aus-
geſchieden würde, ſo würden wir ſeine Monde, die wir jetzt in ſo
ſchöner Ordnung um ihn gehen ſehen, ſich ſofort in dem Raume
zerſtreuen, und den einen in Ellipſen um die Sonne gehen, den
andern aber in hyperboliſchen Bahnen ſich von derſelben entfernen
ſehen. Aber das Daſeyn mächtiger, alle andern ſo weit über-
wiegender Kräfte iſt ein weſentlicher Schutz für ein Syſtem, das
[215]Dauer des Weltſyſtems.
in allen ſeinen Theilen beiſammen bleiben, und in der Regel-
mäßigkeit ſeiner Bewegungen nicht weſentlich geſtört werden ſoll.
§. 159. (Gründe für die Erhaltung der Erde.) Selbſt auf
unſerer Erde bemerken wir ähnliche Spuren dieſer Abſicht der
Natur, ihren Werken Beſtand und Dauer zu geben. Dahin ge-
hört vorzüglich die bereits oben (§. 123) betrachtete Stabilität
der Pole auf der Oberfläche der Erde, und das durch die Beobach-
tungen ſo vieler Jahrtauſende beſtätigte Gleichgewicht der Meere,
die einen ſo großen Theil dieſer Erde bedecken. Dieſe beiden
Erſcheinungen, die zur Erhaltung organiſcher Weſen unumgänglich
nothwendig ſind, können als ein einfaches Reſultat der Rotation
der Erde verbunden mit der allgemeinen Schwere aller Körper
betrachtet werden. Denn durch jene Rotation wurde die Erde
an ihren Polen abgeplattet, und durch dieſe Abplattung iſt die
Rotationsaxe der Erde eine freie (§. 126) und invariable Axe
derſelben geworden. Durch die Wirkung der allgemeinen Schwere
aber mußte die Erdmaſſe gegen ihren Mittelpunkt viel dichter
werden, als in der Nähe ihrer Oberfläche, ſo daß jetzt die mitt-
lere Dichte der ganzen Erde die des Meerwaſſers weit übertrifft,
was allein ſchon hinreicht, dieſe Meere ſelbſt in ſtetem Gleichge-
wichte zu erhalten, und der Wuth ihrer Fluthen einen Zügel an-
zulegen.
Nach allen dieſen Beobachtungen ſcheint es daher, daß der
Urheber der Natur es abſichtlich ſo eingerichtet habe, daß die
Dauer ſeines ſchönen und großen Werkes geſichert bleibe, und
daß er in ſeiner Anlage zu dem Sonnenſyſtem von denſelben An-
ſichten ausgegangen iſt, die er auf der Erde, zur Erhaltung ihrer
ſelbſt ſowohl als der auf ihr lebenden Geſchöpfe beobachtet hat.
§. 160. (Nothwendige Beſchränkung der durch die vorherge-
henden Betrachtungen erhaltenen Reſultate.) Wenn aber dieſe be-
wunderungswürdigen Einrichtungen der Natur uns über die
weitere Dauer ihres Werkes vollkommen beruhigen können, und
wenn, wie wir geſehen haben, wenigſtens das Innere dieſes Sy-
ſtems keine Spur von einer künftigen Zerſtörung an ſich trägt,
ſo iſt doch eine auch noch ſo lange — keine ewige Dauer. Wir
können uns nicht vermeſſen, die innere Einrichtung des Weltalls,
und noch weniger die Abſicht ihres erhabenen Gründers, auch nur
[216]Dauer des Weltſyſtems.
mit einiger Vollſtändigkeit zu erforſchen. Auch kann, was innere
Kräfte nicht vermögen, dereinſt von äußern herbeigeführt werden.
Endlich, wenn die vorhergehenden Betrachtungen auf eine Abſicht
der Natur, ihr Werk zu erhalten, deuten, wie viele andere Er-
ſcheinungen ließen ſich dagegen aufführen, die dieſen unſeren Wün-
ſchen und Hoffnungen widerſprechen.
Wir ſehen, daß allen Dingen dieſer Erde nur eine, oft ſehr
kurze Periode ihres Daſeyns angewieſen iſt, nach welcher ſie alle
verſchwinden, und, wenigſtens in dieſer Geſtalt, nicht mehr wieder
kommen. Jeder kommende Winter zerſtört die ſchönen Gebilde
unſerer Fluren. Zahlreiche Familien und ganze Geſchlechter von
Thieren ſind bis auf die letzten Reſte derſelben verſchwunden, und
ſelbſt ganze Völkerſchaften, weltbeherrſchende Nationen ziehen
vor uns vorüber wie die Bilder eines Schattenſpieles an der
Wand, und Alles, Alles was uns hier unten umgibt, wird von
dem Strome der Zeit fortgeriſſen, und eilt unaufhaltſam ſeinem
Endzuſtande der Auflöſung und Zerſtörung entgegen. Die Erde, die
wir betreten, iſt mit den Ruinen der Vorzeit und mit dem Staube
von Pflanzen und Thieren bedeckt, und es wird eine Zeit kom-
men, wo man über die Pyramiden, wie jetzt über Karthago, hin-
gehen wird, ohne eine Spur derſelben zu erblicken.
Von dieſem, wie es ſcheint, nicht minder allgemeinen Geſetze
der Natur, deren zerſtörende Wirkungen uns von allen Seiten
in der Nähe umgeben — ſoll davon dieſe Erde ſelbſt und der
über ſie ausgeſpannte Himmel eine Ausnahme machen? Welches
Recht hätten ſie zu ſolchen Anſprüchen? Oder welches Recht
haben wir, ſelbſt nur von geſtern her, und morgen ſchon nicht
mehr, die ewige Exiſtenz dieſes unſeres Wohnortes zu fordern?
Haben wir nicht Sterne am Himmel verſchwinden, und ganze
Sonnenſyſteme daſelbſt auflodern ſehen? — Welche ſchreckliche Schau-
ſpiele, gegen die unſere Waſſerfluthen und Erdbeben, gegen die
der Tod von Tauſenden in einer wüthenden Schlacht nur als
Poſſenſpiele erſcheinen. Der Untergang einer Sonne mit allen ihren
Planeten und Kometen! Dieß erregt unſer Entſetzen. — Aber der
bloß uns ſo groß erſcheinende Unfall kann keine Ausnahme von
einem allgemeinen Naturgeſetze begründen. Er ſcheint uns nur
groß, weil wir ſelbſt ſo klein ſind. Dort oben wird mit einem
[217]Dauer des Weltſyſtems.
Maaße gemeſſen, gegen welches unſere größten noch viel zu klein
ſind, und unſer ganzes Planetenſyſtem, ſo ungeheuer es uns er-
ſcheint, iſt doch nur ein unmerklicher Punkt des Ganzen.
Wenn daher dieſe, gegen das ganze Sonnenſyſtem ſo viel
kleinere Erde, gleich den Früchten ihrer Fluren, auch allmählig
ihrer Beſtimmung entgegen reift und altert, wenn ſie vielleicht von
denſelben Kräften, die ſie erzeugt, und ſo lange erhalten haben,
auch einmal wieder zerſtört werden ſollte — wollen wir uns
auflehnen gegen das ewige Geſetz der Natur? Sind wir denn
nicht uns ſelbſt und alles das Unſrige, dieſe Erde ſelbſt nicht
ausgenommen, den Elementen ſchuldig? — Wenn dieſe nun
wieder aufwachen und das ihrige zurückfordern; wenn Feuer und
Waſſer und Winde, die unſere Erde bewohnbar und fruchtbar ge-
macht haben, in ihrem Laufe fortſchreiten, und ſie auch wieder
zu zerſtören beginnen; wenn dieſe Sonne, die uns ſo lange er-
leuchtete und erwärmte, die alles Lebende ſo viele Jahrtauſende
auferzog und an goldenen Seilen um ihr erfreuendes Antlitz lenkte,
wenn ſie die alternde Kraft der Erde, die ſich nicht mehr zu er-
halten vermag, nun endlich wieder herab zieht in ihren brennenden
Schooß — ja wenn ſie ſelbſt, die Königin unſerer Tage, wenn ſie
ihre Zeit gelebt und ihre Beſtimmung erfüllt hat, wenn endlich
ſie ſelbſt erliſcht und verſchwindet aus der Reihe der erſchaffenen
Weſen — ſo entſetzlich dieß auch uns ſcheinen mag — was ge-
ſchähe dann anders, als was nach dem ewigen Geſetze der Natur
geſchehen muß?
Denn überall, wo wir in dem Weltraume Entſtehen, Wachs-
thum und Zunahme bemerken, da muß auch Abnahme und Tod
ſeyn, und wo immer im Wechſel der Dinge Fortgang iſt, da
iſt auch Untergang, ſcheinbarer Untergang wenigſtens, Ab-
wechslung von Geſtalten und Formen. Alles, was Körper, das
heißt, was ſterblich iſt, eilt ſeiner Auflöſung entgegen, und kann
von keiner Kraft davon zurück gehalten werden. Und wie auf
den Gipfeln unſerer Berge, und in den Abgründen der Erde die
Verſteinerungen und Ueberreſte der Pflanzen und Thiere einer
längſt verſchwundenen Vorwelt zerſtreut liegen, ſo werden auch einſt
die morſchen Trümmer des großen, himmliſchen Baues über uns,
in dem Weltenraume zerſtreut werden. Dieſe Sonne, dieſe Sterne
[218]Dauer des Weltſyſtems.
werden erlöſchen, und von ihnen wird dort oben, wie von den Denk-
mälern der Vorzeit hier unten auf unſerer Erde keine Spur mehr ſeyn.
Auch dieſe Blumen des Himmels werden verblühen und abfallen,
wie welke Blätter, mit denen die Winde ſpielen, und dieſelbe
Welle, die ſie ſo lange getragen hat, wird ſie dereinſt auch her-
abziehen in die Tiefe des Weltmeers, in den Abgrund der ewigen
Nacht. Nur Einer, den kein Name nennt, Einer nur wird
bleiben hoch über dem Ocean der Welten, der zu den Füßen ſeines
Thrones rauſcht, und deſſen Wogen immer wechſelnd vor ihm auf
und nieder ziehen, während E r allein unwandelbar und ewig
bleibt.
[[219]]
Zweiter Abſchnitt.
Beobachtende Aſtronomie
oder
Beſchreibung und Gebrauch
der
aſtronomiſchen Inſtrumente.
[[220]][[221]]
§. 1. (Ueber die Mittel und die unvermeidlichen Fehler der
Beobachtungen.) Wir haben bisher das Vorzüglichſte von Dem-
jenigen angezeigt, was uns die Aſtronomen von den Körpern des
Himmels und von den Bewegungen derſelben kennen gelehrt
haben, und unſere Leſer werden, wie wir glauben, oft genug Ge-
legenheit gehabt haben, ſich über die Genauigkeit jener Angaben
von Gegenſtänden zu verwundern, die ſo ungemein weit von uns
entfernt ſind, daß ſie ſich unſeren Unterſuchungen beinahe ganz zu
entziehen ſcheinen. In der That kennen wir von den meiſten
Dingen, die uns in unſerer nächſten Nähe umgeben, ihren gegen-
wärtigen Standpunkt und die Veränderungen, welche mit ihnen
vorgegangen ſind und in der Folge noch vorgehen werden, viel
weniger, als uns die Orte der himmliſchen Körper, und ihre Be-
wegungen in der Vor- und Folgezeit bekannt geworden ſind. Die
Aſtronomen pflegen die Orte der Geſtirne am Himmel mit der
Genauigkeit von einer Sekunde anzugeben. Allein ein gewöhn-
liches Menſchenhaar bedeckt mit ſeiner Dicke, wenn es in der
Entfernung von dem Auge gehalten wird, wo es am reinſten und
dunkelſten erſcheint, ſchon 15 bis 20 Sekunden am Himmel, ſo
daß man alſo jene Orte der Geſtirne an der Sphäre des Himmels
mit einer Schärfe angeben kann, welche die Dicke eines ſolchen
Haares weit übertrifft. Eben ſo haben wir geſehen, daß man die
Entfernung des Mondes und mehrerer Planeten von der Erde,
ſo ſchwierig dieſelbe auch anfangs zu beſtimmen ſchien, im Ver-
hältniſſe zu der Größe dieſer Entfernungen, genauer angeben
kann, als man dieß bei den meiſten größeren Städten der Erde,
ſelbſt unſeres Welttheiles, zu thun im Stande iſt (I. S. 154). Die
Finſterniſſe der Sonne und des Mondes, die man mit derſelben
[222]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Leichtigkeit und Sicherheit für das nächſte Jahr, als für irgend
ein anderes der nächſt vorhergegangenen oder der nächſtfolgenden
Jahrhunderte berechnen kann, und die, wie jeder Kalender be-
zeugt, auf das genaueſte zutreffen — ſind nicht ſie allein ſchon
ein hinreichender Beweis von der in der That bewunderungs-
würdigen Schärfe, mit welcher die Aſtronomen die Bewegungen
und alle die mannigfaltigen Veränderungen kennen müſſen, welche
mit dieſen beiden Geſtirnen in der Folge der Zeiten vorgehen?
Gränzt es nicht an das Unglaubliche, wenn uns die ferne Wie-
derkunft von Kometen vorausgeſagt wird, die nur wenige Wochen
in unſerer Nähe ſichtbar waren, und die dann, in ihren wei-
ten Bahnen jenſeits unſeres Planetenſyſtems volle ſiebenzig und
mehr Jahre unſeren Blicken unſichtbar, die fernſten Räume
des Himmels durchwandern, bis ſie endlich wieder, nach ihren
langen Reiſen, zu uns hernieder ſteigen, um ſich zum zweitenmale
unſeren erſtaunten Augen zu zeigen? — Und doch haben die Aſtro-
nomen dieſe Wiederkehr der Kometen vorher zu ſagen gewagt, und
mit Glück gewagt. Sie ſind, folgſam dem Rufe, an dem be-
ſtimmten Tage zu uns herab gekommen, und ſie werden, ſo lange
ſie denſelben Geſetzen gehorchen, auch in der Folge der Zeiten
wieder kommen, und zwar auf derſelben Straße wieder kommen,
welche ihnen die Aſtronomen durch ihre Berechnungen vorzeich-
nen. — Und was ſoll man endlich von denjenigen nicht minder
gewiſſen Vorherbeſtimmungen ſagen, mit welchen uns die Geſtalt
und die gegenſeitige Lage der Planetenbahnen, eine Folge ihrer
Störungen unter einander, verkündet wird, Veränderungen, die
zu einer Zeit ſtatt gehabt haben, die dem Anfange unſerer Men-
ſchengeſchichte weit vorhergeht, oder die, erſt nach neuen Jahr-
tauſenden, unſere ſpäten Enkel ſehen, und durch eigene Anſchauung
beſtätiget finden werden?
Aber wie iſt man zu allen dieſen Kenntniſſen gekommen?
Wie iſt es dem menſchlichen Geiſte möglich geworden, ſich bis
zu dieſer Höhe zu erheben, und in dieſer Wiſſenſchaft, der ſchwer-
ſten unter allen, eine Genauigkeit zu erreichen, die ihm, in
beinahe allen andern, für immer verſagt zu ſeyn ſcheint? Welches
ſind die Mittel, deren er ſich bediente? Welches ſind die In-
ſtrumente, und welcher Art iſt ihr Gebrauch, um damit
[223]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dieſen Zweck, dieſe in allen andern Wiſſenſchaften unübertroffene
Schärfe in ihren Beobachtungen zu erreichen? Denn auf Beob-
achtungen muß am Ende alles beruhen, und von ihnen alles
ausgehen, was uns zur Kenntniß der Dinge außer uns, was uns
zur Kenntniß der Natur führen ſoll.
Es wird nicht unintereſſant, ja es wird nothwendig ſeyn,
dieſe Inſtrumente und die Art ihres Gebrauches kennen zu lernen,
weil es nur dadurch möglich wird, die Wahrheit der Theorien,
welche auf den mit dieſen Inſtrumenten gemachten Beobachtungen
erbaut wurden, zu erkennen, und den Grad der Verläßlich-
keit zu beurtheilen, der ihnen zukömmt. In der That iſt wohl
jede unſerer Beobachtungen, welcher Art ſie auch ſeyn mag, wie
überhaupt jedes Menſchenwerk, Fehlern unterworfen; dieſe Fehler
mögen ihre Quelle in der Beſchränktheit unſeres Geiſtes oder
unſerer Aufmerkſamkeit, in der Unvollkommenheit unſerer eigenen
Sinne oder auch derjenigen Werkzeuge haben, deren wir uns bei
dieſen Beobachtungen bedienen. Was uns, bei dieſer Lage der
Dinge, übrig bleibt, iſt nur, zuzuſehen, daß dieſe, an ſich unver-
meidlichen Fehler ſo klein werden, als es unter dieſen Umſtänden
eben ſeyn kann, und daß wir uns von dem größtmöglichen Fehler,
den wir bei jeder beſtimmten Beobachtung und unter jeden gege-
benen Verhältniſſen noch begehen können, eine deutliche Rechen-
ſchaft zu geben wiſſen. Denn nur dann ſind wir mit Beſtimmt-
heit anzugeben im Stande, ob eine aus unſeren Beobachtungen
abgeleitete Hypotheſe oder eine darauf erbaute Theorie mit den
Erſcheinungen der Natur, welche wir dadurch darſtellen oder er-
klären wollen, ſo weit übereinſtimmt, daß wir ſie als ein wahres
Geſetz der Natur betrachten dürfen.
Wir werden uns daher in dem Folgenden mit der Beſchrei-
bung der vorzüglichſten aſtronomiſchen Inſtrumente, und mit der
Art, ſie zu gebrauchen, beſchäftigen, um dadurch die Leſer in den
Stand zu ſetzen, die Mittel, welche man bei jenen Beobachtungen
anwendet, näher kennen zu lernen, und ſich von der hohen Ge-
nauigkeit, welche man dabei erreichen kann, gleichſam durch eigene
Anſicht zu überzeugen.
§. 2. (Schwierigkeit der Verfertigung genauer Inſtrumente.)
Unter allen unſern mechaniſchen Künſtlern haben es die Verfertiger
[224]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
der aſtronomiſchen Inſtrumente wohl am weiteſten gebracht, und
die Genauigkeit, mit welcher in unſeren Tagen dieſe Inſtrumente
gearbeitet werden, kömmt der zum Sprüchworte gewordenen geo-
metriſchen Schärfe am nächſten. Wer mit dem Zwecke, um den
es ſich hier handelt, nicht näher bekannt iſt, mag es wohl für
etwas ſehr Leichtes halten, auf der Drehbank ein Stück Metall
kreisförmig abzudrehen, und die Peripherie deſſelben in 360 gleiche
und jeden dieſer Intervalle wieder in eine Anzahl kleinerer, unter
ſich ebenfalls gleicher Intervalle einzutheilen, dann das Ganze in
ſeinem Mittelpunkte aufzuſtellen, und in irgend einer geforderten
Lage zu befeſtigen. Allein die praktiſche Ausführung dieſer Auf-
gaben gehört zu den ſchwierigſten der geſammten Mechanik, wie
ſich ſchon daraus ſchließen läßt, daß man, aller Bemühungen und
ſelbſt aller von Monarchen darauf verwendeten Koſten ungeachtet,
doch erſt in der zweiten Hälfte des vergangenen achtzehnten Jahr-
hunderts dahin gekommen iſt, ſich dieſer Auflöſung ſo weit zu
nähern, als es das Bedürfniß der Wiſſenſchaft in dieſer Zeit er-
forderte. Die Alten, ſowohl die Griechen in der alexandriniſchen
Schule, als auch die Araber, ſo viel Fleiß und Mühe ſie auch
auf ihre oft ſehr großen und koſtbaren Inſtrumente verwendet
hatten, konnten doch Fehler von fünf und oft ſelbſt von zehn
Minuten in ihren Beobachtungen nicht vermeiden, und ſie mußten
mit dieſen Fehlern zufrieden ſeyn, da ſie, mit unbewaffneten
Augen, am Himmel eben nicht mehr oder nicht genauer ſehen
konnten, als an ihren Inſtrumenten. Was würde es ihnen ge-
nützt haben, an den letzten ſelbſt die einzelnen Sekunden noch
mit Genauigkeit zu leſen, während ſie am Himmel Winkel von
mehreren Minuten nicht mehr unterſcheiden konnten.
Allein dieß änderte ſich, ſobald das Fernrohr und das mit
ihm ſo nahe verwandte Mikroſcop erfunden war, und ſobald
man auf die glückliche Idee gerieth, dieſe beiden wunderbaren
optiſchen Werkzeuge mit den aſtronomiſchen Inſtrumenten in eine
unmittelbare Verbindung zu bringen. Dieſe Erfindung, vielleicht
die ſchönſte und nützlichſte, deren der menſchliche Geiſt ſich rühmen
kann, erweiterte unſere Kenntniß der ſichtbaren Welt, zu beiden
Gränzen derſelben, beinahe in’s Unendliche, und brachte Gegen-
ſtände, die uns zuvor durch ihre zu große Entfernung, oder durch
[225]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ihre Kleinheit für immer unſichtbar geblieben wären, in den Be-
reich unſerer Sinne, und dadurch in den Kreis unſerer Beobach-
tungen. Beſonders aber war es in der Aſtronomie, daß dieſe
Erfindung eine für alle Zeiten merkwürdige Epoche conſtituirte.
Fortan konnte man an dem geſtirnten Himmel, durch Hülfe des
Fernrohrs, die den Alten ganz unmerkbaren Winkel von einer,
oder doch von einigen wenigen Sekunden deutlich unterſcheiden,
während man zugleich, durch das Mikroſcop, auf der Oberfläche
der aſtronomiſchen Inſtrumente dieſelben kleinen Winkel klar zu
erkennen vermochte. Jetzt drängte ſich daher auch das Bedürfniß
auf, dieſe Inſtrumente ſo einzurichten, ſie ſo genau einzutheilen,
daß man auf ihnen dieſe kleinen, früher ganz unkennbaren Winkel
auch mit Sicherheit zu meſſen im Stande ſeyn könnte. Jeder
Fehler in dieſer Eintheilung, jede Unvollkommenheit in der Aus-
arbeitung dieſer Inſtrumente, auch jene kleinen, welche unſere
Vorgänger mit Recht übergehen konnten, und ſogar, da ſie die-
ſelben nicht weiter bemerken konnten, übergehen mußten, wurden
jetzt fühlbar und wirkten ſtörend auf die Beobachtungen ein. Die
geringſte Unſicherheit der Hand des Künſtlers, der dieſe Inſtru-
mente verfertigen ſollte, jede noch ſo kleine Unvollkommenheit
ſeiner Werkzeuge, deren er ſich zur Verfertigung jener Inſtrumente
bediente, konnte die letzten ſchon unbrauchbar machen, da ſie mit
jener Genauigkeit, welche uns, bei dem vorgerückten Zuſtande
der Wiſſenſchaft, das Fernrohr an dem geſtirnten Himmel ge-
währte, nicht mehr gleichen Schritt halten konnte. Dazu kamen
noch die ungleiche Ausdehnung jener metalliſchen Maſſen durch
Veränderungen der Temperatur, die unvermeidliche Biegung der
einzelnen Theile dieſer Inſtrumente durch ihr eigenes Gewicht und
mehrere andere Rückſichten und Fehlerquellen, die jetzt den prak-
tiſchen Aſtronomen plagen, und von denen ihre Vorgänger nicht
einmal eine Ahnung hatten.
Es wird der Mühe werth ſeyn, die erſte dieſer Fehlerquel-
len, die Eintheilung der aſtronomiſchen Kreiſe etwas näher
zu betrachten. Wenn die Peripherie eines Kreiſes in einzelne
Sekunden getheilt werden ſollte, ſo müßte ſie 1296000 feine
Striche oder Punkte erhalten, deren Abſtände unter einander alle
gleich groß ſind. In jedem Kreiſe beträgt aber eine Sekunde der
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 15
[226]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Peripherie deſſelben nur 0,000004848 ſeines Halbmeſſers, oder jeder
Abſtand zwiſchen zwei nächſten jener Punkte iſt nur der 206200ſte
Theil ſeines Halbmeſſers. Bei einem Kreiſe von drei Fuß (432
Linien) im Durchmeſſer, — und größere hat Reichenbach, der größte
deutſche Mechaniker, aus guten Gründen nie verfertiget, nimmt
eine Minute der Peripherie nur mehr in ihre Länge 0,063 oder
nahe 1/16 einer Linie ein, alſo eine Größe, die man mit freien Augen
nicht mehr gut unterſcheiden, und die man ohne Mikroſcop nicht
mehr mit Sicherheit auftragen kann. Aber ein Fehler von
einer ganzen Minute iſt ſchon ſo groß, daß er, bei dem
gegenwärtigen Zuſtande der praktiſchen Aſtronomie durchaus
nicht mehr zugelaſſen werden darf. Mit den beſſeren, jetzt ge-
bräuchlichen Inſtrumenten pflegt man die einzelne Sekunde noch
anzugeben. Bei einem Kreiſe von drei Fuß im Durchmeſſer be-
trägt aber eine Sekunde nur 0,00105 Linie, alſo nahe nur den
tauſendſten Theil einer Linie. Eine ſo geringe Größe kann man
aber nur mit ſehr ſtarken Mikroſcopen unſern Augen ſichtbar
machen. Welche Aufgabe iſt es daher, auf der Peripherie eines
ſolchen Kreiſes dreihundert und ſechszig feine Striche oder Punkte
ſo anzubringen, daß keiner von ihnen um den tauſendſten Theil
einer Linie verſetzt, oder außer dem genau für ihn beſtimmten
Orte ſteht, nichts zu ſagen von den 3600 anderen Strichen, die
zwiſchen je zweien der erſten in den Diſtanzen von dem tauſendſten
Theile einer Linie eingeſchaltet werden ſollen, um dadurch die
einzelnen Sekunden des Kreiſes anzuzeigen. Ein ſolches Kunſt-
werk, das den hier aufgeſtellten Forderungen genau entſpricht, iſt
wohl noch nie aus der Hand eines Menſchen hervorgegangen,
und wird auch in aller Folgezeit für ſo gut, als ganz unmöglich
gehalten werden können. Auch würde ein ſolches Inſtrument,
wenn es durch irgend einen glücklichen Zufall einmal entſtünde,
ſeiner Natur nach auf keine Dauer Anſpruch machen, und ſchon
in den nächſten Augenblicken nicht mehr ſeyn, was es, im Zu-
ſtande ſeiner größten Vollkommenheit, geweſen iſt. Die immer
wechſelnden Aenderungen der Temperatur der Luft, welche dieſe
Inſtrumente umgeben, werden in der Lage und Geſtalt ſeiner
Theile nicht bloß vorübergehende, und ſich wieder herſtellende,
ſondern ſelbſt conſtante und bleibende Verziehungen derjenigen
[227]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Metalle hervorbringen, aus welchen allein dieſe Inſtrumente ver-
fertiget werden können. Auch wird, wie bereits erwähnt, das
eigene Gewicht dieſer Theile Biegungen und Krümmungen erzeu-
gen, die weder durch den ſymmetriſchen Bau des Inſtruments,
noch durch Gegengewichte vermieden werden können, ſo ſorgfältig
auch jener ausgeführt, ſo ſinnreich auch dieſe angebracht ſeyn
mögen. Ja ſelbſt wenn es möglich wäre, auch dieſe Uebel zu
vermeiden oder durch Vorſicht zu umgehen und unſchädlich zu
machen, welche Mittel haben wir, dieſe Kreiſe an ihrer Säule zu
befeſtigen, oder um ihre Axe zu bewegen, ohne Anwendung einer
äußeren Kraft, d. h. ohne die einzelnen Theile des Inſtrumen-
tes, wenn auch noch ſo vorſichtig, doch immer mit einer gewiſſen
Kraft zu preſſen und zu ziehen, wodurch die Geſtalt und Lage
derſelben nicht anders, als verändert werden kann? *) Demun-
15 *
[228]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
geachtet haben unſere Künſtler, in Verbindung mit den Aſtrono-
men, für welche ſie arbeiten, Mittel gefunden, die einzelnen Se-
*)
[229]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
kunden auf ihren Inſtrumenten mit Sicherheit anzugeben, und
erſt ſeit einigen Decennien hat unſere Inſtrumental-Aſtronomie,
vorzüglich durch engliſche und deutſche Künſtler, Fortſchritte ge-
macht, an deren Möglichkeit man vor Kurzem noch zweifeln
mußte. Nicht bloß die großen Inſtrumente dieſer Art, die ſoge-
nannten Meiſterſtücke, ſondern auch die kleineren, die ſich jeder
mit geringen Koſten anſchaffen kann, ſind mit einer Präciſion,
mit einer Vollendung gearbeitet, die wohl nur wenig mehr zu
wünſchen übrig laſſen kann. Nur wenig — aber nicht nichts!
Denn am Ende iſt doch alles, was Menſchenhände machen kön-
nen, nur Menſchenwerk, und ſo vortrefflich es uns auch erſcheinen
mag, noch immer unvollkommen. Auch werden wohl die Forde-
rungen des Aſtronomen an den Künſtler, die Leiſtungen des letz-
teren immer hinter ſich zurücklaſſen, und es wird daher auch
immer der erſte bemüht ſeyn müſſen, durch Geſchicklichkeit in der
Anwendung dieſer Inſtrumente, durch Umſicht und Scharfſinn in
dem Gebrauche derſelben, ſich von den noch übrig bleibenden Un-
vollkommenheiten der Werkzeuge, die ihm der Künſtler in die
Hände liefert, ſo viel als möglich unabhängig zu machen. Der
Aſtronom wird daher darauf bedacht ſeyn müſſen, die Umſtände
und Verhältniſſe ſeiner Beobachtungen ſo zu wählen, die Fehler
ſeines Inſtruments kennen zu lernen, um ſie entweder zu umgehen
oder durch Nachhülfe der Rechnung unſchädlich zu machen, ſeine
Operationen mit dieſen Inſtrumenten ſo zu combiniren, und die
damit erhaltenen Reſultate ſo zu behandeln, daß er daraus, ſo
ſehr es nur von ihm ſelbſt abhängen kann, alles Unvollkommene
entfernt, und ſich dadurch der geſuchten Wahrheit ſo weit nähert,
als es überhaupt den Menſchen erlaubt iſt, dieſes nur für höhere
Weſen, wie es ſcheint, beſtimmte Gut zu erreichen.
In dieſen wenigen Zügen iſt das eigentliche Geſchäft des
praktiſchen Aſtronomen gezeichnet, ein ſchwieriges, mühevolles,
*)
[230]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
aber auch durch den erhabenen Gegenſtand, auf den es gerichtet
iſt, und durch die Genüſſe, die ein glücklicher Erfolg deſſelben
gewährt, ein edles und in hohem Grade beglückendes Geſchäft,
um welches ihn der größte Theil der übrigen Menſchen beneiden
würde, wenn ſie die Annehmlichkeiten deſſelben näher kennen
möchten.
Wir wollen nun dieſe Inſtrumente und die Art, ſie anzuwen-
den, ſo weit dieſes mit dem Zwecke der gegenwärtigen Schrift
vereinbar iſt, näher betrachten.
§. 3. (Inſtrumente der Alten: Gnomon.) Das älteſte und
zugleich einfachſte Inſtrument, welches wir kennen, iſt der Gno-
mon, von dem wir bereits früher (I. S. 209) geſprochen haben.
Er beſteht in einer auf den Horizont vertical ſtehenden Säule,
und iſt vorzüglich zu Sonnenbeobachtungen beſtimmt. Indem
man nämlich die Länge des Schattens mißt, welche dieſe von
der Sonne beſchienene Säule auf den horizontalen Boden wirft,
auf welchem ſie ſteht, kann man daraus und aus der bekannten
Länge der Säule ſelbſt die Höhe der Sonne finden, wie an dem
erwähnten Orte gezeigt worden iſt. Wenn man nämlich die
Länge der Säule durch die des Schattens dividirt, ſo erhält man
die Tangente der Höhe der Sonne.
Die Alten beobachteten die Sonne am Gnomon vorzüglich zur
Zeit der beiden Solſtitien (I. S. 103) oder im Anfange des
Sommers und des Winters, wo die Sonne im Mittage am
höchſten oder am tiefſten ſteht, um daraus die wahre Größe der
Schiefe der Ecliptik (I. S. 107) abzuleiten. Wir haben bereits an
dem angeführten Orte die älteſte Beobachtung an den Gnomon, und
überhaupt die älteſte aller aſtronomiſchen Beobachtungen, die auf
uns gekommen iſt, angeführt, die in dem Jahre 1100 vor Chr. G.
in China gemacht, und uns von dem Jeſuiten Gaubil mitgetheilt
worden iſt. Verbinden wir damit noch eine andere, die ebenfalls
durch ihr hohes Alterthum ausgezeichnet iſt. Der Grieche Pytheas,
der durch ſeine aſtronomiſchen Kenntniſſe, und durch ſeine zur
Verbeſſerung der Geographie unternommenen großen Reiſen bei
den Alten in hohem Anſehen ſtand, beobachtete in Marſeille im
[231]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Jahre 320 vor Chr. G. (drei Jahre vor dem Tode Alexanders
des Großen) zur Zeit des Sommerſolſtitiums die Sonne an einem
Gnomon, deſſen Höhe 120 und deſſen mittägige Schattenlänge
41⅘ Fuß betrug. Daraus folgt die Höhe der Sonne gleich
70° 48′ oder genauer 70° 32′, da man den Schatten des Gno-
mons, wegen dem Halbmeſſer der Sonne, der 26′ beträgt, zu kurz
beobachtet hat. Nimmt man davon die ſchon aus anderen Beob-
achtungen (I. S. 105) bekannte Aequatorhöhe von Marſeille, die
gleich 46° 42′ iſt, weg, ſo erhält man für die geſuchte Schiefe
der Ecliptik zur Zeit des Pytheas 23° 50′, während ſie in unſern
Tagen 23° 28′ beträgt, ſo daß ſie alſo ſeit 2150 Jahren um
22 Minuten abgenommen hat, übereinſtimmend mit dem was
früher (I. S. 112) von dieſer Abnahme geſagt worden iſt.
Statt bloß das Ende des Schattens zu beobachten, der wegen
der ihn umgebenden Halbſchatten immer ſchlecht begränzt iſt,
wird man beſſer an der höchſten Spitze des Gnomons eine auf
die Mittagslinie (I. S. 29) ſenkrechte Metallplatte mit einer kleinen
runden Oeffnung anbringen, und dann, ſtatt jenen Schatten, die
Entfernung des Fußpunktes des Gnomons von dem durch dieſe
Oeffnung auf dem Boden projicirten Bilde der Sonne meſſen.
Die alexandriniſchen Griechen, unter ihnen beſonders Eratoſthenes,
ſo wie auch früher ſchon die Aegyptier und Chineſer bedienten ſich
häufig dieſes einfachen Inſtruments, zu welchem ſie gleichſam
ſchon von der Natur ſelbſt angewieſen wurden, wenn ſie die ab-
wechſelnde Schattenlänge der Berge, Bäume oder Thürme be-
merkten.
Unter der Regierung des Kaiſer Auguſtus wurde der große
Obelisk, von 117 röm. Fuß Länge, den Seſoſtris im Jahr 967
vor Chr. G. in Aegypten errichten ließ, nach Rom gebracht, und
daſelbſt, unter der Anleitung des Manlius, auf dem Marsfelde
aufgeſtellt, um daran, wie Plinius H. N. Lib. 36 ſagt, die Be-
wegungen der Sonne zu beobachten, ſo daß er alſo mehr als eine
Art von Sonnenuhr gebraucht wurde, um daran wenigſtens den
Augenblick des wahren Mittags zu erkennen. Coſchuking errichtete
i. J. 1278 einen Gnomon von 40 Fuß in Peking und Ulug
Beigh i. J. 1430 einen andern in Samarkand von 165 Fuß.
[232]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
In den letzten Jahrhunderten unſerer Zeitrechnung haben ſich
beſonders die Italiener bemüht Gnomone von bedeutender Größe
zu errichten. Sie bedienten ſich dazu ihrer hohen Kirchen, deren
Wände ſie an ihren höchſten Theilen durchbohrten, wo ſie dann
durch dieſe Oeffnung das Bild der Sonne auf den gegenüberlie-
genden Fußboden der Kirche fallen ließen. Einen ſolchen Gno-
mon errichtete Paul Toſcanelli im Jahre 1467 in der berühmten
Kuppel der Kathedrale zu Florenz. Die erwähnte Oeffnung war
in der Höhe von 277 Fuß über dem Fußboden der Kirche ange-
bracht. Dieß iſt der größte aller bisher bekannten Gnomone.
Einen anderen von 51 Fuß errichtete Gaſſendi i. J. 1636 in der
Kirche des Oratoriums zu Marſeille; Ignatio Danti einen andern
von 67 Fuß in der Kirche des heil. Petronius zu Bologna, der
ſpäter von Caſſini wiederhergeſtellt wurde; Bianchini erbaute
in der Karthäuſerkirche zu Rom (den ehemaligen Bädern des
Diocletians) zwei ſehr ſchöne Gnomone von 62 und 75 Fuß;
Sully und le Monnier errichteten einen Gnomon von 80 Fuß in
der Kirche des heil. Sulpitius zu Paris, an welchem der letzte
viele Jahre durch die Solſtitialhöhe der Sonne beobachtete, und
auf einer gegenüberſtehenden Marmorplatte eingrub. Einer der
Letzten endlich wurde von den Aſtronomen Ceſaris und Reggio in
der Kathedrale zu Mailand i. J. 1786 errichtet. Auf den ältern
Sternwarten findet man ſie noch oft genug, aber in den neueren
Zeiten hat man ſie größtentheils verlaſſen und mit Recht, da ſie
lange nicht die Genauigkeit gewähren, welche man mit unſern
andern Inſtrumenten erreichen kann. Die Urſache davon liegt
größtentheils in der Unſicherheit der Meſſung der wahren Schat-
tenlänge, und in der Veränderlichkeit der Lage hoher Gebäude.
Wir haben ſchon, in der vorhergehenden Note, Gelegenheit ge-
habt, von der Leichtigkeit zu ſprechen, mit welcher auch die ſtärk-
ſten Mauern jedem Drucke nachgeben. Aber die Wirkung der
Sonne, wenn ſie dieſe Mauern beſcheint, und die Folgen des
Froſtes und des Wiederaufthauens dieſer Mauern ſowohl, als
auch des Bodens, auf dem ſie ſtehen, iſt noch viel bedeutender.
Schon Bouguer hat darüber eigene Beobachtungen angeſtellt.
Er hatte in der durchbrochenen Wand des Doms der Invaliden
zu Paris ein Fernrohr eingemauert, um ihm zu beſonderen Un-
[233]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
terſuchungen eine, wie er glaubte, fixe und unveränderliche Stel-
lung zu geben. Allein er bemerkte bald, daß die Lage dieſes
Fernrohrs ſich änderte, wenn das Gebäude von der einen oder
der andern Seite von der Sonne beſchienen war. Durch einge-
mauerte Libellen, die nie von dem Sonnenlichte unmittelbar ge-
troffen werden konnten, beobachteten die Mailänder Aſtronomen
an dem ſehr ſoliden Gebäude ihrer Sternwarte regelmäßige,
tägliche Schwankungen, die ſich nach dem Stande der Sonne
gegen das Gebäude richteten. Die Sternwarte Piazzi’s in Pa-
lermo, ein Thurm eines ehemaligen arabiſchen Emirs, iſt äußerſt
ſolid, und die Dicke der Wände derſelben beträgt gegen ſechs
Fuß. Auf dieſer Sternwarte beobachtete Piazzi durch mehrere
Jahre den Polarſtern, in der Hoffnung, in der Bewegung deſſelben
eine jährliche Parallaxe (I. S. 159) dieſes Sterns zu entdecken.
Er fand auch in der That ſolche Veränderungen der Lage derſel-
ben, die mit den Jahreszeiten periodiſch wiederkehrten, und ſich
mit einer parallactiſchen Bewegung des Sterns nahe genug in
Uebereinſtimmung bringen ließen. Allein da alle andern Beob-
achter nichts Aehnliches an dem Polarſtern finden konnten, ſo
konnte man nicht umhin, an der Richtigkeit der Vorausſetzung
Piazzi’s zu zweifeln, bis endlich er ſelbſt auf die Erklärung ver-
fiel, daß nicht der Stern, ſondern ſeine Sternwarte, ihrer Soli-
dität ungeachtet, ſolchen periodiſchen, von der Jahreszeit abhän-
gigen Schwankungen unterworfen ſey, eine Idee, die ſich bald
darauf vollkommen beſtätiget fand, und die wahrſcheinlich auch
andere Aſtronomen, die höhere gebaute Sternwarten bewohnen,
für richtig erkennen würden, wenn ſie darauf mehr aufmerkſam
wären.
§. 4. (Inſtrumente der Alten: Triquetrum, Aſtrolabium, Ar-
millen.) Die Griechen der alexandriniſchen Schule bedienten ſich
zum Höhenmeſſen der Geſtirne eines Inſtrumentes, das aus drei
Linialen zuſammen geſetzt war, und das ſie deßhalb Triquetrum
nannten. Es iſt in Fig. 7 ſo abgebildet, wie es Ptolemäus in
ſeinem Almageſt (Lib. V. 12) beſchreibt. Es beſteht aus einer
verticalen Säule AB, an welcher ſich zwei Regeln BC und AC
in Gewinden auf und ab bewegen. Die Regel BC trägt zwei
auf ſie ſenkrecht geſtellte Abſehen m und n, deren jede mit einer
[234]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
kleinen Oeffnung verſehen iſt. Man erhebt die Regel BC ſo
lange, bis das Auge hinter m das Geſtirn durch die beiden Oeff-
nungen der Abſehen erblickt, in welcher Lage der BC dann die
dritte Regel AC ſo auf BC gelegt wird, daß die Diſtanzen BA
und BC einander gleich ſind. Zu dieſem Zwecke theilte man die
Linie BA ſowohl, als auch die ihr gleiche BC in 60 gleiche
Theile, und trug dann dieſelben Theile, nur in einer größeren
Anzahl, auf die dritte Regel von A nach D auf. Dieſem gemäß
erhielt man in jeder Beobachtung, durch die erwähnte Stellung
der drei Regeln, ein gleichſchenkliges Dreieck ABC, in welcher die
beiden gleichen Seiten BA, BC die Halbmeſſer eines Kreiſes,
deſſen Mittelpunkt B, und in welchem die dritte Seite AC die
Sehne des ihr gegenüberſtehenden Winkels ABC vorſtellte. Die
Größe dieſer Sehne erhielt man für jede Stellung der Regeln
durch eine einfache Zählung der auf der Regel AD aufgetragenen
Theile von A bis C und aus dieſer Sehne AC fand man den ihr
entſprechenden Winkel ABC durch eine zu dieſem Zwecke eigens be-
rechnete Tafel, welche in einem Kreis des Halbmeſſers 60 für jeden
Winkel die zu ihm gehörende Sehne gab, ganz eben ſo, wie man
jetzt aus unſern Sinustafeln für jeden Winkel den ihm entſpre-
chenden Sinus findet, wie denn auch in der That der Sinus
eines Winkels nichts anders als die Sehne eines doppelt ſo großen
Winkels iſt. Der hier gefundene Winkel ABC iſt aber, wie man
leicht ſieht, nichts anderes, als eben die geſuchte Zenithdiſtanz der
Sonne. Hat man z. B. in irgend einer Beobachtung die Länge
der Sehne AC gleich 40 ſolcher Theile gefunden, von denen jeder
der beiden Halbmeſſer 60 hatte, ſo war die Zenithdiſtanz ABC
der Sonne gleich 38° 56′ 33″ und daher ihre Höhe gleich 51°
3′ 27″.
Zur Verſicherung der Verticalität der Säule AB diente ein
ſogenanntes Loth pq oder ein an einem Faden in p aufgehängtes
Gewicht, der von ſelbſt eine verticale Lage annahm, und mit dem
daher die Säule AB parallel geſtellt werden mußte.
Man ſieht, daß ein Inſtrument dieſer Art, ſelbſt wenn es
mit aller Sorgfalt der neueren Mechanik conſtruirt würde, keine
große Genauigkeit in den Beobachtungen gewähren könnte. Auch
bedienten ſich deſſelben die den Griechen folgenden Araber nur
[235]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
im Anfange ihrer aſtronomiſchen Arbeiten, und erſetzten es bald
durch den bereits oben (I. S. 104) erwähnten Quadranten, deſſen
Einrichtung aus der dort gegebenen Beſchreibung hinlänglich klar
ſeyn wird, ſo daß wir ihn hier um ſo mehr übergehen können,
da er nun auch ſchon außer Gebrauch iſt, etwa den ſogenannten
Mauerquadranten ausgenommen, von welchem wir ſpäter ſprechen
werden. Wir bemerken hier nur noch, daß der größte Quadrant,
deſſen man ſich je zu den aſtronomiſchen Beobachtungen be-
diente, der des Ulug Beigh geweſen iſt. Dieſer berühmte
Aſtronom war gegen das Jahr 1430 Beherrſcher der Länder an
dem Fluſſe Oxus (des heutigen Amu in der großen Bucharei
und in Khowaresm) ſoll in ſeiner Hauptſtadt Samarkand
einen Quadranten von einer ſolchen Größe errichtet haben,
daß der Halbmeſſer derſelben, nach der Erzählung der türkiſchen
Geſchichtſchreiber, der Höhe des Gipfels der Kuppel der Sophien-
kirche in Konſtantinopel gleich, d. h. daß er 180 römiſche Fuß
groß geweſen iſt. Allein es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Erzählung
auf einem Mißverſtändniſſe beruht, und daß dieſes Inſtrument
kein Quadrant, ſondern nur ein Gnomon geweſen iſt.
Das Aſtrolabium oder der aſtronomiſche Ring beſteht in
einem in einzelne Grade eingetheilten Ring ABCD (Fig. 8),
um deſſen Mittelpunkt E ſich eine Alhidade (Linial) SS, bewegt,
das mit zwei darauf ſenkrecht ſtehenden durchlöcherten Abſehen
m und n verſehen iſt. Bei der Beobachtung wird es an dem
kleinen Ringe A aufgehängt, wo dann der Halbmeſſer BD hori-
zontal ſtehen ſoll. Wird in dieſer Lage des Inſtruments die
Alhidade SS' ſo geſtellt, daß das Auge bei S' durch die beiden
Oeffnungen der Abſehen das Geſtirn z. B. die Sonne erblickt,
ſo gibt der Winkel S'ED der Alhidade mit dem Halbmeſſer BD
oder auch der jenem gleiche Winkel SEB die geſuchte Höhe der
Sonne an. Man ſieht, wie vielen Unvollkommenheiten ein In-
ſtrument dieſer Art unterworfen iſt, auch wurde es nicht lange
gebraucht, und bloß in der Marine, wo man gewöhnlich mit einer
geringern Genauigkeit zufrieden iſt, erhielt ſich daſſelbe bis in
das vorige Jahrhundert. Jetzt iſt es, auch unter den Schiffern,
durch den viel genaueren Sextanten ſchon längſt verdrängt. Uebri-
gens bezeichnet man in unſeren Tagen mit dem Namen Aſtrolab
[236]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
einen auf einem Fußgeſtelle horizontal liegenden Kreis mit
einer Alhidade, deren Abſehen höher ſind, als die in Fig. 8 er-
wähnten, um durch die Oeffnungen derſelben die Spitzen hoher
terreſtriſcher Objekte und ſelbſt der Geſtirne zu ſehen. Wir wer-
den weiter unten ein dieſem ähnliches, aber viel vollkommener
gebautes Inſtrument unter dem Artikel „Theodolik“ kennen
lernen.
Armillarſphären oder Armillen nannte man verſchie-
dene Verbindungen von Kreiſen, durch welche man den Aequator,
die Ecliptik und die darauf ſenkrechten Kreiſe darſtellte. In Fig. 9
iſt ein ſolches Inſtrument abgebildet, deſſen ſich ſchon Hipparch
und Ptolemäus bediente, und an welchem noch Tycho Brahe den
größten Theil ſeiner Planeten-Beobachtungen machte. Der äußere
Kreis HZR ſtellt den Meridian vor, und bei den Beobachtungen
wurde dieſer Kreis auch in der That in der Ebene des Meridians
aufgeſtellt, ſo daß von den Punkten H und R des Horizonts der
erſte nach Süd und der zweite genau nach Nord, und daß die
Endpunkte der Axe PP' nach dem Nord- und Südpole gerichtet
waren. Der Faden ZZ' mit ſeinem Gewichte bei Z' zeigte das
Zenith an. Der Mittelpunkt jener Axe PP' war mit einem kleinen
Cylinder m verſehen, und durch ihn ging, ſenkrecht auf die Axe,
die Ebene des Rings AB, die daher den Aequator vorſtellte.
Dieſer Ring war an dem äußern Ringe HZR feſt, und mit Ab-
ſehen a und b verſehen. Senkrecht auf die Ebene dieſes Ringes
AB war ein anderer, um die Axe PP' beweglicher, und ebenfalls
mit Abſehen verſehener Ring CD angebracht, der daher den Decli-
nations- oder Stundenkreis (I. S. 28) vorſtellte. Das ganze
Inſtrument ſtand auf einem feſten Fußgeſtelle bei Z'.
Wenn man mit dieſem Inſtrumente eine Beobachtung ma-
chen wollte, ſo wurde zuerſt der äußere Ring HZR in den Me-
ridian und mittels des Lothes, der Punkt Z in das Zenith, alſo
auch P in den Nordpol des Aeauators gebracht, und dann der
bewegliche Declinationskreis CD ſo weit verſchoben, bis man
durch die Abſehen deſſelben das zu beobachtende Geſtirn bemerkte,
wo dann der Kreis CD auf dem Aequator AB den Stunden-
winkel, und wo die Abſehen des Kreiſes CD auf ihm ſelbſt die
Declination des Geſtirns anzeigten. Hatte man zuvor die Ab-
[237]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſehen a und b des Aequators, mittels eines ſchon bekannten Ge-
ſtirns, ſo geſtellt, daß ſie den Frühlings- und Herbſt-Nachtgleichen-
punkt (I. S. 33) bezeichneten, ſo konnte man auf dieſe Weiſe
zugleich die Rectaſcenſion des zu beobachtenden Geſtirns finden,
und daher auch die Sternzeit (I. S. 306 u. 316) der Beobach-
tung angeben.
§. 5. (Zeitbeſtimmung durch Inſtrumente der älteren Aſtrono-
men.) Gewöhnlich brauchte Tycho dieſe Inſtrumente zur Beſtim-
mung der Zeit ſeiner anderen Beobachtungen, die er an ſeinen
großen Quadranten (I. S. 104) oder Sextanten gemacht hatte,
indem er nämlich an ſeiner in dem Meridian aufgeſtellten Armil-
larſphäre den Declinationskreis CD derſelben auf irgend einen
größern, in ſeiner Rectaſcenſion ſchon bekannten Fixſtern ſtellte,
wodurch er ſofort den Stundenwinkel dieſes Sterns auf ſeinem
Aequatorialring AB ableſen konnte. Die Summe des ſo er-
haltenen Stundenwinkels und der ſchon bekannten Rectaſcenſion
des Sterns gab ihm dann ſofort die Sternzeit der Beobach-
tung, woraus er dann leicht (I. S. 315) auch die mittlere
Sonnenzeit derſelben Beobachtung finden konnte. Am ein-
fachſten war dieſes Verfahren, wenn er ſtatt irgend eines bekann-
ten Fixſterns, unmittelbar die Sonne wählte, weil dann der an
dem Aequatorringe AB abgeleſene Stundenkreis der Sonne auch
ſofort ſchon die wahre Sonnenzeit der Beobachtung gab, wie
bereits oben (I. §. 155) erklärt worden iſt.
Dieſe Zeitbeſtimmung iſt, wie man ſieht, eines der wichtigſten
Geſchäfte des praktiſchen Aſtronomen. Er unterſcheidet ſich da-
durch weſentlich von dem bloßen Geometer, dem es ſchon genügt,
wenn er den Winkel, welchen zwei irdiſche Gegenſtände, z. B.
zwei Thürme oder zwei Bergſpitzen, in ſeinem Auge bilden, mit
Genauigkeit angeben kann, da dieſer Winkel immer derſelbe bleibt,
ſo oft er aus demſelben Standpunkte des Auges geſehen wird.
Nicht ſo bei den Gegenſtänden des Himmels. Die Geſtirne än-
dern, ſowohl durch die tägliche Bewegung des Himmels, die allen
Sternen gemeinſchaftlich iſt, als auch durch die ihnen eigene Be-
wegung, ihre Lage gegen das Auge des Beobachters un-
aufhörlich, und es iſt daher nicht genug, daß der Aſtronom von
einem dieſer Geſtirne, z. B. die Höhe auch mit der größten
[238]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Genauigkeit angibt, ſondern er muß auch zugleich oben ſo genau
die Zeit angeben, in welcher er jene Höhe beobachtet hat, wie
dieß für ſich klar iſt, weil dieſe Höhe ſich jeden Augenblick ändert.
Da aber die Armillarſphäre, wie man aus der vorhergehenden
Beſchreibung derſelben ohne meine Erinnerung bemerkt haben
wird, weder in ihrer Konſtruction durch den Künſtler, noch in
ihrer Aufſtellung durch den Aſtronomen eine große Genauigkeit
gewähren kann, ſo wird auch das erwähnte Verfahren, durch
dieſes Inſtrument die Zeit zu beſtimmen, keiner großen Schärfe
fähig ſeyn. Aus dieſem Grunde war man ſchon in den älteren
Zeiten auf andere Mittel bedacht, die Zeit der Beobachtung, dieſes
wichtigſte Element der geſammten praktiſchen Aſtronomie, für
jeden Augenblick mit mehr Verläßlichkeit zu beſtimmen. Das
beſte Mittel zu dieſem Zwecke gab aber dieſelbe Veränderlichkeit
der Höhe der Geſtirne, von welcher wir nur ſo eben geſprochen
haben. Während des täglichen Umlaufes jedes Sterns um die
Erde kömmt derſelbe in alle die verſchiedenen Höhen, in die er
überhaupt, nach der Lage ſeines Parallelkreiſes gegen den Hori-
zont des Beobachters, kommen kann, und ſo, wie zu jeder Zeit
nach der Kulmination des Sterns, d. h. wie zu jedem Stunden-
winkel deſſelben eine beſtimmte Höhe gehört, ſo wird auch um-
gekehrt jeder gegebenen Höhe ein beſtimmter Stundenwinkel, d. h.
eine beſtimmte Zeit entſprechen, ſo daß man daher die letzte
finden kann, wenn die erſte durch irgend eine Beobachtung ge-
geben iſt.
Dieſem gemäß, pflegten alſo die älteren Aſtronomen in dem
Augenblicke einer jeden Beobachtung, z. B. in dem Augenblicke
des Anfangs oder des Endes einer Finſterniß, mittels des oben
(I. S. 104) erwähnten Quadranten die Höhe der Sonne oder
irgend eines anderen bekannten Geſtirns zu meſſen, woraus ſie
dann die Zeit jener Beobachtung auf folgende Art ableiteten.
Sey (I. Thl. Fig. 2) S' die Sonne für den Augenblick des
Anfangs jener Beobachtung, deren Zeit man beſtimmen will; ſey
ferner Z das Zenith und N der Nordpol des Aequators. Wenn
man mit dem Sextanten die Höhe S'R' der Sonne über dem
Horizonte HR beobachtet hat, ſo kennt man auch die Zenith-
diſtanz ZS' derſelben, die nämlich gleich 90° weniger jener Höhe
[239]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
iſt. Eben ſo iſt aber auch, aus den Sonnentafeln oder aus den
aſtronomiſchen Ephemeriden, die Poldiſtanz NS' der Sonne für
dieſen Tag bekannt, ſo wie die Polhöhe HN des Beobachtungs-
ortes, die (nach I. S. 30. II.) gleich der geographiſchen Breite
des Beobachters, und überdieß auch gleich 90° weniger ZN iſt.
Man kennt daher in dem ſphäriſchen Dreiecke NZS' alle drei
Seiten, und wird daher, mittels der bekannten Formeln, der ſphä-
riſchen Trigonometrie, auch den Winkel ZNS' dieſes Dreiecks mit
aller Schärfe berechnen können. Dieſer Winkel iſt aber der
Stundenwinkel der Sonne, d. h. die geſuchte wahre Son-
nenzeit (I. S. 307).
Dieſes an ſich, wie man ſieht, ſehr einfache Verfahren wird
etwas zuſammen geſetzter, wenn man, zur Beſtimmung der Zeit,
nicht die Sonne, die ſich dazu vorzüglich eignet, ſondern wenn
man die Höhe irgend eines bekannten Sterns beobachtet, eine
Beobachtung zu welcher man öfter gezwungen iſt, z. B. wenn
man den Augenblick einer zur Nachtzeit angeſtellten Beobachtung,
wo man die Sonne nicht ſehen kann, beſtimmen will.
Sey alſo S' der gewählte Stern deſſen Rectaſcenſion VQ'
und Poldiſtanz NS' bekannt ſeyn ſoll. Nehmen wir an, daß zur
Zeit der Beobachtung dieſes Sterns in S' die Sonne in der
Ecliptik VL den Punkt S einnehme, ſo daß alſo VS die Länge
der Sonne für dieſen Augenblick vorſtellt. Läßt man von S auf
den Aequator VQ einen ſenkrechten Kreisbogen ST herab, ſo wird
VT die Rectaſcenſion der Sonne für denſelben Augenblick bezeich-
nen, und wir wollen daher vorausſetzen, daß man, aus den aſtro-
nomiſchen Ephemeriden, auch dieſe Rectaſcenſion VT der Sonne
bereits kenne.
Wenn man daher mit dem Quadranten die Höhe S'R' des
Sterns oder, was daſſelbe iſt, die Zenithdiſtanz ZS' deſſelben
beobachtet, ſo wird man in dem Dreiecke NZS', in welchem wie-
der alle drei Seiten gegeben ſind, ganz wie zuvor, den Stunden-
winkel ZNS' des Sterns, d. h. mit andern Worten: den Bogen
QQ des Aequators durch Rechnung finden. Da man aber offen-
bar hat
TQ = VQ — VT oder TQ = QQ' + VQ' — VT
[240]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſo wird man auch die geſuchte wahre Sonnenzeit durch folgende
einfache Gleichung erhalten:
- Wahre Zeit = Stundenwinkel des Sterns, mehr Rectaſcen-
ſion des Sterns, weniger Rectaſcenſion der
Sonne.
Setzt man, was für die Berechnung bequemer iſt, in dem
letzten Gliede dieſer Gleichung nicht, wie bisher vorausgeſetzt
wurde, die Rectaſcenſion der wahren, ſondern die Rectaſcen-
ſion der mittleren Sonne (I. S. 309), ſo erhält man auch,
ſtatt der wahren Sonnenzeit unmittelbar die mittlere Zeit, und
dieſe letzte iſt es, in welcher die Aſtronomen ihre Beobachtungen
vorzugsweiſe anzugeben pflegen.
Auf dieſe Weiſe alſo verfuhren die älteren Aſtronomen, um
für jede ihrer Beobachtungen die Zeit derſelben zu beſtimmen.
Tycho beſonders, welcher der erſte auf eine größere Schärfe in der
Zeitbeſtimmung drang, bediente ſich zu dieſem Zwecke ſeiner großen
und für ſeine Zeit, ſehr genauen Quadranten, durch welche
er die Höhen der Sterne, alſo auch die Zeit ſelbſt, bei jeder wich-
tigen Beobachtung mit viel größerer Präciſion beſtimmte, als es
durch Hülfe der Armillarſphären möglich geweſen wäre.
§. 6. (Zeitbeſtimmung der neueren Aſtronomen.) Man ſieht,
wie beſchwerlich und zeitraubend dieſes Geſchäft der älteren Aſtro-
nomen geweſen iſt. Jede Beobachtung, die ſie machten, war
eigentlich eine doppelte, nämlich zuerſt die eigentliche Beobach-
tung ſelbſt, z. B. die Finſterniß an einem Inſtrumente, und dann,
an dem anderen, die Beſtimmung der Zeit dieſer Beobachtung,
welche letztere, wenn ſie genau ſeyn ſollte, umſtändliche Rechnun-
gen erforderte, und überdieß noch zu gleicher Zeit mit jener
angeſtellt werden ſollte, wodurch nicht nur zwei Inſtrumente,
ſondern auch zwei Beobachter nothwendig wurden.
Und dieſes Uebel konnte ſo lange nicht vermieden werden,
als man kein Mittel hatte, größere Intervalle der Zeit in kleinere
und gleiche Theile zu theilen. Ein ſolches Mittel konnte man
aber nur in einer anderen Gattung von Inſtrumenten finden,
welche, ſo wie die Zeit ſelbſt, eine regelmäßige und völlig gleich-
förmige Bewegung zeigten. Solche Inſtrumente ſind aber unſere
Uhren, von welchen wir ſpäter umſtändlich ſprechen werden.
[241]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Hier wollen wir nur vorausſetzen, daß eine ſolche Uhr von einem
Mittag zum anderen durch einige Tage regelmäßig fortgehe, und
den Ablauf jeder Stunde, Minute und Sekunde genau anzeige.
Mit Hülfe eines ſolchen Inſtrumentes war es nun nicht
mehr nothwendig, bei jeder Finſterniß oder bei der Beobachtung
jeder anderen Erſcheinung des Himmels auch zugleich die Zeit
dieſer Beobachtung zu beſtimmen, ſondern es war ſchon genug,
dieſe Uhr nur jeden Mittag mit der Sonne oder mit der großen
Himmelsuhr zu vergleichen, und dann bloß den Stand der Uhr
im Augenblicke jener Beobachtung abzuleſen, um daraus auch
ſofort die wahre Zeit jener Beobachtung zu finden.
Ein einfaches Beiſpiel wird dieß ſogleich deutlich machen.
Geſetzt, man habe aus einer der vorerwähnten Beobachtungen ge-
funden, daß die Uhr im Mittage des 3ten März 12h 1′ gegeben
habe, daß ſie alſo gegen die rechte Zeit um eine Minute voraus-
gegangen ſey. An dem folgenden Tage, im Mittage des 4ten
März aber wurde auf eine ähnliche Art der Stand der Uhr 12h 4′
gefunden, ſo daß ſie alſo, in einem ganzen Tage, d. h. daß ſie
während der Zeit, wo die Uhr 24h und 3′ zurücklegte, um volle
drei Minuten gegen die rechte Zeit voraus gegangen ſey. Kann
man nun, wie bei jeder guten Uhr vorausgeſetzt wird, mit Sicher-
heit annehmen, daß ſie während des Laufes dieſes Tags immer
gleichförmig fortgegangen ſey, ohne etwa bald geſchwinder und
bald wieder langſamer zu gehen, ſo kann man auch annehmen,
daß ſie in der Mitte zwiſchen jenen zwei Tagen, d. h. daß ſie
am 3ten März um Mitternacht um 1½ Minuten mehr, als am
Mittage dieſes Tages voraus gegangen ſey, oder daß ſie 12h 2′ 30″
Abends zeigte, als ſie genau 12h Abends zeigen ſollte, und daß
ſie eben ſo, als ſie 6h Abends zeigen ſollte, 6h 2′ 15″ zeigte
u. ſ. w., ſo daß man alſo immer aus dem, was die Uhr zeigte,
das finden kann, was ſie in demſelben Augenblicke zeigen ſollte
und umgekehrt.
Nehmen wir nun an, daß man z. B. am 3ten März Abends
in dem Augenblicke, als dieſe Uhr 3h 10′ 36″ zeigte, den Anfang
einer Finſterniß beobachtet habe, und daß man die wahre Zeit
dieſer Beobachtung finden wolle. Da dieſer Augenblick von dem
des erſten Mittags um 5h 9′ 36″ der Uhrzeit entfernt iſt, und
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 16
[242]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
da die Uhr, wie wir geſehen haben, in einem Tage, d. h. in
24h 3′ Uhrzeit um volle 3 Minuten vorausgeht, ſo findet man
leicht, daß die Uhr in jener Zeit von 5h 9′ 36″ um 38 5/10 Se-
kunden mehr, als am erſten Mittag vorausgehen werde. Denn
man hat die einfache Proportion
24h 3′ : 3′ = 5h 9′ 36″ : x'
woraus man x = 0,644 Minuten oder x = 38 6/10 Sekunden
findet. Die Uhr ging alſo am erſten Mittag um eine Minute,
und zur Zeit jener Beobachtung noch um 38 6/10 Sekunden mehr,
d. h. ſie ging zur Zeit jener Beobachtung im 1′ 38 6/10″ gegen
die wahre Zeit voraus, und dieſe Zahl wird man daher von der-
jenigen Zeit 5h 10′ 36″, welche die Uhr in der That zeigte,
abzieben müſſen, um die geſuchte wahre Zeit jener Beobachtung
zu erhalten, die demnach gleich 5h 8′ 57 4/10″ iſt.
Auf dieſe Weiſe wird man in allen ähnlichen Fällen verfah-
ren, um die wahre Zeit jeder Beobachtung durch eine, wie man
ſieht, ſehr einfache Rechnung zu erhalten.
§. 7. (Correſpondirende Höhen zu Zeitbeſtimmungen.) Wie
findet man aber den Augenblick des Mittags eines jeden Tages,
damit man, wie in §. 6 vorausgeſetzt wurde, den Fehler der Uhr
für jeden Mittag beſtimmen kann?
Man könnte dazu das oben gegebene Verfahren, die Zeit
überhaupt zu beſtimmen, auch hier wieder benützen, und mit dem
Fernrohre des Quadranten die Sonne ſo lange verfolgen, bis ſie
ihre größte Höhe über dem Horizonte erreicht, wo ſie alſo in
dem Felde des Fernrohrs nicht mehr ſteigt, ſondern eben zu fallen
anfängt. Aber dieſes Verfahren würde ſehr unverläßlich ſeyn,
und man würde dadurch wohl nie die Zeit auch nur auf eine
halbe Minute genau beſtimmen, da man ſie doch, nach den Be-
dürfniſſen der neuern Aſtronomie, bis auf eine Sekunde, ja ſelbſt
bis auf das Zehntheil einer Sekunde genau zu kennen braucht.
Die Sonne und überhaupt alle Geſtirne verändern nämlich, wenn
ſie dem Meridian, ihrem Mittage, nahe kommen, ihre Höhe ſehr
langſam, und in dem Meridian ſelbſt einige Zeit gar nicht, ſo
daß es daher ſehr zweckwidrig ſeyn würde, aus dieſen Höhenän-
derungen, die ſo äußerſt klein ſind, die Zeit des Mittages oder
den Augenblick der größten von allen dieſen Höhen beſtimmen zu
[243]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
wollen. Je weiter aber die Geſtirne von dem Meridian entfernt
ſind, deſto ſchneller iſt dieſe Höhenänderung, und am ſchnellſten
iſt ſie dann, wenn das Geſtirn S' in der Nähe desjenigen Ver-
ticalkreiſes ZS'R' (Theil I. Fig. 2) ſteht, deſſen Winkel RZR'
mit dem Meridian NZR ein rechter iſt, daher man auch dieſen
Kreis den erſten Verticalkreis zu nennen pflegt. In dieſer Ge-
gend alſo wird man die Höhe der Geſtirne mit dem Quadranten
am vorheilhafteſten beobachten, wenn man aus dieſer Höhe nach
der in §. 5 erklärten Weiſe die Zeit finden will.
Allein dieſe Zeit wird nicht die des Mittages ſeyn, welche
letzte wir hier eigentlich ſuchen. Dieß würde nun zwar nicht als
ein Hinderniß für unſere Methode angeſehen werden können, da
es, wie man ohne meine Erinnerung bemerken wird, gleichviel
iſt, ob man den Stand der Uhr für zwei Mittage oder auch für
zwei andere Augenblicke kennt, wenn nur dieſe letzten den Augen-
blick der eigentlichen Beobachtung, der Finſterniß z. B. einſchließen,
oder doch nicht weiter von ihm entfernt ſind, als man ſich auf
den regelmäßigen Gang der Uhr verlaſſen kann. Allein die Be-
rechnung des Dreieckes ZNS', um daraus, nach §. 5, den Stun-
denwinkel ZNS' des Geſtirns zu finden, wird, wenn ſie oft wie-
derholt werden ſoll, beſchwerlich und zeitraubend ſeyn, und was
noch viel wichtiger iſt, die beobachtete Höhe muß völlig genau be-
kannt ſeyn, weil ſonſt der Stundenwinkel und ſonach die ganze Zeit-
beſtimmung ſelbſt fehlerhaft ſeyn würde. Allein um eine genaue
Höhe zu erhalten, muß man auch ein ſehr genau gearbeitetes, ein
ſehr vollkommenes Inſtrument haben, und ſolche ſind nicht Jeder-
manns Sache, da ſie nur mit großen Koſten angeſchafft werden
können. Dazu kommt noch, daß man nicht nur die Polhöhe HN
oder 90 — ZN des Beobachtungsortes und die Poldiſtanz NS'
des Geſtirns, ſondern auch noch die Refraction (I. S. 347) genau
kennen muß, um durch die Auflöſung jenes Dreieckes den Winkel
ZNS' mit aller Schärfe zu beſtimmen, und dieſe Forderungen
ſind nicht immer ſo leicht zu erfüllen, als man wohl auf den
erſten Blick glauben ſollte.
Allein von allen dieſen Hinderniſſen und Schwierigkeiten
können wir uns völlig befreien, wenn wir bedenken, daß alle
Sterne zu beiden Seiten des Meridians dieſelbe Höhe über
16 *
[244]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dem Horizonte in den beiden Augenblicken haben, wo ſie den-
ſelben Abſtand vom Meridian, d. h. wo ſie, zu beiden Seiten
des Meridians, auch gleiche Stundenwinkel haben. Die
Sonne ſteht drei Stunden vor dem Mittag, d. h. um 9 Uhr
wahre Zeit morgens genau eben ſo hoch, als ſie um 3 Uhr w.
Z. Abends ſteht, und ſo für jede andere zwei gleiche Stunden-
winkel, wenn anders ihre Declination (Einl. S. 32) in dieſer
Zwiſchenzeit unveränderlich angenommen werden kann. Bei den
Fixſternen iſt dieß in der That der Fall; bei der Sonne, dem
Monde und den Planeten aber iſt dieſe Declination allerdings
veränderlich, aber dieſe Veränderung iſt im Allgemeinen ſehr klein,
und es iſt leicht, auf ſie durch Rechnung Rückſicht zu nehmen,
wobei wir uns aber hier nicht weiter aufhalten wollen.
Wenn man alſo die Sonne an einem Tage zweimal, vor
und nach dem Mittage, in der Nähe des erſten Verticalkreiſes ſo
beobachtet, daß ſie in beiden Augenblicken dieſelbe, übrigens will-
kührliche Höhe hat, ſo weiß man, daß zu dieſen beiden Augen-
blicken auch dieſelben Stundenwinkel der Sonne gehören, oder
mit andern Worten, daß der Augenblick der erſten Beobachtung
eben ſo weit vor dem wahren Mittage, als der zweite nach dem
Mittage ſtatt hat, daß alſo auch der geſuchte wahre Mittag genau
in die Mitte zwiſchen jene zwei Augenblicke fallen muß.
Man ſieht, daß man zu dieſen Beſtimmungen des Mittags
weder die Polhöhe des Beobachtungsorts, noch die Declination
des Geſtirns, noch auch die abſoluten Höhen ſelbſt, und die dazu
gehörende Refraction zu kennen braucht, und daß man bloß von
der Gleichheit der beiden Höhen und von dem gleichförmigen
Gange der Uhr verſichert ſeyn muß, daß alſo auch zu dieſen
Beobachtungen der correſpondirenden Höhen, wie man ſie
zu nennen pflegt, weder eine eigentliche Rechnung, noch auch ein
vorzügliches Inſtrument erfordert wird. In der That, die Ein-
theilung des Quadranten, den man zu dieſen Beobachtungen
wählt, mag ſo fehlerhnft ſeyn, als ſie will, und dieſer Fehler iſt
bei den ältern und unvollkommenern Inſtrumenten bei weitem der
gewöhnlichſte, ſo werden doch dadurch die Beobachtungen nicht
ſchlechter, da man vor und nach Mittag immer nur mit dem-
ſelben Theilſtriche zu thun hat, und da es gleich viel iſt, in
[245]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
welchen Höhen man die Sonne beobachtet hat, wenn dieſe Höhen
nur dieſelben ſind. Ganz eben ſo verhält es ſich auch mit bei-
nahe allen übrigen Fehlern dieſer Inſtrumente, die für denſelben
Punkt des eingetheilten Randes ebenfalls dieſelben bleiben, und
daher auf das geſuchte Reſultat, auf die Zeit des Mittags, keinen
Einfluß haben. Um aber, nicht dieſe Inſtrumentalfehler, die hier
ganz unſchädlich ſind, ſondern um die ſogenannten Beobachtungs-
febler zu vermeiden, welche letzteren von der Unſicherheit unſerer
Sinne kommen, wird man zu beiden Seiten des Meridians nicht
bloß eine, ſondern mehrere Höhen der Sonne beobachten, und
dann aus den Mittagen, die man aus jedem correſpondirenden
Höhenpaare erhält, das ſogenannte arithmetiſche Mittel nehmen,
welches letzte offenbar, als das Reſultat aller beobachteten Höhen,
viel verläßlicher ſeyn wird, als dasjenige ſeyn kann, das bloß
aus einem einzigen Paare derſelben abgeleitet worden iſt.
Um dieß durch ein Beiſpiel deutlich zu machen, nehmen wir
an, man habe folgende correſpondirende Sonnenhöhen zu den bei-
geſetzten Uhrzeiten beobachtet,
Uhrzeit
- Höhe Vormitteg Nachmittag
- 43° 15′ . 9h 14′ 52,0″ . 2h 49′ 40,2″
- 43° 20′ . 9h 20′ 43,3″ . 2h 43′ 50,1″
- 43° 25′ . 9h 26′ 54,8″ . 2h 37′ 37,6″
- 43° 30′ . 9h 33′ 19,3″ . 2h 31′ 13,5″
wo man alſo bei den nachmittägigen Zeiten eigentlich 14h ſtatt 2h
hätte ſchreiben ſollen, um die Zeiten der Uhr ununterbrochen fort-
zuzählen. Die Summe der beiden Zeiten der erſten Höhe 43° 15′
gibt 24h 4′ 32,2″ und davon iſt die Hälfte 12h 2′ 16,1″ die ge-
ſuchte Uhrzeit des Mittags aus dieſer erſten Höhe. Eben ſo er-
hält man
Uhrzeit des Mittags
- Höhe I. . 12h 2′ 16,1″
- II. . 12h 2′ 16,6″
- III. . 12h 2′ 16,2″
- IV. . 12h 2′ 16,4″
[246]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Addirt man alle dieſe vier Zeiten, und dividirt ſie durch 4,
ſo erhält man für das arithmetiſche Mittel derſelben, d. h. für
die aus allen Beobachtungen geſuchte Uhrzeit
12h 2′ 16,325″
oder die Uhr ging an dieſem Tage im Augenblicke des wahren
Mittags gegen die wahre Sonnenzeit (I. S. 310) voraus um
2′ 16,3″.
Auf dieſe Weiſe kann man alſo jeden Mittag die Uhr mit
der Sonne, d. h. mit der wahren Zeit vergleichen, und daraus,
wie wir oben (§. 6) geſehen haben, den Stand der Uhr gegen
dieſe wahre Zeit auch für jede andere zwiſchen dieſen Mittagen
liegende Zeit durch eine einfache Rechnung beſtimmen. Da man
nämlich die Abweichung der Uhr von der wahren Zeit für jeden
gegebenen Augenblick kennt, ſo darf man nur die Uhrzeit einer
Beobachtung kennen, um daraus auch ſofort die wahre Zeit
dieſer Beobachtung zu finden.
Wollte man aber dieſe Zeiten der Beobachtungen nicht, wie
es die älteren Aſtronomen zu thun pflegten, in wahrer, ſondern,
was in der That bequemer iſt, in mittlerer Sonnenzeit an-
geben, ſo braucht man nur für den wahren Mittag jedes Tages
die ſogenannte Zeitgleichung (I. S. 310), d. h. den Unter-
ſchied zwiſchen der wahren und mittleren Zeit zu kennen. Man
findet aber dieſe Zeitgleichung für jeden Tag des Jahres ſchon
in den aſtronomiſchen Ephemeriden berechnet. Geſetzt, dieſe Zeit-
gleichung wäre für den Tag unſerer vorhergehenden correſpondi-
renden Höhen 8 Minuten 32,7 Sekunden, ſo heißt dieß, daß eine
richtig gehende mittlere Uhr in dem Augenblicke des wahren
Mittags jenes Tages 12h 8′ 32,7″ zeigen ſoll. Allein unſere
Uhr zeigte 12h 2′ 16,3″, alſo ging ſie, im wahren Mittage jenes
Tages, oder in dem Augenblicke, wo es in der That 12h 8′ 32,7″
mittlerer Zeit war, gegen mittlere Zeit zu ſpät um 6′ 16,4″.
Wäre endlich, was man ebenfalls in dieſen Ephemeriden
findet, für den Augenblick des wahren Mittags dieſes Tages die
Sternzeit (I. 314) gleich 5h 14′ 25,6″ angegeben, ſo würde, da
unſere Uhr in dieſem Augenblicke 12h 2′ 16,3″ zeigte, dieſelbe
gegen Sternzeit um 6h 47′ 50,7″ zu früh gehen.
[247]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Welche von dieſen drei Zeiten man alſo wählt, immer wird
man, durch Hülfe der correſpondirenden Höhen, die Abweichung
der Uhr von jeder dieſer drei Zeiten für den wahren Mittag eines
jeden Tages, an welchem man eine Beobachtung angeſtellt hat,
angeben können, und daraus den Stand und Gang der Uhr durch
eine ſehr leichte und einfache Rechnung ableiten, d. h. für jede
andere Beobachtung die richtige wahre oder mittlere Sonnenzeit,
oder endlich die Sternzeit dieſer Beobachtung angeben können.
Hat man nun ſeine Uhr ſo eingerichtet, daß ſie nahe nach
der Sonnenzeit geht, d. h. daß ſie von einem Mittage zum an-
dern nahe 24 volle Stunden gibt, ſo wird man zur Regulirung
derſelben durch correſpondirende Höhen offenbar am bequemſten
die Sonne gebrauchen. Allein es wurde bereits früher (I. S. 319)
bemerkt, daß eine nach Sternzeit gehende Uhr zum aſtronomiſchen
Gebrauche viel bequemer iſt. Eine Sternuhr aber iſt eine ſolche
gleichförmig gehende Uhr, die zwiſchen zwei nächſten Kulmina-
tionen (I. S. 30) eines Fixſterns nahe 24 volle Stunden, die
alſo auch, da die Sonne ſich im Mittel täglich um 0h 3′ 56,555″
gegen Oſt dreht, zwiſchen zwei nächſten Kulminationen der mitt-
leren Sonne (I. S. 308) 24h 3′ 56,555″ zeigt. Es wurde bereits
geſagt (I. S. 318) wie man jede mittlere Uhr, durch eine bloße
Verkürzung ihres Pendels, auf eine ſolche Sternuhr bringen kann.
Wenn man ſich alſo, wie es am angemeſſenſten iſt, ſich einer
ſolchen Sternuhr bei allen ſeinen Beobachtungen bedient, ſo wird
man auch, zur Regulirung dieſer Uhr durch correſpondirende Höhen
ſich nicht der Sonne, ſondern am bequemſten eines bekannten
Fixſterns bedienen. Dann wird man nämlich die durch die
Beobachtung der correſpondirenden Höhen dieſes Sterns erhaltene
Uhrzeit der Kulmination unmittelbar mit der bekannten Recta-
ſcenſion dieſes Sterns vergleichen, um ſofort den Fehler der Uhr
gegen Sternzeit zu erhalten, weil (nach I. S. 318) die Rectaſcen-
ſion eines jeden Geſtirns auch zugleich die Sternzeit der Kulmi-
nation deſſelben iſt. Wenn er alſo z. B. von einem Fixſtern,
deſſen Rectaſcenſion 5h 30′ 24″ ihm bekannt iſt, durch correſpon-
dirende Höhen die Uhrzeit der Kulmination an ſeiner Sternuhr
gleich 5h 31′ 10″ gefunden hat, ſo iſt ihm dadurch auch ſofort
bekannt, daß ſeine Uhr, in dem Augenblicke jener Kulmination,
[248]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
gegen Sternzeit um 46 Sekunden voraus iſt. — In dieſem Falle
wird alſo auch die Correction der Uhr gegen Sternzeit nie ſo
hoch anwachſen können, wie in dem vorhergehenden Beiſpiele,
wo wir ſie gleich 6h 47′ 50,7″ gefunden haben. In der Ordnung
wird man nämlich ſeine Sternuhr durch allmäblige Verkürzung
des Pendels, und wenn dieſes einmal die gehörige Länge hat,
durch die Stellung der Zeiger, ſo zu ſtellen ſuchen, daß ihre Ab-
weichung von der Sternzeit nur ſehr klein iſt, und auch in meh-
reren Monaten ſelbſt immer noch klein bleibt. Wenn aber auch
der tägliche Fehler derſelben noch ſo gering iſt, wenn ſie z. B.
in jedem Sterntage nur eine einzige Sekunde vor der Sternzeit
vorausgeht, ſo wird dieß in zwei Monaten doch ſchon eine Mi-
nute, und in einem Jahre ſechs Minuten betragen. Dieß wird
aber kein Grund ſeyn, die Zeiger der Uhr öfter zu verſtellen, um
ſie ihrem wahren Stande näher zu bringen, wie dieß wohl viele
mit ihren Taſchenuhren zu thun pflegen, wenn ſie die Mittags-
glocke läuten hören. Durch ſolche gewaltſame Verſtellungen der
Zeiger mit der Hand wird der regelmäßige Gang dieſer feinen
Maſchinen geſtört, und der Aſtronom wird dieſe und alle ähnlichen
äußeren Störungen ſeiner Uhr ſorgfältig vermeiden, um ſie ſo viel
möglich ihren Gang ununterbrochen fortſetzen zu laſſen. Daber
kommt es, daß man ſelbſt auf den beſteingerichteten Sternwarten
oft zu ſeiner Verwunderung hört, daß die Uhren derſelben meb-
rere Minuten von der richtigen Zeit abweichen, während man
doch glauben ſollte, daß ſie immer auf das Genaueſte mit dem
Himmel übereinſtimmen ſollten. Der Aſtronom iſt ſchon voll-
kommen zufrieden, daß ſeine Uhr nur gleichförmig, wenn ſie
auch täglich, aber auch nur alle Tage, um dieſelbe Zeit zurück-
bleibt oder vorausgeht. Er hält von dieſem Gange ſeiner Uhr,
wie man geſehen hat, täglich ſcharfe Rechnung, und wird dadurch
von dem Fehler derſelben für jeden gegebenen Augenblick in genaue
Kenntniß geſetzt. Eine Uhr aber, deren Fehler man genau kennt,
iſt für ihn mit Recht eben ſo viel, als eine fehlerfreie, eine ganz
vollkommene Uhr.
§. 8. (Correſpondirende Höhen zur Beſtimmung der Recta-
ſcenſion der Geſtirne.) Wir wollen daher fortan vorausſetzen, daß
der beobachtende Aſtronom ſeiner Zeit in jedem Augenblicke genau
[249]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
verſichert iſt, da wir die Mittel, dieſen Zweck zu erreichen, kennen
gelernt haben. Damit iſt nun auch allerdings eines ſeiner vor-
züglichſten und dringendſten Geſchäfte abgethan, da er, wie bereits
oben geſagt wurde, bei jeder ſeiner Beobachtungen an den ihren
Ort am Himmel immer verändernden Geſtirnen auch zugleich die
genaue Zeit dieſer Beobachtung angeben muß.
Wir haben ſo eben geſehen, wie er durch die Beobachtung
der correſpondirenden Höhen eines Sterns, die Correction ſeiner
Uhr finden kann, wenn er die Rectaſcenſion dieſes Sterns kennt.
Allein ganz eben ſo und durch daſſelbe einfache Verfahren wird
er auch umgekehrt die Rectaſcenſion eines jeden Sterns finden,
wenn er die Correction ſeiner Uhr ſchon kennt. Da nämlich die
Rectaſcenſion eines jeden Sterns gleich der Sternzeit der Culmi-
nation deſſelben iſt, ſo wird er, durch correſpondirende Höhen,
die Uhrzeit der Culmination des Sterns ſuchen, und an dieſer
Uhrzeit die ihm hereits bekannte Correction derſelben gegen Stern-
zeit anbringen, um ſofort auch die richtige Sternzeit der Culmi-
nation, d. h. um die geſuchte Rectaſcenſion des Sterns zu erhalten.
In unſerem letzten Beiſpiele wurde die Uhrzeit der Culmination
des Sterns durch correſpondirende Höhen gleich 5h 31′ 10″ ge-
funden, und die aus anderen Beobachtungen bereits bekannte
Correction der Uhr war 46″, um welche nämlich die Uhr gegen
Sternzeit voraus iſt, woraus ſofort folgt, daß die geſuchte Rect-
aſcenſion des beobachteten Sterns gleich 5h 30′ 24″ iſt, wie
zuvor.
Dieß gibt alſo ein eben ſo einfaches als auch ſicheres Mittel,
die Rectaſcenſionen aller Geſtirne mit der größten Genauigkeit
zu beſtimmen. Auch haben es die Aſtronomen des 17ten Jahr-
hunderts fleißig angewendet, ſo bald ſie einmal durch ihre mecha-
niſchen Künſtler ſolche Ubren erhalten konnten, auf deren gleichför-
migen Gang ſie ſich verlaſſen durften. Denn dieſe Vorausſetzung
einer guten Uhr iſt eigentlich die weſentlichſte, um genaue Reſul-
tate zu erhalten, während im Gegentheile, wie wir geſehen haben,
der Quadrant, mit welchem man dieſe correſpondirenden Höhen
beobachtet, ohne Nachtheil ſelbſt ein ſehr mittelmäßiges Inſtru-
ment ſeyn kann. Auf der Pariſer Sternwarte wurde dieſes Ver-
fahren ſchon ſehr früh i. J. 1666 angewendet, wie man aus den
[250]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Memoiren der Academie dieſer Stadt bei Gelegenheit der Fin-
ſterniß des 22ſten Julius jenes Jahres ſehen kann, wo Huygens,
Roberval und Auzout ihre Zeit bereits durch correſpondirende
Höhen beſtimmten. Lacaille, einer der beſten und fleißigſten
Aſtronomen des achtzehnten Jahrhunderts, beſtimmte noch i. J.
1755 beinahe alle ſeine ſehr zahlreichen Rectaſcenſionen der Fix-
ſterne und der Planeten auf dieſelbe Weiſe.
§. 9. (Quadranten mit zwei Fernröhren.) Der einzige Nach-
theil, den man dieſer Methode der correſpondirenden Höhen zum
Vorwurfe machen kann, iſt, daß ſie zeitraubend und von Zufällen
zu ſehr abhängig ſind, die der Beobachter nicht in ſeiner Gewalt
hat. Sie fordern, wenn man mehrere derſelben nehmen will, vor
und nach dem Mittage wenigſtens eine halbe Stunde, und wenn
die Sonne Nachmittag, zur Zeit der Beobachtungen, mit Wolken
bedeckt iſt, ſo geht die ganze Beobachtung verloren. Auch waren
nach der Mitte des 17ten Jahrhunderts, wo man die Uhren zu
den aſtronomiſchen Beobachtungen zu gebrauchen anfing, dieſe
ſinnreichen und ſchwer auszuführenden Maſchinen noch lange nicht
mit derjenigen Vollkommenheit gearbeitet, durch welche ſie ſich
in unſeren Tagen auszeichnen. Endlich gab dieſe Art der Beob-
achtung nur die Rectaſcenſion der Geſtirne, aber nicht die Decli-
nation (Einl. S. 32), alſo nur eine unvollſtändige Beſtimmung
des Ortes derſelben am Himmel. Die Declination ließ ſich doch
nur wieder durch Hülfe jener Quadranten finden, indem man mit
ihnen die Höhe der Geſtirne im Meridian maß, und davon die
bereits bekannte Aequatorhöhe ſubtrahirte (I. S. 106), und dazu
gewährten jene Quadranten die gewünſchte Sicherheit eben-
falls nicht.
Bei dieſer Lage der Dinge entſchloſſen ſich mehrere der beſten
Beobachter, die Uhren nur zur allgemeinen Zeitbeſtimmung ihrer
übrigen Beobachtungen zu gebrauchen, nicht aber ſie auch zugleich
zur Angabe der Rectaſcenſionen anzuwenden, wozu ſie ihnen nicht
genau genug ſchienen, da jeder Fehler in der beobachteten Zeit
die Fehler in der ſo geſuchten Rectaſcenſion, im Bogen gezählt,
ſchon fünfzehnmal größer, alſo z. B. ein Fehlen von einer Zeit-
minute die geſuchte Rectaſcenſion ſchon um 15 Bogenminuten,
oder um den vierten Theil eines Grades unrichtig machte. Sie
[251]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſuchten daher die Orte der Planeten am Himmel, an deren
Kenntniß dem Beobachter vor allen gelegen iſt, durch andere
Mittel zu erhalten und ſie wählten dazu vorzugsweiſe die Beob-
achtung der Diſtanzen dieſer Planeten von zwei benachbarten,
ihrer Lage nach bereits bekannten Fixſternen. Zu dieſer Abſicht
mußten ſie dem Quadranten, ſo wie er oben (I. S. 104) be-
ſchrieben wurde, eine etwas veränderte Einrichtung geben. Er
mußte nämlich zuerſt mit zwei Fernröhren verſehen werden, von
welchen das eine, wie bisher, ſich um den Mittelpunkt C [I. Fig. 7]
bewegte, während das andere in der Lage CA mit dem Qua-
dranten feſt und unveränderlich verbunden wurde. Zweitens mußte
aber auch der ganze Quadrant ABC um den Punkt C, wo er an
ſeine Säule oder an ſein Fußgeſtell befeſtiget war, nach allen
Richtungen beweglich gemacht werden. Dieß könnte z. B. am
einfachſten durch eine ſogenannte Nuß geſchehen, wie ſie in Fig. 10
abgebildet iſt. Auf dem unteren Theile der Säule D, welche den
Quadranten trägt, iſt ein metallener Cylinder befeſtiget, der an
ſeinem oberſten Ende eine halbe Kugelſchaale C trägt. In dieſe
Schaale paßt eine Kugel a, an welche ein hohler Cylinder ab
angegoſſen iſt, und in deſſen Höhlung ein innerer Cylinder ab
paßt, an deſſen oberſten Ende b das Inſtrument AB oder hier
der Quadrant befeſtiget wird. Die Druckſchraube m hält den
inneren Cylinder in ſeiner äußeren Hülle feſt, und die Druck-
ſchraube n befeſtiget die Kugel in ihrer Kugelſchaale. Wenn man
daher die beiden Druckſchrauben m und n öffnet, ſo kann man
dem Quadranten AB irgend eine willkührliche, auch geneigte Lage
gegen den Horizont geben, und ihn dann, wenn man die beiden
Schrauben anzieht, auch in dieſer Lage befeſtigen.
Wenn alſo mit einem ſolchen Inſtrumente die Diſtanz zweier
Geſtirne, z. B. die Diſtanz eines Planeten, deſſen Ort man be-
ſtimmen will, von einem bereits bekannten Fixſtern beobachtet
werden ſoll, ſo bringt man zuerſt die Fläche des Quadranten in die
Ebene, welche durch das Auge des Beobachters und durch jene
beiden Geſtirne geht, und zwar ſo, daß das fixe Fernrohr des
Inſtruments auf das eine dieſer beiden Geſtirne gerichtet iſt.
