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Deutſches Leben.

Eine Sammlung geſchloſſener Schilderungen
aus der
deutſchen Geſchichte
mit beſonderer Berückſichtigung der Culturgeſchichte und der Beziehungen zur
Gegenwart.

Erſter Band.
Die deutſche Trachten- und Modenwelt.

Leipzig,:
Verlag von Guſtav Mayer.
1858.

[]
Die deutſche
Trachten- und Modenwelt.

Ein Beitrag
zur
deutſchen Culturgeſchichte.


Zweiter Theil.
Die Neuzeit.

Leipzig,:
Verlag von Guſtav Mayer.
1858.

[][]

Ueberſicht.


Drittes Buch.
Die Neuzeit.


  • Seite
  • Erſtes Kapitel. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
    1500—1550 1
  • Zweites Kapitel. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
    1550—1600 81
  • Drittes Kapitel. Der Naturalismus und das Stutzerthum des
    dreißigjährigen Kriegs. 1600—1650 168
  • Viertes Kapitel. Die Staatsperrücke und die abſolute Herrſchaft
    der franzöſiſchen Mode. 1650—1720 213
  • Fünftes Kapitel. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
    1720—1805 263

[]

Drittes Buch.
Die Neuzeit.


Erſtes Kapitel.
Die Reformation an Haupt und Gliedern.
1500—1550.


Nunmehr angekommen auf dem großen Wendepunkt der
Geſchichte, wo mit dem Entwicklungsausgange der modernen
Ideen auch die moderne Tracht ihren Anfang nimmt, Schritt vor
Schritt, aller Launen der Mode ungeachtet, mit ihrem eigenen
Charakter den der Geſchichte begleitend, da möchte es nicht un-
angemeſſen erſcheinen, einen flüchtigen Blick zurückzuwerfen auf
die Vergangenheit und das Werden aus den Urformen, die Höhe
und Blüthe, ſowie die vielgeſtaltige Entartung raſchen Laufes
zu überfliegen. Wenn wir uns aus dem Vergleich der Entwick-
lung mit dem Gewordenen den Standpunkt klar machen, auf
welchem das Coſtüm an der ſcharfen Scheide zwiſchen dem Mit-
telalter und der Neuzeit ſich befindet, ſo werden wir es dann
leichter den Weg durch die letzten Jahrhunderte herabführen kön-
nen, bis wir ſchließlich die Verbindung mit der Gegenwart her-
geſtellt haben.


Tauſendjährig war der Kampf geweſen, den die alte nationale
Tracht der Deutſchen mit dem römiſchen Coſtüm zu führen gehabt
hatte. Endlich war er mit dem Beginn des neuen Jahrtauſends
vollendet, doch ſchien nicht der Sieg auf nationaler Seite zu lie-
gen. Gleichwie damals im ganzen chriſtlichen Abendlande, nicht
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 1
[2]III. Die Neuzeit.
in Deutſchland allein, die lateiniſche Sprache zur Schriftſprache
geworden war, wie die humaniſtiſch-antike Bildung auf den
Pfaden, die ihr das Chriſtenthum geebnet hatte, ſich aller nach
Civiliſation ſtrebenden Claſſen der Geſellſchaft wenigſtens äußer-
lich bemächtigt hatte, ſo war auch in gewiſſem Sinne die äußere
Erſcheinung dieſer Welt eine griechiſch-römiſche geworden. Aber
freilich nur in gewiſſem Sinne: denn es waren nur die todten
Formen, der antike Geiſt war aus ihnen gewichen. Ueber den
kurzen und engen deutſchen Rock hatte die lange und weite, fal-
tig gegürtete Tunica den Sieg davon getragen: ſie war bei
Mann und Frau das Hauptkleid geworden. Der Mantel, von
hinten herumgelegt und vorn auf der Bruſt mit einer Agraffe
befeſtigt, glich dem Pallium. Die langen deutſchen Locken waren
gefallen; der deutſche Kopf trug nach römiſcher Sitte das „ſchön
gekürzte“ Haar und zeigte ein völlig bartloſes Geſicht. Aber dieſe
Erſcheinung war weit davon entfernt, den befriedigenden Ein-
druck plaſtiſcher Schönheit zu machen wie griechiſch-römiſche Ge-
ſtalten; Stoff und Schnitt und der prunkende, aber roh geformte
Goldbeſatz verhinderten in gleicher Weiſe Größe und Würde wie
Reiz und Anmuth. Die Menſchen verſtanden es noch nicht, ſich
zu tragen und die Schönheit der Gewandung oder des Wuchſes
gefällig ins Licht treten zu laſſen.


In der Zeit der Ottonen ſchien durch den Einfluß der ita-
liſchen Adelheid und der griechiſchen Theophanie, ſowie durch
den Cultus des jungen Otto III. für das claſſiſche Rom die
Herrſchaft antiker Civiliſation feſt begründet zu werden, aber
kaum iſt ſie auf dieſem Punkte angekommen, wo ſie befruchtend
zu wirken beginnt, ſo ſchießt aus der innigeren Verſchmelzung
der germaniſchen und antik-chriſtlichen Elemente das neue, ſelbſt-
eigene Leben der mittelalterlichen Welt in Jugendfriſche und zu
originaler Schönheit empor. Die Kunſt wie die Poeſie ſtreifen
das claſſiſche Element ab und umbilden die neue und eigenthüm-
liche Ideenwelt, den neuen Geiſt mit neuen Formen. So ent-
äußert ſich auch das Coſtüm des römiſchen Scheines. Zwar iſt
es die alte Tunica, welche den Mann und die Frau bedeckt, und
[3]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
derſelbe Mantel, das Pallium, legt ſich um die Schultern. Aber
beide wandeln ſich faſt unſcheinbar und dennoch ſo gründlich in
Phyſiognomie und Charakter um, wie es nur immer der Schritt
von der Natur, um nicht zu ſagen von der Barbarei, zur Civiliſa-
tion, der Schritt von der Roheit zu geläuterter Form vermag.
Indem ſich die Tunica, die obere wie die untere, am Oberkörper
und an den Hüften bei beiden Geſchlechtern verengt, nach unten
aber ſich verlängert und erweitert, indem der Mantel Schnitt und
mäßige Weite gewinnt und zugleich die weiche Wolle an die
Stelle der harten Leinwand tritt, iſt es erſt möglich, daß der
ſchlanke Wuchs der Frauen und die kräftigen Formen der Män-
ner in gleicher Weiſe wie ein edler fließender Faltenwurf die
menſchliche Geſtalt als den ſchönſten Vorwurf des plaſtiſchen
Künſtlers erkennen laſſen. Solche Umwandlung geſchah im Zeit-
alter der Minnepoeſie und des Frauencultus. Zugleich verach-
tete der Mann das kurze Haar als knechtiſch, und die Frau warf
die nonnenhaft ernſten, verhüllenden Kopftücher und Hauben
weg, und die einen wie die andern ließen nun in ſanft welliger
Lockenfülle das Haar herabfallen, die Frauen in ungehindertem
Wuchs über Rücken und Schultern, die Männer in gemäßigter
Länge.


So blieb es noch das ganze dreizehnte Jahrhundert hin-
durch. Als aber im vierzehnten der Geiſt des Mittelalters zu
ſinken begann und mit wachſender Sittenloſigkeit und Auflöſung
der bisherigen Ideen die Entartung eintrat, da führte auch in
der Tracht derſelbe Drang, welcher früher die Roheit in Schön-
heit verändert hatte, jetzt ins Uebermaß geſteigert, zur Unſchön-
heit, Unnatur, zum Unſinn und zur Schamloſigkeit. Die ſtei-
gende Neigung zur Verengung und Verkürzung verwandelte die
lange anſchmiegende Tunica in den wider den Anſtand verkürzten
und wider alle Bequemlichkeit verengten Scheckenrock oder Lend-
ner und endlich gar in die nur zur Hüfte reichende Jacke. Die-
ſelbe Urſache, die Sucht der Verengung, hatte noch eine andere
Folge, welche die Tunica im eigentlichſten Weſen veränderte und
ſie der Grundform nach mit einem Schlage in den modernen
1*
[4]III. Die Neuzeit.
Rock verwandelte. Dieſes Kleidungsſtück hatte in ſeiner alten
und urſprünglichen Form durch Ueberwerfen über den Kopf an-
gelegt werden müſſen, die zunehmende Enge machte das am
Ende unmöglich. Nachdem man eine Zeit lang durch Einſchnitte
vorn von oben und unten her vergeblich dem Uebel abzuhelfen ge-
ſucht hatte, ſchnitt man das Kleid auf in ſeiner ganzen Länge herab,
ſo daß es nun im buchſtäblicheren Sinne angezogen werden
konnte. Der Knopfbeſatz, der den Schnitt begleitete, that ohne-
hin der Enge Vorſchub. Auch die obere Tunica, der ſpätere
Trappert und die Schaube, obwohl ſie ſich als Vertreterin des
Mantels faſt durchgängig in größerer Weite und Länge hielt,
wurde ganz in derſelben Weiſe aus dem Ueberwurf in den An-
zug verwandelt. Doch wurde für ſie dieſe Form erſt an der
Grenze des Mittelalters gegen das Jahr 1500 allgemein.


Mit der allmähligen Verkürzung und Verengung der Tunica
oder des Rockes bis zur Jacke ſteht die Entwicklung des Bein-
kleides in nothwendigem Zuſammenhang. Wenn wir als die
allgemeinere Form für die früheren Jahrhunderte des Mittel-
alters die der ſ. g. Bruche annehmen, d. h. der langen, die gan-
zen Beine deckenden Strümpfe, in welche von oben her eine den
Unterleib ſchützende Leinwandhoſe hineingeſteckt wurde, ſo mußte
dieſe Art doch völlig verſchwinden, als ſich der Rock in ſo bedeu-
tender Weiſe verkürzte. In der That haben wir auch erfahren,
daß dieſes in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bei jener Um-
änderung gleichzeitig geſchah. Damals wurde das lange, von
der Hüfte bis zur Zehe in einem Stück herabreichende Beinkleid
zur allgemeinen Tracht in der ganzen vornehmen und bürgerli-
chen Welt. Wie wir geſehen haben, ſchrumpfte der Rock bis zur
Jacke zuſammen. Um die Hüfte herum wurde nun das Beinkleid
rings mit Neſteln an dieſelbe befeſtigt. So war die Form noch
um 1500. Beinkleid und Jacke lagen damals wie angegoſſen in
läſtigſter Enge jedem Gliede an, ſoweit nicht die keimende Mode
der Aufſchlitzung ſchon am Arme ihren Einfluß anzukündigen
begann. Es läßt ſich nicht ſagen, daß der Anſtand dabei völlig
gewahrt worden wäre und um ſo weniger, als Hals und Schul-
[5]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
tern und ein gut Theil von Bruſt und Rücken von Leuten jeden
Standes nackt getragen wurden, und ſtatt der Schaube nur zu
häufig das kurze Mäntelchen, kaum die eine Achſel und den hal-
ben Rücken bedeckend, zwecklos und luftig umherflatterte. Ueber
den blanken Nacken und die bloßen Schultern wallte das lange,
fein gekräuſelte Haar herab in weit größerer Länge als in der
Blüthezeit des Mittelalters, ſo daß der Bart noch weniger auf
irgend eine Pflege oder Berückſichtigung Anſprüche erheben
durfte. Bis gegen den Ausgang des funfzehnten Jahrhunderts
ſind noch alle modiſchen Geſichter glatt. An der Kopfbedeckung
hingegen wie an den Füßen ſuchen ſich bereits die neuen For-
men in Geſtalt der Barette und der breitgeſchnäbelten Schuhe
geltend zu machen, obwohl nicht ohne noch auf bedeutenden Wi-
derſtand zu ſtoßen. Denn die bunte Mannigfaltigkeit des funf-
zehnten Jahrhunderts, die Regelloſigkeit und Regelwidrigkeit in
Form und Farbe, erſcheint am Ausgang deſſelben noch in voller
üppiger Blüthe; was wir ſo eben angegeben haben, iſt nur die
allgemeine Grundgeſtalt, an welcher und um welche die ſeltſame
Eitelkeit und die unfaßbare Phantaſtik dieſes Geſchlechts ein
tolles Spiel treibt.


Faſt noch mehr tritt das an der Frauenkleidung hervor.
Schon ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ſind die freien
Locken verſchwunden; das aufgelöſete, über Schultern und Rücken
herabwallende Haar mußte ſich in Zöpfe flechten, aufbinden und
unter eine mannichfach wechſelnde Menge von Hauben der aben-
teuerlichſten und unbequemſten Geſtalten mit lang wehenden
Schleiern verbergen laſſen. Das Frauenhaar war gänzlich un-
frei geworden; wo es widerſpenſtig an Schläfen und Stirn her-
vorlugte, wurde es wegraſirt oder abgebrannt. Ebenſo unfaßbar
im Charakter wie die bizarren Hauben iſt die übrige weibliche
Kleidung; man ſieht ihr die Auflöſung an: Maß, Form, Scham
und Zucht ſind mit einander verſchwunden, aller Halt verloren.
Gleich der männlichen hatte ſie den Höhepunkt der Schönheit im
dreizehnten Jahrhundert erreicht; im vierzehnten geht ſie rück-
wärts und wird bald zum Zerrbild. Die Enge am Oberkörper
[6]III. Die Neuzeit.
wird bis zur Unnatur fortgeſetzt, die Taille rückt großen Theils
bis hart unter die Brüſte, die übermäßigen Schleppen hindern
die Bewegung, die Aermel verlängern und erweitern ſich ins
Ungemeſſene, und die wachſende Decolletirung legt Bruſt und
Rücken bloß bis hinab zum Gürtel. Daneben blühen die Thor-
heiten der flatternden Zattel, der klingenden Schellen, der Schna-
belſchuhe und der klappernden Pantoffel.


Im Weſentlichen herrſcht dieſer Zuſtand noch auf der
Scheide des funfzehnten und ſechszehnten Jahrhunderts. Was
noth thut, iſt leicht zu bemerken: Maßhaltigkeit und Zucht,
äſthetiſche wie moraliſche; der Leichtfertigkeit, der unbequemen
Enge, den läſtigen und widerſinnigen Moden mußte größerer
Anſtand, Freiheit der Bewegung und eine gewiſſe Vernunft-
mäßigkeit in feſten, faßbaren Formen entgegentreten. Freiheit
und Charakter waren es, was in die zerfahrene Welt der Trach-
ten und Moden einkehren mußte, grade wie im Uebrigen die
abendländiſche Welt einer ähnlichen Regeneration bedurfte. Mit
dem Ausſterben des mittelalterlichen Geiſtes war ihr der Boden
unter den Füßen verſchwunden, und der verlorne Halt mußte ihr
wiedergegeben werden.


Es vereinigten ſich gar viele Momente um die angegebene
Zeit, dieſes Reſultat herbeizuführen. Hier genügt es, den ge-
waltigen Umſchwung anzudeuten, in deſſen Strömung das Coſtüm
hineingezogen wurde. Von der allgemeinen Erſchütterung und
Umwandlung blieb kein Stand, keine Lebensſphäre, keine Thä-
tigkeit unergriffen: Fürſten und Adel wie Kaiſer und Reich,
Städter und Bauer, der Gelehrte, der Geiſtliche und das Waf-
fenhandwerk, Handel, Gewerbe und Kunſt — ſie alle wurden in
gleicher Weiſe mitgeriſſen und tragen fortan die deutlichen Spu-
ren der neuen Zeit.


Mit dem Verfall des Lehnsweſens, der Turniere, der He-
raldik waren dem Ritterthum die Lebensbedingungen abgeſchnit-
ten, und ſo trat der alte Adel ſeine politiſchen und ſocialen Vor-
rechte einerſeits den Fürſten, andrerſeits dem dritten Stand ab.
Damit lockert ſich auch ſocial die ſtrenge Gliederung der alten
[7]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Stände, an deren Stelle der Rang und eine faſt willkürlich er-
ſcheinende Claſſificirung tritt, wie ſie in den Luxusgeſetzen be-
obachtet wird. Nicht einmal Wehr und Waffen konnte ſich der
Adel vorbehalten. Obwohl er Anfangs ſich erſt recht durch Dicke
und Undurchdringlichkeit der Rüſtung zu ſchützen ſuchte, konnte
er doch ſo wenig dem Feuerrohr widerſtehen, das ihn fällte, be-
vor er ſeinem Mann das Weiße im Auge ſah, wie den geſchloſſe-
nen oder leicht beweglichen Gliedern der Landsknechte. Das
Fußvolk übt jetzt die Entſcheidung der Schlachten; der Ritter
kann ſeinen Harniſch als Erinnerung in der Väter Hallen auf-
hängen, ſtatt der adligen Lanze den gemeinen Spieß ergreifen
und ſich als Gleicher in die Reihen des Fußvolks ſtellen.


In dem politiſchen Umſchwunge trugen die Fürſten den
Preis davon. Durch das Sinken des Adels nicht bloß von einem
Gegner befreit, ſondern poſitiv an Macht gewachſen, bald durch
die Seculariſation geiſtlicher Güter verſtärkt, durch die öffentliche
Meinung gehoben und durch die Religion befeſtigt, errangen ſie
die völlige Landeshoheit und legten den Grund zu der unum-
ſchränkten Gewalt, welcher die nächſten Jahrhunderte zuſtrebten.
Ihnen gegenüber verloren Kaiſer und Reich und wie der Adel,
ſo auch die freien Städte.


Nach unten hin wurde die Umwandlung der Dinge mehr
ſocialer oder ſocial politiſcher Natur bis auf den Bauer herab,
der, hier bedrückt, dort übermüthig, hier darbend, dort reich und
üppig, eine Zeit lang durch die Gährung aus dem Grunde an
die Oberfläche geſchleudert wurde. Dann verſank er wieder in
die Tiefe, denn ſeine Zeit war noch nicht gekommen, wo er mit
feſtſtehender Bedeutung als ein nothwendiges und in ſeinem
Werthe erkanntes Glied in die politiſche Ordnung der menſch-
lichen Geſellſchaft eingereiht werden ſollte.


In der ganzen Welt des Bürgerthums, in der gelehrten wie
ungelehrten, in Handel und Gewerbe und bei den gebietenden
Herren dürfte kaum eine Sphäre zu finden ſein, die nicht auch
ohne die religiöſe Erſchütterung von der Bewegung mächtig
ergriffen geweſen wäre. Abgeſehen von der Aufregung der Ge-
[8]III. Die Neuzeit.
müther, welche das Neue, Wunderbare und Unerhörte immer
hervorbringt, hatten die großen Entdeckungen zur See und in
deren Folge die veränderten Verkehrsſtrömungen den Kaufmann
in neue Bahnen gelenkt, was durch wachſenden Reichthum, durch
Vermehrung ſeines Anſehns, durch die leichtere Zugänglichkeit
dieſer oder jener fremden Produkte, ſowie durch vergrößerten Ab-
ſatz auf das Gewerbe und die arbeitenden Claſſen ſeinen noth-
wendigen Rückſchlag äußerte.


Im Handwerk verurſachte zudem bei Bevorzugung der
Technik der veränderte Kunſtgeſchmack mehr, als man glauben
möchte, lebhafte Aufregung. Denn damals galt eine Arbeit,
wenn ſie fertig war, damit noch nicht für abgethan, ſondern wie
ſie unter den Händen ihres Meiſters gedieh und der Vollendung
entgegen ging, wuchs ſie ihm ans Herz und empfing in Form
und Zierrath die bleibenden Zeichen ſeiner Liebe und bewahrte
ſein Intereſſe. Fabrikmäßige Maſſenarbeit kannte man nicht;
jedes einzelne Erzeugniß, das nur im geringſten irgend ein
Schönheitsintereſſe erwecken konnte, erhielt größere Individua-
lität, gewiſſermaßen eine individuelle Phyſiognomie. Bis in
den Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts hatte man in der
alten deutſchen Weiſe fortgearbeitet, in dem reichen, blühenden
Stil der ſpäteren Gothik, der grade auf dem Gebiet des Kunſt-
gewerbes für die Kirche wie für das Haus in Holz, Metall,
Stein und Thon ſo bewunderungswürdige Erzeugniſſe hervor-
gebracht hat. Nun drang der italieniſche Geſchmack, die in freier
Weiſe wieder aufgelebte Antike über die Alpen, und was bisher
für ſchön gegolten, was aus dem deutſchen Herzen entſprungen
und mit deutſcher Liebe und Hingebung ausgeführt war, das
ſollte nun häßlich, roh, barbariſch, das ſollte gothiſch ſein in
der italieniſchen Bedeutung des Worts. Kein Wunder, daß der
Handwerksmann an ſeinen Erfindungen irre ward; ob er ſich in
die neue „antikiſche“ Weiſe hineinfinden konnte oder nicht, er
mußte ihr folgen. Anfangs ſuchte er noch das neue Ornament
in die alten Grundformen einzufügen, bis er auch dieſes auf-
geben mußte. Dann rief er die Kunſt des gelernten Malers und
[9]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Zeichners zu Hülfe, während früher ſeine eigene Erfindungsgabe
und Geſchicklichkeit ausgereicht hatte.


Ehe die eigentliche deutſche Kunſt, die Malerei und Bild-
hauerei, dem directen Einfluß der Italiener erlag, ſollte ſie grade
noch in Folge des großen Umſchwungs ihre höchſte Blüthezeit
feiern, wenn dieſelbe auch kaum der Dauer eines Menſchenalters
ſich rühmen konnte. Es waren die letzten zwanzig bis dreißig
Jahre der künſtleriſchen Wirkſamkeit Dürers; ſeine Schüler
arbeiteten eine kurze Zeit in ſeinem Geiſte fort und erlagen dann
dem alles überfluthenden Strom der Renaiſſance, die ſchon in
einzelnen Werken des Meiſters, wie z. B. in der Triumphpforte
und noch mehr im Triumphwagen in unverkennbaren Zügen her-
vortritt. Der Realismus, der am Ausgang des vierzehnten Jahr-
hunderts in die Kunſt eindrang und namentlich in den Nieder-
landen ſo großartige Erfolge herbeigeführt hatte, konnte in der
Verwilderung des funfzehnten Jahrhunderts die Kunſt freilich
nicht auf der Höhe der van Eyck’s erhalten; aber vor eigentlicher
Manierirtheit bewahrte ſie die Tiefe und Naivetät der Empfin-
dung, unſchätzbare Eigenſchaften, die ein Jahrhundert ſpäter
völlig verloren gingen. Jedoch ſchlug bei der Verſchrobenheit der
Zeit das Streben nach individueller Charakteriſirung nur zu oft
ins Extrem, ins Eckige, Verzerrte und Häßliche um, ſodaß durch
die Uebertreibung wieder Unnatur in Form, Bewegung und Aus-
druck entſtand, wie das Wohlgemuth und ſeine Genoſſen von
Kunſt und Handwerk deutlich lehren. Oft ſtreift dieſer Realis-
mus, der wohl das Leben ſelbſt, aber wenig den dargeſtellten
Gegenſtand berückſichtigt, wieder hart an die Manier.


Auf die freie Höhe der Vollendung, zu ächter Naturwahr-
heit wirklichen und charakteriſtiſchen Lebens führte Dürer die
Kunſt. Ohne im geringſten an Innerlichkeit, an geiſtigem Ge-
halte aufzugeben, riß er ſie heraus aus der Unbeholfenheit, welche
noch die deutſchen Meiſter des funfzehnten Jahrhunderts gelähmt
hatte und befreite ſie von aller Uebertreibung, Manier und Ver-
ſchrobenheit. Er ſtrebte nicht nach idealen Formen, ſondern nahm
ſeine Geſtalten wie er ſie in der Wirklichkeit um ſich fand, jedoch
[10]III. Die Neuzeit.
mit voller Berückſichtigung der darzuſtellenden Charaktere. Und
ſo reich und mannichfaltig iſt er darin wie das Leben ſelbſt. So
iſt er im vollſten Sinne des Worts realiſtiſch wie die ganze ächt
deutſche Kunſt ſeiner Zeit. Ideal erſcheint er nur darin, daß er
ſeine Schöpfungen mit einem Reichthum, einer Kraft und Tiefe
des geiſtigen Inhalts, mit einer Fülle von Gedanken und Em-
pfindungen begabte, die weit über das gewöhnliche Maß menſch-
licher Größe hinausliegen. Die ganze deutſche Kunſt ſeiner Zeit
riß er in dieſe Bahn hinein, einerlei, ob die Meiſter ſeine Schü-
ler geweſen oder nicht; aus ſeinen Kupferſtichen und Holzſchnit-
ten lernten ſie alle. Das ganze bewegte Leben jener Periode
dringt in die Kunſt ein und erfüllt ſie als Inhalt; ſie wird ein
Spiegelbild der Welt, welches die Fortſchritte der Wiſſenſchaft,
die geiſtigen und religiöſen Kämpfe, die politiſchen und kriegeri-
ſchen Wirren und Ausgeburten, das ſociale Leben in derber,
nackter Sinnlichkeit zurückſtrahlt. Nie fand eine innigere Ver-
bindung zwiſchen der Kunſt und dem Leben ſtatt. Dürers Nach-
folger, die ſ. g. Kleinmeiſter, zeigten ſich faſt noch derb natura-
liſtiſcher, wie Hans Sebald Beham. Als aber gegen die Mitte
des Jahrhunderts der italiſche Geſchmack bewältigend über die
Alpen drang, da war es mit der deutſchen Kunſt vorbei. Es kam
die Zeit der geiſt- und gehaltloſen Manieriſten.


Weit bekannter iſt die Umwälzung, welche in Wiſſenſchaft
und Schule ſtattfand. Obwohl ſie bereits ſchon lange in der
wieder erwachten Liebe zum claſſiſchen Alterthum vorbereitet war,
und die Buchdruckerkunſt ihr die Möglichkeit gegeben hatte, eine
allgemeine zu werden und bis in den tiefſten Kern des Volks zu
dringen, ſo traten doch erſt ſeit dem Jahre 1500 die Reſultate in
entſprechender Weiſe auf. Der menſchliche Geiſt wurde der ſcho-
laſtiſchen Befangenheit entriſſen und ihm die freie Forſchung ge-
wahrt, auf welcher alle Erfolge der Neuzeit beruhen.


Während ſo das geſammte Culturleben im Begriff ſteht,
theils freiwillig, theils gezwungen mit dem Mittelalter zu bre-
chen, während es bemüht iſt, die todten, erſtarrten Formen, die
es drücken und beengen, von ſich abzuſtreifen und die neuen
[11]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Ideen neu zu geſtalten, treten noch die großen politiſchen und
religiöſen Weltereigniſſe im brauſenden Sturm hinzu, welcher
die ſtilleren Bewegungen des Geiſtes und der Geſellſchaft über-
täubt. Durch die Vereinigung der vielen und auseinander lie-
genden Länder unter dem Scepter der Habsburger, die nun von
gemeinſamer Politik geleitet wurden, durch die unaufhörlichen
großen Kriege, die den Zankapfel Italien betrafen, waren die
Völker des abendländiſchen Europa in eine Fülle von Wechſel-
beziehungen gerathen, welche dem ganzen Mittelalter unbekannt
geweſen war. Das Kriegsleben, die Soldaten, die nun aus dem
Volke hervorgingen und in daſſelbe zurückkehrten, ließen die
Wirkung hinunterfühlen bis in die unterſten Schichten.


Ohne Vergleich noch ausgebreiteter und intenſiver bis ins
Innerſte der Herzen wirkten die religiöſen Bewegungen, die man
unter dem Namen Reformation zuſammenzufaſſen gewohnt iſt.
Das ſeit langem gefühlte und in Concilien anerkannte Bedürf-
niß nach Reformen auf dieſem Gebiet machte ſich am Ende ge-
waltſam Luft. Recht aus der Tiefe des Volkes hervorgegangen,
verbreitete ſich die Bewegung wie ein vom Sturm gejagtes Feuer
und ergriff in kürzeſter Friſt, freundlich oder feindlich, die ge-
ſammte Maſſe des deutſchen Volks in allen Ständen und ſpaltete
es in zwei Lager, die in beſtändig aufgeregter Wachſamkeit ein-
ander gegenüber ſtanden.


Dieſe allgemeine und allſeitige Aufregung, welche die
öffentlichen Verhältniſſe umwandelte, wie ſie zugleich das ganze
Sein und Denken der Menſchen erſchütterte und in eine neue
Bahn warf, konnte nicht umhin, auch das Aeußere derſelben in
gleicher Weiſe umzugeſtalten. Wie ſich die Leidenſchaften des
Menſchen ſeinem Geſichte eingraben, wie die Geſchichte ſeines
Lebens von ihren ſchwerſten Momenten die Eindrücke zurückläßt,
ſo trägt auch die Menſchheit von den erſchütternden Weltereig-
niſſen, von den aufregenden und vorwärts treibenden Ideen die
Zeichen unverkennbar an ſich in ihrem Aeußern bis auf die Klei-
dung und die Phyſiognomie. In dem Sturm und Drang der
neuen Zeit, da Schlag auf Schlag große Begebenheiten die er-
[12]III. Die Neuzeit.
regten Gemüther trafen, mußte die alte Leichtfertigkeit zu Grunde
gehen. Das ſorglos heitre Treiben, die Eitelkeit der Welt, die
an ſo luſtig narrenhafter Kleidung ihr Gefallen gefunden hatte,
ſchwand hin vor den ernſteren Dingen, den ernſteren Mahnun-
gen, die ans menſchliche Herz ſchlugen und es in ſich kehrten,
den Geiſt innerlich machten und endlich die Sündhaftigkeit ins
eingeſchüchterte Gewiſſen riefen. Die Folge iſt, daß einerſeits
unter der Schwere der Zeit, wie das Eiſen auf dem Ambos, die
Kleidung aus der alten Zerfahrenheit und Geckenhaftigkeit zu
Charakter, zu klaren Formen mit feſten, beſtimmten Umriſſen
zurückkehrt, andrerſeits, wie die Sünde ins Bewußtſein tritt,
die Unſittlichkeit verſchwindet und die Blößen allmählig ſich decken
bis zu förmlicher Verhüllung.


Aber das iſt nur die eine Seite. Im allgemeinen Drange
nach Freiheit fielen die Feſſeln, in der Erregung wurden die Lei-
denſchaften gelöſet, um hierhin und dorthin die Dämme der Sitte
zu durchbrechen: ſo duldet der Menſch auch an ſeinem Körper
nichts Läſtiges mehr; er muß ſich frei und leicht bewegen können
und ungehindert Herr ſeiner Glieder ſein. Auch in dieſem Sinne
ändert ſich die Kleidung, aber nicht ohne ſich fortreiſſen zu laſſen
und in ein tolles Uebermaß auszuarten, gleichwie die ſociale und
religiöſe Bewegung ſich in dem Aufruhr der Bauern und dem
Wahnſinn der Wiedertäufer überſchlug. Ihnen ſteht die Klei-
derthorheit der Landsknechte ebenbürtig zur Seite.


Hierin aber lag die Gefahr der Zeit. Indem ſie im Drang
der Leidenſchaften über das Maß hinausging und ſich überſtürzte,
rief ſie die Oppoſition hervor, die ſchließlich um ſo leichteres
Spiel hatte, als der Ueberſpannung und Ueberreizung eine Zeit
der Schwäche in Abſpannung und Erſchlaffung folgen mußte.
In dieſem Zuſtand der Willenloſigkeit und Nachgiebigkeit wurde
mit Erfolg den reformatoriſchen Bewegungen ein Damm geſetzt
und ſelbſt verlorenes Gebiet zurückerobert. Während ſo der Ka-
tholicismus die Reſtauration unternimmt, und zugleich die Re-
formation in ſich ſelbſt zu Dogmatismus und Moral erſtarrt,
erfaßt die Reaction auch die Kleidung, welche ſich ſteift, verengt
[13]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
und ſelbſt unnatürliche Formen ſich wieder auflegen läßt. Wir
werden ſehen, wie ſich ſeit der Mitte des Jahrhunderts mit dem
ſiegreichen Vordringen Spaniens in Politik, Religion und Sitte
ein kalter, ertödtender Hauch über das noch blühende Leben legt,
die Gemüther erſchreckt, die bunte Trachtenwelt aber entfärbt und
des leichten Schmuckes entkleidet. Das Leben wird ſteif und
ſtarr, ſtirbt langſam ab oder verpuppt ſich wie die Raupe in die
harte Schale, des neuen Frühlings harrend. Dieſer kam zwar
mit dem Beginn des ſiebzehnten Jahrhunderts in einer Art von
erneuertem Naturalismus, aber ſein Gegenſtoß war wohl wir-
kungsvoll, vermochte jedoch nicht ganz die Menſchheit wieder in
die verlorne Bahn zurückzureißen. Was dieſen Naturalismus
auf den Gipfel hob, der dreißigjährige Krieg, ſtürzte ihn auch
wieder, und aufs Neue feſſelt Erſtarrung, Verknöcherung die
todesmüden Geiſter, ſelbſt als unter Ludwig XIV. und der Herr-
ſchaft der Staatsperrücke neue pomphafte und anſpruchsvoll ſtolze
Formen ſich gebildet haben. Dann kommt im achtzehnten Jahr-
hundert mit Puder und Zopf die Zeit des Winterſchlafes, bis
der Sturm der Revolution, gleich der Aequinoctionalzeit vor dem
Frühling den Puderſchnee verweht und die Bande des Zopfes
zerreißt.


Wir werden aber noch von einer andern Seite, freilich nur
andeutungsweiſe, die Geſchichte des Coſtüms zu betrachten ha-
ben. Bis hierher haben wir geſehen, wie das ganze Mittelalter
hindurch die Kleidung unter den Völkern der abendländiſchen
Chriſtenheit keineswegs bedeutende Verſchiedenheiten an ſich
trug, ſondern gleichmäßig dem allgemeinen Gange der Cultur
gefolgt iſt. Demgemäß hat ſie uns zu derſelben Zeit immer den
gleichen Charakter gezeigt, wie ſich auch bereits directe Einflüſſe
der Mode von hierher und dorther und ſelbſt von Deutſchland
nach andern Ländern hin nachweiſen ließen. Dennoch hatte ein
jedes Volk, wie es nach Urſprung und Geſchichte beſonders ge-
artet war, und wie die Momente der Cultur und die großen
Weltereigniſſe unter verſchiedenen Bedingungen an daſſelbe her-
antraten, der jedeswaligen Tracht und Mode innerhalb gewiſſer
[14]III. Die Neuzeit.
Grenzen einen ihm eigenthümlichen Charakter aufgedrückt. Es
iſt daher ebenſowohl möglich für ein jedes Coſtüm nach dem all-
gemeinen Charakter die Zeit ſeiner wirklichen Exiſtenz zu beſtim-
men, wie an den Beſonderheiten Land und Volk, dem es ange-
hört, zu unterſcheiden. Dieſe Gleichheit und Verſchiedenheit der
Kleidung zugleich theilen alle Claſſen der Geſellſchaft, ſodaß
z. B. die niedern Stände Deutſchlands von denen Frankreichs
und Englands in der Tracht nicht mehr abweichen als die höhe-
ren dieſer Länder. Und in noch viel geringerem Maße unter-
ſcheiden ſich in jedem Lande für ſich die Bewohner der einzel-
nen Provinzen oder Gegenden von einander, ſodaß von einer
eigentlichen Volkstracht im ganzen Mittelalter nicht die Rede
ſein kann.


Das ändert ſich aber im ſechszehnten Jahrhundert, indem
einerſeits die nationalen Unterſchiede verſchwinden, dagegen die
provinziellen und localen ſich zur feſten Volkstracht ausbilden.
Anfangs ſchien es, als ob bei dem grundverſchiedenen Ausgange,
welchen die großen Bewegungen in den einzelnen Ländern nah-
men, ſich wirklich nationale, die ganzen Völker kennbar ſcheidende
Trachtenformen herausbilden ſollten, allein wir ſehen bald, wie
diejenigen eines einzigen Volks als Mode die unbedingte Herr-
ſchaft übernehmen und die civiliſirte Welt des chriſtlichen Abend-
landes ſich autokratiſch unterwerfen. Das hatte zwei Urſachen.
Einmal verlöſcht unter der allgemeinen Erſtarrung bei dem Aus-
ſterben mittelalterlicher unbefangener Lebensluſt und Fröhlichkeit
die im Volk liegende Triebkraft zu neuer Trachtenbildung, und
zweitens wurde durch die immer näheren und innigeren Wechſel-
beziehungen der Völker, ſowie durch die Verſchmelzung der Stände
die Bildung mehr und mehr ausgeglichen und erhielt einen uni-
verſaliſtiſchen Charakter: wie ſie in der That eine gleiche wurde,
mußte ſie auch ein gleiches Kleid tragen. Wir ſehen daher in
der ganzen gebildeten Welt, ſoweit ſie der Mode folgt, ſeit der
Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts die nationalen Unterſchiede
verſchwinden, bis Ludwig XIV., der Schöpfer des franzöſiſchen
Hofweſens und des franzöſiſchen Abſolutismus, auf Jahrhun-
[15]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
derte hin Paris und ſeinem Hofe die unbedingteſte Herrſchaft im
Reich der Mode begründet.


Aber dieſer univerſaliſtiſchen Richtung tritt eine andere, die
particulariſtiſche, gegenüber. Es war eine der Folgen der großen
Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahrhundert geweſen, daß mit der
Schwächung des Reichsoberhaupts die Landeshoheit der Fürſten
ſich feſtigte und erweiterte, und ſomit die einzelnen größeren oder
kleineren Herrſchaften an Selbſtändigkeit gewannen, die allge-
meinen Reichsintereſſen aber zurücktraten. Wie losgeriſſene
Tropfen für ſich die Kugelgeſtalt wieder finden, ſo zieht ſich jeder
Landestheil zu einem eigenen für ſich beſtehenden Daſein zuſam-
men und ſchließt ſich von den übrigen ab. Er führt nun ein po-
litiſches Leben für ſich, welches nicht umhin kann, alsbald auch
einen ihm eigenen ſocialen Charakter anzunehmen. Wie die Fürſten
mit ihren Ländern, wo die angeſtrebte Centraliſation auf admi-
niſtrativem Wege durch die mehr oder weniger abſolute Regi-
rungsform weſentlich befördert wurde, ſo machten es auch die
Reichsſtädte oder wer ſonſt Autonomie hatte. So geſchah es
auch weiter in den Ländern der größeren Fürſten, wo ſich wieder
kleinere und immer kleinere Kreiſe und Gebiete, durch admi-
niſtrative oder geographiſche Bedingungen begünſtigt, von ein-
ander trennten und je in ſich zuſammenſchloſſen bis auf das Amt,
bis auf das Dorf herunter.


In Anbetracht der culturgeſchichtlichen Folgen verdanken
wir allerdings dieſer Zerlegung und Zergliederung des deutſchen
Reichskörpers die Entwicklung des reichſten und mannigfachſten
Geiſteslebens und eine möglichſte Verallgemeinerung von Bil-
dung und Kenntniſſen durch die Tiefen des Volks: aber ſie be-
günſtigte auch die Entſtehung des Spießbürgerthums, einer Er-
ſcheinung, die dem Mittelalter fremd war. Der Spießbürger iſt
dieſe fleiſchgewordene Abſchließung der kleinſten Kreiſe, die ab-
ſolute Abſperrung des ſocialen und politiſchen Horizontes inner-
halb der Grenzen ſeiner Stadt oder ſeiner Gemeinde. Dieſe
Beſchränkung oder Beſchränktheit erhält aber auch wieder eine
ehrwürdige Seite, indem ſie an dem, was ſich langſam einwur-
[16]III. Die Neuzeit.
zelnd ausgebildet hat, an hergebrachter, alter Sitte und Gewohn-
heit mit treuer Hingebung und zäher Ausdauer feſthält, unbe-
kümmert freilich darum, ob noch Vernunftmäßigkeit darin iſt,
oder ob die forteilende Zeit unhaltbare Widerſprüche aufdeckt.


Dieſe Entwicklung oder wenn man will Erſtarrung des
vom Reich losgeriſſenen und in ſeinen Sonderungen conſervativ
beharrenden Bürgerthums, der die an ſich ſchon zähe und feſt-
haltende Natur des Landvolks zur Seite tritt, gab erſt die Be-
dingungen zur Entſtehung der ſ. g. Volkstrachten als des ſepa-
ratiſtiſchen oder particulariſtiſchen Gegenſatzes zur univerſaliſti-
ſchen Mode. Somit ſind ſie weſentlich ein Erzeugniß der neuern
Zeit, Ausflüſſe oder Niederſchläge des Stromes moderner Cul-
turgeſchichte ſeit der großen Umgeſtaltung im ſechszehnten Jahr-
hundert. Aber man würde irren, wenn man glauben wollte, daß,
wie ſich nun in verſchiedenen Zeitmomenten und unter verſchie-
denen Verhältniſſen ſolche Trachten herausgebildet haben, welche
dieſe oder jene Localität als eine ihr eigenthümliche in Anſpruch
nimmt, daß dieſe Form, wie ſie einmal kryſtalliniſch geworden
iſt, nun für alle Zeiten regungslos, aller Fortbildung erman-
gelnd geblieben ſei. Allerdings kann von eigentlicher Fortbil-
dung der Volkstrachten nicht die Rede ſein, denn da ſie nichts
anders ſind, als Erſtarrungen der aus den höhern Sphären der
Geſellſchaft in die Tiefe gedrungenen Moden, wenn auch nicht
ohne auf dieſem Wege mancherlei Veränderungen erlitten zu ha-
ben, ſo iſt ihnen das eigentliche Leben, die Bildungsfähigkeit
verloren gegangen. Doch haben auch ſie ihre Geſchichte. In
dem Kampfe nämlich des Spießbürgerthums gegen den Kosmo-
politismus, der particulariſtiſchen Volkstracht gegen die univer-
ſaliſtiſche Mode konnte es nicht ausbleiben, daß die letztere Par-
tei in immer erneuerten Angriffen ab und zu ſich Boden errang
und bald dieſes, bald jenes Stück in die alte Tracht einſchob,
unter günſtigen Umſtänden auch dieſe völlig umſchuf. In letzte-
rem Falle blieb die Umgeſtaltung ſofort wieder ſtehen, um auf’s
neue, nachdem die Erinnerung des Urſprungs kaum ein wenig
trübe geworden, als alte ehrwürdige Ueberlieferung wie ein
[17]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Heiligthum von den Anhängern des Alten vertheidigt zu werden.
Große politiſche oder culturgeſchichtliche Ereigniſſe, wie z. B. der
dreißigjährige Krieg, die Angriffe Ludwigs XIV. und das Ueber-
gewicht [f]ranzöſiſcher Sitte und Sprache, leiſteten natürlich dem
Eindringen der Mode bedeutenden Vorſchub, ja ſie bezeichnen
gewiſſermaßen die Grenzmarken für die coſtümgeſchichtlichen
Perioden dieſer oder jener Gegend oder Stadt. Natürlich war
die Dauer ſolcher Perioden als abhängig von den Zeitereigniſſen
ſehr verſchieden, ſowie auch die Anzahl derſelben bei den einzel-
nen Provinzen, indeß dürfte wohl jede von ihnen zu erzählen
haben. Wir können ſie bis ins achtzehnte Jahrhundert verfol-
gen, bis ans Ende deſſelben, ja vielleicht noch darüber hinaus.
Grade das achtzehnte Jahrhundert, die Periode des Zopfes und
die Blüthezeit des Spießbürgerthums, iſt auch vorzugsweiſe die
Geburtszeit der Volkstrachten, der nämlich, welche wir heutiges
Tages noch zu ſehen gewohnt ſind. Denn man kann wohl ſagen,
die meiſten von ihnen, die wir jetzt nur noch auf dem Lande
finden, erhielten in dieſer Zeit ihre Entſtehung und führen uns
daher ein karrikirtes Bild der damaligen Modenwelt lebendig vor
Augen; manche ſetzten ſich erſt feſt durch den Anſtoß, welchen die
franzöſiſche Revolution gab. Oft glauben wir in einem Bauer-
burſchen, wenn wir uns nur die Jacke mit blanken Knöpfen zum
Frack verlängert denken, ein leibhaftiges Abbild des jungen Wer-
ther vor uns haben. Vielleicht dürfte noch mancher Greis vom
Lande ſich erinnern, daß in ſeiner Knabenzeit die Leute ſeines
Dorfes ſich anders gekleidet haben, und wenn er von ſich ſelbſt
den alten Spruch gebrauchen wollte:

„Da wir noch ſangen unſern Sang,

Da wir noch tranken unſern Trank,

Da wir noch trugen unſer Gewand,

Stund es gut im deutſchen Land,“


ſo dürfte ſein Großvater oder Vater dieſelben Worte auf die
eigene Jugendzeit angewendet haben, und der Enkel möchte wie-
der in denſelben Fall kommen. Am deutlichſten tritt uns die
Geſchichte einer Volkstracht vor Augen, wenn ſich an ihr Theile
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 2
[18]III. Die Neuzeit.
vereinigt finden, die verſchiedenen Zeiten angehören: man möchte
dann die ganze Geſchichte ihrer Heimath in den Hauptzügen an
ihr zurücklegen wollen. Mit einzelnen Stücken kommen wir da-
bei nicht grade ſelten ins ſechszehnte Jahrhundert hinauf, aber
zu den Ausnahmen gehört es, wenn wir irgendwo den Urſprung
in das funfzehnte Jahrhundert zu den barocken und unförmlichen
Moden dieſer Zeit zurück zu datiren haben.


Unſerem Plane freilich liegt es völlig fern, im Verlauf der
folgenden Darſtellung die Geſchichte jeder einzelnen Volkstracht
oder nur der hauptſächlichſten geben zu wollen: wir haben nur
den Gang der allgemeinen Trachten und Moden zu verfolgen,
von dem ſich eben die Volkstracht oppoſitionell ausſchließt. Den-
noch wird aus der Vergleichung der Trachten bürgerlicher und
niederer Stände mit den modiſchen, ſowie durch den Kampf des
bürgerlich conſervativen Elements gegen das univerſaliſtiſche das-
jenige, was wir über die Entſtehung der Volkstrachten geſagt
haben, auch an einzelnen Beiſpielen ſeine Beſtätigung erhalten.


Indem wir es nun verſuchen, den allgemeinen Umſchwung
der Dinge auch ebenſo an dem geſammten Aeußern des Menſchen
gewiſſermaßen als eine buchſtäbliche Reformation an Haupt und
Gliedern in allen Einzelheiten nachzuweiſen, ſtellen wir den
männlichen Kopf in unſerer Unterſuchung voran und laſſen
die Glieder folgen.


Ohne es zu wollen und zu beabſichtigen wird ſich an jedem
menſchlichen Kopf ſtets ein Theil der Individualität ſeines Trä-
gers offenbaren; an dem Schnitt des Haares, an der Art, wie
es geordnet, gehalten und gepflegt wird, ſelbſt an dem Hut und
der Weiſe, wie er auf dem Kopf ſitzt, werden ſich Eitelkeit oder
Nachläſſigkeit, Verwilderung oder Verbildung, Roheit oder Fein-
heit, Männlichkeit oder weibiſches Weſen, Leidenſchaft oder
Schwäche nicht verbergen laſſen. Ebenſo iſt der Kopf ein ſicherer
[19]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Barometer für den Culturzuſtand eines Volks und begleitet, wie
wir das auch ſchon geſehen haben, die Wandlungen deſſelben in
treuer Weiſe oder kündigt ſie wohl gar ſchon im Voraus an.
Völlig vernachläſſigt und verwildert, rein dem natürlichen Wachs-
thum, dem Sturm und Regen und andern Vorfällen des Tages
überlaſſen, war das Haar zu keiner Zeit und bei keinem Volke,
das einmal den erſten Schritt auf dem Wege der Cultur gemacht
hat. Ein größerer oder geringerer Mangel an Pflege und Hal-
tung, ein natürlicher, freier, aber in gefälligem Maß gehaltener
Wuchs, ein Zuviel von Pflege, eine künſtliche oder verkünſtelte
und widernatürliche Anordnung, ſie werden uns allemal genau
den Stand angeben, welchen ein Volk in ſeiner Entwicklung ein-
genommen hat, ob es der Höhe zuſtrebt, ob es ſie erreicht hat,
oder durch Luxus, Verweichlichung, Entartung ſeinem Unter-
gange entgegengeht. Davon geben uns frühere Völker, Aſſyrier
und Aegypter, eben ſo gut Beiſpiele wie Griechen und Römer.
Ausnahmen von beſonderer Eitelkeit oder abſichtsvoller Oppoſi-
tion wie in der römiſchen Kaiſerzeit der bärtige ſtoiſche Philoſoph
im vornehmen Hauſe unter den mit Bimſtein geglätteten Ge-
ſichtern und den kunſtvoll coiffirten Damenköpfen beſtätigen nur
dieſe Regel.


Seit dem Beginn der neueren Geſchichte freilich hat ſich
das öffentliche und innere Leben der Völker zu reich geſtaltet, als
daß wir nur dieſen einfachen Prozeß des Werdens, Blühens und
Vergehens zu beobachten hätten; die bewegenden Ideen ſind
mannigfacher, die Unterſchiede feiner, die Perioden kürzer ge-
worden, und der raſchere Wechſel gleicht mehr dem Auf- und
Abſteigen der Wellen auf der Waſſerfläche als dem Hinunter-
ſtürzen in die Tiefe ohne Wiederkehr. Nichtsdeſtoweniger iſt die
Haartracht ihr treuer Begleiter in beſtändiger Parallele; es iſt
keine Wandlung der neueren Cultur, kein Umſchwung in den
Ideen, der ſich nicht ſofort oder ſchon im Voraus an ihr an-
kündigt.


Wir haben geſehen wie noch am Ende des funfzehnten
Jahrhunderts in der weibiſch entarteten Zeit, da die Modelaunen
2*
[20]III. Die Neuzeit.
und die Geckenhaftigkeit noch in reicher Blüthe ſtanden, zu völ-
lig glattem Geſicht und nacktem Hals, der weiteren Entblößung
nicht zu gedenken, ein langes, in künſtlichen Locken über die
Schultern fallendes Haar die allgemeine Männertracht war.
Selbſt der würdige Handwerksmeiſter, und nicht bloß der ſchmucke
Geſelle, trägt ſich ſo, wenn auch die dunkle, pelzgeränderte
Schaube weit und formlos, aber ehrbar den ganzen Körper um-
hüllt. Aber ſchon auf der Scheide des Jahrhunderts erkennen
wir die Dämmerung der neuen Zeit: hier und da beginnt das
Haar die Schultern und den Rücken zu verlaſſen, ſelbſt Köpfe
mit kurzem Haar werden ſichtbar, und vereinzelte Bärte tauchen
auf, erſt noch in ſehr verſchiedener Geſtalt, Knebelbärte, Voll-
bärte, lang und geſtutzt, halbe Bärte, d. h. nur auf der einen
Seite des Geſichts, die andre aber geſchoren, denn theils iſt die
rechte Form noch nicht gleich gefunden, theils klebt ihnen noch
ein Stück der alten phantaſtiſch eitlen Luſt an Seltſamkeiten an.
Die Sittenprediger, die Vertheidiger des Alten, alſo des glatten
Geſichts, bemerken das ſofort und rügen die neue Sitte. Sie
ſehen darin nur neuen Zuwachs zu der alten Modenmenge und
vermögen bei ſo ſtutzerhaftem Auftreten freilich nicht zu erkennen,
daß ein andrer Geiſt, ein männlicher, im Werden iſt und zur
Erſcheinung ringt. So ſieht Geiler von Kaiſersberg in ſeinen
Predigten über das Narrenſchiff die Sache an. „Es ſein andere“,
ſagt er, „die tragen Bärt us üppiger Ehr, ſie wöllen ſein Ehr
haben, und daß man mit dem Finger uff ſie zög (diciet hic est).
Das ſein groß Narren, ſie haben als viel Narrenſchellen, als
manch Haar ſie um das Maul und um das Kinn haben. So ſie
kein Tugend noch Weisheit in ihnen haben, davon ſie ruhmreich
möchten ſein, ſo wöllen ſie von dem Bart gelobet ſein, daß ſie
etwas ſonderlichs haben.“ Dann heißt es ferner: „Alſo wird
es unſern gebärtechten Narren auch gon, wann ſie von Sonder-
heit des Bartes glorieren, heimlich von dem hölliſchen Löwen
werden ſie gefangen; ſie ſein die, die nüt ehrlichs und mannlichs
verbringen, ſo glorieren ſie in den kleinen Dingen als in dem
Bart, ſie ſein weibiſch Mann, glorieren wie die Weiber in Kränz-
[21]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
lin, in Scheppeln und in den Blumen, aber das Glück kehret ſich
um, davon ſie gerühmt ſein wollen, werden ſie geſcholten und
kumen zu Geſpott und zu Schanden, wann ein fremd Mann
etwan kumpt und fragt, wer iſt der mit dem Bart, es hat ſunſt
keiner kein Bart, ſo ſpricht er, der (denn er) iſt ein Narr, er
meint, man ſoll viel uff ihn halten, darum daß er ein Bart trägt.
Es ſein darnach ander Narren, die tragen halbe Bärt als ſtette,
ſein uff einer Seiten geſchoren, etliche tragen Knebelbärt, etliche
hond ein klein Stücklin an den Backen ſton, es will jeglicher
etwas beſunders tragen, und iſt alles Narrenwerk.“


Aus dieſer Stelle geht hervor, daß wenigſtens im Jahr
1498, in welchem dieſe Predigten gedruckt wurden, der Bart
zwar eine auffallende und allen ehrbaren Leuten anſtößige, doch
keineswegs mehr ſeltne Sache war, ſodaß alſo jene Erzählung in
ſich zuſammenfällt, welche den Papſt Julius II., der 1503 den
päpſtlichen Stuhl beſtieg, als den erſten nennt, der ſich den Bart
habe wachſen laſſen. Ebenſo iſt es mit jener andern Anekdote,
welche die Tracht des kürzeren Haares König Franz I. zuſchreibt,
wenigſtens was Frankreich und Deutſchland betrifft. Der König
habe ſich einſt — es war im Jahr 1521 — mit ſeinen Hofleuten
am Schneeballwerfen ergötzt; er und ſeine Partei ſollten das
Haus des Grafen St. Paul ſtürmen, welches von der Gegen-
partei vertheidigt wurde. In der Hitze des Gefechts habe man
auch zu Steinen und anderm Wurfmaterial gegriffen, und dem
Könige ſei ein großes Stück brennenden Holzes an den Kopf ge-
flogen. Um die Heilung der Wunde zu befördern, ſei das Haar
am ganzen Kopf geſchoren worden, und da der König eine ſchöne
Stirn gehabt, ſo habe ihm die Sitte des kürzeren Haupthaares
ſo gefallen, daß er ſie fortan beibehalten, wie es ſchon in der
Schweiz und Italien der Brauch geweſen, und alle Hofleute ſeien
ſeinem Beiſpiel gefolgt. Von Frankreich aus ſei die Mode dann
auch nach Deutſchland gekommen.


Dieſer Erzählung ſteht entgegen, daß, wie in der Geſchichte
der Trachten die zufälligen Ereigniſſe überhaupt nur eine äußerſt
geringe Rolle ſpielen, ſo auch in dieſem Falle ſich die naturge-
[22]III. Die Neuzeit.
mäße Entwicklung aufs deutlichſte nachweiſen läßt. Wenn mit
der kürzeren Haartracht des Königs Franz die ſogenannte Kolbe
gemeint iſt, die wir ſogleich werden kennen lernen, ſo war dieſelbe
gegen das Jahr 1520 — und nicht ſpäter als anderswo — be-
reits allgemein in Deutſchland, wenn aber das ganz kurz ver-
ſchnittene Haar, wie es die Spanier trugen, ſo wurde dieſe Form
erſt einige Jahrzehnte ſpäter durch die eintretende Reaction zur
herrſchenden Mode.


An den Köpfen ſelbſt, wie ſie uns die in dieſer Zeit ſo be-
liebten Holzſchnittilluſtrationen von Jahr zu Jahr in unzähliger
Menge darbieten, können wir aufs genaueſte verfolgen, wie
Schritt um Schritt das Haar den Charakter der Eitelkeit ablegt
und einer feſten, männlich geziemenden Form zuſtrebt. Die
Locken ſchlichten ſich wieder, und wie das Hemd und ſpäter auch
das Wamms aufwärts rücken, verkürzt ſich das Haar und erhält
regelmäßigen Schnitt; der Bart, voll, aber in anſtändiger Kürze
gehalten, tritt in ſeine Würde und ſein Recht als Zeichen der
Männlichkeit ein, indem ſich langſam die öffentliche Meinung
dahin umkehrt, daß ihr nun das glatte, bartloſe Geſicht für wei-
biſch gilt. Um das Jahr 1520 etwa iſt in Geſtalt der ſogenann-
ten Kolbe die Hauptform vollendet. Das vordere Haar wird
nicht geſcheitelt, ſondern über die Stirn heruntergekämmt und
von Schläfe zu Schläfe in einer graden Linie auf der halben
Höhe der Stirn verſchnitten; hinten iſt es ebenfalls in grader
Linie von einem Ohr zum andern hart unter denſelben abge-
ſchnitten. „Das Haar ſoll nicht übers Vorhaupt hangen, auch
nicht auf den Schultern umherfliegen“, ſo ſchreibt es des Eras-
mus „Goldenes Büchlein von der Höflichkeit der Knaben“ vor.
Anfangs erblicken wir dieſe Kolbe noch häufig ohne die Beglei-
tung des Bartes, im Laufe der zwanziger Jahre aber ſtellt er ſich
regelmäßig ein und nun in ganz beſtimmter, feſter Geſtalt: es
iſt ein kräftiger Vollbart, unter dem Kinn in grader, breiter Fläche
ſtumpf abgeſchnitten. Solche Geſichter machen durchaus den
Eindruck einer ausgeprägten, charaktervollen Männlichkeit, die
im ſtolzen Bewußtſein eigner Kraft und geſtählt von der Schwere
[23]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
der Zeit mit den Schlägen der Zukunft es aufzunehmen ge-
denkt.


Es iſt intereſſant, an hiſtoriſchen Köpfen, ſoweit uns Por-
traits aus verſchiedenen Altersſtufen vorliegen, dieſen Wandel
des Haares zu verfolgen. Kaiſer Maximilian trug, wie wir ſchon
früher mitgetheilt haben, in der erſten Hälfte ſeines Lebens zu
glattem Geſicht die langen, wohlgepflegten blonden Locken in
wenig krauſer Geſtalt; die ſpäteren Portraits aber zeigen die
ausgebildete Kolbe ohne Bart, deſſen Blüthezeit er nicht mehr
erlebte. Nicht weniger eitel auf die Fülle der langen blonden
Locken, die er auch ſo unnachahmlich zu malen verſtand, war
ſein Freund Dürer; auf ſeinen bekannten Selbſtportraits ſehen
wir ſie von der geſcheitelten Stirn herabfließen und reich die
Schultern umwallen. Trotz dieſer Eitelkeit folgte er dennoch der
wandelnden Mode, verſchnitt das Haar über der Stirn, legte die
Locken ab und ließ den Bart wachſen; und ſo ſehen wir dann
auf den ſpäteren Portraits, etwa der letzten zehn Jahre ſeines
Lebens, wie ſie Medaillen und Holzſchnitte darbieten, die Kolbe
und den geſtumpften Vollbart in völlig regelrechter Geſtalt.
Karl V. und Ferdinand I. wuchſen grade hinein in die Sitte der
Kolbe und des Bartes; darum zeigen nur ihre Jugendportraits
die erſtere ohne den zweiten; aber ſpaniſche Einflüſſe gaben bald
dem Bart eine ſpitzere Geſtalt und erlaubten dann auch ihrem
Haar nur kürzeren Wuchs.


In einer ſo aufgeregten Zeit, wie die erſte Hälfte des ſechs-
zehnten Jahrhunderts, die ſich mannichfach in Extremen erging,
mußte freilich die Regel der Ausnahmen gar viele zulaſſen; ſie
zeigen ſich auch an Haupthaar und Bart. Jenes fühlte ſich nicht
immer mit der Kürze der Kolbe befriedigt, und ſo tritt hier und
da, namentlich an ſoldatiſchen Köpfen, ein ganz kurzer, nachläſ-
ſig unregelmäßiger Schnitt auf, noch lange bevor unter dem
Einfluß der ſpaniſchen Mode die hoch zu Halſe gehende Krauſe
zu dieſer Mode zwang. Weit ſeltener iſt es, wenn die Locken
noch nicht gefällt ſind und tiefer an Hals und Nacken herunter-
hängen. Mannigfaltiger ſind die Formen des Bartes, aber im
[24]III. Die Neuzeit.
Verhältniß zu der oben beſchriebenen Geſtalt umſpielen ſie nur
als Abnormitäten die herrſchende Mode. Es giebt Geſichter,
die zeigen bloß den Schnurrbart, aber das iſt eine große Selten-
heit; häufiger ſchon iſt der Vollbart mit freier Oberlippe, und
zuweilen hängt er auch zweigetheilt über die Bruſt herab. Leute
von etwas phantaſtiſcher Natur hielten auch wohl die eine Seite
des Geſichtes in ziemlicher Kürze, an der andern aber ließen ſie
wachſen, was wollte, und flochten daraus einen Zopf zuſammen,
der ihnen ſeitwärts vom Kinn herabhing. So trug ſich auch der
berühmte Graf Eitelfritz von Zollern. Den längſten Bart hatte
wohl der bekannte und oft abgebildete Freiherr Andreas von
Rauber: in einen Zopf geflochten, konnte er ihn um den Leib
winden; ſonſt fiel er herab bis auf den Boden. Aber wie an
Länge des Bartes wich dieſer edle Freiherr auch an Stärke des
Leibes niemanden auf Erden, wie das ſein berühmter Zweikampf
mit dem Spanier beweiſet.


Wenn in die geſammte Haartracht ein gewiſſer Charakter
von Ernſt und männlicher Würde einzukehren ſcheint, ſo liebt die
Kopfbedeckung dafür das Freie, Leichte und in ſeiner Ausartung
ſelbſt Luftige und Phantaſtiſche. Aber eine Form gelangt zur
allgemeinen Herrſchaft und zwar in dem Maße, daß ſie der männ-
lichen und weiblichen Köpfe in ganz gleicher Weiſe ſich bemäch-
tigt. Es iſt das Barett, das freilich um ſeiner ihm eigenthüm-
lichen Geſchmeidigkeit willen ebenſo geeignet iſt, in den Ernſt
ſich zu fügen wie in die Narrheit, das der ausgelaſſenen Laune
des Landsknechts wie der Strenge der reformatoriſchen Geiſtlich-
keit zu entſprechen verſteht, das der fürſtlichen Pracht, der Würde
des ſtädtiſchen Rathsherrn und der Einfachheit des Handwerks-
mannes in gleich charakteriſtiſcher Weiſe zu dienen vermag. Und
ebenſo ziert es die fürſtliche Dame und das Ritterfräulein wie
die ſtädtiſchen Schönen und ſelbſt ehrbare Bürgerfrauen, ja auch
des fahrenden Landsknechts Begleiterin, ſein Weib oder ſein
flandriſches Mädchen.


Wir haben geſehen, wie noch am Ausgang des funfzehnten
Jahrhunderts die bunte Formenfülle der Kopfbedeckungen in
[25]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
ungeſchwächter Kraft blühte; das neu auftauchende Barett ſchien
nur die Anzahl noch zu vergrößern. Die Art der Kopftracht,
welche mit dieſem italieniſchen Wort bezeichnet wird, iſt eigent-
lich kein neues Stück, ſondern nur eine Umwandlung der alten
zu neuer, zeitgemäßer Geſtalt, welcher Hut und Mütze in glei-
cher Weiſe zuſtreben, jener, indem er mit dem Deckel flach her-
abſinkt und den Rand ausdehnt, dieſe, indem ſie alle charakter-
loſen Formen abſtreift und der einen, beſtimmten ſich nähert.
Schon vor dem Jahre 1500 können wir hier und da das Barett
in völlig ausgebildeter Geſtalt erblicken, und zwar ſo, daß im
Jahr 1498 Geiler von Kaiſersberg in ſeinen Predigten bereits
Notiz davon nimmt; doch leben gleichzeitig noch alle die von uns
geſchilderten Kopfbedeckungen fort und friſten ihr Daſein bis ins
zweite Zehnt des neuen Jahrhunderts, die weiblichen Hauben
ſogar noch länger. Die verſchiedenen Mützenformen, die gerän-
derten und ungeränderten, die turbanartigen mit der Sendelbinde
und die ſpitzen wie die weichen mit dem in den Nacken fallenden
Stoff und desgleichen die bunten Reife und Federkränze ver-
ſchwinden ganz und der Filzhut wird in die unterſten Stände
hinabgedrängt, bis auf den gemeinen Handwerksmann und den
Bauer, wo er ſich freilich erhalten mußte, da ihnen die Reichs-
ordnung von 1530 das Barett ausdrücklich verbot.


Dieſe und die Kloſtergeiſtlichkeit ausgenommen, oder wem
ſonſt Stand und Armuth es nicht erlaubten, ſitzt ſeit dem Jahre
1520 etwa das Barett auf allen männlichen Köpfen, aber ſehr
verſchiedenartig. Der Weltgeiſtliche, die Männer der Reforma-
tion, die Gelehrten und mancher ehrbare Städter vornehmen
und reichen Standes tragen es dunkelfarbig, gewöhnlich ſchwarz,
und von höchſt einfacher Geſtalt: nachgiebig und doch in be-
ſtimmter Form, die vordere Hälfte des Randes aufgekrämpt, die
hintere in den Nacken heruntergelaſſen, ſo bedeckt es bei freier,
offner Stirn faſt den ganzen Haarwuchs. So einfach mochten es
nicht leicht andere in dieſer bewegten Zeit tragen. Manche frei-
lich entſagten noch allem Schmuck daran und auch den lebhafte-
ren Farben, aber ihr Barett ſaß doch ſchief auf der einen Seite
[26]III. Die Neuzeit.
mit breitem und geſteiftem, ſcheibenförmigem Rande. Andere
hatten die Krämpe — und das wurde zur allgemeinen Sitte —
nach der beliebten Weiſe der Aufſchlitzung in mehr oder weniger
einzelne Lappen zerſchnitten oder auch Einſchnitte gemacht, ſei es
willkürlich oder in beſtimmten Muſtern, und dieſe mit buntfar-
bigem Stoff durchzogen; wer dieſe Mode phantaſtiſch übertrieb,
zerſchnitt und zerlappte auch den weichen Deckel des Baretts.
Der junge Stutzer liebte lebhafte, helle Farben oder eine bunte
Zuſammenſetzung verſchiedenfarbiger Lappen; hochroth trug es
gern der Ritter, dem Fürſten und dem Grafen war carmoiſin
vorbehalten. Allgemeine Sitte wurde es, koſtbaren Schmuck an
Gold, Perlen und Edelſteinen am Barett zu tragen oder in Ge-
ſtalt von Portraitmedaillons, die damals in ſo außerordentlicher
Menge wie von vorzüglichem Kunſtwerth gemacht wurden, die
theuren Erinnerungen von Angehörigen oder geliebten Perſonen.
Am meiſten übertrieb man den Federſchmuck, den man ſchon aus
dem funfzehnten Jahrhundert überkommen hatte. Anfangs
ſcheint es nur eine kecke Hahnenfeder zu ſein, die über dem
Kopfe ſchwankt, dann ein breiter, mächtiger Buſch von einfachen
oder verſchiedenfarbigen Federn, die endlich das ganze Barett
umziehen und umlagern, daß ſie rundum über den Rand her-
unterſchwanken. Straußfedern waren die koſtbarſten und die
beliebteſten, aber auch wohl die unächten häufiger als die ächten,
ſodaß es mehr der Vollſtändigkeit wegen geſchehen ſein mag,
wenn die Reichsordnung von 1530 ſie dem Bauer und dem
Handwerksgeſellen unterſagt. Eine Luxusordnung, die für Nie-
deröſterreich im Jahr 1518 projectirt wurde, wollte allen Edel-
leuten einen Federbuſch verbieten, der mehr als zehn Gulden
koſtete.


Schon früh liebte man es renommiſtiſcher Weiſe das Barett
ſchief auf die eine Seite des Kopfes zu ſetzen, doch war es mit
ſeinem flachen Deckel und breiten Rande ſchwer in dieſer Lage zu
halten, zumal da die Befeſtigung durch ein Kinnband nicht ſehr
Beifall gefunden zu haben ſcheint, denn wir ſehen ſie verhältniß-
mäßig ſelten. Es mußte alſo ein Mittel geſucht werden dieſem
[27]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Uebelſtande abzuhelfen, und es fand ſich auch in der ſogenann-
ten Haarhaube oder Calotte, die nichts anderes iſt als
das Haarnetz oder die kleine Haube, mit welcher die Frauen in
der zweiten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts die zuſammen-
gelegten Flechten umfaßten. Von der Damenwelt ging ſie auf
die Männer über, wie das Barett von dieſen den Weg zu jenen
genommen hatte. „Es gon jetzt Frauen wie die Man,“ ſagt Gei-
ler von Kaiſersberg, „und hond Baretlin mit Hahnenfederlin
uff.“ Und an einer andern Stelle heißt es: „und das ganz ein
Schand iſt, daß die Weiber jetzt Barett tragen mit Ohren, die
Man tragen jetzund Huben wie die Frauen mit Seiden und mit
Gold geſtickt.“ Die Köpfe der Männer und Frauen erhalten
dadurch auf den Bildern oft eine ſolche Aehnlichkeit, daß der
Bart als ein um ſo nothwendigeres Unterſcheidungsmittel er-
ſcheint. Da die Calotte eng umſpannend dem Kopfe feſt anſaß,
ſo konnte das Barett in beliebiger Weiſe daran befeſtigt werden,
und wir ſehen es daher oft ſo auf dem rechten Ohr ſitzen, daß,
von links her im Profil geſehen, der ganze Kopf davon wie in
einer Folie umrahmt erſcheint, während er von der rechten Seite
völlig verdeckt iſt. Eine andere Folge war, daß man nun mit
dem Barett jede willkürliche Veränderung ohne Rückſicht auf ſei-
nen Zweck vornehmen konnte; es wurde z. B. ſo flach, daß es
nur eine Scheibe von Pappe blieb, mit Sammet oder Seide
überzogen und mit Federn bedeckt. Es wurde ſo zur bloßen
Zierde des Kopfes, und ſeinen Zweck mußte die Haube erfüllen.
Dem Landsknecht ſehen wir es oft an einem Bande hinten im
Nacken oder auf dem Rücken hängen.


Die Calotte wurde auch für ſich wieder zu einem Gegen-
ſtand des Luxus durch die Koſtbarkeit des Stoffes. Schon die
früheren kleinen Hauben der Frauen waren vorzugsweiſe von
Gold- und Silberſtoff geweſen, oder der dazu beliebte rothe
Sammet oder die Seide waren wenigſtens mit ſolchen Fäden in
reicher Weiſe beſtickt worden. Das erhielt ſich grade ſo. Män-
ner wie Frauen trachteten nach den goldenen und ſilbernen Hau-
ben, ſodaß ſie ſchon in der Reichsordnung von 1498 den reiſigen
[28]III. Die Neuzeit.
Knechten verboten werden. Die erwähnte öſterreichiſche Ordnung
vom Jahre 1518 will ſie allen Bürgern in den Städten, die
nicht von Adel, Ritter oder Doctoren ſind, unterſagt wiſſen. Im
Jahre 1530 werden von der ausführlichen Reichsordnung, welche
auf dem Tage zu Augsburg erlaſſen wurde, ſelbſt „den Bürgern
in den Städten, ſo vom Rath, Geſchlechtern oder ſonſt fürneh-
men Herkommens ſind und ihrer Zins und Renten geleben“ nur
ſeidene Haarhauben erlaubt, der Adel darf die goldenen und ſil-
bernen tragen, doch ſoll das „Gebänd und Geſchmück“ darauf
nicht über 40 Gulden werth ſein.


Wie der Landsknecht ſein Barett auf dem Rücken hängen
ließ, ſo konnte auch wohl ein anſtändiger Mann in der Calotte
allein erſcheinen und das Barett in der Hand halten und ebenſo
ſich ihrer als eine Art von Hauskappe bedienen. Wie das Ba-
rett in der Hand zu halten war, dafür hatte die Sitte wenigſtens
der höflichen Jugend beſtimmte Vorſchriften gegeben. So heißt
es in dem Anſtandskatechismus, welcher nach des Erasmus gol-
denem Büchlein ausgearbeitet worden war: „Unter dem Ge-
ſpräch, wo ſoll er ſeine Hände und Barett halten? Antw.: Mit
beiden Händen zuſammen ſoll er das Barett für ſeinem Bauch
halten, alſo daß allein die zwei Daumen herfürſcheinen. — Soll
der Jung auch das Barett oder Bücher unter den Arm thun [und]
tragen? Antw.: Solches pflegen die Bauern zu thun.“ Eras-
mus ſelbſt ſchreibt folgendes vor: „Unter dem Reden ſoll man
das Barett (oder Hut, wie es in der ſpätern Verdeutſchung lau-
tet) in der linken Hand halten, alſo, daß man die rechte Hand
fein ſanfte an den Bauch ſetze, oder welches noch zierlicher oder
höflicher gehalten wird, das Barett auf beiden Händen hängend,
alſo daß beide Daumen oben herausſcheinen, ſoll den Ort der
Scham bedecken.“


Den raſcheſten Sprung von einem Extrem ins andere machte
die Fußbekleidung; ihre Umwandlung war eigentlich ſchon
vollendet, als die Reformation begann. Wir haben die Mode
der Schnabelſchuhe im Früheren herab verfolgt bis gegen das
Ende des funfzehnten Jahrhunderts und geſehen, wie auch ſie
[29]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
noch in den Anfang des neuen hinein ein freilich ſehr ſporadiſches
Daſein friſten. Schon in den achtziger Jahren wird der Um-
ſchlag in Frankreich wie in Deutſchland gleich bemerklich, und
ſtatt der Schiffsſchnäbel hören wir nun von Entenſchnäbeln,
Bärentatzen, Ochſen- oder Kuhmäulern und ähnlichen Ehren-
titeln der Schuhe. Geiler von Kaiſersberg zieht auch dieſe Mode
in den Bereich ſeiner Predigten hinein: „Die Schuch waren
etwan zu ſpitz, jetzund ſo ſeint ſie ſtumpf wie Kalbsmäuler,
etwan waren die Schuch zu eng, jetzt ſo ſeint ſie zu weit, die
Schuch ſeint ausgeſchnitten und zerhacket, weren doch beſſer
ganz dann zerſchnitten.“


Dieſelbe Richtung der Zeit, welche das leichte, geſchmeidige
Barett hervorrief, wirkte auch auf die Fußbekleidung. Da man
ſich aller Enge und läſtigen Unbequemlichkeit entledigen wollte,
machte ſich natürlich zunächſt die Stelle fühlbar, wo der Schuh
drückte, und darum warf man die loſen hölzernen Unterſchuhe
und Pantoffel, welche klappernd aller freien Bewegung hinder-
lich waren, bei Seite und ſchnitt die langen und geſpitzten Schnä-
bel ab. Aber weil man noch unter dem Einfluß des alten Mode-
geiſtes ſtand, der nur an Uebertreibungen und Seltſamkeiten
Gefallen fand, ſo verfiel man ſogleich in das andre Extrem und
machte die Schuhe in ähnlichem Verhältniß vorne breit, wie man
ſie früher ſpitz getragen hatte. Nur vereinzelt zeigten ſich etwa
bis zum Jahre 1510 nach Uebergangsformen im bürgerlichen
Stande: Schuhe, die vorn weder ſpitz noch breit, ſondern nur
abgerundet waren, ohne aber nach der natürlichen Form des
Fußes ſich zu richten, ſodaß ſie nur ein rohes, bäuriſch klotziges
Machwerk vorſtellten, welches weder auf Schönheit, noch auf
Feinheit und Eleganz irgendwie Anſpruch machen konnte.


Der alte Schuh des funfzehnten Jahrhunderts hatte ſo ziem-
lich den ganzen Fuß bis an die Knöchel bedeckt, den neuen ſuchte
man vielmehr auf das geringſte nothwendige Maß zurückzufüh-
ren, um den Fuß möglichſt frei und unbedeckt zu haben. In
vollendeter Ausbildung hatte dieſer Schuh an der feſten Sohle
nur den breiten Schnabel, der nichts weiter als die Zehen be-
[30]III. Die Neuzeit.
deckte, und hinten die Kappe, welche die Ferſe umſchloß; wenig-
ſtens wurden die Seiten ſo ſchmal wie irgend möglich gemacht
oder ſelbſt ganz weggelaſſen. Die Kappe mußte daher aufs
engſte anſchließend gemacht werden, weil ſonſt der Schuh den
Halt verloren hätte; zu feſterem Schluß lief auch wohl ein Rie-
men oder ein Band über den Spann des Fußes; ſie kamen dann
aber in Abnahme wie das Kinnband des Baretts. Dieſen Schuh,
der in ſeiner breiten Form ſo allgemein wurde, daß er ſelbſt, wie
einſt der ſpitze Schnabel, auf die Rüſtung des Ritters überging,
trug der Landsknecht wie der Fürſt, der Handwerksmann wie der
Gelehrte und der Geiſtliche. Bequem mochte er ihnen ſitzen,
aber im Schmutz und bei feuchtem Wetter gab er wenig Schutz
gegen das hereinlaufende Waſſer, worüber auch Klage geführt
wird, zumal als auch das, was noch übrig war, von der Mode
der Zerſchlitzung ergriffen wurde. Die Stoffe waren wie früher
neben Leder, namentlich dem feinen eleganten Corduan, Sam-
met, Seide und Wolle; man liebte vorzugsweiſe helle Farben,
Roth, Blau und Geld, einfach oder getheilt und durch die bunt
unterlegten Schlitze zu mannichfacherer Wirkung gebracht. Die
Breite des Schnabels übertraf nicht ſelten die halbe Länge des
Fußes und wurde auch zu mehrerer Schönheit im Contour ein-
wärts geſchweift.


Die Kleidungsſtücke, welche ſich zunächſt dem Körper an-
ſchloſſen, alſo das Wamms und das Beinkleid, ſchienen
Anfangs ihre Grundgeſtalt, wonach ſie auf der Hüfte mit Ne-
ſteln an einander ſchloſſen, nicht verändern zu wollen, und den-
noch verwandelten ſie dabei ihren Charakter in das beſtimmteſte
Gegentheil und in einer Weiſe, die ihren Urſprung und ſelbſt
ihre Bedeutung völlig unkenntlich macht. Die enge Jacke mit
nacktem Hals und nackten Schultern und das enge Beinkleid,
welches in einem Stück von der Hüfte bis zu den Füßen ſchloß,
waren bereits am Ausgang des funfzehnten Jahrhunderts von
einer Menge verſchiedener Moden umſpielt; namentlich war die
erſtere ſchon vielfach von der freieren Richtung durchbrochen
worden und die Schranken leichter, ungenirter Bewegung zeigten
[31]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
ſich größtentheils aufgehoben. Weniger war dies letztere beim
Beinkleid der Fall: wie bunt es auch aus Lappen und Läppchen
in regelmäßiger oder unregelmäßiger Geſtalt, in Blumen, Flam-
men und andern Zierfiguren, zuſammengeſetzt war, ſo ſaß es doch
ſtraff geſpannt um Knie und Schenkel, und gab den Moraliſten
immer noch daſſelbe Aergerniß wie früher. Nur der Soldat, d.
h. der Fußgänger, wie denn dieſer damals den eigentlichen Sol-
daten zu bilden begann, hatte ſich wohl in ſeiner ungenirten
Weiſe zu helfen gewußt, indem er einen Theil des Beinkleides,
da wo es ihm läſtig war, ohne weiteres wegließ. So ſind denn
auf colorirten Kriegsbildern dieſer Zeit um die Scheide beider
Jahrhunderte ſolche Kriegsleute eine gewöhnliche Erſcheinung,
welche das eine Bein — vermuthlich das linke, welches bei ge-
fälltem Spieß am meiſten genirt war — von dem halben Ober-
ſchenkel herab bis unter das Knie oder ſelbſt bis zum Schuh nackt
tragen. Allein unmöglich konnte dieſe Weiſe zur herrſchenden
Mode für die ganze gebildete und ungebildete Chriſtenwelt wer-
den, welche grade ſo gut nach Freiheit rang und des ungehin-
derten Gebrauchs der Glieder in gleichem Maße bedürftig war.
Kein Fall in der ganzen Coſtümgeſchichte iſt lehrreicher als dieſer
für die Entwicklung und Entſtehung neuer Trachtenformen. Es
lag die reinſte Nothwendigkeit zur Aenderung vor, und wer den
unerbittlichen Zwang nicht ertragen konnte, ſuchte ſich einſtwei-
len zu helfen in ähnlicher Weiſe wie der Soldat. So machten
es fromme Pilgersleute, welche gleich jedem andern das enge
Beinkleid trugen, ſtraff in die hochgehenden Schuhe hineinge-
zogen: auf ihrer langen, mühſamen Wanderung war es ein be-
ſchwerliches Hinderniß und um ihm zu entrinnen, ſchnitten ſie
das ganze Stück vor dem Knie heraus, ſodaß dieſes bloß und
blank vor Augen lag. Man hätte meinen können, daß ein wei-
tes Beinkleid in Weiſe des heutigen am einfachſten und leichte-
ſten dem Bedürfniß entſprochen hätte: aber eine ſo totale Um-
änderung mit einem Schlage iſt völlig wider den Geiſt der Ent-
wicklung in der Trachtengeſchichte; drei Jahrhunderte mußten
vergehen, drei Jahrhunderte mit einer Fülle von Formen, die
[32]III. Die Neuzeit.
mit einer früher ganz unbekannten Schnelligkeit wechſelten, bis
aus der mittelalterlichen Hoſe die moderne als Reſultat her-
vorging.


Das Mittel nun, welches dem gepreßten Körper Luft ſchaffte
und den Drang nach Licht und Freiheit befriedigte, erſcheint wie
das einfachſte und naturgemäßeſte von der Welt. Als es gefun-
den war, ſchwanden vor ihm alle die ungenügenden Verſuchs-
mittel, wie das nackte Bein des Soldaten und die entblößten
Kniee der Pilger und ebenſo die noch unter dem Einfluß der
Sonderlingsgelüſte des funfzehnten Jahrhunderts ſtehenden Zer-
ſchneidungen und Verkleinerungen der Jacke oder des Wammſes.
Da, wo man ſich gehindert fühlte, alſo an den Gelenken, zu-
nächſt an den Schultern und Ellbogen und ſpäter auch an den
Knieen und auf den Hüften, machte man quer oder ſenkrecht
einen oder mehrere Einſchnitte neben einander, ſodaß die Preſ-
ſung aufhörte und die Glieder ſich leicht und bequem bewegen
konnten. Am Oberkörper ließ man durch dieſe Schlitze, wie das
ja ſchon bei dem Ausſchneiden der Jacke der Fall geweſen war,
das Hemd faltig heraustreten, während man bei den Beinen,
da man doch die Blöße verdecken mußte, gar bald ſie mit dün-
nem, farbigen Stoff, der ebenfalls ein wenig in Falten heraus-
treten konnte, unterlegte. So wurde zur lebendigen Zierde, was
die einfache Nothwendigkeit geſchaffen hatte. Und da die Auf-
ſchlitzung nun Mode wurde, und von den Stellen, wo ſie vom
Bedürfniß hervorgerufen war, ſich auch über andere Theile des
Körpers auszubreiten begann und auch das Barett, die Schuhe
und ſelbſt die Schaube ergriff, ſo gerieth ſie gewiſſermaßen in
den Strudel der großen allgemeinen Bewegung hinein und fort-
geriſſen, wuchs ſie heran zu einer ſo üppigen Blüthe, überwu-
cherte die ganze deutſche Menſchenwelt in einer ſo alles Maß
überſchreitenden und zugleich ſo allgemeinen Weiſe, daß wir in
ihr gradezu das Hauptkennzeichen, den Hauptcharakterzug der
Tracht des ſechszehnten Jahrhunderts haben, der ihr vor allen
übrigen Zeiten eigenthümlich angehört.


Da alle civiliſirten Nationen der abendländiſchen Chriſtenheit
[33]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
im funfzehnten Jahrhundert gleichmäßig die enge Kleidung hat-
ten, und da man wohl annehmen kann, daß ſich bei dem allge-
meinen Drange, die erſtarrten Formen des Mittelalters von ſich
abzuſtreifen, ihnen allen gleichzeitig das Gefühl von der läſtigen
Enge aufdrängte, ſo iſt es im Grunde ein müſſiges Ding, dar-
nach zu forſchen, welcher Nation für die Aufſchlitzung die Ehre
der Erfindung gebührt, oder gar nach dem Namen des erfinderi-
ſchen Kopfes zu fragen, der zuerſt auf dieſen glücklichen Gedan-
ken gekommen. Dieſe Frage ſteht ganz gleich derjenigen nach
dem Urſprung und dem erſten Urheber der Reformation. Zwar
ſtellen die deutſchen Sittenrichter unſre Nation wiederholt als
die nachahmende dar, aber theils weichen ſie in der Angabe des
Erfinders ab, indem die einen die Italiener nennen, die andern
die Franzoſen, die dritten die Spanier, theils iſt ihr Urtheil be-
fangen und parteiiſch, da ſie die Gegner dieſer Mode ſind und
ſich beſtreben, ſie verächtlich zu machen. Die Aufſchlitzung mit
allen paraſitiſchen Auswüchſen iſt eine That der großen reforma-
toriſchen Bewegung, und wie dieſe nur in Deutſchland zu ſelb-
ſtändiger Ausbildung und Durchbildung gekommen, in den an-
dern Ländern aber im Keime erſtickt oder abgelenkt oder in feſte
Schranken eingeſchloſſen worden, ſo hat auch nur in Deutſch-
land dieſe Mode ſich in freier, origineller Weiſe entwickeln kön-
nen, daß es ihr endlich möglich ward, ſich zu überſtürzen und
ins Maßloſe auszuarten. Obwohl wir ſie vielleicht am frühſten
in Italien finden, wo es ſchon am Ende des funfzehnten Jahr-
hunderts junge Stutzer giebt, die Wamms und Beinkleid von
oben bis unten überall zerſchlitzt haben, ſo gewann ſie hier doch
nie ein eigentliches, organiſches Leben und verſchwand bald wie-
der mit Hinterlaſſung unbedeutender Spuren. In Frankreich
und in Spanien nahm ſie, wie wir das noch ſehen werden, bald
eine völlig andere Richtung, welchem Beiſpiel auch England
folgte, ſeiner halb durchgeführten Reformation gemäß. Deutſch-
land iſt ihre wahre Heimath, und die Grenzen deſſelben und des
germaniſchen Nordens, ſoweit er ſich der Reformation angeſchloſ-
ſen hatte, ſind auch die ihren. Die Pluderhoſe, in ihrer coloſſal-
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 3
[34]III. Die Neuzeit.
ſten Geſtalt den Höhepunkt der Aufſchlitzung bezeichnend, iſt ſo
ſehr ein Ausfluß des ſpeciell reformatoriſchen Geiſtes, daß ſich
dieſe Bemerkung ſelbſt nicht den evangeliſchen Sittenpredigern
entziehen kann. So ſagt Andreas Musculus in ſeinem Hoſen-
teufel: „Es möchte ſich billig ein Chriſt hoch darüber verwun-
dern und der Urſachen nachdenken, wie es immer mehr komme,
daß ſolche unzüchtige und unehrliche Kleidung ſonſt bei keinem
Volk erfunden als allein bei den Chriſten und nirgend in keinem
Land ſo allgemein und erſchrecklich als eben in den Ländern und
Stätten, in welchen Gott ſeine Gnade ausgegoſſen, ſein liebes
Wort und reine Lehr des Evangelii hat laſſen predigen. Denn
wer Luſt hätte von wunders wegen, ſolche unflethige, bübiſche
und unzüchtige Pluderteufel zu ſehen, der ſuch ſie nit unter dem
Papſtthum, ſondern gehe in die Stätt und Länder, die jetzund
lutheriſch und evangeliſch genennet werden, da wird er ſie häu-
fig zu ſehen kriegen, bis auf den höchſten Greuel und Ekel, daß
ihm auch das Herz darüber wehe thun und dafür als für dem
greulichſten Meerwunder ſich entſetzen und erſchrecken wird.“


Wie die ganze Bewegung aus der Tiefe des Volkslebens
heraufſtieg und eine That des Bürgerthums genannt werden
kann, ſo kam auch diesmal der Anſtoß zur Umgeſtaltung in der
Trachtenwelt von unten her und riß den ruhigen vornehmen
Bürger und den Adel und auch die Fürſtenhöfe mit ſich fort.
Die Landsknechte waren es, ſelber erſt ein Geſchöpf der
neuen Zeit, welche die Mode der Aufſchlitzung zu beſtimmter
Geſtaltung brachten, welche fortan den Reigen führten, aber auch
zu ſolchem Uebermaß ſich verſtiegen, daß endlich der Reaction
der Sieg nicht ſchwer werden konnte. Wir müſſen uns darum
dieſes Kriegsvolk etwas näher beſehen.


Wir haben ſchon oben bemerkt, wie mit dem Sinken des
Ritterthums die Entſcheidung der Schlachten auf den Fußknecht
übergegangen war. Die Schweizer hatten in dieſer Kampfesart
die erſten Lorbeeren errungen. Da ſchuf Maximilian die Lands-
knechte, und die Noth der Zeit, die unaufhörlichen Kriege der
Völker, welche an die Stelle der kleinen Fehden traten, machten
[35]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
ſie bald jedem Kriegführenden unentbehrlich und hoben ſie zu
raſcheſter Blüthe. Nur mit ihnen oder den Schweizern, die jenen
einen Theil des Ruhmes und bald den ganzen überlaſſen mußten,
vermochten noch die ſtolzen franzöſiſchen Ritter, Bayard und
ſeine Genoſſen, das letzte aufflackernde Licht des Ritterthums,
zu ſiegen; wider ſie erlagen ſie ruhmlos den Hakenſchützen oder
dem gewandten Spießträger, der dem ſchweren Stoße auswich.
Die Landsknechte gingen aus der Maſſe der Bürger und Bauern
hervor und rekrutirten ſich fortwährend daraus. Aber ſie waren
nicht der Auswurf derſelben, ſondern wackre Zunftgenoſſen, denen
der Umſchwung der Dinge die Arbeit verſagte, oder die, ſanges-
luſtig und ſangeskundig, von der allgemeinen Bewegung der
Gemüther fortgeriſſen, lieber ein freies, friſches Leben führen
wollten, als auf der Schuſterbank oder am Webſtuhl ſitzen; und
ebenſo Bauern, jüngere Söhne, welche die harte Arbeit verdroß,
da ſie es im Kriegsleben luſtiger haben konnten.


„Es ſoll kein Landsknecht garten

Vor eines Bauren Haus,

Denn er muß tratten und harken,

Daß ihm der Schweiß bricht aus,

Dazu das Mark in ſein Gebein.

Viel lieber dien ich dem König allein

Denn einem reichen Bauren,

Er giebt uns das Geld mit Trauren.“

Bettelgeſindel konnte man nicht brauchen in den tapfern Reihen;
denn wer ſich ſtellte, wenn die Werbetrommel erklang, mußte die
Muſterung paſſiren und ſich ausweiſen als geſund und ſtark und
mit Kleidung, Wehr und Waffen wohl verſehen, denn er mußte
ſelbſt dafür ſorgen. Auch Söhne edler Patrizierfamilien, denen
im Drang nach Abenteuern die Schreibſtube zu eng wurde, zogen
es vor, mit dem Haufen in den Krieg zu ziehen; und als die
Landsknechte zu Ehren gekommen waren und die Ueberzeugung
ſich feſtgeſtellt hatte, daß die Zeit des ſchweren Eiſenmannes
vorbei ſei, da waren es auch Herren und Grafen, welche das
Roß und die ritterliche Lanze zu Hauſe ließen und mit dem Spieß
3*
[36]III. Die Neuzeit.
oder der Hellebarde auf der Schulter ſich in die Reihe der Fuß-
knechte ſtellten. Gar manchen erlauchten Namen finden wir unter
ihnen, manchen, der ſich von unten auf zum Hauptmann, Ober-
ſten oder berühmten Führer emporrang, aber auch gar mancher
fand ſeinen Tod als gemeiner Landsknecht.


Vaterlandsliebe darf man nicht allzuviel bei ihnen ſuchen;
es war genug, daß, wo und wem ſie dienten, ſie überall mit
ihrer Tapferkeit die Kriegsehre des deutſchen Namens aufrecht
erhielten.

„Wir han gar kleine Sorgen

Wohl um das römiſch Reich,

Es ſterb heut oder morgen,

Es gilt uns alles gleich.“


Sie dienten, wer ihnen am meiſten zahlte, und ſchlugen ſeine
Schlachten, wo und gegen wen es auch ſein mochte. Sie dien-
ten dem Kaiſer auf allen Grenzen des Reichs gegen die Franzo-
ſen wie gegen die Türken und den Papſt; und wieder ſtanden ſie
im Sold Frankreichs gegen das Vaterland und kämpften in Spa-
nien, in England, in Italien, Afrika und Amerika. Wo immer
nur eine Schlacht geſchlagen wurde, deutſche Landsknechte waren
gewiß dabei. Nicht leicht trat in jener bewegten Periode eine
Zeit ein, wo es nichts für ſie zu thun gegeben hätte, wo nicht
irgendwo ein ehrlicher oder unehrlicher Krieg im Gange geweſen
wäre. Und ereignete es ſich einmal, daß der abgeſchloſſene Friede
ſie in die Heimath ſchickte, bevor ſchon an neuer Stelle die Trom-
mel wieder geſchlagen war, oder daß der Winter ſie zur Unthä-
tigkeit gezwungen hatte, ſo zogen ſie mit der gemachten Beute —
denn nicht leicht verſchmähten ſie eine — nach Haus und ver-
brachten ſie, wie ſie gewonnen war, bis wieder ein bekannter
Oberſt ſeinen Ruf ergehen ließ. Dann „fleugt und ſchneit es zu
wie die Fliegen in dem Sommer, daß ſich doch jemand zu Tode
verwundern möchte, wo dieſer Schwarm nur aller herkam und
ſich den Winter erhalten hat.“


Kein abenteuerlicheres und wechſelvolleres Leben iſt denk-
bar, als wie es dieſer Haufe trieb. Der Krieg war ihre Lebens-
[37]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
aufgabe, und dieſes Handwerk trieb ſie durch die ganze Welt von
der Jugend, vielleicht von der Kindheit an, denn nicht wenigen
war auch das Lager die Geburtsſtätte geweſen, bis Wunden oder
das kommende Alter ſie zum Dienſt, zur Ertragung der Mühſale
unfähig gemacht hatten. Ein freier Haufe zogen ſie ins Feld,
denn freiwillig, unter guten, ehrenvollen Bedingungen hatten
ſie zur Fahne geſchworen; ein ſelbſtvertrauendes, übermüthiges,
trotziges Volk, denn ſie wußten, daß von ihnen die Entſcheidung
abhing. Ueberluſtig, wenn ſie im Siege waren und im Strome
des Glückes ſchwammen, aber auch verzagt und kleinlaut oder
meuternd, wenn es ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Dann
waren ſie ſchlimm zu behandeln von Seiten ihrer Führer, zumal
wenn ihnen der Sold nicht pünktlich ausgezahlt werden konnte.
Wenn der Feind heranrückte und im Angeſichte war, fielen dieſe
„frommen Landsknechte“ auf die Kniee und verrichteten ihr Ge-
bet zu Gott um gnädigen Sieg, ſtimmten auch wohl ein geiſt-
liches Lied an und dankten ihm in gleicher Weiſe nach gewonne-
ner Feldſchlacht. Dieſe Frömmigkeit hielt ſie aber nicht ab, auch
in Kirchen ihre Beute zu machen und mit dem Heiligen ihren
Spott zu treiben. Einmal reich an raſch und leicht gewonnener
Beute ſchwelgten ſie bei allem Ueberfluß im Lager oder in der
eroberten Stadt, dem Trunk und Spiel gleich ergeben, und dann
wieder darbten ſie im Elend, von Bauer und Bürger gehetzt,
vom langen Marſche abgeriſſen, im fremden Land, im Feld oder
in einer belagerten Stadt, Wochen lang, Monate lang dem Hun-
ger und tödtlichen Krankheiten ausgeſetzt. Zu Tauſenden hat ſie
unter ſolchen Umſtänden das mörderiſche Klima Italiens hinge-
rafft. Die prieſen ſich glücklich, welche in der Schlacht einen
ehrlichen Soldatentod fanden, denen Trommel und Pfeifen das
Sterbelied ſangen.


„Kein ſelger Tod iſt in der Welt,

Als wer vom Feind erſchlagen

Auf grüner Heide, im freien Feld,

Darf nicht hören groß Wehklagen.

Im engen Bett ſonſt einer allein

[38]III. Die Neuzeit.
Muß an den Todesreihen,

Hier aber findt er Geſellſchaft fein,

Fallen mit wie Kräuter im Maien.

Ich ſag ohne Spott,

Kein ſel’ger Tod

Iſt in der Welt,

Als ſo man fällt

Auf grüner Haid

Ohn Klag und Leid.

Mit Trommelklang

Und Pfeifengeſang

Wird man begraben.

Davon wir haben

Unſterblich Ruhm.

Mancher Held frumm

Hat zugeſetzt Leib und Blut

Dem Vaterland zu gut.“

So abenteuerlich wie ihr Leben war auch der Anblick dieſer
Schaaren: ein bunt zuſammengewürfelter Haufe; trotzige, ver-
wegene Kerle mit mächtigen Schritten unter ihrem Spieß daher-
ſchreitend, das kurze, breite Schwert quer vor den Magen ge-
ſchnallt; wilde, bärtige, wettergebräunte Geſichter, denen Schlach-
ten und Kriegsjahre ihre Spuren eingegraben hatten; alte Grau-
bärte, die bereits allen Herren gedient, und neben ihnen bartloſe
Jünglinge, die kaum den Knabenſchuhen entwachſen waren.
Hinter ihnen zog der lange Troß der „Huren und Buben“ einher
unter Anführung des „Hurenweibels“, eines alten bärtigen
Kriegsmanns, der hoch zu Roß ſaß und den derben „Vergleicher“
in der Hand führte. Seine Aufgabe war, die an Zahl nicht ge-
ringere Maſſe der Knechte, Buben und Weiber zuſammenzuhal-
ten, daß ſie auf dem Marſch oder bei den Operationen nicht hin-
derten. In dieſem Troß folgten die Packwagen mit Beute und
Bedarf beladen, etwaige Gefangene, alles lebendige Schlacht-
vieh; die Weiber mit umgebundenen Kopftüchern oder kokett mit
Federbarett, den Rock zu beſſerem Marſchiren hoch aufgeſchürzt,
trugen das Kochgeſchirr und den Schnappſack, die Buben halfen
mit, ſoviel ſie konnten. Mit der wilden, phantaſtiſchen Kleidung
[39]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
dazu war ſo ein Landsknechtshaufe das Staunen und der
Schrecken aller Leute, wohin er kam. Der Anblick war ſo fürch-
terlich, daß ſie bei Hans Sachs — es war aber ſchon in der ſpä-
teren Zeit ihrer Entartung — ſelbſt dem Teufel Grauſen erre-
gen. In dem Schwank: „der Teuffel leſt kein Landsknecht zur
Helle faren“ (1558) ſpricht Beelzebub zu Lucifer:


„Wilder Leut hab ich nie geſehn:

Ihr Kleider auf den wildſten Sitten

Zerflambt, zerhauen und zerſchnitten,

Eins Theils ihr Schenkel blecken theten,

Die andern groß weit Hoſen hetten,

Die ihnen bis auf die Füß rab hingen,

Wie die behoſten Tauber gingen;

Ihr Angeſicht ſchramet und knebelpartet,

Auf das allerwildeſt geartet:

In Summa wüſt aller Geſtalt,

Wie man vor Jahrn uns Teufel malt.“

Schon zu Lebzeiten Maximilians hatten ſie die tolle Will-
kür ihrer Kleidung ſo ins Maßloſe getrieben, daß die feinen Hof-
herren dem Kaiſer Vorſtellungen machten und ihm riethen, der-
gleichen Uebermaß öffentlich zu verbieten. Allein Maximilian,
der zwar früher von dem ſtattlichen Häuflein der Nürnberger,
das ihm Wilibald Pirkheimer ganz gleich in Roth gekleidet zu-
geführt hatte, herzlich erfreut worden war, dachte hier anders
und antwortete lachend: „Ach was närriſcher Bekümmerniß iſt
das! Gönnet ihnen doch für ihr unſelig und kümmerlich Leben,
deſſen Endſchaft ſie ſtündlich gewärtig ſein müſſen, ein wenig
Freud und Ergötzlichkeit; ſie müſſen oftmals, wenn ihr dahinten
ſteht, davornen die Köpfe zerſtoßen. Es iſt der Speck auf der
Falle, darmit man ſolche Mäuſe fängt. Seid ihr zufrieden und
laſſet ſie machen; wann dieſe Hoffart aufſpringt, wagen ſie ge-
meinlich all ihr Gut, und es währet nicht länger dann von der
Vesper bis die Hühner auffliegen.“ Spaniern und Franzoſen
waren ſie in ſolchem Aufzug ein Greuel; die feinen Leute konn-
ten der wilden maßloſen Weiſe keinen Geſchmack abgewinnen.
[40]III. Die Neuzeit.
So beſchreibt ſie ein Franzoſe beim Sturm auf Rom: „Das
Barett ſitze wegen ſeiner Größe nur ſchlecht auf dem Kopf, ſchlott-
rig weit ſeien die Hoſen, ebenſo die Schuhe und noch weiter die
Harniſche, und an der ganzen Kleidung von Kopf zu Fuß ſei
wegen der Uebertreibung nichts, was die Augen erfreuen könne.“


Aber es gab Zeiten, in denen ſie auch einen andern Anblick
gewährten. In langen Feldzügen, zumal wenn ihnen das Glück
nicht immer hold geweſen war, dann hielt das lappenhafte Zeug
nicht lange zuſammen. Mit zerfetzter Kleidung, die der Blößen
genug gab, abgeriſſen an den Schuhen, mochten ſie den Italie-
nern wohl Grund zu allerlei Spott geben. So wagte es der
Venetianer Feldherr Bartolomeo d’Alviano an Georg Fronds-
berg das Anerbieten zu machen: wenn ſeine nackten Landsknechte
die Waffen niederlegen wollten, ſo würde er ſie mit weißen Stä-
ben aus dem Lande ziehen laſſen. Aber der Vater der Lands-
knechte kannte ſeine Kinder und erwiderte: er habe nackte Kna-
ben, wenn aber jeder einen Pokal Wein im Buſen habe, ſo ſeien
ſie ihm lieber denn die Venediger, die Harniſch antragen bis auf
die Füße. Schlimm erging es dem Befehlshaber Roms Renzo
da Ceri, der zu den Seinen äußerte, als Bourbon mit den Lands-
knechten und Spaniern zu dem grauſenvollen Sturm heranrückte:
er wolle die Stadt wohl erhalten vor den ſchwarzen Köpfen und
den deutſchen Weinſäufern; es wären elende Leute, denen Hun-
ger und Tod im Magen ſtäke, die nackt und bloß, weder Schuhe
noch Kleider und roſtige Degen hätten, mit denen man nicht
einen Salat möchte abſchneiden.


Es war nur natürlich, daß, ſobald ein ſolches Volk im Ge-
biet der Trachten und der Mode ſich an die Spitze der Bewegung
ſtellte, die Entwicklung ſich raſch überſtürzen mußte, zumal da
die Haupteigenſchaft der Kleidung dieſer Zeit ohnehin ſchon ein
Erzeugniß des Freiheitsdranges war. Indem nun das nackte
Bein des Landsknechts ſich wieder bedeckte und die Jacke durch
Wiederherſtellung der arg verſchnittenen Aermel und des fehlen-
den Bruſtſtückes ſich ergänzte, begann gleichzeitig die Zerſchlitzung
den ganzen Körper zu überwuchern. Was man damit zu erzielen
[41]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
ſuchte, nachdem der urſprüngliche Zweck, freie Beweglichkeit, er-
reicht und dann zur Nebenſache geworden, war ein buntes renom-
miſtiſches Aeußere ſowohl in den Farben wie in den Formen.
Die Farbenvertheilung und Zerſtückelung hatte das ſechszehnte
Jahrhundert bereits vom funfzehnten überkommen, und der
Landsknecht gedachte nicht dieſe ihm ſo entſprechende Errungen-
ſchaft aufzugeben. Wo er alſo einen Schlitz in irgend ein Klei-
dungsſtück machte, unterlegte er denſelben mit andersfarbigem
Stoff, was auch zur Deckung etwaiger Blößen nothwendig er-
ſchien; oder es war auch das ganze Kleidungsſtück mit einem
farbigen Unterfutter verſehen, welches überall durch die Schlitze
hervortrat. In letzterem Fall wurde freilich nur die Wirkung
von zwei Farben erreicht, wenn nicht noch andere Mittel ange-
wendet waren, denn theils ließ ſich das Unterfutter mit der Un-
terlegung zugleich anwenden, theils konnte auch der obere ge-
ſchlitzte Stoff aus einer Anzahl beliebiger Farben zuſammenge-
ſetzt ſein, und endlich konnten an den verſchiedenen Stücken, an
Barett, Wamms, Beinkleid, Schuhen wieder verſchiedene Far-
ben ſymmetriſch und unſymmetriſch vertheilt werden. Beim
Beinkleid erfand der Landsknecht für ſeine Zerſchlitzung eine
große Vereinfachung, indem er über die eigentliche unzerſchlitzte
Hoſe eine weite zerſchlitzte Kniehoſe zog, zu welcher die erſtere
ſich dann wie ein durchſcheinendes Unterfutter verhielt. Daher
nannte Franz von Sickingen die Landsknechte „ſeine Geſellen
von den Halbhoſen mit den langen Spießen.“ Vom Knie ab-
wärts war das Beinkleid immer unzerſchlitzt, und der Lands-
knecht zog zu größerem Schutze auch Strümpfe darüber, die er
unter dem Knie feſtband oder ſchlotternd herabhängen ließ. Die
Mode dieſer Halbhoſen wie der Strümpfe verſchwand wieder,
lebte aber, wie wir ſehen werden, nach dem Jahre 1550 in neuer
durchgreifender Geſtalt wieder auf.


Wenn nun dieſe Farbenvertheilung, die der des funfzehnten
Jahrhunderts in aller Willkür und Tollheit um nichts nachſtand,
den bunteſten Eindruck hervorbrachte, ſo wurde doch derſelbe
durch die Art, wie die Schlitze gemacht waren, noch unendlich
[42]III. Die Neuzeit.
erhöht. Nirgends war eine Schranke, irgend ein Geſetz, welches
der überſchwänglichſten Laune ein Hinderniß geboten hätte; die
Reichsordnung von 1530 nahm den Soldaten im Felde aus-
drücklich von aller Verpflichtung aus und erlaubte ihm in Stoff
und Schnitt ſich zu kleiden, wie er wollte. Zuerſt waren es ein-
fache, grade Schnitte geweſen, welche entweder ſenkrecht oder
rundherum den Gelenken Luft verſchafft hatten. Sowie man
darüber hinausging, brauchte man auch nicht bei dieſen einfachen
Schlitzen ſtehen zu bleiben. Um das Knie herum bildete ſich ein
ſchleifenartiger Kranz, der faſt ſtehend wurde. Man verſuchte es
erſt noch auf den Schenkeln, [auf] Bruſt, Rücken und Aermeln
kleine grade Schlitze zu machen, aber man ſtellte ſie bald figürlich
zuſammen, ſowie man auch mit krummen, welligen, flammenden
abwechſelte. Man bildete Kreuze, Sterne, Blumen, Arabesken
in Tapetenmuſter an geeigneten Plätzen, z. B. auf Bruſt und
Rücken, Sonnen mit flammenden Strahlen, die von einem Mit-
telpunkt, einer geſchlitzten Roſette, ausgehen. Die Schlitze wach-
ſen zu ſolchen Maſſen an, daß, was übrig bleibt, nur mehr oder
weniger ſchmale bandartige Streifen ſind, welche wieder noch mit
kleinen Einſchnitten verſehen werden. Zuweilen beſtehen dieſe
Streifen beim Beinkleid aus verſchiedenfarbigen geflochtenen
Gurten, aus deren weiten Zwiſchenräumen das Unterfutter her-
vorſcheint; zuweilen ſind ſie ſo ſchmal, daß ſie den untergelegten
Stoff nur wie mit einem Netz überziehen, und auf die Knoten-
punkte ſind kleine bunte Läppchen in Geſtalt von Blumen oder
Sternen aufgenäht. Ein toller, wenn auch nicht grade phanta-
ſiereicher Kopf hat gar den Einfall gehabt, mit dem einen Bein
ſeiner Hoſe ein ganzes Fenſter mit den kleinen runden Butzen-
ſcheiben und der Bleieinfaſſung nachahmen zu wollen. Andere
ſchneiden dreieckige und viereckige Löcher in den obern Stoff und
laſſen die Lappen hängen; andere zerſchneiden wieder den Rand
der Schlitze in Zacken oder wellige Linien. In dieſer bunten
Willkür iſt alle Symmetrie verſchwunden; wenigſtens ſind es
die bei weitem ſeltneren Fälle, wenn ein Arm dem andern, die
Bruſt dem Rücken, ein Schenkel dem andern in dem Muſter der
[43]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Schlitze wie in der Farbe entſpricht. Oft capriciren ſich dieſe
tollen Köpfe einen recht grell in die Augen fallenden Widerſpruch
hervorzubringen, indem ſie z. B. den einen Arm oder das eine
Bein, oder beide zuſammen, auf die wildeſte und farbenbunteſte
Art zerſchlitzen, und die gegenſeitige Hälfte, vielleicht einen
Kranz von Schlitzen um Knie und Ellbogen ausgenommen, mög-
lichſt einfach, einfarbig, etwa roth oder ſchwarz, und ganz unzer-
ſchnitten laſſen. Im Volk wurde dies renommiſtiſche Aeußere der
Landsknechte, ſoviel auch davon in die allgemeine Bürgertracht
überging, nicht mit freundlichen Augen angeſehen, und der ein-
zelne hatte viel Hohn und Spott darüber zu erfahren. Künſtler,
welche die Kreuzigung Chriſti darzuſtellen hatten, hingen auch
wohl einen Landsknecht in der vollen Pracht ſeiner Kleidung bis
auf die Schuhe und das Federbarett als einen der Schächer an
das Kreuz. Die Landsknechte ſelbſt waren um ſo zufriedener da-
mit und nannten das


„zerhauen und zerſchnitten

nach adelichen Sitten.“

Es konnte nicht ausbleiben, daß bei dieſen Uebertreibungen
auch die Form der Kleidungsſtücke Veränderungen erleiden mußte.
Eine ſolche war zeitweilig ſchon an der übergezogenen Schlitzhoſe
eingetreten, dauernder wurden andere Veränderungen am
Wamms. Schon aus andern Gründen, wie wir das noch näher
ſehen werden, war das Hemd und nach ihm die Jacke wieder bis
zum Halſe in die Höhe gegangen, unter der landsknechtiſchen
Modelaune verlor ſie auch die anliegenden Aermel, welche ſich
zu faltigen und ſackartig herumhängenden Maſſen erweiterten;
nur am Handgelenk ſchloſſen ſie eng. Deſſenungeachtet verzich-
teten ſie nicht auf die Zerſchlitzung, welche an dieſen weiten Aer-
meln ihr Spiel trieb, wie früher an den engen; ſie hatte nur
noch größeren Raum erhalten. Ferner wurde in dieſer Zeit die
leichte Jacke zum geſteppten Wamms. Um die Pracht ſeiner
Kleidung für die Augen der Zuſchauer nicht wirkungslos zu ma-
chen, auch wohl leichterer und flotterer Beweglichkeit wegen ent-
[44]III. Die Neuzeit.
ſagte der Landsknecht meiſtens aller weiten und verhüllenden
Oberkleidung; wir ſehen ihn daher gewöhnlich ohne Mantel oder
Oberrock abgebildet. Später hing er ſich freilich das kleine ſpa-
niſche Mäntelchen um die Schulter. Um es aber doch etwas
wärmer zu haben und einigermaßen gegen den Wechſel der Wit-
terung geſichert zu ſein, unterfütterte er das Wamms mit dicker
Baumwolle, worin er wahrſcheinlich dem Beiſpiel des Spaniers
folgte. Das geſteppte Wamms blieb lange und mußte ſich ſpäter
noch weitere Einflüſſe der ſpaniſchen Mode gefallen laſſen.


