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Torquato Taſſo.

Ein Schauſpiel.


Aechte Ausgabe.
Leipzig,:
bey Georg Joachim Goͤſchen.
1790.
[]

Torquato Taſſo.
Ein Schauſpiel.


Goethe’s W. 6. B. A
[[2]]

Perſonen.


  • Alphons, der zweyte, Herzog von Ferrara.

  • Leonore von Eſte, Schweſter des Herzogs.

  • Leonore Sanvitale, Gräfinn von Scandiano.

  • Torquato Taſſo.

  • Antonio Montecatino, Staatsſecretär.

Der Schauplatz iſt auf Belriguardo, einem
Luſtſchloſſe.


[[3]]

Erſter Aufzug.


Erſter Auftritt.


Gartenplatz, mit Hermen der epiſchen Dichter
geziert. Vorn an der Scene zur Rechten Virgil,
zur Linken Arioſt.

Prinzeſſinn. Leonore.

Prinzeſſi[n]n.

Du ſiehſt mich lächlend an, Eleonore,
Und ſiehſt dich ſelber an und lächelſt wieder.
Was haſt du? Laß es eine Freundinn wiſſen!
Du ſcheinſt bedenklich, doch du ſcheinſt ver-
gnügt.


A 2
[4]Torquato Taſſo
Leonore.

Ja, meine Fürſtinn, mit Vergnügen ſeh’ ich
Uns beyde hier ſo ländlich ausgeſchmückt.
Wir ſcheinen recht beglückte Schäferinnen
Und ſind auch wie die Glücklichen beſchäftigt.
Wir winden Kränze. Dieſer, bunt von
Blumen,
Schwillt immer mehr und mehr in meiner
Hand,
Du haſt mit höherm Sinn und größerm
Herzen
Den zarten ſchlanken Lorber dir gewählt.


Prinzeſſinn.

Die Zweige, die ich in Gedanken flocht,
Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden,
Ich ſetze ſie Virgilen dankbar auf.


Sie kränzt die Herme Virgils.

Leonore.

So drück’ ich meinen vollen frohen Kranz
Dem Meiſter Ludwig auf die hohe Stirne —


Sie kränzt Arioſtens Herme.

[5]Ein Schauſpiel.

Er, deſſen Scherze nie verblühen, habe
Gleich von dem neuen Frühling ſeinen Theil.


Prinzeſſinn.

Mein Bruder iſt gefällig daß er uns
In dieſen Tagen ſchon auf’s Land gebracht,
Wir können unſer ſeyn und ſtundenlang
Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen.
Ich liebe Belriguardo, denn ich habe
Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt,
Und dieſes neue Grün und dieſe Sonne
Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück.


Leonore.

Ja es umgibt uns eine neue Welt!
Der Schatten dieſer immer grünen Bäume
Wird ſchon erfreulich. Schon erquickt uns
wieder
Das Rauſchen dieſer Brunnen, ſchwankend
wiegen
Im Morgenwinde ſich die jungen Zweige.
Die Blumen von den Beeten ſchauen uns
Mit ihren Kinderaugen freundlich an.
[6]Torquato Taſſo
Der Gärtner deckt getroſt das Winterhaus
Schon der Citronen und Orangen ab,
Der blaue Himmel ruhet über uns
Und an dem Horizonte löſ’t der Schnee
Der fernen Berge ſich in leiſen Duſt.


Prinzeſſinn.

Es wäre mir der Frühling ſehr willkommen,
Wenn er nicht meine Freundinn mir entführte.


Leonore.

Erinnre mich in dieſen holden Stunden,
O Fürſtinn, nicht wie bald ich ſcheiden ſoll.


Prinzeſſinn.

Was du verlaſſen magſt, das findeſt du
In jener großen Stadt gedoppelt wieder.


Leonore.

Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich
Zu dem Gemahl der mich ſo lang’ entbehrt.
Ich bring’ ihm [ſeinen] Sohn, der dieſes Jahr
So ſchnell gewachſen, ſchnell ſich ausgebildet,
Und theile ſeine väterliche Freude.
[7]Ein Schauſpiel.
Groß iſt Florenz und herrlich, doch der Werth
Von allen ſeinen aufgehäuften Schätzen
Reicht an Ferrara’s Edelſteine nicht.
Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,
Ferrara ward durch ſeine Fürſten groß.


Prinzeſſinn.

Mehr durch die guten Menſchen, die ſich hier
Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden.


Leonore.

Sehr leicht zerſtreut der Zufall was er ſam-
melt.
Ein edler Menſch zieht edle Menſchen an
Und weiß ſie feſt zu halten, wie ihr thut.
Um deinen Bruder und um dich verbinden
Gemüther ſich, die eurer würdig ſind,
Und ihr ſeyd eurer großen Väter werth.
Hier zündete ſich froh das ſchöne Licht
Der Wiſſenſchaft, des freyen Denkens an,
Als noch die Barbarey mit ſchwerer Dämm-
rung
Die Welt umher verbarg. Mir klang als Kind
[8]Torquato Taſſo
Der Name Hercules von Eſte ſchon,
Schon Hyppolit von Eſte voll in’s Ohr.
Ferrara ward mit Rom und mit Florenz
Von meinem Vater viel geprieſen! Oft
Hab’ ich mich hingeſehnt; nun bin ich da.
Hier ward Petrarch bewirthet, hier gepflegt,
Und Arioſt fand ſeine Muſter hier.
Italien nennt keinen großen Namen,
Den dieſes Haus nicht ſeinen Gaſt genannt.
Und es iſt vortheilhaft den Genius
Bewirthen: gibſt du ihm ein Gaſtgeſchenk,
So läßt er dir ein ſchöneres zurück.
Die Stätte, die ein guter Menſch betrat,
Iſt. eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und ſeine That dem Enkel wieder.


Prinzeſſinn.

Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du.
Gar oft beneid’ ich dich um dieſes Glück.


Leonore.

Das du, wie wenig andre, ſtill und rein
Genießeſt. Drängt mich doch das volle Herz
[9]Ein Schauſpiel.
Sogleich zu ſagen was ich lebhaft fühle,
Du fühlſt es beſſer, fühlſt es tief und —
ſchweigſt.
Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks,
Der Witz beſticht dich nicht, die Schmeicheley
Schmiegt ſich vergebens künſtlich an dein Ohr:
Feſt bleibt dein Sinn und richtig dein Geſchmack,
Dein Urtheil g’rad, ſtets iſt dein Antheil groß
Am Großen, das du wie dich ſelbſt erkennſt.


Prinzeſſinn.

Du ſollteſt dieſer höchſten Schmeicheley
Nicht das Gewand vertrauter Freundſchaft
leihen.


Leonore.

Die Freundſchaft iſt gerecht, ſie kann allein
Den ganzen Umfang deines Werths erkennen.
Und laß mich der Gelegenheit, dem Glück
Auch ſeinen Theil an deiner Bildung geben,
Du haſt ſie doch, und biſt’s am Ende doch,
Und dich mit deiner Schweſter ehrt die Welt
Vor allen großen Frauen eurer Zeit.


[10]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

Mich kann das, Leonore, wenig rühren,
Wenn ich bedenke wie man wenig iſt,
Und was man iſt, das blieb man andern
ſchuldig.
Die Kenntniß alter Sprachen und des Beſten,
Was uns die Vorwelt ließ, dank’ ich der
Mutter;
Doch war an Wiſſenſchaft, an rechtem Sinn
Ihr keine beyder Töchter jemals gleich;
Und ſoll ſich eine ja mit ihr vergleichen,
So hat Lucretia gewiß das Recht.
Auch kann ich dir verſichern hab’ ich nie
Als Rang und als Beſitz betrachtet, was
Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.
Ich freue mich, wenn kluge Männer ſprechen,
Daß ich verſtehen kann wie ſie es meinen.
Es ſey ein Urtheil über einen Mann
Der alten Zeit und ſeiner Thaten Werth;
Es ſey von einer Wiſſenſchaft die Rede,
Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet,
Dem Menſchen nutzt indem ſie ihn erhebt,
[11]Ein Schauſpiel.
Wohin ſich das Geſpräch der Edlen lenkt
Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen.
Ich höre gern dem Streit der Klugen zu,
Wenn um die Kräfte, die des Menſchen Bruſt
So freundlich und ſo fürchterlich bewegen,
Mit Grazie die Rednerlippe ſpielt;
Gern, wenn die fürſtliche Begier des Ruhms,
Des ausgebreiteten Beſitzes Stoff
Dem Denker wird, und wenn die feine Klug-
heit,
Von einem klugen Manne zart entwickelt,
Statt uns zu hintergehen uns belehrt.


Leonore.

Und dann nach dieſer ernſten Unterhaltung
Ruht unſer Ohr und unſer innrer Sinn
Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus,
Der uns die letzten lieblichſten Gefühle
Mit holden Tönen in die Seele flößt.
Dein hoher Geiſt umfaßt ein weites Reich,
Ich halte mich am liebſten auf der Inſel
Der Poeſie in Lorberhainen auf.


[12]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

In dieſem ſchönen Lande, hat man mir
Verſichern wollen, wächſt vor andern Bäumen
Die Myrte gern. Und wenn der Muſen gleich
Gar viele ſind, ſo ſucht man unter ihnen
Sich ſeltner eine Freundinn und Geſpielinn,
Als man dem Dichter gern begegnen mag,
Der uns zu meiden, ja zu fliehen ſcheint,
Etwas zu ſuchen ſcheint das wir nicht kennen,
Und er vielleicht am Ende ſelbſt nicht kennt.
Da wär’ es denn ganz artig, wenn er uns
Zur guten Stunde träfe, ſchnell entzückt
Uns für den Schatz erkennte, den er lang’
Vergebens in der weiten Welt geſucht.


Leonore.

Ich muß mir deinen Scherz gefallen laſſen,
Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht
tief.
Ich ehre jeden Mann und ſein Verdienſt
Und ich bin gegen Taſſo nur gerecht.
Sein Auge weilt auf dieſer Erde kaum;
[13]Ein Schauſpiel.
Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;
Was die Geſchichte reicht, das Leben gibt,
Sein Buſen nimmt es gleich und willig auf:
Das weit zerſtreute ſammelt ſein Gemüth,
Und ſein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er was uns gemein erſchien,
Und das Geſchätzte wird vor ihm zu nichts.
In dieſem eignen Zauberkreiſe wandelt
Der wunderbare Mann und zieht uns an
Mit ihm zu wandeln, Theil an ihm zu nehmen:
Er ſcheint ſich uns zu nahn, und bleibt uns fern;
Er ſcheint uns anzuſehn, und Geiſter mögen
An unſrer Stelle ſeltſam ihm erſcheinen.


Prinzeſſinn.

Du haſt den Dichter fein und zart geſchildert,
Der in den Reichen ſüßer Träume ſchwebt.
Allein mir ſcheint auch ihn das Wirkliche
Gewaltſam anzuziehn und feſt zu halten.
Die ſchönen Lieder, die an unſern Bäumen
Wir hin und wieder angeheftet finden,
Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien
[14]Torquato Taſſo
Uns duftend bilden. Erkennſt du ſie nicht alle
Für holde Früchte einer wahren Liebe?


Leonore.

Ich freue mich der ſchönen Blätter auch.
Mit mannigfalt’gem Geiſt verherrlicht er
Ein einzig Bild in allen ſeinen Reimen.
Bald hebt er es in lichter Glorie
Zum Sternenhimmel auf, beugt ſich verehrend
Wie Engel über Wolken vor dem Bilde;
Dann ſchleicht er ihm durch ſtille Fluren nach
Und jede Blume windet er zum Kranz.
Entfernt ſich die Verehrte, heiligt er
Den Pfad, den leiſ’ ihr ſchöner Fuß betrat.
Verſteckt im Buſche, gleich der Nachtigall,
Füllt er aus einem liebekranken Buſen
Mit ſeiner Klagen Wohllaut Hain und Luft:
Sein reitzend Leid, die ſel’ge Schwermuth lockt
Ein jedes Ohr und jedes Herz muß nach —


Prinzeſſinn.

Und wenn er ſeinen Gegenſtand benennt,
So gibt er ihm den Namen Leonore.


[15]Ein Schauſpiel.
Leonore.

Es iſt dein Name wie es meiner iſt.
Ich nähm’ es übel wenn’s ein andrer wäre.
Mich freut es daß er ſein Gefühl für dich
In dieſem Doppelſinn verbergen kann.
Ich bin zufrieden daß er meiner auch
Bey dieſes Namens holdem Klang gedenkt.
Hier iſt die Frage nicht von einer Liebe,
Die ſich des Gegenſtands bemeiſtern will,
Ausſchließend ihn beſitzen, eiferſüchtig
Den Anblick jedem andern wehren möchte.
Wenn er in ſeliger Betrachtung ſich
Mit deinem Werth beſchäftigt, mag er auch
An meinem leichtern Weſen ſich erfreun.
Uns liebt er nicht, — verzeih daß ich es
ſage! —
Aus allen Sphären trägt er was er liebt
Auf einen Namen nieder den wir führen,
Und ſein Gefühl theilt er uns mit; wir ſchei-
nen
Den Mann zu lieben, und wir lieben nur
Mit ihm das höchſte was wir lieben können.


[16]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

Du haſt dich ſehr in dieſe Wiſſenſchaft
Vertieft, Eleonore, ſagſt mir Dinge,
Die mir beynahe nur das Ohr berühren
Und in die Seele kaum noch übergehn.


Leonore.

Du? Schülerinn des Plato! nicht begreifen?
Was dir ein Neuling vorzuſchwatzen wagt.
Es müßte ſeyn daß ich zu ſehr mich irrte,
Doch irr’ ich auch nicht ganz, ich weiß es
wohl.
Die Liebe zeigt in dieſer holden Schule
Sich nicht, wie ſonſt, als ein verwöhntes Kind:
Es iſt der Jüngling der mit Pſychen ſich
Vermählte, der im Rath der Götter Sitz
Und Stimme hat. Er tobt nicht frevelhaft
Von einer Bruſt zur andern hin und her;
Er heftet ſich an Schönheit und Geſtalt
Nicht gleich mit ſüßem Irrthum feſt, und
büßet
Nicht ſchnellen Rauſch mit Ekel und Verdruß.


[17]Ein Schauſpiel.
Prinzeſſinn.

Da kommt mein Bruder, laß uns nicht ver-
rathen
Wohin ſich wieder das Geſpräch gelenkt,
Wir würden ſeinen Scherz zu tragen haben,
Wie unſre Kleidung ſeinen Spott erfuhr.


Zweyter Auftritt.


Die Vorigen. Alphons.

Alphons.

Ich ſuche Taſſo, den ich nirgends finde,
Und treff’ ihn — hier ſogar bey euch nicht an.
Könnt ihr von ihm mir keine Nachricht geben?


Prinzeſſinn.

Ich ſah’ ihn geſtern wenig, heute nicht.


Alphons.

Es iſt ein alter Fehler, daß er mehr
Die Einſamkeit als die Geſellſchaft ſucht.
Goethe’s W. 6. B. B
[18]Torquato Taſſo
Verzeih’ ich ihm, wenn er den bunten Schwarm
Der Menſchen flieht, und lieber frey im Stillen
Mit ſeinem Geiſt ſich unterhalten mag,
So kann ich doch nicht loben daß er ſelbſt
Den Kreis vermeidet den die Freunde ſchließen.


Leonore.

Irr’ ich mich nicht, ſo wirſt du bald, o Fürſt,
Den Tadel in ein frohes Lob verwandeln.
Ich ſah’ ihn heut’ von fern; er hielt ein Buch
Und eine Tafel, ſchrieb und ging und ſchrieb.
Ein flüchtig Wort das er mir geſtern ſagte
Schien mir ſein Werk vollendet anzukünden.
Er ſorgt nur kleine Züge zu verbeſſern,
Um deiner Huld, die ihm ſo viel gewährt,
Ein würdig Opfer endlich darzubringen.


Alphons.

Er ſoll willkommen ſeyn wenn er es bringt
Und losgeſprochen ſeyn auf lange Zeit.
So ſehr ich Theil an ſeiner Arbeit nehme,
So ſehr in manchem Sinn das große Werk
Mich freut und freuen muß, ſo ſehr vermehrt
[19]Ein Schauſpiel.
Sich auch zuletzt die Ungeduld in mir.
Er kann nicht enden, kann nicht fertig werden,
Er ändert ſtets, ruckt langſam weiter vor,
Steht wieder ſtill, er hintergeht die Hoffnung;
Unwillig ſieht man den Genuß entfernt
In ſpäte Zeit, den man ſo nah’ geglaubt.


Prinzeſſinn.

