in Italien.
Druck und Verlag der Schweighauſer'ſchen Verlagsbuchhandlung.
1860.
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Luigi Picchioni
zum ſiebenundſiebzigſten Geburtstag
gewidmet.
Erſter Abſchnitt.
Der Staat als Kunſtwerk.
Im wahren Sinne des Wortes führt dieſe Schrift denVorbemer-
kung.
Titel eines bloßen Verſuches, und der Verfaſſer iſt ſich
deutlich genug bewußt, daß er mit ſehr mäßigen Mitteln
und Kräften ſich einer überaus großen Aufgabe unterzogen
hat. Aber auch wenn er mit ſtärkerer Zuverſicht auf ſeine
Forſchung hinblicken könnte, ſo wäre ihm der Beifall der
Kenner kaum ſicherer. Die geiſtigen Umriſſe einer Cultur-
epoche geben vielleicht für jedes Auge ein verſchiedenes Bild,
und wenn es ſich vollends um eine Civiliſation handelt,
welche als nächſte Mutter der unſrigen noch jetzt fortwirkt,
ſo muß ſich das ſubjektive Urtheilen und Empfinden jeden
Augenblick beim Darſteller wie beim Leſer einmiſchen. Auf
dem weiten Meere in welches wir uns hinauswagen, ſind
der möglichen Wege und Richtungen viele, und leicht könnten
dieſelben Studien, welche für dieſe Arbeit gemacht wurden,
unter den Händen eines Andern nicht nur eine ganz andere
Benützung und Behandlung erfahren, ſondern auch zu
weſentlich verſchiedenen Schlüſſen Anlaß geben. Der Gegen-
ſtand an ſich wäre wichtig genug, um noch viele Bearbei-
tungen wünſchbar zu machen, Forſcher der verſchiedenſten
Standpuncte zum Reden aufzufordern. Einſtweilen ſind
wir zufrieden, wenn uns ein geduldiges Gehör gewährt
und dieſes Buch als ein Ganzes aufgefaßt wird. Es iſt
die weſentlichſte Schwierigkeit der Culturgeſchichte, daß ſie
Cultur der Renaiſſance. 1
[2]1. Abſchnitt.ein großes geiſtiges Continuum in einzelne ſcheinbar oft
willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie
zur Darſtellung zu bringen. — Der größten Lücke des Buches
gedenken wir in einiger Zeit durch ein beſonderes Werk
über „die Kunſt der Renaiſſance“ abzuhelfen.
Politiſcher Zu-
ſtand im
XIII. Jahrh.Der Kampf zwiſchen den Päpſten und den Hohenſtaufen
hinterließ zuletzt Italien in einem politiſchen Zuſtande,
welcher von dem des übrigen Abendlandes in den weſent-
lichſten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien,
England das Lehnsſyſtem ſo geartet war, daß es nach Ab-
lauf ſeiner Lebenszeit dem monarchiſchen Einheitsſtaat in
die Arme fallen mußte, wenn es in Deutſchland wenigſtens
die Einheit des Reiches äußerlich feſthalten half, ſo hatte
Italien ſich ihm faſt völlig entzogen. Die Kaiſer des
XIV. Jahrhunderts wurden im günſtigſten Falle nicht mehr
als Oberlehnsherrn, ſondern als mögliche Häupter und
Verſtärkungen ſchon vorhandener Mächte empfangen und
geachtet; das Papſtthum aber mit ſeinen Creaturen und
Stützpunkten war gerade ſtark genug, jede künftige Einheit
zu verhindern ohne doch ſelbſt eine ſchaffen zu können. 1)
Die nothwen-
dige Vielheit.Zwiſchen den beiden waren eine Menge politiſcher Geſtal-
tungen — Städte und Gewaltherrſcher — theils ſchon vor-
handen theils neu emporgekommen, deren Daſein rein that-
ſächlicher Art war. 2) In ihnen erſcheint der moderne
europäiſche Staatsgeiſt zum erſtenmal frei ſeinen eigenen
Antrieben hingegeben; ſie zeigen oft genug die feſſelloſe
Selbſtſucht in ihren furchtbarſten Zügen, jedes Recht ver-
höhnend, jede geſunde Bildung im Keim erſtickend; aber
[3] wo dieſe Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen1. Abſchnitt.
wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geſchichte: Der
Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunſtwerk.
In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenſtaaten prägt
ſich dieß Leben hundertfältig aus, und beſtimmt ihre innere
Geſtalt ſowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen
uns mit der Betrachtung des vollſtändigern, deutlicher aus-
geſprochenen Typus deſſelben in den Tyrannenſtaaten.
Der innere Zuſtand der von Gewaltherrſchern regiertenDer Staat
Friedrichs II.
Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman-
nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiſer Frie-
drich II. es umgeſtaltet hatte. 1) Aufgewachſen unter Ver-
rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er ſich
frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und
Behandlung der Dinge, der erſte moderne Menſch auf dem
Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von
dem Innern der ſaraceniſchen Staaten und ihrer Verwal-
tung, und jener Exiſtenzkrieg mit den Päpſten, welcher
beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel
auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen
(beſonders ſeit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung
des Lehnſtaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine
willenloſe, unbewaffnete, im höchſten Grade ſteuerfähige
Maſſe hinaus. Er centraliſirte die ganze richterliche Ge-
walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend-
land unerhörten Weiſe; kein Amt mehr durfte durch Volks-
wahl beſetzt werden, bei Strafe der Verwüſtung des betref-
fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen.
Die Steuern, beruhend auf einem umfaſſenden KataſterMohammeda-
niſche Einwir-
kung.
und auf mohammedaniſcher Routine, wurden beigetrieben
mit jener quäleriſchen und grauſamen Art, ohne welche
1*
[4]1. Abſchnitt.man dem Orientalen freilich kein Geld aus den Händen
bringt. Hier iſt kein Volk mehr, ſondern ein controlirbarer
Haufe von Unterthanen, die z. B. ohne beſondere Erlaubniß
nicht auswärts heirathen und unbedingt nicht auswärts ſtudiren
durften; — die Univerſität Neapel übte den frühſten bekannten
Studienzwang, während der Orient ſeine Leute wenigſtens
in dieſen Dingen frei ließ. Echt mohammedaniſch dagegen war
es wiederum, daß Friedrich nach dem ganzen Mittelmeer eige-
nen Handel trieb, viele Gegenſtände ſich vorbehielt und den
Handel der Unterthanen hemmte. Die fatimidiſchen Khalifen
mit ihrer Geheimlehre des Unglaubens waren (wenigſtens
Anfangs) tolerant geweſen gegen die Religionen ihrer Unter-
thanen; Friedrich dagegen krönt ſein Regierungsſyſtem durch
eine Ketzerinquiſition, die nur um ſo ſchuldvoller erſcheint, wenn
man annimmt, er habe in den Ketzern die Vertreter frei-
ſinnigen ſtädtiſchen Lebens verfolgt. Als Polizeimannſchaft
im Innern und als Kern der Armee nach außen dienten
ihm endlich jene aus Sicilien nach Luceria und nach No-
cera übergeſiedelten Saracenen, welche gegen allen Jammer
taub und gegen den kirchlichen Bann gleichgültig waren.
Die Unterthanen, der Waffen entwöhnt, ließen ſpäter den
Sturz Manfreds und die Beſitznahme des Anjou leicht und
willenlos über ſich ergehen; letzterer aber erbte dieſen Re-
gierungsmechanismus und benützte ihn weiter.
Die Herrſchaft
Ezzelino's.Neben dem centraliſirenden Kaiſer tritt ein Uſurpator
der eigenthümlichſten Art auf: ſein Vicarius und Schwieger-
ſohn Ezzelino da Romano. Er repräſentirt kein Regierungs-
und Verwaltungsſyſtem, da ſeine Thätigkeit in lauter Kämpfen
um die Herrſchaft im öſtlichen Oberitalien aufging, allein er
iſt als politiſches Vorbild für die Folgezeit nicht minder wichtig
als ſein kaiſerlicher Beſchützer. Alle bisherige Eroberung
und Uſurpation des Mittelalters war entweder auf wirk-
liche oder vorgegebene Erbſchaft und andere Rechte hin
oder gegen die Ungläubigen oder Excommunicirten voll-
bracht worden. Hier zum erſtenmal wird die Gründung
[5] eines Thrones verſucht durch Maſſenmord und endloſe1. Abſchnitt.
Scheußlichkeiten, d. h. durch Aufwand aller Mittel mit
alleiniger Rückſicht auf den Zweck. Keiner der Spätern
hat den Ezzelino an Coloſſalität des Verbrechens irgendwie
erreicht, auch Ceſare Borgia nicht, aber das Beiſpiel war
gegeben, und Ezzelino's Sturz war für die Völker keine
Herſtellung der Gerechtigkeit und für künftige Frevler keine
Warnung.
Umſonſt ſtellte in einer ſolchen Zeit S. Thomas vonEinfluß Frie-
drichs und
Ezzelino's.
Aquino, der geborene Unterthan Friedrichs, die Theorie
einer conſtitutionellen Herrſchaft auf, wo der Fürſt durch
ein von ihm ernanntes Oberhaus und eine vom Volk ge-
wählte Repräſentation unterſtützt gedacht wird. Dergleichen
verhallte in den Hörſälen, und Friedrich und Ezzelino waren
und blieben für Italien die größten politiſchen Erſcheinungen
des XIII. Jahrhunderts. Ihr Bild, ſchon halb fabelhaft
wiedergeſpiegelt, iſt der wichtigſte Inhalt der „hundert alten
Novellen“, deren urſprüngliche Redaction gewiß noch in
dieß Jahrhundert fällt. 1) Ezzelino wird hier bereits mit
einer ſcheuen Ehrfurcht geſchildert, welche der Niederſchlag
jedes ganz großen Eindruckes iſt. Eine ganze Literatur,
von der Chronik der Augenzeugen bis zur halbmythologiſchen
Tragödie, ſchloß ſich an ſeine Perſon an. 2)
Die größern und kleinern Gewaltherrſchaften desHerrſcher des
XIV. Jahrh.
XIV. Jahrhunderts verrathen es häufig genug, daß Ein-
drücke dieſer Art nicht verloren waren. Ihre Miſſethaten
ſchrien laut und die Geſchichte hat ſie umſtändlich verzeich-
[6]1. Abſchnitt.net, aber als ganz auf ſich ſelbſt geſtellte und danach orga-
niſirte Staaten haben ſie immerhin ein höheres Intereſſe.
Die bewußte Berechnung aller Mittel, wovon kein da-
maliger außeritaliſcher Fürſt eine Idee hatte, verbunden
mit einer innerhalb der Staatsgrenzen faſt abſoluten Macht-
vollkommenheit, brachte hier ganz beſondere Menſchen und
Lebensformen hervor. 1) Das Hauptgeheimniß der Herr-
ſchaft lag für die weiſern Tyrannen darin, daß ſie die
Finanzen.Steuern möglichſt ſo ließen, wie ſie dieſelben angetroffen
oder am Anfang eingerichtet hatten: eine Grundſteuer, ba-
ſirt auf einen Kataſter; beſtimmte Conſumoſteuern, und
Zölle auf Ein- und Ausfuhr, wozu noch die Einnahmen
von dem Privatvermögen des herrſchenden Hauſes kamen;
die einzige mögliche Steigerung hing ab von der Zunahme
des allgemeinen Wohlſtandes und Verkehres. Von Anleihen,
wie ſie in den Städten vorkamen, war hier nicht die Rede;
eher erlaubte man ſich hier und da einen wohlberechneten
Gewaltſtreich, vorausgeſetzt daß er den ganzen Zuſtand
unerſchüttert ließ, wie z. B. die echt ſultaniſche Abſetzung
und Ausplünderung des oberſten Finanzbeamten. 2)
Mit dieſen Einkünften ſuchte man auszureichen um
Der Hof.den kleinen Hof, die Leibwache, die geworbene Mannſchaft,
die Bauten — und die Spaßmacher ſowohl als die Leute
von Talent zu bezahlen, die zur perſönlichen Umgebung
des Fürſten gehörten. Die Illegitimität, von dauernden
Gefahren umſchwebt, vereinſamt den Herrſcher; das ehren-
vollſte Bündniß, welches er nur irgend ſchließen kann, iſt
das mit der höhern geiſtigen Begabung, ohne Rückſicht auf
die Herkunft. Die Liberalität (Miltekeit) der nordiſchen
Fürſten des XIII. Jahrhunderts hatte ſich auf die Ritter,
auf das dienende und ſingende Adelsvolk beſchränkt. Anders
[7] der monumental geſinnte, ruhmbegierige italieniſche Tyrann,1. Abſchnitt.
der das Talent als ſolches braucht. Mit dem Dichter oder
Gelehrten zuſammen fühlt er ſich auf einem neuen Boden,
ja faſt im Beſitz einer neuen Legitimität.
Weltbekannt iſt in dieſer Beziehung der Gewaltherrſcher
von Verona, Can Grande della Scala, welcher in den aus-
gezeichneten Verbannten an ſeinem Hofe ein ganzes Italien
beiſammen unterhielt. Die Schriftſteller waren dankbar;
Petrarca, deſſen Beſuche an dieſen Höfen ſo ſtrenge Tadler
gefunden haben, ſchilderte das ideale Bild eines FürſtenDas damalige
Ideal des
Herrſchers.
des XIV. Jahrhunderts. 1) Er verlangt von ſeinem Adreſſa-
ten — dem Herrn von Padua — Vieles und Großes, aber
auf eine Weiſe als traute er es ihm zu. „Du mußt nicht
Herr deiner Bürger, ſondern Vater des Vaterlandes ſein
und jene wie deine Kinder lieben, 2) ja wie Glieder deines
Leibes. Waffen, Trabanten und Söldner magſt du gegen
die Feinde wenden — gegen deine Bürger kommſt du mit
dem bloßen Wohlwollen aus; freilich meine ich nur die
Bürger welche das Beſtehende lieben, denn wer täglich auf
Veränderungen ſinnt, der iſt ein Rebell und Staatsfeind
und gegen ſolche mag ſtrenge Gerechtigkeit walten!“ Im
Einzelnen folgt nun die echt moderne Fiction der Staats-
allmacht; der Fürſt ſoll für Alles ſorgen, Kirchen und
öffentliche Gebäude herſtellen und unterhalten, die Gaſſen-
polizei aufrecht halten, 3) Sümpfe austrocknen, über Wein
[8]1. Abſchnitt.und Getreide wachen, die Steuern gerecht vertheilen, Hülf-
loſe und Kranke unterſtützen, und ausgezeichneten Gelehrten
ſeinen Schutz und Umgang widmen, indem dieſelben für
ſeinen Nachruhm ſorgen würden.
Gefahren der
Tyrannis.Aber welches auch die allgemeinen Lichtſeiten und die
Verdienſte Einzelner geweſen ſein mögen, ſo erkannte oder
ahnte doch ſchon das XIV. Jahrhundert die geringe Dauer,
die Garantieloſigkeit der meiſten dieſer Tyrannien. Da
aus innern Gründen politiſche Verfaſſungen wie dieſe genau
um ſo viel haltbarer ſind als das Gebiet größer iſt, ſo
waren die mächtigern Gewaltherrſchaften ſtets geneigt, die
kleinern zu verſchlingen. Welche Hekatombe kleiner Herrſcher
iſt nur allein den Visconti in dieſer Zeit geopfert worden!
Dieſer äußern Gefahr aber entſprach gewiß faſt jedesmal
eine innere Gährung, und die Rückwirkung dieſer Lage auf
das Gemüth des Herrſchers mußte in den meiſten Fällen
überaus verderblich ſein. Die falſche Allmacht, die Auf-
forderung zum Genuß und zu jeder Art von Selbſtſucht
von der einen, die Feinde und Verſchwörer von der andern
Seite machten ihn faſt unvermeidlich zum Tyrannen im
übeln Sinne. Wäre nur wenigſtens den eigenen nächſten
Blutsverwandten zu trauen geweſen! Allein wo Alles ille-
Mangelhaftes
Erbrecht.gitim war, da konnte ſich auch kein feſtes Erbrecht, weder
für die Succeſſion in der Herrſchaft noch für die Theilung
der Güter bilden, und vollends in drohenden Augenblicken
ſchob den unmündigen oder untüchtigen Fürſtenſohn ein
entſchloſſener Vetter oder Oheim bei Seite, im Intereſſe
des Hauſes ſelbſt. Auch über Ausſchluß oder Anerkennung
der Baſtarde war beſtändiger Streit. So kam es, daß
eine ganze Anzahl dieſer Familien mit unzufriedenen, rach-
ſüchtigen Verwandten heimgeſucht waren; ein Verhältniß
das nicht eben ſelten in offenen Verrath und in wilden
Familienmord ausbrach. Andere, als Flüchtlinge auswärts
lebend, faſſen ſich in Geduld und behandeln auch dieſe
Sachlage objectiv, wie z. B. jener Visconti, der am Garda-
[9] ſee Fiſchnetze auswarf; 1) der Bote ſeines Gegners fragte1. Abſchnitt.
ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren
gedenke? und erhielt die Antwort: „nicht eher als bis die
Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber-
gewicht erlangt haben werden“. Bisweilen opfern auch die
Verwandten den regierenden Herrn der allzuſehr beleidigten
öffentlichen Moral, um dadurch das Geſammthaus zu
retten. 2) Hie und da ruht die Herrſchaft noch ſo auf der
Geſammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun-
den iſt; auch in dieſem Falle veranlaßte die Theilung des
Beſitzes und des Einfluſſes leicht den bitterſten Hader.
Bei den damaligen florentiniſchen Autoren begegnetDer Pomp.
man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieſes ganze
Weſen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcoſtüm,
wodurch die Gewaltherrſcher vielleicht weniger ihrer Eitel-
keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantaſie
des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas-
mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die
Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Piſa
(1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte
und ſich dann wieder zu Hauſe am Fenſter zeigte „wie man
Reliquien zeigt“, auf Teppich und Kiſſen von Goldſtoff ge-
lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papſt
oder Kaiſer. 3) Oefter aber reden dieſe alten Florentiner
[10]1. Abſchnitt.in einem erhabenen Ernſt. Dante 1) erkennt und benennt
Abſcheu der
Florentiner.vortrefflich das Unadliche, Gemeinverſtändige der neufürſt-
lichen Hab- und Herrſchgier. „Was tönen ihre Poſaunen,
Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns,
ihr Henker! ihr Raubvögel!“ Man malt ſich die Burg
des Tyrannen hoch und iſolirt, voller Kerker und Lauſch-
röhren, 2) als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends.
Andere weiſſagen Jedem Unglück, der in Tyrannendienſte
gehe 3) und bejammern am Ende den Tyrannen ſelbſt, wel-
cher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen
ſei, ſich auf Niemanden verlaſſen dürfe, und den Unter-
thanen die Erwartung ſeines Sturzes auf dem Geſicht leſen
könne. „So wie die Tyrannien entſtehen, wachſen und ſich
befeſtigen, ſo wächſt auch in ihrem Innern verborgen der
Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen
muß.“ 4) Der tiefſte Gegenſatz wird nicht deutlich her-
vorgehoben: Florenz war damals mit der reichſten Ent-
wicklung der Individualitäten beſchäftigt, während die Ge-
waltherrſcher keine andere Individualität gelten und gewähren
ließen als die ihrige und die ihrer nächſten Diener. War
doch die Controle des einzelnen Menſchen bis auf's Paß-
weſen herab ſchon völlig durchgeführt. 5)
[11]
Das Unheimliche und Gottverlaſſene dieſer Exiſtenz1. Abſchnitt.
bekam in den Gedanken der Zeitgenoſſen noch eine beſondere
Farbe durch den notoriſchen Sternglauben und Unglauben
mancher Herrſcher. Als der letzte Carrara in ſeinem peſt-
verödeten Padua (1405) die Mauern und Thore nicht mehr
beſetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingel-
ten, hörten ihn ſeine Leibwachen oft des Nachts dem Teufel
rufen: er möge ihn tödten!
Die vollſtändigſte und belehrendſte Ausbildung dieſerDie Visconti;
Bernabò.
Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet ſich wohl unſtreitig
bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erz-
biſchofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet ſich in Ber-
nabò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den
ſchrecklichſten römiſchen Imperatoren; 1) der wichtigſte Staats-
zweck iſt die Eberjagd des Fürſten; wer ihm darein greift,
wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muß ihm
5000 Jagdhunde füttern, unter der ſchärfſten Verantwort-
lichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit
allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, ſieben Töch-
ter jede mit 100,000 Goldgulden ausgeſtattet und ein
enormer Schatz geſammelt. Beim Tode ſeiner Gemahlinn
(1384) erſchien eine Notification „an die Unterthanen“,
ſie ſollten, wie ſonſt die Freude, ſo jetzt das Leid mit ihm
theilen und ein Jahr lang Trauer tragen. — Unvergleich-
lich bezeichnend iſt dann der Handſtreich, womit ihn ſein
Neffe Giangaleazzo (1385) in ſeine Gewalt bekam, eines
jener gelungenen Complotte, bei deren Schilderung noch
ſpäten Geſchichtſchreibern das Herz ſchlägt. 2) Bei Gianga-Giangaleazzo.
leazzo tritt der echte Tyrannenſinn für das Coloſſale ge-
waltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300,000 Gold-
[12]1. Abſchnitt.gulden rieſige Dammbauten unternommen, um den Mincio
von Mantua, die Brenta von Padua nach Belieben ableiten
und dieſe Städte wehrlos machen zu können, 1) ja es wäre
nicht undenkbar, daß er auf eine Trockenlegung der Lagunen
von Venedig geſonnen hätte. Er gründete 2) „das wun-
derbarſte aller Klöſter“, die Certoſa von Pavia, und den
Dom von Mailand, „der an Größe und Pracht alle Kirchen
der Chriſtenheit übertrifft“, ja vielleicht iſt auch der Palaſt
in Pavia, den ſchon ſein Vater Galeazzo begonnen, und
den er vollendete, weitaus die herrlichſte Fürſtenreſidenz des
damaligen Europa's geweſen. Dorthin verlegte er auch
ſeine berühmte Bibliothek und die große Sammlung von
Reliquien der Heiligen, welchen er eine beſondere Art von
Deſſen letzte
Pläne.Glauben widmete. Bei einem Fürſten von dieſer Sinnes-
art wäre es befremdlich, wenn er nicht auch im politiſchen
Gebiet nach den höchſten Kronen gegriffen hätte. König
Wenzel machte ihn (1395) zum Herzog; er aber hatte nichts
geringeres als das Königthum von Italien 3) oder die
Kaiſerkrone im Sinne, als er (1402) erkrankte und ſtarb.
Seine ſämmtlichen Staaten ſollen ihm einſt in einem Jahre
außer der regelmäßigen Steuer von 1,200,000 Goldgulden
noch weitere 800,000 an außerordentlichen Subſidien bezahlt
haben. Nach ſeinem Tode ging das Reich, das er durch
jede Art von Gewaltthaten zuſammengebracht, in Stücken
[13] und vor der Hand konnten kaum die ältern Beſtandtheile1. Abſchnitt.
deſſelben behauptet werden. Was aus ſeinen Söhnen Gio-
van Maria (ſt. 1412) und Filippo Maria (ſt. 1447) ge-
worden wäre, wenn ſie in einem andern Lande und ohne
von ihrem Hauſe zu wiſſen, gelebt hätten, wer weiß es?
Doch als Erben dieſes Geſchlechtes erbten ſie auch das un-
geheure Kaptial von Grauſamkeit und Feigheit, das ſich
hier von Generation zu Generation aufgeſammelt hatte.
Giovan Maria iſt wiederum durch ſeine Hunde be-Giovan Maria.
rühmt, aber nicht mehr durch Jagdhunde, ſondern durch
Thiere die zum Zerreißen von Menſchen abgerichtet waren
und deren Eigennamen uns überliefert ſind wie die der
Bären Kaiſer Valentinians I.1) Als im Mai 1409 während
des noch dauernden Krieges das verhungernde Volk ihm auf der
Straße zurief: Pace! Pace! ließ er ſeine Söldner ein-
hauen, die 200 Menſchen tödteten; darauf war bei Galgen-
ſtrafe verboten, die Worte Pace und Guerra auszuſprechen
und ſelbſt die Prieſter angewieſen, ſtatt dona nobis pacem,
zu ſagen tranquillitatem! Endlich benützten einige Ver-
ſchworne den Augenblick, da der Großcondottiere des wahn-
ſinnigen Herzogs, Facino Cane, todtkrank zu Pavia lag,
und machten den Giovan Maria bei der Kirche S. Got-
tardo in Mailand nieder; der ſterbende Facino aber ließ
am ſelbigen Tage ſeine Officiere ſchwören, dem Erben
Filippo Maria zu helfen, und ſchlug ſelber 2) noch vor,
ſeine Gemahlin möge ſich nach ſeinem Tode mit dieſem ver-
mählen, wie denn auch baldigſt geſchah; es war Beatrice
di Tenda. Von Filippo Maria wird noch weiter zu reden ſein.
Und in ſolchen Zeiten getraute ſich Cola Rienzi auf
den hinfälligen Enthuſiasmus der verkommenen Stadt-
bevölkerung von Rom eine neue Herrſchaft über Italien zu
[14]1. Abſchnitt.bauen. Neben Herrſchern wie jene iſt er von Anfang an
ein armer verlorener Thor.
Herrſcher des
XV. Jahrh.Die Gewaltherrſchaft im XV. Jahrhundert zeigt einen
veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen
und auch einige von den größern, wie die Scala und Car-
rara, ſind untergegangen; die mächtigen haben ſich arron-
dirt und innerlich characteriſtiſcher ausgebildet; Neapel er-
hält durch die neue aragoneſiſche Dynaſtie eine kräftigere
Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber iſt für dieſes Jahr-
hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger
Herrſchaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der
Bahn des rein Thatſächlichen, und eine hohe Prämie für
das Talent wie für die Ruchloſigkeit. Die kleinern Tyrannen,
um ſich einen Rückhalt zu ſichern, gehen jetzt gern in Dienſte
der größern Staaten und werden Condottieren derſelben,
was ihnen etwas Geld und auch wohl Strafloſigkeit für
manche Miſſethaten verſchafft, vielleicht ſogar Vergrößerung
ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und
Kleine ſich mehr anſtrengen, beſonnener und berechneter ver-
fahren und ſich der gar zu maſſenhaften Gräuel enthalten;
ſie durften überhaupt nur ſo viel Böſes üben als nach-
weisbar zu ihren Zwecken diente — ſo viel verzieh ihnen
auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital
von Pietät, welches den legitimen abendländiſchen Fürſten-
häuſern zu Statten kam, iſt hier keine Spur, höchſtens eine
Art von hauptſtädtiſcher Popularität; was den Fürſten
Italiens weſentlich weiter helfen muß, iſt immer Talent
Contraſt mit
Carl d. Kühnen.und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls
des Kühnen, der ſich mit wüthender Leidenſchaft in völlig
unpractiſche Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein
wahres Räthſel. „Die Schweizer ſeien ja lauter Bauern,
und wenn man ſie auch alle tödte, ſo ſei dieß ja keine Ge-
nugthuung für die burgundiſchen Magnaten, die im Kampfe
[15] umkommen möchten! Beſäße auch der Herzog die Schweiz1. Abſchnitt.
ohne Widerſtand, ſeine Jahreseinkünfte wären deßhalb um
keine 5000 Ducaten größer ꝛc.“ 1) Was in Carl Mittelalter-
liches war, ſeine ritterlichen Phantaſien oder Ideale, dafür
hatte Italien längſt kein Verſtändniß mehr. Wenn er aber
vollends den Unteranführern Ohrfeigen ertheilte 2) und ſie
dennoch bei ſich behielt, wenn er ſeine Truppen mißhandelte
um ſie wegen einer Niederlage zu ſtrafen, und dann wieder
ſeine Geheimräthe vor den Soldaten blamirte — dann
mußten ihn die Diplomaten des Südens verloren geben.
Ludwig XI. aber, der in ſeiner Politik die italieniſchen
Fürſten innerhalb ihrer eigenen Art übertrifft, und der vor
Allem ſich als Bewunderer des Francesco Sforza bekannte,
iſt im Gebiet der Bildung durch ſeine vulgäre Natur weit
von jenen Herrſchern geſchieden.
In ganz merkwürdiger Miſchung liegt Gutes und Böſes
in den italieniſchen Staaten des XV. Jahrhunderts durchein-
ander. Die Perſönlichkeit der Fürſten wird eine ſo durch-
gebildete, eine oft ſo hochbedeutende, für ihre Lage und
Aufgabe ſo characteriſtiſche, 3) daß das ſittliche Urtheil
ſchwer zu ſeinem Rechte kömmt.
Grund und Boden der Herrſchaft ſind und bleiben ille-Illegitimität;
Einmiſchung
der Kaiſer.
gitim und ein Fluch haftet daran und will nicht davon
weichen. Kaiſerliche Gutheißungen und Belehnungen ändern
dieß nicht, weil das Volk keine Notiz davon nimmt, wenn
ſeine Herrſcher ſich irgendwo in fernen Landen oder von
einem durchreiſenden Fremden ein Stück Pergament gekauft
[16]1. Abſchnitt.haben. 1) Wären die Kaiſer etwas nütze geweſen, ſo hätten
ſie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen laſſen, — ſo
lautete die Logik des unwiſſenden Menſchenverſtandes. Seit
dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiſer in Italien nur
noch den ohne ſie entſtandenen Gewaltzuſtand ſanctionirt,
ohne ihn jedoch im Geringſten anders als durch Urkunden
garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien
iſt eine der ſchmählichſten politiſchen Comödien; man mag
im Matteo Villani 2) nachleſen, wie ihn die Visconti in
ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren,
wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald
für ſeine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten,
wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne
einen Schwertſtreich gethan zu haben, mit ſeinem vollen
Geldſack wieder über die Alpen zieht. 3) Sigismund kam
[17] wenigſtens das erſtemal (1414) in der guten Abſicht,1. Abſchnitt.
Johann XXIII. zur Theilnahme an ſeinem Concil zu be-
wegen; damals war es, als Kaiſer und Papſt auf dem
hohen Thurm von Cremona das Panorama der Lombardie
genoſſen, während ihren Wirth, den Stadttyrannen Gabrino
Fondolo, das Gelüſte ankam, beide herunter zu werfen.
Das zweitemal erſchien Sigismund völlig als Abenteurer;
mehr als ein halbes Jahr hindurch ſaß er in Siena wie
in einem Schuldgefängniß, und konnte nachher nur mit
Noth zur Krönung in Rom gelangen. Was ſoll man vol-
lends von Friedrich III. denken? ſeine Beſuche in ItalienFriedrich III.
in Italien.
haben den Character von Ferien- oder Erholungsreiſen auf
Unkoſten derer, die ihre Rechte von ihm verbrieft haben
wollten, oder ſolcher denen es ſchmeichelte einen Kaiſer recht
pomphaft zu bewirthen. So verhielt es ſich mit Alfons
von Neapel, der ſich den kaiſerlichen Beſuch 150,000 Gold-
gulden koſten ließ. 1) In Ferrara 2) hat Friedrich bei ſeiner
zweiten Rückkehr von Rom (1469) einen ganzen Tag lang,
ohne das Zimmer zu verlaſſen, lauter Beförderungen, acht-
zig an der Zahl, ausgeſpendet; da ernannte er cavalieri,
conti, dottori, Notare, und zwar conti mit verſchiedenen
Schattirungen, als da waren: conte palatino, conte mit
dem Recht dottori, ja bis auf fünf dottori zu ernennen,
conte mit dem Recht Baſtarde zu legitimiren, Notare zu
creiren, unehrliche Notare ehrlich zu erklären u. ſ. w. Nur
verlangte ſein Kanzler für die Ausfertigung der betreffenden
3)
Cultur der Renaiſſance. 2
[18]1. Abſchnitt.Urkunden eine Erkenntlichkeit die man in Ferrara etwas
ſtark fand. 1) Was Herzog Borſo dabei dachte, als ſein
kaiſerlicher Gönner dergeſtalt urkundete und der ganze kleine
Hof ſich mit Titeln verſah, wird nicht gemeldet. Die Hu-
maniſten, welche damals das große Wort führten, waren
je nach den Intereſſen getheilt. Während die einen 2) den
Kaiſer mit dem conventionellen Jubel der Dichter des kaiſer-
lichen Roms feiern, weiß Poggio 3) gar nicht mehr, was
die Krönung eigentlich ſagen ſolle; bei den Alten ſei ja
nur ein ſiegreicher Imperator gekrönt worden und zwar
mit Lorbeer.
Das Kaiſer-
thum und die
Intervention.Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiſer-
liche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der
allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang —
die Belehnung des Lodovico Moro mit Beſeitigung ſeines
unglücklichen Neffen — war nicht von der Art, welche
Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie
darf, wenn Zweie ein Land zerreißen wollen, auch ein
Dritter kommen und mithalten, und ſo konnte auch das
Kaiſerthum ſein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl.
mußte man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. 1502 in
Genua erwartet wurde, als man den großen Reichsadler
von der Fronte des Hauptſaales im Dogenpalaſt wegtilgte
und alles mit Lilien bemalte, frug der Geſchichtſchreiber
Senarega 4) überall herum, was jener bei ſo vielen Revo-
lutionen ſtets geſchonte Adler eigentlich bedeute und was
für Anſprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wußte
etwas anderes als die alte Rede: Genua ſei eine camera
imperii. Niemand wußte überhaupt in Italien irgend
welchen ſichern Beſcheid über ſolche Fragen. Erſt als Carl V.
[19] Spanien und das Reich zuſammen beſaß, konnte er mit1. Abſchnitt.
ſpaniſchen Kräften auch kaiſerliche Anſprüche durchſetzen.
Aber was er ſo gewann, kam bekanntlich nicht dem Reiche,
ſondern der ſpaniſchen Macht zu Gute.
Mit der politiſchen Illegitimität der Dynaſten desDie uneheliche
Erbfolge.
XV. Jahrhunderts hing wiederum zuſammen die Gleich-
gültigkeit gegen die legitime Geburt, welche den Ausländern,
z. B. einem Comines, ſo ſehr auffiel. Sie ging gleichſam
mit in den Kauf. Während man im Norden, im Haus
Burgund etwa, den Baſtarden eigene beſtimmt abgegrenzte
Apanagen, Bisthümer u. dgl. zuwies, während in Portugal
eine Baſtardlinie ſich nur durch die größte Anſtrengung
auf dem Throne behauptete, war in Italien kein fürſtliches
Haus mehr, welches nicht in der Hauptlinie irgend eine unechte
Descendenz gehabt und ruhig geduldet hätte. Die Arago-
neſen von Neapel waren die Baſtardlinie des Hauſes, denn
Aragon ſelbſt erbte der Bruder des Alfons I. Der große
Federigo von Urbino war vielleicht überhaupt kein Monte-
feltro. Als Pius II. zum Congreß von Mantua (1459) reiſte
ritten ihm bei der Einholung in Ferrara ihrer acht Baſtarde
vom Haus Eſte entgegen, 1) darunter der regierende Herzog
Borſo ſelbſt und zwei uneheliche Söhne ſeines ebenfalls
unehelichen Bruders und Vorgängers Leonello. Letzterer
hatte außerdem eine rechtmäßige Gemahlin gehabt, und
zwar eine uneheliche Tochter Alfons I. von Neapel von
einer Africanerin. 2) Die Baſtarde wurden auch ſchon deß-
halb öfter zugelaſſen, weil die ehelichen Söhne minorenn
und die Gefahren dringend waren; es trat eine Art von
Seniorat ein, ohne weitere Rückſicht auf echte oder unechte
2*
[20]1. Abſchnitt.Geburt. Die Zweckmäßigkeit, die Geltung des Individuums
und ſeines Talentes ſind hier überall mächtiger als die
Geſetze und Bräuche des ſonſtigen Abendlandes. War es
Denkweiſe des
XVI. Jahrh.doch die Zeit da die Söhne der Päpſte ſich Fürſtenthümer
gründeten! Im XVI. Jahrhundert unter dem Einfluß der
Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die
ganze Angelegenheit ſtrenger angeſehen; Varchi findet, die
Succeſſion der ehelichen Söhne ſei „von der Vernunft ge-
boten und von ewigen Zeiten her der Wille des Himmels“. 1)
Cardinal Ippolito Medici gründete ſein Anrecht auf die
Herrſchaft über Florenz darauf, daß er aus einer vielleicht
rechtmäßigen Ehe entſproßt, oder doch wenigſtens Sohn
einer Adlichen und nicht (wie der Herzog Aleſſandro) einer
Dienſtmagd ſei. 2) Jetzt beginnen auch die morganatiſchen
Gefühlsehen, welche im XV. Jahrhundert aus ſittlichen
und politiſchen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten.
Condottieren
als Staaten-
gründer.Die höchſte und meiſtbewunderte Form der Illegitimität
iſt aber im XV. Jahrhundert der Condottiere, der ſich —
welches auch ſeine Abkunft ſei — ein Fürſtenthum erwirbt.
Im Grunde war ſchon die Beſitznahme von Unteritalien
durch die Normannen im XI. Jahrhundert nichts anderes
geweſen; jetzt aber begannen Projecte dieſer Art die Halb-
inſel in dauernder Unruhe zu erhalten.
Die Feſtſetzung eines Soldführers als Landesherrn
konnte auch ohne Uſurpation geſchehen, wenn ihn der
Brodherr aus Mangel an Geld mit Land und Leuten ab-
fand; 3) ohnehin bedurfte der Condottiere, ſelbſt wenn er
für den Augenblick ſeine meiſten Leute entließ, eines ſichern
Ortes, wo er Winterquartier halten und die nothwendigſten
[21] Vorräthe bergen konnte. Das erſte Beiſpiel eines ſo aus-1. Abſchnitt.
geſtatteten Bandenführers iſt John Hawkwood, welcher von
Papſt Gregor XI. Bagnacavallo und Cotignola erhielt.
Als aber mit Alberigo da Barbiano italieniſche Heere und
Heerführer auf den Schauplatz traten, da kam auch die
Gelegenheit viel näher, Fürſtenthümer zu erwerben, oder
wenn der Condottiere ſchon irgendwo Gewaltherrſcher war,
das Ererbte zu vergrößern. Das erſte große Bacchanal
dieſer ſoldatiſchen Herrſchbegier wurde gefeiert in dem Her-
zogthum Mailand nach dem Tode des Giangaleazzo (1402);
die Regierung ſeiner beiden Söhne (S. 13) ging haupt-
ſächlich mit der Vertilgung dieſer kriegeriſchen Tyrannen
dahin, und der größte derſelben, Facino Cane, wurde ſammt
ſeiner Wittwe, ſammt einer Reihe von Städten und
400,000 Goldgulden ins Haus geerbt; überdieß zog Bea-
trice di Tenda die Soldaten ihres erſten Gemahls nach ſich. 1)
Von dieſer Zeit an bildete ſich dann jenes über alle Maßen
unmoraliſche Verhältniß zwiſchen den Regierungen undVerhältniß der
Condottieren
zum Brodherrn.
ihren Condottieren aus, welches für das XV. Jahrhundert
characteriſtiſch iſt. Eine alte Anecdote, 2) von jenen die
nirgends und doch überall wahr ſind, ſchildert daſſelbe un-
gefähr ſo: Einſt hatten die Bürger einer Stadt — es ſoll
Siena gemeint ſein — einen Feldherrn, der ſie von feind-
lichem Druck befreit hatte; täglich beriethen ſie, wie er zu
belohnen ſei und urtheilten, keine Belohnung, die in ihren
Kräften ſtände, wäre groß genug, ſelbſt nicht wenn ſie
ihn zum Herrn der Stadt machten. Endlich erhob ſich
Einer und meinte: Laßt uns ihn umbringen und dann als
[22]1. Abſchnitt.Stadtheiligen anbeten. Und ſo ſei man mit ihm verfahren
ungefähr wie der römiſche Senat mit Romulus. In der
That hatten ſich die Condottieren vor Niemand mehr zu
hüten als vor ihren Brodherren; kämpften ſie mit Erfolg,
ſo waren ſie gefährlich und wurden aus der Welt geſchafft
wie Roberto Malateſta gleich nach dem Siege den er für
Sixtus IV. erfochten (1482); beim erſten Unglück aber
rächte man ſich bisweilen an ihnen wie die Venezianer am
Carmagnola (1432). 1) Es zeichnet die Sachlage in mo-
raliſcher Beziehung, daß die Condottieren oft Weib und
Kind als Geiſeln geben mußten und dennoch weder Zu-
trauen genoſſen noch ſelber empfanden. Sie hätten Heroen
der Entſagung, Charactere wie Beliſar ſein müſſen, wenn
ſich der tiefſte Haß nicht in ihnen hätte ſammeln ſollen;
nur die vollkommenſte innere Güte hätte ſie davon abhalten
können, abſolute Frevler zu werden. Und als ſolche, voller
Hohn gegen das Heilige, voller Grauſamkeit und Verrath
gegen die Menſchen, lernen wir manche von ihnen kennen,
faſt lauter Leute denen es nichts ausmachte, im päpſtlichen
Banne zu ſterben. Zugleich aber entwickelt ſich in manchen
die Perſönlichkeit, das Talent, bis zur höchſten Virtuoſität
und wird auch in dieſem Sinne von den Soldaten aner-
kannt und bewundert; es ſind die erſten Armeen der neuern
Geſchichte wo der perſönliche Credit des Anführers ohne
Die Familie
Sforza.weitere Nebengedanken die bewegende Kraft iſt. Glänzend
zeigt ſich dieß z. B. im Leben des Francesco Sforza; 2)
[23] da iſt kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können,1. Abſchnitt.
die allerindividuellſte Popularität bei jedem Einzelnen zu
erwerben und in ſchwierigen Augenblicken gehörig zu be-
nützen; es kam vor, daß die Feinde bei ſeinem Anblick die
Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig
grüßten, weil ihn jeder für den gemeinſamen „Vater der
Kriegerſchaft“ hielt. Dieſes Geſchlecht Sforza gewährt
überhaupt das Intereſſe, daß man die Vorbereitung auf das
Fürſtenthum von Anfang an glaubt durchſchimmern zu
ſehen. 1) Das Fundament dieſes Glückes bildete die großeJacopo
Sforza.
Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter
Vater Jacopo hatte zwanzig Geſchwiſter, alle rauh erzogen
in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener
endloſen romagnoliſchen Vendetten zwiſchen ihnen und dem
Hauſe der Paſolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar-
ſenal und Wachtſtube, auch Mutter und Töchter völlig
kriegeriſch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim-
lich von dannen, zunächſt nach Panicale zum päpſtlichen
Condottiere Boldrino, demſelben welcher dann noch im Tode
ſeine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen-
umſteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein-
balſamirte Leichnam lag — bis ſich ein würdiger Nachfolger
fand. Jacopo, als er in verſchiedenen Dienſten allmählig
emporkam, zog auch ſeine Angehörigen nach ſich und genoß
durch dieſelben die nämlichen Vortheile, die einem Fürſten
eine zahlreiche Dynaſtie verleiht. Dieſe Verwandten ſind
es, welche die Armee beiſammen halten, während er im
Caſtel dell 'uovo zu Neapel liegt; ſeine Schweſter nimmt
eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet
ihn durch dieſes Pfand vom Tode. Es deutet ſchon aufSeine Aus-
ſichten.
Abſichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld-
ſachen äußerſt zuverläſſig war und deßhalb auch nach
[24]1. Abſchnitt.Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall
die Bauern gegen die Licenz der Soldaten ſchützte, und die
Zerſtörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß
er ſeine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran-
cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürſt-
lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh-
lungen ſeiner Verwandten unterlagen einem gewiſſen Plan.
Von der Gottloſigkeit und dem wüſten Leben ſeiner Fach-
genoſſen hielt er ſich ferne; die drei Lehren, womit er ſeinen
Francesco in die Welt ſandte, lauten: rühre keines Andern
Weib an; ſchlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es
geſchehen, ſchicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu-
liges Pferd und keines das gerne die Eiſen verliert. Vor
Allem aber beſaß er die Perſönlichkeit wenn nicht eines
großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch-
tigen, allſeitig geübten Körper, ein populäres Bauerngeſicht,
ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle
ihre Pferde und ihre Soldverhältniſſe von vielen Jahren
her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur
italieniſch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der
Geſchichte und ließ griechiſche und lateiniſche Autoren für
Franc. Sforza
und Giacomo
Piccinino.ſeinen Gebrauch überſetzen. Francesco, ſein noch ruhm-
vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer
großen Herrſchaft geſtrebt und das gewaltige Mailand durch
glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch
erhalten (1447—1450).
Sein Beiſpiel lockte. Aeneas Sylvius 1) ſchrieb um
dieſe Zeit: „in unſerm veränderungsluſtigen Italien, wo
nichts feſt ſteht und keine alte Herrſchaft exiſtirt, können
leicht aus Knechten Könige werden“. Einer aber, der ſich
ſelber „den Mann der Fortuna“ nannte, beſchäftigte damals
vor allen die Phantaſie des ganzen Landes: Giacomo Pic-
cinino, der Sohn des Nicolò. Es war eine offene und
[25] brennende Frage: ob auch ihm die Gründung eines Fürſten-1. Abſchnitt.
thumes gelingen werde oder nicht? Die größern Staaten
hatten ein einleuchtendes Intereſſe es zu verhindern, und
auch Francesco Sforza fand, es wäre vortheilhaft, wenn
die Reihe der ſouverän gewordenen Soldführer mit ihm
ſelber abſchlöſſe. Aber die Truppen und Hauptleute, dieUntergang des
Letztern.
man gegen Piccinino abſandte, als er z. B. Siena hatte
für ſich nehmen wollen, erkannten 1) ihr eigenes Intereſſe
darin, ihn zu halten: „Wenn es mit ihm zu Ende ginge,
dann könnten wir wieder den Acker bauen“. Während ſie
ihn in Orbetello eingeſchloſſen hielten, verproviantirten ſie
ihn zugleich und er kam auf das Ehrenvollſte aus der
Klemme. Endlich aber entging er ſeinem Verhängniß doch
nicht. Ganz Italien wettete was geſchehen werde, als er
(1465) von einem Beſuch bei Sforza in Mailand nach
Neapel zum König Ferrante reiſte. Trotz aller Bürgſchaften
und hohen Verbindungen ließ ihn dieſer im Caſtel nuovo
ermorden. 2) Auch die Condottieren, welche ererbte Staaten
beſaßen, fühlten ſich doch nie ſicher; als Roberto Malateſta
und Federigo von Urbino (1482) an Einem Tage, jener
in Rom, dieſer in Bologna ſtarben, fand es ſich, daß Jeder
im Sterben dem Andern ſeinen Staat empfehlen ließ! 3)
Gegen einen Stand der ſich ſo Vieles erlaubte, ſchien Alles
erlaubt. Francesco Sforza war noch ganz jung mit einer
reichen calabreſiſchen Erbin, Poliſſena Ruffa, Gräfin von
Montalto, verheirathet worden, welche ihm ein Töchterchen
[26]1 Abſchnitt.gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und
zog die Erbſchaft an ſich. 1)
Spätere Ver-
ſuche der Con-
dottieren.Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen
von neuen Condottierenſtaaten offenbar als ein nicht mehr
zu duldender Scandal; die vier „Großſtaaten“ Neapel,
Mailand, Kirche und Venedig ſchienen ein Syſtem des
Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen
mehr vertrug. Im Kirchenſtaat, wo es von kleinen Tyran-
nen wimmelte, die zum Theil Condottieren geweſen oder es
noch waren, bemächtigten ſich ſeit Sixtus IV. die Nepoten
des Alleinrechtes auf ſolche Unternehmungen. Aber die
Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen,
ſo meldeten ſich auch die Condottieren wieder. Unter der
kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe
daran, daß ein früher in burgundiſchen Dienſten geweſener
Hauptmann Boccalino ſich mit ſammt der Stadt Oſimo,
die er für ſich genommen, den Türken übergeben hätte; 2)
man mußte froh ſein, daß er ſich auf Vermittlung des
Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab-
zog. Im Jahr 1495, bei der Erſchütterung aller Dinge
in Folge des Krieges Carls VIII. verſuchte ſich ein Con-
dottiere Vidovero von Brescia; 3) er hatte ſchon früher die
Stadt Ceſena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein-
genommen, aber das Caſtell hielt ſich und er mußte wieder
fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer
böſer Bube, Pandolfo Malateſta von Rimini, Sohn des
erwähnten Roberto und venezianiſcher Condottiere, abgetreten,
nahm er dem Erzbiſchof von Ravenna die Stadt Caſtel-
nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres beſorgten und
ohnehin vom Papſt gedrängt wurden, befahlen dem Pan-
[27] dolfo „wohlmeinend“, den guten Freund bei Gelegenheit zu1. Abſchnitt.
verhaften; es geſchah, obwohl „mit Schmerzen“, worauf
die Ordre kam, ihn am Galgen ſterben zu laſſen. Pan-
dolfo hatte die Rückſicht, ihn erſt im Gefängniß zu erdroſſeln
und dann dem Volk zu zeigen. — Das letzte bedeutendere
Beiſpiel ſolcher Uſurpationen iſt der berühmte Caſtellan von
Muſſo, der bei der Verwirrung im Mailändiſchen nach der
Schlacht bei Pavia (1525) ſeine Souveränetät am Comer-
ſee improviſirte.
Im Allgemeinen läßt ſich von den GewaltherrſchernDie kleineren
Herrſchaften.
des XV. Jahrhunderts ſagen, daß die ſchlimmſten Dinge
in den kleinern und kleinſten Herrſchaften am meiſten ſich
häuften. Namentlich lagen hier für zahlreiche Familien,
deren einzelne Mitglieder alle ranggemäß leben wollten, die
Erbſtreitigkeiten nahe; Bernardo Varano von Camerino
ſchaffte (1434) zwei Brüder aus der Welt, 1) weil ſeine
Söhne mit deren Erbe ausgeſtattet ſein wollten. Wo ein
bloßer Stadtherrſcher ſich auszeichnet durch practiſche, ge-
mäßigte, unblutige Regierung und Eifer für die Cultur
zugleich, da wird es in der Regel ein ſolcher ſein, der zu
einem großen Hauſe gehört oder von der Politik eines ſol-
chen abhängt. Dieſer Art war z. B. Aleſſandro Sforza, 2)
Fürſt von Peſaro, Bruder des großen Francesco und Schwie-
gervater des Federigo von Urbino (ſt. 1473). Als guter
Verwalter, als gerechter und zugänglicher Regent genoß er
nach langem Kriegsleben eine ruhige Regierung, ſammelte
eine herrliche Bibliothek und brachte ſeine Muße mit ge-
lehrten und frommen Geſprächen zu. Auch Giovanni II.
Bentivoglio von Bologna (1462—1506), deſſen Politik von
der der Eſte und Sforza bedingt war, läßt ſich hieher zählen.
Welche blutige Verwilderung dagegen finden wir in den
[28]1. Abſchnitt.Häuſern der Varani von Camerino, der Malateſta von
Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni
von Perugia. Ueber die Ereigniſſe im Hauſe der letztern
gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſind wir durch ausge-
zeichnete Geſchichtsquellen — die Chroniken des Graziani
und des Matarazzo 1) — beſonders anſchaulich unterrichtet.
Die Baglionen
von Perugia.Die Baglionen waren eines von jenen Häuſern, deren
Herrſchaft ſich nicht zu einem förmlichen Fürſtenthum durch-
gebildet hatte, ſondern mehr nur in einem ſtädtiſchen Primat
beſtand und auf großem Familienreichthum und thatſäch-
lichem Einfluß auf die Aemterbeſetzung beruhte. Innerhalb
der Familie wurde Einer als Geſammtoberhaupt anerkannt;
doch herrſchte tiefer verborgener Haß zwiſchen den Mit-
gliedern der verſchiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt
ſich eine gegneriſche Adelspartei unter Anführung der Fa-
milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle
Häuſer der Großen waren voller Bravi; täglich gab es
Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten
deutſchen Studenten ſtellten ſich zwei Collegien in Waffen
gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten ſich die Bravi
verſchiedener Häuſer Schlachten auf offener Piazza. Ver-
gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpſt-
lichen Governatoren und Nepoten ſchwiegen oder machten
Bertreibung
der Oddi.ſich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia
verlaſſen und nun wird die Stadt eine belagerte Feſte
unter der vollendeten Gewaltherrſchaft der Baglionen, wel-
chen auch der Dom als Caſerne dienen muß. Complotten
und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach-
dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zuſammenge-
hauen und am Staatspalaſt gehenkt, wurden auf der Piazza
35 Altäre errichtet und drei Tage lang Meſſen geleſen und
Proceſſionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg-
zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen
[29] Tage auf der Gaſſe erſtochen, einer Alexanders VI., der1. Abſchnitt.
abgeſandt war um zu ſchlichten, erntete nichts als offenen
Hohn. Dafür hatten die beiden Häupter des regierenden
Hauſes Guido und Ridolfo häufige Unterredungen mit der
heiligen wunderthätigen Dominicanernonne Suor Colomba
von Rieti, welche unter Androhung großen künftigen Un-
heils zum Frieden rieth, natürlich vergebens. Immerhin
macht der Chroniſt bei dieſem Anlaß aufmerkſam auf die
Andacht und Frömmigkeit der beſſern Peruginer in dieſen
Schreckensjahren. Während (1494) Carl VIII. heranzog,
führten die Baglionen und die in und um Aſſiſi gelagerten
Verbannten einen Krieg von ſolcher Art, daß im Thal alle
Gebäude dem Boden eben, die Felder unbebaut lagen, die
Bauern zu kühnen Räubern und Mördern verwilderten,
und Hirſche und Wölfe das emporwuchernde Geſtrüpp be-
völkerten, wo letztere ſich an den Leichen der Gefallenen,
an „Chriſtenfleiſch“, gütlich thaten. Als Alexander VI.Abſichten des
Papſtes.
vor dem von Neapel zurückkehrenden Carl VIII. (1495)
nach Umbrien entwich, fiel es ihm in Perugia ein, er könnte
ſich der Baglionen auf immer entledigen; er ſchlug dem
Guido irgend ein Feſt, ein Turnier oder etwas dergleichen
vor, um ſie irgendwo alle beiſammen zu haben, aber Guido
war der Meinung, „das allerſchönſte Schauſpiel wäre, alle
bewaffnete Mannſchaft von Perugia beiſammen zu ſehen“,
worauf der Papſt ſeinen Plan fallen ließ. Bald darauf
machten die Verbannten wieder einen Ueberfall, bei welchem
nur der perſönlichſte Heldenmuth der Baglionen den Sieg
gewann. Da wehrte ſich auf der Piazza der achtzehnjährige
Simonetto Baglione mit Wenigen gegen mehrere Hunderte,
und ſtürzte mit mehr als zwanzig Wunden, erhob ſich aber
wieder, als ihm Aſtorre Baglione zu Hülfe kam, hoch zu
Roß in vergoldeter Eiſenrüſtung mit einem Falken auf dem
Helm; „dem Mars vergleichbar an Anblick und an Thaten
ſprengte er in das Gewühl.“
[30]
1. Abſchnitt.Damals war Rafael als zwölfjähriger Knabe in der
Lehre bei Pietro Perugino. Vielleicht ſind Eindrücke dieſer
Tage verewigt in den frühen kleinen Bildchen des heil.
Georg und des heil. Michael; vielleicht lebt noch etwas
davon unvergänglich fort in dem großen St. Michaelsbilde,
und wenn irgendwo Aſtorre Baglione ſeine Verklärung ge-
funden hat, ſo iſt es geſchehen in der Geſtalt des himm-
liſchen Reiters im Heliodor.
Zwietracht im
Haus der
Baglionen.Die Gegner waren theils umgekommen theils in pani-
ſchem Schrecken gewichen, und fortan keines ſolchen Angriffes
mehr fähig. Nach einiger Zeit wurde ihnen eine partielle
Verſöhnung und Rückkehr gewährt. Aber Perugia wurde
nicht ſicherer noch ruhiger; die innere Zwietracht des herr-
ſchenden Hauſes brach jetzt in entſetzlichen Thaten aus.
Gegenüber Guido, Ridolfo und ihren Söhnen Gianpaolo,
Simonetto, Aſtorre, Gismondo, Gentile, Marcantonio u. A.
thaten ſich zwei Großneffen, Grifone und Carlo Barciglia
zuſammen; letzterer zugleich Neffe des Fürſten Varano von
Camerino und Schwager eines der früheren Verbannten,
Jeronimo dalla Penna. Vergebens bat Simonetto, der
ſchlimme Ahnungen hatte, ſeinen Oheim kniefällig, dieſen
Penna tödten zu dürfen, Guido verſagte es ihm. Das
Complott reifte plötzlich bei der Hochzeit des Aſtorre mit
Peruginer
Bluthochzeit.der Lavinia Colonna, Mitte Sommers 1500. Das Feſt
nahm ſeinen Anfang und dauerte einige Tage unter düſtern
Anzeichen, deren Zunahme bei Matarazzo vorzüglich ſchön
geſchildert iſt. Der anweſende Varano trieb ſie zuſammen;
in teufliſcher Weiſe wurde dem Grifone die Alleinherrſchaft
und ein erdichtetes Verhältniß ſeiner Gemahlin Zenobia
mit Gianpaolo vorgeſpiegelt und endlich jedem Verſchworenen
ſein beſtimmtes Opfer zugetheilt. (Die Baglionen hatten
lauter geſchiedene Wohnungen, meiſt an der Stelle des
jetzigen Caſtells.) Von den vorhandenen Bravi bekam Jeder
15 Mann mit; der Reſt wurde auf Wachen ausgeſtellt.
In der Nacht vom 15. Juli wurden die Thüren eingerannt
[31] und der Mord an Guido, Aſtorre, Simonetto und Gis-1. Abſchnitt.
mondo vollzogen; die Andern konnten entweichen.
Als Aſtorre's Leiche mit der des Simonetto auf der
Gaſſe lag, verglichen ihn die Zuſchauer „und beſonders die
fremden Studenten“ mit einem alten Römer; ſo würdig
und groß war der Anblick; in Simonetto fanden ſie noch
das Trotzigkühne, als hätte ihn ſelbſt der Tod nicht ge-
bändigt. Die Sieger gingen bei den Freunden der Familie
herum und wollten ſich empfehlen, fanden jedoch Alles in
Thränen und mit der Abreiſe auf die Landgüter beſchäftigt.
Aber die entronnenen Baglionen ſammelten draußen Mann-
ſchaft, und drangen, Gianpaolo an der Spitze, des folgen-
den Tages in die Stadt, wo andere Anhänger, ſo eben von
Bareiglia mit dem Tode bedroht, ſchleunig zu ihm ſtießen;
als bei S. Ercolano Grifone in ſeine Hände fiel, überließ
er es ſeinen Leuten, ihn niederzumachen; Barciglia und
Penna aber flüchteten ſich nach Camerino zum Hauptanſtifter
des Unheils, Varano; in einem Augenblick, faſt ohne Ver-
luſt, war Gianpaolo Herr der Stadt.
Atalanta, Grifone's noch ſchöne und junge Mutter,Atalanta Ba-
glione.
die ſich Tags zuvor ſammt ſeiner Gattin Zenobia und zwei
Kindern Gianpaolo's auf ein Landgut zurückgezogen und
den ihr nacheilenden Sohn mehrmals mit ihrem Mutter-
fluche von ſich gewieſen, kam jetzt mit der Schwiegertochter
herbei und ſuchte den ſterbenden Sohn. Alles wich vor
den beiden Frauen auf die Seite; Niemand wollte als der
erkannt ſein, der den Grifone erſtochen hätte, um nicht die
Verwünſchung der Mutter auf ſich zu ziehen. Aber man
irrte ſich; ſie ſelber beſchwor den Sohn, denjenigen zu ver-
zeihen, welche die tödtlichen Streiche geführt, und er ver-
ſchied unter ihren Segnungen. Ehrfurchtsvoll ſahen die
Leute den beiden Frauen nach, als ſie in ihren blutigen
Kleidern über den Platz ſchritten. Dieſe Atalanta iſt es,
für welche ſpäter Rafael die weltberühmte Grablegung ge-
[32]1. Abſchnitt.malt hat. Damit legte ſie ihr eigenes Leid dem höchſten
und heiligſten Mutterſchmerz zu Füßen.
Der Dom, welcher das meiſte von dieſer Tragödie in
ſeiner Nähe geſehen, wurde mit Wein abgewaſchen und neu
geweiht. Noch immer ſtand von der Hochzeit her der
Triumphbogen, bemalt mit den Thaten Aſtorre's und mit
den Lobverſen deſſen, der uns dieſes Alles erzählt, des
guten Matarazzo.
Es entſtand eine ganz ſagenhafte Vorgeſchichte der
Baglionen, welche nur ein Reflex dieſer Gräuel iſt. Alle
von dieſem Hauſe ſeien von jeher eines böſen Todes ge-
ſtorben, einſt 27 miteinander; ſchon einmal ſeien ihre Häuſer
geſchleift und mit den Ziegeln davon die Gaſſen gepflaſtert
worden u. dgl. Unter Paul III. trat dann die Schleifung
ihrer Paläſte wirklich ein.
Fortwirken des
Fluches.Einſtweilen aber ſcheinen ſie gute Vorſätze gefaßt, in
ihrer eignen Partei Ordnung geſchafft und die Beamten
gegen die adlichen Böſewichter geſchützt zu haben. Allein
der Fluch brach ſpäter doch wieder wie ein nur ſcheinbar
gedämpfter Brand hervor; Gianpaolo wurde unter Leo X.
1520 nach Rom gelockt und enthauptet; der eine ſeiner
Söhne, Orazio, der Perugia nur zeitweiſe und unter den
gewaltſamſten Umſtänden beſaß, nämlich als Parteigänger
des ebenfalls von den Päpſten bedrohten Herzogs von Ur-
bino, wüthete noch einmal im eigenen Hauſe auf das
Gräßlichſte. Ein Oheim und drei Vettern wurden ermordet,
worauf ihm der Herzog ſagen ließ, es ſei jetzt genug. 1)
Sein Bruder Malateſta Baglione iſt der florentiniſche Feld-
herr, welcher durch den Verrath von 1530 unſterblich ge-
worden, und deſſen Sohn Ridolfo iſt jener letzte des Hauſes
welcher in Perugia durch Ermordung des Legaten und der
[33] Beamten im Jahr 1534 eine nur kurze aber ſchreckliche1. Abſchnitt.
Herrſchaft übte.
Den Gewaltherrſchern von Rimini werden wir nochDie Malateſten
von Rimini.
hie und da begegnen. Frevelmuth, Gottloſigkeit, kriegeriſches
Talent und höhere Bildung ſind ſelten ſo in einem Menſchen
vereinigt geweſen wie in Sigismondo Malateſta (ſt. 1467).
Aber wo die Miſſethaten ſich häufen wie in dieſem Hauſe
geſchah, da gewinnen ſie das Schwergewicht auch über alles
Talent und ziehen die Tyrannen in den Abgrund. Der
ſchon erwähnte Pandolfo, Sigismondo's Enkel, hielt ſich
nur noch weil Venedig ſeinen Condottiere trotz aller Ver-
brechen nicht wollte fallen laſſen; als ihn ſeine Unterthanen
(1497) aus hinreichenden Gründen 1) in ſeiner Burg zu
Rimini bombardirten und dann entwiſchen ließen, führte
ein venezianiſcher Commiſſär den mit Brudermord und allen
Gräueln befleckten wieder zurück. Nach drei Jahrzehnden
waren die Malateſten arme Verbannte. Die Zeit um 1527Untergang der
Kleinen.
war wie die des Ceſare Borgia eine Epidemie für dieſe
kleinen Dynaſtien, nur ſehr wenige überlebten ſie und nicht
einmal zu ihrem Glück. In Mirandola, wo kleine Fürſten
aus dem Hauſe Pico herrſchten, ſaß im Jahr 1533 ein
armer Gelehrter, Lilio Gregorio Giraldi, der aus der Ver-
wüſtung von Rom ſich an den gaſtlichen Heerd des hoch-
bejahrten Giovan Francesco Pico (Neffen des berühmten
Giovanni) geflüchtet hatte; bei Anlaß ihrer Beſprechungen
über das Grabmal, welches der Fürſt für ſich bereiten
wollte, entſtand eine Abhandlung, 2) deren Dedication vom
April jenes Jahres datirt iſt. Aber wie wehmüthig lautet
die Nachſchrift: „im October deſſelben Jahres iſt der un-
Cultur der Renaiſſance. 3
[34]1. Abſchnitt.glückliche Fürſt durch nächtlichen Mord von ſeinem Bruder-
ſohn des Lebens und der Herrſchaft beraubt worden, und
ich ſelber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon-
gekommen“.
Eine characterloſe Halbtyrannie, wie ſie Pandolfo Pe-
trucci ſeit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer-
riſſenen Siena ausübte, iſt kaum der nähern Betrachtung
werth. Unbedeutend und böſe, regierte er mit Hülfe eines
Profeſſors der Rechte und eines Aſtrologen und verbreitete
hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein
Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata
herunter zu rollen, ohne Rückſicht darauf, was und wen
ſie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlauſten
mißlang — er entzog ſich den Tücken des Ceſare Borgia —
ſtarb er doch ſpäter verlaſſen und verachtet. Seine Söhne
aber hielten ſich noch lange mit einer Art von Halbherrſchaft.
Die Aragoneſen
von Neapel.
Alfons der
Große.Von den wichtigern Dynaſtien ſind die Aragoneſen
geſondert zu betrachten. Das Lehnsweſen, welches hier ſeit
der Normannenzeit als Grundherrſchaft der Barone fort-
dauert, färbt ſchon den Staat eigenthümlich, während im
übrigen Italien, den ſüdlichen Kirchenſtaat und wenige
andere Gegenden ausgenommen, faſt nur noch einfacher
Grundbeſitz gilt und der Staat keine Befugniſſe mehr erb-
lich werden läßt. Sodann iſt der große Alfons, welcher
ſeit 1435 Neapel in Beſitz genommen (ſt. 1458), von einer
andern Art als ſeine wirklichen oder vorgeblichen Nach-
kommen. Glänzend in ſeinem ganzen Daſein, furchtlos
unter ſeinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit
im Umgang, und ſelbſt wegen ſeiner ſpäten Leidenſchaft
für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, ſondern bewundert,
hatte er die eine üble Eigenſchaft der Verſchwendung, 1)
[35] an welche ſich dann die unvermeidlichen Folgen hingen.1. Abſchnitt.
Frevelhafte Finanzbeamte wurden zuerſt allmächtig, bis ſie
der bankerott gewordene König ihres Vermögens beraubte;
ein Kreuzzug wurde gepredigt, um unter dieſem Vorwand
den Clerus zu beſteuern; bei einem großen Erdbeben in
den Abruzzen mußten die Ueberlebenden die Steuer für die
Umgekommenen weiter bezahlen. Unter ſolchen Umſtänden
war Alfons für hohe Gäſte der prunkhafteſte Wirth ſeiner
Zeit (S. 17) und froh des unaufhörlichen Spendens an
Jedermann, auch an Feinde; für literariſche Bemühungen
hatte er vollends keinen Maßſtab mehr, ſo daß Poggio für
die lateiniſche Ueberſetzung von Xenophon's Cyropädie
500 Goldſtücke erhielt.
Ferrante, 1) der auf ihn kam, galt als ſein BaſtardFerrante.
von einer ſpaniſchen Dame, war aber vielleicht von einem
valencianiſchen Marranen erzeugt. War es nun mehr das
Geblüt oder die ſeine Exiſtenz bedrohenden Complotte der
Barone, was ihn düſter und grauſam machte, jedenfalls iſt
er unter den damaligen Fürſten der ſchrecklichſte. Raſtlos
thätig, als einer der ſtärkſten politiſchen Köpfe anerkannt,
dabei kein Wüſtling, richtet er alle ſeine Kräfte, auch die
eines unverſöhnlichen Gedächtniſſes und einer tiefen Ver-
ſtellung, auf die Zernichtung ſeiner Gegner. Beleidigt in
allen Dingen, worin man einen Fürſten beleidigen kann,
indem die Anführer der Barone mit ihm verſchwägert und
mit allen auswärtigen Feinden verbündet waren, gewöhnte
er ſich an das Aeußerſte als an ein Alltägliches. Für dieSein Zwang-
ſtaat.
Beſchaffung der Mittel in dieſem Kampfe und in ſeinen
auswärtigen Kriegen wurde wieder etwa in jener moham-
3*
[36]1. Abſchnitt.medaniſchen Weiſe geſorgt, die Friedrich II. angewandt
hatte: mit Korn und Oel handelte nur die Regierung; den
Handel überhaupt hatte Ferrante in den Händen eines
Ober- und Großkaufmanns, Francesco Coppola, centraliſirt,
welcher mit ihm den Nutzen theilte und alle Rheder in
ſeinen Dienſt nahm; Zwangsanleihen, Hinrichtungen und
Confiscationen, grelle Simonie und Brandſchatzung der
geiſtlichen Corporationen beſchufen das Uebrige. Nun über-
ließ ſich Ferrante außer der Jagd, die er rückſichtslos übte,
zweierlei Vergnügungen: ſeine Gegner entweder lebend in
wohlverwahrten Kerkern oder todt und einbalſamirt, in der
Tracht die ſie bei Lebzeiten trugen, 1) in ſeiner Nähe zu
haben. Er kicherte, wenn er mit ſeinen Vertrauten von
den Gefangenen ſprach; aus der Mumiencollection wurde
nicht einmal ein Geheimniß gemacht. Seine Opfer waren
faſt lauter Männer, deren er ſich durch Verrath, ja an
ſeiner königlichen Tafel bemächtigt. Völlig infernal war
das Verfahren gegen den in Dienſt grau und krank gewor-
denen Premierminiſter Antonello Petrucci, von deſſen wach-
ſender Todesangſt Ferrante immerfort Geſchenke annahm,
bis endlich ein Anſchein von Theilnahme an der letzten
Baronenverſchwörung den Vorwand gab zu ſeiner Verhaf-
tung und Hinrichtung, zugleich mit Coppola. Die Art
wie dieß Alles bei Caracciolo und Porzio dargeſtellt iſt,
Alfonſo von
Calabrien.macht die Haare ſträuben. — Von den Söhnen des Königs
genoß der ältere, Alfonſo Herzog von Calabrien, in den
ſpätern Zeiten eine Art Mitregierung; ein wilder, grau-
ſamer Wüſtling, der vor dem Vater die größere Offenheit
voraus hatte, und ſich auch nicht ſcheute, ſeine Verachtung
gegen die Religion und ihre Bräuche an den Tag zu legen.
Die beſſern, lebendigen Züge des damaligen Tyrannenthums
muß man bei dieſen Fürſten nicht ſuchen; was ſie von der
[37] damaligen Kunſt und Bildung an ſich nehmen, iſt Luxus1. Abſchnitt.
oder Schein. Schon die echten Spanier treten in Italien
faſt immer nur entartet auf, vollends aber zeigt der Aus-
gang dieſes Marranenhauſes (1494 und 1503) einen augen-
ſcheinlichen Mangel an Race. Ferrante ſtirbt vor innerer
Sorge und Qual; Alfonſo traut ſeinem eigenen Bruder
Federigo, dem einzigen Guten der Familie, Verrath zu, und
beleidigt ihn auf die unwürdigſte Weiſe; endlich flieht Er,
der bisher als einer der tüchtigſten Heerführer Italiens ge-
golten, beſinnungslos nach Sicilien und läßt ſeinen Sohn,
den jüngern Ferrante, den Franzoſen und dem allgemeinen
Verrath zur Beute. Eine Dynaſtie, welche ſo regiert hatte
wie dieſe, hätte allermindeſtens ihr Leben theuer verkaufen
müſſen, wenn ihre Kinder und Nachkommen eine Reſtau-
ration hoffen ſollten. Aber: jamais homme cruel ne
fut hardi, wie Comines bei dieſem Anlaß etwas einſeitig
und im Ganzen doch richtig ſagt.
Echt italieniſch im Sinne des XV. Jahrhunderts er-Der letzte Bis-
conti.
ſcheint das Fürſtenthum in den Herzogen von Mailand
ausgebildet, deren Herrſchaft ſeit Giangaleazzo ſchon eine
völlig ausgebildete abſolute Monarchie darſtellt. Vor Allem
iſt der letzte Visconti, Filippo Maria (1412—1447) eine
höchſt merkwürdige, glücklicher Weiſe vortrefflich geſchilderte 1)
Perſönlichkeit. Was die Furcht aus einem Menſchen von
bedeutenden Anlagen in hoher Stellung machen kann, zeigt
ſich hier, man könnte ſagen mathematiſch vollſtändig; alle
Mittel und Zwecke des Staates concentriren ſich in dem
einen der Sicherung ſeiner Perſon, nur daß ſein grauſamer
Egoismus doch nicht in Blutdurſt überging. Im Caſtell
von Mailand, das die herrlichſten Gärten, Laubgänge und
Tummelplätze mit umfaßte, ſitzt er ohne die Stadt in vielen
[38]1. Abſchnitt.Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach
den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die
Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf
eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand-
habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell
betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch
nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt
würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über
die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen
werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo-
matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja
hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange,
ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge
unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit
umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag
nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die
Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern
Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch
Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre
gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem
Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen
der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und
an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth-
helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane.
Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte
erwähnen hören 1) und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge
aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg
des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und
Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt
und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.
Franceseo
Sforza.Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche
Condottiere Francesco Sforza (1450—1466, S. 24) war
[39] vielleicht von allen Italienern am Meiſten der Mann nach1. Abſchnitt.
dem Herzen des XV. Jahrhunderts. Glänzender als in
ihm war der Sieg des Genies und der individuellen Kraft
nirgends ausgeſprochen, und wer das nicht anzuerkennen
geneigt war, durfte doch immerhin den Liebling der Fortuna
in ihm verehren. Mailand empfand es offenbar als Ehre,
wenigſtens einen ſo berühmten Herrſcher zu erhalten; hatte
ihn doch bei ſeinem Einritt das dichte Volksgedränge zu
Pferde in den Dom hineingetragen, ohne daß er abſteigen
konnte. 1) Hören wir die Bilanz ſeines Lebens, wie ſie
Papſt Pius II, ein Kenner in ſolchen Dingen, uns vor-Sein Glück.
rechnet. 2) „Im Jahr 1459, als der Herzog zum Fürſten-
congreß nach Mantua kam, war er 60 (eher 58) Jahre
alt; als Reiter einem Jüngling gleich, hoch und äußerſt
impoſant an Geſtalt, von ernſten Zügen, ruhig und leut-
ſelig im Reden, fürſtlich im ganzen Benehmen, ein Ganzes
von leiblicher und geiſtiger Begabung ohne Gleichen in
unſerer Zeit, im Felde unbeſiegt — das war der Mann
der von niedrigem Stande zur Herrſchaft über ein Reich
emporſtieg. Seine Gemahlin war ſchön und tugendhaft,
ſeine Kinder anmuthig wie Engel vom Himmel; er war
ſelten krank; alle ſeine weſentlichen Wünſche erfüllten ſich.
Doch hatte auch er einiges Mißgeſchick; ſeine Gemahlin
tödtete ihm aus Eiferſucht die Geliebte; ſeine alten Waffen-
genoſſen und Freunde Troilo und Brunoro verließen ihn
und gingen zu König Alfons über; einen andern, Ciar-
pollone mußte er wegen Verrathes henken laſſen; von ſeinem
Bruder Aleſſandro mußte er erleben, daß derſelbe einmal
die Franzoſen gegen ihn aufſtiftete; einer ſeiner Söhne
[40]1. Abſchnitt.zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An-
cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im
Krieg. Niemand genießt ein ſo ungetrübtes Glück, daß er
nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der
iſt glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat.“ Mit dieſer
negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papſt
ſeinen Leſer. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können
oder auch nur die Conſequenzen der völlig unbeſchränkten
Fürſtenmacht überhaupt erörtern wollen, ſo wäre ihm eine
durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie-
loſigkeit der Familie. Jene engelſchönen, überdieß ſorgfältig und
vielſeitig gebildeten Kinder unterlagen, als ſie Männer wurden,
Galeazzo
Maria.der ganzen Ausartung des ſchrankenloſen Egoismus. Galeazzo
Maria (1466—1476), ein Virtuoſe der äußern Erſcheinung,
war ſtolz auf ſeine ſchöne Hand, auf die hohen Beſoldun-
gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf
ſeinen Schatz von zwei Millionen Goldſtücken, auf die
namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und
die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er ſich gerne
reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendſten
wenn er etwa einen venezianiſchen Geſandten kränken konnte. 1)
Dazwiſchen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer
in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu laſſen; es gab
entſetzliche Grauſamkeiten gegen Naheſtehende, und beſin-
nungsloſe Ausſchweifung. Einigen Phantaſten ſchien er
alle Eigenſchaften eines Tyrannen zu beſitzen; ſie brachten
ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände ſeiner
Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber-
gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrſchaft an
ſich riß. An dieſe Uſurpation hängt ſich dann die Inter-
vention der Franzoſen und das böſe Schickſal von ganz
Lodovico
Moro.Italien. Der Moro iſt aber die vollendetſte fürſtliche Cha-
racterfigur dieſer Zeit, und erſcheint damit wieder wie ein
[41] Naturproduct, dem man nicht ganz böſe ſein kann. Bei1. Abſchnitt.
der tiefſten Immoralität ſeiner Mittel erſcheint er in deren
Anwendung völlig naiv; er würde wahrſcheinlich ſich ſehr
verwundert haben, wenn ihm Jemand hätte begreiflich machen
wollen, daß nicht nur für die Zwecke ſondern auch für die
Mittel eine ſittliche Verantwortung exiſtirt; ja er würde
vielleicht ſeine möglichſte Vermeidung aller Bluturtheile als
eine ganz beſondere Tugend geltend gemacht haben. Den
halbmythiſchen Reſpect der Italiener vor ſeiner politiſchen
Force nahm er wie einen ſchuldigen Tribut 1) an; noch
1496 rühmte er ſich: Papſt Alexander ſei ſein Caplan,
Kaiſer Max ſein Condottiere, Venedig ſein Kämmerer, der
König von Frankreich ſein Courier, der da kommen und
gehen müſſe wie ihm beliebe. 2) Mit einer erſtaunlichen
Beſonnenheit wägt er noch in der letzten Noth (1499) die
möglichen Ausgänge ab, und verläßt ſich dabei, was ihm
Ehre macht, auf die Güte der menſchlichen Natur; ſeinen
Bruder Cardinal Ascanio, der ſich erbietet, im Caſtell von
Mailand auszuharren, weiſt er ab, da ſie früher bittern
Streit gehabt hatten: „Monſignore, nichts für ungut, Euch
traue ich nicht, wenn Ihr ſchon mein Bruder ſeid“ — be-
reits hatte er ſich einen Commandanten für das Caſtell,
dieſe „Bürgſchaft ſeiner Rückkehr“ ausgeſucht, einen Mann,
dem er nie Uebles, ſtets nur Gutes erwieſen. 3) Derſelbe
verrieth dann gleichwohl die Burg. — Im Innern warInnere Regie-
rung.
der Moro bemüht, gut und nützlich zu walten, wie er denn
in Mailand und auch in Como noch zuletzt auf ſeine Be-
liebtheit rechnete; doch hatte er in den ſpätern Jahren
(ſeit 1496) die Steuerkraft ſeines Staates übermäßig an-
[42]1. Abſchnitt.geſtrengt und z. B. in Cremona einen angeſehenen Bürger,
der gegen die neuen Auflagen redete, aus lauter Zweck-
mäßigkeit insgeheim erdroſſeln laſſen; auch hielt er ſich
ſeitdem bei Audienzen die Leute durch eine Barre weit vom
Leibe, 1) ſodaß man ſehr laut reden mußte, um mit ihm zu
verhandeln. — An ſeinem Hofe, dem glanzvollſten von
Europa da kein burgundiſcher mehr vorhanden war, ging
es äußerſt unſittlich her; der Vater gab die Tochter, der
Gatte die Gattin, der Bruder die Schweſter Preis. 2) Allein
der Fürſt wenigſtens blieb immer thätig und fand ſich als
Sohn ſeiner Thaten Denjenigen verwandt, welche ebenfalls
aus eigenen geiſtigen Mitteln exiſtirten: den Gelehrten,
Dichtern, Muſikern und Künſtlern. Die von ihm geſtiftete
Academie 3) iſt in erſter Linie in Bezug auf ihn, nicht auf
eine zu unterrichtende Schülerſchaft vorhanden; auch bedarf
er nicht des Ruhmes der betreffenden Männer, ſondern
ihres Umganges und ihrer Leiſtungen. Es iſt gewiß, daß
Bramante am Anfang ſchmal gehalten wurde; 4) aber Lio-
nardo iſt doch bis 1496 richtig beſoldet worden — und
was hielt ihn überhaupt an dieſem Hofe wenn er nicht
freiwillig blieb? Die Welt ſtand ihm offen wie vielleicht
überhaupt Keinem von allen damaligen Sterblichen, und
wenn irgend Etwas dafür ſpricht, daß in Lodovico Moro
ein höheres Element lebendig geweſen, ſo iſt es dieſer lange
Aufenthalt des räthſelhaften Meiſters in ſeiner Umgebung.
Wenn Lionardo ſpäter dem Ceſare Borgia und Franz I.
[43] gedient hat, ſo mag er auch an dieſen das außergewöhnliche1. Abſchnitt.
Naturell geſchätzt haben.
Von den Söhnen des Moro, die nach ſeinem SturzDie letzten
Sforza.
von fremden Leuten ſchlecht erzogen waren, ſieht ihm der
ältere, Maſſimiliano, gar nicht mehr ähnlich; der jüngere,
Francesco, war wenigſtens des Aufſchwunges nicht unfähig.
Mailand, das in dieſen Zeiten ſo viele Male die Gebieter
wechſelte und dabei unendlich litt, ſucht ſich wenigſtens gegen
die Reactionen zu ſichern; die im Jahre 1512 vor der
ſpaniſchen Armee und Maſſimiliano abziehenden Franzoſen
werden bewogen, der Stadt einen Revers darüber auszu-
ſtellen, daß die Mailänder keinen Theil an ihrer Vertreibung
hätten und ohne Rebellion zu begehen ſich einem neuen
Eroberer übergeben dürften. 1) Es iſt auch in politiſcher
Beziehung zu beachten, daß die unglückliche Stadt in ſolchen
Augenblicken des Ueberganges, gerade wie z. B. Neapel bei
der Flucht der Aragoneſen, der Plünderung durch Rotten
von Böſewichtern (auch ſehr vornehmen) anheimzufallen
pflegte.
Zwei beſonders wohl geordnete und durch tüchtigeDie Gonzagen
von Mantua.
Fürſten vertretene Herrſchaften ſind in der zweiten Hälfte
des XV. Jahrhunderts die der Gonzagen von Mantua
und der Montefeltro von Urbino. Die Gonzagen waren
ſchon als Familie ziemlich einträchtig; es gab bei ihnen ſeit
langer Zeit keine geheimen Mordthaten und ſie durften ihre
Todten zeigen. Marcheſe Francesco Gonzaga 2) und ſeine
[44]1. Abſchnitt.Gemahlin Iſabella von Eſte ſind, ſo locker es bisweilen
hergehen mochte, ein würdevolles und einiges Ehepaar ge-
blieben und haben bedeutende und glückliche Söhne erzogen
in einer Zeit, da ihr kleiner, aber hochwichtiger Staat oft
in der größten Gefahr ſchwebte. Daß Francesco als Fürſt
und als Condottiere eine beſonders gerade und redliche
Politik hätte befolgen ſollen, das würde damals weder der
Kaiſer, noch die Könige von Frankreich, noch Venedig ver-
langt oder gar erwartet haben, allein er fühlte ſich wenig-
ſtens ſeit der Schlacht am Taro (1495), ſoweit es die
Waffenehre betraf, als italieniſchen Patrioten und theilte
dieſe Geſinnung auch ſeiner Gemahlin mit. Sie empfindet
fortan jede Aeußerung heldenmüthiger Treue, wie z. B. die
Vertheidigung von Faenza gegen Ceſare Borgia als eine
Ehrenrettung Italiens. Unſer Urtheil über ſie braucht ſich
nicht auf die Künſtler und Schriftſteller zu ſtützen, welche
der ſchönen Fürſtin ihr Mäcenat reichlich vergalten; ihre
eigenen Briefe ſchildern uns die unerſchütterlich ruhige, im
Beobachten ſchalkhafte und liebenswürdige Frau hinlänglich.
Bembo, Bandello, Arioſto und Bernardo Taſſo ſandten ihre
Arbeiten an dieſen Hof, obſchon derſelbe klein und macht-
los und die Kaſſe oft ſehr leer war; einen feinern ge-
ſelligen Kreis als dieſen gab es eben ſeit der Auflöſung
des alten urbinatiſchen Hofes (1508) doch nirgends mehr,
und auch der ferrareſiſche war wohl hier im Weſentlichen
übertroffen, nämlich in der Freiheit der Bewegung. Specielle
Kennerin war Iſabella in der Kunſt, und das Verzeichniß
ihrer kleinen, höchſt ausgeſuchten Sammlung wird kein
Kunſtfreund ohne Bewegung leſen.
Federigo von
Urbino.Urbino beſaß in dem großen Federigo (1444—1482),
mochte er nun ein echter Montefeltro ſein oder nicht, einen
der vortrefflichſten Repräſentanten des Fürſtenthums. Als
Condottiere hatte er die politiſche Moralität der Condottieren,
woran ſie nur zur Hälfte Schuld ſind; als Fürſt ſeines
[45] kleinen Landes befolgte er die Politik, ſeinen auswärts ge-1. Abſchnitt.
wonnenen Sold im Lande zu verzehren und daſſelbe mög-
lichſt wenig zu beſteuern. Von ihm und ſeinen beiden
Nachfolgern Guidobaldo und Francesco Maria heißt es:
„ſie errichteten Gebäude, beförderten den Anbau des Landes,
lebten an Ort und Stelle und beſoldeten eine Menge Leute;
das Volk liebte ſie“. 1) Aber nicht nur der Staat war ein
wohl berechnetes und organiſirtes Kunſtwerk, ſondern auch
der Hof, und zwar in jedem Sinne. Federigo unterhieltDer vollkom-
mene Hof.
500 Köpfe; die Hofchargen waren ſo vollſtändig wie kaum
an den Höfen der größten Monarchen, aber es wurde nichts
vergeudet, Alles hatte ſeinen Zweck und ſeine genaue Con-
trole. Hier wurde nicht geſpielt, geläſtert und geprahlt,
denn der Hof mußte zugleich eine militäriſche Erziehungs-
anſtalt für die Söhne anderer großer Herrn darſtellen,
deren Bildung eine Ehrenſache für den Herzog war. Der
Palaſt, den er ſich baute, war nicht der prächtigſte, aber
claſſiſch durch die Vollkommenheit ſeiner Anlage; dort ſam-
melte er ſeinen größten Schatz, die berühmte Bibliothek.
Da er ſich in einem Lande wo Jeder von ihm Vortheil
oder Verdienſt zog und Niemand bettelte, vollkommen ſicher
fühlte, ſo ging er beſtändig unbewaffnet und faſt unbegleitet;
keiner konnte ihm das nachmachen, daß er in offenen Gär-
ten wandelte, in offenem Sale ſein frugales Mahl hielt,
während aus Livius (zur Faſtenzeit aus Andachtsſchriften)
vorgeleſen wurde. An demſelben Nachmittag hörte er eine
Vorleſung aus dem Gebiet des Alterthums und ging dann
in das Kloſter der Clariſſen um mit der Oberin am Sprach-
gitter von heiligen Dingen zu reden. Abends leitete er
gerne die Leibesübungen der jungen Leute ſeines Hofes auf
der Wieſe bei S. Francesco mit der herrlichen Ausſicht,
und ſah genau zu, daß ſie ſich bei den Fang- und Lauf-
[46]1. Abſchnitt.ſpielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging
beſtändig auf die höchſte Leutſeligkeit und Zugänglichkeit;
er beſuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkſtatt,
gab beſtändig Audienzen, und erledigte die Anliegen der
Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder,
daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder-
knieten und ſagten: Dio ti mantenga, Signore! Die
Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. 1) —
Guidobaldo.Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenſchaften von Krank-
heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508)
ſeinen Staat in ſichere Hände, an ſeinen Neffen Francesco
Maria, zugleich Nepoten des Papſtes Julius II. übergeben
können, und dieſer wiederum das Land wenigſtens vor
dauernder Fremdherrſchaft geborgen. Merkwürdig iſt die
Sicherheit, mit welcher dieſe Fürſten, Guidobaldo vor Ce-
ſare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X.
unterducken und fliehen; ſie haben das Bewußtſein, daß
ihre Rückkehr um ſo leichter und erwünſchter ſein werde,
je weniger das Land durch fruchtloſe Vertheidigung gelitten
hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls ſo rechnete, ſo vergaß
er die vielen andern Gründe des Haſſes die ihm entgegen-
wirkten. — Guidobaldo's Hof iſt als hohe Schule der
feinſten Geſelligkeit durch Baldaſſar Caſtiglione unſterblich
gemacht worden, der ſeine Ecloge Tirſi (1506) vor jenen
Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und ſpäter (1518) die
Geſpräche ſeines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten
Herzogin (Gliſabetta Gonzaga) verlegte.
Die Eſte in
Ferrara.
Hausgräuel.Die Regierung der Eſte in Ferrara, Modena und
Reggio hält zwiſchen Gewaltſamkeit und Popularität eine
merkwürdige Mitte. 2) Im Innern des Palaſtes gehen ent-
[47] ſetzliche Dinge vor; eine Fürſtin wird wegen vorgeblichen1. Abſchnitt.
Ehebruches mit einem Stiefſohn enthauptet (1425); eheliche
und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in
der Fremde durch nachgeſandte Mörder bedroht (letzteres
1471); dazu beſtändige Complotte von außen; der Baſtard
eines Baſtardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I.)
die Herrſchaft entreißen; ſpäter (1493) ſoll der letztere ſeine
Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß ſie ihn
vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders
Ferrante von Neapel. Den Schluß dieſer Tragödien macht
das Complott zweier Baſtarde gegen ihre Brüder, den re-
gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506)
welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker
gebüßt wurde. — Ferner iſt die Fiscalität in dieſem StaateFiscalität.
höchſt ausgebildet und muß es ſein ſchon weil er der be-
drohteſte unter allen großen und mittlern Staaten von
Italien iſt und der Rüſtungen und Befeſtigungen in hohem
Grade bedarf. Allerdings ſollte in gleichem Maße mit der
Steuerkraft auch der natürliche Wohlſtand des Landes ge-
ſteigert werden, und Marcheſe Nicolò (ſt. 1441) wünſchte
ausdrücklich, daß ſeine Unterthanen reicher würden als an-
dere Völker. Wenn die raſch wachſende Bevölkerung einen
Beleg für den wirklich erreichten Wohlſtand abgiebt, ſo iſt
es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der
außerordentlich erweiterten Hauptſtadt keine Häuſer mehr
zu vermiethen waren. 1) Ferrara iſt die erſte moderne Stadt
Europa's; hier zuerſt entſtanden auf den Wink der Fürſten
ſo große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier ſammelte
ſich durch Concentration der Beamtenſchaft und künſtlich
herbeigezogene Induſtrie ein Reſidenzvolk; reiche Flüchtlinge
aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt,
ſich hier anzuſiedeln und Paläſte zu bauen. Allein die in-
directe Beſteuerung wenigſtens muß einen eben nur noch
[48]1. Abſchnitt.erträglichen Grad von Ausbildung erreicht haben. Der
Fürſt übte wohl eine Fürſorge, wie ſie damals auch bei
andern italieniſchen Gewaltherrſchern, z. B. bei Galeazzo
Maria Sforza vorkam: bei Hungersnöthen ließ er Getreide
aus der Ferne kommen 1) und theilte es, wie es ſcheint,
umſonſt aus; allein in gewöhnlichen Zeiten hielt er ſich ſchad-
los durch das Monopol wenn nicht des Getreides doch
vieler andern Lebensmittel: Salzfleiſch, Fiſche, Früchte, Ge-
müſe, welche letztere auf und an den Wällen von Ferrara
Aemterverkauf.ſorgfältig gepflanzt wurden. Die bedenklichſte Einnahme
aber war die von dem Verkauf der jährlich neu beſetzten
Aemter, ein Gebrauch der durch ganz Italien verbreitet
war, nur daß wir über Ferrara am beſten unterrichtet ſind.
Zum Neujahr 1502 heißt es z. B.: Die Meiſten kauften
ihre Aemter um geſalzene Preiſe (salati); es werden Factoren
verſchiedener Art, Zolleinnehmer, Domänenverwalter (mas-
sarî), Notare, Podeſtàs, Richter und ſelbſt Capitani, d. h.
herzogliche Oberbeamte von Landſtädten einzeln angeführt.
Als einer von den „Leutefreſſern“, welche ihr Amt theuer
bezahlt haben und welche das Volk haßt „mehr als den
Teufel“, iſt Tito Strozza genannt, hoffentlich nicht der be-
rühmte lateiniſche Dichter. Um dieſelbe Jahreszeit pflegte
der jeweilige Herzog in Perſon eine Runde durch Ferrara
zu machen, das ſog. Andar per ventura, wobei er ſich
wenigſtens von den Wohlhabendern beſchenken ließ. Doch
wurde dabei kein Geld, ſondern nur Naturalien geſpendet.
Ordnung und
Berechnung.Der Stolz des Herzogs 2) war es nun, wenn man in
ganz Italien wußte, daß in Ferrara den Soldaten ihr
Sold, den Profeſſoren der Univerſität ihr Gehalt immer
auf den Tag ausbezahlt wurde, daß die Soldaten ſich nie-
mals eigenmächtig am Bürger und Landmann erholen
durften, daß Ferrara uneinnehmbar ſei und daß im Caſtell
[49] eine gewaltige Summe gemünzten Geldes liege. Von einer1. Abſchnitt.
Scheidung der Kaſſen war keine Rede; der Finanzminiſter war
zugleich Hausminiſter. Die Bauten des Borſo (1450—1471)
Ercole I. (bis 1505) und Alfons I. (bis 1534) waren
ſehr zahlreich, aber meiſt von geringem Umfang; man er-
kennt darin ein Fürſtenhaus, das bei aller Prachtliebe —
Borſo erſchien nie anders als in Goldſtoff und Juwelen —
ſich auf keine unberechenbare Ausgabe einlaſſen will. Alfonſo
mag von ſeinen zierlichen kleinen Villen ohnehin gewußt haben,
daß ſie den Ereigniſſen unterliegen würden, Belvedere mit
ſeinen ſchattigen Gärten, wie Montana mit den ſchönen
Fresken und Springbrunnen.
Die dauernd bedrohte Lage entwickelte in dieſen FürſtenAusbildung der
Perſönlichkeit.
unläugbar eine große perſönliche Tüchtigkeit; in einer ſo
künſtlichen Exiſtenz konnte ſich nur ein Virtuoſe mit Erfolg
bewegen, und Jeder mußte ſich rechtfertigen und erweiſen
als den der die Herrſchaft verdiene. Ihre Charactere haben
ſämmtlich große Schattenſeiten, aber in Jedem war etwas
von dem was das Ideal der Italiener ausmachte. Welcher
Fürſt des damaligen Europa's hat ſich ſo ſehr um die
eigene Ausbildung bemüht wie z. B. Alfonſo I.? Seine
Reiſe nach Frankreich, England und den Niederlanden war
eine eigentliche Studienreiſe, die ihm eine genauere Kennt-
niß von Handel und Gewerben jener Länder eintrug. 1)
Es iſt thöricht, ihm die Drechslerarbeit ſeiner Erholungs-
ſtunden vorzuwerfen, da ſie mit ſeiner Meiſterſchaft im
Kanonengießen und mit ſeiner vorurtheilsloſen Art, die
Meiſter jedes Faches um ſich zu haben, zuſammenhing. Die
italieniſchen Fürſten ſind nicht wie die gleichzeitigen nordiſchen
Cultur der Renaiſſance. 4
[50]1. Abſchnitt.auf den Umgang mit einem Adel angewieſen, der ſich für
die einzige beachtenswerthe Claſſe der Welt hält und auch
den Fürſten in dieſen Dünkel hineinzieht; hier darf und
muß der Fürſt Jeden kennen und brauchen, und ebenſo iſt
auch der Adel zwar der Geburt nach abgeſchloſſen, aber in
geſelliger Beziehung durchaus auf perſönliche, nicht auf
Kaſten-Geltung gerichtet, wovon unten weiter zu handeln
ſein wird.
Loyalität.Die Stimmung der Ferrareſen gegen dieſes Herrſcher-
haus iſt die merkwürdigſte Miſchung aus einem ſtillen
Grauen, aus jenem echtitalieniſchen Geiſt der wohlausge-
ſonnenen Demonſtration, und aus völlig moderner Unter-
thanenloyalität; die perſönliche Bewunderung ſchlägt in ein
neues Pflichtgefühl um. Die Stadt Ferrara ſetzte 1451
dem (1441) verſtorbenen Fürſten Nicolò eine eherne Reiter-
ſtatue auf der Piazza; Borſo genirte ſich (1454) nicht, ſeine
eigene ſitzende Bronzeſtatue in die Nähe zu ſetzen, und über-
dieß decretirte ihm die Stadt gleich am Anfang ſeiner Re-
gierung eine „marmorne Triumphſäule“. Ein Ferrareſe,
der im Auslande, in Venedig, über Borſo öffentlich ſchlecht
geredet, wird bei der Heimkehr denuncirt und vom Gericht
zu Verbannung und Gütereinziehung verurtheilt, ja beinahe
hätte ihn ein loyaler Bürger vor dem Tribunal niederge-
ſtoßen; mit dem Strick um den Hals geht er zum Herzog,
Polizei und Be-
amtencontrole.und erfleht völlige Verzeihung. Ueberhaupt iſt dieß Fürſten-
thum mit Spähern gut verſehen, und der Herzog in Perſon
prüft täglich den Fremdenrapport, auf welchen die Wirthe
ſtreng verpflichtet ſind. Bei Borſo 1) wird dieß noch in
Verbindung gebracht mit ſeiner Gaſtfreundſchaft, die keinen
bedeutenden Reiſenden ungeehrt wollte ziehen laſſen; für
Ercole I.2) dagegen war es reine Sicherheitsmaßregel. Auch
in Bologna mußte damals, unter Giovanni II. Bentivoglio,
[51] jeder durchpaſſirende Fremde an dem einen Thor einen1. Abſchnitt.
Zettel löſen um wieder zum andern hinauszudürfen. 1) —
Höchſt populär wird der Fürſt, wenn er drückende Beamte
plötzlich zu Boden ſchmettert, wenn Borſo ſeine erſten und
geheimſten Räthe in Perſon verhaftet, wenn Ercole I. einen
Einnehmer, der ſich lange Jahre hindurch vollgeſogen, mit
Schanden abſetzt; da zündet das Volk Freudenfeuer an und
läutet die Glocken. Mit Einem ließ es aber Ercole zu
weit kommen, mit ſeinem Polizeidirector oder wie man ihn
nennen will (capitaneo di giustizia) Gregorio Zampante
aus Lucca (denn für Stellen dieſer Art eignete ſich kein
Einheimiſcher). Selbſt die Söhne und Brüder des Herzogs
zitterten vor demſelben; ſeine Bußen gingen immer in die
Hunderte und Tauſende von Ducaten und die Tortur be-
gann ſchon vor dem Verhör. Von den größten Verbrechern
ließ er ſich beſtechen und verſchaffte ihnen durch Lügen die
herzogliche Begnadigung. Wie gerne hätten die Unterthanen
dem Herzog 10,000 Ducaten und drüber bezahlt, wenn er
dieſen Feind Gottes und der Welt caſſirt hätte! Aber Er-
cole hatte ihn zu ſeinem Gevatter und zum Cavaliere ge-
macht, und der Zampante legte Jahr um Jahr 2000 Du-
caten bei Seite; freilich aß er nur noch Tauben, die im
Hauſe gezogen wurden und ging nicht mehr über die Gaſſe
ohne eine Schaar von Armbruſtſchützen und Sbirren. Es
wäre Zeit geweſen, ihn zu beſeitigen; da machten ihn (1496)
zwei Studenten und ein getaufter Jude, die er tödtlich be-
leidigt, in ſeinem Hauſe während der Sieſta nieder und
ritten auf bereit gehaltenen Pferden durch die Stadt, ſin-
gend: „Heraus, Leute, laufet! wir haben den Zampante
umgebracht.“ Die nachgeſandte Mannſchaft kam zu ſpät,
als ſie bereits über die nahe Gränze in Sicherheit gelangtTheilnahme des
Publicums an
der Trauer der
Fürſten.
waren. Natürlich regnete es nun Pasquille, die einen als
Sonette, die andern als Canzonen. — Andererſeits iſt es
4*
[52]1. Abſchnitt.ganz im Geiſte dieſes Fürſtenthums, daß der Souverän
ſeine Hochachtung vor nützlichen Dienern auch dem Hof
und der Bevölkerung dictirt. Als 1469 Borſo's Geheim-
rath Lodovico Caſella ſtarb, durfte am Begräbnißtage kein
Tribunal und keine Bude in der Stadt und kein Hörſaal
in der Univerſität offen ſtehen; Jedermann ſollte die Leiche
nach S. Domenico begleiten, weil auch der Herzog mitziehen
würde. In der That ſchritt er — „der erſte vom Haus
Eſte, der einem Unterthan an die Leiche gegangen“ — in
ſchwarzem Gewande weinend hinter dem Sarge her, hinter
ihm je ein Verwandter Caſella's von einem Herrn vom
Hof geführt; Adliche trugen dann die Leiche des Bürger-
lichen aus der Kirche in den Kreuzgang, wo ſie beigeſetzt
wurde. Ueberhaupt iſt das officielle Mitempfinden fürſt-
licher Gemüthsbewegungen zuerſt in dieſen italieniſchen Staaten
aufgekommen. 1) Der Kern hievon mag ſeinen ſchönen menſch-
lichen Werth haben, die Aeußerung, zumal bei den Dichtern,
iſt in der Regel zweideutig. Eines der Jugendgedichte
Arioſto's, 2) auf den Tod der Lianora von Aragon, Ge-
mahlin des Ercole I., enthält, außer den unvermeidlichen
Trauerblumen wie ſie in allen Jahrhunderten geſpendet
werden, ſchon einige völlig moderne Züge: „dieſer Todes-
fall habe Ferrara einen Schlag verſetzt, den es in vielen
Jahren nicht verwinden werde; ſeine Wohlthäterin ſei jetzt
Fürbitterin im Himmel geworden, da die Erde ihrer nicht
würdig geweſen; freilich, die Todesgöttin ſei ihr nicht wie
uns gemeinen Sterblichen mit blutiger Senſe genaht, ſon-
dern geziemend (onesta) und mit ſo freundlichem Antlitz,
Verherrlichung
fürſtlicher Lieb-
ſchaften.daß jede Furcht verſchwand.“ Aber wir treffen noch auf
ganz andere Mitgefühle; Novelliſten, welchen an der Gunſt
der betreffenden Häuſer alles liegen mußte und welche auf
[53] dieſe Gunſt rechnen, erzählen uns die Liebesgeſchichten der1. Abſchnitt.
Fürſten zum Theil bei deren Lebzeiten, 1) in einer Weiſe die
ſpätern Jahrhunderten als der Gipfel aller Indiscretion,
damals als harmloſe Verbindlichkeit erſchien. Ja lyriſche
Dichter bedichteten die beiläufigen Paſſionen ihrer hohen,
dabei legitim vermählten Herrn, Angelo Poliziano die des
Lorenzo magnifico, und mit beſonderem Accent Gioviano
Pontano die des Alfonſo von Calabrien. Das betreffende
Gedicht 2) verräth wider Willen die ſcheußliche Seele des
Aragoneſen; er muß auch in dieſem Gebiete der Glücklichſte
ſein, ſonſt wehe denen die glücklicher wären! — Daß die
größten Maler, z. B. Lionardo, die Maitreſſen ihrer Herrn
malten, verſteht ſich von ſelbſt.
Das eſtenſiſche Fürſtenthum wartete aber nicht dieDer Pomp der
Eſte.
Verherrlichung durch Andere ab, ſondern es verherrlichte
ſich ſelbſt. Borſo ließ ſich im Palazzo Schifanoja in einer
Reihe von Regentenhandlungen abmalen und Ercole feierte
(zuerſt 1472) den Jahrestag ſeines Regierungsantrittes mit
einer Proceſſion welche ausdrücklich mit der des Frohn-
leichnamsfeſtes verglichen wird; alle Buden waren geſchloſſen
wie an einem Sonntag; mitten im Zuge marſchirten alle
vom Haus Eſte, auch die Baſtarde, in Goldſtoff. Daß alle
Macht und Würde vom Fürſten ausgehe, eine perſönliche
Auszeichnung von ſeiner Seite ſei, war an dieſem Hofe ſchon
längſt 3) verſinnbildlicht durch einen Orden vom goldenen
Sporn, der mit dem mittelalterlichen Ritterthum nichts mehr
zu thun hatte. Ercole I. gab zum Sporn noch einen Degen,
[54]1. Abſchnitt.einen goldgeſtickten Mantel und eine Dotation, wofür ohne
Zweifel eine regelmäßige Aufwartung verlangt wurde.
Das Mäcenat.Das Mäcenat wofür dieſer Hof weltberühmt geworden
iſt, knüpfte ſich theils an die Univerſität, welche zu den
vollſtändigſten Italiens gehörte, theils an den Hof- und
Staatsdienſt; beſondere Opfer wurden dafür kaum gebracht.
Bojardo gehörte als reicher Landedelmann und hoher Be-
amter durchaus nur in dieſe Sphäre; als Arioſt anfing
etwas zu werden, gab es, wenigſtens in der wahren Be-
deutung, keinen mailändiſchen und keinen florentiniſchen,
bald auch keinen urbinatiſchen Hof mehr, von Neapel nicht
zu reden, und er begnügte ſich mit einer Stellung neben
den Muſikern und Gauklern des Cardinals Ippolito, bis
ihn Alfonſo in ſeine Dienſte nahm. Anders war es ſpäter
mit Torquato Taſſo, auf deſſen Beſitz der Hof eine wahre
Eiferſucht zeigte.
Reſte der alten
Parteien.Gegenüber von dieſer concentrirten Fürſtenmacht war
jeder Widerſtand innerhalb des Staates erfolglos. Die
Elemente zur Herſtellung einer ſtädtiſchen Republik waren
für immer aufgezehrt, Alles auf Macht und Gewaltübung
orientirt. Der Adel, politiſch rechtlos auch wo er noch
feudalen Beſitz hatte, mochte ſich und ſeine Bravi als
Guelfen und Ghibellinen eintheilen und coſtumiren, ſie die
Feder am Barett oder die Bauſchen an den Hoſen 1) ſo
oder anders tragen laſſen — die Denkenden wie z. B.
Macchiavell 2) wußten ein für allemal, daß Mailand oder
Neapel für eine Republik zu „corrumpirt“ waren. Es
kommen wunderbare Gerichte über jene vorgeblichen zwei
Parteien, die längſt nichts mehr als alte, im Schatten der
Gewalt am Spalier gezogene Familiengehäſſigkeiten waren.
[55] Ein italieniſcher Fürſt, welchem Agrippa von Nettesheim 1),1. Abſchnitt.
die Aufhebung derſelben anrieth, antwortete: ihre Händel
tragen mir ja bis 12000 Ducaten Bußgelder jährlich ein!
— Und als z. B. im Jahr 1500 während der kurzen Rück-
kehr des Moro in ſeine Staaten die Guelfen von Tortona
einen Theil des nahen franzöſiſchen Heeres in ihre Stadt
riefen, damit ſie den Ghibellinen den Garaus machten,
plünderten und ruinirten die Franzoſen zunächſt allerdings
dieſe, dann aber auch die Guelfen ſelbſt, bis Tortona völlig
verwüſtet war. 2) — Auch in der Romagna, wo jede Leiden-
ſchaft und jede Rache unſterblich waren, hatten jene beiden
Namen den politiſchen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es
gehörte mit zum politiſchen Irrſinn des armen Volkes, daß
die Guelfen hie und da ſich zur Sympathie für Frank-
reich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten.
Ich ſehe nicht, daß die welche dieſen Irrſinn ausbeuteten,
beſonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat
Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen
müſſen und was aus Spanien geworden iſt, nachdem es
Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen.
Doch wir kehren zum Fürſtenthum der RenaiſſanceDie Verſchwö-
rungen.
zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch
damals raiſonnirt, daß alle Gewalt von Gott ſei, und daß
dieſe Fürſten, wenn Jeder ſie gutwillig und aus redlichem
Herzen unterſtütze, mit der Zeit gut werden und ihren ge-
waltſamen Urſprung vergeſſen müßten. Aber von leiden-
ſchaftlichen, mit ſchaffender Gluth begabten Phantaſien und
Gemüthern iſt dieß nicht zu verlangen. Sie ſahen, wie
ſchlechte Aerzte, die Hebung der Krankheit in der Beſeitigung
des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürſten er-
morde, ſo gebe ſich die Freiheit von ſelber. Oder ſie dachten
auch nicht ſo weit, und wollten nur dem allgemein ver-
[56]1. Abſchnitt.breiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Fa-
milienunglück oder perſönliche Beleidigungen üben. So wie
die Herrſchaft eine unbedingte, aller geſetzlichen Schranken
entledigte, ſo iſt auch das Mittel der Gegner ein unbeding-
tes. Schon Boccaccio ſagt es offen: 1) „Soll ich den Ge-
waltherrn König, Fürſt heißen und ihm Treue bewahren
als meinem Obern? Nein! denn er iſt Feind des ge-
meinen Weſens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verſchwörung,
Späher, Hinterhalt, Liſt gebrauchen; das iſt ein heiliges,
nothwendiges Werk. Es giebt kein lieblicheres Opfer als
Tyrannenblut“. Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier
nicht beſchäftigen; Macchiavell hat in einem allbekannten
Capitel 2) ſeiner Discorſi die antiken und modernen Ver-
ſchwörungen von der alten griechiſchen Tyrannenzeit an be-
handelt und ſie nach ihrer verſchiedenen Anlage und ihren
Chancen ganz kaltblütig beurtheilt. Nur zwei Bemerkungen:
über die Mordthaten beim Gottesdienſt und über die Ein-
wirkung des Alterthums mögen hier geſtattet ſein.
Der Kirchen-
mord.Es war faſt unmöglich, der wohlbewachten Gewalt-
herrſcher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirch-
gängen, vollends aber war eine ganze fürſtliche Familie
bei keinem andern Anlaß beiſammenzutreffen. So ermor-
deten die Fabrianeſen 3) (1435) ihr Tyrannenhaus, die
Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede
bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mai-
land wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am
Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo
Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und
Lodovico Moro entging einſt (1484) den Dolchen der An-
hänger der verwittweten Herzogin Bona nur dadurch, daß
er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Thür betrat
[57] als dieſelben erwartet hatten. Eine beſondere Impietät1. Abſchnitt.
war dabei nicht beabſichtigt; die Mörder Galeazzo's beteten
noch vor der That zu dem Heiligen der betreffenden Kirche
und hörten noch die erſte Meſſe daſelbſt. Doch war es bei
der Verſchwörung der Pazzi gegen Lorenzo und Giuliano
Medici (1478) eine Urſache des theilweiſen Mißlingens,
daß der Bandit Monteſecco ſich zwar für die Ermordung
bei einem Gaſtmahl verdungen hatte, den Vollzug im Dom
von Florenz dagegen verweigerte; an ſeiner Stelle verſtan-
den ſich dann Geiſtliche dazu, „welche der heiligen Orte
gewohnt waren und ſich deßhalb nicht ſcheuten.“ 1)
Was das Alterthum betrifft, deſſen Einwirkung aufEinwirkung des
Alterthums.
die ſittlichen und ſpeciell auf die politiſchen Fragen noch
öfter berührt werden wird, ſo gaben die Herrſcher ſelbſt
das Beiſpiel, indem ſie in ihrer Staatsidee ſowohl als in
ihrem Benehmen das alte römiſche Imperium oft ausdrück-
lich zum Vorbild nahmen. Ebenſo ſchloſſen ſich nun ihre
Gegner, ſobald ſie mit theoretiſcher Beſinnung zu Werke
gingen, den antiken Tyrannenmördern an. Es wird ſchwer
zu beweiſen ſein, daß ſie in der Hauptſache, im Entſchluß
zur That ſelbſt, durch dieß Vorbild ſeien beſtimmt worden,
aber reine Phraſe und Stylſache blieb die Berufung auf
das Alterthum doch nicht. Die merkwürdigſten Aufſchlüſſe
ſind über die Mörder Galeazzo Sforza's, Lampugnani,
Olgiati und Visconti vorhanden. 2) Sie hatten alle drei
ganz perſönliche Motive und doch kam der Entſchluß viel-
leicht aus einem allgemeinern Grunde. Ein Humaniſt und
Lehrer der Eloquenz, Cola de' Montani, hatte unter einer
Schaar von ſehr jungen mailändiſchen Adlichen eine unklare
Begier nach Ruhm und nach großen Thaten für das Vater-
land entzündet und war endlich gegen die zwei erſtgenannten
[58]1. Abſchnitt.mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt.
Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewieſen und mußte
die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlaſſen. Etwa
Der
Stadtpatron.zehn Tage vor der That verſchworen ſie ſich feierlich im
Kloſter S. Ambrogio; „dann, ſagt Olgiati, in einem abge-
legenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambroſius er-
hob ich meine Augen und flehte ihn um Hülfe für uns
und ſein ganzes Volk“. Der himmliſche Stadtpatron ſoll
die That ſchützen, gerade wie nachher S. Stephan in deſſen
Kirche ſie geſchieht. Nun zogen ſie noch viele Andere halb
in die Sache hinein, hatten im Hauſe Lampugnani ihr all-
nächtliches Hauptquartier und übten ſich mit Dolchſcheiden
im Stechen. Die That gelang, aber Lampugnani wurde
gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und
die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb
trotz aller Tortur dabei, daß die That ein Gott wohlge-
fälliges Opfer geweſen und ſagte noch während ihm der
Henker die Bruſt einſchlug: Nimm dich zuſammen, Giro-
lamo! man wird lange an dich denken; der Tod iſt bitter,
der Ruhm ewig!
Catilinarier.So ideal aber die Vorſätze und Abſichten hier ſein moch-
ten, ſo ſchimmert doch aus der Art und Weiſe wie die Ver-
ſchwörung betrieben wird, das Bild gerade des heilloſeſten
aller Conſpiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts
gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena ſagen
ausdrücklich, die Verſchwörer hätten den Salluſt ſtudirt,
und aus Olgiati's eigenem Bekenntniß erhellt es mittelbar. 1)
Auch ſonſt werden wir dieſem furchtbaren Namen wieder
[59] begegnen. Für das geheime Complottiren gab es eben1. Abſchnitt.
doch, wenn man vom Zweck abſah, kein ſo einladendes
Muſter mehr wie dieſes.
Bei den Florentinern, ſo oft ſie ſich der Medici ent-Florenz und die
Tyrannen.
ledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord
als ein offen zugeſtandenes Ideal. Nach der Flucht der
Medici im J. 1494 nahm man aus ihrem Palaſt Dona-
tello's Bronzegruppe 1) der Judith mit dem todten Holofernes
und ſetzte ſie vor den Signorenpalaſt an die Stelle wo jetzt
Michelangelo's David ſteht, mit der Inſchrift: exemplum
salutis publicæ cives posuere 1495. Ganz beſonders
aber berief man ſich jetzt auf den jüngern Brutus, der noch
bei Dante 2) mit Caſſius und Judas Iſcharioth im unter-
ſten Schlund der Hölle ſteckt weil er das Imperium ver-
rathen. Pietro Paolo Boscoli, deſſen Verſchwörung gegen
Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) mißlang,
hatte im höchſten Grade für Brutus geſchwärmt und ſich
vermeſſen ihn nachzuahmen wenn er einen Caſſius fände;
als ſolcher hatte ſich ihm dann Agoſtino Capponi ange-
ſchloſſen. Seine letzten Reden im Kerker, 3) eines der wich-
tigſten Actenſtücke über den damaligen Religionszuſtand
zeigen mit welcher Anſtrengung er ſich jener römiſchen
Phantaſien wieder entledigte, um chriſtlich zu ſterben. Ein
Freund und der Beichtvater müſſen ihn verſichern, S. Tho-
mas von Aquino verdamme die Verſchwörungen überhaupt,
aber der Beichtvater hat in ſpäterer Zeit demſelben Freunde
insgeheim eingeſtanden, S. Thomas mache eine Diſtinction
und erlaube die Verſchwörung gegen einen Tyrannen, der
ſich dem Volk gegen deſſen Willen mit Gewalt aufgedrungen.
[60]1. Abſchnitt.Als Lorenzino Medici den Herzog Aleſſandro (1537) um-
gebracht und ſich geflüchtet hatte, erſchien eine wahrſcheinlich
echte, mindeſtens in ſeinem Auftrag verfaßte Apologie 1)
der That, worin er den Tyrannenmord an ſich als das
verdienſtlichſte Werk preiſt; ſich ſelbſt vergleicht er, auf den
Fall daß Aleſſandro wirklich ein echter Medici und alſo
(wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt geweſen, unge-
ſcheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus.
Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht,
und daß ſelbſt Michelangelo noch ganz ſpät Gedanken dieſer
Art nachgehangen hat, darf man wohl aus ſeiner Brutus-
büſte (in den Uffizien) ſchließen. Er ließ ſie unvollendet
wie faſt alle ſeine Werke, aber gewiß nicht weil ihm der
Mord Cäſar's zu ſchwer auf das Herz gefallen, wie das
darunter angebrachte Diſtichon meint.
Das Volk u. die
Verſchwörer.Einen Maſſenradicalismus, wie er ſich gegenüber den
neuern Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürſten-
ſtaaten der Renaiſſance vergebens ſuchen. Jeder Einzelne pro-
teſtirte wohl in ſeinem Innern gegen das Fürſtenthum, aber er
ſuchte viel eher ſich leidlich oder vortheilhaft unter demſelben
einzurichten als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es
mußte ſchon ſo weit kommen wie damals in Camerino, in
Fabriano, in Rimini (S. 33), bis eine Bevölkerung ihr
regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm.
Auch wußte man in der Regel zu gut, daß man nur den
Herrn wechſeln würde. Das Geſtirn der Republiken war
entſchieden im Sinken.
Untergang der
freien Städte.Einſt hatten die italieniſchen Städte in höchſtem Grade
jene Kraft entwickelt, welche die Stadt zum Staate macht.
Es bedurfte nichts weiter als daß ſich dieſe Städte zu einer
großen Föderation verbündeten; ein Gedanke, der in Italien
[61] immer wiederkehrt, mag er im Einzelnen bald mit dieſen1. Abſchnitt.
bald mit jenen Formen bekleidet ſein. In den Kämpfen
des XII. und XIII. Jahrhunderts kam es wirklich zu großen,
kriegeriſch gewaltigen Städtebünden, und Sismondi (II. 174)
glaubt, die Zeit der letzten Rüſtungen des Lombardenbundes
gegen Barbaroſſa (ſeit 1168) wäre wohl der Moment ge-
weſen, da eine allgemeine italieniſche Föderation ſich hätte
bilden können. Aber die mächtigern Städte hatten bereits
Characterzüge entwickelt, welche dieß unmöglich machten:
ſie erlaubten ſich als Handelsconcurrenten die äußerſten
Mittel gegen einander, und drückten ſchwächere Nachbar-
ſtädte in rechtloſe Abhängigkeit nieder; d. h. ſie glaubten
am Ende doch einzeln durchzukommen und des Ganzen nicht
zu bedürfen, und bereiteten den Boden vor für jede andere
Gewaltherrſchaft. Dieſe kam, als innere Kämpfe zwiſchen
den Adelsparteien unter ſich und mit den Bürgern die
Sehnſucht nach einer feſten Regierung weckten und die ſchon
vorhandenen Soldtruppen jede Sache um Geld unterſtützten,
nachdem die einſeitige Parteiregierung ſchon längſt das all-
gemeine Bürgeraufgebot unbrauchbar zu finden gewohnt
war. 1) Die Tyrannis verſchlang die Freiheit der meiſten
Städte; hie und da vertrieb man ſie, aber nur halb, oder
nur auf kurze Zeit; ſie kam immer wieder, weil die innern
Bedingungen für ſie vorhanden und die entgegenſtrebenden
Kräfte aufgebraucht waren.
Unter den Städten welche ihre Unabhängigkeit bewahr-
ten, ſind zwei für die ganze Geſchichte der Menſchheit von
höchſter Bedeutung: Florenz, die Stadt der beſtändigen
Bewegung, welche uns auch Kunde hinterlaſſen hat von
allen Gedanken und Abſichten der Einzelnen und der Ge-
ſammtheit, die drei Jahrhunderte hindurch an dieſer Be-
wegung theilnahmen; dann Venedig, die Stadt des ſchein-
[62]1. Abſchnitt.baren Stillſtandes und des politiſchen Schweigens. Es ſind
die ſtärkſten Gegenſätze die ſich denken laſſen, und beide
ſind wiederum mit nichts auf der Welt zu vergleichen.
Venedig.Venedig erkannte ſich ſelbſt als eine wunderbare, ge-
heimnißvolle Schöpfung, in welcher noch etwas Anderes
als Menſchenwitz von jeher wirkſam geweſen. Es gab einen
Mythus von der feierlichen Gründung der Stadt: am
25. März 413 um Mittag hätten die Ueberſiedler aus
Padua den Grundſtein gelegt am Rialto, damit eine un-
angreifbare, heilige Freiſtätte ſei in dem von den Barbaren
zerriſſenen Italien. Spätere haben in die Seele dieſer
Gründer alle Ahnungen der künftigen Größe hineingelegt;
M. Antonio Sabellico, der das Ereigniß in prächtig ſtrö-
menden Hexametern gefeiert hat, läßt den Prieſter, der
die Stadtweihe vollzieht, zum Himmel rufen: „Wenn wir
einſt Großes wagen, dann gieb Gedeihen! jetzt knien wir
nur vor einem armen Altar, aber wenn unſere Gelübde
nicht umſonſt ſind, ſo ſteigen Dir, o Gott, hier einſt hun-
dert Tempel von Marmor und Gold empor!” 1) — Die
Die Stadt.Inſelſtadt ſelbſt erſchien zu Ende des XV. Jahrhunderts
wie das Schmuckkäſtchen der damaligen Welt. Derſelbe
Sabellico ſchildert ſie als ſolches 2) mit ihren uralten Kup-
pelkirchen, ſchiefen Thürmen, incruſtirten Marmorfaſſaden,
mit ihrer ganz engen Pracht, wo die Vergoldung der Decken
und die Vermiethung jedes Winkels ſich mit einander ver-
trugen. Er führt uns auf den dichtwogenden Platz vor
S. Giacometto am Rialto, wo die Geſchäfte einer Welt
ſich nicht durch lautes Reden oder Schreien, ſondern nur
[63] durch ein vielſtimmiges Summen verrathen, wo in den1. Abſchnitt.
Portiken 1) ringsum und in denen der anſtoßenden Gaſſen
die Wechsler und die Hunderte von Goldſchmieden ſitzen,
über ihren Häuptern Läden und Magazine ohne Ende;
jenſeits von der Brücke beſchreibt er den großen Fondaco
der Deutſchen, in deſſen Hallen ihre Waaren und ihre Leute
wohnen, und vor welchem ſtets Schiff an Schiff im Canal
liegt; von da weiter aufwärts die Wein- und Oelflotte und
parallel damit am Strande, wo es von Facchinen wimmelt,
die Gewölbe der Händler; dann vom Rialto bis auf den
Marcusplatz die Parfümeriebuden und Wirthshäuſer. So
geleitet er den Leſer von Quartier zu Quartier bis hinaus
zu den beiden Lazarethen, welche mit zu den Inſtituten
hoher Zweckmäßigkeit gehörten, die man nur hier ſo aus-
gebildet vorfand. Fürſorge für die Leute war überhaupt
ein Kennzeichen der Venezianer, im Frieden wie im Kriege,
wo ihre Verpflegung der Verwundeten, ſelbſt der feindlichen,
für Andere ein Gegenſtand des Erſtaunens war. 2) Was
irgend öffentliche Anſtalt hieß, konnte in Venedig ſein
Muſter finden; auch das Penſionsweſen wurde ſyſtematiſch
gehandhabt, ſogar in Betreff der Hinterlaſſenen. Reichthum,
politiſche Sicherheit und Weltkenntniß hatten hier das Nach-
denken über ſolche Dinge gereift. Dieſe ſchlanken, blondenDie
Einwohner.
Leute mit dem leiſen, bedächtigen Schritt und der beſon-
nenen Rede, unterſchieden ſich in Tracht und Auftreten nur
wenig von einander; den Putz, beſonders Perlen, hingen
ſie ihren Frauen und Mädchen an. Damals war das all-
gemeine Gedeihen, trotz großer Verluſte durch die Türken,
[64]1. Abſchnitt.noch wahrhaft glänzend; aber die aufgeſammelte Energie
und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch
ſpäter noch, um Venedig ſelbſt die ſchwerſten Schläge lange
überdauern zu laſſen: die Entdeckung des Seeweges nach
Oſtindien, den Sturz der Mamelukenherrſchaft von Aegypten
und den Krieg der Liga von Cambray.
Der Staat.Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig
und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen
gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte 1) mit einigem
Erſtaunen, daß die jungen Nobili, welche ſeine Morgen-
vorleſungen hörten, ſich gar nicht auf das Politiſiren mit
ihm einlaſſen wollten: „wenn ich ſie frage, was die Leute
von dieſer oder jener Bewegung in Italien dächten, ſprächen
und erwarteten, antworten ſie mir alle mit Einer Stimme,
ſie wüßten nichts”. Man konnte aber von dem demorali-
ſirten Theil des Adels trotz aller Staatsinquiſition mancherlei
Die Verräther.erfahren, nur nicht ſo wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel
des XV. Jahrhunderts gab es Verräther in den höchſten
Behörden; 2) die Päpſte, die italieniſchen Fürſten, ja ganz
mittelmäßige Condottieren im Dienſt der Republik hatten
ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Beſoldung;
es war ſo weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut
fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politiſche Nach-
richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro
in den Pregadi über eine ganz beſtimmte Stimmenzahl ver-
füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen
und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. ſechszig Du-
caten lebenslängliche Penſion) viel fruchteten, iſt ſchwer zu
ſagen; eine Haupturſache, die Armuth vieler Nobili, ließ
ſich nicht plötzlich beſeitigen. Im J. 1492 betrieben zwei
[65] Nobili einen Vorſchlag, der Staat ſolle jährlich 70,000 Du-1. Abſchnitt.
caten zur Vertröſtung derjenigen armen Adlichen auswerfen
welche kein Amt hätten; die Sache war nahe daran vor
den großen Rath zu kommen, wo ſie eine Majorität hätte
erhalten können — als der Rath der Zehn noch zu rechter
Zeit eingriff und die beiden auf Lebenszeit nach Nicoſia
auf Cypern verbannte. 1) Um dieſe Zeit wurde ein So-
ranzo auswärts als Kirchenräuber gehenkt, und ein Con-
tarini wegen Einbruchs in Ketten gelegt; ein anderer von
derſelben Familie trat 1499 vor die Signorie und jammerte,
er ſei ſeit vielen Jahren ohne Amt, habe nur 16 Ducaten
Einkünfte und 9 Kinder, dazu 60 Ducaten Schulden, ver-
ſtehe kein Geſchäft und ſei neulich auf die Gaſſe geſetzt
worden. Man begreift, daß einzelne reiche Nobili Häuſer
bauten um die armen darin gratis wohnen zu laſſen. Der
Häuſerbau um Gotteswillen, ſelbſt in ganzen Reihen, kommt
in Teſtamenten als gutes Werk vor. 2)
Wenn die Feinde Venedigs auf Uebelſtände dieſer ArtDie geſunden
Kräfte.
jemals ernſtliche Hoffnungen gründeten, ſo irrten ſie ſich
gleichwohl. Man könnte glauben, daß ſchon der Schwung
des Handels, der auch dem Geringſten einen reichlichen
Gewinn der Arbeit ſicherte, daß die Colonien im öſtlichen
Mittelmeer die gefährlichen Kräfte von der Politik abgelenkt
haben möchten. Hat aber nicht Genua, trotz ähnlicher Vor-
theile, die ſturmvollſte politiſche Geſchichte gehabt? Der
Grund von Venedigs Unerſchütterlichkeit liegt eher in einem
Zuſammenwirken von Umſtänden, die ſich ſonſt nirgends
vereinigten. Unangreifbar als Stadt, hatte es ſich von je-
her der auswärtigen Verhältniſſe nur mit der kühlſten Ueber-
legung angenommen, das Parteiweſen des übrigen Italiens
faſt ignorirt, ſeine Allianzen nur für vorübergehende Zwecke
Cultur der Renaiſſance. 5
[66]1. Abſchnitt.und um möglichſt hohen Preis geſchloſſen. Der Grundton
des venezianiſchen Gemüthes war daher der einer ſtolzen,
ja verachtungsvollen Iſolirung und folgerichtig einer ſtär-
kern Solidarität im Innern, wozu der Haß des ganzen
übrigen Italiens noch das Seine that. In der Stadt ſelbſt
hatten dann alle Einwohner die ſtärkſten gemeinſchaftlichen
Intereſſen gegenüber den Colonien ſowohl als den [Be-
ſitzungen der] Terraferma, indem die Bevölkerung der letztern
(d. h. der Städte bis Bergamo) nur in Venedig kaufen
und verkaufen durfte. Ein ſo künſtlicher Vortheil konnte
nur durch Ruhe und Eintracht im Innern aufrecht erhal-
ten werden — das fühlte gewiß die übergroße Mehrzahl
und für Verſchwörer war ſchon deßhalb hier ein ſchlechter
Boden. Und wenn es Unzufriedene gab, ſo wurden ſie
durch die Trennung in Adliche und Bürger auf eine Weiſe
auseinandergehalten die jede Annäherung ſehr erſchwerte.
Innerhalb des Adels aber war den möglicherweiſe Gefähr-
lichen, nämlich den Reichen eine Hauptquelle aller Ver-
ſchwörungen, der Müſſiggang, abgeſchnitten durch ihre großen
Handelsgeſchäfte und Reiſen und durch die Theilnahme an
den ſtets wiederkehrenden Türkenkriegen. Die Commandan-
ten ſchonten ſie dabei, ja bisweilen in ſtrafbarer Weiſe, und
ein venezianiſcher Cato weiſſagte den Untergang der Macht,
wenn dieſe Scheu der Nobili einander irgend wehe zu thun,
auf Unkoſten der Gerechtigkeit fortdauern würde. 1) Immer-
hin aber gab dieſer große Verkehr in der freien Luft dem
Adel von Venedig eine geſunde Richtung im Ganzen. Und
Der Rath der
Zehn.wenn Neid und Ehrgeiz durchaus einmal Genugthuung be-
gehrten, ſo gab es ein officielles Opfer, eine Behörde und
legale Mittel. Die vieljährige moraliſche Marter, welcher
der Doge Francesco Foscari (ſt. 1457) vor den Augen von
ganz Venedig unterlag, iſt vielleicht das ſchrecklichſte Bei-
ſpiel dieſer nur in Ariſtokratien möglichen Rache. Der Rath
[67] der Zehn, welcher in Alles eingriff, ein unbedingtes Recht1. Abſchnitt.
über Leben und Tod, über Kaſſen und Armeebefehl beſaß,
die Inquiſitoren in ſich enthielt, und den Foscari wie ſo
manchen Mächtigen ſtürzte, dieſer Rath der Zehn wurde all-
jährlich von der ganzen regierenden Kaſte, dem gran con-
ſiglio neu gewählt, und war ſomit der unmittelbarſte
Ausdruck derſelben. Große Intriguen mögen bei dieſen
Wahlen kaum vorgekommen ſein, da die kurze Dauer und
die ſpätere Verantwortlichkeit das Amt nicht ſehr begehrens-
werth machten. Allein vor dieſen und andern venezianiſchen
Behörden, mochte ihr Thun noch ſo unterirdiſch und ge-
waltſam ſein, flüchtete ſich doch der echte Venezianer nicht,
ſondern er ſtellte ſich; nicht nur weil die Republik lange
Arme hatte und ſtatt ſeiner die Familie plagen konnte,
ſondern weil in den meiſten Fällen wenigſtens nach Grün-
den und nicht aus Blutdurſt verfahren wurde. 1) Ueber-
haupt hat wohl kein Staat jemals eine größere moraliſche
Macht über ſeine Angehörigen in der Ferne ausgeübt.
Wenn es z. B. Verräther in den Pregadi gab, ſo wurde
dieß reichlich dadurch aufgewogen, daß jeder Venezianer in
der Fremde ein geborner Kundſchafter für ſeine Regierung
war. Von den venezianiſchen Cardinälen in Rom verſtand
es ſich von ſelbſt, daß ſie die Verhandlungen der geheimen
päpſtlichen Conſiſtorien nach Hauſe meldeten. Cardinal
Domenico Grimani ließ in der Nähe von Rom (1500) die
Depeſchen wegfangen, welche Ascanio Sforza an ſeinen
Bruder Lodovico Moro abſandte, und ſchickte ſie nach Ve-
nedig; ſein eben damals ſchwer angeklagter Vater machte
dieß Verdienſt des Sohnes öffentlich vor dem gran con-
ſiglio d. h. vor der ganzen Welt geltend. 2)
5*
[68]
1. Abſchnitt.
Verhältniß zu
den
Condottieren.Wie Venedig ſeine Condottieren hielt, iſt oben (S. 22)
angedeutet worden. Wenn es noch irgend eine beſondere
Garantie ihrer Treue ſuchen wollte, ſo fand es ſie etwa
in ihrer großen Anzahl, welche den Verrath ebenſoſehr er-
ſchweren als deſſen Entdeckung erleichtern mußte. Beim
Anblick venezianiſcher Armeerollen frägt man ſich nur, wie
bei ſo bunt zuſammengeſetzten Schaaren eine gemeinſame
Action möglich geweſen? In derjenigen des Krieges von
1495 figuriren 1) 15,526 Pferde in lauter kleinen Poſten;
nur der Gonzaga von Mantua hatte davon 1200, Gioffredo
Borgia 740; dann folgen ſechs Anführer mit 700—600,
zehn mit 400, zwölf mit 400—200, etwa vierzehn mit
200—100, neun mit 80, ſechs mit 60—50 ꝛc. Es ſind
theils alte venezianiſche Truppenkörper, theils ſolche unter
venezianiſchen Stadtadlichen und Landadlichen, die meiſten
Anführer aber ſind Fürſten und Stadthäupter oder Ver-
wandte von ſolchen. Dazu kommen 24,000 M. Infanterie,
über deren Beiſchaffung und Führung nichts bemerkt wird,
nebſt weitern 3,300 Mann wahrſcheinlich beſonderer Waf-
fengattungen. Im Frieden waren die Städte der Terra-
ferma gar nicht oder mit unglaublich geringen Garniſonen
beſetzt. Venedig verließ ſich nicht gerade auf die Pietät,
wohl aber auf die Einſicht ſeiner Unterthanen; beim Kriege
Auswärtige
Politik.der Liga von Cambray (1509) ſprach es ſie bekanntlich
vom Treueid los, und ließ es darauf ankommen, daß ſie
die Aunehmlichkeiten einer feindlichen Occupation mit ſeiner
milden Herrſchaft vergleichen würden; da ſie nicht mit Ver-
rath von S. Marcus abzufallen nöthig gehabt hatten und
alſo keine Strafe zu fürchten brauchten, kehrten ſie mit dem
größten Eifer wieder unter die gewohnte Herrſchaft zurück.
[69] Dieſer Krieg war, beiläufig geſagt, das Reſultat eines hun-1. Abſchnitt.
dertjährigen Geſchreies über die Vergrößerungsſucht Vene-
digs. Letzteres beging bisweilen die Fehler allzukluger
Leute, welche auch ihren Gegnern keine nach ihrer Anſicht
thörichten, rechnungswidrigen Streiche zutrauen wollen. 1)
In dieſem Optimismus, der vielleicht den Ariſtokratien am
eheſten eigen iſt, hatte man einſt die Rüſtungen Moham-
meds II. zur Einnahme von Conſtantinopel, ja die Vor-
bereitungen zum Zuge Carl's VIII. völlig ignorirt, bis
das Unerwartete doch geſchah. 2) Ein ſolches Ereigniß war
nun auch die Liga von Cambray, inſofern ſie dem klaren
Intereſſe der Hauptanſtifter Ludwigs XII. und Julius II.
entgegenlief. Im Papſt war aber der alte Haß von ganz
Italien gegen die erobernden Venezianer aufgeſammelt, ſo-
daß er über den Einmarſch der Fremden die Augen ſchloß,
und was die Politik des Cardinals Amboiſe und ſeines
Königs betraf, ſo hätte Venedig deren bösartigen Blödſinn
ſchon lange als ſolchen erkennen und fürchten ſollen. Die
meiſten Uebrigen nahmen an der Liga Theil aus jenem
Neid, der dem Reichthum und der Macht als nützliche
Zuchtruthe geſetzt, an ſich aber ein ganz jämmerliches Ding
iſt. Venedig zog ſich mit Ehren, aber doch nicht ohne
bleibenden Schaden aus dem Kampfe.
Eine Macht deren Grundlagen ſo complicirt, derenDie Heimath
der Statiſtik.
Thätigkeit und Intereſſen auf einen ſo weiten Schauplatz
ausgedehnt waren, ließe ſich gar nicht denken ohne eine
großartige Ueberſicht des Ganzen, ohne eine beſtändige
Bilanz der Kräfte und Laſten, der Zunahme und Abnahme.
Venedig möchte ſich wohl als den Geburtsort der modernen
Statiſtik geltend machen dürfen, mit ihm vielleicht Florenz
[70]1. Abſchnitt.und in zweiter Linie die entwickeltern italieniſchen Fürſten-
thümer. Der Lehnsſtaat des Mittelalters bringt höchſtens
Geſammt-Verzeichniſſe der fürſtlichen Rechte und Nutzbar-
keiten (Urbarien) hervor; er faßt die Production als eine
ſtehende auf, was ſie annäherungsweiſe auch iſt, ſo lange
es ſich weſentlich um Grund und Boden handelt. Dieſem
gegenüber haben die Städte im ganzen Abendlande wahr-
ſcheinlich von frühe an ihre Production, die ſich auf In-
duſtrie und Handel bezog, als eine höchſt bewegliche erkannt
und danach behandelt, allein es blieb — ſelbſt in den Blüthe-
zeiten der Hanſa — bei einer einſeitig commerciellen Bilanz.
Flotten, Heere, politiſcher Druck und Einfluß kamen einfach
unter das Soll und Haben eines kaufmännniſchen Haupt-
buches zu ſtehen. Erſt in den italieniſchen Staaten ver-
einigen ſich die Conſequenzen einer völligen politiſchen Be-
wußtheit, das Vorbild mohammedaniſcher Adminiſtration
und ein uralter ſtarker Betrieb der Production und des
Handels ſelbſt, um eine wahre Statiſtik zu begründen. 1)
Der unteritaliſche Zwangsſtaat Kaiſer Friedrichs II. (S. 3)
war einſeitig auf Concentration der Macht zum Zwecke
eines Kampfes um Sein oder Nichtſein organiſirt geweſen.
In Venedig dagegen ſind die letzten Zwecke Genuß der
Macht und des Lebens, Weiterbildung des von den Vor-
fahren Ererbten, Anſammlung der gewinnreichſten Induſtrien
und Eröffnung ſtets neuer Abſatzwege.
[71]
Die Autoren ſprechen ſich über dieſe Dinge mit größter1. Abſchnitt.
Populationiſtik.
Unbefangenheit aus 1). Wir erfahren, daß die Bevölkerung
der Stadt im Jahr 1422 190,000 Seelen betrug; vielleicht
hat man in Italien am frühſten angefangen, nicht mehr
nach Feuerherden, nach Waffenfähigen, nach Solchen, die
auf eigenen Beinen gehen konnten u. dgl., ſondern nach
anime zu zählen und darin die neutralſte Baſis aller wei-
tern Berechnungen anzuerkennen. Als die Florentiner um
dieſelbe Zeit ein Bündniß mit Venedig gegen Filippo Maria
Visconti wünſchten, wies man ſie einſtweilen ab, in der
klaren, hier, durch genaue Handelsbilanz belegten Ueber-
zeugung, daß jeder Krieg zwiſchen Mailand und Venedig,
d. h. zwiſchen Abnehmer und Verkäufer, eine Thorheit ſei.
Schon wenn der Herzog nur ſein Heer vermehre, ſo werde
das Herzogthum wegen ſofortiger Erhöhung der Steuern
ein ſchlechterer Conſument. „Beſſer man laſſe die Floren-
tiner unterliegen, dann ſiedeln ſie, des freiſtädtiſchen Lebens
gewohnt, zu uns über und bringen ihre Seiden- und
Wollenweberei mit, wie die bedrängten Luccheſen gethan
haben.” Das merkwürdigſte aber iſt die Rede des ſterben-
den Dogen Mocenigo (1423) an einige Senatoren, die er
vor ſein Bett kommen ließ 2). Sie enthält die wichtigſten
Elemente einer Statiſtik der geſammten Kraft und Habe
Venedigs. Ich weiß nicht, ob und wo eine gründliche Er-
läuterung dieſes ſchwierigen Actenſtückes exiſtirt; nur als
Curioſität mag Folgendes angeführt werden. Nach ge-Das Soll und
Haben.
ſchehener Abbezahlung von 4 Millionen Ducaten eines
Kriegs-Anleihens betrug die Staatsſchuld (il monte) da-
mals noch 6 Mill. Ducaten. Der Geſammtumlauf des
[72]1. Abſchnitt.Handels (wie es ſcheint) betrug 10 Mill., welche 4 Mill.
abwarfen. (So heißt es im Text.) Auf 3000 Navigli,
300 Navi und 45 Galere fuhren 17,000, reſp. 8000 und
11000 Seeleute. (Ueber 200 M. pr. Galera.) Dazu kamen
16,000 Schiffszimmerleute. Die Häuſer von Venedig hatten
7 Mill. Schatzungswerth und trugen an Miethe eine halbe
Million ein 1). Es gab 1000 Adliche von 70 bis 4000
Ducaten Einkommen. — An einer andern Stelle wird die
ordentliche Staatseinnahme in jenem ſelben Jahre auf
1,100,000 Ducaten geſchätzt; durch die Handelsſtörungen
in Folge der Kriege war ſie um die Mitte des Jahrhunderts
auf 800,000 Ducaten gefunken 2).
Verſpätung der
Renaiſſance.Wenn Venedig durch derartige Berechnungen und deren
practiſche Anwendung eine große Seite des modernen
Staatsweſens am frühſten vollkommen darſtellte, ſo ſtand
es dafür in derjenigen Cultur, welche man damals in
Italien als das Höchſte ſchätzte, einigermaßen zurück. Es
fehlt hier der literariſche Trieb im Allgemeinen und ins-
beſondere jener Taumel zu Gunſten des claſſiſchen Alter-
thums 3). Die Begabung zu Philoſophie und Beredſamkeit,
meint Sabellico, ſei hier an ſich ſo groß als die zum Handel
und Staatsweſen; ſchon 1459 legte Georg der Trapezuntier
die lateiniſche Ueberſetzung von Plato's Buch über die
Geſetze dem Dogen zu Füßen und wurde mit 150 Ducaten
jährlich als Lehrer der Philologie angeſtellt, dedicirte auch
der Signorie ſeine Rhetorik 4). Durchgeht man aber die
[73] venezianiſche Literaturgeſchichte, welche Francesco Sanſovino1. Abſchnitt.
ſeinem bekannten Buche 1) angehängt hat, ſo ergeben ſich
für das XIV. Jahrhundert faſt noch lauter theologiſche,
juridiſche und mediciniſche Fachwerke nebſt Hiſtorien, und
auch im XV. Jahrhundert iſt der Humanismus im Ver-
hältniß zur Bedeutung der Stadt bis auf Ermolao Barbaro
und Aldo Manucci nur äußerſt ſpärlich vertreten. Die
Bibliothek, welche der Cardinal Beſſarion dem Staat ver-
machte, wurde kaum eben vor Zerſtreuung und Zerſtörung
geſchützt. Für gelehrte Sachen hatte man ja Padua, wo
freilich die Mediciner und die Juriſten als Verfaſſer ſtaats-
rechtlicher Gutachten weit die höchſten Beſoldungen hatten.
Auch die Theilnahme an der italieniſchen Kunſtdichtung iſt
lange Zeit eine geringe, bis dann das beginnende XVI.
Jahrhundert alles Verſäumte nachholt. Selbſt den Kunſt-
geiſt der Renaiſſance hat ſich Venedig von außen her zu-
bringen laſſen, und erſt gegen Ende des XV. Jahrhunderts
ſich mit voller eigener Machtfülle darin bewegt. Ja es
giebt hier noch bezeichnendere geiſtige Zögerungen. Der-Officielle An-
dacht.
ſelbe Staat, welcher ſeinen Clerus ſo vollkommen in der
Gewalt hatte, die Beſetzung aller wichtigen Stellen ſich
vorbehielt, und der Curie einmal über das andere Trotz
bot, zeigte eine officielle Andacht von ganz beſonderer Fär-
bung. Heilige Leichen und andere Reliquien aus dem von
den Türken eroberten Griechenland werden mit den größten
Opfern erworben und vom Dogen in großer Proceſſion
empfangen 2). Für den ungenähten Rock beſchloß man
(1455) bis 10,000 Ducaten aufzuwenden, konnte ihn aber
[74]1. Abſchnitt.nicht erhalten. Es handelt ſich hier nicht um eine popu-
läre Begeiſterung, ſondern um einen ſtillen Beſchluß der
höhern Staatsbehörde, welcher ohne alles Aufſehen hätte
unterbleiben können, und in Florenz unter gleichen Um-
ſtänden gewiß unterblieben wäre. Die Andacht der Maſſen
und ihren feſten Glauben an den Ablaß eines Alexander VI.
laſſen wir ganz außer Betrachtung. Der Staat ſelber aber,
nachdem er die Kirche mehr als anderswo abſorbirt, hatte
wirklich hier eine Art von geiſtlichem Element in ſich und
das Staatsſymbol, der Doge trat bei zwölf großen Pro-
zeſſionen 1) (andate) in halbgeiſtlicher Function auf. Es
waren faſt lauter Feſte zu Ehren politiſcher Erinnerungen,
welche mit den großen Kirchenfeſten concurrirten; das glän-
zendſte derſelben die berühmte Vermählung mit dem Meere
jedesmal am Himmelfahrtstage.
Florenz.Die höchſte politiſche Bewußtheit, den größten Reich-
thum an Entwicklungsformen findet man vereinigt in der
Geſchichte von Florenz, welches in dieſem Sinne wohl den
Namen des erſten modernen Staates der Welt verdient.
Hier treibt ein ganzes Volk das was in den Fürſtenſtaaten
die Sache einer Familie iſt. Der wunderbare florentiniſche
Geiſt, ſcharf raiſonnirend und künſtleriſch ſchaffend zugleich,
geſtaltet den politiſchen und ſocialen Zuſtand unaufhörlich
um und beſchreibt und richtet ihn eben ſo unaufhörlich.
So wurde Florenz die Heimath der politiſchen Doctrinen
und Theorien, der Experimente und Sprünge, aber auch
mit Venedig die Heimath der Statiſtik und allein und vor
allen Staaten der Welt die Heimath der geſchichtlichen
Darſtellung im neuern Sinne. Der Anblick des alten Roms und
die Kenntniß ſeiner Geſchichtſchreiber kam hinzu, und Giovanni
Villani geſteht 2), daß er beim Jubiläum des Jahres 1300
[75] die Anregung zu ſeiner großen Arbeit empfangen und gleich1. Abſchnitt.
nach der Heimkehr dieſelbe begonnen habe; allein wie
Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres
mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich geweſen
ſein und haben doch die Geſchichte ihrer Städte nicht ge-
ſchrieben! Denn nicht Jeder konnte ſo troſtvoll beifügen:
„Rom iſt im Sinken, meine Vaterſtadt aber im Aufſteigen
und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe
ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke
damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und ſo weit ich
noch die Ereigniſſe erleben werde.“ Und außer dem Zeug-
niß von ſeinem Lebensgange erreichte Florenz durch ſeine
Geſchichtſchreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm
als irgend ein anderer Staat von Italien 1).
Nicht die Geſchichte dieſes denkwürdigen Staates, nurObjectives
politiſches Be-
wußtſein,
einige Andeutungen über die geiſtige Freiheit und Objecti-
vität, welche durch dieſe Geſchichte in den Florentinern
wach geworden, ſind hier unſere Aufgabe.
Um das Jahr 1300 beſchrieb Dino Compagni die
ſtädtiſchen Kämpfe ſeiner Tage. Die politiſche Lage der
Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere
der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent-
ferntern Urſachen und Wirkungen ſind hier ſo geſchildert,
daß man die allgemeine Superiorität des florentiniſchen Ur-
theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das
größte Opfer dieſer Kriſen, Dante Alighieri, welch ein Po-
litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn
über das beſtändige Aendern und Experimentiren an der
Verfaſſung in eherne Terzinen gegoſſen 2), welche ſprich-
wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen
will; er hat ſeine Heimath mit Trotz und mit Sehnſucht
angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte.
[76]1. Abſchnitt.
und allgemeines
RaiſonnementAber ſeine Gedanken dehnen ſich aus über Italien und die
Welt und wenn ſeine Agitation für das Imperium, wie
er es auffaßte, nichts als ein Irrthum war, ſo muß man
bekennen, daß das jugendliche Traumwandeln der kaum
geborenen politiſchen Speculation bei ihm eine poetiſche
Größe hat. Er iſt ſtolz, der erſte zu ſein, der dieſen Pfad
betritt 1), allerdings an der Hand des Ariſtoteles, aber in
ſeiner Weiſe ſehr ſelbſtändig. Sein Idealkaiſer iſt ein ge-
rechter, menſchenliebender, nur von Gott abhängender Ober-
richter, der Erbe der römiſchen Weltherrſchaft, welche eine
vom Recht, von der Natur, und von Gottes Rathſchluß
gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreiſes ſei nämlich
eine rechtmäßige, ein Gottesurtheil zwiſchen Rom und den
übrigen Völkern geweſen, und Gott habe dieſes Reich an-
erkannt, indem er unter demſelben Menſch wurde und ſich
bei ſeiner Geburt der Schatzung des Kaiſers Auguſtus, bei
ſeinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog
u. ſ. w. Wenn wir dieſen und andern Argumenten nur
ſchwer folgen können, ſo ergreift Dante's Leidenſchaft immer.
In ſeinen Briefen 2) iſt er einer der frühſten aller Publi-
ciſten, vielleicht der frühſte Laie, der Tendenzſchriften in
Briefform auf eigene Hand ausgehen ließ. Er fing damit
bei Zeiten an; ſchon nach dem Tode Beatrice's erließ er
ein Pamphlet über den Zuſtand von Florenz „an die Großen
des Erdkreiſes“, und auch die ſpätern offenen Schreiben
aus der Zeit ſeiner Verbannung ſind an lauter Kaiſer,
Fürſten und Cardinäle gerichtet. In dieſen Briefen und
in dem Buche „von der Vulgärſprache“ kehrt unter ver-
ſchiedenen Formen das mit ſo vielen Schmerzen bezahlte
Gefühl wieder, daß der Verbannte auch außerhalb der
[77] Vaterſtadt eine neue geiſtige Heimath finden dürfe in der1. Abſchnitt.
Sprache und Bildung, die ihm nicht mehr genommen werden
könne, und auf dieſen Punkt werden wir noch einmal
zurückkommen.
Den Villani, Giovanni ſowohl als Matteo, verdankenFlorentiniſche
Statiſtik.
wir nicht ſowohl tiefe politiſche Betrachtungen als vielmehr
friſche, practiſche Urtheile und die Grundlage zur Statiſtik
von Florenz, nebſt wichtigen Angaben über andere Staaten.
Handel und Induſtrie hatten auch hier neben dem politi-
ſchen Denken das ſtaatsöconomiſche geweckt. Ueber die
Geldverhältniſſe im Großen wußte man nirgends in der
Welt ſo genauen Beſcheid, anzufangen von der päpſtlichen
Curie zu Avignon, deren enormer Kaſſenbeſtand (25 Mill.
Goldgulden beim Tode Johann's XXII.) nur aus ſo guten
Quellen 1) glaublich wird. Nur hier erhalten wir Beſcheid über
coloſſale Anleihen z. B.: des Königs von England bei den
florentiniſchen Häuſern Bardi und Peruzzi, welche ein
Guthaben von 1,365,000 Goldgulden — eigenes und Com-
pagnie-Geld — einbüßten (1338) und ſich dennoch wieder
erholten 2). Das wichtigſte aber ſind die auf den Staat
bezüglichen Angaben 3) aus jener nämlichen Zeit: Die
Staatseinnahmen (über 300,000 Goldgulden) und Aus-
gaben; die Bevölkerung der Stadt (hier noch ſehr unvoll-
kommen nach dem Brodconſum in bocche, d. h. Mäulern
berechnet auf 90,000), und die des Staates; der Ueber-
ſchuß von 300 bis 500 männlichen Geburten unter den
5800 bis 6000 alljährlichen Täuflingen des Battiſtero 4);
die Schulkinder, von welchen 8 bis 10,000 leſen, 1000
[78]1. Abſchnitt.bis 1200 in 6 Schulen rechnen lernten; dazu gegen
600 Schüler, welche in vier Schulen in (lateiniſcher) Gram-
matik und Logik unterrichtet wurden. Es folgt die Sta-
tiſtik der Kirchen und Klöſter, der Spitäler (mit mehr als
1000 Betten im Ganzen); die Wollen-Induſtrie, mit äußerſt
werthvollen Einzelangaben; die Münze, die Verprovianti-
rung der Stadt, die Beamtenſchaft u. A. m. 1) Anderes
erfährt man beiläufig: wie z. B.: bei der Einrichtung der
neuen Staatsrenten (monte) im Jahr 1353 u. f. auf den
Kanzeln gepredigt wurde, von den Franciscanern dafür,
von den Dominicanern und Auguſtinern dagegen 2); vollends
Der ſchwarze
Tod.haben in ganz Europa die öconomiſchen Folgen des ſchwarzen
Todes nirgends eine ſolche Beachtung und Darſtellung ge-
funden noch finden können wie hier 3). Nur ein Flo-
rentiner konnte uns überliefern: wie man erwartete, daß
bei der Wenigkeit der Menſchen Alles wohlfeil werden
ſollte, und wie ſtatt deſſen Lebensbedürfniſſe und Arbeits-
lohn auf das Doppelte ſtiegen; wie das gemeine Volk
Anfangs gar nicht mehr arbeiten ſondern nur gut leben
wollte; wie zumal die Knechte und Mägde in der Stadt
nur noch um ſehr hohen Lohn zu haben waren; wie die
Bauern nur noch das allerbeſte Land bebauen mochten und
das geringere liegen ließen u. ſ. w.; wie dann die enormen
Vermächtniſſe für die Armen, die während der Peſt gemacht
wurden, nachher zwecklos erſchienen, weil die Armen theils
geſtorben theils nicht mehr arm waren. Endlich wird ein-
mal bei Gelegenheit eines großen Vermächtniſſes, da ein
kinderloſer Wohlthäter allen Stadtbettlern je ſechs Denare
hinterließ, eine umfaſſende Bettelſtatiſtik4) von Florenz
verſucht.
[79]
Dieſe ſtatiſtiſche Betrachtung der Dinge hat ſich in der1. Abſchnitt.
Verbindung
von Statiſtik u.
Cultur.
Folge bei den Florentinern auf das Reichſte ausgebildet;
das Schöne dabei iſt, daß ſie den Zuſammenhang mit dem
Geſchichtlichen im höhern Sinne, mit der allgemeinen Cul-
tur und mit der Kunſt in der Regel durchblicken laſſen.
Eine Aufzeichnung vom Jahre 1422 1) berührt mit einem
und demſelben Federzug die 72 Wechſelbuden rings um den
Mercato nuovo, die Summe des Baarverkehres (2 Mill.
Goldgulden), die damals neue Induſtrie des geſponnenen
Goldes, die Seidenſtoffe, den Filippo Brunellesco, der die
alte Architectur wieder aus der Erde hervorgräbt, und den
Lionardo Aretino, Secretär der Republik, welcher die antike
Literatur und Beredſamkeit wieder erweckt; endlich das all-
gemeine Wohlergehen der damals politiſch ruhigen Stadt
und das Glück Italiens, das ſich der fremden Soldtruppen
entledigt hatte. Jene oben (S. 71) angeführte Statiſtik
von Venedig, die faſt aus demſelben Jahre ſtammt, offen-
bart freilich einen viel größern Beſitz, Erwerb und Schau-
platz; Venedig beherrſcht ſchon lange die Meere mit ſeinen
Schiffen, während Florenz (1422) ſeine erſte eigene Galeere
(nach Aleſſandria) ausſendet. Allein wer erkennt nicht in
der florentiniſchen Aufzeichnung den höhern Geiſt? Solche
und ähnliche Notizen finden ſich hier von Jahrzehnd zu
Jahrzehnd, und zwar ſchon in Ueberſichten geordnet, wäh-
rend anderwärts im beſten Falle einzelne Ausſagen vor-
handen ſind. Wir lernen das Vermögen und die Geſchäfte
der erſten Medici approximativ kennen; ſie gaben an Al-Der Reichthum
der Medici.
moſen, öffentlichen Bauten und Steuern von 1434 bis 1471
nicht weniger als 663,755 Goldgulden aus, wovon auf
Coſimo allein über 400,000 kamen 2), und Lorenzo magnifico
[80]1. Abſchnitt.freut ſich, daß das Geld ſo gut ausgegeben ſei. Nach 1478
folgt dann wieder eine höchſt wichtige und in ihrer Art
vollſtändige Ueberſicht 1) des Handels und der Gewerbe der
Stadt, darunter mehrere, welche halb oder ganz zur Kunſt
gehören: die Gold- und Silberſtoffe und Damaſte; die
Holzſchnitzerei und Marketterie (Intarsia); die Arabesken-
ſculptur in Marmor und Sandſtein; die Porträtfiguren in
Wachs; die Goldſchmiede- und Juwelierkunſt. Ja das
angeborene Talent der Florentiner für die Berechnung des
ganzen äußern Daſeins zeigt ſich auch in ihren Haus-,
Geſchäfts- und Landwirthſchaftsbüchern, die ſich wohl vor
denen der übrigen Europäer des XV. Jahrhunderts um
ein namhaftes auszeichnen mögen. Mit Recht hat man
angefangen, ausgewählte Proben davon zu publiciren 2);
nur wird es noch vieler Studien bedürfen, um klare all-
gemeine Reſultate daraus zu ziehen. Jedenfalls giebt ſich
auch hier derjenige Staat zu erkennen, wo ſterbende Väter
teſtamentariſch 3) den Staat erſuchten ihre Söhne um 1000
Goldgulden zu büßen, wenn ſie kein regelmäßiges Gewerbe
treiben würden.
Für die erſte Hälfte des XVI. Jahrhunderts beſitzt
dann vielleicht keine Stadt der Welt eine ſolche Urkunde
wie die herrliche Schilderung von Florenz bei Varchi iſt4).