Man ſollte glauben, daß die Pracht der landsknechtiſchen
Hoſe mit der oben geſchilderten Willkür der Zerſchlitzung und
bunten Farbenvertheilung ihren Höhepunkt erreicht hätte, allein
dem war nicht ſo; ſie ſollte noch eine neue Entwicklungsphaſe
beginnen und in derſelben es in kürzeſter Friſt bis zu dem gren-
zenloſeſten Uebermaß der Entartung bringen. Denn in der That
war es nun die volle Entartung in einen widerſpruchsvollen Un-
ſinn, ſowie die Landsknechte ſelbſt zu einem zucht- und ehrloſen
Kriegsgeſindel wurden, während man die frühere Lappen- und
Farbenluſt noch der naiven Renommiſterei eines flotten Solda-
tenhandwerks zu gute gerechnet hatte.


Zweierlei Veränderungen erlitt das Beinkleid in der
Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts, beide durch die Lands-
knechte. Die eine und weit unſcheinbarere ſollte die folgenreichſte
werden; ſie ſchuf gradezu das Beinkleid der Neuzeit, obwohl es
bis dahin noch der Entwicklung einer ganzen Reihe von Formen
bedurfte. Das war die Trennung in die Kniehoſe und den
Strumpf, welche wir ſchon früher in der übergezogenen Schlitz-
hoſe und dem kamaſchenartigen Strumpf des Landsknechts an-
gedeutet finden. Es wiederholt ſich nun gewiſſermaßen, was
ſchon da geweſen war. Ein Franzoſe verſichert uns, daß die deut-
ſchen Kriegsleute die Sitte gehabt hätten, beim Sturm die Ho-
ſen am Knie aufzuſchneiden; nun hatten ſie es leichter, ſie löſe-
ten die Bänder und ließen die Strümpfe fallen. Das gefiel ihnen
und ſie pflegten nun auch anderswo mit nacktem Knie zu erſchei-
nen, wo ſie ſich ein trotzig wildes, herausforderndes Anſehn
[45]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
geben wollten. In dieſem Aufzuge, das eine Bein faſt nackt,
das andre aufs bizarrſte bedeckt, im übrigen aber wohl und reich
gekleidet, zeigten ſich auch die deutſchen Hauptleute, welche in
franzöſiſchen Dienſten ſtanden, am feinen, italieniſch eleganten
Hofe der Königin Katharina von Medicis zu Paris und harrten
im Vorſaal des Louvre mitten unter den geputzten und gezierten
franzöſiſchen Hofleuten. Welche Entwicklung dann weiter mit
dem Strumpfe und der Kniehoſe in der feinen Welt vor ſich
ging, werden wir ſpäter ſehen.


Die zweite Veränderung des Beinkleides, ſo coloſſal ſie auch
in ihrer Ausdehnung war, und ſo gewaltiges Aufſehen ſie er-
regte, hatte doch keine bleibenden Folgen. Nach kaum funfzig-
jähriger Lebensdauer verſchwand ſie wieder ſpurlos, ohne daß
ſich eine Entwicklung an ſie anknüpfte. Der Zeit nach gehört ſie
zwar der zweiten Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts, unſerm
nächſten Abſchnitt, an, welche unter dem Einfluſſe der ſpaniſchen
Reaction ſtand, da ſie aber nur ein entarteter Ausfluß der refor-
matoriſchen Bewegung iſt, welcher ſich ſpurlos verläuft, ſo ziehen
wir ſie an dieſer Stelle in die Darſtellung hinein.


Schon gegen das Jahr 1550 war es bei den Deutſchen
mehr und mehr Sitte geworden, den unterlegten Stoff faltig
und flatternd aus den Schlitzen heraustreten zu laſſen. Dieſe
Mode trieben nun die Landsknechte zuerſt ins Coloſſale und zwar
unter einer ganz beſtimmten Form. Die nur bis zum Knie her-
abgehende Hoſe, welche von feſterem Stoffe war, wurde von
oben herab in lauter ſenkrechte, etwa handbreite oder ſchmälere
Streifen rundherum zerſchnitten, welche oben und am Knie zu-
ſammenhingen. Um das Bein herum zog man nun durch dieſe
Schlitze eine ſolche Menge leichtern und andersfarbigen Stoffes,
daß er aus den Oeffnungen heraus in dichten faltigen Maſſen
bis gegen die Füße herabfiel. Das war die eigentliche Plu-
derhoſe
, welche nun fortwährend mit dieſem Namen bezeich-
net wird, obſchon auch die zerſchlitzte in der erſten Hälfte des
ſechszehnten Jahrhunderts bereits alſo genannt wurde. Die
Entſtehung dieſer neuen Form des Beinkleids, welche nicht ver-
[46]III. Die Neuzeit.
fehlte, ſofort das größte Aufſehen zu erregen, wird von verſchie-
denen Zeugniſſen gleich nach 1550 angegeben. Eine Nürnberger
Chronik berichtet, daß dieſelbe im Jahre 1553 im Lager des
Kurfürſten Moriz vor Magdeburg erfunden ſei. Sie giebt an,
daß ein Landsknecht zur eigentlichen Hoſe vier bis fünf Ellen
wollenes Tuch und zwanzig Ellen Seidenzeug zur Unterlage
verwendet habe. Oldekopp ſchreibt in ſeinen Annalen für das
Jahr 1555: „Um dieſe Zeit kamen die großen Hoſen auf;
Schlodder oder durchzogene Hoſen wurden gemacht von 6 Ellen
Engliſch Tuch und 99 Ellen Karteken durchzogen, hatten vorn
ſo große Ritze auch kraus mit Karteken durchzogen, was biswei-
len ganz ſchändlich ließ.“ Ein altes Volkslied dieſer Zeit, wel-
ches ſich auf einem fliegenden Blatt von 1555 gedruckt findet,
weiſet ebenfalls das Verdienſt der Erfindung den Landsknechten
zu und macht folgende Beſchreibung:


„Welcher nun will wiſſen,

was doch erfunden ſei:

die Kriegsleut ſind gefliſſen

auf ſolche Buberei,

ſie laſſen Hoſen machen

mit einem Ueberzug,

der hangt bis auf die Knochen,

dran han ſie nicht genug.“

„Ein Latz muß ſein daneben

wol eines Kalbskopfs groß,

Karteken drunter ſchweben

Seiden ohn alle moß,

kein geld wird da geſparet

und ſollt er betteln gon,

damit wird offenbaret,

wer ihn wird geben den lon.“

Während die Nürnberger Chronik noch ein verhältnißmäßig
beſcheidenes Maß des zu dieſem Beinkleid verwandten Stoffes
angiebt, ſpricht Oldekopp zwei Jahre ſpäter bereits von einer
erſtaunlichen Anzahl Ellen. Warum es grade 99 ſind, erklär
[47]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
uns ächt landsknechtiſch die folgende Anekdote. Es wird erzählt,
ein Landsknecht habe ſich 99 Ellen unterfüttern laſſen, „da iſt er
gefragt worden, warum er nit hab 100 Ellen genommen, hat er
geantwort, neun und neunzig ſei ein lang Wort und gut lands-
knechtiſch, hundert aber ſei kurz und nit ſo prächtig zu reden.“
Andreas Musculus, der in ſeiner Predigt wider den Hoſenteufel
dieſe Erzählung mittheilt, ſagt, daß zu dieſer Zeit (1555) 20,
30 und 40 Ellen Kartek zum Unterfutter gewöhnlich geweſen
ſeien, fügt aber hinzu: „wie man es aber darein bringet, da laß
ich die Schneider für ſorgen, ich acht wohl, ſie behalten auch ihr
Theil davon.“ Er ſelbſt erwähnt noch in zweifelndem Tone, daß
einer 130 Ellen unter eine Hoſe gebracht habe, und andere
ſprechen gar von 200. Will man nun mit Musculus einiges
davon für den Schneider abziehen, anderes auf Rechnung ge-
wöhnlicher Uebertreibung ſetzen, ſo würde bei der deutlichen Ver-
ſicherung vieler Augenzeugen immer noch eine ſolche Maſſe übrig
bleiben, daß die Möglichkeit der Verwendung nur durch die Fein-
heit des Stoffes erklärlich wird. Und allerdings wurde ein ſehr
dünner Seidenſtoff, Kartek oder Raſch (Arras), dazu genommen.
So wurde aber die Pluderhoſe ein ſehr koſtbares Kleidungsſtück,
und oft konnte der Landsknecht die Beute eines ganzen Feldzugs
hineinſtecken, um das Vergnügen zu haben, zu dem Federhut,
dem bärtigen Geſicht und dem geſteppten Wamms und den fal-
tigen Aermeln noch mit der flatternden und rauſchenden Maſſe
Seidenſtoffes um die Beine einherſtolziren zu können, ein Mu-
ſter von ſoldatiſcher Eleganz in ſeinen eigenen Augen, aber ein
Greuel für die ganze anſtändige und ſolide Welt. „Es rauſchete,
wenn die Hoſenhelden kamen, als wenn der Elbſtrom durch die
Brücke oder über ein Wehr liefe.“


Und doch fand er der Nachahmer gar viele. Die Jugend,
namentlich die ſtudentiſche, folgte alsbald ſeinem Beiſpiele und
übertrieb es vielleicht noch, daß ſelbſt der große Philologe Hie-
ronymus Wolf in der Einleitung eines gelehrten Buches über
Demoſthenes mit Hinblick auf die Pluderhoſe der Studenten den
Stoßſeufzer nicht unterdrücken kann: O secula! o mores! o
[48]III. Die Neuzeit.
disciplinam academicam! Die Studenten waren es auch, welche
den erſten Widerſpruch der Geiſtlichen hervorriefen. Im Jahre
1555 hatte eines Sonntags in der Oberkirche zu Frankfurt an
der Oder der Diaconus gegen dieſe Mode gepredigt, und als er
am nächſten Sonntag wieder die Kanzel betrat, fand er ſich
gegenüber an einem Pfeiler ein Paar mächtige Pluderhoſen,
welche die Studenten dort aufgehängt hatten. Da trat der Ge-
neralſuperintendent der Mittelmark und Profeſſor in Frankfurt,
Dr. Andreas Musculus, ſelbſt auf und hielt eine gewaltige
Rede, welche er ſodann (1556) mit einer Widmung an den Bür-
germeiſter der Stadt Frankfurt in den Druck gab, unter dem
Titel: „Vom zerluderten, Zucht- und Ehrverwegenen pludrigten
Hoſenteufel; Vermahnung und Warnung.“ Außerdem hat er
für dieſen Teufel noch andere Beiwörter: er nennt ihn lumpend,
zerlumpet, unverſchämt, zerflammt und flammicht. Der gelehrte
Geiſtliche findet folgende acht Sünden auf, welche mit der Plu-
derhoſe begangen werden:

  • 1) wider die Scham, Zucht und Ehrbarkeit von Natur den
    Menſchen angeboren und eingepflanzet;
  • 2) wider Gott, ſeine Einſatzung und Ordnung;
  • 3) wider den Bund, Pflicht und Eid der heiligen Taufe;
  • 4) wider das 4. Gebot und Gehorſam der Aeltern;
  • 5) wider die Gewohnheit, Gebrauch und Recht aller Völker
    auf Erden;
  • 6) wider unſre jetzige Religion und Lehr des heiligen Evan-
    gelii;
  • 7) wider das Ebenbild Gottes, danach der Menſch geſchaffen;
  • 8) wider den gemeinen Nutz und Wohlfahrt teutſcher Nation.


Dieſe acht Sünden bilden auch die Eintheilung ſeiner Predigt.
Zur Charakteriſirung des Stils ſei die folgende Probe aus der
6. Sünde mitgetheilt. Nachdem er nachgewieſen, daß die Plu-
derhoſe vorzugsweiſe in proteſtantiſchen Ländern ſich finde, und
daß ſie ein Werk des Teufels ſei, welcher am liebſten da
wohne, „da die Kinder Gottes am dickſten ſtehen,“ fährt er fort:
„Deßhalb folgt hieraus unwiderſprechlich (ob der Hoſenteufel
[49]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
gleich noch ſo ſauer dazu ſehe und ſolches nicht gern hören will),
daß alle die, es ſeien Landsknecht, Edel, Hofleut [oder] noch grö-
ßeren Standes, ſo ſich mit ſolchen unzüchtigen Teufelshoſen be-
kleiden, des neuen herfürkommenden Hoſenteufels, aus dem aller-
hinterſten Ort der Höllen, geſchworne und zugethane Geſellen
und Hofgeſinde ſeind, durch welche als ſeine Mittel und Werk-
zeug dieſer letzte Hoſenteufel das hoch und theuer Wort Gottes
verunreinigt, das heilige Evangelium und Sacrament veruneh-
ret, zum Aergerniß, böſen Geſchrei und übeln Nachreden, ſetzet
und bringet, daß ſich die Feinde des Herrn Chriſti und dieſer
jetzigen ſeiner Lehr daran ſtoßen, ärgern und gänzlich ſchließen,
daß nicht möglich ſei, man ſing, ſag und ſchreib von dieſer Lehr,
wie und was man will, daß ſie von Gott ſei. Nach welcher
Verkündigung und Offenbarung und eben in denſelbigen Län-
dern, da ſie an Tag kommen, die Leut zu ſolcher unzüchtiger und
unmenſchlicher Kleidung gerathen ſeind, daß die da wöllen für
fromme Chriſten und Gottes Kinder gehalten ſein und ſehn doch
in Wahrheit mit ſolcher Kleidung dem unflethigen Teufel ähnli-
cher als Menſchen, geſchweige denn Gottes Kindern.“


Dem Vorgange des Musculus folgten andere Geiſtliche
und griffen tapfer in Rede und Schrift die Pluderhoſe mit dem
übrigen Luxus an. Dennoch aber breitete ſie ſich immer mehr
aus und ergriff, wenn auch in bedeutend gemäßigter Geſtalt,
den ſoliden Handwerker wie den Edelmann und drang ſelbſt zu
den Höfen der Fürſten vor, ſodaß ſie förmlich als eine deutſche
nationale Tracht dem ſpaniſchen Beinkleid entgegentreten konnte.
Wir werden auf dieſen Kampf ſpäter wieder zurückkommen. Alle
ſtädtiſchen Kleiderordnungen dieſer Zeit nehmen Notiz von ihr
und müſſen wenigſtens ein gewiſſes Quantum des durchzogenen
Stoffes zugeſtehen. Der Braunſchweiger Rath erlaubt ſeinen
Bürgern (1579) zwölf Ellen Seide, und ähnlich der von Roſtock
(1585) zwölf bis vierzehn Ellen, aber nur den Adligen. Der
Rath von Magdeburg, der im Jahre 1583 eine ſehr ausführliche
Kleiderordnung erließ, beſtimmt die Größe nach dem Werth des
Seidenſtoffes. Die höchſte Anzahl iſt achtzehn Ellen Kartek,
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 4
[50]III. Die Neuzeit.
aber dieſe wird allein den Schöffen, denen von den Geſchlechtern,
den vornehmſten Perſonen aus den Innungen und den Wohl-
habenden von der Gemeinde zugeſtanden.


Bei der Leichtigkeit, welche die Pluderhoſe renommiſtiſchen
Uebertreibungsgelüſten darbot, hörte die ſtrengſte Oppoſition
nicht auf. Die Geiſtlichen gedachten die Gemüther in Furcht zu
ſetzen, und wie ſie mit dem Teufel gedroht hatten, ſo ſchreckten
ſie nun mit Mißgeburten und Wunderzeichen, welche den Zorn
des Himmels andeuten ſollten. Im Februar 1583 ſollte ihrer
Ausſage gemäß ein Schaf zu Templin in der Uckermark außer
zwei wohlgeſtalteten Lämmern ein Stück Fleiſch zur Welt gebracht
haben, welches ein Paar Pluderhoſen darſtellte. In demſelben
Jahre habe auch eine Frau in Prenzlau ein Kind geboren, wel-
ches mit Pluderhoſen zur Welt gekommen ſei, die bis auf die
Füße hingen, und zudem habe es noch um den Hals und die
Hände große Kröſen gehabt. Schon Musculus hatte ähnliche
Geſchichten vorgebracht.


Mehr Wirkung that vielleicht der Widerſtand einiger pro-
teſtantiſcher Fürſten, welche ſehr ſummariſch verfuhren. In
Dänemark, wo die Pluderhoſe bis zu achtzig Ellen gekommen
war, wurde ſie rundweg verboten und jedem, der ſich damit
öffentlich ſehen ließe, angedroht, daß ſie ihm ſofort am Leibe zer-
ſchnitten werden ſolle. Der Kurfürſt Joachim II. von Branden-
burg ließ einſt drei Landsknechte aufgreifen, die mit ihren Hoſen
auf der Straße einherrauſchten und zu größerem Aufſehen einen
Muſikanten mit der Geige vor ſich her aufſpielen ließen. Er
ſtellte ſie öffentlich in einem vergitterten Gefängniß drei Tage
lang aus, und der Fiedler mußte die ganze Zeit vor ihnen ſpielen.
Ein ander Mal ſah er einen adligen Herrn, der am Sonntag in
prächtiger Pluderhoſe zur Kirche ging. Der Kurfürſt ließ ihm
raſch den Hoſengurt zerſchneiden, daß der ganze Pluder zur Erde
fiel, in welchem Aufzuge er dann nach Hauſe eilen mußte. Mus-
culus erzählt, daß mehrere Fürſten ein ſcharfes Verbot hätten
ausgehen laſſen, das eben ſo gut für den Hofjunker wie für den
Landsknecht galt, und zugleich hätten ſie alle Henker in ihren
[51]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Landen in die „zerluderte“ Tracht gekleidet. Aehnliches berichtet
Fiſchart in ſeiner draſtiſchen Weiſe: „Gleichwie auch zu unſerer
Zeit ein namhafter Fürſt den Lumpenhöslern und Zotten Junck-
herrn ihr Zottengelümp zu erleiden, eins Tags einen Hencker in
der neuen Kleidungsweiß, die damal Braunſchweigiſch hieß, an-
thun ließ, und den auf die Schloßbrück, da alle Hofleut fürzo-
gen, ſtellen, damit er ihnen durch diß ſchön Schindermuſter das
Geſäß gefräß verſauerte, und hat dannoch damit ſo viel geſchafft,
daß die Lumpen ſind abkommen.“


Local und momentan mag das der Fall geweſen ſein, was
Fiſchart hier vom Ende der Pluderhoſen erzählt, aber weder die
Predigten der Geiſtlichen, noch die Strafen der Fürſten konnten
erreichen, was die veränderte Zeit- und Geſchmacksrichtung von
ſelber herbeiführte. Ohnehin war die Pluderhoſe ſchon der letzte
directe Ausläufer der reformatoriſchen Bewegung geweſen, den
nur die Landsknechte ſo lange fortgeführt hatten. Genau zu der-
ſelben Zeit, als der freie Landsknecht zum gedrillten Soldaten
wurde, um das Jahr 1590, verſchwand auch die Pluderhoſe
wieder; ſie verlor mit ihm ihren Halt. Zur Soldatenſchule, zum
militäriſchen Exercitium paßte ſie nicht mehr. Wer ſie am läng-
ſten behielt, noch bis ins 17. Jahrhundert hinein, war der freie
Schweizer, bei welchem ſie ſogar, zur lebloſen Form erſtarrend,
nationale Tracht wurde, ſodaß ſie nun den Namen Schweizer-
tracht erhielt. Was die Entſtehung anbetrifft, ſo hatte, wie wir
geſehen haben, der Schweizer kein größeres Recht darauf, ſie als
eine nationale in Anſpruch zu nehmen, wie etwa der Schwabe
mit aufgekrämptem Hut, Kniehoſen, Strümpfen und Schnallen-
ſchuhen auf die franzöſiſche Hoftracht. Uebrigens muß derſelbe
die Pluderhoſe ſchon mit großer Lebhaftigkeit angenommen ha-
ben, wie früher das aufgeſchlitzte Beinkleid, denn in Hans
Weigels Trachtenbuch vom Jahre 1579 findet er ſich mit
mächtiger Pluderhoſe abgebildet, deren heraushängender
Stoff hintennach fliegt. (Fiſchart redet darum auch von
„Schweizer Hemdfähnlein.“) Unter dem Bilde ſtehen die folgen-
den Verſe:


4*
[52]III. Die Neuzeit.
„Der Schweizer, wenn er prangt und pracht,

Geht er in ſeiner alten Tracht,

Und iſt an in ein löblicher Sitt,

Daß ſie ihre Kleidung verändern nit.“

Dieſes Rufes ungeachtet, deſſen ſich der Schweizer in Bezug
auf Beſtändigkeit in der Kleidung zu erfreuen ſcheint, hatte er,
wie zahlreiche Bilder zu erkennen geben, die ganze Umwandlung
der Trachten im ſechszehnten Jahrhundert mit durchgemacht und
ſich von keinem Extrem ferngehalten. Aber in der zweiten Hälfte
begann allerdings der Bildungstrieb bei ihm in dieſer Hinſicht
zu erſtarren, und vielleicht ſchlugen ſich hier nationale Formen
früher als anderswo in feſter Geſtalt nieder.


Obwohl das Uebermaß landsknechtiſcher Kleiderpracht faſt
von allen Seiten her angegriffen wurde, obwohl es die einen
mit ſpöttiſchen Augen anſahen, andere mit Achſelzucken betrach-
teten, andre, denen die Gewalt gegeben war, verbietend und
ſtrafend entgegentraten, ſo blieb es doch nicht aus, daß ſie alle
mehr oder weniger von der Mode der Aufſchlitzung überwuchert
wurden. Wie die reformatoriſche Bewegung alle mit einander,
freundlich oder feindlich, willig oder leidend, in ihre Strömung
hineinzog, ſo verſchonte auch dieſe Mode kein Alter und keinen
Stand; nur die Geiſtlichkeit wußte ſich ihr zu entziehen, wozu
auch die proteſtantiſche mitgerechnet werden muß. Aber das
ganze Heer der Philiſter, für das ohnehin eine ſolche Zeit der
paniſchen Schrecken voll iſt, erlitt eine totale Niederlage: Mei-
ſter und Geſelle, der Krämer und der Rathsherr und was es
ſonſt von ehrſamen Leuten in einer guten Stadt damaliger Zeit
gab, ſie zogen alle das flotte Kleid einer friſchen, bewegten Zeit
an, wie viele auch ſauer dazu ſehen mochten.


Wir haben ſchon oben dargelegt, wie das leichte, renom-
miſtiſche Federbarett und ein ſtattlicher Bart ſich der Männer-
welt bemächtigt und allen Köpfen den gemeinſamen Typus auf-
drückt: in ſturmbewegter, wechſelvoller Zeit ein freies, männli-
ches Weſen. Es iſt ebenſo mit der übrigen Kleidung: während
am ganzen Leibe die bunten Schlitze ihr luftig loſes Spiel treiben,
[53]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
legt ſich der breite mächtige Ueberwurf mit ſtark ausladendem
Pelzkragen darüber und giebt der ſtattlichen Erſcheinung wieder
den Charakter ruhiger, ſtolzer, ſelbſtbewußter Männlichkeit; wäh-
rend jene alles Gemeinſame aufzuheben, alle Einheit zu verflüch-
tigen ſcheinen, erhalten wir durch dieſen wieder den Eindruck,
als ob ſie alle gleich ausſähen, der eine wie der andre. Und
grade der Ueberwurf, die Schaube, iſt es andererſeits wieder,
welche die charakteriſtiſchen Unterſchiede der Stände giebt. So
findet dieſe ſo unendlich reiche, vielbewegte, widerſpruchsvolle
und doch ſo von einem Geiſte getragene Zeit in allem ihren
Widerſchein am menſchlichen Aeußern.


Wenn wir uns ſo etwa um das Jahr 1510 auf ein reiches
patriziſches Ballfeſt, wovon ein Bild vor uns liegt, begeben
und die Toilette der Herren ein wenig mit hiſtoriſchem Auge
muſtern wollen — heut zu Tage hat freilich nur noch die der
Damen Intereſſe —, ſo finden wir die Mode der Schlitze noch
im Beginn. Zwar blühen die Farben, namentlich Gelb und
Roth, in üppigſter Weiſe, in Streifen, getheilt und in ganzen
Stücken, was aber die Aufſchlitzung betrifft, ſo beginnen nur
hier und da erſt Schultern und Ellbogen ſich in beſcheidener
Weiſe Luft zu machen; das enge, ſtraffe Beinkleid iſt noch ganz
unzerſchnitten. Uebrigens muß der Tanz nicht grade Sprünge
und raſche, heftige Bewegungen erfordert haben, denn wir ſehen
ſelbſt die alten Herren, denen die lange und weite, ganz ſchwarze
Schaube bis auf die Füße fällt und mit breitem Pelzkragen die
nackten Schultern bedeckt, auch dieſe ſehen wir noch den Damen
die Hand reichen und ein Tänzchen wagen. Man weiß noch nicht
recht, was aus dieſen alten Herren zu machen iſt. Der höchſt
ehrbare dunkle Ueberwurf, an Länge und Weite gleich coloſſal,
und dazu ſtarke Decolletirung mit breitem goldenen Hemdſaum,
mit bunter Haarkappe und breiten, noch ganz formloſen Schu-
hen — dieſer Widerſpruch deutet an, daß eine Uebergangsſtufe
vorhanden iſt: das Ehrenkleid des ſechszehnten Jahrhunderts,
die Schaube, muß die Blöße des funfzehnten decken, freilich in
einer Geſtalt, die noch keineswegs der neuen Zeit entſpricht.
[54]III. Die Neuzeit.
Dagegen blüht noch die Jugend aufs üppigſte in ſtutzerhafter
Zierlichkeit; die Ahnungen von einer kriegeriſchen, luſtigen, an
Abenteuern, aber auch an Noth und Gefahren reichen Zeit ſchei-
nen noch nicht in ihnen aufgeſtiegen zu ſein. Doch beginnen ſich
ſchon wieder die Blößen zu verhüllen; die nackten Arme ſind
ganz verſchwunden, und Nacken und Schultern ſind wenigſtens
theilweiſe durch ein Mäntelchen mit kleinem ſtehenden Kragen
verdeckt, welches von hinten her über beide Schultern gelegt iſt,
an den Seiten zwar kaum die Schenkel erreicht, mit ſpitzen Zip-
feln aber vorn bis gegen die Kniee herabfällt. Es iſt faltenlos,
hellfarbig und auch aus mehreren ſenkrechten Streifen rundum
zuſammengeſetzt. Das Hemd macht noch immer keine Anſtalt,
wieder bis zum Halſe hinaufzugehen.


Von nun an geht es aber raſch vorwärts im Geiſte der neuen
Zeit, und zehn Jahre ſpäter iſt faſt alles ſchon vollendet. Hans
Burgkmairs großer Triumphzug, deſſen Zeichnungen im Jahre
1515 begonnen wurden, giebt zu erkennen, wie weit die bürger-
liche Kleidung damals von der Aufſchlitzung ergriffen war.
Schon umziehen ſich die Kniee mit einem Kranz von ſchleifen-
artigen, zerſchlitzten Bändern und an den Schenkeln erblicken wir
bereits die Anfänge der ganzen Muſterung, wie wir ſie bei den
Landsknechten haben kennen lernen. Faſt noch mehr iſt das
Wamms umgeſtaltet worden, deſſen Aermel bereits ſo weit ſind,
daß es auf die Schaube umgeſtaltend einzuwirken beginnt. In
der langen ehrbaren Form, wie dieſes Oberkleid in das ſechs-
zehnte Jahrhundert herübergekommen war, hatte es gewöhnlich
lange Aermel gehabt, die, mit doppelter Oeffnung verſehen, meiſt
nur als Hängeärmel benutzt wurden; die Arme finden ſich dann
durch das obere Loch durchgeſteckt. Rundum hatten dieſe Oeff-
nungen an ihren oft zackig ausgeſchnittenen Rändern reichen Be-
ſatz gehabt. Bei der großen Weite der Aermel des Wammſes
mit ihren faltigen Schlitzen wurden die hängenden der Schaube
[ſehr] unbequem, und man entledigte ſich ihrer ganz und machte
die Oeffnung um ſo größer. Doch finden ſich noch in den zwan-
ziger Jahren beide Moden neben einander. Faſt früher noch war
[55]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
eine zweite Veränderung mit der Schaube vor ſich gegangen: ſie
war kürzer geworden. In ihrer alten Länge bis auf die Füße
herabreichend, hatte ſie etwas Unmännliches, was der neuen
Richtung nicht zuſagen konnte. In den zwanziger Jahren war
ſie im Allgemeinen bis zu den Knieen verkürzt. An Weite frei-
lich durfte ſie ſchon der bauſchigen Unterkleidung wegen nicht
einbüßen, und zudem wurde das ſtolze ſtattliche Anſehen nur er-
höht, wenn die pelzverbrämten Ränder vorn mit überreicher
Fülle ſich weit über einander ſchlagen ließen. Darin gefiel ſich
der Ritter wie der Kaufherr. Auch der Pelzkragen hatte an
Größe eher gewonnen als verloren; er legte ſich breit über die
Schultern. In dieſer Geſtalt war die Schaube gegen das Ende
der zwanziger Jahre zu großer Einheit gekommen und wurde ſo
in allen Ständen, denen ſie überhaupt zukam, getragen.


Währenddeß war auch die Zerſchlitzung zu völliger Allge-
meingültigkeit gelangt, wenn auch natürlich der Gebrauch hier
ein beſchränkter, dort ein erweiterter war. Gegen das Jahr 1530
legen ſich in allen Ständen die weiten, in Wülſten herumge-
ſchlitzten Aermel des Wammſes aus den Armlöchern der Schaube
heraus, und wenn dieſelbe aus einander ſchlägt, ſehen wir dar-
unter mannigfache bunte Muſterung, die bei manchem Herrn
vornehmen und reichen Standes ſtark an landsknechtiſche Will-
kür erinnert. Schon geht auch der Handwerksgeſell mit geſchlitz-
tem Wamms und gleicher Hoſe zur Arbeit. Die weiten Aermel
freilich kann er nicht gebrauchen; ſein Wamms iſt ärmellos und
ſtatt derſelben umzieht die Schultern ein ſchmaler zerſchlitzter
Wulſt, aus dem das Hemd bis zum Handgelenk hervortritt. Noch
im Jahr 1518 hatten die öſterreichiſchen Landſtände in der vor-
geſchlagenen Luxusordnung die Abſicht gehabt, alle „getheilten,
zerſtückten Kleider“ zu verbieten; es wäre umſonſt geweſen,
wenn auch ihr Wille zum Geſetz erhoben worden. Die große
Reichsordnung von 1530 ſchränkt das Verbot auf die niedern
Stände ein: den Bauern ſoll Hoſe und Wamms „in alle Weg
unzertheilt, unzerſchnitten und unzerſtückelt“ ſein, und desglei-
chen werden den „gemeinen Bürgern, Handwerkern und gemeinen
[56]III. Die Neuzeit.
Krämern“ nebſt den „Handwerksknechten und Geſellen“ die „zer-
hauenen und zerſchnittenen Kleider“ verboten; bei den übrigen
Claſſen wird keine Bemerkung mehr darüber gemacht. Aber in
dieſer Beziehung wenigſtens hatte das Geſetz keinen Erfolg, denn
immer mehr und üppiger dringt dieſe Mode in die untern Stände
ein, und nach dem Jahre 1530 trifft man nicht ſelten auf den
Abbildungen, z. B. den Kupferſtichen von Hans Sebald Beham,
Bauern, welche um die Kniee herum die geſchlitzten Bänder tra-
gen, und auch an den Schultern und andern Stellen mit ähnli-
cher Zierde verſehen ſind. In einzelnen ländlichen Gegenden
finden ſich die Schlitze noch gegen das Ende des ſechszehnten
Jahrhunderts faſt in ihrer erſten urſprünglichen Geſtalt, als ſie
ſich überall anderswo längſt in andere Formen verwandelt hat-
ten, — wir erkennen darin das erſte Werden der Volkstrachten.


Endlich mußte auch das Hemd dem neuen Geiſte huldigen.
Bei ſtarkem Bart, gekürztem Haar und einem ſo ſtattlichen
Aeußern zeigte ſich das Weibiſche der männlichen Decolletirung,
und das Hemd beginnt nun mit ſeinem goldenen Saum gegen
den Hals heraufzuwachſen und zwar ſo, daß es ihn wie mit einem
kleinen Kragen umlegt. Städtiſche Stutzer, die ſich der neuen
Richtung nicht erwehren konnten und doch dieſer Eitelkeit nicht
entſagen mochten, machten es noch hier und da mit durchſichtig
klarem Stoffe den Frauen nach, welche ſich nicht ſo raſch in die
Verhüllung finden konnten. Aber auch das war umſonſt, als
ſpäter auch das Wamms dem Hemd folgte und langſam über
Schulter und Nacken zum Halſe emporſtieg. Als es den Rand
deſſelben erreicht hatte und ſomit das Hemd bis auf den goldenen
Saum zu verdecken ſchien, wächſt der weiße Stoff ſofort oben zu
einer kleinen Krauſe wieder heraus, welche der Keim einer mäch-
tigen Entwicklung wurde. Da dieſelbe aber erſt gegen die Mitte
des Jahrhunderts begann und ihre Blüthe in die zweite Hälfte
fällt, ſo werden wir ſie erſt im nächſten Abſchnitt betrachten.


Das Hemd ſpielt bis zu der Zeit der großen ſelbſtändigen
Krauſe, namentlich aber bevor der Rand der Jacke den Hals er-
reicht hatte, eine große Rolle. Wie früher wurde der obere Rand
[57]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
noch immer von einem breiten, in Gold, Silber und Seide ge-
ſtickten Saum gebildet, der ſich ſo lange erhielt, bis um die Mitte
des Jahrhunderts auch die Jacke einen ſtehenden Halskragen er-
hielt oder in anderm Fall die ſich breit machende Krauſe ihn nicht
mehr ſichtbar werden ließ. Von ihm herab war das Hemd ge-
wöhnlich rund um Nacken, Schultern und Bruſt herum in eine
große Zahl möglichſt kleiner, feiner Falten gelegt, die ſenkrecht
zum Rand der Jacke herabliefen. Obwohl es ſich ſomit in der
Form verändert hatte, ſtand es doch in demſelben, vielleicht noch
in höherem Werthe als einige Jahrzehnte früher, wo es oft die
ganze Bruſt vom Gürtel herauf und den größten Theil der Arme
zu decken hatte. Auf Feinheit des Stoffes und Schönheit der
Stickerei wurde viel gegeben. Es war die Arbeit der Damen,
welche mit ſolchen Hemden an Befreundete und Verwandte theure
Andenken gaben. Das war auch Sitte im fürſtlichen Stande;
die deutſchen Prinzeſſinnen jener Zeit waren in der feinſten Na-
delarbeit geübt. So überſchickte einſt die Markgräfin Sabine
von Brandenburg dem Herzog von Preußen ein ſolches mit eige-
ner Hand verfertigtes Hemd als Neujahrsgeſchenk mit der Bitte,
es von ihr als eine geringe Verehrung anzunehmen.


Gegen das Jahr 1530 iſt keine männliche Decolletirung
mehr zu erblicken; auch hierin war große Uebereinſtimmung ein-
getreten. So konnte trotz der bunten Aufſchlitzung im Jahre
1528 mit Recht geſagt werden: „Der Männer Schmuck iſt faſt
gleich im deutſchen Land, die Röcke bis auf die Waden unter die
Kniee, weite Aermel mit viel Falten, und hoch zu Halſe.“ Je
mehr dies für die Form der Kleider gilt, um ſo mehr ſuchte man
von oben herab und in einzelnen Claſſen ſelbſt durch Stoff und
Farben Unterſchiede feſtzuhalten, was auch bis zu einem gewiſſen
Grade gelang.


Auf das deutlichſte ſpricht dies die wichtigſte der in der
eigentlichen Zeit der Reformation weniger zahlreichen Kleider-
ordnungen aus. Wenn auf dem folgenſchweren Reichstag zu
Augsburg im Jahre 1530 Kaiſer und Reich auch die „unordent-
liche und köſtliche Kleidung“ ins Auge faßten, ſo geſchah es nicht,
[58]III. Die Neuzeit.
um einem allgemeinen Luxus, dem Ruin des Vermögens zu
ſteuern, ſondern um den Unterſchied von Ständen, wie er mehr
und mehr aus Geſetz und Leben verſchwand, im Aeußern wenig-
ſtens aufrecht zu erhalten. Das geht aus dem einleitenden Pa-
ragraphen hervor: „Nachdem ehrlich, ziemlich und billig, daß
ſich ein jeder, weß Würden oder Herkommen der ſei, nach ſeinem
Stand, Ehre und Vermögen trage, damit in jedem Stand unter-
ſchiedlich Erkantnuß ſein mög, ſo haben wir uns mit Churfür-
ſten, Fürſten und Ständen nachfolgender Ordnung der Kleidung
vereinigt und verglichen, die wir auch bei Straf und Peen, dar-
auf geſetzt, gänzlich gehalten haben wollen.“


Die Claſſen werden, von unten an gerechnet, in folgender
Weiſe geſtellt. Zuerſt kommen „die Bauersleute auf dem Lande“,
dann die „Bürger und Inwohner in den Städten“, welche wieder
in drei Abtheilungen zerlegt werden: 1) „die gemeinen Bürger
und Handwerker“, 2) „die Kauf- und Gewerbsleute“, 3) „Bür-
ger in den Städten, ſo vom Rath, Geſchlechtern oder ſonſt für-
nehmen Herkommens ſind und ihrer Zins und Renten geleben.“
Sodann folgt der Adel, vor deſſen Geſammtheit die Ritter und
neben ihnen die Doctoren noch beſonders bevorzugt ſind; dem
Adel werden die unadeligen Beamten der Fürſten, Hofmeiſter,
Kanzler, Marſchalk und Rath, gleichgeſtellt; ferner Grafen und
Herren, und endlich die Fürſten als höchſter Stand, für welche
keine Beſtimmungen mehr getroffen ſind. Nebenbei handeln noch
beſondere Paragraphen von den reiſigen Knechten, von Kriegs-
leuten, von Bergknappen, Schreibern in Kanzleien, Vögten und
andern Beamten, von gemeinen und unehrlichen Weibern, von
Nachrichtern und von der Juden Kleidung. Stoff, Farbe und
Werth, in einzelnen Fällen auch die Kleidungsſtücke und die
Form derſelben geben die Beſtimmungen ab. Außerdem daß für
die Fürſten keinerlei Beſchränkungen ſtattfinden, iſt ihnen noch
Zobel „und dergleichen höchſtes Futter“ vorbehalten, insbeſondere
aber Gold- und Silberbrokat, deſſen ſich Grafen und Herren nicht
einmal zur Verbrämung bedienen ſollen, doch wird in dieſer Hin-
ſicht für ſie ſelbſt, wenn ſie Ritter ſind, ſowie für ihre Frauen
[59]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
eine Ausnahme geſtattet. Dagegen bleibt wieder den Grafen
und Herren vor dem übrigen Adel Sammet und Carmoiſin vor-
behalten; die letztere Farbe wird ausdrücklich allen übrigen Stän-
den abgeſprochen und der Sammet dem Adel und der vornehm-
ſten Bürgerclaſſe nur zum Wamms oder zur Verbrämung in be-
ſtimmtem Maße zugelaſſen. Damaſt, Seide und Atlas ſind die
Vorzüge des Adels und der Doctoren, welche Stoffe den unteren
Ständen nur in beſchränkter Weiſe zum Beſatz oder zu kleineren
Kleidungsſtücken erlaubt werden. Kamelot iſt der Hauptſtoff
für die Bürger der beiden obern Claſſen; die erſte hat den Vor-
zug, den Kamelotrock, die Schaube, mit drei Ellen Sammet ver-
brämen zu dürfen. Den unterſten Ständen bleiben im Allge-
meinen nur die einheimiſchen Stoffe geſtattet, unter denen die
beſſeren niederländiſchen wieder beſondern Beſchränkungen unter-
worfen ſind. In ähnlicher Weiſe wird über das Rauchwerk be-
ſtimmt: Lämmer- und Ziegenfell und dergleichen kommt den
Bauern zu, den niedern Bürgern außerdem noch Fuchs und Iltis,
Marder aber den Geſchlechtern und dem Adel, Zobel und Her-
melin ſind der Fürſten Vorrecht.


Am eingehendſten lautet die Verordnung über den Schmuck,
der damals an Ketten und Geſchmeide Männer wie Frauen in
reichem Maße zu zieren pflegte. Den Bauern und ihren Frauen
und dem gemeinen Bürger und Handwerksmann, ſowie deſſen
Geſellen wird er gänzlich abgeſprochen, nur allein des Handwer-
kers Hausfrau darf einen goldenen Ring tragen, doch nicht über
fünf oder ſechs Gulden werth und ohne Edelſtein. Den Kauf-
und Gewerbsleuten werden goldene Ringe geſtattet, ihren Frauen
Gürtel im Werth von zwanzig Gulden, von gleichem Werth ein
Schmuck, „Schloß und Geſperr“, am Halskoller, und ihren Töch-
tern und Jungfrauen ein Haarbändlein im Werth von zehn Gul-
den. Der Ring, den die Rathsherrn und die von den Geſchlech-
tern tragen, darf bis funfzig Gulden werth ſein, und ebenſoviel
die Kette der Frauen und dreißig Gulden ihr Gürtel. Beim
Adel wird der Werth der Ringe nicht mehr beſtimmt, ihre Kette
darf einen Werth von zweihundert Gulden haben, „die ſie doch
[60]III. Die Neuzeit.
mit einem Schnürlein umwinden oder durchziehen ſollen, wie
von Alters herkommen“. Von dieſer letzteren Beſtimmung iſt ein
adliger Ritter frei, doch ſoll die Kette nicht über vierhundert Gul-
den werth ſein. Für die Edelfrauen wird der Schmuck an Heft-
lein, Halsbändern und andern Kleinodien, Ringe ausgenommen,
auf zweihundert Gulden feſtgeſetzt, wozu noch für vierzig Gul-
den an Schmuck der Haube und des Baretts kommen und eben-
ſoviel an goldenen Borten und Gürteln. Grafen und Herren
ſind Ketten zu fünfhundert Gulden erlaubt und ihren Frauen zu
ſechshundert. — Einige andere Beſtimmungen dieſer ſehr ins
Einzelne gehenden Verordnung, das Barett und die Zerſchlitzung
betreffend, kennen wir bereits, auf andere, die ſich auf die Frauen
beziehen, werden wir noch zurückkommen.


Den Fürſten ſowohl wie den Behörden der Städte wurde
aufgegeben, dieſes Geſetz in ihre Lande einzuführen und zu über-
wachen; es geſchah aber nicht oder doch nur ſehr unzureichend,
ſodaß im Jahre 1548 eine Erneuerung folgte mit verſchärfter
Drohung und Feſtſetzung einer Geldſtrafe für die ſäumigen
Obrigkeiten. Wenn dennoch uns aus den unzähligen Bildern
dieſer kunſtreichen Zeit eine vollſtändig auch im Aeußern geglie-
derte Welt entgegentritt, ſo iſt das mehr Zeichen und Frucht
eines geſunden Lebens und natürlicher, freier Entwicklung als
Erfolg zweifelhafter Luxusgeſetze.


Es iſt wieder die Schaube, „das Ehrenkleid“, wie ſie in der
öſterreichiſchen Verordnung ausdrücklich genannt wird, es iſt die-
ſer ſtattliche weite Ueberwurf, ohnehin ſchon das charakteriſtiſche
Kleidungsſtück des Mannes in der Reformationsperiode, an
welchem dieſe Unterſchiede ſich offenbaren. Die Schaube iſt das
Fürſtenkleid, der Ehrenrock des Patriziers und das Sonntags-
kleid des Bürgers und des wohlhabenden Bauern. Von „gülden
und ſilbern Stück“, d. h. von Gold- und Silberbrokat, mit Zo-
bel oder Hermelin gefüttert und ausgeſchlagen und mit gleichem
breit ausgelegten Kragen umhüllte er die fürſtlichen Schultern.
Der Brokatſtoff konnte reines Metallfadengewirke ſein mit rei-
cher Muſterung, „Gold übergoldet“, „Silber über Silber“, ein
[61]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Stoff, der ſpäter ſeltner wurde, oder er hatte farbigen Grund
von Sammet und Atlas, oder es war ſeltner, wie das auch ſchon
in den früheren Zeiten geſchah, das metallene Muſter auf die
letzteren Stoffe geſtickt. Statt des läſtigen Rauchwerks, das nur
im Winter oder bei hoher Feſtlichkeit getragen wurde, unterfüt-
terte und beſetzte man den Brokat gewöhnlicher mit Sammet und
Atlas, als deſſen Farbe vor allen Carmoiſin in höchſter Bedeu-
tung gehalten wurde. In den beiden erſten Jahrzehnten des
ſechszehnten Jahrhunderts fiel die fürſtliche Schaube bei allen
einigermaßen feierlichen Gelegenheiten bis gegen die Füße herab,
wie wir das bei Kaiſer Maximilian auf den großen Holzſchnitt-
werken, die er veranſtaltete, ſo oft ſehen. Der junge Karl V.
trug ſie ſchon kürzer und an Schultern und Kragen modiſch leicht
geſchlitzt, aber ſpäter legte er ſie ganz ab und vertauſchte ſie mei-
ſtens mit dem ſpaniſchen Mantel.


Roth, ſei es nun Sammet oder Atlas oder einfache Seide,
mit feinem Pelzkragen, braun oder von grauem Marder, liebte
dieſen Rock der Ritter und überhaupt der höhere Edelmann.
Rauchwerk war auch bei ihm der koſtbarſte Stoff zu Futter und
Verbrämung, aber die Bequemlichkeit ließ ihn häufig durch Sam-
met und Seide erſetzen. Dann fanden ſich auch auf Schulter,
Kragen und Bruſt wohl leichte, zierliche Schlitze ein, welche
ſchmetterlingsartige Verzierung ſonſt gar wenig zu dem würde-
vollen Stück paſſen wollte. Wenn der Ritter auf Roth verzich-
tete, wählte er doch am liebſten die hellen Farben und die blitzende
Seide.


Den Gegenſatz bildet der Städter, der Patrizier und der
wohlhabende Kaufmann und Gewerbsmann, der ganze Kern des
Bürgerſtandes. Bei weitem am tiefſten in die geiſtige und poli-
tiſche Bewegung hineingezogen, iſt es, als ob ſie ſich des Ernſtes
der Zeit, aber auch zugleich ihrer eigenen Bedeutung bewußt
fühlen. Mit feſter, oft ſtolzer Haltung ſchlagen ſie die weiten
Flügel der dunkeln, meiſt ſchwarzen Schaube über einander, als
wollten ſie in Scham verhüllen, was die lockere Mode von leich-
tem Schlitzwerk an ihrem Leibe hervorgerufen hat. Beſatz und
[62]III. Die Neuzeit.
Futter ſind dunkelbrauner Pelz oder grauer Marder, auch ſchwar-
zer Sammet und Atlas. Selbſt Schuhe und Barett pflegen
ſchwarz zu ſein, wenn erſtere auch die breiten Schnäbel haben
und letzteres zerſchnitten iſt; die bunten Schuhe, das rothe Sam-
metbarett und überhaupt das luſtige Gelb, Roth, Blau überlaſ-
ſen ſie dem Adel und der Jugend.


Die letztere iſt der breiten dunklen Schaube weniger ge-
neigt: Würde und ſtolze, feſte Haltung paſſen nicht zur raſchen
Beweglichkeit junger Jahre; ſie zieht die lebhaften Farben vor,
die bunten Federn auf dem zerſchlitzten Barett und die zerhauene
Kleidung. Zwar finden wir auf Bildern ſelbſt Kinder wohlha-
bender Aeltern von dem weiten Oberrock umhüllt, und Jünglinge
und junge Männer durften gewiß auf den Beſitz deſſelben und
ſeinen Gebrauch in beſtimmten Fällen nicht Verzicht leiſten, aber
ſie zogen es vor, einen kurzen, ſehr weiten Mantel um die Schul-
tern zu legen, den ſie antikiſirend von der rechten Seite her über
die Bruſt und die linke Schulter faltenreich ſchlugen. Der junge
Geſelle vom Handwerkerſtande trug überhaupt kein Oberkleid,
weder Schaube noch Mantel, ſondern wie der Kriegsmann nur
Wamms und Beinkleid, mehr oder weniger zerſchnitten, nebſt
Barett und Schuhen. Mit Jacke, der alten Blouſe und Hoſe,
Schuhen oder Stiefeln, mit dem alten Filzhut und formloſer
Mütze begnügte ſich auch der Bauer, zu dem die Zerſchlitzung
nur langſam und immer nur in geringem Maße drang. Es iſt
ſelten, wenn er einen vorn offenen Rock von der Grundform der
Schaube und „von grobem Zwilch“ darüber zieht, aber derſelbe
entbehrt der Fülle und Weite und damit des Auszeichnenden
dieſes Kleidungsſtückes.


Dem Bürger ſtellen ſich beſcheiden zur Seite die Männer
der Reformation und die Gelehrten von Fach. Sie erſcheinen
ſchwarz gekleidet von Kopf zu Fuß. Ihr Barett iſt zur einfachen
Mütze geworden, der Ueberwurf, obwohl weit, hat doch die ſtatt-
liche Breite und namentlich den großen Kragen verloren; er iſt
ganz ohne Kragen und mit weiten offenen, an den Schultern
faltig angenähten Aermeln verſehen, eine Form, welche fromme,
[63]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
evangeliſch geſinnte Bürger gern nachahmen. Beinkleid und
Schuhe ſind ganz ohne Schlitzung, obwohl die letzteren die breite
Form haben.


Der Vollſtändigkeit wegen ſei noch eines männlichen Klei-
dungsſtückes gedacht, welches wir in den erſten Jahrzehnten des
ſechszehnten Jahrhunderts nicht ſelten erblicken, das aber außer-
halb der organiſchen Entwicklung liegt. Wir leſen oft in der
Kriegsgeſchichte dieſer Zeit namentlich von der ſtolzen franzöſiſchen
Ritterſchaft, wie ſie in blankem Harniſch mit goldenen und ſilber-
nen Waffenröcken gegen die Landsknechte daherſprengt. Die
Bilder zeigen uns, daß dieſer Waffenrock nicht über dem ganzen
Harniſch liegt, da dieſer, ciſelirt, vergoldet und mit reicher Tau-
ſchirarbeit verſehen, für ſich zu wirken hatte, ſondern wie aus
Bruſt- und Rückenharniſch heraustretend gleich einem weiten
faltigen Schurz von glänzendem gold- oder ſilbergewirkten Stoff
ſich rund um Hüften und Lenden legt und etwa bis zum Knie
oder ein wenig tiefer herabfällt. Wir finden dieſen Waffenrock
gleichzeitig auch bei der deutſchen Ritterſchaft, und können ihn
als den gewöhnlichen Begleiter der ritterlichen Rüſtung auf den
Bildern des Theuerdank, des Weißkunig, des burgkmairiſchen
Triumphzuges und ſonſt überall erblicken, und zwar iſt er immer
mit reicher blumiger Muſterung gezeichnet, ſodaß er von Brokat
oder wenigſtens Damaſt ſein muß. Aber dieſer Waffenrock blieb
nicht bei der Ritterſchaft und der Rüſtung allein. Nicht ſelten
trägt ihn zu derſelben Zeit der Landsknecht ohne jegliches Har-
niſchſtück. Dann gleicht er in ſeinem obern Theil vollkommen
dem geſchlitzten Wamms, wie wir es haben kennen lernen, und
der untere Theil erſcheint nur wie an der ritterlichen Rüſtung in
der Taille ringsum angenäht, wodurch er dieſen Rock vollkommen
von der alten Tunica und dem aus ihr entſproſſenen Rock oder
Lendner unterſcheidet. Aus dem kriegeriſchen Leben kam er auch
ins bürgerliche, obwohl in verhältnißmäßig vereinzelten Fällen,
und hielt ſich ſelbſt bis gegen die Mitte des Jahrhunderts, bis
die neue Phaſe des Beinkleids durch Pluder und Puffen ihm den
Raum zur Exiſtenz nahm. Noch auf Aldegrevers Hochzeitszug,
[64]III. Die Neuzeit.
der uns wahre Muſterbilder ſtädtiſch-vornehmer Eleganz giebt,
treffen wir ihn mehrfach an. —


Da die ganze Periode der reformatoriſchen Bewegungen den
Mann in den Grundfeſten ſeiner geiſtigen und bürgerlichen
Exiſtenz erſchüttert und in neue Bahnen wirft, da der Ernſt der
Zeit auf ihm laſtet und alle ſeine Kräfte in Thätigkeit ruft, ſo
trägt auch die äußere Erſcheinung dieſer Menſchenwelt einen vor-
zugsweiſe männlichen Charakter. Wie im zwölften und drei-
zehnten Jahrhundert in der Entwicklung der Trachten die Frau
voranging und weiblich edler Geſchmack den Weg zeigte und die
Formen angab, nach denen ſich auch die männliche Kleidung rich-
tete, ſo iſt jetzt der umgekehrte Fall eingetreten: der Mann iſt
der Führer, welcher ſelbſtändig und erfinderiſch im Gebiet der
Mode einherſchreitet, und die Frau folgt und wandelt ihr Aeuße-
res nach dem Vorbild und im Geiſte des Mannes. Es iſt nicht
zu ihrem Nachtheil, denn wenn ihr auch etwas von der aben-
teuerlichen Luſt und Eitelkeit des Landsknechts anfliegt, ſo ringt
ſie ſich doch aus der narrenhaften Verſchrobenheit und Bizarrerie,
aus den unnatürlichen Zwangsformen des funfzehnten Jahrhun-
derts heraus zu freier, ſtolzer, faſt männlicher Haltung, zu voller,
maleriſcher Schönheit ohne Zwang und Unnatur. Es liegt
etwas Nobles, Imponirendes in den weiblichen Erſcheinungen
dieſer Zeit, wie ſie uns die Kunſt, getreu die Natur copirend,
vorführt. Frei von aller Sentimentalität — die derb geſunde
Zeit kannte ſie nicht — ſtehen ſie im Gegenſatz zu den Frauen
des dreizehnten Jahrhunderts, welche die ſchwanke Haltung und
die faſt empfindſame Neigung des Kopfes charakteriſirt. Begün-
ſtigt von der Kleidung, bewegen ſie ſich ſo frei wie natürlich
und ſo anmuthig wie würdevoll. Aber das dauerte gleich der
männlichen Herrlichkeit nur kurze Zeit, denn wie raſch die allge-
meine Bewegung ſie emporgeriſſen hatte zu völliger Umwand-
lung, ebenſo raſch erfolgte der nothwendige Rückſchlag.


Die Frauenkleidung ſtrebte ebenſo nach Freiheit und
nach Natürlichkeit und andrerſeits nach Einheit und Charakter
im Gegenſatz zur Zerfahrenheit der früheren Zeit. In ihrer
[65]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Entwicklung ſchreitet ſie genau der männlichen parallel, ſodaß
wir Schritt für Schritt dieſelben Stufen und nicht bloß Aehn-
lichkeit, ſondern oft vollkommene Identität erkennen können.
Das iſt z. B. mit der Bedeckung des Kopfes der Fall, deren
Gleichheit bei Männern und Frauen wir ſchon oben bei der Ent-
wicklung der männlichen Kopftracht erwähnt haben.


Wir verließen im letzten Capitel des vorigen Buches den
Kopf der Frau gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts
faſt gebeugt oder verhüllt unter einer großen Menge verſchieden-
artiger Hauben, die ehrbar oder elegant ſein ſollten, aber die
weibliche Figur mit den coloſſalſten und ungeheuerlichſten Formen
entſtellten; das Haar, in Flechten aufgebunden, war ganz von
ihnen verdeckt oder noch durch eine beſondere koſtbare Haube un-
ſichtbar gemacht. Da gab es turbanartige mächtige Wülſte oder
ellenhohe kegelförmige, ſpitze Aufſätze mit langen wehenden
Schleiern, oder weiße feine Tücher über ein breites Drahtgeſtell
in coloſſaler Größe um den Kopf geſpannt, ſo daß mit Hülfe der
Kinnbinde nur ein Theil des Geſichts ſichtbar blieb. Alle dieſe
und andere Formen verſchwinden, ſchrumpfen zuſammen und
machen endlich der einen Form Platz, dem Barett mit der Haar-
haube. Jene ungeheure weiße Haube z. B., mit welcher ſich
ehrſame Frauen das Anſehen von Würde und Anſtändigkeit
geben wollen, wenn ſie auch oft bis gegen den Gürtel hinab de-
colletirt ſind, aus welcher aber auch ebenſo oft ein jugendliches
Geſicht und lebhaft begehrende Augen hervorſehen, — wir
können von Stufe zu Stufe beobachten, wie ſie zuſammenſinkt
und ſich kleiner um den Kopf legt, bis ſie am Ende auch von
den älteſten Köpfen der wohlhabenden Stände verſchwindet. Im
Jahre 1500 tragen ſie junge Frauen auf bekannten Handzeich-
nungen Dürer’s ſchon in ſehr verkleinerter Geſtalt, ältere aber
noch um 1520 auf Portraitmedaillen und unzähligen Votivbildern.
Dienſtmägde oder Frauen der unterſten Stände hüllen ihren
Kopf noch länger darein, doch in einer Geſtalt, die ähnlich einem
umgebundenen Tuche ſchon mehr und mehr von dem veränderten
Geſchmack der Zeit ergriffen zu ſein ſcheint. Später werden wir
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 5
[66]III. Die Neuzeit.
ſie ſogar nach dem Falle des Baretts als eine ſpecifiſch ſtädtiſche
Tracht wieder emportauchen ſehen. Das Schickſal dieſer miß-
geſtalteten Haube theilen alle die andern, unter denen um das
Jahr 1510 ſich noch eine für jüngere Damen ſelbſt als ballmäßig
beſonders geltend macht. Es iſt eine Haube, welche anliegend
die Haare des Vorderkopfes ſchlicht bedeckt, vom Scheitel aber
nach hinten ſich wieder in Art einer Kugel von Kopfesgröße er-
hebt; ſie erſcheint immer gelb, und iſt ſomit entweder von Gold-
ſtoff oder von gelber Seide, die mit Stickereien verſehen iſt.
Das Jahr 1520 ſcheint ſie kaum erlebt zu haben. In etwas
kleinerer Geſtalt ſehen wir ſie häufig auf Bildern der nieder-
ländiſchen Schulen dieſer Zeit bei älteren wie bei jüngeren
Frauen wohlhabender Stände; es ſind die frommen Stifterinnen
von Altargemälden, welche ſie auf denſelben tragen.


Mit dieſer Art von Kopftracht findet ſich noch häufig der
klare Schleier verbunden, welcher vor dem Barett, zu dem er
nicht paſſen will, eine Zeit lang in den Hintergrund tritt. In
der Zeit der Predigten des Geiler von Kaiſersberg, da das Alte
und das Neue ſich zu ſcheiden begannen, bildet er noch einen
Hauptgegenſtand weiblicher Eitelkeit und zwar in der uns ſchon
von früher bekannten gelben Farbe. „Item“, ſagt er, „die Weiber
tragen gelb Schleier alle Wochen, ſo müſſen ſie die Schleier
waſchen und wiederum gelb färben. Darumb ſo iſt der Saffran
ſo thür, daz iſt ein gewiſſe Wahrheit, es iſt ohn Zweiffel Gott
mißfällig.“ Auf Bildern nach dem Jahr 1510 werden die
Schleier ſeltner, wenn ſie auch noch hier und da, z. B. auf
düreriſchen Kupferſtichen mit weltlichen Gegenſtänden zu treffen
ſind. An einzelnen Orten ſcheint aber doch ihre Bedeutung noch
eine wichtigere geweſen zu ſein. So wird von Augsburg noch
vom Jahre 1517 erzählt, daß die dortigen Damen ſich an feſt-
lichen Tagen mit großen Schleiern das Geſicht faſt ganz verhüll-
ten. Das iſt gegen alle abendländiſche Sitte, welche zur Freude
die Reize enthüllt, aber nicht verbirgt, und es ſcheint daher in
dieſer augsburgiſchen Weiſe noch etwas von der Verkehrtheit des
funfzehnten Jahrhunderts übrig geblieben zu ſein. Der fröhliche
[67]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Kaiſer Maximilian, der den Damen Augsburgs ſehr gewogen
war, konnte auch in ſeinen alten Tagen dergleichen nicht leiden,
und als er in dem genannten Jahre zu einem Geſchlechtertanz
eingeladen war, erbat er ſich von den Damen die Gunſt, daß ſie
dabei die Schleier ablegen und mit offenen Geſichtern erſcheinen
möchten. Das geſchah denn auch. Durch den Mund des Bür-
germeiſters Peutinger eröffneten ſie dem Kaiſer, daß ſie ſeinem
Befehle nachzukommen bereit wären. In der Blüthezeit der
Barette friſtet der Schleier gewiſſermaßen nur ſein Daſein, und
es hat wenig zu bedeuten, wenn in der Augsburger Ordnung
von 1530 der goldgeränderte Schleier den Frauen der Bauern
und Handwerker abgeſprochen und denen der Kaufleute nur ein
Rand von fünf Finger Breite zugeſtanden wird. Auch hier iſt
es mehr auf Wahrung des Ranges und Standes abgeſehen.


Wir haben bereits oben bemerkt, wie noch am Ende des
fünfzehnten Jahrhunderts das Barett auf den weiblichen Kopf
überzugehen beginnt und ſchon Geiler die Bemerkung von der
Gleichheit des männlichen und weiblichen Kopfes macht. Nichts
iſt mehr geeignet, unſre Behauptung zu verdeutlichen, daß die
weibliche Kleidung der vorherrſchenden Richtung der Zeit gemäß
männlichen Charakter annimmt. Zwar wird die Calotte andrer-
ſeits auch Eigenthum des Mannes, aber ſie erſcheint immer als
das Unweſentliche dem alles überragenden Barett gegenüber.
Dieſes vollendet ſeine Herrſchaft in demſelben Maße, wie die
verſchiedenen Geſtalten der Hauben zurückweichen und verſchwin-
den. Ums Jahr 1510 iſt noch alles eine bunte Miſchung, ſodaß
wir z. B. auf einem ſtädtiſchen Geſchlechterball neben verſchie-
denen unausgebildeten Formen des Baretts die gelbe Kugelhaube
faſt in gleicher Geltung ſehen können, während ganz im Hinter-
grunde auf den Bänken der Zuſchauer die ältlichen Frauen in der
großen weißen Haube ſitzen. Zwiſchen den Jahren zwanzig und
dreißig kommt das Barett wenigſtens bei allen denen, die noch
Anſprüche an das Leben machen, zur Alleinherrſchaft, und zwar
durch alle Stände hindurch von der Fürſtin bis herab zur dienen-
den Magd und zum Weib des Landsknechts, das ihn im Troß
5*
[68]III. Die Neuzeit.
begleitet, ſo weit nicht vorgeſchriebene Ordnung und ein feſtes
Regiment in den unterſten Ständen eine Schranke ſetzte. Was
die Form betrifft, ſo entwickelt ſich das Barett der Frauen mit
der Calotte völlig ſo wie das der Männer. Die Zerſchlitzung, die
Durchziehung andersfarbigen Stoffes, der Behang und Beſatz
mit Schmuck, Medaillen und Schnüren, die wallenden bunten
Straußfedern, alles iſt beiden gemeinſam. Auch die Frauen
lieben das gelbſeidene oder rothſammtne Barett mit dunklem
Stoff durchzogen und von weißen Federn überwallt, oder bei
blondem Haar ein ſchwarzes mit Roth oder Gelb. Goldſtoff oder
gelbe Seide mit Stickerei ziehen ſie rothen und blauen Stoffen
für die Calotte vor, obwohl auch dieſe ſich finden.


Es iſt bemerkenswerth, wie ſich zu dieſer Kopftracht das
weibliche Haar verhält. Anfangs macht ſich auch bei ihm das
Ringen nach Freiheit geltend, und man ſieht es aus den alten ver-
hüllenden Gefängniſſen ſich hervordrängen. Schon Geiler nimmt
mit äußerſtem Aergerniß wahr, wie einzelne Frauen, die das
Barett mit Hahnenfeder tragen, ihr Haar den Rücken hinab
hängen laſſen, und wirklich ſehen wir auf Bildern hier und da
ähnliches ganz wie im dreizehnten Jahrhundert, nur daß das
Barett an die Stelle des Gebendes oder des Schapels getreten
iſt. Es finden ſich einzelne Beiſpiele davon bis in die zwanziger
Jahre. Dann fehlt gewöhnlich die Calotte, und das Barett
deckt oder ziert in kokettem Aufſatz allein den Kopf. Es ſcheint
dieſe Sitte, wenn ſie auch ſelbſt im vornehmen Bürgerſtande
nicht ohne Beiſpiele iſt, für beſonders eitel gegolten zu haben,
denn in den deutſchen Holzſchnitten zu Petrarch’s Troſtſpiegel iſt
die Figur der Eitelkeit ſo abgebildet, mit einem Pfau neben ſich,
das lange aufgelöſete Haar unter einer Netzhaube heraus breit
über Schultern und Rücken herabwallend. In ihrer Freude an
ſich ſelbſt ſpricht ſie die Worte: „Wie gefall ich dir, bin ich nicht
ſchön, hübſch und wohlgeſtalt?“ „Ja wahrlich“, antwortet die
Vernunft, „du biſt hübſch und putzt, eine ſchöne Tanztochter,
wer flicht dir nur die Zöpfe ein?“ — Es ſteht mit dieſer Be-
freiung des Haares in Verbindung, wenn ſich im Jahr 1497 die
[69]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Tracht der Bräute in Augsburg in ähnlichem Sinne veränderte.
Bis dahin hatten ſie an dieſem Ehrentage auf dem Haupt einen
Schleier „mit viel Falten und zwei Ecken“ getragen, in dieſem
Jahr aber geſchah es bei der Hochzeit der Anna Fugger mit einem
Ungar Georg Turzo zum erſten Mal, daß die Braut „mit hinter
ſich hangenden Haarzöpfen und einem Kranz von Kräutern und
ſchönen Blumen auf bloßem Haupt und auch nur in einem engen
und nachſchleifenden Oberrock (ohne Mantel) bei uns gen Kirchen
geführt wurde.“ Unter den Haarzöpfen iſt hier wie früher wohl
nur das lange gelockte Haar gedacht, welches ſich dann noch
länger und an verſchiedenen Stellen als Tracht der Bräute und
Brautjungfern erhalten hat.


Aber das völlig freie Haar ſchien ſich nicht mit dem übrigen
männlichen Charakter des Kopfes vereinigen zu laſſen, und nach-
dem es kaum den Verſuch zur Freiheit gemacht hat, ſehen wir es
wieder in die Haarhaube oder Calotte eingeſchloſſen. Doch nicht
völlig, denn, als ob es Proteſt gegen dieſen Zwang in ſolcher
ungebundenen Zeit einlegen wollte, ſtehlen ſich immer einzelne
Locken an Stirn, Schläfen und im Nacken heraus und treiben,
ſcheinbar unbeachtet und vernachläſſigt, ein loſes Spiel. Wir
können das ſo unzählige Male beobachten, z. B. an cranachſchen
Frauen, daß es förmlich als Regel erſcheint. — Zöpfe und
Flechten bleiben in dieſer Zeit der Stolz der jungen Dorfſchönen,
denen Barett und Haarhaube verboten und nur allein „ein Haar-
bändlein von Seide“ geſtattet war. Ein goldenes Band muß
auch zuweilen die Haare einer ſtolzeren, vornehmeren Schönen
umſchlingen und unter dem Barett die Calotte erſetzen.


Auch die Fußbekleidung der Frauen folgt genau der
männlichen. Zwar werden die Füße äußerſt ſelten ſichtbar, theils
weil die lange Kleidung ſie verhüllte, theils weil es wider den
Anſtand war, und es iſt wahrlich kein Schade darum, da die
Schönheit des Fußes ohnehin durch die mißgeſtaltete Form des
Schuhes verloren ging. Wenn aber irgend eine zufällige
Situation auf Bildern einen freien Blick geſtattet, ſo ſehen wir
die Fußſpitze in demſelben breiten Schnabel ſtecken, der farbig
[70]III. Die Neuzeit.
und mit kleinen bunten Schlitzen verziert ſein kann; zum feſteren
Schluß laufen ein oder mehrere Bänder über den Fuß.


Die Bedeckung des Leibes, das eigentliche Kleid oder der
Rock, ſtrebte zunächſt dahin, ſich aller Feſſeln und Hinderniſſe
zu entledigen, welche die Enge oder die Uebertreibung hervorge-
rufen hatten, und zugleich einen gewiſſen Grad von Naturgemäß-
heit und freier Schönheit zu erreichen. Demzufolge verkleinert
ſich unten die Schleppe und oben die Decolletirung, und die
Taille ſinkt von ihrer Höhe hart unter den Brüſten zu der ihr
von Natur angewieſenen Stelle herab, ohne durch allzugroße
Länge wieder ins andre Extrem zu verfallen. Noch zu den Zei-
ten der Predigten Geilers ſpielen die „langen Schwänze der
Frauen, die ſie auf dem Erdreiche hernachziehen“ eine ſo bedeu-
tende Rolle, daß ſie den bitterſten Tadel dieſes Sittenpredigers
ihren Trägerinnen zuziehen; zehn Jahre ſpäter zeigen ſie ſich in
bedeutend verkürzter Geſtalt und nur noch in der Minderzahl
gegen die neue Mode, wonach das Kleid rundum in gleicher
Länge nur eben den Boden erreicht oder doch nicht weit auf den-
ſelben fällt. Dieſe Mode kam dann zu allgemeiner Geltung und
zwar ſo, daß ſie auch im Auslande als eine vorzugsweiſe deutſche
bezeichnet wird. So heißt es z. B. von Anna von Cleve in dem
engliſchen Bericht über ihre erſte Zuſammenkunft mit Hein-
rich VIII. von England, ſie habe ein reiches Kleid mit Gold ge-
tragen, rund ohne irgend eine Schleppe nach deutſcher Mode.
Es wurde dann aber dieſer kurze, ſchleppenloſe Schnitt des Klei-
des, das freilich nie die Füße ſichtbar werden laſſen durfte, im
ganzen civiliſirten Abendlande für das ſechszehnte Jahrhundert
ziemlich allgemeine Tracht, ſo daß die Schleppe nur noch der
Etiquette des Hoflebens blieb. Auch die deutſchen Kleiderord-
nungen dieſes Jahrhunderts nehmen auf ſie keine Rückſicht mehr.


Was die Decolletirung und die übrige Entblößung be-
trifft, die, wie wir geſehen haben, um das Jahr 1500 auf Bruſt
und Rücken bis gegen den Gürtel ſich herabzog, ſo war die frei
bewegte Zeit nicht dazu angethan, ſie ſofort in’s Gegentheil, in
nonnenhafte Verhüllung, hinüberzuführen, obwohl ehrwürdige
[71]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Matronen des Bürgerthums zuweilen dieſen Eindruck machen.
Es war etwas anderes mit der Männerwelt, die nur zum Be-
wußtſein ihrer ſelbſt zu kommen brauchte, um dieſe für ſie wei-
biſche Mode abzulegen; bei ihnen ging es raſcher. Die Frauen
brachten es für die erſten Jahrzehnte nur zu einem beſcheidneren
Maße, das ihnen bei der übrigen freien, aber nicht leichtfertigen
Kleidung wohl anſtand. So können wir es ſchon um das Jahr
1510 und ebenſo noch vielfach in den dreißiger Jahren erblicken.
Dann aber, da der erſte Rauſch der allgemeinen Erregung ver-
flog und die Reaction im eigenen Bewußtſein ſich einſtellte, als
ſtatt der Gewiſſensfreiheit die Sündhaftigkeit des Menſchen den
Grundgedanken für das religiöſe Leben in Kirche und Haus ab-
gab, da wurde die Schönheit zur Sünde, zur Schuld, und auf’s
ängſtlichſte ſuchte man die Reize zu verhüllen, welche die Natur
etwa für die irdiſche Lebensbahn mitgegeben hatte. Bis unter
Kinn und Ohr und möglichſt noch darüber hinaus und hoch hin-
auf in den Nacken wurde alles ſteif und geſchloſſen verdeckt.


Die Arme fühlten zuerſt dieſen Umſchwung der Zeit. Wir
haben geſehen, wie ſich an ihnen um die Mitte des funfzehnten
Jahrhunderts zum erſten Male in chriſtlicher Zeit eine Enthül-
lung bis gegen den Ellbogen eingeſtellt hatte: ihre Zeit ſchien
noch nicht gekommen, und daher ſehen wir dieſe Sitte bereits
um das Jahr 1510 ſo allgemein verſchwunden, daß vereinzelte
ſpätere Fälle dagegen nicht in Betracht kommen. Im Gegen-
theil, da zugleich der Längenaufſchnitt des Aermels ſich wieder
ſchließt, wächſt dieſer nicht bloß zum Handgelenk, ſondern erhält
hier einen Vorſtoß, der ſich über die Hand bis zu den Fingern
legt und ſomit als Erſatz des Handſchuhs dienen, aber auch zu-
rückgeſchlagen werden konnte. Doch verſchwindet er bald wieder,
obwohl er ſich anfangs ziemlich allgemein zeigt. Bis gegen das
Jahr 1520 hat das Kleid oben einen Ausſchnitt von mäßiger
Tiefe, welcher ſich nur leiſe im Rücken ſenkt, die Schultern größ-
tentheils enthüllt, vorn aber ſich unter die Brüſte oder ſelbſt bis
zum Gürtel in ſehr verſchiedenem Schnitte herabſenkt und ſtets
von mehr oder weniger koſtbarem Beſatze begleitet iſt. Zuweilen
[72]III. Die Neuzeit.
geht er grade herunter und ſeine aus einander ſtehenden Seiten
ſind durch Schnürſenkel gehalten. Doch iſt die Bruſt nicht ent-
blößt wie früher, ſondern mit einem beſondern Einſatz oder Bruſt-
ſtück
bedeckt, welches hier an die Stelle des Bruſthemdes tritt.
Letzteres erſcheint zuweilen gar nicht oder oben mit krauſem, ge-
ſticktem Saum. Das Bruſtſtück hat immer andere Farbe als das
Kleid und ſucht namentlich durch den Gegenſatz mit ihm zu wir-
ken; iſt letzteres z. B. roth, ſo iſt jenes ſchwarz und umgekehrt.
Da man zu den Kleidern noch die hellen Farben liebt, nament-
lich Roth und Gelb in den verſchiedenſten Arten, ſo findet ſich
das Bruſtſtück gewöhnlich von ſchwarzem oder ſonſt dunkelfar-
bigem Sammet, welcher tiefer wirkte als anderer Stoff. Außer-
dem erhält es reiche Verzierung und Beſatz am Rand und in ſenk-
rechten Streifen von Gold- und Silberbrokat oder gleicher
Stickerei mit Blumen, Namenszügen, Sinnſprüchen u. dergl.,
oder von Seide und Atlas, worüber Geſchmack, Vermögen und
auch hier und da die Luxusgeſetze beſtimmten. Die prächtigſten
Muſter dieſer Art können wir namentlich auf cranachſchen Bil-
dern ſehen, deſſen reichgeſchmückte Frauengeſtalten, insbeſondere
aber ſeine vielgeſehenen Ehebrecherinnen, für uns die Bedeutung
von Modebildern haben.


Nach dem Jahr 1520 gewinnt das Bruſthemd wieder
größere Bedeutung. In einzelnen, dann immer zahlreicheren
Fällen dringt es aus dem Saum des Kleides und des Bruſtein-
ſatzes heraus und ſtrebt in derſelben Weiſe, wie das ſchon früher
bei den Männern geſchah, nur in reicherer Entwicklung, zum
Halſe. Wie es einerſeits vielfach aus klarem, durchſichtigem
Stoffe beſteht, ſo muß es andrerſeits noch längere Zeit ſich mit
der vollen Decolletirung in die Herrſchaft theilen, und das noch
in den dreißiger Jahren. Am Halſe hat es einen reichen gelben,
in Gold oder Seide geſtickten Saum, und auch ſonſt iſt es häufig
über und über reich beſtickt, mit goldenen Borten beſetzt und in
eine Unzahl kleiner Falten gelegt. Später wächſt dann das
Leibchen gleich dem Wamms des Mannes ebenfalls in die Höhe,
bedeckt auch den ſtehenden Saum am Halſe bis zum Kinn und
[73]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
treibt hier das Hemd in Anfangs unſcheinbarer feiner und zier-
licher Krauſe heraus. Solches geſchah ſchon gegen die Mitte des
Jahrhunderts.


Im Verhältniß zur Weiſe des Mannes und beſonders des
Landsknechts überzieht die Zerſchlitzung die Frauenkleidung nur
in geringem Maße, ſodaß ſie mehr wie eine leichte Zierde, wie
ein angeflogener bunter Schmetterling erſcheint. Nur die Aermel
werden bedeutender davon ergriffen und verändert. Wenn auch
der Längenaufſchnitt, den wir am Ende des vorigen Jahrhun-
derts ſo häufig trafen, verſchwindet, ſo bleiben doch die Quer-
ſchnitte um Ellbogen und Schultern mit dem heraustretenden
Hemd wohl längere Zeit, doch werden ſie ſpäter durch aufgenähte
leichte, faltige Puffen erſetzt. In den Zwiſchenräumen liegt der
Aermel eng an, doch iſt er vielfach in verſchiedenen Muſtern mit
leichten, kleinen Einſchnitten und unterlegtem farbigen Stoff
verſehen. Dann aber erweitert ſich der ganze Aermel und die
Schlitzung überzieht ihn nach allen Richtungen, ſodaß er oft an
die weiten Aermel des Landsknechts erinnert, oft aber auch wie
mit einer Reihe Volants umzogen erſcheint. Im Uebrigen haben
die Schlitze ſtets winzige, beſcheidene Geſtalt: ſo verbreiten ſie ſich
um die Schultern, über das Bruſtſtück und den Rücken und na-
mentlich auch, ſtellvertretend für den Beſatz, in mehreren Reihen
um den unteren Saum des Kleides.


So lange die Decolletirung dauerte, hatte auch der Koller
noch ſeine eigentliche Bedeutung. Wir kennen ihn ſchon aus
dem funfzehnten Jahrhundert. In ſeiner Form blieb er ſich ſo
ziemlich gleich, ſodaß er wie ein Kragen von hinten um den Hals
gelegt und, vorn mit ſeinen beiden Seiten durch eine Heftel oder
ſonſt wie zuſammengehalten, Hals, Schultern, Nacken und die
offene Bruſt verhüllte. Da ſein Zweck war, außer dem Schutze
des Teints auch vor Erkältung zu wahren, ſo war er gewöhnlich
von wärmerem Stoff z. B. von Sammet oder mit Pelz gefüt-
tert. Doch hielt die Nützlichkeit nicht ab, ihn möglichſt koſtbar
zu machen, mit reichem Beſatz von Borten, mit Schmuck und
Perlen und feiner Stickerei, der eigenen Arbeit geübter Damen-
[74]III. Die Neuzeit.
hände, zu zieren, ſowie mit dem feinſten Rauchwerk zu unter-
legen, zumal als er mit zunehmendem Schwinden der Decolle-
tirung nicht ebenfalls aus dem Gebrauche kam. Fürſtliche Damen
trugen ihn auch von Goldſtoff mit Hermelin. So war er ein
Luxusartikel geworden, der unter allen Umſtänden getragen
werden konnte, bis er wieder von Stufe zu Stufe in ſeinem
Werthe herabſank.


Die Sitte wohlgekleideter Damen, zwei Kleider über
einander zu tragen, welche durch das ganze Mittelalter geherrſcht
hatte, kam auch jetzt nicht außer Gebrauch, doch zeigt ſie ſich in
dieſer freieren Zeit weit ſeltner. Gewöhnlich genügt das eine,
ohnehin ſchon reich geſchmückte. Doch ſehen wir zuweilen auf
Bildern Damen mit Federbarett und weiten geſchlitzten Aermeln
und auch ſonſt völlig nach der Mode gekleidet, welche ein oberes
Prachtkleid von modiſchem Schnitt ganz wie früher mit der linken
Hand in die Höhe genommen haben, wodurch unten ein zweites
Kleid ſichtbar wird. Zu größerer und entſchiednerer Bedeutung
gelangt dieſe Sitte wieder in der zweiten Hälfte des ſechszehnten
Jahrhunderts.


Der Mantel wurde am wenigſten in die allgemeine Um-
geſtaltung hineingezogen und zwar aus dem Grunde, weil er zu
einer vollſtändigen Toilette gewiſſermaßen ein überzähliges Klei-
dungsſtück war, welches nur die äußerſte, der Mode feindlich
entgegentretende Ehrbarkeit und beſondere Umſtände, wie ſchlech-
tes Wetter, anzulegen nöthigten. Vom königlichen Ornat abge-
ſehen, iſt er daher eigentlich nur in bürgerlichen Kreiſen heimiſch.
Im Allgemeinen behält er die Form des fünfzehnten Jahr-
hunderts bei: um Schultern und Hals zuſammengezogen, fließen
eine Menge ziemlich ſteifer Falten ſenkrecht nach allen Seiten
herab; doch wird er im ſechszehnten Jahrhundert weiter und
ſtoffreicher, daß man ſich beſſer darein hüllen konnte.


Der Gürtel der Frau bleibt wie früher ein reiner Schmuck,
ſoweit er nicht dazu diente, an einem langen, hängenden Bande
die Taſche und das Meſſer oder den Dolch mit reich verzierter,
meiſt mit Silberarbeit belegter Scheide zu tragen. Die Damen
[75]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
jener Zeit führten gern dieſe gefährliche Waffe bei ſich. Die
Frau konnte den Gürtel tragen oder nicht, wie ſie wollte; das
erſtere erſcheint faſt gewöhnlich in Anbetracht der genauen Be-
ſtimmungen, welche die Luxusgeſetze darüber vorſchreiben. Von
Sammet oder Seide, auch von feinem Leder, mit Metallarbeit
beſchlagen und wohl mit Edelſteinen beſetzt, ſo lag er loſe um
die Hüften und das eine Ende, oder ein Anhang, der die oben
genannten Gegenſtände trug, fiel vorn tief herab.


In Verbindung mit der Blüthe der Goldſchmiedekunſt, die
in dieſer Zeit ohne an Technik einzubüßen von der Gothik
zur Renaiſſance überging, war der Schmuck überhaupt bei den
Frauen ein höchſt begehrter Artikel. Luther ſagt darüber in ſeiner
Weiſe, „es ſei ſo ein toll Thier um ein Weib, daß es mit Schmuck
nicht zu ſättigen ſei“, und ein ander Mal: „Wenn man jetzund
eine Braut ſchmücken will, muß man ſoviel Seide und Perlen
haben, grade als ſollte die Braut nicht geſchmückt ſein, ſondern
nur ſehen laſſen, wie ſchwer ſie tragen könne, wenn das ge-
ſchmücket heißet, ſo könne man auch wohl einen Karren ſchmücken,
der könnte des Dings viel tragen.“ Außer dem ſchon oben er-
wähnten Schmuck der Barette, ſowie einem breiten Halsſchmuck,
den Cranachs Frauenbilder häufig tragen, waren es beſonders
Ringe und Ketten. Die letzteren hingen in großer Zahl, aus
ſehr mannigfach und kunſtreich zuſammen gefügten Gliedern be-
ſtehend, weit und lang um Nacken und Bruſt und dienten ent-
weder für ſich ſelbſt zum Schmuck oder trugen Medaillen, Ge-
ſchmeide oder kleine geweihte Sachen, welche verborgen im
Buſen ſteckten. Es iſt nicht ſelten, daß eine Dame mit ſechs
oder mehr ſolcher verſchiedenen Ketten mit Perlſchnüren gemiſcht
ſich behängt hat. Auf Einzelheiten des Schmuckes werden wir
noch in der nächſten Periode zurückkommen, ſowie namentlich
auf den reichen Beſatz der Kleider mit Perlen.


In dem Reichthum der Stoffe wie in der Lebhaftigkeit der
Farben ſtanden die Damen dieſer Zeit nicht hinter früheren zu-
rück. Nur das ehrwürdige Alter und beſonders die Matronen
des Bürgerſtandes kleideten ſich dunkel, die jüngeren dagegen
[76]III. Die Neuzeit.
und die Damen höherer Stände hell und koſtbar, es ſei denn,
daß ſie z. B. durch den Gegenſatz eines tief dunklen Sammet-
kleides zu goldenem Beſatz und goldenem oder rothem Bruſtſtück
und rothem Barett mit weißen Federn oder in ähnlicher Weiſe
hätten eine beſondere Wirkung hervorbringen wollen. Gelbe
und rothe Kleider ſind namentlich in den erſten Jahrzehnten be-
ſondere Mode, doch haben ſie immer dunklen Beſatz von breite-
ren und ſchmäleren Streifen an allen Säumen und um die Arme
herum. Auch iſt um der entgegengeſetzten Wirkung des Lichtes
willen ein gleichfarbiger Beſatz von Atlas oder Seide auf Sam-
met und umgekehrt nicht ſelten; häufig findet ſich dies, ſchwarz
auf ſchwarz, bei der Tracht des würdigen Alters. Beliebt iſt die
Verbindung von Schwarz und Gelb in ſehr verſchiedener Weiſe,
ſei es, daß erſtere Farbe bloß den Beſatz und die Unterfütterung
der Schlitze abgiebt, oder daß die eine Farbe die des Leibchens,
die andere die des Rockes iſt — denn es iſt nicht nöthig, daß
beide dieſelbe haben —, oder daß zu gelbem Leibchen der Rock
aus gelben und ſchwarzen ſenkrecht wechſelnden Streifen beſteht.
Man ſieht, daß im Allgemeinen die kräftigen Gegenſätze in Mode
waren. Das bezeugen auch die Gold- und Silberſtoffe, die frei-
lich wie Carmoiſin den höchſten Ständen vorbehalten bleiben
ſollten. Wenn ſie nicht Gold über Gold oder Silber über Sil-
ber waren, ſondern mit Sammet oder Seide in Verbindung ſtan-
den, ſo verlangten ſie ſchon eine intenſive Farbe, damit dieſe
nicht vom Glanze des Metalls getödtet würde. Am wirkungs-
vollſten war daher immer der tiefe, das Licht einſaugende Sam-
met, der gern in Schwarz, Braun, Roth, in dunklem Grün und
leuchtendem Blau, in Purpur und Violett mit dem Golde in
Verbindung trat. Ein ähnlicher Stoff mußte zu ganzem Gold-
oder Silberſtoff als Unterfutter den Gegenſatz bilden, oder um-
gekehrt. So wird ein Damenkleid von purpurnem Sammet mit
Goldſtoff gefüttert erwähnt, eines von Silberſtoff mit carmoiſin-
rothem Sammet gefüttert, eines von Carmoiſinatlas mit Vogel-
augen (Pfauenaugen?) geſtickt und mit Futter von purpurnem
Sammet und mit goldenem Beſatz; ein anderes von carmoiſin-
[77]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
rothem Sammet mit Goldſtoff und carmoiſinrothem Damaſt
ſchachbrettartig gefüttert; ein anderes hatte oben Goldſtoff und
unten grünen Sammet und grünen Taffet und war mit carmoi-
ſinrothem Atlas beſetzt. Alle dieſe Kleider gehörten zur Aus-
ſtattung einer Prinzeſſin. Ein feines Gefühl für die Lichtwir-
kung verräth ein ſehr beliebter Stoff von Gold auf gelbem Atlas.
Auch aſchgrauer Atlas wurde um die Mitte des Jahrhunderts
ein ſehr geſuchter modiſcher Stoff.


Einzelne dieſer koſtbaren Artikel wurden ſpäter ſehr ſelten
und konnten ſelbſt von den erſten Modehandelshäuſern jener
Zeit, die in directem Verkehr mit den Fürſtenhöfen ſtanden, nicht
beſchafft werden. So ſchreibt einmal (1545) der Chef eines der
angeſehenſten Häuſer dieſer Art, der Florentiner Lorenz de Vil-
lani in Leipzig, an den Herzog Albrecht von Preußen: „Ich habe
in dem an mich verfertigten Schreiben zwei Verzeichniſſe von etli-
chen goldenen und ſilbernen Tuchen, dazu auch andere Seiden-
waaren, ſo Ew. Gnaden förderlich zu überſenden begehren, ge-
funden. Soviel 1. die 22 Ellen ſilbern Stück Silber über Sil-
ber, dazu 109 Ellen rothen goldenen Sammet betrifft, mag E.
F. G. ich unterthänigſt nicht verhalten, daß ſolche beide Stücke
fürwahr nirgends zu bekommen ſind, denn ich in der Wahrheit
ſagen darf, daß ich in zehn Jahren kein ſilbern Stück Silber über
Silber geſehen habe. So iſt der rothe goldne Sammet dieſer
Zeit auch gar ſeltſam und wüßte derwegen an keinem Ort darum
anzuſuchen, denn wo ich deſſen in neulichen Tagen gehabt oder
anderswo zu überkommen gewußt, hätte ich der durchlauchtigſten
Fürſtin und Frau Eliſabeth, geborne Markgräfin zu Branden-
burg, Herzogin zu Braunſchweig und Lüneburg Wittwe, auch
ein ziemliches Antheil Ellen deſſelben (an deſſen Statt ſie doch,
dieweil nirgends keiner aufzubringen geweſen, ſo viel rothen gol-
denen Atlas genommen hat) für Ihrer fürſtlichen Gnaden Sohn
Herzog Erichs Hochzeit überſchicken müſſen.“


Wie die meiſten dieſer Stoffe aus Italien kamen, aus Fa-
briken zu Florenz, Mailand, Venedig, früher Lucca u. a., viele
freilich auch in Deutſchland, namentlich in den Fabriken der Nie-
[78]III. Die Neuzeit.
derlande gewebt wurden, bis hier der ſpaniſche Krieg zerſtörend
eintrat, ſo waren auch großentheils die Handelshäuſer ſelbſt ita-
lieniſche, z. B. in Nürnberg Thomas Lapi und Lucas Andreas
Duriſani. Briefe und Rechnungen von ihnen belehren uns auch
über den Werth dieſer Stoffe. So ſchreibt der letztere in einem
Briefe an den Geſchäftsträger des Herzogs von Preußen: „Mö-
get uns doch auch behülflich ſein, mit unſerm gnädigen Herrn
Herzog in Preußen zu handeln, wenn er etwas von ſeidnem Ge-
wande und goldnen Stücken von allerlei Gattung bedürfen
würde, daß er ſolche von uns nehmen wolle, denn ihr wißt, daß
wir ſchier alle Kurfürſten, Fürſten und Herren, die hieländiſch
ſind, ſonderlich auch ſelbſt die Welſchen, die von uns kaufen, mit
ſolcher Waare verſehen. Wir wollen dem Herzog einen Kauf
geben, daran er ein Wohlgefallen haben würde, und wie er ihn
bei andern ſolchermaßen nicht bekommen könnte, als mit allerlei
Gattungen von reichen goldenen und ſilbernen Stücken mit Gold
überguldet und mit Sammet, die Elle um 8, 9, 10 bis 18 Gul-
den, ferner goldenen Sammet und goldene Stücke, die Elle um
5 oder 6 Gulden, allerlei Carmeſin, rothe und braune Sammet
und ſonſt allerlei Damaſt und Atlas von allen Farben.“ Eine
Rechnung des Thomas Lapi vom Jahre 1535 giebt uns folgende
Preiſe, bei denen wir freilich den damaligen Werth des Geldes
in Anſchlag zu bringen haben: ein Stück rother goldener Atlas
von 29 Ellen iſt berechnet auf 313 Gulden, ein goldenes Stück
Atlas von gezogenem Golde von 12 Ellen zu 120 Gulden, ein
ſilbernes Stück Atlas von gezogenem Silber von 12 Ellen zu
108 Gulden. Im Jahre 1536 ſandte derſelbe Kaufmann dem
Herzog von Preußen zwei ganz goldene und ſilberne Stücke von
gezogenem Gold und Silber, wovon das goldene von 38 Nürn-
berger Ellen 380 Gulden, das ſilberne von 40 Nürnberger Ellen
360 Gulden koſten ſollte. 2 Stücke rothen und aſchgrauen Da-
maſtes, die 170 Gulden koſten ſollten, fanden der Herzog und
die Herzogin für ſich zu ſchlecht.


Im Werthe folgen nun die verſchiedenen Stoffe, wie man
ſie aus den Kleiderordnungen kennen lernt, und die im Verhält-
[79]1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
niß denen früherer Zeiten gleichblieben: Sammet und Atlas,
einfacher und gemuſterter, die verſchiedenen Seidenſtoffe, Sendel,
Raſch u. ſ. w., Kamelot, die feinen Wollſtoffe aus Mecheln,
Leiden und andern niederländiſchen Städten, dann die gröberen
einheimiſchen Fabrikate, die Elle zu 2 Gulden, zu einem oder
einem halben Gulden, Barchent und „grober Zwilch“, wie er den
Bauern und der arbeitenden Claſſe vorgeſchrieben war, nebſt den
baumwollenen und linnenen Stoffen für die Frauen. —


Das Jahr 1530 läßt ſich als den Zeitpunkt betrachten, in
welchem die Reformation im Trachtenweſen ihren Höhepunkt,
ihre Vollendung erreicht hatte. Es iſt bedeutungsvoll das Jahr
des Augsburger Reichstages, welcher, wenn auch auf welthiſto-
riſch bedeutenden Gebieten, ebenfalls den Höhepunkt der Bewe-
gung bezeichnet. Und zwar war die Umgeſtaltung der Trachten
innerhalb der Grenzen des Vaterlandes bis dahin eine rein deut-
ſche geweſen und, vielleicht den erſten Anſtoß ausgenommen,
frei und ungehindert von jedem fremden Einfluß, nur allein von
der Strömung der Zeit getragen. Aber von nun wirken mehr-
fach äußere und fremde Elemente ein. Zunächſt erſchlafft die
Bewegung in ſich ſelbſt, und es erfolgt nach der Erregung die
Abſpannung. Obwohl auf dem Gebiet der Trachten die aben-
teuerlichen Landsknechte fortwährend in demſelben Geiſte einwir-
ken und das luſtige, übermüthige Treiben wach zu erhalten ſuchen,
können wir doch an Einzelheiten beobachten, wie die Ebbe ein-
tritt und die Fluthen ſich verlaufen. Wieder iſt der Kopf der
Barometer. Schon werden die ganz kurzen Haare des Mannes
häufiger gefunden, und das Barett fängt an, ſeine willkürlich
freie Geſtalt und die reiche Federfülle allmählig einzubüßen; es
wird eine flache, ſteife Platte, oder häufiger und bleibender ver-
kleinert ſich der Rand, der Deckel ſchrumpft zuſammen, und ſo
wird das Barett ein kleines ſeidenes Mützchen, bis es ſich zur
Hutform wieder aufrichtet. Währenddeß verſchwindet die Haar-
haube. Das Wamms des Mannes, nunmehr wattirt und ge-
ſteppt, legt ſich enger und ſteifer um den Leib, ſteigt bis unter
das Kinn empor und beſchränkt den Kopf in ſeiner freien Bewe-
[80]III. Die Neuzeit.
gung. Die Schuhe verlieren die unmäßige Breite, und, anſchei-
nend natürlicher, decken ſie mehr den Fuß und laufen in eine zier-
liche Spitze aus. Auch die Schaube muß ſich beugen und von ihrer
freien, ſtattlichen Weite einbüßen; ſie nimmt ſo eine conventio-
nellere Form an und, Schritt um Schritt aus den Höhen der
Geſellſchaft zurückgedrängt, muß ſie ſich auf die ſtädtiſchen Kreiſe
beſchränken. — Bei den Frauen verſchwinden aufs neue die ſich
vordrängenden Locken unter der Haube, und das Barett wandelt
ſich bei ihnen um wie bei den Männern, um endlich mehr frauen-
mäßigen Kopftrachten zu weichen. Wie das Kleid zum Halſe
emporwächſt und die entblößte Bruſt völlig und dauernd verdeckt,
ſchließt es ſich auch enger und ſteifer um die Glieder, weiſet am
Rock allen überflüſſigen Stoff, allen Faltenwurf ab, er ſei denn
ein künſtlicher, und wächſt gar wieder aus in unnatürliche, die
Schönheit des menſchlichen Körpers entſtellende Formen.


Obwohl dieſe Reaction um das Jahr 1550 noch keineswegs
vollendet oder nur ihrem Höhepunkt nahe iſt, ſo iſt ſie doch in
allen Theilen deutlich ausgeſprochen und leicht erkennbar. Es
iſt wie ein allgemeiner Rückzug, auf dem freilich ein guter Theil
der Beute früherer Siege mitgeführt wird, der aber eine ganz
andere Richtung nimmt, als zurück zum Ausgang der Bewegung.
Die Urſachen lagen im Wechſel der Zeit, in dem eigenen Innern
des Volkslebens tief begründet, aber die Formen, in welche die
Reaction ſich verkörperte, kamen großentheils von außen her.
Wie die politiſch-religiöſe Bewegung in den romaniſchen Ländern
einen ganz anderen Weg eingeſchlagen und ein anderes und meiſt
raſches Ende gefunden hatte, ſo war auch dort die Umgeſtaltung
der Trachten, die von denſelben Formen in demſelben Geiſte
ihren Ausgang genommen, mitten in ihrer Entwicklung gehemmt
und zu ganz anderem Reſultat und anderen Formen gelangt,
welche nun in Deutſchland auf vorbereitetem Boden zum Kampfe
auftraten.


[[81]]

Zweites Kapitel.
Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
1550 — 1600.


Im Sturm und Drang der reformatoriſchen Bewegung war
die deutſche Menſchenwelt aus ihrem Gleiſe weit hinausgeſchleu-
dert worden, und als die Reaction eintrat, war, wie das tief in
der menſchlichen Natur begründet liegt, phyſiſch wie moraliſch,
im Einzelnen wie im Völkerleben, in allgemeiner Erſchlaffung
die Widerſtandsfähigkeit erloſchen, und faſt willenlos beugte
man ſich der rückwärts drängenden Strömung. Wir haben ſchon
oben angedeutet, wie ſich dies politiſch in der Erſtarkung der
fürſtlichen Macht ausſprach: das Regiment kam in feſtere Hände,
die Zügel wurden ſtraffer angezogen und die Staatsmaſchine in
einheitlicheren, formelleren, von dem Willen des Einzelnen ge-
leiteten Gang gebracht. Der Bürgerſtand dagegen, der ſich ſo
eben noch in ſtolzem Bewußtſein an der Spitze der Bewegung
gefühlt hatte, ſchien ſich nun mit ängſtlicher Scheu eher zurück-
zuziehen als vorzudrängen, und indem er ſich nach oben und nach
unten abſchloß, theilweiſe auch ausgeſchloſſen wurde, ſonderte ſich
die Geſellſchaft in ſociale Claſſen und verharrte in der neuen
Rangordnung.


Aber die Bewegung war eine vorzugsweiſe religiöſe gewe-
ſen, und ſo mußte auch auf dieſem Gebiet der größte und ſicht-
barſte Rückſchlag erfolgen, zumal als nach dem Religionsfrieden
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 6
[82]III. Die Neuzeit.
das Erreichbare erreicht ſchien und eine neue Anſpannung der
Kräfte kein Ziel und keinen Erfolg mehr vor ſich ſah. So hört
die lebendige Fortführung der Lehre auf; ſie erſtarrt in Formeln
und Dogmen, um deren Buchſtaben die Theologen in Ermange-
lung anderer Gegner mit den eigenen Glaubensgenoſſen erbit-
terte Kämpfe führen. Gleicherweiſe bethätigt Schulgezänk das
Leben der Gelehrten in der Oeffentlichkeit. Das Volk nahm
wenig Theil an ſolchem Kampfe, obwohl er von der Kanzel herab
wie in der Schrift geführt wurde, denn es hatte genug mit ſich ſelbſt
zu thun. Ihm war das Gefühl allgemeiner Sündhaftigkeit ge-
kommen; es war, als ob die Angſt der Sünde, die Schuld auf
dem Gewiſſen laſtete, und die Geiſtlichkeit war bemüht, die Hölle
heiß zu machen, um von der gewonnenen Herrſchaft über die Ge-
wiſſen nichts einzubüßen. Als Andreas Musculus einmal den
„Hoſenteufel“ erfunden hatte, tauchten eine Menge verſchiedener
Teufel auf, einer ſchrecklicher ausgemalt als der andere, bis ein
ganzes theatrum diabolorum von ſolchen Predigten zuſammen-
geſtellt werden konnte. Da gab es denn noch einen Zauberteu-
fel, einen Heiligenteufel, einen Bannteufel, Jagdteufel, Fluch-
teufel, Geſindteufel, Saufteufel, Eheteufel, Geizteufel, Schrap-
teufel, Hoffartsteufel, Peſtilenzteufel und andere noch, wie ſie
die Geiſtlichen für nöthig hielten, um bei dem Sinken des reli-
giöſen Lebens wenigſtens moraliſirend ihren Einfluß zu behaup-
ten und ihren theologiſchen Eifer zu bethätigen.


Es iſt merkwürdig, wie ihnen in dieſem Beſtreben abſicht-
lich oder unabſichtlich, aber einſtimmend die Kunſt zu Hülfe
kommt, beſonders der Kupferſtich, welcher nun in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts wie der Holzſchnitt in der erſten mit
dem Volke verwächſt und bildlich alle Regungen ſeines Lebens
offenbart. Während der Katholicismus in unzähligen kleinen
Kupferſtichen das Leben der Einſiedler und die Marter der Hei-
ligen vorführt und ſie unter das Volk verbreitet, den religiöſen
Sinn wieder zu erwecken, ſind es im Proteſtantismus vorzugs-
weiſe moraliſirende Gegenſtände. Zu den beliebteſten gehören
die klugen und thörichten Jungfrauen und Allegorien wie die
[83]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſieben Tugenden und die ſieben Todſünden. Ein neuer Gegen-
ſtand dieſer Zeit iſt die büßende Magdalena, während das
funfzehnte Jahrhundert in ihr nur die reiche ſchöne Dame, die
Freundin des Herrn, ſieht. Neu iſt Hercules am Scheidewege
und wenigſtens die Auffaſſung auf einem Kupferſtich von Jo-
hann Sadeler, auf welchem eine Buhlerin mit dem Spiel der
Laute einen Jüngling an ſich zu locken ſucht, den ein Weiſer von
der Verführerin zurückhält. Wenn einer der früheren Meiſter,
wie etwa Hans Sebald Beham, dieſen Gegenſtand behandelt
hätte, ſo würde er friſchweg den Weiſen weggelaſſen haben; in
dieſer moraliſirenden Zeit darf die Tugend dabei nicht fehlen.
Vor allen am bezeichnendſten ſind die wirklich ekelhaften Höllen-
bilder des älteren Breughel, (die Peter von der Heiden in einem
ganzen Cyclus geſtochen hat,) in den ungeheuerlichſten Geſtal-
ten und den entſetzlichſten Dingen Ausgeburten einer moraliſch
todtkranken Phantaſie, die uns nur mit äſthetiſchem Grauen er-
füllen, aber vielleicht wohl im Stande waren, einer bußferti-
gen und wundergläubigen Zeit die Hölle fürchterlich genug zu
machen.


Wo die Bußfertigkeit beginnt, hört die Naivetät auf; mit
dem Schuldbewußtſein verliert ſich die Unbefangenheit des Ge-
müths, die Freiheit im Handeln und Denken, der Tact, der auch
unbewußt das Rechte, wie im Reiche der Kunſt das Schöne trifft.
Die Naivetät iſt das verlorene Paradies für die Kunſt dieſer
Periode; ſie fühlt den Verluſt, aber an der allgemeinen Schuld
theilnehmend, vermag ſie nicht wieder hineinzudringen. Im
Streben nach der Natur, in welcher ſich die große Periode Dü-
rers und ſeiner Schule ſo ſchrankenlos erging, verfehlt ſie in allen
Dingen das rechte Maß und das wahre Leben, die ſie in der
eigenen Gegenwart nicht finden konnte. So bleibt ſie bald —
und das ſind die ſchwächeren Talente — im Ausdruck weit hin-
ter der Wirklichkeit zurück, bald übertreibt ſie die Empfindung
zur Sentimentalität, den Affect zum Affectirten, ſie übertreibt
die Stellungen, die Bewegungen, das ganze dramatiſche Leben
bis zur gewaltſamen Verzerrung, oder zwängt ſie ein in das ver-
6*
[84]III. Die Neuzeit.
meinte Maß antiker Claſſicität, das bei ihr zur Aftergrazie wird.
Es entſteht ſo der vollendetſte Manierismus, deſſen Vertreter die
talentvollſten und hochgefeiertſten Künſtler ſind — ein Zeichen,
daß die ganze Zeit grade ſo dachte und fühlte wie ſie —, Künſt-
ler wie Johann von Aachen, Bartholomäus Spranger, Hems-
kerk und vor allen Heinrich Goltzius, der Meiſter im Kupferſtich.
Namentlich der letzte, welcher mit ſeiner populären Kunſt weit
großartigere Erfolge errang, giebt die ſchlagendſten Beiſpiele.
So iſt es ihm, dem Meiſter der Technik, völlig unmöglich Kin-
der zu zeichnen; ſo oft er ſie darſtellt, ſind es häßliche, gezierte
und affectirte, altkluge Geſchöpfe, ohne alle Spur von Unſchuld
und Naivetät; Adam und Eva im Paradieſe iſt nur ein entklei-
detes vornehmes Paar vom Hofe König Philipps II., vom Schei-
tel bis zur Zehe, im Ausdruck und jeder Bewegung aufs ſtrengſte
nach ſpaniſcher Etiquette geſchult; Apollo, der mit Pfeil und
Bogen auf Wolken daherſchreitet, iſt „jeder Zoll ein Spanier.“
Wenn Goltzius und ſeine Schule das Schmachtende, Sehnſüch-
tige oder die Unſchuld ausdrücken wollen, ſo gehen die Augen
über; nie ſind ſie klar und deutlich gezeichnet und die Augen-
ſterne ſind faſt unſichtbar: ſie ſind nach oben in die Höhlung ge-
zogen mit „himmelndem“ Blick. Dieſe Unſchuld des Blickes
hat bei ihm das ganze Paradies — ein Lieblingsgegenſtand —,
Adam und Eva nicht mehr wie Schaf und Löwe, Elephant und
Ochs, der Haſe, das Kameel, Gans, Adler und natürlich auch
die Schlange, die Verführerin. Statt mit der Wahl der Gegen-
ſtände gleich ihren Vorgängern hineinzugreifen ins volle Men-
ſchenleben, quälen ſie ſich herum mit allen möglichen und un-
möglichen, verſtändlichen und unverſtändlichen Allegorien, bei
denen die erklärende Schrift zur Nothwendigkeit wird. Andrer-
ſeits iſt ihnen im Gefühl ihres eigenen Mangels die einfache
Natur noch nicht natürlich genug. Nichts iſt z. B. bezeichnender
als die Darſtellung der Verkündigung, wie ſie Johann Sadeler
nach Suſtris geſtochen hat: während Maria bei den Alten vor-
bereitet im Gebet und knieend die hohe Botſchaft empfängt, ſitzt
ſie hier im Zimmer und näht. — Einzelne Künſtler, die ſich
[85]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
an ihre Vorgänger anſchließen, halten ſich noch eine Zeitlang frei
von dieſer Richtung, wie in Deutſchland der treffliche Joſt Amman
mit ſeinen unzähligen populären Holzſchnitten. In Italien be-
wahrten ſich vor dem allgemeinen Manierismus nur die großen
Venetianer durch eine edle Sinnlichkeit, die uns aus der Friſche
und der Luſt des Lebens, aus dem warmblühenden Colorit, aus
den hohen, in üppiger Leibesfülle ſich wiegenden Geſtalten ent-
gegentritt. Einen Abglanz davon können wir auch in den gleich-
zeitigen venetianiſchen Trachten erkennen. Endlich erſcheint alles
unter dem ertödtenden Hauch dieſer Richtung erſtarren zu wollen,
bis der Rückſchlag eintritt.


