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Reiſe eines Lieflaͤnders
von
Riga nach Warſchau,
durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden,
Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg,
Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien
und Klagenfurt,
nach Botzen in Tyrol.


Dritter Theil.


Berlin,: 1795.
bei Friedrich Vieweg dem aͤltern
Reiſe eines Lieflaͤnders
von
Riga nach Warſchau,
durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden,
Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg,
Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien
und Klagenfurt,
nach Botzen in Tyrol.


Fuͤnftes Heft.

Enthaltend
einen Abriß von Dresden,
und
die Reiſe von dort bis Salzburg.


Berlin,: 1795.
bei Friedrich Vieweg dem aͤltern.

Neunter Abſchnitt.
Dresden.


Dresden. Wanderungen in dieſer Stadt. Die Altſtadt.
Bauart. Vorzügliche Straßen. Lebhaftigkeit. Die
Neuſtadt. Brücke. Jägerhof. Kadettenhaus. Ar-
tillerie-Kaſerne. Königsſtraße. Japaniſcher Pallaſt.
Bibliothek. Die Friedrichsſtadt. Vorſtädte. Be-
trachtung über die beyden Auguſte. Der jetzt regie-
rende Kurfürſt. Frugalität in Dresden. Geſell-
ſchaftlicher Ton. Sitten. Oeffentliche Mädchen.
Aeußeres der verſchiedenen Einwohnerklaſſen. Ihr
Nahrungserwerb. Wohlfeilheit der Talente. Oef-
fentliche Vergnügungen. Abreiſe von Dresden. Ein-
tritt in das Erzgebürge. Freyberg. Oederan. Chem-
nitz. Annaberg. Ehrenfriedersdorf. Weipert. Ober-
wieſenthal. Gaſthof daſelbſt. Gottesgab. Joachims-
thal. Karlsbad. Taxe. Umliegende Gegenden.
Inneres der Stadt. Einwohner. Brunnen. Ein-
richtung und Wirkung derſelben. Badegäſte. Bad-
leben. Oeffentliche Unterhaltungen und Vergnügungen.
Abreiſe von Karlsbad. Zwoda. Bewohner des
Eger'ſchen Kreiſes. Eger. Dortiger Geſundbrunnen.
Mühlbach. Thiersheim. Weißenſtadt. Berneck.
Anſicht von Bayreuth. Troppach. Romantiſcher
Weg. Streitberg. Schönes Thal. Die Burg von
Streitberg. Bayersdorf. Erlangen. Fürth.



[6]

Den andern Tag (den 29 May) machte ich
Streifzuͤge, um das Aeußere der Stadt zu
unterſuchen und mich mit ihrem Plane bekannt
zu machen. Bey ſolchen Gelegenheiten uͤber-
laſſe ich mich dem Zufalle, und jeder Weg,
den er mit mir nimmt, iſt mir der naͤchſte,
ſo wie jede Stunde, wo ich nach Hauſe zu-
ruͤckkomme, mir die rechte iſt. Verirren kann
man ſich da nicht, wo man keinen beſtimmten
Weg zu ſuchen, und zu halten hat. Wo ich
ein Thor fand, kehrte ich wieder um, weil
ich mich fuͤr heute auf die Altſtadt einſchraͤn-
ken wollte.


Die Bauart dieſer iſt ganz auf Gelaß be-
rechnet. Im Durchſchnitt haben die Haͤuſer
4 bis 5 Geſchoß und gebrochene, hollaͤndiſche
Daͤcher, die ebenfalls bewohnt werden. Sie
ſind meiſt von dem feſten Pirnaiſchen Sand-
ſtein erbauet, der außerordentlich dauerhaft
iſt. Die Treppen ſind in vielen Haͤuſern von
demſelben Steine, was fuͤr die Einwohner in
[7] Feuersnoͤthen ſehr beruhigend ſeyn muß. Die
Haͤuſer werden im Innern muſterhaft reinlich
gehalten und im Aeußern ſind ſie es nicht
minder. Man hat ſie meiſt gelblich oder gruͤn-
lich abgeputzt und die Fenſterverzierungen mit
Farben, nicht in Gyps, wie z. B. in Berlin
angegeben. Ihre Vorderſeiten ſind alſo nicht
durch Schnoͤrkeleyen unterbrochen, ſondern ge-
ben ein heiteres Ganze. In einigen Straßen,
beſonders in den aͤltern, z. B. der Schloß-
Wilsdruffer-Scheffelgaſſe ꝛc. findet man noch
einzelne Haͤuſer mit hervorſpringenden Erkern,
deren eines dem andern die Ausſicht benimmt;
aber ſie ſind hier nicht in ſo großer Anzahl,
wie z. B. in Leipzig, Bautzen und in andern
Saͤchſiſchen Staͤdten. Ganz davon frey habe
ich die Moritz- und Pirnaiſche Straßen, uͤber-
haupt die ſchoͤnſten in Dresden, gefunden.
Beyde ſind zwar nicht lang, aber breit, und
mit treflichen, meiſt ganz neuen, fuͤnf bis ſechs
Geſchoß hohen, Haͤuſern und Palais beſetzt.
Die Moritzſtraße war die letzte, die aus den
[8] Truͤmmern hervorging, in die ſie das Bom-
bardement im ſiebenjaͤhrigen Kriege (1760) legte,
und ſie iſt die ſchoͤnſte geworden. Was Dres-
den uͤberhaupt fuͤr einen Reichthum an Pal-
laͤſten, an oͤffentlichen Gebaͤuden und Haͤuſern
beſitzt, kann man aus den architektoniſchge-
nauen Schilderungen derſelben ermeſſen, die Hr.
Haſche ſeiner Beſchreibung von Dresden *)
eingeſtreuet hat.


Das Pflaſter iſt im Ganzen genommen
gut und man ſorgt fuͤr deſſen Reinlichkeit,
wozu die Kanaͤle, die darunter hinlaufen,
ſehr viel beitragen.


Es iſt in keiner Straße leer an Menſchen,
aber die lebhafteſten haben mir die Schloß-
See- Wilsdruffer- Pirnaiſche geſchienen und
die kleinern, die von dem alten Markt zum
Neumarkt und von da nach der Neuſtadt fuͤh-
[9] ren. Die beyden genannten Plaͤtze ſind ohne-
dies immer ſehr volkreich, weil auf beyden
taͤglich Markt iſt. Nach dem alten Markt zu
und auf demſelben iſt Kaufmannsgewoͤlbe an
Kaufmannsgewoͤlbe, und alles, was man zur
Wirthſchaft, zur Bequemlichkeit und zum Lu-
xus noͤthig hat, wird hier herum eingekauft.


Die geringern, unanſehnlichern Theile der
Stadt finden ſich an der Stadtmauer herum.
Vom Pirnaiſchen Thore bis zum Zeughauſe,
von dort hinten herum am Bruͤhliſchen Gar-
ten, vom Wilsdruffer- bis zum Seethore, von
dort hinter der Kreuzkirche herum; in der Ge-
gend eben dieſer Kirche, in dem ſogenannten
Loche, wo ſich ein Neſt von engen, ſchmutzi-
gen, finſtern Straßen findet — da uͤberall ſind
die Haͤuſer alt, groͤßtentheils von der Mauer
eingeſchloſſen, meiſt von aͤrmern, oft genug
von liederlichen, Leuten bewohnt, die Gelegen-
heit geben und Gelegenheit machen, gewoͤhn-
lich aber Bierhaͤuſer, und in dieſen Schenk-
maͤdchen
halten.


[10]

Dies waͤre ein leichter Umriß von dem
Aeußern der Altſtadt Dresden, den ich von
meiner erſten Ausflucht mit zuruͤckbrachte.
Meine zweite betraf die Neuſtadt, die durch
die Elbe von der Altſtadt getrennt, aber mit-
teilſt der Bruͤcke mit ihr wiederum verbunden
wird. Die Bruͤcke hat einen gepflaſterten
Fahrweg und zwey erhoͤhete, mit Fließen aus-
gelegte, Trottoirs fuͤr die Fußgaͤnger. Wer
nach der Neuſtadt geht, ſchlaͤgt das Trottoir
rechter Hand ein, wer aus der Neuſtadt kommt,
nimmt auch das, welches ihm rechter Hand
iſt, und ſo kommt und geht man von beyden
Seiten ungehindert. Die Schildwachen auf
der Bruͤcke haben uͤber dieſe Ordnung zu wa-
chen.


Die Neuſtadt iſt bey weitem kleiner als
die Altſtadt, auch, wenn man die Hauptſtraße
oder Allee ausnimmt, nicht ſo gut gebauet.
Schlaͤgt man von der Bruͤcke aus rechts die
erſte Straße ein, ſo fuͤhrt ſie nach der Elbe
und nach mehreren Magazinen und Schup-
[11] pen, die zu Wagen und Pontons beſtimmt
ſind, ſchlaͤgt man ſich ſodann links, ſo gelangt
man zu dem ſogenannten großen Jaͤgerhofe,
der aus mehreren geraͤumigen Hoͤfen beſteht,
welche theils den Zeug zur Jagd, theils die
Hundeſtaͤlle, theils die Wohnungen fuͤr die
Jaͤger und Jagdbeamten, (zuſammengenom-
men ein ſehr zahlreiches Perſonale) einſchließen.
Un\&ſ;rern davon findet man das Kadettenhaus, ein
ſehr anſehnliches Gebaͤude, deſſen Inneres zu ſei-
ner Beſtimmung vortreflich eingerichtet iſt: im
untern Geſchoß iſt eine geraͤumige Reitbahn
mit den dazu gehoͤrigen Stall- und Schul-
pferden, im zweyten Geſchoſſe iſt die Woh-
nung des Chefs der Kadetten, der Exerzier-
ſaal, die Lehrſaͤle u. ſ. w., im dritten und
vierten wohnen, eſſen und ſchlafen die jungen
Leute. Dem Haupteingange dieſes Hauſes
gegenuͤber breiten ſich drey andre Fluͤgel der
ſchon erwaͤhnten Artillerie-Kaſerne aus, wel-
che die Artillerie- und Ingenieurſchule, auch
ein Inſtitut zur Bildung der Chirurgen, ein
[12] anatomiſches Theater, und einige andre nuͤtz-
liche Anſtalten enthaͤlt. Hinter derſelben ſind
mehrere Magazine, Schuppen fuͤr Fuhrwerk
und andre Kriegsbeduͤrfniſſe, und unmittelbar
daran ſtoßen die Feſtungswerke.


Verfuͤgt man ſich nach der andern Seite
der Neuſtadt hinuͤber, ſo tritt man, gleich
hinter der Kirche, in die Koͤnigsſtraße,
die mit anſehnlichen, meiſt gleich hohen und
langen Haͤuſern beſetzt iſt und „en face“ den
ſogenannten Japaniſchen Pallaſt hat, aber
todt und menſchenleer iſt. Der Platz, wor-
auf jener Pallaſt ſteht, iſt nicht wohl unter-
halten, und ſchwimmt, wenn es geregnet hat,
in Waſſer und Koth, wozu die ſtarke Durch-
fahrt, zum weißen Thor herein und hin-
aus, nicht wenig beitraͤgt. Der Pallaſt ſelbſt
faͤllt nicht uͤbel in die Augen, nur wuͤnſcht
man, daß er fuͤr ſeinen Umfang mehr Hoͤhe
und Leichtigkeit haben moͤchte. Das Innere
deſſelben iſt jetzt zu der vortrefflichen Bibliothek
eingerichtet, und nicht leicht wird ſich irgend
[13] ein Inſtitut dieſer Art, die Bibliothek zu Paris
und im Vatikan ausgenommen, ſolch eines praͤch-
tigen, heitern, geſchmackvollen und weitlaͤufti-
gen Lokals ruͤhmen koͤnnen. Auch fuͤr die Kunſt
verwahrt es einen bedeutenden Schatz von anti-
ken Bildhauereyen und von Gypſen; es iſt aber
bey weitem noch nicht ganz ausgefuͤllt. Die
Ausſicht von den obern Saͤlen iſt vortreflich.
Am Pallaſte ſelbſt iſt ein kleiner, aber ſehr arti-
ger Garten, deſſen Terraſſen zugleich ein Stuͤck
des Walles einnehmen und einen koͤſtlichen Ue-
berblick uͤber die umliegenden Gegenden und den
ganzen Spiegel der Elbe, die hart daran hin-
fließt, gewaͤhren. Mit einem Worte, die Mu-
ſen haben hier einen hoͤchſt anmuthigen Zufluchts-
ort gefunden.


Von hier aus ließ ich mich uͤber die Elbe ſet-
zen, um die Friedrichsſtadt zu beſuchen.
Man gelangt jenſeits des Fluſſes auf die Oſtra-
wieſe
, die, in ihrer ganzen Laͤnge, mit mehr-
fachen Alleen beſetzt iſt, unter denen Heerden
des erleſenſten Schweizerviehes weiden, die zu
[14] dem daran ſtoßenden Oſtravorwerke gehoͤ-
ren. Dieſem gegenuͤber, in der Friedrichsſtadt
ſelbſt, liegt der Garten des Grafen Mar-
colini
, dem es nicht an Umfang und artigen
Anlagen fehlt, der aber, im Ganzen genommen,
nicht außerordentlich iſt. Auch der Prinz An-
ton
hat in der Naͤhe ein artiges Sommerhaus.
Uebrigens iſt die Friedrichsſtadt von groͤßerem
Umfange, als die Neuſtadt, aber ohne allen
Vergleich geringer gebauet, obwohl bevoͤlkert
genug. Fabrikanten und Manufakturiſten aller
Art wohnen hier, und fuͤhren, bis auf die Kin-
der herunter, ein ſehr arbeitſames, aber darum
doch leider ein ſehr armſeliges Leben. Noth
und Mangel ſind hier zu Hauſe, und es iſt nichts
ungewoͤhnliches, ganze Familien in Lumpen vor
den Haͤuſern ſitzen zu ſehen.


Mit der Altſtadt haͤngt die Friedrichsſtadt
durch eine ſchoͤne Allee zuſammen, die ſich am
Zwinger endigt. Die Wilsdruffer Vor-
ſtadt
, in der man ſich nun befindet, iſt ſtark
von Gerbern bewohnt und in ihrer Naͤhe, wie
[15] es ſich gebuͤhrt, befindet ſich auch das Schlacht-
haus. Der groͤßeſte Theil dieſer Vorſtadt iſt
gut gebauet und ſauber. Derſelbe Fall iſt es
mit der Seevorſtadt, die beſonders einige
vortrefliche Gaͤrten einſchließt. Schoͤner als
beyde, iſt die Pirnaiſche Vorſtadt, die
einige Haͤuſer aufzuweiſen hat, welche mit Eh-
ren in den ſchoͤnſten Straßen der Altſtadt ſtehen
wuͤrden.


Um Alles, was ſich uͤber das Aeußere von
Dresden ſagen laͤßt, in wenig Worten zuſam-
men zu faſſen: ſie hat an Gruͤndlichkeit und
Geſchmack in der Bauart, an Reinlichkeit, Net-
tigkeit, Neuheit, und in verhaͤltnißmaͤßiger Har-
monie der Vorſtaͤdte mit der Stadt ſelbſt, in
ganz Deutſchland vielleicht kaum zwey ihres
gleichen.


Sachſen hatte zwey Regenten, die in den
Augen einſeitiger Menſchen noch jetzt unbedingt
fuͤr zwei Geißeln ihres Landes gelten, da ihre
Fehler ſich laͤngſt ſchon, durch die wohlthaͤtigen
Folgen, die von Fehlern dieſer Gattung nie ent-
[16] ſtehen, wieder gut gemacht haben. Es iſt wahr,
ſie thaten nicht bloß, was ihrem Volke noͤthig
war, und was ihr eigener Ehrgeitz verlangen
konnte: ſie thaten mehr und hatten dazu einen
Maßſtab, der ihre Kraͤfte uͤberſtieg. Auch ver-
gaßen ſie von Zeit zu Zeit, daß ſie nur die
Rentmeiſter, nicht die Eigenthuͤmer der Sum-
men waren, die durch ihre Haͤnde gingen; und
ſie legten dieſelben oͤfterer zur Befriedigung ih-
rer perſoͤnlichen Ehrſucht, Prachtliebe, Galan-
terie und Liebhaberey, als zur Vergroͤßerung,
Verſtaͤrkung, Sicherſtellung ihres Staats und
zur Schonung, Belebung und Zufriedenheit ih-
res Volkes an. So hatten ſie nie genug, und
das Volk konnte nie genug geben. Eine große
Schuldenlaſt war die natuͤrliche Folge davon;
aber ſie war doch in der That nur eine Antici-
pation auf die Talente und den Kunſtfleiß die-
ſes hoͤchſt faͤhigen Volkes, dem es, nach einer,
verhaͤltnißmaͤßig kleinen, Reihe von Jahren
gelang, dieſe Laſt abzuwaͤlzen, und, als baa-
ren und reinen Gewinn, eine zu Natur und
Ge-
[17] Gewohnheit gewordene erfinderiſche Thaͤtigkeit
als Nationaltugend davon zu tragen. Ueberdieß
war auch nicht Alles verloren, was fuͤr jene
Schuldenlaſt erkauft worden war; es iſt großen-
theils noch da, es wirkt immer noch fort, es
hat die Nation ſelbſt zu der ehrenvollen Stufe erho
ben, die ſie unter den Gemeinden deutſcher Zunge
einnimmt. Sie hat eine Hauptſtadt, die eine
koſtbare Niederlage von nuͤtzlichen und angeneh-
men Dingen enthaͤlt, welche manche Kaiſer- und
Koͤnigsſtadt entbehren muß: fuͤr die Kunſt hat
ſie eine in ihrer Art einzige Gallerie von Gemaͤhl-
den, eine namhafte Sammlung von Antiken;
fuͤr die Wiſſenſchaften eine der vollſtaͤndig-
ſten Bibliotheken in der Welt; fuͤr die Pracht
und die Noth eine der koſtbarſten Samm-
lungen in Europa, das gruͤne Gewoͤlbe ge-
nannt; fuͤr die Erhoͤhung und Erweite-
rung des menſchlichen Geiſtes
große
oͤffentliche Werke, Bruͤcken, Gaͤrten, Kirchen
Pallaͤſte; fuͤr die Verfeinerung der Sit-
ten, des Geſchmacks, des Lebensge-

Fuͤnftes Heft. B
[18]nuſſes einen gewiſſen Geiſt, der mehrere Jahr-
zehn hintereinander, durch die beyden praͤchtigen,
nach Genuß jeder Art ſtrebenden Koͤnige, in
dieſer Nation angefacht, genaͤhrt, ihr gleichſam
eingeimpft wurde und ſie noch jetzt vor ihren
Nachbaren kenntlich macht — alle dieſe Dinge
beſitzen die Sachſen noch als Nationalguͤter, die
ihnen auf ewige Zeiten Zinſen tragen, und ſie
haben dieſe Guͤter, bis auf eine Kleinigkeit, be-
zahlt, durch ihren Fleiß, unter der Leitung ei-
nes haͤuslichen Fuͤrſten bezahlt, der den wahren
Maßſtab gefunden hat, nach welchem ſein Volk
arbeiten mußte, um alte Glaͤubiger und
neue Beduͤrfniſſe zu gleicher Zeit zu befriedigen
und dabey uͤbrig zu haben, und der durch ſein
Beyſpiel lehrt, wie man das Schoͤne und Nuͤtz-
liche ohne Verſchwendung befoͤrdern, wie man
angenehme heitre Sitten ohne Regelloſigkeit
uͤben, und wie man der vernuͤnftigen Freuden
des Lebens genießen kann, ohne zu ſchwelgen.


Die Sparſamkeit des gegenwaͤrtigen wuͤrdi-
gen Regenten von Sachſen hat den ſichtbarſten
[19] Einfluß auf die Nation gehabt, und man be-
merkt dies nirgend ſo deutlich, als in Dresden
ſelbſt. Die Miniſter, die Generale, die hoͤhe-
ren Staatsbeamten und die reichen Privatelute,
die in Dresden leben, und deren Zahl nicht ſo
klein iſt, bemerkt man kaum. Da iſt kein Ue-
berfluß an praͤchtigen Wagen, zahlreichen Die-
nerſchaften, koſtbaren Staͤllen, Aſſembleen,
Gaſtereyen, Luſtpartieen; da ſind aber auch
keine namhafte Schulden und keine betrogene,
zu Grunde gerichtete Handwerker und Kaufleute.
Viele Staatsbeamte, die ſelbſt in kleinern Reſi-
denzen nicht ohne Wagen und Pferde ſeyn koͤn-
nen, gehen hier zu Fuße, oder behelfen ſich, in
feyerlichen Faͤllen, mit Tragſeſſeln. Wie haͤtte
auch der Rath noͤthig, oder wie koͤnnte er auch
nur wagen, Aufwand in dieſer Art zu machen,
wenn er mehrere ſeiner Miniſter, in einfachem
Frack, zu Fuße, einhergehen ſieht; wie der Haupt-
mann und Major, wenn er ſeinen General, bloß
von einer Ordonanz oder von einem Stallknecht
begleitet, zu Fuße oder zu Pferde, auf den Stra-
B 2
[20] ßen von Dresden ſieht? Es iſt, glaub' ich, kein
Beyſpiel in Dresden, daß ein Kaufmann ſich
Wagen und Pferde hielte, und nur ein paar
Wechsler ſind in dieſem Falle. Hochſtens hal-
ten ſich Leute dieſer Klaſſen „demi-fortunes“
mit Einem Pferde beſpannt; und, zu ihrem
Sommervergnuͤgen, kleine Landhaͤuſer auf den
umliegenden Doͤrfern oder Weinbergen, wo ſie
des Sonntags ihre Freunde empfangen und mit
wahrer Frugalitaͤt bewirthen. Was man in
andern Hauptſtaͤdten, beſonders des Winters,
findet: einen Zuſammenfluß von adelichen Fami-
lien aus der Provinz, iſt der Fall ſehr ſparſam
in Dresden, da der groͤßeſte Theil des Landadels
auch den Winter uͤber auf ſeinen Guͤtern bleibt.


Bei dem allen glaube man nicht, daß dieſer
Ton von Sparſamkeit in Garſtigkeit ausarte.
Bey Gelegenheiten, wo es gilt, zeigt man ſich
auf einem Fuße, der dem Wohlſtande zuſagt.
Man iſt zwar von der Warſchauer Huͤlle und
Fuͤlle eben ſo weit entfernt, als von dem Wie-
neriſch-Spaniſchen Prunke, aber alles, was
[21] ein feiner Gaum, der genießen und nicht ſchwel-
gen will, an Produkten der feinern Kochkunſt
und der edleren Rebe billigerweiſe nur verlangen
kann, wird dargeboten, und noch nebenher eine
anſtaͤndigere, geiſtreichere, mannichfachere Unter-
haltung, als man an den genannten Orten findet.
Die große Welt in Dresden, maͤnnlichen wie
weiblichen Geſchlechts, iſt unterrichteter und
geiſtvoller, als in vielen andern Reſidenzen von
Deutſchland, und man braucht nicht blos Pfer-
de- Hunde- und Jagdliebhaber zu ſeyn, um
in ihren Cirkeln Vergnuͤgen und Belehrung zu
finden. Das weibliche Geſchlecht iſt beſonders
gebildet und angenehm und kennt ſeine Wuͤrde
beſſer und mißbraucht ſeine Rechte und Reize
weniger, als die eleganten Weiber zu Warſchau
und Wien, deren Ton und Weſen in Dresden
die Decenz beleidigen und ganze Geſellſchaften
aus einander ſprengen oder doch ſtill machen
wuͤrde. Hier giebt es in der That noch haͤufig
eheliche Liebe und Gluͤckſeligkeit in den hoͤhern
Staͤnden, und der Ton, der unter den beyden
[22] Auguſten in dieſer Ruͤckſicht hier herrſchte, iſt
laͤngſt verſchwunden. Auch hierin geht der jetzi-
ge Fuͤrſt mit einem lehrreichen Beyſpiele voran,
und Regelloſigkeit in dieſem Punkte kann mehr,
als alles uͤbrige, ſein Mißfallen erregen, beſon-
ders wenn Perſonen ſie ſich zu Schulden kom-
men laſſen, die naͤher oder entfernter zu ſeinem
Hofſtaate gehoͤren.


Wenn aber Ausſchweifungen dieſer Art un-
moͤglich ganz unterbleiben koͤnnen, ſo werden ſie
hier wenigſtens mit mehr Vorſicht und Ver-
heimlichung getrieben, als z. B. in Warſchau,
Berlin, Wien, Muͤnchen. Nichts von der Art
iſt hier privilegirt. Liederliche Haͤuſer haͤngen
hier wenigſtens das Kaffee- Wein- oder Bier-
ſchild aus, und die feilen Geſchoͤpfe in denſelben
ſpielen die Rolle der Aufwaͤrterinnen. Auch ſind
dieſe Haͤuſer nur meiſt fuͤr den Poͤbel, oder zum
Poͤbel hinabgeſunkene Wolluͤſtlinge aus beſſern
Staͤnden, die ſich zuweilen, verkleidet, an
der Stadtmauer, im Loche, in der Fi-
ſcherſtraße, in der Friedrichsſtadt
ꝛc.
[23] herum treiben. Das ſinnliche Beduͤrfniß der
anſtaͤndigern Klaſſen wird meiſt von den Putz-
Naͤther- Waͤſcher- und Sticker Maͤdchen be-
friedigt, zu welchen ſich auch haͤufig diejenigen
geſellen, denen es verboten iſt, mit den Gojim
zuzuhalten. Die erſtern zeigen ſich hier durch-
gaͤngig in einem Anzuge, dem man es wohl an-
ſieht, daß ſie ihn nicht der Nadel noch der Seife
danken, und deſſen einzelne Theile, Haarputz
und Schuhe mit eingeſchloſſen, ſo geordnet und
geformt ſind, daß ſie zugleich fuͤr Schilder gel-
ten koͤnnen, die den Kenner nicht irren laſſen.
Die Oerter und die Zeit, die ſie zu ihren Aus-
fluͤgen waͤhlen, z. B. der Zwinger gegen Abend,
die Schloßgaſſe um die Zeit des Zapfenſtreiches,
der Neumarkt um die Zeit der Wachparade, die
oͤffentlichen Garten zur Zeit der Koncerte und
Erleuchtungen, die Bruͤcke bey Mondenſchein
u. ſ. w. alles dies ſind Merkzeichen ihrer Ge-
ſchaͤfte, die, da man ſie unter freyem Himmel
durch ein Wort, einen Blick, eine Frage einlei-
tet, keiner eigends dazu eingerichteten Boͤrſen,
[24] ſondern bloß einiger Abſteigquartiere beduͤrfen,
wo ſie vollends abgeſchloſſen werden. Miethet
ſich aber ſolch ein Maͤdchen eine eigene Wohnung
fuͤr ihr Gewerbe, ſo muß es unter irgend einem
Titel und unter der Obhut irgend einer Mutter
oder Baſe ſeyn, die ein Handwerk treibt, wel-
ches die wahrſcheinliche Vermuthung erregt, daß
ſie des Beſuchs von Mannsperſonen jedes Stan-
des und Alters dabey beduͤrfe. Solche Maͤd-
chen ſind aber in der That in Dresden nach Ver-
haͤltniß ſelten, die auf einem gewiſſen Fuß leben;
und nur Eine der Art, die kurz vor meiner An-
kunft ſtarb, hatte einige Jahre hindurch als ei-
ne Art von Phryne geglaͤnzt, ſowohl durch
Schoͤnheit als durch Verſtand und eine gewiſſe
Ausbildung des Betragens. Uebrigens haben
dieſe Maͤdchen, da ſie nicht in eigenen ſittenlo-
ſen Haͤuſern bey einander wohnen, ſondern mit
andern Leuten in Umgang und Verkehr bleiben,
nicht das Plumpe und Eckelhaft-Zudringliche
in ihrem Ton und Weſen, das ihre Berliner
und Wiener Schweſtern, die in Zwingern bey
[25] einander ſind, mehr abſchreckend als verfuͤhre-
riſch macht.


Das Aeußere der Einwohner von Dresden,
niederer und mittler Klaſſen, iſt anſtaͤndiger und
ſauberer, als man es in andern großen Staͤd-
ten, z. B. in Berlin, an eben dieſen Klaſſen fin-
det. Eine Handwerkersfrau, Soldatenfrau,
Magd, die zu Markte geht, iſt ſchier und weiß
angezogen, und der Korb oder das Tuch, wor-
in ſie die eingekauften Waaren traͤgt, iſt nied-
lich, reinlich, und in die Augen fallend. Dieſe
Klaſſe iſt Winter und Sommer in Kotton, Ka-
melot und aͤhnlichen Stoff gekleidet; Korſett
und Rock ſind von einem und demſelben Zeuge;
dazu traͤgt ſie eine ſaubere Schuͤrze. Die Hau-
be iſt von weißem, baumwollenen Zeuge, mit
einem farbigten, ſeidnen Bande umſchlungen,
wozu, hauptſaͤchlich im Winter, ein Muͤtzchen,
mit Marder oder Zobel eingefaßt und mit einer
herabhangenden Klappe und Gold-Quaſte ver-
ſehen, auf den Kopf geſtuͤlpt wird, das, in ſei-
ner Art, nicht minder gut ſteht, als der ſchwarze
[26] ſammetne Kopfputz der Breslauer Schließerin-
nen und der Reichsſtadt-Schweinfurter Stu-
benmaͤdchen. Eine Stufe hoͤher, erſcheinen
Kontuſchen, die mit einer ſehr kurzen Taille
verſehen ſind, und tief herunter den Rock be-
decken; ſie begleiten ſchon zuſammen geſetztere,
groͤßere Hauben von Klar, mit Spitzen und,
des Sonntags, mit Blumen verziert, aber
ohne Friſur darunter; und dies iſt beſonders die
Tracht der Weiber und Maͤdchen, deren Maͤn-
ner und Vaͤter bey Hofe oder bey irgend einer
Herrſchaft, Bediente, Laͤufer, Kutſcher u. dgl.
ſind. Sodann erſcheint die ganze Klaſſe der
Schneiders- und Friſeurs-Frauen, der Putz-
macherinnen, Stickerinnen, Kammerjungfern
und aller uͤbrigen, die unter ihrer Aufſchrift,
wie eben erwaͤhnt, den galantern Beſchaͤfti-
gungen obliegen, in Linon, Mouſſelin und
Seide gekleidet, in artigen Karakos, mit fri-
ſiertem Haar, in Huͤten, mit Schawls, in
Turkoiſen ꝛc. — unter allen die netteſte und
auch die zahlreichſte — denn Figuͤrchen dieſer
[27] Art wimmeln auf allen Maͤrkten und Spa-
ziergaͤngen, in allen Kirchen und Gaͤrten, auf
der Bruͤcke, im Theater, in den Koncerten.
Kommt ſodann die Klaſſe der Kaufmanns-
Kuͤnſtler-Gelehrten- und Dikaſterianten Frauen,
und dieſe kleidet ſich in Dresden altmodiſcher,
als in andern deutſchen Hauptſtaͤdten, auch
weit ſparſamer und aͤngſtlicher, und mit der
furchtſamſten Ruͤckſicht auf das: was werden
die Leute ſagen
. Die Maͤnner dieſer Klaſſe
prunken noch haͤufig, des Winters, mit Sam-
met- und Manſcheſterkleidern, des Sommers,
mit verblaßten, faͤrbig-gefuͤtterten Seidenroͤ-
cken, mit Treſſenhuͤten, goldnen Beinguͤrteln,
ſorgſam gefetteten und dickgepuderten Beutel-
peruͤcken, großen ſpaniſchen Roͤhren, oder auch
wie alte Hofmaͤnner, den ſilbernen oder tom-
backenen Degen an der Seite, den Sonnen-
ſchirm in der Hand und den platten, zerrie-
benen Hut von Pferdehaar unter dem Arme.
Der Engliſche Frack, der geſchorne Wirbel
und das geſtutzte Seitenhaar, die in andern
[28] großen Staͤdten von Deutſchland die Kauf-
mannsklaſſe, die juͤngern Dikaſterianten u. dgl.
ſeit mehreren Jahren ſchon in Beſitz genom-
men haben, finden ſich hier noch aͤußerſt ſel-
ten und werden nur hoͤchſtens den jungen Zoͤg-
lingen der hieſigen Malerakademien verziehen.
Ewige Chapeaubas-Traͤger ſind hier die aͤltern
Hofherren und Hofbedienten, die Kandidaten
der Theologie, die man hier durchweg „Magi-
ſtros“
nennt, und die Raͤthe, Regiſtratoren,
Kalkulatoren und Sekretarien, die ſchon ge-
wiſſe Jahre haben.


Das Aeußere und die Tracht der hoͤhern
Staͤnde iſt hier, wie uͤberall, doch bleiben ſie
in Abſicht der neuen Moden immer einige
Monate hinter Leipzig, Berlin und Wien zu-
ruͤck.


Der Nahrungserwerb der Einwohner von
Dresden iſt nicht der reichlichſte, und ſie ſind
deshalb nicht das, was man wohlhabend nennt,
obgleich man es ihrem Aeußern nicht anſieht.
Der Hof, die Landeskollegien, das Militare,
[29] bilden die hauptſaͤchlichern Erwerbsquellen der
Einwohner, und der Handel, die Manufaktu-
ren, Kuͤnſte und Handwerke, die gering[ern]
Aber die Ausgaben des Hofes ſind nach den
Regeln der Haͤuslichkeit abgemeſſen; die Stel-
len an demſelben, die hoͤhern ſowohl als die
niedern, ſind nicht reichlich; eben ſo die Ge-
halte in den Kollegien, fuͤr die Raͤthe ſowohl,
als fuͤr die Schreiber; und nicht anders bey
dem Militare und der Jaͤgerey. Der Handel
iſt in der That nur Kraͤmerey und zieht kein
Geld herein, ſondern zahlt hinaus, theils nach
Leipzig, theils nach den Lauſitzer Sechsſtaͤdten,
theils nach dem Erzgebirge. Wenn einige Fabriken
und Manufakturen nach außen abſetzen, ſo ſind
deſto mehrere, die fuͤr den Bedarf von Dres-
den nicht zureichen, wie z. B. die Tuch- Lein-
wand- und Baumwollen-Manufakturen. Waa-
ren des Luxus und der ſchoͤnen Kuͤnſte, z. B.
Gold- Silber- Steinſchleifer- Bildhauer- Ma-
ler- Tiſchler- Wagenbauer- Sattler-Arbeiten
und andre von dieſer Art, gehen zwar aus
[30] Dresden in die Provinz; aber dieſe liefert da-
gegen alles, was zu den Beduͤrfniſſen gehoͤrt,
die niemand entbehren kann und die alle Tage
wieder kommen; dies geht bis auf das Bier
und Brot, womit die umliegenden Doͤrfer die
Hauptſtadt in großer Menge verſorgen. Man
ſieht alſo, daß die Hauptquelle des Erwerbs
fuͤr Dresdeu die Beſoldung iſt und bleibt.


Daher denn auch der Ueberfluß an Men-
ſchen, die nach Stellen und Beſoldungen ſtre-
ben. Daher das Heer von Ueberzaͤhligen in
den Kollegien, die oft Jahre lang fuͤr nichts,
oder fuͤr 25, 50, 100, 150, 200 Thaler die-
nen, mit der duͤrftigen Hoffnung, einmal fuͤr
den Reſt ihres Lebens 3 oder 400 Thaler ſich
zu erarbeiten; daher der Schwarm von Kom-
petenten zu Predigerſtellen, die großentheils
von hier aus beſetzt werden, oder zu denen
man wenigſtens von hier aus Leute vorſchlaͤgt,
die ſich oft 8 bis 10 Jahre mit Unterricht
kuͤmmerlich durchhelfen muͤſſen; daher ein Ge-
wimmel von Subjekten zu Kantor- Schreiber-
[31] Acciſebedienten- und andern Stellen aller Art,
die eine Fertigkeit im Rechnen und Schreiben
erfordern; und daher denn auch die auffallen-
de Wohlfeilheit aller Faͤhigkeiten, Talente und
Arbeiten, die auf dieſe Beduͤrfniſſe Bezug ha-
ben. So armſelig aber auch die Lage der
jungen Leute iſt, die dieſe Wege zu ihrem Un-
terkommen einſchlagen, ſo vermehrt ſich den-
noch, wie man mich verſichert hat, ihre Zahl
mit jedem Jahre, und mithin waͤre es in
Dresden, wie anderwaͤrts, die dringendſte
Pflicht der Regierung, dahin zu ſehen, daß
die Eitelkeit der geringern Staͤnde, vermoͤge
deren ſie ihre Kinder gern um einige Stufen
hoͤher ſehen moͤchten, als ſie ſelbſt gekommen
ſind, eingeſchraͤnkt und berichtiget wuͤrde. Thaͤ-
ten ſich aber unbeſtreitbar vorzuͤgliche Talente
unter dieſen Klaſſen hervor, ſo muͤßte man ſie
deſto nachdruͤcklicher ermuntern und unterſtuͤtzen,
damit ſie zur voͤlligen Ausbildung gelangten;
ſolche Faͤlle wuͤrden unter dieſem ſehr faͤhigen
Volke gewiß nicht ſelten ſeyn, und man haͤtte
[32] dann eine Pflanzſchule, aus welcher man die
abgaͤngigen oder unbrauchbaren Glieder des
Gelehrten- oder Beamten-Standes erſetzen
koͤnnte, indem man zugleich die Traͤgen dar-
unter mit Wetteifer und Ehrgeiz erfuͤllte. So
waͤre dem Talente, wo es ſich auch faͤnde, die
Laufbahn offen, und der Dummheit oder Traͤg-
heit, wie hoch ſie auch ſchon ſtaͤnde, bliebe ſie
verſchloſſen.


Da alſo die Hauptmaſſe der Einwohner
von Dresden in Abſicht der Beſoldung und
Nahrung ziemlich eingeſchraͤnkt iſt, ſo iſt auch
das, was man oͤffentliches Vergnuͤgen
nennt, hier einfacher, ſparſamer, als irgend-
wo in einer andern Hauptſtadt. Die hoͤhern
Klaſſen haben, den Sommer hindurch, nichts
vom Hofe an Feſten und Vergnuͤgungen zu
erwarten, da er denſelben in Pillnitz zubringt,
wo er meiſt nur des Sonntags den einheimi-
ſchen und fremden Miniſtern und Generalen
zu eſſen giebt; ſie gehen alſo auf ihre eigenen
Landſitze und beluſtigen ſich, wie eigner Ge-
ſchmack
[33] ſchmack, eigenes Beduͤrfniß und die Jahrs-
zeit es wollen und mit ſich bringen. Die
Klaſſen, die auf ſie folgen, bis auf den Rath
und wohlhabenden Kaufmann hinunter, hal-
ten ſich, wie ich ſchon erwaͤhnt habe, ihre
Land-Weinbergs-Garten- und ſelbſt Bauer-
Haͤuſchen, oder auch nur Stuͤbchen, wo ſie
des Sommers Tage oder Wochen zubringen,
wie ihre Aemter oder Geſchaͤfte es erlauben.
Was von dieſen Klaſſen in der Stadt bleibt,
bildet Geſellſchaften, die ſich taͤglich in irgend
einem Garten zuſammen finden: macht Aus-
fluͤge nach dem Plauenſchen, oder dem Scho-
ner-Grunde, oder dem Seifersdorfer Thale,
nach Unbigau, dem Oſtravorwerke, dem Bade
und nach andern Luſtoͤrtern, die um die Stadt
liegen, und findet dort Muſik, mancherley Bie-
re, Taback, und ein einfaches Butterbrod mit
Braten, auch wohl Land- hoͤchſtens Franken-
wein und Kuchen. Die geringern Staͤnde,
vom Handwerker bis zum Musketier, verlie-
ren ſich in die Bierhaͤuſer, auf die Kegelbah-
Fuͤnftes Heft. C
[34] nen in der Friedrichsſtadt, vor dem ſchwarzen
und weißen Thore, im großen Garten ꝛc. und
Abends um zehn Uhr zieht alles in Schaaren
und vergnuͤgt nach Hauſe.


Im Winter haben die hoͤhern Klaſſen oͤf-
ters Tafel bey Hofe, Hofbaͤlle, große Geſell-
ſchaften unter ſich, und, mit den ihnen naͤ
hern gemeinſchaftlich, Oper, deutſches Schau-
ſpiel, Redoute; doch wird letztre ſelten von
ihnen benutzt. Das Publikum der Gartenbe-
ſucher im Sommer bleibt es auch großen-
theils im Winter, und geht noch uͤberdieß in
die Kaffeehaͤuſer und Klubbs und auf die Kon-
cert und Tanzſaͤle, die dann in der Stadt of-
fen ſind. Der Buͤrger geht in ſein Bierhaus
in der Stadt.


Dies iſt der Kreis, in welchem ſich das
geſellſchaftliche Verkehr und der Lebensgenuß
der Dresdener herum dreht. Man wird ihn
ſehr klein, ſehr ſparſam finden, aber wohl
der Nation, die damit zufrieden iſt! Es iſt
gerade genug, um ſich von der Arbeit zu er-
[35] holen, und von der Erholung ohne Unruhe
zur Arbeit zuruͤck zu gehen.


In Abſicht der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte
ſpielt Dresden vielleicht nicht ganz die Rolle,
die es, bey ſeinem außerordentlichen Vorrathe
dazu, ſpielen koͤnnte. Wenn es indeſſen keine
große Gelehrte, keine große Kuͤnſtler hat,
ſo beſitzt es doch mehrere vortrefliche und gute
in vielen Zweigen der Wiſſenſchaften und
Kuͤnſte.


Den 2ten des Junius reiſ'te ich von Dres-
den ab. Man befindet ſich auf einer gemach-
ten Straße, die bergan laͤuft und von wel-
cher herab man ganz Dresden mit ſeinem
Thale, wie einen flachliegenden Teppich, uͤber-
ſehen kann. Beſonders iſt dies der Fall von
den Korbitzer Anhoͤhen herab. Uebrigens iſt
der Boden holpricht, und mit demjenigen blaͤt-
terigen, kalkartigen Stein bedeckt, den man
Plaͤner nennt, und der hier uͤberall zu Tage
ausſetzt, oder auch ein paar Fuß tief, unter
einem hochgelben Sande mit Lettenſtreifen,
C 2
[36] gebrochen wird. Die Einfaſſungen der Hoͤfe
und der Gaͤrten waren von eben dieſem Stei-
ne gemacht, den man ohne Moͤrtel trocken
auf einander gelegt hatte. Der Boden hier
herum iſt ſehr fruchtbar; das Getreide ſtand
ſchon mannshoch und die Brache war mit dem
bunteſten Blumenſchmelz uͤberzogen. Anhoͤhen
und Thaͤler wechſeln in der Ferne und in der
Naͤhe, und zahlreiche Doͤrfer liegen rings um-
her. Ich glaube hier eine der ſchoͤnſten Ge-
genden in Sachſen geſehen zu haben. Sie
dauert ſo fort bis Herzogswalde, der naͤch-
ſten Poſt (2 M.), einem Dorfe, in welches
man von einer ziemlich ſteilen Anhoͤhe hinab-
rollt. Von da bis


Freyberg, fuͤhrt anfangs der Weg noch
tiefer und ſteiler hinab, und laͤuft ſodann,
uͤber eine Stunde, in einem angenehmen Thale
fort, das nur ſtellenweiſe durch Hohlwege et-
was beſchwerlich gemacht wird, ſonſt aber
auf beyden hinanlaufenden Seiten eine Man-
nichfaltigkeit von Laub- und Nadel-Holz zeigt.
[37] Der Weg iſt immer noch gebahnt, und ſorg-
faͤltiger unterhalten, als ich ihn bisher in
Sachſen noch gefunden habe. Kommt man
aus jenem Thale hervor, ſo befindet man ſich
auf der ausgedehnten Flaͤche eines Bergruͤk-
kens, auf der man ziemlich lange fortfaͤhrt,
bis allmaͤhlich wieder, vor und neben einem,
engere und breitere, mit anſehnlichen Doͤr-
fern und treflichen Kornfeldern und Wieſen
geſchmuͤckte Thaͤler ſich zeigen, deren man
mehrere durchfaͤhrt, bis man endlich nach
drey Stunden von neuem in ein tiefes Thal
hinabgleitet, in welchem alles die Naͤhe einer
Bergſtadt ankuͤndigt, als: ungeheure Schich-
ten von Holz, Kohlen, raͤuchrige Haͤuſer, Ge-
raͤuſch von Aufſchlagwaſſern, und Dampf.
Jenſeit dieſes Thals erhebt ſich der Weg
abermals einen anſehnlichen Berg hinan, und
hat man deſſen Hoͤhe erreicht, ſo befindet man
ſich auch vor Freyberg, (2 M.) welches in
einer Niederung liegt. Die Anſicht dieſer
Stadt laͤßt auf ihr Alter ſchließen. Eine hohe
[38] Mauer, ſtreckenweiſe mit Thuͤrmen beſetzt und
durch einen tiefen und breiten Graben bedeckt,
umſchließt ſie; die Kirchthuͤrme ſind ſchwarz
und gothiſch; doch iſt die Stadt ſelbſt, was
man kaum vermuthet, ziemlich heiter im In-
nern, und nur wenig Haͤuſer erſcheinen ganz
alt; auch die Straßen ſind breit genug fuͤr die
Groͤße der Stadt. Die Haͤuſer ſind meiſt
maſſiv; das Pflaſter iſt gut und an beyden
Seiten, ſo wie in der Mitte, mit breiten
Steinen fuͤr die Fußgaͤnger verſehen.


Nachdem ich einen ſehr lehrreichen Tag,
uͤber und unter der Erde, hier zugebracht hatte,
reiſ'te ich den 4ten weiter nach


Oederan. (2 M.) Der Weg dahin laͤuft
zuerſt durch einen ziemlich ſchmalen Wald, der
hoͤchſt ſteinigt und unangenehm iſt, und auf
den eine aͤhnliche ſteinigte, unfruchtbare Flaͤche
folgt, die dem Auge weder in der Naͤhe, noch
in der Ferne, etwas Anziehendes darbietet.
Die Straße iſt nur ſtellenweiſe gemacht, und
zwar ſchlecht, weil der darauf gefahrne Schutt
[39] keine Bedeckung hat, und in einzelnen, aus-
einander geſprengten Steinen umher liegt.
Indeſſen kommen weiterhin doch noch zwey
angenehme Thaͤler vor. Das erſte vor Ober-
ſchoͤn
, einem Doͤrfchen, von welchem aus wie
in Terraſſen die bunten Anhoͤhen auf allen
Seiten emporſteigen: das zweyte iſt dasjenige,
worin Oederan ſelbſt liegt. Es iſt ausgebrei-
teter, als das erſtere, und laͤßt ſchon Gruppen
der hoͤhern Berge heruͤber ſehen. Das Jagd-
ſchloß Auguſtburg, das man zur Linken laͤßt,
liegt auf einem anſehnlichen Berge zwiſchen
andern in der Mitte, beherrſcht das ganze
Thal, und iſt dicht mit ſchwarzem Walde um-
geben. Die Berge hier herum ſind wilder,
als man ſie ſonſtwo im Erzgebuͤrge findet,
deſſen Charakter uͤberhaupt ſehr ſanft und ganz
das Gegentheil von den Schleſiſchen Bergen
iſt, die ſehr prallende Partieen haben und von
tiefen finſtern Schluchten durchſchnitten wer-
den. — Oederan liegt auf eine etwas eigen-
ſinnige Art zwiſchen Felſen, und man kann
[40] nur durch Hohlwege hinein gelangen. Wenn
ich auch nicht gewußt haͤtte, daß dies Staͤdt-
chen beſonders Tuchweberey treibt, ſo haͤtte
ich es aus einem anſehnlichen Leichenzuge ge-
ſchloſſen, deſſen Mitglieder ſaͤmmtlich die blaß-
gelbe Farbe hatten, welche die Fabrikanten
dieſer Art vor vielen andern auszeichnet. Das
Innere dieſes Staͤdtchens iſt ganz ſauber.


Von Oederan bis Chemnitz (2 M.) fuͤhrt
die Straße zuerſt wieder durch einen Hohl-
weg hinauf und laͤuft ſodann einen betraͤchtli-
chen Berg hinunter, von welchem herab man
mehrere enge und weite Ausſichten in ſchwarz-
behoͤlzte Thaͤler und uͤber dergleichen Anhoͤhen
genießt. Sodann gelangt man wieder in eine
Niederung, an deren Seite ſich ein Thal er-
oͤffnet, das nach und nach alle die Schoͤnhei-
ten zeigt, die man nur von einem angenehmen
Thale erwarten kann. Die Nordſeite iſt mit
ſchwarzen pyramidaliſchen Steintannen beſetzt;
die Suͤdſeite mit Fichten und Kiefern. Den
Raum dazwiſchen nehmen theils Dorfſchaften,
[41] theils zerſtreuete Haͤuſerchen und daran ſtoßen-
de fruchtbare Ackerfelder, oder bluͤhende Wie-
ſen, ein, zwiſchen denen hindurch ſich ein ra-
ſches Stroͤmchen in mancherley Kruͤmmungen
hinwindet. Dies Thal behaͤlt man uͤber an-
derthalb Stunden beſtaͤndig zur Seite, bis
man endlich in daſſelbe hineinfaͤhrt und es,
mittelſt einer uͤberbaueten Bruͤcke, durchſchnei-
det. Darauf verengert ſich die Ausſicht wie-
der, der Weg laͤuft erſt in Hoͤhlungen und
ſodann bergan durch einen Wald, der ſich
nicht eher verliert, als kurz vor Chemnitz,
in welche Stadt man von oben herab hinein-
ſieht. Sie giebt, bey ihrer tiefern Lage, faſt
den Anblick wie Freyberg, hat, fuͤr ihre Groͤße,
geraͤumige Straßen, ein gutes Pflaſter und
groͤßtentheils ſteinerne Haͤuſer von zwey bis
drey Stockwerken. Sie iſt ganz lebhaft und
ſchließt ſehr arbeitſame kunſtfleißige Einwohner
ein.


Von Chemnitz fuhr ich weiter nach An-
naberg
, (3 M.) auf einem Wege, der zwar
[42] eine Strecke auf einer Flaͤche fortlief, die ſich
aber an Gebirge lehnte und deshalb nicht lan-
ge zu dauern verſprach. Neben dem Dorfe
Altchemnitz hin, das mir, wegen der auſſer-
ordentlichen Sauberkeit ſeiner Haͤuſer, Gaͤrt-
chen und Zaͤune, ſehr gefiel, fuͤhrte der Weg
uͤber den Bach Chemnitz hinan, zu dem Dorfe
Hartau. Oberhalb dieſes Dorfes ſteigt der
Berg, Hartauer Berg genannt, ziemlich
ſteil hinan, und man hat, von demſelben her-
ab, eine der angenehmſten Ausſichten in das
weite Thal, worin Chemnitz liegt. Indem
man weiter faͤhrt, ſenkt ſich dieſer Berg ein
wenig, und rechts faͤllt ein neues, koͤſtliches
Thal hinein, das, ohne ſo weitſichtig zu
ſeyn, als jenes, weit abwechſelnder und ſanf-
ter gebildet erſcheint. Wenn dieſes hinter-
waͤrts verſchwunden iſt, ſo thut ſich vorwaͤrts
ſchon wieder ein drittes auf. Dies iſt das
Thal von Burkersdorf, in deſſen Tiefe
dieſer genannte Ort lang ausgedehnt liegt.
Ueber denſelben hinauf fuͤhrt dann die Straße
[43] wiederum durch Hohlwege in ein ſchwarzes
Waldigt, mit untermiſchten Kornfeldern. Man
faͤhrt nun eine Strecke auf der Hoͤhe im Walde
fort, der uͤberall, wo er Luͤcken hat, kleinere
und groͤßere angenehme Thaͤler uͤberſehen laͤßt.
Bald erblickt man in einem neuen Thale ein
Staͤdtchen vor ſich, zu welchem man in Hohl-
wegen tief hinunter muß. Dies iſt Duben,
ein kleiner hoͤlzerner aber reinlicher Ort, hin-
ter welchem man von neuem einen Berg zu
erklimmen hat, von deſſen Gipfel man ohne
Aufenthalt wiederum in das minder angeneh-
me Thal um Ehrenfriedersdorf hinunter
muß. Dies ziemlich lebhafte Bergſtaͤdtchen iſt
ſchwarz, wie ſeine Umgebungen, die aus lau-
ter zu Tage gefoͤrdertem, tauben Stein beſte-
hen, der rund umher an den Bergen große
ſchwarze Waͤlle bildet. Hier iſt ſeit Jahrhun-
derten ein ergiebiger Bergbau auf Zinn und
Silber, der viel Menſchen naͤhrt, die auch
noch durch andre Zweige des Kunſtfleißes die
hieſige karge Natur verbeſſern. — Ueber Ber-
[44] ge und durch Thaͤler geht der ſteinigte Weg
endlich nach Annaberg hinauf, welches ſich,
am Abhange eines Berges gelagert, zeigt, und
keine unangenehme Anſicht gewaͤhret. Im Ruͤ-
cken wird es von einem hohen iſolierten Ba-
ſalt-Berge, der Poͤhlberg genannt, beherrſcht,
den man ſchon mehrere Stunden vorher aus
der Ferne ſah. Das Innere der Stadt iſt
zwar heiter und geraͤumig und ſehr ſauber,
aber an den Seiten der Straßen ſproßt das
Gras aus dem Pflaſter hervor, und, gegen
Freyberg und Chemnitz gehalten, iſt die Stadt
wie ausgeſtorben.


Von Annaberg auf Oberwieſenthal
(4 M.) hat man abermals nichts als Waͤlder,
Berge und Thaͤler vor ſich, uͤber welche rund
umher aus der Ferne, die Koppen einzelner
Berge hervorragen, und zwar ſo, daß da, wo
zwiſchen zwey Bergen ſich ein Einſchnitt bil-
det, ein entfernter dritter, der noch hoͤher iſt,
ſogleich davortritt. Ich befand mich alſo jetzt
tief in dem Keſſel der Gebirge, und konnte
[45] weder weiter hinein, noch wieder heraus, ohne
zu klimmen. Der Weg fuͤhrte bald durch ſehr
mannichfache, ſehr angenehme Thaͤler, bald
am Abhange derſelben hin; und ſie waren auf
beyden Seiten und in der Mitte theils mit
Holz, theils mit Waͤllen von zu Tage gefoͤr-
dertem Stein und Erz, theils mit den lachend-
ſten Wieſen bedeckt. Der Baͤrenſtein, ein
Berg von eben dem Bau und der Form, aber
nicht ſo hoch wie der Poͤhlberg, kam mir jetzt immer
naͤher, nachdem ich ihn ſchon ſeit fuͤnf Stun-
den im Geſichte gehabt hatte. Auf ſeiner
Nordſeite befand ſich, in einer Kluft noch
Schnee. Neben ihm ging der Weg hinunter,
durch einen Theil des Staͤdtchens Baͤren-
ſtein
, das faſt aus lauter einzeln liegenden
Haͤuſern beſteht, die mit friſchen Leuten, wel-
che theils ſpannen, theils wirkten, theils Spi-
tzen kloͤppelten, zahlreich beſetzt waren. Um
jedes Haus lag ein Stuͤck Wieſe; Ackerfeld
bemerkte ich faſt gar nicht.


[46]

Gleich an Baͤrenſtein ſtoͤßt das kaiſerliche
Gebiet, und das Boͤhmiſche und Saͤchſiſche
ſind hier nur durch ein kleines Waͤſſerchen,
der Poͤhl- oder Graͤnzbach genannt, von
einander getrennt. Der erſte Boͤhmiſche Ort
iſt Weipert; hier iſt auf einmal alles anders.
Eines neuern Reiſenden Bemerkung uͤber ka-
tholiſche Phyſiognomieen
hat Wider-
ſpruch gelitten, aber ich finde ſie nicht ganz
ohne Grund. Ein gewiſſes ernſthaftes, finſte-
res Anſehen, ein niedergeſchlagenes, nicht ehr-
furchtvolles, ſondern devotes Auge: dies iſt
wohl das Katholiſche, was man auf den Geſichtern
der Menſchen hier herum, beſonders aber der
Maͤdchen und Weiber, bemerkt. Es iſt wohl
nur gleichſam religioͤſe Handwerks-Phyſiogno-
mie, deren Zuͤge ſich durch das viele Kirchen-
gehen, durch das Aeußere der Moͤnche und Prie-
ſter und durch das Anſchauen der Heiligen-
Bilder zuſammen finden und den Geſichtern
aufdruͤcken.


[47]

Man faͤhrt nun in einem Thale fort, das
eine einzige zuſammenhangende blumigte Wieſe
bildet, die von dem Graͤnzbache durchſchlungen
wird. Der Weg fuͤhrte links am Abhange
hin und war ſtellenweiſe gefaͤhrlich. Es ward
ſchon dunkel, als ich vor Niederwieſen-
thal
ankam. Der Weg war allmaͤhlig berg-
an geſtiegen. Das Thal hatte ſich verengert
und erſchien jetzt mehr mit Baͤumen beſetzt.
Unter dieſen ſtanden Schmelzhuͤtten herum,
aus denen von Zeit zu Zeit Flammen hervor-
ſchoſſen, welche die Dunkelheit des ſchwarzen
Waldes vermehrten. Der Weg fuͤhrte dazwi-
ſchen hindurch nach Oberwieſenthal. Auf
beyden Seiten nichts als ſchwarze Haͤuſer und
ſchwarze Menſchen, gluͤhende Eſſen, umher-
ſpruͤhende Funken und das Geraſſel und Po-
chen der Hammerwerke. Endlich kam ich nach
Oberwieſenthal, das, in einer betraͤchtlichen
Laͤnge, theils im Thale, theils am Abhange
der Anhoͤhen liegt, ſchwarz, ungepflaſtert, und
mit ſchwarzen, laͤrmenden Einwohnern beſetzt
[48] iſt. Ich war gezwungen, die Nacht hier zu
bleiben. Man verſicherte mich, ich wuͤrde ei-
nen guten Gaſthof auf dem Markte finden.
Dahin fuhr ich alſo. In einer Ecke deſſelben
erhob ſich ein altes hoͤlzernes Haus mit einem
Thurme. Nach langem Pochen ging ein Thor-
weg knarrend und ſeufzend auf, und im Vor-
dergrunde zeigte ſich ein altes Weib in den
Sechzigen, mit einem Stumpen Licht in der
bloßen Hand. Ich zog ein. Eine ſteile, ſchwan-
kende Treppe mit ausgetretenen Stufen, fuͤhrte
in den erſten Stock. Durch den Boden des
Vorſaals, der voller Riſſe und Aſtloͤcher war,
ſah ich unten im Hauſe mehrere Menſchen,
mit Kienbraͤnden in der Hand, mitten unter
Stroh und Holzſpaͤnen, Platz fuͤr meinen Wa-
gen machen. Ich ging mit leichten Schritten
wie auf dem Boden eines Siebes, uͤber den
Saal und trat in ein Zimmer, das mir die
erwaͤhnte Alte aufſchloß. Hier erblickt' ich
eine lange Tafel, um welche herum ſechs bis
acht uralte hoͤlzerne Stuͤhle ſtanden. In der
Mitte
[49] Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel-
ches die Alte einige Tropfen Unſchlitt troͤpfelte
und ſolchergeſtalt ihr Endchen Licht befeſtigte,
mit der Vertroͤſtung, daß ſie mir bald einen
Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte
bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach-
te. Es war rund umher mit uralter Taͤfeley
bekleidet. Ein paar hohe, mit Eiſen beſchla-
gene, feſte Schraͤnke ſtanden an den Seiten,
und zwiſchen ihnen hingen mehrere ſchwarz
geraͤucherte Gemaͤlde, worauf ich unter andern
einen gefeſſelten armen Suͤnder, und ein juͤng-
ſtes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt,
erblickte. Am obern Ende des Tiſches, vor ei-
nem Lehnſeſſel, ſtand ein Todtenkopf, und
uͤber demſelben hing der Griff zu einer Klin-
gel herab. Kurz, ich befand mich, was man
ſchon errathen haben wird, auf dem Rath-
hauſe, in der Gerichtsſtube, auf dem Lehn-
ſtuhle des Buͤrgermeiſters von Oberwieſenthal.
Ein Abendeſſen, das zu dieſen Umgebungen
paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam-
Fuͤnftes Heft. D
[50] mer, die rothe Balken und eine ſchwarz und
weiß bemahlte Decke hatte, kroͤnten dieſes
Abenteuer.


Von Oberwieſenthal aus fuhr ich den an-
dern Morgen auf Karlsbad (2 M.). Man
muß einen hohen Berg erklimmen, der die
erſtere Stadt von dieſer Seite beherrſcht.
Es iſt der Fichtelberg, der hoͤchſte
Punkt des Erzgebirges. Das Wieſenthal
hat man immer noch zur Linken. Je hoͤher
man auf der einen Seite dieſen Berg hin-
ankoͤmmt, deſto hoͤher erhebt ſich der ge-
genuͤberliegende, und beyde klemmen am Ende
das Thal, das hier eine Wendung rechts nimmt,
ſo enge ein, daß es gleichſam nur als ein Riß
zwiſchen beyden erſcheint und ſich endlich ganz
verliert. So befand ich mich denn auf dem
Gipfel des hohen, oben eingeſchnittenen Ber-
ges, der mir ſo lange im Geſichte geweſen
war. Eine der ſchoͤnſten Ausſichten, die ich
im Erzgebirge gefunden habe, breitete ſich vor
mir aus. — Unten im Thale zeigt ſich das
[51] boͤhmiſche Bergoͤrtchen Gottesgab, und bald
hinter demſelben gelangt man in einen bergig,
ten Wald, den man faſt in lauter Hohlwegen,
zwiſchen Steinen und auf Steinen durchfaͤhrt,
bis man endlich nach zwey Stunden in die
tiefe Schlucht gelangt, worin Joachims-
thal
liegt, das man anfangs nur ſeinen Daͤ-
chern nach zu ſehen bekoͤmmt. Steine liegen
hier wie Schutt herum; große Felſenſtuͤcke
ſind an beyden Seiten abgeſchoſſen und
ſchnelle Baͤche reiſſen ſich rechts und links her-
ab, und ſetzen mehrere Lohmuͤhlen betaͤubend
in Bewegung. Joachimsthal iſt beſſer gebau-
et, als Oberwieſenthal, hat ſteinerne Haͤuſer,
die, bis auf wenige am Eingange, ſauber un-
terhalten ſind. Rechter Hand, hoch auf dem
der Stadt zunaͤchſt liegenden Berge, erſchei-
nen die Auswuͤrfe eines Bergwerks, die in
drey Teraſſen aufgethuͤrmt ſind und alle Au-
genblicke abzugleiten und die naͤchſten Haͤuſer
zu verſchuͤtten drohen. Weiterhin, auf einem an-
dern Berge, zeigt ſich das Getruͤmmer eines
D 2
[52] alten Gebaͤudes, das ein Schloß geweſen zu
ſeyn ſcheint, jetzt aber zu einer Kirche ein-
gerichtet iſt, worin die Bergleute, ehe ſie ein-
fahren, ihre Andacht verrichten.


Von Joachimsthal aus wird die Schlucht
immer enger, aber auch immer ſteinigter und
beſchwerlicher. Auf beyden Seiten ſtehen Tan-
nen ſo ſenkrecht hinan, daß die eine aus der
andern hervorgewachſen ſcheint, waͤhrend in
der Mitte, uͤber Felſenſtuͤcke hinweg, ein ar-
mes Waͤſſerchen faͤllt, das ſeifenartig, haͤßlich
ausſieht und auf ſeinem Laufe von mehreren
Muͤhlen und Huͤttenwerken genutzt und ſo-
dann wieder entlaſſen wird. Endlich kommt
man aus der Schlucht heraus und eine lichte-
re Ausſicht biethet ſich dar; man koͤmmt, wo
nicht in eine Flaͤche, doch in eine ebenere Ge-
gend, wo die Berge niedriger ſind und min-
der dicht bey einander ſtehen. Hier war das
Getreide ellenlang hoͤher, als in den Bergen,
durch die ich geſtern kam; die Bluͤthen der
Aepfel und Kiſrchbaͤume, die dort erſt aus der
[53] Knoſpe traten, waren hier ſchon im Abfallen;
und ſo ſchien es, als ob ich, nach einer kleinen
Strecke von acht Meilen, um mehrere Grade
naͤher nach Suͤden gekommen waͤre.


Der Weg dauert nun, wie oben angezeigt,
fort, und windet ſich noch durch manchen Hohl-
weg, uͤber manche Anhoͤhe, zum Theil durch
Waldung, zum Theil am Gehaͤnge von Bergen,
das große Felſenſtuͤcke bedecken, dahin; man
koͤmmt uͤber die Eger und ſieht ſich dann bald
vor Karlsbad.


Karlsbad liegt in einem engen Thale, das
bey Toͤplitz ſeinen Anfang nimmt, und unterhalb
jener Stadt in die Ebene auslaͤuft, welche die
Eger durchſtroͤmt. Die Toͤpel, ein kleiner Fluß,
koͤmmt gedachtes Thal herab, und an beyden
Ufern deſſelben iſt Karlsbad erbauet. Betraͤcht-
liche Berge ſchließen es von allen Seiten ein.
Die anſehnlichſten darunter ſind der Kreutz-
berg
, der Hirſchſtein und der Hammer-
berg
.


[54]

Der Kreutzberg iſt der hoͤchſte. Er ſteigt
in Oſten, von dem Ufer der Toͤpel aus, in faſt
gleichfoͤrmiger Geſtalt, uͤber dritthalb hundert
Schuh hoch, hinan, und hat auf ſeinem Gipfel,
der mit Nadelholz bewachſen iſt, drey hoͤlzerne
Kreutze, die ihm den Namen gegeben haben.


Der Hirſchſtein oder Hirſchſprung,
liegt der Stadt gegen Weſten, erhebt ſich unge-
faͤhr zwey hundert Schuh hoch, und beſteht
meiſt aus ſchroffen, ſenkrecht und gruppenweiſe
emporſtrebenden, geſpaltenen Steinmaſſen, die
zwiſchen einem Waldigt von Nadelholz heraus-
ſehen.


Der Hammerberg iſt weder ſo hoch,
noch ſo ausgezeichnet, als die beyden vorigen,
und dicht mit Nadelholz bewachſen.


Die Grundbeſtandtheile dieſer Berge ſind
Granit, von derjenigen uralten Art, aus der
die Karpathen beſtehen, die wiederum mit den
aſiatiſchen Gebirgen zuſammen hangen. *) Außer
[55] dieſer Gebirgsart findet man ſpaͤter gebildete,
als Thonſchiefer, Greus, Glimmer, um und
an denſelben; und in mindern Hoͤhen erſcheinen
noch juͤngere Trappformationen.


Die Ausſicht von den genannten drey Ber-
gen iſt mehr oder weniger weitlaͤuftig, aber im-
mer ſehr angenehm. Zu ſeinen Fuͤßen hat man
die Ebene, durch die man vom Erzgebirge her
gekommen iſt, und die ſich gegen Morgen in der
Flaͤche abdacht, in welcher Prag liegt; gegen
Mittag aber ſich an ein Gebirge lehnt, das ſich
ziemlich ſteil erhebt, und ſich den Bergen des
Boͤhmer Waldes anſchließt. Der Raum zwi-
ſchen Karlsbad, dem Erz- und dem Boͤhmer-
Wald-Gebirge, iſt mit hoͤhern und niedrigern
Bergen und Berggruppen beſtreuet, zwiſchen
denen bald Gehoͤlz, bald Ackerland, bald Wie-
ſen, in der Mitte liegen.


An der Geſtalt unterſcheidet man aus der
Ferne unter den einzeln ſtehenden Bergen einige
Baſaltfelſen, z. B. den Grasberg, der un-
gefaͤhr eine halbe Meile oͤſtlich von Karlsbad
[56] liegt, auf einer breiten Grundlage kegelfoͤrmig
emporſteigt, und aus einem Baſalt beſteht, der
faſt von der Art iſt, wie der am Stolpener
Schloßberge, doch weniger in Saͤulen geſpalten,
und weniger zu Tage auslaufend erſcheint, als
der Baſalt an jenem.


Der Trittlitzer Berg giebt von fern ei-
nen weniger ausgezeichneten Anblick, man er-
kennt ihn aber ſogleich als Baſaltfelſen. Sein
Baſalt iſt von derſelben Art, wie der am Gras-
berg.


Anſehnlicher als beyde, und als der hoͤchſte
in der Ebene, ragt der Hornberg hervor.
Seine Beſtandtheile ſind wie die an den beyden
vorigen.


Die Ebene zwiſchen dieſen verſchiedenen Ber-
gen iſt reich an mineralogiſchen Merkwuͤrdigkei-
ten. Das Daſeyn von Erdbraͤnden und After-
vulkanen iſt unverkennbar. Erdſchlacken, Stuͤ-
cke gebrannten Thons, Steinkohlen und Ver.
glaſungen ſieht man haͤufig am Wege. Daß
dieſe Erdbraͤnde zum Theil noch fortdauern, aber
[57] in betraͤchtlicher Tiefe, beweiſen augenſcheinlich
die heißen Quellen in dem Thale der Toͤpel,
denen Karlsbad ſeine Entſtehung und ſeinen
Ruf zu danken hat.


Die Geſchichte, die man von der Auffin-
dung dieſer Quellen und von der Entſtehung
der Stadt Karlsbad erzaͤhlt, iſt folgende:
„Kaiſer Karl der Vierte verfolgte in dieſer
Gegend einen Hirſch, der, von den Hunden
gedraͤngt, uͤber einen hohen Felſen in das Thal,
worin jetzt Karlsbad liegt, hinabſprang. Die
Hunde und Jaͤger ſetzten ihm, aber ſicher auf
einem andern Wege, in dies Thal nach, und
fanden bey der Gelegenheit die Quellen.“ — Viel-
leicht iſt in dieſer Ueberlieferung nichts wahr,
als der Umſtand, daß man unter gedachtem
Kaiſer dieſe Brunnen fand, oder auch nur de-
ren Daſeyn wieder ſo in Erinnerung brachte,
daß er ſich derſelben annahm, ſie unterſuchen
und einige Haͤuſer anbauen ließ, deren Anzahl
ſich nach und nach ſo vermehrte, daß ſie eine
kleine Stadt bilden konnten. Die erſten Be-
[58] wohner derſelben ſollen von dem naͤchſten Dorfe
eingewandert ſeyn.


Jetzt enthaͤlt Karlsbad, wie es, nach einem
großen Brande im Jahre 1756, wieder erbauet
worden, drey hundert und dreyßig Haͤuſer.
(Kirchen, Saͤle, Schul-Komoͤdien-Kranken-
und Armenhaͤuſer mit eingerechnet) und acht
und vierzig Brandſtellen, die allmaͤhlich wieder
angebauet werden.


Die Anzahl der ordentlichen Bewohner von
Karlsbad kann man, in einer runden Summe,
zu fuͤnftehalbtauſend annehmen; die außeror-
dentlichen, naͤmlich die Brunnengaͤſte, die den
Sommer uͤber dort ſind, kann man, waͤhrend
des belebteſten Zeitpunkts, zu drey bis vier
hundert, Bediente, Maͤgde und Kinder mit
eingeſchloſſen, berechnen.


Die Bauart der Stadt iſt ſich nicht uͤber-
all gleich; beſonders gehen zwey Gegenden
darin merklich von einander ab. Derjenige
Theil, den man, von dem Eger'ſchen Thor
an bis zur Toͤpelbruͤcke, durchfaͤhrt, beſteht
[59] aus lauter Haͤuſern von Fachwerk, meiſt nur
zwey Stock hoch, mit hoͤlzernem Bindwerk
ausgeſtopft, das mit rother oder blauer, oder
grauer Farbe angegeben iſt. Dieſe Art von
Haͤuſern laͤuft bis zur Stadtkirche, und von
da, am rechten Ufer der Toͤpel, fort, und en-
digt ſich den Beluſtigungsſaͤlen gegen uͤber.
Sie bildet den aͤlteſten Theil der Stadt und
ſchließt den Sprudel ein, um welchen her
die erſten Haͤuſer angelegt wurden.


Derjenige Theil der Stadt, der an dem
linken Ufer der Toͤpel liegt, und jenſeits der
Bruͤcke bey dem Muͤhlbade und Neubrunnen
anhebt, iſt neuer, und ſchließt hoͤhere, geraͤu-
migere und anſehnlichere Haͤuſer ein. Man
gelangt, durch eine enge Gaſſe, deren Haͤu-
ſer rechts am Fuße der Felſen, links an dem
linken Ufer der Toͤpel ſtehen, auf den Markt
oder Ring, der fuͤr den eingeſchraͤnkten Grund
der Stadt groß genug iſt, und an ſeiner lin-
ken Seite die vier ſchoͤnſten und groͤßeſten Haͤu-
[60] ſer *), und auf der rechten das Rathhaus von
Karlsbad mit ſeinem Thurm, enthaͤlt. Zwi-
ſchen dieſem und den ihm entgegenſtehenden
Haͤuſern auf der linken Seite, fuͤhrt ein Weg
hinan, der rechts zu einem alten Schloſſe
und dem Schloßbrunnen; gerad'aus, auf ei-
nen zuruͤckſpringenden angenehmen Berg und,
links, zu einem Spatziergange fuͤhrt, welcher
an dem Gehaͤnge des Hammerberges und des
Hirſchſprungs bis dahin, wo letzterer ſich ab-
dacht, herumlaͤuft.


Die erwaͤhnten vier anſehnlichen Haͤuſer
auf dem Markte, dienen, nach Karlsbader
Art zu ſprechen, hohen, oder vielmehr, den
hoͤchſten Brunnengaͤſten zur Wohnung, weil
ſie, in zwey Geſchoſſen, große geraͤumige Zim-
mer in einer Folge enthalten, und nahe am
Sprudel, dem Neubrunnen und Schloßbrun-
nen liegen. Von denſelben fuͤhrt eine kurze
Gaſſe, die ein weit vorgebautes Haus an ih-
[61] rem Ausgange ſehr enge macht, auf die Wei-
ſe
, eine Straße, die, links, mit einer einfa-
chen Allee, und rechts, mit einer Reihe guter
und bequemer Haͤuſer beſetzt iſt, die bis zu
den Beluſtigungsſaͤlen fortlaͤuft, und mit die-
ſen ſich endiget. Dieſe Halbſtraße, die den
Namen von einer Wieſe hat, auf welcher ſie
erbauet worden, iſt gewoͤhnlich bis in die Gie-
bel der Haͤuſer ganz mit Brunnengaͤſten be-
ſetzt, und wird uͤberhaupt fuͤr vornehmer ge-
halten, weil die Wohnungen auf derſelben um
drey, fuͤnf und zehn Gulden woͤchentlich theu-
rer ſind, als die auf der entgegengeſetzten
Seite der Stadt. Hier nimmt man in der
That nur dann eine Wohnung, wenn am
Markt und auf der Wieſe keine mehr zu be-
kommen iſt, und man zieht auch hier noch die-
jenigen Straßen vor, die am naͤchſten an dem
Markt oder an der Wieſe liegen. Man hat
aber ſchon vornehme Kranke wieder von
Karlsbad abreiſen ſehen, weil ſie in den Mode-
genden der Stadt keine Unterkunft mehr fin-
[62] den konnten; alles, um nicht zwiſchen Prie-
ſtern, Kaufleuten, buͤrgerlichen Raͤthen und
dergleichen Leuten, ihren Wohnplatz aufzu-
ſchlagen, mit denen ſie doch uͤbrigens das Un-
gluͤck haben, aus einerley Brunnen trinken
zu muͤſſen. Doch auch vor dieſem Ungluͤcke
wiſſen ſich einige zartfuͤhlende Kranke zur
Haͤlfte zu verwahren, indem ſie ſich nicht in Per-
ſon zu den Brunnenplaͤtzen unter den gemei-
nen Schwall begeben, ſondern das Waſſer
aus den Quellen nach ihrer Wohnung holen
laſſen, unbeachtet, daß durch dieſen Uebertrag
zwey Drittel der fixen Luft, des heilſamſten
Grundtheils der Karlsbader Waſſer, verloren
gehen.


Das Voͤlkchen, das dieſe Stadt bewohnt,
iſt eines der gutmuͤthigſten, ehrlichſten und
dienſtfertigſten in der oͤſterreichiſchen Monar-
chie. Der vierfache Umſtand, daß ſie großen-
theils von den Brunnengaͤſten leben, die, ſo
lange ſie dort ſind, alle ihre noͤthigen und
unnoͤthigen Beduͤrfniſſe von ihnen nehmen
[63] und noch, bey ihrer Abreiſe, dergleichen in
Menge kaufen, um ſie, theils als Andenken,
theils als Reiſegeſchenk, theils als Spiel und
theils als Nutz-Werkzeuge mit nach Hauſe zu
nehmen; daß ſie mit Kranken zu thun haben,
die Huͤlfsleiſtung und Gefaͤlligkeit brauchen,
und dieſe Tugenden durch ihren Zuſtand in
guten Herzen erwecken; daß eben dieſe Kranke,
was ſie an moraliſchen Fehlern mitbringen,
weniger auffallend zeigen, weil Schmerzen
und Schwachheit des Koͤrpers es verhindern;
und endlich, daß ſie uͤber die Haͤlfte des Jah-
res, unbeſucht, einſam, keiner Verfuͤhrung
ausgeſetzt, zwiſchen ihren Bergen leben: dieſe
Dinge bewirken wohl zunaͤchſt, daß ihr Ge-
muͤth ſo rein und unverdorben bleibt, als es
ſich wirklich zeigt, wenn man auch nicht die
Bemerkung gemacht haben ſollte, daß die Be-
wohner von Boͤhmen uͤberhaupt, diesſeits des
Bergkranzes, der ihr Land umgiebt, noch beſ-
ſer, wenn auch ungebildeter, als ihre Graͤnz-
nachbarn, zu bleiben das Gluͤck gehabt haben.


[64]

Reich ſind indeſſen die Karlsbader nicht,
theils, weil ihre hauptſaͤchlichſte Erwerbsquelle
nur vom May bis in den Oktober ſpringt;
denn die Faͤlle ſind ſehr einzeln, wo auch im
Spaͤtjahr und im Fruͤhjahre Brunnengaͤſte
dort waͤren, obgleich die Brunnenaͤrzte behaup-
ten, ihre Quellen koͤnnten auch im Winter ge-
braucht werden; theils, weil ſie im Winter
das wieder aufzehren, was ſie im Sommer
gewonnen haben. Der gemeine Mann iſt
naͤmlich nicht unbekannt mit dem Billard und
dem Wein- Bier und Tanzhauſe, und die
beſſern Klaſſen ſind es eben ſo wenig mit Schmaͤu-
ſen, Baͤllen und ſogar Maskeraden. Dadurch
kommt jedermann, gegen die Sommermonate,
mit ſeinen Einkuͤnften in diejenige Ordnung zu-
ruͤck, die den Karlsbadern, faſt ſo ſtreng, als
ihr eigenes gutes Herz, gebietet, freundlich, zu-
vorkommend und dienſtwillig gegen ihre Gaͤſte
zu ſeyn. Ueber Ungeſchliffenheit, Trotz und
doch Uebertheurung, die man ſo haͤufig in an-
dern deutſchen Baͤdern, z. B. in Aachen und
Pyr-
[65] Pyrmont findet, hat wohl noch nie ein Brun-
nengaſt in Karlsbad zu klagen gehabt.


Die Bewohnerſchaft von Karlsbad beſteht
faſt allein aus Kuͤnſtlern und Handwerkern,
und zwar aus ſolchen, deren Arbeiten, außer
einem allgemeinen Betrieb, auch einen beſon-
dern bey den Brunnengaͤſten finden. Dahin
gehoͤren beſonders die Nadler; (14 Meiſter),
Zinngießer, (15 Meiſter), Tiſchler, (12
Meiſter), Buͤchſenmacher, (14 Meiſter),
Schloſſer, (3 Meiſter), Guͤrtler, (5 Mei-
ſter) und Meſſerſchmiedte, (25 Meiſter). *)
Die Tiſchler ſind hier beſonders geſchickt in
kleinen Arbeiten, in Verfertigung von Putzti-
ſchen und Putzkaͤſtchen, Theetiſchchen, und
hundert andern Kleinigkeiten. Sie wiſſen das
Fuͤnftes Heft. E
[66] Holz, oder die Maſern, die ſie zum Verkleiden
derſelben brauchen, ſehr geſchickt mit allerley
Firniſſen und Beitzen zu uͤberziehen und zu
durchlaſſen; aber nicht ſo geſchickt ſind ſie in
der Vertheilung und Anordnung der Farben,
und ihre Formen haben wenig Neues und Ab-
wechſelndes. Sie ſind in dem letztern Punkte
Schuͤler gegen die Franzoͤſiſchen und beſonders
gegen die Engliſchen Kunſttiſchler, die mit Ein-
falt und Schoͤnheit die hoͤchſtmoͤgliche Dauer-
haftigkeit und Mannigfaltigkeit des Mechanis-
mus zu verbinden pflegen. Aber man kauft
auch in Karlsbad z. B. fuͤnf Schatullen fuͤr
den Preis, wofuͤr man kaum Eine in Eng-
land ſelbſt bekommen wuͤrde.


Die uͤbrigen oben angefuͤhrten Handwerker
arbeiten in Meſſing, Eiſen, Stahl und in
andern Metallen, nicht nur das, was ihr
Name angiebt, ſondern auch uͤberhaupt alle
Waaren, die ihre Geſchicklichkeit hervorbrin-
gen kann, ohne daß ſie diesfalls ſtreng zunft-
maͤßig einen Scheidungsſtrich gezogen haͤtten.
[67] Im Ganzen ſind ihre Arbeiten mit Fleiß, aber
nicht immer mit Geſchmack gemacht, beſonders
in Abſicht der Form, die ziemlich ſchwerfaͤllig
zu ſeyn pflegt, und der Verzierung, die eine
plumpe Schnoͤrkeley iſt. An dieſen beyden
Stuͤcken erkennt man die Karlsbader hieher
gehoͤrigen Waaren, wie man die Nuͤrnbergi-
ſchen an ihrem eigenthuͤmlichen Geiſt erkennt.
Man vermißt bey ihnen, wie bey den deut-
ſchen, italiaͤniſchen und ſpaniſchen Handwer-
kern uͤberhaupt, den Geiſt der Verfeinerung
und Erfindung, den die englaͤndiſchen und
franzoͤſiſchen in ſo hohem Grade beſitzen, und
den die erſtern noch mit dem Geiſt der Vol-
lendung, dem Triumph aller ihrer Manufak-
tur- und Fabrikwaaren, verbinden.


Da die Kuͤnſte und Handwerke einer Stadt
keinen unverwerflichen Maßſtab von dem Ver-
trieb, Bedarf, Genuß und ſogar von dem Cha-
rakter ihrer Einwohner abgeben, ſo erlaube
man mir, noch anzumerken, daß in Karlsbad
nur Ein Apotheker aber dreyzehn Baͤcker, nur
E 2
[68] Ein Juwelier aber neun Wollenzeugmacher,
nur Ein Buchbinder aber ſieben Gaſtwirthe,
nur Ein Goldarbeiter aber eilf Schuhmacher,
nur fuͤnf Maurer aber vierzehn Schneider,
keine Buchhandlung aber ſechs Speiſewirthe,
kein Advokat aber achtzehn Fleiſcher vorhanden
ſind. Kein Modenhaͤndler von allen, die, den
Sommer uͤber, zu ſechs bis acht in Karlsbad
ſind, iſt dort anſaͤßig, aber wohl ſind es eilf
Kraͤmer, die mit brauchbaren oder unentbehr-
lichen Dingen, vom Salze an, bis zum Unga-
riſchen Wein herab, ein lebhaftes Gewerbe
treiben.


Karlsbad beſitzt fuͤnf Geſundheitsquellen,
die ordentlich gefaßt ſind und zur Kur gebraucht
werden: den Sprudel, das Muͤhlbad,
den Neubrunnen, den Gartenbrunnen
und den Schloßbrunnen. Kleinere Adern,
aus denen warmes Waſſer herausſickert, ſind
mehrere vorhanden. *)


[69]

Die ergiebigſte Quelle und zugleich die
heiſſeſte, iſt der Sprudel, doch erreicht ſeine
Hitze nicht ganz den Grad des Kochens. Sein
Waſſer faͤllt nicht unangenehm auf die Zunge
und wird, dem Geſchmacke nach, gewoͤhnlich
einer leicht geſalzenen Huͤhnerbruͤho verglichen,
mit dem es in der That große Aehnlichkeit
hat. Seine Farbe iſt klar; dieſe Klarheit ver-
liert ſich aber, wenn es eine Weile ſteht, und
es nimmt eine weißliche Farbe an, indem es
zugleich zarte, weißgelbliche Kalktheilchen fal-
len laͤßt, die den Koͤrper, auf den ſie fallen,
verſintern. So entſtehen die ſogenannten Ver-
ſteinerungen, die man zum Andenken aus
Karlsbad mitzubringen pflegt. Die Beſtand-
theile dieſes Waſſers ſind luftſaures Mine-
*)
[70] ralalkali, Glauberſalz, Kochſalz, luftſaure Kalk-
erde, Kieſelerde und eine geringe Spur von
Eiſenſtoff.


Dieſelben Beſtandtheile haben auch die
uͤbrigen Quellen, und die Miſchung derſelben
untereinander iſt ſich ziemlich gleich, bis auf
die Luftſaͤure, deren die eine Quelle, je nach-
dem ſie heißer oder kuͤhler iſt, mehr oder we-
niger als die andere mit ſich fuͤhrt.


Die Muͤhlbadquelle iſt laulicht und
hat bey weitem nicht den geiſtigen Geſchmack
des Sprudels, weil ſie nicht ſo viel fixe Luft
enthaͤlt. Man bedient ſich ihrer auch ſelten
fuͤr Kranke, es muͤßten denn ſolche ſeyn, die
ſehr ſchwache reitzbare Nerven haͤtten und de-
nen deshalb die Hitze des Sprudels ſchaͤdlich
wuͤrde. Doch empfiehlt man in dieſem Falle
haͤufiger den Schloßbrunnen.


Der Neubrunnen hat ebenfalls nicht
den Grad der Hitze des Sprudels und ſchmeckt
deshalb merklich matter. Er war in dieſem
Jahre (1793) der Modebrunnen. Alles, was
[71] ſchoͤn war, trank an demſelben, und was ga-
lant war, trank hier auch. Man fand den
Sprudel, ſeiner Hitze wegen, zu angreifend,
und ein paar Brunnenaͤrzte naͤhrten dies Vor-
urtheil, bloß um etwas anderes zu empfehlen,
als der verſtorbene Becher, der beſtaͤndig auf
den Gebrauch des Sprudels gedrungen hatte.


Nicht weit vom Neubrunnen, unter der-
ſelben hoͤlzernen Gallerie, die man, zur Be-
quemlichkeit der Trinker, erbauet hat, dringt
noch eine andere Quelle, die, meines Wiſſens,
noch keinen Namen fuͤhrt, in einem ſtarken
Strahle hervor. Sie iſt ſo heiß, als der
Sprudel, aber eine der juͤngſten. Kranke, die
ſich ſtaͤrkere Nerven zutrauen, trinken ſie be-
ſonders.


Der Gartenbrunnen ſpringt oberhalb
des Neubrunnens, am Abhange des Granit-
berges, an deſſen Fuße letzterer hervordringt.
Ich weiß nicht, warum man ihn den Garten-
brunnen nennt, denn außer vier oder fuͤnf
Baͤumen, die an der rechten Seite des ſchma-
[72] len, dazu gehoͤrigen, Spatzierplatzes ſtehen,
findet man keine Spur von einem Garten.
Dieſer Brunnen fließt nicht ununterbrochen
aus ſeiner Roͤhre, ſondern in Abſaͤtzen, und
kommt mit einem rauſchenden Schaume zum
Vorſchein. Er wird zwar in gewiſſen Faͤllen
von den Brunnenaͤrzten empfohlen, aber ge-
woͤhnlich trinkt man ihn nur zur Abwechs-
lung, oder aus Neugier. Er iſt uͤbrigens lau,
und hatte dieſes Jahr einen ſtarken Schwe-
felgeſchmack, den Kenner ſeiner neugeſetzten
Roͤhre zuſchrieben.


Noch lauer iſt der Schloßbrunnen, zu
dem man, vom Markt aus, hinauf ſteigt, und
der beſonders nervenſchwachen Perſonen, wel-
che die Hitze der vorhin erwaͤhnten Quellen
nicht ertragen, empfohlen wird.


Die Wirkung dieſer Quellen iſt, im Gan-
zen genommen, mehr oder weniger dieſelbe:
ſie reinigen die erſten Wege, verduͤnnen und
verſuͤßen das Blut, und fuͤhren die darinn
befindliche Schaͤrfe gelind und allmaͤhlich ab.
[73] Daraus wird klar, was fuͤr Krankheiten ſie
zunaͤchſt heilen oder mildern. Verſtopfungen
der Gedaͤrme, Gekroͤſe und Nieren, Stein,
Gries, noch nicht eingewurzelte Gicht, Hypo-
chondrie und Melancholie, Magenkraͤmpfe,
Kopfweh, Nervenzufaͤlle, ſelbſt epileptiſche,
wenn ſie ſich von Anhaͤufungen im Unterleibe
herſchreiben: alle dieſe und andere damit ver-
wandte Krankheiten werden durch ſie theils
gehoben, theils abgeleitet; aber auf die ganze
Gattung der hitzigen Krankheiten wirken ſie
wenig oder gar nicht, und manche Kranke,
die mit ſolchen behaftet waren, haben in
Karlsbad ihr Grab gefunden, wenn ihr Haus-
arzt ſo unwiſſend war, ihnen die hieſigen
Quellen zu empfehlen, und ihr Brunnenarzt
ſo leichtſinnig, ihnen den Gebrauch derſelben
zu geſtatten. Ueberhaupt, wer eine nahmhafte
Krankheit hat, die nicht aus Verſtopfung des
Unterleibes entſteht, der ſuche hier weder Huͤlfe
noch Erleichterung; und ſo auch der, der in
Karlsbad ſelbſt mit irgend einem Uebel, auf
[74] welches der hieſige Brunnen nicht wirkt, be-
fallen wuͤrde. Die Brunnenaͤrzte haben, in
der Behandlung ſolcher Krankheiten, die hier
nicht gewoͤhnlich vorkommen, geringe Erfah-
rung, und benehmen ſich dabey — ſehr furcht-
ſam wenigſtens. Auch pflegen ſie aus Politik
(was in dieſem Falle ein Gluͤck iſt) ſolchen
Kranken zur Entfernung zu rathen, damit ſie
nicht etwa in Karlsbad ſterben und deſſen
Quellen einen uͤbeln Ruf zuziehen moͤgen.


Da die Genoſſen unſeres Zeitalters, maͤnn-
lichen und weiblichen Geſchlechts, Juͤngere
wie Aeltere, vorzuͤglich am Stilleſitzen, an der
Anſtrengung und Schonung des Kopfes, an
den Arbeiten der Phantaſie, des Stickrahms,
der Eitelkeit, oder mithin auch am Schnuͤren
und an engen Beinkleidern, ferner an Romanen-
und Zeitungsleſerey, am Buͤchermachen, am
Trinken ſchlechter und ſchwerer Weine, an
der Naſchſucht, an der platoniſchen oder nicht
platoniſchen Liebe, und an der Mode- und
Genußjaͤgerey leiden: ſo kann man, nach den
[75] traͤge machenden, verſtopfenden, zuſammen
ziehenden und unnatuͤrlich erhitzenden Eigen-
ſchaften aller dieſer geiſtigen und koͤrperlichen
Dinge, von ſelbſt ermeſſen, daß derjenigen
Kranken, die ganz beſonders nach Karlsbad
gehoͤren, eine betraͤchtliche Anzahl ſeyn muͤſſe.
Wirklich ſchließen die Gegenden, in welchen
Karlsbad bekannt und beruͤhmt iſt, ſo viel
Kranke dieſer Art ein, daß ſie deſſen Quellen,
vom Anfang des Mayes an, bis gegen das
Ende des Oktobers, mit fuͤnf, funfzig, hun-
dert, dreyhundert, und dann wiederum mit
hundert und funfzig, achtzig, dreyßig und zwey
Perſonen beſetzt halten koͤnnen.