In dieſer Lage wird der Quadrant mittels jener Druck-
ſchrauben befeſtiget, und nun wird auch das andere Fernrohr
[252]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
längs der Ebene des Quadranten ſo lange bewegt, bis durch daſ-
ſelbe auch das andere Geſtirn erſcheint. Man ſieht, daß man auf
dieſe Weiſe die Diſtanz der beiden Geſtirne auf dem Quadranten
ableſen kann, und daß man dieſelbe am beſten erhalten wird,
wenn zwei Beobachter zu gleicher Zeit an dem Inſtrumente be-
ſchäftiget ſind, von denen jeder durch eines der beiden Fernröhre
ſieht. Uebrigens bemerkt man von ſelbſt, daß man, da man im
Allgemeinen die kleineren Diſtanzen vorziehen wird, den Bogen
AB auch kleiner, als den vierten Theil eines Kreiſes nehmen
kann, wodurch das Inſtrument zu den Beobachtungen bequemer
wird. Ein ſolches Inſtrument wird ein aſtronomiſcher Sextant
oder Octant genannt, je nachdem der Bogen AB .. 60 oder
43 Grade hat.
Dieſer Art, die Orte der Planeten am Himmel, z. B. ihre
Länge und Breite zu finden, bedienten ſich vorzüglich Tycho,
Hevel und ſelbſt noch Flamſtead.
Allein auch dieſes Verfahren ſetzt einen ſehr vollkommen ge-
bauten und genau getheilten Quadranten voraus, und es iſt über-
dieß für den Gebrauch unbequem, da es zwei Beobachter und
eine ſehr umſtändliche Berechnung erfordert. Um dieſes zu zeigen,
ſeyen (Fig. 11) A und B die beiden Sterne, deren Ort am Him-
mel man genau kennt, und durch deren Diſtanzen AC und BC
von dem Planeten C man auch den Ort des letzten beſtimmen
will. Iſt alſo z. B. P der Nordpol des Aequators, ſo kennt
man die beiden Poldiſtanzen AP und BP der Sterne und den
Winkel APB d. h. die Differenz ihrer Rectaſcenſionen. Durch
die Beobachtung ſind überdieß die Diſtanzen AC und BC gegeben.
Sonach kennt man in dem Dreiecke APB die zwei Seiten AP,
BP und den von ihnen eingeſchloſſenen Winkel APB, alſo wird
man auch daraus durch Rechnung (I. S. 110) die Seite AB und
den Winkel x finden können. Dadurch ſind in dem zweiten
Dreiecke ABC alle drei Seiten gegeben, alſo wird man auch den
Winkel ABC, das heißt den Winkel y = ABC — x berechnen
können. Auf dieſe Weiſe kennt man aber in dem dritten Dreiecke
BPC die beiden Seiten BP und BC nebſt dem eingeſchloſſenen
Winkel y, alſo findet man auch daraus durch Rechnung die Seite
PC und den Winkel BPC. Es iſt aber PC die geſuchte Poldi-
[253]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſtanz des Planeten und der Winkel BPC iſt gleich der geſuchten
Rectaſcenſion des Planeten, wentger der bereits bekannten Recta-
ſcenſion des zweiten Sterns B.
§. 10. (Mauerquadrant.) Da dieſe Rechnungen, wenn ſie
oft wiederholt werden, ſehr zeitraubend ſind, ſo dachte man bald
auf andere Mittel, dieſelbe Abſicht zu erreichen.
Zuerſt ſuchte man dem Quadranten, auf den man immer
wieder zurückzukommen gleichſam gezwungen war, mehr Vollkom-
menheit zu geben. Man ſah ein, daß man die Theilung deſſelben,
bei einem kleineren Inſtrumente beſonders, nicht mit Genauigkeit
auftragen kann, und daß im Gegentheile ſehr große Inſtrumente
weder leicht noch ſicher in alle die verſchiedenen Lagen gebracht,
und darin erhalten werden können. Man kam daher auf die
Idee, viel größere Quadranten in der Ebene des Meridians feſt
und unveränderlich aufzuſtellen, und daran die Geſtirne zur Zeit
ihrer Kulmination zu beobachten. So entſtand der Mauer-
quadrant, der noch in den letzten Decennien des verfloſſenen
Jahrhunderts zu den vorzüglichſten und gebräuchlichſten Inſtru-
menten der Aſtronomie gehörte.
Der Mauerquadrant ABC (Fig. 12) beſteht aus mehreren
ſtarken und unter einander feſt verbundenen Stangen und einem
ähnlichen Kreisbogen AB von Metall. Dort wo dieſe Stangen
an einander gefügt ſind, in den Punkten m, m, m iſt das ganze
Inſtrument durch ſtarke Schrauben an eine, in der Ebene des
Meridians errichtete Mauer befeſtiget. Man wird ſich bei dieſen
Schrauben leicht eine Vorrichtung denken können, durch welche
man das ganze Inſtrument in ſeiner Lage etwas verrücken, und
dadurch ganz genau in die Ebene des Meridians bringen kann.
Ein Bleiloth BC, oben bei C, an einer Nadelſpitze befeſtiget,
wird an dem unterſten Theile B des eingetheilten Randes BA
immer denſelben Punkt bedecken, ſo lange die beiden äußerſten
Halbmeſſer CA und CB des Quadranten unverändert dieſelbe
Lage gegen den Horizont beibehalten. Schlägt der Faden auf
einen andern Punkt, ſo wird man von dieſer Abweichung des
Quadranten entweder Rechnung tragen, oder ſie auch, durch die-
ſelbe Vorrichtung bei den Schrauben m, m .. wieder herſtellen
und verbeſſern können. Der Faden dieſes Lothes iſt durch ein
[254]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ihn umgebendes Gehäuſe vor Luftzug geſchützt, und die zu große
Beweglichkeit des Gewichts bei B wird dadurch gehindert, daß
man es in einem mit Waſſer gefüllten Gefäße ſchwimmen läßt.
Das Fernrohr DE bewegt ſich um den Mittelpunkt O des Qua-
branten mit der Fläche deſſelben parallel. Bei der Ocularſeite E
iſt es, mittels einer Schraube cd und einer doppelten Metall-
platte b mit dem Rande des Inſtruments in Verbindung. Dieſe
Platte umfaßt, in der Geſtalt einer Gabel, den Kreisbogen und
die beiden Theile derſelben können durch eine eigene Schraube
einander genähert werden, wodurch dann das Fernrohr feſt mit
dem Kreisbogen AB verbunden wird. Wenn aber dieſe beiden
Theile der Platte von einander entfernt werden, ſo läßt ſich das
Fernrohr frei um den Mittelpunkt O drehen, und auf einen will-
kührlichen Punkt des Quadranten ſtellen und daſelbſt, mittels
der erwähnten Schraube bei b ſo befeſtigen, daß man kleine
Verrückungen des Fernrohrs noch mittels der Schraube cd her-
vorbringen, und dadurch das Fernrohr genau auf den zu beobach-
tenden Stern ſtellen kann. Auf der jener Platte b entgegen ge-
ſetzten Seite iſt dieſes Fernrohr mit einem kleinen, eingetheilten
Metallplättchen a oder mit dem Vernier verbunden, der zur
genaueren Beſtimmung der auf dem Kreiſe AB angebrachten
Theilſtriche dient, und von dem wir weiter unten ſprechen werden.
Tycho iſt der erſte, der ein ſolches Inſtrument gebraucht hat,
das er, als der Erfinder deſſelben, Quadrans Tychonicus nannte.
Da er den Halbmeſſer deſſelben ſehr groß annahm, ſo konnte er den
Rand deſſelben mittels Transverſalen, wie wir weiter unten ſehen
werden, noch bis auf zehn Sekunden eintheilen. Allein dieſe ſo weit
getriebene Theilung war ungenau, und man ſieht aus ſeinen Beob-
achtungen, daß die Fehler derſelben öfter auf 2 und ſelbſt auf
3 Minuten gehen. Seine nächſten Vorgänger, wie Walther,
Regiomontan, Wilhelm IV. und andere, die auf ihre Inſtrumente
nicht geringere Mühe und Koſten verwendet hatten, mußten ſich
Fehler von 10 Minuten gefallen laſſen, und den Arabern ging
es, ihrer ungeheueren Inſtrumente ungeachtet, nicht beſſer. Pto-
lemäus verſichert in ſeinem Almageſt, daß ſeine und Hypparch’s
Beobachtungen die Winkel bis auf 4 Minuten im Raume, und
die Zeit bis auf 8 Zeitminuten genau geben; allein aus den Beobach-
[255]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
tungen der alexandriniſchen Griechen ſcheinen viel größere Fehler
zu folgen.
Wie dem auch ſeyn mag, die große Vollkommenheit unſerer
aſtronomiſchen Inſtrumente datirt ſich erſt ſeit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts und unter dieſen wurden beſonders die
Mauerquadranten von den engliſchen Künſtlern mit einer bisher
ganz unbekannten Genauigkeit verfertiget. Im Jahre 1725 ſchon
vollendete Graham einen der erſten und vorzüglichſten Mauer-
quadranten von 8 Fuß im Halbmeſſer, an welchem Halley in
Greenwich beobachtete. Unter Graham’s Leitung verfertigte Jo-
nathan Siſſon einen anderen, mit welchem le Monnier in Paris
bis zum Jahre 1751 beobachtete, und der dann nach Berlin ge-
bracht wurde, wo Lalande an ihm die Beobachtungen machte, die
Lacaille, nach der getroffenen Verabredung, gleichzeitig am Kap
der guten Hoffnung anſtellte. Der berühmte Mechaniker Bird
in England verfertigte mehrere ausgezeichnete Inſtrumente dieſer
Art, einen von 8 engliſchen Fuß im Halbmeſſer für Greenwich,
zwei für Oxford, eben ſo viele für Petersburg, Göttingen, Cadix,
Mannheim und Paris. Der franzöſiſche Finanzminiſter Bergeret
ließ im Jahr 1775 in England einen Mauerquadranten für die
Ecole militaire in Paris verfertigen, an dem anfangs d’Agelet
viel beobachtete, bis endlich Lalande, der Neffe des bekannten
Aſtronomen (Jerome le Français Lalande) ihn benützte, um
durch ſeine eifrigen und viele Jahre fortgeſetzten Beobachtungen
den erſten vollſtändigen Fixſternkatalog von mehr als 40000 Ster-
nen zu geben. (M. ſ. deſſen Histoire céleste, Paris 1801).
Kein anderes Inſtrument hatte bisher eine ſo reiche Ernte von
nützlichen Beobachtungen geliefert. Ramsden, vielleicht der erſte
aller Mechaniker, die je gelebt haben, verfertigte einen großen
Mauerquadranten für die Sternwarte in Padua, einen andern
für Mailand und für Wilna, und endlich einen für Blenheim in
England, welcher letzte ſich auf einer ſoliden verticalen Axe im
Horizonte drehen läßt, und überhaupt eines der vollkommenſten
Inſtrumente iſt, welches je aus der Hand eines Künſtlers her-
vorging.
§. 11. (Entdeckung der Fernröhre.) So vorzüglich aber auch
dieſe Inſtrumente, in Beziehung auf die früheren, ſeyn mochten,
[256]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſo ließen ſie doch für die erhöhten Forderungen der neueren Aſtro-
nomie noch gar manches zu wünſchen übrig. Ihr großes Volum
machte ſie koſtbar, und zum Gebrauche unbequem, und es war
äußerſt ſchwer, wo nicht unmöglich, einen ſo großen Kreisbogen
in einer und derſelben Ebene, ohne theilweiſe Biegungen und
Krümmungen zu erhalten. Nicht minder ſchwer war es, das
Fernrohr in allen ſeinen Lagen der Ebene des Quadranten genau
parallel zu machen, und die zwei letzten Urſachen machten das
Inſtrument zur Beobachtung der abſoluten Zeitbeſtimmung oder
der Rectaſcenſion in der Ebene des Meridians nicht mit der
Schärfe geeignet, welche die ſo weit vorgerückten Bedürfniſſe der
Wiſſenſchaft zu erfordern ſchienen. Wegen der Unbeweglichkeit
des Inſtruments waren die Rectificationen deſſelben beſchwerlich
und unſicher. Endlich waren ſie, eben wegen ihrer Größe, den
Einwirkungen der Temperatur ausgeſetzt. Die höheren Theile
des Obſervationszimmers ſind gewöhnlich wärmer, als die näher
an dem Fußboden liegenden, wodurch das Inſtrument oben mehr
als unten, und überhaupt in ſeinen verſchiedenen Theilen verſchie-
den ausgedehnt wird, was auf die damit angeſtellten Beobach-
tungen einen um ſo nachtheiligeren Einfluß haben muß, je ſchwerer
es iſt, dieſe Ausdehnung zu bemerken oder von ihren Wirkungen
Rechnungen zu tragen.
Dieſe Schwierigkeiten, mit denen die neueren Aſtronomen zu
kämpfen hatten, entſprangen vorzüglich aus der Entdeckung eines
neuen Inſtrumentes, durch welches unſer edelſter Sinn wunderbar
erhöht, und unſere Kenntniß der Erde und des Himmels auf eine
Weiſe erweitert wurde, von welchen ſich die Alten keine Vorſtel-
lung machen konnten.
Die Ausbildung und Vervollkommnung der Aſtronomie in
ihrem ganzen Umfange hängt vorzüglich von drei Gegenſtänden
ab. Erſtens von dem Grade der Genauigkeit, mit welcher wir
die äußeren Objecte dieſer Wiſſenſchaft, die himmliſchen Körper,
ſehen können. Was man nicht oder doch nicht deutlich ſieht,
kann man auch nicht oder doch nicht genau beobachten. Mit
freien Augen unterſcheiden wir Winkel, die mehrere Minuten
unter ſich verſchieden ſind, nicht mehr, alſo wird auch ein Beob-
achter mit unbewaffnetem Auge für eine und ſelbſt für mehrere
[257]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Minuten nicht mehr gut ſtehen können. Dieß war der Fall der
alten Griechen und Araber und überhaupt aller Aſtronomen, die
mit den neuern Mitteln, die Schärfe unſeres Auges zu ſtärken,
unbekannt waren.
Als wir durch eine der glücklichſten Entdeckungen, die dem
menſchlichen Geiſte je gelungen iſt, dahin gekommen waren, Ge-
genſtände am Himmel zu ſehen, die uns wegen ihres zu geringen
Umfanges früher ganz unbemerkbar waren, ſo mußte es unſere
nächſte Sorge ſeyn, nun auch unſere Inſtrumente ſo einzurichten,
ſo zu vervollkommnen, daß man damit die Größen, die man nun
ſehen konnte, auch zu meſſen im Stande war. Wir ſahen
jetzt die Durchmeſſer der Planeten, ihre Winkelabſtände von den
Fixſternen, ihre Höhen über dem Horizonte oder über dem Aequa-
tor bis auf einzelne Sekunden genau, und daraus mußte unmit-
telbar der Wunſch entſtehen, dieſe Gegenſtände auch eben ſo genau
bis auf die einzelne Sekunde meſſen zu können.
Nachdem endlich auch dieſe Forderung erfüllt war, nachdem
durch die vereinigten Bemühungen der größten Künſtler des ver-
floſſenen Jahrhunderts unſere Meßwerkzeuge eine Genauigkeit
erhalten hatten, daß ſie mit jener wunderbaren Verſchärfung un-
ſeres Auges gleichen Gang hielten, nachdem unſere optiſchen
ſowohl, als auch unſere meſſenden Inſtrumente auf einen ſo
hohen Grad der Vollkommenheit gebracht waren, blieb noch eine
andere, dritte Gattung von Inſtrumenten, das Werkzeug des
Geiſtes, wenn man ſo ſagen darf, blieb noch die mathemati-
ſche Analyſis übrig, die nun auch aus dem Zuſtande der Kind-
heit, in welchem ſie uns von unſeren Vorgängern überliefert
worden war, zu der Höhe gebracht werden mußte, in welcher ſie
die beiden anderen großen Hülfsmittel der Wiſſenſchaft kräftig
unterſtützen, oder vielmehr, da ſie unter allen bei weitem die
wichtigſte war, in welcher ſie jene beiden leiten und anführen
konnte, ſo daß fortan die theoretiſche Aſtronomie mit der prakti-
ſchen Hand in Hand auf demſelben Wege ihrer gemeinſamen
Vollendung entgegen gehen konnten.
Die Darſtellung der allmähligen Ausbildung dieſer drei Theile
der Wiſſenſchaft bildet die wahre Geſchichte der Aſtronomie.
Ein völliges Gleichmaaß unter dieſen Theilen würde die Wiſſen-
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 17
[258]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſchaft zu einer in ſich ſelbſt abgeſchloſſenen Ruhe, zu einer Art
von Stagnation bringen, während im Gegentheile das Ueberge-
wicht des einen derſelben über die beiden andern Leben und Thä-
tigkeit erzeugt, und den menſchlichen Geiſt aufreitzt, das geſtörte
Gleichgewicht wieder herzuſtellen, und die Lücken und Mängel,
die in den zurückgebliebenen Theilen der Wiſſenſchaft ſichtbar
werden, durch neue Anſtrengungen wieder zu erſetzen.
Eine ſolche Aufforderung an den Genius der Menſchheit er-
ging, im Anfange des ſiebenzehnten Jahrhunderts, durch die Er-
findung des Fernrohrs, dem bald auch die des Mikroſcops folgte,
das jenem ſo nahe verwandt iſt. Beide Inſtrumente erweiterten
die Gränze unſeres edelſten Sinnes, und dadurch unſere Kenntniß
der Natur auf eine wunderbare Weiſe. Zwei neue, bisher ganz
ungeahnte Welten ſchloſſen ſie vor uns auf, indem ſie uns Ge-
genſtände erkennen ließen, von welchen die einen wegen ihrer zu
geringen Kleinheit, und die anderen wegen ihrer zu großen Ent-
fernung, uns für immer verborgen geblieben wären.
Wenn es aber erlaubt iſt, dieſe Entdeckung, durch welche der
Menſch die ihm von der Natur geſetzten Schranken zu durchbre-
chen, und ſich über ſich ſelbſt zu erheben wußte, für ihn ſelbſt in
einem hohen Grade ruhmvoll zu halten, ſo muß doch auch hin-
zugeſetzt werden, daß er dieſe ſchönſte und glänzendſte ſeiner Ent-
deckungen keinesweges dem Scharfſinne oder dem angeſtrengten
Nachdenken ſeines Geiſtes, ſondern daß er ſie nur einem Zufalle,
einem blinden Ohngefähr, daß er ſie bloß einem abſichtsloſen
Spiele zweier Kinder verdankt. Auch möchte es, welche hohe
Idee von der geiſtigen Kraft des Menſchen man auch nähren
mag, wohl immer für ihn unmöglich ſeyn, auf dem bloßen Wege
der theoretiſchen Spekulation zu Entdeckungen ſolcher Art zu ge-
langen *). Nach Borelli’s Erzählung ſoll Zacharias Janſen, ein
[259]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
bolländiſcher Künſtler, i. J. 1590 auf dieſe Entdeckung gekom-
men ſeyn, indem ſeine Kinder unter den vielen vorräthigen Glas-
linſen zufällig zwei derſelben zuſammen brachten, und dadurch die
entfernten Gegenſtände zu ihrer Verwunderung ſehr vergrößert
erblickten. Andere erzählen dieſelbe Anekdote von Jakob Metius,
aus Alkmar, oder von Johann Lippersheim aus Middelburg in
Holland, die Beide dieſe Entdeckung nahe um dieſelbe Zeit ge-
macht haben ſollen.
Ein Stück Kieſelerde mit Potaſche vermiſcht, und ein Spiel
der Kinder eines Brillenmachers öffnete uns alſo zwei neue, un-
bekannte Welten. — Dieſes zufällige Spiel lehrte uns mit dem
mikroſcopiſchen Auge der Milbe die Blüthentheile der Mooſe, das
kunſtreiche Gewebe und den Farbenſchmelz der Schmetterlings-
flügel und jene Geſchöpfe erblicken, die den Waſſertropfen zu
Tauſenden bewohnen, und die heerdenweiſe durch das Oehr einer
Nadel ziehen, während ſie uns zugleich mit den Augen eines
höheren Weſens die fernſten Gränzen unſeres Planetenſyſtems
betrachten, und ſelbſt weit jenſeits dieſer Gränzen die zahlloſen
Wunder des Himmels kennen lehrte, gegen welche alles, was uns
hier unten groß und mächtig erſchien, nur als ein bedeutungsloſes
Nichts verſchwindet. Gewiß ein merkwürdiges Beiſpiel, das uns
zugleich erheben und demüthigen, aber auch auffordern muß, keine,
auch nicht die geringſte Erſcheinung der Natur zu vernachläſſigen,
da ſie, obgleich anfangs unbedeutend ſcheinend, doch immer einen
Ring mehr in der Kette unſerer Kenntniſſe bilden kann, und
daher als ein Schatz von bisher unbekanntem Werthe zu dem
großen Vorrathe anderer Schätze, zu demjenigen Erbe gelegt werden
ſoll, welches wir unſern Nachkommen mit der Hoffnung überlaſſen
können, daß Zeit und Glück auch erſt einen ſpäten Enkel begün-
*)
17 *
[260]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſtigen, und die Koſtbarkeit des hinterlegten Pfandes zu Tage för-
dern wird.
§. 12. (Brechung der Lichtſtrahlen durch eine Linſe.) Um
die Einrichtung eines Fernrohrs näher kennen zu lernen, wird es
angemeſſen ſeyn, zuerſt die Art zu unterſuchen, auf welche die
Lichtſtrahlen von einer Glaslinſe gebrochen werden. Wir betrach-
ten hier nur ſogenannte biconvexe Linſen MN (Fig. 13) die auf
beiden Seiten erhaben geſchliffen, und Stücke von zwei gleichen
oder auch verſchiedenen Kugeln ſind, deren Mittelpunkte irgendwo
in derſelben geraden Linie aα liegen, welche Linie auch die
Axe der Linſe heißt.
Eine ſolche Linſe iſt alſo ein gemeines Brennglas, das
Jedermann kennt und auch zu brauchen weiß. Wenn man näm-
lich die eine der beiden Flächen dieſes Glaſes der Sonne ausſetzt,
ſo daß die Strahlen derſelben nahe ſenkrecht auf dieſe Fläche
fallen, ſo bemerkt man auf der anderen Seite der Linſe, in einiger
Entfernung von ihr, einen kleinen, runden, lichten Kreis, den man
den Brennpunkt der Linſe nennt, weil er in der That eine große
Hitze äußert, und die Gegenſtände, auf die er fällt, in Brand
ſetzt. Dieſer Brennpunkt liegt aber, wie man ſich leicht über-
zeugen kann, immer in der Axe der Linſe, und iſt in der That
nichts anderes, als das Bild der Sonne, wie man deutlich ſehen
kann, wenn man dieſelbe Linſe vor die Oeffnung eines verfin-
ſterten Zimmers ſtellt, und auf der inneren Seite, in derſelben
Entfernung von der Linſe, eine weiße Tafel vorſtellt, wo ſich
dann von den entfernten äußeren Gegenſtänden, z. B. von den
andern Häuſern der Stadt, die Bilder derſelben auf der Tafel
zeigen. Je weiter jene Häuſer von der Linſe entfernt ſind, deſto
deutlicher erſcheinen ihre Bilder, wenn die Tafel in der That eben
ſo weit, wie oben bei der Sonne, von der Linſe abſteht, während
die näher ſtehenden Häuſer undeutlich, und endlich ganz unkennt-
lich werden. Wir müſſen daher annehmen, daß die von den ent-
fernten Gegenſtänden ausgehenden, und die ganze Vorderfläche
der Linſe bedeckenden Lichtſtrahlen, bei dem Durchgange derſelben
durch die Linſe gebrochen, und hinter der anderen Seite der Linſe
ſo vereiniget werden, daß alle diejenige Strahlen, welche von
einem beſtimmten Punkte des Gegenſtandes, z. B. von der Spitze
[261]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
eines Thurmes ausgingen, ſich wieder in einem einzigen beſtimm-
ten Punkte ſammeln, und eben dadurch das Bild dieſer Thurm-
ſpitze bilden, und daſſelbe wird auch von jedem andern Punkte
des Thurmes gelten müſſen, weil ſonſt das Bild deſſelben nicht
ſo rein und deutlich ſeyn könnte, wie es in der That erſcheint.
Wenn alſo der äußere Gegenſtand, wie ein entfernter Thurm
oder die noch viel mehr entfernte Sonne, ſehr weit von der Linſe
abſteht, ſo liegt das Bild derſelben immer in dem Brennpunkte
der Linſe. In dieſem Falle können aber alle Strahlen, welche
von dieſem Gegenſtande auf die Linſe fallen, als unter einander
parallel angeſehen werden, obſchon eigentlich jeder einzelne Punkt
des leuchtenden Körpers immer nur divergirende Strahlen aus-
ſendet, ſo daß alſo „für parallel auffallende Strahlen, der Ort
des Bildes immer in dem Brennpunkte der Linſe iſt.“
Wenn aber der Gegenſtand näher an die Linſe rückt, ſo daß
gegen ſeine Entfernung die Größe der Linſe nicht mehr als un-
bedeutend angeſehen werden kann, ſo wird die Divergenz der auf
die Linſe fallenden Strahlen auch nicht mehr unmerklich ſeyn,
man wird dieſe Strahlen nicht mehr als unter ſich parallel an-
nehmen können, und dann wird auch die Brechung derſelben, bei
ihrem Durchgange durch die Linſe, eine andere ſeyn, als zuvor,
d. h. das Bild des näher gerückten Gegenſtandes wird, zwar noch
in die Axe der Linſe, aber nicht mehr in den Brennpunkt der-
ſelben fallen, und überdieß auch nicht mehr dieſelbe Größe haben,
wie zuvor.
Es iſt intereſſant zu ſehen, welches, für jeden gegebenen Ge-
genſtand, der Ort und die Größe ſeines Bildes ſeyn wird. —
Dieſe Frage läßt ſich aber auf folgende ſehr einfache Weiſe
beantworten.
Wir wollen zuerſt die Dicke der Linſe als unbedeutend über-
ſehen, da ſie in der That auf die Antwort, die wir ſuchen, nur
einen ſehr geringen Einfluß hat, und bloß bemerken, daß von
allen Strahlen, die von irgend einem Punkte eines nahen oder
fernen Gegenſtandes auf die Linſe fallen, immer einer nicht ge-
brochen wird, nämlich derjenige, der durch den Mittelpunkt C
der Linſe durchgeht, und daher der Hauptſtrahl jenes Punktes
heißt. Die Urſache, warum dieſer Strahl von der Linſe keine
[262]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Brechung erleidet, ſondern nach ſeinem Durchgange durch dieſelbe
ſeinen Weg in derſelben Richtung fortſetzt, liegt offenbar in dem
Umſtande, daß die beiden Orte der Linſe, wo der Hauptſtrahl in
ſie tritt, und wo er ſie wieder verläßt, in ihren Krümmungen
einander parallel ſind, und daß ſie daher keine Abweichung des
Strahls von ſeinem Wege hervorbringen können.
Es ſey nun ACa die Axe und C der Mittelpunkt der Linſe
MN (Fig. 13), und AB ein auf dieſer Axe ſenkrecht ſtehender Ge-
genſtand, deſſen Größe AB und Entfernung AC von der Linſe
gegeben iſt, und deſſen Bild man ſucht.
Wenn die auf die Linſe auffallenden Strahlen alle unter ſich,
und mit der Axe Aa parallel wären, ſo würden ſie, nach dem
Vorhergebenden, nach ihrer Brechung ſich alle in dem Brenn-
punkte der Linſe vereinigen. Sey p dieſer Brennpunkt, deſſen
Ort man alſo, durch das oben erwähnte einfache Experiment mit
der Sonne, leicht finden kann.
Was nun den unterſten Punkt A des Gegenſtandes AB be-
trifft, der in der Axe der Linſe liegt, ſo wird ſein Bild, auf der
anderen Seite der Linſe, ebenfalls irgendwo in der Axe liegen müſ-
ſen, weil der Hauptſtrahl AC deſſelben in der Axe liegt, alſo durch
den Mittelpunkt der Linſe geht, und daher gar nicht gebrochen wird.
Zieht man nun auch durch den höchſten Punkt B des Gegen-
ſtandes, und durch den Mittelpunkt C der Linſe die gerade Linie
BC, ſo wird dieſe Gerade den Hauptſtrahl dieſes oberſten Punk-
tes B vorſtellen, und da ſich überhaupt von jedem Punkte des
Objekts alle von ihm ausgehenden Strahlen wieder in einem ein-
zigen Punkte vereinigen ſollen, ſo wird dieſer Vereinigungspunkt
der von B ausgehenden Strahlen, oder ſo wird das Bild des
höchſten Punktes B irgendwo in dem Hauptſtrahl BC oder deſſen
Verlängerung ſeyn müſſen. Um daher den Punkt in der Linie
BC zu finden, in welchem das Bild des Punkes B liegt, ſo wollen
wir bemerken, daß von allen den Strahlen, die dieſer Punkt B
divergirend ausſendet, auch ein mit der Axe AC parallel liegen-
der Strahl ſeyn muß. Sey Bo dieſer mit AC parallele Strahl.
Da nun, nach dem Vorhergehenden, jeder mit der Axe parallel
einfallende Strahl, nach ſeiner Brechung, durch den Brennpunkt
[263]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
p der Linſe gehen muß, ſo wird op den mit AC parallelen Strahl
des höchſten Punktes B, nach ſeiner Brechung vorſtellen.
Demnach muß das geſuchte Bild des Punkes B ſowohl in
der Linie BC, als auch in der Linie op, alſo muß dieſes Bild
in dem gemeinſchaftlichen Durchſchnittspunkte b dieſer beiden
Linien BC und op ſeyn. Da nun, der Vorausſetzung gemäß, der
Gegenſtand AB auf der Axe ſenkrecht ſteht, ſo wird auch das
Bild ab auf derſelben ſenkrecht ſtehen, und da man das Bild b
des höchſten Punktes B ſchon kennt, ſo darf man nur von dieſem
Punkte b eine Senkrechte ba auf die Axe AC der Linſe ziehen,
um ſofort die Größe ba als auch die geſuchte Entfernung Ca des
Bildes von der Linſe zu erhalten.
Man wird alſo, um das Vorhergehende kurz auszudrücken,
durch irgend einen Punkt B des Gegenſtandes zwei Gerade ziehen,
von welchen die eine BC durch den Mittelpunkt der Linſe, und
die andere Bo mit der Axe der Linſe parallel iſt. Zieht man
dann durch den Punkt o und durch den bekannten Brennpunkt p
der Linſe eine Gerade op, welche verlängert die vorige Gerade
BCb in dem Punkte b ſchneidet, ſo iſt b das geſuchte Bild des
Punkes B.
Man muß ſich nämlich, dem Vorhergehenden gemäß, vor-
ſtellen, daß alle von dem Punkte A auf die Linſe fallende, und
dieſelbe gleichſam bedeckende Strahlen, nach ihrer Brechung, ſich
ſämmtlich in dem Punkte a vereinigen, und da das Bild von
A erzeugen. Und eben ſo werden auch alle die von dem höchſten
Punkte B des Gegenſtandes auffallende Strahlen nach ihrer
Brechung ſich in dem Punkte b vereinigen, um hier das Bild
des Punktes B zu machen, und daſſebe gilt auch von allen den
übrigen zwiſchen A und B liegenden Punkten, deren Bilder alle
zwiſchen a und b in der auf die Axe ſenkrechten Linie ab liegen
werden. In der Zeichnung ließen ſich alle Strahlen eines
jeden Punktes nicht ausdrücken, da es ihrer in der That für
jeden Punkt unzählige gibt, ſondern man hat von ihnen nur die-
jenigen angeführt, deren Lage zur Auffindung des Bildes noth-
wendig ſind.
Mit Hülfe dieſer Zeichnung wird man alſo für jede gegebene
Größe und Entfernung des Gegenſtandes die Größe und Ent-
[264]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
fernung des Bildes in allen Fällen beſtimmen *). Nimmt z. B.
die Entfernung AC des Gegenſtandes von der Linſe zu, ſo nimmt
die Größe ab ſowohl, als auch die Entfernung aC des Bildes
ab, und a rückt dem Brennpunkte p näher. Wird die Entfer-
nung AC des Gegenſtandes, wie bei der Sonne, unendlich groß,
ſo fällt das Bild a in den Brennpunkt p, übereinſtimmend mit
dem Vorhergehenden, da jetzt die von dem Gegenſtande auf die
Linſe fallenden Strahlen unter ſich parallel ſind. — Rückt umge-
kehrt der Gegenſtand A näher an die Linſe, ſo entfernt ſich das
Bild a von derſelben, und wird zugleich immer größer, und zwar
ſo lange, bis der Gegenſtand in die Entfernung Cp' gleich Cp
kommt oder bis er in der Entfernung der Brennweite ſteht, wo
dann das Bild in einer unendlichen Entfernung auf der andern
Seite der Linſe ſteht, weil jetzt die aus p' auf die Linſe fallenden
Strahlen, nach ihrer Brechung, unter ſich parallel werden. Ein
ſehr weit entfernter Gegenſtand hat demnach ſein Bild im Brenn-
punkte der Linſe, und ein im Brennpunkte ſtehender Gegenſtand
hat ſein Bild in einer unendlichen Entfernung, oder von einem
in dem Brennpunkte p' ſtehenden Gegenſtand werden alle Strahlen
[265]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
durch die Linſe in einer unter ſich parallelen Lage gebrochen.
Uebrigens bemerkt man auch ohne meine Erinnerung, daß in
allen den erwähnten Fällen das Bild des Gegenſtandes immer
verkehrt iſt, indem das Bild b des höchſten Punktes des Ge-
genſtandes am tiefſten unter der Axe ACa der Linſe liegt.
§. 13. (Einrichtung der Fernröhre.) Nach dieſer Erläuterung
der Wirkung einer einfachen Linſe wird es nun leicht ſeyn, die
Einrichtung der Fernröhre zu überſehen. Die einfachſten dieſer
optiſchen Inſtrumente beſtehen aus zwei Linſen, die an den beiden
Enden einer Röhre ſo angebracht ſind, daß ihre Axen ſowohl, als
auch ihre Brennpunkte zuſammen fallen.
Sey Ee (Fig. 14) der Gegenſtand in einer ſehr großen Ent-
fernung von der erſten größeren Linſe MAN oder von dem Ob-
jektive, und bab' die kleinere Linſe oder das Ocular. Sey EAa
die gemeinſchaftliche Axe der beiden Linſen, und in dieſer Axe
endlich F ihr gemeinſchaftlicher Brennpunkt.
Schon aus dieſer Stellung der beiden Linſen folgt, daß die
von einem ſehr weit entfernten Gegenſtande Ee, alſo die mit der
Axe parallel auf das Objektiv MN auffallenden Strahlen ihr
Bild in dem Brennpunkte F dieſes Objektivs haben werden. Da
aber dieſes Bild in F für die Ocularlinſe bb' die Stelle des Ge-
genſtandes vertritt, und da dieſer Gegenſtand F in dem Brenn-
punkte der Ocularlinſe liegt, ſo werden (nach §. 12) die Licht-
ſtrahlen nach der Brechung durch das Ocular bb', unter ſich
parallel in das Auge O des Beobachters treten, und dieß iſt
die erſte wichtige Eigenſchaft des Fernrohrs, da ein wohlgebautes
Auge die Gegenſtände nur dann deutlich ſieht, wenn die von jedem
Punkte deſſelben ausgehenden Strahlen unter ſich parallel ſind.
Allein dieſes Inſtrument gewährt noch andere, wichtigere Vor-
theile, die wir ſogleich näher kennen lernen werden.
Der in der Axe liegende Punkt E des hier als ſehr entfernt
angenommenen Gegenſtandes wirft eine Anzahl mit der Axe Aa
paralleler Strahlen auf das Objektiv MN, welche dieſe Linſe
gleichſam ganz bedecken, und welche ſich, nach ihrer Brechung
durch das Objektiv, in dem Brennpunkte F deſſelben vereinigen,
und daſelbſt das Bild jenes Punktes E entwerfen. Von F gehen
dann dieſe Strahlen divergirend auf das Ocular bb' aus welchem
[266]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſie, nach ihrer zweiten Brechung unter ſich parallel heraustreten.
Da der Hauptſtrahl EAFO dieſes Punktes E die Mitte A und a
der beiden Linſen, alſo ungebrochen durchgeht, ſo iſt Ea oder aO
die Richtung aller dieſer von E kommenden, nach der zweiten
Brechung unter ſich parallelen Strahlen.
Betrachten wir nun eben ſo auch den äußerſten Punkt E des
Gegenſtandes Ee, oder den, der von der Axe am meiſten entfernt
iſt. Dieſer Punkt e ſchickt ebenfalls eine Anzahl unter ſich paral-
leler, alſo auch, da Ee gegen die Entfernung EA ſehr klein iſt,
mit der Axe Aa paralleler Strahlen auf das Objektiv, die ebenfalls
das Objektiv gleichſam bedecken, und daher, nach ihrer Brechung
durch das Objektiv, ſich in irgend einem Punkte f vereinigen,
welcher Punkt f daher das Bild von dem Punkte e ſeyn wird.
Da aber der Hauptſtrahl des Punktes e, nämlich der Strahl eA,
ungebrochen durch die Mitte A des Objektivs hindurchgeht, ſo findet
man den Punkt f, wenn man in dem Brennpunkte F des Ob-
jektivs ein Loth auf die Axe Aa errichtet, wo dann der Durch-
ſchnittspunkt dieſes Lothes Ff mit jenem Hauptſtrahle eaf den
geſuchten Ort f des Bildes von e, und überhaupt das Loth Ff
das Bild des Gegenſtandes Ee geben wird. Dieſes Bild Ff
wird aber, wie man aus §. 12 ſieht, im Allgemeinen deſto kleiner
ſeyn, je kleiner die Brennweite AF der erſten Linſe MN gegen ihre
Entfernung AE von dem Gegenſtande iſt. — Von dieſem Ver-
einigungspunkte f aller von e kommenden Strahlen fallen dann
dieſe Strahlen wieder divergirend auf das Ocular bb' und treten,
da ſie aus dem Brennpunkte f (oder da das ganze Bild Ff ſehr
klein iſt) ſehr nahe aus dem Brennpunkte F des Oculars kom-
men, nach ihrer Brechung durch dieſes Ocular bb', unter ſich
parallel aus dem Oculare heraus. Um aber auch hier die ge-
meinſchaftliche Richtung aller dieſer parallelen Strahlen zu erfah-
ren, ziehe man den Strahl fa, der, als Hauptſtrahl des Punktes f,
ungebrochen durch die Mitte a des Oculars gehen muß, und der
daher die geſuchte Richtung aller der von f kommenden, nach ihrer
Brechung unter ſich parallelen Strahlen anzeigt.
Zieht man daher durch den äußerſten Rand b des Oculars
die gerade Linie bO parallel mit fa, ſo wird der Punkt O der
Axe der Ort des Auges ſeyn, in welchem daſſelbe alle von dem
[267]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Gegenſtande Ee kommende Strahlen überſehen kann, ſo wie zu-
gleich der Winkel aOb = Faf derjenige Winkel ſeyn wird, unter
welchem das Auge des Beobachters in O, durch das Fernrohr, den
Gegenſtand Ee, oder eigentlich das Bild Ff deſſelben, ſehen wird.
Ein unbewaffnetes, freies Auge in O aber würde den Gegen-
ſtand nur unter dem viel kleineren Winkel EOe (oder was hier,
wegen der gegen AO ſehr großen Entfernung EA daſſelbe iſt),
unter dem Winkel EAe = FAf ſehen, und in dieſem Unterſchiede
der beiden Sehwinkel Faf und FAf beſteht der zweite und weſent-
lichſte Vortheil dieſer Inſtrumente, indem man durch ſie alle Ge-
genſtände unter viel größeren Winkeln, alſo dieſe Gegenſtände
ſelbſt viel größer ſieht, als mit freien Augen.
Es iſt leicht, den Grad dieſer Vergrößerung genau anzugeben.
Da nämlich die beiden bei F rechtwinkligen Dreiecke FAf und Faf
die Seite Ff gemeinſchaftlich haben, ſo verhalten ſich in ihnen die
Winkel bei f und F, wie die Seiten FA und fa, oder man hat,
wenn man durch m die Vergrößerung des Fernrohrs anzeigt,
das heißt, das Fernrohr vergrößert die Gegenſtände ſo vielmal,
als die Brennweite aF des Oculars in der Brennweite AF des
Objektivs enthalten iſt. Um daher recht ſtark vergrößernde
Fernröhre zu erhalten, wird man ein Objektiv von recht großer
Brennweite wählen und es mit einem Oculare von einer ſehr
kleinen Brennweite verbinden. Iſt z. B. die Brennweite des Ob-
jektivs 10 Fuß oder 120 Zolle, und die des Oculars nur 1/10 Zoll,
ſo wird die Vergrößerung eines ſolchen Fernrohrs 1200 ſeyn, oder
man wird damit alle Gegenſtände unter einem 1200mal größeren
Winkel ſehen, als mit freien Augen.
§. 14. (Allmählige Verbeſſerungen der Fernröhre.) Das ſo
eben beſchriebene Fernrohr iſt das einfachſte ſeiner Art. Es zeigt,
wie man ſchon aus der Zeichnung ſieht, die Gegenſtände, die man
dadurch betrachtet, in einer verkehrten Lage, ſo daß die oberen
Theile deſſelben unten, und die rechts ſtehenden links erſcheinen.
Dieſen Uebelſtand hat man aber für aſtronomiſche Beobachtungen
mit Recht als geringfügig betrachtet, da die Gegenſtände des
Himmels beinahe alle eine runde Geſtalt haben.
[268]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Dieſe verkehrte Lage des Bildes läßt ſich aber beſeitigen,
wenn man nicht, wie bisher vorausgeſetzt wurde, beide Linſen
biconvex, oder auf beiden Seiten erhaben, ſondern wenn man die
Ocularlinſe auf einer oder auch auf beiden Seiten hohl ſchleift,
wie ſich leicht durch eine einfache Zeichnung nachweiſen ließe.
Auf dieſe Weiſe ſind noch unſere Theaterteleſcope eingerichtet,
und dieſe ſind es auch, die von den oben erwähnten holländiſchen
Künſtlern zuerſt erfunden worden ſind, daher man ſie auch hol-
ländiſche Fernröhre zu nennen pflegt, während das in §. 13 be-
ſchriebene mit zwei biconvexen Linſen, nach ſeinem Erfinder, das
Keplerſche oder auch das aſtronomiſche Fernrohr heißt.
Ein größerer Nachtheil dieſer aſtronomiſchen Fernröhre beſtand
darin, daß man damit nur einen ſehr kleinen Theil des Himmels
mit einem Blicke überſehen konnte, einen um ſo kleineren, je ſtärker
die Vergrößerung des Inſtruments iſt. Allein dieſen Nachtheilen
half man bald dadurch ab, daß man das Ocular verdoppelte, oder
daß man dem in §. 13 beſchriebenen Oculare bb' in einer geringen
Entfernung von demſelben noch eine convexe Linſe hinzufügte,
wodurch das Feld des Fernrohrs ſehr vergrößert wird.
Nicht ſo leicht war es, einem anderen, für den Gebrauch
dieſer Inſtrumente ſehr wichtigen Fehler derſelben zu begegnen.
Es iſt nämlich nicht ganz richtig, daß die von einem Punkte des
Gegenſtandes auf das Objektiv fallenden Strahlen, durch die
Brechung dieſes Objektives, wieder genau in einem einzigen Punkt
vereinigt werden, wenn anders dieſe Objektivlinſe, wie wir oben
vorausgeſetzt haben, von zwei Kugelflächen begränzt wird. Zwar
läßt ſich durch Rechnung die Geſtalt finden, welche die Ober-
flächen dieſer Linſen haben ſollten, um alle parallel auf ſie fal-
lende Strahlen wieder in einen einzigen Punkt zu vereinigen. Aber
unſere Künſtler haben keine Mittel, jene Flächen mit der hier
nöthigen Genauigkeit zu erzeugen, und ſie ſind gezwungen, bei
der Kugelfläche zu bleiben, die ſie allein mit Schärfe darzuſtellen
im Stande ſind. Da nun bei ſolchen kugelförmigen Linſen die
von einem Punkte des Gegenſtandes kommenden Strahlen, wenn
ſie nahe bei dem Mittelpunkte der Linſe einfallen, einen andern
Vereinigungspunkt haben, als wenn ſie näher bei dem Rande die
Linſe treffen, ſo entſtehen eigentlich in jedem Gegenſtande mehrere
[269]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nahe an und über einander liegende Bilder, von welchen das
Auge keines deutlich ſehen kann. Dieſer Fehler, den man die
ſphäriſche Abweichung nennt, war deſto größer, je ſtärker
die Vergrößerung, und je größer das Objektiv des Fernrohrs
war. Aus dieſer Urſache findet man die Objektive vieler älterer
Fernröhre mit einem ihren Rand bedeckenden Ringe verſehen, um
das Objektiv dadurch gleichſam kleiner, und jenen Fehler unſchäd-
licher zu machen. Allein dieſen Vortheil, wenn er ſo genannt
werden kann, erlangte man nur auf Koſten eines anderen noch
wichtigeren. Es iſt nämlich für ſich klar, daß man die Gegen-
ſtände durch ein Fernrohr deſto heller ſehen wird, je mehr Licht
von dem Gegenſtande auf das Objekt fällt, d. h. je größer das
Objektiv iſt. Eine Verkleinerung deſſelben wird alſo das Bild
deſſelben dunkel und lichtſchwach machen, und dieſer Fehler wird
deſto mehr fühlbar werden, je ſtärker die Vergrößerung des Fern-
rohrs iſt.
Dazu kam noch ein anderes Hinderniß, das anfangs ganz
unüberſteiglich ſchien. Es iſt nämlich bekannt, daß jeder einzelne
an ſich weiße Lichtſtrahl aus vielen anderen beſteht, die ſich durch
eigene Farben unter einander kenntlich machen (II. S. 10).
Dieſe einzelnen farbigen Strahlen haben aber die für die Verfer-
tigung der Fernröhre ſehr nachtheilige Eigenſchaft, daß jeder der-
ſelben durch die Linſe des Objektivs auf eine andere Weiſe ge-
brochen wird, ſo daß nun, ſtatt einem einzigen deutlichen und
weißen Bilde des Gegenſtandes, eine Anzahl verſchiedener farbiger
Bilder deſſelben entſteht, die dem Deutlichſehen noch hinderlicher
ſind, als die ſo eben erwähnten, von der Kugelgeſtalt der Gläſer
kommenden Strahlen. Dieſen Fehler der Fernröhre nennt man
die Farbenabweichung, und er ſchien ſo weſentlich mit der
Natur der Sache zuſammenzuhängen, daß ſelbſt Newton daran
verzweifelte, und von den Fernröhren dieſer Art ganz abgehend,
ſeine Zuflucht zu andern nahm, wo dieſe Glaslinſen durch Metall-
ſpiegel erſetzt wurden. Seitdem hat man dieſe Spiegelteleſcope
oder Reflectoren, wie man ſie auch nennt, zu einer ſehr großen
Vollkommenheit gebracht, während die ſo ſehnlich gewünſchte
Verbeſſerung der Refractoren, oder der Fernröhre mit Glaslinſen,
durch jene Anſicht des großen Mannes, zu der er durch einen
[270]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſonderbaren Fehlſchluß verleitet worden war, lange Zeit aufgehal-
ten wurde.
Leonhard Euler war der erſte, der aus der Einrichtung des
menſchlichen Auges den Schluß zog, es müſſe möglich ſeyn, jene
beiden Fehler der Fernröhre, durch eine zweckmäßigere Einrichtung
dieſer Inſtrumente, aufzuheben, weil ſie die Natur in unſerem
Auge in der That gehoben hat. Er ſchlug zu dieſem Zwecke, nach
der Analogie der inneren Einrichtung des Auges, zwei Glaslinſen
vor, welche zwiſchen ihren inneren concaven Flächen verſchiedene
Flüſſigkeiten enthalten ſollten. Er ſtellte darüber nicht ſowohl
praktiſche Verſuche, die hier vorzüglich erfordert wurden, ſondern
bloß theoretiſche Unterſuchungen an. Im Jahre 1747 theilte er
ſeine Berechnung eines ſolchen farbenloſen oder achromatiſchen
Fernrohrs mit, wo er zu der in ihm enthaltenen Flüſſigkeit
Waſſer gewählt hatte. Der größte Künſtler ſeiner Zeit, John Dol-
lond, ſuchte auch dieſen Verſuch praktiſch auszuführen, aber da
ihm ſeine erſten Bemühungen mißlangen, ſo gab er die Sache
bald auf, um ſo mehr, da er Newton’s Anſicht, daß fehlerfreie
Refractoren ganz unmöglich wären, auch zu der ſeinigen gemacht
hatte.
Erſt i. J. 1754 zeigte Klingenſtierna, ein ausgezeichneter
ſchwediſcher Geometer, daß Newton ſich in ſeinem Schluſſe geirrt
habe, und dadurch aufgemuntert, nahm Dollond ſeine früheren
Verſuche wieder vor. Allein ſtatt der Flüſſigkeiten, die Euler vor-
geſchlagen hatte, wählte er zwei verſchiedene Glasarten, die in
England unter den Namen des Kron- und Flint-Glaſes bekannt
ſind. Mehr durch eine Art dunklen Gefühls, als durch mathe-
matiſche Schlüſſe, deren Hülfe er nicht zu Rathe ziehen konnte,
fand er endlich, daß ſich der Zweck, ein fehlerfreies Objektiv zu
erhalten, dadurch erreichen laſſe, daß man daſſelbe aus zwei
nahe an einander geſtellten Linſen, einer biconvexen von Kronglas
und einer concaven von Flintglas, verfertigte. So gelang es ihm
nach vielen darüber angeſtellten Verſuchen i. J. 1758, das erſte
achromatiſche Fernrohr von fünf Fuß Länge zu Stande zu bringen.
Es wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen, da es in ſeinen
Wirkungen die beſten bisher bekannten Fernröhre von viel größerer
Länge weit übertraf. Er verwendete die letzten drei Jahre ſeines
[271]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Lebens zur Vervollkommnung ſeiner Entdeckung, die er noch ſehr
weit zu führen die gewiſſe Hoffnung hatte, und überließ ſie endlich
ſeinem Sohne Peter Dollond, der ihr in Verbindung mit Ramsden
die Vollendung gab, die wir am Ende des verfloſſenen Jahrhun-
derts an dieſem Inſtrumente zu bewundern Gelegenheit hatten.
Euler im Gegentheile, der anfangs an die glücklichen Erfolge
des engliſchen Künſtlers kaum glauben konnte, da er die Brech-
barkeit und Farbenzerſtreuung jener zwei Glasarten für viel zu
wenig verſchieden hielt, um darauf ſo große Wirkungen zu grün-
den, ſuchte, als er die mechaniſche Ausführung der achromatiſchen
Fernröhre nicht weiter bezweifeln konnte, nun auch von ſeiner
Seite die Theorie dieſer Inſtrumente zu fördern. Er machte
die Reſultate ſeiner Unterſuchungen in den Memoiren der Akade-
mie zu Berlin und Petersburg, und endlich in einem eigenen,
größeren Werke, in ſeiner Dioptrik (Petersb. 1769), öffentlich be-
kannt. Seitdem haben wir von Clairaut, d’Alembert, Klügel u. a.
mehrere treffliche Bearbeitungen dieſes Gegenſtandes erhalten.
In den neueren Zeiten haben ſich unter den optiſchen Künſt-
lern vorzüglich Fraunhofer in München und Plößl in Wien aus-
gezeichnet. Die größte Schwierigkeit, die ſich der Verfertigung
vollkommener Objektive von bedeutendem Umfange entgegenſetzt,
beſteht in der Bereitung großer Stücke reinen, wellenfreien
Glaſes, beſonders des Flintglaſes, welches, wegen der dabei ſtatt
habenden Beimiſchung von Blei, nur ſelten in ganz gleichförmigen
homogenen Maſſen erhalten werden kann. Auch ſind die Ver-
hältniſſe, mit welchen jene zwei Glasarten die Lichtſtrahlen brechen,
in der That ſehr wenig von einander verſchieden, da ſie nur zwi-
ſchen den engen Gränzen von 1 5/10 und 1 6/10 enthalten ſind.
Noch enger ſind die Gränzen für die Farbenzerſtreuungen dieſer
beiden Glasarten. Es iſt aber keinem Zweifel unterworfen, daß
andere Glasgattungen, welche, in dieſen beiden Beziehungen,
größere Verſchiedenheit hätten, auch viel beſſere Mittel zur Fer-
tigung vollkommener Fernröhre darbieten würden, da auf dieſen
Verſchiedenheiten die Aufhebung der beiden oben erwähnten Fehler
vorzüglich beruht. Da das Blei in größerer Quantität ſich nicht
gut mit den übrigen Beſtandtheilen des Glaſes zu einer homogenen
Maſſe vermiſcht, ſo hat man verſchiedene andere Beimiſchungen
[272]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom Inſtrumente.
von Zink, Wismuth, Baryt u. ſ. w. zu dieſem Zwecke vorge-
ſchlagen. Unter der Vorausſetzung einer ſolchen, von den bishe-
rigen in jenen zwei Beziehungen mehr verſchiedenen Glasart hat
man bereits i. J. 1827 theoretiſche Unterſuchungen über die aus
ſolchen Glasgattungen beſtehenden Fernröhre angeſtellt, und ge-
funden *), daß bei ihnen die beiden Linſen, aus welchen das
Objektiv beſteht, nicht mehr nahe im Kontakt, ſondern daß ſie
in beträchtlicher Entfernung von einander geſtellt werden müſſen,
um ihre größte Wirkung zu äußern, ſo zwar, daß die zweite Linſe
bei günſtigen Verhältniſſen der Glasarten, nahe in die Mitte
des ganzen Fernrohrs zu ſtehen kömmt. Wegen dieſer Trennung
der beiden Objektivlinſen hat man dieſe Fernröhre dialytiſche
genannt. Der bereits erwähnte treffliche Optiker Plößl in Wien
hat auch bereits mehrere derſelben ausgeführt, die nach dem ein-
ſtimmigen Urtheile der Kenner die bisherigen achromatiſchen Fern-
röhre von gleichen Dimenſionen weit übertreffen. Da ihm, ſo
wie überhaupt allen optiſchen Künſtlern, jene neuen Glasarten
noch fehlen, ſo hat er den Verſuch gemacht, die zweite, innere
Linſe, die aus der neuen Glasart verfertiget werden ſollte, durch
eine eigens conſtruirte Doppellinſe von Kron- und Flintglas zu
erſetzen, und obſchon der Verſuch ſehr glücklich ausfiel, ſo würde
doch, wie man nicht zweifeln kann, eine einfache Linſe, deren Glas
die zu dieſem Zwecke erforderlichen Eigenſchaften im hohen Grade
beſäße, noch glänzendere Reſultate geben. Die Vortheile, welche
dieſe dialytiſchen Fernröhre gewähren, beſtehen vorzüglich darin,
daß die zweite oder die Flintglas-Linſe bis auf ihre Hälfte und
ſelbſt darüber verkleinert wird, wodurch die Bereitung homogener
Stücke dieſes Glaſes ſehr erleichtert, und der bisherige hohe Preis
dieſer Inſtrumente ſehr vermindert wird; daß ferner die Länge
der Fernröhre durch die neue Einrichtung bedeutend, ſelbſt bis
auf die Hälfte derſelben, vermindert werden kann, wodurch nun
auch Objektive von acht, zehn und mehr Zollen im Durchmeſſer
an unſeren eigentlichen aſtronomiſchen Meßinſtrumenten angebracht
werden können, was bisher, wegen der zu großen Länge ſolcher
[273]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Fernröhre, nicht gut ausgeführt werden konnte, und daß endlich
dadurch dieſe neuen optiſchen Inſtrumente an Schärfe und Licht-
ſtärke ſehr gewinnen, weil die Lichtſtrahlen, nach ihrem Durchgange
durch die zweite Objectivlinſe, ſich unter viel größeren Winkeln
als bisher zu dem Bilde vereinigen, und dadurch dem Bilde
ſelbſt mehr Präciſion und eine ſchärfere Begränzung geben.
Auch die frühere Idee Eulers, ſtatt der Gläſer beſondere
Flüſſigkeiten zu wählen, hat man in den neueren Zeiten auszu-
führen geſucht. Blair und Brewſter i. J. 1813 in London, Gi-
rard 1822 in Wien, Barlow 1828 und nahe um dieſelbe Zeit auch
Rogers in Edinburg haben ſolche Verſuche angeſtellt, die, nach den
darüber erhaltenen Nachrichten, ſehr glücklich ausgefallen ſind.
Zu dieſen aplanatiſchen Fernröhren, wie man ſie nennt, hat
Brewſter das ätheriſche Oel von Caſſia und Saſſafras, ſpäter
aber vorzugsweiſe Schwefelalkohol (sulfuret of carbon) vorge-
ſchlagen, welchen letzteren auch Barlow anwendet. Girard ſoll
Terpentinöl, Marx in Göttingen Kreoſot zu den aplanatiſchen
Objectiven gebraucht haben. In Barlow’s erſtem Fernrohre dieſer
Art hat das vordere Objectiv von Kronglas 6 Zoll Durchmeſſer
und 4 Fuß Brennweite — die Flüſſigkeitslinſe ſteht von jenem
24 Zoll ab — und hat einen Durchmeſſer von bloß 3 Zoll. Ein ſpä-
teres von demſelben Künſtler verfertigtes hat eine Oeffnung der
erſten Linſe von 7⅘ Zoll, in einer Entfernung von 40 Zoll von
der zweiten. Dieſes Fernrohr, das in ſeiner ganzen Länge 8,7 Fuß
hat, ſoll ſo viel leiſten als ein gutes achromatiſches von 18 Fuß
Länge. Beide, die dialytiſchen ſowohl als die aplanatiſchen Fern-
röhre, die im Grunde auf demſelben Prinzip, auf der Trennung
der beiden Objectivlinſen beruhen, ſind noch als in ihrer erſten
Entſtehung zu betrachten, und man darf der Hoffnung Raum
geben, daß durch ſie eine neue Epoche in der Geſchichte unſerer
Fernröhre begründet werden wird.
§. 15. (Anwendung der Fernröhre bei den Meßinſtrumenten.)
Nur wenige Jahre nach der Erfindung der Fernröhre wurden
dieſelben, wie zu erwarten war, ſchon auf den Himmel angewen-
det. Der berühmte Galilei hatte, wie man ſagt, auf eine unbe-
ſtimmte Nachricht von dieſer Erfindung, die Zuſammenſetzung des
Fernrohrs errathen, und mit dem erſten von ihm verfertigten
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 18
[274]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſchon i. J. 1610 die Thäler und Berge des Mondes, die Satel-
liten Jupiters, die ſonderbare Geſtalt des Saturn, deſſen Ring
er aber noch nicht erkennen konnte, die Sonnenflecken und ihre
Bewegungen, und die Phaſen der Venus entdeckt. Die meiſten
dieſer eben ſo unerwarteten als für ihn ruhmvollen Entdeckungen
machte er in ſeinem Werke: Nuntius sidereus, Venedig 1610,
bekannt, wofür er von der Republik Venedig eine dreifache Er-
höhung ſeines Gehaltes, und von Cosmus II. in Florenz ein
Geſchenk von tauſend Dukaten erhielt. Nahe dreißig Jahre noch
(er ſtarb erſt 1642 im 78ſten Jahre ſeines Alters) genoß er die
Freude, die Gränzen der Wiſſenſchaft und unſerer Kenntniß des
Himmels zu erweitern, und der Gegenſtand der Achtung und
Verehrung aller Gebildeten Europas zu ſeyn, bis er endlich, drei
Jahre vor ſeinem Tode, in die Hände unwiſſender und ſchaam-
loſer Verfolger fiel, unter deren unwürdiger Bedrückung er, ein
blinder Greis, den Reſt ſeines Lebens im Kerker vertrauerte.
Allein dieſer Gebrauch der neu erfundenen Fernröhre war
nicht der einzige, und ſelbſt nicht der wichtigſte, den die Aſtrono-
mie von dieſen Werkzeugen machte. Bisher hatten ſie uns nur
neue, und ſo lange unbekannte Gegenſtände des Himmels vor die
Augen geführt, oder die Oberfläche der bisher nur im Allgemeinen
bekannten, wie die des Mondes, der Venus u. f. näher kennen
gelehrt. Aber unſere Meſſungen der Größen und der Lagen
der Himmelskörper blieben immer noch nahe denſelben Unvoll-
kommenheiten unterworfen, über welche ſchon die alten Griechen
und Araber ſich zu beklagen hatten. So lange wir uns mit den
Abſehen begnügen mußten, wie ſie bei den älteren Inſtrumenten
(Fig. 7, 8, 9) angebracht waren, oder auch mit einem bloßen
hohlen Rohre, an deſſen einem, dem Ocular-Ende, eine kleine
Oeffnung, und an dem anderen ein Kreuzfaden war, ſo lange
konnte man, auch bei dem beſtgetheilten Inſtrumente, nicht ge-
nauer beobachten oder meſſen, als man eben mit freien, unbe-
waffneten Augen zu ſehen im Stande war. Sobald aber dieſes
hohle Rohr mit zwei Glaslinſen verſehen, und in ein eigent-
liches Fernrohr verwandelt war, ſo durfte man nur das zu
meſſende Geſtirn in den Mittelpunkt dieſes an dem Quadranten
angebrachten Fernrohrs führen, und die Beobachtung deſſelben
[275]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
mußte offenbar deſto genauer ſeyn, je ſtärker die Vergrößerung
und die Deutlichkeit war, mit welcher das neue Inſtrument die
Gegenſtände zeigte.
Auf dieſe Weiſe bedienten ſich auch die erſten Aſtronomen
des Fernrohrs bei ihren Beobachtungen, durch welche ſie z. B.
die Höhe oder die Declination, oder mit einem Worte, die Lage
der Geſtirne am Himmel anzugeben ſuchten. Allein man ſieht,
daß auch hier noch manches zu wünſchen übrig blieb. Zwar ſah
man jetzt dieſe Geſtirne viel beſſer, und konnte ſie daher auch viel
genauer beobachten; aber da man ſie in dem Mittelpunkte
des Feldes des Fernrohrs beobachten mußte, und da doch dieſer
Mittelpunkt durch nichts ausgezeichnet war, ſondern gleichſam
nur errathen oder geſchätzt werden mußte, ſo waren Mißgriffe
und ſelbſt bedeutende Beobachtungsfehler nicht wohl zu vermeiden,
beſonders wenn das kreisrunde Feld der Fernröhre, wie dieß bei
den früheren Inſtrumenten in der That der Fall war, einen grö-
ßeren Umfang hatte. Aus dieſer Urſache wollte auch einer der
vorzüglichſten praktiſchen Aſtronomen jener Zeit, Hevelius in
Danzig, dieſe neuen Inſtrumente bei ſeinen Beobachtungen gar
nicht anwenden, und er ging, durch den Widerſpruch der anderen
gereizt, ſogar ſo weit, daß er die Fernröhre als ganz unbrauchbar
bei den Beobachtungen erklärte, weil ſie, wie er ſagte, den Ort
der Gegenſtände, die man durch daſſelbe betrachtet, verſchieben,
ſo daß man ſie durch das Fernrohr an einer ganz andern Stelle,
als mit freien Augen ſehen ſoll.
Ein Mittel, die Geſtirne durch das Fernrohr genauer zu
pointiren, als die bisherige, unbeſtimmte und unverläßliche Stel-
lung deſſelben in den Mittelpunkt des Feldes — dieſes Mittel
alſo mußte noch gefunden werden, wenn anders das neue In-
ſtrument die eigentlichen aſtronomiſchen Beobachtungen in der
That weſentlich fördern ſollte. — Es muß auffallend erſcheinen,
daß dieſes Mittel, das doch uns jetzt ſo nahe zu liegen ſcheint,
ſo lange verborgen bleiben konnte.
Noch vor wenig Jahren war man der allgemeinen Meinung,
daß Picard in Frankreich, einer der ausgezeichnetſten theoretiſchen
und praktiſchen Aſtronomen, dieſes Mittel zuerſt gefunden habe.
Auch kam er wohl ohne fremden Beiſtand auf dieſe Idee, die er,
18 *
[276]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
wie es ſcheint, ſchon ſeit dem Jahre 1667 bei ſeinen Beobachtun-
gen angewendet hat. Allein ſchon über zwanzig Jahre früher,
i. J. 1640, machte Gascoigne in England dieſelbe Entdeckung,
und ihm muß daher auch die Ehre derſelben vorbehalten bleiben.
Wenn man nämlich einen Gegenſtand, z. B. einen Faden in
die Nähe des Brennpunktes F (Fig. 14) der beiden Linſen eines
Fernrohrs bringt, ſo ſieht man denſelben durch das Ocular bb'
deſto reiner, und ſelbſt wenn er weiß, z. B. ein Silberfaden iſt,
deſto ſchwärzer, je näher er jenem Brennpunkte gebracht wird.
Stellt man dann das Fernrohr ſo, daß irgend ein terreſtriſches
Object, z. B. die wohlbegränzte Ecke einer Mauer, den Faden
eben berührt; bewegt man dann das Auge vor dem Oculare ſo
weit als möglich, rechts und links oder auf und ab, und bleibt
der Faden in allen dieſen Lagen des Auges immer genau Tangente
zum Objecte, ſo iſt dieß eben das beſte Zeichen, daß der Faden ſelbſt
im Brennpunkte des Fernrohrs, d. h. in demjenigen Orte deſſelben
ſteht, wo von der vordern, größern Linſe des Fernrohrs das kleine
Miniaturbildchen des Objectes entworfen wird, von dem wir oben
(S. 265) geſprochen haben. Was aber hier von dem terreſtriſchen
Objecte geſagt iſt, gilt auch von den Geſtirnen. Hat man daher
durch dieſen Brennpunkt in einer auf die Axe der beiden Linſen
(S. 260) ſenkrechten Ebene zwei Fäden geſpannt, die ſich unter
rechten Winkeln durchkreuzen, ſo wird man, eben durch den Durch-
ſchnittspunkt der beiden Fäden, einen feſten und unveränderlichen
Punkt des Feldes haben, mit welchem man die Lage der zu
beobachtenden Sterne bequem und ſicher vergleichen kann, indem
man nämlich bei jeder Beobachtung, durch eine angemeſſene Be-
wegung des Fernrohrs den Stern nur immer in dieſen Durch-
ſchnittspunkt der beiden Fäden zu bringen ſucht. Man wird ſich
dabei leicht eine einfache Vorrichtung, z. B. einen im Innern
des Fernrohrs angebrachten Ring denken können, der dieſe Fäden
trägt, während er ſelbſt durch äußere kleine Schrauben nach allen
Richtungen bewegt, und in jeder derſelben feſtgehalten wird, wo-
durch daher die Fäden leicht in die erforderliche Lage gebracht
werden können.
Dieſe einfache, aber folgenreiche Idee iſt es, die der oben
erwähnte Gascoigne zuerſt gehabt und ausgeführt hat. (Phil.
[277]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Transact. XXX. 603.) Aus den Briefen an ſeine Freunde
Crabtree und Horrockes, die vom Jahre 1640 datirt ſind, folgt,
daß er ſchon damals ein mit ſolchen Fäden verſehenes Fernrohr
zu ſeinen Beobachtungen gebraucht, und daß er auch ſchon, um
dieſe Fäden bei Nacht zu ſehen, das Innere des Fernrohres be-
leuchtet habe. Horrockes, der ſchon vor ſeinem 25ſten Jahre (i. J.
1641) ſtarb, hatte ein ausgezeichnetes aſtronomiſches Talent, und
bekannte bei mehreren Gelegenheiten ſeine Bewunderung der man-
nigfaltigen ſchönen Erfindungen, die Gascoigne in der Kunſt zu
beobachten gemacht hatte. Auch der Letzte wurde den Wiſſen-
ſchaften durch den Tod noch in der erſten Blüthe ſeines Alters
entriſſen. Er ſtarb in ſeinem 23ſten Jahre in der Schlacht von
Marſton Moor, die Cromwell den königlichen Truppen geliefert
hat. Man hat dieſe Erfindung dem franzöſiſchen Aſtronomen
Morin vindiciren wollen, der in ſeiner Scientia longitudinum,
Paris 1634 von der Anwendung des Fernrohrs auf die Quadran-
ten ſpricht, aber ohne im geringſten der Fäden im Brennpunkte
des Rohrs zu erwähnen. Selbſt die Sonnenbeobachtungen Picards
vom Jahre 1667, die erſten, die in Frankreich an einem mit
einem Fernrohre verſehenen Quadranten gemacht worden ſind,
erwähnen dieſer Fäden nicht ausdrücklich, wenigſtens nicht in der
Relation, die Lalande in ſeiner Aſtronomie (§. 2310) davon ge-
geben hat, wie denn auch Huygens in ſeinem Systema Saturnium,
das erſt 1659 heraus kam, von dieſen Fäden, als von einer neuen
Sache und von ſeiner eigenen Erfindung ſpricht, was er nicht
hätte thun können, wenn er dieſelben ſchon früher bei Picard, den
er wohl kannte, und mit dem er früher in Paris längere Zeit
durch gelebt hatte, gefunden hätte. Doch iſt es möglich, und
ſelbſt nicht unwahrſcheinlich, daß Huygens und Picard auf dieſe
einem fleißigen und talentvollen Beobachter ſo nahe liegende Idee,
jeder für ſich und ohne fremde Hülfe, gekommen ſind, um ſo
mehr, da die frühere Entdeckung Gascoignes ſelbſt in England
ſo lange Zeit unbekannt geblieben iſt.
Immer ſieht man, daß, ohne dieſes oder ein ähnliches gleich
gutes Mittel, das Fernrohr auf den zu beobachtenden Gegenſtand
nicht mit Genauigkeit gerichtet oder dieſer pointirt werden kann, und
daß, ohne daſſelbe, jede Beobachtung nur eine beiläufige Schätzung
[278]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nach dem Augenmaaße genannt werden darf. In der That iſt es
auch dieſe Einrichtung, in welcher die großen Vorzüge geſucht
werden müſſen, welche die neueren Beobachtungen vor denen der
Alten ſo ſehr auszeichnen, und ohne welche alle jene an ſich ſo
bewunderungswürdigen Verfeinerungen, mit welcher unſere gegen-
wärtigen aſtronomiſchen Inſtrumente in Beziehung auf ihre Con-
ſtruction und auf ihre Eintheilung ausgeſtattet ſind, vergebens
und ohne allen Erfolg geblieben wären. Denn diejenigen Fehler,
welche aus jenen Schätzungen in dem bloßen Felde des Fernrohrs
entſtanden, waren viel größer als die, welche, auch zu jener Zeit,
aus der fehlerhaften Eintheilung oder der unzweckmäßigen Ein-
richtung in dem Baue der Inſtrumente entſpringen konnten. Mit
Recht wird man daher behaupten, daß die neueren Beobachtungen
ihre ſie in ſo hohem Grade auszeichnende Genauigkeit vorzüglich
dieſer Entdeckung verdanken, und daß dieſe in der Geſchichte der
beobachtenden Aſtronomie eine neue und zwar eine ſehr glänzende
Epoche begründet.
Nach dieſen vorausgeſchickten Bemerkungen über das Fern-
rohr wird es nun leicht ſeyn, die Einrichtung und den Gebrauch
der damit verſehenen Inſtrumente zu überſehen.
§. 16. (Mittagsrohr.) Wir haben bereits oben (S. 253)
erinnert, daß der Quadrant, ſelbſt der Mauerquadrant, ſeiner
Conſtruction nach, nicht geeignet iſt, die Zeit oder die Rectaſcen-
ſion der Geſtirne unmittelbar und mit der nöthigen Schärfe zu
geben, vorzüglich aus dem Grunde, weil dieſe Inſtrumente nur
ſelten oder gar nicht eine vollkommene Ebene, ohne Wellen und
Biegungen, bilden, daher ſie auch nie als genau in der Ebene
des Meridians ſtehend angenommen werden können, wie dieß
doch erfordert wird, wenn man an ihnen den Durchgang der Ge-
ſtirne durch den Meridian beobachten ſoll.
Der berühmte däniſche Aſtronom Olaus Römer iſt der Er-
finder desjenigen Inſtruments, welches zu jenem Zwecke noch heute
mit Recht als das geeignetſte angeſehen wird. Er ſtellte daſſelbe
auf der von ihm in Kopenhagen erbauten Sternwarte auf, und
die zahlreichen Beobachtungen, welche er an demſelben anſtellte,
zeugten von der Zweckmäßigkeit des neuen Inſtruments. Daſſelbe
[279]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
iſt in Fig. 15 abgebildet, und allgemein unter dem Namen des
Mittagsrohrs (Paſſageninſtrument) bekannt.
Eine horizontale Axe AB von Metall liegt mit ihren beiden
äußerſten cylindriſchen Enden A, B, um die ſich dieſe Axe drehen
läßt, in ſoliden Pfeilern P, Q von Stein, und durch die Mitte
M dieſer Drehungsaxe geht das Fernrohr CD in einer auf die
Axe ſenkrechten Stellung. Wird daher die Rotationsaxe AB genau
in den Horizont und in die Richtung von Oſt nach Weſt gebracht,
ſo liegt das Fernrohr in der Richtung von Süd nach Nord, und
geht, wenn es um die Axe AB gedreht wird, in der Ebene des Me-
ridians auf und nieder, ſo daß man alſo nur die Durchgänge der
hohen und niedern Sterne durch dieſes Fernrohr an einer Uhr
beobachten darf, um ſofort auch die Uhrzeiten des Durchgangs
dieſer Sterne durch den Meridian, d. h. um die Uhrzeiten ihrer
Culminationen zu erhalten.
Man ſieht ſchon aus dem erſten Anblicke des Inſtruments,
daß es, wenn es anders mit einiger Vorſicht gebaut und aufge-
ſtellt iſt, eine viel größere Stetigkeit und Sicherheit gewährt, als
man von einem Quadranten je erwarten kann.
Um das Fernrohr auf die ſchon ſonſt bekannte mittägliche
Höhe des Sterns, der eben durch den Meridian gehen ſoll, zu
ſtellen, iſt an dem einen Ende A der Drehungsaxe ein Halbkreis
mon angebracht, der in einer auf dieſe Axe ſenkrechten Lage an
dem Pfeiler P befeſtiget iſt. Concentriſch mit ihm iſt ein Zeiger
oder eine Alhidade Ao, dem Fernrohre CD parallel, an dem Ende A
der Axe angebracht. Dieſe an ihrem Ende o mit einem feinen
Striche verſehene Alhidade Ao bewegt ſich alſo ſammt dem Fern-
rohre um die Axe AB, und zeigt durch ihren Strich an dem
Kreiſe mn die Höhe des zu beobachtenden Geſtirns bloß in ganzen
Minuten an, da dieß hinreicht, das Geſtirn in das Feld des
Fernrohrs zu bringen.
Die beiden Enden A und B der Axe liegen jede auf einer
doppelten, ſtarken Metallplatte auf, die in der Zeichnung durch
Vierecke angezeigt ſind. Der eine Theil jeder Platte iſt an dem
Pfeiler feſt, und der andere, der eigentlich die Axen-Enden A und B
trägt, läßt ſich durch Schrauben an dem erſten hin und wieder
bewegen, und zwar der eine bei A ſenkrecht auf und ab, und der
[280]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
andere bei B, horizontal vor und rückwärts. Die letzte ſetzt uns
demnach in den Stand, die Drehungsaxe genau in die Richtung
von Oſt nach Weſt, d. h. das auf die Axe ſenkrechte Fernrohr
genau in die Ebene des Meridians zu bringen, und die erſte dient
dazu, das eine Ende A der Axe ſo lange zu erhöhen oder zu er-
niedrigen, bis dieſe Axe AB ſelbſt genau horizontal iſt, was man
mit Hülfe einer Waſſerwage erkennt, die man, mit ihren Haken,
an die beiden cylindriſchen Enden A und B der Axe aufſtellt oder
anhängt.
Um für nächtliche Beobachtungen das Innere des Fernrohrs
zu beleuchten, dient eine an der äußern Seite des Pfeilers ange-
brachte Lampe P, die ihr Licht durch den in der Richtung pB
durchbohrten Pfeiler und durch die ebenfalls hohle Drehungsaxe
BM auf einen kleinen Spiegel wirft, der im Innern des Fern-
rohrs bei M unter einer gegen BM ſchiefen Stellung aufgeſtellt
iſt, ſo daß er das von der Lampe empfangene Licht gegen das
Ocular C des Fernrohrs reflectirt.
§. 17. (Rectification der Fäden des Mittagsrohrs.) Ehe man
mit dieſem Inſtrumente Beobachtungen anſtellt, muß es in allen
ſeinen Theilen berichtiget oder rectificirt ſeyn. Wir wollen die
wichtigſten dieſer Operationen hier näher anzeigen, da ſich die
meiſten derſelben auch auf die noch ferner anzuführenden Inſtru-
mente unverändert anwenden laſſen.
Zuerſt wollen wir bemerken, daß man durch den Brennpunkt
des Fernrohrs einen auf die Axe der beiden Linſen (S. 260)
ſenkrechten Faden in einer verticalen Richtung einſpannt. Dieſer
Faden wird daher, wenn das ganze Inſtrument richtig ſteht, den
Theil des Meridians vorſtellen, nach welchem das Fernrohr ge-
richtet iſt, und der Augenblick, in welchem ein Stern durch dieſen
Faden gehend geſehen wird, wird der geſuchte Augenblick der
Culmination dieſes Sterns ſeyn.
Um aber dem Faden die bezeichnete Stellung zu geben, in
welcher er erſtens ſenkrecht auf der Axe der beiden Linſen, zwei-
tens genau durch den Brennpunkt, und drittens auf den Horizont
vertical ſteht, wird man ſich aus dem Vorhergehenden erinnern,
daß dieſer Faden im Innern des Fernrohrs an einem feinen
metallenen Ringe angebracht iſt, welcher Ring ſelbſt wieder
[281]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
durch eigene Schrauben nach allen Richtungen bewegt werden
kann. Da dieſer Ring gewöhnlich ſchon von dem Künſtler ſenk-
recht auf die Linſenaxe geſtellt wird, und da auch ein kleiner
Fehler in dieſer Stellung keine nachtheiligen Folgen hat, indem
man doch immer nur in der Nähe der Mitte dieſes Fadens beob-
achtet, ſo kann man in den meiſten Fällen von den oben aufge-
zählten Forderungen die erſte als ſchon erreicht betrachten.
Nicht ſo iſt es mit der zweiten oder mit der Bedingung
daß der Faden auch genau durch den Brennpunkt des Rohrs
geht. Dieſe Unterſuchung theilt ſich in zwei von einander weſent-
lich verſchiedene. Es kann nämlich erſtens der zur Linſenaxe
ſenkrecht ſtehende Faden zwar durch dieſe Axe gehen, aber zu wein
vor oder hinter dem Brennpunkte, d. h. zu nahe oder zu fern
von dem Objective des Fernrohrs ſtehen. Oder er kann zweitens,
obſchon er in derſelben Entfernung, wie der Brennpunkt ſelbſt,
von dem Objective iſt, doch noch zur Seite dieſes Brennpunktes,
rechts oder links von ihm ſtehen. In beiden Fällen wird er
nicht, wie doch gefordert wird, durch den Brennpunkt gehen.
Ehe aber der Beobachter an dieſe beiden Correctionen geht,
wird er die Entfernung der beiden Linſen, ſeinem Auge gemäß,
ſtellen. Aus den gemeinſten Erfahrungen an jedem Theaterper-
ſpective iſt bekannt, daß der Kurzſichtige, wenn er durch ein ſol-
ches Inſtrument gut ſehen ſoll, daſſelbe verkürzen, oder die beiden
Linſen einander näher rücken muß, während der Weitſichtige ſie
von einander entfernt. Auch muß jeder von ihnen, wenn er gut
ſehen will, dieſe Diſtanz der Linſen etwas ändern, wenn er ſehr
nahe, oder wenn er ſehr entfernte Gegenſtände beobachtet. Daſ-
ſelbe gilt auch für die aſtronomiſchen Fernröhre. Da aber dieſe
vorzugsweiſe für die himmliſchen, d. h. für ſehr weit entfernte
Gegenſtände beſtimmt ſind, ſo wird der Beobachter, ohne alle
Rückſicht auf jenen Faden, ſein Fernrohr zuerſt auf ein Geſtirn,
z. B. auf den Mond richten, und ſein Ocular ſo lange verſtellen,
bis er die Flecken deſſelben am deutlichſten ſieht. Am beſten zu
dieſem Zwecke wird man die Doppelſterne wählen, von welchen,
in dieſer Beziehung, ſchon oben (II. S. 319) geſprochen wurde.
Wenn man nun, durch dieſe Verſchiebung des Oculars, es
dahin gebracht hat, daß man einen ſolchen Doppelſtern ganz rein
[282]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
und deutlich ſieht, ſo wird man vielleicht den Faden nur ſehr
ſchlecht, in der Form eines grauen, breiten Streifens erblicken,
zum Zeichen, daß er entweder zu nahe an oder zu ferne von dem
Objective ſteht. Denn in der wahren Entfernung von dem Ob-
jective, d. h. wenn er durch den Brennpunkt deſſelben geht, er-
ſcheint er, wie ſchon oben geſagt, immer ganz rein, ſchwarz und
ſcharf begränzt. In dieſem Falle wird man alſo, mittels der
dazu beſtimmten Schraube, den den Faden tragenden Ring in der
Richtung der Länge des Fernrohrs ſo lange verſchieben oder ſeine
Diſtanz von dem Objecte ändern, bis er dem Auge völlig rein
und ſchwarz erſcheint. Allein dieſe bloße Anſicht des Fadens iſt
wohl hinreichend, ihn dem Brennpunkte ſehr nahe zu bringen,
aber ſie genügt nicht, um ihn mit der größten Schärfe genau
durch dieſen Brennpunkt ſelbſt zu führen. Zu dieſem letzten
Zwecke wird man, nach jener erſten rohen Berichtigung des Fa-
dens, das Fernrohr auf irgend ein weit entferntes, feſtes und
wohl begränztes terreſtriſches Object, z. B. auf die Ecke einer
Thurmſpitze richten, und den Faden mit dieſer Ecke in genaue
Berührung bringen. Dann bewegt man das Auge vor dem
Ocular rechts und links ſo weit, als man nur eben noch durch
das Fernrohr den Faden ſehen kann, und ſieht genau zu, ob in
den beiden äußerſten Lagen des Auges jene Berührung immer
genau und unverändert ſtatt hat. Tritt dieſer Umſtand zufällig
ein, ſo wird man ſich verſichert halten, daß der Faden zwar nicht
durch den Brennpunkt gehe, aber doch in einer durch dieſen
Brennpunkt auf die Linſenaxe ſenkrechten Ebene liegen muß.
Wenn aber, während das Auge ſich vor dem Oculare bewegt, der
Faden auf dem terreſtriſchen Objecte nicht feſt bleibt, ſondern
ebenfalls ſich zu bewegen ſcheint, ſo iſt dieß ein Zeichen, daß er
noch nicht in der erwähnten Ebene, ſondern daß er hinter oder
vor dieſer Ebene liegt. Welcher von dieſen beiden Fällen aber in
der That ſtatt hat, wird man durch folgende einfache Vorſchrift
finden: „Wenn, bei jener Bewegung des Auges, Aug und Faden
nach derſelben Seite, z. B. beide rechts gehen, ſo ſteht der Faden
zu nahe am Objectiv, und muß daher von ihm entfernt werden;
geht aber Aug und Faden auf entgegengeſetzte Seiten, z. B. jenes
rechts und dieſes links, ſo ſteht der Faden zu weit von dem Ob-
[283]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
jective, und muß daher demſelben genähert werden.“ — Eigentlich
ſcheint es dem Beobachter, als ob nicht der Faden, ſondern als
ob der Gegenſtand, z. B. die Thurmſpitze um den feſten Faden
beweglich wäre, wenn er ſein Auge in verſchiedene Stellungen
vor das Ocular bringt. Dieſem Scheine gemäß kann man daher
die vorhergehende Regel auch ſo ſtellen: „Wenn Aug und Bild
des terreſtriſchen Gegenſtandes auf verſchiedene Seiten gehen, ſo
iſt der Faden zu nahe an dem Objective; wenn Aug und
Bild auf dieſelbe Seite gehen, ſo iſt der Faden zu weit von
dem Objective, und muß daher demſelben ſo lange genähert wer-
den, bis das Auge, während ſeiner eigenen Bewegung, keine
Aenderung des Bildes mehr bemerkt.“ Dieſes Verfahren iſt
übrigens für Weit- und Kurzſichtige daſſelbe, denn wenn auf dieſe
Art der Faden in ſeine wahre Lage gebracht worden iſt, ſo wird
der Weitſichtige ſowohl, als der Myops, nur das Ocular, ſeinem
eigenen Auge gemäß, verändern, um ſofort beide Gegenſtände,
den Faden ſowohl, als das Geſtirn zugleich am deutlichſten zu
ſehen.
Allein durch dieſe erſte Berichtigung iſt, wie geſagt, der
Faden nur in die Ebene gebracht worden, die ſenkrecht auf die
Linſenaxe durch den Brennpunkt geht, ohne daß er deßhalb auch
ſelbſt ſchon durch den Brennpunkt gehen muß, von dem er viel-
mehr, in jener Ebene, noch rechts oder links abſtehen kann.
Wenn das äußere Rohr von Metall, welches die beiden
Linſen umgibt, ein vollkommener Cylinder wäre, deſſen Baſis
jene Linſen bilden, ſo dürfte man nur dieſen Cylinder auf zwei
Unterlagen ſo auflegen, daß die Mitte jenes Fadens irgend einen
wohlbegränzten terreſtriſchen Gegenſtand ſcharf ſchneidet, und dann
den Cylinder um ſeine Axe drehen, und zuſehen, ob dadurch
dieſer Durchſchnitt des Gegenſtandes durch den Faden ſich nicht
ändert.
Allein jene Röhre iſt nicht vollkommen cylindriſch, und ſie
läßt ſich auch, wie ſchon der erſte Anblick des Inſtruments zeigt,
nicht um ihre Axe drehen. Dafür läßt ſich aber das ganze In-
ſtrument ABCD aus ſeinen Lagern bei A und B herausheben,
und dann in verkehrter Lage wieder in dieſe Lage zurück bringen,
ſo daß z. B. der Endpunkt A der Drehungsaxe, der früher öſtlich
[284]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
lag, jetzt auf das weſtliche Lager B zu liegen kömmt, und durch
dieſes Umlegen wird offenbar derſelbe Zweck erreicht, als wenn
man die cylindriſche Röhre CD um ihre Axe, um die Hälfte der
Peripherie eines Kreiſes gedreht hätte. Wenn daher die Mitte
des Fadens vor und nach der Umlegung immer denſelben Punkt
des terreſtriſchen Gegenſtandes trifft, ſo wird dieß ein Zeichen
ſeyn, daß dieſe Mitte des Fadens mit dem Brennpunkte des
Fernrohrs zuſammenfällt. Iſt dieß aber nicht der Fall, ſo wird
man, nach der Umlegung, die Hälfte des bemerkten Fehlers durch
diejenige Schraube verbeſſern, welche den oben erwähnten Faden-
ring in horizontaler Richtung hin und her bewegt, und die andere
Hälfte, wenn man will, durch diejenige Schraube des Lagers B,
welche das Ende der Drehungsaxe horizontal zu verſchieben be-
ſtimmt iſt. Da es nicht immer ſicher iſt, den beobachteten Fehler,
beſonders, wenn er noch etwas bedeutend iſt, genau zu halbiren,
ſo wird man das angezeigte Verfahren öfter wiederholen, wodurch
jener Fehler offenbar immer kleiner, und endlich ganz unmerklich
werden muß.
§. 18. (Rectification des Mittagsrohrs: Horizontalität der
Drehungsaxe.) Das bisher Geſagte trifft nur, wie man ſieht, die
gehörige Stellung des Fadens in dem Fernrohre, und indem man
denſelben, durch die erwähnten Operationen, in dem Brennpunkt
der beiden Linſen gelegt hat, hat man es zugleich dahin gebracht,
daß das eigentliche Fernrohr, d. h. die Axe der beiden Linſen,
die man auch die Collimationslinie zu nennen pflegt, auf der
Rotationsaxe ABſenkrecht ſteht, worin eine der Hauptbedin-
gungen beſteht, welche das Mittagsrohr erfüllen muß, wenn die
damit angeſtellten Beobachtungen brauchbar ſeyn ſollen, da nur
dann dieſe Collimationslinie, wenn die Drehungsaxe horizontal
iſt, einen Verticalkreis (Einl. S. 27) beſchreiben, ſonſt aber nur
in einer gegen den Horizont ſchief gelegten Ebene ſich bewe-
gen wird.
Allein durch welche Mittel kann man dieſe Rotationsaxe in
eine dem Horizonte parallele Lage bringen? — Das einfachſte
Mittel zu dieſem Zwecke iſt die Libelle, oder wie ſie auch ge-
nannt wird, die Waſſerwage. In der Höhlung der metallenen
Röhre CDC'D' (Fig. 16) liegt eine gläſerne mit Weingeiſt nicht
[285]Beſchreibung und Gebrauch der oſtronom. Inſtrumente.
völlig gefüllte, an ihrer oberſten Seite kreisförmig gebogene
Röhre. Man ſieht in der Zeichnung dieſe Glasröhre AB durch
die oben aufgeſchnittene Metallröhre. In der Mitte zwiſchen A
und B iſt der höchſte Punkt des erwähnten kreisförmigen Bo-
gens AB der Glasröhre, und dort wird alſo auch, wenn die Li-
belle genau horizontal geſtellt wird, die Luftblaſe m ſtehen, die
den mit Weingeiſt nicht erfüllten Theil der Glasröhre einnimmt,
und die, da ſie viel leichter als dieſe Flüſſigkeit iſt, ihrer Natur
nach immer den höchſten Theil der Röhre oder des Kreisbogens
AB einnehmen muß. Denkt man ſich nun die Metallröhre ent-
weder unten bei C' und D' mit zwei Fußgeſtellen, um ſie dadurch
z. B. auf einen Tiſch zu ſtellen, oder oben bei C und D mit
zwei Haken verſehen, um ſie dadurch an irgend eine Axe (z. B.
an die Drehungsaxe AB Fig. 15 des Mittagsrohrs) zu hängen,
ſo wird man mit Hülfe dieſer Libelle in jenem Fall den Tiſch
und in dieſem die Axe auf folgende Weiſe horizontal ſtellen,
wenn man noch bemerkt, daß eines jener Fußgeſtelle oder einer
jener Haken ſo eingerichtet iſt, daß er ſich mittels einer daran
angebrachten Schraube etwas verlängern oder verkürzen läßt, und
daß bei den ſorgfältiger gearbeiteten Libellen der oberſte Rand
der Glasröhre in eine Anzahl gleicher mit Zahlen verſehenen
Theile getheilt iſt, um dadurch den Ort der Blaſe genauer zu
beſtimmen.