Wir haben ſchon oben am Schluß des vorigen Capitels im
Allgemeinen angedeutet, wie ſich die Kleidung dieſer neuen Zeit-
ſtrömung gemäß umwandelt. Vor der Angſt des Gewiſſens und
den Ermahnungen der Geiſtlichen ſchwindet der letzte Reſt der
Entblößung, und es ſcheint faſt, als wolle man die Glieder ver-
ſtecken unter der bergenden Hülle. Das helle, luſtige oder tief
kräftige Farbenſpiel, welches den Körper überzog, weicht, wenig-
ſtens im ganzen bürgerlichen Stande, einer dunkeln, oft trauri-
gen Einfarbigkeit, die ſich in den republikaniſchen und calviniſti-
ſchen Niederlanden noch länger als die viel bekannte ſchwarze
Tracht erhalten hat. Indem nun auch die Freiheit und Bequem-
lichkeit erliegt und ſteife Formen aufs Neue den Körper einengen,
die nur zu bald zu Mißgeſtalten und Unnatürlichkeiten werden,
ja ſelbſt ins Ungeheure ausarten, und andrerſeits an die Stelle
der alten ſtattlichen und ſtolzen Breite und Würde geſpreizte Zier-
lichkeit tritt, ſo läßt ſich die ganze äußere Erſcheinung der dama-
ligen Menſchenwelt grade wie die Kunſt als dem Affectirten und
Manierirten verfallen bezeichnen. Da aber dieſes unter dem
Eindringen undeutſcher Elemente, vor allen der ſpaniſchen
geſchah, ſo haben wir uns vorher nach dieſen und ihrer Entſte-
hung ein wenig näher umzuſehen, da wir wiſſen, wie um das
Jahr 1500 die Kleidung in der ganzen abendländiſchen Welt ſo
ziemlich den gleichen Charakter trug.


Man kann ſagen, der eine Schlachtentag bei Villalar (1522),
[86]III. Die Neuzeit.
an welchem die Communeros von Caſtilien vor der Krone erla-
gen, lieferte Spanien willenlos in die Hände Karls V. und ent-
ſchied zugleich über das Schickſal der ſpaniſchen Kleidung. Denn
wie politiſch und religiös ſich hier dieſelbe Bewegung gezeigt
hatte, von welcher anderswo die Welt entflammt war, ſo war
auch für den Menſchen daſſelbe Bedürfniß vorhanden geweſen,
der läſtigen Enge ſich zu entwinden. Wir können auch in Spa-
nien ſehen, wie die Kleider an den Gelenken ſich öffnen, wie der
Aermel ſich ſchlitzt von oben bis unten und das faltige Hemd
oder farbiger Stoff bauſchend heraustritt. Aber es wollte hier
in keiner Weiſe gelingen: die religiöſen Neuerungen erdrückte
die Inquiſition, die politiſchen fanden ihren Todestag bei Villa-
lar, Ruhe und Stille kehrten in die eingeſchüchterte Nation zu-
rück, und ſo war es unmöglich, daß die Kleidung ſich zu der
Freiheit und zu der Entartung entfalten konnte, wie in Deutſch-
land unter dem Brauſen des reformatoriſchen Sturmes. Aehn-
lich erging es in Italien und Frankreich: auch hier ein gleicher
Anfang und ein baldiges Ende, wenn auch unter abweichenden
ſocialen Einflüſſen ein mannigfach anderer Gang eintrat.


Unter dem ſtraffen Regiment des Königs und der abſoluten
Unterwürfigkeit der Geiſter und der Gewiſſen, wie ſie die In-
quiſition im rechtgläubigen Spanien zurückgeführt hatte, ſchrumpft
die Bewegung in ſich ſelbſt zuſammen und kehrt bald zur Steife
und Enge, freilich nun unter ganz anderen Formen, zurück. Die
Schlitze verſchwinden wieder oder zeigen ſich an bedeutungsloſen
Stellen nur als leichte Zierde von aufgenähtem buntfarbigen
Stoff und als leiſe Erinnerungen der aufgeregteren Zeit. Die
ganze Kleidung ſitzt ſtraff und geſpannt über den Körper, aber
nicht unmittelbar, ſondern bezeichnend genug hat ſich der Spa-
nier ſtatt des luſtig ausgebauſchten, umherflatternden Stoffes
mit dicken, runden Wülſten umlegt. So liegt das Beinkleid
von den Schuhen herauf aufs engſte den Beinen an, daß ſich
jede Muskel markirt, eine Eigenſchaft, die in der zweiten Hälfte
des ſechszehnten Jahrhunderts durch die in Aufnahme kommen-
den ſeidenen Tricots weſentlich erhöht wurde und an Eleganz
[87]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
gewann. Jedoch über die Oberſchenkel und den Unterleib iſt ge-
wiſſermaßen eine zweite Hoſe gezogen, welcher auch die Wah-
rung des Anſtandes bei der Kürze des Mantels zukommt: es
ſind zwei dicke, runde, mit Pferdehaaren ausgeſtopfte Polſter,
welche von unten her wie in ſich gezogen erſcheinen und mit far-
bigen handbreiten Bändern ſenkrecht umzogen ſind, genau wie
bei der Pluderhoſe die Maſſe des herausgehängten Stoffes von
den Binden gehalten wird. Auch hier ſind beide, Bänder und
Polſter, von verſchiedener Farbe. Gleiche Polſter pflegen ſich
um die Schultern zu legen, obwohl auch oft die Aermel glatt
und eng ſind. Das Wamms, denn nur dieſes trägt der Spa-
nier, reicht nur herab in die Taille zum Beginn des Beinkleides,
da die mächtigen, breit vortretenden Wülſte eine größere Länge
verboten; höchſtens liegt es mit ſchmalen Schößen ein paar Fin-
ger breit darauf. Dafür aber ſenkt es ſich vorn immer tiefer und
tiefer in einer Spitze herunter, welche keilförmig nach der Mitte
zu mit Baumwolle oder Pferdehaaren ausgeſtopft wurde und
endlich wie ein dickes Polſter vor Bruſt und Bauch herabhing.
Das iſt der ſogenannte, in dieſer Zeit viel erwähnte Gänſe-
bauch
. Die Kriegsleute machten einen eigenthümlichen Gebrauch
davon, indem ſie ihn als ein ſelbſtändiges Stück wie einen
Bruſtpanzer vorlegten und mit Riemen um die Achſeln befeſtig-
ten. Seine Spur finden wir auch an dem Harniſch dieſer Zeit,
welcher vorn einen vorſtehenden ſcharfen Grat zeigt, eine innere
Höhlung andeutend, welche durch den Gänſebauch ausgefüllt
wurde. In gleicher Weiſe ſehen wir die hängenden Hüftklappen
der Rüſtung um des wulſtigen Beinkleides willen eine immenſe
Weite annehmen. Ueberhaupt erſcheint das ganze Wamms mit
Baumwolle reich geſteppt und häufig mit vielen kleinen farbigen
Flecken in Art der Schlitze zierlichſt benäht.


Auch den breiten Schuhen entſagte der Spanier zuerſt.
Während ſie in England noch unter der Königin Marie (1553
—58) durch eine Proclamation verboten wurden, waren ſie in
Spanien längſt allgemein umgewandelt. Der noble Herr trug
ſie im Allgemeinen der Form des Fußes gemäß und vorn in eine
[88]III. Die Neuzeit.
elegante Spitze zulaufend; ſie bedeckten im Gegenſatz zu den
breiten, welche nur Zehen und Abſatz umſchloſſen, nunmehr wie-
der den ganzen Fuß, doch blieben die Knöchel frei. Zur Zierde
waren auch ſie mit den farbigen Fleckchen beſetzt. Sonſt war
ihre Farbe ſehr verſchieden; wir ſehen ſie dunkel — ſchwarz wohl
nur in Einſtimmung zur übrigen Kleidung — lederfarben, hell-
farbig, am feinſten und eleganteſten waren ſie von weißer Seide.


Das Wamms hatte ſich nach dem Bruſtausſchnitt am
Ende des funfzehnten Jahrhunderts ſchon früh wieder geſchloſſen
und rückte nun zum Halſe empor, den bunten Saum des Hem-
des vor ſich herdrängend, wie wir das in Deutſchland ſchon ge-
ſehen haben. Als Karl V. nach ſeiner Kaiſerwahl auf deutſchem
Boden erſchien, trägt er noch den Hals und etwas mehr völlig
nackt, aber nicht lange, denn er folgt ganz der ſpaniſchen Weiſe.
Bald iſt nicht bloß das Hemd, ſondern auch das Wamms am
Halſe und umgiebt denſelben mit einem ſteifen, ſtehenden Kra-
gen. Wie gepreßt dringt nun der Saum des Hemdes heraus
und legt ſich in kleiner, einfacher oder geſtickter Krauſe herum.
Dieſe wächſt und indem ſie ſich als beſonderer Kragen vom Hemde
trennt, iſt ihrer Ausdehnung keine Schranke mehr geſetzt; mit
Hülfe von Stärke und Brenneiſen wird ſie in Ordnung gehalten
und, aus mehreren Reihen übereinander geſchichteter Falten be-
ſtehend, wird ſie um den Hals gebunden, daß ſie ſteif und eng
unter Kinn und Ohr anſchließt und den ganzen Kopf völlig um-
rahmt. Schon damals machte man den Vergleich mit dem
Haupte des Johannes auf der Schüſſel der jungen Herodias.


Natürlich konnte ein ſolcher Kragen nicht ohne Einfluß auf
Haar und Bart bleiben, die er in ihrem Wachsthum weſent-
lich beſchränkte. Ohnehin mußten auch ſie die Umwandlung der
Zeit mitleidend über ſich ergehen laſſen. Nicht einmal die Kolbe
war kurz genug, wieviel weniger das lange Haar des funfzehnten
Jahrhunderts, vielmehr wurde der ganze Kopf in geringer,
gleichmäßiger Kürze des Haares geſchoren. Auch dem Barte
wurde durch die Krauſe nur eine ſehr bedingte Länge geſtattet,
und der Spanier hielt ihn rund um Kinn und Wangen in einer
[89]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſolchen Kürze, daß beide einander nicht genirten; am Kinn je-
doch ließ er ihm gern eine etwas längere Spitze, und namentlich
liebte er dazu einen ſtarken Schnurrbart, dem er auch freieres
Wachsthum geſtattete, ohne ihn gleich, wie es am Schluß des
Jahrhunderts Mode wurde, mit den Spitzen in die Höhe zu drehen.


Zu dieſer gezierten Toilette des Kopfes paßt nicht das leichte
Barett, ſondern nur der Hut. Jenes war in Spanien gar nicht
zur Ausbildung gekommen; es hatte gleich der Aufſchlitzung nur
den Anfang gemacht und dann [ſofort] dem Hut wieder weichen
oder ſelbſt zu einer ähnlichen feſten Form ſich cryſtalliſiren müſ-
ſen. Während in Deutſchland der Hut bis zum Bauer herabge-
drückt war, behauptete er ſich in Spanien grade auf den höchſten
und ſtolzeſten Köpfen; nur im Volk, wohin die Bewegung ſo
gut wie gar nicht gedrungen war, erinnerten noch mancherlei
Kopfbedeckungen an das funfzehnte Jahrhundert. Der Hut war
ſteif und ähnelte häufig moderner Form; der Kopf erhebt ſich
ſehr hoch, und der Rand ſchwindet allmählig zu unſcheinbarer
Schmalheit zuſammen. Das Barett, wo es getragen wird, ſteigt
aus ſeiner Flachheit zu ganz ähnlicher Geſtalt und Höhe mit
gleichem Rande empor: es pflegt dann von Seide zu ſein, welche
mit feingelegten Falten über ein Drahtgeſtell geſpannt zu ſein
ſcheint. In der Farbe iſt es gewöhnlich dunkel, gleich dem Hut,
meiſtens braun.


Für den Spanier iſt der Mantel ſo charakteriſtiſch, wie
für den Deutſchen der breite Ueberwurf, die pelzgefütterte
Schaube; jener knüpft damit auch direkter an das funfzehnte
Jahrhundert an, wo wir das kurze Mäntelchen bei der Jugend
mehrfach vorfanden. „Das Mäntelchen von ſtarrer Seide“, auf
die linke Schulter gelegt und kaum den Rücken deckend, ſo iſt es
ein Stück der eleganten Kleidung; dann war es auch gern hell-
farbig, anders oben und anders das Futter, und mit Sammet-
ſtreifen, wenn nicht mit koſtbarerem Schmuck von Edelſteinen
und Perlen ringsum beſetzt. Für gewöhnlich wurde es weiter
und länger getragen, daß es ſich bequem von einer Schulter auf
die andere ſchlagen ließ.


[90]III. Die Neuzeit.

Zur Vervollſtändigung der Tracht eines Spaniers war noch
der lange Stoßdegen ein nothwendiges Erforderniß. Der
dicken Polſter des Beinkleides wegen konnte er ihn nicht grade
herabhängend tragen, auch nicht vor den Magen geſchnallt, wie
der Landsknecht ſein kurzes Schwert, ſondern er trug ihn „ge-
ſtürzt“, d. h. horizontal nach hinten oder mit der Spitze höher
als mit dem Heft. Aber alle Spanier führten ihn „bis herab auf
die Schuſter und die Schneider und die andern Künſtler“, wie
Vecellio ſagt.


Wenn wir nun das Bild eines nobeln Spaniers in kurzen
Umriſſen uns vergegenwärtigen, ſo wird er ganz vor uns ſtehen,
wie König Philipp ihn wollte — „ſtolz lieb ich den Spanier“ —
oder wie uns ſein Charakter aus der Geſchichte bekannt iſt. Den
wohlzugeſtutzten Kopf mit mächtigem Schnurrbart deckt ein ſteifer
Hut oder das hochgeformte Barett, und die breite Radkrauſe
umgiebt den Hals und zwingt das Haupt zu gleicher, ſteifer Hal-
tung, ein Mäntelchen liegt auf der Schulter, nur des ſtarren
Scheines wegen, denn es wärmt nicht und deckt nicht; ein aus-
geſtopftes Wamms mit langſpitziger Taille umgiebt prall den
Leib, und um Hüften und Oberſchenkel legen ſich die dicken
Polſter des Beinkleides, das im übrigen auf’s zierlichſte und ge-
nauſte anliegt; gekrauſte Manſchetten gleich dem Kragen am
Halſe, Handſchuhe, feine Schuhe und der geſtürzte lange Stoß-
degen vollenden die manierirte Tracht. Keine Falte iſt am gan-
zen Leibe zu entdecken, ſie ſei denn eine künſtlich gelegte und mit
Draht und Brenneiſen hervorgebracht; alles iſt rund und prall,
aber die natürlichen Formen übertreibend oder ihnen zuwider.
In dem Gezierten und Geputzten erkennen wir den Stutzer, in
dem zugeknöpften Weſen und in der dadurch bedingten ſteifen
und geſpreizten Haltung einerſeits die Verſchloſſenheit und
Schweigſamkeit des Spaniers, andererſeits ſeinen Ernſt und
ſeine Gravität — mit einem Worte die Grandezza. Ein Blick
auf dieſe Geſtalt bringt uns den ganzen Hof des unzugänglichen
Philipp in die Erinnerung, den finſtern, fanatiſchen Geiſt, die
Freudenloſigkeit und endlich die unbeugſame Strenge der Eti-
[91]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
quette, die von Burgund in viel verſchärfterem Maße auf Spanien
übergegangen war. Wir begreifen in dieſem Coſtüm die geſpreizte
und in allen tragikomiſchen Streichen des Schickſals unerſchütterte
Höflichkeit, wie ſie die Blume der irrenden Ritterſchaft, Don
Quichote, das claſſiſche Wunderproduct dieſer Zeit, an den Tag
legt, ſeine ausgeſuchte Artigkeit, bei der lächerlichen Trauergeſtalt
die feinſten und edelſten Manieren des Ritterthums, ſowie die
zierlichſt gedrechſelten Redensarten, die duftenden Blüthen der
Höflichkeit, die nun allen Ernſtes von Spanien aus mit der
ſpaniſchen Mode den Weg zu den Höfen und den gebildeten Claſ-
ſen der chriſtlichen Länder machten.


Das Bild des Spaniers hat auch ſeine Gegenſeite, von
welcher ihn ſeine Feinde auffaßten, die ſeinen Uebermuth und
ſeinen Stolz nicht zu ertragen vermochten. Freilich ſtand Spanien
damals noch auf dem Höhepunkte der Macht und dem Gipfel
des Ruhmes und dünkte ſich das erſte Land der Welt zu ſein.
Die Satire fand in ſeiner äußeren Erſcheinung nichts als Eitel-
keit, Aufgeblaſenheit, leere Hohlheit und Renommiſterei. Auf
einem fliegenden Blatte, welches ſeine Untugenden in Bildern
und Verſen darſtellt und zu dieſer Zeit in den Niederlanden er-
ſchien, wird die folgende Beſchreibung von ihm gemacht:


Ein Pfau auf der Gaſſen.
„Macht Platz, ihr Leut, jetzt kommt die Sau,

Welch ſich verwandelt in ein Pfau,

Mit großen Kragen einhergeht,

Damit ziert er ſein Gravitet.

Wenn ſich der Pfau zu zeigen begehrt,

Umgürt er ſich mit eim Schwert,

Langſam, hoffertig einhertritt,

Zehlet im Gehen alle Schritt,

Thut auf den Seiten umher gaffen,

Ob auch die Leut anſehn den Affen,

Wer ihn nicht ehrt für ein Hidalgo,

Schilt er ein Perro oder Galgo.

Er iſt der Mann, der alls erfahren,

Und in India oft gefahren,

[92]III. Die Neuzeit.
Jetzt kommt er aus Orient,

Morgen lauft er nach Occident,

In Aſia und Afrika,

Gar zu gemein iſt Europa.

Von China redt er gar gewiß,

Als der ſolchs hat erfahren am Tiſch.“

Die bisherige Beſchreibung galt nur dem nobeln Spanier,
vorzugsweiſe wie er ſich in Deutſchland und den Niederlanden in
dieſem Jahrhundert mit eleganter Tournüre darſtellt. Sie be-
darf noch einiger Vervollſtändigung. Denn theils hatten ſich in
Spanien, ſei es durch die Beziehungen mit der ſarazeniſchen
Welt, ſei es durch die ſchnellere Unterdrückung der reformatori-
ſchen Bewegung, früher als anderswo verſchiedenartige Volks-
trachten feſtgeſetzt, die wir freilich hier nicht berückſichtigen können
theils fanden auch in der vornehmen Welt Abweichungen ſtatt,
die ſich durch größere oder geringere Eleganz unterſchieden. So
gehörte die oben geſchilderte „Pumphoſe“, wie man ſie in Deutſch-
land nannte, mit den übergezogenen „angehäkelten“ Polſtern zur
feinſten Tracht; im Volk oder überhaupt bei weniger eleganter
Toilette trug man die Hoſe bis zum Knie hin dickwulſtig ausge-
ſtopft und Strümpfe dazu, wenigſtens ſeit der Mitte des Jahr-
hunderts; auf dem Lande war ſie auch ſchlicht nach alter Weiſe.
Dieſer Umſtand erklärt uns eine Stelle im Don Quichote, da
die gute Sanchica grade dazu kommt, wie der Page ihrer Mutter
die Nachricht von der Statthalterſchaft Sancho Panſa’s bringt.
„Sagt mir, lieber Herr,“ fragt ſie, „trägt denn mein Herr Vater
vielleicht angehäkelte Hoſen, ſeitdem er Statthalter iſt?“ Ohne
Zweifel, meint der Page. „Ach du liebſter Gott,“ verſetzt
Sanchica, „o wie muß das das Herz erquicken, meinen Vater mit
Pumphoſen zu ſehen! iſt es nicht recht beſonders, daß ich, ſeit
ich auf der Welt bin, das ſchrecklichſte Verlangen habe, meinen
Vater in angehäkelten Hoſen zu ſehen?“ — Von andern Herrlich-
keiten zierlicher Männerkleidung erzählt uns Alteſidora in dem
verliebten Lied, das ſie nächtlicher Weile vor den Fenſtern des
irrenden Ritters ſingt; ſie gebraucht ſie als Lockmittel:


[93]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
„Wie viel Mützchen ſollt’ſt du kriegen,

Wie viel Strümpf’ ſilberbeſchlagen,

Wie viel ſchöne Damaſthoſen,

Wie viel Mäntel Linnen Hollands.“

Wir ſehen alſo, daß auch Mäntel von feiner holländiſcher Lein-
wand getragen wurden, wahrſcheinlich im Sommer der Kühlung
wegen, da der Spanier nur den Stoff, nicht die Façon nach
der Jahreszeit wechſelte.


In Vecellio’s Trachtenbuch wird uns eine ſpaniſche
Dame
etwa vom Jahre 1520 oder wenig früher vorgeführt,
welche noch völlig der Zeit vor dem Eintritte der Reaction ange-
hört. Wenn ſie auch in Einzelheiten von der deutſchen Mode
abweicht, ſo iſt doch der Geſammtcharakter völlig derſelbe, denn
alles iſt frei und leicht, ohne Uebertreibung und giebt der natür-
lichen Beweglichkeit der Glieder, der freien Herrſchaft über den
Körper keinerlei Hinderniß. Das Haar iſt ſchlicht und nur theil-
weiſe von einer netzartigen Haube bedeckt, der Hals bloß und die
Bruſt halb decolletirt, indem aus dem tieferen runden Ausſchnitt
des Leibchens das in feine Falten gelegte und geſäumte Hemd
heraustritt. Das Kleid, mit mäßig hoher Taille und nirgends
beengend, fällt lang und in faltenreicher Weite zum Boden herab.
Nach der Beſchreibung Vecellio’s hat es keine Aermel; dieſe be-
ſtehen für ſich, ſind von weiter feiner Leinwand, an den Schul-
tern befeſtigt, mehrfach umbunden und gleichen ſo ganz den auf-
geſchnittenen Aermeln mit heraustretendem Hemd. Aber die ge-
fällige, einfache und leichte Anmuth verändert ſich bei der
Spanierin vielleicht noch früher als anderswo in’s Gegentheil, in
enge Einpreſſung, faltenloſe Steifheit und nonnenhafte Verhül-
lung. Wir brauchen nur wenige Jahrzehnte weiter zu gehen,
um die eigentliche ſogenannte ſpaniſche Tracht in der vornehmen
Frauenwelt ſchon auf ihrem Höhepunkte zu erblicken. Zu ſeiner
Zeit — es iſt das freilich ſchon gegen das Ende des Jahrhunderts
— ſpricht Vecellio von der allerengſten Einſchnürung der Bruſt
und der Seiten, an welche die Spanierinnen ſich von Kindheit
an gewöhnen und die ſie fortſetzen, ſo lange ſie leben. Schon
[94]III. Die Neuzeit.
geraume Zeit früher erſcheint der Reifrock — zum erſten Mal
in der Geſchichte — als ein nothwendiges und unterſcheiden-
des Stück der vornehmen weiblichen Tracht. Es iſt Thereſe
Panſa, die Frau des neuen Statthalters, welche in ihrem Eifer,
ſich des neuen Standes würdig zu kleiden, uns das verräth. Als
ſie die glückliche Botſchaft erhalten hat, ſagt ſie zum Geiſtlichen:
„Herr Pfarrer, horcht mir doch aus, ob es hier nicht einen giebt,
der nach Madrid geht oder nach Toledo, daß er mir einen runden
Reifrock kauft, recht und gerecht, nach der Mode und ſo ſchön
man ihn nur haben kann, denn, meiner Seel, ich will der Statt-
halterſchaft meines Mannes, ſoviel ich nur immer kann, Ehre
machen.“


Dieſer Reifrock ſpannte den Rock des unteren Kleides in
faltenloſer Weite wie eine Glocke aus und ahmte von der
engen Taille an genau das geſchweifte Profil derſelben nach.
Die Bruſt war vom Leibchen ganz verdeckt, und auch die Aermel
ſchloſſen eng an, waren jedoch an den Schultern gewöhnlich mit
hohen Wülſten umlegt, die ſpäter wieder vergingen. Die De-
colletirung war ganz verſchwunden, und ſtatt deren legte ſich die
breite Krauſe mit den großen und eingebrannten Falten um den
Hals. Das Oberkleid, deſſen Gebrauch in Spanien bei der Be-
deutung des Mantels nicht unter allen Umſtänden ein nothwen-
diger war, ſchloß ſich dem Oberkörper eng an, um in keiner
Weiſe Wuchs und Fülle, welche bei den Spanierinnen viel galt,
zu verdecken. Da es aber bei der nunmehrigen Steifheit mit der
Hand nicht in die Höhe genommen wurde, ſodaß auf dieſe Weiſe
das untere Kleid hätte ſichtbar werden können, ſo wurde es von
oben herab vom Kinn bis zum Fuß aufgeſchnitten und erhielt
eine Reihe nach Vermögen koſtbarer Knöpfe von Gold, von Edel-
ſteinen oder anderem Stoffe. Jedoch wurde es nur bis zum
Gürtel geſchloſſen, und von hier öffnete es ſich nach unten, ſodaß
das Unterkleid nun gleichfalls vorn ſich zeigte. Beide Gewänder,
verſchieden an Stoff und Farbe, pflegten unten mit breitem Be-
ſatz umzogen zu ſein und waren bei beſonderen Gelegenheiten
mit Juwelen, Perlen und Geſchmeide über und über beſtickt.
[95]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Die Aermel des Oberkleides mußten ſich nach denen des unteren
richten; hatte dieſes ſchon die Schulterpuffen, ſo war jenes
ärmellos, ſonſt konnte es ebenfalls mit anliegenden Aermeln und
den Puffen verſehen ſein. Später wurde es auch in Spanien
wie anderswo Sitte, die Oberärmel hängend von den Schultern
in größerer oder geringerer Länge herabfallen zu laſſen. An
den Händen traten radförmig die gekrauſten Manſchetten heraus.


Die Halskrauſe drängte im Nacken nach oben und trieb
die Friſur in die Höhe. Wir haben geſehen, der Mann half ſich,
indem er das Haar kurz hielt; die Frau, welche ſeinem Beiſpiele
nicht folgen konnte, ſammelte oben die Haare in einer Netzhaube
oder wußte ſie in anderer, bald ſehr mannigfacher Weiſe mit
Nadeln auf dem Kopfe zu befeſtigen und ſetzte darüber einen
Hut, der in ſeiner Form dem männlichen glich und ſich mit
Schnur und Feder verziert findet; oft iſt er nur bloßer Schmuck,
ein handgroßes Hütchen von Seide. Zur Kopftracht der Spanierin
gehörte noch eigenthümlich der Schleier, welchen die Dame oben
an der Haube oder im Haar befeſtigte und frei über den Rücken
herab fallen ließ. Nur die Duennas, dieſe aus der ſpaniſchen
ſchönen Literatur ſo bekannten ſtrengen Damen, die ſich nicht
durch Jugend und Schönheit auszuzeichnen pflegten, trugen ihn
verhüllend, weiß, gefaltet und ſo lang, daß ſie von Kopf zu
Fuß davon bedeckt und eingewickelt waren, „mehr ihres Amtes
und Gebrauches halber, als ihrer Jahre wegen.“


Eine andre Eigenthümlichkeit, die den Kopf der würdigen
Duenna kenntlich machte, war die Brille; wenigſtens ſcheint
dieſe damals nicht mehr ganz neue Erfindung in Spanien ſich
nur ſelten in höhere Stände verirrt zu haben. Jener aber war
ſie gewiſſermaßen Amtszeichen wie der lange verhüllende Schleier
nebſt einer großen Menge von Röcken mit Schleppe und breiter
Ausſtopfung, daher ſie Don Quichote die „weißſchleirichten, brei-
ten und bebrillten Duennas“ nennt. In der Form von Augen-
gläſern oder Lorgnetten waren die Brillen unter der Regierung
der Königin Eliſabeth in England ſehr modern; keine Dame
ging aus, ohne ein ſolches pocket-looking-glass am Gürtel
[96]III. Die Neuzeit.
oder in der Taſche mit ſich zu führen, und die jungen Herren
machten es ebenſo. Zuweilen befand ſich auch das Glas in die
Mitte des Fäderfächers eingefügt.


Der Mantel, den wir ſchon als ein charakteriſtiſches Stück
der männlichen Tracht kennen lernten, gehört auch der ſpaniſchen
Frau in derſelben Weiſe an. Vornehme Damen trugen ihn ſchon
damals in der Kürze einer Mantille, bürgerliche länger und die
ganze Figur verhüllend. Man nahm ihn über den Kopf und
ſchloß ihn, da er ſehr weit war, mit den Händen auf der Bruſt
in ſolcher Weiſe, daß oft nur die Augen ſichtbar blieben. Bis
zu dieſem Grade war es freilich vorzugsweiſe in den bürgerlichen
Claſſen gebräuchlich, eine Sitte, welche ihre Entſtehung wohl
ebenſo dem langen Verkehr mit den Sarazenen verdankt, wie ſie
dem ſpaniſchen Charakter des ſechszehnten Jahrhunderts ent-
ſpricht. Die Farbe war damals wie heute die ſchwarze oder
wenigſtens eine dunkle.


Nur der Frömmigkeit oder dem Eifer, ſich in den Augen der
Inquiſition rechtgläubig zu zeigen, verdankt eine andere Eigen-
thümlichkeit ſpaniſcher Damen ihre Entſtehung. Wie ſie nämlich
am Gürtel ſich mit Reliquien behängten, ſo legten ſie um die
Hüften den Strick irgend eines geiſtlichen Ordens aus ſchwarzer,
brauner oder weißer Wolle gefertigt. So entſprach er ganz der
vorgeſchriebenen Regel, doch ſcheint er dieſelbe bald aufgegeben
zu haben und dann an Stelle des Gürtels zum bloßen Schmuck
geworden zu ſein, worüber denn die fromme Bedeutung verloren
gehen mochte. Wir finden nämlich in der zweiten Hälfte des
ſechszehnten Jahrhunderts bei deutſchen wie franzöſiſchen und
italieniſchen Frauen den Gürtel in Geſtalt eines gedrehten
Strickes, der auch in der Art, wie er umgelegt iſt, dem Ordens-
ſtrick entſpricht, nur daß die Knoten durch edlen Schmuck erſetzt
ſind. Hans Weigels Trachtenbuch giebt der Beiſpiele mehrere.


Wie die Zeit der Reaction zu widerſinnigen Uebertreibungen
ſich hinneigt, zeigt beſonders eine Art der Fußbekleidung,
welche in Spanien und Italien am gebräuchlichſten war, doch
auch anderswo nicht ohne Beiſpiel blieb. Es ſind dies hohe
[97]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Unterſchuhe oder vielmehr Pantoffeln, welche ihrem Urſprunge
nach wohl nur eine Umwandlung der uns aus dem funfzehnten
Jahrhundert bekannten ſein mögen, da die Beſchaffenheit des
Bodens ihrer vielleicht nicht überall entbehren ließ. Allein da-
mit iſt die außerordentliche Höhe, welche dieſe Fußgeſtelle von
Kork und Holz erreichten, nicht erklärt. Sie war ſehr verſchieden
und richtete ſich auch nach der Größe ihrer Trägerinnen. Ganz
kleine Damen trugen ſie, wenn wir den Erzählungen Glauben
ſchenken wollen, bis zu einer Höhe von zwei bis drei Fuß; die
eines halben Fußes war nichts ſeltenes. Begünſtigt wurde dieſe
Tracht durch die langen Kleider, welche ausgeſpannt den Boden
rings erreichten, ſodaß weder die wirkliche Größe der Dame noch
die Höhe ihrer Schuhe genau beurtheilt werden konnte. In
niedern Ständen jedoch wurden ſie ſichtbar getragen, wie wir das
in den Trachtenbüchern bei italieniſchen und ſpaniſchen Frauen
ſehen. Ueberhaupt war die Sitte dieſen mehr eigen wie der vor-
nehmen Welt, in welcher ſie weder zu der Größe und Allgemein-
heit noch zu einer gleich langen Dauer gekommen zu ſein ſcheint;
und vorzugsweiſe dienten ſie wohl zum nothwendigen Gebrauch
auf der Straße, da Senften oder gar Kutſchen erſt in dieſer Zeit
aufkamen. Obwohl der Gang mit ihnen ſehr beſchwerlich war,
ſodaß eine Dame ſich auf zwei Dienerinnen oder zwei Knaben
ſtützte oder die Hülfe zweier begleitenden galanten Herren in An-
ſpruch nahm, welche ſie unter die Achſel faßten, ſo wird doch
grade von den ſpaniſchen Damen dieſer Zeit verſichert, ſie hätten
ſich durch einen ſo leichten und grazioſen Gang ausgezeichnet,
daß ſelbſt Franzöſinnen ihn in hundert Jahren nicht erlernt hät-
ten — ein Zeichen, daß ſie ſich der hohen Schuhe nur in Aus-
nahmsfällen bedienten. In Vecellio’s Trachtenbuch tragen ſehr
viele der italieniſchen Damen hölzerne Pantoffel, aber ſie ſind
kaum wenige Zoll hoch, zierlich und elegant geſchnitten und
mit Schmuck verſehen; in ihnen ruhen feinere Schuhe ohne Ab-
ſätze. Nur Bürgerinnen einzelner Gegenden und die öffentlichen
Frauen tragen ſie höher, letztere nach der Angabe Vecellio’s von
mehr als ein viertel Elle; die Füße laſſen ſie ſehen. So heißt
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 7
[98]III. Die Neuzeit.
auch die Unterſchrift einer ähnlichen Frau aus Venedig in einem
alten deutſchen Trachtenbuch:


„Ein Venediſch Cortiſan

Hat unter dem Gewand Hoſen an,

Hoch Pantoffel, ſeltſam zugricht,

Eine große Zahl man deren ſicht.“

Wenn ſie ſichtbar werden, zeigen ſie ſich gewöhnlich reich verziert,
mit Sammet oder Goldſtoff beſchlagen, mit Franzen herum oder
mit Metallbeſchlag in mannigfachen Muſtern. Das obere Leder,
welches die Füße hält, iſt oft nur durch einen Riemen erſetzt.
In Deutſchland hat die Mode in dieſer Zeit, da ſie nicht mit den
ſpäteren Steckelſchuhen zu verwechſeln iſt, keine Rolle geſpielt,
wenn auch wie früher wieder verzierte Pantoffeln zuweilen getra-
gen werden; die ſittenrichtenden Prediger, die des Luxus der
feinen Fußbekleidung zum öftern gedenken, hätten gewiß nicht
verfehlt, einen ſo willkommenen Gegenſtand nach Gebühr zu
würdigen.


Ganz dem Gange gemäß, wie die Dinge in Spanien ſich
conſolidirten und der Fortſchritt in der Geſchichte ſeit der Mitte
des ſechszehnten Jahrhunderts aufhörte, ſetzte ſich auch das Co-
ſtüm feſt, nachdem es einmal von dem Umſchwung im Anfange
des ſechszehnten Jahrhunderts zur vollen Ausbildung gelangt
war. Noch bis zur Mitte des nächſten Jahrhunderts finden wir
in der vornehmen Welt Spaniens im weſentlichen dieſelbe Tracht,
nachdem ſich in England, Frankreich und Deutſchland bereits eine
andere Coſtümperiode auf ihre Höhe geſchwungen hatte und
theilweiſe ſchon wieder im Untergange begriffen war; dieſe ging
mit der ganzen naturaliſtiſchen Richtung des dreißigjährigen
Kriegs faſt ſpurlos an Spanien vorüber. Der ſpaniſche Con-
ſervatismus im Coſtüm erregte in hohem Grade die Aufmerk-
ſamkeit der übrigen modiſchen Welt, während dem Franzoſen
ſchon die Proteusnatur zugeſchrieben ward, der Deutſche aber
als der Nachahmer galt. In Paris fand darum allgemeines Be-
dauern ſtatt, als die ſchöne Prinzeſſin Eliſabeth als Gemahlin
Philipps II. an den traurigen und ſtrengen Hof von Madrid
[99]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ging. Bis dahin war ſie mit ihrer Schweſter Margaretha für
Frankreich die Herrſcherin im Reich der Moden geweſen, nun-
mehr konnte ſie Putz und Kleidung nicht erfinderiſch in derſelben
Weiſe verändern. Sie entſchädigte ſich dafür, wie erzählt wird,
durch beſtändigen Wechſel der Kleider: keines trug ſie zweimal,
und doch waren ſie ſo koſtbar, daß das wohlfeilſte wenigſtens
drei- bis vierhundert Thaler koſtete. Philipp war ſehr ſtreng in
dieſen Dingen und hatte beſondere Vorſchriften darüber gegeben.
Als im Jahr 1565 die Zuſammenkunft der Königin Eliſabeth
mit ihrer Mutter in Bayonne ſtattfinden ſollte, that Philipp ſei-
ner Gemahlin zu wiſſen, ſie möge für ihre Perſon alles anord-
nen, wie es ihr gefalle, aber nicht erlauben, daß ihre Damen ſich
im Widerſpruch mit der Pragmatica neue Kleider machen ließen;
die, welche ſie beſäßen, wären reich und ſchön genug und ſollten
noch neun Monat lang getragen werden; ebenſo ſollten alle Her-
ren ihrer Begleitung jenem Geſetze gemäß gekleidet ſein und
keine goldenen oder ſilbernen Zierrathen tragen; er hoffe, man
werde in Frankreich nach derſelben Anſicht verfahren, damit eine
Zuſammenkunft, welche lediglich Vergnügen bezwecke, nicht Ver-
anlaſſung zu übermäßigen Ausgaben werde.“


Die ſpaniſche Kleidung der vornehmen Stände, wie wir ſie
bisher geſchildert haben, wurde im Weſentlichen die Tracht aller
höheren Claſſen und großentheils auch der bürgerlichen in der
ganzen abendländiſchen Welt. Die Urſache lag nicht bloß in dem
überwiegenden Einfluſſe und Anſehn Spaniens und der ausge-
dehnten verwandtſchaftlichen Verbindungen des Hauſes Habs-
burg. Es iſt ebenſo der ähnliche, wenn auch nicht gleiche Gang
der Geſchichte in den einzelnen Ländern zu berückſichtigen, wel-
cher ähnliche Formen in der Kleidung erzeugte oder die Völker
geneigt machte, die ihnen entſprechenden aus der Fremde ohne
Widerſtand anzunehmen. So finden wir in allen Trachtenbü-
chern ziemlich das gleiche Bild wieder. Wenn dennoch von
nationalen Unterſchieden öfter geredet wird, ſo liegen dieſe mehr
in dem größeren oder geringeren Maße der herrſchenden Moden,
in Uebertreibung oder Mäßigung, mehr in der beſchränkten Will-
7*
[100]III. Die Neuzeit.
kür des Individuums, die ſich freilich auch zu nationaler Allge-
meinheit ſteigern konnte, mehr in der beſondern Anwendung des
Details begründet, als daß ſich weſentliche und charakteriſtiſche
Verſchiedenheiten hervorgethan hätten.


Am weiteſten entfernte ſich von der ſpaniſchen Tracht die
italieniſche, wozu ohne Zweifel die immer noch blühende
Kunſt beitrug, wenn ſie auch ihre Höhe hinter ſich hatte und
vielfach dem Manierismus anheimfiel, ſowie nicht minder das
volle, im freudigen Genuß des Daſeins ſich ergehende Leben,
welches, von Poeſie und Kunſt verherrlicht, in den Republiken
wie an den feinen und geiſtreichen Höfen in großartigem Stil
geführt wurde. Es ſind davon freilich die ſpaniſchen Beſitzungen
auszunehmen, Neapel und das Mailändiſche, wo die ſtrengeren
ſpaniſchen Formen die herrſchenden wurden. Im übrigen, nament-
lich in Rom, Florenz und Venedig, herrſchte mehr Maß und
mehr Freiheit, und die Italiener werfen den Spaniern und den
Franzoſen insbeſondere ihre Uebertreibungen und ihren Mangel
an Geſchmack vor. „Ihre Kleidung ſei reich“, ſagten ſie, „aber
ungeſchickt; ſie trügen die Reifröcke in einem unſinnigen Um-
fange, der nicht mehr im Verhältniß zu dem ſchmalen Leibe ſtehe;
mit Schmuck, Diamanten und Perlen überlüden ſie Arme,
Schultern und Kopf ohne Ordnung und Geſchmack, wogegen die
Italienerinnen durch geſchickte Vertheilung mit wenigerem einen
doppelten Eindruck machten; die vielen reichen und äußerſt ſorg-
fältigen Stickereien litten ebenfalls an den oben erwähnten Feh-
lern: die Zeichnung wäre mangelhaft und alles ſo kleinlich,
überhäuft und verwirrt, daß ſich nichts deutlich abſetzte und man
den Grund des Gewandes nicht unterſcheiden könnte; in Italien
würde nicht ſo ſorgfältig gearbeitet, aber mit halben Koſten ein
viel größerer Glanz und Schein bewirkt.“


Die Italienerinnen verſchmähten die übertriebene Einengung
ſowie die ſtraffe Ausſpannung des Kleides in der ſtarren, falten-
loſen Weite der Spanierin und Franzöſin; ſie ſchnürten ſich nicht
mehr, als ſie zur Hebung ihrer Fülle nöthig hielten, und dulde-
ten am Rock, dem ſie auch gern eine mäßige Schleppe geſtatte-
[101]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ten, einen ziemlichen Faltenwurf, ſodaß wir ſie noch häufig nach
der alten grazioſen Sitte das Oberkleid mit der linken Hand ein
wenig emporheben ſehen. Die Puffen an der Schulter wieſen
ſie nicht zurück, aber ſie bedienten ſich ihrer mehr wie einer leich-
ten, gefälligen Zierde, denn zur Verunſtaltung der Körperformen.
Am meiſten unterſchied ſich wohl die Toilette des Kopfes und
des Halſes, und hierin mögen die Italienerinnen für die ſpätere,
auf die ſpaniſche folgende Mode den Weg angegeben haben. In
Mailand zwar und auch wohl anderswo finden wir noch ums
Jahr 1600 die große Krauſe in ausgedehnteſter Geſtalt und da-
mit eine enge Verhüllung von Hals, Schultern und Bruſt, aber
in Venedig, Florenz, Rom, Piſa, Ferrara und andern Städten
gehen die Damen der vornehmen wie der bürgerlichen Claſſen
gewöhnlich halb decolletirt, mit offener Bruſt und verdeckten
Schultern. Hiernach richtet ſich die Form des Kragens, welcher
ſtets dem Ausſchnitt des Kleides folgt, ſei es, daß er der Krauſe
gleich in runde Falten ringsum eingebrannt iſt, oder flach ge-
ſteift und mit Spitzen rings umſäumt, von Schultern und Nacken
ſich emporrichtet und ſo bei einer Betrachtung en face gewiſſer-
maßen die Folie des Kopfes bildet. Während ſich dieſe Mode
in Italien ſchon gegen das Jahr 1580 ausgebildet hat, werden
wir ſie in Deutſchland, das bis dahin unter der Herrſchaft der
ſpaniſchen Krauſe ſchmachtete, erſt zwanzig Jahre ſpäter wieder-
finden.


Den Hals trugen ſomit die Italienerinnen frei. Aber auch
vom Haar verbannten ſie zuerſt alle Hüte, Hauben oder Mützen,
begnügten ſich mit der bloßen Friſur und ſchmückten ſie mit koſt-
baren Nadeln, Perlen und Geſchmeide. Nur den Schleier füg-
ten ſie daran und ließen ihn wallend über den Rücken oft bis
auf den Boden herabreichen oder verhüllten ſich zur Hälfte da-
mit. In der Art das Haar zu friſiren herrſchte große Willkür,
und der individuelle Geſchmack der Damen fand hinlängliche
Gelegenheit ſich zu bethätigen; doch haben alle Friſuren das
Gemeinſame, daß das Haar von Schläfen und Stirn aufwärts
geſtrichen, und mit Nadeln gehalten oder hinten am Scheitel in
[102]III. Die Neuzeit.
ein Neſt oder einen Knoten geſammelt iſt, ſodaß auch der Nacken
vollkommen frei bleibt. Einzelne beſtimmte Formen kehren öfter
wieder. Darunter iſt beſonders eine auffallend, bei welcher ſich
über der Stirn zu beiden Seiten des Scheitels zwei ſtattliche,
ſehr künſtlich aufgebaute Lockenhörner erheben, womit die Da-
men, wie Vecellio ſagt, die Göttin der Keuſchheit nachahmen
wollen, welche die Kunſt als Luna mit dem Halbmond über der
Stirn darſtellt. Auch in Deutſchland fand dieſe Friſur viele
Liebhaberinnen, ohne daß dieſelben den poetiſchen Hintergedan-
ken dabei hatten.


Die größte Mühe um das Haar gaben ſich die Venetia-
nerinnen, welche nach der Verſicherung ihres Landsmannes Ve-
cellio von allen Italienerinnen am meiſten die natürliche Schön-
heit durch die Kunſt zu verbeſſern befliſſen waren. Wie wir das
ſchon im Mittelalter geſehen haben, ſo war noch mehr in dieſer
Zeit das blonde Haar von ihnen aufs höchſte geſchätzt, und um
es künſtlich herzuſtellen, unterzogen ſie ſich einem ſehr läſtigen
Verfahren, bei welchem ſie ſich ſelbſt bedienen mußten. Nicht
grade ſeltne Bilder geben uns davon die deutlichſte Anſchauung.
Die venetianiſchen Häuſer pflegten auf dem Dache eine offene
hölzerne Altane zu haben. Auf dieſe ſetzten ſich die Damen, ge-
hüllt in ein hemdartig weites, langes Gewand von weißer Seide
oder der feinſten Leinwand und bedeckt mit dem außerordentlich
breiten Rande eines Strohhutes ohne Boden oder Kopf, über
welchen die aus der Oeffnung herausgezogenen Haare ausge-
breitet waren. So vorbereitet, nahmen ſie einen Schwamm, der
an der Spitze eines Stäbchens befeſtigt war, tauchten ihn in ein
nebenſtehendes künſtliches Waſſer, welches man kaufen konnte
oder ſich ſelbſt im Hauſe bereitete, und wuſchen mit demſelben
die vor der Sonne auseinander gelegten Haare. So ſaßen ſie
den ganzen Tag, Tage lang, von der Sonne beſchienen, je heißer
deſto beſſer, bis unter dieſer Procedur das Haar blond wurde.
Der breite Hut ſchützte Geſicht, Nacken und Schultern vor dem
Verderbniß des Teints.


Die Tracht der italieniſchen Männer wich weniger ab von
[103]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
der ſpaniſchen Hauptform, nur mäßigten ſie mit mehr Geſchmack
die Ausartung. Sie trugen, wenn ſie elegant gingen, den ſei-
denen Hut und die Krauſe und hatten das Beinkleid ohne die
Trennung am Knie ganz nach ſpaniſcher Weiſe, doch die Wülſte
um Hüften und Oberſchenkel in bedeutend geringerer Dicke. An
den Schultern trugen ſie die Puffen nicht und ermäßigten die
Ausſtopfung.


Die Franzoſen gelten in dieſer Zeit noch durchaus als
Nachahmer, was Brantome ſelbſt, der Lobredner ſeiner Lands-
leute, zugiebt, indem er eingeſteht, ſie hätten die Erfindungen
der Spanier nachgeahmt. Und zwar waren ſie keineswegs glück-
lich darin, noch bewieſen ſie einen ausnehmend feinen Geſchmack,
ſodaß die oben angeführten Vorwürfe des Italieners völlig be-
gründet ſind. Nicht nur überluden ſie ſich in ganz unerhörter
Weiſe mit Schmuck, ſondern trieben noch die Auswüchſe der
ſpaniſchen Tracht ins Extrem. Erſt gegen das Ende des ſechs-
zehnten Jahrhunderts machen ſie ſich in ihrer veränderlichen
Weiſe von ihrem Vorbild los, ſeitdem daſſelbe in ſeiner einmal
vollendeten Tracht unwandelbar erſtarrte, und neigen mehr den
italieniſchen Moden zu oder ſtellen ſich auf eigne Füße. Von
großem Verdienſt für Frankreich waren in dieſer Beziehung die
beiden ſchönen Schweſtern Eliſabeth, die ſpätere Königin von
Spanien, Philipps II. Gemahlin, und Margaretha von Na-
varra, die Gemahlin Heinrichs IV., welche ſich nach Kräften be-
ſtrebten, erfinderiſch zu ſein, obwohl es ihnen zunächſt nicht wei-
ter gelang, als die ſpaniſche Weiſe fortzuführen und das Detail
zu ändern; ſelbſtändig verfuhren ſie zuerſt im Kopfputz, nachdem
die franzöſiſchen Damen lange genug unter dem ſpaniſchen Hut
ſich befunden hatten. Brantome iſt der größte Bewunderer der
ſchönen Margaretha und weiß ihre Erfindungsgabe in der Toi-
lette nicht genug zu rühmen. „Unſere ſchöne Königin“, ſagt er,
„mochte einen Hut oder eine Haube aufſetzen, oder einen großen
Schleier anlegen, ſo wußte man immer nicht, in welchem Kopf-
putz ſie am ſchönſten war. Sie verſchönerte alles, was ſie an-
legte, durch irgend eine neue Erfindung, und wenn andere Da-
[104]III. Die Neuzeit.
men daſſelbe nachmachten, ſo ſtand es ihnen lange nicht ſo gut,
wie ich tauſendmal wahrgenommen habe. Ich ſah die ſchöne
Königin während der erſten Verſammlung der Stände zu Blois
an eben dem Tage, an welchem ihr Bruder, der König, ſeine
erſte Rede hielt. Sie trug damals ein ſchwarzes Kleid mit orange-
farbenen Streifen und Blumen und ihren großen majeſtätiſchen
Schleier. Sie machte auf alle Anweſenden einen ſolchen Ein-
druck, daß ich von mehr als dreihundert Perſonen hörte: ſie ſeien
in die Betrachtung der göttlichen Schönheit der Königin ſo ver-
loren geweſen, daß ſie auf die treffliche Rede des Königs nicht
genug hätten achten können.“


An dem feinen Franzoſen dieſer Zeit bis gegen das Jahr
1600 iſt nichts Originelles: mit dem geſteiften ſeidenen Hut, mit
kurzem Haar und Bart und der breiten Krauſe, mit dem geſtepp-
ten und gepufften Wamms, deſſen lange Taille und Gänſebauch
er ins Uebermaß ſteigert, mit dem langen ſtraffen Beinkleid, den
Polſtern um die Hüften und den zierlichen geſchlitzten Schuhen
gleicht er dem Spanier, dem Italiener, dem Engländer und dem
Deutſchen, ſoweit dieſer der fremden Tracht folgt. Um die Schul-
tern hat er ebenfalls das ſeidene Mäntelchen gelegt, und an der
Seite hängt ihm der Stoßdegen. An mächtiger Ausladung der
Polſter des Beinkleides ſtand er niemand nach, eben ſo wenig
an der Breite des Kragens wie an der Länge des Degens, ſodaß
man damals in Frankreich ſagte, der Ruf eines jungen Cava-
liers beſtände in dem Umfang ſeiner Halskrauſe und in der Länge
ſeines Degens. Nur was den Bart betrifft, ſo übertraf er darin
an Zierlichkeit und Pflege den Spanier ſowohl wie die andern
Nationen. Doch geſchah es erſt unter Heinrich IV., daß er den
Backen- und Kinnbart ganz wegließ und um ſo größere Sorgfalt
dem Ueberreſt auf der Oberlippe und unter der Unterlippe, dem
ſogenannten Henri quatre zuwandte. Damals ſchrieb ein fran-
zöſiſcher Schriftſteller: „Ich hege die größte Achtung für dieſen
jungen Menſchen, der ſehr bemüht iſt um einen ſchönen Schnurr-
bart und die Zeit als wohlgenutzt betrachtet, welche er darauf
verwendet, ihn aufzurichten; jemehr er ihn betrachtet, um ſo
[105]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
mehr bereitet ſich ſeine Seele zu männlichen und heroiſchen Hand-
lungen vor.“


Heinrich III., der eitelſte und weibiſchſte der franzöſiſchen
Könige, folgte noch ganz der ſpaniſchen Weiſe, wie er denn auch
die ſteife Etiquette dieſes Hofes der franzöſiſchen Lebhaftigkeit
aufzudrängen ſuchte. Mit ſtatuenartiger Unbeweglichkeit, indem
er weder Kopf noch Hände noch Füße regte, glaubte er bei feier-
lichen Gelegenheiten die Ehrfurcht der königlichen Majeſtät be-
haupten zu müſſen. Im Uebrigen war ſein Putz wie ſeine Be-
ſchäftigung durchaus weibiſcher Natur: ſich ſelbſt und die Köni-
gin zu friſiren, ihrer beider Kragen gehörig zu ſtärken und in
Falten zu legen, war ſeine liebſte Arbeit, ſodaß er an ſeinem
Vermählungstage ſelbſt die Meſſe darüber verſäumte. Bei Bäl-
len und andern Hoffeſten kleidete er ſich gar weiblich als Ama-
zone mit offener Bruſt und Perlhalsbändern, wie er andrerſeits
den Damen ſeines Hofes männliche Kleidung anbefahl und ſich
alſo von ihnen bedienen ließ. An ſeinem Halſe lagen drei Schei-
benkragen von feinſter Leinwand über einander und über dieſen
noch eine doppelte Krauſe. Heinrich IV. liebte faſt nicht weniger
den Putz an ſich ſelbſt wie an den Angehörigen ſeines Hofes;
unter ihm aber traten die ſpaniſchen Moden wieder zurück, und
es zeigten ſich die Anfänge einer neuen Zeit, die ſich mit dem
Sturz der großen Krauſe ankündigte. Auch das Beinkleid näherte
ſich damals mehr einer naturgemäßen Form, indem die Aus-
ſtopfung ſich bis zum Knie herab verjüngte. Mit dieſer Verän-
derung hängt die Aufnahme des ſeidenen Strumpfes zuſammen.


Die franzöſiſchen Damen waren es, welche vor allen den
Reifrock übertrieben, ſodaß ſie nicht nur den fremden Tadel,
ſondern auch die einheimiſche Satire wachriefen. Uebrigens
gaben ihnen, wie wir ſehen werden, ſelbſt deutſche Bürgerfrauen
wenig nach. Beide Geſchlechter hatten ſich demnach, was die
Ausladung der Hüften betrifft, nichts vorzuwerfen. Dadurch
unterſchied ſich der Reifrock des ſechszehnten Jahrhunderts von
dem des achtzehnten und der heutigen Crinoline, daß jener faſt
durchaus ohne Falten über ſein Untergeſtell ausgeſpannt war,
[106]III. Die Neuzeit.
ſtarrend von Seide oder Brokat. Der Reifrock ſelbſt beſtand aus
Draht, Fiſchbein oder Eiſenreifen, und die Dame, welche ihn
trug, glich einer Handglocke oder einem umgeſtürzten Pokale.
Letzteres Gleichniß iſt in der That praktiſch benutzt worden, und
es ſind noch heutigen Tages Pokale des ſechszehnten Jahrhun-
derts vorhanden, welche umgeſtürzt eine Reifrockdame in der
Tracht dieſer Zeit darſtellen. Zuweilen wurde auch nur ein aus-
geſtopftes Kiſſen um die Hüften gelegt. Es erzählte ſich die bos-
hafte Welt von der Königin Margaretha, daß ſie ein derartiges
Kiſſen, in welchem ſich große Taſchen befanden, um die Hüften
getragen habe. In jeder Taſche habe eine Schachtel geſteckt mit
dem Herzen eines ihrer ermordeten Liebhaber. Denn ſie ſorgte
ſtets dafür, daß ihre Herzen nach dem Tode einbalſamirt wur-
den. Davon wurde die Königin nun täglich dicker und ließ deß-
halb ihre Röcke immer weiter machen und ebenſo die Aermel,
und um ihre Taille dünner erſcheinen zu laſſen, befahl ſie, daß
man dünnes Eiſenblech in die Röcke nähe. Es heißt, es habe
wenig Thüren gegeben, durch welche ſie eingehen konnte. Man
nannte die Reifröcke damals vertugalles, vertugades und ver-
tugadins,
d. i. vertus galles, vertuguardiens.


Was die Tracht an Hals und Bruſt betrifft, ſo folgten auch
hier die Franzöſinnen der verhüllenden und verunſtaltenden Mode
der Spanierinnen. Aber ſchon Margaretha von Navarra machte
ſich davon los und ahmte die freiere Weiſe italieniſcher Damen
nach, indem ſie ſich decolletirte und den Kragen mit dem Aus-
ſchnitt des Kleides verband. So ſind die Worte Brantome’s
über ſie näher zu erklären: „Sie mochte aber die Form der Klei-
der und des Putzes ändern, ſo oft ſie wollte, ſo bedeckte ſie nie
ihren ſchönen Hals und ihren ſchönen Buſen, deſſen Anblick ſie
der Welt nicht zu entziehen wagte.“ Anfangs fand die neue
Sitte viel Widerſpruch, wurde aber doch ſchon unter der Regie-
rung Heinrichs IV. in Frankreich ſehr allgemein. Auch in Bezug
auf den Kopfputz verfuhr die Königin Margaretha möglichſt will-
kürlich, ſoweit es der allgemein herrſchende Charakter erlaubte:
bald trug ſie einen kleinen Hut nach ſpaniſcher Weiſe, bald eine
[107]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Haube, die aber das über den Schläfen emporgerichtete Haar un-
bedeckt ließ, bald friſirte ſie ihr natürliches ſchwarzes Haar in ſehr
mannigfaltiger Art, immer jedoch ſo, daß es von Stirn und
Nacken ſich aufrichtete; zuweilen auch trug ſie eine niedliche Per-
rücke, d. h. einen kleinen Haaraufſatz. Auch des Schleiers wußte
ſie ſich in verſchiedener Art vortheilhaft zu bedienen. Hüte und
Hauben, von denen die erſteren ſpaniſch geformt waren, wurden
auch mit Federn geſchmückt. Die Erſte, welche es wagte, der
franzöſiſchen Sitte entgegen die Federn ſo anzubringen, daß ſie
gegen oder über die Stirn hereinwankten, war wieder die Köni-
gin Margaretha. Man nannte dieſe Weiſe adoniser. Dem
Könige aber gefiel ſie gar nicht, und als eine Hofdame Marga-
rethens Beiſpiel folgte, ließ er ſie wiſſen, daß er ihr das nächſte
Mal, wenn ſie wieder ſo erſcheine, eine deutſche Flöte reichen
laſſe. Das ſollte eine Anſpielung auf flandriſche Flötenſpielerin-
nen ſein, die ſich ſo trugen. Allein deſſenungeachtet fuhren die
Damen dennoch fort ſich zu adoniſiren. Es gab auch Weiſen,
die Federn aufzuſtecken, welche man à la Guelfe und à la Gibel-
line
nannte.


Unter Heinrich IV. wurde noch vorzugsweiſe bei den Damen
eine Sitte gebräuchlich, welche wohl ihren Urſprung aus Italien
herzuleiten hat, die Sitte des Maskentragens. Wenn wir von
den Carnevalsfeſten abſehen, ſo bediente man ſich ihrer zuerſt auf
Reiſen, um den Teint vor Luft und Sonne zu ſchützen. Hein-
rich IV. kam die Maske auch bei ſeinen verliebten Abenteuern
wohl zu ſtatten. Man trug ſie bei jedem Beſuche, oder wo vor-
nehme Herren und Damen ſonſt öffentlich oder ſelbſt in Geſell-
ſchaft ſich zeigten. Heinrich IV. erſchien mit derſelben auch im
geheimen Rath, wo ſie ihm nur ſeine geliebte Gabriele d’Etrées,
die überall ihm folgte, abnahm, um ihn küſſen zu können. Nur
die Königin Margaretha emancipirte ſich von der Sitte. Bran-
tome erzählt, daß ſie nur ſelten eine Maske getragen habe; mit
entblößtem Geſicht ſei ſie einſt ſelbſt in der Prozeſſion zu Blois
gegangen. In Deutſchland wollte die Maske keinen Boden fin-
den, obwohl Anſpielungen vorkommen; in England dagegen
[108]III. Die Neuzeit.
war ſie wenigſtens in dem Maße gebräuchlich, daß ſie die Auf-
merkſamkeit eines Satirikers erregte. „Wenn ſie ausreiten“,
ſagt er von ſeinen Landsmänninnen, „haben ſie Masken oder
Larven von Sammet, mit Löchern vor den Augen, aus denen ſie
herausſchauen, ſodaß ein Mann, wenn er ihre Geſtalt nicht ken-
nen würde, denken möchte, er begegne einem Ungeheuer oder
Teufel.“


In England fällt die Herrſchaft der ſpaniſchen Tracht mit
der Regierung der Königin Eliſabeth (1558—1603) zuſammen,
nachdem die Verbindung ihrer Vorgängerin Maria mit Philipp
II. jedenfalls Vorſchub geleiſtet hatte. Es giebt Bilder der Eli-
ſabeth aus ihrer Jugendzeit, auf welchen ſie wenigſtens halb de-
colletirt iſt, wie ſie auch in ſpäterem Alter als jungfräuliche Kö-
nigin wieder that; im Allgemeinen aber können ſich die Englän-
der ihre „gute Königin Beſſ“ nicht ohne eine ungeheure Rad-
krauſe denken. Sie war ſehr eitel und hielt daher wie auf die
ausgeſuchteſte Etiquette und ſublimſte Artigkeit ihrer ſtets ver-
liebten Unterthanen, ſo auch auf eine gewählte und koſtbare Toi-
lette. Bei ihrem Tode belief ſich ihr Kleidervorrath auf 3000
Stück. Als ſie einſt dem franzöſiſchen Geſandten Marſchall Bi-
ron Audienz gab, trug ſie ein Kleid, an welchem nicht weniger
als hundert Perſonen drei Wochen lang gearbeitet hatten. Die
Aechtheit ihres rothblonden Haares wurde vielen Zweifeln unter-
zogen, indeſſen wiſſen wir, daß es eben in jener Zeit Mode war
bei den erhöhten Friſuren fremde Haare einzuflechten, ohne daß
man grade aus der Unächtheit einen Vorwurf machte.


Die Engländer und Engländerinnen erfreuten ſich damals
in Anbetracht ihres Aeußeren eines guten Rufes in der Welt;
es hieß von ihnen, ſie gingen ſtolz und prächtig und zeigten ihren
Reichthum, obwohl ſie von Uebertreibungen nicht freizuſprechen
ſind und keinerlei Erfindungsgabe in dieſer Zeit bewähren. Ein
Florentiner, alſo gewiß ein competenter, wenigſtens unparteii-
ſcher Richter, urtheilt von ihnen alſo: „Die Frauen ſtehen in
Hinſicht auf Schönheit, Anmuth, Kleidung und gute Sitten den
Sieneſerinnen oder den geachtetſten Italiens nicht nach. Männer
[109]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
und Frauen haben eine weiße Haut; um dieſe natürliche Farbe
zu erhalten oder zu erhöhen, laſſen ſich die letzteren jährlich zwei
bis drei Mal zur Ader, ſtatt ſich wie die Italienerinnen zu ſchmin-
ken.“ Alſo grade noch wie im Mittelalter.


Die Kleidung hat wenig Auszeichnendes noch in der Form
Unterſcheidendes, nur wird die Koſtbarkeit der Stoffe vielleicht
noch höher als anderswo getrieben. Ein engliſcher Gewährs-
mann berichtet es als etwas gewöhnliches, daß tauſend Eichen-
ſtämme und hundert Ochſen zur Herſtellung eines Anzugs dar-
aufgingen, und daß ein Modenarr ein ganzes Landgut an ſeinem
Leibe trug. Wamms und Beinkleid ſtopften ſie mit Werg und
Haaren fleißig aus, und beſonders ſcheinen ſie für die Pumphoſe
im ausgedehnteſten Maße Vorliebe gehabt zu haben; es wird
ſogar berichtet, daß die Sitze im Parlament deßhalb erweitert
werden mußten. Nach anderer Nachricht iſt noch für diejenigen,
welche ſich ganz beſonders in dieſer Mode ausgezeichnet haben,
eine beſondere Bank auf einem erhöhten Gerüſt an der Wand
angebracht worden, wovon man noch ſpäter in den vorhandenen
Löchern die Spuren ſah, als nach dem Ausgange dieſer Mode
das Gerüſt wieder hinweggenommen worden. Den Schnurrbart
und Kinnbart liebten die engliſchen Herren ſtattlich nach ſpani-
ſcher Art.


Die Damen trugen die Kleider grade nicht in übermäßiger
Weite über den Reifrock ausgeſpannt, doch im Anfang der Re-
girung der Eliſabeth ſehr hohe Puffen um die Schultern. Auf
einen gut geſtärkten, großen krauſen Kragen hielten ſie ſehr viel.
Im zweiten Jahr der Regirung dieſer Königin begann man die
Kragen von feinem Kammertuch zu machen, ſtatt wie bisher von
holländiſcher Leinwand. Nun war aber große Verlegenheit, da
niemand in England den neuen Stoff ſtärken oder ſteifen konnte.
Die Königin ſchickte deßhalb um einige holländiſche Frauen und
machte die Frau ihres Kutſchers Guillan zu ihrer erſten Stärke-
rin. Dann kam im Jahre 1564 die Frau Dingham van der
Plaſſe, eine Flamländerin, mit ihrem Mann nach London her-
über und übte dort öffentlich die Profeſſion einer Kragenſtärkerin
[110]III. Die Neuzeit.
aus. Mit großer Freude und Ermuthigung wurde ſie vom Adel
und der Gentry des Landes aufgenommen, und ſie war auch die
erſte, welche öffentlich die Kunſt des Stärkens lehrte. Ihr Lehr-
geld betrug vier oder fünf Pfund für jede Schülerin und zwan-
zig Schilling außerdem für die Mittheilung, wie die Stärke zu
ſieden oder zu machen ſei. Die Stärke beſtand meiſt aus feinem
Weizenmehl, das man in ſeiner natürlichen Farbe ließ oder blau,
roth, purpur u. ſ. w. färbte. Eine Mrs. Turner brachte eine
von ihr erfundene gelbe Stärke in Mode, aber dieſelbe fiel wie-
der, als dieſe Dame, bei einem Morde betheiligt, in einem gro-
ßen Steifkragen von ihrer eigenen Erfindung zu Tyburn hinge-
richtet wurde. Da der Stoff der Krauſe immer feiner wurde, „ſo
fein, daß der gröbſte Faden darin nicht ſo dick iſt wie das feinſte
Haar“, und an Umfang fortwährend gewann, da zugleich die
verſchiedenen Schichten ſich in drei, vier Reihen übereinander
lagerten und oft faſt nur aus Spitzen beſtanden und zudem mit
Gold beſchwert wurden, ſo reichte die Stärke allein nicht mehr
aus, denn der Kragen durfte nicht auf die Schultern fallen, ſon-
dern mußte ſteif hinausſtehen. Er wurde in Folge deſſen durch
einen über ein Drahtgeſtell ausgeſpannten, mit Spitzen beſetzten
Scheibenkragen unterſtützt. Das gab bald Veranlaſſung zu einer
großen Umänderung, indem nach dem Mißkredit der ſpaniſchen
Moden dieſer Unterkragen die neue Form herlieh.


Um die Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts trugen die
engliſchen Frauen Hüte und Hauben, aber mit dem Unterſchied,
daß jene, in männlicher Form nach ſpaniſcher Weiſe, den adligen
Damen zukamen, dieſe aber, aus Pelz oder von weißem Tuche
gemacht, als veränderte Ueberreſte vergangener Moden die Bür-
gerfrauen kenntlich machten. Es war alſo bereits ein ſtarker
Rückſchlag erfolgt, denn den Anfang des Jahrhunderts und die
Wiedergeburt der neuen Zeit hatten die engliſchen Damen mehr
noch als die deutſchen mit langem, über die Schultern und den
Rücken herabfließendem Haar begrüßt. Mit dem Wachſen der
Krauſe verloren alle Kopfbedeckungen ihren Werth, und wenn
Hüte und Hauben noch erwähnt werden, ſo waren ſie — den
[111]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ehrbaren Bürgerſtand ausgenommen — nur ein Schmuck, der
das Haar nicht verdeckte. Die Coiffüre baute ſich nach oben,
unterſtützt durch „Gabeln von Draht,“ „geſchmückt mit großen,
wunderſam gearbeiteten Gewinden von Gold und Silber, mit
Hörnern, Goldreifen, Diademen, Glas u. a.; obenauf ſtand ein
zierliches Hütchen oder Häubchen von Sammet, von Gold- und
Silberſtoff, ein durchſcheinendes Netzhäubchen, ein Drahtkäpp-
chen mit drei Ecken oder Hörnern, „den Biſchofsmützen ähnlich.“
Immer blieb das Haar ſichtbar, das an Stirn und Schläfen hin-
aufgekräuſelt war. Sandblond war die Lieblingsfarbe, welche
in England nicht ſelten iſt, bei etwaigem Mangel aber durch
Färbung oder falſches Haar hergeſtellt wurde. Darauf beziehen
ſich die Verſe Shakeſpeare’s:


The golden tresses of the dead,

The right of sepulture, were shorn away,

To live a second live on second head,

And beautys dead fleece made another gay.

Wir könnten ſo die Herrſchaft der ſpaniſchen Mode noch
weiter durch die Länder verfolgen, in den ſkandinaviſchen Norden
hinauf und oſtwärts bis nach Rußland und Siebenbürgen hin-
ein, wohin auf den Wegen der Civiliſation und des Handels
auch die ausgeſtopften Puffen und die große Krauſe drangen.
Wir kehren aber nach Deutſchland zurück, wo ſich die Verhält-
niſſe weſentlich anders geſtalteten wie in den romaniſchen Län-
dern. Denn in den letzteren lenkte die Bewegung und mit ihr
auch die Kleidung von ſelbſt in ein gleiches Bett ein, ſodaß gegen
die in Spanien ſchneller zur Reife gediehenen Formen kein Wider-
ſtand aufkommen konnte, während in Deutſchland der Strom
über ſeine Ufer getreten war und aller Schranken geſpottet hatte.
Dadurch war es möglich geworden, daß ſich in Deutſchland eine
eigenthümliche Tracht herausgebildet hatte, welche ſich durch
charakteriſtiſche Merkmale von der fremden weſentlich unterſchied.
Die ſpaniſchen Moden fanden ſomit einen Gegner vor, der im
Beſitze des Feldes ihnen daſſelbe ſtreitig machte. Auf das Detail
[112]III. Die Neuzeit.
der Kleidung angewandt, läßt ſich dieſer Kampf zurückführen
auf den der Freiheit, Weite und Fülle gegen Enge und Be-
ſchränkung: die Aufſchlitzung und der ausgebauſchte, luftig
pludrige Stoff ſahen ſich den mit Werg und Pferdehaaren aus-
geſtopften Puffen und Polſtern gegenüber, die Schaube ſtand
dem Mantel entgegen, das Federbarett dem ſpaniſchen Hut und
der Faltenwurf dem Reifrock.


Vieles war es, was den fremden Formen den Boden be-
reitete und wirkſame Hülfe leiſtete. Einmal war die reforma-
toriſche Bewegung überhaupt auf dem Rückzuge begriffen, ſodaß
ſich der Widerſtand ſchwächte und die deutſchen Formen ſich von
ſelbſt den ſpaniſchen annäherten. Sodann wurde ihnen durch
das habsburgiſche Herrſcherhaus und die enge Verbindung deſ-
ſelben mit Spanien die Brücke zum Uebergang nach Deutſchland
gebaut. Bald waren ſie in Beſitz des kaiſerlichen Hofes, nach
dieſem der übrig gebliebenen katholiſchen Fürſtenhöfe, und von
hier aus wurden ſie tiefer dringend in den katholiſchen Ländern
ohne Widerſtand aufgenommen, ſodaß es faſt ſchien, als wolle
ſich auch die Trachtenwelt Deutſchlands nach dem Bekenntniß in
eine katholiſche und eine proteſtantiſche ſondern. Aber ſoweit kam
es nicht, da der Widerſtand, der ihnen proteſtantiſcherſeits ent-
gegengeſtellt wurde, ein zu geringer oder nur theilweiſer war.
Selbſt die dieſem Bekenntniſſe folgenden Fürſtenhöfe, ſo buch-
ſtäblich ſie es mit dem Glauben nahmen, fügten ſich doch gern
und bald der fremden Mode, weil die deutſche es durch ihre
Extravaganzen mit der feinen Sitte verdorben hatte. So fand
die Pluderhoſe grade an dieſen Fürſten die heftigſten Gegner.


Was an deutſchen Höfen der fremden Weiſe mehr hinder-
lich als förderlich war, wenigſtens dem damit verbundenen über-
triebenen Luxus ſteuerte, war die größere Einfachheit, ein ge-
wiſſer bürgerlicher Familiengeiſt, den die Reformation wohlthä-
tig hervorgerufen hatte. Im ſchärfſten Contraſt zu dem, was
wir von der Kleiderpracht der ſpaniſchen und der engliſchen Eli-
ſabeth erzählt haben, ſteht das Folgende, was uns über die
Herzogin Dorothea von Preußen berichtet wird: „Auf die Leib-
[113]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
wäſche des Herzogs verwandte ſie ſelbſt immer die größte Auf-
merkſamkeit. Sie ſchickt der Näherin eine Anzahl Hemden und
den nöthigen Zwirn dazu, beſtimmt ſelbſt die Breite, Weite und
Länge der Aermel und Kragen, bittet aber zugleich, die Arbeit
möglichſt zu fördern, weil es mit den Hemden des Herzogs ſchon
ſehr auf die Neige gehe. Die Näherin erſucht die Fürſten, ihr
die alten Hemden einſtweilen zur Ausbeſſerung zuzuſchicken, denn,
fügt ſie hinzu, ſie habe ja auch der Herzogin deren Kleider, wenn
ſie zerriſſen geweſen, wieder mit allem Fleiße ſo zuſammengenäht
und unterhalten, daß ſie dieſelben noch jetzt trage; wenn ſie das
nicht gethan, ſo würde die Herzogin ſie haben ablegen und wohl
dreißig Mark mehr für neue geben müſſen“. Dieſelbe Fürſtin
beſtellt ſelbſt alles, was ſie brauchte, beim Kaufmann; hatte ſie
das nöthige Geld nicht, ſo ließ ſie ſich auch wohl mit dem Ver-
käufer in einen Honigtauſch ein. Sie beſtimmt, wie ihrem Ge-
mahl die Hemden gemacht werden ſollen und ſchreibt der Näherin
darüber: „Nachdem ſein Lieb die Hemden nicht ſo enge wie zu-
vor, ſondern etwas weiter zu haben geſinnt, ſo überſchicken wir
euch hiermit bei den Hemden auch ein Maß, wie weit die Aermel
ſein ſollen.“ Nach allen Seiten hin ſtand ſie auf die regſte Weiſe
in eigenhändigem brieflichen Verkehr mit den Kaufleuten zu
Leipzig, Nürnberg, Danzig und andern Orten und beſtellte ſelbſt
alles, was zur ganzen Garderobe des Hofes, ſowohl für die
fürſtlichen Perſonen wie für die Dienerſchaft nothwendig war;
ſie ſchickte Muſter und Zeichnungen oder ließ ſich dergleichen
kommen, wozu ſie unter andern auch den Geſchäftsträger des
Herzogs in Rom benutzte. Eine ähnliche hauswirthſchaftliche
Thätigkeit innerhalb der Sphäre der Frau wird uns auch von
andern Fürſtinnen erzählt, z. B. von der Herzogin Eliſabeth
von Braunſchweig.


Da ſchon bald nach dem Jahre 1530 im deutſchen Kleider-
weſen die Reaction eintritt, welche ſich in der allmähligen Zu-
ſammenziehung und Verſteifung ankündigt, während andrerſeits
die Landsknechte die Bewegung aufrecht halten, ſo iſt es ſchwer,
den Beginn des ſpaniſchen Einfluſſes in ſichtbaren Spuren nach-
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 8
[114]III. Die Neuzeit.
zuweiſen. Bald nach der Mitte des Jahrhunderts aber iſt der-
ſelbe doch ſchon ſo bekannt und tiefgewurzelt, daß ein gegen den
Luxus eifernder Geiſtlicher in ſeiner Warnung vor den fremden
Moden das Ding auf den Kopf ſtellen konnte, indem er ſagt:
„Die ſpaniſche Kleidung hat uns die unzüchtigen, gottloſen
Spanier in’s Land gebracht.“ Die erſten Jahrzehnte nach 1550
waren die Zeit, in welcher die beiden Moden, die deutſche und
die ſpaniſche, ſich theils die Wage hielten, indem die einen dieſer,
die andern jener folgten, theils ſich in bunter und widerſprechen-
der Weiſe an demſelben Körper vereinigt fanden. Dadurch ge-
währte allerdings wohl die deutſche Menſchenwelt einen bunt-
ſcheckigen Anblick, der das Auge verwirrte und das Urtheil der
Zeitgenoſſen über die Herleitung des Details in die Irre führte.
Zugleich wurde der Kanzelberedtſamkeit ein willkommenes Thema
geboten, die umſomehr dieſe Seite in’s Auge faßte, als der
Kleidung von der ſittlichen keinerlei Vorwürfe zu machen waren;
die Sünden waren äſthetiſche, nicht moraliſche, wenn man nicht
die allzugroße Koſtbarkeit dahin rechnen will. Es iſt daher bei
den rhetoriſchen Schilderungen des Trachtenzuſtandes, wie wir
ſie in den Predigten finden, vieles auf Rechnung des reforma-
toriſch-proteſtantiſchen Eifers zu ſetzen. Wenn nun zu gleicher
Zeit an allen Ecken und Enden des Reiches die Luxusgeſetze und
Kleiderordnungen wieder auftauchten und mit der minutiöſeſten,
das fünfzehnte Jahrhundert weit übertreffenden Ausführlichkeit,
nachdem das Reich ſeine von ihm im Jahre 1530 zu Augsburg
aufgeſtellten und damals erfolgloſen Prinzipien wiederholt auf’s
neue zur Nachachtung anbefohlen hatte, ſo iſt auch davon, neben
der wachſenden Ausgleichung der Stände und dem Bemühen ſie
geſchieden zu halten, mehr das neu erweckte und religiös geſtärkte
Pflichtgefühl der Obrigkeiten die Urſache als die wirkliche in der
Zeit begründete Nothwendigkeit. Denn wenn wir von einzelnen
grotesken Erſcheinungen wie die Pluderhoſe abſehen, ſo iſt es
auffallend, wie grade damals, als dieſe Predigten mit den ver-
ſchiedenen Teufelstiteln von den Kanzeln herabdonnerten, die
Trachtenbücher und Portraits namentlich im Bürgerſtande die
[115]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ehrbarſten und anſtändigſten Geſtalten der Männer und Frauen
in einfach dunkler Farbe aufweiſen, denen man nur allein Form-
loſigkeit und Unſchönheit vorwerfen kann. Erſt in den letzten
Jahrzehnten unterlagen die Uebertreibungen des Kragens, des
Reifrockes und anderes gerechterem Tadel.


Wenn nun auch die Predigten im Ganzen ein ſchiefes Bild
darbieten, ſo ſind ſie doch um ihrer ſelbſt willen intereſſant genug
und im Einzelnen immerhin als Quelle zu benutzen. Sie werden
daher auch in der folgenden Darſtellung eine nicht unbedeutende
Rolle ſpielen.


Unter den älteren Predigten iſt die eingehendſte der Hof-
fartsteufel des Herrn Magiſter Weſtphal. Wie er den damaligen
Kleiderzuſtand Deutſchlands mit ſeiner Brille anſchaut, lehrt die
folgende Stelle, die wir daraus mittheilen: „Wenn man ſich in
der weiten Welt umſiehet und Achtung darauf giebt, ſo wird
man finden, daß faſt alle Völker, Länder und Nationes ihre
eigene beſondere gewiſſe Tracht, Art und Form der Kleidung
haben, daß man ſagen kann, das iſt ein Poliſch, Böhemiſch,
Ungeriſch, Spaniſch Kleid oder Tracht. Allein wir Deutſchen
haben nichts gewiſſes, ſondern mengen dies jetzt erzählte und
noch viel mehr alles durcheinander, tragens Welſch, Franzöſiſch,
Huſerniſch, und gar nahe ja allerdinge Türkiſch dazu, und wiſſen
für großer Thorheit nit, wie wir unſer beginnen ſollen oder
wollen … Darum denn jener Maler, der dem türkiſchen Kaiſer
alle Nationes mit ihrer Tracht und Kleidung abmalen ſollte, nicht
unbillig der deutſchen Unbeſtändigkeit, wiewohl ſehr höflich ge-
ſpottet und geſtrafet hat, indem er alle Völker auf’s Kaiſers Be-
fehl mit ihrer Kleidung werklich malet, den deutſchen Mann aber
malete er gar nackend und bloß, allein ein Stück Tuch oder Ge-
wand malet er ihm unter den Arm, und als er gefragt wird,
warum er ſolches gethan, ſintemal je die Deutſchen nicht nackend
gingen? Antwort er: Er hette es darum gethan, daß er nit
wüßte, was für eine Art der Kleidung oder welche Manier und
Muſter er ihm zueignen und ſie darein malen ſollte, Urſache, ſie
wolltens allen andern Völkern nachthun, bleiben bei keinem,
8*
[116]III. Die Neuzeit.
ſondern hätten ſchier alle Jahr oder Monat was Neues …
Darum hätte er ihm ein Stück Gewand unter den Arm gegeben,
damit er möchte zum Schneider gehen und es machen laſſen, wie
er wollte, und das iſt doch ja die Wahrheit, ob’s ſchon weder
gut noch löblich iſt. Denn wer wollte oder könnte wohl erzählen
die mancherlei wunderlichen und ſeltſamen Muſter und Art der
Kleidung, die bei Mann und Weibsperſonen oder Volk in dreißig
Jahren her, auf und wieder abkommen iſt, von Ketten, Schau-
ben, Mentlen, Pelzen, Körſen, Röcken, Kappen, Kollern, Hüten,
Stiefeln, Jacken, Schörtzen, Wammeſen, Hartzkappen, Hemden,
Kragen, Bruſtlatzen, Hoſen, Schuhen, Pantoffeln, Büchſen,
Schwertern, Dolchen, Taſchen, Pulverflaſchen, Beuteln, Gür-
teln, Kränzen, Borten, Schleiern und was des Dings mehr iſt.
Da hat’s müſſen ſein poliſch, bald böhemiſch, ungariſch, türkiſch,
franzöſiſch, welſch, engliſch oder teufliſch, nürnbergiſch, braun-
ſchweigiſch, fränkiſch oder ſächſiſch, kurz, lang, eng, weit, ſchlecht,
gefalten, auf ein und zwei recht, verbrennet, verkördert, ver-
wülſtet, verbörtelt, mit Frenzlin, mit Zotten, mit Knotten, ganz,
zerſchnitten, gefüttert, ungefüttert, unterzogen, gefüllet, mit
Ermeln, ohne Ermel, gezupft, geſchoben, unternähet, gefrenſet,
mit Tallaren, ohne Tallaren, mit verlornen Ermeln, mit Narren-
käpplin, bunt, krauß, ſpitz, ſtumpf, mit Tradeln, Zotten, und
auch ohn denſelben, da hats ledern, filtzin, tüchin, leinen, Vor-
ſtatt, Kartek, Sammt, Carmeſin, Zeudel, Dart, Narren hin,
Macheyer, Parchent, Schetter, Pomaſin, Scharlach, Lündiſch,
Schifftuch, Sammt, Mechliſch, Gisner, Finſterwalder ꝛc. des
Dings ohn Maßen und Ziel, das wahrlich für das Warme noch
Kalte dienet. Jetzt hat man den Schweizerſchnitt, bald den
Kreuzſchnitt, den Pfauenſchwanz in die Hoſen geſchnitten, und
eine ſolche ſchändliche, gräuliche und abſcheuliche Tracht daraus
worden, daß ein fromm Herz dafür erſchrickt und ſeinen großen
Unwillen daran ſiehet. Denn kein Dieb am Galgen ſo häßlich
hin und wieder bommlet, zerludert und zerlumpet iſt, als die
jetzigen Hoſen der Eiſenfreſſer und Machthanſen, pfui der
Schande!“


[117]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.

Später gegen das Ende des Jahrhunderts, als auch der
Ernſt vor wachſender Leichtfertigkeit wieder verſchwand, erheben
auch andere ihre klagenden Stimmen, woraus man ſieht, daß der
Erfolg der Teufelspredigten kein allzugroßer geweſen iſt. So
ſchreibt Graf Reinhard von Solms: „Bei dem jungen Adel iſt
keine andere Uebung, denn bis in Mittag ſchlafen, die andere
Hälfte des Tages müſſig ſchlinkſchlanken gehen und mit dem
Frauenzimmer alfanzen, oder mit den Hunden ſpielen und die
halbe Nacht darauf ſaufen; darauf alle Gedanken und auf wälſche
neue närriſche Kleidung und Tracht legen, und, wenn es zu
einem ernſtlichen Zuge kommt, von nichts denn nur von Zärt-
lichkeit wiſſen und ſich bekümmern, wie man geſchmückt und ge-
ziert, als ob man zum Tanze reiſen ſolle, ausziehe, wie man
Pferde von einer Farbe und einen Haufen buntgekleideter Diener
und unnützer Ausläufer mit ſich habe, darnach die Bärte ſtutze
und dergleichen Leichtfertigkeit treibe, zu eigenem und gemeinem
Unrath.“


Als das eigentliche Symbol der ſpaniſchen Reaction tritt
der Hut auf den Kampfplatz in der ſteifen Form, wie wir ihn
bereits haben kennen lernen, hoch und gewöhnlich ſich zuſpitzend,
mit einem ſchmalen Rande, der kaum einen oder höchſtens zwei
Finger breit iſt. In doppelter Weiſe erringt er einen vollſtän-
digen Sieg über das Barett, den Vertreter des reformatoriſchen
Prinzips. Zunächſt verändert ſich dieſes ſelbſt, wie wir das ſchon
angedeutet haben, und ſucht dem Hute ähnlich zu werden: es
wirft die Schlitzung und den durchgezogenen Stoff bei Seite,
zieht Rand und Boden ein und verſteift ſein ſchlaffes Weſen,
daß es gegen die Mitte des Jahrhunderts mehr einem kleinen
Hütchen gleicht als ſeiner alten, federumwallten Geſtalt. Aber
in dieſer verſchrumpften, ſteifen und platten Form hält es der
Bürgerſtand dennoch faſt bis gegen das Ende des Jahrhunderts
aufrecht, ſodaß ein Chroniſt ſeinen Ausgang erſt im Jahr 1590
melden kann. Aber lange bevor dieſes Ereigniß eintrat, hatte
ſich das Barett in der vornehmen Welt, von welcher es damals
nicht grade ausgeſchloſſen blieb, noch weiter verändert. In einer
[118]III. Die Neuzeit.
ſpäteren Predigt heißt es: „Große breite ſpaniſche Barett werden
getragen wie die Scheffelboden, die treibt man in die Höhe und
macht Falten daran.“ Das entſpricht genau den Bildern. Den
Hüten gleich gipfeln ſich die Barette über der ſchmalen Krämpe
empor und ſind am obern Rande in gleichmäßige kleine Falten
ſorgfältig gelegt. Oft ſcheint nur der Stoff den Unterſchied zu
machen, und da auch dieſer beiden gleichmäßig wurde, indem
es ſo gut ſeidene und ſammtne Hüte gab, wie filzene, ſo iſt es
kein Wunder, daß die Barette dieſer Form nicht blos ſpaniſche
genannt, ſondern die Benennungen mit einander verwechſelt
werden.


Den zweiten Sieg erlangte der Hut in ſeiner eigenen Ge-
ſtalt, indem er ſchließlich auch dieſe neuen Formen des Baretts
verdrängte und von allen männlichen Köpfen ohne Ausnahme
Beſitz ergriff, ſodaß ſich die nachfolgende Entwicklung an ihn
allein anknüpft. Im Jahre 1583 kommen in der ſehr ausführ-
lichen Magdeburger Kleiderordnung die Hüte und Barette noch
als eine ganz gleichmäßige, weder durch den Rang noch den Stoff
unterſchiedene Tracht der Bürger und Bürgerſöhne vor; es heißt
darin: „De itzgemelden mögen ock Sammit, Syden unde Atlas
Hüllen, Barreth edder Höde dragen, doch ane Goltſchnöre, Gül-
den edder Sülvern Krentze edder Wehden, ock ane Perlen unde
Edelſteine. Ock de Feddern nicht mit Golde edder Sülver
ſchmücken. Süß ſchal nemandt dragen Sammit, Dammaßken
edder Syden Atlas Hüllen, Höde edder Barreth“ u. ſ. w. Im
Jahr 1593 iſt auch die Kopfbedeckung der Bauern nach der neuen
Weiſe zugerichtet, was um ſo leichter möglich war, als bei ihnen
allein der alte Filzhut nicht vom Barett verdrängt worden; es
bedurfte hier bloß einer leichten Umformung. „Alſo ſind dieſes
Jahr“, heißt es, „die großen, langen, ſpitzigen Hüte und hernach
die lieblichen, ſchönen, anſehnlichen Schlumperhoſen, die keinen
Boden haben, unter das gemeine Handwerks-, Bürgers- und
Bauersvolk gekommen.“ — Von dieſem Sieg des Hutes datirt
in ſtrenger Entwicklung die moderne Kopfbedeckung des Mannes.


An die Wandlung von Barett und Hut knüpft ſich auch
[119]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
eine Veränderung, welche mit ihrem Schmucke vor ſich ging.
Zwar blieben Medaillen, Geſchmeide, goldene und ſilberne
Schnüre nach wie vor im Gebrauch, der ſich eher erweiterte als
verringerte, aber die Maſſe der bunten und wallenden Federn,
welche für das Barett und gleichzeitig für den ritterlichen Helm
ſo charakteriſtiſch geweſen war, zog ſich in einen kurzen gedrun-
genen Buſch zuſammen, welcher meiſtens grade über der Stirn
ſteckte, ſodaß die Federn vorn herüberſchwankten, eine Sitte, die,
wie ſchon oben erwähnt, in Frankreich als eine deutſche bezeichnet
wurde. Gegen Ende des Jahrhunderts wird der Federbuſch
ſelten ſichtbar, bis ihn die Soldatenluſt des dreißigjährigen
Krieges zu noch groteskerem Daſein wieder belebt. Etwas dieſer
Zeit Eigenthümliches ſcheint es zu ſein, was Magiſter Weſtphal
in ſeiner Predigt erwähnt, daß die Männer „der Jungfrauen
Haare für Straußfedern tragen, welches auch eine neue Hoffart
iſt aus dem Venusberge“.


Die Tracht des Haupthaares hängt mehr mit dem Kra-
gen zuſammen als mit dem Hut. Die breite, unter Kinn und
Ohr heraufdrängende Krauſe formt den deutſchen Kopf ganz nach
dem Bilde des ſpaniſchen. Das Haupthaar wird kurz, denn es
kann über Nacken und Ohr nicht herunter, und der breitgeſtutzte
Vollbart ſpitzt ſich nach dem Kinne zu, bis er gegen das Ende
des Jahrhunderts von den Backen ganz zu verſchwinden beginnt.
Stutzer richten das Haupthaar über der Stirn in die Höhe oder
laſſen es am ganzen Kopf emporſtarren; das nennt man jetzt in
anderer Bedeutung wie früher ein „kolbichtes Haar“. In Joh.
Strauß Predigt heißt es: „Die natürlichen Haare, die da eine
Zierde des Hauptes ſind, wie ein ſchöner Wald auf einem Berge,
die nimmt man ihm und macht es kölbicht. Und wiewohl das
eine Entſchuldigung hat, wie man weiß, und dienet zur Geſund-
heit, doch muß die Hoffart mit unterlaufen, daß man gepüffte
Kolben macht, daraus man ſiehet, wie ein raucher Igel.“ Es iſt
das offenbar eine Nachahmung der weiblichen Haarcoiffüren.
Ebenfalls ſtutzeriſch und noch vereinzelt iſt es, aber gewiſſer-
maßen eine Vorahnung der künftigen, mit der Krauſe unverträg-
[120]III. Die Neuzeit.
lichen Mode, was ein anderer Prediger, Oſiander, 1586 tadelt:
„Ferner ſo gewöhnen ſie vorn die Haar über ſich, daß ſie müſſen
geſtroblet ſein, als wann ein Sau zornig iſt, daß ihr die Borſten
über ſich ſtehen; und hinten und zur Seiten muß es gar lang
und zottig ſein. Dieſes ſtehet gar zierlich, dann es ein fein An-
ſehen hat, als wann junge Katzen eine Zeitlang davon geſogen
hetten.“


Schon in der Mitte des Jahrhunderts war die dicke, in
wellige, runde Falten gelegte Krauſe, in Deutſchland auch
Kröſe genannt, bei den Männern wie bei den Frauen, denen
ſie ganz gemeinſam war, völlig ausgebildet, ſodaß ſie bereits die
Landsknechte mitſammt dem Hute trugen. Damals aber war ſie
noch mit dem Hemd verbunden, von dem ſie alsbald, da ſie an
Umfang und Dicke ſo außerordentlich zunahm, getrennt werden
mußte. Sie wurde dann wie ein beſonderer Kragen um den
Hals gelegt und vorn oder hinten zugebunden, völlig ſo, wie wir
ſie als eine Art Verſteinerung wohl noch heute hier und da bei
älteren proteſtantiſchen Geiſtlichen erblicken. Der Krauſe am
Halſe entſprachen immer kleinere an den Händen, welche ſteif
abſtehende Art von Manſchetten freilich den Gebrauch der Hände
mannigfach erſchwerte. Da vom Hemd nur die Krauſen ſicht-
bar blieben, ſo war es ſehr gewöhnlich, daß jenes nur aus
gröberem Stoffe beſtand, während mit der Feinheit dieſer ein
großer Luxus getrieben wurde. Es dürfte nicht unintereſſant ſein,
im Vergleich zur Gegenwart die damaligen Preiſe der gekrauſten
Hemden, wie ſie im wohlhabenden Bürgerſtande gebräuchlich
waren, kennen zu lernen. Wir entnehmen ſie der ſchon erwähn-
ten Magdeburger Ordnung von 1583: „Eenes Mannes edder
Brüdegams Hemde, derer van den Geſchlechten, ſhal in alles
ſampt dem Kragen, Wäſche unde neyelohn över veer Daler nicht
werth ſyn. Der Schepen (Schöffen), unde vornemſten Perſonen
under allen Inninges vorwandten, unde vörnemeſten von Kop-
lüden unde wolhebbenden van der Gemein, dre Daler, unde der
gemeinen Börger anderthalven Daler, Denſtboden und Geſinde
einen Daler.“


[121]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.

Wie es ſich mit der Kröſe oder dem „Mühlſteinkragen“ noch
um 1594 verhielt, ſchildert uns der Adelsſpiegel: „Es ſehe doch
einer von Wunderswegen, welch ein Unſtand es iſt, wenn ein
feiner junger Held (viel närriſcher ſtehet’s den Alten an) alſo
herein zeucht, daß ihm ein Haufen Leinwad, zuſammen gekreuſelt,
gedrehet und gehalten, bis über die Ohren und den Kopf herum,
wie eine umlaufende Wehre oder Stacket, über ſich ragend oder
bis auf die Schultern herabhängend um den Hals herpampelt,
wie man die ſchendlichen Gekröſe jetzund machet, oder auch wohl
vorne über die Hände herfürhangen, wie dem Adler die Federn
über die Klauen. Es ſtehet doch zumal heßlich und giebt keine
Anzeigung eines mannlichen tapfern Gemüts, das etwan wich-
tigen, nöthigen und nützlichen Sachen fleißig nachdenken und
um den gemeinen Nutzen ſich bekümmern möchte.“


In Bezug auf das Beinkleid vermochte die ſpaniſche
Tracht nur einen ſehr getheilten Sieg zu erringen, denn nicht nur
gelangte es in ſeiner eigentlichen oben beſchriebenen Geſtalt bloß
in den Höhen der Geſellſchaft zur unbedingten Herrſchaft, ſon-
dern die folgende für alle Zeit wichtige Entwicklung knüpfte auch
direct an die Haupterrungenſchaft der deutſchen Pluderhoſe an,
nämlich an die Knieeöffnung oder die Trennung von Hoſe und
Strumpf. In Hans Weigels Trachtenbuch (1579) tragen zwar
ſchon Nürnberger Patrizier die ſpaniſche Hoſe, aber der deutſche
adlige Hofmann geht in der Pluderhoſe und im bauſchigen
Wamms. Vecellio bildet ihn nach und verſichert, daß die Deut-
ſchen ſo gekleidet gingen, wenn ſie nach Italien kämen. Freilich
iſt es nicht mehr ganz die Hoſe des Landsknechts, denn der aus-
gebauſchte Stoff tritt nur breit heraus und fällt nicht bis zu den
Füßen herab. Breite und Maſſe des Stoffes ſind überhaupt
noch die Eigenſchaften der ſpezifiſch deutſchen Kleidung, mit wel-
cher ſie der ſpaniſchen Zierlichkeit und affectirten Steifheit ent-
gegentritt; dieſen Charakter zeigt auch das bauſchige Wamms.


Die deutſchen Fürſten waren die heftigſten Gegner dieſer
Tracht, wovon wir ſchon einige Beiſpiele oben bei der Pluder-
hoſe haben kennen lernen. Ein anderes wird in Spangenbergs
[122]III. Die Neuzeit.
Adelsſpiegel von Herzog Wilhelm von Sachſen erzählt. „Der-
ſelbe hatte einen ſtattlichen von Adel am Hofe, welcher etwas
ungebräuchlich zerſchnittene Kleider zu tragen angefangen, damit
der Fürſt nicht allerdings zufrieden geweſen und derhalben ein-
mal zu ihm geſagt: Lieber, thue das zerflammete Fatzenwerk
hinweg und gehe zu meinem Hofſchneider und laß dir ein Kleid
machen, wie ich trage, ich will befehlen, er ſoll dir eins von dem
beſten Gewand ſchneiden. Der Edelmann aber darauf geſagt:
Gnädiger Fürſt, ich habe aber Luſt ſolche Kleidung zu tragen,
bin deren nun auch gewöhnt und mag kein ander Muſter haben.
Darauf der Fürſt zu ihm geſprochen: So bin ich’s aber nicht ge-
wöhnet und mag ſolche Kleider an meinem Hofe nicht wiſſen,
und hat ihm alsbald hiermit ſeinen Abſcheid geben, und iſt die-
ſem eigenſinnigen Junker ebendamit recht geſchehen.“


Die Geiſtlichkeit ſtellte ſich ebenfalls auf die Seite des ſpa-
niſchen Beinkleids, der „Pumphoſe“, wie ſie in Deutſchland im
Gegenſatz zur Pluderhoſe genannt wurde. Fiſchart redet auch
von den „ſpaniſchen Heerpauken“ im Gegenſatz zu den „Schwei-
zer Hemdfähnlein.“ — „Die Pomphoſen zieren wohl“, heißt es
in der Predigt des Johann Strauß, „wenn ſie ohne Lätz gemacht
werden und nicht ſo gar weit; jetzt aber müſſen ſie mit Haar aus-
gefüllt ſein, daß einer darin pauſet wie ein Malzſack.“ Dieſe
Worte beziehen ſich vielleicht ſchon auf ein drittes Beinkleid, wel-
ches, das deutſche und ſpaniſche zum Theil vereinigend, beide
verdrängen ſollte. Es war die Pumphoſe, welchen Namen ſie be-
hielt, nicht mit den kurzen Polſtern, welche über das lange tricot-
artige Beinkleid angezogen wurden, ſondern eine den Strumpf
zur Ergänzung erfordernde Kniehoſe, deren Ausſtopfung an den
Hüften beginnend bis zum Knie herablief. Ihre erſte Ausbil-
dung mag ſie in Frankreich oder wahrſcheinlicher in Italien er-
halten haben, in welchen Ländern wir ſie am frühſten in dieſer
Geſtalt erblicken. Zerſchlitzung und Ausbauſchung findet bei ihr
gar nicht ſtatt, wohl aber Beſatz von Knöpfen, Sammetſtreifen,
Spitzen und anderem namentlich an der Seitennaht herab. In
den Niederlanden gelangte ſie zuerſt wieder zu groteskerer Ge-
[123]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſtalt, denn die Ausladung an Hüften und Oberſchenkeln lag ein-
mal, gleich dem Reifrock der Frauen, im Zeitgeſchmack. Die
dicken Polſter, gleich „Mehlſäcken“, ausgeſtopft mit Werg, Wolle
oder gar mit Kleie und Weizen, hingen von den Hüften bis zum
Knie um die Beine, ſtraff geſpannt oder auch ſchlaffer als
„Schlumperhoſe.“ In dieſer Geſtalt ging ſie tief herunter durch
alle Schichten des Volkes, nachdem ſie beſonders bei den Solda-
ten des ſpaniſch-niederländiſchen Kriegs beliebt geworden war.
In Holland wurde ſie dann, nachdem ſie aus der modiſchen Welt
wieder verſchwunden war, unterſcheidende Volkstracht und war
als ſolche noch in dieſem Jahrhundert ſichtbar. Auch in Deutſch-
land wurde die Ausſtopfung in gleicher Weiſe wie in den Nieder-
landen übertrieben und erregte die Oppoſition der Fürſten wie
der Geiſtlichen; deſſenungeachtet hielt ſie ſich nicht bloß, ſondern
war um das Ende des Jahrhunderts ſogar in dem Grade vor-
herrſchende Tracht, daß die alte ſpaniſche Form faſt auf fürſtliche
Perſonen beſchränkt blieb, und auch die deutſche Pluderhoſe ſich
nur noch in vereinzelten Beiſpielen zeigt.


Das Wamms blieb inſofern unverändert, als es, von der
ſtarken Ausladung des Beinkleides abhängig, ſich nicht verlän-
gern konnte; nur durch das unnatürliche Herabrücken der Taille
wuchs es ein wenig. Daher ſehen wir faſt immer die Schöße,
wenn man ſie bei ihrer Kleinheit ſo nennen kann, nur etwa zwei
Finger breit unter den Gürtel herabreichen. Die deutſche Mode
giebt ſich noch bis gegen das Ende des Jahrhunderts, aber immer
ſeltner an den weiten zerſchnittenen oder bauſchigen Aermeln zu
erkennen, während die ſpaniſche mit engen, wenn auch wattirten
Aermeln, größeren oder kleineren Schulterwülſten und nament-
lich mit Ausſtopfung der Bruſt um ſo mehr Boden gewinnt.
Das deutſche Wamms wird von Magiſter Strauß alſo beſchrie-
ben: „Der Leib am Wamms, ob er wohl fein glatt angemacht
wird, ſo muß er doch mit Seide durch- und umſteppet ſein. Vorn
ſind ſeltſame Kneuffel daran von Stein, Corallen, Glas oder
Horn. Ober iſt ein Kragen darauf, der weit hinausſtarret. Er-
mel ſind daran, die einer wegen der Weite und Größe kaum am
[124]III. Die Neuzeit.
Arm tragen kann, darein mancher ſein Hab und Gut verſtecket,
wie jener Fürſt zu einem ſeiner Ritter ſagt: ich halt, du haſt
dein Rittergut in die Ermel geſtecket. Dieſe Ermel müſſen vorn
auch eingefeltet ſein, daß ſie Kröß gewinnen, die trägt man an
Armen, wie die Gartenknechte ihre Commißſeckel an den Armen
tragen.“ Im Jahre 1586 gedenkt Oſiander auch des Gänſe-
bauchs in Deutſchland: „Ein gar herrlicher Schmuck aber ſeind
die häßlichen langen ausgefüllte Ganßbäuch, die oben gleich un-
der dem Hals anfangen und herab bis weit unter die Gürtel
hangen, wie ein Erker an eim Haus hanget, das er ſchier um-
ziehen möchte.“ Gleich den Pumphoſen wurde auch der Gänſe-
bauch in den Niederlanden zur größtmöglichen Ausbildung ge-
bracht. Das Wamms wurde zur Zierde mit buntem Beſatz in
Streifen von Seide, Sammet oder Goldſtoff oder mit goldenen
und ſilbernen Schnüren verſehen, welche letztere oft loſe darauf
lagen und wie ein Netz das ganze Kleidungsſtück ſammt den Pol-
ſtern des Beinkleids überzogen. Portraits vornehmer Perſonen
geben uns häufige Beiſpiele.


Am erbarmenswürdigſten erging es in dieſem großen
Kampfe der Schaube, dem breiten, ſtattlichen, pelzverbrämten
deutſchen Ehrenkleide. Am Schluſſe des Jahrhunderts iſt es
kaum noch wiederzuerkennen, wenn man nicht den Gang, den es
genommen hat, verfolgen könnte. Um ſeinem Gegner, dem ſpa-
niſchen kurzen Mantel, gegenüber ſich halten zu können, ſucht es
ſich ihm möglichſt zu nähern und ſich ſo auf der Höhe des Mo-
dernen zu behaupten. Früher in reicher Weite bis auf das Knie
und darunter herabfallend, ſchwindet es nun zuſammen, daß es
kaum die Hüften erreicht und ſomit dem Mäntelchen an Kürze
gleich kommt. Die Aermel werden ſoweit abgeſchnitten, daß ſie
bloß die Schulterpuffen umfaſſen, oder ganz abgelegt, und indem
auch die Schulterlöcher ſich ſchließen und der Kragen ſich ſtehend
im Nacken aufrichtet, iſt kaum noch ein Unterſchied vom ſpani-
ſchen Mantel. Denn auch die Fütterung und Verbrämung mit
Pelz iſt ſeltner geworden. Es iſt die erſte Zeit, da vor dem
Ueberwiegen ſüdlicher Feinheit, Leichtigkeit und Zierlichkeit das
[125]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
edle Rauchwerk, dieſe halb an nordiſche Kälte, halb an die bar-
bariſche Vorzeit erinnernde Zierde, die männliche Kleidung als
Schmuck zu verlaſſen beginnt; bald folgte die weibliche nach, we-
nigſtens in der modiſchen Welt, natürlich ſoweit nicht die Mode
von der Strenge des Winters beeinträchtigt wurde. Wie die
Schaube an Länge und Weite verliert, ebenſo auch an Schwere
des Stoffes: Sammet und mehr noch die leichte Seide erſetzen
den ſoliden Pelz. Auf den Höhen der Geſellſchaft findet das
Mäntelchen ohnehin leichteren Zugang. Um das Jahr 1580
eignet die kurze, ärmelloſe Schaube, wie Weigels Trachtenbuch
an vielen Beiſpielen lehrt, ſchon überall dem vornehmen Mann;
in ihrer alten, wenigſtens längeren Geſtalt gehört ſie nur noch
dem ehrbaren Alter, welches der Mode opponirt, oder ſie iſt ein
Zeichen der Würde, denn ſie iſt die Amtstracht der Bürgermeiſter
und Rathsherren in den Städten geworden, als welche wir ſie
noch bis zum neunzehnten Jahrhundert verfolgen können. Als
ein weiter Oberrock und Feſttagskleidung blieb ſie auch bei den
niedern Ständen der Städte wie des Landes, ſoweit noch einige
Wohlhabenheit vorhanden war, und tauchte von hier aus ſpäter
wieder zu neuem Glanze empor. In der folgenden Periode
herrſcht der Mantel durchaus.


In dieſer Zeit findet ſich die Schaube häufig mit dem mehr
norddeutſchen Wort „Harzkappe“ bezeichnet, welcher Name auch
auf die kleinere Form überging, obwohl dieſe im Munde des
Volks verächtlich „Puffjacke“ genannt wurde, als ob ſie des Na-
mens Rock gar nicht würdig ſei. Johann Strauß giebt in ſeiner
Weiſe wieder folgende Beſchreibung: „Die ehrbaren Leibröcke
und Harzkappen gehen ab und kommen auf die Puffjacken. Die
ſind gar auf die Kürze abgerichtet, auf daß der Stoßdegen hinten
hervorragen kann, und vorn müſſen ſie offen ſein, daß man die
Kneuffel am Wamms und anderes mehr ſehen mag. Die Hefte
daran müſſen gar groß und ungeſchaffen ſein, die Schlingen wie
die Geſchirrrinken, die Haken wie die Schnäbel an Löffelgänſen.
Ich fragte einmal einen ſolchen Löffel, wozu ſo große Haken die-
neten? Da hing er ſeinen Hut und eine Kanne Bier daran: da
[126]III. Die Neuzeit.
ſehet ihr, ſagte er, wozu es dienet.“ Wir ſehen, die Geiſtlichkeit
ſtellt ſich hier auf die deutſche Seite und tritt für die alte Schaube
auf. Ebenſo eifert Oſiander gegen die kurzen Mäntel: „In den
Mänteln iſt allerlei Zierlichkeit herfür kommen, darunter dieſe
der hübſchſten eine ſein ſoll, wann einer ein Mäntelin trägt, das
kaum zum Gürtel reicht, und wann er darauf ſitzen wollte, müßte
er es zuvor austhun. Daſſelbig Mäntelin muß mit vielen Bre-
men bis gar nahe oben an belegt ſein, damit man kaum ſehen
möge, aus was Zeug es gemacht ſei, und muß auf der Seiten
unter dem rechten Arm gefaßt oder auf die linke Schulter gehängt
und das überig über den halben Leib hinabhangen, damit man
nicht eigentlich wiſſen möge, ob ein ſolcher Hofmann ein Mantel
an ſich habe, oder ob er in Hoſen und Wamms ohne ein Mantel
daher gehe.“


Am ſchnellſten erlagen die breiten Schuhe, welche, einſt
der Stolz des Stutzers und des ſtutzeriſchen Landsknechts, ſchon
um das Jahr 1550 in keinerlei Ehre mehr ſtanden. In Weigels
Trachtenbuch werden ſie nur von einem paar ehrwürdigen, grau-
bärtigen Bürgern getragen. Die geſpitzte Form, einfach oder
mit zierlichen Schlitzen und den Fuß bedeckend, hatte längſt den
Sieg davon getragen; in der Farbe aber herrſchte in Deutſchland,
dem übrigen Farbengeſchmack entſprechend, das Dunkle, gewöhn-
lich das Schwarze vor. Daneben iſt mancherlei Schmuck im Ge-
brauch, den wir z. B. aus dem Magdeburger Verbot (1583)
kennen lernen: „So ſchöllen ock noch Mansperſonen noch junge
Geſellen ere Scho mit Sülvern ſtifften, edder ſüſs mit Sülver
beſchlan laten, Ock ſüſs nicht mit Sammit edder Syden geſtep-
pet dragen.“ Stutzer, der ſpäteren Mode vorausgreifend, folg-
ten auch darin ausländiſcher Weiſe, daß ſie wie im funfzehnten
Jahrhundert wieder Pantoffel über die Schuhe legten. „Auch
muß man nicht allein im Winter (welches etlichermaßen ein Ent-
ſchuldigung hätte), ſondern auch mitten im Sommer auf Pan-
toffeln daher ſchlürfen; und junge Kerle ſchleifen dieſelbigen an
den Füßen hernach, und klopfen darmit wie die alte ſechzigjäh-
rige oder ſiebenzigjährige Weiber.“


[127]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.