Die Zeitpunkte naͤmlich, in denen man
Karlsbad beſucht, beſtimmt theils die Noth-
wendigkeit, theils die Mode, theils die haͤus-
liche und geſchaͤftliche Lage, theils das oͤkono-
miſche Vermoͤgen und Unvermoͤgen. Ein
Kranker, der, den Winter hindurch, wirklich
oder eingebildet, danieder gelegen und ſeine
Hoffnung auf den Sprudel geſetzt hat, ſucht
[76] ihn ſchon zu Ende des Aprils auf und bleibt
bey ihm bis zu Ende des Maymonats. Er
findet vielleicht nur fuͤnf bis zehn Mitkranke.
Ein Anderer, deſſen Zufaͤlle ſo dringend noch
nicht ſind, bringt von der Mitte des Mayes
bis zur Mitte des Junius in Karlsbad zu,
und reiſet von dort ab, gerade, wenn ſich die
große Geſellſchaft einzufinden pflegt. Die
Glieder der letztern ſind immer am wenigſten
krank, und ſolche, die entweder alle Jahr
zum Vergnuͤgen eine Badereiſe zu thun pfle-
gen; oder in der Naͤhe von Karlsbad auf dem
Lande wohnen, und Zerſtreuung ſuchen; oder
eine Reihe von Toͤchtern haben, die ſie abge-
kuͤrzt zu ſehen wuͤnſchen; oder das Kartenſpiel,
nicht zunaͤchſt fuͤr ihr Vergnuͤgen, ſondern fuͤr
ihre Erhaltung, lieben; oder irgend einem
Großen folgen, um ihm, bey der minder ge-
bundenen Art zu leben im Bade, naͤher zu
kommen und von ihm verſorgt zu werden;
oder endlich von dem dortigen kleinen Publi-
kum mehr bemerkt zu werden wuͤnſchen, als
[77] es in einer Hauptſtadt ſeyn kann, wo ein paar
Poſtzuͤge, eine diamantene Hutſchleife, einige
Freybaͤlle und eine offene Tafel nicht den Hof
um ſie verſammeln, den ſie ſich hier durch
ſolche Dinge verſchaffen koͤnnen. Der Zeit-
punkt alſo, wo dieſe Art von Afterkranken in
Karlsbad lebt, iſt der glaͤnzendſte, aber auch
der beſchwerlichſte fuͤr wirkliche Kranke. Dieſe
finden kein bequemes Unterkommen mehr; wer-
den am Sprudel von ungeſchliffenen Bedien-
ten gedraͤngt, die den Becher ihrer Herrſchaft
eher fuͤllen wollen, als ſie den ihrigen; wer-
den auf der Wieſe, neben den vorbey fliegen-
den Karoſſen bald vom Staub erſtickt, bald
uͤber und uͤber mit Unrath beſpruͤtzt; werden
aus der Allee von den breiten Reihen der
Herren und Damen weggeſchoben, oder von
eben denſelben, wenn ſie die dortigen Baͤnke
beſetzt halten, vom Kopf bis zu den Fuͤßen
gemuſtert; finden kein Plaͤtzchen mehr, weder
in Fiſchern, noch in dem Garten des
Poſtmeiſters
, wo ſie mit einer kleinen Ge-
[78] ſellſchaft von Freunden eſſen wollten; und
kurz, ſie werden von den Nichtkranken uͤberall
ſo in die Enge getrieben, daß ſie, aus Man-
gel der noͤthigen Ruhe, Ungezwungenheit
und Heiterkeit, die Haͤlfte ihres eigentlichen
Zweckes verfehlen. Dies Geraͤuſch dauert von
den erſten Tagen des Junius bis ungefaͤhr zu
den letzten des Julius, wo es ſich auf einmal,
meiſt immer in drey Tagen, verliert, weil die
Geſellſchaft, die es machte, ſich gleichſam das
Wort gegeben hatte, zu gleicher Zeit zu kom-
men und zu gehen.


Jetzt ſchoͤpfen die uͤbrigen Brunnengaͤſte
wieder Athem, und ihre Anzahl wird durch
ſolche Geſchaͤftsleute vermehrt, die nur — in
den Hundestagen — ihre Geſundheit wahr-
nehmen koͤnnen; oder durch ſolche ſchuͤchterne
Kranke, die am liebſten unter Ihresgleichen
ſind; oder durch ſolche, welche die geſunkenen
Preiſe der Miethen und anderer Beduͤrfniſſe
zu benutzen gezwungen ſind. Um dieſe Zeit
wird Karlsbad immer ſtiller und leerer und
[79] die Fremden ſind unter den Einwohnern kaum
zu bemerken. Dieſer Zeitraum dauert bis zum
Anfange des Septembers, wo noch Landwir-
the, Prediger aus der Nachbarſchaft, Kraͤmer
mit ihren Frauen und Kindern und Landleute
nach Karlsbad kommen. Sie bleiben bis in
den Oktober dort, und man ſieht ſie in klei-
nen Haufen auf der Wieſe oder unter der Al-
lee ſpatzieren gehen. In den Beluſtigungsſaͤ-
len iſt niemand mehr, die Schauſpieler und
Spielleute ſind ausgewandert. Die Saͤle end-
lich werden geſchloſſen, das Poſtamt iſt ge-
ſperrt, die Wirthinnen und ihre Maͤgde ha-
ben die guten Kleider abgelegt, die Kuͤnſtler
und Handwerker haben ihre Arbeiten ein-
gepackt und am Sprudel oder Neubrunnen
wandeln einzelne Kloſterbruͤder, die ihr Bre-
vier leſen, und, was ihnen ſo ſelten begegnet,
Waſſer dazu trinken.


Die Brunnengaͤſte, die nach Karlsbad kom-
men, finden folgende Bequemlichkeiten und
Unbequemlichkeiten:


[80]

Ihre Wohnungen haben ſie bey treuen,
redlichen, theilnehmenden Leuten. Dieſe Woh-
nungen kann man ſich, wenn man fruͤh ge-
nug vor dem lebhaften Zeitpunkte kommt, und
vor dem Eintritt deſſelben wieder abreiſen will,
ganz nach ſeinem Beduͤrfniſſe und Vergnuͤgen
waͤhlen. Die weitlaͤuftigen ſind zwar immer
ſchon im Voraus von vermoͤgenden Brunnen-
gaͤſten beſprochen und werden von dieſer Zeit an
bezahlt; will man aber vor dem feſtgeſetzten Tage
ihrer Ankunft abreiſen, oder ausziehen, ſo kann
man auch dieſe erhalten, ſo wie man ſie ein-
nehmen kann, wenn die erſten Beſteller derſel-
ben abgereiſet oder ausgezogen ſind, im Fall
ſie nicht ſchon von neuem beſprochen worden.
Dieſe erſte Klaſſe der Wohnungen iſt auch die
theuerſte, und man bezahlt ſie woͤchentlich mit
15, 20, 30 und 40 Kaiſergulden. Die Haͤuſer,
die dergleichen enthalten, habe ich oben an-
gegeben; hier fuͤge ich noch das ſogenannte
ſteinerne Haus auf der Wieſe, Nr. 299,
hinzu, wo große Familien mit ihrem Gefolge
Platz
[81] Platz finden koͤnnen. Die Modegegenden der
Stadt habe ich oben angezeigt. In dieſen fin-
det man mehr oder weniger geraͤumige Woh-
nungen, woͤchentlich zu 20, 15, 12, 10 und
8 Kaiſergulden, wie man dergleichen in den
unmodiſchen oder gemeinen, zu 2, 4, 5, 6 und
7 haben kann. In den Haͤuſern am rechten
Ufer der Toͤpel, der Wieſe gegenuͤber, miethet
man ſich ſelten ein; hoͤchſtens werden ſie von
Juden beſetzt. Eben ſo iſt es mit demjenigen
Theile der Stadt, der nach dem Eger'ſchen
Thore zuliegt.


Wer ſein Auge an Englaͤndiſchen Hausrath
gewoͤhnt hat, findet in Karlsbad dieſen Ge-
nuß nicht. Die Stuͤhle, Tiſche und Ruheſeſ-
ſel ſind von der gemeinſten Arbeit, und ge-
ſchmackvolle Gefaͤße, Fußteppiche und Schraͤn-
ke ſieht man gar nicht. Anſtatt der Kupfer-
ſtiche findet man nichts, als bunte Chriſtkind-
chen, durchbohrte Herzen, zerfleiſchte heilige
Maͤnner und Frauen, von Nonnen gemalt,
ausgeſchnitten und mit Nadelſtichen angegeben.
Fuͤnftes Heft. F
[82] Die wenigſten Zimmer ſind gemalt, die mei-
ſten bloß geweißt. Die Betten ſind gut, das
Bettzeug iſt buͤrgerlich, aber ſauber gehalten.
Die Tiſch-Mund- und Handtuͤcher ſind von
gleicher Beſchaffenheit.


Die Trinkwaaren ſind in Karlsbad durch-
gaͤngig matt, aus Mangel an friſchen Kellern,
die beſonders am Markt und in der Gegend
deſſelben, von den Duͤnſten, die aus dem un-
ter ihnen liegenden, großen Behaͤlter des ſie-
denden Waſſers emporſteigen, durchdrungen
werden.


Da man des vielen Waſſers wegen, das
man des Morgens aus der Quelle getrunken
hat, nicht wohl den Tag uͤber noch anderes
Waſſer trinken kann, ſo iſt man auf den Ge-
nuß des Weins oder des Bieres eingeſchraͤnkt.
Die Brunnenaͤrzte rathen vor allen uͤbrigen
Gattungen des erſtern, am liebſten zum Mel-
nicker
, einem leichten rothen Wein, der in
Boͤhmen ſelbſt um den Ort her waͤchſt, von
dem er ſeinen Namen hat. Sie erlauben auch
[83] einige Arten Ungerweins; nicht ſo gerne den
Oeſterreicher und Rheinwein. Das hieſige
Bier iſt leicht, wie es fuͤr Kranke ſeyn muß.
Engliſche Biere ſind, als nicht paſſend zur Kur,
unterſagt. Kaffee und Chokolade darf man
trinken. Thee nicht.


Die Speiſen haben hier einen eigenen Cha-
rakter von Weichlichkeit und Ungeſchmalzen-
heit. Man will theils dem ausgeſchwemmten
Magen nicht zur Laſt fallen, theils darf man
nicht, da bey den Speiſewirthen eine ausdruͤck-
liche Kuͤchenvorſchrift vorhanden iſt. Geſalzene
und geraͤucherte Gerichte ſind gaͤnzlich verboten,
und wenn man dergleichen verlangte, wuͤrde
ſich der Garkoch entſchuldigen; dagegen ſind
alle Arten von Wild (bis auf das Schwein)
von Federvieh, (Gaͤnſe ausgeſchloſſen) von zah-
men Fleiſche, von Mehlſpeiſen (wohin der
waͤlſche Reis, die Nockerl, die Schmarn,
die Steudel, die Kolatſchen, der geba-
ckene Gries
, und wie ſie im boͤhmiſch oͤſter-
reichiſchen Kuͤchenwoͤrterbuch alle heißen) zu
F 2
[84] eſſen erlaubt. Die Gaben ſind klein, aber
auch wohlfeil. Fuͤr zwanzig Kreutzer kann der
Kranke, der Philoſophie hat, ſich ſatt eſſen;
fuͤr fuͤnf und vierzig der, der keine hat.. Oeffent-
liche Tiſche giebt es in Karlsbad nicht. Man
muß entweder auf ſeinem Zimmer allein eſſen,
oder man kann ſich auch mit ſeinen Hauſge-
noſſen oder Nachbarn ſo einrichten, daß man
mit ihnen, bald in ſeinem Hauſe, bald in dem
ihrigen, ſpeiſet. Was der Mangel an oͤffent-
lichen Tafeln der Geſelligkeit abbricht, laͤßt er
der Geſundheit zu gute kommen. Man iſt nie
ſo maͤßig, wenn man mit Zwanzigen, als
wenn man mit ſich allein das Brod bricht
und daſ Glas handhabt.


Die Einrichtung der verſchiedenen Brun-
nenplaͤtze und der Baͤder, iſt nicht glaͤnzend,
nicht bequem, kaum ertraͤglich. Das Trinken
des Karlsbader Waſſers braucht viel Bewe-
gung, damit es aus dem Magen in die uͤbri-
gen Gefaͤße des Koͤrpers vertrieben werden
koͤnne. Aber bey keinem der Brunnen iſt ein
[85] Platz, der eine freye und friſche Bewegung
erlaubte. Der am Sprudel iſt ſehr ſchmal
und ſehr kurz, und man muß ſich durch die
Aufundabgehenden hindurch draͤngen und win-
den. Das Waſſer erhitzt von innen, der Dampf
des Sprudels und das Gedraͤnge von außem,
und die Sonne, die gegen ſieben Uhr dieſen
Platz, den kein Baum beſchattet, zu beleuch-
ten anfaͤngt, thut das Uebrige. Wenn es reg-
net, ſo iſt zwar ein Saal da, wo man ſich
trocken erhalten kann, da er aber uͤber dem
Waſſerbehaͤlter ſteht, ſo iſt die Luft darin ſo
lau und ſo waͤſſerig, daß man bald Aengſt-
lichkeit oder Kopfweh fuͤhlt, und ſich lieber
entſchließt, in den Regen hinaus zu gehen.


Eben ſo iſt es am Neubrunnen. Ein ſchma-
ler Gang, mit einem Wetterdache verſehen
(das ſchon im erſten Jahre ſeiner Erbauung
anfaͤngt, ſich ſchlangenfoͤrmig zu winden) fuͤhrt,
ungefaͤhr hundert Schritte, auf und ab, ſchuͤtzt
vor der Morgenſonne nicht und ſchließt doch
oft hundert bis zwey hundert Menſchen ein.
[86] Alle ſind erhitzt und werden es durch das Waſ-
ſertrinken und das Gedraͤnge noch mehr. Dazu
kommen die Ausduͤnſtungen von einer Menge
geheimer Oerter, die der Genuß des Waſſers
unentbehrlich macht, und die, der Reihe nach,
auf eben dieſem Gange angebracht ſind. Wenn
es nicht regnet, kann man ſich vor den daraus
entſtehenden Unbequemlichkeiten dadurch ret-
ten, daß man auf der nahe gelegenen, ſehr
kurzen und ungleich gebaͤlkten, Toͤpelbruͤcke
auf und ab geht, regnet es aber, ſo muß man
ſich doch unter den gedachten Gang ins Ge-
draͤnge zuruͤck ziehen.


Eben ſo unbequem iſt auch der Raum am
Schloßbrunnen. Man muß, wenn man ſich
bewegen will, von demſelben, auf einem ſchlech-
ten Pflaſter, den Berg hinanſteigen, und mit
einem kleinen Platze, der ungefaͤhr funfzig
Fuß lang, und zwanzig breit iſt, uͤbrigens weder
vor Regen noch Sonne ſchuͤtzt, ſich begnuͤgen.
Jeden neuen Becher Waſſer muß man ſich durch
ein beſchwerliches Herab- und Wiederhinauf-
klettern verſchaffen.


[87]

In Abſicht der Baͤder hat man es nicht
bequemer. Zwar iſt ein Badehaus da, das
Muͤhlbad genannt, aber es enthaͤlt zu we-
nig Baͤder fuͤr den Bedarf. Man muß oͤf-
ters acht Tage vorher beſtellen, ehe man eins
bekoͤmmt, und nachher mehrere Tage wieder-
um warten, ehe man das zweyte haben kann.
Es bleibt kein anderes Mittel, als in die fin-
ſtern Badehoͤlen hinabzuſteigen, die man in ei-
nigen Buͤrgerhaͤuſern, in der Nachbarſchaft
des Sprudels, findet. Sie ſind im Kellerge-
ſchoß der Haͤuſer angelegt, wo ein viereckigtes
Loch, das mit gewoͤhnlichen, ſchwarz gewor-
denen Brettern ausgelegt iſt, das Bad vor-
ſtellt. Das Waſſer fließt durch eine hoͤlzerne
Roͤhre herein, aus welcher man, nicht etwa
mittelſt eines Hahns, ſondern mittelſt einer
Stange, die in die Oefnung paßt, und die
mit Hadern umwunden iſt, ſo viel von dem
warmen Waſſer hereinlaſſen kann, als man
fuͤr gut findet, im Fall das Waſſer in dem
viereckigten Loche (das mehrere Stunden ſtehen
[88] muß, ehe es zum Gebrauch genug abgekuͤhlt
iſt) zu kalt geworden waͤre. Man bezahlt fuͤr
ein ſolches Bad nach Belieben, von funfzehn
Kreutzer bis zu dreyßig. Die Baͤder in dem
gedachten Muͤhlbade ſind ſauber, mit Mar-
mor ausgeſetzt, ſehr geraͤumig, und haben ne-
ben ſich ein Zimmer mit einer Bettſtelle, die
man mit ſeinen eigenen Betten belegen kann.
Der feſte Preis eines Bades iſt vier und
dreyßig Kreutzer; man giebt aber gewoͤhnlich
etwas mehr und fuͤgt ein Geſchenk fuͤr den
Bademeiſter hinzu.


In Abſicht der Spatziergaͤnge iſt man in
Karlsbad beſſer berathen. Es giebt ihrer
mehrere und man kann nach ſeinem Beduͤrf-
niſſe waͤhlen. Wer eine gute Bruſt hat, be-
ſteigt, der ſchoͤnen Ausſicht wegen, die umlie-
genden Berge, beſonders den Kreutzberg, der
die weitlaͤuftigſte gewaͤhrt; wer das Steigen
nicht liebt oder nicht ertraͤgt, verfolgt das Thal,
in welchem die Toͤpel herabkoͤmmt, uͤber ange-
nehme Wieſen, die an beyden Seiten durch
[89] bald hoͤhere, bald niedrigere Berge und Anhoͤ-
hen eingeſchloſſen werden. Dieſe ſind mit Na-
del- und Laubholz beſetzt, oder mit Getreide
beſaͤet, neben und unter welchen große und
kleine Granitmaſſen hervorragen. Man koͤmmt
bald, wenn man aus der vierfachen Allee hin-
ter den Beluſtigungsſaͤlen heraus iſt, links vor
einer artigen Felſenanlage vorbey, die mit ei-
nigen Luſthaͤuschen, mit einer Klauſe, mit ei-
nem Altare, mit ſteinernen Tiſchen und dergl.
beſetzt, und der regierenden Herzogin von Kur-
land, Dorotheen, die, ſeit einigen Jahren
her, die Seele und Zierde von Karlsbad war,
gewidmet iſt. Einige Schritte weiter hin wen-
det ſich das Thal rechts, und man koͤmmt
vor einer andern Anlage vorbey, die erſt ſeit
dem vorigen Herbſte vorhanden iſt. Ein klei-
ner Garten ſchließt ein ganz angenehmes Luſt-
haͤuschen und ein groͤßeres Wirthſchaftsgebaͤude
ein, in welchem man Eß- und Trinkwaaren
fuͤr einzelne Perſonen und, wenn vorher beſtellt
worden, fuͤr ganze Geſellſchaften findet. Wei-
[90] ter hin kommt man durch ein ſchattigtes Wal-
digt, mit Granitwacken beſaͤet, unter denen,
auf einer romantiſchen Stelle, der Freund-
ſchaft
ein Sitz und Altar von einer Frau
errichtet iſt, die dieſe wohlthaͤtige Gottheit
kennt und verehrt, und befugt war, ihr, die
uͤber den modernen Goͤttern und Goͤttinnen,
welche die Menſchen jetzt anbeten, faſt vergeſ-
ſen worden, in dem ſchoͤnen Pantheon der
Natur ein prunkloſes Plaͤtzchen zu weihen.
Weiterhin erhellt und erweitert ſich das Thal
und man gelangt zu einer Papiermuͤhle, dem
Ziele des Spatziergangs, deren Bewohner
ehedem die Wanderer froͤhlich aufnahmen,
jetzt aber, da auch Menſchen dahin kamen,
die kein Gefuͤhl fuͤr gutmuͤthigen Empfang
und den dafuͤr zu zollenden Dank hatten,
und das fuͤr Pflicht hielten — was gute Her-
zen aus innerm Antriebe thaten, ſich
zuruͤck gezogen, und ihre einſame Woh-
nung dem Genuſſe Anderer verſchloſſen
haben.


[91]

Des Spatziergangs am Abhange der Ber-
ge habe ich ſchon oben erwaͤhnt. Er fuͤhrt
an den Felſen, die am linken Ufer der Toͤpel
liegen, herum, gewaͤhrt eine Ueberſicht uͤber
den groͤßeſten Theil der Stadt, und endigt
ſich faſt dem Schloſſe gegen uͤber. Die Brun-
nengaͤſte, die auf der Wieſe wohnen, koͤnnen
aus dem zweyten und dritten Stock ihrer Haͤu-
ſer auf dieſen Spatziergang gelangen, der aber
hypochondriſchen, ſchwindlichten, oder auch
nur furchtſamen Perſonen, nicht empfohlen
werden kann, da er ſehr ſchmal iſt, da an
einigen Stellen die Einfaſſungen niedergefallen
oder von Regenſtroͤmen weggeriſſen ſind, und
da die großen Felſenſtuͤcke, die einem uͤber dem
Haupte, auf verwitterten Grundlagen, ſchwe-
ben, bey jedem Windſtoß, herunter zu ſtuͤrzen
drohen. In der That ſind die Haͤuſer, die
an dem Fuße dieſes Felſen ſtehen, in augen-
ſcheinlicher Gefahr, uͤber kurz oder lang ein-
mal von ſolchen abgeriſſenen Steinklumpen
zerknirſcht zu werden.


[92]

Man geht oder faͤhrt auch haͤufig nach Fi-
ſchern
, einem kleinen Dorfe, drey Viertel-
ſtunden von Karlsbad gelegen, wo man ſich
an guten Fiſchen fuͤr die Faſten erholen kann,
die einem die Speiſewirthe in der Stadt auf-
erlegen.


Ungefaͤhr anderthalb Meilen von Karlsbad
liegt Engelhaus, ein kleiner Ort mit den
Truͤmmern eines alten Schloſſes, die auf ei-
nem ziemlich ſteilen Porphyrſchieferberge ver-
wittern, von dem herab man eine weitlaͤuftige,
etwas wilde, Ausſicht uͤber die umliegenden
ſchwarzen Berge genießt. Unten am Berge iſt
ein Wirthshaus, wo zahlreiche Geſellſchaften
bewirthet werden koͤnnen, wenn ſie vorher an-
ſagen laſſen, oder wenn ſie ihre Beduͤrfniſſe
ſelbſt mitbringen.


Man faͤhrt auch haͤufig nach Schlacken-
werth
, um ſich in dem dortigen großen Gar-
ten zu beluſtigen.


Die Tagesordnung in Karlsbad iſt fol-
gende:


[93]

Man ſteht zwiſchen fuͤnf und ſechs Uhr
auf und verfuͤgt ſich zu dem Brunnen, den
der Brunnenarzt, oder man ſich ſelbſt, verord-
net hat. Hier trinkt man nach eigenem Gut-
duͤnken, oder nach Vorſchrift des Arztes, fuͤnf
zehn, funfzehn bis zwanzig Becher, je nach-
dem man ſtark oder ſchwach iſt, je nachdem
die Wirkung ſchneller oder langſamer erfolgt.
An Unterhaltung dabey, wenigſtens an eine
unabgebrochene, iſt nicht zu denken, da ſie der
letzt erwaͤhnte Umſtand unmoͤglich macht. Je-
der iſt mit der Anzahl der getrunkenen Becher
und deren Wirk- oder Unwirkſamkeit beſchaͤf-
tigt, und will man einander ja ein Wort an-
gewinnen, ſo verhindert es ein Gang, den
man zu machen nicht unterlaſſen kann.


Gegen acht Uhr wird es an den verſchie-
denen Quellen von Trinkern ganz leer. Es
iſt eine von den hieſigen Aerzten vorgeſchriebe-
ne Regel, eine Stunde zu Hauſe zu bleiben
und ſich abzuwarten, ehe man ſich in einem
der Saͤle ein Fruͤhſtuͤck ſucht; oder auch, eine
[94] Stunde in einem ſtoßenden Wiener Wagen,
deren man bey dem hieſigen Poſtmeiſter meh-
rere findet, herum zu fahren. Giebt es ein
Fruͤhſtuͤck mit Muſik und Tanz in einem der
Saͤle, ſo kann man ſich dort die noͤthige Be-
wegung verſchaffen. Will man nicht Theil
daran nehmen, oder iſt man nicht dazu einge-
laden, ſo geht man ſpatzieren, oder ſetzt ſich
an einen Spieltiſch, oder ſpielt Billard, oder
reitet, oder nimmt Theil an einer Unterhal-
tung in der Allee. Wer bloß beobachten will,
nimmt einen Platz auf einer der dort ſtehenden
Baͤnke ein, und laͤßt die jungen und alten Pa-
tienten vor ſich voruͤber reiten, fahren, ſprin-
gen und hinken, einen jeden nach ſeiner Weiſe.
Denn hier zeigt der Brunnengaſt, der einen
huͤbſchen Englaͤnder hat, ſeinen Englaͤnder,
und ſich ſelbſt, indem er mit ihm uͤber einen
Verſchlag ſpringt; hier zeigt ein anderer, der
einen ausgeſuchten Poſtzug beſitzt, ſeine ſtolzen
Gaule, indem er in den aͤußern Gaͤngen, auf
einem erhabenen Throne, von vier Raͤdern ge-
[95] tragen herum ſchwimmt; hier zeigt ein drit-
ter ſeine beyden großen Uhrketten und ſeinen
kleinen zierlichen Frack, mit denen er das Au-
ge von den Gichtknoten an ſeinen Spindel-
fuͤßen gern abziehen moͤchte; hier zeigt ein
ſelbſtzufriedener Doktor und Profeſſor durch
ſchnelles Hin- und Wiederlaufen zu vornehmen
Herren und Damen, daß ſeine Krankheit noch
immer nicht in die Fuͤße herab will; hier zeigt
ein beſcheidener Dorfpfarrer, ſeine altmodiſche
Haͤlfte am Arme, und in den entferntern Al-
leen wie auf den Zehen herumtrippelnd, daß
er wenig Vertrauen mehr zu ſeinem Amte
habe; hier zeigt der alte Podagriſt, zierlich
friſirt, den Hut unterm Arm, die Fuͤße in
Sammet geſchnuͤrt, einen Becher Chokolade
zwiſchen den ſpitzen Fingern haltend, jedem
huͤbſchen jungen Maͤdchen was Schoͤnes erzaͤh-
lend, daß bey ihm die Strafe fuͤr ſeine Suͤn-
den den guten Willen zu ſuͤndigen noch nicht
ausgebiſſen hat; hier zeigt endlich der Menſch
— der krank iſt — alle ſeine junge und alte
[96] Gebrechen, Schwachheiten und Narrheiten of-
fener und ſcheuloſer, weil er, da er krank iſt,
weniger auf ſeiner Hut bleibt, oder weil er
glaubt, daß man ihm in dieſem Zuſtande mehr
verzeihen werde.


Dieß Schauſpiel dauert bis gegen zwoͤlf
Uhr, wo man nach Hauſe eilt, um ſeinen
ſchmalen Biſſen zu eſſen. Nach dieſem Ge-
ſchaͤft iſt es erlaubt, einige Minuten zu ſchlum-
mern, aber nicht, foͤrmlich zu ſchlafen. Die
Damen gehen an den Putztiſch und kleiden
ſich zum Ball, der um vier Uhr ſeinen An-
fang nehmen ſoll. Die Herren, die Theil dar-
an nehmen wollen, ſetzen ſich etwas ſpaͤter zu
demſelben Geſchaͤfte. Andere ſchreiben Briefe,
doch ſind ſie auf ihrer Huth gegen den Brun-
nenarzt, der alles Denken und Schreiben waͤh-
rend der Kur unterſagt hat; andere haben ei-
nen Spatziergang, eine Landfahrt und ein
gemeinſchaftliches Abendeſſen verabredet; andere
etwas anderes. So vergeht der Nachmittag
und ein Theil des Abends. Gegen neun Uhr
iſt
[97] iſt der Ball zu Ende, die Spatziergaͤnger oder
Spatzierfahrer kommen in die Stadt zuruͤck,
diejenigen, die nicht außer derſelben geweſen
ſind, gehen noch einigemal auf der Wieſe,
oder in der Allee, auf und ab, und nach neun
Uhr endlich ſucht jedermann ſein Bette.


Der Ton der Badegeſellſchaft iſt ſich nicht
zu allen Zeiten gleich. Jede Erneuerung der-
ſelben bringt einen andern mit, und ſolche Er-
neuerung wird ungefaͤhr alle vier Wochen
ſichtbar. Was von der aͤltern Geſellſchaft
uͤbrig bleibt, haͤlt zuſammen, und erwartet die
Annaͤherung der Neuangekommenen. Dieſe
ſind eingefuͤhrt, ſo bald ſie ihr Ankunftsbillet
herum geſchickt haben. Aber die Freyheit und
Gleichheit des Badelebens iſt hier weniger zu
finden, als anders wo. Man erkundigt ſich
nach Geburt, Stand und Wuͤrde; man macht
Ausnahmen, man hoͤrt kleine Klaͤtſchereyen
an und macht dergleichen; man giebt ausſchlie-
ßend Baͤlle, Pickenicke, Koncerte. Kommen
beſonders regierende Perſonen hieher, ſo iſt
Fuͤnftes Heft. G
[98] die Geſellſchaft ſogleich geſpalten. Es bilden
ſich Hoͤfchen, die auf einander eiferſuͤchtig ſind;
man macht kleine Raͤnke, bekrittelt ſich, ſucht
oder erdichtet Laͤcherlichkeiten; mit einem Worte:
man ſpielt das gewoͤhnliche armſelige Spiel,
das den mitverwickelten Perſonen unendlich
wichtig ſcheint. In der Grundlage der hieſi-
gen Badegeſellſchaft waren von jeher zwey Ur-
ſachen zur Spaltung, jetzt geſellen ſich noch
zwey neue hinzu. Es kommen naͤmlich hieher
nicht Kranke ſchlechtweg, ſondern Kranke
von der Boͤhmiſchen Nation und
Kranke von der Saͤchſiſchen
; jetzt kom-
men noch Kranke von der Kurlaͤndiſchen
und von der Polniſchen Nation. Jede
dieſer Nationen will die erſte ſeyn, und dieje-
nige unter ihnen, die etwa eine regierende
Perſon aus ihrem Lande, oder einer verwand-
ten Provinz, an der Spitze hat, iſt freylich
ohne Widerſpruch die maͤchtigſte und glaͤnzend-
ſte, moͤchte auch gerne das meiſte gelten. Sie
giebt alſo die zahlreichſten Baͤlle und Fruͤh-
[99] ſtuͤcke, kommt deshalb oft wegen des dazu noͤ-
thigen Lokals mit den andern in Reibung, oder
zieht die eine der andern vor. Welch ein Ver-
brechen! Sogleich iſt der Krieg erklaͤrt! Zum
Gluͤck wird er ſo laͤcherlich, wie gewoͤhnlich
gefuͤhrt, und er kommt der Geſundheit der
unbefangen gebliebenen Kranken vortrefflich zu
ſtatten. Die unterliegenden Theile verlaſſen
Karlsbad, voll Zorn und Rachſucht, die zu
einer andern Zeit, wenn ſie einmal die Staͤrk-
ſten und Reichſten ſind, ausbrechen ſollen!
Man ſieht, von welchem Theile der Badege-
ſellſchaft ich ſpreche.


Der andere Theil genießt des Brunnens
und des Lebens beſſer. Jeder haͤlt mit jedem
zuſammen; und Rath und Kaufmann, Pre-
diger und Verwalter, Kloſterbruder und Su-
balternofficier ſtehen auf dem freundſchaftlich-
ſten Fuße. Dies Verhaͤltniß war in dem lau-
fenden Jahre um ſo feſter, da auch hier, wie
anderwaͤrts, die unſelige Ariſtokraten- und Ja-
G 2
[100] kobinerſpaͤhungsſucht auf beyden Seiten, kein
Ziel und keine Maͤßigung kannte.


Schluͤßlich kann man annehmen, daß, bin-
nen dem oben angegebenen Zeitraume, unge-
faͤhr ſechs bis ſiebenhundert Perſonen den
Karlsbader Brunnen getrunken haben. Viele
reiſen geheilt ab, viele ungeheilt, aber immer
mit dem Troſte der Brunnenaͤrzte, daß ſie ge-
ſund ſeyn werden, wenn ſie erſt von Karlsbad
weg ſind, oder wenn ſie das kuͤnftige Jahr
wieder kommen.


Den 9ten des Julius reiſ'te ich von Karls-
bad ab, auf Bayreuth. Die naͤchſte Poſt
war Zwoda. (3 M.) Der Weg dahin laͤuft,
auf einem ſteinigten Boden und durch Hohlwege,
in dem Thale fort, das ſich zwiſchen dem
Voigtlaͤndiſchen und dem Boͤhmer Waldgebirge
hinzieht, und hier und da Berge und Huͤgel
von der dritten Ordnung zeigt. Was an die-
ſem Wege von bebauetem Lande liegt, iſt ſehr
fruchtbar und zeigte Saaten von ungewoͤhnli-
cher Staͤrke und Hoͤhe. Zwiſchenher findet
[101] man aber Stellen, die nur ein ſpaͤrliches, wie
verbranntes, duͤrres Gras hervorkeimen laſ-
ſen, die aber bald wiederum durch daran ſto-
ßende Strecken angenehmer, blumigter, fetter
Wieſen erſetzt werden. Wenn man ungefaͤhr
eine halbe Meile gefahren iſt, ſo koͤmmt man
an die Eger, und zugleich oͤffnet ſich das Thal
derſelben, deſſen Abhaͤnge, da ſie dicht mit
Fichten beſetzt ſind, einen ſehr finſtern Anblick
geben. Iſt man uͤber dieſen Fluß, ſo geht es
uͤber mittelmaͤßige Anhoͤhen bald hinan, bald
hinab, auf einem Wege, der wenig Spuren
von Sorgfalt verraͤth, und da, wo er ſie ver-
raͤth, ſo liederlich gemacht, ſo an den Seiten
und in der Mitte mit großen Steinen beſchuͤt-
tet iſt, daß man ihn gern mit einer natuͤrli-
chen Straße vertauſchte. Dieſe Sorgloſigkeit
iſt um ſo unbegreiflicher, da man ſie ſonſt in
den kaiſerlichen Staaten nicht findet, und da
man hier alles in der Naͤhe hat, was zu dem
dauerhafteſten Straßenbau gehoͤrt: feſtes Ge-
ſtein, meiſt Granit, Baſalt und Gneus, und
[102] wohlfeile Haͤnde. Gegen die Mitte der Poſt,
werden die Anhoͤhen betraͤchtlicher und zugleich
angenehmer. Sie ſind theils behoͤlzt, theils
angebauet, und haben zu ihren Fuͤßen meh-
rentheils fruchtbare Thaͤler. Man findet hier
große Strecken mit Hopfen bepflanzt, der in
dieſer Gegend am beſten in Boͤhmen geraͤth.
Faſt jedes dieſer Thaͤler iſt mit einem oder
zwey Doͤrfchen beſetzt, die bey weitem nicht
ſo armſelig ſind, als man ſie in einigen an-
dern Gegenden von Boͤhmen findet.


Zwoda, ein Dorf, liegt in ſolch einem
Thale, und hat zur Seite, auf ein paar Buͤch-
ſenſchuͤſſe, das Staͤdtchen Falkenau, das
einem Grafen von Noſtitz gehoͤrt.


Von Zwoda kam ich auf Eger. (3 M.)
Der Weg iſt ſteinigt und ungemacht, und der
Geſichtskreis wird durch Berge beſchraͤnkt, die
großentheils bis zum Gipfel hinauf angebauet
ſind, und an deren Wurzeln ſich angenehme
Thaͤler bilden. Hinter dem Dorfe Ziegen-
gruͤn
geht es bergab in ein groͤßeres Thal,
[103] eines der angenehmſten und fruchtbarſten, die
ich je geſehen habe. Auch bemerkt man bald
an der hieſigen Menſchengattung, daß ſie, von
Gott und ihrer politiſchen Verfaſſung verſorgt,
gut leben. Ihre Tracht iſt ganz die Tracht
der Bauern im Altenburgiſchen. Es ſind ge-
ſunde, ſtarke Leute, mit einem offenen und
nicht ſo abſcheulich demuͤthigen Weſen, wie
man es noch an den Bewohnern des naͤchſten
Dorfes vor dem Eintritt in ihren Kreis be-
merkt. Sie haben aber auch mehr Freyhei-
ten. Sie thun keine Frohndienſte, ſondern
fuͤhren ihre Pflichten in Gelde ab. Ihre Doͤr-
fer ſind klein, nicht uͤber acht bis zehn Fami-
lien ſtark, aber dafuͤr deſto haͤufiger, ſo daß
man in einem geringen Umfange ihrer zehen
bis zwoͤlf mit Einem Blicke uͤberſieht. Ein
oͤſterreichiſcher Hauptmann, der ſich auf dem
Wege zu mir fand, verſicherte mir, es waͤre
mit dieſen Leuten gar nichts anzufangen; ſie
waͤren trotzig, ſtoͤrriſch und ließen ſich gar
nichts gefallen
; er wolle lieber mit den
[104] Bauern in Gallizien zu thun haben u. ſ. w.
Das glaubte ich gern; aber ich ſah die Sache
aus einem andern Geſichtspunkt an, und pries
dieſe guten Landleute gluͤcklich, von den Geſe-
tzen ſo geſchuͤtzt zu ſeyn, daß ſie ſich nichts
gefallen laſſen duͤrfen.


Dieſes ſchoͤne Thal dauert bis Eger fort.
Man erblickt dieſe Stadt erſt, wenn man nur
noch eine Stunde davon entfernt iſt. Sie
liegt am Abhang einer Anhoͤhe, thut keine
ſonderliche Wirkung von außen, und hat eine
altmodiſche, raͤuchrige, menſchenleere Anſicht
von innen. Die Haͤuſer ſtrecken die Giebel
nach der Straße heraus, haben ungeheure
Dachrinnen dazwiſchen und ſind meiſt zwey
bis drey Stock hoch. Als Feſtung gehoͤrt dieſe
Stadt zu den unbedeutenden, und eine maͤßige
Artillerie muͤßte ſie leicht bezwingen, wenn ſie
auf den naͤchſten Anhoͤhen aufgepflanzt wuͤrde.


Bade- und Brunnen-Gaͤſte zu empfangen,
iſt die Stadt nicht eingerichtet, allenfalls nur
fuͤr wenige. Eben ſo der beruͤhmte Sauer-
[105] brunnen ſelbſt, der drey Viertelſtunden davon
entfernt liegt. Wenn man die boͤhmiſche Sorg-
loſigkeit nicht kennte, ſo muͤßte man ſich wun-
dern, wie dieſer heilſame Quell eine Anſtalt
zur Seite haben kann, die in der That alles
uͤbertrifft, was man ſich an Schmutzigkeit,
elender Bedienung, unſaubern Betten ꝛc. nur
denken kann. Das Brunnenhaus iſt klein und
enge, und ſteht einzeln, ohne von einem Bau-
me beſchattet zu ſeyn, im freyen Felde. Seit
langen Jahren hat man es ſo ſtehen laſſen,
und jetzt erſt faͤngt man langſam an, den
Brunnen ſelbſt mit einem Pavillon zu uͤber-
bauen, und ein paar ſchmale Wege mit Sand
zu beſtreuen und mit Baͤumen zu einem Spa-
tziergange zu bepflanzen. Auch hat man, ober-
halb dem Kurhauſe, den Grund zu Wohnhaͤuſern
gelegt, und den Raum zu Alleen und zu einem
kleinen Luſtgehoͤlze abgeſteckt; und ſo fangen
denn die Egerer endlich an, das Geſchenk zu
erkennen, das ihnen die Natur mit dieſer
Quelle gemacht hat. Sie gehoͤrt nemlich der
[106] Buͤrgerſchaft von Eger. Uebrigens iſt die Ge-
gend umher ſehr reizend; es iſt ein weites,
fruchtbares Thal, in der Naͤhe und Ferne mit
anmuthigen Huͤgeln umgeben, auf deren Gip-
feln anſehnliche Kloͤſter und Schloͤſſer ſich zei-
gen.


Von Eger auf Thiersheim (2 M.)
fuͤhrt der Weg durch eine angenehme Land-
ſchaft, in welcher zur Rechten die Eger auf
ihrem Laufe ſehr reizende Anſichten bildet, die
jetzt, in der Zeit der Heuaͤrnte und bey der
Fuͤlle der Kornfelder, doppelt reizend waren,
und uͤber die Haͤlfte der Poſt anhielten. Dar-
auf entfernen ſich die Berge immer mehr und
die Gegend wird immer flaͤcher. Zu Muͤhl-
bach, dem letzten kaiſerlichen Graͤnzorte, iſt
ein Alaunwerk, das ſehr reiche Ausbeute geben
muß, denn die Sonne hatte auf den ange-
ſchuͤtteten Alaunerdenhaufen ganze Stellen
ſchon wie ausgeſotten. Hinter Muͤhlbach wird
der Weg ſehr ſteinigt und unangenehm,
und es iſt an keinen Straßendamm mehr
[107] zu denken. Weiterhin faͤhrt man zwiſchen
ſaueren Aengern, uͤber welchen ein feiner,
gelblich-weißer Staub ſchwebt, der zu
gleichen Theilen aus Kalk und Sand be-
ſteht und bis Thiersheim, der naͤchſten Poſt,
fort dauert. Kurz vor dieſem Orte war ſchon
alles zum Straßenbau angefahren, und man
wird nun wohl in kurzem einen bequemern
Weg hier finden. Die Beſtandtheile der neuen
Straße werden Kalk und Gyps ſeyn, mit-
hin etwas dauerhaftes bilden. Das Getreide,
beſonders das Sommerkorn, ſtand hier ſo
ſchlecht und war ſo weit zuruͤck, wie es mir
auf meiner ganzen Reiſe noch nicht vorgekom-
men war. Thiersheim iſt uͤbrigens ein unan-
ſehnliches Staͤdtchen, deſſen Bewohner ſich
groͤßtentheils von Ackerbau und Viehzucht naͤh-
ren. Von Thiersheim bis


Weißenſtadt, der folgenden Poſt (2 M.)
wird der Weg beſſer, und fuͤhrt, auf einem
feſten und geraͤumigen Straßendamm, durch
eine lachende Landſchaft, die naͤher und ent-
[108] fernter von Bergen, die ſich immer mehr ſen-
ken, bekraͤnzt wird Der Boden iſt noch der
ſtaͤubige, kalkartige, der bey dem mindeſten
Aufregen dicke Wolken bildet, die ſehr be-
ſchwerlich ſind, da ſie nicht ſobald wieder ſin-
ken, wie der Staub des Sandſteins. Das
Getreide fand ich reicher und friſcher, als auf
der vorigen Poſt, und die Wieſen fetter und
blumigter. Weißenſtadt iſt etwas groͤßer als
Thiersheim, auch reinlicher und lichter, aber
eben ſo mit hoͤlzernen Haͤuſern beſetzt und mit
eben dem Nahrungserwerb beſchaͤftigt, wie
dieſes. Von Weißenſtadt kommt man auf


Berneck. (2 M.) Beym Ausgange aus
jenem Staͤdchen faͤhrt man in ein Thal hin-
ab, und behaͤlt neben ſich zur rechten einen
ſchoͤnen Weyher, der rund herum mit den
fruchtbarſten Wieſen umſchloſſen iſt. Das
Thal ſelbſt iſt eines der ſchoͤnſten und weitlaͤuf-
tigſten, unter denen, die mir bis dahin auf
meiner Reiſe vorgekommen waren. Man
faͤhrt in daſſelbe auf einer breiten, vortreflich
[109] unterhaltenen Straße hinein, und bleibt an-
haltend in demſelben; aber es bildet eine Men-
ge von Abwechslungen, Einſchnitten, Erhoͤ-
hungen und Vertiefungen, die alle, theils mit
blumigen Wieſen, theils mit reichen Kornſtuͤ-
cken, theils mit Gehoͤlz, beſetzt ſind. Je wei-
ter man faͤhrt, deſto enger zieht es ſich zuſam-
men, bis es endlich, gegen das Ende des Poſt-
laufs, faſt ganz zuſammen tritt, und nur einen
Weg laͤßt, der fuͤr zwey Wagen Raum hat.


Kurz vor Berneck erblickt man links, auf
der Hoͤhe der Felſen, die Truͤmmer von zwey
alten Schloͤſſern, die ſehr romantiſch daſtehen.
Von dem einen iſt der Wartthurm ſo gut er-
halten, daß er noch mehrere Jahrhunderte
unzertruͤmmert bleiben wird. Berneck ſelbſt
ſieht etwas reinlicher und heller aus als Thiers-
heim, und liegt in jenem Thale, auf allen
Seiten von hohen Bergen beherrſcht.


Bald hinter Berneck tritt man aus dem
Thal heraus in eine ſich ſanft hinan hebende
Flaͤche, die mit Wieſen und Kornfeldern, und
[110] mit Gruppen von Erlen und Ruͤſtern abwech-
ſelnd, ſehr angenehm beſetzt iſt. Hinter ſich
behaͤlt man die Ausſicht auf das Gebirge,
durch welches man kam, und das ſich amphi-
theatraliſch erhebt und an ſeinem Abhange
Doͤrfchen, einzelne Haͤuſer, Kornfelder und
Bergwerke in bunter Mannichfaltigkeit zeigt.
Iſt man eine Weile gefahren, ſo erhebt ſich
der Weg, und man gelangt auf eine Anhoͤhe,
die ſich oben in eine Flaͤche ausbreitet, auf
welcher man eine Strecke von zwey Stunden
hinfaͤhrt, waͤhrend welcher man hinter ſich
die Ausſicht auf die zuruͤckgelegten Gebirge,
und vor ſich auf den Fichtelberg behaͤlt,
der in kegelfoͤrmiger Geſtalt ſich vor dem Au-
ge erhebt. Die Sonne war im Untergehen,
als ich in dieſer Gegend eintraf. Ich rollte
noch eine Weile fort, und ſtand auf einmal
am Abhange der Anhoͤhe, die ſich jetzt in ein
weites, lachendes Thal abdachte, in deſſen
Mitte ich Bayreuth, (2 M.) aber nur einem
Theile nach, erblickte, weil der andere Theil
[111] durch eine waldigte Anhoͤhe verdeckt wird, die
bis in die Mitte des Thals ſich vorwirft. Man
faͤhrt in dies Thal hinab, um jene Anhoͤhe
herum und iſt vor Bayreuth, das eben keine
auffallende Anſicht gewaͤhrt, weil es ihm an
Thuͤrmen mangelt, obgleich ein paar Schloͤſ-
ſer und ſchloßaͤhnliche Gebaͤude, wenn man
naͤher kommt, dieſen Mangel erſetzen. Iſt
man darin, ſo findet man eine ſehr reinliche
Stadt, deren Haͤuſer groͤßeſtentheils von Werk-
ſtuͤcken eines roͤthlichen Sandſteins aufgefuͤhrt
ſind, der in der Naͤhe bricht. Sie ſind meiſt
nur zwey Stock hoch und ziemlich nach einer-
ley Geſchmack erbauet. Das Pflaſter iſt gut.
Sonſt iſt die Stadt mehr todt, als volkreich,
und die Spatziergaͤnge, deren mehrere vorhan-
den, ſo wie der ſchoͤne Schloßgarten, ſind oͤde
und verlaſſen.


Von Bayreuth nahm ich den 13ten des
Julius meinen Weg auf Erlangen. Die
naͤchſte Poſt war Troppach. (3 M.) Man
faͤhrt von Bayreuth aus anfangs durch das
[112] Thal, in welchem die Stadt liegt, und das
ſich in ſeiner Fruchtbarkeit und Anmuth gleich
bleibt, auf einem vortreflichen Straßendamme;
bald nachher koͤmmt man bergan, und rechter
Hand ſteigen Waͤnde vom feinſten Sandſtein
ſenkrecht empor, eben die Fundgruben fuͤr die
Werkſtuͤcke, die in Bayreuth zum Haͤuſerbau
verbraucht worden ſind und noch werden. In
dieſer Gegend ſteht links das Luſtſchloß Phan-
taſie
, am Abhange eines romantiſch-wilden
Berges, dem gegen uͤber ein anderer ſich er-
hebt; zwiſchen beyden in der Mitte zieht ſich
ein rauhes, behoͤlztes Thal hin, welches man
eine große Strecke zur Seite behaͤlt, darauf
durchfaͤhrt, im Ruͤcken laͤßt und ſich ſodann
unter lauter Bergen befindet, die ſich beſchei-
den erheben und maͤhlig wieder ſenken, in den
Niederungen theils mit Wieſen, theils mit
Ackerland, und auf den Hoͤhen mit Gehoͤlz
beſetzt ſind. Die Straße dauert noch in ihrer
vorigen Treflichkeit fort. Aber von
Trop-
[113] Troppach bis Streitberg, der naͤchſten
Poſt, (2 M.) wird der Weg an ſich eine
wahre Hoͤlle. Er faͤngt mit Steinen an und
endigt mit Steinen. Man erhebt ſich auf
Felſentruͤmmer bergan, und muß fuͤrchten,
von Felſenſtuͤcken, die zur Seite kahl hervor-
ragen, uͤberſtuͤrzt zu werden. Gegen die Haͤlfte
des Poſtlaufs faͤhrt man uͤber ſolch einen rau-
hen Berg ſelbſt hinab, und nirgends iſt die
mindeſte Spur, daß man auch nur daran ge-
dacht haͤtte, dieſen gefaͤhrlichen Weg zu ver-
beſſern. Man muß an, neben und uͤber Ber-
ge hin, deren verwitterte Gerippe, theils zer-
borſten, theils zerbroͤckelt, theils in zerriſſenen
Maſſen, theils koniſch, theils pyramidaliſch
auf ſchreckenden Grundlagen da ſtehen, und,
durch den naͤchſten Windſtoß erſchuͤttert, her-
ab zu ſtuͤrzen drohen. Man behaͤlt eine alte
Burg zur Seite und fuͤhlt ſich auf einmal auf
den Schauplatz des Fauſtrechts verſetzt; aber
dieſe aͤngſtliche Taͤuſchung dauert nicht lange,
weil man gluͤcklicherweiſe durch die umliegen-
Fuͤnftes Heft. H
[114] den bluͤhenden Felder darin geſtoͤrt wird. Zu
den angenehmſten Empfindungen gehoͤren die
nicht, die dieſer Weg den Reiſenden erweckt,
obgleich man ihm den Charakter des Roman-
tiſchen nicht abſprechen kann; aber man wird
bald darauf unuͤbertreflich ſchadlos gehalten,
wenn man kurz vor Streitberg, ein un-
unendlich reitzendes Thal, gegen zwey bis drey
hundert Schuh unter ſeinen Fuͤßen ausge-
breitet und nahe und fern mit lachenden Fel-
dern, Wieſen, Fluren und Gaͤrten und Doͤr-
fern bedeckt, auf einmal uͤberblickt, waͤhrend
ſich zur Linken eine alte ganz verfallene Burg,
und zur Rechten ein mehr erhaltenes Schloß
(Streitberg) erheben. Die Feder entfaͤllt mir
und ich verzweifle, dieſe ſchoͤne Gegend, auch
nur ihrem Schattten nach, anſchaulich ſchil-
dern zu koͤnnen.


Die Truͤmmer des Schloſſes Streitberg
liegen auf einem Kalkfelſen vom feinſten Korne.
Man ſteigt oberhalb dem Poſthauſe, durch
deſſen Hof, zu demſelben hinauf. Der ſteile,
[115] ſchmale Fußpfad war mit kleinen Steingeſchie-
ben uͤberſaͤet. Die ganze Hoͤhe bis zum Gip-
fel mag zwey hundert Schuh betragen. Ein-
zelne Felſenſtuͤcke hingen, in Geſtalt ungeheu-
rer Saͤulen, uͤber den Fußſteig her. Daneben
ſchwankte eine andere faſt viereckigte große Maſ-
ſe, ebenfalls heruͤberhaͤngend und jeden Augen-
blick den Einſturz drohend, der dem Wande-
rer um ſo moͤglicher ſcheint, da breite Kluͤfte
in derſelben ganz ausgewittert ſind. Sodann
folgt erſt eine von den Hauptmaſſen des Fel-
ſens, worauf das Schloß gebauet iſt, die aber
ſtellenweiſe durch Mauerwerk geſtuͤtzt, erhoͤhet
und erweitert werden mußte. Im Innern
hat jetzt ein Oberforſtmeiſter ſeinen Sitz. Sei-
ne Wohnung und ſeine Wirthſchaftsgebaͤude
ſind auf das alte Mauerwerk aufgelegt. Durch
dieſe hin gelangt man auf den Gipfel des Fel-
ſens, von dem herab man eine Ausſicht genießt,
die ich mit dem unbeſtimmten Worte „para-
dieſiſch
“ nur zu bezeichnen, nicht zu beſchrei-
ben, Willens bin. Dieſer Burg gegenuͤber,
H 2
[116] laͤuft ein anderes Thal hinein, das ſich aber,
mit aͤhnlichen Felſenſtuͤcken gerippartig beſetzt,
bald ſchließt. Auf der andern Seite zieht ſich
eine ganze Reihe von Huͤgeln hin, an denen
eben dieſe Felſenart in hohen Maſſen zu Tage
tritt, und die voran mit Baͤumen beſetzt, in
der Mitte mit Kornfeldern geſchmuͤckt, und
am Ende mit Wald bekraͤnzt ſind. Im Schloſſe
ſelbſt ſieht man, was man in allen verfalle-
nen Schloͤſſern ſieht: verdeckte Gaͤnge, Keller,
Brunnen, gewoͤlbte Gemaͤcher u. ſ. w. In
der Nachbarſchaft hat man neuerlich merkwuͤr-
ge Hoͤhlen voll Verſinterungen entdeckt, die
man die Muggenhoͤfer nennt, die ich aber
nicht ſehen konnte, weil mich die Nacht uͤber-
raſchte.


Von Streitberg aus auf Erlangen (4 M.)
faͤhrt man in das erwaͤhnte koͤſtliche Thal vol-
lends hinab, und in der That die einzelnen
Theile deſſelben entſprechen der herrlichen An-
ſicht des Ganzen. Zwar iſt der Weg ſchlecht
und verraͤth keine Spur einer beſſernden Hand,
[117] aber faſt uͤberſieht man dies bey dem außer-
ordentlichen Fruchttrieb und den mannichfach
abwechſelnden Bergen und Anhoͤhen, die
bald mit einem alten, bald mit einem neuen
Schloſſe, bald mit einem Bet- bald mit
einem Luſthaͤuschen auf ihren Gipfeln,
welche groͤßeſtentheils ein niedlicher Wald be-
deckt, beſetzt ſind. Waͤlder von Obſtbaͤumen
ſtehen auf beyden Seiten des Weges; die
Doͤrfer ſind groß, und die Haͤuſer in denſel-
ben ſtehen denen in den Saͤchſiſchen Doͤrfern
der beſten Pflege nicht nach. Ihre Einwoh-
ner ſind wohlgebildet und haben ein offenes,
heiteres Geſicht. Manches Dorf hat zwey,
vier, ſechs Herren, und es ſcheint, ein jeder
habe ſich beeifert, ein Stuͤck von dieſem herr-
lichen Lande davon zu tragen; doch beſitzen
Bamberg und Bayreuth das meiſte davon. In
einem ſchoͤnen, geraͤumigen Dorfe ſagte mir
der Wirth des dortigen Gaſthofes, daß er
von ſeiner Wirthſchaft jaͤhrlich nur einen leich-
ten Gulden, und ſeine Nachbarn, die reichen
[118] Bauern, nur drey bis vier dergleichen zahl-
ten. Ich aͤußerte die Vermuthung, daß die
Zollbedienten der Kirche, die Moͤnche, deſto
mehr an Gefaͤllen, die ſie Almoſen nennen,
einheben moͤchten; aber er verſicherte laͤchelnd,
daß es ſo arg damit nicht ſey, und daß man
in dieſem Punkt immer kluͤger werde. Hoͤch-
ſtens gaͤbe man ihnen ein paar Pfund Schmalz,
Garn oder Flachs. Der gute Mann ſchien
nicht einzuſehen, daß dieſe Abgabe feiner be-
rechnet iſt, als jede andere an Gelde, da die
Naturalien, nach dem Vorurtheile der Land-
leute, ihnen nichts zu koſten ſcheinen, aber
den geiſtlichen Herren, die ſie verkaufen, beſ-
ſer und gewiſſer zu ſtatten kommen, als baares
Geld, indem jene in ihren Preiſen jaͤhrlich ſtei-
gen, dieſes aber in eben dem Verhaͤltniſſe faͤllt.


Nach einer vierſtuͤndigen Reiſe erweitert
ſich das Thal immer mehr und mehr, die An-
hoͤhen werden immer geringer, und bald ver-
wandelt ſich der fruchtbare Boden in Sand,
und man faͤhrt meiſt zwiſchen Wieſen hin, die
[119] mit einer muſterhaften Sorgfalt verpflegt und
aus der voruͤberfließenden Regnitz, mittelſt
Schoͤpfraͤder, gewaͤſſert und befruchtet werden.
Ueberhaupt wird der Wieſenbau auch in den
andern Theilen von Franken, als im Bam-
bergiſchen, im Wuͤrzburgiſchen und im Fulda-
iſchen, zu einem ausgezeichneten Grade von
Vollkommenheit getrieben.


Endlich zieht ſich der Weg herum und naͤ-
hert ſich der linken Seite des Thals und ſeiner
Anhoͤhen, beſonders von Baiersdorf aus,
einem anſehnlichen Flecken, der faſt ganz von
Juden bewohnt wird. Ein tiefer Sand dauert
fort bis Erlangen welches mir, faſt bis vor
den Thoren, durch Hecken und Alleen verſteckt
blieb. Die aͤußere Anſicht dieſer Stadt iſt
nicht unangenehm, weil es ihr nicht an an-
ſehnlichen Gebaͤuden fehlt, worunter ein Schloß
und ein paar gut gebauete Kirchen ſind. Das
Innere iſt wie das von Bayreuth, die Stra-
ßen ſind gerade, breit und ziemlich lang; die
Haͤuſer meiſt zwey Stock hoch von Sand-
[120] ſteinquadern; die Plaͤtze geraͤumig und heiter,
aber das Pflaſter iſt weniger gut. Am Schloſſe,
welches die verwittwete Markgraͤfin bewohnt,
iſt ein weitlaͤuftiger Garten, der eine große
Abwechſlung von franzoͤſiſchen Heckenſtuͤcken,
Parterren und Terraſſen, beſonders aber zwey
vorzuͤglich ſchoͤne Alleen aufzuweiſen hat. Die
Stadt iſt uͤbrigens nicht ſehr lebhaft und die
hieſigen Studenten bemerkt man kaum, weil
ihre Anzahl gering, und ihr Weſen weniger
rauſchend iſt, als auf andern Univerſitaͤten.


Von Erlangen reiſete ich auf Fuͤrth (2 M.)
Der Weg dahin fuͤhrt immer noch in jenem
Thale fort, das ſich mehr und mehr erwei-
tert, zum Theil auf einer gut unterhaltenen
Straße, zum Theil auf ſtaͤubigten Feldwegen;
denn der tiefe Sand, in welchen man vor
Bairsdorf gerathen iſt, haͤlt noch immer an.
Indeſſen hat ihn der Fleiß der Einwohner hier
herum bezwungen, und auf beyden Seiten des
Weges ſtand das treflichſte Korn, ſogar auch
Weizen, und haͤufig Mais und Taback. So-
[121] bald man vor Erlangen heraus iſt, hat man
Nuͤrnberg im Geſicht, und es thut eine gute
Wirkung aus der Ferne, da deſſen Burgfeſte
hoch uͤber die andern Theile der Stadt her-
vorragt; aber Fuͤrth ſieht man nicht eher, als
bis man davor iſt, weil es, außer einem ein-
zigen ſpitzigen Thurme, nichts hat, was ihm
eine Anſicht geben koͤnnte. Im Innern iſt es
ſehr lebhaft. Das Aeußere der Einwohner
verraͤth Mangel und Armuth, und der Ge-
ruch auf den Straßen, Juden, und den aller-
hoͤchſten Schmutz. Die Haͤuſer ſind dicht mit
Fenſter beſetzt, und an denſelben ſieht man
fleißige Leute, die mit irgend etwas beſchaͤftigt
ſind, waͤhrend vor den Thuͤren halbnackte
Kinder zu Dutzenden herumſpringen, oder ſich
herumwaͤlzen. Die Haͤuſer ſind faſt alle von
Holz, einige Straßen der Stadt breit, lang
und nicht unanſehnlich. Ich brachte hier einen
Tag mit Beſuchen bey den mancherley Kuͤnſt-
lern und Fabrikanten zu, die hier gleichſam
einer auf dem andern wohnen und ſehr fleißig,
[122] aber doch meiſt arm ſind. Ausgezeichnet be-
traͤchtliche Fabriken findet man indeſſen doch
nicht hier.


Es traf ſich gerade, daß ein Theil des Kon-
tingents, welches der fraͤnkiſche Kreis zur Reichs-
armee zu ſtellen hat, nicht weit von dieſer
Stadt in einem Lager beyſammenſtand. Es
waren nur achtzehnhundert Mann, Nuͤrnber-
ger, Rothenburger, Eichsfelder und andere
Truppen. Exerciren und marſchieren konnten
dieſe Leute freylich noch nicht; ſie waren aber
im Ganzen nicht ſo ſchlecht, wie man ſich ge-
woͤhnlich die Reichstruppen denkt. Beſonders
bemerkte ich unter den Rothenburgern manchen
jungen und feſten Kerl, der kein preußiſches
Regiment verunſtaltet haben wuͤrde.


Von Fuͤrth aus auf Nuͤrnberg (1 M.)
iſt der Weg eben ſo unangenehm und ſandig,
als von Erlangen auf Fuͤrth. Ich legte ihn
aber in weniger als drey Viertelſtunden zuruͤck.


[123]

Zehnter Abſchnitt.



Nürnberg. Aeußere Anſicht dieſer Stadt. Inneres. Bau-
art. Straßen. Märkte. Plätze. Brücken. Waſ-
ſerwerke. Brunnen. Reichsveſte. Rathhaus. Kir-
chen. Polizeyanſtalten. Milde Stiftungen. Hoſpi-
täler. Armenſchulen. Spenden. Anſtalten für öf-
fentliche Sicherheit, Geſundheit, Bequemlichkeit und
Bildung des Geiſtes und Körpers. Anmerkung über
die politiſche Verfaſſung von Nürnberg und die dorti-
gen bürgerlichen Uneinigkeiten. Zerſtückelung der
Geſellſchaft. Lebensart, Aeußeres, Sitten, Sitt-
lichkeit und Vergnügungen der Einwohner. Spatzier-
gänge. Statiſtiſche Angaben über die Stadt und de-
ren Gebiet.


Abreiſe. Schwabach. Baumwollen-Manufaktur.
Zucht- und Irrenhaus. Der Schläger aus Gießen.
Feucht. Eintritt in Bayern. Poſtbauer. Teining.
Taswang. Hemmau. Schambach. Teulingen.
Stadt-am-Hof. Regensburg. Anſicht dieſer Stadt.
[124] Der Dom. Der Reichsſaal. Die Donaubrücke. Die
Wöhrdte. Einwohner. Blick auf den geſellſchaftli-
chen Ton der feinern Welt. Gegend um Regens-
burg. Abreiſe. Landshut. Mosburg. Freyſingen.
Gegend und Boden um München. Aeußeres dieſer
Stadt. Lage, Größe, Grundriß und Inneres.
Waſſerwerke. Kanäle. Bürgerhäuſer, Kirchen, Pal-
läſte. Die Frauen- Hof- und Theatinerkirche. Der
alte Hof. Die Wilhelminiſche Reſidenz. Die kur-
fürſtliche Reſidenz. Oeffentliche Gebäude mancherley
Art. Menge der öffentlichen Anſtalten zur Erziehung,
zur Bildung des Geiſtes und Geſchmacks, zur Ver-
ſorgung der Armen ꝛc. Abriß der Sitten, des Cha-
rakters, des Nahrungserwerbes ꝛc. Der Einwohner.


Abreiſe nach Salzburg. Reiſelauf. Anblick der
Salzburger Alpen. Haag. Fruchtbare Landſchaft.
Ampfing. Mühldorf. Burghauſen. Titmaning.
Aeußeres der Salzburger Bauern. Laufen. Annä-
herung an Salzburg. Eintritt in dieſe Stadt.



Die aͤußere Anſicht von Nuͤrnberg, wenn
man von Fuͤrth herkoͤmmt, iſt ſehr ausgebrei-
tet, weil man die Stadt von der Reichsveſte
an, bis zum Spittler Thor, faſt ihrer ganzen
[125] Laͤnge nach uͤberblickt. Mehrere betraͤchtliche
Thuͤrme an den Kirchen in der Stadt, und
viele andre, die zur Stadtmauer und zu den
Befeſtigungen und Thoren gehoͤren, gewaͤhren
ihrem Aeußern ein ſo ſtattliches, feſtes Anſe-
hen, als wenige groͤßere Staͤdte in Deutſch-
land haben. Man bemerkt aus der Ferne,
daß ihre Grundflaͤche etwas uneben iſt, doch
erhebt ſich nur der Theil, worauf die Burg
liegt, merklich uͤber die andern. Der Boden
um die Stadt iſt meiſt ſandig, aber durch
fleißigen Anbau in das fruchtbarſte Land ver-
wandelt worden. Es giebt eine Menge Gaͤr-
ten rund herum, die alle mit groͤßern oder
kleinern Land- und Luſthaͤuſern beſetzt ſind,
was den Eingang in die Stadt ſehr abwechs-
lend und angenehm macht.


Die Stadt hat eine Circumvallationslinie,
die aber nicht von Bedeutung iſt, und keinen
Feind abhalten kann. Betraͤchtlicher, wenn
auch nicht lange haltbar, ſind die eigentlichen
Befeſtigungswerke. Die Stadtmauern ſind
[126] von ungewoͤhnlicher Staͤrke, und beyde, die
aͤußere ſowohl als die innere, ſind mit einer
Menge Thuͤrme beſetzt, die ehedem als Fe-
ſtungswerke gebraucht wurden, jetzt aber, wie
hier und da die heraushangende Waͤſche zeigt,
zu Wohnungen benutzt werden. Der Stadt-
graben iſt ſehr breit und ziemlich tief, wird
jetzt aber zu Feldern und Wieſen benutzt, ſo
wie die verſchiedenen Zwinger und Schanzen,
zu Gaͤrten. An den Hauptthoren ſtehen
runde, aus Werkſtuͤcken aufgefuͤhrte Thuͤrme,
die einen auffallenden Charakter von Feſtigkeit
haben. Es ſind ihrer ſechs in dem Umfange
der Stadt.


Wenn man in das Innere der Stadt ein-
tritt, ſo entſpricht deſſen Anſicht der Anſicht
des Aeußern. Die Haͤuſer ſind meiſt 4 bis 5
Stock hoch, viele von viereckigten Werkſtuͤcken
erbauet, viele bloß von Bruchſteinen, denen
man aber, durch einen roͤthlichen Anſtrich und
durch weiße Einfaſſungen, das Anſehen der
Quadern gegeben hat. Die Bauart iſt nicht
[127] neu, aber ſehr dauerhaft, nicht praͤchtig, aber
bequem. Viele Haͤuſer haben noch eiſerne Git-
ter vor den Fenſtern. Diejenigen, die von Patri-
ziern, Kapitaliſten, oder andern Buͤrgern bewohnt
werden, welche keine geraͤuſchvolle Handthie-
rung oder ſonſt keinen lebhaften Verkehr haben,
werden den ganzen Tag verſchloſſen gehalten
und oͤffnen ſich nur, auf die angezogene Klin-
gel, die an der Thuͤr angebracht, und unter
der der Name des Hausbewohners angezeigt
iſt, zu dem ſie fuͤhrt. Dieſer Umſtand giebt
der Stadt etwas Stilles und Kloſteraͤhnliches.


Die Straßen ſind groͤßeſtentheils geraͤu-
mig, und mehrere betraͤchtlich lang, wie z. B.
Unter der Veſte, die Aegydien- Lau-
fer- Neue- Binder- Unter- Sankt-
Lorenz- Auf dem Steig- Hirſchel-
Gaſſen
u. a. m. Die Maͤrkte und Plaͤtze
ſind zahlreich und einige darunter von betraͤcht-
lichem Umfange, wie der Große Markt,
Herrenmarkt, Fiſchmarkt, Korn-
markt, Obſtmarkt, Neue Bau,
[128] St. Jakob
u. a. Nuͤrnberg erhaͤlt dadurch
ein gewiſſes offenes, heitres Anſehen, worin
ihm wenige Staͤdte beykommen, und ich weiß
nicht, in welchem Wetter, oder in welcher
Laune, oder in welcher Stunde manche Reiſe-
beſchreiber dieſe Stadt geſehen haben muͤſſen,
als ſie dieſelbe winkelig, finſter und ſchwer-
muͤthig fanden.


Die Pegnitz, die durch die Stadt fließt,
giebt ihr noch eine Abwechſelung mehr an den
Bruͤcken, welche die durch ſie getrennten Theile
wieder verbinden. Es ſind ihrer ſieben, mehr
oder weniger lang, ſchmal oder breit, anſtaͤn-
dig oder ſchoͤn, aber keine unanſehnlich, oder
von Holz. Die merkwuͤrdigſte ſchien mir die
Fleiſcherbruͤcke, und, in der That, ein
architektoniſches Meiſterwerk. Sie beſteht nur
aus Einem Bogen, der, ziemlich flach, eine
Strecke von faſt 100 Schuh uͤberſpannt, in
der Breite 50 Schuh haͤlt und im Gewoͤlbe
4 Schuh dicke iſt. Die Barfuͤßer- und
die Kayſer-Bruͤcke ſind zierlich und leicht
gebauet.
[129] gebauet. Außer dieſen Bruͤcken dienen noch
acht hoͤlzerne Stege fuͤr Fußgaͤnger zur Ver-
bindung.


Noch eine Zierde, die Nuͤrnberg vor den
uͤbrigen deutſchen Staͤdten voraus hat, oder
worin ihr doch, außer vielleicht Augsburg,
keine andre beykoͤmmt, ſind ihre zahlreichen
Waſſerkuͤnſte, Springbrunnen- und Roͤhren-
Werke, die theils durch Leitungen, theils durch
Quellen, theils durch Raͤder reichlich verſehen
werden. Auf faſt allen der vorhin genannten
Maͤrkte und Plaͤtze findet man einen Spring-
brunnen, und ſie ſind theils von Bronze,
theils von Bildhauerarbeit, meiſt aber der
Idee und der Ausfuͤhrung nach von einem
alten kleinlichen Geſchmack. Das Beſte und
Geſchmackvollſte, das Nuͤrnberg hierin aufzu-
weiſen hat, iſt der ſogenannte Schoͤne
Brunnen
, der aber, aus Mangel an Kaſſe,
noch nicht errichtet iſt, ſondern, obwohl ganz
vollendet, noch in dem Bauhofe ſtehet. Nep-
tun
, mit ſeinem ganzen Gefolge an Tritonen,
Fuͤnftes Heft. I
[130] Rajaden, Delphinen u. ſ. w. iſt in Bronze
vorgeſtellt und Zeichnung und Guß ſind in der
That vorzuͤglich. Der Meiſter hieß Georg
Schweichger
, der es nach dem Modell ei-
nes Goldſchmidts, Chriſtoph Ritter's,
ausfuͤhrte.


Uebrigens belaͤuft ſich die Anzahl der kuͤnſt-
lichen Brunnen in Nuͤrnberg auf ſechs und
zwanzig. Gewoͤhnliche Schoͤpf- und Ziehbrun-
nen findet man auf allen Straßen.


Zwey oͤffentliche Gebaͤude ziehen, ihres
Alters und ihrer innern Merkwuͤrdigkeiten we-
gen, beſonders die Aufmerkſamkeit der Reiſen-
den auf ſich: die Reichsveſte und das
Rathhaus.


Die Reichsveſte liegt, wie ich ſchon be-
merkt habe, auf einem maͤßigen Huͤgel, der
die Stadt beherrſcht. Sie iſt, nach Verhaͤlt-
niß, klein und unanſehnlich und fuͤr Kaiſer
neuerer Zeiten nicht mehr bewohnbar, wenn
ſie ihnen auch noch zu einer augenblicklichen
Herberge dienen kann. Die Saͤle und Zim-
[131] mer derſelben ſind altmodiſch, und nur in
dieſer Ruͤckſicht und als altdeutſche Raritaͤten-
kammern merkwuͤrdig. Mehrere Gemaͤlde und
Bildniſſe von Albrecht Duͤrer und eine
große Kompoſition von Johann Creutzfel-
der
, aus der Nuͤrnbergiſchen Geſchichte, ſind
hier betrachtenswerth. Eine Bettſtelle, mit
Vorhaͤngen von verblaßtem Wollenzeuge, worin
mehrere alte Kaiſer geſchlafen haben, iſt ein
Denkmal von der Einfalt und Sparſamkeit
jener Zeiten, und war auch dem verſtorbenen
Kaiſer Joſeph, wie mir der Fuͤhrer ſagte,
merkwuͤrdig geweſen. Er hatte dieſe Vorhaͤn-
ge, indem er ſie uͤber die Hand gehen laſſen,
mehrere Sekunden angeſehen und endlich ge-
ſagt: die Alten hatten weniger als
wir, aber ſie waren reicher
!


Der aͤlteſte Rathsherr bewohnt den Reſt
der Zimmer im Schloſſe und bringt hier ſeine
uͤbrigen Jahre, unter dem Titel eines Kaſtel-
lans oder Pflegers der Reichsveſte, zu. Je-
der Kaſtellan bringt ſein Hausgeraͤth mit,
I 2
[132] und laͤßt ein Andenken von Werth zum Ver-
maͤchtniſſe zuruͤck. Der Hausrath des gegen-
waͤrtigen war ſehr altvaͤteriſch, und ſchloß
eine Menge von Spielereyen in Glas, Holz,
Porzelain ꝛc. ein.


Noch finden ſich zwey Kapellen auf der
Burg und zwar in einem viereckigten Thurme.
In der untern, geraͤumigern, die Schloß-
kirche
genannt, wird an Sonn- und Feſtta-
gen Gottesdienſt gehalten. Vom Thurme
herab hat man eine vortreffliche Ausſicht uͤber
die Stadt und umliegende Gegend. Erſtre
zeigt ſich in der Geſtalt eines laͤnglichen Ge-
viertes und als eine große Maſſe hoher, ſpitzig
zulaufender Daͤcher; deſto lachender und reitzen-
der erſcheint letztre. Naͤher an der Stadt liegt
Garten an Garten, vortrefflich angebaut und
unterhalten und zum Theil mit anſehnlichen
Gebaͤuden verziert; weiterhin ſieht man Dorf
an Dorf, die fruchtbarſten Felder, mit Waͤld-
chen untermiſcht, und große Strecken, auf
welchen Gemuͤſe im uͤppigſten Wachsthum
[133] ſteht, und im Hiutergrunde liegt Fuͤrth aus-
gebreitet vor einem da, Erlangen und Altorf
kann man deutlich ſehen, und am Horizont
ſchwebt die Feſtung Rothenſtein.


Dieſe Ausſicht, die das treffendſte Bild
der Fruchtbarkeit darbietet, hat mich auf der
Burg am meiſten angezogen und am laͤngſten
gefeſſelt. Sonſt befindet ſich auf derſelben
noch eine Kaſerne fuͤr eine Kompagnie Solda-
ten, und ein Brunnen, der in den Felſen ab-
geſenkt worden, und eine Tiefe von 56 Klaf-
ter hat, uͤbrigens aber ein Spielwerk gegen
die wahrhaft große Ausfuͤhrung des beruͤhm-
ten Brunnens auf dem Koͤnigſtein iſt.


Das Zeughaus beſteht aus mehreren
Gebaͤuden, die nach und nach zuſammen gezo-
gen worden, und enthaͤlt zwey große Saͤle,
die gegen 400 Schritte lang ſind. Sie ent-
halten Geſchuͤtz und Handwaffen aller Art,
worunter viele ihres Alterthums wegen merk-
wuͤrdig ſind, z. B. Doppelhaken aus dem
funfzehnten Jahrhundert, Schießpruͤgel,
[134] noch ohne Schloͤſſer, mehrere Turnierruͤſtun-
gen ꝛc. Zwey 48pfuͤndige Karthaunen vom
Jahre 1521, ſind die Altmuͤtter dieſer Samm-
lung. Von neuem und kleinem Geſchuͤtze iſt
der Vorrath betraͤchtlich genug, und die Ver-
theilung und Aufſtellung deſſelben faͤllt gut in
die Augen.


Das Rathhaus iſt in der That, in ar-
chitektoniſcher Ruͤckſicht, das merkwuͤrdigſte
Gebaͤude in Nuͤrnberg. Die Anſicht des Aeuſ-
ſern iſt, wie die Anordnung des Innern,
muſterhaft, und wenn man an jenem etwas
tadeln wollte, ſo waͤre es, daß die Façade
faſt nichts als Fenſter iſt, und dadurch einen
gewiſſen bunten, zerhackten Anblick erhaͤlt.
Drey Portale mit doriſchen Saͤulen herr-
ſchen an der Vorderſeite, die 275 Fuß lang
iſt, aus drey Geſchoſſen, dem hoͤhern Erdge-
ſchoß, dem niedrigern mittlern, und dem klei-
nern obern beſteht, deren jedes 36 Fenſter
hat. Im Erdgeſchoß iſt der große Saal, der
achtzig Fuß in der Laͤnge und dreyßig in der
[135] Breite haͤlt. Auf der einen Seite, den Fen-
ſtern gegenuͤber, an der Wand, iſt der be-
ruͤhmte Triumphwagen Maximilians des Erſten,
von Wilibald Pirkheimer erfunden und
von Albrecht Duͤrer gemalt, dargeſtellt.
Dieſe Kompoſition nimmt, mit ihren verſchie-
denen ſinnbildlichen Gruppen und deren gut-
muͤthigen, altdeutſchen Inſchriften, dieſe ganze
Seite des Saals ein, und hat mehrere ganz
vortrefflich gezeichnete Figuren, deren Farben-
gebung zum Theil noch ungewoͤhnlich lachend
und markigt iſt. Fuͤr Kenner der Kunſtge-
ſchichte und fuͤr Liebhaber findet ſich in der
Rathsſtube ein Juͤngſtes Gericht von
Michael Wohlgemuth; an der Decke
der Gallerie im zweyten Stock die Darſtellung
des großen Nuͤrenbergiſchen Geſellen-
ſtechens
vom Jahre 1446; und in 5 andern
Zimmern, die an einander hangen, eine be-
traͤchtliche Sammlung von Schildereyen alter
deutſcher Maler, Duͤrers, Cranachs,
Sandrarts, Pens
und andrer mehr.


[136]

Die uͤbrigen Saͤle und Zimmer des Rath-
hauſes enthalten nur noch wenige Merkwuͤr-
digkeiten und ſind fuͤr die Sitzungen und zu
Schreibſtuben der verſchiedenen Aemter des
Raths beſtimmt, beweiſen aber, mit den
weitlaͤuftigen und hellen Gaͤngen, die ſie unter
einander verbinden, und mit der Vertheilung
des Kellergeſchoſſes zu Gefaͤngniſſen fuͤr gerin-
gere und ſchwerere Verbrecher, daß der Bau-
meiſter ein ſehr einſichtsvoller Kuͤnſtler war,
der den damaligen Zeiten Ehre machte, und
den jetzigen Baukuͤnſtlern zu einem lehrreichen
Muſter dienen kann.


Unter der betraͤchtlichen Anzahl von Kir-
chen und Kapellen, die Nuͤrnberg beſitzt, ſind
die beyden Hauptkirchen, St. Sebald und
St. Lorenz, und die Nebenkirche zu St.
Aegydien
, ſowohl ihrer Bauart, als der
altdeutſchen artiſtiſchen Merkwuͤrdigkeiten we-
gen, die ſie einſchließen, beſonders ſehenswerth.


Zu St. Sebald (Ewald) wurde ſchon
im 12ten Jahrhundert der Grundſtein gelegt.
[137] Ihr hohes und ſpitzes Gewoͤlbe ruhet auf 22
Saͤulen. Die gemahlten Fenſter machen ſie
ſehr finſter und die Kirchenſtuͤhle, womit ſie
angefuͤllt, und die Menge Wappen, womit ſie
behaͤngt iſt, uͤberladen ſie zur Ungebuͤhr. Ihre
groͤßeſte Merkwuͤrdigkeit iſt ein Denkmal des
Heil. Sebald, nach Albrecht Duͤrers
Zeichnung in Bronze gegoſſen, von Peter
Viſcher
und ſeinen 5 Soͤhnen. Der Zeich-
nung liegt die etwas ſeltſame Idee zum Grun-
de, daß der Sarg die Geſtalt eines Haͤus-
chens hat, welches unter einem Tabernakel
ſtehet, der uͤberreich an groͤßern und kleinern
Figuren iſt, unter denen ſich die zwoͤlf Glau-
bensboten beſonders auszeichnen. Der Guß
iſt uͤberaus rein und giebt die feinſten Faͤlt-
chen und Puͤnktchen mit bewundernswuͤrdiger
Schaͤrfe und Zartheit an. Vor dieſem Grab-
male ſteht ein hoͤlzernes Kreuzbild von Veit
Stoß
, das in Ruͤckſicht der Kunſt Aufmerk-
ſamkeit verdient. Jenes kam im Jahre 1519,
dieſes 1526, zu Stande. Sonſt ſind noch
[138] mehrere Gemaͤlde und Bildhauereyen von Al-
brecht Duͤrer, Creutzfelder, Kraft,
Merian
u. a. m. in dieſer Kirche vorhan-
den.


St. Lorenz iſt ungefaͤhr in demſelben
Geſchmacke und von demſelben Umfange, wie
St. Sebald. Auch dieſe Kirche zeichnet ſich
in ihrem Innern durch mehrere Merkwuͤrdig-
keiten der alten deutſchen Kunſt aus. Von
Adam Kraft iſt das ſogenannte Sakra-
mentshaͤuslein
am Hauptaltar, 64 Ellen
hoch und ganz aus Stein gehauen, mit einer
Feinheit und Zartheit, daß es ſcheint, der
Kuͤnſtler habe den Stein mit einer Leichtigkeit
bearbeitet, wie Holz. Auch meynt Hr. v.
Murr
, in ſeinen Merkwuͤrdigkeiten
von Nuͤrnberg: Kraft
habe das Ge-
heimniß gewußt, einer Miſchung von Sand
und Ton die Haͤrte des Steines zu geben,
und ſonach habe er manche der feinern Stuͤcke
an dieſem Werke gleichſam boſſiert, dann ge-
haͤrtet und angeſetzt. Seltſam iſt der Ge-
[139] danke, dieſes ganze ſteinerne Gebaͤude, ſich
und ſeinen beyden Soͤhnen auf den Kopf zu
ſetzen; er, naͤmlich, und jene, knieen unter
demſelben und bilden ſolchergeſtalt den Fuß,
worauf das Ganze ruhet. Ein großer Ver-
ſtoß gegen die Wahrſcheinlichkeit in der Kunſt,
den man aber an mehrern gothiſchen Gebaͤu-
den wiederholt findet, z. B. an dem Dom zu
Kremona, deſſen Portal auf zwey Loͤwen ru-
het. — Von Veit Stoß iſt auch ein Mei-
ſterſtuͤck hier, aber in Holz, das die Ver-
kuͤndigung Mariens
vorſtellt. Es iſt im
Chor am Gewoͤlbe befeſtigt und kann nicht
ohne große Muͤhe geſehen werden.


Die Kirche zu St. Aegydien iſt die
neueſte in Nuͤrnberg und ſtammt aus dem An-
fange dieſes Jahrhunderts. Sie iſt im neuern
Italieniſchen Geſchmack, von außen nach do-
riſcher, von innen nach korinthiſcher Ordnung
erbauet. Martin Schuſter hat die Decke,
Daniel Preisler die Kuppel hinter dem
Chor, und Van Dyk das Altarblatt gemalt,
[140] das eine Abnehmung vom Kreuze darſtellt.
Die drey Kapellen an dieſer Kirche ſind, wie
man auf den erſten Blick ſieht, von aͤlterem
Dato, und von der alten Kirche, die 1696
abbrannte, uͤbrig geblieben.


In der Kirche zum heiligen Geiſt be-
finden ſich die Reichsheiligthuͤmer, die
man in einer Kiſte uͤber dem Chore aufge-
haͤngt hat, und die Reichskleinodien,
die in einer Kapelle uͤber der Sakriſtey ver-
wahrt ſeyn ſollen. Ich habe ſie nicht geſehen,
und ſie ſollen nur Perſonen des hoͤchſten Stan-
des gezeigt werden. Viele haben daraus ge-
ſchloſſen, daß ihrer gar keine da waͤren, was
zu voreilig iſt.


Die Marienkirche ſchließt ebenfalls
mehrere Merkwuͤrdigkeiten der altdeutſchen
Kunſt, Gemaͤlde und Schnitzwerke in Stein
und Holz, ein. Kenner und Liebhaber ſolcher
Dinge duͤrfen eigentlich keine Kirche in Nuͤrn-
berg unbeſehen laſſen. Nicht minder anziehend
iſt der Genuß, den man ſich auf den beyden
[141] hieſigen Gottesaͤckern, zu St. Johannes
und St. Rochus, durch Aufſuchung der
Denkmale beruͤhmter, politiſch- und literariſch-
verdienter Maͤnner, deren Nuͤrnberg in aͤltern
Zeiten eine achtungswerthe Reihe gehabt hat,
verſchaffen kann.


Die Anſtalten Nuͤrnbergs, die zur Polizey
im engern und weitern Verſtande gehoͤren,
ſind ſehr mannigfaltig. Sie haben groͤßeſten-
theils ihren Urſprung in den fruͤhern und gluͤck-
lichern Zeiten dieſes Freyſtaats, werden aber
jetzt noch, wo nicht erweitert, doch nach Be-
darf erhalten.


Das Almoſen- Armen- und Krankenweſen
iſt auf einem guten Fuße. Es hat ein be-
traͤchtliches Grundkapital, theils an den ein-
gezogenen Kirchen- und Kloſterguͤtern, zu de-
ren Verwaltung und Pflege mehrere Aemter
niedergeſetzt ſind, die von den vornehmſten
Rathsgliedern beſorgt werden, theils an den
zahlreichen milden Stiftungen von Privatper-
ſonen, die in fruͤhern Zeiten gemacht und zum
[142] Theil reichlich begabt worden ſind. Zur Ver-
waltung der letztern ſind gewiſſe Familien oder
Privatperſonen beſtimmt, die von den Stif-
tern vorgeſchrieben worden, und welche die
Austheilung der Almoſen, die in Lebensmit-
teln und auch in Geld beſtehen, meiſt nach
Gutduͤnken beſorgen. Vielleicht waͤre zum
Beſten der Nothleidenden zu wuͤnſchen, daß
ihre Pfleger weniger vornehm, und daß die
Verwaltungs-Aemter, Beamte und Ausſpen-
der weniger zahlreich waͤren. Eine einzige
Stelle, mit dem vierten Theile des jetzigen
Perſonale beſetzt, wuͤrde, da man Uneigen-
nuͤtzigkeit und Menſchenliebe in einem Frey-
ſtaat, beſonders bey deſſen Beamten, unbe-
dingt heiſchen muß, dieſe Verpflegungsge-
ſchaͤfte mit weniger Koſten und mehr Einheit
beſorgen koͤnnen. Jetzt ſind die hieher gehoͤri-
gen Stellen folgende:


Das Spitalamt und das Kloſter-
amt St. Katharina
. Beyden ſteht das
oberſte Rathsglied als Oberpfleger vor,
[143] der noch einen Pfleger, (von Adel) einen
Kaſtner, (Kaſſirer) einen Gefaͤlleinnehmer und
einen Subſtituten (?) unter ſich hat.


Das Amt von St. Klara und Pil-
lenre[u]t
. Das zweyte Rathsglied iſt hier
Oberpfleger, der noch einen Pfleger, (von Adel)
einen Gegenſchreiber und einen Subſtituten
unter ſich hat. Sankt Klara hat noch eine
Aebtiſſin, die von Adel iſt.


Die beyden Almoſenaͤmter (Stadt-
und Land) ſtehen unter vier Rathsgliedern,
die den Titel Oberalmoſenpfleger fuͤhren.
Sonſt war ihrer nur Einer vorhanden.
Jetzt hat das Stadtalmoſenamt einen (adli-
chen) Pfleger, einen Amts- und Gegenſchrei-
ber, einen Bauinſpektor und einen Regiſtra-
tor; und das Landalmoſenamt zwey Pfleger,
(von Adel) einen Gegenſchreiber, einen Regi-
ſtrator, zwey Gefaͤlleinnehmer, zwey Subſti-
tuten und Einen Amtsvogt unter ſich.


Außer dieſen ſind noch die Pflege der
beyden Findeln
(eines Wayſenhauſes fuͤr
[144] Knaben und Maͤdchen;) die Mendel'ſche
und Landauer'ſche Stiftung; zwey Pil-
grimsſpitaͤler
zu St. Martha und zum
Heil. Kreutz; und vier ſogenannte Siech-
koͤbel
(Armenhaͤuſer) vor der Stadt vorhan-
den, deren Verwaltung, ſo einfach und ge-
ring ſie auch iſt, ebenfalls von mehreren
Rathsgliedern und Gehuͤlfen beſorgt wird.
Dieſe Vervielfaͤltigung der Aemter ohne Noth,
die faſt bey allen Stellen ſtatt findet, iſt eine
der Beſchwerden der Buͤrgerſchaft gegen das
Patriziat, das dergleichen uͤber die Gebuͤhr ge-
ſchaffen hat, um ſeine Kinder und Verwand-
ten unterzubringen; und dieſe Beſchwerde
ſcheint mir dadurch deſto buͤndiger zu werden,
da dieſe Aemter, wie alle uͤbrige, die das Pa-
triziat beſetzt, nur dem Rathe Rechenſchaft
ablegen, der ſeinerſeits das Vorrecht zu haben
behauptet, der Buͤrgerſchaft keine Rechenſchaft
ablegen zu duͤrfen.


Die Anſtalten, die von den verſchiedenen
Verpflegungsfonds unterhalten werden, ſind
mancher-
[145] mancherley, und außer dem Hoſpitalweſen ge-
hoͤrt auch noch das Schul- und Kirchenweſen
dazu.


Das neue Hoſpital zum Heil. Geiſt
hat ein geraͤumiges Lokale, und iſt zu einer
lebenslaͤnglichen Verpflegung fuͤr alte, arme,
unvermoͤgliche Perſonen beſtimmt, deren An-
zahl ſich gewoͤhnlich uͤber 100 belaͤuft.


Bey der Barfuͤßer-Kirche, (ehemals ein
Franziskanerkloſter) iſt ein Wayſen- und ein
Zucht- und Arbeitshaus; bey der St.
Katharinen-Kirche ein aͤhnliches; bey der ehe-
maligen St. Kunigunden-Kapelle, eine Schule
fuͤr arme Kinder
; bey der Kirche zu St.
Martha ein Hoſpital fuͤr Pilgrime,
worin fremde, beduͤrftige Perſonen Eſſen und
Trinken erhalten; bey der ſogenannten Tod-
ten-Kapelle
, eine Verpflegungs-Anſtalt
fuͤr 12 arme Maͤnner, und eine aͤhnliche iſt
die Landaueriſche Stiftung bey der Kapelle
zu allen Heiligen
. In der Judengaſſe iſt
ein Krankenhaus, erſt 1770 errichtet, fuͤr
Fuͤnftes Heft. K
[146] Arme, die aber nicht mit anſteckenden Krank-
heiten behaftet ſeyn muͤſſen. Fuͤr anſteckende
Kranke iſt dagegen das ſogenannte Schau-
haus
da, wo ſie unentgeldlich geheilt werden.
Zu demſelben Behufe iſt auch das Seba-
ſtians-Hoſpital
. Im Fechthauſe befindet
ſich ein Arbeitshaus fuͤr aufgegriffene Dir-
nen, Bettler und Landſtreicher, die beſonders
mit Schleifung von Brillen und Brennglaͤ-
ſern beſchaͤftigt werden. Die Zellen des ehe-
maligen Karthaͤuſerkloſters werden den Witt-
wen der Kirchen- und Schuldiener zu Woh-
nungen uͤberlaſſen, bis auf eine, worin man
Konvertiten aufnimmt, die ſich etwa eine Weile
hier aufhalten moͤgen. Endlich befindet ſich
noch im Deutſchen Hofe das alte Eliſa-
beth-Hoſpital
.