Wenn die unterſten Theile der Fußgeſtelle oder auch,
wenn die höchſten Theile, die eigentlichen Aufhängungspunkte
der beiden Haken von dem oberſten Rande der Glasröhre ſchon
genau gleich weit entfernt wären (in welchem Zuſtande man
die Libelle bereits rectificirt nennt), ſo dürfte man ſie nur auf
den Tiſch ſtellen oder an jene Axe hängen, und Tiſch oder Axe
auf der einen Seite deſſelben ſo lange erhöhen oder erniedrigen,
bis die Luftblaſe m der Libelle genau in der Mitte der Glasröhre
ſteht. Allein dieß iſt ſelten der Fall, und gewöhnlich ſind beide,
Libelle und Tiſch, oder Libelle und Axe, zugleich fehlerhaft. In
dieſem Falle wird man dann ſo verfahren:
Man hänge die Libelle CD (Fig. 16) an die Rotationsaxe
AB (Fig. 15) ſo auf, daß C auf der Seite von A und D auf
der Seite von B iſt, und leſe in dieſem Stande der Libelle den
[286]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Ort der Mitte der Luftblaſe. Geſetzt, dieſe Mitte ſtehe bei dem
Theilſtriche a der Glasröhre. — Dann hebe man die Libelle von
der Axe ab, und hänge ſie in verkehrter Richtung wieder an die-
ſelbe, ſo daß jetzt der Theil C der Libelle nach B, und der Theil
D nach A kömmt, und leſe hier wieder den Ort der Mitte der
Blaſe, der z. B. bei dem Theilſtriche b ſtehen ſoll. Wenn a von
b verſchieden ſind, ſo iſt dieß ein Zeichen, daß die Rotationsare
ABnicht horizontal ſteht, und daher verbeſſert werden muß.
Die Größe dieſer Verbeſſerung aber wird unmittelbar durch dieſe
beiden Zahlen a und b angegeben. Man wird nämlich in dieſer
zweiten Lage der Libelle, die man nach dem erwähnten Umkehren
derſelben ruhig hängen läßt, den Endpunkt A oder B der Rota-
tionsaxe ſo weit erhöhen oder erniedrigen, bis der Mittelpunkt
der Luftblaſe genau in der Mitte zwiſchen jenen zwei Zahlen
a und b ſteht. Hatte man z. B. in der erſten Stellung der
Libelle die Zahl 8, und in der zweiten die Zahl 12 geleſen, ſo
wird man bei dieſer zweiten Stellung der Libelle den einen End-
punkt der Rotationsaxe ſo lange erhöhen, bis der Mittelpunkt
der Luftblaſe bei dem Theilſtriche 10 ſteht, und dann wird die
Rotationsaxe horizontal ſeyn, weil dann die Libelle, in beiden
Lagen derſelben, immer dieſelbe Zahl 10 zeigen wird. Daſſelbe,
was hier von der Rectification der Drehungsaxe geſagt iſt, läßt
ſich auch auf die Horizontalſtellung des Tiſches anwenden, wenn
man in ihm zwei auf einander ſenkrechte Linien zieht, und jede
dieſer Linien, nach dem hier angezeigten Verfahren, horizontal ſtellt.
Dieſes Verfahren iſt zugleich das einfachſte und ſicherſte,
weil dabei die oben erwähnten Schrauben, welche den Fuß oder
den Haken der Libelle verlängern oder verkürzen ſollen, gar nicht
weiter berührt werden. Dieſe Bewegung jener Schrauben ſoll,
wo möglich, ganz vermieden werden, weil dadurch das Gleichge-
wicht der einzelnen Theile geſtört, und eine Spannung in der
metallenen Faſſung erzeugt wird, die ſich, bei den neuen und ſehr
empfindlichen Libellen oft nur ſpät erſt herſtellt, und dem Beob-
achter durch langes Warten zu viele Zeit raubt.
Man ſieht, daß man auf dieſe Weiſe eine Ebene oder eine
Axe, ſelbſt mittels einer nicht rectificirten Libelle, horizontal ſtellen
kann. Wenn aber der Fehler der Libelle, den man bei dem vor-
[287]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
hergehenden Verfahren nicht weiter zu kennen braucht, zu groß
iſt, ſo wird die gefundene Zahl, die das Mittel aus den beiden
geleſenen Zahlen iſt, auch zu weit von der Mitte m der Einthei-
lung entfernt ſeyn, wie dieß in unſerem Beiſpiele bereits der
Fall iſt, wo das gefundene Mittel oder die Zahl 10 um volle
15 Theilſtriche von der Mitte der Eintheilung, die bei der Zahl
25 iſt, entfernt ſteht. Solche Fälle muß man aber vermeiden,
weil die Krümmungen auch unſerer beſten Libellen, am Rande
derſelben, nur ſelten vollkommen kreisförmig ſind, und weil am
Ende jener Punkt ſo weit von der Mitte der Theilung wegrücken
könnte, daß er unter die metallene Faſſung AC der Röhre rückt,
wo er gar nicht geſehen werden kann.
Sobald man alſo bemerkt, daß der Fehler der Libellen zu
groß iſt, ſo wird man ihn auf folgende Weiſe verbeſſern können.
— Man hänge ſie mit ihren Haken an die Rotationsaxe. Iſt
dann die Luftblaſe nicht in der Mitte der Theilung, ſo iſt entwe-
weder die Axe nicht horizontal, oder die Oberfläche der Libelle iſt
jener Axe nicht parallel, d. h. die Libelle iſt nicht rectificirt, oder
endlich, was gewöhnlich der Fall ſeyn wird, beide, Axe und Li-
belle, ſind fehlerhaft. Da man die Fehler eines jeden der beiden
Inſtrumente nicht kennt, ſo iſt es das natürlichſte, anzunehmen,
daß dieſe Fehler einander gleich ſeyn mögen. Man laſſe daher
den Mittelpunkt der Luftblaſe gegen den Mittelpunkt der Thei-
lung halben Weges durch die Schraube A (Fig. 15) der Rota-
tionsaxe und die andere Hälfte des Weges durch die obenerwähnte
Correctionsſchraube des Libellenhakens zurücklegen. Hat man
durch beide Schrauben die Blaſe in die Mitte der Theilung ge-
bracht, ſo kehre man die Libelle um, ſo daß ihr öſtlicher Arm
jetzt auf die Weſtſeite der Rotationsaxe komme. Iſt in dieſer
neuen Lage die Blaſe nicht in der Mitte, ſo verbeſſere man
wieder, wie zuvor, die eine Hälfte des Fehlers durch die eine,
und die andere Hälfte durch die andere Schraube, und bringe
ſonach die Blaſe wieder in die Mitte der Theilung. Dann kehre
man die Libelle wieder um, und wiederhole dieſes Verfahren der
halbgetheilten Correction ſo lange, bis die Luftblaſe der Libelle,
in ihren beiden entgegengeſetzten Lagen, immer in der Mitte der
Theilung genau einſpielt.
[288]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Durch dieſes Verfahren wird, wie man ſieht, die Drehungs-
axe und die Libelle zugleich rectificirt. Es wird übrigens nie
nothwendig ſeyn, daſſelbe ſo weit fortzuſetzen, bis der Mittel-
punkt der Blaſe in beiden Lagen der Libelle genau auf den Mit-
telpunkt der Theilung fällt, da es, nach dem Vorhergehenden
ſchon hinreicht, wenn beide Mittelpunkte nur einander nahe ge-
nug gebracht werden. Wenn z. B. die Blaſe in der erſten Lage
der Libelle 20, und in der zweiten Lage 26 zeigt, ſo wird man,
nach dem zuvor gezeigten Verfahren, bloß durch die Schraube
der Rotationsaxe die Blaſe auf die Mitte jener zwei Zahlen oder
auf die Zahl 23 bringen, und dadurch verſichert ſeyn, daß die ſo
geſtellte Rotationsaxe auch genau horizontal iſt, obſchon die Li-
belle ſelbſt noch nicht rectificirt iſt, da ſie, nach unſerer Zeichnung
(Fig. 16) nicht 23, ſondern 25 zeigen ſollte. Will man daher
auch dieſe Libelle noch rectificiren, ſo wird man nur, mittels
ihrer Correctionsſchraube, den einen Haken derſelben ſo viel
verlängern oder verkürzen, daß der Mittelpunkt der Blaſe um
zwei Theilſtriche, von 23 auf 25 fortgehe, da 25 der Mittel-
punkt der an der Glasröhre angebrachten Theilung iſt. Bemer-
ken wir noch, daß es öfter nothwendig iſt, den Werth eines jener
gleichen Theilſtriche in Sekunden zu kennen. Zu dieſem Zwecke
wird man die Libelle an irgend ein Höhen meſſendes Inſtrument
z. B. an einen Quadranten befeſtigen, und nun Inſtrument und
Libelle ſo bewegen, daß z. B. der Mittelpunkt der Blaſe 30 Theil-
ſtriche der Libelle durchlauft, während das Inſtrument ſeine Höhe
um 20 Sekunden geändert hat, woraus folgt, daß ein Theilſtrich
der Libelle ⅔ Sekunden beträgt. Muß man alſo die Axe A des
Mittagsrohrs, bei der Rectification derſelben, z. B. um 12 Theil-
ſtriche der Libelle erheben, ſo weiß man, daß dieſe Erhebung
8 Sekunden beträgt.
§. 19. (Rectification des Mittagsrohrs: Stellung im Meri-
dian.) Wenn ſonach die Drehungsaxe des Mittagsrohrs genau
horizontal geſtellt worden iſt, ſo wird das Fernrohr [oder viel-
mehr die Collimationslinie deſſelben, die nach dem Vorhergehenden
(§. 17) bereits ſenkrecht auf jener Rotationsaxe ſteht], wenn
daſſelbe um jene Axe gedreht wird, einen Verticalkreis (Einl.
S. 27) beſchreiben, oder es wird in einer auf den Horizont
[289]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſenkrechten Ebene auf und nieder geben — aber noch nicht in
der Ebene des Meridians, wie es doch von dieſem Inſtru-
mente gefordert wird. Es wird zwar leicht ſeyn, dieſes Fernrohr
ſo zu ſtellen, daß es dem Meridian ſchon nahe ſtehe, wozu man
ſich z. B. der Culmination der Sonne oder irgend eines andern
Geſtirns, deſſen Rectaſcenſion man kennt, bedienen kann, wenn
man zuerſt den Gang ſeiner Uhr durch correſpondirende Höhen
(m. ſ. oben S. 244) oder auf irgend eine andere Art (S. 293)
beſtimmt hat. Allein es handelt ſich hier um eine ganz ge-
naue Stellung des Mittagsrohrs, und um eine ſolche, die von
anderen Inſtrumenten unabhängig iſt, weil daſſelbe ſeines ſoliden
und einfachen Baues und ſeiner ganzen Beſtimmung wegen die
Zeit ſowohl, als auch die zu beobachtenden Rectaſcenſionen beſſer
und vollkommener geben ſoll, als es durch irgend eines der an-
dern, zu dieſem Zwecke minder geeigneten Inſtrumenten mög-
lich iſt.
Bemerken wir zuerſt, daß man jetzt, wo die Collimationslinie
des Ferurohrs bereits einen Vertikalkreis beſchreibt, zugleich ein
leichtes Mittel erhalten hat, den oben in dem Brennpunkte der
beiden Linſen ſenkrecht auf die Axe derſelben geſpannten Faden,
auch vollkommen vertical oder zu dem Horizonte ſenkrecht zu
ſtellen: man darf nämlich jetzt nur dieſen Faden, indem man
das Fernrohr ſanft auf- oder abwärts bewegt, an irgend einem
wohl begränzten terreſtriſchen Objecte auf- und niederlaufen laſſen.
Wenn bey dieſer Bewegung des Fernrohrs der Faden nicht immer
genau durch denſelben Punkt des Objects geht, ſo wird man
den oben erwähnten Fadenring mit einer eigens dazu be-
ſtimmten Schraube ſo lange, in ſeiner eigenen Ebene, um ſeinen
Mittelpunkt drehen, bis er jener Forderung genügt, wo er dann
vertikal ſtehen wird. Gewöhnlich ſpannt man zu beiden Seiten
dieſes mittleren Fadens noch einen oder auch zwei mit jenem pa-
rallele und unter ſich gleichweit entfernte Fäden auf, um die Beob-
achtungen der Durchgänge der Sterne zu vervielfältigen. Man
kann ihren Parallelismus prüfen, wenn man nahe an dem Aequa-
tor liegende Sterne durch die oberen und durch die unteren End-
punkte dieſer Fäden durchgehen läßt, und zuſieht, ob die Zeitin-
tervalle für jedes Fädenpaar aus jenen beiden Beobachtungen genau
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder III. 19
[290]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dieſelben ſind. Dieß gibt zugleich ein einfaches Mittel, die
Entfernung dieſer Seitenfäden von dem mittleren oder von
dem Hauptfaden zu beſtimmen. Beträgt z. B. die Zeit, die ein
Stern von bekannter Declination (Einl. S. 28) braucht, von
einem dieſer Nebenfäden zu den mittleren zu gelangen, 100 Sekun-
den Sternzeit (I. S. 315), ſo wird man nur dieſe 100 Sekunden
durch den Coſinus der Declination des Sterns multipliciren, um
das geſuchte Intervall der beiden Fäden in Sternzeit zu erhalten.
Iſt z. B. dieſe Declination gleich 80 Graden, ſo hat man, da der
Coſinus von 80 Graden gleich 0,1736 iſt, 17,36 Sternzeitſekunden
für das geſuchte Intervall der beiden Fäden, das daher im Rau-
me oder in Bogenſekunden ausgedrückt, 15mal größer oder gleich
260,4 Bogenſekunden iſt. Beobachtet man dann einen andern
Stern, deſſen Declination z. B. 40 Grad beträgt, wovon der
Coſinus 0,7660 iſt, an dieſem Seitenfaden, ſo wird er jenes In-
tervall in einer Zeit durchlaufen, die gleich 17,36 dividirt durch
den Coſinus ſeiner Declination, d. h. die gleich 22,663 Sternzeit-
ſekunden iſt, ſo daß man daher zu der Beobachtungszeit an die-
ſem Seitenfaden nur 22,663 Sekunden addiren, oder wenn er weſt-
licher ſteht, davon ſubtrahiren darf, um ſofort die Zeit zu erhal-
ten, wenn dieſer Stern durch den mittleren oder durch den Haupt-
faden gegangen iſt. Noch wollen wir bemerken, daß man dieſer
Reihe von ſenkrechten, unter ſich parallelen Fäden gewöhnlich noch
einen anderen darauf ſenkrechten oder nahe horizontalen hinzufügt,
der dazu dient, die zu beobachtenden Sterne alle nahe durch die-
ſelben Punkte der andern verticalen Fäden, alſo in der Nähe die-
ſes horizontalen, durchgehen zu laſſen, wo es jetzt nicht mehr
nöthig iſt, die verticalen unter ſich genau parallel einzuſpannen,
was nur ſchwer oder gar nicht erreicht werden kann.
Um nun noch die Collimationslinie, d. h. den mittleren ver-
ticalen Faden des Mittagsrohrs ganz genau in die Ebene des
Meridians zu bringen, wird man am beſten einen dem Nord-
pole des Aequators nahen Stern in ſeiner obern ſowohl, als auch
in ſeiner unteren Culmination an dem Mittagsrohre beobachten.
Geht die Uhr bereits ſehr nahe nach Sternzeit (I. S. 319), ſo
beobachte man die Uhrzeit der zwei Augenblicke, wo z. B. der
[291]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Polarſtern in ſeiner oberen und unteren Culmination (I. S. 105)
iſt und ſubtrahire die letzte Zeit von 12 Uhr. Die halbe Differenz
der ſo erhaltenen zwei Zeiten dividirt man dann durch den Coſinus der
Polhöhe und durch die Tangente der Declination des Sterns: was
herauskommt, iſt die geſuchte Abweichung des Rohrs von dem
Meridian oder iſt das geſuchte Azimut (I. S. 31). Um dieß
durch ein Beiſpiel zu erläutern, nehmen wir an, man hätte für die
obere Culmination des Polarſterns 0 Stunden 58 Minuten 20
Sekunden und für die untere 12 Stunden 58 Minuten 50 Sekun-
den gefunden, ſo iſt jene Differenz 30 alſo ihre Hälfte 15 Zeit-
ſekunden. Die Declination des Polarſterns iſt aber nahe 88° 10′
und die Polhöhe Wiens 48° 12,6′. Von jenem Winkel iſt die Tan-
gente 31,2416 und von dieſem der Coſinus 0,6664, alſo beträgt auch
das Azimut des Fernrohrs 0,721 Zeitſekunden und zwar gegen
Oſt, da jene Differenz poſitiv iſt. Man wird daher in dieſem
Falle das Fernrohr oder vielmehr die Drehungsaxe AB deſſelben
mittelſt der bereits erwähnten Schraube bei der Unterlage B die-
ſer Axe um 0,721 Zeitſekunden weſtlicher ſtellen, um die Collima-
tionslinie in die Ebene des Meridians zu bringen. Die Beobach-
tungen der nächſtfolgenden Tage werden zeigen, ob man dieſe Zu-
rechtſtellung des Fernrohrs ganz genau vorgenommen hat. Dieß
wird nämlich der Fall ſeyn, wenn die erwähnte Differenz der bei-
den Sternzeiten genau gleich Null iſt.
Dieß ſind die weſentlichſten Correctionen des Mittagrohrs,
die man mit aller Sorgfalt vornehmen muß, ehe man an die
eigentlichen Beobachtungen mit dieſem Inſtrumente geht. Da es
ſchwer iſt, dieſe drei Fehler, der auf die Drehungsaxe ſenkrechten
Stellung der Collimationslinie, der Horizontalität der Drehungs-
axe und des Azimuts des Fernrohrs, durch bloße mechaniſche
Mittel, wie Schrauben, Libellen und dergl. völlig wegzubringen,
und da ſich auch dieſe Fehler durch äußere Einwirkungen auf das
Inſtrument häufig ändern, ſo ziehen es die neueren Beobachter
vor, dieſe Fehler durch jene Mittel überhaupt nur ſo klein als
möglich zu machen, und dann den Reſt derſelben oder vielmehr
die Folgen dieſer Reſte auf die künftigen Beobachtungen in Rech-
nung zu bringen, ein Verfahren, das viel genauer iſt, als jenes,
das ſich aber hier ohne Umſtändlichkeit nicht gut vortragen läßt.
19 *
[292]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 20. (Andere Correctionen des Mittagsrohrs.) Allein es
gibt bei dieſem Inſtrumente noch andere Fehler, auf die ein ge-
nauer Beobachter ebenfalls Rückſicht nehmen ſoll. Man ſieht z. B.
ohne meine Erinnerung, daß der Künſtler, welcher ſolche Inſtru-
mente verfertiget, die Endpunkte A und B der Drebungsaxe, mit
welchen dieſe Axe eigentlich auf ihren Lagern aufliegt, mit der
größten Sorgfalt ausarbeiten muß; dieſe Endtheile der Axe ſind
Cylinder mit kreisförmiger Baſis. Wenn nun dieſe Baſis bei
dem einen oder dem anderen Endpunkte der Axe kein vollkomme-
ner Kreis, ſondern z. B. eine Ellipſe wäre, oder wenn ſie auch
beide Kreiſe, aber von verſchiedenem Durchmeſſer wären, oder wenn
beide Cylinder einander nicht genau gegenüberſtünden u. ſ. w., ſo
würden dieſe Unvollkommenheiten der mechaniſchen Ausführung,
die doch der Künſtler nicht wohl gänzlich vermeiden kann, ebenſo
viele Fehlerquellen ſeyn, auf welche der Beobachter, da er ſie
nicht wie jene drei wegſchaffen oder doch ſo viel möglich vermin-
dern kann, bei den Berechnungen ſeiner Beobachtungen Rückſicht
nehmen muß. Schwerer noch iſt es, diejenigen Fehler zu beſtim-
men, die von der Wirkung der Schwere auf das Fernrohr in den
verſchiedenen Lagen deſſelben gegen den Horizont kommen, ſo wie
jene, welche die Temperatur in den verſchiedenen Theilen des In-
ſtrumentes erzeugt. Um dieſe letzten Fehler wenigſtens ſo viel
möglich zu vermeiden, hat man eigene Beſchirmungen, welche bei
den Sonnenbeobachtungen nicht nur das Inſtrument, ſondern auch
die beiden Pfeiler P und Q in Schatten ſtellen, ſo daß nur das
Objectiv D des Fernrohrs den Sonnenſtrahlen bloß gegeben wird,
und man hat gefunden, daß der Mangel dieſer Beſchirmung des
Inſtruments oft ſehr große Fehler erzeugt. Selbſt der oben er-
wähnte Ring im Innern des Fernrohrs, welcher die Fäden trägt,
iſt einer ſolchen Verſtellung durch die Sonnenſtrahlen ausgeſetzt,
wenn dieſelben vor der Beobachtung den weſtlichen, und nach der-
ſelben den öſtlichen Rand des Ringes beſcheinen, daher man vor
dieſen Ring einen zweiten anzubringen pflegt, welcher den erſten
vor der unmittelbaren Einwirkung der Sonnenſtrahlen be-
ſchützen ſoll.
Noch muß erwähnt werden, daß man für dieſe, ſo wie über-
haupt für alle in dem Meridian aufgeſtellte Inſtrumente, in an-
[293]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
gemeſſenen Entfernungen von z. B. einer Viertelmeile im Nord
und Süd eigene Meridianzeichen aufzuſtellen pflegt, Säulen oder
Pfeiler, die in ihren böchſten Theilen mit einer eingetheilten Scala
verſehen ſind, deren Theile ſich durch das Fernrohr gut leſen laſ-
ſen, und durch deren Hülfe man nicht nur die Richtung des Me-
ridians ſehr genau beſtimmen, ſondern auch das Fernrohr leicht
wieder darauf zurückführen kann, wenn es ſich durch irgend einen
Zufall davon entfernt hat.
§. 21. (Beobachtungen mit dem Mittagsrohre.) Durch alle
dieſe und manche andere Rückſichten iſt man dahin gekommen, daß
man mit ſolchen Inſtrumenten die Correction der Uhr, d. h. die
Zeitbeſtimmung ſowohl, als auch die Beſtimmung der Rectaſcen-
ſion der Geſtirne bis auf zwei oder drei Zehntheile einer Zeitſe-
kunde genau erhalten kann.
Wir wollen nur noch kurz anzeigen, auf welche Weiſe man
mit dem Mittagsrohre jene beiden Beobachtungen anzuſtellen
pflegt, vorausgeſetzt, daß man die Fehler deſſelben durch das vor-
hergehende Verfahren bereits weggebracht hat.
Zuerſt alſo dient dieſes Inſtrument zur Beſtimmung der Zeit,
d. h. zur Berichtigung der Uhr, die man bei allen folgenden Beob-
achtungen braucht. Es iſt bereits früher (I. S. 319) geſagt
worden, daß man auf Sternwarten die Uhren gewöhnlich nach
Sternzeit gehen läßt, ſo daß ſie zwiſchen zwei nächſten Mittagen
oder zwiſchen zwei nächſten Culminationen der Sonne, nicht 24
Stunden, ſondern nahe 24 Stunden 3 Minuten 56 Sekunden
geben (I. S. 315), wobei vorausgeſetzt wird, daß eine ſolche Uhr
vor allem gleichförmig gehe, d. h. daß ſie im Laufe mehrerer
Tage gegen die richtige Sternzeit täglich oder ſtündlich um dieſelbe
Größe zu- oder abnehme.
Um nun für jeden Augenblick dieſe Abweichung der Uhr von der
wahren Sternzeit zu finden, wird man das Mittagsrohr, mittelſt
des Index Ao des Kreiſes mn nahe auf die mittägige Höhe eines
Fixſterns ſtellen, deſſen Rectaſcenſion für dieſen Augenblick man
genau kennt. Es ſey dieſer Stern Aldebaran oder α im Stier,
deſſen Rectaſcenſion 4 Stunden 26 Minuten 25,3 Sekunden ſeyn
ſoll. Da der Gang der Uhr, etwa bis auf eine Minute, ſchon
aus den früheren Beobachtungen bekannt iſt, ſo wird man einige
[294]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Minuten, ehe die Uhr 4 Stunden 26 Minuten zeigt, an das In-
ſtrument gehen, um daſſelbe auf den gewählten Fixſtern zu ſtel-
len, und dann abwarten, bis der Stern in das Feld des Fern-
rohrs tritt. Geſetzt, daſſelbe ſey mit drei ſenkrechten Fäden ver-
ſehen, die in gleichen Entfernungen von einander ſtehen, und man
habe die Uhrzeiten des Durchgangs des Sterns durch dieſe Fäden
gefunden, wie folgt:
- Durch den erſten Faden Uhrzeit 4 St. 26 M. 54,2 S.
- zweiten . . . 4 27 39,3
- dritten . . . 4 28 23,3
Addirt man dieſe drei Zeiten und dividirt die ſo erhaltene
Summe durch 3, d. h. nimmt man das Mittel aus dieſen drei
Beobachtungen, ſo erhält man
4 St. 27 M. 39 S.
für die Uhrzeit desjenigen Augenblicks, wo der Stern durch
den Meridian ging. Allein die wahre Sternzeit dieſes Augen-
blicks iſt bekanntlich (I. S. 319) gleich der Rectaſcenſion deſſelben
oder gleich
4 St. 26 M. 25,3 S.
Die Differenz dieſer beiden Zeiten iſt 1 Minute 13,8 Sekunden,
alſo geht auch die Uhr um die Zeit, wo ſie 4 Stunden 28 Mi-
nuten zeigte, um 1 Minute 13,8 Sekunden gegen Sternzeit voraus
oder ſie geht um 1 Minute 13,8 Sekunden zu geſchwind.
Ebenſo wird man an demſelben Tage durch eine andere Beob-
achtung, z. B. von Wega oder α der Leyer, deren Rectaſcenſion
18 Stunden 31 Minuten 19,2 Sekunden iſt, finden, daß die Uhr
um dieſe Uhrzeit um 1 Minute 14,2 Sekunden gegen Sternzeit
voraus iſt, woraus folgt, daß ſie in 14 Stunden 5 Minuten
Uhrzeit um 0,4 Sekunden gegen Sternzeit vorausgeht, ſo daß ſie
alſo, wenn man ihren Gang gleichförmig annimmt, in jeder
Stunde um 0,028 Sek. gegen Sternzeit vorauseilt. Aus mehreren
ſolchen Beobachtungen wird man das Mittel nehmen und ſo den
Stand und Gang der Uhr gegen die große Himmelsuhr oder ge-
gen die wahre Sternzeit mit aller nur wünſchenswerthen Schärfe
beſtimmen können.
Um nun auch, nachdem der Zuſtand der Uhr vollkommen be-
kannt iſt, die Rectaſcenſionen ſolcher Geſtirne, deren Ort am
[295]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Himmel man noch nicht kennt, durch das Mittagsrohr zu beſtim-
men, wird man kurz vor der Culmination deſſelben das Fernrohr
auf dieſes Geſtirn ſtellen und wieder die Uhrzeiten der Durchgänge
deſſelben durch die drei Fäden bemerken. Geſetzt man habe an
demſelben Tage von irgend einem Kometen beobachtet
- am erſten Faden die Uhrzeit 10 Stunden 43 Minuten 16,2 Sek.
- zweiten . . . 10 44 20,4
- dritten . . . 10 45 24,3
Das Mittel dieſer drei Zahlen iſt 10 Stunden 44 Minuten
20,3 Sekunden, und dieß iſt alſo auch zugleich die Uhrzeit der
Culmination des Kometen. Allein die Uhr ging um 4 St. 27
Min. Uhrzeit bereits um 1 Min. 13,8 Sek. gegen Sternzeit
voraus und accelerirt in jeder Stunde um 0,028 Sekunden, alſo
ging ſie zur Zeit der Beobachtung des Kometen um 1 Min.
13,98 Sek. gegen Sternzeit voraus, oder der Komet culminirte, wie aus
dieſer Beobachtung und aus dem bereits bekannten Fehler der Uhr
folgt, um 10 Stunden 43 Minuten 6,32 Sekunden Sternzeit, und
dieß iſt daher auch (I. S. 319) die geſuchte Rectaſcenſion des
Kometen.
Das Vorhergehende wird hinreichen, die Einrichtung und den
Gebrauch des Mittagsrohrs jedem Leſer deutlich zu machen. Ich
habe mich abſichtlich etwas umſtändlicher darüber verbreitet, da
das Inſtrument eines der wichtigſten der neueren Aſtronomie iſt,
und da das, was hier von ihm geſagt worden iſt, ſich mit einigen
Aenderungen auch auf andere Meridianinſtrumente anwenden läßt.
§. 22. (Zeitbeſtimmung bloß durch Hülfe eines einfachen Fern-
rohrs.) Da eine genauere Kenntniß der Zeit nicht bloß dem
Aſtronomen nothwendig, ſondern auch jedem Anderen willkommen
iſt, deſſen Geſchäfte auf irgend eine Art an die Zeit gebunden ſind,
ſo wollen wir hier einige Mittel zu dieſem Zwecke mittheilen,
von welchen man mehrere ſelbſt ohne alle eigentliche Inſtrumente
anwenden kann.
Das einfachſte unter allen iſt ohne Zweifel der Gnomon,
von welchem wir ſchon oben (I. S. 110) geſprochen haben, und
der in einem geradlinigen, auf horizontalem Boden ſenkrecht auf-
geſtellten Stabe beſteht. Dieſe Lage des Stabes oder der Stange
wird man leicht mittelſt eines Bleilothes erhalten. Wird
[296]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ein ſolcher Stab den Sonnenſtrahlen ausgeſetzt, ſo bemerkt
man, daß der Schatten deſſelben auf der horizontalen Ebene um
den Stab herumgeht, und daß er immer kürzer wird, je näher
die Sonne an dem Meridian, oder je näher die Zeit dem Mittage
iſt. In gleichen Entfernungen von dem Mittage, z. B. drei oder
vier Stunden vor und nach dem Mittage eines gegebenen Tages,
hat dieſer Schatten gleiche Länge und ſteht auch, zu beiden Sei-
ten des Meridians, gleichweit von ihm ab, ſo daß alſo dieſer
Schatten vor und nach dem Mittage mit der Mittagslinie
(I. S. 29) gleiche Winkel macht.
Dieſe wenigen Bemerkungen reichen hin, eine Sonnenuhr der
einfachſten Art zu conſtruiren. Man ziehe nämlich aus dem Fuß-
punkte der Stange, wo ſie den Boden berührt, als aus einem
Mittelpunkte, mitteſt einer daſelbſt befeſtigten Schnur mehrere
concentriſche Kreiſe von verſchiedenen Halbmeſſern und bemerke
in der Peripherie eines jeden Kreiſes diejenigen zwei Punkte, die
vor und nach Mittag von dem Endpunkte des Schattens getroffen
werden. Theilt man dann in jedem Kreiſe den zwiſchen dieſen bei-
den Punkten enthaltenen Bogen in zwei gleiche Theile und ver-
einiget dieſen Theilungspunkt mit dem Fußpunkte der Stange durch
einen auf dem horizontalen Boden gezogene gerade Linie, ſo wird
dieſelbe die Mittagslinie ſeyn, und ſo oft in künftigen Tagen
der Schatten der verticalen Stange auf dieſe Mittagslinie fällt,
wird dieſer Augenblick den des wahren Mittags an dieſem Tage
bezeichnen. Eigentlich wird, wie man ſieht, ſchon ein einziger
jener Kreiſe zu dieſem Zwecke genügen, auch ſind die anderen nur
gezogen worden, um dadurch den Verſuch wiederholen und ſich von
der Genauigkeit der Ausführung überzeugen zu können. Die ver-
ſchiedenen Mittagslinien, die jeder dieſer Kreiſe gibt, ſollen näm-
lich alle auf eine und dieſelbe Linie fallen, und wenn, wie dieß
gewöhnlich der Fall iſt, da ſich das Schattenende der Stange nicht
ganz genau beobachten läßt, wenn dieſe Mittagslinien unter ein-
ander etwas abweichen ſollten, ſo wird man aus ihnen das Mit-
tel nehmen. Am ſicherſten wird man dieſe Beobachtungen zur Zeit
der Solſtitien (I. S. 33) anſtellen, weil da die Declination der
Sonne ſich am wenigſten ändert.
Dadurch ſind wir alſo in den Stand geſetzt, jeden Tag we-
[297]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nigſtens den Augenblick des wahren Mittags genau anzugeben.
Allein die anderen Stunden des Tages ſind uns noch unbekannt.
Wir wollen daher ſehen, wie man auch zur Kenntniß dieſer letzte-
ren gelangen kann.
Ich ſetze dabei voraus, daß man eine gute, d. h. eine gleich-
förmig gehende Uhr habe. Eine ſolche Uhr mag immerhin täg-
lich um eine beträchtliche Zeit, z. B. um eine ganze Minute, vor
der wahren Zeit vorausgehen oder hinter ihr zurückbleiben, wenn
ſie nur im Laufe eines jeden Tages um dieſelbe Größe von der
Wahrheit abweicht. Unſere vorhergehenden einfachen Beobachtungen
an der verticalen Stange werden uns bald von der Brauchbarkeit der
Uhr überzeugen, wenn man an dieſer Stange mehrere Tage nach ein-
ander den Augenblick des wahren Mittags an der Uhr beobachtet
und dabei auf die Zeitgleichung (I. S. 313) Rückſicht nimmt.
Geſetzt man hätte folgende Uhrzeiten des wahren Mittags ge-
funden, denen ich ſogleich die mittlere Zeit dieſer Mittage
(nach I. S. 314) hinzuſetze:
Aus dieſen Beobachtungen folgt daher, daß die Uhr am 5.
Julius im wahren Mittag gegen die mittlere Zeit um 1 Minute
42 Sekunden, und am 20. Julius ſchon um 10 Minuten 13 Se-
kunden zu ſpät ging. Dieſe Uhr ſcheint alſo, wie man gewöhn-
lich urtheilen hört, ſchlecht zu gehen, da ſie in 15 Tagen um
volle 8 Minuten 31 Sekunden zu ſpät geht, alſo in einem Mo-
nate von 30 Tagen um 17 Minuten 2 Sekunden oder mehr als
eine Viertelſtunde zu ſpät gehen wird. Allein wenn man den
Gang dieſer Uhr zwiſchen den einzelnen Beobachtungstagen näher
betrachtet, ſo findet man, daß ſie im Gegentheile eine gute Uhr
iſt. In der That, während der beiden erſten Tage blieb ſie um
1 Minute 8 Sekunden, alſo täglich um 34,0 Sekunden zurück. In
den drei Tagen vom 7. bis zum 10. Julius blieb ſie 1 Minute
40 Sekunden, alſo täglich wieder 33,3 Sekunden zurück. In den
zehn letzten Tagen endlich, vom 10. bis zum 20. Julius blieb ſie
[298]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
5 Minuten 43 Sekunden, alſo täglich 34,3 Sekunden zurück. Ihre
tägliche Retardation gegen mittlere Zeit iſt daher
- aus der erſten Vergleichung 34,0 Sekunden
- zweiten 33,3
- dritten 34,3
und da die drei letzten Zahlen ſo wenig unter einander verſchieden
ſind, ſo kann man den Gang der Uhr während dieſer 15 Tage
als gleichförmig, nämlich ihre tägliche Retardation im Mittel
gleich 33,87 Sekunden annehmen.
Eine ſolche Uhr vorausgeſetzt, beobachte man nun an einem
vor ſeinem Fenſter ſtehenden Thurme oder höheren Hauſe, mittelſt
eines Fernrohres von nur ſchwacher Vergrößerung, die vor-
überziehenden Fixſterne, wie ſie nach einander von der Mauer
bedeckt werden und hinter ihr verſchwinden. Wenn dieſe Mauer
weit genug, etwa einige hundert Klafter, von dem Auge des Beob-
achters entfernt iſt, ſo haben dieſe Verſchwindungen der Sterne
augenblicklich ſtatt und können daher mit vieler Schärfe beobachtet
werden. Wenn ferner der Theil der Mauer, an welchem man dieſe
Verſchwindungen ſieht, ſenkrecht auf dem Horizonte ſteht, wie dieſes
bei den meiſten Mauern der Fall iſt, ſo wird ein Fixſtern alle Tage
des Jahres um dieſelbe Sternzeit hinter der Mauer zu ver-
ſchwinden ſcheinen, wenn anders das Auge des Beobachters immer
dieſelbe Lage beibehält. Denn eigentlich geht der Stern im Augen-
blicke ſeiner Verſchwindung durch den Verticalkreis (I. S. 27), der
durch das Auge und durch die ſenkrechte Mauer des Thurmes be-
ſtimmt wird, oder der Stern hat in dieſem Augenblicke daſſelbe Azimut
(I. S. 30), welches auch der Thurm für den Beobachter hat.
Allein wenn für einen am Himmel fixen Stern S' (I. Fig. 2) das
Azimut R Z S' nicht geändert wird, ſo bleibt auch ſein Stunden-
winkel RNS' (I. S. 30) und alſo auch die Sternzeit VQ ſeines Durch-
gangs durch den Verticalkreis ZS' immer derſelbe, da nach I. S. 38
dieſe Sternzeit nichts anders iſt, als die Summe ſeines Stunden-
winkels QNQ' oder QQC und ſeiner Rectaſcenſion Q'V. Derſelbe
Stern wird daher alle Tage um dieſelbe Sternzeit verſchwinden, und
man darf dieſe Sternzeit nur einmal genau beſtimmen, um durch die
beobachtete Verſchwindung des Sterns auch für jeden anderen Tag
ſofort den Fehler ſeiner Uhr gegen Sternzeit beſtimmen zu können.
[299]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Dabei wird, wie geſagt, bloß vorausgeſetzt, daß das Auge des
Beobachters immer denſelben Ort unverändert beibehalte. Allein
dieſer Forderung wird man ſehr leicht genügen, wenn man z. B.
an ſeinem Fenſterſtocke einen feſten Nagel ſchief gegen den Ho-
rizont ſo einſchlägt, daß das Fernrohr, während der Beobachtung,
in den Winkel, welchen der Nagel mit dem Fenſterbalken bildet,
frei herabſinkt. In dieſer Lage richtet man dann das Fernrohr
auf den Thurm ſo, daß das Auge die bekannte Stelle des Thurms,
wo der Eintritt des Sterns ſtatt haben ſoll, in der Mitte des
Feldes erblickt.
Man ſieht ohne meine Erinnerung, daß es zu ſolchen Beob-
achtungen am bequemſten iſt, ſeine Uhr nach Sternzeit gehen zu
laſſen, wie dieß auch auf allen Sternwarten bereits längſt
eingeführt iſt (Vergl. I. S. 319). Allein da wir nun einmal
daran gewöhnt ſind, unſere Uhren nach mittlerer Sonnenzeit ge-
hen zu laſſen, ſo können wir auch hier dieſe Einrichtung beibe-
halten, wenn wir nur bemerken, daß dann (I. S. 318) die mitt-
lere Zeit der Verſchwindung des Sterns hinter dem Thurme
jeden Tag um 3 Min. 55,907 Sek. früher ſtatt hat, als an dem
vorhergehenden Tage. Auch mag man bemerken, daß der gewählte
Stern, der am erſten Tage zu einer für dieſe Beobachtungen be-
quemen und geſchickten Abendſtunde verſchwindet, immer früher
am Tage zu dem Thurme kommen und daher am Ende durch das
vielleicht nur ſchwache Fernrohr ganz unſichtbar werden wird.
Dieſe Acceleration, die, nach dem Geſagten, täglich 3 Minuten
55,907 Sekunden beträgt, wird nach einem Monate nahe auf zwei,
und nach einem halben Jahre auf zwölf Stunden ſteigen. Allein
dieſem Umſtande läßt ſich leicht begegnen, wenn man gleich die
erſten Nächte nicht bloß einen, ſondern mehrere Sterne beobachtet,
deren Verſchwindungen eine oder eine halbe Stunde von einander
entfernt ſind. Wenn dann ſpäter auch die letzten dieſer Sterne
ſchon zu nahe an dem Tage fallen, ſo kann man mit ihnen wieder
andere auf dieſelbe Weiſe verbinden und in einem Jahre z. B.
50 Sterne beobachten, ſo daß in jeder halben Stunde des Tages
im ganzen Jahre wenigſtens einer derſelben beobachtet werden kann.
Dieſe Methode iſt ſo einfach, daß es kaum nöthig ſeyn wird,
ſie durch ein Beiſpiel zu erläutern. Geſetzt, man habe an irgend
[300]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
einem Tage durch den oben erwähnten Gnomon oder ſonſt auf
irgend eine Weiſe (ſ. oben S. 244 oder 293) gefunden, daß die Uhr
um 2 Minuten 40 Sekunden gegen mittlere Zeit zu ſpät gehe.
An demſelben beobachtete man auf die eben angezeigte Art die Ver-
ſchwindung eines Sterns, die z. B. in dem Augenblicke ſtatt
hatte, als die Uhr 8 Stunden 45 Minuten 36 Sekunden gab.
Da aber dieſe Uhr um 2 Minuten 40 Sekunden zu ſpät geht,
ſo iſt die mittlere Zeit der Verſchwindung des Sterns 8 Stun-
den 48 Minuten 16 Sekunden.
Da derſelbe Stern jeden folgenden Tag um 3 Minuten
55,908 Sekunden früher verſchwindet, ſo wird er am zweiten Tag
um 8 Stunden 44 Minuten 20 Sekunden, am dritten um 8 St.
40 Minuten 24,2 Sekunden mittlerer Zeit verſchwinden. Hat
man nun dieſe folgenden Verſchwindungen ebenfalls beobachtet und
z. B. gefunden, daß die des zweiten Tages um 8 Stunden 41 Mi-
nuten 46 Sekunden und die des dritten um 8 Stunden 37 Mi-
nuten 56 Sekunden Uhrzeit ſtatt hatte, ſo findet man die Cor-
rectionen der Uhr für dieſe drei Tage auf folgende einfache
Weiſe
ſo daß man alſo jeden Tag den Fehler der Uhr und zugleich ihren
täglichen Gang erhält, der in unſerem Beiſpiele 5,9 Sekunden be-
trägt, um welche die Uhr jeden Tag gegen die mittlere Zeit vor-
ausgeht oder accelerirt. Die Uebereinſtimmung des täglichen Gan-
ges aus jedem Beobachtungspaare gibt zugleich einen Beweis von
dem guten Gange der Uhr.
Wenn man bedenkt, wie einfach dieſe Beobachtungen ſind und
mit welcher großen Schärfe ſie ſich anſtellen laſſen, ſo daß ſie
ſelbſt von Aſtronomen, die mit keinem Mittagsrohre verſehen ſind,
mit Vortheil gebraucht und allen anderen bisher erwähnten Zeit-
beſtimmungen vorgezogen werden können, ſo muß man ſich ver-
wundern, daß dieſe Methode, ſelbſt außer dem eigentlich wiſſen-
[301]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſchaftlichen Leben, nicht überall eingeführt iſt, wo man einer ge-
nauen Zeitbeſtimmung bedarf. Unſere Uhrmacher z. B. werden
nie einen höheren Grad ihrer Kunſt erreichen und mit den Chro-
nometermachern Englands und Frankreichs, deren jeder eine kleine
Privatſternwarte in ſeinem Hauſe hat, rivaliſiren können, ſo lange
ſie nicht einmal genau wiſſen, ob die von ihnen verfertigten Uhren
einen regelmäßigen Gang haben. Denn welches Mittel haben
ſie, dieſes zu erfahren? — Sogenannte Probeuhren oder Regu-
latoren, von welchen ſie einſtweilen vorausſetzen, daß ſie gut ſind.
Aber was berechtigt ſie zu dieſer Vorausſetzung? Einige
bedienen ſich zu dieſem Zwecke ſogar der Sonnenuhren, die ſie ſich
auf der Rückſeite ihres Hauſes von irgend einem vielleicht ſehr un-
erfahrnen Menſchen aufzeichnen laſſen, ohne zu bedenken, daß noch
nie eine ſolche Uhr verzeichnet worden iſt, durch welche man die
Zeit bis auf eine oder auch auf mehrere Sekunden genau erhal-
ten kann. Ja viele von ihnen kennen noch nicht einmal den Un-
terſchied zwiſchen wahrer und mittlerer Zeit, und wollen ihre
Uhren, denen ſie doch vor allen einen gleichförmigen Gang geben
ſollen, zwingen, nach der Sonne d. h. ungleichförmig zu gehen.
Alles dieß hindert ſie aber nicht, als Künſtler, wie ſie ſich ſelbſt
zu nennen belieben, mit Stolz auf die anderen Handwerker
herabzuſehen, die ſie tief unter ſich erblicken, wenn gleich man-
cher von dieſen letztern ſein Handwerk mit viel mehr Kenntniß
deſſelben und mit viel mehr Ueberlegung treibt, als jene ihre ſo-
genannte Kunſt zu behandeln pflegen.
§. 23. (Zeitbeſtimmung ſelbſt ohne Fernrohr.) Da eine we-
nigſtens genäherte Kenntniß der Zeit ſelbſt im bürgerlichen Leben
ſo nothwendig iſt und da nicht Jedermann ſich die Inſtrumente
oder das Fernrohr dazu verſchaffen kann, ſo wird es wünſchens-
werth ſeyn, denſelben Zweck noch auf eine einfachere Weiſe zu
erreichen.
Der oben (I. S. 109) erwähnte Gnomon, eine verticale Stange
auf horizontalem Boden, iſt zwar einfach genug und ſeine An-
ſchaffung in Jedermanns Bereiche. Allein ſeine Aufſtellung im
Freien ſetzt ihn zu vielen Veränderungen durch Winde, Witte-
rung, Störungen durch Menſchen und Thiere aus, als daß er
für längere Zeit mit Sicherheit gebraucht werden könnte: für einen
[302]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
oder einige Tage aber läßt er ſich ohne Mühe und Koſten errich-
ten, um dadurch den Stand und Gang einer Uhr, für dieſe we-
nigen Tage, kennen zu lernen und dann, mit Hülfe einer ſolchen
Uhr, andere Mittel zur künftigen, dauernden Zeitbeſtimmung in
Bewegung zu ſetzen, wie wir dieß ſo eben in Beziehung auf die
Sternverſchwindungen gethan haben, und wie wir es auch hier,
in Beziehung auf eine andere Methode der Zeitbeſtimmung wie-
der thun wollen.
Setzen wir alſo, um die Sache anfangs ſo einfach als möglich
vorzutragen, voraus, daß man in ſeiner Wohnung ein Fenſter
habe, deſſen Richtung wenigſtens nahe nach Süden gehe, ſo daß
daſſelbe von der Sonne im Mittag beſchienen werde. An dem
oberſten Theile deſſelben, zwiſchen den beiden Glasfenſtern, befe-
ſtige man eine Schnur auf eine unveränderliche oder doch immer
wieder leicht und ſicher zu findende Weiſe. Dieſe Schnur, die
nahe ſo lang, als das Fenſter hoch iſt, trage an ihrem unteren
Ende ein an ihr frei ſchwebendes Gewicht, ſchwer genug, die
Schnur ſtraff zu ſpannen. Die Schwankungen der Schnur durch
Luftzug der beiden Fenſter zu vermeiden oder doch zu vermindern,
kann man den untern Theil des Gewichtes in einer kleinen mit
Waſſer gefüllten Schaale gehen laſſen.
Hat man die Dicke der Schnur ſtark genug gewählt, um den
Schatten derſelben, wenn ſie von der Sonne beſchienen wird, ent-
weder auf dem Fußboden oder auch an einer der Wände des Zim-
mers gut zu ſehen, ſo wird man bemerken, daß dieſer Schatten
ſich um ſo ſchneller bewegt, je weiter er von der Schnur entfernt
iſt, und ſolche Fenſter wird man daher zu unſerm Zwecke vorzugs-
weiſe auswählen, weil man im Allgemeinen die Zeit durch dieſen
Schatten deſto genauer beſtimmen wird, je ſchneller ſich dieſer
Schatten bewegt, wenn er zugleich ſo deutlich und ſcharf begränzt,
als möglich, geſehen wird.
Kennt man nun mit Hülfe des erwähnten Gnomons, oder
mittelſt einer durch den Gnomon regulirten Uhr, an irgend einem
hellen Tage den Augenblick des wahren Mittags genau, ſo wird
man, in dieſem Augenblick, den Ort des Schnurſchattens auf
dem Boden oder an der Wand des Zimmers durch eine gerade
Linie verzeichnen, und ſo oft in künftigen Tagen der Schatten
[303]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
der Schnur wieder auf dieſe Linie fällt, ſo oft wird man auch den
Augenblick des wahren Mittags dieſes Tages haben. Es iſt übri-
gens für ſich klar, daß man, ſtatt jener Schnur, auch den Fen-
ſterrahmen oder die Fenſtermauer ſelbſt gebrauchen und ihren
Schatten wie zuvor beobachten kann, vorausgeſetzt, daß dieſer
Rahmen, oder daß die Fenſterwand vollkommen vertical iſt, wo-
von man ſich leicht mittelſt eines Bleilothes überzeugen wird.
Allein dadurch erhält man nur die Zeit des Mittages und
daher vielleicht durch mehrere Wochen keine Zeitbeſtimmung, ſelbſt
wenn die Witterung günſtig, die Sonne aber im Mittage zufäl-
lig durch Wolken bedeckt iſt. Auch wird dieſe Methode dadurch
ſehr beſchränkt, daß nicht jede Wohnung zu jenen Beobachtungen
gelegene Fenſter darbietet.
Es wäre daher zu wünſchen, daß man dieſes an ſich ebenſo
einfache als ſichere Verfahren auch auf jede Stunde des Tages
und auf jede Lage des Fenſters, wenn daſſelbe nur nicht gegen
Nord ſteht, ausdehnen könnte.
Man kann das auch, aber, wie dieß in beinahe allen Din-
gen zu geſchehen pflegt, dieſer Vortheil läßt ſich nur auf Koſten
eines anderen erreichen. So iſt es bekanntlich ein Grundgeſetz der
Mechanik, daß man bei der Wirkung jeder Maſchine die Zeit nur
auf Koſten der dazu verwendeten Kraft oder dieſe auf Koſten je-
ner erſparen kann. Und ebenſo kann man auch hier, wie überhaupt
ſehr oft in der beobachtenden Aſtronomie, von der Zeit des Mit-
tags oder von der beſchränkenden Lage des Fenſters ſich ganz un-
abhängig machen, wenn man ſich dafür eine übrigens ſehr leichte
trigonometriſche Rechnung gefallen laſſen will. Dem Aſtronomen
iſt dieß allerdings kein Hinderniß, und die mit dieſen Rechnungen
nicht Bekannten werden doch wohl unter ihren Freunden leicht
einen finden, der ſie dieſer kleinen Mühe überheben wird; für
dieſe will ich dieſe erweiterte Methode der Zeitbeſtimmung hier
kurz auseinander ſetzen.
Ich ſetze alſo voraus, daß man an einem Tage, für welchen
man den Stand ſeiner Uhr, etwa durch Hülfe jenes Gnomons,
genau kennt, aus irgend einem auch nicht gegen Süden gelegenen
Fenſter den Schatten jener Schnur oder auch den Schatten des
verticalen Fenſterſtockes, auf dem Boden oder an der Wand des
[304]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Zimmers, in einem Augenblicke bemerkt und angezeichnet habe,
wo es z. B. genau drey Uhr Abends wahre Sonnzeit war.
Die Frage iſt: wie viel wird es alle anderen Tage des Jahres
wahre Zeit in dem Augenblicke ſeyn, wo jener Schatten wie-
der dieſelbe bezeichnete Stelle einnimmt?
In dem ſphäriſchen Dreiecke ZNS' (I. Fig. 2) zwiſchen dem
Zenith Z, dem Pol N des Aequators und dem Mittelpunkte S'
der Sonne kennt man die Seite NS' oder die Poldiſtanz ((I. S. 28)
der Sonne, ferner die Seite NZ oder die Aequatorhöhe (I. S. 29)
des Beobachtungsorts, und den Stundenwinkel ZNS' der Sonne
zur Zeit der Beobachtung an dem erſten Tage. Daraus findet
man durch die bekannten Vorſchriften der Trigonometrie das Azi-
mut RZS' (I. S. 31) der Sonne.
Hat man z. B. dieſe erſte Beobachtung zu Wien, deſſen Aequa-
torhöhe 41° 48′ iſt, an einem Tage gemacht, an welchem die
Poldiſtanz der Sonne 80° war, und zwar zu dem Augenblicke,
wo die wahre Zeit 3 Stunden, alſo der Stundenwinkel 45° be-
trug, ſo findet man daraus das Azimut der Sonne 59° 55′ für
dieſen Augenblick.
Daſſelbe Azimut wird aber die Sonne alle Tage des Jahres
in demjenigen Momente haben, wo der Schatten der Schnur
wieder auf die bezeichnete Stelle der Wand tritt, aber der Stun-
denwinkel oder die wahre Zeit dieſes Momentes wird eine andere
ſeyn, weil die Poldiſtanz der Sonne für jeden Tag eine andere
iſt. Das Dreieck NZS' wird ſich alſo auch geändert haben, in-
dem wohl die Seite NZ und der Winkel NZS' derſelbe bleibt, die
Linie NS' aber näher gegen Z herauf oder weiter von Z herabge-
rückt iſt, nachdem die Poldiſtanz der Sonne ſeit jenem erſten Tage
kleiner oder größer geworden iſt.
Dieſe Poldiſtanz der Sonne aber kann man mit Hülfe eines
jeden aſtronomiſchen Kalenders für jeden Tag des Jahres leicht
finden und ebenſo wird man auch für jede gegebene Poldiſtanz der
Sonne den ihr entſprechenden Tag des Jahres oder eigentlich die
zwei Tage finden, da die Sonne im Allgemeinen zweimal des
Jahrs dieſelbe Poldiſtanz hat. So findet man z. B. aus dieſem
Kalender, daß jener erſte Beobachtungstag, an welchem die Pol-
[305]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
diſtanz der Sonne 80° betrug, entweder der 16. April oder der 28.
Auguſt geweſen iſt.
Dieſe Poldiſtanz kann aber, da die Schiefe der Ecliptik (I. S. 32)
23½ Grad beträgt, von 66½ bis 113½ Grad wachſen. Nehmen
wir alſo dieſe Poldiſtanz nach und nach zu 66, 67, 68 bis 113 Gra-
den an, ſo bekommen wir eben ſo viele Dreiecke NZL', in welchen
allen die Seite NZ = 41° 48′ und der äußere Winkel oder das
Azimut RZS' = 59° 55′ iſt, während die Seite NS' nach der Ord-
nung 66, 67, 68 Grade beträgt, und es wird ſich nun bloß darum
handeln, in dieſem Dreiecke aus den bekannten Seiten NZ und NS'
und dem Winkel RZS' den unbekannten Stundenwinkel ZNS' zu
finden, welcher letzte zugleich die geſuchte wahre Zeit ſeyn wird,
zu welcher der Schatten der Schnur in den verſchiedenen Tagen
des Jahres wieder auf die bezeichnete Stelle fällt. Nimmt man
z. B. für unſeren Fall nach der Ordnung die Poldiſtanz der
Sonne gleich 75, 89, 85 und 90 Graden, ſo findet man daraus
die wahre Zeit und die zwei Tage des Jahres durch folgende
kleine Tafel.
u. ſ. w.
Auf dieſe Weiſe wird man ſich, wenn man die Poldiſtanzen
nach den einzelnen Graden wachſen läßt, eine Tafel entwerfen,
aus welcher man für jeden Jahrestag die wahre Zeit jenes Mo-
mentes nehmen kann. Denn geſetzt, man hätte am 2. April den
Schatten der Schnur auf der bezeichneten Stelle in einem Augen-
blicke geſehen, wo die Uhr 3 Stunden, 20 Minuten, 48 Sekunden
gab, da ſie doch nach der vorhergehenden Tafel 3 St., 14 Min.,
28 Sek. geben ſollte, ſo ſieht man daraus, daß die Uhr an dieſem
Tage um 6 Min. 20 Sek. gegen wahre Zeit zu früh ging. Will
man aber, wie gewöhnlich, die Uhr nicht mit der wahren, ſondern
mit der mittleren Zeit vergleichen, ſo ſieht man aus der oben
(I. S. 313) gegebenen Tafel, daß die Zeitgleichung am 2. April
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 20
[306]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
3 Min. 42 Sek. beträgt, ſo daß alſo die geſuchte mittlere Zeit
jenes Tages 3 St., 18 Min., 10 Sek. iſt, oder daß die Uhr an
dieſem Tage um 2 Min. 38 Sek. gegen mittlere Zeit zu früh
geht, und ſo fort mit allen andern Tagen des Jahres.
§. 24. (Sonnenuhren.) Nachdem wir uns über den wichti-
gen Gegenſtand der Zeitbeſtimmung ſo umſtändlich verbreitet
haben, würde es unangemeſſen ſcheinen, eines der im gemeinen
Leben gewöhnlichſten Mittel zu dieſem Zwecke hier ganz mit
Stillſchweigen zu übergehen.
Unſere Erde bewegt ſich in einem Sterntage (I. S. 306) um
ihre Axe von Weſt nach Oſt, und zwar, wie wir oben (I. S. 64
und 305) geſehen haben, auf eine ganz gleichförmige Weiſe oder
mit einer völlig unveränderlichen Geſchwindigkeit. Wir haben
bereits früher (I. Kap. II) gezeigt, daß man ſich die daraus fol-
genden Erſcheinungen ganz eben ſo gut dadurch erklären kann,
daß man die Erde in Ruhe läßt, und dafür den ganzen Himmel
in derſelben Zeit, aber in verkehrter Richtung, oder von Oſt nach
Weſt, ſich um die Erde bewegen läßt. Nehmen wir dieſe letztere,
als die gewöhnlichſte und augenfälligſte Erklärung an, ſo würde
alſo die Sonne, wenn ſie immer denſelben Ort am Himmel ein-
nähme, ſo wie alle Fixſterne, während jeden Sterntages um die
ruhende Erdaxe die ganze Peripherie eines Kreiſes zurücklegen.
Denken wir uns hinter der Erde, auf der der Sonne entgegenge-
ſetzten Seite, irgend eine ebene oder krumme aber feſte und un-
veränderliche Fläche, ſo wird der Schatten, welchen die von der
Sonne beſchienene Erdaxe hinter ſich wirft, auf dieſe Ebene fallen
und auf ihr eben ſo gleichförmig weiter gehen, wie die Sonne
ſelbſt mit dem ganzen Himmel um die ruhende Erde in ihrer
täglichen Bewegung weiter ſchreitet, und ſo oft dieſe Sonne, in
den folgenden Tagen, von dem Meridian eines beſtimmten Beob-
achters wieder dieſelbe Entfernung, d. h. ſo oft die Sonne wieder
denſelben Stundenwinkel hat (I. S. 30), ſo oft wird auch
der Schatten der Erdaxe wieder dieſelbe Stelle auf jener Ebene
einnehmen, ſo daß, wenn man nur einmal weiß, welche Stelle er
für 1, 2, 3.. Uhr einnimmt, man künftig auch immer rückwärts,
aus dem Orte des Schattens auf die ihm entſprechende Tageszeit,
ſchließen wird.
[307]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Dabei haben wir vorausgeſetzt, daß die Sonne, gleich einem
Fixſtern, immer dieſelbe Stelle an dem ſich täglich um die Erde
bewegenden Himmel, z. B. den Frühlingspunkt (I. S. 32), ein-
nimmt. Setzen wir ſtatt dieſer Sonne einen eben ſo hellen Fix-
ſtern in den Frühlingspunkt, ſo würden wir auf dieſe Weiſe, durch
den Schatten auf unſerer Fläche, eigentlich die verſchiedenen Stun-
den des Sterntags (I. S. 306) erhalten. — Allein die wahre
Sonne ſteht nicht feſt unter den anderen Sternen des Himmels,
ſondern ſie bewegt ſich, wie wir oben (I. Kap. IX) geſehen haben,
täglich nahe einen Grad gegen Oſten, und zwar nicht alle Tage
mit derſelben, ſondern eigentlich mit einer veränderlichen Ge-
ſchwindigkeit. Dadurch wird aber unſere Sache nicht weſentlich
geändert. Der Schatten der Erdaxe, wie dieſelbe von der wahren
Sonne beſchienen wird, wird noch immer ſeinen täglichen Weg
auf jener Fläche zurücklegen, und er wird auch auf derſelben
immer wieder dieſelbe Stelle einnehmen, ſo oft dieſe wahre Sonne
dieſelbe Stelle gegen den Meridian des Beobachters einnimmt,
d. h. ſo oft die wahre Sonne, in dem Laufe eines jeden künftigen
Tages, wieder denſelben Stundenwinkel hat. Der Schatten
der Erdaxe auf jener Fläche wird alſo nicht mehr, wie zuvor,
den Stundenwinkel des Frühlingspunkts, oder die Sternzeit,
ſondern er wird den Stundenwinkel der wahren Sonne, d. h. er
wird die wahre Zeit (I. S. 307) angeben.
Dieß wäre demnach die einfachſte und zugleich die ſicherſte
Sonnenuhr, die man haben könnte, und einmal auf jener
Ebene die Orte des Schattens der Erdaxe für die verſchiedenen
Stunden, Minuten und Sekunden des wahren Tages beſtimmt,
würden wir, ſo oft dieſer Schatten wieder auf eine der ſo bezeich-
neten Stellen fiele, ſofort auch daraus die wahre Zeit dieſes
Augenblickes, ohne Inſtrumente, ohne Rechnung, durch den bloßen
Anblick jener Flächen finden.
Allein wo iſt jene Fläche, oder wie ſollen wir uns eine ſolche
verſchaffen? — Da dieß offenbar für unſere Kräfte unmöglich iſt,
müſſen wir deßhalb ganz von unſerer Unternehmung abſtehen?
Eine ſehr einfache Betrachtung wird uns helfen, dieſes an
ſich unüberwindliche Hinderniß zu umgehen, und unſern Zweck
auf einem andern Wege zu erreichen. Der Halbmeſſer unſerer
20 *
[308]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Erde beträgt, wie wir oben geſehen haben, 859 deutſche Meilen;
der Halbmeſſer der Erdbahn aber, oder mit anderen Worten,
die mittlere Entfernung der Sonne von der Erde hat 20658000 M.
Die letzte iſt alſo über 24000mal größer, als die erſte. Die
ganze Erde iſt alſo nur als ein ſehr kleiner Körper, nur als ein
beinahe verſchwindender Punkt gegen jene hohle Himmelskugel
anzuſehen, in deren Oberfläche ſich die Sonne aufhält. Wollten
wir uns z. B. dieſe beiden Kugeln in ihrem wahren Verhältniſſe
durch ein Modell darſtellen, in welchem der Durchmeſſer der
kleineren, der Erde, einen Schuh beträgt, ſo müßten wir dem
Durchmeſſer der größeren, der Himmelskugel, einen Durchmeſſer
von 24000 Fuß, alſo von mehr als einer deutſchen Meile geben,
da ſchon 22842 P. Fuß auf eine ſolche Meile gehen. Alſo würde
auch eine ſo kleine Kugel von nur einem Schuh im Durchmeſſer,
wenn wir hinter ihr eine feſte Fläche anbringen, oder wenn wir
ſie vor der feſten Wand eines Hauſes oder vor dem Dache eines
Thurmes u. ſ. w. aufſtellen, uns ganz dieſelbe Dienſte leiſten,
wie jener vorhergehende zu große, und darum für uns unmögliche
Apparat, wenn nur, was allerdings hier Hauptſache iſt, wenn
nur die Axe dieſer kleinen Kugel, wofür hier irgend ein durch
ihren Mittelpunkt gehender, und zu beiden Seiten verlängerter
Stift genommen werden kann, mit der großen Weltaxe
genau parallel gelegt wird. Wegen der ſo geringen Größe
der Erde gegen die ungemeine Entfernung der Sonne kann man
nämlich, ohne allen merklichen Fehler, annehmen, daß die Son-
nenſtrahlen, obſchon ſie eigentlich aus der Sonne divergent aus-
gehen, auf alle Punkte der Erde in unter ſich parallelen
Richtungen auffallen, und daß es daher, in Beziehung auf unſere
Abſicht, gleichviel iſt, auf welchem Punkte der Oberfläche der Erde
man dieſe Axe anbringt, wenn man ſie nur mit der wahren Axe
der Erde vollkommen parallel ſtellt, ſo daß alſo auch jene kleine
Kugel, von der wir ſo eben geſprochen haben, ganz überflüſſig
wird, indem ſchon ein einfacher, der Erdaxe paralleler Stift ge-
nügt, um dieſen unſern Endzweck zu erreichen, nämlich um durch
den Schatten eines ſolchen Stifts, den er auf eine hinter ihm
ſtehende, ebene oder krumme Fläche wirft, die wahre Zeit in jedem
Augenblicke anzugeben.
[309]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 25. (Horizontale Sonnenuhr: erſte Methode.) Unſere
Aufgabe reducirt ſich demnach auf folgende zwei Fragen: wie ſoll
man erſtens einen geradlinigen Stift ſo ſtellen, damit er der
Erdaxe parallel werde, und wie ſoll man zweitens auf einer hinter
dieſem Stifte ſtehenden Fläche die Orte des Schattens dieſes
Stiftes für jeden Augenblick der wahren Zeit angeben?
Um die Antworten auf dieſe Fragen nicht gleich anfangs zu
ſehr zu compliciren, wollen wir uns jene Fläche als eine hori-
zontale Ebene, z. B. als ein dem Horizonte parallel gelegtes
Tiſchblatt denken. Hier wird es ſehr leicht ſeyn, unſern Stift in
dem Tiſche in der durch die erſte Frage geforderten Weiſe aufzu-
ſtellen. Die Erdaxe macht nämlich mit dem Horizonte eines
jeden Ortes auf der Oberfläche der Erde einen Winkel, der gleich
der Polhöhe oder, was daſſelbe iſt, der gleich der geographiſchen
Breite dieſes Ortes iſt (I. S. 34), welche letzte man bekanntlich
aus jeder guten Karte des Landes, in welchem jener Ort liegt,
nehmen kann. Für Wien z. B. iſt die geographiſche Breite
48° 12′ 35″ (I. S. 34). Sey alſo ABDE (Fig. 17) die erwähnte
horizontale Tafel. Man ziehe in ihr, durch irgend einen will-
kührlich gewählten Punkt C, die zwei unter ſich ſenkrechten Linien
AB und DE und befeſtige in dem Punkte C der Tafel einen ge-
radlinigen Stift CP über dieſer Tafel ſo, daß er mit den beiden
Linien CD und CE einen Winkel von 90 Graden, mit der Linie
CA aber einen Winkel von 48° 12′ 35″ macht, ſo wird dieſer Stift
der Erdaxe parallel ſtehen, ſobald man die horizontale Tafel ſo
ſtellt, daß die Linie CA genau nach Nord, alſo auch CD nach
Oſt, CE nach Weſt und CB endlich nach Süd gerichtet iſt, ſo
daß alſo die Linie ACB die Mittagslinie (I. S. 29) des Ortes
vorſtellt. — Einfacher wird ſich dieſer Stift noch ſo in ſeine ge-
hörige Lage ſtellen laſſen. Man bilde ſich z. B. aus Carton
oder Metallblech ein bei G rechtwinkliges Dreieck CGP, deſſen
einer Winkel bei C gleich der Polhöhe des Ortes, alſo in unſerem
Beiſpiele, gleich 48° 12′ 35″ iſt, und ſtelle dann dieſes Dreieck
ſenkrecht auf die Ebene der Tafel ſo, daß der Scheitel C deſ-
ſelben in den oben gewählten Punkt C der Tafel, und daß die
Seite CG des Dreiecks in die oben gezogene Linie CA der Tafel
fällt. In dieſer Lage wird die größte, oder die dem rechten
[310]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Winkel G gegenüberſtehende Seite CP die wahre Lage des Stiftes
angeben, ſo daß man alſo, bei dieſer Stellung des Dreiecks, den
Stift nur in die Richtung der Seite PC des Dreiecks bringen,
und in dieſer Lage an der Tafel befeſtigen kann.
Damit iſt alſo die erſte unſerer Fragen beantwortet. Allein
wie ſoll man nun, in derſelben Tafel, die Linien finden, auf welche
der Schatten des Stiftes fallen muß, wenn es eben 1, 2, 3…
Uhr wahre Zeit iſt?
Zu dieſem Zwecke kann man ſich des folgenden graphiſchen
Verfahrens bedienen. — Nachdem man, wie zuvor, durch einen
willkührlich gewählten Punkt C der Tafel die beiden unter ſich
ſenkrechten Geraden AB und DE gezogen hat, ziehe man nun,
ebenfalls in der Ebene dieſer Tafel, die Linie CQ ſo, daß ſie mit
der Linie CA einen Winkel ACQ gleich der Polhöhe des Ortes
bilde. Man nehme dann in dieſer Linie CQ irgend einen, eben-
falls willkührlichen Punkt P und errichte in dieſem Punkte P
auf die Linie CQ eine Senkrechte, welche die Linie AC in dem
Punkte H ſchneiden ſoll. Durch dieſen Punkt H ziehe man eine
auf AC ſenkrechte, alſo mit DE parallele Gerade D'E'. Man
nehme ferner in der Linie AC von dem Punkte H aus die Linie
HO genau ſo groß, als jene Senkrechte HP war, und ziehe aus
dem ſo beſtimmten Punkte O, als aus dem Mittelpunkte, mit
irgend einem willkührlichen Halbmeſſer, z. B. mit dem Halb-
meſſer OH den Halbkreis MHN. Theilt man dann die Peripherie
dieſes Kreiſes von dem Punkte H aus, zu beiden Seiten deſſelben,
in ſechs gleiche Theile, und zieht durch die Theilungspunkte
a, b, c.. die Halbmeſſer Ca, Cb, Cc… und verlängert dieſelben,
bis ſie die oben erwähnte Gerade D'E' in den Punkten a', b',
c'… ſchneiden, ſo hat man nur dieſe Punkte a', b', c'… mit
dem oben gewählten Punkte C durch die geraden Linien Ca'XI,
Cb'X, Cc'IX u. ſ. w. zu verbinden, um die geſuchten Schatten-
linien zu erhalten, auf welche nämlich der Schatten des Stiftes,
der auf die oben erwähnte Weiſe in der Tafel befeſtiget wurde,
in den Augenblicken fallen wird, wann es 11, 10, 9.. Uhr wahre
Zeit Morgens iſt. Eben ſo erhält man auf der andern Seite
von AC die Schattenlinien für 1, 2, 3… Uhr Abends, und wenn
man die Peripherie des Halbkreiſes MHN, ſtatt wie zuvor in 12,
[311]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
genau in 24 oder in 48 gleiche Theile theilt, ſo erhält man auch
die Schattenlinien für die Halben- und Viertel-Stunden zwiſchen
jenen bereits gefundenen ganzen. Hat man die Tafel groß genug
gewählt, ſo wird man ſelbſt noch kleinere Theile der Stunde mit
Sicherheit auf ihr eintragen können. — Eine ſolche Sonnenuhr wird
eine Horizontaluhr genannt, weil ſie auf eine horizontale
Tafel verzeichnet iſt. Stellt man in der That dieſe Tafel mittelſt
einer Libelle (S. 284) genau horizontal, und die Linie AC in
die Richtung der Mittagslinie, ſo daß C auf der Nordſeite liegt, ſo
wird der Schatten des Stiftes CP oder CQ, ſo oft er von der Sonne
beſchienen wird, auf der bezeichneten Tafel die wahre Zeit angeben.
§. 26. (Horizontale Sonnenuhr: zweite Methode.) Obſchon
die angeführte Verzeichnung einer ſolchen Uhr von Jedermann
leicht ausgeführt werden kann, ſo gibt es doch noch eine einfachere
Art, eine Horizontaluhr zu conſtruiren.
Beide Methoden beruhen im Grunde auf der Auflöſung von
zwei ebenen Dreiecken, durch die man ohne Mühe findet, daß die
Tangente des Winkels ACa' oder ACb'.. der Schattenlinie Ca'
oder Cb'.. mit der Mittagslinie CA der Uhr für jeden gegebenen
Stundenwinkel (I. S. 30) der Sonne, gleich iſt der Tangente
dieſes Stundenwinkels multiplicirt in den Sinus der Polhöhe
des Ortes, in welchem man die Sonnenuhr errichten will. Sucht
man z. B. den Winkel ACM oder ACN für den Stundenwinkel
von 30°, oder von 2 Stunden vor oder nach dem Mittage für die
Polhöhe von 50°, ſo findet man die Tangente von 30° gleich
0,57735 und den Sinus von 50° gleich 0,76604. Beider Produkt
gibt 0,44227 für die Tangente des geſuchten Winkels ACM, wel-
cher Winkel daher gleich 23° 51′ 31″ iſt, und ſo fort für alle
übrigen Stundenwinkel. Hat man ſo dieſe Winkel ACa', ACb'..
für alle einzelnen Stundenwinkel berechnet, ſo wird man ſie mit-
telſt des ſogenannten Transporteurs an die Seite CH rechts
und links von derſelben auf die Tafel auftragen, und die Son-
nenuhr wird vollendet ſeyn.
Da ich aber, dem Zwecke dieſer Schrift gemäß, jene Rech-
nungen, ſo einfach ſie auch ſeyn mögen, nicht als bekannt vor-
ausſetzen darf, ſo wollen wir ſie, durch Hülfe einer bereits voraus
berechneten Tafel, unſern Leſern ganz entbehrlich machen.
[312]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Iſt nämlich wieder CDE (Fig. 18) die oben erwähnte hori-
zontale Tafel, ſo ziehe man, wie dort, durch den willkührlichen
Punkt C die Gerade CA und darauf ſenkrecht die Linie DAE.
In der Linie CA errichte man, ſenkrecht auf die Tafel, das Dreieck
GCP, deſſen Winkel bei C gleich der Polhöhe iſt, und befeſtige
dann, in dem Punkte C, nach der Richtung der Seite CP den
Stift CQ. Endlich theile man die gerade Linie CA in 1000
gleiche Theile, und trage dann auf der Linie DAE, zu beiden
Seiten von A, ſo viele dieſer Theile auf, als die folgende Tafel
für jeden Stundenwinkel angibt, wodurch man die Punkte a, b, c..
und a', b', c'.. erhält, die, mit C verbunden, die geſuchten
Schattenlinien Ca, Ca', Cb, Cb'.. der Horizontaluhr geben.
Wollte man alſo eine ſolche Uhr, z. B. für Weimar errich-
ten, ſo wird man, da die geographiſche Breite dieſer Stadt 51°
beträgt, von den 1000 gleichen Theilen der Linie CA, 208 von
A nach a und nach a' tragen, um die. Schattenlinien für die erſte
Stunde vor und nach Mittag zu erhalten. Nimmt man eben ſo
Ab = Ab' = 449 ſolcher Theile, ſo erhält man die Schattenlinien
für 10 Uhr vor und für zwei Uhr nach dem Mittage, und ſo fort
für alle übrigen Stunden und Unterabtheilungen derſelben.
Die folgende Tafel erſtreckt ſich über den größten Theil
Deutſchlands.
Für 6 Uhr Morgens oder Abends iſt die Entfernung des
Durchſchnittspunktes der Schattenlinien mit der Linie DAE, von
A an gezählt, unendlich groß, d. h. dieſe Schattenlinie fällt in
die durch C mit DE parallel gezogene Linie VI, VI. Will man
dann noch die übrigen weiter gegen Morgen oder gegen Abend
fallenden Schattenlinien auf der Tafel verzeichnen, ſo wird man
nur die bereits erhaltenen Schattenlinien rückwärts über C hinaus
verlängern. So gehört z. B. die Schattenlinie C.IX für 9 Uhr
Morgens, alſo auch ihre Verlängerung auf der anderen Seite
von C für 9 Uhr Abends, und eben ſo wird die Linie C.III ver-
längert die Schattenlinie für 3 Uhr Morgens geben, wo man
dieſe Linien offenbar nicht weiter fortſetzen wird, als die größte
halbe Tageslänge des Orts beträgt, die wir oben (I. S. 205)
in einer eigenen Tafel angegeben haben.
§. 27. (Sonnenuhr für jede gegebene Fläche.) So einfach
die vorhergehenden Vorſchriften zur Verzeichnung einer Sonnen-
uhr auf einer ebenen horizontalen Tafel jedermann erſcheinen
werden, ſo wird man doch ſchon ohne ausdrückliche Erinne-
rung bemerken, daß die Conſtruction einer Sonnenuhr auf irgend
einer anderen, ſchief gegen den Horizont und gegen den Meridian
geſtellten Ebene, z. B. auf der Ebene einer ſenkrechten Mauer
oder auf der eines ſchief liegenden Daches ſehr zuſammen geſetzt
werden kann, und noch mehr werden ſich die Schwierigkeiten
häufen, wenn eine Sonnenuhr auf irgend einer krummen Fläche,
z. B. auf der Seitenwand eines runden Thurms oder auf einem
runden Kuppeldache verzeichnet werden ſoll. Alle dieſe Uhren
werden mit der vorhergehenden Horizontaluhr bloß darin überein
kommen, daß der Stab, deſſen Schatten die Stunde anzeigt,
immer der Weltaxe parallel geſtellt werden ſoll, da dieß, wie
wir oben geſehen haben, die Hauptbedingung iſt, die jeder Zeit-
beſtimmung dieſer Art zu Grunde liegen muß. Die Verzeichnung
der Schattenlinien aber wird bei dieſen Uhren, je nach der Stel-
lung und Krümmung der Flächen, auf welchen ſie verzeichnet
werden ſollen, für jede Uhr eine andere ſeyn.
Allein ohne uns hier in die oft ſehr verwickelten Regeln ein-
zulaſſen, die man bei der Conſtruction einer ſolchen Uhr zu beob-
achten hat, wollen wir vielmehr ein Mittel ſuchen, die Horizon-
[314]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
taluhr, die wir nach dem Vorhergehenden als bereits conſtruirt,
und mit der größten Sorgfalt ausgeführt vorausſetzen, auf jene
ebene oder krumme Fläche aufzutragen oder gleichſam zu pro-
jiciren.
Zu dieſem Zwecke wird man die bereits verfertigte, und zur
größeren Genauigkeit in einem bedeutenderen Maaßſtabe ausge-
führte Horizontaluhr auf einen feſten Tiſch unmittelbar vor jener
Fläche, z. B. vor jener Wand bringen, auf welcher man die neue
Uhr verzeichnen will. Auf dieſem Tiſche ſtellt man dann die
Tafel der Horizontaluhr, mittelſt einer Libelle, horizontal (oben
(S. 284), und überdieß die Linie CA (Fig. 17 und 18) genau
in die Mittagslinie, ſo daß der Punkt C nach Süd und der
Punkt A genau nach Nord ſteht. Am einfachſten wird man dieß
letzte, wenn man nicht ſchon eine verläßliche und genaue Pendel-
oder Taſchenuhr hat, erreichen, wenn man mit Hülfe des bereits
oben (I. S. 109) erwähnten Gnomons den Augenblick bemerkt, wo
der Schatten der verticalen Stange auf das ſchon durch frühere
Beobachtungen bekannte Zeichen des Mittags fällt, und wenn
man, in dieſem Augenblicke, die immer horizontale Tafel der
Uhr ſo dreht, daß der Schatten ihres Stiftes CQ genau auf die
Schattenlinie CA der zwölften Stunde der Horizontaluhr fällt.
In dieſer Lage iſt alſo die Horizontaluhr auf ihrem Tiſche
vollkommen orientirt. Verlängert man nun, etwa durch einen
geſpannten Faden den Stiel CQ der Horizontaluhr, bis dieſer
Faden die Wand, auf welcher die neue Uhr verzeichnet werden
ſoll, in einem Punkte R trifft, ſo wird man in dieſem Punkte R
der Wand einen Stiel, z. B. eine Stange von Eiſen ſo befeſtigen,
daß er dem geſpannten Faden genau parallel wird. Da ſonach
dieſer Stiel auch der Weltaxe parallel iſt, ſo wird er der Stiel
der neuen Uhr ſeyn.
Auf dieſelbe Weiſe, wie man den Stiel der Horizontaluhr
verlängert hat, wird man aber auch die Schattenlinien derſelben
verlängern können, indem man nämlich den in C (Fig. 17 u. 18)
befeſtigten Faden von ſeiner erſten Lage CQ abhebt, und ihn in
die Lage CA, Ca', C'b'.. der Schattenlinien der Horizontaluhr
für 12, 11, 10 Uhr u. ſ. f. bringt, ihn in dieſer Lage ſpannt, und
die Punkte r, r', r''.. der Wand bemerkt, in welchem der ſo
[315]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
geſpannte Faden die Wand trifft. Verbindet man dann dieſe
Punkte r, r', r''.. der Wand mit dem vorigen Punkte R der-
ſelben durch die geraden Linien Rr, Rr', Rr''.., ſo erhält man
ſofort auch die Schattenlinien der neuen Uhr für 12, 11, 10..
Uhr und ſofort für jede andere Stunde des Tages.
Dieß ſetzt voraus, daß die Wand, auf welcher die neue Son-
nenuhr verzeichnet werden ſoll, eine Ebene, z. B. die ſenkrechte
Wand eines Hauſes oder die ebene Fläche irgend eines Daches
iſt, denn nur dann werden ſchon zwei Punkte wie R und r oder
wie R und r' u. f. hinreichen, die gerade Linie, d. h. die Schat-
tenlinie der Uhr zu beſtimmen. Iſt aber dieſe Wand eine krumme
Fläche, z. B. die Oberfläche eines cylindriſchen oder kegelförmi-
gen Gebäudes, ſo ſind die Schattenlinien einer ſolchen Wand nicht
mehr gerade, ſondern ebenfalls krumme Linien, zu deren Ver-
zeichnung jene zwei Punkte nicht mehr hinreichen.
Allein in dieſem Falle kann man ſich eines ſehr einfachen
Mittels bedienen, dieſe krumme Schattenlinien unmittelbar zu
finden. Dieſes Mittel läßt ſich auch eben ſo bequem und ſicher
zugleich bei ebenen Wänden anbringen, und es hat noch den Vor-
theil, daß man die neue Sonnenuhr ſelbſt ohne Hülfe der Sonne
oder zur Nachtzeit verzeichnen kann. Dieſes Mittel beſteht in
einer Lampe, deren Licht man in einer beträchtlichen Entfernung
von der Horizontaluhr aufſtellt. Am beſten wird man eine ſolche
Lampe wählen, die ihr Licht nicht durch ein gewöhnliches Fen-
ſterglas, ſondern durch eine Glaslinſe ſchickt, in deren Brenn-
punkte die Flamme der Lampe ſteht. Dann werden nämlich
die von der Flamme auf die Linſe fallenden Strahlen, nach
der Brechung durch dieſe Linſe, unter ſich parallel auf die
Horizontaluhr treten, wie dieß auch mit den Strahlen der
Sonne der Fall iſt, und man wird daher eine ſolche Lampe
auch ganz nahe an die Horizontaluhr halten können, um
den Schatten des neuen Stiels auf der krummen Wand deſto
deutlicher zu ſehen. Hält man nun dieſe Lampe ſo, daß der Stiel
CQ der Horizontaluhr nach und nach auf die Schattenlinien CA,
Ca', Cb'.. derſelben für 12, 11, 10.. Uhr fällt, ſo wird auch
der Schatten des neuen Stiels auf der krummen Wand diejenigen
krummen Linien angeben, auf welche der Schatten dieſes neuen
[316]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Stiels, wenn er von der Sonne beſchienen wird, um 12, 11, 10..
Uhr fallen wird, und ſofort für alle übrigen Stunden des Tages,
ſo daß man alſo nur, für jede jener Lagen der Lampe, den
Schatten des neuen Stiels auf der krummen Wand, ſeiner ganzen
Länge nach, anzeichnen darf, um ſofort auch die entſprechenden
Schattenlinien der neuen Sonnenuhr zu erhalten.
§. 28. (Meridiankreis.) Wir haben in dem Vorhergehenden
die vorzüglichſten Mittel angezeigt, durch welche man die Zeit
einer jeden Beobachtung beſtimmen kann. Man wird von ſelbſt
bemerken, daß dieſe Mittel nicht alle von gleichem Werthe ſind,
und daß es z. B. dem gegenwärtigen Zuſtande der Wiſſenſchaft
ganz unangemeſſen wäre, wenn irgend ein Aſtronom ſeine Zeit
durch eine Sonnenuhr beſtimmen wollte, da die Conſtruction
derſelben, ſo viel Sorgfalt man auch darauf verwendet haben
mag, doch nie die Genauigkeit gewähren kann, die von den aſtro-
nomiſchen Beobachtungen in unſeren Tagen gefordert wird. Im
Gegentheile iſt das Mittagsrohr ohne Zweifel das beſte und
ſicherſte Mittel, nicht bloß zu einer genauen Beſtimmung der
Zeit, ſondern auch zur Beobachtung der Rectaſcenſion der
Geſtirne.
Allein durch dieſe Rectaſcenſion wird der Ort eines Geſtirns
am Himmel noch nicht vollſtändig angegeben, indem alle andern,
die in demſelben Declinationskreiſe (I. S. 28) mit jenem liegen,
auch eine mit ihm gemeinſchaftliche Rectaſcenſion haben. Es iſt
daher noch erforderlich, daß der Aſtronom auch, nebſt der Recta-
ſcenſion, die Declination (I. S. 31) jedes Geſtirns durch ſeine
Beobachtungen beſtimme, um dadurch die Lage deſſelben, und
zwar gegen den Aequator vollſtändig anzugeben.
Wir haben zwar bereits oben (I. S. 106) gezeigt, wie man
zu dieſem Zwecke den Quadranten gebrauchen kann, wenn man
ihn in der Ebene des Meridians aufſtellt. Wenn man nämlich
die Polhöhe ſeines Beobachtungsortes, nach der dort (I. S. 105)
auseinander geſetzten Methode, durch frühere Beobachtungen be-
reits beſtimmt hat, ſo wird man nur von jeder, in dem Meridian
mittelſt des Quadranten beobachteten Höhe eines Geſtirns die
Aequatorhöhe des Beobachtungsorts ſubtrahiren, um ſofort die
geſuchte Declination des Geſtirns zu erhalten. Allein wir haben
[317]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
auch bereits erinnert, daß der Quadrant, ſelbſt der Mauerqua-
drant, ſeiner ganzen Einrichtung nach, nicht ſo verläßliche Re-
ſultate darbietet, daß er die geſuchten Höhen der Sterne nicht
mit der Schärfe zu geben im Stande iſt, die man dem gegen-
wärtigen Bedürfniſſe der ſo ſehr verfeinerten Beobachtungskunſt
angemeſſen nennen kann.
Man mußte daher auf ein anders eingerichtetes Inſtrument
bedacht ſeyn, welches dieſe Höhen, und dadurch die Declinationen
der Geſtirne mit einer größeren Sicherheit geben kann. Auch
dieſes Inſtrument iſt von demſelben däniſchen Aſtronomen Römer,
der das Mittagsrohr erfunden hat, und zwar nahe zu gleicher
Zeit ausgedacht worden. Es beſteht, um es am einfachſten zu
ſagen, in einem, mit einem Fernrohre verſehenen und auf das
genaueſte eingetheilten Kreiſe, deſſen Ebene ſich in der Ebene des
Meridians befindet.
Es wurde oben (S. 293) geſagt, daß an der Drehungsaxe
AB des Mittagsrohrs CD (Fig. 15) eine Alhidade Ao befeſtiget
iſt, die während der Drehung des Fernrohrs auf einem, an dem
Pfeiler P befeſtigten Halbkreiſe mn auf und nieder geht, und daß
man dadurch die Höhe findet, auf welche man das Fernrohr
ſtellen ſoll, damit der verlangte Stern im Felde dieſes Fernrohrs
erſcheine. Zu dieſem Zwecke war es genug, jenen Kreis nur
klein, etwa von einem Fuß im Durchmeſſer zu machen, und ſeinen
Umfang bloß von fünf zu fünf Minuten zu theilen, da man durch
dieſen Kreis, nicht etwa die Höhe der durch den Meridian ge-
henden Sterne genau meſſen, ſondern nur überhaupt dieſe Sterne
in dem Fernrohre zu dem Geſichte des Beobachters bringen will,
um dann die Rectaſcenſion derſelben genau beobachten zu
können. Wollten wir daher auch die Höhen, oder, was für
Meridianbeobachtungen daſſelbe iſt, die Declinationen dieſer Sterne
mit derſelben Genauigkeit an dieſem Inſtrumente beſtimmen, ſo
dürfte man nur dieſen Kreis mn größer machen, genau ein-
theilen, und überhaupt auf ſeine Conſtruction alle die Sorgfalt
verwenden, welche der neue Zweck, zu dem er nun beſtimmt iſt,
nothwendig macht.
Auf dieſe Weiſe alſo entſtand der Meridiankreis, den
man in ſeinen vorzüglichſten Theilen in der Fig. 19, und zwar
[318]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſo abgebildet ſieht, wie man jetzt in Deutſchland dieſes Inſtru-
ment nach Reichenbachs Angabe zu verfertigen pflegt.
Man bemerkt hier wieder, wie bei dem Mittagsrohre, die
auf den beiden Pfeilern P und Q ruhende horizontale Drehungs-
axe AB, in deren Mitte das darauf ſenkrechte Fehrnrohr CD an-
gebracht iſt. Die beiden Enden A und B dieſer Drehungsaxe
ſind mit ihren Pfeilern durch zwei Metallſtücke in Verbindung,
deren jedes aus zwei ſtarken Platten beſteht. Die erſte, dem
Pfeiler nächſte Platte iſt unmittelbar an dem Pfeiler feſt, und
die andere, welche die eigentlichen Lager trägt, auf welchen die
cylindriſchen Enden der Rotationsaxe aufliegen, laſſen ſich an den
erſten Platten durch Schrauben bewegen, und zwar die eine auf
und nieder, um dadurch die Rotationsaxe mittels der Libelle
horizontal zu ſtellen, und die andere im Horizonte vor- und
rückwärts, um dadurch dieſe Axe ſenkrecht auf den Meridian
oder das Fernrohr CD in die Ebene des Meridians zu bringen.
An dem einen Ende der Rotationsaxe ſind zwei concentriſche,
zu dieſer Axe ſenkrechte Kreiſe mn angebracht. Die Peripherie
dieſer beiden in einer Ebene liegenden Kreiſe ſind einander ſo
nahe, daß ſie ſich beinahe berühren, und daß ein unbewaffnetes
Auge nur mit Mühe die Gränze unterſcheidet, die ſie von einan-
der trennt. Der größere oder äußere dieſer beiden Kreiſe iſt an
ſeinem mit Silber eingelegten Limbus in Grade und Minuten
eingetheilt, und dieſer Kreis iſt mit der Rotationsaxe feſt und
unveränderlich verbunden, ſo daß er ſich, wie das Fernrohr, zu-
gleich mit dieſer Axe dreht. Der kleinere oder innere Kreis, der
auch die Alhidade genannt wird, trägt an vier Orten ſeines Lim-
bus, von welchen Orten je zwei einander gegenüber ſtehen, einen
Vernier, um dadurch, wie wir weiter unten ſehen werden, die
Minuten des andern Kreiſes noch weiter unterzutheilen, ſo daß
man jetzt mit Hülfe beider Kreiſe unmittelbar zwei Sekunden
leſen, und ſelbſt die einzelne Sekunde meiſtens noch mit Sicher-
heit ſchätzen kann. Statt dieſes Vernier können wir hier einſt-
weilen eine einfache, feine gerade Linie ſubſtituiren, die am Rande
des innern Kreiſes, an vier Orten deſſelben, in der Richtung des
Halbmeſſers gezogen iſt, und mittelſt welcher man die Lage des
äußern Kreiſes gegen den feſten inneren, auf dieſem letzten ableſen
[319]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
kann. Dieſer zweite Kreis oder die Alhidade iſt nicht wie der
erſte, an der Drehungsaxe AB, ſondern er iſt an dem Pfeiler P
befeſtiget, und bleibt daher, auch während der Drehung des erſten
Kreiſes, feſt und unveränderlich ſtehen. Die Oeffnung im Mit-
telpunkte dieſer Alhidade iſt nämlich etwas größer, als das Ende
A der Drehungsaxe, damit dieſe frei durch jene Oeffnung gehen
kann. Die Befeſtigung der Alhidade an dem Pfeiler aber wird
durch die ſtarke metallene Vorrichtung ab bewirkt. Der Theil a
dieſer Vorrichtung iſt ein ſtarkes, in den Pfeiler feſt eingemachtes
Eiſenſtück, und der Theil b iſt eine ſolide Platte von Meſſing,
die an ihrem oberſten Theile mit dem Mittelpunkte der Alhidade
durch Schrauben feſt verbunden iſt. Beide Theile ſind bei c mit
einander durch eine feine Schraube in Verbindung gebracht. Um
ſich von der unveränderlichen Lage der Alhidade zu verſichern,
wird an die Speichen derſelben, bei d, eine Libelle befeſtiget.