Im Kampf mit dem Ausland hatte die paſſive Natur des
Weibes der neuen Mode weniger Widerſtand entgegen zu ſetzen
und erlag ihnen in der That früher und vollſtändiger. Wenn
dennoch die Frauentracht in der Höhezeit oder am Ausgang
dieſer Periode, nämlich in den letzten Jahrzehnten des ſechszehn-
ten Jahrhunderts, bei großer Ehrbarkeit im Einzelnen einen
bunteren Anblick zu gewähren ſcheint, als man bei der geſchilder-
ten Gleichmäßigkeit der herrſchenden Tracht in der ganzen gebil-
deten abendländiſchen Welt erwarten ſollte, ſo rührt das daher,
daß eben in dieſer Periode die Bildung ſogenannter Volkstrach-
ten ihren Anfang nimmt, indem ſich einerſeits die Stände auch
äußerlich von einander ſcheiden, andrerſeits bei beginnender und
wachſender Diminutivcentraliſation in Stadt und Land die locale
Sonderung eintritt. Die Elemente zu dieſer Trachtenſcheidung,
die bald den Anſchein einer babyloniſchen Trachtenverwirrung
gewinnt, geben größtentheils die laufenden Moden her, wie ſie
hier und dort, im Verlauf der Zeiten früher oder ſpäter, zur Er-
ſtarrung gelangen, theils aber auch das nun in die Flucht ge-
ſchlagene und verſprengte Coſtüm der Reformationsperiode, und
endlich tauchen einzelne ältere Trachtenſtücke aus den Tiefen der
Geſellſchaft wieder empor, ohne gleich dem Filzhut aufs Neue
in den Strom der Mode gelangen zu können. Es gilt zwar die-
ſer gänzlich neue Proceß für die Männer wie für die Frauen,
doch wird er bei jenen um ihrer größeren Einfachheit willen und
wegen der Natur der Geſchlechter in dieſen Dingen für die gegen-
wärtige Periode weit weniger ſichtbar. Damit hängt zuſammen,
wenn die bekannten Trachtenbücher, wie das nach Hans Weigel
benannte und von Joſt Amman gezeichnete oder das von Vecel-
lio, Werke, die erſt durch ſolche ſtändiſche und locale Scheidung
eigentlich ermöglicht werden, wenn ſie die Frauen in ungleich
höherem Grade berückſichtigen. Faſt von jeder bedeutenden
Stadt ihres Heimathlandes führen ſie uns eines oder mehrere
Frauenbilder vor mit ſcheinbar großen Verſchiedenheiten, aus
denen dennoch ein der herrſchenden Mode kundiges Auge ſofort
die Ueberzeugung gewinnen wird, daß das Allgemeine und Ge-
[128]III. Die Neuzeit.
meinſame durchaus vorherrſchend iſt, und ſomit die beſondere
Trachtenbildung erſt im Werden ſich befindet. Wir werden noch
näher darauf zurückkommen, nachdem wir den Gang der großen
und allgemeinen Entwicklung in der vornehmen oder modiſchen
Frauenwelt Deutſchlands haben kennen lernen. Der Anblick die-
ſer iſt bald ein völlig einſtimmiger, trotz der farbigen und aben-
teuerlichen Schilderungen eifernder Prediger.


Es handelte ſich bei den Frauen weniger um den Kampf
der einzelnen Stücke wie bei der männlichen Tracht, als um den
allgemeinen Charakter, um eine freie und wenn auch nicht weite,
doch bequeme Gewandung von vollem Fluß und Wurf, von flot-
ten, oft faſt männlichen Formen im Gegenſatz zu gezierter, ma-
nierirter, ſelbſt unnatürlicher Steifheit: es iſt der Kampf einer,
man möchte ſagen, revolutionären Grazie mit der hofmäßigen.
Aber die Schlacht war eigentlich ſchon entſchieden, ehe ſie be-
gann. Wir haben geſehen, wie ſich das Reformationscoſtüm
ſchon vor dem Jahre 1550 auf dem Rückzuge befindet, und bald
nach dieſem Zeitpunkte iſt es raſch in’s Gegentheil umgeſchlagen;
faſt verſchwinden uns die Uebergänge.


Schon damals iſt die Decolletirung ſo gänzlich ge-
wichen, daß wenigſtens an der Ehrbarkeit deutſcher Frauen und
Jungfrauen in ihrem Aeußern die Geiſtlichen nichts auszuſetzen
haben. Eine gleichzeitige Stimme ſagt: „Der Weiber Kleidung
iſt jetzt köſtlich, aber ehrbar gemacht, und wenig (ausgenommen
den fürwitzigen Ueberfluß) zu tadeln.“ In Joſt Ammans Frauen-
trachtenbuch, dem „Frauwenzimmer“, iſt in den begleitenden
Verſen die Ehrbarkeit ein faſt ſtehendes Beiwort; ſo heißt es:


„Zu Heidelberg eins Burgers Weib

Gekleidet iſt an ihrem Leib

Fein ſauberlich und doch erbarlich,

Wie das in der Stadt iſt bräuchlich.“

Von den Frauen in Lübeck wird geſagt:


„Auf Zucht und alle Ehrbarkeit

Iſt auch gerichtet ihr ganzes Kleid;“

[129]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.

und von der Schwäbin von Hall:


„Ein ſauber ſchlecht und ehrbar Tracht,

Ohn allen Ueberfluß und Pracht.“

In der That ſind die Frauengeſtalten überall ſo verhüllt,
daß nur das Geſicht frei bleibt, da die große Krauſe oder ſelbſt
der Kragen des Leibchens ſich dicht unter das Kinn und die Ohren
drängt. Oft wird dort, wo die alte Haube mit der breiten Kinn-
binde im Bürgerſtande wieder aufgelebt iſt, auch vom Geſicht
noch der größte Theil verdeckt. Es iſt äußerſt ſelten, wenn dem
Kleid noch ein geringerer Ausſchnitt bleibt, und das feingefaltete
Hemd nebſt der großen Krauſe die alleinige Bedeckung abgiebt,
und zwar ſcheint das beſonders feſtliche Tracht, nach heutiger
Redeweiſe, Balltoilette zu ſein. Die einzige Ausnahme macht
in einigen Städten die Brautkleidung, welche gern alterthüm-
liche Sitte feſthält, ſo in Danzig, Nürnberg, Köln, wo die
Braut und auch wohl die Brautjungfern halbe Decolletirung mit
eckigem Ausſchnitt tragen. Die übertriebene Entblößung, wie
ſie noch um’s Jahr 1500 ſtatt fand, iſt ſo ſehr in’s Gegentheil
umgeſchlagen, daß ſich nunmehr die Verhüllung Tadel zuzieht.
Die Urſache kann freilich zweifelhaft bleiben, wenn es im Hof-
fartsteufel heißt: „Daher auch vielleicht des Adels hoffärtig und
geprächtig Vermümmeln genommen iſt, aber von vielen miß-
brauchet wird, denn ſich wol etwa viel nicht aus Scham ver-
mümmeln, ſondern daß ſie klar und weiß bleiben oder wollen mit
den ſchönen Schleiern prangen.“ Dieſer Grund lag aber z. B.
nicht im Lande Hadeln vor, wo es am Ende des ſechszehnten
Jahrhunderts Sitte geworden war, daß ſich die Frauen in der
Kirche das Haupt mit dem Mantel verhüllten. Das erregte ſelbſt
Anſtoß bei der Obrigkeit und veranlaßte den Herzog Franz zu
der Beſtimmung (1597), daß Jungfrauen und Frauen, alt und
jung, ohne Unterſchied vor und nach der Predigt, in dem Beicht-
ſtuhl, bei der Communion, bei Taufen und Copulationen mit
unverhülltem Haupt zugegen ſein ſollten; nur Wittwen, ſolange
ſie den Wittwenſtuhl nicht verrücken, und Kinder, deren Aeltern
geſtorben ſind, haben das Recht, drei Monate lang die Todten
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 9
[130]III. Die Neuzeit.
mit verhülltem Haupt in der Kirche zu betrauern. Dieſe Ver-
ordnung erſcheint bereits als ein Zeichen der neuen Zeitrichtung.


Die Mode der Aufſchlitzung, welche der Natur der Sache
gemäß bei den Frauen mehr eine bloße Zierde geblieben war,
als daß ſie umgeſtaltend auf die geſammte Kleidung eingewirkt
hätte, iſt ſchon binnen wenigen Jahrzehnten aus der eigentlich
modiſchen Damenwelt wieder völlig verſchwunden, und an der
einzigen Stelle, wo ſie von größerer Bedeutung geweſen war, an
den Aermeln, durch Wülſte erſetzt. Dieſe treten ſchon gleich nach
dem Jahre 1550 an den Schultern in ſolcher Höhe auf, daß ſie
der weiblichen Figur ein widernatürliches Anſehen geben. Der
Kopf, ohnehin dicht in Kragen und Krauſe ſteckend, erſcheint tief
zwiſchen die Schultern verſenkt, ſodaß der etwaige Eindruck
eines ſchönen Wuchſes völlig vernichtet wird. Nichts Unvor-
theilhafteres läßt ſich denken, denn die ſchöne Linie der Ab-
ſenkung vom Hals zur Schulter iſt in’s grade Gegentheil ver-
kehrt. Uebrigens konnten ſich dieſe Schulterpuffen in ihrer
außerordentlichen Höhe nicht lange vor der wachſenden Breite
der Krauſe behaupten, und ſo verſchwinden ſie ſchon in den
ſiebziger Jahr entweder ganz oder nehmen die tiefer liegende
und beſcheidnere Geſtalt an, wie wir ihr häufig in Weigel’s
Trachtenbuch begegnen.


Zwei Kleider, ein oberes und ein unteres, gehören nun
auch wieder in Deutſchland zur vollſtändigen Toilette einer wohl-
gekleideten Dame von Stand. Die Magdeburger Ordnung von
1583 unterſcheidet ausdrücklich die Oberröcke und die Unterröcke,
unter welchen letzteren wir uns immer volle Kleider zu denken
haben. Obwohl beide einer engen und langen Taille nebſt Ein-
preſſung des Körpers zuſtreben, findet ſich doch das Oberkleid
eine Zeitlang im vornehmen und vornehmſten Stande und dann
auch im bürgerlichen in auffallender Weite getragen; es vertritt
gewiſſermaßen die Stelle des altmodiſchen Mantels. Darnach
hat es ſeine größte und anſchließende Enge unmittelbar unter
den Achſeln und, völlig ohne Taille, läuft es von hier ohne
Brechung, ohne irgend eine Falte, ſich erweiternd wie eine Glocke
[131]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
oder vielmehr wie ein umgekehrter Trichter, bis zum Boden aus,
auf den es rundum im Kreiſe aufſtößt. Denkt man ſich nun die
hohen Schulterpuffen und die breite, den Kopf umrahmende
Krauſe hinzu, ſo iſt nirgends im Contour noch etwas von der
menſchlichen Figur übrig geblieben; ein Schattenriß würde kaum
den Gegenſtand ahnen laſſen. Solche Kleider werden als „weite
Röcke“ in fürſtlichen Inventarien ausdrücklich erwähnt und ihnen
die „engen Kleider“ entgegengeſetzt. An Stoff und Schmuck
waren ſie nicht weniger koſtbar. Sie hatten eine Oeffnung von
oben herab, und ſtanden auch entweder ganz oder theilweiſe offen,
um das untere Kleid ſichtbar werden zu laſſen, oder waren ver-
mittelſt koſtbarer Knöpfe und Schnüre geſchloſſen. Was die
Aermel betrifft, ſo wichen ſie von den gewöhnlichen nicht ab.
Nicht lange und überhaupt nicht ausſchließlich hielten ſich dieſe
weiten Oberkleider, ſondern indem ſie Taille annahmen und ſich
dem Oberkörper anlegten, erhielten ſie genau dieſelbe Geſtalt,
wie wir ſie bei den Spanierinnen näher beſchrieben haben. So
wurden ſie dann durchgängig in Deutſchland getragen mit
größeren oder geringeren Abweichungen im bürgerlichen Stande.
Schleppen und Falten wieſen ſie faſt ganz ab, und wo die letz-
teren geſtattet wurden, waren ſie künſtlich und regelmäßig neben
einander gelegt.


Es konnte natürlich auch das Unterkleid allein getragen
werden, wie denn das zu Hauſe und im mittleren Bürgerſtande
als gewöhnliche Sitte zu betrachten iſt. Es durfte daher an Stoff
wie an Schmuck nicht minder koſtbar ſein als das obere. Wäh-
rend in den höchſten Ständen zu Prachtkleidern gern die ge-
muſterten Brokatſtoffe genommen wurden oder Damaſte in man-
cherlei Farben und Muſtern, ſcheint in der bürgerlichen Welt das
Unterkleid mehr einfarbig geweſen zu ſein. Uebrigens wurde es
reich mit Atlas, Seide, Sammet und Borten beſetzt, wozu in den
höheren Ständen noch Stickereien, Gold- und Silberſchnüre,
Perlen und Edelſteine kamen. In ſeinem Schnitt macht es den
uns nunmehr bekannten Weg durch: mit langer Taille, die durch
Schnürung gehoben wird, und vorn tief ſich ſenkender Spitze
9*
[132]III. Die Neuzeit.
engt es den Oberkörper ein und weiſet unten den Faltenwurf
zwar nicht ſofort ab, aber beſchränkt die Freiheit deſſelben und
unterwirft ihn einer geregelten Ordnung. Auch dieſe Falten
werden geglättet, als der Reifrock nach Deutſchland kommt.


Schon im Hoffartsteufel wird deſſelben gedacht: „Es iſt
gar ein neuer Fund, daß man die Weiberröcke unten in Schwei-
fen mit alten Feigenkörben, ja mit Draht ſtarrend machet;
welches vorhin mit Filz geſchehen iſt.“ Im Anfang iſt die Form
noch inſoweit gemäßigt, als der Rock von der Hüfte abwärts ſich
in der geſchweiften Linie der Glocke profilirt und in weiter Kreis-
linie rings auf den Boden ſtößt. Die Abſicht dabei war natür-
lich die Taille durch den Gegenſatz ſchmaler erſcheinen zu laſſen.
„Es muß auch der Schlunz im Koth ſein, da man die Gaſſen mit
kehret, voller Filz unten ſein, auf daß der Rock ſich ausbreite,
wie man die Tocken ſchnitzet und malet, auf daß er mitten einen
Schein gäbe, als wären ſie fein ſchmal, wenn es gleich vier-
eckigte, bäuriſche, ſtarke Madonnen ſind, ſo wills doch kleinlich
geachtet ſein. Da ſchnüret und preßt man ſich, daß man unge-
ſund darüber wird, alles für großer Demuth, kannſt du wohl
denken. Derſelbe Filz aber unten an den Röcken zieht ſich ge-
meiniglich durch das ganze Kleid, daß nichts denn lauter Filz
darinnen ſteckt.“ Der Filz wurde größerer Bequemlichkeit halber
ſchon bald durch Draht oder Eiſenreife erſetzt, an deren Stelle
auch elaſtiſche Stahlbügel traten, wie aus dem ſehr bezeichnen-
den Ausdruck der Magdeburger Verordnung zu ſchließen ſein
dürfte: „De Springer under den Röcken ſchöllen Frouwen
und Jungfrouwen yn allen Stenden dorch uth vorbaden ſyn.“
Einen eigenthümlichen Grund zur Verbreitung giebt Oſiander
an: „Ferner haben wir noch ein Hoffart aus fremden Landen
gebracht, nämlich die Reif unten an den Weibskleidern, die
haben dieſen Nutzen und Zierlichkeit: Wann ein Weibsbild nahe
zu einem Tiſch ſteht, oder aber niederſitzen will, ſo ſtehn die
oberſten Kleider von wegen des Reifes über ſich, eines Schuchs
hoch, alſo daß man darunter die andern geringen und nachgil-
tigen Kleider ſehen kann.“


[133]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.

Um das Jahr 1600, als ſich ſchon mannigfach die Anzeichen
einer neuen Coſtümperiode ſichtbar machen, hat der Reifrock in
Deutſchland noch keineswegs an Bedeutung verloren; aber ſeine
Form iſt nicht zum Vortheil der weiblichen Erſcheinung geändert.
Städterinnen tragen ihn ſo, daß er förmlich einer Tonne gleicht.
Folgen wir ſeinem Profil, ſo beginnt er von der Taille ab rund-
um in völlig horizontaler Linie auf ein bis zwei Fuß Weite oder
darüber abzuſtehen und dann, im rechten Winkel ſich brechend,
fällt er ſenkrecht nicht ganz bis auf den Boden herab. Im Jahr
1612 verbietet die ſächſiſche Ordnung alle „Leibeiſen“ oder die
„großen Eiſen und Wülſte unter den Röcken.“ Als die modiſche
Welt den Reifrock aufgegeben hat, ſpielt er noch eine Zeitlang
ſeine Rolle bei den Bürgerfrauen mit den andern herunter ge-
kommenen Trachtenſtücken, und ſelbſt auch bei den (proteſtan-
tiſchen) Kloſterjungfrauen. Eine braunſchweigiſch-lüneburgiſche
Verordnung vom Jahre 1619 verbietet ihnen „mit Eiſen oder
ſonſt weit ausgeſperrte Röcke zu tragen.“ Seiner Zeit werden
wir ihn wieder zu neuem Lebensgange emporwachſen ſehen.


Als Erſatz des für gewöhnlich der bürgerlich ſtädtiſchen
Tracht überlaſſenen Mantels konnte unter Umſtänden das weite
Oberkleid dienen, gewöhnlicher aber die kurze Schaube oder
die Mantille, welcher Name ſchon damals in Deutſchland ge-
hört wurde. Die männliche Schaube war bisher nicht von den
Frauen getragen worden, geht nun aber in allen Formen auf ſie
über, ſowie ſie ſich in der oben angegebenen Weiſe verkürzt und
ſich, leichter und zierlicher geworden, dem kurzen Mantel nähert.
Und grade ſo geſchieht es mit dem letzteren ſelbſt, auch dieſen
ſchlägt die modiſche Dame um ihre Schultern. Die geſtrengen
Tadler, die Geiſtlichen, bemerken das ſofort und laſſen ſich dar-
über mit gar wenig Galanterie aus: „Die Mantelichen oder
Harzkappen waren zwar vor Alters der Geiſtlichen, nachmals in
Niederland der Kaufleute und anderer ehrlicher Bürger Ehren-
kleid, in welches doch endlich auch die Kriegsleute gekrochen ſein.
Aber die Weiber haben keine Ruhe gehabt, bis ſie dieſelbe über
ihr knickknackend Ribbenfell gezogen und mit dem levitiſchen
[134]III. Die Neuzeit.
Prieſterkleid auch das Amt ergriffen. Die Kappen oder Mäntel
ſind vor langen Jahren des Mannes Zierde geweſen: aber die
affentheurlichen neuſüchtigen Weiber könnens nicht laſſen, ſie
müſſen auch Kappen umnehmen, mit breiten Aufſchlägen und
mit Sammet aufs herrlichſte und ſtattlichſte herausputzen, damit
der Siemann geſehen werde.“


Von der geſammten Tracht des Kopfes und des Halſes
macht ſich die Krauſe am meiſten breit; ihrer Größe gegenüber
verſchwindet der Eindruck ſelbſt eines reichen Kopfputzes. Im
Allgemeinen gilt hier daſſelbe, was oben von dem Kragen der
Männer geſagt iſt; in der Sache ſelbſt iſt kein Unterſchied. Von
den mancherlei gleichzeitigen Stimmen wollen wir nur die des
Oſiander hören, welche auf die Beſchaffenheit des Kragens näher
eingeht: „Sonderlich aber haben wir aus fremden Landen her-
gebracht und gelernet große, lange, breite, dicke Kröß um den
Hals machen aus köſtlicher, zarter, theurer Leinwad. Die müſſen
geſtärkt und mit heißem Eiſen aufgezogen werden. Wiewohl
nun ſolches ein unnothwendiger Koſt, den man viel nützlicher in
ander Weg’ anwenden könnte, jedoch iſt dies das wenigſte.
Denn einmal iſt an ſolcher großen Kröſen nichts nutzlichs und
nichts zierlichs, und verſtendige Leut, ſo es ſehen, haben ein Un-
luſt darob. Dann es ſiehet eben und anders nit, dann wie man
malet das Haupt Johannis des Täufers in einer Schüſſel. Und
pranget manches mit einem ſchönen Krös und darf wohl ein ge-
ring Hemd dabei ſein. Dieſe Krös muß man auch mit einem
feinen ſilbern oder andern Draht, der ſonderlich dazu gemacht
iſt, unterbauen, daß er das Krös trage, gleichwie man ein aus-
gezogene Linden mit etlichen Säulen unterſetzet und unterſtützet:
alſo erfordert immer ein Hoffart die andere.“


Sowie die Krauſe zu ihrer coloſſalen Größe anwächſt und
namentlich im Nacken ſich aufzurichten beginnt, drängt ſie die
ganze Friſur nach oben. Bis dahin ſehen wir noch die alte
Tracht ſich verſteifen und langſam umgeſtalten. Noch in den
Jahren von 1570 bis 1580 iſt die Haarhaube, wie ſie zum
Barett gehört, nicht bloß im bürgerlichen Stand die gewöhnliche
[135]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Tracht: meiſt von Goldſtoff und netzartig mit Schnüren um-
zogen oder beſtickt mit Seide oder Perlen, ſchließt ſie mit mäßigen
Wülſten zu beiden Seiten des Kopfes das Haar faſt vollſtändig
ein, und darüber ruht denn, ſchief aufgeſetzt und mit bunten
Federn über der Stirn, das verkleinerte ſeidene oder ſammtne
Barett. Es iſt ſo hutähnlich geworden, daß es ſich gewöhnlich
nur als Hut bezeichnet findet. Die Kleinheit war es vornämlich,
welche wieder den Anſtoß erregte. „Und erſtlich haben wir aus
Welſchland herausgebracht kleine ſammatine Hütlin, die tragen
die Weibsbilder, nicht zu bedecken das Haupt, ſondern allein zur
Zierd und Hoffart, die ſeind ſo klein, daß ſie nicht den vierten
Theil des Haupts bedecken mögen. Und ſiehet eben, als wann
ein Weib ein Apfel auf den Kopf ſetzte und ſpräche: „Das iſt
ein Hut.“ Die goldenen Hauben waren nicht billig: in einer
Lübecker Hochzeitsordnung von 1566 werden die der erſten Claſſe,
welche als Morgengabe geſchenkt wurden, auf zwölf Thaler
geſchätzt.


Neben dieſer Haube begegnen wir in den Trachtenbüchern
nicht ſelten bei Bürgerfrauen und Bürgertöchtern zwei lang ge-
flochtenen blonden Zöpfen zu dem kleinen Barett oder einer
Pelzhaube; an den Spitzen mit Bändern umwunden, fallen ſie
den Rücken hinab, ſind aber auch zuweilen am Kopf aufgebun-
den. Blond war die Lieblingsfarbe aller Stände wie bei den
Italienerinnen, unterlag aber auch in Deutſchland in Bezug auf
die Aechtheit der Farbe wie des Stoffes vielfachen Zweifeln und
Anfechtungen. Den Vorwürfen der Geiſtlichen zufolge war auch
das „Bleichen“ und Färben der Haare und das Verſetzen mit
fremdem Haar von den deutſchen Frauen gekannt und geübt.
„Die natürlichen Haare thügen nichts, ſie müſſen gebleicht ſein
oder ein Flechten von todtem Haar und großen Zöpfen wie die
Bergſeil“, ſagt der eine, ein anderer redet von „feinen, großen,
dicken, gelben, geborgeten oder erkauften Haarflechten“; es heißt
auch: „es iſt jetzunder ein gemeiner Brauch, einer Todten, die
hübſches Haar hatte, die Haar abzuſchneiden und in das Haar
zu flechten“. Im Hoffartsteufel wird ſogar ganz die Weiſe der
[136]III. Die Neuzeit.
Italienerinnen angedeutet: „Da bleichet man zu jüngſt das Haar,
henket ſie über einen Gang, wäſchet ſie mit ſonderlicher darzu
gerichteter Laugen.“


Der Gebrauch der falſchen Haare wurde noch gewöhnlicher,
als in den letzten Jahrzehnten des ſechszehnten Jahrhunderts die
der Mode folgende Welt die gewöhnliche Haube und das hut-
artige Barett aufgab und das Haar in freierer und offener Weiſe
friſirte. Es war das ſchon früher zuweilen, doch in ſeltneren
Fällen geſchehen, und dann in directerer Nachahmung der ſpa-
niſchen Mode der Hut in mehr männlicher Form darauf geſetzt
worden. Im Jahr 1586 erregt die neue Weiſe, mit welcher ſich
auch wohl der Miniaturhut verbunden zeigt, die Aufmerkſamkeit
des Oſiander, welcher uns die folgende Beſchreibung giebt:
„Darnach damit man auch mit dem Haar ſondere Hoffart treibe,
ſo machen die Weibsbilder mit ihren Haaren einen Säuhag.
Dann die Haar müſſen über ſich gezogen werden, über einen
Draht: gleichwie man in den Säuhägen die Ruthen über die
Tremel zeucht.“ Das Haar richtete ſich dabei von Stirn und
Schläfen und aus dem Nacken aufwärts und gipfelte ſich dann
gekräuſelt in vielfacher Weiſe empor. Dieſe Friſuren folgten im
Ganzen denen der Italienerinnen, die wir oben haben kennen
lernen; auch die zweigehörnte der keuſchen Luna fand Beifall in
Deutſchland. Vielerlei Schmuck wurde mit ihnen verbunden.
Durch Nadeln und Draht in ihrer Höhe feſt gehalten, durch
klebrige Stoffe geſteift, hatten ſie nicht ſelten ein ſchweres Ge-
wicht von Geſchmeide zu tragen. So finden wir bei vornehmen
Damen hohe Diademe, Perlſchnüre, hängenden Schmuck, Ju-
welen in reicher Zahl, gefaßt und geformt in den reichen Weiſen
der Renaiſſance. Sehr gewöhnlich iſt noch eine beſondere Haube
oder eine Art von Hut, welche, entſtanden, wie es ſcheint, aus
der früheren Goldhaube, von den höchſten Häuptern wie von
wohlhabenden Bürgerinnen getragen wurde und in Frankreich,
in den Niederlanden, in England und überall in Deutſchland
gleich beliebt war. Ihre Ausbildung findet erſt in den letzten
Jahrzehnten des Jahrhunderts ſtatt; um das Jahr 1600 aber
[137]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſchmückt ſie alle hohen Damenhäupter. Man pflegt ſie wohl die
Stuarthaube zu nennen, vielleicht weil Maria Stuart we-
nigſtens eine der erſten war, die ſie trug. Portraits von ihr mit
derſelben ſind noch erhalten. Hutartig, aber niedrig bedeckt ſie
das Hinterhaupt, und der Rand ſenkt ſich mit einer Spitze am
Scheitel über die Stirn herab, während ſie nach den Seiten in
weiten Bogen die von den Schläfen aufgerichteten Haare um-
ſpannt. Der Stoff konnte golden ſein, war aber wohl häufiger
Sammet oder Seide; der Rand iſt mit Perlenreihen oder ande-
rem Schmuck, mit den feinſten Spitzen umzogen, und von der
Spitze hängt zuweilen ein Geſchmeide auf die Stirn herab.


Die Schuhe der deutſchen Damen machen nicht viel Auf-
ſehen, da ſie ohnehin wegen der faſt auf den Boden ſtoßenden
Röcke ſelten ſichtbar wurden, und die Mode der Stelzenpantoffel
noch keinen Eingang fand. Als Stoff war feines, weiches ſemi-
ſches Leder in Gebrauch, daneben auch Sammet und Seide in
hellen und dunklen Farben. In der Form folgten ſie der herr-
ſchenden Mode mit zierlicher Zuſpitzung und größerer Bedeckung
des Fußes. Den Schmuck weiſen ſie aber trotz ihrer Verborgen-
heit nicht ab: ſie wurden fein geſchlitzt, mit Gold- und Silber-
ſchnüren umzogen, ja ſelbſt auch bei ihnen ſoll ſich die Krauſe
wie an Hand und Hals eingeſtellt haben. Auch der überflüſſige
Gebrauch der Pantoffel, welche man damals „Trippen“ oder
„Trippſchuhe“ nannte, wird den Damen vorgeworfen.


Es ſind uns nunmehr noch einige Gegenſtände übrig, welche
die männliche und weibliche Kleidung zugleich vervollſtändigen
oder zum Putz, zum Schmuck, zur Pflege der Schönheit und ſon-
ſtiger Toilette gehören. Dahin ſind zunächſt die Handſchuhe zu
rechnen.


Die Handſchuhe erſcheinen im ſechszehnten Jahrhundert
durchaus als ſtete Begleiter der Herren und Damen, wenn ſie
ſich außer ihrem Hauſe befinden, doch war es nicht Sitte, ſie im
Zimmer anzubehalten, ſodaß wir ſie in den Trachtenbüchern faſt
beſtändig in der Hand gehalten finden: es gilt die gleiche Regel
für beide Geſchlechter. Selbſt beim Tanze waren ſie abgezogen.
[138]III. Die Neuzeit.
Es geht das aus einer Erzählung vom Könige Heinrich III. von
Frankreich hervor. Als derſelbe auf ſeiner Reiſe von Polen nach
Frankreich durch Wien kam, erregte er große Aufmerkſamkeit bei
den Damen, weil er beim Eſſen wie beim Tanze die Handſchuhe
anbehielt. Die Damen fragten, ob es eine franzöſiſche oder pol-
niſche Höflichkeit ſei, die Urſache lag aber darin, daß er „aus-
brochene Hände“ hatte. Vom Stutzer wird ausdrücklich geſagt,
er erſcheine mit „den profumirten Handſchuhlein in der Hand,
oder den einen halb an die Hand gezogen, und den andern um
die Finger gewickelt.“ Im Gebrauch der Handſchuhe machten
Vornehmheit und Alter wenig Unterſchied; die Frauen trugen
ſie bis zur Bürgerin herab, und der ergraute Rathsherr nicht
weniger wie der ſtutzeriſche Junker. Den Rang des heutigen
Pariſer Fabrikats nahm damals das ſpaniſche ein; es war das
beliebteſte in der vornehmen Welt. Ihm zunächſt kamen die
Handſchuhe von feinem, weichem ſemiſchen Leder. Gelb war die
gewöhnlichſte Farbe namentlich Blaßgelb oder Strohgelb, ob-
wohl die weißen noch für feiner galten; daneben finden ſich in
häufigem Gebrauch die dunkelbraunen, wie es ſcheint von der
Naturfarbe des Leders, die wir mit den däniſchen von Randers
vergleichen können. Auch die Form iſt im Allgemeinen ganz die
heutige, nur ging in der erſten Hälfte des ſechszehnten Jahrhun-
derts die Schlitzung auch auf die Handſchuhe über, und demge-
mäß findet ſich dieſe Zierde mitten auf der flachen Hand wie an
den einzelnen Gliedern der Finger, namentlich auch über den
Ringen, die damals in ziemlich coloſſaler Form getragen wurden.
Sonſt wurden die Handſchuhe noch mit reichem Schmuck und
mit goldenen Knöpfchen verſehen. Die Damen beſtickten ſie mit
Seide, Silber und Gold und ſchenkten ſie als liebe Gaben an
verwandte und befreundete Herren; auch fürſtliche Damen thaten
das. Die Königin Margaretha von Navarra, Heinrichs IV. erſte
Gemahlin, trug auf Bällen Handſchuhe, die mit Diamanten be-
ſetzt waren. Beſonders liebte man, die Handſchuhe zu parfümi-
ren oder mit wohlriechender Salbe einzureiben. Die „biſamir-
ten“, (sweet-washed, wie man in England ſagte,) „die mit
[139]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
köſtlichem Unguent angeſalbten“ Handſchuhe erregten ein großes
Aergerniß der Moraliſten, aber die Sitte war allgemein. Nicht
ſo iſt es mit den „großen ungeheuren Hensken“, von denen ein
Prediger ſpricht, „die etliche auch im Sommer tragen, ſoweit,
daß einer ein ziemlich paar geraumer Aermel daraus könnte ma-
chen laſſen.“ Es kann nur eine vorübergehende und local be-
ſchränkte Modelaune geweſen ſein, denn lange Handſchuhe ſind
nur zu entblößten Armen naturgemäß, und letztere Sitte tritt
erſt wieder im folgenden Jahrhundert hervor.


Wie wir ſchon oben angedeutet haben, verdankt der
Strumpf durch die Trennung des Beinkleides am Knie erſt
dieſer Coſtümperiode ſeine eigentliche Entſtehung, oder datirt
wenigſtens von ihr an ſein ſelbſtändiges Daſein, ſeine lebendige
Entwicklung als ein bedeutungsvolles Stück der menſchlichen
Kleidung. Bis dahin war er ſelbſt da, wo er wirklich exiſtirt
hatte, als ein Theil oder Anhängſel des Beinkleides wie im frü-
heren Mittelalter von der langen Oberkleidung verborgen und
unbeachtet geblieben und bei den Schleppkleidern der Frauen
ohnehin keiner Berückſichtigung würdig gehalten; noch weniger
hatten die kamaſchenartigen Ueberzüge der Bauern, welche hier
und da vorkommen, zu irgend einer Art von modiſcher Exiſtenz
durchdringen können. Sein neues und charakteriſtiſches Leben
wurde aber auch erſt jetzt ermöglicht, da gleichzeitig die Strumpf-
ſtrickerei erfunden wurde, die allein ihn befähigte, den Anſprü-
chen, welche die Schönheit des Beines an ihn machte, vollkom-
men Genüge zu leiſten. Durch mehrfache Zeichen wird ſeine
Wirkſamkeit bedeutungsvoll angekündigt. Erſt in dieſem Jahr-
hundert tritt in der deutſchen Kunſt das männliche Bein, nament-
lich der Unterſchenkel, in ſein Recht ein; im ganzen funfzehnten
Jahrhundert und noch im Anfang des ſechszehnten kam es trotz
der Enge des Beinkleids völlig zu kurz; die Künſtler ſchienen mit
Vernachläſſigung der unteren Hälfte des Körpers alle Kraft auf
den Kopf zu concentriren. Zugleich geht mit der weiblichen Welt
eine ähnliche Sinnes- und Geſchmacksänderung vor: ein ſchönes
Bein einer ſchönen Frau gilt den Männern nun als ein beſon-
[140]III. Die Neuzeit.
deres Reizmittel der Liebe, und damals konnte, worauf früher
niemand verfallen wäre, Brantome eine eigene Abhandlung
ſchreiben: Sur la beauté de la belle Jambe et la vertu qu’elle a.
Trotz der Verborgenheit wurde nun die ganze Chauſſüre einer
beſondern Sorgfalt unterzogen, wie ſie früher nur etwa den Fü-
ßen zu Theil geworden war, und diejenigen Kammerfrauen und
Zofen hoher Damen ſtanden in der höchſten Gunſt und Gnade
ihrer Gebieterinnen, welche es verſtanden, ihnen die Strümpfe
aufs beſte ohne eine Spur von Falte „wie das Fell einer Trom-
mel“ in ſtraffer Enge zu befeſtigen und das Knieband aufs zier-
lichſte umzulegen. Brantome geſteht übrigens, daß es unter
Umſtänden doch den Damen möglich war, hiermit Parade zu
machen, namentlich ſeitdem die Königin von Ungarn, die Schwe-
ſter Kaiſer Karls V., einmal mit ihrem Hofſtaat ein allegoriſch-
mythologiſches Spiel aufgeführt hatte, wobei die Damen als
Nymphen erſchienen. Es wurde dann beliebte Mode für die
Hofleute, in eigener Perſon ſolche Ballette aufzuführen, in wel-
chen die Damen à la nymphale ſich kleideten, d. h. mit Röcken,
welche nur bis zum Knie reichten.


Als der Strumpf und mit ihm das Bein zur Anerkennung
gekommen, machten ſich davon noch andere Einflüſſe in der Ge-
ſellſchaft geltend. Es iſt nicht ohne Bedeutung, daß dies mit
der Herrſchaft der ſpaniſchen Etiquette zuſammentrifft, welche
damals, aus den Höhen der Höfe herabſteigend, die verſchiede-
nen Lebenskreiſe der gebildeten Welt mehr und mehr in ihre er-
ſtarrenden Feſſeln zu ſchlagen begann. Der Strumpf und die
Ziergrazie der Etiquette gehören nothwendig zuſammen, und
wenn das ſpaniſche Coſtüm den Knieſtrumpf Anfangs abwies
als ein Erzeugniß deutſcher Ungebundenheit und landsknechtiſcher
freiheitslüſterner Renommiſterei, ſo erſetzte es dieſen Mangel
dadurch, daß es faſt zuerſt die Strickerei für ſein langes anſchmie-
gendes Beinkleid benutzte: ſeidene Tricotbeinkleider mußten für
die Zierlichkeit des Strumpfes und des Kniebandes entſchädigen.
Die Franzoſen und die Italiener erkannten raſcher die Bedeu-
tung der deutſchen Erfindung, nahmen ſie an, wandelten ſie
[141]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
aber in ihrem Sinne um. Erſt mit dem Strumpf verſchwinden
die gehenden, trippelnden und hopfenden Bewegungen des ſpät
mittelalterlichen Tanzes, welche Kunſt nun erſt in ein Syſtem
edler oder vielmehr eleganter Bewegungen nach den Regeln einer
akademiſchen Grazie gebracht wurde. Als die Heimath derſelben
iſt Italien und zwar, wie es ſcheint, vorzugsweiſe das ſpaniſche
zu betrachten, welches auch die erſten „Profeſſoren der Tanz-
kunſt“ aufſtellte. Von hier gingen auch am Ende des ſechszehn-
ten Jahrhunderts die erſten großen Werke aus, welche den Tanz
mit Illuſtrationen theoretiſch und ſyſtematiſch behandeln. Doch
vermochten trotzdem die Folgen in Deutſchland ſich noch nicht
in höherem Grade ſichtbar zu machen, da bald eine neue Periode
naturaliſtiſch entgegentrat, und der dreißigjährige Krieg und die
Herrſchaft des coloſſalen ſoldatiſchen Stulpſtiefels Strumpf und
Schuh eine Zeitlang ganz zurückdrängten. Erſt nach dem Kriege
werden wir die Franzoſen die unterbrochene Richtung wieder auf-
nehmen ſehen, und damit betrat der Strumpf unter Ludwig XIV.
ſein goldenes Zeitalter’.


Im Jahre 1552 trugen die franzöſiſchen Herren noch keine
Strümpfe, ſondern das lange Beinkleid nach ſpaniſcher Weiſe.
Damals kam aber in Deutſchland der Strumpf zum Durchbruch,
zwar noch nicht von Seide, ſondern von Baumwolle oder Wolle.
Die erſten ſeidenen geſtrickten Beinkleider trug in Frankreich Kö-
nig Heinrich II. im Jahre 1559 bei der Hochzeit ſeiner Schwe-
ſter mit dem Herzog von Savoyen; ein paar Jahrzehnte ſpäter
aber, zu Brantome’s Zeiten, waren mit der gepufften Kniehoſe
auch die ſeidenen Strümpfe mit Knieband bei den Herren allge-
mein geworden. Brantome erzählt, er habe viele Liebhaber ge-
kannt, die, wenn ſie ſich neue ſeidene Strümpfe gekauft, ihre
Schönen darum erſucht hätten, ſie erſt acht oder zehn Tage an-
zulegen, wonach ſie die alſo eingeweihten dann mit großer Ver-
ehrung und Befriedigung getragen hätten.


Geſtrickte Beinkleider der Herren und gleiche Strümpfe der
Frauen ſcheinen in England ſchon einige Jahrzehnte früher im
Gebrauch geweſen zu ſein, doch neben ihnen und ſpäter noch die
[142]III. Die Neuzeit.
aus wollenem oder anderem Zeug vom Schneider zugeſchnittenen
oder gefertigten. Um die Verbreitung dieſes leichten Erwerbs-
zweiges in England machte ſich die Königin Eliſabeth ein großes
Verdienſt, ſodaß derſelbe gegen das Jahr 1577 ſchon auf dem
Lande ausgeübt wurde. Heinrich VIII. war der erſte, der in
England ein geſtricktes ſeidenes Beinkleid trug, welches er durch
Zufall aus Spanien erhalten hatte. Es ſcheint am Ende ſeiner
Regirung geweſen zu ſein, denn es wird noch ſehr viel Werth
darauf gelegt, als ſein Sohn Eduard VI. von einem Kaufmann
ein gleiches Paar aus Spanien erhielt. Erſt ſeitdem Eliſabeth
im dritten Jahre ihrer Regirung 1561 von ihrer Seidenhändle-
rin ebenfalls ein Paar geſtrickter ſeidener Strümpfe von ſchwar-
zer Farbe bekam und ſeitdem keine andern mehr tragen wollte,
wurde dieſe Art Hoſen und Strümpfe heimiſcher in England,
zumal als die Strümpfe mit dem Verſchwinden des ſpaniſchen
Beinkleids auch auf die Männerwelt übergingen. Dazu kam
noch am Ende des ſechszehnten Jahrhunderts die Erfindung des
Strumpfwirkerſtuhls durch William Lee, ſodaß nun auch das
Fabrikat billiger wurde.


In Deutſchland trug man die lange Strumpfhoſe oder die
Knieſtrümpfe, je nach dem Vorherrſchen des ſpaniſchen oder des
deutſchen Beinkleides. Die geſtrickte Seide iſt aber noch eine
Zeitlang von großer Seltenheit. Denn als im Jahre 1569 der
geheime Rath Barthold von Mandelsloh, der als Geſandter in
Italien geweſen war und von dort ein Paar ſeidene Strümpfe
mitgebracht hatte, an einem Wochentage mit denſelben bei Hofe
erſchien, vermerkte der Markgraf Johannes zu Küſtrin dieſen
Luxus ſehr ungnädig und ſagte ihm: „Bartholde, ich habe auch
ſeidene Strümpfe, aber ich trage ſie nur des Sonn- und Feſt-
tags.“ Am Ende des ſechszehnten Jahrhunderts trägt an dem
brandenburgiſchen Hofe der gelehrte Alchimiſt Leonhard Thur-
neiſſer, der ſich gern koſtbar kleidete, die ſeidenen Strümpfe all-
täglich. In Magdeburg müſſen ſie 1583 auch ſchon eine Rolle
ſpielen, doch gelten ſie noch für einen derartigen Luxus, daß die
Kleiderordnung dieſes Jahres ſie durchaus unterſagt. Aehnlich
[143]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
geſchieht es in der allgemeinen ſächſiſchen Ordnung von 1612,
worin ſie allen „Schöſſern, Amtsvögten, Verwaltern, Bürger-
meiſtern und Rathsverwandten“ und natürlich auch allen, die im
Range unter ihnen ſind, verboten werden. Die ſpäteren Luxus-
geſetze gehen allmählig damit von Claſſe zu Claſſe abwärts: ſo
z. B. erlaubt ſie ein Braunſchweiger Geſetz von 1650 bis zur
dritten Claſſe des Bürgerſtandes, die von ihrem Gebrauche aus-
geſchloſſen iſt, eine hildesheimiſche Verordnung von 1663 unter-
ſagt ſie den Kammerdienern und Copiſten.


Die eleganteſte Farbe der Strümpfe war namentlich für die
Damen die weiße, obwohl wir bei der engliſchen Königin Eliſa-
beth ſchwarze kennen gelernt haben. Bei den Männern richtete
ſie ſich mehr nach der des Beinkleides, mit welcher ſie faſt durch-
gängig zuſammenſtimmen mußte, und daher wurden dann die
ſchwarzen beſonders allgemein, wo dieſe Tracht wie in den republi-
kaniſchen Niederlanden und auch in Spanien zur gewöhnlichen
und ſelbſt eleganten geworden war. In Deutſchland gingen
auch die ſchwarzen Strümpfe in die Amtstracht ſtädtiſcher Be-
hörden über, der Geiſtlichen nicht zu gedenken. — Damen tru-
gen im Sommer auch filetartig durchbrochene Strümpfe. Ein
eigenthümlicher Schmuck, der ſich früh einſtellte, war der
Zwickel. Wir finden ihn ſchon in der zweiten Hälfte des ſechs-
zehnten Jahrhunderts ſo gebräuchlich, daß ein Prediger ſagt:
„An den Strümpfen weiß ich nichts zu tadeln ohne die Zwickel,
ſo mit Lilien eingemacht ſind.“ Sein urſprünglicher Zweck war
offenbar durch Einziehung über dem Gelenk den Strumpf ſtraf-
fer zu machen oder wenigſtens ſo erſcheinen zu laſſen, um damit
die Eleganz eines wohlgeformten Beines zu erhöhen. Der Zwickel
erhielt ſich, ſolange der Strumpf noch ein ſichtbares Daſein
führte, bis er unter dem langen Beinkleid verſchwand.


In dieſer Periode wurde auch das Taſchentuch für Män-
ner und Frauen allgemein und ſogar ein Gegenſtand des Luxus.
Der oben mehrfach erwähnte Anſtandskatechismus ſchreibt auch
den Knaben ſeinen fleißigen Gebrauch vor. „Frage: Iſt’s auch
höflich mit dem Barett oder Rock die Naſen ſchneuzen? Antw.:
[144]III. Die Neuzeit.
Nein, denn ſolches gehört ſich zu thun mit dem Facilletlein, ſo
aber dapfer Leut vorhanden, ſoll ſich der Knabe fein umkehren
und ſauber machen.“ Dem Namen nach (fazzoletto) dürfte ſein
Urſprung in Italien zu ſuchen ſein. In Vecellio’s Trachtenbuch
tragen die Damen es ſehr gewöhnlich in der Hand, und ebenſo
auch in Joſt Amman’s Frauenzimmer. Die Magdeburger Ord-
nung (1583) ſieht ſich genöthigt, ſeinen Preis nach den Claſſen
zu beſtimmen und ſeine Verzierung zu beſchränken: „Des Brüde-
gammes unde der Mannes Perſonen vam Geſchlecht ere Schnüf-
feldöke ſchal eines över anderthalven Daler nicht werth ſyn; der
gemeinen Börger einen halven Daler, unde der Denſtboden einen
halven gülden, by peen einer Marck. Overſt de Freuchenge-
ſchlinge van Sülver unde Golde ſchöllen an den Schnüffeldöken
gar vorbaden ſyn, by peen dryer Marck.“ Eine dresdener Klei-
derordnung von 1595 verbietet den untern Ständen, mit Ta-
ſchentüchern ein Hochzeitsgeſchenk an die Brautleute zu machen.
Der Stoff war Kammertuch oder feine Leinwand und der Beſatz
beſtand aus koſtbaren Spitzen; auch hohle, durchbrochene Nähte
faßten das Tuch ein und an den Ecken hingen kleine Quäſtchen.
Eine weitere Zierde war Stickerei mit Gold und Silber, mit
Perlen, Goldroſen oder andern werthvollen Gegenſtänden. Ge-
wöhnlich war das Taſchentuch weiß, doch waren die farbigen auch
in den höchſten Ständen gebräuchlich; ſelbſt fürſtliche Damen
Frankreichs trugen auf Bällen ſolche, mit ſpaniſchen Kanten be-
ſetzt. In Weigels Trachtenbuch — wir haben ein altcolorirtes
Exemplar vor uns — führt eine Jungfrau aus Breslau ein
Lilataſchentuch mit weißen Kanten bei ſich.


Schon im ſechszehnten Jahrhundert feuchteten die Damen
ihre Taſchentücher mit wohlriechendem Waſſer an, das zugleich
zur Conſervirung und Verbeſſerung des Geſichtsteints dienen
ſollte. Die im Jahr 1575 herausgekommene Weiberzierung des
Aleſſio giebt das Recept, ein ſolches Waſſer zu bereiten, „um
Schnauptücher darin zu beizen oder dunken, welche das Ange-
ſicht ſchön weiß und wohlgefärbt machen, ſo man es damit ab-
wiſcht oder abſtreicht, und je baß man das Geſicht damit reibet,
[145]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
je ſchöner es wird. Dieſe Tücher währen ſechs Monate lang.“
Ob der Erfolg auf die Dauer der rechte geweſen, dürfte ſich be-
zweifeln laſſen, da die Ingredienzen theilweiſe etwas gefährlicher
Art waren: „Alaun, Malvaſir, Borris, Gummi Tragant und
arabicum wird mit Queckſilberſublimat und Bleiweiß, Eierklar,
Terpentin, Eſſig und Imber gekocht, auch Myrten, Campher,
funfzig Schnecken, eine gerupfte feiſte Henne, Pommeranzen,
Citronen und Zuckercandel zugemiſcht.“ In dieſes Waſſer wur-
den die Tücher ſiebenmal getaucht. „Und ſo du ſolchen zum ſie-
benden Mal gethan haſt, ſeind ſie recht zubereitet, köſtlich und
fürtrefflich für Königin und andere köſtliche Weiber.“ Man
nannte ſolche Tücher mouchoirs de Venus und behielt ſie lange
im Gebrauch, doch nahm man ſpäter weniger gefährliche Be-
ſtandtheile dazu.


Obwohl der Fächer noch nicht die Rolle ſpielt wie im acht-
zehnten Jahrhundert, wo er ein ſteter Begleiter der Damen war
und ein ergänzendes Hülfsmittel für die ſtumme Sprache der
Augen und Gebärden, ſo war doch ſchon in der zweiten Hälfte
des ſechszehnten Jahrhunderts ſein Gebrauch ein ſehr gewöhn-
licher, und was die Form betrifft, ſo übertraf er an Eleganz und
Mannigfaltigkeit noch ſeinen ſpäteren Nachfolger. Dreierlei
Hauptformen begegnen uns auf zahlreichen Bildern, von denen
diejenige, welche ihn aus Federn bildet, wohl die häufigſte iſt.
Buntgefärbte Straußenfedern ſind es gewöhnlich, welche ſchei-
benartig oder als Wedel in einem vereinigten dicken Buſch um
einen Knopf oder ähnlich geformten und reich verzierten Schmuck,
welcher ſich auf einer Handhabe befindet, befeſtigt ſind. Die
Damen tragen ihn frei in der Hand oder hängend an einer Kette
oder Schnur, welche vom Gürtel ausgeht. Wir haben oben ge-
ſehen, wie in England ſich auch wohl ein Sehglas im Knopfe
befand. Die zweite Art hat die Form eines kleinen Fähnleins,
welches Ausdrucks man ſich auch damals bediente: es iſt dies
ein mehr oder minder verzierter Stiel, der etwa die Länge von
einem bis anderthalb Fuß hat, und an deſſen einem Ende ſich
mit ſeiner längeren Seite das Fähnlein in der Größe eines klei-
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 10
[146]III. Die Neuzeit.
nen Quartblattes befeſtigt findet. Es beſtand aus einem Rah-
men, über den Seidenſtoff oder auch Strohgeflecht ausgeſpannt
war. Der Seidenſtoff zeigt ſich oft koſtbar und kunſtreich bemalt
und um den Rand herum reich geſchmückt. Die dritte Art iſt die-
jenige, welche nachher die allein gebräuchliche wurde, der be-
kannte Faltenfächer, welcher im ſechszehnten Jahrhundert ſchon
ganz die Geſtalt wie im achtzehnten hatte: die beiden äußerſten
deckenden Glieder von Holz oder Elfenbein waren oft geſchnitzt und
die Seide oder das Papier, welche die inneren Rippen überzog, be-
malt oder in anderer Weiſe verziert. Da der urſprüngliche Zweck
des Fächers war, Kühlung zu verſchaffen, ſo verdankt man ſeine
Entſtehung den wärmeren Ländern, und es blieb für dieſe
Periode auch ſein Gebrauch in Italien wenigſtens ein ausge-
dehnterer als in Deutſchland. Hier wurde der Fächer ſehr häu-
fig durch ein friſches Blumenbouquet, welches an der Spitze
eines Stiels befeſtigt war, erſetzt.


Der Schleier, der vom Barett zurückgedrängt worden,
vermag ſich, was Deutſchland betrifft, auch für dieſen Zeitraum
noch nicht zu einiger Bedeutung zu erheben, während in Italien
und Spanien Luft und Sonne ihn nie außer Gebrauch geſetzt
hatten. In dieſen Ländern iſt er, ſei es von dünnerem oder dich-
terem Stoff, faſt eine Nothwendigkeit, während die damals nach-
ahmenden Franzöſinnen ihn mehr als Putzſtück trugen. Als ſol-
ches bedienten ſich ſeiner auch wohl die deutſchen Frauen zu dem
ſpaniſchen Hut, denn es werden erwähnt „Schleier, gelb und
klar, mit ſilbernen und güldenen Streiflein, mit hohlen Nähten“,
oder ſie folgten dem moraliſtiſchen Zuge der Reactionsperiode
und „vermümmelten ſich.“


Desgleichen war die Schleppe, welche eigentlich ſchon
von der Reformation außer Gebrauch geſetzt war, von der Tracht
des gewöhnlichen Lebens ganz ausgeſchloſſen. Nur hier und da
gehörte ſie gleich dem langen aufgelöſeten Haar und den von der
Schulter bis auf den Boden herabfallenden Aermeln zur hoch-
zeitlichen Tracht: Braut und Brautjungfern trugen ſie, ließen
[147]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſie nachſchleifen oder legten ſie über den Arm. In Nürnberg
hießen ſolche Kleider Flügelröcke. Ebenfalls war ſie aus dem
Hofleben nicht verbannt, doch auch hier nur bei feierlichen Ge-
legenheiten gebräuchlich. Bei der Vermählung Heinrichs IV. mit
Maria Medicis hatte das Brautkleid der Königin eine Schleppe
von funfzehn Ellen Länge, „mit eitel güldenen Lilien beſetzt,
darinnen ſie glänzte, wie die Sonne in den Wolken.“


Schon mehrfach iſt angedeutet worden, wie dieſe Periode
ihren eigenthümlichen Charakter grade in der Farbe zur Erſchei-
nung bringt und dadurch namentlich zum funfzehnten Jahrhun-
dert und auch noch zur Reformationsperiode in den entſchieden-
ſten Gegenſatz tritt. Vor der Bußfertigkeit und der Ehrbarkeit
verſchwindet all die bunte Farbenluſt, und ſelbſt die Landsknechte
mit ihren pludrigen Maſſen werden hierin beſcheidener. Wir
haben geſehen, wie die ſymmetriſche und unſymmetriſche Farben-
theilung über den ganzen Körper von Kopf zu Fuß in der erſten
Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts noch in fröhlicher Blüthe
ſteht, in der zweiten bleibt ſie nur noch dem Schweizer, der gerne
mit dem alten Coſtüm „prangt und pracht“, bis ſie im folgenden
Jahrhundert zweigetheilt in des Landes Farben bei den Weibeln
und andern öffentlichen Dienern ſtehn bleibt und in dieſer Weiſe
in die Gegenwart hereinreicht. Auch in deutſchen Städten konnte
man bei den Stadtdienern noch bis Ende des vorigen Jahrhun-
derts, vielleicht auch noch im gegenwärtigen, dieſe Verſteinerung
einer tauſendjährigen Sitte erkennen. Zugleich mit der bunten
Zuſammenſetzung weicht auch die Lebhaftigkeit der Farben, und
die dunklen oder die gebrochenen erhalten den Vorzug. Es iſt
das freilich mehr noch in der Männerwelt der Fall als bei den
Frauen, doch auch bei dieſen bringt ein einfarbig dunkles Ober-
kleid gewöhnlich dieſelbe Wirkung hervor. Es iſt im wohlhaben-
den wie im niedern Bürgerſtand nichts ſeltnes und ſogar als die
Regel zu betrachten, daß Wamms und Beinkleid, mag es nun
die Pluderhoſe oder das ſpaniſche ſein, von einer wenig wirkungs-
vollen Farbe ſind, und nimmt man ſchwarze Schuhe und ſchwar-
zen Hut und eine dunkelbraune Schaube oder Mantel dazu, ſo
10*
[148]III. Die Neuzeit.
iſt es eigentlich nur die lichtbraune Pelzverbrämung, welche eini-
ges Leben in die düſtere Farbenſtimmung bringt. Schwarz und
Weiß ſind die Farben, welche dieſe Zeit auf ihrer Höhe charak-
teriſiren, die Farben der Trauer und der Buße, welche, urſprüng-
lich von der Geiſtlichkeit für die Kirche und den Tiſch des Herrn
in Anſpruch genommen, jetzt auch die der Feſtfreude und der
Amtstracht werden. Der Rath der Stadt Braunſchweig ſchrieb
ſie auf das Betreiben der Geiſtlichkeit auch den Frauen beim
Beſuch des Abendmahls vor, wo ſie denn allgemein bis auf den
heutigen Tag in Gebrauch geblieben ſind. Vorzüglich war es
wohl die reformirte Kirche, welche zur Verbreitung der ſchwarzen
Tracht in der Weltlichkeit das meiſte beitrug, doch muß man hin-
zufügen, daß ſie auch von dem ſpaniſchen Katholicismus und mit
perſönlicher Vorliebe von Philipp II. begünſtigt wurde. Da-
durch wurzelte ſie namentlich in den Niederlanden durch alle
Stände ſo tief ein, daß nicht einmal die nun folgende Periode
des Naturalismus, welche doch vor allem die dortige Kunſt um-
ſchuf, ſie verdrängen konnte. In Folge deſſen ſehen wir ſie auch
den Bildern des Rubens und ſeiner Schule, namentlich den Por-
traits, den Charakter der ruhigen, ernſten, ſelbſtbewußten Würde
aufdrücken; bei der Einfachheit der Farben, wodurch ſich die Nie-
derländer auszeichnen, iſt ſie hier von entſchieden maleriſcher
Wirkung. — In Frankreich und Italien lagen die Gründe zu
dieſer Geſchmacksänderung weniger vor, und daher behielt man
hier in höherem Grade helle und lebhafte Farben bei. Doch
dürfte es wohl als ein Zeichen für die Allgemeinheit der ernſte-
ren Richtung zu betrachten ſein, daß der König Heinrich III. von
Frankreich zuerſt bei der Trauer ſich nicht mehr der rothen Klei-
dung bediente wie ſeine Vorfahren, ſondern der ſchwarzen. Auch
an den deutſchen Höfen und beim höheren Adel folgte man bei
allen feſtlichen Gelegenheiten mehr der fremden fröhlicheren
Weiſe.


Trotz dieſer äußeren Ehrbarkeit war man jedoch keineswegs
gewillt, dem Luxus zu entſagen: was dem äußeren bunten
Scheine abging, erſetzte man durch die Koſtbarkeit des Stoffes
[149]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
und des Schmuckes. Die zahlreichen Luxusordnungen, welche
immer dieſen Punkt und faſt allein ins Auge faſſen, ſcheinen
von wenig Wirkung geweſen zu ſein, denn die Klagen wieder-
holen ſich immer aufs Neue. „Es iſt jetzt kein Bürger ſo arm,“
heißt es im Schrapteufel des Milichius, „kein Handwerksgeſell
und Pflugbengel ſo gering, welcher nit wölle Sammat und Sei-
den tragen, der Barchent und Harras und gemeines Tuch iſt alles
zu ſchlecht worden. Manch armer Tropf und manch arme Magd
bringen kaum zehn Gulden zuſammen, wenn ſie zur Ehe greifen
und hänget jedes irgend für zwanzig oder dreißig Gulden Klei-
der an ſich.“ Gegen das Ende des Jahrhunderts machte auch
die Einfachheit, welche die Reformation an Fürſtenhöfen herbei-
geführt hatte, raſch einem ſteigenden Luxus wieder Platz. Wenn
die Augsburger Ordnung den Edelfrauen nur vier Kleider des
koſtbareren Stoffes, Sammt, Damaſt oder Seide, geſtatten
wollte, ſo war das funfzig Jahre ſpäter eine Zahl, die inne zu
halten eine Lächerlichkeit geweſen wäre. Die Geiſtlichen klagen,
daß man nicht bloß alle Tage ein anderes Kleid tragen wolle,
ſondern täglich mehrere Mal wechſele. Im Anfang des ſieben-
zehnten Jahrhunderts hinterließ eine Edelfrau 32 vollſtändige
Anzüge, während ihr Mann, Hans Meinhard von Schönberg,
deren 72 beſaß nebſt einer ungefähr gleichen Anzahl mit Gold
und Silber geſtickter Handſchuhe und 21 Hüten, wozu 26 Stück
farbige Federn gehörten.


Aber der Luxus mit Kleiderſtoffen, welche die Geſetze auf
Grundlage der erneuerten Augsburger Reichsordnung bis ins
ſiebzehnte Jahrhundert den einzelnen Claſſen aufs allergenauſte
vorſchreiben, war noch das wenigſte. Ihr Werth wurde noch
weit überboten durch die Verzierung an Spitzenbeſatz, Stickerei
und Goldborten, Perlen und Juwelen, wodurch ſich zugleich der
Lohn der Arbeit ins Unglaubliche ſteigerte, ſodaß dieſer allein bei
einem männlichen Gewand auf 600 Thaler kommen konnte; frei-
lich wurde auch Wochen lang von mehreren Perſonen daran ge-
arbeitet. Auf gefällige Muſter, zu welchen natürlich in dieſer
Periode die Ornamentik der Renaiſſance die allein herrſchende
[150]III. Die Neuzeit.
war, wurde viel Werth gelegt. Man erhielt ſie meiſtens aus
Italien, jetzt dem einzigen Lande der Kunſt und des Geſchmacks,
woher auch Frankreich die ſeinigen holte. Wenn ein neues Mu-
ſter, eine neue Zeichnung angekommen war, wanderte ſie von
Hand zu Hand, von einer Fürſtin zur andern, ein Privatverkehr,
der die heutigen Modejournale erſetzen mußte. Große Handels-
häuſer hatten auch deren eine Auswahl vorräthig. Außer den
Modellen ließ man ſich auch geſchickte Putzmacherinnen aus Ita-
lien kommen, die an Fürſtenhöfen beſtändig Arbeit hatten. So
ſchreibt die Herzogin Dorothea von Preußen dem Geſchäftsträ-
ger ihres Gemahls in Rom: „Da ihr euch uns zu dienen mit
allem Fleiße angeboten, ſo iſt unſer gnädiges Begehren, ihr wol-
let uns etliche ſäuberliche Formen und Modelle auf die welſche
Art, mit weißer Seide ausgenäht, ſonderlich auf die neue Art,
da die Leinwand ausgeſtochen und durch ſonderliche Kunſt mit
Roſen und Blumenwerk wieder mit weißem Zwirn eingezogen
wird, beſtellen und mitbringen. Sonderlich aber geſchähe uns
zu gnädigem Gefallen, wenn ihr uns irgend ein feines tugend-
ſames Weib oder Jungfrau, die nicht leichtfertiger Art wäre,
mit euch brächtet, oder aber wo dieſe nicht zu erlangen wäre,
eine ſolche Mannsperſon, die ſolche Modelle und Formen, des-
gleichen auch goldene Borten, ſo man jetzo aus Welſchland
bringt, machen könne.“


Putzmacherinnen waren umſomehr erforderlich, als zu ande-
rem Beſatz in dieſer Periode auch die Spitzen kamen. Um die
Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts war die eigentliche Spitzen-
klöppelei im ſächſiſchen Erzgebirge erfunden worden und hatte
ſich raſch verbreitet. Schon vor dem Jahr 1570 erſchien das
erſte Modellbuch für Spitzen im Holzdruck, und um das Jahr
1600 gab es bereits eine ganze Anzahl davon. Vorzüglich war
es der Kragen, der in allen krauſen Windungen mit Spitzen um-
zogen wurde und zwar in ſo wachſender Breite, daß bald die
Spitze die Hauptſache wurde und nur ein kleines Stück Zeug
noch am Halſe übrig blieb, ſie zu halten; jetzt namentlich bedurfte
die Krauſe der künſtlichen Stützmittel. In gleicher Weiſe traten
[151]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
die Spitzen an die Manſchetten und auch die Stuarthaube um-
zogen ſie. Um das Jahr 1600 gab es auch farbige Spitzen und
ſolche, in welche feine Gold- und Silberfäden hineingeflochten
waren. Bei weitem luxuriöſer, und das namentlich in der
männlichen Welt, wurde ihr Gebrauch in der nächſtfolgenden
Periode.


Nichts gleicht aber dem außerordentlichen Luxus, welcher
mit Schmuck aller Art, mit Perlen, Edelſteinen und koſtbar
gefaßtem Geſchmeide getrieben wurde. Aus dieſer Zeit, der
Blüthe deutſcher Renaiſſance, ſtammen die reichſten und wunder-
barſten Arbeiten der Goldſchmiedekunſt, welche, urſprünglich be-
ſtimmt, Haus und Tafel prunkvoll zu verzieren, nunmehr die
koſtbarſten Raritäten der Kunſtkabinette ſind. Zu keiner Zeit
leiſtete dieſes Gewerbe in techniſcher Beziehung Höheres, aber
auch zu keiner Zeit hatte es zahlreichere und werthvollere Auf-
träge auszuführen. Die Anwendung von Juwelen und edlen
Metallen wuchs in jeder Weiſe zum Schmuck des Hauſes wie
des Menſchen; man überzog die Kleider damit, band ihn ins
Haar oder flocht ihn um die Stirn; man hing ihn ins Ohr,
legte ihn um Hals, Arm, Hand und Finger, man ließ die rei-
chen Gürtel mit Taſchen und Meſſern herabhängen und beſtickte
auch die Schuhe mit Perlen und Edelſteinen und heftete Gold
und Silber daran. Nicht ohne Einfluß auf dieſe übertriebene
Luſt war die Entdeckung der neuen Welt und die Eröffnung ſei-
ner Schätze. Es machte daher auch Spanien den Anfang, an
deſſen Geſchmack ſich Frankreich anſchloß, während ſich, wie wir
oben geſehen haben, die Italiener einer edleren Maßhaltigkeit
rühmten. Ein Spanier iſt entzückt, wenn er von den Kleidern
der Damen in ſeinem hochtrabenden Pathos rühmen kann:
„Hier fanden ihren Mittelpunkt die Edelſteine des Orients und
die edlen Metalle des Occidents in ſolcher Menge, daß ſie das
Geheimniß der Kleider bewachten, ohne die ihnen untergelegten
Farben zu verrathen.“ Faſt möchte man geneigt ſein, dieſe Worte
buchſtäblich zu nehmen, wenn man lieſet, daß die Königin Maria
Medicis bei der Taufe ihres Sohnes einen Rock mit 32,000
[152]III. Die Neuzeit.
Perlen und 3000 Diamanten beſetzt getragen habe. Die Herren
ſtanden den Damen nicht nach. Unter den Prächtigen der Präch-
tigſte am franzöſiſchen Hofe war der bekannte Marſchall Baſſom-
pierre, von dem die folgende Geſchichte erzählt wurde. Als einſt
zur Taufe der Dauphine alle Sticker und Schneider in Paris
bereits vollauf beſchäftigt waren, gerieth er in nicht geringe Ver-
legenheit. Doch half ihm ſein Schneider mit der Nachricht, daß
ſoeben ein Kaufmann aus den Niederlanden mit einer ganzen
Pferdeladung von Perlen angekommen ſei. Von dieſem kaufte
er funfzig Pfund Perlen und wählte ſich einen violetten Gold-
ſtoff mit Palmzweigen, die in einander geflochten waren. So
kam ihm dieſes Prachtkleid freilich auf 14,000 Thaler zu ſtehen
und die Stickerei allein auf 600. König Heinrich III. trug auf
ſeinen Kleidern einmal nicht weniger als 4000 Ellen Goldbor-
ten. Bei der Hochzeit des Königs Sigismund von Polen mit
der Erzherzogin Conſtanzia koſtete die Kleidung des Brautpaars
700,000 Thaler, nicht eingerechnet die großen Diamanten, deren
ſich fünf im Werth von einer Million Goldes am Hut des Kö-
nigs befanden. Als Heinrich IV. mit Maria Medicis zu Lyon
die Vermählung feierte, ſchenkte er ihr ein Halsband im Werth
von 200,000 Kronen, ein Bruſtſtück von 100,000, und weiter
für 200,000 Kronthaler an Ringen und andern Kleinodien.
Von Philipp II. wird erzählt, daß er einſt ſeiner Gemahlin Eli-
ſabeth eine Schüſſel voll des koſtbarſten Salates geſchenkt habe:
die Topaſen bedeuteten das Oel, die Rubine den Eſſig, Perlen
und Diamanten das Salz und Smaragden den grünen Salat.


Beſcheidener freilich lauten die Nachrichten von deutſchen
Fürſtenhöfen, in Bezug auf welche wir einen Maßſtab an der
folgenden Ausſtattung der Prinzeſſin Anna von Preußen bei
ihrer Vermählung mit Johann Sigismund von Brandenburg
(1594) erhalten. Ein goldenes Halsband mit 18 Roſen von
Edelſteinen, darunter 5 Rubinroſen, 4 Diamantroſen und 9
glänzende Perlſtücke, von Meiſter Gabriel Lange in Nürnberg
verfertigt, koſtete 3750 Mark, ein anderes 3115 Mark und ein
drittes mit 32 Diamanten, Perlen und goldenen Roſen 1487
[153]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Mark. Ein viertes Halsband im Werthe von 3000 Mark
ſchenkte die fürſtliche Mutter der Braut aus ihrem eigenen Klei-
nodienſchatze. Ferner eine goldene Kette für 265 Mark, 60 Ringe
mit Rubinen an Werth 360 Mark, 48 in Augsburg verfertigte
und mit 396 Mark bezahlte ſogenannte Kreuzringe. Für Perlen
zum Schmuck wurden 1745 Mark verwendet, ſodaß mit noch
einigen andern Kleinodien die Ausſtattung in dieſer Beziehung
14,633 Mark betragen hatte. Selbſt im Verhältniß zu dieſer
Summe erſcheint das unbedeutend, was im Jahr 1589 die ein-
zige Tochter des Landgrafen Wilhelm von Heſſen-Caſſel bei ihrer
Vermählung mit dem Grafen Ludwig von Naſſau-Weilburg an
Schmuckgegenſtänden unter ihrer Ausſtattung miterhielt: zwei
Ketten mit Perlen für 150 Gulden, ein gülden Pferdlein mit
Rubinen, Diamanten und Perlen für funfzig Gulden, zwei
Kleinodien, darin Fides ſtand, mit Edelſteinen aller Art für
220 Gulden. Indeſſen liegen auch andere Angaben vor. In
dem Inventar der Schmuckſachen des ſchon oben erwähnten
Hans Meinhard von Schönberg, eines reichen Edelmannes,
welcher im Jahre 1615 ſtarb, kommen unter andern die folgen-
den Gegenſtände vor: eine Diamantkette in Gold gefaßt von
115 Gliedern, die nachher um 1200 Gulden verkauft wurde;
eine goldene Roſenkette von 40 Diamantroſen, eine Medaille mit
63 Diamanten beſetzt; eine goldene Roſe mit 41 Diamanten
nebſt drei kleinen dergleichen, 9 Diamantknöpfe, zwei blau
emaillirte Sterne, jeder mit 6 Diamanten; ein Hutband von
23 goldenen Sternen, jeder mit 7 Diamanten, nebſt der dazu
gehörigen Schnalle mit 9 großen und 23 kleinen Diamanten
beſetzt, welches Kleinod um 800 Gulden verkauſt wurde; ein
goldener Federbuſch mit goldener Huthafte mit 20 Diamanten;
42 goldene Wammsknöpfe, jeder mit 7 Diamanten beſetzt, die
der Kurfürſt von Brandenburg für 1200 Kronen kaufte, und
vieles andere noch. Der Schmuck an Perlen allein füllt zwei
enggeſchriebene Folioſeiten. Darunter kommen drei Hutbänder
mit Roſen von Perlen vor. Funfzehn große Perlen wurden für
3286 Gulden verkauft.


[154]III. Die Neuzeit.

Die Perlen erfreuten ſich ganz vorzüglicher Gunſt. Außer-
dem daß es an den Höfen beſondere Perlenhefter oder Perlen-
arbeiter als beſoldete Diener gab, war es auch eine Lieblings-
arbeit der Damen, einige zur Kleidung oder Toilette gehörige
Stücke wie Hüte und Hauben, Kragen, Aermel, Handſchuhe mit
ihnen zu beſticken und dieſe Gegenſtände als theure Erinnerun-
gen zu verſchenken. Die Muſter waren Blumen und Laubge-
winde in der Weiſe der Renaiſſance, Buchſtaben, Namenszüge
und Sprüche, auch figürliche und allegoriſche Darſtellungen. Die
Fürſtinnen kauften zum Vorrath ein. So beſtellte ſich eine
Fürſtin bei dem fuggeriſchen Factor in Nürnberg vier verſchiedene
Sorten: von der größten Sorte verlangt ſie 10 Unzen, die Unze
zu ungefähr 10 oder 12 Gulden, von der zweiten Sorte etwa
14 Unzen, die Unze zu 10 Mark, von der dritten ebenſoviel, die
Unze zu 8 Mark, und von der vierten kleinſten Sorte 15, die
Unze zu 6 Mark.


Außer den Schmuckgegenſtänden, welche die Kleider über-
zogen, wohin auch die Hutſchnüre und Hutbänder gehören, war
die Mannigfaltigkeit derſelben noch eine ſehr bedeutende. Im
Haar ſaßen Gehänge, Kronen, Reife, Diademe, Perlſchnüre,
Nadeln und anderes; Ohrringe und Ohrgehänge kamen jetzt
auf’s Neue zum großen Aergerniß der Geiſtlichkeit in Mode; den
Hals umzogen Perlenſchnüre; aus Steinen zuſammengefügte
Bänder, goldene Ketten, welche Portraitmedaillen, Kreuze, Cru-
cifixe und andere weltliche oder fromme Gegenſtände trugen,
hingen auf die Bruſt herab; Gürtel oder Leibborten, die mit
ihrem Behang, mit Taſche, Dolch oder reich verzierten Meſſer-
ſcheiden tief herabhingen, lagen loſe um die Hüften; Armringe
umſpannten das Handgelenk, und vor allem wurde auf koſtbare
und zahlreiche Fingerringe viel gegeben. Ringe waren beſonders
beliebte Geſchenke, und wurden auch zum Dank und zur Erinne-
rung von Seiten der Fürſten an verdiente und befreundete Per-
ſonen verehrt. Zu den Schmuckſachen ſind auch die „Paternoſter“
zu rechnen, welche wie Ketten umgehängt wurden und von Ko-
rallen und reicher Juwelierarbeit waren; unten hing ein frommer
[155]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Schmuck daran, ein goldener Heiliger, ein Marienbild mit Je-
ſuskind, eine Dreifaltigkeit, und vorzugsweiſe wohl der Patron
des Trägers. Es findet ſich ſomit in dieſer bußfertigen und doch
gefallſüchtigen und eitlen Zeit das Fromme und das Weltliche
hier an einem und demſelben Gegenſtand vereinigt. Auch gab
es wohlriechende Paternoſter.


Der Schmuck des ſechszehnten Jahrhunderts übertraf den
heutigen, wenn auch nicht an Koſtbarkeit des Materials und
nicht immer an Originalität der Gedanken, ſo doch gewiß an ge-
ſchmackvollerer Form und zierlicherer Faſſung. Es kam hier eine
ausgebildete Ornamentik zu Hülfe, an deren Mangel eben das
heutige Kunſtgewerbe krankt. Die zu Grunde gelegten Ideen
waren nicht immer beſonders ſinnreich: Thierfiguren, ohne viel
Bedeutung gewählt, und Allegorien gaben die Hauptgrundlage
her. So ließ ſich der Herzog von Preußen im Jahre 1544 zu
Nürnberg ein Medaillon verfertigen, welches oben eine Krone
hatte, die von zwei goldenen, weiß emaillirten Löwen gehalten
wurde; unter der Krone war ein großes Rubinherz, welches
180 Gulden koſtete, und unter dieſem der Buchſtabe A in Dia-
manten; über der Krone ſtiegen drei Diamantlilien auf, die
einen Werth von 120 Gulden hatten. Ueberdies war das Ganze
mit orientaliſchen Perlen beſetzt, ſodaß es ohne den Arbeitslohn
auf 682 Gulden geſchätzt wurde. Was die Bedeutung betrifft,
ſo ſchrieb darüber der Künſtler dem Fürſten: „Ich ſchicke hiermit
den Buchſtaben A und hoffe, er ſoll gefallen. Ich hätte ihn
wohl von lauter Diamanten gemacht, wenn es an Bedeutung
der Farben als Smaragd und Rubin geweſen wäre. Der Sma-
ragd oben bedeutet die Keuſchheit zwiſchen dem Rubin in feuri-
ger Liebe auf den beiden Füßen des A in Diamant, welches die
Beſtändigkeit in ſteter Liebe und Leib iſt, mit einem Hängper-
lein, welches die Tugend bedeutet, hinten mit geſchmelztem Blüm-
lein Vergißmeinnicht mit Jelängerjelieber.“ Schon früher finden
ſich Beiſpiele ſolcher allegoriſcher Schmuckſachen. So behing ſich
Johann von Leiden, der König der Wiedertäufer, mit einer Kette
und merkwürdigem Schmuck daran. Derſelbe ſtellte den Erdball
[156]III. Die Neuzeit.
vor, über welchem ein kleines goldenes Kreuz ſchwebte; daneben
waren zwei Schwerter, ein goldenes und ein ſilbernes, und die
Inſchrift: König der Gerechtigkeit über die ganze Welt. Einen
ähnlichen Schmuck trug die Königin.


Für die Feinheit und Reinheit der Haut, ſowie den Teint
wurde die größte Sorgfalt angewendet, wenn auch die Mittel
keineswegs immer ungefährlich waren. Eine Schminke z. B.,
deren Gebrauch ein ganz gewöhnlicher war, beſtand aus Blei-
weiß mit rother Farbe vermiſcht. Zum Waſchen hatte man eine
Menge verſchiedenartiger künſtlicher Waſſer und feiner Seifen;
die beliebteſten unter den letzteren waren die venetianiſche und
die neapolitaniſche. Alle mußten wohlriechend ſein, theils um die
quackſalberiſche Renommiſterei zu erhöhen, theils weil man
glaubte, daß dieſe Wohlgerüche die Luft verbeſſerten und die
böſen und ſchädlichen Dünſte vertrieben. Man führte daher ſtets
duftende Sachen bei ſich, wie man ſie auch in den Schränken
zwiſchen die Kleider legte. Biſamapfel, auch Theſemknöpfe (von
desem, gährender Stoff, Hefe) nannte man ſolche wohlriechende
Kugeln, welche die Damen vom Gürtel herabhangen hatten.
Ein Buch von 1540 giebt die Anweiſung, dergleichen zu bereiten;
es heißt darin: „Von Poma Ambre oder Biſamknöpfe will ich
etliche anzeigen und beſchreiben, darvon das Herz, Hirn, und
leibliche Geiſt nit ringe Erquickung, Stärk und Kräft empfahen
mögen, und erſtlich von den hitzigen Biſamknöpfen, welche zum
füglichſten Winterszeit bei trüber Luft gebraucht werden: Dazu
nimm in den Apotheken gelb wohlriechend Sandelholz 2 Quint-
lein, Paradeis oder Aloeholz 1½ Quintlein, der edlen purpur-
farben Roſenblätter gedörrt, der kleinen gedörrten wohlriechen-
den Baſilien Blätter und Samen, Lavanderblumen, Majoran,
Roßmarin, des Krauſenbalſams oder Münzens, jedes 1 Qntl.,
auserleſene Zimmetrinden, Muscatnuß und Plüet, jedes
½ Quintlein, feiſter auserleſener Nägelein, Cardomomelin, Cori-
ander des gemeinen, des ſchwarzen Corianders jedes 1 Quint-
lein, dieſe Stück ſtoß klein zuſammen und thu dazu folgende
wohlriechende Gummi als: Laudanum 2 Loth, Benzoe oder
[157]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Aſſe dulcis 1 Loth, Storacis Calamite ½ Loth, nimm gut Ro-
ſenwaſſer oder Levanderwaſſer, erweich die Gummi im warmen
Mörſer und mit dem warmen Stößer, und vermiſch dann die
obigen Stuck darunter bis ein Klotz daraus wird, magſt den Bi-
ſam und Ambra zerreiben ſoviel du wilt mit Roſen- oder Laven-
derwaſſer und darunter miſchen, ſo haſt du ein köſtlichen Biſam-
knopf.“ Dann folgen noch weitere Zuthaten für andere Winter-
biſamäpfel und endlich auch das Recept für die Sommerbiſam-
knöpfe. Ferner werden Recepte gegeben für Rauchkerzen, Rauch-
kügelein und Räucherpulver auf den Ofen oder auf die Gluth zu
werfen, für venetianiſche „wohlſchmakende Seife zu dem Bart
und dem Haupt,“ für wohlriechende Säcklein von Seidenzeug
mit Pulver gefüllt, zwiſchen die Kleider zu legen, für wohl-
riechende Oele und Waſſer: es ſind meiſtens dieſelben Stoffe,
die ſich in verſchiedener Miſchung vollſtändiger oder unvollſtän-
diger wiederholen.


Eine beſondere Art von Parfüm, welche am Ende des
ſechszehnten und im Anfange des ſiebzehnten Jahrhunderts vor-
zugsweiſe in bürgerlichen Claſſen Mode war, beſtand aus kleinen
Kränzen oder künſtlichen Blumenbouquets, in welche verſchiedene
Gewürze wie Nelken, oder andere wohlriechende Stoffe, vergol-
det und verſilbert mit Draht hinein verflochten waren. Die
Kränze legte man auch wie Armbänder um die Hand.


Zur Reinigung der Zähne bedienten ſich die Frauen eines
Zahnpulvers oder des Salzes oder Alauns, welches letztere aber
für ſchädlich erklärt wurde. Knaben empfahl man die Zähne
Morgens mit friſchem Waſſer zu ſpülen, denn Zahnpulver ſei
weibiſch.


Zur letzten Vollendung der Toilette war noch der Spiegel
ein ganz unentbehrliches Stück. Seinen Gebrauch zu Hauſe
ſchildert der Hoffartsteufel in folgender Weiſe: „Und iſt nun
unter andern Stücken der Hoffart nicht die geringſte Uebung für
den Spiegel, daß man Leute findet unter Manns- und Weibs-
perſonen, die ihre eigne Uebung vor dem Spiegel haben, hin und
her treten, hinten und vorn ſich ſchauen, ſich renken, lenken,
[158]III. Die Neuzeit.
biegen, den ſchwäbiſchen Tritt, ſo zum Gepräng gehört, ver-
ſuchen, wie fein verzumpfen, ſanft und leiſe, mit zerbrochenen
Tritten auf tauſend Gülden einherſchwanzeliren“ u. ſ. w. In
Form kleiner verzierter Taſchenſpiegel, auf deren Rückſeite
ſich auch wohl ein geliebtes Portrait befand, führten ſie die
Damen auch außer dem Hauſe ſtets bei ſich, ja die Spötter und
Tadler ſagten ihnen nach, ſie hätten in den Gebetbüchern die
Spiegel mit in die Kirche genommen und ſich darin beſchaut,
ſtatt andächtig die Gebete zu leſen.


Die ganze Eitelkeit der Frauen faßt die folgende Schil-
derung zuſammen, welche zwar urſprünglich der Fremde ent-
nommen iſt, aber in der deutſchen Bearbeitung auch auf Deutſch-
land ihre Anwendung finden ſoll. „Da fehlet es an keinem
Waſchen, Schminken und Malen, daß ſie nur allzeit gleich ſchön
ſein: Da können die Apotheker nicht Bleiweiß genug zuführen,
da kann man nicht Alaun, floris Cristalli, boracis praeparati,
deſtillirten Eſſig, Bohnenwaſſer, Kühedreckwaſſer und andere
dergleichen Sachen genug zuwege bringen. Da erfriſchet man
das Angeſicht und machet eine zarte glänzende Haut mit Pfirſich-
kernwaſſer und Limonenſaft; da kräuſet man das Haar und
machet es ſteif auf der Stirn, mit Dragant und Saft von Quit-
tenkern, und kommt eine Theurung beides in Weinſtein und un-
gelöſchten Kalk, daß ſie nur gute Laugen haben mögen, damit ſie
ſich friſch und roth machen und es der Morgenröthe gleich thun.
Da hat man die ſchönſten und beſten Spiegel, auf daß ja nie-
mand betrogen werde. Da hat man das beſte Roſen- und andere
wohlriechende Waſſer, die beſten Geruch von Biſam, Zibet und
Ambra, damit ja Niemand in Ohnmacht falle: da hat man köſt-
liche Ohrlöffel, Kämm, Bürſten, Scherlein, damit ja niemand
ein Schade von Unrath zugefügt werde. Da hat man Schachteln
und Büchslein voll allerhand köſtlichen Recepten und Salben,
die ſie ſelbſt auf alle Fälle bereitet und verfertiget haben. Da
gehen ihre ſtattliche Mägde oder Kammerzelter um ſie her, finden
alle Zeit etwas zu putzen und zurecht zu legen, da finden ſie hin-
ten und vorn zu helfen, die Falten zu ſtrecken, ja auch wann es
[159]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
vonnöthen, laſſen ſie ihnen den Schweif nachtragen. Da ſiehet
man bisweilen die Madonna an dem Fenſter ſtehen mit zur An-
dacht geneigtem Haupt, mit einer güldenen Ketten am Hals,
Armbanden an den Händen und Ringen an den Fingern, mit
Perlen an den Ohren, mit ſchönen Blumen in der Hand: in
Summa auf das ſchönſte herausgeputzet und geſchmücket wie
eine Jeſabel.“ — —


Nachdem wir den Gang der allgemeinen Mode in ihren
Einzelheiten durch die Länder bis zum Schluſſe des ſechszehnten
Jahrhunderts verfolgt und insbeſondere auch Deutſchland ihr
haben erliegen ſehen, bleibt noch die andere Seite des Trachten-
weſens dieſer Zeit zu berühren, diejenigen Kreiſe der Geſellſchaft
nämlich, welche von dem Reich der wechſelnden Mode aus-
ſchieden und ſpäter zu ihr in Oppoſition traten. Freilich, da
eben jene in ihrem großen Gange und ihrer organiſchen Ent-
wicklung vorzugsweiſe der Gegenſtand unſrer Darſtellung iſt, ſo
können wir die Volkstrachten, die ſtädtiſchen wie die länd-
lichen, nur andeutungsweiſe in Betracht ziehen. Wir haben an
ihnen nur die Beſtandtheile der ewig ſich erneuernden Mode ge-
wiſſermaßen nach ihrem Tode zu verfolgen, wie ſie dürr und
abgeſtorben, vom jungen Laube verdrängt, weggeworfen und
vom Sturm der Zeiten hierhin und dorthin geſchleudert ſind.


Wir haben oben in der Einleitung des erſten Capitels aus-
einanderzuſetzen geſucht, wie erſt im ſechszehnten Jahrhundert
durch die politiſche und ſociale Zerſplitterung des deutſchen Reichs
die Bedingungen gegeben wurden, unter denen ſich local eigen-
thümliche und bleibende Trachten bilden konnten. Aber es ge-
ſchah nicht viel mehr, als daß eben die Bedingungen ermöglicht
wurden; nur die Anfänge zeigen ſich, die uns den Weg deutlich
erkennen laſſen, auf welchem die Bildung vor ſich geht; bleibende
Reſultate, Einzelheiten abgerechnet, werden nicht zu Tage ge-
fördert, und wo ſich wirklich das Princip des Beharrens mit
größerer Entſchiedenheit ausſpricht, da fegt es der dreißigjährige
Krieg wieder vom Boden hinweg.


Dem allgemeinen Charakter nach bequemte ſich die Tracht
[160]III. Die Neuzeit.
durch alle Stände hindurch der herrſchenden Mode, und wurde
nur in Einzelheiten, in Form und Schnitt, ſelbſtſtändig. Wenn
wir zunächſt die ſtädtiſch bürgerliche Welt in’s Auge faſſen, ſo
bietet der Mann ſo gut wie gar keine Eigenthümlichkeiten dar;
bis auf den Handwerker nnd ſeinen Geſellen, ſelbſt bis auf den
Bauer ſucht er ſich der laufenden Mode nach Kräften wenigſtens
anzunähern. Er kürzt das Haar, wo er der Sitte des funfzehn-
ten Jahrhunderts gefolgt war, und läßt ſich den Bart wachſen;
er trägt das Federbarett, ſoweit es ihm erlaubt iſt, und ſpäter
das ſteife verkleinerte, und da es in Mißkredit kommt, holt er
wieder den alten Filzhut hervor, der in den Tiefen der Geſell-
ſchaft nie verſchwunden war. Auch mit dem Hemd folgt er den
Wandlungen, läßt die Jacke oder das Wamms wieder herauf-
wachſen über die nackten gebräunten Schultern, Nacken und Hals,
und legt ſelbſt die eingebrannte Krauſe unter Kinn und Ohr
heraus, ſoweit das Geſetz oder die Armuth ihm nicht ein Hemm-
niß waren. Man konnte damals um das Jahr 1560 und 1570
den Zimmermann mit der Axt und den Tiſchler mit der Säge in
der großen landsknechtiſchen Pluderhoſe bei der Arbeit ſehen,
und als die theure Luſt verging, ſtopften ſie nunmehr die unge-
ſchlitzte Pumphoſe aus mit Werg und Kleie von der Hüfte bis
zum Knie. Der Bauer freilich mit ſeiner harten Arbeit auf freiem
Felde wollte nicht viel davon wiſſen. Um das Jahr 1580 reichte
auch das eigentlich ſpaniſche Beinkleid neben dem deutſchen tief
in den Bürgerſtand hinab; tiefer noch die geſpitzten und feinge-
ſchlitzten oder buntbenähten Schuhe, welche jeder Handwerks-
mann bei der Arbeit trug. Nur das grauhaarige Alter hielt, wie
an den Erinnerungen der Jugend, ſo auch an der Tracht ſeines
Blüthenalters feſt, ohne daß dieſelbe auf größere Ehrbarkeit An-
ſpruch machen konnte.


Etwas anderes ſchon iſt es mit der Frau. Zwar folgt auch
ſie mit enger Taille und weit geſpanntem Rock, mit Steife und
Verhüllung der modiſchen Weiſe, doch ſtellen ſich auch mannig-
fach verſchiedene Beſonderheiten ein, die ſich local feſtzuſetzen
ſuchen. Das Kleid zwar hat nichts Eigenthümliches: mit Wülſten
[161]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
um die Schulter oder ohne dieſelben ſchließt es anliegend an die
Arme, reicht bis zum Halſe hinauf und fällt von den Hüften in
glatter Spannung oder regelmäßig eingelegten Falten herab.
Eigenthümlich und durch die Arbeit hervorgerufen ſcheint es,
wenn die Aermel lösbar ſind und die Arme ſelbſt bei ſonntäg-
licher Tracht bloß von den Aermeln des Hemdes bedeckt werden,
welche die Dienſtmägde zur Schulter heraufſtreifen. Die Bür-
gerin trägt das Kleid von der gewöhnlichen Länge, nur die Magd
läßt die Füße ſehen, und bei der Bäuerin ſind oft kaum die Kniee
bedeckt. Auch die Krauſe iſt ein Allgemeingut geworden ſelbſt
bis auf das Landvolk hinaus, und, wenn irgend möglich, läßt
ſich auch die Handwerksfrau und ſelbſt die Dienſtmagd im ſonn-
täglichen Putz oder wohl gar bei der Arbeit die krauſen Man-
ſchetten nicht nehmen.


Zu den Dingen, wodurch ſich die Frau des Bürgerſtandes,
die Handwerksfrau, die Krämerin, ja ſelbſt die Patrizierin von
der Mode ſcheidet, gehören die beiden langen geflochtenen Haar-
zöpfe, welche ſie über den Rücken herabfallen laſſen. Wir haben
ihrer ſchon oben Erwähnung gethan. Schon damals trugen ſie
die Schwäbinnen. Ueber dem Haar hatten die Städterinnen
meiſtens das gewöhnliche modiſche Hütchen, das aus dem Barett
entſtanden war, und häufig noch die netzumſponnene Goldhaube
dazu, natürlich ohne die Zöpfe. Daneben aber erſcheint auch
merkwürdiger Weiſe noch das alte Barett in der vollen Größe
und faſt in alter Geſtalt auf den Köpfen Heidelberger und Frank-
furter, auch wohl Nürnberger Dienſtmägde: ſo tief ſank der
Stolz der Reformationstracht; der einzige formelle Unterſchied
beſteht darin, daß ſtatt der farbigen Schlitze und des wallenden
Gefieders ein buntes Rauchwerk den breiten Rand umzieht. Von
der freien Eleganz freilich, mit der es ſonſt von vornehmen Da-
men getragen wurde, iſt keine Spur übrig geblieben. Pelzhauben
treten überhaupt jetzt mehrfach im bürgerlichen Stand, namentlich
in der dienenden Claſſe, wieder hervor und kommen ſpäter noch
zu größerer Bedeutung. So gelangt das Rauchwerk in der
Volkstracht zu Anſehn, während es aus der Mode verſchwindet.
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 11
[162]III. Die Neuzeit.
Neben den barettartigen oder aus dem Barett entſtandenen Kopf-
bedeckungen tauchen auch wieder alte vorreformatoriſche Hauben
aus der Vergeſſenheit auf: da iſt z. B. die weiße verhüllende
Haube, die an Anſehn und Größe immer tiefer ſinkend gegen
das Jahr 1520 unſern Blicken entſchwunden war; nun hüllt ſie
auf’s neue alte wie jugendliche Köpfe ein, doch nur die der Ver-
heiratheten. Nicht in der breiten Form wie früher ſchließt ſie
ſich näher dem Kopfe an und über die Stirn hereinragend, führt
ſie auch den Namen „Stirnhaube.“ Mit ihr verbunden und ſelbſt
auch mit dem Hütchen und der großen Halskrauſe zeigt ſich noch
die breite entſtellende Kinnbinde, welche Wangen, Mund und
Kinn verdeckt. Das paßt ſehr wenig zuſammen und eines genirt
das andre, aber um der größeren Verhüllung und Ehrbarkeit
willen, zur Sicherung der Gewiſſensruhe wird dieſer läſtige
Widerſpruch geduldet.


Beſonders belehrend über die Lebensſchickſale eines von
der Mode verworfenen Kleidungsſtückes iſt der Goller. Wie
wir früher geſehen haben und wie auch ſein Name andeutet,
war er urſprünglich ein anſchließender Hals- und Schulter-
kragen von dichterem Stoffe, erfunden in der Zeit der tiefen De-
colletirung zum Schutze des Teints und zur Erwärmung. So-
wie das Leibchen zum Halſe hinaufgerückt iſt, hat es ihn über-
flüſſig gemacht und die Mode wirft ihn bei Seite. Nicht ſo aber
die Volkstracht, welche ihn bei Bürgerfrauen wie bei Dienſt-
mägden als zweckloſe Luxustracht in doppelter Geſtalt beibehält.
In der einen bleibt er wie ſonſt ein Schulterkragen von Wolle,
Sammet oder Seide, in der andern verändert er ſich zu einer
Art Leibchen mit kurzen gepufften Schulterärmeln, welches aber
kaum unter Achſeln und Brüſte herunter reicht. So führt er in
Norddeutſchland auch den Namen „Brüſtchen“. Seine Spuren
ſind in der Volkstracht bis auf die Gegenwart zu verfolgen.


Durchaus ein bürgerliches Stück der Frauentracht blieb
auch der Mantel in dieſer Periode, natürlich vom Krönungs-
mantel und ähnlichen Prachtſtücken abgeſehen. Er wurde nur
außerhalb des Hauſes getragen, und auch da eigentlich nur zum
[163]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Schutz gegen das Wetter, oder der Verhüllung wegen in der
Kirche. Seine Form war einfach: meiſtens mit hoch im Nacken
aufſtehendem Kragen lag er eng gefaltet um die Schultern und
fiel mit dieſen gleichmäßigen Falten bis zu den Knieen oder et-
was tiefer herab. Eine Frau im Mantel glich ganz einem can-
nelirten Kegel. Bei Regenwetter wurde er auch in der Art über
den Kopf gelegt, daß der Kragen wie ein Schirm über die Stirn
hinausragte. In der Regenzone des Niederrheins und des nord-
weſtlichen Deutſchlands trugen die ehrbaren Frauen auch den
Mantel wie ein großes Schirmdach mit Fiſchbein oder Draht
über den Kopf ausgeſpannt. Obwohl er in dieſer Geſtalt auch
gegen die Sonne dienen mußte, war er doch eigentlich beſtimmt
ein Regenſchirm zu ſein; dieſer ſelbſt in ſeiner heutigen Geſtalt
iſt erſt eine Erfindung der Zopfzeit, der Zeit des Philiſterthums,
ſodaß ſich hiſtoriſch das Witzwort Brentano’s beglaubigt: Das
ſicherſte Kennzeichen eines Philiſters ſei, daß ihn nie der Regen
ohne Regenſchirm treffe.


In dieſer Periode hört auch die Schürze auf, ein bloßes
Schutzmittel bei der Arbeit zu ſein; ſie wird von Frauen und
Jungfrauen ſelbſt der wohlhabenden bürgerlichen Stände als
eine Zierde getragen und darum mit koſtbaren Borten, mit
Stickereien, Perlen und anderem Beſatz verſehen, ſodaß die Klei-
derordnungen auch hierauf ihre genauen Beſtimmungen erſtrecken
laſſen.


Man ſieht, wie im ſechszehnten Jahrhundert die Bürger-
tracht, indem ſie zur Mode in Gegenſatz tritt, im Ganzen ſich
noch mehr ſtändiſch als local ſondert, doch laſſen ſich auch in
letzterer Beziehung die erſten Merkmale erkennen, indem das
eine Stück hier, ein anderes dort ſich dauernd niederläßt. Es
iſt ähnlich mit der Tracht der Bauern. Die Reformationszeit
hatte bei ihnen nicht viel anders einzuwirken vermocht, als daß
ſie die Sonderbarkeiten des funfzehnten Jahrhunderts, wo ſie
eingedrungen waren, wieder vertilgt hatte. Im Verlauf der
dreißiger und vierziger Jahre iſt von der Aufſchlitzung kaum et-
was anderes zu ſehen als hier und da ein Kranz von Schlitzen
11*
[164]III. Die Neuzeit.
oder Bändern um das Knie herum, viel ſeltner ähnliches an
Armen oder Schultern: häufiger zeigen ſich noch nackte Kniee mit
großen, ſchlotternden Stiefeln. Die gewöhnliche Tracht des
Bauern iſt ein breitkrämpiger Hut, nackter Hals, eine kurze Jacke
oder ein blouſenähnlicher Rock, und wenn er wohlhabend iſt und
das Sonntagskleid anlegt, trägt er noch über der Jacke einen
vorn offenen Oberrock, der ſich von der Schaube nur durch den
Mangel an Fülle, Breite und Beſatz unterſcheidet; an der Seite
führt er auch ein dem Säbel oder dem kurzen Schwert ähnliches
Meſſer in lederner Scheide. So geben uns die Kupferſtiche der
Kleinmeiſter mit den beliebten Bauernfeſten und Bauernſchläge-
reien reiche Beiſpiele. Die Bäuerin, ſei ſie nun Frau oder
Mädchen, trägt durchweg in Deutſchland den ähnlichen Charak-
ter. Was ſie vor allem in ihrem Stande erkennbar macht, iſt
der kurze Rock, der, ſelbſt wenn er länger iſt, wenigſtens auf
den Hüften aufgebunden erſcheint, und daneben das Lockre,
Loſe, ſelbſt Liederliche, womit auch ſtädtiſche Weiſe ſich nach-
geahmt findet. Das Haar bedeckt ein haubenartig umbundenes
Tuch oder irgend ein verſchrumpfter Reſt der reichen Hauben-
formen des funfzehnten Jahrhunderts, oder wenn keines von
beiden, ſo iſt es in Zöpfe geflochten, die entweder neſtartig auf-
gebunden ſind oder frei den Rücken herabfallen. Das Leibchen
iſt oft ärmellos, und dann ſind bei der Arbeit, aber auch beim
Tanz, die Hemdsärmel bis zu den Schultern heraufgeſtrichen.
Noch findet ſich der Ausſchnitt und reicht oft bis unter die Brüſte,
und nicht immer ſind dieſelben vom Bruſthemd, vom Koller oder
einem kamiſolartigen Oberleibchen bedeckt. Bei der Hochzeit
trägt auch die junge Bäuerin die Zöpfe losgeflochten und das
aufgelöſete Haar wallend über Rücken und Schultern ausge-
breitet.


Nach dem Jahre 1550 dringen die Moden ſchon tiefer nach
unten bis in die entlegenſten Gegenden, und es dürften nament-
lich die proteſtantiſchen Geiſtlichen ſein, welche ihr Vorſchub lei-
ſten, indem ſie die Ehrbarkeit predigen. So verſchwindet nun
alle und jede Decolletirung auch auf dem Lande, und Jacke wie
[165]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Leibchen gehen ſteif unter Kinn und Ohr, aber damit wächſt
auch die Kröſe bei Männern wie bei den Frauen heraus. An
Ellbogen, Knieen und Schultern bleiben zuweilen noch eine Zeit-
lang kleine Schlitze oder aufgenähte bunte Streifen als leichte
Zierde; weit häufiger ſind die dicken Wülſte, welche ſich um und
über die Schultern erheben, und wohl heute noch hier und da
als die „Schinkenärmel“ erkennbar ſind. Die Pluderhoſe des
Landsknechts, die auch der Bürger und Handwerksgeſell ſich an-
geeignet hatten, wies der Bauer zurück, und es ſind daher gegen
Ende des Jahrhunderts eine enge Kniehoſe, Strümpfe und
Schuhe bei wohlhabender ländlicher Bevölkerung keine ſeltene
Erſcheinung. Größeren Beifall fand aber die „Pumphoſe“ oder
die „Schlumperhoſe“, und ſie nahm in vielen Gegenden dauern-
den, auch wohl bleibenden Beſitz. Beſonders gründete ſie in den
tiefer liegenden Gegenden eine feſte Herrſchaft, während das
Gebirg ſie nicht gebrauchen konnte und das kurze Beinkleid, den
Strumpf und das nackte Knie vorzog. An der Niederelbe bei
Hamburg in den ſ. g. Vierlanden können wir noch heute die
Pumphoſe ſehen, und der Holländer betrachtete ſie faſt als natio-
nales Palladium, wenn er auch die Beſtandtheile änderte. In
der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts ſchildert ſie der Englän-
der Oliver Goldſmith nach eigener Anſchauung in folgender
Weiſe: „Der richtige Holländer iſt eine der ſonderbarſten Figu-
ren auf der Welt; auf einem ſchmalen Kopf voll Haar trägt er
einen halb aufgekrämpten engen Hut mit ſchwarzem Band beſetzt,
keinen Rock, aber ſieben Weſten und neun Paar Hoſen, ſodaß
ſeine Hüften beinahe unter den Achſeln anfangen.“ In dieſer
Breite ſeiner Erſcheinung, der ein wohlgenährter Körper zu Hülfe
kommt, ſymboliſirt ſich das Phlegma und die ſchwere Würde des
holländiſchen Nationalcharakters. Die Ehehälfte entſpricht ihm
darin völlig, indem ſie nach den Worten Goldſmith’s für jedes
Paar Hoſen des Gemahls zwei Unterröcke anzieht. Das iſt nur
die volksmäßige Umwandlung des Reifrocks, der Vertugalla,
welche zugleich mit der männlichen Pumphoſe unter das Land-
volk ſich verbreitet hatte. — Eine damals originelle Beinbeklei-
[166]III. Die Neuzeit.
dung iſt nur die Schifferhoſe, die an den nördlichen Küſten die
Seeleute tragen; weit und lang bis zu den Füßen und unten
offen, gleicht ſie genau der heutigen Turnerhoſe: die Art der
Schiffsarbeit bedingt ihre Geſtalt, und ſie iſt darum unwandel-
bar geblieben. Die gewöhnliche Fußbekleidung iſt der Schuh,
welcher den ganzen Fuß in ziemlich plumper Geſtalt bedeckt, aber
die Marſchgegenden und der ſchwere leimige Boden laſſen den
Stiefel dort in größerem Gebrauch erſcheinen.


So kann eigentlich im ſechszehnten Jahrhundert von einer
Volkstracht im heutigen Sinne des Worts weder in Städten
noch auf dem Lande die Rede ſein; es ſind nur die Anfänge
des Werdens ſichtbar, die überall unter denſelben Geſetzen vor
ſich gehen. Es dürfte kein deutſcher Stamm, keine noch ſo ent-
legene Gegend davon auszunehmen ſein. Gehen wir z. B. zu
den Dithmarſen, einem Völkchen, das, freiheitsliebend und ab-
geſchloſſen im ganzen Mittelalter, noch am Schluſſe deſſelben die
blutigſten und glücklichſten Kämpfe für ſeine Unabhängigkeit ge-
führt hat. In ſeiner Tracht findet ſich in der zweiten Hälfte oder
gegen den Schluß des ſechszehnten Jahrhunderts keine Spur von
Originalität. Da iſt z. B. ein Mann aus dem Städtlein Eider-
ſtadt — unſre Quelle iſt Braun’s Städtebuch —, der erſcheint
völlig modern in der Weiſe um 1570: ein runder ſpaniſcher Hut
mit mäßiger Krämpe und Feder, ein geſtutzter, gegen das Kinn
ſpitz zulaufender Vollbart, mäßige Pluderhoſe mit Pluderlatz,
aber bis über die Kniee hohe umgekrämpte Stiefel, kurzes
Wamms und an der Seite einen kurzen, bäuriſchen Säbel. Ein
anderer trägt die Pluderhoſe in landsknechtiſcher Weiſe, den rau-
hen Landsknechtshut mit ſchmalem Rand und Feder, langen Voll-
bart und das kurze ſpaniſche Mäntelchen. Ein dritter iſt mit der
Schifferhoſe bekleidet, einem gewöhnlichen Wamms mit Schul-
terwülſten und dem geſchlitzten ſpitzigen Schuh. Einer trägt die
ſpaniſche Hoſe, andre abgerundete Schuhe: nirgends erblickt
man etwas Feſtes oder Originelles. Die Frauen tragen theil-
weiſe noch wulſtige Hauben, die ſtark ans funfzehnte Jahrhundert
erinnern, theils dick geflochtene Zöpfe, die Bruſt bedeckt und auch
[167]2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
den Koller dazu, regelmäßig enggefaltete, weite Röcke, die aber
nicht tief über das Knie herabreichen, an der Seite Taſchen und
Meſſer und des Kothes wegen auch Unterſchuhe. Einige der
Frauen tragen Halskrauſen und Schulterpuffen, bei den meiſten
ſind die Aermel eng.


Aehnliches ließe ſich nun überall aus Deutſchland berichten,
vom Niederrhein, aus der Pfalz, von Augsburg, Bremen u. ſ. w.
Ueberall treten die Krauſen und das verhüllende Wamms und
Leibchen auf beim Bauer wie beim Bürger, Schulterpuffen, die
Kniehoſe und der geſtrickte Strumpf, das kurze Röckchen der
Frauen, glatt oder in enge Falten gelegt, der Hals- oder Bruſt-
koller, die Schürze, die langen Flechten, die den Fuß bedeckenden
Schuhe oder ſtatt derſelben bei den Männern der hohe Krämp-
ſtiefel, welcher in der nächſten Periode zu hohen Ehren gelangen
ſollte. Mit dem ſiebzehnten Jahrhundert aber werden die Son-
derungen auch in localer Beziehung ſichtbarer, jenachdem die
Moden zu verſchiedenen Zeiten an die einzelnen Gegenden her-
antreten.


[[168]]

Drittes Kapitel.
Der Naturalismus und das Stutzerthum des
dreißigjährigen Kriegs
. 1600—1650.


Wir lernten in der vorigen Periode die Entſtehung des
ſpaniſchen Coſtüms kennen, wir ſahen es zur allgemeinen Herr-
ſchaft über die civiliſirte Welt des Abendlandes gelangen, aber
wir hatten auch ſchon Gelegenheit anzudeuten, wie einzelne be-
zeichnende Veränderungen ſeinen Sturz voraus verkündeten.
Sein Verderben hängt mit der Geſchichte Spaniens in Politik
und Cultur zuſammen: verblutend an dem langen Kampfe mit
den Niederlanden, entſagte dieſes Land der Ehre, die erſte Rolle
im chriſtlichen Völkerleben zu ſpielen; im Abſolutismus erſtarrt,
blieb es auch in innerer Entwickung hinter den übrigen Staaten
zurück, und ſo hielt es denn auch mit Zähigkeit an ſeiner einmal
ausgebildeten Tracht feſt, als ob ſie einer Weiterbildung nicht
fähig ſei oder vielmehr als Ideal derſelben nicht bedürfe. Aber
währenddeß ſchritt die Mode überall anderswo unaufhaltſam
vorwärts, ſich wandelnd mit dem Weſen der Zeiten.