Auch in der beſchreibenden Statiſtik wie in ſo manchen
andern Beziehungen wird hier noch einmal ein Muſter hin-
[81] geſtellt, ehe die Freiheit und Größe dieſer Stadt zu Grabe1. Abſchnitt.
geht 1).
Cultur der Renaiſſance. 6
[82]
1. Abſchnitt.
Die Verfaſſun-
gen.
Neben dieſer Berechnung des äußern Daſeins geht
aber jene fortlaufende Schilderung des politiſchen Lebens
einher, von welcher oben die Rede war. Florenz durchlebt
nicht nur mehr politiſche Formen und Schattirungen, ſon-
dern es giebt auch unverhältnißmäßig mehr Rechenſchaft
davon als andere freie Staaten Italiens und des Abend-
landes überhaupt. Es iſt der vollſtändigſte Spiegel des
Verhältniſſes von Menſchenklaſſen und einzelnen Menſchen
zu einem wandelbaren Allgemeinen. Die Bilder der gro-
ßen bürgerlichen Demagogien in Frankreich und Flandern,
wie ſie Froiſſart entwirft, die Erzählungen unſerer deutſchen
Chroniken des XIV. Jahrhunderts ſind wahrlich bedeu-
1)
[83] tungsvoll genug, allein an geiſtiger Vollſtändigkeit, an viel-1. Abſchnitt.
ſeitiger Begründung des Herganges ſind die Florentiner
allen unendlich überlegen. Adelsherrſchaft, Tyrannis, Kämpfe
des Mittelſtandes mit dem Proletariat, volle, halbe und
Scheindemocratie, Primat eines Hauſes, Theokratie (mit
Savonarola), bis auf jene Miſchformen, welche das me-
diceiſche Gewaltfürſtenthum vorbereiteten, Alles wird ſo
beſchrieben, daß die innerſten Beweggründe der Betheiligten
dem Lichte bloß liegen 1). Endlich faßt Macchiavelli inDie Geſchicht-
ſchreiber.
ſeinen florentiniſchen Geſchichten (bis 1492) ſeine Vater-
ſtadt vollkommen als ein lebendiges Weſen und ihren Ent-
wicklungsgang als einen individuell naturgemäßen auf; der
erſte unter den Modernen, der dieſes ſo vermocht hat. Es
liegt außer unſerm Bereich, zu unterſuchen ob und in
welchen Punkten Macchiavell willkürlich verfahren ſein mag,
wie er im Leben des Caſtruccio Caſtracane — einem von
ihm eigenmächtig colorirten Tyrannentypus — notoriſcher
Weiſe gethan hat. Es könnte in den Storie fiorentine
gegen jede Zeile irgend etwas einzuwenden ſein und ihr
hoher, ja einziger Werth im Ganzen bliebe dennoch beſte-
hen. Und ſeine Zeitgenoſſen und Fortſetzer: Jacopo Pitti,
Guicciardini, Segni, Varchi, Vettori, welch ein Kranz von
erlauchten Namen! Und welche Geſchichte iſt es, die dieſe
Meiſter ſchildern! Die letzten Jahrzehnde der florentiniſchen
Republik, ein unvergeßlich großes Schauſpiel, ſind uns hier
vollſtändig überliefert. In dieſer maſſenhaften Tradition
über den Untergang des höchſten, eigenthümlichſten Lebens
der damaligen Welt mag der Eine nichts erkennen als
eine Sammlung von Curioſitäten erſten Ranges, der Andere
mit teufliſcher Freude den Bankerott des Edeln und Er-
6*
[84]1. Abſchnitt.habenen conſtatiren, ein Dritter die Sache als einen großen
gerichtlichen Proceß auseinanderlcgen — jedenfalls wird ſie
ein Gegenſtand nachdenklicher Betrachtung bleiben bis ans
Das
Grundübel des
Staates.Ende der Tage. Das Grundunglück, welches die Sachlage
ſtets von Neuem trübte, war die Herrſchaft von Florenz
über unterworfene, ehemals mächtige Feinde wie die Piſaner,
was einen beſtändigen Gewaltzuſtand zur nothwendigen
Folge hatte. Das einzige, freilich ſehr heroiſche Mittel,
das nur Savonarola hätte durchführen können und auch
nur mit Hülfe beſonders glücklicher Umſtände, wäre die
rechtzeitige Auflöſung Toscana's in eine Föderation freier
Städte geweſen; ein Gedanke, der erſt als weit verſpäteter
Fiebertraum einen patriotiſchen Luccheſen 1) (1548) auf das
Schaffot bringt. Von dieſem Unheil und von der unglück-
lichen Guelfenſympathie der Florentiner für einen fremden
Fürſten und der daherigen Gewöhnung an fremde Inter-
ventionen hängt alles Weitere ab. Aber wer muß nicht
dieſes Volk bewundern, das unter der Leitung ſeines hei-
ligen Mönches in einer dauernd erhöhten Stimmung das
erſte italieniſche Beiſpiel von Schonung der beſiegten Gegner
giebt? während die ganze Vorzeit ihm nichts als Rache und
Vertilgung predigt! Die Gluth, welche hier Patriotismus
und ſittlich-religiöſe Umkehr in ein Ganzes ſchmilzt, ſieht
von Weitem wohl bald wieder wie erloſchen aus, aber ihre
beſten Reſultate leuchten dann in jener denkwürdigen Be-
lagerung von 1529—30 wieder neu auf. Wohl waren es
„Narren“, welche dieſen Sturm über Florenz herauf be-
[85] ſchworen, wie Guicciardini damals ſchrieb, aber ſchon er1. Abſchnitt.
geſteht zu, daß ſie das unmöglich Geglaubte ausrichteten;
und wenn er meint, die Weiſen wären dem Unheil aus-
gewichen, ſo hat dies keinen andern Sinn als daß ſich
Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände ſeiner
Feinde hätte liefern ſollen. Es hätte dann ſeine prächtigen
Vorſtädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt
unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der
größten ſittlichen Erinnerungen ärmer.
Die Florentiner ſind in manchen großen Dingen Vor-Die
Verfaſſungsän-
derungen.
bild und frühſter Ausdruck der Italiener und der moder-
nen Europäer überhaupt, und ſo ſind ſie es auch mannig-
fach für die Schattenſeiten. Wenn ſchon Dante das ſtets
an ſeiner Verfaſſung beſſernde Florenz mit einem Kranken
verglich, der beſtändig ſeine Lage wechſelt um ſeinen Schmer-
zen zu entrinnen, ſo zeichnete er damit einen bleibenden
Grundzug dieſes Staatslebens. Der große moderne Irr-
thum, daß man eine Verfaſſung machen, durch Berechnung
der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produziren
könne 1), taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer
wieder auf und auch Macchiavell iſt davon nicht frei ge-
weſen. Es bilden ſich Staatskünſtler, welche durch künſt-
liche Verlegung und Vertheilung der Macht, durch höchſt
filtrirte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen
dauerhaften Zuſtand begründen, Groß und Klein gleich-
mäßig zufriedenſtellen oder auch täuſchen wollen. Sie
exempliren dabei auf das Naivſte mit dem Alterthum und
entlehnen zuletzt auch ganz officiell von dort die Partei-
[86]1. Abſchnitt.namen, z. B. ottimati, aristocrazia1) u. ſ. w. Seitdem
erſt hat ſich die Welt an dieſe Ausdrücke gewöhnt und
ihnen einen conventionellen, europäiſchen Sinn verliehen,
während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden
Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache be-
zeichneten oder dem Spiel des Zufalls entſtammten. Wie
ſehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache!
Macchiavelli.Von allen jedoch, die einen Staat meinten conſtruiren
zu können 2), iſt Macchiavell ohne Vergleich der Größte.
Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendige,
active, ſtellt die Alternativen richtig und großartig und
ſucht weder ſich noch andere zu täuſchen. Es iſt in ihm
keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch ſchreibt er
ja nicht für das Publicum, ſondern entweder für Behörden
und Fürſten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie
in falſcher Genialität, auch nicht im falſchen Ausſpinnen
von Begriffen, ſondern in einer ſtarken Phantaſie, die er
offenbar mit Mühe bändigt. Seine politiſche Objectivität
iſt allerdings bisweilen entſetzlich in ihrer Aufrichtigkeit,
aber ſie iſt entſtanden in einer Zeit der äußerſten Noth
und Gefahr, da die Menſchen ohnehin nicht mehr leicht an
das Recht glauben noch die Billigkeit vorausſetzen konnten.
Tugendhafte Empörung gegen dieſelbe macht auf uns, die
wir die Mächte von rechts und links in unſerem Jahrhundert
an der Arbeit geſehen haben, keinen beſondern Eindruck.
Macchiavell war wenigſtens im Stande, ſeine eigene Per-
ſon über den Sachen zu vergeſſen. Ueberhaupt iſt er ein
Patriot im ſtrengſten Sinne des Wortes, obwohl ſeine
Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles directen
Enthuſiasmus bar und ledig ſind und obwohl ihn die
[87] Florentiner ſelber zuletzt als einen Verbrecher anſahen 1). Wie1. Abſchnitt.
ſehr er ſich auch, nach der Art der Meiſten, in Sitte und Rede
gehen ließ, — das Heil des Staates war doch ſein erſter und
letzter Gedanke. Sein vollſtändigſtes Programm über die Ein-Seine Verfaf-
ſung.
richtung eines neuen florentiniſchen Staatsweſens iſt niederge-
legt in der Denkſchrift an Leo X.2), verfaßt nach dem Tode
des jüngern Lorenzo Medici, Herzogs von Urbino (ſt. 1519),
dem er ſein Buch vom Fürſten gewidmet hatte. Die Lage der
Dinge iſt eine ſpäte und ſchon total verdorbene, und die
vorgeſchlagenen Mittel und Wege ſind nicht alle moraliſch;
aber es iſt höchſt intereſſant zu ſehen wie er als Erbinn
der Medici die Republik und zwar eine mittlere Democratie
einzuſchieben hofft. Ein kunſtreicheres Gebäude von Con-
ceſſionen an den Papſt, die ſpeciellen Anhänger deſſelben
und die verſchiedenen florentiniſchen Intereſſen iſt gar nicht
denkbar; man glaubt in ein Uhrwerk hineinzuſehen. Zahl-
reiche andere Principien, Einzelbemerkungen, Parallelen,
politiſche Perſpectiven u. ſ. w. für Florenz finden ſich in
den Discorſi, darunter Lichtblicke von erſter Schönheit; erSeine Discorſt.
erkennt z. B. das Geſetz einer fortſchreitenden, und zwar
ſtoßweiſe ſich äußernden Entwicklung der Republiken an
und verlangt, daß das Staatsweſen beweglich und der
Veränderung fähig ſei, indem nur ſo die plötzlichen Blut-
urtheile und Verbannungen vermieden würden. Aus einem
ähnlichen Grunde, nämlich um Privat-Gewaltthaten und
fremde Intervention („den Tod aller Freiheit“) abzuſchneiden,
wünſcht er gegen verhaßte Bürger eine gerichtliche Anklage
(accusa) eingeführt zu ſehen, an deren Stelle Florenz
von jeher nur die Uebelreden gehabt habe. Meiſterhaft
characteriſirt er die unfreiwilligen, verſpäteten Entſchlüſſe,
welche in Republiken bei kritiſchen Zeiten eine ſo große
Rolle ſpielen. Dazwiſchen einmal verführt ihn die Phan-
[88]1. Abſchnitt.taſie und der Druck der Zeiten zu einem unbedingten Lob
des Volkes, welches ſeine Leute beſſer wähle als irgend ein
Fürſt und ſich „mit Zureden“ von Irrthümern abbringen
laſſe 1). In Betreff der Herrſchaft über Toscana zweifelt
er nicht, daß dieſelbe ſeiner Stadt gehöre und hält (in
einem beſondern Discorſo) die Wiederbezwingung Piſa's
für eine Lebensfrage; er bedauert, daß man Arezzo nach
der Rebellion von 1502 überhaupt habe ſtehen laſſen; er
giebt ſogar im Allgemeinen zu, italieniſche Republiken
müßten ſich lebhaft nach außen bewegen und vergrößern
dürfen, um nicht ſelber angegriffen zu werden und um
Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache
immer verkehrt angefangen und ſich Piſa, Siena und
Lucca von jeher tödtlich verfeindet, während das „brüder-
lich behandelte“ Piſtoja ſich freiwillig untergeordnet habe.
Siena.Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken,
die im XV. Jahrhundert noch exiſtirten, mit dieſem einzi-
gen Florenz auch nur in Parallele ſetzen zu wollen, welches
bei Weitem die wichtigſte Werkſtätte des italieniſchen, ja
des modernen europäiſchen Geiſtes überhaupt war. Siena
litt an den ſchwerſten organiſchen Uebeln und ſein relatives
Gedeihen in Gewerben und Künſten darf hierüber nicht
täuſchen. Aeneas Sylvius 2) ſchaut von ſeiner Vaterſtadt
aus wahrhaft ſehnſüchtig nach den „fröhlichen“ deutſchen
Reichsſtädten hinüber, wo keine Confiscationen von Habe
und Erbe, keine gewaltthätigen Behörden, keine Factionen
Genua.das Daſein verderben 3). Genua gehört kaum in den Kreis
[89] unſerer Betrachtung, da es ſich an der ganzen Renaiſſance1. Abſchnitt.
vor den Zeiten des Andrea Doria kaum betheiligte, weß-
halb der Riviereſe in Italien als Verächter aller höhern
Bildung 1) galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen ſo
wilden Character und waren von ſo heftigen Schwankungen
der ganzen Exiſtenz begleitet, daß man kaum begreift wie
die Genueſen es anfingen um nach allen Revolutionen und
Occupationen immer wieder in einen erträglichen Zuſtand
einzulenken. Vielleicht gelang es weil alle, die ſich beim
Staatsweſen betheiligten, faſt ohne Ausnahme zugleich als
Kaufleute thätig waren 2). Welchen Grad von Unſicher-
heit der Erwerb im Großen und der Reichthum aushalten
können, mit welchem Zuſtand im Innern der Beſitz ferner
Colonien verträglich iſt, lehrt Genua in überraſchender
Weiſe.
Lucca bedeutet im XV. Jahrhundert nicht viel.
Wie nun die meiſten italieniſchen Staaten in ihremAuswärtige
Politik.
Innern Kunſtwerke, d. h. bewußte, von der Reflexion ab-
hängige, auf genau berechneten ſichtbaren Grundlagen ru-
hende Schöpfungen waren, ſo mußte auch ihr Verhältniß
zu einander und zum Ausland ein Werk der Kunſt ſein.
Daß ſie faſt ſämmtlich auf ziemlich neuen Uſurpationen
beruhen, iſt für ihre auswärtigen Beziehungen ſo verhäng-
nißvoll als für das Innere. Keiner erkennt den andern
3)
[90]1. Abſchnitt.ohne Rückhalt an; daſſelbe Glücksſpiel, welches bei Grün-
dung und Befeſtigung der eigenen Herrſchaft gewaltet hat,
mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar
nicht immer von dem Gewaltherrſcher ab, ob er ruhig ſitzen
wird oder nicht. Das Bedürfniß ſich zu vergrößern, ſich
überhaupt zu rühren iſt allen Illegitimen eigen. So wird
Italien die Heimath einer „auswärtigen Politik“, welche
dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines
anerkannten Rechtszuſtandes vertreten hat. Die völlig ob-
jective, von Vorurtheilen wie von ſittlichen Bedenken freie
Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen
eine Vollendung, in welcher ſie elegant und großartig er-
ſcheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenloſen
Abgrundes hervorbringt.
Bedrohung Ve-
nedigs.Dieſe Ränke, Liguen, Rüſtungen, Beſtechungen und
Verräthereien machen zuſammen die äußere Geſchichte des
damaligen Italiens aus. Lange Zeit war beſonders Ve-
nedig der Gegenſtand allgemeiner Anklagen, als wollte es
ganz Italien erobern oder allgemach ſo herunterbringen,
daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die
Arme fallen müſſe 1). Bei näherm Zuſehen wird man je-
doch inne, daß dieſer Weheruf ſich nicht aus dem Volk
ſondern aus der Umgebung der Fürſten und Regierungen
erhebt, welche faſt ſämmtlich bei ihren Unterthanen ſchwer
verhaßt ſind, während Venedig durch ſein leidlich mildes
Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt 2). Auch Flo-
renz, mit ſeinen knirſchenden Unterthanenſtädten fand ſich
[91] Venedig gegenüber in mehr als ſchiefer Stellung, ſelbſt1. Abſchnitt.
wenn man den Handelsneid und das Fortſchreiten Venedigs
in der Romagna nicht in Betracht zog. Endlich brachte
es die Liga von Cambray (S. 69) wirklich dahin, den-
jenigen Staat zu ſchwächen, den ganz Italien mit vereinten
Kräften hätte ſtützen ſollen.
Allein auch alle übrigen verſehen ſich des Allerſchlimm-Die Fremden.
ſten zu einander, wie das eigene böſe Gewiſſen es jedem
eingiebt, und ſind fortwährend zum Aeußerſten bereit.
Lodovico Moro, die Aragoneſen von Neapel, Sixtus IV.
hielten in ganz Italien die allergefährlichſte Unruhe wach,
der Kleinern zu geſchweigen. Hätte ſich dieſes entſetzliche
Spiel nur auf Italien beſchränkt! allein die Natur der
Dinge brachte es mit ſich, daß man ſich nach fremder In-
tervention und Hülfe umſah, hauptſächlich nach Franzoſen
und Türken.
Zunächſt ſind die Bevölkerungen ſelber durchweg für
Frankreich eingenommen. Mit einer grauenerregenden Naive-Franzöſiſche
Sympathien.
tät geſteht Florenz von jeher ſeine alte guelfiſche Sympathie
für die Franzoſen ein 1). Und als Carl VIII. wirklich im
Süden der Alpen erſchien, fiel ihm ganz Italien mit einem
Jubel zu, welcher ihm und ſeinen Leuten ſelber ganz wun-
derlich vorkam 2). In der Phantaſie der Italiener (man
denke an Savonarola) lebte das Idealbild eines großen,
weiſen und gerechten Retters und Herrſchers, nur war es
nicht mehr wie bei Dante der Kaiſer, ſondern der capetin-
[92]1. Abſchnitt.giſche König von Frankreich. Mit ſeinem Rückzug war die
Täuſchung im Ganzen dahin, doch hat es noch lange ge-
dauert bis man einſah, wie vollſtändig Carl VIII., Lud-
wig XII. und Franz I. ihr wahres Verhältniß zu Italien
verkannten und von welch untergeordneten Beweggründen
ſie ſich leiten ließen. Anders als das Volk ſuchten die
Fürſten ſich Frankreichs zu bedienen. Als die franzöſiſch-
engliſchen Kriege zu Ende waren, als Ludwig XI. ſeine
diplomatiſchen Netze nach allen Seiten hin auswarf, als
vollends Carl von Burgund ſich in abenteuerlichen Plänen
wiegte, da kamen ihnen die italieniſchen Cabinete von allen
Seiten entgegen und die franzöſiſche Intervention mußte
früher oder ſpäter eintreten, auch ohne die Anſprüche auf
Neapel und Mailand, ſo gewiß als ſie z. B. in Genua
und Piemont ſchon längſt ſtattgefunden hatte. Die Vene-
zianer erwarteten ſie ſchon 1462 1). Welche Todesangſt
Herzog Galeazzo Maria von Mailand während des Bur-
gunderkrieges ausſtand, als er, ſcheinbar ſowohl mit Lud-
wig XI. als mit Carl verbündet, den Ueberfall Beider
fürchten mußte, zeigt ſeine Correſpondenz 2) in ſchlagender
Verſuch eines
Gleichgewich-
tes.Weiſe. Das Syſtem eines Gleichgewichtes der vier italie-
niſchen Hauptſtaaten, wie Lorenzo magnifico es verſtand,
war doch nur das Poſtulat eines lichten, optimiſtiſchen
Geiſtes, welcher über frevelnde Experimental-Politik wie
über florentiniſchen Guelfen-Aberglauben hinaus war und
ſich bemühte, das Beſte zu hoffen. Als Ludwig XI. ihm
im Kriege gegen Ferrante von Neapel und Sixtus IV.
Hülfstruppen anbot, ſagte er: „ich vermag noch nicht,
„meinen Nutzen der Gefahr ganz Italiens vorzuziehen;
[93] „wollte Gott, es fiele den franzöſiſchen Königen niemals1. Abſchnitt.
„ein, ihre Kräfte in dieſem Lande zu verſuchen! wenn es
„dazu kömmt, ſo iſt Italien verloren.“ 1) Für andere Für-
ſten dagegen iſt der König von Frankreich abwechſelnd
Mittel oder Gegenſtand des Schreckens und ſie drohen mit
ihm ſobald ſie aus irgend einer Verlegenheit keinen beque-
mern Ausweg wiſſen. Vollends glaubten die Päpſte, ohne
alle eigene Gefahr mit Frankreich operiren zu dürfen, und
Innocenz VIII. meinte noch, er könne ſchmollend ſich nach
dem Norden zurückziehen, um von da mit einem franzöſi-
ſchen Herr als Eroberer nach Italien zurückzukehren 2).
Denkende Menſchen ſahen alſo die fremde EroberungDie Aera der
Interven-
tionen.
ſchon lange vor dem Zuge Carls VIII. voraus 3). Und
als Carl wieder über die Alpen zurück war, lag es erſt
recht klar vor aller Augen, daß nunmehr eine Aera der
Interventionen begonnen habe. Fortan verflicht ſich Un-
glück mit Unglück, man wird zu ſpät inne, daß Frankreich
und Spanien, die beiden Hauptintervenienten, inzwiſchen
moderne Großmächte geworden ſind, daß ſie ſich nicht mehr
mit oberflächlichen Huldigungen begnügen können, ſondern
um Einfluß und Beſitz in Italien auf den Tod kämpfen
müſſen. Sie haben angefangen, den centraliſirten italie-
niſchen Staaten zu gleichen, ja dieſelben nachzuahmen, nur
in coloſſalem Maßſtab. Die Abſichten auf Länderraub und
Ländertauſch nehmen eine Zeitlang einen Flug ins Unbe-
dingte hinaus. Das Ende aber war bekanntlich ein totales
Uebergewicht Spaniens, welches als Schwert und Schild
der Gegenreformation auch das Papſtthum in eine lange
Abhängigkeit brachte. Die traurige Reflexion der Philo-
ſophen beſtand dann einzig darin, nachzuweiſen wie alle
[94]1. Abſchnitt.die, welche die Barbaren gerufen, ein ſchlechtes Ende ge-
nommen hätten.
Verbindungen
mit den Türken.Offen und ohne alle Scheu ſetzte man ſich im XV.
Jahrhundert auch mit den Türken in Verbindung; es ſchien
dieß ein Mittel politiſcher Wirkung wie ein anderes. Der
Begriff einer ſolidariſchen „abendländiſchen Chriſtenheit“
hatte ſchon im Verlauf der Kreuzzüge bisweilen bedenklich
gewankt und Friedrich II. mochte demſelben bereits ent-
wachſen ſein, allein das erneute Vordringen des Orientes,
die Noth und der Untergang des griechiſchen Reiches hatte
im Ganzen wieder die frühere Stimmung der Abendländer
(wenn auch nicht ihren Eifer) erneuert. Hievon macht
Italien eine durchgängige Ausnahme; ſo groß der Schrecken
vor den Türken und die wirkliche Gefahr ſein mochte, ſo
Die Regierun-
gen;iſt doch kaum eine bedeutendere Regierung, welche nicht
irgend einmal frevelhaft mit Mohammed II. und ſeinen
Nachfolgern einverſtanden geweſen wäre gegen andere ita-
lieniſche Staaten. Und wo es nicht geſchah, da traute es
doch jeder dem andern zu — es war noch immer nicht ſo
ſchlimm als was z. B. die Venezianer dem Thronerben
Alfons von Neapel Schuld gaben, daß er Leute geſchickt
habe, um die Ciſternen von Venedig zu vergiften 1). Von
einem Verbrecher wie Sigismondo Malateſta erwartete man
nichts Beſſeres, als daß er die Türken nach Italien rufen
möchte 2). Aber auch die Aragoneſen von Neapel, welchen
Mohammed — angeblich von andern italieniſchen Regie-
[95] rungen 1) aufgereizt — eines Tages Otranto wegnahm,1. Abſchnitt.
hetzten hernach den Sultan Bajazeth II. gegen Venedig 2).
Ebendaſſelbe ließ ſich Lodovico Moro zu Schulden kommen;
„Das Blut der Gefallenen und der Jammer der bei den
„Türken Gefangenen ſchreit gegen ihn zu Gott um Rache“,
ſagt der Annaliſt des Staates. In Venedig, wo man
Alles wußte, war es auch bekannt, daß Giovanni Sforza,
Fürſt von Peſaro, der Vetter des Moro, die nach Mailand
reiſenden türkiſchen Geſandten beherbergt hatte 3). Von den
Päpſten des XV. Jahrhunderts ſind die beiden ehren-Die Päpſte;
wertheſten, Nicolaus V. und Pius II. in tiefſtem Kummer
wegen der Türken geſtorben, letzterer ſogar unter den An-
ſtalten einer Kreuzfahrt, die er ſelber leiten wollte; ihre
Nachfolger dagegen veruntreuen die aus der ganzen Chri-
ſtenheit geſammelten Türkengelder, und entweihen den dar-
auf gegründeten Ablaß zu einer Geldſpeculation für ſich 4).
Innocenz VIII. giebt ſich zum Kerkermeiſter des geflüchte-
ten Prinzen Dſchem her, gegen ein von deſſen Bruder
Bajazeth II. zu zahlendes Jahrgeld, und Alexander VI.
unterſtützt in Conſtantinopel die Schritte des Lodovico Moro
zur Förderung eines türkiſchen Angriffes auf Venedig (1498),
worauf ihm dieſes mit einem Concil droht 5). Man ſieht,
daß das berüchtigte Bündniß Franz I. mit Soliman II.
nichts in ſeiner Art Neues und Unerhörtes war.
Uebrigens gab es auch einzelne Bevölkerungen, welchenDie Bevölke-
rungen.
[96]1. Abſchnitt.ſogar der Uebergang an die Türken nicht mehr als etwas
beſonders Schreckliches erſchien. Selbſt wenn ſie nur gegen
drückende Regierungen damit gedroht haben ſollten, ſo wäre
dieß doch ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken halben-
weges vertraut geworden war. Schon um 1480 giebt
Battiſta Mantovano deutlich zu verſtehen, daß die meiſten
Anwohner der adriatiſchen Küſte etwas der Art vorausſähen
und daß namentlich Ancona es wünſche 1). Als die Ro-
magna unter Leo X. ſich ſehr bedrückt fühlte, ſagte einſt
ein Abgeordneter von Ravenna dem Legaten Cardinal
Giulio Medici ins Geſicht: „Monſignore, die erlauchte
„Republik Venedig will uns nicht, um keinen Streit mit
„der Kirche zu bekommen, wenn aber der Türke nach Ra-
„guſa kommt, ſo werden wir uns ihm übergeben 2).“
Eine Aufgabe
Spaniens.Angeſichts der damals ſchon begonnenen Unterjochung
Italiens durch die Spanier iſt es ein leidiger aber doch
gar nicht grundloſer Troſt, daß nunmehr das Land wenig-
ſtens vor der Barbariſirung durch die Türken-Herrſchaft
geſchützt war 3). Sich ſelber hätte es bei der Entzweiung
ſeiner Herrſcher ſchwerlich vor dieſem Schickſal bewahrt.
Objectivität
der Politik.Wenn man nach all Dieſem von der damaligen ita-
lieniſchen Staatskunſt etwas Gutes ſagen ſoll, ſo kann ſich
dies nur auf die objective, vorurtheilsloſe Behandlung
ſolcher Fragen beziehen, welche nicht durch Furcht, Leiden-
[97] ſchaft oder Bosheit bereits getrübt waren. Hier giebt es1. Abſchnitt.
kein Lehnsweſen im nordiſchen Sinn mit künſtlich abgelei-
teten Rechten, ſondern die Macht, welche jeder beſitzt, be-
ſitzt er (in der Regel) wenigſtens factiſch ganz. Hier giebt
es keinen Geleitsadel, welcher im Gemüth der Fürſten den
abſtracten Ehrenpunkt mit all ſeinen wunderlichen Folge-
rungen aufrecht hielte, ſondern Fürſten und Rathgeber ſind
darin eins, daß nur nach der Lage der Dinge, nach den
zu erreichenden Zwecken zu handeln ſei. Gegen die Men-
ſchen, die man benützt, gegen die Verbündeten, woher ſie
auch kommen mögen, exiſtirt kein Kaſtenhochmuth, der irgend
Jemanden abſchrecken könnte, und zu allem Ueberfluß redet
der Stand der Condottieren, wo die Herkunft völlig gleich-
gültig iſt, vernehmlich genug von der wirklichen Macht.
Endlich kennen die Regierungen, als gebildete Despoten,
ihr eigenes Land und die Länder ihrer Nachbarn ungleich
genauer als ihre nordiſchen Zeitgenoſſen die ihrigen, und
berechnen die Leiſtungsfähigkeit von Freund und Feind in
öconomiſcher wie in moraliſcher Hinſicht bis ins Einzelſte;
ſie erſcheinen, trotz den ſchwerſten Irrthümern, als geborene
Statiſtiker.
Mit ſolchen Menſchen konnte man unterhandeln, manDie Unterhand-
lung.
konnte ſie zu überzeugen, d. h. durch thatſächliche Gründe
zu beſtimmen hoffen. Als der große Alfonſo von Neapel
(1434) Gefangener des Filippo Maria Visconti geworden
war, wußte er dieſen zu überzeugen, daß die Herrſchaft
des Hauſes Anjou über Neapel ſtatt der ſeinigen die Fran-
zoſen zu Herrn von Italien machen würde, und Jener ließ
ihn ohne Löſegeld frei und ſchloß ein Bündniß mit ihm 1).
Schwerlich hätte ein nordiſcher Fürſt ſo gehandelt und ge-
wiß keiner von der ſonſtigen Moralität des Visconti. Ein
feſtes Vertrauen auf die Macht thatſächlicher Gründe be-
weist auch der berühmte Beſuch, welchen Lorenzo magnifico
Cultur der Renaiſſance. 7
[98]1. Abſchnitt.— unter allgemeiner Beſtürzung der Florentiner — dem
treuloſen Ferrante in Neapel abſtattete, der gewiß in der
Verſuchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan-
genen da zu behalten 1). Denn daß man einen mächtigen
Fürſten verhaften und dann nach Ausſtellung einiger Unter-
ſchriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig
entlaſſen könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig XI. zu
Péronne that (1468), erſchien den Italienern als Thorheit 2),
ſo daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt
zurück erwartet wurde. Es iſt in dieſer Zeit zumal von
venezianiſchen Geſandten eine Kunſt der politiſchen Ueber-
redung aufgewandt worden, von welcher man dieſſeits der
Alpen erſt durch die Italiener einen Begriff bekam, und
welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur-
theilt werden darf, denn dieſe gehören der humaniſtiſchen
Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte
es im diplomatiſchen Verkehr auch nicht 3), trotz aller ſonſt
ſehr entwickelten Etikette. Faſt rührend aber erſcheint uns
ein Geiſt wie Macchiavell in ſeinen „Legazioni“. Mangel-
haft inſtruirt, kümmerlich ausgeſtattet, als untergeordneter
Agent behandelt, verliert er niemals ſeinen freien, hohen
Beobachtungsgeiſt und ſeine Luſt des anſchaulichen Berich-
tens. — Von dem Studium des Menſchen, als Volk wie
als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält-
niſſe bei dieſen Italienern Hand in Hand ging, wird in
einem beſondern Abſchnitte die Rede ſein.
Der Krieg als
Kunſtwerk.Auf welche Weiſe auch der Krieg den Character eines
[99] Kunſtwerkes annahm, ſoll hier nur mit einigen Worten1. Abſchnitt.
angedeutet werden. Im abendländiſchen Mittelalter war
die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchſt vollendete
innerhalb des herrſchenden Syſtemes von Wehr und Waffen,
auch gab es gewiß jederzeit geniale Erfinder in der Be-
feſtigungs- und Belagerungskunſt, allein Strategie ſowohl
als Tactik wurden in ihrer Entwicklung geſtört durch die
vielen ſachlichen und zeitlichen Beſchränkungen der Kriegs-
pflicht, und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B.
Angeſichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte
und mit ſeinem bloßen Ungeſtüm gerade die wichtigſten
Schlachten, wie die von Crécy und Maupertuis, verdarb.
Bei den Italienern dagegen herrſchte am frühſten das in
ſolchen Dingen anders geartete Söldnerweſen vor, und auch
die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerſeits dazuFeuerwaffen.
bei, den Krieg gleichſam zu democratiſiren, nicht nur weil
die feſteſten Burgen vor den Bombarden erzitterten, ſondern
weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geſchicklichkeit
des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleriſten in den Vor-
dergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz,
daß die Geltung des Individuums, — die Seele der kleinen,
trefflich ausgebildeten italieniſchen Söldnerheere — durch
jene von ferne her wirkenden Zerſtörungsmittel beeinträch-
tigt wurde, und es gab einzelne Condottieren, welche ſich
wenigſtens gegen das unlängſt in Deutſchland erfundene 1)
Handrohr aus Kräften verwahrten; ſo ließ Paolo Vitelli 2)
den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen aus-
ſtechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen
als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im Großen und
Ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte
7*
[100]1. Abſchnitt.ſie nach Kräften aus, ſo daß die Italiener für die Angriffs-
mittel wie für den Feſtungsbau die Lehrer von ganz Europa
Kenner und
Dilettanten.wurden. Fürſten wie Federigo von Urbino, Alfonſo von
Ferrara, eigneten ſich eine Kennerſchaft des Faches an,
gegen welche ſelbſt die eines Maximilian I. nur oberfläch-
lich erſchienen ſein wird. In Italien gab es zuerſt eine
Wiſſenſchaft und Kunſt des geſammten im Zuſammenhang
behandelten Kriegsweſens; hier zuerſt begegnen wir einer
neutralen Freude an der correcten Kriegführung als ſolcher,
wie dieß zu dem häufigen Parteiwechſel und zu der rein
ſachlichen Handlungsweiſe der Condottieren paßte. Während
des mailändiſch-venezianiſchen Krieges von 1451 und 1452,
zwiſchen Francesco Sforza und Jacopo Picinino, folgte
dem Hauptquartier des letztern der Literat Porcellio, mit
dem Auftrage des Königs Alfonſo von Neapel, eine
Relation 1) zu verfaſſen. Sie iſt in einem nicht ſehr reinen
aber fließenden Latein im Geiſte des damaligen humaniſti-
ſchen Bombaſtes geſchrieben, im Ganzen nach Caeſar's Vor-
bild, mit eingeſtreuten Reden, Prodigien u. ſ. w.; und da
man ſeit hundert Jahren ernſtlich darob ſtritt, ob Scipio
Africanus maior oder Hannibal größer geweſen 2), muß ſich
Picinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen
und Sforza Hannibal. Auch über das mailändiſche Heer
mußte objectiv berichtet werden; der Sophiſt ließ ſich bei
Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte
Alles höchlich und verſprach, was er hier geſehen ebenfalls
der Nachwelt zu überliefern 3). Auch ſonſt iſt die damalige
Literatur Italiens reich an Kriegsſchilderungen und Auf-
zeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beſchau-
[101] lichen Kenners ſowohl als der gebildeten Welt überhaupt,1. Abſchnitt.
während gleichzeitige nordiſche Relationen, z. B.: Diebold
Schillings Burgunderkrieg noch ganz die Formloſigkeit und
protocollariſche Treue von Chroniken an ſich haben. Der
größte Dilettant, der je als ſolcher 1) im Kriegsweſen auf-
getreten iſt, Macchiavelli, ſchrieb damals ſeine „arte della
guerra“. Die ſubjective Ausbildung des einzelnen KriegersZweikämpfe.
aber fand ihre vollendetſte Aeußerung in jenen feierlichen
Kämpfen von einem oder mehrern Paaren, dergleichen ſchon
lange vor dem berühmten Kampfe bei Barletta (1503) Sitte
geweſen iſt 2). Der Sieger war dabei einer Verherrlichung
gewiß, die ihm im Norden fehlte: durch Dichter und Hu-
maniſten. Es liegt im Ausgang dieſer Kämpfe kein Gottes-
urtheil mehr, ſondern ein Sieg der Perſönlichkeit und —
für die Zuſchauer — der Entſcheid einer ſpannenden Wette
nebſt einer Genugthuung für die Ehre des Heeres oder der
Nation.
Es verſteht ſich, daß dieſe ganze rationelle Behand-Kriegsgräuel.
lung der Kriegsſachen unter gewiſſen Umſtänden den ärgſten
Gräueln Platz machte, ſelbſt ohne Mitwirkung des politiſchen
Haſſes, bloß etwa einer verſprochenen Plünderung zu Liebe.
Nach der vierzigtägigen Verheerung Piacenza's (1447),
welche Sforza ſeinen Soldaten hatte geſtatten müſſen, ſtand
die Stadt geraume Zeit leer und mußte mit Gewalt wieder
bevölkert werden 3). Doch will dergleichen wenig ſagen im
[102]1. Abſchnitt.Vergleich mit dem Jammer, den nachher die Truppen der
Fremden über Italien brachten; beſonders jene Spanier,
in welchen vielleicht ein nicht abendländiſcher Zuſatz des
Geblütes, vielleicht die Gewöhnung an die Schauſpiele der
Inquiſition die teufliſche Seite der Natur entfeſſelt hatte.
Wer ſie kennen lernt bei ihren Gräuelthaten von Prato,
Rom u. ſ. w., hat es ſpäter ſchwer, ſich für Ferdinand den
Catholiſchen und Carl V. in höherm Sinne zu intereſſiren.
Dieſe haben ihre Horden gekannt und dennoch losgelaſſen.
Die Laſt von Acten aus ihrem Cabinet, welche allmälig
zum Vorſchein kömmt, mag eine Quelle der wichtigſten
Notizen bleiben — einen belebenden politiſchen Gedanken
wird Niemand mehr in den Scripturen ſolcher Fürſten
ſuchen.
Das Papſt-
thum.Papſtthum und Kirchenſtaat 1), als eine ganz aus-
nahmsweiſe Schöpfung, haben uns bisher, bei der Feſt-
ſtellung des Characters italieniſcher Staaten überhaupt,
nur beiläufig beſchäftigt. Gerade das, was ſonſt dieſe
Staaten intereſſant macht, die bewußte Steigerung und
Concentration der Machtmittel, findet ſich im Kirchenſtaat
am wenigſten, indem hier die geiſtliche Macht die mangel-
hafte Ausbildung der weltlichen unaufhörlich decken und
erſetzen hilft. Welche Feuerproben hat der ſo conſtituirte
Staat im XIV. und beginnenden XV. Jahrhundert aus-
gehalten! Als das Papſtthum nach Südfrankreich gefangen
geführt wurde, ging Anfangs Alles aus den Fugen, aber
Avignon hatte Geld, Truppen und einen großen Staats-
und Kriegsmann, der den Kirchenſtaat wieder völlig unter-
warf, den Spanier Albornoz. Noch viel größer war die
[103] Gefahr einer definitiven Auflöſung, als das Schisma hin-1. Abſchnitt.
zutrat, als weder der römiſche noch der avignoneſiſche Papſt
reich genug war um den von Neuem verlorenen Staat zu
unterwerfen, aber nach der Herſtellung der Kircheneinheit
gelang dieß unter Martin V. doch wieder, und gelang
abermals nachdem ſich die Gefahr unter Eugen IV. er-
neuert hatte. Allein der Kirchenſtaat war und blieb einſt-
weilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens;
in und um Rom trotzten dem Papſtthum die großen Adels-
familien der Colonna, Savelli, Orſini, Anguillara u. ſ. w.;
in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar
jetzt faſt keine jener Stadt-Republiken mehr, welchen einſt
das Papſtthum für ihre Anhänglichkeit ſo wenig Dank ge-
wußt hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner
Fürſtenhäuſer, deren Gehorſam und Vaſallentreue nicht viel
beſagen wollte. Als beſondere, aus eigener Kraft beſtehende
Dynaſtien haben ſie auch ihr beſonderes Intereſſe und in
dieſer Beziehung iſt oben (S. 28, 44) bereits von den
wichtigſten derſelben die Rede geweſen.
Gleichwohl ſind wir auch dem Kirchenſtaat als GanzemSeine beſonde-
ren Gefahren.
hier eine kurze Betrachtung ſchuldig. Neue merkwürdige
Kriſen und Gefahren kommen ſeit der Mitte des XV. Jahr-
hunderts über ihn, indem der Geiſt der italieniſchen Politik
von verſchiedenen Seiten her ſich auch ſeiner zu bemächtigen,
ihn in die Pfade ſeiner Raiſon zu leiten ſucht. Die ge-
ringern dieſer Gefahren kommen von außen oder aus dem
Volke, die größern haben ihre Quelle in dem Gemüth der
Päpſte ſelbſt.
Das transalpiniſche Ausland darf zunächſt außer Be-
tracht bleiben. Wenn dem Papſtthum in Italien eine
tödtliche Bedrohung zuſtieß, ſo hätte ihm weder Frankreich
unter Ludwig XI., noch England beim Beginn der Roſen-
kriege, noch das einſtweilen gänzlich zerrüttete Spanien,
noch auch das um ſein Basler Concil betrogene Deutſchland
die geringſte Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können.
[104]1. Abſchnitt.In Italien ſelber gab es eine gewiſſe Anzahl Gebildeter
Stützpunkte.und auch wohl Ungebildeter, welche eine Art von National-
ſtolz darein ſetzten, daß das Papſtthum dem Lande gehöre;
ſehr Viele hatten ein beſtimmtes Intereſſe dabei, daß es ſo
ſei und bleibe; eine gewaltige Menge glaubten auch noch
an die Kraft der päpſtlichen Weihen und Segnungen 1),
darunter auch große Frevler, wie jener Vitellozzo Vitelli,
der noch um den Ablaß Alexanders VI. flehte als ihn der
Sohn des Papſtes erwürgen ließ 2). Allein alle dieſe Sym-
pathien zuſammen hätten wiederum das Papſtthum nicht
gerettet gegenüber von wahrhaft entſchloſſenen Gegnern, die
den vorhandenen Haß und Neid zu benützen gewußt hätten.
Und bei ſo geringer Ausſicht auf äußere Hülfe ent-
wickeln ſich gerade die allergrößten Gefahren im Innern
[105] des Papſtthums ſelber. Schon indem daſſelbe jetzt weſent-1. Abſchnitt.
lich im Geiſt eines weltlichen italieniſchen Fürſtenthums
lebte und handelte, mußte es auch die düſtern Momente
eines ſolchen kennen lernen; ſeine eigenthümliche Natur aber
brachte noch ganz beſondere Schatten hinein.
Was zunächſt die Stadt Rom betrifft, ſo hat man vonDie
Stadt Rom un-
ter Nicolaus V.
jeher dergleichen gethan, als ob man ihre Aufwallungen
wenig fürchte, da ſo mancher durch Volkstumult vertriebene
Papſt wieder zurückgekehrt ſei und die Römer um ihres
eigenen Intereſſes willen die Gegenwart der Curie wünſchen
mußten. Allein Rom entwickelte nicht nur zu Zeiten einen
ſpecifiſch antipäpſtlichen Radicalismus 1), ſondern es zeigte
ſich auch mitten in den bedenklichſten Complotten die Wir-
kung unſichtbarer Hände von außen. So bei der Ver-
ſchwörung des Stefano Porcari gegen denjenigen Papſt,
welcher gerade der Stadt Rom die größten Vortheile ge-
währt hatte, Nicolaus V. (1453). Porcari bezweckte einen
Umſturz der päpſtlichen Herrſchaft überhaupt und hatte
dabei große Mitwiſſer, die zwar nicht genannt werden 2),
ſicher aber unter den italieniſchen Regierungen zu ſuchen
ſind. Unter demſelben Pontificat ſchloß Lorenzo Valla
ſeine berühmte Declamation gegen die Schenkung Conſtan-
[106]1. Abſchnitt.tin's mit einem Wunſch um baldige Säculariſation des
Kirchenſtaates 1).
Unter Pius II.Auch die catilinariſche Rotte, mit welcher Pius II.
(1459) kämpfen mußte 2), verhehlte es nicht, daß ihr Ziel
der Sturz der Prieſter-Herrſchaft im Allgemeinen ſei, und
der Hauptanführer Tiburzio gab Wahrſagern die Schuld,
welche ihm die Erfüllung dieſes Wunſches eben auf dieſes
Jahr verheißen hätten. Mehrere Römiſche Große, der
Fürſt von Tarent und der Condottiere Jacopo Piccinino
waren die Mitwiſſer und Beförderer. Und wenn man be-
denkt, welche Beute in den Paläſten reicher Prälaten bereit
lag (Jene hatten beſonders den Cardinal von Aquileja
im Auge), ſo fällt es eher auf, daß in der faſt ganz un-
bewachten Stadt ſolche Verſuche nicht häufiger und erfolg-
reicher waren. Nicht umſonſt reſidirte Pius lieber überall
als in Rom, und noch Paul II. hat (1468) einen heftigen
Schrecken wegen eines wirklichen oder vorgegebenen Com-
plottes ähnlicher Art ausgeſtanden 3). Das Papſtthum
mußte entweder einmal einem ſolchen Anfall unterliegen
oder gewaltſam die Factionen der Großen bändigen, unter
deren Schutz jene Räuberſchaaren heranwuchſen.
Sixtus IV.Dieſe Aufgabe ſetzte ſich der ſchreckliche Sixtus IV.
Er zuerſt hatte Rom und die Umgegend faſt völlig in der
Gewalt, zumal ſeit der Verfolgung der Colonneſen, und
deßhalb konnte er auch in Sachen des Pontificates ſowohl
als der italieniſchen Politik mit ſo kühnem Trotz verfahren
und die Klagen und Concils-Drohungen des ganzen Abend-
landes verachten. Die nöthigen Geldmittel lieferte eine
plötzlich ins Schrankenloſe wachſende Simonie, welche von
[107] den Cardinals-Ernennungen bis auf die kleinſten Gnaden1. Abſchnitt.
und Bewilligungen herunter ſich Alles unterwarf 1). Sixtus
ſelbſt hatte die päpſtliche Würde nicht ohne Beſtechung er-
halten.
Eine ſo allgemeine Käuflichkeit konnte einſt dem römi-
ſchen Stuhl üble Schickſale zuziehen, doch lagen dieſelben
in unberechenbarer Ferne. Anders war es mit dem Ne-Der Nepotis-
mus.
potismus, welcher das Pontificat ſelber einen Augenblick
aus den Angeln zu heben drohte. Von allen Nepoten
genoß Anfangs Cardinal Pietro Riario bei Sixtus die
größte und faſt ausſchließliche Gunſt; ein Menſch, welcher
binnen Kurzem die Phantaſie von ganz Italien beſchäftigte 2),
theils durch ungeheuern Luxus, theils durch die Gerüchte,
welche über ſeine Gottloſigkeit und ſeine politiſchen Pläne
laut wurden. Er hat ſich (1473) mit Herzog Galeazzo
Maria von Mailand dahin verſtändigt, daß dieſer König
der Lombardie werden und ihn, den Nepoten, dann mit
Geld und Truppen unterſtützen ſolle, damit er bei ſeiner
Heimkehr nach Rom den päpſtlichen Stuhl beſteigen könne;
Sixtus würde ihm denſelben, ſcheint es, freiwillig abge-
treten haben 3). Dieſer Plan, welcher wohl auf eine Sä-
culariſation des Kirchenſtaates als Folge der Erblichmachung
des Stuhles hinausgelaufen wäre, ſcheiterte dann durch
Pietro's plötzliches Abſterben. Der zweite Nepot, Girolamo
Riario, blieb weltlichen Standes und taſtete das Pontificat
[108]1. Abſchnitt.nicht an; ſeit ihm aber vermehren die päpſtlichen Nepoten
Der Nepot als
Fürſt.die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen
Fürſtenthum. Früher war es etwa vorgekommen, daß die
Päpſte ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zu Gunſten
ihrer Verwandten geltend machen wollten 1); ſeit Calixt III.
aber war hieran nicht mehr ſo leicht zu denken und Giro-
lamo Riario mußte, nachdem die Ueberwältigung von
Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) miß-
lungen war, ſich mit Gründung einer Herrſchaft auf Grund
und Boden des Kirchenſtaates ſelber begnügen. Man
mochte dieß damit rechtfertigen, daß die Romagna mit ihren
Fürſten und Stadt-Tyrannen der päpſtlichen Oberherrſchaft
völlig zu entwachſen drohte, oder daß ſie in Kurzem die
Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn
Rom nicht auf dieſe Weiſe eingriff. Allein wer garantirte
in jenen Zeiten und Verhältniſſen den dauernden Gehorſam
ſolcher ſouverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen
gegen Päpſte, die ſie weiter nichts mehr angingen? Selbſt
der noch lebende Papſt war nicht immer ſeines eigenen
Sohnes oder Neffen ſicher, und vollends lag die Verſuchung
nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu
verdrängen. Die Rückwirkungen dieſes ganzen Verhält-
niſſes auf das Papſtthum ſelbſt waren von der bedenklich-
ſten Art; alle, auch die geiſtlichen Zwangsmittel wurden
ohne irgend welche Scheu an den zweideutigſten Zweck ge-
wandt, welchem ſich die andern Zwecke des Stuhles Petri
unterordnen mußten, und wenn das Ziel unter heftigen
Erſchütterungen und allgemeinem Haß erreicht war, ſo hatte
man eine Dynaſtie geſchaffen, welche das größte Intereſſe
am Untergang des Papſtthums hatte.
Als Sixtus ſtarb, konnte ſich Girolamo nur mit äu-
ßerſter Mühe und nur durch den Schutz des Hauſes Sforza
[109] (dem ſeine Gemahlin angehörte) in ſeinem erſchwindelten1. Abſchnitt.
Fürſtenthum (Forli und Imola) halten. Bei dem nun
(1484) folgenden Conclave — in welchem Innocenz VIII.Innocenz VIII.
und
die Simonie.
gewählt wurde — trat eine Erſcheinung zu Tage, welche
beinahe einer neuen äußern Garantie des Papſtthums ähn-
lich ſieht: zwei Cardinäle, welche Prinzen regierender Häuſer
ſind, laſſen ſich ihre Hülfe auf das Schamloſeſte durch
Geld und Würden abkaufen, nämlich Giovanni d'Aragona,
Sohn des Königs Ferrante, und Ascanio Sforza, Bruder
des Moro 1). So waren wenigſtens die Herrſcherhäuſer
von Neapel und Mailand durch Theilnahme an der Beute
beim Fortbeſtand des päpſtlichen Weſens intereſſirt. Noch
einmal beim folgenden Conclave, als alle Cardinäle bis
auf fünf ſich verkauften, nahm Ascanio ungeheure Be-
ſtechungen an, und behielt ſich außerdem die Hoffnung 2)
vor, das nächſtemal ſelber Papſt zu werden.
Auch Lorenzo magnifico wünſchte, daß das Haus Medici
nicht leer ausgehe. Er vermählte ſeine Tochter Maddalena
mit dem Sohn des neuen Papſtes, Franceſchetto Cybò, und
erwartete nun nicht bloß allerlei geiſtliche Gunſt für ſeinen
eigenen Sohn Cardinal Giovanni (den künftigen Leo X.),
ſondern auch eine raſche Erhebung des Schwiegerſohns 3).
Allein in letzterm Betracht verlangte er Unmögliches. Bei
Innocenz VIII. konnte von dem kecken, ſtaatengründenden
Nepotismus deßhalb nicht die Rede ſein, weil Franceſchetto
ein ganz kümmerlicher Menſch war, dem es, wie ſeinem
Vater dem Papſte, nur um den Genuß der Macht im
[110]1. Abſchnitt.niedrigſten Sinne, namentlich um den Erwerb großer Geld-
maſſen 1) zu thun ſein konnte. Die Art jedoch, wie Vater
und Sohn dieß Geſchäft trieben, hätte auf die Länge zu
einer höchſt gefährlichen Kataſtrophe, zur Auflöſung des
Staates, führen müſſen.
Verkauf der Be-
gnadigungen.Hatte Sixtus das Geld beſchafft durch den Verkauf
aller geiſtlichen Gnaden und Würden, ſo errichten Innocenz
und ſein Sohn eine Bank der weltlichen Gnaden, wo gegen
Erlegung von hohen Taxen Pardon für Mord und Todt-
ſchlag zu haben iſt; von jeder Buße kommen 150 Ducaten
an die päpſtliche Kammer, und was darüber geht, an
Franceſchetto. Rom wimmelt namentlich in den letzten
Zeiten dieſes Pontificates von protegirten und nicht prote-
girten Mördern; die Factionen, mit deren Unterwerfung
Sixtus den Anfang gemacht, ſtehen wieder in voller Blüthe
da; dem Papſt in ſeinem wohlverwahrtem Vatican genügt
es, da und dort Fallen aufzuſtellen, in welchen ſich zahlungs-
fähige Verbrecher fangen ſollen. Für Franceſchetto aber
gab es nur noch eine Hauptfrage: auf welche Art er ſich,
wenn der Papſt ſtürbe, mit möglichſt großen Kaſſen aus
dem Staube machen könne? Er verrieth ſich einmal bei
Anlaß einer falſchen Todesnachricht (1490); alles überhaupt
vorhandene Geld — den Schatz der Kirche — wollte er
fortſchaffen, und als die Umgebung ihn daran hinderte,
ſollte wenigſtens der Türkenprinz Dſchem mitgehen, ein
lebendiges Capital, das man um hohen Preis etwa an
Ferrante von Neapel verhandeln konnte 2). Es iſt ſchwer,
politiſche Möglichkeiten in längſt vergangenen Zeiten zu
berechnen; unabweisbar aber drängt ſich die Frage auf, ob
Rom noch zwei oder drei Pontificate dieſer Art ausgehalten
[111] hätte? Auch gegenüber dem andächtigen Europa war es1. Abſchnitt.
unklug, die Dinge ſo weit kommen zu laſſen, daß nicht
bloß der Reiſende und der Pilger, ſondern eine ganze Am-
baſſade des römiſchen Königs Maximilian in der Nähe von
Rom bis aufs Hemde ausgezogen wurde und daß manche
Geſandte unterweges umkehrten ohne die Stadt betreten zu
haben.
Mit dem Begriff vom Genuß der Macht, welcher inAlexander VI.
dem hochbegabten Alexander VI. (1492—1503) lebendig
war, vertrug ſich ein ſolcher Zuſtand freilich nicht, und
das Erſte was geſchah, war die einſtweilige Herſtellung
der öffentlichen Sicherheit und das präciſe Auszahlen aller
Beſoldungen.
Strenge genommen, dürfte dieſes Pontificat hier, wo
es ſich um italieniſche Culturformen handelt, übergangen
werden, denn die Borgia ſind ſo wenig Italiener als das
Haus von Neapel. Alexander ſpricht mit Ceſare öffentlich
ſpaniſch, Lucrezia wird bei ihrem Empfang in Ferrara,
wo ſie ſpaniſche Toilette trägt, von ſpaniſchen Buffonen
angeſungen; die vertrauteſte Hausdienerſchaft beſteht aus
Spaniern, ebenſo die verrufenſte Kriegerſchaar des Ceſare
im Krieg des Jahres 1500, und ſelbſt ſein Henker, Don
Micheletto, ſo wie der Giftmiſcher Sebaſtian Pinzon ſchei-
nen Spanier geweſen zu ſein. Zwiſchen all ſeinem ſonſti-
gen Treiben erlegt Ceſare auch einmal ſpaniſch kunſtgerecht
ſechs wilde Stiere in geſchloſſenem Hofraum. Allein die
Corruption, als deren Spitze dieſe Familie erſcheint, hatten
ſie in Rom ſchon ſehr entwickelt angetroffen.
Was ſie geweſen ſind und was ſie gethan haben, iſt
oft und viel geſchildert worden. Ihr nächſtes Ziel, welches
ſie auch erreichten, war die völlige Unterwerfung des Kir-
chenſtaates, indem die ſämmtlichen 1) kleinen Herrſcher —
[112]1. Abſchnitt.meiſt mehr oder weniger unbotmäßige Vaſallen der Kirche —
vertrieben oder zernichtet und in Rom ſelbſt beide große Fac-
tionen zu Boden geſchmettert wurden, die angeblich guelfi-
ſchen Orſinen ſo gut wie die angeblich ghibelliniſchen Co-
lonneſen. Aber die Mittel, welche angewandt wurden,
waren ſo ſchrecklich, daß das Papſtthum an den Conſe-
quenzen derſelben nothwendig hätte zu Grunde gehen müſſen,
wenn nicht ein Zwiſchen-Ereigniß (die gleichzeitige Vergif-
tung von Vater und Sohn) die ganze Lage der Dinge
Gefahren von
außen.plötzlich geändert hätte. — Auf die moraliſche Entrüſtung
des Abendlandes allerdings brauchte Alexander nicht viel
zu achten; in der Nähe erzwang er Schrecken und Huldi-
gung; die ausländiſchen Fürſten ließen ſich gewinnen und
Ludwig XII. half ihm ſogar aus allen Kräften, die Be-
völkerungen aber ahnten kaum was in Mittelitalien vor-
ging. Der einzige in dieſem Sinne wahrhaft gefährliche
Moment, als Carl VIII. in der Nähe war, ging uner-
wartet glücklich vorüber, und auch damals handelte es ſich
wohl nicht um das Papſtthum als ſolches 1) ſondern nur
um Verdrängung Alexanders durch einen beſſern Papſt.
Die große, bleibende und wachſende Gefahr für das Pon-
tificat lag in Alexander ſelbſt und vor allem in ſeinem
Sohne Ceſare Borgia.
Simonie.In dem Vater waren Herrſchbegier, Habſucht und
Wolluſt mit einem ſtarken und glänzenden Naturell ver-
bunden. Was irgend zum Genuß von Macht und Wohl-
[113] leben gehört, das gönnte er ſich vom erſten Tage an im1. Abſchnitt.
weiteſten Umfang. In den Mitteln zu dieſem Zwecke er-
ſcheint er ſogleich völlig unbedenklich; man wußte auf der
Stelle, daß er die für ſeine Papſtwahl aufgewandten Opfer
mehr als nur wieder einbringen würde 1), und daß die
Simonie des Kaufes durch die des Verkaufes weit würde
überboten werden. Es kam hinzu, daß Alexander von
ſeinem Vice-Cancellariat und andern frühern Aemtern her
die möglichen Geldquellen beſſer kannte und mit größerm
Geſchäftstalent zu handhaben wußte als irgend ein Curiale.
Schon im Lauf des Jahres 1494 geſchah es, daß ein
Carmeliter Adamo von Genua, der zu Rom von der Si-
monie gepredigt hatte, mit zwanzig Wunden ermordet in
ſeinem Bette gefunden wurde. Alexander hat kaum einen
Cardinal außer gegen Erlegung hoher Summen ernannt.
Als aber der Papſt mit der Zeit unter die HerrſchaftCeſare Borgia.
ſeines Sohnes gerieth, nahmen die Mittel der Gewalt
jenen völlig ſataniſchen Character an, der nothwendig auf die
Zwecke zurückwirkt. Was im Kampf gegen die römiſchen
Großen und gegen die romagnoliſchen Dynaſten geſchah,
überſtieg im Gebiet der Treuloſigkeit und Grauſamkeit ſo-
gar dasjenige Maaß, an welches z. B. die Aragoneſen
von Neapel die Welt bereits gewöhnt hatten, und auch das
Talent der Täuſchung war größer. Vollends grauenhaft
iſt die Art und Weiſe, wie Ceſare den Vater iſolirt, indem
er den Bruder, den Schwager und andere Verwandte und
Höflinge ermordet, ſobald ihm deren Gunſt beim Papſt
Cultur der Renaiſſance. 8
[114]1. Abſchnitt.oder ihre ſonſtige Stellung unbequem wird. Alexander
mußte zu der Ermordung ſeines geliebteſten Sohnes, des
Duca di Gandia, ſeine Einwilligung geben 1), weil er
ſelber ſtündlich vor Ceſare zitterte.
Welches waren nun die tiefſten Pläne des Letztern?
Noch in den letzten Monaten ſeiner Herrſchaft, als er eben
die Condottieren zu Sinigaglia umgebracht hatte und factiſch
Herr des Kirchenſtaates war (1503), äußerte man ſich in
ſeiner Nähe leidlich beſcheiden: Der Herzog wolle bloß
Seine Abſich-
tenFactionen und Tyrannen unterdrücken, Alles nur zum
Nutzen der Kirche; für ſich bedinge er ſich höchſtens die
Romagna aus, und dabei könne er des Dankgefühles aller
folgenden Päpſte ſicher ſein, da er ihnen Orſinen und Co-
lonneſen vom Halſe geſchafft 2). Aber Niemand wird dieß
als ſeinen letzten Gedanken gelten laſſen. Schon etwas
weiter ging einmal Papſt Alexander ſelbſt mit der Sprache
heraus, in der Unterhaltung mit dem venezianiſchen Ge-
ſandten, indem er ſeinen Sohn der Protection von Venedig
auf den päpſt-
lichen Thronempfahl: „ich will dafür ſorgen, ſagte er, daß einſt das
„Papſtthum entweder an ihn oder an Eure Republik fällt.“ 3)
Ceſare freilich fügte bei: es ſolle nur Papſt werden, wen
Venedig wolle, und zu dieſem Endzweck brauchten nur die
venezianiſchen Cardinäle recht zuſammenzuhalten. Ob er
[115] damit ſich ſelbſt gemeint, mag dahin geſtellt bleiben; jeden-1. Abſchnitt.
falls genügt die Ausſage des Vaters, um ſeine Abſicht auf
die Beſteigung des päpſtlichen Thrones zu beweiſen. Wie-
derum etwas mehr erfahren wir mittelbar von Lucrezia
Borgia, inſofern gewiſſe Stellen in den Gedichten des Ercole
Strozza der Nachklang von Aeußerungen ſein dürften, die
ſie als Herzogin von Ferrara ſich wohl erlauben konnte.
Zunächſt iſt auch hier von Ceſare's Ausſicht auf das
Papſtthum die Rede 1), allein dazwiſchen tönt etwas von
einer gehofften Herrſchaft über Italien im Allgemeinen 2),
und am Ende wird angedeutet, daß Ceſare gerade als
weltlicher Herrſcher das Größte vorgehabt und deßhalb
einſt den Cardinalshut niedergelegt habe 3). In der That
kann kein Zweifel darüber walten, daß Ceſare, nach Alexan-
ders Tode zum Papſt gewählt oder nicht, den Kirchenſtaat
um jeden Preis zu behaupten gedachte und daß er dieß,und deſſen Sä-
culariſation.
nach Allem was er verübt hatte, als Papſt unmöglich auf
die Länge vermocht hätte. Wenn irgend Einer, ſo hätte
er den Kirchenſtaat ſäculariſirt 4) und hätte es thun müſſen
3)
8*
[116]1. Abſchnitt.um dort weiter zu herrſchen. Trügt uns nicht Alles, ſo
iſt dieß der weſentliche Grund der geheimen Sympathie,
womit Macchiavell den großen Verbrecher behandelt; von
Ceſare oder von Niemand durfte er hoffen, daß er „das
Eiſen aus der Wunde ziehe“, d. h. das Papſtthum, die
Quelle aller Intervention und aller Zerſplitterung Italiens
zernichte. — Die Intriganten, welche Ceſare zu errathen
glaubten, wenn ſie ihm das Königthum von Toscana ſpie-
gelten, wies er, ſcheint es mit Verachtung von ſich 1).
Doch alle logiſchen Schlüſſe aus ſeinen Prämiſſen ſind
vielleicht eitel — nicht wegen einer ſonderlichen dämoniſchen
Genialität, die ihm ſo wenig innewohnte als z. B. dem
Herzog von Friedland — ſondern weil die Mittel, die er
anwandte, überhaupt mit keiner völlig conſequenten Hand-
lungsweiſe im Großen verträglich ſind. Vielleicht hätte in
dem Uebermaß von Bosheit ſich wieder eine Ausſicht der
Rettung für das Papſtthum aufgethan, auch ohne jenen
Zufall, der ſeiner Herrſchaft ein Ende machte.
Die irrationel-
len Mittel.Wenn man auch annimmt, daß die Zernichtung aller
Zwiſchenherrſcher im Kirchenſtaate dem Ceſare nichts als
Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schaar
die 1503 ſeinem Glücke folgte — die beſten Soldaten und
Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Ober-Inge-
nieur — als Beweis ſeiner großen Ausſichten gelten läßt,
ſo gehört doch Anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen,
ſo daß unſer Urtheil darob irre wird wie das der Zeit-
genoſſen. Von dieſer Art iſt beſonders die Verheerung
und Mißhandlung des eben gewonnenen Staates 2), den
4)
[117] Ceſare doch zu behalten und zu beherrſchen gedenkt. So-1. Abſchnitt.
dann der Zuſtand Roms und der Curie in den letztenErmordungen.
Jahren des Pontificates. Sei es, daß Vater und Sohn
eine förmliche Proſcriptions-Liſte entworfen hatten 1), ſei
es, daß die Mordbeſchlüſſe einzeln gefaßt wurden — die
Borgia legten ſich auf heimliche Zernichtung aller derer,
welche ihnen irgendwie im Wege waren oder deren Erb-
ſchaft ihnen begehrenswerth ſchien. Capitalien und fahrende
Habe waren noch das wenigſte dabei; viel einträglicher für
den Papſt war es, daß die Leibrenten der betreffenden geiſt-
lichen Herren erloſchen und daß er die Einkünfte ihrer
Aemter während der Vacanz und den Kaufpreis derſelben
bei neuer Beſetzung einzog. Der venezianiſche Geſandte
Paolo Capello 2) meldet im Jahr 1500 wie folgt: „Jede
„Nacht findet man zu Rom 4 oder 5 Ermordete, nämlich
„Biſchöfe, Prälaten und Andere, ſo daß ganz Rom davor
„zittert, von dem Herzog (Ceſare) ermordet zu werden.“
Er ſelber zog des Nachts mit ſeinen Garden in der er-
ſchrockenen Stadt herum 3), und es iſt aller Grund vor-
handen zu glauben, daß dieß nicht bloß geſchah, weil er,
wie Tiberius, ſein ſcheußlich gewordenes Antlitz bei Tage
nicht mehr zeigen mochte, ſondern um ſeiner tollen Mordluſt
ein Genüge zu thun, vielleicht auch an ganz Unbekannten.
Schon im Jahr 1499 war die Desperation hierüber ſo
groß und allgemein, daß das Volk viele päpſtliche Gardiſten
2)
[118]1. Abſchnitt.überfiel und umbrachte 1). Wem aber die Borgia mit offener
Vergiftungen.Gewalt nicht beikamen, der unterlag ihrem Gift. Für
diejenigen Fälle, wo einige Discretion nöthig ſchien, wurde
jenes ſchneeweiße, angenehm ſchmeckende Pulver 2) gebraucht,
welches nicht blitzſchnell, ſondern allmälig wirkte und ſich
unbemerkt jedem Gericht oder Getränk beimiſchen ließ.
Schon Prinz Dſchem hatte davon in einem ſüßen Trank
mit bekommen, bevor ihn Alexander an Carl VIII. aus-
lieferte (1495), und am Ende ihrer Laufbahn vergifteten
ſich Vater und Sohn damit, indem ſie zufällig von dem
für einen reichen Cardinal beſtimmten Wein genoſſen. Der
officielle Epitomator der Papſtgeſchichte, Onufrio Panvinio 3)
nennt drei Cardinäle, welche Alexander hat vergiften laſſen
(Orſini, Ferrerio und Michiel) und deutet einen vierten
an, welchen Ceſare auf ſeine Rechnung nahm (Giovanni
Borgia); es möchten aber damals ſelten reichere Prälaten
in Rom geſtorben ſein ohne einen Verdacht dieſer Art.
Auch ſtille Gelehrte, die ſich in eine Landſtadt zurückge-
zogen, erreichte ja das erbarmungsloſe Gift. Es fing an,
um den Papſt herum nicht mehr recht geheuer zu werden;
Blitzſchläge und Sturmwinde, von welchen Mauern und
Gemächer einſtürzten, hatten ihn ſchon früher in auffallender
Weiſe heimgeſucht und in Schrecken geſetzt; als 1500 4) ſich
dieſe Erſcheinungen wiederholten, fand man darin „cosa
Die
letzten Jahre.diabolica“. Das Gerücht von dieſem Zuſtande der Dinge
ſcheint durch das ſtarkbeſuchte 5) Jubiläum von 1500 doch
[119] endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu ſein und1. Abſchnitt.
die ſchmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablaſſes that
ohne Zweifel das Uebrige um alle Augen auf Rom zu
lenken 1). Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch
ſonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden,
darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenſtaat, welche
nicht werden geſchwiegen haben. Doch wer kann berechnen,
wie lange und hoch das Aergerniß des Abendlandes noch
hätte ſteigen müſſen, ehe es für Alexander eine unmittel-
bare Gefahr erzeugte. „Er hätte, ſagt Panvinio anders-
„wo, 2) auch die noch übrigen reichen Cardinäle und Prälaten
„aus der Welt geſchafft um ſie zu erben, wenn er nicht,
„mitten in den größten Abſichten für ſeinen Sohn, dahin-
„gerafft worden wäre“. Und was würde Ceſare gethan
haben, wenn er im Augenblicke, da ſein Vater ſtarb, nicht
ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein
Conclave wäre das geworden, wenn er ſich einſtweilen, mit
all ſeinen Mitteln ausgerüſtet, durch ein mit Gift zweck-
mäßig reducirtes Cardinals-Collegium zum Papſt wählen
ließ, zumal in einem Augenblick da keine franzöſiſche Armee
in der Nähe geweſen wäre! Die Phantaſie verliert ſich, ſo-
bald ſie dieſe Hypotheſen verfolgt, in einen Abgrund.
Statt deſſen folgte das Conclave Pius III. und nachJulius II.
deſſen baldigem Tode auch dasjenige Julius II. unter dem
Eindruck einer allgemeinen Reaction.
Welches auch die Privatſitten Julius II. ſein mochten,
in den weſentlichen Beziehungen iſt er der Retter des Papſt-
thums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den
Pontificaten ſeit ſeinem Oheim Sixtus hatte ihm einen
tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen
des päpſtlichen Anſehens gewährt, und danach richtete er
[120]1. Abſchnitt.nun ſeine Herrſchaft ein und widmete ihr die ganze Kraft
und Leidenſchaft ſeiner unerſchütterlichen Seele. Ohne Si-
monie, unter allgemeinem Beifall ſtieg er die Stufen des
Stuhles Petri hinan und nun hörte wenigſtens der eigent-
liche Handel mit den höchſten Würden gänzlich auf. Julius
Seine Reaction.hatte Günſtlinge und darunter ſehr unwürdige, allein des
Nepotismus war er durch ein beſonderes Glück überhoben:
ſein Bruder Giovanni della Rovere war der Gemahl der
Erbinn von Urbino, Schweſter des letzten Montefeltro
Guidobaldo, und aus dieſer Ehe war ſeit 1491 ein Sohn,
Francesco Maria della Rovere vorhanden, welcher zugleich
rechtmäßiger Nachfolger im Herzogthum Urbino und päpſt-
licher Nepot war. Was nun Julius ſonſt irgend erwarb,
im Cabinet oder durch ſeine Feldzüge, das unterwarf er
mit hohem Stolz der Kirche und nicht ſeinem Hauſe; den
Kirchenſtaat, welchen er in voller Auflöſung angetroffen,
hinterließ er völlig gebändigt und durch Parma und Pia-
cenza vergrößert. Es lag nicht an ihm, daß nicht auch
Ferrara für die Kirche eingezogen wurde. Die 700,000
Ducaten, welche er beſtändig in der Engelsburg liegen
hatte, ſollte der Caſtellan einſt Niemanden als dem künftigen
Papſt ausliefern. Er erbte die Cardinäle, ja Alle Geiſt-
lichen, die in Rom ſtarben und zwar auf rückſichtsloſe
Weiſe 1), aber er vergiftete und mordete Keinen. Daß er
ſelber zu Felde zog, war für ihn unvermeidlich und hat
ihm in Italien ſicher nur genützt zu einer Zeit da man
entweder Ambos oder Hammer ſein mußte, und da die
Perſönlichkeit mehr wirkte als das beſterworbene Recht.
Wenn er aber trotz all ſeines hochbetonten: „Fort mit den
Barbaren!“ gleichwohl am meiſten dazu beitrug, daß die
Spanier in Italien ſich recht feſtſetzten, ſo konnte dieß für
das Papſtthum gleichgültig, ja vielleicht relativ vortheilhaft
[121] erſcheinen. Oder war nicht bis jetzt von der Krone Spa-1. Abſchnitt.
nien am eheſten ein dauernder Reſpect vor der Kirche zu
erwarten 1), während die italieniſchen Fürſten vielleicht nur
noch frevelhafte Gedanken gegen letztere hegten? — WiePerſönlichkeit.
dem aber ſei, der mächtige originelle Menſch, der keinen
Zorn herunterſchlucken konnte und kein wirkliches Wohl-
wollen verbarg, machte im Ganzen den für ſeine Lage höchſt
wünſchbaren Eindruck eines „Pontefice terribile“. Er
konnte ſogar wieder mit relativ gutem Gewiſſen die Beru-
fung eines Concils nach Rom wagen, womit dem Concils-
Geſchrei der ganzen europäiſchen Oppoſition Trotz geboten
war. Ein ſolcher Herrſcher bedurfte auch eines großartigen
äußern Symboles ſeiner Richtung; Julius fand daſſelbe
im Neubau von St. Peter; die Anlage deſſelben, wie ſie
Bramante wollte, iſt vielleicht der größte Ausdruck aller
einheitlichen Macht überhaupt. Aber auch in den übrigen
Künſten lebt Andenken und Geſtalt dieſes Papſtes im höch-
ſten Sinne fort, und es iſt nicht ohne Bedeutung, daß
ſelbſt die lateiniſche Poeſie jener Tage für Julius in andere
Flammen geräth als für ſeine Vorgänger. Der Einzug in
Bologna, am Ende des „Iter Julii secundi“, von Cardi-
nal Adriano da Corneto, hat einen eigenen prachtvollen
Ton, und Giovan Antonio Flaminio hat in einer der
ſchönſten Elegien 2) den Patrioten im Papſt um Schutz für
Italien angerufen.
[122]
1. Abſchnitt.Julius hatte durch eine donnernde Conſtitution 1) ſeines
lateranenſiſchen Concils die Simonie bei der Papſtwahl
Leo X.verboten. Nach ſeinem Tode (1513) wollten die geldluſtigen
Cardinäle dieß Verbot dadurch umgehen, daß eine allge-
meine Abrede proponirt wurde, wonach die bisherigen
Pfründen und Aemter des zu Wählenden gleichmäßig unter
ſie vertheilt werden ſollten; ſie würden dann den pfründen-
reichſten Cardinal (den ganz untüchtigen Rafael Riario)
gewählt haben 2). Allein ein Aufſchwung hauptſächlich der
jüngern Mitglieder des heil. Collegiums, welche vor Allem
einen liberalen Papſt wollten, durchkreuzte jene jämmerliche
Combination; man wählte Giovanni Medici, den berühm-
ten Leo X.
Wir werden ihm noch öfter begegnen, wo irgend von der
Sonnenhöhe der Renaiſſance die Rede ſein wird; hier
iſt nur darauf hinzuweiſen, daß unter ihm das Papſtthum
wieder große innere und äußere Gefahren erlitt. Darunter
iſt nicht zu rechnen die Verſchwörung der Cardinäle Pe-
trucci, Sauli, Riario und Corneto, weil dieſe höchſtens
einen Perſonenwechſel zur Folge haben konnte; auch fand
Leo das wahre Gegenmittel in Geſtalt jener unerhörten
Creation von 31 neuen Cardinälen, welche noch dazu einen
guten Effect machte, weil ſie zum Theil das wahre Ver-
dienſt belohnte.
Pläne auf ganz
Italien.Höchſt gefährlich aber waren gewiſſe Wege, auf wel-
chen Leo in den zwei erſten Jahren ſeines Amtes ſich be-
treten ließ. Durch ganz ernſtliche Unterhandlungen ſuchte
er ſeinem Bruder Giuliano das Königreich Neapel und
ſeinem Neffen Lorenzo ein großes oberitaliſches Reich zu
verſchaffen, welches Mailand, Toscana, Urbino und Ferrara
2)
[123] umfaßt haben würde 1). Es leuchtet ein, daß der Kirchen-1. Abſchnitt.
ſtaat, auf ſolche Weiſe eingerahmt, eine mediceiſche Apanage
geworden wäre, ja man hätte ihn kaum mehr zu ſäculari-
ſiren nöthig gehabt.
Der Plan ſcheiterte an den allgemeinen politiſchen
Verhältniſſen; Giuliano ſtarb bei Zeiten; um Lorenzo den-
noch auszuſtatten unternahm Leo die Vertreibung des Her-
zogs Francesco Maria della Rovere von Urbino, zog ſich
durch dieſen Krieg unermeßlichen Haß und Armuth zu, und
mußte, als Lorenzo 1519 ebenfalls ſtarb 2) das mühſelig
Eroberte an die Kirche geben; er that ruhmlos und ge-
zwungen, was ihm, freiwillig gethan, ewigen Ruhm ge-
bracht haben würde. Was er dann noch gegen Alfonſo
von Ferrara probirte und gegen ein paar kleine Tyrannen
und Condottieren wirklich ausführte, war vollends nicht
von der Art, welche die Reputation erhöht. Und dieß
Alles während die Könige des Abendlandes ſich von JahrDie
Großmächte.
zu Jahr mehr an ein coloſſales politiſches Kartenſpiel ge-
wöhnten, deſſen Einſatz und Gewinn immer auch dieſes
oder jenes Gebiet von Italien war 3). Wer wollte dafür
bürgen, daß ſie nicht, nachdem ihre heimiſche Macht in den
letzten Jahrzehnden unendlich gewachſen, ihre Abſichten
auch einmal auf den Kirchenſtaat ausdehnen würden? Noch
Leo mußte ein Vorſpiel deſſen erleben, was 1527 ſich er-
füllte; ein paar Haufen ſpaniſcher Infanterie erſchienen
gegen Ende d. J. 1520 — aus eigenem Antrieb, ſcheint
es — an den Grenzen des Kirchenſtaates um den Papſt
[124]1. Abſchnitt.einfach zu brandſchatzen 1), ließen ſich aber durch päpſtliche
Truppen zurückſchlagen. Auch die öffentliche Meinung ge-
genüber der Corruption der Hierarchie war in den letzten
Zeiten raſcher gereift als früher, und ahnungsfähige Men-
ſchen wie z. B. der jüngere Pico von Mirandola 2), riefen
dringend nach Reformen. Inzwiſchen war bereits Luther
aufgetreten.
Hadrian VI.Unter Hadrian VI. (1521—1523) kamen auch die
ſchüchternen und wenigen Reformen gegenüber der großen
deutſchen Bewegung ſchon zu ſpät. Er konnte nicht viel
mehr als ſeinen Abſcheu gegen den bisherigen Gang der
Dinge, gegen Simonie, Nepotismus, Verſchwendung, Ban-
ditenweſen und Unſittlichkeit an den Tag legen. Die Ge-
fahr vom Lutherthum her erſchien nicht einmal als die
größte; ein geiſtvoller venezianiſcher Beobachter, Girolamo
Negro, ſpricht Ahnungen eines nahen, ſchrecklichen Unheils
für Rom ſelber aus 3).
Clemens VII.Unter Clemens VII. erfüllt ſich der ganze Horizont
von Rom mit Dünſten gleich jenem graugelben Scirocco-
ſchleier, welcher dort bisweilen den Spätſommer ſo ver-
derblich macht. Der Papſt iſt in der nächſten Nähe wie
in der Ferne verhaßt; während das Uebelbefinden der
Denkenden fortdauert4), treten auf Gaſſen und Plätzen
[125] predigende Eremiten auf, welche den Untergang Italiens,1. Abſchnitt.
ja der Welt weiſſagen und Papſt Clemens den Antichriſt
nennen 1); die colonneſiſche Faction erhebt ihr Haupt in
trotzigſter Geſtalt; der unbändige Cardinal Pompeo Colonna,
deſſen Daſein 2) allein ſchon eine dauernde Plage für das
Papſtthum war, darf Rom (1526) überfallen in der Hoff-
nung, mit Hülfe Carls V. ohne Weiteres Papſt zu werden,
ſobald Clemens todt oder gefangen wäre. Es war kein
Glück für Rom, daß dieſer ſich in die Engelsburg flüchten
konnte; das Schickſal aber, für welches er ſelber aufgeſpart
ſein ſollte, darf ſchlimmer als der Tod genannt werden.
Durch eine Reihe von Falſchheiten jener Art, welcheDie Verwü-
ſtung Roms.
nur dem Mächtigen erlaubt iſt, dem Schwächern aber Ver-
derben bringt, verurſachte Clemens den Anmarſch des ſpa-
niſch-deutſchen Heeres unter Bourbon und Frundsberg
(1527). Es iſt gewiß 3), daß das Cabinet Carls V. ihm
eine große Züchtigung zugedacht hatte und daß es nicht
voraus berechnen konnte, wie weit ſeine unbezahlten Horden
in ihrem Eifer gehen würden. Die Werbung faſt ohne
Geld wäre in Deutſchland erfolglos geblieben, wenn man
nicht gewußt hätte, es gehe gegen Rom. Vielleicht finden
ſich noch irgendwo die ſchriftlichen eventuellen Aufträge an
Bourbon und zwar ſolche, die ziemlich gelinde lauten, aber
die Geſchichtforſchung wird ſich davon nicht bethören laſſen.
Der katholiſche König und Kaiſer verdankte es rein dem
Glücke, daß Papſt und Cardinäle nicht von ſeinen Leuten
ermordet wurden. Wäre dieß geſchehen, keine Sophiſtik
der Welt könnte ihn von der Mitſchuld losſprechen. Der
Mord zahlloſer geringern Leute und die Brandſchatzung der
Uebrigen mit Hülfe von Tortur und Menſchenhandel zeigen
deutlich genug, was beim „Sacco di Roma“ überhaupt
möglich war.
[126]
1. Abſchnitt.Den Papſt, der wieder in die Engelsburg geflüchtet
Folgen und Re-
action.war, wollte Carl V., auch nachdem er ihm ungeheure
Summen abgepreßt, wie es heißt, nach Neapel bringen
laſſen, und daß Clemens ſtatt deſſen nach Orvieto floh,
ſoll ohne alle Connivenz von ſpaniſcher Seite geſchehen ſein 1).
Ob Carl einen Augenblick an die Säculariſation des Kir-
chenſtaates dachte (worauf alle Welt2) gefaßt war), ob er
ſich wirklich durch Vorſtellungen Heinrichs VIII. von Eng-
land davon abbringen ließ, dieß wird wohl in ewigem
Dunkel bleiben.
Wenn aber ſolche Abſichten vorhanden waren, ſo haben
ſie in keinem Falle lange angehalten; mitten aus der Ver-
wüſtung von Rom ſteigt der Geiſt der kirchlich-weltlichen
Reſtauration empor. Augenblicklich ahnte dieß z. B.: Sa-
doleto 3). „Wenn durch unſern Jammer, ſchreibt er, dem
„Zorn und der Strenge Gottes genuggethan iſt, wenn dieſe
„furchtbaren Strafen uns wieder den Weg öffnen zu beſſern
„Sitten und Geſetzen, dann iſt vielleicht unſer Unglück
„nicht das größte geweſen … Was Gottes iſt, dafür mag
„Gott ſorgen, wir aber haben ein Leben der Beſſerung vor
„uns, das uns keine Waffengewalt entreißen mag; richten
„wir nur Thaten und Gedanken dahin, daß wir den wahren
„Glanz des Prieſterthums und unſere wahre Größe und
„Macht in Gott ſuchen.“
Von dieſem kritiſchen Jahre 1527 an war in der That
ſo viel gewonnen, daß ernſthafte Stimmen wieder einmal
ſich hörbar machen konnten. Rom hatte zuviel gelitten um
ſelbſt unter einem Paul III. je wieder das heitere grund-
verdorbene Rom Leo's X. werden zu können.
[127]
Sodann zeigte ſich für das Papſtthum, ſobald es ein-1. Abſchnitt.
mal tief im Leiden war, eine Sympathie theils politiſcherVerhältniß zu
Carl V.
theils kirchlicher Art. Die Könige konnten nicht dulden,
daß einer von ihnen ſich ein beſonderes Kerkermeiſter-Amt
über den Papſt anmaßte und ſchloſſen u. a. zu deſſen Be-
freiung den Vertrag von Amiens (18. Aug. 1527). Sie
beuteten damit wenigſtens die Gehäſſigkeit aus, welche auf
der That der kaiſerlichen Truppen ruhte. Zugleich aber
kam der Kaiſer in Spanien ſelbſt empfindlich ins Gedränge,
indem ſeine Prälaten und Granden ihm die nachdrücklichſten
Vorſtellungen machten ſo oft ſie ihn zu ſehen bekamen.
Als eine große allgemeine Aufwartung von Geiſtlichen und
Weltlichen in Trauerkleidern bevorſtand, gerieth Carl in
Sorgen, es möchte daraus etwas Gefährliches entſtehen in
der Art des vor wenigen Jahren gebändigten Comunidaden-
Aufruhrs; die Sache wurde unterſagt 1). Er hätte nicht
nur die Mißhandlung des Papſtes auf keine Weiſe ver-
längern dürfen, ſondern es war, abgeſehen von aller aus-
wärtigen Politik, die ſtärkſte Nothwendigkeit für ihn vor-
handen, ſich mit dem furchtbar gekränkten Papſtthum zu
verſöhnen. Denn auf die Stimmung Deutſchlands, welche
ihm wohl einen andern Weg gewieſen hätte, wollte er ſich
ſo wenig ſtützen als auf die deutſchen Verhältniſſe über-
haupt. Es iſt auch möglich, daß er ſich, wie ein Venezianer
meint, durch die Erinnerung an die Verheerung Roms in
ſeinem Gewiſſen beſchwert fand 2), und deßhalb jene SühneDas Sühngeld.
beſchleunigte, welche beſiegelt werden mußte durch die blei-
bende Unterwerfung der Florentiner unter das Haus des
Papſtes, die Medici. Der Nepot und neue Herzog, Aleſſandro
Medici, wird vermählt mit der natürlichen Tochter des
Kaiſers.
[128]
1. Abſchnitt.In der Folge behielt Carl durch die Concils-Idee das
Papſtthum weſentlich in der Gewalt und konnte es zugleich
drücken und beſchützen. Jene größte Gefahr aber, die Sä-
culariſation, vollends diejenige von innen heraus, durch die
Päpſte und ihre Nepoten ſelber, war für Jahrhunderte be-
ſeitigt durch die deutſche Reformation. So wie dieſe allein
dem Zug gegen Rom (1527) Möglichkeit und Erfolg ver-
liehen hatte, ſo nöthigte ſie auch das Papſtthum, wieder
der Ausdruck einer geiſtigen Weltmacht zu werden, indem
Das Papſt-
thum d. Gegen-
reformation.es ſich an die Spitze aller ihrer Gegner ſtellen, ſich aus
der „Verſunkenheit in lauter factiſchen Verhältniſſen“ empor-
raffen mußte. Was nun in der ſpätern Zeit des Clemens VII.,
unter Paul III., Paul IV. und ihren Nachfolgern mitten
im Abfall halb Europa's allmälig heranwächst, iſt eine
ganz neue, regenerirte Hierarchie, welche alle großen, gefähr-
lichen Aergerniſſe im eigenen Hauſe, beſonders den ſtaaten-
gründenden Nepotismus vermeidet und im Bunde mit den
katholiſchen Fürſten, getragen von einem neuen geiſtlichen
Antrieb, ihr Hauptgeſchäft aus der Wiedergewinnung der
Verlorenen macht. Sie iſt nur vorhanden und nur zu
verſtehen in ihrem Gegenſatz zu den Abgefallenen. In
dieſem Sinne kann man mit voller Wahrheit ſagen, daß
das Papſtthum in moraliſcher Beziehung durch ſeine Tod-
feinde gerettet worden iſt. Und nun befeſtigte ſich auch
ſeine politiſche Stellung, freilich unter dauernder Aufſicht
Spaniens, bis zur Unantaſtbarkeit; faſt ohne alle Anſtren-
gung erbte es beim Ausſterben ſeiner Vaſallen (der legiti-
men Linie von Eſte und des Hauſes della Rovere) die
Herzogthümer Ferrara und Urbino. Ohne die Reformation
dagegen — wenn man ſie ſich überhaupt wegdenken kann —
wäre der ganze Kirchenſtaat wahrſcheinlich ſchon längſt in
weltliche Hände übergegangen.
[129]
Zum Schluß betrachten wir noch in Kürze die Rück-1. Abſchnitt.
wirkung dieſer politiſchen Zuſtände auf den Geiſt der Nation
im Allgemeinen.
Es leuchtet ein, daß die allgemeine politiſche Unſicher-Der Patriotis-
mus.
heit in dem Italien des XIV. und XV. Jahrhunderts bei
den edlern Gemüthern einen patriotiſchen Unwillen und
Widerſtand hervorrufen mußte. Schon Dante und Pe-
trarca 1) proclamiren laut ein Geſammt-Italien, auf welches
ſich alle höchſten Beſtrebungen zu beziehen hätten. Man
wendet wohl ein, es ſei dieß nur ein Enthuſiasmus einzelner
Hochgebildeten geweſen, von welchem die Maſſe der Nation
keine Kenntniß nahm, allein es möchte ſich damals mit
Deutſchland kaum viel anders verhalten haben, obwohl es
wenigſtens dem Namen nach die Einheit und einen aner-
kannten Oberherrn, den Kaiſer hatte. Die erſte laute lite-
rariſche Verherrlichung Deutſchlands (mit Ausnahme einiger
Verſe bei den Minneſängern) gehört den Humaniſten der
Zeit Maximilians I. an 2) und erſcheint faſt wie ein Echo
italieniſcher Declamationen. Und doch war Deutſchland
früher factiſch in einem ganz andern Grade ein Volk ge-
weſen als Italien jemals ſeit der Römerzeit. Frankreich
verdankt das Bewußtſein ſeiner Volkseinheit weſentlich erſt
den Kämpfen gegen die Engländer, und Spanien hat auf
die Länge nicht einmal vermocht, das engverwandte Portugal
zu abſorbiren. Für Italien waren Exiſtenz und Lebensbe-Unmöglichkeit
der Einheit.
dingungen des Kirchenſtaates ein Hinderniß der Einheit
im Großen, deſſen Beſeitigung ſich kaum jemals hoffen ließ.
Wenn dann im politiſchen Verkehr des XV. Jahrhunderts
gleichwohl hie und da des Geſammtvaterlandes mit Emphaſe
Cultur der Renaiſſance. 9
[130]1. Abſchnitt.gedacht wird, ſo geſchieht dieß meiſt nur um einen andern,
gleichfalls italieniſchen Staat zu kränken 1). Die ganz
ernſten, tiefſchmerzlichen Anrufungen an das Nationalgefühl
laſſen ſich erſt im XVI. Jahrhundert wieder hören, als es
zu ſpät war, als Franzoſen und Spanier das Land über-
zogen hatten. Von dem Local-Patriotismus kann man
etwa ſagen, daß er die Stelle dieſes Gefühles vertritt ohne
daſſelbe zu erſetzen.
[[131]]
Zweiter Abſchnitt.
Entwicklung des Individuums.
In der Beſchaffenheit dieſer Staaten, Republiken wie Ty-2. Abſchnitt.
rannien liegt nun zwar nicht der einzige aber der mächtigſte
Grund der frühzeitigen Ausbildung des Italieners zum
modernen Menſchen. Daß er der Erſtgeborne unter den
Söhnen des jetzigen Europas werden mußte, hängt an
dieſem Punkte.
Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewußt-Gegenſatz zum
Mittelalter.
ſeins — nach der Welt hin und nach dem Innern des
Menſchen ſelbſt — wie unter einem gemeinſamen Schleier
träumend oder halbwach. Der Schleier war gewoben aus
Glauben, Kindesbefangenheit und Wahn; durch ihn hin-
durchgeſehen erſchienen Welt und Geſchichte wunderſam ge-
färbt, der Menſch aber erkannte ſich nur als Race, Volk,
Partei, Corporation, Familie oder ſonſt in irgend einer
Form des Allgemeinen. In Italien zuerſt verweht dieſer
Schleier in die Lüfte; es erwacht eine objective Betrach-
tung und Behandlung des Staates und der ſämmtlichen
Dinge dieſer Welt überhaupt; daneben aber erhebt ſich mit
voller Macht das Subjective; der Menſch wird geiſtiges
Individuum1) und erkennt ſich als ſolches. So hatte
ſich einſt erhoben der Grieche gegenüber den Barbaren, der
9*
[132]2. Abſchnitt.individuelle Araber gegenüber den andern Aſiaten als
Racenmenſchen. Es wird nicht ſchwer ſein nachzuweiſen,
daß die politiſchen Verhältniſſe hieran den ſtärkſten Antheil
gehabt haben.
Das Erwachen
der Perſönlich-
keit.Schon in viel frühern Zeiten giebt ſich ſtellenweiſe
eine Entwicklung der auf ſich ſelbſt geſtellten Perſönlichkeit
zu erkennen, wie ſie gleichzeitig im Norden nicht ſo vor-
kömmt oder ſich nicht ſo enthüllt. Der Kreis kräftiger
Frevler des X. Jahrhunderts, welchen Liutprand ſchildert,
einige Zeitgenoſſen Gregors VII. (man leſe Benzo von Alba),
einige Gegner der erſten Hohenſtaufen zeigen Phyſiogno-
mien dieſer Art. Mit Ausgang des XIII. Jahrhunderts
aber beginnt Italien plötzlich von Perſönlichkeiten zu wim-
meln; der Bann, welcher auf dem Individualismus gele-
gen, iſt hier völlig gebrochen; ſchrankenlos ſpecialiſiren ſich
tauſend einzelne Geſichter. Dante's große Dichtung wäre
in jedem andern Lande ſchon deßhalb unmöglich geweſen,
weil das übrige Europa noch unter jenem Banne der Race
lag; für Italien iſt der hehre Dichter ſchon durch die Fülle
des Individuellen der nationalſte Herold ſeiner Zeit ge-
worden. Doch die Darſtellung des Menſchenreichthums in
Literatur und Kunſt, die vielartig ſchildernde Characteriſtik
wird in beſondern Abſchnitten zu beſprechen ſein; hier han-
delt es ſich nur um die pſychologiſche Thatſache ſelbſt. Mit
voller Ganzheit und Entſchiedenheit tritt ſie in die Geſchichte
ein; Italien weiß im XIV. Jahrhundert wenig von fal-
ſcher Beſcheidenheit und von Heuchelei überhaupt; kein
Menſch ſcheut ſich davor, aufzufallen, anders zu ſein und
zu ſcheinen 1) als die andern.
Die Gewalt-
herrſcher.Zunächſt entwickelt die Gewaltherrſchaft, wie wir ſahen,
[133] im höchſten Grade die Individualität des Tyrannen, des2. Abſchnitt.
Condottiere 1) ſelbſt, ſodann diejenige des vom ihm prote-
girten aber auch rückſichtslos ausgenützten Talentes, des
Geheimſchreibers, Beamten, Dichters, Geſellſchafters. Der
Geiſt dieſer Leute lernt nothgedrungen alle ſeine innern
Hülfsquellen kennen, die dauernden wie die des Augen-
blickes; auch ihr Lebensgenuß wird ein durch geiſtige Mittel
erhöhter und concentrirter, um einer vielleicht nur kurzen
Zeit der Macht und des Einfluſſes einen größtmöglichen
Werth zu verleihen.
Aber auch die Beherrſchten gingen nicht völlig ohneDie
Unterthanen.
einen derartigen Antrieb aus. Wir wollen diejenigen ganz
außer Berechnung laſſen, welche ihr Leben in geheimem
Widerſtreben, in Verſchwörungen verzehrten, und bloß derer
gedenken, die ſich darein fügten, reine Privatleute zu blei-
ben etwa wie die meiſten Städtebewohner des byzantiniſchen
Reiches und der mohammedaniſchen Staaten. Gewiß wurde
es z. B. den Unterthanen der Visconti oft ſchwer genug ge-
macht, die Würde des Hauſes und der Perſon zu behaupten,
und Unzählige mögen durch die Knechtſchaft am ſittlichen
Character Einbuße erlitten haben. Nicht ſo an dem, was
man individuellen Character nennt, denn gerade innerhalbDeren Privat-
leben.
der allgemeinen politiſchen Machtloſigkeit gediehen wohl die
verſchiedenen Richtungen und Beſtrebungen des Privatlebens
um ſo ſtärker und vielſeitiger. Reichthum und Bildung,
ſo weit ſie ſich zeigen und wetteifern durften, in Verbin-
[134]2. Abſchnitt.dung mit einer noch immer großen municipalen Freiheit
und mit dem Daſein einer Kirche, die nicht, wie in Byzanz
und in der islamitiſchen Welt, mit dem Staat identiſch
war — alle dieſe Elemente zuſammen begünſtigten ohne
Zweifel das Aufkommen individueller Denkweiſen, und
gerade die Abweſenheit des Parteikampfes fügte hier die
nöthige Muße hinzu. Der politiſch indifferente Privatmenſch
mit ſeinen theils ernſten theils dilettantiſchen Beſchäftigungen
möchte wohl in dieſen Gewaltſtaaten des XIV. Jahrhunderts
zuerſt vollkommen ausgebildet aufgetreten ſein. Urkund-
liche Ausſagen hierüber ſind freilich nicht zu verlangen; die
Novelliſten, von welchen man Winke erwarten könnte, ſchildern
zwar manchen bizarren Menſchen, aber immer nur in ein-
ſeitiger Abſicht und nur ſo weit dergleichen die zu erzäh-
lende Geſchichte berührt; auch ſpielt ihre Scene vorwiegend
in republicaniſchen Städten.
Die
Republiken.In dieſen letztern waren die Dinge wieder auf andere
Weiſe der Ausbildung des individuellen Characters günſtig.
Je häufiger die Parteien in der Herrſchaft abwechſelten,
um ſo viel ſtärker war der Einzelne veranlaßt, ſich zuſam-
menzunehmen bei Ausübung und Genuß der Herrſchaft.
So gewinnen zumal in der florentiniſchen Geſchichte 1) die
Staatsmänner und Volksführer ein ſo kenntliches perſön-
liches Daſein wie ſonſt in der damaligen Welt kaum aus-
nahmsweiſe Einer, kaum ein Jacob von Arteveldt.
Die Leute der unterlegenen Parteien aber kamen oft
in eine ähnliche Stellung wie die Unterthanen der Tyran-
nenſtaaten, nur daß die bereits gekoſtete Freiheit oder Herr-
[135] ſchaft, vielleicht auch die Hoffnung auf deren Wiedergewinn2. Abſchnitt.
ihrem Individualismus einen höhern Schwung gab. Gerade
unter dieſen Männern der unfreiwilligen Muße findet ſich
z. B. ein Agnolo Pandolfini (ſt. 1446), deſſen Schrift
„vom Hausweſen“ 1) das erſte Programm einer vollendet
durchgebildeten Privatexiſtenz iſt. Seine Abrechnung zwi-
ſchen den Pflichten des Individuums und dem unſichern
und undankbaren öffentlichen Weſen 2) iſt in ihrer Art ein
wahres Denkmal der Zeit zu nennen.
Vollends aber hat die Verbannung die Eigenſchaft,Das Exil.
daß ſie den Menſchen entweder aufreibt oder auf das Höchſte
ausbildet. „In all unſern volkreichern Städten, ſagt Gio-
„viano Pontano 3), ſehen wir eine Menge Leute, die frei-
„willig ihre Heimath verlaſſen haben; die Tugenden nimmt
„man ja überall hin mit.“ In der That waren es bei
Weitem nicht bloß förmlich Exilirte, ſondern Tauſende hatten
die Vaterſtadt ungeheißen verlaſſen, weil der politiſche oder
öconomiſche Zuſtand an ſich unerträglich wurde. Die aus-
gewanderten Florentiner in Ferrara, die Luccheſen in Ve-
nedig u. ſ. w. bildeten ganze Colonien.
Der Cosmopolitismus, welcher ſich in den geiſtvollſtenDer Cosmopo-
litismus.
Verbannten entwickelt, iſt eine höchſte Stufe des Indivi-
dualismus. Dante findet, wie ſchon erwähnt wurde (S. 76)
eine neue Heimath in der Sprache und Bildung Italiens,
geht aber doch auch darüber hinaus mit den Worten:
[136]2. Abſchnitt.„meine Heimath iſt die Welt überhaupt!“ 1) — Und als
man ihm die Rückkehr nach Florenz unter unwürdigen Be-
dingungen anbot, ſchrieb er zurück: „kann ich nicht das
„Licht der Sonne und der Geſtirne überall ſchauen? nicht
„den edelſten Wahrheiten überall nachſinnen, ohne deßhalb
„ruhmlos, ja ſchmachvoll vor dem Volk und der Stadt zu
„erſcheinen? nicht einmal mein Brod wird mir fehlen!“ 2)
Mit hohem Trotz legen dann auch die Künſtler den Accent
auf ihre Freiheit vom Ortszwang. „Nur wer Alles gelernt
„hat, ſagt Ghiberti 3), iſt draußen nirgends ein Fremdling;
„auch ſeines Vermögens beraubt, ohne Freunde, iſt er doch
„der Bürger jeder Stadt und kann furchtlos die Wande-
„lungen des Geſchickes verachten.“ Aehnlich ſagt ein ge-
flüchteter Humaniſt: „Wo irgend ein gelehrter Mann ſeinen
„Sitz aufſchlägt, da iſt gute Heimath 4).“
Vollendung der
Perſönlichkeit.Ein ſehr geſchärfter culturgeſchichtlicher Blick dürfte
wohl im Stande ſein, im XV. Jahrhundert die Zunahme
völlig ausgebildeter Menſchen ſchrittweiſe zu verfolgen. Ob
dieſelben das harmoniſche Ausrunden ihres geiſtigen und
[137] äußern Daſeins als bewußtes, ausgeſprochenes Ziel vor ſich2. Abſchnitt.
gehabt, iſt ſchwer zu ſagen; Mehrere aber beſaßen die Sache,
ſo weit dieß bei der Unvollkommenheit alles Irdiſchen mög-
lich iſt. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Geſammt-
bilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und
Character, ſo beobachte man dafür eine Individualität wie
die des Arioſto hauptſächlich in ſeinen Satiren. Bis zu
welchem Wohllaut ſind da ausgeglichen der Stolz des
Menſchen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen
Genüſſe, der feinſte Hohn und das tiefſte Wohlwollen.
Wenn nun dieſer Antrieb zur höchſten Ausbildung derDie
Vielſeitigen.
Perſönlichkeit zuſammentraf mit einer wirklich mächtigen
und dabei vielſeitigen Natur, welche ſich zugleich aller Ele-
mente der damaligen Bildung bemeiſterte, dann entſtand
der „allſeitige Menſch“, l'uomo universale, welcher aus-
ſchließlich Italien angehört. Menſchen von encyclopädiſchem
Wiſſen gab es durch das ganze Mittelalter in verſchiedenen
Ländern, weil dieſes Wiſſen nahe beiſammen war; ebenſo
kommen noch bis ins XII. Jahrhundert allſeitige Künſtler
vor, weil die Probleme der Architectur relativ einfach und
gleichartig waren und in Sculptur und Malerei die dar-
zuſtellende Sache über die Form vorherrſchte. In dem
Italien der Renaiſſance dagegen treffen wir einzelne Künſtler,
welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in ſeiner
Art Vollendetes ſchaffen und dabei noch als Menſchen den
größten Eindruck machen, Andere ſind allſeitig außerhalb
der ausübenden Kunſt, ebenfalls in einem ungeheuer weiten
Kreiſe des Geiſtigen.
Dante, welcher ſchon bei Lebzeiten von den Einen
Poet, von den Andern Philoſoph, von Dritten Theologe
genannt wurde 1), ſtrömt in all ſeinen Schriften eine Fülle
von zwingender perſönlicher Macht aus, der ſich der Leſer unter-
worfen fühlt auch abgeſehen vom Gegenſtande. Welche Willens-
[138]2. Abſchnitt.kraft ſetzt ſchon die unerſchütterlich gleichmäßige Ausarbei-
tung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf
den Inhalt, ſo iſt in der ganzen äußern und geiſtigen Welt
kaum ein wichtiger Gegenſtand, den er nicht ergründet
hätte und über welchen ſeine Ausſage — oft nur wenige
Worte — nicht die gewichtigſte Stimme aus jener Zeit
wäre. Für die bildende Kunſt iſt er Urkunde — und
wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen ſeiner
paar Zeilen über die damaligen Künſtler; bald wurde er
aber auch Quelle der Inſpiration 1).
Character des
XV. Jahrh.Das XV. Jahrhundert iſt zunächſt vorzüglich das-
jenige der vielſeitigen Menſchen. Keine Biographie, welche
nicht weſentliche, über den Dilettantismus hinausgehende
Nebenbeſchäftigungen des Betreffenden namhaft machte.
Der florentiniſche Kaufmann und Staatsmann iſt oft zu-
gleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühm-
teſten Humaniſten müſſen ihm und ſeinen Söhnen des
Ariſtoteles Politik und Ethik vortragen 2); auch die Töchter
des Hauſes erhalten eine hohe Bildung, wie denn über-
haupt in dieſen Sphären die Anfänge der höhern Privat-
erziehung vorzüglich zu ſuchen ſind. Der Humaniſt ſeiner-
ſeits wird zur größten Vielſeitigkeit aufgefordert, indem ſein
philologiſches Wiſſen lange nicht bloß wie heute der objec-
tiven Kenntniß des claſſiſchen Weltalters, ſondern einer
täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muß.
[139] Neben ſeinen plinianiſchen Studien 1) z. B. ſammelt er ein2. Abſchnitt.
Muſeum von Naturalien; von der Geographie der Alten
aus wird er moderner Kosmograph; nach dem Muſter
ihrer Geſchichtſchreibung verfaßt er Zeitgeſchichten; als
Ueberſetzer plautiniſcher Comödien wird er wohl auch der
Regiſſeur bei den Aufführungen; alle irgend eindringlichen
Formen der antiken Literatur bis auf den lucianiſchen
Dialog bildet er ſo gut als möglich nach, und zu dem
Allen functionirt er noch als Geheimſchreiber und Diplomat,
nicht immer zu ſeinem Heil.
Ueber dieſe Vielſeitigen aber ragen einige wahrhaftDie Allſeitigen;
L. B. Alberti.
Allſeitige hoch empor. Ehe wir die damaligen Lebens- und
Bildungs-Intereſſen einzeln betrachten, mag hier, an der
Schwelle des XV. Jahrhunderts, das Bild eines jener
Gewaltmenſchen ſeine Stelle einnehmen: Leon (Battiſta
Alberti. Seine Biographie 2) — nur ein Fragment —
ſpricht von ihm als Künſtler nur wenig und erwähnt ſeine
hohe Bedeutung in der Geſchichte der Architectur gar nicht,
es wird ſich nun zeigen, was er auch ohne dieſen ſpeciellen
Ruhm geweſen iſt.
In allem was Lob bringt, war Leon Battiſta von
Kindheit an der Erſte. Von ſeinen allſeitigen Leibesübun-
gen und Turnkünſten wird Unglaubliches berichtet, wie er
mit geſchloſſenen Füßen den Leuten über die Schultern
hinwegſprang, wie er im Dom ein Geldſtück emporwarf,
bis man es oben an den fernen Gewölben anklingen hörte,
[140]2. Abſchnitt.wie die wildeſten Pferde unter ihm ſchauderten und zitterten —
L. B. Alberti.denn in drei Dingen wollte er den Menſchen untadelhaft
erſcheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die
Muſik lernte er ohne Meiſter, und doch wurden ſeine Com-
poſitionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem
Drucke der Dürftigkeit ſtudirte er beide Rechte, viele Jahre
hindurch, bis zu ſchwerer Krankheit durch Erſchöpfung;
und als er im 24ſten Jahre ſein Wort-Gedächtniß ge-
ſchwächt, ſeinen Sachenſinn aber unverſehrt fand, legte er
ſich auf Phyſik und Mathematik und lernte daneben alle
Fertigkeiten der Welt, indem er Künſtler, Gelehrte und
Handwerker jeder Art bis auf die Schuſter um ihre Ge-
heimniſſe und Erfahrungen befragte. Das Malen und
Modelliren — namentlich äußerſt kenntlicher Bildniſſe, auch
aus dem bloßen Gedächtniß — ging nebenein. Beſondere
Bewunderung erregte der geheimnißvolle Guckkaſten, in
welchem er bald die Geſtirne und den nächtlichen Mond-
aufgang über Felsgebirgen erſcheinen ließ, bald weite Land-
ſchaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige
Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz
wie im Wolkenſchatten. Aber auch was Andere ſchufen,
erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menſchliche
Hervorbringung, die irgend dem Geſetze der Schönheit folgte,
beinah für etwas Göttliches 1). Dazu kam eine ſchrift-
ſtelleriſche Thätigkeit zunächſt über die Kunſt ſelber, Mark-
ſteine und Hauptzeugniſſe für die Renaiſſance der Form,
zumal der Architectur. Dann lateiniſche Proſadichtungen,
Novellen u. dgl., von welchen man Einzelnes für antik
gehalten hat, auch ſcherzhafte Tiſchreden, Elegien und Eclo-
gen; ferner ein italieniſches Werk „vom Hausweſen“ in
vier Büchern 2), ja eine Leichenrede auf ſeinen Hund. Seine
[141] ernſten und ſeine witzigen Worte waren bedeutend genug,2. Abſchnitt.
um geſammelt zu werden; Proben davon, viele ColumnenL. B. Alberti.
lang, werden in der genannten Lebensſchilderung mitgetheilt.
Und Alles was er hatte und wußte, theilte er, wie wahr-
haft reiche Naturen immer thun, ohne den geringſten Rück-
halt mit, und ſchenkte ſeine größten Erfindungen umſonſt
weg. Endlich aber wird auch die tiefſte Quelle ſeines
Weſens nahmhaft gemacht: ein faſt nervös zu nennendes,
höchſt ſympathiſches Mitleben an und in allen Dingen.
Beim Anblick prächtiger Bäume und Erntefelder mußte er
weinen; ſchöne, würdevolle Greiſe verehrte er als eine
„Wonne der Natur“ und konnte ſie nicht genug betrachten;
auch Thiere von vollkommener Bildung genoſſen ſein Wohl-
wollen, weil ſie von der Natur beſonders begnadigt ſeien;
mehr als einmal, wenn er krank war, hat ihn der Anblick
einer ſchönen Gegend geſund gemacht 1). Kein Wunder wenn
die, welche ihn in ſo räthſelhaft innigem Verkehr mit der
Außenwelt kennen lernten, ihm auch die Gabe der Vor-
ahnung zuſchrieben. Eine blutige Criſis des Hauſes Eſte,
das Schickſal von Florenz und das der Päpſte auf eine
Reihe von Jahren hinaus ſoll er richtig geweiſſagt haben,
wie ihm denn auch der Blick ins Innere des Menſchen,
die Phyſiognomik jeden Moment zu Gebote ſtand. Es
verſteht ſich von ſelbſt, daß eine höchſt intenſive Willens-
kraft dieſe ganze Perſönlichkeit durchdrang und zuſammen-
hielt; wie die Größten der Renaiſſance ſagte auch er: „Die
„Menſchen können von ſich aus Alles, ſobald ſie wollen.“
Und zu Alberti verhielt ſich Lionardo da Vinci, wie
2)
[142]2. Abſchnitt.zum Anfänger der Vollender, wie zum Dilettanten der
Meiſter. Wäre nur Vaſari's Werk hier ebenfalls durch
eine Schilderung ergänzt wie bei Leon Battiſta! Die un-
geheuern Umriſſe von Lionardo's Weſen wird man ewig
nur von ferne ahnen können.
Der Ruhm.Der bisher geſchilderten Entwicklung des Individuums
entſpricht auch eine neue Art von Geltung nach außen:
der moderne Ruhm 1).
Außerhalb Italiens lebten die einzelnen Stände jeder
für ſich mit ſeiner einzelnen mittelalterlichen Standesehre.
Der Dichterruhm der Troubadours und Minneſänger z. B.
exiſtirt nur für den Ritterſtand. In Italien dagegen iſt
Gleichheit der Stände vor der Tyrannis oder vor der De-
mokratie eingetreten; auch zeigen ſich bereits Anfänge einer
allgemeinen Geſellſchaft, die ihren Anhalt an der italieni-
ſchen und lateiniſchen Literatur hat, wie hier in vorgreifender
Weiſe bemerkt werden muß; dieſes Bodens aber bedurfte
es, um jenes neue Element im Leben zum Keimen zu brin-
gen. Dazu kam, daß die römiſchen Autoren, welche man
emſig zu ſtudiren begann, von dem Begriff des Ruhmes
erfüllt und getränkt ſind und daß ſchon ihr Sachinhalt —
das Bild der römiſchen Weltherrſchaft — ſich dem italie-
niſchen Daſein als dauernde Parallele aufdrängte. Fortan
iſt alles Wollen und Vollbringen der Italiener von einer
ſittlichen Vorausſetzung beherrſcht, die das übrige Abend-
land noch nicht kennt.
Dante.Wiederum muß zuerſt Dante gehört werden, wie bei
[143] allen weſentlichen Fragen. Er hat nach dem Dichterlorbeer 1),2. Abſchnitt.
geſtrebt mit aller Kraft ſeiner Seele; auch als Publiciſt
und Literator hebt er hervor, daß ſeine Leiſtungen weſent-
lich neu, daß er der erſte auf ſeinen Bahnen nicht nur ſei,
ſondern heißen wolle 2). Doch berührt er ſchon in
ſeinen Proſaſchriften auch die Unbequemlichkeiten eines
hohen Ruhmes; er weiß, wie Manche bei der perſönlichen
Bekanntſchaft mit dem berühmten Mann unbefriedigt blei-
ben, und ſetzt auseinander, daß hieran theils die kindiſche
Phantaſie der Leute, theils der Neid, theils die eigene Un-
lauterheit des Betreffenden Schuld ſei 3). Vollends aber
hält ſein großes Gedicht die Anſchauung von der Nichtigkeit
des Ruhmes feſt, wenn gleich in einer Weiſe, welche ver-
räth, daß ſein Herz ſich noch nicht völlig von der Sehnſucht
danach losgemacht. Im Paradies iſt die Sphäre des Mercur
der Wohnſitz ſolcher Seligen 4), die auf Erden nach Ruhm
geſtrebt und dadurch den „Strahlen der wahren Liebe“
Eintrag gethan haben. Hochbezeichnend aber iſt, daß die
armen Seelen im Inferno von Dante verlangen, er möge
ihr Andenken, ihren Ruhm auf Erden erneuern und wach
halten 5), während diejenigen im Purgatorio nur um Für-
bitte flehen 6); ja in einer berühmten Stelle 7) wird die
[144]2. Abſchnitt.Ruhmbegier — lo gran disio dell' eccellenza — ſchon
deßhalb verworfen, weil der geiſtige Ruhm nicht abſolut,
ſondern von den Zeiten abhängig ſei und je nach Umſtänden
durch größere Nachfolger überboten und verdunkelt werde.
Die Celebrität
d. Humaniſten.Raſch bemächtigt ſich nun das neu aufkommende Ge-
ſchlecht von Poeten-Philologen, welches auf Dante folgt,
des Ruhmes in doppeltem Sinn: indem ſie ſelber die aner-
kannteſten Berühmtheiten Italiens werden und zugleich als
Dichter und Geſchichtſchreiber mit Bewußtſein über den
Ruhm Anderer verfügen. Als äußeres Symbol dieſer Art
von Ruhm gilt beſonders die Poetenkrönung, von welcher
weiter die Rede ſein wird.
Ein Zeitgenoſſe Dante's, Albertinus Muſattus oder
Muſſatus, zu Padua von Biſchof und Rector als Dichter
gekrönt, genoß bereits einen Ruhm, der an die Vergötterung
ſtreifte; jährlich am Weihnachtstage kamen Doctoren und
Scholaren beider Collegien der Univerſität in feierlichem
Aufzug mit Poſaunen und, ſcheint es, mit brennenden
Kerzen vor ſein Haus um ihn zu begrüßen 1) und zu be-
ſchenken. Die Herrlichkeit dauerte bis er (1318) bei dem
regierenden Tyrannen aus dem Hauſe Carrara in Un-
gnade fiel.
Petrarca.In vollen Zügen genießt auch Petrarca den neuen,
früher nur für Helden und Heilige vorhandenen Weihrauch
und überredet ſich ſogar in ſeinen ſpätern Jahren, daß ihm
derſelbe ein nichtiger und läſtiger Begleiter ſcheine. Sein
7)
[145] Brief „an die Nachwelt“ 1) iſt die Rechenſchaft des alten,2. Abſchnitt.
hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufrie-
den ſtellen muß; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm
genießen, bei den Zeitgenoſſen aber ſich lieber denſelben
verbitten 2); in ſeinen Dialogen von Glück und Unglück 3)
hat bei Anlaß des Ruhmes der Gegenredner, welcher deſſen
Nichtigkeit beweist, den ſtärkern Accent für ſich. Soll man
es aber ſtrenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer
freut, daß der paläologiſche Autokrator von Byzanz 4) ihn
durch ſeine Schriften ſo genau kennt wie Kaiſer Carl IV.
ihn kennt? Denn in der That ging ſein Ruf ſchon bei
Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine
gerechte Rührung als ihn bei einem Beſuch in ſeiner Hei-
math Arezzo die Freunde zu ſeinem Geburtshaus führtenCultus der Ge-
burtshäuſer.
und ihm meldeten, die Stadt ſorge dafür, daß nichts daran
verändert werden dürfe? 5) Früher feierte und conſervirte
man die Wohnungen einzelner großer Heiligen, wie z. B.
die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Domini-
canern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciscus bei
Aſſiſi; höchſtens genoſſen noch einzelne große Rechtsgelehrte
jenes halbmythiſche Anſehen, welches zu dieſer Ehre führte;
ſo benannte das Volk noch gegen Ende des XIV. Jahr-
hunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes Gebäude
Cultur der Renaiſſance. 10
[146]2. Abſchnitt.als „Studio“ des Accurſius (geb. um 1150), ließ aber
doch geſchehen, daß es zerſtört wurde 1). Wahrſcheinlich
frappirten die hohen Einnahmen und die politiſchen Ver-
bindungen einzelner Juriſten (als Conſulenten und Deduc-
tionenſchreiber) die Einbildungskraft der Leute auf lange
hinaus.
Cultus der
Gräber.Zum Cultus der Geburtshäuſer gehört der der Gräber
berühmter Leute 2); für Petrarca kommt auch noch der Ort
wo er geſtorben überhaupt hinzu, indem Arquato ſeinem
Andenken zu Ehren ein Lieblings-Aufenthalt der Paduaner
und mit zierlichen Wohngebäuden geſchmückt wurde 3) —
zu einer Zeit da es im Norden noch lange keine „claſſiſchen
Stellen“ ſondern nur Wallfahrten zu Bildern und Reli-
quien gab. Es wurde Ehrenſache für die Städte, die Ge-
beine eigener und fremder Celebritäten zu beſitzen, und man
erſtaunt zu ſehen, wie ernſtlich die Florentiner ſchon im XIV.
Jahrhundert — lange vor S. Croce — ihren Dom zum
Pantheon zu erheben ſtrebten. Accorſo, Dante, Petrarca,
Boccaccio und der Juriſt Zanobi della Strada ſollten dort
Prachtgräber erhalten 4). Noch ſpät im XV. Jahrhundert
verwandte ſich Lorenzo magnifico in Perſon bei den Spole-
tinern, daß ſie ihm die Leiche des Malers Fra Filippo Lippi
für den Dom abtreten möchten, und erhielt die Antwort:
ſie hätten überhaupt keinen Ueberfluß an Zierden, beſonders
nicht an berühmten Leuten, weßhalb er ſie verſchonen möge;
in der That mußte man ſich mit einem Kenotaphium be-
gnügen. Und auch Dante blieb trotz allen Verwendungen,
[147] zu welchen ſchon Boccaccio mit emphatiſcher Bitterkeit die2. Abſchnitt.
Vaterſtadt aufſtachelte 1), ruhig bei S. Francesco in Ra-
venna ſchlafen, „zwiſchen uralten Kaiſergräbern und Heiligen-
„grüften, in ehrenvollerer Geſellſchaft als du, o Heimath,
„ihm bieten könnteſt“. Es kam ſchon damals vor, daß
ein wunderlicher Menſch ungeſtraft die Lichter vom Altar
des Crucifixes wegnahm und ſie an das Grab ſtellte mit
den Worten: Nimm ſie, du biſt ihrer würdiger als Jener —
der Gekreuzigte 2).
Nunmehr gedenken auch die italiſchen Städte wiederBerühmte
Männer des
Alterthums.
ihrer Mitbürger und Einwohner aus dem Alterthum.
Neapel hatte vielleicht ſein Grab Virgil's nie ganz vergeſſen,
ſchon weil ſich ein halbmythiſcher Begriff an den Namen
geknüpft hatte. Padua glaubte vollends noch im XVI.
Jahrhundert nicht nur die echten Gebeine ſeines trojaniſchen
Gründers Antenor, ſondern auch die des Titus Livius zu
beſitzen 3). „Sulmona, ſagt Boccaccio 4), klagt, daß Ovid
„fern in der Verbannung begraben ſei, Parma freut ſich,
„daß Caſſius in ſeinen Mauern ſchlummere“. Die Man-
tuaner prägten im XIV. Jahrhundert eine Münze mit
dem Bruſtbild Virgil's und ſtellten eine Statue auf, die
ihn vorſtellen ſollte; aus mittelalterlichem Junkerhochmuth 5)
ließ ſie der Vormund des damaligen Gonzaga, Carlo Ma-
lateſta, 1392 umſtürzen und mußte ſie, weil der Ruhm
10*
[148]2. Abſchnitt.des alten Dichters ſtärker war, wieder aufrichten laſſen.
Vielleicht zeigte man ſchon damals zwei Miglien von der
Stadt die Grotte, wo einſt Virgil meditirt haben ſollte 1),
gerade wie bei Neapel die Scuola di Virgilio. Como
eignete ſich die beiden Plinius zu 2) und verherrlichte ſie
gegen Ende des XV. Jahrhunderts durch ſitzende Statuen
in zierlichen Baldachinen an der Vorderſeite ſeines Domes.
Der Ruhm in
der Topogra-
phie.Auch die Geſchichtſchreibung und die neugeborene To-
pographie richten ſich fortan darauf ein, keinen einheimiſchen
Ruhm mehr unverzeichnet zu laſſen, während die nordiſchen
Chroniken nur erſt hie und da zwiſchen Päpſten, Kaiſern,
Erdbeben und Kometen die Bemerkung machen, zu dieſer
Zeit habe auch dieſer oder jener berühmte Mann „geblüht“.
Wie ſich eine ausgezeichnete Biographik, weſentlich unter
der Herrſchaft des Ruhmes-Begriffes, entwickelte, wird bei
einem andern Anlaß zu betrachten ſein; hier beſchränken
wir uns auf den Ortspatriotismus des Topographen, der
die Ruhmesanſprüche ſeiner Stadt verzeichnet.
Im Mittelalter waren die Städte ſtolz geweſen auf
ihre Heiligen und deren Leichen und Reliquien in den
Kirchen 3). Damit beginnt auch noch der Panegyriſt von
Padua und M.
Savonarola.Padua um 1450, Michele Savonarola 4) ſeine Aufzählung;
dann aber geht er über auf „berühmte Männer, welche keine
Heiligen geweſen ſind, jedoch durch ausgezeichneten Geiſt und
hohe Kraft (virtus) verdient haben, den Heiligen ange-
ſchloſſen zu werden (adnecti)“ — ganz wie im Alterthum
der berühmte Mann an den Heros angrenzt 5). Die weitere
[149] Aufzählung iſt für jene Zeit bezeichnend im höchſten Grade.2. Abſchnitt.
Zuerſt folgen Antenor, der Bruder des Priamus, der mit
einer Schaar flüchtiger Troer Padua gegründet; König
Dardanus, der den Attila in den euganeiſchen Bergen be-
ſiegte, ihn weiter verfolgte und zu Rimini mit einem
Schachbrett todtſchlug; Kaiſer Heinrich IV., der den Dom
erbaut hat; ein König Marcus, deſſen Haupt in MonſeliceLegende und
Geſchichte.
aufbewahrt wird; — dann ein paar Cardinäle und Prä-
laten als Stifter von Pfründen, Collegien und Kirchen;
der berühmte Theologe Fra Alberto der Auguſtiner; eine
Reihe von Philoſophen mit Paolo Veneto und dem welt-
bekannten Pietro von Abano beginnend; der Juriſt Paolo
Padovano; ſodann Livius, und die Dichter Petrarca,
Muſſato, Lovato. Wenn an Kriegs-Celebritäten einiger
Mangel zu verſpüren, ſo tröſtet ſich der Autor mit dem
Erſatz von gelehrter Seite und mit der größern Dauer-
haftigkeit des geiſtigen Ruhmes, während der Kriegsruhm
oft mit dem Leibe begraben werde und, wenn er daure,
dieß doch nur den Gelehrten verdanke. Immerhin aber
gereiche es der Stadt zur Ehre, daß wenigſtens berühmte
auswärtige Krieger auf eigenes Begehren in ihr begraben
lägen: ſo Pietro de Roſſi von Parma, Filippo Arcelli von
Piacenza, beſonders Gattamelata von Narni (ſt. 1442),
deſſen ehernes Reiterbild „gleich einem triumphirenden
Cäſar“ bereits bei der Kirche des Santo aufgerichtet ſtand.
Dann nennt der Verfaſſer Schaaren von Juriſten und
Medicinern, Adlige, welche nicht bloß wie ſo viele „die
Ritterwürde empfangen ſondern ſie auch verdient hatten“,
endlich berühmte Mechaniker, Maler und Tonkünſtler. Den
Beſchluß macht ein Fechtmeiſter Michele Roſſo, welcher als
der berühmteſte ſeines Faches an vielen Orten gemalt zu
ſehen war.
[150]
2. Abſchnitt.Neben ſolchen localen Ruhmeshallen, bei deren Aus-
Allgemeines
Pantheon.ſtattung Mythus, Legende, literariſch hervorgebrachte Re-
nommee und populäres Erſtaunen zuſammenwirken, bauen
die Poeten-Philologen an einem allgemeinen Pantheon des
Weltruhms; ſie ſchreiben Sammelwerke: von berühmten
Männern, von berühmten Frauen, oft in unmittelbarer
Abhängigkeit von Corn. Nepos, Pſeudo-Sueton, Valerius
Maximus, Plutarch (Mulierum virtutes) u. ſ. w. Oder
ſie dichten von viſionären Triumphzügen und idealen, olym-
piſchen Verſammlungen, wie Petrarca namentlich in ſeinem
Trionfo della fama, Boccaccio in ſeiner Amoroſa viſione,
mit hunderten von Namen, wovon mindeſtens drei Vier-
theile dem Alterthum, die übrigen dem Mittelalter ange-
hören 1). Allmälig wird dieſer neuere, relativ moderne
Beſtandtheil mit größerem Nachdruck behandelt; die Ge-
ſchichtſchreiber legen Characteriſtiken in ihre Werke ein, und
[151] es entſtehen Sammlungen von Biographien berühmter Zeit-2. Abſchnitt.
genoſſen wie die von Filippo Villani, Vespaſiano Fiorentino
und Bartolommeo Facio 1), zuletzt die von Paolo Giovio.
Der Norden aber beſaß, bis Italien auf ſeine AutorenDer Ruhm im
Norden.
(z. B. auf Trithemius) einwirkte, nur Legenden der Hei-
ligen und vereinzelte Geſchichten und Beſchreibungen von
Fürſten und Geiſtlichen, die ſich noch deutlich an die Le-
gende anlehnen und vom Ruhm, d. h. von der perſönlich
errungenen Notorietät weſentlich unabhängig ſind. Der
Dichterruhm beſchränkt ſich noch auf beſtimmte Stände und
die Namen der Künſtler erfahren wir im Norden faſt aus-
ſchließlich nur inſofern ſie als Handwerker und Zunft-
menſchen auftreten.
Der Poet-Philolog in Italien hat aber, wie bemerkt,Die Literatur
als Austheile-
rin d. Ruhmes.
auch ſchon das ſtärkſte Bewußtſein davon, daß er der Aus-
theiler des Ruhmes, ja der Unſterblichkeit ſei; und ebenſo
der Vergeſſenheit 2). Schon Boccaccio klagt über eine von
ihm gefeierte Schöne, welche hartherzig blieb um immer
weiter von ihm beſungen und dadurch berühmt zu werden,
und verdeutet ihr, er wolle es fortan mit dem Tadel ver-
ſuchen 3). Sannazaro droht dem vor Carl VIII. feig ge-
flohenen Alfonſo von Neapel in zwei prächtigen Sonetten
mit ewiger Obscurität 4). Angelo Poliziano mahnt (1491)
den König Johann von Portugal 5) in Betreff der Ent-
deckungen in Africa ernſtlich daran, bei Zeiten für Ruhm
und Unſterblichkeit zu ſorgen und ihm das Material „zum
[152]2. Abſchnitt.Styliſiren“ (operosius excolenda) nach Florenz zu über-
ſenden; ſonſt möchte es ihm ergehen wie all Jenen, deren
Thaten, von der Hülfe der Gelehrten entblößt, „im großen
„Schutthaufen menſchlicher Gebrechlichkeit verborgen liegen
„bleiben“. Der König (oder doch ſein humaniſtiſch ge-
ſinnter Kanzler) ging darauf ein und verſprach wenigſtens,
es ſollten die bereits portugieſiſch abgefaßten Annalen über
die africaniſchen Dinge in italieniſcher Ueberſetzung nach
Florenz zur lateiniſchen Bearbeitung verabfolgt werden; ob
dieß wirklich geſchah, iſt nicht bekannt. So ganz leer, wie
dergleichen Prätenſionen auf den erſten Blick ſcheinen, ſind
ſie keinesweges; die Redaction, in welcher die Sachen (auch
die wichtigſten) vor Mit- und Nachwelt treten, iſt nichts
weniger als gleichgültig. Die italieniſchen Humaniſten mit
ihrer Darſtellungsweiſe und ihrem Latein haben lange genug
die abendländiſche Leſewelt wirklich beherrſcht und auch die
italieniſchen Dichter ſind bis ins vorige Jahrhundert weiter
in allen Händen herumgekommen als die irgend einer Na-
tion. Der Taufname des Amerigo Vespucci von Florenz
wurde ſeiner Reiſebeſchreibung wegen zum Namen des
vierten Welttheils, und wenn Paolo Giovio mit all ſeiner
Flüchtigkeit und eleganten Willkür ſich dennoch die Unſterb-
lichkeit verſprach 1), ſo iſt er dabei nicht ganz fehlgegangen.
Unbedingte
Ruhmſucht.Neben ſolchen Anſtalten den Ruhm äußerlich zu ga-
rantiren, wird hie und da ein Vorhang hinweg gezogen
und wir ſchauen den coloſſalſten Ehrgeiz und Durſt nach
Größe, unabhängig von Gegenſtand und Erfolg, in er-
ſchreckend wahrem Ausdruck. So in Macchiavell's Vorrede
zu ſeinen florentiniſchen Geſchichten, wo er ſeine Vorgänger
(Lionardo Aretino, Poggio) tadelt wegen des allzurückſichts-
vollen Schweigens in Betreff der ſtädtiſchen Parteiungen.
[153] „Sie haben ſich ſehr geirrt und bewieſen, daß ſie den Ehr-2. Abſchnitt.
„geiz der Menſchen und die Begier nach Fortdauer des
„Namens wenig kannten. Wie Manche, die ſich durch
„Löbliches nicht auszeichnen konnten, ſtrebten danach durch
„Schmähliches! Jene Schriftſteller erwogen nicht, daß
„Handlungen, welche Größe an ſich haben, wie dieß bei
„den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall iſt,
„immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen ſcheinen, welcher
„Art ſie auch ſeien und welches der Ausgang ſein möge 1).“
Bei mehr als einem auffallenden und ſchrecklichen Unter-
nehmen wird von beſonnenen Geſchichtſchreibern als Beweg-
grund das brennende Verlangen nach etwas Großem undDas
Heroſtratiſche.
Denkwürdigem angegeben. Hier offenbart ſich nicht eine
bloße Ausartung der gemeinen Eitelkeit, ſondern etwas
wirklich Dämoniſches, d. h. Unfreiheit des Entſchluſſes ver-
bunden mit Anwendung der äußerſten Mittel und Gleich-
gültigkeit gegen den Erfolg als ſolchen. Macchiavell ſelber
faßt z. B. den Character des Stefano Porcari (S. 105) ſo
auf 2); von den Mördern des Galeazzo Maria Sforza
(S. 57) ſagen ungefähr daſſelbe die Actenſtücke; die Er-
mordung des Herzogs Aleſſandro von Florenz (1537)
ſchreibt ſelbſt Varchi (im V. Buch) der Ruhmſucht des
Thäters Lorenzino Medici (S. 60) zu. Noch viel ſchärfer
hebt aber Paolo Giovio 3) dieß Motiv hervor; Lorenzino,
wegen der Verſtümmelung antiker Statuen in Rom durch
ein Pamphlet des Molza an den Pranger geſtellt, brütet
über einer That, deren „Neuheit“ jene Schmach in Ver-
geſſenheit bringen ſollte, und ermordet ſeinen Verwandten
[154]2. Abſchnitt.und Fürſten. — Es ſind echte Züge dieſer Zeit hoch auf-
geregter, aber bereits verzweifelnder Kräfte und Leiden-
ſchaften, ganz wie einſt die Brandſtiftung im Tempel von
Epheſus zur Zeit des Philipp von Macedonien.
Spott u. Witz.Das Correctiv nicht nur des Ruhmes und der modernen
Ruhmbegier, ſondern des höher entwickelten Individualismus
überhaupt iſt der moderne Spott und Hohn, womöglich
in der ſiegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus
dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürſten
und Große einander mit ſymboliſchem Hohn auf das Aeußerſte
reizen, oder wie der unterlegene Theil mit höchſter ſymbo-
liſcher Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theo-
logiſchen Streitigkeiten ſchon hie und da, unter dem Ein-
fluß antiker Rhetorik und Epiſtolographie, der Witz eine
Waffe zu werden und die provenzaliſche Poeſie entwickelt
eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern; auch den
Minneſingern fehlt gelegentlich dieſer Ton nicht, wie ihre
Der Spott und
das Indivi-
duum.politiſchen Gedichte zeigen 1). Aber ein ſelbſtändiges Element
des Lebens konnte der Witz doch erſt werden als ſein regel-
mäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit perſön-
lichen Anſprüchen, vorhanden war. Da beſchränkt er ſich
auch bei Weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, ſondern
wird thatſächlich: er ſpielt Poſſen und verübt Streiche, die
ſogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt
mehrerer Novellenſammlungen ausmachen.
[155]
Die „hundert alten Novellen“, welche noch zu Ende2. Abſchnitt.
des XIII. Jahrhunderts entſtanden ſein müſſen, haben noch
nicht den Witz, den Sohn des Contraſtes, und noch nicht
die Burla zum Inhalt 1); ihr Zweck iſt nur, weiſe Reden
und ſinnvolle Geſchichten und Fabeln in einfach ſchönem
Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgend etwas das
hohe Alter der Sammlung beweist, ſo iſt es dieſer Mangel
an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt
Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der
Welt weit hinter ſich läßt und z. B. ſchon allein wegen
jenes großen hölliſchen Genrebildes von den Betrügern 2)
der höchſte Meiſter coloſſaler Komik heißen muß. Mit
Petrarca beginnen 3) ſchon die Witzſammlungen nach dem
Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata, ꝛc.). Was
dann während des genannten Jahrhunderts ſich in FlorenzDer floren-
tiniſche Hohn.
von Hohn aufſammelte, davon giebt Franco Sacchetti in
ſeinen Novellen die bezeichnendſte Auswahl. Es ſind meiſt
keine eigentlichen Geſchichten, ſondern Antworten, die unter
gewiſſen Umſtänden gegeben werden, horrible Naivetäten,
womit ſich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche
Weiber ausreden; das Komiſche liegt dann in dem ſchreien-
den Gegenſatz dieſer wahren oder ſcheinbaren Naivetät zu
den ſonſtigen Verhältniſſen der Welt und zur gewöhnlichen
Moralität; die Dinge ſtehen auf dem Kopf. Alle Mittel
der Darſtellung werden zu Hülfe genommen, auch z. B.
ſchon die Nachahmung beſtimmter oberitalieniſcher Dialecte.
Oft tritt an die Stelle des Witzes die baare freche Inſo-
lenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei;
[156]2. Abſchnitt.ein paar Condottierenſpäße 1) gehören zum Roheſten und
Böſeſten was aufgezeichnet iſt. Manche Burla iſt hoch-
komiſch, manche aber auch ein bloß vermeintlicher Beweis
der perſönlichen Ueberlegenheit, des Triumphes über einen
Andern. Wie viel man einander zu Gute hielt, wie oft
das Schlachtopfer durch einen Gegenſtreich die Lacher wieder
auf ſeine Seite zu bringen ſich begnügte, wiſſen wir nicht;
es war doch viele herzloſe und geiſtloſe Bosheit dabei, und
das florentiniſche Leben mag hiedurch oft recht unbequem
Die
Witzmacher.geworden ſein 2). Bereits iſt der Spaßerfinder und Spaß-
erzähler eine unvermeidliche Figur geworden, und es muß
darunter claſſiſche gegeben haben, weit überlegen allen
bloßen Hofnarren, welchen die Concurrenz, das wechſelnde
Publicum und das raſche Verſtändniß der Zuhörer (lauter
Vorzüge des Aufenthaltes in Florenz) abgingen. Deßhalb
reisten auch einzelne Florentiner auf Gaſtrollen an den
Tyrannenhöfen der Lombardie und Romagna herum 3), und
fanden ihre Rechnung dabei, während ſie in der Vaterſtadt,
wo der Witz auf allen Gaſſen lief, nicht viel gewannen.
Der beſſere Typus dieſer Leute iſt der des amüſanten
Menſchen (l'uomo piacevole), der geringere iſt der des
Buffone und des gemeinen Schmarotzers, der ſich an Hoch-
zeiten und Gaſtmählern einfindet mit dem Raiſonnement!
„wenn ich nicht eingeladen worden bin, ſo iſt das nicht
„meine Schuld.“ Da und dort helfen dieſe einen jungen
Verſchwender ausſaugen 4), im Ganzen aber werden ſie als
Paraſiten behandelt und verhöhnt, während höher ſtehende
Witzbolde ſich fürſtengleich dünken und ihren Witz für etwas
[157] wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiſer2. Abſchnitt.
Carl IV. zum „König der italieniſchen Spaßmacher“ er-
klärt hatte, ſagte in Ferrara zu ihm: „Ihr werdet die Welt
„beſiegen, da Ihr mein und des Papſtes Freund ſeid; Ihr
„kämpft mit dem Schwert, der Papſt mit dem Bullenſiegel,
„ich mit der Zunge! 1)“ Dieß iſt kein bloßer Scherz,
ſondern eine Vorahnung Pietro Aretino's.
Die beiden berühmteſten Spaßmacher um die MitteArlotto und
Gonnella.
des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe
von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und
der Hofnarr von Ferrara, Gonnella für die Buffonerien.
Es iſt bedenklich, ihre Geſchichten mit denjenigen des Pfaf-
fen von Kalenberg und des Till Eulenſpiegel zu vergleichen;
letztere ſind eben auf ganz andere, halbmythiſche Weiſe
entſtanden, ſo daß ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat,
und daß ſie mehr auf das Allgemeingültige, Allverſtändliche
hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella hiſtoriſch und
local bekannte und bedingte Perſönlichkeiten waren. Will
man aber einmal die Vergleichung zulaſſen und ſie auf die
„Schwänke“ der außeritaliſchen Völker überhaupt ausdehnen,
ſo wird es ſich im Ganzen finden, daß der „Schwank“ in
den franzöſiſchen Fabliaux 2) wie bei den Deutſchen in erſter
Linie auf einen Vortheil oder Genuß berechnet iſt, während
der Witz des Arlotto, die Poſſen des Gonnella ſich gleich-
ſam Selbſtzweck, nämlich um des Triumphes, um der Sa-
tisfaction willen vorhanden ſind. (Till Eulenſpiegel erſcheint
dann wieder als eine eigenthümliche Nuance, nämlich als
der perſonificirte, meiſt ziemlich geiſtloſe Schabernack gegen
[158]2. Abſchnitt.beſondere Stände und Gewerbe.) Der Hofnarr des Hauſes
Eſte hat ſich mehr als einmal durch bittern Hohn und
ausgeſuchte Rache ſchadlos gehalten 1).
Die Species des uomo piacevole und des Buffone
haben die Freiheit von Florenz lange überdauert. Unter
Herzog Coſimo blühte der Barlacchia, zu Anfang des
XVII. Jahrhunderts Francesco Ruspoli und Curzio Ma-
Die Späße
Leo's X.rignolli. Ganz merkwürdig zeigt ſich in Papſt Leo X. die
echt florentiniſche Vorliebe für Spaßmacher. Der auf die
feinſten geiſtigen Genüſſe gerichtete und darin unerſättliche
Fürſt erträgt und verlangt doch an ſeiner Tafel ein paar
witzige Poſſenreißer und Freßkünſtler, darunter zwei Mönche
und ein Krüppel 2); bei feſtlichen Zeiten behandelte er ſie
mit geſucht antikem Hohn als Paraſiten, indem ihnen
Affen und Raben unter dem Anſchein köſtlicher Braten
aufgeſtellt wurden. Ueberhaupt behielt ſich Leo die Burle
für eigenen Gebrauch vor; namentlich gehörte es zu ſeiner
Art von Geiſt, die eigenen Lieblingsbeſchäftigungen —
Dichtung und Muſik — bisweilen ironiſch zu behandeln,
indem er und ſein Factotum Cardinal Bibiena die Cari-
caturen derſelben beförderten 3). Beide fanden es nicht unter
ihrer Würde einen guten alten Secretär mit allen Kräften ſo
lange zu bearbeiten, bis er ſich für einen großen Muſiktheore-
Baraballo.tiker hielt. Den Improviſator Baraballo von Gaeta hetzte Leo
durch beſtändige Schmeicheleien ſo weit, daß ſich derſelbe
ernſtlich um die capitoliniſche Dichterkrönung bewarb; am
Tage der mediceiſchen Hauspatrone S. Cosmas und S. Da-
[159] mian mußte er erſt, mit Lorbeer und Purpur ausſtaffirt,2. Abſchnitt.
das päpſtliche Gaſtmahl durch Recitationen erheitern, und
als Alles am Berſten war, im vaticaniſchen Hof den gold-
geſchirrten Elephanten beſteigen, welchen Emanuel der
Große von Portugal nach Rom geſchenkt hatte; während
deſſen ſah der Papſt von oben durch ſein Lorgnon 1) her-
unter. Das Thier aber wurde ſcheu vom Lärm der Pauken
und Trompeten und vom Bravorufen und war nicht über
die Engelsbrücke zu bringen.
Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen, welcheDie Parodie.
uns hier in Geſtalt eines Aufzuges entgegentritt, hatte da-
mals bereits eine mächtige Stellung in der Poeſie einge-
nommen 2). Freilich mußte ſie ſich ein anderes Opfer
ſuchen als z. B. Ariſtophanes durfte, da er die großen
Tragiker in ſeiner Comödie auftreten ließ. Aber dieſelbe
Bildungsreife, welche bei den Griechen zu einer beſtimmten
Zeit die Parodie hervortrieb, brachte ſie auch hier zur
Blüthe. Schon zu Ende des XIV. Jahrhunderts werden
im Sonett petrarchiſche Liebesklagen und anderes der Art
durch Nachahmung ausgehöhnt; ja das Feierliche der vier-
zehnzeiligen Form an ſich wird durch geheimthuenden Unſinn
[160]2. Abſchnitt.verſpottet. Ferner lud die göttliche Comödie auf das
Stärkſte zur Parodirung ein, und Lorenzo magnifico hat
im Styl des Inferno die herrlichſte Komik zu entwickeln
gewußt. (Simpoſio, oder: i Beoni.) Luigi Pulci ahmt
in ſeinem Morgante deutlich die Improviſatoren nach, und
überdieß iſt ſeine und Bojardo's Poeſie, ſchon inſofern ſie
über dem Gegenſtande ſchwebt, ſtellenweiſe eine wenigſtens
halbbewußte Parodie der mittelalterlichen Ritterdichtung.
Der große Parodiſt Teofilo Folengo (blühte um 1520)
greift dann ganz unmittelbar zu. Unter dem Namen Li-
merno Pitocco dichtet er den Orlandino, wo das Ritter-
weſen nur noch als lächerliche Rococoeinfaſſung um eine
Fülle moderner Einfälle und Lebensbilder herum figurirt;
unter dem Namen Merlinus Coccajus ſchildert er die Thaten
und Fahrten ſeiner Bauern und Landſtreicher, ebenfalls mit
ſtarker tendenziöſer Zuthat, in halblateiniſchen Hexametern,
unter dem komiſchen Scheinapparat des damaligen gelehrten
Epos. (Opus Macaronicorum). Seitdem iſt die Parodie
auf dem italiſchen Parnaß immerfort, und bisweilen wahr-
haft glanzvoll vertreten geweſen.
Theorie des
Witzes.In der Zeit der mittlern Höhe der Renaiſſance wird
dann auch der Witz theoretiſch zergliedert und ſeine prac-
tiſche Anwendung in der feinern Geſellſchaft genauer feſt-
geſtellt. Der Theoretiker iſt Gioviano Pontano 1); in ſeiner
Schrift über das Reden, namentlich im vierten Buch, ver-
ſucht er durch Analyſe zahlreicher einzelner Witze oder fa-
cetiæ zu einem allgemeinen Princip durchzudringen. Wie
der Witz unter Leuten von Stande zu handhaben ſei, lehrt
Baldaſſar Caſtiglione in ſeinem Cortigiano 2). Natürlich
[161] handelt es ſich weſentlich nur um Erheiterung dritter Per-2. Abſchnitt.
ſonen durch Wiedererzählung von komiſchen und graziöſen
Geſchichten und Worten; vor directen Witzen wird eher
gewarnt, indem man damit Unglückliche kränke, Verbrechern
zu viele Ehre anthue und Mächtige und durch Gunſt ver-
wöhnte zur Rache reize, und auch für das Wiedererzählen
wird dem Mann von Stande ein weiſes Maßhalten in der
nachahmenden Dramatik, d. h. in den Grimaſſen empfohlen.
Dann folgt aber, nicht bloß zum Wiedererzählen, ſondern
als Paradigma für künftige Witzbildner, eine reiche Samm-
lung von Sach- und Wortwitzen, methodiſch nach Gattun-
gen geordnet, darunter viele ganz vortreffliche. Viel ſtrenger
und behutſamer lautet etwa zwei Jahrzehnde ſpäter die
Doctrin des Giovanni della Caſa in ſeiner Anweiſung zur
guten Lebensart 1); im Hinblick auf die Folgen will er
aus Witzen und Burle die Abſicht des Triumphirens völlig
verbannt wiſſen. Er iſt der Herold einer Reaction, welche
eintreten mußte.
In der That war Italien eine Läſterſchule gewordenDie Läſterung,
wie die Welt ſeitdem keine zweite mehr aufzuweiſen gehabt
hat, ſelbſt in dem Frankreich Voltaire's nicht. Am Geiſt
des Verneinens fehlte es dem letztern und ſeinen Genoſſen
nicht, aber wo hätte man im vorigen Jahrhundert die Fülle
von paſſenden Opfern hernehmen ſollen, jene zahlloſen
hoch und eigenartig entwickelten Menſchen, Celebritäten jeder
Gattung, Staatsmänner, Geiſtliche, Erfinder und Entdecker,
Literaten, Dichter und Künſtler, die obendrein ihre Eigen-
thümlichkeit ohne Rückhalt walten ließen? Im XV. und
XVI. Jahrhundert exiſtirte dieſe Heerſchaar, und neben
ihr hatte die allgemeine Bildungshöhe ein furchtbares Ge-
ſchlecht von geiſtreichen Ohnmächtigen, von geborenen Kritt-
lern und Läſterern groß gezogen, deren Neid ſeine Heka-
tomben verlangte; dazu kam aber noch der Neid der
Cultur der Renaiſſance. 11
[162]2. Abſchnitt.Berühmten unter einander. Mit letzterem haben notoriſch
die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla
u. a., während z. B. die Künſtler des XV. Jahrhunderts
noch in faſt völlig friedlichem Wettſtreit neben einander
lebten, wovon die Kunſtgeſchichte Act nehmen darf.
in Florenz;Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie ge-
ſagt, allen andern Städten eine Zeitlang voran. „Scharfe
Augen und böſe Zungen“ iſt das Signalement der Floren-
tiner 1). Ein gelinder Hohn über Alles und Jedes mochte
der vorherrſchende Alltagston ſein. Macchiavelli, in dem
höchſt merkwürdigen Prolog ſeiner Mandragola, leitet mit
Recht oder Unrecht von der allgemeinen Mediſance das
ſichtbare Sinken der moraliſchen Kraft her, droht übrigens
ſeinen Verkleinerern damit, daß auch er ſich auf Uebelreden
in Rom.verſtehe. Dann kommt der päpſtliche Hof, ſeit lange ein
Stelldichein der allerſchlimmſten und dabei geiſtreichſten
Zungen. Schon Poggio's Facetiae ſind ja aus dem Lügen-
ſtübchen (bugiale) der apoſtoliſchen Schreiber datirt, und
wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuſchten
Stellenjägern, von hoffnungsvollen Feinden und Concur-
renten der Begünſtigten, von Zeitvertreibern ſittenloſer
Prälaten beiſammen war, ſo kann es nicht auffallen, wenn
Rom für das wilde Pasquill wie für die beſchaulichere
Satire eine wahre Heimath wurde. Rechnet man noch gar
hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Prieſter-
herrſchaft und was das bekannte Pöbel-Bedürfniß, den
Mächtigen das Gräßlichſte anzudichten, beifügte, ſo ergiebt
[163] ſich eine unerhörte Summe von Schmach 1). Wer konnte,2. Abſchnitt.
ſchützte ſich dagegen am Zweckmäßigſten durch Verachtung,
ſowohl was die wahren als was die erlogenen Beſchuldi-
gungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand 2).
Zartere Gemüther aber konnten wohl in eine Art von Ver-
zweiflung fallen wenn ſie tief in Schuld und noch tiefer
in üble Nachrede verſtrickt waren 3). Allmälig ſagte man
Jedem das Schlimmſte nach und gerade die ſtrengſte Tu-
gend weckte die Bosheit am ſicherſten. Von dem großen
Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um ſeiner
Verdienſte willen zum Cardinal erhob und der ſich bei dem
Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch
zeigte 4), giebt Giovio zu verſtehen, er habe ſich die ascetiſcheGiovio.
Bläſſe durch Qualm von naſſem Stroh u. dgl. conſervirt.
Giovio iſt bei ſolchen Anläſſen ein echter Curiale 5); in der
Regel erzählt er ſein Hiſtörchen, fügt dann bei, er glaube
es nicht, und läßt endlich in einer allgemeinern Bemerkung
durchblicken, es möchte doch etwas dran ſein. Das wahre
11*
[164]2. Abſchnitt.Brandopfer des römiſchen Hohnes aber war der gute Ha-
Hohn auf Ha-
drian VI.drian VI.; es bildete ſich ein Uebereinkommen, ihn durch-
aus nur von der burlesken Seite zu nehmen. Mit der
furchtbaren Feder eines Francesco Berni verdarb er es gleich
von Anfang an, indem er drohte — nicht die Statue des
Pasquino, wie man 1) ſagte — ſondern die Pasquillanten
ſelber in die Tiber werfen zu laſſen. Die Rache dafür
war das berühmte Capitolo „gegen Papſt Adriano“, dictirt
nicht eigentlich vom Haß, ſondern von der Verachtung gegen
den lächerlichen holländiſchen Barbaren; die wilde Drohung
wird aufgeſpart für die Cardinäle, die ihn gewählt haben.
Berni und Andere 2) malen auch die Umgebung des Papſtes
mit derſelben pikanten Lügenhaftigkeit aus, mit welcher das
heutige Pariſer Feuilleton das So zum Anders und das
Nichts zum Etwas verkünſtelt. Die Biographie, welche
Paolo Giovio im Auftrag des Cardinals von Tortoſa
verfaßte, und welche eigentlich eine Lobſchrift vorſtellen
ſollte, iſt für Jeden, der zwiſchen den Zeilen leſen kann,
ein wahrer Ausbund von Hohn. Es liest ſich (zumal für
das damalige Italien) ſehr komiſch, wie Hadrian ſich beim
Domcapitel von Saragoſſa um die Kinnlade des S. Lam-
bert bewirbt, wie ihn dann die andächtigen Spanier mit
Schmuck und Zeug ausſtatten „bis er einem wohlheraus-
geputzten Papſt recht ähnlich ſieht“, wie er ſeinen ſtürmi-
ſchen und geſchmackloſen Zug von Oſtia gen Rom hält,
ſich über die Verſenkung oder Verbrennung des Pasquino
beräth, die wichtigſten Verhandlungen wegen Meldung des
[165] Eſſens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher2. Abſchnitt.
Regierung an allzuvielem Biertrinken verſtirbt; worauf das
Haus ſeines Leibarztes von Nachtſchwärmern bekränzt und
mit der Inſchrift Liberatori Patriæ S. P. Q. R. geſchmückt
wird. Freilich Giovio hatte bei der allgemeinen Renten-
einziehung auch ſeine Rente verloren und nur deßhalb zur
Entſchädigung eine Pfründe erhalten, weil er „kein Poet“,
d. h. kein Heide ſei. Es ſtand aber geſchrieben, daß Hadrian
das letzte große Opfer dieſer Art ſein ſollte. Seit dem
Unglück Roms (1527) ſtarb mit der äußerſten Ruchloſig-
keit des Lebens auch die frevelhafte Rede ſichtlich ab.
Während ſie aber noch in Blüthe ſtand, hatte ſich,Pietro Aretino.
hauptſächlich in Rom, der größte Läſterer der neuern Zeit,
Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf ſein Weſen
erſpart uns die Beſchäftigung mit manchen Geringern ſeiner
Gattung.
Wir kennen ihn hauptſächlich in den letzten drei Jahr-
zehnden ſeines Lebens (1527—1556), die er in dem für
ihn einzig möglichen Aſyl Venedig zubrachte. Von hier
aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von
Belagerungszuſtand; hieher mündeten auch die Geſchenke
auswärtiger Fürſten, die ſeine Feder brauchten oder fürch-
teten. Carl V. und Franz I. penſionirten ihn beide zugleich,
weil Jeder hoffte, Aretino würde dem Andern Verdruß
machen; Aretino ſchmeichelte Beiden, ſchloß ſich aber natür-
lich enger an Carl an, weil dieſer in Italien Meiſter blieb.
Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieſer Ton in
den der lächerlichſten Vergötterung über, wobei zu erwägen
iſt, daß Aretino fortwährend ſich mit der Hoffnung hinhalten
ließ, durch Carl's Hülfe Cardinal zu werden. Vermuth-
lich genoß er eine ſpecielle Protection als ſpaniſcher Agent,
indem man durch ſein Reden oder Schweigen auf die klei-
nern italieniſchen Fürſten und auf die öffentliche Meinung
drücken konnte. Das Papſtweſen gab er ſich die Miene
[166]2. Abſchnitt.gründlich zu verachten, weil er es aus der Nähe kenne;
der wahre Grund war, daß man ihn von Rom aus nicht
mehr honoriren konnte und wollte 1). Venedig, das ihn
beherbergte, beſchwieg er weislich. Der Reſt ſeines Ver-
hältniſſes zu den Großen iſt lauter Bettelei und gemeine
Erpreſſung.
Seine Publici-
ſtik und ſein
Werth.Bei Aretino findet ſich der erſte ganz große Mißbrauch
der Publicität zu ſolchen Zwecken. Die Streitſchriften,
welche hundert Jahre vorher Poggio und ſeine Gegner ge-
wechſelt hatten, ſind in der Abſicht und im Ton eben ſo
infam, allein ſie ſind nicht auf die Preſſe, ſondern auf eine
Art von halber und geheimer Publicität berechnet; Aretino
macht ſein Geſchäft aus der ganzen und unbedingten; er
iſt in gewiſſem Betracht einer der Urväter der Journaliſtik.
Periodiſch läßt er ſeine Briefe u. a. Artikel zuſammen-
drucken, nachdem ſie ſchon vorher in weitern Kreiſen curſirt
haben mochten 2).
Verglichen mit Voltaire hat Aretino den Vortheil, daß
er ſich nicht mit Principien belädet, weder mit Aufklärung
noch mit Philanthropie und ſonſtiger Tugend, noch auch
mit Wiſſenſchaft; ſein ganzes Gepäck iſt das bekannte Motto:
„Veritas“ odium parit. Deßhalb gab es auch für ihn
keine falſchen Stellungen, wie z. B. für Voltaire, der ſeine
Pucelle ſchmählich verläugnen und Anderes lebenslang ver-
ſtecken mußte; Aretino gab zu allem ſeinen Namen, und
noch ſpät rühmt er ſich offen ſeiner berüchtigten Ragiona-
[167] menti. Sein literariſches Talent, ſeine lichte und pikante2. Abſchnitt.
Proſa, ſeine reiche Beobachtung der Menſchen und Dinge
würden ihn unter allen Umſtänden beachtenswerth machen,
wenn auch die Conception eines eigentlichen Kunſtwerkes,
z. B. die echte dramatiſche Anlage einer Comödie ihm völlig
verſagt blieb; dazu kommt dann noch außer der gröbſten
und feinſten Bosheit eine glänzende Gabe des grottesken
Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht
nachſteht 1).
Unter ſolchen Umſtänden, mit ſolchen Abſichten undVerhältniß zu
den italien.
Fürſten
Mitteln geht er auf ſeine Beute los oder einſtweilen um
ſie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert,
nicht zu klagen ſondern zu verzeihen 2), während das Jam-
mergeſchrei des verwüſteten Roms zur Engelsburg, dem
Kerker des Papſtes empordringt, iſt lauterer Hohn eines
Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf
Geſchenke völlig aufgeben muß, bricht ſeine Wuth in ein
wildes Geheul aus, wie z. B. in den Capitolo an den
Fürſten von Salerno. Dieſer hatte ihn eine Zeitlang be-
zahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen ſcheint es,
daß der ſchreckliche Pierluigi Farneſe, Herzog von Parma,
niemals Notiz von ihm nahm. Da dieſer Herr auf gute Nach-
rede wohl überhaupt verzichtet hatte, ſo war es nicht mehr
leicht, ihm wehe zu thun; Aretino verſucht es, indem er 3)
ſein äußeres Anſehen als das eines Sbirren, Müllers und
Beckers bezeichnet. Poſſirlich iſt Aretino am eheſten im
Ausdruck der reinen, wehmüthigen Bettelei, wie z. B. im
Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Dro-
hung und Schmeichelei gemiſchten Briefe und Gedichte trotz
aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen leſen können. Einu. Celebritäten.