Ich lobe die Beſcheidenheit, die Sorge,
Womit er Schritt vor Schritt zum Ziele geht.
Nur durch die Gunſt der Muſen ſchließen ſich
So viele Reime feſt in eins zuſammen;
Und ſeine Seele hegt nur dieſen Trieb
Es ſoll ſich ſein Gedicht zum Ganzen ründen.
Er will nicht Mährchen über Mährchen häu-
fen,
Die reitzend unterhalten und zuletzt
Wie loſe Worte nur verklingend täuſchen.
Laß ihn, mein Bruder! denn es iſt die Zeit
Von einem guten Werke nicht das Maß;
Und wenn die Nachwelt mit genießen ſoll,
So muß des Künſtlers Mitwelt ſich vergeſſen.


B 2
[20]Torquato Taſſo
Alphons.

Laß uns zuſammen, liebe Schweſter, wirken,
Wie wir zu beyder Vortheil oft gethan!
Wenn ich zu eifrig bin, ſo lindre du:
Und biſt du zu gelind, ſo will ich treiben.
Wir ſehen dann auf einmal ihn vielleicht
Am Ziel, wo wir ihn lang’ gewünſcht zu ſehn.
Dann ſoll das Vaterland, es ſoll die Welt
Erſtaunen, welch ein Werk vollendet worden.
Ich nehme meinen Theil des Ruhms davon,
Und er wird in das Leben eingeführt.
Ein edler Menſch kann einem engen Kreiſe
Nicht ſeine Bildung danken. Vaterland
Und Welt muß auf ihn wirken. Ruhm und
Tadel
Muß er ertragen lernen. Sich und andre
Wird er gezwungen recht zu kennen. Ihn
Wiegt nicht die Einſamkeit mehr ſchmeichelnd
ein.
Es will der Feind — es darf der Freund
nicht ſchonen:
Dann übt der Jüngling ſtreitend ſeine Kräfte,
Fühlt was er iſt und fühlt ſich bald ein Mann.


[21]Ein Schauſpiel.
Leonore.

So wirſt du, Herr, für ihn noch alles thun,
Wie du bisher für ihn ſchon viel gethan.
Es bildet ein Talent ſich in der Stille,
Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.
O daß er ſein Gemüth wie ſeine Kunſt
An deinen Lehren bilde! Daß er nicht
Die Menſchen länger meide, daß ſein Arg-
wohn
Sich nicht zuletzt in Furcht und Haß ver-
wandle!


Alphons.

Die Menſchen fürchtet nur wer ſie nicht kennt,
Und wer ſie meidet wird ſie bald verkennen.
Das iſt ſein Fall, und ſo wird nach und nach
Ein frey Gemüth verworren und gefeſſelt.
So iſt er oft um meine Gunſt beſorgt
Weit mehr als es ihm ziemte; gegen viele
Hegt er ein [Mißtraun], die, ich weiß es ſicher,
Nicht ſeine Feinde ſind. Begegnet ja
Daß ſich ein Brief verirrt, daß ein Bedienter
[22]Torquato Taſſo
Aus ſeinem Dienſt in einen andern geht,
Daß ein Papier aus ſeinen Händen kommt,
Gleich ſieht er Abſicht, ſieht Verrätherey
Und Tücke die ſein Schickſal untergräbt.


Prinzeſſinn.

Laß uns, geliebter Bruder, nicht vergeſſen
Daß von ſich ſelbſt der Menſch nicht ſcheiden
kann.
Und wenn ein Freund, der mit uns wandeln
ſollte,
Sich einen Fuß beſchädigte, wir würden
Doch lieber langſam gehn und unſre Hand
Ihm gern und willig leihen?


Alphons.

Beſſer wär’s,
Wenn wir ihn heilen könnten, lieber gleich
Auf treuen Rath des Arztes eine Cur
Verſuchten, dann mit dem Geheilten froh
Den neuen Weg des friſchen Lebens gingen.
Doch hoff’ ich, meine Lieben, daß ich nie
Die Schuld des rauhen Arztes auf mich lade.
[23]Ein Schauſpiel.
Ich thue was ich kann um Sicherheit
Und Zutraun ſeinem Buſen einzuprägen.
Ich geb’ ihm oft in Gegenwart von Vielen
Entſchiedne Zeichen meiner Gunſt. Beklagt
Er ſich bey mir, ſo laß’ ich’s unterſuchen;
Wie ich es that, als er ſein Zimmer neulich
Erbrochen glaubte. Läßt ſich nichts ent-
decken,
So zeig’ ich ihm gelaſſen wie ich’s ſehe;
Und da man alles üben muß, ſo üb’ ich,
Weil er’s verdient, an Taſſo die Geduld:
Und ihr, ich weiß es, ſteht mir willig bey.
Ich hab’ euch nun auf’s Land gebracht und
gehe
Heut’ Abend nach der Stadt zurück. Ihr
werdet
Auf einen Augenblick Antonio ſehen,
Er kommt von Rom und hohlt mich ab. Wir
haben
Viel auszureden, abzuthun. Entſchlüſſe
Sind nun zu faſſen, Briefe viel zu ſchreiben,
Das alles nöthigt mich zur Stadt zurück.


[24]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

Erlaubſt du uns daß wir dich hinbegleiten?


Alphons.

Bleibt nur in Belriguardo, geht zuſammen
Hinüber nach Conſandoli! Genießt
Der ſchönen Tage ganz nach freyer Luſt.


Prinzeſſinn.

Du kannſt nicht bey uns bleiben? die Ge-
ſchäfte
Nicht hier ſo gut als in der Stadt verrichten?


Leonore.

Du führſt uns gleich Antonio hinweg,
Der uns von Rom ſo viel erzählen ſollte?


Alphons.

Es geht nicht an, ihr Kinder; doch ich komme
Mit ihm ſo bald als möglich iſt, zurück:
Dann ſoll er euch erzählen und ihr ſollt
Mir ihn belohnen helfen, der ſo viel
In meinem Dienſt auf’s neue ſich bemüht.
[25]Ein Schauſpiel.
Und haben wir uns wieder ausgeſprochen,
So mag der Schwarm dann kommen, daß es
luſtig
In unſern Gärten werde, daß auch mir,
Wie billig, eine Schönheit in dem Kühlen
Wenn ich ſie ſuche gern begegnen mag.


Leonore.

Wir wollen freundlich durch die Finger ſehen.


Alphons.

Dagegen wißt ihr daß ich ſchonen kann.


Prinzeſſinn

nach der Scene gekehrt.

Schon lange ſeh’ ich Taſſo kommen. Langſam
Bewegt er ſeine Schritte, ſteht bisweilen
Auf einmal ſtill, wie unentſchloſſen, geht
Dann wieder ſchneller auf uns los, und
weilt
Schon wieder.


[26]Torquato Taſſo
Alphons.

Stört ihn, wenn er denkt und dichtet,
In ſeinen Träumen nicht, und laßt ihn wandeln.


Leonore.

Nein, er hat uns geſehn, er kommt hierher.


Dritter Auftritt.


Die Vorigen. Taſſo.

Taſſo

mit einem Buche in Pergament geheftet.

Ich komme langſam dir ein Werk zu bringen,
Und zaudre noch es dir zu überreichen.
Ich weiß zu wohl, noch bleibt es unvollendet,
Wenn es auch gleich geendigt ſcheinen möchte.
Allein, war ich beſorgt es unvollkommen
Dir hinzugeben, ſo bezwingt mich nun
Die neue Sorge: Möcht’ ich doch nicht gern
Zu ängſtlich, möcht’ ich nicht undankbar ſcheinen.
[27]Ein Schauſpiel.
Und wie der Menſch nur ſagen kann: Hie
bin ich!
Daß Freunde ſeiner ſchonend ſich erfreuen:
So kann ich auch nur ſagen: Nimm es hin!


Er übergibt den Band.

Alphons.

Du überraſcheſt mich mit deiner Gabe
Und machſt mir dieſen ſchönen Tag zum Feſt.
So halt’ ich’s endlich denn in meinen Händen,
Und nenn’ es in gewiſſem Sinne mein!
Lang’ wünſcht’ ich ſchon, du möchteſt dich ent-
ſchließen
Und endlich ſagen: Hier! es iſt genug.


Taſſo.

Wenn Ihr zufrieden ſeyd, ſo iſt’s vollkommen;
Denn euch gehört es zu in jedem Sinn.
Betrachtet’ ich den Fleiß den ich verwendet,
Sah’ ich die Züge meiner Feder an;
So konnt’ ich ſagen: dieſes Werk iſt mein.
Doch ſeh’ ich näher an, was dieſer Dichtung
Den innren Werth und ihre Würde gibt,
[28]Torquato Taſſo
Erkenn’ ich wohl, ich hab’ es nur von euch.
Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe
Aus reicher Willkür freundlich mir geſchenkt,
So hatte mich das eigenſinn’ge Glück
Mit grimmiger Gewalt von ſich geſtoßen:
Und zog die ſchöne Welt den Blick des Knaben
Mit ihrer ganzen Fülle herrlich an,
So trübte bald den jugendlichen Sinn
Der theuren Eltern unverdiente Noth.
Eröffnete die Lippe ſich zu ſingen,
So floß ein traurig Lied von ihr herab,
Und ich begleitete mit leiſen Tönen
Des Vaters Schmerzen und der Mutter
Qual.
Du warſt allein der aus dem engen Leben
Zu einer ſchönen Freyheit mich erhob;
Der jede Sorge mir vom Haupte nahm,
Mir Freyheit gab, daß meine Seele ſich
Zu muthigem Geſang entfalten konnte;
Und welchen Preis nun auch mein Werk er-
hält,
Euch dank’ ich ihn, denn Euch gehört es zu.


[29]Ein Schauſpiel.
Alphons.

Zum zweytenmal verdienſt du jedes Lob
Und ehrſt beſcheiden dich und uns zugleich.


Taſſo.

O könnt’ ich ſagen wie ich lebhaft fühle
Daß ich von Euch nur habe was ich bringe!
Der thatenloſe Jüngling — nahm er wohl
Die Dichtung aus ſich ſelbſt? Die kluge Lei-
tung
Des raſchen Krieges — hat er die erſonnen?
Die Kunſt der Waffen, die ein jeder Held
An dem beſchiednen Tage kräftig zeigt,
Des Feldherrn Klugheit und der Ritter Muth
Und wie ſich Liſt und Wachſamkeit bekämpft,
Haſt du mir nicht, o kluger tapfrer Fürſt,
Das alles eingeflößt als wäreſt du
Mein Genius, der eine Freude fände
Sein hohes, unerreichbar hohes Weſen
Durch einen Sterblichen zu offenbaren?


Prinzeſſinn.

Genieße nun des Werks das uns erfreut!


[30]Torquato Taſſo
Alphons.

Erfreue dich des Beyfalls jedes Guten.


Leonore.

Des allgemeinen Ruhms erfreue dich.


Taſſo.

Mir iſt an dieſem Augenblick genug.
An euch nur dacht’ ich wenn ich ſann und
ſchrieb,
Euch zu gefallen war mein höchſter Wunſch,
Euch zu ergetzen war mein letzter Zweck.
Wer nicht die Welt in ſeinen Freunden ſieht
Verdient nicht daß die Welt von ihm erfahre.
Hier iſt mein Vaterland, hier iſt der Kreis
In dem ſich meine Seele gern verweilt.
Hier horch’ ich auf, hier acht’ ich jeden Wink.
Hier ſpricht Erfahrung, Wiſſenſchaft, Ge-
ſchmack;
Ja, Welt und Nachwelt ſeh’ ich vor mir ſtehn.
Die Menge macht den Künſtler irr’ und ſcheu:
Nur wer Euch ähnlich iſt, verſteht und fühlt,
Nur der allein ſoll richten und belohnen!


[31]Ein Schauſpiel.
Alphons.

Und ſtellen wir denn Welt und Nachwelt
vor,
So ziemt es nicht nur müßig zu empfangen.
Das ſchöne Zeichen, das den Dichter ehrt,
Das ſelbſt der Held, der ſeiner ſtets bedarf,
Ihm ohne Neid um’s Haupt gewunden ſieht,
Erblick’ ich hier auf deines Anherrn Stirne.


Auf die Herme Virgils deutend.

Hat es der Zufall, hat’s ein Genius
Geflochten und gebracht? Es zeigt ſich hier
Uns nicht umſonſt. Virgilen hör’ ich ſagen:
Was ehret ihr die Todten? Hatten die
Doch ihren Lohn und Freude da ſie lebten;
Und wenn ihr uns bewundert und verehrt,
So gebt auch den Lebendigen ihr Theil.
Mein Marmorbild iſt ſchon bekränzt genug,
Der grüne Zweig gehört dem Leben an.


Alphons winkt ſeiner Schweſter, ſie nimmt den
Kranz von der Büſte Virgils und nähert ſich Taſſo.
Er tritt zurück.

[32]Torquato Taſſo
Leonore.

Du weigerſt dich? Sieh welche Hand den
Kranz,
Den ſchönen unverwelklichen, dir bietet!


Taſſo.

O laßt mich zögern, ſeh’ ich doch nicht ein
Wie ich nach dieſer Stunde leben ſoll.


Alphons.

In dem Genuß des herrlichen Beſitzes,
Der dich im erſten Augenblick erſchreckt.


Prinzeſſinn

indem ſie den Kranz in die Höhe hält.

Du gönneſt mir die ſeltne Freude, Taſſo,
Dir ohne Wort zu ſagen wie ich denke.


Taſſo.

Die ſchöne Laſt aus deinen theuren Händen
Empfang’ ich knieend auf mein ſchwaches
Haupt.


Er kniet nieder, die Prinzeſſinn ſetzt ihm den
Kranz auf.

[33]Ein Schauſpiel.
Leonore
applaudirend.

Es lebe der zum erſtenmal bekränzte!
Wie zieret den beſcheidnen Mann der Kranz!


Taſſo ſteht auf.

Alphons.

Es iſt ein Vorbild nur von jener Krone,
Die auf dem Capitol dich zieren ſoll.


Prinzeſſinn.

Dort werden lautere Stimmen dich begrüßen,
Mit leiſer Lippe lohnt die Freundſchaft hier.


Taſſo.

O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder,
Nehmt ihn hinweg! Er ſengt mir meine
Locken!
Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß
Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft
Des Denkens aus der Stirne. Fieberhitze
Bewegt mein Blut. Verzeiht! Es iſt
zu viel!


Goethe’s W. 6. B. C
[34]Torquato Taſſo
Leonore.

Es ſchützet dieſer Zweig vielmehr das Haupt
Des Manns, der in den heißen Regionen
Des Ruhms zu wandeln hat, und kühlt die
Stirne.


Taſſo.

Ich bin nicht werth die Kühlung zu empfin-
den,
Die nur um Heldenſtirnen wehen ſoll.
O hebt ihn auf, ihr Götter, und verklärt
Ihn zwiſchen Wolken, daß er hoch und höher
Und unerreichbar ſchwebe! Daß mein Leben
Nach dieſem Ziel ein ewig Wandeln ſey!


Alphons.

Wer früh erwirbt, lernt früh den hohen
Werth
Der holden Güter dieſes Lebens ſchätzen;
Wer früh genießt, entbehrt in ſeinem Leben
Mit Willen nicht was er einmal beſaß;
Und wer beſitzt, der, muß gerüſtet ſeyn.


[35]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Und wer ſich rüſten will, muß eine Kraft
Im Buſen fühlen die ihm nie verſagt.
Ach! ſie verſagt mir eben jetzt! Im Glück
Verläßt ſie mich, die angeborne Kraft,
Die ſtandhaft mich dem Unglück, ſtolz dem
Unrecht
Begegnen lehrte. Hat die Freude mir,
Hat das Entzücken dieſes Augenblicks
Das Mark in meinen Gliedern aufgelöſ’t?
Es ſinken meine Kniee! Noch einmal
Siehſt du, o Fürſtinn, mich gebeugt vor dir!
Erhöre meine Bitte; nimm ihn weg!
Daß wie aus einem ſchönen Traum erwacht
Ich ein erquicktes neues Leben fühle.


Prinzeſſinn.

Wenn du beſcheiden ruhig das Talent,
Das dir die Götter gaben, tragen kannſt,
So lern’ auch dieſe Zweige tragen, die
Das ſchönſte ſind was wir dir geben können.
Wem einmal, würdig, ſie das Haupt berührt,
Dem ſchweben ſie auf ewig um die Stirne.


C 2
[36]Torquato Taſſo
Taſſo.