Frankreich trat nun ſofort in allen Dingen an die Stelle
Spaniens, wenn es ſeinen Einfluß auch erſt in der nächſtfolgen-
den Periode bis zur abſoluten Herrſchaft ausdehnen ſollte. Wie
es die Entwicklung der Dinge mit ſich gebracht hatte, daß Spanien
und der Katholicismus Verbündete geworden und der letztere
dem erſteren in Deutſchland Eingang verſchafft hatte, ſo waren
[169]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
es nun wieder die proteſtantiſchen Fürſten, insbeſondere die cal-
viniſtiſchen, deren Stellung zum Reich und zum Kaiſer ſie zu
den innigſten Beziehungen mit Frankreich veranlaßte und dem
franzöſiſchen Weſen Thür und Thor öffnete. Längere oder kür-
zere Zeit am Hofe zu Paris lebend, brachten ſie von dort Frank-
reichs Sprache, Litteratur und Sitte mit und bürgerten ſie in
der Heimath ein. Damals begannen die Reiſen der deutſchen
Prinzen zu fremden Höfen, und es iſt nicht zu läugnen, daß
eben hierdurch ſich die calviniſtiſchen Fürſtenhäuſer eine Zeit-
lang vor den altlutheriſchen, wie Churſachſen, durch größere
Bildung und ein feineres, geiſtigeres Leben auszeichneten. Dieſe
hielten noch an Deutſchland feſt und wollten nichts von Frank-
reich wiſſen. Indeſſen als die guten Früchte der Reformation
vergeſſen waren und die Geiſtlichen den Fürſten gegenüber will-
fährig nachgiebige Beichtväter wurden, blieb von der alten Ehr-
barkeit und Ehrenhaftigkeit nicht viel übrig als Trinkgelage und
Jagdfreuden. Die katholiſchen Höfe mit dem kaiſerlichen folg-
ten erſt italieniſchen Einflüſſen, bis ſie endlich alle mit einander
Frankreich in ſeine Netze zog.


Die Folge der dauernden Herrſchaft Frankreichs für das
ganze Culturleben der höheren und gebildeten Geſellſchaft iſt,
daß ſich dieſes in allen ſeinen Zweigen, im Umgangston, in der
Denk- und Sprechweiſe, in der Sitte und ebenſo auch in der
Tracht nach dem einen Vorbilde zu einer überall gleichen Phy-
ſiognomie umwandelt. Die Geſchichte des Coſtüms betritt da-
durch eine geſchloſſene Bahn, einen völlig einheitlichen Gang,
die Mode erhält den Charakter der Unerbittlichkeit, die nichts
anderes neben ſich duldet: à la mode iſt das Schlagwort der
neuen Zeit, und was nicht alamode iſt, wird als altfrän-
kiſch
verworfen. Es iſt ſomit für die eigentliche „Geſellſchaft“
— und das iſt eben diejenige, welche das Reich der Mode um-
faßt — kein Kampf verſchiedenartiger Trachtenformen mehr vor-
handen; die Rivalität der Nationen ſpielt hier keine Rolle mehr:
es iſt auf dem einen graden Wege, auf dem Frankreich voran-
geht, den aber die allgemeine Entwicklung der Culturzuſtände
[170]III. Die Neuzeit.
vorzeichnet, ein beſtändiges Auf- und Abſteigen, ein Werden
und Vergehen, ein Erzeugen neuer Formen, denen unbedingt
zu folgen hat, wer ſich auf der Höhe der Zeit halten, wer mit
der Mode gehen will. Um ſo feſter ziehen ſich ihrerſeits die bür-
gerlichen und ländlichen Kreiſe zuſammen, und hier allein findet
ein Kampf ſtatt, ein Kampf gegen das Eindringen der Mode,
aber erſt nachdem ſich feſte Trachtenformen aus dem wechſelvollen
Strome abgeſetzt haben, und nachdem ihr Urſprung, der ihre
Originalität in Zweifel ſetzen konnte, in Vergeſſenheit ge-
rathen iſt.


Es iſt mit der Herrſchaft Frankreichs im Gebiet der Trach-
ten, wie es früher mit dem ſpaniſchen Coſtüm war; die Welt
der Ereigniſſe und der Lauf der Dinge hatte ihm den Boden be-
reitet und die Geiſter zur Unterwerfung willfährig gemacht. Auch
jetzt um das Jahr 1600 tritt der gleiche Fall ein: der Rückſchlag
gegen die ſpaniſche Zwangsherrſchaft und die Richtung, in wel-
cher er erfolgte, leiſteten Frankreich Vorſchub, öffneten ihm das
Thor und bahnten den Weg, doch traten bald die Ereigniſſe in
Deutſchland mit ſo wuchtvoller Schwere auf, daß die Entwick-
lung des Coſtüms ſich hier überſtürzte, ſelbſt von der vorge-
zeichneten Bahn abwich und in dieſer Abweichung nicht ohne
Rückwirkung auf Frankreich blieb. In ſo unwiderſtehlicher Weiſe
äußerte der dreißigjährige Krieg ſeine Wirkungen auch auf dieſem
Gebiet.


Das neue Jahrhundert beginnt faſt überall mit einer mehr
oder weniger deutlich ausgeſprochenen Oppoſition gegen den
Zwang, das hohle Pathos und den geſpreizten Manierismus in
Kunſt, Sitte und Tracht. Man wird ſich der Unnatürlichkeit des
Zuſtandes bewußt und will ſich losringen von dieſen Feſſeln und
in die rechte Bahn der Natur wieder einlenken. Der erſte Rück-
ſchlag erfolgte in Italien und zwar auf dem Gebiet der Kunſt.
Es war die Familie der Caracci, welche mit viel Talent und
größerer Energie den Manieriſten den Krieg erklärten, aus
welchem ſie auch als Sieger hervorgingen. Allein ihr Genie war
nicht groß genug, um ſie ſofort in die rechte Bahn zu werfen.
[171]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Statt mit originaler Schöpferkraft die Natur allein zur Führerin
zu nehmen, ſchloſſen ſie ſich ihren großen Vorgängern an, ſtell-
ten ſie als Muſter auf und zogen von ihnen die Regeln ab, die
ſie in ein Syſtem zuſammenbrachten. So ſchufen ſie die erſte
akademiſche Kunſt, in deren Weſenheit es lag, daß ſie immer
hinter den Vorbildern zurückbleiben mußte und den Schein des
verſtandesmäßig Gemachten nicht abzuſtreifen vermochte. Was
ſie erreichten, war zwar größere Einfachheit und Naturwahrheit,
aber ihre Schule verlief ſich in Schematismus und Unbedeutend-
heit. Indem aber die Eklektiker einem verſtandesmäßig zuſam-
mengeſetzten Ideal nachſtrebten, abſeits vom Wege der Natur,
warf die Oppoſition gegen ſie eine Reihe mächtiger begabter
Künſtler in das Extrem des Naturalismus. Es waren Michel
Angelo da Caravaggio, Spagnoletto und ihre Nachfolger, welche
die irdiſchen Leidenſchaften walten ließen, die das Heilige durch
ihre Darſtellung profanirten und ſtatt des Idealſchönen das Häß-
liche, die gemeine Natur feierten.


Ganz anders ging es in den Niederlanden. Hier hatte das
Volk in dem langen Kriege für religiöſe und nationale Unab-
hängigkeit einen Lebenskampf durchzumachen gehabt, welcher
einer Wiedergeburt gleich kam; alles Gemachte und Geſuchte,
jede Manier ſchien abgeſtreift, der Volksgeiſt war frei von Be-
fangenheit und vermochte im Einklang mit der Natur und in
urſprünglicher Friſche zu empfinden und zu ſchaffen. Da trat
Rubens auf mit der unverſiegbaren Fülle der genialſten Schöpfer-
kraft, erfaßte das Leben, wie es ſich im Großen und Kleinen um
ihn bewegte, allſeitig und in urſprünglicher Schönheit und wußte
die Gegenſtände in gleicher Vielſeitigkeit und gleicher Lebensfülle
künſtleriſch darzuſtellen. Er kannte die Höhen und die Tie-
fen, das Erhabene und das Kindliche, das Tragiſche und das
Komiſche, den Menſchen, die Thierwelt und die unbelebte Natur,
und ſelbſt in dem todten Gegenſtand wußte er den Kern, den
Lebensfonds, zu finden und wiederzugeben. So gab es keine
Seite der Geſchichte und der Natur, keinen Zweig der Kunſt,
den er nicht ſchöpferiſch erfaßte, andern die Bahn weiſend. Und
[172]III. Die Neuzeit.
daß er ſie alle, ſeine Mitſtrebenden und das ganze jüngere und
nachfolgende Geſchlecht, ſeines Weges zu führen wußte, alle
Künſtler, welche Gegenſtände ſie erwählten und welche Technik
ſie übten, daß ein ganzes Jahrhundert der Kunſt genug hatte,
die von ihm angeſchlagenen Richtungen zu gehen und zugleich
mit originaler Meiſterſchaft zur Vollendung zu führen, davon
war der Grund, daß er ſie auf die Natur hinführte und ſie lehrte,
in ihr mit freiem Blick die urſprüngliche, ungetrübte Schönheit
zu erblicken. Dieſem Naturalismus verdanken die Niederlande
eine Blüthenperiode der Kunſt, die keiner andern zu weichen
braucht an Schönheit wie an Originalität.


Nicht ſo gut erging es Frankreich auf dem naturaliſtiſchen
Wege. Seine Läuterungsperiode der religiöſen Bürgerkriege war
nicht tiefgehend geweſen, und es fehlte ihm ein Rubens, der den
rechten Weg hätte führen können. So wurde zwar der Manie-
rismus abgeſtreift, aber es mangelte der entgegengeſetzten Rich-
tung an Muth, ſchöpferiſcher Kraft und unbefangener Empfin-
dung. Die Sehnſucht nach der Natur aus den verzerrten und
verſchrobenen, überfeinerten Geſellſchaftszuſtänden ſpricht ſich in
mannigfacher Weiſe aus. Ein Zeichen davon iſt der ungemeine
Beifall, mit welchem grade in dieſer Zeit der erſte Schäferroman,
Honoré d’Urfée’s Aſträa, aufgenommen wurde: alles fand Wohl-
gefallen an dem Unſchuldigthun der verliebten arkadiſchen Schä-
fer und Schäferinnen, aber es war nur eine Koketterie, denn
Urfée hatte dem zierlichen Salonweſen nur ein ländlich-idylliſches
Kleid angezogen. Der blaſirten Welt gefiel dieſes neue Masken-
ſpiel. Aehnlich blieb der ganze Naturalismus in Frankreich nur
eine Koketterie. Indeß wurde doch ſeit dem Tode Heinrichs III.,
der ſich auf dem Throne zur Carricatur Philipps II. gemacht
hatte, die ſteife ſpaniſche Weiſe am franzöſiſchen Hofe geſtürzt,
und ein leichterer, freierer und geiſtvollerer, wenn auch nicht ſitt-
licherer Ton eingeführt.


Dieſer letztere kam auch nach Deutſchland herüber und be-
herrſchte zunächſt die Höfe, während in der Maſſe des Volks der
entſetzliche Krieg den Naturalismus nicht zu ſo glücklicher Wir-
[173]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
kung kommen ließ, wie in den Niederlanden. Eine freiere Rich-
tung kündigte ſich im geſellſchaftlichen Leben an, wie in der Litte-
ratur und in der Kunſt. Für die letztere aber war dieſe Zeit die
am allerwenigſten günſtige, ſodaß ſie ſich nirgends zu einer origi-
nalen Aeußerung, nicht einmal zur Entfaltung der vorhandenen
Kräfte erhob; wenn wir von dem volksmäßigen Kupferſtich ab-
ſehen, welcher der Zeitgeſchichte diente, ſo verſchwindet die Kunſt
faſt unſern Blicken. Die Sprache erlag dem unglaublich raſchen
Eindringen des Fremden, aber ſofort auch regt ſich die naturge-
mäße Oppoſition in den Verbindungen zur Reinigung der Sprache,
deren erſte, „die fruchtbringende Geſellſchaft“, im Jahr 1617 ge-
ſtiftet wurde. Aber es lag in dieſer Zeit, daß, was geſchah, durch
Ueberſtürzung faſt mehr verdarb als gut machte. So geriethen
dieſe Geſellſchaften auf den Gedanken, ſtatt der fremden Wörter
neue deutſche zu erfinden, und machten nun aus dem bunten Ge-
mengſel eine noch unverſtändlichere Carricatur. Es war rühm-
lich und zeitgemäß, wenn die poetiſchen Köpfe in der Nation die
gelehrte Dichtkunſt aufgaben und deutſche Verſe ſtatt der lateini-
ſchen machten und, wie Opitz, ſogar die Natur als Führerin auf-
ſtellten, aber theils blieb es bei dem Aufſtellen dieſes guten Vor-
bildes, theils fügte man ſich im beſſeren Fall dem franzöſiſchen
Einfluß, im ſchlechteren und in der Proſa allgemeineren dagegen
artete der Naturalismus in widerliche Roheit der Gedanken, der
Formen und der Sprache aus. In dieſer Richtung wirkte der
lange Krieg auf die verderblichſte Weiſe, indem er alles Schöne
im Keim erſtickte, allem Leben den moraliſchen Halt und den rech-
ten Maßſtab der Dinge nahm. Er ſtumpfte das Gefühl ab,
trieb die Freiheit und Natur zur Verwilderung, die Beſchränkung
und Befangenheit zur Uebertreibung und Ungebundenheit, die
Bußfertigkeit, Frömmigkeit und Gottesfurcht, die Guſtav Adolf
noch im Heere aufrecht zu erhalten ſuchte, ja ſelbſt den Religions-
haß zur Gleichgültigkeit, zur Gottloſigkeit bis zum Spott des
Heiligen. So war in den beiden letzten Jahrzehnten des Kriegs
alles in ſeinen äußerſten Gegenſatz umgeſchlagen.


Denſelben Weg werden wir nun auch in der Geſchichte des
[174]III. Die Neuzeit.
Coſtüms zu verfolgen haben. An jedem Ende des Weges ſteht
ein renommiſtiſcher Stutzer als höchſte Blüthe: hier am Anfang
der ſteife Spanier, von Kopf zu Fuß ein Höfling, zierlich und
geſpreizt, unnatürlich beengt, mit ſtraff geſpannten Wülſten um-
legt, gemeſſen und abſichtsvoll in jeder Bewegung, geſchmückt,
aber ſolide und koſtbar, unfrei, aber ſelbſtzufrieden und eitel und
ſtolz auf ſeine, wie er meint, imponirend elegante Erſcheinung;
ihm gegenüber am andern Ende der ſoldatiſche Renommiſt oder
ſeine Carricatur, der civiliſtiſche Stutzer, lockre, leichte Geſellen,
ohne Ehrgefühl, das dem Spanier das Rührmichnichtan iſt,
Flattergeiſter, Glücksritter, die von heute auf morgen leben,
Schaumblaſen des Kriegs, frei und ungenirt wie der Vogel in
der Luft oder das Thier des Waldes, oft aber auch wie das ge-
hetzte Wild, loſe und ſchlottrig in der Kleidung, die, nirgends
anſchließend, herumhängt und herumflattert, langlockig, mit
breitem Schlapphut und coloſſalem Gefieder behängt, mit lappi-
gem Schmuck, mit leichter Waare, die nicht viel koſtet, aber luſtig
umherfliegt, bis ſie am nächſten Zaun oder Dornbuſch in Fetzen
hängen bleibt. Dazwiſchen liegt ein maleriſch reizvolles Coſtüm,
die Freude unſrer Künſtler von der Leinwand wie von den Bret-
tern, frei und keiner Bewegung ein Hinderniß darbietend, reich
an Farben, Formen und natürlichen Falten, elegant und doch
nicht gezwungen, luftig, aber nicht ſchlottrig, mit ſeinem flotten,
kriegeriſchen Ausdruck den kühnen und tapfern Parteigängern
des dreißigjährigen Kriegs, den Rittern von der Pike, ent-
ſprechend im Gegenſatz zur ſchwereren Pracht des altadeligen
Ritters von ehemals.


Der männliche Kopf iſt auch diesmal wieder der Wetter-
prophet, indem er ſich gegen das kurze Haar, den ſtehenden Kra-
gen und den ſteifen Hut zu ſträuben beginnt. Schon 1586 ſtoßen
wir bei Oſiander auf die erſten ſchon oben erwähnten Andeu-
tungen. Allein ſo lange die Krauſe noch ihre ſteife, unter den
Ohren und im Nacken emporſtehende Geſtalt behielt, waren
ſolche Verſuche erfolglos und vereinzelt. Mit dem Beginne des
ſiebzehnten Jahrhunderts fängt aber dieſe Schranke zu fallen an,
[175]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
und damit wird dem Haupthaar die Freiheit des Wachsthums
zurückgegeben. Indeß konnte das nur allmählig und langſam
geſchehen, denn die Krauſe leiſtete heftigen Widerſtand und war
erſt nach Verlauf von drei Jahrzehnten völlig beſeitigt oder um-
gewandelt. In doppelter Geſtalt, deren Anfänge wir bereits um
1600 bemerken können, gab ſie der neuen Zeitſtrömung nach.
Einmal, und das war für den Wuchs des Haupthaares zunächſt
der günſtigere Fall, behielt ſie zwar ihre Breite und „ſchlangen-
windige“ Dicke, trat aber von Kinn und Ohren zurück und legte
ſich herab auf Schultern und Rücken. In dieſer Form können
wir ſie noch bis über das Jahr 1630 hinaus verfolgen, dann
verſchwindet ſie völlig aus der modiſchen Welt; indeß friſtet ſie
noch, wie ſchon erwähnt, bei Rathsherren und Geiſtlichen faſt
zwei Jahrhunderte lang ein lebloſes, der organiſchen Weiter-
bildung unfähiges Daſein.


Die zweite Weiſe, in welcher ſich die Krauſe ändert, iſt be-
deutungsvoller, denn durch ſie entſteht der für das Coſtüm des
dreißigjährigen Kriegs ſo charakteriſtiſche Spitzenkragen.
Wir haben ſchon in der vorigen Periode geſehen, daß die große
dreifach gewundene Krauſe zur Stütze ein Untergeſtell erhalten
hatte, einen ſcheibenförmigen Kragen, der über Gold- oder Sil-
berdraht ausgeſpannt war. Indem nun dieſer ſchlichte Unter-
kragen mehr und mehr bloß aus den feinſten, koſtbarſten und
kunſtreichſten Spitzen in den zierlichſten Muſtern gebildet wurde,
verlor die Krauſe ſelbſt an Bedeutung, ſodaß ſie ganz wegge-
laſſen werden konnte und man den Unterkragen allein trug.
Dieſer neue Kragen war durch die breiten Spitzen, welche faſt
unmittelbar am Halſe begannen, ein koſtbares Stück, und wir
ſehen ihn daher in den erſten Jahrzehnten des ſiebzehnten Jahr-
hunderts vorzugsweiſe von fürſtlichen Perſonen getragen. Allein
in dieſer ſteifen, durch Draht geſtützten Geſtalt widerſtrebte er
der Zeitſtrömung, da er im Nacken aufgerichtet ſtand wie ſein
Vorgänger. So muß auch er ſich bequemen und legt ſich nun
ſchlaff auf die Schultern herab.


Zu dieſen beiden geſellt ſich noch eine dritte Form, der
[176]III. Die Neuzeit.
ſchlichte walloniſche Reiterkragen, welcher, in dem niederländiſchen
Kriege viel geſehen, unter dieſem Namen ſchon in der zweiten
Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts nach Spanien gekommen
war. Seine Einfachheit und Billigkeit empfahl ihn für den
Kriegsgebrauch, weßhalb er auch ſo ziemlich den ganzen dreißig-
jährigen Krieg hindurch ſich neben dem Spitzenkragen behauptet:
es war ein ſchlichter weißer, unverzierter Kragen, der etwa in
Handbreite oder mehr ſich um den Halsrand des Wammſes her-
umlegt.


Bis zum Jahre 1630 gehen alle dieſe Formen neben ein-
ander her, dann aber wird für den Schluß dieſer Periode der
ſchlaffe und breite weiße Kragen mit gezacktem Spitzenrand weit
überwiegend. Das Haar hat damit völlige Freiheit erhalten und
macht auch von derſelben den ausſchweifendſten Gebrauch. Beide,
die Männer des Krieges wie des Friedens, laſſen es nun wach-
ſen, bis es ſich wallend um die Schultern legt. Auf der Mitte
der Stirn wird es geſcheitelt, und dann ſinkt es kunſtvoll nach
beiden Seiten wellig oder mit geringelten Locken in ſchönem
Fluſſe herab.


Aber bei ſoviel Haupthaar konnte dem Barte unmöglich
ebenſoviel Freiheit und Fülle geſtattet werden; es wäre des Gu-
ten zu viel geweſen. Vielmehr bemächtigt ſich ſeiner die Stutzer-
haftigkeit dieſer Zeit und behandelt ihn in zierlicher Weiſe. Es
iſt ſomit die Umkehr der vorigen Periode: damals kurzes Haupt-
haar und Vollbart, jetzt Locken und Spitzbart. Dem Bart auf
der Oberlippe iſt Anfangs noch einiges Wachsthum geſtattet,
aber er wird hinaufgebürſtet und geſteift. An die Wangen legt
ſich das Scheermeſſer und hält ſie gänzlich glatt; Kinn und
Unterlippe behalten ihren Schmuck, Anfangs in breiterer Geſtalt,
bald aber nach unten zugeſpitzt. So entſteht die Form, die wir
heute den „Wallenſteiner“ nennen. Die Franzoſen waren auf
dieſem Wege in noch ausgeſuchterer Zierlichkeit mit dem Henri
quatre
vorangegangen. In Deutſchland bemächtigt ſich der
Wallenſteiner in gleicher Weiſe der civilen wie der militäriſchen
Geſichter, und auch nicht die Geiſtlichen ließ er ungeſchoren.
[177]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Schon in den erſten Jahrzehnten des ſiebzehnten Jahrhunderts
folgen z. B. die Köpfe aller Erzbiſchöfe und Biſchöfe, wie uns
zahlreiche Portraits lehren, mit Locken und Spitzbart der neuen
Mode, und die proteſtantiſche Geiſtlichkeit konnte ſich ſpäter nur
unſchwer wieder davon trennen.


Gleichzeitig mußte ſich auch der ſteife Hut umwandeln,
dem der deutſche Kopf ſich nicht mehr fügen wollte, obwohl eben
erſt der ſchlaffe Filzhut des Bauern ſich nach ihm geformt zu
haben ſchien. Dieſer aber war es, welcher, praktiſcher für den
Kriegsgebrauch, heraufdrang und die ſeidenen und ſammtnen
Hüte aus dem Felde ſchlug. Der erſte Gewinn war, daß der
neue Filz ſich nachgiebig um den Kopf herumſchmiegte; aber die
rechte Form war nicht ſobald gefunden, und man ſchwankte hin
und her zwiſchen breiter und ſchmaler Krämpe, hohem und nie-
derm, rundem und ſpitzem Kopf, ſodaß Philander von Sitte-
wald im „Alamode Kehrauß“ noch in dieſer Weiſe darüber reden
konnte: „Wie viel Gattungen von Hüten habt ihr in wenig
Jahren nicht nachgetragen? Jetzt ein Hut wie ein Ankenhafen,
dann wie ein Zuckerhut, wie ein Cardinalshut, dann wie ein
Schlapphut, da ein Stilp (Krämpe) Ehlen breit, da ein Stilp
Fingers breit; dann von Geiſſenhaar, dann von Kameelshaar,
dann von Biberhaar, von Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein
Hut als ein Schwarzwälder Käß, dann wie ein Holländer Käß,
dann wie ein Münſter-Käß.“ Bei allen dieſen Formen blieb die
ſchlaffe Nachgiebigkeit die Haupteigenſchaft, zu welcher dann der
breite Rand, den man nach Belieben auf der Seite aufkrämpen
konnte, völlig allgemein und dauernd wurde. Mit ihr verband
ſich die wallende Feder als bedeutungsvolle Zierde der kriegeriſch
flotten Zeit, nebſt vielerlei anderem Schmuck, auf den wir noch
zurückkommen werden.


Das Wamms war im ſechszehnten Jahrhundert durch die
gewaltige Ausladung des Beinkleides an den Hüften zur Puff-
jacke zuſammengeſchrumpft; erſt mit dem Falle deſſelben konnte
es wieder naturgemäßes Wachsthum erhalten. Zwar ging die
Hoſe, was Deutſchland betrifft, noch mit der vollen Maſſe der
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 12
[178]III. Die Neuzeit.
Ausſtopfung ins neue Jahrhundert hinüber, aber der veränderte
Geſchmack kündigt ſich ſofort dadurch an, daß die pralle Run-
dung einer faltig ſchlotternden Maſſe weicht, die um den Ober-
ſchenkel herumhängt. Alle Schlitzung oder mehrfarbig aufgenäh-
ten Zierrath weiſet ſie ab. Statt deſſen gewinnt die äußere Sei-
tennaht größere Bedeutung, indem ſie mit einer Reihe prunken-
der Knöpfe beſetzt und von unten her gewöhnlich eine Strecke
offen gehalten wird, welche Oeffnung mit feinem weißen Stoffe
unterlegt erſcheint. Um die Kniee oder vielmehr unter denſelben
iſt dieſe Form des Beinkleides mit einem farbigen Bande ge-
ſchloſſen, welches zu den Seiten in einer großen Schleife herab-
fällt. Der Anſtoß zu einer weiteren Veränderung ging ebenfalls
von Paris aus. Hier zuerſt wurde etwa gegen das Jahr 1630
alle und jede Ausſtopfung abgewieſen, ſodaß ſich nunmehr das
Beinkleid völlig naturgemäß etwa in der modernen Weite bis
unter das Knie herabſenkt, wo es mit einem Spitzenrande um-
geben ſich anſchließt. In dieſer einfachen und tadelloſen Form
ging es auch nach Deutſchland hinüber, doch hier wie in Frank-
reich blieb es nicht lange dabei. Der lockre Sinn dieſer Zeit öff-
nete es am Knie und weitete es von den Hüften herab gleich-
mäßig, ſodaß es luftig und frei, aber formlos umherrauſchte und
beim Stehen keine Falten bot. In dieſer Geſtalt erreichte es die
Mitte des Jahrhunderts.


Sowie die Ausladung des Beinkleids verſchwand, erhiel-
ten die Schöße des Wammſes wieder Freiheit nach unten zu
wachſen, doch erreichten ſie in ihrer Länge, obwohl das Maß ein
ſchwankendes blieb, höchſt ſelten nur die Oberſchenkel. Der all-
gemein anſteckende Soldatengeiſt duldete das auch beim ehrſamen
Bürger nicht anders. Natürlich ſchwand auch von dieſem Klei-
dungsſtück die Ausſtopfung, ſodaß an dieſe einſt ſo mächtige
Mode bald nichts mehr erinnerte als ein um die Achſelnaht herum
angehängtes Stück Zeug, das wir noch lange an der militäri-
ſchen Uniform verfolgen können: es war der Reſt der wulſtigen
Schulterpuffen. Damit rückte auch die Taille naturgemäßer wie-
der aufwärts. Das genügte aber dem beweglichen Sinn noch
[179]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
nicht. Nicht bloß wurde es Mode, die untern Knöpfe des Wamm-
ſes offen zu halten, um hier mit der Feinheit des faltig hervor-
ſcheinenden Hemdes zu prunken; das Wamms verlor ſogar die
Taille gänzlich und erhielt von der Achſelhöhle herab überall
gleiche Weite. So entſprach es der offenen Form des Beinkleids.
Zu gleicher Luftigkeit entwickelten ſich die Aermel, nachdem ſie
die Wülſte verworfen hatten: ſie werden weit und faltig und
ſchlitzen ſich oft der ganzen Länge nach in mehrfache Streifen,
daß ſie ſelbſt an hundert Jahre früher gangbare Moden erinnern.
Seit dem Jahre 1630 etwa geht daraus eine Form als die blei-
bende hervor: darnach ſchließen die Aermel an Schulter und
Handgelenk, aber an der vordern Seite öffnet ſie ein Schlitz in
der vollen Länge, wodurch ein möglichſt feiner Hemdſtoff in fal-
tiger Maſſe erſcheint — das feinſte Weißzeug wurde eben eine
beſondere Liebhaberei dieſer Periode.


Zu den Aermeln gehören ſtets die Manſchetten, welche
auf’s genauſte die Wandlungen des Kragens mitmachen: ſowie
die dicke Krauſe auf die Schulter herunterfällt, legen ſich auch
die gekrauſten Manſchetten auf die Arme zurück, und dem ſchlaf-
fen Spitzenkragen folgen die gleichen ſpitzenumſäumten Man-
ſchetten, mit denen auch der Soldat ſein Lederwamms und Büf-
felcollett verziert.


Dies letztere, das weiße, hellgelbe oder natürlich braune
Leder, mußte nun im Krieg die ſpaniſche geſteppte Baumwolle
und ſelbſt den Bruſtharniſch erſetzen. Es wurde zum Wamms
benutzt wie zum eigentlichen Collett, einem kurzen ärmelloſen
Rock, den der Reitersmann und der Offizier gewöhnlich über das
Wamms gelegt haben. Auch der haſenfüßige Stutzer und
Pflaſtertreter ſuchte mit dem Lederwamms ſoldatiſch zu re-
nommiren.


Den Kriegsgebrauch kündigt ebenfalls der Mantel an,
der auch im ſtädtiſchen Leben dem ſolidbürgerlichen Oberrock faſt
ausſchließlich vorgezogen wurde. Der letztere ſchien ſich ganz auf
die Amtstracht zurückgezogen zu haben. Nur wurde der Mantel
länger und weiter getragen als in der ſpaniſchen Periode, doch
12*
[180]III. Die Neuzeit.
nicht tiefer als das Knie, und von den Kriegsleuten und ihren
Nachahmern togaähnlich über die Schulter geſchlagen oder vom
zierlichen Stutzer nur an die eine Schulter gehängt, damit all
der Schmuck von Spitzen, Bändern, Schleifen nicht verdeckt und
verdrückt werde.


Worin ſich aber am meiſten und am offenbarſten die Wir-
kung des Kriegs auf das Coſtüm ausſpricht, das iſt die Fuß-
bekleidung
. Der Civiliſt wie der Soldat ging mit Schuh
und Strumpf ins ſiebzehnte Jahrhundert hinüber. Bis zu
den Knöcheln heraufreichend und vorn ſpitz zulaufend bedeckte der
Schuh den ganzen Fuß, oder wenn er oben ausgeſchnitten war,
ſo lief ein Riemen mit Schnalle um die Beugung. Aber grade
als ob die geſpitzten Schuhe zur ſteifen, die ſtumpfen und breiten
zur freien Tracht gehörten, ſo wird auch jetzt wieder in der natura-
liſtiſchen Zeit wie hundert Jahre früher die Spitze abgeſtumpft
und ein grader, breiter Schnitt endigt nun den Schuh. Oben-
auf ſitzt eine Schleife oder ſeidene Bandroſette, die ſelbſt der
Soldat trägt. In dieſer Geſtalt behauptet der Schuh ſich un-
umſchränkt bei Vornehm und Gering, bei Reich und Arm bis
zum Beginn des Kriegs. Sowie aber die Werbetrommeln durch
das weite Land ertönen und Abenteurer aller Art von Stadt und
Land wie einſt in landsknechtiſcher Zeit um die Fahnen ſich ſam-
meln, da taucht auch der große Stiefel aus der Tiefe hervor
und gelangt zum erſten Mal in der Geſchichte zu hohen Ehren.
Anfänglich ein Ordonnanzſtück des Reitermannes, geht er auch
auf das Fußvolk über, wie ihn jeder Offizier trägt, ſodaß er
förmlich als das charakteriſtiſche Zeichen der Kriegstracht angeſe-
hen wird. Da nun in der drohenden Zeit ſich gern jeder ein
möglichſt kriegeriſches und wehrfähiges Ausſehen geben wollte,
ſo ging der Reiterſtiefel mitſammt den raſſelnden Sporen und
dem breiten Spornleder auch auf die friedliche Welt, ſelbſt die
des Pariſer Salons, über. Bald nach dem Jahre 1630 ſehen
wir die feinſten Herren damit in den Salons erſcheinen oder vor
den Modeläden mit ihrer Dame im Arm auf und ab flaniren.
Die Deutſchen brauchten nicht erſt nachzufolgen, da ja der Krieg,
[181]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
der die Stiefeln zur Mode gebracht, eben ein deutſcher war.
Freilich waren ſie beim Pariſer Herrn von etwas zierlicherer
Form, aber, ebenfalls weit und faltig, hatten ſie die umgekrämp-
ten abſtehenden Stulpen, die nur der Reiter bis oben hinauf
zog. Bis zu Ende des Kriegs gewann der Stiefel immer mehr
Boden, ohne freilich den Schuh ganz verdrängen zu können, der
mit dem Frieden ſofort wieder die Herrſchaft übernahm.


Bis ſoweit hatte ſich die Kleidung unter dem Einfluß des
Naturalismus und des Kriegs entwickelt, ohne daß im Allgemei-
nen viel zu tadeln geweſen wäre. Die ſpaniſche Steifheit und
die zur Eleganz gehörenden Mißformen waren völlig beſeitigt
und ein freies, maleriſches und der Feinheit nicht ermangelndes
Coſtüm an ſeine Stelle getreten. Allein die haltloſe, aus den
Fugen gegangene Zeit drängte zur Uebertreibung und Ueberſtür-
zung, ſodaß dem Manierirten und Geſpreizten bald wieder das
andere Extrem gegenüber trat, das Groteskphantaſtiſche, und die
Natürlichkeit ſich in Unnatur verkehrte, wie dem höfiſch abgemeſ-
ſenen Weſen die ungebundene, zügel- und zuchtloſe Ausgelaſſen-
heit des Soldaten folgte.


In dem langen verheerenden Kriege, deſſen Art und Weiſe
ohnehin der Menſchlichkeit entſagt hatte, verlor die Welt den
ſittlichen Halt und Gehalt. Es war eine Zeit des raſchen Wech-
ſels und darum auch des raſchen Lebens. Niemand konnte dar-
auf rechnen, noch morgen ſein zu nennen, was er heute beſaß;
wenn er heute im friedlichen Glücke genoß, wälzte ſich morgen
die Kriegswoge daher, verſchlang ihn oder trieb ihn am Bettel-
ſtabe von Haus und Hof ins Elend hinein. Wer wollte ſich
Mühe geben, ſeinen Beſitz zu ſichern und für Jahre hinaus zu
ſorgen: ein raſcher Genuß des Vorhandenen und wieder Jagen
nach neuem Gewinn, das war ein zeitgemäßeres Leben. Das
Trachten nach dem Glück führte den falſchen Schein, die Heuche-
lei und die Lüge im Gefolge mit ſich: konnte einer nicht errei-
chen, was er wollte, ſuchte er wenigſtens dafür zu gelten, um
vom Credit zu leben und zu genießen, ſolange es ging, bis die
magere Zeit kam, wo er im Elend zu Grunde ging oder aben-
[182]III. Die Neuzeit.
teuernd der Trommel folgen konnte. So fuhr der Hochmuths-
teufel in die Welt, die Leerheit, Hohlheit, Aufgeblaſenheit und
Renommiſterei.


Die Strudel des Kriegs ſchleuderten eine Menge Leute aus
den unterſten Schichten der Geſellſchaft an die Oberfläche, in
den großen Strom der Begebenheiten, Abenteurer, Glücksritter,
fauſtgewandte Wagehälſe, die rechten Kinder der Zeit, die allein
zur Fahne der Fortuna ſchworen, auch wohl in ihrem Dienſt zu
hohen Ehren gelangten. Aber das iſt eine verhältnißmäßig kleine
Zahl, die immer mehr vor den eigentlichen Renommiſten und
dem marodirenden Geſindel verſchwindet. Haufenweiſe zogen ſie
durch Freundes und Feindes Land, ſich immer neu recrutirend
aus den Unzähligen, die der Krieg habelos und heimatlos ge-
macht hatte. Von dem chevaleresken Charakter des aufſtrebenden
Glücksritters, von dem freien, kühnen und trotzigen Sinn des
ächten Soldaten war ihnen nichts gegeben; es waren feige Hor-
den, die zu keiner Fahne ſchworen, oder es nur des Scheines
wegen thaten, um ungeſtrafter ihre Plünderungszüge ausführen
zu können. Freundes und Feindes Land galt ihnen gleich, und
ſtießen ſie auf einen Haufen, der ſich zur Gegenpartei bekannte,
ſo ſchloß man einen freundſchaftlichen Vertrag, ſich gegenſeitig
im Revier nicht zu ſtören, d. h. des Feindes Land zu plündern,
des Freundes ausplündern zu laſſen, oder gemeinſam das edle
Werk zu vollführen. Freilich machten ſie dadurch ſich ſelber recht-
los und vogelfrei, von aller Welt verfolgt und gehetzt, und wie
ſie Räubern gleich in Wäldern ſich verbargen und ihre Mord-
und Brandüberfälle gegen Dörfer und Städte im Dunkel der
Nacht ausführten, ſo war auch, wenn ſie ergriffen wurden, ihr
Lohn die Strafe des Räubers. Wir haben die lebendigſte Schil-
derung von dieſem Bandenweſen in der zweiten Hälfte des gro-
ßen Krieges von Moſcheroſch im Philander von Sittewald, den
er ſelbſt eine Zeitlang mit ſolcher Horde herumziehen läßt. Wol-
len wir ſie in ihrem Aeußeren kennen lernen, brauchen wir nur
die Radirungen Callot’s zu betrachten, und wir haben ſie in
allen Wechſelfällen des Kriegs mordend, plündernd und ſengend,
[183]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
als Sieger und verfolgt, renommiſtiſch aufgeputzt und bettler-
haft zerlumpt.


Dieſe Söhne des Kriegs, die flotten, freien Glücksritter
wie das ſcheue Geſindel, wurden die Vorbilder der ſtädtiſchen
Müſſiggänger. Mehr oder weniger war die ganze civiliſtiſche
Welt von der ſoldatiſchen Eitelkeit und dem hohlen Scheinweſen
angeſteckt und trug ſolches Stutzerthum im Aeußeren zur Schau.

„Weil wir leben in dem Krieg, muß ich alle meine Sachen,

Wammesachſel, Kleid und Schoß nach der Rüſtung laſſen machen.“


So entſchuldigt die ſtutzeriſche Jugend ihr kriegeriſches Ausſehen.
Es folgten allmählig auch die Alten, ſodaß wir z. B. am Ende
des Kriegs bei dem Friedensſchluſſe zu Nürnberg die ſämmtlichen
Geſandten, die gelehrten Doctoren und Diplomaten wie die Ge-
nerale und Oberſten, in gleicher Weiſe geſtiefelt und geſpornt
ſehen.


Vor allen aber kommt dies Unweſen an den Stutzern und
Pflaſtertretern zur Erſcheinung, die ſich jetzt wie eine geſchloſſene
Kaſte von der übrigen Menſchheit ſondern und auch von derſel-
ben alſo betrachtet werden. Man ſah ſie damals in London, wo
ſie auf der Promenade der faſhionablen Welt, dem St. Pauls-
gang an der St. Paulskirche, Vormittags bis elf Uhr und Nach-
mittags von drei bis ſechs flanirten, während der Schneider hin-
ter dem Pfeiler lauſchte, um ſich die neue Mode zu merken; man
ſah ſie in Paris vor den Läden, namentlich des heutigen Palais
royal, auf und ab ſpaziren; man konnte ſie in Deutſchland überall
in allen Städten finden. Alamode zu ſein in allen Dingen, in
Kleidung, Sprache und Leben, das war ihre Aufgabe. Ihre
Redeweiſe war ein Gemiſch von Deutſch, Franzöſiſch, Italieniſch
oder Spaniſch nebſt einzelnen ihnen eigenthümlichen Wörtern,
die ſich mit dem Rothwelſch oder mit ſtudentiſcher Sprechweiſe
vergleichen laſſen. Nach wohldurchſchwärmter Nacht ſpät zu
Bette gegangen, ſtanden ſie ſpät wieder auf, um den Tag mit
Flaniren hinzubringen, den Damen den Hof zu machen, ſich in
ſchönem Putz bewundern zu laſſen und durchzubringen, was ſie
[184]III. Die Neuzeit.
erſchwindelt hatten. Sporen klirrten an ihren Stiefeln, aber ein
Pferd beſaßen ſie nicht; den langen Stoßdegen führten ſie an
der Seite, aber zum Kampfe ließen ſie es trotz aller Rodomonta-
den nicht kommen, ſondern viel eher ſich mit der eigenen Wehre
davonprügeln. Treffliche „Löwen“ dieſer Art ſind jene beiden
ſogenannten Hauptleute Daradiridatumtarides Windbrecher von
Tauſendmord und Horribilicribifax von Donnerkeil auf Wuſt-
hauſen, die Andreas Gryphius in dem nach dem letzteren be-
nannten Luſtſpiel uns vorführt. Mit den fürchterlichſten Dro-
hungen rücken dieſe eiferſüchtigen Helden auf einander, um nach
langem Wortkampfe endlich nicht zu Thaten überzugehen, ſondern
ſich als alte Waffenbrüder wieder zu erkennen, hoch erfreut, daß
ſo zur rechten Zeit großes Unglück verhütet werde.


Auf Beifall freilich bei der Mitwelt durften dieſe Helden
nicht rechnen, wenn ſie auch nur in üppigſter Blüthe verkörper-
ten, was im Grunde die ganze Welt mit ihnen theilte. Als die
äußerſten Spitzen einer übertreibenden Zeit waren ſie nothwen-
dig Carricatur, und ſo durften ſie für den Spott von Seiten der
Gegner, der „Altfränkiſchen“, nicht ſorgen; er wurde ihnen reich-
lich zu Theil. Es erſchienen damals an ſehr verſchiedenen Orten
Deutſchlands, größtentheils zwiſchen den Jahren 1630 und 1640,
eine große Anzahl einzelner Kupferſtiche mit begleitenden Verſen,
bilderbogenartig, welche dieſe Stutzer zum Gegenſtand der Satire
machen. Dieſen fliegenden Blättern zufolge ſteht an der Spitze
der Stutzer eine mythiſche Perſon „Monſieur Alamode“ genannt.
Er concentrirt in ſich alle die verſchiedenen Eigenſchaften, das
ſoldatiſche Aeußere, die ſoldatiſche Renommiſterei und Aufſchnei-
derei, die bunte Sprache, den Kleiderputz, die müſſiggängeriſche
Lebensweiſe, die Galanterie, aber auch den Haß und die Verfol-
gung der Gegner. Was er zur Herſtellung ſeines Aeußern be-
durfte, das natürlich immer blühend und ſchön ſein mußte, fin-
den wir in den folgenden Verſen, die er in voller Pracht ſterbend
auf dem Bette als Teſtament einem Schreiber dictirt:


[185]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
„Als erſtlich legier und ſchaff ich

Meinen tollen Hut, der über ſich

Gebunden iſt mit einem Band,

Den Narren all im ganzen Land.

Den können ſie von meinetwegen

Tragen und guter Poſſen pflegen,

Wanns kommen für eine Gaſterei,

Dann dieſer Hut hat vielerlei

Der Mucken und der Narrenpoſſen,

Die ich nit all hab ausgelaſſen.

„Fürs ander ſchaff die Feder drauf,

So mit eim Kleinod geheftet auf,

Ich allen jungen ſteifen Gſöllen,

Die in den Krieg fort ziehen wöllen,

Darbei man zſehen hab zur Friſt,

Wie der Soldat geflidert iſt.“

Nachdem er noch in beſondern Verſen, die ſich nicht gut wieder-
geben laſſen, des Kragens, des Wammſes und des Beinkleides
ſowie der Strümpfe und Schuhe gedacht, heißt es weiter:


„Die Stiefel und die ſcharfen Sporen,

Mit denen ich mein Roß geſchoren,

Legier und ſchenk ich dieſen Leuten,

Die auf dem Eſel pflegen zu reuten:

Oder wann ihnen die nit eben,

Mögen ſie es eim Floßmann geben,

Dem ſie auch taugen ſtattlich wol,

Wann er zu Waſſer reuten ſoll.

„Den Mantel, Degen und Favor,

Den ſchenk ich meim geweſten Sartor,

Damit derſelb von meinetwegen

Ein ſchönen Mantel anzulegen

Im Jahr, wann iſt der Schneider Föſt,

Der hats verdient am allerbeſt.

„Die Schuch, Neſtl, Kämpl, Bürſten,

Meſſer, Löffl, Pantoffl, Spiegl,

Handſchuh, Tätzl, Ring, Becher, Glöſer,

[186]III. Die Neuzeit.
Kanten, Teller, Bücher, Pult und anders mehr,

So ich gebraucht von Kindheit her,

Legier und ſchenk ich meinen Gſölln,

Die Al Modo bleiben wölln.“

Wie Monſieur Alamode und ſeine Genoſſen angeſehen und
auch verfolgt wurden, zeigen die folgenden Verſe, welche einem
Mitgliede der Geſellſchaft in den Mund gelegt werden:


„Ja eben das iſt auch mein Klag,

Man hat uns ſämmtlich Jahr und Tag

Offentlich in Druck umgeführt,

Spöttlich mit Worten gevexiert,

Nennt uns Eſelsköpf, Junkerzauſer,

Auch Monſieriſche Gernemauſer,

Gaſſentreter und Hahnentanzer,

Alamodiſche Vielkramanzer,

Gar viel Freſſer und wenig Schaffer,

Mitnachtbuhler, bis Mittagſchlafer,

Könnten eim Jeden geben Tadel,

Und ſeind oft ſelbſt nit vom Adel,

Prangen doch daher wie die Hägel,

Sein Delpel, Rülpen und grob Flegel,

Tragen alamodiſche Kleider,

Haben oft nit bezahlt den Schneider,

Desgleichen dem Kaufmann ſein Tuch,

Dem Schuſter nit Stiefel noch Schuch,

Wöllen durchtreten alle Gaſſen,

Und thun der Eltern Gut verpraſſen.“

Sie ſelbſt zwar wundern ſich, daß ſie ſo verachtet und verfolgt
werden, und glauben ganz etwas anderes verdient zu haben:


„Die wir doch das unſer ſpendirn

Auf Kleidung, Pracht, buhlen, hofiren,

Auf ſchöne Frauen ſie zu zieren,

Auf muſiciren, fechten, ringen,

Auf tanzen, alamodiſch ſpringen,

Auf reiten, rennen, ſchlittenfahren

Thun wir keinen Unkoſten ſparen.“

[187]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.

Am Schluſſe des Blattes werden ſie noch einmal in einer Anrede
an den Leſer ernſthaft in der Kürze geſchildert:


„Günſtiger Leſer, das Gedicht

Iſt nur allein auf die gericht,

So ſich Alamodiſch ohnbeſcheiden

Nach allerlei Landsgebrauch kleiden,

Und treiben viel Hochmuth und Pracht,

Wöllen auch dafür ſein geacht,

Daß jedermann muß ihnen weichen,

Stumpfieren andre ihresgleichen,

Und ſein doch ſelbſt nur arme Gſellen,

Die mehr als andre ſein wöllen.“

Was den Monſieur Alamode und ſeine Freunde und Freun-
dinnen nach dem Tode erwartete, ſtellt ein anderes fliegendes
Blatt zum warnenden Beiſpiel dar. Monſieur Alamode iſt ge-
ſtorben, und wir ſehen ihn direct den Weg in den offenen flam-
menſpeienden Höllenrachen nehmen. Ein großes Gefolge von
Herren und Damen, alles im ſchönſten Putz, begleitet ihn. Wie
es die Pflicht eines freundlichen und höflichen Wirthes iſt, ſeine
Gäſte an der Thüre zu empfangen, ſo ſteht zwiſchen den Zähnen
des weitaufgeriſſenen Rachens der Herr und Beſitzer der Hölle
in feinſter alamodiſcher Tournüre, freundlich grüßend und ein-
ladend, den Hut in der Hand. Als Muſikanten gehen vier ala-
modiſch gekleidete Teufel dem Zuge vorauf. Ihnen folgt die
Hauptperſon, würdigſt gekleidet, Arm in Arm geleitet von zwei
fein gekleideten Herren mit Bocksfüßen und Geierkrallen; ſodann
der lange Zug, von Schmeißfliegen umſchwärmt, welche die ſüß-
duftenden Salben herbeigezogen haben. Ein paar beigedruckte
Verſe ſprechen aus, daß alle ſolche Geſellen der Hölle verfallen
ſind, „allen wackern Alamode Monſieure aber, ſo bei Zeit von
der leidigen und verdammlichen Hochfahrt abſtehen, denen ſoll
gewiß ein fröhliche Auferſtehung bald folgen.“


Indeſſen war die Strömung der Zeit ſtärker als die ſati-
riſche, ernſthafte oder gar geſetzgeberiſche Oppoſition; unter dem
Zuſammenwirken der Alamode-Monſieurs und des militäriſchen
[188]III. Die Neuzeit.
Stutzerthums trat das phantaſtiſch-lockre Unweſen, die Putzſucht,
das Behängen mit leichter flatternder Waare an allen Ecken und
Enden hervor. Vom Kopf bis zum Fuß, von den höchſten
Spitzen der Geſellſchaft herab nahm die Tracht dieſen Charakter
an, den Monſieur Alamode freilich zur Carricatur übertrieb.


Was mit dem Haupthaar geſchah, als es einmal lang
geworden war und ſich zu locken begann, giebt die Vorbemerkung
in einer Verordnung des Straßburger Magiſtrats an, welche
ſchon vom Jahr 1628 datirt: „Item, wann die Mannsperſonen
die Haupthaar gleich den Weibern zieren, ſeidene Bändel, Ring-
lein und anders an Zöpfen einflechten und andre weibliche
Phantaſien damit vornehmen.“ In der That begnügen ſich die
Männer nicht damit, das Lockenhaar einfach um die Schultern
wallen zu laſſen, wie es noch die erſten Helden der Zeit, z. B.
ein Bernhard von Weimar, thaten. Zangen, heiße Eiſen und
Salben zu benutzen, um den gewünſchten Fluß und Fall herzu-
ſtellen, war etwas ganz Gewöhnliches. Eben darum aber, weil
alle Welt das wellige oder gelockte Haar trug, verſchmähte der
Stutzer dieſe geregelte Zierlichkeit und ſuchte vielmehr mit be-
ſonderer Kunſt ſich den Schein genialliederlicher Nachläſſigkeit zu
geben. Darum ſehen wir auf Bildern ſein Haar langzottig,
ſtruppig und wüſt am Geſicht herunter fallen. Schwarz mußte
es ſein, wenn er den Damen gefallen wollte, denn dieſe liebten
damals keine andere Farbe des Haares. Hatte die Natur ihm
dieſen Vorzug verſagt, ſo half er durch Farbe und Bleikämme
nach und ſtreute Pulver in’s Haar. Auch die Augbrauen und
den Bart färbte er ſchwarz. Auch hierin alſo, ſehen wir, hat ſich
der Geſchmack gegen die vorige Periode, welche ſich um der
blonden Farbe willen einer unangenehmen Mühe unterzog, völ-
lig geändert. Der Zopf, deſſen bei dieſer eitlen Männerwelt
öfter Erwähnung geſchieht, hing nicht hinten im Nacken, wie ſein
berühmterer Nachfolger des achtzehnten Jahrhunderts: beide
haben nichts mit einander zu thun. Der Zopf in dieſer Periode
war rein ſtutzeriſche Tracht, wenn auch die höchſten Häupter nicht
verſchmähten ſich damit zu zieren: es waren ein paar zuſammen-
[189]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
geflochtene Locken, die vorn an der einen Seite des Geſichts
rechts oder links vom Ohr herunter hingen oder auch wohl an
beiden Seiten, und am untern Ende, welches auf Schulter und
Bruſt herabzureichen pflegte, einen kleinen Schmuck, eine große
Perle, einen Edelſtein, eine Schleife oder dergleichen trugen.
Dem Stutzer war das wohl ein theures Andenken ſeiner Dame,
„Favor“ oder „Faveur“ genannt. Allzuhäufig war dieſer Zopf
außerhalb der ſtutzeriſchen Welt nicht, doch trugen ihn auch, wie
die Portraits beweiſen, hiſtoriſch bekannte Perſonen von Rang
und Anſehn und ſelbſt König Chriſtian IV. von Dänemark und
ſein Sohn der Kronprinz Friedrich, ſpäter der dritte dieſes
Namens. Mehrere Portraits des erſteren, die in verſchiedenen
Jahren gemacht ſind, zeigen ihn in gleicher Weiſe mit dem Zopf,
deſſen Ende eine Perle trägt.


Auch ſonſt banden ſich die Herren allerlei leichte Schmuck-
ſachen in’s Lockenhaar, wie ſie den ganzen Körper damit behäng-
ten. Man nannte ſie insgeſammt Faveurs, ein Ausdruck, der
noch aus der alten Turnierzeit herrührt und die kleinen Pfänder
und Liebeszeichen der Damen, Handſchuhe, Bänder, Schärpen
und dergleichen bezeichnet, mit denen geziert die Ritter in die
Schranken ritten.


Wenn der Stutzer dem Haupthaar einen nachläſſigen, ver-
wilderten Anſtrich zu geben ſuchte, ſo wandte er um ſo mehr
Sorgfalt an den Bart. Die Wangen wurden jeden Morgen
glatt raſirt, aber den Kinnbart ließ er an ſchmaler Stelle wachſen,
ſo lang er wollte, und klebte ihn zuſammen in eine lange feine
Spitze. Auch an den Schnurrbart bringt er nicht das Meſſer,
ſondern Farbe, Pech und das heiße Eiſen, ſteift ihn und dreht
ihn über den Mundwinkeln aufwärts, daß die Spitzen nach den
Augen zu ſtechen; daher es heißt, „den Knebel über ſich geſtürzt.“
Das iſt der allgemeine Typus, deſſen unbeſtrittene Herrſchaft
zwiſchen die Jahre 1630 und 1640 fällt. Dann aber ſtellen ſich
gegen den Ausgang des Kriegs mancherlei Abweichungen ein,
die alle darauf hinauslaufen, den Bart noch weiter zu verkleinern
und namentlich vom Kinn ganz zu entfernen. Dieſe Spielarten
[190]III. Die Neuzeit.
der Bartmode ſchildert Philander in ſeiner draſtiſchen, ernſt-
komiſchen Weiſe folgendermaßen: „Da deine Vorfahren es für
die größte Zierde gehalten haben, ſo ſie einen rechtſchaffenen
Bart hatten, ſo wollet ihr den wälſchen unbeſtändigen Narren
nach alle Monat, alle Wochen eure Bärte beropfen und be-
ſcheren, beſtümmlen, beſtutzen, ja alle Tag und Morgen mit
Eiſen und Feuer peinigen, foltern und marteln, ziehen und zer-
ren laſſen? jetzt wie ein Zirkel-Bärtel, jetzt wie ein Schnecken-
Bärtel, bald ein Jungfrauen-Bärtel, ein Teller-Bärtel, ein Spitz-
Bärtel, ein Maikäfer-Bärtel, ein Entenwädele, ein Schmalbärtel,
ein Zucker-Bärtel, ein Türkiſch-Bärtel, ein Spaniſch-Bärtel, ein
Italieniſch-Bärtel, ein Sonntags-Bärtel, ein Oſter-Bärtel, ein
Lill-Bärtel, ein Spill-Bärtel, ein Drill-Bärtel, ein Schmutz-
Bärtel, ein Stutz-Bärtel, ein Trutz-Bärtel u. ſ. w.“ Es würde
überflüſſige, wie vergebliche Mühe ſein, ſich nach Formen für
dieſe Ausdrücke umzuſehen, welche mehr der Phantaſie des Sa-
tirikers als der Wirklichkeit angehören. In ſeinem Eifer ſetzt er
dann hinzu: „Nun iſt eure meiſte Sorge, ſobald ihr Morgens
aufgeſtanden, wie ihr den Bart rüſten und zuſchneiden möget,
damit ihr vor junge Narren und Lappen könntet durchwiſchen.
O ihr Weiber-Mäuler! Ihr unhärige! In den Löffeljahren
geht ihr zuzapfen, zutrillen, zuropfen, bis die Gauchshaar her-
auswollen; und wann ihr durch Gunſt der Natur dieſelbige end-
lich erlanget habt, ſo wißt ihr ihnen nicht Marter genug, bis ihr
ſie wieder vertreibet! Ihr Bart-Schinder! Ihr Bart-Schneider!
Ihr Bart-Stutzer! Ihr Bart-Zwacker! Ihr Bart-Folterer! Ihr
Bart-Wipperer! Ihr Bart-Marteln! Ihr Bart-Peiniger! Ihr
Bart-Abtreiber! Ihr Falſche Bart-Münzer! Ihr Bart-Ver-
derber! Ihr Bart-Narren! Ihr Bart-Mörder!“


Das groteskeſte Stück der männlichen Tracht war der Hut.
Als er einmal die große breite Krämpe und das ſchlaffe Weſen
gewonnen hatte, war er dieſen windigen Köpfen recht; ſie hätten
etwas Steifes nicht auf ſich erdulden können. Nachgiebig wie
er war, machten ſie mit ihm, was ſie wollten. Der Kopf erhöhte
ſich bald zuckerhutförmig, bald ſtieg er wieder zu beſcheidener
[191]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Niedrigkeit herab; der Rand dehnte ſich ellenbreit aus, daß er
wie ein Schirmdach den ganzen Mann deckte; nach hinten zu fiel
eine ungemeſſene Feder über den Rücken, nicht ſelten bis zur
Kniebeuge herab. In dieſer Form nannte ihn der Stutzer in
ſeinem Rothwelſch ſehr bezeichnend „Reſpondent“, denn er mußte
nun allen Launen und Stimmungen ſeines Trägers wie eine
Wetterfahne entſprechen. Vorn über die Stirn hereingedrückt
mit ſeitwärts aufgeſchlagener Krämpe ſaß er renommiſtiſch heraus-
fordernd. War er zurückgeſchlagen und die Krämpe erhoben über
der Stirn, ſo verkündete er heiteres Wetter und gute Laune: das
Geſicht war offen, die Stirn frei und die Augen leuchteten ſon-
nig und heiter. Aber die höchſte Trauer war eingezogen, Trüb-
ſinn und Schwermuth, Geldmangel, Unglück in der Liebe, wenn
er über Stirn und Auge hereingedrückt und der Rand, ſogar
ohne Feder, allſeitig heruntergelaſſen war. So fanden Stolz
und Niedergeſchlagenheit, Zorn und Sanftmuth, Luſt und
Trauer, Raufluſt, Trotz und Feigheit ihren Ausdruck, ihren Wi-
derſchein in dieſem Hut. — Außer der langen Feder verzierte ihn
noch der Soldat und der Bürger nicht minder wie der Stutzer
mit den Faveurs, mit Ketten und Schnüren, mit Edelſteinen und
Gold und Silber, mit Roſetten und Schleifen.


Die Blüthezeit des großen Schlapphutes fällt mit der von
Haar und Bart zuſammen; gegen das Ende des Kriegs trafen
auch ihn die Veränderungen, welche ſeine groteske Geſtalt zu
beſchränken ſuchten. Das Extrem kann ſich nicht lange auf ſeiner
Höhe behaupten. Die Körper waren ermattet von den An-
ſtrengungen und Leiden des langen Kriegs; die Geiſter erſchlaff-
ten und hatten nicht mehr die Schwungkraft zu übertreibenden
Aeußerungen renommiſtiſchen Uebermuths oder chevaleresker
Keckheit; und wie die Menſchen ſelbſt, der Dinge müde, wider-
willig einen allen läſtigen Frieden ſchloſſen, ſo bequemten ſich
auch wieder die Köpfe einer ſteiferen Form des Hutes.


Dem Hute nahe an Monſtroſität kam der Stiefel, ob-
wohl der Schuh daneben noch lange nicht aus der modiſchen
[192]III. Die Neuzeit.
Welt weichen wollte. Obwohl er keineswegs von zierlicher Form
war, vorne breit geſtumpft und mit hohen Abſätzen, die man
ſchon damals roth zu färben liebte, ſo bot er doch für die ſo be-
liebte Zierde der „Goldroſen“ oder ſeidenen Blumen von mäch-
tiger Größe eine beſſere Gelegenheit als der Stiefel, bei welchem
das Spornleder dieſe Stelle in der Beugung des Fußes ein-
nahm. Zugleich konnte mit dem Strumpf der reiche Schmuck
am Knie zu beſſerer Wirkung kommen. Indeſſen haben wir
ſchon geſehen, wie dennoch ſeit dem Jahre 1630 etwa der Stiefel
für einige Jahrzehnte den Sieg davon trägt. Freilich muß auch
er trotz ſeiner coloſſalgrotesken Geſtalt und des derben feſten
Stoffes den leichten Beſatz annehmen. Schleifen beſetzten zu
beiden Seiten das Spornleder, zarte Spitzen umzogen das
ſchlotternde dicke Leder der Stulpen, mochten ſie herunterhängen
oder aufgekrämpt ſein, und ihre weite Mündung wurde vom
feinſten Weißzeug ausgefüllt. Dazu trug der feine Herr auch
noch Galoſchen oder Pantoffeln, zu den Stiefeln ſowohl wie zu
den Schuhen, welche mit hölzernen Sohlen ſchon von fern her
die Ankunft ihres Trägers klappernd verkündigten.


Wamms und Beinkleid, weit, luftig und ſchlotternd, wie
ſie geworden waren, mußten namentlich den leichten Zierrath
annehmen. Spitzen, die auch mit feinen Goldfäden in allerlei
Muſtern von Sternen und Blumen durchflochten waren, um-
zogen den Kragen, die Manſchetten und das geöffnete Beinkleid
am Knie. Um die Achſeln herum und vom Schulterſaum rings
um Bruſt und Rücken herum, desgleichen um den untern Saum
des Wammſes, um die Ränder des Beinkleids am Knie hingen
Bänder und Schleifen, Neſteln genannt, die Metallſtifte und
andere Faveurs trugen, welche bei jeder Bewegung klirrend zu-
ſammenſchlugen. Ueberall ſaßen Schleifen und Schnüre, in ſo-
genannte Liebesknoten geſchlungen. Ein Favoritplatz für ſie war
die Außenſeite am Knie: hier war das Knieband in eine mäch-
tige Schleife gebunden oder mit großer Roſette verziert, hier
hing ein ganzes Bündel von Neſteln und klirrenden Stiften,
hier befeſtigte der Stutzer Pfauenfedern mit ſchillerndern Farben.
[193]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Wenn man ſich nun noch den Hut, die Stiefel oder Schuhe und
ſelbſt das Haar mit ähnlichem Schmuck bedeckt denkt und die De-
genkuppel, die jetzt über die Schultern hing, mit Spitzen, Borten,
Perlen und Goldarbeiten beſetzt, ſo mag Philander Recht haben,
wenn er ſagt: „Und möchte mancher meinen, er ſehe einen Kram-
gaden aufgethan oder in einen Paternoſter-Laden, ſo mit mancher-
lei Farben von Neſteln, Bändeln, Zweifelſtricken, Schlüpfen und
anderm, ſo ſie favores nennen, ſind ſie an Haut und Haaren, an
Hoſen und Wamms, an Leib und Seel behenket, beſchlenket, be-
knöpfet und beladen.“ Parfümirte farbige Handſchuhe, die gewöhn-
lich in der linken Hand getragen wurden, und ein mächtiger hoher
Knotenſtock mit Knopf oder Krücke, den man auch in der Hand fürſt-
licher Perſonen finden kann, vollendeten das Bild des Stutzers.


Es iſt aber noch zu bemerken, daß vor dieſer windigen Ei-
telkeit und dem flotten Soldatengeiſt auch die ernſten, dunklen
Farben wieder verſchwanden, welche die Reactionsperiode modern
gemacht hatte. Es wurde auf’s neue eine luſtig bunte Welt, die
an hellen Farben Gefallen fand, doch hatten bei ſo viel anderer
Zierde die einfarbigen Stoffe vor den buntgemuſterten den Vor-
zug. Die ſchwarze Kleidung oder die dunkle blieb in Deutſch-
land allenfalls in der bürgerlichen Welt, welche ſich vor der
Mode zurückzog, namentlich aber in den republikaniſchen und re-
formirten Niederlanden, wo ſie noch Jahrzehnte in Ehren und
Anſehn ſtand.


Zur Bezeichnung für dieſes tolle Stutzerthum, das auf der
Straße mit dem Sarraß raſſelte, die Sporen klirren und die
Metallſtifte klingen ließ, das mit den Stulpen und dem andern
überflüſſigen Stoff einherrauſchte und mit den Pantoffeln klap-
perte, hatte man damals eine eigene Art Sprache erfunden, die
nicht Philander von Sittewald allein gebrauchte. So heißt z. B.
die Ueberſchrift eines fliegenden Blattes: „Kartell ſtutzeriſchen
Aufzugs der durchſichtigen, hochgefiederten, wohlgeſpornten und
weitgeſtiefelten, langſchwarzhärigen, zigeuneriſchen, wohlver-
neſtelten, langlapphoſiſchen, milztägiſchen, wohlherausſtaffirten,
weltbekannten Cavalliere. Sammt deren hochgeputzten, hoch-
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 13
[194]III. Die Neuzeit.
haargepüfften, wohlangeſtrichenen Büchsleinblaſern, wie auch
unten mitten und oben zerhackten, zerſpaltenen und geputzten
Corteſi, Concubin und Mätreſſin, des welſchfranzöſiſchen, jetzt-
mals teutſchen, Aufzugs genannt.“ Dieſe Sprache erſcheint nicht
weniger grotesk, wie das Ausſehen der Stutzer ſelbſt.


Die Verſe, welche dieſer Ueberſchrift folgen und zur Er-
läuterung von vier derartigen Modefiguren dienen, ſind ſo im
Sinne dieſer Herren ſelbſt geſchrieben, daß wir uns nicht ent-
halten können, ſie größtentheils hier wieder zu geben:


„Horchet ihr Teutſchen insgemein,

Seht wie wir vier Cavallier ſein,

So will mans haben nun hinfür

Das heißt a la mode Monsier.

„Man ſoll ſich nit um d’vorig Zeit

Jetzunder lang mehr ſehen weit,

Man will haben unſer Manier,

Das heißt ja al’ modo Muſier.

„Der Stutz gefällt auch den Damen recht,

Daß wir uns nit halten ſo ſchlecht,

Sondern nachthun, was ſtutzeriſch,

Al’ modo heißt cavallieriſch.

„Wir wiſſen nun die Ordnung wohl,

Wie ſich ein jeder halten ſoll,

Erſtlich in unſern Hüten breit,

Drum heißt’s al’ modo zu der Zeit.

„Darunter wir uns ſtellen bald,

Jetzt ſaur, jetzt ſüß auf manche Geſtalt,

Mit den Gebärden dazu ſchnell,

Drum iſt al’ modo unſer Titel.

„Auch führen wir nach der edlen Art

Eine tollfliegende Feder zart,

Das ſcheint dann recht heroiſch drein,

A la modo wir muſſiren fein.

[195]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
„Ein langes Haar dem Haupt ſteht ſchön,

Darvon ein Zopf herunter kühn,

Darein der Damen Herz Favor

Geflochten al’ modo Monsor.

„Die Bärt ſollen geſtutzet ſein,

All Härlein hinab bis aufs ein,

Den Knebel über ſich geſtürzt:

Sic a la modo: und fein beherzt.

„Der Hals ſoll ledig ſtehn und dann

Der Kragen hernieder liegen than,

In Fälten klein, eng wohl zuſammen,

Oui Moussier ſprechen die Damen.

„Die Wämmſer ſollen ſein zerſchnitten

Auf beeden Aermeln und damitten

Die Lappen ſollen hangen munter

Auf a la modo ſubtil beſonder.

„Die Hoſen ſollen unterm Knie,

Nicht oben wie die Schweizerküh,

Getragen und geneſtelt ſein,

Auf al’ modo muſſiriſch fein.

„Die Degen muß man führen ſtrack

Beim Herz und nicht beim Hoſenſack,

Wohl oben her zu ragen für

So heißt’s a la modo Muſſier.

„Geſtiefelt ſoll man gehen her,

Oben geſchnabelt weit umher,

Das dienet dann dem Muſſier wohl,

Auf a la modo es ſein ſoll.

„Die Sporn, die müſſen klinglen grell,

Darneben ausgeputzet hell,

Der Klang und Glanz geben ein Zier,

Das iſt a la modo Muſſier.

„Daß dann wir nun ſo gehen her

Im Reitrock bloß, ohn Mäntel mehr,

Das gfällt uns eben ſo all vier,

Als auf la modo Monsier.

13*
[196]III. Die Neuzeit.

Dies Blatt iſt ſchon vom Jahr 1628. Ein paar Jahrzehnte
darnach iſt, wenn auch mit einigen Veränderungen, dieſelbe
Stutzerherrlichkeit noch in voller Pracht, wie wir aus der folgen-
den Beſchreibung erkennen:


„Franſche Hüt mit kleinen Räuden,

So ſich nach dem Winde wenden

Oben platt wie die Tellören,

Darauf mancherlei Favören,

Welche thun frech anzuſehen

Vorne an der Spitze ſtehen.

Lange Haar und kleinen Bart,

So geputzt nach franſcher Art,

Große Spitzen, kleine Kragen,

Die ihm faſt bis auf den Magen

Vorne länglich niederhenken,

In gar großer Spitze ſchrenken,

Lange Wämmſer, lange Rücken,

Kurze Schöß von acht Stücken,

Große Manen *), weite Palten **),

Hoſen, die ganz ohne Falten,

Neſtel hängen um die Hoſen

Mit viel lächerlichen Schoſen,

Neſtel, die da viel Getummel

Machen und manch groß Gerummel,

Neſtel, die herum thun hangen,

Wie die Därmer in den Schrangen.

Halbe Hemd von Schir gemacht

Iſt auch ein Alamode Tracht,

Noch Canonen und Finetten ***),

Und von Haare Braſiletten,

Ring von Gold und Diamanten,

Ausgeſchliffen mit viel Kanten,

Stehen da in großen Ehren

Auf den langen Krebisſcheeren,

Hänſchen ſo durchparfümiret

Und mit Zibet wohlbeſchmieret.

[197]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Seiden Strümpf von Naples her,

Arlaſch Knieband ſteif und ſchwer,

Und zu ſagen ohne Ruhm

Roſen wie die Sonnenblum;

In den Corduanſchen Schuhen

Sanft des Haſen Füße ruhen,

Welche ſo getheilet ſtehen,

Daß ſie in zwo Hörner gehen:

Ja wie lange Adlersklauen,

Da den Kindern möcht für grauen,

Und mit Stieflen aufgezogen

Kommen, welche ungelogen

Sein ſo weit gleich wie ein Spann,

Da man Milch in tragen kann,

Deren Stulpen niederwippen

Wie der alten Weiber Lippen.

Kleine Mäntel von Tabienen,

So von aus und innen ſchienen,

Wo ſie nicht in Mänteln hangen,

So von glänzend’n Arlaſch prangen.“

Hören wir nun auch, wie der ſchöne Herr in dieſem Aufzug ſich
auf der Straße gebärdet:


„Wann endlich nichtes mehr ihm dünkt, das möge feilen

An der Vollkommenheit, thut er nicht lange weilen,

Spricht: Oeffne mir die Thür (nach großer Herren Weiſe),

Damit ſo geht er fort, fein langſam und fein leiſe,

Da geht Monsieur dann hin mit eng und weiten Schritten

Und mißt die Gaſſen ab fein richtig in der Mitten,

Ohn Reputation kein Tritt muß thun beſtehen,

Zwei Tritt auf einen Schlag kann nur der Junker gehen,

Das Haupt ſteht hoch empor, als wollt er Fliegen fangen,

Nachſinnet ſchwere Sach, die er nicht kann erlangen,

Gleich den Philoſophis, die da nach hohen Dingen,

So ihn verborgen noch, ihr hohe Sinnen zwingen,

Der Arm, der hält den Tact und bummelt hin und her,

Als wär’ er los am Leib und nicht zu halten mehr.

So läßt die Dame denn das Mädchen auf ihn paſſen.

Da tritt er leiſer her als ſonſt in andere Gaſſen,

Bis ihn das Mädchen ſieht, das eilet bald hinein,

Spricht: Jungfruw, kamet her, da geyt Joſt Knacke hen.

[198]III. Die Neuzeit.
Obſchon er iſt ein Weil ohn das von ihrem Haus,

Hat ſie doch den Geruch und guckt zum Fenſter aus,

Das macht ſein krauſes Haar, das da gar dick beſprengt

Mit Puder de cypro als wär es ganz verſengt,

Da macht er Baſelmans *), bis an die Erd ſich neiget,

Nach Alamodo Art die Knie und Beine beuget,

Zehn Schritte weit vom Haus macht er das Haupt ſchon bloß,

Mit Fingern wirft die Küß“ ....

Obwohl wir öfter verſichert finden, daß die Frauen dieſer
Periode der männlichen Eitelkeit den Vorrang ſtreitig machen, blei-
ben ſie doch, wie das auch bei ſo kriegeriſch bewegten Zeitverhält-
niſſen naturgemäß iſt, hinter derſelben zurück. Dennoch halten ſie
ſich in der Entwicklung der neuen Trachtenform, die auch diesmal
den genauſten Parallelismus befolgt, zeitlich immer auf der gleichen
Stufe. Ja faſt früher ſchon ſcheinen die aufgerichteten Friſuren
zu Fall gebracht zu ſein und das gelockte Haar ſich wieder ein-
geſtellt zu haben, und namentlich darf man annehmen, daß die
Schwankungen zwiſchen den verſchiedenen Kragenformen ſich in
der weiblichen Welt zuerſt ausgeglichen. In England heißt es
ſchon in den letzten Jahren der Königin Eliſabeth von den
Damen, daß ihnen die Liebeslocken über die Schultern flatterten,
„den Winden rückwärts ſtumme Küſſe zuwerfend.“


Es iſt intereſſant zu verfolgen, wie unter dem wachſenden
Einfluſſe des Naturalismus allmählig die Stuarthaube und der
ſteife ſpaniſche Hut und das Federhütchen abgeworfen werden
oder dem Alter überlaſſen bleiben, das allen Anſprüchen an die
Welt entſagt hat; wie die Haarhörner und ähnliche Gebäude
ſinken und das Haar ſich in kleinerem Lockengekräuſel um den
Kopf ſammelt, bis es die Maſſen nach unten ſendet und endlich
mit vollen Locken ſich über Schultern und Rücken ergießt. Funf-
zig Jahre ſpäter werden wir wieder genau den umgekehrten Pro-
zeß zu verfolgen haben. Wenn aber das Haar der Frauen ſomit
[199]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
zur freien Schönheit wieder durchgedrungen war, ſo ermangelte
es doch in den einzelnen Coiffüren nicht einer geſuchten Zierlich-
keit, wie ſie dieſer Zeit gemäß war. Um das Jahr 1630 und
ſpäter noch war es eine allgemein verbreitete Weiſe, die nächſten
Haare des Vorderhauptes, die durch einen querlaufenden Scheitel
geſondert waren, in ganz kleinen, feinen Löckchen, zierlichſt neben
einander gelegt, über die Stirn ein wenig hereinfallen zu laſſen,
ohne dieſe zu verhüllen, die übrigen Haare aber, in der Mitte
geſcheitelt, in reicher, ſcheinbar verwirrter Fülle kleiner Locken
um die Ohren und im Nacken anzuſammeln. Hiermit, ſowie
auch mit der folgenden gegen Ende des Kriegs häufigern Fri-
ſur, waren auch wohl am Hinterhaupt ein von Flechten zu-
ſammengelegtes Neſt verbunden. Dieſe zweite Form beſtand
in längeren Locken, welche ſich von einem über der Mitte der
Stirn beginnenden Scheitel tief über Rücken und Schultern
herabſenkten. Völlig freies und in ſeiner vollen Länge aufge-
löſetes Haar erſcheint in den höchſten Ständen nur bei der
eigentlichen Brauttracht. So trug ſie frei fliegend bis auf’s Knie
herab die engliſche Prinzeſſin Eliſabeth bei ihrer Vermählung mit
dem Pfalzgrafen Friedrich; nach Tiſche aber machte ſie eine an-
dere Friſur. Eben damals verſchwand dieſe Brauttracht wieder
aus der bürgerlichen Welt.


Wenn ſchon das Haar, ſo frei wie es erſcheint, nichts we-
niger als der Kunſt ermangelt, vielmehr Brenneiſen, Salben,
Papilloten und falſche Haare nebſt dem Spiegel, der ſtets an der
Seite hängt, eine bedeutende Rolle ſpielen, ſo fehlte ihm auch
nicht wie dem männlichen der Schmuck der Bandroſen, Schlei-
fen, Neſteln und ähnlicher leichter Waare. Oft ſteckte ein
Reiherbuſch im freien Haar, oft legte ſich eine lange, breite
Straußfeder quer über das Haupt und wallte mit ihrer Spitze
zur Schulter herab. Eine eigentliche Kopfbedeckung zeigt die
jüngere Dame ſelten, und nur als der Schlapphut zur ausge-
bildeten Herrſchaft gekommen, giebt es auch vielfach Damen,
welche ihn auf das umlockte Haupt ſetzen, freilich in eleganterer
und doch freier Zierlichkeit mit minder grotesker, aber ſchwung-
[200]III. Die Neuzeit.
voller Feder. Ich erinnere hier an Rubens bekanntes Portrait:
die Dame mit dem Federhut. Dagegen iſt es nicht ſelten, daß
ſich ein kurzer Schleier oder ein dünnes, wohl meiſt ſchwarzes
Tüchlein auf das Haupt gelegt findet, welches ſpitzenbeſetzt,
leicht und loſe zurückflattert, doch nicht über den Nacken her-
unterfällt: es iſt ein maleriſcher Schmuck, keine Verhüllung.


Es konnte nicht ausbleiben, daß die Locken gar bald die
ſteife Krauſe zu Fall brachten. Wir können hier wieder genau
denſelben Prozeß verfolgen, wie er männlicherſeits vor ſich ge-
gangen iſt, nur daß am Ende eine der weiblichen Welt ganz
eigenthümliche Form den Sieg davon trägt. Es legt ſich die
dicke Kröſe herab auf die Schultern oder ſie wird durch den
drahtgeſtützten ſcheibenförmigen Spitzenkragen, das bisherige
Untergeſtell, erſetzt. Daß nun nicht bloß der letztere ebenfalls
ſchlaff herabſinkt, ſondern beide faſt ganz und früh verdrängt
werden, davon iſt die Urſache die jetzt wieder mit Macht auftre-
tende Decolletirung. Es war die Zeit der Büßung vor-
über, die Predigten hatten ihre Kraft verloren, die „Teufel“
ſchreckten nicht mehr: die Welt hatte die Angſt und Befangen-
heit wieder abgethan, wurde freilich auch leichtſinniger und leicht-
fertiger. So konnten auch die Frauen die peinliche Verhüllung
wieder von ſich legen und ſich als freie Herrinnen ihrer Schön-
heit zeigen.


Wir haben in der vorigen Periode geſehen, wie in den un-
abhängigen italieniſchen Staaten allein die Decolletirung nie
ganz verſchwunden war, aus dem Grunde, weil die reformatori-
ſchen Bewegungen hier theilnahmlos vorübergezogen waren und
eben darum auch keine Reaction in den Gewiſſen hatte eintreten
können. So hatte ſich hier, da man doch der neuen Spitzenmode
nicht entſagen konnte noch mochte, eine neue Kragenform gebil-
det, eine Spitzenkante, welche, geſteift und aufrecht ſtehend, am
ausgeſchnittenen Saum des Leibchens befeſtigt war und denſel-
ben ringsum begleitete. Dieſer Kragen ging nun um das Jahr
1600 nach Frankreich, England, den Niederlanden und Deutſch-
land über und wurde bald mit wachſender Ausbreitung der De-
[201]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
colletirung faſt der alleinige in der ganzen modiſchen Welt. Anfangs
noch emporſtehend, gab er bald der Zeitrichtung nach und legte ſich
in zackigen Spitzen um die Schultern und über den Rücken. Die
dicke Krauſe und ſogar noch in geſteifter Form behielten nur noch
Spanier und Spanierin die ganze erſte Hälfte des ſiebzehnten
Jahrhunderts hindurch, und gegen das Jahr 1640 ſehen wir ſie
wohl noch auf den Schultern einer alten ehrbaren Dame liegen,
die der freien Mode opponirt und an der theuren Jugenderinne-
rung feſthält. Den vom Halſe anfangenden ſchlaffen Kragen
trugen feinere Damen nur zum Schutze des Teints, häufiger
wurde er bei Bürgerfrauen und Bürgerfräulein geſehen. Der
Mode des geſteiften Scheibenkragens blieben die Damen des
öſterreichiſchen Kaiſerhauſes am längſten treu.


Was die Form der Decolletirung betrifft, ſo ließ der Aus-
ſchnitt des Kleides die Achſeln mehr oder weniger bedeckt und
ſenkte ſich vorn auf der Bruſt in einer Spitze oder Rundung her-
unter, die nicht ſelten ſo tief ging, daß ſie die Brüſte zur Hälfte
entblößte. Am Ende dieſer Periode und im Anfang der nächſten
ändert er ſich aber und läuft dann horizontal rings um Schul-
tern, Rücken und Bruſt. Seit dem Jahr 1620 etwa zeigen ſich
auch wieder die erſten Entblößungen des Unterarms, doch ſind
ſie noch ſehr vereinzelt; im Ganzen kündigt ſich dieſe werdende
Mode mehr dadurch an, daß der Aermel ſich am Handgelenk
lockert und ein wenig von demſelben zurücktritt. Dadurch erlei-
den aber die Manſchetten keine Aenderung, welche ſich wie bei
den Herren genau nach dem Kragen richten.


Die übrige Kleidung der Frauen verläugnet ebenſowenig
den Einfluß der Zeitrichtung. Dieſem weicht zunächſt, gleich der
wulſtigen Ausladung an der männlichen Hüfte, der Reifrock, die
Vertugalla, an welchem nur die bürgerliche Welt noch mit einiger
Zähigkeit feſtzuhalten ſucht. Um das Jahr 1630 haben die Röcke
wieder einen vollkommen freien Faltenwurf und legen ſich mit
unbedeutender Schleppe auf den Boden. Aber die höchſten Kreiſe
und die großen Feſte ausgenommen, liebt man nicht mehr die
ſchweren Stoffe, welche mit ihrer reichen Maſſe im funfzehnten
[202]III. Die Neuzeit.
Jahrhundert die großartig, aber ſcharf gebrochenen Falten erga-
ben; bei dem leichten Sinn herrſcht auch die leichte Waare vor.
Zum Prachtanzug gehörten auch jetzt zwei Kleider, doch ließ man
auf dieſem Höhepunkt der Periode das obere in ungehindert
freien Falten herabfallen, und nur vorn war es in einem breiten
Streifen geöffnet, aus welchem das Unterkleid ſichtbar wurde;
häufig war dieſer ſchürzenartige Streifen ein eingeſetztes Stück,
welches hell zu dunklem Kleid oder umgekehrt in Wirkung trat.
In den erſten Jahrzehnten des ſiebzehnten Jahrhunderts, als
noch der Reifrock im Verſchwinden war, findet ſich nicht ſelten
das Oberkleid ringsum horizontal etwa um ein Drittel des Un-
terrocks aufgenommen und umgeſchlagen, ſodaß die eigentliche
Farbe des Oberkleides, das Futter und das Unterkleid in drei
breiten Streifen zuſammen wirkten, eine Mode, welche gegen den
Schluß dieſer Periode wieder in Aufnahme kam.


Am auffallendſten zeigt ſich die Aehnlichkeit der männlichen
und weiblichen Kleidung an Wamms und Leibchen, welches letz-
tere nur im Bruſtausſchnitt ſeinen weiblichen Charakter bewahrt.
Schon ums Jahr 1615, als noch die alte Mode vorherrſchend
war, wird dieſe Bemerkung gemacht: „Die Wämmſer ſind der
Männer Tracht. Was für ein Unterſchied aber iſt heutiges Ta-
ges zwiſchen der Männer Wamms und der Weiber Mieder und
Brüſtchen? Wahrlich ein kleiner oder wohl gar keiner.“ Das
ändert ſich auch nicht, als die Wülſte ſich wieder in offene, weite,
bauſchige Aermel verwandeln. Vom Jahr 1629 iſt die folgende
Bemerkung: „Beſiehe doch heutiges Tages unſer allamodiſches
Fräulein, kannſt du auch einen Unterſchied der Wämmſer merken
von der Männer Wämmſer, iſt eines ſowohl als das andere zer-
fetzt, verſchnitzelt und geflappet.“ Die Aehnlichkeit geht ſelbſt
ſo weit, daß die Leibchen wachſen und Schöße erhalten, die denen
des Wammſes völlig gleichen. Dadurch werden ſie vom Kleid
unabhängig. Auf der Bruſt werden ſie geknöpft oder durch
Schnüre gehalten, das Leibchen des Kleides aber, welches ſich
mit einer geſteiften Fiſchbeinſpitze herabſenkt, gewöhnlich mit
Schnürſenkel zuſammengezogen. Die Taille rückt in ſolcher Zeit
[203]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
ordnungsmäßig aus der erzwungenen Tiefe wieder zu natürlicher
Höhe herauf, in welcher ſie ſich auch im Allgemeinen die ganze
Periode hindurch erhält.


Die Schuhe der Frauen werden ſelten ſichtbar und haben
außer größerer Feinheit nichts Unterſcheidendes von denen der
Männer; nur wird hier und da noch über die hohen Unterſchuhe
Klage geführt. Auch der Damenſchuh erhält den graden Schnitt
an der Spitze und hohe Abſätze und wird mit Gold und Silber
beſtickt, mit bunten Roſetten und Schleifen heſetzt. Die klap-
pernden Galoſchen darunter tragen die Frauen wie die Männer.


So lange noch die wulſtigen und geſteppten Aermel mit den
weit gebauſchten im Kampfe lagen und aus beiden ſich eine ver-
einigte Form gebildet hatte, welche aus breiten, aber ſchlaffen
Wülſten beſtand, ſo lange beſaß die Frauenkleidung, namentlich
vom Rücken geſehen, etwas Entſtellendes, was ſie nicht zur vol-
len Schönheitsentfaltung kommen ließ. Als aber dieſe in die
frei gebauſchten, offenen und weit faltigen Aermel übergingen,
und nun nirgends mehr Zwang, Enge oder Mißform und gro-
teske Uebertreibung zu erblicken war, da hatte die Kleidung der
Frauen und mit derſelben ihre Haltung und Bewegung jene
noble, freie Eleganz, die natürliche Grazie, den Schwung, die
leichte und doch ſtolze Schönheit gewonnen, die uns an den Por-
traits des Rubens und van Dyck ſo bewundernswürdig erſchei-
nen. Offenbar harmoniren hier wieder die Natur und die Künſt-
lerſeelen in unüberterfflicher Weiſe.


Trotzdem iſt nicht anzunehmen, daß die Damen jener win-
digen Eitelkeit entſagt haben ſollten, welche die Männer dieſer
Periode auszeichnet. Auf’s beſtimmteſte verſichern das die fol-
genden Verſe, welche noch zu jenem Stutzerlied gehören, das wir
oben mitgetheilt haben:


„Die Damen halten gleich den Brauch,

Daß ſie herſtutzen wie wir auch,

In Haaren, Hut, Federn, Wämmſen,

Zerhackt, zerſtückt, mit langen Schößen.

[204]III. Die Neuzeit.
„Wir könnten doch kein fremde Tracht,

Die ſeltſam gnug ſeie gemacht,

Erdenken, das nit bald nachthun

Die Damen auf al modo ſchon.

„Sie können alle Cavallier

Ja weit gar übertreffen ſchier

Mit ihrem neuen Stolz und Stutz,

Bieten uns allen weit den Trutz.“

Indeſſen zu jenen Monſtroſitäten der Form, wie ſie der Schlapp-
hut und die Stulpſtiefeln aufweiſen, verſteigen ſich die Damen
nicht. Ihr „Stutz“, wie jenes Bild ſagt, beſchränkt ſich auf den
leichteren und grazioſeren Schmuck, auf die Federn und die
Locken, das Geſchlinge von Liebesknoten, auf Schleifen, Bänder,
Roſen und Neſteln mit den klirrenden Stiften, auf Stickereien,
insbeſondere auf die Spitzen, mit welchen Dingen ſie freilich ſich
ganz und gar vom Scheitel bis zur Fußſpitze überzogen. Dazu
kommt noch eine häufig kokette Decolletirung, eine Unzahl der
Schönheitsmittel und Inſtrumente, der häufige Gebrauch
des Spiegels, die Wohlgerüche und dergl. „Sie erkühlen das
Antlitz mit pfirſichblühend Waſſer, beſtreichen und zärteln das
Fleiſch mit Limonenſaft, mit Eſelsmilch. Sie erhalten ſich mit
Roſenwaſſer, Wein und Alaun. Sie gebrauchen ſich der Tra-
ganttäfelein von Quittenkernen, des gebrannten Waſſers, des
ungelöſchten Kalks ihnen ein recht vollkommen Bleiweiß-Sälb-
lein zu präpariren. Siehe, da werden geſehen ausſtaffirte Spie-
gel, Roſen- und Spicanardiwaſſer, Biſam, Zibeth, Rauchwerk,
ſchmäkend Pulver von Aloes, Cipern, Stabwurz, Schmakküge-
lein, Biſamknöpf, Muscatnüſſe. Da ſieht man Strähl (Kämme),
Spiegel, Ohrenlöffel, Haareiſen, Haarſcheeren, Rupfzwänglein
und Pfriemen. Da ſtehen Schächtelein, Büchslein, irdene Ge-
ſchirrlein, gläſerne Fläſchlein, Schüſſelein, Scherblein, Häfelein,
Eierſchalen, Muſcheln, geſpickt und ausgefüllet von allerhand
Pfläſterlein und Sälblein.“ Für alle ſolche Kleinigkeiten hatte
die berühmte Marion de l’Lormes einſt ihrem Geliebten in einem
[205]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Jahr bei einem einzigen Parfümeur die Rechnung einer Kleinig-
keit von 50,000 Thaler gemacht.


In beſonders allgemeinem Brauch werden die Schminken
angegeben, und zwar färbten vornehme Damen ſich weiß im Ge-
ſicht oder aßen, um den Teint zu bleichen, Kohlen, Kreide und
anderes, während die Frauen und Jungfrauen des Bürgerſtan-
des Roth auflegten. Es war nicht das einzige Falſche an ihnen:
die Augenbrauen wurden ſchwarz gefärbt, das Haar aber damals
zuerſt mit Puder beſtreut. Die Erwähnung deſſelben und der
„weißen krauſen Locken“ iſt nicht ſelten, indeſſen war die Sitte
noch nicht allgemein wie im achtzehnten Jahrhundert, ſondern
galt immer als beſonderes Zeichen tadelnswerther Eitelkeit.
Ebenſo kam die Mode der Schönpfläſterchen auf, hielt ſich
aber noch innerhalb derſelben Grenzen, obwohl ſie gegen das
Jahr 1650 im Detail ſchon ſehr ausgebildet iſt. Damals machte
Philander die folgende Beſchreibung: „Und ich ſahe deren einen
Haufen, die im Geſichte waren, als ob ſie geſchröpft hätten oder
ſich picken und hacken laſſen: dann an allen Orten, die ſie gern
wollten beſchauet haben, waren ſie mit ſchwarzen kleinen Pflä-
ſterlein behänget und mit runden, langen, breiten, ſchmalen,
ſpitzen Mücklein, Flöhen und anderen fitzirlichen, zum Anblick
dringenden, zum Zugriff zwingenden, Mannsfallen Geſtalten
bekleidet.“ Auch der falſchen hölzernen oder ausgeſtopften Brüſte
gedenket er, und daß der falſchen Locken eine häufige Erwähnung
geſchieht, auch in der männlichen Stutzerwelt, darf uns um ſo
weniger Wunder nehmen, als die eigentliche Perrücke ſchon ein
paar Jahrzehnte zu Paris in Blüthe ſtand. Wir werden im Zu-
ſammenhang darauf zurückkommen.


Es iſt natürlich, daß das ganze in ſo renommiſtiſcher und
herausfordernder Weiſe auftretende Stutzerthum auch die Op-
poſition
gegen ſich wach rief, indeſſen ließ die Schwere der
Zeit, die ganz andere Sorgen von ſich zu wälzen hatte, ſie nicht
zur Wirkung kommen. Zunächſt opponirte das Alter der thörich-
ten Jugend, indem es mit der Beſtändigkeit die Ehrenhaftigkeit
der „guten alten Zeit“ dem leichten Wechſel entgegenſtellt.


[206]III. Die Neuzeit.
„Alſo ſind vor vielen Jahren alte tapfre Biederleut’

Ohne Scheu dahergegangen zu der guten alten Zeit.“

Und ſo können wir denn auch noch lange Zeit die alten Herren
und Damen mit der breiten Kröſe, dem ſteifen Hut und ähnli-
chem erblicken. Ihnen erſcheint als Ideal „der Spanier Stand-
haftigkeit in unverrückter Handhabung ihrer Bekleidungsart.“
Dem Vorwurf der Wankelmüthigkeit begegnet in Harsdörfers
Frauenzimmer-Geſprächſpiel das junge adelige Fräulein Angelica
von Keuſchewitz in folgender Weiſe: „Wenn man die Sachen
von außen beſiehet, möchte ich wohl wiſſen, wie man ſich doch
kleiden müßte, daß es jedermann gefiele. Entweder finden die
Alten oder die Jungen etwas dawider zu ſprechen, und iſt ſich
faſt unmöglich zu hüten, daß man nicht entweder von den einen
ausgelacht oder von den andern getadelt werde. Diejenigen, ſo
die Kleidungsarten nicht zu verändern gedenken, da doch alles
und jedes in dieſer Welt dem Wechſel und Veränderung unter-
worfen iſt, ſollten noch Pelz von Ziegenfellen oder Feigenblätter
nach Adams erſter Kleidung zu tragen ſchuldig ſein, oder ja mit
Grund darthun, von welchem Tagesgemerk her die Kleidungs-
geſtalt herzunehmen.“


Die Prediger ſcheinen im Anfange des ſiebzehnten Jahr-
hundert die Vergeblichkeit ihres Widerſtandes eingeſehen zu ha-
ben, da ihnen die Neigung der Gewiſſen nicht mehr zu Hülfe
kam, und ſie gaben ihn daher wenigſtens von der Kanzel herab
mehr oder weniger auf. Indeſſen finden ſich Beiſpiele, daß ſie
ihrerſeits die Obrigkeiten zu Luxusgeſetzen direct veranlaſſen.
Auch die Kleiderordnungen, welche ohnehin während des
Kriegs vor dringenderen Pflichten zurücktreten, haben den ge-
wünſchten Erfolg nicht, zumal ſie noch immer als den Hauptge-
ſichtspunkt den Unterſchied der Stände und Claſſen aufſtellen,
die Beſchränkung des Luxus aber oder der übertreibenden Moden
als Nebenſache erſcheint. Das eigentliche Stutzerthum wird erſt
in den letzten Jahren des Kriegs und nach demſelben berückſich-
tigt. Die ausführlichſte aller Verordnungen, die ſächſiſche Jo-
[207]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
hann Georgs I. vom Jahr 1612, hat nur die Claſſenſcheidung im
Auge, indem ſie noch an die alte Reichstagsordnung von 1548
anknüpft. Doch ſtellen ſich in dieſem Punkte einige Verſchiebun-
gen ein, indem die Doctoren, die früher dem adeligen Ritter
gleichgeſtellt waren, alſo mit ihren Frauen über dem einfachen
Edelmann ſtanden, jetzt in ihrem Werthe ſinken und dagegen die
fürſtlichen Beamten bedeutend in der Schätzung ſteigen. Die
ſächſiſche Ordnung läßt den Doctoren und ihren Frauen die alten
Privilegien nur aus Gnaden — „wir können ſie ihnen gnädigſt
gönnen“ — doch auch in unbeſchränktem Maße nur denjenigen,
„ſo unſere Räthe und deroſelben Weiber und Kinder.“ Den Doc-
toren folgen gleich die „Hofdiener, ſo nit graduiret,“ desgleichen
die Sekretarien, Räthe u. ſ. w. Dann werden die Pfarrer mit
ihren Weibern und Kindern bloß vermahnt, ſich in ziemlicher
Tracht und Kleidung zu halten, damit man nicht nöthig habe, ſie
zu ſtrafen. Ihnen folgen die Schöſſer, Amtsvögte, Verwalter,
Bürgermeiſter und Rathsverwandte, dieſen die Handelsleute,
Krämer und vermögende Bürger, ſo nicht von ihrem Handwerk,
ſondern von ihren Gütern, Renten oder anderem bürgerlichen
Gewerb ſich allein ernähren. Endlich kommen die gemeinen
Bürger und Handwerker, die Dienſtboten und ſchließlich der
Bauersmann. Städtiſche Ordnungen ſtellen die Doctoren noch
den Bürgermeiſtern gleich, welchen letzteren natürlich „zu Ehren
der Stadt“ ein Mehr, z. B. zwei Ketten ſtatt einer, geſtattet
wird. Auch die Braunſchweiger Ordnung von 1618 hebt die-
jenigen Doctoren hervor, welche fürſtliche Räthe ſind.


Gegen die Mitte des Jahrhunderts und ſpäter richten ſich
auch die Ordnungen gegen die leichte Luxuswaare, insbeſondere
gegen die Spitzen, „Knüppels“, „Knüttelſe“, „Knüttelwerk“, und
die geſtickten ſeidenen Strümpfe, ſowie ebenfalls gegen die Ent-
blößung. So werden in der Braunſchweiger Ordnung von
1662 ganz kategoriſch „auf einmal caſſiret verboten in specie
die vielfältige Bändertrachten, ſammt Kragenbenähung, alſo und
dergeſtalt, daß alle Frauen und Jungfrauen, welche hinfüro mit
denen ſchmalen güldenen, ſilbernen oder auch ſeidenen überflüſſi-
[208]III. Die Neuzeit.
gen Bändern, an Haupt oder Kleidern, dann mit benähet oder
unbenäheten Kanten, Klöppels und Spitzen (da ſie gleich ge-
ſtricket oder gewebet) an Kragen und ſonſt ihren üppigen Hoffart
ſehen laſſen werden, wie nicht minder dieſelbe, ſo mit ganz oder
halb, zumal ärgerlich- und ſchändlich-entblößeten Brüſten (ob ſie
gleich dieſelbe mit einem durchſichtigen dünnen Flor zum Schein
überdecket haben würden) einhergehen, geſtracks Angeſichts auf
die Bruchſtube gefordert und nach Geſtalt und Größe der Ver-
brechung unnachläſſig abgeſtrafet werden ſollen.“ — Die Holſtei-
ner Ordnung von 1636 faßt auch die ſtutzerhaften Schneiderge-
ſellen ins Auge: „Nachdem auch fremde Handwerks-, vorab
Schneidergeſellen, mit ihrer Kleidung, Gebrämels, Zauchen und
großen Hoſenbändern nicht geringe Aergerniß geben, wird ihnen
ſolches auch hiermit unterſaget und ernſtlich geboten, ſich hinfüro
ihrem Handwerk gemäße Trachten anzuthun.“ Zu Hildesheim
wurden die Ordnungen gegen die ſilbernen und goldenen Spitzen,
köſtlichen Leibchen, „ſtattlich ausgeputzten Ufgeſetzten“ und geſtick-
ten Schuhe 1640, 1659 und 1663 wiederholt; ausdrücklich wer-
den noch die „krauſen Haare“ und die „nackten entblößten Hälſe“
verboten; keine Frau, „ſie ſei ſo fürnehm als ſie ſich ſchätzen
wolle,“ durfte bei 6 Thaler Strafe krauſe Haarlocken tragen.


Die Frage, in wieweit dieſe Ordnungen wirklich befolgt
wurden, laſſen wir durch Lauremberg, den wir ſogleich werden
näher kennen lernen, beantworten:


„De löfflyke Kleder-Ordonantz

Werd geholden wedder halff noch gantz,

Der hogen Avericheit Mandaten

Achtet man als Scholappen up der Straten.“

Größer wird auch der Einfluß nicht geweſen ſein, den die
ernſte und die komiſche Satire auszuüben ſuchte. Es waren in
der litterariſchen Welt wahrlich die Beſten der Nation, welche,
zur Partei der „Altfränkiſchen“ gehörig, ſich wie ein Schild vor
ihre Landsleute ſtellten und dem ganzen alamodiſchen Weſen,
das ſie als ein fremdländiſches betrachteten, den Krieg erklärten.
[209]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Hiermit aber ſtehen ſie ſchon auf der Grenzſcheide der nächſten
Periode, welche als die unbedingte Herrſchaft des franzöſiſchen
Weſens zu betrachten iſt. Der Krieg hatte nun bereits einige
Jahrzehnte gedauert und Deutſchland in allen Dingen den natio-
nalen Halt verloren: es gab weder eine deutſche Politik noch
eine deutſche Sitte; die vornehme Welt folgte der Fremde; kaum
vermochte man noch die deutſche Sprache zu erkennen unter dem
Ballaſt der Fremdwörter, für die ſie nur das Gefäß zu ſein
ſchien. Der Bürgerſtand folgte den höheren Ständen oder zog
ſich ſcheu und theilnahmlos in ſich zuſammen. Die Partei der
Altfränkiſchen, der eigentlichen Patrioten, griff natürlich dieſes
Weſen in ſeiner Geſammtheit an, berückſichtigte aber dabei ganz
insbeſondere die Kleidung, weil ſie dem inneren Scheinweſen den
ſichtbaren Ausdruck verlieh. Wenn ſie jedoch den fremden Mo-
den in der alten Tracht eine nationale Form entgegenzuſtellen
glaubte, ſo beruhte das allerdings auf einer Täuſchung, denn die
alten Formen, die hier und da zur Amtstracht, zur Bürger- oder
Volkstracht erſtarrten, waren ja, wie wir ſahen, ihrerſeits Nach-
ahmungen des ſpaniſchen Coſtüms geweſen. Von der eigentlich
deutſchen Tracht der Reformationsperiode war ſo gut wie nichts
übrig geblieben.


Drei Männer ſind es vorzugsweiſe, welche wir in dieſer
Beziehung hier in Kürze zu berückſichtigen haben. Der erſte iſt
Joh. Mich. Moſcheroſch, welcher (geb. 1601, geſt. 1669)
nach Geburt und Leben dem deutſchen Südweſten angehört. Er
iſt Proſaiker und ernſter, ſtrafender Moraliſt; der Grundzug ſei-
ner Satire iſt die Indignation, die ſittlich-patriotiſche Entrüſtung
über das alamodiſche Schein- und Unweſen ſeiner Zeit. Von
dieſem Standpunkt des wahrhaft deutſchen Mannes ſchildert er
es nach allen Seiten auf das rückſichtsloſeſte bis zur vollen Ver-
nichtung in ſeinem Hauptwerk: „Wunderliche und warhafftige
Geſichte Philanders von Sittewald d. i. Straff-Schrifften.“
Es ſind Viſionen, in denen er die Zeit in den Dingen und Men-
ſchen an ſich vorübergehen läßt oder unter der Figur Philanders
ſelbſt miterlebt. Eines dieſer Geſichte — es ſind im Ganzen
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 14
[210]III. Die Neuzeit.
vierzehn — behandelt die alamodiſche Kleidung insbeſondere
unter dem Titel: „A la mode Kehrauß.“ Es iſt Philander, ein
guter Deutſcher, wie ſie damals waren, aber alamodiſch in Klei-
dung und Sprache, den der Zufall auf das Schloß Geroldseck
führt, wo die Sage die alten Helden Arioviſt, Armin, Witte-
kind, Siegfried und andere hauſen läßt. Unter dieſe Leute ge-
räth das moderne Weltkind, die nun allerdings ſeinem ganzen
äußern Weſen vom Kopf zu Fuß und der Sprache obendrein den
Kehraus machen. Immer iſt es der patriotiſche Standpunkt, den
Moſcheroſch in den Tadelsworten der Bewohner von Geroldseck
einnimmt. Da heißt es z. B.: „Kum hieher! ſprach Herr Teutſch
Meyr; und als ich nahe zu ihm kam, Solſtu ein Teutſcher ſein?
ſprach er; deine ganze Geſtalt giebt uns viel ein anders zu er-
kennen. Und glaub ich gewiß, daß du darum deinen Hut unter-
wegs von dir geworfen, nur daß man die närriſche Form nicht
ſehen ſollte. Denn ſobald kann nicht ein wälſche närriſche Gat-
tung aufkommen, daß ihr, ungerathne Nachkömmlinge, nicht
ſobald dieſelbe müßt nachäffen und faſt alle viertel Jahr ändern,
auch dafür haltet, wo ein ehrlicher gewiſſenhafter Mann bei ſei-
ner alten ehrlichen Tracht bleibe, daß er ein Hudler, ein Halunk,
ein Alber, ein Eſel, ein Tölpel ſein müſſe.“ Ein anderer faßt
Philander bei den Haaren und ſagt: „Iſt dann das ein Teut-
ſches Haar? Biſt du ein Teutſcher, warum mußt [du] ein wälſches
Haar tragen? warum muß es dir alſo über die Stirn herunter
hangen, als einem Dieb? Man ſoll ja einen ehrlichen Mann aus
der Stirne erkennen, welche guten Theils ſeines Gemüths Zeug-
nuß iſt; und wer ſeine Stirne alſo verhüllet, das Anſehen hat,
als müſſe er ſich vor etwas ſchämen, daß er ein Schelmenſtück
begangen habe. Warum muß dir das Haar alſo lang über die
Schulter herab hangen, als einem Weibe? warum läßt du es
nicht, ſo du es länger tragen wollteſt, auf teutſche Weiſe überm
Kopf einſchlupfen, als bei uns her Brauch iſt?“


Dem Moſcheroſch verwandt an Geiſt und Beſtreben war
der Schleſier Friedrich von Logau (geb. 1604, geſt. 1655).
Auch ihn erfüllte die Empörung über die ſittliche und politiſche
[211]3. Der Naturalismus u. d. Stutzerthum des dreißigjähr. Kriegs.
Verkommenheit des Vaterlandes und die Herrſchaft des Fremd-
weſens, aber ſeine Waffe dagegen iſt nicht die Satire, ſondern
das beißende Epigramm, das er mit größter Schärfe und voll-
kommenſter Freiheit und Freimüthigkeit handhabt. Er richtete
es gegen jedes Laſter und jeden Stand, an welchem er ein ſol-
ches zu finden glaubte. Die Kleidung berührt er dabei nur im
Allgemeinen, inſofern er darin die Unterwürfigkeit unter Frank-
reich erkennt. So heißt es:


Franzöſiſche Kleidung.
„Diener tragen insgemein ihrer Herren Liverei:

Solls dann ſein, daß Frankreich Herr, Deutſchland aber Diener ſei?

Freies Deutſchland, ſchäm dich doch dieſer ſchnöden Kriecherei!“

In einem andern Epigramm: „Fremde Tracht“ ſpricht er aber
die Beziehung zwiſchen der Kleidung des Menſchen und ſeinem
inneren Weſen aufs beſtimmteſte aus:


Alamode-Kleider, Alamode-Sinnen:

Wie ſichs wandelt außen, wandelt ſichs auch innen.“

Der dritte, Hans Wilmſen Lauremberg (geb. 1591,
geſt. 1659) gehört dem deutſchen Norden an. Obwohl ſeine platt-
deutſch geſchriebenen Satiren unter dem Titel: „De veer olde
beröhmede Schertzgedichte“ mehrere Auflagen erlebten, ſcheinen
ſie doch ſchwerlich über die niederdeutſche Heimath hinausgekom-
men zu ſein. Der Dialect ſelbſt war ein Hinderniß, den er er-
wählte, um ſich gleich im Aeußern vom alamodiſchen Hochdeutſch
zu unterſcheiden. Freilich vermehrte er dadurch die komiſche Kraft
ſeiner Verſe, und auf dieſe hatte er es beſonders angelegt. Er
ſeinerſeits zieht den lachenden Demokrit dem weinenden Heraklit
vor; er ſieht nicht ein, warum er beweinen ſoll, was andere ver-
brochen haben. Die Verdorbenheit der Welt erſcheint ihm wie
eine Komödie belachenswerth; wollte er darüber weinen, würde
er ſich ſelbſt den Narren zugeſellen. So geiſſelt er das Verkehrte
und Falſche in der Welt, die Thorheiten, mit heiterer Ironie,
Witz und derbem Humor, wobei er freilich die Grenzen des An-
14*
[212]III. Die Neuzeit.
ſtandes wenig berückſichtigt; einmal im Zuge überläßt er ſich frei
und ungehindert ſeiner Laune. Der Kleidung widmet er die
ganze zweite Satire: „Von Alemodiſcher Kleder-Dracht.“ Er
geiſſelt die Modethorheiten, namentlich des Bürgerſtandes, in
ergötzlicher Weiſe und würzt ſeine Darſtellung mit einer Menge
Anekdoten, deren Wahrheit freilich dahingeſtellt bleiben muß.


[[213]]

Viertes Kapitel.
Die Staatsperrücke und die abſolute Herrſchaft
der franzöſiſchen Mode
. 1650—1720.


Als endlich der heiß erſehnte Friede im Jahr 1650 endgül-
tig vom Nürnberger Rathhaus herab verkündet wurde, war die
ſociale Welt aus den Fugen gegangen und wartete des Meiſters,
der ſie wieder einrichten ſollte, einerlei, ob gut oder ſchlecht. Ein
ſolcher fand ſich in der Perſon Ludwigs XIV., und man muß
geſtehen, er war in dieſer Beziehung ein großer Meiſter, mag
man auch immerhin und mit Recht den Weg, welchen er die
menſchliche Geſellſchaft führte, für den falſchen halten und ihn
ſelbſt nur als ein unbewußtes Werkzeug der Geſchichte betrachten.
Ordnung und Maß war, was noth that nach der Verwilderung,
feſte Schranken den gelöſten Leidenſchaften, Zucht und Sitte dem
ſocialen Leben, in welchem die Roheit des Krieges den Tact, das
Schamgefühl, die Humanität erſtickt hatte. Die Aufgabe war
ſchwer und die Heilung langwierig, da der Schaden ein innerer
und allgemeiner geworden. Generationen pflegen über ſolchen
Curen der Geſchichte ins Grab zu ſinken. Es iſt daher nicht zu
verwundern, wenn die angewendeten Mittel Anfangs bloß for-
mell erſcheinen, und unter ihrer Verhüllung die geiſtige und
moraliſche Verſunkenheit noch lange fortlebt, und wenn andrer-
ſeits eben ſie zum entgegengeſetzten Extrem, aus der Verwilde-
rung und Roheit zur Beſchränkung, Erſtarrung und Ueberfeine-
[214]III. Die Neuzeit.
rung führen. So kommt es, daß die geſuchte und raſch entartete
Natur wieder verloren geht, und die zweite Hälfte des ſiebzehnten
Jahrhunderts gewiſſermaßen an das Ende des ſechszehnten an-
knüpft, doch nicht ohne durch die dazwiſchen liegende Periode
formell völlig verändert zu ſein.