[168]2. Abſchnitt.Brief wie der an Michelangelo vom November 1545 1)
exiſtirt vielleicht nicht ein zweites Mal; zwiſchen alle Be-
wunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm
wegen Irreligioſität, Indecenz und Diebſtahl (an den Er-
ben Julius II.) und fügt in einem begütigenden Poſtſcript
bei: „ich habe Euch nur zeigen wollen, daß wenn Ihr
„divino (di-vino) ſeid, ich auch nicht d'aqua bin“. Are-
tino hielt nämlich darauf — man weiß kaum ob aus wahn-
ſinnigem Dünkel oder aus Luſt an der Parodie alles
Berühmten — daß man ihn ebenfalls göttlich nenne, und
ſo weit brachte er es in der perſönlichen Berühmtheit aller-
dings, daß in Arezzo ſein Geburtshaus als Sehensmürdigkeit
der Stadt galt 2). Andererſeits freilich gab es ganze Mo-
nate, da er ſich in Venedig nicht über die Schwelle wagte
um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem
jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht
an Dolchſtichen und entſetzlichen Prügeln 3), wenn ſie auch
nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem fa-
moſen Sonett weiſſagte; er iſt in ſeinem Hauſe am Schlag-
fluß geſtorben.
In der Schmeichelei macht er beachtenswerthe Unter-
ſchiede; für Nichtitaliener trägt er ſie plump und dick auf 4),
Verhältniß zu
Herzog Coſimo.für Leute wie den Herzog Coſimo von Florenz weiß er ſich
anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch
jungen Fürſten, der in der That auch dieſe Eigenſchaft mit
[169] Auguſtus in hohem Grade gemein hatte; er lobt ſeinen2. Abſchnitt.
ſittlichen Wandel mit einem Seitenblick auf die Geldgeſchäfte
von Coſimo's Mutter Maria Salviati, und ſchließt mit
einer wimmernden Bettelei wegen der theuren Zeiten u. ſ. w.
Wenn ihn aber Coſimo penſionirte 1), und zwar im Ver-
hältniß zu ſeiner ſonſtigen Sparſamkeit ziemlich hoch (in
der letzten Zeit mit 160 Ducaten jährlich), ſo war wohl
eine beſtimmte Rückſicht auf ſeine Gefährlichkeit als ſpani-
ſcher Agent mit im Spiel. Aretino durfte in einem Athem-
zug über Coſimo bitter ſpotten und ſchmähen und doch
dabei dem florentiniſchen Geſchäftsträger drohen, daß er beim
Herzog ſeine baldige Abberufung erwirken werde. Und
wenn der Medici ſich auch am Ende von Carl V. durch-
ſchaut wußte, ſo mochte er doch nicht wünſchen, daß am
kaiſerlichen Hofe aretiniſche Witze und Spottverſe über ihn
in Curs kommen möchten. Eine ganz hübſch bedingte
Schmeichelei iſt auch diejenige an den berüchtigten Marcheſe
von Marignano, der als „Caſtellan von Muſſo“ einen
eigenen Staat zu gründen verſucht hatte. Zum Dank für
überſandte hundert Scudi ſchreibt Aretin: „Alle Eigen-
„ſchaften, die ein Fürſt haben muß, ſind in Euch vorhan-
„den und Jedermann würde dieß einſehen, wenn nicht die
„bei allen Anfängen unvermeidliche Gewaltſamkeit Euch
„noch als etwas rauh (aspro) erſcheinen ließe“ 2).
Man hat häufig als etwas Beſonderes hervorgehoben,Seine Religion.
daß Aretino nur die Welt, nicht auch Gott geläſtert habe.
Was er geglaubt hat, iſt bei ſeinem ſonſtigen Treiben völlig
gleichgültig, ebenſo ſind es die Erbauungsſchriften, welche
er nur aus äußern Rückſichten 3) verfaßte. Sonſt aber
[170]2. Abſchnitt.wüßte ich wahrlich nicht, wie er hätte auf die Gottesläſterung
verfallen ſollen. Er war weder Docent noch theoretiſcher
Denker und Schriftſteller; auch konnte er von Gott keine
Geldſummen durch Drohungen und Schmeicheleien erpreſſen,
fand ſich alſo auch nicht durch Verſagung zur Läſterung
gereizt. Mit unnützer Mühe aber giebt ſich ein ſolcher
Menſch nicht ab.
Es iſt das beſte Zeichen des heutigen italieniſchen
Geiſtes, daß ein ſolcher Character und eine ſolche Wirkungs-
weiſe tauſendmal unmöglich geworden ſind. Aber von
Seite der hiſtoriſchen Betrachtung aus wird dem Aretino
immer eine wichtige Stellung bleiben.
[[171]]
Dritter Abſchnitt.
Die Wiedererweckung des Alterthums.
Auf dieſem Punkte unſerer culturgeſchichtlichen Ueber-3. Abſchnitt.
ſicht angelangt, müſſen wir des Alterthums gedenken, deſſen
„Wiedergeburt“ in einſeitiger Weiſe zum Geſammtnamen
des Zeitraums überhaupt geworden iſt. Die bisher ge-Concurrenz mit
andern Kräften.
ſchilderten Zuſtände würden die Nation erſchüttert und
gereift haben auch ohne das Alterthum, und auch von den
nachher aufzuzählenden neuen geiſtigen Richtungen wäre
wohl das Meiſte ohne daſſelbe denkbar; allein wie das
Bisherige ſo iſt auch das Folgende doch von der Einwirkung
der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Weſen
der Dinge ohne dieſelbe verſtändlich und vorhanden ſein
würde, da iſt es doch die Aeußerungsweiſe im Leben nur
mit ihr und durch ſie. Die „Renaiſſance“ wäre nicht die
hohe weltgeſchichtliche Nothwendigkeit geweſen die ſie war,
wenn man ſo leicht von ihr abſtrahiren könnte. Darauf
aber müſſen wir beharren, als auf einem Hauptſatz dieſes
Buches, daß nicht ſie allein, ſondern ihr enges Bündniß
mit dem neben ihr vorhandenen italieniſchen Volksgeiſt die
abendländiſche Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche
ſich dieſer Volksgeiſt dabei bewahrte, iſt eine ungleiche und
ſcheint, ſobald man z. B. nur auf die neulateiniſche Litera-Grade der Ein-
wirkung.
tur ſieht, oft ſehr gering; in der bildenden Kunſt aber und
in mehrern andern Sphären iſt ſie auffallend groß und das
Bündniß zwiſchen zwei weit auseinander liegenden Cultur-
[172]3. Abſchnitt.epochen deſſelben Volkes erweist ſich als ein, weil höchſt
ſelbſtändiges, deßhalb auch berechtigtes und fruchtbares.
Das übrige Abendland mochte zuſehen wie es den großen,
aus Italien kommenden Antrieb abwehrte oder ſich halb
oder ganz aneignete; wo letzteres geſchah, ſollte man ſich
die Klagen über den frühzeitigen Untergang unſerer mittel-
alterlichen Culturformen und Vorſtellungen erſparen. Hät-
ten ſie ſich wehren können, ſo würden ſie noch leben.
Wenn jene elegiſchen Gemüther, die ſich danach zurück-
ſehnen, nur eine Stunde darin zubringen müßten, ſie würden
heftig nach moderner Luft begehren. Daß bei großen Pro-
ceſſen jener Art manche edle Einzelblüthe mit zu Grunde
geht ohne in Tradition und Poeſie unvergänglich geſichert
zu ſein, iſt gewiß; allein das große Geſammt-Ereigniß
darf man deßhalb nicht ungeſchehen wünſchen. Dieſes Ge-
ſammt-Ereigniß beſteht darin, daß neben der Kirche, welche
bisher (und nicht mehr für lange) das Abendland zuſam-
menhielt, ein neues geiſtiges Medium entſteht, welches, von
Italien her ſich ausbreitend, zur Lebens-Atmosphäre für
alle höher gebildeten Europäer wird. Der ſchärfſte Tadel,
den man darüber ausſprechen kann, iſt der der Unvolks-
thümlichkeit, der erſt jetzt nothwendig eintretenden Scheidung
von Gebildeten und Ungebildeten in ganz Europa. Dieſer
Tadel iſt aber ganz werthlos, ſobald man eingeſtehen muß,
daß die Sache noch heute, obwohl klar erkannt, doch nicht
beſeitigt werden kann. Und dieſe Scheidung iſt überdieß
in Italien lange nicht ſo herb und unerbittlich als anders-
wo. Iſt doch ihr größter Kunſtdichter Taſſo auch in den
Händen der Aermſten.
Das Alterthum
im Mittelalter.Das römiſch-griechiſche Alterthum, welches ſeit dem
XIV. Jahrhundert ſo mächtig in das italieniſche Leben
eingriff, als Anhalt und Quelle der Cultur, als Ziel und
Ideal des Daſeins, theilweiſe auch als bewußter neuer
Gegenſatz, dieſes Alterthum hatte ſchon längſt ſtellenweiſe
[173] auf das ganze auch außeritalieniſche Mittelalter eingewirkt.3. Abſchnitt.
Diejenige Bildung, welche Carl der Große vertrat, war
weſentlich eine Renaiſſance, gegenüber der Barbarei des
VII. und VIII. Jahrhunderts, und konnte nichts anderes
ſein. Wie hierauf in die romaniſche Baukunſt des Nor-
dens außer der allgemeinen, vom Alterthum ererbten For-
mengrundlage auch auffallende direct antike Formen ſich
einſchleichen, ſo hatte die ganze Kloſtergelehrſamkeit allmälig
eine große Maſſe von Stoff aus römiſchen Autoren in ſich
aufgenommen und auch der Styl derſelben blieb ſeit Ein-
hard nicht ohne Nachahmung.
Anders aber als im Norden wacht das Alterthum inIn Italien.
Italien wieder auf. Sobald hier die Barbarei aufhört,
meldet ſich bei dem noch halb antiken Volk die Erkenntniß
ſeiner Vorzeit; es feiert ſie und wünſcht ſie zu reproduciren.
Außerhalb Italiens handelt es ſich um eine gelehrte, reflectirte
Benützung einzelner Elemente der Antike, in Italien um eine
gelehrte und zugleich populäre ſachliche Parteinahme für das
Alterthum überhaupt, weil daſſelbe die Erinnerung an die
eigene alte Größe iſt. Die leichte Verſtändlichkeit des Lateini-
ſchen, die Menge der noch vorhandenen Erinnerungen und
Denkmäler befördert dieſe Entwicklung gewaltig. Aus ihr und
aus der Gegenwirkung des inzwiſchen doch anders gewor-
denen Volksgeiſtes, der germaniſch-langobardiſchen Staats-
Einrichtungen, des allgemein europäiſchen Ritterthums, der
übrigen Cultureinflüſſe aus dem Norden und der Religion
und Kirche erwächst dann das neue Ganze: der modern
italieniſche Geiſt, welchem es beſtimmt war, für den ganzen
Occident maßgebendes Vorbild zu werden.
Wie ſich in der bildenden Kunſt das Antike regt ſobald
die Barbarei aufhört, zeigt ſich z. B. deutlich bei Anlaß der
toscaniſchen Bauten des XII. und der Sculpturen des
XIII. Jahrhunderts. Auch in der Dichtkunſt fehlen dieLateiniſche
Poeſie der Va-
ganten.
Parallelen nicht, wenn wir annehmen dürfen, daß der
größte lateiniſche Dichter des XII. Jahrhunderts, ja der,
[174]3. Abſchnitt.welcher für eine ganze Gattung der damaligen lateiniſchen
Poeſie den Ton angab, ein Italiener geweſen ſei. Es iſt
derjenige, welchem die beſten Stücke der ſogenannten Car-
mina Burana angehören. Eine ungehemmte Freude an der
Welt und ihren Genüſſen, als deren Schutzgenien die
alten Heidengötter wieder erſcheinen, ſtrömt in prachtvollem
Fluß durch die gereimten Strophen. Wer ſie in einem
Zuge liest, wird die Ahnung, daß hier ein Italiener,
wahrſcheinlich ein Lombarde ſpreche, kaum abweiſen können;
es giebt aber auch beſtimmte einzelne Gründe dafür 1). Bis
zu einem gewiſſen Grade ſind dieſe lateiniſchen Poeſien der
Clerici vagantes des XII. Jahrhunderts allerdings ein
gemeinſames europäiſches Product, mit ſammt ihrer großen
auffallenden Frivolität, allein Der, welcher den Geſang de
Phyllide et Flora und das Aestuans interius etc. ge-
dichtet hat, war vermuthlich kein Nordländer, und auch der
feine beobachtende Sybarit nicht, von welchem Dum Dianæ
Die
Renaiſſance in
derſelben.vitrea sero lampas oritur (S. 124) herrührt. Hier iſt
eine Renaiſſance der antiken Weltanſchauung, die nur um
ſo klarer in die Augen fällt neben der mittelalterlichen
Reimform. Es giebt manche Arbeit dieſes und der nächſten
Jahrhunderte, welche Hexameter und Pentameter in ſorg-
fältiger Nachbildung und allerlei antike, zumal mythologiſche
Zuthat in den Sachen aufweist und doch nicht von ferne
jenen antiken Eindruck hervorbringt. In den hexametriſchen
[175] Chroniken u. a. Productionen von Guilielmus Appulus an3. Abſchnitt.
begegnet man oft einem emſigen Studium des Virgil,
Ovid, Lucan, Statius und Claudian, allein die antike
Form bleibt bloße Sache der Gelehrſamkeit, gerade wie der
antike Stoff bei Sammelſchriftſtellern in der Weiſe des
Vincenz von Beauvais oder bei dem Mythologen und Alle-
goriker Alanus ab Inſulis. Die Renaiſſance iſt eben nicht
ſtückweiſe Nachahmung und Aufſammlung, ſondern Wieder-
geburt, und eine ſolche findet ſich in der That in jenen
Gedichten des unbekannten Clericus aus dem XII. Jahr-
hundert.
Die große, allgemeine Parteinahme der Italiener fürDas Alterthum
im XIV. Ih.
das Alterthum aber beginnt erſt mit dem XIV. Jahrhundert.
Es war dazu eine Entwicklung des ſtädtiſchen Lebens
nothwendig, wie ſie nur in Italien und erſt jetzt vorkam:
Zuſammenwohnen und thatſächliche Gleichheit von Adlichen
und Bürgern; Bildung einer allgemeinen Geſellſchaft (S. 142),
welche ſich bildungsbedürftig fühlte und Muße und Mittel
übrig hatte. Die Bildung aber, ſobald ſie ſich von der
Phantaſiewelt des Mittelalters losmachen wollte, konnte
nicht plötzlich durch bloße Empirie zur Erkenntniß der
phyſiſchen und geiſtigen Welt durchdringen, ſie bedurfte
eines Führers, und als ſolchen bot ſich das claſſiſche Alter-
thum dar, mit ſeiner Fülle objectiver, evidenter Wahrheit
in allen Gebieten des Geiſtes. Man nahm von ihm Form
und Stoff mit Dank und Bewunderung an; es wurde
einſtweilen der Hauptinhalt jener Bildung 1). Auch die
allgemeinen Verhältniſſe Italiens waren der Sache günſtig;
das Kaiſerthum des Mittelalters hatte ſeit dem Untergang
der Hohenſtaufen entweder auf Italien verzichtet oder
konnte ſich daſelbſt nicht halten; das Papſtthum war nach
[176]3. Abſchnitt.Avignon übergeſiedelt; die meiſten thatſächlich vorhandenen
Mächte waren gewaltſam und illegitim; der zum Bewußt-
ſein geweckte Geiſt aber war im Suchen nach einem neuen
haltbaren Ideal begriffen, und ſo konnte ſich das Schein-
Die römiſche
Weltherrſchaft.bild und Poſtulat einer römiſch-italiſchen Weltherrſchaft
der Gemüther bemächtigen, ja eine practiſche Verwirklichung
verſuchen mit Cola di Rienzo. Wie er, namentlich bei
ſeinem erſten Tribunat, die Aufgabe anfaßte, mußte es
allerdings nur zu einer wunderlichen Comödie kommen,
allein für das Nationalgefühl war die Erinnerung an das
alte Rom durchaus kein werthloſer Anhalt. Mit ſeiner
Cultur aufs Neue ausgerüſtet fühlte man ſich bald in der
That als die vorgeſchrittenſte Nation der Welt.
Dieſe Bewegung der Geiſter, nicht in ihrer Fülle,
ſondern nur in ihren äußern Umriſſen, und weſentlich in
ihren Anfängen zu zeichnen iſt nun unſere nächſte Aufgabe 1).
[177]
Vor Allem genießt die Ruinenſtadt Rom ſelber jetzt3. Abſchnitt.
eine andere Art von Pietät als zu der Zeit da die Mira-Die Ruinen von
Rom.
bilia Romae und das Sammelwerk des Wilhelm von Mal-
mesbury verfaßt wurden. Die Phantaſie des frommen
Pilgers wie die des Zaubergläubigen und des Schatzgräbers
tritt in den Aufzeichnungen zurück neben der des Hiſtorikers
und Patrioten. In dieſem Sinne wollen Dante's Worte 1)
verſtanden ſein: Die Steine der Mauern von Rom ver-
dienten Ehrfurcht, und der Boden worauf die Stadt ge-
baut iſt, ſei würdiger als die Menſchen ſagen. Die coloſſale
Frequenz der Jubileen läßt in der eigentlichen Literatur
doch kaum eine andächtige Erinnerung zurück; als beſten
Gewinn vom Jubileum des Jahres 1300 bringt Giovanni
Villani (S. 74) ſeinen Entſchluß zur Geſchichtſchreibung
mit nach Hauſe, welchen der Anblick der Ruinen von Rom
in ihm geweckt. Petrarca giebt uns noch Kunde von einer
zwiſchen claſſiſchem und chriſtlichem Alterthum getheilten
Stimmung; er erzählt, wie er oftmals mit Giovanni Co-
lonna auf die rieſigen Gewölbe der Diocletiansthermen
hinaufgeſtiegen 2); hier, in der reinen Luft, in tiefer Stille,
mitten in der weiten Rundſicht redeten ſie zuſammen, nicht
von Geſchäften, Hausweſen und Politik, ſondern, mit dem
Blick auf die Trümmer ringsum, von der Geſchichte, wobei
Petrarca mehr das Alterthum, Giovanni mehr die chriſtliche
Zeit vertrat; dann auch von der Philoſophie und von den
Erfindern der Künſte. Wie oft ſeitdem bis auf Gibbon
und Niebuhr hat dieſe Ruinenwelt die geſchichtliche Con-
templation geweckt.
Dieſelbe getheilte Empfindung offenbart auch nochUberti.
Fazio degli Uberti in ſeinem um 1360 verfaßten Ditta-
mondo, einer fingirten viſionären Reiſebeſchreibung, wobei
Cultur der Renaiſſance. 12
[178]3. Abſchnitt.ihn der alte Geograph Solinus begleitet wie Virgil den
Dante. So wie ſie Bari zu Ehren des S. Nicolaus,
Monte Gargano aus Andacht zum Erzengel Michael be-
ſuchen, ſo wird auch in Rom die Legende von Araceli und
die von S. Maria in Traſtevere erwähnt, doch hat die
profane Herrlichkeit des alten Rom ſchon merklich das
Uebergewicht; eine hehre Greiſinn in zerriſſenem Gewand —
es iſt Roma ſelber — erzählt ihnen die glorreiche Geſchichte
und ſchildert umſtändlich die alten Triumphe 1); dann führt
ſie die Fremdlinge in der Stadt herum und erklärt ihnen
die ſieben Hügel und eine Menge Ruinen — che com-
prender potrai, quanto fui bella! —
Letzte große
Zerſtörungen.Leider war dieſes Rom der avignoneſiſchen und ſchis-
matiſchen Päpſte in Bezug auf die Reſte des Alterthums
ſchon bei Weitem nicht mehr was es einige Menſchenalter
vorher geweſen war. Eine tödtliche Verwüſtung, welche
den wichtigſten noch vorhandenen Gebäuden ihren Character
genommen haben muß, war die Schleifung von 140 feſten
Wohnungen römiſcher Großen, durch den Senator Bran-
caleone um 1258; der Adel hatte ſich ohne Zweifel in den
beſterhaltenen und höchſten Ruinen eingeniſtet gehabt 2).
[179] Gleichwohl blieb noch immer unendlich viel mehr übrig als3. Abſchnitt.
was gegenwärtig aufrecht ſteht, und namentlich mögen viele
Reſte noch ihre Bekleidung und Incruſtation mit Marmor,
ihre vorgeſetzten Säulen u. a. Schmuck gehabt haben, wo
jetzt nur der Kernbau aus Backſteinen übrig iſt. An dieſen
Thatbeſtand ſchloß ſich nun der Anfang einer ernſthaften
Topographie der alten Stadt an. In Poggio's Wande-Das Rom
Poggio's.
rung durch Rom 1) iſt zum erſtenmal das Studium der
Reſte ſelbſt mit dem der alten Autoren und mit dem der
Inſchriften (welchen er durch alles Geſtrüpp hindurch 2)
nachging) inniger verbunden, die Phantaſie zurückgedrängt,
der Gedanke an das chriſtliche Rom gefliſſentlich ausge-
ſchieden. Wäre nur Poggio's Arbeit viel ausgedehnter
und mit Abbildungen verſehen! Er traf noch ſehr viel
mehr Erhaltenes an als achtzig Jahre ſpäter Rafael. Er
ſelber hat noch das Grabmal der Caecilia Metella und die
Säulenfronte eines der Tempel am Abhang des Capitols
zuerſt vollſtändig und dann ſpäter bereits halbzerſtört
wiedergeſehen, indem der Marmor noch immer den unglück-
ſeligen Materialwerth hatte, leicht zu Kalk gebrannt werden
zu können; auch eine gewaltige Säulenhalle bei der Mi-
nerva unterlag ſtückweiſe dieſem Schickſal. Ein Bericht-
erſtatter vom Jahre 1443 meldet die Fortdauer dieſes
Kalkbrennens, „welches eine Schmach iſt; denn die neuern
„Bauten ſind erbärmlich, und das Schöne an Rom ſind
„die Ruinen“ 3). Die damaligen Einwohner in ihren
12*
[180]3. Abſchnitt.Campagnolenmänteln und Stiefeln kamen den Fremden
vor wie lauter Rinderhirten, und in der That weidete
das Vieh bis zu den Banchi hinein; die einzige geſellige
Reunion waren die Kirchgänge zu beſtimmten Abläſſen;
bei dieſer Gelegenheit bekam man auch die ſchönen Weiber
zu ſehen.
In den letzten Jahren Eugens IV. (ſt. 1447) ſchrieb
Blondus von Forli ſeine Roma inſtaurata, bereits mit Be-
nützung des Frontinus und der alten Regionenbücher, ſo
wie auch (ſcheint es) des Anaſtaſius. Sein Zweck iſt ſchon
bei Weitem nicht bloß die Schilderung des Vorhandenen,
ſondern mehr die Ausmittelung des Untergegangenen. Im
Einklang mit der Widmung an den Papſt tröſtet er ſich
für den allgemeinen Ruin mit den herrlichen Reliquien
der Heiligen, welche Rom beſitze.
Die Päpſte.Mit Nicolaus V. (1447—1455) beſteigt derjenige neue
monumentale Geiſt, welcher der Renaiſſance eigen war,
den päpſtlichen Stuhl. Durch die neue Geltung und Ver-
ſchönerung der Stadt Rom als ſolcher wuchs nun wohl
einerſeits die Gefahr für die Ruinen, andererſeits aber auch
die Rückſicht für dieſelben als Ruhmestitel der Stadt.
Pius II. als
Antiquar.Pius II. iſt ganz erfüllt von antiquariſchem Intereſſe, und
wenn er von den Alterthümern Roms wenig redet, ſo hat
er dafür denjenigen des ganzen übrigen Italiens ſeine
Aufmerkſamkeit gewidmet und diejenigen der Umgebung der
Stadt in weitem Umfange zuerſt genau gekannt und be-
ſchrieben 1). Allerdings intereſſiren ihn als Geiſtlichen und
Cosmographen antike und chriſtliche Denkmäler und Natur-
wunder gleichmäßig, oder hat er ſich Zwang anthun müſſen,
3)
[181] als er z. B. niederſchrieb: Nola habe größere Ehre durch3. Abſchnitt.
das Andenken des S. Paulinus als durch die römiſchen
Erinnerungen und durch den Heldenkampf des Marcellus?
Nicht daß etwa an ſeinem Reliquienglauben zu zweifeln
wäre, allein ſein Geiſt iſt ſchon offenbar mehr der Forſcher-
theilnahme an Natur und Alterthum, der Sorge für das
Monumentale, der geiſtvollen Beobachtung des Lebens zu-
geneigt. Noch in ſeinen letzten Jahren als Papſt, podagriſch
und doch in der heiterſten Stimmung, läßt er ſich auf dem
Tragſeſſel über Berg und Thal nach Tusculum, Alba,
Tibur, Oſtia, Falerii, Ocriculum bringen und verzeichnet
Alles was er geſehen; er verfolgt die alten Römerſtraßen
und Waſſerleitungen und ſucht die Grenzen der antiken
Völkerſchaften um Rom zu beſtimmen. Bei einem Ausflug
nach Tibur mit dem großen Federigo von Urbino vergeht
die Zeit Beiden auf das Angenehmſte mit Geſprächen über
das Alterthum und deſſen Kriegsweſen, beſonders über den
trojaniſchen Krieg; ſelbſt auf ſeiner Reiſe zum Congreß von
Mantua (1459) ſucht er, wiewohl vergebens, das von
Plinius erwähnte Labyrinth von Cluſium und beſieht am
Mincio die ſogenannte Villa Virgil's. Daß derſelbe Papſt
auch von den Abbreviatoren ein claſſiſches Latein verlangte,
verſteht ſich beinahe von ſelbſt; hat er doch einſt im nea-
politaniſchen Krieg die Arpinaten amneſtirt als Landsleute
des M. T. Cicero, ſo wie des C. Marius, nach welchen
noch viele Leute dort getauft waren. Ihm allein als Ken-
ner und Beſchützer konnte und mochte Blondus ſeine Roma
triumphans zueignen, den erſten großen Verſuch einer Ge-
ſammtdarſtellung des römiſchen Alterthums.
In dieſer Zeit war natürlich auch im übrigen ItalienDas Alterthum
außerhalb
Rom's.
der Eifer für die römiſchen Alterthümer erwacht. Schon
Boccaccio 1) nennt die Ruinenwelt von Bajae „altes Ge-
mäuer, und doch neu für moderne Gemüther;“ ſeitdem
[182]3. Abſchnitt.galten ſie als größte Sehenswürdigkeit der Umgegend Neapels.
Schon entſtanden auch Sammlungen von Alterthümern
jeder Gattung. Ciriaco von Ancona durchſtreifte nicht
bloß Italien ſondern auch andere Länder des alten Orbis
terrarum und brachte Inſchriften und Zeichnungen in
Menge mit; auf die Frage, warum er ſich ſo bemühe,
antwortete er: um die Todten zu erwecken 1). Die Hiſtorien
der einzelnen Städte hatten von jeher auf einen wahren
oder fingirten Zuſammenhang mit Rom, auf directe Grün-
dung oder Coloniſation von dort aus hingewieſen 2); längſt
Abſtammung
von alten Rö-
mern.ſcheinen gefällige Genealogen auch einzelne Familien von
berühmten römiſchen Geſchlechtern derivirt zu haben. Dieß
lautete ſo angenehm, daß man auch im Lichte der begin-
nenden Kritik des XV. Jahrhunderts daran feſthielt.
Ganz unbefangen redet Pius II. in Viterbo 3) zu den rö-
miſchen Oratoren, die ihn um ſchleunige Rückkehr bitten:
„Rom iſt ja meine Heimath ſo gut wie Siena, denn mein
„Haus, die Piccolomini, iſt vor Alters von Rom nach
„Siena gewandert, wie der häufige Gebrauch der Namen
„Aeneas und Sylvius in unſerer Familie beweist“. Ver-
muthlich hätte er nicht übel Luſt gehabt, ein Julier
zu ſein. Auch für Paul II. — Barbo von Venedig — wurde
geſorgt, indem man ſein Haus, trotz einer entgegenſtehenden
Abſtammung aus Deutſchland, von den römiſchen Aheno-
barbus ableitete, die mit einer Colonie nach Parma gerathen
und deren Nachkommen wegen Parteiung nach Venedig
[183] ausgewandert ſeien 1). Daß die Maſſimi von O. Fabius3. Abſchnitt.
Maximus, die Cornaro von den Corneliern abſtammen
wollten, kann nicht befremden. Dagegen iſt es für das
folgende XVI. Jahrhundert eine recht auffallende Aus-
nahme, daß der Novelliſt Bandello ſein Geſchlecht von
vornehmen Oſtgothen (I, Nov. 23.) abzuleiten ſucht.
Kehren wir nach Rom zurück. Die Einwohner, „die
ſich damals Römer nannten“, gingen begierig auf das
Hochgefühl ein, welches ihnen das übrige Italien entgegen-
brachte. Wir werden unter Paul II., Sixtus IV. und
Alexander VI. prächtige Carnevalsaufzüge ſtattfinden ſehen,
welche das beliebteſte Phantaſiebild jener Zeit, den Triumph
altrömiſcher Imperatoren, darſtellten. Wo irgend Pathos
zum Vorſchein kam, mußte es in jener Form geſchehen.
Bei dieſer Stimmung der Gemüther geſchah es am 18. AprilDie römiſche
Leiche.
1485, daß ſich das Gerücht verbreitete, man habe die
wunderbar ſchöne, wohl erhaltene Leiche einer jungen Rö-
merinn aus dem Alterthum gefunden 2). Lombardiſche
Maurer, welche auf einem Grundſtück des Kloſters S. Ma-
ria nuova, an der Via Appia, außerhalb der Caecilia Metella,
[184]3. Abſchnitt.ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen
Sarcophag angeblich mit der Aufſchrift: Julia, Tochter
des Claudius. Das Weitere gehört der Phantaſie an; die
Lombarden ſeien ſofort verſchwunden ſammt den Schätzen
und Edelſteinen, welche im Sarcophag zum Schmuck und
Geleit der Leiche dienten; letztere ſei mit einer ſichernden
Eſſenz überzogen und ſo friſch, ja ſo beweglich geweſen wie
die eines eben geſtorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann
hieß es ſogar, ſie habe noch ganz die Farbe des Lebens,
Augen und Mund halb offen. Man brachte ſie nach dem
Conſervatorenpalaſt auf dem Capitol, und dahin, um ſie
zu ſehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; Viele kamen
auch um ſie abzumalen; „denn ſie war ſchön, wie man es
„nicht ſagen noch ſchreiben kann, und wenn man es ſagte
„oder ſchriebe, ſo würden es, die ſie nicht ſahen, doch nicht
„glauben“. Aber auf Befehl Innocenz VIII. mußte ſie
eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort
verſcharrt werden; in der Hofhalle der Conſervatoren blieb
nur der leere Sarcophag. Wahrſcheinlich war über den
Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Styles
aus Wachs oder etwas Aehnlichem modellirt, wozu die
vergoldeten Haare, von welchen die Rede iſt, ganz wohl
paſſen würden. Das Rührende an der Sache iſt nicht der
Thatbeſtand ſondern das feſte Vorurtheil, daß der antike Leib,
den man endlich hier in Wirklichkeit vor ſich zu ſehen glaubte,
nothwendig herrlicher ſein müſſe als Alles was jetzt lebe.
Die neuen Aus-
grabungenInzwiſchen wuchs die ſachliche Kenntniß des alten Rom
durch Ausgrabungen; ſchon unter Alexander VI. lernte
man die ſog. Grottesken, d. h. die Wand- und Gewölbe-
decoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo
den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die
glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vaticaniſchen
Venus, des Torſo, der Cleopatra u. a. m. 1); auch die
[185] Paläſte der Großen und Cardinäle begannen ſich mit an-3. Abſchnitt.
tiken Statuen und Fragmenten zu füllen. Für Leo X.
unternahm Rafael jene ideale Reſtauration der ganzen
alten Stadt, von welcher ſein (oder Caſtiglione's) berühm-
ter Brief ſpricht 1). Nach der bittern Klage über die noch
immer dauernden Zerſtörungen, namentlich noch unter
Julius II., ruft er den Papſt um Schutz an für die we-
nigen übriggebliebenen Zeugniſſe der Größe und Kraft jener
göttlichen Seelen des Alterthums, an deren Andenken ſich
noch jetzt diejenigen entzünden, die des Höhern fähig ſeien.
Mit merkwürdig durchdringendem Urtheil legt er dann den
Grund zu einer vergleichenden Kunſtgeſchichte überhaupt und
ſtellt am Ende denjenigen Begriff von „Aufnahme“ feſt,u. Aufnahmen.
welcher ſeitdem gegolten hat: er verlangt für jeden Ueberreſt
Plan, Aufriß und Durchſchnitt geſondert. Wie ſeit dieſer
Zeit die Archäologie, in ſpeciellem Anſchluß an die gehei-
ligte Weltſtadt und deren Topographie, zur beſondern
Wiſſenſchaft heranwuchs, wie die vitruvianiſche Academie
wenigſtens ein coloſſales Programm 2) aufſtellte, kann nicht
weiter aufgeführt werden. Hier dürfen wir bei Leo X.Das leoniſche
Rom.
ſtehen bleiben, unter welchem der Genuß des Alterthums
ſich mit allen andern Genüſſen zu jenem wunderſamen
Eindruck verflocht, welcher dem Leben in Rom ſeine Weihe
gab. Der Vatican tönte von Geſang und Saitenſpiel; wie
ein Gebot zur Lebensfreude gingen dieſe Klänge über Rom
hin, wenn auch Leo damit für ſich kaum eben erreichte,
daß ſich Sorgen und Schmerzen verſcheuchen ließen und
wenn auch ſeine bewußte Rechnung, durch Heiterkeit das
Daſein zu verlängern 3), mit ſeinem frühen Tode fehlſchlug.
[186]3. Abſchnitt.Dem glänzenden Bilde des leoniſchen Rom, wie es Paolo
Giovio entwirft, wird man ſich nie entziehen können, ſo
gut bezeugt auch die Schattenſeiten ſind: die Knechtſchaft
der Emporſtrebenden und das heimliche Elend der Prälaten,
welche trotz ihrer Schulden ſtandesgemäß leben müſſen 1),
das Lotteriemäßige und Zufällige von Leo's literariſchem
Mäcenat, endlich ſeine völlig verderbliche Geldwirthſchaft 2).
Derſelbe Arioſt, der dieſe Dinge ſo gut kannte und ver-
ſpottete, giebt doch wieder in der ſechsten Satire ein ganz
ſehnſüchtiges Bild von dem Umgang mit den hochgebildeten
Poeten, welche ihn durch die Ruinenſtadt begleiten würden,
von dem gelehrten Beirath, den er für ſeine eigene Dich-
tung dort vorfände, endlich von den Schätzen der vatica-
niſchen Bibliothek. Dieß, und nicht die längſt aufgegebene
Hoffnung auf mediceiſche Protection, meint er, wären die
wahren Lockſpeiſen für ihn, wenn man ihn wieder bewegen
wollte, als ferrareſiſcher Geſandter nach Rom zu gehen.
Ruinen-
ſentimentalität.Außer dem archäologiſchen Eifer und der feierlich pa-
triotiſchen Stimmung weckten die Ruinen als ſolche, in und
außer Rom, auch ſchon eine elegiſch-ſentimentale. Bereits
bei Petrarca und Boccaccio finden ſich Anklänge dieſer Art
(S. 177, 181); Poggio (a. a. O.) beſucht oft den Tempel der
Venus und Roma, in der Meinung es ſei der des Caſtor
und Pollux, wo einſt ſo oft Senat gehalten worden, und
vertieft ſich hier in die Erinnerung an die großen Redner
Craſſus, Hortenſius, Cicero. Vollkommen ſentimental äußert
ſich dann Pius II. zumal bei der Beſchreibung von Tibur 3),
und bald darauf entſteht die erſte ideale Ruinenanſicht nebſt
[187] Schilderung bei Polifilo 1): Trümmer mächtiger Gewölbe3. Abſchnitt.
und Colonnaden, durchwachſen von alten Platanen, Lor-
beeren und Cypreſſen nebſt wildem Buſchwerk. In der
heiligen Geſchichte wird es, man kann kaum ſagen wie,
gebräuchlich, die Darſtellung der Geburt Chriſti in die
möglichſt prachtvollen Ruinen eines Palaſtes zu verlegen 2).
Daß dann endlich die künſtliche Ruine zum Requiſit präch-
tiger Gartenanlagen wurde, iſt nur die practiſche Aeußerung
deſſelben Gefühls.
Unendlich wichtiger aber als die baulichen und über-Die
alten Autoren
im XIV. Ih.
haupt künſtleriſchen Reſte des Alterthums waren natürlich
die ſchriftlichen, griechiſche ſowohl als lateiniſche. Man
hielt ſie ja für Quellen aller Erkenntniß im abſoluteſten
Sinne. Das Bücherweſen jener Zeit der großen Fünde
iſt oft geſchildert worden: wir können nur einige weniger
beachtete Züge hier beifügen 3).
So groß die Einwirkung der alten Schriftſteller ſeit
langer Zeit und vorzüglich während des XIV. Jahrhunderts
in Italien erſcheint, ſo war doch mehr das Längſtbekannte
in zahlreichere Hände verbreitet als Neues entdeckt worden.
Die gangbarſten lateiniſchen Dichter, Hiſtoriker, Redner
und Epiſtolographen nebſt einer Anzahl lateiniſcher Ueber-
ſetzungen nach einzelnen Schriften des Ariſtoteles, Plutarch
und weniger andern Griechen bildeten weſentlich den Vor-
rath, an welchem ſich die Generation des Boccaccio und
[188]3. Abſchnitt.Petrarca begeiſterte. Letzterer beſaß und verehrte bekannt-
lich einen griechiſchen Homer ohne ihn leſen zu können;
die erſte lateiniſche Ueberſetzung der Ilias und Odyſſee hat
Boccaccio mit Hülfe eines calabreſiſchen Griechen ſo gut
es ging zu Stande gebracht. Erſt mit dem XV. Jahr-
hundert beginnt die große Reihe neuer Entdeckungen, die
ſyſtematiſche Anlage von Bibliotheken durch Copiren, und
der eifrigſte Betrieb des Ueberſetzens aus dem Griechiſchen 1).
Dieſelben im
XV. Jahrh.Ohne die Begeiſterung einiger damaligen Sammler,
welche ſich bis zur äußerſten Entbehrung anſtrengten, be-
ſäßen wir ganz gewiß nur einen kleinen Theil zumal der
griechiſchen Autoren, welche auf unſere Zeit gekommen ſind.
Papſt Nicolaus V. hat ſich ſchon als Mönch in Schulden
geſtürzt um Codices zu kaufen oder copiren zu laſſen; ſchon
damals bekannte er ſich offen zu den beiden großen Paſſionen
der Renaiſſance: Bücher und Bauten 2). Als Papſt hielt
er Wort; Copiſten ſchrieben und Späher ſuchten für ihn
in der halben Welt, Perotto erhielt für die lateiniſche
Ueberſetzung des Polybius 500 Ducaten, Guarino für die
des Strabo 1000 Goldgulden und ſollte noch weitere 500
erhalten, als der Papſt zu früh ſtarb. Mit 5000 oder
je nachdem man rechnete 9000 Bänden 3) hinterließ er die-
[189] jenige eigentlich für den Gebrauch aller Curialen beſtimmte3. Abſchnitt.
Bibliothek, welche der Grundſtock der Vaticana gewordenDie Bibliothe-
ken.
iſt; im Palaſt ſelber ſollte ſie aufgeſtellt werden, als deſſen
edelſte Zier, wie es einſt König Ptolemaeus Philadelphus
zu Alexandrien gehalten. Als er wegen der Peſt mit dem
Hofe nach Fabriano zog, nahm er ſeine Ueberſetzer und
Compilatoren dahin mit, auf daß ſie ihm nicht wegſtürben.
Der Florentiner Niccolò Niccoli 1), Genoſſe des ge-
lehrten Freundeskreiſes, welcher ſich um den ältern Coſimo
Medici verſammelte, wandte ſein ganzes Vermögen auf Er-
werb von Büchern; endlich, da er nichts mehr hatte, hielten
ihm die Medici ihre Kaſſen offen für jede Summe, die er
zu ſolchen Zwecken begehrte. Ihm verdankt man die Ver-
vollſtändigung des Ammianus Marcellinus, des Cicero de
oratore u. A. m.; er bewog den Coſimo zum Ankauf des
trefflichſten Plinius aus einem Kloſter zu Lübeck. Mit
einem großartigen Zutrauen lieh er ſeine Bücher aus, ließ
die Leute auch bei ſich leſen ſo viel ſie wollten, und unter-
redete ſich mit ihnen über das Geleſene. Seine Sammlung,
800 Bände zu 6000 Goldgulden gewerthet, kam nach ſei-
nem Tode durch Coſimo's Vermittlung an das Kloſter
S. Marco mit Bedingung der Oeffentlichkeit.
Von den beiden großen Bücherfindern Guarino undPoggio.
Poggio iſt der letztere 2), zum Theil als Agent des Niccoli,
bekanntlich auch in den ſüddeutſchen Abteien thätig gewe-
ſen, und zwar bei Anlaß des Concils von Conſtanz. Er
fand dort ſechs Reden des Cicero und den erſten vollſtän-
digen Quintilian, die Sangallenſiſche, jetzt Zürcher Hand-
ſchrift; binnen 32 Tagen ſoll er ſie vollſtändig und zwar
ſehr ſchön abgeſchrieben haben. Den Silius Italicus, Ma-
nilius, Lucretius, Val. Flaccus, Ascon. Pedianus, Columella,
Celſus, A. Gellius, Statius u. m. A. konnte er weſentlich
[190]3. Abſchnitt.vervollſtändigen; mit Lionardo Aretino zuſammen brachte
er die zwölf letzten Stücke des Plautus zum Vorſchein, ſo
wie die Verrinen des Cicero.
Aus antikem Patriotismus ſammelte der berühmte
Grieche Cardinal Beſſarion 1) 600 Codices, heidniſchen wie
chriſtlichen Inhalts, mit ungeheuren Opfern, und ſuchte
nun einen ſichern Ort, wohin er ſie ſtiften könne, damit
ſeine unglückliche Heimath, wenn ſie je wieder frei würde,
ihre verlorene Literatur wieder finden möchte. Die Signorie
von Venedig (S. 73) erklärte ſich zum Bau eines Locales
bereit und noch heute bewahrt die Marcusbibliothek einen
Theil jener Schätze 2).
Das Zuſammenkommen der berühmten mediceiſchen
Bibliothek hat eine ganz beſondere Geſchichte, auf welche
wir hier nicht eingehen können; der Hauptſammler für
Lorenzo magnifico war Johannes Lascaris. Bekanntlich
hat die Sammlung nach der Plünderung des Jahres 1494
noch einmal ſtückweiſe durch Cardinal Giovanni Medici
(Leo X.) erworben werden müſſen.
Die Bibliothek
von Urbino.Die urbinatiſche Bibliothek 3) (jetzt im Vatican) war
durchaus die Gründung des großen Federigo von Monte-
feltro (S. 45), der ſchon als Knabe zu ſammeln begonnen
hatte, ſpäter beſtändig 30 bis 40 Scrittori an verſchiedenen
Orten beſchäftigte, und im Verlauf der Zeit über 30,000
Ducaten daran wandte. Sie wurde, hauptſächlich mit
Hülfe Vespaſiano's, ganz ſyſtematiſch fortgeſetzt und ver-
vollſtändigt, und was dieſer davon berichtet, iſt beſonders
merkwürdig als Idealbild einer damaligen Bibliothek. Man
beſaß z. B. in Urbino die Inventarien der Vaticana, der
[191] Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontiniſchen3. Abſchnitt.
Bibliothek von Pavia, ja ſelbſt das Inventar von Oxford,
und fand mit Stolz, daß Urbino in der Vollſtändigkeit der
Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen ſei.
In der Maſſe wog vielleicht noch das Mittelalter und die
Theologie vor; da fand ſich der ganze Thomas von Aquino,
der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura ꝛc.;
ſonſt war die Bibliothek ſehr vielſeitig und enthielt z. B.
alle irgend beizuſchaffenden mediciniſchen Werke. Unter den
„Moderni“ ſtanden die großen Autoren des XIV. Jahr-
hunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren geſammten
Werken oben an; dann folgten 25 auserleſene Humaniſten,
immer mit ihren lateiniſchen und italieniſchen Schriften
und allem was ſie überſetzt hatten. Unter den griechiſchen
Codices überwogen ſehr die Kirchenväter, doch heißt es bei
den Claſſikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des So-
phokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menan-
der — ein Codex, der offenbar frühe 1) aus Urbino ver-
ſchwunden ſein muß, weil ihn ſonſt die Philologen bald
edirt haben würden.
Von der Art wie damals Handſchriften und Biblio-Copiſten und
Scrittori.
theken entſtanden, erhalten wir auch ſonſt einige Rechen-
ſchaft. Der directe Ankauf eines ältern Manuſcriptes,
welches einen raren oder allein vollſtändigen oder gar nur
einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb
natürlich eine ſeltene Gabe des Glückes und kam nicht in
Rechnung. Unter den Copiſten nahmen diejenigen, welche
[192]3. Abſchnitt.griechiſch verſtanden, die erſte Stelle und den Ehrennamen
Scrittori im vorzugsweiſen Sinne ein; es waren und
blieben ihrer wenige, und ſie wurden hoch bezahlt 1). Die
übrigen, Copiſti ſchlechtweg, waren theils Arbeiter, die einzig
davon lebten, theils arme Gelehrte, die eines Nebengewinnes
bedurften. Merkwürdiger Weiſe waren die Copiſten von
Rom um die Zeit Nicolaus V. meiſt Deutſche und Fran-
zoſen 2), wahrſcheinlich Leute, die etwas bei der Curie zu
ſuchen hatten und ihren Lebensunterhalt herausſchlagen
mußten. Als nun z. B. Coſimo Medici für ſeine Lieblings-
gründung, die Badia unterhalb Fieſole raſch eine Biblio-
thek gründen wollte, ließ er den Vespaſiano kommen und
erhielt den Rath: auf den Kauf vorräthiger Bücher zu
verzichten, da ſich, was man wünſche, nicht vorräthig finde,
ſondern ſchreiben zu laſſen; darauf machte Coſimo einen
Accord mit ihm auf tagtägliche Auszahlung, und Vespa-
ſiano nahm 45 Schreiber und lieferte in 22 Monaten
200 fertige Bände 3). Das Verzeichniß, wonach man ver-
fuhr, hatte Coſimo von Nicolaus V.4) eigenhändig erhalten.
(Natürlich überwog die kirchliche Literatur und die Aus-
ſtattung für den Chordienſt weit das Uebrige.)
[193]
Die Handſchrift war jene ſchöne neu italieniſche, die3. Abſchnitt.
ſchon den Anblick eines Buches dieſer Zeit zu einem Genuß
macht, und deren Anfang ſchon ins XIV. Jahrhundert
hinaufreicht. Papſt Nicolaus V., Poggio, Giannozzo Man-
netti, Niccolò Niccoli und andere berühmte Gelehrte waren
von Hauſe aus Kalligraphen und verlangten und duldeten
nur Schönes. Die übrige Ausſtattung, auch wenn keine
Miniaturen dazu kamen, war äußerſt geſchmackvoll, wie
beſonders die Codices der Laurenziana mit ihren leichten
linearen Anfangs- und Schlußornamenten beweiſen. Das
Material war, wenn für große Herrn geſchrieben wurde,
immer nur Pergament, der Einband in der Vaticana und
zu Urbino gleichmäßig ein Karmoſinſammet mit ſilbernem
Beſchläge. Bei einer ſolchen Geſinnung, welche die Ehr-
furcht vor dem Inhalt der Bücher durch möglichſt edle
Ausſtattung an den Tag legen wollte, iſt es begreiflich,
daß die plötzlich auftauchenden gedruckten Bücher Anfangs
auf Widerſtand ſtießen. Federigo von Urbino „hätte ſich
geſchämt“ ein gedrucktes Buch zu beſitzen 1).
Die müden Abſchreiber aber — nicht die welche vomBücherdruck.
Copiren lebten, ſondern die Vielen, welche ein Buch ab-
ſchreiben mußten um es zu haben — jubelten über die
deutſche Erfindung 2). Für die Vervielfältigung der Römer
und dann auch der Griechen war ſie in Italien bald und
lange nur hier thätig, doch ging es damit nicht ſo raſch
als man bei der allgemeinen Begeiſterung für dieſe Werke
Cultur der Renaiſſance. 13
[194]3. Abſchnitt.hätte denken ſollen. Nach einiger Zeit bilden ſich Anfänge
der modernen Autors- und Verlagsverhältniſſe 1) und unter
Alexander VI. kam die präventive Cenſur auf, indem es
jetzt nicht mehr leicht möglich war, ein Buch zu zernichten,
wie noch Coſimo ſich es von Filelfo ausbedingen konnte 2).
Wie ſich nun allmälig, im Zuſammenhang mit dem
fortſchreitenden Studium der Sprachen und des Alterthums
überhaupt, eine Kritik der Texte bildete, iſt ſo wenig ein
Gegenſtand dieſes Buches als die Geſchichte der Gelehr-
ſamkeit überhaupt. Nicht das Wiſſen der Italiener als
ſolches, ſondern die Reproduction des Alterthums in Lite-
ratur und Leben muß uns beſchäftigen. Doch ſei über die
Studien an ſich noch eine Bemerkung geſtattet.
Ueberſicht des
griechiſchen
Studiums.Die griechiſche Gelehrſamkeit concentrirt ſich weſentlich
auf Florenz und auf das XV. und den Anfang des XVI.
Jahrhunderts. Was Petrarca und Boccaccio angeregt
hatten 3), ſcheint noch nicht über die Theilnahme einiger
begeiſterten Dilettanten hinausgegangen zu ſein; anderer-
ſeits ſtarb mit der Colonie gelehrter griechiſcher Flüchtlinge
auch das Studium des Griechiſchen in den 1520er Jahren
weg 4), und es war ein rechtes Glück daß Nordländer
(Erasmus, die Eſtienne, Budeus) ſich deſſelben inzwiſchen
[195] bemächtigt hatten. Jene Colonie hatte begonnen mit Ma-3. Abſchnitt.
nuel Chryſoloras und ſeinem Verwandten Johannes, ſo
wie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit
der Eroberung Conſtantinopels und nachher Johannes
Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der
ſeine Söhne Theophilos und Baſilios zu tüchtigen Griechen
erzog, Andronikos Kalliſtos, Markos Muſuros und die
Familie der Lascaris, nebſt andern mehr. Seit jedoch die
Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollſtändig
war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, aus-
genommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein
paar Candioten und Cyprioten. Daß nun ungefähr mit
dem Tode Leo's X. auch der Verfall der griechiſchen Stu-Deſſen frühe
Abnahme.
dien im Allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Theil ſeinen
Grund in einer Veränderung der geiſtigen Richtung über-
haupt 1), und in der bereits eingetretenen relativen Sätti-
gung mit dem Inhalt der claſſiſchen Literatur, gewiß iſt
aber auch die Coincidenz mit dem Ausſterben der gelehrten
Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechi-
ſchen unter den Italienern ſelbſt erſcheint, wenn man die
Zeit um 1500 zum Maßſtab nimmt, gewaltig ſchwunghaft;
damals lernten diejenigen Leute griechiſch reden, welche es
ein halbes Jahrhundert ſpäter noch als Greiſe konnten,
wie z. B. die Päpſte Paul III. und Paul IV.2) Gerade
dieſe Art von Theilnahme aber ſetzte den Umgang mit ge-
bornen Griechen voraus.
Außerhalb Florenz hatten Rom und Padua faſt immer,
Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte
wenigſtens zeitweiſe beſoldete Lehrer des Griechiſchen 3).
13*
[196]3. Abſchnitt.Unendlich viel verdankte das griechiſche Studium der Officin
des Aldo Manucci zu Venedig, wo die wichtigſten und
umfangreichſten Autoren zum erſtenmal griechiſch gedruckt
wurden. Aldo wagte ſeine Habe dabei; er war ein Editor
und Verleger wie die Welt wenige gehabt hat.
Orientaliſche
Studien.Daß neben den claſſiſchen Studien auch die orientali-
ſchen einen ziemlich bedeutenden Umfang gewannen, iſt we-
nigſtens hier mit einem Worte zu erwähnen. An die
dogmatiſche Polemik gegen die Juden knüpfte ſich zuerſt
bei Giannozzo Mannetti 1), einem großen florentiniſchen
Gelehrten und Staatsmann (ſt. 1459), die Erlernung des
Hebräiſchen und der ganzen jüdiſchen Wiſſenſchaft; ſein
Sohn Agnolo mußte von Kindheit auf lateiniſch, griechiſch
und hebräiſch lernen; ja Papſt Nicolaus V. ließ von
Giannozzo die ganze Bibel neu überſetzen, indem die phi-
lologiſche Geſinnung jener Zeit darauf hindrängte, die
Vulgata aufzugeben 2). Auch ſonſt nahm mehr als ein
Humaniſt das Hebräiſche lange vor Reuchlin mit in ſeine
Studien auf und Pico della Mirandola beſaß das ganze
talmudiſche und philoſophiſche Wiſſen eines gelehrten Rab-
biners. Auf das Arabiſche kam man am eheſten von Seiten
der Medicin, welche ſich mit den ältern lateiniſchen Ueber-
ſetzungen der großen arabiſchen Aerzte nicht mehr begnügen
wollte; den äußern Anlaß boten etwa die venezianiſchen
Conſulate im Orient, welche italieniſche Aerzte unterhielten.
Hieronimo Ramuſio, ein venezianiſcher Arzt, überſetzte aus
dem Arabiſchen und ſtarb in Damascus. Andrea Mongajo
3)
[197] von Belluno 1) hielt ſich um Avicenna's willen lange in3. Abſchnitt.
Damascus auf, lernte das Arabiſche und emendirte ſeinen
Autor; die venezianiſche Regierung ſtellte ihn dann für
dieſes beſondere Fach in Padua an.
Bei Pico müſſen wir hier noch verweilen, ehe wir zuPico della Mi-
randola.
der Wirkung des Humanismus im Großen übergehen. Er
iſt der Einzige, welcher laut und mit Nachdruck die Wiſſen-
ſchaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einſeitige Her-
vorheben des claſſiſchen Alterthums verfochten hat 2). Nicht
nur Averrhoes und die jüdiſchen Forſcher, ſondern auch die
Scholaſtiker des Mittelalters ſchätzt er nach ihrem Sach-
inhalt; er glaubt ſie reden zu hören: „wir werden ewig
leben, nicht in den Schulen der Sylbenſtecher, ſondern im
Kreis der Weiſen, wo man nicht über die Mutter der
Andromache oder über die Söhne der Niobe discutirt,
ſondern über die tiefern Gründe göttlicher und menſchlicher
Dinge; wer da näher tritt, wird merken, daß auch die
Barbaren den Geiſt (Mercurium) hatten, nicht auf der
Zunge, aber im Buſen“. Im Beſitz eines kräftigen, durch-
aus nicht unſchönen Lateins und einer klaren Darſtellung
verachtet er den pedantiſchen Purismus und die ganze
Ueberſchätzung einer entlehnten Form, zumal wenn ſie mit
Einſeitigkeit und Einbuße der vollen großen Wahrheit in
der Sache verbunden iſt. An ihm kann man inne werden,
welche erhabene Wendung die italieniſche Philoſophie würde
genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das
ganze höhere Geiſtesleben geſtört hätte.
[198]
3. Abſchnitt.Wer waren nun Diejenigen, welche das hochverehrte
Antikiſirung der
Bildung.Alterthum mit der Gegenwart vermittelten und das Erſtere
zum Hauptinhalt der Bildung der letztern erhoben?
Es iſt eine hundert geſtaltige Schaar, die heute dieſes,
morgen jenes Antlitz zeigt; ſo viel aber wußte die Zeit
und wußten ſie ſelbſt, daß ſie ein neues Element der bür-
gerlichen Geſellſchaft ſeien. Als ihre Vorläufer mögen am
eheſten jene vagirenden Cleriker des XII. Jahrhunderts
gelten, von deren Poeſie oben (S. 173, f.) die Rede geweſen
iſt; daſſelbe unſtäte Daſein, dieſelbe freie und mehr als
freie Lebensanſicht, und von derſelben Antikiſirung der
Poeſie wenigſtens der Anfang. Jetzt aber tritt der ganzen
weſentlich noch immer geiſtlichen und von Geiſtlichen ge-
pflegten Bildung des Mittelalters eine neue Bildung ent-
gegen, die ſich vorzüglich an dasjenige hält, was jenſeits
des Mittelalters liegt. Die activen Träger derſelben werden
wichtige Perſonen 1) weil ſie wiſſen was die Alten gewußt
haben, weil ſie zu ſchreiben ſuchen wie die Alten ſchrieben,
weil ſie zu denken und bald auch zu empfinden beginnen
wie die Alten dachten und empfanden. Die Tradition, der
ſie ſich widmen, geht an tauſend Stellen in die Reproduc-
tion über.
Ihre Nach-
theile.Es iſt von Neuern öfter beklagt worden, daß die An-
fänge einer ungleich ſelbſtändigern, ſcheinbar weſentlich ita-
lieniſchen Bildung, wie ſie um 1300 in Florenz ſich zeigten,
nachher durch das Humaniſtenweſen ſo völlig überfluthet
worden ſeien 2). Damals habe in Florenz Alles leſen können,
ſelbſt die Eſeltreiber hätten Dante's Canzonen geſungen,
und die beſten noch vorhandenen italieniſchen Manuſcripte
[199] hätten urſprünglich florentiniſchen Handarbeitern gehört;3. Abſchnitt.
damals ſei die Entſtehung einer populären Encycloplädie
wie der „Teſoro“ des Brunetto Latini möglich geweſen;
und dieß Alles habe zur Grundlage gehabt eine allgemeine
Tüchtigkeit des Characters, wie ſie durch die Theilnahme
an den Staatsgeſchäften, durch Handel und Reiſen, vor-
züglich durch ſyſtematiſchen Ausſchluß alles Müſſigganges
in Florenz zur Blüthe gebracht worden war. Damals ſeien
denn auch die Florentiner in der ganzen Welt angeſehen
und brauchbar geweſen und nicht umſonſt habe Papſt Bo-
nifaz VIII. ſie in eben jenem Jahre das fünfte Element
genannt. Mit dem ſtärkern Andringen des Humanismus
ſeit 1400 ſei dieſer einheimiſche Trieb verkümmert, man
habe fortan die Löſung jedes Problems nur vom Alterthum
erwartet und darob die Literatur in ein bloßes Citiren
aufgehen laſſen; ja der Untergang der Freiheit hänge hie-
mit zuſammen, indem dieſe Erudition auf einer Knechtſchaft
unter der Autorität beruhte, das municipale Recht dem
römiſchen aufopferte und ſchon deßhalb die Gunſt der Ge-
waltherrſcher ſuchte und fand.
Dieſe Anklagen werden uns noch hie und da beſchäfti-Ihre Unver-
meidlichkeit.
gen, wo dann ihr wahres Maaß und der Erſatz für die
Einbuße zur Sprache kommen wird. Hier iſt nur vor
Allem feſtzuſtellen, daß die Cultur des kräftigen XIV.
Jahrhunderts ſelbſt nothwendig auf den völligen Sieg des
Humanismus hindrängte und daß gerade die Größten im
Reiche des ſpeciell italieniſchen Geiſtes dem ſchrankenloſen
Alterthumsbetrieb des XV. Jahrhunderts Thür und Thor
geöffnet haben.
Vor allen Dante. Wenn eine Reihenfolge von GenienDante.
ſeines Ranges die italiſche Cultur hätte weiter führen können,
ſo würde ſie ſelbſt bei der ſtärkſten Anfüllung mit antiken
Elementen beſtändig einen hocheigenthümlichen nationalen
Eindruck machen. Allein Italien und das ganze Abend-
land haben keinen zweiten Dante hervorgebracht, und ſo
[200]3. Abſchnitt.war und blieb er derjenige, welcher zuerſt das Alterthum
nachdrücklich in den Vordergrund des Culturlebens herein-
ſchob. In der Divina Commedia behandelt er die antike
und die chriſtliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch
in beſtändiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen
und Antitypen aus den Geſchichten und Geſtalten des alten
und des neuen Teſtamentes zuſammengeſtellt hatte, ſo ver-
einigt er in der Regel ein chriſtliches und ein heidniſches
Beiſpiel derſelben Thatſache 1). Nun vergeſſe man nicht,
daß die chriſtliche Phantaſiewelt und Geſchichte eine bekannte,
die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielverſprechende
und aufregende war und daß ſie in der allgemeinen Theil-
nahme nothwendig das Uebergewicht bekommen mußte, als
kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang.
Petrarca.Petrarca lebt in den Gedanken der Meiſten jetzt als
großer italieniſcher Dichter; bei ſeinen Zeitgenoſſen dagegen
kam ſein Ruhm in weit höherm Grade davon her, daß
er das Alterthum gleichſam in ſeiner Perſon repräſentirte,
alle Gattungen der lateiniſchen Poeſie nachahmte und Briefe
ſchrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenſtände
des Alterthums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit
ohne Handbücher aber ſehr erklärlichen Werth hatten.
Boccaccio.Mit Boccaccio verhält es ſich ganz ähnlich; er war
200 Jahre lang in ganz Europa berühmt ehe man dieſſeits
der Alpen viel von ſeinem Decamerone wußte, bloß um
ſeiner mythographiſchen, geographiſchen und biographiſchen
Sammelwerke in lateiniſcher Sprache willen. Eines der-
ſelben, „De genealogia Deorum“ enthält im 14ten und
[201] 15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel-3. Abſchnitt.
lung des jugendlichen Humanismus zu ſeinem Jahrhundert
erörtert. Es darf nicht täuſchen, daß er immerfort nur
von der „Poeſie“ ſpricht, denn bei näherm Zuſehen wird
man bemerken, daß er die ganze geiſtige Thätigkeit des
Poeten-Philologen meint 1). Dieſe iſt es, deren Feinde er
auf das Schärfſte bekämpft: die frivolen Unwiſſenden, die
nur für Schlemmen und Praſſen Sinn haben; die ſophi-
ſtiſchen Theologen, welchen Helicon, der caſtaliſche Quell
und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten erſcheinen;
die goldgierigen Juriſten, welche die Poeſie für überflüſſig
halten inſofern ſie kein Geld verdient; endlich die (in Um-
ſchreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die
gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen 2).
Darauf folgt die poſitive Vertheidigung, das Lob der Poeſie,
namentlich des tiefern, zumal allegoriſchen Sinnes, den
man ihr überall zutrauen müſſe, der wohlberechtigten Dun-
kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwiſſenden zur Ab-
ſchreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver-Humanismus
und Religion.
faſſer das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum
überhaupt, in klarer Beziehung auf ſein gelehrtes Werk 3).
Anders als jetzt möge es allerdings damals ſich verhalten
haben, da die Urkirche ſich noch gegen die Heiden vertheidi-
[202]3. Abſchnitt.gen mußte; heutzutage — Jeſu Chriſto ſei Dank! — ſei
die wahre Religion erſtarkt, alles Heidenthum vertilgt, und
die ſiegreiche Kirche im Beſitz des feindlichen Lagers; jetzt
könne man das Heidenthum faſt (fere) ohne Gefahr be-
trachten und behandeln. Es iſt daſſelbe Argument, mit
welchem ſich dann die ganze Renaiſſance vertheidigt hat.
Es war alſo eine neue Sache in der Welt und eine
neue Menſchenclaſſe, welche dieſelbe vertrat. Es iſt unnütz
darüber zu ſtreiten ob dieſe Sache mitten in ihrem Sieges-
lauf hätte ſtill halten, ſich gefliſſentlich beſchränken und
dem rein Nationalen ein gewiſſes Vorrecht hätte wahren
ſollen. Man hatte ja keine ſtärkere Ueberzeugung als die,
daß das Alterthum eben der höchſte Ruhm der italieniſchen
Nation ſei.
Die Poeten-
krönung.Dieſer erſten Generation von Poeten-Philologen iſt
weſentlich eine ſymboliſche Ceremonie eigen, die auch im
XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausſtirbt, aber ihr
höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem
Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter ſind dunkel
und zu einem feſten Ritual iſt ſie nie gelangt; es war
eine öffentliche Demonſtration, ein ſichtbarer Ausbruch des
literariſchen Ruhmes 1) und ſchon deßhalb etwas Wandel-
bares. Dante z. B. ſcheint eine halbreligiöſe Weihe im
Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufſtein von
San Giovanni, wo er und wie hunderttauſende von flo-
rentiniſchen Kindern getauft worden war, ſich ſelber den
Kranz aufſetzen 2). Er hätte, ſagt ſein Biograph, Ruhmes-
halber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es
aber nirgends als in der Heimath und ſtarb deßhalb un-
[203] gekrönt. Weiter erfahren wir hier, daß der Brauch bis-3. Abſchnitt.
her ungewöhnlich war und als von den Griechen auf die
alten Römer vererbt galt. Die nächſte Reminiscenz ſtammte
wohl in der That von dem nach griechiſchem Vorbild ge-
ſtifteten capitoliniſchen Wettkampf der Ritharſpieler, Dichter
und anderer Künſtler, welcher ſeit Domitian alle fünf Jahre
gefeiert worden war und möglicher Weiſe den Untergang des
römiſchen Reiches um einige Zeit überlebt hatte. Wenn
nun doch nicht leicht wieder Einer wagte ſich ſelber zu
krönen, wie es Dante gewollt, ſo entſtand die Frage, welches
die krönende Behörde ſei? Albertino Muſſato (S. 144)
wurde um 1310 zu Padua vom Biſchof und vom Rector
der Univerſität gekrönt; um Petrarca's Krönung (1341)
ſtritten ſich die Univerſität Paris, welche gerade einen Flo-
rentiner zum Rector hatte, und die Stadtbehörde von Rom;
ja ſein ſelbſtgewählter Examinator, König Robert von Anjou,
hätte gerne die Ceremonie nach Neapel verlegt, Petrarca
jedoch zog die Krönung durch den Senator von Rom auf
dem Capitol jeder andern vor. Einige Zeit blieb dieſe in
der That das Ziel des Ehrgeizes; als ſolches lockte ſie
z. B. den Jacobus Pizinga, einen vornehmen ſiciliſchen
Beamten 1). Da erſchien aber Carl IV. in Italien, derAnſpruch der
Kaiſer darauf.
ſich ein wahres Vergnügen daraus machte, eiteln Menſchen
und der gedankenloſen Maſſe durch Ceremonien zu impo-
niren. Ausgehend von der Fiction, daß die Poetenkrönung
einſt Sache der alten römiſchen Kaiſer geweſen und alſo
jetzt die ſeinige ſei, bekränzte er in Piſa den florentiniſchen
Gelehrten Zanobi della Strada 2), zum großen Verdruß
[204]3. Abſchnitt.Boccaccio's (a. a. O.) der dieſe laurea pisana nicht als
vollgültig anerkennen will. Man konnte in der That fragen,
wie der Halb-Slave dazu komme, über den Werth italie-
niſcher Dichter zu Gerichte zu ſitzen. Allein fortan krönten
doch reiſende Kaiſer bald hier bald dort einen Poeten,
worauf im XV. Jahrhundert die Päpſte und andere Fürſten
auch nicht mehr zurückbleiben wollten, bis zuletzt auf Ort
und Umſtände gar nichts mehr ankam. In Rom ertheilte
zur Zeit Sixtus IV. die Academie 1) des Pomponius Laetus
von ſich aus Lorbeerkränze. Die Florentiner hatten den
Tact, ihre berühmten Humaniſten zu krönen, aber erſt im
Tode; ſo wurde Carlo Aretino, ſo Lionardo Aretino be-
kränzt; dem erſtern hielt Matteo Palmieri, dem letztern
Giannozzo Mannetti die Lobrede vor allem Volk, in Ge-
genwart der Concilsherren; der Redner ſtand zu Häupten
der Bahre, auf welcher im ſeidenen Gewande die Leiche
lag 2). Außerdem iſt Carlo Aretino durch ein Grabmal
(in S. Croce) geehrt worden, welches zu den herrlichſten
der ganzen Renaiſſance gehört.
Die Univerſi-
täten.Die Einwirkung des Alterthumes auf die Bildung,
wovon nunmehr zu handeln iſt, ſetzte zunächſt voraus, daß
der Humanismus ſich der Univerſitäten bemächtigte. Dieß
geſchah, doch nicht in dem Maaße und nicht mit der Wir-
kung wie man glauben möchte.
Die meiſten Univerſitäten in Italien 3) tauchen im Lauf
[205] des XIII. und XIV. Jahrhunderts erſt recht empor, als3. Abſchnitt.
der wachſende Reichthum des Lebens auch eine ſtrengere
Sorge für die Bildung verlangte. Anfangs hatten ſie
meiſt nur drei Profeſſuren: des geiſtlichen und weltlichen
Rechtes und der Medicin; dazu kamen mit der Zeit ein
Rhetoriker, ein Philoſoph und ein Aſtronom, letzterer in
der Regel, doch nicht immer identiſch mit dem Aſtrologen.
Die Beſoldungen waren äußerſt verſchieden; bisweilen wurde
ſogar ein Capital geſchenkt. Mit der Steigerung der Bil-
dung trat Wetteifer ein, ſo daß die Anſtalten einander be-
rühmte Lehrer abſpenſtig zu machen ſuchten; unter ſolchen
Umſtänden ſoll Bologna zu Zeiten die Hälfte ſeiner Staats-
einnahme (20,000 Ducaten) auf die Univerſität gewandt
haben. Die Anſtellungen erfolgten in der Regel nur auf
Zeit 1), ſelbſt auf einzelne Semeſter, ſo daß die Docenten
ein Wanderleben führten wie Schauſpieler; doch gab es
auch lebenslängliche Anſtellungen. Bisweilen verſprach man,
das an einem Ort Gelehrte nirgend anderswo mehr vor-
zutragen. Außerdem gab es auch unbeſoldete, freiwillige
Lehrer.
Von den genannten Stellen war natürlich die desStellung der
Humaniſten da
ſelbſt.
Profeſſors der Rhetorik vorzugsweiſe das Ziel des Huma-
3)
[206]3. Abſchnitt.niſten; doch hing es ganz davon ab, wie weit er ſich den
Sachinhalt des Alterthums angeeignet hatte, um auch als
Juriſt, Mediciner, Philoſoph oder Aſtronom auftreten zu
können. Die innern Verhältniſſe der Wiſſenſchaft wie die
äußern des Docenten waren noch ſehr beweglich. So-
dann iſt nicht zu überſehen, daß einzelne Juriſten und
Mediciner weit die höchſten Beſoldungen hatten und behielten,
erſtere hauptſächlich als große Conſulenten des ſie beſolden-
den Staates für ſeine Anſprüche und Proceſſe. In Padua
gab es im XV. Jahrhundert eine juridiſche Beſoldung von
1000 Ducaten jährlich 1) und einen berühmten Arzt wollte
man mit 2000 Ducaten und dem Recht der Praxis an-
ſtellen 2), nachdem derſelbe bisher in Piſa 700 Goldgulden
gehabt hatte. Als der Juriſt Bartolommeo Socini, Pro-
feſſor in Piſa, eine venezianiſche Anſtellung in Padua an-
nahm und dorthin reiſen wollte, verhaftete ihn die floren-
tiniſche Regierung und wollte ihn nur gegen eine Caution
von 18,000 Goldgulden freilaſſen 3). Schon wegen einer
ſolchen Werthſchätzung dieſer Fächer wäre es begreiflich, daß
bedeutende Philologen ſich als Juriſten und Mediciner
geltend machten; andererſeits mußte allmälig, wer in irgend
einem Fache Etwas vorſtellen wollte, eine ſtarke huma-
niſtiſche Farbe annehmen. Anderweitiger practiſcher Thä-
tigkeiten der Humaniſten wird bald gedacht werden.
Die Anſtellungen der Philologen als ſolcher jedoch,
wenn auch im einzelnen Fall mit ziemlich hohen Beſoldun-
gen 4) und Nebenemolumenten verbunden, gehören im Ganzen
zu den flüchtigen, vorübergehenden, ſo daß ein und derſelbe
[207] Mann an einer ganzen Reihe von Anſtalten thätig ſein3. Abſchnitt.
konnte. Offenbar liebte man die Abwechſelung und hoffte
von Jedem Neues, wie dieß bei einer im Werden begrif-
fenen, alſo ſehr von Perſönlichkeiten abhängigen Wiſſenſchaft
ſich leicht erklärt. Es iſt auch nicht immer geſagt, daß
derjenige welcher über alte Autoren liest, wirklich der
Univerſität der betreffenden Stadt angehört habe; bei der
Leichtigkeit des Kommens und Gehens, bei der großen
Anzahl verfügbarer Locale (in Klöſtern, u. ſ. w.) genügte
auch eine Privatberufung. In denſelben erſten JahrzehndenNebenanſtalten.
des XV. Jahrhunderts 1), da die Univerſität von Florenz
ihren höchſten Glanz erreichte, da die Hofleute Eugen's IV.
und vielleicht ſchon Martin's V. ſich in den Hörſälen
drängten, da Carlo Aretino und Filelfo mit einander in
die Wette laſen, exiſtirte nicht nur eine faſt vollſtändige
zweite Univerſität bei den Auguſtinern in S. Spirito, nicht
nur ein ganzer Verein gelehrter Männer bei den Camal-
dulenſern in den Angeli, ſondern auch angeſehene Privat-
leute thaten ſich zuſammen oder bemühten ſich einzeln, um
gewiſſe philologiſche oder philoſophiſche Curſe leſen zu laſſen
für ſich und Andere. Das philologiſche und antiquariſche
Treiben in Rom hatte mit der Univerſität (Sapienza) lange
kaum irgend einen Zuſammenhang und ruhte wohl faſt
ausſchließlich theils auf beſonderer perſönlicher Protection
der einzelnen Päpſte und Prälaten, theils auf den Anſtel-
lungen in der päpſtlichen Kanzlei. Erſt unter Leo X. er-
folgte die große Reorganiſation der Sapienza, mit 88 Lehrern,
worunter die größten Celebritäten Italiens auch für die
Alterthumswiſſenſchaft; der neue Glanz dauerte aber nur
kurze Zeit. — Von den griechiſchen Lehrſtühlen in Italien
iſt bereits (S. 194) in Kürze die Rede geweſen.
Im Ganzen wird man, um die damalige wiſſenſchaft-
[208]3. Abſchnitt.liche Mittheilung ſich zu vergegenwärtigen, das Auge von
unſern jetzigen academiſchen Einrichtungen möglichſt ent-
wöhnen müſſen. Perſönlicher Umgang, Disputationen, be-
ſtändiger Gebrauch des Lateiniſchen und bei nicht wenigen
auch des Griechiſchen, endlich der häufige Wechſel der
Lehrer und die Seltenheit der Bücher gaben den damaligen
Studien eine Geſtalt, die wir uns nur mit Mühe verge-
genwärtigen können.
Lateiniſche
Schulen.Lateiniſche Schulen gab es in allen irgend namhaften
Städten und zwar bei Weitem nicht bloß für die Vorbildung
zu den höhern Studien, ſondern weil die Kenntniß des
Lateiniſchen hier nothwendig gleich nach dem Leſen, Schrei-
ben und Rechnen kam, worauf dann die Logik folgte. We-
ſentlich erſcheint es, daß dieſe Schulen nicht von der Kirche
abhingen ſondern von der ſtädtiſchen Verwaltung; mehrere
waren auch wohl bloße Privatunternehmungen.
Nun erhob ſich aber dieſes Schulweſen, unter der
Führung einzelner ausgezeichneter Humaniſten, nicht nur
zu einer großen rationellen Vervollkommnung, ſondern es
wurde höhere Erziehung. An die Ausbildung der Kinder
zweier oberitalieniſcher Fürſtenhäuſer ſchließen ſich Inſtitute
an, welche in ihrer Art einzig heißen konnten.
Freie Erzie-
hung; Vitto-
rino.An dem Hofe des Giovan Francesco Gonzaga zu
Mantua (reg. 1407 bis 1444) trat der herrliche Vitto-
rino da Feltre 1) auf, einer jener Menſchen, die ihr ganzes
Daſein Einem Zwecke widmen, für welchen ſie durch Kraft
und Einſicht im höchſten Grade ausgerüſtet ſind. Er erzog
zunächſt die Söhne und Töchter des Herrſcherhauſes, und
zwar auch von den letztern Eine bis zu wahrer Gelehr-
ſamkeit; als aber ſein Ruhm ſich weit über Italien ver-
breitete und ſich Schüler aus großen und reichen Familien
von nahe und ferne meldeten, ließ es der Gonzaga nicht
[209] nur geſchehen, daß ſein Lehrer auch dieſe erzog, ſondern er3. Abſchnitt.
ſcheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, daß
es die Erziehungsſtätte für die vornehme Welt ſei. Hier
zum erſtenmal war mit dem wiſſenſchaftlichen Unterricht
auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine
ganze Schule ins Gleichgewicht geſetzt. Dazu aber kam
noch eine andere Schaar, in deren Ausbildung Vittorino
vielleicht ſein höchſtes Lebensziel erkannte: die Armen und
Talentvollen, die er in ſeinem Hauſe nährte und erzog
„per l'amore di Dio“, neben jenen Vornehmen, die ſich
hier gewöhnen mußten mit dem bloßen Talent unter einem
Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich
300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den
ganzen Ausfall, welcher oft eben ſoviel betrug. Er wußte,
daß Vittorino keinen Heller für ſich bei Seite legte und
ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittel-
ten die ſtillſchweigende Bedingung ſei, unter welcher der
wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauſes
war ſtreng religiös, wie kaum in einem Kloſter.
Mehr auf der Gelehrſamkeit liegt der Accent beiGuarino.
Guarino von Verona 1), der 1429 von Nicolò d'Eſte
zur Erziehung ſeines Sohnes Lionello nach Ferrara be-
berufen wurde und ſeit 1436, als ſein Zögling nahezu er-
wachſen war, auch als Profeſſor der Beredſamkeit und der
beiden alten Sprachen an der Univerſität lehrte. Schon
neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus ver-
ſchiedenen Gegenden, und im eigenen Hauſe eine auserleſene
Zahl von Armen, die er theilweiſe oder ganz unterhielt;
ſeine Abendſtunden bis ſpät waren der Repetition mit dieſen
gewidmet. Auch hier war eine Stätte ſtrenger Religion
und Sittlichkeit; es hat an Guarino ſo wenig wie an
Vittorino gelegen, wenn die meiſten Humaniſten ihres
Jahrhunderts in dieſen Beziehungen kein Lob mehr davon-
Cultur der Renaiſſance. 14
[210]3. Abſchnitt.trugen. Unbegreiflich iſt, wie Guarino neben einer Thätig-
keit wie die ſeinige war, noch immerfort Ueberſetzungen
aus dem Griechiſchen und große eigene Arbeiten verfaſſen
konnte.
Prinzen-
erzieher.Außerdem kam an den meiſten Höfen von Italien die
Erziehung der Fürſtenkinder wenigſtens zum Theil und auf
gewiſſe Jahre in die Hände der Humaniſten, welche damit
einen Schritt weiter in das Hofleben hinein thaten. Das
Tractatſchreiben über die Prinzenerziehung, früher eine Auf-
gabe der Theologen, wird jetzt natürlich ebenfalls ihre
Sache, und Aeneas Sylvius hat z. B. zweien jungen
deutſchen Fürſten vom Hauſe Habsburg 1) umſtändliche Ab-
handlungen über ihre weitere Ausbildung adreſſirt, worin
begreiflicher Weiſe Beiden eine Pflege des Humanismus in
italieniſchem Sinne an's Herz gelegt wird. Er mochte
wiſſen, daß er in den Wind redete, und ſorgte deßhalb
dafür, daß dieſe Schriften auch ſonſt herum kamen. Doch
das Verhältniß der Humaniſten zu den Fürſten wird noch
insbeſondere zu beſprechen ſein.
Florentiniſche
Förderer des
Alterthums.Zunächſt verdienen diejenigen Bürger, hauptſächlich in
Florenz, Beachtung, welche aus der Beſchäftigung mit dem
Alterthum ein Hauptziel ihres Lebens machten und theils
ſelbſt große Gelehrte wurden, theils große Dilettanten,
welche die Gelehrten unterſtützten. (Vgl. S. 188, f.). Sie
ſind namentlich für die Uebergangszeit zu Anfang des XV.
Jahrhunderts von höchſter Bedeutung geweſen, weil bei
ihnen zuerſt der Humanismus practiſch als nothwendiges
Element des täglichen Lebens wirkte. Erſt nach ihnen haben
ſich Fürſten und Päpſte ernſtlich darauf eingelaſſen.
N. Niccoli.Von Niccolò Niccoli, von Giannozzo Mannetti iſt ſchon
mehrmals die Rede geweſen. Den Niccoli ſchildert uns
[211] Vespaſiano (S. 625) als einen Mann, welcher auch in3. Abſchnitt.
ſeiner äußern Umgebung nichts duldete was die antike
Stimmung ſtören konnte. Die ſchöne Geſtalt in langem
Gewande, mit der freundlichen Rede, in dem Hauſe voll
herrlicher Alterthümer, machte den eigenthümlichſten Ein-
druck; er war über die Maßen reinlich in allen Dingen,
zumal beim Eſſen; da ſtanden vor ihm auf dem weißeſten
Linnen antike Gefäße und kryſtallene Becher1). Die Art,
wie er einen vergnügungsſüchtigen jungen Florentiner für
ſeine Intereſſen gewinnt2), iſt gar zu anmuthig, um ſie
hier nicht zu erzählen.
Piero de' Pazzi, Sohn eines vornehmen Kaufmanns
und zu demſelben Stande beſtimmt, ſchön von Anſehen und
ſehr den Freuden der Welt ergeben, dachte an nichts we-
niger als an die Wiſſenſchaft. Eines Tages, als er am
Palazzo del Podeſta3) vorbeiging, rief ihn Niccoli zu ſich
heran, und er kam auf den Wink des hochangeſehenen
Mannes, obwohl er noch nie mit demſelben geſprochen hatte.
Niccoli fragte ihn: wer ſein Vater ſei? — er antwortete:
Meſſer Andrea de' Pazzi; — Jener fragte weiter: was
ſein Geſchäft ſei? — Piero erwiederte wie wohl junge
Leute thun: ich laſſe mir es wohl ſein, attendo a
darmi buon tempo. — Niccoli ſagte: als Sohn eines
ſolchen Vaters und mit ſolcher Geſtalt begabt, ſollteſt du
dich ſchämen, die lateiniſche Wiſſenſchaft nicht zu kennen,
die für dich eine ſo große Zierde wäre; wenn du ſie nicht
erlernſt, ſo wirſt du nichts gelten, und ſobald die Blüthe
der Jugend vorüber iſt, ein Menſch ohne alle Bedeutung
(virtù) ſein. Als Piero dieſes hörte, erkannte er ſogleich,
14*
[212]3. Abſchnitt.daß es die Wahrheit ſei, und entgegnete: er würde ſich
gerne dafür bemühen, wenn er einen Lehrer fände; —
Niccoli ſagte: dafür laſſe du mich ſorgen. Und in der
That ſchaffte er ihm einen gelehrten Mann für das Latei-
niſche und für das Griechiſche, Namens Pontano, welchen
Piero wie einen Hausgenoſſen hielt und mit 100 Gold-
gulden im Jahr beſoldete. Statt der bisherigen Ueppigkeit
ſtudirte er nun Tag und Nacht und wurde ein Freund
aller Gebildeten und ein großgeſinnter Staatsmann. Die
ganze Aeneide und viele Reden des Livius lernte er aus-
wendig, meiſt auf dem Wege zwiſchen Florenz und ſeinem
Landhauſe zu Trebbio.
G. Mannetti.In anderm, höherm Sinne vertritt Giannozzo Man-
netti1) das Alterthum. Frühreif, faſt als Kind, hatte er
ſchon eine Kaufmannslehrzeit durchgemacht und war Buch-
führer eines Bankiers; nach einiger Zeit aber erſchien ihm
dieſes Thun eitel und vergänglich, und er ſehnte ſich nach
der Wiſſenſchaft, durch welche allein der Menſch ſich der
Unſterblichkeit verſichern könne; er zuerſt vom florentiniſchen
Adel vergrub ſich nun in den Büchern und wurde, wie
ſchon erwähnt, einer der größten Gelehrten ſeiner Zeit.
Als ihn aber der Staat als Geſchäftsträger, Steuerbeamten
und Statthalter (in Pescia und Piſtoja) verwandte, ver-
ſah er ſeine Aemter ſo, als wäre in ihm ein hohes Ideal
erwacht, das gemeinſame Reſultat ſeiner humaniſtiſchen
Studien und ſeiner Religioſität. Er exequirte die gehäſſig-
ſten Steuern, die der Staat beſchloſſen hatte, und nahm
für ſeine Mühe keine Beſoldung an; als Provinzialvorſteher
wies er alle Geſchenke zurück, ſorgte für Kornzufuhr,
ſchlichtete raſtlos Proceſſe und that überhaupt Alles für die
Bändigung der Leidenſchaften durch Güte. Die Piſtojeſen
haben nie herausfinden können, welcher von ihren beiden
Parteien er ſich mehr zuneige; wie zum Symbol des ge-
[213] meinſamen Schickſals und Rechtes Aller verfaßte er in3. Abſchnitt.
ſeinen Mußeſtunden die Geſchichte der Stadt, welche dann
in Purpureinband als Heiligthum im Stadtpalaſt aufbe-
wahrt wurde. Bei ſeinem Weggang ſchenkte ihm die Stadt
ein Banner mit ihrem Wappen und einen prachtvollen
ſilbernen Helm.
Für die übrigen gelehrten Bürger von Florenz in dieſerVeſpaſiano von
Florenz.
Zeit muß ſchon deßhalb auf Vespaſiano (der ſie alle kannte)
verwieſen werden, weil der Ton, die Atmosphäre, in wel-
cher er ſchreibt, die Vorausſetzungen, unter welchen er mit
jenen Leuten umgeht, noch wichtiger erſcheinen als die ein-
zelnen Leiſtungen ſelbſt. Schon in einer Ueberſetzung, ge-
ſchweige denn in den kurzen Andeutungen, auf welche wir
hier beſchränkt ſind, müßte dieſer beſte Werth ſeines Buches
verloren gehen. Er iſt kein großer Autor, aber er kennt
das ganze Treiben und hat ein tiefes Gefühl von deſſen
geiſtiger Bedeutung.
Wenn man dann den Zauber zu analyſiren ſucht,Die Medici.
durch welchen die Medici des XV. Jahrhunderts, vor allen
Coſimo der Aeltere (ſt. 1464) und Lorenzo magnifico
(ſt. 1492) auf Florenz und auf ihre Zeitgenoſſen überhaupt
gewirkt haben, ſo iſt neben aller Politik ihre Führerſchaft
auf dem Gebiete der damaligen Bildung das Stärkſte
dabei. Wer in Coſimo's Stellung als Kaufmann und
locales Parteihaupt noch außerdem Alles für ſich hat[,] was
denkt, forſcht und ſchreibt, wer von Hauſe aus als der
erſte der Florentiner und dazu von Bildungswegen als der
größte der Italiener gilt, der iſt thatſächlich ein Fürſt.
Coſimo beſitzt dann den ſpeciellen Ruhm, in der platoni-
ſchen Philoſophie1) die ſchönſte Blüthe der antiken Gedan-
[214]3. Abſchnitt.kenwelt erkannt, ſeine Umgebung mit dieſer Erkenntniß
erfüllt, und ſo innerhalb des Humanismus eine zweite und
höhere Neugeburt des Alterthums ans Licht gefördert zu
haben. Der Hergang wird uns ſehr genau überliefert 1);
alles knüpfte ſich an die Berufung des gelehrten Johannes
Argyropulos und an den perſönlichſten Eifer des Coſimo
in ſeinen letzten Jahren, ſo daß, was den Platonismus
betraf, der große Marſilio Ficino ſich als den geiſtigen
Sohn Coſimo's bezeichnen durfte. Unter Pietro Medici
ſah ſich Ficino ſchon als Haupt einer Schule; zu ihm ging
Lorenzo magni-
fico.auch Pietro's Sohn, Coſimo's Enkel, der erlauchte Lorenzo
von den Peripatetikern über; als ſeine namhafteſten Mit-
ſchüler werden genannt Bartolommeo Valori, Donato Accia-
juoli und Pierfilippo Pandolfini. Der begeiſterte Lehrer
hat an mehrern Stellen ſeiner Schriften erklärt, Lorenzo
habe alle Tiefen des Platonismus durchforſcht und ſeine
Ueberzeugung ausgeſprochen, ohne denſelben wäre es ſchwer,
ein guter Bürger und Chriſt zu ſein. Die berühmte Reunion
von Gelehrten, welche ſich um Lorenzo ſammelte, war durch
dieſen höhern Zug einer idealiſtiſchen Philoſophie verbunden
und vor allen andern Vereinigungen dieſer Art ausgezeichnet.
Nur in dieſer Umgebung konnte ein Pico della Mirandola
ſich glücklich fühlen. Das Schönſte aber, was ſich ſagen
läßt, iſt daß neben all dieſem Cultus des Alterthums hier
eine geweihte Stätte italieniſcher Poeſie war und daß von
allen Lichtſtrahlen, in die Lorenzo's Perſönlichkeit ausein-
anderging, gerade dieſer der mächtigſte heißen darf. Als
Staatsmann beurtheile ihn Jeder wie er mag (S. 83, 92);
[215] in die florentiniſche Abrechnung von Schuld und Schickſal3. Abſchnitt.
miſcht ſich ein Ausländer nicht wenn er nicht muß; aber
eine ungerechtere Polemik giebt es nicht als wenn man
Lorenzo beſchuldigt, er habe im Gebiet des Geiſtes vorzüg-
lich Mediocritäten beſchützt und durch ſeine Schuld ſeien
Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pac-
ciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. A. wenigſtens
unbefördert geblieben. Allſeitig iſt er wohl nicht geweſen,
aber von allen Großen, welche je den Geiſt zu ſchützen und
zu fördern ſuchten, einer der vielſeitigſten, und derjenige
bei welchem dieß vielleicht am meiſten Folge eines tiefern
innern Bedürfniſſes war.
Laut genug pflegt auch unſer laufendes JahrhundertDas Alterthum
als Lebens-
intereſſe.
den Werth der Bildung überhaupt und den des Alterthums
insbeſondere zu proclamiren. Aber eine vollkommen enthu-
ſiaſtiſche Hingebung, ein Anerkennen, daß dieſes Bedürfniß
das erſte von allen ſei, findet ſich doch nirgends wie bei
jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahr-
hunderts. Hiefür giebt es indirecte Beweiſe, die jeden
Zweifel beſeitigen: man hätte nicht ſo oft die Töchter des
Hauſes an den Studien Theil nehmen laſſen, wenn letztere
nicht abſolut als das edelſte Gut des Erdenlebens gegolten
hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des
Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Men-
ſchen, die ſich ſonſt Alles erlaubten, noch Kraft und Luſt
behalten die Naturgeſchichte des Plinius kritiſch zu behan-
deln wie Filippo Strozzi 1). Es handelt ſich hier nicht um
Lob oder Tadel, ſondern um Erkenntniß eines Zeitgeiſtes
in ſeiner energiſchen Eigenthümlichkeit.
Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien,
wo Einzelne und ganze geſellſchaftliche Kreiſe bisweilen mit
Aufwand aller Mittel für den Humanismus thätig waren
und die anweſenden Gelehrten unterſtützten. Aus den Brief-
[216]3. Abſchnitt.ſammlungen jener Zeit kommt uns eine Fülle von perſön-
lichen Beziehungen dieſer Art entgegen 1). Die officielle
Geſinnung der höher Gebildeten trieb faſt ausſchließlich
nach der bezeichneten Seite hin.
An den Für-
ſtenhöfen.Doch es iſt Zeit, den Humanismus an den Fürſten-
höfen ins Auge zu faſſen. Die innere Affinität des Ge-
waltherrſchers mit dem ebenfalls auf ſeine Perſönlichkeit,
auf ſein Talent angewieſenen Philologen wurde ſchon früher
(S. 6, 139) angedeutet; der letztere aber zog die Höfe einge-
ſtandener Maßen den freien Städten vor, ſchon um der
reichlichern Belohnungen willen. Zu der Zeit, da es ſchien
als könne der große Alfons von Aragon Herr von ganz
Italien werden, ſchrieb Aeneas Sylvius 2) an einen andern
Sieneſen: „wenn unter ſeiner Herrſchaft Italien den Frie-
„den bekäme ſo wäre mir das lieber als (wenn es) unter
„Stadtregierungen (geſchähe), denn ein edles Königsgemüth
„belohnt jede Trefflichkeit“ 3). Auch hier hat man in neueſter
Zeit die unwürdige Seite, das erkaufte Schmeicheln, zu ſehr
hervorgehoben, wie man ſich früher von dem Humaniſtenlob
allzugünſtig für jene Fürſten ſtimmen ließ. Alles in Allem
genommen bleibt es immer ein überwiegend vortheilhaftes
Zeugniß für letztere, daß ſie an der Spitze der Bildung
ihrer Zeit und ihres Landes — wie einſeitig dieſelbe ſein
Bei den Päp-
ſten.mochte — glaubten ſtehen zu müſſen. Vollends bei einigen
Päpſten 4) hat die Furchtloſigkeit gegenüber den Conſequenzen
[217] der damaligen Bildung etwas unwillkürlich Impoſantes.3. Abſchnitt.
Nicolaus V. war beruhigt über das Schickſal der Kirche,
weil Tauſende gelehrter Männer ihr hülfreich zur Seite
ſtänden. Bei Pius II. ſind die Opfer für die Wiſſenſchaft
lange nicht ſo großartig, ſein Poetenhof erſcheint ſehr mäßig,
allein er ſelbſt iſt noch weit mehr das perſönliche Haupt
der Gelehrtenrepublik als ſein zweiter Vorgänger und ge-
nießt dieſes Ruhmes in vollſter Sicherheit. Erſt Paul II.
war mit Furcht und Mißtrauen gegen den Humanismus
ſeiner Secretäre erfüllt, und ſeine drei Nachfolger Sixtus,
Innocenz und Alexander nahmen wohl Dedicationen an
und ließen ſich andichten ſo viel man wollte — es gab ſo-
gar eine Borgiade, wahrſcheinlich in Hexametern 1) —,
waren aber zu ſehr anderweitig beſchäftigt und auf andere
Stützpunkte ihrer Gewalt bedacht um ſich viel mit den
Poeten-Philologen einzulaſſen. Julius II. fand Dichter,
weil er ſelber ein bedeutender Gegenſtand war (S. 121),
ſcheint ſich übrigens nicht viel um ſie gekümmert zu haben.
Da folgte auf ihn Leo X. „wie auf Romulus Numa“,Bei Leo X.
d. h. nach dem Waffenlärm des vorigen Pontificates hoffte
man auf ein ganz den Muſen geweihtes. Der Genuß
ſchöner lateiniſcher Proſa und wohllautender Verſe gehörte
mit zu Leo's Lebensprogramm und ſoviel hat ſein Mäcenat
allerdings in dieſer Beziehung erreicht, daß ſeine lateiniſchen
4)
[218]3. Abſchnitt.Poeten in zahlloſen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermo-
nen jenen fröhlichen, glänzenden Geiſt der leoniſchen Zeit,
welchen die Biographie des Jovius athmet, auf bildliche
Weiſe darſtellten 1). Vielleicht iſt in der ganzen abend-
ländiſchen Geſchichte kein Fürſt, welchen man im Verhältniß
zu den wenigen darſtellbaren Ereigniſſen ſeines Lebens ſo
vielſeitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die
Dichter hauptſächlich um Mittag, wann die Saitenvirtuoſen
aufgehört hatten 2); aber einer der Beſten aus der ganzen
Schaar 3) giebt zu verſtehen, daß ſie ihm auch ſonſt auf
Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innerſten Ge-
mächern des Palaſtes beizukommen ſuchten, und wer ihn
da nicht erreichte verſuchte es mit einem Bettelbrief in Form
einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam4). Denn
Leo, der kein Geld beiſammen ſehen konnte und lauter
heitere Mienen zu erblicken wünſchte, ſchenkte auf eine
Weiſe, deren Andenken ſich in den folgenden knappen Zeiten
raſch zum Mythus verklärte 5). Von ſeiner Reorganiſation
der Sapienza iſt bereits (S. 207) die Rede geweſen. Um
Leo's wahre
Bedeutung.Leo's Einfluß auf den Humanismus nicht zu gering zu
taxiren, muß man den Blick frei halten von den vielen
Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf ſich nicht irre
machen laſſen durch die bedenklich ſcheinende Ironie (S. 158),
womit er ſelbſt dieſe Dinge bisweilen behandelt; das Urtheil
[219] muß ausgehen von den großen geiſtigen Möglichkeiten,3. Abſchnitt.
welche in den Bereich der „Anregung“ fallen und ſchlechter-
dings nicht im Ganzen zu berechnen, wohl aber für die
genauere Forſchung in manchen einzelnen Fällen thatſächlich
nachzuweiſen ſind. Was die italieniſchen Humaniſten ſeit
etwa 1520 auf Europa gewirkt haben, iſt immer irgend-
wie von dem Antriebe bedingt, der von Leo ausging. Er
iſt derjenige Papſt, welcher im Druckprivilegium für den
neugewonnenen Tacitus 1) ſagen durfte: Die großen Autoren
ſeien eine Norm des Lebens, ein Troſt im Unglück; die
Beförderung der Gelehrten und der Erwerb trefflicher
Bücher habe ihm von jeher als ein höchſtes Ziel gegolten, und
auch jetzt danke er dem Himmel, den Nutzen des Menſchenge-
ſchlechtes durch Begünſtigung dieſes Buches befördern zu können.
Wie die Verwüſtung Roms 1527 die Künſtler zer-
ſtreute, ſo trieb ſie auch die Literaten nach allen Winden
auseinander und breitete den Ruhm des großen verſtor-
benen Beſchützers erſt recht bis in die äußerſten Enden
Italiens aus.
Von den weltlichen Fürſten des XV. JahrhundertsDas Alterthum
bei Alfons von
Aragon.
zeigt den höchſten Enthuſiasmus für das Alterthum Alfons
der Große von Aragon, König von Neapel (S. 34).
Es ſcheint, daß er dabei völlig naiv war, daß die antike
Welt in Denkmälern und Schriften ihm ſeit ſeiner Ankunft
in Italien einen großen, überwältigenden Eindruck machte,
welchem er nun nachleben mußte. Wunderbar leicht gab
er ſein trotziges Aragon ſammt Nebenlanden an ſeinen
Bruder auf, um ſich ganz dem neuen Beſitz zu widmen.
Er hatte theils nach, theils neben einander in ſeinen Dien-
ſten2) den Georg von Trapezunt, den jüngern Chryſoloras,
[220]3. Abſchnitt.den Lorenza Valla, den Bartolommeo Facio und den An-
tonio Panormita, welche ſeine Geſchichtſchreiber wurden; der
letztere mußte ihm und ſeinem Hofe täglich den Livius
erklären, auch während der Feldzüge im Lager. Dieſe Leute
koſteten ihn jährlich über 20,000 Goldgulden; dem Facio
ſchenkte er für die Hiſtoria Alphonſi über die 500 Ducaten
Jahresbeſoldung am Schluß der Arbeit noch 1500 Gold-
gulden obendrein, mit den Worten: „es geſchieht nicht um
„Euch zu bezahlen, denn Euer Werk iſt überhaupt nicht
„zu bezahlen, auch nicht, wenn ich Euch eine meiner beſten
„Städte gäbe; aber mit der Zeit will ich ſuchen Euch zu-
„frieden zu ſtellen“. Als er den Giannozzo Mannetti unter
den glänzendſten Bedingungen zu ſeinem Secretär nahm,
ſagte er: „mein letztes Brod würde ich mit Euch theilen“.
Schon als Gratulationsgeſandter von Florenz bei der Hoch-
zeit des Prinzen Ferrante hatte Giannozzo einen ſolchen
Eindruck auf den König gemacht, daß dieſer „wie ein Erz-
bild“ regungslos auf dem Throne ſaß und nicht einmal
die Mücken abwehrte. Seine Lieblingsſtätte ſcheint die
Bibliothek des Schloſſes von Neapel geweſen zu ſein, wo
er an einem Fenſter mit beſonders ſchöner Ausſicht gegen
das Meer ſaß und den Weiſen zuhörte, wenn ſie z. B.
über die Trinität discutirten. Denn er war auch völlig
religiös und ließ ſich außer Livius und Seneca auch die
Bibel vortragen, die er beinah auswendig wußte. Wer
Sein Cultus der
Erinnerungen.will die Empfindung genau errathen, die er den vermeint-
lichen Gebeinen des Livius zu Padua (S. 147) widmete?
Als er auf große Bitten von den Venezianern einen Arm-
knochen davon erhielt und ehrfurchtsvoll zu Neapel in
Empfang nahm, mag in ſeinem Gemüthe Chriſtliches und
Heidniſches ſonderbar durch einander gegangen ſein. Auf
einem Feldzug in den Abruzzen zeigte man ihm das ferne
Sulmona, die Heimath des Ovid, und er grüßte die Stadt
und dankte dem Genius des Ortes; offenbar that es ihm
wohl, die Weiſſagung des großen Dichters über ſeinen
[221] künftigen Ruhm 1) wahr machen zu können. Einmal gefiel3. Abſchnitt.
es ihm auch, ſelber in antiker Weiſe aufzutreten, nämlich
bei ſeinem berühmten Einzug in das definitiv eroberte
Neapel (1443); unweit vom Mercato wurde eine 40 Ellen
weite Breſche in die Mauer gelegt; durch dieſe fuhr er auf
einem goldenen Wagen wie ein römiſcher Triumphator2).
Auch die Erinnerung hievon iſt durch einen herrlichen mar-
mornen Triumphbogen im Caſtello nuovo verewigt. — Seine
neapolitaniſche Dynaſtie (S. 35) hat von dieſem antiken
Enthuſiasmus wie von all ſeinen guten Eigenſchaften wenig
oder nichts geerbt.
Ungleich gelehrter als Alfonſo war Federigo von Ur-Federigo von
Urbino.
bino 3), der weniger Leute um ſich hatte, gar nichts ver-
ſchwendete und wie in allen Dingen ſo auch in der An-
eignung des Alterthums planvoll verfuhr. Für ihn und
für Nicolaus V. ſind die meiſten Ueberſetzungen aus dem
Griechiſchen und eine Anzahl der bedeutendſten Commentare,
Bearbeitungen u. dgl. verfaßt worden. Er gab viel aus,
aber zweckmäßig, an die Leute, die er brauchte. Von einem
Poetenhof war in Urbino keine Rede; der Herr ſelber war
der Gelehrteſte. Das Alterthum war allerdings nur ein
Theil ſeiner Bildung; als vollkommener Fürſt, Feldherr
und Menſch bemeiſterte er einen großen Theil der damaligen
Wiſſenſchaft überhaupt und zwar zu practiſchen Zwecken,
um der Sachen willen. Als Theologe z. B. verglich er
Thomas und Scotus und kannte auch die alten Kirchen-
väter des Orients und Occidents, erſtere in lateiniſchen
Ueberſetzungen. In der Philoſophie ſcheint er den Plato
gänzlich ſeinem Zeitgenoſſen Coſimo überlaſſen zu haben;
von Ariſtoteles aber kannte er nicht nur Ethik und Politik
[222]3. Abſchnitt.genau, ſondern auch die Phyſik und mehrere andere Schriften.
In ſeiner ſonſtigen Lectüre wogen die ſämmtlichen antiken
Hiſtoriker, die er beſaß, beträchtlich vor; dieſe und nicht die
Poeten „las er immer wieder und ließ ſie ſich vorleſen“.
Die Sforza.Die Sforza 1) ſind ebenfalls alle mehr oder weniger
gelehrt und erweiſen ſich als Mäcenaten (S. 27,39), wovon
gelegentlich die Rede geweſen iſt. Herzog Francesco mochte
bei der Erziehung ſeiner Kinder die humaniſtiſche Bildung
als eine Sache betrachten, die ſich ſchon aus politiſchen
Gründen von ſelbſt verſtehe; man ſcheint es durchgängig
als Vortheil empfunden zu haben, wenn der Fürſt mit den
Gebildetſten auf gleichem Fuße verkehren konnte. Lodovico
Moro, ſelber ein trefflicher Latiniſt, zeigt dann eine Theil-
nahme an allem Geiſtigen, die ſchon weit über das Alter-
thum hinausgeht (S. 42).
Auch die kleinern Herrſcher ſuchten ſich ähnlicher Vor-
züge zu bemächtigen und man thut ihnen wohl Unrecht,
wenn man glaubt, ſie hätten ihre Hofliteraten nur genährt
um von denſelben gerühmt zu werden. Ein Fürſt wie
Die Eſte.Borſo von Ferrara (S. 49) macht bei aller Eitelkeit doch
gar nicht mehr den Effect als erwartete er die Unſterblich-
keit von den Dichtern, ſo eifrig ihm dieſelben mit einer
„Borſeïs“ u. dgl. aufwarteten; dazu iſt ſein Herrſchergefühl
bei Weitem zu ſehr entwickelt; allein der Umgang mit Ge-
lehrten, das Intereſſe für das Alterthum, das Bedürfniß
nach eleganter lateiniſcher Epiſtolographie waren von dem
damaligen Fürſtenthum unzertrennlich. Wie ſehr hat es
noch der practiſch hochgebildete Herzog Alfonſo (S. 49)
beklagt, daß ihn die Kränklichkeit in der Jugend einſeitig
[223] auf Erholung durch Handarbeit hingewieſen! 1) Oder hat3. Abſchnitt.
er ſich mit dieſer Ausrede doch eher nur die Literaten vom
Leibe gehalten? In eine Seele wie die ſeinige ſchauten
ſchon die Zeitgenoſſen nicht recht hinein.
Selbſt die kleinſten romagnoliſchen Tyrannen können
nicht leicht ohne einen oder mehrere Hofhumaniſten aus-
kommen; der Hauslehrer und Secretär ſind dann öfter Eine
Perſon, welche zeitweiſe ſogar das Factotum des Hofes wird2).
Man iſt mit der Verachtung dieſer kleinen Verhältniſſe
insgemein etwas zu raſch bei der Hand, indem man vergißt,
daß die höchſten Dinge des Geiſtes gerade nicht an den
Maßſtab gebunden ſind.
Ein ſonderbares Treiben muß jedenfalls an dem HofeSigismondo
Malateſta.
zu Rimini unter dem frechen Heiden und Condottiere Si-
gismondo Malateſta geherrſcht haben. Er hatte eine Anzahl
von Philologen um ſich und ſtattete einzelne derſelben reich-
lich, z. B. mit einem Landgut aus, während andere als
Offiziere wenigſtens ihren Lebensunterhalt hatten3). In
ſeiner Burg — arx Sismundea — halten ſie ihre oft ſehr
giftigen Disputationen, in Gegenwart des „rex“ wie ſie
ihn nennen; in ihren lateiniſchen Dichtungen preiſen ſie
[224]3. Abſchnitt.natürlich ihn und beſingen ſeine Liebſchaft mit der ſchönen
Iſotta, zu deren Ehren eigentlich der berühmte Umbau von
San Francesco in Rimini erfolgte, als ihr Grabdenkmal,
Divæ Jsottæ Sacrum. Und wenn die Philologen ſterben,
ſo kommen ſie in (oder unter) die Sarcophage zu liegen,
womit die Niſchen der beiden Außenwände dieſer nämlichen
Kirche geſchmückt ſind; eine Inſchrift beſagt dann, der be-
treffende ſei hier beigeſetzt worden zur Zeit da Sigismundus,
Pandulfus' Sohn, herrſchte. Man würde es heute einem
Scheuſal, wie dieſer Fürſt war, ſchwerlich glauben, daß
Bildung und gelehrter Umgang ihm ein Bedürfniß ſeien,
und doch ſagt der, welcher ihn excommunicirte, in effigie
verbrannte und bekriegte, nämlich Papſt Pius II.: „Sigis-
„mondo kannte die Hiſtorien und beſaß eine große Kunde
„der Philoſophie; zu Allem was er ergriff, ſchien er ge-
„boren“ 1).
Reproduction
d. Alterthums.Zu zweien Zwecken aber glaubten Republiken wie
Fürſten und Päpſte des Humaniſten durchaus nicht ent-
behren zu können: zur Abfaſſung der Briefe und zur öffent-
lichen, feierlichen Rede.
Epiſtolo-
graphie.Der Secretär muß nicht nur von Styleswegen ein
guter Lateiner ſein, ſondern umgekehrt: nur einem Huma-
niſten traut man die Bildung und Begabung zu, welche
für einen Secretär nöthig iſt. Und ſo haben die größten
Männer der Wiſſenſchaft im XV. Jahrhundert meiſt einen
beträchtlichen Theil ihres Lebens hindurch dem Staat auf
dieſe Weiſe gedient. Man ſah dabei nicht auf Heimath
und Herkunft; von den vier großen florentiniſchen Secretären,
[225] die ſeit 1429 bis 1465 die Feder führten 1), ſind drei aus3. Abſchnitt.
der Unterthanenſtadt Arezzo: nämlich Lionardo (Bruni),
Carlo (Marzuppini) und Benedetto Accolti; Poggio war
von Terra nuova, ebenfalls im florentiniſchen Gebiet. Hatte
man doch ſchon lange mehrere der höchſten Stadtämter
principiell mit Ausländern beſetzt. Lionardo, Poggio und
Giannozzo Mannetti waren auch zeitweiſe Geheimſchreiber
der Päpſte und Carlo Aretino ſollte es werden. Blondus
von Forli und trotz allem zuletzt auch Lorenzo Valla rückten
in dieſelbe Würde vor. Mehr und mehr zieht der päpſtliche
Palaſt ſeit Nicolaus V. und Pius II.2) die bedeutendſten
Kräfte in ſeine Kanzlei, ſelbſt unter jenen ſonſt nicht lite-
rariſch geſinnten letzten Päpſten des XV. Jahrhunderts.
In der Papſtgeſchichte des Platina iſt das Leben Paul's II.
nichts anderes als die ergötzliche Rache des Humaniſten an
dem einzigen Papſt, der ſeine Kanzlei nicht zu behandeln
verſtand, jenen Verein von „Dichtern und Rednern, die der
„Curie eben ſo viel Glanz verliehen als ſie von ihr empfin-
„gen“. Man muß dieſe ſtolzen Herrn aufbrauſen ſehen,Hochgefühl der
päpſtlichen
Kanzlei.
wann ein Präcedenzſtreit eintritt, wenn z. B. die Advocati
conſiſtoriales gleichen Rang mit ihnen, ja den Vortritt in
Anſpruch nehmen 3). In einem Zuge wird appellirt an
den Evangeliſten Johannes, welchem die Secreta coeleſtia
enthüllt geweſen, an den Schreiber des Porſenna, welchen
M. Scävola für den König ſelber gehalten, an Mäcenas,
Cultur der Renaiſſance. 15
[226]3. Abſchnitt.welcher Auguſts Geheimſchreiber war, an die Erzbiſchöfe,
welche in Deutſchland Kanzler heißen u. ſ. w. 1). „Die
„apoſtoliſchen Schreiber haben die erſten Geſchäfte der Welt
„in Händen, denn wer anders als ſie ſchreibt und verfügt
„in Sachen des katholiſchen Glaubens, der Bekämpfung der
„Ketzerei, der Herſtellung des Friedens, der Vermittlung zwi-
„ſchen den größten Monarchen? Wer als ſie liefert die
„ſtatiſtiſchen Ueberſichten der ganzen Chriſtenheit? Sie ſind
„es, die Könige, Fürſten und Völker in Bewunderung ver-
„ſetzen durch das was von den Päpſten ausgeht; ſie ver-
„faſſen die Befehle und Inſtructionen für die Legaten;
„ihre Befehle aber empfangen ſie nur vom Papſt, und ſind
„derſelben zu jeder Stunde des Tages und der Nacht ge-
„wärtig“. Den Gipfel des Ruhmes erreichten aber doch
erſt die beiden berühmten Secretäre und Styliſten Leo's X.:
Pietro Bembo und Jacopo Sadoleto.
Nicht alle Kanzleien ſchrieben elegant; es gab einen
ledernen Beamtenſtyl in höchſt unreinem Latein, welcher die
Werthſchätzung
des Briefſtyls.Mehrheit für ſich hatte. Ganz merkwürdig ſtechen in den
mailändiſchen Actenſtücken, welche Corio mittheilt, neben
dieſem Styl die paar Briefe hervor, welche von den Mit-
gliedern des Fürſtenhauſes ſelber, und zwar in den wich-
tigſten Momenten verfaßt ſein müſſen 2); ſie ſind von der
reinſten Latinität. Den Styl auch in der Noth zu wahren
erſchien als ein Gebot der guten Lebensart, und als Folge
der Gewöhnung.
[227]
Man kann ſich denken, wie emſig in jenen Zeiten die3. Abſchnitt.
Briefſammlungen des Cicero, Plinius u. A. ſtudirt wurden.
Es erſchien ſchon im XV. Jahrhundert eine ganze Reihe
von Anweiſungen und Formularen zum lateiniſchen Brief-
ſchreiben, als Seitenzweig der großen grammaticaliſchen
und lexicographiſchen Arbeiten, deren Maſſe in den Biblio-
theken noch heute Erſtaunen erregt. Je mehr Unberufene
aber mit dergleichen Hülfsmitteln ſich an die Aufgabe wagten,
deſto mehr nahmen ſich die Virtuoſen zuſammen und die
Briefe Poliziano's und im Beginn des XVI. Jahrhunderts
die des Pietro Bembo erſchienen dann als die irgend er-
reichbaren Meiſterwerke nicht nur des lateiniſchen Styles
ſondern der Epiſtolographie als ſolcher.
Daneben meldet ſich mit dem XVI. Jahrhundert auch
ein claſſiſcher italieniſcher Briefſtyl, wo Bembo wiederum
an der Spitze ſteht. Es iſt eine völlig moderne, vom La-
teiniſchen mit Abſicht fern gehaltene Schreibart, und doch
geiſtig total vom Alterthum durchdrungen und beſtimmt.
Viel glänzender noch als der Briefſchreiber tritt derDie Redner.
Redner 1) hervor, in einer Zeit und bei einem Volke, wo
das Hören als ein Genuß erſten Ranges galt und wo das
Phantaſiebild des römiſchen Senates und ſeiner Redner
alle Geiſter beherrſchte. Von der Kirche, bei welcher ſie
im Mittelalter ihre Zuflucht gehabt, wird die Eloquenz
vollkommen emancipirt; ſie bildet ein nothwendiges Element
und eine Zierde jedes erhöhten Daſeins. Sehr viele feſt-
liche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Muſik ausgefüllt
werden, gehörten damals der lateiniſchen oder italieniſchen
Rede, worüber ſich jeder unſerer Leſer ſeine Gedanken
machen möge.
15*
[228]
3. Abſchnitt.Welches Standes der Redner war, galt völlig gleich;
man bedurfte vor Allem des virtuoſenhaft ausgebildeten
humaniſtiſchen Talentes. Am Hofe des Borſo von Ferrara
hat der Hofarzt, Jeronimo da Caſtello, ſowohl Friedrich III.
als Pius II. zum Willkomm anreden müſſen 1); verheira-
thete Laien beſteigen in den Kirchen die Kanzeln bei jedem
feſtlichen oder Traueranlaß, ja ſelbſt an Heiligenfeſten.
Es war den außeritaliſchen Basler Concilsherren etwas
Neues, daß der Erzbiſchof von Mailand am Ambroſius-
tage den Aeneas Sylvius auftreten ließ, welcher noch keine
Weihe empfangen hatte; trotz dem Murren der Theologen
ließen ſie ſich es gefallen und hörten mit größter Begier zu 2).
Ueberblicken wir zunächſt die wichtigern und häufigern
Anläſſe des öffentlichen Redens.
Feierliche
Staatsreden.Vor Allem heißen die Geſandten von Staat an Staat
nicht vergebens Oratoren; neben der geheimen Unterhand-
lung gab es ein unvermeidliches Paradeſtück, eine öffentliche
Rede, vorgetragen unter möglichſt pomphaften Umſtänden 3).
In der Regel führte von dem oft ſehr zahlreichen Perſonal
Einer zugeſtandenermaßen das Wort, aber es paſſirte doch
dem Kenner Pius II., vor welchem ſich gerne jeder hören
laſſen wollte, daß er eine ganze Geſandtſchaft, Einen nach
dem Andern, anhören mußte 4). Dann redeten gelehrte
[229] Fürſten, die des Wortes mächtig waren, gerne und gut3. Abſchnitt.
ſelber, italieniſch oder lateiniſch. Die Kinder des Hauſes
Sforza waren hierauf eingeſchult, der ganz junge Galeazzo
Maria ſagte ſchon 1455 im großen Rath zu Venedig ein
fließendes Exercitium her 1), und ſeine Schweſter Ippolita
begrüßte den Papſt Pius II. auf dem Congreß zu Mantua
1459 mit einer zierlichen Rede 2). Pius II. ſelbſt hat offen-
bar als Redner in allen Zeiten ſeines Lebens ſeiner letzten
Standeserhöhung mächtig vorgearbeitet; als größter curialer
Diplomat und Gelehrter wäre er vielleicht doch nicht Papſt
geworden ohne den Ruhm und den Zauber ſeiner Be-
redſamkeit. „Denn nichts war erhabener als der Schwung
„ſeiner Rede 3).“ Gewiß galt er für Unzählige ſchon deß-
halb als der des Papſtthums Würdigſte, bereits vor der
Wahl.
Sodann wurden die Fürſten bei jedem feierlichenEmpfangs-
reden ꝛc.
Empfang angeredet und zwar oft in ſtundenlanger Oration.
Natürlich geſchah dieß nur wenn der Fürſt als Redefreund
bekannt war oder dafür gelten wollte 4), und wenn man
einen genügenden Redner vorräthig hatte, mochte es ein
4)
[230]3. Abſchnitt.Hofliterat, Univerſitätsprofeſſor, Beamter, Arzt oder Geiſt-
licher ſein.
Auch jeder andere politiſche Anlaß wird begierig er-
griffen, und je nach dem Ruhm des Redners läuft Alles
herbei was die Bildung verehrt. Bei alljährlichen Beamten-
erneuerungen, ſogar bei Einführung neuernannter Biſchöfe
muß irgend ein Humaniſt auftreten, der bisweilen 1) in
ſapphiſchen Strophen oder Hexametern ſpricht; auch mancher
neu antretende Beamte ſelbſt muß eine unumgängliche
Rede halten über ſein Fach z. B. „über die Gerechtigkeit“;
wohl ihm wenn er darauf geſchult iſt. In Florenz zieht
man auch die Condottieren — ſie mögen ſein wer und wie
ſie wollen — in das landesübliche Pathos hinein und läßt
ſie bei Ueberreichung des Feldherrenſtabes durch den ge-
lehrteſten Staatsſecretär vor allem Volk haranguiren 2).
Es ſcheint, daß unter oder an der Loggia de' Lanzi, der
feierlichen Halle, wo die Regierung vor dem Volke aufzu-
treten pflegte, eine eigentliche Rednerbühne (rostra,
ringhiera) angebracht war.
Leichenreden ꝛc.Von Anniverſarien werden beſonders die Todestage
der Fürſten durch Gedächtnißreden gefeiert. Auch die
eigentliche Leichenrede iſt vorherrſchend dem Humaniſten
anheimgefallen, der ſie in der Kirche, in weltlichem Ge-
wande recitirt, und zwar nicht nur am Sarge von Fürſten,
ſondern auch von Beamten u. a. namhaften Leuten 3).
Ebenſo verhält es ſich oft mit Verlobungs- und Hochzeits-
reden, nur daß dieſe (wie es ſcheint) nicht in der Kirche
ſondern im Palaſt, z. B. die des Filelfo bei der Verlobung
[231] der Anna Sforza mit Alfonſo d'Eſte im Caſtell von Mai-3. Abſchnitt.
land, gehalten wurden. (Es könnte immerhin in der Pa-
laſtcapelle geſchehen ſein.) Auch angeſehene Privatleute
ließen ſich wohl einen ſolchen Hochzeitsredner als vornehmen
Luxus gefallen. In Ferrara erſuchte man bei ſolchen An-
läſſen einfach den Guarino 1), er möchte einen ſeiner Schüler
ſenden. Die Kirche als ſolche beſorgte bei Trauungen und
Leichen nur die eigentlichen Ceremonien.
Von den academiſchen Reden ſind die bei Einführung
neuer Profeſſoren und die bei Curseröffnungen 2) von den
Profeſſoren ſelbſt gehaltenen mit dem größten rhetoriſchen
Aufwand behandelt. Der gewöhnliche Cathedervortrag
näherte ſich ebenfalls oft der eigentlichen Rede 3).
Bei den Advocaten gab das jeweilige Auditorium den
Maßſtab für die Behandlung der Rede. Je nach Umſtän-
den wurde dieſelbe mit dem vollen philologiſch-antiquari-
ſchen Pomp ausgeſtattet.
Eine ganz eigene Gattung ſind die italieniſch gehalte-Soldatenreden.
nen Anreden an die Soldaten, theils vor dem Kampf,
theils nachher. Federigo von Urbino 4) war hiefür claſſiſch;
einer Schaar nach der andern, wie ſie kampfgerüſtet da
ſtanden, flößte er Stolz und Begeiſterung ein. Manche
Rede in den Kriegsſchriftſtellern des XV. Jahrhunderts,
z. B. bei Porcellius (S. 100) möchte nur theilweiſe fingirt
ſein, theilweiſe aber auf wirklich geſprochenen Worten be-
ruhen. Wieder etwas Anderes waren die Anreden an die
ſeit 1506, hauptſächlich auf Macchiavell's Betrieb organiſirte
[232]3. Abſchnitt.florentiniſche Miliz 1), bei Anlaß der Muſterungen und
ſpäter bei einer beſondern Jahresfeier. Dieſe ſind von
allgemein patriotiſchem Inhalt; es hielt ſie in der Kirche
jedes Quartiers vor den dort verſammelten Milizen ein
Bürger im Bruſtharniſch, mit dem Schwert in der Hand.
Lateiniſche Pre-
digt.Endlich iſt im XV. Jahrhundert die eigentliche Predigt
bisweilen kaum mehr von der Rede zu ſcheiden, inſofern viele
Geiſtliche in den Bildungskreis des Alterthums mit einge-
treten waren und etwas darin gelten wollten. Hat doch
ſelbſt der ſchon bei Lebzeiten heilige, vom Volk angebetete
Gaſſenprediger Bernardino da Siena es für ſeine Pflicht
gehalten, den rhetoriſchen Unterricht des berühmten Guarino
nicht zu verſchmähen, obwohl er nur italieniſch zu predigen
hatte. Die Anſprüche, zumal an die Faſtenprediger, waren
damals ohne Zweifel ſo groß als je; hie und da gab es
auch ein Auditorium, welches ſehr viel Philoſophie auf der
Kanzel vertragen konnte und, ſcheint es, von Bildung wegen
verlangte 2). Doch wir haben es hier mit den vornehmen
lateiniſchen Caſualpredigern zu thun. Manche Gelegenheit
nahmen ihnen, wie geſagt, gelehrte Laien vom Munde weg.
Reden an beſtimmten Heiligentagen, Leichen- und Hochzeits-
reden, Einführungen von Biſchöfen u. ſ. w., ja ſogar die
Rede bei der erſten Meſſe eines befreundeten Geiſtlichen
und die Feſtrede bei einem Ordenscapitel werden wohl Laien
überlaſſen 3). Doch predigten wenigſtens vor dem päpſt-
lichen Hof im XV. Jahrhundert in der Regel Mönche,
[233] welches auch der feſtliche Anlaß ſein mochte. Unter3. Abſchnitt.
Sixtus IV. verzeichnet und kritiſirt Giacomo da Volterra
regelmäßig dieſe Feſtprediger, nach den Geſetzen der Kunſt 1).
Fedra Inghirami, als Feſtredner berühmt unter Julius II.,
hatte wenigſtens die geiſtlichen Weihen und war Chorherr
am Lateran; auch ſonſt hatte man unter den Prälaten
jetzt elegante Lateiner genug. Ueberhaupt erſcheinen mit dem
XVI. Jahrhundert die früher übergroßen Vorrechte der
profanen Humaniſten in dieſer Beziehung gedämpft wie in
andern, wovon unten ein Weiteres.
Welcher Art und welches Inhaltes waren nun dieſeErneuerung der
Rhetorik.
Reden im Großen und Ganzen? Die natürliche Wohlreden-
heit wird den Italienern das Mittelalter hindurch nie ge-
fehlt haben, und eine ſogenannte Rhetorik gehörte von je-
her zu den ſieben freien Künſten; wenn es ſich aber um
die Auferweckung der antiken Methode handelt, ſo iſt dieſes
Verdienſt nach Ausſage des Filippo Villani 2) einem Flo-
rentiner Bruno Caſini zuzuſchreiben, welcher noch in jungen
Jahren 1348 an der Peſt ſtarb. In ganz practiſchen Ab-
ſichten, um nämlich die Florentiner zum leichten, gewandten
Auftreten in Räthen u. a. öffentlichen Verſammlungen zu
befähigen, behandelte er nach Maßgabe der Alten die Er-
findung, die Declamation, Geſtus und Haltung im Zu-
ſammenhange. Auch ſonſt hören wir frühe von einer völlig
auf die Anwendung berechneten rhetoriſchen Erziehung;
nichts galt höher als aus dem Stegreif in elegantem La-
tein das jedesmal Paſſende vorbringen zu können. Das
wachſende Studium von Cicero's Reden und theoretiſchen
Schriften, von Quintilian und den kaiſerlichen Panegyrikern,
[234]3. Abſchnitt.das Entſtehen eigener neuer Lehrbücher 1), die Benützung
der Fortſchritte der Philologie im Allgemeinen und die
Maſſe von antiken Ideen und Sachen, womit man die
eigenen Gedanken bereichern durfte und mußte, — dieß
zuſammen vollendete den Character der neuen Redekunſt.
Form und
Sachinhalt.Je nach den Individuen iſt derſelbe gleichwohl ſehr
verſchieden. Manche Reden athmen eine wahre Beredſam-
keit, namentlich diejenigen, welche bei der Sache bleiben;
von dieſer Art iſt durchſchnittlich was wir von Pius II.
übrig haben. Sodann laſſen die Wunderwirkungen, welche
Giannozzo Mannetti 2) erreichte, auf einen Redner ſchließen,
wie es in allen Zeiten wenige gegeben hat. Seine großen
Audienzen als Geſandter vor Nicolaus V., vor Dogen und
Rath von Venedig waren Ereigniſſe, deren Andenken lange
dauerte. Viele Redner dagegen benützten den Anlaß, um
neben einigen Schmeicheleien für vornehme Zuhörer eine
wüſte Maſſe von Worten und Sachen aus dem Alterthum
vorzubringen. Wie es möglich war, dabei bis zwei, ja
drei Stunden auszuhalten, begreift man nur wenn man
das ſtarke damalige Sachintereſſe am Alterthum und die
Mangelhaftigkeit und relative Seltenheit der Bearbeitungen
— vor der Zeit des allgemeinen Druckens — in Betracht
zieht. Solche Reden hatten noch immer den Werth, welchen
wir (S. 200) manchen Briefen Petrarca's vindicirt haben.
Die Citirſucht.Einige machten es aber doch zu ſtark. Filelfo's meiſte
Orationen ſind ein abſcheuliches Durcheinander von claſſi-
ſchen und bibliſchen Citaten, aufgereiht an einer Schnur
von Gemeinplätzen; dazwiſchen werden die Perſönlichkeiten
[235] der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema3. Abſchnitt.
z. B. der Cardinaltugenden geprieſen, und nur mit großer
Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit-
geſchichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin
ſind. Die Rede eines Profeſſors und Literaten von Pia-
cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria
1467 beginnt mit C. Julius Caeſar, miſcht einen Haufen
antiker Citate mit ſolchen aus einem eigenen allegoriſchen
Werk des Verfaſſers zuſammen, und ſchließt mit ſehr in-
discreten guten Lehren an den Herrſcher 1). Glücklicher
Weiſe war es ſchon zu ſpät am Abend und der Redner
mußte ſich damit begnügen, ſeinen Panegyricus ſchriftlich
zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit
den Worten an: Jener peripatetiſche Ariſtoteles ꝛc.; Andere
rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl.,
ganz als könnten ſie und ihre Zuhörer das Citiren gar
nicht erwarten. Mit dem Ende des XV. Jahrhunderts
reinigte ſich der Geſchmack auf einmal, weſentlich durch das
Verdienſt der Florentiner; im Citiren wird fortan ſehr be-
hutſam Maß gehalten, ſchon weil inzwiſchen allerlei Nach-
ſchlagewerke häufiger geworden ſind, in welchen der Erſte
Beſte dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Fürſten
und Volk in Erſtaunen geſetzt.
Da die meiſten Reden am Studirpult erarbeitet waren,Fingirte Reden.
ſo dienten die Manuſcripte unmittelbar zur weitern Ver-
breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern
dagegen mußte nachſtenographirt werden 2). — Ferner ſind
nicht alle Orationen, die wir beſitzen, auch nur dazu be-
ſtimmt geweſen, wirklich gehalten zu werden; ſo iſt z. B.
der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro
[236]3. Abſchnitt.ein bloß ſchriftlich eingeſandtes Werk 1). Ja wie man
Briefe mit imaginären Adreſſen nach allen Gegenden der
Welt componirte als Exercitium, als Formulare, auch wohl
als Tendenzſchriften, ſo gab es auch Reden auf erdichtete
Anläſſe 2), als Formulare für Begrüßung großer Beamten,
Fürſten und Biſchöfe u. dgl. m.
Verfall der
Eloquenz.Auch für die Redekunſt gilt der Tod Leo's X. (1521)
und die Verwüſtung von Rom (1527) als der Termin des
Verfalls. Aus dem Jammer der ewigen Stadt kaum ge-
flüchtet, verzeichnet Giovio 3) einſeitig und doch wohl mit
überwiegender Wahrheit die Gründe dieſes Verfalls:
„Die Aufführungen des Plautus und Terenz, einſt
eine Uebungsſchule des lateiniſchen Ausdruckes für die vor-
nehmen Römer, ſind durch italieniſche Comödien verdrängt.
Der elegante Redner findet nicht mehr Lohn und Anerken-
nung wie früher. Deßhalb arbeiten z. B. die Conſiſtorial-
advocaten an ihren Vorträgen nur noch die Proömien aus
und geben den Reſt als trüben Miſchmaſch nur noch ſtoß-
weiſe von ſich. Auch Caſualreden und Predigten ſind tief
geſunken. Handelt es ſich um die Leichenrede für einen
Cardinal oder weltlichen Großen, ſo wenden ſich die Teſta-
mentsexecutoren nicht an den trefflichſten Redner der Stadt,
den ſie mit hundert Goldſtücken honoriren müßten, ſondern
[237] ſie miethen um ein Geringes einen hergelaufenen kecken3. Abſchnitt.
Pedanten, der nur in den Mund der Leute kommen will,
ſei es auch durch den ſchlimmſten Tadel. Der Todte, denkt
man, ſpüre ja nichts davon wenn ein Affe in Trauerge-
wand auf der Kanzel ſteht, mit weinerlichem heiſerm Ge-
murmel beginnt und allmälig ins laute Gebell übergeht.
Auch die feſtlichen Predigten bei den päpſtlichen Functionen
werfen keinen rechten Lohn mehr ab; Mönche von allen
Orden haben ſich wieder derſelben bemächtigt und predigen
wie für die ungebildetſten Zuhörer. Noch vor wenigen Jahren
konnte eine ſolche Predigt bei der Meſſe in Gegenwart des
Papſtes der Weg zu einem Bisthum werden.“
An die Epiſtolographie und die Redekunſt der Hu-Die Abhand-
lung.
maniſten ſchließen wir hier noch ihre übrigen Productionen
an, welche zugleich mehr oder weniger Reproductionen des
Alterthums ſind.
Hieher gehört zunächſt die Abhandlung in unmittel-
barer oder in dialogiſcher Form 1), welche letztere man direct
von Cicero herüber nahm. Um dieſer Gattung einiger-
maßen gerecht zu werden, um ſie nicht als Quelle der Lan-
genweile von vorn herein zu verwerfen, muß man zweierlei
erwägen. Das Jahrhundert, welches dem Mittelalter ent-
rann, bedurfte in vielen einzelnen Fragen moraliſcher und
philoſophiſcher Natur einer ſpeciellen Vermittelung zwiſchen
ſich und dem Alterthum, und dieſe Stelle nahmen nun
die Tractat- und Dialogſchreiber ein. Vieles was uns in
ihren Schriften als Gemeinplatz erſcheint, war für ſie und
ihre Zeitgenoſſen eine mühſam neu errungene Anſchauung
[238]3. Abſchnitt.von Dingen, über welche man ſich ſeit dem Alterthum noch
nicht wieder ausgeſprochen hatte. Sodann hört ſich die
Sprache hier beſonders gerne ſelber zu — gleichviel ob die
lateiniſche oder die italieniſche. Freier und vielſeitiger als
in der hiſtoriſchen Erzählung oder in der Oration und in
den Briefen bildet ſie hier ihr Satzwerk, und von den ita-
lieniſchen Schriften dieſer Art gelten mehrere bis heute als
Muſter der Proſa. Manche von dieſen Arbeiten wurden
ſchon genannt oder werden noch angeführt werden ihres
Sachinhaltes wegen; hier mußte von ihnen als Geſammt-
gattung die Rede ſein. Von Petrarca's Briefen und Trac-
taten an bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts wiegt bei
den Meiſten auch hier das Aufſpeichern antiken Stoffes
vor, wie bei den Rednern; dann klärt ſich die Gattung ab,
zumal im Italieniſchen, und erreicht mit den Aſolani des
Bembo, mit der Vita Sobria des Luigi Cornaro die volle
Claſſicität. Auch hier war es entſcheidend, daß jener antike
Stoff inzwiſchen ſich in beſondern großen Sammelwerken,
jetzt ſogar gedruckt abzulagern begonnen hatte und dem
Tractatſchreiber nicht mehr im Wege war.
Lateiniſche Ge-
ſchichtſchrei-
bung.Ganz unvermeidlich bemächtigte ſich der Humanismus
auch der Geſchichtſchreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieſer
Hiſtorien mit den frühern Chroniken, namentlich mit ſo
herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der
Villani wird man dieß laut beklagen. Wie abgeblaßt und
conventionell zierlich erſcheint neben dieſen Alles was die
Humaniſten ſchreiben, und zwar z. B. gerade ihre näch-
ſten und berühmteſten Nachfolger in der Hiſtoriographie
von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie un-
abläſſig plagt den Leſer die Ahnung, daß zwiſchen den
livianiſchen und den cäſariſchen Phraſen eines Facius, Sa-
bellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuaniſchen
Geſchichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und
ſelbſt eines Giovio (in den Hiſtorien) die beſte individuelle
und locale Farbe, das Intereſſe am vollen wirklichen Her-
[239] gang Noth gelitten habe. Das Mißtrauen wächst, wenn3. Abſchnitt.
man inne wird, daß der Werth des Vorbildes Livius ſelbſt
am unrechten Orte geſucht wurde, nämlich 1) darin, daß er
„eine trockene und blutloſe Tradition in Anmuth und Fülle
„verwandelt“ habe; ja man findet (eben da) das bedenk-
liche Geſtändniß, die Geſchichtſchreibung müſſe durch Styl-
mittel den Leſer aufregen, reizen, erſchüttern, — gerade als
ob ſie die Stelle der Poeſie vertreten könnte. Man frägt
ſich endlich, ob nicht die Verachtung der modernen Dinge,
zu welcher dieſe nämlichen Humaniſten ſich bisweilen 2) offen
bekennen, auf ihre Behandlung derſelben einen ungünſtigen
Einfluß haben mußte? Unwillkürlich wendet der Leſer
den anſpruchloſen lateiniſchen und italieniſchen Annaliſten,
die der alten Art treu geblieben, z. B. denjenigen von Bo-
logna und Ferrara, mehr Theilnahme und Vertrauen zu,
und noch viel dankbarer fühlt man ſich den beſten unter
den italieniſch ſchreibenden eigentlichen Chroniſten verpflichtet,
einem Marin Sanudo, einem Corio, einem Infeſſura, bis
dann mit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die neue
glanzvolle Reihe der großen italieniſchen Geſchichtſchreiber
in der Mutterſprache beginnt.
In der That war die Zeitgeſchichte unwiderſprechlichAbſoluter
Werth des La-
teiniſchen.
beſſer daran wenn ſie ſich in der Landesſprache erging, als
wenn ſie ſich latiniſiren mußte. Ob auch für die Erzählung
des Längſtvergangenen, für die geſchichtliche Forſchung das
Italieniſche geeigneter geweſen wäre, iſt eine Frage, welche
für jene Zeit verſchiedene Antworten zuläßt. Das Latei-
niſche war damals die Lingua franca der Gelehrten lange
[240]3. Abſchnitt.nicht bloß im internationalen Sinn, z. B. zwiſchen Eng-
ländern, Franzoſen und Italienern, ſondern auch im inter-
provincialen Sinne, d. h. der Lombarde, der Venezianer,
der Neapolitaner wurden mit ihrer italieniſchen Schreibart
— auch wenn ſie längſt toscaniſirt war und nur noch
ſchwache Spuren des Dialectes an ſich trug — von dem
Florentiner nicht anerkannt. Dieß wäre zu verſchmerzen
geweſen bei örtlicher Zeitgeſchichte, die ihrer Leſer an Ort
und Stelle ſicher war, aber nicht ſo leicht bei der Geſchichte
der Vergangenheit, für welche ein weiterer Leſerkreis geſucht
werden mußte. Hier durfte die locale Theilnahme des
Volkes der allgemeinen der Gelehrten aufgeopfert werden.
Wie weit wäre z. B. Blondus von Forli gelangt, wenn er
ſeine großen gelehrten Werke in einem halbromagnoliſchen
Italieniſch verfaßt hätte? Dieſelben wären einer ſichern
Obscurität verfallen ſchon um der Florentiner willen, während
ſie lateiniſch die allergrößte Wirkung auf die Gelehrſamkeit
des ganzen Abendlandes ausübten. Und auch die Floren-
tiner ſelbſt ſchrieben ja im XV. Jahrhundert lateiniſch,
nicht bloß weil ſie humaniſtiſch dachten ſondern zugleich um
der leichtern Verbreitung willen.
Monographie
und Biographie.Endlich giebt es auch lateiniſche Darſtellungen aus der
Zeitgeſchichte, welche den vollen Werth der trefflichſten ita-
lieniſchen haben. Sobald die nach Livius gebildete fortlau-
fende Erzählung, das Procruſtesbett ſo mancher Autoren,
aufhört, erſcheinen dieſelben wie umgewandelt. Jener näm-
liche Platina, jener Giovio, die man in ihren großen Ge-
ſchichtswerken nur verfolgt, ſo weit man muß, zeigen ſich
auf einmal als ausgezeichnete biographiſche Schilderer.
Von Triſtan Caracciolo, von dem biographiſchen Werke des
Facius, von der venezianiſchen Topographie des Sabellico ꝛc.
iſt ſchon beiläufig die Rede geweſen und auf andere werden
wir noch kommen.
Die lateiniſchen Darſtellungen aus der Vergangenheit
betrafen natürlich vor Allem das claſſiſche Alterthum. Was
[241] man aber bei dieſen Humaniſten weniger ſuchen würde,3. Abſchnitt.
ſind einzelne bedeutende Arbeiten über die allgemeine Ge-Arbeiten über
das Mittelalter.
ſchichte des Mittelalters. Das erſte bedeutende Werk
dieſer Art war die Chronik des Matteo Palmieri, begin-
nend wo Prosper Aquitanus aufhört. Wer dann zufällig
die Decaden des Blondus von Forli öffnet, wird einiger-
maßen erſtaunen, wenn er hier eine Weltgeſchichte „ab in-
clinatione Romanorum imperii“ wie bei Gibbon findet,
voll von Quellenſtudien der Autoren jedes Jahrhunderts,
wovon die erſten 300 Folioſeiten dem frühern Mittelalter
bis zum Tode Friedrichs II. angehören. Und dieß während
man ſich im Norden noch auf dem Standpuncte der be-
kannten Papſt- und Kaiſerchroniken und des Fasciculus
temporum befand. Es iſt hier nicht unſere Sache, kritiſch
nachzuweiſen, welche Schriften Blondus im Einzelnen be-
nützt hat, und wo er ſie beiſammen gefunden; in der Ge-
ſchichte der neuern Hiſtoriographie aber wird man ihm dieſe
Ehre wohl einmal erweiſen müſſen. Schon um dieſes einen
Buches willen wäre man berechtigt zu ſagen: das Studium
des Alterthums allein hat das des Mittelalters möglich
gemacht; jenes hat den Geiſt zuerſt an objectives geſchicht-
liches Intereſſe gewöhnt. Allerdings kam hinzu, daß das
Mittelalter für das damalige Italien ohnehin vorüber war
und daß der Geiſt es erkennen konnte, weil es nun außer
ihm lag. Man kann nicht ſagen, daß er es ſogleich mit
Gerechtigkeit oder gar mit Pietät beurtheilt habe; in den
Künſten ſetzt ſich ein ſtarkes Vorurtheil gegen ſeine Her-
vorbringungen feſt, und die Humaniſten datiren von ihrem
eigenen Aufkommen an eine neue Zeit: „Ich fange an,
„ſagt Boccaccio 1), zu hoffen und zu glauben, Gott habe
Cultur der Renaiſſance. 16
[242]3. Abſchnitt.„ſich des italiſchen Namens erbarmt, ſeit ich ſehe, daß ſeine
„reiche Güte in die Bruſt der Italiener wieder Seelen
„ſenkt, die denen der Alten gleichen, inſofern ſie den Ruhm
„auf andern Wegen ſuchen als durch Raub und Gewalt,
„nämlich auf dem Pfade der unvergänglich machenden
„Poeſie“. Aber dieſe einſeitige und unbillige Geſinnung
Anfänge der
Kritik.ſchloß doch die Forſchung bei den Höherbegabten nicht aus,
zu einer Zeit da im übrigen Europa noch nicht davon die
Rede war; es bildete ſich für das Mittelalter eine geſchicht-
liche Kritik ſchon weil die rationelle Behandlung aller Stoffe
bei den Humaniſten auch dieſem hiſtoriſchen Stoffe zu Gute
kommen mußte. Im XV. Jahrhundert durchdringt dieſelbe
bereits die einzelnen Städtegeſchichten inſoweit, daß das
ſpäte wüſte Fabelwerk aus der Urgeſchichte von Florenz,
Venedig, Mailand ꝛc. verſchwindet, während die Chroniken
des Nordens ſich noch lange mit jenen poetiſch meiſt werth-
loſen, ſeit dem XIII. Jahrhundert erſonnenen Phantaſie-
geſpinnſten ſchleppen müſſen.
Den engen Zuſammenhang der örtlichen Geſchichte mit
dem Ruhm haben wir ſchon oben bei Anlaß von Florenz
(S. 75) berührt. Venedig durfte nicht zurückbleiben; ſo
wie etwa eine venezianiſche Geſandtſchaft nach einem großen
florentiniſchen Rednertriumph 1) eilends nach Hauſe ſchreibt,
man möchte ebenfalls einen Redner ſchicken, ſo bedürfen die
Venezianer auch einer Geſchichte, welche mit den Werken
des Lionardo Aretino und Poggio die Vergleichung aus-
halten ſoll. Unter ſolchen Vorausfetzungen entſtanden im
XV. Jahrhundert die Decaden des Sabellico, im XVI.
die Hiſtoria rerum venetarum des Pietro Bembo, beide
Arbeiten in ausdrücklichem Auftrag der Republik, letztere
als Fortſetzung der erſtern.
[243]
Die großen florentiniſchen Geſchichtſchreiber zu Anfang3. Abſchnitt.
des XVI. Jahrhunderts (S. 83) ſind dann von HauſeItalieniſche
Geſchichtſchrei-
bung.
aus ganz andere Menſchen als die Lateiner Giovio und
Bembo. Sie ſchreiben italieniſch, nicht bloß weil ſie mit
der raffinirten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht
mehr wetteifern können, ſondern weil ſie, wie Macchiavelli,
ihren Stoff als einen durch lebendige Anſchauung 1) ge-
wonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wieder-
geben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und
den meiſten Uebrigen, die möglichſt weite und tiefe Wir-
kung ihrer Anſicht vom Hergang der Dinge am Herzen
liegt. Selbſt wenn ſie nur für wenige Freunde ſchreiben,
wie Francesco Vettori, ſo müſſen ſie doch aus innerm
Drange Zeugniß geben für Menſchen und Ereigniſſe, und
ſich erklären und rechtfertigen über ihre Theilnahme an
den letztern.
Und dabei erſcheinen ſie, bei aller Eigenthümlichkeit
ihres Styles und ihrer Sprache, doch auf das Stärkſte
vom Alterthum berührt und ohne deſſen Einwirkung gar
nicht denkbar. Sie ſind keine Humaniſten mehr, allein ſie
ſind durch den Humanismus hindurch gegangen und haben
vom Geiſt der antiken Geſchichtſchreibung mehr an ſich als
die meiſten jener livianiſchen Latiniſten: es ſind Bürger,
die für Bürger ſchreiben, wie die Alten thaten.
In die übrigen Fachwiſſenſchaften hinein dürfen wirDas Alterthum
als allgem.
Vorausſetzung.
den Humanismus nicht begleiten; jede derſelben hat ihre
Specialgeſchichte, in welcher die italieniſchen Forſcher dieſer
Zeit, hauptſächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten
Sachinhaltes des Alterthums 2), einen großen neuen Ab-
16*
[244]3. Abſchnitt.ſchnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter
der betreffenden Wiſſenſchaft beginnt, hier mehr, dort we-
niger entſchieden. Auch für die Philoſophie müſſen wir
auf die beſondern hiſtoriſchen Darſtellungen verweiſen. Der
Einfluß der alten Philoſophen auf die italieniſche Cultur
erſcheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald ſehr unter-
geordnet. Erſteres beſonders, wenn man nachrechnet, wie
die Begriffe des Ariſtoteles, hauptſächlich aus ſeiner früh-
verbreiteten Ethik 1) und Politik, Gemeingut der Gebildeten
von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Ab-
ſtrahirens von ihm beherrſcht war2). Letzteres dagegen,
wenn man die geringe dogmatiſche Wirkung der alten Phi-
loſophen und ſelbſt der begeiſterten florentiniſchen Platoniker
auf den Geiſt der Nation erwägt. Was wie eine ſolche
Wirkung ausſieht, iſt in der Regel nur ein Niederſchlag
der Bildung im Allgemeinen, eine Folge ſpeciell italieniſcher
Geiſtesentwicklungen. Bei Anlaß der Religion wird hier-
über noch Einiges zu bemerken ſein. Weit in den meiſten
Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen
Bildung ſondern nur mit der Aeußerung einzelner Perſonen
oder gelehrter Kreiſe zu thun, und ſelbſt hier müßte jedes-
mal unterſchieden werden zwiſchen wahrer Aneignung an-
tiker Lehre und bloßem modemäßigem Mitmachen. Denn
für Viele war das Alterthum überhaupt nur eine Mode,
ſelbſt für Solche, die darin ſehr gelehrt wurden.
Antikiſirung der
Namen.Indeß braucht nicht Alles, was unſerm Jahrhundert
als Affectation erſcheint, damals wirklich affectirt geweſen
zu ſein. Die Anwendung griechiſcher und römiſcher Namen
als Taufnamen z. B. iſt noch immer viel ſchöner und
[245] achtungswerther als die heute beliebte von (zumal weib-3. Abſchnitt.
lichen) Namen, die aus Romanen ſtammen. Sobald die
Begeiſterung für die alte Welt größer war als die für die
Heiligen, erſcheint es ganz einfach und natürlich, daß ein
adliches Geſchlecht ſeine Söhne Agamemnon, Achill, und
Tydeus taufen ließ 1), daß der Maler ſeinen Sohn Apelles
nannte und ſeine Tochter Minerva ꝛc. 2). Auch ſoviel wird
ſich wohl vertheidigen laſſen, daß ſtatt eines Hausnamens,
welchem man überhaupt entrinnen wollte, ein wohllautender
antiker angenommen wurde. Einen Heimathsnamen, der
alle Mitbürger mitbezeichnete und noch gar nicht zum Fa-
miliennamen geworden war, gab man gewiß um ſo lieber
auf, wenn er zugleich als Heiligenname unbequem wurde;
Filippo da S. Gemignano nannte ſich Callimachus. Wer
von der Familie verkannt und beleidigt ſein Glück als Ge-
lehrter in der Fremde machte, der durfte ſich, auch wenn
er ein Sanſeverino war, mit Stolz zum Julius Pomponius
Laetus umtaufen. Auch die reine Ueberſetzung eines Na-
mens ins Lateiniſche oder ins Griechiſche (wie ſie dann in
Deutſchland faſt ausſchließlich Brauch wurde) mag man
einer Generation zu Gute halten, welche lateiniſch ſprach
und ſchrieb und nicht bloß declinable ſondern leicht in
Proſa und Vers mitgleitende Namen brauchte. Tadelhaft
und oft lächerlich war erſt das halbe Aendern eines Na-
mens, bis er einen claſſiſchen Klang und einen neuen Sinn
hatte, ſowohl Taufnamen als Zunamen. So wurde aus
Giovanni Jovianus oder Janus, aus Pietro Pierius oder
[246]3. Abſchnitt.Petreius, aus Antonio Aonius u. dgl., ſodann aus Sanna-
zaro Syncerus, aus Luca Graſſo Lucius Craſſus u. ſ. w.
Arioſto, der ſich über dieſe Dinge ſo ſpöttiſch ausläßt 1);
hat es dann noch erlebt, daß man Kinder nach ſeinen Hel-
den und Heldinnen benannte2).
Antike
Umſchreibung
vieler Dinge.Auch die Antikiſirung vieler Lebensverhältniſſe, Amts-
namen, Verrichtungen, Ceremonien u. ſ. w. in den lateini-
ſchen Schriftſtellern darf nicht zu ſtrenge beurtheilt werden.
So lange man ſich mit einem einfachen, fließenden Latein
begnügte, wie dieß bei den Schriftſtellern etwa von Petrarca
bis auf Aeneas Sylvius der Fall war, kam dieß allerdings
nicht in auffallender Weiſe vor, unvermeidlich aber wurde
es, ſeit man nach einem abſolut reinen, zumal ciceroniſchen
Latein ſtrebte. Da fügten ſich die modernen Dinge nicht
mehr in die Totalität des Styles, wenn man ſie nicht
künſtlich umtaufte. Pedanten machten ſich nun ein Ver-
gnügen daraus, jeden Stadtrath als Patres conſcripti, jedes
Nonnenkloſter als Virgines Veſtales, jeden Heiligen als
Divus oder Deus zu betiteln, während Leute von feinerm
Geſchmack wie Paolo Giovio damit wahrſcheinlich nur thaten
was ſie nicht vermeiden konnten. Weil Giovio keinen Accent
darauf legt, ſtört es auch nicht, wenn in ſeinen wohllau-
tenden Phraſen die Cardinäle Senatores heißen, ihr Decan
Princeps Senatus, die Excommunication Dirae3), der Car-
[247] neval Lupercalia u. ſ. w. Wie ſehr man ſich hüten muß,3. Abſchnitt.
aus dieſer Stylſache einen voreiligen Schluß auf die ganze
Denkweiſe zu ziehen, liegt gerade bei dieſem Autor klar
zu Tage.
Die Geſchichte des lateiniſchen Styles an ſich dürfenAlleinherrſchaft
. Lateiniſchen.
wir hier nicht verfolgen. Volle zwei Jahrhunderte hindurch
thaten die Humaniſten dergleichen, als ob das Lateiniſche
überhaupt die einzige würdige Schriftſprache wäre und bleiben
müßte. Poggio 1) bedauert, daß Dante ſein großes Gedicht
italieniſch verfaßt habe, und bekanntlich hatte Dante es in
der That mit dem Lateiniſchen verſucht und den Anfang
des Inferno zuerſt in Hexametern gedichtet. Das ganze
Schickſal der italieniſchen Poeſie hing davon ab, daß er
nicht in dieſer Weiſe fortfuhr2), aber noch Petrarca verließ
ſich mehr auf ſeine lateiniſchen Dichtungen als auf ſeine
Sonette und Canzonen, und die Zumuthung lateiniſch zu
dichten, iſt noch an Arioſto ergangen. Einen ſtärkern
Zwang hat es in literariſchen Dingen nie gegeben3), allein
die Poeſie entwiſchte demſelben größtentheils und jetzt können
wir wohl ohne allzugroßen Optimismus ſagen: es iſt gut
daß die italieniſche Poeſie zweierlei Organe hatte, denn ſie
hat in beiden Vortreffliches und Eigenthümliches geleiſtet,
und zwar ſo, daß man inne wird, weßhalb hier italieniſch,
[248]3. Abſchnitt.dort lateiniſch gedichtet wurde. Vielleicht gilt Aehnliches
auch von der Proſa; die Weltſtellung und der Weltruhm
der italieniſchen Bildung hing davon ab, daß gewiſſe Gegen-
ſtände lateiniſch — Urbi et orbi — behandelt wurden 1),
während die italieniſche Proſa gerade von denjenigen am
Beſten gehandhabt worden iſt, welchen es einen innern
Kampf koſtete, nicht lateiniſch zu ſchreiben.
Quellen des
Styles; Cicero.Als reinſte Quelle der Proſa galt ſeit dem XIV. Jahr-
hundert unbeſtritten Cicero. Dieß kam bei Weitem nicht
bloß von einer abſtracten Ueberzeugung zu Gunſten ſeiner
Wörter, ſeiner Satzbildung und ſeiner literariſchen Com-
poſitionsweiſe her, ſondern im italieniſchen Geiſte fand die
Liebenswürdigkeit des Briefſchreibers, der Glanz des Red-
ners, die klare beſchauliche Art des philoſophiſchen Dar-
ſtellers einen vollen Wiederklang. Schon Petrarca erkannte
vollſtändig die Schwächen des Menſchen und Staatsmannes
Cicero 2), er hatte nur zu viel Reſpect um ſich darüber
zu freuen; ſeit ihm hat ſich zunächſt die Epiſtolographie
faſt ausſchließlich nach Cicero gebildet und die andern Gat-
tungen, mit Ausnahme der erzählenden, folgten nach. Doch
der wahre Ciceronianismus, der ſich jeden Ausdruck ver-
ſagte, wenn derſelbe nicht aus der Quelle zu belegen war,
beginnt erſt zu Ende des XV. Jahrhunderts, nachdem die
grammatiſchen Schriften des Lorenzo Valla ihre Wirkung
durch ganz Italien gethan, nachdem die Ausſagen der rö-
miſchen Literarhiſtoriker ſelbſt geſichtet und verglichen waren3).
Jetzt erſt unterſcheidet man genauer und bis auf das Ge-
[249] naueſte die Stylſchattirungen in der Proſa der Alten, und3. Abſchnitt.
kommt mit tröſtlicher Sicherheit immer wieder auf das Er-
gebniß, daß Cicero allein das unbedingte Muſter ſei, oder,
wenn man alle Gattungen umfaſſen wollte: „jenes unſterb-
liche und faſt himmliſche Zeitalter Cicero's“ 1). Jetzt wandten
Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre beſten
Kräfte auf dieſes Ziel; auch ſolche, die lange widerſtrebt
und ſich aus den älteſten Autoren eine archaiſtiſche Diction
zuſammengebaut2), gaben endlich nach und knieten vor
Cicero; jetzt ließ ſich Longolius von Bembo beſtimmen,
fünf Jahre lang nur Cicero zu leſen; derſelbe gelobte ſich
gar kein Wort zu brauchen, welches nicht in dieſem Autor
vorkäme, und ſolche Stimmungen brachen dann zu jenem
großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der
ältere Scaliger die Schaaren führten.
Denn auch die Bewunderer Cicero's waren doch langeBedingte und
unbedingte Ci-
ceronianer.
nicht alle ſo einſeitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache
gelten zu laſſen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Po-
liziano und Ermolao Barbaro, mit Bewußtſein nach einer
eigenen, individuellen Latinität zu ſtreben 3), natürlich auf
der Baſis einer „überquellend großen“ Gelehrſamkeit, und
dieſes Ziel hat auch Derjenige verfolgt, welcher uns dieß
meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Ge-
danken, zumal äſthetiſcher Art, zuerſt und mit großer An-
ſtrengung lateiniſch wiedergegeben, nicht immer glücklich,
aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz.
Seine lateiniſchen Characteriſtiken der großen Maler und
[250]3. Abſchnitt.Bildhauer jener Zeit 1) enthalten das Geiſtvollſte und das
Mißrathenſte nebeneinander. Auch Leo X., der ſeinen Ruhm
darein ſetzte „ut lingua latina nostro pontificatu dica-
„tur facta auctior“ 2), neigte ſich einer liberalen, nicht
ausſchließlichen Latinität zu, wie dieß bei ſeiner Richtung
auf den Genuß nicht anders möglich war; ihm genügte es,
Die lateiniſche
Converſation.wenn das was er anzuhören und zu leſen hatte, wahrhaft
lateiniſch, lebendig und elegant erſchien. Endlich gab Cicero
für die lateiniſche Converſation kein Vorbild, ſo daß man
hier gezwungen war, andere Götter neben ihm zu verehren.
In die Lücke traten die in und außerhalb Rom ziemlich
häufigen Aufführungen der Comödien des Plautus und
Terenz, welche für die Mitſpielenden eine unvergleichliche
Uebung des Lateiniſchen als Umgangsſprache abgaben.
Schon unter Paul II. wird 3) der gelehrte Cardinal von
Theanum (wahrſcheinlich Nicolò Fortiguerra von Piſtoja)
gerühmt weil er ſich auch an die ſchlechterhaltenſten, der
Perſonenverzeichniſſe beraubten plautiniſchen Stücke wage
und dem ganzen Autor um der Sprache willen die größte
Aufmerkſamkeit widme, und von ihm könnte wohl auch die
Anregung zum Aufführen jener Stücke ausgegangen ſein.
Dann nahm ſich Pomponius Laetus der Sache an und wo
in den Säulenhöfen großer Prälaten Plautus über die Scene
3)
[251] ging 1), war er Regiſſeur. Daß man ſeit etwa 1520 da-3. Abſchnitt.
von abkam, zählt Giovio, wie wir (S. 236) ſahen mit unter
die Urſachen des Verfalls der Eloquenz.
Zum Schluß dürfen wir hier eine Parallele des Ci-
ceronianismus aus dem Gebiete der Kunſt namhaft machen:
den Vitruvianismus der Architecten. Und zwar erwahrt
ſich auch hier das durchgehende Geſetz der Renaiſſance, daß
die Bewegung in der Bildung durchgängig der analogen
Kunſtbewegung vorangeht. Im vorliegenden Fall möchte
der Unterſchied etwa zwei Jahrzehnde betragen, wenn man
von Cardinal Hadrian von Corneto (1505?) bis auf die
erſten abſoluten Vitruvianer rechnet.
Der höchſte Stolz des Humaniſten endlich iſt die neu-Lateiniſche
Dichtung.
lateiniſche Dichtung. So weit ſie den Humanismus cha-
racteriſiren hilft, muß auch ſie hier behandelt werden.