Wenn ſich dieſe Libelle durch irgend eine kleine Verſtellung der
Alhidade ändert, ſo wird, durch die erwähnte feine Schraube bei
e, die Alhidade in ihrer Ebene bewegt, bis die Blaſe jener Libelle
wieder den frühern Ort, alſo auch die Alhidade ſelbſt wieder ihre
erſte Stelle einnimmt.
Eine ähnliche Vorrichtung hat man auch an dem andern
Ende B der Rotationsaxe. Man ſieht hier das in dem Pfeiler
Q befeſtigte Eiſenſtück a', und die ſolide Platte b' von Meſſing.
Dieſe Platte umgibt in ihrem obern Theile bei d' die Rotations-
axe frei, ſo daß dieſe ungehindert durch die etwas größere Oeff-
nung der Platte gehen kann. Allein durch die Mitte dieſer
Platte und längs der Richtung c'd' geht eine metallene Stange,
deren unteres Ende bei c' in einer Schraubenmutter lauft, und
mit einer granulirten kleinen Scheibe verſehen iſt, die man bei h
ſieht, und mittels welcher man jene Stange bequem drehen kann.
Bewegt man dieſe Schraube h rückwärts, ſo geht das obere Ende
d' der Stange herab, und läßt die Rotationsaxe ganz frei, daher
man jetzt dieſe Axe mit dem Fernrohre und dem an ſie befeſtig-
ten äußern Kreiſe frei drehen, und das Fernrohr nahe auf den
eben zu beobachtenden Stern ſo ſtellen kann, daß er wenigſtens
in dem Felde des Fernrohrs erſcheine. Hat man dieß erlangt,
ſo wird man nun noch das Fernrohr ſammt ſeinem äußeren Kreiſe
[320]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
etwas weniges ſanft bewegen müſſen, um nun auch den hori-
zontalen Faden im Brennpunkte des Fernrohrs (vergleiche oben)
ganz genau auf das Geſtirn zu ſtellen. Um dieß mit Sicher-
heit zu bewirken, ſchraubt man zuerſt die Stange durch ihre ver-
ticale Schraube h wieder aufwärts, wodurch der obere Theil d'
dieſer Stange an die Rotationsaxe angedrückt, und dadurch dieſe
Axe, ſammt Kreis und Fernrohr, gleichſam feſtgeſtellt wird, und
jetzt kann man, mittels einer anderen feinen, horizontalen Schraube
fc' deren granulirte Scheibe bei f iſt, die Platte c'd', alſo auch
die jetzt an ſie gleichſam befeſtigte Rotationsaxe ſehr ſanft und ſo
lange bewegen, bis der Stern von dem horizontalen Faden des
Fernrohrs bedeckt wird. In dieſem Zuſtande liest man den Ort
der vier Verniere der Alhidade an dem äußern Kreiſe ab, und
das Mittel aus dieſen vier Ableſungen gibt die geſuchte, beobach-
tete Höhe des Sterns.
Bei der vorhergehenden Beſchreibung des Meridiankreiſes
ſind mehrere kleine Einrichtungen, der Kürze und der leichteren
Ueberſicht wegen, übergangen worden, die von der Umſicht und
dem Scharfſinne des Künſtlers an dem Inſtrumente angebracht
wurden, um dadurch die Sicherheit und Bequemlichkeit der Beob-
achtungen zu erhöhen. Hier mögen die beiden folgenden Be-
merkungen, als ein ergänzender Nachtrag des Vorhergehenden,
genügen. Erſtens iſt die Rotationsaxe ihrer Länge nach, und
auch der Pfeiler in der Richtung dieſer Axe ausgehöhlt, um
durch eine, an der andern Seite des Pfeilers aufgeſtellte Lampe
das Innere des Fernrohrs zu erhellen, und die feinen Fäden im
Brennpunkte deſſelben, während der nächtlichen Beobachtungen,
ſichtbar zu machen. Da dieſe Vorrichtung ſchon bei der Zeichnung
(Fig. 15) des Mittagsrohrs angezeigt wurde, ſo ſchien es unnö-
thig, ſie hier zu wiederholen. Zweitens iſt es nicht genug, daß
ein Inſtrument irgend einer Art bloß ſo gut als möglich aus der
Hand des Künſtlers hervorgeht, es muß auch für längere Zeit,
für viele Jahre in ſeinem erſten guten Zuſtande bleiben, ohne
ſich zu früh abzunutzen und dadurch unbrauchbar zu werden.
Vor allem wird es nöthig ſeyn, dafür zu ſorgen, daß die cylin-
driſchen Enden A und B der Rotationsaxe durch das große Ge-
wicht des Inſtrumentes, bei dem häufigen Gebrauche deſſelben,
[321]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nicht eingerieben werden und dadurch ihre urſprüngliche Geſtalt
verändern, wo dann die Hauptbedingungen des Inſtruments ver-
loren gehen und das Fernrohr ſich nicht mehr in der Ebene des
Meridians bewegen, ſondern bald zu der einen, bald zu der an-
dern Seite von ihm abweichen würde, je nachdem verſchiedene
Theile dieſer abgenützten cylindriſchen Zapfen mit ihren Unterla-
gen in Berührung kommen. Dieſes zu verhüten, dient, auf der
Seite B der Axe, die metallene Stange r, die an ihrem untern
Ende in einen Ring ausläuft; die Oeffnung dieſes Rings iſt be-
trächtlich größer, als die Dicke der Axe an dieſem Orte und an
dem innern Rande dieſes Ringes, in dem untern Theile deſſelben,
bei p und q ſind zwei kleine kreisförmige Scheiben, ſogenannte
Frictionsräder angebracht, die ſich um ihre Axe bewegen und mit
ihrem oberen Theile etwas über die innere Fläche des Rings
hervorſtehen. Der oberſte Theil dieſer vertikalen Stange r hat
eine Oeffnung, in welche das eine Ende einer andern horizonta-
len Stange u eingreift, während an dem anderen Ende dieſer
Stange ein daſelbſt verſchiebbares, mit Blei gefülltes Gewicht R'
angebracht wird. Dieſe Stange wird durch einen Stift u gehal-
ten, der durch die auf dem Pfeiler Q befeſtigte Säule s getragen
wird. Auf dieſe Weiſe bilden die beiden Stangen r und u einen
Hebel, deſſen Unterlage der Stift u, deſſen Kraft das Gewicht
R' und deſſen Laſt die Schwere der ihm zugewendeten Hälfte des
Inſtruments iſt, und man ſieht leicht, daß man das Gewicht R'
ſo lange von dem Unterſtützungspunkte u entfernen kann, bis der
von beiden Körpern beſchwerte Hebel ſehr nahe im Gleichgewichte
iſt und bis das Inſtrument, ſtatt mit ſeiner ganzen früheren Laſt,
nur mehr mit einem ſo geringen Theile derſelben auf ſeinem La-
ger bei B aufliegt, daß es nur eben nicht frei in der Luft ſchwebt.
Dieſelbe Vorrichtung ſieht man auch an dem anderen Ende A
der Rotationsaxe; durch eine gehörige Stellung der beiden Ge-
gengewichte R und R' werden die verticalen Stangen r ſo erhöht,
daß die oben erwähnten beiden Frictionsrollen p und q in ihren
oberen Theilen den untern Theil der Axe berühren, und daß nun
dieſe Axe auf den vier Rollen ihrer beiden Hebel, wie auf den
Rädern eines Wagens hin und her gedreht werden kann, während
das ganze ſchwere Inſtrument vielleicht nur mehr mit dem zehn-
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 21
[322]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
tauſendſten Theile ſeines eigentlichen Gewichtes auf den cylindri-
ſchen Endpunkten dieſer Axe ruht. Ein ähnliches Gegengewicht
ſiebt man auch in S, welches beſtimmt iſt, die Schwere der auf
ſeiner Seite ſtehenden Kreiſe auf dieſelbe Art zu balanciren. Da
man, wie wir bald ſehen werden, dieſes Inſtrument öfters um-
kehren muß, ſo daß dieſe Kreiſe bald auf der Seite des Pfeilers
P, bald auf jener von Q zu liegen kommen, ſo muß jeder Pfeiler
zwei Säulen tragen, von welchen die eine s für die Axe und die
andere t für die beiden Kreiſe beſtimmt iſt.
§. 29. (Rectification des Meridiankreiſes.) Da dieſes Inſtru-
ment nicht nur die Rectaſcenſionen, wie das Mittagsrohr, dem
es ſo ähnlich iſt, ſondern auch die Höhen der Geſtirne, während
ihres Durchganges durch den Meridian, anzeigen ſoll, ſo werden,
für die Rectification deſſelben zuerſt alle diejenigen Vorſchriften gel-
ten, die wir ſchon oben (S. 284) bei dem Mittagsrohre angeführt
haben und die daher hier keiner neuen Aufzählung bedürfen.
I. Um die gleiche Größe und Lage der cylindriſchen Zapfen
A und B der Rotationsaxe zu prüfen, kann man, für verſchiedene
Stellungen des Fernrohrs über dem Horizonte, die Hänglibelle
(S. 285) mit ihren Haken an dieſen Zapfen einhängen und zu-
ſehen, ob die Blaſe der Libelle immer dieſelbe Lage beibehält.
Man ſtellt z. B. das Fernrohr horizontal, das Objektiv D nach
Süden, während der Kreis mn auf der Seite des öſtlichen Pfei-
lers P ſteht. Hängt man bei dieſem Stande des Inſtruments
die Libelle zweimal, in verkehrter Lage, an die Axe, ſo ſey z. B.
10 die halbe Differenz der beiden Leſungen. Man kehre nun das
Inſtrument um, ſo daß der Kreis mn auf den weſtlichen Pfeiler
Q komme und ſtelle das Fernrohr wieder horizontal, aber das
Objektiv nach Nord und hier ſey, nach der doppelten Einhängung
der Libelle, die halbe Differenz der zwei Leſungen gleich 22. Dar-
aus folgt, daß die Libelle bei der erſten Lage des Inſtruments
um ½ (22 — 10) oder um 6 Theilſtriche anders ſtand als bei
der zweiten. Beträgt nun, wie oben (§. 18) der Theilſtrich ⅔
Sekunden, ſo macht dieſer Unterſchied der beiden Lagen der Ro-
tationsaxe 6mal ⅔ oder 4 Sekunden, zum Zeichen, daß entwe-
der die beiden Zapfen der Axe von der genauen cylindriſchen Ge-
[323]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſtalt abweichen, oder daß die Axen dieſer Cylinder nicht ganz
ſcharf in einer geraden Linie liegen.
II. Um die Gleichheit der Durchmeſſer dieſer Cylinder zu un-
terſuchen, wiederhole man die ſo eben erwähnten Operationen mit
der Libelle, doch ſo, daß das Objektiv des Fernrohrs, in beiden
Lagen des Inſtruments, immer nach derſelben Seite, z. B. im-
mer nach Süd gerichtet wird; findet man in der erſten Lage jene
halbe Differenz z. B. 15 gegen Oſt und in der zweiten 5 gegen
Weſt, ſo iſt die Summe dieſer Zahlen 20, und dieſe durch ⅔
multiplicirt, gibt 13,3 Sekunden für die geſuchte Ungleichheit der
Durchmeſſer jener Cylinder. Sollten aber beide halbe Tifferenzen
öſtlich oder beide weſtlich gefunden werden, ſo würde man die
Differenz jener zwei Zahlen nehmen und dadurch 10mal 3/2 oder 6,3
für die Ungleichheit der Cylinderdurchmeſſer erhalten.
III. Wenn der äußere Kreis mn mit dem inneren nicht ge-
nau concentriſch liegt, ſo wird die Ableſung der beobachteten Höhen
der Sterne dadurch geändert oder ſie wird fehlerhaft ſeyn. Allein
dieſem Fehler kann man ſehr leicht dadurch begegnen, daß man
an zwei einander diametral gegenüber liegenden Vernieren abließt,
wofür der Künſtler ſchon geſorgt hat, indem er die oben erwähn-
ten vier Verniere unter rechten Winkeln gegen einander ſtellte.
IV. In den neueren Zeiten hat man auch diejenigen Fehler
zu berückſichtigen geſucht, welche aus der Wirkung der Schwere
auf Fernrohr und Kreis, bei den verſchiedenen Lagen derſelben,
entſtehen. Zu dieſem Zwecke beobachtet man einen Circumpolar-
ſtern (I. S. 36) in ſeiner oberen ſowohl, als auch in ſeiner un-
teren Conjunction und zwar in jeder zweimal, indem zuerſt der
Kreis mn öſtlich, und dann weſtlich von dem Fernrohre ſteht.
Allein die an dieſen Inſtrumenten angebrachten Fernröhre
ſind ſo lichtſtark, daß man damit nicht nur die Fixſterne der zwei-
ten und dritten Größe, wie den Polarſtern bei Tage, ſondern daß
man auch das Bild dieſer Sterne in einem Spiegel durch dieſe
Fernröhre ſehr gut ſehen kann. Man wählt dazu gewöhnlich eine
mit Queckſilber gefüllte Schaale, weil die Oberfläche dieſes Me-
talls ſehr gut ſpiegelt und weil ſie, wie überhaupt alle Flüſſig-
keiten, im ruhenden Zuſtande eine genau horizontale Lage ein-
nimmt. Wenn man aber das Bild eines Sterns in einen vor
21 *
[324]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
das Objektiv geſtellten horizontalen Spiegel beobachtet und dann
wieder das Fernrohr unmittelbar, wie bei den gewöhnlichen Beob-
achtungen, auf den Stern ſelbſt wendet, ſo durchläuft das Fern-
rohr, zwiſchen dieſen beiden Beobachtungen, an dem Kreiſe einen
Winkel, der genau gleich der doppelten Höhe dieſes Sterns iſt,
wenn man dabei auf die Verbeſſerung der Refraction (I. S. 347)
gehörig Rückſicht nimmt. Denn da, nach dem bekannten optiſchen
Geſetze, der Reflexionswinkel des von dem Spiegel zurückgeworfe-
nen Lichtſtrahls gleich dem Einfallswinkel des unmittelbar von dem
Stern kommenden Strahls iſt, ſo ſieht man das Bild des Sterns
im Spiegel genau ebenſo tief unter dem Horizonte, als man den
Stern ſelbſt über dem Horizonte erblickt.
Beobachtet man daher dieſes Bild des Polarſterns, ſowie frü-
her ihn ſelbſt, ebenfalls in beiden Culminationen und in beiden
Lagen des Kreiſes mn, ſo erhält man dadurch acht Beobachtungen,
aus welchen man, durch eine zweckmäßige Combination derſelben,
jene Beugung des Inſtrumentes finden kann, die aus der ver-
ſchiedenen Einwirkung der Schwere auf die einzelnen Theile deſ-
ſelben entſteht.
§. 30. (Gebrauch des Meridiankreiſes). Da dieſes Inſtru-
ment, wie bereits geſagt, zugleich ein Mittagsrohr iſt, ſo wird
man die Beobachtungen der Durchgänge der Sterne an den ver-
ticalen Fäden des Fernrohrs ganz ebenſo anſtellen, wie oben
(S. 293) bei dem Mittagsrohre geſagt worden iſt und dadurch
entweder die Correction der Uhr, wenn die Rectaſcenſion des
Sterns bekannt iſt, oder dieſe Rectaſcenſion finden, wenn der
Stand und Gang der Uhr bereits durch andere vorhergehende
Beobachtungen an dieſem Inſtrumente gegeben iſt.
Allein der Meridiankreis ſoll, nebſt den Rectaſcenſionen, auch
die Höhen der durch ihn in dem Meridian beobachteten Geſtirne
geben, zu welchem Zwecke er mit dem oben beſchriebenen, auf
ſeine Drehungsaxe ſenkrechten und auf das Genaueſte eingetheilten
Kreiſe verſehen iſt. Wenn nun der Nullpunkt des Kreiſes, wo die
auf ihm verzeichnete Reihe der Grade eben anfängt, von dem
Künſtler ſchon genau in denjenigen Punkt der Peripherie geſetzt
worden wäre, der bei dem zwiſchen ſeinen Pfeilern aufgeſtellten
Kreiſe dem Horizonte entſpricht, wenn nämlich derjenige Durch-
[325]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
meſſer deſſelben, der durch die Punkte 0° und 180° geht, in dem
Horizonte läge, und daher der durch 90° und 270° gehende Durch-
meſſer auf dem Horizonte ſenkrecht ſtünde, ſo würde man nur
den horizontalen Faden des Fernrohrs auf den durch den Meri-
dian gehenden Stern ſtellen, und die Verniere des Kreiſes able-
ſen, um auch ſofort ſchon die geſuchte Meridianhöhe des Sterns
zu erhalten. Allein der Künſtler hat das nicht gethan und kann
es auch nicht thun, ſo wenig, daß er vielmehr jenen Nullpunkt
der Theilung ganz willkührlich nehmen und es dem Beobachter
überlaſſen muß, zu ſuchen, wie viel er ihn unrecht genommen
hat. Man pflegt dieß den Collimationsfehler des Inſtru-
ments zu nennen, ſo daß alſo, wenn der eigentliche Horizontal-
punkt des Kreiſes, nicht wie er ſollte, auf 0°, ſondern z. B. auf
10° 20′ 30″ fallen ſollte, der Collimationsfehler deſſelben gleich
dieſem Bogen ſeyn würde, wo man alſo dann von jeder an dem
Inſtrumente abgeleſenen Höhe nur wieder dieſen conſtanten Feh-
ler 10° 20′ 30″ zu ſubtrahiren haben würde, um ſofort die wahre
beobachtete Höhe zu erhalten.
Wie findet man aber dieſen Collimationsfehler? — Dieſe
Frage iſt für den Beobachter von der größten Wichtigkeit, da man,
ohne die Kenntniß dieſes Fehlers, wie man ſieht, eigentlich gar
nicht beobachten kann.
§. 31. (Den Horizontalpunkt des Kreiſes zu finden.) Ein
Mittel zu dieſem Zwecke haben wir im Grunde ſchon in dem vor-
hergehenden §. 29. kennen gelernt.
Beobachtet man nämlich ein Geſtirn zur Zeit ſeiner Culmi-
nation zuerſt unmittelbar, indem man das Fernrohr auf die ge-
wöhnliche Weiſe auf daſſelbe richtet, und beobachtet man es auch
in dem Spiegel eines Queckſilberhorizontes, indem man das Fern-
rohr auf das Bild des Geſtirnes in dieſem Spiegel richtet, ſo
erhält man dadurch, wie wir geſehen haben, einen von dem Fern-
rohre auf dem eingetheilten Limbus des Kreiſes durchlaufenen
Bogen, der genau gleich der doppelten Höhe des Geſtirns über
dem Horizonte des Beobachters iſt, ſo daß alſo die Mitte dieſes
Bogens der geſuchte Horizontalpunkt des Kreiſes ſeyn wird. Hätte
man z. B. die directe von der Refraction (I. S. 347) befreite
Höhe eines Sterns gleich 102°, und die im Spiegel reflectirte
[326]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
gleich 48° gefunden, ſo würde die wahre Höhe deſſelben gleich
der halben Differenz dieſer Zahlen oder gleich 27° und der Col-
limationsfehler gleich der halben Summe derſelben oder gleich 75°
ſeyn, ſo daß man alſo von jeder an dieſem Inſtrumente direct
beobachteten Höhe den Collimationsfehler 75° ſubtrahiren muß,
um die wahre Höhe des Geſtirns zu erhalten.
Ohne Hülfe eines ſolchen Spiegels kann man den Collima-
tionsfehler des Kreiſes auch dadurch finden, daß man ein Geſtirn
zweimal direct, aber in verkehrten Lagen des Kreiſes beobachtet.
Geſetzt man hätte in der erſten Lage des Inſtruments, wo der
Kreis mn z. B. gen Oſt oder an der Seite des öſtlichen Pfeilers
P ſtand, wenn man den borizontalen Faden des Fernrohrs auf
ein Geſtirn richtet, an dem Kreiſe die Zahl 40° 13′ 10″ geleſen.
Man hebe dann das Inſtrument aus ſeinen Lagern bei A und B,
ſtelle es in verkehrter Richtung, ſo daß der Kreis mn jetzt auf
den weſtlichen Pfeiler Q kömmt, wieder zurück, und bringe endlich
den Faden des Fernrohrs wieder auf denſelben Stern, wo dann
der Kreis 44° 32′ 20″ zeigen ſoll. Man ſieht, daß ſonach das
Fernrohr zwiſchen dieſen beiden Beobachtungen auf ſeinem Kreiſe
einen Bogen durchlaufen hat, der gleich iſt der doppelten Zenith-
diſtanz (I. S. 27) dieſes Sterns, und daß daher die Mitte dieſes
Bogens dem wahren Zenithpunkte des Beobachters entſpricht.
Nimmt man daher die halbe Differenz dieſer beiden Zahlen, ſo
erhält man den Collimationsfehler gleich 2° 9′ 35″ und dieſe
Zahl iſt es, die man zu allen Beobachtungen, wo der Kreis öſt-
lich ſteht, addiren und von allen, wo der Kreis weſtlich ſteht, ſub-
trahiren muß, um die wahre Zenitdiſtanz des Geſtirns zu erhalten,
die demnach hier gleich 42° 22′ 45″ oder gleich der halben Sum-
me jener beiden erſten Zahlen iſt.
Da in beiden Beobachtungen der Stern denſelben Ort am
Himmel einnehmen, alſo im Meridian ſeyn muß, und da jeder
Stern, wegen der täglichen Bewegung des Himmels nur einen
Augenblick im Meridian iſt, ſo wird man jene zwei Beobachtun-
gen in zwei nächſtfolgenden Tagen, zur Zeit der beiden Culmina-
tionen des Sterns, anſtellen. Wenn man aber das Inſtrument
ſchnell genug umkehren kann, um das Geſtirn in beiden Lagen
des Kreiſes noch im Fernrohre ſehen zu können, was z. B. bei
[327]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dem ſich ſehr langſam bewegenden Polarſtern ſtatt hat, ſo kann
man dieſe beiden Beobachtungen auch ſchon in einem einzigen
Tage, ja in wenigen Minuten vollenden. Zwar beobachtet man
dann beidemale den Stern nicht in, ſondern außer dem Meridian
und in unter ſich verſchiedenen Höhen; aber da die Geſtirne in
der Nähe des Meridians ihre Höhe nur ſehr wenig ändern, ſo
kann man dieſe Aenderung ihrer Höhe bis zu ihrer Meridianhöhe
ſehr leicht und ſicher berechn n und ſelbſt ohne alle Rechnung [un-
mittelbar] aus den Beobachtungen ableiten. Ein Beiſpiel wird
dieß ſogleich deutlich machen.
Geſetzt man hätte einen Stern zweimal in der öſtlichen
und eben ſo oft in der weſtlichen Stellung des Kreiſes zu folgen-
den Sternzeiten beobachtet:
Dieſe vier Beobachtungen ſind zwar zu verſchiedenen Zeiten
gemacht worden, wo alſo auch der Stern verſchiedene Höhen hatte,
ſo daß daher dieſe Beobachtungen unmittelbar untereinander nicht
verglichen werden können. Dieß könnten ſie nur, wenn alle vier
in einem und demſelben Augenblicke z. B., um die Mitte aus allen
jenen vier Sternzeiten, alſo um die Sternzeit 19h 0′ 11″ beobach-
let worden wären. Allein auf dieſe Zeit laſſen ſich jene Beobach-
tungen leicht zurückführen, da aus ihnen ſelbſt die Veränderung
der Zenithdiſtanzen des Sterns für jede gegebene Zeit hervorgeht.
Die beiden erſten zeigen z. B., daß in der Zeit von 1′ 37″ die
Zenithdiſtanz um 45″ abgenommen hat, alſo wird ſie auch in
einer Zeitminute um 27,3″ abnehmen. Ebenſo zeigen die beiden
letzten, daß in der Zeit von 1′ 56″ die Zenithdiſtanz um 53″ ab-
nimmt, alſo wird ſie auch in einer Zeitminute um 27,5″ ab-
nehmen. Wir können daher, im Mittel aus allen vier Beobach-
tungen, annehmen, daß die Zenithdiſtanz des Sterns in einer Zeit-
minute um 27,4″ abnimmt.
Allein die erſte Beobachtung iſt von jener imaginären mitt-
[328]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
leren, die um 19h 0′ 11″ angeſtellt ſeyn ſoll, um 3,0, die zweite
um 1,38, die dritte um 1,22 und die vierte endlich um 3,15 Zeit-
minuten entfernt. Multiplicirt man alſo dieſe vier Zahlen durch
27,4, ſo erhält man die Reductionen, die man an die vier beob-
achteten Zenithdiſtanzen anbringen muß, um ſie alle auf jene
imaginäre um 19h 0′ 11″ angeſtellte Zenithdiſtanz zu bringen.
Man hat ſo
Wir erhalten demnach im Mittel aus je zwei Beobachtun-
gen folgende zwei, in demſelben Augenblicke ſtatt habenden Zenith-
diſtanzen des Sterns
- Kreis Oſt _ _ 39° 59′ 16,5″
- Kreis Weſt _ _ 43° 34′ 56,3″
und von dieſen beiden Zahlen gibt daher wieder, wie zuvor, die
halbe Differenz derſelben den geſuchten Collimationsfehler des Krei-
ſes, der gleich 1° 47′ 49,9″ iſt, und die halbe Summe gibt die
wahre Zenithdiſtanz des Sterns, die gleich 41° 47′ 6,4″ iſt.
Dieſes Verfahren, den Collimationsfehler zu beſtimmen, iſt
ſehr brauchbar bei ſolchen Kreiſen, die ſich ſchnell umwenden laſ-
ſen, und ſie gibt zugleich ſehr genaue Reſultate, wenn man in
beiden Lagen des Inſtruments mehrere Beobachtungen anſtellt und
aus ihnen allen das Mittel nimmt.
§. 32. (Den Polpunkt des Kreiſes zu finden.) Wie man aber
in dem Vorhergehenden den Horizontalpunkt oder, was daſſelbe
iſt, den Zenithalpunkt des Kreiſes beſtimmte, um zu wiſſen, von
welchem Punkte des eingetheilten Limbus man die Höhen oder
die Zenithdiſtanzen zu zählen hat, eben ſo kann man auch an dem
Kreiſe denjenigen Punkt deſſelben beſtimmen, welcher dem Pole
des Aequators am Himmel entſpricht, wo man dann alle Beob-
achtungen der Sterne auf dieſen Inſtrumentalpolpunkt beziehen und
ſonach unmittelbar die Poldiſtanzen (I. S. 28) dieſer Sterne
erhalten wird.
Dieſen Polpunkt wird man am beſten durch die Beobachtung
[329]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
der Circumpolarſterne in ihren beiden Culminationen (I. S. 36)
beſtimmen können. Steht nämlich der Kreis mn auf der Weſt-
ſeite und nennt man h und h' die beiden Zahlen, bei welchen das
Fernrohr zur Zeit der oberen und der unteren Culmination ſtand,
ſo iſt die Zahl des Kreiſes, die dem Polpunkte entſpricht, oder ſo
iſt der Polpunkt des Inſtruments P gleich h — p für die obere,
und gleich h' + p für die untere Culmination, wo p die Poldi-
ſtanz des beobachteten Sterns bezeichnet, und wo bei den Größen
h und h' ſchon auf die Verbeſſerung der Refraction (I. S. 343)
Rückſicht genommen iſt.
Wenn aber der Kreis auf der Oſtſeite des Fernrohrs iſt, und
man hier k und k' die beiden Ableſungen nennt, ſo iſt der ge-
ſuchte Polpunkt des Kreiſes P' gleich k + p in der oberen und
k' — p in der unteren Culmination.
Daraus folgt alſo, daß man, ſelbſt ohne die Poldiſtanz p
des Sterns zu kennen, nur die halbe Summe der Größen h und h'
beider Culminationen bei der weſtlichen Stellung, oder die halbe
Summe der Größen k und k' bei der öſtlichen Stellung des
Kreiſes zu nehmen braucht, um ſofort den Polpunkt des Inſtru-
ments zu erhalten. Nehmen wir an, um dieß durch ein Beiſpiel
deutlich zu machen, man hätte bei der weſtlichen Lage des Krei-
ſes in der oberen Culmination h = 318° 15′, und in der unteren
h' = 315° 1′ gefunden, ſo iſt der Polpunkt des Inſtruments in
dieſer Lage P = 316° 38′, oder man muß von allen in dieſer
Lage des Kreiſes gemachten Beobachtungen die Größe 316° 38′
ſubtrahiren, um die Poldiſtanz des beobachteten Sterns zu er-
halten.
Hätte man eben ſo bei der öſtlichen Lage des Kreiſes in der
oberen Culmination k = 40° 12′, und in der unteren k' = 43°
26′ gefunden, ſo würde der Polpunkt des Inſtruments für dieſe
Lage P' = 41° 49′ ſeyn, oder man wird von allen in dieſer Lage
des Kreiſes gemachten Beobachtungen die Größe 41° 49′ ſubtra-
hiren, um die Poldiſtanzen der beobachteten Geſtirne zu erhalten.
So wie alſo zuvor (§. 31.) der Zenithpunkt des Kreiſes durch
die Umkehrung deſſelben von Oſt nach Weſt oder durch die Beob-
achtung deſſelben Sterns in verkehrten Lagen des Inſiruments ge-
funden wird, ſo wird auch hier der Polpunkt deſſelben durch die
[330]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Beobachtung der beiden Culminationen deſſelben Sterns beſtimmt.
Da nun hier, in unſerem Beiſpiele, beide Culminationen nicht
nur in der einen, ſondern auch noch in der anderen Lage des In-
ſtruments beobachtet worden ſind, ſo erhält man dadurch auch die
Aequatorhöhe des Beobachtungsorts, die nämlich gleich der halben
Differenz der Größen P und P' oder gleich 42° 35,5′ iſt. Auch
die Poldiſtanz des ſo beobachteten Sterns findet man unmittelbar
aus den vier erhaltenen Zahlen, indem ſie gleich der halben Dif-
ferenz der Zahlen h und h', oder auch der Zahlen k und k', alſo
hier gleich 1° 37′ iſt. Die Uebereinſtimmung zwiſchen dieſen bei-
den Differenzen wird zugleich ein Beweis für die Richtigkeit der
vier Beobachtungen und der daraus abgeleiteten Werthe der bei-
den Polpunkte P und P' ſeyn.
§. 33. (Gebrauch des Collimators.) Noch ein anderes Mit-
tel, den Zenithpunkt des Kreiſes zu finden, muß ſeiner Vorzüglich-
keit wegen hier erwähnt werden. Es iſt dieſes der vor einigen
Jahren von dem Capitän Kater in England vorgeſchlagene Colli-
mator. Dieſer beſteht in einem kleinen Fernrohre, welches in
ſeinem Brennpunkte mit einem Kreuzfaden verſehen und nahe ſenk-
recht auf einem in ſeiner Mitte durchbrochenen eiſernen Teller be-
feſtiget iſt, durch deſſen Oeffnung das Fernrohr geht. Dieſer Teller
wird auf dem in einem Gefäße enthaltenen Queckſilber frei
ſchwimmend erhalten und das Rohr ſo geſtellt, daß das Objektiv
deſſelben den höchſten Punkt einnimmt, während das Ocular, oder
vielmehr, nach weggenommenem Ocular, der Kreuzfaden deſſel-
ben, mittelſt eines Planſpiegels, durch eine nebenſtehende Lampe
erleuchtet wird. Bringt man dieſe Vorrichtung unter den Mittel-
punkt des Fernrohrs des Meridiankreiſes, und ſtellt man dieſes
letzte Fernrohr nahe ſenkrecht, ſo daß das Objektiv deſſelben den
tiefſten Punkt einnimmt, ſo kann man durch dies ſo ſenkrecht ge-
ſtellte Kreisrohr den Kreuzfaden des Collimators erblicken, und
dann durch eine kleine Bewegung des Kreisrohrs die Fäden bei-
der Fernröhre genau auf einander bringen. In dieſer Stellung
des Kreisrohrs liest man dann ſeine Lage an dem Limbus des
Kreiſes ab.
Dreht man dann den, immer auf dem Queckſilber ſchwimmen-
den Teller des Collimators im Horizonte um 180 Grade, ſo daß
[331]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
die weſtliche Seite des Tellers jetzt auf die öſtliche kömmt, und
bringt wieder durch eine kleine Bewegung des Kreisrohrs, die
Fäden beider Fernröhre neuerdings genau auf einander, und liest
auch in dieſer zweiten Lage den Kreis wieder ab, ſo gibt die halbe
Summe der beiden Ableſungen an dem Meridiankreiſe ſofort den
Nadirpunkt (I. S. 26) des Kreiſes, der dann, um 180° vermehrt
oder vermindert, der geſuchte Zenithpunkt deſſelben ſeyn wird.
Dabei wird vorausgeſetzt, daß das kleine Fernrohr des Colli-
mators wenigſtens nahe ſenkrecht auf der horizontalen Fläche des
Queckſilbers ſey. Man kann dieſes leicht durch kleine Gewichte er-
reichen, die man in verſchiedenen Punkten des eiſernen Tellers
auflegt und daſelbſt verſchiebt. Wenn auf dieſe Weiſe das Fern-
rohr des Collimators auch nur nahe ſenkrecht geſtellt iſt, ſo wird
die optiſche Axe dieſes Fernrohrs, bei der erwähnten Drehung des
Tellers um 180 Grade, die Oberfläche eines ſehr ſpitzen Kegels
beſchreiben, von deſſen kreisförmiger Baſis man, durch jenes
Verfahren, zwei einander genau gegenüberſtehende Punkte beob-
achtet, in deren Mitte, als in dem Mittelpunkte dieſer Baſis,
die auf dem Queckſilber vertical ſtehende, alſo nach dem Zenithe
des Beobachters gehende Linie liegen muß, daher man auch die
Mitte der beiden Ableſungen am Kreiſe zu nehmen hat, um den
geſuchten Punkt deſſelben zu erhalten.
Uebrigens muß der Kreuzfaden des Collimators genau in dem
Brennpunkte ſeines Objektivs liegen, was man durch das oben
(S. 281) erklärte Verfahren leicht erreichen wird, weil man ſonſt
dieſen Kreuzfaden durch das große Fernrohr des Kreiſes nicht
deutlich ſehen kann. Eine kleine äußere Schraube, die den die
Kreuzfäden tragenden Ring (S. 276) in der Ebene dieſes Ringes
bewegt, wird dazu dienen, den einen dieſer Fäden mit dem ho-
rizontalen Faden des Kreisrohres nahe parallel zu ſtellen.
Man ſieht, daß der eigentliche Zweck des Collimators iſt,
uns den Stellvertreter eines Fixſterns zu geben, der in einem
ſehr kleinen Kreiſe ſich bewegt, [deſſen] Mittelpunkt das Zenith oder
eigentlich das Nadir des Beobachters iſt. Wenn man die Zenith-
diſtanz dieſes Sterns in den beiden Punkten ſeines Kreiſes beob-
achtet, die dem Süd- und Nordpunkte des Himmels am nächſten
liegen, und wenn man dann die Mitte der beiden Ableſungen
[332]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nimmt, ſo erhält man dadurch den Punkt des Inſtrumentalkrei-
ſes, der dem Zenithe entſpricht.
§. 34. (Verſchiedene Meridiankreiſe.) Obſchon die von Rö-
mer vorgeſchlagenen ganzen Kreiſe unbezweifelte und auch gleich
anfangs allgemein anerkannte Vorzüge vor den Quadranten be-
ſitzen, ſo konnten ſie doch die erſten Künſtler noch nicht mit der-
jenigen Genauigkeit verfertigen, welche den Wünſchen der Beob-
achter ihrer Zeit zu entſprechen im Stande geweſen wäre. Aus
dieſer Urſache blieb auch der Mauerquadrant, in Verbindung mit
dem Zenithſector, bis nahe zu dem Anfange des gegenwärtigen
Jahrhunderts das einzige oder doch das vorzüglichſte Inſtrument
zur Beobachtung der Zenithdiſtanzen der Geſtirne. Doch war zu
dieſer Zeit ſchon ein ganz vorzüglicher Kreis von ſechs Fuß Durch-
meſſer, welchen der berühmte Ramsden in England verfertigt hatte,
im Beſitze Piazzi’s, eines der eifrigſten und geſchickteſten Beobach-
ters in Palermo. Ein nahe gleich großes Inſtrument dieſer Art
wurde um dieſelbe Zeit für die Sternwarte in Dublin vollend et,
und ein kleinerer, unter der Benennung des Weſtbury Circle, war
in den Händen von Pond. Alle dieſe Inſtrumente haben gute
Früchte getragen, die ſchönſten und reichſten aber verdankt man
jenem in Palermo, durch welchen uns Piazzi den erſten großen
und verläßlichen Sternkatalog von 7456 Sternen geliefert hat.
Seit Troughton i. J. 1809 ſeine vortreffliche Methode, dieſe In-
ſtrumente einzutheilen, bekannt gemacht hat, eine Methode, die
ſpäter durch Reichenbach weſentliche Verbeſſerungen erhielt, nahm
die Güte und Brauchbarkeit derſelben immer zu. Indeß waren
jene Kreiſe von Ramsden in ihrer Bauart weſentlich von den
oben beſchriebenen verſchieden. Dieſe Kreiſe waren nämlich zwi-
ſchen zwei metallenen Säulen befeſtiget, welche letzten wieder auf
einer horizontalen Platte ruhten, die ſich, ſammt Kreis und Säu-
len, um ihre vertikale Axe bewegen ließen, daher dieſe Inſtru-
mente auch mit einem nahe eben ſo großen horizontalen Kreiſe
verſehen waren, um damit die Azimuthe, ſowie mit jenem die
Zenithdiſtanzen, zu meſſen, daher ſie auch in England unter der
Benennung des altitude and azimuthal instrument oder des rever-
sible circle bekannt wurden.
Im Jahre 1812 vollendete Troughton den erſten Mauer-
[333]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
kreis (mural circle), der auf der Sternwarte in Greenwich aufge-
ſtellt wurde und der in der Geſchichte der beobachtenden Aſtronomie
Epoche machte. Dieſer in dem Meridian aufgeſtellte Kreis ſteht
unmittelbar mit einem ſoliden Pfeiler von Mauerwerk in Ver-
bindung, welcher Pfeiler auch die Verniere oder Mikroſcope trägt,
durch welche die Ableſungen an den Kreiſen geſchehen. Man ſieht,
daß ein ſolcher Kreis eine viel ſolidere Aufſtellung gewährt, als
jene reverſiblen Kreiſe von Ramsden; dafür können ſie aber auch
nicht umgewendet werden und man iſt daher bei ihnen bloß auf
die Beobachtungen der Poldiſtanzen beſchränkt, ohne auch zugleich
Zenithdiſtanzen zu erhalten, weil man an ihnen, durch die Beob-
achtung beider Culminationen der Circumpolarſterne, wohl den
Polpunkt, aber nicht den Zenithpunkt des Kreiſes beſtimmen kann,
während im Gegentheile die Kreiſe von Ramsden ſich ſehr leicht
umwenden und die Verticalität ihrer Drehungsaxe ſehr ſicher an-
geben laſſen. Im Jahre 1825 wurde ein ganz ähnlicher Kreis
von Troughton auf dieſelbe Sternwarte gebracht, und das regel-
mäßige Verfahren eingeführt, daß die Sterne an dem einen Kreis
unmittelbar, und an dem andern zu gleicher Zeit in einem Queck-
ſilberhorizont beobachtet wurden, wodurch man daher, nebſt den
Poldiſtanzen, auch die Zenithdiſtanzen der Sterne erhielt. Seit
dieſer Einrichtung ſollen die Beobachtungen Pond’s in Greenwich
an Genauigkeit ſehr gewonnen haben.
Wenn aber dieſe großen und koſtbaren Kreiſe auch die Di-
ſtanzen der Sterne von dem Pole oder dem Zenithe mit großer
Schärfe zn geben im Stande ſeyn konnten, ſo ſchienen ſie doch die
Rectaſcenſionen nicht mit der gewünſchten Verläßlichkeit darzuſtel-
len, was wohl in dem eigenen Baue, vorzüglich in der kurzen
und ſchwachen Drehungsaxe des Fernrohrs liegen mochte; wenig-
ſtens fuhren die engliſchen Aſtronomen fort, ihre Rectaſcenſionen
an dem ihnen viel ſicherer erſcheinenden Mittagsrohre zu nehmen.
Erſt in den neueren Zeiten hat man dieſem Umſtande durch eine
andere Einrichtung jener Inſtrumente abzuhelfen geſucht, wie die
Kreiſe von Wollaſton und Groombridge zeigen. Dieſe beſtehen in
zwei einander parallelen Kreiſen, die durch Querſtangen feſt unter
einander und mit einer ſtarken horizontalen Axe, der des Mittags-
rohrs ähnlich, verbunden ſind. Das Fernrohr geht mitten durch
[334]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dieſe Axe und liegt zwiſchen jenen beiden Kreiſen, mit welchen
daſſelbe an ſeinen zwei Endpunkten feſt verbunden iſt.
Reichenbach in München hat weder dieſe, noch die vorherge-
hende Bauart ſeiner Meridiankreiſe angenommen, ſondern die
oben (S. 317) beſchriebene gewählt und ſie zugleich ganz aus ei-
nem Stücke gegoſſen, während die engliſchen aus vielen einzelnen
bloß durch Schrauben zuſammengehaltenen Theilen beſtehen. Dieſe
Kreiſe haben bereits an vielen Sternwarten Deutſchlands durch
eine ſehr große Anzahl trefflicher Beobachtungen, der Pol- und
Zenithdiſtanzen ſowohl, als auch der Rectaſcenſionen, ihre Vor-
züglichkeit bewährt und daher auch, bei den Aſtronomen dieſes
Landes, allgemeinen Eingang gefunden. Nicht ſo in England,
wo man noch die ältere Einrichtung vorziehen will und wo man
zu der vielleicht noch zu wenig bekannten deutſchen Bauart kein
Vertrauen hegt *).
§. 35. (Multiplicationskreiſe.) Die bisher betrachteten Me-
ridian- und Mauer-Kreiſe ſind, wie ſchon ihre Benennung zeigt,
vorzugsweiſe nur zu ſolchen Beobachtungen beſtimmt, die in der
Ebene des Meridians vorgenommen werden. Da ſie aus dieſer
Urſache einen fixen Stand haben, ſo werden ſie auch gewöhnlich
in größeren Dimenſionen verfertiget, wie denn die Durchmeſſer
dieſer Kreiſe in Deutſchland bis drei, in England aber ſelbſt bis
ſechs und mehr Fuß halten. Dieſe mit ſo viel Sorgfalt gebauten
und ſo ſicher aufgeſtellten Meridianinſtrumte ſind es eigentlich,
[335]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
welche den Werth einer Sternwarte conſtituiren und ſie werden
daher auch immer dort angewendet, wo man in den Beobachtun-
gen eine vorzügliche Genauigkeit verlangt.
Aber es gibt auch öfters Fälle, wo man außer dem Meri-
dian beobachten muß, und dann ſind jene Inſtrumente nicht mehr
anwendbar. Vorzüglich ſind es die Höhen der Sterne, die man
entweder zur Zeitbeſtimmung, wenn man kein Mittagsrohr hat,
beobachtet, und dann muß man dieſelben abſichtlich ſo weit als
möglich von dem Meridian entfernt nehmen. Zu dieſen und ähn-
lichen Zwecken eignet ſich nun beſonders der Multiplications-
kreis, den man in Fig. 20 abgebildet ſieht.
Er beſteht in zwei concentriſchen Kreiſen m m und n n, die ſich
in einer Vertikalfläche um ihre gemeinſchaftliche horizontale Axe
A B drehen, welche letztere an einer vertikalen Säule E F befeſtiget
iſt. Dieſe cylindriſche Axe ſelbſt iſt in der Figur nicht ſichtbar, da
ſie von dem zur Aufnahme dieſer Axe durchbohrten Würfel B,
an dem oberſten Theile der Säule E F, und durch den hohlen Cy-
linder Q bedeckt wird. Ein Ende dieſer Axe ſteht auf der Rück-
ſeite des Würfels bei B über demſelben etwas hervor, ſowie auch
der Cylinder Q an ſeiner untern Seite eine Oeffnung hat, durch
die man zu dem andern Endpunkte dieſer Axe gelangen kann.
Man hat dieſe beiden Enden der Axe zu der Abſicht frei gelaſſen,
um an ſie die Haken einer Hänglibelle anbringen zu können, durch
die man, wie man bald ſehen wird, dieſe Axe genau horizontal,
alſo auch die Ebene der beiden Kreiſe m und n genau vertikal
ſtellen kann, da dieſe Kreiſe von dem Künſtler ſchon auf der Dreh-
bank vollkommen ſenkrecht auf ihre Axen abgedreht werden müſſen.
Damit übrigens dieſe Kreiſe mit ihren Gewichten die Axe, an
deren einem Ende ſie beide angebracht ſind, nicht ſchief drücken
können, iſt ein mit Blei gefülltes Gegengewicht H auf der an-
dern Seite der Axe angebracht, welches durch den Hebel p q, deſ-
ſen Unterſtützungspunkt die Säule E G iſt, jenes von den Kreiſen
abwärts gedrückte Ende R der Axe, wieder ebenſo viel aufwärts
hebt.
Senkrecht auf dieſe horizontale Axe A B iſt das Fernrohr C D
angebracht, wo C das Ocular und D das Objektiv deſſelben iſt.
Dieſes Fernrohr iſt mit dem inneren Kreiſe m m, der zugleich die
[336]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Verniere trägt, feſt verbunden und kann nur mit dieſem Kreiſe
zugleich vertical auf und ab bewegt werden. Der äußere Kreis
n n iſt in Grade und Minuten eingetheilt, oder er trägt die
Theilung, und der innere das Fernrohr und die Verniere. Das
Fernrohr hat gegen ſeine Mitte bei A eine mit einem Schieber
verſehene Oeffnung, durch welche man das Licht einer Lampe in
das Innere des Rohrs fallen läßt, um damit die Fäden im
Brennpunkte bei C zur Nachtzeit zu ſehen. Da die Beobachtung
ſehr hoch oder nahe am Zenithe ſtehender Sterne bei dieſem Baue
des Inſtruments beſchwerlich, wo nicht unmöglich wäre, weil dann
das Fernrohr in die vertikale Lage F Q kömmt, ſo iſt im Innern
deſſelben bei C ein kleiner Planſpiegel angebracht, deſſen Ebene
mit der optiſchen Axe C D des Fernrohrs einen Winkel von 45
Graden macht, wo dann die Ocularröhre O ſenkrecht auf dieſe
Axe C D geſtellt wird. Bei dieſer Einrichtung fallen die von dem
Geſtirne nach der Richtung D C kommenden Strahlen auf den
Spiegel unter einem Winkel von 45 Graden auf, und werden
von ihm unter einem ebenſo großen Winkel, alſo in der Richtung
der Ocularröhre O in das Auge des Beobachters reflectirt, ſo daß
der Geſichtsſtrahl aller, hohen und niederen, Sterne, für den Beob-
achter immer eine horizontale, alſo zur Beobachtung ſelbſt ſehr
bequeme Lage hat.
Die oben erwähnte verticale Säule F E beſteht aus einem
hohlen Cylinder, der an ſeinem unterſten Theile F auf drei ſtar-
ken Füßen K befeſtiget iſt. An der unteren Seite dieſer Füße
wird durch drei Schrauben, von denen man in der Zeichnung nur
die zwei a und c ſehen kann, eine dreiarmige Spange von Stahl,
von deren drei Armen die zwei a b und b c ſichtbar ſind, ange-
ſchraubt, und auf der Mitte b dieſer ſtarken, elaſtiſchen Stahl-
feder ſteht die eigentliche vertikale Axe des Inſtruments, die
durch die Höhlung des Cylinders F E geht und an ihrem oberſten
Ende die bereits erwähnte innere horizontale Axe A B der beiden
Kreiſe aufnimmt. Noch iſt unter jenem Fußgeſtelle, zwiſchen ihm
und der Stahlſpange, ein horizontaler Kreis M an das untere
Ende der verticalen Axe des Inſtruments befeſtigt, der ſich daher
mit dieſer Axe dreht. Man ſieht bei d die Druckſchraube, mit
welcher man dieſen Kreis an das Fußgeſtelle bei c befeſtigen kann.
[337]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Eben daſelbſt iſt auch ein Index oder ein Vernier an dem Fuß-
geſtelle angebracht, durch deſſen Hülfe man dieſen horizontalen
Kreis auf einen beſtimmten Punkt im Horizonte, alſo auch die
Verticalkreiſe m und n in ein beſtimmtes Azimuth ſtellen kann.
§. 36. (Beobachtungen mit dieſem Inſtrumente). Nehmen
wir an, der äußere, die Eintheilung tragende Kreis n n ſey mit
dem Fußgeſtelle FQB des Inſtruments feſt und unveränderlich ver-
bunden. Um der Beſtändigkeit ſeiner Lage gewiß zu ſeyn, könnte
man an ſeinen oberen Speichen eine Libelle befeſtigen, durch die
man jede kleine Verſtellung dieſes Kreiſes ſogleich erkennen und
berichtigen würde.
Kann man nun vorausſetzen, daß die Ebene der beiden Kreiſe
vollkommen vertical iſt, und daß die optiſche Axe des Fernrohrs
(S. 277) zu dieſer Kreisebene parallel iſt, ſo wird man, um die
Höhe oder die Zenithdiſtanz eines Sterns zu beobachten, zuerſt
den unteren horizontalen Kreis M lüften, indem man die Druck-
ſchraube d nachläßt und dann wird man das ganze Inſtrument um
ſeine in dem hohlen Cylinder F Q ſtehende verticale Axe ſo lange frei
drehen, bis die Ebene des Kreiſes durch den zu beobachtenden
Stern geht. Dann öffnet man auch die ähnliche (und deßhalb in
der Zeichnung nicht angegebene) Druckſchraube, welche den innern
Kreis an dem feſten äußeren hält, ſo daß man alſo jetzt dieſen
innern Kreis, ſammt dem an ihm befeſtigten Fernrohre, um ſeine
horizontale Axe A B ſo lange drehen kann, bis das Geſtirn im
Felde des Fernrohrs, in der Nähe des in demſelben ausgeſpann-
ten Fadens, erſcheint. In dieſer Lage befeſtige man nun wieder
die beiden Druckſchrauben des Kreiſes M ſowohl, als auch die des
inneren verticalen Kreiſes m m, ſo ſteht jetzt das Inſtrument in
der vorbereitenden Lage, die zu den eigentlichen Beobachtungen
erfordert wird.
Bemerken wir nun, daß bei jeder dieſer Druckſchrauben auch
noch eine andere feine Mikrometer-Schraube angebracht iſt, die
in der Lage der Tangente ihres Kreiſes liegt und dazu beſtimmt
iſt, die obſchon durch ihre Druckſchrauben bereits geklemmten oder
befeſtigten Kreiſe noch etwas weniges in ihrer Ebene weiter zu
bewegen. Wir haben eine ſolche Mikrometer-Schraube ſchon
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 22
[338]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
oben, (S. 320) bei Gelegenheit des Meridiankreiſes angeführt,
wo ſie auch (Fig. 19) bei f h abgebildet iſt.
Durch dieſe Mikrometer-Schrauben bewegt man nun das
Fernrohr in verticaler und horizontaler Richtung ganz leiſe ſo,
daß der bereits im Felde des Fernrohrs ſtehende Stern in der
Mitte des Feldes ganz genau auf den horizontalen Faden zu
ſtehen komme. In dieſem Augenblicke liest man die neben dem
Inſtrumente ſtehende Uhr und dann auch den Stand der Verniere
des inneren Kreiſes gegen den feſten, eingetheilten äußeren Kreis
ab, wodurch man die geſuchte Zenithdiſtanz des Sterns für eine
gegebene Zeit erhält, vorausgeſetzt, daß man den Collimations-
febler (S. 325) des Kreiſes bereits kennt, d. h., daß man bereits
weiß, wie viel man von jeder Leſung am Kreiſe abziehen oder da-
zu addiren muß, um die wahre Zenithdiſtanz der Beobachtung zu
erhalten.
Dieſen Collimationsfehler findet man aber entweder durch Um-
wendung des Inſtruments oder durch einen Queckſilberhorizont
ganz auf dieſelbe Art, wie bereits oben (§. 31) bei dem Meridian-
kreiſe geſagt worden iſt, und man ſieht von ſelbſt, daß hier die er-
ſte Methode ganz beſonders anwendbar iſt, weil das Inſtrument,
nach der Einrichtung ſeines Baues, ſich ſo leicht und ſicher um-
wenden läßt, ſo daß einmal der Kreis auf der einen und dann
auf der entgegengeſetzten Seite der verticalen Säule F B zu ſte-
hen kömmt.
§. 37. (Multiplicirende Beobachtungen an dieſem Inſtrumente.)
Das ſo eben angezeigte Verfahren möchte wohl das ſicherſte und
bequemſte zugleich ſeyn. Die ſehr zahlreichen und guten Beobach-
tungen, welche auf dieſe Art an einem ſolchen Inſtrumente, deſſen
Kreiſe nur einen Durchmeſſer von 18 Zoll haben, auf der Stern-
warte in Wien gemacht worden ſind, laſſen über die Vorzüglich-
keit dieſes Gebrauches keine Zweifel mehr übrig.
Man hat aber, in früheren Zeiten wenigſtens, geglaubt, daß
dieſes Inſtrument weſentlich gewinnen würde, wenn man ihm
eine Einrichtung geben könnte, durch welche man die Beobach-
tungen deſſelben vervielfältigen und ſie auf dieſe Weiſe von
den meiſten derjenigen Fehler unabhängig machen würde, denen
jede einzelne, iſolirte Beobachtung ihrer Natur nach, ausgeſetzt
[339]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſeyn muß. Hieher gehören z. B. vorzüglich die Febler der Thei-
lung *). Dieſe Fehler waren in der That, in der Mitte des ver-
gangenen Jahrhunderts, bei den meiſten Inſtrumenten noch ſo groß,
daß der berühmte Tobias Mayer, der dieſes Prinzip der Mul-
tiplication der Beobachtungen zuerſt aufgeſtellt hat, der beob-
achtenden Aſtronomie einen für ſeine Zeit ſehr weſentlichen Dienſt
erwieſen hat. Allein ſeitdem haben ſich die Umſtände ſo ſehr ge-
ändert und die Theilung der Inſtrumente iſt, beſonders durch
Reichenbach, ſelbſt bei den kleinen Kreiſen zu einer ſo großen Voll-
kommenheit gebracht worden, daß dieſe früher nothwendige oder doch
wohlthätige Einrichtung jetzt nicht nur überflüſſig, ſondern ſelbſt
ſchädlich erſcheint, indem dadurch eine Menge neuer Fehlerquellen
geöffnet werden, die vorzüglich von der geringeren Stabilität des
Inſtruments bei den Multiplicationen entſpringen, die oft bedeu-
tend größer ſind, als die der etwa noch unrichtigen Theilung,
welche man dadurch wegbringen will, und die endlich dem Gebrauch
des Inſtruments, für den Beobachter ſowohl als für den Berech-
ner dieſer Beobachtungen, ſo unbequem und Zeit raubend machen,
daß darin beſonders die Urſache geſucht werden muß, warum die
multiplicirenden Inſtrumente ſelbſt unter den deutſchen Aſtrono-
men, die ſich doch von jeher durch ihren beharrlichen Fleiß aus-
gezeichnet haben, lange nicht die Früchte getragen haben, die
man von anderen Inſtrumenten z. B., für die Verfertigung grö-
ßerer Sternkataloge, in ſo reichem Maaße erhalten hat.
Deſſenungeachtet mag es zweckmäßig erſcheinen, hier wenigſtens
das Vorzüglichſte von dieſer Behandlungsart der Inſtrumente,
die ſo lange als die beſtmögliche gegolten hat, zur Kenntniß un-
ſerer Leſer zu bringen.
Wir haben oben vorausgeſetzt, daß der äußere, die Theilung
tragende Kreis n n, an den Fußgeſtellen F B des Inſtruments feſt
und unveränderlich angebracht ſey. Nehmen wir nun an, daß
auch er, ſo wie der innere Kreis m m, ſich um ſeine horizontale
Axe A B bewegen laſſe, und daß der äußere Kreis, mittelſt einer
22 *
[340]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
eigenen Druckſchraube an dieſes Fußgeſtelle, ſo wie der innere durch
ſeine Druckſchraube an den äußern Kreis befeſtiget werden könne.
Bei dieſer Einrichtung wird man alſo, wenn man die Druck-
ſchraube des äußern Kreiſes andrückt, und dafür die Schraube
des inneren Kreiſes lüftet, bloß den inneren ſammt ſeinem Fern-
rohre bewegen, wie wir dieß bisher gethan haben. Wenn man
aber im Gegentheile die Druckſchraube des inneren Kreiſes feſt-
ſtellt und dafür die des äußeren öffnet, ſo wird man beide, jetzt
miteinander verbundene Kreiſe, zugleich um ihre gemeinſchaft-
liche horizontale Axe A B bewegen können. Auf dieſe abwechſelnde
Bewegung des inneren Kreiſes um den feſten äußeren und der
gemeinſchaftlichen beiden unter ſich verbundenen Kreiſe, beruht
das erwähnte Princip der Multiplication, welches wir nun ſo-
gleich näher angeben wollen.
Man ſtellt zuerſt den inneren Kreis durch ſeinen Vernier auf
irgend einen beſtimmten Theilſtrich, z. B. auf Null-Grad des
äußeren Kreiſes und befeſtiget jenen auf dieſem durch ſeine Druck-
ſchraube. Dann öffnet man die Druckſchraube des äußeren Krei-
ſes und dreht beide Kreiſe zugleich um ihre horizontale Axe A B,
bis das Geſtirn im Felde des Fernrohrs erſcheint, worauf man
den äußern Kreis wieder an ſein Fußgeſtelle ſchließt und mit der
feinen Mikrometer-Schraube dieſes Kreiſes den horizontalen Fa-
den des Fernrohrs genau auf den Stern bringt und die Zeit die-
ſes Moments an der Uhr bemerkt. Nehmen wir an, die Kreiſe
ſeyen während dieſer Beobachtung auf der Oſtſeite der verticalen
Axe F B geſtanden.
Damit iſt die erſte Hälfte der Beobachtung vollendet, die
aber, für ſich allein, kein Reſultat gibt, da der innere Kreis noch
immer auf 0° des äußeren ſteht.
Man dreht nun beide Kreiſe um ihre verticale Axe F B um
180 Grade, ſo daß die beiden Kreiſe jetzt auf die Weſtſeite dieſer
Axe kommen, bis der Stern wieder in der Ebene dieſer Kreiſe
erſcheint und löst dann, bei immer geſchloſſenem äußeren Kreis,
den innern, und bewegt ihn ſammt ſeinem Fernrohre ſo lange
um ſeine horizontale Axe A B, bis der Stern zum zweitenmale in
der Nähe des Fadens erſcheint. In dieſer Lage befeſtiget man
den inneren Kreis durch ſeine Druckſchraube wieder an den äußeren,
[341]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
und bringt dann, durch die Mikrometer-Schraube dieſes inneren
Kreiſes, den horizontalen Faden des Fernrohrs genau auf das
Geſtirn.
Jetzt iſt auch die zweite Hälfte der Beobachtung geendet und
da zwiſchen beiden das Fernrohr offenbar um die doppelte Ze-
nithdiſtanz des Sterns auf dem äußeren Kreiſe fortgerückt iſt, ſo
wird auch das Ableſen dieſes Kreiſes ſofort die geſuchte doppelte
Zenithdiſtanz des Geſtirns geben.
Es iſt aber für ſich klar, daß man von dem jetzt gefunde-
nen Punkte des äußeren Kreiſes eben ſo gut, wie zuvor von dem
Nullpunkte deſſelben ausgehen, und dieſelbe Beobachtung, ſo oft
man will, wiederholen kann. Man wird nämlich jetzt die beiden
geſchloſſenen Kreiſe wieder in ihre erſte Lage, wo der Kreis öſt-
lich von der verticalen Axe ſteht, bringen, den äußeren Kreis lüf-
ten und ihn ſammt den noch an ihm befeſtigten inneren ſo lange
drehen, bis der Faden wieder den Stern deckt, worauf der äußere
Kreis geſchloſſen, beide wieder auf die Weſtſeite gedreht und dann
der innere gelöst und ſo lange gedreht wird, bis der Faden wieder
auf den Stern fällt, wo dann die zweite Ableſung des äußeren
Kreiſes die vierfache Zenithdiſtanz des Sterns angeben wird, und
ebenſo wird nun die 6, 8, 10fache Zenithdiſtanz deſſelben erhal-
ten. In der Ordnung wird man ſich mit der doppelten oder vier-
fachen Zenithdiſtanz begnügen, und da dieſe Beobachtungen, mit
einiger Uebung, ſchnell genug auf einander folgen, ſo wird es
immer erlaubt ſeyn, die Höhenänderung des Geſtirns während
dieſer Beobachtungen als der Zeit proportional oder als gleich-
förmig ſich ändernd anzuſehen. Dann wird man alſo auch das
Mittel aus allen ſo erhaltenen Zenithdiſtanzen, d. h. den durch die
Anzahl der Beobachtungen dividirten Bogen, welcher das Fern-
rohr durchlaufen hat, als die Zenithdiſtanz anſehen, die für das
Mittel der ſämmtlichen Beobachtungszeiten gehört. Geſetzt man
habe im Anfange der Beobachtung den inneren Kreis auf 10° 5′
30″ des äußeren geſtellt und am Ende von zwei vollſtändigen oder
doppelten Beobachtungen ſeinen Stand gleich 242° 50′ 40″ ge-
funden. Die Uhrzeiten der vier Momente, wo der Faden den
Stern deckte, ſeyen 4h 30′, 4h 34′, 4h 37′ und 4h 43′, geweſen,
ſo iſt die Differenz von jenen beiden Ableſungen 232° 45′ 10″,
[342]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
und die Summe von dieſen vier Uhrzeiten 18h 24′. Nimmt man
alſo von jeder dieſer Zahlen den vierten Theil, ſo erhält man als
Reſultat dieſer Beobachtungen, daß um 4h 36′ Uhrzeit die ein-
fache Zenithdiſtanz des Sterns gleich 58° 11′ 17,″ iſt.
§. 38. (Rectification des Multiplicationskreiſes.) Wir haben
bisher vorausgeſetzt, daß die Ebene der beiden Kreiſe vollkommen
vertical und die optiſche Axe des Fernrohrs zu dieſer Ebene pa-
rallel iſt. Allein durch welche Mittel kann man dieſer Forderung
genügen?
Zu dieſem Zwecke muß man zuerſt die verticale Axe b E oder
den ſtählernen Cylinder, der in ſeinem unterſten Punkte auf der
Spange a b c ſteht, und auf welchem eigentlich das ganze Inſtru-
ment ruht, in eine auf dem Horizonte ſenkrechte Stellung brin-
gen; dieß wird man mittelſt einer Libelle thun können, die man
über jener Axe bei u u zwiſchen den zu dieſer Abſicht frei gelaſſe-
nen Bogen der Säule E G aufſtellt, welche den Unterſtützungs-
punkt des oben erwähnten Hebels für das Gegengewicht trägt.
Stellt man dann den Kreis, alſo auch dieſe Libelle mit der Linie,
die durch zwei der drei Fußſchrauben geht, z. B. mit der Linie
K K' parallel, ſo ſoll z. B. der Mittelpunkt der Blaſe bei dem
Theilſtriche 10 ſtehen. Dreht man dann den Kreis um ſeine ver-
ticale Axe F B um 180 Grade, bis er wieder mit der Linie K K''
parallel iſt, und zeigt in dieſer Lage der Mittelpunkt der Blaſe
z. B. 20, ſo wird man die eine oder die andere dieſer beiden
Fußſchrauben K oder K' ſo lange bewegen, bis die Blaſe das
Mittel jener beiden Zahlen, d. h. bis ſie die Zahl 15 zeigt. Auf
dieſe Weiſe bringt man es durch einige Wiederholungen dieſes
Verfahrens leicht dahin, daß die Libelle, in den beiden erwähn-
ten Lagen des Kreiſes, immer dieſelbe Zahl z. B. 15 zeigt. Dreht
man dann den Kreis im Horizonte noch um 90 Grade gegen ſeine
beiden vorigen Lagen, ſo daß jetzt der Kreis durch die dritte Fuß-
ſchraube K'' geht, ſo wird man auch dieſe Fußſchraube K'' ſo lange
bewegen, bis die Libelle in dieſer neuen Lage ebenfalls 15 zeigt,
und dann wird die Libelle in allen Lagen des Kreiſes immer un-
verändert dieſelbe Zahl geben, zum Zeichen, daß die erwähnte
ſtählerne Axe des Inſtruments in der That vertical iſt. Sollte
die Libelle bei dieſer Bewegung des Kreiſes durch alle Punkte des
[343]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Horizonts noch einen geringen Fehler dieſer Verticalität anzeigen,
ſo wird man das ſo eben angezeigte Verfahren wiederholen, um
dadurch dieſen noch übrigen kleinen Fehler vollkommen wegzu-
bringen.
Auf dieſer verticalen Axe iſt nun in ihrem obern Endpunkte
die horizontale Axe A B der beiden Kreiſe durch ſtarke Schrauben
im Inneren des Würfels B befeſtiget. Dieſe horizontale Axe
muß nun ebenfalls genau ſenkrecht auf jener verticalen ſtehen. Es
iſt ſchon oben geſagt worden, daß die beiden Enden dieſer hori-
zontalen Axe frei ſtehen, damit man an ſie die Haken einer zwei-
ten Libelle anbringen kann. Hängt man nun dieſe Libelle in zwei
einander entgegengeſetzten Lagen an dieſe Axe, ſo daß derſelbe
Haken zuerſt bei B und dann bei Q zu ſtehen kömmt, und zeigt
ſie z. B. in der erſten Lage 4 und in der andern 10, ſo wird
man das eine Ende der horizontalen Axe durch die dazu beſtimmte
Schraube ſo lange erniedrigen oder erhöhen, bis die Libelle in
beiden Lagen die Zahl 7 gibt, wo dann dieſe Axe A B horizon-
tal und daher auf der Axe b E ſenkrecht ſtehen wird. Durch die-
ſes Verfahren wird alſo auch die Ebene der beiden Kreiſe auf
den Horizont ſenkrecht geſtellt ſeyn, da der Künſtler, wie bereits
oben erinnert wurde, ſchon durch die Einrichtung ſeiner Drehbank
den Kreis ſenkrecht auf ſeine Axe geſtellt hat.
Noch iſt übrig, die optiſche Axe des Fernrohrs mit der Ebene
dieſer Kreiſe parallel zu ſtellen. Zu dieſem Zwecke wird man zu-
erſt den horizontalen Faden deſſelben, durch eine ſanfte Bewegung
des Fernrohrs, längs einem ſcharf begränzten und ſehr entfern-
ten terreſtriſchen Gegenſtande hinlaufen laſſen, und ihn mittelſt
der dazu beſtimmten Schraube um ſeinen Mittelpunkt ſo lange
drehen, bis der Faden, ſeiner ganzen Länge nach, immer ſcharf
auf dem Objekte bleibt. Dann ſtellt man auch den zweiten oder
verticalen Faden oder eigentlich nur den dem horizontalen zunächſt
ſtehenden Theil deſſelben, auf jenen terreſtriſchen Gegenſtand und
liest dabei den Azimuthalkreis M ab. Jetzt dreht man die Kreiſe
auf die entgegen geſetzte Seite der verticalen Axe b E, bis der
Horizontalkreis genau 180 Grade mehr zeigt, als in der erſten
Lage, und ſieht nun zu, ob der verticale Faden auch in dieſer
[344]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
zweiten Lage das terreſtriſche Objekt wieder genau treffe. Hat dieß
nicht ſtatt, ſo verbeſſert man die Hälfte des ſo gefundenen Feh-
lers durch diejenige Schraube, welche das Fadennetz in horizon-
taler Richtung zu bewegen beſtimmt iſt. Eine Wiederholung die-
ſes Verfahrens wird den noch übrig gebliebenen Fehler bald bis
zur völligen Unmerklichkeit deſſelben vermindern.
§. 39. (Theodolit.) Dieſes Inſtrument unterſcheidet ſich
nicht weſentlich von dem Multiplicationskreiſe; die Bauart und
Einrichtung iſt in beiden dieſelbe, nur daß bei dem Multiplica-
tionskreiſe der Höhenkreis, bei dem Theodoliten aber der Hori-
zontalkreis der wichtigere und daher auch der mit mehr Sorgfalt
von dem Künſtler ausgearbeitete iſt. Aus dieſer Urſache wird
auch der Theodolit mehr zu geodätiſchen Meſſungen, für irdiſche
Gegenſtände, gebraucht, wo man vorzüglich die horizontale Diſtanz
derſelben ſucht, während der Multiplicationskreis, wie wir geſe-
hen haben, beſonders zur Beobachtung der Höhe der Geſtirne be-
ſtimmt iſt. Es wäre aber wünſchenswerth, beide Kreiſe bei bei-
den Inſtrumenten gleich groß und gleich gut zu machen, damit
jedes derſelben zu dem geodätiſchen ſowohl, als aſtronomiſchen
Zwecke brauchbar werde.
Der Theodolit iſt in Fig. 21 vorgeſtellt. Man ſieht hier
wieder die drei ſtarken Fußſchrauben K, K', K'' des dreiarmigen
Fußgeſtells; dieſe Arme ſind an ihren Enden, wo ſie die Fuß-
ſchrauben aufnehmen, in zwei Theile geſpalten, und dieſe Theile
können durch eigene Seitenſchrauben k, k', k'' einander genähert
werden, um jede Wankung der Fußſchrauben zu verhindern. Dieſe
letzten Schrauben laufen an ihren unteren Enden in eine koniſche
Stahlſpitze aus, die in einer ähnlichen koniſchen Vertiefung einer
ſtarken Metallſcheibe y, y', y'' ſich bewegt, welche Scheiben an
ihrer untern Seite mit anderen drei kurzen, koniſchen Stahlſpitzen
verſehen ſind, womit ſie feſt und unverrückbar auf dem Beobach-
tungstiſche P aufliegen. An der untern Seite dieſer drei Arme
des Fußgeſtelles iſt wieder (wie bei Fig. 20) die metallene Spange
a F c angeſchraubt. Auf dieſer Spange ſteht die eigentliche verti-
cale Drehungsaxe F E des Theodoliten, die ſich in dem hohlen
Cylinder Q Q frei bewegt, und an deren oberen Ende der Hori-
zontalkreisR R' ſenkrecht auf jene Axe befeſtiget iſt. Dieſer
[345]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Horizontalkreis iſt entweder ein einfacher Kreis, über deſſen Ebene
eine in dem Mittelpunkte deſſelben, unter E, an die Axe F E be-
feſtigte Alhidade, die an ihrem anderen Ende mit einem Verniere
verſehen iſt, auf und ab läuft, oder er beſteht, wie bei dem Mul-
tiplicationskreiſe, aus zwei concentriſchen Kreiſen, von welchen
der äußere oder größere durch eine eigene Druckſchraube an die
Hülſe Q Q' der verticalen Axe F E befeſtiget werden kann, wäh-
rend der innere, das Fernrohr und den Höhenkreis tragende Kreis
ſich entweder innerhalb des feſten äußeren frei drehen oder, wenn
er durch ſeine Druckſchraube an dieſen äußeren Kreis befeſtiget
wird, mit dieſem zugleich um die Axe F E rotiren kann, um da-
durch die gemeſſenen horizontalen Winkel auf dieſelbe Weiſe zu
multipliciren, wie dieß oben (S. 340) für das in Fig. 20 abge-
bildete Inſtrument bei den Höhenwinkeln gezeigt worden iſt.
In beiden Fällen ſind auf dem inneren Kreiſe R R' verticale
Säulen f g befeſtiget, die an ihren oberen Enden die horizontale
Drehungsaxe A B des Inſtruments tragen. Senkrecht auf dieſe
Drehungsaxe iſt der Verticalkreis T T' des Theodoliten und das
Fernrohr C N D deſſelben befeſtiget. Dieſer Verticalkreis iſt eben-
falls entweder ein einfacher Kreis nach ſeiner an der Axe A B
befeſtigten Alhidade d e, oder er iſt ein doppelter concentriſcher
Kreis, auf dieſelbe Art, wie in Fig. 20 eingerichtet, um damit auch
die Höhen multipliciren zu können. Das Fernrohr C N D iſt in
ſeiner Mitte bei N unter einem rechten Winkel gebrochen, wo dann
ein im Innern des Rohrs bei N angebrachter kleiner Spiegel die
von dem Objektive D nach der Richtung D N einfallenden Strah-
len in die darauf ſenkrechte Richtung NC nach dem Ocular C zu
reflectirt. Bei dieſer Einrichtung des Fernrohrs wird alſo das
Auge des Beobachters bei C immer das Geſtirn, es mag hoch
oder niedrig ſtehen, in der horizontalen Richtung der Linie C N
erblicken, zu welchem Ende alſo die eine Hälfte N C der Drehungs-
axe durchbohrt oder hohl ſeyn muß. Damit die Drehungsaxe A B
durch die Objektivhälfte N D des Fernrohrs nicht ſchief gedrückt
wird, iſt das Gegengewicht H an der Stange N H angebracht.
Um endlich den Höhenkreis T T' in jeder ſeiner Lagen feſt zu ſtel-
len, wird man die Druckſchraube n, die unmittelbar auf die Dre-
hungsaxe A B wirkt, anziehen, und um dann dem ſo befeſtigten
[346]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Kreis ſammt ſeinem Fernrohre doch noch eine kleine Bewegung
zu geben, durch welche man den Faden des Fernrohrs genau auf
den Stern bringen kann, iſt eigene Vorrichtung h L mit ihrer
Mikrometerſchraube m h angebracht, die ganz der bei dem Meri-
diankreiſe (Fig. 19) bei c' d' und f h beſchriebenen ähnlich iſt und
daher hier keiner weiteren Erläuterung bedarf.
§. 40. (Gebrauch und Rectification des Theodoliten.) Wenn
der Kreis R R und die Drehungsaxe A B bereits horizontal und
wenn der Höhenkreis T T' ſo wie die optiſche Axe des Fernrohrs
bereits ſenkrecht auf der Drehungsaxe A B, alſo auch ſenkrecht zu
dem Horizonte geſtellt ſind, ſo wird man, wenn das Inſtrument
nicht multiplicirt oder wenn die beiden äußeren Kreiſe R R' und
T T' feſt ſind, bei der Beobachtung mit dieſem Inſtrumente auf
folgende Weiſe verfahren.
Geſetzt man wollte den Winkel, welchen zwei Thurmſpitzen
in dem Auge des Beobachters bilden und zugleich die Differenz
der Höhen dieſer Spitzen über dem Horizonte finden. Zu dieſem
Zwecke wird man alſo den Höhenkreis T T' ſammt dem Fernrohre
um die Verticalaxe F E, und zugleich das Fernrohr N D um ſeine
Horizontalaxe A B ſo lange drehen, bis die Spitze des einen
Thurms im Felde des Fernrohrs nahe bei dem Durchſchnitte der
beiden Kreuzfäden deſſelben erſcheint. Jetzt werden beide Kreiſe
R R' und T T' durch ihre Druckſchrauben geſchloſſen und der Fa-
dendurchſchnitt, mit Hülfe der Mikrometerſchrauben dieſer beiden
Kreiſe genau auf die Thurmſpitze gebracht, wo dann die beiden
Kreiſe abgeleſen werden. Dann werden ſie wieder gelüftet und
ſo lange gedreht, bis auch die zweite Spitze im Felde des Fern-
rohrs erſcheint, wo daſſelbe Verfahren wiederholt und die Stel-
lung der beiden Kreiſe wieder abgeleſen wird. Die Differenz der
beiden Leſungen an dem Kreiſe R R' gibt dann den geſuchten Ho-
rizontalwinkel der beiden Thürme, ſo wie die Differenz der beiden
Leſungen des Kreiſes T T' die geſuchte Höhendifferenz der Spitzen
dieſer Thürme geben wird.
Will man die abſolute Höhe dieſer Objekte ſelbſt kennen, ſo
wird man zuerſt den Zenithpunkt des Höhenkreiſes T T' durch die
oben (S. 325) erwähnten Methoden beſtimmen. Man wird z. B.
die Höhe irgend eines weit entfernten und ſcharf begränzten Gegen-
[347]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſtandes in zwei entgegengeſetzten Lage des Inſtruments beobachten,
indem bei der erſten Beobachtung der Kreis T T' rechts und in der
zweiten links von dem Fernrohre N D ſteht. Die Differenz der
beiden Leſungen oder der, während dieſer beiden Beobachtungen
von dem Fernrohre durchlaufene Kreis wird die doppelte Zenith-
diſtanz des Objekts ſeyn. Da man dadurch die einfache, wahre
Zenithdiſtanz und die ihr, in beiden Lagen des Kreiſes entſpre-
chende Theilzahl kennt, ſo weiß man auch, welche conſtante Größe
man von jeder Leſung an dieſem Kreiſe abzuziehen oder zu ihm
hinzuzuſetzen hat, um in jeder anderen Beobachtung ſogleich wie-
der die wahre Zenithdiſtanz des Gegenſtandes zu erhalten.
Stellt man ebenſo den Nullpunkt des Horizontalkreiſes R R'
in der Ebene des Meridians auf, oder, was daſſelbe iſt, weiß
man, welcher Punkt dieſes Horizontalkreiſes dem Meridiane ent-
ſpricht, ſo wird man auch alle an dieſem Kreiſe abgeleſenen Bo-
gen nur von jenem Meridianpunkte an zählen, oder von jeder Le-
ſung an dieſem Kreiſe eine bekannte Conſtante abziehen, um ſofort
auch die Azimute (I. S. 30) der beobachteten Gegenſtände zu
erhalten.
Alles dieß ſetzt aber voraus, daß von den beiden Kreiſen
R R' und T T', ſowie von den beiden Axen A B und F E die eine
horizontal und die andere genau vertical ſey. Dieſer Forderung
zu genügen oder das Inſtrument zu rectificiren wird man ganz
ſo, wie oben (S. 342) bei dem Multiplicationskreiſe geſagt wor-
den iſt, verfahren.
Um zuerſt die verticale Drehungsaxe F E vollkommen ſenk-
recht auf den Horizont zu ſtellen, wird man ſich einer Libelle be-
dienen, die mit ihren zwei Füßen auf die cylindriſchen Enden der
Axe A B aufgeſtellt wird, ſo daß die Glasröhre der Libelle zwiſchen
den Speichen des Kreiſes T T' zu ſtehen kommt. Dann ſtellt man dieſe
Axe A B parallel zu zwei Fußſchrauben K K' und verbeſſert, bei der
jedesmaligen Umdrehung des Kreiſes um 180 Grade, die eine
dieſer beiden Fußſchrauben ſo lange, bis die Mitte der Blaſe in
beiden Lagen des Inſtruments immer denſelben Punkt zeigt. Iſt
z. B. 12 der Theilſtrich, bei welchen die Mitte dieſer Blaſe in
der erſten Lage ſteht, und iſt 20 derſelbe für die zweite Lage des
Inſtruments, ſo wird in der zweiten Lage die erwähnte Fuß-
[348]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſchraube ſo bewegt, daß die Mitte der Blaſe zu dem Theilſtrich
16 oder zu dem Mittel von jenen beiden komme. Iſt dieß be-
richtigt, ſo wird die Axe A B in eine auf die beiden vorigen ſenk-
rechte Lage gebracht, und bloß durch die dritte Fußſchraube die
Mitte der Libelle wieder auf den Theilſtrich 16 zurückgeführt.
Zeigt dann die Libelle, bei allen Richtungen der Axe A B, im-
mer denſelben Punkt, ſo wird die Axe F E vollkommen vertical
oder der von dem Künſtler auf dieſe Axe ſenkrecht abgedrehte
Kreis R R' wird vollkommen horizontal ſeyn, wodurch die erſte
der oben erwähnten Bedingungen erfüllt iſt.
Allein nun iſt es noch möglich, daß die beiden Stützen f g,
welche die horizontale Drehungsaxe A B tragen, von unglei-
cher Länge ſind, wo dann die auf dieſer Stütze ruhende Axe AB
nicht mehr horizontal, alſo auch der auf dieſe Axe A B von dem
Künſtler bereits ſenkrecht abgedrehte Kreis T T' auch nicht mehr
vertical ſeyn würde, worin doch die zweite Bedingung beſteht, die
ſtatt haben muß, wenn das Inſtrument in der That zu Beobach-
tungen tauglich ſeyn ſoll. — Um nun auch dieſer Forderung zu
genügen, wird man dieſelbe Libelle, ohne übrigens jetzt den Kreis
ſelbſt weiter zu bewegen, zuerſt in einer und dann in der entge-
gengeſetzten Lage auf die Endpunkte der Axe A B ſtellen, ſo daß
derſelbe Fuß der Libelle zuerſt nach A und dann nach B kömmt.
Steht die Libelle in dieſen beiden Lagen derſelben bei verſchiedenen
Theilſtrichen, ſo wird man durch eine eigens dazu beſtimmte
Schraube, die an der einen der Stützen f g bei Z angebracht iſt,
dieſe Stütze etwas erhöhen oder erniedern, bis die Libelle in der
Mitte zwiſchen jenen beiden abgeleſenen Theilſtrichen ſteht und
dieſes Verfahren wird man ſo lange wiederholen, bis die Libelle
in ihren beiden Lagen immer denſelben Theilſtrich zeigt, wo dann
die Drehungsaxe A B horizontal über dem Kreiſe R R' parallel,
und zugleich der Kreis T T' gegen den Horizont ſenkrecht ſeyn
wird.
Um endlich auch noch die optiſche Axe des Fernrohrs mit dem
Kreiſe T T' parallel zu ſtellen, wird man den ſenkrechten Faden
deſſelben auf irgend ein ſcharf begränztes terreſtriſches Objekt rich-
ten und dann die Axe A B ſammt Fernrohr und Höhenkreis aus
ihren beiden Lagern bei A und B herausheben, um es in verkehr-
[349]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ter Stellung, ſo daß jetzt das Axenende A auf das Lager B komme,
wieder in dieſe Lager zurückbringen. Wird jetzt das Fernrohr
wieder auf das terreſtriſche Object zurückgebracht, und weicht der
Faden etwas von demſelben ab, ſo wird man die Hälfte des be-
merkten Fehlers durch die Schraube bei A verbeſſern, welche be-
ſtimmt iſt, das Fadennetz in horizontaler Richtung zu bewegen.
§. 41. (Aequatorial.) Wenn man einen Höhenkreis, wie
z. B. den in Fig. 20 beſchriebenen, ſo aufſtellen wollte, daß die
früher verticale oder auf dem Horizonte ſenkrechte Drehungsaxe
F E jetzt auf dem Aequator ſenkrecht ſteht, d. h. daß dieſe Axe in
der Ebene des Meridians aufgeſtellt, mit dem Horizonte einen
Winkel bildet, der gleich der Polhöhe (I. S. 30) des Beobach-
tungsorts iſt, ſo würde man ein Aequatorial haben, wie daſ-
ſelbe in Fig. 22 abgebildet erſcheint. Dieſes Inſtrument iſt alſo
von einem Höhenkreiſe nur in der Aufſtellung ſeiner Axe weſent-
lich verſchieden. Bei dem Höhenkreiſe geht dieſe Drehungsaxe
nach dem Zenithe, bei dem Aequatorial aber nach dem Pole des
Aequators, oder dort ſteht die Axe ſenkrecht auf dem Horizonte,
während dieſe Axe E F (Fig. 22) hier der Weltaxe parallel liegt;
dort ſtellt alſo auch der auf dieſe Axe ſenkrechte Kreis M (Fig. 20)
den Horizont vor, während hier dieſer Kreis A A' (Fig. 22) mit
dem Aequator parallel iſt; dort endlich liegt der verticale Kreis
m n (Fig. 20) immer in der Ebene eines Höhenkreiſes (I. S. 27),
während hier dieſer Kreis B B'' (Fig. 22), wie man ihn auch um
die ihm parallele Axe E F drehen mag, da ſeine Ebene ſtets durch
dieſe Axe gehend angenommen wird, immer in dem Declinations-
kreiſe (I. S. 28) derjenigen Sterne liegt, durch welche ſeine Ebene
geht. So wie daher bei dem Höhenkreiſe (Fig. 20) der Kreis
M die Azimuthe und der Kreis m n die Zenithdiſtanzen der Ge-
ſtirne zu geben beſtimmt iſt, ſo wird bei dem Aequatorial (Fig. 22)
der auf die Drehungsaxe E F ſenkrechte Kreis A A die Stun-
denwinkel (I. S. 30), und der mit dieſer Axe parallele Kreis
B B'' die Poldiſtanzen der Sterne, die man eben durch das
Fernrohr C D beobachtet, zu geben beſtimmt ſeyn.
Man ſtelle ſich alſo eine ſenkrechte, auf dem Tiſche oder in
dem Boden befeſtigte Säule P vor, an deſſen oberem Ende eine
andere cylindriſche Säule E F ſo aufliegt, daß ſie der Weltaxe
[350]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
parallel iſt und ſich um ihre eigene Axe drehen läßt. Das untere
Ende E dieſes Cylinders geht durch einen auf ihn ſenkrecht ge-
ſtellten, an der Säule P befeſtigten Kreis. Durch das obere
durchbohrte Ende F dieſes Cylinders aber geht, ebenfalls auf ihm
ſenkrecht, die Axe F G eines andern Kreiſes B B'', deſſen Ebene
alſo, da überhaupt jeder Kreis B B'' auf ſeiner Axe F G ſchon von
dem Künſtler ſenkrecht geſtellt wird, mit der cylindriſchen Säule
E F parallel iſt. Dieſem Kreiſe B B' gegenüber iſt das mit Blei
gefüllte Gegengewicht H angebracht, um dem ſchiefen Druck dieſes
Kreiſes auf die Rotationsaxe E F entgegen zu wirken. Mit dieſem
letzten Kreiſe B B' iſt das Fernrohr C D ſo verbunden, daß es
ſich um den Mittelpunkt des Kreiſes, parallel zu der Ebene deſ-
ſelben, bewegen läßt, und daß es, während ſeiner Bewegung, eine
Alhidade m m' mit ſich führt, die an einem oder auch an beiden
ihrer Enden mit einem Verniere verſehen iſt. Eine ähnliche Al-
hidade n n' ſieht man auch bei dem anderen Kreiſe A A' und dieſe
iſt an die Drehungsaxe E F befeſtigt, ſo daß ſich der Vernier n'
derſelben mit jener Axe zugleich über die Ebene dieſes Kreiſes A A'
hin bewegt. Bei A und B ſieht man zugleich die Druckſchrauben,
durch welche die Alhidaden n n' und m m', die man ſich hier
in der Geſtalt eines vierarmigen Kreuzes vorſtellen kann, an ihren
Kreiſen feſtgeſtellt werden können, ſowie die längeren Mikrometer-
ſchrauben A a und B b, durch welche man, auch wenn jene Druck-
ſchrauben angezogen ſind, der Alhidade doch noch eine kleine Be-
wegung geben kann, um (wie oben S. 320) den Faden des Fern-
rohrs genau auf den beobachteten Stern zu ſtellen.
Denken wir uns alſo die Drehungsaxe F E des Aequatorials
genau der Weltaxe parallel aufgeſtellt und das Inſtrument in al-
len ſeinen Theilen berichtiget. Dreht man dann dieſe Axe F E
um ſich ſelbſt, ſo wird auch die an die Axe befeſtigte Alhidade
n n', ſowie der Declinationskreis B B'' ſammt ſeinem Fernrohre
C D ſich um dieſe Axe bewegen, während der Aequatorialkreis
A A', der an der Säule P unveränderlich befeſtiget iſt, allein in
Ruhe bleibt. Dreht man auf dieſe Weiſe die Axe F E ſo lange,
bis der Vernier n' auf dem höchſten Punkte des Kreiſes A A', alſo
im Meridian ſteht, ſo wird dann auch der Deklinationskreis B B''
in der Ebene des Meridians ſeyn und ſenkrecht auf dem Horizonte
[351]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſtehen. Bewegt man in dieſer Lage des Inſtruments das Fern-
rohr, parallel mit ſeinem Kreiſe, ſo lange, bis der Durchſchnitt
des Kreuzfadens auf einem Geſtirne ſteht, ſo wird die Alhidade
bei m oder m' die Poldiſtanz (I. S. 28) dieſes Geſtirns anzeigen,
während die Alhidade n', die bei dem mit Null bezeichneten Theil-
ſtriche des Kreiſes A A' ſteht, anzeigt, daß der Stundenwinkel
(I. S. 30) des Geſtirns gleich Null iſt, wie es ſeyn ſoll, da der
Stern eben durch die Ebene des Meridians geht. Dreht man
dann die Axe E F noch weiter z. B. um 30 Graden oder was
daſſelbe iſt, um 2 Stunden, gegen Weſten, ſo rückt dadurch die
mit dieſer Axe verbundene Alhidade n n' auf ihrem feſten Aequa-
torialkreiſe A A' ebenfalls um 30 Grade gegen Weſt oder in der
Richtung A n A' vor und ganz eben ſo viel dreht ſich auch der
ebenfalls an jener Axe EF befeſtigte und mit ihr immer parallele
Kreis B B' ſammt ſeinem Fernrohre gegen Weſt weiter, ſo daß
alſo jetzt die Ebene dieſes Kreiſes, und daher auch die mit ihm
parallele optiſche Axe des Fernrohrs, in der Ebene desjenigen
Declinationskreiſes (I. S. 28) liegt, der zwei Stunden weſtlich
von dem Meridian entfernt iſt. In dieſer Lage des Inſtruments
wird alſo jeder Stern, den man in dem Durchſchnitte des Kreuz-
fadens des Fernrohrs erblickt, in dieſem Augenblicke den Stun-
denwinkel von 30 Graden oder von 2 Stunden haben, weil die
Alhidade n n' des Kreiſes A A' auf den Theilſtrich von 30 Graden
ſteht und die Poldiſtanz dieſes Sterns wird unmittelbar durch die
Alhidade m oder m' des anderen Kreiſes B B' angegeben werden.