Denn es ſind nun eben zwei Richtungen, welche, an allen
Dingen ſichtbar, nicht ſowohl mit einander im Kampf zu liegen
ſcheinen, als ſie einen gemeinſamen Charakter bilden, deſſen
Weſenheit grade in dieſem klaffenden Widerſpruch beſteht. Das
iſt von der einen Seite her der Geiſt des Abſolutismus, deſſen
Wurzeln im ſechszehnten Jahrhundert ruhen. Politiſch offenbart
er ſich als die unumſchränkte fürſtliche Hoheit und gipfelt in dem
bekannten Wort Ludwigs XIV.: l’état c’est moi; ſocial aber
erkennen wir ihn in der Verſchrumpfung des fröhlichen, friſchen
Lebens, in der Herrſchaft leeren, erſtarrten Formenweſens, in der
Etiquette, in Spießbürgerei und Philiſterthum. Dem gegenüber
tritt die andere Seite, in welcher noch der Sturm des Krieges
zu brauſen ſcheint; es iſt eine Neigung zum Grotesken, ſogar
Großartigen, neben Hohlheit, Aufgeblaſenheit, Stolz, Eitelkeit,
Unnatur und ſelbſt Roheit oder Abſtumpfung des Gefühls.


Beide Richtungen treten im äußerſten Extrem auf. Man-
gel an Maß und Maßhaltigkeit iſt der Grundzug der ganzen
Periode; es gelingt nicht, zwiſchen beiden Seiten eine Verſchmel-
zung herzuſtellen oder die rechte Mitte zu finden. Und man
konnte das um ſo weniger, als man in eitler Selbſtzufriedenheit
der Einbildung lebte, mit dieſen Uebertreibungen ſich grade im
Beſitz des Wahren und Schönen zu befinden. Dieſer Ueberzeu-
gung gab man ſich blindlings mit einer ſolchen Kraft und Aus-
ſchließlichkeit hin, daß ein anderer Geſchmack unmöglich Gnade
finden konnte: was nicht aus dieſem Geiſte neu geſchaffen war,
wurde unerbittlich umgewandelt, mußte ſein Kleid anziehen, oder
von der Erde verſchwinden. Die ſchonungsloſe Unbarmherzigkeit
des herrſchenden Geſchmacks riß die alten Baudenkmäler nieder
als Ueberbleibſel einer barbariſchen Zeit oder baute ſie um in die
eigene Form. Nicht einmal die Natur, die freie, ließ er unge-
[215]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.
ſchoren: Wege und Stege, Pflanzen und Gewäſſer mußten dem
Zwang ſeiner Tyrannei ſich fügen und ſich in ſeine Formen be-
quemen. Selbſt dem Menſchenantlitz, dem Individuellſten, was
es giebt, drückte er ſein Siegel auf, ſodaß alle Portraits einen
hiſtoriſchen Phyſiognomiker anblicken wie Kinder ihrer Zeit.


Es iſt zunächſt das Leben ſelbſt in ſeinen geſellſchaftlichen
und Sittenzuſtänden, welches dieſen Doppelcharakter offenbart.
Es iſt kaum nöthig an die bekannte Demoraliſation zu erinnern,
welche den Hof Ludwigs XIV. und mit ihm ſein ganzes Zeitalter
kennzeichnet; daß es in der deutſchen Geſellſchaft nicht beſſer war,
iſt bei den entſetzlichen Wirkungen des Kriegs nicht zu verwun-
dern. Aber es läßt ſich gleichzeitig beobachten, wie mit wachſen-
der Auflöſung der Moralität die höfiſche Etiquette ſich ſteigert,
wie die Umgangsformen, der geſellige Ton ſteifer und enger wer-
den, eine ceremoniöſe, feierliche und geſpreizte Galanterie ein-
reißt, zu der ſich gar Bigotterie und Pietismus geſellt. Ludwig
XIV. war ein vortrefflicher Lehrer in allen dieſen Dingen und
ſein Hof dafür das allgemeine Muſter. Während die Familien-
bande ſich lockern, die Maitreſſenwirthſchaft und unnatürliche
Laſter mit ſchamloſer Offenheit betrieben werden, ja zum guten
Ton gehören, wird überall die Tugend mit Worten gefeiert. Ih-
res Lobes iſt man voll in denſelben Gedichten, die von Schmutz
ſtrotzen; Theaterzettel, welche die unfläthigſten Poſſen ankündi-
gen, berufen ſich auf die Moral; den Tugenden ſetzt man Bild-
ſäulen und bringt ſie als allegoriſche Figuren in den Ernſt und
den Scherz des Lebens; die Tugend allein gilt für beſtändig,
weltlicher Ruhm und weltliche Freuden als ſchnell vergänglicher
Rauch.


Ludwigs XIV. Zeitalter iſt das der ausgeſuchteſten und
ausgebildetſten Galanterie. Die Dame genoß im geſellſchaftli-
chen Leben die Verehrung einer Heiligen; mit Handküſſen und
den tiefſten Verbeugungen nahte man ſich ihr; Complimente,
die ſüßeſten, gezierteſten Redensarten, die ein beſonderes Stu-
dium verlangten, umſchwirrten ſie. Voll Scheu und Ehrfurcht
hielt man ſich wie vor einem höheren Weſen in reſpectvoller Ent-
[216]III. Die Neuzeit.
fernung. Wenn ſich zu andern Zeiten beim Tanze die Paare
umſchlingen, blieb man damals in gemeſſener Entfernung
oder berührte ſich aufs zarteſte mit den Fingerſpitzen; der
ganze Tanz war eigentlich nur eine fortgeſetzte Verbeugung;
beim Spaziergange, ſtatt Arm in Arm zu gehen, reichte der Herr
den ſeinigen gebogen dar, und die Dame legte nur die Finger-
ſpitzen der linken Hand auf ſeine rechte. Im geſelligen Verkehr
war der Wunſch der Dame Geſetz des Herrn; ſie zu beleidigen,
war Verbrechen. Solche Unterwürfigkeit konnte auch zur wirkli-
chen werden, denn es iſt die Zeit der Maitreſſenherrſchaft. In
allen Zweigen des öffentlichen und privaten Lebens erkennen wir
den Einfluß, das Spiel der Frauenhände: wir finden ſie thätig
in der Politik, in der Kunſt, in der Wiſſenſchaft ſelbſt, denn die
gelehrten Frauen waren in dieſer Zeit nur zu gewöhnlich; im
Hauſe herrſchten ſie ohnedies.


Aber dieſe Verehrung des weiblichen Geſchlechts hat auch
ihre Kehrſeite. Zu keiner Zeit lauteten die Artigkeiten, die Blu-
men der Galanterie zierlicher und feiner, aber zu keiner Zeit iſt
auch in der oppoſitionellen Litteratur und von der Kanzel herab
gegen „das liebwertheſte und galanteſte Frauenzimmer“ eine grö-
bere und rohere Sprache geführt worden. Davon iſt aus einem
Buche, welches für den Kanzelgebrauch ſich empfiehlt, die fol-
gende Stelle ein kleines, beſcheidenes Beiſpiel. „Wann nun ein
ſolches hoffärtiges Rabenaas von ihrem Mann die Einwilligung
erhalten, ihr ſtinkendes Wuſtgewölb in einen ſolchen koſtbaren
Zeug zu verhüllen, und einzuwicklen (dann ein in Kleidern pran-
gendes Weib iſt nach Ausſag des Heiligen Bernardi nichts
anders als stercus involutum, ein eingewickelter Koth), da
muß alſobald der Schneider mit einem Dutzet Geſellen auf der
Werkſtatt ſeine flüchtige Capriolen machen“ u. ſ. w. Die Satire
greift nicht bloß einzelne Thorheiten der Mode und der Sitte an,
ſondern das ganze weibliche Geſchlecht als ſolches, ja man ſtritt
ſich in der Litteratur lebhaft darüber, und es ſcheint faſt allen
Ernſtes, ob die Frau überhaupt noch zum Menſchengeſchlecht zu
rechnen ſei. Die damals wirklich über alle Begriffe von ſich ein-
[217]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.
genommene Männerwelt ſah den Balken im eigenen Auge nicht;
kein Mann hatte eine Ahnung, welchen Thoren er unter der
Perrücke verbarg. Damals ſchrieb ein Geiſtlicher ein Buch: „Der
chriſtliche Weltweiſe beweinet die Thorheit derer andern fünf-
undzwanzig Närrinnen“, welchem auch die obige Stelle entnom-
men iſt. Man ſchrieb Abhandlungen, ob ein Ehemann ſeine
Frau ſchlagen dürfe, was in der Praxis auch von der Geiſtlich-
keit empfohlen wurde, und ähnliche erbauliche Betrachtungen. —
Gedichte prieſen und ſchilderten die Schönheit der Frau in den
überſchwänglichſten Ausdrücken und Vergleichen. Da war das
Angeſicht weiß wie Schnee, die Lippen Corallenzinken, die Zähne
Perlen, auf beiden Wangen waren Lilien und Roſen, die Augen
Sonnen, welche Pfeile und Flammen ſtrahlten, die Augenbrauen
zwei Bögen von Ebenholz u. ſ. w. Oder es hieß:


„— Dieſelbe war ein Bild,

Der Tugend einloſieret, und Schönheit führt das Schild,

Der Mund war rother Sammt, die Lippen ausgeetzet

Mit Röslein und Rubin: mit Lilien unterſetzet,

Narciſſenweiß der Hals; die Finger waren Schnee,

Die Nägel Perlen gleich, das Haar wie Gold und Klee.“

Im Gegenſatz zu dieſer Ausmalung, die ſich unzählig wie-
derholt, gefiel ſich die Satire darin, alle nur erdenklichen Häß-
lichkeiten am weiblichen Geſchlecht aufzuſuchen und ſie mit ekel-
hafteſter Schilderung in Verſe zu bringen.


Daß es in Sachen der Moralität mit dem Bürgerthum
nicht beſſer ſtand, wie mit den vornehmen, gebildeten Claſſen,
das vermag am beſten das Theater zu zeigen, oder vielmehr das
Volksdrama, das den Händen der Dichter ganz entwunden war.
Die Schauſpieler machen ihre Stücke ſelbſt, berechnet auf den
Geſchmack und die Empfänglichkeit des Volks. Es bedurfte der
allerſtärkſten Reizmittel, um nur auf die abgeſtumpften Sinne
einen Eindruck hervorzubringen. In Bezug auf Handlung,
Sprache, Action wurden alle Zügel losgelaſſen. Eine Begeben-
heit drängte die andere ohne einen Faden der Ordnung; Gefahr
folgte auf Gefahr, Abenteuer auf Abenteuer; politiſche Begeben-
heiten, Heldenthaten und Greuelſcenen, Zauberſtücke, Verwand-
[218]III. Die Neuzeit.
lungen, Traumerſcheinungen, Himmel und Hölle, die Allegorie,
das Ballet, die Muſik, Illumination und Feuerwerk, gemiſcht
mit Prügeleien und den unfläthigen Poſſen Hanswurſts, mit
equilibriſtiſchen und akrobatiſchen Künſten bilden den perrücken-
artig krauſen und maſſenhaften Inhalt einer „Haupt- und
Staatsaction.“ Der übertriebenen Ausdrucksweiſe entſprach ein
fratzenhaftes Gebärdenſpiel, ein Herumfahren auf der Bühne,
die maßloſe Darſtellungweiſe autodidaktiſcher Kraftgenies. Der
Krieg hatte die Menſchen an den Anblick des Scheußlichſten ge-
wöhnt, und das Theater ſetzte das fort. Ein Hauptmittel des
Reizes für das männliche und weibliche Publikum war die Er-
regung der geheimen Luſt des Grauſens und Entſetzens. So
wurden alle ekelhaften Scheußlichkeiten auf der Bühne offen auf-
geführt. Judas erhängt ſich, der Bauch platzt und die Gedärme
fallen heraus; die Söhne des Andronicus werden abgeſchlachtet
und ihr Blut in Schalen aufgefangen; das Aufhängen und
Köpfen geſchieht in möglichſter Natürlichkeit, und die Leichen
und abgeſchlagenen Köpfe bleiben zur Ausſtellung liegen; Ge-
ſpenſter erſcheinen „mit dem abgehauenen Kopf in der Hand und
entblößtem blutigen Störtzel;“ dazu die Qualen der Märtyrer,
der Geſpießten und im Feuer Aufgehängten: das war die
Augenweide des guten bürgerlichen Publikums nach dem dreißig-
jährigen Krieg. Und wie widerlich klingt dabei im Umgang und
in Liebesſcenen der Bühnenprinzen und Prinzeſſinnen der ge-
ſpreizt ceremoniöſe Ton, die geſchraubten Complimente, die don-
quichotiſche Höflichkeit, die Handküſſe, die mit granziöſer Ver-
beugung der eigenen Hand applicirt werden, der ganze ſteife, zur
Carricatur gewordene, widerlich vornehme Hofton, gepaart mit
Lüſternheit, mit Küſſen und Zärtlichkeiten, mit verzweiflungs-
vollen Betrachtungen über die Macht der Venus und Lobprei-
ſungen der Tugend.


In ähnlicher Weiſe mußte für die vornehmen Stände die
Oper alle nur erdenklichen Reizmittel loslaſſen. Es iſt ſchon
bezeichnend, daß grade die Oper Liebling dieſes Geſchlechts
wurde, welches nicht zu Gedanken und wahren Empfindungen
[219]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.
angeregt, ſondern durch Sinnenreize beſchäftigt ſein wollte. Die
Oper konnte alles ſein, ein Myſterium ſo gut wie ein Schäfer-
ſpiel oder ein Heldendrama, tragiſch oder komiſch, und alles zu-
ſammen. Alle Mittel wurden verſchwendet, den höchſten Zauber
der Decoration und der Maſchinerie zu entfalten; ſie führte die
Augen und Ohren des Publikums durch Himmel und Hölle; ſie
unterhielt mit Balletten, mit Zauberſcenen und Verwandlungen;
ſie brannte Feuerwerke ab, brachte Schlachten und Kanonen-
donner auf die Bühne; Pferde, Eſel, Kameele erſchienen und
das Brüllen und Brummen von Ungeheuern und wilden Thieren
mußte mitwirken zu muſikaliſchen Effecten. Endlich nach voll-
ſtändigſter Ueberreizung und Blaſirtheit fand ſogar Hanswurſt
mit ſeinen derben Späßen und gemeinem Gefolge Eingang in
die vornehme Geſellſchaft der Oper.


Wie der Pomp und die Maſſenhaftigkeit in Oper und
Schauſpiel, herrſchte die Phraſe im Stil der Proſa. Mit der
Pracht der Sprache, welche auch die Roheit nicht ablegte, ver-
band ſich die „Zierde“ oder Zierlichkeit. Dadurch wurde der
Stil noch manierirter, denn indem ihm gewiſſermaßen Schrauben
angelegt wurden, verlor er die wilde Freiheit, welche er in der
Herrſchaft des Bombaſtes noch gehabt hatte: er wurde hoch-
trabend, pathetiſch, pompös, ſteifen Gangs wie auf hohen Ab-
ſätzen gehend und die Schleppe hinter ſich herſchleifend, und
ſchmückte ſich zugleich mit zierlichen, gedrechſelten Redensarten,
mit fein gekräuſelten Floskeln. Die Satzfügung wurde ver-
ſchroben, undeutſch, unklar und dunkel. Wie der Kopf des
Mannes unter der Lockenmaſſe der Perrücke verſchwindet, ſo war
jeder Gedanke in ein geſchraubtes, ſteifes, verſchnörkeltes Satz-
gebäude eingeſchloſſen, durch welches man ſich mühevoll durch-
arbeiten muß, um den Inhalt zu finden: man glaubt in einem
Irrgarten zu ſein.


Was die Kunſt betrifft, ſo wollen wir nur der Architektur
und der Gartenkunſt gedenken, welche beide das doppelſeitige
Weſen der Zeit in großartigſter Weiſe zur Schau tragen. Auch
hier iſt nach der einen Seite Maſſenhaftigkeit, Coloſſalität der
[220]III. Die Neuzeit.
Formen, Verhältniſſe und Intentionen und nach der andern ein
kleinlich unruhiges Weſen, Steifheit, Abgeſchmacktheit und Un-
ſinn der Gedanken in den Verzierungen. Wenn die Baukunſt
in ihrer impoſanten und noblen Verſchwendung des Raumes
und der Maſſen Würde, Pracht und Majeſtät erreicht, ſo hebt
ſie dieſe Wirkung durch die übertriebene und immer gebrochene
Gliederung, durch die Ueberladung mit Detail wieder auf. Die
großartigen Palaſtanlagen, mit denen jeder Fürſt die berühmten
zu Verſailles nachzuahmen ſuchte, ſprechen durchaus im Pathos
zu uns: coloſſal in den Dimenſionen, oft von ausgezeichneter
Schönheit in den Verhältniſſen, mit ſcharfen, weit herausſprin-
genden Profilen und gekrönt von reichem plaſtiſchen Bilderwerk,
werfen ſie auf die großen, freien, ſonnigen Höfe ihre breiten
Schattenmaſſen, aber ein Blick auf die Lichtſeite des Gebäudes,
und wir erkennen einen unendlichen Wechſel der gebrochenen
Linien, einen krauſen Wuſt von Vorſprüngen und Vertiefungen
des architektoniſchen oder bildneriſchen Schmucks, daß unter der
unruhigen und kleinlichen Zerlegung von Licht und Schatten
der Eindruck wieder verſchwindet. Da drehen ſich die Säulen in
tauartigen Spiralen, da bäumen und brechen ſich die Giebel in
allerlei Formen und Unformen; die Fenſter werden zerſchnitten
mit Bögen und graden Linien; Thürme und Dächer geſtalten
ſich wie Zwiebeln und Birnen; die Kuppeln werden flach ge-
drückt, umgekehrt ſchüſſelförmig, ſelbſt oval: kurz, jeder Theil
weicht willkürlich heraus aus ſeiner ihm naturgemäß angewie-
ſenen Grenze und Richtung.


An die Palaſtbauten ſchließen ſich die Gartenanlagen im
Geiſte wie im Plane auf’s engſte an. Aber faſt in noch höherer
Weiſe tragen ſie den Charakter der Zeit zur Schau, denn hier
ſind es nicht Kunſtwerke aus einem unfreien Material, denen ſie
ihre Formen giebt, ſondern es iſt die Natur ſelbſt, welche ſonſt
der menſchlichen Geſetze zu ſpotten pflegt. Auch hier iſt die
Großartigkeit der Anlage, die Nichtachtung von Raum und
Mitteln nicht zu verkennen: weite Perſpectiven eröffnen ſich dem
Blick, Waſſermaſſen beleben die Räumlichkeiten in großen Baſ-
[221]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
ſins oder den künſtlichſten Springbrunnen; plaſtiſche Figuren in
reichen Gruppe ſind überall aufgeſtellt. Aber jedes Detail, jeder
Baum, jede Pflanze iſt mit unerbittlichſter Conſequenz der ſtil-
gemäßen Behandlung unterzogen. Statt des lebendigen, freien
Wuchſes ſehen wir die langen, graden Wände von gleich be-
ſchnittenem Grün; aus ihnen herauswachſend beleben zwar
Bäume die lange Flucht, aber ſie haben ſich ebenfalls der Scheere
bequemen müſſen. In der Eintheilung herrſcht nur die grade
Linie, die uns in der Natur am unangenehmſten berührt. Durch
den ganzen Garten in den Wegen entlang, an den Ecken und
Rändern der Raſenflächen ſind kleine Taxus oder Cypreſſen auf-
geſtellt, welche die künſtleriſche Scheere des Gärtners und ſeine
willkürliche Phantaſie in allerlei ſinnloſe Geſtalten gleich Schach-
figuren gebracht hat, denen doch wieder auf’s unverkennbarſte
das Siegel der Zeit aufgedrückt iſt. Lange Alleen ſind zu Bo-
gengängen mit den regelrechteſten Kreuzgewölben zugeſchnitten;
die Stämme bilden die Säulen mit laubigem Capitäl. Die
Skulpturen, die wir hier finden, wie die ganze Plaſtik dieſer
Zeit, tragen daſſelbe Gepräge: ſtilgemäß in Stellung und Be-
wegung wie vom franzöſiſchen Tanzmeiſter geſchult, mit der
ganzen, affectirten Aftergrazie, mit flatternden und doch ſchwer
und eckig gebrochenen Gewändern, bilden ſie die paſſendſten Be-
wohner dieſer verkünſtelten, verſchnittenen Natur.


Sehen wir auf den Geſammteindruck, ſo läßt ſich nichts
denken, was einſtimmiger, conſequenter im Charakter durchge-
führt wäre als ſo ein Palaſt mit Gartenanlagen vom Ende des
ſiebzehnten oder Anfang des achtzehnten Jahrhunderts: das
wilde Waſſer, der freie Wald, der ſpröde Stein, ſie fügen ſich
dieſem Geiſt, der mit Rieſenmaſſen ſpielt und auch das Kleinſte
nicht vorüber läßt, ohne es in ſeiner Form nach ſeinem Geiſte
umzuwandeln. Aber es gehört nothwendig die paſſende Staffage
hinein, wie wir ſie werden kennen lernen: dieſe feinen Herren in
goldbordirtem Degenkleid mit ſtattlicher blonder Perrücke, in
zierlichem Tänzerſchritt die Füße gemeſſen bewegend, neben ihnen
die enggeſchnürteu Damen mit langer Taille, die geſchminkten
[222]III. Die Neuzeit.
Geſichter mit Schönpfläſterchen von der grotesken Fontange
überwallt, den Fächer zierlichſt in der Hand ſchwenkend und die
andern mit den Fingerſpitzen auf den Arm des Begleiters legend,
und Mohrenknaben, die ihnen die Schleppe tragen. Wenn dann
das Mondenlicht in einer prächtigen Sommernacht auf die groß-
artigen Räume fällt: da ragen die dunkeln Gebäude in ihren
großen Verhältniſſen ſo mächtig in den lichten Himmel empor
und werfen breite tiefe Schatten über die erleuchteten Flächen;
die krauſen Ornamente verſchwimmen im dämmernden Lüſtre und
verwirren wie unklare, duftige Spukgeſtalten die Sinne; ge-
ſpenſterhaft leuchten die weißen Figuren aus den tiefen Schatten
der dunklen Baumwände hervor; die weiten, ſtillen Baſſins und
die ſpringenden Waſſer glänzen und blitzen im Licht, die Fon-
tainen und Cascaden rauſchen in der ſchweigenden Nacht — das
Ganze iſt ein völlig harmoniſches Bild voll Zauber, Stimmung
und Charakter.


Wir können hier die Doppelſeite dieſer Periode nicht weiter
verfolgen. Sie iſt übrigens unſchwer erkennbar in wachſender
Virtuoſität, in der Bravour des Vortrags wie in den Lichteffec-
ten Rembrandts, in der Abſchwächung der Kunſt von der Hiſtorie
des Rubens durch die Allegorie und das Genre zur Landſchaft,
zum Stillleben und zur Blumenmalerei; ſie iſt erkennbar in dem
Lohenſteiniſchen Schwulſt, in der Glätte und Sinnlichkeit der
Lyrik, in dem Wuſt der breiten Romane; es iſt ſelbſt bezeichnend,
daß die duftloſe ſtolze Tulpe mit der Pracht ihrer ſatten, vollen
Farben und mit ihrer ſteifen Haltung in beiſpielloſer Weiſe die
Lieblingsblume dieſes Geſchlechts wurde.


Daß die geſammten Aeußerungen des geiſtigen und ſocia-
len Lebens in ſo durchgängiger Weiſe ſich gewiſſermaßen unifor-
mirten, davon iſt zum größten Theil die Urſache die immer aus-
gedehntere und bald faſt unbedingte Herrſchaft Frankreichs in
allen Zweigen der Cultur. Der autokratiſche Wille Ludwigs XIV.,
der in der Durchführung keine Rückſicht kannte, verſtand es,
Frankreich in kürzeſter Friſt in eine gemeinſame Form zu gießen.
Dies ſowohl wie nicht weniger der Glanz ſeines Hofes, der
[223]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franzöſ. Mode.
Geiſt und die Pracht ſeiner Feſte imponirten den deutſchen
Fürſten, die in ihm ihr Vorbild fanden. Dazu kam, daß die
franzöſiſche Litteratur, damals in die Periode ihrer Blüthe tre-
tend, weitaus noch der in Geſchmackloſigkeit verſunkenen deut-
ſchen überlegen war und ſo ſich allen Gebildeten von ſelbſt auf-
drängte. Was die calviniſtiſchen Fürſten ſchon im Anfange des
ſiebzehnten Jahrhunderts und früher noch begonnen, die engſte
geiſtige Verbindung mit dem franzöſiſchen Hofe, das wurde nun
ganz allgemein. Kein Prinz, faſt kein deutſcher Edelmann, der
einiges Streben hatte, welcher nicht ſeine ſtaatsmänniſche und
modern geſellſchaftliche Bildung von Paris holte. Die Geſandten
vermittelten den beſtändigen Verkehr und überſchickten neben po-
litiſchen Neuigkeiten auch ebenſowohl die litterariſchen und die
der Mode. An Widerſtand war in dieſen Kreiſen nicht zu denken,
und das deutſche Volk war durch den langen, verödenden Krieg
gebeugt und willenlos und erholte ſich erſt wieder ein wenig zu
patriotiſchen Gefühlen an den Siegen des Prinzen Eugen. So
konnte Ludwig, der Deutſchland in geiſtiger Knechtſchaft hielt,
ein Stück nach dem andern vom Reiche losreißen, während der
deutſche Reichstag ſich mit ſo wichtigen Fragen beſchäftigte, wie
die, wer von den Geſandten das Recht habe, ſeinen Stuhl ganz
oder halb auf den Teppich oder mit den vordern Beinen auf die
Franzen zu ſetzen. Wir haben bereits oben bemerkt, wie mächtig
ſchon zu Logau’s Zeit der franzöſiſche Einfluß ſich geltend machte.
Noch viel mehr gilt von den letzten Jahrzehnten des ſiebzehnten
Jahrhunderts, was er um die Mitte ſagt:


„Frankreich hat es weit gebracht, Frankreich kann es ſchaffen,

Daß ſo manches Land und Volk wird zu ſeinem Affen.“

Das Symbol der franzöſiſchen Herrſchaft, das Panier,
welches Frankreich über alle Köpfe der gebildeten Welt ſchwingt,
iſt die Perrücke. Wenn die ganze Kleidung dieſer Zeit den
Geiſt, aus dem ſie geboren iſt, nicht verleugnet, vielmehr in jeder
Linie, in jeder Falte zu erkennen giebt, ſo iſt doch der Haupt-
träger deſſelben die Perrücke, wie ſie überhaupt das charak-
[224]III. Die Neuzeit.
teriſtiſche Zeichen der ganzen Toilette iſt. In ihrer Weſenheit iſt
ſie falſch und unnatürlich; ſie beraubt den Kopf des eigenen
Schmuckes ohne Noth und ſetzt ihm einen nachgemachten auf;
grotesk in ihrer Unform, großartig im Umfang, das Symbol der
Eitelkeit und Aufgeblaſenheit, ein Hohn für alles Maß und alle
Schönheit, iſt ſie doch dabei beſchränkend, hemmend, raubt die
freie Bewegung, nimmt den Kopf ein und zwingt ihn zu ſteifer
Haltung. Indem ſie gleich geformt mit ihrer leuchtenden Locken-
maſſe und in blonder Süßlichkeit den männlichen Kopf um-
rahmt, bedingt ſie ſelbſt den Geſichtsausdruck und uniformirt
ihn: aus allen dieſen Portraits ſpricht zu uns die beſchränkte
Selbſtgefälligkeit und ein hohles, affectirtes Pathos. Keine Zeit
war zufriedener mit ſich ſelbſt, und keine hat der Nachwelt eine
größere Zahl oft coloſſaler Portraits hinterlaſſen; die unbedeu-
tendſten Perſonen ließen zwanzig, dreißig Mal ihr wertheſtes
Conterfei im theuren Kupferſtich von ſich ausgehen.


So kann man mit Recht dieſes Zeitalter das der Perrücke
nennen, denn jede Aeußerung deſſelben, jedes Ding trägt ſie.
Die Phraſe iſt die Perrücke des Stils, das Ceremoniell, die
Etiquette die des Hofweſens und der Geſellſchaft; die Kunſt
trägt ſie in der Bravour des Vortrags und in der affectirten
Salongrazie, die Architektur in der Ueberladung ihres krauſen
Ornaments, die Oper in dem Pomp und das Schauſpiel in der
Maſſenhaftigkeit des Inhalts wie in dem Schwulſt und der vor-
nehm geſpreizten Redeweiſe.


Das Unterſcheidende der Perrücke dieſer Zeit von den frü-
heren beſteht weſentlich darin, daß dieſe nur einen Mangel der
Natur verheimlichen ſollten, jene aber der Natur zum Trotz in
der Falſchheit ihre eigentliche Bedeutung hat. Sie negirt das
Eigenhaar; es muß fallen, damit die Perrücke, ein Werk der
Mode, Platz findet. Eine Ausnahme davon laſſen nur die rö-
miſchen Damen der Kaiſerzeit zu, welche ſich aus dem blonden
Haar germaniſcher Frauen Aufſätze von mancherlei Geſtalt
machen ließen; und vereinzelt gab es auch wohl römiſche Männer
dieſer entarteten Periode, welche ſolchem Beiſpiele der Frauen
[225]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
folgten. Das falſche Haar iſt im Mittelalter nicht grade etwas
ſeltnes, und wir haben ſeiner im erſten Theil öfter zu gedenken
gehabt, immer aber dient es nur die Blöße zu bedecken oder auf-
zubeſſern, was die Natur kärglich verliehen hat. Daß man auch
die vollſtändige Perrücke kannte, erſehen wir aus den folgenden
Verſen, die dem dreizehnten Jahrhundert angehören:


„Man lieſet von einem Ritter das,

Daß er kahl von Nature was

Und ohne Haar; das was ihm leid;

Nun hat er eine Gewohnheit,

Daß er aufbaut ein Hauben gut

Mit Haare“ u. ſ. w.

Es wird dann weiter berichtet, wie er beim Turnier zu
großem Lärm den Helm und die Haarhaube zugleich verloren
habe. Zur Zeit der Reformation ſcheint die Perrücke ſchon häu-
figer vorgekommen zu ſein und das erfindungsreiche Nürnberg
ſich eines beſondern Rufes in ihrer Fabrication erfreut zu haben,
doch wer das Unglück hatte eine zu tragen, ſuchte es beſtmöglich
zu verbergen. So ſchreibt der Herzog Johann von Sachſen an
ſeinen Schöſſer zu Koburg, Arnold von Falkenſtein, im Jahr
1518: „Unſer Begehr iſt, du wolleſt Uns ein hübſch gemacht
Haar auf das beſte zu Nürnberg beſtellen, und doch in Geheim,
daß es nicht gemerket werde, daß es Uns ſolle, und je dermaßen,
daß es kraus und geel ſei und alſo zugericht, daß man ſolches
unvermerkt auf ein Haupt möge aufſetzen.“ Auch vom Ulrich
von Hutten, den ſeine lange Krankheit des natürlichen Schmuckes
beraubt haben mochte, erzählt man, daß er „eine ziemliche Kolbe
von falſchem Haar“ getragen.


So lange noch das Haar in der mäßigen Länge der ſoge-
nannten Kolbe getragen wurde, mochte die Herſtellung von Per-
rücken, die einigermaßen natürliches Anſehn hatten, nicht allzu-
ſchwierig ſein, aber es war gewiß eine Aufgabe der Verzweiflung,
als mit der ſpaniſchen Mode das überall kurz geſchorne Haar
aufkam. So konnte die Perrücke im Anfange des nächſten Jahr-
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 15
[226]III. Die Neuzeit.
hunderts faſt wieder als eine neue Erfindung gelten, jedenfalls
war ſie in dem Grade verbeſſert worden, daß ſie den Anforde-
rungen der neuen Mode genügte. Der Name des verdienſtvollen
Mannes ſoll Ervais fein und Paris natürlich ſeine Vaterſtadt
oder wenigſtens der Ort, wo die Erfindung an’s Licht trat. Er
war es, der das Treſſiren der Haare zwiſchen Seidenfäden er-
fand und der Perrücke den ganzen Lockenfluß, wie er damals
Mode war, zu geben wußte. Das war es auch, was ſie wieder
in’s Leben rief. Bei den langen natürlichen oder gebrannten
Locken, wie man ſie damals auf die Schultern herabfallen ließ,
offenbarte ſich leichter ein etwaiger Mangel der Natur, und man
war um ſo mehr bedacht ihn zu erſetzen, je größer damals die
ſtutzeriſche Eitelkeit ſich zeigte. Im Jahr 1620 erſchien auf dem
Kopf des Abbés de la Riviere die erſte derartige Perrücke in
Paris; ſie beſtand aus Haaren, welche mit einer Nähnadel neben
einander auf ein dünnes Seidennetz in der Lage der natürlichen
aufgenäht waren. So lautet eine Nachricht. Indeß ſchreibt ein
italieniſcher Dichter Mariano in einem Briefe aus Paris, datirt
vom 16. April 1615, von den Pariſer Herren: „Auf dem Kopfe
tragen ſie einen andern falſchen aus Haaren nachgemachten Kopf,
den man Perrücke nennt.“ Noch in den zwanziger Jahren folgte
Ludwig XIII. ſelbſt. Der Uebergang vom Bedürfniß zur Mode
war ein ſehr leichter. Nichts war einfacher, als ein natürliches,
wenn auch noch ſo reiches Haar, welches der damaligen Mode
widerſtrebte, durch ein falſches Kunſtwerk zu erſetzen, und es
mußte das zur Nothwendigkeit werden, als eben die neue Er-
findung der Lockenmode die Möglichkeit gab, ſich über die
Schranken der Natur auszudehnen. So kam es bald dahin, daß
Kahlheit oder Fülle des eigenen Haares ganz gleichgültig waren:
man ſetzte die Perrücke auf und trug ſie eben wie ein anderes
Kleidungsſtück.


Ludwig XIV. widerſtrebte in ſeiner Jugendzeit der neuen
Mode, indeß, als ſich für ihn ſelbſt ein gewiſſes Bedürfniß her-
ausſtellte, trug er kein Bedenken mehr, ſich ſelbſt die Perrücke
aufzuſetzen. Nun griff er in ſeiner Weiſe abſolutiſtiſch durch.
[227]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
Im Jahr 1655 ernannte er auf einmal 48 Hofperrüquiers, und
im nächſten Jahr errichtete er eine Innung derſelben, 200 an
Zahl, für die Stadt Paris und ihre Vorſtädte. Das war ein
Staatsſtreich, mit welchem er auf einen Schlag Frankreich die
unbedingte Herrſchaft in der ganzen modiſchen Welt ſicherte.


In Deutſchland haben bis zu dieſer Zeit, alſo bald nach der
Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts, alle ehrbaren Leute wenn
auch langes, doch ihr eigenes Haar getragen; nur das bedürf-
nißvolle Alter und namentlich die ſtutzerhafte Jugend, deren
Augen auf Frankreich gerichtet waren, hatten vorbedeutende
Ausnahmen gemacht. Dieſe ſind es, welche ſchon vor dem Ende
des Kriegs von den ſtrafenden Worten der Altfränkiſchen getrof-
fen werden. Wenn wir in Anſelm van Hulle’s ausgezeichnetem
Werk die Portraitköpfe der deutſchen Friedensgeſandten muſtern,
ſo werden wir ihnen anſehen, daß ſie ſämmtlich ihr eigenes Haar
tragen. Das Edict Ludwigs XIV. bezeichnet auch für Deutſch-
land den Umſchwung, denn die Fürſten deſſelben folgten eiligſt
ſeinem Beiſpiel. Bald trugen die ſämmtlichen Höfe bis zum La-
quaien herab die Perrücke. Von hier verbreitete ſie ſich über die
ganze modiſche Welt vom Edelmann zum vornehmen Bürger,
zum Gelehrten und Studenten, ja in nicht ſeltenen Fällen bis
zum Handwerksmann. Das war geſchehen, ehe noch zwei Jahr-
zehnte verfloſſen. Nur allein die Geiſtlichkeit, welche vor der
Hand auch die einzige und heftige Oppoſition bildete, machte noch
kurze Zeit eine Ausnahme.


Es iſt der Geiſtlichkeit in Bezug auf die Mode immer ſo
gegangen und geht ihr noch heutiges Tages ſo, daß ſie ſich in
beſtändigem und ſeltſamem Streit mit derſelben befindet, in
welchem ſie allemal unterliegt. Anfangs widerſetzt ſie ſich mit
der Energie, die ihr eigenthümlich iſt, dem Hereindringen des
Neuen, nimmt es aber ſelbſt an, ſobald es allgemeine Tracht ge-
worden und den Geruch der Stutzerhaftigkeit verloren hat. Wenn
nun die ewig wechſelnde Mode wieder über dieſe Form hinweg-
ſchreitet, ſo hält die Geiſtlichkeit daran mit derſelben Zähigkeit
und Ausdauer feſt, mit welcher ſie dieſelbe früher verdammte.
15*
[228]III. Die Neuzeit.
Es liegt das nicht bloß an ihnen, ſondern ſie wird darin von der
Volksmeinung unterſtützt, welche das Alte und Veraltete gern
für das Ehrwürdige nimmt und ſeine Seelſorger in ſolchem
Aeußeren zu ſehen gewohnt iſt. Wir haben ein Beiſpiel davon
an der ſpaniſchen Krauſe gehabt. Aehnlich ging es nun mit dem
langen und mit dem falſchen Haar.


Im Jahr 1642, alſo in einer Zeit, als nicht bloß die ge-
ſammte Laienwelt langes Haar trug, ſondern in Paris die Per-
rücke ſchon die meiſten vornehmen Häupter bedeckte, erhob ſich
in Holland ein großer Streit über die langen Haare der Geiſt-
lichen. Natürlich trat die Jugend dafür auf, und das Alter wi-
derſetzte ſich, geſtützt auf die pauliniſchen Worte in 1. Kor. XI,
15: „Lehret das nicht die Natur, daß einem Mann eine Unehre
iſt, ſo er lange Haare zeuget?“ Ein Geiſtlicher, Namens Gott-
fried Uden, ſchrieb unter dem angenommenen Namen Irenäus
Poimenander in holländiſcher Sprache ein Buch: „Abſalon oder
von den Haaren“, worin er gegen ihre Länge eiferte. Ihm traten
andere bei, und unter ihnen Borſt, ein Prediger zu Dortrecht,
mit einer gedruckten Predigt über die angeführte Stelle aus dem
erſten Korintherbrief. Auch die theologiſche Facultät zu Utrecht
billigte ihre Anſicht. Verſchiedene Gegner, welche die langen
Haare vertheidigten, wagten es noch nicht, unter eigenem Namen
zu ſchreiben. Der Streit wurde hitziger und veranlaßte in den
holländiſchen Provinzen eine große Anzahl von Synoden, um
dieſe wichtige Frage zu entſcheiden. Noch fielen ſie ſämmtlich zu
Gunſten der alten Tracht aus, und es wurde beſchloſſen, nicht
bloß die unbekannten Vertheidiger der langen Haare zu erforſchen,
die „Langhaarigen“, ſondern auch ihre geiſtlichen Anhänger und
und Träger, von der chriſtlichen Gemeinde auszuſchließen. In-
deß war der Eifer umſonſt und die Mühe wider den Strom zu
ſchwimmen eine vergebliche. Als ſich die heißen Köpfe ein wenig
beruhigt hatten, ſchrieb der berühmte Salmaſius einen Dialog
über dieſen Gegenſtand und bewies, daß die Beſchaffenheit des
Haupthaars zu den indifferenten Dingen gehöre. Seitdem ver-
floſſen nur wenige Jahrzehnte, und der holländiſche Geiſt-
[229]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
liche trug nicht bloß das lange Haar, ſondern ſelbſt die Per-
rücke.


In Deutſchland hatte man ſich die Sache etwas kühler an-
geſehen und nicht ſoviel Lärm geſchlagen. Obwohl ſchwäbiſchen
Geiſtlichen durch Synodalreceß noch im Jahr 1665 und 1668
die „ſtratiotiſch-langen Haare“ verboten wurden, gilt doch als
Regel für die proteſtantiſche Geiſtlichkeit faſt die ganze zweite
Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts hindurch ein langes, gelock-
tes, doch wenig cultivirtes Eigenhaar und dazu ein feiner
Schnurrbart.


Kaum aber hat das lange Haar auf den geiſtlichen Häup-
tern den Sieg davon getragen, ſo bereitet die Perrücke neue Con-
flicte. Von wenig Bedeutung war der Widerſtand, den die Pre-
diger dieſer Mode überhaupt entgegenſtellten; er fand gar keine
Beachtung, und ſie gaben ihn daher bald auf. Etwas anderes
war es mit der Frage, ob ein Geiſtlicher die Perrücke und zwar
auch bei geiſtlichen Handlungen tragen dürfe. Natürlich fanden
ſich ſofort eine große Anzahl, welche gar zu gern der Mode ge-
huldigt und ſich ebenfalls den gelehrten, hochanſehnlichen An-
ſtrich gegeben hätten, doch erreichten die Gegner wenigſtens das,
daß ſie ein paar Jahrzehnte die Sache zurückhielten, bis der Reiz
der Neuheit längſt verſchwunden war. Während für den Laien
das Jahr 1670 als der Zeitpunkt angenommen werden muß,
wo die Perrücke ein nothwendiges Anſtandsſtück wurde, um-
flatterte ſie die geweihten Häupter erſt zwiſchen 1690 und 1700
mit ihrer Lockenfülle. Die Puritaner freilich und in Deutſchland
die Pietiſten wollten noch lange oder überhaupt gar nichts davon
wiſſen, und Männer wie Spener und Francke haben nie die
Perrücke getragen. Doch ſie blieben Ausnahmen und ſtanden in
der Oppoſition gegen ihre Amtsgenoſſen. Solche Leute bedeck-
ten, wenn ihnen das Gebrechen des Alters nahe trat, das Haupt
mit dem kleinen runden Sammetkäppchen, Soli Deo genannt,
weil ſie es nie abnahmen außer vor Gott und ſomit ihm allein
die Ehre gaben.


Es iſt wunderbar, wie raſch die Perrücke ſich in dieſer neuen
[230]III. Die Neuzeit.
und letzten Eroberung feſtſetzte. Zwiſchen 1680 und 1690 don-
nern noch die Predigten gegen ſie; 1692 hatte der Dresdner
Landtag nach langer Debatte feſtgeſtellt, daß die Geiſtlichen mit
gutem Gewiſſen Perrücken tragen durften, jedoch mit weniger
Aufwand und mehr Anſtand, und zwei Jahre darauf beantwor-
tete zu Leipzig M. Johann Philipp Gros die Streitfrage dahin,
daß es ebenſowenig ſündlich ſei, ſich der Haare der Thiere zur
Bedeckung des Hauptes zu bedienen als der Wolle oder der
Felle. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aber gilt das
eigene Haar ſchon für Hoffart. Gegen das Jahr 1720 ereignete
es ſich, daß ein junger Candidat ſeine ſchönen ſchwarzen Haare
abſchneiden und ſich eine Perrücke machen laſſen mußte, weil ein
Conſiſtorialrath ihm den Vorwurf machte, er triebe Hoffart da-
mit. Nun konnte die Geiſtlichkeit von der Perrücke nicht wieder
loskommen. Sie hielt dieſelbe das ganze achtzehnte Jahrhundert
feſt, unbekümmert um Zopf und gepudertes Eigenhaar, denn
die Perrücke war nun einmal in den Geruch der Altehrwürdigkeit
gekommen, und nicht einmal der Sturm der Revolution ſchien
ſie verwehen zu können.


Mit noch größerem Widerſtand hatte die katholiſche Geiſt-
lichkeit zu ringen. Daß Pariſer Abbés, die bekanntlich damals
zu den Galanten gehörten, ſchon früh ſelbſt vorangingen, wiſſen
wir bereits. Die Päpſte aber waren lange dagegen. Im Jahr
1688 trat die Perrücke im Bisthum Hildesheim in ſolcher Be-
deutung auf, daß die Prieſter darin das Meßopfer darbringen
wollten. Der Biſchof wollte die Streitfrage nicht ſelbſt ent-
ſcheiden und wandte ſich deßhalb an die Nuntiatur zu Köln,
welche erwiderte, daß die Erlaubniß für einen Prieſter in der
Perrücke Meſſe zu leſen zu den Reſervaten des Papſtes gehöre.
Der Biſchof verſprach daher alles zu thun, um dieſe Sitte in
ſeiner Diöceſe nicht aufkommen zu laſſen. Im Jahr 1693 unter-
ſagte ein päpſtlicher Erlaß den Prieſtern und Geiſtlichen das
Tragen der Perrücke gänzlich. Daſſelbe that Clemens XI. 1703,
indeß ſtieß er ſchon auf ſolchen Widerſtand, daß er ſein Verbot
auf die Meßprieſter und Ordensgeiſtlichen beſchränkte. Aber
[231]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
1729 wiederholte Benedict XIII. das allgemeine Verbot, und
der Cardinal Alberoni fiel deßhalb in Ungnade und mußte den
Hof meiden, weil er von der Perrücke nicht laſſen wollte. Indeß
kehrte er nach dem Tode dieſes Papſtes wieder aus der Verban-
nung zurück, und ſeitdem ſcheint der Widerſtand mehr und mehr
erloſchen zu ſein. Den Vorſchriften des Dienſtes wurde dadurch
genügt, daß die Perrücke oben eine Klappe erhielt, welche als
Tonſur zurückgeſchlagen wurde. Im Jahr 1781 iſt einer Ver-
ordnung zufolge im Bisthum Hildesheim die Perrücke bei der
Meſſe nicht mehr verboten, wohl aber der Zopf als etwas durch-
aus Unwürdiges.


Im Anfang ihrer Entſtehung ſuchte die Perrücke möglichſt
treu ein natürliches gelocktes Haar zu copiren. Da ſie aber aus
einem nothwendigen Uebel zur Mode wurde, ſo mußte und wollte
ſie ſich auch von der Natur in beſonderer, auffallender Weiſe
unterſcheiden. Ihre wachſende Größe trug dazu bei, ſowie nicht
weniger die antinaturaliſtiſche Zeitrichtung. In der Geſtalt, wie
die Perrücke in der Mitte des Jahrhunderts nach Deutſchland
kommt, iſt ſie unſchwer vom Eigenhaar zu unterſcheiden. Die
erſten Fürſtenportraits, welche mit ihr geſchmückt ſind, zeigen
noch nicht die ſanft herabwallende Maſſe einer geordneten Locken-
fülle, ſondern ein rohes, wüſtes Haargebäude mit kleinen, krau-
ſen, wirren Löckchen oder einem wilden Durcheinander, welches
unfreundlich noch halb den rohen Kriegsgeiſt athmet und wie
ein unfertiges Machwerk ausſieht, das ſich erſt aus dem Chao-
tiſchen geſtalten will. Aber das galante Frankreich überwindet
bald dieſen Ausfluß der ſchweren Zeit. Noch im Jahr 1663
trägt Ludwig XIV. ſelbſt dieſe halbwilde Perrücke mit Locken,
die wirr über die Stirn hereinfallen, aber ein anderes Portrait
von 1672 in ganzer Figur und eines des Dauphin von 1675
zeigen, daß damals in Paris die neue Staatstracht, wie ſie der
zweiten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts angehört, und mit
ihr auch die Perrücke, die volle Ausbildung und Schönheit er-
reicht hatte. Wie aus einer ſonnenlichten Wolke, nicht aus
dunklem Wetter, ſchaut das bartloſe Geſicht aus ſeiner Umhüllung
[232]III. Die Neuzeit.
heraus; die Fülle der blonden Locken, nicht ſteif, aber doch wohl
geordnet, ſenkt ſich vom Haupt herab, umfließt ſanft die Schul-
tern und ergießt ſich tief den Rücken hinunter. Dieſe Perrücke
war es, von welcher Ludwigs Leibperrüquier Binette abſolu-
tiſtiſcher noch als ſein König ſagte, „er mache die Köpfe aller
Unterthanen kahl, um den Kopf des Monarchen zu bedecken.“


In dieſer Geſtalt und Größe wurde die Perrücke, die
Staats- oder Alongeperrücke, der gefeierte Liebling der
Zeit, das Schlagwort, der prägnanteſte Ausdruck ihres ganzen
Weſens. Daß man ſie Frankreich verdankte, darin waren alle
Stimmen einig, die Verehrer wie die Gegner, ſo lange es noch
ſolche gab. In unſern Augen, bei unſrer heutigen willkürlichen
oder gar nachläſſigen Behandlung des Haars, verbindet ſich mit
ſo überſtattlicher Erſcheinung gar leicht der Zug des Grotesk-
komiſchen; ein ironiſches Lächeln ſpielt um unſern Mund, und
es iſt uns, als ob die geiſtige Organiſation darunter von eigen-
thümlicher Beſchaffenheit ſein müßte. Bei den Zeitgenoſſen aber
war ſie der Heiligenſchein, der Nimbus der Hoheit, Würde und
Majeſtät; ſie war das prächtige Bild der Sonne, die in freund-
licher Größe die hellen Morgennebel durchbricht, und indem man
des mähnenumlockten Löwen gedachte, des Königs der Thiere,
verknüpfte ſich mit ihr der Begriff allbezwingender Stärke. Wenn
ſie ihren Träger zu gemeſſener Bewegung verurtheilte, ſo ge-
reichte das nicht zu ihrem Nachtheil, denn dieſe war ohnehin Vor-
ſchrift am Hofe des großen Ludwig und ſomit ein nothwendiges
Erforderniß der feinen Sitte. Von ſchönem Blond mußte die
Perrücke ſein: auch darin huldigte ſie nur dem Zeitgeiſt. Denn
wie in der wilden Kriegsperiode am Haar das finſtre Schwarz,
die Farbe des Cholerikers, ſich der allgemeinen Vorliebe erfreut
hatte, ſo mußte jetzt, da die Zeit milder und friedlicher, die Le-
bensformen geſitteter und höfiſcher wurden, das ſanfte, milde
Blond wieder den Vorzug erhalten. Als dann die Negation der
Freiheit noch ſtärker anwuchs und der Horizont des Lebens noch
enger wurde, als im achtzehnten Jahrhundert abſtarb, was das
ſiebzehnte noch an Kraft und Energie übrig gelaſſen hatte, und
[233]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
nur die leeren Formen in erſchreckender Starrheit blieben: da
erlag dieſem langſamen Tode auch das Blond, und an ſeine
Stelle trat die Farbe des Greiſenalters, das Weiß des Puders.


Die große blonde Alongeperrücke zu tragen, konnte freilich
nicht Jedermanns Sache ſein, denn in ihrer vollſten Schönheit
koſtete ſie 1000 Thaler, und nur Paris allein verſtand es, oder
erfreute ſich wenigſtens dieſes Rufes, ſie in kunſtreicher Voll-
endung zu verfertigen. So zierte ſie nur die hohen Häupter auf
Erden. Die Unze des dazu gehörigen Frauenhaares kam in erſter
Qualität an Farbe und Länge auf 40 bis 50 Livres. Es ent-
wickelte ſich allmählig, wie einſt in der römiſchen Kaiſerzeit, doch
in ausgedehnterem Maße, mit dem Menſchenhaar ein ſehr ein-
träglicher Handel, den für Deutſchland die franzöſiſchen Emigrés
in die Hände nahmen, ſogut wie ſie ſich auch als Perrückenmacher
und Kammerdiener niederließen. Der erſte König von Preußen,
bekanntlich der beſte Schüler Ludwigs XIV. in der Etiquette und
im Glanz des Hofweſens, ſuchte dieſe Fabrikation auch in Berlin
heimiſch zu machen; ſelbſt ſeine gewöhnliche kleine Perrücke, die
ihn unterſchied, wenn er en confidence unter all den Staats-
perrücken ſeines Hofes erſchien, war Berliner Fabrikat und koſtete
nur funfzehn Thaler. Er wußte dieſe Mode auch für ſich ein-
träglich zu machen, denn er legte allen Perrückenträgern, doch
keineswegs in Abſicht die Mode zu beſchränken, eine Steuer auf.
Alle Civil- und Militärbeamten von den vornehmſten bis zu den
Sekretären und wer von gleichem Range war, bezahlten jährlich
einen Thaler; die übrigen Beamten, Magiſtratsräthe, Sekretäre,
Kammerbediente, Kaufleute, Bürger und andre ſechszehn Gro-
ſchen; die Lakaien, zünftigen Handwerker und Leute geringeren
Standes zwölf Groſchen; niemand war ausgenommen als die
Prediger, Schulrectoren, Schüler, Kinder unter zwölf Jahren,
Offiziere und gemeine Soldaten. Da die Erhebung dieſer Steuer
Schwierigkeiten machte, verpachtete er ſie an einen franzöſiſchen
Flüchtling Elie Papus de la Verdaugie, der ſie von 1701 an
inne hatte, bis ſie 1717 durch Friedrich Wilhelm I. wieder auf-
gehoben wurde.


[234]III. Die Neuzeit.

Es iſt nicht geſagt, daß alle, die in der preußiſchen Verord-
nung erwähnt ſind, auch nothwendig die Perrücke getragen ha-
ben, denn der Jüngling z. B. legte ſie erſt gewiſſermaßen als
Zeichen der Männlichkeit an; der Student trug ſie ſchon durch-
gängig. Es gab auch ganz billige Perrücken, die ſich wohl der
Handwerker verſchaffen konnte. Die gewöhnliche Alongeperrücke,
wie ſie der vornehme Mann trug, koſtete 50 Thaler; billigere
waren zu haben zu 15, auch zu 5 und 6 Thaler. Aber dieſe
waren natürlich kleiner oder nicht von Menſchenhaar, wie denn
des Ziegen- und Pferdehaares zum öftern Erwähnung geſchieht.


Auch die Farbe machte einen bedeutenden Unterſchied im
Preiſe. Blond oder wenigſtens Hellbraun war die Galafarbe.
Für gewöhnlich begnügte ſich auch der wohlhabende Mann von
Stande mit einer dunkleren oder ſchwarzen. Um aber die Wir-
kung der Farbe zu mildern, benutzte man den ſchon früher, wie
wir geſehen haben, nicht unbekannten Puder auch für die Per-
rücke und ſpäter ſelbſt für die blonde. So uniformirten ſich die
Köpfe wie die ganze Geſellſchaft. Indeß ſpielt der Puder ſeine
Hauptrolle erſt bei der Zopffriſur des achtzehnten Jahrhunderts.


Die grandioſe Form der Alongeperrücke hielt ſich unverän-
dert wohl ein Menſchenalter durch. Doch nahm ſie allmählig
eine zweigetheilte Form an und wurde dann ſo getragen, daß
der eine Flügel nach vorn über die Schulter geworfen wurde,
während der andere ſich den vollen Rücken hinab ergoß. Dieſe
Theilung vollendete ſich im erſten Jahrzehnt des achtzehnten
Jahrhunderts, indem von der Mitte der Stirn aus als Scheitel
ein Einſchnitt gemacht wurde, zu deſſen Seiten ſich die Haare
höher und höher aufthürmten, wie die Seitenwände eines Thals.
Man nannte das im Vergleich mit der Damenkopftracht devant
à la Fontange
. Um das Jahr 1720 ſanken die Erhöhungen
wieder, während der Einſchnitt breiter wurde, ſodaß ſie nur noch
wie ferne, ſanfte und flache Höhenzüge das Thal begleiteten.


Bereits mußten ſich auch zugleich die gewaltigen Flügel
unliebe Beſchränkungen gefallen laſſen, denn das neue Jahrhun-
dert und der Geiſt des Zopfes regte ſich. Aller freien und ſelbſt
[235]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
ſtarken Bewegung konnte das Zeitalter der Staatsperrücke, wel-
ches ſich ein ritterliches nannte, nicht entſagen. Der Tanz zwar
hatte ſich fügſam gezeigt, und die langſamen und abgezirkelten
Bewegungen, die zierlichen Pas, die ſteifen Biegungen des Kör-
pers, „gerad im Leib, ſteif auf den Zehen“, das affectirt gemeſ-
ſene Arbeiten mit Armen und Händen genirten die ſtolze Perrücke
nicht mehr. Aber Reiten und Fechten waren damals nothwen-
dige Beſtandtheile der feinen Bildung, und es mußte ein Mittel
erſonnen werden, welches bewirkte, daß die Perrücke dieſe gewalt-
ſamen Uebungen wenigſtens duldete. Insbeſondere waren es
die Cavallerieoffiziere, die als Modeherren ihrer Zeit voranſchrei-
tend der Perrücke nicht entſagen durften und ſie daher mit ihrem
Dienſt in Einklang bringen mußten. Hier verfuhr der Deutſche,
der reinen Nothwendigkeit folgend, einmal wieder ſelbſtſtändig,
allein er war in ſeiner Erfindung höchſt unglücklich: indem er
die flatternde Maſſe der Haare hinten in einen Strang zuſam-
menband, erfand er ſehr folgenreich — den Zopf. Der galante
Franzoſe half auch der Noth ab, aber ſein Auskunftsmittel wurde
alſobald wieder eine Zierde der Eleganz: er ſteckte die überflüſſi-
gen Haare in ein zierliches, flaches, ſeidenes Säckchen, verſah es
mit ſchöner Schleife und erfand ſo den Haarbeutel. Natür-
lich, daß auch dieſe Erfindung auf Deutſchland überging,
die deutſche Weiſe modificirte oder gar vielfach völlig an ihre
Stelle trat.


Wie ſich eine Wahrheit erſt langſam Bahn bricht, ſo war
mit dem Zuſammenbinden der Haarmaſſen das, was wir eigent-
lich unter Zopf verſtehen, noch nicht ohne Weiteres geſchaffen,
denn dieſer in ſeiner vollendeten Ausbildung gehört dem Eigen-
haar und negirt die Perrücke; er fand nur in der angegebenen
neuen Weiſe ſeinen Urſprung und ſein Vorbild. Es brauchte
dann aber nur, was urſprünglich aus Bequemlichkeit geſchehen
war, zum Geſetz der Mode zu werden. Wo und wie dies ge-
ſchah, werden wir ſpäter ſehen.


Die Perrücke hatte nun den Höhepunkt ihrer Geſchichte hin-
ter ſich, doch war ſie keineswegs aus dem Felde geſchlagen, ſon-
[236]III. Die Neuzeit.
dern ſtarb langſam, ſehr langſam ab, was ſich in der allmähligen
Abnahme des Grandioſen ausſpricht. Nicht ohne inneren Zu-
ſammenhang hielt beſonders der Gelehrtenſtand mit Zähigkeit an
ihr feſt, denn ſie war ſo recht das Symbol jener aufgeblaſenen
Pedanterie, die damals in höchſter Blüthe ſtand, jener Fülle der
Polyhiſtorie, die ſich nur ordnungslos über den Gegenſtand
„verbreitete“, nicht aber ihn in ſeiner Tiefe und Weſenheit er-
faßte.


Das Zuſammenbinden der herabfallenden Haarmaſſen oder
auch das Zuſammenſchlagen in einen Knoten, welcher auf der
Schulter auflag — von beiden geben die Portraits zahlreiche
Beiſpiele — tritt gleichzeitig mit dem oben erwähnten Sinken
und Verflachen des Scheitels ein. Bald nahm man die franzö-
ſiſche Sitte an, band den Zopf der Perrücke mit einer zierlichen
Schleife oder ſteckte ihn zugleich in den mit der Zeit kleiner ge-
wordenen Haarbeutel, eine Sitte, welche gegen die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts in der civilen Welt ziemlich allgemein
wurde. Die noch übrig gebliebenen Locken der Perrücke wurden
ſteifer und geordneter, und ungefähr von den Schultern an —
bis ſoweit gingen ſie damals noch herunter — ſchichteten ſie ſich
in regelmäßigen horizontalen Rollen über einander bis gegen die
Höhe des Kopfes hinauf, welche eine platte Fläche geworden
war. Das war die Form um das Jahr 1750. Die weitere Er-
ſtarrung giebt ſich darin zu erkennen, daß die Lockenrollen von
den Schultern aufwärts zurückweichen und endlich, als Geſell-
ſchafter von Zopf oder Haarbeutel, nur eine oder zwei über dem
Ohre ſitzen bleiben; ſie heißen in der zierlichen Ausdrucksweiſe
jener Zeit ailes de pigeon, Taubenflügel. Aber da wo die Per-
rücke das Geſicht umgrenzt, wurde das Haar in einen runden
Wulſt zurückgeſtrichen, daß es in ſanft gebogener, aber ſcharfer
Linie das Geſicht ſchneeweiß umrahmte; denn nunmehr war der
Puder unausweichliche Regel geworden. Dieſe Linie hieß die
Vergette; ſie in vollendeter Schönheit herzuſtellen, war die
höchſte Aufgabe des Friſeurs jener Zeit. Gering war ſie nicht,
und die Bequemlichkeit hatte ebenfalls nichts gewonnen. Denn
[237]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
da dieſe Form ſich aus dem Eigenhaar herſtellen ließ, ſo geſchah
auch mit ihr der Uebergang, welcher durch das Militär längſt
vermittelt war. Die Perrücke war auf dem Stock friſirt worden,
und ihr Eigenthümer hatte es ſich währenddeß in der Schlaf-
haube bequem ſein laſſen; jetzt mußte er ſeinen eigenen Kopf
Stunden lang den Händen des Friſeurs überlaſſen. Und wenn
dieſe zwar kleine, aber viel künſtlichere Friſur endlich durch Maſ-
ſen von Pomade hergeſtellt und mit Puder überdeckt war, ſo be-
durfte ſie einer viel ſorgfältigeren Schonung, damit das ſchöne
Gebäude nicht zerſtört oder der Puder verwiſcht würde.


Damit ſind wir bereits, indem wir die Entwicklung der
Perrücke bis zu ihrer letzten Form verfolgten, über die Grenzen
der vorliegenden Periode hinausgekommen, und wir müſſen zum
Anfang wieder zurückkehren und uns nach der übrigen Toilette
des Mannes umſehen.


Der Bart folgt in ſeiner Geſchichte faſt in umgekehrter
Richtung der des Haupthaares und der Perrücke: ihr Wachſen
bedingt ſeinen Fall. Wir ſahen ihn bereits in der vorigen Pe-
riode vor der ſtattlichen Lockenfülle ſich auf Ober- und Unterlippe
und auf das Kinn beſchränken, und auch hier traf ihn der Friede
nur in ſehr gemäßigter Form an. Als die Perrücke ihre Herr-
ſchaft in Deutſchland antrat, alſo um das Jahr 1660, waren
nur noch Reſte vorhanden. Zehn Jahre ſpäter dürfte kaum ein
Portrait noch den Kinnbart aufweiſen, und ſelbſt ein winziges
Reſtchen an der Unterlippe gehört zu den äußerſten Seltenheiten.
Etwas länger hielt ſich der Schnurrbart, wenn auch in zierlichſter
Geſtalt; nur der gemeine Soldat trug ihn zu ſeinem Eigenhaar
in derberer Form. In der civilen Welt mußte er noch vor dem
Schluſſe des Jahrhunderts der Ueberfülle der Perrücke und dem
höfiſchen Weſen, das für die freundlichne, füß lächelnden Mie-
nen ein glattes Geſicht verlangte, völlig weichen. Vor ſeinem
Tode zeigte er den letzten Ueberreſt in doppelter Geſtalt: entwe-
der begleitete er wie ein feiner ſchwarzer Pinſelſtrich die Linie des
Mundes und endigte über den Mundwinkeln in einer Drehung
wie ein zierliches Amorettenlöckchen — in dieſer Form trägt ihn
[238]III. Die Neuzeit.
auch die proteſtantiſche Geiſtlichkeit noch länger als die Laien-
welt —, oder er war von den äußeren Enden her zugeſchnitten
und ſo zugeſtutzt, daß nur unter der Naſe ein paar ſtumpfe Fleck-
chen übrig blieben, die vollkommen Schönpfläſterchen glichen.


„Twe klene Knewelkens ſitten noch under der Neſen.“


In ganz feiner, zierlicher Geſtalt trug ihn noch Ludwig XIV.
zwiſchen 1670 nnd 1680, daher dieſe Form à la royale genannt
wurde; und ebenſo auch der Kaiſer Leopold. Dann aber wurden
alle modiſchen Geſichter glatt, ſodaß kaum einer noch ſein Bärt-
chen in das neue Jahrhundert hinüber nahm, die proteſtantiſche
Geiſtlichkeit in nicht ſeltenen Fällen ausgenommen.


Es konnte nicht ausbleiben, daß die dominirende Perrücke
auch auf den Hut umgeſtaltend einwirkte. Zur grotesken
Staatsperrücke ein ebenſo grotesker Schlapphut mit ellenlanger
Feder wäre freilich dem damaligen Modegeiſt wie jedem äſtheti-
ſchen Auge etwas Entſetzliches geweſen: es lag ein innerer,
nicht zu überwindender Widerſpruch darin. Die Zeit verlangte
knappe Formen, und ſo hatte ſchon beim Friedensſchluß der
Schlapphut von ſeiner genialliederlichen Form eingebüßt, der
Kopf war ſteifer geworden, der Rand kleiner, weniger ſchlaff,
und die Feder blieb oben ſtatt den Rücken herunterzufallen. So
aber, wie er jetzt geworden, niedrig und ſteif mit ſcheibenförmi-
gem Rande, der jede Wellenlinie abweiſet iſt er trotz Neſteln,
Schleifen und anderem Schmuck ein rohes Machwerk. Zur
Steifheit muß ſich wieder zierliche Eleganz, Bewegung im Con-
tour geſellen. So richtet ſich der Rand allmählig wieder auf,
erſt auf einer Seite und zwar auf der linken, dann auf zweien,
bis er endlich mit drei Krämpen die feſte, beſtimmte Form erhal-
ten hat, mit welcher er wie ein Diener die Alongeperrücke in
ihrer Höhezeit begleitet. Klein und fein, mehr einem Kopfſchmuck
ähnlich, ſodaß er oft künſtlich befeſtigt werden mußte, paßt er
trefflich zu ihr, da ſie ja bereits die eigentlich ſchützende Bedeckung
des Kopfes abgiebt. Aber trotz der Unbequemlichkeit wurde er
damals noch aufgeſetzt. Der Untergang der Perrücke ſtürzte auch
[239]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
ihn von ſeiner Höhe. Die neue Friſur des achtzehnten Jahrhun-
derts mit ihrer überaus künſtlichen und der Schonung bedürfti-
gen Ordnung konnte keinen Hut mehr auf ſich dulden, ohne daß
er die zarten Taubenflügel geknickt, die Vergette verdrückt und
den Schmetterlingsſtaub des Puders verwiſcht haben würde: da
klappte er zweiſeitig zuſammen, um fortan als Dreiſpitz unter dem
Arm getragen zu werden. Mit dieſer Wandlung änderte ſich
auch ſein Schmuck. Als der dreikrämpige Hut fertig war, waren
die Ränder mit goldenen Borten eingefaßt und ſtatt der wallen-
den Feder mit feinem Gefieder, Plümage, einem leichten Ueber-
reſt, rings beſetzt worden. Der Klapphut aber duldete nur noch
die Borten. — Der feinſte Stoff war damals Biberhaar, und er
war ſo geſchätzt, daß in deutſchen Städten, z. B. Braunſchweig
(Verordnung von 1650), der ganze Caſtorhut Jedermann ver-
boten war, und ein halber wurde nur den erſten Claſſen ge-
ſtattet.


Völlig unter dem Einfluß der Perrücke ſteht noch der
Halskragen. Da die Flügel derſelben ihn auf Schultern und
Rücken völlig zudeckten, ſo war kein Grund vorhanden, an dieſen
Stellen noch den theuren Spitzenluxus zu treiben. Der Kragen
veränderte daher ſeinen Schnitt in der Weiſe, daß nur noch zwei
viereckige ſchlichte oder mit breiten Spitzen beſetzte Stücke vorn
unter dem Kinn in Verbindung mit Schnüren und Quaſten ſich
herablegten. Die Ueberreſte davon ſehen wir noch heut zu Tage
auf der Kanzel in den ſ. g. Beffchen, die ſomit, ſeitab von der
Mode liegen geblieben, Perrücke und Zopf überlebt haben. Aber
dieſer Kragen war nur eine Uebergangsform. Einer andern Pe-
riode angehörend, wurde er bei beiden Geſchlechtern völlig beſei-
tigt, und an ſeine Stelle trat das weiße Halstuch, welches,
unter dem Kinn geknotet, von hier in zwei fächerartig gefalteten
und ausgebreiteten Zipfeln, die ebenfalls mit Spitzen beſetzt
wurden, herabfiel.


Die übrige Toilette, alſo die eigentliche Bekleidung, Rock,
Wamms und die Bedeckung des Beines und des Fußes, wan-
delte ſich ganz im Geiſt der Verengerung und einer ſteifen, aber
[240]III. Die Neuzeit.
prunkenden Hofeleganz um, wie ſie der Autokratie und der Eti-
quette Ludwigs XIV. conform war. Bis ſie aber zu dieſer Voll-
endung gekommen, machte ſie ein Uebergangscoſtüm durch,
welches noch von dem windig lockern Weſen des kriegeriſchen
Stutzerthums durchweht iſt. Wir können es, wie überall in
Deutſchland, ſo auch an dem Leibe des großen Königs ſelbſt bis
gegen das Jahr 1670 verfolgen. Dazu gehört noch das kurze,
zur Jacke gewordene, vorn aufgeknöpfte Wamms mit offenen
Aermeln und heraustretendem Hemd und ein Beinkleid, welches
ein ganz originales Anſehn hat, nebſt Schuhen und Strümpfen.


Wir haben in der vorigen Periode geſehen, wie gegen
1650 das Beinkleid weit offen die Kniee umflatterte. Der
neue Geiſt zeigt ſich zunächſt darin, daß er es wieder zuſammen-
faßt und unter dem Knie zuſammenbindet, ohne aber von der
Weite zu nehmen. Auf dieſe Form bezieht ſich das folgende
Epigramm:


„Man ſagt: Das Weit an Hoſen blieb immer oben ſtehn?

Jetzt ſieht man Hoſen weiter um Bein als Gürtel gehn.“

Noch 1667 trägt Ludwig XIV. dieſe Hoſe. Aber ſo war ſie
noch nicht vollſtändig, ſondern es lag vom Gürtel ab eine Art
weiten Schurzes um ſie herum, der wie die abgeſchnittenen
Schöße des Wammſes ausſieht und einem kurzen Unterrock
gleich kommt, daher die Engländer dieſes ganze Beinkleid
petticoat-breeches (Unterrockhoſe) nannten. So abſonderlich
wie dieſe Mode war, ſo war ſie doch allgemein verbreitet durch
Frankreich, Deutſchland und England; nur der Spanier trug
ſein enges Beinkleid nach wie vor. Aber von Dauer konnte ſie
nicht ſein, und mit dem Jahr 1670 geht ſie in der modiſchen
Welt in die enge Kniehoſe über, während die niedern Bürger-
claſſen noch die unter dem Knie geſchloſſene pludrige Hoſe, aber
ohne den Schurz, feſthalten.


Zu dem Uebergangscoſtüm finden wir im Anfang noch den
Kriegsmantel. Aber bald weicht er ganz vor dem Ueberwurf
oder Oberrock zurück, welchen der Krieg aus allen Kreiſen der
[241]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
beſſeren Geſellſchaft verbannt gehalten hatte. Nun tritt er in ſehr
bemerkenswerther Weiſe wieder in ſeine alten Rechte ein. Es iſt
in der That noch die alte Schaube, oder, wenn wir noch weiter
zurückgehen wollen, die obere Tunica, mit welcher wir es hier zu
thun haben. Der wohlhabende Bauer hatte ſie als ſein Staats-
oder Kirchenkleid freilich in einer bäuriſchen Form fort und fort
getragen. Von ihm aus ſtieg ſie in folgender Weiſe wieder auf-
wärts zur höchſten Ehre.


Wir müſſen uns erinnern, daß mit dem dreißigjährigen
Krieg die ſtehenden Heere ihren Anfang nehmen. Dieſelben
bedurften nun ſowohl der Disciplin wie des Prunkes wegen
nothwendig der Uniformirung. Ohnehin lag die Neigung dazu
in der Zeit. Eine Uniform aber wird nicht erfunden, oder wurde
es wenigſtens nicht: man nahm, was man vorfand, und änderte
um zu gleichem Schnitt und gleicher Farbe. Nun brachte der
Rekrut, welcher meiſt dem Landvolk oder dem unteren Bürger-
ſtande angehörte, einen langen, weiten Rock mit, der wie ein
Sack faltenlos und ohne Taille bis auf’s Knie herabhing. Es
war ſein beſtes Kleid, ſeine Art von Ueberwurf, eben die ein-
zige, die ſich erhalten hatte. Dieſer Rock nun wurde Uniform-
ſtück. In Deutſchland ſehen wir ihn noch völlig ſo mehrere
Jahrzehnte beim gemeinen Soldaten (noch 1680), bei den Hand-
werkern, insbeſondere auch bei den niedern Beamten der Städte,
den Stadt- und Gerichtsdienern, bei welchen er ſich in dieſer un-
ſchönen Form am längſten erhielt. Sowie er beim Militär zum
Uniformrock geworden war, mußten ihn auch die Offiziere tra-
gen, und damit lag zugleich die Nothwendigkeit vor, ihn nach
zeitgemäßer Eleganz zu ändern. Es geſchah ſo, daß er unter der
Perrücke nicht wie das Wamms zu winzig ſchien, dabei aber doch
eine gewiſſe Zierlichkeit erhielt. So bekam er zunächſt Taille
und mußte ſich dem Oberkörper eng anſchließen, ſodaß nun aus
dem weiten Ueberwurf, völlig der Richtung der Zeit entſprechend,
ein Juſtaucorps wurde. Anſtatt der Neſteln und Haken
wurde er von oben bis unten mit glänzenden Knöpfen beſetzt,
die Knopflöcher und Säume ringsum mit Goldborten und Gold-
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 16
[242]III. Die Neuzeit.
franzen gefaßt und dieſer Goldbeſatz in Blumen und Arabesken
über das ganze Stück verbreitet. Vorn an den Schößen erhielt
er Taſchen, die er vielleicht ſchon von unten her mitgebracht
hatte, mit Klappen bedeckt, deren Zierde wieder Knöpfe und
Borten waren. Die Aermel ſchloſſen ziemlich eng an, aber ſie
reichten kaum über den Ellbogen herab und waren hier in brei-
ten verzierten „Palten“ umgeſchlagen, aus denen bis zum Hand-
gelenk die weißen, feinen, weitfaltigen Hemdärmel mit ſchlaffen
Manſchetten hervortraten. So entſtand das Staatskleid Lud-
wigs XIV., vollendet ſeit dem Anfang der ſiebziger Jahre, ein
Prunkſtück, wenn eines, und doch bemitleidenswerth armſelig
im Vergleich zu der alten, breiten und ſtolzen Pelzſchaube der Re-
formationsperiode.


Dagegen trat das Wamms an Bedeutung zurück, wenn
es ſich auch ſtreckte und dehnte, es dem Oberrock gleich zu thun.
Es war immer unter demſelben verborgen, es ſei denn, daß man
Bequemlichkeit halber den Oberrock abgelegt hätte. Der oben
erwähnte Schurz verſchwand wieder, die Schöße verbanden ſich
auf’s neue mit dem Wamms und reichten faſt zum Knie herab.
Aermel und Taille mußten natürlich ebenfalls anſchließen. In
dieſer Weiſe hielten ſich beide, Rock und Wamms, mit der ge-
ſammten Staatstracht Ludwigs XIV. faſt unverändert ein halbes
Jahrhundert von 1670 bis gegen 1720.


Gleichzeitig mit der Vollendung des Juſtaucorps kam die
eng anſchließende Kniehoſe, von Seide oder Sammt, zur all-
gemeinen Herrſchaft; ſie gehörte nothwendig zu dieſem ganzen
Coſtüm. Eben ſo nothwendig aber waren nunmehr wieder
Strümpfe und Schuhe. Die kriegeriſchen Stiefeln mit
ihrem freien, ſchlappen Weſen und den hängenden Stulpen konn-
ten trotz ihres Spitzenſchmucks ſich unmöglich in den galanten
franzöſiſchen Hofton finden. Sie verſchwinden mit unglaublicher
Schnelligkeit wieder aus der modiſchen Welt, obwohl noch beim
Friedenscongreß ſelbſt die gelehrten Abgeſandten ſie getragen
hatten. Bald ſehen wir ſie in Deutſchland nur noch an Reitern,
Dragonern, Studenten und ähnlichen Renommiſten, und auch
[243]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
bei dieſen in ſteifer Form. Ihre Ueberbleibſel ſind die ſtuden-
tiſchen Kanonen. Die Schuhe erhielten hohe und ſpitze rothe
Abſätze, welche den affectirten Gang noch ſteifer machen mußten.
Zugleich verwandelten ſich die großen Roſetten in Schnallen mit
ſteifen Bändern und Schleifen. Auf die Strümpfe wurde mit
Recht ein großer Werth gelegt, da es in dieſer tanzmeiſterlichen
Zeit eine Hauptaufgabe des wohlerzogenen Menſchen war, beim
Sitzen, Stehen, Gehen und Tanzen das Bein zierlichſt nach der
Regel zu bewegen. Alle Blicke waren auf Fuß und Bein gerich-
tet, und es mußte daher durch wohlgeſpannten Strumpf die
plaſtiſche Schönheit deſſelben in möglichſt günſtige Wirkung ge-
bracht werden. Man liebte mancherlei Farben für den Strumpf,
doch vermied der Mann von feiner Bildung und gutem Geſchmack
die grellen, weil ſie den Eindruck zierlicher Formen wieder ver-
nichtet hätten. Der Zwickel wurde goldig oder farbig eingenäht.
Aller übrige Schmuck wurde an Bein und Knie, ſonſt Lieb-
lingsplätzchen, nunmehr mit Wülſten, Roſen, Neſteln und der-
gleichen energiſch abgewieſen.


Zum erſten Mal wieder ſeit dem Beginn des ſechszehnten
Jahrhunderts entwickelte ſich die Frauentracht in ſelbſtſtän-
diger Weiſe und wurde nicht mehr wie bisher von der männ-
lichen in’s Schlepptau genommen. Und doch, obwohl ſie zu
ganz andern Formen gelangt, ſteht ſie unter dem Einfluß der-
ſelben Zeitſtrömung und kann ſomit den gleichen Charakter nicht
verleugnen. Auch ſie bildet ſich nach der einen Seite zu grotesker
und unförmlicher Mißgeſtalt, nach der andern wird ſie ſteif und
eng und zwingt die Trägerin zu affectirt abgemeſſener Bewegung,
die man grazios nannte. Ihre charakteriſtiſchen Stücke ſind die
Fontange, die Schnürbruſt und die Schleppe.


Wir haben die Kleidung der Frauen am Ende des Kriegs
als von ziemlich leichter und loſer Art verlaſſen: Locken, die über
die nackten Schultern herabfielen, eine ſtarke Decolletirung,
weite, bauſchige Aermel, eine mäßig hohe Taille, ein natürlicher,
ungehemmter Fall des weiten Rockes, und daneben viel luftig
leichter Schmuck von Bändern, Spitzen, Schnüren, Federn und
16*
[244]III. Die Neuzeit.
dergleichen. Das neue Regiment des Antinaturalismus wußte
dieſer Freiheit bald ein Ende zu machen und Regel, Ordnung
und Zwang einzuführen.


Am intereſſanteſten in dieſem Sinne iſt die Ausbildung der
Kopftracht, die ſich Schritt vor Schritt bis zu einer völlig
entgegengeſetzten, aber der Perrücke gleich bedeutenden Geſtalt
verfolgen läßt. Das Haar verlor den ungehinderten Fall und
rückte langſam nach oben, indem es aus dem Nacken in Flechten
heraufgenommen und in einen Knoten oder ein Neſt geſchlungen
wurde, während die Seitenlocken ſich verkürzten zu dünnen, regel-
rechten Spiralen, und über ihnen an den Seiten das Haar ſich
wulſtig in die Höhe bauſchte. Mit leichtem Schmuck verſehen,
iſt das die Art, wie ſie dem Uebergangscoſtüm bis etwa 1670
angehört; wir können ſie auf allen Thronen und überall in der
modiſchen Geſellſchaft erblicken.


Wir bemerken hier wieder das Streben, das Haar nach oben
zu friſiren, was wir immer beobachten können, wenn die Lebens-
und Geſellſchaftsformen ſich verſteifen, mögen auch die Sitten
lockrer werden. Immer mehr drängt die Friſur nach oben, und
auf der nächſten Stufe legt ſie ſich mit kleinen, künſtlich herge-
ſtellten Löckchen in abſichtlicher, ſcheinbarer Verwirrung — der
Uebergangsform der Perrücke entſprechend — um den Kopf.
Nun tritt die Neigung zum Grandioſen auf, aber ſtatt gleich den
Flügeln der Perrücke hinunterzugehen, wuchs die Frauenfriſur in
die Höhe. Das natürliche Haar, worauf doch nicht gleich der
Männerwelt Verzicht geleiſtet werden konnte, wurde nach Mög-
lichkeit lockig hinaufgethürmt und mit Eiweiß und andern klebri-
gen Stoffen ſo erhalten; allein, obwohl man nicht ſelten fremde
Haare hineinflocht, ſo genügte das doch nicht: man brachte bunte
Bänder und Schleifen an und baute daraus allmählig ein un-
geheures Gebäude empor. Die Grundlage war ein Häubchen,
welches das Haarneſt im Nacken umfaßte; von dieſem aus thürmte
ſich ein complicirtes Drahtgeſtell empor mit klarem weißen
Stoff überſpannt und buntfarbigen Bandſchleifen dazwiſchen,
terraſſenartige Schichten bildend, von denen die hintere immer
[245]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
die vorſtehende überragte. Madame de Fontanges war es, die
ſchöne aber geiſtloſe Maitreſſe Ludwigs XIV. (geſtorben 1681),
welche als Taufpathin dieſer Haube dient, weil ſie einſt auf der
Jagd zum Schutz gegen die Sonne den Kopf in ähnlicher Weiſe
mit Laub überbaut hatte. In Amaranthes Frauenzimmerlexikon
(1715) iſt die Beſchreibung folgende: „Fontange oder Aufſatz
iſt ein von weißen Spitzen oder Flor über einen abſonderlich
dazu gebogenen und umwundenen Draht in die Höhe gethürmte
und faltenweiſe über einander geſteckte Haube, zwei-, drei-, oder
vierfach hinter einander aufgezogen, um die Ohren herum abge-
ſchlagen, gefältelt und mit geknüpften Bandſchleifen von aller-
hand Couleur ſowohl von vorn als hinten gezieret und beflecket.
Die gehörigen Theile dazu, woraus die Fontange geknüpft und
zuſammengeſtecket wird, ſind der Haubendraht, die Commode,
das Neſt von Draht, der Teller darüber, die Pavillote und das
Band.“ In vollendeter Form erhob ſich dieſes Gebäude wenig-
ſtens anderthalb Kopflängen über dem Scheitel.


Mit reißender Schnelligkeit verbreitete ſich die Fontange
gleich der Perrücke durch die Länder, ergriff von allen weiblichen
Köpfen Beſitz, die nur irgend darauf Anſpruch machten mit der
Mode zu gehen, und behauptete ſich in dieſer Eroberung über
ein Menſchenalter.


„Wat ſchall ick van der dullen Dracht, van den Fontangen ſeggen,

Denu de Jungfern alltomahl ahn Underſcheed anleggen?

Man legt dat Hahr up Iſern Drat mit ſünderlicken Flyt,

Man neiht dat Band up Iſern up: O rechte Iſern Tydt,

Man mackt ſe uther wyſen hoch und hett de Maht verlahren,

Man bout hier Pyramiden up. O recht hochbeende Jahren!“

So ſchreibt man aus Hamburg. Aber raſcher noch als die Per-
rücke erreichte die Fontange ihr Ende, als ſeit dem Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts das Groteske und ſelbſt Großartige,
wie es die Glanzperiode Ludwigs XIV. gehabt hatte, mit dieſem
König ſelber und unter der bußfertigen Frömmelei der Maintenon
dahinſchwand. Schon vor dem Jahr 1710 giebt es Damen der
[246]III. Die Neuzeit.
höchſten Kreiſe, die ſie abgelegt haben, und das Jahr 1720 er-
blickt ſie ſchwerlich noch in dieſen Regionen. Hier wurde ſie raſch
und völlig bei Seite geworfen, während ſie in der untern bürger-
lichen Welt langſam wieder zur Haube herabſtieg. Es dürfte
nicht ſchwer halten, hier und da auf den Köpfen der Bäuerinnen
noch heutiges Tages ihre Spuren zu entdecken.


Im Anfange dieſer Periode war noch das ſchwarze Haar
auch in der Damenwelt das am meiſten geſchätzte. Der Blei-
kamm wurde daher fleißig benutzt und diente dann auch zugleich
das Alter zu verbergen. Darauf bezieht ſich das folgende
Epigramm:


„Ein Bleikamm ſchwärzt die Haare,

Doch jüngt er nicht die Jahre:

Das Alter kann er lügen,

Hilft aber nicht zum wiegen.“

Da war es denn freilich den Damen, die in ewiger Jugend er-
ſcheinen wollten, höchſt willkommen, als mit der Vorliebe für
Braun und Blond auch der Puder in größere Aufnahme kam
und Jugend und Alter, ein ſchönes und ein häßliches Haar, alles
vollkommen gleich machte. Aber es war nicht der Ausdruck der
Jugend, den der Puder brachte, ſondern der des Greiſenalters,
als ob er ſagen wollte, es ſei eine abgelebte Zeit, die man be-
trete. Man fühlte das freilich ſelber nicht und war auf’s herr-
lichſte mit ſich und dem Puder zufrieden, wie die folgende Aeuße-
rung zeigt: „Inſonderheit aber, wann man die Haarlocken mit
wohlriechenden Pulvern überſtreuet, ſo macht des Pulvers Weiße
der Haare Schwärze ſo anmuthig ſchön, daß eine Jungfrau in
gepuderten Haaren mehr einem Engel als Menſchen iſt zu
gleichen.“


Es war mit eine Folge des Puders, des Schnees auf dem
Haupte, daß eine Dame, wenn ſie dennoch ein jugendliches An-
ſehen ſich bewahren wollte — und welche hätte nicht die Abſicht
gehabt! — daß ſie die Farben der Jugend, Weiß und Roth, in
ihrem Gegenſatze verſtärken mußte. So ſehen wir ſchon in
[247]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
dieſem und noch mehr im folgenden Jahrhundert einen außer-
ordentlichen Gebrauch von den Schminken machen. Es waren
nicht bloß „die lilienweißen Wangen, mit Purpur angemahlt“,
überall, wo die Haut ſichtbar wurde, und wie wir ſehen werden,
geſchah das in ausgedehnter Weiſe, darf man auch künſtliche
Erhöhung des Teints annehmen. Die Satiriker reden oft da-
von. So heißt es in der ſ. g. Jungfern-Anatomie:


„Gott hat das Jungferthier nicht ſchön genug gezieret,

Es will, wie Thais, fort mit Schminken ſein beſchmieret,

Es will noch ſchöner ſein, als die Natur gewollt,

Damit ſich’s möge nur durch Schönheit machen hold.

„Wenn ich erzählen ſollt, die Schminken alle ſagen,

Müßt ich vier Wochen erſt die Apotheker fragen,

Wodurch die Stirne glänzt, wodurch die Backen roth,

Das iſt dem Jungfernvolk ihr täglich liebes Brod.

„Da müſſen ſein Zibeth, der Biſam, Balſam, Puder,

Es muß beſtrichen ſein das ganze Leibgepluder

Mit Salben beſter Art. Es wäſcht, es badet ſich

Das ſtolze Jungferthier ganz wunder-, wunderlich.

Sie pflegen ſonſten auch die Backen ſcharf zu reiben

Mit rothem Leder ſich die Röthe drauf zu treiben;

Ja jene Jungfrau aß nicht mehr als Sauerkraut,

Vermeinte dadurch auch zu kriegen ſchöne Haut.“

Ein beſonderes und viel gebrauchtes Mittel, den Geſichts-
teint fein und zart zu erhalten, war die Nachtmaske, von
welcher das Frauenzimmerlexikon die folgende Beſchreibung
macht: „Masquin iſt eine aus weißem Wachs, Froſchlaich-
waſſer, Pomade, Wallrath und Kampfer verfertigte und auf eine
zarte Leinwand geſtrichene Maſſa, woraus ſich die Dames Mas-
quen über das Geſicht zuſchneiden und zu verfertigen pflegen,
welche ihnen zarte und weiße Haut machen ſoll.“


Die Verſtärkung der Gegenſätze und dadurch beabſichtigte
Hebung des Teints rief auch den Gebrauch der Mouches oder
Schönheitspfläſterchen hervor, wenn auch vielleicht ihre
erſte Anwendung dazu gedient hatte, Unreinheiten der Haut zu
[248]III. Die Neuzeit.
verdecken. Rachel ſagt davon in ſeinem Gedicht von den „böſen
Sieben“:


„Sie klebet an’s Geſicht, wiewol es unverletzet,

Ein ſchwarzes Pflaſtermahl, damit der weiße Schein

Der ſchneegleich Wollen-Haut mag offenbarer ſein.“

Anfangs hatten dieſe kleinen ſchwarzen Taffetſtückchen, die man
in einer feinen ſilbernen oder hölzernen Büchſe verwahrte, runde
Form, aber man blieb nicht lange dabei, ſondern ſchnitt ſie in
Figuren aus, in Sonne, Mond oder Sterne, in Geſtalt von
Fliegen, Käfern und andern kleinen Thieren, oder worauf ſonſt
die Phantaſie der Damen verfallen mochte. In Bezug auf die
Plätze, wo ſie angeklebt wurden, entwickelte ſich ein völliges
Syſtem mit beſtimmten Namen, eine ſtumme, aber verſtändliche
Sprache, die jedesmalige Stimmung, Laune und Abſicht der
Trägerin anzudeuten. Trat eine hochgebietende Dame, die
Mouche mitten auf der Stirn, in den Salon, ſo erkannte die
verſammelte Geſellſchaft an dieſem Zeichen, la majestueuse ge-
genannt, daß die Dame bereit ſei, die ihr gebührenden Hul-
digungen in Empfang zu nehmen; Gang, Gebärde, Blick waren
natürlich mit der Bedeutung der Mouche in Harmonie gebracht.
Wenn die Mouche heitere Laune verkünden ſollte, ſo fand ſie
ihr reizendes Plätzchen auf der Falte, welche das Lächeln in die
Wange zieht; ſie hieß l’enjouée. La passionnée ſaß im äußern
Winkel des Auges, la galante mitten auf der Wange, la
baiseuse
im Winkel des Mundes, l’effrontée über der Naſe, la
coquette
über den Lippen und la reveleuse, die enthüllende,
an der Gränzſcheide verborgener Reize, auf dem Buſen. Ein
einziges Fleckchen pflegte ſelten zu genügen, es müßte denn ſein,
daß es durch ſeine Einſamkeit eben die entſagende Stimmung
hätte bezeichnen ſollen; häufig iſt wohl ein halbes Dutzend und
mehr noch von verſchiedener Größe und Form über Geſicht und
Buſen vertheilt.


Bei der Männerwelt blieb dieſe Sitte keineswegs ohne Wi-
derſpruch, und ſie veranlaßte manches beißende Epigramm. So
lautet eines von Hoffmannswaldau:


[249]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
„Was pflegſt du doch mit ſchwarzen Flecken,

Mit Mouchen dein Geſicht, ſchwarze Chloris, zu bedecken?

Du haſt die Tugenden verpachtet

Und biſt ein öffentliches Haus,

Wo alles kann logiren,

Und um dir Gäſte zuzuführen,

Steckſt du gewiß allhier die Zeichen aus.“

Schwach klingt dagegen die Vertheidigung, welche mehr ſchüch-
tern als wahr die Dichterin Frau von Ziegler unternahm:


„Ihr Spötter, tadelt nicht an uns der Mouchen Schein,

Seht ihr denn Sonn und Mond befreit von Flecken ſein?

Mir dünkt es ſei erlaubt, mit ſelbigen die Flecken,

Die die Natur uns macht, im Antlitz zu bedecken.“

Viel eher hätte ſie den Spott zurückwerfen können, denn von
der Perrücke und andern Thorheiten abgeſehen, ſcheint es wirk-
lich nicht wenige ſüße Herren gegeben zu haben — auf Mode-
bildern ſind ſie nicht ſelten — welche gleichfalls ihr Geſicht mit
Schönpfläſterchen verzierten.


Den Charakter der Frauenkleidung dieſer Zeit bedingen,
wie ſchon oben angegeben, die Schleppe und die Schnür-
bruſt
, wozu ſich noch die Decolletirung geſellt. Zu den
beiden letzten hatte ſchon die vorige Periode den Anfang gelegt;
die Schleppe aber gehört der Zeit Ludwigs XIV. als allgemeine
Tracht eigenthümlich an.


Zwei Kleider, das untere und die Robe, als zur vollkom-
menen Damentoilette gehörig, überkommt dieſe Periode ſchon
von der Vergangenheit. Die Robe hatte die vordere Oeffnung
vom Halſe bis herab zu den Füßen, welche ſie auch beibehielt.
Wenn ſie angezogen war, berührten ihre Seiten ſich nur in der
Spitze der langen und engen Taille; dann liefen ſie nach oben
auseinander gleich den Schenkeln eines ſpitzen Winkels über die
Schultern, welche ſie halb bedeckten, während der untere Theil,
der eigentliche Rock, alſogleich nach hinten übergeſchlagen wurde,
daß die untere und obere Farbe ſammt der des Kleides in gleicher
[250]III. Die Neuzeit.
Weiſe wirkten; in einer langen und vollen Schleppe fiel ſie ſo-
dann auf den Boden. Das war die Form, wie ſie ſich am Hofe
Ludwigs XIV. herausbildete und welche mit abſoluter Autokratie
allen Schwankungen des Uebergangscoſtüms ein Ende machte.
Sie behauptete ſich, Kleinigkeiten der Mode abgerechnet, die
ganze lange Regirung Ludwigs hindurch. Vornehmen Damen,
die ſich öffentlich zeigten oder in Gärten promenirten, trug ein
Diener die Schleppe, oder, was bei weitem nobler war, ein
Mohrenknabe.


Bedenkt man, daß die Robe eigentlich nie oder ſelten ge-
blümte Muſter zeigte, ſondern in vollen und tiefen Farben, die
nur durch Gold und Silber gehöht waren, auf’s kräftigſte wirkte;
daß ſie aus dem ſchwerſten Sammt- oder Seidenſtoff beſtand,
alſo nur in großen, mächtigen und eckigen Falten ſich brach; daß
ſie ihrer ganzen Form nach, die noch auf den Hüften durch
Wülſte erhöht war, ausbauſchte und das Maß weit überſchritt:
ſo läßt ſich leicht einſehen, daß das Grandioſe und Groteske der
vorliegenden Periode in Bezug auf die weibliche Toilette neben
der Fontange ſich vorzugsweiſe in dieſem Kleidungsſtück aus-
ſprach, und daß daſſelbe die Erſcheinung einer Dame um ſo mehr
in dieſem Sinne wirken ließ, als es einen langſam majeſtätiſchen
Gang gebot. Auch das Kleid, obwohl es vorn faſt ſenkrecht
herunterfiel, trug hierzu bei, wenigſtens bei der vornehmen
Dame, durch die Schwere des Stoffs, welcher ſanfte und fließende
Falten verhinderte, ſowie durch die großblumigen Muſter, wäh-
rend das Leibchen mit der langen und engen, durch die Schnür-
bruſt erzwungenen Taille, der feine Spitzenbeſatz an Arm und
Bruſt die übertriebene Zierlichkeit auf’s deutlichſte ausſprechen.
Es liegt ſomit ein nicht geringer Gegenſatz in der obern und
untern Hälfte einer weiblichen Erſcheinung jener Zeit; dadurch
iſt ſie unnatürlich, gemacht, affectirt, das Gegentheil von An-
muth und feiner, freier Grazie.


Etwas Neues war die Schnürbruſt damals nicht mehr,
da ihr bereits die Verbindung mit der Vertugalla im ſechszehn-
ten Jahrhundert zu großer Bedeutung verholfen hatte. Als die
[251]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
Taille dann in der Periode des Naturalismus faſt zu weit hin-
auf rückte, verlor ſie an Anſehen, um jetzt auf’s neue antinatura-
liſtiſch bis zur franzöſiſchen Revolution ihre eigentliche Blüthe-
zeit durchzumachen. Sie iſt als die Hauptrepräſentantin des
Zeitgeiſtes in Bezug auf Einengung und Beſchränkung zu be-
zeichnen, und fand ſelbſt in die bürgerlichen Kreiſe den Ein-
gang, welche ſonſt der Mode widerſtrebten. Eine ausführliche
Beſchreibung giebt das Frauenzimmerlexikon: danach beſteht ſie
aus einer Anzahl Fiſchbeinſtäben, welche mit Stoff verbunden
und mit Achſelbändern verſehen ſind, „unten aber um und um
mit eitel abgetheilten Schuppen oder ſ. g. Schößlein, worinnen
das Frauenzimmer ihren Leib zuſammenzuſchnüren und zu be-
feſtigen pfleget“; der Schnürſenkel befindet ſich auf dem Rücken.
Nicht ſelten aber muß die Schnürbruſt ſelbſt als Mieder oder
Leibchen dienen; ſie iſt dann mit Seide, Taffet, Damaſt über-
zogen, mit Gold und Silber geſtickt, und vorn mit gleichen
Schnürſenkeln verſehen. So wird ſie auf zahlreichen Bildern
ſichtbar. Es war ein Prachtſtück, das in allen Ständen getragen
wurde und heutiges Tages noch vielfach in der Volkstracht zu
ſehen iſt. Die Schnürbruſt drängte wieder die Taille herab, wie
ſie den Buſen erhob, und erhöhte dieſen Eindruck durch die vorn
ſich tief herabſenkende ſteife Spitze mit dem Blankſcheit.


„Bald ſchnürt ſie ſich behend und läßt ein Hölzlein ſchnitzen,

Damit ſie unvermerkt den ſchmalen Leib kann ſpitzen.“

Mit der Länge der Taille wuchs der Widerſpruch zwiſchen der
gewaltigen, hinten emporſtarrenden, durch Wülſte erhöhten Robe
und der feinen, auf kleinſtem Raum darauf ſitzenden Büſte, ſo-
daß die äußere Erſcheinung einer Dame immer unnatürlicher
wurde. Verfolgen wir das Profil derſelben auf der Rückſeite
von der hohen Fontange herab bis zum Ende der maſſenhaften
Schleppe, ohne uns die Vorderſeite hinzuzudenken, ſo möchten
wir kaum vermuthen, daß dieſe Linie bei den Sprüngen und
ſpitzen Winkeln, welche ſie macht, einer menſchlichen Geſtalt an-
gehört. Daß durch übermäßiges Schnüren an die Stelle der
[252]III. Die Neuzeit.
freien und leichten Beweglichkeit und grazioſer, gazellenartiger
Elaſticität ein geziertes und affectirtes, grotesk ſteifes Weſen
trat, war natürlich, fiel aber niemand auf, da man grade in
dieſer Unnatur die Schönheit ſuchte und auch zu finden glaubte.
Es war daher ein vergebliches Bemühen der Aerzte, wenn ſie
vom Standpunkte der Geſundheit aus eine Reihe Bücher gegen
das Corſett verfaßten; ſie ſchrieben und opponirten umſonſt, ſo
lange die Mode dauerte, bis ein Weltereigniß kam und beſſeren
Erfolg hatte.


Die Entblößung traf diesmal Arm und Bruſt in gleicher
Weiſe. In Bezug auf den Arm hatte die vorhergehende Periode
nur erſt die Andeutungen gegeben, indem ſich die Aermel des
Kleides zwar bis zum Ellbogen zurückgezogen und hier in weiten
„Palten“ umgelegt hatten, aber der Unterarm war noch mit dem
weiten, faltigen, feinen Hemdſtoff, mit dem ſich Spitzenman-
ſchetten verbanden, bedeckt geweſen. So iſt noch die Form der
Uebergangszeit bis 1670. Nur ſelten wird ein Stück des Unter-
arms ſichtbar. Dann aber öffnet ſich der weiße Stoff und hängt
nun mit feinem Spitzenbeſatz frei, luftig und faltig aus dem wei-
ten Halbärmel des Kleides heraus. Damit vollendet ſich an
dieſer Stelle die franzöſiſche Hoftracht. Der Unterarm iſt nun
ſeiner Bedeckung ledig, doch konnte die Koketterie dieſer Zeit,
die ſich auf das Lüſtre, den Reiz des Helldunkels wie keine
andere verſtand, mit der halben Verhüllung eines ſchönen Arms
durch den klaren, herumflatternden Stoff ein lockendes Spiel
treiben. Faſt dieſelbe Mode ſahen wir in unſern Tagen wieder
auftauchen.


Aehnlich hatte ſich die Decolletirung geſtaltet und der
Kragen ſich demgemäß verändert. Wir haben ſchon geſehen,
wie er auf der Gränzſcheide der Periode nicht mehr am Halſe
ſchließt, ſondern herabfallend in gleicher Breite rings den Aus-
ſchnitt des Kleides begleitet. In der Art, wie er zum Ueber-
gangscoſtüm (1650—1670) ſich verwandelt hat, iſt er kaum
noch ein Kragen zu nennen. Es iſt ein klarer, loſer Stoff, welcher,
an verſchiedenen Stellen durch Schleifen von Goldſchnüren und
[253]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
Bändern oder durch Geſchmeide faltig zuſammengefaßt, ſich um
Schultern und Bruſt am Saum herumzieht. Als nun die Robe,
von der Spitze des Leibchens aus einander gehend, den obern
Saum des Kleides überſchnitt und einen Theil der Schultern
verdeckte, mußte ſich auch dieſe Kragenform ändern und damit
überhaupt der Kragen verſchwinden. Nun erhielt das Hemd
einen Spitzenbeſatz, der wie am Arm, ſo an Bruſt und Schultern
aus Kleid und Robe in freien Falten hervorquoll, nichts ver-
deckte, aber doch über die Tiefen ſeine leichten Schatten warf.
So blieb es bis in den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts.


Man kann nicht ſagen, daß die Decolletirung in dieſer
Periode zugenommen habe, eher war das Gegentheil der Fall,
und nur das läßt ſich zugeſtehen, daß ſie ſich mit der franzöſiſchen
Tracht weiter in den bürgerlichen Kreiſen ausbreitete. Dieſer
Umſtand mochte auch wohl die lebhaften Angriffe hervorrufen,
welche von Seiten der Aerzte und der Sittenrichter in Ernſt und
Scherz gegen ſie gerichtet wurden. Da heißt es:

„Frauenvolk iſt offenherzig: ſowie ſie ſich kleiden itzt,

Geben ſie vom Berg ein Zeichen, daß es in dem Thale hitzt.“


Oder:

„Jungfern, die die Venushügel blößen unverholen,

Blaſen zu dem Liebesfeuer jedem auf die Kohlen.“


Am ernſthafteſten meint es der Verfaſſer einer Schrift, welche im
Jahr 1686 erſchien und den Titel führt: „Die zu jetziger Zeit
lüderlich und leichtſinnig entblößeten Brüſte des Frauenzimmers
und die darauf gehörige und hochnöthige Decke.“ Die verſificirte
Vorrede beginnt alſo:


„Komm, Lüſteler, anher, der du nach Brüſten ſieheſt,

die ſchändlich ſeyn entblößt und weit herausgelegt,

Lies dieſe Blätter durch, eh du dich ſo bemüheſt;

ich weiß, die ſchnöde Luſt ſich nicht ſo ſehr mehr regt.

Kommt näher doch anher, ihr Frauen und Jungfrauen,

die ihr mit Brüſte-Schmuck vielfältig gehet um;

[254]III. Die Neuzeit.
Ach leſet, was hier ſteht, ich weiß, es wird euch grauen,

forthin alſo zu thun. Denkt, daß das Chriſtenthum

Ein andres haben will“ …

Der Verfaſſer glaubt ſich dann gegen den Vorwurf verwahren
zu müſſen, als haſſe er das weibliche Geſchlecht: er meine nicht
„gottſelige, zucht- und tugendliebende Frauen und Jungfrauen“,
welche er „für Gottes ſonderbares, künſtliches Geſchöpfe und
Töchter“ hält. Merkwürdiger Weiſe beginnt er mit einer „Be-
ſchreibung der Weiberbrüſte und derſelben Lobſprüche“, und
kommt dabei mit vieler Gelehrſamkeit, obwohl nicht auf ana-
tomiſchem oder phyſiologiſchem Wege, zu dem Reſultat: „Darum
ſeien die weiblichen Brüſte hoch zu loben; darum heißen ſie sedes
amorum,
indem der allerweiſeſte Weiberſchöpfer ſolche nicht al-
lein äußerlich ſchön gebildet, mit einer artlichen Runde, ſub-
tilenen Weiche und mehr als alabaſternen Weiße begabet, auch
künſtlich neben einander geſetzt, als zwei junge Rehen-Zwillinge,
die unter Roſen weiden.“ Die Entblößung ſei übrigens nicht
bloß Sünde, ſondern ſchwere Sünde, teufliſche Sünde und „laufe
wider den ganzen Katechismum.“ Noch ein merkwürdigerer Ge-
danke des Verfaſſers iſt der, daß er ſein Buch von einer adligen
Dame in Verſen lobend begleiten läßt. Frau Eva Maria von R.
beginnt alſo:


„Ich kann nicht anders als gut heißen und belieben,

Was du, mein Werther, haſt von Brüſten hier geſchrieben,

Von Thorheit meines Volks. Die Bruſt iſt ehrenwerth,

Doch daß ſie ehrbarlich allzeit bedecket werd,

Das iſt der Ehren Schmuck, den Gottes Geiſt ſelbſt rühmet

An den Großmüttern, ſo uns allen auch geziemet“ ....

Es ſcheint, als ob die natürlichen Reize, die in hinläng-
licher Fülle zur Schau getragen wurden, den ſchweren ächten
Schmuck an edlen Metallen und Edelſteinen überflüſſig gemacht
hätten. Schon der phantaſtiſche Flattergeiſt der vorigen Periode
behing ſich lieber mit dem leichten Tand von Federn und Bän-
dern, was ſich noch im Uebergangscoſtüm fortſetzt. Dann ſehen
[255]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
wir in der Zeit Ludwigs XIV., die höchſte Gala ausgenommen,
wo man ſich mit allem belud, was man hatte, die Damen ſehr
einfach geſchmückt: hier und da ein Geſchmeide in den Haaren,
regelmäßig eine Perlenſchnur mit einem Kreuzchen daran um
den Hals und am Arm ein gleiches Band. Zu dieſem Geſchmack
der feinen Welt hatte ſich die bürgerliche freilich noch nicht er-
hoben: hier trug man, was man aus dem ſechszehnten Jahr-
hundert her, der eigentlichen Blüthezeit des Schmuckes, von
Vätern und Müttern ererbt hatte und fügte den windigen Tand
der nächſtvergangenen Periode hinzu.


Die Entblößung des Arms veränderte auch den Hand-
ſchuh
, der nun lang bis zum Ellbogen getragen wurde, da der
Arm des Schutzes bedurfte. Geſtickt und mit Spitzen garnirt,
konnten ſie damals ſehr hoch zu ſtehen kommen. — Ganz die-
ſelbe Urſache rief auch in dieſer Zeit den Gebrauch des Muffs
hervor, der völlig die Geſtalt des heutigen hatte. Es trugen
ihn die Herren wie die Damen, da auch bei jenen der untere
Theil des Armes nur mit dem Hemd bedeckt war.


Die Schuhe, welche um das Jahr 1650 vorn noch einen
graden, breiten Schnitt hatten, ſpitzten ſich zeitgemäß wieder zu.
An Natürlichkeit gewannen ſie nicht, denn ſie erhielten ſo hohe,
ſpitzzulaufende rothe Abſätze, daß der Fuß nur wie auf zwei
Punkten in ſchräger Richtung ruhte. Der Gang, der ohnehin
durch die Kleidung ſteif und langſam war, wurde dadurch noch
mehr gehindert und nichts weniger als erleichtert, wenn die
Dame draußen, um gegen Staub und Schmutz geſichert zu ſein,
Galoſchen trug. Uebrigens waren die Schuhe von den feinſten
Stoffen, von gepreßtem Leder, Seide, Sammt, geſtickt und ſonſt
verziert, was auch mit den farbigen Strümpfen geſchah.


Wie die männliche Erſcheinung noch durch Degen und Stock
ergänzt wurde — wir kommen in der nächſten Periode darauf
zurück —, ſo die weibliche durch den Fächer, deſſen Gebrauch
und Form ſich nicht änderte; nur hatte der Faltenfächer die
übrigen verdrängt. Zuweilen zog die Dame auch jetzt ſchon den
männlichen Stock vor.


[256]III. Die Neuzeit.