Wie vollſtändig ſie das Vorurtheil für ſich hatte, wie
nahe ihr der entſchiedene Sieg ſtand, wurde oben (S. 247)
dargethan. Man darf von vornherein überzeugt ſein, daß
die geiſtvollſte und meiſtentwickelte Nation der damaligen
Welt nicht aus bloßer Thorheit, nicht ohne etwas Bedeu-
tendes zu wollen, in der Poeſie auf eine Sprache verzich-
tete wie die italieniſche iſt. Eine übermächtige Thatſache
muß ſie dazu beſtimmt haben.
Dieß war die Bewunderung des Alterthums. Wie
jede echte, rückhaltloſe Bewunderung erzeugte ſie nothwendig
die Nachahmung. Auch in andern Zeiten und bei andern
Völkern finden ſich eine Menge vereinzelter Verſuche nach
dieſem nämlichen Ziele hin, nur in Italien aber waren
[252]3. Abſchnitt.die beiden Hauptbedingungen der Fortdauer und Weiter-
bildung für die neulateiniſche Poeſie vorhanden: ein allſei-
tiges Entgegenkommen bei den Gebildeten der Nation und
ein theilweiſes Wiedererwachen des antiken italiſchen Ge-
nius in den Dichtern ſelbſt, ein wunderſames Weiterklingen
Ihr Werth.eines uralten Saitenſpiels. Das Beſte was ſo entſteht iſt
nicht mehr Nachahmung ſondern eigene freie Schöpfung.
Wer in den Künſten keine abgeleiteten Formen vertragen
kann, wer entweder ſchon das Alterthum ſelber nicht ſchätzt
oder es im Gegentheil für magiſch unnahbar und unnach-
ahmlich hält, wer endlich gegen Verſtöße keine Nachſicht
übt bei Dichtern, welche z. B. eine Menge Sylbenquanti-
täten neu entdecken oder errathen mußten, der laſſe dieſe
Literatur bei Seite. Ihre ſchönern Werke ſind nicht ge-
ſchaffen um irgend einer abſoluten Kritik zu trotzen, ſondern
um den Dichter und viele Tauſende ſeiner Zeitgenoſſen zu
erfreuen 1).
Geſchichtliches
Epos.Am wenigſten Glück hatte man mit dem Epos aus
Geſchichten und Sagen des Alterthums. Die weſentlichen
Bedingungen einer lebendigen epiſchen Poeſie werden be-
kanntlich nicht einmal den römiſchen Vorbildern, ja außer
Homer nicht einmal den Griechen zuerkannt; wie hätten ſie
ſich bei den Lateinern der Renaiſſance finden ſollen. Indeß
möchte doch die Africa des Petrarca im Ganzen ſo viele
und ſo begeiſterte Leſer und Hörer gefunden haben als
irgend ein Epos der neuern Zeit. Abſicht und Entſtehung
des Gedichtes ſind nicht ohne Intereſſe. Das XIV. Jahr-
hundert erkannte mit ganz richtigem Gefühl in der Zeit
des zweiten puniſchen Krieges die Sonnenhöhe des Römer-
thums, und dieſe wollte und mußte Petrarca behandeln.
Wäre Silius Italicus ſchon entdeckt geweſen, ſo hätte er
[253] vielleicht einen andern Stoff gewählt, in deſſen Ermanglung3. Abſchnitt.
aber lag die Verherrlichung des ältern Scipio Africanus
dem XV. Jahrhundert ſo nahe, daß ſchon ein anderer
Dichter, Zanobi di Strada, ſich dieſe Aufgabe geſtellt hatte;
nur aus Hochachtung für Petrarca zog er ſein bereits vor-
gerücktes Gedicht zurück 1). Wenn es irgend eine Berech-
tigung für die Africa gab, ſo lag ſie darin, daß ſich da-
mals und ſpäter Jedermann für Scipio intereſſirte als
lebte er noch, daß er für größer galt als Alexander, Pom-
pejus und Cäſar2). Wie viele neuere Epopöen haben ſich
eines für ihre Zeit ſo populären, im Grunde hiſtoriſchen
und dennoch für die Anſchauung mythiſchen Gegenſtandes
zu rühmen? An ſich iſt das Gedicht jetzt freilich ganz un-
lesbar. Für andere hiſtoriſche Sujets müſſen wir auf die
Literaturgeſchichten verweiſen.
Reicher und ausgiebiger war ſchon das WeiterdichtenMythologiſche
und bucoliſche
Poeſie.
am antiken Mythus. das Ausfüllen der poetiſchen Lücken
in demſelben. Hier griff auch die italieniſche Dichtung
früh ein, ſchon mit der Teſeide des Boccaccio, welche als
deſſen beſtes poetiſches Werk gilt. Lateiniſch dichtete Maffeo
Vegio unter Martin V. ein dreizehntes Buch zur Aeneide;
dann finden ſich eine Anzahl kleinerer Verſuche zumal in der
Art des Claudian, eine Meleagris, eine Hesperis ꝛc. Das
Merkwürdigſte aber ſind die neu erſonnenen Mythen, welche
die ſchönſten Gegenden Italiens mit einer Urbevölkerung
von Göttern, Nymphen, Genien und auch Hirten erfüllen,
wie denn überhaupt hier das Epiſche und das Bucoliſche
nicht mehr zu trennen ſind. Daß in den bald erzählenden,
[254]3. Abſchnitt.bald dialogiſchen Eclogen ſeit Petrarca das Hirtenleben
ſchon beinah völlig 1) conventionell, als Hülle beliebiger
Phantaſien und Gefühle behandelt iſt, wird bei ſpäterm
Anlaß wieder hervorzuheben ſein; hier handelt es ſich nur
um die neuen Mythen. Deutlicher als ſonſt irgendwo ver-
räth es ſich hier, daß die alten Götter in der Renaiſſance
eine doppelte Bedeutung haben: einerſeits erſetzen ſie aller-
dings die allgemeinen Begriffe und machen die allegoriſchen
Figuren unnöthig, zugleich aber ſind ſie auch ein freies,
ſelbſtändiges Element der Poeſie, ein Stück neutrale Schön-
heit, welches jeder Dichtung beigemiſcht und ſtets neu com-
binirt werden kann. Keck voran ging Boccaccio mit ſeiner
imaginären Götter- und Hirtenwelt der Umgebung von
Florenz, in ſeinem Ninfale d'Ameto und Ninfale fieſolano,
welche italieniſch gedichtet ſind. Das Meiſterwerk aber
möchte wohl der Sarca des Pietro Bembo 2) ſein: die
Werbung des Flußgottes jenes Namens um die Nymphe
Garda, das prächtige Hochzeitsmahl in einer Höhle am
Monte Baldo, die Weiſſagung der Manto, Tochter des
Tireſias, von der Geburt des Kindes Mincius, von der
Gründung Mantua's, und vom künftigen Ruhme des Vir-
gil, der als Sohn des Mincius und der Nymphe von Andes,
Maja, geboren werden wird. Zu dieſem ſtattlichen huma-
niſtiſchen Rococo fand Bembo ſehr ſchöne Verſe und eine
Schlußanrede an Virgil, um welche ihn jeder Dichter be-
neiden kann. Man pflegt dergleichen als bloße Declamation
gering zu achten, worüber als über eine Geſchmacksſache,
mit Niemanden zu rechten iſt.
[255]
Ferner entſtanden umfangreiche epiſche Gedichte bibliſchen3. Abſchnitt.
und kirchlichen Inhaltes in Hexametern. Nicht immer be-Chriſtliches
Epos.
zweckten die Verfaſſer damit eine kirchliche Beförderung oder
die Erwerbung päpſtlicher Gunſt; bei den Beſten, und auch
bei Ungeſchicktern wie Battiſta Mantuano, dem Verfaſſer
der Parthenice, wird man ein ganz ehrliches Verlangen
vorausſetzen dürfen, mit ihrer gelehrten lateiniſchen Poeſie
dem Heiligen zu dienen, womit freilich ihre halbheidniſche
Auffaſſung des Catholicismus nur zu wohl zuſammenſtimmte.
Gyraldus zählt ihrer eine Anzahl auf, unter welchen Vida
mit ſeiner Chriſtiade, Sannazaro mit ſeinen drei GeſängenSannazaro.
„De partu Virginis“ in erſter Reihe ſtehen. Sannazaro
imponirt durch den gleichmäßigen gewaltigen Fluß, in wel-
chen er Heidniſches und Chriſtliches ungeſcheut zuſammen-
drängt, durch die plaſtiſche Kraft der Schilderung, durch
die vollkommen ſchöne Arbeit. Er hatte ſich nicht vor der
Vergleichung zu fürchten, als er die Verſe von Virgils
vierter Ecloge in den Geſang der Hirten an der Krippe
verflocht. Im Gebiet des Jenſeitigen hat er da und dort
einen Zug dantesker Kühnheit, wie z. B. König David im
Limbus der Patriarchen ſich zu Geſang und Weiſſagung
erhebt, oder wie der Ewige thronend in ſeinem Mantel, der
von Bildern alles elementaren Daſeins ſchimmert, die himm-
liſchen Geiſter anredet. Andere Male bringt er unbedenklich
die alte Mythologie mit ſeinem Gegenſtande in Verbindung,
ohne doch eigentlich barock zu erſcheinen, weil er die Heiden-
götter nur gleichſam als Einrahmung benutzt, ihnen keine
Hauptrollen zutheilt. Wer das künſtleriſche Vermögen jener
Zeit in ſeinem vollen Umfang kennen lernen will, darf ſich
gegen ein Werk wie dieſes nicht abſchließen. Sannazaro's
Verdienſt erſcheint um ſo viel größer, da ſonſt die Ver-
miſchung von Chriſtlichem und Heidniſchem in der PoeſieEinmiſchung d.
Mythologie.
viel leichter ſtört als in der bildenden Kunſt; letztere kann
das Auge dabei beſtändig durch irgend eine beſtimmte, greif-
bare Schönheit ſchadlos halten und iſt überhaupt von der
[256]3. Abſchnitt.Sachbedeutung ihrer Gegenſtände viel unabhängiger als die
Poeſie, indem die Einbildungskraft bei ihr eher an der
Form, bei der Poeſie eher an der Sache weiterſpinnt. Der
gute Battiſta Mantuano in ſeinem 1) Feſtkalender hatte einen
andern Ausweg verſucht; ſtatt Götter und Halbgötter der
heiligen Geſchichte dienen zu laſſen, bringt er ſie, wie die
Kirchenväter thaten, in Gegenſatz zu derſelben; während
der Engel Gabriel zu Nazareth die Jungfrau grüßt, iſt
ihm Mercur vom Carmel her nachgeſchwebt und lauſcht
nun an der Pforte; dann berichtet er das Gehörte den
verſammelten Göttern und bewegt ſie damit zu den äußer-
ſten Entſchlüſſen. Andere Male2) freilich müſſen bei ihm
Thetis, Ceres, Aeolus u. ſ. w. wieder der Madonna und
ihrer Herrlichkeit gutwillig unterthan ſein.
Sannazaro's Ruhm, die Menge ſeiner Nachahmer,
die begeiſterte Huldigung der Größten jener Zeit — dieß
Alles zeigt, wie ſehr er ſeinem Jahrhundert nöthig und
werth war. Für die Kirche beim Beginn der Reformation
löste er das Problem: völlig claſſiſch und doch chriſtlich zu
dichten, und Leo ſowohl als Clemens ſagten ihm lauten
Dank dafür.
Zeitgeſchicht-
liche Dichtung.Endlich wurde in Hexametern oder Diſtichen auch die
Zeitgeſchichte behandelt, bald mehr erzählend bald mehr
panegyriſch, in der Regel aber zu Ehren eines Fürſten oder
Fürſtenhauſes. So entſtand eine Sphorcias, eine Borſeïs,
eine Borgias, eine Triultias u. ſ. w., freilich mit gänzlichem
Verfehlen des Zweckes, denn wer irgend berühmt und un-
ſterblich geblieben iſt, der blieb es nicht durch dieſe Art
von Gedichten, gegen welche die Welt einen unvertilgbaren
Widerwillen hat, ſelbſt wenn ſich gute Dichter dazu her-
geben. Ganz anders wirken kleinere, genreartig und ohne
Pathos ausgeführte Einzelbilder aus dem Leben der berühmten
[257] Männer, wie z. B. das ſchöne Gedicht von Leo's X. Jagd3. Abſchnitt.
bei Palo 1), oder die „Reiſe Julius II.“ von Hadrian
von Corneto (S. 121). Glänzende Jagdſchilderungen jener
Art giebt es auch von Ercole Strozza, von dem eben ge-
nannten Hadrian u. A. m., und es iſt Schade wenn ſich
der moderne Leſer durch die zu Grunde liegende Schmeichelei
abſchrecken oder erzürnen läßt. Die Meiſterſchaft der Be-
handlung und der bisweilen nicht unbedeutende geſchichtliche
Werth ſichern dieſen anmuthigen Dichtungen ein längeres
Fortleben als manche jetzt namhafte Poeſien unſerer Zeit
haben dürften.
Im Ganzen ſind dieſe Sachen immer um ſo viel beſſer,
je mäßiger die Einmiſchung des Pathetiſchen und Allge-
meinen iſt. Es giebt einzelne kleinere epiſche Dichtungen
von berühmten Meiſtern, die durch barockes mythologiſchesMythologiſi-
rung.
Dreinfahren unbewußt einen unbeſchreiblich komiſchen Ein-
druck hervorbringen. So das Trauergedicht des Ercole
Strozza2) auf Ceſare Borgia (S. 115). Man hört die
klagende Rede der Roma, welche all ihre Hoffnung auf die
ſpaniſchen Päpſte Calixt III. und Alexander VI. geſetzt
hatte und dann Ceſare für den Verheißenen hielt, deſſen
Geſchichte durchgegangen wird bis zur Kataſtrophe des
Jahres 1503. Dann frägt der Dichter die Muſe, welches
in jenem Augenblick3) die Rathſchlüſſe der Götter geweſen,
und Erato erzählt: auf dem Olymp nahmen Pallas für
die Spanier, Venus für die Italiener Partei; beide um-
faßten Jupiters Knie, worauf er ſie küßte, begütigte und
ſich ausredete, er vermöge nichts gegen das von den Parzen
Cultur der Renaiſſance. 17
[258]3. Abſchnitt.geſponnene Schickſal, die Götterverheißungen würden ſich
aber erfüllen durch das Kind vom Hauſe Eſte-Borgia 1);
nachdem er die abenteuerliche Urgeſchichte beider Familien
erzählt, betheuert er, dem Ceſare ſo wenig die Unvergäng-
lichkeit ſchenken zu können als einſt — trotz großer Für-
bitten — einem Memnon oder Achill; endlich ſchließt er
mit dem Troſte, Ceſare werde vorher noch im Krieg viele
Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be-
reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und
erſcheint dort dem kranken Ceſare unter der Geſtalt Alexan-
ders VI.; nach einigen Vermahnungen, ſich zu ſchicken und
ſich mit dem Ruhme ſeines Namens zu begnügen, ver-
ſchwindet die päpſtliche Göttinn „wie ein Vogel“.
Man verzichtet indeß unnützer Weiſe auf einen bis-
weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein
antike Mythologie wohl oder übel verwoben iſt; bisweilen
hat die Kunſt dieſen an ſich conventionellen Beſtandtheil
ſo ſehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt
es ſogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie
(S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komiſche
Götterfeſt des Giovanni Bellini bereits eine Parallele
bildet.
Berechtigung d.
poetiſchen
Form für Zeit-
geſchichte.Manche erzählende Gedichte in Hexametern ſind auch
bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in
Proſa, welche letztere der Leſer vorziehen wird, wo er ſie
findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und
jede Ceremonie beſungen, auch von den deutſchen Huma-
niſten der Reformationszeit 2). Indeß würde man Unrecht
thun, dieß bloß dem Müſſiggang und der übergroßen Leich-
tigkeit im Verſemachen zuzuſchreiben. Bei den Italienern
[259] wenigſtens iſt es ein ganz entſchiedener Ueberſchuß an Styl-3. Abſchnitt.
gefühl, wie die gleichzeitige Maſſe von italieniſchen Berich-
ten, Geſchichtsdarſtellungen und ſelbſt Pamphleten in Ter-
zinen beweist. So gut Niccolo da Uzzano ſein Placat mit
einer neuen Staatsverfaſſung, Macchiavelli ſeine Ueberſicht
der Zeitgeſchichte, ein Dritter das Leben Savonarola's, ein
Vierter die Belagerung von Piombino durch Alfons den
Großen 1) u. ſ. w. in dieſe ſchwierige italieniſche Versart
goſſen, um eindringlicher zu wirken, eben ſo gut mochten
viele Andere für ihr Publicum des Hexameters bedürfen
um es zu feſſeln. Was man in dieſer Form vertragen
konnte und begehrte, zeigt am beſten die didactiſche Poeſie.Didactiſche
Poeſie.
Dieſe nimmt im XVI. Jahrhundert einen ganz erſtaun-
lichen Aufſchwung, um das Goldmachen, das Schachſpiel,
die Seidenzucht, die Aſtronomie, die veneriſche Seuche u. dgl.
in Hexametern zu beſingen, wozu noch mehrere umfaſſende
italieniſche Dichtungen kommen. Man pflegt dergleichen
heutzutage ungeleſen zu verdammen, und inwiefern dieſe
Lehrgedichte wirklich leſenswerth ſind, wüßten auch wir
nicht zu ſagen. Eins nur iſt gewiß, daß Epochen, die der
unſrigen an Schönheitsſinn unendlich überlegen waren, daß
die ſpätgriechiſche und die römiſche Welt und die Renaiſſance
die betreffende Gattung von Poeſie nicht entbehren konnten.
Man mag dagegen einwenden, daß heute nicht der Mangel
an Schönheitsſinn ſondern der größere Ernſt und die uni-
verſaliſtiſche Behandlung alles Lehrenswerthen die poetiſche
Form ausſchlöſſen, was wir auf ſich beruhen laſſen.
Eines dieſer didactiſchen Werke wird noch jetzt hie und
da wieder aufgelegt: der Zodiacus des Lebens, von Mar-
cellus Palingenius, einem ferrareſiſchen Cryptoproteſtanten.
17*
[260]3. Abſchnitt.An die höchſten Fragen von Gott, Tugend und Unſterb-
lichkeit knüpft der Verfaſſer die Beſprechung vieler Ver-
hältniſſe des äußern Lebens und iſt von dieſer Seite auch
eine nichtzuverachtende ſittengeſchichtliche Autorität. Im
Weſentlichen jedoch geht ſein Gedicht ſchon aus dem Rahmen
der Renaiſſance heraus, wie denn auch, ſeinem ernſten Lehr-
zweck gemäß, bereits die Allegorie der Mythologie den
Rang abläuft.
Lateiniſche
Lyrik.Weit am nächſten kam aber der Poet-Philolog dem
Alterthum in der Lyrik, und zwar ſpeciell in der Elegie;
außerdem noch im Epigramm.
In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft
fascinirende Wirkung auf die Italiener aus. Manches
elegante lateiniſche Madrigal, manche kleine Invective, manches
boshafte Billet iſt reine Umſchreibung nach ihm; dann
werden verſtorbene Hündchen, Papageien u. ſ. w. beklagt
ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling
und doch in völliger Abhängigkeit von deſſen Gedankengang.
Indeß giebt es kleine Gedichte dieſer Art, welche auch den
Kenner über ihr wahres Alter täuſchen können, wenn nicht
ein ſachlicher Bezug klar auf das XV. oder XVI. Jahr-
hundert hinweist.
Dagegen möchte von Oden des ſapphiſchen, alcäiſchen ꝛc.
Versmaßes kaum eine zu finden ſein, welche nicht irgend-
wie ihren modernen Urſprung deutlich verriethe. Dieß
geſchieht meiſt durch eine rhetoriſche Redſeligkeit, welche im
Alterthum erſt etwa dem Statius eigen iſt, durch einen
auffallenden Mangel an lyriſcher Concentration, wie dieſe
Gattung ſie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer
Ode, 2 oder 3 Strophen zuſammen, ſehen wohl etwa wie
ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält dieſe
Farbe ſelten feſt. Und wo dieß der Fall iſt, wie z. B. in
der ſchönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da er-
kennt man leicht eine bloße Umſchreibung nach antiken
[261] Meiſterwerken 1). Einige Odendichter bemächtigen ſich des3. Abſchnitt.
Heiligencultes und bilden ihre Invocationen ſehr geſchmack-
voll den horaziſchen und catulliſchen Oden analogen In-
haltes nach. So Navagero in der Ode an den ErzengelDie Oden auf
Heilige.
Gabriel, ſo beſonders Sannazaro, der in der Subſtituirung
einer heidniſchen Andacht ſehr weit geht. Er feiert vor-
züglich ſeinen Namensheiligen 2), deſſen Capelle zu ſeiner
herrlich gelegenen kleinen Villa am Geſtade des Poſilipp
gehörte, „dort wo die Meereswoge den Felsquell wegſchlürft
und an die Mauer des kleinen Heiligthums anſchlägt“.
Seine Freude iſt das alljährliche St. Nazariusfeſt, und
das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein
zumal an dieſem Tage geſchmückt wird, erſcheinen ihm als
Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten
Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremün-
dung, bringt er voll tiefen Herzeleides ſeinem Heiligen am
Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt
früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Poſilipp
zu ſeinem Feſte gefahren kamen auf bekränzten Nachen,
und fleht um Heimkehr 3).
Täuſchend antik erſcheinen vorzüglich eine Anzahl Ge-Gedichte elegi-
ſcher Form.
dichte in elegiſchem Versmaß oder auch bloß in Hexametern,
deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm
herabreicht. So wie die Humaniſten mit dem Text der
römiſchen Elegiker am allerfreiſten umgingen, ſo fühlten
ſie ſich denſelben auch in der Nachbildung am Meiſten ge-
wachſen. Navagero's Elegie an die Nacht iſt ſo wenig frei
[262]3. Abſchnitt.von Reminiscenzen aus jenen Vorbildern als irgend ein
Gedicht dieſer Art und Zeit, aber dabei vom ſchönſten an-
tiken Klang. Ueberhaupt ſorgt Navagero 1) immer zuerſt
für einen echten poetiſchen Inhalt, den er dann nicht knech-
tiſch ſondern mit meiſterhafter Freiheit im Styl der Antho-
logie, des Ovid, des Catull, auch der virgiliſchen Eclogen
wiedergiebt; die Mythologie braucht er nur äußerſt mäßig,
etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gott-
heiten das Bild des einfachſten Daſeins zu entwickeln.
Einen Gruß an die Heimath, bei der Rückkehr von ſeiner
Geſandtſchaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte
wohl ein Ganzes werden können wie „Bella Italia, amate
sponde“ von Vincenzo Monti, wenn der Reſt dieſem An-
fang entſprach:
Salve cura Deûm, mundi felicior ora,
Formosæ Veneris dulces salvete recessus;
Ut vos post tantos animi mentisque labores
Aspicio lustroque libens, ut munere vestro
Sollicitas toto depello e pectore curas!
Die elegiſche oder hexametriſche Form wird ein Gefäß
für jeden höhern pathetiſchen Inhalt, und die edelſte patrio-
tiſche Aufregung (S. 121, die Elegie an Julius II.) wie
die pomphafteſte Vergötterung der Herrſchenden ſucht hier
ihren Ausdruck2), aber auch die zarteſte Melancholie eines
Tibull. Mario Molſa, der in ſeiner Schmeichelei gegen
Clemens VII. und die Farneſen mit Statius und Martial
wetteifert, hat in einer Elegie „an die Genoſſen“, vom
[263] Krankenlager, ſo ſchöne und echt antike Grabgedanken als3. Abſchnitt.
irgend einer der Alten und dieß ohne Weſentliches von
letztern zu entlehnen. Am vollſtändigſten hat übrigens
Sannazaro Weſen und Umfang der römiſchen Elegie er-
kannt und nachgebildet, und von keinem Anderm giebt es
wohl eine ſo große Anzahl guter und verſchiedenartiger
Gedichte dieſer Form. — Einzelne Elegien werden noch
hie und da um ihres Sachinhaltes willen zu erwähnen ſein.
Endlich war das lateiniſche Epigramm in jenen ZeitenDas
Epigramm.
eine ernſthafte Angelegenheit, indem ein paar gut gebildete
Zeilen, eingemeißelt an einem Denkmal oder von Mund
zu Munde mit Gelächter mitgetheilt, den Ruhm eines Ge-
lehrten begründen konnten. Ein Anſpruch dieſer Art meldet
ſich ſchon früh; als es verlautete, Guido della Polenta
wolle Dante's Grab mit einem Denkmal ſchmücken, liefen
von allen Enden Grabſchriften ein 1) „von ſolchen, die ſich
„zeigen oder auch den todten Dichter ehren oder die
„Gunſt des Polenta erwerben wollten“. Am Grabmal des
Erzbiſchofes Giovanni Visconti (ſt. 1354) im Dom von
Mailand liest man unter 36 Hexametern: „Herr Gabrius
de Zamoreis aus Parma, Doctor der Rechte, hat dieſe
Verſe gemacht“. Allmälig bildete ſich, hauptſächlich unter
dem Einfluß Martial's, auch Catull's eine ausgedehnte
Literatur dieſes Zweiges; der höchſte Triumph war, wenn
ein Epigramm für antik, für abgeſchrieben von einem alten
Stein galt2), oder wenn es ſo vortrefflich erſchien, daß
ganz Italien es auswendig wußte wie z. B. einige des
Bembo. Wenn der Staat Venedig an Sannazaro für
ſeinen Lobſpruch in drei Diſtichen 600 Ducaten Honorar
bezahlte, ſo war dieß nicht etwa eine generöſe Verſchwendung,
ſondern man würdigte das Epigramm als das was es für
[264]3. Abſchnitt.alle Gebildeten jener Zeit war: als die concentrirteſte Form
des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals ſo mächtig,
daß ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm
werden können, und auch die Großen ſelber bedurften für
jede Inſchrift, welche ſie ſetzten, ſorgfältigen und gelehrten
Beirathes, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr,
in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen
zu werden 1). Epigraphik und Epigrammatik reichten ein-
ander die Hand; erſtere beruhte auf dem emſigſten Studium
der antiken Steinſchriften.
In Rom.Die Stadt der Epigramme und der Inſcriptionen in
vorzugsweiſem Sinne war und blieb Rom. In dieſem
Staate ohne Erblichkeit mußte jeder für ſeine Verewigung
ſelber ſorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine
Waffe gegen die Mitemporſtrebenden. Schon Pius II. zählt
mit Wohlgefallen die Diſtichen auf, welche ſein Haupt-
dichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente
ſeiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpſten
blühte dann das ſatiriſche Epigramm und erreichte gegen-
über von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe
des ſcandalöſen Trotzes. Sannazaro dichtete die ſeinigen
allerdings in einer relativ geſicherten Lage, Andere aber
wagten in der Nähe des Hofes das Gefährlichſte (S. 113).
Auf acht drohende Diſtichen hin, die man an der Pforte
der Bibliothek angeſchlagen 2) fand, ließ einſt Alexander die
Garde um 800 Mann verſtärken; man kann ſich denken,
wie er gegen den Dichter würde verfahren ſein, wenn der-
ſelbe ſich erwiſchen ließ. — Unter Leo X. waren lateiniſche
Epigramme das tägliche Brod; für die Verherrlichung wie
[265] für die Verläſterung des Papſtes, für die Züchtigung ge-3. Abſchnitt.
nannter wie ungenannter Feinde und Schlachtopfer, für
wirkliche wie für fingirte [Gegenſtände] des Witzes, der Bos-
heit, der Trauer, der Contemplation gab es keine paſſendere
Form. Damals ſtrengten ſich für die berühmte GruppeCoryciana.
der Mutter Gottes mit der heil. Anna und dem Kinde,
welche Andrea Sanſovino für St. Agoſtino meißelte, nicht
weniger als hundertundzwanzig Perſonen in lateiniſchen
Verſen an, freilich nicht ſo ſehr aus Andacht, als dem Be-
ſteller des Werkes zu Liebe 1). Dieſer, Johann Goritz aus
Luxemburg, päpſtlicher Supplikenreferendar, ließ nämlich
am St. Annenfeſte nicht bloß etwa Gottesdienſt halten,
ſondern er gab ein großes Literatenbankett in ſeinen Gärten
am Abhang des Capitols. Damals lohnte es ſich auch der
Mühe, die ganze Poetenſchaar, welche an Leo's Hofe ihr
Glück ſuchte, in einem eigenen großen Gedicht „de poetis
urbanis“ zu muſtern, wie Franc. Arſillus that 2), ein Mann,
der kein päpſtliches oder anderes Mäcenat brauchte und ſich
ſeine freie Zunge auch gegen die Collegen vorbehielt.
— Ueber Paul III. herab reicht das Epigramm nur noch
[266]3. Abſchnitt.in vereinzelten Nachklängen, die Epigraphik dagegen blüht
länger und unterliegt erſt im XVII. Jahrhundert völlig
dem Schwulſt.
Das Epigramm
in Venedig.Auch in Venedig hat ſie ihre beſondere Geſchichte, die
wir mit Hülfe von Francesco Sanſovino's „Venezia“ ver-
folgen können. Eine ſtehende Aufgabe bildeten die Motto's
(Brievi) auf den Dogenbildniſſen des großen Saales im
Dogenpalaſt, zwei bis vier Hexameter, welche das Weſent-
liche aus der Amtsführung des Betreffenden enthalten 1).
Dann hatten die Dogengräber des XIV. Jahrhunderts
laconiſche Proſainſchriften, welche nur Thatſachen enthalten,
und daneben ſchwülſtige Hexameter oder leoniniſche Verſe.
Im XV. Jahrhundert ſteigt die Sorgfalt des Styles;
im XVI. erreicht ſie ihre Höhe und bald beginnt die un-
nütze Antitheſe, die Proſopopöe, das Pathos, das Princi-
pienlob, mit Einem Worte: der Schwulſt. Ziemlich oft
wird geſtichelt und verdeckter Tadel gegen Andere durch
directes Lob des Verſtorbenen ausgedrückt. Ganz ſpät
kommen dann wieder ein paar abſichtlich einfache Epita-
phien.
Architectur und Ornamentik waren auf das Anbringen
von Inſchriften — oft in vielfacher Wiederholung — voll-
kommen eingerichtet, während z. B. das Gothiſche des Nor-
dens nur mit Mühe einen zweckmäßigen Platz für eine
Inſchrift ſchafft, und ſie an Grabmälern z. B. gerne den
bedrohteſten Stellen, den Rändern zuweist.
Durch das bisher Geſagte glauben wir nun keines-
weges den Leſer von dem eigenthümlichen Werthe dieſer
lateiniſchen Poeſie der Italiener überzeugt zu haben. Es
Macaroniſche
Poeſie.handelte ſich nur darum, die culturgeſchichtliche Stellung
und Nothwendigkeit derſelben anzudeuten. Schon damals
[267] entſtand 1) übrigens ein Zerrbild davon: die ſogenannte3. Abſchnitt.
macaroneiſche Poeſie, deren Hauptwerk, das Opus macaro-
nicorum, von Merlinus Cocaius (d. h. Teofilo Folengo von
Mantua) gedichtet iſt. Vom Inhalt wird noch hie und da
die Rede ſein; was die Form betrifft — Hexameter u. a.
Verſe gemiſcht aus lateiniſchen und italieniſchen Wörtern
mit lateiniſchen Endungen — ſo liegt das Komiſche der-
ſelben weſentlich darin, daß ſich dieſe Miſchungen wie lauter
Lapſus linguae anhören, wie das Sprudeln eines über-
eifrigen lateiniſchen Improviſators. Nachahmungen aus
Deutſch und Latein geben hievon keine Ahnung.
Nachdem mehrere glänzende Generationen von Poeten-Sturz der Hu-
maniſten.
Philologen ſeit Anfang des XIV. Jahrhunderts Italien
und die Welt mit dem Cultus des Alterthums erfüllt, die
Bildung und Erziehung weſentlich beſtimmt, oft auch das
Staatsweſen geleitet, und die antike Literatur nach Kräften
reproducirt hatten, fiel mit dem XVI. Jahrhundert die
ganze Menſchenclaſſe in einen lauten und allgemeinen Miß-
credit, zu einer Zeit, da man ihre Lehre und ihr Wiſſen
noch durchaus nicht völlig entbehren wollte. Man redet,
ſchreibt und dichtet noch fortwährend wie ſie, aber perſön-
lich will Niemand mehr zu ihnen gehören. In die beiden
Hauptanklagen wegen ihres bösartigen Hochmuthes und
ihrer ſchändlichen Ausſchweifungen tönt bereits die dritte
hinein, die Stimme der beginnenden Gegenreformation:
wegen ihres Unglaubens.
Warum verlauteten, muß man zunächſt fragen, dieſe
Vorwürfe nicht früher, mochten ſie nun wahr oder unwahr
[268]3. Abſchnitt.ſein? Sie ſind ſchon frühe genug vernehmlich, allein ohne
ſonderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten
noch gar zu abhängig war in Betreff des Sachinhaltes des
Alterthums, weil ſie im perſönlichſten Sinne die Beſitzer,
Träger und Verbreiter deſſelben waren. Allein das Ueber-
handnehmen gedruckter Ausgaben der Claſſiker 1), großer
wohlangelegter Handbücher und Nachſchlagewerke emanci-
pirte das Volk ſchon in bedeutendem Grade von dem dauern-
den perſönlichen Verkehr mit den Humaniſten, und ſobald
man ſich ihrer auch nur zur Hälfte entſchlagen konnte, trat
dann jener Umſchlag der Stimmung ein. Gute und Böſe
litten darunter ohne Unterſchied.
Ihre Schuld
daran.Urheber jener Anklagen ſind durchaus die Humaniſten
ſelbſt. Von Allen, die jemals einen Stand gebildet, haben
ſie am allerwenigſten ein Gefühl des Zuſammenhaltes ge-
habt oder, wo es ſich aufraffen wollte, reſpectirt. Sobald
ſie dann anfingen ſich Einer über den Andern zu erheben,
war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Bitzſchnell gehen ſie
von wiſſenſchaftlichen Gründen zur Invective und zur bo-
denloſeſten Läſterung über; ſie wollen ihren Gegner nicht
widerlegen ſondern in jeder Beziehung zernichten. Etwas
hievon kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung;
wir ſahen, wie heftig das Zeitalter, deſſen lauteſte Organe
ſie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes
hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im
wirklichen Leben meiſt eine ſolche, daß ſie ſich beſtändig ihrer
Exiſtenz wehren mußten. In ſolchen Stimmungen ſchrieben
und perorirten ſie und ſchilderten einander. Poggio's Werke
allein enthalten ſchon Schmutz genug um ein Vorurtheil
gegen die ganze Schaar hervorzurufen — und dieſe Opera
Poggii mußten gerade am häufigſten aufgelegt werden,
dieſſeits wie jenſeits der Alpen. Man freue ſich nicht zu
[269] früh, wenn ſich im XV. Jahrhundert eine Geſtalt unter3. Abſchnitt.
dieſer Schaar findet, die unantaſtbar ſcheint; bei weiterem
Suchen läuft man immer Gefahr irgend einer Läſterung
zu begegnen, welche, ſelbſt wenn man ſie nicht glaubt, das
Bild trüben wird. Die vielen unzüchtigen lateiniſchen Ge-
dichte und etwa eine Perſiflage der eigenen Familie, wie
z. B. in Pontano's Dialog „Antonius“ thaten das Uebrige.
Das XVI. Jahrhundert kannte dieſe Zeugniſſe alle und
war der betreffenden Menſchengattung ohnehin müde ge-
worden. Sie mußte büßen für das was ſie verübt hatte
und für das Uebermaß der Geltung, das ihr bisher zu
Theil geworden war. Ihr böſes Schickſal wollte es, daß
der größte Dichter der Nation ſich über ſie mit ruhiger,
ſouveräner Verachtung ausſprach 1).
Von den Vorwürfen, die ſich jetzt zu einem Geſammt-
widerwillen ſammelten, war nur zu Vieles begründet. Ein
beſtimmter, kenntlicher Zug zur Sittenſtrenge und Reli-
gioſität war und blieb in manchen Philologen lebendig,
und es iſt ein Zeichen geringer Kenntniß jener Zeit, wenn
man die ganze Claſſe verurtheilt, aber Viele, und darunter
die lauteſten, waren ſchuldig.
Drei Dinge erklären und vermindern vielleicht ihreDas Maß ihrer
Schuld.
Schuld: die übermäßige, glänzende Verwöhnung wenn das
Glück ihnen günſtig war; die Garantieloſigkeit ihres äußern
Daſeins, ſo daß Glanz und Elend je nach Launen der
Herrn und nach der Bosheit der Gegner raſch wechſelten;
endlich der irremachende Einfluß des Alterthums. Dieſes
ſtörte ihre Sittlichkeit ohne ihnen die ſeinige mitzutheilen;
und auch in religiöſen Dingen wirkte es auf ſie weſentlich
von ſeiner ſceptiſchen und negativen Seite, da von einer
Annahme des poſitiven Götterglaubens doch nicht die Rede
ſein konnte. Gerade weil ſie das Alterthum dogmatiſch,
d. h. als Vorbild alles Denkens und Handelns auffaßten,
[270]3. Abſchnitt.mußten ſie hier in Nachtheil gerathen. Daß es aber ein
Jahrhundert gab, welches mit voller Einſeitigkeit die alte
Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war
nicht mehr Schuld Einzelner ſondern höhere geſchichtliche
Fügung. Alle Bildung der ſeitherigen und künftigen Zeiten
beruht darauf daß dieß geſchehen iſt, und daß es damals
ſo ganz einſeitig und mit Zurückſetzung aller andern Lebens-
zwecke geſchehen iſt.
Ihr Lebens-
lauf.Der Lebenslauf der Humaniſten war in der Regel
ein ſolcher, daß nur die ſtärkſten ſittlichen Naturen ihn
durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die erſte
Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den
oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunder-
kind 1) ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung
in jenem Stande, der damals Alles galt. Wunderkinder
aber bleiben insgemein auf einer gewiſſen Stufe ſtehen,
oder ſie müſſen ſich die weitere Entwicklung und Geltung
unter den allerbitterſten Prüfungen erkämpfen. Auch für
den aufſtrebenden Jüngling war der Ruhm und das
glänzende Auftreten des Humaniſten eine gefährliche Lockung;
es kam ihm vor, auch er könne „wegen angeborenen Hoch-
„ſinns die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beach-
„ten“ 2). Und ſo ſtürzte man ſich in ein wechſelvolles,
aufreibendes Leben hinein, in welchem angeſtrengte Studien,
[271] Hauslehrerſchaft, Secretariat, Profeſſur, Dienſtbarkeit bei3. Abſchnitt.
Fürſten, tödtliche Feindſchaften und Gefahren, begeiſterte
Bewunderung und Ueberſchüttung mit Hohn, Ueberfluß und
Armuth wirr aufeinander folgten. Dem gediegenſten Wiſſen
konnte der flachſte Dilettantismus bisweilen den Rang ab-
laufen. Das Hauptübel aber war, daß dieſer Stand mit
einer feſten Heimath beinahe unverträglich blieb, indem er
entweder den Ortswechſel geradezu erforderte, oder den
Menſchen ſo ſtimmte, daß ihm nirgends lange wohl ſein
konnte. Während er der Leute des Ortes ſatt wurde und
im Wirbel der Feindſchaften ſich übel befand, verlangten
auch eben jene Leute ſtets Neues (S. 207). So ManchesVergleichung
mit
den Sophiſten
hier auch an die griechiſchen Sophiſten der Kaiſerzeit er-
innert, wie ſie Philoſtratus beſchreibt, ſo ſtanden dieſe doch
günſtiger, indem ſie großentheils Reichthümer beſaßen, oder
leichter entbehrten und überhaupt leichter lebten, weil ſie
nicht ſowohl Gelehrte als ausübende Virtuoſen der Rede
waren. Der Humaniſt der Renaiſſance dagegen muß eine
große Erudition und einen Strudel der verſchiedenſten Lagen
und Beſchäftigungen zu tragen wiſſen. Dazu dann, um
ſich zu betäuben, unordentlicher Genuß, und, ſobald man
ihm ohnehin das Schlimmſte zutraute, Gleichgültigkeit
gegen alle ſonſt geltende Moral. Ohne Hochmuth ſind
ſolche Charactere vollends nicht denkbar; ſie bedürfen des-
ſelben ſchon um oben ſchwimmend zu bleiben und die mit dem
Haß abwechſelnde Vergötterung beſtärkt ſie nothwendig
darin. Sie ſind die auffallendſten Beiſpiele und Opfer
der entfeſſelten Subjectivität.
Die Klagen wie die ſatiriſchen Schilderungen beginnen,Ankläger im
XV. Jahrh.;
wie bemerkt, ſchon früh, indem ja für jeden entwickelten
Individualismus, für jede Art von Celebrität ein beſtimmter
Hohn als Zuchtruthe vorhanden war. Zudem lieferten ja
die Betreffenden ſelber das furchtbarſte Material, welches
man nur zu benützen brauchte. Noch im XV. Jahrhundert
ordnet Battiſta Mantovano in der Aufzählung der ſieben
[272]3. Abſchnitt.Ungeheuer 1) die Humaniſten mit vielen Andern unter den
Artikel: Superbia; er ſchildert ſie mit ihrem Dünkel als
Apollsſöhne, wie ſie verdroſſenen und maliciöſen Ausſehens
mit falſcher Gravität einherſchreiten, dem körnerpickenden
Kranich vergleichbar, bald ihren Schatten betrachtend, bald
in zehrende Sorge um Lob verſunken. Allein das XVI.
Jahrhundert machte ihnen förmlich den Proceß. Außer
Im XVI. Ih.Arioſto bezeugt dieß hauptſächlich ihr Literarhiſtoriker Gy-
raldus, deſſen Abhandlung 2) ſchon unter Leo X. verfaßt,
wahrſcheinlich aber um 1540 überarbeitet wurde. Antike
und moderne Warnungsexempel der ſittlichen Haltloſigkeit
und des jammervollen Lebens der Literaten ſtrömen uns
hier in gewaltiger Maſſe entgegen, und dazwiſchen werden
ſchwere allgemeine Anklagen formulirt. Dieſelben lauten
hauptſächlich auf Leidenſchaftlichkeit, Eitelkeit, Starrſinn,
Selbſtvergötterung, zerfahrenes Privatleben, Unzucht aller
Art, Ketzerei, Atheismus, — dann Wohlredenheit ohne
Ueberzeugung, verderblichen Einfluß auf die Cabinete,
Sprachpedanterei, Undank gegen die Lehrer, kriechende
Schmeichelei gegen die Fürſten, welche den Literaten zuerſt
anbeißen und dann hungern laſſen u. dgl. m. Den Schluß
bildet eine Bemerkung über das goldene Zeitalter, welches
nämlich damals geherrſcht habe, als es noch keine Wiſſen-
ſchaft gab. — Von dieſen Anklagen wurde bald eine die
gefährlichſte: diejenige auf Ketzerei, und Gyraldus ſelbſt
muß ſich ſpäter beim Wiederabdruck einer völlig harmloſen
Jugendſchrift 3) an den Mantel des Herzogs Ercole II.
von Ferrara anklammern, weil ſchon Leute das Wort führen,
welche finden, die Zeit wäre beſſer an chriſtliche Gegenſtände
gewendet worden als an mythologiſche Forſchungen. Er
[273] giebt zu erwägen, daß letztere im Gegentheil bei ſo beſchaf-3. Abſchnitt.
fenen Zeiten faſt der einzige unſchuldige, d. h. neutrale
Gegenſtand gelehrter Darſtellung ſeien.
Wenn aber die Culturgeſchichte nach Ausſagen zuDas Unglück
der Gelehrten.
ſuchen verpflichtet iſt, in welchen neben der Anklage das
menſchliche Mitgefühl vorwiegt, ſo iſt keine Quelle zu ver-
gleichen mit der oft erwähnten Schrift des Pierio Valeriano
„über das Unglück der Gelehrten“ 1). Sie iſt geſchrieben
unter dem düſtern Eindruck der Verwüſtung von Rom,
welche mit dem Jammer, den ſie auch über die Gelehrten
brachte, dem Verfaſſer wie der Abſchluß eines ſchon lange
gegen dieſelben wüthenden böſen Schickſals erſcheint. Pierio
folgt hier einer einfachen, im Ganzen richtigen Empfindung;
er thut nicht groß mit einem beſondern vornehmen Dämon,
der die geiſtreichen Leute wegen ihres Genies verfolge,
ſondern er conſtatirt das Geſchehene, worin oft der bloße
unglückliche Zufall als entſcheidend vorkömmt. Er wünſcht
keine Tragödie zu ſchreiben oder Alles aus höhern Con-
flicten herzuleiten, weßhalb er denn auch Alltägliches vor-
bringt. Da lernen wir Leute kennen, welche bei unruhigen
Zeiten zunächſt ihre Einnahmen, dann auch ihre Stellen
verlieren, Leute, welche zwiſchen zwei Anſtellungen leer aus-
gehen, menſchenſcheue Geizhälſe, die ihr Geld immer ein-
genäht auf ſich tragen, und nach geſchehener Beraubung im
Wahnſinn ſterben, Andere, welche Pfründen annehmen und
in melancholiſchem Heimweh nach der frühern Freiheit dahin-
ſiechen. Dann wird der frühe Tod Vieler durch Fieber
oder Peſt beklagt, wobei die ausgearbeiteten Schriften mit-
ſammt Bettzeug und Kleidern verbrannt werden; Andere
leben und leiden unter Morddrohungen von Collegen;
Dieſen und Jenen mordet ein habſüchtiger Diener, oder
Böſewichter fangen ihn auf der Reiſe weg und laſſen ihn
in einem Kerker verſchmachten weil er kein Löſegeld zahlen
kann. Manchen rafft geheimes Herzeleid, erlittene Krän-
Cultur der Renaiſſance. 18
[274]3. Abſchnitt.kung und Zurückſetzung dahin; ein Venezianer ſtirbt vor
Gram, weil ſein Söhnchen, ein Wunderkind, geſtorben iſt,
und die Mutter und deren Bruder folgen bald, als zöge
das Kind ſie alle nach ſich. Ziemlich viele, zumal Floren-
tiner, enden durch Selbſtmord 1), andere durch geheime Juſtiz
Der
tiefere Grund
deſſelben.eines Tyrannen. Wer iſt am Ende noch glücklich? und
auf welche Weiſe? etwa durch völlige Abſtumpfung des
Gefühles gegen ſolchen Jammer? Einer der Mitredner des
Dialoges, in welchen Pierio ſeine Darſtellung gekleidet hat,
weiß Rath in dieſen Fragen; es iſt der herrliche Gasparo
Contarini, und ſchon bei Nennung dieſes Namens darf
man erwarten, daß uns wenigſtens Etwas von dem Tiefſten
und Wahrſten mitgetheilt werde, was ſich damals darüber
denken ließ. Als Bild eines glücklichen Gelehrten erſcheint
ihm Urbano Valeriano von Belluno, der in Venedig lange Zeit
hindurch Lehrer des Griechiſchen war, Griechenland und
den Orient beſuchte, noch in ſpäten Jahren bald dieſes und
bald jenes Land durchlief ohne je ein Thier zu beſteigen,
nie einen Heller für ſich beſaß, alle Ehren und Standes-
erhöhungen zurückwies, und nach einem heitern Alter im
84ſten Jahre ſtarb ohne, mit Ausnahme eines Sturzes von
der Leiter, eine kranke Stunde gehabt zu haben. Was
unterſchied ihn von den Humaniſten? Dieſe haben mehr
freien Willen, mehr losgebundene Subjectivität als ſie mit
Das Gegenbild
des Humaniſten.Glück verwerthen können; der Bettelmönch dagegen, im
Kloſter ſeit ſeinen Knabenjahren, hatte nie nach eigenem
Belieben auch nur Speiſe oder Schlaf genoſſen und empfand
deßhalb den Zwang nicht mehr als Zwang; kraft dieſer
Gewöhnung führte er mitten in allen Beſchwerden das
innerlich ruhigſte Leben und wirkte durch dieſen Eindruck
mehr auf ſeine Zuhörer als durch ſein Griechiſch; ſie glaub-
ten nunmehr überzeugt zu ſein, daß es von uns ſelbſt ab-
hänge, ob wir im Mißgeſchick jammern oder uns tröſten
[275] ſollen. „Mitten in Dürftigkeit und Mühen war er glück-3. Abſchnitt.
„lich weil er es ſein wollte, weil er nicht verwöhnt, nicht
„phantaſtiſch, nicht unbeſtändig und ungenügſam war,
„ſondern ſich immer mit wenig oder nichts zufrieden gab.“ —
Wenn wir Contarini ſelber hörten, ſo wäre vielleicht auch
noch ein religiöſes Motiv dem Bilde beigemiſcht; doch iſt
ſchon der practiſche Philoſoph in Sandalen ſprechend und
bedeutſam genug. Einen verwandten Character in andern
Umgebungen verräth auch jener Fabio Calvi von Ravenna 1),Fabio Calvi.
der Erklärer des Hippocrates. Er lebte hochbejahrt in
Rom bloß von Kräutern „wie einſt die Pythagoräer“ und
bewohnte ein Gemäuer, das vor der Tonne des Diogenes
keinen großen Vorzug hatte; von der Penſion, die ihm
Papſt Leo bezahlte, nahm er nur das Allernöthigſte und
gab den Reſt an Andere. Er blieb nicht geſund wie Fra Ur-
bano, auch war ſein Ende ſo, daß er wohl ſchwerlich im
Tode gelächelt haben wird wie dieſer, denn bei der Ver-
wüſtung von Rom ſchleppten ihn, den faſt neunzigjährigen
Greis, die Spanier fort in der Abſicht, ihn zu ranzioniren,
und er ſtarb an den Folgen des Hungers in einem Spital.
Aber ſein Name iſt in das Reich der Unvergänglichkeit ge-
rettet, weil Rafael den Alten wie einen Vater geliebt und
wie einen Meiſter geehrt, weil er ihn in allen Dingen zu
Rathe gezogen hatte. Vielleicht bezog ſich die Berathung
vorzugsweiſe auf jene antiquariſche Reſtauration des alten
Rom (S. 185) vielleicht aber auch auf viel höhere Dinge.
Wer kann ſagen, wie großen Antheil Fabio am Gedanken
der Schule von Athen und anderer hochwichtiger Com-
poſitionen Rafaels gehabt hat?
Gerne möchten wir hier mit einem anmuthigen undPomponius
Laetus.
verſöhnlichen Lebensbilde ſchließen, etwa mit dem des Pom-
ponius Laetus, wenn uns nur über dieſen noch etwas mehr
18*
[276]3. Abſchnitt.als der Brief ſeines Schülers Sabellicus 1) zu Gebote
Pomponius
Laetus.ſtände, in welchem Laetus wohl abſichtlich etwas antikiſirt
wird; doch mögen einige Züge daraus folgen. Er war
(S. 245) ein Baſtard aus dem Hauſe der neapolitaniſchen
Sanſeverinen, Fürſten von Salerno, wollte ſie aber nicht
anerkennen und ſchrieb ihnen auf die Einladung, bei ihnen
zu leben, das berühmte Billet: Pomponius Lætus cog-
natis et propinquis suis salutem. Quod petitis fieri
non potest. Valete. Ein unanſehnliches Männchen mit
kleinen lebhaften Augen, in wunderlicher Tracht, bewohnte
er in den letzten Jahrzehnden des XV. Jahrhunderts, als
Lehrer an der Univerſität Rom, bald ſein Häuschen mit
Garten auf dem Esquilin, bald ſeine Vigne auf dem
Quirinal; dort zog er ſeine Enten u. a. Geflügel, hier
baute er ſein Grundſtück durchaus nach den Vorſchriften
des Cato, Varro und Columella; Feſttage widmete er
draußen dem Fiſch- und Vogelfang, auch wohl dem Gelage
im Schatten bei einer Quelle oder an der Tiber. Reich-
thum und Wohlleben verachtete er. Neid und Uebelrede
war nicht in ihm und er duldete ſie auch in ſeiner Nähe
nicht, nur gegen die Hierarchie ließ er ſich ſehr frei gehen,
wie er denn auch, die letzten Zeiten ausgenommen, als
Verächter der Religion überhaupt galt. In die Humaniſten-
verfolgung Papſt Pauls II. verflochten, war er von Vene-
dig an dieſen ausgeliefert worden und hatte ſich durch kein
Mittel zu unwürdigen Geſtändniſſen bringen laſſen; ſeitdem
luden ihn Päpſte und Prälaten zu ſich ein und unterſtützten
ihn, und als in den Unruhen unter Sixtus IV. ſein Haus
geplündert wurde, ſteuerte man für ihn mehr zuſammen
als er eingebüßt hatte. Als Docent war er gewiſſenhaft;
ſchon vor Tage ſah man ihn mit ſeiner Laterne vom Es-
quilin herabſteigen, und immer fand er ſeinen Hörſaal ſchon
[277] gedrängt voll; da er im Geſpräch ſtotterte, ſprach er auf3. Abſchnitt.
dem Catheder behutſam, aber doch ſchön und gleichmäßig.
Auch ſeine wenigen Schriften ſind ſorgfältig abgefaßt.
Alte Texte behandelte Keiner ſo ſorgfältig und ſchüchtern,
wie er denn auch vor andern Reſten des Alterthums ſeinen
wahren Reſpect bewies, indem er wie verzückt da ſtand
oder in Thränen ausbrach. Da er die eigenen Studien
liegen ließ, wenn er Andern behülflich ſein konnte, ſo hing
man ihm ſehr an, und als er ſtarb, ſandte ſogar Alexan-
der VI. ſeine Höflinge, die Leiche zu begleiten, welche von
den vornehmſten Zuhörern getragen wurde; den Exequien
in Araceli wohnten vierzig Biſchöfe und alle fremden Ge-
ſandten bei.
Laetus hatte die Aufführungen antiker, hauptſächlichPlautus und
die römiſche
Academie.
plautiniſcher Stücke in Rom aufgebracht und geleitet (S. 250).
Auch feierte er den Gründungstag der Stadt alljährlich
mit einem Feſte, wobei ſeine Freunde und Schüler Reden
und Gedichte vortrugen. Bei dieſen beiden Hauptanläſſen
bildete ſich und blieb dann auch ſpäter beiſammen was man
die römiſche Academie nannte. Dieſelbe war durchaus nur
ein freier Verein und an kein feſtes Inſtitut geknüpft;
außer jenen Gelegenheiten kam ſie zuſammen 1), wenn ein
Gönner ſie einlud oder wenn das Gedächtniß eines verſtor-
benen Mitgliedes, z. B. des Platina gefeiert wurde. Vor-
mittags pflegte dann ein Prälat, der dazu gehörte, eine
Meſſe zu leſen; darauf betrat etwa Pomponio die Kanzel
und hielt die betreffende Rede; nach ihm ſtieg ein Anderer
hinauf und recitirte Diſtichen. Der obligate Schmaus mit
Disputationen und Recitationen beſchloß Trauer- wie Freu-
denfeſte und die Academiker, z. B. gerade Platina ſelber, galten
ſchon früh als Feinſchmecker 2). Andere Male führten ein-
[278]3. Abſchnitt.zelne Gäſte auch Farcen im Geſchmack der Atellanen auf.
Als freier Verein von ſehr wandelbarem Umfang dauerte
dieſe Academie in ihrer urſprünglichen Art weiter bis auf
die Verwüſtung Roms und erfreute ſich der Gaſtlichkeit
eines Angelus Coloccius, eines Joh. Corycius (S. 265) u. a.
Wie hoch ſie für das Geiſtesleben der Nation zu werthen
iſt, läßt ſich ſo wenig genau beſtimmen als bei irgend einer
geſelligen Verbindung dieſer Art; immerhin rechnet ſie ſelbſt
ein Sadoleto 1) zu den beſten Erinnerungen ſeiner Jugend. —
Andere Acade-
mien.Eine ganze Anzahl anderer Academien entſtanden und ver-
gingen in verſchiedenen Städten, je nachdem die Zahl und
Bedeutung der anſäſſigen Humaniſten oder die Gönnerſchaft
von Reichen und Großen es möglich machte. So die Aca-
demie von Neapel, welche ſich um Jovianus Pontanus
verſammelte und von welcher ein Theil nach Lecce über-
ſiedelte 2), diejenige von Pordenone, welche den Hof des
Feldherrn Alviano bildete u. ſ. w. Von derjenigen des
Lodovico Moro und ihrer eigenthümlichen Bedeutung für
den Umgang des Fürſten iſt bereits (S. 42) die Rede
geweſen.
Deren Italiſi-
rung.Gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts ſcheint eine
vollſtändige Umwandlung mit dieſen Vereinen vorgegangen
zu ſein. Die Humaniſten, auch ſonſt aus der gebietenden
Stellung im Leben verdrängt und der beginnenden Gegen-
reformation Objecte des Verdachtes, verlieren die Leitung
der Academien, und die italieniſche Poeſie tritt auch hier
an die Stelle der lateiniſchen. Bald hat jede irgend be-
trächtliche Stadt ihre Academie mit möglichſt bizarrem Na-
men 3) und mit eigenem, durch Beiträge und Vermächtniſſe
[279] gebildetem Vermögen. Außer dem Recitiren von Verſen3. Abſchnitt.
iſt aus der frühern, lateiniſchen Zeit herübergenommen das
periodiſche Gaſtmahl und die Aufführung von Dramen,
theils durch die Academiker ſelbſt, theils unter ihrer Auf-
ſicht durch junge Leute und bald durch bezahlte Schauſpieler.
Das Schickſal des italieniſchen Theaters, ſpäter auch der
Oper, iſt lange Zeit in den Händen dieſer Vereine geblieben.
[[280]]
Vierter Abſchnitt.
Die Entdeckung der Welt und des Menſchen.
4. Abſchnitt.Frei von zahlloſen Schranken, die anderwärts den Fort-
ſchritt hemmten, individuell hoch entwickelt und durch das
Alterthum geſchult, wendet ſich der italieniſche Geiſt auf
die Entdeckung der äußern Welt und wagt ſich an deren
Darſtellung in Wort und Form. Wie die Kunſt dieſe
Aufgabe löste, wird anderswo erzählt werden.
Reiſen der Ita-
liener.Ueber die Reiſen der Italiener nach fernen Weltge-
genden iſt uns hier nur eine allgemeine Bemerkung ge-
ſtattet. Die Kreuzzüge hatten allen Europäern die Ferne
geöffnet und überall den abenteuernden Wandertrieb ge-
weckt. Es wird immer ſchwer ſein, den Punct anzugeben,
wo derſelbe ſich mit dem Wiſſensdrang verbindet oder vol-
lends deſſen Diener wird; am frühſten und vollſtändigſten
aber iſt dieß bei den Italienern geſchehen. Schon an den
Kreuzzügen ſelbſt hatten ſie ſich in einem andern Sinne
betheiligt als die übrigen, weil ſie bereits Flotten und
Handelsintereſſen im Orient beſaßen; von jeher hatte das
Mittelmeer ſeine Anwohner anders erzogen als das Binnen-
land die ſeinigen, und Abenteurer im nordiſchen Sinne
konnten die Italiener nach ihrer Naturanlage überhaupt
nie ſein. Als ſie nun in allen öſtlichen Häfen des Mittel-
meeres heimiſch geworden waren, geſchah es leicht, daß ſich
die Unternehmendſten dem grandioſen mohammedaniſchen
Wanderleben, welches dort ausmündete, anſchloſſen; eine
[281] ganze große Seite der Erde lag dann gleichſam ſchon ent-4. Abſchnitt.
deckt vor ihnen. Oder ſie geriethen, wie die Polo von
Venedig, in die Wellenſchläge der mongoliſchen Welt hinein
und wurden weiter getragen bis an die Stufen des Thrones
des Großchans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch
ſchon im atlantiſchen Meere als Theilnehmer von Ent-
deckungen, wie denn z. B. Genueſen im XIII. Jahrhundert
bereits die canariſchen Inſeln fanden 1); Columbus iſt nur
der Größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im
Dienſte der Weſtvölker in ferne Meere fuhren. Nun iſt
aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerſt
irgendwohin geräth, ſondern der, welcher geſucht hat und
findet; ein ſolcher allein wird auch im Zuſammenhange
ſtehen mit den Gedanken und Intereſſen ſeiner Vorgänger,
und die Rechenſchaft, die er ablegt, wird danach beſchaffen
ſein. Deßhalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede
einzelne Priorität der Ankunft an dieſem oder jenem Strande
abgeſtritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk
im vorzugsweiſen Sinne für das ganze Spätmittelalter
bleiben.
Die nähere Begründung dieſes Satzes gehört der Spe-
cialgeſchichte der Entdeckungen an. Immer von Neuem
aber wendet ſich die Bewunderung der ehrwürdigen GeſtaltColumbus.
des großen Genueſen zu, der einen neuen Continent jenſeits
der Waſſer forderte, ſuchte und fand, und der es zuerſt
ausſprechen durfte: il mondo è poco, die Erde iſt nicht
ſo groß als man glaubt. Während Spanien den Italienern
einen Alexander VI. ſendet, giebt Italien den Spaniern
den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papſtes
(7. Juli 1503) datirt dieſer aus Jamaica ſeinen herrlichen
Brief an die undankbaren katholiſchen Könige, den die
ganze Nachwelt nie wird ohne die ſtärkſte Erregung leſen
[282]4. Abſchnitt.können. In einem Codicill zu ſeinem Teſtamente, datirt
zu Valladolid, 4. Mai 1506, vermacht er „ſeiner geliebten
„Heimath, der Republik Genua, das Gebetbuch, welches
„ihm Papſt Alexander geſchenkt, und welches ihm in Kerker,
„Kampf und Widerwärtigkeiten zum höchſten Troſte gereicht
„hatte“. Es iſt als ob damit auf den fürchterlichen Na-
men Borgia ein letzter Schimmer von Gnade und Güte fiele.
Cosmographi-
ſche Tendenz.Ebenſo wie die Geſchichte der Reiſen dürfen wir auch
die Entwicklung des geographiſchen Darſtellens bei den
Italienern, ihren Antheil an der Cosmographie, nur kurz
berühren. Schon eine flüchtige Vergleichung ihrer Leiſtungen
mit denjenigen anderer Völker zeigt eine frühe und augen-
fällige Ueberlegenheit. Wo hätte ſich um die Mitte des
XV. Jahrhunderts außerhalb Italiens eine ſolche Ver-
bindung des geographiſchen, ſtatiſtiſchen und hiſtoriſchen
Aeneas Syl-
vius.Intereſſes gefunden wie in Aeneas Sylvius? wo eine ſo
gleichmäßig ausgebildete Darſtellung? Nicht nur in ſeiner
eigentlich cosmographiſchen Hauptarbeit ſondern auch in
ſeinen Briefen und Commentarien ſchildert er mit gleicher
Virtuoſität Landſchaften, Städte, Sitten, Gewerbe und
Erträgniſſe, politiſche Zuſtände und Verfaſſungen, ſobald
ihm die eigene Wahrnehmung oder lebendige Kunde zu
Gebote ſteht; was er nur nach Büchern beſchreibt, iſt na-
türlich geringer. Schon die kurze Skizze 1) jenes tyroliſchen
Alpenthales, wo er durch Friedrich III. eine Pfründe be-
kommen hatte, berührt alle weſentlichen Lebensbeziehungen
und zeigt eine Gabe und Methode des objectiven Beobach-
tens und Vergleichens, wie ſie nur ein durch die Alten
gebildeter Landsmann des Columbus beſitzen konnte. Tau-
ſende ſahen und wußten wenigſtens ſtückweiſe, was er
[283] wußte, aber ſie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu4. Abſchnitt.
entwerfen, und kein Bewußtſein, daß die Welt ſolche Bilder
verlange.
Auch in der Cosmographie 1) wird man umſonſt genauWechſelwirkung
von Entdeckung
u. Beſchreibung.
zu ſondern ſuchen, wie viel dem Studium der Alten, wie
viel dem eigenthümlichen Genius der Italiener auf die
Rechnung zu ſchreiben ſei. Sie beobachten und behandeln
die Dinge dieſer Welt objectiv noch bevor ſie die Alten
genauer kennen, weil ſie ſelber noch ein halbantikes Volk
ſind und weil ihr politiſcher Zuſtand ſie dazu vorbereitet;
ſie würden aber nicht zu ſolcher raſchen Reife darin gelangt
ſein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg
gewieſen. Ganz unberechenbar iſt endlich die Einwirkung
der ſchon vorhandenen italieniſchen Cosmographien auf Geiſt
und Tendenz der Reiſenden, der Entdecker. Auch der
dilettantiſche Bearbeiter einer Wiſſenſchaft, wenn wir z. B.
im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius ſo niedrig taxiren
wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Intereſſe
für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den
unentbehrlichen neuen Boden einer herrſchenden Meinung,
eines günſtigen Vorurtheils bildet. Wahre Entdecker in
allen Fächern wiſſen recht wohl was ſie ſolchen Vermittlern
verdanken.
Für die Stellung der Italiener im Bereich der Natur-Naturwiſſen-
ſchaften.
wiſſenſchaften müſſen wir auf die beſondern Fachbücher
verweiſen, von welchen uns nur das offenbar ſehr flüchtige
und abſprechende Werk Libri's bekannt iſt 2). Der Streit
[284]4. Abſchnitt.über Priorität gewiſſer einzelner Entdeckungen berührt uns
um ſo weniger da wir der Anſicht ſind, daß in jeder Zeit
und in jedem Culturvolke möglicherweiſe ein Menſch auf-
ſtehen kann, der ſich, von ſehr mäßiger Vorbildung aus-
gehend, aus unwiderſtehlichem Drange der Empirie in die
Arme wirft und vermöge angeborner Begabung die erſtaun-
lichſten Fortſchritte macht. Solche Männer waren Gerbert
von Rheims und Roger Bacon; daß ſie ſich überdieß des
ganzen Wiſſens ihrer Zeit in ihren Fächern bemächtigten,
war dann bloße nothwendige Conſequenz ihres Strebens.
Sobald einmal die allgemeine Hülle des Wahns durchge-
riſſen, die Knechtſchaft unter der Tradition und den Büchern,
die Scheu vor der Natur überwunden war, lagen die Pro-
Richtung auf
die Empirie.bleme maſſenweiſe vor ihren Augen. Ein Anderes iſt es
aber wenn einem ganzen Volke das Betrachten und Er-
forſchen der Natur vorzugsweiſe und früher als andern
Völkern eigen iſt, wenn alſo der Entdecker nicht bedroht
und todtgeſchwiegen wird, ſondern auf das Entgegenkommen
verwandter Geiſter rechnen kann. Daß dieß ſich in Italien
ſo verhalten habe, wird verſichert 1). Nicht ohne Stolz
verfolgen die italieniſchen Naturforſcher in der Divina Co-
media die Beweiſe und Anklänge von Dante's empiriſcher
Naturforſchung 2). Ueber die einzelnen Entdeckungen oder
Prioritäten der Erwähnung, die ſie ihm beilegen, haben
wir kein Urtheil, aber jedem Laien muß die Fülle der Be-
trachtung der äußern Welt auffallen, welche ſchon aus
Dante's Bildern und Vergleichungen ſpricht. Mehr als
wohl irgend ein neuerer Dichter entnimmt er ſie der Wirk-
lichkeit, ſei es Natur oder Menſchenleben, braucht ſie auch
nie als bloßen Schmuck, ſondern um die möglichſt adäquate
[285] Vorſtellung von dem zu erwecken, was er zu ſagen hat.4. Abſchnitt.
Als ſpecieller Gelehrter tritt er dann vorzüglich in der
Aſtronomie auf, wenn gleich nicht zu verkennen iſt, daßPopuläre
Sternkunde.
manche aſtronomiſche Stelle in dem großen Gedichte, die
uns jetzt gelehrt erſcheint, damals allgemein verſtändlich
geweſen ſein muß. Dante appellirt, abgeſehen von ſeiner
Gelehrſamkeit, an eine populäre Himmelskunde, welche die
damaligen Italiener, ſchon als Seefahrer, mit den Alten
[gemein[ ]hatten]. Dieſe Kenntniß des Aufganges und Nie-
derganges der Sternbilder iſt für die neuere Welt durch
Uhren und Kalender entbehrlich geworden, und mit ihr
ging verloren was ſich ſonſt von aſtronomiſchem Intereſſe
im Volke entwickelt hatte. Gegenwärtig fehlt es nicht an
Handbüchern und Gymnaſialunterricht, und jedes Kind
weiß, daß die Erde ſich um die Sonne bewegt, was Dante
nicht wußte, aber die Theilnahme an der Sache iſt der
vollkommenſten Gleichgültigkeit gewichen, mit Ausnahme
der Fachleute.
Die Wahnwiſſenſchaft, welche ſich an die Sterne hing,
beweist nichts gegen den empiriſchen Sinn der damaligen
Italiener; derſelbe wurde nur durchkreuzt und überwältigt
durch die Leidenſchaft, den heftigen Wunſch die Zukunft
zu wiſſen. Auch wird von der Aſtrologie bei Anlaß des
ſittlichen und religiöſen Characters der Nation zu reden ſein.
Die Kirche war gegen dieſe und andere falſche Wiſſen-Einmiſchung
der Kirche,
ſchaften faſt immer tolerant und auch gegen die echte Na-
turforſchung ſchritt ſie wohl nur dann ein, wenn die An-
klage — wahr oder unwahr — zugleich auf Ketzerei und
Necromantie lautete, was denn allerdings ziemlich nahe lag.
Der Punkt, auf welchen es ankömmt, wäre: zu ermitteln,
ob und in welchen Fällen die dominicaniſchen Inquiſitoren
(und auch wohl die Franciscaner) in Italien ſich der Falſch-
heit dieſer Anklagen bewußt waren und dennoch verurtheilten,
ſei es aus Connivenz gegen Feinde des Betreffenden, oder
aus ſtillem Haß gegen die Naturbeobachtung überhaupt
[286]4. Abſchnitt.und beſonders gegen die Experimente. Letzteres wird wohl
vorgekommen aber kaum je zu beweiſen ſein. Was im
Norden ſolche Verfolgungen mit veranlaſſen mochte, der
Widerſtand des von den Scholaſtikern recipirten, officiellen
Syſtems der Naturkunde gegen die Neuerer als ſolche,
möchte für Italien weniger oder auch gar nicht in
Betracht kommen. Pietro von Abano (zu Anfang des
XIV. Jahrhunderts) fiel notoriſch als Opfer des colle-
gialiſchen Neides eines andern Arztes, der ihn bei der
Inquiſition wegen Irrglaubens und Zauberei verklagte 1),
und auch bei ſeinem paduaniſchen Zeitgenoſſen Giovannino
Sanguinacci wird man etwas Aehnliches vermuthen dürfen,
da derſelbe als Arzt ein practiſcher Neuerer war; derſelbe
kam mit bloßer Verbannung davon. Endlich iſt nicht zu
vergeſſen, daß die Macht der Dominicaner als Inquiſitoren
in Italien weniger gleichmäßig geübt werden konnte als im
Norden; Tyrannen ſowohl als freie Staaten zeigten bis-
weilen im XIV. Jahrhundert der ganzen Cleriſei eine
ſolche Verachtung, daß noch ganz andere Dinge als bloße
und des Huma-
nismus.Naturforſchung ungeahndet durchgingen. Als aber mit dem
XV. Jahrhundert das Alterthum mächtig in den Vorder-
grund trat, war die ins alte Syſtem gelegte Breſche eine
gemeinſame zu Gunſten jeder Art profanen Forſchens, nur
daß allerdings der Humanismus die beſten Kräfte an ſich
zog und auch wohl der empiriſchen Naturkunde Eintrag
that 2). Hie und da erwacht dazwiſchen immer wieder
die Inquiſition und ſtraft oder verbrennt Aerzte als Läſte-
rer und Necromanten, wobei nie ſicher zu ermitteln iſt,
[287] welches das wahre, tiefſte Motiv der Verurtheilung gewe-4. Abſchnitt.
ſen. Bei alle dem ſtand Italien zu Ende des XV. Jahr-
hunderts mit Paolo Toscanelli, Luca Paccioli und Lionardo
da Vinci in Mathematik und Naturwiſſenſchaften ohne allen
Vergleich als das erſte Volk Europa's da und die Gelehrten
aller Länder bekannten ſich als ſeine Schüler, auch Regio-
montanus und Copernicus. Dieſer Ruhm überlebte ſogar
die Gegenreformation und noch bis heute würden die Ita-
liener hier in der erſten Reihe ſtehen, wenn nicht gewaltſam
dafür geſorgt wäre, daß die tüchtigſten Geiſter und die
ruhige Forſchung ſich nicht mehr zuſammenfinden.
Ein bedeutſamer Wink für die allgemeine VerbreitungBotanik;
Sammlungen.
des naturgeſchichtlichen Intereſſes liegt auch in dem früh
geäußerten Sammlerſinn, der vergleichenden Betrachtung
der Pflanzen und Thiere. Italien rühmt ſich zunächſt der
frühſten botaniſchen Gärten, doch mag hier der practiſche
Zweck überwogen haben und ſelbſt die Priorität ſtreitig
ſein. Ungleich wichtiger iſt es, daß Fürſten und reiche
Privatleute bei der Anlage ihrer Luſtgärten von ſelbſt auf
das Sammeln möglichſt vieler verſchiedenen Pflanzen und
Species und Varietäten derſelben geriethen. So wird uns
im XV. Jahrhundert der prächtige Garten der Mediceiſchen
Villa Careggi beinahe wie ein botaniſcher Garten geſchildert 1),
mit zahlloſen einzelnen Gattungen von Bäumen und Sträu-
chern. So im Beginn des XVI. Jahrhunderts eine Villa
des Cardinal Triulzio in der römiſchen Campagna 2), gegen
Tivoli hin, mit Hecken von verſchiedenen Roſengattungen,
mit Bäumen aller Art, worunter die Fruchtbäume in allen
möglichen Varietäten; endlich zwanzig Rebengattungen und
[288]4. Abſchnitt.ein großer Küchengarten. Hier handelt es ſich offenbar um
etwas Anderes als um ein paar Dutzend allbekannte Me-
dicinalpflanzen, wie ſie durch das ganze Abendland in keinem
Schloß- oder Kloſtergarten fehlten; neben einer höchſt ver-
feinerten Cultur des Tafelobſtes zeigt ſich ein Intereſſe für
die Pflanze als ſolche, um ihres merkwürdigen Anblickes
willen. Die Kunſtgeſchichte belehrt uns darüber, wie ſpät
erſt die Gärten ſich von dieſer Sammlerluſt befreiten um
fortan einer großen architectoniſch-maleriſchen Anlage zu
dienen.
Fremde Thiere,Auch das Unterhalten fremder Thiere iſt gewiß nicht
ohne Zuſammenhang mit einem höhern Intereſſe der Beo-
bachtung zu denken. Der leichte Transport aus den ſüd-
lichen und öſtlichen Häfen des Mittelmeeres und die Gunſt
des italieniſchen Klimas machten es möglich die mächtigſten
Thiere des Südens anzukaufen oder von den Sultanen als
Geſchenk anzunehmen. Vor Allem hielten Städte und
Fürſten gern lebendige Löwen, auch wenn der Löwe nicht
gerade das Wappenthier war wie in Florenz 1). Die Lö-
wengruben befanden ſich in oder bei den Staatspaläſten,
ſo in Perugia und in Florenz; diejenige in Rom lag am
Abhang des Capitols. Dieſe Thiere dienten nämlich bis-
weilen als Vollſtrecker politiſcher Urtheile 2) und hielten wohl
[289] auch ſonſt einen gewiſſen Schrecken unter dem Volke wach.4. Abſchnitt.
Außerdem galt ihr Verhalten als vorbedeutungsvoll; na-
mentlich war ihre Fruchtbarkeit ein Zeichen allgemeinen
Gedeihens, und auch ein Giovanni Villani verſchmäht es
nicht anzumerken, daß er bei einem Wurf der Löwin zu-
gegen geweſen 1). Die Jungen pflegte man zum Theil an
befreundete Städte und Tyrannen zu verſchenken, auch an
Condottieren als Preis der Tapferkeit 2). Außerdem hielten
die Florentiner ſchon ſehr früh Leoparden, für welche ein
beſonderer Leopardenmeiſter unterhalten wurde 3). Borſo
von Ferrara 4) ließ ſeinen Löwen mit Stieren, Bären und
Wildſchweinen kämpfen.
Zu Ende des XV. Jahrhunderts aber gab es ſchonals Wappen-
zeichen, Jagd-
thiere und Cu-
rioſitäten.
an mehrern Fürſtenhöfen wahre Menagerien (Serragli),
als Sache des ſtandesgemäßen Luxus. „Zu der Pracht
2)
Cultur der Renaiſſance. 19
[290]4. Abſchnitt.„eines Herrn, ſagt Matarazzo 1), gehören Pferde, Hunde,
„Maulthiere, Sperber u. a. Vögel, Hofnarren, Sänger und
„fremde Thiere.“ Die Menagerie von Neapel enthielt unter
Ferrante u. a. eine Girafe und ein Zebra, Geſchenke des
damaligen Fürſten von Bagdad wie es ſcheint 2). Filippo
Maria Visconti beſaß nicht nur Pferde, die mit 500, ja
1000 Goldſtücken bezahlt wurden und koſtbare engliſche
Hunde, ſondern auch viele Leoparden, welche aus dem ganzen
Orient zuſammengebracht waren; die Pflege ſeiner Jagd-
vögel, die er aus dem Norden zuſammenſuchen ließ, koſtete
monatlich 3000 Goldſtücke 3). König Emanuel der Große
von Portugal wußte wohl was er that, als er an Leo X.
einen Elephanten und ein Rhinoceros ſchickte 4). Inzwiſchen
war bereits der Grund zu einer wiſſenſchaftlichen Zoologie
ſo gut wie zur Botanik gelegt worden.
Geſtüte.Eine practiſche Seite der Thierkunde entwickelte ſich
dann in den Geſtüten, von welchen das mantuaniſche unter
Francesco Gonzaga als das erſte in Europa galt 5). Die
vergleichende Schätzung der Pferderacen iſt wohl ſo alt als
das Reiten überhaupt und die künſtliche Erzeugung von
Miſchracen muß namentlich ſeit den Kreuzzügen üblich ge-
[291] weſen ſein; für Italien aber waren die Ehrengewinnſte bei4. Abſchnitt.
den Pferderennen aller irgend bedeutenden Städte der ſtärkſte
Beweggrund, möglichſt raſche Pferde hervorzubringen. Im
mantuaniſchen Geſtüt wuchſen die unfehlbaren Gewinner
dieſer Art, außerdem aber auch die edelſten Streitroſſe und
überhaupt Pferde, welche unter allen Geſchenken an große
Herrn als das fürſtlichſte erſchienen. Der Gonzaga hatte
Hengſte und Stuten aus Spanien und Irland wie aus
Africa, Thracien und Cilicien; um letzterer willen unter-
hielt er Verkehr und Freundſchaft mit den Großſultanen.
Alle Varietäten wurden hier verſucht um das Trefflichſte
hervorzubringen.
Aber auch an einer Menſchenmenagerie fehlte es nicht;Menſchenracen.
der bekannte Cardinal Ippolito Medici 1), Baſtard des
Giuliano, Herzogs von Nemours, hielt an ſeinem wunder-
lichen Hofe eine Schaar von Barbaren, welche mehr als
zwanzig verſchiedene Sprachen redeten und Jeder in ſeiner
Art und Race ausgezeichnet waren. Da fand man un-
gleichliche Voltigeurs von edlem nordafricaniſchem Mauren-
geblüt, tatariſche Bogenſchützen, ſchwarze Ringer, indiſche
Taucher, Türken, welche hauptſächlich auf der Jagd die
Begleiter des Cardinals waren. Als ihn ſein frühes Schick-
ſal (1535) ereilte, trug dieſe bunte Schaar die Leiche auf
den Schultern von Itri nach Rom und miſchte in die all-
gemeine Trauer der Stadt um den freigebigen Herrn ihre
vielſprachige, von heftigen Geberden begleitete Todtenklage 2).
19*
[292]
4. Abſchnitt.Dieſe zerſtreuten Notizen über das Verhältniß der
Italiener zur Naturwiſſenſchaft und ihre Theilnahme für
das Verſchiedene und Reiche in den Producten der Natur
ſollen nur zeigen, welcher Lücke der Verfaſſer ſich an dieſer
Stelle bewußt iſt. Von den Specialwerken, welche dieſelbe
überreichlich ausfüllen würden, ſind ihm kaum die Namen
genügend bekannt.
Entdeckung der
landſchaftlichen
Schönheit.Allein außer dem Forſchen und Wiſſen gab es noch
eine andere Art, der Natur nahe zu treten, und zwar zu-
nächſt in einem beſondern Sinne. Die Italiener ſind die
frühſten unter den Modernen, welche die Geſtalt der Land-
2)
[293] ſchaft als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenom-4. Abſchnitt.
men und genoſſen haben 1).
Dieſe Fähigkeit iſt immer das Reſultat langer, com-
plicirter Culturproceſſe, und ihr Entſtehen läßt ſich ſchwer
verfolgen, indem ein verhülltes Gefühl dieſer Art lange
vorhanden ſein kann, ehe es ſich in Dichtung und Malerei
verrathen, und damit ſeiner ſelbſt bewußt werden wird.
Bei den Alten z. B. waren Kunſt und Poeſie mit dem
ganzen Menſchenleben gewiſſermaßen fertig, ehe ſie an die
landſchaftliche Darſtellung gingen und dieſe blieb immer
nur eine beſchränkte Gattung, während doch von Homer
an der ſtarke Eindruck der Natur auf den Menſchen aus
zahlloſen einzelnen Worten und Verſen hervorleuchtet.
Sodann waren die germaniſchen Stämme, welche auf dem
Boden des römiſchen Reiches ihre Herrſchaften gründeten,
von Hauſe aus im höchſten Sinne ausgerüſtet zur Erkennt-
niß des Geiſtes in der landſchaftlichen Natur, und wenn
ſie auch das Chriſtenthum eine Zeitlang nöthigte, in den
bisher verehrten Quellen und Bergen, in See und Wald
das Antlitz falſcher Dämonen zu ahnen, ſo war doch dieſes
Durchgangsſtadium ohne Zweifel bald überwunden. Auf
der Höhe des Mittelalters um das Jahr 1200, exiſtirtDie Landſchaft
im Mittelalter.
wieder ein völlig naiver Genuß der äußern Welt und giebt
ſich lebendig zu erkennen bei den Minnedichtern der ver-
ſchiedenen Nationen 2). Dieſelben verrathen das ſtärkſte
Mitleben in den einfachſten Erſcheinungen, als da ſind der
Frühling und ſeine Blumen, die grüne Heide und der
Wald. Aber es iſt lauter Vordergrund ohne Ferne, ſelbſt
noch in dem beſondern Sinne, daß die weitgereisten Kreuz-
fahrer ſich in ihren Liedern kaum als ſolche verrathen.
[294]4. Abſchnitt.Auch die epiſche Poeſie, welche z. B. Trachten und Waffen
ſo genau bezeichnet, bleibt in der Schilderung der Oert-
lichkeit ſkizzenhaft und der große Wolfram von Eſchenbach
erweckt kaum irgend ein genügendes Bild von der Scene,
auf welcher ſeine handelnden Perſonen ſich bewegen. Aus
den Geſängen würde vollends Niemand errathen, daß dieſer
dichtende Adel aller Länder tauſend hochgelegene, weit-
ſchauende Schlöſſer bewohnte oder beſuchte und kannte.
Auch in jenen lateiniſchen Dichtungen der fahrenden Cle-
riker (S. 174) fehlt noch der Blick in die Ferne, die
eigentliche Landſchaft, aber die Nähe wird bisweilen mit
einer ſo glühenden Farbenpracht geſchildert, wie ſie vielleicht
kein ritterlicher Minnedichter wiedergiebt. Oder exiſtirt noch
eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie
wir annehmen, italieniſchen Dichter des XII. Jahrhunderts?
Für Italiener jedenfalls iſt die Natur längſt entſündigt
und von jeder dämoniſchen Einwirkung befreit. San Fran-
cesco von Aſſiſi preist in ſeinem Sonnenhymnus den Herrn
ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und
der vier Elemente willen.
Dante.Aber die feſten Beweiſe für eine tiefere Wirkung großer
landſchaftlicher Anblicke auf das Gemüth beginnen mit
Dante. Er ſchildert nicht nur überzeugend in wenigen
Zeilen die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des
ſanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde, u. dgl.,
[295] ſondern er beſteigt hohe Berge in der einzig möglichen Ab-4. Abſchnitt.
ſicht, den Fernblick zu genießen 1); vielleicht ſeit dem Alter-
thum einer der erſten, der dieß gethan hat. Boccaccio läßt
mehr errathen, als daß er es ſchilderte, wie ihn die Land-
ſchaft ergreift, doch wird man in ſeinen Hirtenromanen 2)
die wenigſtens in ſeiner Phantaſie vorhandene mächtige
Naturſcenerie nicht verkennen. Vollſtändig und mit größter
Entſchiedenheit bezeugt dann Petrarca, einer der frühſten
völlig modernen Menſchen, die Bedeutung der Landſchaft
für die erregbare Seele. Der lichte Geiſt, welcher zuerſt
aus allen Literaturen die Anfänge und Fortſchritte des
maleriſchen Naturſinnes zuſammengeſucht und in den „An-
ſichten der Natur“ ſelber das höchſte Meiſterwerk der Schil-
derung vollbracht hat, Alexander von Humboldt, iſt gegen
Petrarca nicht völlig gerecht geweſen, ſo daß uns nach dem
großen Schnitter noch eine kleine Aehrenleſe übrig bleibt.
Petrarca war nämlich nicht bloß ein bedeutender Geo-Petrarca.
graph und Chartograph — die frühſte Karte von Italien 3)
ſoll er haben entwerfen laſſen — er wiederholte auch nicht
bloß was die Alten geſagt hatten 4), ſondern der Anblick
der Natur traf ihn unmittelbar. Der Naturgenuß iſt für
ihn der erwünſchteſte Begleiter jeder geiſtigen Beſchäftigung;
[296]4. Abſchnitt.auf der Verflechtung beider beruht ſein gelehrtes Anacho-
retenleben in Vaucluſe und anderswo, ſeine periodiſche Flucht
aus Zeit und Welt 1). Man würde ihm Unrecht thun,
wenn man aus ſeinem noch ſchwachen und wenig entwickelten
Vermögen des landſchaftlichen Schilderns auf einen Mangel
an Empfindung ſchließen wollte. Seine Beſchreibung des
wunderbaren Golfes von Spezzia und Porto Venere z. B.,
die er deßhalb am Ende des VI. Geſanges der „Africa“
einlegt, weil ſie bis jetzt weder von Alten noch von Neuern
beſungen worden 2), iſt allerdings eine bloße Aufzählung.
Aber derſelbe Petrarca kennt doch bereits die Schönheit
von Felsbildungen und weiß überhaupt die maleriſche Be-
deutung einer Landſchaft von der Nutzbarkeit zu trennen 3).
Bei ſeinem Aufenthalt in den Wäldern von Reggio wirkt
der plötzliche Anblick einer großartigen Landſchaft ſo auf
ihn, daß er ein längſtunterbrochenes Gedicht wieder fort-
ſetzt 4). Die wahrſte und tiefſte Aufregung aber kömmt
Berg-
beſteigung.über ihn bei der Beſteigung des Mont Ventoux unweit
Avignon 5). Ein unbeſtimmter Drang nach einer weiten
Rundſicht ſteigert ſich in ihm aufs Höchſte, bis endlich das
zufällige Treffen jener Stelle im Livius, wo König Philipp
der Römerfeind den Hämus beſteigt, den Entſcheid giebt.
[297] Er denkt: was an einem königlichen Greiſe nicht getadelt4. Abſchnitt.
werde, ſei auch bei einem jungen Manne aus dem Privat-
ſtande wohl zu entſchuldigen. Planloſes Bergſteigen war
nämlich in ſeiner Umgebung etwas Unerhörtes und an die
Begleitung von Freunden oder Bekannten war nicht zu
denken. Petrarca nahm nur ſeinen jüngern Bruder und
vom letzten Raſtort aus zwei Landleute mit. Am Gebirge
beſchwor ſie ein alter Hirte umzukehren; er habe vor fünf-
zig Jahren daſſelbe verſucht und nichts als Reue, zerſchlagene
Glieder und zerfetzte Kleider heimgebracht; vorher und ſeit-
dem habe ſich Niemand mehr des Weges unterſtanden.
Allein ſie dringen mit unſäglicher Mühe weiter empor, bis
die Wolken unter ihren Füßen ſchweben, und erreichen den
Gipfel. Eine Beſchreibung der Ausſicht erwartet man nun
allerdings vergebens, aber nicht weil der Dichter dagegen
unempfindlich wäre, ſondern im Gegentheil, weil der Ein-
druck allzugewaltig auf ihn wirkt. Vor ſeine Seele tritt
ſein ganzes vergangenes Leben mit allen Thorheiten; er
erinnert ſich, daß es heut zehn Jahre ſind, ſeit er jung
aus Bologna gezogen, und wendet einen ſehnſüchtigen Blick
in der Richtung gen Italien hin; er ſchlägt ein Büchlein
auf, das damals ſein Begleiter war, die Bekenntniſſe des
heil. Auguſtin — allein ſiehe, ſein Auge fällt auf die
Stelle im zehnten Abſchnitt: „und da gehen die Menſchen
„hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluthen
„und mächtig daherrauſchende Ströme und den Ocean und
„den Lauf der Geſtirne und verlaſſen ſich ſelbſt darob“.
Sein Bruder, dem er dieſe Worte vorliest, kann nicht be-
greifen, warum er hierauf das Buch ſchließt und ſchweigt.
Einige Jahrzehnde ſpäter, um 1360, ſchildert FazioDer
Dittamondo.
degli Uberti in ſeiner gereimten Cosmographie 1) (S. 177)
die weite Ausſicht vom Gebirge Alvernia zwar nur mit der
Theilnahme des Geographen und Antiquars, doch deutlich
[298]4. Abſchnitt.als eine wirklich von ihm geſehene. Er muß aber noch
viel höhere Gipfel erſtiegen haben, da er Phänomene kennt,
die ſich erſt mit mehr als 10,000 Fuß über Meer einſtellen,
das Blutwallen, Augendrücken und Herzklopfen, wogegen
ſein mythiſcher Gefährte Solinus durch einen Schwamm
mit einer Eſſenz Hülfe ſchafft. Die Beſteigungen des Par-
naſſes und des Olymp 1), von welchen er ſpricht, mögen
freilich bloße Fictionen ſein.
Mit dem XV. Jahrhundert rauben dann auf einmal
die großen Meiſter der flandriſchen Schule, Hubert und
Johann van Eyck, der Natur ihr Bild. Und zwar iſt ihre
Landſchaft nicht bloß Conſequenz ihres allgemeinen Strebens,
einen Schein der Wirklichkeit hervorzubringen, ſondern ſie
hat bereits einen ſelbſtändigen poetiſchen Gehalt, eine Seele,
wenn auch nur in befangener Weiſe. Der Eindruck der-
ſelben auf die ganze abendländiſche Kunſt iſt unläugbar,
und ſo blieb auch die italieniſche Landſchaftmalerei davon
nicht unberührt. Allein daneben geht das eigenthümliche
Intereſſe des gebildeten italieniſchen Auges für die Land-
ſchaft ſeinen eigenen Weg.
Aen. Sylvius
und die Land-
ſchaft.Wie in der wiſſenſchaftlichen Cosmographik ſo iſt auch
hier Aeneas Sylvius eine der wichtigſten Stimmen der
Zeit. Man könnte den Menſchen Aeneas völlig Preis ge-
ben und müßte gleichwohl dabei geſtehen, daß in wenigen
Andern das Bild der Zeit und ihrer Geiſtescultur ſich ſo
vollſtändig und lebendig ſpiegelte, daß wenige Andere dem
Normalmenſchen der Frührenaiſſance ſo nahe kommen.
Uebrigens wird man ihn auch in moraliſcher Beziehung,
beiläufig geſagt, nicht ganz billig beurtheilen, wenn man
[299] einſeitig die Beſchwerden der mit Hülfe ſeiner Wandelbar-4. Abſchnitt.
keit um ihr Concil betrogenen deutſchen Kirche zum Aus-
gangspunct nimmt 1).
Hier intereſſirt er uns als der erſte, welcher die Herr-
lichkeit der italieniſchen Landſchaft nicht bloß genoſſen ſon-
dern mit Begeiſterung bis ins Einzelne geſchildert hat.
Den Kirchenſtaat und das ſüdliche Toscana (ſeine Heimath)
kannte er beſonders genau, und als er Papſt wurde, wandte
er ſeine Muße in der guten Jahreszeit weſentlich auf Aus-
flüge und Landaufenthalte. Jetzt wenigſtens hatte der längſt
podagriſche Mann die Mittel, ſich auf dem Tragſeſſel über
Berg und Thal bringen zu laſſen, und wenn man die Ge-
nüſſe der folgenden Päpſte damit vergleicht, ſo erſcheint
Pius, deſſen höchſte Freude Natur, Alterthum und mäßige,
aber edelzierliche Bauten waren, wie ein halber Heiliger.
In dem ſchönen lebendigen Latein ſeiner Commentarien
legt er ganz unbefangen das Zeugniß ſeines Glückes nieder 2).
Sein Auge erſcheint ſo vielſeitig gebildet als dasjenigeSeine Fernſich-
ten,
irgend eines modernen Menſchen. Er genießt mit Ent-
zücken die große panoramatiſche Pracht der Ausſicht vom
höchſten Gipfel des Albanergebirges, dem Monte Cavo,
von wo er das Geſtade der Kirche von Terracina und dem
[300]4. Abſchnitt.Vorgebirg der Circe bis nach Monte Argentaro überſchaut,
und das weite Land mit all den Ruinenſtädten der Urzeit,
mit den Bergzügen Mittelitaliens, mit dem Blick auf die
in der Tiefe ringsum grünenden Wälder und die nahe
ſcheinenden Seen des Gebirges. Er empfindet die Schön-
heit der Lage von Todi, wie es thront über ſeinen Wein-
bergen und Oelhalden, mit dem Blick auf ferne Wälder
und auf das Tiberthal, wo die vielen Caſtelle und Städt-
chen über dem ſchlängelnden Fluß ragen. Das reizende
Hügelland um Siena mit ſeinen Villen und Klöſtern auf
allen Höhen iſt freilich ſeine Heimath, und ſeine Schilde-
rung zeigt eine beſondere Vorliebe. Aber auch das einzelne
und Anſichten.maleriſche Motiv im engern Sinne beglückt ihn, wie z. B.
jene in den Bolſener See vortretende Landzunge Capo di
Monte: „Felstreppen, von Weinlaub beſchattet, führen ſteil
„nieder ans Geſtade, wo zwiſchen den Klippen die immer-
„grünen Eichen ſtehen, ſtets belebt vom Geſang der Droſſeln“.
Auf dem Wege rings um den See von Nemi, unter den
Caſtanien und andern Fruchtbäumen fühlt er, daß hier
wenn irgendwo das Gemüth eines Dichters erwachen müßte,
hier in „Dianens Verſteck“. Oft und viel hat er Con-
ſiſtorium und Segnatura gehalten oder Geſandte angehört
unter alten Rieſencaſtanien, oder unter Oelbäumen, auf
grüner Wieſe, neben ſprudelnden Gewäſſern. Einem An-
blick wie der einer ſich verengenden Waldſchlucht mit einer
kühn darüber gewölbten Brücke gewinnt er ſofort ſeine
hohe Bedeutung ab. Auch das Einzelſte erfreut ihn dann
wieder durch ſeine ſchöne oder vollſtändig ausgebildete und
characteriſtiſche Erſcheinung: die blauwogenden Flachsfelder,
der gelbe Ginſter, welcher die Hügel überzieht, ſelbſt das
wilde Geſtrüpp jeder Art, und ebenſo einzelne prächtige
Bäume und Quellen, die ihm wie Naturwunder erſcheinen.
Monte Amiata.Den Gipfel ſeines landſchaftlichen Schwelgens bildet
ſein Aufenthalt auf dem Monte Amiata im Sommer 1462,
als Peſt und Gluthhitze die Tieflande ſchrecklich machten.
[301] In der halben Höhe des Berges, in dem alten langobar-4. Abſchnitt.
diſchen Kloſter San Salvatore ſchlug er mit der Curie ſein
Quartier auf: dort, zwiſchen Caſtanien über dem ſchroffen
Abhang, überſchaut man das ganze ſüdliche Toscana und
ſieht in der Ferne die Thürme von Siena. Die Erſteigung
der höchſten Spitze überließ er ſeinen Begleitern, zu welchen
ſich auch der venezianiſche Orator geſellte; ſie fanden oben
zwei gewaltige Steinblöcke übereinander, vielleicht die Opfer-
ſtätte eines Urvolkes, und glaubten über dem Meere in
weiter Ferne auch Corſica und Sardinien 1) zu entdecken.
In der herrlichen Sommerkühle, zwiſchen den alten Eichen
und Caſtanien, auf dem friſchen Raſen wo kein Dorn den
Fuß ritzte, kein Inſect und keine Schlange ſich läſtig oder
gefährlich machte, genoß der Papſt der glücklichſten Stim-
mung; für die Segnatura, welche an beſtimmten Wochen-
tagen ſtattfand, ſuchte er jedesmal neue ſchattige Plätze 2)
auf — „novos in convallibus fontes et novas inve-
„niens umbras, quæ dubiam facerent electionem“.
Dabei geſchah es wohl, daß die Hunde einen gewaltigen
Hirſch aus ſeinem nahen Lager aufjagten, den man mit
Klauen und Geweih ſich vertheidigen und bergaufwärts
fliehen ſah. Des Abends pflegte der Papſt vor dem Kloſter
zu ſitzen an der Stelle, von wo man in das Thal der
Paglia niederſchaut, und mit den Cardinälen heitere Ge-
ſpräche zu führen. Curialen, die ſich auf der Jagd ab-
wärts wagten, fanden unten die Hitze unleidlich und alles
verbrannt, eine wahre Hölle, während das Kloſter in ſeiner
grünen, kühlen Umgebung eine Wohnung der Seligen
ſchien.
Dieß iſt lauter weſentlich moderner Genuß, nicht Ein-
wirkung des Alterthums. So gewiß die Alten ähnlich
[302]4. Abſchnittempfanden, ſo gewiß hätten doch die ſpärlichen Ausſagen
hierüber, welche Pius kennen mochte, nicht hingereicht um
in ihm eine ſolche Begeiſterung zu entzünden 1).
Spätere Zeug-
niſſe.Die nun folgende zweite Blüthezeit der italieniſchen
Poeſie zu Ende des XV. und zu Anfang des XVI. Jahr-
hunderts nebſt der gleichzeitigen lateiniſchen Dichtung iſt
reich an Beweiſen für die ſtarke Wirkung der landſchaft-
lichen Umgebung auf das Gemüth, wie der erſte Blick auf
die damaligen Lyriker lehren mag. Eigentliche Beſchrei-
bungen großer landſchaftlicher Anblicke aber finden ſich deß-
halb kaum, weil Lyrik, Epos und Novelle in dieſer ener-
giſchen Zeit anderes zu thun haben. Bojardo und Arioſto
zeichnen ihre Naturſcenerie ſehr entſchieden, aber ſo kurz als
möglich, ohne ſie je durch Fernen und große Perſpectiven
zur Stimmung beitragen zu laſſen 2), denn dieſe liegt
ausſchließlich in den Geſtalten und Ereigniſſen. Beſchau-
liche Dialogenſchreiber 3) und Epiſtolographen können viel
eher eine Quelle für das wachſende Naturgefühl ſein als
Dichter. Merkwürdig bewußt hält z. B. Bandello die Ge-
ſetze ſeiner Literaturgattung feſt: in den Novellen ſelbſt
kein Wort mehr als das Nothwendigſte über die Natur-
umgebung 4), in den jedesmal vorangehenden Widmungen
dagegen mehrmals eine behagliche Schilderung derſelben
als Scene von Geſpräch und Geſelligkeit. Von den Brief-
[303] ſchreibern iſt leider Aretino 1) zu nennen als derjenige,4. Abſchnitt.
welcher vielleicht zuerſt einen prachtvollen abendlichen Licht-
und Wolkeneffect umſtändlich in Worte gefaßt hat.
Doch auch bei Dichtern kommt bisweilen eine merk-Genreland-
ſchaft.
würdige Verflechtung ihres Gefühlslebens mit einer liebe-
voll und zwar genrehaft geſchilderten Naturumgebung vor.
Tito Strozza beſchreibt in einer lateiniſchen Elegie 2) (um
1480) den Aufenthalt ſeiner Geliebten: ein altes, von Epheu
umzogenes Häuschen mit verwitterten Heiligenfresken, in
Bäumen verſteckt, daneben eine Capelle, übel zugerichtet von
den reißenden Hochwaſſern des hart vorbei ſtrömenden Po;
in der Nähe ackert der Caplan ſeine ſieben magern Juch-
arten mit entlehntem Geſpann. Dieß iſt keine Reminiscenz
aus den römiſchen Elegikern, ſondern eigene moderne
Empfindung, und die Parallele dazu, eine wahre, nicht
künſtlich bucoliſche Schilderung des Landlebens, wird uns
zu Ende dieſes Abſchnitts auch nicht fehlen.
Man könnte nun einwenden, daß unſere deutſchen
Meiſter des beginnenden XVI. Jahrhunderts ſolche rea-
liſtiſche Umgebungen des Menſchenlebens bisweilen mit
vollſter Meiſterſchaft darſtellen, wie z. B. Albrecht Dürer
in ſeinem Kupferſtich des verlorenen Sohnes. Aber es
ſind zwei ganz verſchiedene Dinge, ob ein Maler, der mit
dem Realismus großgewachſen, ſolche Scenerien beifügt,
oder ob ein Dichter, der ſich ſonſt ideal und mythologiſch
drapirt, aus innerm Drange in die Wirklichkeit niederſteigt.
Ueberdieß iſt die zeitliche Priorität hier wie bei den Schil-
derungen des Landlebens auf der Seite der italieniſchen
Dichter.
Zu der Entdeckung der Welt fügt die Cultur derEntdeckung des
Menſchen.
Renaiſſance eine noch größere Leiſtung, indem ſie zuerſt den
[304]4. Abſchnitt.ganzen, vollen Gehalt des Menſchen entdeckt und zu Tage
fördert.
Zunächſt entwickelt dieß Weltalter, wie wir ſahen, auf
das Stärkſte den Individualismus; dann leitet es den-
ſelben zur eifrigſten, vielſeitigſten Erkenntniß des Indivi-
duellen auf allen Stufen an. Die Entwicklung der Per-
ſönlichkeit iſt weſentlich an das Erkennen derſelben bei ſich
und Andern gebunden. Zwiſchen beide große Erſcheinungen
hinein haben wir die Einwirkung der antiken Literatur
deßhalb verſetzen müſſen, weil die Art des Erkennens und
Schilderns des Individuellen wie des allgemein Menſchlichen
weſentlich durch dieſes Medium gefärbt und beſtimmt wird.
Die Kraft des Erkennens aber lag in der Zeit und in der
Nation.
Die beweiſenden Phänomene, auf welche wir uns be-
rufen, werden wenige ſein. Wenn irgendwo im Verlauf
dieſer Darſtellung, ſo hat der Verfaſſer hier das Gefühl,
daß er das bedenkliche Gebiet der Ahnung betreten hat und
daß, was ihm als zarter, doch deutlicher Farbenübergang
in der geiſtigen Geſchichte des XIV. und XV. Jahrhunderts
vor Augen ſchwebt, von Andern doch ſchwerlich mag als
Thatſache anerkannt werden. Dieſes allmälige Durchſichtig-
werden einer Volksſeele iſt eine Erſcheinung, welche jedem
Beſchauer anders vorkommen mag. Die Zeit wird ſichten
und richten.
Temperamente
und Planeten.Glücklicherweiſe begann die Erkenntniß des geiſtigen
Weſens des Menſchen nicht mit dem Grübeln nach einer
theoretiſchen Pſychologie, — denn dafür genügte Ariſtoteles —
ſondern mit der Gabe der Beobachtung und der Schilderung.
Der unerläßliche theoretiſche Ballaſt beſchränkt ſich auf die
Lehre von den vier Temperamenten in ihrer damals üblichen
Verbindung mit dem Dogma vom Einfluß der Planeten.
Dieſe ſtarren Elemente behaupten ſich als unauflöslich
ſeit unvordenklichen Zeiten in der Beurtheilung der Einzel-
menſchen, ohne weiter dem großen allgemeinen Fortſchritt
[305] Schaden zu thun. Freilich nimmt es ſich ſonderbar aus,4. Abſchnitt.
wenn damit manövrirt wird in einer Zeit, da bereits nicht
nur die exacte Schilderung, ſondern auch eine unvergäng-
liche Kunſt und Poeſie den vollſtändigen Menſchen in ſeinem
tiefſten Weſen wie in ſeinen characteriſtiſchen Aeußerlichkei-
ten darzuſtellen vermochten. Faſt komiſch lautet es, wenn
ein ſonſt tüchtiger Beobachter Clemens VII. zwar für me-
lancholiſchen Temperamentes hält, ſein Urtheil aber dem-
jenigen der Aerzte unterordnet, welche in dem Papſte eher
ein ſanguiniſch-choleriſches Temperament erkennen 1). Oder
wenn wir erfahren, daß derſelbe Gaſton de Foix, der Sieger
von Ravenna, welchen Giorgione malte und Bambaja
meißelte, und welchen alle Hiſtoriker ſchildern, ein ſatur-
niſches Gemüth gehabt habe 2). Freilich wollen die, welche
Solches melden, damit etwas ſehr Beſtimmtes bezeichnen;
wunderlich und überlebt erſcheinen nur die Kategorien, durch
welche ſie ihre Meinung ausdrücken.
Im Reiche der freien geiſtigen Schilderung empfangenDie Dichter.
uns zunächſt die großen Dichter des XIV. Jahrhunderts.
Wenn man aus der ganzen abendländiſchen Hof- und
Ritterdichtung der beiden vorhergehenden Jahrhunderte die
Perlen zuſammenſucht, ſo wird eine Summe von herrlichen
Ahnungen und Einzelbildern von Seelenbewegungen zum
Vorſchein kommen, welche den Italienern auf den erſten
Blick den Preis ſtreitig zu machen ſcheint. Selbſt abgeſehen
von der ganzen Lyrik giebt ſchon der einzige Gottfried von
Straßburg mit „Triſtan und Iſolde“ ein Bild der Leiden-
ſchaft, welches unvergängliche Züge hat. Allein dieſe Per-
Cultur der Renaiſſance. 20
[306]4. Abſchnitt.len liegen zerſtreut in einem Meere des Conventionellen
und Künſtlichen, und ihr Inhalt bleibt noch immer weit
entfernt von einer vollſtändigen Objectivmachung des innern
Menſchen und ſeines geiſtigen Reichthums.
Verh. der lyri-
ſchen Formen
z. Schilderung.Auch Italien hatte damals, im XIII. Jahrhundert,
ſeinen Antheil an der Hof- und Ritterdichtung durch ſeine
Trovatoren. Von ihnen ſtammt weſentlich die Canzone
her, die ſie ſo künſtlich und ſchwierig bauen als irgend ein
nordiſcher Minneſänger ſein Lied; Inhalt und Gedanken-
gang ſogar iſt der conventionell höfiſche, mag der Dichter
auch bürgerlichen oder gelehrten Standes ſein.
Aber ſchon offenbaren ſich zwei Auswege, die auf eine
neue, der italieniſchen Poeſie eigene Zukunft hindeuten und
die man nicht für unwichtig halten darf wenn es ſich ſchon
nur um Formelles handelt.
Von demſelben Brunetto Latini (dem Lehrer des Dante),
welcher in der Canzonendichtung die gewöhnliche Manier
der Trovatoren vertritt, ſtammen die frühſten bekannten
Versi sciolti, reimloſe Hendecaſyllaben 1) her, und in dieſer
ſcheinbaren Formloſigkeit äußert ſich auf einmal eine wahre,
erlebte Leidenſchaft. Es iſt eine ähnliche bewußte Beſchrän-
kung der äußern Mittel im Vertrauen auf die Kraft des
Inhaltes, wie ſie ſich einige Jahrzehnde ſpäter in der
Frescomalerei und noch ſpäter ſogar in der Tafelmalerei
zeigt, indem auf die Farben verzichtet und bloß in einem
hellern oder dunklern Ton gemalt wird. Für jene Zeit,
welche ſonſt auf das Künſtliche in der Poeſie ſo große
Stücke hielt, ſind dieſe Verſe des Brunetto der Anfang
einer neuen Richtung 2).
[307]
Daneben aber, ja noch in der erſten Hälfte des XIII.4. Abſchnitt.
Jahrhunderts, bildet ſich eine von den vielen ſtrenggemeſſenenDas Sonett,
Strophenformen, die das Abendland damals hervorbrachte,
für Italien zu einer herrſchenden Durchſchnittsform aus:
das Sonett. Die Reimſtellung und ſogar der Zahl der
Verſe ſchwankt 1) noch hundert Jahre lang, bis Petrarca
die bleibende Normalgeſtalt durchſetzte. In dieſe Form wird
Anfangs jeder höhere lyriſche und contemplative, ſpäter
jeder mögliche Inhalt gegoſſen, ſo daß Madrigale, Seſtinen
und ſelbſt die Canzonen daneben nur eine untergeordnete
Stelle einnehmen. Spätere Italiener haben ſelber bald
ſcherzend bald mißmuthig geklagt über dieſe unvermeidliche
Schablone, dieſes vierzehnzeilige Procruſtesbett der Gefühle
und Gedanken. Andere waren und ſind gerade mit dieſer
Form ſehr zufrieden und brauchen ſie viel tauſendmal um
darin Reminiscenzen und müßigen Singſang ohne allen
tiefern Ernſt und ohne Nothwendigkeit niederzulegen. Deß-
halb giebt es ſehr viel mehr unbedeutende und ſchlechte
Sonette als gute.
Nichtsdeſtoweniger erſcheint uns das Sonett als einund ſein Werth.
ungeheurer Segen für die italieniſche Poeſie. Die Klarheit
und Schönheit ſeines Baues, die Aufforderung zur Stei-
gerung des Inhaltes in der lebhafter gegliederten zweiten
Hälfte, dann die Leichtigkeit des Auswendiglernens, mußten
es auch den größten Meiſtern immer von Neuem lieb und
werth machen. Oder meint man im Ernſt, dieſelben hätten
es bis auf unſer Jahrhundert beibehalten, wenn ſie nicht
von ſeinem hohen Werthe wären durchdrungen geweſen?
Nun hätten allerdings dieſe Meiſter erſten Ranges auch in
andern Formen der verſchiedenſten Art dieſelbe Macht äußern
können. Allein weil ſie das Sonett zur lyriſchen Haupt-
form erhoben, wurden auch ſehr viele Andere von hoher,
20*
[308]4. Abſchnitt.wenn auch nur bedingter Begabung, die ſonſt in einer
weitläufigen Lyrik untergegangen wären, genöthigt ihre
Empfindungen zu concentriren. Das Sonett wurde ein
allgemeingültiger Condenſator der Gedanken und Empfin-
dungen wie ihn die Poeſie keines andern modernen Volkes
beſitzt.
So tritt uns nun die italieniſche Gefühlswelt in einer
Menge von höchſt entſchiedenen, gedrängten und in ihrer
Kürze höchſt wirkſamen Bildern entgegen. Hätten andere
Völker eine conventionelle Form von dieſer Gattung be-
ſeſſen, ſo wüßten wir vielleicht auch mehr von ihrem See-
lenleben; wir beſäßen möglicherweiſe auch eine Reihe ab-
geſchloſſener Darſtellungen äußerer und innerer Situationen
oder Spiegelbilder des Gemüthes und wären nicht auf eine
vorgebliche Lyrik des vierzehnten und fünfzehnten Jahr-
hunderts verwieſen, die faſt nirgends ernſtlich genießbar
iſt. Bei den Italienern erkennt man einen ſichern Fort-
ſchritt faſt von der Geburt des Sonettes an; in der zwei-
ten Hälfte des XIII. Jahrhunderts bilden die neuerlich 1)
ſo benannten „Trovatori della transizione“ in der That
einen Uebergang von den Trovatoren zu den Poeten, d. h.
zu den Dichtern unter antikem Einfluß; die einfache, ſtarke
Empfindung, die kräftige Bezeichnung der Situation, der
präciſe Ausdruck und Abſchluß in ihren Sonetten u. a. Ge-
dichten kündet zum Voraus einen Dante an. Einige Par-
teiſonette der Guelfen und Ghibellinen (1260—1270) tönen
ſchon in der Art wie ſeine Leidenſchaft, Anderes erinnert
an das Süßeſte in ſeiner Lyrik.
Dante
als Seelen-
ſchilderer.Wie er ſelbſt das Sonett theoretiſch anſah, wiſſen wir
nur deßhalb nicht, weil die letzten Bücher ſeiner Schrift
„von der Vulgärſprache“, worin er von Balladen und So-
netten handeln wollte, entweder ungeſchrieben geblieben oder
verloren gegangen ſind. Practiſch aber hat er in Sonett
[309] und Canzone die herrlichſten Seelenſchilderungen nieder-4. Abſchnitt.
gelegt. Und in welchen Rahmen ſind ſie eingefaßt! Die
Proſa ſeiner „Vita nuova“, worin er Rechenſchaft giebt
von dem Anlaß jedes Gedichtes, iſt ſo wunderbar als
die Verſe ſelbſt und bildet mit denſelben ein gleichmäßig
von der tiefſten Gluth beſeeltes Ganzes. Rückſichtslos
gegen die Seele ſelbſt conſtatirt er alle Schattirungen ihrer
Wonne und ihres Leides und prägt dann dieß Alles mit
feſter Willenskraft in der ſtrengſten Kunſtform aus. Wenn
man dieſe Sonette und Canzonen und dazwiſchen dieſe
wunderſamen Bruchſtücke des Tagebuches ſeiner Jugend
aufmerkſam liest, ſo ſcheint es als ob das ganze Mittel-
alter hindurch alle Dichter ſich ſelber gemieden, Er zuerſt
ſich ſelber aufgeſucht hätte. Künſtliche Strophen haben
Unzählige vor ihm gebaut; aber Er zuerſt iſt in vollem
Sinne ein Künſtler, weil er mit Bewußtſein unvergäng-
lichen Inhalt in eine unvergängliche Form bildet. Hier
iſt ſubjective Lyrik von völlig objectiver Wahrheit und
Größe; das Meiſte ſo durchgearbeitet, daß alle Völker und
Jahrhunderte es ſich aneignen und nachempfinden können 1).
Wo er aber völlig objectiv dichtet und die Macht ſeines
Gefühles nur durch einen außer ihm liegenden Thatbeſtand
errathen läßt, wie in den grandioſen Sonetten Tanto gen-
tile ꝛc. und Vede perfettamente ꝛc., glaubt er noch ſich ent-
ſchuldigen zu müſſen 2). Im Grunde gehört auch das aller-
ſchönſte dieſer Gedichte hieher: das Sonett Deh peregrini
che pensosi andate etc.
Auch ohne die Divina Commedia wäre Dante durch
dieſe bloße Jugendgeſchichte ein Markſtein zwiſchen Mittel-
[310]4. Abſchnitt.alter und neuer Zeit. Geiſt und Seele thun hier plötzlich
einen gewaltigen Schritt zur Erkenntniß ihres geheimſten
Lebens.
Die Commedia.Was hierauf die Commedia an ſolchen Offenbarungen
enthält, iſt vollends unermeßlich, und wir müßten das
ganze große Gedicht, einen Geſang nach dem andern, durch-
gehen um ſeinen vollen Werth in dieſer Beziehung darzu-
legen. Glücklicherweiſe bedarf es deſſen nicht, da die
Commedia längſt eine tägliche Speiſe aller abendländiſchen
Völker geworden iſt. Ihre Anlage und Grundidee gehört
dem Mittelalter und ſpricht unſer Bewußtſein nur hiſtoriſch
an; ein Anfang aller modernen Poeſie aber iſt das Gedicht
weſentlich wegen des Reichthums und der hohen plaſtiſchen
Macht in der Schilderung des Geiſtigen auf jeder Stufe
und in jeder Wandlung 1).
Fortan mag dieſe Poeſie ihre ſchwankenden Schickſale
haben und auf halbe Jahrhunderte einen ſogenannten Rück-
gang zeigen — ihr höheres Lebensprincip iſt auf immer
gerettet, und wo im XIV., XV. und beginnenden XVI.
Jahrhundert ein tiefer, originaler Geiſt in Italien ſich ihr
hingiebt, ſtellt er von ſelbſt eine weſentlich höhere Potenz
dar als irgend ein außeritaliſcher Dichter, wenn man
Gleichheit der Begabung — freilich eine ſchwer zu ermit-
telnde Sache — vorausſetzt.
Priorität der
Bildung vor der
Kunſt.Wie in allen Dingen bei den Italienern die Bildung
(wozu die Poeſie gehört) der bildenden Kunſt vorangeht,
ja dieſelbe erſt weſentlich anregen hilft, ſo auch hier. Es
dauert mehr als ein Jahrhundert, bis das Geiſtig-Bewegte,
das Seelenleben in Sculptur und Malerei einen Ausdruck
erreicht, welcher demjenigen bei Dante nur irgendwie analog
iſt. Wie viel oder wie wenig dieß von der Kunſtentwick-
[311] lung anderer Völker gilt 1), und wie weit die Frage im4. Abſchnitt.
Ganzen von Werthe iſt, kümmert uns hier wenig. Für die
italieniſche Cultur hat ſie ein entſcheidendes Gewicht.
Was Petrarca in dieſer Beziehung gelten ſoll, mögenPetrarca.
die Leſer des vielverbreiteten Dichters entſcheiden. Wer ihm
mit der Abſicht eines Verhörrichters naht und die Wider-
ſprüche zwiſchen dem Menſchen und dem Dichter, die er-
wieſenen Nebenliebſchaften und andere ſchwache Seiten recht
emſig aufſpürt, der kann in der That bei einiger Anſtren-
gung die Luſt an ſeinen Sonetten gänzlich verlieren. Man
hat dann ſtatt eines poetiſchen Genuſſes die Kenntniß des
Mannes in ſeiner „Totalität“. Nur Schade, daß Petrar-
ca's Briefe ſo wenigen avignoneſiſchen Klatſch enthalten,
woran man ihn faſſen könnte, und daß die Correſpondenzen
ſeiner Bekannten und der Freunde dieſer Bekannten ent-
weder verloren gegangen ſind oder gar nie exiſtirt haben.
Anſtatt dem Himmel zu danken wenn man nicht zu erfor-
ſchen braucht, wie und mit welchen Kämpfen ein Dichter
das Unvergängliche aus ſeiner Umgebung und ſeinem armen
Leben heraus ins Sichere brachte, hat man gleichwohl auch
für Petrarca aus den wenigen „Reliquien“ ſolcher Art eine
Lebensgeſchichte zuſammengeſtellt, welche einer Anklageacte
ähnlich ſieht. Uebrigens mag ſich der Dichter tröſten; wenn
das Drucken und Verarbeiten von Briefwechſeln berühmter
Leute in Deutſchland und England noch fünfzig Jahre ſo
fort geht, ſo wird die Armeſünderbank, auf welcher er ſitzt,
allgemach die erlauchteſte Geſellſchaft enthalten.
Ohne das viele Künſtliche und Geſuchte zu verkennen,
wo Petrarca ſich ſelber nachahmt und in ſeiner eigenen
Manier weiterdichtet, bewundern wir in ihm eine Fülle
herrlicher Seelenbilder, Schilderungen ſeliger und unſeliger
[312]4. Abſchnitt.Momente, die ihm wohl eigen ſein müſſen, weil kein Anderer
vor ihm ſie aufweist, und welche ſeinen eigentlichen Werth für
die Nation und die Welt ausmachen. Nicht überall iſt der
Ausdruck gleichmäßig durchſichtig; nicht ſelten geſellt ſich
dem Schönſten etwas für uns Fremdartiges bei, allegori-
ſches Spielwerk und ſpitzfindige Sophiſtik; allein das Vor-
zügliche überwiegt.
Boccaccio.Auch Boccaccio erreicht in ſeinen zu wenig beachteten
Sonetten 1) eine bisweilen höchſt ergreifende Darſtellung
ſeines Gefühles. Der Wiederbeſuch einer durch Liebe ge-
weihten Stätte (Son. 22), die Frühlings-Melancholie
(Son. 33), die Wehmuth des alternden Dichters (Son. 65)
ſind von ihm ganz herrlich beſungen. Sodann hat er im
Ameto die veredelnde und verklärende Kraft der Liebe in
einer Weiſe geſchildert, wie man es von dem Verfaſſer des
Decamerone ſchwerlich erwarten würde 2). Endlich aber iſt
ſeine „Fiammetta“ ein großes, umſtändliches Seelengemälde
voll der tiefſten Beobachtung, wenn auch nichts weniger als
gleichmäßig durchgeführt, ja ſtellenweiſe unläugbar beherrſcht
von der Luſt an der prachtvoll tönenden Phraſe; auch
Mythologie und Alterthum miſchen ſich bisweilen unglücklich
ein. Wenn wir nicht irren, ſo iſt die Fiammetta ein weib-
liches Seitenſtück zur Vita nuova des Dante, oder doch auf
Anregung von dieſer Seite her entſtanden.
Daß die antiken Dichter, zumal die Elegiker und das
vierte Buch der Aeneide, nicht ohne Einfluß 3) auf dieſe
[313] und die folgenden Italiener blieben, verſteht ſich von4. Abſchnitt.
ſelbſt, aber die Quelle des Gefühls ſprudelt mächtig genug
in ihrem Innern. Wer ſie nach dieſer Seite hin mit ihren
außeritaliſchen Zeitgenoſſen vergleicht, wird in ihnen den
frühſten vollſtändigen Ausdruck der modernen europäiſchen
Gefühlswelt überhaupt erkennen. Es handelt ſich hier
durchaus nicht darum zu wiſſen, ob ausgezeichnete Menſchen
anderer Nationen nicht ebenſo tief [und] ſchön empfunden
haben, ſondern wer zuerſt die reichſte Kenntniß der Seelen-
regungen urkundlich erwieſen hat.
Warum haben aber die Italiener der Renaiſſance inMangel der
Tragödie.
der Tragödie nur Untergeordnetes geleiſtet? Dort war die
Stelle, Character, Geiſt und Leidenſchaft tauſendgeſtaltig im
Wachſen, Kämpfen und Unterliegen der Menſchen zur An-
ſchauung zu bringen. Mit andern Worten: warum hat
Italien keinen Shakspeare hervorgebracht? — denn dem
übrigen nordiſchen Theater des XVI., XVII. Jahrhunderts
möchten die Italiener wohl gewachſen ſein, und mit dem
ſpaniſchen konnten ſie nicht concurriren weil ſie keinen reli-
giöſen Fanatismus empfanden, den abſtracten Ehrenpunct
nur pro forma mitmachten, und ihr tyranniſches, illegitimes
Fürſtenthum als ſolches anzubeten und zu verklären zu klug
und zu ſtolz waren 1). Es handelt ſich alſo einzig nur um
die kurze Blüthezeit des engliſchen Theaters.
Hierauf ließe ſich erwiedern, daß das ganze übrige
Europa auch nur Einen Shakspeare hervorgebracht hat und
daß ein ſolcher Genius überhaupt ein ſeltenes Geſchenk des
Himmels iſt. Ferner könnte möglicherweiſe eine hohe Blüthe
des italieniſchen Theaters im Anzuge geweſen ſein, als die
3)
[314]4. Abſchnitt.Gegenreformation hereinbrach und im Zuſammenhang mit
der ſpaniſchen Herrſchaft (über Neapel und Mailand und
indirect faſt über ganz Italien) die beſten Blüthen des
italieniſchen Geiſtes knickte oder verdorren ließ. Man denke
ſich nur Shakspeare ſelber z. B. unter einem ſpaniſchen
Vicekönig oder in der Nähe des heil. Officiums zu Rom,
oder nur in ſeinem eigenen Lande ein paar Jahrzehnde
ſpäter, zur Zeit der engliſchen Revolution. Das Drama,
in ſeiner Vollkommenheit ein ſpätes Kind jeder Cultur,
will ſeine Zeit und ſein beſonderes Glück haben.
Bei dieſem Anlaß müſſen wir jedoch einiger Umſtände
gedenken, welche allerdings geeignet waren, eine höhere
Blüthe des Drama's in Italien zu erſchweren oder zu ver-
zögern bis es zu ſpät war.
Die Myſterien.Als den wichtigſten dieſer Umſtände darf man ohne
Zweifel die große anderweitige Beſchäftigung der Schauluſt
bezeichnen, zunächſt vermöge der Myſterien u. a. religiöſen
Aufzüge. Im ganzen Abendlande ſind Aufführungen der
dramatiſirten heiligen Geſchichte und Legende gerade Quelle
und Anfang des Drama's und des Theaters geweſen;
Italien aber hatte ſich, wie im folgenden Abſchnitt
erörtert werden ſoll, den Myſterien mit einem ſolchen künſt-
leriſch decorativen Prachtſinn hingegeben, daß darunter
nothwendig das dramatiſche Element in Nachtheil gerathen
mußte. Aus all den unzähligen koſtbaren Aufführungen
entwickelte ſich dann nicht einmal eine poetiſche Kunſtgat-
tung wie die „Autos ſagramentales“ bei Calderon u. a.
ſpaniſchen Dichtern, geſchweige denn ein Vortheil oder An-
halt für das profane Drama.
Die Pracht als
Feindin des
Drama's.Als letzteres dennoch emporkam, nahm es ſofort nach
Kräften an der Pracht der Ausſtattung Theil, an welche
man eben von den Myſterien her nur allzuſehr gewöhnt
war. Man erfährt mit Staunen, wie reich und bunt die
Decoration der Scene in Italien war, zu einer Zeit, da
man ſich im Norden noch mit der einfachſten Andeutung der
[315] Oertlichkeit begnügte. Allein ſelbſt dieß wäre vielleicht noch4. Abſchnitt.
von keinem entſcheidenden Gewichte geweſen, wenn nicht die
Aufführung ſelbſt theils durch Pracht der Coſtüme, theils
und hauptſächlich durch bunte Intermezzi den Sinn von
dem poetiſchen Gehalt des Stückes abgelenkt hätte.
Daß man an vielen Orten, namentlich in Rom und Fer-Plautus und
Terenz.
rara, Plautus und Terenz, auch wohl Stücke alter Tragiker
aufführte (S. 236, 250), bald lateiniſch bald italieniſch, daß
jene Academien (S. 277, f.) ſich eine förmliche Aufgabe
hieraus machten, und daß die Dichter der Renaiſſance ſelbſt
in ihren Dramen von dieſen Vorbildern mehr als billig
abhingen, gereichte dem italieniſchen Drama für die betref-
fenden Jahrzehnde allerdings auch zum Nachtheil, doch
halte ich dieſen Umſtand für untergeordnet. Wäre nicht
Gegenreformation und Fremdherrſchaft dazwiſchen gekommen,
ſo hätte ſich jener Nachtheil gar wohl in eine nützliche
Uebergangsſtufe verwandeln können. War doch ſchon bald
nach 1520 wenigſtens der Sieg der Mutterſprache in Tra-
gödie und Comödie zum großen Verdruß der Humaniſten 1)
ſo viel als entſchieden. Von dieſer Seite hätte der ent-
wickeltſten Nation Europa's kein Hinderniß mehr im Wege
geſtanden, wenn es ſich darum handelte, das Drama im
höchſten Sinne des Wortes zu einem geiſtigen Abbild des
Menſchenlebens zu erheben. Inquiſitoren und Spanier
waren es, welche die Italiener verſchüchterten und die dra-
matiſche Schilderung der wahrſten und größten Conflicte,
zumal im Gewande nationaler Erinnerungen, unmöglich
machten. Daneben aber müſſen wir doch auch jene zer-
ſtreuenden Intermezzi als einen wahren Schaden des Dra-
ma's näher ins Auge faſſen.
Als die Hochzeit des Prinzen Alfonſo von Ferrara mit Lu-Aufführungen
in Ferrara.
crezia Borgia gefeiert wurde, zeigte der Herzog Ercole in
[316]4. Abſchnitt.Perſon den erlauchten Gäſten die 110 Coſtüme, welche zur
Aufführung von fünf plautiniſchen Comödien dienen ſollten,
damit man ſehe, daß keines zweimal diene 1). Aber was
wollte dieſer Luxus von Taffet und Kamelot ſagen im Ver-
gleich mit der Ausſtattung der Ballette und Pantomimen,
welche als Zwiſchenacte der plautiniſchen Stücke aufgeführt
wurden. Daß Plautus daneben einer lebhaften jungen
Dame wie Iſabella Gonzaga ſchmerzlich langweilig vorkam
und daß Jedermann ſich während des Drama's nach den
Zwiſchenacten ſehnte, iſt begreiflich ſobald man den bunten
Glanz derſelben in Betracht zieht. Da gab es Kämpfe
römiſcher Krieger, welche ihre antiken Waffen kunſtgerecht
zum Tacte der Muſik bewegten, Fackeltänze von Mohren,
einen Tanz von wilden Männern mit Füllhörnern, aus
welchen flüſſiges Feuer ſprühte; ſie bildeten das Ballet zu
einer Pantomime, welche die Rettung eines Mädchens von
einem Drachen darſtellte. Dann tanzten Narren in Pull-
cinelltracht und ſchlugen einander mit Schweinsblaſen, u.
Das Ballett.dgl. m. Es war eine zugeſtandene Sache am Hofe von
Ferrara, daß jede Comödie „ihr“ Ballet (moresca) habe 2).
Wie man ſich vollends die Aufführung des plautiniſchen
Amphitruo daſelbſt (1491, bei Alfonſo's erſter Vermählung
mit Anna Sforza) zu denken habe, ob vielleicht ſchon mehr
als Pantomime mit Muſik, denn als Drama, bleibt zweifel-
haft3). Das Eingelegte überwog jedenfalls das Stück
ſelber; da ſah man, von einem rauſchenden Orcheſter be-
[317] gleitet, einen Chortanz von Jünglingen in Epheu gehüllt,4. Abſchnitt.
in künſtlich verſchlungenen Figuren; dann erſchien Apoll,
ſchlug die Lyra mit dem Plectrum und ſang dazu ein
Preislied auf das Haus Eſte; zunächſt folgte, gleichſam
als Intermezzo im Intermezzo, eine bäuriſche Genreſcene
oder Poſſe, worauf wieder die Mythologie mit Venus,
Bacchus und ihrem Gefolge die Scene in Beſchlag nahm
und eine Pantomime — Paris auf dem Ida — vorging.
Nun erſt kam die zweite Hälfte der Fabel des Amphitruo,
mit deutlicher Anſpielung auf die künftige Geburt eines
Hercules aus dem Hauſe Eſte. Bei einer frühern Auffüh-
rung deſſelben Stückes im Hof des Palaſtes (1487) brannte
fortwährend „ein Paradies mit Sternen und andern Rä-
dern“, d. h. eine Illumination vielleicht mit Feuerwerk,
welche gewiß die beſte Aufmerkſamkeit abſorbirte. Offen-
bar war es beſſer, wenn dergleichen Zuthaten für ſich als
eigene Darſtellungen auftraten, wie etwa an andern Höfen
geſchah. Von den feſtlichen Aufführungen beim Cardinal
Pietro Riario, bei den Bentivogli zu Bologna ꝛc. wird
deßhalb bei Anlaß der Feſte zu handeln ſein.
Für die italieniſche Originaltragödie war die nun ein-Italieniſche
Tragödie,
mal gebräuchliche Pracht der Ausſtattung wohl ganz be-
ſonders verhängnißvoll. „Man hat früher in Venedig“,
ſchreibt Francesco Sanſovino 1) um 1570, „oft außer den
„Comödien auch Tragödien von antiken und modernen
„Dichtern mit großem Pomp aufgeführt. Um des Ruhmes
„der Ausſtattung (apparati) willen ſtrömten Zuſchauer
„von fern und nahe dazu herbei. Heutzutage jedoch fin-
„den Feſtlichkeiten, die von Privatleuten [veranſtaltet] werden,
„zwiſchen vier Mauern Statt und ſeit einiger Zeit hat
„ſich von ſelbſt der Gebrauch ſo feſtgeſetzt, daß die Car-
„nevalszeit mit Comödien und andern heitern und ſchätzbaren
[318]4. Abſchnitt.„Vergnügungen hingebracht wird“. D. h. der Pomp hat
die Tragödie tödten helfen.
Die einzelnen Anläufe und Verſuche dieſer modernen
Tragiker, worunter die Sofonisba des Triſſino (1515) den
größten Ruhm gewann, gehören in die Literaturgeſchichte.
und Comödie.Und auch von der vornehmern, dem Plautus und Terenz
nachgebildeten Comödie läßt ſich daſſelbe ſagen. Selbſt ein
Arioſt konnte in dieſer Gattung nichts Ausgezeichnetes
leiſten. Dagegen hätte die populäre Comödie in Proſa,
wie ſie Macchiavelli, Bibiena, Aretino behandelten, gar
wohl eine Zukunft haben können, wenn ſie nicht um ihres
Inhaltes willen dem Untergang verfallen geweſen wäre.
Dieſer war nämlich einſtweilen theils äußerſt unſittlich,
theils gegen einzelne Stände gerichtet, welche ſich ſeit etwa
1540 nicht mehr eine ſo öffentliche Feindſchaft bieten ließen.
Wenn in der Sofonisba die Characteriſtik vor einer glanz-
vollen Declamation hatte weichen müſſen, ſo war ſie hier,
nebſt ihrer Stiefſchweſter, der Caricatur, nur zu rückſichts-
los gehandhabt geweſen.
Nun dauert das Dichten von Tragödien und Comö-
dien unaufhörlich fort, und auch an zahlreichen wirklichen
Aufführungen antiker und moderner Stücke fehlt es fort-
während nicht, allein man nimmt davon nur Anlaß und
Gelegenheit, um bei Feſten die ſtandesmäßige Pracht zu
entwickeln, und der Genius der Nation hat ſich davon als
von einer lebendigen Gattung völlig abgewandt. Sobald
Schäferſpiel und Oper auftraten, konnte man jene Ver-
ſuche vollends entbehren.
Masken-
comödie.National war und blieb nun nur Eine Gattung: die
ungeſchriebene Commedia dell' Arte, welche nach einem vor-
liegenden Scenarium improviſirt wurde. Sie kommt der
höhern Characteriſtik deßhalb nicht ſonderlich zu Gute, weil
ſie wenige und feſtſtehende Masken hat, deren Character
Jedermann auswendig weiß. Die Begabung der Nation
aber neigte ſo ſehr nach dieſer Gattung hin, daß man auch
[319] mitten in den Aufführungen geſchriebener Comödien ſich4. Abſchnitt.
der eigenen Improviſation überließ 1), ſo daß eine förmliche
Miſchgattung ſich hie und da geltend machen konnte. In
dieſer Weiſe mögen die Comödien gehalten geweſen ſein,
welche in Venedig Burchiello und dann die Geſellſchaft
des Armonio, Val. Zuccato, Lod. Dolce ꝛc. aufführte 2);
von Burchiello erfährt man bereits, daß er die Komik durch
einen mit Griechiſch und Slavoniſch verſetzten venezianiſchen
Dialect zu ſteigern wußte. Eine faſt oder ganz vollſtändige
Commedia dell 'Arte war dann die des Angelo Beolco, ge-
nannt il Ruzzante (1502—1542), deſſen ſtehende Masken
paduaniſche Bauern (Menato, Vezzo, Billora u. A.) ſind;
ihren Dialect pflegte er zu ſtudiren wenn er auf der Villa
ſeines Gönners Luigi Cornaro zu Codevico den Sommer
zubrachte 3). Allmälig tauchen dann all die berühmten
Localmasken auf, an deren Ueberreſte Italien ſich noch heute
ergötzt: Pantalone, der Dottore, Brighella, Pulcinella,
Arlecchino u. ſ. w. Sie ſind gewiß großentheils ſehr viel
älter, ja möglicherweiſe im Zuſammenhang mit den Masken
altrömiſcher Farſen, allein erſt das XVI. Jahrhundert
vereinigte mehrere von ihnen in Einem Stücke. Gegen-
wärtig geſchieht dieß nicht mehr leicht, aber jede große
Stadt hält wenigſtens ihre Localmaske feſt: Neapel ſeinen
Pulcinella, Florenz den Stenterello, Mailand den bisweilen
herrlichen Meneking 4).
[320]
4. Abſchnitt.Ein dürftiger Erſatz freilich für eine große Nation,
Erſatz durch die
Muſik.welche vielleicht vor allen die Gabe gehabt hätte, ihr Höchſtes
im Spiegel des Drama's objectiv zu ſchildern und anzu-
ſchauen. Aber dieß ſollte ihr auf Jahrhunderte verwehrt
bleiben durch feindſelige Mächte, an deren Aufkommen ſie
nur zum Theil Schuld war. Nicht auszurotten war frei-
lich das allverbreitete Talent der dramatiſchen Darſtellung
und mit der Muſik hat Italien vollends Europa zinspflichtig
gehalten. Wer in dieſer Tonwelt einen Erſatz oder einen
verhüllten Ausdruck für das verwehrte Drama erkennen
will, mag ſich damit nach Gefallen tröſten.
Das roman-
tiſche Epos.Was das Drama nicht geleiſtet hatte, darf man es
etwa vom Epos erwarten? Gerade das italieniſche Helden-
gedicht wird ſcharf darob angeklagt, daß die Haltung und
Durchführung der Charactere ſeine allerſchwächſte Seite ſei.
Andere Vorzüge ſind ihm nicht abzuſtreiten, u. a. der,
daß es ſeit vierthalb Jahrhunderten wirklich geleſen und
immer von Neuem abgedruckt wird, während faſt die ganze
epiſche Poeſie der übrigen Völker zur bloßen literargeſchicht-
lichen Curioſität geworden iſt. Oder liegt es etwa an den
Leſern, die etwas anderes verlangen und anerkennen als
im Norden? Wenigſtens gehört für uns ſchon eine theil-
weiſe Aneignung des italieniſchen Geſichtskreiſes dazu um
dieſen Dichtungen ihren eigenthümlichen Werth abzugewin-
nen, und es giebt ſehr ausgezeichnete Menſchen, welche
erklären nichts damit anfangen zu können. Freilich wer Pulci,
Bojardo, Arioſto und Berni auf den reinen ſogenannten
Gedankengehalt hin analyſirt, der muß dabei zu kurz kom-
men. Sie ſind Künſtler der eigenſten Art, welche für ein
entſchieden und vorherrſchend künſtleriſches Volk dichten.
Die Sagenwelt
als Baſis.Die mittelalterlichen Sagenkreiſe hatten nach dem all-
mäligen Erlöſchen der Ritterdichtung theils in Geſtalt von
gereimten Umarbeitungen und Sammlungen, theils als
Proſaromane weiter gelebt. Letzteres war in Italien während
[321] des XIV. Jahrhunderts der Fall; doch wuchſen die neu4. Abſchnitt.
erwachenden Erinnerungen des Alterthums rieſengroß da-
neben empor und ſtellten alle Phantaſiebilder des Mittel-
alters in tiefen Schatten. Boccaccio z. B. in ſeiner Viſione
amoroſa nennt zwar unter den in ſeinem Zauberpalaſt
dargeſtellten Heroen auch einen Triſtan, Artus, Galeotto ꝛc.
mit, aber ganz kurz, als ſchämte er ſich ihrer, und die folgen-
den Schriftſteller aller Art nennen ſie entweder gar nicht
mehr oder nur im Scherz. Das Volk jedoch behielt ſie im
Gedächtniß, und aus ſeinen Händen gingen ſie dann wieder
an die Dichter des XV. Jahrhunderts über. Dieſelben
konnten ihren Stoff nun ganz neu und frei empfinden und
darſtellen; ſie thaten aber noch mehr, indem ſie unmittel-
bar daran weiter dichteten, ja ſogar bei Weitem das Meiſte
neu erfanden. Eines muß man nicht von ihnen verlangen:
daß ſie einen ſo überkommenen Stoff hätten mit einem
vorweltlichen Reſpect behandeln ſollen. Das ganze neuere
Europa darf ſie darum beneiden, daß ſie noch an die
Theilnahme ihres Volkes für eine beſtimmte Phantaſiewelt
anknüpfen konnten, aber ſie hätten Heuchler ſein müſſen,
wenn ſie dieſelbe als Mythus verehrt hätten 1).
Statt deſſen bewegen ſie ſich auf dem neu für dieDas Kunſtziel.
Kunſtpoeſie gewonnenen Gebiete als Souveräne. Ihr
Hauptziel ſcheint die möglichſt ſchöne und muntere Wirkung
des einzelnen Geſanges beim Recitiren geweſen zu ſein,
wie denn auch dieſe Gedichte außerordentlich gewinnen wenn
man ſie ſtückweiſe und vortrefflich, mit einem leiſen Anflug
von Komik in Stimme und Geberde herſagen hört. Eine
tiefere, durchgeführte Characterzeichnung hätte zur Erhöhung
dieſes Effectes nicht ſonderlich beigetragen; der Leſer mag
Cultur der Renaiſſance. 21
[322]4. Abſchnitt.ſie verlangen, der Hörer denkt nicht daran, da er immer
nur ein Stück hört und zugleich den Rhapſoden vor ſich
ſich ſieht. In Betreff der vorgeſchriebenen Figuren iſt die
Stimmung des Dichters eine doppelte: ſeine humaniſtiſche
Bildung proteſtirt gegen das mittelalterliche Weſen derſelben,
während doch ihre Kämpfe als Seitenbild des damaligen
Turnier- und Kriegsweſens alle mögliche Kennerſchaft und
poetiſche Hingebung erfordern und zugleich eine Glanzauf-
gabe des Recitanten ſind. Deßhalb kömmt es ſelbſt bei
Luigi Pulci.Pulci 1) zu keiner eigentlichen Parodie des Ritterthums,
wenn auch die komiſch derbe Redeweiſe ſeiner Paladine oft
daran ſtreift. Daneben ſtellt er das Ideal der Raufluſt,
ſeinen drolligen und gutmüthigen Morgante, der mit ſeinem
Glockenſchwengel ganze Armeen bändigt; ja er weiß auch
dieſen wiederum relativ zu verklären durch die Gegenüber-
ſtellung des abſurden und dabei höchſt merkwürdigen Mon-
ſtrum's Margutte. Ein beſonderes Gewicht legt aber Pulci
auf dieſe beiden derb und kräftig gezeichneten Charactere
keinesweges, und ſeine Geſchichte geht auch nachdem ſie
längſt daraus verſchwunden ſind, ihren wunderlichen Gang
Bojardo.weiter. Auch Bojardo 2) ſteht ganz bewußt über ſeinen
Geſtalten und braucht ſie nach Belieben ernſt und komiſch;
ſelbſt mit den dämoniſchen Weſen treibt er ſeinen Spaß
und ſchildert ſie bisweilen abſichtlich als tölpelhaft. Es
giebt aber eine künſtleriſche Aufgabe, mit welchem er es
ſich ſo ſehr ernſt ſein läßt wie Pulci; nämlich die äußerſt
lebendige und, man möchte ſagen techniſch genaue Schilde-
rung aller Hergänge. — Pulci recitirte ſein Gedicht, ſobald
wieder ein Geſang fertig war, vor der Geſellſchaft des Lo-
renzo magnifico, und gleichermaßen Bojardo das ſeinige vor
dem Hofe des Ercole von Ferrara; nun erräth man leicht,
[323] auf was für Vorzüge hier geachtet wurde und wie wenig4. Abſchnitt.
Dank die durchgeführten Charactere geerntet haben würden.
Natürlich bilden auch die Gedichte ſelbſt bei ſobewandten
Umſtänden kein geſchloſſenes Ganzes und könnten halb oder
auch doppelt ſo lang ſein als ſie ſind; ihre Compoſition iſt
nicht die eines großen Hiſtorienbildes, ſondern die eines
Frieſes oder einer von bunten Geſtalten umgaukelten pracht-
vollen Fruchtſchnur. So wenig man in den Figuren und
dem Rankenwerk eines Frieſes durchgeführte individuelle
Formen, tiefe Perſpectiven und verſchiedene Pläne fordert
oder auch nur geſtattet, ſo wenig erwartete man es in dieſen
Gedichten.
Die bunte Fülle der Erfindungen, durch welche be-
ſonders Bojardo ſtets von Neuem überraſcht, ſpottet aller
unſerer jetzt geltenden Schuldefinitionen vom Weſen der
epiſchen Poeſie. Für die damalige Zeit war es die ange-Das einzig
mögliche Epos.
nehmſte Diverſion gegenüber der Beſchäftigung mit dem
Alterthum, ja der einzig mögliche Ausweg wenn man
überhaupt wieder zu einer ſelbſtändigen erzählenden Dichtung
gelangen ſollte. Denn die Poetiſirung der Geſchichte des
Alterthums führte doch nur auf jene Irrpfade, welche Pe-
trarca betrat mit ſeiner „Africa“ in lateiniſchen Hexametern
und anderthalb Jahrhunderte ſpäter Triſſino mit ſeinem
„von den Gothen befreiten Italien“ in versi sciolti, einem
enormen Gedichte von tadelloſer Sprache und Verſification,
wo man nur im Zweifel ſein kann ob die Geſchichte oder
die Poeſie bei dem unglücklichen Bündniß übler weggekom-
men ſei. Und wohin verlockte Dante diejenigen, die ihn
nachahmten? Die viſionären Trionfi des Petrarca ſind eben
noch das Letzte, was dabei mit Geſchmack zu erreichen war,
Boccaccio's „verliebte Viſion“ iſt ſchon weſentlich bloße
Aufzählung hiſtoriſcher und fabelhafter Perſonen nach alle-
goriſchen Categorien. Andere leiten dann, was ſie irgend
vorzubringen haben, mit einer barocken Nachahmung von
Dante's erſtem Geſang ein und verſehen ſich dabei mit
21*
[324]4. Abſchnitt.irgend einem allegoriſchen Begleiter, der die Stelle des
Virgil einnimmt; Uberti hat für ſein geographiſches Ge-
dicht (Dittamondo) den Solinus gewählt, Giovanni Santi
für ſein Lobgedicht auf Federigo von Urbino den Plutarch 1).
Von dieſen falſchen Fährten erlöste einſtweilen nur diejenige
epiſche Dichtung, welche von Pulci und Bojardo vertreten
war. Die Begierde und Bewunderung, mit der man ihr
entgegenkam — wie man vielleicht bis an der Tage Abend
mit dem Epos nicht mehr thun wird — beweist glänzend,
wie ſehr die Sache ein Bedürfniß war. Es handelt ſich
gar nicht darum, ob in dieſen Schöpfungen die ſeit unſerm
Jahrhundert aus Homer und den Nibelungen abſtrahirten
Ideale des wahren Heldengedichtes verwirklicht ſeien oder
nicht; ein Ideal ihrer Zeit verwirklichten ſie jedenfalls.
Mit ihren maſſenhaften Kampfbeſchreibungen, die für uns
der am meiſten ermüdende Beſtandtheil ſind, begegneten ſie
überdieß, wie geſagt, einem Sachintereſſe, von dem wir
uns ſchwer eine richtige Vorſtellung machen, ſo wenig als
von der Hochſchätzung des lebendigen momentanen Schil-
derns überhaupt.
Arioſto.So kann man denn auch an Arioſto keinen falſchern
Maßſtab legen als wenn man in ſeinem Orlando Furioſo 2)
nach Characteren ſuchen geht. Sie ſind hie und da vor-
handen und ſogar mit Liebe behandelt, allein das Gedicht
ſtützt ſich keinen Augenblick auf ſie und würde durch ihre
Hervorhebung ſogar eher verlieren als gewinnen. Jene
Anforderung hängt aber mit einem allgemeinern Begehren
zuſammen, welchem Arioſto nicht im Sinne unſerer Zeit
genügt; von einem ſo gewaltig begabten und berühmten
Dichter nämlich hätte man gerne überhaupt etwas Anderes
als Rolandsabenteuer u. dgl. Er hätte ſollen in einem
großen Werke die tiefſten Conflicte der Menſchenbruſt, die
[325] höchſten Anſchauungen der Zeit über göttliche und menſch-4. Abſchnitt.
liche Dinge, mit einem Wort: eines jener abſchließenden
Weltbilder darſtellen wie die göttliche Comödie und der
Fauſt ſie bieten. Statt deſſen verfährt er ganz wie die
damaligen bildenden Künſtler und wird unſterblich, indem
er von der Originalität in unſerm jetzigen Sinne abſtrahirt,
an einem bekannten Kreiſe von Geſtalten weiterbildet und
ſelbſt das ſchon dageweſene Detail noch einmal benützt wo
es ihm dient. Was für Vorzüge bei einem ſolchen Ver-
fahren noch immer erreicht werden können, das wird Leuten
ohne künſtleriſches Naturell um ſo viel ſchwerer begreiflich
zu machen ſein je gelehrter und geiſtreicher ſie ſonſt ſein
mögen. Das Kunſtziel des Arioſto iſt das glanzvoll leben-Sein Styl.
dige „Geſchehen“, welches ſich gleichmäßig durch das ganze
große Gedicht verbreitet. Er bedarf dazu einer Dispenſa-
tion nicht nur von der tiefern Characterzeichnung ſondern
auch von allem ſtrengern Zuſammenhang der Geſchichten.
Er muß verlorene und vergeſſene Fäden wieder anknüpfen
dürfen wo es ihm beliebt; ſeine Figuren müſſen kommen
und verſchwinden, nicht weil ihr tieferes perſönliches Weſen
ſondern weil das Gedicht es ſo verlangt. Freilich innerhalb
dieſer ſcheinbar irrationellen, willkürlichen Compoſitions-
weiſe entwickelt er eine völlig geſetzmäßige Schönheit. Er
verliert ſich nie ins Beſchreiben, ſondern giebt immer nur
ſo viel Scenerie und Perſonenſchilderung als mit dem Vor-
wärtsrücken der Ereigniſſe harmoniſch verſchmolzen werden
kann; noch weniger verliert er ſich in Geſpräche und Mo-
nologe 1), ſondern er behauptet das majeſtätiſche Privilegium
des wahren Epos, Alles zu lebendigen Vorgängen zu geſtal-
ten. Das Pathos liegt bei ihm nie in den Worten 2), vollends
nicht in dem berühmten dreiundzwanzigſten Geſang und den
[326]4. Abſchnitt.folgenden, wo Rolands Raſerei geſchildert wird. Daß die
Liebesgeſchichten im Heldengedicht keinen lyriſchen Schmelz
haben, iſt ein Verdienſt mehr, wenn man ſie auch von
moraliſcher Seite nicht immer gut heißen kann. Bisweilen
beſitzen ſie dafür eine ſolche Wahrheit und Wirklichkeit trotz
allem Zauber- und Ritterweſen, das ſie umgiebt, daß man
darin unmittelbare Angelegenheiten des Dichters ſelbſt zu
erkennen glaubt. Im Vollgefühl ſeiner Meiſterſchaft hat
er dann unbedenklich noch manches Andere aus der Gegen-
wart in das große Werk verflochten und den Ruhm des
Hauſes Eſte in Geſtalt von Erſcheinungen und Weiſſagun-
gen mit hineingenommen. Der wunderbare Strom ſeiner
Ottaven trägt dieſes Alles in gleichmäßiger Bewegung
vorwärts.
Folengo u. die
Parodie.Mit Teofilo Folengo, oder wie er ſich hier nennt,
Limerno Pitocco, tritt dann die Parodie des ganzen Ritter-
weſens in ihr längſt erſehntes Recht 1), zudem aber meldet
ſich mit der Komik und ihrem Realismus nothwendig auch
das ſtrengere Characteriſiren wieder. Unter den Püffen
und Steinwürfen der wilden Gaſſenjugend eines römiſchen
Landſtädtchens, Sutri, wächst der kleine Orlando ſichtbar-
lich zum muthigen Helden, Mönchsfeind und Raiſonneur
auf. Die conventionelle Phantaſiewelt, wie ſie ſich ſeit
Pulci ausgebildet und als Rahmen des Epos gegolten
hatte, ſpringt hier freilich in Splitter auseinander; Her-
kunft und Weſen der Paladine werden offen verhöhnt,
z. B. durch jenes Eſelturnier im zweiten Geſange, wobei
die Ritter mit den ſonderbarſten Rüſtungen und Waffen
erſcheinen. Der Dichter zeigt bisweilen ein komiſches Be-
dauern über die unerklärliche Treuloſigkeit, die in der Fa-
milie des Gano von Mainz zu Hauſe geweſen, über die
mühſelige Erlangung des Schwertes Durindana u. dgl.,
ja das Ueberlieferte dient ihm überhaupt nur noch als
[327] Subſtrat für lächerliche Einfälle, Epiſoden, Tendenzaus-4. Abſchnitt.
brüche (worunter ſehr ſchöne, z. B. der Schluß von Cap. VI.)
und Zoten. Neben alledem iſt endlich noch ein gewiſſer
Spott auf Arioſto nicht zu verkennen, und es war wohl
für den Orlando furioſo ein Glück, daß der Orlandino
mit ſeinen lutheriſchen Ketzereien ziemlich bald der Inquiſition
und der künſtlichen Vergeſſenheit anheim fiel. Eine kennt-
liche Parodie ſcheint z. B. durch, wenn (Cap. VI, Str. 28)
das Haus Gonzaga von dem Paladin Guidone abgeleitet
wird, ſintemal von Orlando die Colonneſen, von Rinaldo
die Orſinen und von Ruggieri — laut Arioſt — die
Eſtenſer abſtammen ſollten. Vielleicht war Ferrante Gon-
zaga, der Patron des Dichters, dieſer Anzüglichkeit gegen
das Haus Eſte nicht fremd.
Daß endlich in der Geruſalemme liberata des Tor-Torq. Taſſo.
quato Taſſo die Characteriſtik eine der höchſten Angelegen-
heiten des Dichters iſt, beweist allein ſchon, wie weit ſeine
Denkweiſe von der um ein halbes Jahrhundert früher
herrſchenden abweicht. Sein bewundernswürdiges Werk iſt
weſentlich ein Denkmal der inzwiſchen vollzogenen Gegen-
reformation und ihrer Tendenz.
Außerhalb des Gebietes der Poeſie haben die Italiener
zuerſt von allen Europäern den hiſtoriſchen Menſchen nach
ſeinen äußern und innern Zügen und Eigenſchaften genau
zu ſchildern eine durchgehende Neigung und Begabung
gehabt.
Allerdings zeigt ſchon das frühere Mittelalter bemer-Biographik des
Mittelalters,
kenswerthe Verſuche dieſer Art, und die Legende mußte als
eine ſtehende Aufgabe der Biographie das Intereſſe und
das Geſchick für individuelle Schilderung wenigſtens bis zu
einem gewiſſen Grade aufrecht halten. In den Kloſter-
und Domſtiftsannalen werden manche Hierarchen, wie z. B.
Meinwerk von Paderborn, Godehard von Hildesheim ꝛc.
[328]4. Abſchnitt.recht anſchaulich beſchrieben, und von mehrern unſerer deut-
ſchen Kaiſer giebt es Schilderungen, nach antiken Muſtern,
zumal Sueton, verfaßt, welche die koſtbarſten Züge ent-
halten; ja dieſe und ähnliche profane „vitæ“ bilden all-
mälig eine fortlaufende Parallele zu den Heiligengeſchichten.
Doch wird man weder Einhard noch Wippo noch Rade-
vicus 1) nennen dürfen neben Joinville's Schilderung des
heiligen Ludwig, welche als das erſte vollkommene Geiſtes-
bildniß eines neu-europäiſchen Menſchen, allerdings ſehr ver-
einzelt daſteht. Charactere wie St. Ludwig ſind überhaupt
ſelten, und dazu geſellt ſich noch das ſeltene Glück, daß ein
völlig naiver Schilderer aus allen einzelnen Thaten und Er-
eigniſſen eines Lebens die Geſinnung heraus erkennt und
ſprechend darſtellt. Aus welch kümmerlichen Quellen muß
man das innere Weſen eines Friedrich II, eines Philipp
des Schönen zuſammen errathen. Vieles was ſich dann
bis zu Ende des Mittelalters als Biographie giebt, iſt
eigentlich nur Zeitgeſchichte und ohne Sinn für das Indi-
viduelle des zu preiſenden Menſchen geſchrieben.
u. d. Italiener.Bei den Italienern wird nun das Aufſuchen der cha-
racteriſtiſchen Züge bedeutender Menſchen eine herrſchende
Tendenz, und dieß iſt es was ſie von den übrigen Abend-
ländern unterſcheidet, bei welchen dergleichen mehr nur zu-
fällig und in außerordentlichen Fällen vorkömmt. Dieſen
entwickelten Sinn für das Individuelle kann überhaupt nur
derjenige haben welcher ſelbſt aus der Race herausgetreten
und zum Individuum geworden iſt.
Im Zuſammenhang mit dem weitherrſchenden Begriff
des Ruhmes (S. 142, f.) entſteht eine ſammelnde und ver-
gleichende Biographik, welche nicht mehr nöthig hat ſich an
Dynaſtien und geiſtliche Reihenfolgen zu halten wie Ana-
ſtaſius, Agnellus und ihre Nachfolger, oder wie die Dogen-
biographen von Venedig. Sie darf vielmehr den Menſchen
[329] ſchildern wenn und weil er bedeutend iſt. Als Vorbilder4. Abſchnitt.
wirken hierauf außer Sueton auch Nepos, die viri illustres
und Plutarch ein, ſo weit er bekannt und überſetzt war;
für literaturgeſchichtliche Aufzeichnungen ſcheinen die Lebens-
beſchreibungen der Grammatiker, Rhetoren und Dichter,
welche wir als Beilagen zu Sueton kennen 1), weſentlich
als Vorbilder gedient zu haben, auch das viel geleſene
Leben Virgil's von Donatus.
Wie nun biographiſche Sammlungen, Leben berühmter
Männer, berühmter Frauen, mit dem XIV. Jahrh. auf-
kamen, wurde ſchon oben (S. 148, f.) erwähnt. Soweit ſie
nicht Zeitgenoſſen ſchildern, hängen ſie natürlich von den
frühern Darſtellern ab; die erſte bedeutende freie Leiſtung
iſt wohl das Leben Dante's von Boccaccio. Leicht undToscaniſche
Biographik.
ſchwungvoll hingeſchrieben und reich an Willkürlichkeiten,
giebt dieſe Arbeit doch das lebhafte Gefühl von dem Außer-
ordentlichen in Dante's Weſen. Dann folgen, zu Ende des
XIV. Jahrhunderts, die „vite“ ausgezeichneter Florentiner,
von Filippo Villani. Es ſind Leute jedes Faches: Dichter,
Juriſten, Aerzte, Philologen, Künſtler, Staats- und Kriegs-
männer, darunter noch lebende. Florenz wird hier behan-
delt wie eine begabte Familie, wo man die Sprößlinge
notirt, in welchen der Geiſt des Hauſes beſonders kräftig
ausgeſprochen iſt. Die Characteriſtiken ſind nur kurz, aber
mit einem wahren Talent für das Bezeichnende gegeben
und noch beſonders merkwürdig durch das Zuſammenfaſſen
der äußern Phyſiognomie mit der innern. Fortan 2) haben
die Toscaner nie aufgehört, die Menſchenſchilderung als
eine Sache ihrer ſpeciellen Befähigung zu betrachten, und
von ihnen haben wir die wichtigſten Characteriſtiken der
Italiener des XV. und XVI. Jahrhunderts überhaupt.