Man ſieht daher, daß man mit einem ſolchen Inſtrumente
unmittelbar den Stundenwinkel und die Poldiſtanz eines Geſtirns
angeben kann. Bewegt man nämlich den Kreis B B' um die
Drehungsaxe E F des Inſtruments ſo, daß die Ebene dieſes Krei-
ſes, wenn man ſie bis an den Himmel erweitert gedenkt, durch
den Stern geht, und bewegt man dann das Fernrohr CD, paral-
lel mit ſeinem Kreiſe B B' ſo, daß der Stern im Durchſchnitte
der Fäden erſcheint, ſo wird die Alhidade mm' dieſes Kreiſes
B B' die Poldiſtanz, und die Alhidade n n' des Kreiſes A A'
den Stundenwinkel dieſes Geſtirns anzeigen. Kennt man über-
dieß, durch Hülfe einer bereits berichtigten Uhr, die Sternzeit
dieſer Beobachtung, ſo wird man nur den durch das Inſtrument
[352]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
gegebenen Stundenwinkel von dieſer Sternzeit ſubtrahiren, um ſo-
fort auch (I. S. 38) die Rectaſcenſion des beobachteten Ge-
ſtirns zu erhalten. Das Aequatorial gibt alſo durch jede einzelne
Beobachtung, wenn die Sternzeit derſelben bereits bekannt iſt,
die Rectaſcenſion und Poldiſtanz (I. S. 31) des beobachteten Ge-
ſtirns, wodurch ſeine Lage am Himmel vollkommen beſtimmt iſt.
Man ſieht zugleich, daß von den beiden Kreuzfäden des Fern-
rohrs der eine, der Stundenfaden, dem Kreiſe B B' parallel und
der andere, der Declinationsfaden, auf dem Kreis B B' ſenkrecht,
alſo mit dem andern Kreiſe A A' parallel geſtellt ſeyn ſoll.
§. 42. (Vortheile, welche das Aequatorial bei den Beobach-
tungen gewährt.) Man hat ſo eben geſehen, daß man durch die-
ſes Inſtrument die Rectaſcenſion und Poldiſtanz der Geſtirne un-
mittelbar beſtimmen kann. Da dieß die gewöhnliche Art iſt, durch
welche die Aſtronomen die Orte der Geſtirne am Himmel ange-
ben, ſo muß auch ein ſolches Inſtrument dem Beobachter vorzüg-
lich willkommen ſeyn. Allein es gibt wohl nur wenige ſo voll-
kommen gebaute Aequatoriale, mit welchen man die Rectaſcenſion
oder eigentlich den Stundenwinkel und die Poldiſtanz der Geſtirne
in der That unmittelbar und mit derjenigen Schärfe beſtim-
men kann, die man bei den ſo genauen Beobachtungen unſerer
Zeit zu fordern berechtigt iſt. Bei den weniger ſorgfältig gebau-
ten Inſtrumenten dieſer Art, die man parallaktiſche Ma-
ſchinen nennt, pflegt man das Fernrohr derſelben in der Nähe
des zu beobachtenden Geſtirns, z. B. eines Planeten, aufzuſtellen
und dann dieſen Planeten ſowohl, als auch einen ihm nahen, be-
kannten Fixſtern durch das, während dieſer Beobachtungen unbe-
wegt oder ruhend bleibende Fernrohr, durchgehen zu laſſen, woraus
man dann, zwar nicht mehr die abſolute Rectaſcenſion und Pol-
diſtanz, aber doch die Differenz der Rectaſcenſion und Pol-
diſtanz des Planeten und des Sterns erhält, alſo auch, wenig-
ſtens mittelbar, den Ort des Planeten erhält, da jener des Sterns
ſchon bekannt iſt. Wir werden dieſe ſehr nützliche und anwend-
bare Beobachtungsart weiter unten näher kennen lernen. Hier
wollen wir nur bemerken, daß, wenn das Fernrohr in der
That während des Durchganges beider Geſtirne unverrückt bleiben
ſoll, die Beobachtung nur auf ſolche Fixſterne beſchränkt bleibt,
[353]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
die, wenigſtens in ihrer Poldiſtanz, nicht weiter von dem Plane-
ten abſtehen, als der Durchmeſſer des Feldes des Fernrohrs be-
trägt. Dieſer Durchmeſſer erſtreckt ſich aber bei ſtärkeren Ver-
größerungen, die hier immer vorzüglich wünſchenswerth ſind, nur
auf fünf bis zehn Minuten und es findet ſich nur zu oft, daß
man in ſolcher Nähe keine wohlbekannten Sterne findet, die
man mit dem Planeten vergleichen kann, um daraus den Ort des
letzteren am Himmel zu beſtimmen. In dieſem Falle ſind alſo
die ſorgfältiger gearbeiteten und größern Aequatoriale, wie die
von Reichenbach, von ganz vorzüglichem Nutzen, da man bei ihnen
wenigſtens das Fernrohr an ſeinem Kreiſe B B' um mehrere Grade
verrücken und die Differenz der Poldiſtanzen beider Geſtirne an
dieſem Kreiſe mit großer Sicherheit ableſen kann. Dabei bleibt
alſo die Alhidade n n' des Aequatorkreiſes A A' und daher auch
die Ebene des Kreiſes B B' ſelbſt unverrückt und man beobachtet
eigentlich beide Geſtirne in demjenigen Declinationskreiſe des
Himmels, durch welchen die Ebene des Kreiſes B B' in dieſer ſei-
ner Stellung geht, oder, wenn man lieber will, man beobachtet
jetzt die beiden Geſtirne gleichſam wieder durch ein ruhendes Fern-
rohr, deſſen Feld aber, ſelbſt bei einer ſehr ſtarken Vergrößerung,
einen Durchmeſſer von fünf bis zehn Graden hat, wodurch die
oben erwähnte Beſchränkung in der Auswahl der paſſenden Sterne
beinahe gänzlich beſeitiget wird. Auf der Sternwarte in Wien
werden Beobachtungen dieſer Art an dem Aequatorial von Rei-
chenbach ſeit mehreren Jahren angeſtellt und ſie harmoniren, wie
die Annalen dieſer Sternwarte zeigen, ſehr gut mit den gleichzei-
tigen Beobachtungen an dem Meridiankreiſe, ſo daß es fortan,
wenn nur die zur Vergleichung gewählten Sterne genau beſtimmt
ſind, nicht mehr nothwendig iſt, die Planeten bloß zur Zeit ihrer
Culmination zu beobachten, ſondern daß man ſie ganz eben ſo gut
zu jeder bequemen Abendſtunde und überhaupt in jedem von der
Witterung begünſtigten Augenblicke nicht nur, wie in dem Meri-
dian, einmal, ſondern ſelbſt wiederholt beobachten und auch mit
mehreren Sternen vergleichen kann.
Aber auch außer den eigentlichen aſtronomiſchen Beobachtun-
gen gewährt das Aequatorial ſo weſentliche Vortheile, daß dieſe
parallaktiſche Aufſtellung der Fernröhre, wenigſtens der größeren,
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 23
[354]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
allgemein eingeführt zu werden verdient. Auf welchen Punkt
ſeines Kreiſes B B' nämlich das Fernrohr CD geſtellt wird, ſo
beſchreibt daſſelbe, wenn man das Inſtrument um ſeine große Axe
E F dreht, einen Kegel, deſſen Axe eben dieſe Linie E F, d. h. die
Weltaxe ſelbſt iſt, oder mit anderen Worten, das bis an den
Himmel verlängerte Fernrohr beſchreibt daſelbſt einen Kreis, deſ-
ſen Pol zugleich der Pol des Aequators iſt. Allein einen ganz
ähnlichen Kreis beſchreibt auch jeder Stern am Himmel während
ſeiner täglichen Bewegung um die Axe der Erde, woraus alſo
folgt, daß das Fernrohr, wenn es einmal auf einen, dem Pole
nahen oder fernen Stern geſtellt und dann mittelſt ſeiner Druck-
ſchraube bei B an ſeinem Kreis B B' geklemmt wird, nur entwe-
der ſanft mit der Hand oder beſſer mit einer eigenen Vorrichtung
um die Axe EF gedreht werden darf, um den Stern, den ganzen
Tag durch, immer unverrückt in der Mitte des Geſichtsfeldes zu
erhalten. Ganz anders verhält ſich dieß bei einem Fernrohre,
das wie in Fig. 20 aufgeſtellt iſt, oder welches, wie gewöhn-
lich der Fall iſt, bloß eine verticale und eine horizontale Bewegung
hat. Denn da die Geſtirne in ihrem täglichen Gange um die
Erde keine von dieſen beiden, ſondern vielmehr eine kreisförmige
Bewegung haben, ſo geſchieht es nur zu oft, beſonders bei ſtär-
keren Vergrößerungen, daß der Beobachter den Stern, wenn er
dem Rande des Fernrohrs zu nahe tritt, aus dem Geſichtsfelde
verliert, wo er dann oft nicht ohne Mühe wieder aufgeſucht wer-
den muß, was bei einem parallaktiſch aufgeſtellten Fernrohre nie
beſorgt werden darf.
Dazu kömmt noch, daß dieſe parallaktiſche Aufſtellung das
beſte und bequemſte Mittel gewährt, die Geſtirne ſelbſt bei Tage
zu ſehen oder auch bei Nacht diejenigen lichtſchwachen Geſtirne
aufzuſuchen, die man mit unbewaffneten Augen nicht mehr be-
merken kann. Wenn man z. B. mit einem wie in Fig. 20 auf-
geſtellten Fernrohre Mars oder Jupiter am Tage oder auch die
vier kleinen neuen Planeten bei Nacht ſehen will, ſo muß man
für die Zeit der Beobachtung ihr Azimut und ihre Höhe
(I. S. 31) kennen, die man nur durch umſtändliche Berechnun-
gen finden kann. Stellt man dann die Alhidade des Kreiſes M
auf das Azimut und die des Kreiſes m n auf die Höhe oder Ze-
[355]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nithdiſtanz des Sterns, ſo wird man den geſuchten Stern in dem
Felde des Fernrohrs erblicken. Iſt man aber im Beſitze eines
Aequatorials oder einer parallaktiſchen Maſchine, ſo wird man für
jede gegebene Sternzeit, in welcher man ein ſeiner Lage am Himmel
nach bekanntes Geſtirn beobachten will, nur von dieſer Sternzeit die
bekannte Rectaſcenſion des Sterns ſubtrahiren, um den Stunden-
winkel (I. S. 38) deſſelben zu erhalten. Stellt man dann die
Alhidade n n' des Kreiſes A A' (Fig. 22.) auf dieſen Stundenwin-
kel und die Alhidade m m' des Kreiſes B B' auf die Poldiſtanz des
Sterns, ſo wird man auch das geſuchte Geſtirn ſofort in dem
Felde des Fernrohrs C D erblicken. Dieſe Rectaſcenſion und Pol-
diſtanz aber iſt für alle Planeten und für viele Tauſende von
Fixſternen bereits in unſeren Sternkatalogen und aſtronomiſchen
Ephemeriden enthalten, aus welchen man ſie daher nur, ohne alle
Rechnung, nehmen darf, um das geſuchte Geſtirn auch ſofort in
ſeinem Fernrohre ſehen und beobachten zu können.
§. 43. (Rectification des Aequatorials.) Alles Vorhergehende
ſetzt aber voraus, daß das Inſtrument in allen ſeinen Theilen ſo
weit berichtiget iſt, daß das Fernrohr, wenn es auf den Stunden-
winkel und die Poldiſtanz eines Sterns geſtellt wird, dieſen Stern
wenigſtens in der Nähe des Durchſchnittes ſeines Fadenkreuzes,
wenn auch nicht genau in dieſem Durchſchnitte zeige. Dazu wer-
den nun mehrere vorbereitende, die Stellung des Inſtruments be-
treffende Rectificationen erfordert, von welchen die vorzüglichſten
folgende ſind.
1. Soll die Rotationsaxe E F des Inſtruments in der Ebene
des Meridians liegen. 2. Soll dieſe Axe gegen den Horizont um
die Polhöhe des Beobachtungsortes gegen Nord geneigt ſeyn.
3. Sollen die Alhidaden m m' und n n' der beiden Kreiſe ſo ge-
ſtellt ſeyn, daß der erſte auf Null ſteht, wenn das Fernrohr nach
dem Pole des Aequators gerichtet iſt, und daß auch der zweite
auf Null ſteht, wenn der Kreis B B' oder ſein Fernrohr C D in
der Ebene des Meridians iſt. 4. Soll der Kreis B B' mit
der Rotationsaxe E F parallel ſeyn, und endlich ſoll auch 5. die
optiſche Axe des Fernrohrs C D mit ihrem Kreiſe B B' ſich parallel
bewegen.
23 *
[356]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Den beiden letzten Forderungen wird man am beſten auf fol-
gende Art entſprechen. — Es wurde bereits oben (S. 349) geſagt
daß das Aequatorial nichts anderes als ein Höhenkreis (Fig. 20)
iſt, deſſen verticale Axe F E man ſchief gegen den Horizont und
zwar mit der Weltaxe parallel legt. Nun wird man ſich leicht
eine einfache Vorrichtung, etwa nur von Holz verſchaffen, durch
welche man das Aequatorial ſo aufſtellt, daß ſeine Drehungsaxe
F E (Fig. 22) wieder in ſeine urſprüngliche oder verticale Lage
zurückkömmt. Dann wird man alſo wieder einen Höhenkreis
haben und an ihm jene beiden Fehler 4 und 5 ganz ebenſo berich-
tigen, wie dieß oben (S. 342) bei dem in Fig. 20 dargeſtellten
Höhenkreis geſagt worden iſt. Man wird nämlich dann, nachdem
man die Axe E F durch das oben (S. 342) angezeigte Verfahren
auf den Horizont genau ſenkrecht geſtellt hat, den Kreis B B'
mit ſeiner vertical ſtehenden Axe E F (Fig. 22) parallel machen,
wenn man (wie S. 343) die Hänglibelle in zwei einander ent-
gegengeſetzten Lagen an die Axe F G dieſes Kreiſes B B' anhängt
und dadurch dieſe Axe F G horizontal, d. h. den Kreis B B' ſelbſt
vertical oder mit der bereits vertical ſtehenden großen Drehungs-
axe F E parallel ſtellt. Und eben ſo wird man die optiſche Axe
des Fernrohrs mit der Ebene des Kreiſes B B' parallel ſtellen,
wenn man (wie S. 343) das Fernrohr in zwei einander entge-
gen geſetzten Lagen auf daſſelbe terreſtriſche Object ſtellt. Dieſes
Verfahren hat noch den Vortheil, daß man, wenn durch das ſo
aufgeſtellte Aequatorial die Zenithdiſtanz irgend eines terreſtriſchen
Objectes mit umgewendetem Kreiſe zweimal beobachtet, (wie
oben S. 326) den Zenithpunkt des Kreiſes B B' erhält. Wenn
dieſe Berichtigungen vorüber ſind, ſo legt man die Rotationsaxe
E F wieder in ihre, der Weltaxe wenigſtens beinahe parallele
Lage r r zurück und bringt den Kreis B B' mittelſt einer an ſei-
ner Axe F G aufgehängten Libelle in eine auf dem Horizonte ſenk-
rechte Stellung.
Um dann die Drehungsaxe E F ganz genau in die Ebene
des Meridians ſowohl, als auch in die gehörige Neigung gegen
den Horizont zu bringen, wird man einen Stern, am beſten den
Polarſtern, einige Minuten vor ſeiner Culmination mit dem Fern-
[357]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
rohre verfolgen, und durch einen Gehülfen den einen Endpunkt E
oder F der Drehungsaxe ſo weit öſtlich oder weſtlich bewegen laſ-
ſen, daß der Stern im Augenblicke der Culmination genau auf
den dem Kreiſe B B' parallelen Faden, d. h. auf den Stunden-
faden des Fernrohrs trifft, und dann wird die Rotationsaxe E F
in der Ebene des Meridians liegen, oder die oben angeführte erſte
Forderung wird erfüllt ſeyn.
Allein dann wird dieſe im Meridian liegende Axe vielleicht
noch einen Winkel mit dem Horizonte bilden, der von der Pol-
höhe des Beobachtungsortes verſchieden iſt. Um daher auch dieſe
zweite Stellung der Axe noch zu berichtigen, wird man bemerken,
daß der oben gefundene Zenithpunkt des Kreiſes B B' jetzt in der
dem Aequatorial eigenthümlichen Lage, den Polpunkt dieſes
Kreiſes bildet. Dieß iſt nämlich derjenige Punkt des Kreiſes B B',
deſſen Halbmeſſer der Rotationsaxe E F parallel iſt und der da-
her, wenn man ihn bis an die Sphäre des Himmels verlängert,
durch den Pol des Aequators gehen ſoll. Da man aber die Pol-
diſtanz des Polarſterns, wie ſie durch die Refraction (I. S. 343)
verändert wird, ebenfalls ſchon kennt, ſo wird man das bereits in
der Ebene des Meridians liegende Fernrohr auf denjenigen Punkt
des Kreiſes B B' ſtellen, der von dem Polpunkte deſſelben um
dieſe Poldiſtanz des Sterns entfernt iſt, und nun zuſehen, ob im
Augenblicke der Culmination der Stern, nicht nur wie zuvor auf
den Stundenfaden, ſondern auch auf den Declinationsfaden
des Fernrohrs trifft. Iſt dieß nicht der Fall, ſo wird man durch
den Gehülfen einen der beiden Endpunkte E oder F ſo viel höher
oder tiefer ſchrauben laſſen, bis der Declinationsfaden den Stern
genau bedeckt, und dann wird alſo auch die zweite der oben
genannten Bedingungen erfüllt ſeyn.
Liest man endlich in der ſo erhaltenen Stellung des Inſtru-
ments die Verniere der beiden Alhidaden ab, und findet man
z. B., daß der Vernier n n' des Kreiſes A A' bei der Zahl 0h 4′
10″, und daß der Vernier m m' des Kreiſes B B' bei der Zahl
1° 32′ 6″ ſteht, während die Sternzeit der Beobachtung, wo der
Stern im Durchſchnitte des Fadenkreuzes ſtand, gleich 1h 2′ 30″
war, ſo kann man auch daraus die Fehler des Standes dieſer
[358]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
beiden Verniere finden. Denn geſetzt, die Rectaſcenſion des Po-
larſterns iſt 0h 59′ 58″ und die Poldiſtanz deſſelben 1° 34′ 14″,
ſo wird (I. S. 38) die Sternzeit weniger der Rectaſcenſion der
wahre Stundenwinkel des Sterns zur Zeit ſeiner Beobachtung
ſeyn. Dieſer wahre Stundenwinkel iſt alſo in unſerem Beiſpiele
gleich 0h 2′ 32″. Allein der an dem Kreiſe A A' des Inſtru-
ments abgeleſene Stundenwinkel war 0h 4′ 10″ alſo um 0h 1′
38″ größer als der wahre. Eben ſo war auch die wahre Poldiſtanz
des Sterns, wie ſie von der Refraction verändert wird, gleich 1°
34′ 14″, während die an dem Kreiſe B B' des Inſtruments ab-
geleſene Poldiſtanz 1° 32′ 6″ oder 0° 2′ 8″ kleiner war, als die
wahre. Daraus folgt daher, daß von dieſen beiden Vernieren
der eine n n' um 0h 1, 38″ zu weit weſtlich, und der andere m m'
um 0° 2′ 8″ zu nahe bei dem Pole ſteht, und jetzt kann man ent-
weder dieſe Verniere, durch eigens dazu beſtimmte Schrauben, ſo
weit an ihren Alhidaden verſchieben, daß dieſe Fehler gänzlich ver-
ſchwinden, oder man kann auch, was ſicherer iſt, dieſe Fehler, wenn
ſie nur klein ſind, beſtehen laſſen und von ihnen bei jeder Beob-
achtung Rechnung tragen. Dadurch iſt alſo auch den zwei letzten
der oben unter Nr. 3 angegebenen Bedingungen genug gethan
worden und jetzt wird das Inſtrument in vollkommen beobachtungs-
fähigem Zuſtande ſeyn.
Wenn man alſo dann mit dieſem Inſtrumente z. B. einen
kleinen, mit freien Augen unſichtbaren Stern aufſuchen will, deſ-
ſen Rectaſcenſion 5h 40′ 20″ und deſſen Poldiſtanz 36° 15′ 40″
beträgt, ſo wird man, um ihn zu der Sternzeit 10h 50′ im
Rohre zu erhalten, ſo verfahren:
- Sternzeit 10h 50′ 0″
- Rectaſc. 5 40 20″
- wah. Stundenw. 5 9 40
- Correction + 1 38
- Inſtr. Stundenw. 5 11 18
- wahre Poldiſtanz 36° 15′ 40″
- Correction 2 8
- Inſtr. Poldiſtanz 36 13 32
Man wird alſo den Vernier der Alhidade n n' auf den Theil-
ſtrich 5h 11′ 18″ des Kreiſes A A', und den Vernier der Alhi-
dade m m' auf den Theilſtrich 36° 13′ 32″ des Kreiſes B B' ſtel-
len, und der verlangte Stern wird um 10h 50′ Sternzeit in der
[359]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Mitte des Feldes des Fernrohrs erſcheinen. Ganz ebenſo würde
man auch umgekehrt, wenn man die Mitte des Fernrohrs
zu einer beſtimmten Sternzeit auf ein noch unbekanntes Ge-
ſtirn ſtellt, und dann die beiden Verniere abliest, die Rectaſcen-
ſion und Poldiſtanz dieſes Geſtirns und dadurch den Ort deſſelben
am Himmel finden. Denn geſetzt, man hätte dieſen Stern um
16h 17′ 20″ Sternzeit in der Mitte des Feldes im Durchſchnitts-
punkte des Kreuzfadens geſehen und den Vernier des Aequator-
kreiſes A A' gleich 4h 11′ 28″, den Vernier des Declinationskrei-
ſes B B' aber gleich 54° 3′ 20″ abgeleſen. Dieß vorausgeſetzt
bat man
- Inſtr. Stundenw. 4h 11′ 28″
- Correction — 1 38
- wahrer Stundenw. 4 9 50
- Sternzeit 16 17 20
- wahre Rectaſcenſion 12 7 30
- Inſtr. Poldiſt. 54° 3′ 20′,
- Correction + 2 8
- wahre Poldiſtanz 54 5 28
(§. 44. (Berichtigung der Drehungsaxe und der beiden Albi-
daden des Aequatorials.) Obſchon das Vorhergebende hinreicht,
von der Rectification ſowohl, als auch von der Beobachtungsart
an dem Aequatorial einen, wie wir erwarten, deutlichen Begriff
zu geben und dadurch unſere Leſer in den Stand zu ſetzen, dieſes
nützliche und bequeme Inſtrument gehörig anzuwenden, ſo wird
es doch nicht überflüſſig ſeyn, die vier erſten der oben unter 1, 2
und 3 erwähnten Berichtigungen noch auf eine andere Weiſe vor-
zunehmen, die weniger mechaniſch iſt, als jene, und die zugleich, ge-
hörig ausgeführt, eine viel größere Sicherheit gewährt, beſonders
wenn man die hier angeführten Beobachtungen auch noch mit um-
gewendetem Kreiſe B B' wiederholt und die Libelle zu Hülfe nimmt,
die gewöhnlich an dem Fernrohre C D angebracht iſt. Uebrigens
wird es, dem Zwecke dieſer Schrift gemäß, hinreichend ſeyn, das
hier zu beobachtende Verfahren durch einfache analytiſche Ausdrücke
zu geben, ohne auch zugleich die geometriſchen Beobachtungen an-
zuführen, welche ihnen zu Grunde liegen.
Ich ſetze dabei voraus, daß der Kreis A A', wie dieß in der
That gewöhnlich geſchieht, in Stunden, und der Kreis B B' in
Grade eingetheilt ſey. Man beobachte nun einen ſogenannten
[360]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Circumpolarſtern, d. h. einen ſolchen, der ſo nahe bei dem Pole
iſt, daß er nicht mehr auf- und untergeht, und zwar in ſeinen bei-
den Culminationen, ſo daß in jeder derſelben der Durchſchnitt
des Kreuzfadens den Stern genau deckt. Dieß vorausgeſetzt,
nennen wir dann s den Stundenwinkel oder die Zahl des Ver-
niers n n' an dem Kreiſe A A' und p die Poldiſtanz oder die Zahl
des Verniers m m' an dem Kreiſe B B', wie man dieſe beiden
Zahlen nach der Beobachtung der obern Culmination an dem In-
ſtrumente abgeleſen hat. Für die untere Culmination bezeichne
man dieſelben beiden Größen durch s' und p'. Nennt man nun
D s den Fehler des Verniers n n' und D p den Fehler des Ver-
niers m m', ſo erhält man dieſe Fehler ſogleich durch die folgen-
den zwei einfachen Ausdrücke
und
und dadurch ſind alſo die beiden oben unter Nr. 3 angeführten
Fehler beſtimmt.
Nennt man dann x die Anzahl Sekunden, um welche das
eine Ende der Rotationsaxe E F in vertikaler Richtung, und y
die Anzahl Sekunden, um welche dieſes Ende in horizontaler
Richtung verſtellt werden ſoll, um dieſe Rotationsaxe der Welt-
axe genau parallel zu machen, ſo hat man
und . Tang. Poldist.*
und dadurch ſind auch die zwei erſten der oben erwähnten Fehler
beſtimmt.
Um dieſe einfachen Ausdrücke auf ein Beiſpiel anzuwenden,
ſo ſey für einen Circumpolarſtern, deſſen wahre Poldiſtanz 1° 34′
10″ beträgt, in der oberen Culmination s = 0h 2′ 10″ und
p = 1° 33′ 20″, und in der unteren s' = 12h 2′ 30″ und
p' = 1° 33′ 36″ gefunden worden. Dieß vorausgeſetzt findet
man durch jene Ausdrücke ſogleich die beiden Fehler der Verniere
D s' = 10 Zeitſekunden und D p = 42 Raumſekunden. Für die
[361]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
doppelte Berichtigung der Axe aber erhält man in verticaler Rich-
tung + = 8″ und in horizontaler y = 4″.
Mittelſt dieſer vier Werthe würde man alſo jetzt die Lage der
Verniere ſowohl, als auch die der Axe verbeſſern und dieſe Fehler
gänzlich wegbringen. Da ſie aber bereits ſehr klein ſind und da
das Inſtrument durch die Einwirkung der Temperatur und der
verſchiedenen Biegungen ſeiner Theile nicht leicht ganz fehlerlos
erhalten werden kann, ſo wird es beſſer ſeyn, dieſe Fehler auf die
angezeigte Art von Zeit zu Zeit wieder zu beſtimmen und dann
bei den Beobachtungen davon Rechnung zu tragen *).
Ich wünſchte, durch dieſe Darſtellung der Berichtigung und
des Gebrauchs des Aequatorials zur Aufnahme dieſes wichtigen
und häufig noch nicht nach ſeinem ganzen Werthe anerkannten
Inſtruments beigetragen zu haben.
§. 45. (Hadley’s Sextant.) Alle bisher beſchriebenen Inſtru-
mente erfordern zu ihren Beobachtungen, wie man ſieht, einen
feſten und unveränderlichen Stand. Allein auf der See kann man
[362]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dieſen nicht haben und daher war noch eine andere Gattung von
Inſtrumenten wünſchenswerth, die keine ſolche feſte Aufſtellung erfor-
dern. Das vorzüglichſte von denen, die man zu dieſem Zwecke
ausgedacht hat, iſt der Sextant (Fig. 23), der ſeinen Namen
von ſeinem Erfinder, John Hadley, hat, obſchon man bereits im
Jahre 1742 oder zehn Jahre nach der Bekanntmachung dieſer Er-
findung unter Hadley’s hinterlaſſenen Papieren eine Schrift von
Newtons Hand gefunden haben ſoll, in welchem der letzte dieſes
Inſtrument, als von ihm ſelbſt erfunden, beſchreibt.
Der Sextant iſt beſtimmt, die Winkel zweier Gegenſtände in
jeder Richtung deſſelben gegen den Horizont ſelbſt dann zu meſſen,
wenn der Beobachter keinen feſten Stand hat, daher es, wie ge-
ſagt, beſonders für den Schiffer brauchbar iſt, obſchon es auch
für Beobachtungen auf dem feſten Lande als eines der nützlich-
ſten Inſtrumente erkannt werden muß.
Es beſteht im Allgemeinen aus einem Kreisſector A q O,
um deſſen Mittelpunkt q ſich eine Alhidade q M bewegt, welche bei
M einen Vernier und bei q einen Spiegel trägt. Die ſpiegelnde
Fläche deſſelben geht durch den Mittelpunkt q des Kreisſectors
und iſt mittelſt einer Vorrichtung Q auf ſeiner Rückſeite ſenkrecht
auf der Ebene des Sectors befeſtigt. Ein anderer kleinerer Spie-
gel iſt bei P ebenfalls ſenkrecht auf die Ebene des Sextanten und
ſo befeſtiget, daß er ſehr nahe parallel mit der Linie q O geht,
die den Mittelpunkt q des Sextanten mit dem erſten oder dem
Anfangspunkte O des eingetheilten Randes A B verbindet. Wenn
daher die Alhidade Q M mit ihrem Spiegel q ſo geſtellt wird,
daß der Index der Alhidade M durch dieſen Anfangspunkt O der
Theilung geht, ſo ſind die Ebenen beider Spiegel zu einander
parallel.
Die obere Hälfte des kleinen Spiegels P iſt durchbrochen, ſo
daß der Lichtſtrahl von einem entfernten Objecte H durch dieſen
offenen Theil des Spiegels unmittelbar in das Auge C oder in
das, auf dieſen Spiegel nahe ſenkrecht geſtellte Fernrohr D C kom-
men kann. Wird nun die Alhidade Q M mit dem daran befeſtig-
ten Spiegel q ſo lange gedreht, bis der Strahl eines zweiten
Objectes K in der Richtung K q auf den großen Spiegel kömmt
und von demſelben in der Richtung q P auf den untern Theil
[363]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
des kleinen Spiegels P reflectirt wird, von welchem er endlich in
der Richtung P C in das Fernrohr oder in das Auge C des Beob-
achters fällt, ſo ſieht dieſes Auge zugleich das Object H durch
die unmittelbaren Strahlen deſſelben und das Object K durch die
von beiden Spiegeln zweimal reflectirten Strahlen, in dem Felde
des Fernrobrs, und man wird dann der Alhidade Q M durch ihre
Mikrometerſchraube m (vergl. S. 337) noch eine kleine Bewegung
geben können, durch welche man es dahin bringt, daß die Bil-
der der beiden Gegenſtände H und K ſich im Felde des Fernrohrs
genau decken oder auf einander fallen. Da nun bei jedem Spiegel
der einfallende Strahl K q und der zurückgeworfene q P und eben ſo
auch q P und P D mit der Ebene des Spiegels Q oder P immer
denſelben Winkel bilden und da, wie bereits erwähnt, die Ebene
des kleinen Spiegels P mit der Linie q O des Anfangspunktes
der Theilung parallel iſt, ſo ſieht man leicht, daß bei einer ſol-
chen Stellung der Albidade Q M, für welche die Bilder der bei-
den Objecte H und R ſich in dem Fernrohre decken, der Winkel,
welchen beide Spiegel mit einander bilden oder, was daſſelbe iſt,
daß dann der Winkel O q M der Alhidade mit jener Linie q O des
Anfangspunktes der Theilung d. h. alſo, daß der von dem Ver-
nier M der Alhidade von jenem Anfangspunkte O an durchlau-
fene Bogen gleich iſt der Hälfte des Winkels, welchen die beiden
Objecte H und K in dem Auge des Beobachters bilden.
Aus dieſer Urſache theilen auch die Künſtler den Kreisbogen
A B ſo ein, daß jeder halbe Grad dieſes Kreiſes durch ſeine bei-
geſetzten Zahlen ſchon als ein ganzer betrachtet wird, ſo daß daher
der an dem Inſtrumente unmittelbar abgeleſene Bogen auch
ſofort gleich dem geſuchten Winkel H C K iſt, welchen die beiden
Objecte in dem Auge C des Beobachters bilden.
Dieſe Deckung der beiden Bilder im Fernrohre wird offen-
bar auch dann nicht geſtört, wenn man den Sextanten um ſein
Fernrohr, gleichſam um die Axe C D dreht oder wenn man auch
dieſe Bilder aus dem Mittelpunkte des Feldes an den Rand deſ-
ſelben führt. Und eben dieß iſt es, was dieſes Inſtrument zur
See ſo brauchbar macht, wo man es während der Beobachtung
mittelſt der Handhabe E in freier Hand zu halten pflegt, ſo daß
ungeachtet der Schwankungen des Schiffes die beiden Bilder der
[364]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Gegenſtände doch immer in dem Felde des Fernrohrs erhalten
werden können. Bemerken wir noch, daß zur Beobachtung der
Sonne eigene gefärbte Blendgläſer bei a und b angebracht ſind,
die man aufwärts dreht, um das Geſicht gegen die Sonnenſtrah-
len durch dieſe Gläſer zu ſchützen, die alſo auch für minder bellleuch-
tende Gegenſtände wieder zurückgeſchlagen werden.
§. 46. (Beobachtungen mit dem Sextanten.) Um die Winkeldiſtanz
zweier Gegenſtände z. B. zweier Thürme oder Geſtirne mit dem Sex-
tanten zu meſſen, halte man das Inſtrument bei ſeiner Handhabe E
mit der rechten Hand ſo, daß der eine H dieſer Gegenſtände, durch
den obern Theil des kleinen Spiegels P, unmittelbar in dem Fern-
rohre C D erſcheint, ſo daß alſo die Axe dieſes Fernrohrs in die
Richtung C D H des einen dieſer Gegenſtände gebracht wird. Dann
drehe man die Fläche des ganzen Sextanten um dieſes Rohr, als
um ſeine Axe, ſo lange, bis dieſe Fläche auch durch den andern
Gegenſtand K geht, und in dieſer Lage des Sextanten (wo alſo
der erſte Gegenſtand H immer im Felde des Ferurohrs bleibt) be-
wege man die Alhidade Q M ſo lange, bis auch der zweite Ge-
genſtand K, ſammt dem erſten, im Fernrohre erſcheint. In die-
ſer Stellung der Alhidade befeſtiget man ſie, durch ihre Druck-
ſchraube, an die Fläche des Sextanten und bewege ſie dann
mittelſt ihrer Mikrometerſchraube m noch etwas, bis die Bilder
der beiden Gegenſtände ſich in dem Felde des Rohrs vollkommen
decken. Die Zahl des Theilſtriches, bei welchem dann der Ver-
nier der Alhidade ſteht, gibt den geſuchten Winkel der beiden Ge-
genſtände H und K.
Wenn man aber nicht die Diſtanz zweier Geſtirne, ſon-
dern die Höhe eines derſelben finden will, ſo braucht man dazu
noch einen Horizont, am beſten eine mit Queckſilber ge-
füllte Schaale. Dann richtet man das Fernrohr des Sextanten
ſo, daß man damit unmittelbar, durch den oberen Theil des klei-
nen Spiegels, das Bild des Geſtirns in dieſem Horizonte zieht,
worauf man die Ebene des Sextanten um das Fernrohr, als um
eine fixe Axe dreht, bis dieſe Ebene in eine verticale Lage kommt
Hat man dieß erreicht, ſo bewegt man, indem man immer das
von dem Horizonte reflectirte Bild des Geſtirnes im Fernrohre
feſthält, die Alhidade Q M ſo lange auf oder ab, bis auch das
[365]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
zweite, von dem großen und dem untern Theile des kleinen Spie-
gels reflectirte Bild, zugleich mit jenem, in dem Felde des Fern-
rohrs erſcheint, worauf man wieder die Alhidade durch ihre Druck-
ſchraube feſt ſtellt und durch die Mikrometerſchraube m beide Bil-
der zur genauen Bedeckung bringt. Die jetzt von der Alhidade
angegebene Zahl der Theilſtriche iſt die doppelte Höhe des beob-
achteten Geſtirns.
Um den Queckſilber-Horizont vor dem Luftzuge zu beſchützen,
bedeckt man ihn mit einem Dache von zwei Glasplatten, deren
Flächen einander genau parallel ſind. Statt des Glaſes wird man
ſicherer diejenige Glimmergattung anwenden, die unter dem Na-
men Frauenglas oder Miroir d’ane bekannt iſt, da dieſe ſchon von
der Natur in vollkommen parallele Blätter geſpalten wird.
Künſtliche Horizonte, die aus Spiegeln beſtehen und mit Libellen
horizontal geſtellt werden, ſind nie ſo ſicher, wie jene natürlichen.
Auf dem Meere endlich bedient man ſich zu dieſem Zwecke des
Horizontes der See, d. h. derjenigen Linie, welche die Oberfläche des
Meeres von dem Himmel trennt, indem man dieſe Linie mit dem
zu beobachtenden Geſtirn im Felde des Fernrohrs zur Bedeckung
bringt.
§. 47. (Rectification des Sextanten.) Auch dieſes Inſtru-
ment muß, ehe es zu den Beobachtungen verwendet wird, zuerſt
in allen ſeinen Theilen berichtiget ſeyn. Die wichtigſte dieſer Be-
richtigungen betrifft den ſogenannten Collimationsfehler des
Sextanten. Es ſollen nämlich, wie geſagt, beide Spiegel auf der
Ebene des Sextanten ſenkrecht ſtehen, und überdieß, wenn die Al-
hidade auf Null ſteht, einander parallel ſeyn. — Man ſtelle alſo
die Alhidade in die Nähe des Nullpunktes der Eintheilung und
ſehe durch das Fernrohr auf irgend einen wohl begränzten Ge-
genſtand. Mit einer geringen Bewegung der Alhidade wird man
dann das unmittelbar durch den oberen Theil des kleinen Spie-
gels ſowohl, als auch das mittelbar durch den großen Spiegel
reflectirte Bild deſſelben Gegenſtandes in dem Fernrohre er-
blicken, worauf man beide, durch die Mikrometerſchraube, zur genauen
Deckung bringt. Steht in dieſem Zuſtande die Alhidade nicht
auf Null, ſondern z. B. auf 0° 30′ des eingetheilten Randes, auf
der Seite von dem Nullpunkte O nach A, ſo muß man von allen
[366]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
mit dem Inſtrumente beobachteten Winkeln dieſe Größe 0° 30′
ſubtrahiren, um den wahren Winkel zu erhalten. Man wird
ihn addiren, wenn die Alhidade auf der andern Seite zwiſchen O
und B ſtünde. Kann man aber bei dieſer Unterſuchung die beiden
Bilder deſſelben Gegenſtandes nicht zu einer genauen Bedeckung
bringen, ſondern gleiten ſie, wenn man die Alhidade bewegt, neben
einander hin, ſo iſt dieß ein Zeichen, daß der kleine Spiegel nicht
ſenkrecht auf der Ebene des Sextanten ſteht. In dieſem Falle
wird man dann dem kleinen Spiegel durch die unter ihm, auf
der binteren Fläche des Sextanten, hervorſtehende Schraube die
gebörige Neigung gegen dieſe Fläche geben, damit er darauf ſenk-
recht ſteht, d. h. damit die beiden Bilder in der That zur Bedeckung
gebracht werden können.
Beſſer iſt es noch, zur Beſtimmung jenes Collimationsfeblers
nicht ein terreſtriſches Object, ſondern die Sonne zu nehmen.
Bringt man dann die beiden Bilder derſelben an ihrem ſehr ſcharf
begränzten Rande an den entgegengeſetzten Seiten dieſes Randes zur
Bedeckung, und liest für beide Bedeckungen den Stand der Alhidade
ab, ſo iſt die halbe Differenz der beiden Leſungen der Collimations-
fehler des Inſtruments, und die halbe Summe derſelben iſt gleich
dem Durchmeſſer der Sonne, wodurch man, da dieſer Durchmeſ-
ſer aus den aſtronomiſchen Ephemeriden bereits bekannt iſt, zugleich
ein Prüfungsmittel hat, ob die beiden Beobachtungen in der That
gut und verläßlich ſind.
§. 48. (Vernier.) Dieß ſind die vorzüglichſten Inſtrumente
der neueren beobachtenden Aſtronomie, deren nähere Kenntniß den
Leſern, wie wir glauben, intereſſant und nützlich zugleich ſeyn
wird, wenn ſie ſich einen richtigen Begriff von den aſtronomiſchen
Beobachtungen machen wollen. Wir haben bei der Beſchreibung
derſelben des Verniers öfter erwähnt, daher wir auch dieſen
hier näher angeben müſſen.
Wenn dasjenige Ende der Alhidade, welches an dem getheil-
ten Rande des Inſtruments auf und ab bewegt wird, bloß eine
einzige gerade Linie, die wir oben (S. 318) den Index nannten,
enthielte, ſo würde man mit einem ſolchen Inſtrumente keine
kleineren Winkel meſſen können als unmittelbar durch die Theil-
ſtriche auf dem Rande deſſelben angegeben ſind. Wenn man da-
[367]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
her z. B. auf einem Kreiſe noch die einzelnen Sekunden leſen
wollte, ſo müßte man auf ſeiner Peripherie nicht weniger als
1,296,000 Theilſtriche anbringen, die alle von einander gleichweit
abſtehen. Dadurch würden aber, der Schwierigkeit der Ausfüh-
rung für den Künſtler nicht zu gedenken, ſelbſt bei einem Kreiſe
von beträchtlichem Halbmeſſer dieſe Theilſtriche ſo nahe an ein-
ander ſtehen, daß es ſchwer ſeyn würde, ſie deutlich von einander
zu unterſcheiden. Dieſem Umſtande abzuhelfen, hat Peter Ver-
nier, ein franzöſiſcher Geometer, i. J. 1631 eine eben ſo einfache
als ſinnreiche Vorrichtung ausgedacht, die jetzt ihrer Vorzüglich-
keit wegen allgemein angenommen iſt. Man hat ſonſt wohl auch
den Portugieſen Nonius, der mehrere Jahrhunderte vor Ver-
nier lebte, für den Erfinder dieſer Einrichtung gehalten, daher
dieſelbe auch zuweilen den Namen des letzteren erhält, aber mit
Unrecht, da das von Nonius zu dieſem Zwecke vorgeſchlagene
Mittel von dem des Vernier ganz verſchieden iſt und auch an
Anwendbarkeit weit hinter ihm zurückſteht.
Sey a b (Fig. 24) ein Theil des eingetheilten Kreisbogens
irgend eines Inſtruments. Daſſelbe ſey z. B. durch die in der
Zeichnung bemerkten Striche in mehrere gleiche Theile getheilt,
deren jeder 10 Minuten halten ſoll, ſo daß alſo das Intervall 0,1
oder 1,2 oder 2,3 u. f. zehn Minuten beträgt. Neben oder
hier unter ihm ſey der concentriſche Kreisbogen des Verniers an-
gebracht, ſo daß, wenn die den Vernier tragende Alhidade um ihren
Mittelpunkt bewegt wird, der Bogen des Verniers an dem feſten
Bogen des Kreiſes ſich auf und ab bewegt. Allein dieſer Bogen des
Verniers ſey nur ſo groß, als 9 Intervalle des oberen Kreisbogens
ſind, er betrage alſo 9mal 10 oder nur 90 Minuten und ſey dem un-
geachtet doch wieder, wie jener, in 10 gleiche Theile getheilt. Daraus
folgt alſo, daß 10 Intervalle des Verniers gleich 9 Intervallen des Krei-
ſes, daß alſo auch jedes einzelne Intervall des Verniers nur 9/10 eines
Intervalls des Kreiſes, d. h. daß jedes Intervall des Verniers, auf
dem Kreiſe genommen, genau gleich neun Minuten iſt. Legt man
daher den Vernier an den Kreis ſo an, daß die beiden erſten
Theilſtriche 0,0 mit einander übereinſtimmen oder nur eine einzige
[368]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
gerade Linie bilden, ſo werden auch die beiden letzten Theilſtriche
9,10 mit einander übereinſtimmen, die zweiten 1,1 aber werden
um 1 Minute, die 2,2 um 2 Minuten, die 3,3 um 3 Minuten
u. ſ. w. von einander abſtehen, und man wird daher auf dieſem
Kreiſe, obſchon er nur von 10 zu 10 Minuten getheilt iſt, doch
noch, mit Hülfe dieſes Verniers, auch noch die einzelne Mi-
nute ſicher und eben ſo gut ableſen können, als ob der Kreis
ſelbſt in dieſe einzelnen Minuten getheilt wäre.
Geſetzt alſo, Kreis und Vernier ſtehen, wie in A ſo, daß der
Theilſtrich 0 des Kreiſes zu dem Punkte 10° 0′ 0″ der Peripherie
deſſelben gehöre, ſo wird man bei der Ableſung dieſes Kreiſes
ſagen, daß der an dem Inſtrumente beobachtete Winkel 10° 0′ 0″
betrage. Steht aber der Vernier ſo, wie in B, ſo wird der beob-
achtete Winkel gleich 10° 1′ 0″ und eben ſo wird er, bei dem
Stande C gleich 10° 2′ 0″ ſeyn und ſo fort durch alle Theilſtriche
des Verniers.
Man ſieht, daß ſich dieſelbe Vorrichtung ohne alle Abänderung
auch bei einem geradlinigen Maaßſtabe anbringen läßt. Sey a b
ein Theil z. B. ein Fuß dieſes Maaßſtabes, der bei 1, 2, 3 in
zehn gleiche Theile oder in zehn Zolle getheilt iſt. Mit einem
ſolchen Maaßſtabe wird man alſo unmittelbar nur ganze Zolle
in der That meſſen können, während man die halben, viertel
Zolle u. ſ. bloß nach dem Augenmaße ſchätzen muß. Wenn man
aber zu dieſem Maaßſtabe noch einen Vernier hat, der genau 9
ſolcher Zolle lang und ebenfalls wieder in 10 gleiche Theile ge-
theilt iſt, ſo wird man mittelſt jenes Stabes auch noch die Zehn-
theile der Zolle oder die ſogenannten Linien unmittelbar abmeſ-
ſen können. Denn geſetzt, man wollte den kleinen Abſtand der
Linie m von b in Theilen eines Zolles haben. Legt man den
Vernier ſo wie in A, daß die Theilſtriche 9 des Stabes und 10
des Verniers coincidiren, ſo läßt ſich, in dieſer Lage des Ver-
niers, die Diſtanz b m offenbar nicht angeben. Rückt man alſo
den Vernier an dem ruhenden Maaßſtab weiter rechts, ſo daß, wie
in B, die beiden Theilſtriche 1 und 1 übereinſtimmen, ſo läßt ſich
auch hier noch nichts über dieſe Diſtanz b m entſcheiden. Rückt
man aber den Vernier noch etwas weiter rechts, bis der letzte
Theilſtrich 10 des Verniers mit dem Striche m des Maaßſtabes
[369]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
genau übereinſtimmt und findet man, daß in dieſer Stellung C
des Verniers die Theilſtriche 2 und 2 genau coincidiren oder in
eine einzige gerade Linie fallen, ſo iſt dieß ein Zeichen, daß die
Linie m des Maaßſtabes von dem vorletzten Theilſtriche 9 deſſel-
ben um 2 Zehntheile abſteht, und daß daher die geſuchte Diſtanz
b m gleich 8/10 Zolle oder gleich 8 Linien iſt.
Iſt zwiſchen den einzelnen Theilſtrichen des Verniers, wie
in der Zeichnung der Fig. 24, noch Raum genug, um auch jedes
Intervall 01, 12, 23 deſſelben ebenfalls wieder in zehn gleiche
Theile unterzutheilen, ſo wird man, mit einem ſolchen Verniere,
auf jenem Maaßſtabe nicht bloß wie zuvor die zehnten, ſondern
auch die hundertſten Theile eines Zolles oder die ſogenannten
Punkte unmittelbar meſſen können. Rücken aber dadurch die
Theilſtriche ſchon ſo nahe an einander, daß man ſie mit freien
Augen nicht mehr gut unterſcheiden kann, ſo wird man eine
Loupe (Mikroſcop) zu Hülfe nehmen, das man an dem Verniere
ſo befeſtigen kann, um es nach der ganzen Länge des Verniers
zu verſchieben und dadurch jeden einzelnen Theil des Verniers in
den Mittelpunkt des Loupenfeldes zu bringen.
Auf dieſe Weiſe hat man es dahin gebracht, unſere Kreiſe
von drei Fuß im Durchmeſſer, und ſelbſt kleinere noch, bis zur
unmittelbaren Leſung von zwei Sekunden mit einer Genauigkeit
zu theilen, von welcher unſere Vorgänger noch keine Idee hatten,
deren nähere Auseinanderſetzung aber uns hier zu weit führen
würde.
§. 49. (Schraubenmikrometer.) Noch iſt eine eigene Vor-
richtung bei denbisher angeführten Inſtrumenten übrig, die der
Leſer kennen lernen ſoll, um von den Beobachtungen der Aſtrono-
men ſelbſt einen deutlicheren Begriff zu erhalten.
Es wurde bereits früher (§. 15) geſagt, daß ſich in dem
Brennpunkte jedes Fernrohrs, wenn daſſelbe auf einen Gegenſtand
gerichtet wird, ein kleines, ſehr deutliches Miniaturbildchen dieſes
Gegenſtandes entwerfe, und daß man daher in der durch dieſen
Punkt auf die Axe des Fernrohrs ſenkrechten Ebene mehrere Fä-
den auszuſpannen pflegt, durch welche das Geſichtsfeld des Fern-
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 24
[370]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
rohrs gleichſam in verſchiedene Parthien eingetheilt wird. Dieſe
Fäden dienen zur genauen Beſtimmung der Lage der Geſtirne,
die man in dem Augenblicke beobachtet, wo ſie von dieſen Fäden
bedeckt werden.
Bisher haben wir nur die einfachſte Gattung dieſes Faden-
netztes kennen gelernt, nämlich drei oder mehrere ſenkrechte, unter
ſich parallele Fäden, die von einem horizontalen geſchnitten wer-
den, wo man dann z. B. bei dem Mittagsrohre an den vertica-
len Fäden die Rectaſcenſion und bei dem Meridiankreiſe an dem
horizontalen Faden die Höhe oder die Declination der Geſtirne zu
beobachten pflegt.
Eben ſo haben wir ſchon oben geſagt, daß das Hauptgeſchäft
des praktiſchen Aſtronomen eigentlich die genaue Beſtimmung der
größtmöglichen Anzahl von Fixſternen in allen Gegenden des
Himmels iſt. Zwar müſſen wir, bei dem bisherigen Zuſtande
der Wiſſenſchaft, darauf Verzicht leiſten, dieſe Fixſterne ſelbſt, ihre
Größe, Entfernung und dergl. kennen zu lernen, und uns begnü-
gen, bloß den ſcheinbaren Ort, welchen ſie am Himmel einnehmen,
oder ihre Rectaſcenſion und Declination, durch unſere Beobach-
tungen zu beſtimmen. Allein auch dieſe bloße Ortskenntniß iſt
für die geſammte praktiſche Aſtronomie von dem größten und we-
ſentlichſten Nutzen; denn dieſe Orte dienen uns dann als fixe
und wohlbekannte Punkte des Himmels, an welche wir alle un-
ſere übrigen Beobachtungen der Planeten und Kometen und der
Sonne ſelbſt gleichſam anreihen, und dadurch auch den ſcheinbaren
Ort dieſer letzten Himmelskörper beſtimmen; um dieſe letzte aber
iſt es uns bisher allein zu thun, da ſie es ſind, die zu dem eigent-
lichen Haushalte des Sonnenſyſtems gehören, auf deſſen nähere
Kenntniß wir, wie jetzt die Sachen ſtehen und wahrſcheinlich noch
lange ſtehen werden, alle unſere aſtronomiſchen Unterſuchungen
beſchränken müſſen.
Nehmen wir nun an, wir hätten unſerem oben erwähnten
Fadennetze eine ſolche Einrichtung gegeben, daß man damit nicht
bloß, wie bisher, die Appulſe der Sterne an dieſe Fäden beobach-
ten, ſondern daß man damit auch wenigſtens ſolche Intervalle
am Himmel meſſen könnte, die das Geſichtsfeld des Fernrohrs
alſo z. B. 5 bis 10 Minuten nicht überſteigen. Ein ſolches Netz
[371]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
würde uns, wie man ſogleich ſieht, bei der Beobachtung jener
Planeten und Kometen von dem größten Nutzen ſeyn; denn
nun dürfte man ein mit einem ſolchen Fadennetze verſehenes Fern-
rohr nur eben ſo aufſtellen, daß man dadurch einen bekann-
ten Fixſtern ſehen kann, von dem man weiß, daß er von dem
Planeten, den man eigentlich beobachten will, nicht weiter ent-
fernt iſt, um auch dieſen noch, einige Zeit vor oder nach dem
Stern, in dem Felde des unverrückten Fernrohrs ſehen zu können.
Dann wird man, mittelſt jener Fäden, bloß die Diſtanz jener bei-
den Geſtirne von einander meſſen, um ſofort, da der Ort
des Fixſterns am Himmel ſchon bekannt iſt, auch den geſuchten
Ort des Planeten zu erhalten.
Eine ſolche Vorrichtung, deren man mehrere ausgedacht hat,
iſt unter der Benennung des Mikrometers bekannt, da ſie, wie
man ſieht, zur Meſſung von bloß kleinen Diſtanzen (μικϱος klein,
μετϱω meſſen) beſtimmt iſt.
Auf einer in dem Brennpunkte des Fernrohrs ſenkrecht auf
die Axe deſſelben befeſtigten und in ihrer Mitte kreisförmig durch-
bohrten Meſſingplatte, H K (Fig. 25 und 26) iſt ein horizonta-
ler Faden F G und ein verticaler D E befeſtigt. Auf dieſer Platte
ſind zwei feine Schieber m m' und n n', zwiſchen welchen
und der Platte ſich eine zweite, ebenfalls durchbohrte Platte, pa-
rallel mit jener erſten, mittelſt einer feinen Schraube A b c auf
und ab bewegen läßt. Dieſe zweite Platte iſt ebenfalls mit einem
horizontalen Faden f g verſehen, der ſich, wenn die zweite
Platte durch ihre Schraube bewegt wird, parallel mit dem erſten
F G auf und ab bewegt. Dieſe Schraube trägt bei ihrer Hand-
habe A einen Index b, der, während der Umdrehung der Schraube,
auf einer eingetheilten Scheibe B herumgeht und dadurch auch
z. B. den hundertſten Theil einer Umdrehung dieſer Schraube
anzeigt.
Wenn dieſe Schraube, wie hier vorausgeſetzt wird, ſehr feine
und durchaus gleiche Windungen hat, ſo wird man dadurch die
ſenkrechten Diſtanzen zweier Geſtirne ſehr genau beſtimmen kön-
nen, wenn einmal der Werth einer ganzen Umdrehung der Schraube
bekannt iſt. Zu dieſem Zwecke ſtellt man zuerſt beide Fäden f g
und F G genau auf einander, ſo daß ſie nur einen einzigen zu
24 *
[372]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
bilden ſcheinen, und bemerkt, für dieſen Stand des beweglichen
Fadens, den Ort des Zeigers b auf der eingetheilten Scheibe B.
Dann ſchraubt man den beweglichen Faden f g ſo weit über oder
unter den feſten F G, bis beide Fäden irgend ein bekanntes Ge-
ſtirn, z. B. die Sonne d an ihrem oberen und unteren Rande ge-
nau berühren und bemerkt nun wieder den Stand des Zeigers auf
ſeiner Scheibe. Geſetzt der Durchmeſſer der Sonne betrage volle
32 Minuten, und die Schraube machte 40¼ Umgänge, um dieſen
Durchmeſſer zwiſchen den beiden Fäden des Mikrometers zu faſ-
ſen, ſo folgt daraus, wie man leicht ſieht, daß ein ganzer Um-
gang der Schraube 47,7 Sekunden, und daher jeder hundertſte
Theil derſelben 0,477 Sekunden betrage. Dieß vorausgeſetzt habe
man ein mit einem ſolchen Schraubenmikrometer verſehe-
nes Fernrohr im Meridian ſo aufgeſtellt, daß der Faden F G ho-
rizontal und D E vertical ſteht. In dieſer Stellung läßt man
einen bekannten Fixſtern durch das Feld des Fernrohrs gehen und
ſchraubt den beweglichen Faden f g auf ihn, ſo daß der Stern, wäh-
rend er durch das Feld geht, die ganze Länge dieſes Fadens zurücklege.
Zugleich beobachtet man auch ſeinen Durchgang durch den feſten ver-
ticalen Faden D E. — Daſſelbe thut man nun auch mit dem bald darauf
folgenden Planeten und bemerkt zugleich, wie viel Umdrehungen man
die Schraube gedreht hat, um den beweglichen Faden von ſeiner
letzten Stelle, wo er den Stern traf, auf diejenige zu bringen, wo
der Mittelpunkt des Planeten durch ihn ging. Dieſe Anzahl der
Umdrehungen durch 47,7 multiplicirt, gibt ſofort die Differenz der
Declinationen beider Geſtirne, und die Zwiſchenzeit, die von dem
Appulſe des Fixſterns durch den Verticalfaden D E bis zu dem des
Planeten verfloſſen iſt, gibt die Differenz der Rectaſcenſionen bei-
der Geſtirne. Da man nun die Rectaſcenſion und Declination
des Fixſterns bereits kennt, ſo erhält man dadurch auch ſofort
die Rectaſcenſion und Declination des Planeten.
Man ſieht, daß man zu ſolchen Beobachtungen, ſo wichtig
ſie auch ſind, keines eigenen großen koſtbaren Inſtruments, ſon-
dern bloß eines guten Fernrohrs bedarf, von deſſen feſter Aufſtel-
lung während der Dauer beider Beobachtungen man verſichert iſt.
Wenn man aber mit einem ſolchen Fernrohre auch außer dem
Meridian beobachten will, wodurch die Anwendbarkeit deſſelben
[373]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
offenbar ſehr erhöht wird, ſo wird es vortheilhaft ſeyn, ein ſo
eingerichtetes Fernrohr mit einer, wenn gleich nicht mit der größ-
ten Genauigkeit gebauten parallaktiſchen Maſchine (S. 349) zu
verbinden und dann den früher horizontalen Faden F G jetzt dem
Aequator parallel zu ſtellen, was leicht erhalten wird, wenn man
vor den Beobachtungen einen Stern in das Feld eintreten läßt
und die Platte H K mittelſt einer eigenen Schraube ſo dreht, daß
der Stern durch die ganze Länge des Feldes den Faden F G nicht
verläßt. Dieß iſt ein Grund mehr für die bereits oben (S. 353)
als ſehr vortheilhaft angegebene Aufſtellung aller größeren Fern-
röhre auf einem parallaktiſchen Stative.
§. 50. (Rautenmikrometer.) Auch ohne Hülfe einer Schraube
kann man, durch eine bloße zweckmäßige Stellung der Fäden ge-
gen einander, die Differenz der Orte zweier einander naher Ge-
ſtirne beſtimmen. Eine der einfachſten und zweckmäßigſten dieſer
Vorrichtungen iſt die folgende, die von dem großen Aſtronomen
Bradley vorgeſchlagen wurde. Man denke ſich um das kreisför-
mige Feld des Fernrohrs ein Quadrat A B C D (Fig. 27) beſchrie-
ben, deſſen Seiten jenen Kreis in vier einander gegenüber ſtehen-
den Punkten berühren. Von dem oberen Berührungspunkte M
ziehe man zwei gerade Linien oder hier zwei geſpannte Fäden
M C und M D nach den unteren Spitzen des Quadrats, und eben
ſo von dem unteren Berührungspunkte N zwei andere nach A und B.
Spannt man überdieß noch einen fünften Faden P Q, der durch
den Mittelpunkt des Kreiſes parallel mit der Seite A B oder C D
des Quadrats geht, ſo wird man, wie zuvor, durch eine geringe
Drehung des Quadrats um ſeinen Mittelpunkt dieſes Netz leicht
ſo ſtellen, daß der letzte Faden P Q dem Wege der Sterne, d. h.
dem Aequator parallel iſt.
Mit einem ſo eingerichteten und ſo geſtellten Fadennetze wird
man dann die Differenz der Rectaſcenſionen und Declinationen
der Geſtirne leicht beſtimmen, wenn man bemerkt, daß, wie aus
der erwähnten Conſtruction dieſes Netzes hervorgeht, jede der P Q
parallele Linie a c gleich ſeyn muß der Entfernung b M dieſer Li-
nie von dem ihr nächſten Scheitel M oder N der Raute, welche
jene vier erſten Fäden unter ſich bilden. Hätte man alſo z. B.
den Durchgang eines Fixſterns, deſſen Declination 30 Grade be-
[374]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
trägt, durch den Punkt a um 4h 17′ und durch den Punkt c um
4h 21′ beobachtet, ſo iſt die Differenz dieſer Zeiten 4 Minuten.
Multiplicirt man dieſe Differenz, um ſie in Bogen zu erhalten, durch
15 und überdieß durch den Coſinus der Declination, der hier gleich
0,866 iſt, ſo erhält man 51,96 Bogenminuten, und eben ſo groß iſt
alſo auch der Abſtand M b des Weges a c dieſes Sterns von dem
Punkte M. Die Zeit aber, wo dieſer Stern in der Mitte zwiſchen
ſeinen Fäden in a und c, d. h. wo er in dem Punkte b war, iſt
offenbar gleich der Mitte jener zwei Beobachtungszeiten oder gleich
4h 19′. — Hätte man nun eben ſo bald darauf einen Planeten
auf dieſelbe Weiſe beobachtet und für ihn den Abſtand M b gleich
32,54 Bogenminuten und die Zeit der Mitte beider Beobachtun-
gleich 4h 22′ gefunden, ſo würde die Differenz der Rectaſcenſionen
beider Geſtirne 3 Zeitminuten d. h. 45 Bogenminuten, und die
Differenz ihrer Declinationen gleich 19,42 Bogenminnten ſeyn,
woraus ſich alſo wieder der Ort des Planeten am Himmel leicht
finden läßt, wenn jener des Fixſterns bereits bekannt iſt.
Bei einer genaueren Betrachtung dieſes Netzes wird man
leicht finden, daß man auch die Theile der vier erſten Fäden, die
außer der Raute liegen, zu demſelben Zwecke benützen, und z. B.
die Appulſe der Sterne auch in den Punkten a' und b' beobach-
ten kann, anderer Vortheile, welche dieſes Rautennetz bietet, hier
nicht zu erwähnen.
§. 51. (Kreismikrometer.) Am einfachſten aber iſt es, zu
derſelben Abſicht bloß einen einfachen Kreis in dem Brennpunkte
des Fernrohrs aufzuſtellen und den Eintritt in E und C (Fig. 28),
ſowie den Austritt der Sterne in E' und C' aus der Peripherie
dieſes Kreiſes zu beobachten. Nimmt man nämlich die Mitte der
Ein- und Austrittszeit eines jeden der beiden Geſtirne, ſo erhält
man dadurch diejenigen Augenblicke, wo dieſe Geſtirne in der
Mitte ihrer Sehnen E E' und C C' oder wo ſie in den Punkten
D und F waren, in welchen ein auf dieſe Sehnen ſenkrechter
Halbmeſſer C M dieſe Sehnen halbirt, und dann wird die Diffe-
renz dieſer beiden Augenblicke offenbar auch zugleich die geſuchte
Differenz der Rectaſcenſionen der beiden Geſtirne ſeyn.
Um nun auch, aus denſelben Ein- und Austritten der Sterne
die Differenz ihrer Declination zu erhalten, wird man jede der
[375]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
halben Sehnen C D und E F oder die halben Zwiſchenzeiten der
Beobachtungen durch 15mal den Coſinus der Declination der
beiden Geſtirne multipliciren, wodurch man dieſe halben Sehnen
C D, E F, in Bogen ausgedrückt erhält. Kennt man nun bereits
den Halbmeſſer des Kreiſes, ſo ſind in den rechtwinkligen Drei-
ecken C D O und E F O bereits zwei Seiten gegeben, woraus man
dann, auf die bekannte Art, auch die dritten Seiten O F und O D
finden wird, deren Differenz D F gleich der geſuchten Differenz
der Declination der beiden Geſtirne iſt.
Den Halbmeſſer dieſes Kreiſes wird man auf mehr als eine
Art leicht beſtimmen können, am ſicherſten aber durch zwei Fix-
ſterne, deren Declinations-Differenz B nahe gleich dem Durchmeſ-
ſer dieſes Kreiſes iſt, ſo daß alſo jeder derſelben, der eine oben
und der andere unten, eine ſehr kleine Sehne im Felde des Kreis-
mikrometers beſchreibt. Nennt man dann A die Summe der
Quadrate der halben Sehnen oder der halben beobachteten Zwi-
ſchenzeiten in Zeitſekunden ausgedrückt, und durch die vorige
Größe B dividirt, und nennt man endlich C das Quadrat von
15mal dem Coſinus der Declination der Mitte zwiſchen beiden
Sternen, ſo iſt der geſuchte Durchmeſſer des Kreiſes gleich
B + A C.
Zu dieſem Zwecke kann man ſchon die dem Auge nächſte innere
Blendung (Diaphragma) benützen, die in jedem Fernrohre ent-
halten iſt, wenn man ſie zuvor auf einer Drehbank genau kreis-
förmig ausdrehen läßt. Bequemer zur Beobachtung wird ein fei-
ner metallener Ring ſeyn, der in der Ebene jener Blendung durch
zwei oder drei Stifte befeſtigt wird, und, wenn er etwas kleiner
als die Oeffnung dieſer Blendung iſt, den Vortheil gewährt, daß
man die kommenden Sterne vor ihrer Beobachtung ſehen und den
Eintritt ſowohl, als auch den Austritt derſelben an den beiden
Rändern des Rings beobachten kann. Die vorhergehende Beſtim-
mung des Halbmeſſers wird zugleich ein gutes Mittel geben, zu
prüfen, ob der Ring an ſeinen beiden Seiten in der That voll-
kommen kreisförmig, alſo zu dieſer Art von Beobachtungen ge-
eignet iſt. Zu dieſem Zwecke darf man nur dieſen Ring, nach
jeder Beobachtung eines Sternenpaars, etwas weniges in ſeiner
Ebene drehen und die beiden Sterne an anderen Punkten der Pe-
[376]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ripherie durchgehen laſſen, um zu ſehen, ob man für den Halb-
meſſer des Rings wieder denſelben Werth erhält. Was dieſen
einfachen Mikrometer vor allen andern beſonders empfiehlt, iſt
erſtens der Umſtand, daß unſere Künſtler einen rollkommenen
Kreis viel leichter, als eine gerade Linie von gegebener Neigung,
darzuſtellen vermögen, und daß zweitens die Beobachtungen an einem
ſolchen Kreiſe auch in dem verfinſterten Fernrohre angeſtellt wer-
den können, während alle anderen Mikrometer eine Beleuchtung
des Innern des Fernrohrs erfordern, um die Fäden des Mikro-
meters ſichtbar zu machen, was oft beſchwerlich und zuweilen
ſelbſt ſchädlich iſt, da man dann ſehr kleine oder lichtſchwache Ge-
ſtirne, wie z. B. die neuen Planeten oder ſehr matte Kometen, in
dem beleuchteten Felde des Fernrohrs, nicht mehr gut ſehen kann.
§. 52. (Längenbeſtimmungen durch Chronometer.) Wenn man
die bisher dargeſtellten vorzüglichſten Inſtrumente der neueren
Aſtronomie näher betrachtet, ſo ſieht man leicht, wie ſich damit
alle Beobachtungen, deren die Wiſſenſchaft in ihrem gegenwärti-
gen Zuſtande bedarf, anſtellen laſſen. Dieſe Beobachtungen beziehen
ſich ſämmtlich auf die Durchgänge der Geſtirne durch den Meridian
(zur Beſtimmung der Zeit, oder, wenn dieſe bereits bekannt iſt,
der Rectaſcenſion durch das Mittagsrohr), oder auf die Be-
ſtimmung der Höhen (im Meridian zur Kenntniß der Declinatio-
nen durch den Meridiankreis oder den Mauerquadranten, oder
außer dem Meridian zur Zeitbeſtimmung durch den Multiplica-
tionskreis) oder endlich auf die Beſtimmung der Differenzen der
Rectaſcenſion und Declination (durch Aequatoriale oder auch durch
einfache, aber mit Mikrometern verſehene Fernröhre). Man hat
überdieß im Verlaufe dieſes Werkes geſehen, wie man, bloß mit
Hülfe dieſer beobachteten Höhen der Geſtirne die Polhöhe oder
die geographiſche Breite (I. S. 105), die Schiefe der Ecliptik
(I. S. 108) u. ſ. w. finden, und wie man aus dieſen und ähn-
lichen Beſtimmungen die ſämmtlichen Elemente der Planetenbah-
nen durch Rechnung ableiten kann, z. B. die Lage der Nachtglei-
chen (I. S. 117) die Umlaufszeiten der Planeten, ihre Knotenli-
nien, Neigungen (I. S. 220 — 223), ihre Entfernungen (I.
S. 141) u. ſ. w.
Noch iſt uns übrig zu ſagen, wie man mittelſt derſelben
[377]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Inſtrumente auch die geographiſche Länge (I. S. 33) ſeines
Beobachtungsortes beſtimmen kann, dieſes wichtige Element, ohne
welches wir nicht wüßten, welchen Punkt der Oberfläche der Erde,
oder wenigſtens, welchen Punkt unſeres irdiſchen Parallelkreiſes
wir bewohnen, und deſſen Unkenntniß beſonders den Schiffer auf
der hohen See in die größten Gefahren bringen könnte.
Dem Seemanne, der auf ſeiner Fahrt in entlegene Gegenden
oft nichts als Himmel und Waſſer vor ſich ſieht, muß es näm-
lich von der äußerſten Wichtigkeit ſeyn, jeden Tag, ja jede Stunde
genau zu wiſſen, auf welchem Punkte der Oberfläche der Erde
er ſich befindet, ſowohl um von dieſem Punkte aus die rechte
Richtung nach dem beſtimmten Lande einzuſchlagen, als auch um ſich
vor Klippen und Untiefen, die vielleicht in ſeiner Nähe ſind, zu be-
wahren. Dieſe für ſein Schiff gefährlichen Stellen ſind nämlich
größtentheils von frühern Seefahrern bereits bemerkt und in ihre
Karten aufgenommen worden. Man kennt daher die geographi-
ſche Länge und Breite derſelben, und es iſt nun Sache ihrer
Nachfolger, zu wiſſen, ob ſie in der Nähe ſolcher Stellen ſind,
d. h. zu wiſſen, welches in jedem Augenblicke ihre eigene Länge
und Breite iſt.
Was nun die Breite oder die Polhöhe betrifft, ſo iſt bereits
oben (I. S. 150 u. f.) umſtändlich gezeigt worden, wie man ſie
durch Beobachtungen der Höhe der Geſtirne finden kann, daher
wir uns hier nicht weiter dabei aufhalten. Nicht ſo verhält es
ſich mit der geographiſchen Länge, die daher hier noch einige Er-
läuterungen erfordert.
Bemerken wir zuerſt, daß man die geographiſche Länge eines
Ortes in Beziehung auf einen andern bereits bekannten Ort, z. B.
auf Paris, kennen wird, wenn man weiß, wie viel es in demſelben
Augenblicke an dieſen beiden Orten Uhr ſey. Geſetzt ein Schif-
fer habe nach einem heftigen Sturm, der ihn in ganz unbekannte
Gegenden verſchlagen, in der erſten heitern Stunde, nachdem ſich
der Himmel wieder aufgeklärt hat, ſeine Breite 8° 10′ nördlich
gefunden und damit zugleich, durch irgend eine beobachtete Höhe
der Sonne oder irgend eines andern Geſtirns außer dem Meri-
dian gefunden, daß ſeine Uhr, die im Augenblicke dieſer Beobach-
tung 8h 26′ 50″ zeigte, um volle 8h 3′ 30″ gegen mittlere Sonnen-
[378]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
zeit ſeines gegenwärtigen Aufenthaltsortes zu wenig zeigt, daß
es alſo in dieſem Augenblicke auf ſeinem Schiffe genau 16h 30′
20″ mittlere Zeit oder 4h 30′ 20″ Morgens iſt. Man hat be-
reits oben geſehen, auf welche Weiſe er dieſe ſeine Breite ſowohl,
als auch ſeine wahre Ortszeit durch eine einfache Beobachtung
finden kann. — Wenn er nun auch zugleich wüßte, daß es, in
demſelben Augenblicke, in Paris genau 8h 22′ 30″ Abends mitt-
lere Pariſer Zeit ſey, ſo würde er auch ſofort wiſſen, daß er 16h
30′ 20″ weniger 8h 32′ 30″, das heißt, daß er 8h 7′ 50″ öſtlich,
oder daß er 121° 57′ 30″ öſtlich von Paris entfernt ſey, daß alſo
ſeine nördliche Breite 8° 10′ und ſeine öſtliche Länge 121° 57′
30″ betrage, und der erſte Blick auf ſeine Karte würde ihm zei-
gen, daß ſein Schiff in der Nähe der weſtlichſten Spitze der In-
ſel Maghindano, die in der Mitte zwiſchen der Inſel Lucon und
Borneo liegt, ſich befinde, und daß er daher ſeinen Lauf nördlich
nehmen müſſe, wenn er nach der Stadt Manilla beſtimmt iſt. —
Allein wie ſoll er erfahren, wie viel Uhr man in eben dieſem Au-
genblicke in Paris zählt?
Das einfachſte Mittel zu dieſem Zwecke iſt ohne Zweifel ein
Chronometer, das heißt eine Uhr mit Federn (denn eine Pen-
deluhr läßt ſich auf dem immer wankenden Schiffe nicht brauchen),
auf deren guten Gang er ſich vollkommen verlaſſen kann. Ehe
der Schiffer Paris verließ, verglich er ſeinen Chronometer täglich
mit der Uhr der Sternwarte, und fand, daß er in jedem Tage
regelmäßig um 2 Sek. gegen die mittlere Zeit vorausgehe. Als
er Paris verließ, um ſeine Reiſe anzutreten, fand er, daß ſein
Chronometer um 0h 3′ 0″ gegen die mittlere Pariſer Zeit vor-
aus ſey. Seitdem bis zu dem gegenwärtigen Tage ſind volle 40
Tage verfloſſen, in welchen alſo die Uhr, wenn ſie ihren vorigen
Gang unverändert beibehielt, 2mal 40 Sekunden oder 1 Minute
20 Sekunden weiter vorausgegangen ſeyn muß, ſo daß ſie alſo
heute um 0h 4 Minuten 20 Sekunden gegen mittlere Zeit Paris
zu viel gebe. Nun war aber die Uhrzeit der Beobachtung 8h 26′
50″, alſo iſt auch die mittlere Pariſer Zeit dieſer Beobachtung
um 4′ 20″ kleiner oder gleich 8h 22′ 30″, wie zuvor.
Es wird zur beſſeren Ueberſicht dieſes intereſſanten Verfah-
rens nicht überflüſſig ſeyn, daſſelbe noch auf ein zweites Beiſpiel
[379]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
anzuwenden, welches unmittelbar aus dem Reiſejournal eines fran-
zöſiſchen Seefahrers im Jahr 1793 genommen iſt. Der Schiffer
kam in der Mitte des März deſſelben Jahrs in dem Hafen von
Tongatabu, einer der Freundſchaftsinſeln, an. Dieſer Ort war
ſchon früher durch engliſche Seefahrer genau beſtimmt worden.
Seine ſüdliche Breite iſt 21° 7′ 35″ und ſeine öſtliche Länge von
Paris 12h 9′ 47,4″. Unſer Schiffer wollte von da über die hebri-
diſchen und caledoniſchen Inſeln nach der Oſtküſte von Neuholland
fahren. Um ſeiner Länge zwiſchen den vielen Inſeln, durch welche
ſein Lauf gehen ſollte, gewiß zu ſeyn, beſchloß er, hier einige
Tage zu verweilen, um den Stand und Gang ſeines Chronome-
ters zu prüfen. Zu dieſem Zwecke nahm er am 29. März in den
Morgenſtunden eine Sonnenhöhe auf Tongatabu, als ſein Chro-
nometer 7h 34′ 28,8″ zeigte. Die Berechnung dieſer Höhe
(III. S. 239) zeigte ihm, daß ſeine Beobachtung um 7h 33′ 55,1″
mittlere Zeit von Tongatabu gemacht worden war, und daß alſo
ſein Chronometer in dieſem Augenblick um 33,7 Sekunden vor
ſeiner mittleren Ortszeit vorausgieng.
Eine ähnliche Beobachtung ſtellte er auch am 7. April um
7h 57′ 3,2″ Uhrzeit an und fand, daß dieſer Uhrzeit die mittlere
Zeit 7h 55′ 42,3″ entſpreche, ſo daß alſo jetzt, neun Tage nach
jener erſten Beobachtung, die Uhr um 1′ 20,9″ gegen die mittlere
Zeit vorausgeht, und daß zugleich ihre tägliche Voreilung gen
mittlere Zeit den neunten Theil von 1′ 20,9″ weniger 33,7″,
das heißt 5,24″ beträgt.
Am 8. April ſegelte er von dieſem Hafen gen Weſt ab. Am
12. überfiel ihn ein Sturm, der bis zum 14. währte und ihn,
wie er beſorgte, von dem rechten Weg abgebracht hatte. Als am
15. April Nachmittag ſich die Sonne wieder zeigte, beſtimmte er
zuerſt ſeine Breite, die er gleich 19° 51′ 20″ ſüdlich fand. Um
nun auch ſeine Länge, von ſeinem bekannten Abfahrtsorte Tonga-
tabu zu erhalten, beobachtete er auf dem Schiffe mit ſeinem Sex-
tanten zur Zeit, als ſein Chronometer 3h 48′ 28″ zeigte, eine
Sonnenhöhe und fand daraus durch Rechnung (III. S. 239), daß
er dieſe Beobachtung um 2h 47′ 25,5″ mittlerer Ortszeit ſeines
Schiffes angeſtellt habe.
Um nun auch, für denſelben Augenblick ſeiner Beobachtung,
[380]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
die mittlere Zeit von Tongatabu zu erhalten, ſo war, nach ſeinen
früheren Beobachtungen in jenem Hafen, der Chronometer am
7. April gegen die mittlere Zeit des Hafens um 1′ 20,9″ voraus.
Da aber derſelbe Chronometer täglich um 5,24″ noch weiter vor-
ausgeht, ſo mußte er am 15. April oder 8,3 Tage nach jener
Beobachtung des 7. April, um 8,3 mal 5,24″ oder um 43,5″ mehr,
alſo im Ganzen um 2′ 4,4″ gegen die mittlere Zeit jenes Ha-
fens voraus ſeyn. Wir haben demnach für den Augenblick der
letzten Beobachtung
- Zeit des Chronometers auf dem Schiffe 3h 48′ 28,0″
- Correction 2′ 4,4″
- Mittlere Zeit in Tongatabu 3h 46′ 23,6″
- Zuvor war aber mittlere Zeit des Schiffs 2h 47′ 25,5″
- Differenz 0h 58′ 58,1″
und dieß iſt daher zugleich die geſuchte Längendifferenz des Schiffs
und des Hafens von Tongatabu. Da die mittlere Schiffszeit
kleiner iſt, als die mittlere Hafenzeit, ſo liegt das Schiff um
0h 58′ 58,1″ weſtlich von jenem Hafen. Es war aber die
bekannte
- Länge von Tongatabu 12h 9′ 47,4″
- die gefundene Längendifferenz 0h 58′ 58,1″
- alſo iſt auch die geſuchte öſtliche Länge
des Schiffs von Paris 11h 10″ 49,3″
Drückt man dieß, durch die Multiplication mit 15 in Gra-
den aus, ſo erhält man für den Ort des Schiffs zur Zeit der
letzten Beobachtung
- öſtliche Länge von Paris 167° 42′ 19,5″
- ſüdliche Breite 19° 51′ 20,0″
Ein Blick auf die Karte zeigte ihm daher, daß ſein Schiff
an der Weſtküſte Neuhollands und zwar in der Nähe der Cum-
berlands-Inſel am Glouceſter-Vorgebirge ſey.
§. 53. (Längenbeſtimmungen durch Finſterniſſe.) Es gibt
noch mehrere Methoden, die geographiſche Länge durch Beobach-
tungen zu beſtimmen, von welchen wir nur einige der vorzüglich-
ſten kurz anführen wollen.
[381]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Die Mondsfinſterniſſe (I. S. 333) bieten ſich zu dieſem
Zwecke als beſonders bequem an. Da dieſe Finſterniſſe dadurch
entſtehen, daß die für uns ganz beleuchtete Mondsſcheibe zur
Zeit des Vollmonds in den Schattenkegel tritt, welchen die Erde
hinter ſich wirft, ſo wird der Mond dadurch ſeines, bloß von der
Sonne geborgten Lichtes, in der That beraubt und dieſe Verdunk-
lung deſſelben muß von allen Bewohnern der Erde, die nur über-
haupt den Mond zur Zeit ſeiner Finſterniß ſehen können, in
demſelben Augenblicke geſehen werden, ſo daß alſo nur jeder
dieſen Augenblick an der richtig nach ſeiner Ortszeit gehenden
Uhr angeben darf, um ſofort auch die Längendifferenz aller Beob-
achter dieſer Finſterniß zu erhalten.
Bei den Längenbeſtimmungen jeder Art kömmt nämlich alles
darauf an, eine Erſcheinung aufzufinden, die für alle, denen ſie
überhaupt nur bemerkbar iſt, in demſelben Augenblicke geſehen
wird, die alſo tautochron iſt, da man eigentlich nur wiſſen
will, wie viel jeder von den Beobachtern dieſer Erſcheinung in
dieſem Augenblicke an ſeiner richtig gehenden Uhr zählt, d. h.
welche wahre oder mittlere Sonnenzeit oder auch welche Sternzeit
jeder dieſer Beobachter in dieſem Augenblicke hat, da dann die
Differenz dieſer Zeiten zugleich die Differenz der geſuchten Längen
der Beobachter iſt.
Da dieß nun von den Mondsfinſterniſſen ſowohl, als auch
von den Verfinſterungen der Satelliten anderer Planeten z. B.
des Jupiters gilt, ſo werden ſie auch unmittelbar zu Längenbe-
ſtimmungen angewendet werden können, wie wir dieß bereits oben
(I. S. 338) bemerkt haben. Allein dieſe Finſterniſſe haben zu
dem gegenwärtigen Zwecke den Nachtheil, daß ſie nicht mit hinläng-
licher Schärfe beobachtet werden können. Der Schattenkegel der
Erde iſt nämlich, wegen dem ihn umgebenden Halbſchatten, nur
ſehr unvollkommen begränzt, und dieß iſt die Urſache, daß man
den eigentlichen Anfang oder das Ende der Finſterniß nie mit
Gewißheit angeben kann. Kurz vor dem Anfange wird der
Ort des Mondrandes, wo ſie beginnen ſoll, durch jenen Halb-
ſchatten gleichſam mit einem Rauche, mit einem matten Schleier
überzogen, der ſich allmählig näher zu dem Mittelpunkt hin zieht
und zugleich immer dunkler wird und ſo, durch allmählige Abſtu-
[382]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
fungen das Licht des Mondes mehr und mehr verfinſtert, ſo daß
der Augenblick der völligen Verfinſterung nicht genau angegeben
werden kann. Daſſelbe iſt auch von dem Ende der Finſterniß zu
bemerken. Man hat dieſem Umſtande dadurch abzuhelfen geſucht,
daß man auch den Ein- und Austritt der Flecken des Mondes
in den Schatten beobachtete, aber auch dieſe leiden, obſchon in
geringerem Grade, unter derſelben Unvollkommenheit. Zum Be-
weiſe führe ich hier eine Mondsfinſterniß an, die im Jahr 1790
in Paris und auf der Sternwarte Seeberg bei Gotha beobachtet
wurde.
wo man aus den Zahlen der letzten Columne ſieht, wie wenig
die Reſultate ſolcher Beobachtungen unter ſich übereinſtimmen.
Beſſer harmoniren allerdings die Beobachtungen der Finſterniſſe
der Jupitersmonde, aber auch ſie laſſen noch immer viel zu wün-
ſchen übrig. Dazu kommt, daß dieſe Finſterniſſe nicht ſo oft vor-
fallen, als der Schiffer beſonders ſie braucht, der jeden Tag die
Lage ſeines Schiffes kennen muß, wenn er ſich nicht den größten
Gefahren ausgeſetzt ſehen will.
Die Sonnenfinſterniſſe (I. S. 334), ſo wie die Bedeckungen
der Fixſterne von dem Monde (I. S. 339) haben den Vortheil,
daß ſie ſich mit großer Schärfe beobachten laſſen. Zwar ſind dieſe
Erſcheinungen nicht tautochron, oder ſie haben nicht für alle
Beobachter auf der Erde in demſelben Augenblick ſtatt. Sie ent-
ſtehen nämlich dann, wenn der Mond in ſeinem Laufe gen Oſt
ſich zwiſchen den Beobachter auf der Erde und zwiſchen die Sonne
oder den Fixſtern ſtellt und uns daher den Anblick dieſer Geſtirne
raubt oder, wie man zu ſagen pflegt, ſie verfinſtert. Man ſieht
aber, daß dabei die Stellung des Beobachters auf der Oberfläche
der Erde dieſe Erſcheinungen gar mannigfaltig verändern kann.
Ein ſehr öſtlich ſtehender Beobachter wird z. B. den Mond noch
weit weſtlich von dem Stern ſehen können, während für den weſt-
lichen Beobacher der Stern von dem Monde ſchon ſeit längerer
[383]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Zeit bedeckt iſt. Allein da man die Bewegung des Mondes ſchon
ſo genau kennt, ſo iſt es leicht, die von der Oberfläche der Erde
beobachtete Finſterniß durch Rechnung auf diejenige Zeit zu brin-
gen, zu welcher man ſie aus dem [Mittelpunkte] der Erde beob-
achtet haben würde, und wenn dieſe Reduction, die man bei der
gegenwärtigen Vollkommenheit unſerer Mondstafeln mit großer
Schärfe vornehmen kann, bei allen Beobachtungen derſelben Fin-
ſterniß vorgenommen wird, ſo hat man dann, für dieſe gleichſam
von dem Mittelpunkte der Erde geſehene Finſterniß, die wieder
für alle Beobachter tautochron iſt, die Ortszeiten der verſchiedenen
Beobachter auf der Erde, daher man nur wieder dieſe Ortszei-
ten, wie zuvor, von einander ſubtrahiren darf, um ſofort auch die
geſuchten Längendifferenzen dieſer Beobachtungsorte zu erhalten.
Um auch dieß durch ein Beiſpiel zu erläutern, ſo hat man
für die Bedeckung des Sterns ε Zwillinge durch den Mond am
8. Auguſt 1798 folgende Beobachtungen
Mittlere Ortszeit.
Sucht man daraus mittelſt jener Rechnung diejenigen mitt-
leren Ortszeiten, für welche ein Beobachter im Mittelpunkt der
Erde den Mittelpunkt des Monds eben über jenen Stern ſehen
würde, ſo erhält man für dieſe Ortszeiten
- Leipzig . 3h 2′ 37″
- Ofen . 3h 29′ 14″
- Danzig . 3h 27′ 38″
- Celle . 2h 53′ 15″
und die Differenzen dieſer Zeiten ſind auch zugleich die geſuchten
Differenzen der geographiſchen Längen dieſer Orte. Nimmt man
daher die Länge von Leipzig oder 0h 40′ 13″ von Paris, als
bereits bekannt und ſo erhält man für die Länge
- von Ofen . 1h 6′ 50″
- Danzig 1h 5′ 14″
- Celle . 0h 30′ 51″
[384]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Beobachtungen dieſer Art geben zwar ſehr genaue und ſehr
gut unter ſich übereinſtimmende Reſultate, daher ſie auch zu
Längenbeſtimmungen auf dem Feſtlande vorzugsweiſe von den
Aſtronomen zu dieſem Zwecke gewählt werden, allein für den See-
mann fallen ſie ebenfalls viel zu ſelten vor, als daß er ſich auf
ſie verlaſſen könnte, ſelbſt wenn es möglich wäre, daß ihm die
Beobachtungen der anderen ſchnell genug mitgetheilt werden könn-
ten, um davon zu ſeinem Zwecke Gebrauch zu machen.
§. 54. (Längenbeſtimmungen durch Mondsdiſtanzen.) Für den
Schiffer handelt es ſich alſo vorzüglich um ein Verfahren, wel-
ches jeden Tag, ja jede Stunde angewendet werden kann, und
welches zugleich ſo genaue Reſultate gibt, als nöthig iſt, ihm über
den Lauf ſeines Schiffes und über die ihn umgebenden Gefahren
wenigſtens in den meiſten Fällen ſicher zu ſtellen.
Dieſes Mittel hat ſchon Halley in den Beobachtungen
der Diſtanzen des Mondes von den vorzüglichſten Fixſter-
nen gefunden. Allein zu ſeiner Zeit, zu Ende des 17. Jahr-
hunderts, war die Theorie des Mondes noch zu unvollkommen,
um dieſe Methode mit Nutzen gebrauchen zu können. In unſe-
ren Tagen aber ſind die Bewegungen des Mondes bereits ſo gut
bekannt, daß dieſes Verfahren, die geographiſche Länge zu be-
ſtimmen, mit Sicherheit angewendet werden kann und auch in der
That von allen erfahrenen Schiffern vorzugsweiſe angewendet
wird. Man verfährt aber dabei auf folgende Weiſe.
Da man, aus den aſtronomiſchen Tafeln, den Ort des Mon-
des ſowohl, als auch den der Fixſterne, wie er aus dem Mit-
telpunkte der Erde erſcheint, für jeden Augenblick leicht finden
kann, ſo wird man daraus auch, durch eine einfache Rechnung,
den Abſtand finden, um welchen für dieſen Augenblick der Mond
von jedem jener Sterne entfernt iſt. Die Aſtronomen haben daher
in ihren Ephemeriden dieſe Diſtanz des Mondes, ſowohl von etwa
zehn bis zwölf der größten Fixſterne, als auch von der Sonne und
von den größten Planeten für jeden Tag von 6 zu 6 Stunden
voraus berechnet und durch den Druck bekannt gemacht, damit
die Schiffer dieſe Tafeln auf ihren Reiſen mit ſich nehmen, und
dann ihre künftigen Längenbeſtimmungen darauf gründen können.
Nehmen wir an, daß man auf dieſe Art die von dem Mittelpunkte
[385]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
der Erde geſebene Diſtanz des Mondes von irgend einem anderen
Geſtirne, z. B. von der Sonne für folgende Zeiten durch Rech-
nung voraus gefunden habe:
Es habe nun ein Schiffer in dem ſogenannten großen Ocean
zuerſt ſeine Breite zu 9° 30′ Nördl. und den Fehler ſeiner Uhr
beſtimmt, und dann, um 7h 3′ 40″ ſeiner mittleren Ortszeit in
den Abendſtunden, mit ſeinem Sextanten die Diſtanz des Mit-
telpunkts der Sonne und des Mondes gleich 28° 30′ 10″ beob-
achtet.
Man ſieht ſchon aus dieſer Diſtanz, die gegen 7hAbends
der Schiffszeit genommen wurde, da ſie zwiſchen die zweite und
dritte der oben berechneten Diſtanzen fällt, daß es, zur Zeit die-
ſer Beobachtung, in Paris zwiſchen 6 und 12 Uhr und zwar nahe
7 Uhr Morgens geweſen ſeyn müſſe, ſo daß alſo das Schiff nahe
12 Stunden mehr zählt, als Paris, oder daß das Schiff nahe in
der öſtlichen Länge von 12h von Paris geweſen ſeyn müſſe.
Allein dieſe bloße Schätzung, die man übrigens durch eine
einfache Proportion leicht genau berechnen könnte, würde doch ſehr
unrichtig ſeyn. Denn jene voraus berechneten Diſtanzen be-
ziehen ſich, wie geſagt, auf den Mittelpunkt der Erde, wäh-
rend die hier auf dem Schiffe beobachtete nicht von dem Mittel-
punkte, ſondern von der Oberfläche der Erde geſehen wurden,
und daher mit jener nicht unmittelbar verglichen werden können.
Um dieſe Vergleichung beider Diſtanzen richtig anzuſtellen, wird
man alſo zuerſt dieſe beobachtete Diſtanz ebenfalls auf den Mit-
telpunkt der Erde reduziren müſſen.