Vor der Stadt ſind vier ſogenannte Siech-
koͤbel
*), worin theils Maͤnner theils Wei-
[147] ber, die das Alter unfaͤhig gemacht hat, ſich
zu naͤhren, mit Wohnung und Pflege verſorgt
werden; ein Pilgrimsſpital; und auf
dem Gottesacker zu St. Rochus ſind mehrere
Gebaͤude zu einem Lazareth beſtimmt, wenn
epidemiſche Krankheiten ſich zeigen.


Der mediciniſche Theil der Polizey wird
mit Zuziehung des Kollegiums der Aerzte
und Apotheker
beſorgt, welches zwey Raths-
glieder zu Beyſitzern hat. Die Apotheker wer-
den vor ihrer Annahme gepruͤft; ſie haben eine
Taxe und ihre Officinen werden jaͤhrlich ein-
mal unterſucht. Die Bartſcheerer und Bader,
die hier eine getrennte Zunft ausmachen, wer-
den bey ihrer Aufnahme ebenfalls gepruͤft.
Drey der erſtern ſind zu Geburtshelfern
beſtallt, und ſie muͤſſen ihre Geſchicklichkeit
dargethan haben. Hebammen ſind in allem
*)
K 2
[148] 18 da. Sie muͤſſen 5 Jahr hindurch ihre
Kunſt bey einer andern Hebamme geuͤbt, und
nebenher theoretiſchen Unterricht von einem
Arzte darin gehabt haben. Eine Pruͤfung ent-
ſcheidet dann erſt uͤber ihre Geſchicklichkeit und
Aufnahme. Ueber ſie und ihre Gehuͤlfinnen
haben zwey ſogenannte ehrbare Frauen
die Aufſicht. Außer dieſen ſind noch 7 ge-
ſchworne Frauen
da, die den Kindbette-
rinnen und Kindern gewiſſe Dienſte leiſten,
die kein Mann leiſten kann.


Zu den guten Anſtalten fuͤr die oͤffentliche
Geſundheit gehoͤrt auch die, daß keine Leiche
in der Stadt begraben werden darf. Nuͤrn-
berg war eine der erſten Staͤdte, die dieſe Ge-
wohnheit abſchaffte, und ſie leidet ſolche ſchon
ſeit 1519 nicht mehr.


Um die Verfaͤlſchung der Lebensmittel zum
Beduͤrfniß und zum Luxus zu verhuͤten, ſind
ebenfalls mehrere Einrichtungen vorhanden.
Das Schlachtvieh wird durch verpflichtete Per-
ſonen unterſucht; das Gewuͤrz durch eine Ge-
[149] wuͤrzſchau
; das Brot durch eine Brot-
ſchau
; der Wein wird in oͤffentlichen Nie-
derlagskellern
eine Weile aufbewahrt und
erſt, wenn Pruͤfungen damit vorgenommen
und die Gefaͤlle davon entrichtet ſind, an die
Eigenthuͤmer verabfolgt. So haben auch die
Bierbrauer, Eſſigmacher und Branntweinbren-
ner ihre eigenen Vorſchriften in Abſicht der
Guͤte, des Preiſes und des Gemaͤßes ihrer
Waaren.


Der Verſorgung der Stadt mit reinem
und geſundem Trinkwaſſer, habe ich ſchon
oben erwaͤhnt, und es iſt ein eigener Raths-
ausſchuß dazu angeordnet; jetzt beruͤhre ich
noch einige andre Einrichtungen von Seiten
der Polizey.


Die verſchiedenen Maͤrkte ſind fuͤr die ver-
ſchiedenen Beduͤrfniſſe der Stadt beſtimmt,
und beſtaͤndig wohl verſehen; ſo der große
oder gruͤne Markt mit Gemuͤſen, Garten-
fruͤchten und allem, was ſonſt in der Kuͤche
gebraucht wird und die Landleute liefern; der
[150]Fiſchmarkt und der Obſtmarkt, mit den
Waaren, die ihr Name anzeigt; der Spital-
kirchhof
, der Heumarkt und die beyden
Lauferplaͤtze mit Getreide, Holz, Kohlen,
Heu, Kalk; und endlich die alten und neuen
Fleiſchbaͤnke mit friſchem und geraͤuchertem
Fleiſche, mit Suͤlzen und Wuͤrſten aller Gat-
tungen.


Weinniederlagen ſind der ſogenannte Wein-
ſtadel
und der Herrenkeller; Getreide-
magazine ſind das Kornhaus auf der Reichs-
veſte, und ein anderes auf der großen Wa-
ge
, worin immer, fuͤr den Fall des Mangels
und der Theurung, Vorraͤthe gehalten wer-
den. Gegen Wucher und Vorkauf ſind ſtrenge
Verordnungen vorhanden. Von Monopolien
finden nur zwey ſtatt, und zwar fuͤr Rech-
nung des Staats, naͤmlich mit Unſchlitt und
Weitzenbier; doch ſind deshalb dieſe Waaren,
was ein ſeltener Fall iſt, nicht ſchlechter und
theurer, als anderwaͤrts.


[151]

Wenn die Polizey fuͤr die Geſundheit,
Verpflegung und Verſorgung der Stadt thaͤ-
tig iſt, ſo iſt ſie es nicht minder fuͤr ihre in-
nere Ruhe und Sicherheit. Außer der Miliz,
welche der Staat als Reichskoncingent, auch
im Frieden, unterhaͤlt, iſt jeder mannbare
Buͤrger, der Standes oder Amts wegen nicht
ausgenommen iſt, verpflichtet, in Nothfaͤllen
die Waffen zu ergreifen. Die bewaffnete Buͤr-
gerſchaft beſteht aus drey Bataillonen zu Fuß,
und zwey Kompagnieen zu Pferde. Jede Ab-
theilung hat ihren beſtimmten Laͤrmplatz. Sie
uͤben ſich auf dem Schießhauſe und in den
buͤrgerlichen Schuͤtzengeſellſchaften. Ein klei-
nes, buͤrgerliches Artilleriekorps iſt auch vor-
handen. Die aͤußern Schanzen vor der Stadt
werden von Feldmiliz, die Stadtthore von
Buͤrger- und Feldmiliz zugleich bewacht.
Beym Rathhauſe iſt eine Hauptwache, die
durch letztere beſetzt wird. Auf der Reichsveſte
haben Kuͤraſſiere und Dragoner — ohne Pfer-
de — den Dienſt. Noch iſt eine berittene
[152] Stadtgarde da, die beſonders zu Verſchickun-
gen und obrigkeitlichen Geſchaͤften gebraucht
wird.


Zur Sicherheit des Nachts werden die
Thore verſchloſſen gehalten, doch kann man,
gegen Einlaßgebuͤhr, zu jeder Zeit, durch zwey
Pforten, in die Stadt. Waͤchter von mehre-
ren Gattungen durchſtreifen die Stadt, und
rufen die Stunden an; andere thun daſſelbe
auf den Stadtmauern. Der Vortheil der Er-
leuchtung durch Laternen geht der Stadt bis
jetzt noch ab. Nur ein paar Hauptſtraßen
genießen ihn, aber es iſt bloß auf Veranſtal-
tung einzelner Einwohner, welche die Koſten
davon beſtreiten. Die Stadtthuͤrmer ſind be-
ſonders angewieſen, uͤber Feuersgefahr zu wa-
chen. Auf ein Zeichen an der Sturmglocke
werden die Trommeln geruͤhrt; die Waſſer-
kuͤnſte, die Spritzen, Leitern, Feuerhaken wer-
den in Bewegung geſetzt; wer Pferde beſitzt,
ſpannt ſie vor die Waſſerkufen. Die drey er-
ſten, die ankommen, erhalten Preiſe. Einige
[153] Handwerker, als Maurer, Zimmerleute,
Schmiedte ꝛc. ſtehen unter dem ſogenannten
Feuergehorſam, und thun beſonders die
Arbeiten in der Noth, empfangen auch eine
Belohnung dafuͤr. Schon die Lehrjungen die-
ſer Gewerke erhalten, waͤhrend ihrer Lehr-
jahre, zweymal Kleidungsſtuͤcke unentgeldlich
vom Stadtalmoſenamt, als Ermunterung und
als Belohnung fuͤr die Dienſte, die ſie hierin
dem gemeinen Weſen zu leiſten haben. Die
Brandſtaͤtte wird durch Miliz beſetzt, und die
bewaffnete Buͤrgerſchaft verſammelt ſich an ih-
ren Laͤrmplaͤtzen, um Unordnungen zu verhuͤ-
ten. Da ſonach jeder weiß, was er zu thun
hat, und wo er gebraucht wird, ſo greift ſehr
ſelten ein Brand weit um ſich. Daher kommt
es wohl, daß in der hieſigen Brandver-
ſicherung
ſo wenig Haͤuſer aus Nuͤrnberg
ſelbſt eingeſchrieben ſind.


Da diejenigen Haͤuſer, die an beyden Sei-
ten der Pegnitz liegen, welches uͤberhaupt der
niedrigſte Theil der Stadt iſt, zuweilen Ue-
[154] berſchwemmungen ausgeſetzt ſind, ſo hat man
auch dagegen, noch vor wenig Jahren, die
kraͤftigſten Einrichtungen von Seiten der Po-
lizey getroffen.


Noch einige Anſtalten zur Bequemlichkeit
und zur Erleichterung der Buͤrger ſind in
Nuͤrnberg, die man nicht leicht in einer an-
dern deutſchen Stadt finden wird, weil man
ſich gewoͤhnlich um den innern Haushalt der
Einwohner nicht ſehr zu bekuͤmmern pflegt.
Zu der erſten Art rechne ich eine oͤffentliche
Waͤſchbleiche und zwey Waſchhaͤuſer
zum allgemeinen Gebrauch; und zur letztern
Art die Erlaubniß, die jeder Buͤrger hat, ſich
aus dem zu Nuͤrnberg gehoͤrigen Reichswalde,
gegen eine unbetraͤchtliche Abgabe, ſeinen Be-
darf an Holz anfahren zu laſſen. Den aͤr-
mern Buͤrgern und Einwohnern iſt es geſtat-
tet, in eben dieſem Walde duͤrre Aeſte und
Reißig zu leſen und umſonſt nach Hauſe zu
ſchaffen. Noch eine hieher gehoͤrige Anſtalt
iſt das Leihhaus, das in dringenden Faͤllen
[155] den Buͤrgern aus Verlegenheiten hilft und ſie
nicht in die Haͤnde der Wucherer fallen laͤßt.


An Anſtalten, die zur Bildung des Geiſtes
und des Koͤrpers, und zum Anbau der Wiſ-
ſenſchaften und Kuͤnſte gehoͤren, hat der Staat
von Nuͤrnberg auch keinen Mangel. Obenan
ſteht die hohe Schule zu Altorf, die re-
gelmaͤßig, wie jede andre, eingerichtet iſt, die
noͤthigen Lehrſtuͤhle fuͤr jede Fakultaͤt und Wiſ-
ſenſchaft, und einen guten gelehrten Apparat
beſitzt, der in einer anſehnlichen Buͤcherſamm-
lung, einer Kunſt- und Naturalienkammer,
einer Sternwarte, einem Zergliederungs-Saal,
einer chemiſchen Werkſtatt, einem botaniſchen
Garten und einem kliniſchen Krankeninſtitut
beſteht. Stipendien und Freytiſche fehlen
nicht.


Das Aegydianiſche Gymnaſium iſt
in Nuͤrnberg ſelbſt. Es hat einen Hoͤrſaal,
in welchem 6 Profeſſoren, junge Leute, welche
die niedern Schulen hinter ſich haben, durch
oͤffentliche Vorleſungen zur hohen vollends vor-
[156] bereiten. Das Gymnaſium ſelbſt hat fuͤnf
Schulen, Einen Rektor und Vier Unterlehrer.
Außer dieſem ſind noch drey lateiniſche
Schulen
vorhanden, mit denen Unterricht
in der Muſik und Singchoͤre verbunden ſind.
Eine vierte lateiniſche Schule, die zu St. Ja-
kob, iſt im Eingehen.


Die Stadt hat fuͤnf Armenſchulen, de-
ren keine aus dem vorigen Jahrhun-
dert ſtammt
, ſondern die alle in dem ge-
genwaͤrtigen von Privatleuten errichtet und be-
gabt worden und wahrhaft muſterhaft und
wohlthaͤtig ſind. Denn, außer freyem Unter-
richt, bekommen die Kinder nicht nur die Buͤ-
cher und Schreibmaterialien unentgeldlich,
ſondern auch woͤchentlich Ein Brod, einen
Beytrag an Gelde, und von Zeit zu Zeit Klei-
dungsſtuͤcke. Der Platz und die Ausſtattung
dieſer Haͤuſer reichen fuͤr die ſehr betraͤchtliche
Anzahl von 5 bis 550 Kindern zu.


Vor kurzem hat hier ein Kandidat der
Theologie, Namens Buͤchner, eine Erzie-
[157] hungsanſtalt angelegt, deren Einrichtung ſehr
befriedigend iſt. Sie iſt fuͤr einheimiſche und
auswaͤrtige Kinder von 6-12 Jahren be-
ſtimmt, die auch Koſt und Wohnung haben
koͤnnen, und ſowohl in den erſten Kenntniſſen
des Leſens, Rechnens und Schreibens, als
auch in der Religion, Erdbeſchreibung, Ge-
ſchichte, Naturlehre, Logik, Mathematik ꝛc.
und in koͤrperlichen Uebungen unterrichtet
werden. Kinder weiblichen und maͤnnlichen
Geſchlechts werden aufgenommen. Es ſind
der Zoͤglinge ungefaͤhr dreyßig. Der Unter-
nehmer lehrt ſelbſt, und haͤlt noch einige Ne-
benlehrer. Seine Anſtalt ſteht unter dem
Scholarchat und einem Aufſeher aus dem
Miniſterium.


Noch ſind 17 Privatſchulen in Nuͤrnberg,
die man die deutſchen Schulen nennt,
und worin bloß im Leſen, Schreiben, Rechnen
und Chriſtenthum Unterricht gegeben wird.
In einem kleinen Freyſtaate, wo der Zunft-
[158] und Privilegien-Geiſt durch die Verfaſſung
befoͤrdert wird, iſt es ſo gar befremdlich nicht,
wenn man auch eine Schulmeiſter-Zunft fin-
det. Eine ſolche bilden in der That die Un-
ternehmer dieſer Schulen, die man Schreib-
und Rechenmeiſter nennt. Sie muͤſſen be-
ſtimmte Jahre bey einem ſolchen Schulmeiſter
gelernt haben, koͤnnen auch nicht eher eine ei-
gene Schule halten, als bis eine Stelle auf-
geht; die Wittwen koͤnnen auch durch ſolch ei-
nen ausgelernten Schulmeiſter die Schule ver-
ſehen laſſen. Ein Rathsausſchuß hat die Auf-
ſicht uͤber dieſe Zunft, und fuͤr jede der Schu-
len iſt ein Prediger beſtimmt, der ſie von Zeit
zu Zeit beſuchen und den Unterricht pruͤfen
muß.


Seit 1660 iſt hier ſchon eine Maleraka-
demie
errichtet, und ſie iſt vielleicht die aͤl-
teſte in Deutſchland. Drey Tage in der Woche
werden hier Stunden gegeben, und man zeich-
net nach lebendigen und todten Modellen.
[159] Die Anfangsgruͤnde werden in einer zweyten
beſondern Zeichenſchule gelehrt. Noch giebt
es eine dritte Zeichenſchule fuͤr die Lehr-
linge der Handwerker. Sogar ein Stall-
meiſter, Fechtmeiſter
und zwey Tanz-
meiſter
ſind zum Unterricht in ihrer Kunſt
vorhanden.


Noch ſind Truͤmmer von der uralten Mei-
ſterſaͤnger-Geſellſchaft hier, deren Uebungen
aber ſeit Jahren gaͤnzlich aufgehoͤrt haben.
Unter den Handwerkern finden ſich noch einige
von dieſen Dichtern und Saͤngern. Vielleicht
bezieht ſich noch die Gewohnheit darauf, daß
die hieſigen Handwerksburſchen an Sommer-
abenden durch die Stadt ziehen und geiſtliche
Lieder ſingen.


Auch die Geſellſchaft des Pegnitziſchen
Blumenordens
iſt, nach einer 150jaͤhrigen
Dauer, noch vorhanden, beſchaͤftigt ſich be-
kanntlich mit deutſcher Sprache und Littera-
tur und mit vaterlaͤndiſcher Geſchichte, hat
[160] 48 Mitglieder, und den gelehrten Litterator
Panzer*) zum Vorſteher.


Noch iſt ein gut eingerichtetes Leſeinſti-
tut
vorhanden, und eine Geſellſchaft zur
Befoͤrderung vaterlaͤndiſcher Induͤ-
ſtrie
, die ſich die Hamburgiſche zum Muſter
genommen hat, und ſchon 50 Mitglieder aus
allen Staͤnden
zaͤhlt.


Die hieſigen Bibliotheken und Kunſt-
ſammlungen
gehoͤren nicht zu den unbe-
traͤchtlichen. Die Stadtbibliothek hat
beſonders einen guten Vorrath an alten Druk-
ken und andern typographiſchen Seltenheiten,
auch an Handſchriften. Die Dillherrſche,
die Fenitzeriſche, dieEbneriſche und
Marpergeriſche Bibliotheken, enthalten
ebenfalls mehr oder weniger Merkwuͤrdigkeiten
dieſer Art.


Das
[161]

Das Prauniſche Kunſtkabinet, mit
welchem eine Gemaͤldeſammlung verbun-
den iſt, laͤßt kein Fremder unbeſucht, und eine
aͤhnliche Aufmerkſamkeit verdient die Pelle-
riſche
Sammlung.


Zum wiſſenſchaftlichen und artiſtiſchen Ver-
kehr ſind endlich noch 13 Buch- und 9 Kunſt-
handlungen innerhalb der Mauern von Nuͤrn-
berg.


Alle dieſe mannichfaltigen Anſtalten, die
ich, der Kuͤrze wegen, nur habe andeuten koͤn-
nen, geben eine allgemeine Ueberſicht von der
muſterhaften buͤrgerlichen Einrichtung der
Stadt. Zu unterſuchen, in wie ferne dieſe,
durch die politiſche beeintraͤchtigt, minder
wohlthaͤtig, friedlich und praktiſch gemacht
wird, iſt nicht die Sache eines Durchreiſenden;
eben ſo wenig als diplomatiſch zu entſcheiden,
wem der groͤßere und kleinere Theil der Schuld
beyzumeſſen ſey. Ich habe uͤber die Irrun-
gen, die jetzt zwiſchen Rath und Buͤrgerſchaft
obwalten, viel und von allen Parteyen gehoͤrt;
Fuͤnfteſ Heft L
[162] aber man hoͤrt einſeitig, wo einmal Parteyen
ſind, man hoͤrt nur Leidenſchaft, Eigennutz,
Hochmuth und Erbitterung ſprechen, und man
kann nur dann jeder Partey ihren Theil von
Recht und Unrecht zuſprechen, wenn man
ſelbſt die Verfaſſung aus ihren Quellen und
aus Erfahrung kennen gelernt hat. Soviel
glaube ich aber im Allgemeinen zur Beurthei-
lung dieſer innern Zwiſtigkeiten ſagen zu koͤn-
nen: das Patriziat handelt nach den Grund-
ſaͤtzen einer Ariſtokratie, die zur Ochlokratie
neigt, verdraͤngt die uͤbrigen Staatsbuͤrger
von den Hauptgeſchaͤften der Regierung und
von den obern Stellen, und ſchmaͤlert die
Vorrechte derer, die ſie ſelbſt fuͤr rathsfaͤhig
anerkennt. Daher Klagen der Patrizier vom
neuern Dato gegen die vom aͤltern; daher
Beſchwerden der niedern patriziſchen Beamten
gegen die hoͤhern; daher Unzufriedenheit der
mittlern Buͤrgerklaſſen, des Kaufmanns- und
Gelehrten-Standes mit beyden Klaſſe der
[163] Patrizier; daher Aufſaͤßigkeit und Groll der
Kuͤnſtler- und Handwerker gegen alle obige.
So kommt es, daß Ariſtokraten gegen Ochlo-
kraten, beyde gegen die Kaufmanns- und Ge-
lehrten-Klaſſen, und alle drey zuſammen ge-
nommen, gegen die Hauptmaſſe des arbeiten-
den und abgebenden Staatsbuͤrgers kaͤmpfen,
der jedoch dadurch einer gaͤnzlichen Unterdruͤk-
kung entgeht, daß jede der genannten Par-
teyen ihn, den ſtaͤrkſten an thieriſcher Kraft,
wechſelſeitig auf ihre Seite zu bringen und
ſich zu erhalten ſucht. Das klare Reſultat
dieſer Angaben waͤre alſo: daß die Ochlokra-
ten fuͤr Herrſchſucht, Hochmuth, Nepotismus
und Monopol kaͤmpfen, indem ſie fuͤr die
wahre Verfaſſung des Staats zu kaͤmpfen
vorgeben; daß die Ariſtokraten fuͤr Privilegien,
Stellenſucht, Bequemlichkeit, eigennuͤtzige Ver-
ſorgung ihrer Kinder und Verwandten ſtrei-
ten, indem ſie meynen, fuͤr die ihnen zukom-
menden Gerechtſame zu ſtreiten; daß die Kauf-
L 2
[164] leute und Gelehrten fuͤr Neid, fuͤr empoͤrte
Eigenliebe und fuͤr Auszeichnung im Staat
arbeiten, indem ſie gegen den Untergang deſ-
ſelben, gegen Willkuͤhr und Unverantwortlich-
keit des Raths und gegen den Eindrang des
Patriziats in alle Staatsſtellen, ſelbſt die ge-
ringern, zu arbeiten ſich die Miene geben; und
daß endlich der gemeine Staatsbuͤrger die ei-
gentliche Stuͤtze, das Laſtthier des Staates,
daß nur dieſer allein fuͤr erworbene und na-
tuͤrliche Rechte, fuͤr ſeine Nahrung, Haus und
Hof und politiſches Daſeyn ſtreite, mithin
unter den fechtenden Parteyen die einzige ſey,
die das Recht auf ihrer Seite hat, aber ge-
rade am ſpaͤteſten dazu gelangen wird, weil
ſie ihre Sache gegen ihre eigenen Richter fuͤh-
ren und gewinnen muß, die uͤberdieß bey mehr
Gewandtheit, Reichthum, Luſt und Politik,
ihren geſunden Menſchenverſtand nicht fuͤrch-
ten, ſo wie ſie ihre phyſiſche Ueberlegenheit
durch Uneinigkeit und Eiferſucht, die ſie in
[165] ihren eigenen Schooß ſtreuen, bis zur Ohn-
macht zu ſchwaͤchen verſtehen *).


Wenn man dieſe Umſtaͤnde erwaͤgt, ſo kann
man ſich ſchon, ohne naͤhere Ang die
Zerſtuͤckelung der Geſellſchaft in Nuͤrnberg
denken. Das alte Patriziat lebt fuͤr ſich und
ſieht auf alle uͤbrige Klaſſen, die unter ihm
ſind, herab; das juͤngere haͤlt zuſammen, iſt
neidiſch auf jenes, und ſieht die naͤchſtfolgende
Klaſſe uͤber die Achſel an; letztre bleibt fuͤr
ſich, haßt die beyden erſtern als Staats-Mo-
nopoliſten und duͤnkt ſich weit mehr, als die
folgende Ordnung ihrer Mitbuͤrger; dieſe theilt
[166] ſich wiederum faſt in ſo viel Haufen als Zuͤnfte
ſind: der Kuͤnſtler duͤnkt ſich beſſer als der
Handwerker und eben ſo gut als der Kauf-
mann; der Handwerker will nicht weniger
ſeyn als der Kuͤnſtler, aber weit mehr als der
Unzuͤnftige und Tageloͤhner; und welcher der
letztern hielte ſich nicht fuͤr beſſer als der
Bauer? So leiden alle an Einer Krankheit,
und das ſuͤndige Gift derſelben ſind die Pri-
vilegien. Jeder Stand hat einen privilegirten
Kreis um ſich her, und Kreiſe ſind nicht die-
jenigen mathematiſchen Figuren, die ſich an
einander ſchließen, ohne Luͤcken zu laſſen; jeder
treibt vielmehr ſeine Zuruͤndung durch das
Gebiet des andern und haͤlt fuͤr ſein, was
er davon einſchließt. Daher ewige Reibung,
ewige Gaͤhrung, ewiger Kampf der Staͤnde
unter einander, hier, wie — in allen Frey-
ſtaaten.


In Abſicht des Luxus, des Aufwandes und
der Sittenbildung iſt Nuͤrnberg in, Vergleich
mit mancher kleinern Stadt in Deutſchland,
[167] zu ſeinem Gluͤcke noch nicht weit vorgeruͤckt.
Selbſt der Adel, oder vielmehr das Patriziat
hat in ſeinem innern und aͤußern Weſen noch
ſehr viel buͤrgerliches und altmodiſches, mit
einer Miſchung von Gravitaͤt und Regierungs-
bewußtſeyn bey den aͤltern, und von Adelſtolz
und geſellſchaftlicher Anmaßung bey den juͤn-
gern, von denen nur einzelne frey ſind. Wa-
gen und Livreen, haͤusliche Einrichtung und
Tracht, Gaſtmaͤler und Luſtpartien, Liebhabe-
reyen und Beſchaͤftigungen, kurz die ganze Art
zu ſeyn der aͤltern, haͤlt ungefaͤhr den Mit-
telweg zwiſchen der Art zu ſeyn eines preußi-
ſchen Miniſters und eines Buͤrgermeiſters in
Hamburg; waͤhrend das Weſen der juͤngern
ein Mittelding zwiſchen dem Weſen eines Land-
edelmanns und eines adelichen Referendars in
Berlin ſeyn moͤchte. Die letztre Gattung
faͤhrt, reitet, jagt noch aus Liebhaberey, haͤlt
noch Umgang mit den juͤngern Gliedern des
Gelehrten- und Kaufmannsſtandes, beſucht
noch oͤffentliche Oerter, die dieſe beſuchen, mit
[168] aus der Taſche hervorragender Tabackspfeife,
geht noch auf Pickenicke, und tanzt und lie-
belt mit den Kaufmanns- und Gelehrten-
Frauen und Toͤchtern; aber die erſtre Gattung
geht aus ihrer Klaſſe und ihrer Gravitaͤt ſchwer
heraus, und ſucht nur ſolche Unterhaltungen,
die der Wuͤrde ihres Standpunktes angemeſ-
ſen ſind, wohin denn große ceremonienreiche
Familien- und Kollegen Schmaͤuſe und andre
ſteife Erholungen gehoͤren. Finden ſie Vergnuͤ-
gen an den Wiſſenſchaften, ſo ſind Gelehrte
die einzigen aus der Buͤrgerwelt, mit denen
ſie Umgang halten; und ihre Frauen ſind dann
wohl ſo gnaͤdig, die Ehehaͤlften derſelben zu-
weilen zu einem Kaffeebeſuch einzuladen, ent-
weder unter vier Augen, oder in einer dazu
erleſenen, paßlichen Geſellſchaft; aber mit an-
dern ſogenannten adelichen Damen aͤußerſt
ſelten.


Das Weſen dieſer adelichen Damen erſter
Ordnung entſpricht dem Weſen ihrer Maͤnner
ganz. Man glaubt, wenn man ſich unter den
[169] aͤltern befindet, in einer Geſellſchaft bejahrter
Kammerfrauen vom Churſaͤchſiſchen Hofe zu
ſeyn. Die Juͤngern haben ſchon etwas mehr
Leichtigkeit und man hoͤrt ſie noch zuweilen von
Lektuͤre ſprechen und ſieht ſie lachen; aber ihr
Weſen iſt ſchwerfaͤllig und verlegen, und ihr
Geſchmack im Anzuge geht nicht uͤber den Ge-
ſchmack der Kaufmannsfrauen oder Toͤchter in
Leipzig hinaus. Das Blut in dieſer Klaſſe
iſt nichts weniger als ſchoͤn; einen guten Wuchs
ſieht man aber doch zuweilen.


Benehmen und Tracht des Gelehrtenſtan-
des, wohin ich die Doktoren der Medizin und
des Rechts und die Kirchen- und Schulgeiſt-
lichkeit rechne, haben die auffallendſte Aehn-
lichkeit mit dem Benehmen und der Tracht
eben dieſes Standes in Dresden. Eine Aus-
nahme machen auch hier die juͤngern, die
noch keine Kundſchaft oder Stelle haben, oder
erſt ſeit kurzem in Thaͤtigkeit geſetzt ſind. Nach
wenigen Jahren bekommen ſie aber auch die
eigenthuͤmlichen Falten ihres Standes.


[170]

Der Kaufmannsſtand, der, trotz dem Ver-
falle des Handels, immer noch anſehnlich und
zahlreich genug in Nuͤrnberg iſt, genießt ei-
gentlich des Lebens noch am meiſten und mit
dem wenigſten Zwange. Man findet die Mit-
glieder deſſelben in allen oͤffentlichen Gaͤrten
um Nuͤrnberg, auf den Spatziergaͤngen, in
den Klubbs, unter den Schuͤtzengeſellſchaften,
auf Baͤllen, Redouten, Kirchweihen, in oͤf-
fentlichen Konzerten ꝛc. Dieſe Vergnuͤgungen
ſind alle auf einen ſparſamen Fuß geſetzt und
verſchaffen dem ſonſt fleißigen Manne die noͤ-
thige Erholung ohne große Koſten. Fremden,
die eine Weile in dieſer merkwuͤrdigen Stadt
leben wollen, rathe ich, ſich an dieſen Stand
zu halten, unter welchen ſie viel unterrichtete
Maͤnner finden werden, die von dem altreichs-
ſtaͤdtiſchen, breiten, umſtaͤndlichen Ton weit
entfernt und zugleich noch Muſter altdeutſcher
Redlichkeit und Offenheit ſind. Wer als Frem-
der ſich zu den Cirkeln deſſelben haͤlt, kann
auch, ohne ihre Eiferſucht zu erregen, mit
[171] patriziſchen Familien umgehen; aber letztre
ſind ſo billig nicht, und man kann, wenn
man von ungefaͤhr mit einer buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft an einen Ort koͤmmt, wo man auch
patriziſche Bekannte findet, ſicher darauf rech-
nen, daß letztre merklich fremd und zuruͤckhal-
tend ſeyn werden, bloß um ſich nicht zugleich
durch ein freundlicheres Betragen der buͤrger-
lichen Geſellſchaft zu naͤhern, in welcher man
gekommen iſt. Kein Buͤrgerlicher wagt es ſo
leicht, eine Patrizierin zum Tanz aufzuziehen,
aber es iſt oft der Fall, daß ein Patrizier ei-
ner huͤbſchen Buͤrgerin die Hand bietet, was
dieſe denn auch fuͤr eine ſo große Ehre haͤlt,
als ihr Taͤnzer ihr dadurch zu erweiſen glaubt.


Der Kuͤnſtler und Handwerker vergnuͤgt
ſich ebenfalls unter ſich. Er hat ſeine Gaͤrten
und ſeine oͤffentlichen Haͤuſer, die er beſucht,
wo er trinkt, kegelt, in der Karte ſpielt und
ſich nach ſeiner Weiſe vergnuͤgt. Er haͤlt ſich
gewiſſe Kaſſen, worin er Spiel- Wett- und
Strafgelder ſammelt, die, wenn eine Summe
[172] bey einander iſt, zu Pickenicken, die er, beſon-
ders des Sommers, auf dem Lande haͤlt, an-
gelegt werden. Die Kirchweihen in den Vor-
ſtaͤdten, Woͤhrdt (wo es 26 Wirthshaͤuſer
giebt) und Goſtenhof, und anderwaͤrts,
ſcheinen ſeine Lieblingsvergnuͤgungen zu ſeyn.
Die Schießuͤbungen mit Buͤchſen und mit Arm-
bruͤſten, haͤlt er noch fuͤr etwas mehr, als
bloße Vergnuͤgung, er haͤlt ſie fuͤr Buͤrger-
pflicht, fuͤr Schulen, wo er fuͤr den Nothfall
die Vertheidigung ſeines Vaterlandes lernen
kann.


Die oͤffentlichen Spatziergaͤnge um Nuͤrn-
berg ſind nicht von Bedeutung. Der naͤchſte
an der Stadt iſt die Hallerwieſe, ein
ziemlich ſchmaler Raſenſtreif an dem linken
Ufer der Pegnitz, der mit einer dreyfachen
Lindenallee beſetzt iſt, zwiſchen denen hier und
da einzelne ſteinerne Baͤnke und drey klein-
liche, faſt verfallene Springbrunnen angebracht
ſind. Er iſt nur an Sonn- und Feyertagen
lebhaft, und man findet auf demſelben, was
[173] in Nuͤrnberg, außerhalb den Kirchen, eine ſel-
tene Erſcheinung iſt, alle Staͤnde unter ein-
ander gemiſcht.


Ein anderer iſt der Judenbruͤhl, eben-
falls ein Raſenplatz von einigem Umfange,
der durch Alleen von Linden- und Kaſtanien-
baͤumen beſchattet wird und zu Ruheplaͤtzeu
mehrere Raſenbaͤnke darbietet.


Spatziergang und Beluſtigung zugleich iſt
der ſogenannte Dutzendteich, der ungefaͤhr
drey Viertelſtunden von der Stadt liegt, und
am haͤufigſten zu Fuße, zu Pferde und im
Wagen beſucht wird. Ein duͤnner Wald von
Nadelholz ſchließt 12 kleinere und groͤßere
Teiche ein, und von dieſen hat der Ort den
Namen. An dem groͤßeſten der Teiche liegt
ein geraͤumiges Haus, an welches ſich ein ar-
tiger Garten ſchließt, der mit Lauben, kleinen
Haͤuſern und Pavillons fuͤr einzelne Gaͤſte
und ganze Geſellſchaften beſetzt iſt. Auf dem
großen Saale des Wirthshauſes wird getanzt;
auf dem großen Teiche faͤhrt man des Som-
[174] mers in Luſtſchiffen, und des Winters Schlitt-
ſchuh. Auf jenem Tanzſaale machte ich eine
Bemerkung, die auf den Ton in Nuͤrnberg
einen hellen Blick thun laͤßt: die Muſikanten,
die zum Tanz aufſpielten, hatten dabey große
Tabackspfeifen im Munde. — Und doch tanz-
ten ein paar Gerichtsfaͤhige, und an dem
einen Ende des Saals ſaß eine ganze Geſell-
ſchaft von Herren und Damen aus den al-
ten Geſchlechtern
.


Die Johannesfelder und der Irr-
hayn
bey Krafthof werden auch oft beſucht.
Letzterer iſt ein geraͤumiger Platz, der dem
Pegnitziſchen Blumenorden gehoͤrt und mit
Alleen, Lauben, Pavillons, Berceaus und ei-
nem Labyrinth verziert iſt. Ein in der That
ſehr angenehmer Aufenthalt, der fuͤr jeder-
mann offen ſteht, wenn jene Geſellſchaft nicht
gerade ſelbſt ſich dort befindet.


Zum Lobe der oͤffentlichen Sittlichkeit
der Nuͤrnberger bemerke ich noch, daß es in
ihrer Stadt keine liederlichen Haͤuſer giebt.


[175]

Zum Schluſſe faſſe ich einige ſtatiſtiſche
Angaben von Nuͤrnberg und deſſen Gebiete zu-
ſammen, die aus der Beſchreibung dieſer Stadt,
welche waͤhrend meiner Anweſenheit daſelbſt
erſchien, ſo wie mehrere der voranſtehenden
Nachrichten, gezogen ſind *).


Nuͤrnberg, unter dem 28°, 45′ der Laͤn-
ge 49°. 26′. 56″ noͤrdlicher Breite gelegen,
ſchließt innerhalb ſeiner Ringlinie eine Flaͤche
von 67,443,136 Quadratſchuh ein.


Die innere Stadtmauer, welche die Stadt
ſelbſt umſchraͤnkt, enthaͤlt eine Flaͤche von 15,
331,008 eben ſolcher Schuhe.


Die laͤngſte Seite der Stadt vom
Spittler- bis zum Lauſer-Thor hat 5815
Fuß, oder 2326 gemeine Schritte, jeden der-
[176] ſelben zu 2326 Fuß gerechnet; ihre Breite
vom Veſtner- bis zum Frauen-Thor, 4370
Fuß oder 1748 Schritte.


Der Umfang der Stadt, ihrer innern
Mauer nach, betraͤgt 14,680 Fuß, oder 5872
Schritt; ihrer aͤußern nach, 17,845 Fuß, oder
7019 Schritt, die ungefaͤhr drey Viertelmeilen
ausmachen.


Die Bevoͤlkerung der Stadt, kann
man, die Vorſtaͤdte, Woͤhrdt und Goſten-
hof
, die Gaͤrten ꝛc. ausgeſchloſſen, den jaͤhrli-
chen Sterbeliſten nach, zu 30,000 Seelen an-
nehmen, eine Zahl, die vor 200 Jahren um
die Haͤlfte, und vor 100 Jahren, um ein Drit-
tel, ſtaͤrker war.


Die Einnahme und Ausgabe des
Staats von Nuͤrnberg iſt nicht zu beſtimmen,
weil die Berechnungen daruͤber nicht oͤffentlich
werden. Eben ſo die Staatsſchulden,
die man aber gemeiniglich auf 14 Millionen
Rheiniſche Gulden ſetzen zu koͤnnen glaubt.


Das
[177]

Das Gebiet des Staats von Nuͤrnberg
erſtreckt ſich, von Morgen gegen Abend, auf
7 deutſche Meilen; und von Mittag gegen
Mitternacht, ebenfalls auf 7 dergleichen Mei-
len. Das Gebiet im engern Verſtande
ſchließt ſich unmittelbar an die Linien der Stadt
und enthaͤlt, außer mehreren Doͤrfern, den Se-
balder
- und Lorenzer Reichswald; das
Gebiet im weitern Sinne enthaͤlt noch
die 11 Pflegaͤmter Altorf, Lauf, Her-
ſpruck, Reicheneck, Engelthal, Ho-
henſtein, Velden, Petzenſtein, Hilt-
poltſtein, Graͤvenberg
und Lichtenau.
Von der Bevoͤlkerung dieſes Gebiets und
deſſen Ertrag, eben ſo wenig als von dem
jetzigen Zuſtande des Handels, der Gewerbe,
der Manufakturen und Fabriken des Staats
von Nuͤrnberg, habe ich keine zuverlaͤſſige An-
gaben aufbringen koͤnnen.


Von Nuͤrnberg reiste ich nach Schwa-
bach
. (2 M.) Der Weg, der gemacht iſt,
fuͤhrt uͤber eine flache, ſandige Landſchaft,
Fuͤnftes Heft. M
[178] deren Boden aber, durch den Fleiß gezwungen,
bis auf wenige Stellen in einer groͤßern Ent-
fernung von Nuͤrnberg, die unuͤberwindlich
duͤrre ſind, gute Aernten giebt. Der Wieſen-
bau wird auch hier mit der in Franken ge-
woͤhnlichen Sorgfalt betrieben, und uͤberall,
wo es ein Fluͤßchen giebt, drehen ſich auch
Schoͤpfraͤder an deſſen Ufer. Nach der Mitte
des Poſtlaufs erhebt ſich der Weg zwiſchen
Anhoͤhen und Wald, und geht ſo fort bis
Schwabach, welches man, ſeinen Thurm aus-
genommen, nicht viel eher erblickt, als bis
man davor iſt. Eine ſchwarze, alte Mauer,
mit bedecktem Gange rund herum, ſchließt die
Stadt ein, deren Theile da, wo man herein
koͤmmt, hoͤlzern und finſter und von krummen,
unreinlichen Gaſſen durchſchnitten ſind. Der
Markt zeichnet ſich etwas aus. Er iſt fuͤr die
Groͤße der Stadt weitlaͤuftig genug, und mit
einer Kirche und einem Springbrunnen ver-
ziert, die durch das alte, unanſehnliche Rath-
haus wiederum verunſtaltet werden. Der er-
[179] waͤhnte Springbrunnen iſt, wo nicht mit Ge-
ſchmack, doch mit großen Unkoſten und in be-
traͤchtlichem Umfange errichtet, und man er-
wartet ihn unter ſolchen Umgebungen nicht.
Es wird hier eine Menge von ſogenannten
nuͤrnberger Waaren, nach ihrer Art in
großer Vollkommenheit und zu beſſern Preiſen,
verfertigt, als in ihrem eigenthuͤmlichen Ge-
burtsorte ſelbſt; weßhalb auch Schwabach
naͤchſt Fuͤrth eine der betraͤchtlichern Nebenbuh-
lerinnen von Nuͤrnberg geworden iſt. Ich fand
aber auch eine große Manufaktur hier, mit
der ehedem, wenigſtens fuͤr jene Gegenden,
Augsburg faſt monopoliſirte, nemlich: eine
Zitz- und Kotton-Manufaktur, die nicht weni-
ger als fuͤnfhundert alte und junge maͤnnliche
und weibliche Arbeiter naͤhrt, und deren Waa-
ren mich eben ſo ſehr durch innere Guͤte und
Feinheit, als durch Nettigkeit und Neuheit
der Zeichnungen uͤberraſchte. Auch ein ziem-
lich betraͤchtliches Zucht- und Arbeits-Haus
fand ich hier, mit welchem ein Irrenhaus ver-
M 2
[180] bunden iſt; aber weder in dem erſtern noch in
dem letztern traf ich ein Subjekt aus Schwa-
bach ſelbſt, weil, wie mir der Aufſeher ſagte,
ohne zu wiſſen welche herrliche Wahrheit in
ſeinen Worten lag: „die Leute in Schwabach
alle vollauf Arbeit haͤtten, und deßhalb weder
ſtoͤhlen noch uͤberſchnappten.“ — Dagegen
fand ich zwey Theologen im Tollhauſe: einen
Diakonus aus Quedlinburg, der, bis auf den
Punkt von der Braut Chriſti, bey gutem
Verſtande war, dem man aber doch, unvor-
ſichtigerweiſe, eine hebraͤiſche Bibel gelaſſen
hatte; und einen Kandidaten der Theologie, der
mich, ſobald ich zu ihm hineintrat, fragte: ob
ich ihn nicht kennte? Er heiße Hedwig. O,
ich muͤßte gewiß von ihm in Gießen gehoͤrt
haben! Er ſey eben der, der den Muͤller,
einen Purſchen aus Maynz, ſo gekeilt
habe! Ja, Herr, fuhr er fort, und biß die
Zaͤhne zuſammen und trat mir mit angeſpann-
tem Arm und geballter Fauſt entgegen: Ja,
Herr, und ich kann keilen!“ — Man ſieht
[181] leicht, daß ich ihm die Probe ſchenkte und
hurtig zuſchließen ließ.


Von Schwabach wandte ich mich nach
Feucht, (2 M.) auf einem ungemachten, ſehr
ſandigen und zum Theil waldigten Wege. Ich
kam durch mehrere große, reinliche, gut ge-
bauete Doͤrfer, mit wohlhabenden Einwoh-
nern, von denen zwey oder drey zu Nuͤrnberg
gehoͤrten. Auch kam ich vor mehreren ſchloß-
artigen Gebaͤuden, deren Beſitzer nuͤrnbergiſche
Patricier waren, und die im Walde auf An-
hoͤhen ſtanden, vorbey.


Von Feucht, einem mittelmaͤßigen Flecken,
kam ich auf Poſtbauer (2 M.) ein Dorf,
mit einem Poſtwechſel. Der Weg blieb der-
ſelbe: er war ſandig, waldig, bis gegen das
Ende der Station, wo ich in Bayern eintrat,
und wo wieder eine Straße zum Vorſchein
kam, die von einem feſten Kalkſtein gebauet,
aber jetzt, durch die unausgeſetzten Frachten
zur kaiſerlichen Armee, ſehr ausgefahren war.


[182]

Hier veraͤnderte ſich das Aeuſſere der mich
umgebenden Menſchen auf einmal. Bildung,
Tracht, Mundart, alles war anders. Die
laͤnglichten fraͤnkiſchen Geſichter und Figuren,
verwandelten ſich in runde, rothe, fleiſchigte,
gedrungene. Die Maͤnner hatten ihr Haar auf
dem Wirbel, bis zum Nacken hinunter, abge-
ſchnitten; die Weiber erſchienen mit den wei-
ten, ſteifen Bruſtlaͤtzen, wie ſie in Boͤhmen
getragen werden. Kreutzbilder ſtanden in gro-
ßer Menge umher; dennoch gaben die Doͤrfer
einen reinlichen, wohlhabenden Anblick. Aber
der Boden war auch vortrefflich.


Von Poſtbauer bis Teining (2 M.) dau-
erte die Straße in gleicher Beſchaffenheit fort.
Ich kam durch Neumarkt, ein heiteres,
aus einer breiten Straße und einem paar Ne-
bengaſſen beſtehendes Staͤdtchen. Die Haͤuſer
ſtreckten ihre Giebel nach der Straße, wie in
den ſchleſiſchen Staͤdten. Beym Ausgange
aus der Stadt gelangt man in eine angenehme
Flaͤche, die mit Anhoͤhen umſchloſſen iſt, uͤber
[183] die man abwechſelnd hinauf und wieder hin-
abfaͤhrt, und auf denen ſich alte Truͤmmer und
neue Schloͤſſer haͤufig zeigen. Teining iſt ein
Dorf mit einem Poſtwechſel. Von da auf
Taswang (2 M.) bleibt der Weg faſt der-
ſelbe. Taswang iſt auch nur ein Dorf, das
aus wenig, aber gut gebaueten Haͤuſern be-
ſteht, und in einem angenehmen Thale liegt,
welches von einer betraͤchtlichen Anhoͤhe be-
graͤnzt wird. Ueber dieſe Anhoͤhe muß man
hinauf, um zur naͤchſten Poſt Schambach
(2 M.) zu gelangen; auf dem Ruͤcken derſelben
umſpannt man eine betraͤchtliche Flaͤche, die auf
allen Seiten mit Anhoͤhen umgeben iſt, und
theils Gehoͤlz, theils fruchtbare Felder enthaͤlt,
die von alten Burgen beherrſcht werden. Um
und neben dem Wege iſt ein vortrefflicher Ge-
treideboden, der ſtellenweiſe den ſchoͤnſten Rog-
gen und Weitzen trug, die mir noch auf mei-
ner Reiſe zu Geſichte gekommen waren. Der
Weg war weniger zerfahren, als bisher, und
immer noch von einem Kalkſtein gebauet, der
[184] laͤngs demſelben theils gebrochen wird, theils
zu Tage ausſetzt. Hier hatte ich das Ungluͤck,
zu meiner Linken, bey einem entſetzlichen Don-
nerwetter, mit Sturm und eygroßen Schloſ-
ſen, in Zeit von einigen Sekunden, ein ganzes
Dorf in Flammen aufgehn zu ſehen.


Eine faſt ſchnurgerade Straße fuͤhrt nach
Hemmau, einem Staͤdtchen, das ſich in der
Ferne nicht uͤbel ausnimmt; kommt man aber
naͤher, ſo ſieht man, daß die Reſte ſeiner
Mauern nichts, als alte Maſuren ſind, hinter
denen man nur Zerſtoͤhrung vermuthen kann.
Auch iſt es in der That faſt ſo. Das Pfla-
ſter ſteht in einzelnen Steinen da, die Daͤcher
der Haͤuſer winden und kruͤmmen ſich unter
ihrem Alter und ſind mit Steinen belegt, da-
mit der Wind die vermoderten Schindel nicht
entfuͤhren moͤge. Die Haͤuſer ſtrecken ihre
ſchwarzen, geſtorbenen, verſchobenen Giebel
nach der Straße, wo einzelne Menſchen auf
und abgehen — — Gewiß, kaum in Lithauen
erinnere ich mich ein Seitenſtuͤck zu dieſer
[185] Stadt geſehen zu haben. In gleichem trauri-
gen Zuſtande fand ich den zur Stadt gehoͤri-
gen Galgen, was den Einwohnern weit ruͤhm-
licher iſt, als der armſelige Zuſtand ihrer
Stadt. Bald nachher erblickt man auf einer
Anhoͤhe Schambach, die letzte Poſt vor Re-
gensburg. Der Weg bis zur letztern Stadt
(3 M.) iſt ſehr angenehm, beſonders um und
hinter dem Dorfe Teutlingen, das zwiſchen
Anhoͤhen und Felſen, und zum Theil von letz-
tern wie erdruͤckt, da liegt. Die Daͤmmerung
war im Anbruche, als ich hier durchkam, und
ſie vermehrte das ſchauerlich-romantiſche der
Gegend in einem hohen Grade. Man faͤhrt
endlich uͤber die Nab in das Thal hinab, wo-
rin Regensburg liegt, und ich uͤberſah noch
den Spiegel der Donau, an deſſen entfernte-
ſtem Rande der letzte Schimmer des Tages
zitternd flimmerte. Man koͤmmt durch Stadt-
am-Hof
, einen kurbayer'ſchen Ort, der auf
dem diſſeitigen Ufer der Donau liegt, und der
armen Reichsſtadt gleichſam auf den Nacken
[186] gebauet iſt, ihr auch mit gewiſſen Zoͤllen, die
Bayern ſehr unnachbarlich hier angelegt hat,
nicht wenig zur Laſt faͤllt. Das Thor von
Stadt-am-Hof ſtoͤßt an das Thor von Re-
gensburg, und die Schildwachen der Reichs-
ſtadt gehen mit den Kurbayer'ſchen auf und
ab. Erſt auf der Bruͤcke befindet man ſich im
Gebiete von Regensburg.


Regensburg giebt einen ſehr alten Anblick,
von außen wie von innen. Die Straßen ſind
im Durchſchnitt enge, die Haͤuſer ſchwarz, ha-
ben gothiſche Giebel, und drey bis vier Ge-
ſchoß. Das Pflaſter iſt ertraͤglich, die Plaͤtze
ſind enge. Im Mittelpunkte der Stadt iſt
es ziemlich lebhaft, aber in den entferntern
Theilen menſchenleer. Unter den Kirchen ſind
der Dom und St. Emmeran die merk-
wuͤrdigſten. Die Vorderſeite des Doms hat
eine gewiſſe Leichtigkeit, die man an der
Hauptmaſſe des Gebaͤudes vermißt, was wohl
groͤßtentheils daher koͤmmt, daß ihm Thuͤrme
fehlen. Durch ſie wuͤrde dieſer kuͤhne Bau,
[187] der jetzt wie ein ungeheuerer ſtumpfer, zuſam-
mengedruͤckter Steinklumpen da ſteht, mehr
Expanſion erhalten haben. Das Innere thut
eine große Wirkung, welche die darin herr-
ſchende Daͤmmerung, durch die dichtbemalten
Fenſter verurſacht, zu verſtaͤrken ſcheint. Die
Verwegenheit des Gewoͤlbes floͤßt auch hier,
wie bey allen Werken der altdeutſchen Bau-
kunſt, Ehrfurcht ein, und es bleibt wahr, daß
unſre Voreltern auch hierin groͤßer und ſtaͤrker
waren, als wir, wenn wir auch feiner und
niedlicher ſeyn moͤgen.


Der Reichsſaal iſt ſehr alt, leer, finſter,
wandelbar, und das Rathhaus faſt ſo voller
Winkel und Saͤcke, wie die deutſche Reichs-
verfaſſung ſelbſt. Die Saͤle ſind weit beſſer,
die ſich der Stadtmagiſtrat zu ſeinen Sitzun-
gen und ſeinem uͤbrigen Bedarf vorbehalten
hat, als die Saͤle der verſchiedenen Kollegien
der Reichsſtaͤnde.


Die Donaubruͤcke iſt eine der beruͤhmteſten,
groͤßeſten und ſtaͤrkſten in Europa, kommt
[188] aber, weder in Abſicht der Laͤnge, noch der
Breite, noch der Sorgfalt, noch des Ge-
ſchmacks in der Bauart, der Dresdener Bruͤcke
bey, hat indeß in allen dieſen Stuͤcken deſto
groͤßere Aehnlichkeit mit der Prager. Ihre
Einfaſſungen ſind von Werkſtuͤcken, die Fuß-
pfade an beyden Seiten ſind ſo ſchmal, daß
nur eine Perſon darauf Platz hat; der Fahr-
weg iſt auch mit Werkſtuͤcken gepflaſtert, da-
hingegen die Dresdniſche nur ein Pflaſter von
gewoͤhnlichen Feldſteinen hat, aber ſo breit iſt,
daß ſich drey Wagen ausweichen koͤnnen. Die
Ausſicht von oben herab iſt ſehr ausgebreitet,
und ich weiß nicht, welcher von beyden ich den
Vorzug in dieſem Punkt geben ſoll. Zu den
Fuͤßen hat man, auf jeder Seite der Bruͤcke,
eine Inſel, die von der Donau nach und nach
angeſchwemmt worden. Man nennt ſie die
Woͤhrdte, und ſie ziehen ſich in einer ziem-
lichen Strecke, ſtromauf die eine, ſtromab die
andere. Die obere iſt voran mit Haͤuſern,
Holzniederlagen und Gaͤrten beſetzt, und wei-
[189] terhin bildet ſie eine ſchoͤne Wieſe, die der
Laͤnge nach mit Alleen bepflanzt iſt und einen
angenehmen Spatziergang fuͤr Fußgaͤnger, Rei-
ter und Fahrende abgiebt; die untere hat voran
eine lange Reihe von Muͤhlen aller Art, die
ein entſetzliches Geraͤuſch machen, ſodann Gar-
tenhaͤuſer, Niederlagen von Nutzholz und
Brettern, und endlich Wieſen, denen aber die
Baumgaͤnge der oberen fehlen.


Unter dem Publikum aller Klaſſen in Re-
gensburg herrſcht eine gewiſſe Wohlhabenheit.
Der Buͤrgerſtand iſt fleißig, und befindet ſich,
bey billigen Abgaben und angemeſſenem Nah-
rungs-Erwerbe, ſehr wohl. Sein Aeußeres
iſt anſtaͤndig und reinlich. Unter ſeinen Wei-
bern und Toͤchtern findet man ſchon haͤufig
den verfeinerten Muͤnchner Anzug: die Gold-
haͤubchen, die, wie Schmetterlinge,auf einem
nach der Stirn heraus friſierten Tapee und
einem eben ſo zierlichen Chignon, ſchweben; und
die knapp anſchließenden ſeidnen Korſette mit
Roͤcken von gleichem Stoffe. Die Kaufmanns-
[190] klaſſe traͤgt ſich noch auf altem Fuß und ſehr
buͤrgerlich, zeichnet ſich aber dafuͤr durch ſtarke
goldne Halsketten, Armbaͤnder und reiche Zeuge
aus. Die hieſige große Welt, die Geſandten,
Geſchaͤftstraͤger, Agenten und Aktenmaͤnner
aller Art bilden ein eigenes Korps, das di-
plomatiſche
, das aber, im geſellſchaftlichen
Leben, ſich wiederum in mehrere Zweige ab-
theilt. Die geringern ſind pedantiſch in Sit-
ten, Sprache und geſelligem Leben; die hoͤhern
haben den Ton der groͤßern Reſidenzen, mit
ein wenig miniſterlicher, oft auch wohl buͤrger-
meiſteriſcher, Gravitaͤt vermiſcht. Ihre Ver-
gnuͤgungen ſind wie uͤberall die Vergnuͤgungen
der hoͤheren Staͤnde, doch mit einem gewiſſen
Zuſatze von Gruͤndlichkeit, vermoͤge deſſen die
Gegenſtaͤnde, die in der Konverſation behandelt
werden, unendlich mannichfaltiger und lehrrei-
cher ſind, als gewoͤhnlich. Einem unterrichte-
ten Manne von Stand und Vermoͤgen, dem
das Herz nicht gerade an der Atmosphaͤre
eines großen regierenden Fuͤrſten hinge, ſon-
[391[191]] dern der wahre Belehrung in Weltgeſchaͤften
ſuchte, koͤnnte ich kein angemeſſeneres Publi-
kum vorſchlagen, als dies erwaͤhnte Regens-
burgiſche. Ich habe hier mehrere Tage ſehr
angenehm zugebracht.


Von Regensburg wandte ich mich auf
Muͤnchen. Der Weg fuͤhrt durch eine weite
Flaͤche, die zur Linken von den Huͤgeln begraͤnzt
wird, an deren Wurzeln die Donau hinfließt.
Der Boden iſt ſo fruchtbar, als ich ihn noch
irgendwo auf meiner Reiſe gefunden habe. Er
trug meiſt lauter Weitzen, der auſſerordentlich
reich und uͤppig ſtand. Eben ſo der Roggen.
Der Weg iſt vortrefflich gemacht und ſorgfaͤl-
tig unterhalten. Die Poſtknechte ſind eilfer-
tig, billig, die Poſthalter thaͤtig, ſchnell und
hoͤflich. So legt man die Poſten Eglofs-
heim
, (2 M.) Buchhauſen (2 M.) und
Erwoldsbach (2 M.) im Fluge zuruͤck. Von
Erwoldsbach koͤmmt man auf Landshut,
(3 M.) eine der anſehnlichſten Staͤdte in Bay-
ern. Ihre Lage iſt ſchoͤn. Sie breitet ſich
[192] in einem Thale aus, um welches her ſich theils
Bergruͤcken, theils einzelne Anhoͤhen erheben,
und das mit den ſchoͤnſten Wieſen uͤberzogen
iſt. Die Iſer fließt, ſchon in anſehnlicher Ge-
ſtalt, zwiſchen Stadt und Vorſtadt hin.
Wenn man die Hauptſtraße hinauffaͤhrt, glaubt
man ſich auf dem ſchoͤnſten Platze von Bres-
lau zu befinden, denn die Haͤuſer ſind in dem-
ſelben Geſchmacke gebauet, und nicht weniger
hoch, als dort.


Von Landshut bis Mosburg, (2 M.)
einem unbedeutenden Staͤdtchen, dauert der
Weg fort, wie vorher, und wie nachher von
dieſer Stadt auf Freyſingen. (2 M.) Das
Land war immer noch uͤberaus lachend und
fruchtbar, aber dennoch waren die Doͤrfer we-
niger reinlich und die Einwohner weniger wohl-
habend, als kurz vorher. Die Menſchengat-
tung fand ich hier ſehr haͤßlich, beſonders das
andere Geſchlecht. Freyſingen ſelbſt ſieht man
erſt kurz zuvor, ehe man hinein koͤmmt. Der
Theil davon, der, mit dem Dom und dem
Schloſſe,
[193] Schloſſe, auf einem Huͤgel liegt, gewaͤhrt eine
gute Anſicht. Gebauet iſt dieſe Stadt uͤbri-
gens wie alle Staͤdte, durch die ich bis jetzt
noch in Bayern gekommen bin: im Geſchmack
von Breslau; die Giebel groͤßeſtentheils vorn
heraus und lange hoͤlzerne Dachrinnen dazwi-
ſchen. Das Pflaſter iſt gut und, wie zu Lands-
hut, aus lauter ſehr kleinen Feldſteinen zuſam-
mengeſetzt.


Von Freyſingen aus bis Muͤnchen (3½ M.)
wird die Gegend immer flaͤcher, und nur noch
aus der Ferne erblickt man zur Seite und
hinter ſich maͤßige Anhoͤhen, die meiſt mit
Wald beſetzt ſind. Der Fruchttrieb um einen
her iſt zwar nicht mehr ſo ſtark und reich, als
in der Nachbarſchaft von Regensburg, aber
darum doch noch nicht ſchlecht; beſonders trifft
man ſtellenweiſe auf vortreffliche Wieſen, die
aber, je mehr man ſich Muͤnchen naͤhert, deſto-
mehr abnehmen und ſich allmaͤhlig in ſaure
Aenger verwandeln. Der Boden ſetzt ſich end-
lich ganz um, und beſteht aus Kalk- und an-
Fuͤnftes Heft. N
[194] dern Steingeſchieben, die hoͤchſtens mit einem
halben Schuh Dammerde bedeckt ſind. Dies,
und die ſehr einfoͤrmige Flaͤche der Gegend
ſelbſt, gewaͤhrt den Umgebungen von Muͤnchen,
von dieſer Seite her, nicht den mindeſten Reitz,
ſo wie die Stadt ſelbſt, weil ihre Grundlage
ganz flach iſt, ſich nur zum Theil und nicht
anlockend zeigt. Die beyden Thuͤrme des
Doms haben eine zu plumpe Form, bey zu
großer Kuͤrze, und die daran herumſtehenden
Thuͤrme leiden an eben dem Fehler, fernen
alſo eben ſo wenig. Erſt, wenn man ſich der
Stadt auf ein paar hundert Schritte genaͤhert
hat, erhoͤhet und breitet ſie ſich mehr aus, und
einige anſehnliche Pallaͤſte und Haͤuſer, die
voran ſtehen, kommen ihr zu Huͤlfe, um ihr
einen neuen und heitern Anblick zu geben, der
beym Eintritt in das Innere verſtaͤrkt und
ſehr vortheilhaft unterhalten wird.


Die Straßen von Muͤnchen ſind breit und
meiſt mit vier bis fuͤnfſtoͤckigen Haͤuſern be-
ſetzt, die ſich in ihrer Bauart mehr den Ber-
[195] liniſchen als den Dresdniſchen naͤhern und ei-
nige recht artige Plaͤtze auflaſſen. Das Pfla-
ſter iſt zwar gut unterhalten, aber fuͤr Fuß-
gaͤnger ziemlich beſchwerlich. Es beſteht aus
lauter kleinen, wie moſaiſch zuſammengeſetzten,
Kieſeln, die, da ſie nicht alle gleichfoͤrmig ab-
gerundet ſind, den Sohlen unleidlich werden.
Zum fahren iſt es vortrefflich, da, eben bey der
Kleinheit der Steine, die Schlagloͤcher nie
groß ſeyn, und es nie werden koͤnnen, ohne
ſogleich aufzufallen und an Ausbeſſerung zu er-
innern.


Muͤnchen liegt in einer Ebene, die ſich
oͤſtlich zu einer Anhoͤhe, der Geſteigberg ge-
nannt, erhebt, auf einem Boden, der aus lau-
ter unfruchtbaren Kalkſteingeſchieben beſteht,
der aber, in der Naͤhe der Stadt, durch den
Fleiß der Einwohner meiſt bezwungen und zu
Kornfeldern, Gaͤrten und Wieſen zubereitet
worden iſt. Die Iſar, ein ſchneller Fluß,
benetzt und befruchtet dieſen Landesſtrich, den,
in der Ferne, die praͤchtigen Salzburger und
N 2
[196] Tyroler Berge, und in der Naͤhe einzelnes
Gehoͤlz, mit maͤßigen Anhoͤhen im Hinter-
grunde, umſchließen.


Dieſe Stadt hat ungefaͤhr die Groͤße von
Dresden, wenn man die Friedrichsſtadt nicht
dazu rechnet. Die Geſtalt ihres Grundriſſes
iſt ein entfalteter Faͤcher mit abgebrochenem
Stiele. Unten an demſelben iſt das Iſar-
thor
; oberhalb, mitten im Halbzirkel des
Faͤchers, das Neuhauſer-, und an beyden
Seiten der Ausdehnung rechts und links, das
Sendlinger- und Schwabinger-Thor.
Nebenthore ſind das Koſtthor und der Ein-
laß
. Von einem Thore zum andern ſind
Baumgaͤnge angepflanzt.


Die Stadt iſt mit Mauern, Graben und
Waͤllen umgeben, die fuͤr den erſten Anfall
dienen koͤnnen. Die zwiſchen ihnen liegenden
Zwinger enthalten theils Luſt- und Fruchtgaͤr-
ten, theils Heuſchlaͤge.


Das Innere der Stadt giebt einen heitern
Anblick. Die Straßen ſind, im Ganzen ge-
[197] nommen, geraͤumig, und einige ziemlich lang.
Die Neuhauſer-, die daran ſtoßende Kau-
funger-
Straße, und das Thal koͤnnte man
fuͤr eine einzige Straße rechnen, und als ſolche
durchſchneidet ſie die Stadt der Laͤnge nach,
ſo wie die Sendling- Roſen- Wein- und
Schwabinger-Straße ſie, in der entgegen
geſetzten Richtung, in zwey Haͤlften abſondert.
Beyde ſtoßen, von vier Seiten her, auf den
Getreidemarkt, oder den Platz zu-
ſammen.


Die Straßen ſind ziemlich ſauber erhalten,
und dieſe Reinlichkeit wird durch mehrere oͤffent-
liche Springbrunnen, die zugleich gut gezeich-
net und ausgefuͤhrt ſind, und durch eine vor-
treffliche Waſſerkunſt bewirkt, die an der Iſar
errichtet iſt und faſt alle Straßen und Haͤuſer
der Stadt, ſo wie mehrere Gaͤrten, mit einem
Worte uͤber fuͤnfhundert Quellen mit Waſſer
verſieht. Mehrere Kanaͤle treten noch aus der
Iſar in die Stadt, reinigen ſie, erleichtern ihr
[198] die Zufuhr und treiben Muͤhlen, Stampfen
und Haͤmmer von verſchiedener Art.


Die Wohnhaͤuſer in Muͤnchen ſind meiſt
in einem guten Geſchmack und bequem erbaut,
drey bis vier Stock hoch, von außen und in-
nen gut unterhalten. Sie ſind haͤufig mit
Gyps, und einige darunter mit Freskomalerey,
verziert. Die Kirchen und Kloͤſter fallen ſtatt-
lich in die Augen, und unter ihnen zeichnen
ſich die Frauenkirche, die ehemalige Je-
ſuiten-
und die Theatiner-Kirche, erſtre
im aͤltern deutſchen, letztre im neuern Italie-
niſchen, Geſchmack beſonders aus.


Die landesherrlichen Pallaͤſte ſind, wo nicht
von außem praͤchtig in die Augen fallend, doch
von innem ſehr koſtbar und reich, und die oͤf-
fentlichen Gebaͤude ſehr anſehnlich.


Der Grund zu der Frauenkirche wurde
im Jahre 1468 von Herzog Siegmund dem
Vierten gelegt. Der Baumeiſter war Georg
zu Haſſelbach
, der ſeinem Namen durch
dieſen Bau ein ehrenvolles Denkmal geſtiftet
[199] hat. Es giebt geraͤumigere, hoͤhere, kuͤhnere
Tempel in dieſem Geſchmack, aber wenige
moͤchten es dieſem in Leichtigkeit, Heiterkeit
und ſchoͤnen Verhaͤltniſſen gleich thun. Die
vier und zwanzig ſchlanke Saͤulen, auf denen
das dreyfache Schiff ruhet, ſcheinen, wenn die
Sonne ſie anſtrahlt, elaſtiſch unter ihrer Buͤrde
zu zittern. Die Thuͤrme wuͤnſcht man, wenn
man ſie aus der Ferne erblickt, um ein Drit-
tel hoͤher; aber ich bekenne, daß ich dieſen
Wunſch zuruͤck nahm, als ich in ihrer Naͤhe
ſtand, und ſie im Verhaͤltniſſe zu dem Ganzen
uͤberblickte. Das Werk iſt von Mauerſteinen
aufgefuͤhrt, und wurde vielleicht nur dadurch
dieſes hohen Grades von Ungezwungenheit
faͤhig. Sie erſcheinen aber auch, wie auf ein-
ander gegoſſen. Im Innern enthaͤlt dies Ge-
baͤude manches Kunſtwerk und manches Kunſt-
ſtuͤck. Zu den letztern rechne ich die Menge
ſehr lebhaft gemalter Scheiben, die in den
Fenſtern befindlich ſind, und die Uhr bey der
Sakriſtey; zu den erſtern beſonders das Denk-
[200] mal des Kaiſers Ludwig von Bayern in Bronze,
nach Kandido's Zeichnung, und mehrere der
Gemaͤlde, meiſt alle von der Hand deutſcher
oder niederlaͤndiſcher Meiſter, welche verſchie-
dene Altaͤre zieren. Der Schatz der Kirche,
der ſehr betraͤchtlich iſt, zog mich nur in ſo
fern an, als ich berechnen konnte, was fuͤr
Strecken von den faulen Mooſen, die noch ei-
nen großen Theil von Bayern bedecken, urbar
gemacht werden koͤnnten, wenn man denſelben
dazu verwendete, den verſchiedenen Gemeinen
ihre Rechte ſie zu beweiden, abzukaufen, welche
mehr als die den Bayern zu hart Schuld ge-
gebene Faulheit, dazu beytragen, daß dieſe
Mooſe verſauren und die Luft verderben. Die
Widme dieſer Kirche ernaͤhrt uͤbrigens ein
Chorſtift, das vom infulierten Probſt an, bis
zum duͤrftig beſoldeten Weltprieſter herab, ſech-
zig bis ſiebzig Mitglieder ernaͤhrt, unter denen
aber doch, ſeit funfzehn bis zwanzig Jahren,
ſechs bis acht ſind und waren, die es verdien-
ten. Die Namen Braun, Kolmann,
[201] Danzer, Scherer, Hut
und andere, wer-
den ſolchen Leſern nicht unbekannt ſeyn, die in
der Geſchichte der Paͤdagogik und deren Litte-
ratur keine Fremdlinge ſind.


Die ehemalige Jeſuitenkirche, oder die
Hofkirche zu St. Michael, wurde uͤber
hundert Jahre ſpaͤter, als die Frauenkirche,
von Wolfgang Muͤller, einem Steinmet-
zen, angelegt, nicht minder erhaben und edel,
als dieſe, und in einem neuern und reinern
Style, als ſie. Ihr Gewoͤlbe, im Halbzirkel
ausgeſpannt, tragen einfache, an den Kapitaͤ-
lern vergoldete, an den Fußgeſtellen marmorne,
korinthiſche Pilaſter, die nichts verdunkeln,
nichts verſtecken, und die, durch die ſchoͤne
Einfalt aller uͤbrigen Verzierungen unterſtuͤtzt,
dem Auge von allen Seiten Heiterkeit, Leich-
tigkeit und Raum darbieten. Wer recht auf-
fallend ſehen will, wie ein ungefaͤhr gleich gro-
ßes Lokal verwinkelt oder ausgedehnt werden
kann, der halte die Wirkung feſt, welche die
Dresdener Hofkapelle von innen und außen
[202] auf ihn gethan hat, und vergleiche ſie mit der,
welche die Muͤnchener auf ihn machen wird.
Ich muͤßte mich ſehr irren, wenn er ſich nicht
in der letztern freyer, heiterer, ich moͤchte ſa-
gen, luftiger und ausgedehnter fuͤhlte, als in
der erſtern, ungefaͤhr ſo, (wenn ich bey Gele-
genheit dieſer Bethaͤuſer an die Tempel in
Rom denken darf) wie man ſich in Agrippas
Pantheon fuͤhlt, wenn man von der oben her-
ein ſtuͤrzenden Lichtmaſſe ſich und den entfern-
teſten Winkel des Innern gleichblendend um-
ſtroͤmt ſieht, und wie man ſich unter der ver-
ſchloſſenen Kuppel von St. Peter, die doch
nicht minder geraͤumig iſt, als jenes, zuſam-
men gezogen und beklemmt, uͤberladen und er-
mattet, aber nicht geſtaͤrkt und nicht mit in
den Raum verfloſſen findet.


Dieſe Kirche iſt nicht ſo mit Gemaͤlden
uͤberladen, als U. L. Frauen und die uͤbrigen
betraͤchtlichern in Muͤnchen; die wenigern, die
da ſind, gehoͤren zu den guten Kunſtwerken;
aber ihr Schatz iſt reicher, als der in der vor-
[203] erwaͤhnten Kirche, und alles, was das katholi-
ſche Bekenntniß fuͤr noͤthig haͤlt, um ſeine An-
haͤnger zu blenden, zu ſtaͤrken, zu uͤberzeugen
und in Ehrfurcht zu erhalten, als Kirchenge-
raͤthe, Meßgewaͤnder, heilige Ueberbleibſel,
Muſiken und dergleichen, iſt koſtbarer, feiner,
zahlreicher und vollkommener hier, als dort,
vorhanden.


Von dem zu dieſer Kirche gehoͤrigen Kolle-
giengebaͤude ſpreche ich weiter unten.


Die Kirche der Theatiner iſt unter
den drey genannten die juͤngſte und hat einen
Italiener, Auguſtin Carella aus Bologna,
zum Baumeiſter. Sie wurde ſchon 1675 ein-
geweihet, obgleich nur dem Innern nach vol-
lendet. Das Hauptportal wurde erſt im Jahre
1767 zu Stande gebracht, und mit ihm er-
hielt dies Gebaͤude ſeine ganze Wirkung von
außen. Dieſe iſt in der That nicht gemein
und ſie wird durch zwey Thuͤrme und eine
Kuppel vorzuͤglich erhoben. Das Innere wirkt
vor Ueberladung an Gips- Gold- und Maler-
[204] zierrathen faſt gar nicht, und ſcheint mehr be-
rechnet zu ſeyn, das Auge zu blenden und zu
verwirren, als durch daſſelbe der Seele den
Genuß eines uͤberſehenen und aufgefaßten
Kunſtwerks zuzufuͤhren. Die meiſten Altar-
blaͤtter ſind indeſſen gut und ſtammen von
Tintoretto, Cignani, Joachim San-
drat
und andern guten Meiſtern; aber die
Bildhauerarbeit erhebt ſich, die Kanzel und
etwa einen Chriſt auf dem Altar des heili-
gen Grabes von einem Engel gehalten, ausge-
nommen, nicht uͤber das Mittelmaͤßige.


Unter den uͤbrigen Kirchen in Muͤnchen,
die theils Pfarrkirchen, (wie zu St. Peter
und zum Heil. Geiſt) theils Kloſterkirchen,
(wie die der Auguſtiner, der Franciskaner, der
Kapuciner, der Karmeliter, der Hieronomita-
ner, der barmherzigen Bruͤder, der Paulaner
und mehrerer Nonnenarten) theils Hofkapellen
(wie die in der kurfuͤrſtlichen Reſidenz im
Erdgeſchoß, und die St. Lorenzkirche)
[205] theils Hauskapellen (wie die zu St. Seba-
ſtian
im graͤflich. Wartenbergiſchen Hauſe *)
theils Spitalbethaͤuſer (wie das im Herzogs-
ſpital, mit dem beruͤchtigten Marianiſchen
Wunderbilde des verſtorbenen Kurfuͤrſten, und
das im Joſephsſpital) ſind, finden ſich noch
einige, die irgend einer Merkwuͤrdigkeit wegen
geſehen zu werden verdienen; und es iſt ge-
wiß, daß in dieſen Kirchen, wie in den weit-
laͤuftiger beſchriebenen, eine ſo große Menge
an Kunſtwerken, beſonders in der Malerey,
aufbewahrt werden, als man in Italien ſelbſt,
in mancher groͤßern Stadt, nicht findet. Be-
ſonders beſitzt Muͤnchen einen ſchaͤtzenswerthen
Vorrath an Werken deutſcher und niederlaͤn-
diſcher Meiſter in ſeinen Kirchen ſowohl, als
in ſeinen oͤffentlichen und Privatſammlungen.


Landesfuͤrſtliche Pallaͤſte ſind: der alte
Hof
, und die alte und die neue, oder die
[206]Wilhelminiſche und die kurfuͤrſtliche
Reſidenz
.


Der alte Hof, ein enges, finſteres, unbe-
huͤlfliches Gebaͤude, in der Burggaſſe, von
Kaiſer Ludwig, dem Bayer, im 14ten Jahr-
hundert erbauet, hat nichts Sehenswerthes,
und iſt jetzt der Sitz des Hofkammer-Kolle-
giums.


Die Wilhelminiſche Reſidenz, wur-
de von Wilhelm dem Fuͤnften, der
Fromme
genannt, erbauet, der auch der Ur-
heber des Jeſuiten Kollegiums war, und wohl
auch wegen der Stiftung des letztern jenen
Beynamen erhielt. Seit Entſtehung der neuen
Reſidenz iſt ſie vernachlaͤſſigt worden, und we-
der ihr Aeußeres noch Inneres iſt beſonders
ſehenswerth. Die letzte Zeit ward ſie von der
verwittweten Herzogin, Maria Anna Char-
lotte, bewohnt. Ihr Gemahl, Herzog Kle-
mens, hat einen artigen Garten nicht weit von
derſelben angelegt, welcher der Herzoggar-
ten
heißt, und der mit allerley kleinen, zum
[207] Theil artigen, Gebaͤuden verziert iſt. Sie
haͤngt uͤbrigens mit der kurfuͤrſtlichen Reſidenz
durch den ſogenannten Hofgang zuſammen,
der einen Theil des bedeckten Ganges aus-
macht, der rund um die innere Stadtmauer
laͤuft.


Die kurfuͤrſtliche Reſidenz iſt ein
ungewoͤhnlich weitlaͤuftiges, aber unregelmaͤßi-
ges Gebaͤude, deſſen Umfang man hinter ſei-
nem Haupteingange nicht ſucht *). Dieſer iſt
unverhaͤltnißmaͤßig klein und gleichſam verſteckt,
und einige Reiſebeſchreiber haben die Bemer-
kung gemacht, daß ſie mehr dem Eingang ei-
nes Kloſters, als eines fuͤrſtlichen Pallaſtes,
gleiche, zu welchem Urtheile wohl zunaͤchſt die
bronzene Saͤule der heiligen Jungfrau, die ſich
im Portal befindet, die Urſache gegeben haben
mag. Die in und an letzterm befindlichen
[208] Figuren zeigen aber deutlicher, weſſen Woh-
nung man betritt. Es ſind die verperſoͤnlich-
ten Tugenden eines tuͤchtigen Regenten: die
Gerechtigkeit, die Staͤrke, die Maͤßi-
gung
und die Weisheit. Zwey Greifen
und zwey Loͤwen, mit vorgebreiteten Schil-
dern, decken den Eingang, man weiß nicht
recht, gegen wen: ob gegen bedruͤckte Unter-
thanen, oder gegen bedruͤckende Hofleute, die
zugleich die dargeſtellten Tugenden zu unter-
graben pflegen.


Innerhalb des Pallaſtes findet man drey
große Hoͤfe, den Kaiſerhof, den Kuͤchenhof und
den Brunnenhof, und mehrere kleinere, die
theils von den Schloßfluͤgeln, theils von den
Seitengebaͤuden, eingeſchloſſen ſind. Der groͤ-
ßeſte darunter iſt der Kuͤchenhof; auf dieſen
folgt der Kaiſerhof, der von den Truͤmmern
eines, im Jahre 1750 abgebrannten Schloß-
fluͤgels, begraͤnzt wird; und auf dieſen der
Brunnenhof, der mit einem marmornen Spring-
brunnen, an und um welchen bronzene Figu-
ren
[209] ren aus allen Elementen wimmeln, unter wel-
chen ein von Haupt bis zu Fuß gewappneter
Held hervorragt, verziert iſt. So abentheuer-
lich dieſe Zuſammenſetzung auch in die Augen
faͤllt, ſo iſt doch die Ausfuͤhrung der einzelnen
Beſtandtheile nicht mittelmaͤßig, und man ver-
muthet, daß ſie nach Zeichnungen von dem
Niederlaͤnder, Peter de Witt (Kandido
genannt, weil ſich die Kuͤnſtler damaliger Zeit
gern verwaͤlſchten, wenn ſie nach Italien ka-
men,) von eben dem Meiſter, der das oben
erwaͤhnte Grabmal Ludwigs des Bayern ge-
goſſen hat, verfertigt worden.


Nach dem Raume, den dieſer Pallaſt ein-
ſchließt; nach der Prachtliebe, durch die ſich
mehrere der aͤltern und neuern bayeriſchen
Landesfuͤrſten auszeichneten; nach dem Stolze,
den ſie auf ihr Haus, das eine Weile ein kai-
ſerliches Haus war, ſetzten und noch ſetzen;
nach den Thaten, die einige dieſer Fuͤrſten als
Kriegsmaͤnner vollfuͤhrten; nach den Empfin-
dungen von Andacht und Gehorſam, die ſie
Fuͤnftes Heft. O
[210] gegen den katholiſchen Glauben und gegen die
ſogenannte Kirche, oder vielmehr gegen die
Prieſter, zeigten; nach den Reiſen, die zwey
oder drey von ihnen thaten; nach dieſen Um-
ſtaͤnden kann man ſchließen, was, wieviel, wie
praͤchtig und in welchem Geſchmacke der Vor-
rath merkwuͤrdiger, oder merkwuͤrdig geglaub-
ter, ſeltener oder nicht ſeltener, heiliger oder
vermeynt heiliger Dinge ſey, die in den unge-
heuern und zahlreichen Zimmern, Saͤlen, Ge-
woͤlben, Kapellen, und auf Gaͤngen und auf
Treppen, aufbewahrt werden.


Demnach giebt es in dieſem Pallaſte einen
Kaiſerhof, einen Kaiſerſaal, Kaiſer-
zimmer.


Der Kaiſerſaal entſpricht ſeinem Na-
men, und was ihm an Geſchmack abgehen
mag, erſetzt er durch Groͤße und durch einen
merkwuͤrdigen Aufwand von Marmor und
Vergoldungen. Er iſt 118 Muͤnchener Schuh
lang und 52 dergleichen breit. Zehn Fenſter
erhellen dieſen Saal. Ueber denſelben befin-
[211] den ſich Gemaͤlde aus der weltlichen und geiſt-
lichen Geſchichte von Vincentino, die we-
nigſtens an die Manier groͤßerer Meiſter er-
innern. Die Gegenſtaͤnde derſelben ſind ſaͤmmt-
lich heroiſch, wie man es nennt, und ſollen
Bewunderung und große Empfindungen erre-
gen. Dies bezwecken die Kuͤnſtler gewoͤhnlich
durch eine Judith, die einem armen, von
Wohlluſt, Wein und Schlaf trunkenen Mann
den Hals abſchneidet; durch einen kleinen
David, der dem großen Goliath mit ei-
nem gewaltigen Schwert den Kopf abhauet,
wenn er todt iſt; durch eine Pentheſilea,
die ſich der große Achill nicht ſchaͤmt, umzu-
bringen; durch eine Tomtris, die das Haupt
des Cyrus in ein Gefaͤß voll Blut taucht
und einen witzigen Einfall dabey ſagt; durch
eine Lukretia, welche die Brutalitaͤt eines
Andern an ſich ſelbſt mit dem Tode beſtraft
u. ſ. w.; wenigſtens haben ſie dieſen Kaiſer-
ſaal mit dieſen und andern aͤhnlichen Gegen-
O 2
[212] ſtaͤnden recht charakteriſtiſch zu zieren geglaubt.
Die Decke ſetzt dieſem großen Charakter die
Krone auf: es ſind an derſelben die Weisheit,
der Ruhm, die Gerechtigkeit und die vier Mo-
narchieen, nach einem rieſenhaften Maßſtabe,
ausgemalt.


Nicht bloß gemalt-kaiſerlich, ſondern in
der That voll Groͤße und Wuͤrde iſt die Treppe
von rothem Marmor, die von dieſem Saal
herab fuͤhrt.


Die Kaiſerzimmer fallen nur zur Haͤlfte
in den vermeynten heroiſchen Charakter, und
wenn man in dem einen noch eine Evadne
ſieht, die ſich zur Beleidigung aller noch
uͤbrigen lebendigen Maͤnner, auf dem Schei-
terhaufen ihres todten Gemahls verbrennt;
eine Artemiſia, die es dabey bewenden laͤßt,
die Aſche ihres Gemahls zu trinken; und in
dem andern die Frau des Paͤtus, die ihm
die Wunde zeigt, die ſie ſich gegeben hat, um
ihn zum Sterben zu ermuntern: ſo ſieht man
dagegen auch in einem dritten, was das Herz
[213] wirklich erwaͤrmt: einen Trajan, der, vor
ſeinem ganzen Heere, vom Pferde ſpringt, um
einer huͤlfsbeduͤrftigen Frau eine Bittſchrift ab-
zunehmen, ſie mit ihren Klagen anzuhoͤren und
getroͤſtet zu entlaſſen. — Sind Gegenſtaͤnde
dieſer Art in der Geſchichte ſo ſelten? Oder
ſind ſie eines kaiſerlichen Charakters unwerth,
weil ſie nur moraliſch-heroiſch ſind?


Das zarte Geſchlecht wird des Heroismus
immer bald uͤberdruͤßig, oder ſucht ihn wenig-
ſtens durch den Zuſatz von zwey kleinen Schwach-
heiten, der Liebe und der Andacht, menſchli-
cher zu machen. Die Dame, die dieſe Zim-
mer anlegte *), erheiterte auch wiederum das
Auge und die Empfindungen des Kunſtliebha-
bers durch Gegenſtaͤnde, die dem menſchlichen
Geſchlechte natuͤrlicher und gedeihlicher ſind:
durch einen Herkules bey der ſchoͤnen Omphale
[214] am Spinnrocken; durch einen Wettlauf zwi-
ſchen Atalanten und Hippomanes; durch ein
Feſt der Flora, der Ceres, des Bacchus, und
durch mehrere reizende weibliche Figuren von
Roſalba in Paſtellfarben.


Der Andacht ſind bey den Verzierungen
anderer dieſer Zimmer Opfer gebracht. Man
ſieht in dem ſogenannten Roſenkabinet die
Lebenslaͤufe heiliger Suͤnderinnen geſchildert,
die ſich von der Welt zuruͤckgezogen, vielleicht
in eben dem Maaße, als ſich die Welt von
ihnen zuruͤckzog, und den Reſt ihrer Tage in
der Einſamkeit verlebt haben; man ſieht in
dem Schlafzimmer eine heilige Familie nach
Raphael und zwey andre von andern Mei-
ſtern, und außer mehrern Stuͤcken dieſer Art
auch eine weinende Magdalena, welche die
Reue noch nicht in dem Grade ergriffen hat,
daß man nicht die ſtattliche Natur des Rubens,
oder eines ſeiner Schuͤler an ihr erkennen
ſollte.


[215]

Dem kriegeriſchen Charakter des
Landes und ſeiner Fuͤrſten ſind in mehreren
Zimmern und Saͤlen dieſes Pallaſtes Denk-
maͤler geſetzt worden. Ein ganzer Saal, der
Saal des Herkules, iſt mit Thaten des
Krieges, worunter nur eine einzige der Groß-
muth iſt, ausgemalt und die Hauptperſonen
ſind bayeriſche Fuͤrſten. Die Figuren der Tu-
gend, der Weisheit, der Gerechtigkeit und
Maͤßigung, die in dieſem Pallaſte ungewoͤhn-
lich haͤufig vorkommen, gehoͤren auch in die
Kathegorie der bayeriſchen Regentengroͤße und
Vollkommenheit, die ſie verewigen ſollen. Der
Triumphwagen, die auch hieher gehoͤren, ſind
ebenfalls faſt zu viel.


Beweiſe von der Andacht der bayeriſchen
Fuͤrſten und Fuͤrſtinnen ſind unzaͤhlige, ja zum
Theil unſchaͤtzbare, vorhanden. Es iſt un-
glaublich, was die ſogenannte ſchoͤne Ka-
pelle
fuͤr kuͤnſtliche, praͤchtige und theure Sel-
tenheiten in dieſem Fache aufzuweiſen hat.
Außer Rom, Neapel und Mailand giebt es
[216] wohl keine Heiligen-Ueberbleibſel mehr, die
wie die in dieſer Kapelle mit ſo viel Diaman-
ten, Perlen, Gold und Silber, eingefaßt
waͤren. Eben ſo praͤchtig und reichlich iſt der
Vorrath an kleinen und groͤßern Altaͤren, Ge-
maͤlden der heiligen Mutter, Kreutzbildern,
Vorſtellungen der Geburt, des Lebens, Lei-
dens und Todes Chriſti, Gefaͤßen fuͤr heilige
Gebraͤuche und andern hieher gehoͤrigen Din-
gen. Gegenſtaͤnde dieſer Art ſtehen und han-
gen auch ſonſt noch in faſt allen Zimmern und
Saͤlen des Pallaſtes, bald als Kunſtwerke des
Gießers, Drechslers und Schnitzlers, bald als
Hervorbringungen des Pinſels oder des Mei-
ſels, reichlich umher, und es iſt kein Zweifel,
daß dieſer Zweig der Pracht die meiſten Aus-
gaben veranlaßt habe.


Reiſen nach und Verbindungen mit Ita-
lien, Geſchenke, die Mode, Kunſt- und an-
dere Merkwuͤrdigkeiten aufzukaufen und zu
ſammlen, haben einen andern großen Vorrath
von Seltenheiten aller Art in dieſem Pallaſte
[217] aufgehaͤuft. Dahin gehoͤren Gemaͤlde von
großen, aber auch von mittelmaͤßigen Italie-
niſchen Meiſtern, Buͤſten, Statuen, Antiken,
geſchnittene Steine, Muͤnzen, gute und ſchlech-
te, Originale und Kopieen, echte und unechte,
alles durch einander, wie es immer zu ſeyn
pflegt, wenn nicht ein feſter Plan und ein
gebildeter Geſchmack, ſondern bloß Laune,
oberflaͤchlich erhaltener Eindruck, Sammelſucht
und Eitelkeit waͤhlen.


Der jetztregierende Kurfuͤrſt, ein bekannter
Befoͤrderer, Beſchuͤtzer und Kenner der Kuͤnſte,
hat auf ſeiner letzten Reiſe nach Italien meh-
rere Kunſtwerke geſammlet, deren Wahl ta-
dellos iſt, unter andern eine Nachbildung im
Kleinen von der ſchoͤnen Trajaniſchen Saͤule
in Rom, fuͤnf Fuß hoch, von karariſchem Mar-
mor, mit Lapis Lazuli reich verziert und mit
den Figuren des Originals verſehen, die ſaͤmt-
lich gewiſſenhaft und mit Geiſt in vergoldetem
Silber angegeben ſind. Der Meiſter iſt Louis
Valadier
zu Rom. Hundert Stuͤcke, die
[218] man hier ſieht, ſowohl in der Gemaͤldegallerie,
als in der Antikenſammlung, im Schatze wie
in der Kapelle, ſind nicht ſo geſchmackvoll ge-
waͤhlt.


Ich uͤbergehe was ſich endlich noch an Ge-
faͤßen von Japaniſchem Porcellain, die in ih-
rer Art koͤſtlich ſind; an Arbeiten des Mar-
morhauers, des Vergolders, des Kunſttiſch-
lers, des Lackierers; an ungeheuren Sticke-
reyen, an praͤchtigen Fuß- und Wandteppichen,
an Gyps- und Bronzen-Putz; an Uhren,
Spiegeln, Kronleuchtern, Kuͤnſteleyen aus
Stein, aus Elfenbein u. ſ. w. von allen Sei-
ten dem Auge aufdringt. Uebrigens ſtehe ich
nicht an, von dem, was in dieſem Pallaſte
aufgehaͤuft iſt, zu ſagen, daß es theilweiſe
Groͤße, Glanz, Reichthum und Geſchmack
verrathe und Genuß gewaͤhre, im Ganzen
aber ein Chaos bilde, das die ungleichartigſten
Eindruͤcke macht, die ſich unter einander zer-
reiben, ſich gegen einander aufheben und die
Seele in einen Zuſtand von Mißbehagen, aus
[219] Planloſigkeit, Ungleichheit und Ueberfuͤllung
entſtanden, verſetzen. Ich muͤßte mich ſehr
irren, wenn nicht viele Reiſende vor mir dieſe
Sammlung von Herrlichkeiten mit gleichem
Gefuͤhle verlaſſen haͤtten, deſſen Anwandlun-
gen ihnen indeſſen, wenn ſie das gruͤne Ge-
woͤlbe
in Dresden und den kaiſerlichen
Schatz
in Wien geſehen haben, nicht mehr
fremd ſeyn werden. Zum Erſatz dafuͤr wuͤn-
ſche ich ihnen den reinen Genuß des Pio-Kle-
mentinums in Rom und der Gallerie zu Flo-
renz.


Unter den oͤffentlichen Gebaͤuden in
Muͤnchen, die entweder dem Hofe, oder den
Staͤnden, oder der Stadt gehoͤren, ſind
mehrere, die theils groß, theils anſehnlich in
die Augen fallen. Dahin gehoͤrt das Ge-
baͤude der Akademie
, das der Kurfuͤrſt
Maximilian der Dritte erbauen aber nicht vol-
lenden ließ. Es hat, außer einem Erdgeſchoß,
zwey anſehnlichere hoͤhere, ein praͤchtiges Por-
tal von Marmor und in ſeinem Innern zwey
[220] kleinere und einen groͤßern Hof, und faͤllt vor-
treflich in die Augen. Der Sitz der Akade-
mie der Wiſſenſchaften iſt hier aber ſeit 1784
nicht mehr, auch nicht mehr die Niederlage
ihres gelehrten Vorraths. Die Hofbibliothek
und das Kabinet fuͤr die Aſtronomie, fuͤr die
Phyſik, die Naturgeſchichte, die Antiken und
Muͤnzen, ſo wie die Zeichnungsſchule, die vor-
her hier waren, ſind von hier nach dem Je-
ſuiten-Kollegium verlegt worden.