[330]4. Abſchnitt.Giovanni Cavalcanti (in den Beilagen zu ſeiner florentini-
ſchen Geſchichte, vor 1450) ſammelt Beiſpiele bürgerlicher
Trefflichkeit und Aufopferung, politiſchen Verſtandes, ſo
wie auch kriegeriſcher Tüchtigkeit, von lauter Florentinern.
Papſt Pius II. giebt in ſeinen Commentarien werthvolle
Lebensbilder von berühmten Zeitgenoſſen; neuerlich iſt auch
eine beſondere Schrift ſeiner frühern Zeit 1) wieder abge-
druckt worden, welche gleichſam die Vorarbeiten zu jenen
Porträts, aber mit eigenthümlichen Zügen und Farben
enthält. Dem Jacob von Volterra verdanken wir pikante
Porträts der römiſchen Curie 2) nach Pius. Von Veſpa-
ſiano Fiorentino war ſchon oft die Rede und als Quelle
im Ganzen gehört er zum Wichtigſten was wir beſitzen,
aber ſeine Gabe des Characteriſirens kommt noch nicht in
Betracht neben derjenigen eines Macchiavelli, Nicolò Va-
lori, Guicciardini, Varchi, Francesco Vettori, u. a., von
welchen die europäiſche Geſchichtſchreibung vielleicht ſo nach-
drücklich als von den Alten auf dieſen Weg gewieſen wurde.
Man darf nämlich nicht vergeſſen, daß mehrere dieſer Autoren
in lateiniſchen Ueberſetzungen frühe ihren Weg nach dem
Norden fanden. Und eben ſo gäbe es ohne Giorgio Vaſari
von Arezzo und ſein unvergleichlich wichtiges Werk noch keine
Kunſtgeſchichte des Nordens und des neuern Europa's überhaupt.
Andere ital.
Gegenden.Von den Oberitalienern des XV. Jahrhunderts ſoll
Bartolommeo Fazio (von Spezzia) höhere Bedeutung haben
(S. 151 Anm.). Platina, aus dem Cremoneſiſchen ge-
bürtig, repräſentirt in ſeinem „Leben Pauls II.“ (S. 225)
bereits die biographiſche Caricatur. Vorzüglich wichtig aber
iſt die von Piercandido Decembrio verfaßte Schilderung
des letzten Visconti 3), eine große erweiterte Nachahmung
[331] des Sueton. Sismondi bedauert, daß ſo viele Mühe an4. Abſchnitt.
einen ſolchen Gegenſtand gewandt worden, allein für einen
größern Mann hätte vielleicht der Autor nicht ausgereicht,
während er völlig genügt, um den gemiſchten Character
des Filippo Maria und an und in demſelben mit wunder-
würdiger Genauigkeit die Vorausſetzungen, Formen und
Folgerungen einer beſtimmten Art von Tyrannis darzu-
ſtellen. Das Bild des XV. Jahrhunderts wäre unvoll-
ſtändig ohne dieſe in ihrer Art einzige Biographie, welche
bis in die feinſten Miniaturpünktchen hinein characteriſtiſch
iſt. — Späterhin beſitzt Mailand an dem Geſchichtſchreiber
Corio einen bedeutenden Bildnißmaler; dann folgt der
Comaske Paolo Giovio, deſſen größere Biographien undGiovio.
kleinere Elogien weltberühmt und für Nachfolger aller
Länder ein Vorbild geworden ſind. Es iſt leicht, an hundert
Stellen Giovio's Flüchtigkeit und auch ſeine Unredlichkeit
nachzuweiſen, und eine ernſte höhere Abſicht liegt ohnehin
nie in einem Menſchen wie er war. Allein der Athem
des Jahrhunderts weht durch ſeine Blätter, und ſein Leo,
ſein Alfonſo, ſein Pompeo Colonna leben und bewegen ſich
vor uns mit völliger Wahrheit und Nothwendigkeit, wenn-
gleich ihr tiefſtes Weſen uns hier nicht kund wird.
Unter den Neapolitanern nimmt Triſtan Caracciolo
(S. 36), ſo weit wir urtheilen können, ohne Frage die
erſte Stelle ein, obwohl ſeine Abſicht nicht einmal eine
ſtreng biographiſche iſt. Wunderſam verflechten ſich in
den Geſtalten, die er uns vorführt, Schuld und Schickſal,
ja man könnte ihn wohl einen unbewußten Tragiker nennen.
Die wahre Tragödie, welche damals auf der Scene keine
Stätte fand, ſchritt mächtig einher durch die Paläſte, Straßen
und Plätze. — Die „Worte und Thaten Alfons des Großen“,
von Antonio Panormita bei Lebzeiten des Königs geſchrie-
ben, ſind merkwürdig als eine der frühſten derartigen
Sammlungen von Anecdoten und weiſen wie ſcherzhaften
Reden.
[332]
4. Abſchnitt.Langſam nur folgte das übrige Europa den italieni-
Verhältniß zur
europ. Litera-
tur.ſchen Leiſtungen in der geiſtigen Characteriſtik 1), obſchon
die großen politiſchen und religiöſen Bewegungen ſo manche
Bande geſprengt, ſo viele Tauſende zum Geiſtesleben ge-
weckt hatten. Ueber die wichtigſten Perſönlichkeiten der da-
maligen europäiſchen Welt ſind wiederum im Ganzen unſere
beſten Gewährsmänner Italiener, ſowohl Literaten als Di-
plomaten. Wie raſch und unwiderſprochen haben in neueſter
Zeit die venezianiſchen Geſandtſchaftsberichte des XVI. und
XVII. Jahrhunderts in Betreff der Perſonalſchilderungen
die erſte Stelle errungen.
Selbſt-
biographien.Auch die Selbſtbiographie nimmt bei den Italienern
hie und da einen kräftigen Flug in die Tiefe und Weite
und ſchildert neben dem bunteſten Außenleben ergreifend das
eigene Innere, während ſie bei andern Nationen, auch bei
den Deutſchen der Reformationszeit, ſich an die merkwür-
digen äußern Schickſale hält und den Geiſt mehr nur aus
der Darſtellungsweiſe errathen läßt. Es iſt als ob Dante's
vita nuova mit ihrer unerbittlichen Wahrheit der Nation
die Wege gewieſen hätte.
Den Anfang dazu machen die Haus- und Familien-
geſchichten- aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, welche
noch in ziemlicher Anzahl namentlich in den florentiniſchen
Bibliotheken handſchriftlich vorhanden ſein ſollen; naive,
im Intereſſe des Hauſes und des Schreibenden abgefaßte
Lebensläufe, wie z. B. der des Buonaccorſo Pitti.
Aen. Sylvius.Eine tiefere Selbſtkritik iſt auch nicht gerade in den
Commentarien Pius II. zu ſuchen; was man hier von ihm
als Menſchen erfährt, beſchränkt ſich ſogar dem erſten An-
ſchein nach darauf, daß er meldet wie er ſeine Carriere
machte. Allein bei weiterm Nachdenken wird man dieſes
merkwürdige Buch anders beurtheilen. Es giebt Menſchen,
die weſentlich Spiegel deſſen ſind was ſie umgiebt; man
[333] thut ihnen Unrecht, wenn man ſich beharrlich nach ihrer4. Abſchnitt.
Ueberzeugung, nach ihren innern Kämpfen und tiefern Le-
bensreſultaten erkundigt. So ging Aeneas Sylvius völlig
auf in den Dingen, ohne ſich um irgend einen ſittlichen
Zwieſpalt ſonderlich zu grämen; nach dieſer Seite deckte
ihn ſeine gutkatholiſche Orthodoxie ſo weit als nöthig war.
Und nachdem er in allen geiſtigen Fragen die ſein
Jahrhundert beſchäftigten, mitgelebt und mehr als einen
Zweig derſelben weſentlich gefördert hatte, behielt er doch
am Ende ſeiner Laufbahn noch Temperament genug übrig,
um den Kreuzzug gegen die Türken zu betreiben und am
Gram ob deſſen Vereitelung zu ſterben.
Auch die Selbſtbiographie des Benvenuto Cellini gehtBenv. Cellini.
nicht gerade auf Beobachtungen über das eigene Innere
aus. Gleichwohl ſchildert ſie den ganzen Menſchen, zum
Theil wider Willen, mit einer hinreißenden Wahrheit und
Fülle. Es iſt wahrlich kein Kleines, daß Benvenuto, deſſen
bedeutendſte Arbeiten bloßer Entwurf geblieben und unter-
gegangen ſind, und der uns als Künſtler nur im kleinen
decorativen Fach vollendet erſcheint, ſonſt aber, wenn man
bloß nach ſeinen erhaltenen Werken urtheilt, neben ſo vielen
größern Zeitgenoſſen zurückſtehen muß, — daß Benvenuto
als Menſch die Menſchen beſchäftigen wird bis an's Ende der
Tage. Es ſchadet ihm nicht, daß der Leſer häufig ahnt,
er möchte gelogen oder geprahlt haben; denn der Eindruck
der gewaltig energiſchen, völlig durchgebildeten Natur über-
wiegt. Neben ihm erſcheinen z. B. unſere nordiſchen Selbſt-
biographen, ſo viel höher ihre Tendenz und ihr ſittliches
Weſen bisweilen zu achten ſein mag, doch als unvollſtän-
dige Naturen. Er iſt ein Menſch der Alles kann, Alles
wagt und ſein Maß in ſich ſelber trägt. Ob wir es gerne
hören oder nicht, es lebt in dieſer Geſtalt ein ganz kennt-
liches Urbild des modernen Menſchen.
Und noch ein Anderer iſt hier zu nennen, der es eben-Cardano.
falls mit der Wahrheit nicht immer ſoll genau genommen
[334]4. Abſchnitt.haben: Girolamo Cardano von Mailand (geb. 1500).
Cardano.Sein Büchlein de propria vita1) wird ſelbſt ſein großes
Andenken in der Geſchichte der Naturforſchung und der Phi-
loſophie überleben und übertönen wie die vita Benvenuto's
deſſen Werke, obwohl der Werth der Schrift weſentlich ein
anderer iſt. Cardano fühlt ſich als Arzt ſelber den Puls
und ſchildert ſeine phyſiſche, intellectuelle und ſittliche Per-
ſönlichkeit ſammt den Bedingungen, unter welchen ſich die-
ſelbe entwickelt hatte, und zwar aufrichtig und objectiv, ſo
weit ihm dieß möglich war. Sein zugeſtandenes Vorbild,
Marc Aurel's Schrift auf ſich ſelbſt, konnte er in dieſer
Beziehung deßhalb überbieten, weil ihn kein ſtoiſches Tu-
gendgebot genirte. Er begehrt weder ſich noch die Welt
zu ſchonen; beginnt doch ſein Lebenslauf damit, daß ſeiner
Mutter die verſuchte Abtreibung der Leibesfrucht nicht ge-
lang. Es iſt ſchon viel, daß er den Geſtirnen, die in ſeiner
Geburtsſtunde gewaltet, nur ſeine Schickſale und ſeine in-
tellectuellen Eigenſchaften auf die Rechnung ſchreibt und
nicht auch die ſittlichen; übrigens geſteht er (Cap. 10) offen
ein, daß ihm der aſtrologiſch erworbene Wahn, er werde
das vierzigſte und höchſtens das fünfundvierzigſte Jahr
nicht überleben, in ſeiner Jugend viel geſchadet habe. Doch
es iſt uns hier nicht erlaubt, ein ſo ſtark verbreitetes, in
jeder Bibliothek vorhandenes Buch zu excerpiren. Wer es
liest, wird in die Dienſtbarkeit jenes Mannes kommen, bis
er damit zu Ende iſt. Cardano bekennt allerdings, daß er
ein falſcher Spieler, rachſüchtig, gegen jede Reue verhärtet,
abſichtlich verletzend im Reden geweſen; — er bekennt es
freilich ohne Frechheit wie ohne fromme Zerknirſchung, ja
ohne damit intereſſant werden zu wollen, vielmehr mit dem
einfachen, objectiven Wahrheitsſinn eines Naturforſchers.
[335] Und was das Anſtößigſte iſt, der 76jährige Mann findet4. Abſchnitt.
ſich nach den ſchauerlichſten Erlebniſſen 1), bei einem ſehr
erſchütterten Zutrauen zu den Menſchen, gleichwohl leidlich
glücklich: noch lebt ihm ja ein Enkel, noch beſitzt er ſein
ungeheures Wiſſen, den Ruhm wegen ſeiner Werke, ein
hübſches Vermögen, Rang und Anſehen, mächtige Freunde,
Kunde von Geheimniſſen, und was das Beſte iſt: den
Glauben an Gott. Nachträglich zählt er die Zähne in
ſeinem Munde; es ſind ihrer noch fünfzehn.
Doch als Cardano ſchrieb, ſorgten auch in Italien
Inquiſitoren und Spanier bereits dafür, daß ſolche Men-
ſchen entweder ſich nicht mehr ausbilden konnten oder auf
irgend eine Weiſe umkamen. Es iſt ein großer Sprung
von da bis auf die Memoiren des Alfieri.
Es wäre indeß ungerecht, dieſe Zuſammenſtellung vonLuigi Cornaro.
Selbſtbiographen zu ſchließen ohne einen ſowohl achtbaren
als glücklichen Menſchen zum Worte kommen zu laſſen.
Es iſt dieß der bekannte Lebensphiloſoph Luigi Cornaro,
deſſen Wohnung in Padua ſchon als Bauwerk claſſiſch und
zugleich eine Heimath aller Muſen war. In ſeinem be-
rühmten Tractat „vom mäßigen Leben“ 2) ſchildert er zunächſt
die ſtrenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach frü-
herer Kränklichkeit ein geſundes und hohes Alter, damals
von 83 Jahren, zu erreichen; dann antwortet er denjenigen,
welche das Alter über 65 Jahre hinaus überhaupt als
einen lebendigen Tod verſchmähen; er beweist ihnen, daß
ſein Leben ein höchſt lebendiges und kein todtes ſei. „Sie
mögen kommen, ſehen und ſich wundern über mein Wohl-
befinden, wie ich ohne Hülfe zu Pferde ſteige, Treppen und
Hügel hinauf laufe, wie ich luſtig, amuſant und zufrieden
[336]4. Abſchnitt.bin, wie frei von Gemüthsſorgen und widerwärtigen Ge-
Luigi Cornaro.danken. Freude und Friede verlaſſen mich nicht... Mein
Umgang ſind weiſe, gelehrte, ausgezeichnete Leute von Stande
und wenn dieſe nicht bei mir ſind, leſe und ſchreibe ich,
und ſuche damit wie auf jede andere Weiſe Andern nützlich
zu ſein nach Kräften. Von dieſen Dingen thue ich jedes
zu ſeiner Zeit, bequem, in meiner ſchönen Behauſung, welche
in der beſten Gegend Padua's gelegen und mit allen Mit-
teln der Baukunſt auf Sommer und Winter eingerichtet,
auch mit Gärten am fließenden Waſſer verſehen iſt. Im
Frühling und Herbſt gehe ich für einige Tage auf meinen
Hügel in der ſchönſten Lage der Euganeen, mit Brunnen,
Gärten und bequemer und zierlicher Wohnung; da mache
ich auch wohl eine leichte und vergnügliche Jagd mit, wie
ſie für mein Alter paßt. Einige Zeit bringe ich dann in
meiner ſchönen Villa in der Ebene 1) zu; dort laufen alle
Wege auf einen Platz zuſammen, deſſen Mitte eine artige
Kirche einnimmt; ein mächtiger Arm der Brenta ſtrömt
mitten durch die Anlagen, lauter fruchtbare, wohl ange-
baute Felder, Alles jetzt ſtark bewohnt, wo früher nur
Sumpf und ſchlechte Luft und eher ein Wohnſitz für
Schlangen als für Menſchen war. Ich war's, der die
Gewäſſer ableitete; da wurde die Luft gut und die Leute
ſiedelten ſich an und vermehrten ſich, und der Ort wurde
ſo ausgebaut wie man ihn jetzt ſieht, ſo daß ich in Wahr-
heit ſagen kann: an dieſer Stätte gab ich Gott einen Altar
und einen Tempel und Seelen um ihn anzubeten. Dieß
iſt mein Troſt und mein Glück ſo oft ich hinkomme. Im
Frühling und Herbſt beſuche ich auch die nahen Städte und
ſehe und ſpreche meine Freunde und mache durch ſie die
Bekanntſchaft anderer ausgezeichneter Leute, Architecten,
Maler, Bildhauer, Muſiker und Landöconomen. Ich be-
trachte was ſie Neues geſchaffen haben, betrachte das ſchon
[337] Bekannte wieder und lerne immer Vieles was mir dient,4. Abſchnitt.
in und an Paläſten, Gärten, Alterthümern, Stadtanlagen,Luigi Cornaro.
Kirchen und Feſtungswerken. Vor Allem aber entzückt mich
auf der Reiſe die Schönheit der Gegenden und der Ort-
ſchaften, wie ſie bald in der Ebene, bald auf Hügeln, an
Flüſſen und Bächen mit ihren Landhäuſern und Gärten
ringsum da liegen. Und dieſe meine Genüſſe werden mir
nicht geſchmälert durch Abnahme des Auges oder des
Ohres; alle meine Sinne ſind Gott ſei Dank in vollkom-
men gutem Zuſtande, auch der Geſchmack, indem mir jetzt
das Wenige und Einfache, was ich zu mir nehme, beſſer
ſchmeckt, als einſt die Leckerbiſſen zur Zeit da ich unordent-
lich lebte.“
Nachdem er hierauf die von ihm für die Republik
betriebenen Entſumpfungsarbeiten und die von ihm beharr-
lich vorgeſchlagenen Projecte zur Erhaltung der Lagunen
erwähnt hat, ſchließt er: „Dieß ſind die wahren Erholungen
eines durch Gottes Hülfe geſunden Alters, das von jenen
geiſtigen und körperlichen Leiden frei iſt, welchen ſo manche
jüngere Leute und ſo manche hinſiechende Greiſe unterliegen.
Und wenn es erlaubt iſt, zum Großen das Geringe, zum
Ernſt den Scherz hinzuzufügen, ſo iſt auch das eine Frucht
meines mäßigen Lebens, daß ich in dieſem meinem 83ſten
Altersjahre noch eine ſehr ergötzliche Comödie voll ehrbarer
Spaßhaftigkeit geſchrieben habe. Dergleichen iſt ſonſt Sache
der Jugend, wie die Tragödie Sache des Alters; wenn
man es nun jenem berühmten Griechen zum Ruhm an-
rechnet, daß er noch im 73ſten Jahre eine Tragödie ge-
dichtet, muß ich nicht mit zehn Jahren darüber geſunder und
heiterer ſein als Jener damals war? — Und damit der
Fülle meines Alters kein Troſt fehle, ſehe ich eine Art leib-
licher Unſterblichkeit in Geſtalt meiner Nachkommenſchaft
vor Augen. Wenn ich nach Hauſe komme, habe ich nicht
einen oder zwei, ſondern eilf Enkel vor mir, zwiſchen zwei
und achtzehn Jahren, alle von einem Vater und einer
Cultur der Renaiſſance. 22
[338]4. Abſchnitt.Mutter, alle kerngeſund und (ſo viel bis jetzt zu ſehen iſt)
mit Talent und Neigung für Bildung und gute Sitten
begabt. Einen von den kleinern habe ich immer als meinen
Poſſenmacher (buffoncello) bei mir, wie denn die Kinder
vom dritten bis zum fünften Jahre geborene Buffonen ſind;
die größern behandle ich ſchon als meine Geſellſchaft, und
freue mich auch, da ſie herrliche Stimmen haben, ſie ſingen
und auf verſchiedenen Inſtrumenten ſpielen zu hören; ja
ich ſelbſt ſinge auch und habe jetzt eine beſſere, hellere, tö-
nendere Stimme als je. Das ſind die Freuden meines
Alters. Mein Leben iſt alſo ein lebendiges und kein todtes,
und ich möchte mein Alter nicht tauſchen gegen die Jugend
eines Solchen, der den Leidenſchaften verfallen iſt.“
In der „Ermahnung“, welche Cornaro viel ſpäter, in
ſeinem 95ſten Jahre beifügte, rechnet er zu ſeinem Glück
unter andern auch, daß ſein „Tractat“ viele Proſelyten ge-
wonnen habe. Er ſtarb zu Padua 1565, mehr als hundert-
jährig.
Characteriſtik
von Völkern u.
Städten.Neben der Characteriſtik der einzelnen Individuen ent-
ſteht auch eine Gabe des Urtheils und der Schilderung für
ganze Bevölkerungen. Während des Mittelalters hatten
ſich im ganzen Abendlande Städte, Stämme und Völker
gegenſeitig mit Spott- und Scherzworten verfolgt, welche
meiſtens einen wahren Kern in ſtarker Verzerrung enthielten.
Von jeher aber thaten ſich die Italiener im Bewußtſein
der geiſtigen Unterſchiede ihrer Städte und Landſchaften
beſonders hervor; ihr Localpatriotismus, ſo groß oder größer
als bei irgend einem mittelalterlichen Volke, hatte frühe
ſchon eine literariſche Seite und verband ſich mit dem Be-
griff des Ruhmes; die Topographie entſteht als eine Paral-
lele der Biographie (S. 148). Während ſich nun jede größere
Stadt in Proſa und Verſen zu preiſen anfing 1), traten
[339] auch Schriftſteller auf, welche ſämmtliche wichtigere Städte4. Abſchnitt.
und Bevölkerungen theils ernſthaft neben einander beſchrie-
ben, theils witzig verſpotteten, auch wohl ſo beſprachen, daß
Ernſt und Spott nicht ſcharf von einander zu trennen ſind.
Nächſt einigen berühmten Stellen in der Divina Com-Dittamondo.
media kommt der Dittamondo des Uberti in Betracht (um
1360). Hier werden hauptſächlich nur einzelne auffallende
Erſcheinungen und Wahrzeichen namhaft gemacht: das
Krähenfeſt zu St. Apollinare in Ravenna, die Brunnen in
Treviſo, der große Keller bei Vicenza, die hohen Zölle von
Mantua, der Wald von Thürmen in Lucca; doch finden
ſich dazwiſchen auch Lobeserhebungen und anzügliche Kriti-
ken anderer Art; Arezzo figurirt bereits mit dem ſubtilen
Ingenium ſeiner Stadtkinder, Genua mit den künſtlich ge-
ſchwärzten Augen und Zähnen (?) der Weiber, Bologna
mit dem Geldverthun, Bergamo mit dem groben Dialect
und den geſcheidten Köpfen u. dgl. 1). Im XV. Jahr-
hundert rühmt dann Jeder ſeine eigene Heimath auch auf
Koſten anderer Städte. Michele Savonarola z. B. läßt
neben ſeinem Padua nur Venedig und Rom als herrlicher,
Florenz höchſtens als fröhlicher gelten 2), womit denn na-
türlich der objectiven Erkenntniß wenig gedient war. Am
Ende des Jahrhunderts ſchildert Jovianus Pontanus in
ſeinem „Antonius“ eine fingirte Reiſe durch Italien nur
um boshafte Bemerkungen dabei vorbringen zu können.Schilderungen
des
XVI. Jahrh.
Aber mit dem XVI. Jahrhundert beginnt eine Reihe
wahrer und tiefer Characteriſtiken 3) wie ſie damals wohl
1)
22*
[340]4. Abſchnitt.kein anderes Volk in dieſer Weiſe beſaß. Macchiavell
ſchildert in einigen koſtbaren Aufſätzen die Art und den
politiſchen Zuſtand der Deutſchen und Franzoſen, ſo daß
auch der geborene Nordländer, der ſeine Landesgeſchichte
kennt, dem florentiniſchen Weiſen für ſeine Lichtblicke dank-
bar ſein wird. Dann zeichnen die Florentiner (S. 74, 82)
gerne ſich ſelbſt 1) und ſonnen ſich dabei im reichlich ver-
dienten Glanze ihres geiſtigen Ruhmes; vielleicht iſt es der
Gipfel ihres Selbſtgefühls, wenn ſie z. B. das künſtleriſche
Primat Toscana's über Italien nicht einmal von einer
beſondern genialen Begabung, ſondern von der Anſtrengung,
von den Studien herleiten 2). Huldigungen berühmter
Italiener anderer Gegenden wie z. B. das herrliche ſechs-
zehnte Capitolo des Arioſt, mochte man wohl wie einen
ſchuldigen Tribut in Empfang nehmen.
Von einer, wie es ſcheint, ſehr ausgezeichneten Quelle
über die Unterſchiede der Bevölkerungen Italiens können
wir nur den Namen angeben 3). Leandro Alberti 4) iſt
in der Schilderung des Genius der einzelnen Städte nicht
ſo ausgiebig als man erwarten ſollte. Ein kleiner ano-
nymer 5) Commentario enthält zwiſchen vielen Thorheiten
3)
[341] auch manchen werthvollen Wink über den unglücklichen,4. Abſchnitt.
zerfallenen Zuſtand um die Mitte des Jahrhunderts 1).
Wie nun dieſe vergleichende Betrachtung der Bevöl-
kerungen, hauptſächlich durch den italieniſchen Humanismus,
auf andere Nationen eingewirkt haben mag, ſind wir nicht
im Stande näher nachzuweiſen. Jedenfalls gehört Italien
dabei die Priorität wie bei der Cosmographie im Großen.
Allein die Entdeckung des Menſchen bleibt nicht ſtehenSchilderung
des äußern
Menſchen.
bei der geiſtigen Schilderung der Individuen und der Völker;
auch der äußere Menſch iſt in Italien auf ganz andere
Weiſe das Object der Betrachtung als im Norden.
Von der Stellung der großen italieniſchen Aerzte zu
den Fortſchritten der Phyſiologie wagen wir nicht zu ſprechen,
und die künſtleriſche Ergründung der Menſchengeſtalt ge-
hört nicht hieher ſondern in die Kunſtgeſchichte. Wohl aber
muß hier von der allgemeinen Bildung des Auges die Rede
ſein, welche in Italien ein objectives, allgültiges Urtheil
über körperliche Schönheit und Häßlichkeit möglich machte.
Fürs Erſte wird man bei der aufmerkſamen Leſung
der damaligen italieniſchen Autoren erſtaunen über die Ge-
nauigkeit und Schärfe in der Bezeichnung der äußern
Züge und über die Vollſtändigkeit mancher Perſonalbeſchrei-
bungen überhaupt 2). Noch heutzutage haben beſonders die
Römer das Talent, einen Menſchen, von dem die Rede iſt,
in drei Worten kenntlich zu machen. Dieſes raſche Erfaſſen
des Characteriſtiſchen aber iſt eine weſentliche Vorbedingung
für die Erkenntniß des Schönen und für die Fähigkeit
daſſelbe zu beſchreiben. Bei Dichtern kann allerdings das
umſtändliche Beſchreiben ein Fehler ſein, da ein einziger
Zug, von der tiefern Leidenſchaft eingegeben, im Leſer ein
[342]4. Abſchnitt.viel mächtigeres Bild von der betreffenden Geſtalt zu er-
wecken vermag. Dante hat ſeine Beatrice nirgends herrlicher
geprieſen als wo er nur den Reflex ſchildert, der von ihrem
Weſen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han-
delt ſich hier nicht um die Poeſie, welche als ſolche ihren
eigenen Zielen nachgeht, ſondern um das Vermögen, ſpe-
cielle ſowohl als ideale Formen in Worten zu malen.
Die Schönheit
bei Boccaccio.Hier iſt Boccaccio Meiſter, nicht im Decamerone, da
die Novelle alles lange Beſchreiben verbietet, ſondern in
ſeinen Romanen, wo er ſich die Muße und den nöthigen
Schwung dazu nehmen darf. In ſeinem Ameto ſchildert
er 1) eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler
ſie hundert Jahre ſpäter würde gemalt haben — denn auch
hier geht die Bildung der Kunſt lange voran. Bei der
Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erſcheinen
ſchon einige Züge, die wir claſſiſch nennen würden: in
ſeinen Worten „la spaziosa testa e distesa“ liegt die
Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen;
die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der
Byzantiner zwei Bogen, ſondern zuſammen eine geſchwungene
Linie; die Naſe ſcheint er ſich der ſogenannten Adlernaſe
gen[ä]hert zu denken 2); auch die breite Bruſt, die mäßig
langen Arme, die Wirkung der ſchönen Hand wie ſie auf
dem Purpurgewande liegt — all dieſe Züge deuten weſent-
lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches
zugleich dem des hohen claſſiſchen Alterthumes unbewußt
ſich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio
auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein
ernſtes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht
ausgehöhlten Hals, freilich auch das ſehr moderne „kleine
Füßchen“, und, bei einer ſchwarzhaarigen Nymphe bereits
„zwei ſpitzbübiſch rollende Augen“ 3). U. a. m.
[343]
Ob das XV. Jahrhundert ſchriftliche Rechenſchaft über4. Abſchnitt.
ſein Schönheitsideal hinterlaſſen hat, weiß ich nicht zu ſa-
gen; die Leiſtungen der Maler und Bildhauer würden
dieſelbe nicht ſo ganz entbehrlich machen, wie es auf den
erſten Anblick ſcheint, da gerade ihrem Realismus gegen-
über in den Schreibenden ein ſpecielles Poſtulat der Schön-
heit fortgelebt haben könnte 1). Im XVI. JahrhundertFirenzuola's
Ideal.
tritt dann Firenzuola hervor mit ſeiner höchſt merkwürdigen
Schrift über weibliche Schönheit 2). Man muß vor Allem
ausſcheiden was er nur von antiken Autoren und von
Künſtlern gelernt hat, wie die Maßbeſtimmungen nach
Kopflängen, einzelne abſtracte Begriffe ꝛc. Was übrig
bleibt iſt eigene echte Wahrnehmung, die er mit Beiſpielen
von lauter Frauen und Mädchen aus Prato belegt. Da
nun ſein Werkchen eine Art von Vortrag iſt, den er vor
ſeinen Prateſerinnen, alſo den ſtrengſten Richterinnen hält,
ſo muß er dabei ſich wohl an die Wahrheit angeſchloſſen
haben. Sein Princip iſt zugeſtandenermaßen das des
Zeuxis und Lucian: ein Zuſammenſuchen von einzelnen
ſchönſten Theilen zu einer höchſten Schönheit. Er definirt
die Ausdrücke der Farben, die an Haut und Haaren vor-
kommen, und giebt dem biondo den Vorzug als der we-
ſentlichen und ſchönſten Haarfarbe 3), nur daß er darunter
[344]4. Abſchnitt.ein ſanftes, dem Bräunlichen zugeneigtes Gelb verſteht.
Firenzuola's
Ideal.Ferner verlangt er das Haar dicht, lockig und lang, die
Stirn heiter und doppelt ſo breit als hoch, die Haut hell
leuchtend (candido), aber nicht von todter Weiße (bian-
chezza), die Braunen dunkel, ſeidenweich, in der Mitte
am ſtärkſten und gegen Naſe und Ohr abnehmend, das
Weiße im Auge leiſe bläulich, die Iris nicht gerade ſchwarz,
obwohl alle Dichter nach occhi neri als einer Gabe der
Venus ſchreien, während doch das Himmelblau ſelbſt Göt-
tinnen eigen geweſen und das ſanfte, fröhlich blickende
Dunkelbraun allbeliebt ſei. Das Auge ſelbſt ſoll groß ge-
bildet ſein und vortreten; die Lider ſind weiß mit kaum
ſichtbaren rothen Aederchen am ſchönſten; die Wimpern
weder zu dicht noch zu lang, noch zu dunkel. Die Augen-
höhle muß die Farbe der Wangen haben 1). Das Ohr,
von mittlerer Größe, feſt und wohl angeſetzt, muß in den
[345] geſchwungenen Theilen lebhafter gefärbt ſein als in den4. Abſchnitt.
flachern, der Saum durchſichtig und rothglänzend wie Gra-Firenzuola's
Ideal.
natenkern. Die Schläfe ſind weiß und flach und nicht zu
ſchmal am ſchönſten 1). Auf den Wangen muß das Roth
mit der Rundung zunehmen. Die Naſe, welche weſentlich
den Werth des Profiles beſtimmt, muß nach oben ſehr
ſanft und gleichmäßig abnehmen; wo der Knorpel aufhört,
darf eine kleine Erhöhung ſein, doch nicht daß daraus eine
Adlernaſe würde, die an Frauen nicht gefällt; der untere
Theil muß ſanfter gefärbt ſein als die Ohren, nur nicht
erfroren weiß, die mittlere Wand über der Lippe leiſe ge-
röthet. Den Mund verlangt der Autor eher klein, doch
weder geſpitzt noch platt, die Lippen nicht zu ſubtil, und
ſchön aufeinander paſſend; beim zufälligen Oeffnen (d. h.
ohne Lachen oder Reden) darf man höchſtens ſechs Ober-
zähne ſehen. Beſondere Delicateſſen ſind das Grübchen in
der Oberlippe, ein ſchönes Anſchwellen der Unterlippe, ein
liebreizendes Lächeln im linken Mundwinkel ꝛc. Die Zähne
ſollen ſein: nicht zu winzig, ferner gleichmäßig, ſchön ge-
trennt, elfenbeinfarbig; das Zahnfleiſch nicht zu dunkel,
ja nicht etwa wie rother Sammet. Das Kinn ſei rund,
weder geſtülpt noch ſpitzig, gegen die Erhöhung hin ſich
röthend; ſein beſonderer Ruhm iſt das Grübchen. Der
Hals muß weiß und rund und eher zu lang als zu kurz
ſein, Grube und Adamsapfel nur angedeutet; die Haut
muß bei jeder Wendung ſchöne Falten bilden. Die Schul-
tern verlangt er breit und bei der Bruſt erkennt er ſogar
in der Breite das höchſte Erforderniß der Schönheit; außer-
dem muß daran kein Knochen ſichtbar, alles Zu- und Ab-
[346]4. Abſchnitt.nehmen kaum bemerklich, die Farbe „candidissimo“ ſein.
Firenzuola's
Ideal.Das Bein ſoll lang und an dem untern Theil zart, doch
am Schienbein nicht zu fleiſchlos und überdieß mit ſtarken
weißen Waden verſehen ſein. Den Fuß will er klein, doch
nicht mager, die Spannung (ſcheint es) hoch, die Farbe
weiß wie Alabaſter. Die Arme ſollen weiß ſein und ſich
an den erhöhten Theilen leiſe röthen; ihre Conſiſtenz be-
ſchreibt er als fleiſchig und musculös, doch ſanft wie die
der Pallas, da ſie vor dem Hirten auf Ida ſtand, mit
einem Worte: ſaftig, friſch und feſt. Die Hand verlangt
er weiß, beſonders oben, aber groß und etwas voll, und
anzufühlen wie feine Seide, das roſige Innere mit wenigen,
aber deutlichen, nicht gekreuzten Linien und nicht zu hohen
Hügeln verſehen, den Raum zwiſchen Daumen und Zeige-
finger lebhaft gefärbt und ohne Runzeln, die Finger lang,
zart und gegen das Ende hin kaum merklich dünner, mit
hellen, wenig gebogenen und nicht zu langen noch zu vier-
eckigen Nägeln, die beſchnitten ſein ſollen nur bis auf die
Breite eines Meſſerrückens.
Neben dieſer ſpeciellen Aeſthetik nimmt die allgemeine
nur eine untergeordnete Stelle ein. Die tiefſten Gründe
des Schönfindens, nach welchen das Auge „senza appello“
richtet, ſind auch für Firenzuola ein Geheimniß wie er
offen eingeſteht, und ſeine Definitionen von Leggiadria,
Grazia, Vaghezza, Venustà, Aria, Maestà ſind zum Theil,
wie bemerkt, philologiſch erworben, zum Theil ein vergeb-
liches Ringen mit dem Unausſprechlichen. Das Lachen
definirt er — wahrſcheinlich nach einem alten Autor —
recht hübſch als ein Erglänzen der Seele.
Alle Literaturen werden am Ausgange des Mittelalters
einzelne Verſuche aufweiſen, die Schönheit gleichſam dog-
matiſch feſtzuſtellen 1). Allein neben Firenzuola wird ſchwer-
[347] lich ein anderes Werk irgend aufkommen. Der um ein4. Abſchnitt.
ſtarkes halbes Jahrhundert ſpätere Brantome z. B. iſt ein
geringer Kenner dagegen, weil ihn die Lüſternheit und nicht
der Schönheitsſinn leitet.
Zu der Entdeckung des Menſchen dürfen wir endlichSchilderung
des bewegten
Lebens.
auch die ſchildernde Theilnahme an dem wirklichen bewegten
Menſchenleben rechnen.
Die ganze komiſche und ſatiriſche Seite der mittelalter-
lichen Literaturen hatte zu ihren Zwecken das Bild des
gemeinen Lebens nicht entbehren können. Etwas ganz
anderes iſt es, wenn die Italiener der Renaiſſance dieſes
Bild um ſeiner ſelber willen ausmalen, weil es an ſich
intereſſant, weil es ein Stück des großen allgemeinen
Weltlebens iſt, von welchem ſie ſich zauberhaft umwogt
fühlen. Statt und neben der Tendenzkomik, welche ſich in
den Häuſern, auf den Gaſſen, in den Dörfern herumtreibt,
weil ſie Bürgern, Bauern und Pfaffen eines anhängen
will, treffen wir hier in der Literatur die Anfänge des
echten Genre, lange Zeit bevor ſich die Malerei damit
abgiebt. Daß Beides ſich dann oft wieder verbindet, hindert
nicht, daß es verſchiedene Dinge ſind.
Wie viel irdiſches Geſchehen muß Dante aufmerkſamBei Dante.
und theilnehmend angeſehen haben bis er die Vorgänge
ſeines Jenſeits ſo ganz ſinnlich wahr ſchildern konnte 1).
Die berühmten Bilder von der Thätigkeit im Arſenal zu
Venedig, vom Aneinanderlehnen der Blinden vor den Kirch-
thüren 2) u. dgl. ſind lange nicht die einzigen Beweiſe dieſer
Art; ſchon ſeine Kunſt, den Seelenzuſtand in der äußern
Geberde darzuſtellen, zeigt ein großes und beharrliches
Studium des Lebens.
[348]
4. Abſchnitt.Die Dichter, welche auf ihn folgen, erreichen ihn in
dieſer Beziehung ſelten und den Novelliſten verbietet es
das höchſte Geſetz ihrer Literaturgattung, bei dem Einzelnen
zu verweilen (Vgl. S. 302, 342). Sie dürfen ſo weitſchweifig
präludiren und erzählen als ſie wollen, aber nicht genrehaft
ſchildern. Wir müſſen uns gedulden bis die Männer des
Alterthums Luſt und Gelegenheit finden, ſich in der Be-
ſchreibung zu ergehen.
Bei Aen. Syl-
vius.Hier tritt uns wiederum der Menſch entgegen, welcher
Sinn hatte für Alles: Aeneas Sylvius. Nicht bloß die
Schönheit der Landſchaft, nicht bloß das cosmographiſch
oder antiquariſch Intereſſante (S. 180, 282, 298) reizt ihn zur
Darſtellung, ſondern jeder lebendige Vorgang 1). Unter
den ſehr vielen Stellen ſeiner Memoiren, wo Scenen ge-
ſchildert werden, welchen damals kaum Jemand einen Feder-
ſtrich gegönnt hätte, heben wir hier nur das Wettrudern
auf dem Bolſener See hervor 2). Man wird nicht näher
ermitteln können, aus welchen antiken Epiſtolographen oder
Erzählern die ſpecielle Anregung zu ſo lebensvollen Bildern
auf ihn übergegangen iſt, wie denn überhaupt die geiſtigen
Berührungen zwiſchen Alterthum und Renaiſſance oft über-
aus zart und geheimnißvoll ſind.
Sodann gehören hieher jene beſchreibenden lateiniſchen
Gedichte, von welchen oben (S. 257) die Rede war:
Jagden, Reiſen, Ceremonien u. dgl. Es giebt auch Ita-
lieniſches dieſer Gattung; wie z. B. die Schilderungen des
berühmten mediceiſchen Turniers von Poliziano und Luca
Pulci. Die eigentlichen epiſchen Dichter, Luigi Pulci, Bo-
[349] jardo und Arioſt, treibt ihr Gegenſtand ſchon raſcher vor-4. Abſchnitt.
wärts, doch wird man bei Allen die leichte Präciſion in
der Schilderung des Bewegten als ein Hauptelement ihrer
Meiſterſchaft anerkennen müſſen. Franco Sacchetti macht
ſich einmal das Vergnügen, die kurzen Reden eines Zuges
hübſcher Weiber aufzuzeichnen 1), die im Wald vom Regen
überraſcht werden.
Andere Beſchreibungen der bewegten Wirklichkeit findet
man am eheſten bei Kriegsſchriftſtellern u. dgl. (Vgl. S. 100).
Schon aus früherer Zeit iſt uns in einem umſtändlichen
Gedicht 2) das getreue Abbild einer Söldnerſchlacht des
XIV. Jahrhunderts erhalten, hauptſächlich in Geſtalt der
Zurufe, Commando's und Geſpräche, die während einer
ſolchen vorkommen.
Das Merkwürdigſte dieſer Art aber iſt die echte Schil-Falſche u. echte
Schilderung
des Landlebens.
derung des Bauernlebens, welche beſonders bei Lorenzo
magnifico und den Dichtern in ſeiner Umgebung bemerk-
lich wird.
Seit Petrarca 3) gab es eine falſche, conventionelle
Bucolik oder Eclogendichtung, eine Nachahmung Virgils,
mochten die Verſe lateiniſch oder italieniſch ſein. Als ihre
Nebengattungen traten auf der Hirtenroman von Boccaccio
(S. 254) bis auf Sannazaro's Arcadia, und ſpäter das
Schäferſpiel in der Art des Taſſo und Guarini, Werke der
allerſchönſten Proſa wie des vollendetſten Versbaues, worin
[350]4. Abſchnitt.jedoch das Hirtenweſen nur ein äußerlich übergeworfenes
ideales Coſtüm für Empfindungen iſt, die einem ganz
andern Bildungskreis entſtammen 1).
Daneben aber tritt gegen das Ende des XV. Jahr-
hunderts jene echt genrehafte Behandlung des ländlichen
Daſeins in die Dichtung ein. Sie war nur in Italien
Stellung der
Bauern.möglich, weil nur hier der Bauer (ſowohl der Colone als
der Eigenthümer) Menſchenwürde und perſönliche Freiheit
und Freizügigkeit hatte, ſo hart bisweilen auch ſein Loos
ſein mochte. Der Unterſchied zwiſchen Stadt und Dorf iſt
bei weitem nicht ſo ausgeſprochen wie im Norden; eine
Menge Städtchen ſind ausſchließlich von Bauern bewohnt,
die ſich des Abends Städter nennen können. Die Wan-
derungen der comaskiſchen Maurer gingen faſt durch ganz
Italien; das Kind Giotto durfte von ſeinen Schafen hin-
weg und konnte in Florenz zünftig werden; überhaupt war
ein beſtändiger Zuſtrom vom Lande nach den Städten und
gewiſſe Bergbevölkerungen ſchienen dafür eigentlich geboren 2).
Nun ſorgen zwar Bildungshochmuth und ſtädtiſcher Dünkel
noch immer dafür, daß Dichter und Novelliſten ſich über
den villano luſtig machen 3), und die Improviſir-Comödie
(S. 318, f.) that vollends das Uebrige. Aber wo fände ſich
ein Ton von jenem grauſamen, verachtungsvollen Racen-
[351] haß gegen die vilains, der die adlichen provenzaliſchen4. Abſchnitt.
Dichter und ſtellenweiſe die franzöſiſchen Chroniſten beſeelt?
Vielmehr 1) erkennen italieniſche Autoren jeder Gattung das
Bedeutende und Große, wo es ſich im Bauernleben zeigt,
freiwillig an und heben es hervor. Gioviano Pontano
erzählt 2) mit Bewunderung Züge von Seelenſtärke der
wilden Abruzzeſen; in den biographiſchen Sammelwerken
wie bei den Novelliſten fehlt auch das heroiſche Bauer-
mädchen 3) nicht, welches ſein Leben dran ſetzt um ſeine
Unſchuld oder ſeine Familie zu vertheidigen 4).
Unter ſolchen Vorausſetzungen war eine poetiſche Be-
trachtung des Bauernlebens möglich. Zunächſt ſind hier
zu erwähnen die einſt viel geleſenen und noch heute leſens-Battiſta Man-
tovano.
werthen Eclogen des Battiſta Mantovano (eines ſeiner
[352]4. Abſchnitt.frühern Werke, etwa um 1480). Sie ſchwanken noch
zwiſchen echter und conventioneller Ländlichkeit, doch über-
wiegt die erſtere. Im Weſentlichen ſpricht daraus der Sinn
eines wohldenkenden Dorfgeiſtlichen, nicht ohne einen ge-
wiſſen aufkläreriſchen Eifer. Als Carmelitermönch mag er
viel mit Landleuten verkehrt haben.
Lorenzo magni-
fico.Allein mit einer ganz andern Kraft verſetzt ſich Lo-
renzo magnifico in den bäuriſchen Geſichtskreis hinein.
Seine Nencia di Barberino 1) liest ſich wie ein Inbegriff
echter Volkslieder aus der Umgegend von Florenz, zuſam-
mengegoſſen in einen großen Strom von Ottaven. Die
Objectivität des Dichters iſt der Art, daß man im Zweifel
bleibt, ob er für den Redenden (den Bauerburſchen Vallera,
welcher der Nencia ſeine Liebe erklärt) Sympathie oder
Hohn empfindet. Ein bewußter Gegenſatz zur conventio-
nellen Bucolik mit Pan und Nymphen iſt unverkennbar;
Lorenzo ergeht ſich abſichtlich im derben Realismus des
bäuriſchen Kleinlebens und doch macht das ganze einen
wahrhaft poetiſchen Eindruck.
Luigi Pulci.Ein zugeſtandenes Seitenſtück zur Nencia iſt die Beca
da Dicomano des Luigi Pulci 2). Allein es fehlt der tiefere
objective Ernſt; die Beca iſt nicht ſowohl gedichtet aus
innerem Drang, ein Stück Volksleben darzuſtellen, als viel-
mehr aus dem Verlangen, durch etwas der Art den Beifall
gebildeter Florentiner zu gewinnen. Daher die viel größere,
abſichtlichere Derbheit des Genrehaften und die beigemiſch-
ten Zoten. Doch wird der Geſichtskreis des ländlichen
Liebhabers noch ſehr geſchickt feſtgehalten.
[353]
Der dritte in dieſem Verein iſt Angelo Poliziano mit4. Abſchnitt.
ſeinem Ruſticus 1) in lateiniſchen Hexametern. Er ſchildert,Poliziano.
unabhängig von Virgils Georgica, ſpeciell das toscaniſche
Bauernjahr, beginnend mit dem Spätherbſt, da der Land-
mann einen neuen Pflug ſchnitzt und die Winterſaat beſtellt.
Sehr reich und ſchön iſt die Schilderung der Fluren im
Frühling und auch der Sommer enthält vorzügliche Stellen;
als eine Perle aller neulateiniſchen Poeſie aber darf das
Kelterfeſt im Herbſte gelten. Auch auf italieniſch hat Po-
liziano Einzelnes gedichtet, woraus hervorgeht, daß man im
Kreiſe des Lorenzo bereits irgend ein Bild aus dem leiden-
ſchaftlich bewegten Leben der untern Stände realiſtiſch be-
handeln durfte. Sein Liebeslied des Zigeuners 2) iſt wohl
eines der frühſten Producte der echt modernen Tendenz,
ſich in die Lage irgend einer Menſchenclaſſe mit poetiſchem
Bewußtſein hineinzuverſetzen. Mit komiſcher Abſicht war
dergleichen wohl von jeher verſucht worden 3) und in Flo-
renz boten die Geſänge der Maskenzüge ſogar eine bei jedem
Carneval wiederkehrende Gelegenheit hiezu. Neu aber iſt
das Eingehen auf die Gefühlswelt eines Andern, womit
die Nencia und dieſe „Canzone zingaresca“ einen denk-
würdigen neuen Anfang in der Geſchichte der Poeſie aus-
machen.
Auch hier muß ſchließlich darauf hingewieſen werden,
wie die Bildung der Kunſt vorangeht. Von der Nencia
an dauert es wohl achtzig Jahre bis zu den ländlichen
Genremalereien des Jacopo Baſſano und ſeiner Schule.
Im nächſten Abſchnitt wird es ſich zeigen, daß in Ita-
lien damals die Geburtsunterſchiede zwiſchen den Menſchen-
Cultur der Renaiſſance. 23
[354]4. Abſchnitt.claſſen ihre Geltung verloren. Gewiß trug hiezu viel bei,
daß man hier zuerſt die Menſchen und die Menſchheit in
ihrem tiefern Weſen vollſtändig erkannt hatte. Schon dieſes
eine Reſultat der Renaiſſance darf uns mit ewigem Dank-
gefühl erfüllen. Den logiſchen Begriff der Menſchheit hatte
man von jeher gehabt, aber ſie kannte die Sache.
Der Begriff des
Menſchen.Die höchſten Ahnungen auf dieſem Gebiete ſpricht
Pico della Mirandola aus in ſeiner Rede von der Würde
des Menſchen 1), welche wohl eines der edelſten Vermächt-
niſſe jener Culturepoche heißen darf. Gott hat am Ende
der Schöpfungstage den Menſchen geſchaffen, damit derſelbe
die Geſetze des Weltalls erkenne, deſſen Schönheit liebe,
deſſen Größe bewundere. Er band denſelben an keinen
feſten Sitz, an kein beſtimmtes Thun, an keine Nothwen-
digkeiten, ſondern er gab ihm Beweglichkeit und freien
Willen. „Mitten in die Welt“, ſpricht der Schöpfer zu
Adam, „habe ich dich geſtellt, damit du um ſo leichter um
dich ſchaueſt und ſeheſt alles was darinnen iſt. Ich ſchuf
dich als ein Weſen weder himmliſch noch irdiſch, weder
ſterblich noch unſterblich all ein, damit du dein eigener freier
Bildner und Ueberwinder ſeieſt; du kannſt zum Thier ent-
arten und zum gottähnlichen Weſen dich wiedergebären.
Die Thiere bringen aus dem Mutterleibe mit was ſie haben
ſollen, die höhern Geiſter ſind von Anfang an oder doch
bald hernach 2) was ſie in Ewigkeit bleiben werden. Du
allein haſt eine Entwicklung, ein Wachſen nach freiem
Willen, du haſt Keime eines allartigen Lebens in dir.“
[[355]]
Fünfter Abſchnitt.
Die Geſelligkeit und die Feſte.
Jede Culturepoche, die in ſich ein vollſtändig durchgebilde-5. Abſchnitt.
tes Ganze vorſtellt, ſpricht ſich nicht nur im ſtaatlichen Zu-
ſammenleben, in Religion, Kunſt und Wiſſenſchaft kenntlich
aus, ſondern ſie drückt auch dem geſelligen Daſein ihren
beſtimmten Stempel auf. So hatte das Mittelalter ſeine
nach Ländern nur wenig verſchiedene Hof- und Adelsſitte
und Etikette, ſein beſtimmtes Bürgerthum.
Die Sitte der italieniſchen Renaiſſance iſt hievon inGegenſatz zum
Mittelalter.
den wichtigſten Beziehungen das wahre Widerſpiel. Schon
die Baſis iſt eine andere, indem es für die höhere Geſellig-
keit keine Kaſtenunterſchiede mehr, ſondern einen gebildeten
Stand im modernen Sinne giebt, auf welchen Geburt und
Herkunft nur noch dann Einfluß haben, wenn ſie mit er-
erbtem Reichthum und geſicherter Muße verbunden ſind.
In abſolutem Sinne iſt dieß nicht zu verſtehen, indem die
Standescategorien des Mittelalters bald mehr bald weniger
ſich noch geltend zu machen ſuchen, und wäre es auch nur,
um mit der außeritalieniſchen, europäiſchen Vornehmheit in
irgend einem Rangverhältniß zu bleiben; aber der allge-
meine Zug der Zeit war offenbar die Verſchmelzung der
Stände im Sinn der neuern Welt.
Von erſter Wichtigkeit war hiefür das Zuſammen-Zuſammen-
wohnen,
wohnen von Adlichen und Bürgern in den Städten min-
23*
[356]5. Abſchnitt.deſtens ſeit dem XII. Jahrhundert 1), wodurch Schickſale
und Vergnügungen gemeinſchaftlich wurden und die An-
ſchauung der Welt vom Bergſchloß aus von vornherein am
Entſtehen verhindert war. Sodann ließ ſich die Kirche in
Italien niemals zur Apanagirung der jüngern Söhne des
Adels brauchen wie im Norden; Bisthümer, Domherrn-
ſtellen und Abteien wurden oft nach den unwürdigſten
Rückſichten, aber doch nicht weſentlich nach Stammtafeln
vergeben, und wenn die Biſchöfe viel zahlreicher, ärmer und
aller weltlichen Fürſtenhoheit in der Regel baar und ledig
waren, ſo blieben ſie dafür in der Stadt wohnen wo ihre
Cathedrale ſtand, und bildeten ſammt ihrem Domcapitel
ein Element der gebildeten Bevölkerung derſelben. Als
hierauf abſolute Fürſten und Tyrannen emporkamen, hatte
der Adel in den meiſten Städten allen Anlaß und alle
Muße, ſich ein Privatleben zu ſchaffen (S. 133), welches
politiſch gefahrlos und mit jeglichem feinern Lebensgenuſſe
u. Ausgleichung
der Stände.geſchmückt, dabei übrigens von dem der reichen Bürger ge-
wiß kaum zu unterſcheiden war. Und als die neue Poeſie
und Literatur ſeit Dante Sache eines Jeden 2) wurde, als
vollends die Bildung im Sinne des Alterthums und das
Intereſſe für den Menſchen als ſolchen hinzutrat, während
Condottieren Fürſten wurden und nicht nur die Ebenbür-
tigkeit, ſondern auch die eheliche Geburt aufhörten Requiſite
des Thrones zu ſein (S. 19), da konnte man glauben,
ein Zeitalter der Gleichheit ſei angebrochen, der Begriff
des Adels völlig verflüchtigt.
Die Theorie, wenn ſie ſich auf das Alterthum berief,
konnte ſchon aus dem einen Ariſtoteles die Berechtigung
[357] des Adels bejahen oder verneinen. Dante z. B. leitet noch 1),5. Abſchnitt.
aus der einen ariſtoteliſchen Definition „Adel beruhe auf
Trefflichkeit und ererbtem Reichthum“ ſeinen Satz her:
Adel beruhe auf eigener Trefflichkeit oder auf der der Vor-
fahren. Aber an andern Stellen giebt er ſich damit nicht
mehr zufrieden; er tadelt ſich 2), weil er ſelbſt im Paradies,
im Geſpräch mit ſeinem Ahn Cacciaguida, der edlen Her-
kunft gedacht habe, welche doch nur ein Mantel ſei, von
dem die Zeit beſtändig abſchneide, wenn man nicht täglich
neuen Werth hinzuſetze. Und im Convito 3) löst er den
Begriff nobile und nobiltà faſt gänzlich von jeder Bedin-
gung der Geburt ab und identificirt ihn mit der Anlage
zu jedem ſittlichen und intellectuellen Vorrang; ein beſon-
derer Accent wird dabei auf die höhere Bildung gelegt,
indem die nobiltà die Schweſter der filosofia ſein ſoll.
Je conſequenter hierauf der Humanismus ſich die An-Negation des
Adels.
ſchauungsweiſe der Italiener dienſtbar machte, deſto feſter
überzeugte man ſich auch, daß die Abſtammung über den
Werth des Menſchen nicht entſcheide. Im XV. Jahr-
hundert war dieß ſchon die herrſchende Theorie. Poggio
in ſeinem Geſpräch „vom Adel“ 4) iſt mit ſeinen Interlo-
cutoren — Niccolò Niccoli und Lorenzo Medici, Bruder des
großen Coſimo — ſchon darüber einverſtanden, daß es
keine andere Nobilität mehr gebe als die des perſönlichen
Verdienſtes. Mit den ſchärfſten Wendungen wird Manches
von dem perſifflirt, was nach dem gewöhnlichen Vorurtheil
zum adlichen Leben gehört. „Vom wahren Adel ſei Einer
„nur um ſo viel weiter entfernt, je länger ſeine Vorfahren
„kühne Miſſethäter geweſen. Der Eifer für Vogelbeize und
„Jagd rieche nicht ſtärker nach Adel als die Neſter der be-
„treffenden Thiere nach Balſam. Landbau, wie ihn die
[358]5. Abſchnitt.„Alten trieben, wäre viel edler als dieß unſinnige Herum-
„rennen in Wald und Gebirge, wobei man am meiſten
„den Thieren ſelber gleiche. Eine Erholung dürfe der-
„gleichen etwa vorſtellen, nicht aber ein Lebensgeſchäft“.
Vollends unadlich erſcheine das franzöſiſche und engliſche
Ritterleben auf dem Lande oder in Waldſchlöſſern, oder
gar das deutſche Raubritterthum. Der Medici nimmt hierauf
einigermaßen die Partei des Adels, aber — bezeichnend
genug — nicht mit Berufung auf ein angeborenes Gefühl,
ſondern weil Ariſtoteles im V. Buch der Politica den Adel
als etwas Seiendes anerkenne und definire, nämlich eben
als beruhend auf Trefflichkeit und ererbtem Reichthum.
Allein Niccoli erwiedert: Ariſtoteles ſage dieß nicht als ſeine
Ueberzeugung, ſondern als allgemeine Meinung; in der
Ethik, wo er ſage was denke, nenne er Denjenigen adlich,
welcher nach dem wahren Guten ſtrebe. Umſonſt hält ihm
nun der Medici den griechiſchen Ausdruck für Adel, näm-
lich Wohlgeborenheit, Eugeneia entgegen; Niccoli findet das
römiſche Wort nobilis, d. h. bemerkenswerth, richtiger, indem
ſelbiges den Adel von den Thaten abhängig mache 1). Außer
Der Adel in den
einzelnen Land-
ſchaften.dieſen Raiſonnements wird die Stellung des Adels in den
verſchiedenen Gegenden Italiens folgendermaßen ſkizzirt.
In Neapel iſt der Adel träge und giebt ſich weder mit
ſeinen Gütern noch mit dem als ſchmachvoll geltenden
Handel ab; entweder tagediebt er zu Hauſe 2) oder ſitzt zu
Pferde. Auch der römiſche Adel verachtet den Handel, be-
wirthſchaftet aber ſeine Güter ſelbſt; ja wer das Land
[359] baut, dem eröffnet ſich von ſelbſt der Adelsrang 1); „es iſt5. Abſchnitt.
eine ehrbare, wenn auch bäuriſche Nobilität“. Auch in der
Lombardie leben die Adlichen vom Ertrag der ererbten
Landgüter; Abſtammung und Enthaltung von gewöhnlichen
Geſchäften machen hier ſchon den Adel aus 2). In Venedig
treiben die Nobili, die regierende Kaſte, ſämmtlich Handel;
ebenſo ſind in Genua Adliche und Nichtadliche ſämmtlich
Kaufleute und Seefahrer und nur durch die Geburt unter-
ſchieden; einige freilich lauern auch als Wegelagerer in
Bergſchlöſſern. In Florenz hat ſich ein Theil des alten
Adels dem Handel ergeben; ein anderer Theil (gewiß der
weit kleinere) erfreut ſich ſeines Ranges und giebt ſich mit
gar nichts ab als mit Jagd und Vogelbeize 3).
Das Entſcheidende war, daß faſt in ganz Italien auch
die, welche auf ihre Geburt ſtolz ſein mochten, doch gegen-Stellung zur
Bildung.
über der Bildung und dem Reichthum keinen Dünkel geltend
machen konnten, und daß ſie durch ihre politiſchen oder
höfiſchen Vorrechte zu keinem erhöhten Standesgefühl pro-
vocirt wurden. Venedig macht hier nur eine ſcheinbare
Ausnahme, weil das Leben der Nobili durchaus nur ein
bürgerliches, durch wenige Ehrenrechte bevorzugtes war.
[360]5. Abſchnitt.Anders verhält es ſich allerdings mit Neapel, welches durch
die ſtrengere Ausſcheidung und die Pompſucht ſeines Adels
mehr als aus irgend einem andern Grunde von der geiſtigen
Bewegung der Renaiſſance abgeſchnitten blieb. Zu einer
ſtarken Nachwirkung des langobardiſchen und normanniſchen
Mittelalters und des ſpätfranzöſiſchen Adelsweſens kam
hier ſchon vor der Mitte des XV. Jahrhunderts die ara-
goneſiſche Herrſchaft, und ſo vollzog ſich hier am frühſten,
was erſt hundert Jahre ſpäter im übrigen Italien über-
hand nahm: die theilweiſe Hiſpaniſirung des Lebens, deren
Hauptelement die Verachtung der Arbeit und die Sucht
Spätere Hiſpa-
niſirung.nach Adelstiteln war. Der Einfluß hievon zeigte ſich ſchon
vor dem Jahre 1500 ſelbſt in kleinen Städten; aus La
Cava wird geklagt: der Ort ſei ſprichwörtlich reich geweſen
ſo lange dort lauter Maurer und Tuchweber lebten; jetzt,
da man ſtatt Maurerzeug und Webſtühlen nur Sporen,
Steigbügel und vergoldete Gürtel ſehe, da Jedermann
Doctor der Rechte oder der Medicin, Notar, Officier und
Ritter zu werden trachte, ſei die bitterſte Armuth eingekehrt 1).
In Florenz wird eine analoge Entwicklung erſt unter Co-
ſimo dem erſten Großherzog conſtatirt; es wird ihm dafür
gedankt, daß er die jungen Leute, welche jetzt Handel und
Gewerbe verachteten, zur Ritterſchaft in ſeinem Stephans-
orden heranziehe 2). Es iſt das directe Gegentheil jener
frühern florentiniſchen Denkweiſe 3), da die Väter den
[361] Söhnen eine Beſchäftigung zur Bedingung des Erbes5. Abſchnitt.
machten (S. 80).
Aber eine beſondere Art von Rangſucht kreuzt nament-Die Ritter-
würde.
lich bei den Florentinern den gleichmachenden Cultus von
Kunſt und Bildung auf eine oft komiſche Weiſe; es iſt
das Streben nach der Ritterwürde, welches als Modethor-
heit erſt recht in Schwung kam, als es bereits jeden Schat-
ten von eigentlicher Geltung eingebüßt hatte.
„Vor ein paar Jahren, ſchreibt Franco Sacchetti 1)
gegen Ende des XIV. Jahrhunderts, hat Jedermann ſehen
können wie ſich Handwerker bis zu den Bäckern herunter,
ja bis zu den Wollekratzern, Wucherern, Wechſlern und
Halunken zu Rittern machen ließen. Weßhalb braucht ein
Beamter, um als Rettore in eine Landſtadt gehen zu können,
[d]ie Ritterwürde? Zu irgend einem gewöhnlichen Broderwerb
paßt dieſelbe vollends nicht. O wie biſt du geſunken un-
glückliche Würde! von all der langen Liſte von Ritterpflich-
ten thun dieſe Ritter das Gegentheil. Ich habe von dieſen
Dingen reden wollen, damit die Leſer inne werden, daß
das Ritterthum geſtorben iſt 2). So gut wie man jetzt
ſogar Verſtorbene zu Rittern erklärt, könnte man auch eine
Figur von Holz oder Stein, ja einen Ochſen zum Ritter
machen“. — Die Geſchichten, welche Sacchetti als Beleg
erzählt, ſind in der That ſprechend genug; da leſen wir
wie Bernabò Visconti den Sieger eines Saufduells und
dann auch den Beſiegten höhniſch mit jenem Titel ſchmückt,
wie deutſche Ritter mit ihren Helmzierden und Abzeichen
zum Beſten gehalten werden u. dgl. Später moquirt ſich
Poggio 3) über die vielen Ritter ohne Pferd und ohne
Kriegsübung. Wer die Ehrenrechte des Standes, z. B.
[362]5. Abſchnitt.das Ausreiten mit Fahnen, geltend machen wollte, hatte
in Florenz ſowohl gegenüber der Regierung als gegen die
Spötter eine ſchwere Stellung 1).
Fortdauer der
Turniere.Bei näherer Betrachtung wird man inne, daß dieſes
von allem Geburtsadel unabhängige verſpätete Ritterweſen
allerdings zum Theil Sache der bloßen lächerlichen, titel-
ſüchtigen Eitelkeit iſt, daß es aber auch eine andere Seite
hat. Die Turniere dauern nämlich fort und wer daran
Theil nehmen will, muß der Form wegen Ritter ſein. Der
Kampf in geſchloſſener Bahn aber, und zwar das regel-
rechte, je nach Umſtänden ſehr gefährliche Lanzenrennen iſt
ein Anlaß, Kraft und Muth zu zeigen, welchen ſich das
entwickelte Individuum — abgeſehen von aller Herkunft —
nicht will entgehen laſſen.
Da half es nichts, daß ſchon Petrarca ſich mit dem
lebhafteſten Abſcheu über das Turnier als über einen ge-
fährlichen Unſinn ausgelaſſen hatte; er bekehrte die Leute
nicht mit ſeinem pathetiſchen Ausruf: „man liest nirgends
„daß Scipio oder Cäſar turniert hätten! 2)“ Die Sache
wurde gerade in Florenz förmlich populär; der Bürger fing
an, ſein Turnier — ohne Zweifel in einer weniger gefähr-
lichen Form — als eine Art von regelrechtem Vergnügen
zu betrachten, und Franco Sachetti 3) hat uns das unend-
Deren Carica-
tur.lich komiſche Bild eines ſolchen Sonntagsturnierers auf-
behalten. Derſelbe reitet hinaus nach Peretola, wo man
um ein Billiges turnieren konnte, auf einem gemietheten
Färbergaul, welchem dann durch Böſewichter eine Diſtel
[363] unter den Schwanz gebunden wird; das Thier nimmt den5. Abſchnitt.
Reißaus und jagt mit dem behelmten Ritter in die Stadt
zurück. Der unvermeidliche Schluß der Geſchichte iſt die
Gardinenpredigt der über ſolche halsbrechende Streiche em-
pörten Gattinn 1).
Endlich nehmen die erſten Medici ſich des Turnier-
weſens mit einer wahren Leidenſchaft an, als wollten ſie,
die unadlichen Privatleute, gerade hierin zeigen, daß ihr
geſelliger Kreis jedem Hofe gleich ſtehe 2). Schon unter
Coſimo (1459), dann unter Pietro dem ältern fanden weit-
berühmte große Turniere in Florenz ſtatt; Pietro der jüngere
ließ über ſolchen Beſtrebungen ſogar das Regieren liegen
[364]5. Abſchnitt.und wollte nur noch im Harniſch abgemalt ſein. Auch am
Hofe Alexanders VI. kamen Turniere vor. Als Cardinal
Ascanio Sforza den Türkenprinzen Dſchem (S. 110, 118)
fragte, wie ihn dieß Schauſpiel gefalle, antwortete derſelbe
ſehr weiſe: in ſeiner Heimath laſſe man dergleichen durch
Sklaven aufführen, um welche es, wenn ſie fielen, nicht
Schade ſei. Der Orientale ſtimmt hier unbewußt mit den
alten Römern zuſammen, gegenüber der Sitte des Mittel-
alters.
Abgeſehen von dieſem nicht unweſentlichen Anhalt der
Ritterwürde gab es auch bereits, z. B. in Ferrara (S. 53)
wahre Hoforden, welche den Titel Cavaliere mit ſich führten.
Der
Cortigiano.Welches aber auch im Einzelnen die Anſprüche und
die Eitelkeiten der Adlichen und der Cavaliere ſein mochten,
immerhin nahm der italieniſche Adel ſeine Stellung in der
Mitte des Lebens und nicht an einem äußern Rande des-
ſelben. Jeden Augenblick verkehrt er mit allen Ständen
auf dem Fuße der Gleichheit, und das Talent und die
Bildung ſind ſeine Hausgenoſſen. Allerdings wird für den
eigentlichen Cortigiano des Fürſten der Adel einbedungen 1),
allein zugeſtandener Maßen hauptſächlich um des Vorur-
theils der Leute willen (per l'oppenion universale) und
unter ausdrücklicher Verwahrung gegen den Wahn, als
könnte der Nichtadliche nicht denſelben innern Werth haben.
Der ſonſtige Aufenthalt von Nichtadlichen in der Nähe des
Fürſten iſt damit vollends nicht ausgeſchloſſen; es handelt
ſich nur darum, daß dem vollkommenen Menſchen, dem
Cortigiano, kein irgend denkbarer Vorzug fehle. Wenn
ihm dann eine gewiſſe Zurückhaltung in allen Dingen zum
Geſetze gemacht wird, ſo geſchieht dieß nicht, weil er von
edlerm Geblüte ſtammt, ſondern weil ſeine zarte individuelle
Vollendung es ſo verlangt. Es handelt ſich um eine
[365] moderne Vornehmheit, wobei doch Bildung und Reichthum5. Abſchnitt.
ſchon überall die Gradmeſſer des geſellſchaftlichen Werthes
ſind, und zwar der Reichthum nur inſofern er es möglich
macht, das Leben der Bildung zu widmen und deren In-
tereſſen im Großen zu fördern.
Je weniger nun die Unterſchiede der Geburt einenVollendung des
Individuums.
beſtimmten Vorzug verliehen, deſto mehr war das Indivi-
duum als ſolches aufgefordert, all ſeine Vortheile geltend
zu machen; deſto mehr mußte auch die Geſelligkeit ſich aus
eigener Kraft beſchränken und veredeln. Das Auftreten des
Einzelnen und die höhere Form der Geſelligkeit werden ein
freies, bewußtes Kunſtwerk.
Schon die äußere Erſcheinung und Umgebung des
Menſchen und die Sitte des täglichen Lebens iſt vollkom-
mener, ſchöner, mehr verfeinert als bei den Völkern außer-
halb Italiens. Von der Wohnung der höhern Stände
handelt die Kunſtgeſchichte; hier iſt nur hervorzuheben, wie
ſehr dieſelbe an Bequemlichkeit und harmoniſcher, vernünf-
tiger Anlage das Schloß und den Stadthof oder Stadtpalaſt
der nordiſchen Großen übertraf. Die Kleidung wechſelteKleidung und
Moden.
dergeſtalt, daß es unmöglich iſt, eine durchgehende Parallele
mit den Moden anderer Länder zu ziehen, zumal da man
ſich ſeit Ende des XV. Jahrhunderts häufig den letztern
anſchloß. Was die italieniſchen Maler als Zeittracht dar-
ſtellen, iſt insgemein das Schönſte und Kleidſamſte was
damals in Europa vorkam, allein man weiß nicht ſicher,
ob ſie das Herrſchende und ob ſie es genau darſtellen.
So viel bleibt aber doch wohl außer Zweifel, daß nirgends
ein ſo großer Werth auf die Tracht gelegt wurde wie in
Italien. Die Nation war und iſt eitel; außerdem aber
rechneten auch ernſte Leute die möglichſt ſchöne und günſtige
Kleidung mit zur Vollendung der Perſönlichkeit. Einſt gab
es ja in Florenz einen Augenblick, da die Tracht etwas
Individuelles war, da Jeder ſeine eigene Mode trug
(S. 132, Anm.), und noch bis tief ins XVI. Jahrhundert gab
[366]5. Abſchnitt.es bedeutende Leute, die dieſen Muth hatten 1); die Uebri-
gen wußten wenigſtens in die herrſchende Mode etwas In-
dividuelles zu legen. Es iſt ein Zeichen des ſinkenden
Italiens, wenn Giovanni della Caſa vor dem Auffallenden,
vor der Abweichung von der herrſchenden Mode warnt 2).
Unſere Zeit, welche wenigſtens in der Männerkleidung das
Nichtauffallen als höchſtes Geſetz reſpectirt, verzichtet damit
auf Größeres als ſie ſelber weiß. Sie erſpart ſich aber
damit viele Zeit, wodurch allein ſchon (nach unſerm Maß-
ſtab der Geſchäftigkeit) jeder Nachtheil aufgewogen würde.
In Venedig 3) und Florenz gab es zur Zeit der Re-
naiſſance für die Männer vorgeſchriebene Trachten und für
Neapel.die Frauen Luxusgeſetze. Wo die Trachten frei waren,
wie z. B. in Neapel, da conſtatiren die Moraliſten, ſogar
nicht ohne Schmerz, daß kein Unterſchied mehr zwiſchen
Adel und Bürger zu bemerken ſei 4). Außerdem beklagen
ſie den bereits äußerſt raſchen Wechſel der Moden und
(wenn wir die Worte richtig deuten) die thörichte Verehrung
[367] alles deſſen was aus Frankreich kommt, während es doch5. Abſchnitt.
oft urſprünglich italieniſche Moden ſeien, die man nur von
den Franzoſen zurück erhalte. Inſofern nun der häufige
Wechſel der Kleiderformen und die Annahme franzöſiſcher
und ſpaniſcher Moden 1) der gewöhnlichen Putzſucht diente,
haben wir uns damit nicht weiter zu beſchäftigen; allein
es liegt darin außerdem ein culturgeſchichtlicher Beleg für
das raſche Leben Italiens überhaupt in den Jahrzehnden
um 1500.
Eine beſondere Beachtung verdient die Bemühung derToiletten-
mittel.
Frauen, durch Toilettenmittel aller Art ihr Ausſehen we-
ſentlich zu verändern. In keinem Lande Europa's ſeit dem
Untergange des römiſchen Reiches hat man wohl der Ge-
ſtalt, der Hautfarbe, dem Haarwuchs von ſo vielen Seiten
zugeſetzt wie damals in Italien 2). Alles ſtrebt einer Nor-
malbildung zu, ſelbſt mit den auffallendſten, ſichtbarſten
Täuſchungen. Wir ſehen hiebei gänzlich ab von der ſon-
ſtigen Tracht, die im XIV. Jahrhundert 3) äußerſt bunt
und ſchmuckbeladen, ſpäter von einem mehr veredelten Reich-
thum war, und beſchränken uns auf die Toilette im engern
Sinne.
Vor Allem werden falſche Haartouren, auch aus weißer
und gelber Seide 4), in Maſſe getragen, verboten und
[368]5. Abſchnitt.wieder getragen, bis etwa ein Bußprediger die weltlichen
Gemüther rührt; da erhebt ſich auf einem öffentlichen Platz
ein zierlicher Scheiterhaufen (talamo), auf welchen neben
Lauten, Spielgeräthen, Masken, Zauberzetteln, Liederbüchern
und anderm Tand auch die Haartouren 1) zu liegen kommen;
die reinigende Flamme nimmt Alles mit in die Lüfte. Die
Idealfarbe aber, welche man in den eigenen, wie in den
aufgeſetzten Haaren zu erreichen ſtrebte, war blond. Und
da die Sonne im Rufe ſtand, das Haar blond machen zu
können 2), ſo gab es Damen, welche bei gutem Wetter den
ganzen Tag nicht aus der Sonne gingen 3), ſonſt brauchte
man auch Färbemittel und außerdem Mixturen für den
Umgeſtaltung
des Geſichtes.Haarwuchs. Dazu kommt aber noch ein Arſenal von
Schönheitswaſſern, Teigpflaſtern und Schminken für jeden
einzelnen Theil des Geſichtes, ſelbſt für Augenlider und
Zähne, wovon unſere Zeit keinen Begriff mehr hat. Kein
Hohn der Dichter 4), kein Zorn der Bußprediger, keine
Warnung vor frühem Verderben der Haut konnte die
Weiber von dem Gebrauch abwendig machen, ihrem Antlitz
eine andere Farbe und ſogar eine theilweis andere Geſtalt
zu geben. Es iſt möglich, daß die häufigen und pracht-
vollen Aufführungen von Myſterien, wobei hunderte von
[369] Menſchen bemalt und geputzt wurden 1), den Mißbrauch im5. Abſchnitt.
täglichen Leben fördern halfen; jedenfalls war er ein all-
gemeiner und die Landmädchen hielten dabei nach Kräften
mit 2). Man konnte lange predigen, daß dergleichen ein
Abzeichen von Buhlerinnen ſei; gerade die ehrbarſten Haus-
frauen, die ſonſt das ganze Jahr keine Schminke anrührten,
ſchminkten ſich doch an Feſttagen, wo ſie ſich öffentlich zeig-
ten 3). — Möge man nun dieſe ganze Unſitte betrachten
als einen Zug von Barbarei, wofür ſich das Schminken
der Wilden als Parallele anführen läßt, oder als eine
Conſequenz des Verlangens nach normaler jugendlicher
Schönheit in Zügen und Farbe, wofür die große Sorgfalt
und Vielſeitigkeit dieſer Toilette ſpräche — jedenfalls haben
es die Männer an Abmahnungen nicht fehlen laſſen.
Das Parfumiren ging ebenfalls über alles MaaßWohlgerüche.
hinaus und erſtreckte ſich auf die ganze Umgebung des
Menſchen. Bei Feſtlichkeiten wurden ſogar Maulthiere mit
Salben und Wohlgerüchen behandelt 4), und Pietro Aretino
dankt dem Coſimo I. für eine parfumirte Geldſendung 5).
Sodann waren die Italiener damals überzeugt, daßReinlichkeit.
ſie reinlicher ſeien als die Nordländer. Aus allgemeinen
culturgeſchichtlichen Gründen kann man dieſen Anſpruch
Cultur der Renaiſſance. 24
[370]5. Abſchnitt.eher billigen als verwerfen, indem die Reinlichkeit mit zur
Vollendung der modernen Perſönlichkeit gehört, dieſe aber
bei den Italienern am frühſten durchgebildet iſt; auch daß
ſie eine der reichſten Nationen der damaligen Welt waren,
ſpräche eher dafür als dagegen. Ein Beweis wird ſich
jedoch natürlich niemals leiſten laſſen, und wenn es ſich
um die Priorität von Reinlichkeitsvorſchriften handelt, ſo
möchte die Ritterpoeſie des Mittelalters deren ältere auf-
weiſen können. Immerhin iſt ſoviel gewiß, daß bei einigen
ausgezeichneten Vertretern der Renaiſſance die ausgezeichnete
Sauberkeit ihres ganzen Weſens, zumal bei Tiſche, mit
Nachdruck hervorgehoben wird 1) und daß als Inbegriff
alles Schmutzes in Italien der Deutſche gilt 2). Was
Maſſimiliano Sforza von ſeiner deutſchen Erziehung für
unreinliche Gewohnheiten mitbrachte und wie ſehr dieſelben
auffielen, erfahren wir aus Giovio 3). Es iſt dabei auf-
fallend, daß man wenigſtens im XV. Jahrhundert die
Gaſtwirthſchaft weſentlich in den Händen der Deutſchen
ließ 4), welche ſich wohl hauptſächlich um der Rompilger
willen dieſem Geſchäfte widmeten. Doch könnte in der be-
treffenden Ausſage vorzugsweiſe nur das offene Land ge-
meint ſein, da in den größern Städten notoriſch italieniſche
Wirthſchaften den erſten Rang behaupteten 5). Der Mangel
[371] an leidlichen Herbergen auf dem Lande würde ſich auch5. Abſchnitt.
durch die große Unſicherheit erklären.
Aus der erſten Hälfte des XVI. Jahrhunderts habenDer Galateo,
wir dann jene Schule der Höflichkeit, welche Giovanni
della Caſa, ein geborner Florentiner, unter dem Titel: Il
Galateo herausgab. Hier wird nicht nur die Reinlichkeit
im engern Sinne, ſondern auch die Entwöhnung von allen
Gewohnheiten, die wir „unſchicklich“ zu nennen pflegen,
mit derſelben untrüglichen Sicherheit vorgeſchrieben, mit
welcher der Moraliſt für die höchſten Sittengeſetze redet. In
andern Literaturen wird dergleichen weniger von der ſyſte-
matiſchen Seite, als vielmehr mittelbar gelehrt, durch die
abſchreckende Schilderung des Unflätigen 1).
Außerdem aber iſt der Galateo eine ſchön und geiſt-und die gute
Lebensart.
voll geſchriebene Unterweiſung in der guten Lebensart, in
Delicateſſe und Tact überhaupt. Noch heute können ihn
Leute jedes Standes mit großem Nutzen leſen und die Höflich-
keit des alten Europa's wird wohl ſchwerlich mehr über
ſeine Vorſchriften hinauskommen. Inſofern der Tact Her-
zensſache iſt, wird er von Anfang aller Cultur an bei allen
Völkern gewiſſen Menſchen angeboren geweſen ſein und
Einige werden ihn auch durch Willenskraft erworben
haben, allein als allgemeine geſellige Pflicht und als Kenn-
zeichen von Bildung und Erziehung haben ihn erſt die
Italiener erkannt. Und Italien ſelbſt hatte ſeit zwei Jahr-
hunderten ſich ſehr verändert. Man empfindet deutlich,
daß die Zeit der böſen Späße zwiſchen Bekannten und Halb-
5)
24*
[372]5. Abſchnitt.bekannten, der burle und beffe (S. 154, f.) in der guten
Geſellſchaft vorüber iſt 1), daß die Nation aus den Mauern
ihrer Städte heraustritt und eine cosmopolitiſche, neutrale
Höflichkeit und Rückſicht entwickelt. Von der eigentlichen,
poſitiven Geſelligkeit wird weiterhin die Rede ſein.
Das ganze äußere Daſein war überhaupt im XV.
und beginnenden XVI. Jahrhundert verfeinert und ver-
ſchönert wie ſonſt bei keinem Volke der Welt. Schon eine
Menge jener kleinen und großen Dinge, welche zuſammen
Der Comfort.die moderne Bequemlichkeit, den Comfort ausmachen, waren
in Italien zum Theil erweislich zuerſt vorhanden. Auf den
wohlgepflaſterten Straßen italieniſcher Städte 2) wurde das
Fahren allgemeiner während man ſonſt überall ging oder
ritt oder doch nicht zum Vergnügen fuhr. Weiche elaſtiſche
Betten, köſtliche Bodenteppiche, Toilettengeräthe, von welchen
ſonſt noch nirgends die Rede iſt, lernt man beſonders bei
den Novelliſten kennen 3). Die Menge und Zierlichkeit des
Weißzeugs wird öfter ganz beſonders hervorgehoben. Manches
gehört ſchon zugleich in das Gebiet der Kunſt; man wird
mit Bewunderung inne, wie ſie von allen Seiten her den
Luxus adelt, wie ſie nicht bloß das mächtige Buffet und
die leichte Etagere mit herrlichen Gefäßen, die Mauern
mit der beweglichen Pracht der Teppiche, den Nachtiſch mit
endloſem plaſtiſchem Confect ſchmückt, ſondern vorzüglich
die Schreinerarbeit auf wunderbare Weiſe völlig in ihren
Bereich zieht. Das ganze Abendland verſucht ſich in den
[373] ſpätern Zeiten des Mittelalters, ſobald die Mittel reichen,5. Abſchnitt.
auf ähnlichen Wegen, allein es iſt dabei theils in kindlicher,
bunter Spielerei, theils in den Feſſeln des einſeitigen go-
thiſchen Decorationsſtyles befangen, während die Renaiſſance
ſich frei bewegt, ſich nach dem Sinn jeder Aufgabe richtet
und für einen viel größern Kreis von Theilnehmern und
Beſtellern arbeitet. Womit dann auch der leichte Sieg
dieſer italieniſchen Zierformen jeder Art über die nordiſchen
im Lauf des XVI. Jahrhunderts zuſammenhängt, obwohl
derſelbe noch ſeine größern und allgemeinern Urſachen hat.
Die höhere Geſelligkeit, die hier als Kunſtwerk, alsDie Sprache d.
Geſellſchaft.
eine höchſte und bewußte Schöpfung des Volkslebens auf-
tritt, hat ihre wichtigſte Vorbedingung und Grundlage in
der Sprache.
In der Blüthezeit des Mittelalters hatte der Adel der
abendländiſchen Nationen eine „höfiſche“ Sprache für den
Umgang wie für die Poeſie zu behaupten geſucht. So gab
es auch in Italien, deſſen Dialecte ſchon frühe ſo weit
auseinander gingen, im XIII. Jahrhundert ein ſogenanntes
„Curiale“, welches den Höfen und ihren Dichtern gemein-
ſam war. Die entſcheidende Thatſache iſt nun, daß man
daſſelbe mit bewußter Anſtrengung zur Sprache aller Ge-
bildeten und zur Schiftſprache zu machen ſuchte. Die
Einleitung der noch vor 1300 redigirten „hundert alten
Novellen“ geſteht dieſen Zweck offen zu. Und zwar wird
hier die Sprache ausdrücklich als von der Poeſie emancipirt
behandelt; das Höchſte iſt der einfach klare, geiſtig ſchöne
Ausdruck in kurzen Reden, Sprüchen und Antworten.
Dieſer genießt eine Verehrung wie nur je bei Griechen und
Arabern: „Wie viele haben in einem langen Leben doch
kaum ein einziges bel parlare zu Tage gebracht!“
Allein die Angelegenheit, um welche es ſich handelte,
war um ſo ſchwieriger, je eifriger man ſie von ſehr ver-
[374]5. Abſchnitt.ſchiedenen Seiten aus betrieb. In dieſen Kampf führt uns
Dante mitten hinein; ſeine Schrift „von der italieniſchen
Sprache“ 1) iſt nicht nur für die Frage ſelbſt wichtig ſondern
auch das erſte raiſonnirende Werk über eine moderne Sprache
überhaupt. Sein Gedankengang und ſeine Reſultate ge-
hören in die Geſchichte der Sprachwiſſenſchaft, wo ſie auf
Ihre Entwick-
lung,immer einen hochbedeutenden Platz einnehmen. Hier iſt
nur zu conſtatiren, daß ſchon lange Zeit vor Abfaſſung der
Schrift die Sprache eine tägliche wichtige Lebensfrage ge-
weſen ſein muß, daß alle Dialecte mit parteiiſcher Vorliebe
und Abneigung ſtudirt worden waren und daß die Geburt
der allgemeinen Idealſprache von den ſtärkſten Wehen be-
gleitet war.
Das Beſte that freilich Dante ſelber durch ſein großes
Gedicht. Der toscaniſche Dialect wurde weſentlich die Baſis
der neuen Idealſprache 2). Wenn damit zu viel geſagt ſein
ſollte, ſo darf der Ausländer um Nachſicht bitten, indem
er ſchlechtweg in einer höchſt beſtrittenen Frage der vor-
herrſchenden Meinung folgt.
In Literatur und Poeſie mag nun der Hader über
dieſe Sprache, der Purismus eben ſo viel geſchadet als
genützt, er mag manchem ſonſt ſehr begabten Autor die
Naivetät des Ausdruckes geraubt haben. Und Andere, die
[375] der Sprache im höchſten Sinne mächtig waren, verließen5. Abſchnitt.
ſich hinwiederum auf den prachtvoll wogenden Gang und
Wohllaut derſelben als auf einen vom Inhalt unabhängi-
gen Vorzug. Auch eine geringe Melodie kann nämlich von
ſolch einem Inſtrument getragen, herrlich klingen. Allein
wie dem auch ſei, in geſellſchaftlicher Beziehung hatte dieſe
Sprache einen hohen Werth. Sie war die Ergänzung zu
dem edeln, ſtylgemäßen Auftreten überhaupt, ſie nöthigte
den gebildeten Menſchen, auch im Alltäglichen Haltung und
in ungewöhnlichern Momenten äußere Würde zu behaupten.
Schmutz und Bosheit genug hüllten ſich allerdings auch in
dieß claſſiſche Gewand wie einſt in den reinſten Atticismus,
allein auch das Feinſte und Edelſte fand in ihr einen gül-
tigen Ausdruck. Vorzüglich bedeutend aber iſt ſie in na-und weite Ver-
breitung.
tionaler Beziehung, als ideale Heimath der Gebildeten aller
Staaten des früh zerriſſenen Landes 1). Zudem gehört ſie
nicht nur den Adlichen oder ſonſt irgend einem Stande,
ſondern der Aermſte und Geringſte hat Zeit und Mittel
übrig ſich ihrer zu bemächtigen, ſobald er nur will. Noch
heutzutage (und vielleicht mehr als je) wird der Fremde in
ſolchen Gegenden Italiens, wo ſonſt der unverſtändlichſte
Dialect herrſcht, bei geringen Leuten und Bauern oft durch
ein ſehr reines und rein geſprochenes Italieniſch überraſcht
und beſinnt ſich vergebens auf Aehnliches bei denſelben
Menſchenclaſſen in Frankreich oder gar in Deutſchland, wo
auch die Gebildeten an der provincialen Ausſprache feſt-
halten. Freilich iſt das Leſenkönnen in Italien viel ver-
breiteter als man nach den ſonſtigen Zuſtänden, z. B. des
Kirchenſtaates, denken ſollte, allein wie weit würde dieß
helfen ohne den allgemeinen, unbeſtrittenen Reſpect vor der
reinen Sprache und Ausſprache als einem hohen und werthen
Beſitzthum? Eine Landſchaft nach der andern hat ſich der-
ſelben officiell anbequemt, auch Venedig, Mailand und
[376]5. Abſchnitt.Neapel noch zur Zeit der Blüthe der Literatur und zum
Theil wegen derſelben. Piemont iſt erſt in unſerm Jahr-
hundert durch freien Willensact ein recht italieniſches Land
geworden, indem es ſich dieſem wichtigſten Capital der
Nation, der reinen Sprache, anſchloß 1). Der Dialectlite-
ratur wurden ſchon ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts
gewiſſe Gegenſtände freiwillig und mit Abſicht überlaſſen,
und zwar nicht etwa lauter komiſche, ſondern auch ernſte 2).
Der Styl, welcher ſich darin entwickelte, war allen Auf-
gaben gewachſen. Bei andern Völkern findet eine bewußte
Trennung dieſer Art erſt ſehr viel ſpäter Statt.
Die Puriſten.Die Denkweiſe der Gebildeten über den Werth der
Sprache als Medium der höhern Geſelligkeit ſtellt der Cor-
tigiano 3) ſehr vollſtändig dar. Es gab ſchon damals, zu
Anfang des XVI. Jahrhunderts, Leute, welche gefliſſent-
lich die veralteten Ausdrücke aus Dante und den übrigen
Toscanern ſeiner Zeit feſthielten, bloß weil ſie alt waren.
Für das Sprechen verbittet ſich der Autor dieſelben unbe-
dingt und will ſie auch für das Schreiben nicht gelten
laſſen, indem daſſelbe doch nur eine Form des Sprechens
ſei. Hierauf folgt dann conſequent das Zugeſtändniß:
dasjenige Reden ſei das Schönſte, welches ſich am meiſten
den ſchön verfaßten Schriften nähere. Sehr klar tritt der
Gedanke hervor, daß Leute, die etwas Bedeutendes zu ſagen
[377] haben, ihre Sprache ſelber bilden und daß die Sprache5. Abſchnitt.
beweglich und wandelbar, weil ſie etwas Lebendiges iſt.
Man möge die ſchönſten beliebigen Ausdrücke brauchen,
wenn nur das Volk ſie noch brauche, auch ſolche aus nicht-
toscaniſchen Gegenden, ja hie und da franzöſiſche und ſpa-
niſche, wenn ſie der Gebrauch ſchon für beſtimmte Dinge
angenommen habe 1). So entſtehe, mit Geiſt und Sorgfalt,
eine Sprache, welche zwar nicht eine rein antik toscaniſche,
wohl aber eine italieniſche wäre, reich an Fülle wie ein
köſtlicher Garten voller Blumen und Früchte. Es gehört
ſehr weſentlich mit zu der allgemeinen Virtuoſität des Cor-
tigiano, daß nur in dieſem ganz vollkommenen Gewande
ſeine feine Sitte, ſein Geiſt und ſeine Poeſie zu Tage treten.
Da nun die Sprache eine Angelegenheit der lebendigen
Geſellſchaft geworden war, ſo ſetzten die Archaiſten und
Puriſten trotz aller Anſtrengung ihre Sache im WeſentlichenIhr geringer
Erfolg.
nicht durch. Es gab zu viele und treffliche Autoren und
Converſationsmenſchen in Toscana ſelbſt, welche ſich über
das Streben Jener hinwegſetzten oder luſtig machten; letzteres
vorzüglich, wenn ein Weiſer von draußen kam und ihnen,
den Toscanern, darthun wollte, ſie verſtänden ihre eigene
Sprache nicht 2). Schon das Daſein und die Wirkung
[378]5. Abſchnitt.eines Schriftſtellers wie Macchiavelli riß alle jene Spinn-
weben durch, inſofern ſeine mächtigen Gedanken, ſein klarer,
einfacher Ausdruck in einer Sprache auftraten, welche eher
alle andern Vorzüge hatte als den eines reinen Trecentismo.
Andererſeits gab es zu viele Oberitaliener, Römer, Neapo-
litaner ꝛc., welchen es lieb ſein mußte, wenn man in Schrift
und Converſation die Anſprüche auf Reinheit des Aus-
druckes nicht zu hoch ſpannte. Sie verläugnen zwar Sprach-
formen und Ausdrücke ihres Dialectes völlig, und ein Aus-
länder wird es leicht für falſche Beſcheidenheit halten, wenn
z. B. Bandello öfter hoch und theuer proteſtirt: „ich habe
keinen Styl; ich ſchreibe nicht florentiniſch ſondern oft bar-
bariſch; ich begehre der Sprache keine neuen Zierden zu
verleihen; ich bin nur ein Lombarde und noch dazu von
der liguriſchen Grenze her“ 1). Allein gegenüber der ſtren-
gen Partei behauptete man ſich in der That am eheſten,
indem man auf höhere Anſprüche ausdrücklich verzichtete
und ſich dafür der großen allgemeinen Sprache nach Kräften
bemächtigte. Nicht Jeder konnte es Pietro Bembo gleich-
thun, welcher als geborener Venezianer Zeitlebens das
reinſte Toscaniſch, aber faſt als eine fremde Sprache ſchrieb,
oder einem Sannazaro, der es als Neapolitaner ebenſo
machte. Das Weſentliche war, daß Jeder die Sprache in
Wort und Schrift mit Achtung behandeln mußte. Daneben
mochte man den Puriſten ihren Fanatismus, ihre Sprach-
congreſſe 2) u. dgl. laſſen; ſchädlich im Großen wurden ſie
erſt ſpäter, als der originale Hauch in der Literatur ohne-
hin ſchwächer war und noch ganz andern, viel ſchlimmern
Einflüſſen unterlag. Endlich ſtand es der Academia della
[379] Crusca frei, das Italieniſche wie eine todte Sprache zu5. Abſchnitt.
behandeln. Sie war aber ſo machtlos, daß ſie nicht ein-
mal die geiſtige Franzöſirung deſſelben im vorigen Jahr-
hundert verhindern konnte. (Vgl. S. 377, Anm.)
Dieſe geliebte, gepflegte, auf alle Weiſe geſchmeidigDie
Converſation.
gemachte Sprache war es nun, welche als Converſation die
Baſis der ganzen Geſelligkeit ausmachte. Während im
Norden der Adel und die Fürſten ihre Muße entweder
einſam oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Ceremonien,
die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen,
allenfalls auch mit Verskünſten und Feſtlichkeiten hinbrachten,
gab es in Italien zu all dieſem noch eine neutrale Sphäre,
wo Leute jeder Herkunft, ſobald ſie das Talent und die
Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austauſch
von Ernſt und Scherz in veredelter Form oblagen. Da
die Bewirthung dabei Nebenſache war 1), ſo konnte man
ſtumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fern
halten. Wenn wir die Verfaſſer von Dialogen beim Wort
nehmen dürften, ſo hätten auch die höchſten Probleme des
Daſeins das Geſpräch zwiſchen auserwählten Geiſtern aus-
gefüllt; die Hervorbringung der erhabenſten Gedanken wäre
nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine einſame,
ſondern eine Mehrern gemeinſame geweſen. Doch wir be-
ſchränken uns hier gerne auf die ſpielende, um ihrer ſelbſt
willen vorhandene Geſelligkeit.
Sie war wenigſtens zu Anfang des XVI. JahrhundertsDie geſetzliche
Geſelligkeit.
eine geſetzlich ſchöne und beruhte auf einem ſtillſchweigenden,
oft aber auch auf einem laut zugeſtandenen und vorge-
ſchriebenen Uebereinkommen, welches ſich frei nach der Zweck-
[380]5. Abſchnittmäßigkeit und dem Anſtand richtet und das gerade Gegen-
theil von aller bloßen Etikette iſt. In derbern Lebenskreiſen,
wo dergleichen den Character einer dauernden Corporation
annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie
z. B. bei jenen tollen Geſellſchaften florentiniſcher Künſtler,
von welchen Vaſari erzählt 1); ein ſolches Beiſammenbleiben
machte denn auch die Aufführung der wichtigſten damaligen
Comödien möglich. Die leichtere Geſelligkeit des Augen-
blickes dagegen nahm gerne die Vorſchriften an, welche etwa
die namhafteſte Dame ausſprach. Alle Welt kennt den
Eingang von Boccaccio's Decamerone und hält das König-
thum der Pampinea über die Geſellſchaft für eine ange-
nehme Fiction; um eine ſolche handelt es ſich auch gewiß
in dieſem Falle, allein dieſelbe beruht auf einer häufig
vorkommenden wirklichen Uebung. Firenzuola, der faſt
zwei Jahrhunderte ſpäter ſeine Novellenſammlung auf
ähnliche Weiſe einleitet, kommt gewiß der Wirklichkeit noch
viel näher, indem er ſeiner Geſellſchaftskönigin eine förmliche
Thronrede in den Mund legt, über die Eintheilung der
Zeit während des bevorſtehenden gemeinſamen Landaufent-
haltes: zuerſt eine philoſophiſche Morgenſtunde während
man nach einer Anhöhe ſpaziert; dann die Tafel 2) mit
Lautenſpiel und Geſang; darauf, in einem kühlen Raum,
Die Novelliſten
und ihre
Zuhörerſchaft.die Recitation einer friſchen Canzone deren Thema jedes-
mal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spa-
ziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und Jedermann
[381] eine Novelle erzählt; endlich das Abendeſſen und heitere5. Abſchnitt.
Geſpräche „von ſolcher Art, daß ſie für uns Frauen noch
„ſchicklich heißen können und bei euch Männern nicht vom
„Weine eingegeben ſcheinen müſſen“. Bandello giebt in
den Einleitungen oder Widmungen zu den einzelnen No-
vellen zwar nicht ſolche Einweihungsreden, indem die ver-
ſchiedenen Geſellſchaften, vor welchen ſeine Geſchichten er-
zählt werden, bereits als gegebene Kreiſe exiſtiren, allein
er läßt auf andere Weiſe errathen, wie reich, vielartig und
anmuthig die geſellſchaftlichen Vorausſetzungen waren.
Manche Leſer werden denken, an einer Geſellſchaft, welche
ſo unmoraliſche Erzählungen anzuhören im Stande war,
ſei nichts zu verlieren noch zu gewinnen. Richtiger möchte
der Satz ſo lauten: auf welchen ſichern Grundlagen mußte
eine Geſelligkeit ruhen, die trotz jener Hiſtorien nicht aus
den äußern Formen, nicht aus Rand und Band ging, die
zwiſchen hinein wieder der ernſten Discuſſion und Berathung
fähig war. Das Bedürfniß nach höhern Formen des Um-
ganges war eben ſtärker als Alles. Man braucht dabei
nicht die ſehr idealiſirte Geſellſchaft als Maßſtab zu nehmen,
welche Caſtiglione am Hofe Guidobaldo's von Urbino,
Pietro Bembo auf dem Schloß Aſolo ſelbſt über die höch-
ſten Gefühle und Lebenszwecke reflectiren laſſen. Gerade
die Geſellſchaft eines Bandello mit ſammt den Frivolitäten,
die ſie ſich bieten läßt, giebt den beſten Maßſtab für den
vornehm leichten Anſtand, für das Großweltswohlwollen
und den echten Freiſinn, auch für den Geiſt und den zier-
lichen poetiſchen und andern Dilettantismus, der dieſe Kreiſe
belebte. Ein bedeutender Wink für den Werth einer ſolchen
Geſelligkeit liegt beſonders darin, daß die Damen, welche
deren Mittelpuncte bildeten, damit berühmt und hochgeachtet
wurden ohne daß es ihrem Ruf im Geringſten ſchadete.
Von den Gönnerinnen Bandello's z. B. iſt wohl IſabellaDie großen
Damen.
Gonzaga, geborne Eſte (S. 44) durch ihren Hof von
[382]5. Abſchnitt.lockern Fräulein 1), aber nicht durch ihr eigenes Benehmen
in ungünſtige Nachrede gerathen; Giulia Gonzaga Colonna,
Ippolita Sforza vermählte Bentivoglio, Bianca Rangona,
Cecilia Gallerana, Camilla Scarampa u. A. waren ent-
weder völlig unbeſcholten oder es wurde auf ihr ſonſtiges
Benehmen kein Gewicht gelegt neben ihrem ſocialen Ruhm.
Die berühmteſte Dame von Italien, Vittoria Colonna, war
vollends eine Heilige. Was nun Specielles von dem zwang-
loſen Zeitvertreib jener Kreiſe in der Stadt, auf der Villa,
in Badeorten gemeldet wird, läßt ſich nicht ſo wiedergeben,
daß daraus die Superiorität über die Geſelligkeit des
übrigen Europa's buchſtäblich klar würde. Aber man höre
Bandello an 2) und frage ſich dann nach der Möglichkeit
von etwas Aehnlichem z. B. in Frankreich, bevor dieſe Art
von Geſelligkeit eben durch Leute wie er aus Italien dort-
hin verpflanzt worden war. — Gewiß wurde auch damals
das Größte im Gebiet des Geiſtes hervorgebracht ohne die
Beihülfe ſolcher Salons und ohne Rückſicht auf ſie; doch
thäte man Unrecht, ihren Werth für die Bewegung von
Kunſt und Poeſie gar zu gering zu ſchätzen, wäre es auch
nur, weil ſie das ſchaffen halfen, was damals in keinem
Lande exiſtirte: eine gleichartige Beurtheilung und Theil-
nahme für die Productionen. Abgeſehen davon iſt dieſe
Art von Societät ſchon als ſolche eine nothwendige Blüthe
jener beſtimmten Cultur und Exiſtenz, welche damals eine
italieniſche war und ſeitdem eine europäiſche geworden iſt.
Florentiniſche
Geſelligkeit.In Florenz wird das Geſellſchaftsleben ſtark bedingt
von Seiten der Literatur und der Politik. Lorenzo magnifico
iſt vor Allem eine Perſönlichkeit, welche nicht wie man
glauben möchte, durch die fürſtengleiche Stellung, ſondern
durch das außerordentliche Naturell ſeine Umgebung voll-
[383] ſtändig beherrſcht, eben weil er dieſe unter ſich ſo verſchie-5. Abſchnitt.
denen Menſchen in Freiheit ſich ergehen läßt 1). Man ſieht
z. B. wie er ſeinen großen Hauslehrer Poliziano ſchonte,
wie die ſouveränen Manieren des Gelehrten und Dichters
eben noch kaum verträglich waren mit den nothwendigen
Schranken, welche der ſich vorbereitende Fürſtenrang des
Hauſes und die Rückſicht auf die empfindliche Gemahlin
vorſchrieben; dafür iſt aber Poliziano der Herold und das
wandelnde Symbol des mediceiſchen Ruhmes. Lorenzo
freut ſich dann auch recht in der Weiſe eines Medici, ſeinLorenzo als
Schilderer ſei-
nes Kreiſes.
geſelliges Vergnügen ſelber zu verherrlichen, monumental
darzuſtellen. In der herrlich improviſirten „Falkenjagd“
ſchildert er ſeine Genoſſen ſcherzhaft, in dem „Gelage“ ſogar
höchſt burlesk, allein ſo, daß man die Fähigkeit des ernſt-
hafteſten Verkehrs deutlich durchfühlt2). Von dieſem Ver-
kehr geben dann ſeine Correſpondenz und die Nachrichten
über ſeine gelehrte und philoſophiſche Converſation reichliche
Kunde. Andere ſpätere geſellige Kreiſe in Florenz ſind zum
Theil theoretiſirende politiſche Clubbs, die zugleich eine
poetiſche und philoſophiſche Seite haben wie z. B. die ſo-
genannte platoniſche Academie, als ſie ſich nach Lorenzo's
Tode in den Gärten der Ruccellai verſammelte 3).
[384]
5. Abſchnitt.An den Fürſtenhöfen hing natürlich die Geſelligkeit
von der Perſon des Herrſchers ab. Es gab ihrer allerdings
ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch wenige und
dieſe konnten nur geringerntheils in dieſer Beziehung etwas
bedeuten. Rom hatte ſeinen wahrhaft einzigen Hof Leo's X.,
eine Geſellſchaft von ſo beſonderer Art, wie ſie ſonſt in
der Weltgeſchichte nicht wieder vorkommt.
Ausbildung des
Cortigiano.Für die Höfe, im Grunde aber noch viel mehr um
ſeiner ſelber willen bildet ſich nun der Cortigiano aus,
welchen Caſtiglione ſchildert. Es iſt eigentlich der geſell-
ſchaftliche Idealmenſch, wie ihn die Bildung jener Zeit als
nothwendige, höchſte Blüthe poſtulirt, und der Hof iſt mehr
für ihn als er für den Hof beſtimmt. Alles wohl erwogen,
könnte man einen ſolchen Menſchen an keinem Hofe brau-
chen, weil er ſelber Talent und Auftreten eines vollkom-
menen Fürſten hat und weil ſeine ruhige, unaffectirte Vir-
tuoſität in allen äußern und geiſtigen Dingen ein zu
ſelbſtändiges Weſen vorausſetzt. Die innere Triebkraft, die
ihn bewegt, bezieht ſich, obwohl es der Autor verhehlt,
nicht auf den Fürſtendienſt, ſondern auf die eigene Vollen-
dung. Ein Beiſpiel wird dieß klar machen: im Kriege
nämlich verbittet ſich 1) der Cortigiano ſelbſt nützliche und
mit Gefahr und Aufopferung verbundene Aufgaben, wenn
dieſelben ſtyllos und unſchön ſind, wie etwa das Wegfangen
einer Heerde; was ihn zur Theilnahme am Kriege bewegt,
iſt ja nicht die Pflicht an ſich, ſondern „l'honore“. Die
ſittliche Stellung zum Fürſten, wie ſie im vierten Buch ver-
Seine Lieb-
ſchaft.langt wird, iſt eine ſehr freie und ſelbſtändige. Die Theorie
der vornehmen Liebſchaft (im dritten Buche) enthält ſehr
viele feine pſychologiſche Beobachtungen, die aber beſſern-
theils dem allgemein menſchlichen Gebiet angehören, und
die große, faſt lyriſche Verherrlichung der idealen Liebe
[385] (am Ende des vierten Buches) hat vollends nichts mehr5. Abſchnitt.
zu thun mit der ſpeciellen Aufgabe des Werkes. Doch
zeigt ſich auch hier wie in den Aſolani des Bembo die un-
gemeine Höhe der Bildung in der Art, wie die Gefühle
verfeinert und analyſirt auftreten. Dogmatiſch beim Worte
nehmen darf man dieſe Autoren allerdings nicht. Daß
aber Reden dieſer Art in der vornehmern Geſellſchaft vor-
kamen iſt nicht zu bezweifeln, und daß nicht bloßes Schön-
thun ſondern auch wahre Leidenſchaft in dieſem Gewande
erſchien, werden wir unten ſehen.
Von den äußerlichen Fertigkeiten werden beim Corti-Seine Fertig-
keiten.
giano zunächſt die ſogenannten ritterlichen Uebungen in
Vollkommenheit verlangt, außerdem aber auch noch manches
Andere, das nur an einem geſchulten, gleichmäßig fortbe-
ſtehenden, auf perſönlichſtem Wetteifer begründeten Hofe ge-
fordert werden konnte, wie es damals außerhalb Italiens
keinen gab; Mehreres beruht auch ſichtlich nur auf einem
allgemeinen, beinahe abſtracten Begriff der individuellen
Vollkommenheit. Der Cortigiano muß mit allen edeln
Spielen vertraut ſein, auch mit dem Springen, Wettlaufen,
Schwimmen, Ringen; hauptſächlich muß er ein guter Tänzer
ſein und (wie ſich von ſelbſt verſteht) ein nobler Reiter.
Dazu aber muß er mehrere Sprachen, mindeſtens italieniſch
und latein beſitzen, und ſich auf die ſchöne Literatur ver-
ſtehen, auch über die bildenden Künſte ein Urtheil haben;
in der Muſik fordert man von ihm ſogar einen gewiſſen
Grad von ausübender Virtuoſität, die er überdieß möglichſt
geheim halten muß. Gründlicher Ernſt iſt es natürlich
mit nichts von Allem, ausgenommen die Waffen; aus der
gegenſeitigen Neutraliſirung des Vielen entſteht eben das
abſolute Individuum, in welchem keine Eigenſchaft auf-
dringlich vorherrſcht.
So viel iſt gewiß, daß im XVI. Jahrhundert dieLeibesübungen.
Italiener ſowohl als theoretiſche Schriftſteller wie als prac-
tiſche Lehrer das ganze Abendland in die Schule nahmen
Cultur der Renaiſſance. 25
[386]5. Abſchnitt.für alle edlern Leibesübungen und für den höhern geſelligen
Anſtand. Für Reiten, Fechten und Tanzen haben ſie durch
Werke mit Abbildungen und durch Unterricht den Ton an-
gegeben; das Turnen, abgelöst von der Kriegsübung wie
vom bloßen Spiel, iſt vielleicht zu allererſt von Vittorino
da Feltre (S. 208) gelehrt worden, und dann ein Requiſit
der höhern Erziehung geblieben 1). Entſcheidend iſt dabei,
daß es kunſtgemäß gelehrt wird; welche Uebungen vor-
kamen, ob die jetzt vorwiegenden auch damals gekannt
waren, können wir freilich nicht ermitteln. Wie ſehr aber
außer der Kraft und Gewandtheit auch die Anmuth als
Zweck und Ziel galt, geht nicht nur aus der ſonſt bekann-
ten Denkweiſe der Nation, ſondern auch aus beſtimmten
Nachrichten hervor. Es genügt an den großen Federigo
von Montefeltro (S. 45) zu erinnern, wie er die abend-
lichen Spiele der ihm anvertrauten jungen Leute leitete.
Volksſpiele.Spiele und Wettübungen des Volkes unterſchieden ſich
wohl nicht weſentlich von den im übrigen Abendlande ver-
breiteten. In den Seeſtädten kam natürlich das Wettrudern
hinzu und die venezianiſchen Regatten waren ſchon frühe
berühmt 2). Das claſſiſche Spiel Italiens war und iſt be-
[387] kanntlich das Ballſpiel, und auch dieſes möchte ſchon zur Zeit5. Abſchnitt.
der Renaiſſance mit viel größerm Eifer und Glanze geübt
worden ſein als anderswo in Europa. Doch iſt es nicht
wohl möglich, beſtimmte Zeugniſſe für dieſe Annahme zu-
ſammenzubringen.
An dieſer Stelle muß auch von der Muſik 1) die RedeDie Muſik.
ſein. Die Compoſition war noch um 1500 vorherrſchend
in den Händen der niederländiſchen Schule, welche wegen
der ungemeinen Künſtlichkeit und Wunderlichkeit ihrer
Werke beſtaunt wurde. Doch gab es ſchon daneben eine
italieniſche Muſik, welche ohne Zweifel unſerm jetzigen Ton-
gefühl etwas näher ſtand. Ein halbes Jahrhundert ſpäter
tritt Paleſtrina auf, deſſen Gewalt ſich auch heute noch
alle Gemüther unterwirft; wir erfahren auch, er ſei ein
großer Neuerer geweſen, allein ob er oder Andere den ent-
2)
25*
[388]5. Abſchnitt.ſcheidenden Schritt in die Tonſprache der modernen Welt
hinein gethan haben, wird nicht ſo erörtert, daß der Laie
ſich einen Begriff von dem Thatbeſtand machen könnte.
Indem wir daher die Geſchichte der muſicaliſchen Compo-
ſition gänzlich auf ſich beruhen laſſen, ſuchen wir die
Stellung der Muſik zur damaligen Geſellſchaft auszumitteln.
Reichthum an
Inſtrumenten.Höchſt bezeichnend für die Renaiſſance und für Italien
iſt vor Allem die reiche Specialiſirung des Orcheſters, das
Suchen nach neuen Inſtrumenten d. h. Klangarten, und —
in engem Zuſammenhang damit — das Virtuoſenthum,
d. h. das Eindringen des Individuellen im Verhältniß zu
beſtimmten Zweigen der Muſik und zu beſtimmten In-
ſtrumenten.
Von denjenigen Tonwerkzeugen, welche eine ganze Har-
monie ausdrücken können, iſt nicht nur die Orgel frühe
ſehr verbreitet und vervollkommnet, ſondern auch das ent-
ſprechende Saiteninſtrument, das gravicembalo oder cla-
vicembalo; Stücke von ſolchen aus dem Beginn des XVI.
Jahrhunderts werden bekanntlich noch aufbewahrt, weil die
größten Maler ſie mit Bildern ſchmückten. Sonſt nahm
die Geige den erſten Rang ein und gewährte bereits große
perſönliche Celebrität. Bei Leo X., der ſchon als Cardinal
ſein Haus voller Sänger und Muſiker gehabt hatte und
der als Kenner und Mitſpieler eine hohe Reputation ge-
Virtuoſen.noß, wurden der Jude Giovan Maria und Jacopo San-
ſecondo berühmt; erſterem gab Leo den Grafentitel und ein
Städtchen 1); letztern glaubt man in dem Apoll auf Rafaels
1)
[389] Parnaß dargeſtellt zu ſehen. Im Verlauf des XVI. Jahr-5. Abſchnitt.
hunderts bildeten ſich dann Renommeen für jede Gattung,
und Lomazzo (um 1580) nennt je drei namhaft gewordene
Virtuoſen für Geſang, Orgel, Laute, Lyra, Viola da Gamba,
Harfe, Cither, Hörner und Poſaunen; er wünſcht, daß
ihre Bildniſſe auf die Inſtrumente ſelbſt gemalt werden
möchten 1). Solch ein vielſeitiges vergleichendes Urtheil
wäre wohl in jener Zeit außerhalb Italiens ganz undenk-
bar, wenn auch faſt dieſelben Inſtrumente überall vorge-
kommen ſein mögen.
Der Reichthum an Inſtrumenten ſodann geht beſonders
daraus hervor, daß es ſich lohnte, aus Curioſität Samm-
lungen derſelben anzulegen. In dem höchſt muſicaliſchen
Venedig 2) gab es mehrere dergleichen, und wenn eine An-
zahl Virtuoſen ſich dazu einfanden, ſo ergab ſich gleich an
Ort und Stelle ein Concert. (In einer dieſer Sammlun-
gen ſah man auch viele nach antiken Abbildungen und
Beſchreibungen verfertigte Tonwerkzeuge, nur wird nicht
gemeldet, ob ſie Jemand ſpielen konnte und wie ſie klangen.)
Es iſt nicht zu vergeſſen daß ſolche Gegenſtände zum Theil
ein feſtlich prachtvolles Aeußeres hatten und ſich ſchön
gruppiren ließen. Auch in Sammlungen anderer Raritä-
ten und Kunſtſachen pflegen ſie ſich deßhalb als Zugabe
einzufinden.
[390]
5. Abſchnitt.Die Executanten ſelbſt ſind außer den eigentlichen
Dilettanten.Virtuoſen entweder einzelne Liebhaber oder ganze Orcheſter
von ſolchen, etwa als „Academie“ corporationsmäßig zu-
ſammengeſellt 1). Sehr viele bildende Künſtler waren auch
in der Muſik bewandert und oft Meiſter. — Leuten von
Stande wurden die Blasinſtrumente abgerathen aus den-
ſelben Gründen 2), welche einſt den Alcibiades und ſelbſt
Pallas Athene davon abgeſchreckt haben ſollen; die vor-
nehme Geſelligkeit liebte den Geſang entweder allein oder
mit Begleitung der Geige; auch das Streichquartett 3) und
um der Vielſeitigkeit willen das Clavier; aber nicht den
mehrſtimmigen Geſang, „denn Eine Stimme höre, genieße
„und beurtheile man weit beſſer“. Mit andern Worten, da
der Geſang trotz aller conventionellen Beſcheidenheit (S. 390)
eine Exhibition des einzelnen Geſellſchaftsmenſchen bleibt,
ſo iſt es beſſer, man höre (und ſehe) Jeden beſonders.
Wird ja doch die Weckung der ſüßeſten Gefühle in den
Zuhörerinnen vorausgeſetzt und deßhalb den alten Leuten
eine ausdrückliche Abmahnung ertheilt, auch wenn ſie noch
ſo ſchön ſpielten und ſängen. Es kam ſehr darauf an,
daß der Einzelne einen aus Ton und Geſtalt harmoniſch
gemiſchten Eindruck hervorbringe. Von einer Anerkennung
der Compoſition als eines für ſich beſtehenden Kunſtwerkes
iſt in dieſen Kreiſen keine Rede. Dagegen kommt es vor,
[391] daß der Inhalt der Worte ein furchtbares eigenes Schick-5. Abſchnitt.
ſal des Sängers ſchilderte 1).
Offenbar iſt dieſer Dilettantismus, ſowohl der vor-
nehmern als der mittlern Stände, in Italien verbreiteter
und zugleich der eigentlichen Kunſt näher verwandt geweſen
als in irgend einem andern Lande. Wo irgend Geſelligkeit
geſchildert wird, iſt auch immer und mit Nachdruck Geſang
und Saitenſpiel erwähnt; hunderte von Porträts ſtellen
die Leute, oft Mehrere zuſammen, muſicirend oder doch mit
der Laute ꝛc. im Arm dar, und ſelbſt in Kirchenbildern
zeigen die Engelconcerte, wie vertraut die Maler mit der
lebendigen Erſcheinung der Muſicirenden waren. Bereits
erfährt man z. B. von einem Lautenſpieler Antonio Rota
in Padua (ſt. 1549), der vom Stundengeben reich wurde
und auch eine Lautenſchule drucken ließ 2).
In einer Zeit da noch keine Oper den muſicaliſchen
Genius zu concentriren und zu monopoliſiren angefangen
hatte, darf man ſich wohl dieſes Treiben geiſtreich, vielartig
und wunderbar eigenthümlich vorſtellen. Eine andere Frage
iſt, wie weit wir noch an jener Tonwelt Theil hätten,
wenn unſer Ohr ſie wieder vernähme.
Zum Verſtändniß der höhern Geſelligkeit der Renaiſ-Das Weib dem
Manne gleich,
ſance iſt endlich weſentlich zu wiſſen, daß das Weib dem
Manne gleich geachtet wurde. Man darf ſich ja nicht irre
machen laſſen durch die ſpitzfindigen und zum Theil bos-
haften Unterſuchungen über die vermuthliche Inferiorität
[392]5. Abſchnitt.des ſchönen Geſchlechtes, wie ſie bei den Dialogenſchreibern
hin und wieder vorkommen, auch nicht durch eine Satire
wie die dritte des Arioſto 1), welcher das Weib wie ein ge-
fährliches großes Kind betrachtet, das der Mann zu be-
handeln wiſſen müſſe, während es durch eine Kluft von
ihm geſchieden bleibt. Letzteres iſt allerdings in einem ge-
wiſſen Sinne wahr; gerade weil das ausgebildete Weib
dem Manne gleich ſtand, konnte in der Ehe das was man
geiſtige und Seelengemeinſchaft, oder höhere Ergänzung
nennt, nicht ſo zur Blüthe gelangen wie ſpäter in der ge-
ſitteten Welt des Nordens.
durch Bildung,Vor Allem iſt die Bildung des Weibes in den höchſten
Ständen weſentlich dieſelbe wie beim Manne. Es erregt
den Italienern der Renaiſſance nicht das geringſte Bedenken,
den literariſchen und ſelbſt den philologiſchen Unterricht auf
Töchter und Söhne gleichmäßig wirken zu laſſen (S. 215);
da man ja in dieſer neuantiken Cultur den höchſten Beſitz
des Lebens erblickte, ſo gönnte man ſie gerne auch den
Mädchen. Wir ſahen bis zu welcher Virtuoſität ſelbſt Fürſten-
töchter im lateiniſchen Reden und Schreiben gelangten
(S. 222, 225). Andere mußten wenigſtens die Lectüre der
Männer theilen, um dem Sachinhalt des Alterthums, wie er
die Converſation großentheils beherrſchte, folgen zu können.
Weiter ſchloß ſich daran die thätige Theilnahme an der
italieniſchen Poeſie durch Canzonen, Sonette und Impro-
Poeſie,viſation, womit ſeit der Venezianerin Caſſandra Fedele
(Ende des XV. Jahrhunderts) eine Anzahl von Damen
berühmt wurden 2); Vittoria Colonna kann ſogar unſterb-
lich heißen. Wenn irgend etwas unſere obige Behauptung
beweist, ſo iſt es dieſe Frauenpoeſie mit ihrem völlig männ-
lichen Ton. Liebesſonette wie religiöſe Gedichte zeigen eine
[393] ſo entſchiedene, präciſe Faſſung, ſind von dem zarten Halb-5. Abſchnitt.
dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantiſchen,
was ſonſt der weiblichen Dichtung anhängt, ſo weit ent-
fernt, daß man ſie durchaus für die Arbeiten eines Mannes
halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und beſtimmte
äußere Andeutungen das Gegentheil beſagten.
Denn mit der Bildung entwickelt ſich auch der Indi-und Individua-
lismus.
vidualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähn-
liche Weiſe wie in den Männern, während außerhalb
Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und ſelbſt
die Fürſtinnen noch ſehr wenig perſönlich hervortreten.
Ausnahmen wie Iſabeau von Baiern, Margaretha von
Anjou, Iſabella von Caſtilien u. ſ. w. kommen auch nur
unter ganz ausnahmsweiſen Verhältniſſen, ja gleichſam nur
gezwungen zum Vorſchein. In Italien haben ſchon während
des ganzen XV. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herr-
ſcher und vorzüglich die der Condottieren faſt alle eine be-
ſondere, kenntliche Phyſiognomie, und nehmen an der No-
torietät, ja am Ruhme ihren Antheil (S. 133). Dazu
kömmt allmälig eine Schaar von berühmten Frauen ver-
ſchiedener Art (S. 150) wäre auch ihre Auszeichnung nur
darin zu finden geweſen, daß in ihnen Anlage, Schönheit,
Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmo-
niſches Ganzes bildeten 1). Von einer aparten, bewußten
„Emancipation“ iſt gar nicht die Rede, weil ſich die Sache
von ſelber verſtand. Die Frau von Stande mußte damalsVolle Perſön-
lichkeit.
ganz wie der Mann nach einer abgeſchloſſenen, in jeder
Hinſicht vollendeten Perſönlichkeit ſtreben. Derſelbe Her-
gang in Geiſt und Herz, welcher den Mann vollkommen
[394]5. Abſchnitt.macht, ſollte auch das Weib vollkommen machen. Active
literariſche Thätigkeit verlangt man nicht von ihr, und
wenn ſie Dichterin iſt, ſo erwartet man wohl irgend einen
mächtigen Klang der Seele, aber keine ſpeciellen Intimitä-
ten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das
Publicum dachten dieſe Frauen nicht; ſie mußten vor Allem
bedeutenden Männern imponiren 1) und deren Willkür in
Schranken halten.
Die Virago.Das Ruhmvollſte was damals von den großen Ita-
lienerinnen geſagt wird, iſt, daß ſie einen männlichen Geiſt,
ein männliches Gemüth hätten. Man braucht nur die
völlig männliche Haltung der meiſten Weiber in den Helden-
gedichten, zumal bei Bojardo und Arioſto, zu beachten, um
zu wiſſen, daß es ſich hier um ein beſtimmtes Ideal handelt.
Der Titel einer „virago“, den unſer Jahrhundert für ein
ſehr zweideutiges Compliment hält, war damals reiner
Ruhm. Ihn trug mit vollem Glanze Caterina Sforza,
Gemahlin, dann Wittwe des Girolamo Riario, deſſen Erbe
Forli ſie zuerſt gegen die Partei ſeiner Mörder, dann ſpäter
gegen Ceſare Borgia mit allen Kräften vertheidigte; ſie
unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer
Landsleute und den Namen der „prima donna d'Italia“ 2).
Eine heroiſche Ader dieſer Art erkennt man noch in ver-
ſchiedenen Frauen der Renaiſſance, wenn auch keine mehr
ſolchen Anlaß fand, ſich als Heldin zu bethätigen. Iſabella
Gonzaga (S. 44) verräth dieſen Zug ganz deutlich.
[395]
Frauen dieſer Gattung konnten denn freilich auch in ihrem5. Abſchnitt.
Kreiſe Novellen erzählen laſſen wie die des Bandello, ohneDas Weib in
der Geſellſchaft.
daß darunter die Geſelligkeit Schaden litt. Der herrſchende
Genius der letztern iſt nicht die heutige Weiblichkeit, d. h.
der Reſpect vor gewiſſen Vorausſetzungen, Ahnungen und
Myſterien, ſondern das Bewußtſein der Energie, der Schön-
heit, und einer gefährlichen, ſchickſalsvollen Gegenwart.
Deßhalb geht neben den gemeſſenſten Weltformen ein Etwas
einher, das unſerm Jahrhundert wie Schamloſigkeit vor-
kömmt 1), während wir nur eben das Gegengewicht, näm-
lich die mächtige Perſönlichkeit der dominirenden Frauen
des damaligen Italiens uns nicht mehr vorſtellen können.
Daß alle Tractate und Dialoge zuſammengenommen
keine entſcheidende Ausſage dieſer Art enthalten, verſteht
ſich von ſelbſt, ſo weitläufig auch über die Stellung und
die Fähigkeiten der Frauen und über die Liebe debattirt wird.
Was dieſer Geſellſchaft im Allgemeinen gefehlt zu haben
ſcheint, war der Flor junger Mädchen 2), welche man ſehr
davon zurückhielt, auch wenn ſie nicht im Kloſter erzogen
wurden. Es iſt ſchwer zu ſagen, ob ihre Abweſenheit mehr
die größere Freiheit der Converſation oder ob umgekehrt
letztere jene veranlaßt hat.
[396]
5. Abſchnitt.Auch der Umgang mit Buhlerinnen nimmt bisweilen
Die Bildung der
Buhlerinnen.einen ſcheinbaren Aufſchwung, als wollte ſich das Verhält-
niß der alten Athener zu ihren Hetären erneuern. Die be-
rühmte römiſche Courtiſane Imperia war ein Weib von Geiſt
und Bildung und hatte bei einem gewiſſen Domenico Cam-
pana Sonette machen gelernt, trieb auch Muſik 1). Die
ſchöne Iſabella de Luna, von ſpaniſcher Herkunft, galt
wenigſtens als amuſant, war übrigens aus Gutherzigkeit
und einem entſetzlich frechen Läſtermaul wunderlich zuſam-
mengeſetzt 2). In Mailand kannte Bandello die majeſtätiſche
Caterina di San Celſo 3), welche herrlich ſpielte und ſang
und Verſe recitirte. U. ſ. w. Aus Allem geht hervor,
daß die berühmten und geiſtreichen Leute, welche dieſe Da-
men beſuchten und zeitweiſe mit ihnen lebten, auch geiſtige
Anſprüche an ſie ſtellten, und daß man den berühmtern
Buhlerinnen mit der größten Rückſicht begegnete; auch nach
Auflöſung des Verhältniſſes ſuchte man ſich ihre gute Mei-
nung zu bewahren 4), weil die vergangene Leidenſchaft doch
einen bedeutenden Eindruck für immer zurückgelaſſen hatte.
Im Ganzen kommt jedoch dieſer Umgang in geiſtigem
Sinne nicht in Betracht neben der erlaubten, officiellen
Geſelligkeit, und die Spuren, welche er in Poeſie und
Literatur zurückläßt, ſind vorherrſchend ſcandalöſer Art.
Ja man darf ſich billig wundern, daß unter den 6800 Per-
ſonen dieſes Standes, welche man zu Rom im Jahr 1490 —
[397] alſo vor dem Eintreten der Siphylis — zählte 1), kaum5. Abſchnitt.
irgend ein Weib von Geiſt und höherm Talent hervortritt;
die oben genannten ſind erſt aus der nächſtfolgenden Zeit.
Die Lebensweiſe, Moral und Philoſophie der öffentlichen
Weiber, namentlich den raſchen Wechſel von Genuß, Ge-
winnſucht und tieferer Leidenſchaft, ſowie die Heuchelei und
Teufelei Einzelner im ſpätern Alter ſchildert vielleicht am
beſten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu
ſeinen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in
ſeinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr ſein eigenes In-
neres als das jener unglücklichen Claſſe, wie ſie wirklich war.
Die Maitreſſen der Fürſten, wie ſchon oben (S. 53)Fürſtliche
Maitreſſen.
bei Anlaß des Fürſtenthums erörtert wurde, ſind der Ge-
genſtand von Dichtern und Künſtlern und daher der Mit-
und Nachwelt perſönlich bekannt, während man von einer
Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitreſſe Friedrichs
des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von
Agnes Sorel eine eher fingirte als wahre Minneſage übrig hat.
Nach der Geſelligkeit verdient auch das Hausweſen derDas
Hausweſen.
Renaiſſance einen Blick. Man iſt im Allgemeinen geneigt,
das Familienleben der damaligen Italiener wegen der großen
Sittenloſigkeit als ein verlorenes zu betrachten, und dieſe
Seite der Frage wird im nächſten Abſchnitt behandelt wer-
den. Einſtweilen genügt es darauf hinzuweiſen, daß die
eheliche Untreue dort bei Weitem nicht ſo zerſtörend auf
die Familie wirkt wie im Norden, ſo lange dabei nur ge-
wiſſe Schranken nicht überſchritten werden.
[398]
5. Abſchnitt.Das Hausweſen unſeres Mittelalters war ein Pro-
duct der herrſchenden Volksſitte oder, wenn man will, ein
höheres Naturproduct, beruhend auf den Antrieben der
Völkerentwicklung, und auf der Einwirkung der Lebens-
weiſe je nach Stand und Vermögen. Das Ritterthum in
ſeiner Blüthezeit ließ das Hausweſen unberührt; ſein Le-
ben war das Herumziehen an Höfen und in Kriegen;
ſeine Huldigung gehörte ſyſtematiſch einer andern Frau als
der Hausfrau, und auf dem Schloß daheim mochten die
Dinge gehen wie ſie konnten. Die Renaiſſance zuerſt ver-
ſucht auch das Hausweſen mit Bewußtſein, als ein geord-
netes, ja als ein Kunſtwerk aufzubauen. Eine ſehr ent-
wickelte Oeconomie (S. 80) und ein rationeller Hausbau
kömmt ihr dabei zu Hülfe, die Hauptſache aber iſt eine
verſtändige Reflexion über alle Fragen des Zuſammenlebens,
der Erziehung, der Einrichtung und Bedienung.
Pandolfini.Das ſchätzbarſte Actenſtück hiefür iſt der Dialog über
die Leitung des Hauſes von Agnolo Pandolfini 1). Ein
Vater ſpricht zu ſeinen erwachſenen Söhnen und weiht ſie
in ſeine ganze Handlungsweiſe ein. Man ſieht in einen
großen, reichlichen Hausſtand hinein, der, mit vernünftiger
Sparſamkeit und mit mäßigem Leben weiter geführt, Glück
und Wohlergehen auf viele Geſchlechter hinaus verheißt.
Ein anſehnlicher Grundbeſitz, der ſchon durch ſeine Pro-
ducte den Tiſch des Hauſes verſieht und die Baſis des
Ganzen ausmacht, wird mit einem induſtriellen Geſchäft,
ſei es Seiden- oder Wollenweberei, verbunden. Wohnung
und Nahrung ſind höchſt ſolid; alles was zur Einrichtung
und Anlage gehört, ſoll groß, dauerhaft und koſtbar, das
tägliche Leben darin ſo einfach als möglich ſein. Aller
übrige Aufwand, von den größten Ehrenausgaben bis auf
[399] das Taſchengeld der jüngern Söhne, ſteht hiezu in einem5. Abſchnitt.
rationellen, nicht in einem conventionellen Verhältniß. Das
Wichtigſte aber iſt die Erziehung, die der Hausherr beiErziehung.
Weitem nicht bloß den Kindern, ſondern dem ganzen Hauſe
giebt. Er bildet zunächſt ſeine Gemahlin aus einem ſchüch-
ternen, in vorſichtigem Gewahrſam erzogenen Mädchen zur
ſichern Gebieterin der Dienerſchaft, zur Hausfrau aus;
dann erzieht er die Söhne ohne alle unnütze Härte 1), durch
ſorgfältige Aufſicht und Zureden, „mehr mit Autori-
tät als mit Gewalt“, und endlich wählt und behandelt er
auch die Angeſtellten und Diener nach ſolchen Grundſätzen,
daß ſie gerne und treu am Hauſe halten.
Noch einen Zug müſſen wir hervorheben, der dieſemDie Villa.
Büchlein zwar keinesweges eigen, wohl aber mit beſonderer
Begeiſterung darin hervorgehoben iſt: die Liebe des gebil-
deten Italieners zum Landleben. Im Norden wohnten
damals auf dem Lande die Adlichen in ihren Bergſchlöſſern
und die vornehmern Mönchsorden in ihren wohlverſchloſſenen
Klöſtern; der reichſte Bürger aber lebte Jahr aus Jahr
ein in der Stadt. In Italien dagegen war, wenigſtens
was die Umgebung gewiſſer Städte betrifft, theils die po-
litiſche und polizeiliche Sicherheit größer, theils die Nei-
gung zum Aufenthalt draußen ſo mächtig, daß man in
Kriegsfällen ſich auch einigen Verluſt gefallen ließ. So
[400]5. Abſchnitt.entſtand die Landwohnung des wohlhabenden Städters,
die Villa. Ein köſtliches Erbtheil des alten Römerthums
lebt hier wieder auf, ſobald Gedeihen und Bildung im
Volke weit genug fortgeſchritten ſind.
Unſer Autor findet auf ſeiner Villa lauter Glück und
Frieden, worüber man ihn freilich ſelber hören muß (S. 88).
Die öconomiſche Seite der Sache iſt, daß ein und daſſelbe
Gut womöglich Alles in ſich enthalten ſoll: Korn, Wein,
Oel, Futterland und Waldung (S. 84), und daß man
ſolche Güter gerne theuer bezahlt, weil man nachher nichts
mehr auf dem Markt zu kaufen nöthig hat. Der höhere
Genuß aber verräth ſich in den Worten der Einleitung zu
dieſem Gegenſtande: „Um Florenz liegen viele Villen in
„kryſtallheller Luft, in heiterer Landſchaft, mit herrlicher
„Ausſicht; da iſt wenig Nebel, kein verderblicher Wind;
„Alles iſt gut, auch das reine, geſunde Waſſer; und von
„den zahlloſen Bauten ſind manche wie Fürſtenpaläſte,
„manche wie Schlöſſer anzuſchauen, prachtvoll und koſtbar.“
Er meint jene in ihrer Art muſtergültigen Landhäuſer, von
welchen die meiſten 1529 durch die Florentiner ſelbſt der
Vertheidigung der Stadt — vergebens — geopfert wurden.
Geiſt des Land-
lebens.In dieſen Villen wie in denjenigen an der Brenta,
in den lombardiſchen Vorbergen, am Poſilipp und Vomero
nahm dann auch die Geſelligkeit einen freiern, ländlichen
Character an als in den Sälen der Stadtpaläſte. Das
Zuſammenwohnen der gaſtfrei Geladenen, die Jagd und
der übrige Verkehr im Freien werden hie und da ganz an-
muthig geſchildert. Aber auch die tiefſte Geiſtesarbeit und
das Edelſte der Poeſie iſt bisweilen von einem ſolchen
Landaufenthalt datirt.
Die Feſte.Es iſt keine bloße Willkür, wenn wir an die Betrach-
tung des geſellſchaftlichen Lebens die der feſtlichen Aufzüge
und Aufführungen anknüpfen. Die kunſtvolle Pracht, welche
[401] das Italien der Renaiſſance dabei an den Tag legt 1),5. Abſchnitt.
wurde nur erreicht durch daſſelbe Zuſammenleben aller
Stände, welches auch die Grundlage der italieniſchen Ge-
ſellſchaft ausmacht. Im Norden hatten die Klöſter, die
Höfe und die Bürgerſchaften ihre beſondern Feſte und Auf-
führungen wie in Italien, allein dort waren dieſelben nach
Styl und Inhalt getrennt, hier dagegen durch eine allge-
meine Bildung und Kunſt zu einer gemeinſamen Höhe ent-
wickelt. Die decorirende Architectur, welche dieſen Feſten
zu Hülfe kam, verdient ein eigenes Blatt in der Kunſtge-
ſchichte, obgleich ſie uns nur noch als ein Phantaſiebild
gegenüberſteht, das wir aus den Beſchreibungen zuſammen-
leſen müſſen. Hier beſchäftigt uns das Feſt ſelber als ein
erhöhter Moment im Daſein des Volkes, wobei die religiö-
ſen, ſittlichen und poetiſchen Ideale des letztern eine ſicht-
bare Geſtalt annehmen. Das italieniſche Feſtweſen in ſeiner
höhern Form iſt ein wahrer Uebergang aus dem Leben in
die Kunſt.
Die beiden Hauptformen feſtlicher Aufführung ſind ur-Ihre Grund-
formen.
ſprünglich, wie überall im Abendlande, das Myſterium,
d. h. die dramatiſirte heilige Geſchichte oder Legende, und
die Proceſſion, d. h. der bei irgend einem kirchlichen Anlaß
entſtehende Prachtaufzug.
Nun waren in Italien ſchon die Aufführungen der
Myſterien im Ganzen offenbar prachtvoller, zahlreicher und
durch die parallele Entwicklung der bildenden Kunſt und
der Poeſie geſchmackvoller als anderswo. Sodann ſcheidet
ſich aus ihnen nicht bloß wie im übrigen Abendlande zu-
nächſt die Poſſe aus und dann das übrige weltliche Drama,
ſondern frühe ſchon auch eine auf den ſchönen und reichen
Anblick berechnete Pantomime mit Geſang und Ballett.
Cultur der Renaiſſance. 26
[402]
5. Abſchnitt.Aus der Proceſſion aber entwickelt ſich in den eben
gelegenen italieniſchen Städten mit ihren breiten 1), wohl-
gepflaſterten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Co-
ſtumirten zu Wagen und zu Fuß, erſt von überwiegend
geiſtlicher, dann mehr und mehr von weltlicher Bedeutung.
Fronleichnamsproceſſion und Carnevalszug berühren ſich
hier in einem gemeinſamen Prachtſtyl, welchem ſich dann
auch fürſtliche Einzüge anſchließen. Auch die übrigen Völker
verlangten bei ſolchen Gelegenheiten bisweilen den größten
Aufwand, in Italien allein aber bildete ſich eine kunſtge-
rechte Behandlungsweiſe, die den Zug als ſinnvolles Ganzes
componirte und ausſtattete.
Heutiger Be-
ſtand.Was von dieſen Dingen heute noch in Uebung iſt,
kann nur ein armer Ueberreſt heißen. Kirchliche ſowohl als
fürſtliche Aufzüge haben ſich des dramatiſchen Elementes,
der Coſtumirung, faſt völlig entledigt, weil man den Spott
fürchtet und weil die gebildeten Claſſen, welche ehemals
dieſen Dingen ihre volle Kraft widmeten, aus verſchiedenen
Gründen keine Freude mehr daran haben können. Auch
am Carneval ſind die großen Maskenzüge außer Uebung.
Was noch weiterlebt, wie z. B. die einzelnen geiſtlichen
Masken bei Umzügen von Bruderſchaften, ja ſelbſt das
pomphafte Roſalienfeſt zu Palermo, verräth deutlich, wie
weit ſich die höhere Bildung von dieſen Dingen zurückge-
zogen hat.
Die volle Blüthe des Feſtweſens tritt erſt mit dem
entſchiedenen Siege des Modernen, mit dem XV. Jahr-
hundert ein 2), wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien
[403] auch hierin vorangegangen war. Wenigſtens war man hier5. Abſchnitt.
ſchon früh quartierweiſe organiſirt für öffentliche Auffüh-
rungen, welche einen ſehr großen künſtleriſchen Aufwand
vorausſetzen. So jene Darſtellung der Hölle auf einem
Gerüſt und auf Barken im Arno, 1. Mai 1304, wobei
unter den Zuſchauern die Brücke alla Carraja zuſammen-
brach 1). Auch daß ſpäter Florentiner als Feſtkünſtler,
festaiuoli, im übrigen Italien reiſen konnten 2), beweist
eine frühe Vervollkommnung zu Hauſe.
Suchen wir nun die weſentlichſten Vorzüge des ita-Vorzüge des
italien. Feſt-
weſens.
lieniſchen Feſtweſens gegenüber dem Auslande vorläufig
auszumitteln, ſo ſteht in erſter Linie der Sinn des entwickelten
Individuums für Darſtellung des Individuellen, d. h. die
Fähigkeit, eine vollſtändige Maske zu erfinden, zu tragen
und zu agiren. Maler und Bildhauer halfen dann bei
weitem nicht bloß zur Decoration des Ortes, ſondern auch
zur Ausſtattung der Perſonen mit, und gaben Tracht,
Schminke (S. 368, f.) und anderweitige Ausſtattung an.
Das Zweite iſt die Allverſtändlichkeit der poetiſchen Grund-
lage. Bei den Myſterien war dieſelbe im ganzen Abend-
lande gleich groß, indem die bibliſchen und legendariſchen
Hiſtorien von vornherein Jedermann bekannt waren, für
alles Uebrige aber war Italien im Vortheil. Für die Re-
citationen einzelner heiliger oder profan-idealer Geſtalten
beſaß es eine volltönende lyriſche Poeſie, welche Groß und
Klein gleichmäßig hinreißen konnte 3). Sodann verſtand
der größte Theil der Zuſchauer (in den Städten) die my-
thologiſchen Figuren und errieth wenigſtens leichter als
2)
26*
[404]5. Abſchnitt.irgendwo die allegoriſchen und geſchichtlichen, weil ſie einem
allverbreiteten Bildungskreiſe entnommen waren.
Die Allegorie
in Literatur u.
Kunſt.Dieß bedarf einer nähern Beſtimmung. Das ganze
Mittelalter war die Zeit des Allegoriſirens in vorzugsweiſem
Sinne geweſen; ſeine Theologie und Philoſophie behandelte
ihre Kategorien dergeſtalt als ſelbſtändige Weſen 1), daß
Dichtung und Kunſt es ſcheinbar leicht hatten, dasjenige bei-
zufügen was noch zur Perſönlichkeit fehlte. Hierin ſtehen
alle Länder des Occidents auf gleicher Stufe; aus ihrer
Gedankenwelt können ſich überall Geſtalten erzeugen, nur
daß Ausſtattung und Attribute in der Regel räthſelhaft
und unpopulär ausfallen werden. Letzteres iſt auch in
Italien häufig der Fall, und zwar ſelbſt während der
ganzen Renaiſſance und noch über dieſelbe hinaus. Es ge-
nügt dazu, daß irgend ein Prädicat der betreffenden alle-
goriſchen Geſtalt auf unrichtige Weiſe durch ein Attribut
überſetzt werde. Selbſt Dante iſt durchaus nicht frei von
ſolchen falſchen Uebertragungen 2), und aus der Dunkelheit
ſeiner Allegorien überhaupt hat er ſich bekanntlich eine
wahre Ehre gemacht 3). Petrarca in ſeinen Trionfi will
wenigſtens die Geſtalten des Amor, der Keuſchheit, des
Todes, der Fama ꝛc. deutlich, wenn auch in Kürze ſchildern.
Andere dagegen überladen ihre Allegorien mit lauter ver-
fehlten Attributen. In den Satiren des Vinciguerra 4)
[405] z. B. wird der Neid mit „rauhen eiſernen Zähnen“, die5. Abſchnitt.
Gefräßigkeit als ſich auf die Lippen beißend, mit wirrem
ſtruppigem Haar ꝛc. geſchildert, letzteres wahrſcheinlich um
ſie als gleichgültig gegen alles was nicht Eſſen iſt, zu be-
zeichnen. Wie übel ſich vollends die bildende Kunſt bei
ſolchen Mißverſtändniſſen befand, können wir hier nicht
erörtern. Sie durfte ſich wie die Poeſie glücklich ſchätzen,
wenn die Allegorie durch eine mythologiſche Geſtalt, d. h.
durch eine vom Alterthum her vor der Abſurdität geſicherte
Kunſtform ausgedrückt werden konnte, wenn ſtatt des Krieges
Mars, ſtatt der Jagdluſt Diana 1) ꝛc. zu gebrauchen war.
Nun gab es in Kunſt und Dichtung auch beſſer ge-Die Allegorie
bei den Feſten.
lungene Allegorien, und von denjenigen Figuren dieſer Art,
welche bei italieniſchen Feſtzügen auftraten, wird man we-
nigſtens annehmen dürfen, daß das Publicum ſie deutlich
und ſprechend characteriſirt verlangte, weil es durch ſeine
ſonſtige Bildung angeleitet war, dergleichen zu verſtehen.
Auswärts, zumal am burgundiſchen Hofe, ließ man ſich
damals noch ſehr undeutſame Figuren, auch bloße Sym-
bole gefallen, weil es noch eine Sache der Vornehmheit
war, eingeweiht zu ſein oder zu ſcheinen. Bei dem be-
rühmten Faſanengelübde von 1453 2) iſt die ſchöne junge
Reiterin, welche als Freudenkönigin daherzieht, die einzige
erfreuliche Allegorie; die coloſſalen Tiſchaufſätze mit Auto-
maten und lebendigen Perſonen ſind entweder bloße Spie-
lereien oder mit einer platten moraliſchen Zwangsauslegung
behaftet. In einer nackten weiblichen Statue am Buffet,
die ein lebendiger Löwe hütete, ſollte man Conſtantinopel
und ſeinen künftigen Retter, den Herzog von Burgund
ahnen. Der Reſt, mit Ausnahme einer Pantomime (Jaſon
in Kolchis) erſcheint entweder ſehr tiefſinnig oder ganz ſinn-
[406]5. Abſchnitt.los; der Beſchreiber des Feſtes, Olivier ſelbſt, kam als
„Kirche“ coſtumirt in dem Thurm auf dem Rücken eines
Elephanten, den ein Rieſe führte, und ſang eine lange
Klage über den Sieg der Ungläubigen 1).
Repräſentanten
des
Allgemeinen.Wenn aber aber auch die Allegorien der italieniſchen
Dichtungen, Kunſtwerke und Feſte an Geſchmack und Zu-
ſammenhang im Ganzen höher ſtehen, ſo bilden ſie doch
nicht die ſtarke Seite. Der entſcheidende Vortheil 2) lag
viel mehr darin, daß man hier außer den Perſonificationen
des Allgemeinen auch hiſtoriſche Repräſentanten deſſelben
Allgemeinen in Menge kannte, daß man an die dichteriſche
Aufzählung wie an die künſtleriſche Darſtellung zahlreicher
berühmter Individuen gewöhnt war. Die göttliche Comödie,
die Trionfi des Petrarca, die Amoroſa Viſione des Boc-
caccio — lauter Werke, welche hierauf gegründet ſind —
außerdem die ganze große Ausweitung der Bildung durch
das Alterthum hatten die Nation mit dieſem hiſtoriſchen
Element vertraut gemacht. Und nun erſchienen dieſe Ge-
ſtalten auch bei Feſtzügen entweder völlig individualiſirt,
als beſtimmte Masken, oder wenigſtens als Gruppen, als
characteriſtiſches Geleite einer allegoriſchen Hauptfigur oder
Hauptſache. Man lernte dabei überhaupt gruppenweiſe
componiren, zu einer Zeit, da die prachtvollſten Aufführun-
gen im Norden zwiſchen unergründliche Symbolik und buntes
ſinnloſes Spiel getheilt waren.
Die Myſterien,Wir beginnen mit der vielleicht älteſten Gattung, den
Myſterien 3). Sie gleichen im Ganzen denjenigen des
[407] übrigen Europa; auch hier werden auf öffentlichen Plätzen,5. Abſchnitt.
in Kirchen, in Kloſterkreuzgängen große Gerüſte errichtet,
welche oben ein verſchließbares Paradies, ganz unten bis-
weilen eine Hölle enthalten und dazwiſchen die eigentliche
Scena, welche ſämmtliche irdiſche Localitäten des Drama's
neben einander darſtellt; auch hier beginnt das bibliſche
oder legendariſche Drama nicht ſelten mit einem theologi-
ſchen Vordialog von Apoſteln, Kirchenvätern, Propheten,
Sibyllen und Tugenden und ſchließt je nach Umſtänden mit
einem Tanz. Daß die halbkomiſchen Intermezzi von Ne-
benperſonen in Italien ebenfalls nicht fehlen, ſcheint ſich
von ſelbſt zu verſtehen, doch tritt dies Element nicht ſo
derb hervor wie im Norden 1). Für das Auf- und Nieder-
ſchweben auf künſtlichen Maſchinen, einen Hauptreiz aller
Schauluſt, war in Italien wahrſcheinlich die Uebung viel größer
als anderswo, und bei den Florentinern gab es ſchon im XIV.
Jahrhundert ſpöttiſche Reden, wenn die Sache nicht ganz
geſchickt ging 2). Bald darauf erfand Brunellesco für das
Annunziatenfeſt auf Piazza S. Felice jenen unbeſchreib-
lich kunſtreichen Apparat einer von zwei Engelkreiſen um-
ſchwebten Himmelskugel, von welcher Gabriel in einer
mandelförmigen Maſchine niederflog, und Cecca gab Ideen
und Mechanik für ähnliche Feſte an 3). Die geiſtlichen
3)
[408]5. Abſchnitt.Brüderſchaften, oder die Quartiere, welche die Beſorgung
und zum Theil die Aufführung ſelbſt übernahmen, verlang-
ten je nach Maßgabe ihres Reichthums wenigſtens in den
und ihre Aus-
ſtattung.größern Städten den Aufwand aller erreichbaren Mittel
der Kunſt. Ebendaſſelbe darf man vorausſetzen, wenn bei
großen fürſtlichen Feſten neben dem weltlichen Drama oder
der Pantomime auch noch Myſterien aufgeführt werden.
Der Hof des Pietro Riario (S. 107), der von Ferrara ꝛc.
ließen es dabei gewiß nicht an der erſinnlichſten Pracht
fehlen 1). Vergegenwärtigt man ſich das ſceniſche Talent
und die reichen Trachten der Schauſpieler, die Darſtellung
der Oertlichkeiten durch ideale Decorationen des damaligen
Bauſtyls, durch Laubwerk und Teppiche, endlich als Hinter-
grund die Prachtbauten der Piazza einer großen Stadt
oder die lichten Säulenhallen eines Palaſthofes, eines großen
Kloſterhofes, ſo ergiebt ſich ein überaus reiches Bild. Wie
aber das weltliche Drama eben durch eine ſolche Ausſtattung
zu Schaden kam, ſo iſt auch wohl die höhere poetiſche Ent-
wicklung des Myſteriums ſelber durch dieſes unmäßige Vor-
drängen der Schauluſt gehemmt worden. In den erhal-
tenen Texten findet man ein meiſt ſehr dürftiges dramatiſches
Gewebe mit einzelnen ſchönen lyriſch-rhetoriſchen Stellen,
aber nichts von jenem großartigen ſymboliſchen Schwung,
der die „Autos ſagramentales“ eines Calderon auszeichnet.
Bisweilen mag in kleinern Städten, bei ärmerer Aus-
ſtattung, die Wirkung dieſer geiſtlichen Dramen auf das
Gemüth eine ſtärkere geweſen ſein. Es kommt vor 2), daß
[409] einer jener großen Bußprediger, von welchen im letzten Ab-5. Abſchnitt.
ſchnitt die Rede ſein wird, Roberto da Lecce, den Kreis
ſeiner Faſtenpredigten während der Peſtzeit 1448 in Perugia
mit einer Charfreitagsaufführung der Paſſion beſchließt;
nur wenige Perſonen traten auf, aber das ganze Volk
weinte laut. Freilich kamen bei ſolchen Anläſſen Rührungs-
mittel zur Anwendung, welche dem Gebiet des herbſten
Naturalismus entnommen waren. Es bildet eine Parallele
zu den Gemälden eines Matteo da Siena, zu den Thon-
gruppen eines Guido Mazzoni, wenn der den Chriſtus
vorſtellende Autor mit Striemen bedeckt und ſcheinbar Blut
ſchwitzend, ja aus der Seitenwunde blutend auftreten mußte 1).
Die beſondern Anläſſe zur Aufführung von Myſterien,Anläſſe zu My-
ſterien.
abgeſehen von gewiſſen großen Kirchenfeſten, fürſtlichen Ver-
mählungen ꝛc. ſind ſehr verſchieden. Als z. B. S. Ber-
nardino von Siena durch den Papſt heilig geſprochen wurde
(1450), gab es, wahrſcheinlich auf dem großen Platz ſeiner
Vaterſtadt, eine Art von dramatiſcher Nachahmung (rap-
presentazione) ſeiner Canoniſation 2), nebſt Speiſe und
Trank für Jedermann. Oder ein gelehrter Mönch feiert
ſeine Promotion zum Doctor der Theologie durch Aufführung
der Legende des Stadtpatrons 3). König Carl VIII. war
kaum nach Italien hinabgeſtiegen, als ihn die Herzogin
Wittwe Blanca von Savoyen zu Turin mit einer Art von
2)
[410]5. Abſchnitt.halbgeiſtlicher Pantomime empfing 1), wobei zuerſt eine
Hirtenſcene „das Geſetz der Natur“, dann ein Zug der
Erzväter „das Geſetz der Gnade“ vorzuſtellen cenſirt war;
darauf folgten die Geſchichten des Lancelot vom See, und
die „von Athen“. Und ſo wie der König nur in Chieri
anlangte, wartete man ihm wieder mit einer Pantomime
auf, die ein Wochenbette mit vornehmem Beſuch darſtellte.
Fronleichnam.Wenn aber irgend ein Kirchenfeſt einen allgemeinen
Anſpruch auf die höchſte Anſtrengung hatte, ſo war es
Fronleichnam, an deſſen Feier ſich ja in Spanien jene be-
ſondere Gattung von Poeſie (S. 408) anſchloß. Für Ita-
lien beſitzen wir wenigſtens die pomphafte Schilderung des
Corpus Domini, welches Pius II. 1462 in Viterbo abhielt 2).
Der Zug ſelber, welcher ſich von einem coloſſalen Pracht-
zelt vor S. Francesco durch die Hauptſtraße nach dem
Domplatz bewegte, war das wenigſte dabei; die Cardinäle
und reichern Prälaten hatten den Weg ſtückweiſe unter ſich
vertheilt und nicht nur für fortlaufende Schattentücher,
Mauerteppiche 3), Kränze u. dgl. geſorgt, ſondern lauter
eigene Schaubühnen errichtet, wo während des Zuges kurze
hiſtoriſche und allegoriſche Scenen aufgeführt wurden. Man
erſieht aus dem Bericht nicht ganz klar, ob Alles von Men-
ſchen oder Einiges von drapirten Figuren dargeſtellt wurde 4);
jedenfalls war der Aufwand ſehr groß. Da ſah man einen
leidenden Chriſtus zwiſchen ſingenden Engelknaben; ein
Abendmahl in Verbindung mit Geſtalt des S. Thomas
von Aquino; den Kampf des Erzengels Michael mit den
[411] Dämonen; Brunnen mit Wein und Orcheſter von Engeln;5. Abſchnitt.
ein Grab des Herrn mit der ganzen Scene der Auferſtehung;
endlich auf dem Domplatz das Grab der Maria, welches
ſich nach dem Hochamt und dem Segen eröffnete; von
Engeln getragen ſchwebte die Mutter Gottes ſingend nach
dem Paradies, wo Chriſtus ſie krönte und dem ewigen
Vater zuführte.
In der Reihe jener Scenen an der Hauptſtraße ſtichtKanonade.
diejenige des Cardinal Vicekanzlers Roderigo Borgia —
des ſpätern Alexander VI. — beſonders hervor durch Pomp
und dunkle Allegorie 1). Außerdem tritt dabei die damals
beginnende Vorliebe für feſtlichen Kanonendonner 2) zu Tage,
welche dem Haus Borgia noch ganz beſonders eigen war.
Kürzer geht Pius II. hinweg über die in demſelben
Jahr zu Rom abgehaltene Proceſſion mit dem aus Grie-
chenland erworbenen Schädel des h. Andreas. Auch dabei
zeichnete ſich Roderigo Borgia durch beſondere Pracht aus,
ſonſt aber hatte das Feſt etwas Profanes, indem ſich außer
den nie fehlenden Muſikengeln auch noch andere Masken
zeigten, auch „ſtarke Männer“, d. h. Herculeſſe, welche
allerlei Turnkünſte mögen vorgebracht haben.
Die rein oder überwiegend weltlichen AufführungenWeltliche Auf-
führungen.
waren beſonders an den größern Fürſtenhöfen ganz weſent-
lich auf die geſchmackvolle Pracht des Anblicks berechnet,
[412]5. Abſchnitt.deſſen einzelne Elemente in einem mythologiſchen und alle-
goriſchen Zuſammenhang ſtanden, ſoweit ein ſolcher ſich
gerne und angenehm errathen ließ. Das Barocke fehlte
nicht; rieſige Thierfiguren, aus welchen plötzlich Schaaren
von Masken herauskamen, wie z. B. bei einem fürſtlichen
Empfang (1465) zu Siena 1) aus einer goldenen Wölfinn
ein ganzes Ballet von zwölf Perſonen hervorſtieg; belebte
Tafelaufſätze, wenn auch nicht in der ſinnloſen Dimenſion
wie beim Herzog von Burgund (S. 405); das Meiſte aber
hatte einen künſtleriſchen und poetiſchen Zug. Die Ver-
miſchung des Drama's mit der Pantomime am Hofe von
Ferrara wurde bereits bei Anlaß der Poeſie (S. 316) ge-
ſchildert. Weltberühmt waren dann die Feſtlichkeiten, welche
Bei Cardinal
Riario.Cardinal Pietro Riario 1473 in Rom gab, bei der Durch-
reiſe der zur Braut des Prinzen Ercole von Ferrara be-
ſtimmten Lianora von Aragon 2). Die eigentlichen Dramen
ſind hier noch lauter Myſterien kirchlichen Inhalts, die Pan-
tomimen dagegen mythologiſch; man ſah Orpheus mit den
Thieren, Perſeus und Andromeda, Ceres von Drachen,
Bacchus und Ariadne von Panthern gezogen, dann die Er-
ziehung des Achill; hierauf ein Ballet der berühmten Lie-
bespaare der Urzeit und einer Schaar von Nymphen; dieſes
wurde unterbrochen durch einen Ueberfall räuberiſcher Cen-
tauren, welche dann Hercules beſiegte und von dannen
jagte. Eine Kleinigkeit, aber für den damaligen Formen-
ſinn bezeichnend, iſt folgende: Wenn bei allen Feſten lebende
Figuren als Statuen in Niſchen, auf und an Pfeilern und
Triumphbogen vorkamen und ſich dann doch mit Geſang
und Declamation als lebend erwieſen, ſo waren ſie dazu
durch natürliche Farbe und Gewandung berechtigt; in den
[413] Sälen des Riario aber fand ſich unter andern ein lebendes5. Abſchnitt.
und doch völlig vergoldetes Kind, welches aus einem Brunnen
Waſſer um ſich ſpritzte 1).