So laßt mich denn beſchämt von hinnen gehn!
Laßt mich mein Glück im tiefen Hain ver-
bergen,
Wie ich ſonſt meine Schmerzen dort verbarg.
Dort will ich einſam wandeln, dort erinnert
Kein Auge mich an’s unverdiente Glück.
Und zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen
In ſeinem reinen Spiegel einen Mann,
Der wunderbar bekränzt im Wiederſchein
Des Himmels zwiſchen Bäumen, zwiſchen
Felſen
Nachdenkend ruht: ſo ſcheint es mir, ich ſehe
Elyſium auf dieſer Zauberfläche
Gebildet. Still bedenk’ ich mich und frage,
Wer mag der Abgeſchiedne ſeyn? Der Jüng-
ling
Aus der vergangnen Zeit? So ſchön bekränzt?
Wer ſagt mir ſeinen Nahmen? Sein Verdienſt?
Ich warte lang’ und denke: käme doch
Ein andrer und noch einer, ſich zu ihm
In freundlichem Geſpräche zu geſellen!
[37]Ein Schauſpiel.
O ſäh’ ich die Heroen, die Poeten
Der alten Zeit um dieſen Quell verſammelt!
O ſäh’ ich hier ſie immer unzertrennlich,
Wie ſie im Leben feſt verbunden waren!
So bindet der Magnet durch ſeine Kraft
Das Eiſen mit dem Eiſen feſt zuſammen,
Wie gleiches Streben Held und Dichter bin-
det.
Homer vergaß ſich ſelbſt, ſein ganzes Leben
War der Betrachtung zweyer Männer heilig,
Und Alexander in Elyſium
Eilt den Achill und den Homer zu ſuchen.
O daß ich gegenwärtig wäre, ſie
Die größten Seelen nun vereint zu ſehen!


Leonore.

Erwach! Erwache! Laß uns nicht empfinden
Daß du das Gegenwärt’ge ganz verkennſt.


Taſſo.

Es iſt die Gegenwart die mich erhöht,
Abweſend ſchein’ ich nur, ich bin entzückt.


[38]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

Ich freue mich, wenn du mit Geiſtern redeſt,
Daß du ſo menſchlich ſprichſt und hör’ es gern.


Ein Page tritt zu dem Fürſten und richtet leiſe
etwas aus.

Alphons.

Er iſt gekommen! recht zur guten Stunde.
Antonio! — Bring ihn her — Da kommt er
ſchon!


Vierter Auftritt.


Die Vorigen. Antonio.

Alphons.

Willkommen! der du uns zugleich dich ſelbſt
Und gute Bothſchaft bringſt.


Prinzeſſinn.

Sey uns gegrüßt!


[39]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Kaum wag’ ich es zu ſagen welch Vergnügen
In eurer Gegenwart mich neu belebt.
Vor euren Augen find’ ich alles wieder
Was ich ſo lang’ entbehrt. Ihr ſcheint zu-
frieden
Mit dem was ich gethan, was ich vollbracht,
Und ſo bin ich belohnt für jede Sorge,
Für manchen bald mit Ungeduld durchharrten,
Bald abſichtsvoll verlornen Tag. Wir haben
Nun was wir wünſchen, und kein Streit iſt
mehr.


Leonore.

Auch ich begrüße dich, wenn ich ſchon zürne.
Du kommſt nur eben da ich reiſen muß.


Antonio.

Damit mein Glück nicht ganz vollkommen
werde,
Nimmſt du mir gleich den ſchönen Theil hin-
weg.


[40]Torquato Taſſo
Taſſo.

Auch meinen Gruß! Ich hoffe mich der Nähe
Des vielerfahrnen Mannes auch zu freun.


Antonio.

Du wirſt mich wahrhaft finden, wenn du je
Aus deiner Welt in meine ſchauen magſt.


Alphons.

Wenn du mir gleich in Briefen ſchon gemeldet
Was du gethan und wie es dir ergangen;
So hab’ ich doch noch manches auszufragen
Durch welche Mittel das Geſchäft gelang?
Auf jenem wunderbaren Boden will der
Schritt
Wohl abgemeſſen ſeyn, wenn er zuletzt
An deinen eignen Zweck dich führen ſoll.
Wer ſeines Herren Vortheil rein bedenkt,
Der hat in Rom gar einen ſchweren Stand:
Denn Rom will Alles nehmen, geben Nichts;
Und kommt man hin um etwas zu erhalten,
Erhält man nichts, man bringe denn was hin,
Und glücklich, wenn man da noch ’was erhält.


[41]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Es iſt nicht mein Betragen, meine Kunſt,
Durch die ich deinen Willen, Herr, vollbracht.
Denn welcher Kluge fänd’ im Vatican
Nicht ſeinen Meiſter? Vieles traf zuſammen
Das ich zu unſerm Vortheil nutzen konnte.
Dich ehrt Gregor und grüßt und ſegnet dich.
Der Greis, der würdigſte dem eine Krone
Das Haupt belaſtet, denkt der Zeit mit Freu-
den,
Da er in ſeinen Arm dich ſchloß. Der Mann
Der Männer unterſcheidet, kennt und rühmt
Dich hoch! Um deinetwillen that er viel.


Alphons.

Ich freue ſeiner guten Meinung mich,
So fern ſie redlich iſt. Doch weißt du wohl,
Vom Vatican herab ſieht man die Reiche
Schon klein genug zu ſeinen Füßen liegen,
Geſchweige denn die Fürſten und die Men-
ſchen.
Geſtehe nur was dir am meiſten half!


[42]Torquato Taſſo
Antonio.

Gut! wenn du willſt: der hohe Sinn des
Pabſts.
Er ſieht das Kleine klein, das Große groß.
Damit er einer Welt gebiete, gibt
Er ſeinen Nachbarn gern und freundlich nach.
Das Streifchen Land, das er dir überläßt,
Weiß er, wie deine Freundſchaft, wohl zu
ſchätzen.
Italien ſoll ruhig ſeyn, er will
In ſeiner Nähe Freunde ſehen, Friede
Bey ſeinen Gränzen halten, daß die Macht
Der Chriſtenheit, die er gewaltig lenkt,
Die Türken da, die Ketzer dort vertilge.


Prinzeſſinn.

Weiß man die Männer, die er mehr als andre
Begünſtigt, die ſich ihm vertraulich nahn?


Antonio.

Nur der erfahrne Mann beſitzt ſein Ohr,
Der thätige ſein Zutraun, ſeine Gunſt.
[43]Ein Schauſpiel.
Er, der von Jugend auf dem Staat gedient,
Beherrſcht ihn jetzt und wirkt auf jene Höfe,
Die er vor Jahren als Geſandter ſchon
Geſehen und gekannt und oft gelenkt.
Es liegt die Welt ſo klar vor ſeinem Blick
Als wie der Vortheil ſeines eignen Staats.
Wenn man ihn handeln ſieht, ſo lobt man ihn
Und freut ſich, wenn die Zeit entdeckt was er
Im Stillen lang bereitet und vollbracht.
Es iſt kein ſchönrer Anblick in der Welt
Als einen Fürſten ſehn der klug regiert;
Das Reich zu ſehn, wo jeder ſtolz gehorcht,
Wo jeder ſich nur ſelbſt zu dienen glaubt
Weil ihm das Rechte nur befohlen wird.


Leonore.

Wie ſehnlich wünſcht’ ich jene Welt einmal
Recht nah zu ſehn!


Alphons.

Doch wohl um mit zu wirken?
Denn bloß beſchaun wird Leonore nie.
Es wäre doch recht artig, meine Freundinn,
[44]Torquato Taſſo
Wenn in das große Spiel wir auch zuweilen
Die zarten Hände miſchen könnten — Nicht?


Leonore
zu Alphons.

Du willſt mich reitzen, es gelingt dir nicht.


Alphons.

Ich bin dir viel von andern Tagen ſchuldig.


Leonore.

Nun gut, ſo bleib’ ich heut in deiner Schuld!
Verzeih’ und ſtöre meine Fragen nicht.


Zu Antonio.

Hat er für die Nipoten viel gethan?


Antonio.

Nicht weniger noch mehr als billig iſt.
Ein Mächtiger, der für die Seinen nicht
Zu ſorgen weiß, wird von dem Volke ſelbſt
Getadelt. Still und mäßig weiß Gregor
Den Seinigen zu nutzen, die dem Staat
Als wackre Männer dienen, und erfüllt
Mit Einer Sorge zwey verwandte Pflichten.


[45]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Erfreut die Wiſſenſchaft, erfreut die Kunſt
Sich ſeines Schutzes auch? und eifert er
Den großen Fürſten alter Zeiten nach?


Antonio.

Er ehrt die Wiſſenſchaft, ſo fern ſie nutzt,
Den Staat regieren, Völker kennen lehrt;
Er ſchätzt die Kunſt, ſo fern ſie ziert, ſein Rom
Verherrlicht, und Pallaſt und Tempel
Zu Wunderwerken dieſer Erde macht.
In ſeiner Nähe darf nichts müßig ſeyn!
Was gelten ſoll, muß wirken und muß dienen.


Alphons.

Und glaubſt du, daß wir das Geſchäfte bald
Vollenden können? daß ſie nicht zuletzt
Noch hie und da uns Hinderniſſe ſtreuen?


Antonio.

Ich müßte ſehr mich irren, wenn nicht gleich
Durch deinen Nahmenszug, durch wenig Briefe
Auf immer dieſer Zwiſt gehoben wäre.


[46]Torquato Taſſo
Alphons.

So lob’ ich dieſe Tage meines Lebens
Als eine Zeit des Glückes und Gewinns.
Erweitert ſeh’ ich meine Gränze, weiß
Sie für die Zukunft ſicher. Ohne Schwert-
ſchlag
Haſt du’s geleiſtet, eine Bürgerkrone
Dir wohl verdient. Es ſollen unſre Frauen
Vom erſten Eichenlaub am ſchönſten Morgen
Geflochten dir ſie um die Stirne legen.
Indeſſen hat mich Taſſo auch bereichert;
Er hat Jeruſalem für uns erobert,
Und ſo die neue Chriſtenheit beſchämt;
Ein weit entferntes, hoch geſtecktes Ziel
Mit frohem Muth und ſtrengem Fleiß er-
reicht.
Für ſeine Mühe ſiehſt du ihn gekrönt.


Antonio.

Du löſeſt mir ein Räthſel. Zwey Bekränzte
Erblickt’ ich mit Verwundrung da ich kam.


[47]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Wenn du mein Glück vor deinen Augen ſiehſt;
So wünſcht’ ich, daß du mein beſchämt Ge-
müth
Mit eben dieſem Blicke ſchauen könnteſt.


Antonio.

Mir war es lang’ bekannt, daß im Belohnen
Alphons unmäßig iſt, und du erfährſt
Was jeder von den Seinen ſchon erfuhr.


Prinzeſſinn.

Wenn du erſt ſiehſt was er geleiſtet hat,
So wirſt du uns gerecht und mäßig finden.
Wir ſind nur hier die erſten ſtillen Zeugen
Des Beyfalls, den die Welt ihm nicht verſagt,
Und den ihm zehnfach künft’ge Jahre gönnen.


Antonio.

Er iſt durch euch ſchon ſeines Ruhms gewiß.
Wer dürfte zweifeln, wo Ihr preiſen könnt?
Doch ſage mir, wer druckte dieſen Kranz
Auf Arioſtens Stirne?


[48]Torquato Taſſo
Leonore.

Dieſe Hand.


Antonio.

Und ſie hat wohl gethan! Er ziert ihn ſchön,
Als ihn der Lorber ſelbſt nicht zieren würde.
Wie die Natur die innig reiche Bruſt
Mit einem grünen, bunten Kleide deckt,
So hüllt er alles was den Menſchen nur
Ehrwürdig, liebenswürdig machen kann,
In’s blühende Gewand der Fabel ein.
Zufriedenheit, Erfahrung und Verſtand
Und Geiſteskraft, Geſchmack und reiner Sinn
Für’s wahre Gute, geiſtig ſcheinen ſie
In ſeinen Liedern und perſönlich doch
Wie unter Blüthen-Bäumen auszuruhn,
Bedeckt vom Schnee der leicht getragnen Blü-
then,
Umkränzt von Roſen, wunderlich umgaukelt
Vom loſen Zauberſpiel der Amoretten.
Der Quell des Ueberfluſſes rauſcht darneben,
Und läßt uns bunte Wunderfiſche ſehn.
[49]Ein Schauſpiel.
Von ſeltenem Geflügel iſt die Luft,
Von fremden Herden Wieſ’ und Buſch er-
füllt,
Die Schalkheit lauſcht im Grünen halb ver-
ſteckt,
Die Weisheit läßt von einer goldnen Wolke
Von Zeit zu Zeit erhabne Sprüche könen,
Indeß auf wohl geſtimmter Laute wild
Der Wahnſinn hin und her zu wühlen ſcheint
Und doch im ſchönſten Tact ſich mäßig hält.
Wer neben dieſem Mann ſich wagen darf,
Verdient für ſeine Kühnheit ſchon den Kranz.
Vergebt, wenn ich mich ſelbſt begeiſtert fühle,
Wie ein Verzückter weder Zeit noch Ort,
Noch was ich ſage wohl bedenken kann;
Denn alle dieſe Dichter, dieſe Kränze,
Das ſeltne feſtliche Gewand der Schönen
Verſetzt mich aus mir ſelbſt in fremdes Land.


Prinzeſſinn.

Wer Ein Verdienſt ſo wohl zu ſchätzen weiß,
Der wird das andre nicht verkennen. Du
Goethe’s W 6. B. D
[50]Torquato Taſſo.
Sollſt uns dereinſt in Taſſo’s Liedern zeigen
Was wir gefühlt und was nur du erkennſt.


Alphons.

Komm mit, Antonio! manches hab’ ich noch,
Worauf ich ſehr begierig bin, zu fragen.
Dann ſollſt du bis zum Untergang der Sonne
Den Frauen angehören. Komm! Lebt wohl.


Dem Fürſten folgt Antonio, den Damen Taſſo.

[[51]]

Zweyter Aufzug.


Erſter Auftritt.


Saal.
Prinzeſſinn. Taſſo
.

Taſſo.

Unſicher folgen meine Schritte dir,
O Fürſtinn, und Gedanken ohne Maß
Und Ordnung regen ſich in meiner Seele.
Mir ſcheint die Einſamkeit zu winken, mich
Gefällig anzulispeln: komm, ich löſe
Die neu erregten Zweifel deiner Bruſt.
Doch werf’ ich einen Blick auf dich, vernimmt
Mein horchend Ohr ein Wort von deiner Lippe,
D 2
[52]Torquato Taſſo
So wird ein neuer Tag um mich herum
Und alle Bande fallen von mir los.
Ich will dir gern geſtehn, es hat der Mann,
Der unerwartet zu uns trat, nicht ſanft
Aus einem ſchönen Traum mich aufgeweckt;
Sein Weſen, ſeine Worte haben mich
So wunderbar getroffen, daß ich mehr
Als je mich doppelt fühle, mit mir ſelbſt
Auf’s neu’ in ſtreitender Verwirrung bin.


Prinzeſſinn.

Es iſt unmöglich, daß ein alter Freund,
Der lang’ entfernt ein fremdes Leben führte,
Im Augenblick da er uns wiederſieht
Sich wieder gleich wie ehmals finden ſoll.
Er iſt in ſeinem Innern nicht verändert;
Laß uns mit ihm nur wenig Tage leben,
So ſtimmen ſich die Saiten hin und wieder,
Bis glücklich eine ſchöne Harmonie
Auf’s neue ſie verbindet. Wird er dann
Auch näher kennen was du dieſe Zeit
Geleiſtet haſt: ſo ſtellt er dich gewiß
[53]Ein Schauſpiel.
Dem Dichter an die Seite, den er jetzt
Als einen Rieſen dir entgegen ſtellt.


Taſſo.

Ach meine Fürſtinn, Arioſtens Lob
Aus ſeinem Munde hat mich mehr ergetzt
Als daß es mich beleidigt hätte. Tröſtlich
Iſt es für uns den Mann gerühmt zu wiſſen,
Der als ein großes Muſter vor uns ſteht.
Wir können uns im ſtillen Herzen ſagen:
Erreichſt du einen Theil von ſeinem Werth,
Bleibt dir ein Theil auch ſeines Ruhms gewiß.
Nein, was das Herz im tiefſten mir bewegte,
Was mir noch jetzt die ganze Seele füllt,
Es waren die Geſtalten jener Welt,
Die ſich lebendig, raſtlos, ungeheuer
Um Einen großen, einzig klugen Mann
Gemeſſen dreht und ihren Lauf vollendet,
Den ihr der Halbgott vorzuſchreiben wagt.
Begierig horcht’ ich auf, vernahm mit Luft
Die ſichern Worte des erfahrnen Mannes;
Doch ach! je mehr ich horchte, mehr und mehr
[54]Torquato Taſſo
Verſank ich vor mir ſelbſt, ich fürchtete
Wie Echo an den Felſen zu verſchwinden,
Ein Wiederhall, ein Nichts mich zu verlieren.