Dieß Jeſuiten-Kollegium uͤbertrifft
das ehemalige Akademiegebaͤude noch an Um-
fang, aber es faͤllt von außem weniger praͤch-
tig in die Augen. Im Innern iſt auf den
Treppen und in den Gallerieen der Marmor
verſchwendet, und Verzierungen aller Art,
mehr oder minder reich und praͤchtig, findet
man in den verſchiedenen Saͤlen, je nachdem
ihre Beſtimmung es verlangte. Dieß unge-
heure Gebaͤude ſchließt zahlreiche Inſtitute und
Stiftungen, theils fuͤr den oͤffentlichen Unter-
richt, theils fuͤr die Andacht, theils fuͤr die
[221] Wiſſenſchaften uͤberhaupt ein. Im vorigen
Abſatze habe ich einige davon genannt; hier
erwaͤhne ich noch der marianiſchen Landesaka-
demie und des Gymnaſiums. Ferner haben
noch vier Landeskollegien Raum und Sitz
darin.


Das Zeughaus faͤllt nicht minder anſehn-
lich in die Augen. Es ſind eigentlich vier Ge-
baͤude, die mit Kriegsgeraͤthſchaften aller Art
ziemlich angefuͤllt ſind; doch koͤnnte man die in
demſelben vorhandene Sammlung eher ein
Kabinet kriegeriſcher Alterthuͤmer, als eine
Niederlage furchtbarer, jede Stunde zu be-
nutzender Waffen nennen, wenigſtens iſt zwi-
ſchen dem Vorrath der letztern und der erſtern
ein auffallendes Mißverhaͤltniß.


Die Reitſchule, ehemals zu Turnier-
ſpielen beſtimmt, iſt auch eines von den Ge-
baͤuden in Muͤnchen, die keine andre deutſche
Reſidenz in dieſer Art aufzuweiſen hat. Es
iſt nach Weſtenrieder*) achtzig Muͤnchener
[222] Schuh hoch, achtzig breit, und uͤber dreyhun-
dert und ſechszig lang. Ehedem war es aus-
gemalt und hatte drey Gaͤnge uͤber einander,
die fuͤr die Zuſchauer beſtimmt waren, deren
es gegen zehntauſend faſſen konnte. Dieſe
Gallerieen und alle uͤbrige Einrichtungen, die
zu jenen Turnierſpielen erforderlich waren, ſind
jetzt abgenommen, da die Spiele ſelbſt ſeit
Menſchengedenken nicht mehr gegeben worden
ſind. Das Gebaͤude wird jetzt nur noch als
Reitſchule fuͤr junge Adeliche, auch bey außer-
ordentlichen Freudenfeſten als ein oͤffentlicher
Ballſaal gebraucht.


Das neue Opernhaus, hart an der
kurfuͤrſtlichen Reſidenz, iſt, ohne gerade durch
ungewoͤhnliche Groͤße aufzufallen, dennoch ein
anſehnliches Gebaͤude, das, beſonders im In-
nern, ſich durch den Putz und Reichthum ſei-
ner vier Logengaͤnge, durch gute Buͤhnenver-
zierungen und mannigfache Veraͤnderungen aus-
zeichnet. Das alte, auf welchem gewoͤhnlich
geſpielt wird, iſt kleiner, in allen Stuͤcken ge-
[223] ringer, und ſteht hinter dem Kloſtergebaͤude
der Theatiner.


Das ſogenannte Exercitien-Haus
(wobey dem Leſer kein Exercierhaus ein-
fallen darf) iſt ebenfalls ein Gebaͤude von Um-
fang, deſſen Stiftung man fuͤr aͤlter halten
ſollte, als ſie iſt. Die Kaiſerin Amalia,
Karls des Siebenten Gemalin, eine gottes-
fuͤrchtige Fuͤrſtin, legte es an und beſuchte und
bewohnte es, um ihre frommen Uebungen
darin abzuwarten. Ehedem war es nur Stan-
desperſonen, Geiſtlichen und Studenten, die
bußfertige Bewegungen fuͤhlten, erlaubt, die-
ſelben durch Gebet und Zuͤchtigung des Leibes
darin zu befriedigen; gegenwaͤrtig aber werden
Reumuͤthige aus allen Staͤnden darin aufge-
nommen, und auf drey Tage, waͤhrend wel-
cher ſie keine Gemeinſchaft mit der Welt ha-
ben, mit Wohnung und Tiſch umſonſt verſe-
hen. Man nennt ſolche Patienten Meditan-
ten
, und dieſen kranken Seelenzuſtand ſelbſt
Meditiren, ziemlich unangemeſſen, wie mir
[224] daͤucht. Doch hat man mir verſichert, daß
die Zahl derjenigen, die hieher kommen, um
ſich mit Denken zu beſchaͤftigen, alle Jahr
geringer werde: eine gluͤckliche Ausſicht fuͤr das
gemeine Weſen, das nun hoffen darf, ein Ka-
pital, das 70,000 Gulden jaͤhrliche Zinſen
traͤgt, und dieſer wunderlichen Anſtalt zur
Grundlage dient, fuͤr ſich bald zweckmaͤßiger
verwandt zu ſehen.


Das Gebaͤude des kurfuͤrſtlichen Se-
minariums
, die Muͤnze, die Kaſernen,
das Landhaus und das Rathhaus, ſind
ſaͤmtlich Anlagen, die das Aeußere von Muͤn-
chen vortheilhaft hervorheben. Unter den Pal-
laͤſten der Großen endlich ſind mehrere, die
ſich durch Geſchmack in der Bauart, Umfang,
innere Verzierung, und mancherley Kunſt- und
Naturſammlungen, wie z. B. der Tatten-
bach[i]ſche
, der Preyſingiſche und Toͤr-
ringiſche
, vortheilhaft auszeichnen.


Wenn die Regenten von Bayern, ſeit
Wilhelm dem Fuͤnften bis auf den jetzt-
leben-
[225] lebenden, Karl Theodor, fuͤr die Verſchoͤ-
nerung ihrer Hauptſtadt, fuͤr den Anbau ih-
rer Pallaͤſte und Luſtſchloͤſſer, und die Ver-
herrlichung ihres Innern; fuͤr die Stiftung
und Errichtung von Kirchen, Kloͤſtern, Ka-
pellen und deren andaͤchtigen Apparat verhaͤlt-
nißmaͤßig faſt zu viel gethan haben: ſo muß
man ihnen auch die Gerechtigkeit widerfahren
laſſen, daß ſie in Gruͤndung ſolcher Anſtalten,
welche die Bildung des Geiſtes und Ge-
ſchmacks ihrer Unterthanen, die Erziehung,
die Verſorgung der Wittwen und Waiſen und
die Unterhaltung der Armen bezielen, nicht
karg geweſen ſind. Nicht leicht hat eine
groͤßere Reſidenz in Deutſchland ſolch eine An-
zahl Stiftungen dieſer Art aufzuweiſen, als
Muͤnchen, und es waͤre, daͤucht mir, hart
und unbillig, beſonders bey den letztern, an
Eitelkeit, Andaͤchteley, boͤſes Gewiſſen, das
man zu beruhigen ſuchte, Werkheiligkeit und
an Drohungen oder Betteleyen der Prieſter,
durch die ſie veranlaßt wurden, zu denken und
Fuͤnftes Heft. P
[226] durch Aufſuchung ſolcher Entſtehungsurſachen
das wirklich Gute und Nuͤtzliche, das dieſe
Stadt in dieſer Art enthaͤlt, einſeitiger Weiſe
herabſetzen zu wollen.


Die kurfuͤrſtliche Gemaͤldegalerie iſt
eine der zahlreichſten und ſchoͤnſten in Deutſch-
land, und ſie behauptet mit Ehren ihren Rang
zwiſchen der Dresdener und Duͤſſeldoͤrfer, die
ſie in manchen Faͤchern uͤbertrift, in manchen
erreicht. Schon vor mehr als zweyhundert
Jahren machten Albert V. und Wilhelm V.
den erſten Ankauf zu dieſer Sammlung.
Maximilian der Erſte und Ferdinand Maria
mit ſeiner Gemalin, Adelheit, ſetzten ſie fort.
Maximilian der Zweyte vermehrte ſie, beſon-
ders mit Stuͤcken franzoͤſiſcher und niederlaͤn-
diſcher Meiſter, und bauete, um ihr einen an-
gemeſſenen Standort zu geben, das Luſtſchloß
Schleisheim, deſſen Inneres Karl der Sie-
bente verſchoͤnerte. Der verſtorbene Kurfuͤrſt
gab jungen Kuͤnſtlern die Erlaubniß, darin zu
ſtudieren, und der jetztregierende ſchaffte dieſen
[227] Vorrath, der 1050 Stuͤck ſtark geworden war,
vor kurzem nach der Reſidenz, wo er ihm und
noch vielen andern ſchon in Muͤnchen vorhan-
denen Stuͤcken eine eigene Galerie erbauet hat.
Dieſe umſchließt in einer Laͤnge von 800 Fuß
die eine Seite des Hofgartens, verſchoͤnert
dieſen zu ebener Erde durch einen bedeckten
Gang, der auf Saͤulen ruhet und die Thaten
des Herkules in 8 Figuren dargeſtellt, ein-
ſchließt, und enthaͤlt im erſten Geſchoſſe die
ganze erwaͤhnte Gemaͤldeſammlung, die Frem-
den und Einheimiſchen zur Anſicht und Kuͤnſt-
lern zur Uebung und Bildung offen ſtehet.


Der Vorrath von Kunſtwerken, der ſich
in dieſer Galerie, in der Reſidenz, in den
Kirchen und in Privatſammlungen findet, ſo
wie die mannigfache Beſchaͤftigung, die hier
den Kuͤnſten bey Erbauung und Verzierung
der Kirchen, Pallaͤſte und oͤffentlichen Gebaͤu-
de von jeher geboten wurde, hat eine Menge
von einheimiſchen Kuͤnſtlern aller Art hier her-
vorgebracht und eben ſo viel, die aus der
P 2
[228] Fremde ſich hieher gezogen hatten, theils ge-
bildet, theils ausgebildet. Ein Verzeichniß
derſelben liegt nicht in meinem Plane und ich
verweiſe dieſerhalb auf andre Quellen *). Auf
jedem Fall iſt weder Wien, noch Berlin, noch
Dresden ſo fruchtbar an guten Kuͤnſtlern ge-
weſen. Die freye Zeichenſchule, die hier
zur Bildung junger Kuͤnſtler errichtet iſt, hat
ungefaͤhr dieſelbe Einrichtung, wie die zu
Dresden.


An Schulen hat Muͤnchen keinen Man-
gel und ſie haben die letztern Jahre her, man-
che vortheilhafte neue Einrichtung bekommen;
indeſſen ſind ſie, nur mit ihrem vorigen Zu-
ſtande verglichen, ſo gut als ſie, bey dem hier
herrſchenden Bekenntniſſe und der geringen
[229] Aufklaͤrung in demſelben, bey den Kenntniſſen
und Grundſaͤtzen der meiſten dabey angeſtell-
ten Lehrer, bey der Entfernung, in der ſie
von dem Auge und von den politiſchen Be-
rechnungen der Regierung gehalten werden,
ſeyn koͤnnen. Einzelne wackre Maͤnner, deren
ich oben einige genannt habe, verſuchten die
Lehrart und die Gegenſtaͤnde des Unterrichts
zu verbeſſern und vortheilhafter zu waͤhlen,
aber ſie ſtießen dadurch gegen das Syſtem der
Nachfolger der Jeſuiten an, zogen ſich die
bitterſten Schmaͤhungen, Verketzerungen und
wirkliche Verfolgungen zu, und waren ge-
zwungen, alles, wo nicht ganz beym Alten,
doch bey der ſogenannten Verbeſſerung zu laſ-
ſen, welche die erwaͤhnten Stellvertreter der
der Jeſuiten beliebten. Es iſt in Muͤnchen
ein Gymnaſium mit 10 Schulen oder Klaſ-
ſen vorhanden, das ſich in nichts von den
gewoͤhnlichen katholiſchen Gymnaſien unterſchei-
det, und worin Grammatik, Poeſie, Rheto-
rik, Philoſophie und Theologie, nach alter
[230] im katholiſchen Deutſchlande gewoͤhnlicher Sitte,
zum Theil von Weltprieſtern, meiſt aber von
Moͤnchen, freylich unentgeldlich, gelehrt wird.
Der Normal-Trivialſchulen finden ſich
gegen funfzehn hier, und es werden in den-
ſelben Religion, Moral, Schreibekunſt, Ele-
mente der Geſchichte (faſt ausſchließend aber
der geiſtlichen) und Rechenkunſt getrieben *).


„Uebrigens,“ ſagt Hr. Weſtenrieder:
„iſt in Muͤnchen keine Univerſal- oder ei-
gentliche National-Erziehung, wo (durch
die) man die ſaͤmtliche, die vornehme und
die nicht geadelte Jugend nach beſtimmten
Grundſaͤtzen bildet und den Klaſſen derſelben
nach den verſchiedenen Graden (?) ihrer kuͤnf-
tigen Aemter und Geſchaͤfte eine zweckmaͤßige
Erziehung ertheilte, vorhanden.“ — Aber
wo iſt eine ſolche vorhanden? Und wo kann
eine vorhanden ſeyn, wo der Landesherr nicht
eine Liebhaberey aus dem Schulweſen macht,
[231] und ſie ſo auf einem feſten Fuß unterhaͤlt, wie
etwa das Soldatenweſen oder die Jagd?
Der *) Herzog von Wuͤrtemberg giebt zwar
ein Beyſpiel von ſolch einer ſeltenen Liebhabe-
rey, aber die Einſeitigkeit ſeiner Einrichtungen
verhindert den Nutzen, den ſein Land von die-
ſem ſeinem neueſten Hange ziehen koͤnnte.


In Muͤnchen findet ſich noch eine ſoge-
nannte Landesakademie, die von der
Herzogin Maria, Wittwe des Herzogs Cle-
mens, iſt geſtiftet worden. Man nimmt bloß
junge Adeliche, theils umſonſt, theils fuͤr ein
jaͤhrliches Koſtgeld, darin auf, und ſie werden
von weltlichen Lehrern in der einen Klaſſe,
in der Schreibekunſt, Mathematik, Erdbeſchrei-
bung, in Sprachen, und in der andern in
der Geſchichte, Philoſophie, Naturlehre, Ka-
meralwiſſenſchaft, und außerdem in der Tanz-
Zeichen- Fecht- und Reitkunſt unterrichtet.
Uebrigens giebt es wenig Kadettenhaͤuſer, in
[232] welchen die jungen Leute ſo gut geſpeiſt, aber
auch zum Beten ſo eifrig angehalten werden.


Eine aͤhnliche Anſtalt, die Militaͤr-Aka-
demie
, iſt erſt vor drey oder vier Jahren,
nach einem weitlaͤuftigern Plane, fuͤr zwey-
hundert junge Leute von allen Staͤnden, die
angemeſſenen Unterricht genießen ſollen, von
dem jetztregierenden Kurfuͤrſten errichtet worden.


Die Anzahl der Wittwen- Waiſen- Ar-
men- Kranken- und Arbeits-Anſtalten iſt in
Muͤnchen ungewoͤhnlich groß. Es ſind allein
ſechs Waiſenhaͤuſer fuͤr beyde Geſchlechter;
zehn Hoſpitaͤler fuͤr Kranke aller Art; vier
milde Stiftungen und wohlthaͤtige Geſellſchaf-
ten und ſonſt noch mancherley Spenden an
Geld, Kleidungsſtuͤcken, oder Lebensmitteln
vorhanden. Mit einigen dieſer Anlagen ſind
noch oͤffentliche Entbindungszimmer fuͤr arme
Weibsperſonen, Annahme von Fuͤndlingen und
Ausſtattung armer Maͤdchen verbunden. Das
neuerlich von dem gegenwaͤrtigen Kurfuͤrſten
geſtiftete Militaͤr-Armenhaus iſt ſehr
[233] weitlaͤuftig und in Abſicht der Ordnung, Rein-
lichkeit und Thaͤtigkeit ein Muſter fuͤr Haͤuſer
dieſer Art *). Durch alle dieſe Anſtalten iſt
die Zahl der Bettler, uͤber welche die neueſten
Reiſebeſchreiber klagen, in Muͤnchen ſehr ver-
mindert worden, und ich habe mich waͤhrend
meines Aufenthalts wenig von ihnen belaͤſtigt
gefunden.


Das Aeußere der verſchiedenen Einwohner-
klaſſen, die man auf den Straßen von Muͤn-
chen ſiehet, iſt, im Ganzen genommen, an-
ſtaͤndig und reinlich, und zeigt in der That
nicht von Armuth und Mangel. Die arbei-
tende Klaſſe iſt nicht ſo ſchlecht, nicht zum
Theil in Lumpen gekleidet, wie die zu Berlin
und Dresden, ſondern mehr wie die zu Leip-
zig und Hamburg, iſt dabey friſch von Farbe
und uͤberhaupt wohlgenaͤhrt. Die dienende
[234] Klaſſe vom weiblichen Geſchlechte giebt in der
Sauberkeit und Nettigkeit des Anzugs der in
Leipzig und Dresden nichts nach, und uͤber-
trift in dieſen Stuͤcken die zu Breslau und
Berlin weit. Dieſelbe Klaſſe vom maͤnnlichen
Geſchlecht, wohin ich die Domeſtiken, die
Aufwaͤrter in den Kaffeehaͤuſern, Weinhaͤuſern,
Gaſthoͤfen, die Lohnbedienten u. a. dg. rechne,
ſieht man ſogar modiſch, uͤbrigens reinlich
und zum Theil fein gekleidet, einher gehen,
ungefaͤhr wie die zu Frankfurt am Mayn und
in Straßburg. Die Buͤrgerinnen, Maͤdchen
wie Frauen, haben noch viel von der alten
buͤrgerlichen Tracht und gefallen ſich und an-
dern immer noch mit ihren goldſtoffenen Hau-
ben, ſchweren goldenen Ketten, ſteifen Mie-
dern, vielfach uͤber einander gezogenen Roͤcken
u. ſ. w. Die zu dieſer Klaſſe gehoͤrigen Maͤn-
ner kleiden ſich wie die von ihrer Art zu Dres-
den, in Tuchroͤcke nach altem Schnitte, voll-
ſtaͤndig, mit breiter Taille ohne Kragen, mit
langen und breiten Aufſchlaͤgen; doch ſind die
[235] Farben ihrer Kleidungsſtuͤcke heller und ſchrey-
ender, als ſie der gemeine Buͤrger und Hand-
werker in andern deutſchen Staͤdten, z. B. in
Nuͤrnberg, Leipzig und beſonders in Berlin zu
tragen pflegt. Indeſſen fangen die juͤngern
aus dieſer Klaſſe ſchon an, Fracks und ſeidene
Struͤmpfe zu tragen. Ganz gewoͤhnlich ſind
letztre ſchon bey den feinern Handwerkern und
Kuͤnſtlern geworden, die, auch in Muͤnchen,
nur noch an der etwas groͤberen Beſchaffen-
heit der Tuͤcher und Zeuge, die ſie tragen,
von den Kaufleuten zu unterſcheiden ſind. Die
Haarkuͤnſtler und Weiberverſchoͤnerer, ſeyen
es Schneider oder Schuſter, ſind hier zum
Theil nicht mehr von den Kammerjunkern zu
unterſcheiden, wenn dieſe ihre Uniform ausge-
zogen haben. Ihre Weiber tragen ſich fran-
zoͤſiſch
, wie man es hier nennt, und zeigen
ſich in netten Negligees von weißen baumwol-
lenen Zeugen, und in artigen Hauben, noch
um vieles geſchmackvoller, als dieſelbe Gat-
tung in Leipzig und Dresden. Ganz wie in
[236] der letztern Stadt kleiden ſich die aͤltern Hof-
bedienten, Hofbeamten, Sekretarien und an-
dere niedrige Mitglieder der Landeskollegien,
die ſich durch eine ſorgfaͤltige, ſteife Friſur,
durch einen abgenutzten kurzen Degen, durch
verblaßte Kleider, kleine Schuhſchnallen und
einen zergriffenen Platthuth unterſcheiden.
Ihre Ehehaͤlften erſcheinen noch in ſogenann-
ten „Karkaſſen,“ von „Schmelz“ durch-
glaͤnzt, in „Roberonden“ und „Andrien-
nen
“ von großgebluͤmten „Moire,“ mit
Falbala“ und breiten Beſaͤtzen verziert, und
mit ſchwarzen Sammtbaͤndern um den duͤrren,
gelben Hals. Die juͤngern Glieder dieſer Gat-
tung beyderley Geſchlechts fallen aber mehr in
den franzoͤſiſchen Geſchmack, wie er vor der
Staatsveraͤnderung war, als in den neueſten
engliſchen. Die Tracht der hoͤheren Staͤnde
beyderley Geſchlechts iſt in Muͤnchen wie
uͤberall.


Man kann die Zahl der Einwohner zwi-
ſchen 40 und 45,000 annehmen. Bey weitem
[237] der groͤßeſte Theil davon naͤhrt ſich von
den noͤthigen und unnoͤthigen Ausgaben des
Hofes, des hier wohnenden Adels, und der
Beamten in den verſchiedenen Landeskollegien,
durch Kuͤnſte, Handwerke und Beſchaͤftigun-
gen aller Art, deren Hervorbringungen faſt
alle innerhalb der Mauern von Muͤnchen blei-
ben. Fuͤr auswaͤrtigen Vertrieb wird wenig
gethan, und wenn man Spielkarten, Papier,
Pinſel, baumwollene Struͤmpfe und Zeuge,
gemeine Wollenwaaren, Maler- und Bild-
hauerarbeiten, Taback, Leder und allerley Waa-
ren von innlaͤndiſcher Baumwolle, d. i. von
der Wolle der Pappeln, der Weiden und an-
derer wolletragenden Pflanzen verfertigt *),
[238] abrechnet, ſo wird wenig uͤbrig bleiben, was
Muͤnchen ausfuͤhren koͤnnte. Dagegen zieht
es eine große Menge wahrer und eingebildeter
Beduͤrfniſſe aus nahen und entfernten Laͤn-
dern.


Deshalb ſind die Muͤnchener nicht reich,
wenn man ſie auch wohlhabend nennen kann.
Alles, der hier wohnende reiche Adel ausge-
nommen, lebt gleichſam von einem Tage zum
andern, und Kleider und Nahrung zehren
die Einnahme richtig auf. Verhaͤltnißmaͤßig
ſind, nach dem hier eingefuͤhrten Maaßſtabe
in der Lebensart, und nach den, wegen ihrer
großen Menge, geringen Beſoldungen, die
Hof- und Landesbeamten die aͤrmſten, und ſie
ſind gezwungen, um ſich ſtandesmaͤßig zu er-
halten, zuzugreifen, und kleine und große Ge-
ſchenke von mancher Art und zu manchem
Zweck anzunehmen. Daher Mißbraͤuche in
der Verwaltung der Staatskaſſen, in der
Ausuͤbung der Gerechtigkeit, in Vergebung
von Stellen, Jahrgeldern und Beguͤnſtigun-
[239] gen, mehr als in irgend einer andern Reſidenz
in Deutſchland.


Man ſchreibt es der merkwuͤrdigen Eß-,
Trink und Vergnuͤgungsſucht der Muͤnchener
mit zu, daß ſie nie uͤbrig haben; und man
kann gegen dieſen Vorwurf nichts ſtatthaftes
einwenden, ſo ſehr auch jedem, des Lebens zu
genießen, vergoͤnnt ſeyn mag. Waͤren ſie ſo
maͤßig im Eſſen und Trinken, wie z. B. die
Dresdener, ſo koͤnnten ſie noch wohlhabender
ſeyn; verſtaͤnden ſie auch die Kunſt, in der
Kleidung und in den Vergnuͤgungen ſich ſo
einzuſchraͤnken wie die Berliner, ſo koͤnnten
ſie ſammlen; aber es iſt merkwuͤrdig, daß
40,000 Muͤnchner in manchen Gattungen von
Nahrungsmitteln mehr verzehren, als 150,000
Berliner, eine Thatſache, die ein neuerer Rei-
ſender hinlaͤnglich erwieſen hat *). Wahr iſt
indeſſen, daß man in Muͤnchen fuͤr Einen
Gulden noch einmal ſo viel an Eß- und Trink-
[240] waaren bekoͤmmt, als in Berlin und Dres-
den fuͤr eben dieſen Preis, und daß mithin
der Muͤnchener bey gleichen Ausgaben, wohl
noch einmal ſo viel eſſen und trinken muß,
als ſie; aber in dieſem Umſtande liegt es ge-
rade, daß er, bey einer etwas weniger ſinnli-
chen Philoſophie, mehr erſparen, weniger In-
dolenz verrathende rothe Backen, gefuͤllte
Schenkel und breite Schultern haben, und
ſich mit mehr Erfolg auf die ſpekulative Phi-
loſophie, auf Arbeiten des geiſtigen Geſchmacks,
und kurz, auf alle die Beſchaͤftigungen legen
koͤnnte, die, vermoͤge ihrer Natur, einen un-
ausgeſtopften Magen und wenig Zerſtreuungen
erfordern!


Die Maͤrkte in Muͤnchen ſind vortreflich
beſetzt und ſtarren von Fruͤchten, Gemuͤſen,
Eyern, Gefluͤgel, Schweinen, Ochſen und Fi-
ſchen mehreremahl in der Woche, auf ver-
ſchiedenen Plaͤtzen. Herumtraͤger von Lebens-
mitteln aller Art fuͤllen die Straßen mit ih-
rem mannigfaltigen Geſchrey. Alles reitzt und
befrie-
[241] befriedigt die Eßluſt. Leute von geringern
Klaſſen erſcheinen auf den Straßen in ewigem
Kaͤuen. Es iſt kein Spatziergang, in deſſen
Naͤhe nicht Erfriſchungen in Fuͤlle verkauft
wuͤrden. Unter der großen Galerie im Hof-
garten ſind Kaffeehaͤuſer, wo man alles haben
kann, ſitzen Weiber an Weiber, die ganze
Koͤrbe mit Leckereyen feil bieten. Unter den
Lauben am großen Platze findet man beſtaͤndig
Ananas, Melonen, Orangen, und andre Gat-
tungen des ſchoͤnſten Obſtes, in großen Hau-
fen aufgethuͤrmt. Weinkraͤnze prangen auf
allen Straßen; vor den Thoren iſt Bierhaus
an Bierhaus, und die naͤchſtgelegenen Gaͤrten
und Doͤrfer wimmeln an ſchoͤnen Tagen von
den Einwohnern der Stadt, die ſich in Wein,
oder Bier, oder Meth, bei Muſik und Tanz,
eine Guͤte thun. Alle dieſe Oerter findet man
um ſo oͤfterer beſetzt, da in Muͤnchen der Tage
ſo viele ſind, an welchen man ſich fuͤr die
Muͤhe des Betens Vormittags, am Nachmit-
tage erholen zu muͤſſen glaubt. Bei ſchlechtem
Fuͤnftes Heft. Q
[242] Wetter ſtroͤmt das Volk in den Wein-, Bier-,
Meth- und Tanzhaͤuſern in der Stadt ſelbſt,
und im Schauſpiele, zuſammen. An den bei-
den vornehmſten Jahrmaͤrkten (hier Dulten
genannt) erhaͤlt dies frohe Getuͤmmel den
hoͤchſten Grad ſeiner Lebhaftigkeit, und dann
giebt es auch Kreuzerkomoͤdie, engliſche Be-
reiter, Equilibriſten, und eine Menge anderer
Spektakel dieſer Art. Die Faſchingszeit iſt
nicht minder ein wichtiger Zeitpunkt fuͤr die
Muͤnchner, und Baͤlle, Redouten und Schmau-
ſereyen draͤngen ſich waͤhrend deſſelben bei allen
Staͤnden.


Ein Volk wie dieſes wird viel ſchlechte
Wirthe, aber weniger ſchlechte Menſchen ſtellen.
Der Charakter der Muͤnchener hat etwas Ei-
genthuͤmliches, das auf den erſten Blick dem
Fremden auffaͤllt. Es iſt eine gewiſſe Treu-
herzigkeit und Offenheit, die ſich zwar faſt wie
Grobheit ausnimmt, aber es in der That
nicht iſt. Ein voller und rauher Dialekt und
gewiſſe unabgeſchliffene Manieren geben die
[243] Veranlaſſung zu dieſem Irrthume, der ſo-
gleich aufhoͤrt, wenn man mit ihnen naͤher
bekannt wird: was ſehr leicht iſt, da ſie in
ihrem Innern nichts zu verbergen zu haben
ſcheinen. Man entdeckt dann unter jener nicht
verfeinerten Außenſeite ein mitleidiges Herz,
wahre Vaterlandsliebe, viel geſunden Ver-
ſtand und uneigennuͤtzige Dienſtfertigkeit und
Treue. Glaubt ein Muͤnchener Recht zu ha-
ben, ſo verficht er es in dem ihm eigenthuͤm-
lichen rauhen Tone; aber er ſchweigt ganz,
wenn von Dingen die Rede iſt, die er nicht
verſteht, und er iſt faſt zu gelehrig, wenn er
Leute hoͤrt, denen er mehr und hoͤhere Kennt-
niſſe zutrauet. Geſchwaͤtzigkeit und Schoͤn-
ſprecherey ſind hier ganz unbekannte Untugen-
den, und Windbeuteley und Schmeicheley ſind
aͤußerſt ſelten. Gefaͤllt jemand dem Muͤnchener
nicht, ſo wird er es bald ſehen oder hoͤren.
Die Neugier und die Aufmerkſamkeit auf
Fremde, die dieſen in den oͤffentlichen Haͤu-
ſern zu Dresden ſo laͤſtig wird, zeigt der
Q 2
[244] Muͤnchener nie, freylich auch nicht das hoͤf-
liche Zuvorkommen, dafuͤr aber die unge-
zwungenſte Gaſtfreundſchaft gegen jeden, der
ihm empfohlen worden. Seine Freymuͤthig-
keit im Urtheilen uͤber ſeine Vorgeſetzte, uͤber
ihre Handlungen und Einrichtungen, geht faſt
bis zur Ungezogenheit, und er theilt ſeine An-
merkungen nicht etwa nur leiſe, ſondern ganz
laut, in ſeinem natuͤrlichen, derben Tone und
in ſeiner kraͤftigen Sprache, oͤffentlich mit.
Wer Leute ſehen will, die ſich bei ihren Freu-
den unverholen, ohne Ziererey, herzlich freuen,
der gehe nach Muͤnchen in die Geſellſchaften
derjenigen Mittelklaſſe, die ich hier uͤberhaupt
im Sinn habe, und er wird noch wahrhafte
Heiterkeit und Geſelligkeit finden. Eben die-
ſe Leute zerfließen in Thraͤnen bei einem ruͤh-
renden Schauſpiel, und draͤngen ſich, einem
Ungluͤcklichen, dem auf der Straße ein Zufall
begegnet iſt, Wohlthaten zu erweiſen und in
ihre Haͤuſer aufzunehmen. Aus eben dieſer
Quelle mag wohl auch ihre muſterhafte An-
[245] dacht bei feyerlichen Handlungen der Religion
fließen. Fanatismus und thaͤtlicher Verfol-
gungsgeiſt findet in dieſen guten Seelen keinen
Raum, und obgleich es von Seiten ihrer
Prieſter nie ganz an Ermunterungen dazu ge-
fehlt hat, giebt es doch kein Beiſpiel, daß
das Volk ſeine, von ihnen ſo haͤufig ver-
ketzerten, Landsleute gemißhandelt haͤtte. Man
kann von vielen Mitgliedern der hoͤhern
Staͤnde nicht ein Gleiches ſagen, obgleich
man wiederum billigerweiſe annehmen muß,
daß der Verfolgungsgeiſt, deſſen ſie ſich in
neuern Zeiten ſchuldig gemacht haben, mehr
aus politiſchen als aus bigotten Ruͤckſichten
entſtanden ſey.


Der Umgang zwiſchen beiden Geſchlechtern
iſt hoͤchſt ungezwungen, und es iſt nicht zu
vermeiden, daß er, bei den vielen Gelegenhei-
ten, ſich erhitzt und berauſcht zu ſehen, nicht
in Ungebundenheit uͤbergehen ſollte. Selbſt in
beſſern Geſellſchaften erlaubt man ſich einen
Ton gegen das andere Geſchlecht, der jedem
[246] Fremden aus andern deutſchen Provinzen un-
gezogen vorkommen muß, und ein Benehmen,
das dieſes Geſchlecht in andern deutſchen
Staͤdten, beſonders in Niederdeutſchland, als
Beleidigung aufnehmen muͤßte, das aber hier
von den rothbaͤckigen Maͤdchen und Weibern
hoͤchſt gutmuͤthig und mit einer ihnen eigent-
thuͤmlichen Jovialitaͤt angeſehen und erwiedert
wird. Man muß ſich hier von dem Scheine
nicht blenden laſſen, und mancher oͤffentlich
gegebene und genommene Kuß, ſogar noch
etwas mehr, beweiſen unendlich weniger, als
ein verſtohlner Blick, und ein leiſer Fußtritt
da, wo man oͤffentlich alles, auch nur aus
der Ferne, anſtoͤßig Scheinende verbirgt, um
ſich heimlich demſelben ohne Maß und Ziel
zu uͤberlaſſen. Daß aber die Grundſaͤtze bei-
der Geſchlechter in dem angeregten Punkte
hier nicht die reinſten und feſteſten ſind, laͤßt
ſich aus der leichten und ſinnlichen Lebensart,
und aus den hier ziemlich haͤufig gegebenen
erlauchten Beiſpielen, ohne weitlaͤuftige Er-
innerung leichtlich ermeſſen.


[247]

Viele der hier angegebenen Zuͤge findet
man auch in den hoͤhern Staͤnden wieder. Im
Ganzen hat ihr Aeußeres nicht die Abgeſchlif-
fenheit ſolcher Perſonen, die man im gemei-
nen Leben einen feinen Mann, eine feine
Frau nennt, und ihre Sprache, wenn ſie
deutſch reden, iſt nur ſehr wenig von der
Sprache jenes Mittelſtandes verſchieden; da-
gegen iſt eine große Gabe von Aufrichtigkeit
und Wahrhaftigkeit noch bei ihnen unver-
kennbar und nicht leicht pflegen ſie jemand,
der etwas bei ihnen zu ſuchen hat, mit ſchoͤ-
nen Worten hinzuhalten, wenn ſie nicht Wil-
lens ſind, oder wenn es ihnen unmoͤglich wird,
etwas fuͤr ihn zu thun. Im Ganzen iſt, mit
einem Worte, der bayeriſche Adel mehr deutſch,
als man ihn in irgend einer andern deutſchen
Provinz findet. Am liebſten moͤchte ich dies
von dem urſpruͤnglich bayeriſchen hohen Adel
verſtanden wiſſen, der hoͤchſt ehrenwerthe Mit-
glieder hat, und den der Adel italieniſcher,
niederlaͤndiſcher und franzoͤſiſcher Abkunft, wo-
[248] von ſich einige Familien, deren Voreltern
mehreren bayeriſchen Fuͤrſten gefolgt ſind, hier
niedergelaſſen haben, in jenen ſchoͤnen Tugen-
den nicht immer erreicht. Daß es auch hier-
in Ausnahmen giebt, verſteht ſich von ſelbſt.


Ich unterdruͤcke, was ich noch vom politi-
ſchen Zuſtande des Landes, von der Regierung
und den Finanzen, von dem gegenwaͤrtigen
Landesfuͤrſten als Regenten und Privatmann,
ſo wie vom Zuſtande der Religion, der Wiſ-
ſenſchaften und der Kuͤnſte, ſagen koͤnnte. Es
iſt ſeit zwanzig Jahren uͤber dieſe Dinge, aus
allen Toͤnen, ſo viel geſchrieben worden, daß
man die Verhandlungen daruͤber ſchließen ſoll-
te. Einige haben, als bloß witzige Koͤpfe,
aͤrgerliche Chroniken geſchrieben; andre haben,
als Menſchenfreunde, mit moraliſcher Haͤrte,
die wohl auch in Bitterkeit uͤbergegangen iſt, die
vorgefundenen Mißbraͤuche geruͤgt; noch andre
haben alles ziemlich unſchuldig und ohne Aus-
nahme gelobt; und alle drei Gattungen ſind
in einem und dem andern Stuͤcke zu weit ge-
[249] gangen. Die vierte Gattung, die Gemaͤßigte,
die jedes Ding mit ſeinem eigenen Maßſtabe
zu meſſen, ſich kein Ideal zu machen, ſondern
die Sachen ſo zu nehmen pflegt, wie ſie, alle
Umſtaͤnde wohl erwogen, ſeyn koͤnnen und
muͤſſen: dieſe Gattung hat aus den Berichten
der drei uͤbrigen, mit noͤthiger Vergleichung
und Abrechnung, ihre Begriffe und Kenntniſſe
von dem Lande und dem Volke der Bayern,
laͤngſt geordnet, und kann der Winke eines
Durchreiſenden vollkommen entbehren.


Den 25ſten des Julius reiſ'te ich von
Muͤnchen aus auf Salzburg. Der Weg iſt
gemacht und eben ſo gut wie der, der mich
nach Muͤnchen hineinfuͤhrte; auch waͤre es eine
Schande, wenn er ſchlecht waͤre, da auf bei-
den Seiteu der Bauſtoff unter der Hand liegt.
Aber, was den Weg gut macht, macht den
Ackerboden ſchlecht. Das Getraide ſtand auf
dieſem Schutte hoͤchſt duͤnne, klein und
mager.


[250]

Zur rechten Hand erblickt man auf ein-
mahl die Salzburger Alpen, die eine hoͤchſt
ehrwuͤrdige Anſicht gewaͤhren. Sie ſtellen ſich
in Gruppen von fuͤnf bis acht Klippen dar,
unter denen gewoͤhnlich die mittelſte kegelſtaltig
uͤber die andern hervorragt. Tiefe Einſchnitte
trennen dieſe Gruppen eine von der andern.
Von ihrer Hoͤhe bekoͤmmt man dadurch einen
Maßſtab, daß man ſie nur anderthalb, hoͤch-
ſtens zwey Meilen entfernt glaubt, da doch
einige davon auf fuͤnf und zwanzig bis dreißig
Meilen zuruͤcktreten. Links dehnt ſich eine
unuͤberſehliche Flaͤche aus, waͤhrend vorwaͤrts,
wenn man ſich dem naͤchſten Poſtwechſel,
Porsdorf (2 M.) naͤhert, kleine, ſchwarz-
behoͤlzte Anhoͤhen ſich zu erheben anfangen.


Porsdorf iſt ein unanſehnliches Dorf, wie
es bei dem duͤrren Boden, auf dem es liegt,
nicht anders ſeyn kann. Der Weg von hier
aus bis Hohenlinden (2 M.) dauert ſo
fort, wie vorhin. Kurz hinter dieſem Orte
ſieht man, von einer Anhoͤhe herab, noch
[251] einmal Muͤnchen in ſeiner ganzen Ausdehnung
liegen, und es nimmt ſich von hier beſſer, als
von irgend einem andern Punkt aus. Der
gebahnte Weg dauerte immer noch in ſeiner
Vortreflichkeit fort; aber die Flaͤche um mich
her verſchwand bald, und ich ſah mich von
einem Wald umſchloſſen, durch welchen der
ſchoͤne, wallartig erhoͤhete, Weg wie durch
eine Allee fuͤhrte, und ſo bis Hohenlinden,
dem naͤchſten Poſtſtande, fortdauerte. Der
Boden hatte ſich merklich gebeſſert und in ein
lockeres, graugelbliches Erdreich verwandelt.


Hohenlinden iſt ein Dorf. Es kuͤndigte
mir den ganzen Wohlſtand an, den ich er-
wartete. Man hatte mir naͤmlich gerathen,
dieſen Weg nach Salzburg zu waͤhlen, weil
ich nie etwas Aehnliches an Fruchtbarkeit ge-
ſehen haben muͤßte. Reinlichkeit und Ordnung
herrſchten in den Haͤuſern, in den Hoͤfen, in
den Gaͤrten, auf den Straßen, und die Ein-
wohner zeigten ein gewiſſes offenes und zu-
friedenes Weſen, und Wohlhabenheit und
[252] Sauberkeit in ihrer Waͤſche und Kleidung.
Von Hohenlinden aus dauerte zwar der Wald
noch uͤber eine Stunde fort, und ich fing ſchon
an ihn etwas lang zu finden, als er ſich auf
einmal in eine hoͤchſt angenehme Ebene oͤffnete,
die, nur von ſanften Anhoͤhen unterbrochen,
eine bunte Miſchung von Ackerland und Hoͤlz-
chen darbot. Der Boden an ſich war zwar
noch wenig dankbarer, als der um Muͤnchen,
aber deſto mehr Ehre fuͤr die Bewohner die-
ſes Landesſtriches, daß ſie ihn in das frucht-
barſte Feld verwandelt haben, welches mir auf
meiner Reiſe zu Geſichte gekommen war. Zu-
ſammenhangende Doͤrfer fand ich von nun an
nicht mehr, aber faſt ſtand Haus an Haus
neben und vor mir, und dies dauerte unab-
ſehbar bis zu dem letzten Thurmſpitzchen fort,
das uͤber eine Baumgruppe hervorragte. Ich
zweifelte nicht mehr daran, daß ich mich
hier in dem Garten von Bayern befaͤnde.


Kurz vor Haag, der naͤchſten Poſt, (2
M.) gelangte ich abermals in ein Gehoͤlz, und
[253] war kaum darin, als das Luſtſchloß dieſes Or-
tes, von einer Anhoͤhe herab, mir in die Au-
gen fiel. Es iſt im alten Geſchmack erbaut,
hat rund herum eine Menge Thuͤrme, wird aber
gut unterhalten und giebt deßhalb keinen un-
angenehmen Anblick. Die Ausſicht von oben
herab iſt, nach dem was ich oben geſagt habe,
ſehr reitzend, beſonders da ſich die Salzburger
Alpen, mit ihren vorhin erwaͤhnten Gruppen
und tiefen Kluͤften, majeſtaͤtiſcher als vorher
erheben und den bunten Teppich, den man zu
ſeinen Fuͤßen hat, einfaſſen.


Haag iſt uͤbrigens ein Marktflecken der we-
nig bedeutet, deſſen Inneres aber ganz ſauber
iſt. Er beſitzt ſogar einen Springbrunnen.


Weg und Gegenden blieben von hier aus
die Fortſetzung der vorigen, und wurden wei-
terhin noch um vieles ſchoͤner. Ich bekenne
noch keine Landſchaft geſehen zu haben, die,
wie dieſe, ſo viel Reitz mit ſo viel Ueppigkeit
des Fruchttriebs verbunden haͤtte. Um mich
her ſtand nichts als Weizen, mehr als Man-
[254] neshoch, mit dicken, vollen Aehren, die, uͤber
eine unabſehliche Flaͤche hinweg, vom Winde
bewegt, ihre braunen Wellen ſchlugen. Darun-
ter geſtreuet zeigten ſich ſtreckenweiſe kleine
Wieſenplane, Waͤldchen von einzelnen Baͤu-
men, und behoͤlzte Huͤgel, uͤber die man zum
Theil hinfaͤhrt und eine neue Abwechslung in
den Geſichtskreis bringen. Hat man zwey
oder drey derſelben hinter ſich, ſo zeigen ſich
die Alpen von neuem und naͤher als vorher.
Man glaubt ſich an ihrem Fuße zu befinden,
und zu bemerken, wie ſie hier, mit vier oder
fuͤnf Abſaͤtzen, in die Flaͤche, in der man ſich
befindet, auslaufen, und ſie, zum Erſatz fuͤr
ihre eigenen, rauhen, unfruchtbaren Gipfel,
mit Reichthuͤmern der Natur uͤberſchuͤtten, in-
dem ſie Stroͤme und Stroͤmchen herabſenden
und eine maͤchtige Vormauer gegen Sturm
und Ungewitter bilden.


So dauern Weg und Gegend bis Ampfing,
der naͤchſten Poſt, (2 M.) fort. Man befindet
ſich in einem großen, wohlgebaueten Dorfe. Der
[255] Mond war an einem ſo wolkenreinen Himmel
aufgegangen, daß ich mich entſchloß, die Fort-
ſetzung dieſer ſchoͤnen Gegend in deſſen Glanze
zu ſehen. Anfangs kam ich in eine kurze und
duͤnne Waldung, durch welche ich kaum drey
Viertelſtunden hingefahren war, als ich mich,
bey einer Wendung zur Rechten, unvermuthet
an dem Rande eines Thales, oder vielmehr
Keſſels, befand, deſſen Grund theils mit Hol-
zung beſetzt, theils mit dem Bette des breiten
und ſchnellen Inns, den der Mond in fließen-
des Silber verwandelte, bedeckt war.


Ich kam durch Muͤhldorf, ein Staͤdtchen
am Inn, das vor mehr als hundert Jahren
vom Feuer ganz verwuͤſtet wurde, und ſeine da-
mals nicht ganz zerſtoͤrten, ſtarken Stadtmau-
ern nicht ganz ausfuͤllt. Sein Aeußeres iſt
nicht unangenehm, weil man uͤberhaupt in
Bayern darauf ſieht, daß die Haͤuſer in Auf-
putz erhalten werden.


Durch Altenoͤttingen, wo ſich die naͤchſte
Poſt befindet (3 M.) kam ich gegen Morgen.
[256] Es iſt eine Stadt von betraͤchtlichem Umfan-
ge, im Ganzen genommen gut gebauet, ſauber
unterhalten, mit breiten Straßen und einem
betraͤchtlichen Marktplatze.


Von dort aus kam ich auf Burghauſen,
(2 M.) eine betraͤchtliche Stadt mit einer Bergfe-
ſtung. Letztere muß man uͤber einen hohen Berg
erſteigen, der, ſeiner ganzen Laͤnge, und ſeinem
ganzen Umfange nach, mit Mauern und Thuͤr-
men eingefaßt iſt, die aber den Anblick von
Sorgloſigkeit und Verfallenheit geben. Am Fuße
der Burg liegt die Stadt ſelbſt, die auf der an-
dern Seite ebenfalls von Bergen umgeben
wird, und in ihrer Lage viel Aehnliches mit
Karlsbad hat, aber zwey bis dreymal laͤnger
iſt, als dieſe Stadt, auch anſehnlichere Haͤu-
ſer hat, die mit platten Daͤchern oder auch mit
vermauerten Giebeln verſehen ſind. Von
Burghauſen aus tritt man in ein großes, mehr
wildes als angenehmes, Thal ein. Man be-
haͤlt es zur Linken, indem man rechts an dem
Abhange deſſelben hinfaͤhrt, und zu ſeinen Fuͤ-
ßen
[257] ßen einen mit Holz beſetzten Abgrund und
neben ſich mit Nadelholz bepflanzte, ſtellen-
weiſe verwitterte und heruͤberhangende Kalk-
felſen hat. So geht der Weg in verſchiedenen
Biegungen fort, bis ſich das Thal erweitert,
die Anhoͤhe an beyden Seiten unerheblicher
wird und rechts in eine Flaͤche auslaͤuft, waͤh-
rend links ein dichtes Gehoͤlz die Niederung
verſteckt.


Hinter dem letzten Pfalzbayerſchen Maut-
amte, das man hier eben ſo wenig, als irgend-
wo ein anderes, ungeſtraft zuruͤcklegt, fuͤhrt der
Weg eine Weile bergan, durch ein bald hoͤhe-
res, bald mehr niedriges, bald duͤnneres Ge-
hoͤlz, in welchem ich aber ſtellenweiſe den Bo-
den zur hoͤchſten Fruchtbarkeit erhoͤhet und mit
dem ſchoͤnſten Weizen bedeckt fand. Sodann
erblickte ich auf einmal jenes Thal, das ich
eine Strecke vorher verloren hatte, in einer
ausgebreiteten Geſtalt, und von dem Salza-
fluß in mancherley Windungen durchſtroͤmt,
wieder. Mehr aber feſſelt den Blick die ploͤtz-
Fuͤnftes Heft. R
[258] liche Wiedererſcheinung der hohen Salzburger
Alpen, die ich, von Muͤnchen aus, beſtaͤndig
zur Rechten behalten, dann verloren und nun
auf einmal gerade vor mir hatte. Ganze
Strecken davon waren noch mit Schnee be-
legt, und die Kluͤfte und Einſchnitte zwiſchen
den einzelnen Klippen mit demſelben angefuͤllt.


Endlich faͤhrt man in dieſes Thal hinab,
und man erblickt bald rechter Hand das Staͤdt-
chen Titmaning (3 M.) das von einem al-
ten Schloſſe beherrſcht wird, von welchem
herab Graben und Mauern bis zur Stadt
und um die Stadt laufen. Titmaning ſelbſt
iſt ganz in der Geſtalt und in dem Geſchmacke
von Neumarkt, deſſen ich oben erwaͤhnt habe,
angelegt und gebauet: es hat eine einzige,
ſchnurgerade, breite Hauptſtraße, die zugleich
den Markt bildet, an deſſen beyden Enden ein
Springbrunnen angebracht iſt, und von wel-
chem ein paar enge Quergaſſen auslaufen.
Die Haͤuſer haben vermauerte Giebel und ge-
ben einen italieniſchen Anblick.


[259]

Sie Salzburger zeigten ſich hier ſchon in
ihrer vollſtaͤndigen Volkstracht. Die Maͤnner
trugen kapuzinerbraune Roͤcke mit breiten und
ſehr kurzen Taillen; und große, runde Huͤte,
theils ſchwarz, theils gruͤn, mit einem Bande
umwunden, das in große Schleifen geſchlagen
iſt, die man an den Kypf des Hutes annaͤhet.
Ihre Schuh waren Pantoffel mit Quartieren,
die auf der Spanne mit Baͤndern befeſtigt,
ganz den Anblick gaben, wie die neueſten
Schuh der englaͤndernden Stutzer. Die Wei-
ber ſteckten in kurzen, tauſendfaltigen Roͤcken,
in ſehr kurzen Waͤmſern, deren Taillen faſt
unter den Schultern anfingen, unter ſchwar-
zen, uͤber Drath gezogenen, abſcheulich geform-
ten Hauben von Flor, und in einem ſteifen,
panzerartigen Bruſtlatze, unter welchem ein
Leibchen von Kattun, das bis unter das Kinn
zugeſchnuͤrt oder zugeknoͤpft war, ſich befand,
welches, wie der Latz ſelbſt, zu einem Boll-
werke gegen alle luͤſterne Anfaͤlle beſtimmt zu
ſeyn ſchien. Uebrigens war, das maͤnnliche
R 2
[260] wie das weibliche Geſchlecht, nicht groß, aber
ſtark, nicht ſchoͤn, aber friſch.


Von Titmaning bis Laufen, (3 M.) blei-
ben Weg und Gegend ſich gleich. Wald und
Ackerland wechſeln. Beyde ſind in ihrer Art
vorzuͤglich. An lichtern Stellen zeigen ſich die
Salzburger Gebuͤrge von neuem, und unter
ihnen ſticht der Untersberg vorzuͤglich her-
vor. Ueber den Gipfeln deſſelben, die mit
Schnee bedeckt waren, ſchwebten Wolken, die,
von der Sonne angeſchienen, wie ungeheure
Saͤulen von Schnee immer eine Weile da
ſtanden, ehe ſie ſich erhoben. Jede Spalte im
Berge, jede Kluft in der Hoͤhe, war noch mit
Schnee ausgefuͤllt, der gegen die Schwaͤrze der
beſchatteten Bergtheile ſtark abſtach. Je naͤ-
her man Laufen kommt, deſto naͤher kommt
man zugleich dieſen Bergen, bis man, hart
vor dieſer Stadt, ſich links wendet und die
hoͤhern Felſen im Ruͤcken behaͤlt, waͤhrend man,
an dem Fuße eines Berges mittler Ordnung,
uͤber die Salza in die Stadt hineinfaͤhrt.


[261]

Dieſe iſt mit platten Daͤchern und ver-
mauerten Giebeln gebauet und in dieſer Art
nicht unanſehnlich. Die Haͤuſer haben meiſt
drey Stock, das Pflaſter iſt ertraͤglich und die
Straßen ſind ziemlich geraͤumig.


Von Laufen aus faͤhrt man endlich gerade
in die Alpen hinein, und man ſieht nun recht
lebhaft, wie ſehr man, wenn man nicht ge-
wohnt iſt in Berggegenden zu reiſen, ſich in
Abſicht der Naͤhe oder Entfernung irren kann.
Immer ſind die Berge vor und neben einem,
und immer erreicht man ſie nicht. Endlich be-
findet man ſich zwiſchen ihnen in dem Thale,
aus welchem die Salza hervorſtroͤmt, und nun
ſieht man alles in veraͤnderter Geſtalt. Was
vorher eine ſchwarze, ſtarr emporſtehende Fel-
ſenmaſſe war, zeigt ſich jetzt am Fuße mit
Gaͤrten und Wieſen und Landhaͤuſern, hoͤher
hinauf mit Gehoͤlz und erſt ganz oben mit
kahl hervorſtehenden, zerriſſenen, verwitterten,
Klippen bepflanzt. Die vorige Steilheit ver-
ſchwindet groͤßeſtentheils und verfließt in all-
[262] maͤhlige Abſaͤtze, Abhaͤnge und Ruͤcken, und
der Schnee, der ſich vorher dem Auge wie
auf einem weiten Bette gelagert zeigte, er-
ſcheint jetzt in einzelnen, nicht zuſammenhaͤn-
genden Einſchnitten und Spalten, und ſein
blendendes Weiß iſt in Grau verwandelt. Da-
gegen ſteht man nun vor der ganzen Maſſe
der Berge, uͤberſieht ſie von der Wurzel bis
zum Gipfel, in ihrer Hoͤhe und Breite, und
was ſich vorher als ein bloßer Kegel zeigte, iſt
jetzt ein breiter, ſtundenweit ausgedehnter, un-
ebner, ausgezackter Ruͤcken.


Zwiſchen ſolchen Erſcheinungen faͤhrt man
auf Salzburg (1½ M.) zu, das nun ſicht-
bar zu werden anfaͤngt. Erſt erblickt man deſ-
ſen hohe Burg, dann einzelne Kirchthuͤrme,
dann einzelne Haͤuſer, waͤhrend man in dem
ſchoͤnen Thale um und neben ſich angenehme
Landhaͤuſer, wohlhabende Doͤrfer, Wieſen,
Gaͤrten, reiche Saaten und Alleen in der
ſchoͤnſten Mannichfaltigkeit uͤberſiehet. Immer
bunter wird dies alles, je naͤher man der Stadt
[263] koͤmmt, die ſich allmaͤhlig mehr hinter den
Bergen hervorzieht, und in deren Thoren
man iſt, ehe man es ſich verſieht. Iſt man
zum Thore herein, ſo liegt ſie ſelbſt auch, in
ihren beyden, durch die Salza getrennten, Haͤlf-
ten, vor einem. Sie giebt den Anblick von
Gruͤndlichkeit, aber auch zugleich von Einge-
ſperrtheit, welche letztere beſonders durch die
zuſammengedruͤckte Form der Haͤuſer mit un-
ſichtbaren Daͤchern, durch ihre Hoͤhe, durch
die Lage eines Theils derſelben an einer ſchrof-
fen, nackten Felſenwand, durch die Engigkeit
der Straßen und das wiederholte Durchgehen
unter gewoͤlbten Eingaͤngen bewirkt wird.

*)
Ihr Titel iſt: Umſtaͤndliche Beſchreibung
Dresdens, mit allen ſeinen innern und
aͤußern Merkwuͤrdigkeiten, hiſtoriſch und
architektoniſch
. Leipzig, 1781-83.
*)
Vergl. Bergmaͤnniſches Journal, 1792, 11tes Stuͤck,
S. 384.
*)
Sie ſind mit Nro. 30. 31. 32 und 33 bezeichnet.
*)
Vergl. Karlsbad, beſchrieben zur Bequem-
lichkeit der hohen Gaͤſte
, daſelbſt, 1788 —
ein wunderlich geſchriebenes kleines Buch, dem ich
aber bey obigen Angaben folgen zu koͤnnen glaubte,
da es von einem Karlsbader Handwerker verfaßt zu
ſeyn ſcheint.
*)
Leſern, die ſich in chemiſcher Hinſicht uͤber dieſe
Quellen naͤher unterrichten wollen, empfehle ich des
*)
verſtorbenen D.Bechers: Neue Abhandlun-
gen uͤber das Karlsbad
ꝛc. Leipzig 1789.
Neuer ſind die Verſuche des Herrn Prof. Klap-
roths
in Berlin, die er in der kleinen Schrift
„Chemiſche Unterſuchung der Mineral-
quellen zu Karlsbad“
bekannt gemacht hat.
Berlin, 1790.
*)
Man ſollte, wie mich duͤnkt, dieſe unanſtaͤndige
Benennung, die Verachtung gegen die darin befind-
lichen Ungluͤcklichen andeutet, jetzt in eine anſtaͤndi-
*)
gere verwandeln. Koben, Koͤbel wird, wenig-
ſtens in unſern Tagen, nur von Behaͤltniſſen fuͤr
Thiere gebraucht und iſt ein Synonym von Stall
geworden.
*)
Dieſer Gelehrte hat, wie der Herr von Murr und
der fleißige Prof. Siebenkeeſ zu Altorf, unſchaͤtz-
bare Verdienſte um die politiſche, litterariſche und
artiſtiſche Geſchichte von Nuͤrnberg.
*)
Bey meiner Anweſenheit in Nuͤrnberg erſchien fol-
gende kleine Schrift: Bemerkungen und Er-
laͤuterungen uͤber die Nuͤrnbergiſche
Staatsverfaſſung, von einem Nuͤrnber-
giſchen Buͤrger verfaßt
, 1ſtes Heft. 1793.
Sie iſt ohne Leidenſchaft geſchrieben und mit Ur-
kunden belegt. Anſtatt einen Auszug davon zu ge-
ben, empfehle ich vielmehr ſie ganz zu leſen. Bey
aller Kuͤrze iſt ſie ſehr deutlich und beſtimmt, und
muß jeden Unparteyiſchen befriedigen
*)
Ihr Titel iſt: Kurze Beſchreibung der
Reichsſtadt Nuͤrnberg; ein Handbuch fuͤr
Einheimiſche und Fremde, zunaͤchſt aber
fuͤr Reiſende. Verfaſſet von C. G. Muͤl-
ler
. Nebſt einem geometriſchen Grundriſſe von
der Stadt Nuͤrnberg. Daſelbſt bey Zehn. 1793.
*)
Außer dieſer giebt es noch ſieben und zwanzig an-
dere kleinere Hauskapellen in Muͤnchen.
*)
Unregelmaͤßig iſt es wohl mit aus dem Grunde,
daß Maximilian der Erſte, der es anlegte,
fuͤr einen großen Baukuͤnſtler gelten wollte. Mi-
lizia
, Memorie degli Architetti. Tom. I. pag.

32.
*)
Die Kurfuͤrſtin Adelheit, Gemalin Ferdinands
und Tochter Viktor Amadeus des Erſten von Sa-
voyen, die Geiſt und Geſchmack von ihrem vaͤterli-
chen Hofe mit nach Bayern brachte.
*)
Beſchreibung von Muͤnchen ꝛc. daſelbſt 1783. S.
81.
*)
S. Weſtenrieders Beſchreibung von Muͤnchen,
S. 333. fg. vergl. mit Nicolai's Reiſe, Bd.
6. S. 703. fg. Ueber die Galerie beſonders ſehe
man: Abregé de tout ce qu'il-y-à de remar-
quable à voir à Munic etc. par l'Abbé Bermil-
ler,
1789.
*)
Nicolai's Reiſe, Bd. 6. S. 620. fg.
*)
jetzt verſtorbene.
*)
Umſtaͤndliche Nachrichten davon finden die Leſer in
C. M. Pluͤmikens Briefen auf einer Reiſe
durch Deutſchland
im Jahre 1791 (geſchrie-
ben) Theil 2, Seite 144. fg.
*)
Von den Verſuchen und Erfindungen des thaͤtigen
Profeſſors Herzer, die Verarbeitung dieſer einhei-
miſchen Baumwolle betreffend, findet man vollſtaͤn-
dige und anziehende Nachrichten in Hrn. Pluͤmi-
kens
obengenanntem Buche, Theil 2, S. 191-194
und S. 206. fg., verglichen mit Seite 150. fg.
vorher, und mit S. 244. fg. und S. 304. fg. nach-
her.
*)
S. Nicolai's Reiſe, Band 6, S. 569. fg.


[]
[[1]]
Reiſe eines Lieflaͤnders
von
Riga nach Warſchau,
durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden,
Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg,
Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien
und Klagenfurt,
nach Botzen in Tyrol.

Sechstes Heft.

Enthaltend
einen Abriß von Salzburg und Wien
und
die Reiſe von dort nach Botzen.

Berlin,: 1796.
bey Friedrich Vieweg dem aͤltern.
[[2]]
[[3]]

Eilfter Abſchnitt.
Salzburg.


Die Feſtung Hohenſalzburg. Weg dahin. Eingang. In-
neres. Zeughaus. Fürſtenzimmer. Orgelwerk. Aus-
ſicht von oben herab. Lage und Anſicht der Stadt.
Lauf der Salza. Reizendes Thal. Wanderung über
den Mönchberg. Bekanntſchaft aus dem Stegereif.
Wallfahrt auf den Kapuzinerberg. Kloſter und Gar-
ten. Gipfel des Berges. Franciskus-Schlößchen.
Auſicht der kleinen Hälfte der Stadt. Andreaskirche.
Sebaſtianskirche. Denkmal des Theophraſtus Para-
celſus. Kirchhof. Zwey Grabſchriften. Dreifaltig-
keitsplatz. Dreyfaltigkeitskirche. Alumnat. Virgili-
aniſches und Marianiſches Kollegium. Leihbank.
Lodron'ſche Palläſte. Das Sommerſchloß Mirabelle.
Deſſen Garten. Pferdeſchwemme. Wunderthätiges
Chriſtkind. Merkwürdigkeiten um und auf dem Hof-
platze. Marſtall und dazu gehörige Anlagen. Das
neue Thor, durch den Mönchberg gehauen. Die
Univerſität. Der Domplatz. Marienſäule. Der Dom.
Der Hofplatz. Das Reſidenzſchloß. Zimmer des
Fürſten. Der Neubau. Der Hofbrunnen. Vor-
ſtädte. Das Nonnthal. Spital des Domkapitels.
Leopoldskrone. Die Vorſtadt Mühlen. Johannes-
ſpital. Zug zur Geſchichte der Pilgrimſchaften. Die
A 2
[4] Vorſtadt Stein. Lederfabrik. Häuſer und ihre
Bauart in Salzburg. Pflaſter. Waſſerwerke. Po-
lizeyeinrichtungen. Verſorgungsanſtalten. Hafner,
ein merkwürdiger Wohlthäter ſeiner Vaterſtadt. Be-
völkerung von Salzburg. Abnahme derſelben. Ur-
ſache. Geſellſchaftliches Verkehr. Stiftsadel. Hoher
Adel. Landadel. Der Hof. Erzbiſchof Wolf Diet-
rich und ſeine Mätreſſe. Der regierende Fürſt.
Oeffentliche Vergnügungen in Salzburg. Oekonomi-
ſche Lage der Einwohner. Luxus und Mode. Cha-
rakter des Salzburgers. Winke über den Zuſtand
der Gelehrſamkeit und Künſte. Ausflucht nach Eigen,
Hellebrunn und Hallein. Abreiſe von Salzburg.


Reiſe nach Linz. Neumarkt. Frankenmarkt.
Nachtreiſe. Wels. Linz. Anſicht, Lage und Bauart
dieſer Stadt. Marktplatz. Zahl der Einwohner.
Lyceum. Buchladen. Das Linzer Blut. Tracht
der Landleute um Linz. Abreiſe nach Wien. Ebers-
berg. Ens. Wege und Gegenden. Ankunft in
Wien.



Schon den Tag meiner Ankunft machte ich
es mir zum Geſchaͤfte, den Standplatz von
Salzburg zu bereiſen. Ein Blick aus dem
Fenſter meines Gaſthofes auf die Feſtung Ho-
henſalzburg
, die mir zur Linken ſchraͤg ge-
genuͤber lag, erweckte in mir den Gedanken,
daß ich einen heitern Nachmittag und einen
[5] Abend, der ſchoͤn zu werden verſprach, nir-
gends angenehmer, als auf jenen einladenden
Hoͤhen, wuͤrde zubringen koͤnnen. Die Feſtung
ſelbſt, die vielſeitige Ausſicht von dort herab
uͤber die Stadt und die ganze umliegende Ge-
gend, und der Ruͤckweg uͤber den Bergruͤcken,
der mit Gehoͤlz und mit kleinen Meyereyen
beſetzt, ſich von dem Fuße des Burgfelſens um
die groͤßeſte Haͤlfte der Stadt herumzog und
einen ungeheuren, natuͤrlichen Wall bildete:
alle dieſe Dinge ſetzten mich uͤber die Ermuͤdung
der Reiſe hinaus, und ich trat meine Wande-
rung, von einem Lohnbedienten gefuͤhrt, auf
meinen eigenen Fuͤßen an.


Ich eilte uͤber den Hofplatz, ließ fuͤr
diesmal den großen Springbrunnen, das Re-
ſidenzſchloß, den Dom, den Marſtall, ein paar
Kloͤſter und andre Merkwuͤrdigkeiten unbeſehen,
und naͤherte mich dem Nonnberge, einer
unbetraͤchtlichen Anhoͤhe, die am Fuße des
Schloßfelſens liegt und von dem auf ihrer
Scheitel befindlichen Nonnenkloſter, den Na-
[6] men hat. Von da an fuͤhrte mich rechts der
Weg, der ſchon lange vorher bergan gelaufen
war, zu der Feſtung, und, nach einem halb-
ſtuͤndigen Steigen, befand ich mich an dem
aͤußerſten Thore derſelben, dem Scharten-
thore
, das durch ein Blockhaus gedeckt, und
verſchloſſen war. Innerhalb deſſelben zeigte
ſich eine Schildwache, die Namen, Stand und
Vaterland von mir zu wiſſen verlangte, und
nach erhaltener Auskunft ſich nach einem zwei-
ten, weiter oben gelegenen, Thore verfuͤgte,
von wo ein anderer Bote in die Feſtung ſelbſt
hinauf ſtieg und das weitere beſorgte. Bald
nachher wurde ich eingelaſſen.


Der Eintritt in dieſe Burg hat Aehnlich-
keit mit dem Eingange in die Feſtung Koͤnigsſtein
bey Dresden; aber die Mauern und Gewoͤlbe
geben bey weitem nicht den ſtarken und ſorg-
faͤltig unterhaltenen Anblick, den die Koͤnigs-
ſteiner gewaͤhren. Ich befand mich, nachdem
ich uͤber eine Zugbruͤcke gegangen war, bald
im innern Raume der Feſtung. Hier boten
[7] ſich mir Fuͤhrer an, die mir die Merkwuͤrdig-
keiten des Ortes zeigen wollten. Gern haͤtte
ich zuerſt die Hoͤhe der Feſtung erſtiegen, um
mir das Schauſpiel der herrlichen umliegenden
Gegend zu verſchaffen; aber ich konnte nicht
dafuͤr, daß ein Mann in Officiersuniform, die
Dinge, die er zu zeigen hatte, fuͤr die merk-
wuͤrdigſten in und auf der Feſtung hielt und
mich auf eine dringend-hoͤfliche Weiſe einlud,
zuerſt mit ihm zu gehen. Er fuͤhrte mich alſo
in das Zeughaus und zeigte mir, mit vielen
Worten und großem Feuer, allerley metallene
Kanonen, vom kleinſten bis zum groͤßeſten
Maße, drey oder vier lederne und hoͤlzerne
Stuͤcke, Kugeln fuͤr Moͤrſer und Kanonen al-
ler Art, Gewehre aus der Tuͤrkey, aus Spa-
nien und aus Frankreich, mit Gold und Sil-
ber reich, aber geſchmacklos genug beſchnoͤrkelt;
und endlich ritterliche Waffen in Menge, von
der Lanze an bis zum Panzerhemde. Er hielt
ſich bey dem allen ermuͤdend lange auf, und
obgleich ich, ſo beſcheiden ich konnte, mehr als
[8] einmal die Anmerkung dazwiſchen ſchob, daß
ich, in Abſicht des neuern Geſchuͤtzes, die Zeug-
haͤuſer zu Berlin, Straßburg und Dresden,
und in Abſicht des aͤltern, die zu Venedig,
Danzig, Nuͤrnberg, und ſogar das Buͤrger-
zeughaus in Wien, geſehen habe; ſo rettete
mich dies doch nicht von einer umſtaͤndlichen
Kenntniß des ganzen Waffenvorraths auf der
Feſtung Hohenſalzburg. Zuletzt unterhielt er
mich noch ſehr lange mit der Geſchichte des
bekannten Aufruhrs der Salzburger Bauern,
und beſonders mit ihrem Anfuͤhrer, Ma-
thias Stoͤckel
, deſſen Pferd, mit Stroh
ausgeſtopft, und deſſen Ruͤſtung vor uns ſtand
und lag, und den Text zu ſeiner hiſtoriſchen
Abhandlung hergegeben hatte. *)


[9]

Ich glaubte dieſes eifrigen Fuͤhrers los zu
ſeyn, als ich die Thuͤre des Zeughauſes hinter
mir raſſeln hoͤrte; aber er hielt mich feſt und
verſprach, mir die fuͤrſtlichen Zimmer in der
Burg zu zeigen. Sehnſuchtsvoll fuhr ich zu-
ruͤck in die friſche Luft; zoͤgernd blieb ich,
auf dem Wege dahin, vor jeder Luͤcke ſtehen,
die mir eine Ausſicht in die Tiefe hinab ge-
waͤhrte, aber mein unbarmherziger Begleiter
trieb mich, in ſeinem vorhin erwaͤhnten Tone,
immer vorwaͤrts und ließ mir nicht die Zeit
und den Muth, ihm uͤber ſeine ſtuͤrmiſche Ge-
faͤlligkeit meine Empfindlichkeit zu bezeigen.


Die fuͤrſtlichen Zimmer ſind uralte Gemaͤ-
cher, nach dem damaligen Geſchmacke verziert.
Da ſieht man abenteuerliche Vergoldungen und
Schnitzwerke, Teppiche von Leder, Hirſchge-
weihe, und einen gewaltigen Hirſch ſelbſt. Eine
andere Verzierung, die einem feſten Platze ſo
*)
[10] angemeſſen iſt, ſahe ich gleich in dem erſten
Zimmer, naͤmlich die Wappen des Erzbiſchofs,
des Domkapitels und der Landſchaft, zuſam-
men geſetzt aus — Flintenſchloͤſſern. Zum
Ueberfluſſe mußte ich auch noch eine kleine Ka-
pelle in der Naͤhe dieſer Zimmer beſehen. Ue-
brigens fand ich in den letztern in ſo fern einen
kleinen Erſatz fuͤr meine gefaͤllige Aufmerkſam-
keit, daß ich mich, unter dem Vorwande der
eingeſchloſſenen Luft, eines Fenſters bemaͤchti-
gen, es oͤfnen und von Zeit zu Zeit einen dur-
ſtigen Blick auf die unter mir ausgeſpannte
lebendige Landkarte hinab ſenden konnte.


Endlich uͤberließ mich dieſer Fuͤhrer an den
zweyten, der ein bloßer Invalide war, und
mich geduldig dahin fuͤhrte, wo ich zu ſeyn
wuͤnſchte, naͤmlich auf die erhabenſten Punkte
der Feſtung. Wir durchliefen mehrere ſchmale
Gaͤnge, deren Fußboden ſtellenweiſe unter uns
erbebte und dadurch eine ſchlechte Meynung
von der Feſtigkeit des Ganzen erweckte, und
erſtiegen ein paar Thuͤrme, von denen herab
[11] man zwar die eine Haͤlfte der umliegenden Ge-
gend, aber nicht die andre, und nicht die ſaͤmmt-
lichen Gebaͤude der Feſtung ſelbſt, uͤberſehen
konnte. Zu einem dieſer Thuͤrme, den großen
Trompeterthurm
, brachte mich mein Fuͤh-
rer, um mir eine alte Orgel, die fuͤr ihn eine
große Merkwuͤrdigkeit war, zu zeigen. Sie
wird durch Walzen und Blaſebalg in Bewe-
gung geſetzt, macht zweymal des Tages, Abends
und Morgens, ein Geſchrey mit allen ihren
Pfeifen, und ſpielt ſodann ein Stuͤck, das
alle Monate abwechſelt.


Der Invalide ſchuͤttelte den Kopf, daß ich
dieſe altmodiſche Seltenheit nur ſo fluͤchtig an-
ſahe, und verſicherte, wenn ich die Felſen da
unten dreißig Jahr angeſehen haͤtte, wie er,
wuͤrde ich wohl auch nicht mehr ſo viel Ge-
fallen daran finden. Ich gab ihm Recht, und
bat ihn, mich nun auf den allerhoͤchſten Fleck
der Feſtung zu fuͤhren; dies that er denn, doch
nicht, ohne ein paarmal keuchend zu wieder-
holen, daß einem alten Kerl das Steigen doch
[12] gewaltig ſauer wuͤrde. Ich duͤrfte auf dieſe Be-
merkung nicht achten, weil ihm ſonſt das Stei-
gen noch einmal ſo beſchwerlich geworden waͤre;
und ſo gelangten wir endlich auf den ſogenannten
Feuerthurm, der nicht nur die Stadt und
die umliegende Gegend nach allen Seiten, ſon-
dern auch die ſaͤmmtlichen Werke und Gebaͤude
der Feſtung beherrſcht. Nun waren meine
Wuͤnſche erſt erfuͤllt.


Ich ſah unter mir ein geraͤumiges Thal
ausgebreitet, das, in der Geſtalt eines Halb-
zirkels, von hohen und hoͤchſten Bergen umge-
ben war, und ſich, nach Bayern zu, zwiſchen
maͤchtigen Felſen hinlaufend, in den Horizont
verlor.


Aus dieſem Thale ſtieg ein hoher, ſteiler,
kegelfoͤrmiger Felſen von Sandſtein empor,
auf deſſen Gipfel eine Burg, mit Mauern und
Außenwerken rund umzogen, ſich erhob, und
ihn wie eine Krone bedeckte. Es war der
Schloßberg und ich befand mich auf dem
hoͤchſten Punkt deſſelben.


[13]

An ſeinen Fuß ſchloß ſich ein maͤßig hoher
Felsruͤcken, der, in einer betraͤchtlichen Breite,
ſich in das Thal hinab zog, mit Wald, Gaͤr-
ten und Meyereyen beſetzt, und an beyden
Seiten lothrecht und ſchroff abgeſchnitten er-
ſchienen. Dies war der Moͤnchberg.


Ihm gegenuͤber, dem Burgfelſen gegen
Oſten, erhob ſich ein dritter Felſen, weniger
ſteil, aber mit mehr ausgedehnter Grundlage,
als jener, mit ſchwarzer Waldung bedeckt, und
der Kapuzinerberg genannt.


Zwiſchen dieſe drey Berge brach ein ſchnel-
ler Fluß, die Salza, herein, und nahm die
Mitte des kleinern Thals ein, das dieſe drey
Berge in dem erſt erwaͤhnten großen Thale
bildeten. An ſeinem linken und rechten Ufer
erſchien die Stadt Salzberg in zwey Haͤlften
gelagert: die groͤßere auf der Seite und an dem
Fuße des Schloß- und Moͤnchberges, die klei-
nere am Abhange des Kapuzinerberges und
auf einer ſich an ihn ſchließenden Flaͤche; beyde
Theile verband wiederum eine Bruͤcke. Jene
[14] drey Berge ragten uͤber die Haͤuſer der Stadt
empor und erdruͤckten ſie gleichſam, beſonders
da ein großer Theil derſelben unmittelbar
an ihrem Fuße gelagert iſt, und da ihre Daͤ-
cher flach ſind und, in gleicher Hoͤhe an
einander hangend, fortlaufen. Die Straßen
verloren ſich zwiſchen ihnen wie Rinnen, weil
ſie an ſich nicht breit ſind und weil mein
Standpunkt hoch war.


Um jene drey Berge her, auf der Ebene,
in welcher ſie ſich erheben, zeigte ſich ein Ge-
wimmel von groͤßern und kleinern Luſtſchloͤſſern,
Sommerhaͤuſern, Hoͤfen, Alleen, Gaͤrten, und
weiterhin von Doͤrfern, Kornfeldern und Wie-
ſen, alles wohl unterhalten, mit einem lachen-
den Gruͤn umzogen, von der Salza in den
eigenſinnigſten Windungen durchſchlungen. Die-
ſer bunte Teppich zog ſich mit ſeinem ganzen
Reichthum, auf allen Seiten ſeines Umfangs,
noch eine Strecke uͤber das Gehaͤnge der Ber-
ge hinan, die ſich drey- und vierfach um ihn
erheben, bis zu ihrer Mitte mit Waldigt und
[15] Wieſen uͤberzogen ſind, und ſich endlich in
nackte Ruͤcken, mit tiefen Spalten und Schluch-
ten, oder in ſchroffe Kegel und Spitzen, wie
gothiſche Thuͤrme ausgezackt, unter und uͤber
den Wolken endigen.


Nachdem ich mich an dem Ueberblicke die-
ſes großen Thales, eines der koͤſtlichſten, wel-
ches die Natur angelegt und der Fleiß und die
Prachtliebe der Menſchen ausgeſtattet haben,
ſattſam geweidet, ſchickte ich mich zur Ruͤck-
kehr an, mit dem feſten Vorſatze, daß ich nicht
zum erſten- und letztenmal hier geweſen ſeyn
wollte. Ich mußte den Weg, auf den ich in
die Feſtung ſelbſt gelangt war, als den einzi-
gen, wieder zuruͤck nehmen; aber außerhalb
ihres Einganges ſtand mir ein zweyter offen,
der mich, obwohl mit einem großen Umſchweif,
nach meinem Gaſthofe zuruͤckfuͤhrte. Es war
der Weg uͤber den Moͤnchberg, der, wie ich
erwaͤhnt habe, ſich unmittelbar an den Schloß-
berg ſchließt.


[16]

Sobald ich aus dem Schartenthore heraus
war, bot ſich mir zur Linken abermals ein
Theil der Ausſicht dar, deren ich vom Schloß-
berg herab genoſſen hatte: eine große Strecke
von der bunten Ebene, die ich jetzt naͤher un-
ter meinen Fuͤßen uͤberſah; und zur Rechten
mehrere Privatwohnungen, Sommerhaͤuſer
und Gaͤrten, die ſich am Abhange des Moͤnch-
berges nach der Stadt hinunter zogen. Unter
dieſen trat die Edmundsburg beſonders
ausgezeichnet hervor; eine artige Anlage, die
zu dem Kloſter St. Peter gehoͤrt, und mit
einer Laterne verſehen iſt, die zu einer Stern-
warte genutzt werden koͤnnte. Sie lehnte ſich,
mit vier Geſchoſſen in der Vorderſeite, auf
die Art an den Berg, daß man aus ihrem
vierten Stockwerke unmittelbar in den dazu
gehoͤrigen Hof tritt, worauf Schuppen fuͤr Wa-
gen und Stallungen fuͤr Pferde erbauet ſind:
eine Seltſamkeit, die ſehr lebhaft an die
Bauart eines Theils von Edinburg erinnert.
Wei


[17]

Weiterhin gelangte ich unter einige Pulver-
thuͤrme und zu einem Laboratorium, von de-
ren Inhalt mein Fuͤhrer eben nicht mit großer
Achtung ſprach; ſodann zu einem großen Waſ-
ſerbehaͤlter, der ziemlich gut erhalten war, und
in deſſen Nachbarſchaft zu zwey Kornmagazi-
nen, deren Vorrath ich auf ſich beruhen laſſe.
Weiterhin ging ich, oberhalb des Neuen
Thores
, das durch dieſen Berg gehauen iſt,
durch eine feſte Pforte, die aber offen ſtand,
nach dem andern Theile des Berges hinuͤber,
und fand eine Art von kleiner Feſtung vor
mir, die Buͤrgerwehre genannt, die mit
ſtarken Thoren, Ringmauern, Thuͤrmen und
mit Schießſcharten verſehen iſt, und den Zu-
gang zur Burg und zu dem anliegenden Theile
der Stadt ſchuͤtzen ſoll. Der Zuſtand dieſer
Befeſtigung ſchien mir anzudeuten, daß man,
unter den jetzigen Umſtaͤnden, ſich vor feindli-
chen Anfaͤllen nicht aͤngſtlich zu verwahren
haͤtte. In der Naͤhe war auch ein Pulver-
magazin.


Sechstes Heft. B
[18]

Von einer kleinen Anhoͤhe herab gelangte
ich, auf einem ſchmalen Wege, durch einige
gruͤnende Niederungen und friſche Waͤldchen,
zwiſchen denen eine Meyerey mit ihren laͤnd-
lichen Gebaͤuden hervorſah; und beſtieg dann
wiederum eine andere Anhoͤhe, die dicht mit
ſchattigten Baͤumen beſetzt war und eine hoͤchſt
anmuthige Ausſicht in das am Fuße des Ber-
ges ausgebreitete Thal darbot. Die unterge-
hende Sonne durchgluͤhte mit einzelnen Strah-
len das dunkle Gruͤn der Baͤume, eine Ge-
ſellſchaft von Perſonen beyderley Geſchlechts
hatte um einen Tiſch Platz genommen und
uͤberließ ſich einer lauten Heiterkeit; eine Harfe
und ein paar Geigen gaben aus der Ferne ei-
nige Mozart'ſche Weiſen an; und die Kellner
aus dem nahgelegenen Marketender-
Schloͤßchen
trugen ſo angenehm duftende
Schuͤſſeln, und einige ſo hochgluͤhende Wein-
flaſchen hin und wieder, daß ich mich nicht
enthalten konnte, zu thun, wozu ſie mich ein-
zuladen ſchienen: naͤmlich, nach meiner heuti-
[19] gen Arbeit auch zu eſſen, wenn anders ein
armer Reiſebeſchreiber noch aͤußern darf, daß
er auch auf ſeiner Reiſe Eßluſt gehabt und ſo
gar gegeſſen habe. Ich ließ, und zwar ſo
nahe als moͤglich bey jener froͤhlichen Geſell-
ſchaft fuͤr mich decken; und damit man mich
nicht fuͤr einen kalten Horcher halten ſollte, ſo
brachte ich mein erſtes Glas dem Moͤnchberge
und dem ſchoͤnen Abend, mein zweites der
Geſelligkeit, und mein drittes der Geſellſchaft
— mitten unter ihr — dar. Ich hatte nicht
Urſach, meine Zudringlichkeit zu bereuen, denn
ſie wurde von dieſem offnen, zutrauungsvollen
Voͤlkchen nicht dafuͤr gehalten. Erſt ſpaͤt in
der Nacht kehrte ich, uͤber den Reſt des Moͤnch-
berges, durch ſeine angenehmen Waͤldchen, vor
dem Johannisſchloͤßchen vorbey, deſſen
Mauern und Thuͤrme der Mond romantiſch
beleuchtete, bald neben Hoͤfen und Meyereyen,
bald neben Felſen hin, die mit Geſtraͤuch be-
wachſen waren, bald durch finſtre Hohlwege,
bald uͤber ausgehauene Stufen hinunter mit
B 2
[20] meinen neuen Bekanntſchaften nach der Stadt
zuruͤck.



Dieſen Morgen war ich fruͤh auf und im
Freyen. Der geſtrige Nachmittag und Abend
hatten mir die Gegend um Salzburg zu lieb
gemacht, als daß ich ſie nicht auch von andern
Standpunkten noch zu uͤberſehen haͤtte wuͤn-
ſchen ſollen. Mein Augenmerk war auf den
Kapuzinerberg gerichtet, den ich ſchon geſtern
beſtiegen haben wuͤrde, wenn die Zeit nicht zu
kurz geweſen waͤre.


Meinen Weg dahin nahm ich uͤber den
Markt, vor dem Rathhauſe vorbey, uͤber die
Bruͤcke, nach der entgegen geſetzten Haͤlfte der
Stadt, die zum Theil an dem Fuße des Ka-
puzinerberges gelagert iſt. Ich ging durch
das Kloſter dieſer Vaͤter hinein. Eine weit-
laͤuftige Anlage, in der ich aber nichts Merk-
wuͤrdiges fand, da ich ihr gewoͤhnliches Schild
(das roth angeſtrichene Kreuz, mit quer daruͤber
[21] gelegter Lanze des Landsknechts, und der Stange
mit dem Schwamme) das ſich mir in zwey
oder drey Exemplaren darbot, ſo wie die Fi-
gur des heiligen Franciskus, den ſie ſtatt ei-
ner Wetterfahne auf ihren Kirchthurm geſetzt,
und deſſen Thaten, die ſie in einer Reihe von
kleinen Kapellen abſcheulich hatten malen laſ-
ſen, nicht zu den merkwuͤrdigen Dingen rech-
nen mag.


Ein weitlaͤuftiger Garten umgiebt das ganze
Kloſter, und nimmt einen Theil des Berges
ein. Er iſt mit einer Mauer eingeſchloſſen,
die man aus der Ferne zwiſchen dem Waldigt
hervorragen ſieht. Außer der koͤſtlichen Aus-
ſicht uͤber die Stadt und uͤber die Salza und
ihre Ufer hinauf und herunter, hat dieſer Gar-
ten keine Anlagen, die ihn auszeichneten. Den
uͤbrigen Theil des Berges nehmen Waldungen
ein. Ich gelangte in dieſelben auf einem Fahr-
wege, der neben der Kloſtermauer hinan durch
ein Thor fuͤhrte, das geſchloſſen war, doch
ohne Umſtaͤnde geoͤffnet wurde, als ich anpo-
[22] chen ließ. Es zeigten ſich mehrere Wege fuͤr
Fußgaͤnger und Fahrende, die, nach allen Sei-
ten, den Wald durchſchnitten. Ich waͤhlte
den, der nach dem Gipfel fuͤhrte, und auf
dieſem ward ich fuͤr meine etwas beſchwerliche
Reiſe abermals durch eine Ausſicht belohnt, die
zwar keine ganz neuen Gegenſtaͤnde, aber doch
die vorigen, mit einer veraͤnderten Ordnung
und Mannigfaltigkeit, darbot. Eine Strecke
abwaͤrts von dem Gipfel fand ich, an dem
ſteilen, felſigten Abhange des Berges, ein
Ueberbleibſel von der aͤltern Kriegsbaukunſt. Es
iſt eine Art von feſter Burg, zu der, uͤber ei-
nen Graben, eine Zugbruͤcke fuͤhrt. Sie heißt
das Franciskus-Schloͤßchen, hat aber
laͤngſt aufgehoͤrt, oder vielmehr nie angefangen,
ihre Beſtimmung zu erfuͤllen. Dieſe ſollte,
nach einer Inſchrift uͤber dem Thore, ſeyn:
nicht nur die Stadt, ſondern auch die ganze
Nachbarſchaft, vor Gefahr zu ſichern und ſie
durch einen ewigern Frieden (pace aeterni-
ore
) zu decken. Ihre ganze gegenwaͤrtige Be-
[23] ſatzung iſt ein alter, lebensſatter Kriegs-
mann.


Ich ſtieg den Berg auf dem Wege, den
ich gekommen war, wieder hinab. Von oben
hatte ich die zweyte Haͤlfte der Stadt uͤberſe-
hen. Sie zieht ſich, von dem Fuße des Ka-
puzinerberges, laͤngs dem rechten Ufer der Salza,
bis nach dem fuͤrſtlichen Sommerſitz Mira-
belle
hin, und bildet ein faſt regelmaͤßiges
Dreyeck. Diejenige Seite deſſelben, die nach
dem Ginglthale ſteht, iſt mit einer Reihe
von Feſtungswerken eingefaßt, die bey dem
Rupertsthore anheben, ſich um den gedachten
Sommerpallaſt bis an die Salza herumziehen
und dort in eine Spitze endigen. Mirabelle,
einige anſehnliche Pallaͤſte, einige Kirchen, und
mehrere gute Buͤrgerhaͤuſer fuͤllen das erwaͤhnte
Dreyeck, und luden mich ein, meinen Mor-
genausflug mit einer Muſterung derſelben zu
beſchließen.


Ich ſtieg zum Eingange der Linzer Straße
hinab und hatte zur Linken die St. Andreas-
[24]Kirche neben mir. Ihr Aeußeres faͤllt nicht
in die Augen, weil es ihr an einem ſchoͤnen
Thurme fehlt, und weil ihr Standplatz einge-
klemmt, und ihre Vorderſeite fuͤr ihre Hoͤhe
zu breit iſt. Dieſe Vorderſeite hat oben auf
einem ausgeſchweiften Fronton ein Kreuz und
an beyden Seiten Vaſen; weiter unten ein
großes Uhrblatt, unter dieſem eine marmorne
Bildſaͤule des heiligen Andreas, von mittelmaͤſ-
ſiger Arbeit, in einer Blende aufgeſtellt; und
unter dieſer den mit Marmor umgefaßten und
verzierten Eingang der Kirche, an deſſen bey-
den Seiten ſich hohe Fenſter erheben. Das
Innere iſt nicht von Umfang und nur ſparſam
beleuchtet. Ihre Decke iſt mit Auftritten aus
der Geſchichte des heiligen Andreas, pfuſcher-
haft genug, bemalt; und nicht beſſer ſind die
wenigen Schnitz- und Bildhauerwerke, die
man an den Altaͤren ſieht, von ihren Verfer-
tigern ausgefuͤhrt. Mit einem Worte: man
wendet nur Einmal zehn Minuten an den
Ueberblick dieſer Kirche.


[25]

Ich trat in die Linzer Straße zuruͤck und
ſtieg dieſelbe hinauf bis zur St. Sebaſtians-
Kirche
, die in einem weit beſſern Geſchmack
erbauet, groͤßer und in die Augen fallender iſt.
Ein weißmarmornes Portal umſchließt den
Haupteingang und traͤgt ein Giebelfeld, in
deſſen Mitte das Bruſtbild des heiligen Seba-
ſtian, ebenfalls weißmarmorn, aufgeſtellt iſt.
Die Vorderſeite hat außerdem noch hohe Fen-
ſter, zwiſchen denen joniſche Wandpfeiler em-
porſtehen, die den Dachkranz unterſtuͤtzen.


Das Innere der Kirche uͤberraſchte mich
durch ſeine Einfalt und ſchoͤne Beleuchtung.
Keine Saͤulenſtellung thut dem Lichte, das
durch acht hohe Fenſter an den Seiten und
durch eben ſo viel runde, von oben herab,
reichlich hereinſtroͤmt, Abbruch; und die ſchoͤn
gewoͤlbte Decke, die mit einer himmliſchen
Herrlichkeit bemahlt iſt, wird von roͤmiſchen
Wandpfeilern getragen, die man aber, ganz
unnoͤthiger Weiſe, mit gruͤner Farbe angeſtri-
chen hat. Am Hochaltar iſt St. Sebaſtians
[26] Abloͤſung von dem Baume, woran er den
Pfeilen ſeiner Verfolger bloß ſtand; von eben
dem Kuͤnſtler, Paul Troger*) der das
Deckenſtuͤck verfertigte, in einem guten Ge-
ſchmacke dargeſtellt. Die Gemaͤlde an den Neben-
altaͤren ſind nicht von Bedeutung. Die Kan-
zel iſt vergoldet und gut gearbeitet. Das Pfla-
ſter der Kirche bilden roth- und weißmar-
morne Platten.


Eine Merkwuͤrdigkeit aus der Geſchichte
der Philoſophie, Scheidekunſt, und Arzneyge-
lehrtheit, beſitzt dieſe Kirche an dem Denk-
male des Theophraſtus Paracelſus. **)
Es iſt eine auf drey Kugeln und einem Fuß-
geſtell ruhende, ſtumpfe Pyramide, die wenn
[27] man zur hintern Thuͤr der Kirche nach dem
Kirchhofe hinaus geht, ſogleich in die Augen
faͤllt. Sie iſt von weißem Marmor, und das
Bruſtbild des Paracelſus in Moͤnchstracht,
ſchwarz gemalt, befindet ſich in der Mitte der-
ſelben. Darunter und daruͤber ſtehen lateini-
ſche Inſchriften, welche anzeigen, daß hier
Bildniß und Gebeine des Paracelſus, der
durch ſein chemiſches Gold ſo großen Ruhm
erlangt habe, aufbewahrt werden. Auf dem
Fußgeſtell iſt noch eine dritte lateiniſche In-
ſchrift, und eine vierte, auf einer ſchwarzen
Tafel in der Wand daneben. Dieſe letztre iſt,
der Unkundigen wegen in deutſcher Sprache
und damit iſt recht ſorgfaͤltig dahin geſehen,
daß das Andenken des „inſignis medicinae
doctoris, qui
(nach dieſer Inſchrift) dira illa
vulnera, lepram, podagram, hydropiſin,

**)
[28]aliaque inſanabilia corporis contagia miri-
fica arte ſuſtulit“
— bey allen Gattungen
von Menſchen erhalten werde.