Andere glänzende Pantomimen dieſer Art gab es inIn Bologna.
Bologna bei der Hochzeit des Annibale Bentivoglio mit
Lucrezia von Eſte 2); ſtatt des Orcheſters wurden Chöre
geſungen, während die Schönſte aus Dianens Nymphen-
ſchaar zur Juno Pronuba hinüberfloh, während Venus mit
einem Löwen, d. h. hier nur einem täuſchend verkappten
Menſchen, ſich unter einem Ballet wilder Männer bewegte;
dabei ſtellte die Decoration ganz naturwahr einen Hain vor.
In Venedig feierte man 1491 die Anweſenheit eſtenſiſcher
Fürſtinnen 3) durch Einholung mit den Bucintoro, Wett-
rudern und eine prächtige Pantomime „Meleager“ im Hof
des Dogenpalaſtes. In Mailand leitete Lionardo da Vinci 4),Die Feſte Lio-
nardo's.
die Feſte des Herzogs und auch diejenigen anderer Großen;
eine ſeiner Maſchinen, welche wohl mit derjenigen des Bru-
nellesco (S. 407) wetteifern mochte, ſtellte in coloſſaler
Größe das Himmelsſyſtem in voller Bewegung dar; jedes-
mal wenn ſich ein Planet der Braut des jüngern Herzogs,
Iſabella, näherte, trat der betreffende Gott aus der Kugel
hervor 5) und ſang die vom Hofdichter Bellincioni gedichteten
Verſe (1489). Bei einem andern Feſte (1493) paradirte
[414]5. Abſchnitt.unter andern ſchon das Modell zur Reiterſtatue des Fran-
cesco Sforza, und zwar unter einem Triumphbogen auf
dem Caſtellplatz. Aus Vaſari iſt weiter bekannt, mit welch
ſinnreichen Automaten Lionardo in der Folge die franzöſi-
ſchen Könige als Herrn von Mailand bewillkommen half.
Aber auch in kleinern Städten ſtrengte man ſich bisweilen
Empfang eines
neuen Fürſten.ſehr an. Als Herzog Borſo (S. 50) 1453 zur Huldigung
nach Reggio kam 1), empfing man ihn am Thor mit einer
großen Maſchine, auf welcher S. Prospero, der Stadt-
patron, zu ſchweben ſchien, überſchattet durch einen von
Engeln gehaltenen Baldachin, unter ihm eine drehende
Scheibe mit acht Muſikengeln, deren zwei ſich hierauf von
dem Heiligen die Stadtſchlüſſel und das Scepter erbaten,
um beides dem Herzog zu überreichen. Dann folgte ein
durch verdeckte Pferde bewegbares Gerüſt, welches einen
leeren Thron enthielt, hinten eine ſtehende Juſtitia mit einem
Genius als Diener, an den Ecken vier greiſe Geſetzgeber,
umgeben von ſechs Engeln mit Fahnen; zu beiden Seiten
geharniſchte Reiter, ebenfalls mit Fahnen; es verſteht ſich,
daß der Genius und die Göttin den Herzog nicht ohne
Anrede ziehen ließen. Ein zweiter Wagen, wie es ſcheint,
von einem Einhorn gezogen, trug eine Caritas mit bren-
nender Fackel; dazwiſchen aber hatte man ſich das antike
Vergnügen eines von verborgenen Menſchen vorwärts ge-
triebenen Schiffwagens nicht verſagen mögen. Dieſer und
die beiden Allegorien zogen nun dem Herzog voran; aber
ſchon vor S. Pietro wurde wieder ſtille gehalten; ein heil.
Petrus ſchwebte mit zwei Engeln in einer runden Glorie
von der Faſſade hernieder bis zum Herzog, ſetzte ihm einen
Lorbeerkranz auf und ſchwebte wieder empor 2). Auch noch
[415] für eine andere rein kirchliche Allegorie hatte der Clerus5. Abſchnitt.
hier geſorgt; auf zwei hohen Säulen ſtanden „der Götzen-
dienſt“ und die „Fides“; nachdem letztere, ein ſchönes Mäd-
chen, ihren Gruß hergeſagt, ſtürzte die andere Säule ſammt
ihrer Puppe zuſammen. Weiterhin begegnete man einem
„Cäſar“ mit ſieben ſchönen Weibern, welche er dem Borſo
als die Tugenden präſentirte, welche derſelbe zu erſtreben
habe. Endlich gelangte man zum Dom, nach dem Gottes-
dienſt aber nahm Borſo wieder draußen auf einem hohen
goldenen Throne Platz, wo ein Theil der ſchon genannten
Masken ihn noch einmal becomplimentirten. Den Schluß
machten drei von einem nahen Gebäude niederſchwebende
Engel, welche ihm unter holdem Geſange Palmzweige als
Sinnbilder des Friedens überreichten.
Betrachten wir nun diejenigen Feſtlichkeiten, wobei der
bewegte Zug ſelber die Hauptſache iſt.
Ohne Zweifel gewährten die kirchlichen ProceſſionenDie Proceſſion.
ſeit dem frühen Mittelalter einen Anlaß zur Maskirung,
mochten nun Engelkinder das Sacrament, die herumgetra-
genen heiligen Bilder und Reliquien begleiten, oder Perſonen
der Paſſion im Zuge mitgehen, etwa Chriſtus mit dem
Kreuz, die Schächer und Kriegsknechte, die heiligen Frauen.
Allein mit großen Kirchenfeſten verbindet ſich ſchon frühe
die Idee eines ſtädtiſchen Aufzuges, der nach der naiven
Art des Mittelalters eine Menge profaner Beſtandtheile
verträgt. Merkwürdig iſt beſonders der aus dem Heiden-
thum herübergenommene 1) Schiffwagen, carrus navalis,
der, wie ſchon an einem Beiſpiel bemerkt wurde, bei Feſten
ſehr verſchiedener Art mitgeführt werden mochte, deſſen
Name aber vorzugsweiſe auf dem „Carneval“ haften blieb.
[416]5. Abſchnitt.Ein ſolches Schiff konnte freilich als heiter ausgeſtattetes
Prachtſtück die Beſchauer vergnügen, ohne daß man ſich
irgend noch der frühern Bedeutung bewußt war, und als
z. B. Iſabella von England mit ihrem Bräutigam Kaiſer
Friedrich II. in Köln zuſammenkam, fuhren ihr eine ganze
Anzahl von Schiffwagen mit muſicirenden Geiſtlichen, von
verdeckten Pferden gezogen, entgegen.
Aber die kirchliche Proceſſion konnte nicht nur durch
Zuthaten aller Art verherrlicht, ſondern auch durch einen
Zug geiſtlicher Marken gradezu erſetzt werden. Einen An-
laß hiezu gewährte vielleicht ſchon der Zug der zu einem
Myſterium gehenden Schauſpieler durch die Hauptſtraßen
einer Stadt, frühe aber möchte ſich eine Gattung geiſtlicher
Feſtzüge auch unabhängig hievon gebildet haben. Dante
ſchildert 1) den „trionfo“ der Beatrice mit den vierund-
zwanzig Aelteſten der Offenbarung, den vier myſtiſchen
Thieren, den drei chriſtlichen und den vier Cardinaltugenden,
S. Lucas, S. Paulus und andern Apoſteln, in einer ſol-
chen Weiſe, daß man beinahe genöthigt iſt, das wirkliche
Uebergang in
den Trionfo.frühe Vorkommen ſolcher Züge vorauszuſetzen. Dieß ver-
räth ſich hauptſächlich durch den Wagen, auf welchem Bea-
trice fährt, und welcher in dem viſionären Wunderwald
nicht nöthig wäre, ja auffallend heißen darf. Oder
hat Dante etwa den Wagen nur als weſentliches Symbol
des Triumphirens betrachtet? und iſt vollends erſt ſein Ge-
dicht die Anregung zu ſolchen Zügen geworden, deren Form
von dem Triumph römiſcher Imperatoren entlehnt war?
Wie dem nun auch ſei, jedenfalls haben Poeſie und Theo-
logie an dem Sinnbilde mit Vorliebe feſtgehalten. Sa-
vonarola in ſeinem „Triumph des Kreuzes“ ſtellt 2) Chriſtus
[417] auf einem Triumphwagen vor, über ihm die leuchtende5. Abſchnitt.
Kugel der Dreifaltigkeit, in ſeiner Linken das Kreuz, in
ſeiner Rechten die beiden Teſtamente; tiefer hinab die Jung-
frau Maria; vor dem Wagen Patriarchen, Propheten,
Apoſtel und Prediger; zu beiden Seiten die Märtyrer und
die Doctoren mit den aufgeſchlagenen Büchern; hinter ihm
alles Volk der Bekehrten; in weiterer Entfernung die un-
zähligen Haufen der Feinde, Kaiſer, Mächtige, Philoſophen,
Ketzer, alle beſiegt, ihre Götzenbilder zerſtört, ihre Bücher
verbrannt. (Eine als Holzſchnitt bekannte große Compo-
ſition Tizian's kommt dieſer Schilderung ziemlich nahe.)
Von Sabellico's (S. 63, f.) dreizehn Elegien auf die Mutter
Gottes enthalten die neunte und die zehnte einen umſtänd-
lichen Triumphzug derſelben, reich mit Allegorien ausge-
ſtattet, und hauptſächlich intereſſant durch denſelben anti-
viſionären, räumlich wirklichen Character, den die realiſtiſche
Malerei des XV. Jahrhunderts ſolchen Scenen mittheilt.
Weit häufiger aber als dieſe geiſtlichen Trionfi warenDer weltliche
Trionfo.
jedenfalls die weltlichen, nach dem unmittelbaren Vorbild
eines römiſchen Imperatorenzuges, wie man es aus antiken
Reliefs kannte und aus den Schriftſtellern ergänzte. Die
Geſchichtsanſchauung der damaligen Italiener, womit dieß zu-
ſammenhing, iſt oben (S. 142, 175, f.) geſchildert worden.
Zunächſt gab es hie und da wirkliche Einzüge ſiegreicher
Eroberer, welche man möglichſt jenem Vorbilde zu nähern
ſuchte, auch gegen den Geſchmack des Triumphators ſelbſt.
Francesco Sforza hatte (1450) die Kraft, bei ſeinem Ein-
zug in Mailand den bereit gehaltenen Triumphwagen aus-
zuſchlagen, indem dergleichen ein Aberglaube der KönigeAlfonſo's Ein-
zug in Neapel.
ſei 1). Alfonſo der Große, bei ſeinem Einzug 2) in Neapel
Cultur der Renaiſſance. 27
[418]5. Abſchnitt.(1443) enthielt ſich wenigſtens des Lorbeerkranzes, welchen
bekanntlich Napoleon bei ſeiner Krönung in Notredame nicht
verſchmähte. Im Uebrigen war Alfonſo's Zug (durch eine
Mauerbreſche und dann durch die Stadt bis zum Dom)
ein wunderſames Gemiſch von antiken, allegoriſchen und
rein poſſirlichen Beſtandtheilen. Der von vier weißen Pferden
gezogene Wagen, auf welchem er thronend ſaß, war gewal-
lig hoch und ganz vergoldet; zwanzig Patrizier trugen die
Stangen des Baldachins von Goldſtoff, in deſſen Schatten
er einherfuhr. Der Theil des Zuges, den die anweſenden
Florentiner übernommen hatten, beſtand zunächſt aus ele-
ganten jungen Reitern, welche kunſtreich ihre Speere ſchwan-
gen, aus einem Wagen mit der Fortuna und aus ſieben
Tugenden zu Pferde. Die Glücksgöttin 1) war nach der-
ſelben unerbittlichen Allegorik, welcher ſich damals auch die
Künſtler bisweilen fügten, nur am Vorderhaupt behaart,
hinten kahl, und der auf einem untern Abſatz des Wagens
befindliche Genius, welcher das leichte Zerrinnen des Glückes
vorſtellte, mußte deßhalb die Füße in einem Waſſerbecken
ſtehen (?) haben. Dann folgte, von derſelben Nation ausge-
ſtattet, eine Schaar von Reitern in den Trachten verſchie-
dener Völker, auch als fremde Fürſten und Große coſtumirt,
und nun auf hohem Wagen, über einer drehenden Welt-
kugel ein lorbeergekrönter Julius Cäſar 2), welcher dem
2)
[419] König in italieniſchen Verſen alle bisherigen Allegorien er-5. Abſchnitt.
klärte und ſich dann dem Zuge einordnete. Sechzig Flo-
rentiner, alle in Purpur und Scharlach, machten den Beſchluß
dieſer prächtigen Exhibition der feſtkundigen Heimath. Dann
aber kam eine Schaar von Catalanen zu Fuß, mit vorn
und hinten angebundenen Scheinpferdchen und führten gegen
eine Türkenſchaar ein Scheingefecht auf, ganz als ſollte das
florentiniſche Pathos verſpottet werden. Darauf fuhr ein
gewaltiger Thurm einher, deſſen Thür von einem Engel
mit einem Schwert bewacht wurde; oben ſtanden wiederum
vier Tugenden, welche den König, jede beſonders, anſangen.
Der übrige Pomp des Zuges war nicht beſonders charac-
teriſtiſch.
Beim Einzug Ludwigs XII. in Mailand 1507 1) gab
es außer dem unvermeidlichen Wagen mit Tugenden auch
ein lebendes Bild: Jupiter, Mars und eine von einem
großen Netz umgebene Italia; hernach kam ein mit Tro-
phäen beladener Wagen u. ſ. w.
Wo aber in Wirklichkeit keine Siegeszüge zu feiernDer Siegeszug
in der Poefie.
waren, da hielt die Poeſie ſich und die Fürſten ſchadlos.
Petrarca und Boccaccio hatten (S. 406) die Repräſentanten
jeder Art von Ruhm als Begleiter und Umgebung einer
allegoriſchen Geſtalt aufgezählt; jetzt werden die Celebritäten
der ganzen Vorzeit zum Gefolge von Fürſten. Die Dichterin
Cleofe Gabrielli von Gubbio beſang 2) in dieſem Sinne
den Borſo von Ferrara. Sie gab ihm zum Geleit ſieben
Königinnen (die freien Künſte nämlich), mit welchen er
einen Wagen beſteigt, ferner ganze Schaaren von Helden,
welche zu leichterer Unterſcheidung ihre Namen an der
Stirn geſchrieben tragen; hernach folgen alle berühmten
Dichter; die Götter aber kommen auf Wagen mitgefahren.
Um dieſe Zeit iſt überbaupt des mythologiſchen und alle-
27*
[420]5. Abſchnitt.goriſchen Herumkutſchirens kein Ende, und auch das wich-
tigſte erhaltene Kunſtwerk aus Borſo's Zeit, der Fresken-
cyclus im Palaſt Schifanoja, weist einen ganzen Fries
dieſes Inhalts auf 1). Rafael, als er die Camera della
Segnatura auszumalen hatte, bekam überhaupt dieſen ganzen
Gedankenkreis ſchon in recht ausgelebter, entweihter Geſtalt
in ſeine Hände. Wie er ihm eine neue und letzte Weihe
gab, wird denn auch ein Gegenſtand ewiger Bewunderung
bleiben.
Die eigentlichen triumphalen Einzüge von Eroberern
waren nur Ausnahmen. Jeder feſtliche Zug aber, mochte
er irgend ein Ereigniß verherrlichen oder nur um ſeiner
ſelber willen vorhanden ſein, nahm mehr oder weniger den
Character und faſt immer den Namen eines Trionfo an.
Es iſt ein Wunder, daß man nicht auch die Leichenbegäng-
niſſe in dieſen Kreis hineinzog 2).
Triumphe be-
rühmter Römer.Für's Erſte führte man am Carneval und bei andern
Anläſſen Triumphe beſtimmter altrömiſcher Feldherrn auf.
So in Florenz den des Paulus Aemilius (unter Lorenzo
magnifico), den des Camillus (beim Beſuch Leo's X.), beide
unter der Leitung des Malers Francesco Granacci 3). In
[421] Rom war das erſte vollſtändig ausgeſtattete Feſt dieſer Art5. Abſchnitt.
der Triumph des Auguſtus nach dem Siege über Cleopatra 1),
unter Paul II., wobei außer heitern und mythologiſchen
Masken (die ja auch den antiken Triumphen nicht fehlten)
auch alle andern Requiſite vorkamen: gefeſſelte Könige,
ſeidene Schrifttafeln mit Volks- und Senatsbeſchlüſſen, ein
antik coſtumirter Scheinſenat nebſt Aedilen, Quäſtoren,
Prätoren ꝛc., vier Wagen voll ſingender Masken, und ohne
Zweifel auch Trophäenwagen. Andere Aufzüge verſinnlichten
mehr im Allgemeinen die alte Weltherrſchaft Roms, und
gegenüber der wirklich vorhandenen Türkengefahr prahlte
man etwa mit einer Cavalcade gefangener Türken auf
Kameelen. Später, im Carneval 1500, ließ Ceſare Borgia
mit kecker Beziehung auf ſeine Perſon, den Triumph Julius
Cäſar's, eilf prächtige Wagen ſtark, aufführen 2), gewiß
zum Aergerniß der Jubileumspilger (S. 118). — Sehr
ſchöne und geſchmackvolle Trionfi von allgemeinerer Bedeu-Trionfi im
weitern Sinn.
tung waren die von zwei wetteifernden Geſellſchaften in
Florenz 1513 zur Feier der Wahl Leo's X. aufgeführten 3):
der eine ſtellte die drei Lebensalter der Menſchen dar, der
andere die Weltalter, ſinnvoll eingekleidet in fünf Bilder
aus der Geſchichte Roms und in zwei Allegorien, welche
das goldene Zeitalter Saturns und deſſen endliche Wieder-
bringung ſchilderten. Die phantaſiereiche Verzierung der
Wagen, wenn große florentiniſche Künſtler ſich dazu her-
gaben, machte einen ſolchen Eindruck, daß man eine blei-
bende, periodiſche Wiederholung ſolcher Schauſpiele wünſchbar
fand. Bisher hatten die Unterthanenſtädte am alljährlichen
Huldigungstag ihre ſymboliſchen Geſchenke (koſtbare Stoffe
und Wachskerzen) einfach überreicht; jetzt 4) ließ die Kauf-
[422]5. Abſchnitt.mannsgilde einſtweilen zehn Wagen bauen (wozu in der
Folge noch mehrere kommen ſollten), nicht ſowohl um die
Tribute zu tragen als um ſie zu ſymboliſiren, und Andrea
del Sarto, der einige davon ausſchmückte, gab denſelben
ohne Zweifel die herrlichſte Geſtalt. Solche Tribut- und
Trophäenwagen gehörten bereits zu jeder feſtlichen Gelegen-
heit, auch wenn man nicht viel aufzuwenden hatte. Die
Sieneſen proclamirten 1477 das Bündniß zwiſchen Ferrante
und Sixtus IV., wozu auch ſie gehörten, durch das Her-
umführen eines Wagens, in welchem „Einer als Friedens-
göttin gekleidet auf einem Harniſch und andern Waffen
ſtand 1)“.
Feſtzüge zu
Waſſer.Bei den venezianiſchen Feſten entwickelte ſtatt der Wa-
gen die Waſſerfahrt eine wunderſame, phantaſtiſche Herr-
lichkeit. Eine Ausfahrt des Bucintoro zum Empfang der
Fürſtinnen von Ferrara 1491 (S. 413) wird uns als ein
ganz mährchenhaftes Schauſpiel geſchildert2); ihm zogen
voran zahlloſe Schiffe mit Teppichen und Guirlanden, be-
ſetzt mit prächtig coſtumirter Jugend; auf Schwebemaſchinen
bewegten ſich ringsum Genien mit Attributen der Götter;
weiter unten waren Andere in Geſtalt von Tritonen und
Nymphen gruppirt; überall Geſang, Wohlgerüche und das
Flattern goldgeſtickter Fahnen. Auf den Bucintoro folgte
dann ein ſolcher Schwarm von Barken aller Art, daß man
wohl eine Miglie weit das Waſſer nicht mehr ſah. Von
den übrigen Feſtlichkeiten iſt außer der ſchon oben ge-
nannten Pantomime beſonders eine Regatta von fünfzig
ſtarken Mädchen erwähnenswerth als etwas Neues. Im
XVI. Jahrhundert3) war der Adel in beſondere Corpo-
[423] rationen zur Abhaltung von Feſtlichkeiten getheilt, deren5. Abſchnitt.
Hauptſtück irgend eine ungeheure Maſchine auf einem Schiff
ausmachte. So bewegte ſich z. B. 1541 bei einem Feſt der
Sempiterni durch den großen Canal ein rundes „Weltall“,
in deſſen offnem Innern ein prächtiger Ball gehalten wurde.
Auch der Carneval war hier berühmt durch Bälle, Aufzüge
und Aufführungen aller Art. Bisweilen fand man ſelbſt den
Marcusplatz groß genug, um nicht nur Turniere (S. 363,
386), ſondern auch Trionfi nach feſtländiſcher Art darauf ab-
zuhalten. Bei einem Friedensfeſt 1) übernahmen die frommenPolitiſches Feſt.
Brüderſchaften (scuole) jede ihr Stück eines ſolchen Zuges.
Da ſah man zwiſchen goldenen Candelabern mit rothen
Wachskerzen, zwiſchen Schaaren von Muſikern und von
Flügelknaben mit goldenen Schalen und Füllhörnern einen
Wagen, auf welchem Noah und David beiſammen thron-
ten; dann kam Abigail, ein mit Schätzen beladenes Ka-
meel führend, und ein zweiter Wagen mit einer Gruppe
politiſchen Inhalts: Italia zwiſchen Venezia und Liguria,
und auf einer erhöhten Stufe drei weibliche Genien mit
den Wappen der verbündeten Fürſten. Es folgte unter
andern eine Weltkugel mit Sternbildern ringsum, wie es
ſcheint. Auf andern Wagen fuhren jene Fürſten in leib-
haftiger Darſtellung mit, ſammt Dienern und Wappen,
wenn wir die Ausſage richtig deuten.
Der eigentliche Carneval, abgeſehen von den großenCarneval in
Rom.
Aufzügen, hatte vielleicht im XV. Jahrhundert nirgends
eine ſo vielartige Phyſiognomie als in Rom2). Hier waren
[424]5. Abſchnitt.zunächſt die Wettrennen am reichſten abgeſtuft; es gab
ſolche von Pferden, Büffeln, Eſeln, dann von Alten, von
Burſchen, von Juden u. ſ. w. Paul II. ſpeiste auch wohl
das Volk in Maſſe vor Palazzo di Venezia, wo er wohnte.
Sodann hatten die Spiele auf Piazza Navona, welche
vielleicht ſeit der antiken Zeit nie ganz ausgeſtorben waren,
einen kriegeriſch prächtigen Character; es war ein Schein-
gefecht von Reitern und eine Parade der bewaffneten Bürger-
ſchaft. Ferner war die Maskenfreiheit ſehr groß und dehnte
ſich bisweilen über mehrere Monate aus 1). Sixtus IV.
ſcheute ſich nicht, in den volkreichſten Gegenden der Stadt,
auf Campo Fiore und bei den Banchi, durch Schwärme
von Masken hindurch zu paſſiren, nur einem beabſichtigten
Beſuch von Masken im Vatican wich er aus. Unter In-
nocenz VIII. erreichte eine ſchon früher vorkommende Unſitte
der Cardinäle ihre Vollendung; im Carneval 1491 ſandten
ſie einander Wagen voll prächtig coſtumirter Masken, Buf-
fonen und Sängern zu, welche ſcandalöſe Verſe herſagten;
Fackelzüge.ſie waren freilich von Reitern begleitet. — Außer dem
Carneval ſcheinen die Römer zuerſt den Werth eines großen
Fackelzuges erkannt zu haben. Als Pius II. 1459 vom
Congreß von Mantua zurückkam 2), wartete ihm das ganze
Volk mit einem Fackelritt auf, welcher ſich vor dem Palaſt
in einem leuchtenden Kreiſe herum bewegte. Sixtus IV.
fand indeß einmal für gut, eine ſolche nächtliche Aufwar-
tung des Volkes, das mit Fackeln und Oelzweigen kommen
wollte, nicht anzunehmen 3).
Carneval in
Florenz.Der florentiniſche Carneval aber übertraf den römiſchen
[425] durch eine beſtimmte Art von Aufzügen, welche auch in der5. Abſchnitt.
Literatur ihr Denkmal hinterlaſſen hat 1). Zwiſchen einem
Schwarme von Masken zu Fuß und zu Roß erſcheint ein
gewaltiger Wagen in irgend einer Phantaſieform, und auf
dieſem entweder eine herrſchende allegoriſche Geſtalt oder
Gruppe ſammt den ihr zukommenden Gefährten, z. B. die
Eiferſucht mit vier bebrillten Geſichtern an Einem Kopfe,
die vier Temperamente (S. 304) mit den ihnen zukommen-
den Planeten, die drei Parzen, die Klugheit thronend über
Hoffnung und Furcht, die gefeſſelt vor ihr liegen, die vier
Elemente, Lebensalter, Winde, Jahreszeiten u. ſ. w.; auch
der berühmte Wagen des Todes mit den Särgen, die ſich
dann öffneten. Oder es fuhr einher eine prächtige mytho-
logiſche Scene, Bacchus und Ariadne, Paris und Helena ꝛc.
Oder endlich ein Chor von Leuten, welche zuſammen einen
Stand, eine Kategorie ausmachten, z. B. die Bettler, die
Jäger mit Nymphen, die armen Seelen, welche im Leben
unbarmherzige Weiber geweſen, die Eremiten, die Land-
ſtreicher, die Aſtrologen, die Teufel, die Verkäufer beſtimm-
ter Waaren, ja ſogar einmal il popolo, die Leute als
ſolche, die ſich dann in ihrem Geſang als ſchlechte Sorte
überhaupt anklagen müſſen. Die Geſänge nämlich, welche
geſammelt und erhalten ſind, geben bald in pathetiſcher,
bald in launiger, bald in höchſt unzüchtiger Weiſe die Er-
klärung des Zuges. Auch dem Lorenzo magnifico werden
einige der ſchlimmſten zugeſchrieben, wahrſcheinlich weil ſich
der wahre Autor nicht zu nennen wagte, gewiß aber iſt
von ihm der ſehr ſchöne Geſang zur Scene mit Bacchus
und Ariadne, deſſen Refrain aus dem XV. Jahrhundert
[426]5. Abſchnitt.zu uns herübertönt wie eine wehmüthige Ahnung der kurzen
Herrlichkeit der Renaiſſance ſelbſt:
[[427]]
Sechster Abſchnitt.
Sitte und Religion.
Das Verhältniß der einzelnen Völker zu den höchſten Din-6. Abſchnitt.
gen, zu Gott, Tugend und Unſterblichkeit, läßt ſich wohl bis
zu einem gewiſſen Grade erforſchen, niemals aber in ſtrenger
Parallele darſtellen. Je deutlicher die Ausſagen auf dieſem
Gebiete zu ſprechen ſcheinen, deſto mehr muß man ſich vor
einer unbedingten Annahme, einer Verallgemeinerung der-
ſelben hüten.
Vor Allem gilt dieß von dem Urtheil über die Sitt-Die Moralität
u. das Urtheil.
lichkeit. Man wird viele einzelne Contraſte und Nuancen
zwiſchen den Völkern nachweiſen können, die abſolute Summe
des Ganzen aber zu ziehen iſt menſchliche Einſicht zu ſchwach.
Die große Verrechnung von Nationalcharacter, Schuld und
Gewiſſen bleibt eine geheime, ſchon weil die Mängel eine
zweite Seite haben, wo ſie dann als nationale Eigenſchaf-
ten, ja als Tugenden erſcheinen. Solchen Autoren, welche
den Völkern gerne allgemeine Cenſuren und zwar bisweilen
im heftigſten Tone ſchreiben, muß man ihr Vergnügen
laſſen. Abendländiſche Völker können einander mißhandeln,
aber glücklicherweiſe nicht richten. Eine große Nation, die
durch Cultur, Thaten und Erlebniſſe mit dem Leben der gan-
zen neuern Welt verflochten iſt, überhört es, ob man ſie
anklage oder entſchuldige; ſie lebt weiter mit oder ohne
Gutheißen der Theoretiker.
[428]
6. Abſchnitt.So iſt denn auch, was hier folgt, kein Urtheil, ſon-
dern eine Reihe von Randbemerkungen, wie ſie ſich bei
mehrjährigem Studium der italieniſchen Renaiſſance von
ſelber ergaben. Ihre Geltung iſt eine um ſo beſchränktere,
als ſie ſich meiſt auf das Leben der höhern Stände beziehen,
über welche wir hier im Guten wie im Böſen unverhält-
nißmäßig reichlicher unterrichtet ſind als bei andern euro-
päiſchen Völkern. Weil aber Ruhm und Schmach hier
lauter tönen als ſonſt irgendwo, ſo ſind wir deßhalb der
allgemeinen Bilanz der Sittlichkeit noch um keinen Schritt
näher.
Weſſen Auge dringt in die Tiefen, wo ſich Charactere
und Schickſale der Völker bilden? wo Angeborenes und
Erlebtes zu einem neuen Ganzen gerinnt und zu einem
zweiten, dritten Naturell wird? wo ſelbſt geiſtige Begabun-
gen, die man auf den erſten Blick für urſprünglich halten
würde, ſich erſt relativ ſpät und neu bilden? Hatte z. B.
der Italiener vor dem XIII. Jahrh. ſchon jene leichte Le-
bendigkeit und Sicherheit des ganzen Menſchen, jene mit
allen Gegenſtänden ſpielende Geſtaltungskraft in Wort und
Form, die ihm ſeitdem eigen iſt? — Und wenn wir ſolche
Dinge nicht wiſſen, wie ſollen wir das unendlich reiche und
feine Geäder beurtheilen, durch welches Geiſt und Sittlich-
keit unaufhörlich in einander überſtrömen? Wohl giebt es
eine perſönliche Zurechnung und ihre Stimme iſt das Ge-
wiſſen, aber die Völker möge man mit Generalſentenzen in
Ruhe laſſen. Das ſcheinbar kränkſte Volk kann der Geſund-
heit nahe ſein und ein ſcheinbar geſundes kann einen mäch-
tig entwickelten Todeskeim in ſich bergen, den erſt die
Gefahr an den Tag bringt.
Bewußtſein der
Demoraliſa-
tion.Zu Anfang des XVI. Jahrh., als die Cultur der
Renaiſſance auf ihrer Höhe angelangt und zugleich das po-
litiſche Unglück der Nation ſo viel als unabwendbar ent-
[429] ſchieden war, fehlte es nicht an ernſten Denkern, welche6. Abſchnitt.
dieſes Unglück mit der großen Sittenloſigkeit in Verbindung
brachten. Es ſind keine von jenen Bußpredigern, welche
bei jedem Volke und zu jeder Zeit über die ſchlechten Zeiten
zu klagen ſich verpflichtet glauben, ſondern ein Macchiavell
iſt es, der mitten in einer ſeiner wichtigſten Gedankenreihen 1)
es offen ausſpricht: ja, wir Italiener ſind vorzugsweiſe
irreligiös und böſe. — Ein Anderer hätte vielleicht geſagt:
wir ſind vorzugsweiſe individuell entwickelt; die Race hat
uns aus den Schranken ihrer Sitte und Religion entlaſſen,
und die äußern Geſetze verachten wir weil unſere Herrſcher
illegitim und ihre Beamten und Richter verworfene Men-
ſchen ſind. — Macchiavell ſelber ſetzt hinzu: weil die Kirche
in ihren Vertretern das übelſte Beiſpiel giebt.
Sollen wir hier noch beifügen: „weil das AlterthumEinfluß des Al-
terthums.
ungünſtig einwirkte?“ — jedenfalls bedürfte eine ſolche
Annahme ſorgfältiger Beſchränkungen. Bei den Humaniſten
(S. 269) wird man am eheſten davon reden dürfen, zumal
in Betreff ihres wüſten Sinnenlebens. Bei den Uebrigen
möchte ſich die Sache ungefähr ſo verhalten haben, daß an
die Stelle des chriſtlichen Lebensideals, der Heiligkeit, das
der hiſtoriſchen Größe trat ſeit ſie das Alterthum kannten
(S. 149, Anm.). Durch einen naheliegenden Mißverſtand
hielt man dann auch die Fehler für indifferent, trotz welcher
die großen Männer groß geweſen waren. Vermuthlich ge-
ſchah dieß faſt unbewußt, denn wenn theoretiſche Ausſagen
dafür angeführt werden ſollen, ſo muß man ſie wieder bei
den Humaniſten ſuchen wie z. B. bei Paolo Giovio, der
den Eidbruch des Giangaleazzo Visconti, inſofern dadurch
die Gründung eines Reiches ermöglicht wurde, mit dem
Beiſpiel des Julius Cäſar entſchuldigt 2). Die großen
[430]6. Abſchnitt.florentiniſchen Geſchichtſchreiber und Politiker ſind von ſo
knechtiſchen Citaten völlig frei und was in ihren Urtheilen
und Thaten antik erſcheint, iſt es, weil ihr Staatsweſen
eine nothwendig dem Alterthum einigermaßen analoge Denk-
weiſe hervorgetrieben hatte.
Immerhin aber fand Italien um den Anfang des
XVI. Jahrhunderts ſich in einer ſchweren ſittlichen Criſis,
aus welcher die Beſſern kaum einen Ausweg hofften.
Beginnen wir damit, die dem Böſen auf's Stärkſte
entgegenwirkende ſittliche Kraft namhaft zu machen. Jene
hochbegabten Menſchen glaubten ſie zu erkennen in Geſtalt
Das moderne
Ehrgefühl.des Ehrgefühls. Es iſt die räthſelhafte Miſchung aus
Gewiſſen und Selbſtſucht, welche dem modernen Menſchen
noch übrig bleibt auch wenn er durch oder ohne ſeine Schuld
alles Uebrige, Glauben, Liebe und Hoffnung eingebüßt
hat. Dieſes Ehrgefühl verträgt ſich mit vielem Egoismus
und großen Laſtern und iſt ungeheurer Täuſchungen fähig,
aber auch alles Edle, das in einer Perſönlichkeit übrig ge-
blieben, kann ſich daran anſchließen und aus dieſem Quell
neue Kräfte ſchöpfen. In viel weiterm Sinne als man
gewöhnlich denkt, iſt es für die heutigen individuell ent-
wickelten Europäer eine entſcheidende Richtſchnur des Han-
delns geworden; auch Viele von denjenigen, welche noch
außerdem Sitte und Religion treulich feſthalten, faſſen doch
die wichtigſten Entſchlüſſe unbewußt nach jenem Gefühl.
Es iſt nicht unſere Aufgabe nachzuweiſen wie ſchon
das Alterthum eine eigenthümliche Schattirung dieſes Ge-
fühles kannte und wie dann das Mittelalter die Ehre in
einem ſpeciellen Sinne zur Sache eines beſtimmten Standes
machte. Auch dürfen wir mit denjenigen nicht ſtreiten,
welche das Gewiſſen allein ſtatt des Ehrgefühls als die
weſentliche Triebkraft anſehen; es wäre ſchöner und beſſer
wenn es ſich ſo verhielte, allein ſobald man doch zugeben
muß, daß die beſſern Entſchlüſſe aus einem „von Selbſt-
ſucht mehr oder weniger getrübten Gewiſſen“ hervorgehen,
[431] ſo nenne man lieber dieſe Miſchung mit ihrem Namen.6. Abſchnitt.
Allerdings iſt es bei den Italienern der Renaiſſance bis-
weilen ſchwer, dieſes Ehrgefühl von der directen Ruhmbe-
gier zu unterſcheiden, in welche daſſelbe häufig übergeht.
Doch bleiben es weſentlich zwei verſchiedene Dinge.
An Ausſagen über dieſen Punkt fehlt es nicht. EineAusſagen dar-
über.
beſonders deutliche mag ſtatt vieler hier ihre Stelle finden;
ſie ſtammt aus den erſt neuerlich an den Tag getretenen 1)
Aphorismen des Guicciardini. „Wer die Ehre hochhält,
„dem gelingt Alles, weil er weder Mühe, Gefahr noch
„Koſten ſcheut; ich habe es an mir ſelbſt erprobt und darf
„es ſagen und ſchreiben: eitel und todt ſind diejenigen
„Handlungen der Menſchen, welche nicht von dieſem ſtarken
„Antrieb ausgehen.“ Wir müſſen freilich hinzuſetzen, daß
nach anderweitiger Kunde vom Leben des Verfaſſers hier
durchaus nur vom Ehrgefühl und nicht vom eigentlichen
Ruhme die Rede ſein kann. Schärfer aber als vielleicht
alle Italiener hat Rabelais die Sache betont. Zwar nurRabelais.
ungern miſchen wir dieſen Namen in unſere Forſchung;
was der gewaltige, ſtets barocke Franzoſe giebt, gewährt
uns ungefähr ein Bild davon, wie die Renaiſſance ſich
ausnehmen würde ohne Form und ohne Schönheit2). Aber
ſeine Schilderung eines Idealzuſtandes im Thelemitenkloſter
iſt culturgeſchichtlich entſcheidend, ſo daß ohne dieſe höchſte
Phantaſie das Bild des XVI. Jahrhunderts unvollſtändig
wäre. Er erzählt 3) von dieſen ſeinen Herren und Damen
vom Orden des freien Willens unter andern wie folgt:
En leur reigle n'estoit que ceste clause: Fay
ce que vouldras. Parce que gens liberes, bien
[432]6. Abſchnitt.nayz1), bien instruictz, conversans en compaignies
honnestes, ont par nature ung instinct et aguillon
qui tousjours les poulse à faictz vertueux, et retire
de vice: lequel ilz nommoyent honneur.
Es iſt derſelbe Glaube an die Güte der menſchlichen Na-
tur, welcher auch die zweite Hälfte des XVIII. Jahrhunderts
beſeelte und der franzöſiſchen Revolution die Wege bereiten
half. Auch bei den Italienern appellirt Jeder individuell
an dieſen ſeinen eigenen edeln Inſtinct, und wenn im Großen
und Ganzen — hauptſächlich unter dem Eindruck des natio-
nalen Unglückes — peſſimiſtiſcher geurtheilt oder empfunden
wird, gleichwohl wird man immer jenes Ehrgefühl hoch
halten müſſen. Wenn einmal die ſchrankenloſe Entwicklung
des Individuums eine welthiſtoriſche Fügung, wenn ſie
ſtärker war als der Wille des Einzelnen, ſo iſt auch dieſe
gegenwirkende Kraft, wo ſie im damaligen Italien vorkömmt,
eine große Erſcheinung. Wie oft und gegen welch heftige
Angriffe der Selbſtſucht ſie den Sieg davon trug, wiſſen
wir eben nicht, und deßhalb reicht unſer menſchliches Urtheil
überhaupt nicht aus, um den abſoluten moraliſchen Werth
der Nation richtig zu ſchätzen.
Die Phantaſie
und ihre Herr-
ſchaft.Was nun der Sittlichkeit des höher entwickelten Ita-
lieners der Renaiſſance als wichtigſte allgemeine Voraus-
ſetzung gegenüberſteht, iſt die Phantaſie. Sie vor allem
verleiht ſeinen Tugenden und Fehlern ihre beſondere Farbe;
unter ihrer Herrſchaft gewinnt ſeine entfeſſelte Selbſtſucht
erſt ihre volle Furchtbarkeit.
[433]
Um ihretwillen wird er z. B. der frühſte große Hazard-6. Abſchnitt.
ſpieler der neuern Zeit, indem ſie ihm die Bilder des künf-Spielſucht.
tigen Reichthums und der künftigen Genüſſe mit einer
ſolchen Lebendigkeit vormalt, daß er das Aeußerſte daran
ſetzt. Die mohammedaniſchen Völker wären ihm hierin
ohne allen Zweifel vorangegangen, hätte nicht der Koran
von Anfang an das Spielverbot als die nothwendigſte
Schutzwehr islamitiſcher Sitte feſtgeſtellt, und die Phanta-
ſie ſeiner Leute an Auffindung vergrabener Schätze gewieſen.
In Italien wurde eine Spielwuth allgemein, welche ſchon
damals häufig genug die Exiſtenz des Einzelnen bedrohte
oder zerſtörte. Florenz hat ſchon zu Ende des XIV. Jahr-
hunderts ſeinen Caſanova, einen gewiſſen Buonaccorſo Pitti,
welcher auf beſtändigen Reiſen als Kaufmann, Parteigänger,
Speculant, Diplomat und Spieler von Profeſſion enorme
Summen gewann und verlor und nur noch Fürſten zu
Partnern gebrauchen konnte, wie die Herzoge von Brabant,
Baiern und Savoyen 1). Auch der große Glückstopf, welchen
man die römiſche Curie nannte, gewöhnte ſeine Leute an
ein Bedürfniß der Aufregung, welches ſich in den Zwiſchen-
pauſen der großen Intriguen nothwendig durch Würfelſpiel
Luft machte. Franceschetto Cybò verſpielte z. B. einſt in
zweien Malen an Cardinal Raffaele Riario 14,000 Du-
caten und klagte hernach beim Papſt ſein Mitſpieler habe
ihn betrogen 2). In der Folge wurde bekanntlich Italien
die Heimath des Loterieweſens.
Die Phantaſie iſt es auch, welche hier der RachſuchtRachſucht.
ihren beſondern Character giebt. Das Rechtsgefühl wird
wohl im ganzen Abendland von jeher eins und daſſelbe
geweſen und ſeine Verletzung, ſo oft ſie ungeſtraft blieb,
auf die gleiche Weiſe empfunden worden ſein. Aber andere
Völker, wenn ſie auch nicht leichter verzeihen, können doch
Cultur der Renaiſſance. 28
[434]6. Abſchnitt.leichter vergeſſen, während die italieniſche Phantaſie das
Bild des Unrechts in furchtbarer Friſche erhält 1). Daß zu-
gleich in der Volksmoral die Blutrache als eine Pflicht gilt
und oft auf das Gräßlichſte geübt wird, giebt dieſer allge-
meinen Rachſucht noch einen beſondern Grund und Boden.
Regierungen und Tribunale der Städte erkennen ihr Daſein
und ihre Berechtigung an und ſuchen nur den ſchlimmſten
Exceſſen zu ſteuern. Aber auch unter den Bauern kommen
thyeſteiſche Mahlzeiten und weit ſich ausbreitender Wechſel-
mord vor; hören wir nur einen Zeugen 2).
Blutrache der
Bauern,In der Landſchaft von Acquapendente hüteten drei
Hirtenknaben das Vieh und Einer ſagte: wir wollen ver-
ſuchen wie man die Leute henkt. Als der Eine dem Andern
auf die Schulter ſaß und der Dritte den Strick zuerſt um
deſſen Hals ſchlang und dann an eine Eiche band, kam der
Wolf, ſo daß die Beiden entflohen und jenen hängen ließen.
Hernach fanden ſie ihn todt und begruben ihn. Sonntags
kam ſein Vater um ihm Brod zu bringen, und einer von
den Beiden geſtand ihm den Hergang und zeigte ihm das
Grab. Der Alte aber tödtete dieſen mit einem Meſſer,
ſchnitt ihn auf, nahm die Leber und bewirthete damit zu
Hauſe deſſen Vater; dann ſagte er ihm, weſſen Leber er
gegeſſen. Hierauf begann das wechſelſeitige Morden zwi-
ſchen den beiden Familien, und binnen einem Monat waren
36 Perſonen, Weiber ſowohl als Männer, umgebracht.
der höhern
Stände.Und ſolche Vendetten, erblich bis auf mehrere Genera-
tionen, auf Seitenverwandte und Freunde, erſtreckten ſich
auch weit in die höhern Stände hinauf. Chroniken ſowohl
als Novellenſammlungen ſind voll von Beiſpielen, zumal
von Racheübungen wegen entehrter Weiber. Der claſſiſche
[435] Boden hiefür war beſonders die Romagna, wo ſich die6. Abſchnitt.
Vendetta mit allen erdenklichen ſonſtigen Parteiungen ver-
flocht. In furchtbarer Symbolik ſtellt die Sage bisweilen
die Verwilderung dar, welche über dieſes kühne, kräftige
Volk kam. So z. B. in der Geſchichte von jenem vorneh-
men Ravennaten, der ſeine Feinde in einem Thurm bei-
ſammen hatte und ſie hätte verbrennen können, ſtatt deſſen
aber ſie herausließ, umarmte und herrlich bewirthete, worauf
die wüthende Scham ſie erſt recht zur Verſchwörung an-
trieb 1). Unabläſſig predigten fromme, ja heilige Mönche
zur Verſöhnung, aber es wird Alles geweſen ſein was ſie er-
reichten, wenn ſie die ſchon im Gange befindlichen Vendetten
einſchränkten; das Entſtehen von neuen werden ſie wohl
ſchwerlich gehindert haben. Die Novellen ſchildern uns nicht
ſelten auch dieſe Einwirkung der Religion, die edle Auf-
wallung und dann deren Sinken durch das Schwergewicht
deſſen was vorangegangen und doch nicht mehr zu ändern
iſt. Hatte doch der Papſt in Perſon nicht immer Glück
im Friedenſtiften: „Papſt Paul II. wollte, daß der Hader
zwiſchen Antonio Caffarello und dem Hauſe Alberino auf-
höre und ließ Giovanni Alberino und Antonio Caffarello
vor ſich kommen und befahl ihnen, einander zu küſſen und
kündigte ihnen 2000 Ducaten Strafe an wenn ſie einander
wieder ein Leid anthäten, und zwei Tage darauf wurde
Antonio von demſelben Giacomo Alberino, Sohn des Gio-
vanni, geſtochen, der ihn vorher ſchon verwundet hatte, und
Papſt Paul wurde ſehr unwillig und ließ den Alberino die
Habe confisciren und die Häuſer ſchleifen und Vater und
Sohn aus Rom verbannen 2).“ Die Eide und Ceremonien,Verſöhnungs-
ſchwüre.
wodurch die Verſöhnten ſich vor dem Rückfall zu ſichern
ſuchen, ſind bisweilen ganz entſetzlich; als am Sylveſter-
abend 1494 im Dom von Siena 3) die Parteien der Nove
28*
[436]6. Abſchnitt.und der Popolari ſich paarweiſe küſſen mußten, wurde ein
Schwur dazu verleſen, worin dem künftigen Uebertreter
alles zeitliche und ewige Heil abgeſprochen wurde, „ein
Schwur ſo erſtaunlich und ſchrecklich wie noch keiner erhört
worden“; ſelbſt die letzten Tröſtungen in der Todesſtunde
ſollten ſich in Verdammniß verkehren für den, welcher ihn
verletzen würde. Es leuchtet ein, daß dergleichen mehr die
verzweifelte Stimmung der Vermittler als eine wirkliche
Garantie des Friedens ausdrückte, und daß gerade die
wahrſte Verſöhnung am wenigſten ſolcher Worte bedurfte.
Die Rache in
der öffentlichen
Meinung.Das individuelle Rachebedürfniß des Gebildeten und
des Hochſtehenden, ruhend auf der mächtigen Grundlage
einer analogen Volksſitte, ſpielt nun natürlich in tauſend
Farben und wird von der öffentlichen Meinung, welche hier
aus den Novelliſten redet, ohne allen Rückhalt gebilligt 1).
Alle Welt iſt darüber einig, daß bei denjenigen Beleidi-
gungen und Verletzungen, für welche die damalige italie-
niſche Juſtiz kein Recht ſchafft, und vollends bei denjenigen,
gegen die es nie und nirgends ein genügendes Geſetz gege-
ben hat noch geben kann, Jeder ſich ſelber Recht ſchaffen
dürfe. Nur muß Geiſt in der Rache ſein und die Satis-
faction ſich miſchen aus thatſächlicher Schädigung und
geiſtiger Demüthigung des Beleidigers; brutale plumpe
Uebermacht allein gilt in der öffentlichen Meinung für keine
Genugthuung. Das ganze Individuum, mit ſeiner Anlage
zu Ruhm und Hohn muß triumphiren, nicht bloß die Fauſt.
Der damalige Italiener iſt vieler Verſtellung fähig um
beſtimmte Zwecke zu erreichen, aber gar keiner Heuchelei in
Sachen von Principien, weder vor Andern noch vor ſich
ſelber. Mit völliger Naivetät wird deßhalb auch dieſe
Rache als ein Bedürfniß zugeſtanden. Ganz kühle Leute
preiſen ſie vorzüglich dann, wenn ſie, getrennt von eigent-
[437] licher Leidenſchaft, um der bloßen Zweckmäßigkeit willen6. Abſchnitt.
auftritt, „damit andere Menſchen lernen dich unangefochten
„zu laſſen 1)“. Doch werden ſolche Fälle eine kleine Minder-
zahl geweſen ſein gegenüber von denjenigen, da die Leiden-
ſchaft Abkühlung ſuchte. Deutlich ſcheidet ſich hier dieſe
Rache von der Blutrache; während letztere ſich eher noch
innerhalb der Schranken der Vergeltung, des ius talionis
hält, geht die erſtere nothwendig darüber hinaus, indem ſie
nicht nur die Beiſtimmung des Rechtsgefühls verlangt, ſon-
dern die Bewunderer und je nach Umſtänden die Lacher
auf ihrer Seite haben will.
Hierin liegt denn auch der Grund des oft langen Auf-
ſchiebens. Zu einer „bella vendetta“ gehört in der Regel
ein Zuſammentreffen von Umſtänden, welches durchaus ab-
gewartet werden muß. Mit einer wahren Wonne ſchildern
die Novelliſten hie und da das allmälige Heranreifen ſolcher
Gelegenheiten.
Ueber die Moralität von Handlungen, wobei KlägerRache u. Dank-
barkeit.
und Richter eine Perſon ſind, braucht es weiter keines Ur-
theils. Wenn dieſe italieniſche Rachſucht ſich irgendwie
rechtfertigen wollte, ſo müßte dieß geſchehen durch den Nach-
weis einer entſprechenden nationalen Tugend, nämlich der
Dankbarkeit; dieſelbe Phantaſie, welche das erlittene Un-
recht auffriſcht und vergrößert, müßte auch das empfangene
Gute im Andenken erhalten 2). Es wird niemals möglich
ſein, einen ſolchen Nachweis im Namen des ganzen Volkes
zu führen, doch fehlt es nicht an Spuren dieſer Art im
jetzigen italieniſchen Volkscharacter. Dahin gehört bei den
gemeinen Leuten die große Erkenntlichkeit für honette Be-
handlung und bei den höhern Ständen das gute geſell-
ſchaftliche Gedächtniß.
[438]
6. Abſchnitt.Dieſes Verhältniß der Phantaſie zu den moraliſchen
Eigenſchaften des Italieners wiederholt ſich nun durchgängig.
Wenn daneben ſcheinbar viel mehr kalte Berechnung zu Tage
tritt in Fällen da der Nordländer mehr dem Gemüthe folgt,
ſo hängt dieß wohl davon ab, daß der Italiener häufiger
ſowohl als früher und ſtärker individuell entwickelt iſt. Wo
dieß außerhalb Italiens ebenfalls ſtattfindet, da ergeben ſich
auch ähnliche Reſultate; die zeitige Entfremdung vom Hauſe
und von der väterlichen Autorität z. B. iſt der italieniſchen
und der nordamericaniſchen Jugend gleichmäßig eigen. Spä-
ter ſtellt ſich dann bei den edlern Naturen das Verhältniß
einer freien Pietät zwiſchen Kindern und Eltern ein.
Es iſt überhaupt ganz beſonders ſchwer, über die
Sphäre des Gemüthes bei andern Nationen zu urtheilen.
Daſſelbe kann ſehr entwickelt vorhanden ſein, aber in ſo
fremdartiger Weiſe, daß der von draußen kommende es
nicht erkennt, es kann ſich auch wohl vollkommen vor ihm
verſtecken. Vielleicht ſind alle abendländiſchen Nationen in
dieſer Beziehung gleichmäßig begnadigt.
Verletzung der
Ehe.Wenn aber irgendwo die Phantaſie als gewaltige
Herrinn ſich in die Moralität gemiſcht hat, ſo iſt dieß ge-
ſchehen im unerlaubten Verkehr der beiden Geſchlechter. Vor
der gewöhnlichen Hurerei ſcheute ſich bekanntlich das Mittelalter
überhaupt nicht bis die Syphilis kam, und eine vergleichende
Statiſtik der damaligen Proſtitution jeder Art gehört nicht
hieher. Was aber dem Italien der Renaiſſance eigen zu
ſein ſcheint, iſt daß die Ehe und ihr Recht vielleicht mehr
und jedenfalls bewußter als anderswo mit Füßen getreten
wird. Die Mädchen der höhern Stände, ſorgfältig abge-
ſchloſſen, kommen nicht in Betracht; auf verheirathete Frauen
bezieht ſich alle Leidenſchaft.
Dabei iſt bemerkenswerth, daß die Ehen doch nicht
nachweisbar abnahmen und daß das Familienleben bei
[439] weitem nicht diejenige Zerſtörung erlitt, welche es im Nor-6. Abſchnitt.
den unter ähnlichen Umſtänden erleiden würde. Man wollte
völlig nach Willkür leben aber durchaus nicht auf die Fa-
milie verzichten, ſelbſt wenn zu fürchten ſtand, daß es nicht
ganz die eigene ſei. Auch ſank die Race deßhalb weder
phyſiſch noch geiſtig — denn von derjenigen ſcheinbaren
geiſtigen Abnahme, welche ſich gegen die Mitte des XVI.
Jahrhunderts zu erkennen giebt, laſſen ſich ganz beſtimmte
äußere Urſachen politiſcher und kirchlicher Art namhaft
machen, ſelbſt wenn man nicht zugeben will, daß der Kreis
der möglichen Schöpfungen der Renaiſſance durchlaufen
geweſen ſei. Die Italiener fuhren fort, trotz aller Aus-
ſchweifung zu den leiblich und geiſtig geſundeſten und wohl-
geborenſten Bevölkerungen Europa's zu gehören 1), und
behaupten dieſen Vorzug bekanntlich bis auf dieſen Tag,
nachdem ſich die Sitten ſehr gebeſſert haben.
Wenn man nun der Liebesmoral der Renaiſſance näherFrivole
und ideale Lieb-
ſchaft.
nachgeht, ſo findet man ſich betroffen von einem merkwür-
digen Gegenſatz in den Ausſagen. Die Novelliſten und
Comödiendichter machen den Eindruck, als beſtände die Liebe
durchaus nur im Genuſſe und als wären zu deſſen Errei-
chung alle Mittel, tragiſche wie komiſche, nicht nur erlaubt,
ſondern je kühner und frivoler, deſto intereſſanter. Liest
man die beſſern Lyriker und Dialogenſchreiber, ſo lebt in
ihnen die edelſte Vertiefung und Vergeiſtigung der Leiden-
ſchaft, ja der letzte und höchſte Ausdruck derſelben wird ge-
ſucht in einer Aneignung antiker Ideen von einer urſprüng-
lichen Einheit der Seelen im göttlichen Weſen. Und beide
Anſchauungen ſind damals wahr und in einem und dem-
ſelben Individuum vereinbar. Es iſt nicht durchaus rühmlich,
aber es iſt eine Thatſache, daß in dem modernen gebildeten
[440]6. Abſchnitt.Menſchen die Gefühle auf verſchiedenen Stufen zugleich
nicht nur ſtillſchweigend vorhanden ſind ſondern auch zur
bewußten, je nach Umſtänden künſtleriſchen Darſtellung
kommen. Erſt der moderne Menſch iſt, wie der antike,
auch in dieſer Beziehung ein Microcosmus, was der mittel-
alterliche nicht war und nicht ſein konnte.
Novellen-
moral.Zunächſt iſt die Moral der Novellen beachtenswerth.
Es handelt ſich in den meiſten derſelben, wie bemerkt, um
Ehefrauen und alſo um Ehebruch.
Stellung des
Weibes.Höchſt wichtig erſcheint nun hier jene oben (S. 391, f.)
erwähnte Anſicht von der gleichen Geltung des Weibes mit
dem Manne. Die höher gebildete, individuell entwickelte
Frau verfügt über ſich mit einer ganz andern [Souveränität]
als im Norden, und die Untreue macht nicht jenen furcht-
baren Riß durch ihr Leben, ſobald ſie ſich gegen die äußern
Folgen ſichern kann. Das Recht des Gemahles auf ihre
Treue hat nicht denjenigen feſten Boden, den es bei den
Nordländern durch die Poeſie und Leidenſchaft der Wer-
bung und des Brautſtandes gewinnt; nach flüchtigſter Be-
kanntſchaft, unmittelbar aus dem elterlichen oder klöſterlichen
Gewahrſam tritt die junge Frau in die Welt und nun erſt
bildet ſich ihre Individualität ungemein ſchnell aus. Haupt-
ſächlich deßhalb iſt jenes Recht des Gatten nur ein ſehr be-
dingtes, und auch wer es als ein ius quæsitum anſieht,
bezieht es doch nur auf die äußere That, nicht auf das
Herz. Die ſchöne junge Gemahlin eines Greiſes z. B. weist
die Geſchenke und Botſchaften eines jungen Liebhabers zu-
rück, in feſten Vorſatz, ihre Ehrbarkeit (honestà) zu be-
haupten. „Aber ſie freute ſich doch der Liebe des Jünglings
„wegen ſeiner großen Trefflichkeit, und ſie erkannte, daß ein
„edles Weib einen ausgezeichneten Menſchen lieben darf
„ohne Nachtheil ihrer Ehrbarkeit 1).“ Wie kurz iſt aber
[441] der Weg von einer ſolcher Diſtinction bis zu völliger Hin-6. Abſchnitt.
gebung.
Letztere erſcheint dann ſoviel als berechtigt, wenn UntreueUntreue und
Strafe.
des Mannes hinzukömmt. Das individuell entwickelte Weib
empfindet dieſelbe bei Weitem nicht bloß als einen Schmerz,
ſondern als Hohn und Demüthigung, namentlich als Ueber-
liſtung, und nun übt ſie, oft mit ziemlich kaltem Bewußtſein,
die vom Gemahl verdiente Rache. Ihrem Tact bleibt es
überlaſſen, das für den betreffenden Fall richtige Strafmaaß
zu treffen. Die tiefſte Kränkung kann z. B. einen Ausweg
zur Verſöhnung und zu künftigem ruhigem Leben anbahnen,
wenn ſie völlig geheim bleibt. Die Novelliſten, welche der-
gleichen dennoch erfahren oder es gemäß der Atmosphäre
ihrer Zeit erdichten, ſind voll von Bewunderung, wenn die
Rache höchſt angemeſſen, wenn ſie ein Kunſtwerk iſt. Es
verſteht ſich, daß der Ehemann ein ſolches Vergeltungsrecht
doch im Grunde nie anerkennt und ſich nur aus Furcht
oder aus Klugheitsgründen fügt. Wo dieſe wegfallen, wo
er um der Untreue ſeiner Gemahlin willen ohnehin erwar-
ten oder wenigſtens beſorgen muß, von dritten Perſonen
ausgehöhnt zu werden, da wird die Sache tragiſch. Nicht
ſelten folgt die gewaltſamſte Gegenrache und der Mord.
Es iſt höchſt bezeichnend für die wahre Quelle dieſer Thaten,
daß außer dem Gemahl auch die Brüder 1) und der Vater
der Frau ſich dazu berechtigt, ja verpflichtet glauben;
die Eiferſucht hat alſo nichts mehr damit zu thun, dasDie Rächer.
ſittliche Gefühl wenig, der Wunſch, dritten Perſonen ihren
Spott zu verleiden das Meiſte. „Heute“, ſagt Bandello 2),
[442]6. Abſchnitt.„ſieht man Eine um ihre Lüſte zu erfüllen den Gemahl
vergiften, als dürfte ſie dann, weil ſie Wittwe geworden,
thun was ihr beliebt. Eine andere, aus Furcht vor Ent-
deckung ihres unerlaubten Umganges, läßt den Gemahl
durch den Geliebten ermorden. Dann erheben ſich Väter,
Brüder und Gatten, um ſich die Schande aus den Augen
zu ſchaffen, mit Gift, Schwert und andern Mitteln, und
dennoch fahren viele Weiber fort, mit Verachtung des eigenen
Lebens und der Ehre, ihren Leidenſchaften nachzuleben.“
Ein andermal, in milderer Stimmung, ruft er aus: „Wenn
man doch nur nicht täglich hören müßte: dieſer hat ſeine
Frau ermordet, weil er Untreue vermuthete, Jener hat die
Tochter erwürgt, weil ſie ſich heimlich vermählt hatte, Jener
endlich hat ſeine Schweſter tödten laſſen, weil ſie ſich nicht
nach ſeinen Anſichten vermählen wollte! Es iſt doch eine
große Grauſamkeit, daß wir Alles thun wollen was uns
in den Sinn kömmt und den armen Weibern nicht daſſelbe
zugeſtehen. Wenn ſie etwas thun, das uns mißfällt, ſo
ſind wir gleich mit Strick, Dolch und Gift bei der Hand.
Welche Narrheit der Männer, vorauszuſetzen, daß ihre und
des ganzen Hauſes Ehre von der Begierde eines Weibes
abhänge!“ Leider wußte man den Ausgang ſolcher Dinge
bisweilen ſo ſicher voraus, daß der Novelliſt auf einen be-
drohten Liebhaber Beſchlag legen konnte während derſelbe
noch lebendig herumlief. Der Arzt Antonio Bologna hatte
ſich insgeheim mit der verwittweten Herzogin von Malfi,
vom Hauſe Aragon, vermählt; bereits hatten ihre Brüder
ſie und ihre Kinder wieder in ihre Gewalt bekommen und
in einem Schloß ermordet. Antonio, der letzteres noch nicht
wußte und mit Hoffnungen hingehalten wurde, befand ſich
in Mailand, wo ihm ſchon gedungene Mörder auflauerten,
und ſang in Geſellſchaft bei der Ippolita Sforza die Ge-
2)
[443] ſchichte ſeines Unglückes zur Laute. Ein Freund des ge-6. Abſchnitt.
nannten Hauſes, Delio, „erzählte die Geſchichte bis zu
dieſem Puncte dem Scipione Atellano und fügte bei, er
werde dieſelbe in einer ſeiner Novellen behandeln, da er
gewiß wiſſe, daß Antonio ermordet werden würde“. Die
Art, wie dieß faſt unter den Augen Delio's und Atellano's
eintraf, iſt bei Bandello (I, 26) ergreifend geſchildert.
Einſtweilen aber nehmen die Novelliſten doch fortwäh-Parteinahme
des Novelliſten.
rend Partei für alles Sinnreiche, Schlaue und Komiſche,
was beim Ehebruch vorkömmt: mit Vergnügen ſchildern
ſie das Verſteckſpiel in den Häuſern, die ſymboliſchen Winke
und Botſchaften, die mit Kiſſen und Confect zum Voraus
verſehenen Truhen, in welchen der Liebhaber verborgen und
fortgeſchafft werden kann, u. dgl. m. Der betrogene Ehe-
mann wird je Umſtänden ausgemalt als eine ohnehin von
Hauſe aus lächerliche Perſon oder als ein furchtbarer Rächer;
ein drittes giebt es nicht, es ſei denn, daß das Weib als
böſe und grauſam und der Mann oder Liebhaber als un-
ſchuldiges Opfer geſchildert werden ſoll. Man wird indeß
bemerken, daß Erzählungen dieſer letztern Art nicht eigent-
liche Novellen, ſondern nur Schreckensbeiſpiele aus dem
wirklichen Leben ſind 1).
Mit der Hiſpaniſirung des italieniſchen Lebens im Ver-
lauf des XVI. Jahrhunderts nahm die in den Mitteln
höchſt gewaltſame Eiferſucht vielleicht noch zu, doch muß
man dieſelbe unterſcheiden von der ſchon vorher vorhandenen,
im Geiſt der italieniſchen Renaiſſance ſelbſt begründeten
Vergeltung der Untreue. Mit der Abnahme des ſpaniſchen
Cultureinfluſſes ſchlug dann die auf die Spitze getriebene
Eiferſucht gegen Ende des XVII. Jahrhunderts in ihr
Gegentheil um, in jene Gleichgültigkeit, welche den Cicisbeo
als unentbehrliche Figur im Hauſe betrachtete und außer-
dem noch einen oder mehrere Geduldete (Patiti) ſich gefal-
len ließ.
[444]
6. Abſchnitt.Wer will es nun unternehmen, die ungeheure Summe
Vergleichung
mit andern
Völkern.von Immoralität, welche in den geſchilderten Verhältniſſen
liegt, mit dem zu vergleichen, was in andern Ländern ge-
ſchah. War die Ehe z. B. in Frankreich während des XV.
Jahrhunderts wirklich heiliger als in Italien? Die Fabliaux
und Farcen erregen ſtarke Zweifel, und man ſollte glau-
ben, daß die Untreue eben ſo häufig, nur der tragiſche
Ausgang ſeltener geweſen, weil das Individuum mit ſeinen
Anſprüchen weniger entwickelt war. Eher möchte zu Gunſten
der germaniſchen Völker ein entſcheidendes Zeugniß vor-
handen ſein, nämlich jene größere geſellſchaftliche Freiheit
der Frauen und Mädchen, welche den Italienern in Eng-
land und in den Niederlanden ſo angenehm auffiel. (S. 395,
Anm.) Und doch wird man auch hierauf kein zu großes
Gewicht legen dürfen. Die Untreue war gewiß ebenfalls
ſehr häufig und der individuell entwickeltere Menſch treibt es
auch hier bis zur Tragödie. Man ſehe nur wie die da-
maligen nordiſchen Fürſten bisweilen auf den erſten Ver-
dacht hin mit ihren Gemahlinnen umgehen.
Die
vergeiſtigte
Liebe.Innerhalb des Unerlaubten aber bewegte ſich bei den
damaligen Italienern nicht nur das gemeine Gelüſte, nicht
nur die dumpfe Begier des gewöhnlichen Menſchen, ſondern
auch die Leidenſchaft der Edelſten und Beſten; nicht bloß
weil die unverheiratheten Mädchen ſich außerhalb der Ge-
ſellſchaft befanden, ſondern auch weil gerade der vollkom-
mene Mann am ſtärkſten angezogen wurde von dem bereits
durch die Ehe ausgebildeten weiblichen Weſen. Dieſe Männer
ſind es, welche die höchſten Töne der lyriſchen Poeſie an-
geſchlagen und auch in Abhandlungen und Dialogen von
der verzehrenden Leidenſchaft ein verklärtes Abbild zu geben
verſucht haben: l'amor divino. Wenn ſie über die Grau-
ſamkeit des geflügelten Gottes klagen, ſo iſt damit nicht
bloß die Hartherzigkeit der Geliebten oder ihre Zurückhal-
tung gemeint, ſondern auch das Bewußtſein der Unrecht-
mäßigkeit der Verbindung. Ueber dieſes Unglück ſuchen ſie
[445] durch jene Vergeiſtigung der Liebe ſich zu erheben, welche6. Abſchnitt.
ſich an die platoniſche Seelenlehre anlehnt und in Pietro
Bembo ihren berühmteſten Vertreter gefunden hat. Man
hört ihn unmittelbar im dritten Buch ſeiner Aſolani, undPietro Bembo.
mittelbar durch Caſtiglione, welcher ihm jene prachtvolle
Schlußrede des vierten Buches des Cortigiano in den Mund
legt. Beide Autoren waren im Leben keine Stoiker, aber
in jener Zeit wollte es ſchon etwas heißen, wenn man ein
berühmter und zugleich ein guter Mann war und dieſe
Prädicate kann man Beiden nicht verſagen. Die Zeitge-
noſſen nahmen das was ſie ſagten für wahrhaft gefühlt
und ſo dürfen auch wir es nicht als bloßes Phraſenwerk
verachten. Wer ſich die Mühe nimmt, die Rede im Cor-
tigiano nachzuleſen, wird einſehen, wie wenig ein Excerpt
einen Begriff davon geben könnte. Damals lebten in Italien
einige vornehme Frauen, welche weſentlich durch Verhält-
niſſe dieſer Art berühmt wurden, wie Giulia Gonzaga,
Veronica da Coreggio und vor allen Vittoria Colonna.
Das Land der ſtärkſten Wüſtlinge und der größten Spötter
reſpectirte dieſe Gattung von Liebe und dieſe Weiber; Grö-
ßeres läßt ſich nicht zu ihren Gunſten ſagen. Ob etwas
Eitelkeit dabei war, ob Vittoria den ſublimirten Ausdruck
hoffnungsloſer Liebe von Seiten der berühmteſten Männer
Italiens gerne um ſich herum tönen hörte, wer mag es
entſcheiden? Wenn die Sache ſtellenweiſe eine Mode wurde,
ſo war es immerhin kein Kleines, daß Vittoria wenigſtens
nicht aus der Mode kam und daß ſie in der ſpäteſten Zeit
noch die ſtärkſten Eindrücke hervorbrachte. — Es dauerte
lange, bis andere Länder irgend ähnliche Erſcheinungen
aufwieſen.
Die Phantaſie, welche dieſes Volk mehr als ein anderes
beherrſcht, iſt dann überhaupt eine allgemeine Urſache davon,
daß jede Leidenſchaft in ihrem Verlauf überaus heftig und
je nach Umſtänden verbrecheriſch in den Mitteln wird.
[446]6. Abſchnitt.Man kennt eine Heftigkeit der Schwäche, die ſich nicht be-
herrſchen kann; hier dagegen handelt es ſich um eine Aus-
artung der Kraft. Bisweilen knüpft ſich daran eine Ent-
wicklung ins Coloſſale; das Verbrechen gewinnt eine eigene,
perſönliche Conſiſtenz.
Allgemeiner
Frevelſinn.Schranken giebt es nur noch wenige. Der Gegenwir-
kung des illegitimen, auf Gewalt gegründeten Staates mit
ſeiner Polizei fühlt ſich Jedermann, auch das gemeine Volk,
innerlich entwachſen, und an die Gerechtigkeit der Juſtiz
glaubt man allgemein nicht mehr. Bei einer Mordthat iſt, bevor
man irgend die nähern Umſtände kennt, die Sympathie un-
willkürlich auf Seiten des Mörders 1). Ein männliches, ſtolzes
Auftreten vor und während der Hinrichtung erregt vollends
ſolche Bewunderung, daß die Erzähler darob leicht vergeſſen
zu melden, warum der Betreffende verurtheilt war 2). Wenn
aber irgendwo zu der innerlichen Verachtung der Juſtiz
und zu den vielen aufgeſparten Vendetten noch die Straf-
loſigkeit hinzutritt, etwa in Zeiten politiſcher Unruhen, dann
ſcheint ſich bisweilen der Staat und das bürgerliche Leben
auflöſen zu wollen. Solche Momente hatte Neapel beim
Uebergang von der aragoneſiſchen auf die franzöſiſche und
auf die ſpaniſche Herrſchaft, ſolche hatte auch Mailand bei
der mehrmaligen Vertreibung und Wiederkehr der Sforza.
Da kommen jene Menſchen zum Vorſchein, welche den Staat
und die Geſellſchaft insgeheim niemals anerkannt haben
und nun ihre räuberiſche und mörderiſche Selbſtſucht ganz
ſouverän walten laſſen. Betrachten wir beiſpielshalber ein
Bild dieſer Art aus einem kleinern Kreiſe.
[447]
Als das Herzogthum Mailand bereits um 1480 durch6. Abſchnitt.
die innern Kriſen nach dem Tode des Galeazzo MariaAllgemeiner
Frevelſinn.
Sforza erſchüttert war, hörte in den Provinzialſtädten jede
Sicherheit auf. So in Parma 1), wo der mailändiſche
Gubernator, durch Mordanſchläge in Schrecken geſetzt, ſich
die Freilaſſung furchtbarer Menſchen abdringen ließ, wo
Einbrüche, Demolitionen von Häuſern, öffentliche Mord-
thaten etwas Gewöhnliches wurden, wo zuerſt maskirte
Verbrecher einzeln, dann ohne Scheu jede Nacht große be-
waffnete Schaaren herumzogen; dabei circulirten frevelhafte
Späße, Satiren, Drohbriefe und es erſchien ein Spott-
ſonett gegen die Behörden, welches dieſelben offenbar mehr
empörte als der entſetzliche Zuſtand ſelbſt. Daß in vielen
Kirchen die Tabernakel ſammt den Hoſtien geraubt wurden,
verräth noch eine beſondere Farbe und Richtung jener Ruch-
loſigkeit. Nun iſt es wohl unmöglich zu errathen, was in
jedem Lande der Welt auch heute geſchehen würde, wenn
Regierung und Polizei ihre Thätigkeit einſtellten und den-
noch durch ihr Daſein die Bildung eines proviſoriſchen Re-
gimentes unmöglich machten, allein was damals in Italien
bei ſolchen Anläſſen geſchah, trägt doch wohl einen beſondern
Character durch ſtarke Einmiſchung der Rache.
Im Allgemeinen macht das Italien der Renaiſſance
den Eindruck, als ob auch in gewöhnlichen Zeiten die gro-
ßen Verbrechen häufiger geweſen wären als in andern
Ländern. Freilich könnte uns wohl der Umſtand täuſchen,
daß wir hier verhältnißmäßig weit mehr Specielles davon
erfahren als irgend anderswo und daß dieſelbe Phantaſie,
welche auf das thatſächliche Verbrechen wirkt, auch das
nichtgeſchehene erſinnt. Die Summe der Gewaltthaten war
vielleicht anderswo dieſelbe. Ob der Zuſtand z. B. in dem
kraftvollen, reichen Deutſchland um 1500, mit ſeinen kühnen
Landſtreichern, gewaltigen Bettlern und wegelagernden Rittern
[448]6. Abſchnitt.im Ganzen ſicherer geweſen, ob das Menſchenleben weſent-
lich beſſer garantirt war, läßt ſich ſchwer ermitteln. Aber
ſo viel iſt ſicher, daß das prämeditirte, beſoldete, durch
dritte Hand geübte, auch das zum Gewerb gewordene Ver-
brechen in Italien eine große und ſchreckliche Ausdehnung
gewonnen hatte.
Räuberweſen.Blicken wir zunächſt auf das Räuberweſen, ſo wird
vielleicht Italien damals nicht mehr, in glücklichern Gegenden
wie z. B. Toscana ſogar weniger davon heimgeſucht gewe-
ſen ſein als die meiſten Länder des Nordens. Aber es
giebt weſentlich italieniſche Figuren. Schwerlich findet ſich
anderswo z. B. die Geſtalt des durch Leidenſchaft verwil-
derten, allmälig zum Räuberhauptmann gewordenen Geiſt-
lichen, wovon jene Zeit unter andern folgendes Beiſpiel
liefert 1). Am 12. Auguſt 1495 wurde in einen eiſernen
Käfig außen am Thurm von S. Giuliano zu Ferrara ein-
geſchloſſen der Prieſter Don Nicolò de' Pelegati von Fi-
garolo. Derſelbe hatte zweimal ſeine erſte Meſſe geleſen;
das erſtemal hatte er an demſelben Tage einen Mord be-
gangen und war darauf in Rom abſolvirt worden; nachher
tödtete er vier Menſchen und heirathete zwei Weiber, mit
welchen er herumzog. Dann war er bei vielen Tödtungen
anweſend, nothzüchtigte Weiber, führte andere mit Gewalt
fort, übte Raub in Maſſe, tödtete noch Viele und zog im
Ferrareſiſchen mit einer uniformirten bewaffneten Bande
herum, Nahrung und Obdach mit Mord und Gewalt er-
zwingend. — Wenn man ſich das Dazwiſchenliegende hin-
zudenkt, ſo ergiebt ſich für den Prieſter eine ungeheure
Summe des Frevels. Es gab damals überall viele Mörder
und andere Miſſethäter unter den ſo wenig beaufſichtigten
und ſo hoch privilegirten Geiſtlichen und Mönchen, aber
[449] kaum einen Pelegati. Etwas Anderes, obwohl auch nichts6. Abſchnitt.
Rühmliches, iſt es, wenn verlorene Menſchen ſich in die
Kutte ſtecken dürfen um der Juſtiz zu entgehen, wie z. B.
jener Corſar, den Maſſuccio in einem Kloſter zu Neapel
kannte 1). Wie es ſich mit Papſt Johann XXIII. in
dieſer Beziehung verhielt, iſt nicht näher bekannt 2).
Die Zeit der individuell berühmten Räuberhauptleute
beginnt übrigens erſt ſpäter, im XVII. Jahrhundert, als
die politiſchen Gegenſätze, Guelfen und Ghibellinen, Spa-
nier und Franzoſen, das Land nicht mehr in Bewegung
ſetzten; der Räuber löst den Parteigänger ab.
In gewiſſen Gegenden von Italien, wo die CulturVerwilderte
Bauern.
nicht hindrang, waren die Landleute permanent mörderiſch
gegen Jeden von draußen, der ihnen in die Hände fiel.
So namentlich in den entlegenern Theilen des Königreiches
Neapel, wo eine uralte Verwilderung vielleicht ſeit der rö-
miſchen Latifundienwirthſchaft ſich erhalten hatte, und wo
man den Fremden und den Feind, hospes und hostis,
noch in aller Unſchuld für gleichbedeutend halten mochte.
Dieſe Leute waren gar nicht irreligiös; es kam vor, daß
ein Hirt voll Angſt im Beichtſtuhl erſchien, um zu bekennen,
daß ihm während der Faſten beim Käſemachen ein paar
Tropfen Milch in den Mund gekommen. Freilich fragte
der ſittenkundige Beichtvater bei dieſem Anlaß auch noch
aus ihm heraus, daß er oft mit ſeinen Gefährten Reiſende
beraubt und ermordet hatte, nur daß dieß als etwas Land-
Cultur der Renaiſſance. 29
[450]6. Abſchnitt.übliches keine Gewiſſensbiſſe rege machte 1). Wie ſehr in
Zeiten politiſcher Unruhen die Bauern auch anderswo ver-
wildern konnten, iſt bereits (S. 351) angedeutet worden.
Der bezahlte
Mord.Ein ſchlimmeres Zeichen der damaligen Sitte als die
Räuberei iſt die Häufigkeit der bezahlten, durch dritte Hand
geübten Verbrechen. Darin ging zugeſtandener Maßen
Neapel allen andern Städten voran. „Hier iſt gar nichts
billiger zu kaufen als ein Menſchenleben“, ſagt Pontano 2).
Aber auch andere Gegenden weiſen eine furchtbare Reihe
von Miſſethaten dieſer Art auf. Man kann dieſelben na-
türlich nur ſchwer nach den Motiven ſondern, indem poli-
tiſche Zweckmäßigkeit, Parteihaß, perſönliche Feindſchaft,
Rache und Furcht durcheinander wirkten. Es macht den
Florentinern die größte Ehre, daß damals bei ihnen, dem
höchſtentwickelten Volke von Italien, dergleichen am we-
nigſten vorkömmt 3), vielleicht weil es für berechtigte Be-
ſchwerden noch eine Juſtiz gab, die man anerkannte, oder
weil die höhere Cultur den Menſchen eine andere Anſicht
verlieh über das verbrecheriſche Eingreifen in das Rad des
Schickſals; wenn irgendwo ſo erwog man in Florenz wie
eine Blutſchuld unberechenbar weiter wirkt und wie wenig
der Anſtifter auch bei einem ſogenannten nützlichen Ver-
brechen eines überwiegenden und dauernden Vortheils ſicher
iſt. Nach dem Untergang der florentiniſchen Freiheit ſcheint
der Meuchelmord, hauptſächlich der gedungene, raſch zuge-
[451] nommen zu haben, bis die Regierung Coſimo's I. ſo weit6. Abſchnitt.
zu Kräften kam, daß ſeine Polizei 1) allen Miſſethaten ge-
wachſen war.
Im übrigen Italien wird das bezahlte VerbrechenFürſtliche
Mordſtifter.
häufiger oder ſeltener geweſen ſein, je nachdem zahlungs-
fähige hochgeſtellte Anſtifter vorhanden waren. Es kann
Niemanden einfallen, dergleichen ſtatiſtiſch zuſammenzufaſſen,
allein wenn von all den Todesfällen, die das Gerücht als
gewaltſam herbeigeführt betrachtete, auch nur ein kleiner
Theil wirkliche Mordthaten waren, ſo macht dieß ſchon eine
große Summe aus. Fürſten und Regierungen gaben aller-
dings das ſchlimmſte Beiſpiel: ſie machten ſich gar kein
Bedenken daraus, den Mord unter die Mittel ihrer All-
macht zu zählen. Es bedurfte dazu noch keines Ceſare
Borgia; auch die Sforza, die Aragoneſen, ſpäter auch die
Werkzeuge Carls V. erlaubten ſich was zweckmäßig ſchien.
Die Phantaſie der Nation erfüllte ſich allmälig derge-Die
Vergiftungen.
ſtalt mit Vorausſetzungen dieſer Art, daß man bei Mäch-
tigen kaum mehr an einen natürlichen Tod glaubte. Freilich
machte man ſich von der Wirkungskraft der Gifte bisweilen
fabelhafte Vorſtellungen. Wir wollen glauben, daß jenes
furchtbare weiße Pulver (S. 118) der Borgia auf beſtimmte
Termine berechnet werden konnte, und ſo mag auch das-
jenige Gift wirklich ein venenum atterminatum geweſen
ſein, welches der Fürſt von Salerno dem Cardinal von
Aragon reichte mit den Worten: „in wenigen Tagen wirſt
„du ſterben weil dein Vater König Ferrante uns alle hat
„zertreten wollen“ 2). Aber der vergiftete Brief, welchen
Caterina Riario an Papſt Alexander VI. ſandte 3), würde
dieſen ſchwerlich umgebracht haben, auch wenn er ihn ge-
29*
[452]6. Abſchnitt.leſen hätte; und als Alfons der Große von den Aerzten
gewarnt wurde, ja nicht in dem Livius zu leſen, den ihm
Coſimo de' Medici überſandte, antwortete er ihnen gewiß
mit Recht: höret auf ſo thöricht zu reden 1). Vollends
hätte jenes Gift nur ſympathetiſch wirken können, womit
der Secretär Piccinino's den Tragſtuhl des Papſtes Pius II.
nur ein wenig anſtreichen wollte 2). Wie weit es ſich durch-
ſchnittlich um mineraliſche oder Pflanzengifte handelte, läßt
ſich nicht beſtimmen; die Flüſſigkeit, mit welcher der Maler
Roſſo Fiorentino (1541) ſich das Leben nahm, war offen-
bar eine heftige Säure 3), welche man keinem Andern hätte
Die Bravi.unbemerkt beibringen können. — Für den Gebrauch der
Waffen, zumal des Dolches, zu heimlicher Gewaltthat hatten
die Großen in Mailand, Neapel und anderswo leider einen
unaufhörlichen Anlaß, indem unter den Schaaren von Be-
waffneten, welche ſie zu ihrem eigenen Schutze nöthig hatten,
ſchon durch den bloßen Müſſiggang hie und da ſich eine
wahre Mordluſt ausbilden mußte. Manche Gräuelthat
wäre wohl unterblieben wenn der Herr nicht gewußt hätte,
daß es bei Dieſem und Jenem aus ſeinem Gefolge nur
eines Winkes bedürfe.
[453]
Unter den geheimen Mitteln des Verderbens kommt —6. Abſchnitt.
wenigſtens der Abſicht nach — auch die Zauberei vor 1),
doch nur in ſehr untergeordneter Weiſe. Wo etwa male-
ficii, malie u. dgl. erwähnt werden, geſchieht es meiſt, um
auf ein ohnehin gehaßtes oder abſcheuliches Individuum
alle erdenklichen Schrecken zu häufen. An den Höfen von
Frankreich und England im XIV. und XV. Jahrhundert
ſpielt der verderbliche, tödtliche Zauber eine viel größere
Rolle als unter den höhern Ständen von Italien.
Endlich erſcheinen in dieſem Lande, wo das Indivi-Die abſoluten
Böſewichter.
duelle in jeder Weiſe culminirt, einige Menſchen von ab-
ſoluter Ruchloſigkeit, bei welchen das Verbrechen auftritt
um ſeiner ſelber willen, nicht mehr als Mittel zu einem
Zweck, oder wenigſtens als Mittel zu Zwecken, welche ſich
aller pſychologiſchen Norm entziehen.
Zu dieſen entſetzlichen Geſtalten ſcheinen zunächſt auf
den erſten Anblick einige Condottieren zu gehören 2), ein
Braccio von Montone, ein Tiberto Brandolino, und ſchon
ein Werner von Urslingen, deſſen ſilbernes Bruſtſchild die
Inſchrift trug: Feind Gottes, des Mitleids und der Barm-
herzigkeit. Daß dieſe Menſchenclaſſe im Ganzen zu den
frühſten völlig emancipirten Frevlern gehörte, iſt gewiß.
Man wird jedoch behutſamer urtheilen, ſobald man inne
wird, daß das allerſchwerſte Verbrechen derſelben — nach
dem Sinne der Aufzeichner — im Trotz gegen den geiſt-
[454]6. Abſchnitt.lichen Bann liegt und daß die ganze Perſönlichkeit erſt von
da aus mit jenem fahlen, unheimlichen Lichte beſtrahlt er-
erſcheint. Bei Braccio war dieſe Geſinnung allerdings ſo
weit ausgebildet, daß er z. B. über pſallirende Mönche in
Wuth gerathen konnte und ſie von einem Thurm herunter
werfen ließ 1), „allein gegen ſeine Soldaten war er doch
loyal und ein großer Feldherr“. Ueberhaupt werden die
Verbrechen der Condottieren meiſt um des Vortheils willen
begangen worden ſein, auf Antrieb ihrer höchſt demorali-
ſirenden Stellung, und auch die ſcheinbar muthwillige
Grauſamkeit möchte in der Regel ihren Zweck gehabt haben,
wäre es auch nur der einer allgemeinen Einſchüchterung
geweſen. Die Grauſamkeiten der Aragoneſen hatten, wie
wir (S. 35) ſahen, ihre Hauptquelle in Rachſucht und
Angſt. Einen unbedingten Blutdurſt, eine teufliſche Luſt
am Verderben wird man am eheſten bei dem Spanier Ce-
ſare Borgia finden, deſſen Gräuel die vorhandenen Zwecke
in der That um ein Bedeutendes überſchreiten (S. 113, ff.).
Sig. Malateſta.Sodann iſt eine eigentliche Luſt am Böſen in Sigismondo
Malateſta, dem Gewaltherrſcher von Rimini (S. 33 und
223, f.) erkennbar; es iſt nicht nur die römiſche Curie 2) ſon-
dern auch das Urtheil der Geſchichte, welches ihm Mord,
Nothzucht, Ehebruch, Blutſchande, Kirchenraub, Meineid
und Verrath und zwar in wiederholten Fällen Schuld giebt;
das Gräßlichſte aber, die verſuchte Nothzucht am eigenen
Sohn Roberto, welche dieſer mit gezücktem Dolche zurück-
wies 3), möchte doch wohl nicht bloß Sache der Verworfen-
heit ſondern eines aſtrologiſchen oder magiſchen Aberglaubens
geweſen ſein. Daſſelbe hat man ſchon vermuthet, um die
[455] Nothzüchtigung des Biſchofs von Fano 1) durch Pierluigi6. Abſchnitt.
Farneſe von Parma, Sohn Paul's III., zu erklären.
Wenn wir uns nun erlauben dürften die HauptzügeSittlichkeit und
Individualis-
mus.
des damaligen italieniſchen Characters, wie er uns aus
dem Leben der höhern Stände überliefert iſt, zuſammen-
zufaſſen, ſo würde ſich etwa Folgendes ergeben. Der
Grundmangel dieſes Characters erſcheint zugleich als die
Bedingung ſeiner Größe: der entwickelte Individualismus.
Dieſer reißt ſich zuerſt innerlich los von dem gegebenen,
meiſt tyranniſchen und illegitimen Staatsweſen und was er
nun ſinnt und thut, das wird ihm zum Verrath angerechnet,
mit Recht oder mit Unrecht. Beim Anblick des ſiegreichen
Egoismus unternimmt er ſelbſt, in eigener Sache, die Ver-
theidigung des Rechtes und verfällt durch die Rache, die
er übt, den dunkeln Gewalten, während er ſeinen innern
Frieden herzuſtellen glaubt. Seine Liebe wendet ſich am
eheſten einem andern entwickelten Individualismus zu,
nämlich der Gattinn ſeines Nächſten. Gegenüber von allem
Objectiven, von Schranken und Geſetzen jeder Art hat er
das Gefühl eigener Souveränetät und entſchließt ſich in
jedem einzelnen Fall ſelbſtändig, je nachdem in ſeinem In-
nern Ehrgefühl und Vortheil, kluge Erwägung und Leiden-
ſchaft, Entſagung und Rachſucht ſich vertragen.
Wenn nun die Selbſtſucht im weitern wie im engſten
Sinne Wurzel und Hauptſtamm alles Böſen iſt, ſo wäre
ſchon deßhalb der entwickelte Italiener damals dem Böſen
näher geweſen als andere Völker.
Aber dieſe individuelle Entwicklung kam nicht durch
ſeine Schuld über ihn, ſondern durch einen weltgeſchicht-
lichen Rathſchluß; ſie kam auch nicht über ihn allein, ſon-
dern weſentlich vermittelſt der italieniſchen Cultur auch über
[456]6. Abſchnitt.alle andern Völker des Abendlandes und iſt ſeitdem das
höhere Medium, in welchem dieſelben leben. Sie iſt an
ſich weder gut noch böſe, ſondern nothwendig; innerhalb
derſelben entwickelt ſich ein modernes Gutes und Böſes,
eine ſittliche Zurechnung, welche von der des Mittelalters
weſentlich verſchieden iſt.
Der Italiener der Renaiſſance aber hatte das erſte
gewaltige Daherwogen dieſes neuen Weltalters zu beſtehen.
Mit ſeiner Begabung und ſeinen Leidenſchaften iſt er für
alle Höhen und alle Tiefen dieſes Weltalters der kennt-
lichſte, bezeichnendſte Repräſentant geworden; neben tiefer
Verworfenheit entwickelt ſich die edelſte Harmonie des Per-
ſönlichen und eine glorreiche Kunſt, welche das individuelle
Leben verherrlichte, wie weder Alterthum noch Mittelalter
dieß wollten oder konnten.
Die Religion.Mit der Sittlichkeit eines Volkes ſteht in engſtem Zu-
ſammenhange die Frage nach ſeinem Gottesbewußtſein,
d. h. nach ſeinem größern oder geringern Glauben an eine
göttliche Leitung der Welt, mag nun dieſer Glaube die
Welt für eine zum Glück oder zum Jammer und baldigen
Untergang beſtimmte halten 1). Nun iſt der damalige
italieniſche Unglaube im Allgemeinen höchſt berüchtigt und
wer ſich noch die Mühe eines Beweiſes nimmt, hat es leicht
hunderte von Ausſagen und Beiſpielen zuſammenzuſtellen.
Unſere Aufgabe iſt auch hier, zu ſondern und zu unter-
ſcheiden; ein abſchließendes Geſammturtheil werden wir
uns auch hier nicht erlauben.
[457]
Das Gottesbewußtſein der frühern Zeit hatte ſeine6. Abſchnitt.
Quelle und ſeinen Anhalt im Chriſtenthum und in deſſen
äußerer Machtgeſtalt, der Kirche gehabt. Als die Kirche
ausartete, hätte die Menſchheit diſtinguiren und ihre Reli-
gion trotz Allem behaupten ſollen. Aber ein ſolches Po-
ſtulat läßt ſich leichter aufſtellen als erfüllen. Nicht jedes
Volk iſt ruhig oder ſtumpfſinnig genug, um einen dauernden
Widerſpruch zwiſchen einem Princip und deſſen äußerer
Darſtellung zu ertragen. Die ſinkende Kirche iſt es, auf
welche jene ſchwerſte Verantwortlichkeit fällt, die je in der
Geſchichte vorgekommen iſt: ſie hat eine getrübte und zum
Vortheil ihrer Allmacht entſtellte Lehre mit allen Mitteln
der Gewalt als reine Wahrheit durchgeſetzt, und im Gefühl
ihrer Unantaſtbarkeit ſich der ſchwerſten Entſittlichung über-
laſſen; ſie hat, um ſich in ſolchem Zuſtande zu behaupten,
gegen den Geiſt und das Gewiſſen der Völker tödtliche
Streiche geführt und viele von den Höherbegabten, welche
ſich ihr innerlich entzogen, dem Unglauben und der Ver-
bitterung in die Arme getrieben.
Hier ſtellt ſich uns auf dem Wege die Frage entgegen:Mangel einer
Reformation.
warum das geiſtig ſo mächtige Italien nicht kräftiger gegen
die Hierarchie reagirt, warum es nicht eine Reformation gleich
der deutſchen und vor derſelben zu Stande gebracht habe?
Es giebt eine ſcheinbare Antwort: die Stimmung Ita-
liens habe es nicht über die Verneinung der Hierarchie
hinausgebracht, während Urſprung und Unbezwingbarkeit
der deutſchen Reformation den poſitiven Lehren, zumal von
der Rechtfertigung durch den Glauben und vom Unwerth
der guten Werke, verdankt werde.
Es iſt gewiß, daß dieſe Lehren erſt von Deutſchland
her auf Italien wirkten, und zwar viel zu ſpät, als die
ſpaniſche Macht bei weitem groß genug war, um theils
unmittelbar, theils durch das Papſtthum und deſſen Werk-
zeuge Alles zu erdrücken. Aber ſchon in den frühern reli-
giöſen Bewegungen Italiens von den Myſtikern des XIII.
[458]6. Abſchnitt.Jahrhunderts bis auf Savonarola war auch ſehr viel po-
ſitiver Glaubensinhalt, dem zur Reife nichts als das Glück
fehlte. Coloſſale Ereigniſſe wie die Reform des XVI.
Jahrhunderts entziehen ſich wohl überhaupt, was das Ein-
zelne, den Ausbruch und Hergang betrifft, aller geſchichts-
philoſophiſchen Deduction, ſo klar man auch ihre Nothwendig-
keit im Großen und Ganzen erweiſen kann. Die Bewegungen
des Geiſtes, ihr plötzliches Aufblitzen, ihre Verbreitung, ihr
Innehalten ſind und bleiben unſern Augen wenigſtens in-
ſoweit ein Räthſel, als wir von den dabei thätigen Kräften
immer nur dieſe und jene, aber niemals alle kennen.
Stellung zur
Kirche.Die Stimmung der höhern und mittlern Stände Ita-
liens gegen die Kirche zur Zeit der Höhe der Renaiſſance
iſt zuſammengeſetzt aus tiefem, verachtungsvollem Unwillen,
aus Accommodation an die Hierarchie inſofern ſie auf alle
Weiſe in das äußere Leben verflochten iſt, und aus einem
Gefühl der Abhängigkeit von den Sacramenten, Weihen
und Segnungen. Als etwas für Italien ſpeciell Bezeich-
nendes dürfen wir noch die große individuelle Wirkung
heiliger Prediger beifügen.
Zur Hierarchie.Ueber den antihierarchiſchen Unwillen der Italiener,
wie er ſich zumal ſeit Dante in Literatur und Geſchichte
offenbart, ſind eigene umfangreiche Arbeiten vorhanden.
Von der Stellung des Papſtthums zur öffentlichen Meinung
haben wir ſelber oben (S. 103, f., 216) einige Rechenſchaft
geben müſſen, und wer das Stärkſte aus erlauchten Quellen
ſchöpfen will, der kann die berühmten Stellen in Macchia-
vell's Discorſi und in (dem unverſtümmelten) Guicciardini
nachleſen. Außerhalb der römiſchen Curie genießen noch
am eheſten die beſſern Biſchöfe einigen ſittlichen Reſpect 1),
[459] auch manche Pfarrer; dagegen ſind die bloßen Pfründner,6. Abſchnitt.
Chorherren und Mönche faſt ohne Ausnahme verdächtig und
oft mit der ſchmachvollſten Nachrede, die den ganzen be-
treffenden Stand umfaßt, übel beladen.
Man hat ſchon behauptet, die Mönche ſeien zum Sün-Die
Bettelmönche.
denbock für den ganzen Clerus geworden, weil man nur
über ſie gefahrlos habe ſpotten dürfen 1). Allein dieß iſt
auf alle Weiſe irrig. In den Novellen und Comödien
kommen ſie deßhalb vorzugsweiſe vor, weil dieſe beiden
Literaturgattungen ſtehende, bekannte Typen lieben, bei
welchen die Phantaſie leicht das nur Angedeutete ergänzt.
Sodann ſchont die Novelle auch den Weltclerus nicht 2).
Drittens beweiſen zahlloſe Aufzeichnungen aus der ganzen
übrigen Literatur, wie keck über das Papſtthum und die
römiſche Curie öffentlich geredet und geurtheilt wurde; in
den freien Schöpfungen der Phantaſie muß man aber der-
gleichen nicht erwarten. Viertens konnten ſich auch die
Mönche bisweilen furchtbar rächen.
So viel iſt immerhin richtig, daß gegen die Mönche
der Unwille am ſtärkſten war, und daß ſie als lebendiger
Beweis figurirten von dem Unwerth des Kloſterlebens, der
ganzen geiſtlichen Einrichtung, des Glaubensſyſtems, ja der
1)
[460]6. Abſchnitt.Religion überhaupt, je nachdem man die Folgerungen mit
Recht oder Unrecht auszudehnen beliebte. Man darf hiebei
wohl annehmen, daß Italien eine deutlichere Erinnerung
von dem Aufkommen der beiden großen Bettelorden bewahrt
hatte als andere Länder, daß es noch ein Bewußtſein davon
beſaß, dieſelben ſeien urſprünglich die Träger jener Reaction 1)
gegen das was man die Ketzerei des XIII. Jahrhunderts
nennt, d. h. gegen eine frühe ſtarke Regung des modernen
italieniſchen Geiſtes. Und das geiſtliche Polizeiamt, welches
den Dominicanern insbeſondere dauernd anvertraut blieb,
hat gewiß nie ein anderes Gefühl rege gemacht als heim-
lichen Haß und Hohn.
Hohn der No-
velliſten.Wenn man den Decamerone und die Novellen des
Franco Sacchetti liest, ſollte man glauben, die frevelhafte
Rede gegen Mönche und Nonnen wäre erſchöpft. Aber
gegen die Zeit der Reformation hin ſteigert ſich dieſer Ton
noch um ein Merkliches. Gerne laſſen wir Aretino aus
dem Spiel, da er in den Ragionamenti das Kloſterleben
nur zum Vorwand braucht, um ſeinem eigenen Naturell
den Zügel ſchießen zu laſſen. Aber einen Zeugen ſtatt aller
müſſen wir hier nennen: Maſſuccio in den zehn erſten von
ſeinen fünfzig Novellen. Sie ſind in der tiefſten Entrüſtung
und mit dem Zweck dieſelbe zu verbreiten geſchrieben und
den vornehmſten Perſonen, ſelbſt dem König Ferrante und
dem Prinzen Alfonſo von Neapel dedicirt. Die Geſchichten
ſelbſt ſind zum Theil älter und einzelne ſchon aus Boccaccio
bekannt; anderes aber hat eine furchtbare neapolitaniſche
Actualität. Die Bethörung und Ausſaugung der Volks-
maſſen durch falſche Wunder, verbunden mit einem ſchänd-
lichen Wandel, bringen hier einen denkenden Zuſchauer zu
einer wahren Verzweiflung. Von herumziehenden Minoriten
Conventualen heißt es: „Sie betrügen, rauben und huren,
und wo ſie nicht mehr weiter wiſſen, ſtellen ſie ſich als
[461] Heilige und thun Wunder, wobei der Eine das Gewand6. Abſchnitt.
von S. Vincenzo, der Andere die Schrift 1) S. Bernar-Die Bettel-
mönche in den
Novellen.
dino's, ein Dritter den Zaum von Capiſtrano's Eſel vor-
zeigt.“ .. Andere „beſtellen ſich Helfershelfer, welche, ſchein-
bar blind oder todtkrank, durch Berührung des Saumes
ihrer Kutte oder der mitgebrachten Reliquien plötzlich mitten
im Volksgewühl geneſen; dann ſchreit Alles Miſericordia!
man läutet die Glocken und nimmt lange feierliche Proto-
colle auf.“ Es kommt vor, daß ein Mönch auf der Kanzel
von einem andern, welcher unter dem Volke ſteht, keck als
Lügner angeſchrien wird; dann aber fühlt ſich der Rufende
plötzlich von Beſeſſenheit ergriffen, worauf ihn der Prediger
bekehrt und heilt — Alles reine Comödie. Der Betreffende
mit ſeinem Helfershelfer ſammelte ſo viel Geld, daß er von
einem Cardinal ein Bisthum kaufen konnte, wo beide ge-
mächlich auslebten. Maſſuccio macht keinen beſonderen Un-
terſchied zwiſchen Franciscanern und Dominicanern, indem
beide einander werth ſeien. „Und da läßt ſich das unver-
nünftige Publicum noch in ihren Haß und ihre Parteiung
hineinziehen und ſtreitet darüber auf öffentlichen Plätzen 2)
und theilt ſich in Franceschiner und Domenichiner!“ Die
Nonnen gehören ausſchließlich den Mönchen; ſobald ſie ſich
mit Laien abgeben, werden ſie eingekerkert und verfolgt, die
andern aber halten mit Mönchen förmlich Hochzeit, wobei
ſogar Meſſen geſungen, Contracte aufgeſetzt und Speiſe und
Trank reichlich genoſſen werden. „Ich ſelber, ſagt der Ver-
faſſer, „bin nicht ein ſondern mehrere Male dabei geweſen,
habe es geſehen und mit Händen gegriffen. Solche Nonnen
gebären dann entweder niedliche Mönchlein oder ſie treiben
die Frucht ab. Und wenn Jemand behaupten möchte, dieß
[462]6. Abſchnitt.ſei eine Lüge, ſo unterſuche er die Cloaken der Nonnen-
Die Bettel-
mönche in den
Novellen.klöſter und er wird darin einen Vorrath von zarten Knöchlein
finden nicht viel anders als in Bethlehem zu Herodes Zei-
ten.“ Solche und andere Sachen birgt das Kloſterleben.
Freilich machen einander die Mönche es in der Beichte
bequem und dictiren ein Paternoſter für Dinge um derent-
willen ſie einem Laien alle Abſolution verſagen würden
gleich einem Ketzer. „Darum öffne ſich die Erde und ver-
ſchlinge ſolche Verbrecher lebendig ſammt ihren Gönnern.“
An einer andern Stelle äußert Maſſuccio, weil die Macht
der Mönche doch weſentlich auf der Furcht vor dem Jenſeits
beruhe, einen ganz merkwürdigen Wunſch: „es gäbe keine
beſſere Züchtigung für ſie, als wenn Gott recht bald das
Fegefeuer aufhöbe; dann könnten ſie nicht mehr von Al-
moſen leben und müßten wieder zur Hacke greifen“.
Wenn man unter Ferrante und an ihn ſo ſchreiben
durfte, ſo hing dieß vielleicht damit zuſammen, daß der
König durch ein auf ihn gemünztes falſches Wunder er-
bittert war 1). Man hatte ihn durch eine bei Tarent ver-
grabene und hernach gefundene Bleitafel mit Inſchrift zu
einer Judenverfolgung ähnlich der ſpaniſchen zu zwingen
geſucht, und, als er den Betrug durchſchaute, ihm Trotz
geboten. Auch einen falſchen Faſter hatte er entlarven
laſſen, wie ſchon früher einmal ſein Vater König Alfonſo
that. Der Hof hatte wenigſtens am dumpfen Aberglauben
keine Mitſchuld 2).
Wir haben einen Autor angehört, dem es Ernſt war,
und er iſt lange nicht der einzige in ſeiner Art. Spott
und Schimpf über die Bettelmönche ſind vollends maſſen-
weiſe vorhanden und durchdringen die ganze Literatur.
Man kann kaum daran zweifeln, daß die Renaiſſance binnen
[463] Kurzem mit dieſen Orden aufgeräumt haben würde, wenn6. Abſchnitt.
nicht die deutſche Reformation und die Gegenreformation
darüber gekommen wäre. Ihre populären Prediger und
ihre Heiligen hätten ſie ſchwerlich gerettet. Es wäre nur
darauf angekommen, daß man ſich mit einem Papſt, der
die Bettelorden verachtete, wie z. B. Leo X., zu rechter Zeit
verabredet hätte. Wenn der Zeitgeiſt ſie doch nur noch
entweder komiſch oder abſcheulich fand, ſo waren ſie für die
Kirche weiter nichts mehr als eine Verlegenheit. Und wer
weiß, was damals dem Papſtthum ſelber bevorſtand, wenn
die Reformation es nicht gerettet hätte.
Die Machtübung, welche ſich fortwährend der PaterDie dominica-
niſche Inquiſi-
tion.
Inquiſitor eines Dominicanerkloſters über die betreffende
Stadt erlaubte, war im ſpätern XV. Jahrhundert gerade
noch groß genug um die Gebildeten zu geniren und zu
empören, aber eine dauernde Furcht und Devotion ließ ſich
nicht mehr erzwingen 1). Bloße Geſinnungen zu ſtrafen
wie vor Zeiten (S. 285, f.) war nicht mehr möglich, und vor
eigentlichen Irrlehren konnte ſich auch Derjenige leicht hüten,
der ſonſt gegen den ganzen Clerus als ſolchen die loſeſte
Zunge führte. Wenn nicht eine mächtige Partei mithalf
(wie bei Savonarola) oder böſer Zauber beſtraft werden
ſollte (wie öfter in den oberitaliſchen Städten), ſo kam es
am Ende des XV. und Anfang des XVI. Jahrhunderts
nur noch ſelten bis zum Scheiterhaufen. In mehrern Fällen
begnügten ſich die Inquiſitoren, wie es ſcheint, mit höchſt
oberflächlichem Wiederruf, anderemale kam es ſogar vor,
daß man ihnen den Verurtheilten auf dem Gange zum
Richtplatz aus den Händen nahm. In Bologna (1452)
war der Prieſter Nicolò da Verona als Necromant, Teufels-
banner und Sacramentsſchänder bereits auf einer hölzernen
[464]6. Abſchnitt.Bühne vor San Domenico degradirt worden und ſollte nun
auf die Piazza zum Scheiterhaufen geführt werden, als ihn
unterwegs eine Schaar von Leuten befreite, welche der Jo-
hanniter Achille Malvezzi, ein bekannter Ketzerfreund und
Nonnenſchänder, geſandt hatte. Der Legat (Cardinal Beſ-
ſarion) konnte hernach von den Thätern nur Einen habhaft
werden, der gehenkt wurde; Malvezzi lebte ungeſtört weiter 1).
Die höhern
Orden.Es iſt bemerkenswerth, daß die höhern Orden, alſo
die Benedictiner mit ihren Abzweigungen, trotz ihres großen
Reichthums und Wohllebens weit weniger perhorrescirt
waren als die Bettelorden; auf zehn Novellen, die von
frati handeln, kommt höchſtens eine, welche einen monaco
zum Gegenſtand und Opfer hat. Nicht wenig kam dieſen
Orden zu Gute, daß ſie älter und ohne polizeiliche Abſicht
gegründet waren und ſich nicht in das Privatleben ein-
miſchten. Es gab darunter fromme, gelehrte und geiſtreiche
Leute, aber den Durchſchnitt ſchildert einer von ihnen, Fi-
renzuola 2), wie folgt: „Dieſe Wohlgenährten in ihren weiten
Kutten bringen ihr Leben nicht hin mit barfüßigem Herum-
ziehen und Predigen, ſondern in zierlichen Corduanpantoffeln
ſitzen ſie in ihren ſchönen Cellen mit Cypreſſengetäfel, und
falten die Hände über dem Bauch. Und wenn ſie je ein-
mal ſich von der Stelle bemühen müſſen, ſo reiten ſie ge-
mächlich auf Maulthieren und fetten Pferdchen wie zur
Erholung herum. Den Geiſt ermüden ſie nicht zu ſehr
durch Studium vieler Bücher, damit das Wiſſen ihnen
nicht ſtatt ihrer mönchiſchen Einfalt einen Lucifershochmuth
beibringe“.
Wer die Literatur jener Zeiten kennt wird zugeben,
daß hier nur das zum Verſtändniß des Gegenſtandes
[465] Nothwendigſte mitgetheilt iſt 1). Daß eine ſolche Reputation6. Abſchnitt.
von Weltclerus und Mönchen bei Unzähligen den Glauben
an das Heilige überhaupt erſchüttern mußte, ſpringt in die
Augen.
Was für ſchreckliche Geſammturtheile bekommt man daGuicciardini
über d. Clerus.
zu hören! Wir theilen ſchließlich nur eines davon mit,
weil es erſt neuerlich gedruckt und noch wenig bekannt iſt.
Guicciardini, der Geſchichtſchreiber und vieljährige Beamte
der mediceiſchen Päpſte, ſagt (1529) in ſeinen Aphorismen 2):
„Keinem Menſchen mißfällt mehr als mir der Ehrgeiz, die
Habſucht und die Ausſchweifung der Prieſter, ſowohl weil
jedes dieſes Laſter an ſich haſſenswerth iſt, als auch weil
jedes allein oder alle ſich wenig ziemen bei Leuten, die ſich
zu einem von Gott beſonders abhängigen Stand bekennen,
und vollends weil ſie unter ſich ſo entgegengeſetzt ſind, daß
ſie ſich nur in ganz abſonderlichen Individuen vereinigt
finden können. Gleichwohl hat meine Stellung bei mehrern
Päpſten mich gezwungen, die Größe derſelben zu wollen
meines eigenen Vortheils wegen. Aber ohne dieſe Rückſicht
hätte ich Martin Luther geliebt, wie mich ſelbſt, nicht um
mich loszumachen von den Geſetzen, welche das Chriſten-
thum, ſo wie es insgemein erklärt und verſtanden wird,
uns auferlegt, ſondern um dieſe Schaar von Nichtswürdigen
(questa caterva di scelerati) in ihre gebührenden Grän-
zen gewieſen zu ſehen, ſo daß ſie entweder ohne Laſter oder
ohne Macht leben müßten.“
Derſelbe Guicciardini hält denn auch dafür 3), daß
wir in Betreff alles Uebernatürlichen im Dunkel bleiben,
daß Philoſophen und Theologen nur Thorheiten darüber
Cultur der Renaiſſance. 30
[466]6. Abſchnitt.vorbringen, daß die Wunder in allen Religionen vorkom-
men, für keine beſonders beweiſen und ſich am Ende auf
noch unbekannte Naturphänomene zurückführen laſſen. Den
bergeverſetzenden Glauben, wie er ſich damals bei den
Nachfolgern Savonarola's zu erkennen gab, conſtatirt er
als ein curioſes Phänomen, doch ohne bittere Bemerkung.
Gewöhnung an
die Kirche,Gegenüber von ſolchen Stimmungen hatten Clerus und
Mönchthum den großen Vortheil, daß man an ſie gewöhnt
war und daß ihr Daſein ſich mit dem Daſein von Jeder-
mann berührte und verflocht. Es iſt der Vortheil den alle
alten und mächtigen Dinge von jeher in der Welt gehabt
haben. Jedermann hatte irgend einen Verwandten im
Prieſterrock oder in der Kutte, irgend eine Ausſicht auf
Protection oder künftigen Gewinn aus dem Schatz der
Kirche, und in der Mitte von Italien ſaß die römiſche
Curie, welche ihre Leute bisweilen plötzlich reich machte.
Doch muß man ſehr hervorheben, daß dieß Alles die Zunge
und die Feder nicht band. Die Autoren der läſterlichen
Komik ſind ja ſelber meiſt Mönche, Pfründner u. ſ. w.;
Poggio, der die Facetien ſchrieb, war Geiſtlicher, Francesco
Berni hatte ein Canonicat, Teofilo Folengo war Benedic-
tiner, Matteo Bandello, der ſeinen eigenen Orden lächerlich
macht, war Dominicaner und zwar Nepot eines Generals
dieſes Ordens. Treibt ſie ein Uebermaß des Sicherheits-
gefühles? oder ein Bedürfniß, die eigene Perſon von der
Verrufenheit des Standes zu ſondern? oder jene peſſimi-
ſtiſche Selbſtſucht mit dem Wahlſpruch: „uns hält's noch
aus“? Vielleicht war etwas von Allem dabei. Bei Folengo
wirkt freilich ſchon das Lutherthum kenntlich ein 1).
und an ihre
Segnungen.Die Abhängigkeit von Segnungen und Sacramenten,
von welcher bereits (S. 104) bei Anlaß des Papſtthums
[467] die Rede geweſen iſt, verſteht ſich bei dem gläubigen Theil6. Abſchnitt.
des Volkes von ſelbſt; bei den Emancipirten bedeutet und
bezeugt ſie die Stärke der Jugendeindrücke und die enorme,
magiſche Kraft altgewohnter Symbole. Das Verlangen
des Sterbenden — wer er auch ſein mochte — nach prie-
ſterlicher Abſolution beweist einen Reſt von Höllenfurcht,
ſelbſt bei einem Menſchen wie jener Vitellozzo (a. a. O.)
war. Ein belehrenderes Beiſpiel als das ſeinige wird ſchwer
zu finden ſein. Die kirchliche Lehre von dem Character
indelebilis des Prieſters, woneben ſeine Perſönlichkeit in-
different wird, hat ſo weit Früchte getragen, daß man
wirklich den Prieſter verabſcheuen und doch ſeine geiſtlichen
Spenden begehren kann. Freilich gab es auch Trotzköpfe
wie z. B. Fürſt Galeotto von Mirandola 1), der 1499 in
einer bereits ſechszehnjährigen Excommunication ſtarb.
Während dieſer ganzen Zeit war auch die Stadt um ſeinet-
willen im Interdict geweſen, ſo daß weder Meſſe noch ge-
weihtes Begräbniß ſtattfand.
Glänzend tritt endlich neben all dieſen ZweideutigkeitenDie
Bußprediger.
hervor das Verhältniß der Nation zu ihren großen Buß-
predigern. Das ganze übrige Abendland ließ ſich von Zeit
zu Zeit durch die Rede heiliger Mönche rühren, allein was
wollte dieß heißen neben der periodiſchen Erſchütterung der
italieniſchen Städte und Landſchaften? Zudem iſt z. B. der
einzige, der während des XV. Jahrhunderts in Deutſch-
land eine ähnliche Wirkung hervorbrachte 2), ein Abruzzeſe
von Geburt geweſen, nämlich Giovanni Capiſtrano. Die-
jenigen Gemüther, welche einen ſo gewaltigen Ernſt und
einen ſolchen religiöſen Beruf in ſich tragen, ſind damals
im Norden intuitiv, myſtiſch; im Süden expanſiv, practiſch,
verbündet mit der hohen Achtung der Nation vor Sprache
30*
[468]6. Abſchnitt.und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her-
vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöſtern, aber auf
Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menſchen, welche
auf Menſchen einen coloſſalen Eindruck des Augenblickes
machen.
Dieſer Eindruck beruht weſentlich auf Erregung des
Gewiſſens. Es ſind Moralpredigten, ohne Abſtraction, voll
ſpecieller Anwendung, unterſtützt von einer geweihten, as-
cetiſchen Perſönlichkeit, woran ſich dann von ſelbſt durch die
erregte Phantaſie das Mirakel anſchließt, auch gegen den
Willen des Predigers 1). Das gewaltigſte Argument war
weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel-
mehr die höchſt lebendige Entwicklung der maledizione,
des zeitlichen, in der Perſon wirkenden Fluches, der ſich an
das Böſe knüpft. Die Betrübung Chriſti und der Heiligen
hat ihre Folgen im Leben. Nur ſo konnte man die in
Leidenſchaft, Racheſchwüre und Verbrechen verrannten Men-
ſchen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der
wichtigſte Zweck war.
So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da
Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capiſtrano, Jacopo
della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere;
endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein ſtärkeres Vor-
urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; ſie überwanden
es. Der hochmüthige Humanismus critiſirte und höhnte2);
wenn ſie ihre Stimme erhoben, ſo dachte man ſeiner nicht
[469] mehr. Die Sache war nicht neu und ein Spöttervolk wie6. Abſchnitt.
die Florentiner hatte ſchon im XIV. Jahrhundert die Ca-
ricatur davon, wo ſie ſich auf ſeinen Kanzeln blicken ließ,
malträtiren gelernt 1); als Savonarola auftrat, riß er ſie doch
ſoweit hin, daß bald ihre ganze geliebte Bildung und Kunſt
in dem Gluthfeuer, das er entzündete, zuſammengeſchmolzen
wäre. Selbſt die ſtärkſte Profanation durch heuchleriſche
Mönche, welche mit Hülfe von Einverſtandenen die Rührung
beliebig in ihren Zuhörern hervorzubringen und zu ver-
breiten wußten (vgl. S. 461), war nicht im Stande der
Sache ſelbſt zu ſchaden. Man fuhr fort, über gemeine
Mönchspredigten mit erdichteten Wundern und Vorzeigung
falſcher Reliquien 2) zu lachen und die echten großen Buß-
prediger hoch zu achten. Dieſelben ſind eine wahre italie-
niſche Specialität des XV. Jahrhunderts.
Der Orden — in der Regel der des h. FranciscusIhr Orden.
und zwar von der ſogenannten Obſervanz — ſchickt ſie aus
je nachdem ſie begehrt werden. Dieß geſchieht hauptſächlich
bei ſchwerer öffentlicher oder Privatzwietracht in den Städten,
auch wohl bei ſchrecklicher Zunahme der Unſicherheit und
Unſittlichkeit. Iſt dann aber der Ruhm eines Predigers
gewachſen, ſo begehren ihn die Städte alle auch ohne be-
ſondern Anlaß; er geht wohin ihn die Obern ſenden. Ein
beſonderer Zweig dieſer Thätigkeit iſt die Kreuzpredigt gegen
die Türken 3), wir haben es aber hier weſentlich mit der
Bußpredigt zu thun.
Die Reihenfolge der Predigten, wenn eine ſolche me-Ihre Methode.
thodiſch beobachtet wurde, ſcheint ſich einfach an die kirch-
[470]6. Abſchnitt.liche Aufzählung der Todſünden angeſchloſſen zu haben;
je dringender aber der Moment iſt, um ſo eher geht der
Prediger unmittelbar auf das Hauptziel los. Er beginnt
vielleicht in einer jener gewaltig großen Ordenskirchen
oder im Dom; binnen Kurzem iſt die größte Piazza zu
klein für das von allen Gegenden herbeiſtrömende Volk,
und das Kommen und Gehen iſt für ihn ſelbſt mit Lebens-
gefahr verbunden 1). In der Regel ſchließt die Predigt
mit einer ungeheuern Proceſſion, allein die erſten Stadt-
beamten, welche ihn in die Mitte nehmen, können ihn auch
da kaum vor den Leuten ſichern, welche ihm Hände und
Füße küſſen und Stücke von ſeiner Kutte ſchneiden 2).
Die nächſten Erfolge, welche ſich am leichteſten erge-
ben, nachdem gegen Wucher, Vorkauf und unehrbare Moden
gepredigt worden, ſind das Eröffnen der Gefängniſſe, d. h.
wohl nur die Freilaſſung ärmerer Schuldgefangenen, und
das Verbrennen von Luxusſachen und Werkzeugen gefähr-
lichen ſowohl als unſchuldigen Zeitvertreibes: als da ſind
Würfel, Karten, Spiele aller Art, „Maskengeſichter“, Mu-
ſikinſtrumente, Geſangbücher, geſchriebene Zauberformeln 3),
falſche Haartouren ꝛc. Dieß Alles wurde auf einem Ge-
rüſte (talamo) ohne Zweifel zierlich gruppirt, oben drauf
etwa noch eine Teufelsfigur befeſtigt, und dann Feuer
angelegt. (Vgl. S. 368.)
[471]
Nun kommen die härtern Gemüther an die Reihe;6. Abſchnitt.
wer längſt nicht mehr gebeichtet hat, beichtet nunmehr; un-Ihre Wirkung.
gerecht vorenthaltenes Gut wird zurückgegeben, unheil-
ſchwangere Schmähreden werden zurückgenommen. Redner
wie Bernardino da Siena 1) gingen ſehr emſig und genau
auf den täglichen Verkehr der Menſchen und deſſen Sitten-
geſetz ein. Wenige unſerer heutigen Theologen möchten
wohl eine Morgenpredigt zu halten verſucht ſein „über
Contracte, Reſtitutionen, Staatsrenten (monte) und Aus-
ſtattung von Töchtern“, wie er einſt im Dom von Florenz
eine hielt. Unvorſichtigere Prediger begingen dabei leicht
den Fehler, ſo ſtark gegen einzelne Menſchenclaſſen, Gewerbe,
Beamtungen loszuziehen, daß ſich das aufgeregte Gemüth der
Zuhörer ſofort durch Thätlichkeiten gegen dieſe entlud 2).
Auch eine Predigt des Bernardino da Siena, die er einmal
in Rom (1424) hielt, hatte außer dem Brand von Putz-
und Zauberſachen auf dem Capitol noch eine andere Folge:
„Hernach, heißt es 3), wurde auch die Hexe Finicella ver-
brannt, weil ſie mit teufliſchen Mitteln viele Kinder tödtete
und viele Perſonen verhexte, und ganz Rom ging hin es
zu ſehen.“
Das wichtigſte Ziel der Predigt aber iſt, wie oben be-
merkt, die Verſöhnung von Streit und Verzichtung auf die
Rache. Sie wird wohl in der Regel erſt gegen Ende des
Predigtcurſes erfolgt ſein, wenn der Strom allgemeiner
Bußfertigkeit allmälig die ganze Stadt ergriff, wenn die
[472]6. Abſchnitt.Luft erbebte 1) von dem Geſchrei des ganzen Volkes: mi-
sericordia! — Da kam es zu jenen feierlichen Friedens-
ſchlüſſen und Umarmungen, auch wenn ſchon Wechſelmord
zwiſchen den ſtreitenden Parteien lag. Man ließ wohl die
bereits Verbannten zu ſo heiligem Vorhaben abſichtlich in
die Stadt kommen. Es ſcheint, daß ſolche „paci“ im
Ganzen beobachtet worden ſind, auch wenn die gehobene
Stimmung vorüber war, und dann blieb das Andenken
des Mönches im Segen auf viele Geſchlechter hinaus. Aber
Grenzen der
Wirkung.es gab wilde, furchtbare Criſen wie die der Familien della
Valle und Croce zu Rom (1482), wobei ſelbſt der große
Roberto da Lecce ſeine Stimme umſonſt erhob 2). Kurz
vor der Charwoche hatte er noch auf dem Platz vor der
Minerva zahlloſem Volke gepredigt; da erfolgte in der
Nacht vor dem grünen Donnerſtag die ſchreckliche Straßen-
ſchlacht vor Palazzo della Valle beim Ghetto; am Morgen
gab Papſt Sixtus den Befehl zu deſſen Schleifung, und
hielt dann die gewohnten Ceremonien dieſes Tages ab; am
Charfreitag predigte Roberto wieder, in den Händen ein
Crucifix; er und ſeine Zuhörer konnten aber nichts als
weinen.
Gewaltſame, mit ſich zerfallene Gemüther faßten häufig
unter dem Eindruck der Bußpredigten den Entſchluß, ins
Kloſter zu treten. Es waren darunter Räuber und Ver-
brecher aller Art, auch wohl brodloſe Soldaten 3). Dabei
[473] wirkt die Bewunderung mit, welche dem heiligen Mönche6. Abſchnitt.
ſich wenigſtens in der äußern Lebensſtellung nach Kräften
zu nähern ſucht.
Die Schlußpredigt iſt dann ein lauterer Segensſpruch,
der ſich in den Worten zuſammenfaßt: la pace sia con
voi! Große Schaaren begleiten den Prediger nach der
nächſten Stadt und hören daſelbſt ſeinen ganzen Kreis von
Reden noch einmal an.
Bei der ungeheuern Macht, welche dieſe heiligenMangel an
Controle.
Männer ausübten, war es dem Clerus und den Regie-
rungen erwünſcht, ſie wenigſtens nicht zu Gegnern zu haben.
Ein Mittel hiezu war, daß man darauf hielt, nur Mönche 1)
oder Geiſtliche, welche wenigſtens die mindern Weihen hatten,
in ſolcher Qualität auftreten zu laſſen, ſo daß der Orden
oder die betreffende Corporation einigermaßen für ſie haft-
bar war. Aber eine ſcharfe Grenze ließ ſich auch hier nicht
feſthalten, da die Kirche und alſo auch die Kanzel längſt
für allerlei Zwecke der Oeffentlichkeit, gerichtliche Acte, Pu-
blicationen, Vorleſungen ꝛc. in Anſpruch genommen war,
und da ſelbſt bei eigentlichen Predigten bisweilen dem Hu-
maniſten und Laien das Wort gelaſſen wurde (S. 230 ff.).
3)
[474]6. Abſchnitt.Nun gab es ohnehin eine zwitterhafte Menſchenclaſſe 1),
Predigende
Eremiten.welche weder Mönche noch Geiſtliche waren und doch der
Welt entſagt hatten, nämlich die in Italien ſehr zahlreichen
Einſiedler, und ſolche erſchienen bisweilen ohne allen Auf-
trag und riſſen die Bevölkerungen hin. Ein Fall dieſer
Art ereignete ſich zu Mailand nach der zweiten franzöſiſchen
Eroberung (1516), freilich in einer Zeit großer öffentlicher
Unordnung; ein toscaniſcher Einſiedler, vielleicht von der
Partei Savonarola's, behauptete mehrere Monate lang die
Kanzel des Domes, polemiſirte auf das Heftigſte gegen die
Hierarchie, ſtiftete einen neuen Leuchter und einen Altar im
Dom, that Wunder, und räumte nur nach heftigen Kämpfen
das Feld 2). In jenen für das Schickſal Italiens ent-
ſcheidenden Decennien erwacht überall die Weiſſagung und
dieſe läßt ſich, wo ſie vorkömmt, nirgends auf einen be-
ſtimmten Stand einſchränken. Man weiß z. B., wie vor
der Verwüſtung Roms die Einſiedler mit einem wahren
Trotze der Prophetie auftraten (S. 124). In Ermanglung
eigener Beredſamkeit ſchicken ſolche Leute auch wohl Boten
mit Symbolen wie z. B. jener Ascet bei Siena, der (1496)
ein „Eremitlein“, d. h. einen Schüler in die geängſtigte
Stadt ſandte mit einem Todtenkopf auf einem Stecken,
woran ein Zettel mit einem drohenden Bibelſpruch hing 3).
[475]
Aber auch die Mönche ſelber ſchonten oft Fürſten, Be-6. Abſchnitt.
hörden, Clerus und ihren eigenen Stand durchaus nicht.
Zwar eine directe Predigt zum Sturz eines Tyrannenhauſes,
wie die des Fra Jacopo Buſſolaro zu Pavia im XIV.
Jahrhundert geweſen war 1), trifft man in den folgenden
Zeiten nicht mehr an, wohl aber muthigen Tadel, ſelbſt
gegen den Papſt in deſſen eigener Capelle (S. 233, Anm.), und
naive politiſche Rathſchläge in Gegenwart von Fürſten, die
deſſen nicht zu bedürfen glaubten 2). Auf dem Caſtellplatz
zu Mailand durfte 1494 ein blinder Prediger aus der In-Die Warner.
coronata (alſo ein Auguſtiner) dem Lodovico Moro von
der Kanzel her zurufen: „Herr, zeige den Franzoſen den
Weg nicht, denn Du wirſt es bereuen! 3)“ Es gab weiſ-
ſagende Mönche, welche vielleicht nicht direct politiſirten,
aber ſo ſchreckliche Bilder der Zukunft entwarfen, daß den
Zuhörern die Beſinnung verging. Ein ganzer Verein von
ſolchen, zwölf Franciscaner Conventualen, durchzogen bald
nach der Wahl Leo's X. (1513) die verſchiedenen Land-
ſchaften Italiens, wie ſie dieſelben unter ſich vertheilt hatten.
Derjenige von ihnen, welcher in Florenz predigte 4), Fra
Francesco di Montepulciano, erregte ein ſteigendes Ent-
ſetzen unter dem ganzen Volke, indem ſeine Aeußerungen,
gewiß eher verſtärkt als gemildert, auch zu denjenigen ge-
langten, welche vor Gedränge nicht ſelber in ſeine Nähe
[476]6. Abſchnitt.kommen konnten. Nach einer ſolchen Predigt ſtarb er plötz-
lich „an einem Bruſtwehe“; Alles kam, der Leiche die Füße
zu küſſen, weßhalb man ſie Nachts in aller Stille begrub.
Aber den neu entzündeten Geiſt der Weiſſagung, der nun
ſelbſt Weiber und Bauern ergriff, konnte man nur mit
größter Mühe dämpfen. „Um die Leute wieder einiger-
maßen heiter zu ſtimmen, veranſtalteten hierauf die Medici,
Giuliano (Bruder Leo's) und Lorenzo auf St. Johannis-
tag 1514 jene prächtigen Feſte, Jagden, Aufzüge und Tur-
niere, wozu ſich von Rom her außer einigen großen Herrn
auch ſechs Cardinäle, dieſe allerdings verkleidet, einfanden.“
Savonarola.Der größte Bußprediger und Prophet aber war in
Florenz ſchon 1498 verbrannt worden: Fra Girolamo Sa-
vonarola von Ferrara 1). Hier müſſen uns einige Winke
über ihn genügen.
Das gewaltige Werkzeug, durch welches er Florenz
umgeſtaltet und beherrſcht (1494—1498), iſt ſeine Rede,
wovon die erhaltenen, meiſt an Ort und Stelle ungenügend
nachgeſchriebenen Predigten offenbar nur einen beſchränkten
Begriff geben. Nicht als ob die äußern Mittel ſeines Auf-
tretens ſehr groß geweſen wären, denn Stimme, Ausſprache,
rhetoriſche Redaction u. dgl. bildeten vielmehr eher die
ſchwache Seite, und wer einen Styl- und Kunſtprediger
verlangte, ging zu ſeinem Rivalen Fra Mariano da Ghi-
nazzano — aber in Savonarola's Rede lag jene hohe per-
ſönliche Gewalt, welche wohl von da bis auf Luther nicht
wieder vorgekommen iſt. Er ſelber hielt es für Erleuchtung
und taxirte deßhalb ohne Unbeſcheidenheit das Predigtamt
ſehr hoch: über dem Prediger folge in der großen Hierarchie
der Geiſter unmittelbar der unterſte der Engel.
Seine Ordens-
reform.Dieſe völlig zu Feuer und Flammen gewordene Per-
ſönlichkeit vollbrachte zunächſt noch ein anderes, größeres
[477] Wunder; das eigene Kloſter S. Marco Dominicaner Ordens6. Abſchnitt.
und dann alle Dominicanerklöſter Toscana's werden deſſel-
ben Sinnes und [unternehmen] eine freiwillige große Reform.
Wenn man weiß, was die Klöſter damals waren und wie
unendlich ſchwer die geringſte Veränderung bei Mönchen
durchzuſetzen iſt, ſo wird man doppelt erſtaunen über eine
völlige Sinnesänderung wie dieſe. Als die Sache im
Gange war, befeſtigte ſie ſich dadurch, daß Gleichgeſinnte
jetzt in bedeutender Zahl Dominicaner wurden. Söhne
aus den erſten Häuſern traten in S. Marco als Novizen ein.
Dieſe Reform des Ordens für ein beſtimmtes Land
war nun der erſte Schritt zu einer Nationalkirche, zu welcher
es bei längerer Dauer dieſes Weſens unfehlbar hätte kom-
men müſſen. Savonarola ſelber wollte freilich eine Reform
der ganzen Kirche und ſchickte deßhalb noch gegen Ende
ſeiner Wirkſamkeit an alle großen Potentaten dringende
Mahnungen, ſie möchten ein Concil verſammeln. Allein
ſein Orden und ſeine Partei waren bereits für Toscana
das allein mögliche Organ ſeines Geiſtes, das Salz der
Erde geworden, während die Nachbargegenden im alten
Zuſtande verharrten. Mehr und mehr baut ſich aus Ent-
ſagung und Phantaſie ein Zuſtand auf, der Florenz zu
einem Reiche Gottes auf Erden machen will.
Die Weiſſagungen, deren theilweiſes Eintreffen demSeine
Weiſſagungen
und Viſionen.
Savonarola ein übermenſchliches Anſehen verlieh, ſind der-
jenige Punct, auf welchem die allmächtige italieniſche Phan-
taſie auch das beſtverwahrte, liebevollſte Gemüth bemeiſterte.
Anfangs meinten die Franciscaner von der Obſervanz, im
Widerſchein des Ruhmes, welchen ihnen S. Bernardino
da Siena vermacht hatte, ſie könnten den großen Domini-
caner durch Concurrenz bändigen. Sie verſchafften einem
der Ihrigen die Domkanzel, und ließen die Unglückspro-
phezeiungen Savonarola's durch noch ſchlimmere überbieten,
bis Pietro de' Medici, der damals noch über Florenz herrſchte,
einſtweilen Beiden Ruhe gebot. Bald darauf, als Carl VIII.
[478]6. Abſchnitt.nach Italien kam und die Medici vertrieben wurden, wie
Savonarola mit klaren Worten geweiſſagt hatte, glaubte
man nur noch ihm.
Und hier muß nun zugeſtanden werden, daß er gegen
ſeine eigenen Ahnungen und Viſionen keine Kritik übte und
gegen diejenigen Anderer eine ziemlich ſtrenge. In der Leichen-
rede auf Pico della Mirandola geht er mit dem verſtorbenen
Freunde etwas unbarmherzig um. Weil Pico trotz einer
innern Stimme, die von Gott kam, doch nicht in den Orden
treten wollte, habe er ſelber Gott gebeten, Jenen etwas zu
züchtigen; ſeinen Tod aber habe er wahrlich nicht gewünſcht;
nun ſei durch Almoſen und Gebet ſo viel erwirkt, daß die
Seele ſich einſtweilen im Fegefeuer befinde. In Betreff
einer tröſtlichen Viſion, die Pico auf dem Krankenbette ge-
habt, wobei ihm die Madonna erſchien und verſprach, er
ſolle nicht ſterben, geſteht Savonarola, er habe es lange für
eine dämoniſche Täuſchung gehalten, bis ihm geoffenbart
worden ſei, die Madonna habe den zweiten Tod, nämlich
den ewigen gemeint. — Wenn dieß und Aehnliches Ueber-
hebung war, ſo hat dieſes große Gemüth wenigſtens dafür
gebüßt ſo bitter es dafür büßen konnte: in ſeinen letzten
Tagen ſcheint Savonarola die Nichtigkeit ſeiner Geſichte
und Weiſſagungen erkannt zu haben, und doch blieb ihm
innerer Friede genug übrig um in heiliger Stimmung zum
Tode zu gehen. Seine Anhänger aber hielten außer ſeiner
Lehre auch ſeine Prophezeiungen noch drei Jahrzehnde hin-
durch feſt.
Seine
Verfaſſung.Als Reorganiſator des Staates hatte er nur gearbeitet,
weil ſonſt ſtatt ſeiner feindſelige Kräfte ſich der Sache be-
mächtigt haben würden. Es iſt unbillig, ihn nach der
halbdemocratiſchen Verfaſſung (S. 85, Anm.) vom Anfang
des Jahres 1495 zu beurtheilen. Sie iſt nicht beſſer und
nicht ſchlechter als andere florentiniſche Verfaſſungen auch 1).
[479]
Er war zu ſolchen Dingen im Grunde der ungeeig-6. Abſchnitt.
netſte Menſch, den man finden konnte. Sein wirkliches
Ideal war eine Theocratie, bei welcher ſich Alles in ſeliger
Demuth vor dem Unſichtbaren beugt und alle Conflicte der
Leidenſchaft von vornherein abgeſchnitten ſind. Sein ganzer
Sinn liegt in jener Inſchrift des Signorenpalaſtes, deren
Inhalt ſchon Ende 1495 ſein Wahlſpruch war 1), und die
1527 von ſeinen Anhängern erneuert wurde: „Jesus Chri-
stus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus.“
Zum Erdenleben und ſeinen Bedingungen hatte er ſo wenig
ein Verhältniß als irgend ein echter und ſtrenger Mönch.
Der Menſch ſoll ſich nach ſeiner Anſicht nur mit dem ab-
geben was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbin-
dung ſteht.
Wie deutlich verräth ſich dieß bei ſeinen Anſichten überSein Verh. zur
Bildung.
die antike Literatur. „Das einzige Gute, predigt er, was
Plato und Ariſtoteles geleiſtet haben iſt, daß ſie viele Argu-
mente vorbrachten, welche man gegen die Ketzer gebrauchen
kann. Sie und andere Philoſophen ſitzen doch in der Hölle.
Ein altes Weib weiß mehr vom Glauben als Plato. Es
wäre gut für den Glauben wenn viele ſonſt nützlich ſchei-
nende Bücher zernichtet würden. Als es noch nicht ſo viele
Bücher und nicht ſo viele Vernunftgründe (ragioni natu-
rali) und Disputen gab, wuchs der Glaube raſcher als er
ſeither gewachſen iſt.“ Die claſſiſche Lecture der Schulen
will er auf Homer, Virgil und Cicero beſchränkt und den
Reſt aus Hieronymus und Auguſtin ergänzt wiſſen; dagegen
ſollen nicht nur Catull und Ovid, ſondern auch Tibull und
Terenz verbannt bleiben. Hier ſpricht einſtweilen wohl nur
eine ängſtliche Moralität, allein er giebt in einer beſondern
1)
[480]6. Abſchnitt.Schrift die Schädlichkeit der Wiſſenſchaft im Allgemeinen
zu. Eigentlich ſollten, meint er, einige wenige Leute die-
ſelbe erlernen, damit die Tradition der menſchlichen Kennt-
niſſe nicht unterginge, beſonders aber, damit immer einige
Athleten zu Bekämpfung ketzeriſcher Sophismen vorräthig
wären; alle Uebrigen dürften nicht über Grammatik, gute
Sitten und Religionsunterricht (sacræ literæ) hinaus.
So würde natürlich die ganze Bildung wieder an Mönche
zurückfallen, und da zugleich die „Wiſſendſten und Heilig-
ſten“ auch Staaten und Reiche regieren ſollten, ſo wären
auch dieſes wiederum Mönche. Wir wollen nicht einmal
fragen, ob der Autor ſo weit hinaus gedacht hat.
Kindlicher kann man nicht raiſonniren. Die einfache
Erwägung, daß das wiederentdeckte Alterthum und die
rieſige Ausweitung des ganzen Geſichtskreiſes und Denk-
kreiſes eine je nach Umſtänden ruhmvolle Feuerprobe für
die Religion ſein möchten, kommt dem guten Menſchen nicht
in den Sinn. Er möchte gern verbieten was ſonſt nicht zu
beſeitigen iſt. Ueberhaupt war er nichts weniger als liberal;
gegen gottloſe Aſtrologen z. B. hält er denſelben Scheiter-
haufen in Bereitſchaft, auf welchem er hernach ſelbſt geſtor-
ben iſt 1).
Wie gewaltig muß die Seele geweſen ſein, die bei
dieſem engen Geiſte wohnte! Welch ein Feuer bedurfte es,
um den Bildungsenthuſiasmus der Florentiner vor dieſer
Anſchauung ſich beugen zu lehren!
Seine Sitten-
reform.Was ſie ihm noch von Kunſt und von Weltlichkeit
Preis zu geben bereit waren, das zeigen jene berühmten
Opferbrände, neben welchen gewiß alle talami des Ber-
nardino da Siena und Anderer nur wenig beſagen wollten.
Es ging dabei allerdings nicht ab ohne einige tyran-
niſche Polizei von Seiten Savonarola's. Ueberhaupt ſind
[481] ſeine Eingriffe in die hochgeſchätzte Freiheit des italieniſchen6. Abſchnitt.
Privatlebens nicht gering, wie er denn z. B. Spionage der
Dienerſchaft gegen den Hausherrn verlangte um ſeine Sit-
tenreform durchführen zu können. Was ſpäter in Genf
dem eiſernen Calvin, bei dauerndem Belagerungszuſtande
von außen, doch nur mühſam gelang, eine Umgeſtaltung
des öffentlichen und Privatlebens, das mußte in Florenz
doch nur ein Verſuch bleiben und als ſolcher die Gegner
auf das Aeußerſte erbittern. Dahin gehört vor Allem die
von Savonarola organiſirte Schaar von Knaben, welche in
die Häuſer drangen und die für den Scheiterhaufen geeig-
neten Gegenſtände mit Gewalt verlangten; ſie wurden hie
und da mit Schlägen abgewieſen, da gab man ihnen, um
die Fiction einer heranwachſenden heiligen Bürgerſchaft
dennoch zu behaupten, Erwachſene als Beſchützer mit.
Und ſo konnten am letzten Carnevalstage des JahresDie
Opferbrände.
1497 und an demſelben Tage des folgenden Jahres die
großen Autodafes auf dem Signorenplatz ſtattfinden. Da
ragte eine Stufenpyramide, ähnlich dem rogus, auf welchem
römiſche Imperatorenleichen verbrannt zu werden pflegten.
Unten zunächſt der Baſis waren Larven, falſche Bärte,
Maskenkleider u. dgl. gruppirt; drüber folgten die Bücher
der lateiniſchen und italieniſchen Dichter, unter andern der
Morgante des Pulci, der Boccaccio, der Petrarca, zum Theil
koſtbare Pergamentdrucke und Manuſcripte mit Miniaturen;
dann Zierden und Toilettengeräthe der Frauen, Parfüms,
Spiegel, Schleier, Haartouren; weiter oben Lauten, Harfen,
Schachbretter, Trictracs, Spielkarten; endlich enthielten die
beiden oberſten Abſätze lauter Gemälde, beſonders von
weiblichen Schönheiten, theils unter den claſſiſchen Namen
der Lucretia, Cleopatra, Fauſtina, theils unmittelbare Por-
träts wie die der ſchönen Bencina, Lena Morella, Bina
und Maria de' Lenzi. Das erſtemal bot ein anweſender
venezianiſcher Kaufmann der Signorie 20,000 Goldthaler
für den Inhalt der Pyramide; die einzige Antwort war,
Cultur der Renaiſſance. 31
[482]6. Abſchnitt.daß man ihn ebenfalls porträtiren und das Bild zu den
übrigen hinauf ſtellen ließ. Beim Anzünden trat die Sig-
norie auf den Balcon; Geſang, Trompetenſchall und Glocken-
geläute erfüllte die Lüfte. Nachher zog man auf den Platz
vor S. Marco, wo die ganze Partei eine dreifache con-
centriſche Runde tanzte: zu innerſt die Mönche dieſes Kloſters
abwechſelnd mit Engelknaben, dann junge Geiſtliche und
Laien, zu äußerſt endlich Greiſe, Bürger und Prieſter, dieſe
mit Olivenzweigen bekränzt.
Der ganze Spott der ſiegreichen Gegenpartei, die doch
wahrlich einigen Anlaß und überdieß das Talent dazu
hatte, genügte ſpäter doch nicht, um das Andenken Savo-
narola's herabzuſetzen. Je trauriger die Schickſale Ita-
liens ſich entwickelten, deſto heller verklärte ſich im Gedächtniß
der Ueberlebenden die Geſtalt des großen Mönches und
Propheten. Seine Weiſſagungen mochten im Einzelnen
unbewährt geblieben ſein — daß große allgemeine Unheil,
das er verkündet hatte, war nur zu ſchrecklich in Erfüllung
gegangen.
So groß aber die Wirkung der Bußprediger war und
ſo deutlich Savonarola dem Mönchsſtande als ſolchem das
rettende Predigtamt vindicirte 1), ſo wenig entging dieſer
Stand doch dem allgemeinen verwerfenden Urtheil. Italien
gab zu verſtehen, daß es ſich nur für die Individuen be-
geiſtern könne.
Stärke des al-
ten Glaubens.Wenn man nun die Stärke des alten Glaubens, ab-
geſehen von Prieſterweſen und Mönchthum, verificiren ſoll,
ſo kann dieſelbe bald ſehr gering, bald ſehr bedeutend er-
ſcheinen, je nachdem man ſie von einer beſtimmten Seite,
in einem beſtimmten Lichte anſchaut. Von der Unentbehrlichkeit
[483] der Sacramente und Segnungen iſt ſchon die Rede gewe-6. Abſchnitt.
ſen (S. 104, 466); überblicken wir einſtweilen die Stellung
des Glaubens und des Cultus im täglichen Leben. Hier iſt
die Maſſe und ihre Gewöhnung und die Rückſicht der
Mächtigen auf Beides von beſtimmendem Gewicht.
Alles was zur Buße und zur Erwerbung der Selig-Das
Heidniſche im
Volksglauben.
keit mittelſt guter Werke gehört, war bei den Bauern und
bei den untern Claſſen überhaupt wohl in derſelben Aus-
bildung und Ausartung vorhanden wie im Norden, und
auch die Gebildeten wurden davon ſtellenweiſe ergriffen und
beſtimmt. Diejenigen Seiten des populären Catholicismus,
wo er ſich dem antiken, heidniſchen Anrufen, Beſchenken
und Verſöhnen der Götter anſchließt, haben ſich im Be-
wußtſein des Volkes auf das Hartnäckigſte feſtgeſetzt. Die
ſchon bei einem andern Anlaß citirte achte Ecloge des Bat-
tiſta Mantovano 1) enthält unter andern das Gebet eines
Bauern an die Madonna, worin dieſelbe als ſpecielle
Schutzgöttin für alle einzelnen Intereſſen des Landlebens
angerufen wird. Welche Begriffe machte ſich das Volk
von dem Werthe beſtimmter Madonnen als Nothhelferinnen!
was dachte ſich jene Florentinerin 2), die ein Fäßchen von
Wachs als ex voto nach der Annunziata ſtiftete, weil ihr
Geliebter, ein Mönch, allmälig ein Fäßchen Wein bei ihr
austrank, ohne daß der abweſende Gemahl es bemerkte.
Ebenſo regierte damals ein Patronat einzelner Heiligen für
beſtimmte Lebensſphären gerade wie jetzt noch. Es iſt ſchon
öfter verſucht worden, eine Anzahl von allgemeinen ritualen
Gebräuchen der catholiſchen Kirche auf heidniſche Ceremo-
nien zurückzuführen, und daß außerdem eine Menge örtlicher
und volksthümlicher Bräuche, die ſich an Kirchenfeſte geknüpft
haben, unbewußte Reſte der verſchiedenen alten Heidenthümer
Europa's ſind, giebt Jedermann zu. In Italien aber kam
31*
[484]6. Abſchnitt.auf dem Lande noch dieß und jenes vor, worin ſich ein
bewußter Reſt heidniſchen Glaubens gar nicht verkennen
ließ. So das Hinſtellen von Speiſe für die Todten, vier
Tage vor Petri Stuhlfeier, alſo noch am Tage der alten
Feralien, 18. Februar 1). Manches andere dieſer Art mag
damals noch in Uebung geweſen und erſt ſeither ausgerottet
worden ſein. Vielleicht iſt es nur ſcheinbar paradox zu
ſagen, daß der populäre Glaube in Italien ganz beſonders
feſt gegründet war, ſo weit er Heidenthum war.
Wie weit nun die Herrſchaft dieſer Art von Glauben
ſich auch in die obern Stände erſtreckte, ließe ſich wohl bis
zu einem gewiſſen Puncte näher nachweiſen. Derſelbe hatte,
wie bereits bei Anlaß des Verhältniſſes zum Clerus bemerkt
wurde, die Macht der Gewöhnung und der frühen Ein-
drücke für ſich; auch die Liebe zum kirchlichen Feſtpomp
wirkte mit, und hie und da kam eine jener großen Buß-
epidemien hinzu, welchen auch Spötter und Läugner ſchwer
widerſtehen konnten.
Der Reliquien-
glaube.Es iſt aber bedenklich, in dieſen Fragen raſch auf
durchgehende Reſultate hinzuſteuern. Man ſollte z. B.
meinen, daß das Verhalten der Gebildeten zu den Reli-
quien von Heiligen einen Schlüſſel gewähren müſſe, der
[485] uns wenigſtens einige Fächer ihres religiöſen Bewußtſeins6. Abſchnitt.
öffnen könnte. In der That laſſen ſich Gradunterſchiede
nachweiſen, doch lange nicht ſo deutlich wie es zu wünſchen
wäre. Zunächſt ſcheint die Regierung von Venedig im
XV. Jahrhundert durchaus diejenige Andacht zu den Ueber-
reſten heiliger Leiber getheilt zu haben, welche damals durch
das ganze Abendland herrſchte (S. 73). Auch Fremde,
welche in Venedig lebten, thaten wohl, ſich dieſer Befangen-
heit zu fügen 1). Wenn wir das gelehrte Padua nach ſei-
nem Topographen Michele Savonarola (S. 148) beurtheilen
dürften, ſo wäre es hier nicht anders geweſen als in Ve-
nedig. Mit einem Hochgefühl, in welches ſich frommes
Grauſen miſcht, erzählt uns Michele, wie man bei großen
Gefahren des Nachts durch die ganze Stadt die Heiligen
ſeufzen höre, wie der Leiche einer heiligen Nonne zu S. Chiara
beſtändig Nägel und Haare wachſen, wie ſie bei bevorſte-
hendem Unheil Lärm macht, die Arme erhebt, u. dgl. 2).
Bei der Beſchreibung der Antoniuscapelle im Santo ver-
liert ſich der Autor völlig ins Stammeln und Phantaſiren.
In Mailand zeigte wenigſtens das Volk einen großen Re-
liquienfanatismus, und als einſt (1517) die Mönche in
S. Simpliciano beim Umbau des Hochaltars ſechs heilige
Leichen unvorſichtig aufdeckten und mächtige Regenſtürme
über das Land kamen, ſuchten die Leute 3) die Urſache der
letztern in jenem Sacrilegium und prügelten die betreffenden
Mönche auf öffentlicher Straße durch, wo ſie ſie antrafen.Deſſen Grad-
unterſchiede.
In andern Gegenden Italiens aber, ſelbſt bei den Päpſten,
[486]6. Abſchnitt.ſieht es mit dieſen Dingen ſchon viel zweifelhafter aus, ohne
daß man doch einen bündigen Schluß ziehen könnte. Es iſt
bekannt, unter welchem allgemeinen Aufſehen Pius II. das
aus Griechenland zunächſt nach S. Maura geflüchtete Haupt
des Apoſtels Andreas erwarb und (1462) feierlich in S. Peter
niederlegte; allein aus ſeiner eigenen Relation geht hervor,
daß er dieß that aus einer Art von Scham, als ſchon viele
Fürſten ſich um die Reliquie bewarben. Jetzt erſt fiel es
ihm ein, Rom zu einem allgemeinen Zufluchtsort der aus
ihren Kirchen vertriebenen Reſte der Heiligen zu machen 1).
Unter Sixtus IV. war die Stadtbevölkerung in dieſen
Dingen eifriger als der Papſt, ſo daß der Magiſtrat ſich
(1483) bitter beklagte, als Sixtus dem ſterbenden Lud-
wig XI. Einiges von den lateranenſiſchen Reliquien ver-
abfolgte 2). In Bologna erhob ſich um dieſe Zeit eine
muthige Stimme, welche verlangte, man ſolle dem König
von Spanien den Schädel des h. Dominicus verkaufen und
aus dem Erlös etwas zum öffentlichen Nutzen dienendes
ſtiften 3). Die wenigſte Reliquienandacht zeigen die Floren-
tiner. Zwiſchen ihrem Beſchluß, den Stadtheiligen S. Za-
nobi durch einen neuen Sarcophag zu ehren, und der de-
finitiven Beſtellung bei Ghiberti vergehen 19 Jahre (1409—
1428) und auch dann erfolgt der Auftrag nur zufällig,
weil der Meiſter eine kleinere ähnliche Arbeit ſchön vollendet
hatte 4). Vielleicht war man der Reliquien etwas über-
[487] drüſſig, ſeitdem man (1352) durch eine verſchlagene Aeb-6. Abſchnitt.
tiſſin im Neapolitaniſchen mit einem falſchen, aus Holz und
Gyps nachgemachten Arm der Schutzpatronin des Domes,
S. Reparata, war betrogen worden 1). Oder dürfen wir
etwa annehmen, daß der äſthetiſche Sinn es war, welcher
ſich hier vorzüglich entſchieden von den zerſtückelten Leichnamen,
den halbvermoderten Gewändern und Geräthen abwandte?
oder gar der moderne Ruhmesſinn, welcher lieber die Leichen
eines Dante und Petrarca in den herrlichſten Gräbern be-
herbergt hätte als alle zwölf Apoſtel miteinander? Vielleicht
war aber in Italien überhaupt, abgeſehen von Venedig und
dem ganz exceptionellen Rom, der Reliquiendienſt ſchon ſeit
langer Zeit mehr zurückgetreten 2) vor dem Madonnendienſt,Der
Mariendienſt
im Volk,
als irgendwo ſonſt in Europa, und darin läge dann zu-
gleich, wenn auch verhüllt, ein frühes Ueberwiegen des
Formſinnes.
Man wird fragen, ob denn im Norden, wo die rieſen-
hafteſten Cathedralen faſt alle Unſer Frauen gewidmet ſind,
wo ein ganzer reicher Zweig der Poeſie im Lateiniſchen wie
in den Landesſprachen die Mutter Gottes verherrlichte, eine
größere Verehrung derſelben auch nur möglich geweſen wäre?
Allein dieſem gegenüber macht ſich in Italien eine ungemein
viel größere Anzahl von wunderthätigen Marienbildern
geltend, mit einer unaufhörlichen Intervention in das täg-
liche Leben. Jede beträchtliche Stadt beſitzt ihrer eine ganze
[488]6. Abſchnitt.Reihe, von den uralten oder für uralt geltenden „Malereien
des St. Lucas“ bis zu den Arbeiten von Zeitgenoſſen, welche
die Mirakel ihrer Bilder nicht ſelten noch erleben konnten.
Das Kunſtwerk iſt hier gar nicht ſo harmlos wie Battiſta
Mantovano 1) glaubt; es gewinnt je nach Umſtänden plötz-
lich eine magiſche Gewalt. Das populäre Wunderbedürfniß,
zumal der Frauen, mag dabei vollſtändig geſtillt worden
ſein und ſchon deßhalb der Reliquien wenig mehr geachtet
haben. Inwiefern dann noch der Spott der Novelliſten
gegen falſche Reliquien auch den für echt geltenden Eintrag
that 2), mag auf ſich beruhen.
und bei den Ge-
bildeten.Das Verhältniß der Gebildeten zum Mariendienſt
zeichnet ſich dann ſchon etwas klarer als das zum Reliquien-
dienſt. Es darf zunächſt auffallen, daß in der Literatur
Dante mit ſeinem Paradies eigentlich der letzte bedeutende
Mariendichter der Italiener geblieben iſt, während im Volk
die Madonnenlieder bis auf den heutigen Tag neu hervor-
gebracht werden. Man wird vielleicht Sannazaro, Sabel-
lico 3) und andere lateiniſche Dichter namhaft machen wollen,
[489] allein ihre weſentlich literariſchen Zwecke benehmen ihnen6. Abſchnitt.
ein gutes Theil der Beweiskraft. Diejenigen italieniſch ab-
gefaßten Gedichte des XV. Jahrhunderts 1) und des be-
ginnenden XVI., aus welchen eine unmittelbare Religioſität
zu uns ſpricht, könnten meiſt auch von Proteſtanten ge-
ſchrieben ſein; ſo die betreffenden Hymnen ꝛc. des Lorenzo
magnifico, die Sonette der Vittoria Colonna, des Michel-
angelo u. ſ. w. Abgeſehen von dem lyriſchen Ausdruck des
Theismus redet meiſt das Gefühl der Sünde, das Bewußt-
ſein der Erlöſung durch den Tod Chriſti, die Sehnſucht
nach der höhern Welt, wobei die Fürbitte der Mutter
Gottes nur ganz ausnahmsweiſe erwähnt 2) wird. Es iſt
daſſelbe Phänomen, welches ſich in der claſſiſchen Bildung
der Franzoſen, in der Literatur Ludwigs XIV. wiederholt.
Erſt die Gegenreformation brachte in Italien den Marien-
dienſt wieder in die Kunſtdichtung zurück. Freilich hatte
inzwiſchen die bildende Kunſt das Höchſte gethan zur Ver-
herrlichung der Madonna. Der Heiligendienſt endlich nahm
bei den Gebildeten nicht ſelten (S. 56, ff., 261) eine weſentlich
heidniſche Farbe an.
Wir könnten nun noch verſchiedene Seiten des dama-
ligen italieniſchen Catholicismus auf dieſe Weiſe prüfend
durchgehen und das vermuthliche Verhältniß der Gebildeten
zum Volksglauben bis zu einem gewiſſen Grade von Wahr-
ſcheinlichkeit ermitteln, ohne doch je zu einem durchgreifendenSchwankungen
im Cultus.
Reſultat zu gelangen. Es giebt ſchwer zu deutende Con-
3)
[490]6. Abſchnitt.traſte. Während z. B. an und für Kirchen raſtlos gebaut,
gemeißelt und gemalt wird, vernehmen wir aus dem Anfang
des XVI. Jahrhunderts die bitterſte Klage über Erſchlaf-
fung im Cultus und Vernachläſſigung derſelben Kirchen:
Templa ruunt, passim sordent altaria, cultus Paula-
tim divinus abit1)!... Es iſt bekannt, wie Luther in
Rom durch das weiheloſe Benehmen der Prieſter bei der
Meſſe geärgert wurde. Und daneben waren die kirchlichen
Feſte mit einer Pracht und einem Geſchmack ausgeſtattet,
wovon der Norden keinen Begriff hatte. Man wird an-
nehmen müſſen, daß das Phantaſievolk im vorzugsweiſen
Sinne das Alltägliche gern vernachläſſigte um dann von
dem Außergewöhnlichen ſich hinreißen zu laſſen.
Durch die Phantaſie erklären ſich auch jene Bußepide-
mien, von welchen hier noch die Rede ſein muß. Sie ſind
wohl zu unterſcheiden von den Wirkungen jener großen
Bußprediger; was ſie hervorruft ſind große allgemeine
Calamitäten oder die Furcht vor ſolchen.
Bußepidemien.Im Mittelalter kam von Zeit zu Zeit über ganz Eu-
ropa irgend ein Sturm dieſer Art, wobei die Maſſen ſogar
in ſtrömende Bewegung geriethen, wie z. B. bei den Kreuz-
zügen und Geißelfahrten. Italien betheiligte ſich bei beiden;
die erſten ganz gewaltigen Geißlerſchaaren traten hier auf,
gleich nach dem Sturze Ezzelino's und ſeines Hauſes, und
zwar in der Gegend deſſelben Perugia 2), das wir bereits
(S. 472, Anm.) als eine Hauptſtation der ſpätern Buß-
prediger kennen lernten. Dann folgten die Flagellanten 3)
von 1310 und 1334 und dann die große Bußfahrt ohne
Geißelung, von welcher Corio 4) zum Jahre 1399 erzählt.
[491] Es iſt nicht undenkbar, daß die Jubileen zum Theil ein-6. Abſchnitt.
gerichtet wurden, um dieſen unheimlichen Wandertrieb re-
ligiös aufgeregter Maſſen möglichſt zu reguliren und un-
ſchädlich zu machen; auch zogen die inzwiſchen neu berühmt
gewordenen Wallfahrtsorte Italiens, wie z. B. Loreto, einen
Theil jener Aufregung an ſich 1).
Aber in ſchrecklichen Augenblicken erwacht hie und da
ganz ſpät die Gluth der mittelalterlichen Buße, und das
geängſtigte Volk, zumal wenn Prodigien hinzukommen, will
mit Geißelungen und lautem Geſchrei um Barmherzigkeit
den Himmel erweichen. So war es bei der Peſt von 1457
zu Bologna 2), ſo bei den innern Wirren von 1496 in
Siena 3), um aus zahlloſen Beiſpielen nur zwei zu wählen.