Ohne uns hier dabei aufzuhalten, wie dieſe Reduction ge-
funden wird, wollen wir annehmen, daß ſie für unſeren Fall
0° 12′ 20″ betrage, ſo daß alſo dieſe beobachtete Diſtanz, von
dem Mittelpunkte der Erde geſehen, gleich 28° 42′ 30″ iſt.
Dieſes vorausgeſetzt, fragt es ſich nun, wie viel es in Paris
mittlere Zeit iſt, wenn die geocentriſche Diſtanz der Sonne und
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 25
[386]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
des Mondes an jenem Tage 28° 42′ 30″ beträgt. — Dieß fin-
det man aber ſehr leicht aus der vorhergebenden Tafel, in welcher
man ſieht, daß die Diſtanz der beiden Geſtirne von 6 Uhr Mor-
gens bis Mittag ſich um 3° 30′ 45″ ändert, während die beobach-
tete geocentriſche Diſtanz von der der ſechsten Morgenſtunde nur um
0° 51′ 50″ verſchieden iſt. Dieß gibt nämlich die Proportion
3° 30′ 45″: 6h = 0° 51′ 50″: x
woraus folgt, daß x gleich 1h 28′ 32,5″ iſt, welche Zeit dann,
zu 6h addirt, die geſuchte correſpondirende mittlere Pariſer Zeit
jener Beobachtung zu 7h 28′ 32,5″ gibt. Wir haben demnach für
dieſe Beobachtung
- mittlere Schiffszeit . . 19h 3′ 40″ Abends
- mittlere Pariſer Zeit . 7 28′ 32,5″ Morgens
- Differenz 11h 33′ 7,5″
und dieß iſt daher zugleich die geſuchte Länge des Schiffs von
Paris und zwar öſtlich von Paris, da die Ortszeit des Schiffs
größer iſt, als die von Paris. Multiplicirt man dieſe Differenz
durch 15, ſo erhält man für die Ortsbeſtimmung des Schiffs
- öſtliche Länge von Paris 173° 46′ 52,5″
- nördliche Breite . . . 9° 30′ 0″
Die Karte zeigt, daß das Schiff zu jener Zeit in der Nähe
der Inſel Ulul, einer der Carolinen-Inſeln war, die zwiſchen den
Marianen- und Mulgravs-Inſeln liegen.
Das Vorhergebende wird, wie wir glauben, hinreichen, dem
Leſer einen genügenden Begriff von dieſen intereſſanten Beſtim-
mungen und überhaupt von den vorzüglichſten Beſchäftigungen des
praktiſchen Aſtronomen und Seefahrers zu geben.
§. 55. (Beobachtungsfehler der erſten Art.) Doch wird man
darum nicht glauben, daß damit das Geſchäft des wahren aſtro-
nomiſchen Beobachters auch ſchon völlig geſchloſſen iſt. Seine
Pflichten ſind eben ſo ausgebreitet und mannigfaltig, als der Ge-
genſtand, mit welchem er ſich beſchäftiget, und ſeine Unterſuchun-
gen ſind in vielen, ja in den meiſten Fällen der Art, daß ſie prak-
tiſche Geſchicklichkeit und theoretiſchen Scharfſinn in einem Grade
erfordern, der nur ſelten in einem und demſelben Menſchen ver-
einigt angetroffen wird. Hier wird es genügen, nur einige der
[387]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
großen Hinderniſſe, die er beinahe täglich und in allen ſeinen
Unternehmungen zu beſiegen hat, wenigſtens im Allgemeinen anzuzei-
gen. Da kein Menſchenwerk irgend einer Art vollkommen iſt, ſo
können wir dieß auch von unſeren aſtronomiſchen Inſtrumenten,
ſelbſt von den beſten, nicht erwarten. Ja wenn es auch einmal
irgend einem glücklichen Künſtler zufällig gelingen ſollte, ein in
allen ſeinen Beziehungen fehlerfreies Inſtrument herzuſtellen, ſo
würde daſſelbe doch keine Dauer haben und in der nächſten Stunde
vielleicht ſchon wieder einer Menge, wenigſtens kleiner Fehler un-
terworfen ſeyn. Die immer wechſelnden Fluctuationen der Wär-
me in der Atmoſphäre bringen in jedem Inſtrumente nicht bloß
augenblickliche und vorübergehende, ſondern ſelbſt conſtante Ver-
änderungen hervor, die ſich nie ganz wieder herſtellen. Durch
das Gewicht der einzelnen Theile, die bei einem ſolchen Werkzeuge,
bei dem Gebrauche deſſelben, verſchiedene Lagen gegen einander
annehmen müſſen, werden Verziehungen, Preſſungen und Reibun-
gen entſtehen, die kein noch ſo ſymmetriſcher Bau des Ganzen und
kein noch ſo zweckmäßig ausgedachtes Gegengewichtsſyſtem voll-
kommen aufheben kann. Außer dieſen und ähnlichen Hinderniſ-
ſen, deren gänzliche Entfernung außer dem Bereiche des Künſt-
lers ſowohl, als auch des Beobachters iſt, wird jedes, auch das
beſte Inſtrument noch Fehler der Ausführung haben, die wohl
mit der Geſchicklichkeit und dem Scharfſinne des Künſtlers ſich
vermindern, aber nie völlig verſchwinden werden. Die Axe wird
nie vollkommen cylindriſch, nie ganz concentriſch mit ihrem Kreiſe,
dieſer wird nicht geometriſch kreisförmig, die Eintheilung deſſel-
ben nie völlig fehlerfrei ſeyn u. ſ. w. Daſſelbe wird auch von
der Aufſtellung dieſer Inſtrumente gelten. Die Ebene des
Meridiankreiſes oder die optiſche Axe ſeines Fernrohrs wird nie
ganz genau in der Ebene des Meridians, die verticale Axe des
Multiplicationskreiſes nie völlig ſenkrecht auf dem Horizonte, die
Drehungsaxe des Aequatorials nie vollkommen der Weltaxe paral-
lel ſeyn u. ſ. w., da alle Vorſicht, die man dabei angewen-
det haben mag, doch nur eine Annäherung zur Wahrheit, aber
nicht dieſe Wahrheit ſelbſt, nur eine Verminderung, aber keine
völlige Vernichtung aller jener Fehler erreichen kann. So voll-
kommen dieſe Inſtrumente auch gebaut und aufgeſtellt ſeyn mögen,
25 *
[388]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
die Forderungen des Beobachters werden immer vor den
Leiſtungen des Künſtlers voraus ſeyn, und an jenem iſt es daher,
ſich ſo viel als möglich von dieſen unabhängig zu machen, und
die Fehler, welche der Künſtler von dieſem Inſtrumente nicht ganz
entfernen konnte, entweder geſchickt zu umgehen und dadurch un-
ſchädlich zu machen, oder ihre wahre Größe durch die Beobach-
tungen ſelbſt zu entdecken und dann von ihnen Rechnung zu tra-
gen. — Zu dieſer Abſicht muß der Aſtronom ſeine Beobachtungen
ſo auswählen, ſo untereinander verbinden und ſich mit allen Ei-
genheiten ſeines Inſtruments und mit den verſchiedenen Fehler-
quellen deſſelben ſo innig bekannt machen, daß er in dieſen Feh-
lern ſelbſt, ſo weit dieß menſchlichen Kräften möglich iſt, die
Wahrheit erkennen und aus ihnen die der Natur der beobachteten
Erſcheinungen gemäße oder richtige Reſultate herausfinden kann.
Hierin vorzüglich beſteht das eigentliche Geſchäft des praktiſchen
Aſtronomen, ein ſchweres und oft ſehr verwickeltes Geſchäft, von
welchem aber hier nur die allgemeinſten Züge den Leſern mitge-
theilt werden können, da es, um ſie völlig zu verſtehen, nöthig
ſeyn würde, alle dieſe Geſchäfte ſelbſt bei jedem einzelnen Inſtru-
mente umſtändlich durchzugehen. Mehrere Winke dazu ſind übri-
gens bereits in dem Vorhergehenden enthalten. So wird z. B.
bei allen oben erwähnten Kreiſen vorausgeſetzt, daß ſich die Al-
bidade deſſelben mit dieſem Kreiſe genau concentriſch bewegt.
Da dieſe Forderung von dem Künſtler nicht in aller Strenge
befriediget werden kann, ſo bleibt dem Beobachter, wenn er ge-
naue Reſultate erhalten will, nichts anderes übrig, als entweder
die Größe dieſer Excentricität aufzuſuchen und ſeine Beobachtun-
gen darnach zu verbeſſern, oder aber dieſen Fehler durch irgend
ein Mittel zu umgehen und dadurch unſchädlich zu machen. Nun
läßt ſich auf eine ſehr einfache Weiſe, durch bloße Elementargeo-
metrie, zeigen, daß, wie groß auch dieſe Excentricität ſeyn mag,
die Wirkung derſelben dadurch völlig vernichtet wird, wenn man
der Alhidade, z. B. der Alhidade m m′ des Aequatorials (Fig. 22)
zwei einander gegenüberſtehende Arme gibt und von den End-
punkten m und m′ derſelben jeden mit einem Vernier verſieht.
Denn dann wird, bei einer excentriſchen Alhidade, der eine Ver-
nier immer eben ſo viel zu weit voraus ſtehen, als der andere
[389]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
zurückſteht, die beiden Leſungen werden, die eine eben ſo viel zu
groß, als die andere eben ſo viel zu klein und daher das Mittel
aus beiden Leſungen immer der Wahrheit gemäß ſeyn. Aus dieſer
Urſache ſind auch bei allen beſſeren Kreiſen dieſe Alhidaden im-
mer doppelt und einander entgegen geſetzt, um dadurch alle Feh-
ler der Excentricität des Inſtruments aus den Beobachtungen zu
eliminiren. Aber nicht immer, ja nur ſelten läßt ſich dieſes Um-
gehen auch auf die anderen Fehler des Inſtruments anwenden.
Wenn z. B. die Rotationsaxe des Aequatorials der Weltaxe nicht,
wie es doch für jede gute Beobachtung erfordert wird, parallel
iſt, ſo bleibt hier nichts übrig, als die Abweichung dieſer Rota-
tionsaxe von ihrer wahren Lage in horizontaler ſowohl, als auch
in verticaler Beziehung aufzuſuchen, wie wir dieß oben (S. 359)
gethan haben, und dann von den ſo bekannten Fehlern dieſer Axe
bei jeder künftigen Beobachtung Rechnung zu tragen, wie dieß
ebenfalls oben (S. 361 in der Note) geſchehen iſt.
§. 56. (Allmählige Ausbildung der Aſtronomie) Bemerken
wir noch, wie aus allen dieſen Betrachtungen von ſelbſt hervor-
geht, daß unſere Kenntniſſe des Sonnenſyſtems und überhaupt
alle unſere aſtronomiſchen Kenntniſſe ſich nothwendig nur ſtufen-
weiſe und allmählig erweitern und berichtigen können. Die großen,
gleichſam die groben Züge der Erſcheinungen, die uns der Him-
mel darbietet, fand man ohne Zweifel, mit einiger Aufmerkſam-
keit, ſchon in den erſten Zeiten mit noch ſehr unvollkommenen In-
ſtrumenten, oder auch ohne alle Hülfe derſelben mit bloßen Augen,
und jene erſten Beobachter werden nicht angeſtanden haben, ſie
als von ihnen entdeckte Naturgeſetze zu betrachten. So wie wir aber
mit dieſen Erſcheinungen durch fortgeſetzte Beobachtungen vermittelſt
allmählig beſſerer Inſtrumente näher bekannt wurden, ſo fanden
ſich ſofort mehrere Ausnahmen von dem ſogenannten allgemeinen
Geſetze, und man ſah ſich dadurch in die Nothwendigkeit verſetzt,
jene Geſetze zu ändern und mannigfaltig zu modificiren, um ſie den
neuen Erſcheinungen beſſer anzupaſſen. Spätere Verbeſſerungen der
Inſtrumente und der Beobachtungskunſt führten wieder ähnliche,
neue Modificationen herauf, bis wir endlich, durch immerwährende
Correctionen unſerer früheren Anſichten, zu demjenigen Grade un-
ſerer Erkenntniß der Natur gelangten, den wir gegenwärtig ein-
[390]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nehmen und der ohne Zweifel in der Folge der Zeiten noch viel
weiter erhöht werden wird, ſo lange das Menſchengeſchlecht für
das Größte und Erhabenſte, das es zum Gegenſtande ſeiner Be-
trachtung wählen kann, Sinn und Empfänglichkeit behält. Un-
ſern alten Vorgängern in Griechenland mag es ſchwer genug ge-
worden ſeyn, die Kreiſe zu erkennen, in welchen ſich die Planeten
unſeres Sonnenſyſtems bewegen. Zweitauſend volle Jahre ver-
floſſen ſeit jener Entdeckung, bis ein hochbegabter Mann aus den
Beobachtungen Tycho’s, die alle diejenigen ſeiner Vorgänger an Ge-
nauigkeit übertrafen, den Schluß zog, daß dieſe Bahnen der Planeten
keine Kreiſe, ſondern Ellipſen ſind, in deren einem Brennpunkte
die Sonne ruht. Und erſt in der Mitte des letztvergangenen
Jahrhunderts, wo die aſtronomiſchen Inſtrumente beſonders durch
engliſche Künſtler eine neue Verbeſſerung erhielten, konnte man
durch Beobachtungen zeigen, daß auch dieſe Ellipſen nur eine An-
näherung zur Wahrheit ſind, und daß die eigentlichen Bahnen
der Planeten ſehr zuſammengeſetzte krumme Linien von doppelter
Krümmung ſind, deren Geſtalt und Lage immerwährenden Aen-
derungen unterworfen iſt, Aenderungen, von welchen uns die von
Newton begründete und von ſeinen Nachfolgern weiter ausgebil-
dete Theorie die vollſtändigſte Rechenſchaft gibt. — Ebenſo hat
man vielleicht ſehr bald bemerkt, daß alle Fixſterne ihren täglichen
Weg um die Erde in Kreiſen zurücklegen, und wir haben ge-
ſehen, welche Mühe es unſern Vorgängern koſtete, ſich von die-
ſer Täuſchung zu befreien und dieſe Erſcheinung durch die täg-
liche Umdrehung der Erde um ihre Axe zu erklären. Erſt ſpät
erkannte man mit Hülfe neuer, beſſerer Inſtrumente, daß dieſe
ſogenannten Kreiſe der Fixſterne auch eine Art von elliptiſcher
Geſtalt hatten, und dadurch wurde man auf die Entdeckung der Re-
fraction (I. S. 341) geführt, ohne deren Kenntniß jede weitere
Ausbildung der Aſtronomie ſo gut als unmöglich geweſen wäre.
Nun glaubte man, die krummen Linien, welche die Geſtirne in
ihrem täglichen ſcheinbaren Laufe um die Erde beſchreiben, voll-
kommen beſtimmt zu haben und jeden Punkt derſelben mit der
größten Schärfe angeben zu können. Allein als Bradley in der
Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Beſitz des beſten Inſtru-
mentes ſeiner Zeit gelangte, entdeckte dieſer vortreffliche Beob-
[391]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
achter noch zwei andere Bewegungen der Fixſterne, durch welche
jene krumme Linie, die man ſchon ſo genau zu kennen wähnte,
gar mannigfaltig verändert und in ihrer Geſtalt umgeformt wurde,
Bewegungen, die wir jetzt unter der Benennung der Aberration
(I. S. 172) und der Nutation (I. S. 358) bei allen unſeren
Beobachtungen täglich berückſichtigen und ohne deren Kenntniß
die Aſtronomie nie denjenigen Grad der Vollkommenheit erhal-
ten hätte, deren ſie ſich jetzt erfreut. Unſere ſpäten Enkel wer-
den dereinſt noch die eigenen Bewegungen eines jeden dieſer Fix-
ſterne hinzufügen, von welchen wir jetzt noch ſo wenig wiſſen, und
ſie werden ihre Zeitgenoſſen über die Bewegung des ganzen Son-
nenſyſtems im Weltenraume belehren, über deren Größe und
Richtung wir noch ganz im Dunkeln ſind.
Auf dieſem Wege der allmählichen Verbeſſerungen alſo iſt
unſere gegenwärtige Kenntniß der Aſtronomie entſtanden. Wenn
eines jener ſogenannten Geſetze der Natur gefunden war und wenn,
oft erſt nach mehreren Jahrhunderten, neue und beſſere Beobach-
tungen uns auf Ausnahmen von dieſem Geſetze führten, ſo ſtell-
ten dieſe Ausnahmen ſich zuerſt unter der Geſtalt von Fehlern
der Beobachtungen dar, für welche ſie auch in der That, ſo lange
man noch keine Urſache von ſolchen Ausnahmen kennt, gehalten
werden müſſen. Wenn aber dieſe vermeinten Ausnahmen ſich
immer mehr und mehr wiederholen und bei einer näheren Be-
trachtung ebenfalls wieder nach einem gewiſſen Geſetze fortzuge-
hen ſcheinen, ſo können wir nicht mehr umhin, den Grund derſelben
nicht ſowohl in dem Inſtrumente oder in der Beobachtungsart,
ſondern in der Natur ſelbſt zu ſuchen und jenes hypothetiſche Ge-
ſetz der Natur dahin zu verändern, daß, daſſelbe nicht nur jene
Erſcheinungen in ihren erſten rohen Zügen, ſondern daß es auch
dieſe ſogenannten Ausnahmen darzuſtellen vermag, wodurch dann
wieder den Beobachtungen ſo lange genug gethan wird, bis eine
neue Verbeſſerung der Inſtrumente oder eine neue Verfeinerung
der Analyſe uns wieder zu ander[e]n Ausnahmen führt, deren Dar-
ſtellung denn auch eine neue Modification der vorhergehenden
Hypotheſe nothwendig macht.
Zu dieſem Fortſchreiten in der Erkenntniß der Natur gehört
aber, wenn ſie ſicher ſeyn ſoll, vor allem die oben erwähnte innige
[392]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Bekanntſchaft des Beobachters mit ſeinem Inſtrumente. Denn die
meiſten derjenigen Beobachtungsfehler, die bloß von einer Unvollkom-
menheit in dem Bau oder in der Aufſtellung der Inſtrumente
entſpringen, haben ebenfalls die Eigenſchaft, daß ſie nach gewiſ-
ſen Geſetzen fortgeben und in beſtimmten Perioden eingeſchloſſen
ſind, nach welchen ſie in der früheren Ordnung wiederkehren. Dieß
wird z. B. der Fall ſeyn bei einer Excentricität des Kreiſes, bei
einer Verbiegung ſeiner Ebene, bei einer unrichtigen Eintheilung
deſſelben, die gewöhnlich von einer falſchen Stellung des Kreiſes
zur Theilmaſchine kömmt u. ſ. w. So lange daher das Inſtru-
ment mit allen ſeinen Eigenthümlichkeiten nicht vollkommen be-
kannt und ſein Gebrauch völlig geſichert iſt, wird man nie ent-
ſcheiden können, ob dieſe periodiſchen, nach einem gewiſſen, wenn
gleich noch vielleicht unbekannten Geſetze, fortgehenden Fehler der
Beobachtungen bloß von dem Inſtrumente kommen, oder ob ſie in
der Natur der Erſcheinungen ſelbſt gegründet ſind, und ſo lange
man dieſe beiden Fehler nicht unterſcheiden und von einander
trennen kann, iſt ein wahres Fortſchreiten unſerer Kenntniß der
Natur unmöglich.
§. 57. (Beobachtungsfehler der zweiten Art.) Allein es gibt
noch eine ganz andere Gattung von Fehlern, die man bei allen
unſeren Beobachtungen antrifft, und die ſich von den bisher be-
trachteten weſentlich unterſcheiden, indem ſie keine Periode beobach-
ten und nach keinem beſtimmten Geſetze fortgehen, ſondern viel-
mehr ganz dem Zufalle überlaſſen zu ſeyn ſcheinen. Die Fehler,
mit welchem unſer Auge den Augenblick auffaßt, wo der Stern
eben durch den Faden geht, oder die, mit welchem unſer Ohr die
Pendelſchläge der Uhr vernimmt, nach welchen wir die Zeit der
Beobachtung beſtimmen, ſelbſt der Wechſel der Witterung, der
in der Refraction, und der Wechſel der Temperatur, der in dem
Inſtrumente augenblickliche Veränderungen hervorbringt; ferner der
Mangel oder auch eben ſowohl die zu große Geſpanntheit unſerer Auf-
merkſamkeit im Augenblicke der Beobachtung, und unzählige an-
dere ähnliche Urſachen werden die Reſultate dieſer Beobachtungen
bald etwas größer, bald wieder etwas kleiner geben, als ſie der
Wahrheit gemäß ſeyn ſollen. Wenn man z. B. die Polhöhe einer
Stadt aus mehreren auf einander folgenden Beobachtungen nach
[393]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
der oben (I. S. 105) angezeigten Methode, ſchon mit gehöriger
Rückſicht auf die oben erwähnten Fehler des Inſtruments
- am erſten Tage 48° 12′ 35″
- zweiten . 48° 12′ 33″
- dritten . 48° 12′ 34″
gefunden hätte: welche von ihnen ſoll man nun als die
wahre oder doch als die der wahren nächſte betrachten? — Da
die unbekannten Fehler einer jeden einzelnen dieſer Beobach-
tungen, ſo groß auch die Anzahl der letzten ſeyn mag, nach
keinem merkbaren Geſetze fortgehen und, wenn ſie, wie geſagt,
nur zufällig entſtanden ſind, auch nicht fortgehen können, ſo
können ſie, wie es ſcheint, auch keiner weitern Berechnung,
nicht einmal einer bloßen Schätzung unterworfen werden. Wie
vortrefflich daher auch unſer Inſtrument ſeyn mag, und welche
Mühe und Einſicht wir auch auf die Behandlung deſſelben ver-
wendet haben mögen, dieſe Fehler können nicht weggebracht
werden, ſie wurzeln gleichſam in unſerer eigenen Natur, in der
Unvollkommenheit unſerer ſinnlichen ſowohl als unſerer geiſtigen
Operationen und ſie werden alſo auch immer und in ihrer gan-
zen Stärke auf die Reſultate unſerer Beobachtungen einwirken
und dieſelben ſelbſt fehlerhaft machen.
Eine einfache Betrachtung ſcheint uns übrigens hier einen Ausweg
aus dieſen Hinderniſſen zu bahnen. Da die Fehler, von welchen die
Rede iſt, zufällig ſind und die geſuchten Reſultate zuweilen ver-
größern und im Allgemeinen eben ſo oft und eben ſo viel wieder
verkleinern, ſo wird man, mit großer Wahrſcheinlichkeit, annehmen
können, daß auch hier, wie ſo oft in andern Fällen, die Wahr-
heit in der Mitte liege, und daß man daher nur die durch
die einzelnen Beobachtungen erhaltenen Reſultate addiren und die
ſo erhaltene Summe durch die Anzahl der Beobachtungen divi-
diren, d. h. alſo, daß man nur das ſogenannte arithmetiſche
Mittel aller Beobachtungen nehmen darf, um das der Wahr-
heit nächſte Reſultat zu erhalten. In dem letzten Beiſpiel be-
trägt die Summe der drei einzelnen Beobachtungen 144° 37′ 42″
und der dritte Theil derſelben oder 48° 12′ 34″ wird daher,
nach dem ſo eben Geſagten, die der Wahrheit nächſte Polhöhe
ſeyn.
[394]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Es iſt für ſich klar, daß dieſes Verfahren im Allgemeinen
deſto zuläſſiger ſeyn wird, je größer die Anzahl der Beobachtun-
gen iſt, vorausgeſetzt, daß ſie alle unter ähnlichen Verhältniſſen
angeſtellt worden ſind, und daß keine von ihnen irgend einen
Vorzug vor der anderen verdient. Wenn aber dieſer Fall, der in
der That ſelten genug eintreten mag, nicht ſtatt hat, wenn z. B.
von 30 Beobachtungen die erſten 10 bei viel günſtigerem Wetter
als alle übrigen, wenn die zweiten 10 von einem geübteren Beob-
achter und die letzten 10 endlich an einem beſſeren Inſtrumente,
als die übrigen, angeſtellt worden wären, kurz wenn die einzelnen
Beobachtungen, wie man zu ſagen pflegt, ein verſchiedenes Ge-
wicht haben? — Dann läßt ſich die vorhergehende einfache Regel
offenbar nicht mehr anwenden. Wie ſoll man alſo dann verfahren?
Noch verwickelter wird die Antwort auf dieſe Frage werden,
wenn man, durch dieſe Beobachtungen, mehrere Größen zu-
gleich der Wahrheit gemäß oder doch ihr ſo nahe als möglich
finden will. Um auch davon ein Beiſpiel zu geben, ſo haben die
Aſtronomen ihre Sonnen- und Planeten-Tafeln, wie wir oben
(I. S. 285) gezeigt haben, ſo eingerichtet, daß man daraus den
Ort dieſer Geſtirne für jeden gegebenen Augenblick leicht finden
kann. Zur Berechnung dieſer Tafeln haben ſie für die ſechs Ele-
mente (I. S. 280) eines jeden dieſer Planeten gewiſſe Werthe
angenommen, die ihnen damals die wahrſcheinlichſten dünkten.
Allein dieſe Werthe werden ohne Zweifel der Wahrheit nicht ganz
gemäß ſeyn, und wenn in dem Laufe eines Jahrhunderts unſere
Kenntniß des Sonnenſyſtems zugleich mit unſerer Beobachtungs-
kunſt bedeutende Fortſchritte gemacht hat, ſo werden wir auch
wohl im Stande ſeyn, beſſere und genauere Werthe für jene Ele-
mente anzugeben, als die unſerer Vorgänger geweſen ſeyn mö-
gen, denen jene Vortheile noch nicht zu Gebote ſtanden. Wir
werden alſo auch beſſere Planetentafeln aufſtellen können, wenn
wir zuerſt genauere Elemente erhalten haben, mit welchen wir
dann jene Tafeln wieder neu berechnen werden. — Allein wie ſollen
wir zu dieſen beſſeren Elementen kommen? Offenbar durch unſere
beſſeren Beobachtungen ſelbſt und durch Vergleichungen derſelben
mit jenen Tafeln der Alten.
Nehmen wir alſo z. B. an, wir hätten an irgend einem Tage
[395]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
die Sonne mit aller uns möglichen Sorgfalt beobachtet und ihre
Länge gleich 30° 24′ 50″ gefunden. Sucht man nun aus den al-
ten Tafeln für dieſelbe Zeit die Länge der Sonne und findet ſie
gleich 30° 24′ 10″, ſo iſt dieß ein Beweis, daß die alten Tafeln,
für dieſen Tag, die Länge der Sonne um volle 40″ zu klein ge-
ben. Allein wo liegt nun dieſer Fehler der Tafeln? — Er kann
in der Epoche, in der Excentricität, in der Lage der großen Axe
— kurz, er kann in einem der Elemente, oder in mehreren, oder
auch in allen zugleich liegen und das letztere iſt ſogar das wahr-
ſcheinlichſte, da wir keinen Grund haben, anzunehmen, daß auch
nur ein einziges von den Elementen, wie ſie die Alten angenom-
men haben, vollkommen richtig iſt.
Es wird ſchon einige Kunſt erfordern, zu entſcheiden, welchen
Einfluß ein jedes dieſer ſechs Elemente, für ſich allein betrachtet,
auf die Länge des Planeten haben wird und wie viel alſo jedes
dieſer Elemente geändert werden müßte, wenn man durch dieſe
Aenderung allein jenen Fehler von 40 Sekunden wieder gut ma-
chen wollte. Da nun aber jedem Elemente ſein beſtimmter Theil
von dieſem Fehler zukommen ſoll, ſo wird man offenbar eben ſo
viel Beobachtungen, als Elemente ſind, alſo ſechs Beobachtun-
gen, zu Hülfe rufen müſſen, um aus ihnen insgeſammt diejenigen
Aenderungen zu beſtimmen, die jedes dieſer ſechs Elemente erfahren
muß, um dadurch alle ſechs Beobachtungen ganz genau darzuſtellen.
Dieß wird aber, wie man ſieht, gar manche mühſame und
zeitraubende Rechnungen geben. Und wenn man ſie endlich alle
durchgeführt hat, wenn nun alle Elemente ſo beſtimmt worden
ſind, daß ſie dieſen ſechs Beobachtungen vollkommen entſprechen:
werden dieſe ſo gefundenen neuen Elemente nun auch ſchon die
wahren ſeyn? — Sie würden es ſeyn, wenn jene ſechs Beobach-
tungen ſelbſt ganz wahr und fehlerfrei wären. Allein das ſind ſie
nicht und das können ſie, eben jener Fehler wegen, von denen
wir ſo eben geſprochen haben, nicht ſeyn. In Beziehung auf die
oben erwähnte Natur dieſer Fehler werden wir alſo die Tafeln
unſerer Vorgänger nicht bloß mit ſechs, ſondern vielmehr mit
ſo vielen guten Beobachtungen als möglich vergleichen, und
daraus erſt die wahrſcheinlichſten Elemente der Planeten beſtim-
men müſſen. Wir werden alſo z. B. hundert der beſten Beob-
[396]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
achtungen ſammeln und jede derſelben wird, mit den alten Tafeln
verglichen, einen anderen Fehler dieſer Tafeln geben. Wir wer-
den dabei noch bemerken, daß nicht alle dieſe Beobachtungen den-
ſelben Werth, oder ein gleiches Gewicht haben und dann wird es
an uns ſeyn, zuzuſehen, auf welche Weiſe wir die Werthe jedes
der ſechs Elemente zu beſtimmen haben, um dadurch alle jene
hundert Beobachtungen, jede in Beziehung auf ihr Gewicht, nicht
ganz genau, das iſt offenbar unmöglich, aber doch genauer dar-
zuſtellen, als dieß durch was immer für andere Werthe dieſer
Elemente geſchehen könnte. Die Leſer werden wahrſcheinlich ohne
meine Erinnerung bemerken, daß dieſe Aufgabe nicht eben zu den leich-
teſten und bequemſten gehört, obſchon ſie offenbar eine der wichtigſten
und nothwendigſten der Aſtronomie iſt, da am Ende doch alle Be-
mühungen der Aſtronomen nur den Zweck haben, das Sonnenſyſtem,
das heißt, mit andern Worten, eben dieſe Elemente der Planetenbahnen
immer mehr und endlich ſo genau, als möglich, kennen zu lernen.
§. 58. (Einfache Wahrſcheinlichkeit.) Fragen dieſer Art, wie
die zuletzt aufgeſtellten, gehören in das Gebiet der ſogenannten
Wahrſcheinlichkeits-Rechnung und dieſe ſpielt nicht nur in
der Aſtronomie, ſondern ſelbſt in dem gemeinen geſellſchaftlichen
Leben eine ſo wichtige Rolle und iſt überdieß dem größten Theile
der Leſer noch ſo wenig bekannt, daß es nicht unangemeſſen er-
ſcheinen wird, daß vorzüglichſte dieſer eben ſo nützlichen als inter-
eſſanten Rechnungsart hier, ſo weit es ohne eigentliche analy-
tiſche Ausdrücke geſchehen kann, kurz zuſammengeſtellt zu finden.
Es wird ohne Zweifel auf den erſten Blick ſonderbar er-
ſcheinen, daß man Ereigniſſe beſtimmen und ſogar durch Rech-
nung beſtimmen will, von denen man doch annimmt, daß ſie
bloß zufällig ſind und daher gleichſam nichts Beſtimmtes, alſo
auch nichts Beſtimmbares an ſich haben.
Um uns darüber zu verſtändigen, wollen wir vor allem
die Sache durch ein Beiſpiel deutlich zu machen ſuchen. Ich
wähle dazu die bekannten Spielwürfel, derer ſechs Seiten nach der
Reihe mit 1, 2, 3, 4, 5, 6, Punkten oder Augen bezeichnet ſind.
Wenn man zwei ſolcher Würfel auf Gerathewohl auf den Tiſch
wirft, wie groß wird die Anzahl der auf der oberſten Seite der
beiden Würfel ſtehenden Augen ſeyn?
[397]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Um dieſe Frage zu beantworten, muß man zuerſt die Anzahl
aller der Fälle, die hier eintreten können, wiſſen. Deren ſind nun
36, wie die folgende kleine Tafel zeigt, wo A den einen und B den
anderen Würfel bezeichnet.
Wenn ich nun z. B. mit meinem Gegner wetten wollte, daß
ich auf den erſten Wurf mit dieſen beiden Würfeln die Zahl 7
treffen wolle: welche Wahrſcheinlichkeit hätte ich da für mich?
Offenbar ſind hier unter allen 36 möglichen Fällen nur ſechs
für mich günſtig, während die andern 30 für meinen Gegner
ſprechen. Dieſe ſechs mir günſtigen Fälle ſind nämlich 1. 6, 2. 5,
3. 4 und die umgekehrten 4. 3, 5. 2, 6. 1. Die Wahrſcheinlich-
keit alſo, daß die Zahl 7 geworfen werde, wird ſich, wie die Zahl
derer dieſem Ereigniſſe günſtigen Fällen zu der Zahl aller mög-
lichen Fälle verhalten oder dieſe W. wird gleich 6/36 ſeyn. Ganz
eben ſo wird ſich aber auch die W., daß die Zahl 7 nicht gewor-
fen werde, wie die Zahl der mir ungünſtigen Fälle zu der aller
möglichen verhalten oder dieſe W. des Gegentheils deſſen, was
ich erwarte, wird gleich 30/36 ſeyn. Demnach wird ſich auch die
W. meines Gewinns zu der W. meines Verluſtes, wie jene bei-
den Brüche, wie 6/36 zu 30/36 d. h. wie 6/30 oder endlich wie ⅕ ver-
halten oder mit andern Worten: wenn ich mit meinem Gegner
jene Wette eingehe, ſo habe ich nur einen Fall für mich, wäh-
rend der Gegner 5 für ſich günſtige Fälle hat. Ich würde daher
ſehr thöricht handeln, wenn ich mit dieſem Gegner eine gleiche
Wette eingehen und z. B. feſtſetzen wollte, daß er mir, wenn ich
die Zahl 7 werfe, einen Gulden geben ſoll, während ich ihm einen
Gulden geben muß, wenn ich die Zahl 7 nicht werfe. Die Ein-
ſätze dieſer Wette müſſen vielmehr, wenn ſie richtig vertheilt und
[398]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
für beide Partheien gleich billig ſeyn ſollen, ebenſo wie die W.
des Gewinns einer jeden Parthei alſo hier wie 1 zu 5 ſich verhalten,
oder die Wette muß, wenn ſie richtig geſtellt ſeyn ſoll, ſo ausge-
drückt werden, daß er mir, wenn ich 7 werfe, fünf Gulden zu geben
habe, während ich ihm, wenn ich nicht 7 werfe, nur einen Gulden
gebe.
Wenn nun die Wette in der That ſo geſtellt wird, was
wird dann die Folge davon ſeyn? — Daß nach 10 oder 50 oder
100 ſolchen wiederholten Würfen, nach deren jedem entweder ich
einen oder der Andere fünf Gulden gegeben hat, die Summe der Ge-
winnſte und Verluſte bei beiden Partheien ſehr nahe einander
gleich und zwar um ſo gewiſſer einander gleich ſeyn werde, je
größer die Anzahl der Würfe geweſen iſt, während im Gegen-
theile, wenn ich mehr als einen Gulden für jeden mir ungün-
ſtigen Wurf gebe, mein Verluſt, und ebenſo, wenn mein Gegner
mehr als fünf Gulden für jeden ihm ungünſtigen Wurf gibt,
ſein Verluſt immer um ſo gewiſſer ſeyn wird, je mehr die Zahl
der Würfe anwächst oder je länger das Spiel fortgeſetzt wird.
Auf dieſe Weiſe iſt alſo unſere Wahrſcheinlichkeits-Rechnung
zu verſtehen. Nämlich erſtens wird die Wahrſcheinlichkeit des
Eintretens eines Ereigniſſes immer in der Geſtalt eines Bruches
dargeſtellt, deſſen Zähler die Summe aller günſtigen und deſſen
Nenner die Summe aller möglichen Fälle enthält. Ebenſo wird
alſo auch die Wahrſcheinlichkeit des Nichteintretens dieſes Ereig-
niſſes die Form eines Bruches haben, deſſen Zähler die Summe
der ungünſtigen und deſſen Nenner wieder die Summe aller
möglichen Fälle enthält. Jener erſte Bruch nähert ſich der Ein-
heit deſto mehr, je größer die Zahl der günſtigen Fälle iſt und
wenn endlich, unter allen möglichen Fehlern, gar kein ungünſtiger
iſt, d. h. wenn alle möglichen Fälle zugleich günſtige Fälle ſind, ſo
wird dieſer Bruch zur Einheit und die Wahrſcheinlichkeit zur Ge-
wißheit, ſo daß alſo die Einheit gleichſam das Symbol der Gewiß-
heit iſt. Beide Brüche zuſammen geben zu ihrer Summe immer die
Einheit, weil es gewiß iſt, daß bei jedem Wurfe entweder ein
günſtiger oder ein ungünſtiger Fall eintreffen muß. Iſt der erſte
Bruch gleich ½, ſo ſind die günſtigen Fälle gleich zahlreich mit
[399]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
den ungünſtigen, dann iſt alſo auch der zweite Bruch gleich ½,
und beide Summen wieder die Einheit, wie es ſeyn muß.
Hat man zweitens auf dieſe Weiſe die Wahrſcheinlichkeit
des Gelingens und die des Nichtgelingens, jede durch ihren Bruch
ausgedrückt, ſo gibt das Verhältniß dieſer zwei Brüche zugleich
die Einſätze, welche beide Partheien einlegen müſſen, wenn ſie
eine billige Wette unter ſich anſtellen wollen.
Drittens endlich ſind dieſe Wahrſcheinlichkeiten ſo wie die
darauf gegründeten Wetten immer nur ſo zu verſtehen, daß ſie
erſt dann ſtatt haben, wenn die Anzahl der in Rede ſtehenden
Verſuche ſehr zahlreich iſt, oder daß ſie den durch ihre Zahlen
ausgedrückten Erfolg deſto gewiſſer herbeiführen werden, je größer
die Anzahl dieſer angeſtellten Verſuche iſt.
Auf dieſe Weiſe verſtanden wird man ſich nun leicht von der
Richtigkeit der folgenden Auflöſungen überzeugen.
Die Wahrſcheinlichkeit, daß man auf einem Wurfe der bei-
den Würfel wieder die Zahl 7, wie zuvor, aber ſo werfe, daß
der eine, gleichviel welcher, der beiden Würfel die Zahl 2 und
der andere 5 gebe, iſt 2/36, alſo die W. des Gegentheils 34/36 und
daher das Verhältniß der Einſätze des erſten und zweiten Spie-
lers bei einer Wette wie 2 zu 34 oder wie 1 zu 17, ſo daß der
Eine für jeden ihm günſtigen Fall 17 Gulden von dem Andern
erhält, während er für jeden ihm umgünſtigen Fall nur einen
Gulden an den Anderen entrichtet.
Die Wahrſcheinlichkeit aber, daß der eine Spieler auf einen
Wurf zwei gleiche Zahlen 1, 1 oder 2, 2 u. ſ. w. werfe, iſt noch
kleiner, nämlich nur 1/36.
Wenn mit drei ſolchen Würfeln geworfen wird, ſo iſt die
Wahrſcheinlichkeit, daß mit ihnen drei unter ſich verſchiedene Zah-
len geworfen werden, gleich 120/216; daß man zwei gleiche und eine
von ihnen verſchiedene Zahl werfe, gleich 90/216; daß man drei
unter ſich gleiche Zahlen werfe, gleich 6/216; daß ſich unter den
geworfenen Zahlen wenigſtens zwei, vielleicht aber auch drei gleiche
befinden, gleich 95/216, und endlich iſt die Wahrſcheinlichkeit, daß
man mit einem Wurfe dieſer drei Würfel drei unmittelbar hinter
[400]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
einander ſtehende Zahlen wie 1. 2. 3 oder 2. 3. 4 u. ſ. f. werfe, gleich
24/216 oder gleich 1/9. Diejenigen Leſer, welche an ſolchen Spe-
culationen Vergnügen finden, werden ſich von den hier angeführ-
ten, ſo wie den nächſtfolgenden Auflöſungen leicht ſelbſt Rechen-
ſchaft geben.
Hieher gehört auch folgende intereſſante Frage. — In einer
Urne befinde ſich eine gegebene Anzahl von unter ſich vollkommen
gleichen, kleinen Kugeln. Wenn man nun die Hand in die Urne
ſenkt und davon irgend eine Anzahl dieſer Kugeln auf Geratbewohl
herauszieht, welche Wahrſcheinlichkeit hat man dafür, daß dieſe
Anzahl der herausgezogenen Kugeln gerade, wie z. B. 2, 4, 6 …
oder daß ſie ungerade, wie 1, 3, 5 ſeyn wird?
Nehmen wir, um auch dieſe Aufgabe ſofort durch ein ſpeciel-
les Beiſpiel zu erläutern, an, daß vier ſolche Kugeln in der Urne
ſind, die wir, um ſie einzeln anzugeben, durch a, b, c, d bezeich-
nen wollen. Dieß vorausgeſetzt wird man acht ungerade Zuſam-
menſtellungen haben, nämlich erſtens die vier einzelnen a, b, c, d
ſelbſt und dann noch die vier folgenden abc, abd, acd und bcd.
Von den geraden Paarungen aber findet man nur ſieben, näm-
lich ab, ac, ad, bc, b d, cd und endlich abcd. Es gibt daher
überhaupt 15 mögliche, gerade und ungerade Verbindungen, und
von dieſen ſind 8 ungerade und 7 gerade. Daraus folgt daher
nach der oben angeführten Vorſchrift, daß die W. einer unge-
raden Verbindung gleich 8/15 und die einer geraden gleich 7/15 iſt.
Wenn ich daher mit meinem Gegner eine Wette eingehen will,
daß ich auf jedem Griffe eine gerade Anzahl von Kugeln aus der
Urne ziehen werde, ſo werde ich, wenn wir beide gleichviel ein-
ſetzen, deſto gewiſſer in Nachtheil kommen, je mehr Züge aus der
Urne ich mache. Soll aber dieſe Wette ſo angeſtellt werden, daß,
je länger ich ziehe, deſto mehr auch Gewinn und Verluſt zu bei-
den Seiten derſelbe bleibe, ſo muß ich bei jeder ungeraden Anzahl
an den Gegner ſieben Gulden entrichten, während er mir, ſo
oft ich eine gerade Anzahl ziehe, acht Gulden zu geben hat. Eben
ſo findet man für fünf Kugeln die Wahrſcheinlichkeit, daß man eine ge-
rade Anzahl derſelben zieht, gleich 15/34 und die W. einer ungeraden
Anzahl gleich 16/31; für zehn Kugeln hat man für die W. einer
[401]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
geraden Anzahl 511/1023 und für die einer ungeraden 512/1023 u. ſ. w.
Man ſieht daraus, daß die ungerade Anzahl immer wahrſchein-
licher iſt, als die gerade, daß aber auch die beiden Wahrſchein-
lichkeiten einander immer näher, nämlich gleich ½ kommen, je
größer die in der Urne enthaltene Anzahl der Kugeln iſt; für drei
Kugeln ſind dieſe Wahrſcheinlichkeiten 3/7 und 4/7 und für zwei
Kugeln ſind ſie ⅓ und ⅔.
Man wird bemerken, daß bei allen dieſen Unterſuchungen die
Anzahl aller möglichen Fälle als bekannt vorausgeſetzt wird,
weil ſich ohne dieſe Kenntniß die Wahrſcheinlichkeit irgend eines
Erfolges gar nicht beſtimmen laſſen würde. Daſſelbe gilt auch
von den zunächſt folgenden Problemen bis §. 62, wo ſodann Un-
terſuchungen ganz anderer Art eintreten werden.
§. 59. (Zuſammengeſetzte Wahrſcheinlichkeit.) Aber nicht im-
mer ſind dieſe Unterſuchungen ſo einfach, wie in den vorhergehen-
den Fällen. Wenn man z. B. die Wahrſcheinlichkeit ſucht, daß
irgend ein Ereigniß, deſſen einfache, nach §. 58 beſtimmte W.
gleich w iſt, zwei, drei, viermal nach einander ſtatt habe, ſo iſt
die geſuchte W. gleich der zweiten, dritten, vierten Potenz von
w. So iſt z. B. die W., mit einem einzigen Würfel die Zahl 1
zu werfen, nach der vorhergehenden Tafel gleich ⅙. Alſo iſt
auch die W. mit einem Würfel zweimal nacheinander die Zahl
1 zu werfen, gleich 1/36; dreimal gleich 1/216 u. ſ. w. Ebenſo
war die W., mit zwei Würfeln auf einen Wurf die Zahlen 1
und 1 zu werfen, gleich 1/36, alſo iſt auch die W. dieſe beiden
Zahlen zweimal nach einander zu werfen, gleich 1/1296 u. ſ. w.
Wenn ferner von zwei Urnen die erſte drei weiße und
1 ſchwarze, die zweite aber 4 weiße und 2 ſchwarze Kugeln ent-
hält, ſo iſt die W., daß man durch einen zufälligen Griff in
eine der beiden Urnen eine weiße Kugel ergreifen wird, gleich 7/24,
ſo daß beide W. zuſammen wieder gleich der Einheit ſind.
In dieſen und ähnlichen Fällen muß man nämlich die beiden nach
§. 58 gefundenen einfachen Wahrſcheinlichkeiten mit ein-
ander multipliciren, um die geſuchte zuſammengeſetzte
W. zu erhalten. Es iſt nämlich die W., in die erſte Urne zu greifen
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 26
[402]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
gleich ½, und dann aus ihr eine weiße Kugel zu ziehen, gleich ¾,
alſo iſt auch die W., daß ſich beides ereignen werde, gleich
½ × ¾ oder gleich ⅜. Ganz ebenſo findet man für die W.,
daß man in die zweite Urne greifen und aus ihr eine weiße Ku-
gel ziehen werde, gleich ½ × 4/6 oder gleich ⅓. Da nun dieſe
beiden Ereigniſſe für den Zug einer weißen Kugel günſtig ſind,
ſo iſt die oben geſuchte W. gleich der Summe von ⅜ und ⅓
oder gleich 17/24, wie zuvor.
Ebenſo iſt die Wahrſcheinlichkeit, daß man mit einem Würfel
in 4 Würfen die Zahl 6 wenigſtens einmal werfe, gleich 671/1296, alſo
ſchon etwas größer als ½, daher es auch wahrſcheinlicher iſt, daß
dieſe Zahl 6 in 4 Würfen einmal, als daß ſie gar nicht vorkom-
men werde. Die W. aber, daß man mit einem Würfel in 4
Würfen dieſe Zahl 6 wenigſtens zweimal werfe, iſt nur gleich
1/7, alſo viel geringer, als ½.
Die W., mit zwei Würfeln auf den erſten Wurf 9, oder,
wenn dieß nicht geſchieht, wenigſtens auf den zweiten Wurf 9 zu
treffen, iſt nahe gleiche ⅕. Ebenſo iſt die W., mit zwei Wür-
ſeln auf den erſten, oder doch auf den zweiten oder wenigſtens
auf den dritten Wurf die Zahl 7 zu treffen, nahe gleich ⅖ u. ſ. w.
Ohne dieſe Aufgaben noch mit andern zu vermehren, oder auch
nur die bereits erwähnten umſtändlich zu beweiſen, was uns hier
zu weit führen würde, wollen wir uns begnügen, hier auf zwei
intereſſante Anwendungen dieſer Fragen aufmerkſam zu machen,
deren Nichtbeachtung bereits Viele in großen Schaden gebracht
hat und die noch jetzt ihre nachtheiligen Wirkungen auf die bür-
gerliche Geſellſchaft ausübt.
§. 60. (Anwendung dieſer Berechnung auf öffentliche Verſor-
gungsanſtalten.) Wenn, wie ſchon das Sprichwort ſagt, nichts
ungewiſſer iſt, als der Tod eines Menſchen, ſo verhält ſich dieß
doch ganz anders, wenn von dem Tode einer großen Anzahl zu-
ſammen lebender Menſchen die Rede iſt. Unſere zu verſchiedenen
Zeiten und in verſchiedenen Ländern darüber angeſtellten Erfahrun-
gen haben uns gelehrt, daß das Ausſterben großer Geſellſchaften,
z. B. der ganzen Bevölkerung einer Provinz oder eines Landes,
ſo lange nicht außerordentliche Fälle, verheerende Kriege oder
[403]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Krankheiten eintreten, äußerſt regelmäßig vor ſich gehe, und daß
z. B. von einer Million in demſelben Jahre geborner Menſchen
nach 18 Jahren nur die Hälfte, nach 46 Jahren der dritte, nach
55 Jahren nur mehr der vierte Theil derſelben lebe, und daß die
Natur von dieſer Regel nur ſehr ſelten und auch dann noch nur
ſehr geringe Ausnahmen mache. Dieſem gemäß hat man die ſo
geſammelten Erfahrungen in Tafeln gebracht, die man Mortali-
tätsliſten zu nennen pflegt. Die folgende iſt ein Auszug einer un-
ſerer beſten, und ſie zeigt an, wie viel von 1000 zuſammen Ge-
bornen nach 10, 20, 30 … Jahren noch leben.
Dieſe Mortalitätstafel zeigt alſo, daß z. B. von 1000 in
demſelben Jahre gebornen Menſchen im zwanzigſten Jahre noch
491, im fünfzigſten Jahre aber nur mehr 300 Lebende übrig ſind.
Sie zeigt uns ferner, daß die eigentliche Lebenskraft der Men-
ſchen in den erſten Jahren ſehr gering, daß ſie zwiſchen dem
10ten und 20ſten Lebensjahre am größten iſt, und daß ſie von da
wieder abnimmt, bis ſie im 80ſten Jahre wieder ſo ſchwach wird,
wie im Anfange.
Nennt man n die Zahl der erſten und (n) die entſprechende
Zahl der zweiten Columne der vorhergehenden Tafel, wo alſo
z. B. (n) = 300 für n = 50 iſt, ſo ſieht man aus dem bloßen
Anblicke der Tafel, daß von 374 jetzt zuſammenlebenden 40jäh-
rigen Menſchen nach 10 Jahren, wo alſo jeder von ihnen 50
Jahre alt iſt, nur mehr 300 leben. Alſo werden auch z. B. von
1000 zuſammenlebenden 40jährigen Menſchen nach 10 Jahren
26 *
[404]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
noch x oder 1000mal 300 dividirt durch 374 leben, da man hat
374: 300 = 1000: x
und überhaupt werden daher auch von N jetzt zuſammen leben-
den n jährigen Menſchen nach t Jahren noch Men-
ſchen leben.
Da nun, nach §. 58, die einfache Wahrſcheinlichkeit des Ein-
treffens eines Ereigniſſes gleich einem Bruche iſt, deſſen Zähler die
Anzahl der günſtigen und deſſen Nenner die Anzahl aller mög-
lichen Fälle überhaupt iſt, ſo iſt auch die Wahrſcheinlichkeit, daß
eine von jenen N Perſonen, deren jede n Jahre alt iſt (n + t)
Jahre erreiche, gleich der vorhergehenden Größe
dividirt durch N, das heißt dieſe Wahrſcheinlichkeit iſt gleich der
Zahl .
Auf dieſe Weiſe findet man alſo aus unſerer Tafel, daß die
Wahrſcheinlichkeit w, daß ein bereits 40jähriger Menſch noch
zehn Jahre lebe, gleich oder 300/374 oder nahe 0,8 iſt. Ebenſo
findet man für die Wahrſcheinlichkeit w', daß ein 50jähriger
Menſch noch zehn Jahre lebe, den Ausdruck oder 210/300 oder
nahe 0,7, und ebenſo endlich iſt dieſe Wahrſcheinlichkeit w'' für
einen jetzt 60jährigen Menſchen gleich 0,5 u. ſ. w. Man ſieht,
wie dieſe Wahrſcheinlichkeit mit dem zunehmenden Alter immer
abnimmt.
So wie uns aber die Vorſchrift des §. 58 dieſe einfache
Wahrſcheinlichkeit der Fortdauer eines Menſchen für irgend eine
beſtimmte Anzahl von Jahren gegeben hat, eben ſo wird uns auch
die Vorſchrift des §. 59 die zuſammengeſetzte Wahrſcheinlich-
keit der Fortdauer der Verbindung von zwei oder mehreren Per-
ſonen für eine beſtimmte Anzahl Jahre geben. Zu dieſem Zwecke
werden wir nämlich, wie dort geſagt worden iſt, nur die zuvor
bereits gefundenen einfachen Wahrſcheinlichkeiten multipliciren, um
ſofort die geſuchte zuſammengeſetzte W. zu erhalten. Wenn alſo die
[405]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Wahrſcheinlichkeit, daß ein jetzt n jähriger Menſch noch t Jahr lebe,
nach dem Vorhergehenden gleich iſt, daß alſo auch die W.,
für einen n' jährigen Menſchen, noch t Jahre zu leben, gleich
iſt, ſo folgt daraus unmittelbar, daß die W., daß
dieſe beide Perſonen nach t Jahren noch beiſammen leben, gleich
dem Producte von in ſeyn wird, und ſofort
für drei und mehrere Perſonen.
Man ſieht, wie von dieſen Rechnungen die wahrſcheinliche
Dauer der Ehe zweier Perſonen verſchiedenen Alters oder
auch das wahrſcheinliche Beiſammenleben der Aeltern mit ihren
Kindern zuſammenhängt, und daß dieſe Wahrſcheinlichkeiten es
ſind, auf welchen die richtige Berechnung unſerer ſogenannten
Wittwen- und Waiſen-Penſionen beruht. So findet man z. B.
für zwei Perſonen, davon die eine 40 und die andere 50 Jahr alt
iſt, die Wahrſcheinlichkeit, daß ſie beide noch 10 Jahre beiſammen
leben werden, gleich 0,8mal 0,7, oder gleich 0,56. Für 40 und
60jährige Perſonen iſt dieſe W. gleich 0,8mal 0,5, oder gleich
0,4 und für zwei 50 und 60jährige endlich 0,7mal 0,5 oder gleich
0,35. Sucht man aber die W., daß alle dieſe drei Perſonen,
davon die eine jetzt 40, die andere 50 und die dritte 60 Jahre
alt iſt, noch 10 Jahre mit einander leben, ſo iſt dieſe W. gleich
dem Producte jener drei einfachen Wahrſcheinlichkeiten 0,8, 0,7
und 0,5 oder gleich 0,28 alſo viel kleiner, als alle jene vorher-
gehenden einzelnen Wahrſcheinlichkeiten, wie dieß auch in der
Natur der Sache ſo ſeyn muß.
§. 61. (Anwendung dieſer Berechnung auf unſere Glücksſpiele.)
Wenn man drei Größen a, b und c zu je zweien unter ſich ver-
bindet, ſo nennt man dieſe Verbindungen bekanntlich Amben.
So hat man hier die drei Amben ab, ac und bc. Zwiſchen vier
Größen a, b, c und d aber findet man ſechs Amben, nämlich die
drei ebengenannten und dann noch die drei folgenden drei bd,
ad und cd. Ebenſo wird man finden, daß 5 Größen 10 Amben,
6 Größen 15 Amben geben u. ſ. w. Betrachtet man dieſe Zah-
len etwas genauer, ſo überzeugt man ſich bald, daß man über-
[406]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
haupt für n Größen die Zahl der Amben findet, wenn man n
mit n — 1 multiplicirt und das Product durch 2 dividirt.
Ebenſo erhält man die Ternen oder die Verbindungen die-
ſer n Größen nach je dreien derſelben, wenn man die vorher-
gehende Anzahl der Amben mit n — 2 multiplicirt und durch 3
dividirt, ſo daß alſo 4 Größen 4, fünf Größen 10, ſechs Größen
35 Ternen geben u. ſ. w.
Auf dieſelbe Weiſe erhält man von n Größen alle möglichen
Quaternen, wenn man die ſo eben gefundene Zahl der Ternen
mit n — 3 multiplicirt und durch 4 dividirt, und eben ſo end-
lich auch die Zahl der Quinternen, wenn man die Zahl der Qua-
ternen mit n — 4 multiplicirt und durch 5 dividirt u. ſ. w.
Unſere gewöhnlichen Lotterien enthalten bekanntlich 90 Nu-
mern, nämlich die natürlichen Zahlen 1, 2, 3 bis 90. Dieſe 90
Größen geben daher, nach dem Vorhergehenden, die Hälfte von
90mal 89 oder 4005 Amben, den dritten Theil von 4005mal 88
oder 117480 Ternen, den vierten Theil von 117480mal 87 oder
2555190 Quaternen, und den fünften Theil von 2555 190mal 86
oder 43949268 Quinternen.
Allein von dieſen 90 Numern werden bekanntlich in jeder
Ziehung nur 5 gezogen oder unter dieſen 90 Zahlen gibt es nur
5 Treffer. Dieſe 5 Treffer geben alſo, wenn man darauf wieder
die vorhergebende Regel anwendet
- die Hälfte von 5mal 4 oder 10 Amben,
- den dritten Theil von 10mal 3 oder 10 Ternen,
- den vierten Theil von 10mal 2 oder 5 Quaternen und
- den fünften Theil von 5mal 1 oder 1 Quinterne.
Da wir ſonach die Zahl aller möglichen und auch die Zahl
aller günſtigen Fälle kennen, ſo werden wir auch leicht die
Wahrſcheinlichkeit, daß einer von dieſen günſtigen Fällen eintrete,
beſtimmen können. Dieſe Wahrſcheinlichkeit wird alſo (nach §. 58)
gleich einem Bruche ſeyn, deſſen Zähler die Zahl der günſtigen
und deſſen Nenner die Zahl aller möglichen Fälle iſt. Man er-
hält ſonach, wenn man in eine ſolche Lotterie 2, 3, 4 oder 5
[407]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Zahlen ſetzt, für die Wahrſcheinlichkeit, daß man damit wenig-
ſtens errathen wird
- eine Ambe _ _ 10/4005 oder 2/801
- eine Terne _ _ 10/117480 oder 1/11748
- eine Quaterne _ _ 5/2555190 oder 1/511038 und
- eine Quinterne _ _ 1/43949268
Wendet man auf die ſo gefundenen Wahrſcheinlichkeiten das-
jenige an, was wir oben (S. 398) von den billigen Wetten ge-
ſagt haben, ſo folgt daraus, daß dem Spieler, wenn er eine Ambe
gewinnt, ſein Einſatz 801/2 oder nahe 400mal erſtattet werden
ſollte: allein er erhält nur den 270fachen Einſatz. Ebenſo ſollte
ihm, wenn er eine Terne erräth, ſein Einſatz 11747fach gegeben
werden, er erhält ihn aber nur 5500fach, und bei einer Quaterne
ſollte er den Einſatz 511038mal erhalten, während er ihn nur
75000mal erhält u. ſ. w. Man ſieht daraus die ſehr großen
Nachtheile, welchen die Spieler in ſolchen Banken ausgeſetzt ſind,
und wie thöricht es iſt, einen größern Theil ſeines Vermögens
daran zu ſetzen, in der Hoffnung, daſſelbe zu vermehren.
Daſſelbe Glücksſpiel bietet noch eine Menge anderer in-
tereſſanter Fragen dar, von welchen wir hier der Kürze wegen
nur die vornehmſten mit ihren Antworten zuſammenſtellen.
Wenn man nur eine einzige Nummer geſetzt hat, ſo iſt die
Wahrſcheinlichkeit, daß ſie herauskomme, oder daß dieſe Numer
auch ein Treffer ſey, gleich 1/18.
Hat man zwei Numern geſetzt, ſo iſt die W., daß ſie
auch beide herauskommen, oder daß man mit ihnen eine Ambe
gewinne, nahe gleich 1/400, wie zuvor.
Die W., daß von zwei geſetzten Numern beide und zwar
in einer beſtimmten Ordnung herauskommen, iſt gleich 1/800, und
die W., daß von drei geſetzten Numern alle drei in einer beſtimm-
ten Ordnung herauskommen, iſt 1/70488.
Wenn man bloß zwei Numern geſetzt hat, ſo iſt die W.,
daß von ihnen gewiß eine herauskomme, nahe gleich 1/10. Eben-
ſo iſt die W., daß von drei geſetzten Numern wenigſtens eine
herauskomme, gleich 3/20; die W. aber, daß zwei von ihnen
herauskommen, iſt nur 1/100 und endlich die W., daß alle
drei Treffer ſind, iſt gleich 1/1147, wie zuvor.
[408]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 62. (Wahrſcheinlichkeit, wenn die Anzahl der möglichen
Fälle unbekannt iſt.) Allein alle die bisher angeführten Wahr-
ſcheinlichkeiten ſetzen, wie man ſieht, voraus, daß die Anzahl der
überhaupt möglichen Fälle bekannt iſt. Es gibt aber in der
Natur eine Menge von Ereigniſſen ganz anderer Art, bei denen
dieſe Anzahl der möglichen Fälle völlig unbekannt iſt, und dieſe
ſind es vorzüglich, welche den Aſtronomen, den Phyſiker und
überhaupt alle Diejenigen intereſſiren, denen es darum zu thun iſt,
die Geſetze, nach welchen die Natur verfährt, durch eigentliche
Beobachtungen, durch wiederholte Experimente näher kennen zu
lernen. Wenn man nämlich den Werth einer oder auch mehrerer
Größen, die man ſchon aus früheren Beobachtungen, wenigſtens
beinahe, kennen gelernt hat, nun genauer beſtimmen will, ſo bleibt
uns nichts übrig, als dieſe Beobachtungen mit aller uns mögli-
chen Umſicht anzuſtellen und ſie, ſo viel es von uns abhängt,
zu vervielfältigen. Auf dieſe Weiſe wird man z. B. für die Pol-
höhe ſeines Ortes, oder für die Schiefe der Ecliptik oder für beide
zugleich eine ſehr große Anzahl von Beſtimmungen erhalten, die
unter ſich ſämmtlich, wenn auch nur wenig, verſchieden und über-
dieß auch noch vielleicht von ſehr ungleichem Werthe (Gewichte)
ſind, und es wird ſich nun darum handeln, aus allen dieſen Be-
ſtimmungen diejenige herauszufinden, die der geſuchten Wahrheit
zunächſt liegt. Man bemerkt ohne meine Erinnerung, daß dieſe
Unterſuchungen einer ganz anderen Art ſind, als alle vorher-
gehenden, und daß ſie zugleich für die endliche Ausbildung aller
ſogenannten Naturwiſſenſchaften von der größten Wichtigkeit ſeyn
werden, da ſie es eigentlich ſind, die uns von den unvermeid-
lichen Fehlern unſerer Sinne, deren wir bei allen unſeren Beobach-
tungen und Experimenten ausgeſetzt ſind, unabhängig machen und
gleichſam den Menſchen von der beſchränkten Lage, in welche ihn
die Natur verſetzt hat, befreien und ihn über ſich ſelbſt erheben,
ihn zu einem Weſen höherer Art machen ſollten. Auch iſt jene Gat-
tung der Wahrſcheinlichkeitsrechnung, wo die Anzahl der über-
haupt möglichen Fälle gegeben iſt, als die leichtere und einfachere
ſchon ſeit längerer Zeit von Pascal, Moivre, Huygens, Leibnitz,
Bernoulli u. A. ausgebildet worden, während die gegenwärtige
erſt unſeren Tagen angehört, indem wir das Vorzüglichſte, was
[409]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
uns bisher davon bekannt geworden iſt, unſeren großen Zeitge-
noſſen Laplace und Gauß verdanken.
Es würde dem vorgeſetzten Zwecke dieſer Schrift nicht ange-
meſſen ſeyn, die von den beiden letztgenannten Männern zu dieſer
Abſicht gegebenen Methoden hier umſtändlich mitzutheil n, da dieß
ohne den Gebrauch vieler analytiſcher Formeln nicht ausführbar
wäre. Wir müſſen uns daher bloß darauf beſchränken, die Wich-
tigkeit, den Nutzen und die Anwendbarkeit dieſer neuen, höchſt
intereſſanten Rechnung, wenigſtens in ihren allgemeinſten Zügen
darzuſtellen und unſere Leſer auf den großen Einfluß aufmerkſam
zu machen, welchen die hier in Rede ſtehenden Methoden, wenn
ſie dermaleinſt weiter ausgebildet und gehörig angewendet ſeyn
werden, auf die Tiefe ſowohl, als auch auf die Verbreitung der
geſammten menſchlichen Erkenntniß äußern werden.
§. 63. (Der Begriff des Zufalls iſt in unſerer Unkenntniß der
Dinge gegründet.) In der That, beinahe alle die wichtigen Fra-
gen, die unſere geſelligen Verhältniſſe, die unſer bürgerliches und
wiſſenſchaftliches Leben, die uns, unſere Beſorgniſſe und unſere
Hoffnungen ſelbſt für die fernſte Zukunft betreffen, ſie laſ-
ſen ſich alle auf dieſes große Problem der Wahrſcheinlichkeit zu-
rückführen. Was ſind unſere menſchlichen Erkenntniſſe anders,
als bloße Wahrſcheinlichkeiten? — Selbſt in den mathematiſchen
Wiſſenſchaften, wo wir uns ſo gern der erkannten reinen Wahrheit
rübmen möchten, ſind doch die vorzüglichſten Mittel, uns ihr zu
nähern, Analogie und Induction, die ſich beide wieder auf
Wahrſcheinlichkeit gründen. — Vor allem aber ſtellen ſich uns die
Erſcheinungen der Natur, die geſammten Phänomene der phy-
ſiſchen ſowohl, als auch ſelbſt der geiſtigen Welt, nur unter dem
Bilde von Wahrſcheinlichkeiten dar, von welchen wir die
Sache ſelbſt, die Wahrheit, welche ihnen zu Grunde liegt, nur
ſelten oder bloß zufällig erfaſſen können.
Auch ſchreiben wir bei weitem die meiſten dieſer Erſcheinun-
gen, da wir ihre Urſache und ihren Zuſammenhang nicht kennen,
dem Zufalle zu, obſchon ſie, ſelbſt die geringfügigſten unter ihnen,
ohne Zweifel eben ſo nothwendige Folgen derſelben ewigen Geſetze
der Natur ſind, als es die Bewegungen der Sonne und aller
Körper des Himmels nur immer ſeyn können. Auf dieſe Weiſe
[410]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
iſt, was wir Zufall nennen, nur der Ausdruck unſerer Unkennt-
niß der Dinge. Vor der höchſten Erkenntniß der Welt muß alles
als Zuſammenhang, und nichts als Zufall erſcheinen und auch
für uns ſelbſt werden dieſe ſogenannten zufälligen Erſcheinungen,
mit der Erweiterung unſerer Kenntniß der Dinge, immer mehr
verſchwinden und die nächſte Folge davon wird ſeyn, daß ſich auch
das Heer von Vorurtheilen vermindern wird, die ſo lange ſchon
die Plage des armen Menſchengeſchlechtes ſind, und gegen die es,
wie gegen den Moder der Verweſung, kein beſſeres Mittel gibt, als
das helle Licht der Sonne, als das Licht der Aufklärung und der
Crkenntniß.
Noch iſt es nicht ſo lange her, daß jede Finſterniß, jedes
Nordlicht, jeder Komet, daß überhaupt jede ungewöhnliche Er-
ſcheinung der Natur die Menſchen in Furcht und Schrecken ſetzte,
weil ſie in ihren Augen als eben ſo viele Zeichen des göttlichen
Zorns galten. Sie flehten zitternd zu dem Himmel, um dadurch
die verhängte Strafe von ſich abzuwenden. — Warum bitten ſie
aber nicht auch denſelben Himmel, den Lauf der Sonne und der
Planeten zu ändern? — Weil ſie die Urſache dieſer Bewegungen
kannten oder doch zu kennen glaubten, und weil ſie dieſe Plane-
ten immer vor ſich hatten.
Von jenen Erſcheinungen aber, die nur ſelten wiederkamen
und von deren Auftreten ſie ſich keine Rechenſchaft geben konnten,
nahm jeder an, was ihm gut dünkte oder was ſeine erſchreckte
Einbildungskraft ihm eben eingeben wollte. So haben wir ge-
ſehen, daß der große Komet des Jahres 1456 Entſetzen über ganz
Europa verbreitete, das ohnehin ſchon durch eine verheerende Peſt und
durch die Verwüſtungen, welche die Türken um ſich verbreiteten,
geängſtiget wurde. Wie ganz anders wurde die Erſcheinung deſ-
ſelben Kometen zwei Jahrhunderte ſpäter aufgenommen, als New-
ton das Geſetz des Weltſyſtems gefunden und uns gelehrt hatte,
daß die Kometen, gleich allen andern Körpern unſeres Sonnen-
ſyſtems, dieſem Geſetze gehorchen, und daß ſich die Bahnen, wel-
che ſie am Himmel beſchreiben, beſtimmen und ihre Wiederkunft
voraus berechnen laſſen. Früher war der Komet der Gegenſtand
einer grundloſen Furcht, der Bote drohenden Unglücks, und jetzt iſt
[411]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
er ein Gegenſtand aufmerkſamer Beobachtung und Berechnung ge-
worden.
Dieſelbe Regelmäßigkeit aber, die wir in der Bewegung der
Kometen kennen gelernt haben, wird ohne Zweifel auch bei allen
übrigen Erſcheinungen der Natur uns ſichtbar werden, wenn wir
auch von ihnen die Geſetze, nach welchen ſie fortgehen, einmal
kennen werden. Die krummen Linien, welche der Staub oder
die, welche die Elemente der Luft um [uns] her beſchreiben, ſind
gewiß eben ſo geordnet und eben ſo beſtimmten und unveränderlichen
Geſetzen unterworfen, als die großen Bahnen, welche von jenen
Himmelskörpern in dem Weltraume beſchrieben werden, und der
Unterſchied, der zwiſchen beiden für uns noch ſtatt hat, liegt
nicht in ihnen, ſondern einzig nur in uns ſelbſt, in unſerer Be-
ſchränktheit, in unſerer Unkenntniß dieſer Gegenſtände. Denn
ohne Zweifel iſt der gegenwärtige Zuſtand des Univerſums in al-
len ſeinen, auch den geringfügigſten Theilen, nur die Folge eines
vorhergegangenen, ſo wie zugleich die Urſache eines künftigen Zu-
ſtandes deſſelben; und ein Geiſt, der alle Kräfte kennt, von wel-
chen die Natur belebt iſt, und der den gegenwärtigen Zuſtand
aller Weſen in ihren Wechſelwirkungen überſieht, wird mit Einem
Blicke, vielleicht mit einem einzigen Ausdrucke ſeiner höheren Ana-
lyſe, alle vergangenen und künftigen Phänomene der Natur zu
umfaſſen im Stande ſeyn. Er würde ohne Zweifel die vergangenen und
künftigen Bewegungen der Waſſertropfen im Weltmeere und der
Sonnenſtäubchen in der Atmoſphäre ebenſo, wie die der Planeten
und Kometen im Himmelsraume überſehen, für ihn würde kein Zu-
fall, ſondern alles nothwendige Folge, für ihn würde keine Wahr-
ſcheinlichkeit, ſondern alles nur Wahrheit ſeyn und die Vergan-
heit, wie die Zukunft, würde klar und offen vor ſeinen Augen
liegen.
§. 64. (Hinneigung aller Erſcheinungen der Natur zu einer ge-
wiſſen Ordnung.) Mitten unter den höchſt veränderlichen und uns
meiſtens zufällig erſcheinenden Phänomenen der Natur bemerken wir,
daß die Unregelmäßigkeit derſelben in dem Maaße abnimmt, je
öfter ſie vorkommen, und daß daher dort, wo anfangs der Zu-
fall allein zu walten ſchien, eine Art von feſter Ordnung immer
mehr ſichtbar zu werden ſcheint, die wir dann, vielleicht mit dem-
[412]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſelben Unrechte, einer gewiſſen, uns übrigens noch verborgenen
Abſicht zuzuſchreiben geneigt ſind. Um dieß ſogleich durch ein
Beiſpiel deutlich zu machen, wollen wir annehmen, daß eine Urne
eine uns ganz unbekannte Anzahl von weißen und ſchwarzen Ku-
geln enthalte. Wenn man bei jedem Zuge eine Kugel heraus-
nimmt, ihre Farbe bemerkt und ſie dann wieder in die Urne zu-
rücklegt, um eine neue Ziehung vorzunehmen, ſo wird man, je
länger man dieſe Ziehungen fortſetzt, deſto deutlicher ein beſtimm-
tes und conſtantes Verhältniß der beiden Farben bemerken, und
dieß Verhältniß der gezogenen weißen und ſchwarzen Kugeln wird
dem Verhältniß der überhaupt in der Urne enthaltenen weißen
und ſchwarzen Kugeln immer näher kommen, je größer die An-
zahl der Ziehungen iſt.
Denken wir uns, in einem zweiten Beiſpiele, eine Reihe
kreisförmig um uns aufgeſtellter Urnen, deren jede eine große,
übrigens willkührliche Zahl weißer und ſchwarzer Kugeln enthält.
Zieht man dann eine Kugel aus der erſten Urne und wirft ſie in
die zweite, ſchüttelt darnach die Kugeln der zweiten Urne und
zieht aus ihr eine Kugel und wirft ſie in die dritte Urne u. ſ. f.,
bis man die aus der letzten Urne gezogene Kugel wieder in die
erſte wirft, und ſetzt man dieſes Verfahren mit der ganzen Reihe
von Urnen recht oft fort, ſo wird das Verhältniß der weißen und
ſchwarzen Kugeln in jeder einzelnen Urne ſich dem conſtanten
Verhältniſſe der weißen und ſchwarzen Kugeln in allen Urnen
zuſammengenommen, immer mehr nähern, je länger jene Ver-
ſuche fortgeſetzt werden.
Dieſelbe Erſcheinung, daß ſich alle, ſelbſt die zufälligſten
Dinge, ſehr oft wiederholen, zu einer beſtimmten Regelmäßigkeit
hinneigen, und zwar deſto mehr hinneigen, je öfter ſie wiederholt
werden — dieſe ſonderbare Erſcheinung dringt ſich uns gleich-
ſam als ein allgemeines Geſetz bei allen Ereigniſſen der phyſiſchen
und ſelbſt der moraliſchen Welt auf. Es ſcheint, daß gewiſſe
conſtante Kräfte der Natur regelmäßige Wirkungen hervorbringen,
und daß ſie eben dadurch andere veränderliche Einflüſſe mit der Zeit
überwiegen und ſo gleichſam aus dem Schooße der Unordnung eine
gewiſſe Ordnung, und aus der Verwirrung ſelbſt eine Art von Zu-
ſammenhang und Harmonie erzeugen. Wenn wir bei dieſen Verſuchen
[413]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
einmal dahin gelangt ſind, dieſe Harmonie aufzufaſſen und das Ge-
ſetz dieſes Zuſammenhangs zu erblicken, ſo ſind wir dann auch
in den Stand geſetzt, die künftige Geſtaltung dieſer Ereigniſſe mit
einer Sicherheit vorauszuſagen, von der wir uns ſelbſt nicht im-
mer ſtrenge Rechenſchaft geben können und die den, mit weniger
ſcharfen Sinnen oder mit einer ſchwächeren Auffaſſungsgabe be-
theilten Zuſchauer ganz unerklärbar, ja wohl ſelbſt ein Wunder
erſcheint. Wer von uns kann es ſagen, wie viele von den außer-
ordentlichen Erſcheinungen, deren unſere Weltgeſchichte und oft
ſchon die Geſchichte manches einzelnen Menſchen ſo voll iſt, auf
dieſe und nur auf dieſe Weiſe erklärt werden können? Muß man
nicht auch die für unſere geſelligen Verhältniſſe ſo wichtigen Ge-
burts- und Sterbe-Tafeln, von welchen wir oben geſprochen haben,
aus derſelben Quelle ableiten? Wie ſollte man ſich ſonſt erklären
können, warum die Anzahl der Geburten und der Sterbefälle
eines Landes, ungeachtet der Veränderungen einzelner Jahre,
wenn man ſie aus einer großen Anzahl von Jahren ableitet, im-
mer ſehr nahe dieſelben Reſultate geben? Daſſelbe hat mit den
Erzeugniſſen des Bodens, ja ſelbſt mit den einzelnen Fruchtarten
ſtatt, und es würde nicht ſchwer ſeyn, aus der moraliſchen Welt
ebenfalls Beiſpiele für den Beleg dieſes Satzes anzuführen.
§. 65. (Trieb zur Vereinigung gleichgeſtimmter Weſen.) Da-
hin ſcheint jene wunderbare Sympathie oder der Trieb zur Ver-
einigung ähnlicher Weſen in der materiellen ſowohl, als auch in
der geiſtigen Welt zu gehören. Zwei Pendel oder zwei Uhren,
deren Gang anfangs verſchieden iſt, erhalten endlich, wenn ſie auf
derſelben Unterlage angebracht ſind, einen ganz gleichen Gang.
Auf dieſe Bemerkungen gründen ſich Breguet’s ſogenannte ſym-
pathetiſche Uhren, die beide in Einem Gehäuſe eingeſchloſſen,
endlich ganz denſelben, ſelbſt fehlerhaften Gang annehmen. Ge-
ſpannte Saiten geben, wenn auch nur eine derſelben berührt wird,
die gleichen oder doch die verwandten Töne. Auf dieſelbe Art
ſehen wir auch die Thiere verſchiedener Gattung, aber von ähn-
licher Organiſation, nach Vereinigung ſtreben und mehrere der-
ſelben ſich in Gruppen und Heerden bilden. Selbſt über viele
Geſchlechter der Pflanzen ſcheint ſich eine Art von Familienband
zu ſchlingen und ſie zu einem gemeinſchaftlichen Ganzen zu ver-
[414]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
einigen. Ohne Zweifel haben die Zuſammentretungen der Men-
ſchen zu größeren Geſellſchaften und zu ganzen Staaten denſelben
Urſprung. Und wie in der Ehe, wie in der Liebe der Aeltern zu
ihren Kindern und dieſer zu jenen, ſehen wir auch in dieſen größe-
ren Geſellſchaften, daß der ſtärkere Geiſt daſſelbe Vergnügen in
der Leitung und Beſchützung des ſchwächeren findet, welches die-
ſer in der Hingebung und in dem Gehorſam gegen jene genießt.
Verwandte Gefühle und Empfindungen, in einem Kreiſe mehrerer
Menſchen erregt, verſtärken ſich durch gegenſeitige Mittheilungen,
wie wir täglich in unſeren Schauſpielen und noch mehr in den-
jenigen Gegenden ſehen können, wo dieſe Mittheilung durch keine
äußere Hemmung beſchränkt iſt. So mächtig werden dadurch oft
jene Empfindungen geſteigert, daß ſie zur Begeiſterung, ſelbſt
zum Fanatismus führen, daß ſie das Gemüth eines ganzen Vol-
kes bis zu einer Art von Wuth erhitzen, daß ſie ſich mit einer
unwiderſtehlichen Kraft verbreiten und unglaubliche, an das Wun-
derbare gränzende Wirkungen hervorbringen, wie unſere Ge-
ſchichtsbücher auf mehr als einer Seite bezeugen. Es iſt mög-
lich, daß die oft eben ſo ſchwer zu beſiegende Sympathie, welche
die Muskeln unſers Geſichtes verzieht, wenn wir einen anderen
lachen oder gähnen ſehen, aus derſelben Quelle entſpringt. Un-
ſere Augenlieder ſchließen ſich ſchnell und unwillkührlich vor jeder
plötzlich auffallenden Gefahr, noch ehe ſie die Wirkung unſeres
Willens erreicht und wir machen die Bewegung des Ausweichens
vor einem uns begegnenden Hinderniſſe, wenn wir gleich noch
weit von ihm entfernt ſind, ja oft ſchon bei der Erzählung oder
bei dem bloßen Gedanken an eine ſolche Gefahr.
Die Erzählung großer Thaten erregt nicht bloß Begeiſterung,
ſondern auch den Trieb der Nachahmung, beſonders bei jungen
Gemüthern, und weniger glücklich organiſirte Menſchen ſind durch
Räubergeſchichten zu einer ähnlichen Nacheiferung angereizt worden.
§. 66. (Aehnliche Operationen unſeres Gedächtniſſes.) Auch
in unſeren Erinnerungen an längſt vorübergegangene Ereigniſſe
liegt noch viel Geheimnißvolles, das einer genaueren Unterſuchung
in hohem Grade würdig iſt. Wir fühlen eigene innere Bewe-
gungen, wenn wir uns an einen Namen oder an eine Sache er-
innern wollen. Es iſt, als ob wir das Verlorne, nicht in dem
[415]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ganzen Kopfe, ſondern nur in einem Theile, in einem beſtimmten
Winkel deſſelben ſuchen dürften, etwa wie man eine in einem
Kaſten verlegte Schrift nur in gewiſſen Fächern deſſelben ſucht,
wo ſie, einer innern Ahnung gemäß, liegen muß. Eindrücke der
früheſten Jugend erhalten ſich oft noch bis in das ſpäte Alter,
während die der männlichen Jahre ſchon längſt entſchwunden
ſind. Wir behalten die Dinge, die wir am Abend eines Tags
gehört oder gelernt haben, am ſicherſten, und vergeſſen im Gegen-
theile jene am leichteſten, die wir etwa aus einem Buche un-
mittelbar vor dem Einſchlafen erhalten haben. Verwickelte Unter-
ſuchungen, wenn man ſie einige Tage ruhen läßt und ſich abſicht-
lich von ihnen entfernt, treten dann gewöhnlich mit friſcher Klar-
heit aus ihrem Dunkel hervor. — Wir bewundern mit Recht das
ungewöhnlich ſtarke Gedächtniß einiger Menſchen. Aber wenn
man bedenkt, welche unüberſehbare Maſſe von Dingen auch das
gewöhnlichſte Gedächtniß eines jeden Menſchen in ſich aufnimmt,
ſo müſſen wir erſtaunen, daß ſo viele Gegenſtände in einem ſo
kleinen Raume ohne Verwirrung Platz haben können. Einem
Sänger in unſern Opern z. B. muß heute jede Sylbe ſeiner Rolle,
ihr Ton, ihr Zeitmaaß und die ſie begleitende Gebehrde, klar und
lebhaft vorſchweben und die folgende Rolle des morgenden Tages
muß wieder allen jenen geſtrigen Vorrath in den dunklen Hin-
tergrund zurückdrängen, um einem neuen, unüberſehbaren Heere
von Erinnerungen ſeine Stelle abzutreten. Alle dieſe endloſen
Reihen liegen zu gleicher Zeit in dem Gedächtniſſe des Sängers
und können, nach Willkühr, wie die Regiſter einer Orgel, her-
vorgezogen oder zurückgeſtellt werden.
§. 67. (Gewohnheiten.) Dieſe und viele andere Operationen
unſeres inneren Sinnes werden, wie wir Alle erfahren, durch
Wiederholung ſtärker und geläufiger. Dieſe Wiederholungen,
wir mögen ſie nun ſelbſt vornehmen oder bloß an Andern häufig
genug bemerken, bilden alsdann unſere Gewohnheiten und auf
dieſen endlich beruht ein großer Theil unſerer Gebräuche und ſelbſt
unſerer Sitten. Nur aus dieſer Gewohnheit läßt es ſich erklä-
ren, warum ſo oft, was bei dem einen Volke für gut und ſchick-
lich gehalten wird, bei dem anderen ſchlecht und ſelbſt abſcheulich
erſcheint. Die Gladiatorenſpiele der alten Römer und die Men-
[416]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
ſchenopfer der Wilden erregen Entſetzen auch bei Jenen, die doch
ohne Anſtand Tauſende von ihren Brüdern, bloßer Meinungen
wegen, dem Scheiterhaufen übergeben oder ihre Blicke an den
Leiden eines Verurtheilten laben, oder ein mit Leichen beſäetes
Schlachtfeld mit Vergnügen ſehen und ſich dieſes Vergnügens
noch als einer Tugend rühmen können.
Die Gewohnheit ſcheint einer der mächtigſten Hebel der menſch-
lichen Geſellſchaft zu ſeyn. Es würde gewiß ſehr ſchlecht um
uns ſtehen, wenn wir alles nur aus Ueberzeugung thun ſollten
und wenn wir zu nichts frühe ſchon gewöhnt worden wären. Gar
Vieles und vielleicht das Beſte in jedem Menſchen iſt nur durch
Gewohnheit von Jugend auf in ihm entſtanden. Wenn unſere
Erzieher, die der jungen ſowohl, als die der alten Kinder, dieſe
Wahrheit ganz einſehen und ſie in das praktiſche Leben einführen
wollten, ſo würde unſere moraliſche Welt eine ganz andere Ge-
ſtalt annehmen. Aber ſie vergeſſen Beide, ſo oft ſie auch das Ge-
gentheil davon im Munde führen, daß ihre Zöglinge ebenſowohl
Geiſt als Körper ſind, und daß man dieſe beiden Dinge nicht ſo
leicht trennen kann, als ſie meinen. Das, was in unſerem Geiſte
die ſogenannte Ueberzeugung hervorbringt, iſt nicht immer der ei-
gentliche Beweis. Wie wenig Sachen gibt es, die wir wirklich
als bewieſen annehmen können! Die meiſten Menſchen ſehen,
was ſie auch am beſten zu ſehen glauben, nur wie durch einen
Nebel. Eure Beweiſe wirken nur auf den Geiſt, aber Gewohn-
heit reißt Geiſt und Körper mit ſich fort, und zu ihr muß man
im praktiſchen Leben, wo uns die Beweiſe ſo oft verlaſſen, wieder
zurückkehren. Wer dieſe Beweiſe immer gegenwärtig haben will,
wird ſich viele unnütze Geſchäfte machen und nie zu Ende kom-
men. Gewohnheit geht ſicherer und ſchneller zugleich. Die beſte
Erziehung und die beſte Regierung iſt die, welche die Kinder und
die Leute gewöhnt hat, gut zu ſeyn. Grundſätze verlaſſen uns
in der Stunde der Gefahr, aber Gewohnheit iſt eine zweite Na-
tur, die uns nie verlaſſen kann. Rechtthun aus Grundſatz mag
verdienſtlicher fern, aber Rechtthun aus Gewohnheit iſt ſicherer,
wenigſtens für ſo ſchwache Geſchöpfe, die ſich ſelbſt die Engel nicht
anders denken können, als Weſen, die bloß aus der Urſache gut
ſind, weil ſie, etwa wieder aus Gewohnheit, gut ſeyn müſſen.
[417]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 68. (Inſtinct der Menſchen.) Wir pflegen in der uns, wie
es ſcheint, ſchon angebornen Beſcheidenheit unſeren eigenen Werth
ſo hoch anzuſchlagen, daß wir mit den anderen lebenden Weſen
auf dieſer Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir ſpre-
chen ihnen erſtens den Verſtand ab und wollen zweitens nichts von
ihrem Inſtinct an uns haben, und — wir irren uns wahrſcheinlich in
beiden Fällen. Die meiſten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen
uns, daß in unſerm inneren, ſogenannten geiſtigen Organismus ein
ſehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge-
ſchöpfen Inſtinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiiſchen Be-
trachtung unſerer Handlungen und beinahe aller unſerer geiſtigen
Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen ſelbſtge-
fällig zu ſchmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und
freie Wahl voraus, ſondern meiſtens nur ein gewiſſes zwar dunk-
les, aber mächtig beſtimmendes Gefühl, das Menſchen von
glücklicher Organiſation nur ſelten trügt, und das uns ſicherer
leitet, als alles ſchulgerechte Raiſonnement. Auch iſt es jenes
dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir
Vernunftſchlüſſe nennen, meiſtens ſpäter, erſt hinter jenem Gefühle,
nachkömmt und mehr dazu dient, jene erſte Senſation zu control-
liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menſchen, wie es ſcheint,
nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und ſie ſchickt oft
ſchon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweiſe noch lange
nicht fertig ſind. Auf dieſe Weiſe greift der Inſtinct beinahe im-
mer dem geſchloſſenen Urtheile vor. Das Brauchbarſte im Leben
hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es
wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne ſelbſt recht zu wiſſen,
auf welche Art. Am deutlichſten ſehen wir dieß in jenen Dingen,
in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf dieſe Weiſe ſehen:
ich meine, in unſeren ſogenannten hyperphyſiſchen Wiſſenſchaften.
Denn beſteht nicht z. B. unſere Metaphyſik, und unſere ganze
Philoſophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns deſſen etwas
deutlicher, oder — ſoll ich ſagen — etwas gelehrter bewußt zu
machen, was wir auch ohne Metaphyſik eigentlich ſchon längſt
gewußt haben?
Die ſtärkſte Leidenſchaft unter allen, die des Menſchen Herz be-
wegt, diejenige, die keinen Widerſtand kennt und kein Opfer ſcheut,
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 27
[418]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
iſt die Liebe der Mutter zu ihrem Säuglinge. Jede andere Liebe, ſo
große Anſprüche ſie auch auf ihre Uneigennützigkeit machen mag,
liebt doch, in letzter Inſtanz, nur ſich ſelbſt. Bei weitem die
meiſten Menſchen thun alles, was ſie thun, nur ihres Vortheils
wegen, und die wir die Edleren nennen, ſind von den andern nur
dadurch verſchieden, daß ſie ſich edlere Vortheile zu den Beweg-
gründen ihrer Handlungen wählten. Wenn es die Natur ſo wollte,
was können wir dagegen thun? — Dieſe Einrichtung iſt vielleicht
ſehr weiſe und zur Erhaltung des ganzen Geſchlechts ſo nöthig, als
die Empfindlichkeit zur Erhaltung des Körpers. Wenn wir uns aber
dadurch gedehmüthigt fühlen, ſo wollen wir uns dafür mit der Bemer-
kung zufrieden ſtellen, daß es unſerem Scharfſinne keine Schande
bringe, den Betrug ausfindig gemacht zu haben, den uns die Natur,
ohne Zweifel zu unſerem eigenen Beſten, ſpielen wollte. — Alſo nur in
der mütterlichen Liebe zu ihrem neugebornen Kinde äußert ſich, bei
Menſchen, wie bei Thieren, eine unwiderſtehliche, von allem Eigen-
nutz auch der edelſten Art ganz reine Anhänglichkeit an ein äußeres
Weſen. Und worauf hat die Natur dieſe mächtigſte der Leidenſchaften
gebaut? Auf Vernunftgründe? Dann wehe der Erhaltung des Ge-
ſchlechts! Hat ſie doch nicht einmal jene andere Liebe, die wir vorzugs-
weiſe mit dieſem Namen zu bezeichen pflegen, auf einer ſo gebrechlichen
Baſis errichten wollen, wie ſchon die große Macht beweist, welche
dieſelbe, ſelbſt gegen die lauteſte Stimme der Vernunft, ſo oft
und auf die meiſten von uns auszuüben pflegt.
Es wäre beſſer, daß wir, ſtatt uns noch ferner mit den ver-
meinten höheren Gaben zu brüſten, mit welchen uns die Natur
zum Nachtheile aller anderen Geſchöpfe ſo reichlich beſchenkt ha-
ben ſoll, diejenigen Gaben, die wir in der That erhalten haben,
ganz unpartheiiſch etwas näher kennen zu lernen ſuchten, als wir
bisher gethan haben. Unſere Philoſophen ſollten, ſtatt der un-
fruchtbaren Speculationen, mit welchen ſie ihre Zeit vergenden,
vielmehr dieſe innere Organiſation des Menſchen genauer kennen
lernen. Noch fehlt es uns zu ſehr an Beobachtungen und Erfah-
rungen, um die Natur von dieſer uns ſo nahen und zugleich ſo
intereſſanten Seite mit Nutzen ſtudieren zu können. Das würde
dermaleinſt eine Phyſiologie höherer Art geben und uns eine ganz neue
Welt von Kenntniſſen öffnen. Was ſtünde da zu erwarten und
[419]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
wie beneidenswerth müßten uns unſere Enkel erſcheinen, wenn ſie
einmal dahin gelangen ſollten, die Erſcheinungen und Geſetze die-
ſes inneren Organismus zu erkennen und auf ihn die Kraft der
Analyſe und unſere Wahrſcheinlichkeitsrechnung ebenſo anzuwenden,
wie wir ſie bisher, nach Newtons Beiſpiel und Anleitung, auf
die Erſcheinungen der Außenwelt, auf die Geſetze der Bewegungen
der Himmelskörper angewendet haben.