Der Kirchhof von St. Sebaſtian iſt viel-
leicht einzig in ſeiner Art, und wird jedem,
der auch nicht Empfindſamer oder Herrenhuter
iſt, gefallen. Er bildet ziemlich ein Viereck,
das uͤber zwey hundert Schuh breit und uͤber
zwey hundert und funfzig lang iſt und deſſen
vier Seiten von Mauern und bedeckten Gaͤn-
gen, die auf Bogenſtellungen ruhen, mit Flie-
ſen gepflaſtert und mit einem Dache bedeckt
ſind, eingeſchloſſen werden. Unter demſelben
befinden ſich eine Menge Familiengruͤfte
die zum Theil ſehr anſtaͤndig, zum Theil
faſt praͤchtig ſind. Die darin aufgeſtellten
Denkmale ſind meiſt alle von Marmor,
aber Arbeit und Geſchmack derſelben ſehr
ungleichartig. Eben ſo die Inſchriften, die
mehr oder weniger altmodiſch, laͤcherlich, ge-
fuͤhl- und geſchmacklos, oder neumodiſch, natuͤr-
[29] lich und ruͤhrend ausfallen. *) Außer den Bild-
hauereyen, die ſich aber meiſt auf Pyramiden,
Engel, Basreliefs mit bibliſchen Geſchichten,
Todtengerippe ꝛc. einſchraͤnken, ſieht man auch
einige Gemaͤlde, worunter zwey oder drey ſich
wirklich uͤber das Mittelmaͤßige erheben.


[30]

In der Mitte dieſes Kirchhofes ſteht ſein
artiges Bethaus, und der freye Raum um
daſſelbe iſt mit Graͤbern gemeiner — Todten
bedeckt, die ein mehr oder weniger einfaches
Kreutz bezeichnet.


Ich ging durch die Kirche in die Linzer
Gaſſe zuruͤck und kam von da, dem ſteinernen
Auftritte zum vorhin erwaͤhnten Kapuzinerklo-
ſter gegenuͤber, durch ein enges Gaͤßchen, an
der linken Seite einer der praͤchtigſten Anlagen
in Salzburg vorbey, auf den Dreyfaltig-
keitsplatz
, der freylich nur ſo groß ſeyn kann,
als ihn die gepreßte Lage der Stadt gewaͤhret,
der aber mit manchem anſehnlichen und einem
wirklich fuͤrſtlichen Gebaͤude beſetzt iſt. Man
koͤnnte Letzteres den Dreyfaltigkeitspallaſt nen-
nen. Es iſt eine viereckigte Anlage, die zwey
Erziehungs- und Lehranſtalten und eine praͤch-
tige Kirche einſchließt. Der Anblick des Gan-
zen uͤberraſchte mich ſehr angenehm, denn Ge-
ſchmack, Leichtigkeit und Heiterkeit ſtellten ſich
mir in einer muſterhaften Verbindung dar.
[31] Die Vorderſeite iſt in der That praͤchtig. Die
Mitte derſelben nehmen der geraͤumige Auftritt
zur Dreyfaltigkeitskirche, deren Portal
und Kuppel und beyde Thuͤrme ein; von die-
ſer Mitte laufen zur Rechten und Linken zwey
ſchloßmaͤßige Fluͤgel aus, die ſich beyde auf den
Ecken mit geſchmackvollen Vorſpruͤngen ſchlieſ-
ſen und aus einem Erdgeſchoſſe und einem er-
habenen Stocke beſtehen, den abwechſelnd hohe,
einfach eingefaßte Fenſter und marmorne Wand-
pfeiler verzieren. Auf den gedachten Vorſpruͤn-
gen ſind lateiniſche Inſchriften angebracht, welche
die Beſtimmung jedes Fluͤgels anzeigen; der
rechte naͤmlich iſt das „Collegium Presbyte-
rorum et Alumnorum,“
im gemeinen Leben
das Prieſterhaus, und der linke das
„Collegium Convictorum Virgilianorum,“
gemeinhin das Virgilianiſche Kollegium ge-
nannt.


Das Innere dieſer beyden Fluͤgel, die ins
Gevierte angelegt ſind, entſpricht ihrem Aeuſ-
ſern. Treppen, Umlaͤufe, Wohnzimmer und
[32] Saͤle ſind geraͤumig, gut beleuchtet und bequem.
Das Innere der Kirche iſt ihres Aeußern nicht
minder wuͤrdig, iſt heiter, frey ausgeſpannt,
nicht uͤberladen. Hervorſtehende Werke der
Bildhauerey und Malerey ſind mir indeß darin
nicht vorgekommen, wohl aber ein hoͤchſt ge-
ſchmackloſes, naͤmlich ein ungeheures hoͤlzernes
vergoldetes Herz, mit einer anſehnlichen Thuͤr
in der Mitte, das, zur Verwahrung des Hoch-
wuͤrdigen, im Hauptaltare angebracht iſt, das
aber, wie man hoffen laͤßt *) bald weggeſchafft
werden duͤrfte.


Uebrigens iſt nur eine der beyden Lehran-
ſtalten, fuͤr die dies große Gebaͤude beſtimmt
iſt, in Bluͤthe, naͤmlich das Alumnat; in dem
andern, dem Virgilianiſchen Kollegium, ſind
nur drey Zoͤglinge vorhanden.


Das Alumnat oder das Prieſterhaus hat
beſonders den Zweck, taugliche Religionslehrer
und Seelſorger zu ziehen. Es iſt ſchon ſeit
1916
[33] 1616 thaͤtig, hat aber mancherley Verpflan-
zungen von einem Orte zum andern erlebt, eh'
es hier ſeinen feſten Sitz erhielt. In Abſicht
ſeiner innern Einrichtung blieb viel zu verbeſ-
ſern uͤbrig, und es war dem gegenwaͤrtigen
aufgeklaͤrten Fuͤrſten, wie ſo vieles andere auf-
behalten, auch hier ſeine umſchaffende Hand
anzulegen. Der Unterricht erhielt eine beſſere
Geſtalt, uͤber die Sittlichkeit wurde ſorgfaͤlti-
ger gewacht, und die wirthſchaftliche Einrich-
tung ward auf beſſern Fuß geſetzt. Der Zoͤg-
linge und Lehrer ſind jetzt gegen funfzig. Nur
der kann Prieſter werden, der in dieſem
Alumnat ſeinen Lehrlauf gemacht hat.


Die Virgilianiſche Anſtalt iſt eigentlich fuͤr
ſechs junge Edelleute beſtimmt, die in den
Wiſſenſchaften und in den Kuͤnſten der feinen
Welt, im Tanzen, Reiten, Fechten, Zeichnen
ꝛc. unterrichtet werden ſollten; aber die Grund-
ſumme derſelben iſt entweder ſo nachlaͤßig ver-
waltet oder durch ungluͤckliche Zufaͤlle ſo zu-
ſammen gefallen, daß nur noch drey junge
Sechstes Heft. C
[34] Leute unterhalten werden koͤnnen. Um das
Haus einigermaßen zu fuͤllen, hat der jetzige
Fuͤrſt die Edelknaben mit ihrem Aufſeher und
ihren Lehrern hieher verſetzt, und er zahlt
fuͤr ſie an die Anſtalt ein gewiſſes Koſtgeld.


Dem Dreyfaltigkeits-Gebaͤude gegenuͤber,
ſteht noch ein großes Haus, das eine wohlthaͤ-
tige Anſtalt einſchließt; es iſt ein oͤffentliches
Leihhaus, wo Arme gegen maͤßige Zinſen
in der Noth Huͤlfe finden koͤnnen.


Eine vierte Anſtalt, die Marianiſche,
die ebenfalls in der Naͤhe iſt, und deren ich
nirgend eine aͤhnliche gefunden habe, beſchaͤftigt
ſich damit, junge Leute ausſchließend fuͤr
die Geſchaͤfte
zu bilden. Sie wurde ſchon
im Jahre 1645 von dem Erzbiſchof Paris
Lodron
geſtiftet, und hat dem Lande viel
brauchbare Maͤnner geliefert. Die Zoͤglinge
haben alles ſo lange frey, bis ſie eine Stelle
erhalten. In der Wahl dieſer Stellen ſind
ſie nicht gebunden, nur Moͤnche duͤrfen ſie
nicht werden, das waͤre ganz gegen den Geiſt
[35] der Stiftung. Die Zahl der Zoͤglinge war an-
fangs nur acht, jetzt kann man, da die dazu
angelegten Gelder ſorgfaͤltig ſind verwaltet
worden, ihrer zwoͤlf unterhalten.


Der Lodron'ſche Primogenitur-
Pallaſt
iſt noch ein merkwuͤrdiges Gebaͤude
auf dem Dreiyfaltigkeitsplatze; nur iſt der un-
ebene Boden, worauf es angelegt iſt, demſel-
ben nicht recht guͤnſtig geweſen und es bietet
dem Auge kein regelmaͤßiges Ganzes dar.


Von demſelben gelangt man, durch einen
Bogen, auf den Mirabellplatz, den man
ſich aber, aus oben angefuͤhrtem Grunde, we-
nig geraͤumiger denken muß, als eine Straße
in einer andern Stadt. Indeſſen iſt er mit
einigen anſehnlichen Gebaͤuden beſetzt. Wenn
man auf denſelben tritt, hat man den Lodron-
ſchen Sekundogenitur-Pallaſt
neben
ſich, ein betraͤchtliches Gebaͤude, das ſich aber
mehr durch Feſtigkeit und Gruͤndlichkeit, als
durch Geſchmack und Leichtigkeit auszeichnet;
ferner die ſogenannte Schrame, eine Korn-
C 2
[36] niederlage; ferner das Stallgebaͤude der Fuͤrſt-
lichen Karabiniers und das Stadtkommandan-
ten Haus; und endlich, am Ende des Platzes,
das Sommerſchloß Mirabelle ſelbſt. Dieſes
war, ſchon vom Kapuzinerberge herab, mein
Augenmerk geweſen, und in dem daran ſtoßen-
den artigen Garten wollte ich mich von mei-
ner Morgenreiſe erholen.


Die Vorderſeite von Mirabelle thut eine
ganz angenehme Wirkung. Pracht, Glanz
und Umfang erwartet man ohnehin von einem
Pallaſte mit dieſer Beſtimmung nicht. Ein
Mittelgebaͤude, mit einem Thurme, zwey daran
ſtoßende in Pavillons ſich endigende groͤßere
Fluͤgel, und zwey andere niedrigere, die ſich,
etwas ungehoͤrig, wiederum an dieſe lehnen,
bilden die Vorderſeite. Der Eingang in den
innern Hof iſt gewoͤlbt und dreyfach: der mitt-
lere iſt fuͤr Wagen, und die beyden andern an
deſſen Seite ſind fuͤr Fußgaͤnger. Der Hof
iſt ins Gevierte mit drey und vier Geſchoß
hohen Fluͤgeln ausgebauet. Wenn man hinein
[37] tritt, ſteht einem die innerſte Facade entgegen,
und ſie iſt in der That uͤberaus gefaͤllig, ein-
fach und leicht. In dieſem Hofe iſt auch der
Eingang zu den Zimmern und Saͤlen des Pal-
laſtes, die groͤßtentheils heiter, geraͤumig, und,
wie die Umlaͤufe und Treppen, mit Gypsar-
beiten, mit Bildſaͤulen, Schnitzwerk und De-
ckenſtuͤcken verziert ſind, unter denen ich aber
nichts als Kunſtwerk Ausgezeichnetes geſehen
habe. Einen faſt goldenen Speiſeſaal zeigte
mir mein Fuͤhrer mit großer Wohlgefaͤlligkeit;
uͤber eine marmorne Treppe aber, die ich in
der That fuͤr das beſte Werk in dieſer Anlage
halte, war er hinauf geeilt, als ob er ſie nicht
geſehen haͤtte.


Daß in dieſem Pallaſt eine Kapelle ſeyn
muͤſſe, verſteht ſich ſchon von ſelbſt. Sie be-
findet ſich in einem der Pavillons, deren ich
vorhin erwaͤhnt habe, und zwar in dem zur
Rechten, und iſt im Ganzen ein artiges klei-
nes Werk.


[38]

Mit dieſen beyden Worten kann ich auch
den Garten hinter Mirabelle beſchreiben. Er
ſoll nur neun hundert Schuh lang und ſechs-
hundert breit ſeyn, aber er ſchließt in dieſem
Raume einen Reichthum von niedlichen Anla-
gen, als Waͤldchen, Blenden, Gitterwerke,
Springbrunnen, gewoͤlbte Baumgaͤnge, Blu-
menbeete, Terraſſen ꝛc. und außer dieſen eine
ſchoͤne Sammlung von Suͤdfruͤchten, auch
Kunſtgefaͤße, Bildſaͤulen und dergl. in Menge
ein. Die guͤnſtige Lage des Gartens koͤmmt
dem allen ſehr zu Huͤlfe. Er liegt nahe an
der Salza, iſt aber mehrere Fuß hoch uͤber
ihr Bette erhaben. Wenn man die Terraſſe
beſteigt, die an der rechten Seite hinlaͤuft, ſo
uͤberblickt man, unter dem Schatten von aller-
ley Luſt- und Fruchtbaͤumen, die Salza, die
andre Haͤlfte der Stadt, den Moͤnchberg, die
Feſtung, und noch einen Theil der umliegenden
Gegenden zur Rechten. Ich fand ein ange-
nehmes Plaͤtzchen hier und verließ es unter
einer Stunde nicht wieder. Bey der Ruͤckkehr
[39] nach meiner Wohnung ſah ich noch eine Pfer-
deſchwemme mit fluͤchtigen Augen an, die ich
vorhin auf dem Mirabellplatz uͤberſehen hatte,
und das Chriſtkind in dem Lorettokloſter, nicht
weit von da, das ſo unglaubliche Wunder ge-
than hat, ließ ich — zur Linken.


Den Nachmittag verwandte ich auf die
Beſichtigung der Merkwuͤrdigkeiten in meiner
Nachbarſchaft. Da ich in dem Gaſthofe „zum
goldnen Schiffe
,“ der auf dem Hofplatze
liegt, meine Wohnung genommen hatte, ſo
war ich von dem Fuͤrſtlichen Reſidenz-
ſchloſſe
, von der Domkirche, dem praͤch-
tigen Springbrunnen, den fuͤrſtlichen
Stallgebaͤuden, dem Neuen Thore und
von der Univerſitaͤt und ihrer Kirche nur
wenige Schritte entfernt. Ich nahm aber das
Weiteſte zuerſt, um, faſt vor der Thuͤr meines
Gaſthofes, meinen Lauf zu endigen.


Kaum erwartet man in der Hofhaltung
eines geiſtlichen Fuͤrſten ſolch eine ſtattliche
Sammlung von Pferden. Zwar ſind ſie nicht
[40] alle da, um von ihm gebraucht zu werden;
denn bey ſeiner Abneigung gegen alle perſoͤnli-
che Pracht haͤtte er an einem Gala-Geſpann,
und an zwey oder vier Jagdkleppern vollkom-
men genug; aber ſein Vorfahr hinterließ ihm
einmal einen reichen Stallvorrath mit den dazu
gehoͤrigen praͤchtigen Gebaͤuden, die aͤltere Erz-
biſchoͤfe errichteten; und man zieht ungern einen
Zweig der Hofausgaben ein, wenn alte Die-
ner und ihre Kinder dadurch brotlos zu wer-
den in Gefahr ſind.


Der Fuͤrſtliche Marſtall iſt ein langes Ge-
baͤude, das von außen gut in die Augen faͤllt,
und von innen fuͤr ſeine Beſtimmung ſehr be-
quem, ja faſt glaͤnzend eingerichtet iſt. An der
Vorderſeite hat es drey Geſchoß, und zwey
große Thore von weißem Marmor, deren ei-
nes aber ein Blindthor iſt, verzieren es. Ein
drittes iſt an der Seite nach dem neuen Thore
zu, und dies iſt mit Bildhauereyen aller Art,
in neuerm Geſchmacke, reichlich aufgeputzt.
Durch dieſes kam ich in den langen, ſehr ge-
[41] raͤumigen, ſehr reinlich gehaltenen, Stall ſelbſt,
in welchem, auf beyden Seiten, eine gute An-
zahl von Merkwuͤrdigkeiten fuͤr beſſere Kenner,
als ich bin, auf vier Fuͤßen ſtanden. Die
Pferdeſtaͤnde, anderthalb hundert an der Zahl,
ſind an den Seiten mit Saͤulen eingefaßt und
die Mulden der Pferde aus weißem Marmor
gehauen. Mitten durch den Stall iſt ein le-
bendiges Waſſer gefuͤhrt, das zur Saͤuberung
der Staͤnde und Reinhaltung der Luft gute
Dienſte thut.


An dieſen großen Stall ſtoͤßt ein kleinerer,
der Tummelſtall, in welchem ſich die Schul-
pferde befinden; und weiterhin ein dritter, der
Krankenſtall. Der Raum oberhalb der
Stallgebaͤude, wird zur Niederlage des Futters
und anderer Beduͤrfniſſe benutzt. An und um
dieſelben ſind die Wohnungen der Stallaufſe-
her und Stallbedienten. Eine Sommerreit-
ſchule
im Freyen, und eine Winterreit-
ſchule
, welche vermacht iſt und geheitzt werden
kann, ſind, beyde mit Aufwand und mit einer
[42] Art von Geſchmack ausgefuͤhrt, auch vorhan-
den.


In der Naͤhe iſt eine mit Bildhauereyen
verzierte Pferdeſchwemme und zwar mehr
am rechten Orte zum Gebrauch und zur Zierde,
als vor einem Sommerpallaſte, oder gar vor
einer Domprobſtey. Vor letzterer befindet ſich
in der That die dritte, mit Aufwand ange-
legte, Schwemme, und die harmloſen Salz-
burger nennen ſie, die — Kapitelſchwemme.


Nahe bey dem erwaͤhnten großen Stallge-
baͤude iſt das Neue Thor, auch das Sieg-
mundsthor
genannt: eine anziehende und
merkwuͤrdige Anlage; eine Art von Poſilip-
pohoͤhle
im Kleinen. Man hatte, ſo weit
der Schloß- und Moͤnchberg dieſe Seite der
Stadt einſchließen, kein Thor anbringen koͤn-
nen, und einen Durchſchlag zu machen, daran
hatte man entweder nicht gedacht, oder ihn zu
ſchwer oder zu koſtbar gefunden. Indeſſen war
ein Steinbruch an der Stelle, wo jetzt das
Thor durch gehauen iſt. Dieſer Umſtand brachte
[43] den vorigen Erzbiſchof Siegmund, aus dem
Hauſe Schrattenbach, vermuthlich zuerſt
auf den Gedanken, hier, wo ohnehin der Ruͤk-
ken des Moͤnchberges am ſchmalſten war, ein
Thor durchſprengen zu laſſen. Das Werk ward
im Jahre 1765 angefangen, und 1767 war der
Durchbruch, trotz Gefahren und Schwierigkei-
ten, ſchon vorlaͤufig gemacht. Jener Fuͤrſt
ſtarb aber uͤber der Vollendung, und das Ganze
wurde erſt unter dem jetzt regierenden, im
Jahre 1774, fertig. Hr. Huͤbner giebt die
Summe der darauf gewandten Koſten zu 116665
Gulden, 12 Kreutzer, 2 Pfennig; die Laͤnge
des Durchbruchs zu 415, die Breite zu 22,
und die Hoͤhe zu 39 Schuh, an. Er iſt durch-
aus licht, geraͤumig, doch nicht ganz gerade,
auch nicht ganz gefahrlos. Die Steinart,
durch die er geht, iſt ein ziemlich locker zu-
ſammen hangendes Sandſteingemenge, das an
den Seiten, und an der halbzirkelfoͤrmig aus-
gehauenen Decke ſich in breiten Tafeln abloͤſet
und von Zeit zu Zeit zerſplittert herabfaͤllt:
[44] eine Unbequemlichkeit, die man haͤtte vermeiden
koͤnnen, wenn man dem Beyſpiele der Alten
gefolgt waͤre, welche die Hoͤhle von Poſilippo
in ſpitzer Woͤlbung durch einen nicht haͤrtern
Felſen trieben und damit deſſen Decke zugleich
ſtuͤtzten. Uebrigens iſt der Ein- und Ausgang
dieſes Thores mit einer rieſenhaften Bildſaͤule
des heiligen Siegmund, mit Waffenruͤſtungen,
Fahnen, Kanonen, Meduſenkoͤpfen, Pyrami-
den und mit einem Bruſtbilde des Erbauers,
unter dem die artige Inſchrift: „Te Saxa
loquuntur
“ ſtehet, in einem guten Geſchmacke
verziert.


Von dem Neuen Thore wandte ich mich
zu dem Univerſitaͤtsgebaͤude, das mehr durch
ſeinen Umfang, als durch Geſchmack und Pracht
auffaͤllt, deſſen Inneres aber mit hinlaͤnglichem
Raum und allen erforderlichen Bequemlichkei-
ten, an Wohnzimmern, und Hoͤr- und Ver-
ſammlungsſaͤlen, auch mit einem Garten ver-
ſehen iſt. Die dazu gehoͤrige Kirche, die wohl
den vierten Theil des Umfangs einnehmen mag,
[45] iſt, ihrem Aeußern und Innern nach, archi-
tektoniſch merkwuͤrdiger, und gehoͤrt zu den
groͤßeſten und beſten in Salzburg.


Die Univerſitaͤt hat jetzt nur drey Fakultaͤ-
ten. *) Die Mediciniſche hat nicht gedeihen
wollen. Die Einrichtung iſt noch faſt ganz
vom aͤlteſten Schlage. Es mangelt ihr uͤbri-
gens nicht an geſchickten Lehrern, die aber
ziemlich ſparſam beſoldet ſind. Die obern
Wuͤrden an dieſer Univerſitaͤt, z. B. die Rek-
tor- Prokanzler- Dekan- und Bibliothekarſtel-
len tragen gar nichts ein. Uebrigens iſt noch
ein Gymnaſium mit der Univerſitaͤt verbunden.


An der Kirche und dem Hauſe der Fran-
ciskaner vorbey, gelangte ich auf den Dom-
platz
, ein enges laͤnglich viereckigtes Lokal, das
von dem Stirnaufriſſe der Domkirche, dem
einen Fluͤgel des Fuͤrſtlichen Reſidenzſchloſſes
und andern dazu gehoͤrigen Gebaͤuden einge-
[46] ſchloſſen wird. Auf demſelben iſt der unbefleck-
ten Jungfrau ein großes, ziemlich zuſammen
geſetztes, Denkmal errichtet. Die Hauptbild-
ſaͤule iſt Maria ſelbſt, zwoͤlf Fuß hoch, aus
bleyfaͤrbigem Metall gegoſſen. Wolken von
aͤhnlichem Erz umſchweben die Weltkugel, wo-
rauf ſie ſteht, und an deren beyden Seiten ſich
Engel befinden, deren Einer auf den unter
ihm liegenden Satan einen Blitz herab ſchleu-
dert. Ein hohes, weißmarmornes Fußgeſtell
traͤgt dieſe Gruppe, die von den Bruͤdern Ha-
genauer
, gebornen Salzburgern, mit viel
Geſchmack und Leichtigkeit ausgefuͤhrt iſt. Der
Platz iſt uͤbrigens zu enge und es iſt, bey der
Hoͤhe ſeiner Umgebungen, etwas grubenartiges
in ſeiner Anſicht, daß dieſem Kunſtwerke die
noͤthige Ausdehnung raubt.


Die Facade mit dem Haupteingange der
Domkirche, iſt dieſer Bildſaͤule ebenfalls zu
nahe, als daß ſie nicht von ihr uͤberblendet
werden ſollte; ſo wie ſie wiederum, obgleich
man ſie ſo weit abgeruͤckt hat, als moͤglich
[47] war, den vollen Anblick dieſer Facade, nicht
gerade verhindert, aber doch ſehr beengt. Letz-
tere iſt in der That ſo praͤchtig und geſchmack-
voll, daß ſie einen geraͤumigern Standpunkt
verdiente; und ihren jetzigen koͤnnte man ſchon
dadurch verbeſſern, wenn der gegenwaͤrtige oder
kuͤnftige Fuͤrſt eine kleine Bequemlichkeit auf-
opfern und die beyden bedeckten Gaͤnge, die aus
der Reſidenz in den Dom fuͤhren, abbrechen
laſſen wollte, wodurch dies wirklich in großer
Art ausgefuͤhrte Gebaͤude einen ganz freyen
Standplatz erhalten wuͤrde.


Das Innere iſt etwas dunkel, bietet aber
vortrefflich berechnete, reine Verhaͤltniſſe dem
Auge dar. Ein natuͤrlicher Beweis davon iſt
der, daß es ſich lange in den Hoͤhen erhaͤlt,
und mit Wohlgefallen Laͤnge und Breite durch-
mißt, ohne zu ermuͤden, ohne unſtaͤt und zer-
ſtreut zu werden. Auch ſind die unentbehrli-
chen Verzierungen und Anlagen einer großen
Kirche zu ebener Erde mit viel Weisheit an-
gebracht und vertheilt, entſprechen ganz dem
[48] einfaltsvollen Charakter des Ganzen und ſind
auch als Werke der Bildhauerey, der Malerey
und anderer Kuͤnſte, nicht mittelmaͤßig.


Ich kam endlich auf den Hofplatz zuruͤck,
der auch der Haupt- und Reſidenz-Platz
genannt wird, weil er der groͤßeſte Platz in
Salzburg iſt, und weil ein Fluͤgel der Reſidenz
ihn auf der einen Seite umgiebt. Wenn man
vom Domplatz her auf denſelben tritt, ſo hat
man rechts die Langſeite des Doms und den
Neubau, links den gedachten Fluͤgel der Re-
ſidenz mit deren Haupteingang, und vor ſich
mehrere anſehnliche Buͤrgerhaͤuſer. Ein ſchoͤ-
ner Springbrunnen ſteht im Mittelpunkte die-
ſes Platzes, der etwas uͤber vierhundert Schuh
lang und uͤber zwey hundert und funfzig
breit iſt.


Derjenige Theil des Reſidenzſchloſſes, der
an dieſen Platz ſtoͤßt, faͤllt am beſten in die
Augen, denn da das Ganze nicht auf einmal
und nach einem Plane gebauet iſt, ſo ſtellt es
ſich theilweiſe beſſer oder ſchlechter dar, je
nach-
[49] nachdem der Geſchmack des Bauherrn oder des
Baumeiſters war. Saͤmmtliche dazu gehoͤrige
Gebaͤude, die einen großen Raum einnehmen,
bilden ſonach ein unregelmaͤßiges Vieleck, das
aus ſehr ungleichen, hoͤhern und niedrigern,
aͤltern und juͤngern, Theilen beſteht, dem Auge
zwar keinen Ueberblick des Ganzen erlaubt,
aber ihm doch in Ruͤckſicht der Bauart auch
keinen Anſtoß giebt. Dieſe iſt durchaus einfach,
und ziemlich leicht und gefaͤllig.


Derjenige Theil dieſes Lokals, den der Fuͤrſt
bewohnt, iſt ein laͤngliches Viereck und hat
ſeinen Haupteingang auf dem Hofplatze. Hier
hat deſſen Vorderſeite gegen hundert Schritt
in die Laͤnge, und außer einem baͤuriſchen,
hervorragenden Kellergeſchoſſe zu ebener Erde
und einem Halbgeſchoſſe unter dem Dache,
noch drey andre, von maͤßiger Hoͤhe, mit ein-
fach eingefaßten, viereckigten Fenſtern, deren
Zwiſchenwaͤnde ohne alle Verzierungen ſind.
Das Innere dieſes Theiles iſt geraͤumig und
heiter, ſchließt drey bis vier anſehnliche Saͤle,
Sechstes Heft. D
[50] mehrere Folgen guter Zimmer, Wohnungen
fuͤr Hofbeamte, die geheime Kanzley, das ge-
heime Archiv ꝛc. ein. Die Wohnungen des
Fuͤrſten ſind in dem Fluͤgel, der nach dem
Markte ſieht. Ich haͤtte ſie, aus begreiflichen
Urſachen, lieber, als alles uͤbrige im Schloſſe,
geſehen, aber der Fuͤrſt huͤtete ſeit einigen Ta-
gen aus Unpaͤßlichkeit das Zimmer. Hr. Huͤb-
ner
giebt indeſſen eine genaue Beſchreibung
davon, die ich ihm fuͤr ſolche Leſer abborgen
will, in deren Haͤnde Buͤcher wie dieſes eher
fallen, als Buͤcher, die ſo muͤhſam und ſo
verdienſtlich ſind, wie das ſeinige:


Durch eine Seitenthuͤr gelangt man in die
eigentlichen Wohnzimmer des Fuͤrſten. Das
erſte, wohin man unmittelbar aus dem Au-
dienzſaale koͤmmt, iſt das fuͤrſtliche Arbeits-
zimmer
oder Kabinet. Hier ſind die Waͤn-
de mit ſehr lebhaften Hauteliſſe-Tapeten be-
kleidet, alle Schreib- und andere Tiſche, nebſt
den Sekretairen, von Mahagonyholz. Auf
einem Tiſche, unter einem Truͤmeauſpiegel,
[51] ſieht man eine Uhr von Sarton, aus ver-
goldeter Bronze und Alabaſter zuſammen geſetzt,
nebſt aͤhnlichen Vaſen und Girandolen, und
den Bildniſſen Voltaire's und Rouſſeau's. Eine
gleiche Uhr von demſelben Meiſter ſteht auf
einem andern Tiſche. An einer Wand haͤngt
das Bildniß des Erzbiſchofs Harrach, dem
die Reſidenz viel und betraͤchtliche Verbeſſerun-
gen zu danken hat. Aus dieſem Kabinet fuͤhrt
eine Thuͤr links in das hochfuͤrſtliche Schlaf-
zimmer, und eine andre rechts in das Bibli-
othek, und Schatull-Gemach; letzteres iſt mit
geſchnitzten Wandverzierungen aus Holz, nach
dem Geſchmack aͤlterer Zeiten, bekleidet; hat
uͤbrigens eine kleine Sammlung ſchoͤner Ge-
maͤlde, einen Kamin von ſchwarzem Mar-
mor und eine, mit einem Sopha verkleidete,
Thuͤr, die in das Schlafzimmer fuͤhrt. Dieſes
iſt ganz mit rothem Damaſt ausgeſchlagen; die
Vorhaͤnge der Fenſter und des Bettes ſind
von demſelben Damaſt. Ein horizontales, lan-
ges Barometer befindet ſich unmittelbar uͤber
D 2
[52] dem Bette des Fuͤrſten. Die Thuͤren ſind alle
von Holz; die eine fuͤhrt in die erzbiſchoͤfliche
Kapelle, deren marmorner Altar einer Mut-
ter Gottes geweiht iſt; die zweyte, wie geſagt,
in das Schatull-Gemach, und die dritte in
eine ſchmale, etwas lange Galerie, die mit
Gemaͤlden von ungleichem Werthe geziert iſt
und eine Decke mit ſchoͤnen Freskogemaͤlden
hat. In der Mitte dieſer Galerie befindet
ſich ein Kamin von ſchwarzem Marmor, und
uͤber demſelben in einer Blende eine Bildſaͤule
des Antinous von Bronze, welcher zur Seiten
zwey kleinere, Venus und Merkur, ebenfalls
von Bronze und Denkmale des Alterthums,
ſtehen. — — — Durch gedachte Galerie und
eine ihrer Spiegelthuͤren iſt der Eingang in
den Geſellſchaftsſaal, den der jetzige
Fuͤrſt ſehr praͤchtig moͤblirt hat — — Aus
dieſem Saale fuͤhrt eine Seitenthuͤr in dem
ſo genannten Markus-Sittikus-
Saal
, der an Schoͤnheit der Stuckaturarbeit
ſo wie an Architektur, ein Meiſterſtuͤck,
[53] und erſt unter der jetzigen Regierung in gegen-
waͤrtige unvergleichliche Geſtalt iſt gebracht wor-
den ꝛc.“ *)


Der gedachten Hauptfacade der Reſidenz
gegenuͤber, auf der andern Seite des Hofpla-
tzes, liegt der ſogenannte Neubau, ein be-
traͤchtliches Viereck, deſſen vier Stock hohe,
mit einem Thurm verſehene, Vorderſeite ſich
uͤber drey hundert Schuh in die Laͤnge aus-
dehnt. Die Inhaber der vornehmſten Hofaͤm-
ter beſitzen in dieſer Anlage ihre Wohnungen,
und mehrere fuͤrſtliche Kollegien ihre Schreib-
ſtuben und Verſammlungsſaͤle. Die Landſchaft
und ihr Archiv, die Hofbibliothek, die Hof-
kammer und das Poſtamt haben auch darin
ihre Stelle gefunden. Im Erdgeſchoſſe des
erwaͤhnten Thurmes iſt die Hauptwache und
in deſſen zweyten Abſatze ein hollaͤndiſches
Glockenſpiel, deſſen zerſtuͤckelte, bald zu lang-
ſame, bald zu ſchnelle Toͤne, den jaͤhrlichen Er-
[54] trag von drey tauſend Gulden nicht werth ſind,
der zur Unterhaltung deſſelben ausgeſetzt iſt.


Endlich beſchloß die genauere Muſterung
des Hofbrunnens, der dieſen Platz vor-
treflich aufputzt, meine heutige, etwas ſtarke
Ausflucht.


Dieſer Springbrunnen iſt einer der ſchoͤn-
ſten, und ſeiner Idee nach, einer der verſtaͤn-
digſten unter denen, die mir auf meinen Rei-
ſen vorgekommen ſind. Ich habe deren zwey,
des einen zu Lazienka bey Warſchau, des an-
dern in der Reſidenz zu Muͤnchen erwaͤhnt,
denen unſchickliche Gedanken zum Grunde lagen;
dieſem kann man dergleichen nicht zur Laſt le-
gen, ſo wie uͤberhaupt auch an ſeiner Zeich-
nung und Ausfuͤhrung nichts zu tadeln iſt.
Die Grundlage des Ganzen iſt ein weites
marmornes Becken. Ein rauhes Felſenſtuͤck
tritt aus deſſen Mitte hervor, von vier Waſ-
ſerpferden umgeben, die aus ganzen Marmor-
bloͤcken vortrefflich gehauen ſind, und aus Nuͤ-
ſtern und Maul Waſſer geben. Drey rieſen-
[55] hafte Figuren, die, mit dem Ruͤcken gegen ein-
ander, mit kuͤnſtlich verſchraͤnkten Fuͤßen, em-
por geſtreckten Armen und ſchwer belaſtetem
Koͤrper, ohne alle Verzerrung und Ueberla-
dung, da ſtehen, tragen eine runde Schaale
vom ſchoͤnſten Verhaͤltniſſe. In dieſer Schaale
ſieht man eine Gruppe von Seefiſchen, die,
auf emporgehobenen Schwaͤnzen, eine Muſchel
in die Hoͤhe halten, in welcher ein Triton ſitzt,
der aus ſeinem Horn einen acht Schuh hohen
Waſſerſtrahl ausſchießt, welcher in Tropfen
auf die Muſchel zuruͤck, aus dieſer in die
Schaale, und zuletzt aus dieſer in das große
Waſſerbecken herab faͤllt. Saͤulenſteine, die
durch Ketten zuſammen haugen, ſchließen das
Ganze ein.


Ich habe dieſes, mit Leichtigkeit und Rich-
tigkeit ausgefuͤhrte, Kunſtwerk, wenn ich aus
meinem Fenſter ſehe, vor mir, und mein Auge
koͤmmt von dem Dom und der Reſidenz im-
mer fort mit neuem Wohlgefallen auf daſſelbe
zuruͤck. Wenn ich morgen mit dem erſten
[56] Sonnenſtrahl, der ſich durch meine rothen Vor-
haͤnge in einem Purpurſtrom ergießt, wieder-
um erwache, ſo wird das leiſe Rauſchen und
Plaͤtſchern dieſes Brunnens mir ſein gefaͤlli-
ges Bild zuerſt vor das geiſtige Auge zaubern,
und dann wird mir wahrſcheinlich auch irgend
ein altes Adagio des benachbarten Glocken-
ſpiels auf dem Neubau ſehr willkommen ſeyn.



Ich habe heute die entferntern Theile der
Stadt gemuſtert, naͤmlich die Vorſtaͤdte, deren
drey ſind: Nonnthal, Muͤhlen, Stein.


Man rieth mir zu einem Wagen, aber der
Morgen war zu koͤſtlich, als daß ich ihn nicht
auf meinen Fuͤßen haͤtte genießen ſollen; man
rieth mir mit der Vorſtadt Stein anzufan-
gen, ſodann uͤber die Bruͤcke zuruͤck zu fahren
und die Vorſtadt Muͤhlen zu beſuchen; von
da zuruͤck zu kommen und, vor meinem Gaſt-
hof vorbey, vor das Kajetanerthor in die Vor-
ſtadt Nonnthal zu fahren und zum Mit-
[57] tageſſen zuruͤck zu ſeyn; aber außerdem, daß
ich das Umkehren nicht ſehr liebe, hatte mir
Huͤbner, mein gedruckter Fuͤhrer, ſchon einen
andern Reiſelauf an die Hand gegeben. Ich
wollte naͤmlich erſt das Nonnthal beſuchen,
ſodann im Schatten alter Kaſtanien die Som-
merſchloͤßchen in der Naͤhe, und namentlich
Leopoldskrone, beſuchen; von da, nach Ti-
ſche (wo ich dieſen gedeckt, oder auf einem
Raſenteppiche, finden wuͤrde, wußte ich noch
nicht, aber ich verließ mich darin auf meinen
Lohnbedienten, eine Art, die immer hungrig
iſt) um den Moͤnchberg von auſſen herum,
nach Muͤhlen; und von da uͤber den Gries
und die Bruͤcke nach der Vorſtadt Stein
hinuͤber wandern; mich dort erfriſchen und ſo
lange damit zubringen, bis ich, bey aufgehen-
dem Monde, an dem Ufer der Salza, und
uͤber deren Bruͤcke zuruͤck nach Hauſe gehen
koͤnnte. Der Plan war uͤppig und wurde
ausgefuͤhrt. Hier ſind die Reſultate:


[58]

Die Vorſtadt Nonnthal liegt unterhalb
dem Nonn- und Schloßberge vor dem Kaje-
tanerthore und hat nur Eine Straße, die zu-
gleich die Landſtraße nach Hallein iſt. Die
eigentlichen Haͤuſer dieſer Vorſtadt nennt man
das innere Nonnthal, die Luſthaͤuſer,
Sommerſitze und Hoͤfe, die hinter derſelben
einzeln im Thale umher ſtehen, das aͤußere.


Im innern Nonnthal iſt die merkwuͤr-
digſte Anlage das Spital des Domkapitels mit
der dazu gehoͤrigen Kirche. Es beſteht aus
zwey Fluͤgelgebaͤuden, die fuͤnf Geſchoß hoch
ſind und in ihrer Mitte eine Kirche haben,
welche von außen und innen zu den zierlichſten
in Salzburg gehoͤrt. Die Anſtalt iſt fuͤr Maͤn-
ner und fuͤr Weiber. Jedes Geſchlecht wohnt
in ſeinem beſondern Fluͤgel; jede einzelne Per-
ſon hat ihr eigenes Zimmer; doch muͤſſen die
Weiber in ihrem gemeinſchaftlichen Saale zu-
ſammen arbeiten und eſſen, und die Maͤnner
in dem ihrigen ebenfalls. Ehedem war dieſe
Anſtalt fuͤr alle Huͤlfsbeduͤrftige ohne Unter-
[59] ſchied, jetzt bloß fuͤr die abgelebte oder kranke,
weibliche oder maͤnnliche, Dienerſchaft des
Domkapitels. Es iſt auch ein Krankenhaus
fuͤr eben dieſe Subjekte damit verbunden. Das
Haus iſt reinlich und die Verpflegung gut
und ſorgfaͤltig. Sehenswerth iſt der Garten
hinter demſelben. Er laͤuft, in drey Abſaͤtzen,
die mit Werkſtuͤcken untermauert ſind, hinter
den Gebaͤuden des Spitals hin, und iſt als
Kunſt- Kuͤchen- und Luſtgarten ſorgfaͤltig an-
gebauet und unterhalten, und mit lebendigem
Waſſer und mehreren artigen Luſthaͤuschen ver-
ſehen.


Unter den Anlagen im aͤußern Nonnthale
iſt das Sommerſchloß Leopoldskrone die
anziehendſte, ihrem Aeußern und Innern nach.
Man naͤhert ſich demſelben auf einer dichten
Allee von Kaſtanienbaͤumen, dergleichen noch
drey andre von andern Seiten dahin fuͤhren.


Ein laͤngliches Viereck von vier Stock, deſ-
ſen mittlerer Theil etwas hervorſpringt, koͤmmt
dem Auge mit einer gewiſſen Heiterkeit und
[60] Leichtigkeit entgegen. Die Waͤnde ſind weiß
und die Architekturzierrathen citronengelb ab-
geputzt. Der Stirnaufriß iſt zierlich und nicht
im mindeſten uͤberladen. Man geht durch eine
Bogenlaube, die auf Arkaden ruhet und einen
Austritt von weißem Marmor traͤgt, hinein,
und koͤmmt in ein ſehr elegantes Vorhaus,
deſſen Thuͤrſtuͤcke und Kamine von feingeſchlif-
fenem rothen, und weiß und roth geſprenkel-
ten, Marmor ſind. Die Decke deſſelben iſt
gewoͤlbt, hellgruͤn uͤbermalt und mit ſehr zar-
ten Gypsgewinden verziert; die Treppen ſind
geraͤumig und haben Gelaͤnder von Marmor;
mit einem Worte: es iſt nichts geſpart, um
gleich bey dem Ein- und Auftritte dem Frem-
den anzukuͤndigen, was er zu erwarten hat.


Man thut nun keinen Schritt mehr, ohne
auf Gemaͤlde zu ſtoßen, die mehr oder weni-
ger Aufmerkſamkeit verdienen; faſt alle Zim-
mer und Saͤle ſind damit angefuͤllt, und es
iſt nicht zweifelhaft, daß der Vorrath derſel-
ben mehr gekoſtet hat, als die ganze fuͤrſtliche
[61] Anlage ſelbſt. Beſonders merkwuͤrdig iſt ein
großer Billardſaal im vierten Stocke, der zu-
gleich eine Galerie von Mahlerbildniſſen iſt.
Viele darunter ſind von den Kuͤnſtlern ſelbſt
gemalt, und mehrere befinden ſich ſelbſt in der
beruͤhmten Sammlung ſolcher Bildniſſe auf der
Galerie zu Florenz nicht. Ihre Anzahl iſt
genwaͤrtig 287 ſtark. Werke von Breughel,
Battoni
, den Bruͤdern Caracci, von Ci-
gnani, Dominichino, Duͤrer, Luca
Giordano, Honthorſt, Kneller, Lu-
kas, von Leyden, Guido Reni, Sal-
vator Roſa, Rubens, Rembrandt,
Pouſſin, Paul Veroneſe
und von vielen
Andern — fuͤllen eine Menge anderer Zimmer
in allen Geſchoſſen.


Auch iſt eine artige Sammlung von aus-
geſtopften Voͤgeln und Saͤugthieren vorhan-
den; und an Gypsabguͤſſe von Antiken iſt eben-
falls gedacht. Die Schloßkapelle entſpricht
allem uͤbrigen; und ein weitlaͤufiger Garten,
der an einen großen Weiher mit zwey bepflanz-
[62] ten und verzierten Inſeln ſtoͤßt, kroͤnt das an-
genehme Ganze. Der hintere Stirnaufriß des
Schloſſes, der uͤbrigens ganz ſo gebauet iſt,
wie der vordere, gewaͤhrt eine heitere Ausſicht
uͤber dieſe letztgenannten Anlagen.


Nicht weit von Leopoldskrone, nach der
Stadt zu, fand ich mein Mittagseſſen, das ich
mir wohl verdient hatte, unter einem großen
Kaſtanienbaum, in der Naͤhe eines Wirths-
hauſes. Die Schuͤſſeln waren in der That
nicht koͤſtlich, aber ich hatte vortreffliche Eß-
luſt. Die Ohren meines Lohnbedienten reck-
ten ſich, bey dem erſten abzuhebenden Gerichte,
wieder munter empor. Gleich nach Tiſche ſetzte
ich, auf einem angenehmen Wege meinen
Stab weiter; nicht ganz ſo friſch, wie dieſen
Morgen, ich muß es bekennen, aber ich darf
auch nicht vergeſſen, zu meiner Rechtfertigung
zu ſagen, daß ich auſſer Leopoldskrone, nicht
auf den geradeſten Wegen die fuͤrſtliche
Stuterey
, ein Muſter in ihrer Art, das
Kirſinger'ſche Luſtſchloß und Freyſaal,
[63] ein fuͤrſtliches Schloß, in einem Weiher gele-
gen, beſucht hatte.


Die Vorſtadt Muͤhlen, (oberdeutſch Muͤl-
len
) iſt auf der entgegen geſetzten Seite der
Stadt, vor dem Klauſenthor gelegen; und
ich gelangte zu derſelben, indem ich, meiſt im-
mer unter ſchoͤnen Baumgaͤngen, einen Halb-
cirkel außerhalb um den Moͤnchberg beſchrieb.
Das Johannesſpital, eine pallaſtaͤhnliche
Anlage, fiel mir zuerſt in die Augen und lockte
mich an, hinein zu treten. Das Innere iſt
dem Aeußern angemeſſen, und hat einen ge-
wiſſen freygebigen Charakter, der ſich in brei-
ten, freyen Treppen, in geraͤumigen Gaͤngen,
und in hohen Thuͤren, Zimmern und Fenſtern
zeigt. Eine artige Kirche nimmt das Mittel
des ganzen Gebaͤudes ein; an ſie ſtoßen auf
beyden Seiten zwey Fluͤgel, wovon der eine
zur Rechten die Maͤnnerſeite, und der
andere zur Linken die Weiberſeite genannt
wird, weil in jenem die maͤnnlichen Kranken,
in dieſem aber die weiblichen untergebracht
[64] werden. Zwar ſind vor der Hand nur in al-
lem acht und funfzig Betten da, aber es koͤn-
nen und ſollen im Nothfalle noch eben ſo viel
vorgerichtet werden. Den uͤbrigen Raum des
Gebaͤudes nehmen ehemalige Gaſtſtuben fuͤr
Pilgrime, Vorrathsgewoͤlbe, die große Kuͤche,
mancherley Wirthſchaftszimmer, Wohnungen
fuͤr die Kaplaͤne, Wundaͤrzte und andre Beam-
ten, Aufſeher und Bedienten der Anſtalt ein.


Der Stifter derſelben, Erzbiſchof Johann
Ernſt
, aus dem Hauſe Thun, wollte einen
doppelten Zweck damit erreichen: Pilgrime
beherbergen und Kranke unterſtuͤtzen. Fuͤr
die Pilgrime ſorgen, galt damals fuͤr eine
gottgefaͤllige Handlung; ihnen die ſchmutzigen
Fuͤße waſchen, oͤfnete unwiderſprechlich die
Pforten des Himmels. Wir glauben dies jetzt
nicht mehr; wir bewundern bey dieſem Vor-
urtheile nur noch, wie die geſchmeidige Natur
es nutzte, um die Fehlſchluͤßigkeit der Men-
ſchen zum Beſten zu kehren. Erzbiſchoͤfe und
mit ihnen die ganze geiſtliche Schaar, berede-
ten
[65] ten das bloͤde Volk zu beſchwerlichen Pilger-
ſchaften; und Erzbiſchoͤfe und Kloͤſter machten
Stiftungen, um die Pilger zu empfangen, zu
bewirthen, zu reinigen und zu kleiden. So
war alles wieder in Ordnung, und die Folgen
des Vorurtheils waren durch Vorurtheil min-
der beſchwerlich gemacht.


Erzbiſchof Johann Ernſt wuſch in der
That dem erſten Pilgrim, den er in ſeinem
neuen, noch nicht ganz vollendeten, Spital
empfing, oͤffentlich und feyerlich die Fuͤße, und
beſchenkte ihn mit einem Thaler. Dies war
im Jahre 1695. Eben ſo wurde auch der er-
ſte Kranke in ſeiner Gegenwart aufgenommen.
Als im Jahre 1704 der Bau vollendet war,
wurden auch die erſten weiblichen Pilgrime
und Kranken verſorgt. In den folgenden
Jahren kamen bald mehr, bald weniger Pil-
grime in dieſe neue Herberge, doch fiel ihre
Anzahl immer mehr, je naͤher die neuen Zei-
ten ruͤckten; und wenn 1700 Ein tauſend vier
hundert und fuͤnf und neunzig fromme und
Sechstes Heft. E
[66] liederliche Landſtreicher hier gaſtfrey und willig
aufgenommen wurden, ſo konnten 1784 nur —
Ein und dreyßig mit Muͤhe unterkommen, was
man aus der Anmerkung in dem Pilgrims-
verzeichniſſe dieſes Spitals: „Fuiſſent quidem
longe plures, ſed non aſſumpſi eos
*) ſehr
deutlich erſiehet. Nach eben dieſem Verzeich-
niſſe wurden im Jahre 1790 nur ihrer Acht
bewirthet. Ich bin uͤberzeugt, daß nun die
Anzahl der Krankenbetten deſto hoͤher ſteigen
wird.


Die innere Einrichtung und Polizey dieſes
Hauſes iſt ohne Tadel, und kann jeder Anſtalt
dieſer Art zum Muſter dienen. Ich verweiſe den
wißbegierigen Leſer hieruͤber zur Quelle ſelbſt. **)
Uebrigens befinden ſich in dieſer Vorſtadt noch
vier andre menſchenfreundliche Stiftungen: ein
Leproſen- oder Siechenhaus, zwey W[a]yſen-
[67] haͤuſer, das eine fuͤr Knaben, das andere fuͤr
Maͤdchen, und das Soldatenkrankenhaus. Da
ich die reiche Stiftung der Auguſtiner, deren
Sitz oberhalb meines Weges lag, nicht fuͤr
eben ſo verdienſtlich halten konnte, ſo ließ ich
ſie unbeſehen zu meiner Rechten liegen.


Ich gelangte durch das Frauenthor wieder
in die Stadt, und uͤber die Straße zum ſchwar-
zen Baͤren auf den Gries, der mich zu der
Bruͤcke fuͤhrte. Dieſe iſt gegen zwey hundert
Schritt lang, und ruhet auf ſieben hoͤlzernen
Jochen. Der Fahrweg iſt abhaͤngig gepflaſtert,
und fuͤr die Fußgaͤnger hat man auf jeder
Seite einen erhoͤheten Pfad angebracht, der
mit einem Gelaͤnder eingefaßt und mit Vor-
ſpruͤngen zum Ausweichen verſehen iſt. Die
Breite der Bruͤcke mag zwanzig Schritt betra-
gen.


Jenſeits derſelben gelangte ich auf das
Plaͤtzl, ein, wie der oberdeutſche Name zeigt,
kleines, unregelmaͤßiges enges Lokal, an wel-
chem indeß einige ſehr anſehnliche Buͤrgerhaͤu-
E 2
[68] ſer ſtehen. Rechts fuͤhrt eine enge Straße nach
dem innern Steinthore, und durch dieſes ge-
langt man in die Vorſtadt Stein. Sie liegt
auf einem unebenen Boden, zwiſchen dem Fel-
ſen des Kapuzinerberges und der Salza, und
beſteht aus einer langen Doppelreihe ungleicher
Haͤuſer, die meiſt von Handwerkern, von Ger-
bern, Fleiſchern, Gaͤrtnern bewohnt werden.
Sie wird in den innern und aͤußern Stein
abgetheilt. Der innere geht von dem innern
Steinthor bis zum aͤußern, und der aͤußere
hebt vor dem aͤußern Steinthor an und laͤuft,
in ungefaͤhr gleicher Laͤnge, wie der innere,
uͤber eine Anhoͤhe, ebenfalls in zwey Haͤuſer-
reihen, hinan, und verliert ſich ſodann ober-
waͤrts ins Freyere.


Was ich in dieſem, wirklich nicht angeneh-
men, Stadttheile zu ſuchen hatte, war eigent-
lich die beruͤhmte Lederfabrik der Herren
Zezi und Gſchwendtner, deren pallaſtmaͤſ-
ſige Anſicht mir den Tag vorher, auf der an-
dern Seite der Salza, ſehr anlockend in die
[69] Augen gefallen war. Sie liegt mit ihrer Vor-
derſeite nach dieſem Fluſſe zu, beſteht aus ei-
nem Mittelgebaͤude von vier Geſchoſſen, und
aus zwey Fluͤgeln von Einem und einem hal-
ben Geſchoß. Die Bauart des Ganzen iſt ge-
ſchmackvoll, und die innere Einrichtung und Ver-
theilung ſehr zweckmaͤßig. Vor demſelben,
nach der Salza zu, iſt ein geraͤumiger Hof,
von welchem Treppen unmittelbar in dieſen
Fluß hinabfuͤhren, deſſen die Fabrik vielfaͤltig
bedarf. Ihre Waaren gehoͤren zu den vorzuͤg-
lichſten, und ſie liefert ſie in ſehr verſchiedenen
Arten, und in Menge. Ihr Glanz- Walk-
Pfund- und Doppelleder koͤnnte uͤberall fuͤr
englaͤndiſches gelten, mag auch wohl in Ober-
deutſchland oft genug als ſolches verkauft wer-
den. Uebrigens habe ich nirgends in Deutſch-
land eine Anlage gefunden, die ſo ins Große
ginge, wie dieſe.


In der Naͤhe dieſer Fabrik, oberhalb der-
ſelben liegt ein Sommerſchloͤßchen, der Buͤr-
gelſtein
genannt, bey dem ich einen artigen
[70] Garten fand, der mich aber nicht ſo anzog als
ein mit Baͤumen bepflanzter Huͤgel, der dazu
gehoͤrt, und ſich dicht am Ufer der Salza er-
hebt. Auf demſelben ſtand ein niedliches Luſt-
haus mit einem huͤbſchen Saal, in welchem
ich einen heitern und kuͤhlen Ruheplatz fand,
den ich, mit meiner Muͤdigkeit und mit eini-
gen ſuͤßen Orangen von einem benachbarten
Gaͤrtner beſchaͤftigt, erſt mit anbrechendem
Abend wieder verließ. Es ward mir zu ſpaͤt,
die Luſt- und Nutzgaͤrten und das Schloß El-
ſenheim
in der Nachbarſchaft zu beſuchen;
ich ging alſo durch die finſtern Straßen des
Steins zuruͤck und kam, nachdem ich noch ein
paarmal unter einem frohen Getuͤmmel von
jungen und alten Spatziergaͤngern auf der
Bruͤcke hin und wieder gegangen war, in mei-
nem Gaſthofe wieder an.



Ich kann nun, da ich Salzburg, ſeinem
Innern nach, ganz durchwandert bin, noch
[71] einige Bemerkungen uͤber die Oertlichkeit dieſer
Stadt und uͤber ihre Polizeyanſtalten mit-
theilen.


Die Beſchraͤnktheit ihres Standplatzes iſt
Urſach, daß man mit den Haͤuſern in die Hoͤhe
auffahren und auch die Hofraͤume enge hat
bebauen muͤſſen. Es ſind wenige Gebaͤude in
Salzburg die nur drey Geſchoß haͤtten; die
meiſten ſind vier und fuͤnf hoch, und haben
Fenſter dicht an Fenſter, weil man hauptſaͤch-
lich auf Wohnzimmer ſehen muß. So kann
man ſich erklaͤren, wie die Volksmenge von
Salzburg in etwas mehr als Sechshundert
Haͤuſern Raum haben mag. Die Straßen,
die an ſich ſchon groͤßeſtentheils enge ſind, er-
ſcheinen der Hoͤhe der Haͤuſer wegen noch en-
ger, ſind aber darum doch nicht eigentlich
finſter, weil jene durch die Bank weiß abgeputzt
und die Fenſter mit Einfaſſungen von derſelben
Farbe umgeben ſind. Die Bauart iſt im Gan-
zen gut, und hat die auffallendſte Aehnlichkeit
mit der zu Neapel; nur daß hier, anſtatt der
[72] ganz flachen, mit Eſtrich uͤbergoſſenen, neapo-
litaniſchen Daͤcher, mehr erhoͤhete, mit Holz-
ſchindeln gedeckte, uͤblich ſind. Man bauet
durchaus von Steinen, wovon unter andern
der Moͤnchberg unerſchoͤpflich iſt, der mehrere
Arten von Sandſtein liefert. Am Untersberge
bricht weißer und weißroͤthlicher Marmor, der
unter dem Eiſen des Steinmetzen alle Geſtal-
ten annimmt, die in der Baukunſt vorkom-
men; aus dem aber der Meißel des Bildhau-
ers nichts von Belang formen kann. Wenn
man uͤbrigens in Salzburg ſo haͤufige Anlagen
von Marmor findet, ſo iſt dies nicht mehr zu
verwundern, als wenn man da, wo viel Zie-
gelhuͤtten ſind, viel Haͤuſer von Backſtein fin-
det; und vielleicht koͤmmt ein großes Haus,
mit Marmor bekleidet, in Salzburg noch nicht
ſo hoch zu ſtehen, als bei uns ein halb ſo
großes von morſchen Ziegeln. In Abſicht des
Haͤuſerbeſitzes hat Salzburg noch das beſondere,
daß ſich oft vier Hausherren in einem einzi-
gen befinden, deren jeder ein einzelnes Geſchoß,
[73] oder gar nur eine einzelne Wohnung (hier
Boden genannt) erblich oder kaͤuflich an ſich
gebracht hat. Wie dieſe vier Graͤnznachbarn,
die alle, jeder in ſeinem Stockwerk, unum-
ſchraͤnkte Herren ſind, ſich unter einander ver-
tragen, beſonders ihre Ehehaͤlften, und ihre
Maͤgde, wuͤrde ich allerdings auf dem Rath-
hauſe erfahren haben, wenn ich bisher nicht
vergeſſen haͤtte, mich dort danach zu erkun-
digen.


Das Pflaſter der Stadt iſt nicht minder
unbequem fuͤr Fußgaͤnger, als das zu Muͤn-
chen. Es beſteht aus den groͤberen Steinge-
ſchieben, die in dem Bette der Salza gefunden
werden, und die, bey der Zuſammenſetzung,
eine mannigfaltige Muſterkarte der Steinarten
bilden, welche man in den umliegenden Ge-
genden antrift. Einige Stellen um das Reſi-
denzſchloß haben genau das Pflaſter von Wien,
das aus behauenen Wuͤrfeln von Kalkſtein be-
ſteht, und wahrſcheinlich nicht zu koſtbar fuͤr
Salzburg ſelbſt ſeyn wuͤrde, wenn man die
[74] Kalkfelſen des Kapuzinerberges dazu benutzen
wollte. Uebrigens iſt das Pflaſter ziemlich
ſauber, theils, weil die Polizey daruͤber wacht,
theils, weil beyde Haͤlften der Stadt nach der
Salza zu abhaͤngig ſind, mithin durch den
Regen abgewaſchen werden, theils, weil den
Buͤrgern aufgegeben iſt, wenigſtens einmal
woͤchentlich kehren zu laſſen, andere zu treffende
Vorkehrungen ungerechnet. Die groͤßere Haͤlfte
der Stadt, am linken Ufer der Salza, hat
diesfalls noch eine Bequemlichkeit mehr, als
die am rechten Ufer. Ein Bach, die Albe
genannt, der durch und um den Moͤnchberg
in zwey Armen in die Stadt gefuͤhrt iſt, be-
ruͤhrt alle Gegenden der groͤßern Haͤlfte mit-
telſt unterirrdiſcher Leitungen, verſorgt einige
Muͤhlen, Brunnen und Schwemmen und kann,
durch geoͤffnete Haͤhne, uͤber die Straßen und
den etwa aufgehaͤuften Unrath hinweg geleitet
werden. Die oͤffentlichen Brunnen, deren es
acht, von weißem Marmor, mit geraͤumigen
Becken, giebt, und viele andre Ziehbrunnen,
[75] gewaͤhren der Stadt einen Ueberfluß an Waſ-
ſer, der ihr in Feuersnoͤthen und bey vielen
andern Beduͤrfniſſen vortrefflich zu ſtatten
koͤmmt. Ueberhaupt ſind, nach der gedruckten
Feuerordnung zu ſchließen, auch die Feueran-
ſtalten vortrefflich, und man erinnert ſich hier
ſeit lange nicht mehr, daß die Flamme uͤber
das zuerſt entzuͤndete Haus hinaus gegriffen
haͤtte.


Die Unbequemlichkeit der hervorſpringenden
Dachrinnen, welcher man ſonſt in den Staͤd-
ten mit vermauerten Daͤchern ausgeſetzt iſt, fuͤhlt
man in Salzburg nicht; indeß iſt es noch ſo
lange nicht, daß ein fuͤrſtlicher Befehl dieſe
Rinnen verbannte und das Traufenwaſſer ent-
weder in Roͤhren an den Waͤnden der Haͤuſer
herab, oder ſonſt wohin es die Anlage des
Hauſes erlaubte, zu leiten befahl.


Die Stadt, mit Ausſchluß der drey Vor-
ſtaͤdte, iſt, ſeit dem Regierungsantritte des ge-
genwaͤrtigen Fuͤrſten, des Nachts erleuchtet.


[76]

Ich faſſe noch einige Vorkehrungen der Poli-
zey in der weiteſten Bedeutung zuſammen und
theile einige Bemerkungen daruͤber mit.


Zur Sicherheit des Lebens und des Eigen-
thums der Buͤrger, hat man ein wachſames
Auge auf Landſtreicher, Bettler und andre un-
beſchaͤftigte Leute. Jeder Gaſtwirth iſt ſtreng
verbunden, die bey ihm einkehrenden Fremden
zu melden; dienſtloſe Maͤgde und Bediente
werden nicht lange geduldet; liederliche Haͤuſer
koͤnnen ſich nicht erhalten, und vielleicht iſt jetzt
kein einziges in Salzburg; auf die Verhehlung
heimlicher Entbindungen iſt Geld- und Zucht-
hausſtrafe geſetzt; vornehme Bettler werden
an der Graͤnze abgewieſen; gemeine, wenn ſie
tauglich ſind, an die oͤſterreichiſche Werbung
ausgeliefert; Stadtbettlern ſieht man, aus
Grundſaͤtzen, warum jeder geiſtliche Staat ſie
ſchont, durch die Finger. Bey dem, ich moͤchte
ſagen — Ueberfluß an Verſorgungsanſtal-
ten, die Salzburg einſchließt, und deren ich
ſchon einige erwaͤhnt habe, wird man doch auf
[77] den Straßen oft genug angegangen, ungeachtet
ſich jene Anſtalten uͤber jeden Stand, jedes
Geſchlecht, Alter und Gebrechen ausbreiten.
Außer den erwaͤhnten Johannes- und Dom-
kapitel-Spitaͤlern
, nehmen noch das Buͤr-
gerſpital
, das Stadtbruͤderhaus, das
ſchon gedachte Leproſenhaus, und das La-
zareth
, Kranke auf, und fuͤr die Armen ſorgt
das Fuͤrſtliche Allmoſenamt, der Buͤr-
gerſaͤckel
, die gemeine Stadtallmoſen-
kaſſe
, eine Stiftung fuͤr Hausarme,
eine zweyte zur Ausſteurung armer
Buͤrgermaͤdchen
, eine dritte zu einem Ar-
meninſtitut
, *) ferner die Studenten-
buͤchſe
, und endlich der Liebesbund an der
Univerſitaͤt.


[78]

Wie alle dieſe Stiftungen fuͤr die Armen
und Huͤlfsbeduͤrftigen in einer Stadt, die kaum
*)
[79] 16,000 Einwohner zaͤhlt, noch nicht hinreichend
ſeyn koͤnnen, begreife ich nicht, da ich weiß,
daß in manchen proteſtantiſchen Staͤdten, die,
wie z. B. Berlin, eine zehnfach ſtaͤrkere Be-
voͤlkerung haben, die Anzahl der Widmen und
Haͤuſer zur Unterſtuͤtzung ihrer Armen nicht
die Haͤlfte der in Salzburg befindlichen errei-
chen.


Fuͤr die Erhaltung der oͤffentlichen Geſund-
heit hat die Salzburgiſche Polizey durch die
Errichtung eines Sanitaͤtskollegiums geſorgt,
welches ein wachſames Auge auf die Apotheker
und Hebammen hat, und ihre Kenntniſſe pruͤft
und beſcheinigt. Wo ſich anſteckende Krank-
heiten bey Menſchen und Vieh, und, was
eben ſo ſchlimm iſt, Quackſalber und Univer-
ſalmedicinen zeigen, da wird das Kollegium
thaͤtig und trift Anſtalten dagegen.


Den angehenden Wundaͤrzten giebt Herr
Hartenkeil freyen Unterricht in der Zerglie-
derungs- und Wundarzneykunſt, ſo wie den
Hebammen aus der Stadt und vom Lande,
[80] die ſich zum Unterrichte einzufinden gehalten
ſind, in der Entbindungskunſt. Alle Wund-
aͤrzte haben Vorſchriften, wie Verungluͤckte al-
ler Art zu behandeln ſind, wenn noch Hoff-
nung ſie zu retten uͤbrig iſt. Gegen die Gefahr,
lebendig begraben zu werden, dient eine Ver-
ordnung, keinen Leichnam vor acht und vierzig
Stunden zu begraben. Die Todtenbeſchau
verrichten dazu aufgeforderte Aerzte. Gegen
den Biß toller Hunde, wie gegen den Miß-
brauch in Haltung der Hunde, ſind ſchon ſehr
alte, bis in die neueſten Zeiten wiederholte
Vorkehrungen vorhanden.



Salzburg iſt mehr ſtill, als lebhaft. Straßen
oder Staͤdte uͤberhaupt, in denen viel Pallaͤſte
und Kirchen ſtehen, geben bekanntlich keinen
belebten Anblick, oder doch nur zu gewiſſen
Zeiten, z. B. wenn man zu Tiſche oder in die
Komoͤdie faͤhrt, oder wenn man die Kirche be-
ſucht, oder beſucht hat. Selbſt in den volk-
reichſten
[81] reichſten Staͤdten, iſt dies eine ganz natuͤrliche
Erſcheinung. Man erinnere ſich an die Her-
renſtraße
in Vergleichung mit der Kaͤrnth-
nerſtraße
in Wien, an die Wilhelms-
ſtraße
verglichen mit der Koͤnigsſtraße in
Berlin, an die Moritzſtraße verglichen
mit der Schloßſtraße in Dresden, an
St. James verglichen mit dem Strand in
London, und an die Vorſtadt St. Germain
verglichen mit dem Viertel des Palais
Royal
in Paris. In allen dieſen Staͤdten
aber werden die ſtillen Gegenden durch die ge-
raͤuſchvolien mehrfach erſetzt; ein Umſtand, der
in Salzburg kaum merklich iſt. Koͤmmt dies
vielleicht daher, daß in Salzburg faſt keine
Straße iſt, die nicht Pallaͤſte oder Kirchen
aufzuweiſen haͤtte, welche die Buͤrgerhaͤuſer
gleichſam herausdruͤckten? Oder hat dieſe Stadt
ſchon wirklich Mangel an Buͤrgern, weil ſie
Mangel an Erwerbsquellen, und an natuͤrli-
chem Platze hat? Das letztere macht der
Umſtand mit den drey bis vier Beſitzern Eines
Sechstes Heft. F
[82] Hauſes wahrſcheinlich; das mittlere iſt durch
die Menge von Verſorgungsanſtalten erwieſen;
und uͤber das erſtere laſſen die vielen Pallaͤſte,
Kirchen, Kurien und Kloͤſter, die noch dazu
meiſt groß und praͤchtig ſind, kaum einen
Zweifel.


Unter dem Erzbiſchof Wolf Dietrich
waren Land und Stadt Salzburg in hoͤchſter
Bluͤthe; dieſe fiel unter eben dieſem Fuͤrſten
auch ab, und der Stamm hat ſich noch nicht
wieder erholt, iſt vielmehr immer noch im
Hinſchwinden. Eine allgemeine Verbannung
der Juden, die zwiſchen der Mitte des Vier-
zehnten und dem Ende des Funfzehnten Jahr-
hunderts wiederholt befohlen wurde, legte den
Grund zur Entvoͤlkerung; Religionsbedruͤckun-
gen, welche die wohlhabendern und thaͤtigern
Buͤrger erfuhren, drangen um eben die Zeit ei-
nen großen Theil der beſten Kaufmannsfamilien,
und mit ihnen Kunſtfleiß und Gewerbe, auszu-
wandern; ein doppelter fuͤrchterlicher Bauern-
aufruhr, eben daher entſtanden, hatte gleiche
[83] Folgen, und koſtete, wie man behauptet, die
nachherigen Ketzerverfolgungen dazu gerechnet,
dem Lande gegen funfzehn tauſend der nuͤtzlich-
ſten Unterthanen; zu Anfange dieſes Jahrhun-
derts verjagten die Religionskommiſſionen aber-
mals Tauſende von Menſchen; und endlich im
erſten Drittel deſſelben (in den Jahren 1732
— 33) erfolgte die letzte und unerſetzlichſte al-
ler dieſer Auswanderungen, durch welche Salz-
burg uͤber dreißig tauſend wackere Staatsbuͤr-
ger verlor, von denen Preußen an zwanzig
tauſend, andre Proteſtantiſche Laͤnder und
Staͤdte an zehn tauſend, und Amerika den
Reſt mit offenen Armen empfing. Man kann
den Erzbiſchof, unter dem dies geſchah, durch
Verſchweigung ſeines Namens nicht ſchonen.
War ihm der Beyname „Excelſus,“ den er
von dem hoͤchſterfreuten Heil. Vater fuͤr die
Verjagung ſeiner Kinder erhielt, bey ſeinen
Lebzeiten ſchmeichelhaft, ſo mag ihm der, den
er als Erzbiſchof fuͤhrte (denn nur als ſolcher
handelte er ſo —) ſo mag ihm Leopold-
F 2
[84]Anton bey der Nachwelt ſo viel Ehre bringen,
als er kann — der edle und veredelte Name
der Freyherren von Firmian
, aus deren
Familie er war, bleibt durch ganz entgegenge-
ſetzte Thaten vollkommen gedeckt.


Uebrigens iſt es troͤſtlich fuͤr die Menſch-
heit, daß auf demſelben Stuhle, worauf jener
Erzbiſchof afterglaͤubiſch ras'te, gegenwaͤrtig
ein anderer waltet, der in jeder Ruͤckſicht das
Gegentheil von ihm iſt, ſeine moraliſchen und
politiſchen Fehler misbilligt und dies oͤffentlich
dadurch bekennt, daß er dem Munde der Wahr-
heit in ſeiner eigenen Hauptſtadt ſo uͤber dieſen
Gegenſtand zu ſprechen und zu ſchreiben er-
laubt, wie es der neueſte Beſchreiber von
Salzburg gethan hat. *)


Der Verluſt indeſſen, den Land und Stadt
Salzburg erlitten haben, iſt noch nicht erſetzt,
vielleicht vor der Hand unerſetzlich. Nach den
[85] neueſten Berechnungen hatte Salzburg vor 20
Jahren, auf 240 Geviertmeilen, 220,000 Men-
ſchen, jetzt hat es nur noch etwa 200,000,
macht die ſehr geringe Anzahl von 833⅓ Koͤp-
fen fuͤr ſolch eine Meile. Die Hauptſtadt
ſelbſt, ihre Vorſtaͤdte und was innerhalb des
Stadtburgfriedens liegt, mag 15 bis 16,000
Seelen enthalten. Auch ihre Bevoͤlkerung iſt
in Abnahme, was hier nicht weitlaͤufig be-
wieſen werden kann. *)


Das geſellſchaftliche Verkehr kann
in keiner Stadt lebhaft und mannichfaltig ſeyn,
deren Einwohnerſchaft durch mehrere Kluͤfte
der Geburt, des Standes und des Gewerbes
getrennt wird. In Salzburg ſind dieſe Kluͤfte
haͤufiger und merklicher, als in irgend einer
andern deutſchen Hauptſtadt.


Der alte Adel muß natuͤrlich hier ſehr wich-
tig ſeyn, da der Fuͤrſt und Erzbiſchof ſelbſt
ſeine Stelle nicht bekleidete, wenn er nicht
[86] von alter adelicher Abkunft waͤre, und da alle
die, welche Pfruͤndner des Staats und Kom-
petenten des Erzbisthums und der Fuͤrſtenſchaft
ſind, (ich meyne die Mitglieder des Domkapi-
tels, das jetzt wirklich aus acht Fuͤrſten und
ſechszehn Grafen beſteht) ihre Einkuͤnfte, ihren
Rang und ihre Anſpruͤche davon ableiten. Fuͤrſt
und Domkapitel bilden alſo die erſte und hoͤchſte
Klaſſe im Staate ſowohl, als in der Stadt
Salzburg.


An dieſe Klaſſe ſchließt ſich, als die zweyte,
der hohe Adel, der aus mehreren Graͤflichen
und Freyherrlichen Familien und einzelnen Per-
ſonen beſtehet, die zu ſolchen Familien gehoͤ-
ren. Erſtre wie letztre ſind haͤufig in Dienſten
des Fuͤrſten, und bekleiden die hervorſtechendſten
Stellen im Hofſtaate. Dieſer Adel iſt, nach
dem Domkapitel, der natuͤrliche Geſellſchafter
des Fuͤrſten; doch wird auch zu den Verſamm-
lungen bey Hofe, zu Koncerten und Tafeln,
das Offizierkorps bis zu einer gewiſſen Stufe
herab, eingeladen.


[87]

Die dritte Klaſſe bilden diejenigen Mitglie-
der des Landadels, die ſich in der Haupt-
ſtadt befinden und dort Stellen bekleiden. Da
in denſelben auch Subjekte, die nur erſt ſeit
funfzig Jahren adelich ſind, aufgenommen
werden koͤnnen, ſo ſtellt ihn dies in eine ziem-
liche Entfernung von dem Domkapitel und dem
hohen Adel.


Die Geiſtlichkeit bildet abermals eine
Klaſſe fuͤr ſich, die ſich in zwey Haͤlften, in
die ſekulare und regulare, theilet. Was in der
letztern Gelehrſamkeit liebt, haͤlt ſich, im ge-
ſellſchaftlichen Verkehr, zu den Lehrern an der
Univerſitaͤt, ſo wie dieſe wiederum mit der
Klaſſe der fuͤrſtlichen Beamten zweyter Ord-
nung, und dieſe mit der Klaſſe der reichen
und wohlhabenden Geſchaͤfts- und Handels-
leute zuſammen hangen. Die Beſitzer der ge-
ringern Lehr- und Dienſtſtellen halten ſich
haͤufig an die wohlhabenden Buͤrger und
Handwerker.


[88]

Die Hoͤfe unverheiratheter Fuͤrſten ſind ge-
woͤhnlich nicht die Schauplaͤtze glaͤnzender und
anziehender Unterhaltungen, weil an denſelben
das weibliche Geſchlecht, wo nicht ganz fehlt,
doch wenigſtens in einer gewiſſen bedruͤckten
Lage ſich befindet, weil es keine Anfuͤhrerin
und Tongeberin an der regierenden Fuͤrſtin
hat, und unter ſich zu republikaniſch denkt,
als daß es eine ſolche aus ſeinem eigenen Mit-
tel ausdruͤcklich und einmuͤthig waͤhlen oder ſich
gefallen laſſen ſollte. Es ſind zwar trotz dem
gewoͤhnlich zwey oder drey da, welche die vor-
derſten Stellen einnehmen; aber ſie bekommen
keine andre Gewißheit daruͤber, als die, wel-
che etwa darin liegt, daß ſie ihre Huͤte, Hau-
ben, Mienen ꝛc. nachgemacht ſehen, und daß
ſie trotz dem unter ihrem Cirkel keine Freun-
din haben. Ein unverheiratheter weltlicher
Fuͤrſt kann noch durch ein anderes Mittel die-
ſen Schwarm zuſammen halten; er waͤhlt ſich
eine Herzenskoͤnigin; aber ein geiſtlicher
Fuͤrſt, dem eine erlaubte Ehe nicht erlaubt iſt,
[89] darf, oder ſollte wenigſtens nicht duͤrfen, eine
unerlaubte eingehen. Letztres iſt indeſſen nicht
ohne Beyſpiel in der Geſchichte des Erzſtifts
Salzburg, denn Wolf Dietrich hielt ſich
fuͤr die Augenblicke, wo er auf Koſten des
Erzbiſchofs Menſch ſeyn wollte, eine ſchoͤne
Salzburgerin, aus der Familie Alt, mit der
er zwey oder drey leibliche Kinder hatte; der
zu Ehren er das Sommerſchloß Altenau
(das jetzige Mirabelle) anlegte, und die er,
als es fertig war, ohne Scheu und Hehl, mit-
ten aus einer anſehnlichen Hochzeitsfeyer von dem
großen Saale des Rathhauſes, oͤffentlich ab-
holen ließ, um ſie gleichſam mit jenem Schloſſe
zu belohnen. Der jetzige Fuͤrſt weiß beſſer,
was ſeinen Stand aufrecht erhalten hilft.
Dinge thun, die gewoͤhnlichen Menſchen ſchwer
oder unmoͤglich ſind, heißt ihre Achtung und
Ehrfurcht erobern. Von dieſer Seite hat er
denn auch die ganze Ehrfurcht ſeiner Unter-
thanen; und wenn dieſe nicht wuͤßten, daß er
ſeine Geluͤbde als Geiſtlicher eben ſo gewiſſen-
[90] haft ausuͤbt, wie er als Menſch und als Fuͤrſt
ſeine Pflichten zu erfuͤllen ſtrebt, in der That,
die vielen Veraͤnderungen, die er im Kir-
chengebrauch
, mithin, wie das Volk es
nennt, im Glauben, und in der Landes-
verfaſſung
, wie das Kapitel und die
Landſchaft die Zuruͤckforderung ſeiner
Fuͤrſtenrechte nennen, entworfen und durch-
geſetzt hat, wuͤrden nicht ſo ruhig aufgenom-
men worden ſeyn und die Moͤnche, und
ſelbſt manche alte chriſtkatholiſche — Haͤupter
im Domkapitel, wuͤrden mit mehr Eifer und
Gluͤck dagegen gearbeitet haben. Aber er hat
keine Maͤtreſſe und keinen Favoriten. Man
leſe anderswo nach, wie es Wolf Dietri-
che
ging, der beydes hatte.


Die Verſammlungen bey Hofe ſind dem-
nach nicht haͤufig und, weil es ihnen an der
Seele ſolcher Geſellſchaften, an der Galanterie
fehlt, auch nicht unterhaltend. Dazu koͤmmt,
daß ſie groͤßtentheils aus Mitgliedern beſtehen,
die ebenfalls das Geluͤbde der Keuſchheit ab-
[91] gelegt haben, ich meyne aus Domherren; und
daß dieſe ohnehin der groͤßern Zahl nach, jetzt
alte Maͤnner ſind, die vielleicht ſchon in fruͤ-
hern Jahren Gelegenheit hatten, die froͤhlichen
Kuͤnſte ſo zu uͤben, daß ſie jetzt daruͤber hin-
aus ſeyn koͤnnen. In der That, die groͤßere
Haͤlfte des Domkapitels, (Vierzehn Mitglieder)
zaͤhlt 50 bis 83, und nur Zehn andere zaͤhlen
21 bis 50 Lebensjahre. Eben ſo ſind auch die
meiſten Damen des hohen Adels uͤber die
Jahre der Schoͤnheit, der Freude, und der
guten Laune hinaus. Uebrigens giebt der Hof
woͤchentlich dreymal eine Verſammlung zum
Spiel oder Konzert, und an Feſt- oder andern
feyerlichen Tagen große Tafel. Bey den
Konzerten ſpielt der Fuͤrſt, als Liebhaber der
Muſik, die Geige. Sein zweytes Privatver-
gnuͤgen iſt ausſchließend die Jagd. Seine Ar-
beitsſtunden nehmen die Geſchaͤfte ein, und Ne-
benſtunden fuͤllt er mit Lektuͤre aus.


Oeffentliche ſtehende Vergnuͤgungen, die
das ganze Publikum zuſammen fuͤhrten, z.
[92] B. Opern und Komoͤdien, giebt es in Salz-
burg nicht. Nur von Zeit zu Zeit kommen
etwa Engliſche Bereuter, denen die Som-
merreitſchule
, und fahrende Schauſpieler,
denen das ſogenannte Ballhaus eingeraͤumt
wird, hieher. Die Spatziergaͤnge außerhalb
der Stadt, die zum Theil ſo ſchoͤn ſind, daß
andre Staͤdte ſie mit Gold aufwiegen wuͤrden,
werden nur von den mittlern und geringern
Klaſſen (von letztern nur an Sonn- und Feſt-
tagen) beſucht; die andern innerhalb der Stadt,
wie die Bruͤcke, und der Garten von Mira-
belle, faſſen nur eine kleine Menſchenzahl und
der Moͤnchberg, der alle Eigenſchaften eines
angenehmen Spatzierganges hat, wird unge-
buͤhrlich vernachlaͤßiget. Eine Urſache von der
Leerheit der Spatziergaͤnge iſt wohl mit die,
daß viele Beamten- und Buͤrgerfamilien ihre
uͤbrige Zeit auf den Sommerſitzen, in den Hoͤ-
fen und Gaͤrten, die ſie um Salzburg beſitzen,
zubringen, und daß der Fuͤrſt mit einem Theile
ſeines Hofſtaats auf einem ſeiner Luſtſchloͤſſer,
[93] ſo wie der Adel auf ſeinen naͤhern oder ent-
ferntern Guͤtern, den Sommer uͤber zu leben
pflegt.


Das einfache und eingezogene Leben des
Fuͤrſten ſelbſt ſcheint viel Einfluß auf die Le-
bensweiſe der Salzburger zu haben; gewiß iſt
es aber, daß er Freude und Frohſinn an ſei-
nen Unterthanen wohl leiden mag, und beydes
nie durch kopfhaͤngeriſche Verordnungen, wie
ſein Vorfahr, gelaͤhmt hat.


Auch ſcheinen die Salzburger aller Klaſſen
Hang genug zum Lebensgenuſſe zu haben, nur
mag der gegenwaͤrtige Ton und der auch hier
geſtiegene Preis aller Dinge demſelben gewiſſe
Schranken ſetzen. Außer dem hohen geiſtlichen
Adel, der ſehr wohlhabend iſt, außer fuͤnf oder
ſechs reichen buͤrgerlichen Haͤuſern, moͤgen
wohl wenige unter den beſtaͤndigen Bewohnern
von Salzburg im Stande ſeyn, den Aufwand
eines offenen oder auch nur zwey oder drey-
mal woͤchentlich geoͤfneten Hauſes zu beſtrei-
ten. Diejenigen vom Adel (und deren ſind die
[94] meiſten) die bloß von Beſoldungen, oder gar
nur von Hofjahrgeldern, leben, ſind verbun-
den, genau zu wirthſchaften, um nur maͤßige
Beduͤrfniſſe zu befriedigen; die Beamten buͤr-
gerlichen Standes, die bey den verſchiedenen
Staatsſtellen angebracht ſind, haben wegen
der Kaͤrglichkeit ihres Gehalts, der nach dem
alten Zehrzuſchnitt gemacht iſt, ebenfalls große
Noth auszureichen; und nicht beſſer geht es
den Lehrern an der Univerſitaͤt und an andern
wiſſenſchaftlichen Inſtituten. Da Salzburg
keinen thaͤtigen Handel treibt, nur wenig Fa-
briken und Manufakturen hat, und die da ſind,
ſich in den Haͤnden ſchon ſonſt wohlhabender
Geſchaͤftsleute befinden, ſo beſchraͤnkt die zweyte
und dritte Klaſſe der Handelsleute ſich ganz
auf Kraͤmerey, die nur innerhalb der Mauern
der Stadt ihre Geſchaͤfte macht, und nur durch
Arbeitſamkeit und Sparſamkeit zu etwas kom-
men kann. Der Handwerker endlich, hat hier,
wie uͤberall, nur aus der Hand in den Mund,
beſucht aber doch, nach ſeiner Weiſe, nebſt den
[95] an ihn graͤnzenden Klaſſen nach oben zu, die
Bier- und Weinſchenken in und vor der Stadt
noch am meiſten. Die Anzahl dieſer Hand-
werker iſt auch, nach Verhaͤltniß der Bevoͤlke-
rung der Stadt, ſehr geringe, und nur die
aller unentbehrlichſten ſind in noͤthiger Zahl
vorhanden: ein Beweis, daß die Einwohner
eine Menge Beduͤrfniſſe aus der Fremde zie-
hen und viel Geld außer Landes ſchicken, wel-
ches ſie durch einheimiſche Thaͤtigkeit unter
ſich ſelbſt in Umtrieb erhalten koͤnnten. So
iſt z. B nur Ein Buͤchſenſchaͤfter, Ein Tuch-
ſcheerer, Ein Goldſchlaͤger, Ein Strumpf-
wirker, Ein Leinwanddrucker; ſo ſind nur
Zwey Knopfmacher, Drey Faͤrber, Drey
Sattler, und Vier Seifenſieder — in ganz
Salzburg vorhanden; wie koͤnnen dieſe fuͤr eine
Volksmenge von Sechszehntauſend Koͤpfen hin-
laͤnglich ſeyn? Mit den uͤbrigen Handwerkern
verhaͤlt es ſich nicht anders. Nur diejenigen
Gewerbe und Handthierungen, die fuͤr Eſſen
und Trinken arbeiten, ſind zahlreicher. Man
[96] zaͤhlt naͤmlich Neunzehn Fleiſchhacker, Neun-
zehn
Weiß- und Fuͤnf Schwarzbaͤcker, meh-
rere Kuchen, Lebzelten (Honigkuchen) Zucker-
Krapfen-(Schmalzkuchen)-Baͤcker, Zwoͤlf
Bierbrauer, Vier Bierhaͤuſer und Sechs-
zehn
Weinwirthe in Salzburg.


Die Mode zeigt ſich hier nicht in der neue-
ſten Geſtalt. Das weibliche Geſchlecht der
hoͤhern und zunaͤchſt angraͤnzenden Staͤnde be-
koͤmmt ſeine Neuigkeiten aus Muͤnchen oder
aus Wien, das maͤnnliche die ſeinigen erſt
ſpaͤt mit dem allgemeinen Gebrauche. Was
man jenen als etwas Neues zuſchickt, iſt in
den gedachten Staͤdten, waͤhrend der Ueber-
ſchickung, ſchon alt geworden, und eine Men-
ge dahin gehoͤriger Erfindungen ſieht man in
dem hieſigen weiblichen Publikum entweder
gar nicht, oder ſie pflanzen ſich wenigſtens nicht
fort, weil es an geſellſchaftlichen Mittelpunkten,
wo ſo etwas allgemein bemerkt wuͤrde, fehlet.
Was die Moden fuͤr Maͤnner betrift, ſo muͤſ-
ſen dieſe allerdings noch weiter zuruͤck bleiben;
denn
[97] denn der Erzbiſchof und der geiſtliche Adel hat
ſeine beſtimmte Kleidung, die von der Mode
unabhaͤngig iſt, und hofverwandte Perſonen
weltlichen Standes, haben, wie das Militare,
ihre Uniform. Unter den weltlichen Perſonen
des Buͤrgerſtandes koͤnnen nur die juͤngern Ne-
gotianten und ihre Frauen den Ton in der
Mode angeben; vielleicht auch einige Beamten
in den Kollegien, die nicht zu den Alten und
gar zu gering Beſoldeten gehoͤren; und dies
geſchieht auch zum Theil; aber alle uͤbrigen
laſſen es beym Alten. Bey dieſen zeigt ſich
ein gewiſſer altdeutſcher Zuſchnitt in der Klei-
dung beyder Geſchlechter, doch mehr noch bey
dem weiblichen, als dem maͤnnlichen. Haben
die Maͤnner irgend eine geringe Hof- oder
Staatsſtelle, ſo zeigen ſie ſich grade in dem
Geſchmack gekleidet, wie dieſelbe Klaſſe in
Muͤnchen und Dresden, naͤmlich in einem
Rocke mit kurzem Schnitt und breiten Schoͤſ-
ſen, den platten Hut unter dem Arm, den
kurzen Degen an der Seite, mit einem altmo-
Sechstes Heft. G
[98] diſchen Haarputz und einem ſpaniſchen Rohre;
aber dieſes veralteten Glanzes ungeachtet ſchaͤ-
men ſie ſich nicht, ihren Ehehaͤlften, die ganz
altbuͤrgerlich gekleidet ſind, und in einem kur-
zen Kamiſol von Seide oder Zitz, mit drey
kurzen Roͤcken uͤber einander, die gewoͤhnliche
Salzburgiſche gehoͤrnte Haube von ſchwarzen
Flor, oder was es ſonſt ſeyn mag, auf dem
Kopf einherſchreiten, den Arm zu geben und
mit ihnen ſpatzieren zu gehen. Das Aeußere
dieſer Klaſſen iſt uͤbrigens gutmuͤthig, beſchei-
den, ernſthaft, ruhig und bedaͤchtig; und dieſe
Zuͤge ſcheinen mir in der That den Charakter
des eigentlichen Salzburgers zu bilden.


Die Salzburger, die vor nicht langer Zeit
wegen ihrer Unduldſamkeit in uͤbelem Rufe
ſtanden, verdienen nun ganz davon losgeſpro-
chen zu werden. Sie verdanken auch dies, wie
ſo vieles andre, dem jetzt regierenden Fuͤrſten.
Er ſelbſt gab die Loſung zu einer beſſern Ein-
ſicht in das Weſentliche der Religion, indem
er eine Menge aberglaͤubiſcher Gebraͤuche ab-
[99] ſchaffte, und vorzuͤglich den Einfluß der Moͤn-
che auf die Gemuͤther der Schwachen jedes
Standes, ſo wie ihre Anzahl, verminderte.
Sein Hirtenbrief vom Jahre 1782, deſſen
Verfaſſer der Oberkonſiſtorialkanzler, Hr. Boͤ-
nike
, iſt, ſteht in den aufgeklaͤrtern Theilen
von Deutſchland noch im beſten Andenken, und
hat auch auf die weniger aufgeklaͤrten, die ihn
anfangs verketzerten, gleichſam heimlich gewirkt,
wie manche, auch dort vorgenommene, Veraͤn-
derung beweiſet. Seit jener Zeit ſind Gewiſ-
ſens- Denk- und Preßfreyheit in Salzburg
ſo emporgekommen, daß dieſe Stadt mehrere
groͤßere Reſidenzen in Deutſchland darin be-
ſchaͤmt. Die Wiſſenſchaften haben einen frey-
ern Schwung genommen, und das Verzeichniß
Salzburgiſcher Schriftſteller, die in ihren Faͤ-
chern gut oder vortreflich gearbeitet haben, iſt,
wie das Verzeichniß von Kuͤnſtlern, ſehr zahl-
reich. Bey der immer mehr ſteigenden Liebe
zu den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten vermehrt
ſich auch die Anzahl von Sammlungen aller
G 2
[100] Art, die zu deren Umtrieb gehoͤren und Bi-
bliotheken, Naturalienkabinetter, (beſonders
fuͤr das Steinreich) Gemaͤldegallerien und viele
andre Vorraͤthe fuͤr andre Faͤcher, unterhalten
hier die Neu- und Lehrbegier der Fremden
auf eine mannigfaltige Weiſe.


Den letzten Tag meines Aufenthalts in
Salzburg brachte ich mit einer Ausflucht nach
Eigen, Hellebrunn und Hallein zu.