Wahrhaft erſchütternd aber iſt was 1529 zu Mailand ge-Die Buße von
Mailand.
ſchah, als die drei furchtbaren Geſchwiſter Krieg, Hunger
und Peſt ſammt der ſpaniſchen Ausſaugerei die höchſte Ver-
zweiflung über das Land gebracht hatten 4). Zufällig war
es ein ſpaniſcher Mönch, Fra Tommaſo Nieto, auf den man
jetzt hörte; bei den barfüßigen Proceſſionen von Alt und
Jung ließ er das Sacrament auf eine neue Weiſe mittragen,
nämlich befeſtigt auf einer geſchmückten Bahre, welche auf
den Schultern von vier Prieſtern im Linnengewande ruhte —
[492]6. Abſchnitt.eine Nachahmung der Bundeslade 1), wie ſie einſt das Volk
Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte
das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an ſeinen
alten Bund mit den Menſchen, und als die Proceſſion wieder
in den Dom einzog und es ſchien, als müſſe von dem
Jammerruf misericordia! der Rieſenbau einſtürzen, da
mochte wohl Mancher glauben, der Himmel müſſe in die
Geſetze der Natur und der Geſchichte eingreifen durch irgend
ein rettendes Wunder.
Verhalten der
Regierung von
Ferrara.Es gab aber eine Regierung in Italien, welche ſich in
ſolchen Zeiten ſogar an die Spitze der allgemeinen Stim-
mung ſtellte und die vorhandene Bußfertigkeit polizeilich
ordnete: die des Herzogs Ercole I. von Ferrara 2). Als
Savonarola in Florenz mächtig war und Weiſſagung und
Buße in weiten Kreiſen, auch über den Apennin hinaus,
das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara
großes freiwilliges Faſten (Anfang 1496); ein Lazariſt ver-
kündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der
ſchrecklichſten Krieges- und Hungersnoth, welche die Welt
geſehen; wer jetzt faſte, könne dieſem Unheil entgehen, ſo
habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündigt.
Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu faſten, aber
er ergriff nun ſelber die Leitung der Devotion. Am 3. April
(Oſtertag) erſchien ein Sitten- und Andachtsedict gegen
Läſterung Gottes und der h.. Jungfrau, verbotene Spiele,
Sodomie, Concubinat, Häuſervermiethen an Huren und
deren Wirthe, Oeffnung der Buden an Feſttagen mit Aus-
nahme der Becker und Gemüſehändler u. ſ. w.; die Juden
und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren,
ſollten wieder ihr gelbes O auf der Bruſt genäht tragen.
[493] Die Zuwiderhandelnden wurden bedroht nicht nur mit den6. Abſchnitt.
im bisherigen Geſetz verzeichneten Strafen, ſondern auch
„mit den noch größern, welche der Herzog zu verhängen
für gut finden wird“. Darauf ging der Herzog ſammt
dem Hofe mehrere Tage nach einander zur Predigt; am
10. April mußten ſogar alle Juden von Ferrara dabei ſein.
Allein am 3. Mai ließ der Polizeidirector — der ſchonPolizeiliche
Ausbeutung.
oben (S. 51) erwähnte Gregorio Zampante — ausrufen:
wer den Schergen Geld gegeben habe um nicht als Läſterer
verzeigt zu werden, möge ſich melden um es ſammt weiterer
Vergütung zurück zu erhalten; dieſe ſchändlichen Menſchen
nämlich hatten von Unſchuldigen bis auf 2, 3 Ducaten er-
preßt durch die Androhung der Denunciation, und einander
dann gegenſeitig verrathen, worauf ſie ſelbſt in den Kerker
kamen. Da man aber eben nur bezahlt hatte um nicht
mit dem Zampante zu thun zu haben, ſo möchte auf ſein
Ausſchreiben kaum Jemand erſchienen ſein. — Im Jahr
1500, nach dem Sturze des Lodovico Moro, als ähnliche
Stimmungen wiederkehrten, verordnete Ercole von ſich aus 1)
eine Folge von neun Proceſſionen, wobei auch die weißge-
kleideten Kinder mit der Jeſusfahne nicht fehlen durften;
er ſelber ritt mit im Zuge, weil er ſchlecht zu Fuße war.
Dann folgte ein Edict ganz ähnlichen Inhaltes wie das
von 1496. Die zahlreichen Kirchen- und Kloſterbauten
dieſer Regierung ſind bekannt, aber ſelbſt eine leibhaftige
Heilige, die Suor Colomba 2), ließ ſich Ercole kommen,
ganz kurz bevor er ſeinen Sohn Alfonſo mit der Lucrezia
Borgia vermählen mußte (1502). Ein Cabinetscourier 3)
holte die Heilige von Viterbo mit 15 andern Nonnen ab
[494]6. Abſchnitt.und der Herzog ſelber führte ſie bei der Ankunft in Ferrara
in ein bereitgehaltenes Kloſter ein. Thun wir ihm Unrecht,
wenn wir in all dieſen Dingen die ſtärkſte politiſche Ab-
ſichtlichkeit vorausſetzen? Zu der Herrſcheridee des Hauſes
Eſte, wie ſie oben (S. 46 u. ff.) nachgewieſen wurde,
gehört eine ſolche Mitbenützung und Dienſtbarmachung des
Religiöſen beinahe ſchon nach den Geſetzen der Logik.
Verſuch einer
Syntheſe.Um aber zu den entſcheidenden Schlüſſen über die Re-
ligioſität der Menſchen der Renaiſſance zu gelangen, müſſen
wir einen andern Weg einſchlagen. Aus der geiſtigen Hal-
tung derſelben überhaupt muß ihr Verhältniß ſowohl zu
der beſtehenden Landesreligion als zu der Idee des Gött-
lichen klar werden.
Dieſe modernen Menſchen, die Träger der Bildung
des damaligen Italiens, ſind religiös geboren wie die Abend-
länder des Mittelalters, aber ihr mächtiger Individualismus
macht ſie darin wie in andern Dingen völlig ſubjectiv,
und die Fülle von Reiz, welche die Entdeckung der äußern
und der geiſtigen Welt auf ſie ausübt, macht ſie überhaupt
vorwiegend weltlich. Im übrigen Europa dagegen bleibt
die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im
Leben wechſelt Selbſtſucht und Sinnengenuß unmittelbar
mit Andacht und Buße; letztere hat noch keine geiſtige
Concurrenz wie in Italien, oder doch eine unendlich geringere.
Ferner hatte von jeher der häufige und nahe Contact
mit Byzantinern und mit Mohammedanern eine neutrale
Toleranz aufrecht erhalten, vor welcher der ethnogra-
phiſche Begriff einer bevorrechteten abendländiſchen Chriſten-
heit einigermaßen zurücktrat. Und als vollends das claſſiſche
Alterthum mit ſeinen Menſchen und Einrichtungen ein
Ideal des Lebens wurde, weil es die größte Erinnerung
Italiens war, da überwältigte die antike [Speculation] und
Skepſis bisweilen den Geiſt der Italiener vollſtändig.
[495]
Da ferner die Italiener die erſten neuern Europäer6. Abſchnitt.
waren, welche ſich ſchrankenlos dem Nachdenken über Frei-Verſuch einer
Syntheſe.
heit und Nothwendigkeit hingaben, da ſie dieß thaten unter
gewaltſamen, rechtloſen politiſchen Verhältniſſen, die oft
einem glänzenden und dauernden Siege des Böſen ähnlich
ſahen, ſo wurde ihr Gottesbewußtſein ſchwankend, ihre
Weltanſchauung theilweiſe fataliſtiſch. Und wenn ihre
Leidenſchaftlichkeit bei dem Ungewiſſen nicht wollte ſtehen
bleiben, ſo nahmen Manche vorlieb mit einer Ergänzung
aus dem antiken, orientaliſchen und mittelalterlichen Aber-
glauben; ſie wurden Aſtrologen und Magier.
Endlich aber zeigen die geiſtig Mächtigen, die Träger
der Renaiſſance in religiöſer Beziehung eine häufige Eigen-
ſchaft jugendlicher Naturen: ſie unterſcheiden recht ſcharf
zwiſchen gut und böſe, aber ſie kennen keine Sünde; jede
Störung der innern Harmonie getrauen ſie ſich vermöge
ihrer plaſtiſchen Kraft wiederherzuſtellen und kennen deßhalb
keine Reue; da verblaßt denn auch das Bedürfniß der Er-
löſung, während zugleich vor dem Ehrgeiz und der Geiſtes-
anſtrengung des Tages der Gedanke an das Jenſeits ent-
weder völlig verſchwindet oder eine poetiſche Geſtalt annimmt
ſtatt der dogmatiſchen.
Denkt man ſich dieſes Alles vermittelt und theilweiſe
verwirrt durch die allherrſchende Phantaſie, ſo ergiebt
ſich ein Geiſtesbild jener Zeit, das wenigſtens der Wahrheit
näher kommt als bloße unbeſtimmte Klagen über mo-
dernes Heidenthum. Und bei näherm Forſchen wird man
erſt noch inne werden, daß unter der Hülle dieſes Zuſtandes
ein ſtarker Trieb echter Religioſität lebendig blieb.
Die nähere Ausführung des Geſagten muß ſich hier
auf die weſentlichſten Belege beſchränken.
Daß die Religion überhaupt wieder mehr Sache desSubjectivität
der Religion.
einzelnen Subjectes und ſeiner beſondern Auffaſſung wurde,
war gegenüber der ausgearteten, tyranniſch behaupteten
[496]6. Abſchnitt.Kirchenlehre unvermeidlich und ein Beweis, daß der euro-
päiſche Geiſt noch am Leben ſei. Freilich offenbart ſich dieß
auf ſehr verſchiedene Weiſe; während die myſtiſchen und
ascetiſchen Secten des Nordens für die neue Gefühlswelt
und Denkart ſogleich auch eine neue Disciplin ſchufen, ging
in Italien Jeder ſeinen eigenen Weg und tauſende verloren
ſich auf dem hohen Meer des Lebens in religiöſe Indiffe-
renz. Um ſo höher muß man es Denjenigen anrechnen,
welche zu einer individuellen Religion durchdrangen und
daran feſthielten. Denn daß ſie an der alten Kirche, wie
ſie war und ſich aufdrang, keinen Theil mehr hatten, war
nicht ihre Schuld; daß aber der Einzelne die ganze große
Geiſtesarbeit, welche dann den deutſchen Reformatoren zufiel,
in ſich hätte durchmachen ſollen, wäre ein unbilliges Ver-
langen geweſen. Wo es mit dieſer individuellen Religion
der Beſſern in der Regel hinaus wollte, werden wir am
Schluſſe zu zeigen ſuchen.
Weltlichkeit.Die Weltlichkeit, durch welche die Renaiſſance einen
ausgeſprochenen Gegenſatz zum Mittelalter zu bilden ſcheint,
entſteht zunächſt durch das maſſenhafte Ueberſtrömen der
neuen Anſchauungen, Gedanken und Abſichten in Bezug
auf Natur und Menſchheit. An ſich betrachtet, iſt ſie der
Religion nicht feindlicher als das was jetzt ihre Stelle ver-
tritt, nämlich die ſogenannten Bildungsintereſſen, nur daß
dieſe, ſo wie wir ſie betreiben, uns bloß ein ſchwaches Ab-
bild geben von der allſeitigen Aufregung, in welche damals
das viele und große Neue die Menſchen verſetzte. So war
dieſe Weltlichkeit eine ernſte, überdieß durch Poeſie und
Kunſt geadelte. Es iſt eine erhabene Nothwendigkeit des
modernen Geiſtes, daß er dieſelbe gar nicht mehr abſchütteln
kann, daß er zur Erforſchung der Menſchen und der Dinge
unwiderſtehlich getrieben wird und dieß für ſeine Beſtim-
mung hält 1). Wie bald und auf welchen Wegen ihn dieß
[497] Forſchen zu Gott zurückführen, wie es ſich mit der ſonſtigen6. Abſchnitt.
Religioſität des Einzelnen in Verbindung ſetzen wird, das
ſind Fragen, welche ſich nicht nach allgemeinen Vorſchriften
erledigen laſſen. Das Mittelalter, welches ſich im Ganzen
die Empirie und das freie Forſchen erſpart hatte, kann in
dieſer großen Angelegenheit mit irgend einem dogmatiſchen
Entſcheid nicht aufkommen.
Mit dem Studium des Menſchen, aber auch noch mitToleranz gegen
den Islam.
vielen andern Dingen, hing dann die Toleranz und Indif-
ferenz zuſammen, womit man zunächſt dem Mohammeda-
nismus begegnete. Die Kenntniß und Bewunderung der
bedeutenden Culturhöhe der islamitiſchen Völker, zumal vor
der mongoliſchen Ueberſchwemmung, war gewiß den Ita-
lienern ſeit den Kreuzzügen eigen; dazu kam die halb-
mohammedaniſche Regierungsweiſe ihrer eigenen Fürſten,
die ſtille Abneigung, ja Verachtung gegen die Kirche wie
ſie war, die Fortdauer der orientaliſchen Reiſen und des
Handels nach den öſtlichen und ſüdlichen Häfen des Mit-
telmeeres 1). Erweislich ſchon im XIII. Jahrhundert offen-
bart ſich bei den Italienern die Anerkennung eines moham-
medaniſchen Ideals von Edelmuth, Würde und Stolz, das
am liebſten mit der Perſon eines Sultans verknüpft wird.
Man hat dabei insgemein an ejubidiſche oder mamelukiſche
Sultane von Aegypten zu denken; wenn ein Name genannt
wird, ſo iſt es höchſtens Saladin 2). Selbſt die osmani-
ſchen Türken, deren zerſtörende aufbrauchende Manier wahr-
lich kein Geheimniß war, flößen dann den Italienern, wie
oben (S. 94, ff.) gezeigt wurde, doch nur einen halben Schrecken
ein, und ganze Bevölkerungen gewöhnen ſich an den Ge-
danken einer möglichen Abfindung mit ihnen.
Cultur der Renaiſſance. 32
[498]
6. Abſchnitt.Der wahrſte und bezeichnendſte Ausdruck dieſer In-
Die drei Ringe.differenz iſt die berühmte Geſchichte von den drei Ringen,
welche unter andern Leſſing ſeinem Nathan in den Mund
legte, nachdem ſie ſchon vor vielen Jahrhunderten zaghafter
in den „hundert alten Novellen“ (Nov. 72 oder 73) und
etwas rückhaltsloſer bei Boccaccio 1) vorgebracht worden war.
In welchem Winkel des Mittelmeeres und in welcher Sprache
ſie zuerſt Einer dem Andern erzählt haben mag, wird man
nie herausbringen; wahrſcheinlich lautete ſie urſprünglich
noch viel deutlicher als in den beiden italieniſchen Redactionen.
Der geheime Vorbehalt, der ihr zu Grunde liegt, nämlich
der Deismus, wird unten in ſeiner weitern Bedeutung an
den Tag treten. In roher Mißgeſtalt und Verzerrung giebt
der bekannte Spruch von „den Dreien, die die Welt betro-
gen“, nämlich Moſes, Chriſtus und Mohammed, dieſelbe
Idee wieder. Wenn Kaiſer Friedrich II., von dem dieſe
Rede ſtammen ſoll, ähnlich gedacht hat, ſo wird er ſich
wohl geiſtreicher ausgedrückt haben.
Berechtigung
aller
Religionen.Auf der Höhe der Renaiſſance, gegen Ende des XV.
Jahrhunderts, tritt uns dann eine ähnliche Denkweiſe ent-
gegen bei Luigi Pulci, im Morgante maggiore. Die Phan-
taſiewelt, in welcher ſich ſeine Geſchichten bewegen, theilt
ſich, wie bei allen romantiſchen Heldengedichten, in ein
chriſtliches und ein mohammedaniſches Heerlager. Gemäß
dem Sinne des Mittelalters war nun der Sieg und die
Verſöhnung zwiſchen den Streitern gerne begleitet von der
Taufe des unterliegenden mohammedaniſchen Theiles, und
die Improviſatoren, welche dem Pulci in der Behandlung
ſolcher Stoffe vorangegangen waren, müſſen von dieſem
Motiv reichlichen Gebrauch gemacht haben. Nun iſt es
Pulci's eigentliches Geſchäft, dieſe ſeine Vorgänger, beſon-
ders wohl die ſchlechten darunter zu parodiren, und dieß
[499] geſchieht ſchon durch die Anrufungen an Gott, Chriſtus6. Abſchnitt.
und die Madonna, womit ſeine einzelnen Geſänge anheben.
Noch viel deutlicher aber macht er ihnen die raſchen Bekeh-
rungen und Taufen nach, deren Sinnloſigkeit dem Leſer
oder Hörer ja recht in die Augen ſpringen ſoll. Allein
dieſer Spott führt ihn weiter bis zum Bekenntniß ſeines
Glaubens an die relative Güte aller Religionen 1), dem
trotz ſeiner Betheurungen der Orthodoxie 2) eine weſentlich
theiſtiſche Anſchauung zu Grunde liegt. Außerdem thut er
noch einen großen Schritt über alles Mittelalter hinaus
nach einer andern Seite hin. Die Alternativen der ver-
gangenen Jahrhunderte hatten gelautet: Rechtgläubiger oder
Ketzer, Chriſt oder Heide und Mohammedaner; nun zeichnet
Pulci die Geſtalt des Rieſen Margutte 3), der ſich gegen-
über von aller und jeglicher Religion zum ſinnlichſtenDer Rieſe Mar-
gutte.
Egoismus und zu allen Laſtern fröhlich bekennt und ſich
nur das Eine vorbehält: daß er nie einen Verrath begangen
habe. Vielleicht hatte der Dichter mit dieſem auf ſeine
Manier ehrlichen Scheuſal nichts Geringes vor, möglicher
Weiſe eine Erziehung zum Beſſern durch Morgante, allein
die Figur verleidete ihm bald und er gönnte ihr bereits im
nächſten Geſang ein komiſches Ende 4). Margutte iſt ſchon
als Beweis von Pulci's Frivolität geltend gemacht worden;
er gehört aber nothwendig mit zu dem Weltbilde der Dich-
tung des XV. Jahrhunderts. Irgendwo mußte ſie in
grottesker Größe den für alles damalige Dogmatiſiren un-
32*
[500]6. Abſchnitt.empfindlich gewordenen, wilden Egoismus zeichnen, dem
nur ein Reſt von Ehrgefühl geblieben iſt. Auch in andern
Gedichten wird den Rieſen, Dämonen, Heiden und Mo-
hammedanern in den Mund gelegt was kein chriſtlicher
Ritter ſagen darf.
Einwirkung des
Alterthums im
XIV. Jahrh.Wieder auf eine ganz andere Weiſe als der Islam
wirkte das Alterthum ein, und zwar nicht durch ſeine Re-
ligion, denn dieſe war dem damaligen Catholicismus nur
zu homogen, ſondern durch ſeine Philoſophie. Die antike
Literatur, die man jetzt als etwas Unvergleichliches verehrte,
war ganz erfüllt von dem Siege der Philoſophie über den
Götterglauben; eine ganze Anzahl von Syſtemen und Frag-
mente von Syſtemen ſtürzten über den italieniſchen Geiſt
herein, nicht mehr als Curioſitäten oder gar als Häreſien,
ſondern faſt als Dogmen, die man nun nicht ſowohl zu
unterſcheiden als miteinander zu verſöhnen beſtrebt war. Faſt
in all dieſen verſchiedenen Meinungen und Philoſophemen
lebte irgend eine Art von Gottesbewußtſein, aber in ihrer
Geſammtheit bildeten ſie doch einen ſtarken Gegenſatz zu
der chriſtlichen Lehre von der göttlichen Weltregierung.
Nun giebt es eine wahrhaft centrale Frage, um deren Lö-
ſung ſich ſchon die Theologie des Mittelalters ohne genü-
genden Erfolg bemüht hatte, und welche jetzt vorzugsweiſe
von der Weisheit des Alterthums eine Antwort verlangte:
Das Verhältniß der Vorſehung zur menſchlichen Freiheit
und Nothwendigkeit. Wenn wir die Geſchichte dieſer Frage
ſeit dem XIV. Jahrhundert auch nur oberflächlich durch-
gehen wollten, ſo würde hieraus ein eigenes Buch werden.
Wenige Andeutungen müſſen hier genügen.
Epicureismus.Hört man Dante und ſeine Zeitgenoſſen, ſo wäre die
antike Philoſophie zuerſt gerade von derjenigen Seite
her auf das italieniſche Leben geſtoßen, wo ſie den ſchroffſten
Gegenſatz gegen das Chriſtenthum bildete; es ſtehen nämlich
in Italien Epicureer auf. Nun beſaß man Epicurs Schriften
[501] nicht mehr und ſchon das ſpätere Alterthum hatte von ſeiner6. Abſchnitt.
Lehre einen mehr oder weniger einſeitigen Begriff; immerhin
aber genügte ſchon diejenige Geſtalt des Epicureismus,
welche man aus Lucretius und ganz beſonders aus Cicero
ſtudiren konnte, um eine völlig entgötterte Welt kennen zu
lernen. Wie weit man die Doctrin buchſtäblich faßte, und
ob nicht der Name des räthſelhaften griechiſchen Weiſen
ein bequemes Schlagwort für die Menge wurde, iſt ſchwer
zu ſagen; wahrſcheinlich hat die dominicaniſche Inquiſition
das Wort auch gegen ſolche gebraucht, welchen man ſonſt
auf keine andere Weiſe beikommen konnte. Es ſind haupt-
ſächlich frühentwickelte Verächter der Kirche, welche man
doch ſchwer wegen beſtimmter ketzeriſcher Lehren und Aus-
ſagen belangen konnte; ein mäßiger Grad von Wohlleben
mag dann genügt haben, um jene Anklage hervorzubringen.
In dieſem conventionellen Sinne braucht z. B. Giovanni
Villani das Wort, wenn er 1) bereits die florentiniſchen
Feuersbrünſte von 1115 und 1117 als göttliche Strafe für
die Ketzereien geltend macht, „unter andern wegen der lie-
derlichen und ſchwelgeriſchen Secte der Epicureer“. Von
Manfred ſagt er: „Sein Leben war epicureiſch, indem er
nicht an Gott noch an die Heiligen und überhaupt nur an
leibliches Vergnügen glaubte“.
Deutlicher redet Dante im neunten und zehnten Ge-Dante und die
Epicureer.
ſang der Hölle. Das furchtbare, von Flammen durchzogene
Gräberfeld mit den halb offenen Sarkophagen, aus welchen
Töne des tiefſten Jammers hervordringen, beherbergt die
zwei großen Kategorien der von der Kirche im XIII. Jahr-
hundert Beſiegten oder Ausgeſtoßenen. Die Einen waren
Ketzer und ſetzten ſich der Kirche entgegen durch beſtimmte
mit Abſicht verbreitete Irrlehren; die Andern waren Epi-
cureer und ihre Sünde gegen die Kirche lag in einer all-
gemeinen Geſinnung, welche ſich in dem Satze ſammelt,
[502]6. Abſchnitt.daß die Seele mit dem Leib vergehe 1). Die Kirche aber
wußte recht gut, daß dieſer eine Satz, wenn er Boden ge-
wänne, ihrer Art von Macht verderblicher werden müßte
als alles Manichäer- und Paterinerweſen, weil er ihrer
Einmiſchung in das Schickſal des einzelnen Menſchen nach
dem Tode allen Werth benahm. Daß ſie ſelber durch die
Mittel, welche ſie in ihren Kämpfen brauchte, gerade die
Begabteſten in Verzweiflung und Unglauben getrieben hatte,
gab ſie natürlich nicht zu.
Dante's Abſcheu gegen Epicur oder gegen das was
er für deſſen Lehre hielt, war gewiß aufrichtig; der Dichter
des Jenſeits mußte den Läugner der Unſterblichkeit haſſen,
und die von Gott weder geſchaffene noch geleitete Welt
ſo wie der niedrige Zweck des Daſeins, den das Syſtem
aufzuſtellen ſchien, waren dem Weſen Dante's ſo entgegen-
geſetzt als möglich. Sieht man aber näher zu, ſo haben
auch auf ihn gewiſſe Philoſopheme der Alten einen Ein-
druck gemacht, vor welchem die bibliſche Lehre von der
Weltlenkung zurücktritt. Oder war es eigene Speculation,
Einwirkung der Tagesmeinung, Grauen vor dem die Welt
beherrſchenden Unrecht, wenn er2) die ſpecielle Vorſehung
völlig aufgab? Sein Gott überläßt nämlich das ganze
Detail der Weltregierung einem dämoniſchen Weſen, der
Fortuna, welche für nichts als für Veränderung, für
das Durcheinanderrütteln der Erdendinge zu ſorgen hat
und in indifferenter Seligkeit den Jammer der Menſchen
überhören darf. Dafür hält er aber die ſittliche Verant-
wortung des Menſchen unerbittlich feſt: er glaubt an den
freien Willen.
Lehre vom
freien Willen.Der Populärglaube an den freien Willen herrſcht im
Abendlande von jeher, wie man denn auch zu allen Zeiten
Jeden perſönlich für das was er gethan, verantwortlich ge-
[503] macht hat, als verſtehe ſich die Sache ganz von ſelbſt.6. Abſchnitt.
Anders verhält es ſich mit der religiöſen und philoſophiſchen
Lehre, welche ſich in der Lage befindet, die Natur des
menſchlichen Willens mit den großen Weltgeſetzen in Ein-
klang bringen zu müſſen. Hier ergiebt ſich ein Mehr oder
Weniger, wonach ſich die Taxirung der Sittlichkeit über-
haupt richtet. Dante iſt nicht völlig unabhängig von den
aſtrologiſchen Wahngebilden, welche den damaligen Horizont
mit falſchem Lichte erhellen, aber er rafft ſich nach Kräften
empor zu einer würdigen Anſchauung des menſchlichen We-
ſens. „Die Geſtirne, läßt er 1) ſeinen Marco Lombardo
ſagen, geben wohl die erſten Antriebe zu euerm Thun, aber
Licht iſt euch gegeben über Gutes und Böſes, und freier
Wille, der nach anfänglichem Kampf mit den Geſtirnen
Alles beſiegt, wenn er richtig genährt wird.“
Andere mochten die der Freiheit gegenüberſtehende
Nothwendigkeit in einer andern Potenz ſuchen als in den
Sternen — jedenfalls war die Frage ſeitdem eine offene,
nicht mehr zu umgehende. Soweit ſie eine Frage der Schu-
len, oder vollends nur eine Beſchäftigung iſolirter Denker
blieb, dürfen wir dafür auf die Geſchichten der Philoſophie
verweiſen. Sofern ſie aber in das Bewußtſein weiterer
Kreiſe überging, wird noch davon die Rede ſein müſſen.
Das XIV. Jahrhundert ließ ſich vorzüglich durch die
philoſophiſchen Schriften Cicero's anregen, welcher bekannt-
lich als Eklektiker galt, aber als Skeptiker wirkte, weil er
die Theorien verſchiedener Schulen vorträgt ohne genügende
Abſchlüſſe beizufügen. In zweiter Linie kommen Seneca
und die wenigen in's Lateiniſche überſetzten Schriften des
Ariſtoteles. Die Frucht dieſes Studiums war einſtweilen
[504]6. Abſchnitt.die Fähigkeit, über die höchſten Dinge zu reflectiren wenig-
ſtens außerhalb der Kirchenlehre, wenn auch nicht im Wider-
ſpruch mit ihr.
Einwirkung des
Alterthums im
XV. Jahrh.Mit dem XV. Jahrhundert vermehrte ſich, wie wir
ſahen, der Beſitz und die Verbreitung der Schriften des
Alterthums außerordentlich; endlich kamen auch die ſämmt-
lichen noch vorhandenen griechiſchen Philoſophen wenigſtens
in lateiniſcher Ueberſetzung unter die Leute. Nun iſt es
Frömmigkeit u.
Humanismus.zunächſt ſehr bemerkenswerth, daß gerade einige der Haupt-
beförderer dieſer Literatur der ſtrengſten Frömmigkeit, ja
der Asceſe ergeben ſind. (Vgl. S. 269.) Von Fra Am-
brogio Camaldoleſe darf man nicht ſprechen, weil er ſich
ausſchließlich auf das Uebertragen der griechiſchen Kirchen-
väter zurückzog und nur mit großem Widerſtreben auf An-
dringen des ältern Coſimo Medici den Diogenes Laertius
ins Lateiniſche überſetzte. Aber ſeine Zeitgenoſſen Niccolò
Niccoli, Giannozzo Mannetti, Donato Acciajuoli, Papſt Ni-
colaus V. vereinigen 1) mit allſeitigem Humanismus eine ſehr
gelehrte Bibelkunde und eine tiefe Andacht. An Vittorino
da Feltre wurde bereits (S. 208) eine ähnliche Richtung
hervorgehoben. Derſelbe Maffeo Vegio, welcher das drei-
zehnte Buch zur Aeneide dichtete, hatte für das Andenken
S. Auguſtins und deſſen Mutter Monica eine Begeiſterung,
welche nicht ohne höhern Bezug geweſen ſein wird. Frucht
und Folge ſolcher Beſtrebungen war dann, daß die platoniſche
Academie zu Florenz ſich es förmlich zum Ziele ſetzte, den
Geiſt des Alterthums mit dem des Chriſtenthums zu durch-
dringen; eine merkwürdige Oaſe innerhalb des damaligen
Humanismus.
Die mittlere
Richtung der
Humaniſten.Letzterer war im Ganzen eben doch profan und wurde
es bei der Ausdehnung der Studien im XV. Jahrhundert
immer mehr. Seine Leute, die wir oben als die rechten
[505] Vorpoſten des entfeſſelten Individualismus kennen lernten,6. Abſchnitt.
entwickelten in der Regel einen ſolchen Character, daß uns
ſelbſt ihre Religioſität, die bisweilen mit ſehr beſtimmten
Anſprüchen auftritt, gleichgültig ſein darf. In den Ruf
von Atheiſten gelangten ſie etwa, wenn ſie indifferent wa-
ren und dabei ruchloſe Reden gegen die Kirche führten;
einen irgendwie ſpeculativ begründeten Ueberzeugungsatheis-
mus hat keiner aufgeſtellt, 1) noch aufzuſtellen wagen dür-
fen. Wenn ſie ſich auf einen leitenden Gedanken beſannen,
ſo wird es am eheſten eine Art von oberflächlichem Ratio-
nalismus geweſen ſein, ein flüchtiger Niederſchlag aus den
vielen widerſprechenden Ideen der Alten, womit ſie ſich be-
ſchäftigen mußten, und aus der Verachtung der Kirche und
ihrer Lehre. Dieſer Art war wohl jenes Raiſonnement,
welches den Galeottus Martius 2) beinahe auf den Scheiter-
haufen brachte, wenn ihn nicht ſein früherer Schüler Papſt
Sixtus IV. eilends aus den Händen der Inquiſition heraus-
geriſſen hätte. Galeotto hatte nämlich geſchrieben: wer ſich
recht aufführe und nach dem innern, angeborenen Geſetz
handle, aus welchem Volk er auch ſei, der komme in den
Himmel.
Betrachten wir beiſpielsweiſe das religiöſe VerhaltenReligion des
Codrus Urceus.
eines der geringern aus der großen Schaar, des Codrus
Urceus, 3) der erſt Hauslehrer des letzten Ordelaffo, Fürſten
von Forli, und dann lange Jahre Profeſſor in Bologna
geweſen iſt. Ueber Hierarchie und Mönche bringt er die
obligaten Läſterungen im vollſten Maß; ſein Ton im All-
gemeinen iſt höchſt frevelhaft, dazu erlaubt er ſich eine be-
ſtändige Einmiſchung ſeiner Perſon nebſt Stadtgeſchichten
und Poſſen. Aber er kann auch erbaulich von dem wahren
[506]6. Abſchnitt.Gottmenſchen Chriſtus reden und ſich brieflich in das Gebet
Codrus Urceus.eines frommen Prieſters empfehlen. Einmal fällt es ihm
ein, nach Aufzählung der Thorheiten der heidniſchen Reli-
gion alſo fortzufahren: „auch unſere Theologen wackeln oft
„und zanken de lana caprina über unbefleckte Empfängniß,
„Antichriſt, Sacramente, Vorherbeſtimmung und einiges
„Andere, was man lieber beſchweigen als herauspredigen
„ſollte“. Einſt verbrannte ſein Zimmer ſammt fertigen
Manuſcripten da er nicht zu Hauſe war; als er es ver-
nahm, auf der Gaſſe, ſtellte er ſich gegen ein Madonnen-
bild und rief an daſſelbe hinauf: „Höre was ich dir ſage,
„ich bin nicht verrückt, ich rede mit Abſicht! wenn ich dich
„einſt in der Stunde meines Todes zu Hülfe rufen ſollte,
„ſo brauchſt du mich nicht zu erhören und zu den Deinigen
„hinüberzunehmen! denn mit dem Teufel will ich wohnen
„bleiben in Ewigkeit!“ Eine Rede, auf welche hin er doch
für gut fand, ſich ſechs Monate hindurch bei einem Holz-
hacker verborgen zu halten. Dabei war er ſo abergläubiſch,
daß ihn Augurien und Prodigien beſtändig ängſtigten; nur
für die Unſterblichkeit hatte er keinen Glauben übrig. Sei-
nen Zuhörern ſagte er auf Befragen: was nach dem Tode
mit dem Menſchen, mit ſeiner Seele oder ſeinem Geiſte
geſchehe, das wiſſe man nicht und alle Reden über das
Jenſeits ſeien Schreckmittel für alte Weiber. Als es aber
an's Sterben ging, empfahl er doch in ſeinem Teſtament
ſeine Seele oder ſeinen Geiſt 1) dem allmächtigen Gott,
vermahnte auch jetzt ſeine weinenden Schüler zur Gottes-
furcht und insbeſondere zum Glauben an Unſterblichkeit und
Vergeltung nach dem Tode, und empfing die Sacramente
mit großer Inbrunſt. — Man hat keine Garantie dafür,
daß ungleich berühmtere Leute deſſelben Faches, auch wenn
ſie bedeutende Gedanken ausgeſprochen haben, im Leben
[507] viel conſequenter geweſen ſeien. Die Meiſten werden inner-6. Abſchnitt.
lich geſchwankt haben zwiſchen Freigeiſterei und Fragmenten
des anerzogenen Catholicismus, und äußerlich hielten ſie
ſchon aus Klugheit zur Kirche.
Inſofern ſich dann ihr Rationalismus mit den AnfängenAnfänge nega-
tiver Kritik.
der hiſtoriſchen Kritik verband, mochte auch hie und da
eine ſchüchterne Kritik der bibliſchen Geſchichte auftauchen.
Es wird ein Wort Pius II. überliefert 1), welches wie mit
der Abſicht des Vorbauens geſagt iſt: „wenn das Chriſten-
thum auch nicht durch Wunder beſtätigt wäre, ſo hätte es
doch ſchon um ſeiner Moralität willen angenommen werden
müſſen“. Ueber die Legenden, inſoweit ſie willkürliche Ueber-
tragungen der bibliſchen Wunder enthalten, erlaubte man
ſich ohnehin zu ſpotten 2), und dieß wirkte dann weiter
zurück. Wenn judaiſirende Ketzer erwähnt werden, ſo wird
man dabei vor Allem an Läugnung der Gottheit Chriſti
zu denken haben; ſo verhielt es ſich vielleicht mit Giorgio
da Novara, welcher um 1500 in Bologna verbrannt wurde 3).
Aber in demſelben Bologna mußte um dieſe Zeit (1497)
der dominicaniſche Inquiſitor den wohlprotegirten Arzt Ga-
brielle da Salò mit einer bloßen Reuerklärung 4) durch-
ſchlüpfen laſſen, obwohl derſelbe folgende Reden zu führen
pflegte: Chriſtus ſei nicht Gott geweſen, ſondern Sohn des
[508]6. Abſchnitt.Joſeph und der Maria aus einer gewöhnlichen Empfäng-
niß; er habe die Welt mit ſeiner Argliſt ins Verderben
gebracht; den Kreuzestod möge er wohl erlitten haben wegen
begangener Verbrechen; auch werde ſeine Religion nächſtens
aufhören; in der geweihten Hoſtie ſei ſein wahrer Leib nicht;
ſeine Wunder habe er nicht vollbracht aus göttlicher Kraft,
ſondern ſie ſeien durch Einfluß der Himmelskörper geſchehen.
Letzteres iſt wiederum höchſt bezeichnend; der Glaube iſt
dahin, aber die Magie behält man ſich vor 1).
Fatalismus
der Humaniſten.In Betreff der Weltregierung raffen ſich die Huma-
niſten insgemein nicht weiter auf als bis zu einer kalt re-
ſignirten Betrachtung deſſen was unter der ringsum herr-
ſchenden Gewalt und Mißregierung geſchieht. Aus dieſer
Stimmung ſind hervorgegangen die vielen Bücher „vom
Schickſal“ oder wie die Varietäten des Titels lauten mögen.
Sie conſtatiren meiſt nur das Drehen des Glücksrades, die
Unbeſtändigkeit der irdiſchen, zumal der politiſchen Dinge;
die Vorſehung wird herbeigezogen offenbar nur weil man
ſich des nackten Fatalismus, des Verzichtens auf Erkennt-
niß von Urſachen und Wirkungen, oder des baaren Jam-
mers noch ſchämt. Richt ohne Geiſt conſtruirt Gioviano
Pontano die Naturgeſchichte des dämoniſchen Etwas, Fortuna
genannt, aus hundert meiſt ſelbſterlebten Erfahrungen 2).
Mehr ſcherzhaft, in Form eines Traumgeſichtes, behandelt
Aeneas Sylvius den Gegenſtand 3). Poggio's Streben da-
gegen, in einer Schrift ſeines Greiſenalters 4), geht dahin,
die Welt als ein Jammerthal darzuſtellen und das Glück
der einzelnen Stände ſo niedrig als möglich zu taxiren.
Dieſer Ton bleibt dann im Ganzen der vorherrſchende; von
[509] einer Menge ausgezeichneter Leute wird das Soll und Ha-6. Abſchnitt.
ben ihres Glückes und Unglückes unterſucht und die Summe
daraus in vorwiegend ungünſtigem Sinn gezogen. In
höchſt würdiger Welſe, faſt elegiſch, ſchildert uns vorzüglich
Triſtan Caracciolo 1) das Schickſal Italiens und der Ita-
liener, ſoweit es ſich um 1510 überſchauen ließ. Mit ſpe-
cieller Anwendung dieſes herrſchenden Grundgefühls auf
die Humaniſten ſelber verfaßte dann ſpäter Pierio Valeriano
ſeine berühmte Abhandlung (S. 273). Es gab einzelne
ganz beſonders anregende Themata dieſer Art wie z. B.
das Glück Leo's X. Was von politiſcher Seite darüber
Günſtiges geſagt werden kann, das hat Francesco Vettori
in ſcharfen Meiſterzügen zuſammengefaßt; das Bild ſeines
Genußlebens geben Paolo Giovio und die Biographie eines
Ungenannten 2); die Schattenſeiten dieſes Glückes verzeichnet
unerbittlich wie das Schickſal ſelbſt der ebengenannte Pierio.
Daneben erregt es beinahe Grauen, wenn hie und daDas Rühmen
des Glückes.
ſich Jemand öffentlich in lateiniſcher Inſchrift des Glückes
rühmt. So wagte Giovanni II. Bentivoglio, Herrſcher von
Bologna, an dem neu erbauten Thurme bei ſeinem Palaſte
es in Stein hauen zu laſſen: ſein Verdienſt und ſein Glück
hätten ihm alle irgend wünſchbaren Güter reichlich gewährt 3)
[510]6. Abſchnitt.— wenige Jahre vor ſeiner Verjagung. Die Alten, wenn
ſie in dieſem Sinne redeten, empfanden wenigſtens das
Gefühl vom Neid der Götter. In Italien hatten es wahr-
ſcheinlich die Condottieren (S. 24) aufgebracht, daß man
ſich laut der Fortuna rühmen durfte.
Der ſtärkſte Einfluß des wiederentdeckten Alterthums
auf die Religion kam übrigens nicht von irgend einem phi-
loſophiſchen Syſtem oder von einer Lehre und Meinung
der Alten her, ſondern von einem allesbeherrſchenden Ur-
theil. Man zog die Menſchen und zum Theil auch die
Einrichtungen des Alterthums denjenigen des Mittelalters
vor, ſtrebte ihnen auf alle Weiſe nach und wurde dabei
über den Religionsunterſchied völlig gleichgültig. Die Be-
wunderung der hiſtoriſchen Größe abſorbirte Alles. (Vgl.
S. 149, Anm., 429.)
Heidniſche
Aeußerlich-
keiten.Bei den Philologen kam dann noch manche beſondere
Thorheit hinzu, durch welche ſie die Blicke der Welt auf
ſich zogen. Wie weit Papſt Paul II. berechtigt war, das
Heidenthum ſeiner Abbreviatoren und ihrer Genoſſen zur
Rechenſchaft zu ziehen, bleibt allerdings ſehr zweifelhaft, da
ſein Hauptopfer und Biograph Platina (S. 225, 330) es
meiſterlich verſtanden hat, ihn dabei als rachſüchtig wegen
anderer Dinge und ganz beſonders als komiſche Figur er-
ſcheinen zu laſſen. Die Anklage auf Unglauben, Heiden-
thum 1), Läugnung der Unſterblichkeit ꝛc. wurde gegen die
Verhafteten erſt erhoben, nachdem der Hochverrathsproceß
nichts ergeben hatte; auch war Paul, wenn wir recht be-
richtet werden, gar nicht der Mann dazu, irgend etwas
Geiſtiges zu beurtheilen, wie er denn die Römer ermahnte,
ihren Kindern über Leſen und Schreiben hinaus keinen
weitern Unterricht mehr geben zu laſſen. Es iſt eine ähn-
liche prieſterliche Beſchränktheit wie bei Savonarola (S. 480),
nur daß man Papſt Paul hätte erwiedern können, er und
[511] ſeinesgleichen trügen mit die Hauptſchuld, wenn die Bildung6. Abſchnitt.
den Menſchen von der Religion abwendig mache. Daran
aber iſt doch nicht zu zweifeln, daß er eine wirkliche Be-
ſorgniß wegen der heidniſchen Tendenzen in ſeiner Nähe
verſpürte. Was mögen ſich vollends die Humaniſten am
Hofe des heidniſch ruchloſen Sigismondo Malateſta (S. 499,
Anm.) erlaubt haben? Gewiß kam es bei dieſen meiſt hal-
tungsloſen Menſchen weſentlich darauf an, wie weit ihre Um-
gebung ihnen zu gehen geſtattete. Und wo ſie das Chriſten-
thum anrühren, da paganiſiren ſie es (S. 255, 261). Man
muß ſehen, wie weit z. B. ein Gioviano Pontano die Ver-
miſchung treibt; ein Heiliger heißt bei ihm nicht nur Divus,
ſondern Deus; die Engel hält er ſchlechtweg mit den Ge-
nien des Alterthums für identiſch 1), und ſeine Anſicht von
der Unſterblichkeit gleicht einem Schattenreiche. Es kommt
zu einzelnen ganz wunderbaren Exceſſen in dieſer Beziehung.
Als 1526 Siena 2) von der Partei der Ausgetriebenen an-
gegriffen wurde, ſtand der gute Domherr Tizio, der uns
dieß ſelber erzählt, am 22. Juli vom Bette auf, gedachte
deſſen, was im dritten Buch des Macrobius 3) geſchrieben
ſteht, las eine Meſſe, und ſprach dann die in jenem Autor
aufgezeichnete Devotionsformel gegen die Feinde aus, nur
daß er ſtatt Tellus mater teque Jupiter obtestor ſagte:
Tellus teque Christe Deus obtestor. Nachdem er damit
noch an den zwei folgenden Tagen fortgefahren, zogen die
Feinde ab. Von der einen Seite ſieht dergleichen aus, wie
[512]6. Abſchnitteine unſchuldige Styl- und Modeſache, von der andern aber
wie ein religiöſer Abfall.
Einwirkung des
antiken Aber-
glaubens.Doch das Alterthum hatte noch eine ganz beſonders
gefährliche Wirkung und zwar dogmatiſcher Art: es theilte
der Renaiſſance ſeine Art des Aberglaubens mit. Einzelnes
davon hatte ſich in Italien durch das Mittelalter hindurch
am Leben erhalten; um ſo viel leichter lebte jetzt das Ganze
neu auf. Daß dabei die Phantaſie mächtig mitſpielte, ver-
ſteht ſich von ſelbſt. Nur ſie konnte den forſchenden Geiſt
der Italiener ſo weit zum Schweigen bringen.
Der Glaube an die göttliche Weltregierung war wie
geſagt, bei den Einen durch die Maſſe des Unrechtes und
Unglückes erſchüttert; die Andern, wie z. B. Dante, gaben
wenigſtens das Erdenleben dem Zufall und ſeinem Jammer
Preis und wenn ſie dabei dennoch einen ſtarken Glauben
behaupteten, ſo kam dieß daher, daß ſie die höhere Beſtim-
mung des Menſchen für das Jenſeits feſthielten. Sobald
nun auch dieſe Ueberzeugung von der Unſterblichkeit wankte,
bekam der Fatalismus das Uebergewicht — oder wenn
Letzteres geſchah, ſo war Erſteres die Folge davon.
Aſtrologie.In die Lücke trat zunächſt die Aſtrologie des Alter-
thums, auch wohl die der Araber. Aus der jedesmaligen
Stellung der Planeten unter ſich und zu den Zeichen des
Thierkreiſes errieth ſie künftige Ereigniſſe und ganze Lebens-
läufe und beſtimmte auf dieſem Wege die wichtigſten Ent-
ſchlüſſe. In vielen Fällen mag die Handlungsweiſe, zu
welcher man ſich durch die Geſtirne beſtimmen ließ, an ſich
nicht unſittlicher geweſen ſein als diejenige, welche man
ohne dieſes befolgt haben würde; ſehr oft aber muß der
Entſcheid auf Unkoſten des Gewiſſens und der Ehre erfolgt
ſein. Es iſt ewig lehrreich zu ſehen, wie alle Bildung und
Aufklärung gegen dieſen Wahn nicht aufkam, weil derſelbe
ſeine Stütze hatte an der leidenſchaftlichen Phantaſie, an
dem heißen Wunſch, die Zukunft voraus zu wiſſen und zu
beſtimmen, und weil das Alterthum ihn beſtätigte.
[513]
Die Aſtrologie tritt mit dem XIII. Jahrhundert plötz-6. Abſchnitt.
lich ſehr mächtig in den Vordergrund des italieniſchen Lebens.
Kaiſer Friedrich II. führt ſeinen Aſtrologen Theodorus mit
ſich, und Ezzelino da Romano 1) einen ganzen ſtark beſol-
deten Hof von ſolchen Leuten, darunter den berühmten
Guido Bonatto und den langbärtigen Saracenen Paul
von Bagdad. Zu allen wichtigen Unternehmungen mußten
ſie ihm Tag und Stunde beſtimmen, und die maſſenhaften
Gräuel, welche er verüben ließ, mögen nicht geringen Theils
auf logiſcher Deduction aus ihren Weiſſagungen beruht ha-
ben. Seitdem ſcheut ſich Niemand mehr, die Sterne be-Ihre große
Verbreitung.
fragen zu laſſen; nicht nur die Fürſten ſondern auch einzelne
Stadtgemeinden 2) halten ſich regelmäßige Aſtrologen und an
den Univerſitäten 3) werden vom XIV. bis zum XVI. Jahr-
hundert beſondere Profeſſoren dieſer Wahnwiſſenſchaft, ſogar
neben eigentlichen Aſtronomen angeſtellt. Die Päpſte 4) be-
kennen ſich großentheils offen zur Sternbefragung; aller-
dings macht Pius II. eine ehrenvolle Ausnahme 5), wie er
Cultur der Renaiſſance. 33
[514]6. Abſchnitt.denn auch Traumdeutung, Prodigien und Zauber verachtete;
aber ſelbſt Leo X. ſcheint einen Ruhm ſeines Pontificates
darin zu finden, daß die Aſtrologie blühe 1), und Paul III.
hat kein Conſiſtorium gehalten 2) ohne daß ihm die Stern-
gucker die Stunde beſtimmt hätten.
Bei den beſſern Gemüthern darf man nun wohl vor-
ausſetzen, daß ſie ſich nicht über einen gewiſſen Grad hinaus
in ihrer Handlungsweiſe von den Sternen beſtimmen ließen,
daß es eine Grenze gab, wo Religion und Gewiſſen Einhalt
Ihre ehrbarere
Geſtalt.geboten. In der That haben nicht nur treffliche und fromme
Leute an dem Wahn Theil genommen, ſondern ſind ſelbſt
als Repräſentanten deſſelben aufgetreten. So Maeſtro Pa-
golo von Florenz 3), bei welchem man beinahe diejenige
Abſicht auf Verſittlichung des Aſtrologenthums wiederfindet,
welche bei dem ſpäten Römer Firmicus Maternus kenntlich
wird 4). Sein Leben war das eines heiligen Asceten; er
genoß beinahe nichts, verachtete alle zeitlichen Güter und
ſammelte nur Bücher; als gelehrter Arzt beſchränkte er ſeine
Praxis auf ſeine Freunde, machte ihnen aber zur Bedingung,
daß ſie beichten mußten. Seine Converſation war der
enge aber berühmte Kreis, welcher ſich im Kloſter zu den
Engeln um Fra Ambrogio Camaldoleſe (S. 504) ſam-
melte, — außerdem die Unterredungen mit Coſimo dem
ältern, zumal in deſſen letzten Lebensjahren; denn auch
Coſimo achtete und benutzte die Aſtrologie, wenn gleich nur
für beſtimmte, wahrſcheinlich untergeordnete Gegenſtände.
Sonſt gab Pagolo nur den vertrauteſten Freunden aſtro-
logiſchen Beſcheid. Aber auch ohne ſolche Sittenſtrenge
konnte der Sterndeuter ein geachteter Mann ſein und ſich
[515] überall zeigen; auch gab es ihrer ohne Vergleich viel mehrere6. Abſchnitt.
als im übrigen Europa, wo ſie nur an bedeutendern Höfen,
und ſelbſt da nicht durchgängig, vorkommen. Wer in Ita-
lien irgend ein größeres Haus machte, hielt ſich auch, ſobald
der Eifer für die Sache groß genug war, einen Aſtrologen,
der freilich bisweilen Hunger leiden mochte 1). Durch die
ſchon vor dem Bücherdruck ſtark verbreitete Literatur dieſer
Wiſſenſchaft war überdieß ein Dilettantismus entſtanden,
der ſich ſo viel als möglich an die Meiſter des Faches an-
ſchloß. Die ſchlimme Gattung der Aſtrologen war die,
welche die Sterne nur zu Hülfe nahm, um Zauberkünſte
damit zu verbinden oder vor den Leuten zu verdecken.
Doch ſelbſt ohne eine ſolche Zuthat iſt die AſtrologieEinfluß im täg-
lichen Leben.
ein trauriges Element des damaligen italieniſchen Lebens.
Welchen Eindruck machen all jene hochbegabten, vielſeitigen,
eigenwilligen Menſchen, wenn die blinde Begier, das Künf-
tige zu wiſſen und zu bewirken, ihr kräftiges individuelles
Wollen und Entſchließen auf einmal zur Abdication zwingt!
Dazwiſchen, wenn die Sterne etwa gar zu Ungünſtiges
verkünden, raffen ſie ſich auf, handeln unabhängig und
ſprechen dazu: Vir sapiens dominabitur astris2), der
Weiſe wird über die Geſtirne Meiſter; — um bald wieder
in den alten Wahn zurückzufallen.
Zunächſt wird allen Kindern angeſehener Familien das
Horoscop geſtellt und bisweilen ſchleppt man ſich hierauf
das halbe Leben hindurch mit irgend einer nichtsnutzigen
Vorausſetzung von Ereigniſſen, die nicht eintreffen 3). Dann
33*
[516]6. Abſchnitt.werden für jeden wichtigern Entſchluß der Mächtigen, zumal
für die Stunde des Beginnens die Sterne befragt. Ab-
reiſen fürſtlicher Perſonen, Empfang fremder Geſandten 1),
Die Sterne u.
die Grundſtein-
legungen.Grundſteinlegungen großer Gebäude hängen davon ab. Ein
gewaltiges Beiſpiel der letztern Art findet ſich im Leben des
oben genannten Guido Bonatto, welcher überhaupt durch
ſeine Thätigkeit ſowohl als durch ein großes ſyſtematiſches
Werk 2) der Wiederherſteller der Aſtrologie im XIII. Jahr-
hundert heißen darf. Um dem Parteikampf der Guelfen
und Ghibellinen in Forli ein Ende zu machen, beredete er
die Einwohner zu einem Neubau ihrer Stadtmauern und
zum feierlichen Beginn deſſelben unter einer Conſtellation,
die er angab; wenn dann Leute beider Parteien in dem-
ſelben Moment Jeder ſeinen Stein in das Fundament
würfen, ſo würde in Ewigkeit keine Parteiung mehr in
Forli ſein. Man wählte einen Guelfen und einen Ghi-
bellinen zu dieſem Geſchäfte; der hehre Augenblick erſchien,
Beide hielten ihre Steine in der Hand, die Arbeiter war-
teten mit ihrem Bauzeug, und Bonatto gab das Signal —
da warf der Ghibelline ſogleich ſeinen Stein hinunter, der
3)
[517] Guelfe aber zögerte und weigerte ſich dann gänzlich, weil6. Abſchnitt.
Bonatto ſelber als Ghibelline galt und etwas Geheimniß-
volles gegen die Guelfen im Schilde führen konnte. Nun
fuhr ihn der Aſtrolog an: Gott verderbe dich und deine
Guelfenpartei mit euerer mißtrauiſchen Bosheit! dieß Zeichen
wird 500 Jahre lang nicht mehr am Himmel über unſerer
Stadt erſcheinen! In der That verdarb Gott nachher die
Guelfen von Forli, jetzt aber (ſchreibt der Chroniſt um
1480) ſind Guelfen und Ghibellinen hier doch gänzlich
verſöhnt und man hört ihre Parteinamen nicht mehr 1).
Das Nächſte was von den Sternen abhängig wird,Die Aſtrologie
im Kriege.
ſind die Entſchlüſſe im Kriege. Derſelbe Bonatto verſchaffte
dem großen Ghibellinenhaupt Guido da Montefeltro eine
ganze Anzahl von Siegen, indem er ihm die richtige Ster-
nenſtunde zum Auszug angab; als Montefeltro ihn nicht
mehr bei ſich hatte 2), verlor er allen Muth ſeine Tyran-
nis weiter zu behaupten und ging in ein Minoriten-
kloſter; noch lange Jahre ſah man ihn als Mönch terminiren.
Die Florentiner ließen ſich noch im piſaniſchen Krieg von 1362
durch ihren Aſtrologen die Stunde des Auszuges beſtim-
men 3); man hätte ſich aber beinahe verſpätet, weil plötzlich
[518]6. Abſchnitt.ein Umweg in der Stadt befohlen wurde. Frühere Male
war man nämlich durch Via di Borgo S. Apoſtolo aus-
gezogen und hatte ſchlechten Erfolg gehabt; offenbar war
mit dieſer Straße, wenn man gegen Piſa zu Felde zog,
ein übles Augurium verknüpft, und deßhalb wurde das
Heer jetzt durch Porta roſſa hinausgeführt; weil aber dort
die gegen die Sonne ausgeſpannten Zelte nicht waren weg-
genommen worden, ſo mußte man — ein neues übles Zeichen
— die Fahnen geſenkt tragen. Ueberhaupt war die Aſtrologie
vom Kriegsweſen ſchon deßhalb nie zu trennen, weil ihr
die meiſten Condottieren anhingen. Jacopo Caldora war
in der ſchwerſten Krankheit wohlgemuth weil er wußte, daß
er im Kampfe fallen würde wie denn auch geſchah 1); Bar-
tolommeo Alviano war davon überzeugt, daß ſeine Kopf-
wunden ihm ſo gut wie ſein Commando durch Beſchluß
der Geſtirne zu Theil geworden 2); Nicolò Orſini-Pitigliano
bittet ſich für den Abſchluß ſeines Soldvertrages mit Ve-
nedig (1495) von dem Phyſicus und Aſtrologen Aleſſandro
Benedetto 3) eine gute Sternenſtunde aus. Als die Floren-
tiner den 1. Juni 1498 ihren neuen Condottiere Paolo
Vitelli feierlich mit ſeiner Würde bekleideten, war der Com-
mandoſtab, den man ihm überreichte, mit der Abbildung
von Conſtellationen verſehen 4), und zwar auf Vitelli's
eigenen Wunſch.
Sterne und
Staatsacte.Bisweilen wird es nicht ganz klar, ob bei wichtigen
[519] politiſchen Ereigniſſen die Sterne vorher befragt wurden,6. Abſchnitt.
oder ob die Aſtrologen nur nachträglich aus Curioſität die
Conſtellation berechneten, welche den betreffenden Augenblick
beherrſcht haben ſollte. Als Giangaleazzo Visconti (S. 11)
mit einem Meiſterſtreich ſeinen Oheim Bernabò und deſſen
Familie gefangen nahm (1385), ſtanden Jupiter, Saturn
und Mars im Hauſe der Zwillinge — ſo meldet ein Zeit-
genoſſe 1), aber wir erfahren nicht, ob dieß den Entſchluß
zur That beſtimmte. Nicht ſelten mag auch politiſche Ein-
ſicht und Berechnung den Sterndeuter mehr geleitet haben
als der Gang der Planeten 2).
Hatte ſich Europa ſchon das ganze ſpätere Mittelalter
hindurch von Paris und Toledo aus durch aſtrologiſche
Weiſſagungen von Peſt, Krieg, Erdbeben, großen Waſſern
u. dgl, ängſtigen laſſen, ſo blieb Italien hierin vollends
nicht zurück. Dem Unglücksjahr 1494, das den Fremden
für immer Italien öffnete, gingen unläugbar ſchlimme Weiſ-
ſagungen nahe voraus 3), nur müßte man wiſſen, ob ſolche
nicht längſt für jedes beliebige Jahr bereit lagen.
In ſeiner vollen, antiken Conſequenz dehnt ſich aberDie Religionen
von den Ster-
nen abhängig.
das Syſtem in Regionen aus, wo man nicht mehr erwarten
würde ihm zu begegnen. Wenn das ganze äußere und
geiſtige Leben des Individuums von deſſen Genitura bedingt
iſt, ſo befinden ſich auch größere geiſtige Gruppen, z. B.
[520]6. Abſchnitt.Völker und Religionen, in einer ähnlichen Abhängigkeit,
und da die Conſtellationen dieſer großen Dinge wandelbar
ſind, ſo ſind es auch die Dinge ſelbſt. Die Idee, daß jede
Religion ihren Welttag habe, kommt auf dieſem aſtrologi-
ſchen Wege in die italieniſche Bildung hinein. Die Con-
junction des Jupiter, hieß es 1), mit Saturn habe den
hebräiſchen Glauben hervorgebracht, die mit Mars den
chaldäiſchen, die mit der Sonne den ägyptiſchen, die mit
Venus den mohammedaniſchen, die mit Mercur den chriſt-
lichen, und die mit dem Mond werde einſt die Religion
des Antichriſt hervorbringen. In frevelhafteſter Weiſe hatte
ſchon Checco d'Ascoli die Nativität Chriſti berechnet und
ſeinen Kreuzestod daraus deducirt; er mußte deßhalb 1327
in Florenz auf dem Scheiterhaufen ſterben 2). Lehren dieſer
Art führten in ihren weitern Folgen eine förmliche Ver-
finſterung alles Ueberſinnlichen mit ſich.
Die Gegner der
Aſtrologie.Um ſo anerkennenswerther iſt aber der Kampf, welchen
der lichte italieniſche Geiſt gegen dieſes ganze Wahngeſpinnſt
geführt hat. Neben den größten monumentalen Verherr-
lichungen der Aſtrologie, wie die Fresken im Salone zu
Padua 3) und diejenigen in Borſo's Sommerpalaſt (Schi-
fanoja) zu Ferrara, neben dem unverſchämten Anpreiſen,
das ſich ſelbſt ein Beroaldus der ältere 4) erlaubt, tönt
[521] immer wieder der laute Proteſt der Nichtbethörten und6. Abſchnitt.
Denkenden. Auch auf dieſer Seite hatte das Alterthum
vorgearbeitet, doch reden ſie hier nicht den Alten nach, ſondern
aus ihrem eigenen geſunden Menſchenverſtande und aus
ihrer Beobachtung heraus. Petrarca's Stimmung gegen
die Aſtrologen, die er aus eigenem Umgang kannte, iſt
derber Hohn 1), und ihr Syſtem durchſchaut er in ſeiner
Lügenhaftigkeit. Die Novelle iſt ſeit ihrer Geburt, ſeit den
cento novelle antiche, den Aſtrologen faſt immer feind-
lich 2). Die florentiniſchen Chroniſten wehren ſich auf das
Tapferſte, auch wenn ſie den Wahn, weil er in die Tradition
verflochten iſt, mittheilen müſſen. Giovanni Villani ſagt
es mehr als einmal 3): „keine Conſtellation kann den freien
Willen des Menſchen unter die Nothwendigkeit zwingen,
noch auch den Beſchluß Gottes“; Matteo Villani erklärt
die Aſtrologie für ein Laſter, das die Florentiner mit anderm
Aberglauben von ihren Vorfahren, den heidniſchen Römern,
geerbt hätten. Es blieb aber nicht bei bloß literariſcher
Erörterung, ſondern die Parteien, die ſich darob bildeten,
ſtritten öffentlich; bei der furchtbaren Ueberſchwemmung des
Jahres 1333 und wiederum 1345 wurde die Frage über
Sternenſchickſal und Gottes Willen und Strafgerechtigkeit
zwiſchen Aſtrologen und Theologen höchſt umſtändlich dis-
cutirt 4). Dieſe Verwahrungen hören die ganze Zeit der
Renaiſſance hindurch niemals völlig auf 5), und man darf
4)
[522]6. Abſchnitt.ſie für aufrichtig halten, da es durch Vertheidigung der
Aſtrologie leichter geweſen wäre ſich bei den Mächtigen zu
empfehlen als durch Anfeindung derſelben.
In der Umgebung des Lorenzo magnifico, unter ſeinen
namhafteſten Platonikern, herrſchte hierüber Zwieſpalt.
Marſilio Ficino vertheidigte die Aſtrologie und ſtellte den
Kindern vom Hauſe das Horoscop, wie er denn auch dem
kleinen Giovanni geweiſſagt haben ſoll, er würde ein Papſt
Pico's Wioer-
legung.— Leo X. — werden 1). Dagegen macht Pico della Mi-
randola wahrhaft Epoche in dieſer Frage durch ſeine be-
rühmte Widerlegung 2). Er weist im Sternglauben eine
Wurzel aller Gottloſigkeit und Unſittlichkeit nach; wenn der
Aſtrologe an irgend Etwas glauben wolle, ſo müſſe er am
eheſten die Planeten als Götter verehren, indem ja von
ihnen alles Glück und Unheil hergeleitet werde; auch aller
übrige Aberglaube finde hier ein bereitwilliges Organ, in-
dem Geomantie, Chiromantie und Zauber jeder Art für
die Wahl der Stunde ſich zunächſt an die Aſtrologie wen-
deten. In Betreff der Sitten ſagt er: eine größere För-
derung für das Böſe gebe es gar nicht als wenn der Himmel
ſelbſt als Urheber deſſelben erſcheine, dann müſſe auch der
Glaube an ewige Seligkeit und Verdammniß völlig ſchwin-
den. Pico hat ſich ſogar die Mühe genommen, auf em-
piriſchem Wege die Aſtrologen zu controliren; von ihren
Wetterprophezeiungen für die Tage eines Monats fand er
drei Viertheile falſch. Die Hauptſache aber war, daß er
(im IV. Buche) eine poſitive chriſtliche Theorie über Welt-
regierung und Willensfreiheit vortrug, welche auf die Ge-
bildeten der ganzen Nation einen größern Eindruck gemacht
5)
[523] zu haben ſcheint als alle Bußpredigten, von welchen dieſe6. Abſchnitt.
Leute oft nicht mehr erreicht wurden.
Vor Allem verleidete er den Aſtrologen die weitereDeren
Wirkung.
Publication ihrer Lehrgebäude 1), und die welche bisher
dergleichen hatten drucken laſſen, ſchämten ſich mehr oder
weniger. Gioviano Pontano z. B. hatte in ſeinem Buche
„vom Schickſal“ (S. 508) die ganze Wahnwiſſenſchaft an-
erkannt und ſie in einem eigenen großen Werke 2) theoretiſch
in der Art des alten Firmicus vorgetragen; jetzt, in ſeinem
Dialog „Aegidius“ giebt er zwar nicht die Aſtrologie, wohl
aber die Aſtrologen Preis, rühmt den freien Willen und
beſchränkt den Einfluß der Sterne auf die körperlichen
Dinge. Die Sache blieb in Uebung, aber ſie ſcheint doch
nicht mehr das Leben ſo beherrſcht zu haben wie früher.
Die Malerei, welche im XV. Jahrhundert den Wahn nach
Kräften verherrlicht hatte, ſpricht nun die veränderte Denk-
weiſe aus: Rafael in der Kuppel der Capelle Chigi 3) ſtellt
ringsum die Planetengötter und den Fixſternhimmel dar,
aber bewacht und geleitet von herrlichen Engelgeſtalten,
und von oben herab geſegnet durch den ewigen Vater. Noch
ein anderes Element ſcheint der Aſtrologie in Italien feind-
lich geweſen zu ſein: die Spanier hatten keinen Theil daran,
auch ihre Generale nicht, und wer ſich bei ihnen in Gunſt
ſetzen wollte 4), bekannte ſich auch wohl ganz offen als Feind
[524]6. Abſchnitt.der für ſie halbketzeriſchen, weil halbmohammedaniſchen
Wiſſenſchaft. Freilich noch 1529 meint Guicciardini: wie
glücklich doch die Aſtrologen ſeien, denen man glaube wenn
ſie unter hundert Lügen eine Wahrheit vorbrächten, während
Andere, die unter hundert Wahrheiten eine Lüge ſagten,
um allen Credit kämen 1). Und überdieß ſchlug die Ver-
achtung der Aſtrologie nicht nothwendig in Vorſehungs-
glauben um; ſie konnte ſich auch auf einen allgemeinen,
unbeſtimmten Fatalismus zurückziehen.
Italien hat in dieſer wie in andern Beziehungen den
Culturtrieb der Renaiſſance nicht geſund durch- und aus-
leben können, weil die Eroberung und die Gegenreformation
dazwiſchen kam. Ohne dieſes würde es wahrſcheinlich die
phantaſtiſchen Thorheiten völlig aus eigenen Kräften über-
wunden haben. Wer nun der Anſicht iſt, daß Invaſion
und catholiſche Reaction nothwendig und vom italieniſchen
Volk ausſchließlich ſelbſt verſchuldet geweſen ſeien, wird ihm
auch die daraus erwachſenen geiſtigen Verluſte als gerechte
Strafe zuerkennen. Nur Schade, daß Europa dabei eben-
falls ungeheuer verloren hat.
Verſchiedene
Superſtitionen.Bei weitem unſchuldiger als die Sterndeutung erſcheint
der Glaube an Vorzeichen. Das ganze Mittelalter hatte
einen großen Vorrath deſſelben aus ſeinen verſchiedenen
Heidenthümern ererbt und Italien wird wohl darin am
wenigſten zurückgeblieben ſein. Was aber die Sache hier
eigenthümlich färbt, iſt die Unterſtützung, welche der Hu-
manismus dieſem populären Wahn leiſtet; er kommt dem
ererbten Stück Heidenthum mit einem literariſch erarbeiteten
zu Hülfe.
Der populäre Aberglaube der Italiener bezieht ſich
bekanntlich auf Ahnungen und Schlüſſe aus Vorzeichen 2),
[525] woran ſich dann noch eine meiſt unſchuldige Magie an-6. Abſchnitt.
ſchließt. Nun fehlt es zunächſt nicht an gelehrten Huma-
niſten, welche wacker über dieſe Dinge ſpotten und ſie bei
dieſem Anlaß berichten. Derſelbe Gioviano Pontano, welcher
jenes große aſtrologiſche Werk (S. 523) verfaßte, zählt in ſei-
nem „Charon“ ganz mitleidig allen möglichen neapolitaniſchen
Aberglauben auf: den Jammer der Weiber, wenn ein Huhn
oder eine Gans den Pips bekömmt; die tiefe Beſorgniß
der vornehmen Herrn, wenn ein Jagdfalke ausbleibt, ein
Pferd den Fuß verſtaucht; den Zauberſpruch der apuliſchen
Bauern, welchen ſie in drei Samſtagsnächten herſagen,
wenn tolle Hunde das Land unſicher machen ꝛc. Ueberhaupt
hatte die Thierwelt ein Vorrecht des Ominöſen gerade wie
im Alterthum, und vollends jene auf Staatskoſten unter-
haltenen Löwen, Leoparden u. dgl. (S. 288, f.) gaben durch
ihr Verhalten dem Volk um ſo mehr zu denken, als man
ſich unwillkürlich gewöhnt hatte, in ihnen das lebendige
Symbol des Staates zu erblicken. Als während der Be-
lagerung von 1529 ein angeſchoſſener Adler nach Florenz
hereinflog, gab die Signorie dem Ueberbringer vier Du-
caten, weil es ein gutes Augurium ſei 1). Dann waren
beſtimmte Zeiten und Orte für beſtimmte Verrichtungen
günſtig oder ungünſtig oder überhaupt entſcheidend. Die
Florentiner glaubten, wie Varchi meldet, der Sonnabend
ſei ihr Schickſalstag, an welchem alle wichtigen Dinge, gute
ſowohl als böſe zu geſchehen pflegten. Ihr Vorurtheil
gegen Kriegsauszüge durch eine beſtimmte Gaſſe wurde
ſchon (S. 518) erwähnt; bei den Peruginern dagegen gilt
eines ihrer Thore, die Porta eburnea, als glückverheißend,
ſo daß die Baglionen zu jedem Kampfe dort hinaus mar-
ſchiren ließen 2). Dann nehmen Meteore und Himmels-
[526]6. Abſchnitt.zeichen dieſelbe Stelle ein wie im ganzen Mittelalter, und
aus ſonderbaren Wolkenbildungen geſtaltet die Phantaſie
auch jetzt wieder ſtreitende Heere und glaubt deren Lärm
hoch in der Luft zu hören 1). Schon bedenklicher wird der
Aberglaube, wenn er ſich mit heiligen Dingen combinirt,
wenn z. B. Madonnenbilder die Augen bewegen 2) oder
Bei Calamitä-
ten.weinen, ja wenn Landescalamitäten mit irgend einem an-
geblichen Frevel in Verbindung gebracht werden, deſſen
Sühnung dann der Pöbel verlangt (S. 485). Als Pia-
cenza 1478 von langem und heftigem Regen heimgeſucht
wurde, hieß es, derſelbe werde nicht aufhören, bis ein ge-
wiſſer Wucherer, der unlängſt in S. Francesco begraben
worden war, nicht mehr in geweihter Erde ruhe. Da ſich
der Biſchof weigerte, die Leiche gutwillig ausgraben zu
laſſen, holten die jungen Burſche ſie mit Gewalt, zerrten
ſie in den Straßen unter gräulichem Tumult herum und
warfen ſie zuletzt in den Po 3). Freilich auch ein Angelo
Poliziano läßt ſich auf dieſelbe Anſchauungsweiſe ein, wo
es Giacomo Pazzi gilt, einen Hauptanſtifter der nach ſeiner
Familie benannten Verſchwörung zu Florenz in demſelben
Jahre 1478. Als man ihn erdroſſelte, hatte er mit fürch-
terlichen Worten ſeine Seele dem Satan übergeben. Nun
trat auch hier Regen ein, ſo daß die Getreideernte bedroht
war; auch hier grub ein Haufe von Leuten (meiſt Bauern)
die Leiche in der Kirche aus und alſobald wichen die Re-
[527] genwolken und die Sonne erglänzte — „ſo günſtig war6. Abſchnitt.
das Glück der Volksmeinung“, fügt der große Philologe
bei 1). Zunächſt wurde die Leiche in ungeweihter Erde
verſcharrt, des folgenden Tages aber wiederum ausgegraben
und nach einer entſetzlichen Proceſſion durch die Stadt in
den Arno verſenkt.
Solche und ähnliche Züge ſind weſentlich populär und
können im X. Jahrhundert ſo gut vorgekommen ſein als
im XVI. Nun miſcht ſich aber auch hier das literariſche
Alterthum ein. Von den Humaniſten wird ausdrücklich
verſichert, daß ſie den Prodigien und Augurien ganz be-Aberglaube der
Humaniſten.
ſonders zugänglich geweſen und Beiſpiele davon (S. 506)
wurden bereits erwähnt. Wenn es aber irgend eines Be-
leges bedürfte, ſo würde ihn ſchon der eine Poggio gewähren.
Derſelbe radicale Denker, welcher den Adel und die Un-
gleichheit der Menſchen negirt (S. 357), glaubt nicht nur
an allen mittelalterlichen Geiſter- und Teufelsſpuk (fol. 167,
179), ſondern auch an Prodigien antiker Art, z. B. an
diejenigen, welche beim letzten Beſuch Eugen's IV. in Flo-
renz berichtet wurden 2). „Da ſah man in der Nähe von
Como des Abends 4000 Hunde, die den Weg nach Deutſch-
land nahmen; auf dieſe folgte eine große Schaar Rinder,
dann ein Heer von Bewaffneten zu Fuß und zu Roß,
theils ohne Kopf, theils mit kaum ſichtbaren Köpfen, zuletzt
ein rieſiger Reiter, dem wieder eine Heerde von Rindern
nachzog.“ Auch an eine Schlacht von Elſtern und Dohlen
(fol. 180) glaubt Poggio. Ja er erzählt, vielleicht ohne
[528]6. Abſchnitt.es zu merken, ein ganz wohlerhaltenes Stück antiker My-
thologie. An der dalmatiniſchen Küſte nämlich erſcheint ein
Triton, bärtig und mit Hörnchen, als echter Meerſatyr,
unten in Floſſen und einen Fiſchleib ausgehend; er fängt
Kinder und Weiber vom Ufer weg, bis ihn fünf tapfere
Waſchfrauen mit Steinen und Prügeln tödten 1). Ein
hölzernes Modell des Ungethüms, welches man in Ferrara
zeigt, macht dem Poggio die Sache völlig glaublich. Zwar
Orakel gab es keine mehr und Götter konnte man nicht
mehr befragen, aber das Aufſchlagen des Virgil und die
ominöſe Deutung der Stelle auf die man traf (sortes
virgilianæ) wurde wieder Mode 2). Außerdem blieb der
Dämonenglauben des ſpäteſten Alterthums gewiß nicht ohne
Einfluß auf denjenigen der Renaiſſance. Die Schrift des
Jamblichus oder Abammon über die Myſterien der Aegypter,
welche hiezu dienen konnte, iſt ſchon zu Ende des XV.
Jahrhunderts in lateiniſcher Ueberſetzung gedruckt worden.
Sogar die platoniſche Academie in Florenz z. B. iſt von
ſolchem und ähnlichem neuplatoniſchem Wahn der ſinkenden
Römerzeit nicht ganz frei geblieben. Von dieſem Glauben
an die Dämonen und dem damit zuſammenhängenden Zauber
muß nunmehr die Rede ſein.
Geſpenſter
Verſtorbener.Der Populärglaube an das was man die Geiſterwelt
nennt 3), iſt in Italien ſo ziemlich derſelbe wie im übrigen
Europa. Zunächſt giebt es auch dort Geſpenſter, d. h. Er-
[529] ſcheinungen Verſtorbener, und wenn die Anſchauung von6. Abſchnitt.
der nordiſchen etwas abweicht, ſo verräth ſich dieß höchſtens
durch den antiken Namen ombra. Wenn ſich noch heute
ein ſolcher Schatten erzeigt, ſo läßt man ein paar Meſſen
für ſeine Ruhe leſen. Daß die Seelen böſer Menſchen
in furchtbarer Geſtalt erſcheinen, verſteht ſich von ſelbſt,
doch geht daneben noch eine beſondere Anſicht einher, wonach
die Geſpenſter Verſtorbener überhaupt bösartig wären. Die
Todten bringen die kleinen Kinder um, meint der Caplan
bei Bandello 1). Wahrſcheinlich trennt er hiebei in Ge-
danken noch einen beſondern Schatten von der Seele, denn
dieſe büßt ja im Fegefeuer und wo ſie erſcheint, pflegt ſie
nur zu flehen und zu jammern. Andere Male iſt, was
erſcheint, nicht ſowohl das Schattenbild eines beſtimmten
Menſchen als das eines Ereigniſſes, eines vergangenen Zu-
ſtandes. So erklären die Nachbarn den Teufelsſpuk im
alten viscontiniſchen Palaſt bei S. Giovanni in Conca zu
Mailand; hier habe einſt Bernabò Visconti unzählige
Opfer ſeiner Tyrannei foltern und erdroſſeln laſſen, und
es ſei kein Wunder wenn ſich etwas erzeige 2). Einem un-
getreuen Armenhausverwalter zu Perugia erſchien eines
Abends, als er Geld zählte, ein Schwarm von Armen mit
Lichtern in den Händen und tanzten vor ihm herum; eine
große Geſtalt aber führte drohend das Wort für ſie, es
war S. Alò, der Schutzheilige des Armenhauſes 3). — Dieſe
Anſchauungen verſtanden ſich ſo ſehr von ſelbſt, daß auch
Dichter ein allgemein gültiges Motiv darin finden konnten.
Cultur der Renaiſſance. 34
[530]6. Abſchnitt.Sehr ſchön giebt z. B. Caſtiglione die Erſcheinung des er-
ſchoſſenen Lodovico Pico unter den Mauern des belagerten
Mirandola wieder 1). Freilich die Poeſie benutzt dergleichen
gerade am Liebſten, wenn der Poet ſelber ſchon dem be-
treffenden Glauben entwachſen iſt.
Dämonen-
glaube.Sodann war Italien mit derſelben Volksanſicht über
die Dämonen erfüllt wie alle Völker des Mittelalters.
Man war überzeugt, daß Gott den böſen Geiſtern jedes
Ranges bisweilen eine große zerſtörende Wirkung gegen
einzelne Theile der Welt und des Menſchenlebens zulaſſe;
alles was man einbedang, war, daß wenigſtens der Menſch,
welchem die Dämonen als Verſucher nahten, ſeinen freien
Willen zum Widerſtand anwenden könne. In Italien
nimmt zumal das Dämoniſche der Naturereigniſſe im Mund
des Volkes leicht eine poetiſche Größe an. In der Nacht
vor der großen Ueberſchwemmung des Arnothales 1333
hörte einer der heiligen Einſiedler oberhalb Vallombroſa
in ſeiner Zelle ein teufliſches Getöſe, bekreuzte ſich, trat
unter die Thür und erblickte ſchwarze und ſchreckliche Reiter
in Waffen vorüberjagen. Auf ſein Beſchwören ſtand ihm
einer davon Rede: „wir gehen und erſäufen die Stadt
Florenz um ihrer Sünden willen, wenn Gott es zuläßt“ 2).
Womit man die faſt gleichzeitige venezianiſche Erſcheinung
(1340) vergleichen mag, aus welcher dann irgend ein großer
Meiſter der Schule von Venedig, wahrſcheinlich Giorgione,
ein wunderſames Bild gemacht hat: jene Galeere voller Dä-
monen, welche mit der Schnelligkeit eines Vogels über die
ſtürmiſche Lagune daherjagte um die ſündige Inſelſtadt zu
verderben, bis die drei Heiligen, welche unerkannt in die
Barke eines armen Schiffers geſtiegen waren, durch ihre
Beſchwörung die Dämonen und ihr Schiff in den Abgrund
der Fluthen trieben.
[531]
Zu dieſem Glauben geſellt ſich nun der Wahn, daß6. Abſchnitt.
der Menſch ſich durch Beſchwörung den Dämonen nähern,Beſchwörung.
ihre Hülfe zu ſeinen irdiſchen Zwecken der Habgier, Macht-
gier und Sinnlichkeit benützen könne. Hiebei gab es wahr-
ſcheinlich viele Verklagte früher als es viele Schuldige gab;
erſt als man vorgebliche Zauberer und Hexen verbrannte,
begann die wirkliche Beſchwörung und der abſichtliche Zauber
häufiger zu werden. Aus dem Qualm der Scheiterhaufen,
auf welchen man jene Verdächtigen geopfert, ſtieg erſt der
narkotiſche Dampf empor, der eine größere Anzahl von ver-
lorenen Menſchen zur Magie begeiſterte. Ihnen ſchloſſen
ſich dann noch reſolute Betrüger an.
Die populäre und primitive Geſtalt, in welcher dieſesDie italieniſche
Hexe.
Weſen vielleicht ſeit der Römerzeit ununterbrochen fortgelebt
hatte, iſt das Treiben der Hexe (strega). Sie kann ſich
ſo gut als völlig unſchuldig geberden, ſo lange ſie ſich auf
die Divination beſchränkt, nur daß der Uebergang vom
bloßen Vorausſagen zum Bewirkenhelfen oft unmerklich und
doch eine entſcheidende Stufe abwärts ſein kann. Handelt
es ſich einmal um wirkenden Zauber, ſo traut man der
Hexe hauptſächlich die Erregung von Liebe und Haß zwiſchen
Mann und Weib, doch auch rein zerſtörende, boshafte
Maleficien zu, namentlich das Hinſiechen von kleinen Kin-
dern, auch wenn daſſelbe noch ſo handgreiflich von Ver-
wahrloſung und Unvernunft der Eltern herrührt. Nach
Allem bleibt dann noch die Frage übrig, wie weit die Hexe
durch bloße Zauberſprüche, Ceremonien und unverſtandene
Formeln, oder aber durch bewußte Anrufung der Dämonen
gewirkt haben ſoll, abgeſehen von den Arzneien und Giften,
die ſie in voller Kenntniß von deren Wirkung mag verab-
folgt haben.
Die unſchuldigere Art, wobei noch Bettelmönche als
Concurrenten aufzutreten wagen, lernt man z. B. in der
Hexe von Gaeta kennen, welche Pontano 1) uns vorführt.
34*
[532]6. Abſchnitt.Sein Reiſender Suppatius geräth in ihre Wohnung, wäh-
Durchſchnittli-
cher Character.rend ſie gerade einem Mädchen und einer Dienſtmagd
Audienz giebt, die mit einer ſchwarzen Henne, neun am
Freitag gelegten Eiern, einer Ente und weißem Faden
kommen, ſintemal der dritte Tag ſeit Neumond iſt; ſie
werden nun weggeſchickt und auf die Dämmerung wieder
herbeſchieden. Es handelt ſich hoffentlich nur um Divina-
tion; die Herrin der Dienſtmagd iſt von einem Mönch
geſchwängert, dem Mädchen iſt ſein Liebhaber untreu ge-
worden und ins Kloſter gegangen. Die Hexe klagt: „Seit
meines Mannes Tode lebe ich von dieſen Dingen und könnte
es bequem haben, da unſere Gaetanerinnen einen ziemlich
ſtarken Glauben beſitzen, wenn nicht die Mönche mir den
Profit vorwegnähmen, indem ſie Träume deuten, den Zorn
der Heiligen ſich abkaufen laſſen, den Mädchen Männer,
den Schwangern Knaben, den Unfruchtbaren Kinder ver-
ſprechen und überdieß des Nachts, wenn das Mannsvolk
auf dem Fiſchfang aus iſt, die Weiber heimſuchen, mit
welchen ſie des Tages in der Kirche Abreden getroffen
haben“. Suppatius warnt ſie vor dem Neid des Kloſters,
aber ſie fürchtet nichts, weil der Guardian ihr alter Be-
kannter iſt.
Der Wahn jedoch ſchafft ſich nun eine ſchlimmere
Gattung von Hexen; ſolche, die durch böſen Zauber die
Menſchen um Geſundheit und Leben bringen. Bei dieſen
wird man auch, ſobald der böſe Blick ꝛc. nicht ausreichte,
zuerſt an Beihülfe mächtiger Geiſter gedacht haben. Ihre
Strafe iſt, wie wir ſchon bei Anlaß der Finicella (S. 471)
ſahen, der Feuertod, und doch läßt der Fanatismus damals
noch mit ſich handeln; im Stadtgeſetz von Perugia z. B.
können ſie ſich mit 400 Pfund loskaufen 1). Ein conſe-
[533] quenter Ernſt wurde damals noch nicht auf die Sache gewendet.6. Abſchnitt.
Auf dem Boden des Kirchenſtaates, im Hochapennin, undDie
Hexengegend
bei Norcia.
zwar in der Heimath des h. Benedict, zu Norcia, behaup-
tete ſich ein wahres Neſt des Hexen- und Zauberweſens. Die
Sache war völlig notoriſch. Es iſt einer der merkwürdig-
ſten Briefe des Aeneas Sylvius 1), aus ſeiner frühern Zeit,
der hierüber Aufſchluß giebt. Er ſchreibt an ſeinen Bruder:
„Ueberbringer dieſes iſt zu mir gekommen um mich zu fragen,
ob ich nicht in Italien einen Venusberg wüßte? in einem
ſolchen nämlich würden magiſche Künſte gelehrt, nach welchen
ſein Herr, ein Sachſe und großer Aſtronom 2), Begierde
trüge. Ich ſagte, ich kenne ein Porto Venere unweit Car-
rara an der liguriſchen Felsküſte, wo ich auf der Reiſe
nach Baſel drei Nächte zubrachte, auch fand ich, daß in
Sicilien ein der Venus geweihter Berg Eryx vorhanden ſei,
weiß aber nicht, daß dort Magie gelehrt werde. Unter dem
Geſpräch jedoch fiel mir ein, daß in Umbrien, im alten
Herzogthum (Spoleto) unweit der Stadt Nurſia eine Ge-
gend iſt, wo ſich unter einer ſteilen Felswand eine Höhle
findet, in welcher Waſſer fließt. Dort ſind, wie ich mich
entſinne gehört zu haben, Hexen (striges), Dämonen und
nächtliche Schatten, und wer den Muth hat, kann Geiſter
(spiritus) ſehen und anreden und Zauberkünſte lernen 3).
Ich habe es nicht geſehen noch mich bemüht es zu ſehen,
denn was man nur mit Sünden lernt, das kennt man
beſſer gar nicht.“ Nun nennt er aber ſeinen Gewährsmann
[534]6. Abſchnitt.und erſucht den Bruder, den Ueberbringer des Briefes zu
jenem hinzuführen wenn er noch lebe. Aeneas geht hier
in der Gefälligkeit gegen einen Hochſtehenden ſehr weit,
aber für ſeine Perſon iſt er nicht nur freier von allem
Aberglauben als ſeine Zeitgenoſſen (S. 486, 513) ſondern
er hat darüber auch eine Prüfung beſtanden, die noch heute
nicht jeder Gebildete aushalten würde. Als er zur Zeit
des Basler Concils zu Mailand 75 Tage lang am Fieber dar-
niederlag, konnte man ihn doch nie dazu bewegen auf die
Zauberärzte zu hören, obwohl ihm ein Mann ans Bette
gebracht wurde, der kurz vorher 2000 Soldaten im Lager
des Piccinino auf wunderbare Weiſe vom Fieber curirt
haben ſollte. Noch leidend reiste Aeneas über das Gebirge
nach Baſel und genas im Reiten 1).
Norcia im
XVI. Jahrh.Weiter erfahren wir etwas von der Umgegend Norcia's
durch den Necromanten, welcher den trefflichen Benvenuto
Cellini in ſeine Gewalt zu bekommen ſuchte. Es handelt
ſich darum 2), ein neues Zauberbuch zu weihen, und der
ſchicklichſte Ort hiefür ſind die dortigen Gebirge; zwar hat
der Meiſter des Zauberers einmal ein Buch geweiht in der
Nähe der Abtei Farfa, aber es ergaben ſich dabei Schwie-
rigkeiten, die man bei Norcia nicht anträfe; überdieß ſind
die nurſiniſchen Bauern zuverläſſige Leute, haben einige
Praxis in der Sache und können im Nothfall mächtige
Hülfe leiſten. Der Ausflug unterblieb dann, ſonſt hätte
Benvenuto wahrſcheinlich auch die Helfershelfer des Gauners
kennen gelernt. Damals war dieſe Gegend völlig ſprich-
wörtlich. Aretino ſagt irgendwo von einem verhexten
Brunnen: es wohnten dort die Schweſter der Sibylle von
Norcia und die Tante der Fata Morgana. Und um die-
ſelbe Zeit durfte doch Triſſino in ſeinem großen Epos 3)
[535] jene Oertlichkeit mit allem möglichen Aufwand von Poeſie6. Abſchnitt.
und Allegorie als den Sitz der wahren Weiſſagung feiern.
Mit der berüchtigten Bulle Innocenz VIII. (1484) 1),Das nordiſche
Hexenweſen.
wird dann bekanntlich das Hexenweſen und deſſen Verfol-
gung zu einem großen ſcheußlichen Syſtem. Wie die Haupt-
träger deſſelben deutſche Dominicaner waren, ſo wurde auch
Deutſchland am Meiſten durch dieſe Geißel heimgeſucht und
von Italien in auffallender Weiſe diejenigen Gegenden,
welche Deutſchland am nächſten lagen. Schon die Befehle
und Bullen der Päpſte ſelber 2) beziehen ſich z. B. auf die
dominicaniſche Ordensprovinz Lombardia, auf die Diöceſen
Brescia und Bergamo, auf Cremona. Sodann erfährt man
aus Sprengers berühmter theoretiſch-practiſcher Anweiſung,
dem Malleus Maleficarum, daß zu Como ſchon im erſten
Jahre nach Erlaß der Bulle 41 Hexen verbrannt wurden;
Schaaren von Italienerinnen flüchteten auf das Gebiet
Erzherzog Sigismunds, wo ſie ſich noch ſicher glaubten.
Endlich ſetzt ſich dieß Hexenweſen in einigen unglücklichen
Alpenthälern, beſonders Val Camonica 3), ganz unaustilg-
3)
[536]6. Abſchnitt.bar feſt; es war dem Syſtem offenbar gelungen, Bevöl-
kerungen, welche irgendwie ſpeciell disponirt waren, bleibend
Sein Einfluß
auf Oberitalien.mit ſeinem Wahn zu entzünden. Dieſes weſentlich deutſche
Hexenthum iſt diejenige Nuance, an welche man bei Ge-
ſchichten und Novellen aus Mailand, Bologna u. ſ. w. 1)
zu denken hat. Wenn es in Italien nicht weiter um ſich
griff, ſo hing dieß vielleicht davon ab, daß man hier bereits
eine ausgebildete Stregheria beſaß und kannte, welche auf
weſentlich andern Vorausſetzungen beruhte. Die italieniſche
Hexe treibt ein Gewerbe und braucht Geld und vor Allem
Beſinnung. Von jenen hyſteriſchen Träumen der nordiſchen
Hexen, von weiten Ausfahrten, Incubus und Succubus
iſt keine Rede; die Strega hat für das Vergnügen anderer
Leute zu ſorgen. Wenn man ihr zutraut, daß ſie verſchie-
dene Geſtalten annehmen, ſich ſchnell an entfernte Orte ver-
ſetzen könne, ſo läßt ſie ſich dergleichen inſofern gefallen
als es ihr Anſehen erhöht; dagegen iſt es ſchon überwiegend
gefährlich für ſie, wenn die Furcht vor ihrer Bosheit und
Rache, beſonders vor der Verzauberung von Kindern, Vieh
und Feldfrüchten überhand nimmt. Es kann für Inqui-
ſitoren und Ortsbehörden eine höchſt populäre Sache werden,
ſie zu verbrennen.
Weit das wichtigſte Feld der Strega ſind und bleiben,
wie ſchon angedeutet wurde, die Liebesangelegenheiten, wor-
unter die Erregung von Liebe und Haß, das rachſüchtige
Neſtelknüpfen, das Abtreiben der Leibesfrucht, je nach Um-
ſtänden auch der vermeintliche Mord des oder der Ungetreuen
durch magiſche Begehungen und ſelbſt die Giftküche 2) be-
[537] griffen ſind. Da man ſich ſolchen Weibern nur ungern6. Abſchnitt.
anvertraute, ſo entſtand ein Dilettantismus, der ihnen dieſesZauberweſen
d. Buhlerinnen.
und jenes im Stillen ablernte und auf eigene Hand damit
weiter operirte. Die römiſchen Buhlerinnen z. B. ſuchten
dem Zauber ihrer Perſönlichkeit noch durch anderweitigen
Zauber in der Art der horaziſchen Canidia nachzuhelfen.
Aretino 1) kann nicht nur etwas über ſie wiſſen, ſondern auch
in dieſer Beziehung Wahres berichten. Er zählt die ent-
ſetzlichen Schmierereien auf, welche ſich in ihren Schränken
geſammelt vorfinden: Haare, Schädel, Rippen, Zähne,
Augen von Todten, Menſchenhaut, der Nabel von kleinen
Kindern, Schuhſohlen und Gewandſtücke aus Gräbern; ja
ſie holen ſelbſt von den Kirchhöfen verweſendes Fleiſch und
geben es dem Galan unvermerkt zu eſſen (nebſt noch Un-
erhörterem). Haare, Neſtel, Nägelabſchnitte des Galans
kochen ſie in Oel, das ſie aus ewigen Lämpchen in den
Kirchen geſtohlen. Von ihren Beſchwörungen iſt es die
unſchuldigſte, wenn ſie ein Herz aus heißer Aſche formen,
und hinein ſtechen unter dem Geſang:
Sonſt kommen auch Zauberformeln bei Mondſchein, Zeich-
nungen am Boden und Figuren aus Wachs oder Erz vor,
welche ohne Zweifel den Geliebten vorſtellen und je nach
Umſtänden behandelt werden.
Man war an dieſe Dinge doch ſo ſehr gewöhnt, daß
ein Weib, welches ohne Schönheit und Jugend gleichwohl
einen großen Reiz auf die Männer ausübte, ohne Weiteres
in den Verdacht der Zauberei gerieth. Die Mutter des
[538]6. Abſchnitt.Sanga 1) (Secretärs bei Clemens VII.) vergiftete deſſen
Geliebte, die in dieſem Falle war; unſeliger Weiſe ſtarb
aber auch der Sohn und eine Geſellſchaft von Freunden,
die von dem vergifteten Salat mit aßen.
Der Zauberer.Nun folgt, nicht als Helfer, ſondern als Concurrent
der Hexe, der mit den gefährlichern Aufgaben noch beſſer
vertraute Zauberer oder Beſchwörer, incantatore. Bis-
weilen iſt er ebenſoſehr oder noch mehr Aſtrolog als Zauberer;
öfter mag er ſich als Aſtrologen gegeben haben um nicht
als Zauberer verfolgt zu werden, und etwas Aſtrologie zur
Ermittelung der günſtigen Stunden konnte der Zauberer
ohnehin nicht entbehren (S. 515, 522). Da aber viele Geiſter
gut 2) oder indifferent ſind, ſo kann auch ihr Beſchwörer bis-
weilen noch eine leidliche Reputation behaupten, und noch
Sixtus IV. hat 1474 in einem ausdrücklichen Breve 3)
gegen einige bologneſiſche Carmeliter einſchreiten müſſen,
welche auf der Kanzel ſagten, es ſei nichts Böſes, von den
Dämonen Beſcheid zu begehren. An die Möglichkeit der
Sache ſelber glaubten offenbar ſehr Viele; ein mittelbarer
Beweis dafür liegt ſchon darin, daß auch die Frömmſten
ihrerſeits an erbetene Viſionen guter Geiſter glaubten.
Savonarola iſt von ſolchen Dingen erfüllt, die florentiniſchen
Platoniker reden von einer myſtiſchen Vereinigung mit Gott,
und Marcellus Palingenius (S. 259, f.) giebt nicht undeut-
lich zu verſtehen, daß er mit geweihten Geiſtern umgehe 4).
Ebenderſelbe iſt auch überzeugt vom Daſein einer gan-
zen Hierarchie böſer Dämonen, welche, vom Mond her-
wärts wohnend, der Natur und dem Menſchenleben auf-
lauern 5), ja er erzählt von einer perſönlichen Bekanntſchaft
[539] mit ſolchen und da der Zweck unſeres Buches eine ſyſte-6. Abſchnitt.
matiſche Darſtellung des damaligen Geiſterglaubens ohne-
hin nicht geſtattet, ſo mag wenigſtens der Bericht des Pa-
lingenius als Einzelbeiſpiel folgen 1).
Er hat bei einem frommen Einſiedler auf dem Soracte,Die Dämonen
auf der Straße
nach Rom.
zu S. Silveſtro, ſich über die Nichtigkeit des Irdiſchen
und die Werthloſigkeit des menſchlichen Lebens belehren
laſſen und dann mit einbrechender Nacht den Weg nach
Rom angetreten. Da geſellen ſich auf der Straße bei
hellem Vollmond drei Männer zu ihm, deren Einer ihn
beim Namen nennt und ihn fragt, woher des Weges
er komme? Palingenio antwortet: von dem Weiſen auf
jenem Berge. O du Thor, erwiedert Jener, glaubſt
du wirklich, daß auf Erden Jemand weiſe ſei? Nur höhere
Weſen (Divi) haben Weisheit, und dazu gehören wir drei
obwohl wir mit Menſchengeſtalt angethan ſind; ich heiße
Saracil, und dieſe hier Sathiel und Jana; unſer Reich iſt
zunächſt beim Mond, wo überhaupt die große Schaar von
Mittelweſen haust, die über Erde und Meer herrſchen.
Palingenio fragt nicht ohne inneres Beben, was ſie in Rom
vor hätten? — Die Antwort lautet: „einer unſerer Genoſ-
ſen, Ammon, wird durch magiſche Kraft von einem Jüng-
ling aus Narni, aus dem Gefolge des Cardinals Orſini,
in Knechtſchaft gehalten; denn merkt euch's nur, Menſchen,
es liegt beiläufig ein Beweis für eure eigene Unſterblichkeit
darin, daß ihr unſer einen zwingen könnt; ich ſelbſt habe
einmal, in Kryſtall eingeſchloſſen, einem Deutſchen dienen
müſſen, bis mich ein bärtiges Mönchlein befreite. Dieſen
Dienſt wollen wir nun in Rom unſerm Genoſſen zu leiſten
ſuchen und bei dem Anlaß ein paar vornehme Herrn dieſe
Nacht in den Orcus befördern.“ Bei dieſen Worten des
Dämons erhebt ſich ein Lüftchen, und Sathiel ſagt: „Höret,
unſer Remiſſes kommt ſchon von Rom zurück, dieß Wehen
[540]6. Abſchnitt.kündigt ihn an“. In der That erſcheint noch Einer, den
ſie fröhlich begrüßen und über Rom ausfragen. Seine
Auskunft iſt höchſt antipäpſtlich; Clemens VII. iſt wieder
mit den Spaniern verbündet und hofft Luthers Lehre nicht
mehr mit Gründen ſondern mit dem ſpaniſchen Schwerte
auszurotten; lauter Gewinn für die Dämonen, welche bei
dem großen bevorſtehenden Blutvergießen die Seelen Un-
zähliger zur Hölle führen werden. Nach dieſen Reden,
wobei Rom mit ſeiner Unſittlichkeit als völlig dem Böſen
verfallen dargeſtellt wird, verſchwinden die Dämonen und
laſſen den Dichter traurig ſeine Straße ziehen 1).
Umfang des
Beſchwörungs-
glaubens.Wer ſich von dem Umfang desjenigen Verhältniſſes
zu den Dämonen einen Begriff machen will, welches man
noch öffentlich zugeſtehen durfte trotz des Hexenhammers ꝛc.,
den müſſen wir auf das vielgeleſene Buch des Agrippa von
Nettesheim „von der geheimen Philoſophie“ verweiſen. Er
ſcheint es zwar urſprünglich geſchrieben zu haben ehe er in
Italien war 2), allein er nennt in der Widmung an Tri-
themius unter andern auch wichtige italieniſche Quellen,
wenn auch nur um ſie nebſt den andern ſchlecht zu machen.
Bei zweideutigen Individuen, wie Agrippa eines war, bei
Gaunern und Narren, wie die meiſten Andern heißen dürfen,
intereſſirt uns das Syſtem, in welches ſie ſich etwa hüllen,
nur ſehr wenig, ſammt ſeinen Formeln, Räucherungen,
Salben, Pentakeln, Todtenknochen 3) u. ſ. w. Allein fürs
[541] Erſte iſt dieß Syſtem mit Citaten aus dem Aberglauben6. Abſchnitt.
des Alterthums ganz angefüllt; ſodann erſcheint ſeine Ein-
miſchung in das Leben und in die Leidenſchaft der Italiener
bisweilen höchſt bedeutend und folgenreich. Man ſollte
denken, daß nur die verdorbenſten Großen ſich damit ein-
gelaſſen hätten, allein das heftige Wünſchen und Begehren
führt den Zauberern hie und da auch kräftige und ſchöpfe-
riſche Menſchen aller Stände zu und ſchon das Bewußtſein,
daß die Sache möglich ſei, raubt auch den Fernſtehenden
immer etwas von ihrem Glauben an eine ſittliche Welt-
ordnung. Mit etwas Geld und Gefahr ſchien man der
allgemeinen Vernunft und Sittlichkeit ungeſtraft trotzen zu
können und die Zwiſchenſtufen zu erſparen, welche ſonſt
zwiſchen dem Menſchen und ſeinen erlaubten oder unerlaubten
Zielen liegen.
Betrachten wir zunächſt ein älteres, im Abſterben be-Die Telesmen,
griffenes Stück Zauberei. Aus dem dunkelſten Mittelalter,
ja aus dem Alterthum bewahrte manche Stadt in Italien
eine Erinnerung an die Verknüpfung ihres Schickſals mit
gewiſſen Bauten, Statuen u. ſ. w. Die Alten hatten einſt
zu erzählen gewußt von den Weiheprieſtern oder Teleſten,
welche bei der feierlichen Gründung einzelner Städte zu-
gegen geweſen waren, und das Wohlergehen derſelben durch
beſtimmte Denkmäler, auch wohl durch geheimes Vergraben
beſtimmter Gegenſtände (Telesmata) magiſch geſichert hatten.
Wenn irgend etwas aus der römiſchen Zeit mündlich und
populär überliefert weiter lebte, ſo waren es Traditionen
dieſer Art; nur wird natürlich der Weiheprieſter im Lauf
der Jahrhunderte zum Zauberer ſchlechthin, da man die
religiöſe Seite ſeines Thuns im Alterthum nicht mehr ver-
ſteht. In einigen neapolitaniſchen Virgilswundern 1) lebtin Neapel;
3)
[542]6. Abſchnitt.ganz deutlich die uralte Erinnerung an einen Teleſten fort,
deſſen Name im Laufe der Zeit durch den des Virgil ver-
drängt wurde. So iſt das Einſchließen des geheimnißvollen
Bildes der Stadt in ein Gefäß nichts anderes als ein
echtes antikes Telesma; ſo iſt Virgil der Mauerngründer
von Neapel nur eine Umbildung des bei der Gründung
anweſenden Weiheprieſters. Die Volksphantaſie ſpann mit
wucherndem Reichthum an dieſen Dingen weiter bis Virgil
auch der Urheber des ehernen Pferdes, der Köpfe am No-
laner Thor, der ehernen Fliege über irgend einem andern
Thore, ja der Grotte des Poſilipp u. ſ. w. geworden war —
lauter Dinge, welche das Schickſal in einzelnen Beziehungen
magiſch binden, während jene beiden Züge das Fatum von
Neapel überhaupt zu beſtimmen ſcheinen. Auch das mittel-
alterliche Rom hatte verworrene Erinnerungen dieſer Art.
in Mailand;In S. Ambrogio zu Mailand befand ſich ein antiker mar-
morner Hercules; ſo lange derſelbe an ſeiner Stelle ſtehe,
hieß es, werde auch das Reich dauern, wahrſcheinlich das
der deutſchen Kaiſer, deren Krönungskirche S. Ambrogio
in Florenz;war 1). Die Florentiner waren überzeugt 2), daß ihr (ſpäter
zum Baptiſterium umgebauter) Marstempel ſtehen werde
bis ans Ende der Tage, gemäß der Conſtellation, unter
welcher er zur Zeit des Auguſtus erbaut war; die mar-
morne Reiterſtatue des Mars hatten ſie allerdings daraus
entfernt als ſie Chriſten wurden, weil aber die Zertrüm-
merung derſelben großes Unheil über die Stadt gebracht
haben würde — ebenfalls wegen einer Conſtellation — ſo
1)
[543] ſtellte man ſie auf einen Thurm am Arno. Als Totila6. Abſchnitt.
Florenz zerſtörte fiel das Bild ins Waſſer und wurde erſt
wieder herausgefiſcht als Carl der Große Florenz neu
gründete; es kam nunmehr auf einen Pfeiler am Eingang
des Ponte vecchio zu ſtehen — und an dieſer Stelle wurde
1215 Bondelmonte umgebracht und das Erwachen des
großen Parteikampfes der Guelfen und Ghibellinen knüpft
ſich auf dieſe Weiſe an das gefürchtete Idol. Bei der
Ueberſchwemmung von 1333 verſchwand daſſelbe für immer.
Allein daſſelbe Telesma findet ſich anderswo wieder.in Forli.
Der ſchon erwähnte Guido Bonatto begnügte ſich nicht, bei
der Neugründung der Stadtmauern von Forli jene ſymbo-
liſche Scene der Eintracht der beiden Parteien (S. 516)
zu verlangen; durch ein ehernes oder ſteinernes Reiterbild,
das er mit aſtrologiſchen und magiſchen Hülfsmitteln zu
Stande brachte und vergrub 1), glaubte er die Stadt Forli
vor Zerſtörung, ja ſchon vor Plünderung und Einnahme
geſchützt zu haben. Als Cardinal Albornoz (S. 102) etwa
ſechs Jahrzehnde ſpäter die Romagna regierte, fand man
das Bild bei zufälligem Graben, und zeigte es, wahrſchein-
lich auf Befehl des Cardinals, dem Volke, damit dieſes
begreife, durch welches Mittel der grauſame Montefeltro
ſich gegen die römiſche Kirche behauptet habe. Aber wie-
derum ein halbes Jahrhundert ſpäter (1410), als eine
feindliche Ueberrumpelung von Forli mißlang, appellirt man
doch wieder an die Kraft des Bildes, das vielleicht gerettet
und wieder vergraben worden war. Es ſollte das letztemal
ſein, daß man ſich deſſen freute; ſchon im folgenden Jahr
wurde die Stadt wirklich eingenommen. — Gründungen
von Gebäuden haben noch im ganzen XV. Jahrhundert
nicht nur aſtrologiſche (S. 516) ſondern auch magiſche An-
[544]6. Abſchnitt.klänge mit ſich. Es fiel z. B. auf, daß Papſt Paul II.
Magie bei
Grundſtein-
legungen.eine ſolche Maſſe von goldenen und ſilbernen Medaillen in
die Grundſteine ſeiner Bauten verſenkte 1), und Platina
hat keine üble Luſt, hierin ein heidniſches Telesma zu er-
kennen. Von der mittelalterlich religiöſen Bedeutung eines
ſolchen Opfers 2) hatte wohl freilich Paul ſo wenig als ſein
Biograph ein Bewußtſein.
Doch dieſer officielle Zauber, der ohnedieß großentheils
ein bloßes Hörenſagen war, erreichte bei Weitem nicht die
Wichtigkeit der geheimen, zu perſönlichen Zwecken ange-
wandten Magie.
Der Necromant
bei den
Dichtern.Was davon im gewöhnlichen Leben beſonders häufig
vorkam, hat Arioſt in ſeiner Comödie vom Necromanten
zuſammengeſtellt 3). Sein Held iſt einer der vielen aus
Spanien vertriebenen Juden, obgleich er ſich auch für einen
Griechen, Aegypter und Africaner ausgiebt und unaufhör-
lich Namen und Maske wechſelt. Er kann zwar mit ſeinen
Geiſterbeſchwörungen den Tag verdunkeln und die Nacht
erhellen, die Erde bewegen, ſich unſichtbar machen, Menſchen
in Thiere verwandeln ꝛc., aber dieſe Prahlereien ſind nur
der Aushängeſchild; ſein wahres Ziel iſt das Ausbeuten
unglücklicher und leidenſchaftlicher Ehepaare, und da gleichen
die Spuren, die er zurückläßt, dem Geifer einer Schnecke,
oft aber auch dem verheerenden Hagelſchlag. Um ſolcher
Zwecke willen bringt er es dazu, daß man glaubt, die Kiſte,
worin ein Liebhaber ſteckt, ſei voller Geiſter, oder er könne
eine Leiche zum Reden bringen u. dgl. Es iſt wenigſtens
ein gutes Zeichen, daß Dichter und Novelliſten dieſe Sorte
von Menſchen lächerlich machen durften und dabei auf
[545] Zuſtimmung rechnen konnten. Bandello behandelt nicht nur6. Abſchnitt.
das Zaubern eines lombardiſchen Mönches als eine küm-
merliche und in ihren Folgen ſchreckliche Gaunerei 1), ſondern
er ſchildert auch 2) mit wahrer Entrüſtung das Unheil,
welches den gläubigen Thoren unaufhörlich begleitet. „Ein
ſolcher hofft mit dem Schlüſſel Salomonis und vielen andern
Zauberbüchern die verborgenen Schätze im Schooß der Erde
zu finden, ſeine Dame zu ſeinem Willen zu zwingen, die
Geheimniſſe der Fürſten zu erkunden, von Mailand ſich in
einem Nu nach Rom zu verſetzen und Aehnliches. Je öfter
getäuſcht, deſto beharrlicher wird er … Entſinnt Ihr Euch
noch, Signor Carlo, jener Zeit, da ein Freund von uns
um die Gunſt ſeiner Geliebten zu erzwingen, ſein Zimmer
mit Todtenſchädeln und Gebeinen anfüllte wie einen Kirch-
hof?“ Es kommen die ekelhafteſten Verpflichtungen vor,
z. B. einer Leiche drei Zähne auszuziehen, ihr einen Nagel
vom Finger zu reißen ꝛc. und wenn dann endlich die Be-
ſchwörung mit ihrem Hocuspocus vor ſich geht, ſterben bis-
weilen die unglücklichen Theilnehmer vor Schrecken.
Benvenuto Cellini, bei der bekannten großen Beſchwö-Benvenuto
Cellini.
rung (1532) im Coloſſeum zu Rom 3) ſtarb nicht, obgleich
er und ſeine Begleiter das tiefſte Entſetzen ausſtanden; der
ſicilianiſche Prieſter, der in ihm wahrſcheinlich einen brauch-
baren Mithelfer für künftige Zeiten vermuthete, machte ihm
ſogar auf dem Heimweg das Compliment, einen Menſchen
von ſo feſtem Muthe habe er noch nie angetroffen. Ueber
den Hergang ſelbſt wird ſich jeder Leſer ſeine beſondern
Gedanken machen; das entſcheidende waren wohl die nar-
Cultur der Renaiſſance. 35
[546]6. Abſchnitt.kotiſchen Dämpfe und die von vornherein auf das Schreck-
lichſte vorbereitete Phantaſie, weßhalb denn auch der mit-
gebrachte Junge, bei welchem dieß am Stärkſten wirkt, weit
das Meiſte allein erblickt. Daß es aber weſentlich auf
Benvenuto abgeſehen ſein mochte, dürfen wir errathen, weil
ſonſt für das gefährliche Beginnen gar kein anderer Zweck
als die Neugier erſichtlich wird. Denn auf die ſchöne An-
gelica muß ſich Benvenuto erſt beſinnen und der Zauberer
ſagt ihm nachher ſelbſt, Liebſchaften ſeien eitle Thorheit im
Vergleich mit dem Auffinden von Schätzen. Endlich darf
man nicht vergeſſen, daß es der Eitelkeit ſchmeichelte, ſagen
zu können: die Dämonen haben mir Wort gehalten, und
Angelica iſt genau einen Monat ſpäter, wie mir verheißen
war, in meinen Händen geweſen (Cap. 68). Aber auch
wenn ſich Benvenuto allmälig in die Geſchichte hineingelo-
gen haben ſollte, ſo wäre ſie doch als Beiſpiel der damals
herrſchenden Anſchauung von bleibendem Werthe.
Sonſt gaben ſich die italieniſchen Künſtler, auch die
„wunderlichen, capriccioſen und bizarren“, mit Zauberei
nicht leicht ab; wohl ſchneidet ſich einer bei Gelegenheit des
anatomiſchen Studiums ein Wamms aus der Haut einer
Leiche, aber auf Zureden des Beichtvaters legt er es wieder
in ein Grab 1). Gerade das häufige Studium von Cadavern
mochte den Gedanken an magiſche Wirkung einzelner Theile
derſelben am gründlichſten niederſchlagen, während zugleich
das unabläſſige Betrachten und Bilden der Form dem Künſt-
ler die Möglichkeit einer ganz andern Magie aufſchloß.
Abnahme des
Zauberweſens.Im Allgemeinen erſcheint das Zauberweſen zu Anfang
des XVI. Jahrhunderts trotz der angeführten Beiſpiele
doch ſchon in kenntlicher Abnahme, zu einer Zeit alſo, wo
es außerhalb Italiens erſt recht in Blüthe kommt, ſo daß
die Rundreiſen italieniſcher Zauberer und Aſtrologen im
[547] Norden erſt zu beginnen ſcheinen ſeitdem ihnen zu Hauſe6 Abſchnitt.
Niemand mehr großes Vertrauen ſchenkte. Das XIV.
Jahrhundert war es, welches die genaue Bewachung des
Sees auf dem Pilatusberg bei Scariotto nöthig fand, um
die Zauberer an ihrer Bücherweihe zu verhindern 1). Im
XV. Jahrhundert kamen dann noch Dinge vor wie z. B.
das Anerbieten Regengüſſe zu bewirken, um damit ein Be-
lagerungsheer zu verſcheuchen; und ſchon damals hatte der
Gebieter der belagerten Stadt — Nicolò Vitelli in Città
di Caſtello — den Verſtand, die Regenmacher als gottloſe
Leute abzuweiſen 2). Im XVI. Jahrhundert treten ſolche
officielle Dinge nicht mehr an den Tag, wenn auch das
Privatleben noch mannigfach den Beſchwörern anheimfällt.
In dieſe Zeit gehört allerdings die claſſiſche Figur des
deutſchen Zauberweſens, Dr. Johann Fauſt; die des ita-
lieniſchen dagegen, Guido Bonatto, fällt bereits ins XIII.
Jahrhundert.
Auch hier wird man freilich beifügen müſſen, daß die
Abnahme des Beſchwörungsglaubens ſich nicht nothwendig
in eine Zunahme des Glaubens an die ſittliche Ordnung
des Menſchenlebens verwandelte, ſondern daß ſie vielleicht
bei Vielen nur einen dumpfen Fatalismus zurückließ, ähn-
lich wie der ſchwindende Sternglaube.
Ein paar Nebengattungen des Wahns, die Pyromantie,Deſſen Neben-
gattungen.
35*
[548]6. Abſchnitt.Chiromantie 1), u. ſ. w., welche erſt mit dem Sinken des
Beſchwörungsglaubens und der Aſtrologie einigermaßen zu
Kräften kamen, dürfen wir hier völlig übergehen, und ſelbſt
Phyſiognomik.die auftauchende Phyſiognomik hat lange nicht das Intereſſe,
das man bei Nennung dieſes Namens vorausſetzen ſollte.
Sie erſcheint nämlich nicht als Schweſter und Freundin der
bildenden Kunſt und der practiſchen Pſychologie, ſondern
weſentlich als eine neue Gattung fataliſtiſchen Wahnes, als
ausdrückliche Rivalin der Sterndeuterei, was ſie wohl ſchon
bei den Arabern geweſen ſein mag. Bartolommeo Cocle
z. B., der Verfaſſer eines phyſiognomiſchen Lehrbuches, der
ſich einen Metopoſcopen nannte 2), und deſſen Wiſſenſchaft,
nach Giovio's Ausdruck, ſchon wie eine der vornehmſten
freien Künſte ausſah, begnügte ſich nicht mit Weiſſagungen
an die klügſten Leute, die ihn täglich zu Rathe zogen, ſon-
dern er ſchrieb auch ein höchſt bedenkliches „Verzeichniß
Solcher, welchen verſchiedene große Lebensgefahren bevor-
ſtänden“. Giovio, obwohl gealtert in der Aufklärung
Roms — in hac luce romana! — findet doch, daß ſich
die darin enthaltenen Weiſſagungen nur zu ſehr erwahrt
hätten 3). Freilich erfährt man bei dieſer Gelegenheit auch,
wie die von dieſen und ähnlichen Vorausſagungen Betrof-
Schickſale der
Wahrſager.fenen ſich an den Propheten rächten; Giovanni Bentivoglio
ließ den Lucas Gauricus an einem Seil, das von einer
hohen Wendeltreppe herabhing, fünfmal hin und her an
die Wand ſchmeißen, weil Lucas ihm 4) den Verluſt ſeiner
Herrſchaft vorherſagte; Ermes Bentivoglio ſandte dem Cocle
[549] einen Mörder nach, weil der unglückliche Metopoſcop ihm,6. Abſchnitt.
noch dazu wider Willen, prophezeit hatte, er werde als
Verbannter in einer Schlacht umkommen. Der Mörder
höhnte, wie es ſcheint, noch in Gegenwart des Sterbenden:
Dieſer habe ihm ja ſelber geweiſſagt, er würde nächſtens
einen ſchmählichen Mord begehen! — Ein ganz ähnliches
jammervolles Ende nahm der Neugründer der Chiromantie,
Antioco Tiberto von Ceſena 1), durch Pandolfo Malateſta
von Rimini, dem er das Widerwärtigſte prophezeit hatte,
was ein Tyrann ſich denken mag: den Tod in Verbannung
und äußerſter Armuth. Tiberto war ein geiſtreicher Mann,
dem man zutraute, daß er weniger nach einer chiromanti-
ſchen Methode als nach einer durchdringenden Menſchen-
kenntniß ſeinen Beſcheid gebe; auch achteten ihn ſeiner hohen
Bildung wegen ſelbſt diejenigen Gelehrten, welche auf ſeine
Divination nichts hielten 2).
Die Alchymie endlich, welche im Alterthum erſt ganzAlchymie.
ſpät, unter Diocletian erwähnt wird, ſpielt zur Zeit der
Blüthe der Renaiſſance nur eine untergeordnete Rolle 3).
Auch dieſe Krankheit hatte Italien früher durchgemacht, im
XIV. Jahrhundert, als Petrarca in ſeiner Polemik dage-
gen es zugeſtand: Das Goldkochen ſei eine weitverbreitete
Sitte 4). Seitdem war in Italien diejenige beſondere
Sorte von Glauben, Hingebung und Iſolirung, welche der
Betrieb der Alchymie verlangt, immer ſeltener geworden,
während italieniſche und andere Adepten im Norden die
großen Herrn erſt recht auszubeuten anfingen 5). Unter
[550]6. Abſchnitt.Leo X. hießen bei den Italienern die Wenigen 1), die ſich
noch damit abgaben, ſchon „Grübler“ (ingenia curiosa),
und Aurelio Augurelli, der dem großen Goldverächter Leo
ſelbſt ſein Lehrgedicht vom Goldmachen widmete, ſoll als
Gegengeſchenk eine prächtige, aber leere Börſe erhalten haben.
Die Adeptenmyſtik, welche außer dem Gold noch den all-
beglückenden Stein der Weiſen ſuchte, iſt vollends erſt ein
ſpätes nordiſches Gewächs, welches aus den Theorien des
Paracelſus ꝛc. emporblüht.
Mit dieſem Aberglauben ſowohl als mit der Denkweiſe
des Alterthums überhaupt hängt die Erſchütterung des
Glaubens an die Unſterblichkeit eng zuſammen. Dieſe Frage
hat aber überdieß noch viel weitere und tiefere Beziehungen
zu der Entwicklung des modernen Geiſtes im Großen und
Ganzen.
Der Unglaube
überhaupt.Eine mächtige Quelle aller Zweifel an der Unſterb-
lichkeit war zunächſt der Wunſch, der verhaßten Kirche wie
ſie war, innerlich nichts mehr zu verdanken. Wir ſahen
daß die Kirche diejenigen, welche ſo dachten, Epicureer
nannte (S. 500, f.). Im Augenblick des Todes mag ſich
Mancher wieder nach den Sacramenten umgeſehen haben,
aber Unzählige haben während ihres Lebens, zumal während
ihrer thätigſten Jahre unter jener Vorausſetzung gelebt und
gehandelt. Daß ſich daran bei Vielen ein allgemeiner Un-
glaube hängen mußte, iſt an ſich einleuchtend und überdieß
geſchichtlich auf alle Weiſe bezeugt. Es ſind Diejenigen,
von welchen es bei Arioſt heißt: ſie glauben nicht über das
Dach hinaus 2). In Italien, zumal in Florenz, konnte man
[551] zuerſt als ein notoriſch Ungläubiger exiſtiren, wenn man6. Abſchnitt.
nur keine unmittelbare Feindſeligkeit gegen die Kirche übte.
Der Beichtvater z. B. der einen politiſchen Delinquenten
zum Tode vorbereiten ſoll, erkundigt ſich vorläufig, ob der-
ſelbe glaube? „denn es war ein falſches Gerücht gegangen,
er habe keinen Glauben“ 1).
Der arme Sünder, um den es ſich hier handelt, jenerDie Beichte des
Boscoli.
S. 59, f. erwähnte Pierpaolo Boscoli, der 1513 an einem
Attentat gegen das eben hergeſtellte Haus Medici Theil
nahm, iſt bei dieſem Anlaß zu einem wahren Spiegelbild
der damaligen religiöſen Confuſion geworden. Von Hauſe
aus der Partei Savonarola's zugethan, hatte er dann doch
für die antiken Freiheitsideale und anderes Heidenthum
geſchwärmt; in ſeinem Kerker aber nimmt ſich jene Partei
wiederum ſeiner an und verſchafft ihm ein ſeliges Ende in
ihrem Sinne. Der pietätvolle Zeuge und Aufzeichner des
Herganges iſt einer von der Künſtlerfamilie della Robbia,
der gelehrte Philologe Luca. „Ach, ſeufzt Boscoli, treibet
mir den Brutus aus dem Kopf, damit ich meinen Gang
als Chriſt gehen kann!“ — Luca: „wenn Ihr wollt, ſo
iſt das nicht ſchwer; Ihr wiſſet ja daß jene Römerthaten
uns nicht ſchlicht, ſondern idealiſirt (con arte accresciute)
überliefert ſind“. Nun zwingt Jener ſeinen Verſtand, zu
glauben, und jammert daß er nicht freiwillig glauben könne.
Wenn er nur noch einen Monat mit guten Mönchen zu
leben hätte, dann würde er ganz geiſtlich geſinnt werden!
Es zeigt ſich weiter, daß dieſe Leute vom Anhang Savo-
narola's die Bibel wenig kannten; Boscoli kann nur Pater-
noſter und Avemaria beten, und erſucht nun den Luca drin-
gend, den Freunden zu ſagen, ſie möchten die heilige Schrift
ſtudiren, denn nur was der Menſch im Leben erlernt habe,
das beſitze er im Sterben. Darauf liest und erklärt ihm
[552]6. Abſchnitt.Luca die Paſſion nach dem Evangelium Johannis; merk-
würdiger Weiſe iſt dem Armen die Gottheit Chriſti ein-
leuchtend, während ihm deſſen Menſchheit Mühe macht;
dieſe möchte er gerne ſo ſichtbar begreifen, „als käme ihm
Chriſtus aus einem Walde entgegen“ — worauf ihn ſein
Freund zur Demuth verweist, indem dieß nur Zweifel
ſeien, welche der Satan ſende. Später fällt ihm ein un-
gelöſtes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta
ein; der Freund verſpricht es zu erfüllen an ſeiner Statt.
Dazwiſchen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savo-
narola's Kloſter wie er ihn erbeten hatte, giebt ihm zunächſt
jene oben erwähnte Erläuterung über die Anſicht des Tho-
mas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt
ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli ant-
wortet: „Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu ge-
nügen mir ſchon die Philoſophen; helfet mir, den Tod zu
erleiden aus Liebe zu Chriſtus“. Das Weitere, die Com-
munion, der Abſchied und die Hinrichtung, wird auf ſehr
rührende Weiſe geſchildert; beſonders hervorzuheben iſt aber
der eine Zug, daß Boscoli, indem er das Haupt auf den
Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem
Hieb zu warten: „er hatte nämlich die ganze Zeit über
(ſeit der Verkündigung des Todesurtheils) nach einer engen
Vereinigung mit Gott geſtrebt ohne ſie nach Wunſch zu
erreichen, nun gedachte er in dieſem Augenblick durch volle
Anſtrengung ſich gänzlich Gott hinzugeben“. Offenbar iſt
es ein Ausdruck Savonarola's, der — halbverſtanden —
ihn beunruhigt hatte.
Religiöſe Con-
fuſion.Beſäßen wir noch mehr Bekenntniſſe dieſer Art, ſo
würde das geiſtige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge
reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht
giebt. Wir würden noch beſſer ſehen, wie ſtark der ange-
borene religiöſe Trieb, wie ſubjectiv und auch wie ſchwan-
kend das Verhältniß des Einzelnen zum Religiöſen war und
was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberſtanden.
[553] Daß Menſchen von einem ſo beſchaffenen Innern nicht6. Abſchnitt.
taugen um eine neue Kirche zu bilden, iſt unläugbar, aber
die Geſchichte des abendländiſchen Geiſtes wäre unvollſtändig
ohne die Betrachtung jener Gährungszeit der Italiener,
während ſie ſich den Blick auf andere Nationen, die am
Gedanken keinen Theil hatten, getroſt erſparen darf. Doch
wir kehren zur Frage von der Unſterblichkeit zurück.
Wenn der Unglaube in dieſer Beziehung unter den
höher Entwickelten eine ſo bedeutende Stellung gewann, ſo
hing dieß weiter davon ab, daß die große irdiſche Aufgabe
der Entdeckung und Reproduction der Welt in Wort und
Bild alle Geiſtes- und Seelenkräfte bis zu einem hohen
Grade für ſich in Anſpruch nahm. Von dieſer nothwendi-
gen Weltlichkeit der Renaiſſance war ſchon (S. 496) die
Rede. Aber überdieß erhob ſich aus dieſer Forſchung und
Kunſt mit derſelben Nothwendigkeit ein allgemeiner GeiſtAllgemeiner
Zweifel.
des Zweifels und der Frage. Wenn derſelbe ſich in der
Literatur wenig kund giebt, wenn er z. B. zu einer Kritik
der bibliſchen Geſchichte (S. 507) nur vereinzelte Anläufe
verräth, ſo muß man nicht glauben er ſei nicht vorhanden ge-
weſen. Er war nur übertönt durch das ſo eben genannte
Bedürfniß des Darſtellens und Bildens in allen Fächern,
d. h. durch den poſitiven Kunſttrieb; außerdem hemmte ihn
auch die noch vorhandene Zwangsmacht der Kirche, ſobald
er theoretiſch zu Werke gehen wollte. Dieſer Geiſt des
Zweifels aber mußte ſich unvermeidlich und vorzugsweiſe
auf die Frage vom Zuſtand nach dem Tode werfen, aus
Gründen welche zu einleuchtend ſind als daß ſie genannt
zu werden brauchten.
Und nun kam das Alterthum hinzu und wirkte aufUnſterblichkeit
der Seele.
dieſe ganze Angelegenheit in zwiefacher Weiſe. Fürs erſte
ſuchte man ſich die Pſychologie der Alten anzueignen und
peinigte den Buchſtaben des Ariſtoteles um eine entſcheidende
Auskunft. In einem der lucianiſchen Dialoge jener Zeit 1)
[554]6. Abſchnitt.erzählt Charon dem Mercur, wie er den Ariſtoteles bei der
Unſterblichkeit
der Seele.Ueberfahrt im Nachen ſelber um ſeinen Unſterblichkeits-
glauben befragt habe; der vorſichtige Philoſoph, obwohl
ſelber bereits leiblich geſtorben und dennoch fortlebend, habe
ſich auch jetzt nicht mit einer klaren Antwort compromittiren
wollen; wie werde es erſt nach vielen Jahrhunderten mit
der Deutung ſeiner Schriften gehen! — Nur um ſo eifri-
ger ſtritt man über ſeine und anderer alten Schriftſteller
Meinungen in Betreff der wahren Beſchaffenheit der Seele,
ihren Urſprung, ihre Präexiſtenz, ihre Einheit in allen
Menſchen, ihre abſolute Ewigkeit, ja ihre Wanderungen,
und es gab Leute die dergleichen auf die Kanzel brachten. 1)
Die Debatte wurde überhaupt ſchon im XV. Jahrh. ſehr
laut; die einen bewieſen daß Ariſtoteles allerdings eine
unſterbliche Seele lehre 2); andere klagten über die Herzens-
härte der Menſchen, welche die Seele gern breit auf einem
Stuhl vor ſich ſitzen ſähen um überhaupt an ihr Daſein
zu glauben 3); Filelfo in ſeiner Leichenrede auf Francesco
Sforza führt eine bunte Reihe von Ausſagen antiker und
ſelbſt arabiſcher Philoſophen zu Gunſten der Unſterblichkeit
an und ſchließt dieß im Druck 4) anderthalb enge Folio-
ſeiten betragende Gemiſch mit zwei Zeilen: „überdieß haben
wir das alte und neue Teſtament was über alle Wahrheit
iſt“. Dazwiſchen kamen die florentiniſchen Platoniker mit
der Seelenlehre Plato's, und, wie z. B. Pico, mit ſehr
weſentlicher Ergänzung derſelben aus der Lehre des Chriſten-
thums. Allein die Gegner erfüllten die gebildete Welt mit
ihrer Meinung. Zu Anfang des XVI. Jahrh. war das
Aergerniß das die Kirche darob empfand, ſo hoch geſtiegen,
daß Leo X. auf dem lateranenſiſchen Concil (1513) eine
[555] Conſtitution 1) erlaſſen mußte zum Schutz der Unſterblich-6. Abſchnitt.
keit und Individualität der Seele, letzteres gegen Die welche
lehrten, die Seele ſei in allen Menſchen nur eine. Wenige
Jahre ſpäter erſchien aber das Buch des Pomponazzo, worin
die Unmöglichkeit eines philoſophiſchen Beweiſes für die
Unſterblichkeit dargethan wurde, und nun ſpann ſich der
Kampf mit Gegenſchriften und Apologien fort und ver-
ſtummte erſt gegenüber der catholiſchen Reaction. Die Prä-
exiſtenz der Seelen in Gott, mehr oder weniger nach Plato's
Ideenlehre gedacht, blieb lange ein ſehr verbreiteter Begriff
und kam z. B. den Dichtern 2) gelegen. Man erwog nicht
näher welche Conſequenz für die Art der Fortdauer nach
dem Tode daran hing.
Die zweite Einwirkung des Alterthums kam ganz vor-
züglich von jenem merkwürdigen Fragment aus Cicero's
ſechstem Buche vom Staat her, welches unter dem Namen
„Traum des Scipio“ bekannt iſt. Ohne den CommentarDer Heiden-
himmel.
des Macrobius wäre es wahrſcheinlich untergegangen wie
die übrige zweite Hälfte des ciceroniſchen Werkes; nun war
es wieder in unzähligen Abſchriften 3) und von Anfang der
Typographie an in Abdrücken verbreitet und wurde mehr-
fach neu commentirt. Es iſt die Schilderung eines ver-
klärten Jenſeits für die großen Männer, durchtönt von der
Harmonie der Sphären. Dieſer Heidenhimmel, für den ſich
allmälig auch noch andere Ausſagen der Alten fanden, ver-
trat allmälig in demſelben Maße den chriſtlichen Himmel,
in welchem das Ideal der hiſtoriſchen Größe und des Ruhmes
[556]6. Abſchnitt.die Ideale des chriſtlichen Lebens in den Schatten ſtellte,
und dabei wurde doch das Gefühl nicht beleidigt wie bei
der Lehre von dem gänzlichen Aufhören der Perſönlichkeit.
Schon Petrarca gründet nun ſeine Hoffnung weſentlich auf
dieſen „Traum des Scipio“, auf die Aeußerungen in andern
ciceroniſchen Schriften und auf Plato's Phädon, ohne die
Bibel zu erwähnen 1). „Warum ſoll ich, frägt er anderswo,
als Catholik eine Hoffnung nicht theilen, welche ich erweis-
lich bei den Heiden vorfinde?“ Etwas ſpäter ſchrieb Co-
luccio Salutati ſeine (noch handſchriftlich vorhandenen)
„Arbeiten des Hercules“, wo am Schluß bewieſen wird,
daß den energiſchen Menſchen, welche die ungeheuern Mü-
hen der Erde überſtanden haben, der Wohnſitz auf den
Sternen von Rechtswegen gehöre 2). Wenn Dante noch
ſtrenge darauf gehalten hatte, daß auch die größten Heiden,
denen er gewiß das Paradies gönnte, doch nicht über jenen
Limbus am Eingang der Hölle hinauskamen 3), ſo griff
jetzt die Poeſie mit beiden Händen nach den neuen libera-
len Ideen vom Jenſeits. Coſimo der ältere wird, laut
Bernardo Pulci's Gedicht auf ſeinen Tod, im Himmel
empfangen von Cicero, der ja auch „Vater des Vaterlandes“
geheißen, von den Fabiern, von Curius, Fabricius und
vielen Andern; mit ihnen wird er eine Zierde des Chores
ſein wo nur tadelloſe Seelen ſingen.
Das homeriſche
Jenſeits.Aber es gab in den alten Autoren noch ein anderes,
weniger gefälliges Bild des Jenſeits, nämlich das Schat-
tenreich Homer's und derjenigen Dichter, welche jenen Zu-
ſtand nicht verſüßt und humaniſirt hatten. Auf einzelne
Gemüther machte auch dieß Eindruck. Gioviano Pontano
[557] legt irgendwo 1) dem Sannazar die Erzählung einer Viſion6. Abſchnitt.
in den Mund, die er früh Morgens im Halbſchlummer
gehabt habe. Es erſcheint ihm ein verſtorbener Freund
Ferrandus Januarius, mit dem er ſich einſt oft über die
Unſterblichkeit der Seele unterhalten hatte; jetzt frägt er
ihn, ob die Ewigkeit und Schrecklichkeit der Höllenſtrafen
eine Wahrheit ſei? Der Schatten antwortet nach einigem
Schweigen ganz im Sinne des Achill als ihn Odyſſeus
befragte: „ſoviel ſage und betheure ich dir, daß wir vom
leiblichen Leben Abgeſchiedenen das ſtärkſte Verlangen tragen
wieder in daſſelbe zurückzukehren“. Dann grüßt und ver-
ſchwindet er.
Es iſt gar nicht zu verkennen, daß ſolche AnſichtenVerflüchtigung
der chriſtlichen
Lehre.
vom Zuſtande nach dem Tode das Aufhören der weſent-
lichſten chriſtlichen Dogmen theils vorausſetzen theils ver-
urſachen. Die Begriffe von Sünde und Erlöſung müſſen
faſt völlig verduftet geweſen ſein. Man darf ſich durch
die Wirkung der Bußprediger und durch die Bußepide-
mien, von welchen oben (S. 467 u. f., 490 u. f.) die
Rede war, nicht irre machen laſſen; denn ſelbſt zugegeben,
daß auch die individuell entwickelten Stände daran Theil
genommen hätten wie alle andern, ſo war die Hauptſache
dabei doch nur das Rührungsbedürfniß, die Losſpannung
heftiger Gemüther, das Entſetzen über großes Landesun-
glück, der Schrei zum Himmel um Hülfe. Die Weckung
des Gewiſſens hatte durchaus nicht nothwendig das Gefühl
der Sündhaftigkeit und des Bedürfniſſes der Erlöſung zur
Folge, ja ſelbſt eine ſehr heftige äußere Buße ſetzt nicht
nothwendig eine Reue im chriſtlichen Sinne voraus. Wenn
kräftig entwickelte Menſchen der Renaiſſance uns erzählen,
ihr Princip ſei: nichts zu bereuen 2), ſo kann dieß aller-
[558]6. Abſchnitt.dings ſich auf ſittlich indifferente Angelegenheiten, auf bloß
Unkluges und Unzweckmäßiges beziehen, aber von ſelbſt wird
ſich dieſe Verachtung der Reue auch auf das ſittliche Ge-
biet ausdehnen, weil ihre Quelle eine allgemeine, nämlich
das individuelle Kraftgefühl iſt. Das paſſive und contem-
plative Chriſtenthum mit ſeiner beſtändigen Beziehung auf
eine jenſeitige höhere Welt beherrſchte dieſe Menſchen nicht
mehr. Macchiavell wagt dann die weitere Conſequenz:
daſſelbe könne auch dem Staat und der Vertheidigung von
deſſen Freiheit nicht förderlich ſein 1).
Deismus und
Theismus.Welche Geſtalt mußte nun die trotz Allem vorhandene
ſtarke Religioſität bei den tiefern Naturen annehmen? Es
iſt der Theismus oder Deismus, wie man will. Den letz-
tern Namen mag diejenige Denkweiſe führen, welche das
Chriſtliche abgeſtreift hat, ohne einen weitern Erſatz für
das Gefühl zu ſuchen oder zu finden. Theismus aber er-
kennen wir in der erhöhten poſitiven Andacht zum göttlichen
Weſen, welche das Mittelalter nicht gekannt hatte. Die-
ſelbe ſchließt das Chriſtenthum nicht aus und kann ſich
jederzeit mit deſſen Lehre von der Sünde, Erlöſung und
Unſterblichkeit verbinden, aber ſie iſt auch ohne daſſelbe in
den Gemüthern vorhanden.
Bisweilen tritt ſie mit kindlicher Naivetät, ja mit
einem halbheidniſchen Anklang auf; Gott erſcheint ihr als
der allmächtige Erfüller der Wünſche. Agnolo Pandolfini
erzählt 2), wie er nach der Hochzeit ſich mit ſeiner Gemahlin
einſchloß und vor dem Hausaltar mit dem Marienbilde
Das theiſtiſche
Gebet.niederkniete, worauf ſie aber nicht zur Madonna ſondern zu
Gott beteten, er möge ihnen verleihen die richtige Benützung
ihrer Güter, langes Zuſammenleben in Fröhlichkeit und
Eintracht, und viele männliche Nachkommen; „für mich
betete ich um Reichthum, Freundſchaften und Ehre, für ſie
[559] um Unbeſcholtenheit, Ehrbarkeit und daß ſie eine gute6. Abſchnitt.
Haushälterin werden möge“. Wenn dann noch eine ſtarke
Antikiſirung im Ausdruck hinzukömmt, ſo hat man es bis-
weilen ſchwer, den heidniſchen Styl und die theiſtiſche
Ueberzeugung auseinander zu halten 1).
Auch im Unglück äußert ſich hie und da dieſe Geſin-
nung mit ergreifender Wahrheit. Es ſind aus der ſpätern
Zeit des Firenzuola, da er jahrelang am Fieber krank lag,
einige Anreden an Gott vorhanden, in welchen er ſich bei-
läufig mit Nachdruck als einen gläubigen Chriſten geltend
macht und doch ein rein theiſtiſches Bewußtſein an den
Tag legt 2). Er faßt ſein Leiden weder als Sündenſchuld
noch als Prüfung und Vorbereitung auf eine andere Welt;
es iſt eine Angelegenheit zwiſchen ihm und Gott allein, der
die mächtige Liebe zum Leben zwiſchen den Menſchen und
ſeine Verzweiflung hineingeſtellt hat. „Ich fluche, doch nur
gegen die Natur, denn Deine Größe verbietet mir, Dich
ſelbſt zu nennen … gieb mir den Tod, Herr, ich flehe
Dich, gieb mir ihn jetzt!“
Einen augenſcheinlichen Beweis für einen ausgebildeten,
bewußten Theismus wird man freilich in dieſen und ähn-
[560]6. Abſchnitt.lichen Ausſagen vergebens ſuchen; die Betreffenden glaubten
zum Theil noch Chriſten zu ſein und reſpectirten außerdem
aus verſchiedenen Gründen die vorhandene Kirchenlehre.
Die italien.
Antitrinitarier.Aber zur Zeit der Reformation, als die Gedanken gezwungen
waren, ſich abzuklären, gelangte dieſe Denkweiſe zu einem
deutlichern Bewußtſein; eine Anzahl der italieniſchen Pro-
teſtanten erwieſen ſich als Antitrinitarier und die Socinianer
machten ſogar als Flüchtlinge in weiter Ferne den denk-
würdigen Verſuch, eine Kirche in dieſem Sinn zu conſti-
tuiren. Aus dem bisher geſagten wird wenigſtens ſo viel
klar geworden ſein, daß außer dem humaniſtiſchen Ratio-
nalismus noch andere Geiſter in dieſe Segel wehten.
Ein Mittelpunct der ganzen theiſtiſchen Denkweiſe iſt
Lorenzo magni-
fico und ſein
Kreis.wohl in der platoniſchen Academie von Florenz und ganz
beſonders in Lorenzo magnifico ſelbſt zu ſuchen. Die theo-
retiſchen Werke und ſelbſt die Briefe jener Männer geben
doch nur die Hälfte ihres Weſens. Es iſt wahr, daß Lo-
renzo von Jugend auf bis an ſein Lebensende ſich dogma-
tiſch chriſtlich geäußert hat 1) und daß Pico ſogar unter die
Herrſchaft Savonarola's und in eine mönchiſch ascetiſche
Geſinnung hinein gerieth 2). Allein in den Hymnen Lo-
renzo's 3), welche wir als das höchſte Reſultat des Geiſtes
jener Schule zu bezeichnen verſucht ſind, ſpricht ohne Rück-
halt der Theismus, und zwar von einer Anſchauung aus,
[561] welche gelernt hat, die Welt als einen großen moraliſchen6. Abſchnitt.
und phyſiſchen Kosmos zu betrachten. Während die Men-
ſchen des Mittelalters die Welt anſehen als ein Jammerthal,
welches Papſt und Kaiſer hüten müſſen bis zum Auftreten
des Antichriſt, während die Fataliſten der Renaiſſance ab-
wechſeln zwiſchen Zeiten der Energie und Zeiten der dumpfen
Reſignation oder des Aberglaubens, erhebt ſich hier, im
Kreiſe 1) auserwählter Geiſter, die Idee, daß die ſichtbare
Welt von Gott aus Liebe geſchaffen, daß ſie ein Abbild des
in ihm präexiſtirenden Vorbildes ſei, und daß er ihr dauernder
Beweger und Fortſchöpfer bleiben werde. Die Seele des
Einzelnen kann zunächſt durch das Erkennen Gottes ihn
in ihre engen Schranken zuſammenziehen, aber auch durch
Liebe zu ihm ſich ins Unendliche ausdehnen, und dieß iſt
dann die Seligkeit auf Erden.
Hier berühren ſich Anklänge der mittelalterlichen Myſtik
mit platoniſchen Lehren und mit einem eigenthümlichen mo-
dernen Geiſte. Vielleicht reifte hier eine höchſte Frucht jener
Erkenntniß der Welt und des Menſchen, um derentwillen
allein ſchon die Renaiſſance von Italien die Führerin unſeres
Weltalters heißen muß.
[[562]][[563]]
Appendix A Genauere Titelangaben
einiger häufiger citirten Werke.
Archivio storico italiano, nebſt Appendice. Firenze, Viesseux.
Muratori, scriptores rerum Italicarum.
Roscoe, vita e pontificato di Leone X, trad. da Luigi Bossi, Milano 1816,
s., 12 voll. in 8.
Fabroni: Magni Cosmi Medicei vita.
Deſſelben: Laurentii Med. magnifici vita.
Roscoe: Leben des Lorenzo Medici.
Poesie del magnifico Lorenzo de' Medici, Londra 1801.
Petrarca, Geſammtausgabe ſeiner lateiniſchen opera, Basileæ 1581, fol.
Poggii opera, Straßburger Ausgabe von 1513, fol.
Philelphi orationes, ed. Venet. 1492, fol.
M. Anton. Sabellici opera, ed. Venet. 1502, fol.
Pii II. P. M. commentarii, ed. Romana 1584.
Aeneæ Silvii opera, ed. Basil. 1551, fol.
Platina, de vitis pontificum romanor., Coloniæ Agrippinæ 1626.
Anecdota literaria e mss. codd. eruta, herausg. von Amaduzzi und Bianconi,
Rom 1773 bis 1783, vier Bände in 8.
Corio, Historia di Milano, ed. Venet. 1554.
Macchiavelli, opere minori, Firenze, Lemonnier, 1852.
Varchi, Storia fiorentina, Milano 1803, 5 voll. in 8.
Tommaso Gar, relazioni della corte di Roma, (der dritte Band der zweiten
Serie der Relazioni degli ambasciatori veneti, raccolte da Eug.
Albèri, Firenze).
Boccaccio, opere volgari, Firenze 1829, s., presso Ign. Moutier, 17 voll. in 8.
Filippo Villani, le vite d'uomini illustri fiorentini, Firenze 1826.
Agnolo Pandolfini, trattato del governo della famiglia, Torino, Pomba, 1829.
Trucchi, Poesie italiane inedite, Prato 1846, 4 voll. in 8.
Raccolta di Poesie satiriche, Milano 1808. 1 vol.
Firenzuola, opere, Milano 1802. in 8.
Castiglione, il cortigiano, Venezia, 1549.
36*
[564]
Vespasiano fiorentino, außer der hier benützten Ausgabe von Mai, im X. Bande
des Spicilegium romanum iſt eine neuere von Bartoli, Firenze 1859,
zu erwähnen.
Vasari, le vite de' più eccellenti pittori, scultori e architetti, Firenze, Le-
monnier, ſeit 1846, dreizehn Bände.
Den S. 174 beſprochenen Dichter Waltherus glaubt man gegenwärtig in einem gewiſſen
Walther von Lille oder von Chatillon wieder zu erkennen. Vgl. Gieſebrecht, bei Wattenbach,
Deutſchlands Geſchichtsquellen im Mittelalter, S. 431, f.
Erſt als der Druck dieſes Buches weit fortgeſchritten war, kam mir das treffliche Werk
von Voigt: „Die Wiederbelebung des claſſiſchen Alterthums“ zu Geſichte. Daſſelbe ſchildert
umſtändlich und allſeitig diejenige geiſtige Bewegung, welche ich im dritten Abſchnitt nur kurz
andeuten durſte.
[[565]]
Appendix B Inhaltsüberſicht.
- Erſter Abſchnitt.
- Der Staat als Kunſtwerk.
- Seite
- Vorbemerkung1
- Politiſcher Zuſtand Italiens im XIII. Jahrhundert 2
- Der Normannenſtaat unter Friedrich II.3
- Ezzelino da Romano 4
- Tyrannis des XIV. Jahrhunderts5
- Finanzielle Grundlage und Verhältniß zur Bildung 6
- Das Ideal des abſoluten Herrſchers 7
- Innere und äußere Gefahren 8
- Urtheil der Florentiner über die Tyrannen 10
- Die Visconti bis auf den vorletzten 11
- Tyrannis des XV. Jahrhunderts14
- Interventionen und Reiſen der Kaiſer 15
- Ihre Anſprüche in Vergeſſenheit 18
- Mangel eines feſten Erbrechtes; illegitime Erbfolgen 19
- Condottieren als Staatengründer 20
- Ihr Verhältniß zum Brodherrn 21
- Die Familie Sforza 23
- Ausſichten und Untergang des jüngern Piccinino 24
- Spätere Verſuche der Condottieren 26
- Die kleinern Tyrannien27
- Die Baglionen von Perugia 28
- Ihre innere Zwietracht und die Bluthochzeit des Jahres 1500 30
- Ihr Ausgang 32
- Die Häuſer Malateſta, Pico und Petrucci 33
- Seite
- Die größern Herrſcherhäuſer34
- Die Aragoneſen von Neapel 34
- Der letzte Visconti von Mailand 37
- Francesco Sforza und ſein Glück 39
- Galeazzo Maria und Lodovico Moro 40
- Die Gonzagen von Mantua 43
- Federigo da Montefeltro, Herzog von Urbino 44
- Letzter Glanz des urbinatiſchen Hofes 46
- Die Eſte in Ferrara; Hausgräuel und Fiscalität 47
- Aemterverkauf, Ordnung und Bauten 48
- Perſönliche Virtuoſität 49
- Loyalität der Reſidenz 50
- Der Polizeidirector Zampante 51
- Theilnahme der Unterthanen an fürſtlicher Trauer 52
- Pomp des Hofes 53
- Das eſtenſiſche Mäcenat 54
- Die Gegner der Tyrannis54
- Die ſpätern Guelfen und Ghibellinen 54
- Die Verſchwörer 55
- Die Ermordungen beim Kirchgang 56
- Einwirkung des antiken Tyrannenmordes 57
- Die Catilinarier 58
- Florentiniſche Anſicht vom Tyrannenmord 59
- Das Volk im Verhältniß zu den Verſchwörern 60
- Die Republiken61
- Venedig im XV. Jahrhundert 62
- Die Einwohner 63
- Der Staat und die Gefahr durch den armen Adel 64
- Urſachen der Unerſchütterlichkeit 65
- Der Rath der Zehn und die politiſchen Proceſſe 66
- Verhältniß zu den Condottieren 68
- Optimismus der auswärtigen Politik 69
- Venedig als Heimath der Statiſtik 70
- Verzögerung der Renaiſſance 72
- Verſpätete Reliquienandacht 73
- Florenz ſeit dem XIV. Jahrhundert 74
- Objectivität des politiſchen Bewußtſeins 74
- Dante als Politiker 75
- Seite
- Florenz als Heimath der Statiſtik; die Villani 77
- Die Statiſtik der höhern Intereſſen 79
- Geldwerthe im XV. Jahrhundert 81
- Die Verfaſſungsformen und die Geſchichtſchreiber 82
- Das Grundübel des toscaniſchen Staates 84
- Die Staatskünſtler 85
- Macchiavelli und ſein Verfaſſungsproject 86
- Siena und Genua 88
- Auswärtige Politik der italieniſchen Staaten89
- Der Neid gegen Venedig 90
- Das Ausland; die Sympathien für Frankreich 91
- Verſuch eines Gleichgewichtes 92
- Intervention und Eroberung 93
- Verbindungen mit den Türken 94
- Die Gegenwirkung Spaniens 96
- Objective Behandlung der Politik 97
- Kunſt der Unterhandlung 98
- Der Krieg als Kunſtwerk99
- Die Feuerwaffen 99
- Kennerſchaft und Dilettantismus 100
- Kriegsgräuel 101
- Das Papſtthum und ſeine Gefahren102
- Stellung zum Ausland und zu Italien 103
- Römiſche Unruhen ſeit Nicolaus V.105
- Sixtus IV. als Herr von Rom 106
- Pläne des Cardinals Pietro Riario 107
- Der Nepotenſtaat in der Romagna 108
- Die Cardinäle aus Fürſtenhäuſern 109
- Innocenz VIII. und ſein Sohn 110
- Alexander VI. als Spanier 111
- Verhältniß zum Ausland, und Simonie 112
- Ceſare Borgia und ſein Verhältniß zum Vater 113
- Seine letzten Abſichten 114
- Drohende Säculariſation des Kirchenſtaates 115
- Das Irrationelle in den Mitteln 116
- Die Ermordungen 117
- Die letzten Jahre 119
- Julius II. als Retter des Papſtthums 120
- Seite
- Wahl Leo's X.122
- Seine gefährlichen politiſchen Pläne 122
- Wachſende Gefahren von außen 123
- Hadrian VI.124
- Clemens VII. und die Verwüſtung von Rom 125
- Folgen derſelben und Reaction 126
- Sühne Carl's V. mit dem Papſte 127
- Das Papſtthum der Gegenreformation 128
- Das Italien der Patrioten129
- Zweiter Abſchnitt.
Entwicklung des Individuums. - Der italieniſche Staat und das Individuum131
- Der Menſch des Mittelalters 131
- Das Erwachen der Perſönlichkeit 132
- Der Gewaltherrſcher und ſeine Unterthanen 133
- Der Individualismus in den Republiken 134
- Das Exil und der Cosmopolitismus 135
- Die Vollendung der Perſönlichkeit136
- Die Vielſeitigen 137
- Die Allſeitigen; Leonbattiſta Alberti 139
- Der moderne Ruhm142
- Dante's Verhältniß zum Ruhm 143
- Die Celebrität des Humaniſten; Petrarca 144
- Cultus der Geburtshäuſer 145
- Cultus der Gräber 146
- Cultus der berühmten Männer des Alterthums 147
- Literatur des örtlichen Ruhmes; Padua 148
- Literatur des allgemeinen Ruhmes 150
- Der Ruhm von den Schriftſtellern abhängig 151
- Die Ruhmſucht als Leidenſchaft 152
- Der moderne Spott und Witz154
- Sein Zuſammenhang mit dem Individualismus 154
- Der Hohn der Florentiner; die Novelle 155
- Die Witzmacher und Buffonen 156
- Die Späße Leo's X.158
- Seite
- Die Parodie in der Dichtung 159
- Theorie des Witzes 160
- Die Läſterung 161
- Die Mediſance von Rom 162
- Hadrian VI. als ihr Opfer 164
- Pietro Aretino 165
- Seine Publiciſtik 166
- Sein Verhältniß zu Fürſten und Celebritäten 167
- Seine Religion 169
- Dritter Abſchnitt.
Die Wiedererweckung des Alterthums. - Vorbemerkungen171
- Ausdehnung des Begriffes Renaiſſance 171
- Das Alterthum im Mittelalter 172
- Sein frühes Wiedererwachen in Italien 173
- Lateiniſche Poeſie des XII. Jahrhunderts 174
- Der Geiſt des XIV. Jahrhunderts 175
- Die Ruinenſtadt Rom177
- Dante, Petrarca, Uberti 177
- Die vorhandenen Ruinen zur Zeit Poggio's 179
- Blondus, Nicolaus V., Pius II.180
- Das Alterthum außerhalb Roms 181
- Städte und Familien von Rom hergeleitet 182
- Stimmung und Anſprüche der Römer 183
- Die Leiche der Julia 183
- Ausgrabungen und Aufnahmen 184
- Rom unter Leo X.185
- Ruinenſentimentalität 186
- Die alten Autoren187
- Ihre Verbreitung im XIV. Jahrhundert 187
- Entdeckungen des XV. Jahrhunderts 188
- Die Bibliotheken, Copiſten und Scriptoren 189
- Der Bücherdruck 193
- Ueberſicht des griechiſchen Studiums 194
- Orientaliſche Studien 196
- Seite
- Pico's Stellung zum Alterthum 197
- Der Humanismus im XIV. Jahrhundert198
- Unvermeidlichkeit ſeines Sieges 199
- Theilnahme des Dante, Petrarca und Boccaccio 200
- Letzterer als Vorkämpfer 201
- Die Poetenkrönung 202
- Univerſitäten und Schulen204
- Der Humaniſt als Profeſſor im XV. Jahrh 205
- Nebenanſtalten 207
- Die höhere freie Erziehung; Vittorino 208
- Guarino in Ferrara 209
- Prinzenerziehung 210
- Die Förderer des Humanismus210
- Florentiniſche Bürger; Niccoli 211
- Mannetti; die frühern Medici 212
- Fürſten; die Päpſte ſeit Nicolaus V.216
- Alfons von Neapel 219
- Federigo von Urbino 221
- Die Sforza und die Eſte 222
- Sigismondo Malateſta 223
- Reproduction des Alterthums. Epiſtolographie224
- Die päpſtliche Kanzlei 225
- Werthſchätzung des Briefſtyls 226
- Die lateiniſche Rede227
- Gleichgültigkeit über den Stand des Redners 228
- Feierliche Staats- und Empfangsreden 228
- Leichenreden 230
- Academiſche und Soldatenreden 231
- Die lateiniſche Predigt 232
- Erneuerung der antiken Rhetorik 233
- Form und Inhalt; das Citiren 234
- Fingirte Reden 235
- Verfall der Eloquenz 236
- Die lateiniſche Abhandlung237
- Die Geſchichtſchreibung238
- Relative Nothwendigkeit des Lateiniſchen 239
- Forſchungen über das Mittelalter; Blondus 241
- Anfänge der Kritik 242
- Seite
- Verhältniß zur italieniſchen Geſchichtſchreibung 243
- Allgemeine Latiniſirung der Bildung243
- Die antiken Namen 244
- Latiniſirte Lebensverhältniſſe 246
- Anſprüche auf Alleinherrſchaft 247
- Cicero und die Ciceronianer 248
- Die lateiniſche Converſation 250
- Die neulateiniſche Poeſie251
- Das Epos aus der alten Geſchichte; die Africa 252
- Mythendichtung 253
- Chriſtliches Epos; Sannazaro 255
- Zeitgeſchichtliche Poeſie 246
- Einmiſchung der Mythologie 257
- Didactiſche Poeſie; Palingenius 259
- Die Lyrik und ihre Grenzen 260
- Oden auf Heilige 261
- Elegien und Aehnliches 261
- Das Epigramm 263
- Macaroniſche Poeſie 266
- Sturz der Humaniſten im XVI. Jahrhundert267
- Die Anklagen und das Maß ihrer Schuld 268
- Ihr Unglück 273
- Das Gegenbild des Humaniſten 274
- Pomponius Lätus 275
- Die Academien 277
- Vierter Abſchnitt.
Die Entdeckung der Welt und des Menſchen. - Reiſen der Italiener280
- Columbus 281
- Verhältniß der Cosmographie zu den Reiſen 282
- Die Naturwiſſenſchaft in Italien283
- Richtung auf die Empirie 284
- Dante und die Sternkunde 285
- Einmiſchung der Kirche 285
- Einwirkung des Humanismus 286
- Seite
- Botanik; die Gärten 287
- Zoologie; die Sammlungen fremder Thiere 288
- Das Gefolge des Ippolito Medici; die Sklaven 291
- Entdeckung der landſchaftlichen Schönheit292
- Die Landſchaft im Mittelalter 293
- Petrarca und die Bergbeſteigung 295
- Der Dittamondo des Uberti 297
- Die flandriſche Malerſchule 298
- Aeneas Sylvius und ſeine Schilderungen 298
- Entdeckung des Menſchen303
- Pſychologiſche Nothbehelfe; Temperamente 304
- Geiſtige Schilderung in der Poeſie305
- Werth der reimloſen Verſe 306
- Werth des Sonettes 307
- Dante und ſeine Vita nuova 308
- Seine Divina Commedia 310
- Petrarca als Seelenſchilderer 311
- Boccaccio und die Fiammetta 312
- Geringe Entwicklung der Tragödie 313
- Die Pracht der Aufführung als Feindinn des Drama's 314
- Intermezzi und Ballett 316
- Comödie und Maskencomödie 318
- Erſatz durch die Muſik 320
- Das romantiſche Epos 320
- Nothwendige Unterordnung der Charactere 321
- Pulci und Bojardo 322
- Das innere Geſetz ihrer Compoſition 323
- Arioſto und ſein Styl 324
- Folengo und die Parodie 326
- Taſſo als Gegenſatz 327
- Die Biographik327
- Fortſchritt der Italiener gegenüber dem Mittelalter 328
- Toscaniſche Biographen 329
- Andere Gegenden Italiens 330
- Die Selbſtbiographie; Aeneas Sylvius 332
- Benvenuto Cellini 333
- Girolamo Cardano 334
- Luigi Cornaro 335
- Seite
- Characteriſtik von Völkern und Städten338
- Der Dittamondo 339
- Schilderungen aus dem XVI. Jahrhundert 340
- Schilderungen des äußern Menſchen341
- Die Schönheit bei Boccaccio 342
- Das Schönheitsideal des Firenzuola 343
- Seine allgemeinern Definitionen 346
- Schilderung des bewegten Lebens347
- Aeneas Sylvius und Andere 348
- Conventionelle Bucolik ſeit Petrarca 349
- Wirkliche Stellung der Bauern 350
- Echte poetiſche Behandlung des Landlebens 351
- Battiſta Mantovano, Lorenzo magnifico, Pulci 352
- Angelo Poliziano 353
- Die Menſchheit und der Begriff des Menſchen 354
- Fünfter Abſchnitt.