Als ſich das geſammte Coſtüm einmal zu der Vollſtändig-
keit herausgebildet hatte, daß ein Stück mit Nothwendigkeit das
andere bedingt, gemäß dem nunmehr univerſaliſtiſchen Charakter
der Zeit, wie er in dem großen König ſelbſt ſein Ideal findet,
da ergriff es auch mit derſelben Univerſalität, mit derſelben Aus-
ſchließlichkeit Beſitz von allen gebildeten Kreiſen des chriſtlichen
Abendlandes, von allem, was nur nach der Mode und mit der
Mode zu gehen trachtete. Und noch mehr. Dieſes Geſchlecht
gefällt ſich ſo ſehr in ſeinem Kleide, daß es daneben, ſei es in
der Kunſt, in der Geſchichte oder auf der Bühne, kein anderes
mehr gelten läßt. Die erſonnenen Figuren der Allegorie, die
Tugenden und die Laſter z. B., die Perſonen der Mythologie
und der Geſchichte, die Helden und Heldinnen der Tragödie —
ſie werden alle mit Perrücke und Fontange, mit goldbordirtem
Rock oder Robe und Schleppe, mit Schuhen und Strümpfen
völlig ſalonfähig gemacht. Selbſt der Grazie legt man ein
Wachtelhündchen in den Schooß und der Sphinx ſetzt man die
Fontange auf. Pallas im Kriegswagen mit Helm und Schwert
und die Venus im Roccocoſeſſel, beide mit der Schnürbruſt, mit
Schönpfläſterchen und andern Toilettengegenſtänden ſind in
vollſtändiger Tournüre, nur das nackte Bein und Sandalen
erinnern an den Olymp, den Götterſitz. Selbſt der Schäfer
Paris, der die Miene eines träumeriſch am Felſen dahingegoſ-
ſenen Schwärmers annimmt, ſchmachtend in unbefriedigter Sehn-
ſucht, bemitleidet von Hund und Schafen, er trägt die Perrücke,
Schönpfläſterchen auf der Wange wie ein männlicher Stutzer,
um den Hals ein geſticktes Tuch, Manſchetten an den Händen,
den goldbordirten Rock und Weſte, Schuhe mit hohen Abſätzen
und Zwickelſtrümpfe. Ja nicht einmal Chriſtus und die Erz-
väter bleiben ungeſchoren; auch ſie tragen wohl die Perrücke und
das kleine Bärtchen à la royale. Auf der Bühne konnte man
damals den „Herrn Cato“ ſehen mit der Staatsperrücke und dem
dreieckigen Hütchen, mit der ganzen ſalonfähigen Kleidung und
dem feinen Degen an der Seite, und Iphigenie mit Fontange,
Robe und Schnürbruſt und mit dem wehenden Taſchentuch in
[257]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
der Hand. Es iſt das eben die Conſequenz der Zeit, die im Ge-
fühl des Rechten und Schönen that, was das funfzehnte Jahr-
hundert und das frühere Mittelalter in naiver Unkunde gegen
die Geſchichte geſündigt hatten. Aber man muß ſagen, es war
gewiſſermaßen eine nothwendige Conſequenz, der letzte Schritt,
denn eben die Götter der Kunſt und die Helden des Theaters
waren völlig Kinder ihrer Zeit, vom Künſtler und Dichter ſo ge-
fühlt und geſchaffen, in jedem Wort und jeder Gebärde — kurz,
in ſolcher Weiſe Kunſtwerke aus einem Guß.


Wie anders iſt nun grade in dieſer Zeit der Anblick der
bürgerlichen Welt! Nach der einen Seite, nach oben hin,
haben wir den vollſtändigſten, durchgebildetſten Univerſalismus
der Mode; wer abweicht, ſteigt in der Stufenleiter der menſch-
lichen Geſellſchaft herab; ein Kleid, die gleiche Form, der gleiche
Schnitt bedeckt ſie alle. Aber nach unten hin iſt die Bildung der
Volkstrachten in den Städten wie auf dem Lande in vollem
Gange. Da ſind ſtehen gebliebene Stücke des ſechszehnten Jahr-
hunderts, zur Amtstracht erſtarrt oder vom eigenſinnigen Alter
halsſtarrig feſtgehalten, oder ſie haben ſich gewiſſermaßen auf
Irrwegen, abgekommen von der großen Heerſtraße der Mode,
umgebildet zu neuen und wieder feſtgewordenen Formen, denen
kaum noch ein kundiges Auge den erſten Urſprung anſieht. Da
ſteht auch noch die flotte, freie Tracht des großen Kriegs in frei-
lich ſtark beſchnittener Blüthenpracht, und daneben ſchauen an-
dere mit ſehnſüchtig neidiſchem Blick nach der Mode der vorneh-
men Welt, harrend nach dem Neuen, das über den Rhein her-
überkommen ſoll. Und das alles zuſammen, das Alte und das
Neue und die inzwiſchen eingetretenen Veränderungen, findet
ſich oft in wunderlicher Miſchung an demſelben Körper vereinigt.
Niemand nimmt daran Anſtoß, da doch jedes Stück ſeiner Zeit
entſpricht und in einem Coſtüm das eine nothwendig zum andern
gehört.


So verhält es ſich z. B. mit den Amtstrachten in den
deutſchen Reichsſtädten, die in denſelben gewiſſermaßen ein
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 17
[258]III. Die Neuzeit.
Symbol ihres ganzen inneren Zuſtandes finden. In Verfaſſung
und Lebensformen erſtarrt, aus denen der Geiſt, die Bewegung
und Fortbildung gewichen iſt, können ſie doch die Anforderungen
der neuen Zeit nicht abweiſen und müſſen es ſich gefallen laſſen,
daß beides, das Alte und das Neue, ſich neben einander und
mit einander einzurichten ſucht, wie wunderlich es auch oft her-
gehen mag. Das iſt nicht anders, wenn wir einen Raths-
herrn in ſeiner vermeintlich ſtolzen und ehrwürdigen Tracht ſehen,
wie ſie allen dieſen Städten, Lübeck, Hamburg, Augsburg,
Nürnberg u. a. gemeinſam iſt. Derſelbe trägt wirklich noch die
alte Schaube als ſein eigentliches Staats- und Ehrenkleid —
wir erkennen ſie auf’s deutlichſte —, aber es iſt vorbei mit der
alten Pracht und Herrlichkeit. Was wir erblicken, iſt nur ein
Schatten von dem mächtig breiten Pelzüberwurf, dem Symbol
des alten ſtolzbewußten Patrizierthums: ein dünner ſeidner Rock
ohne Taille mit kurzen, zierlich benähten Schulterärmeln, aus
denen die mächtig breiten Palten oder Aermelumſchläge des fran-
zöſiſchen Juſtaucorps, das er darunter trägt, ſich hervordrängen.
Um den Hals ſitzt faſt breiter als je die ſpaniſche Krauſe, und
darauf legen ſich, in ihrem Fluſſe gehemmt, die Flügellocken der
Perrücke, die in der modiſchen Welt ja ſelbſt den letzten Reſt des
Kragens vernichtet hatte. Um die widerſpruchsvolle Miſchung
zu erhöhen, ſitzt auf der Perrücke noch der ſteife ſpaniſche Hut
von Seide, mit ſpitzem, rings um in Falten gelegtem Kopfe
und breiterem Rande. Das iſt eine wunderliche Tracht, auf
welche die antiquariſche Partei, über ihr Alter in arger Täu-
ſchung befangen, dennoch ſtolz iſt und welche ſie bezeichnet als
„wohl recht eine Krone und Zierde der löblichen Antiquität, ja
gleichſam eine unauslöſchlich brennende Glorfackel von dem aller-
älteſten Anfang.“ Um ſo ſtolzer iſt ſie darauf, als ſie ſich nicht
verhehlen kann, daß das Neue immer mehr Boden gewinnt, wie
die folgende Stelle zeigt, welche im Jahr 1669 in Nürnberg ge-
ſchrieben wurde: „Und obzwar wohl die allſchädlichen Schaben
franzöſiſcher und anderer unziemlicher Kleidermoden bei ge-
ringeren Standstrachten etlichermaßen ziemlich in die altehr-
[259]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
bare Antiquität ſich eingeſchlichen, auch ſelbige beinahe ganz
verzehret und verändert, ja wohl gar mit ſolcher ſchändlichen
Veränderung bei vielen die altdeutſch geſinnten Gemüther zu-
gleich angeſtecket haben, daß man anſtatt der altehrbaren Ehren-
trachten ein freches Modakleid und wollüſtiges Affengeputz zum
Theil ergriffen, ſo iſt und bleibet doch die uralte Staats- und
Kirchentracht in ihren Habiten dadurch unverändert und unan-
getaſtet, als welche da billig die helle Ruhmfackel der Ehre und
des Alterthums unſerer preißlöblichen Noris ſich zu ſein er-
weiſet.“ In dieſem überſchwänglich perrückenhaften Ton geht es
noch weiter.


In der That kleidete ſich damals ſchon die ganze Männer-
welt der deutſchen Städte, die unterſten Claſſen und einzelne
Gegenden wie Holland ausgenommen, nach franzöſiſcher Weiſe;
Krauſe, Kragen und die luftig leichte Kleidung hatte ſie ab-
gelegt.


„Deutſchland hat das Leben uns, Frankreich aber Kleider geben,

Es verändert uns das Kleid, und wir ändern unſer Leben.“

Etwas anderes iſt es mit dem weiblichen Geſchlecht, bei
welchem ſich neben der franzöſiſchen Tracht eine Menge verſchie-
dener Formen ziemlich das ganze Jahrhundert hindurch behaup-
teten und ſelbſt noch in das achtzehnte mit hinüber gingen.
Hier iſt die große Krauſe noch 1650 ſelbſt bei jüngeren Damen
nichts ſeltnes, während gleichzeitig die Klagen über Entblößung
der Bruſt ſchon vorhanden ſind. Bald werden die hohen „Auf-
ſätze“ in den Kleiderordnungen beſchränkt, und gleich nach 1670
zeigt ſich auch auf Bildern die Fontange, aber mit dem am Hin-
terhaupt befeſtigten Regentuch verbunden, einem mantelartigen
Umhang, mit dem die Bürgerin und ſelbſt die Patrizierin großen
Luxus trieb, und welches die vornehme Welt gar nicht kannte.
Eine Menge verſchiedener Kopftrachten bilden ſich in der erſten
Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts aus den alten Formen her-
aus, ſo die Marderhaube, eine ungeheure Pelzkugel, die
17*
[260]III. Die Neuzeit.
Flinderhaube, eine ſtattliche Erweiterung des kleinen Gold-
oder Silberhäubchens, das Muſchelbund und viele andere.
Faſt jede Stadt hat andere Namen, die wir aus Chroniken und
Luxusordnungen kennen lernen. Selbſt den hohen ſpaniſchen
Männerhut tragen noch Nürnberger Damen im Sommer über
der Flinderhaube.


Auf dieſe Zuſtände der bürgerlichen Claſſen paßt die Be-
ſchreibung, welche Rachel in der ſchon erwähnten Jungfern-
anatomie giebt.


„Das Haar muß zimperlich zu beiden Seiten hangen,

Damit man nicht zu ſehr ſieht ihre ſilbern Wangen;

Ein andre das Geſicht mit Floren hat bedeckt,

Und ihrer Schönheit Pracht darunter hat verſteckt.

„Ein andre läuft daher in ihrer Buſchelmützen;

Ein andre ſchauet man in weißem Schleier ſitzen;

Ein andre trägt die Mütz der Männer aufgeſetzt,

Ein andre vielmals auch an Hauben ſich ergetzt.“

Dieſe verſchiedenen Kopftrachten, denen ſich in gleicher
Weiſe originell geſtaltete Jacken, Leibchen und Mäntel zugeſel-
len, galten allgemein als deutſche und nationale und mit localer
Beſchränkung waren ſie es auch in der That. Dennoch finden
ſie bei den Geſetzgebern nicht allzugroße Begünſtigung, und es
dürfte der ſeltnere Fall ſein, daß eine Kleiderordnung ſich gegen
die fremden, d. h. franzöſiſchen Moden richtet. Der Grund liegt
einfach darin, daß dieſe deutſchen Trachten viel koſtbarer waren
als die franzöſiſche; mit der Marder- und Flinderhaube z. B.
konnte die leichte Fontange keinen Vergleich eingehen. Und nach
dem Elend des dreißigjährigen Kriegs, der den Leichtſinn und
die Verſchwendung nur gefördert hatte, ſahen es die Geſetze
wirklich mehr auf die Beſchränkung des Luxus ab als auf den
Unterſchied der Claſſen, den die mit abſoluter Herrſchaft auf-
tretende franzöſiſche Mode ohnehin im Aeußern mehr und mehr
verwiſchte. Das iſt auch die Urſache, warum die Kleiderord-
nungen, deren in dieſer Periode noch eine ziemliche Anzahl vor-
[261]4. Die Staatsperrücke u. d. abſolute Herrſchaft d. franz. Mode.
kommen, allmählig verſchwinden und im nächſten Jahrhundert
ganz erlöſchen.


Intereſſant iſt im Kampf mit der franzöſiſchen Mode die
Trachtengeſchichte Straßburgs. Dieſe Stadt hatte ſich bisher
durch eigenthümliche Formen ausgezeichnet und ſie mit Vorliebe
feſtgehalten. Als ſie aber im Jahr 1685 franzöſiſch wurde, da
mußten Bürgermeiſter und Rath unter Beſtätigung und Ver-
ſchärfung des franzöſiſchen Intendanten ein Mandat erlaſſen,
welches die deutſche Tracht verbot und binnen vier Monaten die
franzöſiſche anzulegen befahl. Die Stadt fügte ſich. Allein im
Laufe des achtzehnten Jahrhunderts bildeten ſich grade aus der
franzöſiſchen Mode wieder neue feſte Formen als Volkstracht
heraus, welche zu Goethe’s Zeit, wie wir aus Wahrheit und
Dichtung wiſſen, wieder als deutſche galten im Gegenſatz zur
Mode von Paris. Auch dieſen machte ein abſoluter Befehl ein
Ende, der nur die wenigen höflichen Worte in einer „Procla-
mation der Volksrepräſentanten“ enthielt: „Die Bürgerinnen
Straßburgs ſind eingeladen die deutſche Tracht abzulegen, da
ihre Herzen fränkiſch geſinnt ſind.“ Aber es war das Schreckens-
jahr 1793, und die Volksrepräſentanten, deren Namen darunter
ſtanden, waren St. Juſt und Lebas.


Es iſt leider an dieſer Stelle nicht weiter möglich, der länd-
lichen Volkstracht im Einzelnen nachzugehen, da ſie ſich nun ins
Unendliche zerſplittert, wenn ſie auch ihre gemeinſame Aus-
gangsquelle hat. Zwar hatte der dreißigjährige Krieg unter
dem, was das ſechszehnte Jahrhundert übrig gelaſſen, nament-
lich an dem männlichen Aeußern bedeutend aufgeräumt und
ſeine eigenen Formen an die Stelle gebracht, aber auch dieſe
gingen bald wieder aus einander. Es kam dann in den Kriegen
Ludwigs XIV. das Franzöſiſche dazu, nachdem auch die eigen-
thümlichen ſtädtiſchen Bildungen bereits auf das Land hinaus-
gedrungen waren. So verſchieden nach Zeit, Ort und Um-
ſtänden das geſchah, ſo verſchieden und bunt zuſammengeſetzt
aus den Formen mehrerer Gegenden und mehrerer Zeiten ent-
wickelten ſich auch die Volkstrachten. Noch heute können wir
[262]III. Die Neuzeit.
manches von den damaligen Geſtaltungen erkennen, ſo an dem
kurzen Rock und dem Filzhut des Baiern den dreißigjährigen
Krieg, Ludwigs XIV. Hofkleidung aber an dem langen Schooß-
rock, Schnallenſchuhen, Kniehoſen und Strümpfen und an dem
aufgekrämpten Hut des ſchwäbiſchen Bauern. Es iſt auch ein
Beiſpiel von der Geſchichte irdiſcher Herrlichkeit.


[[263]]

Fünftes Kapitel.
Die Periode des Zopfes und die Revolution.
1720—1805.


Wir werden in dieſer Periode, von dem Sinken der Staats-
perrücke an bis zur Entfeſſelung der elementaren Natur durch die
franzöſiſche Revolution mitten unter den wie in eine Sackgaſſe
verrannten Geſellſchaftszuſtänden, abermals zwei ſich entgegen-
ſtehende Richtungen zu verfolgen haben, die aber weniger wie
die beiden Seiten am Geiſt der Staatsperrücke einen gemein-
ſamen Charakter bilden, als ſie ſich mehr oder weniger aus-
ſchließen und gegenſeitig bekämpfen. Sie treten daher auch nicht
von Anfang an mit gleicher Stärke und Energie auf, ſondern
die eine und dann die andere macht ſich in dem Grade vor-
herrſchend oder wenigſtens kenntlich, daß der ganze Zeitraum ſich
in zwei Abſchnitte zerlegt, deren Scheide etwa die Mitte des
Jahrhunderts bildet. Dieſe Richtungen laſſen ſich wieder als
Naturalismus und Antinaturalismus bezeichnen, von denen der
letztere nur die Fortſetzung des ſchon hundertfunfzig Jahre in der
Bewegung begriffenen Stromes iſt, den die Ideen der Neuzeit
immer auf’s Neue zu durchbrechen und abzuleiten ſuchen. Aber
die antinaturaliſtiſche Richtung des achtzehnten Jahrhunderts
unterſcheidet ſich von derjenigen der vorhergehenden Periode da-
durch, daß ſie weſentlich nur die Abſchwächung, das Ausſterben
der bewegenden Kräfte und Ideen enthält, welche jener noch
[264]III. Die Neuzeit.
einen großartigen Charakter aufzudrücken vermochten. Inſofern
aber grade mit ihnen ſich die Zeit auf falſchem Wege befunden
hatte, liegt in dieſem Verfall auch eine leiſe Neigung zum Beſ-
ſeren, freilich ebenſo auch eine zunehmende Verſteifung in Formen
und Formeln, denen das Leben entweicht.


Wir haben ſchon in der Geſchichte der Perrücke geſehen,
wie dies Symbol der aufgeblaſenen, von Eitelkeit ſtrotzenden
Herrlichkeit bald nach dem Beginn des neuen Jahrhunderts zu
immer kleinerer und beſcheidnerer Form zuſammenſinkt, wie
immer dicker der Puder ſich darüber legt und mit ſeinem Schnee
an die Kälte des Winters und die Schwäche des Greiſenalters
erinnert. Ebenſo könnten wir, wenn wir uns tiefer in die Cul-
turzuſtände einlaſſen wollten, das geiſtige Leben in Schwächlich-
keit dahin ſiechen ſehen. Enger und enger zieht ſich das Bürger-
thum in die Spießbürgerlichkeit, in die kleinſten, völlig abge-
ſchloſſenen Kreiſe der Familien und Freundſchaften zurück und
läßt die Dinge da draußen gehen, wie ſie wollen. Es iſt frei-
lich nicht Schade darum, wenn aus der Poeſie der coloſſale
Bombaſt und Schwulſt eines Lohenſtein und ſeiner Nachfolger
vertrieben wird, wenn die ſchamloſe Sinnlichkeit in Worten ſich
züchtiger anläßt, wenn die Ungeheuerlichkeiten und Abſurditäten
aus der Oper und dem Volksdrama und die Späße Hanswurſts
und das wüthige Raſen der Komödianten von der Bühne ver-
jagt werden; aber es iſt kaum ein Gewinn zu achten, wenn nun
leere Nüchternheit, faſt die reine Proſa oder höchſtens ſchön-
klingende Gemeinplätze an die Stelle treten und die ſogenann-
ten ariſtoteliſchen drei Einheiten jegliche Freiheit nehmen. Auch
hierfür holte man die Muſter aus Frankreich.


Es iſt wahr, auch die großartigen Prachtbauten aus der
Periode Ludwigs XIV. waren mit einem bombaſtiſch ſinnloſen
Schwulſt der Ornamente überladen worden; aber es hatte ſich
doch Kraft und Kühnheit geäußert in dem hohen, tiefe Schatten
werfenden Relief, in den hervorſpringenden Profilen, in den ſich
brechenden und bäumenden Linien: jetzt ſchwindet das alles zu-
ſammen, die Profile ziehen ſich ein, die Ornamente werden flach
[265]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
oder hören ganz auf, kein Wechſel mehr von Licht und Schatten,
und endlich langt die ganze Architektur, nur allein auf Nützlich-
keit beruhend, bei dem Idealſtil des Büreaukratismus, beim
Caſernenſtil, an.


Wie die Malerei in ihren Gegenſtänden ſich abſchwächt,
haben wir ſchon oben angedeutet. Nach der großen lebensvollen
Hiſtorie des Rubens und ſeiner nächſten Schüler und Nachfolger
ſteigt ſie in ihrer Neigung zum Genre, zur Landſchaft, zum
Stillleben und zur Blumenmalerei herab, worin wir freilich auch
immerhin die leiſe Ahnung eines erwachenden Naturgefühls er-
kennen mögen. Daneben liegt, die Herrlichkeit Ludwigs XIV.
begleitend, die pathetiſche Hiſtorie Lebrun’s, die nur zu gern,
Bewegung und Ausdruck übertreibend, das Maß des Schönen
überſchritt. Im achtzehnten Jahrhundert tritt nun das Gegen-
theil ein. Wie im Hofleben und im geſelligen Verkehr der höhe-
ren Stände die Leichtigkeit des Umgangs durch die immer enger
und bindender werdenden Formen der Etiquette beſchränkt wird,
wie dem Körper in Haltung, beim Gehen, Stehen, Sitzen, im
Verbeugen die beſtimmteſten Geſetze vorgeſchrieben ſind, Geſetze,
von deren Kenntniß und Beobachtung der Grad der Bildung
abhängig gemacht wird: ſo dringt etwas Aehnliches von Vor-
ſchriften und Regeln in die Kunſt ein. Für die Compoſition
wird ein geometriſches Schema aufgeſtellt, man verlangt Com-
poſitionen nach der Diagonale, horizontale, pyramidale und wie
der Unſinn weiter lautet. In allem Einzelnen muß „die Schön-
heitslinie“ herrſchen, eine beliebig angenommene Wellenlinie, der
ſich z. B. auch das Portrait in der Weiſe fügen muß, daß
Augen, Kopf, Schultern, Arme, Leib u. ſ. w. immer mit Nei-
gung nach rechts und links abwechſeln. So wird zugleich „die
Ponderallinie“ hergeſtellt, aus welcher ein Portrait nicht heraus-
fallen darf. Dieſe Zeit hielt es für nothwendig, wie es auch
Wolf in der Philoſophie that, alle die einfachſten, ſelbſtverſtänd-
lichſten Dinge in ein vernünftiges Schema zu bringen und auf
Regeln abzuziehen. Wie ernſt man das meinte, geht daraus
hervor, daß ſelbſt Hogarth, der geiſtreichſte Künſtler ſeines Jahr-
[266]III. Die Neuzeit.
hunderts und der ſchärfſte Beobachter der Lächerlichkeiten deſ-
ſelben, mit ſeinen überaus gründlichen Unterſuchungen über die
Schönheitslinie dieſe Thorheit am eifrigſten trieb.


Es iſt dieſelbe Sucht zu ſchematiſiren, oder wenn man will
daſſelbe Schönheits- und Stilgefühl, welches im Militärweſen
den ſogenannten Gamaſchendienſt hervorrief, der mit dem Zopf
und der Gleichmacherei dieſer Zeit, die alles über einen Kamm
ſchor und die Menſchen wie Bauſteine behandelte, auf’s engſte
verſchwiſtert iſt. Die ſchnurgrade Linie der Fronte, die kerzen-
grade Haltung, die Höhengleichheit aller Köpfe und die exacten,
abſolut gleichen Tempos, das iſt’s, was das Weſen des Sol-
daten ausmacht, welches in der Potsdamer Garde ſprichwörtlich
ſich idealiſch verkörpert findet. Der Soldat iſt abſolut willenlos
und hat nicht Freiheit der Bewegung noch eine Ehre für ſich.
Der Grenadier iſt ſomit der völlige Gegenſatz des flotten, freien
Landsknechts, der, obwohl er weiß, daß im Haufen die Macht
liegt, dennoch ſeine eigene Ehre und, den augenblicklichen Dienſt
abgerechnet, auch ſeinen eigenen Willen ſich bewahrt. Wie dieſe
beiden Typen der militäriſchen Welt den Gegenſatz bilden, ſo
verhalten ſich auch in der That die Reformationsperiode und das
achtzehnte Jahrhundert zu einander.


Es iſt höchſt bezeichnend, daß der erſte Friedrich Wilhelm
von Preußen es ſein mußte, trotz ſeiner deutſcheſten Geſinnung
und anerkannt tüchtigen Eigenſchaften, welcher den Gamaſchen-
dienſt auf die Spitze trieb, denn er war zu gleicher Zeit der eigen-
willigſte Autokrat und kann als der Erfinder des Zopfes be-
zeichnet werden, der ja allgemein als das prägnanteſte Symbol
dieſer Zeit gilt. Denn vergegenwärtigen wir uns die Geſtalt
der Zopffriſur, die knappe Zuſammenfaſſung der Haare, das
Süßlichkleine, Erzwungene und Affectirte, weiß angetüncht, mit
dem widerlichen Anhängſel im Nacken, das, ächt und unächt,
noch beſonders geſteift wird, ſo haben wir Schwäche und Kleinig-
keitskrämerei, Pedanterie und Syſtemmacherei, den Gamaſchen-
dienſt und Manierirtheit mit einander verkörpert.


Und doch ſchlummert auch in ihm die Ahnung einer neuen
[267]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Zeit. Es iſt das Eigenhaar, welches mit ihm wieder zu
Ehren kommt, wie viel falſche Zöpfe auch im Nacken hingen. Er
negirt das hohle, falſche Pathos der Perrücke, wie ſich die
Nüchternheit dem Schwulſt und die altkluge „Aufklärung“ dem
Wuſt des Aberglaubens und der verkehrten Lebensverhältniſſe
entgegenſtellt. Wie ſehr auch dieſe Richtung Anfangs nur leiſe
auftritt und bald ſich in die Proſa des Lebens oder in Frivolität
verrennt, ſo werden doch auch manche natürliche und einfach
wahre Klänge angeſchlagen wie in den Gedichten Günthers, und
manches wahre und innige religiöſe Gefühl dringt durch den
Pietismus wieder in die erkalteten Herzen ein.


Wir haben die Entſtehung des eigentlichen Zopfes, wenn
wir von ſeinem Vorbilde, dem oben erwähnten Knoten der Per-
rücke, abſehen, beim Militär zu ſuchen und zwar zunächſt beim
preußiſchen. Der Soldat hatte überall bis in das 18. Jahr-
hundert hinein ſein mäßig langes Eigenhaar getragen und der
Reitersmann und der Grenadier dazu einen tüchtigen Schnurr-
bart behalten; die Perrücke als Ordonnanzſtück einzuführen, wie
gern man es auch geſehen hätte, erregte doch zu große finanzielle
Bedenken und ließ ſich daher höchſtens bei der Hofwache durch-
führen. Der Offizier freilich konnte eine Ausnahme machen,
und um’s Jahr 1700 trägt zum Beiſpiel der öſterreichiſche
General unter dem Hut mit der dreifachen Krämpe die große
Alongeperrücke, deren Flügel zuſammt den Zipfeln des zierlichen
Halstuchs über den Küraß und die eiſernen Schulterblätter
herabfallen — allerdings kein ſehr harmoniſches noch kriegeriſches
Bild; das Feldlager und der Salon treten hier in unmittelbarſte
Berührung mit einander.


Friedrich Wilhelm I., ein ebenſo großer Feind des dama-
ligen Franzoſenthums, der geſellſchaftlichen Demoraliſation wie
der gewaltigen Staatsperrücke und des überflüſſigen Prunkes am
Hofe, reorganiſirte in dieſem Sinne, ſobald er zur Regirung
gekommen war. Er ſelbſt legte ſofort die Haarwolken ab und
trug nur noch eine kleine braune Stutzperrücke, die man den
„Muffer“ nannte; ganz vermochte auch er ſich nicht von der
[268]III. Die Neuzeit.
Mode loszuſagen. Es wird von ſeiner Haartracht erzählt: „Der
König hatte das ſchönſte Haar in der Welt gehabt von einem
dunklen Blond, allein er hatte es abſchneiden laſſen und lange
Zeit braune Zopfperrücken getragen; in den letzten Jahren ſeines
Lebens trug er kleine, ſelbſt weiße Perrücken, die zwar ſchlecht
gemacht waren, die aber, wie einem ſchönen Geſicht alles gut
ſteht, ihn doch gut kleideten.“ In gleichem Sinne mußte ſich
Hof und Beamtenwelt umgeſtalten, und die fremden Staats-
perrücken und Haarbeutel, welche als Geſandte oder in anderer
Eigenſchaft bei ihm erſchienen und die ſein Eigenwille nicht er-
reichen konnte, verhöhnte er dadurch, daß er alles, was für un-
ehrlich galt, Henker, Schinder und Büttel, ebenſo kleiden ließ.


Die folgenreichſte Umänderung nahm er mit dem Militär
vor, deſſen Aeußeres er in allen Dingen vereinfachte, wodurch
es bald zum Muſter für die übrigen Staaten wurde. Das lange,
ohnehin für den Gamaſchendienſt unbequeme Eigenhaar des Sol-
daten ließ er hinten zuſammenfaſſen und in einen Zopf binden,
deſſen Ruhm alsbald in ſeiner Länge und Dicke beſtand. Das
war die erſte Ehre, welche dem natürlichen Haar wieder zu Theil
wurde. Indem ihn auch der Offizier annahm bis zum General
hinauf, erhielt der Zopf auch für die höheren Kreiſe der Geſell-
ſchaft ein gewiſſes Bürgerrecht, obwohl er nur langſam in die
civile Welt überging, und die Offiziere der nichtpreußiſchen Ar-
meen, der Franzoſen, Engländer und der andern Deutſchen,
noch Jahrzehnte lang bis über die Mitte des Jahrhunderts hin-
aus eine anſehnliche Perrücke trugen. Der Uebergang und der
Sieg des Zopfes wurde dadurch erleichtert, daß er ſich auch ſeiner
Gegnerin anhing, und ſomit Beutelperrücke und Zopfperrücke
noch neben dem Eigenhaar ihren Kampf auszukämpfen hatten.
Der Salon wollte noch lange nichts von ihm wiſſen — in
Preußen gab es eigentlich damals keinen ſolchen unter dem bür-
gerlichen Regiment des Königs —; vor allen aber widerſetzten
ſich diejenigen, welche die Würde, die Gravität des Amtes und
der Wiſſenſchaft in Anſpruch nahmen, die Geiſtlichen und die
Gelehrten. Sie hielten auch am längſten an der großen Form
[269]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
der Perrücke feſt, die man damals die ſpaniſche oder perruque
quarrée
nannte, während ſich die übrige Welt der Zopffriſur
gemäß der verkleinerten bediente. Die folgende Geſchichte iſt ein
Beiſpiel von der Oppoſition, welche der „preußiſche“ Zopf von
dieſer Seite erfuhr. Es mag gegen das Jahr 1750 geweſen
ſein. „Noch immer“, ſo erzählt Jemand aus ſeiner eigenen Ge-
ſchichte, „erinnere ich mich lebhaft der Angſt, die ich in meinen
Knabenjahren ausſtand. Ich war auf einer Trivialſchule Cur-
rentſchüler und trug wie alle meine Kameraden den preußiſchen
ſteifen Haarzopf. Von dieſem war nun des Herrn Schulinſpec-
tors Hochwürden ein abgeſagter Feind. So oft er Schulviſita-
tion hielt, ſo oft hielt er eine Strafpredigt und immer war das
Thema davon der preußiſche Zopf. Er gab wirklich Befehl,
daß alle preußiſchen Haarzöpfe ohne Anſehung und ohne Unter-
ſchied, ſie mochten lang oder kurz, dick oder dünn, falſch oder
wahr, ausgeſtopft oder unausgeſtopft ſein, gänzlich ausgerottet
werden ſollten: aber mein guter alter Rector wandte die meinem
preußiſchen Haarzopfe fürchterlich drohende Gefahr in Gnaden
ab, und ich pflegte und nährte und bebänderte ihn, bis daß der-
ſelbige der ehrſamen Candidatenperrücke, wie ſich’s auch nicht
anders ziemt, Platz machen mußte.“ Dann berichtet er weiter:
„Ich muß auch erzählen, was uns unſer lieber Rector in den-
ſelben weit ausſehenden und gefahrvollen Zeiten erzählte, um
uns mit den Leiden anderer zu tröſten. „„Zu meiner Zeit““, er-
zählte er, „„trugen die meiſten Schüler ihr Haar rund abgeſchnit-
ten. Nur einige die ſchon in der oberſten Claſſe waren, bald
auf die Akademie ziehen und Stutzer machen wollten, ließen ihre
Haare wachſen, und damit ſie nicht auf dem Rücken herumflat-
terten, machten ſie ſich zweiknotige Zöpfe. Der Paſtor des Orts
hielt dies für ſündlich. Er ging deswegen öfters aus, um auf
dieſelbigen Jagd zu machen. In dieſer Abſicht trug er beſtändig
eine Scheere bei ſich. Wenn ihm nun ein Currentſchüler mit
einem Haarzopf begegnete, ſo rief er ihn zu ſich, als ob er etwas
mit ihm reden wolle. Während der Unterredung wußte er
[270]III. Die Neuzeit.
ſeine Scheere unvermerkt an den Haarzopf zu bringen und ſolchen
zu packen und — weg war der Haarzopf.“


Quarréeperrücke, Beutel- und Zopfperrücke und die Zopf-
friſur des Eigenhaares gleichen ſich nun darin, daß ſie in glei-
cher Weiſe des Puders bedurften; es war davon eigentlich
niemand ausgenommen, wenn er nicht, wie z. B. die pietiſti-
ſchen Geiſtlichen, Spener, Francke u. a. die Sitte durchbrach,
was aber damals noch eine ſeltene Erſcheinung war. Der Puder
fand ſeinen Halt an der Pomade, mit welcher das Haar vorher
eingeſchmiert wurde. Aufgetragen wurde er mit einem flaum-
artigen Büſchel, einer von Seide oder Garn zuſammengedrehten
Quaſte, oder er wurde mit einem kleinen Blaſebalg in die Haare
geblaſen. Um einen Begriff von dem Verbrauch des Weizenmehls
zu geben, aus welchem vorzugsweiſe der Puder fabrizirt wurde,
hat man die folgende Berechnung gemacht: Man brauchte, um
einen Kopf vollſtändig zu pudern, täglich 5 Quentchen, und
wenn es zweimal geſchah, täglich 2½ Loth Puder. Rechnet man
damals auf den preußiſchen Staat zwölf Millionen Einwohner
und läßt man von dieſen acht Millionen, Männer wie Frauen —
eine allerdings wohl etwas hochgegriffene Zahl — täglich ſich
Eigenhaar oder Perrücke bepudern, ſo wurden, rechnet man nur
eiu Loth durchſchnittlich auf den Kopf, hierzu täglich 250,000
und in einem Jahr 91,250,000 Pfund Puder conſumirt, wozu
im Durchſchnitt 2,281,250 Berliner Scheffel erforderlich waren.


Wir haben ſchon in der vorigen Periode bei der Geſchichte
des Hutes angedeutet, welche Wandlungen die Veränderung
der Haartracht an ihm hervorbrachte. Schon die große Perrücke
hatte ihn zu einem dreikrämpigen zierlichen Toilettenſtück gemacht,
deſſen Aufgabe nicht mehr darin beſtand, den Kopf zu ſchützen.
Die kleinere, aber zierlichere und viel unduldſamere Perrücken-
form und die Zopffriſur oder der Haarbeutel mit der pomadiſirten
ſchön geſchwungenen Vergette wollten ihn gar nicht mehr dulden,
und ſo mußte ihn der feine Herr in der Hand tragen und wenn
er dieſe frei haben wollte, unter dem Arm. Da dieſes allgemeine
Sitte wurde, und die Rechte außerdem den Stock führte, ſo
[271]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
mußte man eine Form haben, mit welcher er ſich bequemer unter
den Arm legte. Man ließ darum die eine Krämpe weg und
machte ihn zweiſeitig, ſo daß er ſich flach zuſammenklappen ließ.
Dann nahm er auch die dreigeſpitzte Form an, und ſtatt der Plu-
mage, welche der Arm verdrückt hätte, beſetzte man ihn nur noch
mit Borten, Treſſen und Kokarden oder ließ ihn ganz einfach.
Zu dieſer Geſtalt vollendete er ſich ſeit der Mitte des Jahrhun-
derts. Auch das Militär nahm ihn zweikrämpig an, jedoch, da er
immer tragbar bleiben mußte, nur mit Abweichungen, die end-
lich zu ſehr verſchiedenen Formen führten, von der Grenadier-
mütze an bis zum Napoleonshütchen.


Die Veränderungen, welche ſonſt mit der männlichen
Kleidung
vorgehen, ſind verhältnißmäßig unbedeutend. Es
entſtehen durchaus keine neue Formen oder ſolche, die weſentliche
Charakterunterſchiede andeuteten, nur tritt wie an der Perrücke
das Groteske und Grandioſe zurück, und es offenbart ſich immer
ſteigend die Nüchternheit, die Pedanterie und Verſteifung. So
ſchwinden die Goldfranzen, die breiten Borten und Stickereien
mehr und mehr zuſammen, die Aermel verengern ſich und die
Palten oder Umſchläge werden kleiner, bis ſie ſich gegen das
Jahr 1780 als ſinnloſe Zugabe um das Handgelenk legen, in
der Weiſe, wie ſie heute noch ohne alle Urſache als todte Er-
innerung vorhanden ſind. Mit ihnen werden die herausgebauſch-
ten Hemdärmel zu bloßen Spitzenmanſchetten. Auch die großen
Taſchen und die mächtigen Knöpfe werden kleiner und beſchei-
dener, und das Juſtaucorps legt ſich wo möglich noch enger um
den Leib. Im Uebrigen blieb es in der erſten Hälfte des acht-
zehnten Jahrhunderts wie es war.


Ebenſo das Wamms. Einmal zum Rock geworden, nahm
es bis um 1750 ſo gut wie gar keine Veränderungen an: nüch-
tern, ohne Falte und ohne Schmuck ſitzt es unter dem Oberrock.
Nur allein auf der Bruſt beginnt es ſich vom Halſe her zu
öffnen, um der herauswachſenden Buſenkrauſe, dem Jabot,
Platz zu machen. Dieſes tritt an die Stelle des Halstuches. Der
Hals wird frei, und wir mögen darin wieder ein Zeichen ſehen,
[272]III. Die Neuzeit.
an welchem ſich die kommende Befreiung und Entfeſſelung an-
kündigt.


Nach der Mitte des Jahrhunderts aber gehen mit Juſtau-
corps und Wamms größere Veränderungen vor ſich, freilich bei
beiden noch in dem alten Geiſte. Das letztere ſchrumpft von unten
her zuſammen, daß es zur Schoßweſte wird. Da dieſe An-
ſtands halber auch zu Hauſe nicht mehr allein getragen werden
konnte, ſo mußte ſie ſich noch größere Beſchränkungen gefallen
laſſen: ſie verlor die unnützen Aermel, und das Rückenſtück,
welches nicht ſichtbar wurde, konnte nun von anderem und ſchlech-
terem Stoffe gemacht werden. Um ſo mehr konnte man die vor-
dere Hälfte verzieren, und ſie überzieht ſich nicht bloß an den
Taſchen und Rändern, ſondern über die ganze Fläche mit zier-
licher, bunter Seidenſtickerei von Blumen und Arabesken. So
entſteht unſre Weſte, ein durchweg modernes Kleidungsſtück, in
genauem Verfolg der Reſt der unteren Tunica. Schon in den
achtziger Jahren gehen mehrere Weſtenformen neben einander
her: man trägt die lange Schoßweſte und die Weſte ſo kurz, wie
ſie heute getragen wird; man findet ſie mit einer Reihe Knöpfen
und übergeſchlagen mit doppelter Reihe.


Nicht minder bedeutungsvoll war die Veränderung des Ober-
rocks, denn er wird zum Frack. Auch ſein Vorbild dürfen wir
beim Militär ſuchen, welches im achtzehnten Jahrhundert viel-
fach tonangebend wurde, um ſo mehr als die Fürſten die Uni-
form anzulegen begannen, eine Sitte, die, vom deutſchen Fried-
drich Wilhem I. ausgegangen, ganz wider den Geſchmack der
franzöſiſchen Könige lief. Ihre Triumphe waren ſie gewohnt im
Thronſaal und im Salon zu feiern, nicht auf der Parade. Der
Reitersmann, der Anfangs den weiten Rock wie der Fußgänger
trug, pflegte ſich die langen Schöße dadurch ſitzgerecht machen,
daß er die Zipfel nach außen umklappte und ſie mit Haken oder
Knopf befeſtigte. Bei andersfarbigem Unterfutter that das gute
Wirkung, und man führte darum die Sitte auch beim Fußvolk
ein. Bald aber wurden aus den umgeſchlagenen Zipfeln Auf-
ſchläge, welche bei allen Heeren eingeführt wurden und das acht-
[273]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
zehnte Jahrhundert und ſelbſt die Revolution bis zum Waffen-
rock überdauerten. In dieſer militäriſchen Form ging der Frack
zwar nur ſelten auf den civilen Mann über, aber durch den ſie-
benjährigen Krieg war der Ruhm und das Anſehen der preußi-
ſchen Offiziere, die maſſenweiſe jetzt in die bürgerliche Welt zu-
rücktraten und ihren Ehrenrock behielten, in der Art geſtiegen,
daß man ſich gar zu gern ein ähnliches, halb militäriſches Aeußere
gab. Aus dieſem Grunde ſuchte man den Rock dem Militärfrack
ähnlich zu machen, nicht indem man die Zipfel umſchlug, ſon-
dern indem man ſie beſchnitt. Doch ſetzte man deſſen ungeachtet
die Knöpfe, woran die Zipfel hätten befeſtigt werden können,
hinten an. Obwohl ſie unnütz geblieben ſind, wie ſie es von An-
fang an waren, ſind wir ihrer heute noch nicht los. Vergebens
fragen wir nach dem Warum.


So hat ſich nun die antike, griechiſch-römiſche Kleidung in
die moderne umgewandelt. Wir ſind bei der letzten Form ange-
kommen: die obere faltenreiche Tunica, die wohl bis zu den
Füßen herabreichte, iſt zum ſimpeln, nüchternen, form- und fal-
tenloſen Frack geworden, und die untere hat ſich in die zierliche,
geblümte Weſte verwandelt, für deren Exiſtenz wir kaum einen
vernünftigen Grund auffinden mögen. Wenn man wollte, könnte
man auch hieran den Gegenſatz des antiken und des modernen
Lebens deduciren.


Noch eine nicht unintereſſante Veränderung des Rockes oder
Frackes dürfen wir nicht unerwähnt laſſen. Als ſich die Locken
der Perrücke und die Friſur wieder von den Schultern bis über
die Ohren heraufzogen, rückte, ähnlich wie es im ſechszehnten
Jahrhundert geſchehen war, der Rock nach, und als er hoch ge-
nug gekommen war, legte er ſich mit mehr oder weniger ſtark
ausladendem Kragen um, dem ſich die Ueberſchläge auf der Bruſt
anſchloſſen. Auch hiervon haben wir den Nachkommen im heu-
tigen Rockkragen, der auf- und abſteigt je nach der herrſchenden
Tracht des Haares.


Als das Wamms zur Weſte und der Rock zum Frack ge-
worden, konnte dieſe Kleidung nicht mehr gegen die Strenge der
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 18
[274]III. Die Neuzeit.
Witterung genügen. Man ſuchte Abhülfe in einem dritten Rock
oder im Mantel. Natürlich nahm dieſer Rock die bisherige Form
zum Muſter, bildete dann aber eine große Reihe bald enger bald
weiter, bald langer bald kurzer, immer aber wärmender oder
ſchützender Oberröcke aus. Das ſind die wechſelnden Formen des
ganz modernen Paletots, damals Sürtout genannt, deſſen Ge-
ſchichte wir hier nicht weiter verfolgen wollen.


Die Bein- und Fußbekleidung unterlag bis gegen das
Ende des achtzehnten Jahrhunderts nur unweſentlichen Verände-
rungen, denn die eine mit ihrer ſtraffen Enge, die andere mit
den Schnallen und hohen Abſätzen entſprach vollkommen den An-
forderungen der Zeit. Nur das Verhältniß von Hoſe und Strumpf
änderte ſich inſofern, als der letzteré ſchon in der Zeit Lud-
wigs XIV. über das Knie herauf gerückt war, in der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts aber wieder an die alte
Stelle zurückſank. Was konnte dieſem fein manierlichen Ge-
ſchlecht, das ſich jede Stellung, Lage und Bewegung vom fran-
zöſiſchen Tanzmeiſter vorſchreiben ließ, auch entſprechender ſein
als das anliegende Beinkleid und der faltenloſe Strumpf, wo-
durch nicht im leiſeſten eine ſchöne Bewegung oder zierliche Stel-
lung, in welche man ſo viel Abſicht hineinlegte, verloren ging.
Selbſt das Militär wagte noch lange nicht zum Stiefel zurückzu-
kehren, der in keiner Weiſe ſalonfähig war, ſondern ſuchte die
Vorzüge deſſelben durch die Gamaſchen zu erreichen.


Wie eine Dreſſur des Beines und Fußes, ſo verlangte die
damalige Bildung auch ein elegantes, zierliches Spiel der Hände,
die immer angenehm beſchäftigt oder in graziöſer Ruhe ſein muß-
ten. Es gab dazu einige Erleichterungsmittel wie den Hut, mit
dem es namentlich beim Gruß artige Schwenkungen zu machen
galt, die nie fehlende Tabatiere, mit welcher ſich die Finger
beſchäftigten, und den Stock. Der letztere iſt mit andern Din-
gen als Hinterlaſſenſchaft der Zopfzeit auch auf uns gekommen.
Damals trug man ihn länger und meiſt ſchwerer mit ſchön be-
malten Porzellanknöpfen oder den bekannten im Roccoco verzier-
[275]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ten Gold- und Silberknöpfen. Man findet noch häufig dieſe
Erbſtöcke aus der Großväter oder Urgroßväter Zeit.


Der Stock machte den Degen an der Seite nicht über-
flüſſig, ja derſelbe gehörte in ſeiner zierlichen Salongeſtalt mit
dem blitzenden, brillantirten Stahlgriff ſo nothwendig zum Gan-
zen, daß König Ludwig von Bayern mit Recht das Coſtüm die
„Degentracht“ nennen konnte. Eigentlich iſt er nur als ein Ueber-
bleibſel der erſten kriegeriſchen Hälfte des ſiebzehnten Jahr-
hunderts zu betrachten, aber er verwuchs ganz mit der neuen
Zeit, welche bei ihrer Schwächlichkeit um ſo eifriger ſich ein
wehrhaftes Anſehn zu geben ſuchte. Grade wie in der manierir-
ten ſpaniſchen Zeit wurde er auch jetzt in mehr horizontaler als
ſenkrechter Lage getragen. Schon im ſiebzehnten Jahrhundert
mußte er den Handwerksburſchen verboten werden, die ſeiner
freilich auf der Wanderſchaft bei der Unſicherheit der Straßen
wohl bedurften. Im achtzehnten waren die vornehmen Stände,
bei denen ihn auch die Kinder zur Gala trugen, ſehr eiferſüchtig
auf ſeinen Gebrauch, doch konnten ſie nicht verhindern, daß er
in einer Allgemeinheit getragen wurde, welche faſt nur die Geiſt-
lichen ausſchloß. Bei der Verweltlichung der damaligen Geiſt-
lichkeit gab es nicht wenig Candidaten, die ſich ſehr nach ihm
ſehnten. Eine hannoveriſche Ordnung von 1731 verbietet den
Degen allen Pagen und Lakaien des Hofes oder der Hofbeamten,
allen Livréebedienten ohne Ausnahme, allen Köchen, Schülern,
Kauf- und Ladendienern, allen Geſellen der Maler, Gold-
ſchmiede, Bildhauer, Uhrmacher, Glasſchneider und aller derer,
die ſich Künſtler nennen, den Handwerksburſchen, Knechten und
Geſellen, Reiſende ausgenommen. Auch der ſtudirenden Jugend
wird er verboten, Kinder von „Standesperſonen“ und ſolche,
welche ſchon wirkliche Akademien beſuchen, alſo Studenten, aus-
genommen; den Muſikanten, Barbier- und Apothekergehülfen
iſt er nicht geſtattet, den beeidigten Proviſoren aber erlaubt. In-
deß ging es mit dieſen Geſetzen nicht beſſer wie mit den übrigen
Kleiderordnungen.


Es iſt kaum nöthig zu erwähnen, daß in allen dieſen Din-
18*
[276]III. Die Neuzeit.
gen Paris und der franzöſiſche Hof die alleinigen Muſter vor-
ſchrieben, ſoweit ſich nicht der militäriſche Geiſt des Preußen-
thums ſelbſtſtändig äußerte und in die civile Welt oppoſitionell
übergriff. Die folgenden Verſe von 1751 geben zeitgemäß die
Schilderung eines deutſchen Stutzerherrchens nach franzöſiſchem
Muſter.


Der deutſche Franzoſe.
Ich trag ein ſpitz gewölbt Toupé,

Vier Daumen breit gehts in die Höh,

Die moutonirten Puderlocken

Bewegen ſich als Silberglocken.

Kein Engelskopf wird ſo geſchnitzt,

Als mir mein nettes Härchen ſitzt,

Ein großer Beutel mit zween Dutzen

Muß wohlgeſchürzt am Halſe ſtutzen.

Das Hemd ſteht nach Pariſer Tracht

Mit einem Blitzer zugemacht.

Des offnen Buſens Leckerbiſſen

Schattirt ein ponceau ‒ ſeidnes Kiſſen.

Battiſtne Blätter um die Hand,

Gleich Sonnenſchirmen ausgeſpannt.

An perlenfarbig ſeidnen Strümpfen

Darf ſich gar keine Falte rümpfen.

Der blanken Kniee ſchwarzer Sammt

Steht durch zwei Wickel aufgedammt.

Die Weſte ſtrotzt von beiden Seiten,

Der Rock kann mit dem Reifrock ſtreiten.

Des Unterfutters Himmelblau

Werf ich im Gehn galant zur Schau,

Des Aermels wohlgeſchnittnen Flügel

Bedecket ein brokadner Spiegel.

Ring, Tabatier, Etui und Uhr

Berühr ich als was Schlechtes nur.

O ventre bleu! Die ſchönſte Doſe

Verlor ich neulich — à la Rose

Pour attraper la belle main

De Madame de Pontchartrain.

Mein Tanzen, Fechten, Reiten, Singen

Läßt ſich in keinen Abriß bringen,

[277]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Oeilladen, Grace, Tour und Port,

Darin beſteht mein größtes Fort.

Diantre! das Deutſche will nicht fließen,

Drum muß ich den Artikel ſchließen.

An der Frauenkleidung treten uns bis in die letzten
Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts nur zwei Theile mit
bedeutungsvoller Geſchichte entgegen. Das iſt die Kopftracht
und der Reifrock, während die Bekleidung des Oberkörpers
mit dem Schnürleib, der Decolletirung, den halbentblößten Aer-
meln nur dem Wechſel der kleinen Moden unterworfen iſt, im
Charakter aber zunächſt keine Aenderung erleidet. Beide, die
Friſur und der Rock, ſcheinen im Anfange einen entgegengeſetz-
ten Weg einzuſchlagen, denn jene ſteigt ein halbes Jahrhundert
hindurch von der grotesken Höhe der Fontange zu möglichſter
Kleinheit herab, während dieſer bis zur franzöſiſchen Revolution
ballonartig anſchwillt. Aber wir haben ſchon einmal geſehen,
wie der Reifrock mit einer Zeit zuſammenhängt, in welcher das
Leben erſtirbt und ſich in feſte, conventionelle Formen zuſammen-
zieht, und es erhebt ſich dann wieder in der zweiten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts die Friſur zu einer Höhe, daß ſie an
Unnatur und grandioſer Ungeſtalt dem Reifrock nicht nachſteht.


Wenn ungefähr das Jahr 1720 allgemein als das Ende
der Fontange angenommen werden muß, ſo konnte man doch
ſchon bald nach 1700 in den höchſten Ständen Damen mit freier
Friſur ſehen: es war nur dieſe hohe Band- und Spitzenhaube
weggelaſſen und übrigens das Haar in gleicher Weiſe mit künſt-
lichen Locken perrückenähnlich nach oben gethürmt und mannig-
faches Geſchmeide dazwiſchen befeſtigt. Aber wie die Perrücke,
ſo ſanken auch von Jahr zu Jahr dieſe Locken, und das geſammte
Haar ſammelte ſich immer dichter gedrängt und in ſcheinbar
wirrem Gelock um den Kopf und ließ Ohren, Hals und Nacken
völlig frei. Nur ein Paar lange, geringelte Locken fallen hinter
dem Ohr herab und werfen kokett ihre leichten, flüchtigen Wol-
kenſchatten über die weißen oder geweißten Schultern. Die
Damen der höheren Stände trugen dieſe Friſur, mit welcher der
[278]III. Die Neuzeit.
Puder nothwendig verbunden war, ohne alle Spur von Haube,
aber die der bürgerlichen Kreiſe, und ſelbſt jugendliche Geſichter,
legten wohl ein kleines, leichtes Spitzenhäubchen darüber.


So dauerte dieſe Kopftracht, welche das ſchönſte Haar auf
möglichſt kleinen Raum zuſammen zu drängen ſuchte, die dreißi-
ger und vierziger Jahre hindurch bis in den Anfang der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Da können wir beobach-
ten, wie das Frauenhaar auf’s neue ſich erhebt und in raſcheſtem
Anlauf ſich zu den wunderbarſten und coloſſalſten Ungeſtalten
emporthürmt, während das männliche in Haarbeutel oder Zopf
regungslos unter ſeiner Schneedecke verharrt, und nur die Ver-
gette ſich à la chinois über der Stirn zum „ſpitz gewölbten Toupé
emporzurichten ſucht.


Anfangs war die Aufrichtung der Damenfriſur eben nur
eine Nachahmung der Vergette oder überhaupt der männlichen
Haartracht: von Stirn und Schläfen aufgeſtrichen, legt ſich das
Haar um einen runden Wulſt, Lockenrollen liegen über den
Ohren, und im Nacken iſt es dem Haarbeutel ähnlich zum Chignon
zuſammengefaßt. Allein das lange Haar der Frauen begünſtigte
die exceſſive Mode; dem Manne, der eben erſt im Begriff ſtand,
ſein eigenes Haar wieder zu gewinnen, waren von der Natur
ſelbſt Schranken geſetzt, die Frau kannte dergleichen nicht mehr.
Noch um das Jahr 1770 bis gegen 1775 zeigte ſich dieſe Richtung
in verhältnißmäßig beſcheidener Weiſe; aber wieder fünf Jahre
ſpäter iſt das Maß in einer Art überſchritten, daß das Geſicht
im Vergleich zur gethürmten Friſur verſchwindend klein erſcheint.
Cubiſch genommen, dürfte die Behauptung nicht übertrieben
ſein, daß die Friſur oft den zwölffachen Raum des Kopfes ein-
nahm und ihn mit ſeiner drei- und vierfachen Länge in der Höhe
überragte. Die Form dieſer Friſuren iſt im Allgemeinen die,
daß die Haare mit Pomade für jede willkürliche Windung nach-
giebig und haltbar gemacht und mit Puder überſtreut, aus Stirn
und Schläfen über wulſtige Kiſſen nach oben geſtrichen und mit
Nadeln auf denſelben befeſtigt werden; an den Seiten aber ſenken
ſich in größerer oder geringerer Anzahl horizontale Lockenrollen
[279]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
herab, zwei „Bruſtlocken“ umſpielen den Buſen, während die
Haare des Hinterhauptes frei den Rücken herabfallen, was man
à la Conseillère nannte, oder gewöhnlicher mit den Spitzen von
unten wieder aufgenommen und im Nacken als Chignon befeſtigt
ſind. Später umfaßte der Chignon auch andere Formen.


Innerhalb dieſer allgemeinen Umriſſe aber, in welchen die
Phantaſie von der Mode gebannt gehalten wurde, herrſchte wei-
ter kein Geſetz, und es ergingen ſich darin die Launen der Damen
und Haarkünſtler mit einer Freiheit oder vielmehr einer Will-
kür, welche weitaus alles überbot, was nur das funfzehnte Jahr-
hundert von abenteuerlichen und mißgeſtalteten Kopftrachten zu
Tage gefördert hatte. Der Begriff einer Haarfriſur oder Kopf-
bedeckung hört ganz auf; was der Caprice einfällt, mag die
Mythologie, die Geſchichte, die Natur oder ſonſt die umgeben-
den Dinge den Gedanken leihen, es findet ſein Andenken, ſein
Ehrendenkmal, ſein Abbild auf dem Kopf der Damen. Einmal
erfunden und mit Mühe und Noth hergeſtellt, fehlt es alſobald
nicht an Nachahmerinnen, und mit der Schnelligkeit der Mode
fliegt die neue Erfindung durch die civiliſirte Welt, um ſchon am
nächſten Tage von einem andern Haargebäude wieder verdrängt
zu werden. Denn in der That gebiert jeder Tag nicht bloß eine,
ſondern eine Menge ſolcher Ungeſtalten, da jede tonangebende
Dame, jeder Haarkünſtler zu ſolcher Erfindung befähigt war,
und nur die immerwährende Neuheit ihren Modeeinfluß ſicherte.


Obwohl es ebenſowohl unmöglich iſt, die Menge der ein-
ander drängenden und vertreibenden Coiffüren anzugeben, wie
durch die Beſchreibung ein Bild der abenteuerlichen Geſtalten
entſtehen zu laſſen, will ich doch einiger dieſer Sonderbarkeiten
beiſpielsweiſe näher gedenken. Die Dame, welche ſich à la Flore
coiffirte, trug hoch oben auf der ſtarrenden Friſur einen aus den
Haarflechten — wir wollen aber nicht behaupten, daß es ächte
waren — künſtlich gewundenen Korb, der mit natürlichen Blu-
men aller Art angefüllt war. Aehnlich war die Friſur à la
Pomone;
der Korb oder die Schüſſel war aus Taffet fabrizirt,
und darin lagen im Weinlaub Trauben, Limonien, Birnen und
[280]III. Die Neuzeit.
andere Früchte. Noch andere Göttinnen genoſſen das Glück, in
dieſer Weiſe gefeiert zu werden: es gab Coiffüren à la Ceres,
à la Calipso, à la Junon,
und ſelbſt der Minerva Helm, aus
leichtem Seidenſtoff kunſtreich fabrizirt, mit Federn und rauhem
Buſch, prangte auf Damenköpfen. Eine Dame gerieth auf den
Einfall, ihre Friſur mit einem Viermaſter mit ſchwellenden Se-
geln zu krönen — ein Gedanke, von dem man nicht weiß, ob er
ihrer Erfindungsgabe oder ihrem Geſchmack mehr Ehre macht.
Eine andre baute ſich oben ein Zelt mit wehender Fahne, eine
dritte einen vollſtändigen Blumengarten, eine vierte bekränzte
ſich à la Victoire mit einem Wald von Eichen und Lorbeer.
Andere feierten berühmte Perſonen und nannten ihre Coiffüren
caprice de Voltaire oder chapeau à la Hamlet oder à la Bayard,
à la Randan,
letzte nach einer beliebten damaligen Schauſpielerin;
nach der Oper gab es Coiffüren à la Tarare, à la Figaro u. a.
Was ſich nur Bemerkenswerthes auf der Bühne des Lebens oder
der Breter ereignete, wurde auf dieſe Weiſe, man kann nicht
ſagen, verewigt, denn ſchon der nächſte Tag brachte eine andere
Neuigkeit, auch nicht der Nachwelt überliefert, wohl aber be-
ſchäftigte es die Damenköpfe in zwar äußerlicher, doch ſehr
mühevoller Weiſe. Auch geiſtige und ſeeliſche Beziehungen
glaubte man in dieſen Formen ausdrücken zu können; es gab
eine Friſur, die nannte man consideration, andere philosophale,
inclination, à la Philanthropine, à la bonne fortune
u. ſ. w.
Dieſe Namen lauten zwar alle franzöſiſch, aber keineswegs waren
die Pariſerinnen die einzigen, welche den Ruhm der Erfindung
in Anſpruch zu nehmen hatten; er wurde ihnen vielfach von den
Damen Wiens und Berlins und ſelbſt von denen Leipzigs und
Frankfurts ſtreitig gemacht. Später waren die deutſchen Damen
ihrer eigenen Phantaſie ſogar völlig überlaſſen, als die Revo-
lution Frankreich ergriff und erſt die Mode in Paris zum Still-
ſtand brachte und ſie dann in eine andere Richtung hineinwarf.


Allmählig bilden ſich aus der unüberſehbaren, geſetzloſen
Fülle zwei Grundformen heraus, die freilich in ſich wieder die
äußerſte Willkür zulaſſen. Zwar thürmte man das Haar noch
[281]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
wie bisher und verſah es mit den Seitenlocken und dem Chignon,
brachte aber obendrauf entweder einen Hut oder eine Haube
an, jenachdem man ſich en négligé oder en grande parure
kleidete. Negligé iſt nicht grade im heutigen Sinne zu verſtehen,
ſondern man nannte damals ſo jede Toilette, welche nicht feſt-
liche Ballkleidung war oder zu Hofe getragen wurde. Da die
Hoftracht immer im Verhältniß mehr Stabilität hat, ſo iſt es
vorzugsweiſe das Negligé im damaligen Sinne, an welchem die
Geſchichte der Mode vor ſich geht. Der Damenhut, wie er jetzt
auf’s neue wieder aufkommt, iſt nur eine Nachahmung des
männlichen, nicht aber des dreieckigen, ſondern des runden Hutes,
wie wir ihn noch heute ſehen, und der damals zuerſt gegen die
Herrſchaft des dreieckigen auf den Kampfplatz trat. Wir werden
darauf zurückkommen. Aber die Damen trugen ihn in weit viel-
facherer Geſtalt als die Herren, und immer ziemlich grotesk, daß
er ſich noch gegen die mächtige Friſur, die er decken ſollte, in
einigem Anſehn halten konnte. Sie trugen ihn von Caſtor mit
hohem oder niedrigem Kopf, mit ſchmalem oder breitem, auch
rauhem Rande, à l’ourse genannt, und ſie trugen ihn leichter
von Seide, Taffet, geflochtenem Stroh und anderen Stoffen.
Mit Rand und Kopf fingen ſie ein launenhaft phantaſtiſches
Spiel an und wußten hunderte von Formen herauszubringen,
denen ſie Aehren, Blumen, Bänder und viel anderen Schmuck
hinzugeſellten. Hier haben wir den Anfang des modernen Da-
menhutes, der nun in raſchen Lebenszügen eine ſehr wechſelvolle
Geſchichte betritt, die ihn am Ende auf den heutigen und viel-
leicht letzten Standpunkt gebracht hat, denn ſein Kampf mit dem
„letzten Verſuch“, mit „Pamela“ und ihrem Gelichter dürfte ein
verzweiflungsvoller ſein.


Noch weit mannigfacher waren die Formen der Haube, und
man kann ſagen, ſie kannten gar keine Grenzen, denn da ihr
eigentliches Material faſt nur ein Stück Zeug war, ſei es nun
Seide, Atlas, der ſo beliebte Linon oder ſonſt irgend ein klarer,
feiner Stoff, ſo kam es nur darauf an, es in irgend eine Form
zu bringen und mit der Coiffüre zu verbinden. Regeln war
[282]III. Die Neuzeit.
niemand unterworfen. Zu weiterem Schmuck geſellten ſich
dann noch Blumen, Bänder, Perlſchnüre, Blonden und derglei-
chen wie beim Hut hinzu. Von dieſer Willkür und Mannigfal-
tigkeit iſt es nicht möglich, ſelbſt durch einzelne Bilder einen hin-
länglichen Begriff entſtehen zu laſſen: die Kopftrachten drängten
ſich in dieſen Jahren, namentlich von 1780 bis in die neunziger
hinein, in dem Maße hervor, daß ſie faſt den allein intereſſiren-
den Gegenſtand der Modejournale auszumachen ſchienen.


Wenn die Haube zur grande parure gehörte, ſo war ſie
deßhalb doch nicht vom Negligé ausgeſchloſſen, vielmehr gab es
Formen derſelben, welche grade dieſes im heutigen Sinne be-
zeichneten. Das waren z. B. die Dormeuſen und Baig-
neuſen
, Hauben, welche ältere Damen oder Bürgerfrauen der
größeren Einfachheit und Bequemlichkeit halber trugen, aber
auch vornehme Damen aufſetzten, wenn ſie, z. B. in der Kirche
oder auf Promenaden, durch abſichtliches Negligé ſich von den
geputzten Bürgerinnen unterſcheiden wollten. Im Allgemeinen
trug der Hut, namentlich der Caſtor, damals noch etwas revolu-
tionären oder emancipationsſüchtigen Charakter, etwas frei- oder
ſchöngeiſtig Stutzerhaftes, was wir in der Männerwelt noch
näher werden kennen lernen. Einer Art von Hauben, welche
auch zur höchſten Toilette gültig war, müſſen wir noch beſon-
ders gedenken, das ſind alle die Formen, welche man à la Turque
nannte, und deren ſcheinbares Vorbild der Turban war. Wir
ſagen ſcheinbares, denn man hätte ihn kaum ohne es zu wiſſen
in dieſem weißen oder farbigen Stoff erkannt, der ſich nicht um
die Stirn, ſondern um die Friſur einen oder anderthalb Fuß
höher in phantaſtiſcher Weiſe herumſchlang. Die Vorliebe für
das à la Turque, welches auch auf die Robe überging und ſich
noch länger in wechſelnden Formen gegenüber dem à la Grecque
erhielt, verdankt ihre Entſtehung dem Intereſſe, welches man
in der Friedenszeit der achtziger Jahre an dem Türkenkriege
nahm.


Als die hohen Hauben in ihre Blüthezeit traten, näherte
ſich der Reifrock, wenigſtens bei dem gewöhnlichen Anzug,
[283]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſchon wieder ſeinem Falle. Mit dem Beginn des achtzehnten
Jahrhunderts zum zweiten Male in’s Leben gekommen, fällt ſein
Werden und Wachſen mit dem Sinken der Fontange und mit
der kleinen Friſur zuſammen, ſo daß wir die ganze Regirungs-
zeit Ludwigs XV. als ſeine vorzüglichſte Periode betrachten
müſſen. Man ſagte damals von den Frauen:


„Was ihnen an der Höh’ des Hauptes iſt benommen,

Daſſelbe haben ſie an Breite itzt bekommen;

Das Fundament wird weit, der Gipfel aber klein,

Und alles muß dabei nicht nach der Baukunſt ſein.“

Die neue Mode trat ſofort in ſolcher Ausdehnung auf,
daß ſchon im Jahr 1714 ſich eine litterariſche Fehde darüber er-
hob, welche ſich in Spottſchriften für und wider fortſetzte. Es
liegt uns von dem genannten Jahre eine, wie es ſcheint, ernſt-
lich gemeinte Vertheidigungsſchrift vor, welche den Titel führt:
„Eines Galanten und gelehrten Frauenzimmers Gutachten von
zwey curieuſer Leute Sentiment über die Contuſch- und Reiffen-
Röcke. Gedruckt in Meiſſen Anno 1714.“ Es mußte alſo be-
reits ein doppelter Angriff vor ſich gegangen ſein, gegen den
Reifrock wie gegen die Contuſche, ein durch jenen erſt entſtan-
denes Kleidungsſtück. Die Schrift wirft nicht mit Unrecht die
Vorwürfe auf die Männer und ihre Perrücke zurück und bringt dann
zum Lobe des Reifrocks und ſeines Erfinders unter anderem fol-
gendes vor: „Ja der kluge Erfinder deſſelben hat allerdings
verdienet, daß er von den Edelſten unſers Geſchlechtes mit bil-
ligen Panegyricis bei Lebenszeit bis in Himmel erhoben, bei
ſeinem Abſterben aber, wie einſtens Mons. Frauenlob, zu Grabe
getragen worden wäre, und daß man ihm den allermöglichſten,
uns aber nicht disreputirlichen Douceur in gewiſſen Jubilaeis
machte und den Tag der Erfindung mit einigen Freudenbezei-
gungen feierlich beginge. Denn, bedenket nur, geliebte Schwe-
ſtern, was vor Nutzen und Bequemlichkeit hat er uns durch
ſeine kluge Erfindung zuwege gebracht. Es iſt einmal nicht nur
unter uns, ſondern unter dem männlichen Geſchlechte eine aus-
[284]III. Die Neuzeit.
gemachte Sache, daß man zwar ein von der Natur wohlgebilde-
tes Frauenzimmer lobet, diejenige aber, die ſie dabei mit einer
geſchickten Taille verſehen, den andern vorziehet. Abſonderlich
hat das helle Perſpectiv des männlichen Auges an uns wahrge-
nommen, daß uns etwas dicke Hüften einen ſonderlichen Ornat
geben, mit wenigen, daß der etwas dicke Untertheil unſeres Kör-
pers unſern Gang und Tanz ſonderlich ziere und um ein großes
Theil anſehnlicher mache, als wenn ein Mägdchen wie ein Rock-
Stecken oder anatomirter Hering ausſehe.“


Wenn die Männer die vollen Hüften der Damen liebten,
ſo war ihnen ſchwerlich mit ſolchem falſchen Erſatz gedient.
Aber das war nicht allein der Punkt des Angriffs und der Ver-
theidigung. In einem andern fliegenden Blatt von 1738 kom-
men im Zwiegeſpräch die folgenden Verſe vor:


Eraſto.
„Es iſt doch wahr, daß dieſe Tracht

Das Weibsvolk ganz unkenntlich macht:

Sie ſehen wie die kleinen Spinnen,

Die machen viel Geſpinnſt, und ſitzen mitten drinnen.

Silinde.
„Nein! dieſer Staat iſt nicht zur Pracht,

Vielmehr ganz klüglich ausgedacht:

Die Damen dürfen nicht ſo ſchwitzen,

Die Arme könen ſich auch auf die Sättel ſtützen.

Eraſto.
„Und eben dieſer Pomp und Paus

Sieht juſt als wie ein Nähpult aus;

Muß man dann nicht zur Schande ſagen:

Das Frauenzimmer mag nicht mehr die Arme tragen?

Silinde.
„Die Arme thun’s allein noch nit,

Der Fuß hat einen beſſern Schritt:

Man kann auch viel geſchwinder gehen,

Und darf die vielen Schürz’ nicht heben und verdrehen.“

Der Grund, welcher gewöhnlich zur Vertheidigung des
[285]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Reifrocks vorgebracht wird, daß er kühl halte und vor der Hitze
des Sommers ſchütze, wird an anderer Stelle mit folgenden
Verſen abgelehnt:


„Wie kommt es, daß man auch im Winter alſo gehet,

Wann oft ein rauher Nord auf unſre Glieder wehet?

Warum legt man alsdenn den Reifrock nicht von ſich?

Doch nein, es kann nicht ſein, denn jetzt beſinn’ ich mich,

Weßwegen ich nur dies zu einer Nachricht melde:

Was vor die Hitze hilft, das hilft auch vor die Kälte.“

Weitere Vorwürfe vom Standpunkt der Männer aus erfah-
ren wir in einem andern fliegenden Blatt, welches ſchon der zwei-
ten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts angehört und allzufrüh
den Reifrock bereits wieder verbannt glaubt. Der dazu gehörige
Kupferſtich ſtellt dar, wie ein mächtiger Reifrock von zwei Män-
nern mit einer Stange auf den Schultern zum Thore hinaus-
getragen wird. Unter den begleitenden Verſen finden ſich die
folgenden:


„Den Reifrock pfleget man vorjetzt ſehr weit zu nehmen,

Daß ſich die Glocken ſelbſt vor ihnen müſſen ſchämen;

Weil ſie bei Weitem nicht von ſolchem Umfang ſeyn;

Zwei Reifröck’ nehmen juſt die breiten Gaſſen ein.

„Dann ſieht man eine Dam’ jetzt in die Kirche gehen,

So muß ſie ſich halb rechts und bald halb links verdrehen,

Bis ſie ſich durch die Leut’, mit ihrem Reifrock ſchwenkt,

Und mit viel Müh und Schweiß zu ihrem Stuhl hindrängt.

„In Kutſchen ſehen ſie, als wie die Wolkenſitzer,

Man ſieht von ihrem Aug kaum einen ſcharfen Blitzer;

Dieweil der Reifrock ſich in alle Höh’ erſtreckt,

So, daß er manchesmal das halb Geſicht bedeckt.

„Es kann kein Cavalier mehr neben ihnen gehen,

Er muß beinah drei Schritt vom Frauenzimmer ſtehen;

So, daß ja, wann er will von ihnen einen Kuß,

Er ſolchen mit Gefahr des Lebens wagen muß.

„Denn wer das Honig will von ihren Lippen ſaugen,

Der muß jetzt Stühl und Bänk und Feuerleitern brauchen,

Bis er zum Purpurmund nur hingelangen kann,

Und mit viel Angſt und Müh ſein Opfer bringet an.“

[286]III. Die Neuzeit.

Wir brauchen hier keine Vergleichung mit der neueſten
Gegenwart aufzuſtellen, ſie ergiebt ſich in allen Einzelheiten von
ſelbſt; ſo auch in der folgenden Beſchreibung, die ein medizini-
ſcher Schriftſteller mittheilt: „Der glockenartige Reifrock iſt vorn
und hinten ſo zuſammengedrückt, daß er eiförmig wird. Er be-
ſteht aus vier Reifen von elliptiſcher Form, deren einer immer
größer iſt als der andere. Der untere, als der weiteſte Reifen,
hat gemeiniglich ſieben bis acht Ellen im Umfang der ganzen
Weite nach, weniger die aufwärts folgenden, der oberſte nurvier
Ellen. Am oberſten Reifen ſind auf beiden Seiten zwei Halb-
zirkel, Bügel genannt, angeheftet, davon der unterſte Bügel
nicht ſo weit und groß iſt als der darauf folgende oberſte Halb-
zirkel. Die Bügel haben den Nutzen, daß der Reifrock oben
nicht ſogar ſpitzig zulaufen und von einem allzuengen Raume
ſich nicht auf einmal in die Weite ausbreiten möchte. Die Rei-
fen ſind aus Fiſchbein oder Rohr; ſie ſind eine halbe Elle von
einander entfernt, der Zwiſchenraum iſt mit linnenem, wollenem
oder ſeidenem Zeuge ausgefüllt, auch mit Bändern und Treſſen
beſetzt. Darüber werden nun die weiten Röcke und Kleider ge-
zogen.“


Wie heute wurden auch damals die Reifen häufig aus
Stahl ſtatt aus Fiſchbein gemacht. Letzteres ſtieg bedeutend im
Preiſe, worüber die Mägde ſich zu beſchweren begannen, da ſie
zu ihren geſteiften Miedern viel Fiſchbein bedurften. Ein ver-
ſifizirtes fliegendes Blatt behandelt dieſen Gegenſtand und läßt
ſogar die Mägde ihre Klage vor die Obrigkeit bringen. Es
heißt darin:


„Man klaget ſonſt auch noch bei dieſer neuen Tracht,

Daß man das Fiſchbein hat dadurch ſehr rar gemacht,

Sodaß daſſelbige an allen End und Orten,

Wie jedermann wohl weiß, viel theurer iſt geworden.

„Es iſt das Mägdevolk darüber voll Verdruß,

Weil es das Fiſchbein itzt ſo theuer zahlen muß,

Wenn es ſich etwa will ein Mieder machen laſſen;

Da ſchwört und fluchet es und fänget an zu raſen.

[287]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
„Da heißts: der Henker hol doch unſrer Frauen Pracht,

Dieweil ſie das Fiſchbein ſo theuer hat gemacht.

Man hat vor kurzer Zeit mir vor gewiß geſaget,

Daß ſich das Mägdevolk beim Richter hab beklaget“ ....

Dann folgt die Supplik der Mägde. Wir können auch heutiges
Tages die Erſcheinung wahrnehmen, daß das Fiſchbein in Folge
der Crinoline im Preiſe ſteigt.


Anfangs profilirte ſich der Reifrock, wie er unten einen
Kreis bildete, in der Höhe gleich einem Halbkreiſe, ſodaß alſo
die ganze untere Hälfte einer Dame völlig die Geſtalt einer
Halbkugel hatte. Aber dies Maß war noch zu beſcheiden:
theils wuchs der Reifrock an Ausdehnung, theils hob er ſich an
den Seiten über den Hüften, ſodaß Arme und Ellbogen bequem
darauf ruhen konnten, wie das ſchon oben in den Verſen ange-
deutet war. Da nun ſeine Ausdehnung ſo gewaltig wurde, daß
er nicht die Thüren, nicht einmal die Flügelthüren der Palaſt-
ſäle paſſiren konnte, ſa erfanden die Damen ein Mittel, die
ſchwierigen engen Paſſagen zu defiliren. Die hintere und vor-
dere Seite wurden flacher zuſammengedrückt, wodurch freilich die
Geſtalt en face noch an Ungeheuerlichkeit gewann; aber wenn
die Dame nun eine Schwenkung machte, ſo konnte ſie mit eini-
ger Unbequemlichkeit Thüren und Corridore wie ein Schiff die
Canäle paſſiren. Komiſch war es nun, einen Herrn ſich da-
neben geberden zu ſehen, der ſie etwa zu führen hatte. Ohnehin
vertrat er mit engem Frack, Kniehoſe und Strümpfen die mög-
lichſte Stockähnlichkeit gegenüber ihrer aufgeblaſenen Weite.
Die Führung konnte natürlich nur mit der Hand geſchehen, da
er ſich nicht ſoweit nahen konnte, ihr den Arm darzubieten.
Zur Seite ſtehend, hätte er oftmals kaum die Hand zu erreichen
vermocht; er trat darum einen bis zwei Schritte ſchräg voraus,
und ſo faßte er zurückgebogen ihre Fingerſpitzen zierlichſt mit den
ſeinigen.


Der Reifrock wurde völlig allgemein; er verbreitete ſich
durch die höheren Stände bis tief in die bürgerliche Welt herab,
bis auf’s Land zur Frau Pfarrerin nebſt Töchtern, und ſelbſt die
[288]III. Die Neuzeit.
Dienſtmägde ſuchten zu ihren fiſchbeingeſteiften Miedern im
ſonntäglichen Putz die Hüften zu erweitern. Im engen Ge-
dränge, im Schauſpiel und in der Kirche, wo die Sitze abge-
meſſen waren, zeigte ſich dieſe Mode beſonders läſtig, und es
mag daher die Geſchichte des Städtchens Fürſtenau nicht ver-
einzelt daſtehen. Hier nahm die Frau Paſtorin zuerſt zwei
Kirchenſitze für ihre Perſon in Anſpruch, aber das Recht wurde
ihr beſtritten, und der darauf folgende Prozeß entſchied gegen
ſie. Auch heute reicht oft ein Sopha nur für eine Dame aus.


In der erſten Periode des Reifrocks im ſechszehnten Jahr-
hundert, hatte die Vertugalla ihr männliches Gegenſtück in der
Pluderhoſe und Puffhoſe gefunden; jetzt blieb es bei der engen
Kniehoſe. Aber doch findet ſich eine ähnliche Erweiterung,
wenn es auch mehr als vorübergehende Mode betrachtet werden
muß, daß die Herren mit Fiſchbein oder ſonſt in künſtlicher
Weiſe die Schöße ihrer Röcke auszubreiten ſuchten. Sie hielten
damals viel auf eine ſchlanke Taille. In dem oben angeführten
fliegenden Blatt ſagt darum Silinde zu Eraſto:


„Seht eure ausſtaffirten Röck,

Sie ſehen, wie die Schwärmerſtöck,

Sie breiten ſich aus wie die Drachen,

Die ſich den Augenblick zum Fliegen fertig machen.“

Und unter den Verſen des „deutſchen Franzoſen“ hieß es:


„Der Rock kann mit dem Reifrock ſtreiten.“

Im Hofleben hielt ſich der Reifrock in ſeiner grotesken Ge-
ſtalt bis zur franzöſiſchen Revolution, wenn er auch einige
Stöße und Angriffe erleiden mußte. Kaiſer Joſeph war der
erſte, welcher ihn vom Wiener Hofe verbannte, wo bis dahin
demſelben ſieben Ellen Weite vorgeſchrieben waren; er erlaubte
jedermann nach Belieben in moderner Kleidung zu Hof zu ge-
hen. In der gewöhnlichen Tagestracht des damaligen ſ. g. Ne-
gligé ſinkt er ſchon ſeit dem Jahr 1770 wieder zuſammen,
während ihn die Grande Parure nach wie vor auch in der
vornehm bürgerlichen Welt erforderte. Schon um das Jahr
[289]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
1780 können wir weibliche Geſtalten ſehen, denen der Rock flach
und ſenkrecht von den Hüften herabfällt. Wenn wir hieran auch
erkennen mögen, daß wir uns einer andern Zeit nähern, ſo war
derſelben doch keineswegs ein ſo friedlicher Triumph geſtattet.
Es geſchieht noch im Geiſte der alten Zeit, im Geiſte des
Zopfes und des Reifrocks, wenn nun ſtatt des letzteren die fal-
ſchen Culs und Bouffanten in Mode kommen, und was die Ge-
ſtalt en face verliert, ſomit das Profil der Rückſeite ihr wieder
zulegt.


Mit dem Fall des Reifrocks und dem Wachſen des Culs
kehrt auch die Robe in ihre alten Rechte zurück. Vor der unge-
meſſenen Weite ihrer Unterlage war ihr im gewöhnlichen Leben
kein Raum mehr übrig geblieben, und ſie wurde daher bis in
die letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts nur zur höchſten Gala
getragen. Dann wird ſie wieder allgemeiner, doch ohne die
lange Schleppe, welche die Periode Ludwigs XIV. ausgezeichnet
hatte. Das Unterkleid, welches mit Falbeln, Volants, Blon-
den und Stickereien unten reich beſetzt wurde, mußte immer
ſichtbar bleiben, und deßhalb wurde der Rock der Robe ſtets
rundum in ſehr mannigfaltiger Weiſe aufgebunden. Erſt der
Gräkomanie der neunziger Jahre erlag die Robe gänzlich.


Eine häufige Erſetzung der Robe in der Zeit des Reifrocks,
häufiger aber noch des Mantels, bot die ſ. g. Contouche dar.
Das Frauenzimmerlexikon (1715) beſchreibt ſie auf folgende
Weiſe: „Contouche iſt ein auf abſonderliche Art aus allerhand
ſeidenen auch wollenen Zeugen verfertigter weiter Ueberzug und
halbes Oberkleid, ſo faſt einem weiten und langen Manteln mit
Aermeln gleichet, und deſſen ſich das Frauenzimmer ſowohl in-
als außerhalb des Hauſes zu ihrer commodité bedienet, und
ſelbigen mit einem Bande oben über die Bruſt vornher zuzu-
binden pfleget; diejenigen, ſo man in dem Hauſe trägt, ſind
etwas kürzer als die andern und werden, weil ſie ganz klein und
kurz ſeind, von etlichen auch Coſſäcklein benennet.“ Die Con-
touche ſchloß demnach über den Schultern an und erweiterte ſich
dann ohne alle Taille, ſodaß die Trägerin mit ihr, mochte ſie
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 19
[290]III. Die Neuzeit.
nun länger oder kürzer ſein, einem wohlgebildeten Kegel mit
ſehr breiter Baſis im Verhältniß zur Höhe gleichkam. Es war
alſo von der menſchlichen Geſtalt nicht viel übrig geblieben,
Kopf und Arme ausgenommen. Im Uebrigen war aber nichts
dagegen einzuwenden, da ſie zu Hauſe bequem war, draußen
den Mantel gut vertrat und unter allen Umſtänden den untern
Putz ſchützte. Dennoch fand ſie ihre männlichen Gegner und
bedurfte ſchon 1714 der weiblichen Vertheidigung, wie wir das
oben geſehen haben. Spott und ernſte Angriffe halfen auch hier
nicht, ſondern bewirkten vielmehr das Gegentheil. Jene Ver-
theidigung ſchließt mit den Worten:


„Laßt Mopſum immer auf Contuſch und Reifenröcke

Verleumdungspulver ſtreun bei einer jeden Ecke,

Sucht ihm vielmehr zum Trotz darinnen ſtets zugehn,

Weil ſie commode ſein, daneben artig ſtehn.“

So lange wie der Reifrock oder Culs und Bouffanten in
Blüthe ſtanden, ſo lange lebte auch die Schnürbruſt, denn
eines bedingte das andere, da es ja darauf ankam, die
Schlankheit der Figur — d. h. nach der Auffaſſung jener Zeiten —
durch den Gegenſatz zu heben. Demnach ruht der Obertheil des
Körpers mit dem möglichſt kleinen Umfang auf den ins Unge-
heure ausgedehnten Hüften. Ebenſo erforderte die Schmalheit
der Taille wieder ihre übertriebene Länge. Auch hier trat erſt
die Revolution mit ihrer Gräkomanie umgeſtaltend ein.


Dieſelbe bewirkte auch die endliche Umbildung der weib-
lichen Fußbekleidung. Bis dahin hatten ſich nach wie vor
die hohen Abſätze gehalten, um ſo mehr da die Füße mit viel
bedeutenderer Wichtigkeit auftraten, ſeitdem das Reifengeſtell
rundum das Kleid hob und die Füße ſichtbar machte. Zum
erſten Mal war eigentlich jetzt in der Geſchichte der weiblichen
Kleidung der Damenfuß völlig emancipirt und gehörte nun zu
den ſichtbaren Reizen, während man früher ſeine Schönheit viel-
mehr hatte ahnen müſſen und laſſen. Das blieb auch, als der
Reifrock ſank; ſelbſt die franzöſiſche Revolution mit ihrem à la
[291]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
grecque und die Reſtauration konnten und wollten dieſe Zierde
nicht wieder verbergen. Hatten aber die Damen ſchon von jeher
viel auf eine zierliche Fußbekleidung gegeben, ſo war ſie jetzt zur
Nothwendigkeit geworden. Der Schuh, vorne ſpitz geformt,
deckte gewöhnlich nicht viel mehr als die Zehen und war na-
mentlich hinten und an den Seiten äußerſt ſchmal; doch kamen
auch halbſtiefelartige Formen nicht ſelten vor. Immer hatte er
ſehr hohe gefärbte Abſätze, welche im Contour ſchön geſchweift
waren. Sein Stoff war das feinſte farbige Leder, gewöhnlicher
aber noch Seide oder Atlas, ſeine Zierde Stickerei und Bänd-
chen und Schnalle. Draußen bei ſchlechtem Wetter wurden Ga-
loſchen verſchiedener Art getragen, welche, wie die hohen Abſätze,
den Gang keineswegs erleichterten.


Wie wir das modiſche Coſtüm bis hierher als ein der Zopf-
zeit eigenthümlich angehörendes haben kennen lernen, mit der
Puderfriſur, ſei ſie hoch oder niedrig, ſei ſie Schwanzperrücke
oder Eigenzopf, mit der Nüchternheit der männlichen Erſchei-
nung und der Aufgeblaſenheit der weiblichen, ſo fand es in der
ganzen civiliſirten Welt noch bei weitem größeren Eingang als
die Staatsperrücke und ihr Gefolge. Denn vor dem Zopfcoſtüm
beginnt ſelbſt in Rußland und Polen das Nationalcoſtüm, we-
nigſtens weiblicherſeits, zu wanken, und in Deutſchland weichen
ſogar die kaum conſolidirten Volkstrachten in bedenklicher
Weiſe vor ihm zurück. Wenn wir von den Amtstrachten ab-
ſehen, welche erſt die franzöſiſche Revolution oder in ihrem Ge-
folge die veränderten Stadtverfaſſungen beſeitigten, ſo verliert
ſich aus den Städten im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts
alles dasjenige wieder, was das ſechszehnte und ſiebzehnte an
original ſcheinenden Formen zurückgelaſſen hatte, oder es bleibt
einzig und allein bei gewiſſen arbeitenden Claſſen ſtehen. So
können wir z. B. in Hamburg und Lübeck bei den Packern, Trä-
gern und andern Handlangern des kaufmänniſchen Verkehrs noch
heutiges Tages die weite Kniehoſe in der Form wie zur Zeit
des dreißigjährigen Kriegs nebſt Strümpfen und Schuhen fin-
den. Die geſammte bürgerliche Welt, ſoviel ſie ſich nur einiger-
19*
[292]III. Die Neuzeit.
maßen der Selbſtſtändigkeit erfreut, bis auf den einfachſten
Handwerksmann mit Frau und Tochter legen der Aeltern und
Großältern Kleidung ab und folgen der Mode, ſo gut es eben
gehen will. Es ſind darum auch nicht mehr beſtimmte Vor-
rechte, beſtimmte abgeſtufte Preiſe der Stoffe oder des Schmuckes,
welche die willkürlich von oben her feſtgeſetzten Stände oder
Claſſen ſcheiden, nicht mehr neue und veraltete Moden, ſondern
der Geſchmack allein, der wahre oder vermeinte, wie er grade in
zeitgemäßer Weiſe herrſchte, und neben dem Geſchmack die im
Vermögenszuſtand liegenden Gränzen.


Dieſes Zurückweichen der Volkstrachten vor dem Zopfcoſtüm
iſt ebenſo deutlich, wenn auch nicht mit derſelben Ausnahms-
loſigkeit, auf dem Lande zu bemerken. Wenn wir weiter keine
Nachrichten darüber hätten, ſo würden wir aus dem Reſultat,
wie es uns heute vorliegt, den vollgültigſten Beweis ſchöpfen
können. Wir mögen die deutſchen Volkstrachten muſtern bis
überall an die Gränzen der deutſchen Zunge, von dem Hirten
des Berner Oberlandes und der Sennerin an bis hinab zum
Marſchbauern, zum Ditmarſen, Frieſen und Holländer, vom
Rheine bis nach Mähren und zur Memel, wir werden kaum
irgend eine Tracht finden, die in unzerſtörter Vollſtändigkeit
aus einer dem Zopf voraufgehenden Periode datirte. Viel-
mehr iſt der größte Theil desjenigen, was uns noch heut zu
Tage in bunter Vermiſchung der Zeiten und Formen als Volks-
tracht entgegentritt, der Periode des Zopfes und zwar der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zuzuſchreiben, ſo ſehr, daß
uns oft die ganzen Figuren, Männer wie Frauen, gleich leben-
digen, nur allerdings verbauerten Repräſentanten der glorwür-
digen Coſtümperiode Ludwigs XVI. vorkommen. Nicht minder
werden wir noch kräftig an die Löwen und Löwinnen der Revo-
lution gemahnt, und ſelbſt Erinnerungen an die Anfänge des
neunzehnten Jahrhunderts können wir nicht abweiſen. Dieſe
Umwandlung der Volkstrachten macht ſich in ſo bedeutender Weiſe
geltend, daß man von der Herrſchaft des Zopfes an ihre zweite
Bildungsperiode beginnen könnte.


[293]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.

Wenn dieſe Erſcheinung einerſeits im ganzen Weſen der
Zeit begründet liegt, ſo fand ſich doch auch eine Urſache, die in
directerer Weiſe mitwirkte. Wir müſſen uns erinnern, daß die
Periode des Zopfes auch die einer „erleuchteten und aufgeklär-
ten“ Büreaukratie iſt. Der Büreauſtaat, der bekanntlich alles
ſchematiſirt und auf Regeln zieht, liebt die Gleichmacherei, und
ſo waren die bunten Volkstrachten ein ſchreiender Mißklang in
dem farbloſen Bilde ſeiner Weltanſchauung. Wie er alle Häuſer
weiß anſtrich, die Ornamente herunterputzte und die Geſimſe
herabſchlug, um blanke Fläche zu haben, ſo hätte er auch am
liebſten die ganze Welt mit dem Puder ſeiner Altklugheit über-
ſtreut und ihr den Zopf angehängt, den er ſelber trug. Zumal
da die Volkstracht keineswegs eine billige Kleidung zu ſein
pflegte, ſo vermeinte er zugleich dem Luxus zu ſteuern, wenn er
ihr opponirte. Ein Geſetz, welches dahin zielte, war namentlich
die Verordnung, die vom Kurfürſten Maximilian Joſeph 1749 für
München erlaſſen und in den folgenden Jahren wiederholt und
eingeſchärft wurde. Gegen die reichen Goldborten vorzugsweiſe
gerichtet, traf ſie vor allem die Riegelhauben und die goldenen
Bruſteinſätze der Münchner Bürgerfrauen. Die Execution wurde
mit wenig Rückſicht ausgeführt. Als am Neujahrstage 1750
früh zwiſchen ſechs und ſieben Uhr die Frauen in ihrem Staat
zur Kirche gingen, wenig bekümmert um das vorher erlaſſene
Mandat, ſtanden ſchon die Amtsdiener bereit und riſſen ihnen
die goldbordirten Hauben vom Kopf und die goldenen Bruſtſtücke
aus dem Mieder. Andere Frauen hatten bis zur Kirche ſchwarze
Hauben getragen und dann unter dem Portal die goldenen auf-
geſetzt, welche ſie verborgen mit ſich gebracht hatten: allein es
wurde den Amtsleuten bekannt, und als ſie aus der Kirche
traten, wurden ſie unterſucht und des verbotenen Schmuckes
beraubt. Mit den Frauen der Rathsherren hatte man öffentlich
etwas mehr Schonung, aber man notirte ſie und legte ihnen auf
die Nacht militäriſche Execution in’s Haus.


Wenn es nun auch hier und da der Büreaukratie und mehr
noch dem allgemeinen Geiſte des Zopfes gelang, einen ſtarken
[294]III. Die Neuzeit.
Riß in die Volkstracht zu machen, ſo kam es doch nicht ſoweit,
daß auch die Urſachen zu jeglicher Fortbildung derſelben mit der
Wurzel ausgeriſſen wurden. Denn kaum iſt dieſe Periode vor-
über und die Menſchheit in eine neue Bahn geſchleudert, ſo
bleibt das Landvolk, wenn auch nicht beim Zopfe ſelbſt, doch
bei der Zopftracht ſtehen und conſolidirt ſie wieder zu localer
Eigenthümlichkeit. Dies iſt in Verbindung mit den Ueberreſten
der älteren Volkstracht dasjenige, was wir heute ſehen und was
ebenfalls nun wieder dem Ausſterben nahe erſcheint.


Grade als die Herrſchaft des Zopfes unter der Protection
der erleuchteten Büreaukratie und der berühmten „Aufklärung“
in die ſchönſte Blüthe trat, gleich nach der Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts, beginnt auch die Gegenwirkung im natura-
liſtiſchen Sinne
ſich zu regen. Es iſt die Litteratur, welche
diesmal den Vortritt hat, denn nicht im ſocialen Leben der hö-
fiſchen und der vornehmen Kreiſe überhaupt, und noch weniger
in der einfach bürgerlichen oder ſpießbürgerlichen Welt, dem da-
maligen Sitz des Philiſterthums, haben wir dergleichen zu ſuchen.
Der Staat hat dieſe harmloſe Welt in ſeine vormundſchaftliche
Pflege genommen und iſt bemüht, ſie wie ein unſchuldiges, un-
mündiges Kind vor allen Gefahren des öffentlichen Lebens zu
bewahren; nur die Aufklärung, obwohl ſie ſonſt die Schweſter
der Büreaukratie iſt, deſſelben Geiſtes Kind und ihre beſte
Freundin, betritt doch oft in ihrem Eifer, „das Licht der Vernunft“
auszubreiten, gefährliche Bahnen, indem ſie das Hohe und das
Heilige mit flacher Pietätloſigkeit betaſtet, nicht anders es be-
trachtend wie das Gewöhnliche und Gemeine. Wir können die
Folgen davon in wachſender Frivolität bis zur Revolutions-
periode auch in Deutſchland verfolgen. Im Ganzen aber lebte
das Bürgerthum, wozu ich auch die Maſſe der ſ. g. Gebildeten
rechnen will, ſtillzufrieden unter ſeiner Vormundſchaft. Dieſe
Zeit, „da der Großvater die Großmutter nahm“, iſt die Zeit be-
haglich ruhigen Daſeins und bornirter Philiſtergemüthlichkeit,
[295]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
da man von aller Oeffentlichkeit abgezogen die harmloſen Ge-
ſellſchaftslieder von Roſen und Veilchen und dem Pfeifchen voll
Knaſter ſang, da man ſich die zarten, blumigen Stammbuchverſe
ſchrieb mit den Verſicherungen ewiger Liebe und Freundſchaft
und den Vergißmeinnichtkranz dazu malte oder in ſentimentaler
Rührung unter der Trauerweide den bemooſten Stein und den
Aſchenkrug.


Das war eigentlich die einzige Oppoſition, welche dieſe
Welt den unnatürlichen Zuſtänden, von denen ſie wohl ein Ge-
fühl, aber kein Bewußtſein hatte, zu bieten wagte: Sentimen-
talität und Thränenſeligkeit. Wie dem kummerbedrückten Men-
ſchen unter Thränen die Erleichterung des Herzens kommt, ſo
fand auch dieſe an Seele und Charakter kranke Welt Troſt und
Beruhigung und endlich ſelbſt Genuß und Vergnügen in Thränen-
bächen. Man glaubt ſie rinnen und rieſeln zu hören, ſeitdem
Miller’s Siegwart die Schleuſen geöffnet hat — ſo reichlich fließen
ſie. Dieſer Zug der Wehmuth, der die Harmloſigkeit des Da-
ſeins unterbricht, iſt das unbewußte Suchen und Sehnen nach
der verlornen Natur und Wahrheit, die man erſt im Donner-
ſturm der Revolutionsperiode wieder finden ſollte. Daß das
Gewitter ſo nahe ſei, davon hatte man in dieſen Kreiſen keine
Ahnung: hier trank und ſang man, liebte und küßte, ſprach von
den Angelegenheiten des Hauſes und des Herzens, und dann
ging man hinaus, ſah in den Mond, der bei ſolchen Gelegen-
heiten immer ſchien, und löſte ſich in Thränen ſeliger Rührung
auf — man wußte nicht warum und wie. Und natürlich, wie
die Menſchen weich und wehmüthig wurden, ſo ſchlugen die
Nachtigallen klagender, Nachtviolen und Levkojen und Apfel-
blüthen dufteten ſüßer, den Schafen und Ziegen gingen die
Augen über — kurz, die belebte und unbelebte Natur gab den
Menſchen ihre volle Theilnahme zu erkennen.


Dieſem ganzen ſtädtiſchen und ländlichen Idyllenweſen,
dem geßneriſchen wie auch dem voſſiſchen, der thränenfeuchten
Siegwarterei und dem halberſtädtiſchen Freundſchaftsbunde, der
oberflächlichen Aufklärung und eben ſo der Geheimbündelei,
[296]III. Die Neuzeit.
dem allen klebt der leibhaftige Zopf an, freilich ohne daß er den
Trägern ſichtbar wird, da er eben hinten hängt. Aber daneben
giebt es andere Geiſter, die in anderer Weiſe aber nicht minder
kräftig als Rouſſeau der Unnatur opponiren. Während die einen
befriedigt in eitler Selbſtgefälligkeit bloß mit ſich und der Freund-
ſchaft beſchäftigt ſind, durchbrechen andere gewaltſam die conven-
tionellen Schranken der Sitte und des Lebens und in gleichem
diejenigen Feſſeln, welche der klügelnde Verſtand, der Schema-
tismus und Dogmatismus dem Dichten und Denken angelegt
haben. So tritt der harmloſen Bornirtheit die Sturm- und Drang-
periode gegenüber, der weinenden Empfindſamkeit die urwüchſige
Kraftgenialität.


Wenn dieſe nach Freiheit und Feſſelloſigkeit drängende Be-
wegung auch zunächſt und vorzugsweiſe in der Litteratur ihren
Kampfplatz fand, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß die Stürmer
und Dränger auch den übrigen Zwang bei Seite warfen und ſich
im ſocialen Leben als dieſelben bethätigten, als welche ſie in der
litterariſchen Welt auftraten. Ein Lenz und Klinger, die Stol-
berge und andere, die Weimaraner gefielen ſich in kraftgenia-
liſchem Toben, wenn ſie auch alle, Lenz ausgenommen, der als
Opfer des Sturmes und Dranges fiel, wieder zur Sitte und
Ordnung zurückkehrten; und ſelbſt Schiller ſchrieb nicht bloß die
Räuber, er entfloh auch dem unerträglichen Zwange zu Stutt-
gart. In dieſer ſocialen Beziehung freilich blieb ihr Einfluß ge-
ringer als in der Litteratur, da ſie für ſich ſtanden und zunächſt
nur ihre Umgebung hinzureißen vermochten. Aber es ſchloß ſich
ihnen dann, wenn auch in gemäßigterer Weiſe, die ganze Claſſe
der Schön- und Freigeiſter an.


Es iſt nicht ſchwer, dieſe Bewegung der Geiſter auch am
Coſtüm zu erkennen, und wir haben außerdem noch directe Zeug-
niſſe darüber. Es mag übertrieben ſein, wenn Böttiger von
einem der Kraftgenies, dem Schweizer Kaufmann, erzählt, daß
er, „um ſeinen Genieberuf zu beurkunden, in einer grünen Fries-
jacke, mit entblößter Bruſt, mähnenartig flatternden Haaren und
einem gewaltigen Knotenſtock“ in Weimar einhergegangen und
[297]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſo in der Fürſtin Zimmer und an des Fürſten Tafel gekommen
ſei; dennoch liegt Wahrheit darin. Viele, die an der Bewegung
theilnahmen, ließen den Puder beiſeit, zauſeten den Zopf aus-
einander und gingen in langem, wild durchwirrtem Haar einher.
Derartige Portraits, namentlich von Künſtlern, treffen wir ſehr
häufig an. Oft ſcheint es uns, als ob wir eine vollſtändige An-
ticipation der franzöſiſchen Revolutionstrachten vor uns hätten;
denn auch das Hemd öffnet ſich, wie von Kaufmann erzählt
wird, und Frack, Weſte und Beinkleid werden locker, weit und
ſchlottrig.


Aber dieſes wilde Coſtüm blieb nur die Auszeichnung der
extravaganteſten Genies; die große Menge der Schön- und Frei-
geiſter, welche damals eine bedeutende und einflußreiche Claſſe
der Geſellſchaft ausmachten, trugen ſich zwar als die vom Zeit-
geiſt Emancipirten in beſonderer und in einer den Augen der
damaligen Welt immerhin ſehr auffallenden Weiſe, doch keines-
wegs in phantaſtiſch oder unanſtändig übertriebenen Formen.
Ihre bedeutungsvollſten Kennzeichen waren der runde Cylinder-
hut
und der Stiefel, wozu allenfalls noch der Stock ſtatt des
Degens kam; doch muß man hinzufügen, daß auch der ein-
fache Frack
, unbordirt und von ungeblümtem Stoff, im Ge-
genſatz zu dem reichgeſchmückten Staatsrock, den nur eine ſehr
geringe Umſchneidung der Schöße frackähnlich machte, als ein
Zeichen der Emancipation von Sitte und Herkommen galt. Noch
war der Frack nicht ſalonfähig geworden, viel weniger hoffähig.
Aber bald ſollte er dieſe Eroberung machen, in deren Beſitz er
ſich noch heute mit abſoluter Macht behauptet.


Goethe war es, der ihm den erſten Triumph errang. Als
er im Jahr 1775 nach Weimar kam, ſiegesſicher wie ein herr-
ſchender Gott, trug er die „Werthermontirung“, und augenblick-
lich legte dieſelbe der Herzog und der ganze Hof an. Es war
das die Kleidung, in welcher Werther ſich erſchoſſen hatte: blauer
Frack mit Meſſingknöpfen, gelbe Weſte, Lederbeinkleider und
Stulpenſtiefel. Es war aber das mit dem runden Hut eben die
Tracht der emancipirten Geiſter. Alle diejenigen nun, die mit
[298]III. Die Neuzeit.
dem Werther geliebt und gelitten hatten, kleideten ſich auch in
ſeiner Weiſe, und ſelbſt den empfindſamen Damen mußte dieſe
Tracht verehrungswürdig erſcheinen, weil Werther ſagt: „in
dieſen Kleidern, Lotte, will ich begraben ſein, denn du haſt ſie
berührt, geheiliget.“ Die Puderfriſur und der Zopf waren
damit aber noch nicht abgelegt, ſie gehörten im Gegentheil noch
zu dieſer Tracht, wie die Sentimentalität den Schöngeiſtern nahe
ſtand. Selbſt als Karl Auguſt im Jahr 1780 den Zopf wirklich
ablegte und das Haar rund ſchnitt, änderte das nichts am Kopfe
der Eleganten.


Es iſt aber das bezeichnend, daß ſchon in den beiden letzten
Jahrzehnten vor der franzöſiſchen Revolution diejenigen als die
Eleganten, als die Stutzer und Löwen galten, welche mit dem
einfachen blauen oder braunen Frack, mit rundem Hut und
Stulpſtiefeln der neuen freieren Mode folgten; nur mußten auch
ſie, wenn ſie im Salon erſchienen, Schuhe und Strümpfe tragen
und den dreieckigen Hut unter dem Arm und den Degen an der
Seite führen. Die eigentliche Anerkennung verſchaffte der neuen
Tracht erſt die franzöſiſche Revolution und in ihrem Gefolge der
Umſchwung der Ideen und Geſellſchaftsformen.


Ehe wir darauf weiter eingehen und namentlich die Ge-
ſchichte des Hutes und der Stiefeln ſowie das Ende des Zopfes
näher verfolgen, haben wir noch eine dem männlichen Stutzer-
thum ähnliche Erſcheinung bei den Frauen zu bemerken. Wir
wiſſen, daß in den Kreiſen der ſchöngeiſtigen Welt die Frauen an
allen Begebenheiten des litterariſchen Lebens ſelbſt activ theil-
nahmen, wie denn ohne ſie die Sentimentalitätsperiode gar nicht
denkbar wäre. In ähnlicher Weiſe, den Schöngeiſtern gleich,
emancipiren ſie ſich von der Mode und ſchaffen ſich nach dem
Muſter des männlichen ein eigenes Coſtüm. Einige ſtreichen
das Haar ſelbſt herunter und binden es hinten mit einer Schleife
zu einer Art Zopf zuſammen; gewöhnlicher jedoch wölben ſie es
einfacher als die Mode, von Stirn und Schläfen kugelartig in
die Höhe in den ſ. g. hérisson (Stachelſchwein). Aber ſie
fangen ſchon an, den Puder wegzulaſſen, oder beſtreuen ihren
[299]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
„Igel“ mit blondem Puder. Zur Bedeckung tragen ſie zwar auch
zu Zeiten die Dormeuſe, was denn allerdings mit der übrigen
Kleidung in Widerſpruch iſt, allein gewöhnlich bedienen ſie ſich
des runden Herrenhutes, der ſich auch, wie wir das ſchon oben
geſehen haben, auf der hochgethürmten Friſur findet. Das auf-
fallendſte an dieſer männlich gearteten Damentracht iſt über dem
weiblichen Rock der Frack, der auch in weiteren bürgerlichen
Kreiſen zu großer Allgemeinheit kommt. Im Schnitt gleicht er
völlig dem männlichen mit ſtehendem oder umgelegtem Kragen,
mit umgelegten Patten, mit engen, langen Aermeln und den
Schößen, die nur kürzer, oft ſehr kurz zu ſein pflegen. Die
Dame trägt ihn auch von denſelben Stoffen und Farben wie der
Herr, aber auch, was ſpäter gewöhnlicher wird, mehr leibchen-
artig von helleren und leichteren Damenſtoffen. Den Namen
Frack führt er nicht bei den Frauen, ſondern wir finden ihn ge-
wöhnlich als Caraco oder longue veste bezeichnet. Es ge-
hörte dann ebenſowohl die kurze Negligéweſte der Herren dazu.


Der Rock des Kleides erlitt dadurch weiter keine Verände-
rung, nur konnte freilich der ohnehin im Sinken begriffene Reif-
rock nicht dabei geduldet werden. Die männliche Erſcheinung
einer ſolchen Dame wird noch durch den Spazierſtock erhöht,
den ſie ſtatt des ſonſt immer gebräuchlichen Fächers in der
Hand führt.


Im Uebrigen kam der Faltenfächer, der ganz ſeine alte
Form beibehielt, nicht aus dem Gebrauch, ſondern ſetzte als
Liebestelegraph auf Spaziergängen und im Salon ſein ſtummes
Spiel fort. Mütter brauchten ihn, ihren Töchtern geheime Winke
in der Geſellſchaft zu geben; andere verbargen dahinter ihre Ver-
legenheit; faſt am wenigſten diente er ſeinem urſprünglichen
Zweck, Kühlung zuzufächeln. Wenn er ſeine Form auch nicht
änderte, ſo begleitete er doch mit ſeinen bunten, bedeutungs-
vollen Verzierungen alle Ereigniſſe der großen Welt, welche das
öffentliche Intereſſe auf eine Zeit gefeſſelt hatten. So gab es
Fächer à la Cagliostro, welche mit Pyramiden und flammenden
Sternen auf ſeine ägyptiſche Weisheit und ſeine Freimaurerei
[300]III. Die Neuzeit.
anſpielten. Bei der Thronbeſteigung Friedrich Wilhelms II.
wurden Huldigungsfächer angekündigt, die mit mythologiſchen
und allegoriſchen Gegenſtänden, von der Hand Chodowiecki’s
geſtochen, an dieſe Begebenheit erinnerten. Die ſchönſte Aus-
wahl hatte wohl der Fächerfabrikant Löſchenkohl in Wien, deſſen
am 15. Mai 1786 veröffentlichtem Verzeichniß wir einige Bei-
ſpiele entnehmen wollen: „Phyſiognomiſche Fächer, wozu
die Köpfe aus Lavaters Phyſiognomik genommen ſind, und die
dem ſchönen Geſchlecht bei Erwählung eines Liebhabers vorzüg-
lich nützlich ſein können. Sollten dieſe Fächer jenen Beifall er-
halten, den man zu hoffen Urſache hat, ſo wird nach und nach
die ganze Sammlung Lavaters phyſiognomiſcher Kenntniſſe auf
gleiche Art erſcheinen. Fächer zur geheimen Sprache der
Liebe
, vermittelſt welcher ſich Perſonen in einer Geſellſchaft
unterreden können, ohne von andern bemerket zu werden. Fächer
mit optiſcher Mädchenwahl
; hier erblickt man Mannsper-
ſonen, die ſich auf ſolche Art unter Schönen allerlei Arten eine
Geliebte wählen“ u. ſ. w. Auch hatte Herr Löſchenkohl Fächer,
auf denen Lotte bei Werthers Grab und Lotte in Ohnmacht mit
Albert dargeſtellt war.