Prinzeſſinn.

Und ſchienſt noch kurz vorher ſo rein zu füh-
len,
Wie Held und Dichter für einander leben,
Wie Held und Dichter ſich einander ſuchen,
Und keiner je den andern neiden ſoll?
Zwar herrlich iſt die liedeswerthe That,
Doch ſchön iſt’s auch, der Thaten ſtärkſte Fülle
Durch würd’ge Lieder auf die Nachwelt brin-
gen.
Begnüge dich aus einem kleinen Staate,
Der dich beſchützt, dem wilden Lauf der Welt,
Wie von dem Ufer, ruhig zuzuſehn.


Taſſo.

Und ſah’ ich hier mit Staunen nicht zuerſt,
Wie herrlich man den tapfern Mann belohnt?
Als unerfahrner Knabe kam ich her,
[55]Ein Schauſpiel.
In einem Augenblick, da Feſt auf Feſt
Ferrara zu dem Mittelpunct der Ehre
Zu machen ſchien. O! welcher Anblick war’s!
Den weiten Platz, auf dem in ihrem Glanze
Gewandte Tapferkeit ſich zeigen ſollte,
Umſchloß ein Kreis, wie ihn die Sonne nicht
So bald zum zweytenmal beſcheinen wird.
Es ſaßen hier gedrängt die ſchönſten Frauen,
Gedrängt die erſten Männer unſrer Zeit.
Erſtaunt durchlief der Blick die edle Menge;
Man rief: Sie alle hat das Vaterland,
Das Eine, ſchmale, meerumgebne Land,
Hierher geſchickt. Zuſammen bilden ſie
Das herrlichſte Gericht, das über Ehre,
Verdienſt und Tugend je entſchieden hat.
Gehſt du ſie einzeln durch, du findeſt keinen,
Der ſeines Nachbarn ſich zu ſchämen brau-
che! —
Und dann eröffneten die Schranken ſich.
Da ſtampften Pferde, glänzten Helm und
Schilde,
Da drängten ſich die Knappen, da erklang
[56]Torquato Taſſo
Trompetenſchall, und Lanzen krachten ſplit-
ternd,
Getroffen tönten Helm und Schilde, Staub,
Auf einen Augenblick, umhüllte wirbelnd
Des Siegers Ehre, des Beſiegten Schmach.
O laß mich einen Vorhang vor das ganze,
Mir allzu helle Schauſpiel ziehen, daß
In dieſem ſchönen Augenblicke mir
Mein Unwerth nicht zu heftig fühlbar werde.


Prinzeſſinn.

Wenn jener edle Kreis, wenn jene Thaten
Zu Müh und Streben damals dich entflamm-
ten,
So konnt’ ich, junger Freund, zu gleicher Zeit
Der Duldung ſtille Lehre dir bewähren.
Die Feſte, die du rühmſt, die hundert Zungen
Mir damals prieſen und mir manches Jahr
Nachher geprieſen haben, ſah’ ich nicht.
Am ſtillen Ort wohin kaum unterbrochen
Der letzte Wiederhall der Freude ſich
Verlieren konnte, mußt’ ich manche Schmerzen
[57]Ein Schauſpiel.
Und manchen traurigen Gedanken leiden.
Mit breiten Flügeln ſchwebte mir das Bild
Des Todes vor den Augen, deckte mir
Die Ausſicht in die immer neue Welt.
Nur nach und nach entfernt’ es ſich, und ließ
Mich, wie durch einen Flor, die bunten Farben
Des Lebens, blaß doch angenehm, erblicken.
Ich ſah’ lebend’ge Formen wieder ſanft ſich
regen.
Zum erſtenmal trat ich, noch unterſtützt
Von meinen Frauen, aus dem Krankenzim-
mer,
Da kam Lukretia voll frohen Lebens
Herbey und führte dich an ihrer Hand.
Du warſt der erſte, der im neuen Leben
Mir neu und unbekannt entgegen trat.
Da hofft’ ich viel für dich und mich, auch hat
Uns bis hierher die Hoffnung nicht betrogen.


Taſſo.

Und ich, der ich betäubt von dem Gewimmel
Des drängenden Gewühls, von ſo viel Glanz
[58]Torquato Taſſo
Geblendet, und von mancher Leidenſchaft
Bewegt, durch ſtille Gänge des Pallaſts
An deiner Schweſter Seite ſchweigend ging,
Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald
Auf deine Frau’n gelehnt erſchieneſt — Mir
Welch ein Moment war dieſer! O! Vergib!
Wie den Bezauberten von Rauſch und Wahn
Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt;
So war auch ich von aller Phantaſie,
Von jeder Sucht, von jedem falſchen Triebe
Mit Einem Blick in deinen Blick geheilt.
Wenn unerfahren die Begierde ſich
Nach tauſend Gegenſtänden ſonſt verlor,
Trat ich beſchämt zuerſt in mich zurück,
Und lernte nun das Wünſchenswerthe kennen.
So ſucht man in dem weiten Sand des Meers
Vergebens eine Perle, die verborgen
In ſtillen Schalen eingeſchloſſen ruht.


Prinzeſſinn.

Es fingen ſchöne Zeiten damals an,
Und hätt’ uns nicht der Herzog von Urbino
[59]Ein Schauſpiel.
Die Schweſter weggeführt, uns wären Jahre
Im ſchönen ungetrübten Glück verſchwunden.
Doch leider jetzt vermiſſen wir zu ſehr
Den frohen Geiſt, die Bruſt voll Muth und
Leben,
Den reichen Witz der liebenswürd’gen Frau.


Taſſo.

Ich weiß es nur zu wohl, ſeit jenem Tage
Da ſie von hinnen ſchied, vermochte dir
Die reine Freude niemand zu erſetzen.
Wie oft zerriß es meine Bruſt! Wie oft
Klagt’ ich dem ſtillen Hain mein Leid um dich!
Ach! rief ich aus, hat denn die Schweſter nur
Das Glück, das Recht, der Theuern viel zu
ſeyn?
Iſt denn kein Herz mehr werth, daß ſie ſich
ihm
Vertrauen dürfte, kein Gemüth dem ihren
Mehr gleich geſtimmt? Iſt Geiſt und Witz
verloſchen?
Und war die Eine Frau, ſo trefflich ſie
[60]Torquato Taſſo
Auch war, denn alles? Fürſtinn! o verzeih’!
Da dacht’ ich manchmal an mich ſelbſt und
wünſchte
Dir etwas ſeyn zu können. Wenig nur,
Doch etwas, nicht mit Worten, mit der That
Wünſcht’ ich’s zu ſeyn, im Leben dir zu zeigen,
Wie ſich mein Herz im Stillen dir geweiht.
Doch es gelang mir nicht, und nur zu oft
That ich im Irrthum was dich ſchmerzen
mußte,
Beleidigte den Mann, den du beſchützteſt,
Verwirrte unklug was du löſen wollteſt,
Und fühlte ſo mich ſtets im Augenblick,
Wenn ich mich nahen wollte, fern und ferner.


Prinzeſſinn.

Ich habe, Taſſo, deinen Willen nie
Verkannt, und weiß wie du dir ſelbſt zu ſchaden
Geſchäftig biſt. Anſtatt daß meine Schweſter
Mit jedem, wie er ſey, zu leben weiß,
So kannſt du ſelbſt nach vielen Jahren kaum
In einen Freund dich finden.


[61]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Tadle mich!
Doch ſage mir hernach, wo iſt der Mann?
Die Frau? mit der ich wie mit dir
Aus freyem Buſen wagen darf zu reden.


Prinzeſſinn.

Du ſollteſt meinem Bruder dich vertraun.


Taſſo.

Er iſt mein Fürſt! — Doch glaube nicht, daß
mir
Der Freyheit wilder Trieb den Buſen blähe.
Der Menſch iſt nicht geboren frey zu ſeyn,
Und für den Edeln iſt kein ſchöner Glück,
Als einen Fürſten, den er ehrt, zu dienen.
Und ſo iſt er mein Herr, und ich empfinde
Den ganzen Umfang dieſes großen Worts.
Nun muß ich ſchweigen lernen wenn er ſpricht,
Und thun wenn er gebiethet, mögen auch
Verſtand und Herz ihm lebhaft widerſpre-
chen.


[62]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

Das iſt der Fall bey meinem Bruder nie.
Und nun, da wir Antonio wieder haben,
Iſt dir ein neuer kluger Freund gewiß.


Taſſo.

Ich hofft’ es ehmals, jetzt verzweifl’ ich faſt.
Wie lehrreich wäre mir ſein Umgang, nützlich
Sein Rath in tauſend Fällen! Er beſitzt,
Ich mag wohl ſagen, alles was mir fehlt.
Doch — haben alle Götter ſich verſammelt
Geſchenke ſeiner Wiege darzubringen?
Die Grazien ſind leider ausgeblieben,
Und wem die Gaben dieſer Holden fehlen,
Der kann zwar viel beſitzen, vieles geben,
Doch läßt ſich nie an ſeinem Buſen ruhn.


Prinzeſſinn.

Doch läßt ſich ihm vertraun, und das iſt viel.
Du mußt von Einem Mann nicht alles fordern,
Und dieſer leiſtet was er dir verſpricht.
Hat er ſich erſt für deinen Freund erklärt,
So ſorgt er ſelbſt für dich wo du dir fehlſt.
[63]Ein Schauſpiel.
Ihr müßt verbunden ſeyn! Ich ſchmeichle mir
Dieß ſchöne Werk in kurzem zu vollbringen.
Nur widerſtehe nicht wie du es pflegſt!
So haben wir Lenoren lang’ beſeſſen,
Die fein und zierlich iſt, mit der es leicht
Sich leben läßt; auch dieſer haſt du nie,
Wie ſie es wünſchte, näher treten wollen.


Taſſo.

Ich habe dir gehorcht, ſonſt hätt’ ich mich
Von ihr entfernt anſtatt mich ihr zu nahen.
So liebenswürdig ſie erſcheinen kann,
Ich weiß nicht wie es iſt, konnt’ ich nur ſelten
Mit ihr ganz offen ſeyn, und wenn ſie auch
Die Abſicht hat, den Freunden wohlzuthun,
So fühlt man Abſicht und man iſt verſtimmt.


Prinzeſſinn.

Auf dieſem Wege werden wir wohl nie
Geſellſchaft finden, Taſſo! Dieſer Pfad
Verleitet uns durch einſames Gebüſch,
Durch ſtille Thäler fortzuwandern; mehr
[64]Torquato Taſſo
Und mehr verwöhnt ſich das Gemüth, und
ſtrebt
Die goldne Zeit, die ihm von außen mangelt,
In ſeinem Innern wieder herzuſtellen,
So wenig der Verſuch gelingen will.


Taſſo.

O welches Wort ſpricht meine Fürſtinn aus!
Die goldne Zeit wohin iſt ſie geflohn?
Nach der ſich jedes Herz vergebens ſehnt!
Da auf der freyen Erde Menſchen ſich
Wie frohe Herden im Genuß verbreiteten;
Da ein uralter Baum auf bunter Wieſe
Dem Hirten und der Hirtinn Schatten gab,
Ein jüngeres Gebüſch die zarten Zweige
Um ſehnſuchtsvolle Liebe traulich ſchlang;
Wo klar und ſtill auf immer reinem Sande
Der weiche Fluß die Nymphe ſanft umfing;
Wo in dem Graſe die geſcheuchte Schlange
Unſchädlich ſich verlor, der kühne Faun
Vom tapfern Jüngling bald beſtraft entfloh;
Wo jeder Vogel in der freyen Luft
[65]Ein Schauſpiel.
Und jedes Thier durch Berg und Thäler
ſchweifend
Zum Menſchen ſprach: erlaubt iſt was gefällt.


Prinzeſſinn.

Mein Freund, die goldne Zeit iſt wohl vorbey:
Allein die Guten bringen ſie zurück;
Und ſoll ich dir geſtehen wie ich denke,
Die goldne Zeit, womit der Dichter uns
Zu ſchmeicheln pflegt, die ſchöne Zeit, ſie war,
So ſcheint es mir, ſo wenig als ſie iſt,
Und war ſie je, ſo war ſie nur gewiß,
Wie ſie uns immer wieder werden kann.
Noch treffen ſich verwandte Herzen an
Und theilen den Genuß der ſchönen Welt;
Nur in dem Wahlſpruch ändert ſich, mein
Freund,
Ein einzig Wort: erlaubt iſt was ſich ziemt.


Taſſo.

O wenn aus guten, edlen Menſchen nur
Ein allgemein Gericht beſtellt entſchiede,
Goethe’s W. 6. B. E
[66]Torquato Taſſo
Was ſich denn ziemt! Anſtatt daß jeder
glaubt,
Es ſey auch ſchicklich was ihm nützlich iſt.
Wir ſehn ja, dem Gewaltigen, dem Klugen
Steht alles wohl, und er erlaubt ſich alles.


Prinzeſſinn.

Willſt du genau erfahren was ſich ziemt;
So frage nur bey edlen Frauen an.
Denn ihnen iſt am meiſten dran gelegen,
Daß alles wohl ſich zieme was geſchieht.
Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer
Das zarte leicht verletzliche Geſchlecht.
Wo Sittlichkeit regiert, regieren ſie,
Und wo die Frechheit herrſcht, da ſind ſie
nichts.
Und wirſt du die Geſchlechter beyde fragen:
Nach Freyheit ſtrebt der Mann, das Weib
nach Sitte.


Taſſo.

Du nenneſt uns unbändig, roh, gefühllos?


[67]Ein Schauſpiel.
Prinzeſſinn.

Nicht das! Allein ihr ſtrebt nach fernen Gü-
tern,
Und euer Streben muß gewaltſam ſeyn.
Ihr wagt es, für die Ewigkeit zu handeln,
Wenn wir ein einzig nah beſchränktes Gut
Auf dieſer Erde nur beſitzen möchten,
Und wünſchen, daß es uns beſtändig bliebe.
Wir ſind von keinem Männerherzen ſicher,
Das noch ſo warm ſich einmal uns ergab.
Die Schönheit iſt vergänglich, die ihr doch
Allein zu ehren ſcheint. Was übrig bleibt,
Das reitzt nicht mehr, und was nicht reitzt, iſt
todt.
Wenn’s Männer gäbe, die ein weiblich Herz
Zu ſchätzen wüßten, die erkennen möchten,
Welch einen holden Schatz von Treu’ und Liebe
Der Buſen einer Frau bewahren kann,
Wenn das Gedächtniß einzig ſchöner Stunden
In euren Seelen lebhaft bleiben wollte,
Wenn euer Blick, der ſonſt durchdringend iſt,
Auch durch den Schleyer dringen könnte, den
E 2
[68]Torquato Taſſo
Uns Alter oder Krankheit überwirft,
Wenn der Beſitz, der ruhig machen ſoll,
Nach fremden Gütern euch nicht lüſtern
machte:
Dann wär’ uns wohl ein ſchöner Tag erſchie-
nen,
Wir feierten dann unſre goldne Zeit.


Taſſo.

Du ſagſt mir Worte, die in meiner Bruſt
Halb ſchon entſchlafne Sorgen mächtig regen.


Prinzeſſinn.

Was meinſt du, Taſſo? rede frey mit mir.


Taſſo.

Oft hört’ ich ſchon, und dieſe Tage wieder
Hab’ich’s gehört, ja hätt’ ich’s nicht vernommen,
So müßt’ ich’s denken: edle Fürſten ſtreben
Nach deiner Hand! Was wir erwarten müſſen,
Das fürchten wir und möchten ſchier verzwei-
feln,
[69]Ein Schauſpiel.
Verlaſſen wirſt du uns, es iſt natürlich;
Doch wie wir’s tragen wollen, weiß ich nicht.


Prinzeſſinn.

Für dieſen Augenblick ſeyd unbeſorgt!
Faſt möcht’ ich ſagen: unbeſorgt für immer.
Hier bin ich gern und gerne mag ich bleiben;
Noch weiß ich kein Verhältniß, das mich lockte;
Und wenn ihr mich denn ja behalten wollt,
So laßt es mir durch Eintracht ſehn, und
ſchafft
Euch ſelbſt ein glücklich Leben, mir durch euch.


Taſſo.