Die Geſelligkeit und die Feſte. - Die Ausgleichung der Stände355
- Gegenſatz zum Mittelalter 355
- Das Zuſammenwohnen in den Städten 356
- Theoretiſche Negation des Adels 357
- Verhalten des Adels nach Landſchaften 358
- Seine Stellung zur Bildung 359
- Die ſpätere Hiſpaniſirung des Lebens 360
- Die Ritterwürde ſeit dem Mittelalter 361
- Die Turniere und ihre Caricaturen 362
- Der Adel als Requiſit der Hofleute 364
- Aeußere Verfeinerung des Lebens365
- Kleidung und Moden 365
- Toilettenmittel der Frauen 367
- Die Reinlichkeit 369
- Der Galateo und die gute Lebensart 371
- Bequemlichkeit und Eleganz 372
- Die Sprache als Baſis der Geſelligkeit373
- Ausbildung einer Idealſprache 374
- Seite
- Weite Verbreitung derſelben 375
- Die extremen Puriſten 376
- Ihr geringer Erfolg 377
- Die Converſation 379
- Die höhere Form der Geſelligkeit379
- Uebereinkommen und Statuten 380
- Die Novelliſten und ihr Auditorium 381
- Die großen Damen und die Salons 382
- Florentiniſche Geſelligkeit 382
- Lorenzo als Schilderer ſeines Kreiſes 383
- Der vollkommene Geſellſchaftsmenſch384
- Seine Liebſchaft 384
- Seine äußern und geiſtigen Fertigkeiten 385
- Die Leibesübungen 386
- Die Muſik 387
- Die Inſtrumente und das Virtuoſenthum 388
- Der Dilettantismus in der Geſellſchaft 390
- Stellung der Frau391
- Ihre männliche Bildung und Poeſie 392
- Vollendung ihrer Perſönlichkeit 393
- Die Virago 394
- Das Weib in der Geſellſchaft 395
- Die Bildung der Buhlerinnen 396
- Das Hausweſen397
- Gegenſatz zum Mittelalter 398
- Agnolo Pandolfini 398
- Die Villa und das Landleben 399
- Die Feſte400
- Ihre Grundformen, Myſterium und Proceſſion 401
- Vorzüge gegenüber dem Ausland 403
- Die Allegorie in der italieniſchen Kunſt 404
- Hiſtoriſche Repräſentanten des Allgemeinen 406
- Die Myſterienaufführungen 407
- Fronleichnam in Viterbo 410
- Weltliche Aufführungen 411
- Pantomimen und Empfang von Fürſten 412
- Bewegte Züge; geiſtliche Trionfi 415
- Weltliche Trionfi 417
- Seite
- Feſtzüge zu Waſſer 422
- Carneval in Rom und Florenz 423
- Sechster Abſchnitt.
Sitte und Religion. - Die Moralität427
- Grenzen des Urtheils 427
- Bewußtſein der Demoraliſation 428
- Das moderne Ehrgefühl 430
- Herrſchaft der Phantaſie 432
- Spielſucht und Rachſucht 433
- Verletzung der Ehe 438
- Sittliche Stellung der Frau 440
- Die vergeiſtigte Liebe 444
- Der allgemeine Frevelſinn 446
- Räuberweſen 448
- Der bezahlte Mord; die Vergiftungen 450
- Die abſoluten Böſewichter 453
- Verhältniß der Sittlichkeit zum Individualismus 455
- Die Religion im täglichen Leben456
- Mangel einer Reformation 457
- Stellung der Italiener zur Kirche 458
- Haß gegen Hierarchie und Mönchthum 459
- Gewöhnung an die Kirche und ihre Segnungen 466
- Die Bußprediger 467
- Girolamo Savonarola 476
- Das Heidniſche im Volksglauben 483
- Der Reliquienglaube 484
- Der Mariendienſt 487
- Schwankungen im Cultus 489
- Große Bußepidemien 490
- Deren polizeiliche Regelung in Ferrara 492
- Die Religion und der Geiſt der Renaiſſance494
- Nothwendige Subjectivität 495
- Weltlichkeit des Geiſtes 496
- Toleranz gegen den Islam 497
- Berechtigung aller Religionen 498
- Seite
- Einwirkung des Alterthums 500
- Sogenannte Epicureer 501
- Die Lehre vom freien Willen 502
- Die frommen Humaniſten 504
- Mittlere Richtung der Humaniſten 505
- Anfänge der Kritik des Heiligen 507
- Fatalismus der Humaniſten 508
- Ihre heidniſchen Aeußerlichkeiten 510
- Verflechtung von antikem und neuerm Aberglauben512
- Die Aſtrologie 512
- Ihre Verbreitung und ihr Einfluß 513
- Ihre Gegner in Italien 520
- Pico's Widerlegung und deren Wirkung 522
- Verſchiedene Superſtitionen 524
- Aberglauben der Humaniſten 527
- Geſpenſter von Verſtorbenen 528
- Dämonenglaube 5[30]
- Die italieniſche Hexe 531
- Das Hexenland bei Norcia 533
- Einmiſchung und Grenzen des nordiſchen Hexenweſens 535
- Zauberei der Buhlerinnen [537]
- Der Zauberer und Beſchwörer 538
- Die Dämonen auf der Straße nach Rom 539
- Einzelne Zaubergattungen; die Telesmata 541
- Magie bei Grundſteinlegungen 544
- Der Necromant bei den Dichtern 544
- Zaubergeſchichte des Benvenuto Cellini 545
- Abnahme des Zauberweſens 546
- Nebengattungen deſſelben, Alchymie 548
- Erſchütterung des Glaubens überhaupt550
- Die Beichte des Boscoli 551
- Religiöſe Confuſion und allgemeiner Zweifel 552
- Streit über die Unſterblichkeit 552
- Der Heidenhimmel 553
- Das homeriſche Jenſeits 556
- Verflüchtigung der chriſtlichen Lehren 557
- Der italieniſche Theismus 558
[][][]
dieſer Name durfte dann die Bedeutung des geſammten Daſeins
eines Territoriums uſurpiren.
56, 83, 88, 98.
vius VI., III., p. 259.
(Opera, p. 372, s.)
mutter. Vgl. Hieron. Crivelli's Leichenrede auf Bianca Maria
Visconti, bei Muratori, XXV, Col. 429. Eine ſpöttiſche Ueber-
tragung hievon iſt es, wenn eine Schweſter Papſt Sixtus IV. bei
Jac. Volaterranus (Murat. XXIII. Col. 109) mater ecclesiae
genannt wird.
in den Gaſſen von Padua verboten werden, da der Anblick an ſich
unerfreulich ſei und die Pferde davon ſcheu würden.
wahrſcheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand
herrſchende Erzbiſchof Giovanni Visconti gemeint, um 1354.
Visconti durch ſeine Brüder.
Tyrannen geputzt „wie Altäre an Feſttagen“. — Den antiken
Triumphzug des Caſtracane in Lucca findet man umſtändlich be-
ſchrieben in deſſen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340.
plebeo sequuntur superbiam etc.
frühern Phantaſien: L. B. Alberti, de re aedif. V, 3. — Franc.
di Giorgio, Trattato, bei Della Valle, Lettere sanesi, III., 121.
quelli delle bullette bezeichnet bei Franco Sacchetti, Nov. 117.
In den letzten zehn Jahren Friedrichs II., als die perſönlichſte Con-
trole herrſchte, muß das Paßweſen ſchon ſehr ausgebildet geweſen
ſein.
XX., Col. 290. — Von Plänen auf das Kaiſerthum redet Cag-
nola. a. a. O[.] und das Sonett bei Trucchi, Poesie ital. inedite
II, p. 118:
Stan le città lombarde con le chiave
In man per darle a voi .... etc.
Roma vi chiama: Cesar mio novello
Jo sono ignuda, et l'anima pur vive:
Or mi coprite col vostro mantello etc.(N. 213). Vgl. II, 3 (N. 144) und II, 212 (N. 218).
virtù heißt und auch mit scelleratezza verträglich gedacht wird,
z. B. Discorsi I, 10, bei Anlaß des Sept. Severus.
„lehnung durch einen Mann der in Deutſchland wohnt und von
„einem römiſchen Kaiſer nichts als den eiteln Namen hat, iſt nicht
„im Stande einen Böſewicht zum wahren Signore einer Stadt zu
„machen.“
cap. 5, um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug
nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle iſt eine der
beſten in dem betreffenden Gedichte und auch ſonſt bezeichnend. Der
Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab
weggewieſen:
Coi passi lunghi e con la testa bassa
Oltre passai e dissi: ecco vergogna
Del cristian che'l saracin quì lassa!
Poscia al pastor (den Papſt) mi volsi per rampogna:
E tu ti stai, che sei vicar di Cristo
Co' frati tuoi a ingrassar la carogna?
Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.)
Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi,
E che non cura di sì caro acquisto:Che fai? perchè non segui i primi antichi
Cesari de' Romani, e che non siegui,
Dico, gli Otti, i Corradi, i Federichi?
E che pur tieni questo imperio in tregui?
E se non hai lo cuor d'esser Augusto,
Che nol rifiuti? o che non ti dilegui? etc.Vgl. Pii II. Comment. II, p. 102.
Col. 1113.
p. 281.
des Archiv. stor.
(Beatr.) ebbe molto texoro e dinari, e tutte le giente d'arme
del dicto Facino, che obedivano a lei.
tive, welche Macchiavell dem ſiegreichen Condottiere ſtellt, ſ. Dis-
corsi, I, 30.
benen Gründe richtig ſind? vgl. Prato im Archiv. stor. III,
p. 348. — Von Colleoni ließ ſich die Republik zur Erbin einſetzen
und nahm nach ſeinem Tode 1475 erſt noch eine förmliche Confis-
cation vor. Vgl. Malipiero, Annali Veneti, im Archiv. stor.
VII, I, p. 244. Sie liebte es, wenn die Condottieren ihr Geld in
Venedig anlegten, ibid. p. 351.
illustres), einer der anziehendſten von ſeinen Biographien.
ſchuldig gilt, weil er von P.'s kriegeriſcher Popularität Gefahren
für ſeine eigenen Söhne gefürchtet. — Storia Bresciana, bei
Murat. XXI, Col. 902. — Wie man 1466 den venezianiſchen Groß-
condottiere Colleoni in Verſuchung führte, erzählt Malipiero, An-
nali veneti, arch. stor. VII, I, p. 210.
Col. 1241.
war in dieſem Hauſe eine Miniaturkataſtrophe vorgefallen, vgl.
Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 225.
Sismondi X, p. 78, s.
— Jovian. Pontanus: de prudentia, 1. IV; de magnanimitate,
1. I.; de liberalitate, de immanitate. — Cam. Porzio, con-
giura de' Baroni, passim. — Comines, Charles VIII, chap. 17,
mit der allgem. Characteriſtik der Aragoneſen.
Geſandten; Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 294.
Murat. XX.
noch mehr ins Düſtere fallende Taration vom Glücke des Sforza
giebt Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII,
Col. 74.
481. 561.
Senarega, Murat. XXIV, Col. 567.
Volk glaubte, er theſaurire.
ders kenntlich in den auf Mailand bezüglichen Novellen und Intro-
ductionen der Bandello.
Vinci, p. 35, s. 83, s.
1484, vermählt 1490, ſt. 1519; Iſabellens Tod 1539. Ihre
Söhne Federigo 1519—1540, zum Herzog erhoben 1530, und der
berühmte Ferrante Gonzaga[.] Das Folgende aus der Correſpondenz
Iſabellens, nebſt Beilagen, Archiv. stor. Append. Tom. II, mit-
getheilt von d'Arco.
Ueber Federigo insbeſondere: Vespasiano Fiorent. p. 132. s.
und dem Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV.
wähnt werden. Vgl. Paul. Jovii vita Leonis X, Lib. I. Die
Abſicht war minder ernſt, mehr auf Zerſtreuung und allgemeine Welt-
kenntniß gerichtet, übrigens völlig modern. Kein Nordländer reiſte
damals weſentlich zu ſolchen Zwecken.
Vol. I, p[.] 245 als Elegia 17 betitelt. Ohne Zweifel war dem
19jährigen Dichter die Urſache dieſes Todesfalles (S. 47) nicht bekannt.
1, 2, 3, 4 und 10 von Ercole I, Alfonſo I, und Ercole II, Alles
verfaßt bei Lebzeiten der beiden letztern — Vieles über fürſtliche
Zeitgenoſſen auch im Bandello.
Murat. XXIV, Col. 848.
Col. 777.
Satz wie folgenden: Quisque nostrum magis socios potissime
et infinitos alios sollicitare, infestare, alter alteri benevolos
se facere cœpit. Aliquid aliquibus parum donare; simul ma-
gis noctu edere, bibere, vigilare, nostra omnia bona polli-
ceri, etc.
stor. I, p. 273. Vgl. Paul. Jovius, vita Leonis X, L. III,
in den Viri illustres.
p. 18.
fol. 203. — Die älteſte venezian. Chronik, bei Pertz, Monum. IX,
p. 5. 6. verlegt die Gründung der Inſelorte erſt in die longobar-
diſche Zeit und die von Rialto ausdrücklich noch ſpäter.
den XVI. Jahrh. verändert.
1601. 1621. — Im Chron. Venetum, Murat. XXIV, Col. 26.
ſind die politiſchen Tugenden der Venezianer aufgezählt: bontà,
innocenza, zelo di carità, pietà, misericordia.
493. 530. II, p. 661. 668. 679. — Chron. venetum, bei Murat.
XXIV. Col. 57. — Diario Ferrarese, ib. Col. 240.
I, 535.
a. a. O. VII, I, p. 175, s. erzählen den ſprechenden Fall des Ad-
mirals Antonio Grimani.
bei Marin Sanudo, vite de' Duchi, Mur. XXII, Col. 990
(vom J. 1426), Col. 1088 (vom J. 1440), bei Corio fol.
435—438 (von 1483), bei Guazzo, Historie, fol. 151, s.
politiſche Rachebedürfniß auch die deutliche Stimme des eignen Inter-
eſſes übertäuben könne.
wichtig iſt die ſtatiſt. Ueberſicht von Mailand, im Manipulus
Florum (bei Murat. XI, 711, s.) vom Jahre 1288. Sie zählt
auf: Hausthüren, Bevölkerung, Waffenfähige, Loggien der Adlichen,
Brunnen, Oefen, Schenken, Fleiſcherbuden, Fiſcher, Kornbedarf,
Hunde, Jagdvögel, Preiſe von Holz, Heu, Wein und Salz, —
ferner Richter, Notare, Aerzte, Schullehrer, Abſchreiber, Waffen-
ſchmiede, Hufſchmiede, Hoſpitäler, Klöſter, Stifte und geiſtliche
Corporationen.
Murat. XXII, passim.
daraus mitgetheilt bei Scherer, Allg. Geſch. des Welthandels, I,
326. Anm.
dem Staat gehörenden gemeint. Letztere rendirten bisweilen aller-
dings enorm; vgl. Vasari, XIII, 83. v. d. Jac. Sansovino.
Col. 1245.
ausgebildet geweſen ſein, ſo daß er die Humaniſten ſämmtlich Ketzer
nannte. Platina, vita Pauli, p. 323.
cas aus Bosnien kam, gab es Streit mit den Benedictinern von
S. Giuſtina zu Padua, welche dieſelbe ſchon zu beſitzen glaubten,
und der päpſtliche Stuhl mußte entſcheiden[.] Vgl. Guicciardini,
Ricordi, Nr. 401.
haltene Datum in der Divina Commedia.
Kaiſer durchaus in Italien haben wollte, ſo auch den Papſt, ſ. d.
Brief S. 35 während des Conclave's von Carpentras 1314.
stor. fiorent. lib. II.
chen eine weiße Bohne bei Seite; dieß war die ganze Controle.
mannſchaft, ibid. XII, 35.
Adnot. 34.
Adnot. 2 und 25. — Paul. Jovius: Elogia, Cosmus.
beſtimmung geht aus Varchi III, p. 107 hervor. — Das Finanz-
project eines gewiſſen Lodovico Ghetti, mit wichtigen Angaben, bei
Roscoe, vita di Lor. de Medici, Bd. II, Beilage 1.
Einige offenbar irrige Zahlen möchten wohl auf Schreib- oder Druck-
fehlern beruhen.
Italien.
ich, in Ermangelung weiterer Hülfsmittel, hier nur einige zerſtreute
Data zuſammenſtellen, wie ich ſie zufällig gefunden habe. Offenbare
Uebertreibungen ſind bei Seite zu laſſen. Die Goldmünzen, auf
welche die meiſten Angaben lauten, ſind: Der Ducato, der Zecchino,
der Fiorino d'oro und der Scudo d'oro. Ihr Werth iſt annäherungs-
weiſe derſelbe, eilf bis zwölf Franken unſeres Geldes.
In Venedig galt z. B. der Doge Andrea Vendramin (1476)
mit 170,000 Ducati für ſehr reich. (Malipiero, l. c. VII, II,
p. 666.)
In den 1460er Jahren heißt der Patriarch von Aquileja, Lod.
Patavino, „faſt der reichſte aller Italiener“ mit 200,000 Ducaten.
(Gasp. Veronens., vita Pauli II, bei Mur. III, II, Col. 1027.)
Anderswo fabelhafte Angaben.
Antonio Grimani (S. 67) ließ ſich die Erhebung ſeines Sohnes
Domenico zum Cardinal 30,000 Duc. koſten. Er ſelbſt wurde bloß
an Baarſchaft auf 100,000 Duc. geſchätzt. (Chron. Venetum,
Mur. XXIV, Col. 125.)
Ueber das Getreide im Handel und im Marktpreis zu Venedig
ſ. beſ. Malipiero l. c. VII, II, p, 709, s. (Notiz von 1498.)
Schon um 1522 gilt nicht mehr Venedig ſondern Genua nächſt
Rom als die reichſte Stadt Italiens. (Nur glaublich durch die
Autorität eines Franc. Vettori; ſ. deſſen Storia, im Archiv. stor.
Append. Tom. VI, p. 343.) Bandello, Parte II, Nov. 34
und 42, erwähnt den reichſten genueſiſchen Kaufmann ſeiner Zeit,
Anſaldo Grimaldi.
Zwiſchen 1400 und 1580 nimmt Franc. Sanſovino ein Sinken
des Geldwerthes auf die Hälfte an. (Venezia, fol. 151, bis.)
In der Lombardei glaubt man ein Verhältniß der Getreide-
preiſe um die Mitte des XV. zu denjenigen der Mitte unſeres Jahr-
hunderts annehmen zu müſſen wie 3 zu 8. (Sacco di Piacenza,
im Archiv. stor. append. Tom. V, Nota des Herausgebers Sca-
rabelli.)
In Ferrara gab es zur Zeit des Herzogs Borſo reiche Leute bis
50 und 60,000 Ducati. (Diario Ferrarese, Mur. XXIV, Col.
207, 214, 218; eine fabelhafte Angabe Col. 187.)
welche nicht zu durchſchnittlichen Schlüſſen führen. So jene An-
leihen fremder Fürſten, die wohl nur auf ein oder wenige Häuſer
lauten, factiſch aber große Compagniegeſchäfte waren[.] So auch jene
enorme Beſteuerung unterliegender Parteien; wie z. B. von 1430
bis 1453 von 77 Familien 4,875,000 Goldgulden bezahlt wurden.
(Varchi III, p. 115, s.)
Das Vermögen des Giovanni Medici betrug bei deſſen Tode
(1428) 179,221 Goldgulden, aber von ſeinen beiden Söhnen Co-
ſimo und Lorenzo hinterließ der letztere allein bei ſeinem Tode (1440)
bereits 235,137. (Fabroni, Laur. Med., Adnot. 2.)
Von dem allgemeinen Schwung des Erwerbes zeugt es z. B.
daß ſchon im XIV. Jahrh. die 44 Goldſchmiedebuden auf Ponte
vecchio dem Staat 800 Goldgulden Jahresmiethe eintrugen. (Va-
sari II, 114, v. di Taddeo Gaddi.) — Das Tagebuch des Buo-
naccorſo Pitti (bei Delécluze, Florence et ses vicissitudes,
vol. II.) iſt voll Zahlenangaben, welche indeß nur im Allgemeinen
die hohen Preiſe aller Dinge und den geringen Geldwerth beweiſen.
Für Rom geben natürlich die Einnahmen der Curie, da ſie
europäiſch waren, gar keinen Maßſtab; auch iſt den Angaben über
päpſtliche Schätze und Cardinalsvermögen wenig zu trauen. Der
bekannte Banquier Agoſtino Chigi hinterließ (1520) eine Geſammt-
habe im Werth von 800,000 Ducati. (Lettere pittoriche, I.
Append. 48.)
(ſt. 1492) betrifft, ſo verzichtet der Verfaſſer auf jedes Urtheil über
die innere Politik derſelben. Eine anklagende Stimme von Gewicht
(Gino Capponi) ſ. im Archiv. stor. I, p. 315, s.
teſtanten Michele B. Vgl. Archiv. stor. Append. Tom. II,
p. 176. — Wie Mailand durch ſeine Härte gegen die Schweſter-
ſtädte im XI. bis XIII. Jahrh. die Bildung eines großen Despo-
tenſtaates erleichterte, iſt bekannt genug. Noch beim Ausſterben der
Visconti 1447 verſcherzte Mailand die Freiheit Oberitaliens haupt-
ſächlich dadurch, daß es von einer Föderation gleichberechtigter Städte
nichts wiſſen wollte. Vgl. Corio, fol. 358, s.
Modus, eine neue Verfaſſung zu Stande zu bringen wie folgt:
Die 16 Compagnien der Stadt ſollten jede ein Project ausarbeiten,
die Gonfalonieren die 4 beſten auswählen, und aus dieſen die
Signorie die allerbeſte! — Es kam dann doch Alles anders, und
zwar unter dem Einfluß des Predigers ſelbſt.
I, 121 etc.
könnte Florenz retten.
minori p. 207.
quieu wieder.
noch Macchiavelli, Discorsi I, 55 u. a. a. O.
politiſche Weſen hineingriffen, zeigt die Parteiung von 1535, Della
Valle, lettere sanesi III, p. 317. Eine Anzahl von Krämern,
aufgeregt durch Livius und Macchiavell's Discorſi, verlangen alles
tolommeo della Rovere.
die Unſicherheit vgl. beſ. Col. 519. 525. 528 etc. Die ſehr offen-
herzige Rede der Geſandten bei der Uebergabe des Staates an
Francesco Sforza 1464 ſ. bei Cagnola, Archiv. stor. III,
p. 165, s.
regierung der Vornehmen und Beamten.
Gegentheil, allein dieß iſt nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. Mali-
piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p. 216 u. f. Bei
jedem Anlaß ergeben ſich Städte und Landſchaften freiwillig an Vene-
dig, freilich meiſt ſolche, die aus tyranniſchen Händen kommen, wäh-
rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten
muß, wie Guicciardini (Ricordi, N. 29) bemerkt.
Carl VII. gehenden Geſandten im J. 1452, bei Fabroni, Cos-
mus, Adnot. 107.
comme saints. — Vgl. Chap. 17. — Chron. Venetum bei Murat.
XXIV, Col. 5, 10, 14, 15. — Matarazzo, Cron. di Perugia,
arch. stor. XVI, II, p. 23. Zahlloſer anderen Ausſagen nicht zu
gedenken.
153, 279. 283. 285. 327. 331. 345. 359. II, p. 29. 37. 101.
217. 306. Carl ſprach bereits einmal davon, Mailand dem jungen
Ludwig von Orleans zu geben.
er einen Einheitsſtaat.
nen Gegner bei einer Unterredung wegzufangen ſuchte erzählt Nan-
tiporto, bei Murat. III, II, Col. 1073. Er iſt der wahre Vor-
läufer des Ceſare Borgia.
Mailand 1467 einem venezian. Agenten ſagte, war wohl nur
Prahlerei. Vgl. Malipiero, ann. veneti, archiv. stor. VII, I,
p. 222. — Ueber Boccalino ſ. S. 26.
die Hand im Spiel gehabt habe, iſt ſchwer glaublich.
des Dſchem an Carl VIII. ſ. p. 145, wo es klar wird, daß eine
Correſpondenz der ſchimpflichſten Art zwiſchen Alexander und Baja-
zeth exiſtirte, wenn auch die Actenſtücke bei Burcardus unterg eſchoben
ſein ſollten.
zweiten Buches, im Geſang der Nereide Doris an die türkiſche Flotte.
Michelet's Anſicht (Réforme, p. 467), die Türken würden ſich in
Italien occidentaliſirt haben, überzeugt mich nicht. — Vielleicht zum
erſtenmal iſt jene Beſtimmung Spaniens angedeutet in der Feſtrede
welche Fedra Inghirami 1510 vor Julius II. hielt, zur Feier der
Einnahme von Bugia durch die Flotte Ferdinands d. Cath. Vgl.
Anecdota litteraria II, p. 149.
L. I. letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik.
beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, ſo iſt dabei ſein
italieniſcher Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß ſehr in Be-
tracht zu ziehen
innert, „welcher ſich geſchämt hätte“, in ſeiner Bibliothek ein ge-
drucktes Buch zu dulden. Vgl. Vespas. Fiorent.
Fortſetzung für den Krieg von 1453 ibid. XXV.
rend er den Africanus major meint.
Nov. 40.
italicar. scriptores ex codd. florent. Col. 690. Ein ſehr be-
zeichnendes Ereigniß vom J. 1474. — Der Zweikampf des Mar-
ſchalls Boucicault mit Galeazzo Gonzaga 1406 bei Cagnola, Arch.
stor. III, p. 25. — Wie Sixtus IV. die Duelle ſeiner Gardiſten
ehrte, erzählt Infeſſura. Seine Nachfolger erließen Bullen gegen
das Duell überhaupt. Sept. Decretal. V. Tit. 17.
genheim, Geſchichte der Entſtehung und Ausbildung des Kirchenſtaates,
zu verweiſen.
siano Fiorent. p. 18. — Die Majeſtät der Functionen Nicolaus V,
ſ. Infessura (Eccard, II, Col. 1883, seq.) und J. Manetti,
Vita Nicolai V. (Murat. III, II, Col. 923). — Die Huldigungen
an Pius II, ſ. Diario Ferrarese (Murat. XXIV. Col. 205)
und Pii II. Comment. passim, beſ. IV, 201. 204. XI, 562.
Auch Mörder vom Fach wagen ſich nicht an den Papſt. — Die
großen Functionen wurden als etwas ſehr weſentliches behandelt
von dem pomphaften Paul II. (Platina l. c. 321) und von
Sixtus IV, welcher die Oſtermeſſe trotz des Podagras ſitzend hielt
(Jac. Volaterran. diarium, Murat. XXIII. Col. 131). Merk-
würdig unterſcheidet das Volk zwiſchen der magiſchen Kraft des Se-
gens und der Unwürdigkeit des Segnenden; als er 1481 die Him-
melfahrtsbenediction nicht geben konnte, murrten und fluchten ſie
über ihn (Ibid. Col. 133).
über die Kataſtrophe von Sinigaglia. — Freilich waren Spanier
und Franzoſen noch eifriger als italieniſche Soldaten. Vgl. bei
Paul. Jov. vita Leonis X. (L. II.) die Scene vor der Schlacht
bei Ravenna, wo das ſpaniſche Herr den vor Freude weinenden Le-
gaten wegen der Abſolution umdrängt. Ferner (ibid.) die Franzoſen
in Mailand.
ein rechter Papſt müßte die Armuth Chriſti zum Kennzeichen haben,
darf man dagegen ein einfaches Waldenſerthum vermuthen. Wie
ſie unter Paul II. verhaftet wurden, erzählen Infessura (Eccard II,
Col. 1893), Platina, p. 317, etc.
Col. 309 seqq. — P. wollte: omnem pontificiam turbam fun-
ditus exstinguere. Der Autor ſchließt: Video sane, quo stent
loco res Italiæ; intelligo, qui sint, quibus hic perturbata esse
omnia conducat … Er nennt ſie: extrinsecos impulsores
und meint, Porcari werde noch Nachfolger ſeiner Miſſethat finden.
P.'s eigene Phantaſien glichen freilich denjenigen des Cola Rienzi.
Tunc Papa et dicetur et erit pater sanctus, pater omnium,
pater ecclesiæ etc.
Araber verkauft Weihrauch, der Tyrier Purpur, der Inder Elfen-
bein: venalia nobis Templa, sacerdotes, altaria, sacra, coronæ,
Ignes, thura, preces, cœlum est venale, Deusque.
die Papſtwahl des Sixtus leiten helfen, ſ. Infessura, bei Eccard,
scriptores, II, Col. 1895. — Laut Macchiav. storie fior. L.
VII. hätten die Venezianer den Cardinal vergiftet. Gründe dazu
fehlten ihnen in der That nicht.
lien einziehen, als „dem h. Petrus heimgefallen“.
meldet von dieſen beiden: hanno in ogni elezione a mettere a
sacco questa corte, e sono i maggior ribaldi del mondo.
tius magn. Adnot. 217 und im Auszug bei Ranke, Päpſte, I,
p. 45.
die Anjou von Neuem gegen den in ſolchem Betracht harthörigen
König Ferrante aufrief.
zu Ferrara. Letzteres wurde zur Verſchwägerung genöthigt; Lucrezia
Borgia heirathete den Prinzen Alfonſo.
des Papſtes, ja an ſeine Wegführung nach Frankreich, und zwar
erſt bei der Rückkehr von Neapel. Laut Benedictus: Carolus VIII.
(bei Eccard, scriptores, II, Col. 1584) hätte Carl in Neapel,
als ihm Papſt und Cardinäle die Anerkennung ſeiner neuen Krone
verweigerten, ſich allerdings Gedanken gemacht de Italiæ imperio
deque pontificis statu mutando, allein gleich darauf gedachte
er ſich wieder mit Alexanders perſönlicher Demüthigung zu begnügen.
Der Papſt entwiſchte ihm jedoch.
p. 318. — Welche Raubſucht die ganze Familie ergriffen haben
muß, ſieht man u. a. aus Malipiero, a. a. O. p. 565. Ein Nepot
wird als päpſtlicher Legat in Venedig herrlich empfangen, und macht
durch Ertheilung von Dispenſen ungeheures Geld; ſeine Dienerſchaft
ſtiehlt beim Abziehen Alles deſſen ſie habhaft werden kann, auch ein
Stück Goldſtoff vom Hauptaltar einer Kirche in Murano.
fratris interfectus … connivente … ad scelus patre. Ge-
wiß eine authentiſche Ausſage, gegen welche die Darſtellungen bei
Malipiero und Matarazzo (wo dem Giovanni Sforza die Schuld
gegeben wird) zurückſtehen müſſen. — Auch die tiefe Erſchütterung
Alexanders deutet [auf] Mitſchuld. Vom Auffiſchen der Leiche in der
Tiber ſagte Sannazaro:
Piscatorem hominum ne te non, Sexte, putemus,
Piscaris natum retibus, ecce, tuum.
der Legazione al Duca Valentino.
Rel. des P. Capello. Wörtlich: „Der Papſt achtet Venedig wie
cui triplicem fata invidere coronam. Dann in dem Trauerge-
dicht auf Ceſare's Tod p. 31, seq.: speraretque olim solii
decora alta paterni.
bolem, quæ poneret olim Italiæ leges, atque aurea sæcla
referret etc.
Albret vermählt und hatte eine Tochter von ihr; auf irgend eine
Weiſe hätte er wohl eine Dynaſtie zu gründen verſucht. Es iſt
nicht bekannt, daß er Anſtalten gemacht, den Cardinalshut wieder
di Venezia) protegga il figliuolo, e dice voler fare tale or-
dine, che il papato o sia suo, ovvero della Signoria nostra.“
Das suo kann ſich doch wohl nur auf Ceſare beziehen. Das Pron.
poſſeſſivum ſtatt des Perſonale ſteht häufig ſo.
auf ganz Toscana waren vorhanden aber noch nicht ganz gereift;
die Zuſtimmung Frankreichs war dazu nothwendig.
naca di Perugia, arch. stor. XVI, II. p. 157 und 221: „Er
einen baldigen Tod ſeines Vaters rechnen mußte.
vanni Regio.
urbani des Raph. Volaterranus enthält Lib. XXII. eine unter
Julius II. und doch noch ſehr behutſam abgefaßte Charakteriſtik
Alexanders. Hier heißt es: Roma .. nobilis iam carnificina
facta erat.
ſie in Friedenszeiten noch mehr gewannen als Kriege“.
den ſpätern Julius II. ſ. p. 363. — Laut Sismondi XIII, 246
ſtarb auch der langjährige Vertraute aller Geheimniſſe, Lopez, Car-
dinal von Capua, auf dieſelbe Weiſe; laut Sanuto (bei Ranke,
Päpſte, I, S. 52, Anm.) auch der Cardinal von Verona.
Murat. XXIV, Col. 133.
Annales Hirsaug. Tom. II, p. 579. 584. 586.
entzog man den Päpſten wenigſtens einen Theil der Beute.
ihm beſtimmen laſſen, die verdrängte aragoniſche Nebenlinie wieder
auf den Thron von Neapel zu ſetzen, bleibt trotz Giovio's Ausſage
(Vita Alfonsi Ducis) ſehr zweifelhaft.
und 297. — Freilich als Julius im Aug. 1511 einmal in mehr-
ſtündiger Ohnmacht lag und für todt galt, wagten ſogleich die un-
ruhigſten Köpfe aus den vornehmſten Familien — Pompeo Colonna
und Antimo Savelli — das „Volk“ aufs Capitol zu rufen und
zur Abwerfung der päpſtlichen Herrſchaft anzufeuern, a vendicarsi
Buch meldet.
p. 293, s. — Roscoe, Leone X, ed. Bossi VI, p. 232, s. —
Tommaso Gar, a. a. O. p. 42.
muoja Leone appresso …
I, 46 in einer Pariſer Depeſche des Card. Bibiena 1518.
eine Declamation, welche Pico 1517 an Pirkheimer ſandte. Er
fürchtet, daß noch unter Leo das Böſe förmlich über das Gute ſiegen
möchte, et in te bellum a nostræ religionis hostibus ante
audias geri quam parari.
ſteht aus vielen Gründen auf einer Nadelſpitze, und Gott gebe daß
wir nicht bald nach Avignon fliehen müſſen oder bis an die Enden
des Oceans. Ich ſehe den Sturz dieſer geiſtlichen Monarchie nahe
vor mir … Wenn Gott nicht hilft, ſo iſt es um uns geſchehen“.
1526, 11. April 1527.
glaubte, Carl würde ſeine Reſidenz nach Rom verlegen.
Anecdota litt. IV, p. 335.
10. Dec. 1527.
als Italiener geboren zu ſein. Sodann: Apologia contra cuius-
dam anonymi Galli calumnias, vom J. 1367, p. 1068, s.
im I. Bande der scriptores des Schardius.
einen florentiniſchen Agenten wegen Piſa's 1496, bei Malipiero,
ann. veneti, arch. stor. VII, I, p. 427.
höhere und höchſte Stufe der individuellen Ausbildung.
männlichen Kleidung mehr, weil Jeder ſich auf beſondere Weiſe zu
tragen ſuchte. Vgl. die Canzone des Franco Sacchetti: contro alle
nuove foggie, in den Rime, publ. dal Poggiali, p. 52.
in verſchiedenen oberitaliſchen Herrſcherfamilien bemerkt. Man vgl.
in den Claræ mulieres des Jacobus Bergomenſis die Biographien
der Battiſta Malateſta, Paola Gonzaga, Orſina Torella, Bona Lom-
barda, Riccarda von Eſte und der wichtigern Frauen der Familie
Sforza. Es iſt mehr als eine wahre Virago darunter und auch die
Ergänzung der individuellen Entwicklung durch hohe humaniſtiſche
Cultur fehlt nicht.
p. 56) zählt um 1390 über hundert Namen von bedeutenden Leuten
der herrſchenden Parteien auf, welche bei ſeinen Gedenkzeiten geſtorben
ſeien. So viele Mediocritäten darunter ſein mochten, ſo iſt doch das
Ganze ein ſtarker Beleg für das Erwachen der Individualität. —
Ueber die „Vite“ des Filippo Villani ſ. unten.
potheſe, wonach dieſe Schrift von dem Baumeiſter L. B. Alberti
verfaßt wäre. Vgl. Vasari IV, 54, Nota 5 ed. Lemonnier. —
Ueber Pandolfini vgl. Vespas. Fiorent. p. 379.
Cardanus (de vita propria, Cap. 32) bitter fragen: Quid est
patria, nisi consensus tyrannorum minutorum ad opprimen-
dos imbelles timidos, et qui plerumque sunt innoxii?
ſprache cap. 17. Die geiſtige Einheit der Gebildeten cap. 18. —
Aber auch das Heimweh in der berühmten Stelle Purg. VIII, I.
u. ff. und Parad. XXV, I.
monnier, I, p. XXIX.
an das: Ubi bene, ibi patria. Die Maſſe neutralen geiſtigen
Genuſſes, der von keiner Oertlichkeit abhängt, und deſſen die gebil-
deten Italiener mehr und mehr fähig wurden, erleichterte ihnen das
Exil beträchtlich. Uebrigens iſt der Cosmopolitismus ein Zeichen
jeder Bildungsepoche, da man neue Welten entdeckt und ſich in der
alten nicht mehr heimiſch fühlt. Er tritt bei den Griechen ſehr
deutlich hervor nach dem peloponneſiſchen Kriege; Platon war, wie
Niebuhr ſagt, kein guter Bürger und Xenophon ein ſchlechter; Dio-
genes proclamirte vollends die Heimathloſigkeit als ein wahres Ver-
gnügen und nannte ſich ſelber ἄπολις, wie man beim Laertius liest.
chen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Di-
lettantenarbeit geweſen ſein. Lion. Aretino ſagt, er habe egregia-
mente gezeichnet und ſei ein großer Liebhaber der Muſik geweſen.
die florentiniſche Bildung des XV. Jahrhunderts eine Quelle erſten
Ranges. Hieher p. 359, 379, 401 etc. — Sodann die ſchöne
und lehrreiche Vita Jannoctii Manetti (geb. 1396) bei
Murat. XX.
dolfo Collenuccio, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi III, p. 197,
s., und in den Opere del Conte Perticari, Mil. 1823, vol. II.
sari IV, 52, s. — Ein allſeitiger Dilettant wenigſtens, und zu-
gleich in mehreren Fächern Meiſter, war z. B. Mariano Socini,
wenn man deſſen Characteriſtik bei Aeneas Sylvius (Opera,
p. 622, Epist. 112) Glauben ſchenken darf.
gantia, id prope divinum ducebat.
eine Definition von dem was ein ſchöner Weg heißen könne: si
modo mare, modo montes, modo lacum fluentem fontesve,
modo aridam rupem aut planitiem, modo nemus vallemque
exhibebit.
gehalten wird.
p. 117, s., wo die Definitionen der Gloria aus den Alten geſam-
melt ſind und auch dem Chriſten ausdrücklich die Ruhmbegier ge-
ſtattet wird. — Cicero's Schrift de gloria, welche noch Petrarca
beſaß, iſt bekanntlich ſeitdem verloren gegangen.
cio, vita di Dante, p. 49. Vaghissimo fu e d'onore e di
pompa, e per avventura più che alla sua inclita virtù non
si sarebbe richiesto.
chia, L. I. Cap. I, wo er den Begriff der Monarchie darſtellen
will, nicht bloß um der Welt nützlich zu ſein, ſondern auch: ut
palmam tanti bravii primus in meam gloriam adipiscar.
Col. 260). Ob cereis, muneribus oder etwa certis muneribus
zu leſen, laſſe ich dahingeſtellt.
ſchreibungen derſelben Sache. — Boccaccio dichtete, wie er in dem
Brief an Joh. Pizinga (Opere volgari, Vol. XVI.) geſteht,
perpetuandi nominis desiderio.
„Franc. Petrarca Posteritati salutem“. Gewiſſe neuere Tadler
von P.'s Eitelkeit würden an ſeiner Stelle ſchwerlich ſo viele Güte
und Offenheit behalten haben wie er.
z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher,
durch ſeine Verſicherung, daß auch kaum ein Gelehrter mehr etwas
von König Robert dem Guten wüßte, wenn Petrarca ſeiner nicht
ſo oft und freundlich gedacht hätte.
Firenze al Pozzo Toscanelli; Di fuor sepolto a Certaldo
giaccio, etc. — Vgl. Opere volgari di Bocc., vol. XVI, p. 44.
Col. 1157.
p. 123.
Palazzo della ragione über einer Thür. Das Nähere über deren
Auffindung 1413 ſ. bei Misson, voyage en Italie, vol. I.
bei Philippi wieder nach Parma gelangt ſein mag?
(Comment. X, p. 473). Die neue Gattung von Ruhm mußte
wohl vielen Leuten unbequem erſcheinen, die an Anderes gewöhnt
waren.
De laudibus Papiæ (bei Murat. X.) aus dem XIV. Jahrh.;
viel municipaler Stolz aber noch kein ſpecieller Ruhm.
tatis sit consocia et pari emantur pretio.
letzte, neunte Buch der nachantiken Zeit an. Ebenſo noch viel
ſpäter in den Commentarii urbani des Raph. Volaterranus nur
das 21ſte Buch, welches das neunte der Anthropologie iſt; Päpſte
und Kaiſer behandelt er im 22. und 23. Buch beſonders. — In
dem Werke „de claris mulieribus“ des Auguſtiners Jacobus
Bergomenſis (um 1500) überwiegt das Alterthum und noch
mehr die Legende, dann folgen aber einige werthvolle Biogra-
phien von Italienerinnen. Bei Scardeonius (de urb. Patav.
antiq., Græv. thesaur. VI, III, Col. 405, s.) werden lauter be-
rühmte Paduanerinnen aufgezählt: Zuerſt eine Legende oder eine
Sage aus der Völkerwanderung; dann leidenſchaftliche Tragödien
aus den Parteikämpfen des XIII. und XIV. Jahrh; hierauf an-
dere kühne Heldenweiber; die Kloſterſtifterin, die politiſche Rathge-
berin, die Aerztin, die Mutter vieler und ausgezeichneter Söhne,
die gelehrte Frau, das Bauermädchen das für ſeine Unſchuld ſtirbt,
endlich die ſchöne hochgebildete Frau des XVI. Jahrh., auf welche
Jedermann Gedichte macht; zum Schluß die Dichterin und Novel-
liſtin. Ein Jahrhundert ſpäter wäre zu all dieſen berühmten patavi-
niſchen Frauen noch die Profeſſorin hinzugekommen. — Die berühm-
ten Frauen des Hauſes Eſte, bei Arioſto, Orl. XIII.
wichtigſten Werke dieſer Art aus dem XV. Jahrh., habe ich leider
nie zu ſehen bekommen.
Scholar der mit ſeinem Lied um ein Kleid bettelt — droht damit.
S. Carmina Burana, p. 76.
vinto etc.
Decade ſeiner Hiſtorien werde nächſtens herauskommen non sine
aliqua spe immortalitatis.
dezza haben und in alcuna parte generosa ſein; die grandezza
kann von einer That jede infamia entfernen; der Menſch kann
onorevolmente tristo ſein, im Gegenſatz zum perfettamente
buono.
es iſt noch nicht individuelle ſondern faſt lauter allgemeine, auf
Stände, Kategorien, Bevölkerungen ꝛc. gemünzte Satire, welche denn
auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Nieder-
ſchlag dieſer ganzen Richtung iſt vorzüglich die Fabel vom Reineke
Fuchs in all ihren Redactionen bei den verſchiedenen Völkern des
Abendlandes. Für die franzöſiſche Literatur dieſes Zweiges iſt eine
treffliche neuere Arbeit vorhanden: Lenient, la satire en France
au moyen-âge.
ſtophanes.
randarum libri IV. Anderes z. B.: p. 868, in Epp. senil. X, 2.
Der Wortwitz ſchmeckt bisweilen noch ſehr nach ſeinem mittelalter-
lichen Aſyl, dem Kloſter.
ſo geiſtreich erfunden, iſt doch wohl grauſam zu nennen.
daß hie und da ein Romagnole auch dem ſchlimmſten Florentiner
überlegen ſei.
des Poggio ſind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt:
burle, Inſolenzen, Mißverſtändniſſe einfacher Menſchen gegenüber
der raffinirten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen
verrathen. — Ueber L. B. Alberti vgl. S. 141.
von dort entlehnt iſt.
die Züge Anderer verſtellen und alle Dialecte Italiens nachmachen.
fessione gravibus ad insaniam impellendis. Man erinnert ſich
dabei an den Scherz welchen Chriſtine von Schweden mit ihren
Philologen trieb.
als Loupe zur Betrachtung der Miniaturen des Gebetbuches gedeutet
werden kann, ſondern aus einer Notiz des Pellicanus, wonach Leo eine
aufziehende Proceſſion von Mönchen durch ein Specillum betrachtete,
(vgl Zürcher Taſchenbuch auf 1858, S. 177) und aus der cristal-
lus concava, die er laut Giovio auf der Jagd brauchie.
jenes bekannten Stiches welcher die Laocoonsgruppe in drei Affen
überſetzt darſtellt. Nur ging dergleichen ſelten über eine flüchtige
Handzeichnung hinaus; Manches mag auch zernichtet worden ſein.
Die Caricatur iſt wieder weſentlich etwas Anderes; Lionardo in
ſeinen Grimaſſen (Ambroſiana) ſtellt das Häßliche dar wenn und
weil es komiſch iſt und erhöht dabei dieſen komiſchen Character nach
Belieben.
gabung zum Witz außer bei den Florentinern auch bei den Sieneſen
und Peruginern; den ſpaniſchen Hof fügt er dann noch aus Höf-
lichkeit bei.
aus dem Contraſt, obwohl noch nicht völlig klar, fol. 76.
1577. — Macchiavelli, stor. fior. L. VII. ſagt von den jungen
Herrn in Florenz nach der Mitte des XV. Jahrh.: gli studî loro
erano apparire col vestire splendidi, e col parlare sagaci ed
astuti, e quello che più destramente mordeva gli altri, era
più savio e da più stimato.
in den Anecdd. litt. I, p. 319. — Der Scandalſammler Maſſa-
ino erwähnt bei Paul. Jov. Dialogus de viris litt. illustr.
(Tiraboschi, Tom. VII, parte IV. p. 1631.)
richtig; ſo ſchrecklich die Pasquillanten zumal nach ſeinem Tode mit
ihm umgingen, ſie haben die Geſammtanſchauung ſeines Weſens nicht
dominiren können.
ſeine Würde niederlegen und in ein fernes Kloſter flüchten wollte.
Vgl. Infessura, bei Eccard II, Col. 2000.
in der ſüdlichen Mark Ancona ein Bauernheer zuſammen, das nur
durch den Verrath des Herzogs von Urbino am Handeln verhindert
wurde. — Seine ſchönen hoffnungsloſen Liebesmadrigale bei Trucchi,
poesie ined. III, p. 123.
Giraldi, Hecatommithi, VII, Nov. 5.
bei Paul. Jov., vita Hadriani, iſt von Sixtus IV. auf Hadrian über-
getragen. — Vgl. Lettere di principi I, Brief des Negro vom
7. Apr. 1523. Pasquino hatte am St. Marcustag ein beſonderes
Feſt, welches der Papſt verbot.
animali.
von Rom nach Neapel reiſen, ricreando la vista avvilita nel
mirar le miserie pontificali con la contemplatione delle ec-
cellenze imperiali.
derswo zu erörtern. — Das publiciſtiſche Vehikel der deutſchen
Reformation iſt weſentlich die Broſchüre, in Beziehung auf beſtimmte
einzelne Angelegenheiten; Aretino dagegen iſt Journaliſt in dem Sinne,
daß er einen permanenten Anlaß des Publicirens in ſich hat.
der entziehen ſich die Stellen der Citation.
Append., 34.
Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente,
E più colpi ha, che dita in una mano.
Mauro, capitolo in lode delle bugie.
tere, ed. Venez. 1539, vom 21. Nov. 1534, ſo wie die Briefe
an Carl V.
beginnenden Bluturtheilen der Inquiſition ſein, welche er noch 1535
herb zu tadeln gewagt hatte (ſ. a. a. O. Fol. 37), welche aber ſeit
zum Schweigen brachten.
Stuttgart“ der XVI. Band. — Der Aufenthalt in Pavia (p. 68. 69),
die italieniſche Localität überhaupt, die Scene mit der pastorella
unter dem Oelbaum (p. 145), die Anſchauung einer pinus als
eines weitſchattigen Wieſenbaums (p. 156), der mehrmalige Gebrauch
des Wortes bravium (p. 137. 144), namentlich aber die Form
Madii für Maji (p. 141) ſcheinen für unſere Annahme zu ſprechen.
— Daß der Dichter ſich Walther nennt, giebt noch keinen Wink
über ſeine Herkunft: Gewöhnlich identificirt man ihn mit Gual-
terus de Mapes, einem Domherrn von Salisbury und Caplan der
engliſchen Könige gegen Ende des XII. Jahrh.
und Führer dienen könne, ſchildert z. B. in raſcher Ueberſicht Aeneas
Sylvius (opera p. 603 in der Epiſt. 105, an Erzherzog Sigismund).
Geſchichte der Philologie verweiſen, kenne aber die Literatur dieſes
Faches nicht hinlänglich. Vieles findet ſich bei Roscoe: Lorenzo
magnif. und: Leo X, ſowie in Voigt: Enea Silvio, und in Papen-
cordt: Geſch. der Stadt Rom im Mittelalter. — Wer ſich einen
Begriff machen will von dem Umfang, welchen das Wiſſenswürdige
bei den Gebildeten des beginnenden XVI. Jahrh. angenommen
hatte, iſt am beſten auf die Commentarii urbani des Raphael
Volaterranus zu verweiſen. Hier ſieht man, wie das Alterthum
den Eingang und Hauptinhalt jedes Erkenntnißzweiges ausmachte,
von der Geographie und Localgeſchichte durch die Biographien aller
Mächtigen und Berühmten, die Populärphiloſophie, die Moral und
die einzelnen Specialwiſſenſchaften hindurch bis auf die Analyſe
des ganzen Ariſtoteles, womit das Werk ſchließt. Um die ganze
Bedeutung deſſelben als Quelle der Bildung zu erkennen, müßte
man es mit allen frühern Encyclopädien vergleichen.
er es geſehen ibid. II, 9 (p. 600); vgl. II, 14.
die naiven Bilder der heil. drei Könige und ihres Gefolges. — Die
Schilderung der Stadt, II, cap. 31, iſt archäologiſch nicht ganz
ohne Werth. — Laut dem Polistore (Murat. XXIV, Col. 845)
reisten 1366 Nicolò und Ugo von Eſte nach Rom: per vedere
quelle magnificenze antiche, che al presente si possono ve-
dere in Roma.
alter als einen Steinbruch betrachtete: Der berühmte Abt Sugerius,
der ſich (um 1140) für ſeinen Neubau von St. Denis um gewal-
tige Säulenſchäfte umſah, dachte an nichts geringeres als an die
Granitmonolithen der Diocletiansthermen, beſann ſich aber doch eines
Andern. Sugerii libellus alter, bei Duchesne, scriptores, IV,
p. 352. — Carl d. Gr. war ohne Zweifel beſcheidener verfahren.
degli Alberti an Giovanni Medici. — Ueber den Zuſtand Roms
vita Poggii, bei Murat. XX, Col. 177. Als Büſtenſammler
Col. 183.
Um 1430, nämlich kurz vor dem Tode Martin's V. — Die Ther-
men des Caracalla und Diocletian hatten noch ihre Ineruſtation
und ihre Säulen.
tori III, II. Col. 980, s. — Pii II. Commentarii p. 48. 72, s.
206. 248, s. 501. u. a. a. O.
Eugen's IV. ſ. Vespasiano Fiorent. p. 21.
im Manipulus (Murat. XI, Col. 552) und die von Florenz, am
Anfang der Chronik des Ricordano Malaspini, und dann bei Gio.
Villani, laut welchem Florenz gegen das antirömiſche, rebelliſche
Fieſole von jeher Recht hat, weil es ſo gut römiſch geſinnt iſt.
(I, 9. 38. 41. II, 2). — Dante, Inf. XV, 76.
Selbſt gegen Nero, den Sohn des Domitius Ahenobarbus, will
Auter, der päpſtlichen Verwandtſchaft wegen, nicht unverbindlich ſein;
er ſagt von demſelben nur: de quo rerum scriptores multa ac
diversa commemorant. — Noch ſtärker war es freilich z. B. wenn
die Familie Plato in Mailand ſich ſchmeichelte von dem großen
Plato abzuſtammen, wenn Filelfo in einer Hochzeitsrede und in
einer Lobrede auf den Juriſten Teodoro Plato dieß ſagen durfte,
und wenn ein Giovanantonio Plato der von ihm 1478 gemeißelten
Relieffigur des Philoſophen (im Hof des Pal. Mazenta zu Mailand)
die Inſchrift beifügen konnte: Platonem suum, a quo originem
et ingenium refert …
bei Eccard, scriptores, II, Col. 1951; — Matarazzo, im Arch.
stor. XVI, II, p. 180.
finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine.
intercludere, heitererer Scherz und Muſik feſſelten ihn und er
hoffte auf dieſe Weiſe länger zu leben Leonis X. vita anonyma,
bei Roscoe, ed. Bossi XII, p. 169.
und die IV. (Poiche, Annibale etc.).
1. Sept. 1522: … tutti questi cortigiani esausti da Papa
Leone e falliti …
zaro's Elegie in ruinas Cumarum, im 2. Buche.
Temanza, p. 12.
wiſſen. Auch die Dichter können des Palaſtes entbehren. Vgl.
Sannazaro, de partu Virginis, L. II.
romanum von Mai. Der Autor war ein florentiniſcher Bücher-
händler und Copienlieferant um die Mitte des XV. Jahrh. und
nach derſelben.
oder zu brandſchatzen, auch einiges Unechte geſchmiedet. Man ſehe
in den literar-geſchichtlichen Werken ſtatt alles Uebrigen die Artikel
über Annius von Viterbo.
dua cosa farebbe, s'egli potesse mai spendere, ch'era in libri
e murare. E l'una e l'altra fece nel suo pontificato. — Seine
Ueberſetzer ſ. bei Aen. Sylvius, de Europa, cap. 58, p. 459,
und bei Papencordt, Geſch. der Stadt Rom, p. 502.
colai V. bei Murat. III, II, Col. 925, s. — Ob und wie
Calixt III. die Sammlung wieder theilweiſe verzettelte, ſ. Vespas.
Fior., p 284, s. mit Mai's Anmerkung.
Col. 1185, s.
Arch. stor. VII, II, p. 653. 655.
— Mai bezweifelt die Exiſtenz der Handſchrift, ich kann aber nicht
glauben, daß Vespaſiano etwa die bloßen Gnomenexcerpte aus Me-
nander, bekanntlich nur ein paar hundert Verſe, mit „tutte le
opere“ und in jener Reihe umfangreicher Codices (mochte es auch
nur unſer jetziger Sophokles und Pindar ſein) aufgeführt haben
würde. Es iſt nicht undenkbar, daß jener Menander noch einmal
zum Vorſchein kömmt.
Matthias Corvinus von Ungarn vorausſagt, die Scrittori würden
fortan ihre Preiſe ermäßigen müſſen, da ſie ſonſt von Niemand mehr
(scil. als von uns) beſchäftigt würden, ſo kann dieß nur auf die
Griechen gehen, denn Kalligraphen, auf welche man es zu deuten
verſucht wäre, gab es fortwährend viele in ganz Italien. — Fa-
broni, Laurent. magn. Adnot. 156. Vgl. Adnot. 154.
lixt III. Auch die berühmte Miniaturenbibel von Urbino iſt von
einem Franzoſen, Arbeiter Vespaſiano's, geſchrieben. S. D'Agin-
court, Malerei, Tab. 78.
Sforza, S. 27) hatte der Papſt eine ähnliche Gefälligkeit.
Gedicht des Robertus Urſus um 1470, Rerum ital. scriptt. ex
codd. Florent., Tom. II, Col. 693. Er freut ſich etwas früh
über die zu hoffende raſche Verbreitung der claſſiſchen Autoren. Vgl.
Libri, hist. des sciences mathématiques II, 278, s. — Ueber
die Drucker in Rom Gaspar. Veron. Vita Pauli II, bei Murat.
III, II, Col. 1046. Das erſte Privilegium in Venedig ſ. Marin
Sanudo, bei Murat. XXII, Col. 1189.
Vespas. Fior. p. 656, s. über die Weltchronik des Zembino von
Piſtoja
der Schmähſchrift de exilio.
felicitate literat. bei Anlaß der Lascaris. Und Paulus Jovius am
Ende ſeiner Elogia literaria ſagt von den Deutſchen: … quum
literae non latinae modo cum pudore nostro, sed graecae et
hebraicae in eorum terras fatali commigratione transierint.
(Gegen 1540.)
feſſor der Rhetorik beſoldet, Malipiero, Arch. stor. VII, II, p. 653.
— Ueber den griechiſchen Lehrſtuhl in Perugia ſ. Arch. stor. XVI,
Camaldoleſe konnte hebräiſch. Ibid. p. 320.
ſelbe durch viele Ankäufe vermehrte, warf auch Beſoldungen für la-
teiniſche, griechiſche und hebräiſche Scriptoren (librarios) aus. Pla-
tina, vita Sixti IV, p. 332.
griechiſch docirt wurde; vgl. Anced. litt. II, p. 300.
Ueber Ramuſio, vgl. Sansovino, Venezia, Fol. 250.
Barbaro, bei Ang. Politian. epistolæ, L. IX. — Vgl. Jo. Pici
oratio de hominis dignitate.
Fol. 2), indem nach feiner Anſicht nur ſolche ſagen können, ſie
hätten gelebt, se vixisse, welche gelehrte und beredte lateiniſche
Bücher geſchrieben oder Griechiſches ins Lateiniſche überſetzt haben.
das Gebirge, Cäſar nach Spanien; Maria iſt arm und Fabricius
uneigennützig. — Bei dieſem Anlaß iſt aufmerkſam zu machen auf
die chronologiſche Einflechtung der Sibyllen in die antike Profan-
geſchichte, wie ſie Uberti in ſeinem Dittamondo (I, Cap. 14. 15)
um 1360 verſucht.
den lateiniſch Dichtenden, während für den italieniſchen die Ausdrücke
Rimatore, Dicitore per rima gebraucht werden. Allerdings ver-
miſchen ſich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe.
ſchen Augenblicken: ſein übles Geſtirn habe gewollt, daß er in ſpäter
Zeit unter Halunken — extremi fures — leben müſſe. In
dem fingirten Brief an Livius, Opera, p. 704 seq.
(ſpätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den opere volgari,
Vol. XVI. Und doch erkennt er auch hier nur das für Poeſie, was
von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren.
accresce, ma è dell' acquistata certissimo testimonio e orna-
mento.
sopra le fonti di San Giovanni si era disposto di coronare.
Vgl. Paradiso I, 25.
si præstet Deus, concedente senatu Romuleo …
Stadt, wobei das Gefolge des Kaiſers, ſeine Baroni, den Poeten
begleiteten. — Auch Fazio degli Uberti wurde gekrönt, man weiß
aber nicht wo und durch wen.
Col. 543. — Die Berühmtheit Lion. Aretino's war bei Lebzeiten
freilich ſo groß geweſen, daß Leute aus allen Gegenden kamen nur
um ihn zu ſehen und daß ſich ein Spanier vor ihm auf die Knie
warf. Vespas. p. 568. — Für Guarino's Denkmal ſetzte der
Magiſtrat von Ferrara 1461 die damals bedeutende Summe von
100 Ducaten aus.
Bologna war bekanntlich älter, Piſa dagegen eine ſpäte Gründung
ſorenverzeichniß von Pavia um 1400, (Corio, storia di Milano,
fol. 290) wo u. a. 20 Juriſten vorkommen.
geſtiftet, wie Giovio, Vita Leonis X, L. I. ſagt. — Die Univer-
ſität Florenz (vgl. Gaye, carteggio, I, p. 461 bis 560 passim;
Matteo Villani I, 8; VII, 90) ſchon 1321 vorhanden mit Stu-
dienzwang für die Landeskinder, wurde neu geſtiftet nach dem ſchwarzen
Tode 1348 und mit 2500 Goldgulden jährlich ausgeſtattet, ſchlief
aber wieder ein und wurde 1357 abermals hergeſtellt. Der Lehr-
ſtuhl für Erklärung des Dante, geſtiftet auf Petition vieler Bürger
1373, war in der Folge meiſt mit der Profeſſur der Philologie und
Rhetorik verbunden, ſo noch bei Filelfo.
Piſa 500 Goldgulden wenigſtens verlangt. Vgl. Fabroni, Laurent.
magn. Adnot. 41.
Manetti, bei Murat. XX, Col. 531, s.
und des Guarino von Rosmini kenne ich nicht.
dislaus den Nachgeborenen, p. 695, letzteres als Tractatus de
liberorum educatione.
tavola così antico come era, era una gentilezza.
disputirt wurde.
weſen ſein. Eine wunderliche Disputation über den Gegenſatz des
Plato und Ariſtoteles fand 1438 zu Ferrara zwiſchen Hugo von
Siena und den auf das Concil gekommenen Griechen ſtatt. Vgl.
Aeneas Sylvius, De Europa, Cap. 52. (Opera, p. 450.)
Fior. p. 426. Die erſten Unterſtützer des Arg. waren die Accia-
juoli. Ib. 192: Cardinal Beſſarion und ſeine Parallele zwiſchen
Plato und Ariſtoteles. Ib. 223: Cuſanus als Platoniker Ib. 308:
Der Catalonier Narciſo und ſeine Disputation mit Argyropulos.
Ib. 571: Einzelne platon. Dialoge ſchon von Lionardo Aret. über-
ſetzt. Ib. 298: Die beginnende Einwirkung des Neoplatonismus.
Guarino) ſowie Shepherd, Leben des Poggio, müſſen Vieles hierüber
enthalten.
Klagen über die Geringfügigkeit des fürſtlichen Mäcenates und über
die Gleichgültigkeit mancher Fürſten gegen den Ruhm ſich laut
macht. So z. B. bei Bapt. Mantuan. Eclog V, noch aus dem
XV. Jahrh. — Es war nicht möglich Allen genug zu thun.
Sphaerulus von Camerino. Der gute Mann wurde damit nicht zu
rechter Zeit fertig und hatte ſeine Arbeit noch 40 Jahre ſpäter im Pult.
— Ueber die magern Honorare des Sixtus IV. vgl. Pierio Valer.
de infelic. lit. bei Anlaß des Theodorus Gaza. — Das abſichtliche
Fernhalten der Humaniſten vom Cardinalat bei den Päpſten vor
Leo, vgl. Lor. Grana's Leichenrede auf Card. Egidio, Anecd. litt.
IV, p. 307.
Papencordt's „Geſchichte der Stadt Rom im M. A.“ verwieſen
werden.
lagen zu den verſchiedenen Ausgaben von Roscoe, Leo X.
päckchen verſchiedener Größe, in welche Leo blindlings hineingreift,
bei Giraldi, Hecatommithi VI, Nov. 8. Dafür wurden Leo's
lateiniſche Tafelimproviſatoren, wenn ſie gar zu hinkende Verſe mach-
ten, mit Peitſchen geſchlagen. Lil. Greg. Gyraldus, de poetis
nostri temp.
die A. machen ließ, p. 93. — Vita Jan. Manetti, bei Murat. XX,
Col. 541, s. 550, s. 595. — Panormita: Dicta et Facta Al-
phonsi, ſammt den Gloſſen des Aeneas Sylvius.
cosa, così sacra come gentile. — Vgl. oben S. 45.
Ritterromane nebſt Dante und Petrarca um die Theilnahme des
Fürſten. Die Humaniſten, welche ſich bei ihm meldeten und ihn
„berühmt machen“ wollten, pflegte er nach wenigen Tagen wieder
wegzuſchicken. Vgl. Decembrio, bei Murat. XX, Col. 1014.
des Aleſſandro, S. 27), der ihn zuletzt mit dem Tode lohnte, ſ.
S. 139. — Beim letzten Ordelaffo zu Forli verſah Codrus Ur-
ceus die Stelle. — Unter den gebildeten Tyrannen iſt auch der
1488 von ſeiner Gattin ermordete Galeotto Manfreddi von Faenza
zu nennen; ebenſo einzelne Bentivoglî von Bologna.
ſpottet über Porcellio und Tommaſo Seneca: ſie als hungrige Pa-
raſiten müßten in ihrem Alter noch die Soldaten ſpielen, indeß er
mit ager und villa ausgeſtattet ſei. (Um 1460; ein belehrendes
Aktenſtück, aus welchem hervorgeht, daß es noch Humaniſten, wie die
zwei letztgenannten gab, welche ſich gegen das Aufkommen des Grie-
chiſchen zu wehren ſuchten.)
des ganzen Alterthums.
Eine Hauptſtelle über das was die Florentiner von ihren Secre-
tären verlangten, bei Aeneas Sylvius, De Europa, cap. 54.
(Opera, p. 454).
das neue Collegium der Abbreviatoren, welches Pius gründete.
im Namen der Secretäre, ohne Zweifel aus der Zeit Sixtus IV.
— Der humaniſtiſche Anſpruch der Conſiſtorialadvocaten beruhte auf
ihrer Redekunſt, wie der der Secretäre auf den Briefen.
Sylvius am beſten. Vgl. Epp. 23 u. 105, Opera, p. 516 u. 607.
gon an ihren Vater Alfons von Neapel; fol. 451. 464 zwei Briefe
des Moro an Carl VIII. — Womit zu vergleichen das Hiſtörchen
in den Lettere pittoriche III, 86 (Sebaſt. del Piombo an Are-
tino), wie Clemens VII. während der Verwüſtung Roms im Caſtell
ſeine Gelehrten aufbietet, und ſie eine Epiſtel an Carl V. concipiren
läßt, Jeden beſonders.
roaldus d. ä. ꝛc. und die Schriften und Biographien des Jan.
Mannetti, Aeneas Sylvius ꝛc.
natürlich das Steckenbleiben vor großen und erlauchten Verſamm-
lungen. Schreckensbeiſpiele ſind geſammelt bei Petrus Crinitus, de
honesta disciplina V, cap. 3. Vgl. Vespas. Fior. p. 319. 430.
die ihn in Viterbo erwarteten. Singuli per se verba fecere, ne
alius alio melior videretur, cum essent eloquentia ferme pares.
— Daß der Biſchof von Arezzo nicht das Wort führen durfte für
die Collectivgeſandtſchaft der italieniſchen Staaten an den neuge-
wählten Alexander VI, zählt Guicciardini (zu Anfang des I. B.)
lateiniſche Rednerin fürſtlichen Standes war Madonna Battiſta Mon-
tefeltro, vermählte Malateſta, welche Sigismund und Martin haran-
guirte Vgl. Arch. stor. IV, I. p. 442, Nota.
enim Pii concionantis maiestate sublimius. — Außer dem naiven
Wohlgefallen, womit Pius ſelbſt ſeine Erfolge ſchildert, vgl. Cam-
panus, Vita Pii II, bei Murat. III, II, passim.
latein. Redners nicht folgen konnte, vor Giovio's Ohren geſeufzt:
„Ach wie hat mein Lehrer Hadrian einſt Recht gehabt, als er mir
„weiſſagte, ich würde für meinen kindiſchen Unfleiß im Lateiniſchen
„gezüchtigt werden!“ — Paul. Jov. vita Hadriani VI.
1494 herbeiführen halfen.
Collenuccio. — Filelfo, ein verheiratheter Laie, hielt im Dom von
Como die Einführungsrede für den Biſchof Scarampi 1460.
Col. 171) bei Platina's Gedächtnißfeier einigen Anſtoß gab.
taro, welchen Guarino vorzugsweiſe zu ſolchen Aufträgen beſtimmte.
ken des Sabellicus, Beroaldus maior, Codrus Urceus ꝛc.
Jov. Elogia.
Mannetti zu ihm ins Lager kömmt.
der Abdruck zweier Soldatenreden; die erſte von Alamanni, iſt aus-
gezeichnet ſchön und des Momentes (1528) würdig.
titiæ, lib. II.
fol. 61—82, De origine et auctu religionis, zu Verona vor dem
Capitel der Barfüßer von der Kanzel gehalten, und: De sacerdotii
laudibus, zu Venedig gehalten). Vgl. S. 230, Anm. 1.
Col. 173 wird eine höchſt merkwürdige Predigt vor dem Hofe, doch
bei zufälliger Abweſenheit Sixtus IV. erwähnt: Pater Paolo Tos-
canella donnerte gegen den Papſt, deſſen Familie und die Cardinäle;
Sixtus erfuhr es und lächelte.
— Aen. Sylvius: Artis rhetoricæ præcepta, in den Opera
p. 992 bezieht ſich abſichtlich nur auf Satzbau und Wortfügung;
übrigens bezeichnend für die vollkommene Routine hierin. Er nennt
mehrere andere Theoretiker.
ſeiner Eloquenz. — Vgl. Vespas. Fior. 592, s.
Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begeiſterten
Improviſatoren nicht immer folgen.
Floskel am Schluſſe: Esto tibi ipsi archetypon et exemplar,
teipsum imitare etc.
die von ihm verfaßten Annales Placentini, bei Murat. XX,
Col. 914, s. wo der Pedant ſeinen literariſchen Lebenslauf ganz
lehrreich beſchreibt.
boschi, Tom. VII, Parte IV. — Doch meint er noch wohl ein
Jahrzehnd ſpäter, am Schluß der Elogia literaria: Tenemus ad-
huc, nachdem das Primat der Philologie auf Deutſchland überge-
gangen, sinceræ et constantis eloquentiæ munitam arcem etc.
aus, welche Collenuccio und beſonders Pontano dem Lucian nach-
bildeten. Von ihnen ſind dann Erasmus und Hutten angeregt
worden. — Für die eigentlichen Abhandlungen mochten frühe ſchon
Stücke aus den Moralien des Plutarch als Vorbild dienen.
L. XVIII, cap. 9. Die Humaniſten gleichen hierin den Autoren
des ſpätern Alterthums, welche ebenfalls ihrer Zeit aus dem Wege
gingen. — Vgl. Burckhardt, die Zeit Conſtantin's d. Gr. S. 285
u. f.
Noch bei Raph. Volaterranus, L. XXI, fängt die geiſtige Welt
mit dem XIV. Jahrh. an, alſo bei demſelben Autor, deſſen erſte
Bücher ſo viele für jene Zeit treffliche ſpecialgeſchichtliche Ueberſichten
für alle Länder enthalten.
ganzen Curie und zahlreicher, weit her gekommener Fremden; vgl.
Vespas. Fior. p. 592 und die vita Jan. Man.
aller Künſte und Wiſſenſchaften enthalte, daß er eine Encyclopädie
ſei. Vgl. Codri Urcei opera, Sermo XIII, Schluß.
Ethik vortragen. Vgl. Gasp. Veron. vita Pauli II. bei Mura-
tori III, II, Col. 1034.
reich eine Rede des Hermolaus Barbarus.
Begreiflicher Weiſe bemächtigten ſich die liederlichen Weibsperſonen
in Rom der volltönendſten antiken Namen Giulia, Lucrezia, Caſ-
ſandra, Porzia, Virginia, Penteſilea ꝛc., womit ſie bei Aretino auf-
treten. — Die Juden mögen vielleicht damals die Namen der großen
ſemitiſchen Römerfeinde Amilcare, Annibale, Asdrubale an ſich ge-
nommen haben, die ſie noch heute in Rom ſo häufig führen.
E che quel meglio t'abbia a far poeta,
Che non farà lo studio di molt' anni!
— ſo ſpottet Arioſto, der freilich vom Schickſal einen wohllautenden
Namen mitbekommen hatte, in der VII. Satire, Vs. 64.
ſind.
ad inferos devocati. Den guten Domherrn Tizio, welcher es
ernſtlicher meinte und gegen fremde Truppen eine Erecrationsformel
aus Macrobius ausſprach, werden wir unten wieder erwähnen.
(Dantis) exstat poema præclarum, neque, si literis latinis
constaret, ulla ex parte poetis superioribus (den Alten) post-
ponendum. Laut Boccaccio, vita di Dante, p. 74 warfen ſchon
damals viele „und darunter weiſe“ Leute die Frage auf, warum
wohl Dante nicht lateiniſch gedichtet?
und wäre auf keinen Fall der ſiegreichen Wirkung der Divina Com-
media gleichgekommen, ſo werthvoll ſie für uns iſt.
Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis, a. m. O.
Orationes etc. des ältern Beroaldus die zwei aus Boccaccio in's
Lateiniſche überſetzten Novellen, ja eine Canzone aus Petrarca.
Opera, p. 704, s. Außerdem p. 372 in der Schrift de rep. op-
time administranda: „sic esse doleo, sed sic est“.
Pontanus in ſeinem „Antonius“.
liber. Hauptſächlich die Einleitung. — Er findet in Cicero und
ſeinen Zeitgenoſſen die Latinität „an ſich“.
geweſen: aliquid in stylo proprium, quod peculiarem ex
certa nota mentis effigiem referret, ex naturæ genio effin-
ed. Venez. 1796, Tom. VII, parte IV. Bekanntlich wollte Giovio
eine Zeitlang diejenige große Arbeit unternehmen, welche dann Va-
ſari durchführte. — In jenem Dialog wird auch geahnt und beklagt,
daß das Lateinſchreiben ſeine Herrſchaft bald gänzlich verlieren werde.
leto, bei Roscoe, Leo X, ed. Bossi VI, p. 172.
Außerdem wurden etwa Seneca und lateiniſche Ueberſetzungen nach
griechiſchen Dramen aufgeführt.
Briefe lateiniſch zu ſchreiben, vgl. Raph. Volat. comment. urban.
L. XXI.
tung von Collenuccio, dem jüngern Guarino u. A., um des Inhaltes
willen, und Iſabella Gonzaga erlaubte ſich, dieſen langweilig zu
finden. — Ueber Pomp. Laetus vgl. Sabellici opera, Epist.
L. XI, fol. 56, s.
Jovius, elogia; — Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri
temporis; — die Beilagen zu Roscoe, Leone X, ed. Bossi.
Col. 384. — Bei der Parallele zwiſchen Scipio und Cäſar war
Guarino für den letztern, Poggio (Opera, epp. fol. 125. 134, s.)
für erſtern als für den Größten. — Scipio und Hannibal in den
Miniaturen des Attavante, ſ. Vasari IV, 41, vita di Fiesole. —
Die Namen Beider für Picinino und Sforza gebraucht, S. 100.
auftritt, werden ebenfalls unten zu erwähnen ſein.
500 Hexameter ſtark.) Pierio Valeriano dichtete an dem Mythus
weiter; ſein „carpio“ in der Deliciæ poet. ital. — Die Fresken
des Bruſaſorci am Pal. Murari zu Verona ſtellen den Inhalt des
Sarca vor.
ähnlichen Styles XII, 130. — Wie nahe ſteht ſchon Angilberts
Gedicht vom Hofe Carls des Großen dieſer Renaiſſance. Vgl.
Pertz, monum. II.
Corporis ablutum labes, Diis Juppiter ipsis etc.
wahrſcheinlich kurz vor oder nach Abfaſſung dieſes Gedichtes. Nas-
cere magne puer matri exspectate patrique, heißt es gegen
Ende.
— Savonarola's Geſchichte u. d. Titel Cedrus Libani von Fra
Benedetto. — Assedio di Piombino, bei Murat. XXV. — Hiezu
als Parallele der Teuerdank und andere Reimwerke des Nordens.
Beginnen haben wir S. 58 ſchon bei einem ernſtern Anlaß kennen
gelernt.
Ac minas fatorum hominumque fraudes,
Da Pater tecto salientem avito
Cernere fumum!
1530 in 4. — Die wenigen Carmina auch größtentheils oder voll-
ſtändig in den Deliciæ.
Silveſtri an Chriſtus, Maria und alle Heiligen, ſie möchten der
Menſchheit dieſes numen noch lange laſſen, da ſie ja im Himmel
ihrer genug ſeien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V.
237.
fiel: Sint vetera hæc aliis, mî nova semper erunt.
heißt es, mit Bezug auf den Stier als Wappenthier der Borgia:
Merge, Tyber, vitulos animosas ultor in undas;
Bos cadat inferno victima magna Jovi!
VII, 211. VIII, 214, s. Die gedruckte, jetzt ſeltene Sammlung
dieſer „Coryciana“ vom J. 1524 enthält nur die lateiniſchen Ge-
dichte; Vaſari ſah bei den Auguſtinern noch ein beſonderes Buch,
worin ſich auch Sonette ꝛc. befanden. Das Anheften von Gedichten
wurde ſo anſteckend, daß man die Gruppe durch ein Gitter abſchließen,
ja unſichtbar machen mußte. Die Umdeutung von Goritz in einen
Corycius senex iſt aus Virgil. Georg. IV, 127. Das kummer-
volle Ende des Mannes nach dem Sacco di Roma ſ. bei Pierio
Valeriano, de infelic. literat.
ciæ. Vgl. Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Arſillus. Ferner
für die große Zahl der Epigrammatiker Lil. Greg. Gyraldus, a.
a. O. Eine der ſchlimmſten Federn war Marcantonio Caſanova.
— Von den weniger bekannten iſt Jo. Thomas Musconius (ſ. d.
Deliciæ) auszuzeichnen.
theilt ſie regelmäßig mit.
Col. 270) nennt als den eigentlichen Erfinder einen gew. Odaxius
von Padua, um die Mitte des XV. Jahrh. Gemiſchte Verſe aus
Latein und den Landesſprachen giebt es aber ſchon viel früher
allenthalben.
neuen Commentaren abgedruckt wurden.
des hier Geſagten ſchuldig bleiben. Das Wunderkind Giulio Cam-
pagnola gehört nicht zu den aus Ehrgeiz emporgetriebenen. Vgl.
Scardeonius, de urb. Patav. antiq., bei Græv. thesaur. VI,
III, Col. 276. — Das Wunderkind Cecchino Bracci, ſt. 1544 im
15. Jahr, vgl. Trucchi, poesie ital. inedite III, p. 229. —
Wie der Vater des Cardano ihm wollte memoriam artificialem
instillare und ihn ſchon als Kind in der arabiſchen Aſtrologie unter-
wies, vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 34.
Anlaß.
Denkmal der erſten drohenden Regungen der Inquiſition.
der Epiſteln. — Vgl. Pierio Val. de inf. lit.
treffende Biographie in den Elogia des Paolo Giovio.
185. — Anecdota liter. II, p, 168, s.
vol. VIII.
dus, de poetis nostri temp. II.
ſicht der frühern ital. Reiſen und Entdeckungen findet, p. 91, s.
beobachtete und bisweilen das Bild willkürlich ergänzte, zeigt uns
z. B. ſeine Beſchreibung Baſels nur zu klar. Im Ganzen bleibt
ihm doch ein hoher Werth.
Heimath der cosmographiſchen Literatur, als die Entdecker ſelbſt ſchon faſt
nur den atlantiſchen Völkern angehörten. Die einheimiſche Geo-
graphie hat gegen Mitte des Jahrh. das große und ſehr achtungs-
werthe Werk des Leandro Alberti: Descrizione di tutta l'Italia
aufzuweiſen.
Paris 1838.
nehmen des Sammelns von Beobachtungen, getrennt von den weſent-
lich mathematiſchen Wiſſenſchaften, conſtatirt werden, was unſere
Sache nicht iſt.
Ital. Tom. VI. pars III.
ſehr es zu bedauern ſein mag, daß das hochbegabte Volk nicht einen
größern Theil ſeiner Kraft auf die Naturwiſſenſchaften wandte, ſo
glauben wir doch, daß daſſelbe noch wichtigere Ziele hatte und theil-
weiſe erreichte.
u. a. als Beilage Nr. 58 zu Roscoe's Leben des Lorenzo. Auch in
den Beilagen zu Fabroni's Laurentius.
illustr. poetar. recent.
— In Piſa unterhielt man Adler, vgl. die Ausleger zu Dante,
Inferno XXXIII, 22.
Stadt Rom im Mittelalter, S. 367, Anm. mit einem Ereigniß
von 1328. — Kämpfe der wilden Thiere unter einander und gegen
Hunde dienten bei großen Anläßen zur Beluſtigung des Volkes.
Beim Empfang Pius II. und des Galeazzo Maria Sforza zu Flo-
renz 1459 ließ man auf dem Signorenplatz in einem geſchloſſenen
Raum Stiere, Pferde, Eber, Hunde, Löwen und eine Girafe zuſam-
men auftreten, aber die Löwen legten ſich hin und wollten die andern
Thiere nicht angreifen. Vgl. Ricordi di Firenze, Rer. ital.
— Wenn die Löwen ſtritten oder gar einander tödteten, ſo galt
dieß als ſchlimmes Omen. Vgl. Varchi, stor. fiorent. III, p. 143.
— Den Peruginern entwiſchte einmal ihr Löwenpaar, ibid. XVI,
I, p. 382, zum J. 1434.
brauchten ſogar abgerichtete Leoparden als Jagdthiere, und zwar auf
Haſen, die man durch kleine Hunde auftreiben ließ. Vgl. v. Ko-
bell, Wildanger, S. 247, wo auch ſpätere Beiſpiele der Jagd mit
Leoparden verzeichnet ſind.
p. 193.
Vita Pii II, Murat. III, II, Col. 976. Eine zweite Girafe ſchenkte
ſpäter der Mamelukenſultan Kaytbey an Lorenzo magnifico. Vgl.
Paul. Jov. Vita Leonis X, L. I. Sonſt war von der Mena-
gerie Lorenzo's beſonders ein prächtiger Löwe berühmt, deſſen Zer-
fleiſchung durch die andern Löwen als Vorzeichen von Lorenzo's
Tode galt.
Petrarca, de rem ed. utriusque fortunae, I, 61, doch noch weniger
deutlich ausgeſprochen.
dinals von Aquileja zu Albano fanden ſich 1463 außer Pfauen und
indiſchen Hühnern auch ſyriſche Ziegen mit langen Ohren. Pii II.
comment., L. XI, p. 562, s.
Triſtanus Acunius.
in Pferderacen, Bandello, Parte II, Nov. 3 und 8. — Auch in
den erzählenden Gedichten hört man bisweilen den Pferdekenner
ſprechen. Vgl. Pulci, il Morgante, c. XV, str. 105, s.
lien zur Zeit der Renaiſſance ihre Stelle finden. Kurze Hauptſtelle
bei Jovian. Pontan. de obedientia L. III: In Oberitalien gab
es keine Sklaven; ſonſt kaufte man auch Chriſten aus dem türkiſchen
Reich, auch Bulgaren und Circaſſier und ließ ſie dienen bis ſie die
Kaufſumme abverdient hatten. Die Neger dagegen blieben Sklaven,
nur durſte man ſie, wenigſtens im Reich Neapel, nicht caſtriren. —
Moro[bezeichnet] alle dunkelfarbigen; der Neger heißt Moro nero.
circaſſiſchen Sklavin (1427); — Adn. 141: Verzeichniß der Skla-
vinnen des Coſimo. — Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1106:
Innocenz VIII. erhält hundert Mori als Geſchenk von Ferdinand
d. Kathol. und verſchenkt ſie weiter an Cardinäle u. a. Herrn (1488).
— Maſſuccio, Novelle 14: Verkäuflichkeit von Sklaven; — 24 u. 25:
Negerſklaven die zugleich (zum Nutzen ihrer Herrn?) als facchini
arbeiten; — 48: Catalanen fangen tuneſiſche Mori und verkaufen
ſie in Piſa. — Gaye, carteggio I, 360: Manumiſſion und Be-
ſchenkung eines Negerſklaven in einem florentin. Teſtament (1490). —
Paul. Jov. Elogia, sub Franc. Sfortia, — Porzio, congiura,
III, 194 — und Comines, Charles VIII, chap. 17: Neger als
beſtellte Henker und Kerkermeiſter des Hauſes Aragon in Neapel.
— Paul. Jov. Elog., sub Galeatio: Neger als Begleiter von
Fürſten bei Ausgängen. — Aeneæ Sylvii opera, p. 456: Neger-
ſklave als Muſikant. — Paul. Jov. de piscibus, cap. 3: ein
(freier?) Neger als Schwimmlehrer und Taucher in Genua. —
Alex. Benedictus, de Carolo VIII, bei Eccard, scriptores, II,
Col. 1608: ein Neger (Aethiops) als höherer venezianiſcher Offi-
zier, wonach auch Othello als Neger gefaßt werden kann. — Ban-
dello, Parte III, Nov. 21: Wenn ein Sklave in Genua Züchti-
gung verdient, wird er nach den Balearen, und zwar nach Iviza
zum Salztragen verkauft.
des im zweiten Bande von Humboldt's Kosmos zu verweiſen.
Wilhelm Grimm.
mantova, im Gebiet von Reggio, könnte zu thun gehabt haben.
Purgat. IV, 26. Schon die Präciſion, womit er alle Theile ſeines
Jenſeits zu verdeutlichen ſucht, beweist vielen Raum- und Formenſinn.
im Ameto ꝛc. iſt eine Stelle de Genealogia Deor. XIV, 11 von
Bedeutung, wo er eine Anzahl landſchaftlicher Einzelheiten, Bäume,
Wieſen, Bäche, Heerden, Hütten ꝛc., aufzählt und beifügt, dieſe
Dinge animum mulcent; ihre Wirkung ſei, mentem in se col-
ligere.
p. 241, wo er die Beſchreibung einer Weinlaube aus S. Auguſtin
citirt.
quanta cum voluptate solivagus ac liber, inter montes et
nemora, inter fontes et flumina, inter libros et maximorum
hominum ingenia respiro, quamque me in ea, quæ ante sunt,
cum Apostolo extendens et præterita oblivisci nitor et præ-
sentia non videre. Vgl. VI, 3, p. 665.
vante: colles asperitate gratissima et mira fertilitate
conspicuos. Ueber das Geſtade von Gaeta vgl. de remediis
utriusque fort. I, 54.
Stadt Rom, S. 426, ſagt, daß Kaiſer Carl IV. vielen Sinn für
ſchöne Gegenden gehabt habe und citirt hiezu Pelzel, Carl IV,
S. 456. (Die beiden andern Citate, die er anführt, ſagen dieß
nicht) Es wäre möglich, daß dergleichen dem Kaiſer durch ſeinen
Umgang mit den Humaniſten angeflogen wäre.
Homo fuit (Pius II.) verus, integer, apertus; nil habuit ficti,
nil simulati, ein Feind der Heuchelei und des Aberglaubens,
muthig, conſequent.
tarii. L. IV, p. 183: Der Frühling in der Heimath. L. V,
p. 251: Der Sommeraufenthalt in Tibur. L. VI, 306: Das
Mahl an der Quelle von Vicovaro. L. VIII, p. 378: Die Um-
gegend von Viterbo. p. 387: Das Bergkloſter S. Martino. p. 388:
Der See von Bolſena. L. IX, p. 396: Die herrliche Schilderung
von Monte Amiata. L. X, p. 483: Die Lage von Monteoliveto.
p. 497: Die Ausſicht von Todi. L. XI, p. 554: Oſtia und
Porto. p. 562: Beſchreibung des Albanergebirges. L. XII, p. 609:
Frascati und Grottaferrata.
amator et varia videndi cupidus.
beſteht aus lauter Vordergrund.
noch ein Zeitgenoſſe des Aeneas, freut ſich auf dem Lande „der
„buſchigen Hügel, der reizvollen Ebenen und der rauſchenden Ge-
„wäſſer“, aber vielleicht iſt unter ſeinem Namen der große Alberti
verborgen, der, wie bemerkt, noch ein ganz anderes Verhältniß zur
Landſchaft hatte.
auch die Decoration noch von ihm lernen.
der Rel. des Soriano vom J. 1533.
wohl „unglücklich“ als „unglückbringend“. — Das Verhältniß der
Planeten zu den menſchlichen Characteren überhaupt ſ. bei Corn.
Agrippa, de occulta philosophia, c. 52.
Drama. Triſſino in ſeiner Widmung der Sofonisba an Leo X.
hofft, daß der Papſt dieſe Versart erkennen werde als das was ſie
ſei, als beſſer, edler und weniger leicht als es den Anſchein habe.
Roscoe, Leone X, ed. Bossi VIII, 174.
nuova, p. 10 und 12.
Eſeltreiber ſangen und entſtellten, über welche Dante ſo böſe wurde.
(Vgl. Franco Sacchetti, Nov. 114. 115.) So raſch ging dieſe
Poeſie in den Mund des Volkes über.
der wichtigſten Stellen. Außerdem vgl. die betreffenden Partien
des Convito.
Gegentheil beweiſen. Sie bleiben allen Schilderungen in Worten
noch auf lange Zeit überlegen.
teatrale, Lipsia 1829, p. VIII.
Anfang des XV. Jahrh. meint zwar: che gli antichi Greci
d'umanità e di gentilezza di cuore abbino avanzato di gran
lunga i nostri Italiani, allein er ſagt es am Eingang einer No-
velle, welche die weichliche Geſchichte vom kranken Prinzen Antiochus
und ſeiner Stiefmutter Stratonice, alſo einen an ſich zweideutigen
genheitsdramatikern hinlänglich geſchmeichelt.
lage zu den cento novelle antiche.)
Tom. VII, IV. — Lil. Greg. Gyraldus, de poëtis nostri temp.
Append. II, p. 306, s. — Bei den franzöſiſchen Myſtères mar-
ſchirten die Schauſpieler ſelbſt vorher in Proceſſion auf, was man
la montre hieß.
über das dortige Theaterweſen Col. 278. 279. 282 bis 285. 361.
380. 381. 393. 397.
Strozza.
pareti zu leſen. Seine Meinung iſt auch ſonſt nicht ganz klar.
die recitanti verdürben die Comödien „con invenzioni o per-
sonaggi troppo ridicoli“.
III, Col. 288, s. Eine wichtige Stelle auch für die Dialectliteratur
überhaupt.
ſich aus dem Diario Ferrareſe ſchließen, indem dieſes aus den in
Ferrara 1501 aufgeführten Menächmen des Plautus mißverſtändlich
einen Menechino macht. Diar. Ferr. bei Murat. XXIV, Col. 393.
Margutte eine feierliche uralte Tradition. (Morgante, canto XIX,
str. 153, s.) — Noch drolliger lautet die kritiſche Einleitung des
Limerno Pitocco (Orlandino, cap. 1, str. 12—22).
ſ. unten.
Str. 20, s.
zeichnete Vita Heinrici IV.[enthält] gerade wenig Perſonalſchilderung.
L. B. Alberti hinzuweiſen, ſowie auf die zahlreichen florent. Bio-
graphien bei Muratori, im Archivio storico u. a. a. O.
Vereins.
bei Murat. XX. Vgl. oben S. 37.
und Entdecker vgl. Libri, Hist. des sciences mathém., III,
p. 167, s.
Gemahlin vergiftet hatte, Cap. 27. 50.
einem compendio, einer esortazione und einer lettera an Daniel
Barbaro. — Oefter gedruckt.
im XII. Jahrh. Vgl. Landulfus senior, Ricobaldus und (bei
her weit mehr galt als hundert Jahre ſpäter, ſ. Dittamondo IV,
cap. 18.
ſ. oben S. 62.
aus dem XIV. Jahrh.
wird dann doch laut genug der Mutter Natur gedankt, wie z. B.
in dem Sonett des Alfonſo de' Pazzi an den Nicht-Toscaner Annibal
Caro (bei Trucchi, l. c. III, p. 187):
Misero il Varchi! e più infelici noi,
Se a vostri virtudi accidentali
Aggiunto fosse 'l natural, ch'è in noi!
Päpſte I, S. 385.
Venezia 1569. (Wahrſcheinlich vor 1547 verfaßt.)
Nov. 34.
Macaroneide, Phantas. II.
an ſolchen Beſchreibungen.
meldet nicht einmal von dieſer berühmten Hand ſeiner Geliebten ſo
viel Specielles wie Boccaccio an zehn Stellen ſeines Ameto von
den Händen ſeiner Nymphen erzählt.
zuola, Milano 1802. — Seine Anſicht über die Körperſchönheit
als Anzeige der Seelenſchönheit vgl. vol. II, p. 48 bis 52, in den
ragionamenti vor ſeinen Novellen. — Unter den vielen Andern
welche dieß, zum Theil nach Art der Alten, verfechten, nennen wir
nur Castiglione, il Cortigiano, L. IV, fol. 176.
Gründen des Colorites.
Bei dieſem Anlaß Etwas über das Auge der Lucrezia Borgia, aus
den Diſtichen eines ferrareſiſchen Hofpoeten, Ercole Strozza. (Strozii
poetæ, p. 85. 86). Die Macht ihres Blickes wird auf eine Weiſe
bezeichnet, die nur in einer künſtleriſchen Zeit erklärlich iſt, und die
man ſich jetzt verbitten würde. Bald heißt dieß Auge entflammend,
bald verſteinernd. Wer die Sonne lange anſieht, wird blind; wer
Meduſa betrachtete, wurde Stein; wer aber Lucrezien's Angeſicht
ſchaut:
‘Fit primo intuitu cæcus et inde lapis.’
Ja der marmorne ſchlafende Cupido in ihren Sälen ſoll von ihrem
Blick verſteinert ſein:
‘Lumine Borgiados saxificatus Amor.’
Man kann nun darüber ſtreiten, ob der ſogenannte praxiteliſche oder
derjenige von Michelangelo gemeint ſei, da ſie beide beſaß.
Und derſelbe Blick erſchien einem andern Dichter, dem Marcello
Filoſſeno, nur mild und ſtolz, mansueto e altero. (Roscoe,
Leone X, ed. Bossi, VII, p. 306).
Vergleichungen mit antiken Idealgeſtalten kommen damals nicht
ſelten ver (S. 31, 183). Von einem zehnjährigen Knaben heißt es im
Orlandino (II, Str. 47): er hat einen antiken Kopf, ed ha capo
romano.
nung der Haare modificirt werden kann, erlaubt ſich F. einen komi-
ſchen Ausfall gegen die allzuvielen Blumen im Haar, welche dem
Geſicht ein Anſehen geben, „gleich einem Topf voll Nelken oder einem
Geißviertel am Bratſpieß“. Ueberhaupt verſteht er recht wohl zu
carikiren.
ten- und Modenwelt, I, S. 85, ff.
Art Spottdroſſel, den Florentiner Greco hatte, hominem certe
cuiusvis mores, naturam, linguam cum maximo omnium qui
audiebant risu facile exprimentem. Platina, vitæ Pontiff.
p. 310.
glione's Ecloge.
italiane inedite, II, p. 99. Die Worte ſind zum Theil ganz un-
verſtändlich, d. h. wirklich oder ſcheinbar aus den Sprachen der
fremden Söldner entlehnt. — Auch Macchiavell's Beſchreibung von
Florenz während der Peſt von 1527 gehört gewiſſermaßen hieher.
Lauter lebendig ſprechende Einzelbilder eines ſchrecklichen Zuſtandes.
wahrſcheinlich lateiniſche, Eclogen gedichtet.
kleidetem Decamerone und fällt bisweilen auf komiſche Weiſe aus
dem Coſtüm. Eine ſeiner Nymphen iſt gut katholiſch und wird in
Rom von den Prälaten lüſtern angeſehen; eine andere heirathet. Im
Ninfale Fieſolano zieht die ſchwangere Nymphe Menſola eine „alte,
weiſe Nymphe“ zu Rathe, u. dgl.
vano (Ecl. VIII) von den zu allen Dingen brauchbaren Bewohnern
des Monte Baldo und der Val Saſſina[.] Bekanntlich haben ein-
zelne Landbevölkerungen noch heute ein Vorrecht auf gewiſſe Be-
ſchäftigungen in großen Städten.
Edelleute nicht, mit den Bauern zu tanzen, zu ringen, zu ſpringen
und um die Wette zu laufen. Il Cortigiano, L. II, fol. 54. —
Ein Gutsbeſitzer, der ſich über Gier und Trug ſeiner Pachtbauern
damit tröſtet, daß man ſich dabei in die Leute ſchicken lerne, iſt A.
Pandolfini, im Trattato del governo della famiglia, p. 86.
Condottiere Pietro Brunoro lernt man kennen aus Jacobus Bergo-
menſis und aus Porcellius, bei Murat XXV, Col. 43. — Vgl.
oben S. 150, Anm.
und je nach den Landſchaften insbeſondere ſind wir außer Stande,
Näheres hier beizubringen. Wie ſich der freie Grundbeſitz damals
zum gepachteten verhielt, welches die Belaſtung beider im Verhältniß
zur jetzigen Zeit war, müſſen Specialwerke lehren, die uns nicht zu
Gebote ſtehen. In ſtürmiſchen Zeiten pflegen die Bauern bisweilen
ſchrecklich zu verwildern (Arch. stor. XVI, I, p. 451, s. — An-
nales Foroliv. bei Murat. XXII, Col. 227) aber nirgends kommt
es zu einem großen gemeinſamen Bauernkrieg. Von einiger Be-
deutung und an ſich ſehr intereſſant iſt der Bauernaufſtand um
Piacenza 1462. Vgl. Corio, storia di Milano, fol. 409. An-
nales Placent. bei Murat. XX, Col. 907. Sismondi, X, p. 138.
digen Gedichte aus der Zeit des deutſchen Minnegeſanges, welche den
Namen des Neithard von Reuenthal tragen, ſtellen das Bauernleben
doch nur dar, inſoweit ſich der Ritter zu ſeinem Vergnügen darauf
einläßt.
— Die Lehrgedichte des Rucellai und Alamanni, welche einiges
Aehnliche enthalten ſollen, ſtehen mir nicht zu Gebote.
der Landesmanieren ſich geſellt haben muß. Vgl. S. 155.
ſondern Abdrücken.
als eine Ausnahme auf. Bandello, Parte II, Nov. 12.
und von den beſten, gehörten florentiniſchen Arbeitern. Ohne Sa-
vonarola's Opferbrand wären noch viel mehr davon vorhanden.
Vgl. S. 198.
maniſten häufig. Vgl. die ſcharfen Stellen bei Aen. Sylvius,
Opera, p. 84 (Hist. bohem. cap. 2) und 640 (Geſch. von Lu-
cretia und Euryalus).
— Joviani Pontani Antonius (wo der Verfall der Adelskraft erſt
von den Aragoneſen an datirt wird).
renten hatte, vom Adel nicht mehr zu unterſcheiden war.
mehrmaligen Polemik gegen die Mißheirathen nicht ohne Bedeutung.
Parte I, Nov. 4. 26. Parte III, 60. IV. 8. Der mailändiſche
Nobile als Kaufmann iſt eine Ausnahme. Parte III, Nov. 37.
— Wie die lombardiſchen Adlichen an den Spielen der Bauern
Theil nahmen, vgl. S. 351 Anm.
auf den noch mit Lehnsrechten verſehenen, völlig unthätigen und po-
litiſch zerſtörenden Adel. — Agrippa von Nettesheim, der ſeine merk-
würdigſten Ideen weſentlich ſeinem Leben in Italien verdankt, hat
doch einen Abſchnitt über Adel und Fürſtenthum (de incert. et va-
nitate scient. cap. 80), der an radicaler Bitterkeit ſtärker als
Alles iſt und weſentlich der nordiſchen Geiſtergährung angehört.
Oberitalien kam Aehnliches erſt mit der ſpaniſchen Herrſchaft auf.
Bandello, Parte II, Nov. 40 ſtammt aus dieſer Zeit.
dahin ausſpricht, daß die Reichen ihr ererbtes Vermögen nicht ver-
mehren ſondern jährlich ihre ganze Einnahme ausgeben ſollten, ſo
kann dieß im Munde eines Florentiners nur von den großen Grund-
beſitzern gelten.
den Epist. famil. ſchildert das Grauſen, das er empfand, als er
bei einem Turnier in Neapel einen Ritter fallen ſah.
von einem Turnier unter Carl d. Großen ausdrücklich: da ſtritten
nicht Köche und Küchenjungen, ſondern Könige, Herzoge und Mark-
grafen.
dann wohl noch 60 Jahre, bis Jacques Coeur, der bürgerliche Finanz-
miniſter Carls VII, an ſeinem Palaſt zu Bourges ein Eſelturnier
ausmeißeln ließ (um 1450). Das Glänzendſte in dieſer Art, der
ebencitirte zweite Geſang des Orlandino, iſt erſt im Jahre 1526
herausgegeben.
Ferner Paul. Jov. Vita Leonis X, L. I. — Macchiav. Storie
fiorent. L. VII. — Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Petrus
Medices und des Franc. Borbonius. — Vasari IX, 219, v. di
Granacci. — Im Morgante des Pulci, welcher unter Lorenzo's
Augen gedichtet wurde, ſind die Ritter oft komiſch in ihrem Reden
und Thun, aber ihre Hiebe ſind echt und kunſtgerecht. Auch Bo-
jardo dichtet für genaue Kenner des Turniers und des Krieges.
Vgl. S. 322 — Turniere in Ferrara 1464, Diario Ferrar. Mura-
tori XXIV. Col. 208. — in Venedig, Sansovino, Venezia,
fol. 153, s. — in Bologna 1470, seqq., Bursellis Annal. Bonon.,
Murat. XXIII. Col. 898, 903, 906, 908, 909, wobei eine wun-
derliche Vermiſchung mit dem Pathes zu bemerken iſt, welches ſich
damals an die Aufführung römiſcher Triumphe knüpfte. — Federigo
von Urbino (S. 44) verlor bei einem Turnier das rechte Auge
ab ictu lanceæ. — Ueber das damalige nordiſche Turnierweſen
iſt ſtatt aller andern Autoren zu vergleichen: Olivier de la Marche,
mémoires, passim, beſ. Cap. 8, 9, 14, 16, 18, 19, 21 u. ſ. w.
Balth. Castellio etc.
fol. 150, s. Die Brauttracht bei der Verlobung — weiß, mit
aufgelöst über die Schultern wallendem Haare — iſt die von Ti-
zian's Flora.
dentiæ perventum esset, ut inter mercatorem et patricium
nullum sit in vestitu ceteroque ornatu discrimen. Sed hæc
tanta licentia reprehendi potest, coerceri non potest, quan-
quam mutari vestes sic quotidie videamus, ut quas quarto
ante mense in deliciis habebamus, nunc repudiemus et
tanquam veteramenta abiiciamus. Quodque tolerari vix potest,
nullum fere vestimenti genus probatur, quod e Galliis non
fuerit adductum, in quibus levia pleraque in pretio sunt,
tametsi nostri persæpe homines modum illis et quasi formu-
lam quandam præscribant.
320. 376. 399; hier auch deutſche Mode.
und Modenwelt.
10 und 152; Matteo Villani I, 4. Im großen Modenedict von
1330 werden u. a. nur eingewirkte Figuren auf den Frauengewän-
dern erlaubt, die bloß „aufgemalten“ (dipinto) dagegen verboten. Soll
man hiebei etwa an Modeldruck denken?
aus Elfenbein, die ein italien. Prälat, doch nur um der deutlichen
Ausſprache willen, einſetzt, bei Anshelm, Berner Chronik, IV,
S. 30. (1508.)
bei Murat. XXIII, Col. 823. — Dann die Autoren über Savo-
narola, ſ. unten.
di sole. — Vgl. S. 343.
in der Satire des Bern. Giambullari: per prender moglie. Ein
Inbegriff der ganzen Toilettenchemie, welche ſich offenbar noch
ſehr an Aberglauben und Magie anlehnt.
Lächerliche dieſer Schmiererei hervorzuheben. Vgl. Ariosto, Sa-
tria III, vs. 202, s. — Aretino, il marescalco, Atto II, scena 5
und mehrere Stellen in den Ragionamenti. Dann Giambullari
a. a. O. — Phil. Beroald. sen. Carmina.
cept des Bemalens von Geſichtern, offenbar für Myſterien oder
Maskeraden, denn cap. 162 warnt er ernſtlich vor Schminken und
Schönheitswaſſern im Allgemeinen.
verſpricht ihr Schminke und Bleiweiß aus der Stadt in einer Düte
mitzubringen. Vgl. oben S. 352.
Parte II, Nov. 47.
che l'altro di mi mandaste a donare. Gegenſtände aus jener
Zeit riechen noch jetzt bisweilen.
p. 625 im Leben des Niccoli.
ſagt bei Anlaß von Baccano: pauca sunt mapalia, eaque ho-
spitia faciunt Theutonici; hoc hominum genus totam fere
Italiam hospitalem facit; ubi non repereris hos, neque diver-
sorium quæras.
eines ſehr großen palaſtähnlichen Gaſthofes zum Ochſen, welcher
Ställe für 200 Pferde hatte. Michele Savonar. ap. Murat. XXIV,
renſchiff, in Erasmus Colloquien, in dem lateiniſchen Gedicht Gro-
bianus ꝛc.
größten und ſchönſten Oſterien die man kannte, doch wie es ſcheint,
nur als Erholungsort für die Leute aus der Stadt. Varchi, stor.
fiorent. III, p. 86.
tigiano, L. II, fol. 96, s. hervor. In Florenz hielt ſich die bös-
artige Burla doch ſo lange ſie konnte. Die Novellen des Lasca ſind
ein Zeugniß hievon.
gab über 60 vierſpännige und zahlloſe zweiſpännige Wagen, zum
Theil reich vergoldet und geſchnitzt, mit ſeidenen Decken, vgl. ebenda
Nov. 4. — Ariosto, sat. III, vs. 127.
caccio, vita di Dante, p. 77, kurz vor ſeinem Tode verfaßt. —
Ueber die raſche und merkliche Veränderung der Sprache bei ſeinen
Lebzeiten äußert er ſich im Anfang des Convito.
ein einheimiſcher Kenner leicht tabellariſch darſtellen. Es müßte
conſtatirt werden, wie lange ſich während des XIV. und XV. Jahrh.
die einzelnen Dialecte in der täglichen Correſpondenz, in den Re-
gierungsſchriften und Gerichtsprotocollen, endlich in den Chroniken
und in der freien Literatur ganz oder gemiſcht behauptet haben.
Auch das Fortleben der ital. Dialecte neben einem reinern oder ge-
ringern Latein, welches dann als officielle Sprache diente, käme
dabei in Betracht.
man ſchrieb und las eben wenig.
gehörte und wohin nicht. Gioviano Pontano darf den Kronprinzen
von Neapel ausdrücklich vor deſſen Gebrauch warnen (Jov. Pontan.
de principe). Bei den Lazzaroni wurde man freilich nicht ſo po-
pulär wie die jetzige Dynaſtie. — Den Hohn über einen mailänd.
Cardinal der in Rom ſeinen Dialect behaupten wollte ſ. bei Ban-
dello, Parte II, Nov. 31.
logiſchen Form leuchtet doch überall die eigene Meinung hervor.
ſpaniſche und Folengo (unter dem Pſeudonym Limerno Pitocco, in
ſeinem Orlandino) franzöſiſche Brocken immer nur Hohnes wegen
ein. Es iſt ſchon ſehr außergewöhnlich, daß eine Straße in Mai-
land, welche zur Franzoſenzeit, 1500 bis 1512, 1515 bis 1522,
Rue belle hieß, noch heute Rugabella heißt. Von der langen ſpan.
Herrſchaft iſt an der Sprache faſt keine Spur, an Gebäuden und
Straßen höchſtens hie und da der Name eines Vicekönigs haften
geblieben. Erſt im XVIII. Jahrh. drangen mit den Gedanken der
franzöſiſchen Literatur auch viele franzöſiſche Wendungen und Ein-
zelausdrücke in's Italieniſche ein; der Purismus unſeres Jahrhun-
derts war und iſt noch bemüht, ſie wieder wegzuſchaffen.
in den Ragionamenti vor den Novellen.
Lombarde, der eben genannte Teofilo Folengo in ſeinem Orlandino,
erledigt die Sache mit heiterm Spott.
Bembo's Vorſitz Statt. S. den Brief des Claud. Tolomei, bei
Firenzuola, opere, vol. II, Beilagen.
vita sobria): erſt ſeit nicht langer Zeit nähmen in Italien über-
hand: Die (ſpaniſchen) Ceremonien und Complimente, das Luther-
thum und die Schlemmerei. (Die Mäßigkeit und die freie, leichte
Geſelligkeit ſchwanden zu gleicher Zeit.) Vgl. S. 355.
diſante Clique von verlumpten Künſtlern, XI, 216, s. Vita
d'Aristotele. — Macchiavell's Capitoli für eine Vergnügensgeſell-
ſchaft (in den opere minori p. 407) ſind eine komiſche Caricatur
von Geſellſchaftsſtatuten, im Styl der verkehrten Welt. — Unver-
gleichlich iſt und bleibt die bekannte Schilderung jenes römiſchen
Künſtlerabends bei Benvenuto Cellini, I, cap. 30.
Vgl. Bandello, Parte II, Nov. 10.
34. 55. III, 17. etc.
291 (die Falkenjagd). — Roscoe, vita di Lorenzo, III, p. 140
und Beilagen 17 bis 19.
von der Weinleſe. Lorenzo ſchildert in höchſt vergnüglicher Weiſe,
nämlich in einer Parodie nach Dante's Hölle, wie er, zumeiſt in
Via Faenza, alle ſeine guten Freunde nacheinander mehr oder weniger
benebelt vom Lande her kommend antrifft. Von der ſchönſten Komik
iſt im 8. Capitolo das Bild des Piovano Arlotto, welcher auszieht
ſeinen verlorenen Durſt zu ſuchen und zu dieſem Endzweck an ſich
hängen hat: dürres Fleiſch, einen Häring, einen Reif Käſe, ein
Würſtchen und vier Sardellen, e tutte si cocevan nel sudore.
des XVI. Jahrh. vgl. Macchiavelli, arte della guerra, L. I.
jungen Italieners von Stande um 1500 (in der Leichenrede auf
Antonio Coſtabili) wie folgt: zuerſt artes liberales et ingenuæ
disciplinæ; tum adolescentia in iis exercitationibus acta, quæ
ad rem militarem corpus animumque præmuniunt. Nunc
gymnastae (d. h. dem Turnlehrer) operam dare, luctari,
excurrere, natare, equitare, venari, aucupari, ad palum et
apud lanistam ictus inferre aut declinare, cæsim punctimve
hostem ferire, hastam vibrare, sub armis hyemem iuxta et
æstatem traducere, lanceis occursare, veri ac communis
Martis simulacra imitari. — Cardanus (de propria vita, c. 7)
nennt unter ſeinen Turnübungen auch das Hinaufſpringen auf das
hölzerne Pferd.
Anlaß des Hinausfahrens zum Lido, wo man mit der Armbruſt zu
trarca's und Boccaccio's Gedichten vgl. Trucchi, poesie ital. ine-
dite II, p. 139. — Ueber Theoretiker des XIV. Jahrh. Filippo
Villani, vite, p. 46 und Scardeonius, de urb. Patav. antiq.
bei Græv. Thesaur. VI, III, Col. 297.
Eine merkwürdige und umfangreiche Stelle über die Muſik findet ſich,
wo man ſie nicht ſuchen würde, Macaroneide, Phant. XX. Es
wird ein Quartettgeſang kemiſch geſchildert, wobei man erfährt, daß
auch franzöſiſche und ſpaniſche Lieder geſungen wurden, daß die Muſik
bereits ihre Feinde hatte (um 1520), und daß Leo's X. Capelle und
geſetzlich ſeit 1315. — Früher wurde in Venedig auch viel geritten,
ehe die Straßen gepflaſtert und die ebenen hölzernen Brücken in
hochgewölbte ſteinerne verwandelt waren. Noch Petrarca (Epist.
seniles, IV, 2, p. 783) ſchildert ein prächtiges Reiterturnier auf
dem Marcusplatz, und der Doge Steno hielt um 1400 einen Mar-
ſtall ſo herrlich wie der irgend eines italieniſchen Fürſten. Doch
war das Reiten in der Umgegend jenes Platzes ſchon ſeit 1291 in
der Regel verbeten. — Später galten die Venezianer natürlich für
ſchlechte Reiter. Vgl. Ariosto, Sat. V, vs. 208.
Ob dieß vielleicht der Violinſpieler der Galerie Sciarra iſt? —
wofür man ſchwärmte; die Hauptwerke des letztern werden genannt.
Derſelbe Autor (Folengo) legt auch in ſeinem (unter dem Namen
Limerno Pitocco herausgegebenen) Orlandino III, 23, s. einen ganz
modernen Muſikfanatismus an den Tag.
der Lyra iſt Lionardo da Vinci mitgenannt, auch Alfonſo (Herzog?)
von Ferrara. Der Verf. nimmt überhaupt die Berühmtheiten des
Jahrhunderts zuſammen. Mehrere Juden ſind darunter. — Ein
Virtuoſe, der blinde Francesco von Florenz (ſt. 1390) wird ſchon
frühe in Venedig von dem anweſenden König von Cypern mit einem
Lorbeerkranze gekrönt.
haber auch Notenbücher.
(S. 160, 326) III, 27.
XI, 133 im Leben des Sanmichele. — Um Lorenzo magnifico hatte
ſich bereits 1480 eine „Harmonieſchule“ von 15 Mitgliedern geſam-
melt, darunter der berühmte Organiſt Squarcialupi. Vgl. De-
lécluze, Florence et ses vicissitudes, Vol. II, p. 256. Von
Lorenzo ſcheint ſein Sohn Leo X. die Muſikbegeiſterung geerbt zu
haben. Auch ſein älteſter Sohn Pietro war ſehr muſicaliſch.
ſehr ſeltener Grad von Dilettantenbildung.
im Hauſe der Ippolita Bentivoglia. Vgl. III, 26. In unſerer
zimperlichen Zeit würde man dieß eine Profanation der heiligſten
Gefühle nennen. — Die Recitation zur Laute oder Viola iſt in den
Ausſagen nicht leicht vom eigentlichen Geſang zu ſcheiden.
nur äußerſt gering iſt.
rom. IX, p. 593, s.) die Biographie der Aleſſandra de' Bardi
auffaſſen. Der Autor iſt, beiläufig geſagt, ein großer laudator
temporis acti und man darf nicht vergeſſen, daß faſt hundert Jahre
vor dem, was er die gute alte Zeit nennt, ſchon Boccaccio den De-
camerone ſchrieb.
Gemahlin des Sigismund von Polen: Incipe aliquid de viro sa-
pere, quoniam ad imperandum viris nata es … Ita fac, ut
sapientibus viris placeas, ut te prudentes et graves viri admi-
rentur, et vulgi et muliercularum studia et iudicia despicias etc.
Auch ſonſt ein merkwürdiger Brief. (Mai, Spicileg. rom. VIII, p. 532.)
Col. 128, s. Vgl. Infessura bei Eccard, scriptt. II, Col. 1981
und Arch. stor. Append. II, p. 250.
zählungen zu benehmen haben, lehrt der Cortigiano, L. III, fol. 107.
Daß ſchon die Damen, welche bei ſeinen Dialogen zugegen waren,
ſich gelegentlich mußten zu benehmen wiſſen, zeigt z. B. die ſtarke
Stelle L. II, Fol. 100. — Was von dem Gegenſtück des Corti-
giano, der Donna di palazzo geſagt wird, iſt deßhalb nicht ent-
ſcheidend, weil dieſe Palaſtdame bei Weitem mehr Dienerin der
Fürſtin iſt als der Cortigiano Diener des Fürſten. — Bei Ban-
dello I, Nov. 44, erzählt Bianca d'Eſte die ſchauerliche Liebesge-
ſchichte ihres eigenen Ahn's Niccolò von Ferrara und der Pariſina.
chen in England und den Niederlanden zu würdigen wußten, zeigt
Bandello II, Nov. 42 und IV, Nov. 27.
Nov. 42. — Aretin, im Ragionamento del Zoppino p. 327 ſagt
von einer Buhlerin: ſie weiß auswendig den ganzen Petrarca und
Boccaccio und zahlloſe ſchöne lateiniſche Verſe aus Virgil, Horaz,
Ovid und tauſend andern Autoren.
VI, Nov. 7.
die öffentlichen Weiber, nicht die Concubinen mitgerechnet. Die
Zahl iſt übrigens im Verhältniß zur vermuthlichen Bevölkerung von
Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler.
Pandolfini ſtarb 1446, L. B. Alberti, dem das Werk ebenfalls zu-
geſchrieben wird, im J 1472 — Vgl. auch S. 302, Anm.
Prügelns bei den germaniſchen und romaniſchen Völkern wäre wohl
ſo viel werth als ein paar Bände Depeſchen und Unterhandlungen.
Wann und durch welchen Einfluß iſt das Prügeln in der deutſchen
Familie zu einem alltäglichen Gebrauch geworden? Es geſchah wohl
erſt lange nachdem Waltber geſungen: Nieman kan mit gerten kin-
des zuht beherten. In Italien hört wenigſtens das Schlagen ſehr
früh auf; ein ſiebenjähriges Kind bekömmt keine Schläge mehr.
Der kleine Roland (Orlandino, cap. VII, str. 42) ſtellt das Princip
auf:
Hinderniß für die höhere Entwicklung des Drama's nachgewieſen
wurde.
Mailand 1395 (Corio, fol. 274) haben bei größter Pracht noch
etwas roh mittelalterliches, und das dramatiſche Element fehlt noch
ganz. Vgl. auch die relative Geringfügigkeit der Aufzüge in Pavia
Corio, fol. 417. 421.
nolog in Terzinen.
Murat. XI, Col. 34, s.)
ken braucht.
baut, wenn an der Pforte des Fegefeuers die mittlere, geborſtene
Stufe die Zerknirſchung des Herzens bedeuten ſoll (Purgat. IX, 97),
während doch die Steinplatte durch das Berſten ihren Werth als
Stufe verliert; oder wenn (Purgat. XVIII, 94) die auf Erden
Läſſigen ihre Buße im Jenſeits durch Rennen bezeigen müſſen,
während doch das Rennen auch ein Zeichen der Flucht ꝛc. ſein könnte.
ſoll darin Ascanio Sforza durch das Jagdvergnügen über den Sturz
ſeines Hauſes getröſtet werden. — Vgl. S. 257.
1389 (Einzug der Königin Iſabeau); — Jean de Troyes ad a.
1461 (Einzug Ludwigs XI.). Auch hier fehlt es nicht ganz an
Schwebemaſchinen, an lebendigen Statuen u. dgl., aber Alles iſt
bunter, zuſammenhangloſer und die Allegorien meiſt unergründlich.
damit anzufangen wußten.
Kirche von Siena damit, daß die unglücklichen Mütter einander bei
den Haaren nehmen mußten. Della Valle, lettere sanesi, III,
p. 53. — Es war ein Hauptſtreben des eben genannten Feo Belcari
(ſt. 1484), die Myſterien von ſolchen Auswüchſen zu reinigen.
Cecca. Vgl. V, 52. vita di Don Bartolommeo.
presentazioni di Feo Belcari ed altre di lui poesie, Firenze
1833. — Als Parallele die Einleitung des Bibliophile Jacob zu
ſeiner Ausgabe des Pathelin.
Verkündigung in Ferrara bei der Hochzeit des Alfonſo, mit kunſt-
reichen Schwebemaſchinen und Feuerwerk. Die Aufführung der Su-
ſanna, des Täufers Johannes und einer Legende beim Card. Riario
ſ. bei Corio, fol. 417. Das Myſterium von Conſtantin d. Gr.,
im päpſtlichen Palaſt, Carneval 1484, ſ. bei Jac. Volaterran.,
Murat. XXIII, Col. 194.
Auch die Poeſie des XV. Jahrh. ſtimmt bisweilen denſelben rohen
Ton an. Eine Canzone des Andrea da Baſſo conſtatirt bis ins
Einzelne die Verweſung der Leiche einer hartherzigen Geliebten.
Freilich in einem Kloſterdrama des XII. Jahrh. hatte man ſogar
auf der Scene geſehen wie König Herodes von den Würmern ge-
freſſen wird. Carmina Burana, p. 80, s.
ſchoben.
Bossi, I, p. 220 und III, p. 263.
ders prächtiges Fronleichnamsfeſt wird erwähnt von Bursellis,
Annal. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 911, zum J. 1492.
vedere.
zähmten?) Löwen kämpfte, letzteres vielleicht mit Bezug auf den
Namen des Papſtes, Sylvius.
Col. 134. 139. Auch beim Amtsantritt Alexanders VI. wurde
furchtbar kanonirt. — Das Feuerwerk, eine ſchönere Erfindung des
italieniſchen Feſtweſens, gehört ſammt der feſtlichen Decoration eher
in die Kunſtgeſchichte als hieher. — Ebenſo die prächtige Beleuch-
tung (vgl. S. 317), welche bei manchen Feſten gerühmt wird, und
ſelbſt die Tiſchaufſätze und Jagdtrophäen.
Col. 772, den Empfang Pius II, 1459.
— Strozii poetæ, p. 193, in den Aeoloſtichen. Vgl. S. 47, 52.
Kind 1513 bei einem florentiniſchen Feſt an den Folgen der An-
ſtrengung — oder vielleicht der Vergoldung? — ſtarb. Der arme
Knabe hatte „das goldene Zeitalter“ vorſtellen müſſen.
zeigen auch die (undeutlich geſchilderten) Planetenaufzüge beim Em-
pfang fürſtlicher Bräute in Ferrara. Diario Ferrarese, bei Mu-
ratori XXIV, Col. 248, ad a. 1473. Col. 282, ad a. 1491. —
Ebenſo in Mantua. Arch. stor. append. II, p. 233.
iſt undeutlich, und überdieß nach einer incorrecten Abſchrift gedruckt.
maskirt waren.
eröffneten Meerfahrt ins Waſſer gelaſſen wird. — Die Analogien im
deutſchen Cult ſ. bei Jac. Grimm, deutſche Mythologie.
Wagen iſt laut Vs. 115 herrlicher als der Triumphwagen des
Scipio, des Auguſtus, ja als der des Sonnengottes.
Re. — Vgl. Cagnola, Arch. stor. III, p. 127.
als Beilage zu den Dicta et Facta, von Panormita. — Eine
Fortuna eine ſolche Stelle anweiſen durfte. Beim Einzug des
Maſſimiliano Sforza in Mailand (1512) ſtand ſie als Hauptfigur
eines Triumphbogens über der Fama, Speranza, Audacia und
Penitenza; lauter lebendige Perſonen. Vgl. Prato, Arch. stor. III,
p. 305.
zeigt, welchen Eindruck der alfonſiniſche Triumph in ganz Italien
gemacht hatte.
tapfern Komnenen. Vgl. Cinnamus I, 5. VI, 1.
oft als Erinnerung an wirkliche Maskeraden. Die Großen gewöhn-
ten ſich bald bei jeder Feierlichkeit an's Fahren. Annibale Benti-
voglio, der älteſte Sohn des Stadtherrn von Bologna, fährt als
Kampfrichter von einem ordinären Waffenſpiel nach dem Palaſt cum
triumpho more romano. Bursellis, l. c. Col. 909, ad a. 1490.
Baglione zu Perugia (Graziani, arch. stor. XVI, I, p. 413)
wird man beinahe an den Leichenpomp des alten Etruriens erinnert.
Indeß gehören die Trauerritter u. dgl. der allgemeinen abendländi-
ſchen Adelsſitte an. Vgl. z. B.: Die Erequien des Bertrand Du-
guesclin bei Juvénal des Ursins, ad a. 1389. — S. auch Gra-
ziani, l. c. p. 360.
ihrer Art.
galt als böſes Vorzeichen.
Pavoni, Accesi, Eterni, Reali, Sempiterni; es ſind wohl die-
ſelben, welche dann in Academien übergingen.
Cannesius, vita Pauli II, bei Murat. III, II, Col. 1012. —
Platina, vitæ pontiff. p. 318. — Jac. Volaterran. bei Mu-
ratori XXIII, Col. 163. 194. — Paul. Jov. Elogia, sub Ju-
liano Cæsarino. — Anderswo gab es auch Wettrennen von Wei-
bern; Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 384.
Tommasi, l. c. p. 322.
einen Friedensſchluß danken, fanden aber die Thore des Palaſtes
verſchloſſen und auf allen Plätzen Truppen aufgeſtellt.
Cosmopoli 1750. — Macchiavelli, opere minori, p. 505. —
Vasari, VII, p. 115, s., vita di Piero di Cosimo, welchem letz-
tern ein Hauptantheil an der Ausbildung dieſer Züge zugeſchrieben
wird.
alle andern Länder; dann kommen zunächſt Franzoſen und Spanier.
inedite, vol. I.)
deſſen Opus Macaronicorum (S. 160 und 267) Rabelais wohl
noch gekannt haben möchte.
von Chinon, hat keine Urſache, dem Adel als ſolchem hier ein Vor-
recht zu geſtatten. — Die Predigt des Evangeliums, von welcher
in der Inſchrift des Kloſters die Rede iſt, würde zu dem ſonſtigen
Leben der Thelemiten wenig paſſen; ſie iſt auch eher negativ, im
Sinne des Trotzes gegen die römiſche Kirche zu deuten.
cissitudes, vol. 2. — Vgl. S. 332.
Parme, ed. Delahays, p. 355) ſcheint mir auf tiefer pſychologi-
ſcher Beobachtung zu ruhen.
I, p. 415).
lächerlich gemacht bei Pulci (Morgante, canto XXI, Str. 83, s.
104, s.
rachſüchtig, aber auch als verax, memor beneficiorum, amans
justitiæ.
relative Entvölkerung ein. Wäre ſie Folge der Entſittlichung gewe-
ſen, ſo hätte ſie viel früher eintreten müſſen.
L. IV, fol. 180.
rugia vom J. 1455, findet man in der Chronik des Graziani,
Arch. stor. XVI, I, p. 629. Der Bruder zwingt den Galan, der
Schweſter die Augen auszureißen und jagt ihn mit Schlägen von
dannen. Freilich die Familie war ein Zweig der Oddi und der
Liebhaber nur ein Seiler.
Ehebruch verräth.
Nov. 10 die Frauen im Hauſe, wenn man ihnen erzählt, die That
könne den Mörder den Kopf koſten.
ſeine heldenmüthigen Ascolaner, welche noch die letzte Nacht hindurch
tanzen und ſingen, die abruzzeſiſche Mutter, welche den Sohn auf
dem Gang zum Richtplatz aufheitert u. ſ. w. gehören vermuthlich
in Räuberfamilien, was er jedoch übergeht.
ſich dabei an die Bande des Prieſters, welcher einige Jahre vor
1837 die weſtliche Lombardie unſicher machte.
der Liebſchaft am meiſten Glück hat.
nien von Anjou um Neapel auftrat, ſo kann er dieß als politiſcher
Parteigänger gethan haben, was nach damaligen Begriffen keine
Schande brachte. Der Erzbiſchof Paolo Fregoſo von Genua hat
ſich vielleicht in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts viel mehr
erlaubt.
vielleicht eine ähnliche Farce aus einem andern Lebensgebiet erzählen
hören.
minis vita minoris vendatur. Freilich meint er, das ſei unter
den Anjou noch nicht ſo geweſen; sicam ab iis — den Aragoneſen
— accepimus. Den Zuſtand um 1534 bezeugt Benv. Cellini I, 70.
allein es wird wenig Merd erwähnt und die Phantaſie der flerentin.
Schriftſteller der guten Zeit iſt nicht mit Verdacht dieſer Art erfüllt.
serie II, vol. I, p. 353, s.
Pii II, bei Murat. III, II, Col. 988.
wirkliche Vergiftungen oder mehr Beſorgniſſe vor ſolchen vorherrſch-
ten, mag unentſchieden bleiben. Vgl. Bandello, II, Nov. 5 u. 54.
Sehr bedenklich lautet II, Nov. 40. In einer und derſelben weſt-
lombardiſchen Stadt, die nicht näher bezeichnet wird, leben zwei
Giftköche; ein Gemahl, der ſich von der Echtheit der Verzweiflung
ſeiner Frau überzeugen will, läßt ſie einen vermeintlich giftigen
Trank, der aber nur ein gefärbtes Waſſer iſt, wirklich austrinken
und darauf verſöhnt ſich das Ehepaar. — In der Familie des
Cardanus allein waren vier Vergiftungen vorgekommen. De propria
vita, cap. 30. 50.
bei Murat. XXIV, Col. 194 ad a. 1445. Während man dem
Thäter, einem gew. Benato, der auch ſonſt übelberüchtigt war, auf
der Piazza das Urtheil vorlas, erhob ſich ein Lärm in der Luft und
ein Erdbeben, ſodaß männiglich davon lief oder zu Boden ſtürzte.
— Was Guicciardini (L. I.) über den böſen Zauber des Lodovico
Moro gegen ſeinen Neffen Giangaleazzo ſagt, mag auf ſich beruhen.
nicht offenbar unter der Herrſchaft ehrgeiziger Zwecke und eines ſtar-
ken aſtrologiſchen Wahns gelebt hätte.
a. 1425.
Schwängerung der eigenen Tochter u. dgl. die Rede iſt.
ſtümmelt abgedruckt iſt, wie z. B. in der Mailänder Ausgabe.)
Stimmungen laut werden. Die Renaiſſance hat Städte und Zeiten
gehabt, wo ein entſchiedener, friſcher Genuß des Glückes vorherrſchte.
Eine allgemeine Verdüſterung der Denkenden beginnt erſt mit der
entſchiedenen Fremdherrſchaft im XVI. Jahrhundert ſich kenntlich zu
machen.
gar nicht gedenken, während man ſie, allenfalls mit verändertem
Ortsnamen, hätte durchziehen können wie die andern. Dieß geſchieht
dignità niuno poteva far motto senza pericolo; onde ogni
frate fu l'irco delle iniquità d'Israele etc.
ſtehe Niemanden ſchlechter an als den Prieſtern, welche ja für keine
Familie ꝛc. zu ſorgen hätten. Mit dieſem Raiſonnement wird der
ſchmähliche Ueberfall eines Pfarrhauſes gerechtfertigt, wobei ein
junger Herr durch zwei Soldaten oder Banditen einem zwar geizigen
aber gichtbrüchigen Pfarrer einen Hammel ſtehlen läßt. Eine ein-
zige Geſchichte dieſer Art zeigt die Vorausſetzungen, unter welchen
man lebte und handelte, genauer an als alle Abhandlungen
tugendbaften Biſchof. Gioviano Pontano im „Charon“ läßt den
Schatten eines üppigen Biſchofs „mit Entenſchritt“ daherwatſcheln.
gemeint.
neapolitaniſche Adel getheilt war. — Die Rivalität der beiden Orden
wird häufig lächerlich gemacht, z. B. Bandello III, Nov. 14.
Bandello, Parte I, Nov. 32.
den durfte. Vgl. auch Jovian. Pontan.: Antonius, und Charon.
zeigt, daß man bisweilen mit der Inquiſition Scherz trieb. Aller-
dings kann der hier erwähnte Vicario ſowohl der des Erzbiſchofs als
der des dominicaniſchen Inquiſitors geweſen ſein.
frei überſetzt, findet ſich Opere, vol. II, p. 208 in ſeiner zehnten
Novelle. — Eine einladende Schilderung des Wohllebens der Car-
thäuſer in dem S. 340 citirten Commentario d'Italia, fol. 32, s.
dotibus magna ratione sublatas nuptias maiori restituendas
videri, war eine ſeiner Lieblingsſentenzen. Platina, vitæ Pontiff.,
p. 311.
cap. VI, Str. 40, s. cap. VII, Str. 57. cap. VIII, Str. 3, s.,
beſ. 75.
Auch S. Bernhard hatte einſt am Rhein deſſelben Mittels bedurft.
man ihm brachte, das Kreuz zu machen und ſie im Namen der
Dreieinigkeit und ſeines Meiſters S. Bernardino zu ſegnen, worauf
hie und da eine wirkliche Geneſung erfolgte, wie in ſolchen Fällen
zu geſchehen pflegt. Der Chroniſt von Brescia deutet dieß ſo an:
„er that ſchöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war“.
ſie hätten es leicht, da ſie in jeder Stadt daſſelbe vorbrächten und
das Volk dümmer entlaſſen dürften als es gekommen ſei ꝛc.
Novelliſten ein häufiges Thema.
Malipiero, Ann. venet., arch. stor. VII, I, p, 18. — Chron.
venetum, bei Murat. XXIV, Col. 114. — Storia bresciana,
bei Murat. XXI, Col. 898.
brevi, sorti. Erſteres könnte auf Liederbücher gehen, dergleichen
wenigſtens Savonarola wirklich verbrannt hat. Allein Graziani
(Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, I, p. 314) ſagt bei einem
ähnlichen Anlaß, brieve incante, was ohne Zweifel brevi e in-
canti zu leſen iſt, und eine ähnliche Emendation iſt vielleicht auch
bei Infeſſura rathſam, deſſen sorti ohnehin irgend eine Sache des
Aberglaubens bezeichnen, etwa ein wahrſagendes Kartenſpiel. — Zur
Zeit des Bücherdruckes ſammelte man auch z. B. alle Exemplare
des Martial für den Scheiterhaufen ein. Bandello III, Nov. 10.
s. — und die bei Aen. Sylvius, de viris illustr., p. 24.
Richter (wenn nicht ſtatt giudici etwa giudei zu leſen iſt) worauf
dieſelben bald in ihren Häuſern wären verbrannt worden.
zu liegen. — Wie derſelbe Heilige vor Arezzo ein verrufenes Wäld-
chen umhauen ließ, erzählt Vasari III, 148; v. di Parri Spinelli.
Oft mag ſich der erſte Bußeifer an Localen, Symbolen und Werk-
zeugen ſo ziemlich erſchöpft haben.
ausdrücklich geſagt, daß er ſich mit dieſer Fehde abgab, allein wir
dürfen nicht daran zweifeln. — Auch Jacopo della Marca hatte
einſt (1445) nach ungeheuren Erfolgen kaum Perugia verlaſſen, als
ein ſchrecklicher Rachemord in der Familie Ranieri geſchah. Vgl.
Graziani, l. c. pag. 565, s. — Bei dieſem Anlaß muß darauf
hingewieſen werden, daß jene Stadt auffallend oft von ſolchen Pre-
digern beſucht wird, vgl. pag. 597, 626, 631, 637, 647.
und den neidiſchen Dominicanern nicht fehlte, zeigt der Streit über
das vom Kreuz auf die Erde gefloſſene Blut Chriſti (1463). Ueber
Fra Jacopo della Marca, der dem dominicaniſchen Inquiſitor durch-
aus nicht nachgeben wollte, äußert ſich Pius II. in ſeinem ausführ-
lichen Bericht (Comment. L. XI, p. 511) mit einer ganz hübſchen
Ironie: Pauperiem pati et famem et sitim et corporis cru-
ciatum et mortem pro Christi nomine nonnulli possunt;
iacturam nominis vel minimam ferre recusant, tanquam sua
deficiente fama Dei quoque gloria pereat.
vius (de viris illustr. p. 25) war in ſeiner Jugend einmal nach
einer Predigt S. Bernardino's nahe daran, in deſſen Orden zu treten.
von den Eremitanermönchen unterſcheiden. — Ueberhaupt waren die
Grenzen in dieſer Beziehung nicht feſt gezogen. Die als Wunder-
thäter herumziehenden Spoletiner beriefen ſich immer auf San An-
tonio und, ihrer Schlangen wegen, auf den Apoſtel Paulus. Sie
brandſchatzten ſchon ſeit dem XIII. Jahrh. die Bauern mit halb-
geiſtlicher Magie und ihre Pferde waren dreſſirt niederzuknien wenn
man San Antonio nannte. Dem Vorgeben nach ſammelten ſie für
Hoſpitäler. Massuccio, Nov. 18. Bandello III, Nov. 17. Fi-
renzuola in ſeinem asino d'oro läßt ſie die Stelle der Bettel-
pfaffen des Apulejus vertreten.
überhaupt, dann, als ihn das herrſchende Haus der Beccaria hatte
wollen ermorden laſſen, änderte er in einer Predigt ſelbſt die Ver-
faſſung und die Behörden und nöthigte die Beccaria zur Flucht (1357).
Mönche an, um das Volk für Loyalität zu begeiſtern. Ein Beiſpiel
aus Ferrara bei Sanudo (Murat. XXII, Col. 1218).
ſiſche Prediger, nach der Vertreibung der Franzoſen erwähnt Buri-
gozzo, ibid., pag. 443, 449, 485; ad a. 1523, 1526, 1529.
werken vielleicht das methodiſch beſtgeordnete und nüchternſte.
ſtädten die Freiheit wiedergeben und dennoch den Zuſammenhalt
zweite Stadt feierlich der Madonna geſchenkt hatten. Allegretto,
ap. Murat. XXIII, Col. 815.
ihm der Gedanke nicht.
altrimenti che col fuoco.
l. c., vol. I, pag. 30, Nota.
Ein Jahrhundert vorher, als das Executionsheer Johann's XXII.
gegen die Ghibellinen in der Mark zog, geſchah es unter ausdrück-
licher Anklage auf eresia und idolatria; Recanati, das ſich frei-
willig ergeben, wurde doch verbrannt, „weil daſelbſt Idole angebetet
worden waren“. Giov. Villani, IX, 139. 141. — Eine geheim-
nißvolle Anſpielung auf eine Idolatria del Toro in Rom findet ſich
in dem Brief des Negri, Lettere de' principi, I, vom 14. Auguſt
1522. — Unter Pius II. kommt ein hartnäckiger Sonnenanbeter,
Urbinate von Geburt, zum Vorſchein. Aen. Sylvii opera p. 289.
Hist. rer. ubique gestar. c. 12.
der Kirchenheiligen, nach Art mehrerer Philologen, ohne sanctus
oder divus, führt aber eine Menge Reliquien an und thut ſehr
zärtlich damit, rühmt ſich auch bei mehrern Stücken, ſie geküßt zu
haben.
Aufklärern, aber gegen dieſen Cauſalnerus proteſtirt er denn doch.
in honore tanti apostoli diminute agere videretur etc.
das Geſchenk noch anbeten, ſtarb aber dennoch. — Die Katakomben
waren damals in Vergeſſenheit gerathen, doch ſagt auch Savonarola,
l. c. Col. 1150 von Rom: velut ager Aceldama Sanctorum
habita est.
war einer der 16 Patricier, Bartol. della Volta, ſt. 1485.
Cultus der Leichen hiſtoriſch noch genau bekannter Heiligen aus den
letzten Jahrhunderten, und zwiſchen dem im Norden vorherrſchenden
Zuſammenſuchen von Körper- und Gewandfragmenten ꝛc. aus der
heiligen Urzeit. Letzterer Art, und vorzüglich für Pilger wichtig,
war dann auch der große Vorrath der lateranenſiſchen Reliquien.
Allein über den Sarcophagen des h. Dominicus und des h. Anto-
nius von Padua und über dem myſteriöſen Grabe des h. Franz
ſchimmert außer der Heiligkeit auch ſchon der hiſtoriſche Ruhm.
bus (L. I.) bezieht ſich freilich auf weltliche und geiſtliche Kunſt
zugleich. Bei den Hebräern, meint er, ſei mit Recht alles Bildwerk
verdammt geweſen, weil ſie ſonſt in den ringsherrſchenden Götzen-
oder Teufelsdienſt wieder zurückgefallen wären:
Nunc autem, postquam penitus natura SatanumCognita, et antiqua sine maiestate relicta est,Nulla ferunt nobis statuæ discrimina, nullosFert pictura dolos; iam sunt innoxia signa;Sunt modo virtutum testes monimentaque laudumMarmora, et æternæ decora immortalia famæ …wiſſe „nebulones“, welche an die Echtheit des heil. Blutes zu
Mantua nicht glauben wollten. Auch diejenige Kritik, welche bereits
die Schenkung Conſtantins beſtritt, war ſicher den Reliquien un-
günſtig, wenn auch im Stillen.
niß ereiferte. Extravag. commun. L. III, Tit. XII. Er ſtiftete
auch das Feſt der Darſtellung Mariä im Tempel, das der heil. Anna
und des heil. Joſeph. Vgl. Trithem. Ann. Hirsaug. II, p. 518.
der Vittoria. (N. 85 u. ff.)
dem beſondern Schutz der Maria glaubte. Jac. Card. Papiens.,
de morte Pii, p. 656.
Buße: invasit primitus Perusinos, Romanos postmodum,
deinde fere Italiæ populos universos.
Fürſten vom Hauſe Eſte nach Jeruſalem, S. Yago und Vienne ſind
aufgezählt im Diario Ferrarese bei Murat. XXIV, Col. 182.
187. 190. 279. Die des Rinaldo Albizzi in's heil. Land bei
Macchiavelli, stor. fior., L. V. Auch hier iſt bisweilen die Ruhm-
luſt das Beſtimmende; von Lionardo Frescobaldi, der mit einem Ge-
fährten (gegen 1400) nach dem heil. Grabe pilgern wollte, ſagt der
Chroniſt Giov. Cavalcanti (II, p. 478): Stimarono di eternarsi
nella mente degli uomini futuri.
die Sache ſei conzado (eingerichtet) con gran misterio.
386. 401.
star bene con Iddio, ſagt der Annaliſt.
Die Sache ſollte recht augenſcheinlich vom Hofe und nicht von Or-
densobern oder ſonſtigen geiſtlichen Behörden ausgehen.
ähnliche Toleranz oder Indifferenz ſtoßen konnte.
48, 49.
mit, während die 100 novelle ant. eine Lücke laſſen.
u. ff. Vgl. Str. 141 u. ff.
in der Geſtalt des Fürſten Chiariſtante (Geſ. XXI, Str. 101, s.
121, s. 145, s. 163, s.) welcher nichts glaubt und ſich und ſeine
Gemahlin göttlich verehren läßt. Man iſt verſucht, dabei an Si-
gismondo Malateſta (S. 33, 223, 454) zu denken.
ſehr früh vor, aber nur in conventionellem Sinn.
im Convito zu vergleichen. — Auch der Dämon Aſtarotte bei Pulci
(Morgante XXV, Str. 150) bezeugt die menſchliche Willensfreiheit
und die göttliche Gerechtigkeit.
Col. 532.
Philoſophie, Bd. IX.
ſeinen philologiſchen Vorleſungen p. 65. 151. 278 etc.
damals die Philologie gerne die Theologie in Verlegenheit ſetzte.
non esset approbata, honestate sua recipi debuisse.
nen, doch auch das längſt Anerkannte blieb nicht ohne Anfechtung.
Firenzuola (opere, vol. II, p. 208, in der 10. Novelle) ſpottet
über die Franciscaner von Novara, welche aus erſchlichenem Geld
eine Capelle an ihre Kirche bauen wollen, dove fusse dipinta
quella bella storia, quando S. Francesco predicava agli uc-
celli nel deserto; e quando ei fece la santa zuppa, e che
l'agnolo Gabriello gli portò i zoccoli.
Kirchengeſchichte II, IV, §. 154 Anm. mit einigen ſprechenden Bei-
ſpielen dargethan.
leſenswertheſten Schriften jener ſonſt ſo reichen Jahre. Vgl. S. 331.
— Die Fortuna bei feſtlichen Aufzügen, S. 418 u. Anm.
tum hoc conditum a Joanne Bentivolo secundo Patriæ rec-
tore, cui virtus et fortuna cuncta quæ optari possunt affatim
præstiterunt. Es iſt indeß nicht ganz klar, ob dieſe Inſchrift außen
angebracht und ſichtbar, oder wie die zunächſt vorher mitgetheilte in
einem Grundſtein verborgen war. Im letztern Fall verbände ſich
wohl damit eine neue Idee: das Glück ſollte durch die geheime
Schrift, die vielleicht nur noch der Chroniſt kannte, magiſch an das
Gebäude gefeſſelt werden.
Putten unterſchied und für alle ernſten Zwecke die erſtern anwandte.
— Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468 heißt der Amorin
oder Putto ganz naiv: instar Cupidinis angelus.
vorgeſchriebenen Geſten dazu.
599. 602. 607. — Auch der letzte Visconti (S. 37) hatte eine
ganze Anzahl ſolcher Leute bei ſich. Vgl. Decembrio, bei Mura-
tori XX, Col. 1017.
ſah. Vgl. auch Matteo Villani XI, 3, wo offenbar ein Stadt-
aſtrolog gemeint iſt.
dieſe Profeſſur ſchon 1125 vorkommen. — Vgl. das Verzeichniß der
Profeſſoren von Pavia bei Corio, fol. 290. — Die Profeſſur an
der Sapienza unter Leo X, vgl. Roscoe, Leone X, ed. Bossi,
V, p. 283.
verſchämten Aſtrologen, Bianco, mit politiſchen Weiſſagungen heraus-
zurücken. Giov. Villani, VI, 81.
quam utile. Platina, vitæ Pont. p. 310. — Für Sixtus IV.
vgl. Jac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 173. 186.
der über Leo's Horoscop ſchrieb und dabei mehrere Geheimniſſe des
Papſtes errieth.
Bentivoglio in Mailand vor deſſen ganzer Geſellſchaft als einen
armen Teufel.
er das Kreuz mit jener Inſchrift machen ließ, welches ſich jetzt im
Churer Münſter befindet. Auch Sixtus IV. ſagte einmal, er wolle
probiren, ob der Spruch wahr ſei.
ratori XXIV, Col. 518. 524. Benedictus, bei Eccard II,
Col. 1623. Und doch hatte ſein Vater, der große Francesco Sforza,
die Aſtrologen verachtet, und ſein Großvater Giacomo ſich wenigſtens
nicht nach ihren Warnungen gerichtet. Corio, fol. 321. 413.
Das hier Mitgetheilte aus Annal. foroliviens. bei Murat. XXII,
Col. 233, s. — Leonbattiſta Alberti ſucht die Ceremonie der Grund-
ſteinlegung zu vergeiſtigen. Opere volgari, Tom. IV, p. 314
(oder de re ædific. L. I).
ihm angedroht war. Vita di P. Capponi, arch. stor. IV, II,
15. — Das Beiſpiel aus dem Leben des Cardanus S. 334. —
Der Arzt und Aſtrolog Pierleoni von Spoleto glaubte er werde
einſt ertrinken, mied deßhalb alle Gewäſſer und ſchlug glänzende
Stellungen in Padua und Venedig aus. Paul. Jov. Elog. liter.
Villani III, 1, unter Carl d. Gr.) und der erſten von Venedig
(oben, S. 62) geht vielleicht eine alte Erinnerung neben der Dich-
tung des ſpätern Mittelalters einher.
stor. fior. L. I. — Wenn ſiegverheißende Conſtellationen nahten,
ſtieg Bonatto mit Aſtrolab und Buch auf den Thurm von San
Mercuriale über der Piazza, und ließ, ſobald der Moment kam,
gleich die große Glocke zum Aufgebot läuten. Doch wird zugeſtan-
den, daß er ſich bisweilen ſehr geirrt und das Schickſal des Monte-
feltro und ſeinen eigenen Tod nicht vorausgekannt habe. Unweit
Ceſena tödteten ihn Räuber, als er von Paris und italieniſchen
Univerſitäten, wo er gelehrt hatte, nach Forli zurück wollte.
ehrenvolle Ausnahmen S. 516, Anm.
mini p. 65 zu verſtehen ſein. — An Kleidern und Geräthen kommt
dergleichen nicht ſelten vor. Beim Empfang der Lucrezia Borgia
in Ferrara trug das Maulthier der Herzogin von Urbino eine
ſchwarzſammtne Decke mit goldenen aſtrologiſchen Zeichen. Arch.
stor. append. II, p. 305.
vermuthen, der nach der Sch lacht von Nicopolis dem Sultan Baja-
zeth I. rieth, den Loskauf des Johann von Burgund zu geſtatten:
„um ſeinetwillen werde noch viel Chriſtenblut vergoſſen werden“.
Es war nicht zu ſchwer, den weitern Verlauf des innern franzöſiſchen
Krieges voraus zu ahnen. Magn. chron. belgicum, p. 358.
Juvénal des Ursins ad a. 1396.
König Ferrante: er werde ſeine Herrſchaft verlieren sine cruore,
sed sola fama, wie denn auch geſchah.
u. a. collegialiſcher Neid. — Schon Bonatto hatte Aehnliches ge-
lehrt und z. B. das Wunder der göttlichen Liebe in S. Franz als
Wirkung des Planeten Mars dargeſtellt. Vgl. Jo. Picus adv.
Astrol. II, 5.
laut Scardeonius waren ſie beſtimmt ad indicandum nascentium
naturas per gradus et numeros, ein populäreres Beginnen als
wir uns jetzt leicht vorſtellen. Es war Aſtrologie à la portée de
tout le monde.
hæc efficit ut homines parum a Diis distare videantur! —
Brief iſt an Boccaccio gerichtet, welcher ebenſo gedacht haben muß.
Col. 931), der S. 235, 236, Anm. erwähnte Alberto di Ripalta ſchließt
ſich dieſer Polemik an. Die Stelle iſt aber anderweitig merkwürdig,
dignitate urbis Bononiæ, bei Murat. XXI, Col. 1163.
ſtens ein Glaube an Vorbedeutungen ꝛc. zum Vorſchein kommt.
hier mit Namen genannten Cometen enthält. — Vgl. Gio. Vil-
lani, XI, 67.
dieſe, ut subtilium disciplinarum professores a scribendo de-
terruisse videatur.
Theorie Dante's zu Anfang des Convito.
an Ferdinand den Catholiſchen (Mai, spicileg. rom. vol. VIII,
p. 226, vom J. 1510) die Aſtrologie heftig verläugnet, in einem
andern Brief an den Grafen von Potenza jedoch (ibid., p. 539)
aus den Sternen ſchließt, daß die Türken heuer Rhodus angreifen
würden.
(Murat. XX, Col. 1016, s.) auf.
ſpielten damals in Florenz faſt dieſelbe Rolle wie einſt in dem be-
lagerten Jeruſalem. Vgl. ibid. III, 143. 195. IV, 43. 177.
vgl. Prato, l. c., p. 327. Freilich erzählt derſelbe Chroniſt p. 357,
daß man beim Graben der Fundamente für den Bau der triulziſchen
Grabcapelle (bei S. Nazaro) einen todten Drachen ſo dick wie ein
Pferd gefunden habe; man brachte den Kopf in den Palaſt Triulzi
und gab den Reſt Preis.
mense bei Murat. XXII, Col. 280. Dieſer Autor theilt auch
ſonſt jenen concentrirten Haß gegen die Wucherer, wovon das Volk
erfüllt iſt. Vgl. Col. 371.
coe, Leben des Lorenzo. — Poliziano war ſonſt wenigſtens Gegner
der Aſtrologie.
54 (Opera, p. 451. 455) erzählt wenigſtens wirklich geſchehene
Prodigien, z. B. Thierſchlachten, Wolkenerſcheinungen ꝛc. und giebt
ſie ſchon weſentlich als Curioſitäten, wenn er auch die betreffenden
Schickſale daneben nennt.
Flucht aus dem Staate, weil ſie Virg. Aen. III, vs. 44 aufſchlugen.
des Cardanus und den Dæmon familiaris ſeines Vaters laſſen wir
auf ſich beruhen. Vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 4. 38.
47. Er ſelber war Gegner der Magie, cap. 39. Die Prodigien
und Geſpenſter die ihm begegnet, cap. 37. 41. — Wie weit die
Geſpenſterfurcht des letzten Visconti ging, vgl. Decembrio, bei Mu-
ratori XX, Col. 1016.
Gemahl ſeiner Dame, den Bewohner des Palaſtes, erſchrecken wollte.
Er und die Seinigen verkleideten ſich in Teufel; Einen, der alle
Thierſtimmen nachmachen konnte, hatte er ſogar von auswärts kom-
men laſſen.
ſtarb vor Schrecken.
dem es der Eremit eröffnet hatte.
einer Hexe von Nocera, welche nur die Hälfte bot und verbrannt
wurde. Das Geſetz beſchlägt ſolche die: facciono le fature ovvero
venefitie ovvero encantatione d'immundi spiriti a nuocere.
Umbria, ſtatt lacum locum zu leſen.
tum potens.
ſedonia in Toscana. Es war eine Höhle, wo man im Sande
Thier- und Menſchenſpuren ſah, welche, auch wenn man ſie ver-
wiſchte, des folgenden Tages doch wieder ſichtbar waren. Uberti, il
Dittamondo, L. III, cap. 9.
Triſſino ſelber noch an die Möglichkeit ſeiner Schilderung glaubt
siderantes affectibus etc. Beiläufig glaube ich mich zu der Be-
merkung veranlaßt, daß hier bei längerer Betrachtung jeder Gedanke
an einen urſprünglichen objectiven Thatbeſtand, an Reſte heidniſchen
Glaubens u. ſ. w. verſchwindet. Wer ſich überzeugen will, wie die
Phantaſie der Bettelmönche die einzige Quelle dieſes ganzen Wahns
iſt, verfolge in den Memoiren von Jaques du Clerc den ſog. Wal-
denſerproceß von Arras im J. 1459. Erſt durch hundertjähriges
Hineinverhören brachte man auch die Phantaſie des Volkes auf den
Punkt, wo ſich das ganze ſcheußliche Weſen von ſelbſt verſtand und
ſich vermeintlich neu erzeugte.
str. 12.
Derſelbe Zweifel iſt bei ſeinem vermuthlichen Vorbild Lucan (Geſ. VI.)
geſtattet, wo die theſſaliſche Hexe dem Sextus Pompejus zu Gefallen
eine Leiche beſchwört.
— Bursellis, ann. Bonon. ap. Murat. XXIII, Col. 897, erzählt
bereits zum J. 1468 die Verurtheilung eines Priors vom Serviten-
orden, welcher ein Geiſterbordell hielt; cives Bononienses coire
faciebat cum Dæmonibus in specie puellarum. Er brachte den
Dämonen förmliche Opfer.
XVI, XXI, wo das ganze Treiben erzählt wird.
ten ihre Weisheit beſonders von gewiſſen Judenweibern, welche im
Beſitz von malìe ſeien.
de occulta philosophia, cap. 39.
bekanntlich Malagigi. Bei Anlaß dieſer Figur läßt ſich Pulci
(Morgante, canto XXIV, Str. 106, s.) auch theoretiſch aus über
die Grenzen der Macht der Dämonen und der Beſchwörung. Wenn
man nur wüßte wie weit es ihm Ernſt iſt. (Vgl. Canto XXI.)
Werk de prodigiis conſtatirt weſentlich nur den Aberglauben von
England, wo er ſein Leben zubrachte. Bei Anlaß der Präſcienz der
Dämonen macht er jedoch eine curioſe Anwendung auf die Verwü-
ſtung von Rom 1527.
1440), der den Dämonen über 100 Kinder opferte, hat in Italien
kaum eine ferne Analogie.
XI, 1. Er ſelber glaubt an ſolche gottloſe Sachen nicht. — Vgl.
Dante, Inferno XIII, 146.
an der Stelle des ältern Teleſten mag ſich am eheſten dadurch er-
klären, daß etwa die häufigen Beſuche an ſeinem Grabe ſchon wäh-
rend der Kaiſerzeit dem Volk zu denken gaben.
tori XXII, Col. 207. 238; mit Erweiterungen iſt die Sache er-
zählt bei Fil. Villani, vite, p. 43.
Petrum, Anacletum et Linum imitatus.
chesne, scriptores IV, p. 355) und Chron. Petershusanum I,
13 und 16 recht wohl ahnt.
mit hohen Eiden verſprechen, hier z. B. mit einem Schwur auf dem
Hochaltar von S. Petronio in Bologna, als gerade ſonſt Niemand in
der Kirche war. — Einen ziemlichen Vorrath von Zauberweſen fin-
det man auch Macaroneide, Phant. XVIII.
Coſini, der auch ſonſt „den Zauberſprüchen und ähnlichen Narr-
heiten“ nachhing.
cona auch Scariotto, den vermeintl. Geburtsort des Judas und
bemerkt dabei: „an dieſer Stelle darf ich auch nicht den Pilatusberg
übergehen, mit ſeinem See, wo den Sommer über regelmäßige
Wachen abwechſeln; denn wer Magie verſteht, kommt hier heraufge-
ſtiegen um ſein Buch zu weihen, worauf großer Sturm ſich erhebt,
wie die Leute des Ortes ſagen“. Das Weihen der Bücher iſt, wie
ſchon S. 534 erwähnt wurde, eine beſondere, von der eigentlichen
Beſchwörung verſchiedene Ceremonie.
florent. codicibus, Tom. II.)
verſpottet Limerno Pitocco, im Orlandino, cap. V, Str. 60.
nicht; für ſein eigenes Schickſal aber war er auf die Weiſſagung
des Cocle angewieſen, da ſein Vater verſäumt hatte, ſein Horoscop
zu notiren.
Corn. Agrippa, de occulta philosophia, cap. 52. 57.
tunæ, p. 93, eine der ſehr lebendig und ab irato geſchriebenen
Partien dieſes Buches.)
Pompon. Gauricus. Vgl. Ibid., s. v. Aurel. Augurellus. —
Macaroneide, Phant. XII.
Dichter ſagt es mit Bosheit von einem Beamten aus, der in einer
Sache von Mein und Dein gegen ihn entſchieden hatte.
Der ſtehende Ausdruck war non aver fede, vgl. Vasari, VII,
p. 122, vita di Piero di Cosimo.
p. 243.
gen: Orlandino, cap. IV, Str. 67. 68. (Vgl. S. 326). — Cariteo,
ein Mitglied der neapolitaniſchen Academie des Pontanus, benützt die
Präexiſtenz der Seelen um die Sendung des Hauſes Aragon damit
zu verherrlichen. Roscoe, Leone X. ed. Bossi, II, p. 288.
und Heidenthum zuſammentreffen, lautet: che agli uomini fortis-
simi, poichè hanno vinto le mostruose fatiche della terra,
debitamente sieno date le stelle.
quam voluntarie effecerim, etiam quæ male cessisset; ohne
dieſes wäre ich der unglücklichſte Menſch geweſen.
ryciana (vgl. S. 265):
an ſeinen Sohn Cardinal Giovanni, bei Fabroni, Laurentius,
Adnot. 178 und in den Beilagen zu Roscoe, Leben des Lorenzo.
Deum, in den Deliciæ poetar. italor.
legge etc.“, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 120);
— der Hymnus („Oda il sacro inno tutta la natura etc.,“ bei
Fabroni, Laurentius, Adnot. 9); — L'altercazione (Poesie
di Lorenzo magn. I, p. 265; in letzterer Sammlung ſind auch
die übrigen hier genannten Gedichte mit abgedruckt).
Dingen Ernſt iſt, ſo wird dieß von Geſ. XVI, Str. 6 gelten; dieſe
deiſtiſche Rede der ſchönen Heidin Antea iſt vielleicht der greifbarſte
Ausdruck der Denkweiſe, welche unter Lorenzo's Genoſſen herrſchte;
jedenfalls zuverläſſiger als die oben (S. 499, 503, Anm.) citirten
Reden des Dämons Aſtarotte.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Die Cultur der Renaissance in Italien. Die Cultur der Renaissance in Italien. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjzk.0