Das freiere, in Formen und Farben einfachere Coſtüm kam
zwar verhältnißmäßig früh in Deutſchland zu einigem Anſehen,
indem es hier theilweiſe an den vielen nach dem ſiebenjährigen
Kriege zum Civil zurückgekehrten Offizieren und überhaupt an
dem ſpezifiſch preußiſchen Militärgeiſte Anhang fand, insbeſondere
aber die Schön- und Freigeiſter in allen Claſſen und Ständen
für ſich gewann, dennoch aber iſt es in ſeinen Formen aus der
Fremde herübergekommen. Wir müſſen den runden Hut und den
einfachen Frack bei den Quäkern und Pflanzern, bei den Re-
publikanern Nordamerika’s aufſuchen, von denen ſie die freund-
ſchaftlichen, im Unabhängigkeitskriege bewährten Beziehungen
mit Frankreich bald dieſem Lande zuführten. England zeichnete
ſich ohnehin zu jener Zeit, ſowie auch durch die ganze Periode
der Revolution dadurch aus, daß es männlicher- wie weiblicher-
ſeits die einfachere, ſolidere Eleganz liebte und ſich von allen
[301]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Extravaganzen und Auswüchſen der franzöſiſchen Moden fern
hielt. Zum engliſchen Reitcoſtüm, welches zugleich die allgemeine
Stutzertracht war, gehörte der runde Hut in etwas kleinerer und
ſteiferer Form als ihn der Quäker trug, ſodann der Frack und
endlich die hohen Stiefeln mit lederfarbenen, braunen Stulpen;
häufig auch die ſchwefelgelbe Lederhoſe. Wir dürfen annehmen,
daß dieſes Coſtüm von England aus nach Deutſchland gekom-
men iſt, wo es dann unter dem Namen „Werthertracht“ be-
kannter wurde.


Allein weder in England noch in Frankreich noch in Deutſch-
land hatte daſſelbe bis dahin vermocht, ſich eine eigentlich geſell-
ſchaftliche Stellung zu erringen; es machte nur als etwas Be-
ſonderes ſeinen Träger intereſſant, ſei es als Freigeiſt und revo-
lutionären Verächter der Sitte oder als einen der herzenskranken
Malcontenten, der die Unbefriedigkeit der Gegenwart, das un-
bewußte Sehnen nach politiſcher und ſocialer Geneſung als Welt-
ſchmerz in ſeinem Inneren trug. Zum erſten Mal trat es in be-
deutungsvoller Weiſe als bewußtes Parteizeichen bei der Ver-
ſammlung der franzöſiſchen Notabeln auf, wo der dritte Stand
im einfachen Frack, freilich noch in Schuhen und Strümpfen,
ſich auch äußerlich in Oppoſition zum goldbordirten Adel ſtellte,
der das Glanzcoſtüm Heinrichs IV. affectirte. Es war dieſer
letztere Umſtand freilich auch ein Zeichen, daß ſelbſt in den höch-
ſten Kreiſen der Glaube an die unübertrefflichen Vorzüge des
Zopfcoſtüms zu ſinken begann, aber der Verſuch blieb vereinzelt
wie ein ähnlicher, den einmal der Hof Ludwigs XVI. machte.
Man wollte ſich der herrſchenden Tracht und mit ihr der ganzen
ſteifen Etiquette entledigen und mit dem Coſtüm auch wohl zu
dem übrigen frei galanten Weſen des franzöſiſchen Hofes im
ſechszehnten Jahrhundert zurückkehren. Der Plan fand den Bei-
fall der jungen Königin und wurde vom König nicht gemißbilligt,
und ſo wurde der Befehl erlaſſen, daß auf einem Ball der Köni-
gin die ſämmtlichen Herrn im Coſtüm der Zeit Heinrichs IV. er-
ſcheinen ſollten. Da zeigte ſich nun zwar die Jugend ſehr zu
ihrem Vortheile, aber das Alter, das bisher unter dem Puder
[302]III. Die Neuzeit.
und ſonſt durch künſtliche Mittel die verrätheriſchen Zeichen ver-
borgen und die flüchtigen Reize erheuchelt hatte, wurde in ſeiner
Blöße aufgedeckt. Die eitle Zeit vermochte ſich noch nicht dar-
über hinwegzuſetzen, und ſo dachte man nicht weiter an den Ernſt,
den man beabſichtigt hatte, ſondern erinnerte ſich der Sache nur
noch als eines heitern Maskenſcherzes.


Wir ſehen, es blieb der Revolution noch ein hinlänglicher
Zopf übrig, von welchem ſie die Welt zu befreien hatte. Wir
wollen uns denſelben noch einmal in einem Geſammtbilde der
männlichen und weiblichen Erſcheinung vor die Erinnerung
bringen. Der vornehme Herr trägt bei Galakleidung den
franzöſiſchen Rock, der nur vorn in frackähnlichem Schnitt mit
den Schößen weit aus einander ſteht; der ſtehende Kragen, die
Säume vorn herab, die großen Taſchen, die dem Frack abgehen,
und die Umſchläge an den Händen ſind reich mit Gold und Sil-
ber beſtickt. Auch die lange, weiße oder hellbunte Schoßweſte iſt
mit denſelben oder ähnlichen Muſtern beſtickt; zwei Uhrgehänge
— denn wer es konnte, trug zwei Uhren — fallen darunter her-
aus. Das Beinkleid geht eng bis unter das Knie herab und hat
hier ebenfalls Stickerei und Schnalle. Zur Gala gehören die
weißen Zwickelſtrümpfe, ſchwarze Schuhe mit großen ſilbernen
Schnallen und noch immer mit rothen Abſätzen. Aus der Weſte
tritt der Buſenſtreif heraus, und um das weiße Halstuch legen
ſich — damals zuerſt — die kleinen dreiſeitigen Hemdkragen
ganz in der Form der heutigen Vatermörder. Das Haar hat ſich
unter dem Vorgang der Damen allmählig von der Vergette zur
Igelform umgeſtaltet, doch iſt es noch unausweichlich mit Puder
überſtreut; an den Seiten hängen die Lockenrollen, und im Nacken
ſitzt der Zopf und die breite haarbeutelartige Bandſchleife. Der
dreieckige Hut unter dem Arm und an der Seite der Degen mit
brillantirtem Stahlgriff vollenden das Muſterbild. Etwas anders
ſah die Erſcheinung in der Demi-Parure, im Negligé aus, in
dem Zuſtande, den man damals en chenille nannte, während
dieſer „Raupe“ gegenüber der Mann en grande parure als
Schmetterling zu betrachten iſt.


[303]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.

Der Mann kleidete ſich en negligé, wenn er ſeinen gewöhn-
lichen Tagesgeſchäften und Arbeiten nachging. Dann trugen
nur noch die äußerſten Pedanten, die alten Herren, die noch
ganz in der Erinnerung ihrer Jugendgalanterie lebten, den drei-
eckigen Hut unter dem Arm; ſonſt drückte man den Hut à l’ An-
drosmane
auf die gepuderte Zopffriſur. Dieſer Hut iſt das
Vorbild des napoleoniſchen: der Kopf war rund und ziemlich
klein, im Nacken ſtand eine breite Krämpe hochaufgerichtet, und
die beiden Seitenkrämpen, die eigentlich nur eine waren, bilde-
ten eine Kante über der Stirn. Rock und Weſte hatten keine
oder doch nur eine Andeutung von Stickerei; die letztere war
kürzer und ohne Schöße. Die Strümpfe waren farbig, meiſt
buntgeſtreift, und den Degen erſetzte das lange Bambusrohr mit
Knopf, Band und Quaſte. Ueber dem Rock und Frack lag auch,
je nach dem Wetter, ein langer, buntgeſtreifter Sürtout oder
Oberrock.


Die geſtreiften und geblümten Stoffe liebte noch vorzugs-
weiſe der wohlhabende deutſche Bürgersmann. Der bunte koſt-
bare Rock oder Oberrock, die geblümte und beſtickte Weſte, ein-
mal zur Hochzeit angeſchafft, mußten faſt ein Menſchenalter aus-
halten und pflegten dann in verkleinerter Geſtalt auf die Kinder
überzugehen. So iſt des Großvaters bunte ſeidene Weſte mit
großen Taſchen und Klappen darüber eine traditionelle Erinne-
rung der Familien geblieben, und in mancher mag ſie ſich gar
als ehrwürdiges, mit Pietät geſchontes Erbſtück noch bis heute
erhalten haben. Wir wollen beiſpielsweiſe ein paar ſolcher
Muſter Lyoner Fabrikats, wie ſie im Jahr 1786 Mode waren,
aufführen; man ſieht ihnen an, daß die künſtleriſche Phantaſie
ziemlich zu Ende war. Es gab einen Moiréweſtenſtoff von vio-
lettem Grund mit grüner Bordüre, in welcher lauter Affen waren,
die ſilberne Sonnenſchirme trugen; ein anderer violetter Moiré-
ſtoff hatte weiße Bordüre und grünes Eichenlaub mit Figuren
von der Niederjagd, Haſen, Hunde, Feldhühner, Vögel; ein
anderer wieder hatte die höhere Jagd; einer wird ſo beſchrieben:
„Grund fumée de Londres, mit Gartenwerk und Vogelfang,
[304]III. Die Neuzeit.
die Bordüre weiß und grün von Gemüſe, mit Garteninſtrumen-
ten, Vogelkäfigen, auf den Taſchen Obſtbäume und Körbe, Gärt-
ner und Gärtnerin, Milcheſel und Ziegen.“


Wenn wir von jenem Coſtüm der Damen abſehen, welches
ſie der ſchöngeiſtigen Männerwelt nachgebildet hatten, und wel-
ches ebenfalls England ſeinen erſten Urſprung verdankte, ſo hatte
die Frauentracht, namentlich bei hoher Toilette, mochte ſie
der Frau Gräfin oder der Frau Amtmännin angehören, noch
nichts von ihrem alten Charakter verloren. Noch thürmten ſich
die Friſuren mit mächtigen Hauben und Hüten in „ſublimer Voll-
kommenheit“ kunſtvoll in die Höhe, und die Frauen achteten es
für nichts, wenn ſie mit Hintanſetzung aller häuslichen und müt-
terlichen Pflichten Stunden lang ſich dem Friſeur hingaben oder
mit eigenen Händen noch länger an ſich herumkünſtelten. Es
war keine Seltenheit, ja ſogar ein gewöhnliches Ereigniß, wenn
ein großes Feſt bevorſtand und demzufolge Mangel an kunſt-
fertigen Friſeurhänden ſich einſtellte, daß die Damen ſchon am
Tage vorher ſich coiffiren ließen und nun in ängſtlicher Stellung
die Nacht und den Tag verbringen mußten, um das Gebäude zu
ſchützen und möglichſt friſch zu erhalten. Noch lag die Bruſt in
gleicher Weiſe offen wie früher, und die Arme waren bis zum
Ellbogen entblößt. Die Schnürbruſt herrſchte unerbittlich und
drückte die Taille lang und eng herab; dann breitete ſich das
Kleid, durch Reifrock oder Bouffanten und Culs geſtützt, in
mächtiger Weiſe aus, und darüber legte ſich mit reichen Gar-
nirungen die offene, faltenreiche Robe. Die ſpitzen und zarten
farbigen Schuhe hatten noch immer die hohen, ausgeſchweiften
Abſätze, welche gewöhnlich von anderer Farbe wie der Schuh zu
ſein pflegten.


Nur eine Neuigkeit war ſchon in der letzten Zeit vor dem
Ausbruch der franzöſiſchen Revolution an der Damenkleidung
entſtanden, das Bruſttuch oder Fichu, welches die ſtarke De-
colletirung zum Schutze des Teints ähnlich wie im funfzehnten
Jahrhundert das Goller hervorgerufen hatte. In ſeiner gewöhn-
lichen Weiſe legte es ſich wie ein Shawl um den Nacken und
[305]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
kreuzte ſich über der Bruſt ungefähr ſo, doch breiter, wie wir es
heute noch hier und da in der Volkstracht wiederfinden. Auch
ſeinen Urſprung dürfen wir in England ſuchen, aber die Eng-
länderinnen, denen ſonſt die maßvolle Eleganz nachgerühmt
wird, mißbrauchten es in arger Weiſe. So ſchreibt man ſchon
vom 14. December 1785 aus London: „Ich muß noch einer
Sonderbarkeit gedenken, die heuer hier im Schwunge ging. Es
wurde [nämlich] unter unſern Damen Mode, ſich den Buſen durch
das Halstuch außerordentlich hoch aufzubauen und dick zu machen.
Man trug zu dem Ende in den Halstüchern Bügel und Car-
caſſen von Draht, die ſolch einen ſonderbaren Florberg unter
dem Kinn einer Dame empor ſchwellten, daß ſie nicht darüber
wegſehen konnte. Zum Glück aber ſind dieſe unnatürlichen Ge-
ſchwulſte zu ihrer natürlichen ſchönen Form und Niveau wieder
herabgeſunken.“ Das letzte dürfte in dieſem Maße zu bezweifeln
ſein, denn nicht nur werden in den nächſten Jahren zum öftern
Anſpielungen auf die Buſengeſtelle von Draht gemacht, wir
ſehen es auch den Bildern an, daß ſie noch in Gebrauch ſind.
Die Mode kam auch mit den Fichus nach Frankreich und Deutſch-
land, und in jenem Lande mögen wir ſie an den Pariſerinnen
der erſten Revolutionsjahre deutlich erkennen, bis ſie vor dem
griechiſchen Coſtüm verſchwanden. Aber in anderer Geſtalt be-
gegnen wir den falſchen Buſen im Jahr 1798 wieder zuerſt in
England. „Die Damen haben“, ſo wird dem Journal des Luxus
geſchrieben, „die Sitte, durch wächſerne Anlagen ihren Armen
Füllung und Rundung zu geben, auf etwas noch Subſtantielleres
angewandt, und ſich ſtatt der Buſen, wenn die Natur die ihnen
verſagte, künſtliche Stellvertreter von Wachs zugelegt, die ſo
künſtlich angepaßt und eingerichtet ſind, daß Argus ſelbſt mit
allen ſeinen hundert Augen den kleinen, unſchuldigen Betrug
nicht gemerkt haben würde, wenn nicht ein unbeſcheidener Plau-
derer, der die neue Erfindung bei den Buſenfabrikanten ausge-
kundſchaftet hatte, durch eine öffentliche Bekanntmachung zum
Verräther geworden wäre.“ Farbe und Geäder waren ſo kunſt-
voll nachgemacht, daß auch die natürlichen und ächten in den
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 20
[306]III. Die Neuzeit.
Verdacht kamen falſch zu ſein. Die Satire bemächtigte ſich bald
dieſes Gegenſtandes, und man erzählte ſich, man habe die neuen
Wachsbuſen nun auch mit Springfedern verſehen, wodurch man
Seufzer und Herzklopfen natürlich nachmachen könne; ja man
habe ſogar die Verfeinerung angebracht, auf der wächſernen
Oberfläche ein jungfräuliches Erröthen erſcheinen zu laſſen u.
dergl. m. Uebrigens ſah man auch in Paris im Jahr 1805 in
einem Putzmacherladen des Palais royal künſtliche Buſen-,
Schulter- und Rückenſtücke von fein geröthetem Leder mit darauf
gemaltem feinen Geäder; Reſſorts ahmten das künſtliche Athmen
nach; der Preis war ſieben Napoleonsd’or. Die damalige über-
triebene Decolletirung hatte dergleichen künſtliche Aushülfen der
Eitelkeit nothwendig erſcheinen laſſen.


Hiermit ſind wir aber ſchon in die Zeit der franzöſiſchen
Revolution eingetreten; ſehen wir nun, wie ſie umwandelnd auf
das Coſtüm einwirkte.


In den erſten Jahren ſchien es faſt, als wollte die Mode
in Paris ſtill ſtehen, und als ſei alles Intereſſe, auch das der
Damen, von den drängenden Ereigniſſen der Politik in Anſpruch
genommen. Selbſt der Correſpondent des Modejournals hat
Mühe, ſeine Berichte auszufüllen, und ſpricht weit mehr von
der Politik als von den eigentlichen Gegenſtänden ſeiner Briefe.
Während die Form im Großen, der ganze Charakter der Klei-
dung noch zu bleiben ſcheint wie er war, erinnern uns nur Ein-
zelheiten mit ihren wechſelnden Namen an die gleich der Mode
raſch vorübereilenden Tagesereigniſſe und an die Männer, welche
die Aura popularis heute hebt und morgen ſtürzt. So hatte
man gleich im Anfang Tabatieren à la Necker, man hatte eine
couleur de Bastille, eine Robe à la Nation, Fächer à la Mira-
beau
und auch einen ganzen Anzug à l’Egalité. Eine vorüber-
gehende Laune war es, wenn im Jahr 1790 nach dem Vorgange
der kleinen Stadt Iſſoudun ganz Frankreich ſeine ſilbernen
Schuhſchnallen auf dem Altar des Vaterlandes zum Opfer bringen
und fortan nur tombackne Schnallen oder ſchwarze Bänder tragen
wollte. Bald darauf trug man in ganz Frankreich auf’s neue
[307]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
die ſilbernen. Ebenſo war es nur ein Einfall, wenn einige junge
Leute (1792) die geſammte Männerwelt mit der rothen phry-
giſchen Mütze und einem ſ. g. phrygiſchen Coſtüm, das aus
einem blauen ſpaniſchen Mantel und weißen Beinkleidern und
Strümpfen in einem Stück beſtehen ſollte, zu beſchenken gedach-
ten. Noch konnte Petion, der Maire, den Unſinn dadurch zu-
rückweiſen, daß er ſagte, man müſſe die Sache der Freiheit nicht
durch ſolche Affenſpiele lächerlich machen. Bald ſchien in der
That die Modeſchöpfung von Paris erloſchen zu ſein, denn ſchon
1792 klagt der Correſpondent, daß etwas Neues nicht mehr er-
ſcheine und die Pariſerin nur noch im Negligé ſich trüge, und im
Beginn des nächſten Jahres unter der Lähmung des Terro-
rismus hören ſeine Briefe für das Journal des Luxus vol-
lends auf.


Dennoch aber können wir nicht umhin, wenn wir die Pa-
riſer Toiletten dieſer Jahre näher muſtern, bereits den Einfluß
der gewaltigen Bewegung anzuerkennen. Man glaubt es ſelbſt
den Damenköpfen anzuſehen, daß ſie mit andern Dingen be-
beſchäftigt ſind, und wenn ſie auch gleich groteske Gebäude von
Haar, Hauben und Hüten aufführen, ſo iſt es doch, als ob es
mit weniger Liebe und Sorgfalt, mit größerer Nachläſſigkeit ge-
ſchähe. Auch die Schärpen, die ſie jetzt fliegend um den Leib
binden, der Nationalgarde gleich, laſſen ihre Theilnahme an den
Tagesereigniſſen ahnen. Mehr noch können wir dieſe Wahr-
nehmung an den Männern machen. Je mehr die Revolution
ganz Paris und Frankreich in ihren Strudel hineinzieht und die
Royaliſten durch die Flucht ſich ihr entziehen, umſomehr geht
die neue einfache Fracktracht von dem ſchöngeiſtigen und littera-
riſchen Gebiet auf das politiſche über und wird zum Partei-
zeichen. Was es nur in Paris von Stutzern gab, trägt den un-
verzierten Frack und den runden Hut, aber noch größtentheils
Schnallenſchuhe und die geſtreiften Strümpfe. Vor allem ſieht
man dem Kopf den revolutionären Charakter an: der Puder
wird bald als royaliſtiſch verfolgt, die Friſur rauher und wilder,
die Haare wüſt nach hinten gekämmt und häufig ſchon der Zopf
20*
[308]III. Die Neuzeit.
weggelaſſen. Gänzlich freilich erlag er auch in Paris noch keines-
wegs, aber viele Stutzer trugen ihn nicht aus dem eigenen Haar,
ſondern befeſtigten einen falſchen von langer und dünner Geſtalt
oben an den Rockkragen. Die Sitte findet ſich auch in Deutſch-
land, und ſo trug ihn zuletzt noch der Offizier. Mit der Revo-
lution wächſt auch der Stock des Stutzers: aus dem leichten
Rohr wird ein dicker Knotenſtock, der oft keulenartiges Anſehen
gewinnt und in jenen gefahrvollen Zeiten gewiß als kräftiges
und nothwendiges Schutzmittel gute Dienſte zu leiſten hatte.
Die ganze Erſcheinung des revolutionären Stutzerthums macht
keine Anſprüche auf Eleganz, wie ſie noch in hohem Maße mit
dem Zopfe verbunden war; ſie affectirt eine ſimple Ruſticität
und hat etwas von dem, was der deutſche Student mit dem
Ausdruck „knotig“ zu bezeichnen pflegt; ſelbſt die Damen kleide-
ten ſich à la paysanne.


Doch war der eigentliche Charakter des Coſtüms bis zum
Terrorismus hin noch nicht umgeſchaffen. Da aber, als man
mit dem Königthum fertig war, drängte ſich der Gedanke auf,
man müſſe die ganze bisherige Bekleidungsweiſe als „roya-
liſtiſch“ ablegen und eine neue „republikaniſche“ einführen, für
welche man natürlich die griechiſch-römiſche Tracht zum
Muſter nahm. Ohnehin war ja in jener Zeit der Claſſicismus
in Blüthe, und antike Formen begannen die Baukunſt, die
Plaſtik, die Malerei und alle Gegenſtände des Kunſtgewerbes zu
beherrſchen. Vor allem ſollten die Hoſen abgeſchafft werden, ein
Vorſchlag, der freilich keine weiteren Folgen hatte, als daß dem
Extrem und Auswurf der Revolution der Name „Sansculottis-
mus“ blieb; den Hoſen ſollten Schuhe und Strümpfe folgen,
an ihre Stelle die Sandalen treten und Kleid und Frack durch
Tunica und Toga erſetzt werden.


Der berühmte Maler David, der bekanntlich in der Kunſt
ein ebenſo ſtarrer und kalter Claſſiciſt war wie in der Politik ein
ſtarrer Republikaner und getreuer Anhänger Robespierre’s, der-
ſelbe war es, welcher unter der Schreckensherrſchaft des letzteren
ſich die Umwandlung des Coſtüms im claſſiſchen Sinne angelegen
[309]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſein ließ. Zuerſt brachte er ſeinen Vorſchlag in den Clubbs vor
und ließ ihn eifrigſt discutiren, und dann ging er damit vor den
Nationalconvent. Wirklich erreichte er auch, daß bei den großen
Feſten, die Robespierre veranſtaltete, als er die Exiſtenz Gottes
wieder decretirte, die Chöre der Jungfrauen und Jünglinge, der
Knaben und Mädchen in dem „Statuencoſtüm“, wie man es
damals mehr ſpottweiſe nannte, erſchienen. Allein die Aus-
führung entſprach nicht ganz ſeinen Erwartungen, denn die
Pariſerinnen hatten zu ſeinen Modellen an Zugaben und An-
hängſelchen ſoviel von dem Ihrigen hinzugethan, daß er das
Geſtändniß machte, das Pariſer Muscadin-Unweſen ſei eine
durchaus unheilbare Krankheit.


Auch im Uebrigen war der Erfolg ein ſehr zweifelhafter.
Die Sache machte viel von ſich reden, ſchien aber Anfangs mehr
den Spott und die Satire zu reizen als zur Nachahmung anzu-
regen. Und dazu kam, daß nicht lange darauf der Sturz Robes-
pierre’s und die Verhaftung David’s erfolgte. Dennoch blieb
der Beifall mit der Zeit nicht aus, und zwar in dem Maße trat
er ein, daß die weibliche Kleidung völlig umgeſchaffen wurde,
wenn auch nicht in einer Weiſe, die den ſtrengen Claſſicismus
David’s hätte befriedigen können.


Schon das Jahr 1794 bezeichnet den Wendepunkt. Zu-
nächſt, und was das wichtigſte war, fällt die Schnürbruſt und
alles, was noch von Reifrock, Culs und Bouffanten übrig war,
und die Taille, wenn eigentlich noch von einer ſolchen die Rede
ſein konnte, rückt bis unter die Brüſte. Zugleich ſinken alle gro-
tesken Hauben und Friſuren, und Coiffüren von griechiſcher
Nachahmung oder vielmehr die der römiſchen Kaiſerzeit treten an
die Stelle. Ein anderes Zeichen iſt, daß die hohen Abſätze ver-
ſchwinden und die Schuhe ſich fußgerecht mit einer kleinen Spitze
geſtalten. Bald ſprach man nicht mehr von Kleid und Robe,
ſondern nur noch von der Tunica.


Einzelne Damen, die den Ton angaben, ſuchten aber wirk-
lich ſich in ächterer, oder vielmehr kühnerer Weiſe mit der Nudi-
tät einer Göttin zu gräciſiren. So erſchien die ſchöne, in vollſtem
[310]III. Die Neuzeit.
Ebenmaß gewachſene Madame Tallien, deren politiſche Rolle
bekanntlich nicht gering war, auf einem Ball in der großen Oper
in einer weißatlaſſenen Tunica auf bloßem Leibe, die über das
linke Knie heraufgeſchürzt war und das ganze Bein bis an die
Obertheile bloß zeigte; um die Hüfte trug ſie einen koſtbaren
geſtickten, blauatlaſſenen Schurz; die Tunica ohne Aermel war
über beiden Schultern durch Agraffen feſtgehalten; die ganz
bloßen Arme hatten dreifache Armbänder; an jedem Finger und
jeder Fußzehe ſteckte ein Ring; die Haare waren in ein durch-
brochenes Casquet, mit Perlen und Edelſteinen beſetzt, gefaßt;
alles war mit Diamanten und Juwelen beſäet; unter den
Füßen waren natürlich Sandalen.


Trotzdem aber will die neunziger Jahre hindurch das eigent-
liche griechiſche Coſtüm in wenigſtens erkennbar ächten Formen
noch keineswegs ſo recht Platz greifen; was man damals à la
Grecque
nannte, hat nur die oben angegebenen Eigenſchaften,
die hohe Taille, den freien Fall des Kleides u. ſ. w. und häufig
mußte die Nudität à la sauvage das Beſte thun. Daneben
ſpielen auch andere Moden, die freilich den Grundcharakter nicht
ändern, und die griechiſchen Friſurformen hatten die wenn auch
verkleinerten Hüte und Hauben nicht ganz verdrängen können.
Wir haben ſchon oben bemerkt, wie das Intereſſe, welches der
Türkenkrieg einflößte und welches die ägyptiſche Expedition
wieder zu neuem Leben anfachte, neben dem à la Grecque das
à la Turque in Mode gebracht hatte; aber die Eigenthümlich-
keit deſſelben beſchränkte ſich auf turbanartige Hauben und Ara-
beskenverzierungen der Kleider. Auch neue engliſche Moden
kamen herüber, und mit ihnen namentlich der Spenzer, die
kurze Jacke, welche, wenn die Anekdote recht erzählt, durch Zu-
fall entſtanden, von längerer Dauer bei der weiblichen Kleidung
ſein ſollte. Lord Spencer ſoll nämlich auf der Jagd beim Ritt
den einen Schoß ſeines Frackes an einem Aſt verloren und,
um nicht halbgeſchweift heimzukehren, auch den andern herunter-
geriſſen haben. Bei den Herren war die darnach entſtandene
Mode ſehr vorübergehend.


[311]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.

Aber grade als die Revolutionswogen ſich bereits gelegt
hatten und die Bewegung unter dem Conſulat in feſte Ufer ein-
lief, da trat das griechiſche Coſtüm in weit beſtimmterem Cha-
rakter hervor. Nicht ohne Einfluß darauf iſt die Nacktheit, welche
ſeit der Scheide des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts
auf einige Jahre hin alles bisher Dageweſene übertraf. Schon
1799 erſchienen Pariſer Damen, ſolche freilich, welche ſich auf
der Höhe der Revolution bewegten, in ſeidenen, fleiſchfarbenen
Tricotpantalons mit Lilazwickeln und Kniebändern und darüber
mit einer Chemiſe oder einem ächten Hemde, das bloß durch ein
Paar ſchmale friſirte Bänder auf den nackten Schultern hing
und die ganze Oberhälfte des Leibes völlig entblößt zeigte; der
ganze wie aus Luft gewebte Anzug wog kaum 16 Loth. Das
mag das Extrem ſein, aber die Menge der modiſchen Pariſe-
rinnen iſt in dieſem und den nächſten Jahren nicht weit davon
entfernt. Die Kleider, die einzigen, von dünnem, ſanft fließen-
dem Stoff, den die Aerzte umſonſt bekämpften, laſſen Bruſt und
Arme völlig frei; dem Hemde oder vielmehr der Tunica gleich
geſchnitten, ſind ſie unter der Bruſt faltig zuſammen gefaßt und
fließen den Körper herab, indem ſie wie an den griechiſchen Sta-
tuen die Hauptformen hervortreten laſſen; mit kleiner Schleppe
legen ſie ſich auf den Boden. Häufig lag über dieſer Tunica
noch ein dünnes, durchſichtiges Florgewand als Stellvertreter
der Flügel des griechiſchen Chiton, an Geſtalt ziemlich der Tu-
nica gleich, aber nur bis auf die Hüften reichend, oder ſtatt
deſſen ein frei nach der Laune umgeworfener Shawl.


Man kann dieſe der griechiſchen ſich anſchließende Kleidung
in ihrer freien und leichten Weiſe, die freilich eine außerordent-
liche Anzahl von Verſchiedenheiten und Capricen zuließ, bis zur
Zeit des franzöſiſchen Kaiſerreichs verfolgen. Da tritt mit dem
Kaiſerhofe wieder gewiſſermaßen ein Regulator der Moden auf,
welcher der Freiheit und Willkür Schranken ſetzt und ſo im
Sinne einer Reaction umgeſtaltend wirkt, wenn er ſich auch an
das Vorhandene anſchließt.


Dieſelbe Geſchichte in Beziehung auf das à la Grecque
[312]III. Die Neuzeit.
hat die Kopftracht der Pariſerinnen durchzumachen, und nach
ihnen dann bald auch die der übrigen modiſchen Welt. Auch
hier ſtößt bei David’s Beſtrebungen die antike Nachahmung
noch auf Widerſpruch und muß ſich erſt durchkämpfen. Wenn
auch mit den Jahren 1794 und 95 die mächtigen Gebäude zu-
ſammenſtürzen und die Maſſe der Haare in verſchiedenfach künſt-
licher Weiſe ſich herabſenkt, ſo ſaß der Chignon, gewiſſermaßen
der weibliche Zopf, immer noch im Nacken. Zudem brachte der
männliche Tituskopf, der nun aufkam, auch die weiblichen
Häupter in Verwirrung; ihm ähnlich wurden insbeſondere Vor-
derhaupt und Stirn mit herübergekämmtem wirren Gelock zu
unfreundlichem Anblick bedeckt. Aber vor der Titusfriſur fiel
doch der Chignon, und nun wurde das Haar der Frauen ver-
ſchnitten und wild um den Kopf gekräuſelt: Nacken, Hals und
Rücken wurden frei. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts er-
greift die Gräkomanie die Haare, und obwohl man mit großer
Freiheit zu Werke ging, bildete man doch die Formen im Cha-
rakter der mannichfachen Frauenköpfe aus der römiſchen Kaiſer-
zeit. Ja ſo ſehr folgte man den damaligen Moden, daß man
ſelbſt die Damenperrücken wieder einführte, deren Muſter
bekanntlich in ablösbaren Marmorfriſuren noch an Statuen vor-
handen ſind. So erlebte jetzt die Perrücke noch ein Nachleben,
gleichſam einen Frauenſommer, nachdem ſie ſoweit verſchwunden
war, daß ſie in der Männerwelt nur noch der Geiſtlichkeit den
Anſchein des Ehrwürdigen zu geben oder die Blöße des Alters
zu bedecken hatte.


Dieſe Damenperrücken waren ſehr künſtlicher Art, den an-
tiken Formen nachgebildet und in der Farbe ſo gewählt, daß ſie
gegen Geſicht und Augenbrauen abſtachen: eine Blondine z. B.
mit weißem Teint und hellen Brauen ſetzte eine ſchwarze Per-
rücke auf, und die Brünette trug eine blonde. Täglich wechſelte
man auch mehrere Male mit verſchiedenen nach Grad und Be-
ſchaffenheit der Toilette. Man ſchreibt darüber im März 1800
aus Paris: „Selbſt an einem und demſelben Tage macht die
Kunſt der Perrücken oft an derſelben Perſon drei verſchiedene
[313]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Metamorphoſen bemerkbar. Früh fliegt Orphiſe in ihrem durch-
ſchimmernden Nymphenrock nach Paſſy. Sie iſt als Göttin en
anneau de Saturne
coiffirt. Blitzſchnell verſchwindet ihr beflü-
gelter Phaeton durch die ſtaunende Menge. Um drei Uhr ſchim-
mert ſie in tauſend neuen Reizen bei der Promenade auf den
Boulevards. Ihre Perrücke à la Berenice zieht alle Augen auf
ſich. Abends ſtrahlt aus ihrem ſchwarzen Haare à la Diane ein
halber Mond voll Brillanten.“ Sie würde freilich nicht die Ge-
duld haben, täglich drei ſolche Friſuren am Eigenhaar herſtellen
zu laſſen. Man ſchreibt übrigens von Hamburg und andern
deutſchen Städten ganz daſſelbe; die Damenperrücken ſtanden
hier in gleicher Mode.


Ein um ſo größeres Anſehn hatten die Friſeure: ſie nann-
ten ſich ſelbſt Akademiker, und die Dame ſagte: mon Acadé-
micien.
Aehnlich war es mit den Schneidern. Da ſie die Kör-
per zu drapiren und nicht zu bekleiden hatten, ſo betrachteten ſie
ſich als Künſtler und wollten dafür angeſehen werden; ſie nann-
ten ſich in dieſem Sinne Costumiers. Heute ſind ſie weniger
ſtolz: ſie ſetzen ihren Ruhm darin, Kaufleute zu ſein, mar-
chands tailleurs.


Weit weniger Intereſſe bietet im Grunde die revolutionäre
Entwicklung des männlichen Coſtüms. Nachdem die rothe
phrygiſche Mütze wieder abgelegt und der Sansculottismus als
Grille ausgelacht worden, dachte niemand daran, auch die
männliche Tracht gleich der weiblichen zu antikiſiren. Unbeküm-
mert um ſolche abſichtliche und gemachte Neuerungen geht ſie
ihres Weges weiter. Das Frackcoſtüm mit dem runden Hut
hatte ſchon unter dem Terrorismus in Frankreich die Alleinherr-
ſchaft angetreten; es fehlten nur die Stiefel, welche zwar über-
all zu Recht waren, jedoch bis zur Kaiſerzeit hin Strümpfe und
Schuhe nicht völlig zu verdrängen vermochten. Der wüſte Geiſt
der Revolution nahm nun mit dieſem Coſtüm ſelbſt ſeine Um-
wandlungen vor. Der runde Hut, an Kopf und Rand größer
und ſchlaffer werdend, mußte ſich allerlei groteske Unformen ge-
fallen laſſen, und unter ihm entſprach das Haar dieſen Geſtal-
[314]III. Die Neuzeit.
ten. Während unter dem Terrorismus der Puder ein Todesver-
brechen geweſen war, kehrte er nach dem Sturz Robespierre’s
noch eine kurze Weile zurück; allein es war nur ein flüchtiges
Schneegeſtöber im Frühling. Im Gegentheil liebte man jetzt
den ſchwarzen Kopf und ſuchte dieſe Farbe, wo ſie fehlte, künſt-
lich hervorzubringen. Eine Zeit lang hatten die Stutzer noch
den falſchen Zopf wie eine dünne Ruthe an den Kragen gehängt;
dann ließen ſie auch dieſen weg, und nun herrſchte der Titus-
kopf
allein, ein wild um den Kopf und über die Stirn herein-
gewirrtes kurzes Haar, oder ein längeres, welches ebenſowild
nach hinten geworfen und im Nacken in einen kleinen finger-
langen Zopf gebunden war. Letzteres trug bekanntlich Napoleon
als General Bonaparte. Das eine wie das andere machte auf
Toilette keinen Anſpruch; in ächt ſansculottiſchem Geiſt ſchien
es weder Kamm noch Pomade zu erfordern.


Und grade zu derſelben Zeit ging mit dem Haarwuchs eine
Neuerung vor ſich, welche eine Zierde männlichen Stutzerthums
dem kommenden Geſchlecht und ſelbſt noch der Gegenwart wer-
den ſollte. Zum erſtenmal wieder erſcheint der Bart mit eini-
ger Berechtigung, nachdem ein volles Jahrhundert hindurch ihn
die platte, ſchwächliche Eleganz des Zopfes verbannt gehalten
hat. Daß er grade in dieſer Zeit vom langen Schlafe aufer-
ſtand, wird man natürlich finden, wenn man ſich der Reforma-
tionsperiode erinnert, wo ihn der Freiheitsdrang der Zeit eben-
falls wieder hervortrieb. Aber als ob er nicht recht gedeihlichen
Boden finden könne, giebt er ſich erſt als Backenbart in beſchränk-
ter Weiſe kund, in der Art, die man „Favorit“ nennt. Es iſt dabei
bemerkenswerth, daß man auch falſche Backenbärte trug, wie
1798 von Hamburg geſchrieben wird, Backenhaare auf das
feinſte Pergament geleimt, welches man in die Schläfen klebte:
es iſt nur eine von den vielen Modefalſchheiten dieſer Zeit.


Von der Buſenkrauſe oder dem Jabot halten die Pariſer
der Revolution nicht viel: es iſt ihnen in ſeiner Feinheit zu
royaliſtiſch, nicht plebejiſch genug. Sie knöpfen die Weſte bis
zum Halſe völlig zu, aber zu Extravaganzen geneigt, verdicken
[315]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſie das weiße oder hellbunte Halstuch, daß es weit über das
Kinn vorſteht; die Löwen des Tages oder, wie ſie damals ge-
nannt wurden, die „Incroyables“ banden auch wohl drei derſel-
ben über einander.


Sowie der einfache, ungeſchmückte Frack zur allgemeinen
Tracht in Frankreich geworden war, emancipirten ſich die In-
croyables wieder von ihm und nahmen, um ſich den äußerſten
volksmäßigen Anſtrich zu geben, aus der unterſten Claſſe des
Volks den Rock herauf, welcher, eine plebejiſche Umformung
des Rockes oder Wammſes aus der Zeit Ludwigs XIV., in dem
Allgemeinen ſeines Schnittes ganz dem heutigen gleicht. Wir
ſind alſo hiermit, etwa um das Jahr 1797, auf das erſte Er-
ſcheinen unſeres gewöhnlichen Männerrockes in der geſellſchaft-
lichen Welt gekommen. Allein damals blieb er noch die Tracht
der Incroyables. Vom Frack unterſchied ihn wie heute nur die
Vollſtändigkeit der Schöße; ſonſt hatte er den hohen umgelegten
Kragen und die breiten Bruſtüberſchläge.


Mit dem Kampfe zwiſchen Stiefel und Schuh ſteht die Ge-
ſchichte des Beinkleides in Verbindung. Sowie die engli-
ſchen Stulpſtiefeln auftraten, rückte die Hoſe am Knie ein we-
nig herunter, um den Saum im Stiefel zu verbergen; an den
Seiten erhielt ſie dann eine kurze, mit Knöpfen verſehene
Schlitzung, damit ſie um das Knie feſter ſchließen konnte. Da
man im Beginn der neunziger Jahre dann auch Halbſtiefel trug,
welche nur bis zur Wade reichten, und ebenfalls die verlängerte
Hoſe in ſie hineinzog, ſo war der letzte Schritt, der in der Ver-
wilderung des Terrorismus geſchah, nicht mehr ſchwer: man
zog das Beinkleid über die Stiefel und verlängerte es bis zum
Fuß. Unter dem Directorium machte ſich zwar abermals wieder
eine Reaction zu Gunſten von Schuh und Strümpfen geltend,
und ſchon jubelten die Freunde des Alten, daß die ſüße Zier-
lichkeit gerettet ſei und das wohlgeformte Bein ebenſo wie früher
mit leichtem Schuh und elegantem Strumpf und nicht mit dem
plumpen, ſchweren Stiefel im Salon auftreten könne: aber da
ſchreitet die Entwicklung auf’s neue, ohne ſich zu überſtürzen, in
[316]III. Die Neuzeit.
ruhiger, jedoch unaufhaltſamer Entwicklung vorwärts, der ſich
nun auch Deutſchland ſowie die andern Länder nicht mehr ent-
ziehen können. Im Ganzen behielt das lange Beinkleid (die
Pantalons) noch eine mäßige, anliegende, oft tricotartige Enge,
und nur die Incroyables gefielen ſich in weiten, faltigen Nan-
kinghoſen.


Das Bild des Incroyable iſt mit dem großen, unförm-
lichen runden Hut, mit dem wirren Tituskopf oder dem langen,
ſchlichten, wie mit den Fingern durchkämmten, ſträhnigen Haar,
mit dem dreifachen Halstuch, Rock, weitem Beinkleid und Stie-
feln noch nicht fertig. Zu ſeiner Ergänzung gehören weſentlich,
vom Backenbart nicht zu reden, große ovale Ringe, die im Ohr-
läppchen hängen, und der kurze, keulenartige Knotenſtock, der
meiſt auf der Schulter oder unter dem Arm getragen wurde.


Man darf nicht glauben, daß Frankreich oder Paris allein
in den Strudeln der Revolution dieſe Blüthen des Stutzer-
thums erzeugte. Schon 1798 hatte ſie Deutſchland, in Nach-
ahmung befangen, wenigſtens in ſeinen Hauptſtädten. Hören
wir, was der Correſpondent im Journal des Luxus (10. Jan.
1798) von Berlin ſchreibt: „Faſt jeder Stand, jede Claſſe, z. B.
das Militär (nämlich außer der Uniform), die Akademien, die
junge Kaufmannswelt, der junge Adel der Höfe und Reſidenzen
hat ſeine eigenen Uebertreibungen und Carricaturen im Coſtüm.
England und Frankreich lieferten aber Deutſchland immer die
erſten Originale dazu, und waren ſtets die Klippen, an denen
der Verſtand und gute Geſchmack unſrer jungen Welt ſo oft
ſcheiterte. Frankreich ſtellte uns erſt ſeine ſüßen Petitsmaitres
und Elegants, hernach ſeine cyniſchen Sansculottes, und nun
ſeine wildfreien Incroyables, ſowie England ſeine Maccaronis,
Fine gentlemen und Bloods auf, und unſre jungen Deutſchen
franzöſirten und angliſirten ſich nach Herzensluſt und ſchraubten
natürlich die Wirbel noch um etwas höher, um doch auch von
dem Ihrigen etwas hinzuzuthun.“


Der Correſpondent liefert in der beigegebenen Zeichnung
einige Muſterbeiſpiele aus Berlin, denen an Haar und Hut,
[317]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Halstuch und Frack bis auf „lange, weite Matroſenhoſen von
Nanking im Winter“ nichts von der ganzen revolutionären
Stutzerherrlichkeit abgeht.


Die Wirkungen der franzöſiſchen Moderevolution auf
Deutſchland machen ſich zuerſt in ächt deutſcher Weiſe bemerk-
lich: man beginnt mit dem Raiſonnement. Man zieht die Zweck-
mäßigkeit der bisherigen Tracht, ſowie nicht minder ihre Un-
ſchönheit und Unnatürlichkeit in Zweifel und unterzieht ſie einer
öffentlichen Discuſſion. Man kann freilich an dem, was von
jenſeits des Rheins als Neues geboten wird, auch nicht viel
Vorzüge entdecken. In dieſem Dilemma macht man verſchiedene
Vorſchläge zu völlig neuen, willkürlich erſonnenen Coſtümen, als
ob es nicht in der Geſchichte und in der Natur der Sache liege,
das Vorhandene fort- und umzubilden, ſondern als ob der Ge-
genſtand eine tabula rasa ſei und der Menſch eine nackte Sta-
tue, die man zu drapiren habe. Eine Frage, die unter ſolchen
Umſtänden angeregt wurde, grade in der Zeit, als Deutſchland
wenige Jahre vor ſeiner tiefſten Erniedrigung ſtand, war die
Einführung einer Nationaltracht. Ein Patriot machte den
Vorſchlag, es auf dem Wege der Subſcription und der Vereinigung
durchzuführen: patriotiſch geſinnte Männer ſollten an allen grö-
ßeren und kleineren Orten Deutſchlands auftreten, Vereine
bilden und Unterſchriften ſammeln, die Anzahl derſelben dem
unbekannten Erfinder der Idee mittheilen, und wenn ſie in hin-
länglicher Weiſe vorhanden, ſollten nach einem währenddeß ver-
breiteten Modell an einem und demſelben Tage durch ganz
Deutſchland die Freunde und Freundinnen des Nationalcoſtüms
in der neuen Tracht öffentlich erſcheinen. Der Plan wurde im
Journal des Luxus und der Moden von einer Dame mit ſieg-
reichen Gründen bekämpft, und ſeitdem hörte man nichts mehr
davon.


Aber die Mode ſelbſt und der Uebergang der revolutionären
Tracht nach Deutſchland kümmerte ſich wenig darum und ging
mit ſichrem Schritt dem Siege entgegen, freilich nicht ohne daß
von oben her mannigfache Oppoſition gemacht wurde. Der
[318]III. Die Neuzeit.
Landgraf von Heſſen-Caſſel, derſelbe, welcher ſpäter als Kur-
fürſt nach dem Auskehren der weſtphäliſchen Wirthſchaft den
Zopf in ſeinen Staaten wieder einzuführen ſuchte, bediente ſich
eines Mittels, welches wohl öfter angewandt worden iſt. Er
ſuchte die neue Tracht, die er für ein Zeichen des Jakobinismus
hielt, verächtlich zu machen und kleidete deßhalb (1799) eine ge-
wiſſe Claſſe von Zuchthäuslern, die ſ. g. Galerenſklaven, wie
man ſie in Caſſel nannte, in dieſelbe. So trugen ſie den gro-
ßen Rundhut, einen Frack mit langem und breitem Schnitt von
dem gröbſten und ſchlechteſten Tuch von violetter Farbe, vorn
mit einer Reihe weit ſtehender Knöpfe, ungeheuer weit und
ſchlotternd; weite Pantalons von Trillig; einen ſchrecklichen
Halstuchwulſt von einer weit größeren Peripherie als der Kopf
ſelbſt; Schnabelſchuhe, wenigſtens eine Elle lang, von hartem,
ſchlechtem Leder mit zollhohen, plumpen Rahmenſohlen, einen
Kopf à la Charles XII., rattenkahl abgeſäbelt, deſſen Sturzeln
ſie alle Tage in die Höhe wichſen mußten. So werden ſie ge-
ſchildert, und ſo erſchienen ſie zum Schrecken aller Stutzer, mit
Ketten an den Gliedern und Werkzeugen zur Straßenſäuberung
in den Händen, freilich von einer Wache begleitet, an öffent-
lichen Orten, im Theater, auf der Straße, überall, wo der
Stutzer ſeinen Lieblingsaufenthalt hatte.


Wenn auch die Caſſelaner Stutzer vor ſolchem Anblick flo-
hen, ſo half die Maßregel auf die Dauer ſo wenig wie die An-
griffe, die man anderswo gegen den runden Hut als das
Hauptzeichen des Jakobinismus ſchleuderte. Es heißt unter an-
derm: „Der runde Hut ſchändet die Figur des Mannes eben ſo
ſehr als die Hundsohren, womit er ſich zu ſchmücken beliebt.
Unter der Ueberflügelung ſeines Hutes ſcheint er irgend eine
ſchändliche Abſicht, eine ſchwarze That auszubrüten, ſowie der
Bediente in der Komödie mit niedergeſtülptem Hut, zu dem
ſein Kamerad ſagte: er gleiche einem Mitverſchwornen, wie ein
Waſſertropfen dem andern .... Wenn ehemals in Paris ein
Miſſethäter zur öffentlichen Preisſtellung ausgeführt ward, ſo
bat er ſeinen Henker um die Erlaubniß, ſeinen Hut niederſchla-
[319]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
gen zu dürfen, und ſo mit niedergeſchlagenen Hutkrämpen in
dieſer Figur konnte er, die Schande ſeines Vergehens aus-
drückend, einen heilſamen Effect auf die Zuſchauer machen.
Offenbar iſt der runde Hut dem behülflich, der den Blicken an-
derer entſchlüpfen will, ein Mann von ſehr feinem Gefühl wird
daher ſchon ſich dadurch zweideutig zu machen fürchten. Dieſer
Hut iſt dadurch der Verworfenheit und Schande ein Schlupf-
winkel, und da er zudem die Geſichts- und Körperform entſtellt,
ſo darf er nicht allein gelten. Noch mehr, wie könnte ſich ein
Mann mit einer ausgezeichneten Staatskleidung ſtellen, wenn
er den runden Hut dazu trüge? Dies iſt platte Unmöglichkeit!
Dieſe Art von Kopfbedeckung wird daher immer nur für Leute
ohne — Rang paßlich ſein.“ Wir bemerken, es iſt derſelbe
ſchwarze Cylinderhut, den wir heute tragen.


Dies ſchrieb man 1797 von Holſtein aus. Gleichzeitig aber
heißt es: „Der runde Hut gewinnt alle Tage mehr Platz im An-
zuge der Männer, ſelbſt in den oberſten Claſſen. Bald wird der
dreieckigte aus ſeinem ſonſt ſo wohl begründeten Beſitzthum faſt
ganz verdrängt, und nur noch der Gefährte des Amtsrockes, des
Staatskleides und der militäriſchen Uniform ſein.“ In dieſem
Sinne hatte damals ein Engländer den ſonderbaren Einfall, eine
politiſche Karte von Deutſchland zu entwerfen, auf welcher er
den vorherrſchenden Stand der revolutionären oder monarchiſchen
Geſinnungen der deutſchen Städte durch einen beigeſetzten run-
den oder dreieckigen Hut bezeichnete. Er ſei auf die Hüte gereiſt,
ſagte er. In Hamburg ſei ein Huttriangel eine wahre Selten-
heit, in Berlin wolle der runde Hut, vermuthlich weil das Mili-
tär dort herrſchender ſei, ſchon weit weniger gedeihen, und in
Dresden getraue ſich der Beamtete und ſchon in reifern Jahren
ſtehende Mann, den reſpectswidrigen runden Hut höchſtens nur
bei einer Landpartie aufzuſetzen.


Der heftigſte Gegner der runden Hüte war Kaiſer Paul
von Rußland, der ebenfalls den Jakobinismus unter ihnen wit-
terte. Sie waren ſchon ziemlich tief in Rußland eingedrungen
und wurden wie der Frack ſelbſt von Beamten und Offizieren
[320]III. Die Neuzeit.
getragen, nicht ſelten in ſonderbarer Zuſammenſtellung mit an-
dern Stücken der ruſſiſchen Nationaltracht. Da verbot der Kai-
ſer ſie für ganz Rußland ohne alle Ausnahme und mit ſolcher
Strenge, daß er ſelbſt einen engliſchen Offizier über die Gränze
escortiren ließ, der mit einem runden Hut, damals einem Or-
donnanzſtück ſeiner Uniform, in Petersburg auf der Parade er-
ſchienen war.


Gegen die allgemeine Strömung der Zeit waren alle ſolche
Mittel vergebens: der runde Hut gelangte ſchon in den erſten
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts zu allgemeiner Anerken-
nung in Deutſchland. Wie ſehr er ſeitdem auf den Köpfen feſt-
gewurzelt iſt, obwohl man ihm weder Schönheit noch Zweck-
mäßigkeit nachrühmen kann, zeigt der neuſte Kampf der Gegen-
wart, den er mit dem kleinen grauen Schlapphut auszufechten
hat. Der letztere hat ganz dieſelbe Geſchichte durchzumachen wie
der runde Cylinderhut in den letzten Jahrzehnten des vorigen
Jahrhunderts, und es dürfte kein Zweifel ſein, daß er, ſeiner
politiſchen Anrüchigkeit nunmehr entledigt, den Sieg davon
tragen wird.


Der Krieg um den Hut iſt wie der Kampf mit der Haupt-
armee; mit der Niederlage des dreieckigen fallen der Puder, der
Zopf, auch der kleine fingerlange, und die deutſchen Köpfe
werden „tituficirt.“ Desgleichen verdrängen Stiefel und lan-
ges Beinkleid die Schuhe, Strümpfe und die Kniehoſe aus dem
gewöhnlichen Leben; nur zu Hofe gehen ſie noch. Natürlich blei-
ben eine Menge Pedanten und alter Herren übrig, welche an
den Erinnerungen und Ueberreſten ihrer goldenen galanten Ju-
gendzeit feſthalten. Ein Hauptereigniß war es, als König
Friedrich Wilhelm II. ſchon im Sommer 1797 im Bade zu Pyr-
mont in Pantalons erſchien.


Man kann etwa das Jahr 1804 oder 1805 als den Zeit-
punkt betrachten, in welchem das neue Coſtüm, ſeiner revolu-
tionären Bedeutung enthoben, zu einer Herrſchaft kam, an deren
Umſturz Niemand mehr denken konnte. Die ſchweren Kriege
Preußens und Oeſterreichs befreiten auch die Armee vom Zopf.
[321]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Was in den vornehmſten Ständen noch übrig geblieben war,
um die Anforderungen des Salons zu wahren, davon vertilgten
die Befreiungskriege den letzten Reſt, dem die kaiſerliche Re-
action Frankreichs noch eine Weile das Leben gefriſtet hatte.


Weniger heftig war in Deutſchland der Kampf und Wider-
ſtand gegen die neuen Moden in der weiblichen Welt. Man
kann nicht ſagen, daß die deutſchen Damen dieſer Zeit originelle
Erfindungs- oder nur Umbildungsgabe bewieſen hätten, obwohl
ihnen die Gelegenheit wurde, da unter der Herrſchaft des Terro-
rismus die Pariſer Vorbilder ausblieben. Die Engländerinnen
ergriffen für eine kurze Zeit die Zügel der Regirung im Reich
der Mode; wenigſtens muß man ihnen nachſagen, und es iſt
das in jener Zeit oft genug ausgeſprochen worden, daß ſie nicht
bloß ſich von den Extravaganzen der Pariſerinnen, vom weib-
lichen Sansculottismus, frei erhielten, ſondern auch die Ein-
flüſſe Frankreichs zwar über ſich ergehen ließen, aber doch zu
originellen Formen und Erſcheinungen umbildeten. Wenn eine
Pariſerin in den erſten Jahren dieſes Jahrhunderts einer Grie-
chin gleicht, ſoweit das eben eine Pariſerin vermag, ſo erinnert
die Engländerin mehr an romantiſche Geſtalten, an die Ritter-
frauen und Ritterfräulein, wie ſich die damalige Kunſt und ſpä-
ter die Düſſeldorfer Romantik dieſelben dachte. Die Englände-
rin mäßigt die hohe Taille, die Decolletirung und die dünnen
Gewänder und weiß den antiken Kopfputz in eigenthümlicher
Weiſe zu verändern, ſodaß ihre Erſcheinung immer den An-
ſtrich des Ariſtokratiſchen, den Schein edler Sitte darbietet.


Leider war es nicht ſo mit den deutſchen Frauen. Sie
waren nur zu ſehr geneigt, was ihnen Neues und Unerhörtes
von Frankreich kam, noch zu übertreiben. Obwohl in den Jah-
ren 1793 und 1794 die Verbindung zwiſchen Paris und
Deutſchland eine begreiflicher Weiſe, wie ſchon angedeutet
ſehr unterbrochene und feindliche war, ſo können wir doch die
Entwicklung der deutſchen Frauentracht ganz im Banne der
revolutionären Luft vorwärts ſchreiten ſehen. Gleichzeitig er-
liegen die hohen Hauben, und ſchon 1795 beginnt das Kleid an
Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 21
[322]III. Die Neuzeit.
der Bruſt griechiſchen Schnitt anzunehmen, und die Taille ſteigt
unter die Brüſte. In dieſem Jahr ſpricht man auch in Deutſch-
land ſchon von der griechiſchen Chemiſe, und bald hört man nur
noch von einer Tunica reden. Zu ihrer großen Verwunderung
kamen die eleganten Herren vom alten Datum im Jahr 1796
auf einmal zu dem Bewußtſein, daß die Frauen keine Taille
mehr hätten, und machten großes Geſchrei davon. Man ant-
wortete ihnen, wozu denn eine ſolche nöthig ſei? und deducirte
ihnen die Ueberflüſſigkeit, ja Unſchönheit derſelben an der grie-
chiſchen Statue: was nöthig und wünſchenswerth ſei, Schön-
heit und Beweglichkeit zugleich, gebe die lange Tunica, „weit
genug um den Gang nicht zu zwängen, für den Winter von
warmem gefütterten Zeuge, von leichtem für den Sommer;
und um ſie den Formen des Körpers ſo ſehr als möglich anzu-
ſchmiegen, umſchlingt man ſie mit einem Bande, einem Gürtel,
einer Schärpe, dort wo es ihn am mindeſten zwängt. Dieſer Ort
iſt natürlich die Zone unmittelbar über der Magenhöhle.“


In dieſer Weiſe hatte die Mode bisher niemals räſonnirt;
ſie hatte ſich wenig um Vernunft und Aeſthetik bekümmert. In
der Hauptſache blieb das auch jetzt. Zwar drang die Tunica mit
ihrer hohen Taille in gewiſſem Grade bis zur Allgemeingültigkeit
durch, obwohl ſelbſt die geiſtlichen Herrn mit orthodoxem Eifer
für die lange Taille und die Schnürbruſt in die Schranken tra-
ten. Schönheit wie Zweckmäßigkeit wurde jedoch nicht erreicht:
die deutſche Dame ſo wenig wie die Pariſerin vermochte ſich mit
Würde in der Griechentracht zu faſſen; im beſten Falle waren
ſie Schauſpielerinnen.


Die Haupteigenſchaft der antiken Tracht ſuchte man in der
Nacktheit, und hierin ſtanden auch deutſche Damen nicht hinter
den franzöſiſchen zurück. Selbſt im Winter ſollte ein einziges
hemdähnliches, oft dünnes Gewand genügen, ſodaß die Gefahr
zu erfrieren zuweilen nahe genug war. Dieſe Unannehmlichkeit,
Krankheiten, die daraus entſtanden, die Ermahnungen der Aerzte
halfen gleich wenig. Im April 1797 ſchreibt man aus Frank-
furt: „In der That iſt jetzt die Nuditätenmode bei manchen un-
[323]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
ſerer Schönen des Tages ſoweit gediehen, daß ſie von oben herab
einer ſchönen Wilden faſt ganz gleichen, und nunmehr nach Ein-
führung der langen fleiſchfarbenen Pantalons und nach Abſchaf-
fung der Hemden ihnen ſchlechterdings nichts mehr fehlt als das
elegante Tigerfell oder der leichte Federſchurz um die Lenden,
um das Coſtüm à la sauvage mitten in Deutſchland, wo ja
das Klima dieſer Tracht ſo günſtig iſt, zu vollenden. Denken
Sie ſich nun vollends das non plus ultra alles Lächerlichen:
alte Weiber von faſt funfzig Jahren in dieſer Tracht — und ich
kann es Ihnen beſchwören, ich habe welche ſo geſehen.“ Ver-
ſetzen wir uns zehn Jahre weiter zurück, ſo befinden wir uns
noch mitten in der Blüthe der Reifröcke, der Culs und Bouffan-
ten, und nun dieſe körperliche Unmittelbarkeit, ein Afterbild des
Griechenthums! Um aber nicht zu meinen, daß ſolche Erſchei-
nungen nur vereinzelt ſeien, wollen wir noch die folgende Stelle
eines Frankfurter Briefes vom 15. December 1802 mittheilen:
„Erwarten Sie keine Pelz- und Wintermoden von mir. Unſere
Damen ſind wenigſtens auf dem einen Punkt der Kälte alle
unverwundbar, alle in die Griechheit wie Achilles in den Styx
getaucht.“


Nicht weniger machten alsbald die Friſuren der deutſchen
Damen auf das Griechenthum Anſprüche. Sie verfolgten in
ihrer Nachahmung genau denſelben Gang wie die franzöſiſchen,
nur daß engliſche Umbildungen hier und da die Menge der For-
men noch bunter machten. Die hohen Hauben ſanken, das Haar
wurde rauh und ſtruppig, den Incroyables ähnlich, friſirt, der
Chignon abgeſchnitten, und nun ſtritten ſich der ſtarr auf-
ſtrebende, beſenartige Tituskopf und die antiken Coiffüren mit
allen möglichen Perrücken von Schwarz, Braun, Blond und
ſelbſt Orange um die Herrſchaft. Daneben ſpielt denn auch der
befiederte Turban ſeine Rolle, und als ob man ſich der ſtrup-
pigen Pudelköpfe ſchämte, bedeckte man ſie wieder mit den Hau-
ben und Hüten, die dann in directer Linie bis auf die heutigen
Formen herabgeſtiegen ſind.


Aber eben da griechiſche Formen und Nacktheit in freilich
21*
[324]III. Die Neuzeit.
ſchon entartender Blüthe ſtanden, um 1804 und 1805, trat die
Reaction und dann die Reſtauration ein, womit die Mode ihren
modernen Entwicklungsgang in ſtrenger, aber heute noch nicht
abgeſchloſſener Linie betritt. Es war das neugeſchaffene napo-
leoniſche Kaiſerthum, welches, nach imperialiſtiſchem Glanz be-
gierig, in die Vergangenheit zurückgriff. Schon 1802 ſah es am
Hofe des erſten Conſuls wenig republikaniſch aus. Die Stiefel
und die langen Beinkleider, die Säbel und Cocarden waren ver-
ſchwunden, und die ſchöne Zeit des Roccoco kam mit Schnallen-
ſchuhen und ſeidenen Strümpfen, mit Salondegen und den
Hüten unter dem Arm, mit den reich beſtickten Be dienten wieder
zum Vorſchein. Der erſte Conſul ſelbſt trug goldgeſtickten veil-
chenblauen Sammet, weißſeidene Strümpfe, Schuhe mit gol-
denen Schnallen und dazu wenigſtens eine einzige, wenn auch
ſeltſame Erinnerung an die Revolution, eine ſchwarze Hals-
binde. Schon galt es für anſtößig, daß Moreau auf einem Ball
des Kriegsminiſters mitten unter den Uniformen in ſchwarzer
Tuchkleidung erſchien. Aber wenn auch das Kaiſerthum in dieſem
Geiſte nur noch durchgreifender und prunkender verfuhr, ſo konnte
es doch die alten Moden in das Leben, in den Gang der Ge-
ſchichte nicht wieder zurückbringen; ſie führten nur eine todte, von
Hofdecreten abhängige Exiſtenz. Dennoch trat die Reaction ein,
aber ſie ging an den wirklich und noch lebendig vorhandenen
Formen, wie ſie die Revolution geſchaffen hatte, vor ſich, völlig
unbekümmert um das, was ſich an den Höfen ereignete. Es
blieben die Errungenſchaften, der einfache Frack und der Rock,
der runde Cylinderhut, Pantalons und Stiefel; und bei der
Frauentracht mußten die Veränderungen von dem unaufgebauſch-
ten Kleide und der hohen Taille, von der ſtarken Decolletirung,
von der antikiſirenden Kopftracht nebſt Hut und Haube aus-
gehen. Beim Frauenkleid oder der Tunica zeigt ſich, beiſpiels-
weiſe geſagt, die Reaction augenblicklich darin, daß das fließende,
wallende Gewand zum kurzen ſtraffen Kleid wird und allen Fal-
tenwurf zurückweiſet. Im Moment gewahren wir wieder, wie
in allen ähnlichen Zeiten, die Neigung zu verſteifen und zu ver-
[325]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
engen. Wenn nun die Reſtauration an Kopf und Kragen, mit
Barett und Federn und Puffen in das ſechszehnte Jahrhundert
und in die Zeit des dreißigjährigen Kriegs zurückgreift, ſo iſt da-
von einerſeits der moderne Eklekticismus die Urſache, dem es
ſchwer wird, noch wirklich Neues zu erzeugen, andrerſeits aber
der Einfluß der Romantik, welche die Coſtüme jener Zeit für die
mittelalterlich ritterlichen nahm.


Wir können nicht weiter auf die Entwicklung des gegen-
wärtigen Coſtüms eingehen: ſie liegt der Erinnerung der Mit-
lebenden noch zu nahe und iſt nicht abgeſchloſſen genug, um als
Ganzes überſehen werden zu können, wenn auch die politiſchen
Ereigniſſe und die culturgeſchichtlichen Wandlungen bedeutend
genug eingewirkt haben, um in den Formen deutlich erkennbar
zu ſein. Wir wollen zum Schluß nur noch in Kürze den großen
Gang des Geſchmackes in den letzten Perioden an einem Gegen-
ſtande uns wieder vorführen, den wir bisher vernachläſſigten,
um ihn im Zuſammenhang zu betrachten, an der Farbe.


Wir rufen uns das Ende des ſechszehnten Jahrhunderts
in die Erinnerung zurück, als der Umſchlag der reformatoriſchen
Bewegungen vom politiſchen und confeſſionellen auf das mora-
liſche Gebiet und auf das Gewiſſen des Einzelnen und ebenſo
die dadurch entſtandene Bußfertigkeit, ſowie nicht minder die
neu erwachte Energie des Katholicismus dem Antlitz der Menſch-
heit die unbefangene Heiterkeit und ihrem Aeußern den hellen,
bunten Farbenreiz genommen hatten. Selbſt die ſtarre Seide
des Spaniers, der ſo gern in glühendem Roth, Weiß und bren-
nendem Geld einherſtolzirte, war dem ſchwarzen Sammet ge-
wichen. Von Kopf zu Fuß kleiden ſich in Schwarz der vornehme
Niederländer und der deutſche Rathsherr, wozu nur die goldene
Kette und der weiße Kragen den Gegenſatz bilden; ehrbar dunkle
Farben wählt auch der deutſche Bürger und zwar faſt immer eine
und dieſelbe für den ganzen Anzug. Kaum daß noch der Lands-
knecht am weitärmeligen Wamms und flatternder Pluderhoſe
etwas Farbe in das ernſte Bild bringt; und ſelbſt die Frauen
können ſich trotz ihrer leichteren Art der allgemeinen Richtung
[326]III. Die Neuzeit.
nicht entziehen. Nur die höchſten Feſttage des Lebens zeigen ſie
in heller, glänzender, bunter Pracht.


Wenn man die zahlreichen Portraits der Niederländer be-
trachtet, des Rubens, van Dyck und ihrer Zeitgenoſſen, ſo ſollte
man meinen, es ſei der Anblick der Menſchen in der erſten Hälfte
des ſiebzehnten Jahrhunderts derſelbe geblieben. Allein ſelbſt in
den Niederlanden waren es nur die Männer und zwar vorzugs-
weiſe der wohlhabenden Claſſen, denen der ſolide, ſchwere Ernſt
des ſchwarzen Sammets gefiel, und den ſie mit nobler Haltung
zu verbinden wußten; die Frauen machten ein glänzendes, faſt
farbenüppiges Gegenbild dazu, das aber der allgemeine Ge-
ſchmack, der Farbenſinn, den die niederländiſche Kunſt hervor-
rief, zu wirkungsvoller, doch wohlthuender Harmonie zuſammen
ſtimmte. In Deutſchland war alsbald die Aufregung des
Krieges drauf und dran, den finſtern Ernſt der Kleidung zu ver-
jagen, ſo ſehr, daß nun die proteſtantiſchen Geiſtlichen ſelbſt die
Hülfe der Obrigkeiten herbeiriefen, um wenigſtens für die Kirche
den ſchwarzen Anzug aufrecht zu erhalten. Vordem hatte nie-
mand daran Anſtoß genommen wenn die heitere Farbenluſt auch
in der Kirche zum Gottesdienſt ſich einſtellte, zumal die alte
Kirche ſelbſt ihre feierlichen Handlungen mit höchſter Pracht be-
gleitete. Die Zeit des dreißigjährigen Kriegs ſah überall im
Leben die hellen Farben wieder emporblühen und überließ das
Schwarz der proteſtantiſchen Geiſtlichkeit und rathsherrlicher
Würde in den Reichsſtädten, die mit zähem Beharren beim Alten
blieben. Auf die übrige Welt ſcheint etwas vom niederländiſchen
Farbenſinn übergegangen zu ſein; man verbindet die vollen
Farben mit gebrochenen und weiß ſie zuſammen zu ſtimmen,
vielleicht unabſichtlich, aber doch mit richtigem Gefühl.


Das ändert ſich in dem Zeitalter des großen Ludwig. Wir
haben oben kennen lernen, wie der Charakter dieſer Periode ſich
aus den ſtärkſten Gegenſätzen zuſammenbildet. Die abgeſtumpf-
ten Naturen bedurften ſtarker Reizmittel; für Feinheit war kein
Gefühl vorhanden, und ſo ſchwindet der künſtleriſche Sinn, der
Reiz der vollendeten Harmonie, die eigentliche Farbenſtimmung.
[327]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
Man liebt nun die vollen und ganzen Farben; je kräftiger, ſatter
oder leuchtender ſie wirken, um ſo beſſer. Ein feuriges oder
tiefdunkles Roth, ein leuchtendes oder geſättigtes Blau, das
grelle, brennende Gelb und ein warmes Grün nebſt dem wir-
kungsvollen, hervorſtrahlenden Golde ſind freilich durchaus keine
Mängel in dem farbigen Bilde der Menſchheit, aber damals
ſetzte man ſie unverbunden ohne Zwiſchenſtufen in breiten Maſ-
ſen neben einander. Die Wirkung iſt eine blendende, betäubende,
und ſolche Pracht entſprach vollkommen den Intentionen Lud-
wigs XIV.; man konnte keine ſchreienden Mißtöne wahrnehmen,
aber das Uebermaß des Farbenprunkes ſchlug das feine Gefühl
wie mit Kolben todt. Dieſer Sinn gehörte nicht bloß Lud-
wig XIV. und dem franzöſiſchen Hof allein; er war Gemeingut
oder vielmehr Gemeinübel der ganzen Zeit. Alles kleidete ſich
in ähnlichen Gegenſätzen, und Blau und Roth mit reichem Golde
dazu waren die Lieblingsfarben. Dieſem Geſchmacke entſprach
auch die Vorliebe für die ſchwerſten Sammt- und Seidenſtoffe,
welche, in bauſchiger Maſſe getragen, den großgebrochenen, brei-
ten und eckigen Faltenwurf hervorbrachten.


Nun kam die Schwäche und Süßlichkeit des Zopfes. Wie
das architektoniſche Gefühl ſich an die ſtarken Profilirungen ſtieß
und an die Maſſenhaftigkeit des vortretenden Ornaments, ſo
wurde der Farbenſinn von der Ueberkraft des früheren Colorits
zurückgeſtoßen. Man brach die Farben und dämpfte ſie zu un-
beſtimmten Miſchfarben. Man wollte ſelbſt das Schwarz nicht
mehr haben und bekämpfte es von allen Seiten; ſogar die ſchwarze
Trauer ſollte aufgehoben werden. Grau, Grünlich, Bräunlich,
Changeant aller Art und dergleichen waren die Farben, welche
der charakterloſen Schwäche, dem unbeſtimmten Sehnen und
Schweben in der Welt der Gefühle, der unbewußten Unzu-
friedenheit mit der allerdings troſtloſen Gegenwart, der träume-
riſchen Sentimentalität trefflichſt zuſagten. Das zarte Blaßroſa
kann als die Lieblingsfarbe der ſchönen Seelen betrachtet werden.
Selbſt die bunten, geblümten Kleiderſtoffe waren aus dieſen
Miſchfarben zuſammengeſetzt; kräftigere, lebhafte Farben, die
[328]III. Die Neuzeit.
allenfalls ſich darin befanden, waren nur ſo nebenbei und ſtanden
ſo zurück, daß ſie nur halfen das ungewiſſe, unbeſtimmbare
Lüſtre des Ganzen zu vollenden. Ein Mann, der in guter Ge-
ſellſchaft in Türkiſchroth oder purpurgeblümtem Stoff erſchien,
verrieth damit augenblicklich ſeinen Ungeſchmack und ſeine Her-
kunft, mochte er auch noch ſo koſtbar gekleidet ſein.


Die franzöſiſche Revolution brachte der männlichen Welt
eine gewiſſe Gleichgültigkeit gegen die Farben, welcher ſchon
theilweiſe der vorhergehende Geſchmack entſprochen hatte. Unter
dem Ernſt des Lebens, unter den politiſchen und perſönlichen
Sorgen verſchwand die alte Luſt, die ſich in der Zopfzeit gegen-
über der ſpäter eintretenden Sentimentalität noch in ſtill behag-
lichem Daſein als beſcheidene Lebensfreude erhalten hatte. Tra-
ditionell ſteht der Großväter Jugendzeit noch vor unſrer kind-
lichen Erinnerung als die eines behaglichen, aber beſchränkten
Familienglückes. Ruhig im Backenlehnſtuhl ſitzend, ließ man
weit dahinten die Völker auf einander ſchlagen, ohne ſich zu alteri-
ren. Aber die Revolution brach wie ein Störenfried in dieſes
ſtille Glück; der Mann war aus dem gleichen, in ſich zurück-
kehrenden Gleiſe ſeines Daſeins geriſſen, hatte den Halt und
damit auch die Freude an dem Daſein verloren. Er legt die
ſchönen buntgeblümten Weſten und Röcke ab, ſtellt den Stock
mit dem vergoldeten Knopf in die unbeachtete Ecke, und trägt
nur eine Zeit lang noch, wie ein Hinſterben der alten Luſt, die
in gebrochenen Farben geſtreiften Gewänder. Namen wie cou-
leur boue de Paris, couleur soupirs étouffés, couleur de
larmes indiscrètes, couleur de nymphe émue
geben ſchon für
ſich die veränderte Zeitrichtung zu erkennen. Die dunklen oder
die Mißfarben gewinnen die Oberhand, und als ein Hauptvor-
zug erſcheint, daß die Farbe nicht ſchmutzt. Dieſe Rützlichkeits-
frage aufzuwerfen, fiel früher niemand ein. So tragen die
Männer der Revolutionsperiode Braun und Bräunlich in ver-
ſchiedener Brechung, Bouteillen- und Olivengrün, Kaffeebraun,
Violett und was ſonſt hierher gehört, höchſtens daß eine hellere
Weſte und das ſchwefelgelbe oder nankinggelbe Beinkleid eine
[329]5. Die Periode des Zopfes und die Revolution.
einförmige Variation in das traurige Bild hineinbringen. Das
heutige Männergeſchlecht hat die Abneigung gegen die Farbe
überkommen. Bei der höchſten Luſt und dem tiefſten Ernſt haben
wir weiter nichts übrig behalten als die Negationen der Farbe,
Schwarz und Weiß; und ſelbſt im gewöhnlichen Leben, nament-
lich in der Heiterkeit des Sommers, iſt Grau mit allen ſeinen
Nüancen die Lieblingsfarbe.


Die Frauen haben ſich darin beſſer geſtellt, und es iſt als
ein Glück zu betrachten, daß durch ſie die moderne Staffage doch
etwas Farbe gewinnt. In der Revolution freilich waren auch
ſie nahe daran, vollkommen in dieſer Beziehung Schiffbruch zu
leiden. Es trat der umgekehrte Gang ein wie in der männlichen
Welt. Während dieſe ein immer ernſteres und trüberes Aus-
ſehen gewann, verblaßte die ohnehin ſchon nicht lebhafte Frauen-
kleidung in ihrem Geſammtanblick mehr und mehr. Man glaubt
den Kampf, das Widerſtreben gegen dieſes Abſterben zu ſehen,
wenn die Damen zu ihrem Kleid von verblaßtem Roſa oder Vio-
lett noch ein lebhafteres blaues oder rothes Band, z. B. das
eine Zeit beliebte Nacarat, im Kopfputz oder an der Schulter
anzubringen wiſſen. Umſonſt, es tritt die Gräkomanie hervor,
und mit ihr kommt Weiß zur faſt alleinigen Herrſchaft. Nur
ganz beſcheiden erſcheinen daneben noch in der Geſellſchaft blaß
angehauchte farbige Stoffe. Die Reaction und Reſtauration,
wie ſie die griechiſche Nachahmung allmählig unkenntlich machen,
ſo geben ſie auch wieder Farbe der weiblichen Erſcheinung. Es
iſt charakteriſtiſch, in welcher Art dies geſchieht. Zunächſt näm-
lich erhalten Farbe alle diejenigen Theile, mit welchen das
Griechenthum nichts zu thun hat, Schuhe, Handſchuhe, Hüte
und Hauben. So waren z. B. vor dem Jahr 1810 Damen
ganz in der weißen Tunica mit farbigen Schuhen und Hand-
ſchuhen ballmäßig gekleidet. Man ſah vielfach weißgekleidete
Damen, welche z. B. rothe oder gelbe oder olivengrüne Schuhe
trugen und dazu blaue, grüne, braune Handſchuhe. Auch Hut
und Federn duldeten Farbe. Dann ſprang ſie auf die Schärpe
oder den Gürtel und den Beſatz des Kleides über, und endlich
[330]III. Die Neuzeit.
gab es auch wieder volle, doch einfach farbige Kleider, denen bald
die bunten folgten. Heutiges Tages haben wir ſie alle mitein-
ander, aber um ſo ſchwerer iſt auch die Aufgabe der Dame, die
richtige Wahl zu treffen und verſchiedene Farben zur feinge-
ſtimmten Harmonie zu bringen.


[[331]]

Appendix A Sach- und Namenregiſter.*)


  • Adalbert, Erzbiſchof von Rheims
    I, 71.
  • Alamode II, 169.
  • Alamode, Monſieur II, 184.
  • Alberoni, Cardinal II, 231.
  • Altfränkiſch II, 169.
  • Amerika, Modeeinfluß II, 300.
  • Amtstracht in den Reichsſtädten,
    17. Jahrh. II, 257.
  • Anjou, Fulco von, I, 245.
  • Arbeitsleute, 15. Jahrh. I, 311.
  • Aermel, 15. Jahrh. I, 306.
  • Aermel, lange, 12. Jahrh. I, 106;
    14. Jahrh. I, 209.
  • Auchenfurt, Ritter von, I, 105.
  • Bäder I, 87.
  • Baiern, Volkstracht II, 262.
  • Baigneuſe II, 282.
  • Baldachin I, 163.
  • Ballfeſt, niederländiſches, 15. Jahrh.
    I, 280.
  • Ballfeſt von 1510, II, 53.
  • Barett der Frauen II, 67.
  • Barett der Männer II, 24.
  • Barragan I, 161.

  • Bart, alte Zeit I, 63; 12—13.
    Jahrh. I, 138; 14. Jahrh. I, 205;
    16. Jahrh. II, 20; 17. Jahrh.
    II, 189. 237; 18—19. Jahrh.
    II, 314.
  • Bartloſigkeit, 15. Jahrh. I, 230.
  • Baſſompierre II, 152.
  • Bauern, elſäſſiſche, Ueppigkeit, 15.
    Jahrh. I, 313.
  • Bauern, öſterreichiſche, Luxus, 13.
    Jahrh. I, 155.
  • Bauernhaar, 13. Jahrh. I, 141.
  • Bauerntracht, 12—14. Jahrh. I,
    154; 16. Jahrh. II, 160. 163.
  • Baugen I, 15.
  • Beinkleid, alte Zeit, I, 5. 24. 60.
    64; 12—15. Jahrh. I, 135. 202;
    16. Jahrh. II, 30. 121; 17. Jahrh.
    II, 177. 192. 240; 18. Jahrh. II,
    274. 315.
  • Beinkleid, ſpaniſches, II, 86.
  • Bernauer, Agnes, I, 232.
  • Bettler, 15. Jahrh. I, 315.
  • Biſamapfel II, 156.
  • Blankſcheit II, 251.
  • Böhmen, Eliſabeth, Königin, I, 211.

Falke, Trachten- und Modenwelt. II. 22
[332]Sach- u. Namenregiſter.
  • Böhmen, Wenzel, König, I, 134.
    138. 139.
  • Böhmen, Luxustrachten, 14. Jahrh.
    I, 217.
  • Borſt, Prediger, II, 228.
  • Botenlauben, Beatrix, I, 110.
  • Botenlauben, Otto, I, 134.
  • Bouffanten II, 289.
  • Brandenburg, Joachim II., II, 50.
  • Brandenburg, Prinzeſſinnen, Töchter
    des Albrecht Achilles, I, 295.
  • Braunſchweig, Anna, I, 239.
  • Braunſchweig, Eliſabeth, II, 113.
  • Brige, Margaretha, I, 289.
  • Brille, 16. Jahrh. II, 95.
  • Bruche I, 136.
  • Bruno, Erzbiſchof, I, 69.
  • Brüſtchen II, 162.
  • Bruſthemd I, 298. 305.
  • Bruſtſtück, 16. Jahrh. II, 72.
  • Bruſttuch II, 304.
  • Buckeram I, 161.
  • Bundſchuh I, 313.
  • Bureaukratie II, 293.
  • Bürgertracht II, 159. 161.
  • Bürgertracht ſ. auch Volkstracht.
  • Burgund, Etiquette, I, 265. 271.
  • Burgund, Hochzeitszug, I, 22.
  • Burgund, Hoftracht, I, 260.
  • Burgund, Karl der Kühne, I, 264.
  • Burgund, Maria, Taufe, I, 261.
  • Buſen, falſche, II, 305.
  • Buſenkrauſe II, 271.
  • Byzanz, Tracht, I, 56. 59. 62. 69.
  • Calotte II, 27.
  • Capiſtrano, Johann, I, 175.
  • Caraco II, 299.
  • Caſſel, Oppoſition gegen das revo-
    lutionäre Stutzerthum, II, 318.
  • Cemmerer, Henne, I, 290.
  • Chatter, Haartracht, I, 12.
  • Chenille II, 302.
  • Chignon II, 278.
  • Chlamys I, 20.
  • Cimbern I, 2.
  • Claudius Civilis I, 12.
  • Cleve, Adolf, I, 242.
  • Coiffüren, hohe, 18. Jahrh. II, 279.
  • Collett II, 179.
  • Conſulartracht I, 26.
  • Contouche II, 289.

  • Corſett I, 111.
  • Cotte-hardie I, 270.
  • Cul II, 289.
  • Cyclat I, 163.
  • Dänemark, Chriſtian IV., II, 189.
  • Dänemark, Friedrich III., II, 189.
  • David, Maler, II, 308.
  • Decolletirung, 10. Jahrh. I, 67;
    16. Jahrh. II, 70. 126; 17. Jahrh.
    II, 200. 252.
  • Decolletirung der Männer I, 285;
    II, 56.
  • Degen, 18. Jahrh. II, 274.
  • Degen, ſpaniſcher, II, 90.
  • Deutſchland, Beatrix, I, 100.
  • Deutſchland, Ferdinand I., II, 23.
  • Deutſchland, Friedrich I., I, 133.
    138. 139. 140.
  • Deutſchland, Günther, I, 205.
  • Deutſchland, Heinrich II., I, 62.
  • Deutſchland, Heinrich VI., I, 134.
    136. 138. 139.
  • Deutſchland, Karl der Große, I, 30.
  • Deutſchland, Karl der Kahle, I, 56.
  • Deutſchland, Karl V., II, 23.
  • Deutſchland, Ludwig der Fromme,
    I, 41.
  • Deutſchland, Lutgard und Töchter
    Karls d. Gr., I, 33.
  • Deutſchland, Maria Blanca, I, 291.
  • Deutſchland, Maximilian I., I, 286;
    II,
    23.
  • Deutſchland, Otto I., I, 57.
  • Deutſchland, Otto III., I, 61.
  • Deutſchland, Sigismund, I, 230.
  • Dienſtboten, 15. Jahrh. I, 314.
  • Ditmarſen, II, 166.
  • Doppelkleid, 12. Jahrh. I, 100;
    14. Jahrh. I, 169. 212; 15.
    Jahrh. I, 304; 16. Jahrh. II,
    130.
  • Dormeuſe II, 282.
  • Dupfing I, 202, 213.
  • Dürer, Albrecht, I, 286; II, 23.
  • Duſing I, 242.
  • Ehingen, Wolf von, I, 292.
  • Ehrbarkeit der männlichen Tracht,
    15. Jahrh. I, 300.
  • Eid, Biſchof von Meiſſen, I, 64.

[333]Sach- u. Namenregiſter.
  • Eitelkeit, weibiſche, der Männer,
    15. Jahrh. I, 285.
  • Emailleſchmuck I, 289.
  • Enge der Tracht, 14. 15. Jahrh.
    I, 194. 213. 223.
  • England, Eleonore, I, 103.
  • England, Eliſabeth, Königin, II,
    108.
  • England, Eliſabeth, Prinzeſſin, II,
    199.
  • England, Heinrich II., I, 245.
  • England, Heinrich V., I, 226.
  • England, Iſabella, I, 103. 235.
  • England, Mathilde, I, 70.
  • England, Richard II., I, 226.
  • Engländer, 16. Jahrh. II, 108.
  • Engländerinnen, 18—19. Jahrh.
    II, 321.
  • Ervais II, 226.
  • Fächer II, 145. 255. 299.
  • Falſchheiten der Tracht I, 209. II,
    305. 314.
  • Faltenwurf, Karolingerzeit, I, 47;
    13. Jahrh. I, 97.
  • Farben, älteſte Zeit, I, 7; 12—14.
    Jahrh. I, 158; 15. Jahrh. I,
    294; 16. Jahrh. II, 147.
  • Farben, allegoriſche, 14. 15. Jahrh.
    I, 253; 16—19. Jahrh. II, 325.
  • Farbentheilung, 16. Jahrh. II, 41.
  • Farbentheilung ſ. auch Mi-parti.
  • Faveurs II, 189.
  • Favorit II, 314.
  • Fichu II, 304.
  • Flinder I, 303.
  • Flinderhaube I, 260.
  • Fontange II, 245.
  • Fontanges, Mad. de, II, 245.
  • Frack II, 272. 297.
  • Frack der Frauen II, 299.
  • Frank, Dorothea, I, 289.
  • Franken I, 26. 37.
  • Franken, Frauentracht, I, 37.
  • Franken, Haartracht, I, 10. 26.
  • Franken, kurzer Rock, I, 57.
  • Franken, Chlodwig, I, 26.
  • Franken, Chlotilde, I, 26. 29.
  • Franken, Rigunthe, I, 28.
  • Frankreich, Franz I., II, 21.
  • Frankreich, Heinrich III., II, 105.
    148. 152.

  • Frankreich, Heinrich IV., II, 105.
    152.
  • Frankreich, Iſabella, I, 212. 260.
  • Frankreich, Ludwig XIII., II, 226.
  • Frankreich, Ludwig XIV., II, 213.
    226. 231. 327.
  • Frankreich, Ludwig XVI., II, 301.
  • Frankreich, Maria Medicis, II, 151.
  • Frankreich, Modeherrſchaft, II, 169.
    222.
  • Franzoſen, 16. Jahrh. II, 103.
  • Freigeiſter des 18. Jahrh. II, 296.
  • Fries I, 161.
  • Fritſchal I, 161.
  • Galakleidung, 18. Jahrh. 2. Hälfte,
    II, 302. 304.
  • Gänſebauch II, 87.
  • Gebende I, 119.
  • Geckengeſellſchaft I, 142.
  • Geiſtlichkeit, Haartracht, 17. 18.
    Jahrh. II, 228.
  • Geiſtlichkeit, Luxus, 10. Jahrh. I,
    69. 71; 14. Jahrh. I, 175.
  • Geiſtlichkeit, reformirte, II, 62.
  • Geiſtlichkeit, Verhältniß zur Mode,
    II, 227.
  • Gelehrtentracht, 15. Jahrh. I, 301;
    16. Jahrh. II, 62.
  • Geſchmack, 9. Jahrh. I, 47.
  • Goldgier I, 43.
  • Goldſtoff I, 235; II, 75.
  • Goller I, 168. 308; II, 73. 162.
  • Goethe in Werthermontirung II, 297.
  • Gräcismus II, 308.
  • Grande Parure, 18. Jahrh. II, 281.
  • Grecque, à la, II, 310.
  • Gros, Johann Philipp, II, 230.
  • Gugel I, 204. 215.
  • Guillan, Frau, II, 109.
  • Gürtel, 12. Jahrh. I, 112; 14.
    Jahrh. I, 168. 201. 213; 16.
    Jahrh. II, 74. 96.
  • Haar, blondes, I, 8. 90.
  • Haar, falſches, 15. Jahrh. I, 287;
    16. Jahrh. II, 111. 135.
  • Haar, ſchwarzes, 17. Jahrh. II, 246.
  • Haarbeutel II, 235.
  • Haarfärben I, 8. 287; II, 102.
  • Haarhaube II, 27.
  • Haarpflege, 15. Jahrh. I, 286.

22*
[334]Sach- u. Namenregiſter.
  • Haarſchmuck, 16. Jahrh. II, 136.
  • Haartracht der Frauen, alte Zeit, I,
    8. 33. 36. 66. 67; 12. 13. Jahrh.
    I, 117; 14. 15. Jahrh. I, 169.
    214; 16. Jahrh. II, 68; 17.
    Jahrh. II, 198. 244; 18. Jahrh.
    II, 277.
  • Haartracht der Männer, alte Zeit,
    I, 9. 59. 63; 12—14. Jahrh.
    I, 138. 206; 14. 15. Jahrh. I,
    229; 16. Jahrh. II, 19. 119;
    17. Jahrh. II, 174. 188. 223;
    18. Jahrh. II, 266. 281. 312. 323.
  • Haartracht, ſpaniſche, II, 88.
  • Halstuch II, 239. 315.
  • Handſchuhe, alte Zeit, I, 69; 12. 13.
    Jahrh. I, 123; 14. 15. Jahrh.
    I, 309; 16. Jahrh. II, 137; 17.
    Jahrh. II, 255.
  • Hängeärmel I, 224. 230.
  • Harzkappe II,[] 125.
  • Häßlichkeit, 13. Jahrh. I, 95.
  • Hauben, 15. Jahrh. I, 302; 16.
    Jahrh. II, 65; 17. Jahrh. II,
    259; 18. Jahrh. II, 281.
  • Hauben, burgundiſche, I, 274.
  • Hautpflege I, 86; II, 156.
  • Heilige in burgundiſcher Tracht, I,
    263.
  • Hemd I, 64. 102. 127; II, 56.
  • Hemdpreiſe, 16. Jahrh. II, 120.
  • Hemd, bunter Einſatz, I, 298. 305.
  • Henri quatre II, 104.
  • Heriſſon, Friſur, II, 298.
  • Herold, der Däne, Taufe, I, 42.
  • Herzogshut I, 142.
  • Hof Karls des Großen I, 33.
  • Hoffartsteufel II, 115.
  • Hofluxus, 10. Jahrh. I, 69.
  • Hofluxus, fränkiſcher, I, 33.
  • Hoftracht, burgundiſche, I, 266.
  • Hoftracht, kaiſerlich franzöſiſche, II,
    324.
  • Hoike I, 207. 210.
  • Holländer II, 165.
  • Holzhauſen, Gudela, I, 221.
  • Hornfeſſel I, 243.
  • Hoſe ſ. Beinkleid.
  • Hoſenteufel II, 48.
  • Hulle I, 215.
  • Hut, 10. Jahrh. I, 60; 12. 13.
    Jahrh. I, 122. 142; 14. 15.
    Jahrh. I, 227. 302; 16. Jahrh.
    II, 89; 17. Jahrh. II, 177. 190.
    238; 18. Jahrh. II, 270. 281.
    297.
  • Hut à l’Androsmane II, 203.
  • Hut, burgundiſcher, I, 269.
  • Hut Karls des Kühnen I, 269.
  • Hut, runder, 18. Jahrh. II, 297;
    Kampf mit dem dreieckigen II, 318.
  • Hut, ſpaniſcher, II, 89.
  • Hut im Kampf mit dem Barett II,
    117.
  • Hutten, Ulrich von, II, 117.
  • Incroyable II, 315.
  • Italiener, 16. Jahrh. II, 100.
  • Jabot II, 271.
  • Jacke I, 198. 298.
  • Jagdrock, 13. Jahrh. I, 132.
  • Jagdzug Karls des Großen I, 33.
  • Judenhut I, 143.
  • Juſtaucorps II, 241. 271.
  • Kamelot I, 161.
  • Kamm I, 69.
  • Kappe I, 117. 131.
  • Kleiderordnungen I, 179.
  • Kleiderordnungen des Adels I, 189.
  • Kleiderordnungen von Augsburg I,
    188; II,
    57.
  • Kleiderordnung von Braunſchweig
    II, 207.
  • Kleiderordnung von Conſtanz I, 223.
  • Kleiderordnung von Florenz I, 180.
  • Kleiderordnung von Hannover II,
    275.
  • Kleiderordnung von Hildesheim II,
    208.
  • Kleiderordnung von Holſtein II, 208.
  • Kleiderordnung Karls des Großen
    I. 40.
  • Kleiderordnung Karls VII. von Frank-
    reich I, 180.
  • Kleiderordnung von Mailand I, 180.
  • Kleiderordnungen von München I,
    187; II,
    293.
  • Kleiderordnung von Nürnberg I,
    181. 237.
  • Kleiderordnung Philipps des Schönen
    von Frankreich I, 179.
  • Kleiderordnungen des Reichs I, 190;
    II,
    57.

[335]Sach- u. Namenregiſter.
  • Kleiderordnungen in Sachſen I, 188;
    II,
    207.
  • Kleiderordnung von Speier I, 181.
  • Kleiderordnung von Straßburg I,
    184; II,
    261.
  • Kleiderordnungen von Ulm I, 185.
  • Kleiderordnung von Zürich I, 183.
  • Kleidervorrath, 15. Jahrh. I, 291.
  • Kleinſpalt I, 166.
  • Klingenberg, Johannes, I, 222.
  • Kniehoſe II, 44. 242.
  • Kolbe II, 22.
  • Koller ſ. Goller.
  • Kopfſchmuck der Frauen I, 119.
  • Kopfſchmuck ſ. auch Haartracht.
  • Kragen II, 200. 239. 252.
  • Kragen, walloniſcher, II, 176.
  • Krauſe II, 95. 120. 134. 174.
  • Krauſenſtärke II, 109.
  • Kröſe II, 120.
  • Kruſeler I, 215.
  • Kurſat I, 111.
  • Kürſen I, 111.
  • Kurzabold I, 117.
  • Kürze der Tracht, 14. Jahrh. I, 194.
  • Lacerna I, 19.
  • Lancaſter, Heinrich von, I, 199.
  • Landsknechte II, 34.
  • Lange, Gabriel, II, 152.
  • Langobarden I, 23.
  • Langobarden, Adelwald I, 24.
  • Langobarden, Algis, I, 17.
  • Langobarden, Arichis, I, 25.
  • Langobarden, Haartracht, I, 11.
  • Latour-Landry, Ritter, I, 176. 193.
  • Lauremberg, Hans Wilmſen, II, 211.
  • Leibchen, Trennung vom Kleid, I,
    307.
  • Leinwand I, 6. 24. 163.
  • Leinwand, byzantiniſche, I, 70.
  • Lendner I, 168. 199.
  • Liechtenſtein, Ulrich von, I, 97. 121.
    126.
  • Liutprand, Biſchof, I, 69.
  • Loden I, 169.
  • Logau, Friedrich von, II, 210.
  • Löſchenkohl, Fächerfabrikant, II, 300.
  • St. Magdalena in niederländiſchem
    Putz I, 280.
  • Mahoitres I, 267.

  • Mandelsloh, Barthold von, II, 142.
  • Manſchetten II, 179. 201.
  • Mantel, älteſte Zeit, I, 3. 37. 38;
    12. 13. Jahrh. I, 115. 133;
    14. Jahrh. I, 169. 206. 210; 14.
    15. Jahrh. I, 234. 308; 16.
    Jahrh. II, 74. 162; 17. Jahrh.
    II, 179.
  • Mantel, frieſiſcher, I, 37.
  • Mantel, galliſcher, I, 38.
  • Mantel, Hoftracht, 15. Jahrh. I,
    273.
  • Mantel, kurzer, 15. Jahrh. I, 300.
  • Mantel, ſpaniſcher, II, 89. 96.
  • Mantille II, 133.
  • Marderhaube II, 259.
  • St. Maria Tracht, 15. Jahrh. I,
    281.
  • Marktverkäufer 15. Jahrh. I, 311.
  • Masken II, 107.
  • Mecklenburg, Albrecht, II, 237.
  • Mi-parti I, 60. 68. 146.
  • Mode, Entſtehung I, 192.
  • Moſcheroſch, Johann Michael, II,
    209.
  • Mouches II, 247.
  • Muff II, 255.
  • Muffer II, 267.
  • Muſchelbund II, 260.
  • Musculus, Andreas, II, 48.
  • Muſter der Kleider II, 48. 303.
  • Mütze 13. Jahrh. I, 144; 14. 15.
    Jahrh. I, 226; 15. Jahrh. I, 302.
  • Mütze, rothe, phrygiſche, II, 307.
  • Nachtmaske II, 247.
  • Narrenkopftracht, 13. Jahrh. I, 141.
  • Narrenmutter von Dijon I, 242.
  • Naſſau-Weilburg, Ludwig Graf und
    Gem. II, 153.
  • Nationaltracht, vorgeſchlagene, II,
    317.
  • Navarra, Margaretha, II, 103. 106.
  • Negligé, 18. Jahrh. II. 281. 303.
  • Niederlande, bunte Trachten, I, 279.
  • Nithart I, 155.
  • Notabeln, franzöſiſche, II, 301.
  • Nuditäten I, 278. II, 309. 311. 322.
  • Nürnberg, Friedrich, Burggraf I,
    250.
  • Nürnberg, Friedrich, Burggraf, Fa-
    milie deſſelben I, 211.

[336]Sach- u. Namenregiſter.
  • Oberrock, 14. Jahrh. I, 206. 226;
    17. Jahrh. II, 240.
  • Oberrock des Stutzers, 15. Jahrh.
    I, 299.
  • Oberrock ſ. auch Trappert, Schaube.
  • Oppoſition gegen den Luxus, 14.
    Jahrh. I, 175.
  • Oppoſitionstracht gegen die Mode-
    thorheiten, 14. Jahrh. I, 219.
  • Paletot II, 274.
  • Pallium I, 19.
  • Pantalons II, 316. 320.
  • Pantoffel I, 249.
  • Papſt Julius II., II, 21.
  • Päpſte, Verbot der Perrücke, II,
    230.
  • Parfüms II, 144. 156.
  • Paternoſter II, 154.
  • Paysanne, à la, II, 308.
  • Pelz I, 5. 40. 292.
  • Pelz ſ. auch Rauchwerk.
  • Perlen, 15. Jahrh. I, 289; 16.
    Jahrh. II, 154.
  • Perrücke II, 223.
  • Perrücke der Damen II, 312.
  • Pfalz, Philipp, I, 251.
  • Pfauenhut I, 143.
  • Pfellel I, 163.
  • Pietiſten II, 229.
  • Plantagenet, Gottfried I, 245.
  • Plaſſe, Dingham van der, II, 109.
  • Pluderhoſen I, 202; II, 45.
  • Polen, Sigismund, II, 152.
  • Preußen, Anna, II, 152.
  • Preußen, Dorothea, II, 112. 150.
  • Preußen, Friedrich I., II, 233.
  • Preußen, Friedrich Wilhelm I., II,
    267.
  • Preußen, Friedrich Wilhelm II., II,
    320.
  • Puder II, 205. 234. 246. 270. 314.
  • Puffjacke II, 125.
  • Pumphoſe II, 92. 122. 165.
  • Purpur I, 69.
  • Putzſucht, 13. Jahrh. I, 153.
  • Quarréeperrücke II, 269.
  • Rathsherr, 17. Jahrh. II, 258.
  • Rauber, Andreas von, II, 24.

  • Rauchwerk, 12—14. Jahrh. I, 164.
  • Regenſchirm II, 163.
  • Reifrock, 16. Jahrh. II, 94. 105.
    132; 18. Jahrh. II, 282.
  • Reitcoſtüm, engliſches, 18. Jahrh.
    II, 301.
  • Reſtauration, 19. Jahrh. II, 324.
  • Revolutionstracht II, 306.
  • Rhorbach, Bernhard, I, 290.
  • Riſe, I, 121.
  • Riviere, de la, II, 226.
  • Robe, II, 249. 289.
  • Robe, burgundiſche, I, 270.
  • Rock, moderner, II, 315.
  • Rockkragen, 18. Jahrh. II, 273.
  • Römertracht, Unterſchied von der
    deutſchen, I, 18.
  • Rußland, Paul, II, 319.
  • Sachſen, Anna, I, 289.
  • Sachſen, Friedrich, I, 239,
  • Sachſen, Johann, II, 225.
  • Sachſen, Rudolf I., I, 239.
  • Sachſen, Haartracht, I, 11.
  • Sachſenhauſen, Rudolf, I, 205.
  • Sagum I, 4. 19.
  • Salmaſius II, 228.
  • Sammet I, 163.
  • Sansculottismus II, 308.
  • Schamloſigkeit der Kleidung 15.
    Jahrh. I, 284. 297.
  • Schapel I, 119. 142.
  • Schapperun I, 131.
  • Scharlach I, 160.
  • Schaube I, 301. II, 53. 60. 124.
  • Schaube der Frauen II, 133.
  • Schecke I, 199.
  • Schellentracht I, 149. 236.
  • Schinkenärmel II, 165.
  • Schleier, 12. 13. Jahrh. I, 121.
    14. Jahrh. I, 216; 15. Jahrh.
    I, 276. 303; 16. Jahrh. II, 66.
    146.
  • Schleppe, 14. Jahrh. I, 210; 16.
    Jahrh. II, 146; 17. Jahrh. II,
    249.
  • Schleppe am burgundiſchen Hof I,
    271.
  • Schlitzung II, 32. 40. 55.
  • Schminke I, 7. 87; II, 156. 205.
    247.

[337]Sach- u. Namenregiſter.
  • Schmuck, altgermaniſcher, I, 12; in
    karolingiſcher Zeit, I, 48; 12—14.
    Jahrh. I, 99. 150. 216; 15. Jahrh.
    I, 288; 16. Jahrh. II, 75. 149.
    151; 17. Jahrh. II, 254.
  • Schnabelſchuhe I, 245.
  • Schneidergeſellen zu Friedberg I, 296.
  • Schnürbruſt II, 250. 290.
  • Schnurrbart, 14. Jahrh. I, 205.
  • Schönbartläufer I, 241.
  • Schönberg, Hans Meinhard von, II,
    149. 153.
  • Schöngeiſter des 18. Jahrh. II, 296.
  • Schönheitslehre 13. Jahrh. I, 83.
  • Schönheitsmittel I, 217; II, 204.
  • Schönheitspfläſterchen II, 205. 247.
  • Schottland, Jakob I., I, 249.
  • Schuhe, alte Zeit, I, 22. 27. 60.
    62. 66; 12—14. Jahrh. I, 123.
    137. 203; 14. 15. Jahrh. I, 245;
    16. Jahrh. II, 69. 87. 126. 137;
    17. Jahrh. II, 180. 203. 242.
    255; 18. Jahrh. II, 274. 290.
  • Schuhe, breite, II, 28.
  • Schuhe, hohe, II, 96.
  • Schulterpuffen II, 130.
  • Schürbrant I, 161.
  • Schürze II, 163.
  • Schwaben, Volkstracht, II, 262.
  • Schwanz I, 112.
  • Schwänzelein I, 112.
  • Schweden, Erich XIII., I, 237.
  • Schweizertracht, 16. Jahrh. II, 51.
  • Sei I, 161.
  • Seide I, 22. 161.
  • Seidennater I, 290.
  • Sendal I, 163.
  • Sendelbinde I, 228.
  • Serge I, 161.
  • Siboto, Graf, I, 133. 140.
  • Siglat I, 163.
  • Slawietin, Albrecht, I, 247.
  • Soli Deo II, 229.
  • Solms, Reinhard, II, 117.
  • Sorel, Agnes, I, 273.
  • Spanien, Eliſabeth, II, 103.
  • Spanier, 16. Jahrh. II, 85. 93.
  • Spenzer, II, 310.
  • Spiegel I, 69. 157; II, 157.
  • Spielleute, 12—14. Jahrh. I, 154.
  • Spitzen II, 150. 207.
  • Spitzenkragen II, 175.

  • Stände, niedere, 12—14. Jahrh. I,
    154; 15. Jahrh. I, 310.
  • Standesunterſchiede, alte Zeit, I,
    50; 15. Jahrh. I, 293; 16. Jahrh.
    II, 58.
  • Stickereien I, 70. 290.
  • Stiefel, 10. Jahrh. I, 60; 12. 13.
    Jahrh. I, 137; 17. Jahrh. II,
    180. 161. 242; 18. Jahrh. II,
    297.
  • Stock, 18. Jahrh. II, 274. 308.
  • Stoffe, alte Zeit, I, 6. 24. 70.
    12—14. Jahrh. I, 160; 14. 15.
    Jahrh. I, 235. 292; 16. Jahrh.
    II, 75. 148.
  • Stoffe, geblümte, 18. Jahrh. II, 303.
  • Stola I, 19.
  • Stralberg, Hert, I, 290.
  • Straßburg, Volkstrachten, 17. 18.
    Jahrh. II, 261.
  • Strickgürtel II, 96.
  • Strohhut der Sachſen I, 60. 143.
  • Strumpf II, 44. 139. 242.
  • Strümpfe, weiße, der Langobarden
    I, 23.
  • Stuarthaube II, 137.
  • Stutzer 16. Jahrh. II, 173; 17.
    Jahrh. II, 173. 183; 18. Jahrh.
    II, 276. 298.
  • Stutzertracht, revolutionäre, II, 307.
    316.
  • Stutzertracht, ſchöngeiſtige, der
    Frauen, 18. Jahrh. II, 298.
  • Stutzerthum, weibliches, 17. Jahrh.
    II, 203.
  • Sukenie I, 111.
  • Surkot I, 111.
  • Surtout I, 111.
  • Tabatiere II, 274.
  • Taille, hohe, 14. 15. Jahrh. I, 233;
    18. 19. Jahrh. II, 322.
  • Tallien, Madame, II, 310.
  • Tanhäuſer I, 135.
  • Tarnkappe I, 132.
  • Taſche der Frau I, 125.
  • Taſchentuch II, 143.
  • Taſſel I, 116. 169.
  • Taufkleidung, 9. Jahrh. I, 41.
  • Teint, 13. Jahrh. I, 85; 16. Jahrh.
    II, 156.
  • Teſſel, ſ. Taſſel.

[338]Sach- u. Namenregiſter.
  • Theſemknöpfe II, 156.
  • Thüringen, Hermann, I, 135.
  • Tituskopf II, 312. 314.
  • Toiletteninſtrumente I, 68.
  • Toilettenkünſte I, 7; II, 158.
  • Trappert I, 207. 210. 301.
  • Tſcheckenbürlin, Hieronymus, I, 286.
  • Tunica I, 19. 62; II, 309. 311.
  • Turner, Mrs. II, 110.
  • Turque, à la, II, 310.
  • Uebergangscoſtüm, 1650—1670, II,
    240.
  • Ueberwurf II, 53.
  • Uden, Gottfried, II, 228.
  • Ulfſon, Karl, I, 273.
  • Unterkleid I, 100.
  • Unterſchuhe, 14. 15. Jahrh. I, 249.
  • Venetianerinnen II, 102.
  • Verdaugie, de la, II, 233.
  • Vergette II, 236.
  • Volkstracht II, 13. 159. 257. 291.
  • Waffenrock I, 145. 200; II, 63.
  • Wallenſteiner II, 176.

  • Wamms, 14. Jahrh. I, 199; 15.
    Jahrh. I, 298; 16. Jahrh. II,
    30. 123; 17. Jahrh. II, 177. 192.
    242; 18. Jahrh. II, 271.
  • Wamms, ſpaniſches, II, 88.
  • Wappenrock, ſ. Waffenrock.
  • Warendorp, Bruno von, I, 222.
  • Warkus I, 131.
  • Waſſer, wohlriechendes, II, 144.
  • Werthern, Heinrich von, I, 244.
  • Werthertracht II, 297.
  • Werthheim, Grafen, I, 205.
  • Weſte II, 272.
  • Weſtgothen I, 23.
  • Wien, Luxustrachten, 14. Jahrh.
    I, 217.
  • Winter, Frau, I, 288. 291.
  • Wollſtoffe I, 160.
  • Zähne II, 157.
  • Zatteln I, 208. 225.
  • Zollern, Eitelfritz von, II, 24.
  • Zopf, 12. 13. Jahrh. I, 122; 17.
    Jahrh. II, 189; 18. Jahrh. II,
    235. 266. 308.
  • Zwickel, II, 143.

Appendix B

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.


[][][]
Notes
*)
Aermel.
**)
Aermelumſchläge.
***)
Spitzenmanſchetten.
*)
baise-main Handkuß.
*)
Die chronologiſche Eintheilung des Werkes nach Perioden, in welchen der Haupt-
ſache nach jedesmal dieſelben Gegenſtände wiederkehren, macht, ſtreng genommen, ein
Regiſter überflüſſig; indeß ließ doch das Intereſſe an hiſtoriſchen Perſönlichkeiten, ein
erleichtertes Auffinden der zahlreichen techniſchen Bezeichnungen und eine bequemere Zu-
ſammenſtellung des durch die Perioden aus einander gerückten Details ein ſolches wün-
ſchenswerth erſcheinen. Aus dieſen Rückſichten iſt es zuſammengeſtellt und daher manches,
was unnöthig ſchien, weggelaſſen, wie die Perſonen der Dichtungen oder ſolche, welche
bloß als Quelle genannt ſind.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjv2.0