Nach Eigen, einer ſehr anziehenden An-
lage, die dem Erblandmarſchall, Grafen von
Lodron, gehoͤrt, gelangt man auf dem Wege,
der durch die Vorſtadt Stein, zwiſchen der
Salza und dem Kapuzinerberge, neben der
großen Lederfabrik und dem Schloſſe Elſenheim
hin in das Freye auf dem hohen Griesberg zu,
fuͤhrt. Dieſer Weg iſt, wenn man jene Vor-
ſtadt hinter ſich hat, nicht unangenehm, und
zieht ſich naͤher oder entfernter vor Luſthaͤuſern,
Hoͤfchen und einer Anzahl anderer Gebaͤude
vorbey, die ſich bis an den fruchtbaren Fuß
jenes, in ſeinen uͤbrigen Theilen hoͤchſt unwirth-
[101] baren Felſens, erſtrecken. Ein Nebenweg fuͤhrt
endlich von dieſer Straße ab nach dem ge-
dachten Eigen.


Natur und Kunſt haben gewetteifert, die-
ſen reitzenden Ort auszuſtatten. Seine Lage
am Fuße des gedachten Felſens, von Waldun-
gen begraͤnzt, und, hoͤher hinauf, von Wieſen
und Saatfeldern und dazwiſchen geſtreuten
Bauerwohnungen und Alpenhuͤtten umgeben,
bot der Kunſt verſchoͤnernde Gedanken wie von
ſelbſt dar, und dieſe ergoſſen ſich in mancher-
ley kleineren und groͤßeren Anlagen, in kuͤnſtli-
chen Hainen, Baumgaͤngen, Raſenplaͤtzen, Al-
taͤren, Inſchriften, Pavillons, Ruhebaͤnken,
Durchſchlaͤgen zum Behuf ſchoͤner Ausſichten,
Springbrunnen und vielen andern aͤhnlichen
Verzierungen.


Gleich voran erhebt ſich eine Kirche, von
einem Kirchhofe umgeben, die, wenn man ſie
mit in den Umkreis dieſes Luſtorts ziehen
will, keine muͤßige Wirkung thut. Hinter
derſelben erhebt ſich das Schloß Eigen in vier
[102] Geſchoſſen, mit einem daran gehaͤngten niedri-
gern Fluͤgel. Links neben demſelben nehmen
die verſchiedenen Luſtgaͤnge ihren Anfang, und
ich durchwanderte ſie, einen nach dem andern,
vielleicht ein wenig eilig, weil ich an dieſem
Tage noch Hallein und Hellebrunn ſehen
wollte, aber nicht ohne einen ſehr angenehmen
Genuß, den ein ſchoͤner Morgen erhoͤhete. Zu-
erſt beſtieg ich einen maͤßigen Huͤgel, der mit
einem Waͤldchen beſetzt war, worin dichte
Baumgaͤnge, Raſenbaͤnke, Luſthaͤuschen ꝛc.
ſich befanden; und auf deſſen Gipfel man einen
Altar, der Freundſchaft gewidmet, angebracht
hatte, welcher dieſem Huͤgel den Namen des
Freundſchaftshuͤgels gegeben hat. Bey
einer Meyerey, die in der Naͤhe liegt, trat
ich in eine Doppelreihe von Fruchtbaͤumen,
die den Berg hinan fuͤhrte. Ich ſah mich
bald zwiſchen einem artigen, mit Blaͤttern
durchwirkten, Gitterwerke, in deſſen Mitte
das Bruſtbild Anakreons, von klarem Quell-
waſſer in einem Becken umfloſſen, aufgeſtellt
[103] war. Von da ſtieg ich den Berg weiter hin-
an, zu einer großen Felſenhoͤhle, die zwiſchen
aufgethuͤrmten Steinbloͤcken von der Natur
gebildet und durch die Kunſt zu einer Einſie-
deley eingerichtet iſt. Eine Bruͤcke uͤber eine
Schlucht, in welcher ein natuͤrliches Waſſer
herabrauſcht, ein kleiner Garten, ein Heerd
und ein Ziehbrunnen gehoͤren zu der Wirth-
ſchaft des frommen Mannes, der, wie man
voraus ſetzen muß, hier wohnet. Er hat al-
lerdings vortrefflich gewaͤhlt, und ſein Wohn-
platz daͤuchte mir der anziehendſte Fleck der ge-
ſammten Anlage, beſonders da er mit einer
Menge kleiner Verſchoͤnerungen, z. B. mit
einem Grabhuͤgel, worauf eine Urne ſteht, ei-
nem Felſengange mit Ruheplaͤtzen, und andern
dieſer Art, mannichfaltig umgeben iſt. Etwas
hoͤher hinauf gelangte ich, mittelſt eines Durch-
ſchlags durch einen Felſen, in ein artiges Berg-
thal, mit Ruheſitzen aller Art verſehen, von
welchem aus das Auge die mannichfaltigſten
Ausſichten uͤber das Thal der Salza, uͤber
[104] beyde Haͤlften der Stadt und die angraͤnzen-
den bunten Gegenden umſpannen kann. Zu
meinen Fuͤßen erblickte ich einen Garten, deſ-
ſen Lage und Aufputz mir auffielen und den
ich zu ſehen wuͤnſchte. Ich erfuhr von meinem
Begleiter, daß er mit zu Eigen gehoͤre, weil
ihn der Beſitzer des letztern vor kurzem dazu
gekauft habe; und er fuͤhrte mich den Berg
hinunter, uͤber eine Bruͤcke, in denſelben. Es
iſt wahr, man haͤtte dieſen nicht großen Platz
kaum artiger und mannichfacher benutzen koͤn-
nen. Sein Lokal iſt uneben und man muß
haͤufig hinauf und herabſteigen, aber jeder
Punkt bietet eine neue kleine Anlage dar.
Bald ſtoͤßt man auf eine Einſiedlerklauſe, bald
auf ein Luſtwaͤldchen, bald auf eine Erhoͤhung
mit Weinſtoͤcken beſetzt, bald auf einen Waſ-
ſerfall, bald auf ein Bauerhaͤuschen, das mit
Geſchmack ausgeziert iſt, bald wiederum auf
ein Blumenbeet, auf kuͤnſtliche Truͤmmer, Lau-
ben, Treibhaͤuſer, auf einen Thurm und einen
Grabhuͤgel — mit einem Worte, die Kunſt
[105] der Gartenverzierung hat hier mit moͤglichſter
Erfindungskraft verarbeitet, was ihr die Na-
tur darbot.


Dieſer Garten, verbunden mit den uͤbrigen
Anlagen von Eigen, hat auf mich einen Ein-
druck gemacht, der nicht leicht wieder aus mei-
ner Einbildungskraft verſchwinden wird, und
vielleicht werden Reiſende, ſelbſt durch den
magern Abriß, den ſie hier leſen, begierig ge-
nug gemacht werden, von ihrem Aufenthalt in
Salzburg einen Tag dieſem ſchoͤnen Orte zu
ſchenken. Den ſinnlichern darunter kann ich
zu ihrem Troſte ſagen, daß ſie, nicht weit da-
von, im Stanzinger Hof, fuͤr jede Tages-
zeit, die noͤthigen Erfriſchungen finden koͤnnen.
Noch vor kurzem war zu Eigen ſelbſt ein
vortreflich beſetztes Wirthshaus, mit Baͤdern
verbunden, die ihres Waſſers wegen in Ruf
ſtanden; jenes hat aber aufgehoͤrt und dieſe
ſind nicht mehr oͤffentlich, da der gegenwaͤrtige
Beſitzer Schloß und Anlagen zu ſeinem eigenen
Gebrauche beſtimmt hat.


[106]

Ich fuhr den Seitenweg, der mich von
der Straße ab nach Eigen gefuͤhrt hatte, zu-
ruͤck, und kam wieder auf letztre, die mich zu
dem gedachten Stanzinger Hof brachte, wo
ich ein vortrefliches Fruͤhſtuͤck fand, und zu-
gleich Gelegenheit hatte, den Muth meines
Fuhrmanns anzufeuern. Er hatte, im Ange-
ſicht dieſes Hauſes, Zweifel daruͤber bekommen,
ob ſeine Pferde wohl die Reiſe uͤber Hellebrunn
nach Hallein aushalten, beſonders aber, (und
dieſer Zweifel fing an, auch mich ein wenig
zu beunruhigen) ob wir gluͤcklich uͤber die Salza
kommen wuͤrden, durch die wir, auf dem We-
ge, den wir nahmen, ſetzen mußten. Ich
glaubte aber den Schalk zu verſtehen und ließ
eine kleine Strecke vom Wege ab zu dem er-
waͤhnten Wirthshauſe fahren, und ploͤtzlich
ging eine freundliche Sonne in ſeinen Ge-
ſichtszuͤgen auf. Waͤhrend der Kellner fuͤr
mich ſorgte, hatte er auch fuͤr den Kutſcher
und Lohnbedienten geſorgt, und beyde hatten
beſchloſſen, daß die Pferde nun nicht matt
[107] werden und die Wellen der Salza mich nicht
verſchlingen ſollten. Dies kuͤndigte mir denn
auch der Kutſcher mit einigen Ausfluͤchten we-
gen ſeiner vorigen Zweifel an; wir fuhren wei-
ter und kamen ſehr wohlbehalten uͤber den
Fluß nach Hellebrunn.


Ich wollte anfangs dieſes Luſtſchloß mit
ſeinen, zum Theil ſehr romantiſchen, Umge-
bungen, ſogleich beſehen, aber nach einer rei-
fern Ueberlegung ward ich ſchluͤßig, ohne
Aufenthalt weiter nach Hallein zu fahren, das
nur etwa zwey kleine Stunden entfernt liegt.
Man gelangt dahin durch ein hoͤchſt mannich-
faltiges Thal, das die Natur mit ihren ſanf-
tern oder wildern Schoͤnheiten freygebig be-
ſchenkt hat. Der Weg, der an dem linken
Ufer der Salza hinlaͤuft, iſt, wie dieſer Fluß
ſelbſt, bald enger bald geraͤumiger von zwey
Reihen von Felſen eingeſchloſſen, deren obere
Theile nur ſchroff und duͤrre, deren untere
und mittlere hingegen mit Waldigt von Nadel-
und Laubholz beſetzt ſind, zwiſchen denen von
[108] Strecke zu Strecke, bald kleine Kornfelder ſich
zeigen, bald einzelne hoch in die Luft empor-
ſtrebende Felſenwaͤnde auf ihren abhaͤngigen
Grundlagen da ſtehen. Nachdem ich unter
ſolchen Erſcheinungen etwas uͤber anderthalb
Stunden hingefahren war, ſah ich mich vor
dem Thore von Hallein.


Hallein iſt klein, enge und alt, und nicht
merkwuͤrdig als Stadt, ſondern als — Kuͤche
des unentbehrlichen Beduͤrfniſſes, das die Na-
tur in einem benachbarten Berge roh zuberei-
tet. Dieſer Berg heißt der Duͤrrenberg
und ragt ſuͤdweſtlich uͤber die Stadt empor.


Man fuhr mich in einen Gaſthof auf dem
engen Markte. In Salzburg hatte ich mir
einen Erlaubnißſchein verſchaft, die Salzwerke
zu ſehen; dieſen ſchickte ich ſogleich in das
Pflegeamt, damit dem Bergmeiſter meine An-
kunft und meine Abſicht bekannt gemacht
wuͤrde. Der Wirth verſicherte mir, die-
ſes Geſchaͤft wuͤrde uͤber zwey Stunden dau-
ern, mithin — „wuͤrde ich wohl thun“ ſetzte
[109] mein Lohnbedienter hinzu: „wenn ich vorher
ein paar Biſſel zu mir naͤhme.“ — Hier
galt keine Ausflucht! Der eine wollte mich ſo
gern bewirthen, der andre mir ſo gern bey
Tiſche aufwarten, und es war Eilf Uhr!
Ich war gezwungen, ſchon wieder hungrig zu
ſeyn.


Nach Tiſche trat ich die Reiſe auf den Berg
an. Man reitet oder faͤhrt gewoͤhnlich hinauf,
und bedient ſich dazu eines alten frommen Roſ-
ſes, oder eines Schlittens, auf welchem man
ſich uͤber den Knitteldamm, womit der Weg
belegt iſt, hinweg ſchleifen laͤßt. Beyde Arten
des Fortkommens gefielen mir nicht. Ich waͤhlte
eine dritte, ſtieg auf meinen Fuͤßen hinan und
ließ den Schlitten hinter mir herkommen, fuͤr
den Fall, daß ich uͤbermaͤßig muͤde wuͤrde. Ich
fand ihn aber voͤllig unnoͤthig, da der Weg
weder zu lang, noch zu ſteil, noch zu rauh
war.


Die Reiſe ſelbſt wird durch die große Ab-
wechslung, die der Weg dem Auge gewaͤhrt,
[110] ſehr anziehend. Wohin man ſich auch wendet,
hat man eine neue Ausſicht. Vor ſich hat
man den Berg, der bald mit Gehoͤlz, bald
mit Kornfeldern, bald mit Wieſen beſetzt iſt.
Rechts thuͤrmen ſich Felſen auf, von denen
ein Stroͤmchen herabrauſcht; links fallen tiefe
Thaͤler hinein, welche eine weitlaͤuftige Ausſicht
uͤber die benachbarten, niedrigern Berge oͤffnen.
Hinter ſich hat man die ganze Stadt zu ſei-
nen Fuͤßen, und jenſeits derſelben thuͤrmt ſich
ein anderes Bergamphitheater auf, deſſen Wur-
zeln die Salza beſpuͤhlt. Neben ſich, hart am
Wege, hat man tiefe Schluͤchte, die theils
zwiſchen ſchroffe Felſenwaͤnde hineinfallen, theils
allmaͤhlig, mit Baͤumen und Geſtraͤuch beſetzt,
ſich abſenken. Die Rinnen, welche die Sohle
aus dem Berge nach der Stadt hinunter lei-
ten, dienen ſtellenweiſe dem Wege zum Gelaͤn-
der. Iſt man ſolchergeſtalt eine Stunde fort-
geſtiegen, und man erhebt den Blick, ſo hat
man auf einmal ein Doͤrfchen und mit ihm
eine artige kleine Kirche, ganz von geſchliffenem
[111] rothen Marmor vor ſich, die dieſe außerordent-
liche Landſchaft treflich verzieren hilft; und ein
paar hundert Schritte ſeitwaͤrts von derſelben,
iſt man an dem erſten Ziele ſeiner Reiſe: in
einem Wirthshauſe, wo einen der Bergmei-
ſter mit dem Anzuge zum Einfahren erwartet.


Als ich in die obere Stube des Wirths-
hauſes trat, flog ein weißgekleidetes Geſchoͤpf
von wunderlicher Geſtalt, deſſen Geſchlecht ich
dem Anzuge nach ſchwerlich beſtimmen konnte,
in eine Seitenkammer zur Rechten, und mich
fuͤhrte der Bergmeiſter in eine andre zur Lin-
ken. Ich erhielt von ihm die Auskunft, daß
eine zweyte kleine Geſellſchaft die Reiſe durch
den Berg mit uns machen werde. Als er die
Bergkleidung auspackte, kam ich uͤber jene
weiße Geſtalt ſogleich ins Klare, und uͤber das
andre — unterrichtete er mich. Es war ein
junges Frauenzimmer aus einer benachbarten
Stadt, die mit ihrem Bruder und einer aͤltern
Schweſter eine Reiſe hieher gemacht hatte,
um ihre Verwandten und den Salzberg zu ſehen.


[112]

Nichts kann abenteuerlicher ſeyn, als die
Bergkleidung. Sie beſteht aus einem weißen
Kittel, aus dergleichen Beinkleidern, aus ſehr
langen und weiten baumwollenen Struͤmpfen,
aus maͤchtigen Schuhen mit ungeheueren Soh-
len, aus einem Schurzfell, da anzulegen, wo
es die Knappſchaft anlegt; aus geſtrickten Hand-
ſchuhen, und endlich aus einer Berghaube,
um den Kopf, um alles, was man auf dem-
ſelben hat, zu bedecken. Beinkleider, Kittel
und Struͤmpfe, ſind ſo vollſtaͤndig gemacht,
daß man nichts von ſeinen eigenen Kleidungs-
ſtuͤcken abzulegen braucht.


Als ich in dieſem Anzuge aus der Seiten-
kammer trat, fand ich die Schweſtern und den
Bruder in der großen Stube; und es muß
nicht leicht eine kleine Geſellſchaft gegeben
haben, die ſo vor Begierde gebrannt haͤtte,
ſich im Ganzen und in einzelnen Theilen aus-
zulachen. Die Frauenzimmer waren nur da
von den beyden Maͤnnern unterſchieden, wo
die Beinkleider bey ihnen, der Roͤcke wegen,
ge-
[113] gewoͤlbtere Umriſſe bildeten; und die gute Lau-
ne, die ſich bey jedem von uns regte, trug
dazu bey, daß wir in den erſten Augenblicken
ſo mit einander bekannt waren, als ob wir
uns beſtaͤndig geſehen haͤtten.


So nahmen wir den Weg nach dem Ein-
gangsſtollen, der Bergmeiſter voran. Da der
Stollen breit genug war, ſo ſtand es uns nicht
zu verdenken, daß wir Paarweiſe gingen. Der
Stollen lief uͤbrigens bald durch lockeres, bald
durch feſteres, thonartiges Erdreich, und war
ſtreckenweiſe ausgezimmert, ſtreckenweiſe nicht.
Die letztern Strecken thaten eine artige Wir-
kung, wenn die Wachskerzen, deren jeder von
uns Eine in der Hand hatte, die Seiten und
die Decke anglaͤnzten. Das Salz war dort
kryſtalliſch angeſchoſſen und die Lichtſtrahlen
fielen abwechſelnd roth, blau und goldfarben
zuruͤck. Wir konnten uͤbrigens aufgerichtet ge-
hen, und nuſre Fuͤße waren durch die dicken
Sohlen der Schuh verwahrt, an den Stellen,
wo der Gang etwas naß wurde.


Sechstes Heft. H
[114]

Der Bergmeiſter hatte unterdeſſen einige
kleine Anſtalten getroffen, um die Reiſe fuͤr
uns noch anziehender zu machen. Er hatte
von Strecke zu Strecke einen Bergknappen
geſtellt, der irgend eine beſondere Bergarbeit
thun mußte. Einer trieb den Stollen weiter,
ein anderer fuhr auf ſeinem Hunde das Erd-
reich zu Tage, ein dritter beſſerte an der
Roͤhre, welche die Sohle ausfuͤhrte u. ſ. w.
Auf einmal ſtand er mit uns am Abhange ei-
nes tiefen Schlundes ſtill, den unſre Kerzen
nur auf ein paar Fuß hinab erleuchteten. Hier
muͤſſen wir hinein! ſagte er; und obgleich un-
ſre Frauenzimmer ſich aͤngſtlich erkundigten, ob
wir nicht auf einem andern Wege dahin kom-
men koͤnnten, wohin wir wollten, achtete er
doch nicht darauf und verſicherte: es ſey kein
anderer Weg.


Sogleich ſetzte er ſich auf ſein Schurzfell
nieder. Unter ſich hatte er zwey runde, ge-
ſchaͤlte, glatte Baͤume, die parallel und ſchraͤg
in den fuͤrchterlichen Schlund hinab liefen. Ne-
[115] ben denſelben rechts war ein Seil angebracht,
woran man ſich halten konnte. Sobald er
ſaß, lud er den erſten Herrn ein, ſich hinter
ihn zu ſetzen, ſodann ſeine Dame eben ſo hin-
ter ſich zu nehmen; hinter dieſe ſollte ſich der
zweyte Herr ſetzen und dieſer ſollte wiederum
ſeine Dame hinter ſich ſitzen laſſen. Alles
ſollte ſich wohl und feſt unter einander halten
und niemand etwas Boͤſes fuͤrchten — Und im
Hui! glitt er unaufhaltſam mit uns in die
Tiefe hinunter. Wir waren ſchon wieder auf
feſtem Boden, ehe unſre Begleiterinnen das er-
ſte Aechzen hervorbringen konnten, das ſich
aber im Nu bey uns allen in ein Freudenge-
ſchrey verwandelte. Solch eine Abfahrt nennt
man eine Rolle.


Von hier aus gelangten wir abermals in
mehrere Stollen, die in die Kreutz und Queere
liefen, fuhren abermals uͤber zwey Rollen hin-
ab und beſahen die unterirrdiſchen Zimmer und
Gemaͤcher, in welchen zu gewiſſen Zeiten ein
Bergamt ſeine Sitzungen haͤlt. Die anzie-
H 2
[116] hen[d]ſte Erſcheinung hatte der erfinderiſche Berg-
meiſter bis zuletzt fuͤr uns aufgeſpart. Er fuͤhrte
uns zu dem Eingange eines neuen Stollens,
wie es ſchien. Wir traten hinein und auf
einmal dehnte ſich ein weites ſchwarzes Ge-
woͤlbe vor uns aus, deſſen Umfang wir nach
dem Scheine der Lichter abmaßen, die rund
herum aufgepflanzt waren. Auf den erſten
Blick hatte das Ganze die Anſicht eines dicht-
bezogenen Himmels, an welchem aus weiter
Ferne helle Sterne funkelten. Dieſe verloren
ſich, ſobald das Auge an dieſe Erleuchtung ge-
woͤhnt war, und gingen in dampfende Flaͤmm-
chen uͤber, welche die Gegenſtaͤnde um ſich her
anſtrahlten und ihnen den Ton von Licht und
Schatten mittheilten, der die Beleuchtung ei-
ner großen Hoͤle ſo anziehend macht. Roma-
nenſchreiber, die in der neueſten Gattung ihrer
Dichtungsart etwas leiſten wollen, muͤſſen nach
dieſer Hoͤhle wallfahrten, ſonſt werden ſie in
der That nur Stuͤmperey machen, wenn ſie
[117] Gruͤfte, unterirdiſche Saͤle, Gefaͤngniſſe und
dergleichen behandeln ſollen.


Das Maß dieſer Hoͤle ſind ſiebenmal hun-
dert tauſend Eymer Waſſer. Am aͤhnlichſten
iſt ſie im Zuſtande der Erleuchtung dem Markt
einer großen Stadt, der rund herum mit Lich-
tern beſetzt iſt, wodurch ſein Umfang ſich noch
einmal ſo weitausdehnt. Solcher Hoͤlen ſind
noch drey und dreyßig im Berge, aber nicht
alle haben die Groͤße dieſer. Ihre Beſtim-
mung iſt, das ſuͤße Waſſer aufzunehmen, das
vom Berge hereingefuͤhrt wird. Dieſes ſaugt
die Salztheile auf, die es auf dem Boden, an
den Waͤnden und an der Decke der Hoͤlen fin-
det, ſaͤttigt ſich damit und wird ſodann nach
einer beſtimmten Zeit, mit ſeiner Beute an
Salz, oder als wahrhafte Sohle, aus dieſen
Hoͤlen noch der Stadt herunter gefuͤhrt und
dort verſotten.


Nachdem wir dieſe Hoͤle ihrem ganzen Um-
fange nach durchmeſſen hatten, fuhr ein Wurſt-
wagen mit zwey Bergleuten beſpannt, vor,
[118] nahm uns ſaͤmmtlich auf, und unſere Knap-
pen fuhren uns, im ſtrengſten Trabe, durch
einen ſchoͤnen abhaͤngigen Stollen, der zum
Theil in weißen Marmor gehauen war, wie-
der an den lichten Tag. Unſre Kleidungsſtuͤcke
fanden wir auf einer nahe gelegenen Saͤge-
muͤhle wieder. Hier fanden wir uns auch mit
unſerm gefaͤlligen Bergmeiſter und ſeinen Knap-
pen ab.


Wir ſtiegen wieder nach der Stadt hinun-
ter, und beſahen dort die Kothen, worin das
Salz geſotten wird. Es ſind nur vier Pfan-
nen in Thaͤtigkeit, aber ſie liefern jaͤhrlich ge-
gen dreymal hundert tauſend Centner Salz,
und man verbraucht dazu mehr, als dreyßig
tauſend Klafter Brennholz. Merkwuͤrdig iſt
noch die Saͤgemuͤhle an der Salza, in welcher
die Salztonnen, die man zur Verſchickung des
Salzes braucht, verfertiget werden.


Ich nahm endlich von meiner kleinen Ge-
ſellſchaft, die in Hallein bey ihren Verwand-
ten blieb, Abſchied, und fuhr nach der Stadt
[119] zuruͤck. Von Hellebrunn hatte ich noch eben
Zeit, vor anbrechender Daͤmmerung, einige
Partieen zu ſehen. Das Schloß ſelbſt iſt
ziemlich verfallen, und bietet wenig Merkwuͤr-
diges dar, aber die Anlagen um daſſelbe, der
Luſtgarten, ſeine Waſſerwerke, ſeine Grotten,
ſeine fiſchreichen Teiche; ferner der Thiergarten
voll Damhirſche, ein Theater in lebendigem
Felſen ausgehauen, ein paar artige Luſtſchloͤß-
chen mit koͤſtlichen Ausſichten, und andre klei-
nere und groͤßere Anlagen dieſer Art, geben
dieſem Luſtorte einen eigenthuͤmlichen Charak-
ter von Heiterkeit und Mannichfaltigkeit.


Als ich nach Hauſe kam, traf ich Anſtalten
zu meiner Abreiſe von Salzburg. Nur wenig
deutſche Staͤdte, die ich geſehen habe, waren
mir mit ſolch einer Fuͤlle von angenehmen und
merkwuͤrdigen Gegenſtaͤnden entgegen gekom-
men.



[120]

Den 30ſten des Julius reiſ'te ich von Salz-
burg ab, auf Linz. Der Weg geht, wenn
man von Salzburg heraus koͤmmt, noch eine
Meile an dem felſigten Fuße des Kapuziner-
berges hin; und ich uͤberſah noch im Ruͤcken
einen Theil der Stadt, waͤhrend ſich vor mir,
zwiſchen niedrigern Bergen, die ſchoͤnſten und
fruchtbarſten Thaͤler aufthaten. Weiterhin
fuͤhrte der Weg allmaͤhlig bergan, und die
umliegenden Gegenden blieben bergigt, hatten
aber einen weit angenehmern Charakter, als
die um Salzburg. Der Fruchttrieb war tref-
lich, aber dennoch gaben die Doͤrfer, durch
die ich kam, nicht den Anblick von Reinlichkeit
und Wohlhabenheit derer, die ich jenſeits Salz-
burg durchfuhr. Die Haͤuſer waren von Schroot-
werk, wie in Pohlen und Boͤhmen, zwar nicht
mit Stroh, ſondern mit Schindeln gedeckt;
dieſe waren aber nicht mit Naͤgeln befeſtigt,
ſondern nur mit Feldſteinen belegt, damit ſie
der Wind nicht entfuͤhren ſollte. Nicht weit
von Neumarkt, der naͤchſten Poſt (3 M.)
[121] oͤffnete ſich mir zur Rechten ein ſchoͤnes Thal,
und kaum war es an der Seite verſchwunden,
ſo hatte ich, als ich auf eine kleine Anhoͤhe
gelangt war, ein anderes unuͤberſehliches, durch
Abwechslung und Fruchtbarkeit, und durch die
angebaueten Huͤgel, die es umſchloſſen, ſehr
reizend ſich darſtellendes Thal vor mir. Ich
verlor es aber, indem ich einen Hohlweg hin-
unter fuhr, aus den Augen, und ſogleich be-
fand ich mich vor dem gedachten Neumarkt,
einem unbetraͤchtlichen Flecken, mit zweyſtoͤcki-
gen Haͤuſern, welche die Giebel nach der Straße
kehrten und mit Daͤchern, die zwey bis drey
Ellen hervorſtanden und eben ſo nachlaͤßig ge-
deckt waren, als die vorhin erwaͤhnten auf
den Haͤuſern der Doͤrfer. Neumarkt beſteht
uͤbrigens aus einer einzigen Straße. Von da
bis


Frankenmarkt, dem naͤchſten Poſtwech-
ſel (3 M.) ſetzte ich, bey anbrechender Nacht,
meine Reiſe fort. Es hatte ſeit zwey Tagen
hier viel geregnet, und in den behoͤlzten Ber-
[122] gen um mich her, entwickelten und ergoſſen
ſich dicke Wolken in einem kleinen niſſelnden
Regen, der alle Gegenſtaͤnde wie mit Nebel
bedeckte. Gegen acht Uhr hatte eine dicke Fin-
ſterniß ſchon alles uͤberzogen, aber mein Poſt-
knecht rannte mit mir ſo eilfertig in dieſelbe
hinein, als ob es Tag geweſen waͤre. Die An-
hoͤhen mit ihrem Waldigt ſtanden in dunkel-
ſchwarzen Maſſen um mich her, und das Ge-
hoͤlz, durch welches ich kam, trug dieſe Farbe
in einem noch hoͤheren Grade, ſo, daß der
mit ſchweren Wolken behangene Himmel wie
Tag dagegen erſchien. Einige hundert Schritte
von mir huͤpften Irrwiſche zu Dutzenden, und
von Strecke zu Strecke flimmerten Johannis-
wuͤrmchen wie Diamanten aus dem benach-
barten Gebuͤſch hervor. Auf mehreren ſchwan-
kenden Bruͤcken mußte ich uͤber Stuͤrzbaͤche,
die tief unter mir rauſchten. Da ich auſſer
liederlichem Raubgeſindel, das gern an den
Graͤnzen hauſet, trotz Nacht und Wald, nichts
zu fuͤrchten hatte, und auch jenes mit der
[123] Haͤlfte meiner Baarſchaft abzufinden mir im-
mer getraue, ſo fuhr ich ſehr ruhig weiter;
da ferner meine gegenwaͤrtige Lage und Stim-
mung, jugendlicher Eindruͤcke wegen, einen
gewiſſen Reiz fuͤr mich hatten, den ich als
Mann noch nicht ganz unſtatthaft fand, ſo
konnte ich noch waͤhrend dreyer Poſten dieſes
Vergnuͤgens genießen. Denn die Gegenden mit
ihren Schatten dauerten ſo fort bis uͤber Fran-
kenmarkt
und Voͤcklabruͤck (2 M.) zwey
unbetraͤchtliche Flecken, beyde mit Poſtwechſel,
hinaus, indem mildere und ſanftere Anhoͤhen,
weitere und engere Thaͤler, immer vor mir
und an meiner Seite blieben. Von Lambach,
dem dritten Poſtwechſel, (3 M.) aus, ward
es lichter am Himmel und auf dem Boden,
und ſchon zeigten ſich mir die aͤußerſten Ruͤk-
ken der Gebirge, an deren Fuße die Donau
hinfließt. Sie zogen ſich halbkreisfoͤrmig um
niedrigere Anhoͤhen und Thaͤler herum, waͤh-
rend in meiner Naͤhe der Boden bald ſich
ſanft erhob, bald ſich in die fruchtbarſten Nie-
[124] derungen, mit Wieſen und Kornfeldern ge-
ſchmuͤckt, abdachten. So dauerte es fort bis
Wels, der letzten Poſt vor Linz, (2 M.) wo
der Weg uͤber ein Erdreich lief, das ganz ſo
iſt, wie es ſich vor Muͤnchen anhebt, bis nach
Salzburg hinlaͤuft, ſich hier haͤufig in große
Maſſen zuſammen gebacken und zu Werkſtuͤk-
ken faͤhig zeigt, und von wo es dann in glei-
cher Natur, aber wiederum locker, ſich nach
Linz hinein erſtreckt. Mir ſcheint daraus zu
folgen, daß die ganze Strecke, von Muͤnchen
aus bis hieher, vor undenklichen Zeiten Mee-
resgrund geweſen ſey; und vielleicht mag in
der grauen Vorzeit manches Fahrzeug an dem
Untersberge, Gaisberge, und wie ſie alle in
dortiger Gegend heißen, als ſie noch das klip-
pigte Geſtade des Meeres bildeten, geſcheitert
ſeyn, indeß ſich auf dem Berge, wo jetzt die
Feſtung Salzburg ſteht, die Mannſchaft vor
den Wellen rettete. Wels iſt ein gut gebaue-
tes, ſauberes Staͤdtchen. Die Haͤuſer haben
vermauerte Giebel und geben einen italieni-
[125] ſchen Anblick. Die Hauptſtraße, worin das
Poſthaus ſteht, wuͤrde in jeder großen Stadt
mit Ehren eine Stelle einnehmen.


Linz (4 M.) ſieht man faſt nicht eher,
als bis man davor iſt, wegen Mangel an ho-
hen Thuͤrmen. Dieſe Stadt liegt diſſeits der
Donau am Fuß eines ſchoͤnen Gebuͤrgsamphi-
theaters, das jenſeits dieſes Fluſſes, in ſchrof-
fern und ſanftern, aber immer trefflich ange-
baueten, Abſaͤtzen, empor ſteigt.


Die Grundlage der Stadt iſt nicht ganz
eben, und erhebt ſich vom Markt an allmaͤh-
lich bis zur Feſtung hinauf, die in einem nicht
ſehr furchtbaren Zuſtande, auf einer Anhoͤhe
liegt, die Stadt beherrſcht und uͤbrigens eine
ſehr lachende Ausſicht, rechts uͤber die umlie-
genden fruchtbaren Gefilde, links uͤber das
jenſeits der Donau hinaufſteigende Amphithea-
ter und den Spiegel der Donau ſelbſt, hinter-
waͤrts uͤber das ſchwarzbehoͤlzte Thal, aus wel-
chem ſich jener Strom hervordraͤngt, und vor-
[126] waͤrts unmittelbar uͤber den ganzen Umfang
der Stadt gewaͤhret.


Linz iſt faſt wie Salzburg gebauet, nur
mit dem Unterſchiede, daß die Vorderſeiten
der Haͤuſer verziert ſind; daß das Erdgeſchoß
und der zweyte Stock hervorſpringen und mit
einer Art von Wetterdache bedeckt, und daß
faſt vor allen Fenſtern gruͤne Sonnengitter
ſind, die den Haͤuſern ein gutes Anſehen ge-
ben. Dieſe Sonnenlaͤden findet man in Fran-
ken, Bayern und Oeſterreich ſehr haͤufig; weit
ſeltener in Sachſen, Preußen und uͤberhaupt
im noͤrdlichen Deutſchlande, wo man die Be-
quemlichkeit, die ſie gewaͤhren, nicht zu achten
ſcheint, und wo man dagegen mehr auf die
Fenſtervorhaͤnge wendet, die in Oberdeutſchland
in der That meiſt ſehr aͤrmlich ſind. Viele
Fenſter in Linz haben eiſerne Gitter, wie man
ſie auch in Salzburg, und in ganz Oeſterreich,
ſehr haͤufig, in Niederdeutſchland ebenfalls
ſelten oder gar nicht, findet. Ich ſehe nicht
ein, wozu ſie eigentlich nuͤtzen. Dagegen iſt
[127] es hier weniger uͤblich, die Haͤuſer mit Farben
abzuputzen, ſondern man laͤßt ſie weiß, und
dies giebt den Staͤdten, Flecken und Doͤrfern
in dieſen Gegenden ein heiteres und neues An-
ſehen


Linz hat einen trefflichen, geraͤumigen Markt-
platz, der mit einer ſtattlichen Dreyfaltigkeits-
ſaͤule auf der einen, mit einem Springbrun-
nen auf der andern Seite verziert, und mit
anſehnlichen 4 bis 5 Stock hohen Haͤuſern
umſchloſſen iſt. Die Straßen ſind im Durch-
ſchnitt mehr enge, als breit, aber das Pflaſter
iſt gut. Mehrere Kirchen und oͤffentliche Ge-
baͤude fallen gut in die Augen. Auch iſt die
Stadt lebhaft genug und man hat die Zahl
ihrer Bewohner auf 16,000 berechnet. Auf
einem Theile des Stadtwalls ſind Alleen und
Hecken angelegt, die einen artigen Spatziergang
bilden. Als ſolcher wird auch die Donaubruͤcke
gebraucht, die von Strecke zu Strecke mit Baͤn-
ken beſetzt, uͤbrigens von Holz iſt. Die Ausſicht
von derſelben iſt ſehr angenehm.


[128]

Ich wollte die hieſige große Wollenwirkerey
ſehen, aber man machte mir Schwierigkeiten.
Ich hoffe zum geſunden Menſchenverſtande,
daß nur Eigenſinn oder Traͤgheit des Aufſe-
hers, oder irgend ein Mißverſtaͤndniß, die Ur-
ſach davon war: denn die Handgriffe der Wol-
lenarbeiter ſind, dem Himmel ſey Dank! nir-
gend ſolch ein Geheimniß mehr, daß man ſie
ſtehlen muͤßte, wie gewiſſe englaͤndiſche Kunſt-
werkzeuge.


Das hieſige Lyceum iſt weder ſtark beſucht,
noch hat es beruͤhmte Lehrer. Ich fand in ei-
nem paar Hoͤrſaͤlen noch eine alte und ſteife
Lehrart, welche die Gegenſtaͤnde ungefaͤhr noch
ſo weitlaͤuftig und elementariſch vortrug, wie
ſie auf den proteſtantiſchen Gymnaſien in der
dritten und vierten Klaſſe behandelt werden.


Die hieſigen Buchladen ſind wahre Troͤ-
delbuden. Kein einziger davon ſteht mit Leip-
zig in Verbindung; was alſo in der allgemei-
nen deutſchen Litteratur vorgeht, bleibt hier
unbekannt. Man behilft ſich mit dem, was
in
[129] in den Erblaͤndern gedruckt und beſonders nach-
gedruckt wird, und bindet nebenher Buͤcher,
was in der That das eigentliche Handwerk
der hieſigen Buchhaͤndler zu ſeyn ſcheint. Ich
erkundigte mich bey drey derſelben nach einem
in Oeſterreich und auch auswaͤrts ſehr bekann-
ten Dichter, der vor wenig Jahren in Linz
eine anſehnliche Stelle bekleidet hatte, und ſie
kannten ihn nicht einmal dem Namen nach.
Aber es iſt gewiß, daß Linz uͤberhaupt von
den Lichtſtrahlen, die noch vor wenig Jahren
von Wien uͤber Oeſterreich ausgehen durften,
wenig bekommen hat, weil das Heer der hie-
ſigen Geiſtlichkeit vortreflich Wache gegen al-
les hielt, was die Wiſſenſchaften und den
Verſtand haͤtte aufklaͤren koͤnnen.


Das Linzer Blut iſt beruͤhmt, und nicht
ohne Grund. Es iſt in der That ſchoͤn, doch
mehr bey dem weiblichen Geſchlecht, als bey
dem maͤnnlichen. Unter dem erſtern findet man
haͤufig ganz griechiſche Umriſſe, große ſchwarze
Augen, vortrefliche Zaͤhne, und die friſcheſte
Sechstes Heft J
[130] Farbe. Doch ſind es beſonders die mittlern
und untern Staͤnde, die ſolche Bilder darbie-
ten; in der That nur Bilder, denn man fin-
det weder Munterkeit noch Leben, noch ande-
res Gefuͤhl, als das bloß ſinnliche, bey ihnen,
fuͤr welches ſie auch nur gemacht zu ſeyn ſchei-
nen. Ihr Koͤrperbau iſt mehr gedraͤngt, als
ſchlank; Haͤnde und Arme ſind mit dem feſte-
ſten Fleiſche prall gepolſtert; und die ſchoͤnſte
Form des Buſens, die mit dem runden Halſe
in eins zu verfließen ſtrebt, ſcheint hier zu
Hauſe zu ſeyn. Den letztern Vorzug ſcheinen
ſie mit ihrer Tracht zu danken, die in einem
ſchlaffen Mieder von Wollenzeug beſteht, das
einen ſehr kurzen Schnitt hat, nicht geſchnuͤrt,
ſondern bis uͤber die Herzgrube her zugeknoͤpft
wird, ſich mithin ſanft an den Koͤrper ſchließt
und ſeinen zartern Theilen weiter keine Gewalt
anthut, als daß ſie dieſelben nach oben zu
draͤngt und ſie auf ihrer eigenen Ueppigkeit
und Fuͤlle ruhen laͤßt.


[131]

Die Bauern und Baͤuerinnen in der Ge-
gend von Linz, wie uͤberhaupt in Oberoͤſter-
reich, kleiden ſich faſt ganz ſo, wie die im Al-
tenburgiſchen und im Bezirke von Eger. Schwarz
iſt ebenfalls ihre Leibfarbe. Die Maͤnner tra-
gen große, runde, ſchwarze Huͤte, und Pump-
hoſen mit Gehenken uͤber der Achſel; ihre Roͤcke
ſind lang und haben einen ſehr kurzen Schnitt.
Dieſe Tracht wuͤrde mit der Tracht der Salz-
burger ganz uͤberein kommen, wenn letztre nicht
am liebſten kapuzinerbraun truͤgen, und die
gruͤnen Huͤte vorzoͤgen. Die Roͤcke der Wei-
ber bedecken kaum das Knie und haben eine
große Menge ſenkrecht herablaufender ſchmaler
Falten; ihre Waͤmſer haben einen ungewoͤhnlich
kurzen Schnitt, was ihnen ſehr breite Schultern
macht; ihre Hauben ſind beſſer als die Salz-
burgiſchen, weil ſie nicht mit den hoͤrnerarti-
gen Hoͤhlungen an den Seiten, ſondern bloß
mit einem Striche von ſchwarzen Spitzen, der
ſich halbkreisfoͤrmig von einem Ohre zu dem
andern an den Kopf legt, verſehen ſind.


J 2
[132]

Den erſten Auguſt reiſ'te ich von Linz ab
nach Wien. Der Weg auf Ens (3 M.)
fuͤhrt durch daſſelbe Thor zuruͤck, durch wel-
ches ich herein gekommen war. Ich ſah mich
in einer mit einzelnen Anhoͤhen beſetzten Ebe-
ne, aus welcher ich durch einen Hohlweg auf
eine hoͤlzerne Bruͤcke gelangte, die uͤber die
Traun nach Ebersperg fuͤhrt, einem paſſau-
iſchen Marktflecken, in deſſen Naͤhe auf einem
hohen Berge ein altes Schloß liegt. Von da
an erhaͤlt ſich der Weg ziemlich eben, bis auf
ein paar Anhoͤhen, uͤber die man hinfaͤhrt
und von denen man die ganze Gegend uͤberſe-
hen kann. Dieſe zeigt immer noch aus der
Ferne Anhoͤhen, welche ſich auf allen Seiten
herumziehen. In den Thaͤlern zwiſchen den-
ſelben ſind die fruchtbarſten Felder und ſchoͤn-
ſten Wieſen, die nur an einigen Stellen von
ſchmalen Gehoͤlzen unterbrochen werden. Die
wohlhabende Anſicht der Doͤrfer, das freye, offene
Weſen der Einwohner und ihre ſtarken wohl-
genaͤhrten Roſſe, alles zeigte, daß ich mich in
[133] einem von der Natur geſegneten und weder
von dem Landesherrn, noch von deſſen Lehn-
traͤgern ausgeſogenen Lande befand.


Kurz vor Ens erhebt ſich der Weg allmaͤh-
lig, und dieſe Stadt zeigt ſich, mit ihrer alt-
modiſchen Befeſtigung, die aus einer hohen
Mauer mit Thuͤrmen beſteht, nicht zu ihrem
Nachtheil. Das Innere derſelben iſt neuer
und heller, als das Aeußere. Ihre Haͤuſer
haben meiſt drey Stock und platte Daͤcher,
und einige darunter wuͤrden ſelbſt einer groͤßern
Stadt zur Zierde dienen.


Von Ens aus faͤhrt man, einen ziemlich
ſteilen Berg hinunter, in das Thal, worin
die Ens fließt, uͤber die hier eine hoͤlzerne
Bruͤcke fuͤhrt. Der Weg geht eine Strecke
flach fort, erhebt ſich ſodann allmaͤhlig und
laͤuft uͤber maͤßige Anhoͤhen hinauf und hin-
unter. Auf der letztern derſelben uͤberſieht
man das Thal der Ens zur Linken, und zur
Rechten ein zweytes, beyde nicht ſehr ausge-
breitet, aber fruchtbar. Der Straßendamm,
[134] hier einer der ſchoͤnſten, die ich außerhalb
Frankreich geſehen habe, war dicht mit Obſt-
baͤumen beſetzt, und ungeachtet es ſeit vier
Tagen geregnet hatte, war die Wagenſpur
auf demſelben kaum einen Zoll tief. Mehrere
auf dem Ruͤcken der umliegenden Anhoͤhen
ſich befindende Kirchen, Kloſtergebaͤude und
Schloͤſſer, verſchoͤnern dieſe Gegend. Streng-
berg
, der naͤchſte Poſtwechſel (2 M.) iſt ein
Marktflecken mit mehreren ſteinernen Haͤuſern.
Uebrigens wurde ich auf dieſem Poſtlaufe ge-
fahren, wie ſeit Lithauen nicht. Von hier bis
Amſtaͤdten, der naͤchſten Poſt (3 M.)
dauert der Weg meiſt in der Art wie vorher
fort, nur daß die Anhoͤhen, die man auf und
ab ſteigt, merklich betraͤchtlicher und behoͤlzter
werden. Auf beyden Seiten behielt ich immer
noch Thaͤler, und da, wo das Gehoͤlz ſich oͤff-
nete, erblickte ich, naͤher und entfernter, hohe
Bergruͤcken, die ſich amphitheatraliſch vor mir
herum zogen. Kurz vor Amſtaͤdten ſtand ich
an dem Abhange eines betraͤchtlichen Berges,
[135] und ein neues ſchoͤnes Thal dehnte ſich zu
meinen Fuͤßen aus, in welches ich hinab rollte.
Zugleich befand ich mich in Amſtaͤdten, einem
Marktflecken, wie Strengberg.


Von demſelben aus fuhr ich in dem Thale
weiter und behielt auf beyden Seiten Berge.
An denen zur Linken fließt die Donau hin, in
deren Naͤhe man ſich waͤhrend dieſer ganzen
Reiſe erhaͤlt; die zur Rechten aber ſind un-
gleich hoͤher und erſtrecken ſich weiter hinaus.
Das Thal ſelbſt, ſolch einen ſchoͤnen Anblick
es auch aus der Ferne gewaͤhrte, entſpricht
der veranlaßten Erwartung nicht. Der Boden
beſteht aus lockeren Steingeſchieben und hat
kaum einen halben Fuß hoch Dammerde. Fleiß
iſt ihm nicht zu Huͤlfe gekommen. Das Ge-
treide war weit zuruͤck, duͤnn, niedrig; die
Doͤrfer mithin unanſehnlich, die Bewohner
aͤrmlich. Nach einer dreyviertelſtuͤndigen Fahrt
gelangt man von neuem an einen Marktflecken,
der manches armſelige, von Schrotwerk ge-
bauete, mit Stroh gedeckte, Haͤuschen hat,
[136] die nur am Ausgange durch einige anſehnli-
chere wieder gut gemacht werden. Hinter die-
ſem Flecken verengert ſich das Thal, und der
Weg nimmt eine Wendung rechts an einem
Berg herum, worauf ſich das Thal von neuem
erweitert, doch nicht mehr die Ausdehnung er-
haͤlt, als von Amſtaͤdten aus. Es hat hier ei-
nen Fluß in der Mitte, uͤber den man auf
einer Bruͤcke hinfaͤhrt. Bald darauf befindet
man ſich in Kemmelbach, dem naͤchſten
Poſtwechſel. (2 M.) Kemmelbach iſt ein Fleck-
ken, aber nicht ſo ſauber und gut gebauet, als
ein paar andere, durch die ich heute kam. Von
da bis
Moͤlk, ging ich noch am ſpaͤten Abend,
und alles was ich uͤber die Chorographie des
Weges bemerken konnte, war, daß er theils
uͤber kleine Anhoͤhen hinab, theils durch Wal-
digt fuͤhrte, und daß im Durchſchnitt genom-
men, die Gegend mehr uneben als flach, die
Straße aber vortrefflich war. So kam ich
dieſe Nacht uͤber Moͤlk, (3 M.) St. Poͤl-
[137] ten
, (3 M.) Perſchling; (2 M.) und erſt
zu Sichartskirchen (2 M.) fand ich den
Tag wieder. Von da bis Burkersdorf
(2 M.) ward der Weg uͤberaus angenehm.
Vor und neben mir erhoben ſich ſanft abge-
rundete Berge, die am Abhange zum Theil
mit Weinreben, zum Theil mit Getreide, auf
dem Gipfel aber durchweg mit Gehoͤlz beſetzt
waren. Dieſes beſtand nicht aus finſterm Na-
delholz, ſondern aus Eichen, Birken, Buchen,
die dieſen Anhoͤhen einen ſehr heitern Charak-
ter mittheilten. Zwiſchen ihnen fuhr ich, in-
dem ihre Form und Lage und die durch ſie
gebildeten Thaͤler beſtaͤndig wechſelten, bis
nach Burkersdorf, und von da aus, bis unge-
faͤhr 1½ Stunde vor Wien fort. Jetzt kam
ich aus dieſen Thaͤlern hervor in eine offnere
Gegend, die aber immer noch nicht zur Ebene
wird, ſondern in der Ferne noch Berge, ob-
gleich keine betraͤchtliche mehr, einſchließt. Wien
bleibt bis auf ¾ Stunden Entfernung dem
Auge noch verſteckt; aber das Geraͤuſch und
[138] das Gedraͤnge der Aus- und Eingehenden und
Fahrenden laͤßt es nicht zweifelhaft, daß man
dieſer ehrwuͤrdigen Stadt ſehr in der Naͤhe iſt.
Man faͤhrt endlich durch eine der ſchoͤnſten
Vorſtaͤdte nach Wien (2 M.) hinein, und
ſieht ſich zwiſchen fuͤnf- bis ſechsſtoͤckigen Haͤu-
ſern vergraben und von dem bunteſten Ge-
wimmel verſchlungen.



[139]

Zwoͤlfter Abſchnitt,
Wien
.


Topographiſche Bemerkungen über die Stadt ſelbſt.
Feſtungswerke. Thore. Straßen und Plätze. Kir-
chen, Palläſte, öffentliche Gebäude, Bürgerhäuſer,
Bauart. Sogenannte Höfe und ungeheure Häuſer,
Umbau der ältern, Anſicht und Inneres der neuern.
Neuerliche Verſchönerung und vermehrte Anzahl der
Häuſer. Bauunternehmer. Theurung der Miethen.
Die Fiſcherſchen architektoniſchen Anlagen. Der Raum
zwiſchen der Stadt und den Vorſtädten. Ausſicht
über dieſelben vom Stadtwalle. Schönes Amphi-
theater. Anzahl der Vorſtädte. Ihr Mißverhältniß
in Größe und Umfang. Ihr Anbau. Ihre Bevöl-
kerung. Volksmenge der Stadt Wien mit den
Vorſtädten zuſammen genommen. Erleichterung der
Ehen unter Joſeph dem Zweyten. Freygebung der
Gewerbe. Folgen davon auf der einen und der an-
dern Seite. Geſtiegene Preiſe der Lebensmittel.
Wohlhabendes Aeußere von Wien. Aermer gewor-
denes Innere. Wucherer. Die Fürſtlichen, Gräf-
lichen und Freyherrlichen großen Familien. Ihre
Einnahmen und Ausgaben. Der zweyte Kreis der
[140] Reichen. Charakter der in Wien umlaufenden Geld-
maſſe. Ohne Sorgen erworben, fröhlich ausgegeben.
Hang zum Luxus und zum Wohlleben. Neigung zur
Schüſſel, zu Schauſpielen, zur Muſik. Das Hof-
theater. Madame Vigano und ihr Mann. Ihre
berauſchende Wirkung auf das Wiener Publikum.
Die Theater Marinelli's und Schikaneders. Hetze.
Konzerte. Tanz. Tanzmenſcher. Spatzierfahrt, Spat-
ziergang, Sommeraufenthalt auf dem Lande. Um-
liegende Luſtörter und Dörfer. Der Prater. Rückkehr
aus demſelben. Nächtlicher Luſtort und Spaziergang.
Winke über das unſittliche Verkehr. Zerſtreute Be-
merkungen. Das Vermiſchen der Stände. Das be-
ſchrieene Herr von — und Ewr. Gnaden. Die
ſteife Nachahmungsſucht in der Mode faſt ganz ver-
ſchwunden. Kopfputz à la Guillotine. Geſunkene
Begeiſterung der gebornen Wiener von ihrer Vaterſtadt.
Stimmung des Volks für die Geiſtlichkeit. Umtrieb
der Wiſſenſchaften. Leſeſucht in den mittlern und ge-
ringern Klaſſen. Nachdrucker im Hinſcheiden. Ein
Wink über die eigentliche Gelehrſamkeit und die Ein-
richtung der Schulen und Univerſitäten. Einige er-
ſchütterte Charakterzüge der Wiener.


Abreiſe von Wien. Neudorf. Die Neuſtädter
Haide. Thereſienfeld. Wieneriſch Neuſtadt. Schott-
wien. Weg über den Semmering. Das ſchöne März-
thal. Bruck an der Muhr. Leoben. Wege und
Gegenden. Frieſach. St. Veit. Klagenfurt. An-
ſicht, Bauart, Straßen und Plätze dieſer Stadt.
Der Fürſt Biſchof von Gurk und Straßburg. Fa-
briken. Der Wertherſee. Veiden. Villach. Die
Krainer Alpen. Gegenden. Das Thal der Drau.
[141] Furchtbare Kalkalpe. Lienz. Eintritt in die Alpen.
Anbau derſelben. Ungewöhnliche Menge von Kirchen.
Brixen. Schauderhaftes Thal zwiſchen Kolman und
Botzen. Abriß dieſer Stadt.



Der witzige Verfaſſer der Skizze von
Wien
vergleicht dieſe praͤchtige Kaiſerſtadt
nicht unangenehm mit einem Ringe. Der
Mittelpunkt derſelben, die eigentliche Stadt,
iſt ihm der Hauptdiamant, die Vorſtaͤdte
ſind die Karmeſirung. Wahrſcheinlich giebt es
nirgend in der Welt einen Fleck mehr, der,
in einem Viereck von ungefaͤhr Siebenhundert
Wiener Klaftern Laͤnge, und von Sechshun-
dert dergleichen Klaftern Breite, ſolch eine
Fuͤlle von Volk, Reichthum und Pallaͤſten; ſo
viel politiſche Macht und Groͤße; ſolch einen
Geldumlauf; ſolch einen Drang von Staats-
und Handelsgeſchaͤften; ſolch einen Zuſammen-
fluß von Fremden, und ſolch eine zahlreiche
Geſellſchaft der groͤßeſten, reichſten, freyge-
[142] bigſten Einheimiſchen, aus allen Provinzen ei-
nes großen Kaiſerthums, beherbergte, naͤhrte,
und zugleich als Feſtung deckte.


Die Werke dieſer Feſtung laufen in tiefen
Graͤben, und in ſehr hohen Waͤllen, die in
zehn Baſtionen abgetheilt ſind, um die eigent-
liche Stadt, und draͤngen ſie in den geringen
Umfang von ungefaͤhr einer halben deutſchen
Meile — zuſammen.


Sechs Haupt- und zwey Nebenthore fuͤh-
ren hinein und heraus. Hundert und Acht
breitere und engere Straßen dienen zur innern
Verbindung. In Dreyzehn Hundert und Fuͤnf
und Zwanzig Haͤuſern, von Vier bis zu Acht
Geſchoſſen, wohnt eine Volksmenge von mehr
als Funfzig Tauſend Seelen. Unter dieſen
ſteht eine zahlreiche Kaiſerlich- Koͤniglich- Erz-
herzogliche Familie obenan. Zwoͤlf bis Vier-
zehn Fuͤrſtenhaͤuſer folgen auf ſie. An ſie
ſchließt ſich die doppelte Anzahl von Graͤflichen,
und die dreyfache von Freyherrlichen Familien,
deren Haͤupter theils als Privatleute, theils
[143] als Inhaber der hoͤhern Hof- und Staatsſtel-
len leben. Auf ſie folgt ein Heer von Geſand-
ten, jeder Ordnung, die mehr oder weniger
glaͤnzende Haͤuſer machen. Wechsler, Negoti-
anten, Geſchaͤftstraͤger, auch nur bloße Haus-
beſitzer, wetteifern in Reichthum und Genuß.
Kaufleute, Lieferer, Vorkaͤufer und Unter-
nehmer aller Art folgen ihnen auf dem Fuße;
eine wohlhabende, nicht geitzige Buͤrgerſchaft
verkehrt und lebt unter dieſem Getuͤmmel, und
macht es auch ihrerſeits geraͤuſchvoller; und
endlich verſtaͤrkt ein Heer von Staatsbeamten,
das durch zwoͤlf bis funfzehn Hof- und Staats-
kollegien geſtellt wird, verſtaͤrkt den Zehr- und
Genußdrang, und ſchwellt den Menſchenſtrom
in dem Grade an, wie er ſich beſonders auf
dem Burgplatz, auf dem Kohlenmarkt,
auf dem Stockam Eiſenplatze, in der
Kaͤrnthner Straße, auf dem hohen
Markt
, auf dem Hofe und am Graben
zeigt. Von den Bewohnern der Vorſtaͤdte
bringt gewiß ein Drittel, wo nicht den ganzen
[144] Tag, doch wenigſtens einige Stunden, eben-
falls in der Stadt zu; und in dem allgemeinen
Getuͤmmel dieſes engen Standplatzes rollen
uͤber Zwey Tauſend eigene Wagen, uͤber drey
Hundert Stadtlohnwagen, uͤber Sechs Hun-
dert Fiaker, mit Sechſen, Vieren und Zweyen
beſpannt, vom fruͤheſten Morgen bis in die
ſpaͤteſte Nacht laͤrmend herum. Die Wagen,
worauf die Zufuhr fuͤr den allgemeinen Be-
darf und Ueberfluß nach der Stadt geſchaft
wird, deute ich nur an.


Alles alſo, was arbeiten und muͤßig gehen,
leben und ſchwelgen, ſehen und geſehen wer-
den will, draͤngt ſich nach dem Kerne der
Stadt hin und wohnt in demſelben enge auf
einander. Da der Umfang nicht erweitert
werden kann, ſo faͤhrt man in die Hoͤhe auf;
und dieſer Umſtand beſtimmt die Bauart des
eigentlichen Wien.


Man ſieht ſich ſonach in deſſen Straßen
wie in Graben eingeſchloſſen, die ziemlich von
gleicher Tiefe ſind, und ſich nur durch Laͤnge
und
[145] und Breite unterſcheiden. Die Plaͤtze, deren
keiner groß iſt, geben den Anblick von ausge-
hoͤlten Becken.


Der ertraͤglich geraͤumigen Straßen ſind
ungefaͤhr nur zehn, und man kann dahin die
Herren-, die Kaͤrnthner-, die Wiplin-
ger
-, die Schuler-, die Singer-, die
Rauhenſtein-, die Johannis-, die An-
nen
-, die Spiegel- und die obere Schen-
ken-Straße
rechnen. In dieſen koͤnnen,
doch nicht in allen ihren Theilen, drey Wagen
einander mit Muͤhe ausweichen, indem die ei-
ne Achſe die andre oder die Waͤnde der Haͤu-
ſer ſtreift. In andern haben nur zwey Wa-
gen, in noch andern hat nur einer, und in
den uͤbrigen nur der Fußgaͤnger, Platz. Der
engeſten Art findet man viele zwiſchen dem
Graben und dem hohen Markt, zwiſchen
dem Hof und der Naglergaſſe, zwiſchen
dem Judenplatz und dem alten Fleiſch-
markt
, und noch in einigen andern Gegenden
der Stadt.


Sechstes Heft. K
[146]

Unter den Plaͤtzen ſind noch die geraͤu-
migſten der Hof, der hohe Markt, der
Graben, der Neumarkt, die Freyung;
der Burgplatz aber, der Bibliothek-
platz
, der Stock am Eiſenplatz, der St.
Stephansplatz
und der Judenplatz ſind
nur in einer Stadt, die ſo enge Straßen hat,
Plaͤtze zu nennen.


An dieſen Straßen und Plaͤtzen ſtehen
Buͤrgerhaͤuſer, oͤffentliche Gebaͤude und Pri-
vatpallaͤſte umher, unter denen die vierſtoͤckigen
die niedrigſten, die fuͤnfſtoͤckigen die gewoͤhn-
lichſten, und ſechs- und ſiebenſtoͤckige nicht ſel-
ten ſind. Da der Bau eines Hauſes in Wien
beſchwerlicher iſt, als anderswo, weil das
Bauholz, von dem Bauplatze weit entfernt,
vorgerichtet, und die uͤbrigen Zuthaten im
Kleinen herbey geſchafft werden muͤſſen; ſo
bauet man auch, wenn man ſich dieſer Muͤhe
einmal unterzieht, fuͤr die moͤglichſtlange Dauer
der Haͤuſer und Pallaͤſte. Die Mauern der-
ſelben haben eine Dicke von zwey, drey, und
[147] vier Ellen, und ſind entweder von einem kalk-
artigen Bruchſtein, oder, wie faſt alle neuern,
von Ziegelſteinen aufgefuͤhrt. Nur ſolchen Mau-
ern kann man ſolche Hoͤhe und ſolche Irr-
gaͤnge von Queerwaͤnden aufladen, als dadurch
noͤthig werden, daß man den innern Ausbau
ganz auf Gelaß zu berechnen pflegt. Viele
dieſer felſenartigen Werke haben noch uͤberdieß
doppelte und dreyfache Kellergeſchoſſe uͤber ein-
ander, die ihre ganze Grundlage unterwoͤlben,
und die Beduͤrfniſſe an Holz und Wein fuͤr
Hunderte ihrer kuͤnftigen Bewohner zu faſſen
beſtimmt ſind. Haͤuſer dieſer Art findet man
am Graben, auf dem Hofe, in der Kaͤrnth-
nerſtraße, am hohen Markte, am Kohlmarkte
und anderwaͤrts. Die ſogenannten Hoͤfe, de-
ren es eine große Menge giebt, enthalten oft
fuͤnf bis acht Gebaͤude, eines in das andre
geſchachtelt, fuͤnf bis ſechs Stock hoch, durch
enge Durchgaͤnge verbunden und vom Keller-
geſchoß an bis hoch in die Daͤcher bewohnt.
Als Muſter dieſer ungeheuren Art zu bauen,
K 2
[148] von der man, außer vielleicht in London und
Genua, nichts aͤhnliches findet, kann man das
hieſige Trattner'ſche und Frieſiſche Haus,
die Traube, die Mehlgrube, den Seit-
zer-, Schotten
- und Annen-Hof, und
vorzuͤglich das ſogenannte Buͤrgerſpital anfuͤh-
ren. Das letztere hat jetzt, da ich dies ſchrei-
be, Neun Hoͤfe voll fuͤnfſtoͤckiger Gebaͤude, de-
ren Zimmer ſchon gemiethet wurden, ehe ſie
fertig waren.


Das Innere der neuern Haͤuſer iſt beque-
mer, geraͤumiger und leichter, als das Innere
der aͤltern. Dieſe ſind uͤberhaupt an ihren her-
vorragenden Giebeln, kleinern Fenſtern, und
dunkeln, engen Treppen, leicht zu unterſchei-
den. Doch haben manche Beſitzer ſolcher Haͤu-
ſer viel gethan, um ſie in allen dieſen Stuͤk-
ken zu verbeſſern; ſie haben ſie zum Theil vom
Grunde aus umgebauet, und mit dem Raume
ſo gewirthſchaftet, daß man jetzt oft genug in
alten und unanſehnlichen Gebaͤuden durch ge-
raͤumige, helle, bequem verbundene und hohe
[149] Zimmer uͤberraſcht wird. Die neuern Haͤuſer
ſind durchweg mit ſteinernen Treppen, und
dieſe mit eiſernen Gelaͤndern verſehen; jede
Abtheilung der Wohnungen hat ihren eigenen
verſchloſſenen Eingang; ihren eigenen verwahr-
ten Antheil am Keller u. ſ. w. Jedes Haus
hat ſeinen Hausmeiſter, die ſogenannten Hoͤfe
aber haben auch wohl ihrer zwey, die fuͤr de-
ren Schließung und Oefnung ſorgen; auf Bett-
ler und liederliches Geſindel, das ſich einſchlei-
chen koͤnnte, ein wachſames Auge haben; uͤber
die Hausbewohner Auskunft geben, wenn
Nachfrage nach ihnen koͤmmt; und ſonſt noch
eine Menge kleiner Dienſte verrichten, die in
einem großen, bevoͤlkerten Hauſe vorfallen.
Sie bekommen dafuͤr freye Wohnung in dem
untern Theile des Hauſes, und genießen ſonſt
noch kleiner Vortheile von den Einwohnern.
Wenn dieſe z. B. erſt nach zehn Uhr zu Hauſe
kommen und der Hausmeiſter ihnen die Thuͤr
oͤffnen muß, ſo wird ihm dieſe Muͤhe mit ei-
nem Kayſergroſchen bezahlt. Deshalb werden
[150] auch die Haͤuſer mit dem Schlage Zehn zuge-
macht und nirgend ſorgfaͤltiger geſchloſſen ge-
halten, als in Wien.


Das Aeußere der neuern, oder neubearbei-
teten Haͤuſer iſt ſehr in die Augen fallend.
Die Fenſter ſind, der engen Straßen wegen,
im Durchſchnitt hoch und mit großen Glas-
ſcheiben verſehen. Ihre Einfaſſungen ſind von
Stein, oder auch von Gyps, und in Waͤnde
mehrentheils gelblich abgeputzt. Manche Stra-
ßen und Plaͤtze ſind mir ſeit 1784 und 1785,
wo ich zuerſt in Wien war, faſt unkenntlich
geworden. Kloſtergebiete ſind die ſchoͤne Rei-
hen von Privathaͤuſern; Plaͤtze, an welche
die hohe Mauer eines Nonnenzwingers ſtieß,
in Straßen verwandelt. Seit Aufhebung der
Kloͤſter iſt eine ganz neue Gattung von Ge-
ſchaͤftsleuten in Wien erſtanden: die Bauun-
ternehmer
, die zum Theil ſehr reich gewor-
den ſind. Sie kaufen Kloſtergebiete, Plaͤtze,
die mit alten Haͤuſern beſetzt ſind, oder ein-
zelne baufaͤllige Haͤuſer an, laſſen ſie abtragen,
[151] von neuem auffuͤhren und verkaufen ſie ſodann
weiter. Auf dieſe Art ſind in den Gegenden
um das Buͤrgerſpital; in den oberen Thei-
len der Spiegelſtraße; in den Straßen,
die von dem Graben nach dem Michaeler- und
dem Bibliothekplatz, und von dort herum nach
dem Theater des Kaͤrnthner Thores fuͤhren;
in der Annen-, Johannis-, Rauhen-, Stein-
und Singerſtraße; in den Straßen auf den
kleinern Plaͤtzen, die zwiſchen den beyden letz-
tern inne liegen; in den untern Theilen der
Wollzeile; und in dem Mittel des hohen Markts
auf beyden Seiten — uͤberall dort herum ſind
theils ganz neue, theils verſchoͤnerte und er-
hoͤhete, theils innerlich bequemer ausgebauete,
Haͤuſer hervorgegangen, die jede Forderung
des Kenners, des Bewohners, und des Beſi-
tzers, der ſein Vermoͤgen ſo zu Zinſen an-
legte, befriedigen und Wien auf eine ſehr hohe
Stufe von Vollkommenheit, Bequemlichkeit,
Gruͤndlichkeit und Gleichfoͤrmigkeit in der Bau-
kunſt, erhoben haben. Unter dieſen neuen
[152] Haͤuſern iſt manches, das ſich, bey einem aus-
gezeichneten Grade von Dauerhaftigkeit, auch
durch Leichtigkeit und Gefaͤlligkeit empfiehlt;
zwey Vorzuͤge, die man ſonſt im Ganzen der
Bauart der Stadt Wien nicht nachruͤhmen
kann, wohl aber haͤufig den Haͤuſern ihrer
Vorſtaͤdte.


Die anſehnliche Vermehrung der Haͤuſer
in Wien hat den hohen Preis der Miethen
nicht herabgeſetzt; er iſt vielmehr immer noch
im Steigen. Ein einzelnes, nur ertraͤglich
geraͤumiges Zimmer, koſtet jetzt monatlich drey
Dukaten; ihrer zwey neben einander, acht bis
zehn Dukaten, fuͤr zwey Zimmer am Graben
im erſten Stock verlangte man von mir funf-
zehen. Ein Beamter, der etwa 12 bis 1500
Gulden Gehalt, und ungefaͤhr eine Familie
von ſechs bis ſieben Koͤpfen hat, braucht eine
Wohnung fuͤr drey bis vierhundert Gulden.
Wohlhabende Familien aus dem Mittelſtande,
die anſtaͤndig wohnen wollen, geben jaͤhrlich
Tauſend, funfzehn Hundert bis zwey Tauſend
[153] Gulden fuͤr Miethe aus. Dieſe Erhoͤhung des
Hauszinſes zeugt aber nicht von ſteigender Be-
voͤlkerung, ſondern nur von ſteigendem Luxus,
vermoͤge deſſen viel Einwohner jetzt noch ein-
mal ſo viel Platz brauchen, als ihre Vaͤter
und Vorvaͤter, bloß um einen Ueberfluß von
modiſchem Hausrath auslegen zu koͤnnen.


An der Burg ſind ſeit den angezeigten
Jahren ebenfalls neue Bauten unternommen
worden, aber ſie ſind nicht von großer Be-
deutung. Der jetztregierende Kaiſer hat fuͤr
ſich, nach der Baſtey zu, einen artigen, aber
kleinen Garten, mit einem Hauſe anlegen,
und letzteres mit einer Warte verſehen laſſen,
wo er manche Stunde zubringt, und mit gro-
ßem Genuß, wie es ſcheint. Man uͤberſieht
dieſe Anlage am beſten durch die Fenſter der
Kaiſerlichen Bibliothek, der gegenuͤber ſie ih-
ren Standplatz gefunden hat.


Neue Privatpallaͤſte habe ich außer dem
Fuͤrſtlich-Aloys-Lichtenſteiniſchen, der eine
große Strecke der Herrenſtraße einnimmt, und
[154] in der That von großer Ausfuͤhrung iſt, nicht
bemerkt; doch iſt fuͤr die innere Verſchoͤnerung
und Vollendung mancher aͤltern viel gethan
worden. Man weiß, daß ihrer eine gute An-
zahl in Wien ſelbſt vorhanden iſt, daß aber
ihre beſchraͤnkte Lage ihrer Anſicht großen
Schaden thut. Sie ſind uͤbrigens im Durch-
ſchnitt groß, haben zum Theil praͤchtige Vor-
derſeiten und einige ſogar betraͤchtliche Hof-
raͤume, die mit Saͤulen umſtellt ſind. Ihre
innere Einrichtung und Vertheilung iſt meiſt
heiter und bequem; aber bey dem allen ſind ſie
voller Unpaͤßlichkeiten in Abſicht der Saͤulenord-
nung und der Verzierungen, die uͤberhaupt einen
gewiſſen ſchweren und uͤberladenen Anblick ge-
ben. Der Baumeiſter der hervorſtechendſten
unter den aͤltern, war Bernhard Fiſcher
von Erlach
, deſſen Geſchmack bey weitem
nicht der reinſte und richtigſte war, wenn man
auch den von ihm vorhandenen Pallaͤſten und
Kirchen den Vorzug nicht abſprechen kann, daß
ſie aus der Ferne das Auge trefflich fuͤllen. We-
[155] nigſtens iſt dieß der Fall mit der Karlskir-
che
, mit Belvedere, mit der Reichskanz-
ley
, mit dem Trautſonſchen Pallaſte,
mit der Kaiſerlichen Bibliothek und
andern Werken, die von ihm herruͤhren.


Die Kirchen ſind unter den oͤffentlichen Ge-
baͤuden in der Stadt Wien nicht die praͤchtig-
ſten und groͤßeſten; es ſind ihrer betraͤchtlichere
und neuere in den Vorſtaͤdten. Dagegen be-
ſitzt die Stadt an St. Stephan ein Mei-
ſterſtuͤck von altdeutſcher Baukunſt, und einen
Ueberfluß an weltlichen oͤffentlichen Gebaͤuden.
Hieher gehoͤren die Kaiſerliche Burg, die
Boͤhmiſch-Oeſterreichiſche Kanzley,
die Bibliothek, das Rathaus, das
Bankhaus, die Reitſchule, das Univer-
ſitaͤts-Gebaͤude
, die Hauptmauth und
die Hofkriegskanzley ꝛc. lauter Anlagen,
die ins Große gehen, und zum Theil fuͤr
Merkwuͤrdigkeiten der Baukunſt gelten koͤnnen,
wenn man ſeine Forderungen nicht zu hoch
ſpannt.


[156]

Bekanntlich iſt zwiſchen der Stadt Wien
und ihren Vorſtaͤdten nach Suͤden, Weſten
und Oſten zu, ein großer leerer Raum gelaſ-
ſen, der, wenn man die jetzt faſt unnuͤtzen Fe-
ſtungswerke abtruͤge, zur Erweiterung und
Vergroͤßerung der Stadt faſt noch einmal ſo
viel Platz, als ihr jetziger Umfang einnimmt,
darbieten wuͤrde. Keine andere Europaͤiſche
Stadt uͤberſieht ihre Vorſtaͤdte ſo vortheilhaft.
Wien hat die ſeinigen vor ſich, und ſie erhe-
ben ſich theils amphitheatraliſch, theils liegen
ſie auf ebenem Boden, rund umher in ihrer
ganzen Laͤnge und Breite. Der Stadtwall
bietet ſchon an ſich einen ſehr angenehmen
Spatziergang dar, aber er wird durch die Ue-
berſicht, die er uͤber die ungeheuren Vorſtaͤdte
und die ganze umliegende Gegend gewaͤhrt, in
der That einzig. Jeder neue Vorſprung des
Walles eroͤffnet eine neue veraͤnderte Ausſicht;
will man aber groͤßere Theile auf einmal um-
ſpannen, ſo iſt es genug, uͤber jedem Haupt-
thore ſich zu verweilen und ſolchergeſtalt die
[157] Fuͤlle der Gegenſtaͤnde in ſechs Perſpektiven
aufzufaſſen. In der That, der Ueberblick von
Rom, von „Monte di Trinita“ aus, iſt ſchoͤn;
die Anſicht von Paris, von „Mont martre“
aus, iſt ungeheuer; aber weder der eine noch
die andre erreichen, meines Beduͤnkens, die be-
zeichneten Anſichten in Wien, weil beyde we-
der das klar entwickelte Amphitheater von
Haͤuſern, Pallaͤſten, und Kirchen, noch das
große Stromgebiet der Donau, die um ein
maleriſches Gebirge her in zehn Armen uͤber
eine fruchtbare Flaͤche hinabſchießt, aufzuweiſen
haben.


Der Raum zwiſchen der Stadt und den-
jenigen Vorſtaͤdten, die ſich vom Schotten-
thor
an bis zum Stubenthore um die
Stadt ziehen, wird zu Sechshundert Schrit-
ten angegeben. Baumgaͤnge bedecken und durch-
kreutzen dieſe Flaͤche bis nach dem Glacis her-
auf; und dieſes iſt mit Raſen bedeckt, den
man nicht ganz ſich ſelbſt uͤberlaͤßt. Die da-
durch gebildeten Spatziergaͤnge ſind, perſoͤnli-
[158] cher Sicherheit wegen, des Nachts erleuchtet,
und von Strecke zu Strecke mit Schildwachen
beſetzt, die zugleich gewiſſe Mißbraͤuche der
Gelegenheit und der Finſterniß zu verhuͤten
haben. Je naͤher man an die Vorſtaͤdte ſelbſt
koͤmmt, deſto unbequemer wird der Weg, des
Staubes halber, der hier, theils Schuh hoch
herum liegt, theils durch das unaufhoͤrliche
Fahren in dichten Wolken empor gehalten wird.
Die aͤußere Einfaſſung der Vorſtaͤdte beſteht
faſt ganz aus Pallaͤſten, Kirchen und oͤffent-
lichen Gebaͤuden, die ſich, mit anſehnlichen
Buͤrgerhaͤuſern vermiſcht, eines hinter dem
andern erheben, ſo wie der Boden allmaͤhlig
emporſteigt. Die Seite der Stadt vom Neuen
Thore an, bis zum Thereſienthor, welche der
Donauarm beruͤhrt, hat zwar dieſe amphithe-
atraliſche Ausſicht nicht, weil die Leopold-
ſtadt
, die Roſſau-, die Alſervorſtadt
und Waring niedrig liegen und ſich großer
Pallaͤſte nicht ruͤhmen koͤnnen; aber der Strom
ſelbſt, das Gewimmel auf und an demſelben,
[159] und der unaufhoͤrliche Zug von Menſchen und
Wagen, der nach dem Augarten, nach dem
Prater, in die Hauptſtraße der Leopoldſtadt
hinaus und von dort herein ſchießt, geben
dem Standpunkt auf der Baſtey des rothen
Thurms auch viel Mannichfaltigkeit. Zwiſchen
dem Thereſien- und Stubenthor erhebt ſich
das Lokale der Landſtraße, und nun laufen,
von dem Invalidenpallaſte an, Kirchen, Hoſ-
pitaͤler, Pallaͤſte und ſtattliche Buͤrgerhaͤuſer,
eins uͤber das andre hervorragend, um die
drey uͤbrigen Seiten von Wien herum und
bilden jenes praͤchtige Amphitheater. Dem Au-
ge bieten ſich nach und nach Belvedere, des
großen Eugens ehemaliger Pallaſt und Gar-
ten, jetzt der Verwahrungsort der koſtbaren
Kaiſerlichen Gemaͤldegallerie; das große Klo-
ſter der Saleſianerinnen
, nebſt Kirche
und Dom; der Schwarzenbergiſche Pal-
laſt
und der Tempel des heil. Karl Bor-
romaͤus
, das praͤchtigſte gottesdienſtliche Ge-
baͤude in Wien, beyde von Bernhard Fi-
[160] ſcher
, mit ihren Vorderſeiten, dar; mehrere
Fuͤrſtliche und Graͤfliche Pallaͤſte und Luſt-
ſchloͤſſer ſehen aus den Vorſtaͤdten Widem
und Mariahilf heruͤber; die Kaiſerli-
chen Staͤlle
, eine der weitlaͤuftigſten Anla-
gen, und weiterhin die dichtbebaueten Anhoͤhen
des Spitalberges beſchließen endlich dieſen
ſchoͤnen Umkreis, hinter welchem die eigentli-
che Maſſe der Vorſtaͤdte erſt beginnt, die ſich,
zum Theil in einer ſtuͤndigen Entfernung von
der Stadt, an dem Ringwall, hier die Li-
nien
genannt, in immer kleiner werdende Haͤu-
ſer endigen.


Die Beſchreiber von Wien ſind uͤber die
Anzahl der Vorſtaͤdte nicht einig. Der neue-
ſte *) giebt ſie zu Vier und Dreyßig an.
Waͤre irgend ein Verhaͤltniß zwiſchen ihrer
Groͤße; naͤhme man das Maß von Drey und
Dreyßigen nach der Vier und Dreißigſten;
und
[161] und waͤre dieſe Landſtraße oder Maria-
hilf
, ſo muͤßte Wien unſtreitig die groͤßeſte
und praͤchtigſte Stadt ſeyn, die in der Welt
je geweſen, und noch vorhanden waͤre. Aber
ihre Ungleichheit unter einander iſt außeror-
dentlich; und wenn die Leopoldſtadt vier-
hundert und dreyßig Haͤuſer faßt, ſo hat Hun-
gelbrunn
nur zwoͤlf; wenn die Widem
Vierhundert und zwey ſtark iſt, ſo erreicht
der Althann'ſche Grund nur eben die Zahl
von funfzehn. Das Mißverhaͤltniß unter den
uͤbrigen iſt nicht ganz ſo auffallend, aber doch
ſtark genug; und es iſt die Urſach von den
ungleichen Angaben in Ruͤckſicht ihrer Anzahl,
weil einige Schriftſteller die kleineren bald als
Theile der groͤßeren, bald als eigene, fuͤr ſich
beſtehende Vorſtaͤdte auffuͤhren.


Der eben angezogene Schriftſteller berech-
net die Anzahl aller Haͤuſer in allen Vorſtaͤd-
ten zu vier tauſend fuͤnf hundert und funfzig,
und die Volksmenge darin zu hundert ſechs
und funfzig tauſend neun hundert und neun
Sechstes Heft. L
[162] und achtzig. Den Umfang ſaͤmmtlicher Vor-
ſtaͤdte ſetzt er auf Dreyzehn tauſend acht hun-
dert Wiener Klafter (zu ſechs Fuß) oder auf
vier deutſche Meilen; eine Angabe, die er ei-
nem aͤltern Topographen ohne Unterſuchung
nachgeſchrieben hat. Die Tempelhof-Ni-
kolaiſche
Berechnung *) ſcheint immer noch
der Wahrheit am naͤchſten zu kommen, wenn
auch ſeit funfzehn Jahren die Haͤuſeranzahl
in den Vorſtaͤdten zugenommen hat.


Die Vorſtaͤdte haben erſt ſeit funfzig oder
ſechszig Jahren, und wiederholt ſeit ungefaͤhr
fuͤnf und zwanzig, und abermals ſeit vierzehn
bis funfzehn Jahren, ihren jetzigen Umfang ge-
wonnen. Vor jener Zeit waren noch an vielen
Stellen, wo jetzt Haͤuſer, Pallaͤſte und Kir-
chen ſtehen, Aecker, Wieſen, und Weingaͤrten.
Der Althann'ſche Grund und ein Theil
der Joſephsſtadt, die jetzt zu den innern
und naͤchſtgelegenen Vorſtaͤdten gehoͤren, haben
[163] im Jahre 1770 die erſten Haͤuſer erhalten.
Seit ungefaͤhr acht oder zehn Jahren aber,
hat der Baugeiſt ſich aus den Vorſtaͤdten mehr
nach der Stadt ſelbſt zuruͤck gezogen. Als Jo-
ſeph der Zweyte
die Regierung antrat,
machte er durch ausgezeichnete Ermunterungen
den Eifer rege, Manufakturen und Fabriken
anzulegen. Man waͤhlte, aus guten Gruͤnden,
die entfernteſten Gegenden der Vorſtaͤdte zur
Erbauung der dazu noͤthigen Anlagen. Mit
Joſeph hatten dieſe Beguͤnſtigungen ein Ende;
viele Unternehmer, die an ſich ſchon nicht
gluͤcklich gerechnet hatten, gaben ihre Arbeiten
auf; neue fanden ſich nicht; die weitlaͤuftigen
Gebaͤude ſtanden zum Theil leer; Kapitaliſten,
die es bloß auf Miethzins anlegten, baueten
naͤher an der Stadt, oder in der Stadt ſelbſt,
wenn ſich Platz aufthat. So iſt es jetzt noch,
doch hoͤrt der Bau in den Vorſtaͤdten darum
nicht ganz auf; und wenn vor dreyßig bis
vierzig Jahren hier die Quadratklafter Bau-
grund zwey oder drey Gulden koſtete, ſo muß
L 2
[164] ſie jetzt mit zwanzig bis dreyßig, immer nach
Verhaͤltniß der Naͤhe oder der Entfernung von
der Stadt, bezahlt werden.


Uebrigens halten die gewoͤhnlichen Haͤuſer
in den Vorſtaͤdten, weder in Hoͤhe, noch Um-
fang, noch Bevoͤlkerung, einen Vergleich mit
den gewoͤhnlichen Haͤuſern in der Stadt aus.
Aber die Straßen ſind laͤnger, breiter, lichter
und geſuͤnder; nur fehlt es an ſchoͤnen Plaͤtzen
eben ſo ſehr, als in Wien ſelbſt, was vielleicht
der Unachtſamkeit der Kaiſerlichen Bauaͤmter
und der Polizey mit beyzumeſſen iſt. Die Po-
lizey uͤbrigens, die ehedem ihre Aufſicht den
Vorſtaͤdten faſt ganz entzog, hat ſeit zwey
Jahren mit Acht Polizeydirektoren und dem
dazu noͤthigen Perſonale an Soldaten und
Kundſchaftern, in denſelben einen Sitz gefun-
den, und ſteht in genauer Verbindung mit dem
großen Polizeyamt in der Stadt.


In einem der neueſten Stuͤcke der Oeſter-
reichiſchen Monatsſchrift
befindet ſich
eine Berechn[u]ng der geſammten Volksmenge,
[165] die Wien mit ſeinen Vorſtaͤdten einſchließen
ſoll. Sie ſcheint nicht ſo ſehr durch mißver-
ſtandne Vaterſtadtsliebe uͤbertrieben, wie die
in den fruͤhern Beſchreibungen von Wien. Nach
derſelben ſoll die Anzahl der Einwohner auf
Drey Hundert und Zwanzig Tauſend
hinanſteigen. Nicht ſo hoch berechnet ſie der
angefuͤhrte Wegweiſer, der nur, aber ohne eine
Angabe darzulegen, Zwey Hundert und
Siebzig Tauſend
annimmt. Man koͤmmt
der Wahrheit durch die Mittelzahl von drey-
mal Hundert Tauſend
vielleicht am naͤch-
ſten; doch ich ſelbſt hatte weder Zeit noch Ge-
legenheit, eine neue Unterſuchung daruͤber an-
zuſtellen. Die Zahl von 206,000, welche die
Nikolaiſche Berechnung giebt, ſchien hier von
jeher zu gering; indeſſen iſt gewiß, daß ſich
die Volksmenge ſeit jener Zeit nicht gemehrt
hat, wie hoch ſie auch damals geweſen ſeyn
mag. Der Krieg und die neueſten Maßregeln
der Polizey haben es unmoͤglich gemacht. Der
erſtere hat die Beſatzung vermindert und durch
[166] Werbungen viel Leute aus Wien gezogen; und
die letztere hat, vielleicht aus zu großer Aengſt-
lichkeit, allen Fremden, die keine eigentlichen
Geſchaͤfte hatten, erinnert, Wien zu verlaſſen.


Joſeph der Zweyte glaubte, durch die
Erleichterung der Ehen unter den Buͤrgern
und dem Volke zur Vermehrung der Einwoh-
ner beyzutragen; und er erleichterte die Ehen
durch die Aufhebung der Zuͤnfte und die Frey-
gebung der Gewerbe. Eine Menge Huͤlfsmit-
tel fuͤr das Durchkommen der niedrigern Staͤnde
thaten ſich dadurch freylich auf, und mithin
entſtand auch mehr Zuverſicht bey dem Ge-
danken ans Heirathen. Dieſes wurde von der
Polizey nicht mehr behindert, weil nicht ein-
mal ein Taufſchein dabey verlangt ward, und
von der Kirche nicht, weil weder Braut noch
Braͤutigam des Glaubens wegen belaͤſtigt wer-
den durften. Das neue Paar naͤhrte ſich dann,
wie es konnte: der Mann, entweder durch
ein Handwerk, das er gelernt hatte, oder durch
Tageloͤhnerey; die Frau, durch einen Hoͤken-
[167] kram mit Lebensmitteln und kleinen Beduͤrf-
niſſen aller Art. Die Anzahl dieſer Kraͤme-
rinnen iſt auch ſichtbar geſtiegen, ſeitdem ich
in Wien nicht geweſen bin, aber zugleich hat
ſich eine Art von Lazzaroni hervorgethan, die
ſonſt nicht ſo haͤufig waren, und wahrſcheinlich
noch haͤufiger ſeyn wuͤrden, wenn die bisheri-
gen Werbungen die Straßen von Wien nicht
von Zeit zu Zeit aufgeraͤumt haͤtten. Indeſſen
liegt und ſteht doch mancher Taugenichts an
dem Krame ſeiner Frau, die mit Obſt, Leb-
zelten, Struͤmpfen, Handſchuhen, Buͤchern ꝛc.
handelt, unbeſchaͤftigt herum, und laͤßt ſich von
ihr fuͤttern. Auf eben dieſem Wege ſind auch
die haͤufigen Wein- Bier- und Kaffeſchenken,
und die Troͤdeleyen und Diebesniederlagen ent-
ſtanden. Man hat unter dem vorigen und je-
tzigen Kaiſer Verſuche gemacht, dieſe Frey-
heit einzuſchraͤnken, und das eheliche Zuſam-
menlaufen zu erſchweren; aber man ſagt, die
Regierung ſey dabey in Verlegenheit gerathen
und habe unruhige Auftritte von den Fiſchwei-
[168] bern und Baarlendern an der Wien befuͤrch-
ten muͤſſen, wozu es jedoch, meines Erachtens,
bey der ſehr gutmuͤthigen und furchtſamen
Gemuͤthsart des Wiener Volks, nie gekommen
waͤre.


Wenn aber die Freyheit zu verkehren in
dieſen Staͤnden die Ehen vermehrte, ſo hat
ſie dieſelben in andern, durch eine Nebenfol-
ge, vermindern helfen. Es iſt unſtreitig, daß
die Menge der erſtandenen Hoͤfen, kleinen
Kaufleute und Zwiſchenhaͤndler, die Preiſe der
noͤthigſten Beduͤrfniſſe und der Lebensmittel ge-
ſteigert hat. Ich habe dieſe Preiſe faſt um
die Haͤlfte hoͤher gefunden, und Wien, das
vor einigen Jahren fuͤr eine der wohlfeilſten
Staͤdte in Deutſchland galt, duͤrfte, wenn
ſich die Umſtaͤnde nicht aͤndern, bald zu den
theurern gehoͤren. Auch wirkt der gegenwaͤrtige
Krieg, der ungeheure Summen baares Geld
aus der Hauptſtadt, und große Vorraͤthe von
Lebensmitteln und Futter aller Art, aus den
angraͤnzenden Landſchaften zieht, nicht wenig
[169] zu der ſteigenden Theure. Die freywilligen
Beytraͤge zu den Kriegskoſten, worin die treuen
Wiener muſterhaft gewetteifert haben, und die
darauf folgende Kriegsſteuer, die, bey den Be-
amten, das Viertel ihrer Beſoldungen wegnahm,
ſchmaͤlerte ihrerſeits die Einkuͤnfte — kein Wun-
der alſo, wenn ſich die Ehen ſeit dieſer Zeit,
beſonders unter den Staatsbeamten, vermin-
derten, die ohnehin in jedem Lande, wenn ſie
ehrlich ſeyn wollen, am ſchlechteſten bedacht,
und doch, nach dem eingefuͤhrten Ton, einen
gewiſſen Anſtand in ihren Umgebungen zu be-
obachten gezwungen ſind. Sonach kann ein
junger Mann, der bloß von ſeinem Amte le-
ben muß, kaum ans Heirathen denken, weil
es unmoͤglich iſt, eine Familie auf einem nur
leidlich anſtaͤndigen Fuße, unter funfzehn hun-
dert bis drey tauſend Gulden zu erhalten. Ich
kenne hier manches wohlhabende Haus, deſſen
wohlgezogene, huͤbſche, unbeſcholtene und ge-
bildete Toͤchter deshalb in Gefahr ſind, unver-
ſorgt zu bleiben. Alle uͤbrige Urſachen, die in
[170] andern Laͤndern und Staͤdten die Heirathen
vermindern, ſind natuͤrlich auch hier, oft wol
doppelt, vorhanden.


Nur ſchließe man aus dieſen Angaben nicht,
daß Wien den Anblick von Wohlſtand und
Wohlleben, wodurch es ſich gleich hinter Lon-
don, vor allen uͤbrigen Europaͤiſchen Haupt-
ſtaͤdten auszeichnete, verloren habe; verſchoͤnert
und vervielfaͤltigt habe ich ihn vielmehr gefun-
den. Die Stadt ſelbſt iſt, wie oben erwaͤhnt,
faſt ganz neu gekleidet; das Pflaſter, wie
ſonſt, vortreflich; die Straßenleuchten ſind von
guter Form, ſauber geputzt, freygebig vertheilt
und verſorgt; die Fiaker großentheils neu, ſo-
gar geſchmackvoll und mit raſchen Pferden be-
ſpannt; die Kaufmannsgewoͤlbe herrlich aufge-
putzt; die Gold- Silber- und Moden-Laden
ſtrahlen verfuͤhreriſch; die Obſtkoͤrbe auf dem
Hofe ſtehen in langen Reihen, hoch aufge-
ſchichtet da; große Korb- und Gitterwagen,
mit allen Arten von zahmen Gefluͤgel vollge-
ſtopft, draͤngen ſich auf den Maͤrkten; die ge-
[171] woͤhnlichen Wildmaͤrkte ſtrotzen von Hirſch-
ſchlaͤgeln, Schweinskeulen, Rehruͤcken und
Hackſchkoͤpfen, aber auch von den ſaftigſten
Friſchlingen, von Faſanen, die mit dem fein-
ſten Wachs uͤberblaſen ſcheinen, von Repp-
huͤhnern und Auerhaͤhnen; die Fleiſchbaͤnke ſind
immer gefuͤllt und immer geleert; Suͤlzen und
Wuͤrſte, geraͤucherte Zungen, Kaiſerfleiſch und
Schmalz haͤngen und ſtehen und liegen an den
Seiten der Straßen herum, und fette Maͤn-
ner und Weiber ſind unaufhoͤrlich beſchaͤftigt,
zu ſchneiden und zu wiegen, waͤhrend ganze
Zuͤge von gemaͤſteten ungariſchen Ochſen ſich
ſtutzig vorbey draͤngen und, mit Heuwagen, Kohl-
koͤrben und Mehlſaͤcken vermiſcht, den Kram der
Brotſitzerinnen herunterreiſſen und ihre
Kipfel und Laibel uͤber die Straße ſtreuen.