O lehre mich das Mögliche zu thun!
Gewidmet ſind dir alle meine Tage.
Wenn dich zu preiſen, dir zu danken ſich
Mein Herz entfaltet, dann empfind’ ich erſt
Das reinſte Glück, das Menſchen fühlen kön-
nen.
Das göttlichſte erfuhr ich nur in dir.
So unterſcheiden ſich die Erdengötter
Vor andern Menſchen, wie das hohe Schickſal
[70]Torquato Taſſo
Vom Rath und Willen ſelbſt der klügſten
Männer
Sich unterſcheidet. Vieles laſſen ſie,
Wenn wir gewaltſam Wog’ auf Woge ſehn,
Wie leichte Wellen, unbemerkt vorüber
Vor ihren Füßen rauſchen, hören nicht
Den Sturm, der uns umſauſ’t und niederwirft,
Vernehmen unſer Flehen kaum, und laſſen,
Wie wir beſchränkten armen Kindern thun,
Mit Seufzern und Geſchrey die Luft uns
füllen.
Du haſt mich oft, o Göttliche, geduldet,
Und wie die Sonne, trocknete dein Blick
Den Thau von meinen Augenliedern ab.


Prinzeſſinn.

Es iſt ſehr billig, daß die Frauen dir
Auf’s freundlichſte begegnen, es verherrlicht
Dein Lied auf manche Weiſe das Geſchlecht.
Zart oder tapfer, haſt du ſtets gewußt
Sie liebenswerth und edel vorzuſtellen:
Und wenn Armide haſſenswerth erſcheint,
Verſöhnt ihr Reitz und ihre Liebe bald.


[71]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Was auch in meinem Liede wiederklingt,
Ich bin nur Einer, Einer alles ſchuldig!
Es ſchwebt kein geiſtig unbeſtimmtes Bild
Vor meiner Stirne, das der Seele bald
Sich überglänzend nahte, bald entzöge.
Mit meinen Augen hab’ ich es geſehn,
Das Urbild jeder Tugend, jeder Schöne;
Was ich nach ihm gebildet, das wird bleiben:
Tancredens Heldenliebe zu Chlorinden,
Erminiens ſtille nicht bemerkte Treue,
Sophroniens Großheit und Olindens Noth.
Es ſind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,
Ich weiß es, ſie ſind ewig, denn ſie ſind.
Und was hat mehr das Recht, Jahrhunderte
Zu bleiben und im Stillen fortzuwirken,
Als das Geheimniß einer edlen Liebe,
Dem holden Lied beſcheiden anvertraut?


Prinzeſſinn.

Und ſoll ich dir noch einen Vorzug ſagen,
Den unvermerkt ſich dieſes Lied erſchleicht?
[72]Torquato Taſſo
Es lockt uns nach und nach, wir hören zu,
Wir hören und wir glauben zu verſtehn,
Was wir verſtehn, das können wir nicht ta-
deln,
Und ſo gewinnt uns dieſes Lied zuletzt.


Taſſo.

Welch einen Himmel öffneſt du vor mir,
O Fürſtinn! Macht mich dieſer Glanz nicht
blind,
So ſeh’ ich unverhofft ein ewig Glück
Auf goldnen Strahlen herrlich niederſteigen.


Prinzeſſinn.

Nicht weiter, Taſſo! Viele Dinge ſind’s,
Die wir mit Heftigkeit ergreifen ſollen:
Doch andre können nur durch Mäßigung
Und durch Entbehren unſer eigen werden.
So, ſagt man, ſey die Tugend, ſey die Liebe,
Die ihr verwandt iſt. Das bedenke wohl!


[73]Ein Schauſpiel.

Zweyter Auftritt.


Taſſo.

Iſt dir’s erlaubt die Augen aufzuſchlagen?
Wagſt du’s umherzuſehn? Du biſt allein!
Vernahmen dieſe Säulen was ſie ſprach?
Und haſt du Zeugen, dieſe ſtumme Zeugen
Des höchſten Glücks zu fürchten? Es erhebt
Die Sonne ſich des neuen Lebenstages,
Der mit den vorigen ſich nicht vergleicht.
Hernieder ſteigend hebt die Göttinn ſchnell
Den Sterblichen hinauf. Welch neuer Kreis
Entdeckt ſich meinem Auge, welches Reich!
Wie köſtlich wird der heiße Wunſch belohnt!
Ich träumte mich dem höchſten Glücke nah,
Und dieſes Glück iſt über alle Träume.
Der Blindgeborne denke ſich das Licht,
Die Farben wie er will, erſcheinet ihm
Der neue Tag, iſt’s ihm ein neuer Sinn.
Voll Muth und Ahndung, freudetrunken,
ſchwankend
Betret’ ich dieſe Bahn. Du gibſt mir viel,
[74]Torauato Taſſo
Du gibſt, wie Erd’ und Himmel uns Geſchenke
Mit vollen Händen übermäßig reichen,
Und forderſt wieder, was von mir zu fordern
Nur eine ſolche Gabe dich berechtigt.
Ich ſoll entbehren, ſoll mich mäßig zeigen,
Und ſo verdienen, daß du mir vertrauſt.
Was that ich je, daß ſie mich wählen konnte?
Was ſoll ich thun, um ihrer werth zu ſeyn?
Sie konnte dir vertraun und dadurch biſt
du’s.
Ja, Fürſtinn, deinen Worten, deinen Blicken
Sey ewig meine Seele ganz geweiht!
Ja, fordre was du willſt, denn ich bin dein!
Sie ſende mich, Müh’ und Gefahr und Ruhm
In fernen Landen aufzuſuchen, reiche
Im ſtillen Hain die goldne Leyer mir,
Sie weihe mich der Ruh’ und ihrem Preis:
Ihr bin ich, bildend ſoll ſie mich beſitzen;
Mein Herz bewahrte jeden Schatz für Sie.
O hätt’ ein tauſendfaches Werkzeug mir
Ein Gott gegönnt, kaum drückt’ ich dann genug
Die unausſprechliche Verehrung aus.
[75]Ein Schauſpiel.
Des Mahlers Pinſel und des Dichters Lippe,
Die ſüßeſte, die je von frühem Honig
Genährt war, wünſcht’ ich mir. Nein, künf-
tig ſoll
Nicht Taſſo zwiſchen Bäumen, zwiſchen Men-
ſchen
Sich einſam, ſchwach und trübgeſinnt verlie-
ren!
Er iſt nicht mehr allein, er iſt mit Dir.
O daß die edelſte der Thaten ſich
Hier ſichtbar vor mich ſtellte, rings umgeben
Von gräßlicher Gefahr! Ich dränge zu
Und wagte gern das Leben, das ich nun
Von ihren Händen habe — forderte
Die beſten Menſchen mir zu Freunden auf,
Unmögliches mit einer edeln Schaar
Nach Ihrem Wink und Willen zu vollbringen.
Voreiliger, warum verbarg dein Mund
Nicht das was du empfandſt, bis du dich
werth
Und werther ihr zu Füßen legen konnteſt?
Das war dein Vorſatz, war dein kluger Wunſch.
[76]Torquato Taſſo
Doch ſey es auch! Viel ſchöner iſt es, rein
Und unverdient ein ſolch Geſchenk empfangen,
Als halb und halb zu wähnen, daß man wohl
Es habe fordern dürfen. Blicke freudig,
Es iſt ſo groß, ſo weit, was vor dir liegt!
Und hoffnungsvolle Jugend lockt dich wieder
In unbekannte, lichte Zukunft hin.
— Schwelle Bruſt! — O Witterung des
Glücks
Begünſt’ge dieſe Pflanze doch einmal!
Sie ſtrebt gen Himmel, tauſend Zweige drin-
gen
Aus ihr hervor, entfalten ſich zu Blüthen.
O daß ſie Frucht, o daß ſie Freuden bringe!
Daß eine liebe Hand den goldnen Schmuck
Aus ihren friſchen reichen Äſten breche!


[77]Ein Schauſpiel.

Dritter Auftritt.


Taſſo. Antonie.

Taſſo.

Sey mir willkommen, den ich gleichſam jetzt
Zum erſtenmal erblicke! Schöner ward
Kein Mann mir angekündigt. Sey will-
kommen!
Dich kenn’ ich nun und deinen ganzen Werth,
Dir biet’ ich ohne Zögern Herz und Hand,
Und hoffe, daß auch du mich nicht verſchmähſt.


Antonio.

Freygebig bieteſt du mir ſchöne Gaben,
Und ihren Werth erkenn’ ich wie ich ſoll,
Drum laß mich zögern eh’ ich ſie ergreife.
Weiß ich doch nicht, ob ich dir auch dagegen
Ein gleiches geben kann. Ich möchte gern
Nicht übereilt und nicht undankbar ſcheinen:
Laß mich für beyde klug und ſorgſam ſeyn.


[78]Torquato Taſſo
Taſſo.

Wer wird die Klugheit tadeln? Jeder Schritt
Des Lebens zeigt wie ſehr ſie nöthig ſey;
Doch ſchöner iſt’s, wenn uns die Seele ſagt
Wo wir der feinen Vorſicht nicht bedürfen.


Antonio.

Darüber frage jeder ſein Gemüth,
Weil er den Fehler ſelbſt zu büßen hat.


Taſſo.

So ſey’s! Ich habe meine Pflicht gethan,
Der Fürſtinn Wort, die uns zu Freunden
wünſcht,
Hab’ ich verehrt und mich dir vorgeſtellt.
Rückhalten durft’ ich nicht, Antonio; doch
gewiß,
Zudringen will ich nicht. Es mag denn ſeyn.
Zeit und Bekanntſchaft heißen dich vielleicht
Die Gabe wärmer fodern, die du jetzt
So kalt bey Seite lehnſt und faſt verſchmähſt.


[79]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Der Mäßige wird öfters kalt genannt
Von Menſchen, die ſich warm vor andern
glauben,
Weil ſie die Hitze fliegend überfällt.


Taſſo.

Du tadelſt was ich tadle, was ich meide.
Auch ich verſtehe wohl, ſo jung ich bin,
Der Heftigkeit die Dauer vorzuziehn.


Antonio.

Sehr weislich! Bleibe ſtets auf dieſem Sinne.


Taſſo.

Du biſt berechtigt mir zu rathen, mich
Zu warnen, denn es ſteht Erfahrung dir
Als lang’ erprobte Freundinn an der Seite.
Doch glaube nur, es horcht ein ſtilles Herz
Auf jedes Tages, jeder Stunde Warnung,
Und übt ſich ingeheim an jedem Guten,
Das deine Strenge neu zu lehren glaubt.


[80]Torquato Taſſo
Antonio.

Es iſt wohl angenehm, ſich mit ſich ſelbſt
Beſchäft’gen, wenn es nur ſo nützlich wäre.
Inwendig lernt kein Menſch ſein Innerſtes
Erkennen. Denn er mißt nach eignem Maß
Sich bald zu klein und leider oft zu groß.
Der Menſch erkennt ſich nur im Menſchen,
nur
Das Leben lehret jedem was er ſey.


Taſſo.

Mit Beyfall und Verehrung hör’ ich dich.


Antonio.

Und dennoch denkſt du wohl bey dieſen Wor-
ten
Ganz etwas anders, als ich ſagen will.


Taſſo.

Auf dieſe Weiſe rücken wir nicht näher.
Es iſt nicht klug, es iſt nicht wohl gethan,
Vorſetzlich einen Menſchen zu verkennen,
Er ſey auch wer er ſey. Der Fürſtinn Wort
[81]Ein Schauſpiel.
Bedurft’ es kaum, leicht hab’ ich dich erkannt:
Ich weiß, daß du das Gute willſt und ſchaffſt.
Dein eigen Schickſal läßt dich unbeſorgt,
An Andre denkſt du, Andern ſtehſt du bey,
Und auf des Lebens leicht bewegter Woge
Bleibt dir ein ſtetes Herz. So ſeh’ ich dich:
Und was wär’ ich, ging ich dir nicht entge-
gen?
Sucht’ ich begierig nicht auch einen Theil
An dem verſchloßnen Schatz, den du bewahrſt?
Ich weiß, es reut dich nicht, wenn du dich
öffneſt;
Ich weiß, du biſt mein Freund, wenn du mich
kennſt:
Und eines ſolchen Freunds bedurft’ ich lange.
Ich ſchäme mich der Unerfahrenheit
Und meiner Jugend nicht. Still ruhet noch
Der Zukunft goldne Wolke mir um’s Haupt.
O nimm mich, edler Mann, an deine Bruſt,
Und weihe mich, den Raſchen, Unerfahrnen,
Zum mäßigen Gebrauch des Lebens ein.


Goethe’s W. 6. B. F
[82]Torquato Taſſo
Antonio.

In Einem Augenblicke forderſt du,
Was wohlbedächtig nur die Zeit gewährt.


Taſſo.

In Einem Augenblick gewährt die Liebe,
Was Mühe kaum in langer Zeit erreicht.
Ich bitt’ es nicht von dir, ich darf es fodern.
Dich ruf’ ich in der Tugend Namen auf,
Die gute Menſchen zu verbinden eifert.
Und ſoll ich dir noch einen Namen nennen?
Die Fürſtinn hofft’s, Sie will’s — Eleonore,
Sie will mich zu dir führen, dich zu mir.
O laß uns ihrem Wunſch entgegen gehn!
Laß uns verbunden vor die Göttinn treten,
Ihr unſern Dienſt, die ganze Seele biethen,
Vereint für ſie das Würdigſte zu thun.
Noch einmal! — Hier iſt meine Hand!
Schlag’ ein!
Tritt nicht zurück und weigre dich nicht länger,
O edler Mann, und gönne mir die Wolluſt,
Die ſchönſte guter Menſchen, ſich dem Beſſern
Vertrauend ohne Rückhalt hinzugeben!


[83]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Du gehſt mit vollen Segeln! Scheint es
doch,
Du biſt gewohnt zu ſiegen, überall
Die Wege breit, die Pforten weit zu finden.
Ich gönne jeden Werth und jedes Glück
Dir gern, allein ich ſehe nur zu ſehr,
Wir ſtehn zu weit noch von einander ab.


Taſſo.

Es ſey an Jahren, an geprüftem Werth:
An frohem Muth und Willen weich’ ich keinem.


Antonio.

Der Wille lockt die Thaten nicht herbey;
Der Muth ſtellt ſich die Wege kürzer vor.
Wer angelangt am Ziel iſt, wird gekrönt,
Und oft entbehrt ein Würd’ger eine Krone.
Doch gibt es leichte Kränze, Kränze gibt es
Von ſehr verſchiedner Art, ſie laſſen ſich
Oft im Spazierengehn bequem erreichen.


F 2
[84]Torquato Taſſo
Taſſo.

Was eine Gottheit dieſem frey gewährt
Und jenem ſtreng verſagt, ein ſolches Gut
Erreicht nicht jeder wie er will und mag.


Antonio.

Schreib’ es dem Glück vor andern Göttern zu,
So hör’ ich’s gern, denn ſeine Wahl iſt
blind.


Taſſo.

Auch die Gerechtigkeit trägt eine Binde
Und ſchließt die Augen jedem Blendwerk zu.


Antonio.

Das Glück erhebe billig der Beglückte!
Er dicht’ ihm hundert Augen für’s Verdienſt
Und kluge Wahl und ſtrenge Sorgfalt an,
Nenn’ es Minerva, nenn’ es wie er will,
Er halte gnädiges Geſchenk für Lohn,
Zufälligen Putz für wohlverdienten Schmuck.


[85]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Du brauchſt nicht deutlicher zu ſeyn. Es iſt
genug!
Ich blicke tief dir in das Herz und kenne
Für’s ganze Leben dich. O kennte ſo
Dich meine Fürſtinn auch! Verſchwende nicht
Die Pfeile deiner Augen, deiner Zunge!
Du richteſt ſie vergebens nach dem Kranze,
Dem unverwelklichen, auf meinem Haupt.
Sey erſt ſo groß, mir ihn nicht zu beneiden!
Dann darfſt du mir vielleicht ihn ſtreitig
machen.
Ich acht’ ihn heilig und das höchſte Gut:
Doch zeige mir den Mann, der das erreicht,
Wornach ich ſtrebe, zeige mir den Helden,
Von dem mir die Geſchichten nur erzählten;
Den Dichter ſtell’ mir vor, der ſich Homeren,
Virgilen ſich vergleichen darf, ja, was
Noch mehr geſagt iſt, zeige mir den Mann,
Der dreyfach dieſen Lohn verdiente, den
Die ſchöne Krone dreyfach mehr als mich
Beſchämte: dann ſollſt du mich knieend ſehn
[86]Torquato Taſſo
Vor jener Gottheit, die mich ſo begabte;
Nicht eher ſtünd’ ich auf, bis ſie die Zierde
Von meinem Haupt auf ſeins hinüber drückte.


Antonio.

Bis dahin bleibſt du freylich ihrer werth.


Taſſo.