Allein ſo wie die Aſtronomie, ſo lange ſie in den Händen der
griechiſchen Philoſophen war, die nur raiſonniren, aber nicht beob-
achten wollten, unfruchtbar blieb, ſo lange wird auch dieſe hö-
here Phyſiologie, oder die eigentliche Pſychologie des Menſchen, in
ihrer bisherigen Nacht verborgen bleiben, bis man eine hinlängliche
Maſſe guter Beobachtungen und Erfahrungen über dieſen Gegenſtand
geſammelt haben wird. Noch fehlt es uns beinahe gänzlich an
denſelben, und ſelbſt die Inſtrumente, mit welchen man dieſe
Beobachtungen anſtellen ſoll, ſind uns größtentheils noch unbe-
kannt. Die Erſcheinungen, um die es ſich hier handelt, werden
überdieß zu den gewöhnlichen und alltäglichen gezählt und entge-
hen eben dadurch unſerer Aufmerkſamkeit, obſchon ſie derſelben
in dem höchſten Grade würdig ſind, da wir nur durch ſie zu
einer nähern Kenntniß unſerer ſelbſt kommen können. So lange
wir bei irgend einer Unterſuchung der Natur, der äußeren ſowohl als
auch der inneren, nicht meſſen und wägen können, ſo lange kön-
nen wir auch nicht rechnen, und wo Rechnung fehlt, fehlt das Beſte,
wo nicht Alles. Vielleicht iſt das beſte Mittel, dieſe Meſſun-
gen vorzunehmen, in uns ſelbſt verborgen und wir haben bisher
nur nicht Geſchicklichkeit genug gehabt, es gehörig anzuwenden.
Die thieriſchen Nerven ſind vielleicht die feinſten Inſtrumente, die
man zur Beobachtung der Natur gebrauchen kann, beſonders wenn
ſie durch irgend einen Zufall in den Stand einer höheren Reiz-
barkeit verſetzt werden. Durch ſie hat man die äußerſt ſchwache
Electricität entdeckt, welche durch die Berührung zweier heterogenen
Metalle erregt wird, und ſie ſind es auch, die uns jene ſonderbaren
Erſcheinungen kennen gelehrt haben, die wir, ſo wenig wir auch
noch von ihnen wiſſen, dem thieriſchen Magnetismus und dem Ein-
fluſſe der Sonne und des Mondes auf verſchiedene Krankheiten zu-
ſchreiben. Dieſe Wirkungen ſind, wenn ſie anders in der That
27 *
[420]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
exiſtiren, ohne Zweifel nur ſehr ſchwach, und ſie können daher
leicht verkannt und von einer zu lebhaften Phantaſie überſchätzt
werden: aber dieß kann kein Grund ſeyn, ſie, wie Manche gethan
haben, ohne alle weitere Unterſuchung zu verwerfen. Wir ſind
noch ſo weit entfernt, alle Agentien der Natur zu kennen, daß
es durchaus nicht gebilliget werden kann, die Exiſtenz ſolcher Er-
ſcheinungen bloß aus der Urſache zu läugnen, weil ſie uns, bei
dem gegenwärtigen Zuſtande unſerer Kenntniſſe, noch unerklärbar
oder unglaublich erſcheinen. Auch hier wird man es ſich daher,
nach jenem goldenen Wahlſpruche, angelegen ſeyn laſſen, alles zu
prüfen und das Beſte zu behalten. Wie vieles iſt in unſeren
Tagen als eine ausgemachte Wahrheit ſelbſt bis zu dem ge-
meinſten Manne vorgedrungen, was in der Vorzeit als Thorheit
verlacht oder als Irrthum verfolgt worden iſt. Man denke nur
an unſere ehemaligen Aſtrologen, Zauberer, Traumdeuter, an un-
ſere dämoniakiſchen Perſonen und an die ſchändlichen Hexenpro-
zeſſe, denen ſo viele Unſchuldige zum Opfer gebracht wurden.
Der Menſch iſt halb Geiſt, halb Körper, wie der Polyp halb
Pflanze und halb Thier — und an den Gränzen liegen immer
die ſonderbarſten Geſchöpfe. Durch dieſe Sonderbarkeit ſelbſt
wird ſchon das Intereſſe der Unterſuchung vermehrt, wenn ſie
auch nicht ſonſt ſchon ſo innig mit unſerem eigenen Wohl und
Wehe verbunden wäre. Was iſt kläglicher, als ein von Vorurthei-
len befangener Geiſt, den Viſionen und Träume feſſeln, der im-
mer fürchtet und keinen Augenblick ſich ſeines Daſeyns rein er-
freuen kann. Und, welches Mittel gibt es gegen dieſes Unglück,
als Bildung und Aufklärung und eine wahre Erkenntniß der Na-
tur und unſerer eigenen Beſtimmung? — Nur mit Schauder kann
man an die vielen und traurigen Verirrungen denken, welchen
ſich nicht bloß der Einzelne, ſondern ſogar ganze Völkerſchaften
durch mehrere Jahrhunderte ohne Anſtand und mit einer Hart-
näckigkeit hingegeben haben, die weder die Vernunft, noch die
Erfahrung, noch das Unglück ſelbſt in ſeiner häßlichſten Geſtalt zu
beſiegen vermochten. Dieſe Vorurtheile verbitterten ihr Leben,
hielten ſie in beſtändiger Beſorgniß, verfolgten ſie bis in ihre
Träume — aber alles dieß vermochte nichts über das arme Men-
ſchengeſchlecht, das ſich allen Qualen der Einbildungskraft willig
[421]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
hingab, um nur dadurch ſeine Luſt zu büßen, in der Zukunft zu
leſen und das Unmögliche möglich zu machen.
Den Grund einer ſo betrübenden und ſo allgemeinen Erſchei-
nung müſſen wir wohl in derſelben inneren Einrichtung unſeres We-
ſens, in jener geiſtigen Phyſiologie ſuchen, die dort anfängt, wo unſere
materielle Phyſiologie aufhört, und die ohne Zweifel, ſo wie dieſe,
beſtimmten Geſetzen unterworfen iſt, deren nähere Kenntniß uns
daher nicht anders als höchſt intereſſant ſeyn kann. Schon hat
man es verſucht, einige dieſer Erſcheinungen aus dem Dunkel her-
vorzuziehen, in welchem ſie bisher verborgen waren, und auf ſie
die Wahrſcheinlichkeitsrechnung anzuwenden. Aber dieſe Ver-
ſuche ſind noch zu neu und die Unterſuchungen ſelbſt vielleicht zu
ſchwer, als daß man ſobald ſchon ihrer Vollendung entgegen ſehen
ſollte. Hier wird es genügen, nur einige der vorzüglichſten derſel-
ben kurz anzudeuten.
§. 69. (Anwendung der Wahrſcheinlichkeitsrechnung auf das öffent
liche Leben.) Da auf das Zuſammenleben der Menſchen in gan-
zen Völkerſchaften ſo viele äußere und innere Urſachen einwirken,
ſo wird es ſelbſt dem ſcharfſinnigſten Beobachter oft unmöglich,
dieſe Wirkungen von einander zu trennen und ſich bis zu einer
klaren Anſicht des Gegenſtandes zu erheben. Auch fehlt es uns
hier mehr, als ſonſt wo, an hinlänglichen Erfahrungen. Hätte
man z. B. in jedem Zweige der öffentlichen Adminiſtration ſeit
Jahrhunderten die neu eingeführten Experimente mit ihren guten
oder böſen Folgen genau aufgezeichnet, ſo würde man jetzt über
den Nutzen oder Schaden derſelben ein beſtimmtes Urtheil fällen
können. Aber wie wenige allgemeine und vollkommen bewährte
Regeln wird man über dieſen ſo wichtigen Gegenſtand anführen
können. — So ſcheint es uns Allen klar, daß man dem unabweis-
lichen Fortgange des Ganzen der menſchlichen Geſellſchaft in ma-
terieller und intellectueller Hinſicht keinen Damm entgegen ſetzen
ſoll; aber es iſt wohl nicht minder gewiß, daß man jede größere
Veränderung nur mit der äußerſten Umſicht vornehmen darf, wenn
man nicht auf neue, oft ganz unbefiegbare Hinderniſſe ſtoßen
will. Die Vergangenheit kennen wir bereits durch unſere eigene
Erfahrungen: aber die Uebel, welche jede Neuerung mit ſich füh-
ren kann, ſind uns noch ganz fremd. In dieſer Unkenntniß der
[422]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Zukunft gebietet uns die Vernunft ſowohl, als auch jene Rech-
nung, vor allem Vorſicht und Vermeidung aller heftigen Aen-
derung, bei welcher, wie bei einem gewaltſamen Stoße in der ma-
teriellen Welt, immer ſehr viel von dem verloren geht, was man in der
Mechanik die lebendige Kraft des Syſtems zu nennen pflegt.
§. 70. (Wahrſcheinlichkeitsrechnung bei Zeugenausſagen.) Die
Wahrſcheinlichkeit der Zeugenausſagen bei unſeren Gerichten
zu kennen, muß für den Richter ſowohl, als auch für den
Gerichteten von der größten Wichtigkeit ſeyn. Oft zwar wird
es ſehr ſchwer und oft ſogar unmöglich ſeyn, auf dieſem Wege
die geſuchte Wahrheit zu erhalten, da die meiſtens unbekannte Wahr-
heitsliebe des Menſchen und der Grad ſeiner Einſicht des Gegenſtan-
des die Sache ſelbſt mannigfaltig verändern kann. Wenn aber dieſe
beiden Umſtände einigermaßen bekannt ſind, ſo läßt ſich unſere
neue Rechnung in der That darauf anwenden.
Ein Zeuge ſagt vor Gericht aus, daß unter mehreren Fäl-
len, von denen man nur n als möglich erkennt, ein beſtimmter
dieſer n Fälle in der That ſtatt gehabt habe. Iſt dann w die
Wahrhaftigkeit des Zeugen, das heißt der Grad der Verläßlich-
keit, daß er die von ihm als Wahrheit erkannte Sache auch in
der That ausſagen will und iſt s die Sicherheit deſſelben, d. h.
der Grad der Verläßlichkeit, daß er ſich in ſeiner eigenen Anſicht
nicht ſelbſt geirrt habe, ſo iſt, wie unſere Analyſe zeigt, die Wahr-
ſcheinlichkeit, daß jener beſtimmte Fall in der That ſtatt gehabt
hat, gleich dem Producte von w in s, mehr dem Producte von
1 — w in 1 — s durch n — 1 dividirt.
Aus dieſer allgemeinen Formel laſſen ſich eine Menge
beſonderer Fälle ableiten. Iſt man z. B. von der Wahrhaf-
tigkeit oder Redlichkeit des Zeugen vollkommen überzeugt,
ſo iſt die Wahrſcheinlichkeit ſeiner Ausſage gleich dem Pro-
ducte von w in s. Ganz daſſelbe hat auch ſtatt, wenn man
von ſeiner Sicherheit, d. h. von der Richtigkeit ſeiner Ein-
ſicht vollkommen überzeugt iſt. Muß man aber vorausſetzen, daß
er eben ſo leicht redlich als unredlich ſeyn, und daß er eben ſo
leicht die wahre als auch eine falſche Anſicht von der Sache haben
kann, welche Vorausſetzung meiſtens ſtatt haben wird, ſo iſt die
Wahrſcheinlichkeit ſeiner Ausſage gleich ⅜, alſo etwas kleiner als ½.
[423]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Wären ſtatt 3 möglichen Fällen 4, 5, 10 oder 100 Fälle möglich,
ſo würde die Wahrſcheinlichkeit ſeiner Ausſage nach der Ordnung ⅓,
5/16, 10/36, und 100/396, alſo immer näher an ¼ kommen, d. h. wenn die
Anzahl der möglichen Fälle unendlich groß iſt, ſo iſt die W. der
Ausſage eines ſolchen Zeugen nur gleich ¼, oder es iſt dreimal
wahrſcheinlicher, daß ſeine Ausſage falſch iſt, als daß ſie richtig ſey.
Nehmen wir in einem zweiten Beiſpiele an, daß zwei Zeugen,
von deren richtiger Anſicht (Sicherheit) man überzeugt iſt, und
deren Wahrhaftigkeit (Redlichkeit) bei beiden gleich w iſt, über
ein Ereigniß, von welchem aber nur zwei Fälle möglich ſind,
gleichlautend daſſelbe ausſagen, ſo iſt die W., daß ſie die
Wahrheit ausſagen, gleich w2 dividirt durch die Zahl w2 +
(1 — w)2. Iſt alſo z. B. w gleich ½, d. h. muß man voraus-
ſetzen, daß beide Zeugen eben ſo gut redlich als unredlich ſeyn
können, ſo iſt die W. ihrer Ausſage gleich ½, alſo ihre Ausſage
ganz ebenſo wahrſcheinlich, als das Gegentheil derſelben. Iſt
aber w nur gleich ⅓, ſo iſt die W. der gleichlautenden Aus-
ſage beider Zeugen gleich ⅕. Sind aber nicht zwei, ſondern drei
ſolche gleichlautende Zeugen vorhanden, ſo iſt die W. ihrer ge-
meinſchaftlichen Ausſage, wenn wieder w gleich ⅓ iſt, gleich 1/9,
iſt aber w gleich ⅔, ſo iſt jene W. gleich 8/9, alſo ſchon ſehr groß,
und noch größer wird dieſe W., wenn von dem Ereigniſſe
nicht bloß zwei, ſondern mehrere Fälle möglich ſind.
§. 71. (Wahrſcheinlichkeitsrechnung bei Wahlen.) Die Wah-
len der Candidaten zu Aemtern hängen gewöhnlich von der Mehr-
heit der Stimmen, aber auch von der Einſicht und Unpar-
theilichkeit der Wählenden ab, welche letzte nur ſchwer einer Be-
rechnung unterworfen werden können. Doch gibt es auch hier
einige allgemeine Geſetze, die ſchon der gemeine Verſtand vor-
ſchreibt und die von der Analyſe beſtätiget werden. Wenn es
z. B. den Wählenden an Einſicht fehlt, wenn das Amt beſonders
wichtig iſt, wenn die Sache, die man dadurch zu erreichen ſucht,
mit allgemein angenommenen Vorurtheilen im Streite liegt, dann
wird die gewöhnlich beliebte Mehrheit der Stimmen deſto eher
auf Irrwege führen, je größer die Anzahl der Stimmenden iſt.
Daher ſollten größeren Verſammlungen nur ſolche Dinge zur Ent-
ſcheidung überlaſſen werden, die der größere Theil der Menſchen
[424]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
bereits näher kennt; daher ſollte vorzüglich diejenige Klaſſe der
menſchlichen Geſellſchaft durch Bildung und wahre Aufklärung
ſich auszeichnen, die über das Schickſal der andern zu entſcheiden
beſtimmt iſt.
Die ſicherſte Art, unter mehreren vorgeſchlagenen Candidaten
Einen zu wählen, iſt die, wo jeder Wähler die Namen dieſer
Candidaten auſſchreibt und ihnen diejenigen Zahlen beiſetzt, die,
nach ſeiner Anſicht, die Verdienſte der Candidaten zu dieſer Wahl
ausdrücken ſollen. Wenn z. B. vier Wähler über drei Candida-
ten A B C folgende Liſte eingeben:
ſo hat der erſte Candidat 20, der zweite 25 und der dritte 12
Stimmen, alſo der zweite die meiſten und der dritte die wenig-
ſten, daher der zweite gewählt wird. Wenn aber die Wähler ihre
Liſten nur ſo abgeben, daß der zuerſt ſtehende Candidat als der
würdigſte, der zweite als der nächſtwürdige gehalten wird, wenn
z. B. jene vier Wähler folgende Liſte eingeben:
ſo denkt man ſich von dem unterſten Candidaten einer jeden Reihe
anzufangen, die Zahlen 1, 2, 3 beigeſchrieben und verfährt, wie
zuvor. Auf dieſe Weiſe hat der Candidat A die Zahlen 2, 3, 2
und 1 alſo 8 Stimmen, B aber 9 und C endlich 7, alſo hat B
wieder die meiſten und C die wenigſten Stimmen.
Da aber die Intereſſen der Wähler und andere, den Ver-
dienſten der Candidaten oft ganz fremde, Rückſichten den Zweck,
den man durch dieſe Wahlen erreichen will, oft ſtören, ſo möchte
es am gerathenſten ſeyn, bei den Wahlen durch abſolute Stim-
menmehrheit ſtehen zu bleiben, wodurch wenigſtens diejenigen
Candidaten entfernt werden, welche die Majorität der Stimmen
zurückweiſet.
[425]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
§. 72. (Wahrſcheinlichkeitsrechnung bei Urtheilsſprüchen.)
In ſolchen Gerichten, wo wichtige und ſchwere Verurtheilungen
ausgeſprochen werden, müſſen offenbar auch die ſtärkſten Gründe
für die Exiſtenz der zu ſtrafenden Schuld vorausgeben, beſonders
bei Todesſtrafen, wo kein Erſatz mehr möglich iſt. Mathemati-
ſche Gewißheit iſt hier meiſtens unmöglich, und doch muß das
Urtheil gefällt werden, weil durch die Ungeſtraftheit des Verbre-
chers die Sicherheit der Geſellſchaft leidet. Man muß alſo we-
nigſtens ſo ſtarke Beweiſe für die wirkliche Exiſtenz der Schuld
haben, daß die Geſellſchaft weniger zu fürchten bat, wenn der
Beklagte unſchuldig verurtheilt wird, als wenn er, ſchuldig und
freigeſprochen, durch ſeine künftigen Attentate den Staat wieder
in neue Gefahren ſetzt.
Welches iſt aber die Wahrſcheinlichkeit, daß ein durch die
Mehrheit der Richter ausgeſprochenes Urtheil in der That der
Gerechtigkeit angemeſſen iſt? — Die Majorität von bloß einer
Stimme in einem zahlreichen Tribunale zeigt an, daß der Ge-
genſtand, um den es ſich hier handelt, noch ſehr zweifelhaft iſt.
Wollte man aber z. B. bei jedem Todesurtheile die Totalität der
Stimmen fordern, ſo iſt wohl die Wahrſcheinlichkeit des Ausſpruchs
ſehr groß, aber dann würden auch gewiß zu viele Schuldige ungeſtraft
bleiben. Man muß daher entweder die Anzahl der Richter ver-
mindern, wenn man ihre Unanimität als Baſis der Verurthei-
lung aufſtellt, oder man muß die Majorität der Stimmen ver-
größern, wenn man nach der Simmenmehrheit urtheilen will.
Unſere Analyſe zeigt darüber Folgendes. — Wenn in einem
Tribunale z. B. von 8 Richtern ſchon 5 Stimmen zur Verurthei-
lung des Angeklagten hinreichen, ſo iſt die W., daß die Sen-
tenz gerecht iſt, gleich 0,746, alſo kleiner als ¾, da ſie doch
gleich 1 ſeyn ſollte, wenn dieſe W. zur Gewißheit wird. Sind
nur 6 Richter und werden 4 Stimmen zum Urtheil erfordert,
ſo iſt jene W. gleich 0,774, ſchon größer als ¾, alſo auch
größer als zuvor. Der Angeklagte geht daher im zweiten
Falle, bei weniger Richtern, ſicherer, als im erſten, obſchon
in beiden Fällen die Majorität um dieſelbe Größe 2 beträchtli-
cher iſt, als die Minorität. Sind von 10 Richtern ſchon 6 zur
Majorität hinreichend, ſo iſt die W. eines gerechten Urtheils
[426]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
0,73, und ſind von 12 Richtern 7 zur Majorität genug, ſo iſt dieſe
Wahrſcheinlichkeit gleich 0,71 u. ſ. w. Wenn überhaupt zwei Stim-
men mehr ſchon zu dem Urtheile hinreichen, ſo wird die W., daß
die Sentenz gerecht iſt, immer kleiner, je größer die Anzahl der
Richter iſt. Daſſelbe wird auch der Fall ſeyn, wenn mehr als
2 Stimmen zur Majorität erfordert werden, ſo daß die W.
eines gerechten Urtheils mit der Anzahl der Richter immer ab-
nimmt.
Im Gegentheile, wenn man ſtatt eines ſolchen arithmeti-
ſchen irgend ein geometriſches Verhältniß für die Majorität der
Richter feſtſetzt, ſo wächst die Sicherheit des Urtheils zugleich
mit der Anzahl der Richter. Wird z. B. angenommen, daß die
Sentenz nur dann vollzogen werden kann, wenn zwei Drittheile
der Richter für die Strafe ſtimmen, ſo iſt die W. einer gerechten
Sentenz bei 6 Richtern nahe 0,75 oder ¾. Bei 12 Richtern aber,
wo alſo 8 für das Urtheil gefordert werden, iſt dieſe W. gleich
0,867 oder nahe 6/7, alſo ſchon bedeutend größer, als zuvor.
Werden endlich von 12 Richtern 9 Stimmen zur Ausführung
der Sentenz erfordert, ſo iſt die W. einer gerechten Sentenz
0,955, alſo ſehr groß und nahe gleich 1.
§. 73. (Anwendung der Wahrſcheinlichkeitsrechnung auf Aſtro-
nomie.) Wir haben bereits oben (§. 57) durch ein Beiſpiel zu
zeigen geſucht, wie die Auflöſung der wichtigſten Probleme der
Aſtronomie, und überhaupt aller eigentlichen Naturwiſſenſchaften,
ihre letzte Vollendung nur durch dieſe neue Rechnung erhalten
kann. In allen Fällen, wo wir uns der geſuchten Wahrheit ſo
weit nähern wollen, daß die Fehler unſerer Sinne und die bei
allen menſchlichen Unternehmungen unvermeidlichen Unvollkom-
menheiten, da ſie nicht gänzlich entfernt werden können, wenig-
ſtens den kleinſtmöglichen Einfluß auf die Reſultate unſerer Un-
terſuchungen haben ſollen, in allen dieſen Fällen müſſen wir zu
der Wahrſcheinlichkeitsrechnung, als dem einzigen Mittel zu die-
ſem Zwecke, unſere Zuflucht nehmen.
Es würde uns viel zu weit führen, wenn wir hier die Art, auf
welche die Aſtronomen jene Rechnung auf ihre Beobachtungen au-
[427]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
zuwenden pflegen, in ihrem ganzen Umfange auseinander ſetzen
wollten, beſonders wenn ſie, wie es öfters vorkömmt, mehrere un-
bekannte Größen, die auf irgend eine Weiſe von einander abhän-
gen und ſich gleichſam gegenſeitig bedingen, zu gleicher Zeit
beſtimmen wollen, wie dieß in dem oben (§. 57) angeführten
Beiſpiele geſchehen iſt. Da es aber doch dem Leſer ohne Zweifel
nicht anders als intereſſant ſeyn kann, dieſes ſonderbare Verfah-
ren wenigſtens in ſeinen Hauptzügen kennen zu lernen, ſo wird
es uns erlaubt ſeyn, hier nur den einfachſten Fall, wo bloß eine
einzige Größe zu beſtimmen iſt, näher anzuführen.
Nehmen wir alſo an, man hätte, etwa durch drei Beobach-
tungen, von welchen keine irgend einem beſondern Verdachte eines
dabei begangenen Fehlers ausgeſetzt iſt, die geographiſche Breite
von Wien, wie folgt, gefunden:
- 48° 12′ 33″
- 48° 12′ 34″
- 48° 12′ 35″
Da man, wie geſagt, dieſe drei Beobachtungen im Allgemei-
nen als gleich gut anſehen muß, und da ſie doch von einander
verſchieden ſind, ſo entſteht nun die Frage, welche von ihnen oder
auch, welche Combination von ihnen man wählen oder als die
der Wahrheit am nächſten ſtehende annehmen ſoll.
Das Princip aber, worauf dieſe und alle ähnlichen Unter-
ſuchungen der Wahrſcheinlichkeitsrechnung beruhen, beſteht in Fol-
gendem. Der wahrſcheinlichſte Werth der Größe, die man aus
mehreren Beobachtungen beſtimmen will, iſt immer derjenige, für
welchen die Summe der Quadrate der Fehler aus den einzelnen
Beobachtungen die kleinſtmögliche oder ein Minimum iſt. Dieſe
Fehler ſind aber hier offenbar die Differenzen, die man erhält,
wenn man die einzelnen, durch die Beobachtungen für dieſe ge-
ſuchte Größe erhaltenen Reſultate, von dieſem wahrſcheinlichſten
Werth derſelben ſubtrahirt.
Wenn nun, wie hier, die einzelnen Beobachtungen alle einen
gleichen Werth unter ſich haben, ſo iſt dieſer wahrſcheinlichſte
Werth der geſuchten Größe offenbar gleich dem ſogenannten arith-
metiſchen Mittel aus allen beobachteten Größen. Da es hier bloß
[428]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
um die Sekunden zu thun iſt, ſo kann man für die beobachteten
Größen die Zahlen
33″, 34″ und 35″
annehmen, und dann iſt der dritte Theil der Summe derſelben,
oder die Zahl 34″, die geſuchte wahrſcheinliche Größe. In der
That erhält man auch, wenn man die drei Beobachtungen von
dieſer Zahl 34 ſubtrahirt, die Differenzen, oder die Fehler 1, 0
und — 1, und die Summe dieſer drei Quadrate iſt 2. Jede an-
dere ſtatt 34 angenommene Zahl würde eine größere Summe
der Fehlerquadrate geben. Nähme man z. B. die Zahl 33, ſo
wären die drei Fehler 0, 1 und 2, alſo auch jene Summe gleich
5 oder größer als 2. Nähme man aber die Zahl 34,5, ſo wären
die drei Fehler 1,5, 0,5 und — 0,5, alſo auch die Summe der
Fehlerquadrate gleich 2,75, wieder größer als 2, und ſofort für alle
anderen Zahlen außer 34″, welche letzte man daher als die wahr-
ſcheinlichſte, als die der Wahrheit zunächſt liegende, annehmen
wird, eine Annahme, die im Allgemeinen deſto ſicherer ſeyn wird,
je größer die Anzahl der unter ſich gleich guten Beobachtun-
gen iſt.
Wir haben ſonach für den wahrſcheinlichſten Werth der Pol-
höhe Wiens, ſo weit ſie aus dieſen drei Beobachtungen erhalten
werden kann, die Größe 48° 12′ 34″ erhalten und es entſteht
nun die Frage, wie viel oder wie wenig man ſich wohl auf dieſe
Beſtimmung verlaſſen kann. Dieſes Maaß der Verläßlichkeit
des erhaltenen Reſultats pflegt man das Gewicht deſſelben zu
nennen, und die Analyſe zeigt, daß dieſes Gewicht immer gleich
iſt dem halben Quadrate der Auzahl der Beobachtungen, dividirt
durch das Quadrat der Fehler derſelben. Die Anzahl der Beob-
achtungen iſt hier 3, die Summe der Fehlerquadrate aber nur 2,
alſo iſt das geſuchte Gewicht des erhaltenen Reſultats gleich der
Hälfte von 9 dividirt durch 2 oder gleich 2,25. Man ſieht, daß
dieſes Gewicht deſto größer ſeyn wird, je größer die Anzahl der
Beobachtungen und je kleiner die Fehler derſelben ſind, wie es
auch ſchon die Natur der Sache erfordert.
Um das nun Folgende kürzer auszudrücken, wollen wir durch
N die Quadratwurzel aus der Anzahl der Beobachtungen, und
durch P die Quadratwurzel aus dem erhaltenen Gewichte des
[429]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Reſultats, 48° 12′ 34″ bezeichnen. In unſerem Beiſpiele iſt 3
die Anzahl der Beobachtungen und 2,25 das Gewicht des Reſul-
tats, alſo iſt N = 1,732 und P = 1,5.
Dieß vorausgeſetzt, nennt man den mittleren Fehler das
Reſultat, welches man erhält, wenn man die Zahl 0,2821 durch
P dividirt; dieſer mittlere Fehler, hier 0,188, des Reſultats iſt
die Summe der Producte jedes Fehlers der einzelnen Beobach-
tungen in die dieſer Beobachtung zukommende Wahrſcheinlichkeit.
Der wahrſcheinliche Fehler des Reſultats aber, d. h.
derjenige, von dem es gleich annehmbar iſt, daß man ihn began-
gen oder auch nicht begangen habe, iſt gleich der Zahl 0,4769
dividirt durch P, alſo iſt in unſerm Beiſpiele dieſer wahrſcheinliche
Fehler gleich 0,″32, oder mit anderen Worten, das erhaltene Re-
ſultat 48° 12′ 34″ kann eben ſo gut um 0,″32 zu groß, oder um
0,″32 zu klein ſeyn, aber nicht um mehr, da es z. B. ſchon we-
niger wahrſcheinlich iſt, daß das Reſultat um 0,″4, als daß es
um 0,″32 fehlerhaft iſt.
Dieß war der wahrſcheinliche Fehler des Reſultats aller
Beobachtungen. Welches iſt aber der wahrſcheinliche Fehler einer
jeden einzelnen Beobachtung? — Dieſer wird offenbar größer ſeyn
als jener, und man findet ihn, wenn man jenen mit N multipli-
cirt. Er iſt in unſerem Beiſpiele gleich 0,″55, d. h. alſo,
man muß der Wahrſcheinlichkeit gemäß annehmen, daß jede ein-
zelne der drei vorhergehenden Beobachtungen um 0,″55, aber
nicht um mehr, fehlerhaft iſt.
Wenn wir alſo auch nicht eben vollkommen gewiß ſind, daß
das erhaltene Reſultat der Wahrheit gemäß iſt, ſo wiſſen wir
doch, daß es, ſo lange wir uns auf dieſe drei Beobachtungen be-
ſchränken, dieſer Wahrheit am nächſten liege. Dieſes Reſultat wird
vielleicht noch einer Verbeſſerung bedürfen, die wir finden können,
wenn wir die Beobachtungen weiter fortſetzen. Indeſſen wird es
doch auch jetzt ſchon intereſſant ſeyn, zu wiſſen, welches die
beiden Gränzen ſind, zwiſchen welchen jener wahrſcheinliche Fehler
liegen muß. Man findet dieſe Gränzen, wenn man den gefun-
denen wahrſcheinlichen Fehler in die Zahl 0,4769 multiplicirt und
durch N dividirt. In unſerem Beiſpiele war der wahrſcheinliche
Fehler des Reſultats 0,32, alſo iſt dieſe Gränze 0,09, oder viel-
[430]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
mehr die Summe und die Differenz der beiden letzten Größen, ſo
daß alſo der wahre Werth des wahrſcheinlichen Fehlers des Re-
ſultats zwiſchen die Gränzen 0,″41 und 0,″13 fallen muß, oder
daß man eins gegen eins wetten kann, daß der wahre Fehler des
Reſultats zwiſchen 0,″23 und 0,″41 fällt. Eben ſo erhält man
für die Gränzen des wahrſcheinlichen Fehlers einer jeden einzel-
nen Beobachtung, der oben 0,″55 gefunden wurde, die beiden
Zahlen 0,″40 und 0,″71, welche letzten Gränzen, der Natur der
Sache nach, weiter auseinander ſtehen müſſen, als die erſten.
Wenn es auch der Abſicht dieſer Schrift nicht angemeſſen iſt,
die Gründe aller der hier aufgeſtellten Sätzen mitzutheilen, ſo
ſieht man doch ohne meine Erinnerung, welchen großen und aus-
gebreiteten Nutzen Unterſuchungen dieſer Art haben müſſen, wenn
es ſich darum handelt, die Reſultate der Beobachtungen mit der
größten Schärfe zu erhalten oder wenigſtens zu erfahren, bis zu
welchem Grade man ſich auf dieſelben verlaſſen kann, um dann
wieder andere Folgerungen mit Sicherheit daraus abzuleiten.
In dem Vorhergehenden haben wir die Beobachtungen unter
ſich von durchaus gleichem Werthe angenommen. Wenn dieſer
Fall nicht ſtatt hat, ſo erhalten die oben mitgetheilten Vorſchrif-
ten einige leichte Modificationen, die wir hier noch kurz anzeigen
wollen.
Nehmen wir an, wir hätten wieder die drei vorhergehenden
Beobachtungen erhalten:
- 48° 12′ 33″
- 48° 12′ 34″
- 48° 12′ 35″
aber die Werthe derſelben ſeyen verſchieden, ſo zwar, daß die
zweite zweimal und die letzte dreimal beſſer ſeyn ſoll, als die
erſte, oder daß die Werthe dieſer Beobachtungen nach der Reihe
gleich 1, 2 und 3 ſind.
Da es uns hier wieder nur um die Sekunden der geſuchten
Polhöhe zu thun iſt, ſo können wir die drei Beobachtungen gleich
den drei Zahlen 33, 34 und 35 annehmen. Dieß vorausgeſetzt,
erhält man nun den wahrſcheinlichſten Werth der Polhöhe oder
des geſuchten Reſultats, wenn man jede einzelne Beobachtung
mit dem Quadrate ihres Werthes multiplicirt und die Summe
[431]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dieſer Producte durch die Summe der Quadrate jener drei Werthe
dividirt. In unſerem Falle ſind jene Producte 33, 136 und 315,
deren Summe gleich 484 iſt, und eben ſo ſind die Quadrate der
Werthe 1, 4 und 9, deren Summen 14 beträgt. Demnach iſt der
wahrſcheinlichſte Werth der [Beobachtungen] gleich 484/14 oder gleich
34,″571, ſo daß alſo die geſuchte wahrſcheinlichſte Polhöhe gleich
84° 12′ 34,″571 iſt, nicht mehr in der Mitte zwiſchen der erſten und
letzten Beobachtung, ſondern beträchtlich näher an der dritten, weil
dieſe dritte, mit dem Werthe 3 die beſte von allen, alſo die über-
wiegende iſt.
Nimmt man nun die Differenzen dieſes Reſultats 34,″571
von den einzelnen Beobachtungen, ſo erhält man 1,″571, 0,″571
und 0,″429 und davon iſt die Summe der Quadrate gleich 5,″428.
Dieß vorausgeſetzt, iſt das Gewicht dieſes Reſultats gleich
der halben Anzahl der Beobachtungen, multiplicirt mit der Summe
der Quadrate der Werthe, dividirt durch die vorhergehende Zahl
5,″428, das heißt alſo gleich 3,″959, alſo beträchtlich größer, als
zuvor, weil auch die Werthe der einzelnen Beobachtungen größer
ſind. Nennt man nun wieder P die Quadratwurzel dieſes Ge-
wichtes, oder iſt P = 1,″99, ſo iſt, wie zuvor, der mittlere
Fehler des Reſultats gleich 0,″2821 dividirt durch P, das heißt
in unſerem Beiſpiele iſt der mittlere Fehler gleich 0,″142. Der
wahrſcheinliche Fehler des Reſultats aber iſt gleich der Zahl
0,″4769 dividirt durch P, oder gleich 0,″240, und beide Fehler ſind
kleiner, als zuvor, da die Beobachtungen beſſer ſind und eben ſo
mit den übrigen Beſtimmungen.
Beſonders merkwürdig iſt bei dieſen Unterſuchungen diejenige
Größe, welche wir oben den mittleren Fehler des Reſultats
genannt haben, und der, wie wir geſehen haben, gleich der Zahl
0,″2821 dividirt durch die Quadratwurzel aus dem Gewichte
dieſes Reſultats iſt. Die folgende Tafel gibt uns ein Mittel,
dieſen mittleren Fehler und die Ausdehnung deſſelben oder die
wahrſcheinlichen Gränzen, zwiſchen welche er fallen kann, noch
näher kennen zu lernen.
[432]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Nennt man nämlich wieder P die Quadratwurzel des Ge-
wichts des erhaltenen Reſultats, ſo drückt die Größe b der vor-
hergehenden Tafel die Wahrſcheinlichkeit aus, daß jener mittlere
Fehler zwiſchen den beiden Gränzen + und — liege.
Daraus folgt dann in Gemäßheit des oben Geſagten, daß die
Zahl (1 — b) die Wahrſcheinlichkeit des Gegentheils, das
heißt die Wahrſcheinlichkeit iſt, daß der mittlere Fehler ir-
gendwo außer den genannten Gränzen liege, und daß man
die Summe b gegen die Summe (1 — b) oder, was
daſſelbe iſt, daß man die Größe gegen die Einheit wet-
ten kann, daß jener mittlere Fehler in der That zwiſchen jenen
beiden Gränzen + und — liegen müſſe.
So fanden wir in unſerem erſten Beiſpiele, wo die Werthe
der ſämmtlichen Beobachtungen einander gleich waren, für die
wahrſcheinlichſte Polhöhe das Reſultat 48° 12′ 34,0″ mit dem Ge-
wichte 2,25. Nimmt man nun a = 0,5 ſo iſt gleich 0, [...]″
und die Tafel gibt b = 0,520 alſo auch = 1,08, ſo daß
man alſo 1,08 gegen 1 wetten kann, daß das gefundene Reſultat
nicht über 0,3″ fehlerhaft iſt. Nimmt man aber a = 1, ſo iſt
= 0,7 und b = 0,843, ſowie = 5,4 und man kann
daher 5,37 gegen 1 wetten, daß jenes Reſultat nicht über 5,″4
[433]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
fehlerhaft iſt. Eben ſo zeigt a = 2, daß man 200 gegen 1 wet-
ten kann, daß das Reſultat nicht über 1,″3 fehlerhaft iſt u. ſ. f.
Dieß wird hinreichen, den Leſern eine wenigſtens allgemeine
Anſicht von dieſer neuen Rechnungsart und von der ausgebreite-
ten Anwendung derſelben bei allen naturwiſſenſchaftlichen Unter-
ſuchungen zu geben.
§. 74. (Bereits geleiſteter Nutzen dieſer neuen Rechnungsart
in der Aſtronomie.) Die Aſtronomie bietet uns bereits mehrere
Beiſpiele von dem Nutzen dar, welchen die Wahrſcheinlichkeitsrech-
nung, obſchon ſie erſt ſeit kurzer Zeit ihre größere Ausbildung
erhalten hat, in oft ſehr verwickelten Unterſuchungen geleiſtet hat,
über deren wahre Kenntniß wir, ohne die Hülfe dieſer Ana-
lyſe, vielleicht noch lange in Ungewißheit geblieben wären.
Eines der wichtigſten Elemente der geſammten Aſtronomie iſt
ohne Zweifel die mittlere Entfernung der Sonne von der Erde,
oder die halbe große Axe der Erdbahn, da von ihr die Beſtim-
mung aller anderen Entfernungen der Planeten unſeres Syſtems
von einander abhängt, wie unmittelbar aus dem oben (I. S. 288)
erklärten dritten Geſetze Kepplers folgt. Encke hat die ſämmt-
lichen Beobachtungen der beiden Venusdurchgänge von 1761 und
1769, die zu dieſem Zwecke beſonders geeignet ſind (II. S. 78)
mit der größten Sorgfalt berechnet, und als Reſultat ſeiner Unter-
ſuchungen gefunden, daß die wahrſcheinlichſte mittlere Horizontal-
parallaxe der Sonne für die Bewohner des Erdäquators gleich
8,5776 Sekunden iſt, und daß der wahrſcheinliche Fehler
dieſer Beſtimmung 0,037 Sekunden beträgt. Demnach würde
man alſo in einer billigen Wette Eins gegen Eins für die Be-
hauptung einſetzen können, daß jene Sonnenparallaxe nicht klei-
ner als 8,″5406 und nicht größer als 8,″6146 iſt. Welches iſt
aber die daraus folgende Ungewißheit unſerer Kenntniß der mitt-
leren Entfernung der Sonne von der Erde? — Wenn man auf
einen Grad des Aequators, wie gewöhnlich, 15 geographiſche
Meilen rechnet, ſo daß alſo der Umfang des ganzen Aequators 5400
Meilen hat, ſo folgt daraus der Halbmeſſer des Aequators (I. S. 50)
zu 859,4366 Meilen. Dann beträgt alſo die aus der obigen wahr-
ſcheinlichſten Parallaxe abgeleitete Entfernung der Sonne 20666800
Meilen und aus dem zuvor angegebenen wahrſcheinlichen Fehler
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 28
[434]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
dieſer Beſtimmung folgt, daß man wieder Eins gegen Eins wetten
kann, daß die wahre mittlere Entfernung der Sonne nicht kleiner
als 20577649 und nicht größer als 20755943 Meilen iſt. Wir
ſind demnach über dieſe Entfernung noch um 89147 Meilen oder
um nahe 52 Erddurchmeſſer ungewiß. Dieſe Ungewißheit beträgt
den 233ſten Theil der Entfernung der Sonne von der Erde und
ſcheint daher nicht eben ſehr gering zu ſeyn. Allein wenn wir
bedenken, daß wir die Entfernungen der meiſten großen Städte
Europas kaum bis auf ihren 233ſten Theil, und die der außer-
europäiſchen Städte noch lange nicht einmal ſo genau kennen, ſo
wird uns dieß mit jener viel ſchwerer zu beſtimmenden Entfer-
nung der Sonne durch unſere Aſtronomen wohl wieder auszuſöhnen
im Stande ſeyn.
Eine andere Gelegenheit, den Nutzen dieſer neuen Analyſis
zu zeigen, gab die oben (I. S. 330) erwähnte Acceleration der
mittleren Bewegung des Mondes. Da bei allen Planeten die
mittleren Axen ihrer Bahnen, alſo auch, vermöge des eben ſo
angeführten dritten Geſetzes Keplers, die mittleren Bewegungen
dieſer Planeten vollkommen conſtant und unveränderlich gefunden
wurden, ſo war es auffallend, daß der Mond von dieſem allge-
meinen Geſetze der Natur eine Ausnahme machen ſollte. Indeß
ſchienen die Beobachtungen die Exiſtenz dieſer Ausnahme über
allen Zweifel zu erheben, und es handelte ſich nun darum, durch
die Theorie den Grund derſelben zu finden. Allein dieſe Unter-
ſuchung quälte die größten Geometer des vergangenen Jahrhun-
derts durch eine lange Zeit. Lagrange, der darüber ſehr viele
und mühſame Rechnungen angeſtellt hatte, gerieth endlich auf
den Abweg, das Daſeyn dieſer Acceleration als eine bloße Täu-
ſchung ganz zu verwerfen. Allein Laplace, der die älteren Beob-
achtungen, beſonders die der Araber, mit denen der neueren Zeiten
ſorgfältig verglich und auf dieſe Vergleichung ſeine neue Analyſe
anwendete, fand, daß die Wahrſcheinlichkeit der Exiſtenz dieſer
Acceleration, wie ſie aus den Beobachtungen folgte, ſo groß ſey,
daß man mehrere Tauſende gegen Eins für das Daſeyn derſelben
wetten könnte. Durch dieſe Ueberzeugung bewogen, ging er die
ganze Theorie des Mondes noch einmal durch, und war endlich
auch ſo glücklich, die ſo lange vergebens geſuchte Urſache jener
[435]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Erſcheinung in der Veränderlichkeit der Excentricität der Erdhahn
zu finden, wie dieß bereits oben (I. S. 331) geſagt worden iſt.
Wir wiſſen ferner, daß die Ebbe und Fluth des Weltmeeres
eine Folge der Attraction des Mondes und der Sonne auf die
Gewäſſer der Erde iſt. Durch dieſe Anziehung ſteigt das Meer
in dem Hafen von Breſt, ſelbſt in ſeiner mittleren Höhe, täglich
zweimal um 20 Fuß, und in St. Malo, nur zwanzig Meilen
öſtlich von Breſt, ſogar um 50 Fuß, der Springfluthen nicht zu
erwähnen, die noch viel höher gehen. Im Allgemeinen ſind dieſe
Fluthen in den tropiſchen Meeren am größten, während ſie näher
an den Polen beinahe ganz verſchwinden. Es war zu erwarten,
daß dieſe Wirkung der Sonne und des Mondes ähnliche und
vielleicht noch größere Bewegungen in der Atmoſphäre erzeugt, die
unſere Erde umgibt und die noch viel beweglicher iſt, als das Meer.
Laplace hat zu dieſem Zwecke eine große Menge ſorgfältig zu
Paris angeſtellter Barometerbeobachtungen unterſucht, aber die-
jenigen Aenderungen deſſelben, welche von einer ſolchen Einwirkung
jener beiden Geſtirne kommen könnten, ſo ungemein klein gefun-
den, im Maximum kaum drei Hunderttheile einer Linie, daß, die
Wahrſcheinlichkeitsrechnung darauf angewendet, das Daſeyn einer
ſolchen atmoſphäriſchen Ebbe und Fluth noch ganz unentſchieden
bleibt. Unter dem Aequator, wo jener Einfluß beträchtlicher iſt,
würden ſich Unterſuchungen dieſer Art mit größerer Sicherheit
anſtellen laſſen.
Glücklicher war man mit einer anderen, obſchon ebenfalls
ſehr kleinen periodiſchen Aenderung des Barometers, die von der
Temperatur der verſchiedenen Tageszeiten abhängt und die eben-
falls in der heißen Zone am merklichſten iſt. Man fand nämlich,
daß dieſes Inſtrument, der gewöhnlichen Schwankungen ungeach-
tet, die es wegen der Verſchiedenheit des Luftdrucks zeigt, regel-
mäßig gegen 9 Uhr Morgens und 11 Uhr Abends am höchſten, und
wieder um 3 Uhr Abends und 4 Uhr Morgens am tiefſten ſteht.
In den Tropenländern beträgt die Differenz zwiſchen dem höchſten
und niedrigſten Stande des Barometers nahe 8/10 einer Par. Linie.
In unſeren Breiten aber, wo man ſie zuerſt entdeckte, ſind ſie
viel kleiner, aber auch hier zeigte unſere neue Analyſe, daß man
viele Tauſende gegen Eins wetten könne, daß dieſe Erſcheinung
28 *
[436]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
nicht zufällig oder die Folge von Beobachtungsfehlern ſey, ſon-
dern daß ſie aus einer regelmäßigen Urſache entſtehen müſſe, und
dieß war eine hinlängliche Veranlaſſung, ihrem Grunde weiter
nachzuforſchen.
Wir haben bereits oben (III. S. 200) einer merkwürdigen
Erſcheinung unſeres Sonnenſyſtems erwähnt, nach welcher alle
Planeten und Satelliten deſſelben ſich von Weſt nach Oſt,
ſowohl um die Sonne oder um ihre Hauptplaneten, als auch,
in ihrer Rotation, um ihre eigene Axe bewegen, und nach
welcher überdieß die Bahnen dieſer Himmelskörper beinahe alle in
der Nähe des Sonnenäquators liegen. Da man ſich davon weiter
keine Rechenſchaft geben konnte, ſo hat man ſie auf Rechnung
des Zufalls geſtellt, ohne ſich weiter um die Urſache dieſer Er-
ſcheinungen zu bekümmern. Allein als Laplace die Wahrſcheinlich-
keitsrechnung auf dieſen Gegenſtand anwendete, fand er, daß man
viele Millionen gegen die Einheit wetten kann, daß dieſe Erſchei-
nung nicht dem blinden Zufalle zuzuſchreiben ſey. Dieſe ſehr große
Wahrſcheinlichkeit bewog ihn, die eigentliche Urſache dieſes Phä-
nomens aufzuſuchen, und auf dieſem Wege war es, daß er zu
der ſchönen und ſinnreichen Erklärung von dem Urſprunge unſeres
Planetenſyſtems gelangte, die wir oben im eilften Kapitel aus-
einander geſetzt haben.
Auf dieſe Weiſe iſt die neue Analyſe nicht nur ein mächtiges
Mittel in der Hand der Geometer geworden, ſich von den bisher
unvermeidlichen Beobachtungsfehlern unabhängig zu machen und
den auf ſie gegründeten Unterſuchungen die letzte Vollendung zu
geben, ſondern ſie hat uns auch bereits, als Veranlaſſung zu
Entdeckungen, die ohne ihre Hülfe vielleicht unbekannt geblieben
wären, die nützlichſten Dienſte geleiſtet und alles berechtiget uns
zu der Hoffnung, daß der Nutzen, den wir von ihr für die Zu-
kunft erwarten, noch weit größer ſeyn werde, wenn es uns einmal
gelungen ſeyn wird, unſere Inſtrumente und unſere Beobach-
tungskunſt, die wir bisher nur auf die Welt im Großen beſchränkt
haben, auch auf die Elemente, aus welchen die Körper des Uni-
verſums beſtehen, fortzuſetzen, und wenn einmal, unter dem fort-
dauernden Schutze des Genius der Menſchheit, ein neuer Newton
unter uns ſich erheben ſollte, um uns durch ſeine Entdeckungen, ſowie
[437]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Jener die Geſetze der materiellen Welt, auch die der geiſtigen zu
offenbaren. Sechs Jahrtauſende, nach der gewöhnlichen Zeitrechnung,
ſind vergangen, bis Jener erſcheinen konnte, um den erſten Schleier
zu lüften, mit welchem die Natur ihre Geheimniſſe vor den Au-
gen der Sterblichen verbarg: andere Jahrtauſende werden viel-
leicht erfordert, um auch dieſen zweiten, dichteren Schleier zu
heben. Aber die vielleicht ſehr großen Schwierigkeiten, um
dieſes jetzt von uns noch zu ferne Ziel zu erreichen, werden
die immer vorwärts ſtrebenden Bemühungen der Menſchen
eben ſo wenig zurück halten, als es die gewiß auch nicht ge-
ringen Hinderniſſe zu thun vermochten, welche unſere ſchwächeren
und mit weniger Hülfsmitteln ausgerüſteten Vorgänger bei der
Entdeckung des Geſetzes der allgemeinen Schwere zu beſiegen hat-
ten. Seit dieſer großen und für alle Zeiten merkwürdigen Epoche
hat man gefunden, daß dieſes Geſetz nicht nur die Bewegung der
himmliſchen Körper, ſelbſt in ihren ſcheinbaren Ausnahmen, mit
einer bewunderungswürdigen Genauigkeit darſtellt, ſondern man
iſt auch bereits, wenn gleich nicht zu dem Beweiſe, doch zu der
ſehr gegründeten und durch zahlreiche Beobachtungen beſtätig-
ten Vermuthung gelangt, daß daſſelbe Geſetz, unter zweckge-
mäßen Modificationen, auch die Anordnung der kleinſten, die Kör-
per conſtituirenden Theilchen und die regelmäßige Bildung der
Kryſtalle in ſich ſchließt. Könnten nicht auch die Bewegungen der
Nerven thieriſcher Körper denſelben oder doch ähnlichen Ge-
ſetzen der Dynamik unterliegen? Könnte nicht auch dieſelbe allgemeine
Kraft, welche die Urſache des Zuſammenhangs und der Bewegung
der Körper iſt, welche das Wachsthum und die Gährung derſelben
beſtimmt, könnte ſie nicht auch jene inneren Bewegungen und Verän-
derungen ihrer feinſten Theile beſtimmen, und ſo gleichſam die drei-
fache uns umgebende Welt einen einzigen, gemeinſchaftlichen Urſprung
haben? — Die Bewegungen, welche die Nervenvibrationen dem
Muskelſyſteme, und durch daſſelbe den äußeren, fremden Körpern
mittheilen, dürfen vielleicht als bloße Entwicklungen feinerer
elaſtiſcher Federn betrachtet werden, bei welchen, nach dem bekannten
Grundſatze der Mechanik, der gemeinſchaftliche Schwerpunkt un-
ſeres eigenen und der bewegten fremden Körper immer unbeweg-
lich bleibt. Dieſe Vibrationen ſcheinen ſich, ohne Störung oder
[438]Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.
Verwirrung, eine über die Fläche der anderen hin zu verhreiten,
ganz ſo, wie wir dieſelbe Erſcheinung auch bei den Wellen auf der
Oberfläche unſerer Gewäſſer und ſelbſt bei unſerer Atmoſphäre
bemerken, und ſie theilen ſich den Umſtehenden auf dieſelbe Art
mit, wie ſich die Schwingungen gleichgeſtimmter Saiten oder die
eines tönenden Körpers den ihn umgebenden Gegenſtänden mit-
theilen. Wie es aber auch mit dieſen jetzt noch geheimnißvollen
und im tiefen Dunkel liegenden Gegenſtänden und mit ihrer Beleuch-
tung in einer wahrſcheinlich noch ſehr fernen Zukunft ſich verhalten
mag: uns genüge es, dieſe Zukunft wenigſtens geahndet, und uns
der Wahrheit, die wir vielleicht nie erreichen werden, mit unſeren
ſchwachen Kräften wenigſtens wieder einige Schritte genähert zu
haben.
[[439]]
Anhang.
Verzeichniß
der
vorzüglichſten aſtronomiſchen Kunſtwörter
mit ihren Erklärungen.
- *) Umſtändlichere Erläuterungen dieſer Ausdrücke findet man in dem Werke ſelbſt
durch die in folgendem alphabetiſchen Inhalts-Verzeichniſſe angegebenen Citate
für dieſelben Ausdrücke. - Abendweite. Entfernung des Orts, wo der Stern untergeht,
von dem wahren Weſtpunkte des Horizonts. - Aberration oder Abirrung des Lichts. Eine eigene Veränderung
des ſcheinbaren Orts aller Geſtirne, die von der Geſchwindig-
keit des Lichts, verbunden mit der Geſchwindigkeit der Erde,
kömmt. Vermöge der Aberration ſehen wir alle Geſtirne etwas
weiter auf diejenige Seite hin verrückt, nach welcher eben die
Erde, in ihrer jährlichen Bewegung um die Sonne, geht. Bei
der Sonne ſelbſt beträgt dieſe Verrückung 20 Sekunden. (M. ſ.
Vol. I. S. 172 — 193.) - Abplattung. Die Erde iſt keine vollkommene Kugel, ſondern
ſie iſt an ihren beiden Polen etwas eingedrückt oder abge-
plattet, ſo daß ſie gleichſam die Geſtalt einer Pomeranze hat.
Dieſe Abplattung beträgt nahe 1/300 ihres Halbmeſſers oder
2,8 geographiſche Meilen, ſo daß alſo der Polardurchmeſſer der
Erde nahe 5,6 Meilen kleiner iſt, als der Aequatorialdurchmeſſer
derſelben iſt, welcher letzte nahe 1719 geographiſche Meilen be-
trägt. Auch alle übrigen Planeten unſeres Sonnenſyſtems, ſo
weit wir ſie näher kennen, ſind an ihren Polen abgeplattet,
am meiſten Jupiter, bei dem ſie 1/14 ſeines Halbmeſſers oder
675 Meilen beträgt.
[440]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
- Abweichung, ſiehe Declination.
- Abweichungskreis, ſiehe Declinationskreis.
- Aequator oder Gleicher, iſt derjenige größte Kreis der Erde
oder eines Planeten, der in allen ſeinen Punkten gleich weit
von den beiden Polen derſelben abſteht. Er iſt unter allen Pa-
rallelkreiſen (ſ. d. Art.) der größte. Er theilt die Erde in die
nördliche und ſüdliche Hälfte. (I. S. 28.) - Aequatorial, ein aſtronomiſches Inſtrument, deſſen Fernrohr dem
Weg der Geſtirne, auf die es geſtellt iſt, folgt, daher es zu
den Beobachtungen der ſelben ſehr bequem iſt. (III. S. 349.) - Aequatorhöhe, der Winkel des Aequators mit dem Horizonte,
für jeden gegebenen Ort der Erde. Die Aequatorhöhe eines Orts
iſt immer gleich 90 Grade weniger der Polhöhe, oder was daſ-
ſelbe iſt, gleich 90 Grade weniger der geographiſchen Breite
dieſes Ortes (I. S. 29.) - Aequtnoctialpunkte oder Aequinoctien oder Nachtglei-
chen, ſind die zwei Punkte, in welchen ſich der Aequator und
die Ecliptik am Himmel ſchneiden. Der eine heißt das Früh-
lingsäquinoctium oder der Frühlingspunkt, und der
andere, ihm um 180 Grade entgegengeſetzte, das Herbſtaequi-
noctium. In jenem erſcheint uns die Sonne im Anfange unſeres
Frühlings am 21. März, in dieſem im Anfange des Herbſtes
am 22. September, an welchen beiden Tagen, auf der ganzen
Erde, Tag und Nacht von gleicher Länge ſind, daher jene
Benennungen. Mitten zwiſchen dieſen beiden Punkten ſind die
Solſtitien, wo die Sonne am höchſten über dem Aequator
im Sommer, und am tiefſten unter dem Aequator im Win-
ter ſteht. (I. S. 33.) - Anomalie eines Planeten, iſt der Winkel, welchen ſein Radius
Vector (ſeine Entfernung von der Sonne) mit der großen Axe
ſeiner elliptiſchen Bahn bildet. Iſt der Planet in ſeinem Peri-
hel (ſ. d. Art.), ſo iſt ſeine Anomalie Null, und im Gegen-
theile gleich 180 Grade, wenn der Planet in ſeinem Aphel
(ſ. d. Art.) iſt. (Vergl. I. S. 279.) - Antipoden oder Gegenfüßler, die Bewohner derjenigen Gegenden
auf der Oberfläche der Erde, die uns gerade gegenüber ſtehen.
Die Bewohner der beiden Endpunkte deſſelben Durchmeſſers
der Erde ſind Antipoden. (I. S. 93.) - Aphelium oder Sonnenferne, derjenige Punkt einer Planeten-
bahn, der von der Sonne am weiteſten entfernt iſt, welche letzte
immer in einem der beiden Brennpunkte (ſ. d. Art.) der ellip-
tiſchen Bahn ſteht. - Apſiden, die zwei Endpunkte der großen Axe einer Planetenbahn
oder diejenigen zwei Punkte der Bahn, von welchem der eine
(das Perihel) am nächſten bei, und der andere (das Aphel)
am weiteſten von der Sonne entfernt iſt. - Argument der Breite eines Planeten, iſt ſein Abſtand von
dem aufſteigenden Knoten (ſ. d. Art.) der Bahn, dieſen Ab-
[441]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
ſtand aus der Sonne geſehen, oder iſt der Winkel ſeines Radius
Vector (ſ. d. Art.) mit der Knotenlinie der Bahn. Von die-
ſem Winkel hängt die Breite des Planeten ab. Daher die
Benennung deſſelben (I. S. 2 [...].) - Aſtrolabium, ein aſtronomiſches Inſtrument der Alten, das
jetzt nur noch von den ſogenannten Feldmeſſern gebraucht wird.
(III. S. 235) - Atmoſphäre, die unſere Erde rings umgebende Luft. Auch die
Planeten ſind mit Atmoſphären umgeben. - Aufgang, die Zeit, wann ein Geſtirn auf der Oſtſeite des Hori-
zonts ſichtbar zu werden anfängt. - Aufſteigung, gerade, ſ. Rectaſcenſion.
- Axe, der Kreiſe. Eine gerade Linie, die durch den Mittelpunkt
eines Kreiſes, ſenkrecht auf ſeine Fläche geht, iſt die Axe die-
ſes Kreiſes. Iſt dieſer Kreis auf einer Kugel verzeichnet, ſo
heißen die beiden Punkte, wo die Axe des Kreiſes die Kugel-
fläche ſchneiden, die Pole des Kreiſes. So ſind die beiden
Weltpole (ſ. d. Art) die Pole des Aequators ſowohl als auch
die aller Parallelkreiſe. — Axe der Erde oder Erdaxe iſt
alſo derjenige Durchmeſſer der Erde, der durch die beiden Erd-
pole geht oder der ſenkrecht auf den Aequator ſteht. Verlän-
gert trifft dieſe Axe den Himmel in den beiden Weltpolen. —
Große Axe der Planetenbahnen iſt die größte Gerade,
welche man in dieſer elliptiſchen Bahn ziehen kann. Sie geht
durch den Mittelpunkt und durch die beiden Brennpunkte der
Ellipſe. Eine andere Gerade, die durch den Mittelpunkt der
Ellipſe, ſenkrecht auf die große Axe derſelben geht, heißt die
kleine Axe der Ellipſe. - Azimut eines Sterns, iſt der Winkel, welchen der Höhenkreis des
Sterns mit dem Meridian (ſ. d. Art.) bildet, oder es iſt der-
jenige Bogen des Horizonts, der zwiſchen dem Meridian und
dem Höhenkreis des Sterns enthalten iſt. Man zählt das Azi-
mut von Süd gegen Weſt bis 360 Grade (I. S. 30.) - Bahnen der Planeten, ſind die Wege, welche die Planeten in
ihrem Laufe um die Sonne beſchreiben. Dieſe Wege ſind
krumme Linien und zwar Ellipſen (ſ. d. Art.) - Brechung des Lichts. Wenn das Licht durch einen durchſich-
tigen Körper geht, ſo verläßt es denſelben in einer anderen Rich-
tung, als in der, in welcher es eingetreten iſt. Der Winkel
der beiden Richtungen heißt die Brechung des Lichts. Das
Nähere hierüber ſ. m. II. S. 9, 16, u. ſ. f. Die Brechung
des Lichts der Geſtirne in unſerer Atmoſphäre iſt die Urſache
der Refraction (ſ. d. Art.). - Breite der Geſtirne, iſt der ſenkrechte Winkelabſtand der Ge-
ſtirne von der Ecliptik, alſo die kürzeſte Entfernung derſelben
von der Ecliptik. Sie iſt nördlich oder ſüdlich, wenn das Ge-
ſtirn über oder unter der Ecliptik ſteht. Die Breite der Sonne
iſt immer gleich Null, weil die Sonne immer in der Ecliptik
[442]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
(ſ. d. Art.) iſt. — Breitenkreis eines Geſtirns, iſt derje-
nige größte Kreis des Himmels, der durch das Geſtirn und durch
den Pol der Ecliptik geht. Der Breitenkreis ſteht daher im-
mer ſenkrecht auf der Ecliptik, und die Breite des Geſtirns
iſt derjenige Bogen des Breitenkreiſes, der zwiſchen der Eclip-
tik und dem Geſtirn enthalten iſt. - Brennpunkte der Ellipſe, ſind zwei Punkte der großen Axe der
Ellipſe, welche die Eigenſchaft haben, daß die Summe ihrer
beiden Abſtände, von irgend einem Punkte des Umfangs der
Ellipſe, immer gleich der großen Axe derſelben iſt. (I. S. 271.) - Centralkraft, wird diejenige Kraft genannt, die in irgend einem
feſten Punkte (Centrum) ihren Sitz hat. So ſagt man, die
Planeten werden von einer Centralkraft um die Sonne getrie-
ben, weil man vorausſetzt, daß die Urſache dieſer Bewegung
ihren Sitz im Mittelpunkte der Sonne hat. - Centrifugalkraft. Wenn ein Körper ſchnell im Kreiſe gedreht
wird, ſo ſucht er ſich bekanntlich von dem Mittelpunkte dieſes
Kreiſes zu entfernen. Der Stein ſpannt z. B. das Band
der Schleuder, und zwar deſto mehr, je ſchneller dieſe gedreht
wird. (Näheres I. S. 74.) Da dieſe Körper immer in
der Richtung der Tangente ihrer Bahn ſich von dem Mittel-
punkte des Kreiſes zu entfernen ſuchen, ſo heißt dieſe Kraft
auch Tangential- oder Wurfkraft. - Circummeridian-Höhen, ſind ſolche Höhen der Sterne, die
man in der Nähe des Meridians gemeſſen hat. Man bedient
ſich ihrer vorzugsweiſe zu Beſtimmungen der geographiſchen
Breite. - Circumpolarſterne, ſind diejenigen Sterne, die zunächſt bei dem
uns ſichtbaren Pol des Aequators ſtehen, und die daher für uns
weder auf noch unter gehen. Der Polarſtern (ſ. d. Art.)
iſt der vorzüglichſte unter ihnen. - Coluren, ſind die zwei Declinationskreiſe, von welchen der eine
durch die Aequinoctien geht, während der andere auf dem erſten
ſenkrecht ſteht. Jener heißt der Colur der Nachtgleichen und
dieſer der Colur der Solſtitien (ſ. d. Art.). Jener ſchneidet
die Ecliptik in den beiden Aequinoctien, und dieſer in denjenigen
beiden Punkten, die von dem Aequator, nördlich und ſüdlich,
am meiſten abſtehen, welche beide letzten Punkte auch die Sol-
ſtitial- oder Wendepunkte der Ecliptik genannt werden. - Commutation eines Planeten, iſt der Winkel, unter welchem
aus der Sonne ſeine Entfernung von der Erde geſehen wird.
Iſt dieſer Winkel gleich Null, ſo iſt der Planet mit der Sonne
in Oppoſition, und iſt dieſer Winkel gleich 180 Graden, ſo iſt
der Planet mit der Sonne in Conjunction. (I. S. 244.) - Conjunction. Ein Planet iſt mit der Sonne in Conjunction,
wenn er von der Erde bei der Sonne geſehen wird, oder ge-
nauer, wenn ſeine Länge (ſ. d. Art.) gleich der Länge der
Sonne iſt.
[443]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
- Correſpondirende Höhen, ſind gleich große Höhen eines
Geſtirns, die man zu beiden Seiten des Meridians, in Oſt
und Weſt, beobachtet hat. Man braucht ſie vorzugsweiſe bei
der Sonne zur Zeitbeſtimmung (III. S. 242.). - Culmination. Ein Geſtirn iſt in ſeiner Culmination, wenn es
am höchſten über dem Horizonte ſteht, oder, was daſſelbe iſt,
wenn es durch den Meridian (ſ. d. Art.) geht. Die Sonne
culminirt daher im Augenblicke des wahren Mittags. - Dämmerung, die ſchwache Beleuchtung der Erde, die vor dem
Aufgange oder nach dem Untergange der Sonne ſtatt hat. Ihre
Urſache iſt der Reflex der Sonnenſtrahlen von den oberen
Schichten der Atmoſphäre (I. S. 351.). - Declination oder Abweichung eines Geſtirns, iſt der ſenkrechte
Winkelabſtand deſſelben von dem Aequator, oder der kürzeſte Ab-
ſtand deſſelben von dem Aequator. Sie iſt nördlich oder ſüdlich,
wenn der Stern über oder unter dem Aequator iſt. Ebenſo nennt
man Poldiſtanz eines Sterns die Entfernung deſſelben von
dem Nordpol des Aequators, ſo daß alſo Declination und Pol-
diſtanz eines Sterns ſich immer zu 90 Graden ergänzen. - Declinationskreis heißt derjenige größte Kreis des Himmels,
der durch das Geſtirn und den Pol des Aequators geht. Der
Declinationskreis ſteht alſo immer ſenkrecht auf dem Aequator,
und die Declination eines Geſtirns iſt derjenige Theil des De-
clinationskreiſes, der zwiſchen dem Geſtirn und dem Aequator
enthalten iſt. Der Declinationskreis wird auch Abweichungs-
kreis oder Stundenkreis genannt. - Digreſſion oder Ausweichung, iſt die von der Erde geſehene
Winkeldiſtanz eines Planeten von der Sonne. M. ſ. Elon-
gation. - Directe Beweaung eines Geſtirns, iſt eine Bewegung, die von
Weſt gegen Oſt gerichtet iſt. Eine von Oſt gegen Weſt ge-
richtete Bewegung heißt retrograd oder rückgängig. - Diſtanz oder Abſtand. Dieſes Wort hat eine doppelte Bedeutung.
Zuerſt bezeichnet es den Abſtand zweier Körper in einer ge-
raden Linie gemeſſen, wie z. B. die Diſtanz zweier Thürme oder
Berge, in Meilen gemeſſen. In dieſem Sinne wird es aber
in der Aſtronomie nur ſelten gebraucht. Gewöhnlicher iſt die
zweite, wo es den Winkel bezeichnet, welchen die zwei Gegen-
ſtände in dem Auge des Beobachters oder von irgend einem
Punkte aus geſehen, mit einander bilden. So iſt zur
Zeit des Neumonds die Diſtanz der Sonne von dem Monde,
aus der Erde geſehen, gleich Null, obſchon ihre geradlinige
Entfernung über 20 Millionen Meilen beträgt. In den beiden
Vierteln aber iſt die Diſtanz dieſer beiden Geſtirne gleich 90
Graden, und zur Zeit des Vollmonds endlich, wo Sonne und
Mond ſich genau gegenüber ſtehen, iſt ihre Diſtanz gleich 180
Graden. Ebenſo nennt man die Diſtanz eines Geſtirns von
einer Ebene den ſenkrechten (oder kürzeſten) Winkelabſtand
[444]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
des Geſtirns von dieſer Ebene. M. ſ. die Artikel: Breite,
Declination, Höhe u. ſ. w. - Doppelſterne, zwei ſehr nahe bei einander ſtehende Fixſterne.
Sie zeichnen ſich durch mehrere merkwürdige Eigenſchaften aus,
von denen man die vorzüglichſten in II. S. 319 u. f. aufge-
zeichnet findet. - Drachenmonat, iſt die Umlaufszeit des Monds in Beziehung
auf ſeine Knoten (ſ. d. Art.). Er betragt 27 Tage 5 St.
5,6 M - Durchgang oder Vorübergang. Wenn Merkur oder Venus, von
der Erde geſehen, auf der Sonnenſcheibe erſcheint, alſo zwi-
ſchen Sonne und Erde ſteht, ſo nennt man dieß einen Durch-
gang. Dieſe Erſcheinungen ſind vorzüglich nützlich zur Be-
ſtimmung der Entfernung der Sonne von der Erde (II. S. 60
und 78). - Ecliptik oder Sonnenbahn, iſt der Weg, den die Sonne jährlich
am Himmel zu beſchreiben ſcheint und den eigentlich die Erde
beſchreibt. Wenn man die Ebene dieſer elliptiſchen Erdbahn
nach allen Seiten erweitert, ſo ſchneidet ſie die Himmelsſphäre
in einen größten Kreis, der ebenfalls die Ecliptik genannt
wird. Die Ebene dieſes Kreiſes iſt gegen die Ebene des Aequa-
tors unter dem Winkel von 23° 28′ geneigt, und dieſer Winkel
heißt die Schiefe der Ecliptik. Beide Ebenen ſchneiden
einander in zwei entgegen geſetzten Punkten, welche die Aequi-
noctialpunkte genannt werden, während die zwei Punkte der
Ecliptik, die am höchſten über und am tiefſten unter dem
Aequator ſtehen, die Solſtitial- oder Wendepunke heißen. Von
dieſen vier Punkten ſind je zwei nächſte um 90 Grade von
einander entfernt. - Elemente der Planetenbahnen. So nennt man diejenigen Eigen-
ſchaften dieſer Bahnen, wodurch ſie ſich von einander weſentlich
unterſcheiden. Ihrer ſind im allgemeinen fünf: 1. die Länge
der großen Axe der elliptiſchen Bahn, 2. die Lage dieſer Axe
im Weltraum, 3. die Excentricität der Bahn, 4. die Nei-
gung der Ebene der Bahn gegen die Ebene der Ecliptik und
5. die Durchſchnittslinie dieſer beiden Ebenen oder die Kno-
tenlinie. Dazu pflegt man noch als 6. Element die Epoche zu
zählen, d. h. den Ort in der Bahn, welchen der Planet zu
einer beſtimmten Zeit einnimmt (I. S. 280) - Ellipſe, eine krumme Linie von eiförmiger Geſtalt, welche die
Eigenſchaft hat, daß die Summe der Entfernungen eines jeden
Punktes ihres Umfangs von zwei inneren feſten Punkten (den
Brennpunkten der Ellipſe) immer dieſelbe Größe hat. Eine
nähere Beſchreibung ſ. m. I. S. 271. - Elongation oder Digreſſion (Ausweichung), iſt die von der Erde
geſehene Winkeldiſtanz eines Planeten von der Sonne. Die-
ſer Winkel iſt gleich der Länge der Sonne weniger der geocen-
triſchen (von der Erde geſehenen) Länge des Planeten (I. S. 244).
[445]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
- Epicykel. Wenn der Mittelpunkt eines Kreiſes ſich auf der Pe-
ripherie eines andern feſten Kreiſes bewegt, ſo nennt man den
erſten oder den beweglichen Kreis einen Epicykel. Die Alten be-
dienten ſich der Epicykel, um dadurch die verwickelten Bewegun-
gen der Planeten, ſo gut es anging, darzuſtellen (I. S. 232.). - Epoche. Der Ort eines Planeten in ſeiner Bahn, für irgend eine
gegebene Zeit, heißt die Epoche dieſes Planeten. Gewöhnlich
wählt man dazu den Anfang irgend eines Jahres. So iſt z. B.
die Länge der Venus für den Augenblick des mittleren Mittags
in Wien, für den 1ſten Januar des Jahrs 1836 gleich 332
Grade, und dieſe Zahl iſt daher die Epoche der Venus für
das Jahr 1836. - Erdweite, iſt die mittlere Entfernung der Sonne von der Erde,
gleich 20658000 Meilen, wofür man in runder Zahl 20 Mil-
lionen zu nehmen pflegt. - Evection, iſt eine der großen Störungsgleichungen des Mondes,
die durch die Einwirkung der Sonne erzeugt wird. (I. S. 332.
III. S. 118.) - Excentricität. Die Entfernung der zwei feſten Brennpunkte
jeder Ellipſe (ſ. d. Art.) nennt man die doppelte Excentricität.
In der Mitte zwiſchen dieſen beiden Punkten iſt der Mit-
telpunkt der Ellipſe. Alſo iſt auch die Excentricität gleich
der Entfernung des Mittelpunkts der Ellipſe von einem ihrer
beiden Brennpunkte. Gewöhnlich wird dabei in der Aſtronomie
die halbe große Axe der Ellipſe (ſ. d. Art.) gleich der Ein-
heit angenommen. So iſt für die elliptiſche Erdbahn die Excen-
tricität derſelben gleich 0,017, wenn die halbe große Axe derſelben
gleich eins iſt. Will man die Excentricität in Meilen aus-
drücken, ſo erhält man dafür 351186 Meilen, da die halbe
große Axe der Erdbahn 20658000 Meilen beträgt. - Frühlingspunkt, m. ſ. Aequinoctialpunkt.
- Geocentriſcher Ort eines Planeten, iſt der Ort des Planeten
am Himmel, wie er von der Erde geſehen wird, im Gegen-
ſatze mit dem heliocentriſchen oder von der Sonne geſehenen
Orte. Die geocentriſche Länge, Breite u. ſ. f. eines Planeten,
iſt daher die von der Erde geſehene Länge, Breite u. ſ. - Gerade Aufſteigung, ſ. Rectaſcenſion.
- Gleichung der Bahn. Man ſehe zuerſt den Artikel Anomalie
und bemerke dann, daß die Aſtronomen bei jedem Planeten ſich
noch einen ſogenannten mittleren Planeten (ſ. d. Art.)
denken, deſſen ſie ſich zur Vereinfachung ihrer Rechnungen be-
dienen. Der Unterſchied zwiſchen der Anomalie des wahren
und der Anomalie dieſes, bloß eingebildeten, mittleren Plane-
ten, heißt die Gleichung der Bahn. Dieſe Gleichung der
Bahn iſt alſo auch der Unterſchied zwiſchen der heliocentri-
ſchen (von der Sonne geſehenen) Länge des wahren und des
mittleren Planeten, oder endlich, dieſe Gleichung iſt der Win-
kel, welchen die Radii Vectores (ſ. d. Art) des wahren und
[446]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
des mittleren Planeten, in dem Mittelpunkte der Sonne bil-
den. (Vergl. I. S. 279.) - Gnomon, eine auf dem Horizonte ſenkrechte Säule, durch deren
Schatten die Alten die Höhe der Sonne gemeſſen haben. (Vergl.
I. S. 109 und III. S. 230.) - Gravitation oder allgemeine Schwere. Nach Newton’s Entdeckung
ziehen ſich alle Körper gegenſeitig an im Verhältniß ihrer Maſſe
und verkehrt wie das Quadrat ihrer Entfernung. Wenn z. B.
die Sonne jetzt die Erde mit der Kraft 1 anzieht, ſo würde
ſie die Erde, wenn dieſe 2, 3, 4mal weiter entfernt wäre,
nur mehr mit der Kraft ¼, 1/9, 1/16 anziehen: oder auch, wenn
die Erde zwar immer in derſelben Entfernung bleibt, die
Sonne aber an Maſſe 2, 3, 4mal größer wäre, ſo würde
die Attraction der Sonne auf die Erde auch 2, 3, 4mal größer
ſeyn. Dieſe Attraction (Anziehung) aller Körper gegen einan-
der heißt Gravitation. - Größe der Himmelskörper. Man verſteht darunter den Durch-
meſſer dieſer Körper, und zwar entweder in Meilen, oder, als
Winkel, in Graden und Minuten ausgedrückt. So iſt die
Größe oder der wahre Durchmeſſer des Mondes 932
geogr. Meilen, der Winkel aber, unter welchem wir dieſen
Durchmeſſer ſehen, oder der ſcheinbare Durchmeſſer des
Monds, beträgt 1° 54′ 2″. Wenn von Größe oder Durch-
meſſer der Himmelskörper die Rede iſt, ſo verſteht man darun-
ter meiſtens dieſen Winkel, unter welchem man den wahren
Durchmeſſer derſelben ſieht. - Heliocentriſcher Ort der Planeten, iſt der von der Sonne
aus geſehene Ort derſelben am Himmel, im Gegenſatze mit dem
geocentriſchen (von der Erde geſehenen) Orte derſelben. Daher
auch „heliocentriſche Länge, Breite“ gleichbedeutend mit:
„von der Sonne geſehene Länge, Breite u. ſ. f.“ - Hemiſphäre oder Halbkugel, die Hälfte einer Kugel.
- Herbſtpunkt, ſ. Aequinoctialpunkt.
- Höhe eines Geſtirns, iſt der Winkel, unter welchem uns ein Ge-
ſtirn über unſerem Horizonte erſcheint. Bei ſeinem Auf- oder
Untergange ſteht es im Horizonte oder ſeine Höhe iſt Null.
Wenn es in unſerem Zenithe (über unſerm Scheitel) ſteht, ſo
iſt ſeine Höhe gleich 90 Graden. Man muß daher dieſes Wort
in der Aſtronomie nie in der Bedeutung nehmen, in welcher es
im gewöhnlichen Leben genommen zu werden pflegt, wo z. B.
die Höhe eines Thurms der geradelinige Abſtand ſeiner Spitze
vom Boden in Klaftern ausgedrückt iſt, während es in der Aſtro-
nomie immer einen Winkel bezeichnet. Vergl. den Artikel
Diſtanz. - Höhenkreis oder Verticalkreis oder auch Scheitelkreis eines
Sterns, iſt derjenige größte Kreis, der durch den Stern ſenk-
recht auf den Horizont des Beobachters, alſo auch durch das Ze-
nith, (ſ. d. Art.) des Beobachters geht. Der Bogen dieſes
[447]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
Kreiſes, der zwiſchen dem Stern und dem Horizonte ent-
halten iſt, heißt die Höhe des Sterns (ſ. d. Art.). - Horizont, iſt derjenige größte Kreis des Himmels, deſſen Peri-
pherie in allen ihren Punkten um 90 Grade von dem Zenith
oder Nadir (ſ. d. Art.) des Beobachters entfernt iſt. Seine
Ebene iſt gleichſam die Tangente der Erde in dem Punkte, den
der Beobachter einnimmt. Dieſe Ebene trennt die uns ſicht-
bare Hälfte des Himmels von der unteren, unſichtbaren. Die
Oberfläche des ſtillſtehenden Waſſers iſt ſeiner Natur nach im-
mer horizontal, ſo wie ein an einem Faden frei herabhängen-
des Gewicht den Faden immer in eine verticale (d. h. auf den
Horizont ſenkrechte) Richtung bringt. - Hyperbel, eine krumme Linie, die eine der ſogenannten drei Ke-
gelſchnitte iſt (ſ. d. Art.). Eine nähere Beſchreibung der-
ſelben ſ. m. III. S. 95. - Jährliche Gleichung. Eine der größeren Störungsgleichungen
des Monds, die durch die Einwirkung der Sonne erzeugt wird.
M. ſ. I. S. 333 und III. 121. - Iſothermiſche Linien, ſind diejenigen krummen Linien, die man
auf der Oberfläche der Erde gezogen hat, um dadurch alle die-
jenigen Punkte zu verbinden, welche dieſelbe mittlere Temperatur
(ſ. d. Art.) haben. I. S. 209. - Kegelſchnitte. Wenn man einen Kegel in einer beſtimmten Rich-
tung mit einer Ebene durchſchneidet, ſo wird der Durchſchnitt
beider im Allgemeinen durch eine krumme Linie begränzt ſeyn,
die man Kegelſchnitt nennt. Je nach der Lage der ſchneiden-
den Ebene gegen die Axe des Kegels, wird dieſe krumme Linie
eine andere Geſtalt annehmen. Man unterſcheidet von dieſen
Geſtalten beſonders drei: die Ellipſe, Parabel und Hyperbel
(ſ. d. Art.). Näheres über dieſen Gegenſtand in III. S. 93. - Klima. Unter dieſem Ausdrucke verſteht man in der Aſtronomie
und mathematiſchen Geographie eine dem Erdäquator parallele
Zone auf der Oberfläche der Erde, die man entweder nach der
Temperatur dieſer Zone (heiße, kalte, gemäßigte Zone I.
S. 202), oder gewöhnlicher nach der Dauer des längſten Tags,
in dieſen Gegenden der Erde, einzutheilen pflegt. Näheres
darüber in I. S. 205. - Knoten und Knotenlinie. Die gerade Linie, in welcher die
Ebene einer Planetenbahn die Ebene der Ecliptik ſchneidet, heißt
die Knotenlinie der Planetenbahn, und dieſe Linie zu beiden
Seiten verlängert, bezeichnet am Himmel die beiden Knoten
der Planetenbahn und zwar den aufſteigenden Knoten ♌,
wenn der Planet nach ſeinem Durchgange durch dieſen Knoten
ſich über die Ecliptik oder gegen Nord erhebt, während der an-
dere, von dem er gegen Süd geht, der niederſteigende
Knoten [♌] heißt. In der alten Kalenderſprache heißt bei der
Mondsbahn der aufſteigende Knoten der Drachenkopf, und der
niederſteigende der Drachenſchwanz.
[448]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
- Kreis, größter, einer Kugel. So heißt jeder Kreis auf der Ober-
fläche einer Kugel, deſſen Mittelpunkt mit dem der Kugel zu-
ſammen fällt. Alle andere Kreiſe, deren Mittelpunkte außer
dem Kugelmittelpunkte liegen, ſind kleinere und zwar deſto klei-
ner, je weiter ihr Mittelpunkt von jenem der Kugel entfernt iſt.
Denkt man ſich einen größten Kreis der Kugel und mehrere
ihm parallele über und unter ihm, ſo iſt der durch die Mit-
telpunkte aller dieſer Kreiſe gehende Durchmeſſer der Kugel
die Axe (ſ. d. Art.) aller dieſer Parallelkreiſe, und die beiden
Endpunkte dieſes Durchmeſſers, heißen die beiden Pole aller
dieſer Parallelkreiſe. - Kreismikrometer, iſt ein kleiner Kreis oder Ring, den man im
Brennpunkte eines Fernrohrs ſenkrecht auf die Axe dieſes Rohrs
anbringt, um damit die Orte der Himmelskörper gegen ein-
ander zu beſtimmen. M. ſ. III. S. 374. - Länge der Sterne. M. ſ. zuvor den Art.: Breitenkreis. — Länge
eines Sterns iſt die Entfernung ſeines Breitenkreiſes von dem
Frühlingspunkte, von Weſt gegen Oſt bis 360 Graden gezählt.
Die Länge eines Sterns iſt alſo auch der Bogen der Eclip-
tik, der zwiſchen dem Frühlingspunkte (ſ d. Art.) und dem
Breitenkreiſe des Sterns enthalten iſt. Man kann kurz ſagen:
Länge eines Sterns iſt deſſen öſtliche Entfernung vom Früh-
lingspunkt, auf der Ecliptik gezählt. - Länge, geographiſche, eines Beobachters, iſt die Entfernung
ſeines Meridians (ſ. d. Art.) von dem als erſten angenom-
menen Meridian. Gewöhnlich nimmt man bei uns den Meri-
dian durch die Inſel Ferro als den erſten an. Die Länge
einer Stadt iſt daher der Winkel, den ihr Meridian mit dem
von Ferro macht. Man zählt dieſen Winkel von Weſt gegen
Oſt bis 360 oder auch zuweilen nur bis 180 gegen Oſt und
auf der anderen Seite wieder bis 180 gegen Weſt, wo dann
jene die öſtliche und dieſe die weſtliche Länge heißt. So hat,
nach der erſten Art ſich auszudrücken, Mexico die Länge 278° 35′
und nach der zweiten Art die weſtliche Länge 81° 25′ von
Ferro. - Mauerquadrant, ein aſtronomiſches Inſtrument, das in dem
vierten Theile eines Kreiſes beſteht, der an einer in der Ebene
des Meridians erbauten Mauer befeſtiget wird. Näheres
III. S. 253. - Meridian oder Mittagskreis, iſt derjenige größte Kreis des Him-
mels, der durch die Weltpole (Pole des Aequators), und durch
das Zenith (Scheitelpunkt) des Beobachters geht. Die Ebene
dieſes Kreiſes ſteht demnach ſenkrecht auf dem Aequator ſowohl,
als auch auf dem Horizont. Sie geht durch den höchſten und
tiefſten Punkt des Aequators und durch den Süd- und Nord-
punkt des Horizonts. Wenn die Geſtirne, in ihrem täglichen
Laufe um die Erde, in den Meridian treten, ſo ſtehen ſie am
höchſten über dem Horizont oder ſie ſind in ihrer Culmination
[449]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
(ſ. d. Art.). Wenn die Sonne durch den Meridian geht, ſo be-
zeichnet ſie dadurch den Augenblick des Mittags des Beobach-
tungsorts. Der Meridian iſt demnach auch ein Declinations-
oder Stundenkreis, und zwar derjenige, deſſen Stundenwinkel
(ſ. d. Art.) gleich Null oder gleich 180° iſt. - Meridiankreis, eines der vorzüglichſten neuen Inſtrumente, das
aus einem ganzen Kreiſe mit einem Fernrohre beſteht, welches
letzte in der Ebene des Meridians (ſ. d. Art.) ſich auf und
ab bewegt. M. ſ. III. S. 316. - Mikrometer, jede Vorrichtung an einem Fernrohre, mit welchem
man kleinere Winkel mit Schärfe meſſen kann, wie z. B. das
Schraubenmikrometer (III. S. 369), das Rautenmikrometer
(III. S. 373), das Kreismikrometer (III. S. 374) u. f. - Milchſtraße, ein lichter Streifen, der nahe, in der Richtung
eines größten Kreiſes, den ganzen Himmel umzieht und deſſen
lichtere Farbe von der Gedrängtheit der in ihm ſtehenden Fix-
ſterne entſteht. (II. S. 399.) - Mittag, ſ. Süd.
- Mittagslinie, iſt der Durchſchnitt der Ebene des Meridians mit
der des Horizonts (ſ. d. Art.). Dieſe Linie gibt daher die Rich-
tung von Süd nach Nord. Der Schatten einer verticalen
Stange im Augenblicke des wahren Mittags (wo die Sonne
durch den Meridian geht) gibt auf einer horizontalen Ebene die
Richtung der Mittagslinie. - Mittagsrohr oder Paſſagen-Inſtrument. Ein Fernrohr, wel-
ches ſich, auf einer horizontalen Axe, in der Ebene des Meridians
(ſ. d. Art.) auf und ab bewegt. Eines der vorzüglichſten In-
ſtrumente der neueren Aſtronomie. Man ſehe darüber III.
S. 278. - Mittlerer Planet. Die Planeten bewegen ſich in ihren ellipti-
ſchen Bahnen um die Sonne ungleichförmig oder mit veränder-
lichen Geſchwindigkeiten. Allein ihren ganzen Umlauf um die
Sonne vollenden ſie demungeachtet immer in derſelben Zwiſchen-
zeit. Die Aſtronomen haben daher für jeden wahren Planeten
noch einen anderen bloß imaginären angenommen, der mit dem
wahren dieſelbe Umlaufszeit hat, aber ſich dafür gleichförmig oder
immer mit derſelben Geſchwindigkeit um die Sonne bewegt, ſo
daß er mit dem wahren Planeten immer zu gleicher Zeit durch
die große Axe (ſ. d. Art.) der Bahn oder durch das Perihelium
und Aphelium dieſer Bahn geht. Dieſen imaginären Planeten
nennt man den mittleren Planeten, und man bedient ſich ſei-
ner zur Erleichterung der aſtronomiſchen Berechnungen. (Vergl.
I. S. 278.) Man findet die conſtante tägliche Bewegung des
mittleren Planeten, wenn man 360 Grade durch die Umlaufs-
zeit des wahren Planeten dividirt. Mars z. B. hat die Umlaufs-
zeit von 686,9297 Tagen, alſo iſt die tägliche Bewegung ſeines
mittleren Planeten gleich 0,524 Grade oder gleich 0° 31′ 26,″4.
Weiß man nun, in welchem Augenblicke beide Planeten zugleich
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 29
[450]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
durch ihr Perihelium gingen, ſo weiß man auch, daß der mitt-
lere Planet am Ende des 1. 2. 3. Tags nach jenem Augenblick
1, 2, 3mal 0,524 Grade von ſeinem Perihel entfernt iſt, d. h.
daß die mittlere Anomalie (ſ. d. Art.) für dieſe Zeiten 0,524,
oder 1°,048 oder 1°,572 u. f. iſt. Addirt man aber zu dieſer
mittleren Anomalie die Gleichung der Bahn (ſ. d. Art.),
ſo erhält man die wahre Anomalie des Mars, oder man erhält
den Ort des wahren Planeten in ſeiner Bahn. — Dieſe täg-
liche Bewegung des mittleren Planeten wird auch öfter die
tägliche mittlere Bewegung des wahren Planeten genannt.
Auch bei der Sonne hat man eine ſolche mittlere Sonne,
deren tägliche Bewegung 0,985 Grade beträgt, und ſo wie man
den Augenblick des wahren Mittags durch die Culmination der
wahren Sonne beſtimmt, ſo ſagt man auch, daß der mittlere
Mittag ſtatt hat, wenn dieſe imaginäre mittlere Sonne durch
den Meridian geht. Wie es ferner 1, 2, 3 Uhr wahre Zeit
iſt, wenn die wahre Sonne, im Aequator gezählt, 15, 30,
45 Grade weſtlich vom Meridian ſteht, d. h. wenn der Stun-
denwinkel (ſ. d. Art.) der wahren Sonne, 15, 30, 45 Grade
beträgt, ſo iſt es auch 1, 2, 3 Uhr mittlere Zeit, wenn
der Stundenwinkel jener mittleren Sonne 15, 30, 45 Grade iſt
u. ſ. w. - Mittlere Entfernung der Planeten von der Sonne, iſt gleich-
bedeutend mit der halben großen Axe (ſ. d. Art.) ihrer Bahn.
So iſt die mittlere Entfernung der Sonne von der Erde
oder die halbe große Axe der Erdbahn gleich 20658000 geogr.
Meilen. Gewöhnlich nimmt man dieſe halbe Axe der Erd-
bahn als die Einheit aller anderen aſtronomiſchen Meſſungen an.