Die Menſchen auf den Straßen ſind alle,
jeder nach ſeinem Stande, ſauber gekleidet.
Die Koͤchin tritt in Seide einher, das Stu-
benmaͤdchen in Muſſelin; erſtre mit einer von
Gold ſtarrenden Haube, letztre im netteſten
[172] Kopfzeuge, mit dem erklaͤrteſten Abſcheu gegen
die altmodiſchen Drathgeſtelle, die ehedem ih-
rer Klaſſe ganz eigenthuͤmlich waren. Hinter
ihr trippeln ein paar Schneiderburſchen in
ſeidenen Pantalons, mit Baͤnderſchuhen und
fliegenden Haaren her, die nur noch an der
Sprache, und den wunderlichen Schultern zu
erkennen ſind. Mitten durch ſie hin ſchreitet
mit großen gewichsten Stiefeln ein Menſch in
ſeinem Frack, mit ſchmaler Treſſe um den
großen Hut, den die blauen oder ſchwarzen
Haͤnde als Faͤrber- oder Schmiedegeſellen ver-
rathen, und kauft ſich eine Taſche voll Kai-
ſerbirnen
bey der naͤchſten Fratſchlerin,
die, beym Wiedergeben auf einen harten Tha-
ler, unter ihren Kreutzern und Siebnern und
Siebzehnern, auch Kremnitzer Dukaten mit
herauszieht. Das Aeußere der mittlern und
hoͤhern Staͤnde iſt bey beyden Geſchlechtern
ganz engliſch, mithin auch koſtbarer, geworden.
Es iſt nicht mehr, wie ſonſt, mit Gold, Sil-
ber und andern ſchimmernden Putz uͤberladen,
[173] ſondern einfach, auserleſen und fein; und ein
„negligé“ von Mouſſelin koſtet den Weibern
jetzt mehr, als ehedem eine „parure“ mit al-
lem Zubehoͤr; ſo wie den Maͤnnern ein feiner
Tuchfrack hoͤher zu ſtehen koͤmmt, als ehedem
ein vollſtaͤndiges Staatskleid von Seide. Die-
ſer Geſchmack hat auch hier zwiſchen den mitt-
lern und hoͤhern Staͤnden faſt allen Unterſchied
aufgehoben, und auf drey Schritte kann man
den Ladendiener nicht von dem jungen Grafen
und Fuͤrſten unterſcheiden. Eben ſo beym weib-
lichen Geſchlechte.


Wenn aber das Ganze wohlhabender erſcheint,
ſo ſind die einzelnen Theile im Grunde doch
aͤrmer, als ehedem. Jetzt traͤgt man, was
man hat, um, an und mit ſich; man koͤmmt
aus, oder man macht auch Schulden; kurz,
man ſammlet nicht mehr, und darin liegt
der große Abſtich gegen die vorigen Zeiten.
Der Buͤrger und Handwerker ißt taͤglich ſeine
drey Gerichte, macht ſeine ſonn- und feſttaͤgli-
chen Luſtfahrten, beſucht des Abends ſeinen
[174] Wein- oder Bierkeller, wie ſonſt; aber er leg
nichts mehr zuruͤck, und giebt ſeinen Toͤchtern
keine Ausſtattungen von zehn, funfzehn und
zwanzig tauſend Gulden mehr. Die hoͤhern,
reichlich beſoldeten Staatsbeamten, die uͤbrig
hatten, haben ſo eben genug; die eben genug
hatten, haben zu wenig, und muͤſſen mit
Pflicht und Gewiſſen wuchern. Die großen
Haͤuſer, die ſonſt die Einkuͤnfte von ihren Guͤ-
tern nicht halb verzehrten, brauchen ſie ganz,
brauchen oft noch weit mehr, machen Schulden,
zerſtuͤcken ihre Guͤter, fallen Wucherern in die
Haͤnde und ſagen Krida an. Majoratsherren
haͤufen, wenn ſie einen geitzigen, oder auch einen
wirthſchaftlichen Vater oder Vormund haben,
waͤhrend ihrer Minderjaͤhrigkeit, Schulden auf
Schulden, und bekommen fuͤr die Millionen,
die ſie beym Antritt ihrer Guͤter zahlen muͤſ-
ſen, oft nur Hunderttauſende. Als der jetzige
Fuͤrſt N. E**, kurz vor dem Tode ſeines
Vaters, wegen dritthalb Millionen Schulden
zum Verſchwender erklaͤrt wurde, fand es ſich,
[175] daß er kaum Eine Million empfangen hatte.
Die Kunſtgriffe der Wucherer ſind hier uͤbri-
gens dieſelben, die aus der Geſchichte von
London, Paris und andern großen Staͤdten
bekannt genug ſind. Sie halten 30, 40, bis
50 fuͤrs Hundert noch fuͤr chriſtlich; manche
aber bringen ihre Gelder auch zu 100 und 150
vom Hundert an. Man hat mir einen Men-
ſchen gezeigt, der, durch bloße Maͤkeley bey
Wuchergeſchaͤften, ſeit ungefaͤhr 6 Jahren ein
Vermoͤgen von 200,000 Gulden zuſammen zu
bringen wußte. Dieſe Geiſſeln fallen beſonders
den Großen empfindlich, weil dieſe, wenn ſie
einmal borgen muͤſſen, theils aus Ehrgeitz,
theils aus Noth, große Summen aufnehmen;
und große Summen ſind den Wucherern, wie ſie
bey vollem eiſernen Kaſten vorgeben, immer am
ſchwerſten bey ihren guten Freunden aufzubringen.


Die erſten und reichſten fuͤrſtlichen Fami-
lien ſind jetzt in Wien die Auersberg, Ba-
thyani, Colloredo, Ditrichſtein, Eſter-
haſy, Kaunitz, Kinsky, Kraſalkowitz,
[176] Lichtenſtein, Lobkowitz, Paar, Schwar-
zenberg
und Stahrenberg. Alle beſitzen
mehr oder weniger große und praͤchtige Pal-
laͤſte in Wien; ſind mehr oder weniger mit
ihren Einkuͤnften in Ordnung oder Unordnung,
machen mehr oder weniger Aufwand. Man
berechnet, daß im Durchſchnitt jedes dieſer
Haͤuſer jaͤhrlich 200,000 Gulden verzehre, daß
aber einige, wie z. B. Ditrichſtein, Eſterhaſy,
Lichtenſtein, Schwarzenberg, darunter ſind,
die dreymal bis ſechsmal hunderttauſend Gul-
den aufgehen laſſen. *)


Manche Artikel, die ehedem den Großen
viel koſteten, ſind jetzt eingegangen, z. B.
große, oft abenteuerliche Aufzuͤge, Feſte, Feu-
erwerke, Jagden, Aufritte, Maskeraden ꝛc.
bey Hoffeyerlichkeiten. Theils giebt der Hof
ſelbſt dazu keine Gelegenheiten mehr; theils
ſagt ſich der Egoismus unſeres Zeitalters los
davon; theils ſind manche Haͤuſer nicht im Stan-
de,
[177] de, ſich dabey auszuzeichnen, wozu in
Wien beſonders viel gehoͤrt; theils verbieten
es einige Zweige des neuern Luxus, die mehr
und wiederholter gewiſſe Ausgaben verlangen,
welche ehedem nicht da waren. Es ſind nur
noch zwey ſtehende Gelegenheiten vorhanden,
wo die großen Haͤuſer ihre Pracht jaͤhrlich
auslegen: der Neujahrstag und das Fron-
leichnamsfeſt
; doch ſoll man ſich auch dieſe
jetzt weit wohlfeiler machen, als noch vor
funfzehn Jahren. Geburtstage, Heirathen,
Todesfaͤlle bey Hofe und in den Familien ſelbſt,
haben, beſonders ſeit Joſeph, den alten ſpa-
niſchen Prunk faſt ganz verloren.


Dagegen nehmen die Liebhabereyen, Launen,
Wunderlichkeiten und Leidenſchaften der Großen
deſto mehr von den Einkuͤnften weg, weil dieſe
Dinge gewoͤhnlich theurer ſind, als die natuͤr-
lichen und unentbehrlichen. Ein Pallaſt, ein
Stall, eine Jagd, eine Dienerſchaft, eine Ka-
pelle zum Beten oder zur Muſik, verſtehen
ſich, wie eine wohl verſorgte Kleiderkammer,
Sechstes Heft. M
[178] ein praͤchtiger Wagenſchoppen, eine reichliche
Tafel, in den großen Haͤuſern von ſelbſt, und
fuͤr dieſe Artikel ſind die Ausgaben ein fuͤr al-
lemal beſtimmt und bleibend; aber ein Herr, der
ſpielt, und eine Frau, die gefallen will; oder ein
Herr der eine Maͤtreſſe unterhaͤlt, und eine Frau,
die alle Kirchen berennt; oder ein Herr, der
Kunſtkenner ſeyn will, der das Bauen liebt,
der Gold, Silber und andre Erze jagt; der
nach Soldatenruhm duͤrſtet; und eine Frau,
die das Reiſen liebt, die ſich gern auf dem
Privattheater zeigt, die den ſchoͤnen Geiſt
ſpielt, Diamanten bewundert und gern die
Wirthin macht — ſolch ein Paar kann mit
unerſchoͤpflichen Einkuͤnften fertig werden, und
wird es oft genug auch hier, wie anderwaͤrts.
Doch kann man den großen jetztbeſtehenden
Familien in Wien nicht nachſagen, daß ihre
Haͤupter durch erklaͤrt-unſinnige Launen und
Grillen ſich zu Grunde richteten, und daß dieſe
Faͤlle uͤberhaupt je ſo oft hier vorgekommen waͤ-
ren, als in Warſchau, London und in dem alten
[179] Paris. Nur Ein Beyſpiel iſt mir davon gegen-
waͤrtig, ein Beyſpiel — das man jetzt zuweilen
des Abends in der Daͤmmerung auf einer gewiſſen
Seite der Baſtey zu Fuße kann einhergehn ſehn.


Dieſe Fuͤrſtenhaͤuſer ſtroͤmen einen großen
Theil des Geldes, das die große Welt in
Wien in Umlauf ſetzt, in hundert Quellen
aus; die uͤbrigen Klaſſen derſelben liefern, jede
in ihrer Art, ebenfalls betraͤchtliche Beytraͤge
dazu. Die Graͤflichen und Freyherrlichen Haͤu-
ſer, die, jedoch ſchon dem engern Ausſchuſſe
nach, zu der eigentlichen großen Welt, oder
richtiger zum hohen Adel gehoͤren, ſind in
nicht geringer Anzahl vorhanden. Ich nenne
nur ein paar der hervorſtechendſten darunter:
die beyden Graͤflich Harrachiſchen, das
Schoͤnborn'ſche, das Palfi'ſche und das
Thun'ſche. Dieſe beſitzen ſaͤmmtlich anſehn-
liche Pallaͤſte in Wien und naͤhern ſich in al-
lem den Fuͤrſtlichen. Man ſetzt ihre Ausgaben
und Einkuͤnfte auf 100, und 150,000 Gulden.
Das Graͤflich Frieſiſche Haus hat, trotz
M 2
[180] Pallaſt und Reichthum, in dem erſten Kreiſe
der großen Welt nie recht anerkannt werden
wollen, weil das neue Datum ſeines Daſeyns
ihm unuͤberwindliche Hinderniſſe in den Weg
legte; deſto mehr glaͤnzte es aber in dem zwey-
ten Kreiſe der großen Welt, wo es oben an
ſtand.


Dieſer zweyte Kreis iſt, den einzelnen Thei-
len nach, minder reich, als der erſte, aber er
ſchließt mehr Mitglieder ein, und haͤlt deshalb
im Ganzen dem erſten Kreiſe an Vermoͤgen,
und faſt auch an Pracht und Aufwand, das
Gleichgewicht. Was aus ihm an Geld in die
große Maſſe des Umlaufs tritt, dringt gleich-
ſam mehr in die innern Theile deſſelben, weil
die Standpunkte ſeiner Mitglieder mehr uͤber
und durch das allgemeine Getuͤmmel verbreitet
ſind, und zum Theil die geringern Staͤnde unmit-
telbar naͤhren. Dieſer Kreis hebt mit den großen
Spekulanten jeder Art, mit Manufaktur- Fa-
brik- Bau- und Holz-Unternehmern, worun-
ter Grafen, Barone, und Edle, aber auch
[181] Buͤrger ſind, an, geht auf die alten und neuen
adelichen Haͤuſer, die entweder Grundguͤter,
oder hoͤhere Staatsſtellen, oder beydes beſitzen
und davon leben; und auf Wechsler, Negoti-
anten (wohin auch die Wucherer gehoͤren) auf
Lieferer und einige große Kaufleute, die meiſt
geadelt ſind, fort, und endiget ſich mit den
Beſitzern eigener Haͤuſer, mit den Aerzten,
Anwalten und Sachwaltern. In Abſicht des
Wohlſtandes gehoͤren auch gewiſſe Handwerke
und Gewerbe hieher, z. B. die Baͤcker, Brauer,
Fleiſcher, Korn- und Mehlhaͤndler, die großen
Muͤller und die Wirthe in der Stadt, unter
denen man noch oft reiche findet; aber in Ab-
ſicht des Aufwandes und der Lebensart bleiben
ſie von den oben genannten Klaſſen entfernt;
und ihr Tiſch, ihre Wohnung und Tracht er-
halten ſich noch auf einem buͤrgerlichen Fuße.
Vor Joſephs Regierung gehoͤrten noch viele
andre Gewerbe zu den genannten nahrhaften,
aber die Aufhebung der Innungen und die
Freygebung aller Handwerke leiteten die ver-
[182] ſchloſſenen Quellen, aus denen einige ausſchlie-
ßend ſchoͤpften, uͤber Alle; machten zwar Ein-
zelne nicht mehr reich, verſchafften aber Allen
die Nothdurft. So waren die Apothekerey
und der Buchhandel unter Maria Thereſia
ſehr eintraͤgliche Gewerbe, aber unter Joſeph
ſanken beyde durch die eroͤfnete Konkurrenz.
Die wohlhabenden Buchhaͤndler, die noch in
Wien ſind, ſtammen aus aͤltern Zeiten; die
Buͤchertroͤdler, Buchdrucker und Nachdrucker
aber, die man in engen Gaſſen, in finſtern
Gewoͤlben, welche oft nicht vier Schuh ins
Gevierte haben und deren einziges Fenſter durch
abgeſchmackte Buͤchertitel verklebt iſt, ſo haͤu-
fig findet, ſind ſaͤmmtlich aus den Zeiten der
„Buͤchl“ und Joſephs des Zweyten, der
uͤber dieſen Handel ſehr einſeitig dachte.


Der Charakter der Geldmaſſe, die in
Wien umlaͤuft, und die Art, wie ſie verthan
wird, iſt wie in den meiſten andern Europaͤi-
ſchen Reſidenzen, London ausgenommen, das
zugleich die Huͤlfsquellen einer Manufaktur-
[183] Handels- und Hafenſtadt einſchließt, und Eu-
ropa und die uͤbrigen Welttheile beſteuert,
aber auch ſelbſt durch ſeine Unternehmungen
ungeheure Summen, beſonders nach Suͤden,
Oſten und Norden, ausſtroͤmt. Mit London
haͤlt alſo Wien in Abſicht des Reichthums und
deſſen Anwendung keine Vergleichung aus;
aber wohl mit Paris in ſeiner gegenwaͤrtigen
Lage. Dieſe Stadt iſt jetzt, trotz den unaus-
ſprechbaren Summen ſeiner papiernen Muͤnze
aͤrmer als arm, und eben dieſer Muͤnze wegen
innerhalb ſeiner Mauern eingeſchraͤnkt, ſo wie
das ganze Land innerhalb ſeiner Graͤnzen, uͤber
welche nur baares Geld hinaus, aber nichts
mehr hereingehet. Sie hat einen glaͤnzenden
Hof, und eine Menge verſchwenderiſcher Gro-
ßen verloren, und muß den ganzen Ertrag
der liegenden Gruͤnde, den die letztern in Pa-
ris verzehrten, jetzt, da ſie Eigenthum der
Nation geworden ſind, außer Landes ſchicken,
um Heere zu unterhalten und Brot zu haben.
Madrit zehrt ſein baares braſilianiſches Geld
[184] jaͤhrlich rein auf und macht Schulden. Ne-
apel
hat mehr große, oder doch großbetitelte,
Vaſallen in ſeinen Mauern, als Wien, aber
ſie leben von Obſt und kalter Kuͤche; der Ha-
fen dieſer Stadt iſt fuͤr die Englaͤnder; ihr
Handel fuͤr dieſelben; ihr Getreide und Oel
und ihre Seide fuͤr niemand anders; und der
Hauptſtadt beyder Sicilien bleibt nichts uͤbrig,
als „ſorbetti,“ „macaroni,“ „alici,“ Ci-
tronenwaſſer, Kupfergrane, Bankſcheine,„di-
abolini,“
und Lazzaronen. Amſterdam iſt
im Hinſcheiden. Berlin iſt nur reich durch
den Fleiß und die Haͤuslichkeit ſeiner Bewoh-
ner, denen ein ſparſamer Hof und eine kaͤrglich
beſoldete Staatsdienerſchaft zu Huͤlfe koͤmmt.
Das einzige Petersburg ſteht in Abſicht
des Geldumlaufs, der Pracht ſeiner Großen,
der Wohlhabenheit ſeiner Buͤrger, des Luxus
und des Wohllebens, mit Wien auf Einer
Stufe.


Das Geld, das in Wien ausgegeben wird,
iſt, dem groͤßeſten Theile nach, ohne Muͤhe und
[185] Sorgen erworben, und wird deshalb mit einer
gewiſſen Freygebigkeit und Froͤhlichkeit verthan,
die beſonders auf ſinnliche Genuͤſſe fallen muß.
Die Fuͤrſtlichen, Graͤflichen, Freyherrlichen und
andern Familien, die ihre Einkuͤnfte aus lie-
genden Gruͤnden ziehen, haben weder Muͤhe
noch große Sorge bey ihrer Exiſtenz; die Aern-
ten erneuern ſich alle Jahre; eine Aernte ver-
ungluͤckt nicht ſo oft, hat nicht das Gewagte
und verlangt nicht die Vorlage einer kaufmaͤn-
niſchen Unternehmung. Das Heer der Staats-
beamten in Wien lebt nicht minder ſorgenfrey,
denn alle Vierteljahre koͤmmt ihr Gehalt wie-
der, und dieß macht, daß ſie, ſelbſt bey uͤbler
Wirthſchaft, wenigſtens vor dem Mangel der
noͤthigern Beduͤrfniſſe geſchuͤtzt ſind. Die Wechs-
ler und andre Geſchaͤftsleute ſchraͤnken ſich mit
ihren Unternehmungen meiſt auf Wien ein,
und verbreiten ſich ſelten uͤber das Ausland,
wenn ſie nicht ſchon ſichere Effekten in Haͤnden
haben; mithin ſind auch ſie vor großen Ein-
bußen, alſo auch vor Sorgen, geſichert. Die
[186] hieſigen Kaufleute, ſelbſt die groͤßeſten, machen
mehr Kommiſſions- und Speditions- als
Spekulationsgeſchaͤfte; und laſſen ſie ſich auf
letztre ein, ſo ſind ſie von der Art, daß ihr
ſicherer Gang ſchon ſeit Jahren bewaͤhrt, oder
die Unentbehrlichkeit ihrer Artikel Buͤrge iſt,
daß im ſchlimmſten Falle kein großer Verluſt
entſtehen kann. Die uͤbrigen Wiener Kaufleute
ſind Kraͤmer, die nicht leicht verlieren, ſondern
nur zu beſorgen haben, daß ſie nicht genug
gewinnen moͤchten, um nach einem gemachten
Zuſchnitte davon zu leben. Die Handwerker
und alle unentbehrlichen Arbeiter aus den nie-
drigen Klaſſen koͤnnen ſich bey einem Publikum
nicht ſchlecht ſtehen, das ſolchergeſtalt erwirbt,
und heiter und ohne Filzigkeit verzehrt, und
es dabey fuͤr eine Schande haͤlt, einem Hand-
werker ſchuldig zu bleiben, oder ihn gar zu
betruͤgen. Die Prieſter und Prieſterinnen der
Pracht und des Luxus koͤnnen keinen Mangel
an leichtſinnigen und freygebigen Kunden ha-
ben; die Unternehmer der Anſtalten, die das
[187] Wohlleben befoͤrdern, wie Kaffee- Trink- und
Speiſehaͤuſer und Weinkeller; die ſinnlichen
Vergnuͤgungen zum Zweck haben, wie Thea-
ter, Tanzſaͤle, Spektakel aller Art, mit einem
Worte: die Leute, die fuͤr den mannigfaltigen
ſinnlichen Genuß arbeiten, finden nicht minder
zahlreichen Zuſpruch, als die, welche mit den
unentbehrlichſten Dingen Verkehr treiben. Dieſe
verzehren dann auch, in ihrer Art, den Er-
werb, der ihnen ſo freygebig zugetragen wird,
in gleicher Froͤhligkeit und Ueppigkeit.


Aus dieſem Umſtande erklaͤrt es ſich men-
ſchenfreundlicher, warum die Wiener ſolch ei-
nen ausgezeichneten Hang zum Luxus und zum
Wohlleben haben, als aus einer rohen Prunk-
ſucht und einer thieriſchen Verſchlingungsgier,
die man ihnen ſo oft Schuld gegeben hat.
Sie haben, ſich zu kleiden, ſie haben, um zu
ſchmauſen. Ihre Stadt liegt in der Mitte
fetter Landſchaften, die alle Eßwaaren in vor-
zuͤglicher Guͤte hervorbringen, in Menge her-
zuſchaffen und wohlfeil hergeben. Die menſch-
[188] lichen Beduͤrfniſſe ſteigen und fallen natuͤrlich
nach der Leichtigkeit oder Schwierigkeit, ſich
dieſelben zu verſchaffen. Warum verdirbt ſich
zuweilen ein Philoſoph, der in Leipzig
von einem gebratenen Taͤubchen ſatt wird,
in Merſeburg, bey der Tafel eines Dom-
herrn
, an Paſteten, Faſanen und Ge-
leen
den Magen? Warum laͤßt ſich ein Ber-
liner
, der ſeine Reißſuppe, ſein Land-
rindfleiſch mit Kartoffeln
, und ſeinen
Kaͤlberbraten mit Pflaumen des Mit-
tags in Berlin hinreichend findet, in Wien
eine Markknoͤdelſuppe, ein Ungari-
ſches Rindfleiſch mit Mandelgreen,
einen braunen Koͤlch mit Bratwuͤrſtl,
ein Lunkelbratel in der Soß, ein Ein-
gemachtes, einen Guglhupfen, Speck-
knoͤdel mit Kaiſerfleiſch, ein Faſan-
del auf Sauerskraut, ein Kapaundel
,
oder ein Polackerl, oder ein gebachenes
Haͤndl, ein Stuͤck Linzer Torten
, und
einige Kaiſerbirnen — dies iſt in Wien
[189] eine buͤrgerliche Mahlzeit — gern gefallen,
und uͤberſieht es einmal, wenn ſich nach
Tiſche Leib und Seele auf dem Graben
in Wien ein wenig ſchwerer und verdroßner
finden laſſen, als unter den Linden in Ber-
lin? Und warum moͤchte wohl ſelbſt ein Dres-
dener, (der geiſtigſte Eſſer in Deutſchland) gern
bekennen, daß ein Roſtbratl, oder ein Reh-
ruͤckl
, oder ein wildes Aenterl zum Abend-
eſſen in Wien, einem Putterpaͤmmchen
von Lokowitzer Brot in Dresden doch
vorzuziehen ſey?


Dieſe Erſcheinungen bey den Bewohnern
dreyer Staͤdte, die in Deutſchland fuͤr die
maͤßigſten gelten, deuten doch offenbar dahin,
daß ſie es den Wienern in der Eßluſt leicht
nachthun wuͤrden, wenn die Natur und ihre
Großen ſie eben ſo reichlich verſorgten? Ge-
ſtehen wir nur, daß der Menſch von Natur
mehr Hang zum Eſſen, als zum Arbeiten,
mehr Luſt zum Verdauen, als zum [Denken]
hat; und daß man ſich den abgeſchmackten
[190] moͤnchiſchen Lehren vom Faſten und der Ehe-
loſigkeit naͤhert, wenn man es gut verſorgten
Sterblichen uͤbel nimmt, daß ſie ihrer gluͤckli-
chern Lage genießen. Die Wiener thun dies
in angemeſſener Fuͤlle, und werden fortfahren,
es zu thun, ſo lange ſie koͤnnen, trotz ihren
noͤrdlichen Landsleuten und deren Sticheleyen,
die ſie fuͤr Kinder des Neides halten, ſo ernſt-
haft auch jene erklaͤren, ihr Eifer entſtehe aus
wahrem Mitleid uͤber ihr Zuruͤckbleiben in der
Religion, in der Weltweißheit und in den
Kuͤnſten und Wiſſenſchaften uͤberhaupt. Wahr
iſt es, die Wiener haben nicht ſo viel Schrift-
ſteller und Kuͤnſtler, als manche kleine noͤrd-
lichdeutſche Stadt; aber ihre Gelehrten ſind
ſo gut beſoldet und eſſen ſo reichlich, daß ſie
nicht noͤthig haben, Buͤcher zu machen; und
ihre Kuͤnſtler werden fuͤr ihre Arbeiten ſo gut
belohnt, daß ſie nicht in Gefahr kommen, ihre
Leibes- und Geiſteskraͤfte uͤber Titelkupfern und
Vignetten aufzuopfern, um nur ihre Nothdurft
zu gewinnen.


[191]

Gleich hinter die Freuden der Schuͤſſel,
ſetzt man in Wien die Freuden der Schau-
buͤhne
. Ein wahrer Gemeingeiſt herrſcht
hierin bey den Wienern. Jeder Stand hat
mit jedem Stande den Geſchmack daran ge-
mein und alle Staͤnde ſind in allen Schau-
ſpielhaͤuſern vermiſcht. Man ſieht den gemein-
ſten Mann im Hof- und Kaͤrnthner-Thor-
Theater
, und den vornehmſten bey Mari-
nelli
und Schickaneder. Es ſind jetzt
Fuͤnf ſtehende Schaubuͤhnen in Wien, und
zwey oder drey fliegende kommen bey gewiſſen
Gelegenheiten, z. B. in Marktzeiten hieher,
halten ſich aber gewoͤhnlich nicht uͤber drey
oder vier Wochen.


Das Hof- oder Nationalſchauſpiel,
das ſeine Buͤhne in der Burg hat, iſt durch
die Veraͤnderungen, die es litt, und durch die
Verbeſſerungen, die es erhalten ſollte, be-
kannter geworden, als durch wirkliche Voll-
kommenheit. Da diejenige Buͤhne die beſte
iſt, die der Stadt und dem Volke, vor wel-
[192] chen ſie ſpielt, am meiſten gefaͤllt, ſo pflege
ich auf die Urtheile von Reiſenden aus andern
Provinzen nicht nachzuſprechen: ja, ich traue
mir ſelbſt nicht Unbefangenheit genug zu, uͤber
ein Theater zu urtheilen, worauf ich andre
Sitten, in einer andern Mundart, als die
mir gelaͤufig iſt, dargeſtellt ſehe; und deßhalb
lege ich das Benehmen der Wiener ſelbſt ge-
gen ihre oberſte Buͤhne zum Grunde, und
ſchließe bloß aus dieſem, daß ſie weſentliche
Maͤngel haben muͤſſe, die ihr uͤberhaupt eine
erklaͤrte Gleichguͤltigkeit und, zu manchen Zei-
ten, eine gaͤnzliche Vernachlaͤßigung, wohl gar
Verachtung, zugezogen. Mehrere, oft ſehr
ſchnell auf einander erfolgte, Veraͤnderungen,
die den Liebhabern der deutſchen Theaterge-
ſchichte bekannt genug ſind, waren die Folge
davon; aber keine, ſo zuverſichtlich und rau-
ſchend ſie auch zuweilen angekuͤndigt wurde,
bewirkte was ſie ſollte: beſſern Geſchmack,
Wetteifer unter den Schauſpieldichtern, mehr
Zulauf, und nebenher beſſere innere Einrich-
tung
[193] tung und fruchtbare Theaterpolizey. Der Hof
ſelbſt uͤbernahm zuletzt, da dieſe Buͤhne einzu-
gehen drohete, die Beſorgung derſelben, und
brachte abermals einige Verbeſſerungen an,
aber ſie blieb im Schmachten und ſie iſt, mei-
nes Ermeſſens, noch darin. Ich hoͤre ſo eben,
daß ſie wieder an einem Privatunternehmer
uͤberlaſſen werden ſoll, weil es der Hof fuͤr
unſchicklich haͤlt, in Zeiten, wie die laufenden,
bey einer Unternehmung, die bloß dem Ver-
gnuͤgen dient, das nuͤtzlicher zu verwendende
Geld aufzuopfern. Ein Mann von feinem Ge-
ſchmack, ein geborner Wiener, gab mir Man-
gel an Auswahl unter den anzunehmenden
Schauſpielern und Schauſpielerinnen; Unei-
nigkeit, Anmaßung, Traͤgheit und erklaͤrte
Mittelmaͤßigkeit unter dieſen; zu reichliche
Beſoldung derſelben; ungluͤckliche Wahl der
aufzufuͤhrenden Stuͤcke, die oft, bey großen
darauf verwandten Koſten, dem Publikum
durchaus mißfallen; uͤbrigens ſchlechte Wirth-
ſchaft (ſonſt koͤnnte der Hof nicht jaͤhrlich 150
Sechstes Heft. N
[194] bis 200,000 Gulden einbuͤßen) und endlich auch
den Wetteifer der Nebentheater, beſonders
Marinellis und Schikaneders, die den Geſchmack
der Wiener beſſer kennen und ihre Schwachheit
fuͤr Nationalſtuͤcke, durch kurze Luſtſpiele und
kleine Singſtuͤcke nutzen, waͤhrend das Hof-
theater ſie durch, hier ſogenannte Saͤchſiſche
Schauſpiele, Ritterſtuͤcke, und weinerliche Fa-
miliengemaͤlde, mit Sitten, die man nicht
kennt und zum Theil abgeſchmackt, kleinſtaͤd-
tiſch und laͤcherlich findet, regelmaͤßig einſchlaͤ-
fert — dieſe Umſtaͤnde, und die uͤbertriebene
Anzahl des Nebenperſonale, das verhaͤltniß-
maͤßig auch nicht ſchlecht beſoldet iſt, und die
Ausgaben erhoͤhet, gab mir, ſage ich, der ge-
dachte Kenner, als die Urſachen des ſchlechten
Zuſtandes dieſer Buͤhne an, und ich fand kei-
nen Grund an der Richtigkeit derſelben zu
zweifeln.


„Im Ganzen,“ fuhr er fort: „iſt das
Nationaltheater jetzt ſchlechter, da es der Hof
beſorgt, als es vorher unter Privatunterneh-
[195] mern war. Die beſten Schauſpieler ſind
entweder abgegangen, oder in Ruhe geſetzt,
oder haben ſich unbegreiflich verſchlimmert.
Die uͤbrigen bekannten Schauſpieler, die
zum Theil ſeit zwanzig und mehr Jahren
in einer einzigen Manier ſpielen, haben
zwar alle eine gewiſſe Rolle oder Rollenart,
die man von Zeit zu Zeit noch gern von
ihnen ſieht, im Ganzen aber ſind ſie dem
Publikum zu alt geworden. Unter den juͤn-
gern Schauſpielern ſind einige, die anfangs
verſprachen, aber, ſtatt zuzunehmen, zuruͤck-
arbeiteten, weil ſie ihre Beſoldung fuͤr die
Hauptſache und Publikum und Kunſt fuͤr Ne-
benſachen hielten. — Auch fehlt es an gute
Schauſpielerinnen. Schon ſeit dem Tode der
K. Jacquet iſt keine erſte Heldin und Lieb-
haberin im Trauerſpiel mehr vorhanden. Die
Weidner und Sacco, vorher gute Schau-
ſpielerinnen, wurden vergangenes Jahr in
Ruhe geſetzt; die erſtre, weil ſie ſehr alt, die
andere, weil ſie ſehr mittelmaͤßig geworden
N 2
[196] war. Nur Eine vortreffliche Schauſpielerin
hat dies Theater noch: die Adamberger,
geb. Jacquet, die jetzt noch, da ſie ſchon 45
Jahr alt ſeyn kann, in den Rollen naiver
Maͤdchen und zaͤnkiſcher, junger Weiber, von
keiner andern erreicht wird. Sie thut in ſol-
chen Rollen, nicht bloß durch ihr hoͤchſt natuͤr-
liches Spiel, ſondern auch durch ihren Koͤr-
per, noch eine unbegreifliche Wirkung auf
Maͤnnerherzen, die ſelbſt fuͤr diejenigen, die
ſie außerhalb des Theaters kennen, ein Raͤth-
ſel iſt.“


„Die italieniſche Oper“ fuhr mein Freund
fort: „die mit dem Hoftheater verbunden iſt,
hat ſich nicht weniger verſchlimmert. Seit der
Entfernung der Morichetti, der Storace,
der Laschi, des Mompelli und Mandi-
ni
, hat ſie ſich nicht wieder erholen koͤnnen.
Die Tomeoni ſpielt zwar gut, und die Seſſi
hat eine ſehr ſchoͤne Stimme, aber beyde ſind
keine große Saͤngerinnen. Maffoli, der
uͤberall fuͤr einen großen Tenoriſten gelten
[197] wuͤrde, kraͤnkelt und neigt zur Auszehrung.
Benucci, erſter Buffo, iſt noch immer die
Hauptzierde des italieniſchen Theaters. Das
dazu gehoͤrige Ballet hat einen ſehr mittel-
maͤßigen Balletmeiſter und ſeine Entwuͤrfe ha-
ben weder Erfindung, noch Zuſammenhang,
noch uͤberhaupt Geiſt. Die erſte Taͤnzerin iſt
gewaltig haͤßlich, tanzt aber nicht ſchlecht; die
zweyte iſt ſehr huͤbſch, aber ihrem Tanze fehlt
es an Anſtand und Leben. Ein paar geſchickte,
aber bey weitem nicht vollkommene, Solotaͤn-
zer ſind auch vorhanden, und zwey ziemlich
bleyerne Groteschi, die, bey jedem halsbre-
chenden Satze, mit ſich niederfallen, daß die
Buͤhne erzittert.“ —


So waren die beyden Haupttheater in Wien
beſchaffen, als ich dort ankam. Das Publikum
fand nichts, als lange Weile darin, war un-
zufrieden, laͤſterte, und ging — in das Hetz-
theater, oder zu Marinelli oder Schickaneder.
Auf einmal hieß es, ein neues Taͤnzerpaar ſey
angekommen, um ſich in drey Gaſtvorſtellun-
[198] gen ſehen zu laſſen. Es waren Herr und Ma-
dame Vigano. Man gieng mit ziemlich
ungleichen Erwartungen, aber, weil es etwas
Neues war, in ziemlicher Menge in das Schau-
ſpielhaus. Das Paar tanzte nur zwey kleine
„pas-de-deux“ — aber das Publikum
war wie elektriſch getroffen. Die neuen Taͤn-
zer wurden, vom erſten Abend an, das Ge-
ſpraͤch aller Geſellſchaften, und werden es
wahrſcheinlich nach einem halben Jahre noch
ſeyn. Mad. Vigano beſonders wurde die
Goͤttin des Tages. Das erſte war ihr Name,
und erſt wenn dieſer, mit allem, was ihm
angieng, aus dem Grunde beſchwatzt worden
war, dachte man an den Krieg und an die
Franzoſen. Nach Verlauf von acht oder zehn
Tagen hatte Alles Doſen, Ringe, Armbaͤnder,
Faͤcher ꝛc. mit dem Bildniſſe der Vigano.
Die Damen trugen ihren Kopfputz, ihre Klei-
der, deren Schnitt und Farbe, und endlich
ſogar ihre — Baͤuche„à la Vigano“
die ein wenig ſtark und wohlbeleibt war. Wi[r]
[199] hatten die heißeſten Sommertage, aber Nach-
mittags um 4 Uhr draͤngte man ſich ſchon,
auf Gefahr ſeiner Glieder, ins Theater, ſtand
bis zehn Uhr Mann an Mann auf Einem
Flecke, und ſah erſt mit Ungeduld und Wi-
derwillen ein langweiliges Stuͤck auffuͤhren,
um dann den fuͤnf Minuten langen Rauſch,
immer daſſelbe „pas-de-deux“ zu ſehen,
unermuͤdlich zu genießen. In dieſer folterar-
tigen Stellung ſahe man ſelbſt Damen im
Parterre; und doch gieng alles, was heute
Zuſchauer geweſen war, morgen von neuem
wieder hin.


Das Ballet nahm ſeinen Anfang. Die
eigentlichen Taͤnzer arbeiteten nach Vermoͤgen.
Man ſah ſie nicht. Alle Augen waren nach
den Kouliſſen gerichtet, aus denen die beyden
Hauptperſonen herausſchweben ſollten. Machte
die Muſik des Ballets eine Pauſe, ſprangen
die Figuranten auf die Seite: ſo entſtand
ploͤtzlich eine allgemeine Stille; alle Geſichter
erheiterten ſich; man hob ſich auf die Zehen
[200] und hielt den Athem an. — In dem Moment
ward der erſte Ton von der Muſik des „pas-
de-deux“
gegriffen, und dies war das Zei-
chen zu einem allgemeinen, ſtuͤrmiſchen Haͤn-
deklatſchen, Jauchzen, Vivatrufen, das die
Zeit ausfuͤllte, bis die Kuͤnſtlerin ſelbſt, wie
Goͤttinnen ſchweben, uͤber die Buͤhne daher glitt,
und der Kuͤnſtler auf der andern Seite erſchien,
und die Arme ſehnſuchtsvoll und ſchuͤchtern
ihr nachſtreckte. — Waͤhrend des Tanzes war
wiederum Alles ſtill. Nur einzeln und halb-
laut hoͤrte man ein „bravo!“ ein „braviſſi-
mo!“
ein „c'eſt delicieux!“ ein wunder-
ſchoͤn
! das durch irgend eine Wendung, einen
Wurf der Arme, eine Bewegung des Kopfes,
von Seiten der Taͤnzerin, aus einer vollen
Bruſt heraus gepreßt wurde. Solch ein ein-
zelner Ausruf feuerte auch oft auf einmal ganze
Zuſchauerhaufen an, daß ſie wie auf ein gege-
benes Zeichen, in ein Freudengeſchrey ausbra-
chen, welches in eben dem Nu aus jedem
Winkel des Hauſes wiederhallte. Oft war es
[201] auch ein kurzes, abgeriſſenes Klatſchen, das
in die Muſik einſtuͤrzte, um dem Gefuͤhl des
Wohlgefallens Luft zu machen.


Das „pas-de-deux“ mußte jedesmal
wiederholt werden, eher ließ das Publikum
nicht nach; und die Ergießungen des Wohlbe-
hagens und Beyfalls waren nicht weniger
ſtuͤrmiſch, als das erſtemal. Sodann wurden
Kuͤnſtler und Kuͤnſtlerin herausgerufen; man
beklatſchte ſie, rief ihnen in allen Sprachen
die ſchmeichelhafteſten Dinge zu, und der Vor-
hang ging endlich, unter einem wahren Tumult,
langſam nieder.


Wer die Franzoſen und Italiener in ihren
Schauſpielhaͤuſern, vor ihren Lieblingsſtuͤcken,
geſehen hat, kann ſich einen Begriff von den,
als ſchwerfaͤllig verſchrieenen, Wienern machen,
in den Augenblicken, wo ſie die beyden Vigano
vor ſich ſahen. Auch war ihr Beyfall in der
That noch mehr, als Geraͤuſch. Bey einer
Vorſtellung, die zum Vortheile dieſes Paars
gegeben wurde, bezahlte man die Logen mit
[202] zehn, zwanzig und funfzig Dukaten; und ich
ſtand zufaͤllig neben einem Wechsler im Par-
terre, der fuͤr ſeinen geſchloſſenen Sitz hundert
Kaiſergulden gegeben hatte. Als Madame Vi-
gano zum erſten Male im Parter erſchien,
war die Freude und das Getuͤmmel um ſie
her außerordentlich. Damen und Herren vom er-
ſten Range waren ausgeſtiegen, ſtanden in langen
Reihen da, und ließen ſie durch ſich hin gehen;
wo dieſe Reihen ſich endigten, ſammleten ſich
Haufen aus andern Klaſſen um ſie her, folg-
ten ihr, wie ein Triumphzug, und der Hof,
der auch im Parter war, mußte ſich, ohne
bemerkt zu werden, durch das Gewuͤhl hin-
durch draͤngen. Man ſagt, daß ein eiferſuͤch-
tiges Mißfallen der Kaiſerin der Grund ge-
weſen ſey, daß das Taͤnzerpaar nicht ange-
nommen wurde. Das Publikum machte ein
gewaltiges Geraͤuſch daruͤber, und ein witziger
Kopf ſagte: Der Hof mag zuſehen, was
er thut! Die Vigano oder den Frie-
den!


[203]

Indeſſen brach ſich bey der Abſchiedsvor-
ſtellung dieß Mißvergnuͤgen in die innigſte
Ruͤhrung. Das ganze Haus wollte, in eigent-
lichem Sinne, vor Thraͤnen zerfließen. Man
rief von allen Seiten her, in allen Sprachen,
die man aufbringen konnte, im Accent des
aufrichtigſten Schmerzes: Bleibt bey uns!
Oder: Kommt bald wieder! Wir beten
euch an
! Die Kuͤnſtlerin und ihr Mann
konnten kein Wort vor Ruͤhrung hervorbrin-
gen und antworteten mit ſtummen Verneigun-
gen und mit Bewegungen, die ihre Dankbar-
keit ausdruͤckten. Ein Zug, der dem Herzen
der Wienerinnen große Ehre macht iſt der,
daß die meiſten von ihnen der Vigano Gerech-
tigkeit wiederfahren ließen und nicht weniger
von ihr hingeriſſen waren, als die Maͤnner.
Uebrigens gab es ihretwegen ernſthafte Par-
teyen im Publikum; und es fehlte unter an-
dern wenig, daß ſich nicht ein alter, um das
fruͤhere deutſche Theater ſehr verdiente Gene-
ral, der auch im Tanzen fuͤr das Alte war,
[204] mit einem Vigano'ner haͤtte ſchlagen muͤſ-
ſen.


Die Vigano, Mann und Frau, haben
ſich nach der erſten Taͤnzerſchule in Europa,
nach der Manier von Gardel, Veſtris und
Nivelon, und der Guimard, Saulnier
Perignon
und Roſe gebildet, und ſie kom-
men ihren Muſtern nahe genug, um dieſe auf
den erſten Blick in ihnen wieder zu erkennen.
Sie ſind demnach wahre Taͤnzer und keine
Springer; ſie glaͤnzen im Tableau, nicht in
der Muskelkraft; ſie ruͤhren und erheitern das
Herz und befriedigen den Geſchmack, aber ſie
aͤngſtigen das Gefuͤhl nicht und ziehen ihren
Beyfall nicht daher, daß ſie dem Tod in die
Arme zu ſpringen ſcheinen, und doch mit dem
Leben davon kommen. *)


[205]

Aus den Zuͤgen von Begeiſterung, welche
die Wiener bey dieſer Gelegenheit entwickel-
*)
[206] ten, *) geht klar genug hervor, was man,
durch einſeitige Nachrichten irre gefuͤhrt, im
*)
[207] noͤrdlichen Deutſchland ſo ungern glaubt: daß
ſie Sinn fuͤr das Schoͤne haben und ſich be-
richten laſſen. Es fehlt ihnen nur an guten
Muſtern.


Ich glaube noch ein paar Worte uͤber die
beyden vornehmſten Nebentheater in Wien ſa-
gen zu muͤſſen, um einige unrichtige Begriffe,
die man ziemlich allgemein davon hat, zu be-
richtigen. Das eine iſt das Theater Ma-
rinelli's
auf der Jaͤgerzeile, das andre das
Theater Schikaneders, im Stahrember-
giſchen großen Hauſe.


*)


[208]

Das erſtere, auch unter dem Namen von
Kaſperls Theater bekannt, hat eine ſehr
gluͤckliche Lage. Die Jaͤgerzeile iſt bekannt-
lich die ſchoͤne, mit Baͤumen bepflanzte Straße
in der Leopoldsſtadt, die nach dem Prater
fuͤhrt, welcher immer noch der vorzuͤglichſte
Erholungsort der Wiener bleibt, und des
Morgens, Mittags, Nachmittags und Abends
von ihnen beſucht wird. Beym Zuruͤckkommen
haben ſie rechter Hand die Marinelli'ſche Buͤhne
gleich neben ſich, mithin die Verſuchung eben
ſo nahe, als den beſtaͤndigen guten Willen,
ihr zu erliegen, und das Beduͤrfniß, den Abend
vollends auszufuͤllen. Zudem finden ſie ent-
weder eine artige Muſik, oder ein neckiſches
Gemaͤlde aus ihren Sitten, das, wenn es
auch zuweilen platt genug iſt, doch zu lachen
macht, und in der That, theils durch die Ein-
faͤlle, die darin vorkommen, theils durch die
drolligte Art, wie der Hauptſchauſpieler, La
Roche
, insgemein Kaſperl genannt, ſie wie-
dergiebt, etwas Anziehendes erhaͤlt. Die nie-
drigen
[209] drigen Staͤnde ergetzen ſich aufrichtig daran;
die hoͤhern, die uͤberall nur erſcheinen, um
ſich die lange Weile zu vertreiben, um das
Publikum zu wechſeln, ja oft ausdruͤcklich, um
etwas Naͤrriſches zu ſehen, benutzen dies The-
ater meiſt nur zu dieſem Zwecke, finden aber
auch nicht ſelten Auftritte und Gedanken, die
ihnen nicht minder Vergnuͤgen machen, als
dem zweyten Parterre und der Gallerie. Die
Maͤdchen, die gewoͤhnlich in guter Anzahl
im Parterre und den zweyten Logen vorhanden
ſind, ziehen auch eine Gattung von Liebhabern
hieher, die Kaſperls Spiel nicht allein be-
friedigt. Die mancherley Arten von Gefror-
nem und Gebackenem, von ausgeſuchtem Obſt
und feinern Getraͤnken, die ebenfalls zu haben
ſind, fuͤhren auch einen Theil des Publikums
herbey, das ſonach auf eine oder die andre
Weiſe Zeitvertreib findet, und oft alle dieſe
Dinge in einen einzigen Genuß vereiniget.


Der Unternehmer iſt ein thaͤtiger Mann,
der immer auf neue Anlockungen fuͤr Zuſchauer
Sechstes Heft. O
[210] denkt. Die ſeinigen ſind jetzt auch fuͤr kleine
Singſtuͤcke, und er wartet reichlich damit auf.
Seitdem Schickaneder durch die Zauber-
floͤte
ſo viel Gluͤck gemacht hat, giebt Ma-
rinelli Zauberzittern, Zauberfagots,
Zauberharfen
und alle moͤgliche Zauberin-
ſtrumente, und iſt immer ſicher, zahlreichen
Beſuch zu haben. Er beſitzt einen Komponi-
ſten, Namens Muͤller, der, bey einer Art
von Unerſchoͤpflichkeit, ganz angenehme Muſi-
ken macht, ſich aber nicht immer genau erin-
nert, welchem Tonſetzer manche Stellen ange-
hoͤren, die ihm aus der Feder laufen. Mari-
nelli's Schauſpieldichter, deren er vier oder fuͤnf
hat, ſind verhaͤltnißmaͤßig nicht ſo gut, als
dieſer Komponiſt. Seltſam iſt es indeſſen, daß
viele dieſer lyriſchen gereimten Ungereimtheiten
auch in Dresden, Leipzig, Weimar, Hamburg
und Berlin, die auf Kaſperl und Schikaneder
ſonſt ſtolz genug herabſehen, mit Beyfall be-
ſucht werden. Uebrigens ſind einige gute nie-
drig-komiſche Schauſpieler auf dieſem Theater,
[211] die aber jaͤmmerlich werden, wenn Kaſperl den
Einfall hat, ernſthafte, edle Stuͤcke, oder die
gewoͤhnlichen Ritterſchauſpiele zu geben: ein
Einfall, den er jetzt oft bekoͤmmt, und der
ſeinem Theater uͤber kurz oder lang ſchaden
wird, weil es dadurch einen gewiſſen zwey-
deutigen Charakter von ſchlechtem und beſſerem
Geſchmack bekoͤmmt, der mir, als ich es dieß-
mal beſuchte, aufgefallen iſt. Wien bedarf,
bey der Gemuͤthsart ſeiner Bewohner, eine
Buͤhne, wo Witz, Laune und ſelbſt Sinnlich-
keit etwas mehr wagen kann, als ſich ein
großes Theater billiger- und vernuͤnftigerweiſe
erlauben ſoll; und das Marinelli'ſche waͤre
uͤbrigens ganz dazu gemacht. Kaſperl, ſeiner
Rolle nach, ein oberoͤſterreichiſcher Bauer, der
feig, gefraͤßig, furchtſam, geſchwaͤtzig, verliebt,
aber auch ein loſes Maul und ein ſatyriſcher
Kopf iſt, waͤre, wenn man ihm noch ein paar
andre dahin paſſende Zuͤge unterlegte, vorzuͤg-
lich geſchickt, die Laͤcherlichkeiten und Verkehrt-
heiten einer großen, uͤppigen Stadt ſehr an-
O 2
[212] genehm und treffend zu ruͤgen. In einigen
ſeiner aͤltern Stuͤcke iſt dies auch wirklich
gluͤcklich genug geſchehen.


Uebrigens iſt das Aeußere und Innere
dieſes Nebentheaters anſehnlicher, als in vielen
andern deutſchen Staͤdten das Haupttheater.
Auch der wirthſchaftliche Theil deſſelben, iſt in
einer muſterhaften Ordnung. Der Unterneh-
mer iſt reich geworden, und das Perſonale
ſteht ſich beſſer und wird weit richtiger be-
zahlt, als auf manchem Hoftheater. Einen
Maßſtab fuͤr den Zulauf und die Einnahme
dieſes Hauſes giebt die Aeußerung Marinelli's
gegen einen meiner Freunde, daß er zu An-
fange dieſes Sommers, durch die wiederholte
Vorſtellung zweyer neuen Singſpiele, nach
Abzug aller Unkoſten, uͤber funfzehn tauſend
Gulden gewonnen habe.


In Ruͤckſicht der oͤkonomiſchen Verfaſſung
iſt das Schickaneder'ſche Theater ganz
das Gegentheil von dem Marinelli'ſchen. Der
Unternehmer hatte, beſonders in den erſten
[213] Jahren, viel Gluͤck, und war ein furchtbarer
Nebenbuhler Marinelli's; aber ſein unwirth-
ſchaftliches Benehmen ſetzte ihn bald zuruͤck,
und ſeine Buͤhne iſt bis jetzt in einem ſchwan-
kenden Zuſtande geblieben. Auch er giebt meiſt
Singſpiele, und nebenher Poſſen und Ritter-
ſtuͤcke. Mit der Zauberfloͤte, die Er ſchrieb
und Mozart ſetzte, hat er großes Gluͤck ge-
macht. Sie wurde im erſten Jahre hundert
mal
, bey faſt immer vollem Hauſe, aufgefuͤhrt.
Das Sonnenfeſt der Braminen, ein
neueres Machwerk, hat er ebenfalls ſehr oft
gegeben. Merkwuͤrdig in ſeiner Art iſt ein
Trauerſpiel, das Schwert der Gerechtig-
keit
betitelt, das gewoͤhnlich in der Woche
nach aller Seelen geſpielt wird. Man
koͤmmt waͤhrend der Handlung gar nicht vom
Kirchhofe weg, und die Geſpenſter gehen ganz
zahm und ohne Schuͤchternheit, wie rechtliche
Leute, auf demſelben herum. Das meiſte,
was auf dieſem Theater geſpielt wird, iſt von
Schickaneders eigener Hand, und zuweilen
[214] platt, zuweilen ohne Verſtand, zuweilen unge-
zogen, aber immer unter dem Mittelmaͤßigen;
ein Stuͤck ausgenommen, das waͤhrend meiner
Anweſenheit mehreremal gegeben wurde, und
den Titel „die Fiaker“ fuͤhrte. Es war ein
taͤuſchend-getreues Gemaͤlde dieſer und der an-
dern niedern Einwohnerklaſſen von Wien, und
wurde auch, in Ruͤckſicht der Kleidung, des
Anſtandes und der Sprache, ſehr natuͤrlich
dargeſtellt. Mit einigen Veraͤnderungen koͤnnte
es in der That ein ſehr unterhaltendes und
ſogar lehrreiches Stuͤck fuͤr die gemeineren
Staͤnde in Wien werden.


In der Joſephsſtadt iſt noch ein drittes,
geringeres Nebentheater, das ſich erhaͤlt, aber
einer naͤhern Erwaͤhnung nicht werth iſt. Von
den Marktkomoͤdianten habe ich ſchon zwey
Worte fallen laſſen. Sie ſpielen in hoͤlzernen
Huͤtten.


Uebrigens irrt man, wenn man den Ge-
ſchmack des Wieneriſchen Publikums ſtrenge
nach dieſen Nebentheatern beurtheilt. Ich
[215] habe ſchon oben, bey der Marinelli'ſchen Buͤhne,
die Nebengruͤnde angegeben, welche Zuſchauer
in dieſelben locken. Die beſſern Klaſſen wiſſen
wohl, daß ſie großentheils abgeſchmackte Dinge
ſehen werden, und nehmen ſich vor, das naͤch-
ſtemal nicht wieder zu kommen. Dies geht ſo
weit, daß man ſich auch das wirklich Gute,
womit man uͤberraſcht wird, nicht gefallen
laſſen will und ſich ſcheuet, es anzuerkennen.


Die Hetze bleibt immer noch ein Lieblings-
ſchauſpiel des Volks und wenn von den beſſe-
ren Staͤnden ſich einzelne Zuſchauer dort ein-
finden, ſo iſt es aus den Gruͤnden und unter
den Umſtaͤnden, die ich oben bey der War-
ſchauer Hetze angegeben habe. Es ſind viele
Leute von beſſerer Erziehung in Wien, die
dies Schauſpiel mit keinem Auge je geſehen
haben. — Auch iſt es, ſeitdem ich nicht hier
geweſen bin, ſehr herunter gekommen.
Loͤwe und Loͤwin ſind todt. Kein Baͤr iſt
vorhanden, der dem großen Kurlaͤndiſchen
Baͤr gliche, welcher im Sommer 1785, bey
[216] einer faſt erlaubten Nothwehr, den Hetzmei-
ſter
, der acht Hunde auf ihn los ließ und
ihm zu nahe kam, ergriff, niederwarf und,
trotz den Zaͤhnen ſeiner acht unvernuͤnftigen
Peiniger, ſich an dem Schenkel des vernuͤnf-
tigen
hielt und ihm große Stuͤcke herausriß
— die Zuſchauer ſchrieen jaͤmmerlich und wie
aus Einer Kehle bey dieſem ſchrecklichen An-
blick! — bis endlich, unter Beyhuͤlfe von noch
einem Dutzend Hunden, die ganze Schaar
der Hetzknechte, mit beſchlagenen Stangen
bewaffnet, das Haupt der Thierquaͤler ohn-
maͤchtig unter dem Sieger hervorzog — —
ſolch ein grimmiger Baͤr, ſage ich, iſt
nicht mehr vorhanden, mithin iſt dies Spek-
takel nicht mehr ſo — anziehend, als ſonſt.
Indeſſen ſahe ich doch jetzt noch einen jungen
Fuͤrſten und einen Grafen, der ein Fuͤrſten-
ſohn iſt, beyde mit ihren Maͤtreſſen, im Hetzam-
phitheater, in den Logen des erſten Ranges.


Nach dem Schauſpiele iſt die Muſikein
Lieblingszeitvertreib der Wiener. Man findet
[217] vielleicht in keiner andern Stadt ſo viel Lieb-
haber dieſer Kunſt und dieſes Zeitvertreibes,
und ſo viel wahre Virtuoſen, von beyden Ge-
ſchlechtern. Muſik iſt ein unentbehrliches Stuͤck
der Erziehung, beſonders der weiblichen, ge-
worden, und die Muſikmeiſter ſind hier ſo
haͤufig, wie in Dresden die ſogenannten Ma-
giſter. Wer Liebhaber iſt, kann hier alle Tage
in einem andern, oͤffentlichen oder haͤuslichen,
Konzert ſeyn, wo die neuere oder die aͤltere
Muſik behandelt und vorgezogen wird. Fuͤr
die letztere iſt unter andern ein ſolches bey
dem Freyherrn von Swieten.


Fuͤr den Tanz ſind die Wiener leiden-
ſchaftlich. Sie tanzen mitten im Sommer
nicht minder froͤhlich, als im Winter, und
der Kellner nicht minder unverdroſſen, als der
junge Fuͤrſt. Die hoͤhere Geſellſchaft tanzt
bey Hofe und auf Privatbaͤllen unter ſich; in
den Kaſinen, in Baden, auf Pickenicken tanzt
der reiche oder auch nur glaͤnzende Mittelſtand;
die an ihn graͤnzenden Klaſſen bis zum Buͤr-
[218] ger, tanzen an den Luſtoͤrtern um die Stadt
und in der Stadt, im Faſching auf den Re-
douten, (wo die hoͤhern Staͤnde bloß zuſehen)
und auf den Tanzſaͤlen der Wirthshaͤuſer, un-
ter denen der Bock, die Mehlgrube, der
Mondſchein, der Faſen und der Sperl
die beruͤhmteſten ſind. Auf letzteren findet man
die ſeltſame Einrichtung mit den Saal- oder
Tanzmenſchern — gemiethete Taͤnzerinnen,
die der Wirth haͤlt, um mit den Tanzluſtigen
herum zu ſpringen. Sie duͤrfen niemand einen
Tanz ausſchlagen, und tanzen ſich manche
Nacht hindurch, fuͤr ein Gehalt von 30 bis
40 Kreutzer, halb todt. Der Walzer, hier
der deutſche Tanz genannt, iſt uͤbrigens
der Lieblingstanz aller Staͤnde.


Der Spatziergang, die Spatzierfahrt
und der Sommeraufenthalt auf dem
Lande
, ſind ebenfalls von den Wienern ſehr
geſuchte Genuͤſſe.


Das Volk ſtroͤmt, beſonders an Sonn-
und Feſttagen, zu allen Thoren hinaus, theils
[219] in die Wirthshaͤuſer der Vorſtaͤdte, theils nach
den umliegenden Luſtſchloͤſſern und Doͤrfern,
die alle mit Speiſehaͤuſern, Schenken und
Tanzſaͤlen reichlich verſehen ſind, theils in den
Augarten, theils in den Prater. Die naͤher
gelegenen Luſtoͤrter beſucht es zu Fuße, die
entferntern aber auf ſogenannten Zeiſelwa-
gen
, die vor den Linien halten. Es ſind lange
Korbwagen, mit einer Menge von Sitzen,
die oft auf einmal zwanzig bis dreyßig Perſo-
nen faſſen und fortſchaffen. Fuͤr Leute, die
ſolche Wagen unter ihrer Wuͤrde, oder unter
ihrer dermaligen Baarſchaft glauben, ſind auch
Halbwagen mit einem oder zwey Pferden da,
auf denen ſie weiter kommen koͤnnen. Ein
Theil des Volks verlaͤßt ſchon fruͤh die Stadt,
ein anderer erſt nach der Mahlzeit. Bier,
Wein, Kegelſpiel, Mittagseſſen, Kaffee, Gau-
ſen
und Abendeſſen, fuͤllen ſeinen Tag aus.
Oerter, wo ſich daſſelbe bey gewiſſen Gelegen-
heiten in unuͤberſehlicher Menge verſammlet,
ſind: die Brigittenaue, zur Zeit der dor-
[220] tigen Kirchweihe; Herrenals, bey Gelegen-
heit der Wallfahrt nach dem dortigen Kalva-
rienberge; das neue Lerchenfeld, an Fey-
ertagen; und die Gegenden und Straßen St.
Stephan zur Zeit des Portiunkulaablaſſes und
des Frohnleichnamfeſtes.


Die Klaſſen, die auf der einen Seite an
das Volk, und auf der andern an die hoͤhern
Staͤnde graͤnzen, fahren mehrentheils mit Lehn-
kutſchern oder Fiakern, oder ſogenannten Pi-
rutſchen, ſchon von ihren Wohnungen ab. Sie
bringen ihren Tag entweder im Prater,
oder in Schoͤnbrunn, in Laxenburg und
Hetzendorf, oder auf einem der umliegenden
angenehmen Doͤrfer, als Dornbach, Meid-
ling, Herrenals, Hietzing
, dem Bruͤhl,
Penzing, Huͤtteldorf, Doͤbling
ꝛc. die
ſich entweder durch ein [gut] verſorgtes Wirths-
haus, oder durch angenehme Gegenden em-
pfehlen, mit Spatzierengehen, Eſſen, Trinken
und Tanz zu.


[221]

Die hoͤheren Staͤnde fahren oder reiten
regelmaͤßig, einen wie alle Tage, nach der
Tafel, in den Prater, und zwar die große
Allee rechts hinunter. Im Vorbeyfahren laſ-
ſen ſich einige entweder ein Glas gefaumtes
Obers
(geſchlagene Sahne) oder ein Glas
Gefrornes, oder Limonade, durch ihre Bedien-
ten aus den naͤchſtgelegenen Kaffeehuͤtten, ho-
len, verzehren es und fahren dann weiter,
ohne auszuſteigen; andere halten ſtill und ſehen
dem Getuͤmmel aus den Wagen zu; andere
ſteigen aus und gehen unter der Allee ſpatzie-
ren; aber keiner von dieſer Klaſſe ſetzt ſich an
einem Tiſche vor den Erfriſchungsbuden nieder
und zehrt oͤffentlich. Am Ende der gedachten
großen Allee, an der Spitze des Praters, in
einer Entfernung von der Stadt, die nicht
leicht ein Fußgaͤnger aufſucht, liegt am Ufer
der Donau ein Luſthaus. Um dieſes fahren die
hoͤhern Klaſſen mit ihren praͤchtigen Umgebun-
gen auf; hier ſteigen ſie aus und verbreiten
ſich unter die Baͤume, oder in den Saal
[222] des Luſthauſes oder auf deſſen Umlaͤufe, in
einzelnen Reihen und Gruppen, die unter ein-
ander wiederum ſo viel Stufen und Unter-
ſcheidungen annehmen, als bey dem großen
Reſte der Wiener Einwohnerſchaft nur immer
moͤglich ſeyn koͤnnen. Geſpraͤch, Spatziergang,
Geſehenwerden und Sehen, ſind die Unterhal-
tung; doch iſt auch hier ein Speiſewirth, der
fuͤr gruͤndlichern Zeitvertreib ſorgt. Gegen die
Theaterzeit faͤhrt alles nach der Stadt zuruͤck;
auch der groͤßeſte Theil der mittlern und nie-
drigern Staͤnde, welche die Kaffeehuͤtten, die
Bier- und Weinſchenken, die Speiſehaͤuſer
und Ringelrennen gefuͤllt gehalten hatten, ſu-
chen nun ihre Theater auf. Man hat zwar
dieſes Jahr Verſuche gemacht, dieſe Menge
durch Erleuchtungen im Prater zuruͤckzuhalten,
aber es iſt nicht gelungen, theils weil die Luſt
am Theater uͤberwiegt, theils weil der Prater
gegen Abend durch feuchte Ausduͤnſtungen der
Geſundheit ſchaͤdlich wird. Der Feuerbaͤn-
diger Stuber
(jenen Beynamen giebt er ſich
[223] ſelbſt) hat waͤhrend meiner diesmaligen Anwe-
ſenheit kein Feuerwerk gegeben.


Die Ruͤckkehr aus dem Prater nach der
Stadt iſt uͤbrigens ganz dazu gemacht, Wien
in ſeinem Glanze und ſeiner Lebhaftigkeit zu
zeigen. Man kann ſtundenlang da ſtehen, und
die Reihe der meiſt praͤchtigen Wagen, mit
den glaͤnzendſten Perſonen beſetzt, mit reich
gekleideten Bedienten belaſtet, vor ſich vorbey
laſſen, ohne ihr Ende abzuſehen. Das Ganze
bewegt ſich langſam fort, und ſteht oft ganz
ſtill; denn das Getuͤmmel von Fuhrwerken, das
von der entgegengeſetzten Seite koͤmmt, be-
ſonders die eilfertigen Fiaker, die ſich oft dreiſt
zwiſchen den großen Zug hereindraͤngen, oder
ploͤtzlich aus demſelben hervorſchießen, um Vor-
ſprung zu gewinnen, hemmen von Zeit zu
Zeit die großen, minder behuͤlflichen Geſpanne.
Mit dieſen Wagen draͤngt ſich, auf beyden
Seiten, hart an ihren Raͤdern, auch das un-
ſaͤgliche Gewuͤhl von Fußgaͤngern nach der
Stadt zuruͤck, und Muͤtter, die ihren Kindern
[224] Behutſamkeit zuſchreien; Fuhrleute, welche die
Fußgaͤnger durch ein gewaltiges Ho! warnen,
oder anderen, mit denen ſie zuſammen gefah-
ren ſind, ihre gewohnten Hoͤflichkeiten ſagen;
uͤbergefahrne oder getretene Hunde, die aus
Leibeskraͤften heulen und ihre Herren, die nicht
minder angeſtrengt auf den ungeſchickten Kutſcher
fluchen — dieſer Anblick, dieſes Geraͤuſch die-
ſes Gedraͤnge iſt einzig, und nimmt in den Gegen-
den, wo die Jaͤgerzeile enger iſt, auf der Bruͤcke
und an den Thoren hundertfaͤltig zu, trotzt aber
jeder Beſchreibung, wenn ſich zu dem allen eines
von jenen Wetterſchauern, die in Wien ſo haͤufig
ſind, ploͤtzlich erhebt, und mit Sturm, Don-
ner, Blitz und Regen, in eine dichte, wir-
belnde, meilenlange Staubwolke eingewickelt,
unter dem verfinſterten Himmel daherfaͤhrt:
dann ſpringt Alles aus einander, jeder rettet
ſich, wie er kann, die Schenken, die Kaffee-
haͤuſer ſind vollgeſtopft; unter den Baͤumen
draͤngen ſich aͤngſtliche Haufen; alle Fiaker aus
der Stadt kommen geſprengt und haben eine
reiche
[225] reiche Aernte; die kleinen Korbwagen der
Buͤrger fliegen in geſtrecktem Laufe; vor den
Staatskaroſſen baͤumen ſich die ſtolzen Mek-
lenburger, bey jedem Blitze, und vor den
Pirutſchen tanzt der leichte Ungar, den der
Donner, der Staub und der Sturm unge-
duldig gemacht hat. Dieſe Ueberfaͤlle aber,
gehen meiſt immer ſo ſchnell voruͤber, als ſie
kommen. Nach Verlauf einer halben Stunde
beglaͤnzen noch die letzten Strahlen der Abend-
ſonne den vorher ſo fuͤrchterlichen Schauplatz,
und der Reſt der uͤberraſchten Menge geht,
mit Tuͤchern uͤber den Huͤten, oder mit ſorg-
ſam aufgehobenen Roͤcken, nach der Stadt zu.


Der Augarten ſcheint mir herunter ge-
kommen zu ſeyn, wenigſtens iſt ſein Publikum
nicht mehr ſo glaͤnzend. Ehedem fruͤhſtuͤckten
kleine Zirkel aus der feinen Welt, oder tran-
ken ihren Brunnen hier; jetzt fand ich nichts,
als Buͤrgersleute, die ihren Kaffee verzehrten,
und dann einen Zug durch die ſchoͤnen Alleen
machten.


Sechstes Heft. P
[226]

Der Hang zu Sommerwohnungen
aber hat ſich ſeit meinem erſten Hierſeyn ver-
ſtaͤrkt. Wohlhabende Leute von allen Staͤnden,
die in der Stadt wohnen, hatten ehedem in
den Vorſtaͤdten Haͤuſer und Gaͤrten, jetzt ha-
ben ſie dieſelben weiter hinaus, vor den Linien,
auf die umliegenden Doͤrfer, deren ich oben
einige genannt habe, verlegt. Dieſe ſind da-
durch faſt zu lauter artigen Staͤdtchen gewor-
den. Die Bauunternehmer haben auch hier
mit wohlhabenden Privatleuten um die Wette
gebauet. Der Zulauf iſt in kurzer Zeit ſo
groß geworden, daß man eine Sommermie-
the mit 100, 150, 200, 300 und 400 Gulden
bezahlen muß.


Wenn man in andern deutſchen Staͤdten,
nach Endigung des Schauſpiels, noch ein paar
Biſſen ißt und dann zu Bette geht, ſo thut
man hier noch eine regelmaͤßige Mahlzeit, und
eilt dann wiederum zu einem neuen Genuſſe,
der endlich der letzte iſt. Seit meinem erſten
Hierſeyn hat ſich hier ein naͤchtlicher Luſtort
[227] hervorgethan, von dem man den Tag uͤber
keine Spur ſieht. Es iſt die Baſtion des
Stadtwalles, die gleich vor dem Burgthore
liegt. Hier ſind Zelte, mit allen Erfriſchun-
gen verſehen, aufgeſchlagen, mit Banken um-
ſchloſſen, durch Muſik erheitert. Auf dieſem
engen Platze draͤngen ſich Menſchen aus allen
Staͤnden, von jedem Alter und Geſchlecht,
unter Staubwolken herum, und er iſt der
Stapelplatz des verliebten Verkehrs geworden,
doch nur den Verhandlungen und nicht dem
Abſchluſſe nach, gegen welchen die Polizeyſol-
daten wachen. Man findet bis nach Mitter-
nacht Leute auf dieſem Spatziergange; aber er
faͤngt ſchon an zu ſinken, und treue Weiber
und ſorgſame Muͤtter und Vaͤter kommen nicht,
und laſſen auch ihre Kinder nicht mehr hieher.
Eine aͤhnliche Nachtpartie iſt der Spatziergang
und das Konzert am Graben, vor den dorti-
gen beruͤhmten Kaffeehaͤuſern, die, ſo wie das
nahe dabey am Kohlmarkt gelegene Milano,
in Verfertigung des Gefrornen glaͤnzen. Hier
P 2
[228] erſcheinen Leute aus den beſſern Klaſſen immer
erſt nach zehn Uhr, und bleiben bis nach
Mitternacht dort. Sie kommen deßhalb ſo
ſpaͤt, weil dann der Zug der feilen Maͤdchen
und ihrer unermuͤdlichen Nachſetzer ſchon vor-
uͤber iſt.


Dieſe haben ihren Laͤrmplatz ebenfalls hier,
zerſtreuen ſich aber, ſobald die Schließſtunde
der buͤrgerlichen Haͤuſer, die zehnte, geſchlagen
hat. Die Hausmeiſter laſſen ſodann keinen
Fremden mehr herein, denn wenn ſie auch
uͤbrigens das zweydeutige Gewerbe ihrer Haus-
bewohnerinnen wohl kennen, ſo wagen ſie doch
ſelten daſſelbe um dieſe Zeit zu beguͤnſtigen,
aus Furcht von dem Wirthe weggejagt zu
werden. Wiſſen aber die Wirthe ſelbſt darum,
wie es in einigen ſeit lange dazu eingerichteten
Haͤuſern auch hier der Fall iſt, ſo hat der
Hausmeiſter kein zu ſtrenges Gewiſſen, und
laͤßt zu jeder Zeit und Stunde herein und
heraus, weil ſodann die geſammte Einwohner-
ſchaft nicht zu ſehr geſchont zu werden braucht.
[229] Wie offen, wie allgemein und wie ungeſtoͤrt,
wenn nur einigermaßen der Wohlſtand beob-
achtet wird, dieſe Art von Verkehr hier getrie-
ben werde, iſt uͤbrigens ſattſam bekannt. Wenn
der Leſer, mit einigen kleinen Veraͤnderungen,
die aus der Verfaſſung und Oertlichkeit her-
vorgehen, die Schilderung der Warſchauer
Unſittlichkeit oben noch einmal nachſehen will,
ſo wird er auch die Wieneriſche kennen. Hier
ſind nicht minder reiche, verderbte, brutale
Liebhaber; nicht minder ſchoͤne, uͤppige, be-
duͤrftige, gewandte, liſtige Weiber; nicht min-
der liederliche, hoͤhere, mittlere und niedere
Klaſſen. Man ſagt mir von einem jungen —
Großen, daß er ſich jetzt Sieben Maͤtreſſen haͤlt
und ſie, wenn ſie irgend eine ſeiner Launen
nicht ausfuͤhren wollen, oder wenn er den
Verdacht einer „paſſade“ auf ſie geworfen
hat, regelmaͤßig mit der Hetzpeitſche abkar-
batſcht, ſie aber uͤbrigens vortrefflich bezahlt.


Ich hebe noch ein paar zerſtreuete Beob-
achtungen uͤber die Einwohner von Wien aus,
[230] und ſchließe damit den Umriß ihres Wohnor-
tes, ihrer Sitten, ihrer Lebensart und ihres
Charakters.


Oben habe ich beylaͤufig bemerkt, daß die
Verſchiedenheit der Staͤnde, wegen der Gleich-
heit in der Kleidung, im oͤffentlichen geſellſchaft-
lichen Verkehr nicht mehr ſo auffallend iſt;
im Privatverkehr aber wird ſie, beſonders von
den hoͤhern Staͤnden, immer noch ſorgfaͤltig
genug beobachtet. In ihre Zirkel koͤmmt nie-
mand, den nicht Rang und Geburt dazu be-
rechtigen, und die Haͤuſer ſind immer noch
ſelten genug, die hierin bey verdienſtvollen Ge-
lehrten und Kuͤnſtlern eine Ausnahme machen.
Man erinnere ſich hier der vorhin erwaͤhnten
Art, wie die Großen an den Vergnuͤgungen
im Prater Theil nehmen.


Aber jener Mittelſtand, deſſen ich oben ge-
dacht habe, hat ſeinen Kreis im geſellſchaftli-
chen Leben ſehr erweitert. Wer einen Frack
traͤgt, der ihm das beſchrieene „Herr von
zuſichert, lebt ohne Anſtoß in dieſem Kreiſe;
[231] ein Frauenzimmer, deren Chemiſe von ſo fei-
ner Gattung Mouſſelin iſt, daß man ihr ohne
Schaam das „Fraͤulein“ und „Ihro
Gnaden
“ geben kann, und die im Stande
iſt, einen Stadtlohnwagen zu miethen, tritt
uͤberall in dieſe Zirkel ein. Sonach hat dieſe
erdichtete Muͤnze hier wahren Werth und Ge-
halt, und ſie befoͤrdert und vermannigfacht
das geſellſchaftliche Verkehr. Es ſind mehrere
gute Haͤuſer in Wien, die einigemal die Wo-
che offen ſtehen, und die fuͤr die Gaͤſte, die
ſie empfangen, keine andere Forderung, als
die Einfuͤhrung von Seiten eines Bekannten
und ein anſtaͤndiges Aeußere haben; und dieſe
Haͤuſer ſind in der That nicht die unſcheinbar-
ſten und langweiligſten in Wien.


So iſt auch die ſteife Nachahmungsſucht in
der Mode, beſonders in gedachtem Kreiſe, faſt
ganz verſchwunden, ſeitdem man ſich mehr an
die engliſche Art haͤlt. Die Wienerinnen ſind
ſchoͤn, haben einen feinen Geſchmack in der
Kleidung, und erfinden ſehr gluͤcklich; und da
[232] ſie auch freygebig auf die Zuthaten verwenden,
ſo ſind ſie beſtaͤndig zugleich fein und geſchmack-
voll gekleidet. Dies geht bis in die geringern
Klaſſen hinunter; und ich bekenne, keine Stadt
geſehen zu haben, in welcher die weiblichen
Dienſtboten ſo ſorgfaͤltig, ſo zierlich in ihrer
Art, ja ſogar ſo reich gekleidet gingen. Leipzig,
Dresden, Breslau und Muͤnchen kommen in
dieſem Punkt Wien nahe, aber mehr in Ruͤck-
ſicht der Sauberkeit, als der Feinheit der
Zeuge, die dieſe Gattung zu ihrem Anzuge
waͤhlt.


Trotz dem Haſſe der ſchoͤnen Wienerinnen
gegen die Franzoſen, ahmen ſie doch zuweilen
die republikaniſchen Moden nach, wie es z.
B. mit dem Kopfputz „à la Guillotine,“
der Fall war. Man hat bemerkt, daß die
Schweſtern der bekannten Frey (Schoͤnfeld)
gerade um die Zeit dieſen Kopfputz trugen,
als ihre Bruͤder in Wien guillotinirt wurden.


Eine andre Veraͤnderung, die ich bemerkt
habe, iſt mir ſehr aufgefallen. Die gebornen
[233] Wiener, die ſonſt ſo ſehr „badauds“ waren,
wie die Pariſer nur immer ſeyn konnten, und
ihre Vaterſtadt in den Himmel erhoben, fan-
gen an, ſie in ihren Zirkeln ſo herunter zu
reißen, wie kein Auslaͤnder im Ernſt thun
koͤnnte; ja, mancher junge Mann, der Ver-
ſtand zeigen will, glaubt damit anfangen zu
muͤſſen, daß er auf die Wienſtadt ſchimpft,
ſo gut es gehen will. Hat ſich die gute Wien-
ſtadt ſo veraͤndert, oder die treuherzigen Wie-
ner?


Von der Veraͤnderung, die Joſeph durch
ſeine Grundſaͤtze in Ruͤckſicht der Geiſtlichkeit
bewirkte, ſind noch die ſichtbarſten Spuren in
Wien vorhanden, obgleich die beyden neueſten
Regierungen in dieſem Punkt ein anderes Sy-
ſtem aufgenommen haben. Die Denkungsart
des großen Haufens iſt den Prieſtern noch
nicht wieder ſo guͤnſtig, als unter Maria The-
reſia, und er hat die Menge von Vorwuͤrfen
und Laͤcherlichkeiten, womit man ſie in den
erſten Zeiten Joſephs, und mit deſſen Erlaub-
[234] niß uͤberſchuͤttete, noch in zu friſchem Anden-
ken. Dieſer Stand war damals ſo weit her-
unter, daß es an jungen Leuten zu fehlen an-
fing, die ſich demſelben widmen wollten; und
daß man ſpottend ſagte: man wuͤrde noch
Seminariſten wie Rekruten mit Gewalt aus-
heben muͤſſen. Damals wurden auch die Bahrd-
tiſchen Schriften von dem gemeinen Volke hier
ſehr haͤufig geleſen; und ſie gaben einigen
ſchwaͤrmeriſchen Geſellſchaften, in denen der
ſchnelle Uebergang von den roͤmiſchen Lehren
zu den Grundſaͤtzen dieſes, ſelbſt bey Prote-
ſtanten als zu ſtuͤrmiſch betrachteten, Religi-
onsverbeſſerers, ungewoͤhnliche Ueberzeugungen
erweckte, die Entſtehung. Aus einer dieſer
Geſellſchaften ſchien der Schuſter noch zu
ſtammen, der waͤhrend meiner Anweſenheit in
Wien, wegen unkirchlicher Begriffe von der
Gottheit Chriſti, am Pranger ſtand, und von
mehreren alten Muͤtterchen eifrig ausgeſcholten,
von den uͤbrigen (vermuthlich wie er denken-
den) aber faſt oͤffentlich bedauert wurde. Da
[235] Begriffe dieſer Art, unter Joſeph, von man-
chen Predigern ſelbſt waren unterhalten wor-
den, ſo hat man dieſe von den Kanzeln weg-
genommen, um ſo ſorgfaͤltiger, da ſie von
dem Volke fuͤr geſchickte, denkende und ruͤh-
rende Redner gehalten wurden. Die Fruͤchte
ihrer Lehren, ſo wie der freyen Leſerey uͤber-
haupt, zeigten ſich aber dennoch bald nachher,
als ein großer feyerlicher Bittgang anbefohlen
wurde, wo auch der ganze Magiſtrat der Stadt
erſchien, von der Buͤrgerſchaft aber nur ein
auſſrordentlich kleiner Theil ſich einfand.


Der Umtrieb der Wiſſenſchaften iſt nicht
mehr ſo lebhaft, als unter Joſeph und noch
unter Leopold. Unter erſterem hatte die Preſſe
und das Katheder die moͤglichſte Freyheit. Die
Buͤchlſchreiber verbreiteten ſich damals
uͤber jeden Gegenſtand, die Lehrer der hohen
Schule ſprachen freymuͤthig aus ihren Faͤchern,
die Buchhaͤndler brachten Buͤcher aller Art
nach Wien, die Nachdrucker druckten jedes
Buch nach und ſetzten es dadurch mehr in
[236] Umlauf. Seit dem Eintritt der jetzigen Zei-
ten iſt dieſe Freyheit des Leſens und Druckens,
und die Einfuhr der Buͤcher, durch Zoll, Cen-
ſur und gaͤnzliches Verbot, eingeſchraͤnkt worden.


Die Leſerey der Romane, Schauſpiele,
Journale und Zeitungen, die unbedenklich ſind,
iſt aber noch ſtark im Schwunge, und man
findet letztere in allen Kaffeehaͤuſern in großer
Menge. Da in Wien nur Eine Zeitung her-
auskoͤmmt, ſo druckt man fremde ganz oder
im Auszuge nach; eben ſo die neueſten Ritter-
romane, die in ganzen, ſehr baͤndereichen
Sammlungen, unter allgemeinen Titeln, her-
auskommen, und in Wien ſelbſt verbraucht
werden. Das junge Volk der Univerſitaͤt, der
Kaufmanns- und Kraͤmergewoͤlbe, des Schrei-
ber und Bedientenſtandes ꝛc. verſchlingt dieſe
pilzartigen Erzeugniſſe des noͤrdlichen Deutſch-
landes; und ich zweifle, ob in irgend einer an-
dern deutſchen Stadt, unter den gemeinen
Volksklaſſen, die Leſeſucht ſo ſtark um ſich
gegriffen hat, als in Wien.


[237]

Die Nachdrucker im Großen ſind
uͤbrigens jetzt in Wien abgeſtorben. Ungeheure
aber ſchlecht berechnete, Unternehmungen ha-
ben ſie theils geſchwaͤcht, theils ganz zu Grun-
de gerichtet. Das letzte Gluͤck machten die
Troppauer Nachdruͤcke, die Geſchichte,
Geographie und Naturbeſchreibung enthielten,
und in kurzem Vier, nachher aber Sechs und
mehr Tauſend Abnehmer, großentheils in Wien
ſelbſt, fanden. Wenn dieſe Nachdruͤcke uͤber-
haupt den uͤbrigen deutſchen Verlegern und
Gelehrten ſchadeten, ſo nutzten ſie wieder-
um den Einwohnern von Wien und von
Oeſterreich uͤberhaupt, indem ſie dieſe theils
mit manchem Buche bekannt machten, das
ihnen unbekannt geblieben ſeyn wuͤrde, theils
ihnen ganze Sammlungen davon um einen
hoͤchſt billigen Preis verſchafften. Eben dieſe
Nachdruͤcke bewirkten ſchon unter Joſeph, daß
man kleine Bibliotheken mit zum Hausrathe
rechnete, und daß ſelbſt Buͤrger dergleichen
anlegten. Haͤufiger finden ſie ſich noch bey
[238] Leuten, die auf Bildung Anſpruͤche ma-
chen.


Jetzt werden beſonders alte, wiſſenſchaft-
liche Buͤcher zum Kauf ausgeboten, und ihrer
Menge nach zu urtheilen, ſollte Wien eine
littterariſch ſehr fleißige Stadt ſeyn; aber der
Ueberfluß dieſes Artikels iſt nur voruͤbergehend,
und entſteht aus dem Verkauf zweyer alten,
reichlich verſorgten Buchhandlungen, der Graͤf-
ferſchen
und der Großiſchen, deren jetzi-
ger Beſitzer ſich ihrer aͤltern Sortiments- und
Verlags Buͤcher ſaͤmmtlich zu entſchuͤtten ſucht.
Die billigen Preiſe bewegen das hieſige Pu-
blikum, ſich damit zu verſehen; und wenn das
uͤbrige Deutſchland bey Zeiten Nachricht von
dieſem Verkauf erhalten haͤtte, oder wenn die
Fracht nicht ſo hoch zu ſtehen kaͤme, ſo wuͤrde
es ſich wahrſcheinlich aus dieſer Quelle mit
einer Menge großer, ſeltener und ſehr ſchaͤtz-
barer Werke bereichert haben.


Ueberhaupt genommen, muß man den
Wienern eine gewiſſe litterariſche Bildung
[239] nicht abſprechen. Sie haben in jeder Wiſſen-
ſchaft, beſonders in den gruͤndlichen, einige
Hauptkoͤpfe beſeſſen, und beſitzen ſie noch; und
in der Dichtkunſt weiſen ſie Maͤnner auf, die
in die vorderſte Reihe der deutſchen Dichter
gehoͤren. Indeſſen ſind hier, im Ganzen ge-
nommen, gruͤndlichere Kenntniſſe und ein fei-
ner, beſtimmter Geſchmack immer noch Sel-
tenheiten. Ein Mann von mittelmaͤßigem Wiſ-
ſen macht in den Kollegien, an hohen Schulen,
vor den Gerichtshoͤfen, am Krankenbette, auf
der Kanzel ꝛc. hier ungleich groͤßere Figur, als
ein aͤhnlicher in Berlin, Dresden, Jena,
Leipzig, Hamburg, und in andern noͤrdlich-
deutſchen Staͤdten. Ich habe oben den Um-
ſtand, daß Wien uͤberhaupt verhaͤltnißmaͤßig
wenig, und noch weniger gute Schriftſteller
hat, der bequemen Lage ſeiner Gelehrten zu-
geſchrieben, und ſo iſt es; jetzt koͤmmt noch
die große Beſchraͤnktheit der Preſſe dazu; aber
waͤren dieſe aͤußeren Hinderniſſe auch nicht,
wollten auch dieſe Gelehrten ſchreiben, ſie wuͤr-
[240] den es auf eine ausgezeichnete Weiſe kaum
koͤnnen, wenn ſie nur des gewoͤhnlichen Schul-
und Univerſitaͤtsunterrichts genoſſen haͤtten, und
nicht, wie diejenigen, die in Wien wirklich
vortrefflich geſchrieben haben und noch ſchrei-
ben, durch Genie, oder durch Reiſen, oder
durch ungewoͤhnliche gluͤckliche Umſtaͤnde, un-
terſtuͤtzt worden waͤren. Die ganze Art, die
Wiſſenſchaften zu treiben, beguͤnſtigt in der
That, vom erſten Schulunterricht an, eine
gewiſſe Fluͤchtigkeit und Einſeitigkeit. Die Ge-
ſchichte, die Philoſophie, die Rechtsgelahrtheit,
ja, ſogar einige Theile der Naturlehre muͤſſen
dieſe Einſeitigkeit fuͤhlen, da ſie in ſo vielen
Punkten das roͤmiſche Bekenntniß beruͤhren,
das man jetzt in ſeiner alten Unbiegſamkeit
wieder herſtellen zu wollen ſcheint, und das
Joſeph in der That nur deshalb ausſchnitt,
damit die Zweige anderer nuͤtzlichen Baͤume
Luft erhalten ſollten. — Ueberhaupt ſcheint die
Einrichtung der oͤſterreichiſchen Univerſitaͤten
nur auf Bildung kuͤnftiger Staatsbeamten
be-
[241] berechnet, aber fuͤr die Erweckung und Ausbil-
dung eigentlicher Gelehrten, unzulaͤnglich zu
ſeyn. Auch denkt ſelten ein junger Menſch
daran, die Wiſſenſchaften ihrer ſelbſt wegen
zu ſchaͤtzen und zu uͤben; er macht ſeinen Lehr-
lauf, um ein Zeugniß zu erhalten, daß er ihn
gemacht hat, und um ſodann ſein Brot zu
finden. Das uͤbrige kuͤmmert ihn nicht. Auf
den proteſtantiſchen hohen Schulen iſt dieß
wohl auch der Fall, aber er iſt es nicht ſo all-
gemein. Man kann die dort gezogenen be-
ruͤhmten Schuͤler beruͤhmter Lehrer gewiſſer
Faͤcher in Menge nennen. Wem faͤllt hier
nicht Goͤttingen, Jena und Halle ein; wer
koͤmmt hier nicht auf den Gedanken, daß die
Wiener Univerſitaͤt nuͤtzlicher werden wuͤrde,
wenn ſie ſich dieſen Muſtern naͤherte, als
wenn ſie ſich, wie es jetzt das Anſehen ge-
winnen will, in entgegengeſetzter Richtung von
denſelben entfernet?


Doch dieſe Maßregel iſt gewiß nur fuͤr die
laufende Zeit, und wird nur ſo lange dauern,
Sechstes Heft. Q
[242] als man einer gefuͤrchteten Gefahr zuvor kom-
men zu muͤſſen glaubt. Gewiſſe politiſche Ein-
richtungen, die einen auffallenden Einfluß auf
die Gemuͤthsart der Einwohner von Wien ge-
habt haben, werden ebenfalls nur ſo lange
dauern. Die treuen Wiener werden, unter
einem von Natur ſo ſanftem und liebenswuͤr-
digem Oberherrn, ihre vorige Zutraulichkeit,
Offenheit, Harmloſigkeit, Geſelligkeit und
Gaſtfreundſchaftlichkeit zuruͤckerhalten: Tugen-
den, die ihren Charakter jedem, der mit ih-
nen lebte, ſo liebenswuͤrdig, und empfehlungs-
werth machten.



Nach einem Aufenthalt von vier Wochen
reiſ'te ich den 2ten September von Wien ab.
Der Weg fuͤhrte durch die Vorſtadt, die
Wieden
. Die aͤußerſten Enden dieſer Vor-
ſtadt haben ſehr kleine, unanſehnliche Haͤuſer,
die groͤßeſtentheils mit Schindeln gedeckt ſind.
[243] Sobald man ſich außerhalb der Lienien der
Stadt befindet, bietet ſich eine ausgebreitete
Ausſicht dar, die rechts von Bergen beſchraͤnkt,
und vorwaͤrts von Bergen umzogen iſt, links
aber uͤber eine unabſehliche Flaͤche ſich erſtreckt.
Am Fuße und am Abhange der Berge zur
Rechten liegt Flecken an Flecken, Dorf an
Dorf, unter denen die durch ihre vorzuͤgli-
chern Weine beruͤhmten Grimzing, Brunn
Medling u. a.
ſind. Ungefaͤhr eine halbe
Stunde von Wien befindet man ſich auf einer
Anhoͤhe (der Wiener Berg genannt) die mit
einer gothiſchen, durchbrochenen Spitzſaͤule be-
ſetzt iſt, und von welcher herab man die ganze
ungeheure Haͤuſermaſſe von Wien, alle Vor-
ſtaͤdte, die kaiſerlichen Luſtſchloͤſſer, Schoͤn-
brunn und Laxenburg, und eine Menge von
Landhaͤuſern noch einmal mit einem Blick um-
ſpannt. In der That, eine Anſicht, die we-
nig Staͤdte in dieſer Ausdehnung gewaͤhren.
Von da geht es maͤhlig bergab, man naͤhert
ſich den Bergen zur Rechten mehr und verliert
Q 2
[244] die vorwaͤrts liegenden auf eine Meile aus den
Augen. Je naͤher man den Bergen koͤmmt,
deſto mehr entwickelt ſich zu ihren Fuͤßen das
Gewimmel der Doͤrfer. Dieſe nehmen ſich
wie Staͤdtchen aus, und ſchließen zum Theil
Haͤuſer ein, deren ſich Wien ſelbſt nicht zu
ſchaͤmen brauchte. Weingarten ſtoͤßt an Wein-
garten, und die Berge ſind, bis zu ihrer
Mitte hinan, dicht damit beſetzt.