Man wäge mich, das will ich nicht vermeiden,
Allein Verachtung hab’ ich nicht verdient.
Die Krone, der mein Fürſt mich würdig achtete,
Die meiner Fürſtinn Hand für mich gewunden,
Soll keiner mir bezweifeln noch begrinſen!


Antonio.

Es ziemt der hohe Ton, die raſche Glut
Nicht dir zu mir, noch dir an dieſem Orte.


Taſſo.

Was du dir hier erlaubſt, das ziemt auch mir.
Und iſt die Wahrheit wohl von hier verbannt?
Iſt im Pallaſt der freye Geiſt gekerkert?
Hat hier ein edler Menſch nur Druck zu dul-
den?
[87]Ein Schauſpiel.
Mich dünkt hier iſt die Hoheit erſt an ihrem
Platz,
Der Seele Hoheit! Darf ſie ſich der Nähe
Der Großen dieſer Erde nicht erfreun?
Sie darf’s und ſoll’s. Wir nahen uns dem
Fürſten
Durch Adel nur, der uns von Vätern kam;
Warum nicht durch’s Gemüth, das die Natur
Nicht jedem groß verlieh, wie ſie nicht jedem
Die Reihe großer Ahnherrn geben konnte.
Nur Kleinheit ſollte hier ſich ängſtlich fühlen,
Der Neid, der ſich zu ſeiner Schande zeigt:
Wie keiner Spinne ſchmutziges Gewebe
An dieſen Marmorwänden haften ſoll.


Antonio.

Du zeigſt mir ſelbſt mein Recht dich zu ver-
ſchmähn!
Der übereilte Knabe will des Mann’s
Vertraun und Freundſchaft mit Gewalt er-
trotzen?
Unſittlich wie du biſt hältſt du dich gut?


[88]Torquato Taſſo
Taſſo.

Viel lieber was ihr euch unſittlich nennt,
Als was ich mir unedel nennen müßte.


Antonio.

Du biſt noch jung genug, daß gute Zucht
Dich eines beſſern Wegs belehren kann.


Taſſo.

Nicht jung genug, vor Götzen mich zu neigen,
Und Trotz mit Trotz zu bänd’gen, alt genug.


Antonio.

Wo Lippenſpiel und Saitenſpiel entſcheiden,
Ziehſt du als Held und Sieger wohl davon.


Taſſo.

Verwegen wär’ es meine Fauſt zu rühmen,
Denn ſie hat nichts gethan, doch ich vertrau’
ihr.


Antonio.

Du trauſt auf Schonung, die dich nur zu ſehr
Im frechen Laufe deines Glücks verzog.


[89]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Daß ich erwachſen bin, das fühl’ ich nun;
Mit dir am wenigſten hätt’ ich gewünſcht
Das Wageſpiel der Waffen zu verſuchen:
Allein du ſchüreſt Glut auf Glut, es kocht
Das inn’re Mark, die ſchmerzliche Begier
Der Rache ſiedet ſchäumend in der Bruſt.
Biſt du der Mann der du dich rühmſt, ſo ſteh’
mir.


Antonio.

Du weißt ſo wenig wer, als wo du biſt.


Taſſo.

Kein Heiligthum heißt uns den Schimpf er-
tragen.
Du läſterſt, du entweiheſt dieſen Ort,
Nicht ich, der ich Vertraun, Verehrung, Liebe,
Das ſchönſte Opfer, dir entgegen trug.
Dein Geiſt verunreint dieſes Paradies
Und deine Worte dieſen reinen Saal,
Nicht meines Herzens ſchwellendes Gefühl,
Das brauſ’t, den kleinſten Flecken nicht zu
leiden.


[90]Torquato Taſſo
Antonio.

Welch hoher Geiſt in einer engen Bruſt!


Taſſo.

Hier iſt noch Raum dem Buſen Luft zu
machen.


Antonio.

Es macht das Volk ſich auch mit Worten Luft.


Taſſo.

Biſt du ein Edelmann wie ich, ſo zeig’ es.


Antonio.

Ich bin es wohl, doch weiß ich wo ich bin.


Taſſo.

Komm mit herab, wo unſre Waffen gelten.


Antonio.

Wie du nicht fordern ſollteſt, folg’ ich nicht.


Taſſo.

Der Feigheit iſt ſolch Hinderniß willkommen.


[91]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Der Feige droht nur, wo er ſicher iſt.


Taſſo.

Mit Freuden kann ich dieſem Schutz entſagen.


Antonio.

Vergib dir nur, dem Ort vergibſt du nichts.


Taſſo.

Verzeihe mir der Ort daß ich es litt.


Er zieht den Degen.

Zieh’ oder folge, wenn ich nicht auf ewig,
Wie ich dich haſſe, dich verachten ſoll.


Vierter Auftritt.


Alphons. Die Vorigen.

Alphons.

In welchem Streit treff’ ich euch unerwartet?


[92]Torquato Taſſo
Antonio.

Du findeſt mich, o Fürſt, gelaſſen ſtehn
Vor einem, den die Wuth ergriffen hat.


Taſſo.

Ich bethe dich als eine Gottheit an,
Daß du mit Einem Blick mich warnend bän-
digſt.


Alphons.

Erzähl’, Antonio, Taſſo, ſag’ mir an,
Wie hat der Zwiſt ſich in mein Haus gedrun-
gen?
Wie hat er euch ergriffen, von der Bahn
Der Sitten, der Geſetze kluge Männer
Im Taumel weggeriſſen? Ich erſtaune.


Taſſo.

Du kennſt uns beyde nicht, ich glaub’ es wohl:
Hier dieſer Mann, berühmt als klug und ſitt-
lich,
Hat roh und hämiſch, wie ein unerzogner,
Unedler Menſch ſich gegen mich betragen.
[93]Ein Schauſpiel.
Zutraulich naht’ ich ihm, er ſtieß mich weg;
Beharrlich liebend drang ich mich zu ihm,
Und bitter, immer bitt’rer ruht’ er nicht,
Bis er den reinſten Tropfen Bluts in mir
Zu Galle wandelte. Verzeih’! Du haſt mich
hier
Als einen Wüthenden getroffen. Dieſer
Hat alle Schuld, wenn ich mich ſchuldig machte.
Er hat die Glut gewaltſam angefacht,
Die mich ergriff und mich und ihn verletzte.


Antonio.

Ihn riß der hohe Dichterſchwung hinweg!
Du haſt, o Fürſt, zuerſt mich angeredet,
Haſt mich gefragt: es ſey mir nun erlaubt,
Nach dieſem raſchen Redner auch zu ſprechen.


Taſſo.

O ja, erzähl’, erzähl’ von Wort zu Wort,
Und kannſt du jede Sylbe, jede Miene
Vor dieſen Richter ſtellen, wag’ es nur!
Beleidige dich ſelbſt zum zweytenmale,
[94]Torquato Taſſo.
Und zeuge wider dich! dagegen will
Ich keinen Hauch und keinen Pulsſchlag läug-
nen.


Antonio.

Wenn du noch mehr zu reden haſt, ſo ſprich:
Wo nicht, ſo ſchweig’ und unterbrich mich nicht.
Ob ich, mein Fürſt, ob dieſer heiße Kopf
Den Streit zuerſt begonnen? wer es ſey,
Der Unrecht hat? iſt eine weite Frage,
Die wohl zuvörderſt noch auf ſich beruht.


Taſſo.

Wie das? Mich dünkt, das iſt die erſte Frage,
Wer von uns beyden Recht und Unrecht hat.


Antonio.

Nicht ganz, wie ſich’s der unbegränzte Sinn
Gedenken mag.


Alphons.

Antonio!


[95]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Gnädigſter,
Ich ehre deinen Wink, doch laß ihn ſchwei-
gen;
Hab’ ich geſprochen, mag er weiter reden;
Du wirſt entſcheiden. Alſo ſag’ ich nur:
Ich kann mit ihm nicht rechten, kann ihn
weder
Verklagen, noch mich ſelbſt vertheid’gen,
noch
Ihm jetzt genug zu thun mich anerbiethen.
Denn wie er ſteht, iſt er kein freyer Mann.
Es waltet über ihm ein ſchwer Geſetz,
Das deine Gnade höchſtens lindern wird.
Er hat mir hier gedroht, hat mich gefodert;
Vor dir verbarg er kaum das nackte Schwert.
Und tratſt du, Herr, nicht zwiſchen uns herein,
So ſtünde jetzt auch ich als pflichtvergeſſen,
Mitſchuldig und beſchämt vor deinem Blick.


Alphons
zu Taſſo,

Du haſt nicht wohl gethan.


[96]Torquato Taſſo
Taſſo.

Mich ſpricht, o Herr,
Mein eigen Herz, gewiß auch deines frey.
Ja, es iſt wahr, ich drohte, forderte,
Ich zog. Allein, wie tückiſch ſeine Zunge
Mit wohlgewählten Worten mich verletzt,
Wie ſcharf und ſchnell ſein Zahn das feine
Gift
Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber
Nur mehr und mehr erhitzt — Du denkſt
es nicht!
Gelaſſen, kalt, hat er mich ausgehalten,
Auf’s höchſte mich getrieben. O! du kennſt,
Du kennſt ihn nicht und wirſt ihn niemals
kennen!
Ich trug ihm warm die ſchönſte Freundſchaft
an;
Er warf mir meine Gaben vor die Füße;
Und hätte meine Seele nicht geglüht,
So war ſie deiner Gnade, deines Dienſtes
Auf ewig unwerth. Hab’ ich des Geſetzes
Und dieſes Orts vergeſſen, ſo verzeih,
[97]Ein Schauſpiel.
Auf keinem Boden darf ich niedrig ſeyn,
Erniedrigung auf keinem Boden dulden.
Wenn dieſes Herz, es ſey auch wo es will,
Dir fehlt und ſich, dann ſtrafe, dann verſtoße,
Und laß mich nie dein Auge wiederſehn.


Antonio.

Wie leicht der Jüngling ſchwere Laſten trägt
Und Fehler wie den Staub vom Kleide ſchüt-
telt!
Es wäre zu verwundern, wenn die Zauber-
kraft
Der Dichtung nicht bekannter wäre, die
Mit dem Unmöglichen ſo gern ihr Spiel
Zu treiben liebt. Ob du auch ſo, mein Fürſt,
Ob alle deine Diener dieſe That
So unbedeutend halten, zweifl’ ich faſt.
Die Majeſtät verbreitet ihren Schutz
Auf jeden, der ſich ihr wie einer Gottheit
Und ihrer unverletzten Wohnung naht.
Wie an dem Fuße des Altars, bezähmt
Sich auf der Schwelle jede Leidenſchaft.
Goethe’s W. 6. B. G
[98]Torquato Taſſo
Da blinkt kein Schwert, da fällt kein dro-
hend Wort,
Da fordert ſelbſt Beleid’gung keine Rache.
Es bleibt das weite Feld ein offner Raum
Für Grimm und Unverſöhnlichkeit genug.
Dort wird kein Feiger drohn, kein Mann
wird fliehn.
Hier dieſe Mauern haben deine Väter
Auf Sicherheit gegründet, ihrer Würde
Ein Heiligthum befeſtigt, dieſe Ruhe
Mit ſchweren Strafen ernſt und klug erhalten;
Verbannung, Kerker, Tod ergriff den Schul-
digen.
Da war kein Anſehn der Perſon, es hielt
Die Milde nicht den Arm des Rechts zurück;
Und ſelbſt der Frevler fühlte ſich geſchreckt.
Nun ſehen wir nach langem ſchönem Frieden
In das Gebieth der Sitten rohe Wuth
Im Taumel wiederkehren. Herr, entſcheide,
Beſtrafe! denn wer kann in ſeiner Pflicht
Beſchränkten Gränzen wandeln, ſchützet ihn
Nicht das Geſetz und ſeines Fürſten Kraft?


[99]Ein Schauſpiel.
Alphons.

Mehr als ihr beyde ſagt und ſagen könnt,
Läßt unparteyiſch das Gemüth mich hören.
Ihr hättet ſchöner eure Pflicht gethan,
Wenn ich dieß Urtheil nicht zu ſprechen hätte.
Denn hier ſind Recht und Unrecht nah ver-
wandt.
Wenn dich Antonio beleidigt hat,
So hat er dir auf irgend eine Weiſe
Genugzuthun, wie du es fordern wirſt.
Mir wär’ es lieb, ihr wähltet mich zum Aus-
trag.
Indeſſen, dein Vergehen macht, o Taſſo,
Dich zum Gefangnen. Wie ich dir vergebe:
So lindr’ ich das Geſetz um deinetwillen.
Verlaß uns, Taſſo! bleib’ auf deinem Zimmer,
Von dir und mit dir ſelbſt allein bewacht.


Taſſo.

Iſt dieß, o Fürſt, dein richterlicher Spruch?


Antonio.

Erkenneſt du des Vaters Milde nicht?


G 2
[100]Torquato Taſſo
Taſſo
zu Antonio.

Mit dir hab’ ich vorerſt nichts mehr zu reden.


Zu Alphons.

O Fürſt, es übergibt dein ernſtes Wort
Mich Freyen der Gefangenſchaft. Es ſey!
Du hältſt es Recht. Dein heilig Wort ver-
ehrend,
Heiß’ ich mein innres Herz im tiefſten ſchwei-
gen.
Es iſt mir neu, ſo neu, daß ich faſt dich
Und mich und dieſen ſchönen Ort nicht kenne.
Doch dieſen kenn’ ich wohl — Gehorchen will
ich,
Ob ich gleich hier noch manches ſagen könnte,
Und ſagen ſollte. Mir verſtummt die Lippe.
War’s ein Verbrechen? Wenigſtens es ſcheint,
Ich bin als ein Verbrecher angeſehn.
Und, was mein Herz auch ſagt, ich bin ge-
fangen.


Alphons.

Du nimmſt es höher, Taſſo, als ich ſelbſt.


[101]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Mir bleibt es unbegreiflich wie es iſt;
Zwar unbegreiflich nicht, ich bin kein Kind;
Ich meine faſt, ich müßt’ es denken können.
Auf einmal winkt mich eine Klarheit an,
Doch augenblicklich ſchließt ſich’s wieder zu,
Ich höre nur mein Urtheil, beuge mich.
Das ſind zu viel vergebne Worte ſchon!
Gewöhne dich von nun an zu gehorchen;
Ohnmächt’ger! du vergaßeſt wo du ſtandſt;
Der Götter Saal ſchien dir auf gleicher
Erde,
Nun überwältigt dich der jähe Fall,
Gehorche gern, denn es geziemt dem Manne,
Auch willig das Beſchwerliche zu thun.
Hier nimm den Degen erſt, den du mir gabſt,
Als ich dem Cardinal nach Frankreich folgte,
Ich führt’ ihn nicht mit Ruhm, doch nicht
mit Schande,
Auch heute nicht. Der hoffnungsvollen
Gabe
Entäußr’ ich mich mit tief gerührtem Herzen.


[102]Torquato Taſſo
Alphons.

Wie ich zu dir geſinnt bin fühlſt du nicht.


Taſſo.

Gehorchen iſt mein Loos und nicht zu denken!
Und leider eines herrlichern Geſchenks
Verläugnung fordert das Geſchick von mir.
Die Krone kleidet den Gefangnen nicht:
Ich nehme ſelbſt von meinem Haupt die Zierde,
Die für die Ewigkeit gegönnt mir ſchien.
Zu früh war mir das ſchönſte Glück verliehen,
Und wird, als hätt’ ich ſein mich überhoben,
Mir nur zu bald geraubt.
Du nimmſt dir ſelbſt, was keiner nehmen
konnte
Und was kein Gott zum zweytenmale gibt.
Wir Menſchen werden wunderbar geprüft;
Wir könnten’s nicht ertragen, hätt’ uns nicht
Den holden Leichtſinn die Natur verliehn.
Mit unſchätzbaren Gütern lehret uns
Verſchwenderiſch die Noth gelaſſen ſpielen:
Wir öffnen willig unſre Hände, daß
[103]Ein Schauſpiel.
Unwiederbringlich uns ein Gut entſchlüpfe.
Mit dieſem Kuß vereint ſich eine Thräne,
Und weiht dich der Vergänglichkeit! es iſt
Erlaubt das holde Zeichen unſrer Schwäche.
Wer weinte nicht, wenn das Unſterbliche
Vor der Zerſtörung ſelbſt nicht ſicher iſt?
Geſelle dich zu dieſem Degen, der
Dich leider nicht erwarb, um ihn geſchlungen
Ruhe, wie auf dem Sarg der Tapfern, auf
Dem Grabe meines Glücks und meiner Hoff-
nung!
Hier leg’ ich beyde willig dir zu Füßen;
Denn wer iſt wohl gewaffnet, wenn du zürnſt?
Und wer geſchmückt, o Herr, den du ver-
kennſt?
Gefangen geh’ ich, warte des Gerichts.