So beträgt die mittlere Entfernung Jupiters (I. S. 295)
5,20116, d. h. alſo 5,20116 Halbmeſſer der Erdbahn oder über
107 Millionen Meilen. - Morgenweite eines Sterns, Entfernung des Orts, wo der
Stern aufgeht, von dem Oſtpunkte (ſ. d. Art.) des Horizonts. - Multiplicationskreis, eines der Inſtrumente der neueren
Aſtronomie, deſſen Beſchreibung und Gebrauch III. S. 334. - Nachtbogen eines Geſtirns, derjenige Theil ſeines Parallelkreiſes
(ſ. d. Art.), der unter dem Horizonte des Beobachters liegt,
und in welchem ihr daher der Stern unſichtbar iſt. Zur Zeit
der Aequinoctien iſt der Nacht- und Tagbogen der Sonne gleich
groß, weil zu dieſer Zeit in der That Tag und Nacht gleiche
Dauer haben. Für die Circumpolarſterne (ſ. d. Art.), die nicht
untergehen, iſt der Nachtbogen gleich Null. - Nachtgleiche, ſ. Aequinoctium.
- Nadir oder Fußpunkt des Beobachters, iſt derjenige unſichtbare
Punkt des Himmels, der ſenkrecht unter dem Beobachter ſteht
und daher dem Zenith oder Scheitelpunkte gerade entgegen ge-
ſetzt iſt. Nadir iſt für den Beobachter der tiefſte Punkt des
Himmels, ſowie Zenith der höchſte Punkt deſſelben iſt.
[451]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
- Nebel. Nebelſterne. Nebſt den bekannten Fixſternen gibt es
am Himmel noch Stellen, die ſich durch ein mattes Licht aus-
zeichnen und ihren Ort am Himmel ſo wie ihre Geſtalt ebenſo
unveränderlich beibehalten, wie die Fixſterne. Dieſe Stellen
werden Nebel genannt. Oft ſieht man auch eigentliche Fixſterne
von ſolchen Nebeln, gleich einer Atmoſphäre, umgeben, die
dann Nebelſterne heißen. II. S. 356. - Neigung nennt man den Winkel zweier Ebenen gegen einander.
So iſt die Ecliptik gegen den Aequator um 23° 28′ geneigt und
die Neigung der Merkursbahn gegen die Ecliptik beträgt nahe
7 Grade. I. S. 281. - Nonius, ſ. Vernier.
- Nord oder Nordpunkt oder Mitternacht, derjenige Punkt des Ho-
rizonts, wo er von dem Meridian oder von der Mittagslinie
auf der Seite geſchnitten wird, wo der Polarſtern uns erſcheint.
Er iſt dem Südpunkte (ſ. d. Art.) entgegengeſetzt. - Nutation, eine kleine Bewegung der Erdaxe oder, was daſſelbe
iſt, der Weltpole am Himmel, die vorzüglich durch den Mond
erzeugt wird. Durch die Nutation wird der Aequator gegen die
feſte Ecliptik verrückt, wodurch der Frühlingspunkt ſowohl, als
auch die Schiefe der Ecliptik (ſ. d. Art.) etwas verändert wer-
den. Allein dieſe Veränderungen betragen nur 17 Sekunden
bei dem Frühlingspunkt und 9 Sekunden bei der Schiefe, und
ſie ſtellen ſich überdieß in einer Periode von 19 Jahren wieder
her. (I. S. 358.) - Obere Planeten. So heißen diejenigen, deren mittlere Entfer-
nung (ſ. d. Art.) größer iſt, als die der Erde von der Sonne.
So iſt Mars und Jupiter ein oberer Planet, Merkur und Ve-
nus aber ſind die beiden unteren. - Oppoſition oder Gegenſchein. Ein Planet iſt in Oppoſition, wenn
er, von der Erde geſehen, der Sonne gerade gegenüber ſteht oder
wenn die Länge der Sonne und des Planeten um 180 Grade
verſchieden iſt. Zur Zeit der Oppoſition culminirt der Planet
um Mitternacht, zur Zeit der Conjunction (ſ. d. Art.) aber
um Mittag. - Oſt oder Oſtpunkt, Morgenpunkt. Dieſer Punkt des Horizonts ſteht
in der Mitte zwiſchen Süd und Nord auf der Seite des Hori-
zonts, wo die Geſtirne aufgehen. - Parabel, eine krumme Linie, die zu den drei Kegelſchnitten gehört.
Ihre nähere Erklärung III. S. 95. - Parallaxe, iſt der Unterſchied der beiden Winkel, unter welchen
man einen Punkt aus den beiden Endpunkten einer geraden Linie
ſieht, oder es iſt derjenige Winkel, unter welchem ein Auge in
jenem Punkte dieſe gerade Linie ſehen würde. Gewöhnlich
nimmt man für dieſe Linie den Halbmeſſer der Erde an, in dem
der Beobachter ſteht. Dann wird alſo die Parallaxe eines Ge-
ſtirns am größten ſeyn, wenn dieſer Erdhalbmeſſer auf unſerer
Geſichtslinie nach dem Stern ſenkrecht, d. h. wenn das Geſtirn
29 *
[452]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
in unſerem Horizonte iſt: man nennt dieß die Horizontal-
parallaxe des Geſtirns. Je höher das Geſtirn über den
Horizont tritt, deſto kleiner wird die Höhenparallaxe deſ-
ſelben, und wenn das Geſtirn im Zenith iſt, ſo iſt ſeine Höhen-
parallaxe gleich Null, weil nämlich dann der Halbmeſſer der
Erde einem Auge in dem Geſtirn nur als ein Punkt erſcheinen
würde. Wegen der Parallaxe ſehen wir alſo die Geſtirne an
ganz anderen Punkten des Himmels, als wir ſie von dem Mit-
telpunkte der Erde aus ſehen würden. Daß dieſe Parallaxe
nicht bloß auf die Höhe, ſondern auch auf die Länge, Breite
u. ſ. f. der Geſtirne Einfluß haben muß, iſt für ſich klar, ſo
wie, daß ſie immer kleiner wird, je größer die Entfernung des
Geſtirns von der Erde iſt. Schon für die Sonne, deren Di-
ſtanz von der Erde über zwanzig Millionen Meilen beträgt, er-
ſcheint der Halbmeſſer der Erde, der nur 860 Meilen iſt, ſo
gering, daß die Horizontalparallaxe der Sonne, als ihr größter
Werth, nur mehr 8,6 Sekunden beträgt. Für die ungleich
weiter entfernten Fixſterne wird endlich dieſe Parallaxe oder der
Winkel, unter dem der Erdhalbmeſſer von dem Fixſterne geſehen
wird, unendlich klein, daher man hier den Verſuch gemacht hat,
durch Beobachtungen zu beſtimmen, ob wenigſtens der Halbmeſ-
ſer der Erdbahn aus dem Fixſterne geſehen, noch unter einem
merklichen Winkel erſcheint. Man nennt dieſen Winkel die
jährliche Parallaxe der Sterne, ſo wie man, zum Unter-
ſchiede mit dieſer, die vorhergehende die tägliche Parallaxe
nennen könnte. Man fand aber, daß ſelbſt die jährliche Pa-
rallaxe der Fixſterne noch viel zu klein iſt, um durch unſere
Inſtrumente gemeſſen zu werden; daß man endlich, wenn die
Parallaxe eines Geſtirns bekannt iſt, daraus die Entfernung
deſſelben von der Erde meſſen könne, iſt oben (I. S. 140 und
157) gezeigt worden. - Parallelkreis eines Geſtirns iſt ein dem Aequator paralleler Kreis
und zwar derjenige, in welchem das Geſtirn ſeine tägliche ſchein-
bare Bahn um die Erde zurücklegt. Der uns ſichtbare oder
über dem Horizonte liegende Theil des Parallelkreiſes heißt der
Tagbogen, und der andere der Nachtbogen des Geſtirns.
Die Parallelkreiſe ſind alle kleinere Kreiſe der Kugel, außer
dem Aequator, der ein größter Kreis iſt. (S. d. Art. Kreis.) - Paſſagen-Inſtrument ſ. Mittagsrohr.
- Perihelium oder Sonnennähe, iſt der der Sonne nächſte Punkt
einer Planetenbahn, wie Aphelium (ſ. d. Art.) der von der
Sonne am meiſten entfernte Punkt der Bahn iſt. - Periodiſche Revolution ſ. Tropiſche Revolution.
- Perturbation oder Störung eines Planeten. Die elliptiſche Be-
wegung der Planeten iſt eine Wirkung der Attraction der Sonne.
Allein auch die übrigen Planeten wirken durch ihre Attraction
auf jeden einzelnen Planeten, wenn gleich in viel geringerem
Maaße und bringen dadurch kleine Aenderungen in der reinen
[453]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
elliptiſchen Bewegung jedes Planeten hervor, die man die Per-
turbationen deſſelben nennt. Dieſelben ſind zweierlei Art, die
periodiſchen, welche nur auf den Ort des Planeten in ſeiner
Bahn Einfluß haben und nach beſtimmten Perioden wiederkehren,
und die ſäculären, welche auf die Elemente (ſ. d. Art.) der
Bahn wirken. (M. ſ. III. S. 115 und 124.) - Planetenſyſtem oder Weltſyſtem. Man hat in verſchiedenen
Zeiten die Planeten unter ſich und in Beziehung auf die Sonne
auf verſchiedene Weiſe zu ſtellen geſucht. Eine ſolche Stellung
nennt man Planetenſyſtem. So haben wir das Ptolemäiſche
Syſtem (I. S. 224), das Aegyptiſche (I. S. 227), das Co-
pernicaniſche (I. S. 238) und das Tychoniſche Syſtem (I. S. 260).
Von dieſen iſt das Copernicaniſche allgemein als das wahre an-
erkannt. - Planetentafeln ſind eigene Verzeichniſſe, durch welche man für
jede gegebene Zeit den Ort eines mittleren, und aus ihm den
Ort des wahren Planeten (ſ. d. Art. Mittl. Planet) auf eine
die Rechnung ſehr erleichternde Weiſe finden kann. Ein Spe-
cimen ſolcher Tafeln, in ihrer einfachſten Geſtalt, findet man
oben (I. S. 285). - Pol eines Kreiſes auf der Kugel, ſ. Kreis.
- Polarkreis, iſt derjenige Parallelkreis (ſ. d. Art.) des Himmels
oder auch der Erde, der 66° 32′ von dem Aequator, alſo
23° 28′ von dem Pole des Aequators entfernt iſt. Der über
dem Aequator ſtehende Parallelkreis heißt der nördliche und der
andere der ſüdliche. Die Bewohner der Erde, welche zwiſchen
dem Parallelkreis und dem Pole leben, ſehen die Sonne einen
oder mehrere Tage im Jahre nicht auf- und ebenſo nicht unter-
gehen. - Polarſtern iſt unter den größern Sternen des Himmels derjenige,
welcher dem Nordpole des Aequators zunächſt ſteht. Man fin-
det ihn leicht am Himmel, da er mit den beiden Hinterrädern
des ſogenannten Wagens (des Sternbilds des großen Bären)
nahe in einer geraden Linie ſteht. Er iſt für die aſtronomiſchen
Beobachtungen ſehr wichtig. Er war aber nicht immer dem
Pole ſo nahe, als jetzt und wird ſich auch ſpäter wieder von
ihm entfernen (I. S. 357). - Poldiſtanz eines Sterns iſt gleich 90 Graden weniger der
Declination (ſ. d. Art.) dieſes Sterns, für Sterne unter dem
Aequator iſt ſie gleich 90 Graden mehr der Declination. Pol-
diſtanz iſt alſo die Entfernung eines Sterns von dem Nordpole
des Aequators, in dem Declinationskreiſe (ſ. d. Art.) des
Sterns gemeſſen. - Polhöhe oder geographiſche Breite eines Orts auf der Oberfläche
der Erde, iſt die Höhe (ſ. d. Art.), unter welcher dem Beobach-
ter in dieſem Orte der Nordpol des Aequators über dem Hori-
zonte erſcheint, oder auch, iſt der ſenkrechte Winkelabſtand des
Beobachters von dem irdiſchen Aequator. Für einen Beobachter
[454]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
im Aequator iſt die Polhöhe oder Breite gleich Null, und für
die Bewohner des Pols iſt ſie gleich 90 Graden. Je größer
die Polhöhe, deſto weiter iſt der Beobachter von dem Aequa-
tor entfernt. - Präceſſion oder Vorrücken der Nachtgleichen. Der Frühlings-
punkt (ſ. d. Art. Aequinoctium) geht jährlich auf der feſten
Ecliptik nahe 50 Sekunden rückwärts oder von Oſt gegen Weſt,
daher die Länge der Sterne (ſ. d. Art.) jährlich um eben
dieſe Größe zunimmt. Dieſe Verrückung des Frühlingspunkts
heißt die Präceſſion. (I. S. 354.) - Quadrant, ein aſtronomiſches Inſtrument, beſtimmt, die Höhe der
Geſtirne zu meſſen. Es beſteht aus dem vierten Theile eines
Kreiſes, daher ſeine Benennung. Näheres darüber I. S. 104
und III. S. 250. - Radius Vector des Planeten, iſt die Entfernung des Planeten
von dem Mittelpunkte der Sonne, der immer in dem einen
der beiden Brennpunkte der elliptiſchen Planetenbahn iſt. - Rectaſcenſion oder Gerade Aufſteigung eines Sterns.
Man ſehe zuvor den Artikel: Declinationskreis. — Rectaſcen-
ſion iſt die Entfernung des Declinationskreiſes eines Geſtirns
von dem Frühlingspunkte von Weſt gegen Oſt in der Ebene
des Aequators bis 360° gezählt. Oder auch: Rectaſcenſion eines
Sterns iſt der Winkel ſeines Declinationskreiſes mit dem Colur
(ſ. d. Art.) der Aequinoctien. Man kann daher auch kurz ſagen:
Rectaſcenſion eines Sterns iſt die öſtliche Entfernung deſſelben vom
Frühlingspunkt, im Aequator gezählt, ſo wie Länge (ſ. d. Art.)
eines Sterns die öſtliche Entfernung deſſelben vom Frühlingspunkt,
in der Ecliptik gezählt, iſt. Durch Rectaſcenſion und De-
clination wird der Ort eines Sterns an der Himmelsfläche
ebenſo vollſtändig beſtimmt, wie durch Länge und Breite.
(S. d. Art.) - Refraction oder Strahlenbrechung iſt die Ablenkung des
Lichtſtrahls, der während dem Durchgange deſſelben durch un-
ſere Atmoſphäre, durch die Anziehung derſelben bewirkt wird.
(I. S. 343). Dieſe Ablenkung hat immer nur in dem Verti-
calkreiſe (ſ. d. Art.) des Sterns ſtatt und ſeine Höhe wird da-
durch vergrößert, ſo daß wir alle Sterne, wegen der Refraction,
zu hoch ſehen. Für einen Stern im Horizont beträgt die Re-
fraction bis 38 Minuten, für größere Höhen wird ſie immer kleiner
und für Sterne im Zenith (ſ. d. Art.) verſchwindet ſie völlig. - Retrograde oder rückgängige Bewegung, heißt jede Be-
wegung der Himmelskörper, wenn ſie von Oſt nach Weſt ge-
richtet iſt, während die von Weſt nach Oſt gerichtete Bewegung
eine directe heißt. Die Planeten haben bald dieſe bald jene
Bewegung. (I. S. 217, 239.) - Revolution oder Umlaufszeit eines Planeten iſt die Zeit, wäh-
rend welcher er ſeine ganze Bahn oder ſeinen ganzen Umlauf
um irgend einen Punkt vollendet, alſo volle 360° in Beziehung
[455]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
auf dieſen Punkt zurückgelegt. Man unterſcheidet: ſideriſche
Revolution in Beziehung auf die Fixſterne; tropiſche oder
periodiſche in Beziehung auf den Frühlingspunkt; ſynodiſche
in Beziehung auf die Sonne; anomaliſtiſche in Beziehung
auf Anomalie (ſ. d. Art.). - Rotation eines Planeten iſt die Zeit, während welcher er ſich in
ſeiner täglichen Bewegung ganz um ſeine Axe dreht. Bei der
Erde beträgt dieſe Rotationszeit einen Sterntag (ſ. d. Art.)
oder 23 Stunden 56 Minuten 4 Sekunden mittlere Zeit; bei
der Venus 23 Stunden 21 Minuten; bei Jupiter 9 Stunden
56 Minuten unſerer mittleren Zeit u. ſ. f. - Säculäre Aenderungen, heißen alle diejenigen, die entweder
ohne Ende in derſelben Richtung fortgehen, wie die Präceſſion
der Nachtgleichen (ſ. d. Art.), oder die doch mehrere, oft viele Jahr-
hunderte dieſelbe Richtung beibehalten, wie z. B. die Aenderun-
gen der Knoten, der Neigungen, der Excentricitäten, der Pla-
netenbahnen u. ſ. w. So nimmt z. B. die Excentricität der
Erdbahn ſeit dem Jahre 11400 vor Chr. G. bis auf die gegen-
wärtige Zeit immer ab und wird auch ferner noch abnehmen
bis zu dem Jahre 36900 nach Chr. G. (III. S. 135), daher
dieß eine ſäculäre Abnahme heißt. Im Gegenſatze mit dieſen
Aenderungen ſtehen die ſogenannten periodiſchen Störun-
gen, die oft nur eine Zeit nach einer und dann eben ſo weit
wieder nach der anderen Richtung fortgehen, gleich einem Pen-
del, welches den Hin- und Hergang ſeiner Schwingungen in
einer kurzen Zeit und in einem nur geringen Raum abwechſelnd
vollendet. Eine ſolche periodiſche Aenderung iſt z. B. die Nu-
tation (ſ. d. Art.), deren Zeitraum nur 19 Jahre dauert. - Satelliten oder Trabanten der Planeten, ſind die Monde,
welche einige unſerer Planeten begleiten. So iſt unſer Mond
der Satellit der Erde: ſo hat Jupiter vier, Saturn ſieben Sa-
telliten u. ſ. f. - Scheitel ſ. Zenith.
- Scheitelkreis oder Verticalkreis ſ. Höhenkreis.
- Schiefe der Ecliptik, iſt der Winkel, unter welchem die Bahn der
Ecliptik gegen den Aequator geneigt iſt. Er beträgt jetzt nahe
23° 28′ und iſt ſchon ſeit ſehr langer Zeit im Abnehmen begriffen. - Schwere ſ. Gravitation.
- Sextant, ein aſtronomiſches Inſtrument, das beſonders zu Beob-
achtungen auf der See geeignet iſt. Die nähere Beſchreibung
deſſelben ſ. III. S. 361. - Sideriſche Revolution eines Planeten, iſt die Umlaufszeit
deſſelben um die Sonne in Beziehung auf einen feſten Punkt
des Himmels, z. B., auf einen Fixſtern. Wenn man heute einen
Planeten bei einem Fixſtern des Himmels erblickt und wenn er
nach 1000 Tagen wieder zu demſelben Fixſtern zurückkömmt, ſo
beträgt die ſideriſche Revolution des Planeten 1000 Tage. - Solſtitium oder Sonnenwende. So heißen die zwei Punkte
[456]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
der Ecliptik, die am meiſten von dem Aequator entfernt ſind.
Der am höchſten über dem Aequator oder nördlich ſteht, heißt
das Sommerſolſtitium, und der tiefſte unter ihr das Win-
terſolſtitium, weil wir dort die Sonne im Anfange unſeres
Sommers (am 21. Junius) und hier im Anfange des Winters
(am 21. Dezember) erblicken. - Sonnenferne, ſ. Aphelium.
- Sonnennähe, ſ. Perihelium.
- Sonnenparallaxe, iſt die Hälfte des Winkels, unter welchem
ein Auge im Mittelpunkte der Sonne den Durchmeſſer unſerer
Erde ſieht. Dieſer Winkel beträgt 8,6 Sekunden. M. ſ. den
Artikel Parallaxe. - Sonnentag, iſt die Zeit von einer Culmination der Sonne, oder
von einem Mittag zum [nächſtfolgenden]. Verſteht man dabei
die wahre Sonne, ſo erhält man den wahren Sonnentag;
verſteht man aber dabei die mittlere Sonne (ſ. d. Art. Mitt-
lerer Planet), ſo erhält man den mittleren Sonnentag. Im
Gegenſatze iſt Sterntag die Zeit zwiſchen zwei nächſten Cul-
minationen eines Fixſterns, z. B. des Frühlingspunkts. Alle
dieſe Tage werden übrigens, nach dem aſtronomiſchen Gebrauche,
in Stunden, Minuten und Sekunden der mittleren Zeit
ausgedrückt. (ſ. d. Art. mittlerer Planet.) - Sonnenwende, ſ. Solſtitium.
- Sonnenzeit iſt der Stundenwinkel (ſ. d. Art.) der Sonne. Wird
damit die wahre oder die mittlere Sonne (ſ. d. Art. Mittlerer
Planet) gemeint, ſo erhält man wahre oder mittlere Sonnen-
zeit. Iſt die wahre oder die mittlere Sonne im Meridian, ſo
iſt es eben wahrer oder mittlerer Mittag, das heißt 0 Uhr
wahre oder mittlere Zeit; hat die wahre oder mittlere Sonne,
in Beziehung auf den Aequator, ſeit dem Mittage, einen Bo-
gen von 15, 30, 45 Grade zurückgelegt, ſo iſt es 1, 2, 3 Uhr
wahre oder mittlere Zeit u. ſ. w. - Sterntag, ſ. Sonnentag.
- Sternzeit iſt der Stundenwinkel (ſ. d. Art.) des Frühlingspunkts.
Iſt der Frühlingspunkt im Meridian, ſo iſt es 0 Uhr Stern-
zeit, und iſt er, im Aequator gezählt, 15, 30, 45 Grade weſt-
lich vom Meridian, ſo iſt es 1, 2, 3 Uhr Sternzeit. Wie man
Sternzeit in mittlere Zeit und umgekehrt verwandelt ſ. m. I.
S. 315. - Störungen der Planeten, ſ. Perturbationen.
- Strahlenbrechung, ſ. Refraction.
- Stundenkreis, ſ. Declinationskreis.
- Süd oder Mittag, iſt derjenige Punkt des Horizonts, wo derſelbe
von dem Meridian (ſ. d. Art.) auf der Seite geſchnitten wird,
auf welcher wir die Sonne im Mittag erblicken. Der ihm ge-
genüberſtehende Punkt des Horizonts heißt Nord (ſ. d. Art.). - Synodiſche Revolution eines Planeten iſt die Umlaufszeit
eines Planeten in Beziehung auf die Sonne. Wenn z. B.
[457]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
heute Jupiter bei der Sonne, alſo in Conjunction (ſ. d. Art.)
geſehen wird, und wenn 499 Tage verfließen, bis er wieder mit
der Sonne zuſammenkömmt, ſo beträgt die ſynodiſche Revolution
Jupiters 499 Tage. (M. ſ. I. S. 294.) Bei dem Monde iſt
daher die ſynodiſche Revolution (oder, wie man hier zu ſagen
pflegt, der ſynodiſche Monat) die Zeit von einem Neumond
zum anderen, oder auch von einem Vollmond zum anderen, und
dieſe Zeit beträgt 29 Tage 12 St. 44 Min. (II. S. 221.) - Tagbogen eines Geſtirns iſt derjenige Theil des Parallelkreiſes
(ſ. d. Art.) des Geſtirns, der über unſerem Horizonte liegt,
und in welchem uns daher das Geſtirn ſichtbar iſt, während es
in dem anderen, unter dem Horizonte liegenden Theile, dem
Nachtbogen, unſichtbar iſt. - Temperatur, mittlere, eines Orts. Wenn man durch mehrere Jahre
täglich den Thermometerſtand ſeines Wohnortes beobachtet, und
dann die Summe aller ſo erhaltenen Zahlen durch die Anzahl
der ſämmtlichen Beobachtungen dividirt, ſo erhält man die
mittlere Temperatur dieſes Ortes. M. ſ. I. S. 209. - Theodolith, ein Inſtrument zum geodätiſchen und aſtronomiſchen
Gebrauche, deſſen Beſchreibung III. S. 344. - Thierkreis, ſ. Zodiacus.
- Tropicus oder Wendekreis. Diejenigen zwei Parallelkreiſe des
Aequators, welche von dem Aequator, zu beiden Seiten deſſel-
ben, um 23° 28′, alſo um die Schiefe der Ecliptik (ſ. d. Art.)
abſtehen. Der obere oder nördliche heißt der Wendekreis des Kreb-
ſes und der untere oder ſüdliche der Wendekreis des Steinbocks.
Auf der Erde ſchließen dieſe beiden Wendekreiſe die heiße Zone
(ſ. d. Art.) ein. Die Sonne berührt auf ihrem jährlichen Laufe
den nördlichen Wendekreis im Anfange unſeres Sommers, und
den ſüdlichen im Anfange des Winters, und über ſie hinaus geht
ſie nicht, indem ſie um dieſe Berührungspunkte ihren Weg wieder
rückwärts macht oder gleichſam wendet, daher die Benennung. - Tropiſche oder periodiſche Revolution eines Planeten, iſt die Um-
laufszeit eines Planeten in Beziehung auf den Frühlingspunkt
(ſ. d. Art. Aequinoctium). Da das Aequinoctium, wegen der
Präzeſſion (ſ. d. Art.) ſelbſt beweglich iſt, ſo iſt die trop. Re-
volution von der fideriſchen (ſ. d. Art.) verſchieden, und dieſe
fideriſche iſt allein die wahre Umlaufszeit um die Sonne, weil
ſie ſich auf einen feſten Punkt bezieht, daher auch der Planet
während ſeiner ſideriſchen Revolution in der That volle 360
Grade um die Sonne zurücklegt. Für die Sonne oder, was
daſſelbe iſt, für die Erde, beträgt die ſideriſche Revolution
365,25638 mittlere Sonnentage, die tropiſche aber nur 365,24225
oder 365 Tage 5 St. 48 M. 50,4 Sek. ſolcher Tage, und die-
ſes letzte iſt zugleich das, was wir unſer bürgerliches Jahr zu
nennen pflegen. - Umlaufszeit, ſ. Revolution.
[458]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
- Untere Planeten, ſo heißen die zwei Planeten Merkur und
Venus, deren Bahnen kleiner ſind als die Erdbahn, und die
daher von der Erdbahn eingeſchloſſen werden, während die übri-
gen Planeten, deren Bahnen die Erdbahn einſchließen, die
oberen genannt werden. Auch die Conjunctionen (ſ. d. Art.)
der unteren Planeten ſind zweierlei Art: die obere Conjunction
derſelben hat ſtatt, wenn die Sonne in gerader Linie zwiſchen
dem Planeten und der Erde ſteht, und die untere, wenn der
Planet in gerader Linie zwiſchen Sonne und Erde ſteht. - Untergang eines Geſtirns iſt der Augenblick, in welchem er,
nachdem er eine Zeit durch über dem Horizonte ſichtbar geweſen
war, auf der Weſtſeite deſſelben durch den Horizont geht, und
anfängt, unſichtbar zu werden. - Variation, iſt eine der großen Störungsgleichungen des Monds,
die von der Einwirkung der Sonne verurſacht wird. M. ſ. I.
S. 332 und III. S. 118. - Vernier oder Nonius, iſt eine ſinnreiche Vorrichtung, um dadurch
ſehr kleine Theile einer geraden oder krummen Linie zu meſſen.
M. ſ. III. S. 366. - Verticalkreis, ſ. Höhenkreis.
- Vorrücken der Nachtgleichen, ſ. Präceſſion.
- Wahre Zeit oder wahre Sonnenzeit, iſt der Stundenwinkel
(ſ. d. Art.) der wahren, am Himmel ſichtbaren Sonne. Wenn
der Mittelpunkt dieſer Sonne durch den Meridian geht oder
culminirt, ſo iſt dieß der Augenblick des wahren Mittags, und
wenn dieſer Mittelpunkt, im Aequator gezählt, 15, 30, 45
Grade weſtlich von dem Meridian ſteht, ſo iſt es 1, 2, 3 Uhr
wahre Zeit. Die Sonnenuhren zeigen, wenn ſie richtig con-
ſtruirt ſind, dieſe wahre Zeit an. - Weltare, iſt die Axe (ſ. d. Art.) des Aequators oder diejenige
gerade Linie, die durch den Mittelpunkt der Erde, ſenkrecht auf
den Aequator geht. Dieſe Axe geht alſo auch durch die beiden
Pole des Aequators, dem Nordpole und dem Südpol deſſelben.
Um dieſe Axe dreht ſich die Erde in ihren täglichen Bewegun-
gen von Weſt gegen Oſt, oder um ſie ſcheint ſich der ganze
Himmel mit ſeinen Geſtirnen täglich von Oſt gegen Weſt zu
drehen. Dieſe Axe endlich iſt gegen den Horizont des Beob-
achters immer um einen Winkel geneigt, welcher der Pol-
höhe (ſ. d. Art.) oder der geographiſchen Breite dieſes Ortes
gleich iſt. - Weltpole ſind die zwei Punkte des Himmels, in welcher die ver-
längerte Weltaxe (ſ. d. Art.) die Himmelsfläche trifft. Der
obere uns ſichtbare heißt der Nordpol und der andere, un-
ſichtbare, der Südpol. - Weltſyſtem, ſ. Planetenſyſtem.
- Wendekreis, ſ. Tropicus.
- Weſt oder Weſtpunkt, Abendpunkt. Dieſer Punkt des Horizonts
[459]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
ſteht in der Mitte zwiſchen Süd und Nord auf der Seite des
Horizonts, wo die Geſtirne untergehen. - Widderpunkt, gleichbedeutend mit Frühlingspunkt ſ. d. Art.
Aequinoctium. - Winterſolſtitium oder Winter-Sonnenwende ſ. Solſtitium.
- Zeichen der Planeten, ſind eigene Figuren, mit welchen man
die Planeten bezeichnet, z. B. Merkur durch ☿, Venus durch
♀ u. ſ. f. (M. ſ. II. S. 64). — Zeichen des Thier-
kreiſes. Der Thierkreis (ſ. d. Art. Zodiacus) wird, als ein
Kreis von 360 Graden, in zwölf gleiche Theile eingetheilt, die
man Zeichen nennt. Jedes ſolcher Zeichen hat daher 30
Grade. Ihre Namen und Figuren (die I. S. 129 angegeben
ſind) haben ſie von den Sternbildern, die in ihnen früher ent-
halten waren, jetzt aber, wegen der Präceſſion, ſchon außer
ihnen ſtehen. Näheres darüber I. S. 356. - Zeitgleichung iſt diejenige Zahl, welche man an jedem Tage
des Jahres zu der wahren Zeit addiren muß, um die mitt-
lere Zeit (ſ. d. Art.) zu erhalten. Näheres über dieſen Ge-
genſtand ſ. m. I. S. 313. - Zenith oder Scheitelpunkt, der Punkt des Himmels, der ſenkrecht
über dem Beobachter oder in dem Scheitel deſſelben ſteht, der
höchſte Punkt des Himmels in Beziehung auf den Horizont.
Wenn man von dem Mittelpunkte der Erde eine gerade Linie
nach dem Beobachter zieht, ſo trifft dieſe Gerade, zu beiden
Seiten verlängert, den Himmel, über dem Beobachter im
Zenith, und unter demſelben im Nadir des Beobachters. - Zenithdiſtanz eines Sterns iſt die Entfernung deſſelben vom
Zenith, in dem Höhenkreiſe (ſ. d. Art.) des Sterns gemeſſen.
Die Zenithdiſtanz iſt alſo immer gleich 90 Graden, weniger
der Höhe (ſ. d. Art.) des Sterns. Iſt der Stern im Zenith,
ſo iſt ſeine Zenithdiſtanz Null, und iſt er im Horizont, ſo iſt
ſeine Zenithdiſtanz gleich 90 Graden. - Zodiacus oder Thierkreis, iſt eine der Ecliptik parallele Zone
des Himmels, die ſich zu beiden Seiten der Ecliptik bis auf
10 Grade von ihr entfernt. In dieſer Zone halten ſich die
ſämmtlichen älteren Planeten ſammt der Sonne auf, welche
letzte immer die Mitte derſelben einnimmt. Sie wird in 12
gleiche Theile, die man Zeichen (ſ. d. Art.) nennt, einge-
theilt, worüber man I. S. 129 und S. 356 nachſehen kann. - Zodiacallicht, ein der Milchſtraße ähnliches Licht, das in der
Geſtalt eines doppelten Kegels erſcheint, deren gemeinſchaft-
liche Grundfläche die Sonne iſt und deren Axen in der Eclip-
tik liegen. Die nähere Beſchaffenheit dieſes Lichtes iſt noch un-
bekannt. (III. S. 153.) - Zonen, ſind dem Aequator parallele Streifen auf der Oberfläche
der Erde, die von den beiden Polar- und Wendekreiſen
(ſ. d. Art.) begränzt werden. Der von den beiden Wende-
[460]Anhang. Aſtronomiſche Kunſtwörter.
kreiſen eingeſchloſſene Streifen heißt die heiße Zone. Die
zwei, zwiſchen den Wende- und Polar-Kreiſen jeder He-
miſphäre enthaltenen Streifen bilden die zwei gemäßigten
Zonen und zwar die nördliche und ſüdliche; die noch übrigen
von den beiden Polarkreiſen umſchloſſenen Theile der Ober-
fläche der Erde endlich bilden die beiden kalten Zonen der
Erde. (M. ſ. I. S. 202.)
[[461]]
Appendix A Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
Die römiſchen Zahlen I, II, III beziehen ſich auf den Band, die andern auf die Seiten.
- Aberration des Lichts I. 172. Iſt nicht aus der Parallaxe zu erklären
I. 173. Differenz der Wirkungen der Aberration und der Parall-
axe I. 175. Ellipſe der Aberration I. 176. Winkel der Aberration
I. 177. Zuſammenhang mit der Geſchwindigkeit des Lichts I. 179.
Urſache der Aberration I. 189. Wirkung derſelben auf den ſchein-
baren Ort der Sterne I. 191. - Abplattung der Erde I. 71. Verſchiedene Werthe derſelben I. 83.
Abplattung der Erde, Beſtimmung derſelben durch den Mond III. 123. - Abweichung ſiehe Declination.
- Abweichungskreis ſiehe Declinationskreis.
- Aegyptiſches Planetenſyſtem I. 227.
- Aequator I. 28.
- Aequatorial III. 349 — 361. Beſchreibung deſſelben III. 349 — 352.
Vortheile für den Beobachter. III. 352. Rectification III. 355 — 360. - Aequatorhöhe I. 29.
- Aequinoctialpunkte oder Nachtgleichenpunkte I. 33. Beſtimmung der-
ſelben durch Beobachtung I. 117 — 121. - Aether-Störungen der Kometen durch denſelben III. 168.
- Anomalie der Planeten, mittlere und wahre I. 279.
- Antipoden I. 92.
- Aphelium I. 273, gleichbedeutend mit Sonnenferne.
- Apſiden oder Abſiden, gleichbedeutend mit der großen Axe der ellipti-
ſchen Planetenbahn I. 300. Beſtimmung ihrer Lage I. 301. Ein-
fluß der Aenderung der Abſiden der Erdbahn auf die Jahreszeiten I. 303. - Araber, Aſtronomie der I. 116.
- Argument der Breite bei den Planeten I. 249.
- Armillarſphäre III. 233.
- Aſtrolabium III. 233.
- Atmoſphäre der Erde, Höhe und Dichtigkeit derſelben I. 343. Höhe
der Atmoſphäre III. 152. Ihre Ebbe und Fluth III. 162. - Attwoods Maſchine I. 80.
- Aufgang der Geſtirne I. 36.
- Ausdehnbarkeit der Körper III. 6.
- Axe der Kreiſe auf der Kugel I. 24.
- Axe der Erde. Ihr Lage iſt conſtant III. 170 — 174. Freie Axe der
Rotation III. 173. - Axe große, der Planetenbahnen iſt conſtant III. 177 — 180.
- Azimut I. 30.
[462]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
- Bahnen, tägliche der Geſtirne in ihrer ſcheinbaren Bewegung um die
Erde I. 56. - Bedingungsgleichungen und Anwendung derſelben II. 105.
- Beobachtungen, Fehler der, III. 221. Theilungsfehler III. 225. Auf-
gabe des Beobachters III. 229. Zeitbeſtimmung III. 237. Beobach-
tungsfehler der erſten Art, durch Ausführung und Aufſtellung der
Inſtrumente veranlaßt, III. 386. Beobachtungskunſt, ihre all-
mählige Vervollkommnung III. 389. Beobachtungsfehler der zwei-
ten Art, aus der Beſchränktheit unſerer ſinnlichen Organe hervor-
gehend III. 392. - Bewegung überhaupt III. 11; durch Centralkräfte III. 91; elliptiſche,
der Himmelskörper III. 87 — 102. - Bewohner der Planeten II. 160. Huygen’s Meinung darüber II. 161 —
166. Kircher’s Anſichten II. 166. Fontenelle’s Hypotheſen II.
167 — 171. - Brechung des Lichts, doppelt II. 16. Durch Linſen III. 260.
- Breite der Sterne I. 32; geographiſche I. 33; iſt gleichbedeutend mit
Polhöhe der Planeten I. 248. - Capillar-Attraction. III. 16.
- Centralkräfte, Bewegung durch, III. 91.
- Centrifugalkraft, Folge der drehenden Bewegung I. 69. 73.
- Ceres II. 114 — 120.
- Chineſen, Aſtronomie der, I. 115.
- Circumpolarſterne I. 37.
- Collimator beim Meridiankreis III. 330.
- Compreſſibilität der Körper III. 6.
- Copernicus I. 135. 237. Unvollkommenheit ſeines Planetenſyſtems I. 259.
- Copernicaniſches Planetenſyſtem I. 237 — 240. Vorzüge deſſelben I. 241.
- Correſpondirende Höhen, zur Zeitbeſtimmung III. 242 — 248; zur Be-
ſtimmung der Rectaſcenſion III. 248. - Culmination der Geſtirne I. 36; obere und untere Culmination I. 37.
- Dämmerung I. 351.
- Dauer des Weltſyſtems III. 206 — 218.
- Declination der Geſtirne oder Abweichung derſelben I. 32.
- Declinationskreis, gleichbedeutend mit Abweichungskreis oder Stun-
denkreis I. 28. - Denderah, Thierkreis zu, I. 360.
- Depreſſion des Horizonts, welchen Theil der Erde man von einer ge-
gebenen Höhe überſieht I. 47. - Dichte der Körper I. 78; — der Himmelskörper wie man ſie findet III..
48; Dichte verſchiedener Körper III. 85; — der Planeten nimmt ge-
gen ihren Mittelpunkt zu III. 147. - Directe Bewegung der Planeten I. 124.
- Diſtanz der Geſtirne, wie man ſie aus der Parallaxe findet I. 143.
Diſtanz unzugänglicher irdiſcher Objecte, wie ſie gemeſſen wird
I. 143 — 146. Diſtanzen der Planeten von der Sonne I. 253.
Diſtanz des Monds von der Erde I. 254. - Doppelſterne II. 320. Verſchiedene Klaſſen II. 320. Ihr Verhältniß
zu den einfachen II. 321. Anzahl derſelben II. 321. Verſchiedenheit
der Doppelſterne II. 322. Eigene Bewegung der Fixſterne II. 323.
Frühere Meinungen von ihnen II. 328. Ihre Vertheilung am
Himmel II. 323. Drei und mehrfache Sterne II. 324. Bewegung
derſelben um einander II. 325. Bedeckung der Doppelſterne unter
einander II. 327. Wie man ihre Entfernung von uns finden
könnte II. 330 — 334. Bahnbeſtimmung der Doppelſterne II. 334.
[463]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
Elemente der Bahnen der vorzüglichſten Doppelſterne II. 335.
Einige beſonders merkwürdige II. 336 — 339. Sie unterliegen
dem Geſetz der allgemeinen Schwere II. 339. Farben der Doppel-
ſterne II. 340. Erklärungen dieſer Farben II. 342. Doppelſterne,
als Prüfungsmittel der Fernröhre II. 344. Planeten der Doppel-
ſterne II. 348. Bahnen dieſer Planeten II. 349. Anblick des Him-
mels von dieſen Planeten. II. 351. Geſchichte ihrer Entdeckung
II. 352 — 355. Beſtimmung ihrer Maſſen III. 82. - Durchgänge. Merkur’s II. 60. Der Venus II. 78. Wichtigkeit der
Venusdurchgänge zur Beſtimmung der Sonnenparallaxe II. 79.
Epochen, wenn ſie ſtatt haben II. 80; früheſte Beobachtung dieſer
Durchgänge II. 81. Durchgang des Jahres 1769 II. 85; der Venus,
Berechnung derſelben II. 86. Nächſtkünftige Durchgänge II. 87. Wie
man daraus die Sonnenparallaxe findet II. 88. Vorzüge dieſer Me-
thode II. 89 — 97. Einfache Darſtellung derſelben II. 99 — 101. - Ebbe und Fluth III. 154. Allgemeine Erſcheinungen III. 155. Perio-
den III. 155. Urſachen III. 156. Einfluß der Lokalverhältniſſe III.
157. Hafenetabliſſement III. 157. Berechnung dieſer Erſcheinun-
gen III. 158. Erklärung derſelben III. 159. Geſchichte ihrer Theo-
rie III. 162. Ebbe und Fluth der Atmoſphäre III. 163. - Ecliptik oder Sonnenbahn I. 32. Lage derſelben am Himmel I. 100.
Erſte Beſtimmung dieſer Lage I. 101 — 103. Genauere Beſtim-
mung derſelben I. 107. - Elemente der Planetenbahnen I. 245, 252, 280.
- Ellipſe, Eigenſchaften der, I. 271. Ellipſe III. 93, 100.
- Elliptiſche Bewegung der Himmelskörper III. 87 — 102.
- Entfernung der Geſtirne ſiehe Diſtanz.
- Epicykel zur Erklärung der zweiten Ungleichheit der Planeten I. 232. Nä-
here Beſtimmung dieſer Epicykel I. 234. Fehler dieſer Hypotheſe I. 235. - Epoche der Planeten I. 246.
- Erde. Sie iſt keine Ebene und ſchwebt frei im Himmelsraum. I. 45.
Sie hat im allgemeinen die Geſtalt einer Kugel I. 46, 51, 53.
Größe der Erde I. 49. Folgen ihrer Kugelgeſtalt I. 50, 51. Cen-
trifugalkraft ihrer drehenden Bewegung. I. 70. Abplattung I. 71.
Meſſungen ihrer Geſtalt und Größe I. 72. Sphäroidiſche Geſtalt
der Erde I. 72. Zweifel über dieſe Geſtalt I. 83. Einwürfe ge-
gen die Rotation derſelben I. 91. Beweiſe für ihre tägliche
Bewegung I. 55 — 95. Beweiſe für ihre jährliche Bewegung
um die Sonne I. 130 — 140. Geſchwindigkeit der täglichen
Bewegung I. 62. Geſchwindigkeit der jährlichen Bewegung
der Erde I. 139. Analogie derſelben mit den Planeten I. 134.
Ihre jährliche Bewegung iſt eine Folge der täglichen I. 138.
Schiefe Stellung ihrer Axe gegen die Ecliptik, als Urſachen der
Jahreszeiten I. 197. Abplattung derſelben III. 123. Alter der
Erde III. 150. Die Lage ihrer Axe iſt unveränderlich III. 170 —
174. Die Zeit ihrer Rotation iſt conſtant III. 174 — 177. Die
Erde war anfänglich in einem flüſſigen Zuſtande III. 181. Cen-
tralfeuer der Erde III. 182. Allmählige Abkühlung derſelben III.
183. Folge derſelben III. 184. Temperatur derſelben III. 184 — 187. - Evection I. 334.
- Excentricität der Planetenbahnen I. 272. — der Planetenbahnen, wie
ſie beſtimmt wird I. 298. Aenderungen dieſer Excentricität I. 299.
Excentricität der Planetenbahnen III. 109. - Excentriſcher Kreis zur Erklärung der erſten Ungleichheit der Plane-
ten I. 229. Fehler dieſer Erklärung I. 231.
[464]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
- Fadennetze ſiehe Netze.
- Fall der Körper durch die Schwere I. 66. Abweichung der fallenden
Körper gegen Oſt I. 67. Fallhöhe für verſchiedene Polhöhen I. 81.
Freier Fall der Körper III. 20. Geſetze dieſes Falls III. 21 — 24.
Anwendung derſelben III. 24. Fall der ſchiefgeworfenen Körper III.
46. 89. Fall der Körper auf der Oberfläche des Monds III. 70;
und der übrigen Planeten III. 71. - Farben, Urſache der, I. 183; des Sonnenlichts II. 9; der Doppelſterne
II. 340. Complementare Farben II. 341. - Fehler, unvermeidliche, der Beobachtungen III. 221.
- Fernrohr. Entdeckung deſſelben III. 255 ff. Einrichtung deſſelben
III. 265. Allmähliche Verbeſſerungen III. 267 — 272. Anwen-
dung bei Meßinſtrumenten III. 273. Fäden im Brennpunkte des
Fernrohrs III. 275. Rectification dieſer Fäden. III. 280. - Finſterniſſe des Mondes geben einen Beweis für die Kugelgeſtalt der
Erde. I. 53. Finſterniſſe des Monds I. 333. - Finſterniſſe der Sonne I. 334. Erſcheinungen dabei II. 201.
- Fixſterne, wie man ſie kennen lernt I. 41. Entfernung derſelben I.
157 — 158. Jährliche Parallaxe I. 159. Unſere Unkenntniß der-
ſelben und der Entfernung der Fixſterne I. 161 — 164 und 167.
Größe derſelben I. 164; ihre eigene Bewegung II. 323. Schein-
bare Größe derſelben II. 299. Verſchiedene ſcheinbare Größen II.
300. Veränderungen ihres Lichts II. 301. Eintheilung in Klaſ-
ſen II. 302. Meſſung ihrer Lichtſtärke II. 317. Doppelſterne II.
318 — 355. Anzahl der Fixſterne, erſte Beſtimmung II. 303;
zweite II. 303; dritte II. 304; vierte II. 305. Sternreiche Gegen-
den des Himmels II. 308. Die Anzahl derſelben iſt unendlich
II. 311 — 314. Abſolute Größe der Fixſterne II. 314. - Fluth ſiehe Ebbe.
- Frühlingspunkt I. 33.
- Geocentriſcher Ort der Planeten I. 243. 251.
- Geologien, bisher aufgeſtellte III. 191. Nach Leibnitz und Whiſton III.
193. Nach Buffon III. 194. Nach Franklin III. 195. Nach La-
place III. 200 — 203. - Gerade Aufſteigung ſiehe Rectaſcenſion.
- Geſchwindigkeiten, verſchiedene II. 31; — der ſämmtlichen Planeten II.
220. Urſprüngliche Geſchwindigkeit der Planeten III. 98. An-
wendung auf die Erde III. 99; auf Merkur III. 100. - Geſetze Keplers, erſtes I. 266 und 275; zweites I. 272; drittes I. 288.
- Gewicht der Körper I. 78.
- Gleichung der Bahn der Planeten I. 279. Berechnung eines ellipti-
ſchen Ortes der Planeten. I. 282. - Globus. Beſchreibung I. 39. Orientirung I. 40. Gebrauch deſſelben
I. 41. Ort der Sonne auf dem Globus I. 126. - Gnomon, einfachſtes Inſtrument zur Höhenmeſſung I. 009. Aelteſte
Beobachtungen damit I. 111. Gnomon I. 209. III. 231. - Gravitation ſiehe Schwere.
- Größe der Geſtirne, wie ſie durch Beobachtungen beſtimmt wird I.
151. Präciſion dieſer Beſtimmungen I. 153. — der Himmelskör-
per III. 83. - Heliocentriſcher Ort der Planeten I. 243, 251.
- Hemiſphäre, ſichtbare und unſichtbare I. 27; nördliche und ſüdliche I.
28; öſtliche und weſtliche I. 29. - Herbſtpunkt I. 33.
- Höhe eines Sterns I. 27 mit ſeiner Zenithdiſtanz.
[465]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
- Höhenkreiſe, ſiehe Verticalkreiſe.
- Horizont I. 26, wahrer und ſcheinbarer I. 27.
- Huygens III. 33.
- Hyperbel III. 95.
- Jahr, tropiſches. Aenderung deſſelben III. 137.
- Jahreszeiten I. 194. Jahreszeiten, wenn die Erde eine andere oder
keine Rotation hätte I. 195. Wenn die Schiefe der Ecliptik gleich
Null wäre I. 196. Erklärung derſelben I. 199 — 202. Aenderung
derſelben durch die Aenderung der Abſidenlinie der Erdbahn I. 303. - Jährliche Gleichung des Monds I.
- Inſtrumente. Schwierigkeit bei der Verfertigung derſelben III. 223.
Stabilität derſelben III. 227. Inſtrumente der Alten. Gnomon
III. 231. Trignetrum, Aſtrolabium, Armillen III. 233. Armil-
larſphären III. 236. - Interferenz des Lichts II. 21 — 26.
- Iſothermiſche Linien I. 209.
- Juno II. 114 — 120.
- Jupiter. Diſtanz, Revolution, Durchmeſſer II. 121. Atmoſphäre II.
123. Flecken und Streifen II. 125. Rotation II. 126. Abplat-
tung II. 126. Jahreszeiten II. 127. Maſſe II. 128. Anblick des
Himmels auf Jupiter II. 132. Bewohner dieſes Planeten II. 133.
Große Störung durch Saturn III. 125. - Kegelſchnitte III. 93.
- Kepler. Die drei von ihm entdeckten Geſetze I. 136, 266, 275, 288.
Sein Verfahren bei der Beſtimmung der Planetenbahnen I. 261 —
265. Deſſen erſtes Geſetz I. 266 und 275. Wie er ſein zweites
Geſetz fand I. 267, 272. Graphiſche Beſtimmung der Planeten-
bahn I. 269. Drittes Geſetz I. 288. Zuſammenhang der drei von
ihm entdeckten Geſetze I. 290. - Klimate der Alten I. 205.
- Knoten der Planetenbahnen I. 247.
- Körper. Allgemeine Eigenſchaften III. 3.
- Kometen II. 226 — 298. Anzahl der Kometen II. 227. Geſtalt II. 230.
Kern II. 230. Nebelfülle II. 231. Schweif II. 231. Größe des
Schweifs II. 232 — 234. Entſtehung und Ausbildung der Kome-
ten II. 235 — 237. Sehr große Kometen II. 237. Phaſen derſel-
ben II. 240. Maſſe der Kometen II. 241. Maſſe des Kerns II.
242, 244. Komet des Jahres 1770 II. 243. Berechnung ihrer
Bahnen II. 245 — 250. Paraboliſche Bahnen II. 249. Kometen
von bekannter Umlaufszeit II. 251. Komet von Halley II. 252.
Elemente des Halley’ſchen Kometen II. 253. Frühere Erſcheinun-
gen deſſelben II. 255. Spätere gewiſſe Erſcheinungen deſſelben II.
257. Erſte II. 257. Zweite II. 259. Dritte II. 260. Vierte II.
263. Fünfte II. 265. Komet von Olbers II. 267. Komet von
Encke II. 268. Komet von Biela II. 270. Starke Annäherung
zur Erde II. 274, und zu Encke’s Kometen II. 273. Was die Erde
von den Kometen zu befürchten hat II. 275. Gründe gegen dieſe
Beſorgniſſe II. 277. Aeltere Meinungen von den Kometen II.
277 — 282. Einfluß auf Witterung II. 282 — 285. Einfluß auf
Krankheiten II. 285 — 288. Ueber ihr Zuſammentreffen mit weit
verbreiteten Epidemien, II. 289 — 294. Bewohner der Kometen
II. 294 — 298. Ihre geringe Maſſe III. 168. Störung derſelben
durch Planeten III. 168. Durch den Aether III. 169. Kometen,
Urbewohner des Weltſyſtems III. 203. - Kraft der Körper auf das Licht I. 183. Zerlegung der Kräfte I. 185.
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 30
[466]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
Anwendung derſelben I. 187, 188. Kraft der Sonne I. 293. Kraft
als Urſache der Bewegung III. 12. Augenblicklich und ſtets wir-
kende Kraft III. 19. Allgemeine Betrachtungen darüber III. 27.
Iſt das Reſultat der Wirkung aller Elemente eines Körpers III.
68. Centralkraft III. 91. - Kreis, größter, der Kugel und Eintheilung deſſelben I. 24. Eigen-
ſchaften derſelben I. 25. Neigung derſelben I. 25. Wie man aus
dem Halbmeſſer deſſelben den Umkreis und die Oberfläche findet
I. 50. - Kreismikrometer III. 374.
- Kryſtalliſation der Körper III. 9.
- Kugel. Wie man aus dem Halbmeſſer derſelben die Oberfläche und
das Volumen derſelben findet I. 50. - Länge der Sterne I. 32.
- Länge der Planeten in der Bahn und in der Ecliptik I. 249. Redu-
zirte Länge I. 249. - Länge, geographiſche I. 33.
- Längenbeſtimmung durch Chronometer III. 376 — 380. Durch Finſter-
niſſe III. 380. Durch Mondsdiſtanzen III. 384. - Licht. Meſſung der Geſchwindigkeit deſſelben I. 179. Schwingungen,
in welche das Licht die Atome der Oberfläche der Körper verſetzt
I. 183. Große Kraft der Anziehung dieſer Atome I. 184. Licht,
Quelle der Farben II. 9. Geſchwindigkeit und Feinheit des Son-
nenlichts II. 14. Vibrations- und Emanations-Hypotheſe II. 15.
Polariſation des Lichts II. 15. 18. Doppelte Brechung II. 16.
Interferenz II. 21. Erklärung der Interferenz II. 23 — 26. - Linſen, Berechnung durch, III. 260.
- Mars, Entfernung, Umlaufszeit, Größe, ſcheinbarer Durchmeſſer II.
109. Flecken und Rotation II. 110. Atmoſphäre II. 111. Abplat-
tung II. 112. Wie ihn Kepler zu ſeiner Theorie benützte II. 113. - Mauerguadrant III. 253 — 255.
- Maſſe der Körper I. 78.
- Maſſen und Dichtigkeiten ſämmtlicher Planeten II. 219.
- Maſſe der Himmelskörper, wie man ſie findet, III. 64. Beſtimmung
der Maſſe der Sonne III. 76, 79. Beſtimmung der Maſſe der
Planeten III. 79. — der Doppelſterne III. 82. — der Sonne, iſt ge-
gen die der Planeten ſehr groß III. 108. Wie die Maſſen der
Planeten durch die Störungen beſtimmt werden III. 143. - Maſſe des Monds, Beſtimmungen derſelben durch die Ebbe und Fluth
III. 161. - Merkur, ſcheinbare Bewegung I. 214. Entfernung und Revolution,
Größe, Bewegung ꝛc. II. 51, 52. Maſſe und Dichte II. 52.
Scheinbarer Durchmeſſer II. 53. Temperatur und Beleuchtung
II. 54. Wie man ihn erkennt II. 54. Hinderniß ſeiner Sichtbar-
keit II. 55. Seine Lichtphaſen II. 56. Atmoſphäre II. 58. Ro-
tation II. 59. Jahreszeiten II. 59. Berge II. 60. Durchgang
durch die Sonnenſcheibe II. 60. - Meridian I. 29.
- Meridiankreis III. 316 — 320. Rectification deſſelben III. 322. Ge-
brauch III. 324. Beſtimmung des Zenithpunktes III. 325. — des
Polpunktes III. 328. Gebrauch des Collimators III. 331. Ver-
ſchiedene Gattungen deſſelben III. 332. - Meteorſteine III. 74.
- Mikrometer III. 369 — 376.
[467]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
- Milchſtraße II. 309, 357. Andere ſehr entfernte Milchſtraßen II. 310.
Geſtalt der Milchſtraße II. 357. - Mittag I. 30.
- Mittagslinie I. 29.
- Mittagsrohr III. 278 — 295. Rectification deſſelben III. 280 — 293.
Rectification der Faden im Fernrohre III. 280. Der Drehungs-
axe III. 284. Des Azimuts III. 288. Beobachtungen mit dieſem
Inſtrumente III. 293. - Mittelpunkt der Rotation III. 149.
- Mitternacht I. 30.
- Mittlere Bewegung der Planeten I. 246.
- Mittlerer Planet I. 277, 308.
- Mittlere Sonne I. 277. Verwandlung derſelben in Sternzeit I.
314 — 318. - Mittlere Zeit I. 309.
- Molecularkräfte III. 13. Ihre Intenſität III. 17.
- Monate, Namen derſelben II. 77.
- Mond. Beſtimmung ſeiner Entfernung von der Erde I. 149, 151.
Diſtanz deſſelben von der Erde I. 254. Umlaufszeit I. 320. Ent-
fernung I. 321. Phaſen I. 321. Aehnliche Phaſen der Erde für
den Mond I. 324. Aſchgraues Licht I. 325. Ob er um ſeine Axe
rotirt I. 327. Jahreszeiten auf dem Monde I. 327. Tageszeiten
I. 328. Bewegung ſeiner Bahn I. 329. Säculäre Aenderung ſei-
ner mittleren Bewegung I. 330. Sein Zweck iſt nicht die Beleuch-
tung der Erde I. 331. Verwickelte Bewegungen deſſelben I. 332.
Drei große Ungleichheiten derſelben I. 332, 333. Verſchiedene Na-
men der Mondsflecken II. 77. Betrachtungen über eine Reiſe zu
dieſem Himmelskörper II. 175 — 180. Warum wir ihn beſſer
kennen, als die andern Himmelskörper II. 180. Wie die Erde
auf dem Mond erſcheint II. 181. Wie der Himmel auf dem Mond
erſcheint II. 184. Tags- und Jahreszeiten auf demſelben II. 182.
Bewohner der vordern und hintern Seite deſſelben II. 185. Berge
II. 186. Meſſung der Mondsberge II. 188, 193. Zwei Gattungen
dieſer Berge II. 189. Ringgebirge II. 190. Streifen des Monds
II. 192. Vulkane auf dem Monde II. 192. Atmoſphäre II. 195.
Mangel an Waſſer II. 196. Bewohner des Monds II. 197 — 206.
Correſpondenz derſelben mit uns II. 204. Ueberſicht ſeiner Revo-
lutionen, Entfernung, Maſſe, Größe, Dichte u. ſ. f. II. 221. Be-
rechnung ſeines Falles gegen die Erde III. 48. Künſtliche Monde
III. 72. Mondsbewohner, ihr Verhältniß zur Schwere des Monds
III. 73. Periodiſche Störungen deſſelben III. 116 — 122. Sä-
culäre Störungen III. 129. Acceleration der mittleren Bewegung
III. 131. Seine Revolution und Rotation iſt gleich III. 165.
Librationen III. 165. Säculäre Aenderungen der Rotationen III.
166. Beſtimmung ſeiner Maſſe III. 161. Aenderung ſeiner Ro-
tation III. 166. Säculäre Gleichung der mittleren Bewegung
III. 176. - Monde der obern Planeten ſiehe Satelliten.
- Mondsfinſterniſſe ſiehe Finſterniſſe.
- Multiplicationskreis III. 334. Beobachtungen damit III. 337 — 341.
Rectification deſſelben III. 342. - Nacht, lange, unter den Polen I. 204.
- Nachtbogen eines Geſtirns I. 33.
- Nachtgleichen I. 33.
- Nadir I. 26.
30 *
[468]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
- Nebel des Himmels, ſiehe Sterngruppen.
- Neigung und Knoten der Planetenbahnen I. 247. Neigung und kleine
Excentricitäten der Planetenbahnen III. 109. - Netze als Mikrometer III. 373.
- Newton. Seine Vorgänger III. 31. Entdeckung der allgemeinen
Schwere III. 34 ff. Inhalt ſeiner Principien III. 56. - Nonius, ſiehe Vernier.
- Nord I. 29.
- Nutation I. 358.
- Ortsbeſtimmung der Sterne, durch Azimut und Höhe gegen den Ho-
rizont I. 31. Durch Rectaſcenſion und Declination gegen den
Aequator I. 31. Durch Länge und Breite gegen die Ecliptik I. 32. - Oſt I. 29.
- Oſtwinde, beſtändige, I. 88.
- Pallas II. 114 — 120.
- Parabel III. 94.
- Paraboliſche Bewegung der geworfenen Körper III. 89.
- Parallaxe der Geſtirne I. 141. Tägliche Parallaxe I. 142. Wie man
daraus die Entfernung der Geſtirne findet I. 147. Jährliche Pa-
rallaxe der Fixſterne I. 159. Parallaxe der Geſtirne. Wie ſie
durch Beobachtungen beſtimmt wird I. 148. Geſchichte derſelben
I. 167 — 171. Parallaxe der Fixſterne und daraus folgende Ent-
fernung II. 329. - Parallelkreiſe I. 32. Irdiſche Parallelkreiſe I. 33.
- Parallelogramm der Kräfte I. 186. Anwendung deſſelben I. 187, 188.
Parallelogramm der Kräfte III. 88. - Pendel. Erklärung deſſelben I. 84. Sekundenpendel I. 86. Verſchie-
dene Länge deſſelben auf der Oberfläche der Erde I. 87. Meſſung
der Schwere durch Pendel I. 87. - Perihelium I. 273, gleichbedeutend mit Sonnennähe.
- Perſer, Aſtronomie der, I. 116.
- Perturbationen, allgemeine Betrachtung darüber, III. 103. Schwierigkeit
ihrer Beſtimmung III. 104. Erleichterung derſelben III. 105 — 114. - Perturbationen, periodiſche III. 116. Des Mondes III. 117. Evection
III. 118. Variation III. 120. Jährliche Gleichung III. 120.
Störungen von langen Perioden III. 121. Beſtimmung der Son-
nenparallaxe und der Erdabplattung durch dieſe Störungen III.
123. Periodiſche Perturbationen der Planeten III. 124. Von Ju-
piter und Saturn III. 125. - Perturbationen, ſäculäre III. 117. Des Mondes III. 129. Der Ab-
ſiden des Mondes III. 130. Der Knotenlinie III. 133. Der mitt-
leren Bewegung III. 131. Säculäre Störungen der Planeten III.
125. Der Knoten und Neigungen III. 136, 139. Aenderung des
tropiſchen Jahres III. 137. Störungen der Abſiden III. 139. Der
Excentricität III. 141. Mittel zur Beſtimmung der Maſſen III.
143. Der Rotation des Monds III. 166. - Planeten, kugelförmige Geſtalt derſelben I. 54. Planeten I. 96. Un-
regelmäßige Bewegung derſelben I. 134. Aufzählung der Plane-
ten und Satelliten unſeres Sonnenſyſtems I. 212. Mannigfaltige
Bewegung derſelben I. 213. Bewegung der untern Planeten I.
214. Bewegung der oberen Planeten I. 216. Graphiſche Darſtel-
lung ihrer ſcheinbaren Bewegung I. 217. Perioden ihrer ſchein-
baren Bewegungen I. 219. Synodiſche Revolution derſelben I.
220. Durchgang der Planeten durch die Ecliptik I. 221. Sideri-
ſche Revolution I. 222. Wie ſie beſtimmet wird I. 223. Verzeich-
[469]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
niß der ſideriſchen Revolution und Diſtanz der Planeten I. 224.
Tropiſche Revolution I. 246, 255. Doppelte Ungleichheit ihrer Be-
wegung I. 228. Erklärung der erſten Ungleichheit I. 229; und der
zweiten I. 232. Heliocentriſcher und geocentriſcher Ort I. 243.
Einfachſte Theorie derſelben I. 245. Epoche und mittlere Bewe-
gung derſelben I. 246. Neigung und Knoten ihrer Bahnen I. 247.
Länge in der Bahn und in der Ecliptik I. 248. Breite und Ar-
gument der Breite I. 249. Theorie derſelben mit Rückſicht auf
ihre Knoten und Neigungen I. 250. Correction der Beſtimmung
ihrer Bewegung I. 252. Elemente der Planeten I. 245, 252, 280.
Diſtanzen der Planeten I. 253. Elemente ihrer Bahnen I. 281.
Beſtimmung ihrer Umlaufszeiten I. 254. Mittlere und wahre
Planeten I. 277. Gleichung der Bahn I. 279. Radius Vector
I. 279. Mittlere und wahre Anomalie I. 279. Verzeichniß ihrer
Revolutionen, Entfernungen, Durchmeſſer, Oberfläche, Volum
und ihrer Geſchwindigkeiten I. 294 — 297. Zeichen der Planeten
II. 64. Obere und untere Zeichen II. 108, 123. Zwiſchenraum von
Mars bis Jupiter II. 114. Vier neue Planeten II. 115 — 120.
Bewohner derſelben II. 160 — 171. Große Diſtanzen zwiſchen den
einzelnen Planetenbahnen II. 173. Große Diſtanzen derſelben un-
ter ſich III. 111 und von der Erde III. 106. Geſtalt der Planeten
im Allgemeinen III. 146 ff. - Planeten, neue. Epochen ihrer Entdeckung II. 115. Entfernung und
Umlaufszeit I. 224. Entfernung von der Erde und ſcheinbarer
Durchmeſſer II. 116. Urſprung dieſer Planeten II. 116. Eigen-
ſchaften ihrer Bahnen II. 117. Große Störungen II. 118. Ihr
helles Licht II. 119. Ihre Atmoſphäre II. 120. - Planetenſyſtem, graphiſche Darſtellung deſſelben II. 223, Fig. 15, 16,
17. Ptolemäiſches Syſtem I. 224. Aegyptiſches Syſtem I. 227.
Copernicaniſches Syſtem I. 237. Tychoniſches Syſtem I. 260.
Kepleriſches Syſtem I. 259 — 297. Ueberſicht des ganzen Plane-
tenſyſtems I. 293. - Planetentafeln. Einrichtung derſelben I. 283 — 286. Gebrauch dieſer
Tafeln I. 287. Planetentafeln der alten Indier I. 362. Verbeſ-
ſerung der Planetentafeln II. 107. - Polariſation des Lichts II. 15 — 19.
- Polarkreiſe I. 33.
- Polarſtern, wie man ihn findet I. 52.
- Polarſterne für verſchiedene Epochen I. 357.
- Poldiſtanz der Geſtirne I. 28. Poldiſtanz und Declination zuſammen
genommen geben immer 90 Grade. - Pole der Kreiſe auf der Kugel I. 24.
- Polhöhe gleichbedeutend mit geographiſcher Breite I. 29. Polhöhe und
Aequatorhöhe (ſ. d. Art.) eines Orts zuſammengenommen ſind im-
mer gleich 90 Graden I. 34. Wie die Polhöhe durch Declination
und Zenithdiſtanz eines Geſtirns gegeben wird I. 37. Beſtim-
mung der Polhöhe durch Beobachtung I. 105. - Poroſität der Körper III. 4.
- Ptolemäiſches Planetenſyſtem I. 224. Fehler deſſelben I. 225.
- Präceſſion der Nachtgleichen oder Vorrücken der Nachtgleichen I. 354.
Einfluß auf den ſcheinbaren Ort der Sterne I. 355. Vorrückung
der Zeichen des Thierkreiſes I. 356. Anwendung auf chronologiſche
Unterſuchungen I. 359. - Quadrant, Beſchreibung deſſelben I. 104. Beſtimmung der Pol-
höhe und der Declination durch dieſes Inſtrument I. 106.
[470]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
Quadrant mit zwei Fernröhren III. 230. Mauerquadrant III.
253 — 255. - Radius Vector der Planeten I. 272 und 279.
- Rautenmikrometer III. 373.
- Rectaſcenſion oder gerade Aufſteigung eines Sterns I. 31. Beſtim-
mung einer erſten Rectaſcenſion durch Beobachtung I. 117 — 122. - Refraction des Lichts I. 343, 346. Beſtimmung ihrer Größe I. 347.
Horizontal-Refraction I. 348. Sie verlängert unſere Lage I. 349.
Einfluß der Horizontalrefraction I. 350. Terreſtriſche Refraction I. 351. - Reiſe um die Welt I. 53. In der Richtung des Meridians. I. 58.
- Retrograde Bewegung der Planeten I. 214.
- Revolutionen der Planeten. Beſtimmung der [...]deriſchen und tropiſchen
Revolutionen durch Beobachtungen I. 255, 256. Vortheile ſehr
alter Beobachtungen I. 257. - Ring Saturns, Abmeſſung und Lage deſſelben I. 341. Wie er den
früheren Beobachtern erſchien II. 139. Huygens entdeckt ſeine wahre
Geſtalt II. 140. Ausmeſſungen deſſelben II. 142. Neigung und
Knoten der Ringebene II. 143. Urſachen ſeiner Verſchwindung II.
143 — 146. Verſchiedene Geſtalten des Ringes II. 146. Berge
und Atmoſphäre II. 147. Rotation des Rings II. 148. Frühere
Zweifel darüber II. 149. Auflöſung derſelben II. 150. Anblick des
Rings von Saturn II. 151. Vor- und Nachtheile für die Bewoh-
ner Saturns II. 153. - Rolle. Gebrauch derſelben zur Meſſung der Schwere I. 79.
- Rotation der Erde und anderer Himmelskörper I. 90.
- Satelliten der oberen Planeten des Jupiter II. 207. — Des Saturn
und des Uranus II. 217. - Satelliten Jupiters lehrten uns die Aberration kennen I. 180 — 182.
Umlaufszeit und Entfernung I. 336. Verhältniſſe ihrer Längen
und Bewegungen I. 337. Sie lehrten uns die Geſchwindigkeit des
Lichts und die Entfernung Jupiters von der Sonne kennen I. 338.
Frühere Namen derſelben II. 76. Geſchichte ihrer Entdeckung II.
216. Tafel ihrer Elemente II. 223. Entfernungen, Revolution,
Durchmeſſer u. ſ. f. I. 336. II. 207. Wie ſie von Jupiter erſchei-
nen II. 208. Vorübergänge vor der Jupitersſcheibe II. 208. Gleich-
heit der Revolution und Rotation II. 209. Verfinſterungen der-
ſelben II. 210 — 213. Verfinſterungen Jupiters durch dieſe Sa-
telliten II. 213. Theorie dieſer Monde II. 214. Verhältniſſe ihrer
Längen und Bewegungen I. 337. II. 215. Anblick des Himmels
von dieſen Monden II. 215. - Satelliten Saturns I. 339.
- Satelliten des Uranus I. 340.
- Satelliten des Saturn und des Uranus II. 217. Tafel ihrer Ele-
mente II. 223. - Saturn. Entfernung, Revolution II. 136. Größe und Maſſe II. 137.
Atmoſphäre und Streifen II. 137. Rotation II. 138. Der Ring
Saturns II. 139 — 155. Große Störung durch Jupiter III. 125. - Schatten der Bewohner der Erde in verſchiedenen Zonen I. 203 — 204.
- Schiefe der Ecliptik I. 107. Beſtimmung derſelben durch Beobachtung
I. 108. Abnahme dieſer Schiefe I. 113 — 114. Genauere Beſtim-
mung derſelben I. 122. Urſache der Jahreszeiten I. 197 ff. Er-
ſcheinungen wenn dieſe Schiefe größer oder kleiner wäre I. 209 — 211. - Schneegränze I. 208.
- Schraubenmikrometer III. 369.
- Schwere. Verſchiedenheit derſelben auf der Oberfläche der Erde I. 73,
[471]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
75. Mittel dieſe Schwere zu meſſen I. 76 — 82. Ihre Wirkung
auf den Gang der Uhren I. 84. Auf das Sekundenpendel I. 85.
Meſſung derſelben durch Pendel I. 87. Schwere wirkt auf alle
Körper gleich II. 130. Allgemeine Schwere, Geſchichte der Ent-
deckung derſelben III. 29 ff. Kraft der Erde in größeren Entfer-
nungen III. 42. Wirkung der Erde auf ruhende und bewegte Kör-
per III. 44, 47. Einfache Ableitung des Geſetzes der allgemeinen
Schwere III. 60. Nähere Beſtimmung dieſes Geſetzes III. 66. - Sekundenpendel, ſiehe Pendel.
- Sextant Hadley’s III. 361 — 366. Beobachtungen damit III. 364.
Rectification III. 365. - Sideriſche Revolution I. 222.
- Solſtitialpunkte oder Wendepunkte I. 33 und I. 103.
- Sommerſolſtitien I. 33.
- Sonne. Jährliche ſcheinbare Bewegung derſelben I. 96 — 129. Wor-
an ſie erkannt wird I. 97. Ort der Sonne am Himmel, für je-
den Tag des Jahres I. 125. Ihr angemeſſenſter Ort im Welt-
raume I. 132. Größe derſelben I. 133. Diſtanz derſelben von den
Planeten I. 254. Reflex ihrer Strahlen durch die Atmoſphäre I. 353.
Ihre Maſſe II. 3. Größe II. 4. Dichte II. 5, 7. Fall der Kör-
per auf ihre Oberfläche II. 6. Phyſiſche Beſchaffenheit II. 9. Sa-
telliten der Sonne II. 77. Iſt ihre Oberfläche ein Feuer? II. 33.
Temperatur ihrer Oberfläche II. 36. Erhaltung derſelben II. 37.
Abnahme des Sonnendurchmeſſers II. 38. - Sonnenferne, ſiehe Aphelium.
- Sonnenflecken Beſchreibung derſelben II. 39. Was ſie ſind II. 40.
Größe derſelben II. 41. Hypotheſe über ſie II. 42. Geſchichte ihrer
Entdeckung II. 143. Mittel die Rotation der Sonne zu finden
II. 46. Ihre gekrümmten Bahnen II. 48. Einfluß auf die Wit-
terung II. 49. - Sonnennähe, ſiehe Perihelium.
- Sonnenparallaxe. Wie ſie beſtimmt wird II. 79 — 100. Frühere Ver-
ſuche ſie zu beſtimmen II. 83 — 85. Beſtimmung derſelben durch
den Mond III. 123. - Sonnenſpectrum, Eigenſchaft des, II. 10. Verſchiedene Intenſität def-
ſelben II. 12. Chemiſche Wirkungen II. 13. Magnetiſche Wir-
kungen II. 13. - Sonnentag I. 38. wahrer.
- Sonnenuhren III. 306. Stellung des Styls III. 308. Horizontale
Uhr III. 309 — 313. Sonnenuhr für jede gegebene Fläche III. 313. - Sonnenzeit, wahre I. 30.
- Spiralfeder, Gebrauch derſelben zur Meſſung der Schwere I. 82.
- Sternbilder, verſchiedene Namen derſelben II. 76.
- Sternkataloge I. 122.
- Sterngruppen, leicht ſichtbare II. 319.
- Sterngruppen und Nebel des Himmels. Eintheilung dieſer Gegen-
ſtände II. 359. Verzeichniſſe dieſer Himmelskörper II. 360. Ver-
theilung derſelben am Himmel II. 361. Leicht ſichtbare Stern-
gruppen II. 362. Teleſcopiſche Gruppen II. 363. Größe und Ent-
fernung der teleſcopiſchen Gruppen II. 364. Natur derſelben II.
364. Verzeichniß der vorzüglichſten Sterngruppen II. 365 — 368.
Nebelmaſſen II. 368. Weit verbreitete Nebel II. 369. Größen,
regelmäßige Nebel II. 370. Nebel mit helleren Theilen II. 371.
Nebel von regelmäßiger Geſtalt II. 372. Doppelnebel II. 373.
Planetariſche Nebel II. 373. Sternnebel II. 375. Sterne mit
[472]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
Nebelſtrahlen II. 377. Ringförmige Nebel II. 378. Die Gruppe
im Haupthaar der Berenice II. 380. Zwitternebel II. 381. Ne-
bel in der Andromeda II. 382. Nebel im Orion II. 383 — 386.
Entſtehung und Ausbildung der Sterngruppen und Nebel des Him-
mels II. 387 — 393. - Sterntag I. 38.
- Sternzeit I. 37. Wie ſie durch Rectaſcenſion und Stundenwinkel eines
Sterns gegeben wird I. 38. Verwandlung derſelben in mittlere
Zeit I. 314 — 318. Gebrauch der Sternzeit I. 318. - Störungen, ſiehe Perturbationen.
- Stoß urſprünglicher der Planeten, Größe und Richtung derſelben III.
148 und 174. - Strahlenbrechung, ſiehe Refraction.
- Stundenkreis, ſiehe Declinationskreis.
- Stundenwinkel I, 30. Der Stundenwinkel des Frühlingspunktes iſt die
Sternzeit; der Stundenwinkel der wahren Sonne iſt die wahre
Sonnenzeit; der Stundenwinkel der mittleren Sonne iſt die
mittlere Zeit. - Süd I. 29.
- Synodiſche Revolution I. 220.
- Tag, Länge deſſelben iſt unveränderlich III. 174 — 177. Wirkung der
Temperatur auf ſie III. 184. - Tagbogen eines Geſtirns I. 33.
- Tangentialkraft III. 97.
- Temperatur der verſchiedenen Zonen der Erde I. 202 — 208. Mittlere
Temperatur eines Orts I. 209. - Temperatur der Erde III. 184 — 188. Der Planeten III. 187.
- Theilbarkeit der Körper III. 7.
- Theodolit III. 344 — 348.
- Tropiſche Revolution der Planeten I. 246.
- Tycho’s Planetenſyſtem I. 261.
- Uhren, aſtronomiſche, Gebrauch derſelben I. 371. III. 241, 297.
- Umlaufszeiten der Planeten, ſiehe Revolution.
- Untergang der Geſtirne I. 36.
- Uranus, Entfernung und Revolution II. 156. Größe und Maſſe II.
157. Satelliten II. 158. Tags- und Jahreszeiten II. 159. Be-
wohner des Uranus II. 160. Uranus iſt der äußerſte der Planeten II. 271. - Urſprung des Weltſyſtems III. 190.
- Variation I. 334.
- Venus, ſcheinbare Bewegung I. 215. Namen und Zeichen, helles Licht
II. 62. Entfernung und Revolution II. 66. Durchmeſſer II. 66.
Phaſen II. 67. Hellſter Glanz II. 67. Flecken und Atmoſphäre
II. 69. Berge II. 71. Rotation II. 72. Tags- und Jahreszeiten II.
73. Anblick des Himmels von der Venus. II. 74. Mond der Ve-
nus II. 75. Durchgänge der Venus vor der Sonnenſcheibe II.
78 — 100. - Vernier III. 366 — 369.
- Verticalkreis I. 27, gleichbedeutend mit Höhenkreis.
- Veſta II. 114 — 120.
- Vorrücken der Nachtgleichen, ſiehe Präceſſion.
- Wärme, ihr allgemeiner Einfluß II. 27. Auf Kunſt und Wiſſenſchaf-
ten II. 28. Auf das gemeine Leben II. 30. Verbindung der Wärme
mit dem Lichte II. 32, 34. - Wahre Zeit I. 310.
- Wahrſcheinlichkeits-Rechnung II. 103 — 107. Einfache Wahrſcheinlichkeit
[473]Alphabetiſches Inhaltsverzeichniß.
III. 396. Zuſammengeſetzte Wahrſcheinlichkeit III. 401. Anwen-
dung dieſer Berechnung auf öffentliche Verſorgungs-Anſtalten III.
402. Anwendung dieſer Berechnung auf unſere Glücksſpiele III. 405.
Wahrſcheinlichkeit, wenn die Anzahl der möglichen Fälle unbekannt
iſt III. 408. Der Begriff des Zufalls iſt in unſerer Unkenntniß der
Dinge gegründet III. 409. Hinneigung aller Erſcheinungen der
Natur zu einer gewiſſen Ordnung III. 411. Trieb zur Vereinigung
gleichgeſtimmter Weſen III. 413. Operationen unſeres Gedächt-
niſſes III. 414. Gewohnheiten III. 415. Inſtinkt der Menſchen III.
417. Anwendung der Wahrſcheinlichkeits-Rechnung auf Staats-
verwaltung III. 421. Wahrſcheinlichkeits-Rechnung bei Zeugen-
ausſagen III. 422. — Bei Wahlen III. 423. — Bei Urtheilsſprüchen
III. 425. Anwendung der Wahrſcheinlichkeits-Rechnung auf Aſtro-
nomie III. 426. Bereits geleiſteter Nutzen dieſer neuen Rechnungs-
art in der Aſtronomie III. 433. - Weltaxe I. 28.
- Weltpole I. 28.
- Weltſyſtem, Urſprung deſſelben, III. 190 — 206. Beſonders ausgezeichnete
Eigenſchaften deſſelben III. 198 — 200. Dauer des Weltſyſtems III.
206 — 218. - Wendekreiſe I. 33.
- Wendepunkte, ſiehe Solſtitialpunkte.
- Weſt I. 29.
- Winde, beſtändige Oſtwinde auf der Erde I. 88.
- Winkel. Mit welcher Genauigkeit man durch unſere neuern Inſtru-
mente die Winkel meſſen kann I. 154 — 156. - Winterſolſtitien I. 33.
- Zeit, Beſtimmung der, I. 305. Sternzeit I. 306. Mittlere und wahre
Sonnenzeit I. 307, 310. - Zeitbeſtimmung durch Beobachtung. Bei den Alten III. 237 — 240.
Bei den Neuen III. 240 — 248. Durch das Mittagsrohr III. 293.
Durch ein einfaches Fernrohr III. 295. Auch ohne Fernrohr III.
302. Durch Sonnenuhren III. 306 — 316. - Zeichen der Planeten II. 64.
- Zeichen des Thierkreiſes I. 129. Ihre Vorrückung durch die Proceſſion
I. 356. Erfindung dieſer Zeichen I. 360. Urſprung ihrer Benen-
nung II. 65. - Zeitgleichung I. 308 und 310, 313.
- Zenith I. 26.
- Zenithdiſtanz I. 27. Zenithdiſtanz und Höhe eines Sterns zuſammen-
genommen geben immer 90 Grade. - Zodiacallicht III. 153.
- Zonen, heiße, kalte und gemäßigte I. 202.
[[474]][]
des Mondes und der meiſten Planeten von der Erde bis auf
den hundertſten Theil ihrer Größe genau. Von wie vielen
Hauptſtädten unſerer Erde, beſonders der außereuropäiſchen,
kann man daſſelbe ſagen?
ſtrumenten hat uns gelehrt, daß man die Ideen, die man von
der Feſtigkeit und Stabilität der uns umgebenden Körper aus
dem gemeinen Leben mitgebracht hat, als ungegründete und
falſche Anſichten, als wahre Vorurtheile ganz aufgeben muß.
Die maſſive metallene Säule FB, Fig. 20, des Multiplications-
kreiſes z. B., die in ihrer Größe und Maſſe einer kleinen Ka-
none zu vergleichen iſt, ſoll, zum gehörigen Gebrauche des In-
ſtruments, vollkommen ſenkrecht auf dem Horizonte ſtehen. Die
Waſſerwage gibt uns, wie wir ſpäter ſehen werden, die Mittel,
dieſe Verticalität zu unterſuchen, und die Fußſchrauben K, K', K''
des Inſtruments geben die Mittel, die Fehler dieſer Verticalität
wegzubringen. Wenn nun, durch wiederholte Verſuche, dieſe
Fehler ſchon ſehr klein gemacht ſind, und man bloß den letzten
Reſt derſelben wegzuſchaffen ſucht, ſo kann man dieß, nach Rei-
chenbach’s Rathe, nicht mehr mit jenen Fußſchrauben, deren
Windungen zu dieſem Zwecke nicht mehr fein genug ſind, ſon-
dern man wird dieſe Abſicht viel beſſer dadurch erreichen, daß
man die Säule an ihrem obern Ende bei B mit der Spitze
des Fingers [ſanft] von der Stelle weg drückt, wohin ſie noch
eine kleine Neigung gegen den Horizont hat, wo ſie dann in
der neuen, durch den Druck der Hand erzeugten, verticalen Lage
verbleibt, ſo daß alſo dieſe ſolide Metallſäule von mehreren
Zollen im Durchmeſſer nicht mehr als ein rigider, unbiegſamer
Körper, ſondern nur als eine feine Stange von weichem, bieg-
ſamem Wachſe anzuſehen iſt, der man, durch einen ſanften
Druck der Fingerſpitze, jede beliebige Lage geben kann. —
gungen, welche durch äußere Kräfte hervorgebracht werden,
an denjenigen Körpern noch deutlich leſen, die man ſonſt
für ganz unbiegſam gehalten hat. Wenn man zum Beiſpiel
eine Kanone an ihren beiden Enden auf Stützen legt, ſo
krümmt ſich, wie der Fühlhebel zeigt, der nicht unterſtützte,
mittlere Theil der Kanone durch die Wirkung der Schwere,
gleich einem dünnen, biegſamen Stabe zur Erde. Wird aber
die Kanone bloß in ihrer Mitte auf eine einzige Stütze gelegt,
ſo ſieht man dafür die beiden Enden derſelben, gleich einem in
der Mitte gehaltenen Fiſchbeine, ſich abwärts biegen. Man
könnte dieß der größern Maſſe oder dem bedeutenden Gewichte
der Kanone zuſchreiben. Aber dieſelbe Erſcheinung wiederholt
ſich auch bei den leichteſten Körpern, mit welchen wir noch Ver-
ſuche dieſer Art anſtellen können. Die horizontalen Fäden,
welche man in dem Brennpunkte der aſtronomiſchen Fernröhre
ausgeſpannt findet, gehören zu den feinſten, welche die Natur
oder auch die Kunſt hervorbringen kann. Man pflegt ſie häufig
von dem feinen Geſpinnſte zu nehmen, welches im Herbſte unſere
Gärten und Wieſen überzieht, und das unter der Benennung
des fliegenden Sommers bekannt iſt. Dieſe Fäden, welche von
einer eigenen Gattung ſehr kleiner Spinnen geſponnen werden,
ſind ſo fein, daß man ſie mit freien Augen nur mehr an ihrer
Spiegelung erkennt, wenn ſie gegen die Sonne gehalten werden.
Obſchon daher ihr Gewicht ohne Zweifel ganz ungemein klein
iſt, ſo ſieht man doch durch die ſtarke Vergrößerung des Fern-
rohrs, daß ſie, wenn ſie an ihren beiden Enden in dem Fern-
rohre befeſtigt, und auf das beſte horizontal geſpannt werden,
in ihrer Mitte ſich krümmen, und daher keine gerade, ſondern
eine krumme, gegen den Horizont convexe Linie bilden,
nicht anders, als ein dickes Seil oder eine ſchwere Kette von
beträchtlicher Länge, die auch bekanntlich keine Kraft an ihren
Enden ſo ſtark ſpannen kann, daß ſie eine vollkommen gerade
Linie bildet. — Ein anderes Mittel, die Veränderlichkeit der
Körper, die man gewöhnlich für unveränderlich hält, zu unter-
ſuchen, geben unſere äußerſt empfindlichen Waſſerwagen. Legt
man eine ſolche Wage auf die Fenſterbrüſtung eines Hauſes,
ſelbſt im erſten Stockwerke, ſelbſt von dem ſolideſten Mauerwerke,
und drückt man dann mit der Hand ſtark gegen die Wand des
Fenſters, ſo ſieht man augenblicklich die Lage der Blaſe ſich
verändern, und wenn der Druck nachläßt, ſich wieder herſtellen,
zum Zeichen, daß auch unſere ſtärkſte Mauer, wie jene Säule
an dem Multiplicationskreiſe, gleich einer weichen Wachstafel,
per ausgeübte Kraft auch eine Wirkung auf denſelben hervor-
bringen muß, obſchon dieſe Wirkung in vielen Fällen ſo klein
ſeyn wird, daß wir ſie, mit unſeren Sinnen, nicht mehr be-
merken können.
ſentlich beigetragen hat, erklärt ſich darüber in ſeiner Dioptrik
auf folgende Weiſe: „Wenn es je einen Menſchen von ſolcher
Geiſteskraft gegeben hätte, daß er durch bloßes Nachdenken und
aus geometriſchen Principien auf die Entdeckung des Fernrohrs
gekommen wäre, ſo würde ich nicht anſtehen können, ihn für
halten. Aber davon ſind wir ſo weit entfernt, daß ſelbſt noch
lange nachher unſere größten Gelehrten von dieſer durch einen
bloßen Zufall gemachten Entdeckung die wahren Gründe derſelben
nicht einmal gehörig angeben können.“ In der That waren
die erſten optiſchen Schriftſteller lange in Verlegenheit, die ein-
fachſten Erſcheinungen und Eigenſchaften des Fernrohrs theoretiſch
richtig zu erklären.
ſten Vorſchriften der Algebra thun. Nennt man AC = a die
Entfernung und AB = b die Größe des Gegenſtandes, ſo wie
Ca = α die Entfernung und ab = β die Größe des Bildes
und Cp = p die Brennweite der Linſe, ſo hat man wegen der
Aehnlichkeit der Dreiecke Cop nnd pab, ſo wie auch wegen der
Aehnlichkeit der Dreiecke ABC und abc die Proportionen
Co : Cp = ab : ap und AB : AC = ab : aC oder
b : p = β : α—p und b : a = β : α
das heißt, man hat die Gleichungen
und
Eliminirt man aus dieſen zwei Gleichungen die Größe α oder β
ſo erhält man
und
und von dieſen zwei Ausdrücken gibt die erſte die Entfernung α,
und die zweite die Größe β des Bildes.
Band IV. S. 257, und neue Folge. Band III. S. 57.
drei Jahrzehnte: An instrument of this kind in Germany would
I conceive be below mediocrity, unless the workmanship were
not exquisite, and when made in the best possible way, I
cannot but think, that its mechanical structure is extremely
weak. Er tadelt bei Reichenbachs Einrichtung vorzüglich, daß
das Fernrohr mit ſeinen beiden Enden nicht unmittelbar mit
dem Kreiſe verbunden iſt, wie bei den Mauerkreiſen von Trough-
ton; daß der Gebrauch des deutſchen Kreiſes nicht ohne Um-
wendung ſtatt haben kann; daß dieſe Umwendung nicht ſo leicht,
wie bei den Kreiſen in Palermo und Turin geſchehen kann, und
daher auch nur zuweilen und gelegentlich vorgenommen wird
und dergl., und ſchließt endlich damit, that this instrument is
little known in England.
plicationskreis genannt, da man es, ohne Rückſicht auf
dieſe Eigenſchaft, bloß Höhenkreis nennen ſollte.
Sey m der Winkel, deſſen Tangente gleich iſt und ſey n
gleich der Quadratwurzel aus der Größe x2 + y2, ſo erhält
man für jede mit dieſem Inſtrumente angeſtellte Beobachtung
aus dem an den beiden Kreiſen deſſelben abgeleſenen Stunden-
winkel s und Poldiſtanz p dieſe wahren Größen durch fol-
gende Ausdrücke:
wahrer Stundenwinkel Cotg p
wahre Poldiſtanz * = p + D p + n Cos (m — s)
So findet man für unſer vorhergehendes Beiſpiel m = 27° 11′
und n = 9 Sekunden, ſo daß man daher hat
wahrer Stundenwinkel * = s + 10″ + 0,5″ Sin (27° 11′ — s)
wahre Poldiſtanz * = p + 42,′ + 9″ Cos (27° 11′ — s)
Setzt man in den letzten Ausdrücken für die obere Culmina-
tion s = 0h 2′ 10″ oder = 0° 32′ 30′ 30″ ſo erhält man
für den wahren Stundenwinkel 0h 2′ 30″ und für die wahre
Poldiſtanz 1° 34′ 10″. Setzt man aber für die untere Culmi-
nation s = 12h 2′ 30″ oder = 180° 37′ 30″, ſo erhält man
für den wahren Stundenwinkel 12h 2′ 30″ und für die wahre
Poldiſtanz 1° 34′ 10″ wie zuvor und auch übereinſtimmend mit
derjenigen wahren Poldiſtanz, von welcher wir oben ausgegan-
gen ſind.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bk05.0