Neudorf, die naͤchſte Poſt (2 M.) iſt ein
heiterer Flecken, wo ich nicht zehn Minuten
auf Pferde zu warten brauchte. Beym Aus-
gange aus demſelben koͤmmt man eine Anhoͤhe
hinan. Die Berge zur Rechten zeigen ſich
dem Auge immer hoͤher, und ſteigen in der
Ferne zu einem Gebuͤrge der dritten Ordnung
empor. Die Gegend ſelbſt, durch die der
Weg geht, bleibt immer noch ſo flach, als
vorher, bis Guͤnſelsdorf, dem naͤchſten
Poſtwechſel. (2 M.) An beyden Seiten ver-
raͤth ſich durch die Graben, die neben der
vortrefflichen Straße hinlaufen, ein trockener,
[245] kalkigter Grandboden mit Granit- und Quarz-
Stuͤcken untermengt, der kaum einen halben
Schuh hoch Dammerde uͤber ſich hat, und
deshalb den Anblick der Fruchtbarkeit nicht ge-
waͤhrt. Auch hebt hier die Neuſtaͤdter
Haide
an.


Von Guͤnſelsdorf aus wird dieſer Bo-
den noch trockner und kaum iſt der Kalkſchutt
mit vier Zoll Dammerde belegt. Das Land
iſt ein kahler Anger, der nur ſtellenweiſe zu
Ackerland genutzt wird. Rechts, nach dem
Gebirge zu, erhaͤlt ſich das Erdreich noch
fruchtbar und iſt, bis zur Haͤlfte der Berge
hinan, mit Reben beſetzt. Drey Viertelſtun-
den vor Wieneriſch-Neuſtadt tritt man
in Thereſienfeld ein. Es iſt ein offenes,
niedliches Dorf, das aus zwey Reihen Haͤu-
ſern beſteht, einen Stock hoch und jedes mit
einem Gaͤrtchen umgeben, welches, ſo wie die
dazu gehoͤrige Scheune und Stallung, mit
artigen Stacketen umſchloſſen und mit Baͤu-
men, beſonders mit italieniſchen Pappeln, rund
[246] umher beſetzt iſt. Ich zaͤhlte dieſer Haͤuſerchen
zwey und ſechszig. In der Mitte liegt eine
artige Kirche, und im Hintergrunde ragt Wie-
neriſch-Neuſtadt
, als ob es unmittelbar
daran ſtieße, mit einigen Thuͤrmen hervor.
Keine dieſer kleinen Wirthſchaften zeigte Ver-
fallenheit und Unſauberkeit, doch war, nach
Maßgabe des Wirths, das eine immer netter,
als das andere. Maria Thereſia, die
uͤberhaupt viel auf den Anbau dieſer Haide
gewandt hat, errichtete dieſe kleine Anſiede-
lung und bevoͤlkerte ſie anfangs mit ausge-
wanderten Landleuten aus Schwaben und Ty-
rol; da ſich aber dieſe nicht halten konnten
und nach und nach ihr Haabe verließen, ſo
verſchenkte ſie die einzelnen Wohnungen an
ausgediente Officiere, die, da ſie meiſt eine
kleine Baarſchaft anlegen konnten, das Ganze
in den Zuſtand ſetzten, worin es ſich noch be-
findet.


Wieneriſch-Neuſtadt (2 M.) iſt eine
Stadt der vierten Ordnung, mit Wall und
[247] Graben umgeben, gut gebauet im Ganzen,
ſtark bewohnt und ſehr nahrhaft. Die Ein-
wohner treiben einen ſtarken Handel mit Ge-
treide nach Inneroͤſterreich und ſelbſt nach
Italien, und einen nicht minder ſtarken mit
Stahl und Eiſen nach Unter- und Ober-Oe-
ſterreich und Ungarn. In und bey der Stadt
ſind mehrere Fabriken und Manufakturen.


In dem hier befindlichen Schloſſe hat noch
Maria Thereſia eine Lehranſtalt fuͤr junge
Edelleute errichtet. Das Lokale iſt vortrefflich,
die innere Einrichtung ſehr bequem. Die
Wohn- Schlaf- Lehr- und Eßſaͤle ſind hell,
gut geluͤftet und geraͤumig. Ein weitlaͤuftiger
Garten dient den jungen Leuten zur Erholung
und den Einwohnern der Stadt zum Spatzier-
gange. Der General, Graf von Kinsky, iſt Auf-
ſeher dieſes Hauſes.


Um die Stadt erheben ſich links und rechts
Berge, an deren Fuße ſie aus der Ferne zu
liegen ſcheint; aber ſie ſind noch weit genug
davon entfernt: denn man faͤhrt eine ganze
[248] Poſt, bis Neuenkirchen (2 M.) ehe man
an den Abhang derſelben gelangt. Der Weg
bleibt, wie auf dem vorigen Poſtlaufe, ein
trefflicher Straßendamm, und der Boden be-
ſteht immer noch aus Sand- und Steinge-
ſchieben. Die Gegend iſt hier ſo flach, daß
man in einer Entfernung von 1½ Meile Neu-
ſtadt noch hinter ſich ſehen kann.


Mit Neuenkirchen, das uͤbrigens ein gut
gebauetes Dorf iſt, ſetzt ſich der Boden ſehr
ſichtbar um, und naͤhrt Getreide und Gras
in großer Fruchtbarkeit. Mehrere Quellen und
Waͤſſerchen, die aus dem Gebuͤrge herabkom-
men, veranlaſſen dieſe Veraͤnderung, deren
Wirkungen ſich bis Schottwien, der naͤch-
ſten Poſt (2 M.) erſtrecken. Man iſt jetzt in
die Berge hineingetreten. Sie erheben ſich
nach und nach und bilden mannichfaltige Thaͤ-
ler und Schluchten, die den Getreide- und
Wieſenbau ſehr beguͤnſtigen. Schottwien, ein
Flecken, iſt hart an dem Fuße des hohen Ber-
ges, der Semmering genannt, gelagert.
[249] Bis hieher hat die Straße beſtaͤndig am Fuße
der Berge hingefuͤhrt, jetzt laͤuft ſie uͤber den
Gipfel dieſes. Sie iſt vortrefflich in ihrer Art,
und ein Denkmal Karls VI, der ſie mit
großen Koſten anlegen, ausfuͤllen, Anhoͤhen
abtragen und an den gefaͤhrlichern Stellen
Bruſtwehren ſetzen ließ. Sie windet ſich jetzt
in maͤßigen Abſaͤtzen bis zu einer Hoͤhe hinan,
welche die Hoͤhe des Steigers vor Jena vier
bis fuͤnfmal uͤbertrifft. Auch braucht man uͤber
zwey Stunden, um auf dieſelbe zu gelangen.
Dort iſt auch der Graͤnzſtein zwiſchen Oeſter-
reich und Steyermark. Uebrigens iſt dieſer
Berg durchaus mit maͤchtigen Fichten und
Tannen beſetzt, und gewaͤhrt, an lichtern
Stellen, eine der weitlaͤuftigſten Ausſichten.


Der naͤchſte Poſtwechſel iſt in Maͤrzzu-
ſchlag
(3 M.) dem erſten Steyeriſchen Markt-
flecken, der nicht uͤbel gebauet und ſeiner Ei-
ſenwerke wegen ziemlich nahrhaft iſt. Eine
Senſen- und Weißblech-Fabrik beſchaͤftigen
viele Haͤnde und verarbeiten jaͤhrlich einen
[250] anſehnlichen Betrag an Stahl und Ei-
ſen.


Von Maͤrzzuſchlag aus ſteigt man in ein
koͤſtliches Thal hinab, das Maͤrzthal genannt.
Es iſt auf beyden Seiten von betraͤchtlichen
Bergen eingeſchloſſen. Die Maͤrze giebt ihm
den Namen. Dies iſt ein lebhaftes Waſſer,
ſehr reich an Forellen, aber noch nuͤtzlicher
dadurch, daß es die zahlreichen Hammerwerke
dieſes Thales in Bewegung ſetzt und die Wie-
ſen befruchtet. Das Thal ſelbſt zieht ſich uͤber
die Doͤrfer und Poſten Krieglach (2 M.)
und Maͤrzhofen (2 M.) bis Bruck an
der Muhr
(2 M.) und bleibt ſich vom An-
fange bis zu Ende in ſeiner Fruchtbarkeit und
Lieblichkeit gleich. An beyden Seiten der
Maͤrze laufen die lachendſten Wieſen hin, die
durch zahlreiche Schoͤpfraͤder gewaͤſſert werden.
Hoͤher hinauf ſieht man Ackerland, das mit
Fleiß beſtellt iſt und die Berge, zum Theil
bis zu ihren Gipfeln, mit uͤppigen Saaten
bedeckt. Der Raum, den das Ackerland ein-
[251] nimmt, wird mit jedem Jahre groͤßer, weil
es dem Landmann erlaubt iſt, ſo viel Land
urbar zu machen, als er beſtellen kann. Doch
iſt er dabey auf diejenigen waldigten Stellen
eingeſchraͤnkt, die mit duͤnnen und niedrigen
Stauden und mit Laubholz beſetzt ſind. Die
Art, wie dieſe Urbarmachung geſchieht, iſt
hier ſehr einfach. Der Landmann hauet das
Holz im Fruͤhjahre um, ſchafft die ſtaͤrkern
Stauden als Brennholz nach Hauſe, und die
geringern, nebſt den Wipfeln, Aeſten und
Zweigen, laͤßt er zerſtreuet liegen und den
Sommer uͤber recht austrocknen. Im Spaͤt-
jahre zuͤndet er ſie an, verbrennt ſie, breitet
die Aſche auf der ganzen Strecke gleichmaͤßig
aus und hackt ſie ſodann unter, weil er ſich,
der ſtehen gebliebenen Struͤnke wegen, keines
Pfluges bedienen kann. So hat er ſeinen
neuen Acker zugleich auf zwey bis drey Jahre
geduͤngt und dieſer giebt einen verhaͤltnißmaͤßi-
gen Ertrag, der ihn fuͤr ſeine Muͤhe belohnt.
Eben ſo duͤngt man hier auch haͤufig die Wie-
[252] ſen mit Aſche von Raſen, den man ſtoßweiſe
verbrennt und ſodann uͤber dieſelben ver-
ſtreuet.


An beyden Seiten der Maͤrze liegen meh-
rere Doͤrfchen, Hoͤfe und einzelne Haͤuſer, die
viel Ordnung und Wohlhabenheit verrathen.
Sie ſind ſorgfaͤltig umzaͤunt und haben wohl-
beſtellte Gaͤrten um und neben ſich. Von
Steinen ſind ſie nicht mehr, wie in Oeſterreich,
ſondern von Schrotwerk, mit vorſtehenden
Giebeln.


Die Viehzucht iſt eine der ergiebigſten Er-
werbsquellen dieſes Thales. Das Hornvieh iſt
ſchoͤn, die Pferde ſind von ungewoͤhnlich ſtar-
kem Bau, die Schaafe zartwolligter, als man
ſie in Oeſterreich findet.


Ueberhaupt glaubt man ſich, beym Durch-
gange durch dieſes ſchoͤne Thal, in einem gro-
ßen engliſchen Garten zu befinden, den die
Natur anlegte, und der durch Menſchenhaͤnde
unterhalten und befruchtet wird. Wenn man
an dem Abhange der Berge, an ihrem Fuße,
[253] und in den Niederungen zwiſchen ihnen, frucht-
bare Felder und lachende Wieſen erblickt, ſo
ſieht man wiederum auf ihren Gipfeln, zwi-
ſchen maͤchtigen Fichten und Tannen, von
Strecke zu Strecke, bald Kapellen, bald Luſt-
haͤuſer, bald die Truͤmmer einer alten Burg;
hat man hieran das Auge geweidet, ſo ſenkt
es ſich herab auf die ſchwarzen Wohnungen
und Werkſtaͤtten der Eiſenarbeiter, die durch
ihr Geraͤuſch und gewaltſames Pochen den
Charakter ihrer Arbeiten ankuͤndigen, und wen-
det man den Blick von dieſen, ſo faͤllt er auf
die friedlichen Wohnungen, die am Wege liegen,
und ein ſtilles Voͤlkchen von Hirten und Land-
leuten einſchließen. Die Maͤrze ſchlaͤngelt ſich
immer noch neben einem her, in Windungen,
die ihr die Wurzeln der Berge, an denen ſie
hinfließt, vorſchreiben, oder die ihr der Kunſt-
fleiß der Menſchen, die ihrer beduͤrfen, ange-
wieſen hat, bis ſie ſich endlich, rechts, gegen
Bruck zu wendet und ſich in die Muhr verliert.
Zugleich verengert ſich das Thal, und der her-
[254] vortretende Berg, worauf die alte Burg von
Bruck nur noch mit einer halben Ringmauer
ſteht, verſchließt es endlich ganz. Man faͤhrt
um denſelben herum und iſt in Bruck.


Dieſes Staͤdtchen fand ich in einem trauri-
gen Zuſtande. Es war ein Jahr vorher bis auf
einige Haͤuſer ganz abgebrannt, und nur die
Mauern waren ſtehen geblieben. Jetzt arbei-
tete man ſie wieder her zu ſtellen. Bruck ent-
hielt ſonſt drittehalb hundert Haͤuſer und ſeine
Einwohner waren wohlhabend. Sie trieben
einen nicht unbetraͤchtlichen Zwiſchenhandel mit
Eiſen und Getreide, gewannen durch Vorſpann,
und, da hier die beyden Straßen nach und
aus Italien zuſammen treffen, ſo bot ſich
ihnen noch mancher andre Erwerbszweig
dar.


Von Bruck aus faͤhrt man in dem engern
Thale, das die Muhr durchfließt, weiter. Man
koͤmmt uͤber dieſen Fluß, ſobald man zur Stadt
hinaus iſt, linker Hand mittelſt einer Bruͤcke.
Nach einer Weile erweitert ſich das Thal;
[255] man faͤhrt etwas bergan und behaͤlt dann die
Muhr rechts zu ſeinen Fuͤßen, waͤhrend die
Anhoͤhen auf beyden Seiten, wie auf den vo-
rigen Stationen, fleißig bebauet, und an ihren
Abhaͤngen, mit Doͤrfern, einzelnen Haͤuſern
und Kirchen beſetzt, ſtellenweiſe aber auch kahl
und ſchroff, bis nach Leoben, dem naͤchſten
Poſtwechſel, (2 M.) fortlaufen. Dies Staͤdtchen
liegt ſehr angenehm hart an der Muhr, und ein
Theil deſſelben erhebt ſich amphitheatraliſch.
Wenn man hineinfaͤhrt, behaͤlt man links ne-
ben ſich eine Anhoͤhe, die mit einer Kirche und
einem Kloſter beſetzt iſt, und von da herab
gelangt man in die Stadt, die nach Art der
kleinen Staͤdte in Baiern und im Salzburgi-
ſchen gebauet iſt und einen geraͤumigen Markt-
platz, in Geſtalt eines laͤnglichen Vierecks, be-
ſitzt. Dies Staͤdtchen iſt uͤbrigens gut be-
wohnt und nahrhaft. Es treibt einen betraͤcht-
lichen Handel mit Eiſen, welches aus den
nahe gelegenen großen Eiſenwerken zu Vor-
dernberg
und Eiſenerz gezogen wird.


[256]

Von Leoben bis Kraubath, der naͤchſten
Poſt (2 M.), muß man abermals uͤber die
Muhr, weil Leoben ganz von derſelben um-
ſchloſſen wird. Man faͤhrt ſodann, weil das
Thal nun ganz zuſammen tritt, einen Hohl-
weg, der von Laubholz uͤberſchattet wird, hin-
an, und ſieht von oben herab das Thal, durch
das man kam, zu einem ausgebreiteten Keſſel
erweitert, durch welchen die Muhr jetzt zur
Linken herabſtroͤmt, waͤhrend man rechts, an
dem abhaͤngigen Ufer derſelben, an einem
ſchwachen Gelaͤnder hinfaͤhrt und neben ſich
hoͤhere Berge, als vorher, die aus einem
weichen, marmorartigen Kalkſtein beſtehen,
drohend uͤber den Scheitel hat. So geht der
Weg, unter mancherley Kruͤmmungen, deren
jede eine andere anmuthige oder wilde Anſicht
gewaͤhrt, bis Kraubath, einem unbedeutenden
Dorfe, fort.


Ich darf hier nicht vergeſſen zu bemerken,
daß gerade um die Zeit, als ich durch das
Maͤrzthal, und von Muhr aus, durch dies
zweyte
[257] zweyte fuhr, ſich beyde in ihrer anziehendſten
Geſtalt zeigten. Im Fruͤh- und Spaͤt-Jahr
iſt es freylich ganz anders. In jenem liegt
der Schnee noch ſpaͤt auf den Bergen, und in
dieſem zeigt er ſich ſchon ſehr fruͤh. Das Ge-
treide wird im Wuchſe ſehr verſpaͤtet. Jetzt
erſt war man im Begriff, den Hafer einzu-
fahren und die Wieſen zu maͤhen. Wein waͤchſt
gar nicht darin, und das Obſt geraͤth ſelten,
und iſt ſauer. Da hat man alſo auch die
Kehrſeite dieſer Thaͤler, wie jedes andere Ding
in der Natur ſie darbietet.


Von Kraubath reiſ'te ich auf Knittelfeld
(2 M.). Der Weg, der am linken Ufer der
Muhr nach Kraubath hinauf gefuͤhrt hatte,
ſenkte ſich, gleich hinter dieſem Dorfe, von
neuem in das Muhrthal hinab, und dieſes er-
ſchien abermals in einer neuen Geſtalt. Es
war merklich verengert und auf beyden Seiten
des Fluſſes mit den fruchtbarſten Wieſen uͤber-
zogen, die zum zweytenmal gemaͤhet wurden;
nur an wenig Stellen zeigte ſich etwas Acker-
Sechstes Heft. R
[258] land, das bis zur Haͤlfte des Berges hinan
ſtieg. Die ſuͤdliche Seite bildeten lauter gleich-
ſam prismatiſch abgeſchliffene Berge, deren
ſpitze Winkel einander entgegen ſtanden, und
zwiſchen denen mehrere kleine Thaͤler hinein-
liefen. Auf dieſer Seite ſtand auch faſt lauter
Laubholz, waͤhrend auf der gegenuͤberliegenden
ſchwarzes Nadelholz ſich bis zu den Gipfeln der
Anhoͤhen hinanzog. Die Muhr hielt ſich immer an
der mittaͤgigen Seite, bis zu dem Dorfe Lauren-
zen, wo eine Bruͤcke uͤber dieſelbe fuͤhrte, und
das Thal ſich zugleich in eine weite Flaͤche aus-
dehnte, deren Hintergrund durch dreyfach in
Terraſſen emporſteigende hoͤhere Berge be-
ſchraͤnkt wurde, an welchen Knittelfeld, ein
unſauberer, finſterer Marktflecken liegt, zu
dem man, wenn man noch einmal uͤber die
Muhr geſetzt hat, erſt gelangt. Jene Flaͤche
theilt ſich nun zur Linken und Rechten in zwey
Arme ab, von welchen man den zur Rechten
einſchlaͤgt, um nach der naͤchſten Poſt, Ju-
denburg
, (2 M.) zu gelangen.


[259]

Es war halb acht Uhr Abends, als ich
dahin abreiſ'te. In den vorhin erwaͤhnten
Bergen hing ein Gewitter, das ſchon unter-
weilen blitzte, und in welches ich gerade hin-
einfuhr. Die naͤchſte Folge davon war eine
ungewoͤhnliche Finſterniß, die ſchon um acht
Uhr ſo ſtark wurde, daß ich nicht drey Schritt
um mich ſehen konnte. Das Gewitter ging
voruͤber, aber der ganze Himmel blieb dicht
bezogen, und ſo mußte ich, wie ein Blinder,
uͤber die anmuthigſten Felder und durch die
Doͤrfer und Flecken der ſchoͤnſten Flaͤche in
Oberſteyermark, das Eichfeld genannt, hin-
reiſen, ohne etwas darin geſehen zu haben,
als einzelne Lichterchen die bis nach zehn Uhr
nahe und ferne um mich her ſchimmerten. So
kam ich auch uͤber Judenburg, von da uͤber
Unzmarkt (3 M.) beyde nicht unbetraͤchtliche
Staͤdtchen. Von Unzmarkt aus fuͤhrte der
Weg wechſelsweiſe bergan und bergab, und
dies erinnerte mich, daß ich nun uͤber die
Berge ſelbſt hinein muͤßte, da ich bis jetzt nur
R 2
[260] immer in Thaͤlern, am Fuße derſelben, gereiſ't
war. Wirklich erblickte ich, als der Tag an-
brach, nichts als Berge von der dritten Ord-
nung um mich her, uͤber die ich hinauf und
hinunter mußte, die aber ſaͤmmtlich theils mit
Laubholz beſetzt, theils zu Ackerland angebauet
waren. So fuhr ich nach Neumarkt, dem
naͤchſten Poſtwechſel (3 M.) hinunter. Dies
iſt ein unanſehnlicher, kleiner Flecken, mit ei-
nem alten Schloſſe auf einem einzelnen, ſchma-
len, abſchuͤſſigen Berge, das den Anblick eines
altmodiſchen Koffers giebt. Es iſt ſchon laͤngſt
nicht mehr bewohnt. Von Neumarkt bis Frie-
ſach
, der naͤchſten Poſt (2 M.) dauert der
Weg noch eine kleine Strecke ſo fort, wie
vorhin, ſodann faͤhrt man auf einmal in eine
enge Schlucht zwiſchen rauhen Bergen hinab.
Links hangen einem die Bergmaſſen uͤber dem
Haupte, und rechts rauſcht ein ziemlich ſchnel-
ler Bach, die Metnitz, die mit einem ſehr
aͤrmlichen Gelaͤnder eingeſchloſſen iſt, hinunter.
Die Berge ſind Schiefer, eine Steinart, die
[261] ich hier das erſtemal zu Tage liegend bemerk-
te, obgleich es gewiß iſt, daß alle die Huͤgel,
vor denen ich, von Schottwien aus, vorbey
kam, ebenfalls auf Schiefer aufgeſetzt ſind.
Die hieſigen waren theils ganz ſchroff und
rauh, theils mit Nadelholz bewachſen. Kein
Fleckchen zu einer Wieſe war dieſen wilden
Bergen abzugewinnen geweſen, kein Huͤttchen,
kein Menſch, kein Thier fand ich auf dem
Wege. Endlich, nach einer Fahrt von drey
Viertelſtunden, fing dieſe Hoͤhlung an, ſich zu
einem Thale zu erweitern, das ungefaͤhr zwey
hundert Schritte breit ſeyn konnte. Sogleich
erſchienen einzelne kleine Wieſenplaͤtze, und ein-
zelne aͤrmliche Huͤtten. Naͤher an Frieſach
dehnte es ſich noch weiter aus, und hier ge-
winnt man den Bergen ſchon Ackerland ab,
das mitten unter herabgerollten Wacken beſtellt
wird. In der Niederung erſchienen fruchtbare
Wieſen und ein paar Doͤrfchen, die aber einen
ziemlich traurigen Anblick gaben. Man faͤhrt
[262] hier uͤber die Graͤnze zwiſchen Steyermark
und Kaͤrnthen.


Die Anſicht von Frieſach wird durch die
Truͤmmern von zwey alten Burgen gehoben.
Die vorderſte ſteht auf einem kleinen Berge,
eng zuſammengeſchroben, und noch ziemlich
erhalten; die hintere, die zunaͤchſt uͤber der
Stadt liegt, hat nur noch eine Ringmauer.
Frieſach ſelbſt giebt, wenn man hineinkommt,
einen finſteren und unreinlichen Anblick, und
mag etwas uͤber hundert und funfzig Haͤuſer
haben, unter denen ich ſieben bis acht gang-
bare und ungangbare Kirchen zaͤhlte Ich ver-
muthe, der Haͤuſer wuͤrden mehr ſeyn,
wenn der Kirchen weniger waͤren. Aber das
Staͤdtchen gehoͤrt einem Erzſtifte, naͤmlich dem
von Salzburg. Auch hat es vom Feuer gelit-
ten, und von Moͤnchen leidet es noch alle
Tage.


Wenn man zur Stadt hinausfaͤhrt, ſieht
man noch eine Kirche, hoch auf einer Anhoͤhe
[263] gelagert, die aber alt und verfallen iſt; dafuͤr
findet man einige Schritte weiter am Wege
eine ganz neue, die nicht zu verfallen droht.


Das erwaͤhnte Thal dauert noch fort, nur
daß es, gleich hinter Frieſach, ſich rechts wen-
det und immer weiter und fruchtbarer wird.
Der kleine Bach, der mich von Neumarkt aus
begleitete, wird hier durch einen groͤßern erſetzt.
Die Berge zur Linken und Rechten ſind zum
Theil bis an den Gipfel zu Ackerland genutzt
und ſtreckenweiſe mit Landhaͤuſern, Kapellen,
Schloͤſſern und weiterhin gar mit einem gan-
zen Marktflecken, Altenhofen, der Truͤm-
mer einer alten Burg neben ſich hat, beſetzt,
waͤhrend in der Niederung mehrere Hammer-
werke und Schmelzhuͤtten, die zu den reichſten in
Kaͤrnthen gehoͤren, arbeiten. Auf der rechten
Seite koͤmmt man vor einem artigen Luſtſchloſſe
des Fuͤrſtbiſchofs von Gurk und Straßburg
vorbey. Nicht weit davon dehnt ſich das
Thal noch weiter, und zwar in einen Keſſel,
aus, in deſſen Mitte einige kleinere Huͤgel
[264] hervortreten, uͤber die hinab man mehrere
Thurmſpitzen und ein paar ſehr anſehnliche
Schloͤſſer erblickt. Hier zieht ſich der Weg
links herum, man faͤhrt uͤber den Fluß, den
man bisher auf der linken Seite hatte, und
geraͤth ſodann in eine Gruppe von Anhoͤhen,
die, wie die dazwiſchen liegenden Thaͤler, ſehr
angenehm, und ſehr ſorgfaͤltig angebauet ſind.
So faͤhrt man vollends nach St. Veit, dem
naͤchſten Pferdewechſel (3 M.) hinein. Dieß
Staͤdtchen fernt nicht, weil es ganz auf ebe-
nem Boden liegt. Es hat einen Stadtgraben
und eine Mauer, beyde ſehr alt, wie die um
Frieſach. Die Haͤuſer in der Stadt ſelbſt ſind
von Stein, aber mit Holzſchindeln gedeckt.
Die Straßen ſind breiter und ſauberer, als
die von Frieſach, auch lebhafter, und die Ein-
wohner wohlhabender. Hier iſt die Hauptnie-
derlage fuͤr die umliegenden Eiſenwerke, deren
Waaren von hier aus groͤßeſtentheils nach
Italien gehen.


[265]

Von St. Veit fuͤhrt der Weg abermals
uͤber kleine Anhoͤhen und durch Thaͤler, wie
auf der vorigen Station, nur daß letztere
weitlaͤuftiger und erſtre immer niedriger und
ſeltner werden. Man koͤmmt darauf uͤber eine
weitlaͤuftige, duͤrre, wenig angebauete Ebene,
die das Saler Moos, auch das Sal- oder
Zollfeld genannt wird, wo man nahe an
der Straße einen Stein ſieht, der in der
Form eines plumpen Lehnſtuhls ausgehauen
iſt, auf welchem in vorigen Zeiten die Ober-
haͤupter von Kaͤrnthen, unter laͤcherlichen Ge-
braͤuchen, gekroͤnt wurden und die Huldigung
des Volks empfingen. Hier finden ſich auch
in einer kleinen Kapelle mehrere Leichenſteine,
Muͤnzen und allerley Geraͤthſchaften aufbe-
wahrt, von denen man muthmaßt, daß ſie
Ueberbleibſel einer alten roͤmiſchen Stadt waͤ-
ren, uͤber deren Namen man nicht einig iſt,
die aber mehrere Jahrhunderte in dieſer Ge-
gend geſtanden, und die endlich Attila zer-
ſtoͤhrt haben ſoll.


[266]

Klagenfurt, *) die Hauptſtadt von
Kaͤrnthen, wo ſich die naͤchſte Poſt (2 M.)
befindet, liegt in einer betraͤchtlichen Flaͤche, die
in der Ferne rund herum mit Anhoͤhen von der
Art umgeben iſt, wie ſie ſeit Frieſach beſtaͤn-
dig um mich geweſen waren. Mehrere nicht
unbetraͤchtliche Thuͤrme geben dieſer Stadt
von weitem ein neues heiteres Anſehen, das
ſich vermehrt, wenn man in dieſelbe hineintritt.
Die Straßen ſind geraͤumig, ziemlich gut ge-
pflaſtert und ſchnurgerade, die Haͤuſer groͤße-
ſtentheils zwey, manche drey Geſchoſſe hoch,
weiß abgeputzt und mit ſaubern gruͤnen Ja-
louſien verſehen; die Kirchen meiſt ziemlich
neu, oder wenigſtens neu verziert; ein paar
oͤffentliche Gebaͤude von Umfang und mehrere
ſehr lange Privathaͤuſer, Edelleuten aus den
umliegenden Gegenden zugehoͤrig, zeichnen ſich
ſehr aus, und das Ganze hat ungefaͤhr den
[267] Anblick von Bayreuth, abgerechnet, daß die
hieſigen Haͤuſer Schindeldaͤcher haben und nicht
von Sandſteinquadern erbauet ſind. Dagegen
ſind hier wiederum auf jedem nur etwas be-
traͤchtlichen Hauſe Gewitterableiter.


Die Stadt hat mehrere geraͤumige oͤffent-
liche Plaͤtze, z. B. den alten und neuen
Platz
, den Geiſtplatz, den Heuplatz und
ein paar andere, die minder geraͤumig ſind.
Der alte Platz ſtoͤßt an die anſehnlichſten
Straßen in Klagenfurt und hat in ſeiner Mitte
eine artige, mit vieler Leichtigkeit ausgefuͤhrte
Saͤule von Tyroler Marmor, auf welcher das
verklaͤrte Bildniß des heil. Nepomuk befindlich
iſt. Sie ſteht uͤber einem Roͤhrbrunnen, der
durch eine laͤcherliche Verzierung, zwey Loͤ-
wen
darſtellend, die Waſſer ſpeyen, die
gute Wirkung der Saͤule ſtoͤhrt. Ich erinnerte
mich dabey des aͤhnlichen Einfalls zu Lazien-
ka
bey Warſchau, wo, an der vordern Seite
des Gartentheaters, ebenfalls zwey große Loͤ-
wen ein paar Waſſerſtrahlen ausſchießen. Nichts
[268] waͤre doch natuͤrlicher, als daß man Waſſer-
thiere zu dieſer Beſtimmung waͤhlte.


Wie dieſer alte Platz, ſo ſind auch die
uͤbrigen mit Denkmaͤlern geziert. Auf dem
neuen Platze ſind deren drey. Erſtlich, Maria
Thereſia, in moderner Tracht, mit einem ſtei-
fen Reifrocke voll gothiſcher Falten, wenn ich
nicht irre, in Bley gegoſſen. Hinter ihr ſteht
eine Fama, die ihr eine Krone aufſetzt, und
zwar auf einem derben eiſernen Pfahle, wel-
cher der guten Kaiſerin aus dem Ruͤckgrade
hervorwaͤchſt, und deſſen Unſchicklichkeit durch
nichts bedeckt wird. Zweytens ein Roͤhrkaſten-
ſtuͤck: ein langes, dickes Ungeheuer, der Him-
mel weiß, aus welchem Element, von Stein
das den Rachen, worin gewaltige Zaͤhne ſtehen,
weit aufreißt, um einen kleinen Waſſerſtrahl
heraus zu laſſen und einer rieſenhaften maͤnn-
lichen Figur, die zwar mit einer ſtachlichten
Keule bewaffnet und mit einer Loͤwenhaut be-
haͤngt, aber darum doch kein Herkules iſt,
entgegen zu ſpritzen. (Dies iſt uͤbrigens das
[269] Wahrzeichen und Wappen der Stadt) Drit-
tens, eine Marienſaͤule, bey Gelegenheit einer
Verjagung der Tuͤrken errichtet und in ſpaͤtern
Zeiten, wie die Innſchrift beſagt, „ab aliquo
Mariophilo“
wieder erneuert.


Sey dies indeſſen wie es wolle: dieſe Plaͤtze
geben doch der Stadt einen hellen und geraͤumi-
gen Anblick. Sie hat denſelben freylich großen
Ungluͤcksfaͤllen zu danken, naͤmlich wiederholten
Feuersbruͤnſten, wovon die letzte, die im Jahre
1777 entſtand, die ganze Stadt, den Daͤchern
und dem uͤbrigen Holzwerke nach, verheerte.
Deſſen ungeachtet fanden es die Klagenfurter
Buͤrger fuͤr dienlich und nuͤtzlich, dem heiligen
Florian eine Denkſaͤule zu errichten. Sie ſteht
gleich am St. Veiter-Thor auf dem Heuplatze,
iſt von weißem und roͤthlichem ſteyriſchen Marmor
und hat folgende Inſchrift:


Praepotenti contra Furorem Ignis Defen-
ſori Civitas XVII Augus. MDCCLXXVII
in Medulla conflagrans ſolis tectis con-
[270] ſumptis a pleno Interitu liberata vovit,
dicavit, et erigi fecit. MDCCLXXXI.


die ich nur darum herſetze, um die Feinheit ihres
Verfertigers, der ein ſehr folgerechter Mann
zu ſeyn ſcheint, bemerkbar zu machen. Weil
jener Heilige ſo gnaͤdig war, nur das Innere
und die Daͤcher der Haͤuſer von Klagenfurt
wegbrennen zu laſſen, darum ſetzte man ihm
voller Dankbarkeit dieſe Saͤule, und man
vergaß ſodann, daß er das Feuer uͤberhaupt
haͤtte abwenden ſollen. Aber im Ernſte: fuͤr
das, was dieſe, uͤbrigens kleinliche und ge-
ſchmackloſe, Saͤule koſtete, haͤtte die gute Stadt
Klagenfurt mehrere Spritzen anſchaffen, und
ſodann das Uebrige von den Armen und der
Kraft ihrer Buͤrger erwarten koͤnnen.


Sonſt iſt Klagenfurt, unter den laufenden
Umſtaͤnden, lebhaft genug, und muß es in
Winterszeiten noch mehr ſeyn. Im Sommer
ſind die meiſten Familien vom Adel, die hier
Haͤuſer beſitzen, auf ihren Landguͤtern. Sie
[271] kommen erſt gegen den Winter nach der Stadt,
und bringen ein anſehnliches Geſinde und das
Beduͤrfniß, ſich die Zeit zu vertreiben, mit
herein. Dann giebt es Schmaͤuſe, Geſellſchaf-
ten, Baͤlle, Redouten, auch wohl Komoͤdien,
und das geſellſchaftliche Verkehr wird ſehr
lebhaft. Ich fand jetzt noch alles todt.


Der Fuͤrſtbiſchof von Gurk und Straßburg,
ein Salm von Reifferſcheid, der jetzt
ſeinen Sitz in dem hieſigen Schloſſe hat, thut
alles moͤgliche, um Geſelligkeit zu befoͤrdern
und zu erhalten. Er iſt ein hoͤchſt einnehmen-
der und muſterhaft gefaͤlliger Mann. Was er
hat, zeigt er dem Eingebohrnen wie dem Frem-
den von jeder Klaſſe, und theilt es mit ihm.
Hinter ſeinem Schloſſe iſt ein kleiner, aber
ſehr angenehmer Garten, der fruͤh und ſpaͤt
fuͤr jedermann offen ſteht. Er laͤßt ihn an
ſchoͤnen Sommerabenden erleuchten und giebt
Koncerte darin. Je mehr Menſchen zuſtroͤh-
men, deſto groͤßer iſt ſeine Freude. Seine
kleine Reſidenz hat er ſehr geſchmackvoll, wenn
[272] auch nicht praͤchtig, eingerichtet. Unter an-
dern hat er einen Saal aufputzen laſſen, der
in ſeiner Art ſehr nett und angenehm iſt.
Alles in demſelben iſt auf Einfalt, Leichtigkeit
und Heiterkeit berechnet, und traͤgt das Ge-
praͤge ſeines eigenen Charakters. In ſeinem
Schreib- und Schlafzimmer finden ſich meh-
rere Buͤſten und Gemaͤlde, die er ſelbſt in den
Werkſtaͤtten der beſten modernen Kuͤnſtler in
Rom ausgewaͤhlt hat. Auch iſt eine kleine,
artige Kapelle da. In einem der groͤßern
Zimmer ſieht man die ganze Folge der Bi-
ſchoͤfe von Gurk und Straßburg, ſeit der
Stiftung dieſes Bißthums. Alles dies iſt Al-
len offen, und Fremden, die dieß nicht wiſſen,
laͤßt er es ſagen, oder er ſagt es ihnen auch, wie
mir geſchah, perſoͤnlich. So lange die Erz-
herzogin Mariane, Thereſiens Tochter, hier
wohnte, konnte man, nur auf beſondere Er-
laubniß und unter beſchwerlichen Umſtaͤnden,
nichts, als den Garten ſehen.


Uebrigens
[273]

Uebrigens iſt Klagenfurth eine Stadt der
dritten Ordnung, die wenig Merkwuͤrdiges auf-
zuweiſen hat. Nur zwey anſehenswerthe Fa-
briken ſind in einer der Vorſtaͤdte, eine fuͤr
Bleyweiß und eine andere fuͤr Tuch. Letztere
beſchaͤftigt gegen zwey hundert Arbeiter, und
ihre Waaren ſind ſo gut, daß ſie in Wien
haͤufig fuͤr hollaͤndiſche verkauft werden; auch
war der Stifter ein Hollaͤnder. Sonſt iſt noch
eine Seidenfabrik hier, die aber nur leichtere
Waaren, als Schnupftuͤcher, Band und der-
gleichen verfertigt; ferner eine Baumwollen-
Fabrick fuͤr Muſſelin und Piqué, und eine an-
dere fuͤr Manſcheſter, die man ſaͤmmtlich nicht
betraͤchtlich nennen kann, deren Unternehmung
aber ſehr lobenswuͤrdig iſt, da es hier noch
ſehr zu den neuen Dingen gehoͤrt, uͤberall an
Manufakturen und Fabriken zu denken.


Fuͤr den Anbau der Wiſſenſchaften iſt hier
durch eine Art von hoher Schule geſorgt, und
mehrere Privatleute beſchaͤftigen ſich aus Lieb-
haberey damit, beſonders mit der Naturge-
Sechstes Heft. S
[274] ſchichte. Ein Freyherr von Hohenwart beſitzt
eine weitlaͤuftige Sammlung von Mineralien
und eine Reihe von inlaͤndiſchen Voͤgeln, die
faſt ganz vollſtaͤndig iſt. Ein Graf von En-
zenberg hat eine vortreffliche Mineralienſamm-
lung und eine nicht unbetraͤchtliche Bibliothek.
Ein Herr Reiner beſitzt ausgebreitete Kennt-
niſſe in der Naturgeſchichte, beſonders in der
Botanik, und hat, in Geſellſchaft des oben
erwaͤhnten Hrn. von Hohenwart, nicht lange
vor meiner Ankunft, eine botaniſche Reiſe nach
den Oberkaͤrntniſchen und benachbarten Alpen,
mit ausgemalten Kupfern herausgegeben.


Ich reiſ'te den 6ſten Septbr. von Klagen-
furt auf Velden. (2 M.) Gleich beym Aus-
tritt aus dem Villacher Thore, ſieht man zwey
Reihen von Bergen vor ſich, die ſich bald
links bald rechts wenden, und in ihrer Mitte
ein Thal bilden, das großentheils von einem
See uͤberfloſſen wird, der Wertherſee ge-
nannt, an deſſen Rande der Weg bald naͤher
bald entfernter ſich hinzieht. Der See faͤngt
[275] ungefaͤhr drey Viertelſtunden von Klagenfurt
an, und haͤngt durch einen Kanal mit der
Stadt zuſammen. Dieſer Kanal dient haupt-
ſaͤchlich dazu, mit mehr Bequemlichkeit der
Stadt das Holz zuzufuͤhren, welches am See
gefaͤllt wird, der rund herum mit ſtarken Wal-
dungen beſetzt iſt. Die Berge diſſeits und
jenſeits beſtehen immer noch aus dem dunkel-
grauen, ſehr glimmerichen, mit Quarzadern
durchlaufenen, Schiefer, von welchem Klagen-
furt gebauet iſt, und ſie ſind bald hoͤher, bald
niedriger. Der Weg ſelbſt iſt eben und an
demſelben hin ſieht man bebauetes Land, das
hier und da ziemlich hoch die Berge hinanlief,
aber nichts als Mays, Hirſen und beſonders
Haiden oder Buchweizen trug, der in voller
Bluͤthe ſtand. Unter den Obſtbaͤumen fand
ich die Nuß am haͤufigſten und von vorzuͤgli-
cher Groͤße und Schoͤnheit. Pflaumenbaͤume
ſah ich auch in Menge, und dicht voller Fruͤchte.
Aepfel fand ich gar nicht, deſto mehr Birnen,
die auch reichlich trugen.


S 2
[276]

Der See bleibt einem bis Velden zur Lin-
ken, und hoͤrt bey dieſem Orte, der ein ge-
meiner Flecken iſt, auf. Im Hintergrunde
hat er eine ſtattlich gebauete, maſſive aber
veraltete, Muͤhle, die man aus der Ferne
wohl fuͤr einen alten Ritterſitz halten kann,
und die dieſer Stelle ſehr viel Mahleriſches
giebt. Sein Waſſer iſt uͤbrigens klar und
wimmelt von Fiſchen, beſonders von Hechten.


Von Velden aus auf Villach, dem naͤch-
ſten Poſtwechſel (2 M.) erhoben ſich die Berge
an beyden Seiten immer mehr. Die Krainer
Alpen wurden hier allmaͤhlig immer ſichtbarer.
Ich hatte ſie, ungefaͤhr waͤhrend der Haͤlfte
des Poſtlaufs, in ihrer ganzen Groͤße neben
mir, und glaubte mich wiederum in das Salz-
burgiſche verſetzt. Zur Rechten blieben die An-
hoͤhen in ihrer vorigen Groͤße ſich ziemlich
gleich; ſie waren mit Laub- und Nadelholz be-
ſetzt, angebauet, und hatten von Zeit zu Zeit
Kirchen, Landhaͤuſer, neue Schloͤſſer und alte
Burgen (unter letztern das alte Landskron,
[277] von großem Umfang und ſehr romantiſch ge-
legen) auf ihren Ruͤcken; waͤhrend zur Linken
nur die untern Theile der Berge mit Waldung
beſetzt, die obern aber kahl, rauh, und als
unfruchtbare Klippen erſchienen. Es machte
einen ſonderbaren Gegenſatz, ſo zwiſchen Frucht-
barkeit und Unfruchtbarkeit hinzufliegen; das
Auge zur Linken durch tiefe Abgruͤnde, unge-
heure Felſenwaͤnde und den Anblick der Veroͤ-
dung zu erſchrecken, und es zur Rechten durch
ſchoͤne Thaͤler, durch Wieſen und uͤppiges Acker-
land zu ergetzen. Hinter Villach, einer alten,
herunter gekommenen, ſehr bunt verzierten
Stadt, lehnt ſich ein Berg dem Thale, durch
welches ich ſo eben gekommen war, entgegen,
und theilt es in zwey andere, deren eines links,
das andere rechts, ſich zwiſchen die Berge
hineinzieht.


Man ſchlaͤgt letzteres ein, um zum naͤchſten
Poſtwechſel, St. Paternion (3 M.) zu
gelangen. Es geht eine Strecke bergauf und
wieder bergab. Im Grunde ſtroͤmte mir die
[278] Drau entgegen, hinter mir lag der ſchoͤne
fruchtbare Keſſel, worin Villach gelagert iſt,
und daruͤber her ragten die fruchtbaren kraini-
ſchen Alpen hervor. Kommt man wiederum
in das Thal hinab, ſo ſteigt man der Drau
beſtaͤndig entgegen, und verfolgt ſie in hundert
Kruͤmmungen. Die Abwechslung, die dieſes
Thal darbot, war im Ganzen dieſelbe, wie
ſie mir in andern Thaͤlern ſchon aufſtieß,
aber, den einzelnen Theilen nach, immer neu.
Der Abend war koͤſtlich. Die fruchtbarſten
Wieſen lagen zu meinen Fuͤßen und mitten
durch ſie ſchlaͤngelte ſich der Fluß, den die
Abendſonne roͤthete. Bald ſtand ein ſchoͤner
Berg, der bis zum Gipfel theils angebauet,
theils mit Waͤldchen von Laubholz beſetzt war,
vor mir, bald ſtieg ein ſchroffer Kalkfelſen, der
kaum ein Graͤschen naͤhrte, uͤber meinem Haup-
te empor; bald wurden die lachenden Wieſen
im Grunde durch den ſchwarzen Auswurf der
Schachte und durch eine Reihe eben ſo ſchwar-
zer Haͤuſer, Huͤtten, Schmelz- und Hammer-
[279] werke unterbrochen, um welche ein rußiges
Voͤlkchen von Kindern und Alten wimmelte.


Mit Anbruch der Nacht kam ich in Pater-
nion, einem finſtern Flecken, an, und fuhr von
dort weiter uͤber Spital (2 M.) Sachſen-
burg
, (2 M.) Greifenburg, (2 M.) bis
Oberdraburg, (2 M.) lauter unbedeutende
Flecken und Staͤdtchen. Der Weg blieb be-
ſtaͤndig im Thale, neben der rauſchenden Drau,
uͤber die ich auf mehreren wankenden Bruͤcken
ſetzen mußte, und zwiſchen hohen Bergen.
Bey Oberdraburg wendet ſich das Drauthal
rechts und man ſieht ſich auf einmal mitten un-
ter den Vorlaͤufern noch hoͤherer Berge. Rechts
erhob ſich, von ſeiner Mitte an ſteil und ſchroff
ein Bergruͤcken, der uͤber eine Viertelſtunde
zuſammenhangend fortlief. Seine Grundlage
war Schiefer und dieſer erſchien mit Laub-
und Nadelholz beſetzt, ſeine hoͤheren Theile
waren Kalk, groͤßeſtentheils kahl und durch
große Einſchnitte wie zerſaͤgt, aus welchen
Steinſtroͤme, wenn ich ſo ſagen darf, mit
[280] zerriſſenen Baumſtaͤmmen, Wurzeln und Stum-
pen vermengt, herunter geſtuͤrzt waren. Der
Fruͤhling und Herbſt ſind beſtaͤndig Zeugen
ſolcher Verheerungen, und ſolche Zeiten nicht
minder, wo, wie jetzt, ſtarke Gewitter getobt
haben. Ich zaͤhlte gegen dreyßig ſolcher Stein-
ſtroͤme laͤngs der erwaͤhnten Kalkalpe, die zum
Theil den Weg uͤberſchwemmt, zum Theil
durch und durch geriſſen, zum Theil Haͤuſer
dem Boden gleich gemacht und die Wieſen
und Felder in Schutt verwandelt hatten. Wei-
terhin auf der linken Seite, jenſeits der Drau,
ſtanden aͤhnliche Alpen, an denen ich aber we-
niger Riſſe bemerkte, und die noch bis zum
Gipfel mit Holz beſetzt waren. Das Thal,
welches zwiſchen beyden liegt und durch wel-
ches die Straße fuͤhrt, iſt eben, und letztre
gut. Der Fruchttrieb war hier ſo, wie in den
niedrigern Theilen dieſes Thals; ich ſah etwas
Obſt, etwas Wieſenwachs, etwas Ackerland
fuͤr Haiden. Auf der Haͤlfte des Poſtlaufs
erweitert es ſich und man befindet ſich nun in
[281] Tyrol. Die Berge zur Linken erhoͤhen ſich
und werden zu ſchroffen, meiſt unbehoͤlzten Al-
pen von Kalk, die bis Lienz, der naͤchſten
Stadt und Poſt (2 M.) immer ſteigen und
ſteiler werden, ſich fortziehen, ſich ſodann weſt-
waͤrts wenden und ein neues Thal bilden;
waͤhrend die rechte Seite ihre Steil- und
Schroffheit verliert, und ihre Berge bis
auf den Schiefer wieder hinabſinken und ſol-
chergeſtalt hoͤchſt angenehme und ſehr betraͤcht-
liche Anhoͤhen bilden, die zum Theil bis zum
Gipfel angebauet, dort mit einzelnen Hoͤfen
und Wohnungen, weiter herunter mit Kirchen,
und ganz unten mit fruchtbaren Wieſen, be-
deckt ſind. Der Eindruck, den dieſe Einſiede-
leyen aus der Ferne machen, iſt ſehr ange-
nehm.


Lienz ragt aus dem Keſſel, worin es liegt,
nicht unanſehnlich hervor. Es hat mehrere
Kirchen mit nicht uͤbel erhaltenen Thuͤrmen,
und, im Hintergrunde auf einer Anhoͤhe, eine
alte Burg von Umfang. Alles zeigt, daß dies
[282] Staͤdtchen vor Alters betraͤchtlicher war. In-
wendig iſt es eng, unſauber und ſtill. Die
Haͤuſer ſind zwar von Stein, aber unanſehn-
lich, mit kleinen kloſterartigen Fenſtern, und
abſcheulich vernachlaͤßigten ſchwarzen Schindel-
daͤchern verſehen.


Von Lienz aus fuhr ich gerade zwiſchen die
vorhin erwaͤhnten rauhen Alpen hinein, und
fand die Drau abermals mir entgegenkommend.
Zur Rechten ſind die Berge niedriger, groͤße-
ſtentheils angebauet und hier und da mit gan-
zen Reihen von Bauerhaͤuſern beſetzt, waͤhrend
man auf der linken Seite nichts, als Stein-
ſtroͤme und herabgeſchoſſene, ungeheure Kalk-
wacken, erblickt, die den Strom eindaͤmmen
zu wollen ſcheinen. Der Weg, der durch dieſe
doppelte Burgreihe fuͤhrt, iſt ganz eben und
feſt wie eine Diele. Er laͤuft an dem linken
Ufer der Drau oft ſehr nahe hin, kein Ge-
laͤnder ſchließt ihn ein, und er drohet ſtellen-
weiſe, in den Strom hinabzuſchießen, waͤh-
rend dieſer ſich an den Felſenſtuͤcken, die in
[283] ſeinem Bette liegen, zu Schaum zerſchlaͤgt
und in dieſer Geſtalt weiter raſet.


Mittenwald im Puſterthale, die naͤchſte
Poſt (2 M.) beſteht nur aus dem Poſthauſe
und den dazu gehoͤrigen Wirthſchaftsgebaͤuden.
Von da bis


Sillian, dem naͤchſten Pferdewechſel
(2 M.) bleiben ſich Weg und Gegend, noch
uͤber eine Meile, gleich. Auf einmal wirft ſich
die Drau auf die rechte Seite hinuͤber und
koͤmmt von dort hinter Baͤumen und Felſen-
ſtuͤcken ungeſehen herab. Die Alpen zur Lin-
ken verlieren ihre vorige Hoͤhe und Schroffheit,
ſind behoͤlzt und ſtrecken nur noch hie und da
ihren bloßen Ruͤcken hervor. Das Thal er-
weitert ſich merklich, hat auf beyden Seiten
ſehr angenehme Wieſenplane, und iſt zur Rech-
ten, beſonders in den mittlern Theilen der
Berge, fleißiger angebauet, als jene. Je wei-
ter man faͤhrt, deſto wirthbarer werden die
ehemaligen Felſen zur Linken, und wahrlich,
wo ſich das erſte Fleckchen fingerdicken Erd-
[282[284]] reichs zeigte, da war auch ſchon ein fleißiger
Mann, der es anbauete und bewohnte. Sein
Huͤttchen klebte auf einer gruͤnenden Anhoͤhe,
zwiſchen zwey Kalkſpitzen, die wie Hoͤrner
ſich uͤber ihn herkruͤmmten. Um ſich herum
hatte er mehrere Raſenpunkte, die mir aus
der Tiefe nicht fuͤnf Klafter lang und breit
ſchienen. Weiterhin fand ich noch zwey ſolche
Wirthe. Alſo nur ihrer drey auf der ganzen
Strecke, die ſich und ihre Familie und ihre
Kuh dort zu naͤhren wagten. Auf der rechten
Seite hingegen ſtieg die Maſſe des bebaueten
Erdreichs. Haus lag an Haus, und um die-
ſelben Acker an Acker, Wieſe an Wieſe. Dieſe
Hoͤfe und Wohnungen zogen ſich allmaͤhlig von
oben herab und erſchienen endlich, wie ein
ganzes Dorf, in der Niederung gelagert. Daß
dieſer Anblick ſehr herzerhebend war, darf ich
nicht erſt erinnern, aber deſto niederſchlagender
der Umſtand, daß ich, von Lienz bis hieher,
vier und dreßig Kirchen zaͤhlte, die auf dieſe
Hand voll Leute vertheilt waren. Wie fleißig
[285] muͤſſen dieſe wackere Menſchen ſeyn, wenn ſie,
bey dieſer unverhaͤltnißmaͤßigen Anzahl von
Gotteshaͤuſern, und mithin von feſt- und fey-
ertaͤgigen Zerſtreuungen, noch das thun koͤn-
nen, was ſie thun.


Gegen Abend bekam ich Sillian zu Geſicht,
und mit dieſem Flecken das Ziel meiner Reiſe
fuͤr dieſen Tag. Eine Viertelſtunde vorher
kam ich noch vor Hainfels, einem alten,
weitlaͤuftigen Schloſſe vorbey, das noch be-
wohnt wird und zwar von einem Landpfleger.
In dem Poſthauſe fand ich die gutmuͤthigſten
Menſchen, die mir waͤhrend meiner ganzen
Reiſe von Riga aus bis hieher vorgekommen
waren, und wie ſie vielleicht nur noch dieſe
Gegend von Tyrol erzeugen kann. Das ganze
Haus war in Bewegung, mir zu dienen, und
Poſtmeiſter und Poſtmeiſterin entfernten ſich
kaum einen Augenblick von mir, bloß um zu
ſehen, daß es mir an nichts fehle. Den an-
dern Morgen bezahlte ich fuͤr ein Abendeſſen
von vier Schuͤſſeln, fuͤr eine Flaſche rothen
[286] Tyroler, fuͤr das Nachtlager und fuͤr einen
vortrefflichen Kaffee mit Kuchen, Einen leich-
ten Gulden.


Von Sillian aus laͤuft der Weg noch im-
mer in dem Drauthale fort und erſchien mir
noch beſſer, als der, welcher dahin fuͤhrte. Er
iſt von Schiefer gemacht, der hier, beſonders
an der linken Seite, haͤufig zu Tage ſetzt: ein
beſſeres Material, als der Kalk, weil er haͤr-
ter iſt, und, ſeiner thonigten Theile wegen,
durch den Regen und durch das Fahren mehr
Feſtigkeit erhaͤlt. Die Berge auf beyden Sei-
ten ſenken ſich allmaͤhlig; rechts werden ſie be-
hoͤlzt und links immer fruchtbarer und mehr
angebauet. Es wimmelt an dieſen Anhoͤhen
von einzelnen Haͤuſern, und in den Niederun-
gen trifft man auf mehrere Doͤrfer und auf
einen Marktflecken, Innichen genannt. Drey
Viertelſtunden oberhalb demſelben koͤmmt, links,
von neuem eine Gruppe von Kalkalpen zum
Vorſchein, und aus dieſen ſtroͤmt die Drau,
als ein kleines Waͤſſerchen, hervor. Gleich
[287] dahinter dacht ſich das Gebirge und auch das
Thal nach der entgegengeſetzten Seite ab, und
laͤßt aus einem Thale, das links mit Kalkal-
pen beſetzt iſt, die Rienze heraus, die, ein
paar Stunden davon im Venetianiſchen, ent-
ſpringt, und ihren Lauf, der Drau entgegen-
geſetzt verfolgt. Ich zaͤhlte dreyzehn Kirchen
von Sillian bis Niederndorf, der naͤchſten
Poſt. (2 M.)


Von hier aus zieht ſich der Weg nach der
rechten Seite des Thals hinuͤber. Man koͤmmt
vor einer ungewoͤhnlichen Menge von roth-
ſpielenden Pfaffenhuͤtlein-Buͤſchen, beſonders
aber von zarten Lerchenbaͤumen, die wie ein
Wald am Abhange des Berges ſtehen, vorbey.
Die Rienze waͤchſt zuſehends und bezeichnet
ihren Lauf durch Verheerungen. Hier und da
hat ſie Wieſen weggeriſſen, oder mit Steinen
uͤberſchwemmt. Man koͤmmt durch einen Markt-
flecken, Welſchberg genannt, und kurz hin-
ter dieſem draͤngt ſich das Thal zuſammen
und der Weg geht zugleich mit der Rienze in
[288] daſſelbe hinein. Es zieht ſich immer tiefer hinab
und man ſieht ſich bald an dem Eingange eines
ausgebreiteten Keſſels, der dicht mit Doͤrfern
beſetzt iſt. In dieſen faͤhrt man hinab. Rund
herum erheben ſich theils niedrige, halbange-
bauete Berge, theils hoͤhere, deren Fuß nur
angebauet iſt, und deren Mitte und Gipfel
ſich kahl in die Luͤfte erheben. Der Flecken
Braunegen, wo die naͤchſte Poſt iſt, (2 M.)
nimmt ſich, eines Schloſſes wegen, das uͤber
ihn herſieht, und worin ſich das Kreisamt be-
findet, nicht uͤbel aus. Gerade gegen uͤber,
weſtlich, erhebt ſich eine Kalkalpe, deren Gip-
fel ſo verwittert und aufgeloͤßt iſt, daß er wie
die weißeſte Kreide erſcheint und glauben ma-
chen kann, als ſey er noch mit Schnee bedeckt.
Von Niederndorf bis hieher zaͤhlte ich drey und
zwanzig Kirchen.


Von Braunnegen bis Untervintel
(2 M.) fuͤhrt der Weg zuerſt durch ein ver-
engtes Thal auf Sonnenburg, ein aufge-
hobenes Nonnenkloſter, das von großem Um-
fange
[289] fange iſt und den Anblick eines betraͤchtlichen
Schloſſes giebt. Dieſe Damen hatten vor-
trefflich gewaͤhlt. Ihr Haus liegt auf einem
Schieferfelſen, an deſſen Fuße die Rienze hin-
rauſcht. Auf der andern Seite hatten ſie eine
ausgebreitete Ausſicht uͤber das Thal und auf
die gegenuͤber liegenden Berge. Uebrigens hat
das Thal, durch welches man von da bis zur
naͤchſten Poſt faͤhrt, nicht ſo viel Angenehmes,
als die vorigen. Es iſt eng, mit Steinen be-
ſaͤet, und an beyden Seiten wenig angebauet.
Nur ſtreckenweiſe ſieht man in den Niederun-
gen kleine Wieſen und eben ſo kleine Stuͤcke
Ackerland, die tuͤrkiſchen Weizen tragen. Schon
vorher zeigte ſich Granit am Wege, jetzt wird
er immer haͤufiger, und kurz vor dem Poſt-
wechſel Obervintel erhebt ſich ein ganzer Gra-
nitberg am Wege. Auf dieſem Poſtlaufe fand
ich funfzehn Kirchen und ſah kaum dreymal ſo
viel Haͤuſer.


Von da bis Brixen, der naͤchſten Poſt,
(2 M.) laͤuft der Weg noch in dem vorigen
Sechstes Heft. T
[290] Thale fort, das ſich immer enger und enger
zuſammenzieht und ſtellenweiſe eine auffallende
Aehnlichkeit mit dem Toͤpelthale oberhalb Karls-
bad hat, nur daß die Berge zweymal hoͤher
ſind, als dort, und die Rienze ſtaͤrker, ſchnel-
ler und rauſchender fließt, als die Toͤpel. Sonſt
iſt alles gleich. Granitwacken im Fluſſe und
am Abhange der Berge, Nadelholz auf ihren
Gipfeln, Wieſen an beyden Ufern des Fluſſes.
Der Weg geht beſtaͤndig bergab, und wenn
er auch hier und da bis zu dem Abhange der
Berge hinanſteigt, und dort eine Strecke fort-
laͤuft, ſo geht er bald wieder deſto tiefer hin-
unter. Am hoͤchſten kommt man hinter Muͤhl-
thal
, einem kleinen Flecken, wo ſich auch
endlich wieder eine mannichfache Ausſicht dar-
bietet. Vor mir lagen im Hintergrunde hohe,
[f]aſt kahle, Berge, und bis zur Mitte derſel-
ben ſtieg ein zweyter Bergruͤcken hinan, auf
welchem das alte, noch ziemlich erhaltene,
Schloß Raudeneck ſteht, unter welchem die
Rienze ſo tief im Thale fortrauſchte, daß ich
[291] ſie nur als einen Schaumſtreifen erblickte. Jetzt
ſteigt man auch wieder in das Thal hinab,
und ſo geht es bis ungefaͤhr drey Viertelſtun-
den vor Brixen fort, wo man abermals eine
Strecke bergan faͤhrt, um gleich darauf tief
in das Thal hinabzuſteigen, in welchem dieſe
Stadt liegt. Dieſer Abhang iſt ſtellenweiſe
ſehr jaͤh, und man muß ihn mittelſt des Hemm-
ſchuh's hinabgleiten. Zudem iſt er mit Granit
ſehr ſorglos gepflaſtert. Sehr natuͤrlich, daß
die Berge deſto hoͤher werden, je tiefer man
hinunterſteigt, und daß, wenn man unten in
der Stadt iſt, die Berge, die ſie umgeben, ſehr
hoch erſcheinen; aber ſie ſind in der That nur
Huͤgel gegen die, welche ich den Tag vorher
geſehen hatte.


Brixen fernt uͤbrigens nicht ſonderlich. Man
bekoͤmmt es erſt ſpaͤt zu ſehen, weil Berge
vor den Weg treten, und ſieht man es end-
lich, ſo iſt es in ſolch einer kleinen, zuſam-
mengedraͤngten Geſtalt (von der tiefen Lage
verurſacht) daß man glauben koͤnnte, die Stadt
T 2
[292] enthielte, außer den Kirchen, nur etwa hun-
dert Haͤuſer. Kommt man weiter hinunter,
ſo dehnt ſie ſich mehr aus, aber immer bleibt
ſie eine Stadt der vierten Ordnung. Man
faͤhrt, um hinein zu kommen, uͤber die Eyſack
auf einer bedeckten Bruͤcke. An dieſer wohnt
ein Neſt voll Auguſtiner, die ein großes Klo-
ſter mit einer hoͤchſt abenteuerlich umzackten
roth angeſtrichenen, runden Kirche beſitzen.
Man laͤßt die Eyſack links und befindet ſich
in der Stadt. Dieſe iſt enge, ſchlecht gepfla-
ſtert und enthaͤlt, neben wenigen neuen gut
gebaueten Haͤuſern, eine große Menge alter
und baufaͤlliger. Die Gegend um die Stadt
iſt lachender. Das Gehaͤnge der Berge, bis uͤber
deren Mitte hinan, iſt mit Reben beſetzt, und
zwiſchen ihnen und unter ihnen hervor, ſchim
mern kleinere und groͤßere Haͤuſer und Luſtſitze.


Uebrigens erhielt ich hier mehrere Angaben,
daß ich mich Italien naͤherte: Eſel, die, an
einen Karren mit zwey Raͤdern, und zwar
voran an deſſen Gabeln, geſpannt, mit einem
[293]zwiſchen dieſelben geſpannten Menſchen in
die Wette ziehen; unter vier Menſchen jedes-
mal einen Prieſter; unzaͤhliche Eidexen; Bett-
ler in Menge und einzelne Maronenbaͤume.


Von Brixen nach Kolman, der naͤchſten
Poſt, (2 M.) zieht ſich der Weg ſuͤdweſtlich
aus dem Keſſel von Brixen hinaus. Die Ey-
ſack bleibt links, die Berge rechter Hand ſind
ſehr angenehm mit Weinſtoͤcken, Haͤuſerchen
auch Kirchen beſetzt. Die Berge zur Linken
haben etwas duͤnnes Gehoͤlz bis zur Mitte,
aber ihre Gipfel ſind, wie die Gipfel derer
zur Rechten, ſchroff und rauh. Die herabge-
rollten Felſenſtuͤcke bedecken einzeln den Weg,
der ſich um ſie herumwindet und der hier und
da dem Berge wie abgezwungen erſcheint.
Kurz vor Klauſen liegt ein Kloſter auf ei-
nem hohen, faſt ſenkrecht empor ſteigenden,
Felſen, in welchem Benediktinerinnen wohnen:
Von da an bleibt der Weg immer noch wie vor-
her, bis Kolman, einem Dorfe, welchem ge-
genuͤber ein altes Schloß, Troſchburg
[294] genannt, das ziemlich weilaͤuftig und noch be-
wohnt iſt, auf einem Felſen liegt.


Von Kolman aus wird das Thal, worin
man ſich befindet, immer enger, und nach ei-
ner halben Stunde Weg, draͤngen ſich die
Berge ſo zuſammen, daß man gar keinen
Durchgang mehr ſiehet. Die Eyſack rauſcht
in eine ſchwarze Schlucht hinein und zugleich
kuͤndigt ſich an, was man in derſelben zu er-
warten hat. Auf beyden Seiten erſcheinen
Felſenſtuͤcke, wie herabgeſtreuet. Man faͤhrt
theils zwiſchen Felſenwaͤnden, die einem uͤber
dem Kopfe hangen, theils zwiſchen Haufen
auf einander gethuͤrmter Felſentruͤmmer, die
am Wege emporragen, oder im Fluſſe liegen.
Andere, unter dem Gipfel der Berge hangen-
de, Felſenmaſſen, ſcheinen nur auf den erſten
Windſtoß, oder auf den neuen Fall eines
Felſenſtuͤckes von oben zu warten, um ebenfalls
herabzuſchießen. Wo dergleichen gefaͤhrliche
Stellen ſich finden, da hat man Gnadenbilder
hingepflanzt, oder Marien, oder andere Hei-
[295] lige angeklebt, oder auch Kapellchen hingeſetzt,
damit der voruͤbergehende Wanderer vorher ſeine
Seele Gott befehlen koͤnne. Rechts ſind dieſe
Erſcheinungen am haͤufigſten, und doch geht der
Weg immer an der rechten Seite hin. Gegen
uͤber werden die Berge bald wieder minder grau-
ſend, aber rechts werden ſie es erſt bey Deut-
ſchen
, dem naͤchſten Poſtwechſel (2 M.) Hier
hat man die Gefahr uͤberſtanden. Die Berge
ſind nun auf beyden Seiten weniger rauh, ob-
gleich immer noch rauh genug. Man ſieht hier
auch wieder an und auf denſelben theils einzelne,
theils zu drey und vier beyſammenſtehende Haͤu-
ſer. Weiter vorwaͤrts getraute ſich der Menſch,
bey aller ſeiner Verwegenheit, bey allen ſeinen
Beduͤrfniſſen, doch nicht, ſeinen Herd, mitten
unter der Verwuͤſtung, aufzuſtellen. Je mehr
man ſich Botzen naͤhert, deſto groͤßer wird die
Anzahl der Wohnungen, und anderthalb Stun-
den vor dieſer Stadt werden ſchon wieder Wein-
ſtoͤcke, terraſſenartig uͤber einander gepflanzt,
ſichtbar, beſonders an der rechten Seite, die
[296] vorher die furchtbarſte war. Der Weg fuͤhrt
jetzt, da man uͤber die Eyſack auf einer bedeckten
Bruͤcke gegangen iſt, an der linken Seite
hatt an deren Ufer hin. Gegen ihre Wuth iſt er
theils durch Mauern, theils durch vorgewaͤlzte
Steine geſchuͤtzt; aber an einigen Stellen hat
dieſer Fluß ihn doch ſchon untergraben, und
[d]rohet ihn herunter zu reiſſen. Der Eingang
nach Botzen (2 M.) iſt faſt wie der nach Bri-
xen, nur iſt der Keſſel, worin erſteres liegt, nicht
ſo tief. Man faͤhrt einen gepflaſterten Weg hin-
ab geht ſodann uͤber die Eyſack zuruͤck, ſteigt eine
kleine Anhoͤhe hinauf, und von dieſer herab uͤber-
ſieht man das ganze Botzener Thal. Es giebt den
Anblick eines großen Weingartens, der aus unzaͤh-
ligen Lauben beſteht, die dicht an einander ſtoßen
und ſolchergeſtalt ein wahres Dach von Blaͤt-
tern bilden, das von drey Seiten her bis ge-
gen die Mitte der umliegenden Berge ſich hin-
auf zieht. Im Hintergrunde ſteigen abermals
hohe Berge amphitheatraliſch hervor.



[297]

Botzen, dem politiſchen Range und der
Groͤße, Bevoͤlkerung und Wohlhabenheit nach,
die zweyte Stadt in Tyrol, liegt im Etſchlan-
de, an der Eiſack, *) mitten unter Bergen.
Sie iſt der Sitz des Landeshauptmanns von
gedachter Provinz, und eines Hofgerichts, das
jaͤhrlich viermal gehegt wird.


Die Stadt iſt offen und ihr Standplatz
uneben. Dieſer Lage wegen ſind ihre Straßen
und Plaͤtze ziemlich enge und zuſammen ge-
draͤngt. Die Haͤuſer ſind von Stein, großen-
theils vierſtoͤckig, ſehr feſt, aber ziemlich alt-
modiſch, erbauet. Sie haben von außen und
innen ſchon viel Italieniſches, z. B., haͤufige
Balkone, weniger Fenſter als die deutſchen
Staͤdte, und auf dem Dache mehrentheils
Altane, die zum Trocknen der Waͤſche gebraucht
werden, und zugleich Licht in das Innere der
Haͤuſer herabſchicken. Die Treppen ſind naͤm-
[298] lich nach dem Hofe zu angebracht. Man ge-
langt uͤber dieſelben auf den Flur des erſten
Geſchoſſes, und uͤber dieſen in die Zimmer,
die vorwaͤrts nach der Straße und hinterwaͤrts
nach dem Hofe fuͤhren. Der Flur ſelbſt bildet
ein Viereck, iſt mit Eſtrich uͤbergoſſen und wird
auf die gedachte Art erleuchtet und geluͤftet.
Da die Sonne, deren Strahlen hier ſchon itali-
eniſch brennen, weder von der Seite noch von
oben in denſelben herabdringen koͤnnen, ſo bleibt
er an den heißeſten Tagen kuͤhl, gewaͤhrt einen
angenehmen Aufenthalt, und giebt dadurch dem
Beſitzer an Behaglichkeit, was er ihm an Platz
nimmt. Noch ſind die Haͤuſer, beſonders in
denjenigen Theilen der Stadt, die, zur Zeit der
vier großen Jahrmaͤrkte, von fremden Kaufleu-
ten beſetzt werden, mit Lauben verſehen, unter
denen Gewoͤlbe und Waarenlager angebracht
ſind, die ihre Zinſen reichlich tragen. Das
Pflaſter iſt ertraͤglich und wird in den niedri-
ger liegenden Straßen durch Kanaͤle von le-
bendigem Waſſer reinlich erhalten.


[299]

Unter den Kirchen zeichnet ſich keine durch
Groͤße, Pracht, oder Geſchmack in der Bau-
kunſt, aus, aber ſie beſitzen einige nicht ſchlechte
Gemaͤlde; und in der Pfarrkirche fand ich in
der That ein treffliches Altarblatt, das aber,
in den Augen andaͤchtiger Seelen, weit hinter
einem unanſehnlichen Marienbilde zuruͤck bleibt,
welches in der Naͤhe iſt, und Wunder thut.
Es war ſo herablaſſend, ſich einem Fuhrmann
in den Weg zu legen, der es fand und nach
der Stadt lieferte, wo fromme und ſcharfſich-
tige Maͤnner deſſen Kraͤfte auf den erſten Blick
erkannten und „ad majorem Dei gloriam“
ſogleich in Thaͤtigkeit zu ſetzen anfingen.


Botzen hat ungefaͤhr die Groͤße von Kla-
genfurt, iſt aber volkreicher, wie mir daͤucht,
wenn nicht etwa die engeren Straßen die Ein-
wohner mehr zuſammen preſſen und zahlreicher
ſcheinen laſſen, oder wenn nicht der angehende
Marienmarkt ſchon viel Fremde herzu gelockt
hat. Waͤre in dieſem Punkt die bloße Anſicht
des Getuͤmmels nicht ſo truͤglich, ſo wuͤrde
[300] ich die Zahl der Einwohner auf 13 bis 14,000
ſetzen.


Botzen zieht ſeinen Nahrungserwerb beſon-
ders aus dem Handel. Seine vier großen
Jahrmaͤrkte (auf Okuli, nach Fronleichnam,
nach Marien Geburt und nach Andreas) wer-
den haͤufig von Deutſchen, Schweitzern und
Italienern beſucht. Dieſe machen hier anſehn-
liche Geſchaͤfte mit baumwollenen, wollenen,
ſeidenen, mit Nuͤrnberger- mit Spezerey- Stahl-
Linnen- und andern Waaren. Sie ſchlagen ſie
theils gegen andere um, theils ſetzen ſie dieſel-
ben zur Verſorgung von Tyrol ſelbſt fuͤr baa-
res Geld ab.


Der Weinbau iſt der zweyte Nahrungs-
erwerb von Botzen. Das Gebiet der Stadt
iſt ganz mit Reben bedeckt. Die umliegenden
Ortſchaften ſind ebenfalls reichlich damit ver-
ſehen; und ſie liefern ihre Moſte und Weine
meiſt an die hieſigen Weinhaͤndler. Man kennt
die Tyroler Weine. Sie ſind im Ganzen
lieblich und angenehm, aber freylich, mit den
[301] Ungariſchen, Spaniſchen, Deutſchen und Fran-
zoͤſiſchen verglichen, weichlich und unkraͤftig, und
halten ſich nicht. Die Botzener Weine gelten
unter ihnen fuͤr die beſten, beſonders das Ge-
waͤchs von Leytach, Leyfer und Rentſch,
Oerter, die in der Nachbarſchaft liegen. Ich
ziehe den hieſigen weißen Wein den rothen Ar-
ten vor, nachdem ich mehrere Proben aus dem
Keller meines Wirthes, des Poſtmeiſters, durch-
gekoſtet habe. In Deutſchland trinkt man ihn
als Nachtiſchwein, aber man erhaͤlt ihn ſelten
ertraͤglich, vielmehr meiſt immer mit einem
kleinern oder groͤßeren Stich, den er meiſt im-
mer bekoͤmmt, wenn er von einem Jahre zum
andern ſtehen bleibt.


Botzen gewinnt noch an einem betraͤchtli-
chen Verſendungs- und Durchfuhr-Handel
von Italien nach Nieder- und Inner-Oeſter-
reich und aus dieſen Provinzen nach Italien.
Der Durchzug von Fremden eben dahin, die
gern einen oder ein paar Tage hier verweilen,
traͤgt auch etwas zur Nahrung der Stadt
[302] bey. Noch verſorgt ſie die Nachbarſchaft mit
Obſt aller Art, und einige ihrer Aepfelgattun-
gen, die Borsdorfer, Reinetten und die laͤng-
lichen ſogenannten Tyroler Aepfel, gehen bis
nach Muͤnchen, Salzburg und Wien.


Ich habe kein ſchoͤneres Obſt je geſehen
und gekoſtet. Selbſt das Pariſer ſteht demſel-
ben nach und das italieniſche keiner Provinz
haͤlt eine Vergleichung damit aus. Es wird
groͤßeſtentheils in den umliegenden Weinbergen
gezogen. Schon vor vier Wochen waren hier
die Pfirſchen reif, und ſie ſtehen jetzt in ſol-
cher Menge auf dem hieſigen Markte zu Kaufe,
wie in Leipzig in guten Jahren die Pflaumen.
Sie haben die Groͤße von Stettiner Aepfeln
und doch kann man ihrer zwey fuͤr einen Kreutzer
haben. Noch vor einigen Tagen mußte ich in
Wien, das ſeines ſchoͤnen und haͤufigen Obſtes
wegen ſo beruͤhmt iſt, weit kleinere, das Stuͤck
mit 15 bis 20 Kreutzern bezahlen. Die Weiß-
und Graubirnen, die in Deutſchland erſt zu
Anfange des Oktobers einzeln zum Vorſchein
[303] kommen, ſind hier ſchon in großer Menge
vorhanden.


Das Aeußere der Bewohner von Botzen
iſt im Ganzen wohlhabend und ſauber, aber
altmodiſch. Ich glaubte mich, in dieſer Ruͤck-
ſicht, wieder in Salzburg zu befinden. Adel,
oder was wie der Adel lebte und ſich kleidete,
iſt hier wenig vorhanden. Die beſten Buͤrger
und Buͤrgersfrauen tragen ſich nach altbuͤrger-
licher Art: erſtre ihre Kleider mit langem
Schnitte, in dunkeln, beſcheidenen Farben,
mit ſteifen, geſteckten Locken und Zoͤpfen; letz-
tere ihre Waͤmſer weit, ihre Roͤcke drey uͤber
einander gezogen, ſehr kurz, und dazu die ab-
ſcheuliche Salzburger gehoͤrnte Haube von
ſchwarzem Klar. Im Hauſe gehen ſie in blo-
ßem Kopfe, das Haar geflochten, am Hinter-
kopfe in ein Neſt zuſammen gewunden, und
mit einer queer hindurch geſteckten Nadel befe-
ſtigt. Auch die ſteifen Salzburger Mieder ſind
hier, aber noch mit einem langen Schwanze
verſchoͤnert, den die hieſigen Weiber entweder
[304] von den Bayreuther Maͤgden, oder dieſe von
den Botz'nerinnen uͤberkommen haben.


Die hieſige Einwohnerſchaft iſt ſchon haͤufig
mit italieniſchen Familien vermengt, und man
hoͤrt eben ſo viel Italieniſch als Deutſch ſpre-
chen, erſteres in venetianiſcher, letzteres in
ſalzburgiſcher Mundart, beydes rauh und un-
richtig, wie in allen limitrophiſchen Laͤndern.
Eben ſo gemiſcht erſcheinen die deutſchen und
italieniſchen Geſichtszuͤge, doch wird die weiße
Menſchengattung ſchon merklich ſeltener, als
die braune und ſchwarze Der Poͤbel hat in
ſeinem Aeußern, und in ſeinem Benehmen und
Charakter faſt nichts deutſches mehr; er geht
in Lumpen von den hellſten Farben umher,
liegt unthaͤtig in der Sonne, und iſt ſehr laut
und dreiſt.


Der angehende Markt hatte eine fliegende
Geſellſchaft Italieniſcher Schauſpieler hieher
gefuͤhrt, die mit den meiſten ſtehenden Buͤhnen
in Deutſchland wetteifern konnte. Da kein
Schauſpielhaus in Botzen iſt, ſo hatte ſie ihr
Geruͤſt
[305] Geruͤſt auf einem langen Saale aufſchlagen
muͤſſen, der ziemlich niedrig war, und mich an
das Theater der Drey Roſen, in der Wills-
drufer Vorſtadt bey Dresden, erinnerte. Viel-
leicht waͤre mir dieſe Geſellſchaft minder gut
vorgekommen, wenn mir die letzten Vorſtellun-
gen, die ich auf deutſchen Buͤhnen geſehen,
minder mißfallen haͤtten. In der That, dieſe
Leute hatten doch Anſtand, Ton und Leichtig-
keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung,
gehen, ſtehen und ſich ſetzen; und hatten ihre
Rollen ſo gefaßt und gelernt, daß ſie dieſelben
paſſend und hoͤchſt gelaͤufig zu geben verſtanden.
Auch die Zuſchauer ihrerſeits waren ſchon nicht
mehr ſo wunderlich deutſch geſinnt, daß ſie
ihren Beyfall aͤngſtlich zuruͤck gehalten, daß ſie
nicht von ganzem Herzen gelacht haͤtten, wenn
etwas Laͤcherliches vorkam, und daß ſie nicht
jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben
und dem Dichter, wie dem Schauſpieler, jedem
was ihm gebuͤhrte, zugetheilt haben ſollten.
In der That, die Deutſchen, beſonders die
Niederdeutſchen, ſind zu feyerliche Schauſpieler
und Schauſpielliebhaber; und mir ſcheint es,
als ob ſie die alten proteſtantiſch-theologiſchen
Sechstes Heft. U
[306] Vorurtheile gegen dieſe Kunſt noch nicht ganz
abgelegt haͤtten, und ſich innerlich immer noch
ein wenig albern ſchaͤmten, ſich ihren Wir-
kungen unbefangen, frey und offen hinzugeben.


Mit Botzen hatte ich das Ziel meiner Reiſe
erreicht, und die Meilen hatten die bezweckte
Wirkung auf meine Geſundheit gethan. Ich
fuͤhlte keines der Uebel mehr, die mich bey meiner
Abreiſe von Riga beunruhigten. Der Strom der
friſchen Luft, und die Bewegung und Zerſtreuung
hatten mich wiedergeboren. Das Botzener Thal,
worin ich mich befand, athmete ſchon die Luft
Italiens; es hielt mir das Bild der ſchoͤnſten Ge-
genden dieſes Landes vor, und fuͤ[ll]te meine Bruſt
mit einer Sehnſucht, die den ſchwachen Wall, den
eine hypochondriſche Angſt vor Aerger, zwiſchen
mir und Heſperien aufgeworfen hatte, darnieder
riß. Neapel ſchien mir ein wuͤrdiger Ziel fuͤr eine
große Reiſe, und nach drey Tagen ging ich mit
einem Freunde, deſſen Wille mein Wille iſt,
wirklich dahin ab.


*)
Hr. Prof. Huͤbner hat in ſeiner, mit großer
Sorgfalt und in einem guten Tone verfaßten Be-
ſchreibung von Salzburg
(daſelbſt 1792-
93) Th. II. S. 8. fg. eine gedraͤngte Nachricht von
dieſem Bauernaufruhr gegeben, die jedem Wißbegie-
rigen volle Genuͤge thun wird. Sein Buch iſt uͤber-
*)
haupt fuͤr mich ein ſehr genauer und lehrreiche[r]
Fuͤhrer durch Salzburg geweſen.
*)
Ein neuerer Kuͤnſtler aus Bayern, der außer der
Malerey, auch die Kunſt, in Elfenbein zu ſchnitzen,
mit großer Geſchicklichkeit trieb. Beweiſe davon fin-
det man zu Muͤnchen, wo mehrere nach Antiken
geſchnittene Arbeiten von ihm aufbewahrt werden.
**)
Eine andere Erinnerung an ihn befindet ſich an
dem Eckhauſe linker Hand beym Eintritt in die Lin-
**)
zer Gaſſe. Es iſt ſein Bildniß, mit folgender Un-
terſchrift begleitet: Philippus Theophraſtus Para-
celſus
von Hohenheim, gebohren zu Einſidln anno
1493, ſtarb in dieſem Hauſe anno 1541.
*)
Ich ſetze von jeder Gattung eine hieher:
1.

Franz Ritter, Hofrath und Cammerprocurator.
Wieder dieſen unvergleichlichen Juriſten hat der hinter-
liſtige Todt am 24 July 1698 im 45ſten Jahr ſei-
nes Alters die Clag zwarn behauptet; es wuͤrdet
aber in dem goͤttlichen Reviforio deme fuͤr den
zeitlichen Verlurſt hoffentlich der ewige Gewinn all-
bereith zuerkannt ſeyn, dafern er jedoch eben nicht
voͤllig auslangt, verhelffe Du ihme mit andaͤchtigem
Gebet zu beſſeren Behelffen.


2.
Hier ruht die Huͤlle des tugendhaften, beſten Maͤdchens,
Mariannens, die der Tod in ihrem 22ſten Lebens-
jahre, den, uͤber dieſen Verluſt innigſt betruͤbten
Eltern, Joh. Bern. Zezi, Handelsmanne, und Maria
Anna geb. Polis ach, viel zu fruͤh! entriſſen hat, und
die nur die Hoffnung, dort oben ſie wieder zu ſehen,
daruͤber troͤſten kann. MDCCLXXXVIII. d. 3. Nov.
*)
Hr. Huͤbner in ſeiner Beſchr. von Salzburg, I, 367.
*)
S. Huͤbners Beſchreibung von Salzburg. Th. I.
S. 80. fg. Th. II. 506. fg.
*)
Huͤbners Beſchr. v. Salzb. Th. I. S. 167. fg.
*)
„Es waͤren ihrer wohl viel mehr geweſen, aber ich
habe ſie abgewieſen.“
**)
Huͤbners Beſchr. v. Salzb. Th. I. S. 459. fg. vergl.
mit Th. II. S. 512. fg.
*)
Dieſe letztern drey Stiftungen ruͤhren von einem
Manne her, der vielleicht alle Wohlthaͤter ihrer Vater-
ſtaͤdte in neuern Zeiten uͤbertroffen hat, und deſſen
Name uͤberall bekannt zu werden verdient. Er hieß
Hafner von Imbachshauſen, war Großhaͤnd-
ler, und ſtarb im Jahre 1787, ohne leibliche Erben,
*)
in ſeinem 31ſten Jahre. Laut ſeines letzten Willens
erhielten alle Kranken- Armen- Schul- Erziehungs-
und Verſorgungsanſtalten in Salzburg, die ſchon da
waren, und einige andre, die noch errichtet werden
ſollten, auch zwey der Nonnen- und drey der Moͤnchs-
kloͤſter, in einzelnen Legaten, die Summe von Zwey
Hundert Drey und Achtzig Tauſend Fuͤnf und Sie-
benzig Reichsgulden. Das ſtaͤrkſte Legat war Drei-
ßig Tauſend, das ſchwaͤchſte Ein Tauſend Gulden.
Die Nonnen und Moͤnche bekamen, wie billig, jetzt
die geringern, wie ſie ehedem die ſtaͤrkſten bekamen;
die Armenanſtalten erhielten die hoͤchſten. Seinem
geweſenen Geſinde, bis auf den Stalljungen herab,
ſetzte er ein Kapital von Fuͤnf und Neunzig Tauſend
Gulden aus. Seine Handlungsbedienten bekamen gegen
Vierzehn Tauſend Gulden. Sein Schwager ward
Univerſalerbe, mit der Verpflichtung, ſaͤmmtliche Le-
gate, die in der Handlung ſtehen bleiben, zu drey
vom Hundert jaͤhrlich zu verzinſen. Seine Schwe-
ſtern und deren Kinder, ſein anderer Schwager und
drey entferntere Verwandte in Tyrol, erhielten noch
in einzelnen Vermaͤchtniſſen, von Hundert, Tauſend
bis Vier Tauſend, die Summe von Dreymal Hun-
dert und Vierzehn Tauſend Gulden!!
*)
Vergleiche Huͤbners Beſchreibung von Salzburg.
Th. II. S. 8. fg.
*)
Vergl. aber loc. cit. S. 82. fg.
*)
Neueſter Wieneriſcher Wegweiſer ꝛc.
Wien, von und bey Kurzbek 1792.
*)
Vergl. Nikolai's Reiſe ꝛc. Th. III, S. 156.
u. folg. Auch die Beyl.IV. ebendaſ.
*)
Skizze von Wien. II.[53]
*)
Es hat ſich nachher, als die Vigano in andern
deutſchen Staͤdten auftraten, gezeigt, daß dieſe ed-
lere Art der Tanzkunſt uͤberall zauberiſch wirkte, in
Prag wie in Dresden, in Dresden, wie neuerlich
in Berlin. Ich erhalte ſo eben aus letztrer Stadt
*)
einen Brief, der den Eindruck ſehr lebhaft malt,
welchen die Kuͤnſtlerin auf das dortige Publikum
gemacht hat, und theile dieſe Schilderung, die zu-
gleich den Charakter ihres Tanzes ſo treffend angiebt,
mit. „Ach, was haben Sie verſaͤumt!“ (die Brief-
ſtellerin wußte nicht, daß ich dieſe Taͤnzerin geſehen
hatte) „Sie haben die Vigano nicht tanzen ſehen!
Denken Sie ſich nicht etwa — einen grazienhaften
Wuchs — keine elegante Franzoͤſin — keinen großen
Anſtand in „panier“ und „panache“ — keinen
„grand- oder demi-charactère “ — kein „tour
de jambe“
— keine „pirouette“ — Mit einem
male ſteht ſie da, mitten auf dem Theater, und
iſt unter den uͤbrigen Puppen, das einzige lebende
Weſen! — Man iſt außer ſich — hingeriſſen von
einem fremden Gegenſtande, aber nur fremd unſerm
koͤrperlichen Auge, nicht dem geiſtigen, nicht unſerm
Gedaͤchtniß. Man hat dieſen Anzug, dieſe Stellung,
dieſe Zuͤge ſchon geſehen. Man erſtaunt nicht, aber
man iſt im Innerſten geruͤhrt. Sie bewegt ſich
endlich und es entſteht eine tiefe Stille. Sie tanzt
eigentlich gar nicht; ſie ſchwebt in den reizendſten
Stellungen auf dem Theater. Sie ſteht wieder ſtill
— ſie horcht. Er wird kommen! Ja, es muß je-
*)
Man ſchrieb mir nachher, daß, als die Vigano,
auf einem Ruf des Steyriſchen Adels, nach Graͤtz
reisten, um dort einige Vorſtellungen zu geben,
viele Wagen von Wien dahin abgiengen, um das
beruͤhmte „pas-de-deux“ noch einmal zu ſehen.
*)
mand kommen! Man ſieht es, man fuͤhlt es! Ihre
Stellung, ihr Auge, der Wurf ihrer Arme, ihr
ſchuͤchternes Lauern, ihr Entzuͤcken — alles an ihr
iſt Ausdruck von Begeiſterung, von Liebe! — Er
koͤmmt endlich, der Erwartete! — Aber, warum
iſt es nur ein Menſch? Sie ſchien einen Gott im
Rauſche ihrer Empfindungen zu lieben. Sie ſieht
ihn und — laͤuft ab! Aber wie laͤuft ſie ab! —
Haͤtten Sie Armer ſie auch nur weglaufen ſehen! —
Sie koͤmmt freylich wieder — und dann hat ſie
verloren — Aber es iſt unmoͤglich, dies einfache
Thema mit einem wundervollern Zauber durchzu-
fuͤhren.“
„Die ganze Nacht dachte ich daran, wo ich dieſe
Erſcheinung ſchon geſehen haͤtte. Erfunden hat ſie
dieſen Anzug, dieſe Stellungen nicht, dachte ich,
beydes iſt mir bekannt. Ich ſchlief daruͤber ein.
Als
*)
Als ich erwachte, war es mir, als ob im letzten
Moment des Schlafes eine ſchoͤn hetruriſche Vaſe
mir vorgeſchwebt haͤtte. Mein Raͤthſel war ploͤtzlich
erklaͤrt. Die Vigano vereinigte in ihrer Perſon die
Kleidung, den Anſtand und die Stellungen der Nym-
phen auf dieſen Vaſen. Alles, alles ſo! — Und
glauben Sie nur nicht, daß ich allein von dieſer
Taͤnzerin ſo entzuͤckt bin. Geſchaͤftsmaͤnner mit Ak-
ten im Kopf und Herzen, junge Herren mit gar
keinem Herzen — kurz, alle Welt — doch die Ber-
liniſchen unverheiratheten — oder gezierten Damen
ausgenommen — iſt eben ſo entzuͤckt, als ich.“ —
*)
Eigentlich Glanfurt von dem Fluͤßchen Glan,
das in der Naͤhe voruͤbergeht.
*)
Richtiger vielleicht: Eisach, von
Eis und Ach,
oder Aa, was bey unſern Alten Waſſer und, in
der zweyten Bedeutung, Fluß hieß. Daher Aachen
Salza
oder Salzach, Schwarzach. u.ſ.w.
[[307]]

Appendix A

Appendix A.1 Druckfehler im fuͤnften Heft.



  • Seite 5. Zeile 17 im Inhalt, anſtatt Taxe, lies Lage.
  • S. 10. Z. 22, anſt. Schuppen, l. Schoppen.
  • S. 15. Z. 22, anſt. nie, l. immer.
  • S. 19. Z. 4, anſt. Privatelute,l.Privatleute.
  • S. 33. Z. 15, anſt. Unbigau, l. Uebigau.
  • S. 51. Z. 10, anſt. abgeſchoſſen, l. herabge-
    ſchoſſen
    .
  • S. 51. Z. 11, anſt. herab, l. herunter.
  • S. 74. Z. 16, iſt oder auszuſtreichen.
  • S. 83. Z. 20. anſt. Steudel, l. Strudel.
  • S. 113. Z. 16, anſt. ſchreckenden, l. ſchwanken-
    den
    .
  • S. 176. Z. 1, anſt. 2326 Fuß, l. 2½ Fuß.
  • S. 184. Z. 19, anſt. geſtorbenen, l. geborſtenen.
  • S. 228. Z. 3, von unten, anſt. à l. a.


[[308]][[309]][[310]][[311]]

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Schulz, Friedrich. Reise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjxd.0