Auf des Fürſten Wink, hebt ein Page den Degen
mit dem Kranze auf und trägt ihn weg.

[104]Torquato Taſſo

Fünfter Auftritt.


Alphons. Antonio.

Antonio.

Wo ſchwärmt der Knabe hin? Mit welchen
Farben
Mahlt er ſich ſeinen Werth und ſein Geſchick?
Beſchränkt und unerfahren hält die Jugend
Sich für ein einzig auserwähltes Weſen,
Und alles über alle ſich erlaubt.
Er fühle ſich geſtraft, und ſtrafen heißt
Dem Jüngling wohlthun, daß der Mann uns
danke.


Alphons.

Er iſt geſtraft, ich fürchte, nur zu viel.


Antonio.

Wenn du gelind mit ihm verfahren magſt,
So gib, o Fürſt, ihm ſeine Freyheit wieder,
Und unſern Zwiſt entſcheide dann das Schwert.


Alphons.

Wenn es die Meinung fordert, mag es ſeyn.
Doch ſprich, wie haſt du ſeinen Zorn gereitzt?


[105]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Ich wüßte kaum zu ſagen, wie’s geſchah.
Als Menſchen hab’ ich ihn vielleicht gekränkt,
Als Edelmann hab’ ich ihn nicht beleidigt.
Und ſeinen Lippen iſt im größten Zorne
Kein ſittenloſes Wort entflohn.


Alphons.

So ſchien
Mir euer Streit, und was ich gleich gedacht,
Bekräftigt deine Rede mir noch mehr.
Wenn Männer ſich entzweyen, hält man billig
Den Klügſten für den Schuldigen. Du ſollteſt
Mit ihm nicht zürnen; ihn zu leiten ſtünde
Dir beſſer an. Noch immer iſt es Zeit:
Hier iſt kein Fall, der euch zu ſtreiten zwänge.
So lang’ mir Friede bleibt, ſo lange wünſch’ ich
In meinem Haus ihn zu genießen. Stelle
Die Ruhe wieder her, du kannſt es leicht,
Lenore Sanvitale mag ihn erſt
Mit zarter Lippe zu beſänft’gen ſuchen!
Dann tritt zu ihm, gib ihm in meinem Namen
[106]Torquato Taſſo
Die volle Freyheit wieder, und gewinne
Mit edeln, wahren Worten ſein Vertraun.
Verrichte das, ſo bald du immer kannſt;
Du wirſt als Freund und Vater mit ihm
ſprechen.
Noch eh’ wir ſcheiden, will ich Friede wiſſen,
Und dir iſt nichts unmöglich, wenn du willſt.
Wir bleiben lieber eine Stunde länger,
Und laſſen dann die Frauen ſanft vollenden,
Was du begannſt; und kehren wir zurück,
So haben ſie von dieſem raſchen Eindruck
Die letzte Spur vertilgt. Es ſcheint, Antonio,
Du willſt nicht aus der Übung kommen! Du
Haſt Ein Geſchäft kaum erſt vollendet, nun
Kehrſt du zurück und ſchaffſt dir gleich ein neues.
Ich hoffe, daß auch dieſes dir gelingt.


Antonio.

Ich bin beſchämt, und ſeh’ in deinen Worten,
Wie in dem klarſten Spiegel, meine Schuld!
Gar leicht gehorcht man einem edlen Herrn,
Der überzeugt, indem er uns gebiethet.


[[107]]

Dritter Aufzug.


Erſter Auftritt.


Prinzeſſinn
allein.

Wo bleibt Eleonore? Schmerzlicher
Bewegt mir jeden Augenblick die Sorge
Das tiefſte Herz. Kaum weiß ich was geſchah,
Kaum weiß ich wer von beyden ſchuldig iſt.
O daß ſie käme! Möcht’ ich doch nicht gern
Den Bruder nicht, Antonio nicht ſprechen,
Eh’ ich gefaßter bin, eh’ ich vernommen,
Wie alles ſteht und was es werden kann.


[108]Torquato Taſſo

Zweyter Auftritt.


Prinzeſſinn. Leonore.

Prinzeſſinn.

Was bringſt du, Leonore? ſag mir an:
Wie ſteht’s um unſre Freunde? Was geſchah?


Leonore.

Mehr als wir wiſſen hab’ ich nicht erfahren.
Sie trafen hart zuſammen, Taſſo zog,
Dein Bruder trennte ſie: allein es ſcheint,
Als habe Taſſo dieſen Streit begonnen.
Antonio geht frey umher und ſpricht
Mit ſeinem Fürſten, Taſſo bleibt dagegen
Verbannt in ſeinem Zimmer und allein.


Prinzeſſinn.

Gewiß hat ihn Antonio gereitzt,
Den Hochgeſtimmten kalt und fremd beleidigt.


Leonore.

Ich glaub’ es ſelbſt. Denn eine Wolke ſtand,
Schon als er zu uns trat, um ſeine Stirn.


[109]Ein Schauſpiel.
Prinzeſſinn.

Ach daß wir doch dem reinen ſtillen Wink
Des Herzens nachzugehn ſo ſehr verlernen!
Ganz leiſe ſpricht ein Gott in unſrer Bruſt,
Ganz leiſe, ganz vernehmlich, zeigt uns an,
Was zu ergreifen iſt und was zu fliehn.
Antonio erſchien mir heute früh
Viel ſchroffer noch als je, in ſich gezogner.
Es warnte mich mein Geiſt, als neben ihn
Sich Taſſo ſtellte. Sieh das Äußre nur
Von beyden an, das Angeſicht, den Ton,
Den Blick, den Tritt! es widerſtrebt ſich alles,
Sie können ewig keine Liebe wechſeln.
Doch überredete die Hoffnung mich,
Die Gleisnerinn, ſie ſind vernünftig beyde,
Sind edel, unterrichtet, deine Freunde;
Und welch ein Band iſt ſichrer als der Guten?
Ich trieb den Jüngling an; er gab ſich ganz;
Wie ſchön, wie warm ergab er ganz ſich mir!
O hätt’ ich gleich Antonio geſprochen!
Ich zauderte; es war nur kurze Zeit;
Ich ſcheute mich, gleich mit den erſten Worten
[110]Torquato Taſſo
Und dringend ihm den Jüngling zu empfehlen,
Verließ auf Sitte mich und Höflichkeit,
Auf den Gebrauch der Welt, der ſich ſo glatt
Selbſt zwiſchen Feinde legt; befürchtete
Von dem geprüften Manne dieſe Jähe
Der raſchen Jugend nicht. Es iſt geſchehn.
Das Übel ſtand mir fern, nun iſt es da.
O gib mir einen Rath! was iſt zu thun?


Leonore.

Wie ſchwer zu rathen ſey, das fühlſt du ſelbſt
Nach dem was du geſagt. Es iſt nicht hier
Ein Mißverſtändniß zwiſchen Gleichgeſtimm-
ten;
Das ſtellen Worte, ja im Nothfall ſtellen
Es Waffen leicht und glücklich wieder her.
Zwey Männer ſind’s, ich hab’ es lang ge-
fühlt,
Die darum Feinde ſind, weil die Natur
Nicht Einen Mann aus ihnen beyden formte.
Und wären ſie zu ihrem Vortheil klug,
So würden ſie als Freunde ſich verbinden;
[111]Ein Schauſpiel.
Dann ſtünden ſie für Einen Mann, und gingen
Mit Macht und Glück und Luſt durch’s Leben
hin.
So hofft’ ich ſelbſt, nun ſeh’ ich wohl umſonſt.
Der Zwiſt von heute, ſey er wie er ſey,
Iſt beyzulegen; doch das ſichert uns
Nicht für die Zukunft, für den Morgen nicht.
Es wär’ am beſten, dächt’ ich, Taſſo reiſ’te
Auf eine Zeit von hier; er könnte ja
Nach Rom, auch nach Florenz ſich wenden;
dort
Träf’ ich in wenig Wochen ihn, und könnte
Auf ſein Gemüth als eine Freundinn wirken.
Du würdeſt hier indeſſen den Antonio,
Der uns ſo fremd geworden, dir auf’s neue
Und deinen Freunden näher bringen; ſo
Gewährte das, was itzt unmöglich ſcheint,
Die gute Zeit vielleicht, die vieles gibt.


Prinzeſſinn.

Du willſt dich in Genuß, o Freundinn, ſetzen,
Ich ſoll entbehren; heißt das billig ſeyn?


[112]Torquato Taſſo
Leonore.

Entbehren wirſt du nichts, als was du doch
In dieſem Falle nicht genießen könnteſt.


Prinzeſſinn.

So ruhig ſoll ich einen Freund verbannen?


Leonore.

Erhalten, den du nur zum Schein verbannſt.


Prinzeſſinn.

Mein Bruder wird ihn nicht mit Willen laſſen.


Leonore.

Wenn er es ſieht wie wir, ſo gibt er nach.


Prinzeſſinn.

Es iſt ſo ſchwer, im Freunde ſich verdammen.


Leonore.

Und dennoch retteſt du den Freund in dir.


Prinzeſſinn.

Ich gebe nicht mein Ja, daß es geſchehe.


[113]Ein Schauſpiel.
Leonore.

So warte noch ein größres Übel ab.


Prinzeſſinn.

Du peinigſt mich, und weißt nicht ob du nützeſt.


Leonore.

Wir werden bald entdecken, wer ſich irrt.


Prinzeſſinn.

Und ſoll es ſeyn, ſo frage mich nicht länger.


Leonore.

Wer ſich entſchließen kann, beſiegt den Schmerz.


Prinzeſſinn.

Entſchloſſen bin ich nicht, allein es ſey,
Wenn er ſich nicht auf lange Zeit entfernt —
Und laß uns für ihn ſorgen, Leonore,
Daß er nicht etwa künftig Mangel leide,
Daß ihm der Herzog ſeinen Unterhalt
Auch in der Ferne willig reichen laſſe.
Sprich mit Antonio, denn er vermag
Goethe’s W. 6. B. H
[114]Torquato Taſſo
Bey meinem Bruder viel, und wird den Streit
Nicht unſerm Freund und uns gedenken wollen.


Leonore.

Ein Wort von dir, Prinzeſſinn, gälte mehr.


Prinzeſſinn.

Ich kann, du weißt es, meine Freundinn,
nicht
Wie’s meine Schweſter von Urbino kann,
Für mich und für die Meinen was erbitten.
Ich lebe gern ſo ſtille vor mich hin,
Und nehme von dem Bruder dankbar an,
Was er mir immer geben kann und will.
Ich habe ſonſt darüber manchen Vorwurf
Mir ſelbſt gemacht, nun hab’ ich überwunden.
Es ſchalt mich eine Freundinn oft darum:
Du biſt uneigennützig, ſagte ſie,
Das iſt recht ſchön; allein du biſt’s ſo ſehr,
Daß du auch das Bedürfniß deiner Freunde
Nicht recht empfinden kannſt. Ich laß’ es gehn,
Und muß denn eben dieſen Vorwurf tragen.
Um deſto mehr erfreut es mich, daß ich
[115]Ein Schauſpiel.
Nun in der That dem Freunde nützen kann;
Es fällt mir meiner Mutter Erbſchaft zu,
Und gerne will ich für ihn ſorgen helfen.


Leonore.

Und ich, o Fürſtinn, finde mich im Falle,
Daß ich als Freundinn auch mich zeigen kann.
Er iſt kein guter Wirth; wo es ihm fehlt,
Werd’ ich ihm ſchon geſchickt zu helfen wiſſen.


Prinzeſſinn.

So nimm ihn weg, und, ſoll ich ihn entbehren,
Vor allen andern ſey er dir gegönnt!
Ich ſeh’ es wohl, ſo wird es beſſer ſeyn.
Muß ich denn wieder dieſen Schmerz als gut
Und heilſam preiſen? Das war mein Geſchick
Von Jugend auf, ich bin nun dran gewöhnt.
Nur halb iſt der Verluſt des ſchönſten Glücks,
Wenn wir auf den Beſitz nicht ſicher zählten.


Leonore.

Ich hoffe, dich ſo ſchön du es verdienſt
Glücklich zu ſehn!


H 2
[116]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

Eleonore! Glücklich?
Wer iſt denn glücklich? — Meinen Bruder zwar
Möcht’ ich ſo nennen, denn ſein großes Herz
Trägt ſein Geſchick mit immer gleichem Muth;
Allein was er verdient, das ward ihm nie.
Iſt meine Schweſter von Urbino glücklich?
Das ſchöne Weib, das edle große Herz!
Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder;
Er achtet ſie, und läßt ſie’s nicht entgelten,
Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus.
Was half denn unſrer Mutter ihre Klugheit?
Die Kenntniß jeder Art, ihr großer Sinn?
Konnt’ er ſie vor dem fremden Irrthum
ſchützen?
Man nahm uns von ihr weg; nun iſt ſie todt,
Sie ließ uns Kindern nicht den Troſt, daß ſie
Mit ihrem Gott verſöhnt geſtorben ſey.


Leonore.

O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt,
Betrachte, was noch einem jeden bleibt!
Was bleibt nicht Dir, Prinzeſſinn?


[117]Ein Schauſpiel.
Prinzeſſinn.

Was mir bleibt?
Geduld, Eleonore! üben konnt’ ich die
Von Jugend auf. Wenn Freunde, wenn
Geſchwiſter
Bey Feſt und Spiel geſellig ſich erfreuten,
Hielt Krankheit mich auf meinem Zimmer feſt,
Und in. Geſellſchaft mancher Leiden mußt’
Ich früh entbehren lernen. Eines war,
Was in der Einſamkeit mich ſchön ergetzte,
Die Freude des Geſangs; ich unterhielt
Mich mit mir ſelbſt, ich wiegte Schmerz und
Sehnſucht
Und jeden Wunſch mit leiſen Tönen ein.
Da wurde Leiden oft Genuß, und ſelbſt
Das traurige Gefühl zur Harmonie.
Nicht lang’ war mir dieß Glück gegönnt, auch
dieſes
Nahm mir der Arzt hinweg; ſein ſtreng Ge-
both
Hieß mich verſtummen; leben ſollt’ ich, leiden,
Den einz’gen kleinen Troſt ſollt’ ich entbehren.


[118]Torquato Taſſo
Leonore.

So viele Freunde fanden ſich zu dir,
Und nun biſt du geſund, biſt lebensfroh.


Prinzeſſinn.

Ich bin geſund, das heißt, ich bin nicht krank;
Und manche Freunde hab’ ich, deren Treue
Mich glücklich macht. Auch hatt’ ich einen
Freund —


Leonore.

Du haſt ihn noch.


Prinzeſſinn.

Und werd’ ihn bald verlieren.
Der Augenblick, da ich zuerſt ihn ſah,
War viel bedeutend. Kaum erholt’ ich mich
Von manchen Leiden; Schmerz und Krankheit
waren
Kaum erſt gewichen: ſtill beſcheiden blickt’ ich
In’s Leben wieder, freute mich des Tags
Und der Geſchwiſter wieder, ſog beherzt
Der ſüßen Hoffnung reinſten Balſam ein.
[119]Ein Schauſpiel.
Ich wagt’ es vorwärts in das Leben weiter
Hinein zu ſehn, und freundliche Geſtalten
Begegneten mir aus der Ferne. Da,
Eleonore, ſtellte mir den Jüngling
Die Schweſter vor; er kam an ihrer Hand,
Und, daß ich dir’s geſtehe, da ergriff
Ihn mein Gemüth und wird ihn ewig halten.


Leonore.

O meine Fürſtinn, laß dich’s nicht gereuen!
Das Edle zu erkennen, iſt Gewinſt,
Der nimmer uns entriſſen werden kann.


Prinzeſſinn.

Zu fürchten iſt das Schöne das Fürtreffliche,
Wie eine Flamme, die ſo herrlich nützt,
So lange ſie auf deinem Herde brennt,
So lang’ ſie dir von einer Fackel leuchtet,
Wie hold! wer mag, wer kann ſie da entbeh-
ren?
Und frißt ſie ungehütet um ſich her,
Wie elend kann ſie machen! Laß mich nun.
[120]Torquato Taſſo
Ich bin geſchwätzig, und verbärge beſſer
Auch ſelbſt vor dir, wie ſchwach ich bin und
krank.


Leonore.

Die Krankheit des Gemüthes löſet ſich
In Klagen und Vertraun am leicht’ſten auf.


Prinzeſſinn.

Wenn das Vertrauen heilt, ſo heil’ ich bald;
Ich hab’ es rein und hab’ es ganz zu dir.
Ach, meine Freundinn! Zwar ich bin ent-
ſchloſſen,
Er ſcheide nur! allein ich fühle ſchon
Den langen ausgedehnten Schmerz der Tage,
wenn
Ich nun entbehren ſoll, was mich erfreute.
Die Sonne hebt von meinen Augenliedern
Nicht mehr ſein ſchön verklärtes Traumbild
auf;
Die Hoffnung ihn zu ſehen füllt nicht mehr
Den kaum erwachten Geiſt mit froher Sehn-
ſucht;
[121]Ein Schauſpiel.
Mein erſter Blick hinab in unſre Gärten
Sucht ihn vergebens in dem Thau der Schat-
ten.
Wie ſchön befriedigt fühlte ſich der Wunſch
Mit ihm zu ſeyn an jedem heitern Abend!
Wie mehrte ſich im Umgang das Verlangen
Sich mehr zu kennen, mehr ſich zu verſtehn,
Und täglich ſtimmte das Gemüth ſich ſchöner
Zu immer reinern Harmonien auf.
Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!
Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl
Des hohen Tags, der tauſendfachen Welt
Glanzreiche Gegenwart, iſt öd’ und tief
Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt.
Sonſt war mir jeder Tag ein ganzes Leben;
Die Sorge ſchwieg, die Ahndung ſelbſt ver-
ſtummte,
Und glücklich eingeſchifft trug uns der Strom
Auf leichten Wellen ohne Ruder hin:
Nun überfällt in trüber Gegenwart
Der Zukunft Schrecken heimlich meine
Bruſt.


[122]Torquato Taſſo
Leonore.

Die Zukunft gibt dir deine Freunde wieder,
Und bringt dir neue Freude, neues Glück.


Prinzeſſinn.

Was ich beſitze, mag ich gern bewahren:
Der Wechſel unterhält, doch nutzt er kaum.
Mit jugendlicher Sehnſucht griff ich nie
Begierig in den Loostopf fremder Welt,
Für mein bedürfend unerfahren Herz
Zufällig einen Gegenſtand zu haſchen.
Ihn mußt’ ich ehren, darum liebt’ ich ihn;
Ich mußt’ ihn lieben, weil mit ihm mein
Leben
Zum Leben ward, wie ich es nie gekannt;
Erſt ſagt’ ich mir, entferne dich von ihm!
Ich wich und wich und kam nur immer näher,
So lieblich angelockt, ſo hart beſtraft!
Ein reines, wahres Gut verſchwindet mir,
Und meiner Sehnſucht ſchiebt ein böſer Geiſt
Statt Freud’ und Glück verwandte Schmerzen
unter.


[123]Ein Schauſpiel.
Leonore.

Wenn einer Freundinn Wort nicht tröſten
kann;
So wird die ſtille Kraft der ſchönen Welt,
Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.


Prinzeſſinn.

Wohl iſt ſie ſchön die Welt! in ihrer Weite
Bewegt ſich ſo viel Gutes hin und her.
Ach daß es immer nur um Einen Schritt
Von uns ſich zu entfernen ſcheint,
Und unſre bange Sehnſucht durch das Leben
Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe
lockt!
So ſelten iſt es, daß die Menſchen finden,
Was ihnen doch beſtimmt geweſen ſchien,
So ſelten, daß ſie das erhalten, was
Auch einmal die beglückte Hand ergriff!
Es reißt ſich los, was erſt ſich uns ergab,
Wir laſſen los, was wir begierig faßten.
Es gibt ein Glück, allein wir kennen’s nicht:
Wir kennen’s wohl, und wiſſen’s nicht zu
ſchätzen.


[124]Torquato Taſſo

Dritter Auftritt.


Leonore
allein.

Wie jammert mich das edle, ſchöne Herz!
Welch traurig Loos, das ihrer Hoheit fällt!
Ach ſie verliert — und denkſt du zu gewinnen?
Iſt’s denn ſo nöthig, daß er ſich entfernt?
Machſt du es nöthig, um allein für dich
Das Herz und die Talente zu beſitzen,
Die du bisher mit einer andern theilſt
Und ungleich theilſt? Iſt’s redlich ſo zu han-
deln?
Biſt du nicht reich genug? Was fehlt dir
noch?
Gemahl und Sohn und Güter, Rang und
Schönheit,
Das haſt du alles, und du willſt noch ihn
Zu dieſem allen haben? Liebſt du ihn?
Was iſt es ſonſt, warum du ihn nicht mehr
Entbehren magſt? Du darfſt es dir geſtehn.
Wie reitzend iſt’s, in ſeinem ſchönen Geiſte
Sich ſelber zu beſpiegeln! Wird ein Glück
[125]Ein Schauſpiel.
Nicht doppelt groß und herrlich, wenn ſein
Lied
Uns wie auf Himmels Wolken trägt und hebt?
Dann biſt du erſt beneidenswerth! Du biſt,
Du haſt das nicht allein, was viele wünſchen,
Es weiß, es kennt auch jeder, was du haſt!
Dich nennt dein Vaterland und ſieht auf dich,
Das iſt der höchſte Gipfel jedes Glücks.
Iſt Laura denn allein der Name, der
Von allen zarten Lippen klingen ſoll?
Und hatte nur Petrarch allein das Recht,
Die unbekannte Schöne zu vergöttern?
Wo iſt ein Mann, der meinem Freunde ſich
Vergleichen darf? Wie ihn die Welt verehrt,
So wird die Nachwelt ihn verehrend nennen.
Wie herrlich iſt’s, im Glanze dieſes Lebens
Ihn an der Seite haben! ſo mit ihm
Der Zukunft ſich mit leichtem Schritte nahn!
Alsdann vermag die Zeit, das Alter nichts
Auf dich, und nichts der freche Ruf,
Der hin und her des Beyfalls Woge treibt:
Das was vergänglich iſt, bewahrt ſein Lied.
[126]Torquato Taſſo
Du biſt noch ſchön, noch glücklich, wenn ſchon
lange
Der Kreis der Dinge dich mit fortgeriſſen.
Du mußt ihn haben, und ihr nimmſt du nichts:
Denn ihre Neigung zu dem werthen Manne
Iſt ihren andern Leidenſchaften gleich.
Sie leuchten, wie der ſtille Schein des Monds
Dem Wandrer ſpärlich auf dem Pfad zu
Nacht;
Sie wärmen nicht, und gießen keine Luſt
Noch Lebensfreud’ umher. Sie wird ſich
freuen,
Wenn ſie ihn fern, wenn ſie ihn glücklich weiß,
Wie ſie genoß, wenn ſie ihn täglich ſah.
Und dann, ich will mit meinem Freunde nicht
Von ihr und dieſem Hofe mich verbannen;
Ich komme wieder, und ich bring’ ihn wieder.
So ſoll es ſeyn! — Hier kommt der rauhe
Freund;
Wir wollen ſehn, ob wir ihn zähmen können.


[127]Ein Schauſpiel.

Vierter Auftritt.


Leonore. Antonio.

Leonore.

Du bringſt uns Krieg ſtatt Frieden; ſcheint
es doch,
Du kommſt aus einem Lager, einer Schlacht,
Wo die Gewalt regiert, die Fauſt entſcheidet,
Und nicht von Rom, wo feierliche Klugheit
Die Hände ſegnend hebt, und eine Welt
Zu ihren Füßen ſieht, die gern gehorcht.


Antonio.

Ich muß den Tadel, ſchöne Freundinn, dulden,
Doch die Entſchuld’gung liegt nicht weit da-
von.
Es iſt gefährlich, wenn man allzu lang’
Sich klug und mäßig zeigen muß. Es lauert
Der böſe Genius dir an der Seite,
Und will gewaltſam auch von Zeit zu Zeit
Ein Opfer haben. Leider hab’ ich’s dießmal
Auf meiner Freunde Koſten ihm gebracht.


[128]Torquato Taſſo
Leonore.

Du haſt um fremde Menſchen dich ſo lang’
Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet:
Nun, da du deine Freunde wieder ſiehſt,
Verkennſt du ſie, und rechteſt wie mit Fremden.


Antonio.

Da liegt, geliebte Freundinn, die Gefahr!
Mit fremden Menſchen nimmt man ſich zu-
ſammen,
Da merkt man auf, da ſucht man ſeinen Zweck
In ihrer Gunſt, damit ſie nutzen ſollen.
Allein bey Freunden läßt man frey ſich gehn,
Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt
Sich eine Laune, ungezähmter wirkt
Die Leidenſchaft, und ſo verletzen wir
Am erſten die, die wir am zärtſten lieben.


Leonore.

In dieſer ruhigen Betrachtung find’ ich dich
Schon ganz, mein theurer Freund, mit Freu-
den wieder.


[129]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Ja, mich verdrießt — und ich bekenn’ es gern —
Daß ich mich heut ſo ohne Maß verlor.
Allein geſtehe, wenn ein wackrer Mann
Mit heißer Stirn von ſaurer Arbeit kommt,
Und ſpät am Abend in erſehnten Schatten
Zu neuer Mühe auszuruhen denkt,
Und findet dann von einem Müßiggänger
Den Schatten breit beſeſſen, ſoll er nicht
Auch etwas menſchlich’s in dem Buſen fühlen?


Leonore.

Wenn er recht menſchlich iſt, ſo wird er auch
Den Schatten gern mit einem Manne theilen,
Der ihm die Ruhe ſüß, die Arbeit leicht
Durch ein Geſpräch, durch holde Töne macht.
Der Baum iſt breit, mein Freund, der Schat-
ten gibt,
Und keiner braucht den andern zu verdrängen.


Antonio.

Wir wollen uns, Eleonore, nicht
Mit einem Gleichniß hin und wieder ſpielen.
Goethe’s W. 6. B. J
[130]Torquato Taſſo
Gar viele Dinge ſind in dieſer Welt,
Die man dem andern gönnt und gerne theilt;
Jedoch es iſt ein Schatz, den man allein
Dem Hochverdienten gerne gönnen mag,
Ein andrer, den man mit dem Höchſtverdienten
Mit gutem Willen niemals theilen wird —
Und fragſt du mich nach dieſen beyden Schätzen;
Der Lorber iſt es und die Gunſt der Frauen.


Leonore.

Hat jener Kranz um unſers Jünglings Haupt
Den ernſten Mann beleidigt? Hätteſt du
Für ſeine Mühe, ſeine ſchöne Dichtung
Beſcheid’nern Lohn doch ſelbſt nicht finden kön-
nen.
Denn ein Verdienſt, das außerirdiſch iſt,
Das in den Lüften ſchwebt, in Tönen nur,
In leichten Bildern unſern Geiſt umgaukelt,
Es wird denn auch mit einem ſchönen Bilde,
Mit einem holden Zeichen nur belohnt;
Und wenn er ſelbſt die Erde kaum berührt,
Berührt der höchſte Lohn ihm kaum das Haupt.
[131]Ein Schauſpiel.
Ein unfruchtbarer Zweig iſt das Geſchenk,
Das der Verehrer unfruchtbare Neigung
Ihm gerne bringt, damit ſie einer Schuld
Auf’s leicht’ſte ſich entlade. Du mißgönnſt
Dem Bild des Märtyrers den goldnen Schein
Um’s kahle Haupt wohl ſchwerlich; und gewiß,
Der Lorberkranz iſt, wo er dir erſcheint,
Ein Zeichen mehr des Leidens als des Glücks.


Antonio.

Will etwa mich dein liebenswürd’ger Mund
Die Eitelkeit der Welt verachten lehren?


Leonore.

Ein jedes Gut nach ſeinem Werth zu ſchätzen,
Brauch’ ich dich nicht zu lehren. Aber doch,
Es ſcheint von Zeit zu Zeit bedarf der Weiſe,
So ſehr wie andre, daß man ihm die Güter,
Die er beſitzt, im rechten Lichte zeige.
Du, edler Mann, du wirſt an ein Phantom
Von Gunſt und Ehre keinen Anſpruch machen.
Der Dienſt, mit dem du deinem Fürſten dich,
Mit dem du deine Freunde dir verbindeſt,
J 2
[132]Torquato Taſſo
Iſt wirkend, iſt lebendig, und ſo muß
Der Lohn auch wirklich und lebendig ſeyn.
Dein Lorber iſt das fürſtliche Vertraun,
Das auf den Schultern dir, als liebe Laſt,
Gehäuft und leicht getragen ruht; es iſt
Dein Ruhm das allgemeine Zutraun.


Antonio.

Und von der Gunſt der Frauen ſagſt du nichts,
Die willſt du mir doch nicht entbehrlich ſchil-
dern?


Leonore.

Wie man es nimmt. Denn du entbehrſt ſie
nicht,
Und leichter wäre ſie dir zu entbehren,
Als ſie es jenem guten Mann nicht iſt.
Denn ſag’, geläng’ es einer Frau, wenn ſie
Nach ihrer Art für dich zu ſorgen dächte,
Mit dir ſich zu beſchäft’gen unternähme?
Bey dir iſt alles Ordnung, Sicherheit;
Du ſorgſt für dich, wie du für andre ſorgſt,
Du haſt, was man dir geben möchte. Jener
[133]Ein Schauſpiel.
Beſchäftigt uns in unſerm eignen Fache.
Ihm fehlt’s an tauſend Kleinigkeiten, die
Zu ſchaffen eine Frau ſich gern bemüht.
Das ſchönſte Leinenzeug, ein ſeiden Kleid
Mit etwas Stickerey, das trägt er gern.
Er ſieht ſich gern geputzt, vielmehr, er kann
Unedlen Stoff, der nur den Knecht bezeichnet,
An ſeinem Leib nicht dulden, alles ſoll
Ihm fein und gut und ſchön und edel ſtehn.
Und dennoch hat er kein Geſchick, das alles
Sich anzuſchaffen, wenn er es beſitzt,
Sich zu erhalten; immer fehlt es ihm
An Geld, an Sorgſamkeit, bald läßt er da
Ein Stück, bald eines dort. Er kehret nie
Von einer Reiſe wieder, daß ihm nicht
Ein Drittheil ſeiner Sachen fehle. Bald
Beſtiehlt ihn der Bediente. So, Antonio,
Hat man für ihn das ganze Jahr zu ſorgen.


Antonio.

Und dieſe Sorge macht ihn lieb und lieber.
Glückſel’ger Jüngling, dem man ſeine Mängel
[134]Torquato Taſſo
Zur Tugend rechnet, dem ſo ſchön vergönnt
iſt,
Den Knaben noch als Mann zu ſpielen, der
Sich ſeiner holden Schwäche rühmen darf!
Du müßteſt mir verzeihen, ſchöne Freundinn,
Wenn ich auch hier ein wenig bitter würde.
Du ſagſt nicht alles, ſagſt nicht was er wagt,
Und daß er klüger iſt, als wie man denkt.
Er rühmt ſich zweyer Flammen! knüpft und
löſ’t
Die Knoten hin und wieder, und gewinnt
Mit ſolchen Künſten ſolche Herzen! Iſt’s
Zu glauben?


Leonore.

Gut! Selbſt das beweiſ’t ja ſchon,
Daß es nur Freundſchaft iſt, was uns belebt.
Und wenn wir denn auch Lieb’ um Liebe
tauſchten,
Belohnten wir das ſchöne Herz nicht billig,
Das ganz ſich ſelbſt vergißt, und hingegeben
Im holden Traum für ſeine Freunde lebt?


[135]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Verwöhnt ihn nur und immer mehr und mehr,
Laßt ſeine Selbſtigkeit für Liebe gelten,
Beleidigt alle Freunde, die ſich euch
Mit treuer Seele widmen, gebt dem Stolzen
Freywilligen Tribut, zerſtöret ganz
Den ſchönen Kreis geſelligen Vertrauns!


Leonore.

Wir ſind nicht ſo parteyiſch wie du glaubſt,
Ermahnen unſern Freund in manchen Fällen;
Wir wünſchen ihn zu bilden, daß er mehr
Sich ſelbſt genieße, mehr ſich zu genießen
Den andern geben könne. Was an ihm
Zu tadeln iſt, das bleibt uns nicht verborgen.


Antonio.

Doch lobt ihr vieles, was zu tadeln wäre.
Ich kenn’ ihn lang’, er iſt ſo leicht zu kennen,
Und iſt zu ſtolz ſich zu verbergen. Bald
Verſinkt er in ſich ſelbſt, als wäre ganz
Die Welt in ſeinem Buſen, er ſich ganz
[136]Torquato Taſſo
In ſeiner Welt genug, und alles rings
Umher verſchwindet ihm. Er läßt es gehn,
Läßt’s fallen, ſtößt’s hinweg und ruht in ſich —
Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke
Die Mine zündet, ſey es Freude, Leid,
Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:
Dann will er Alles faſſen, Alles halten,
Dann ſoll geſchehn, was er ſich denken mag;
In einem Augenblicke ſoll entſtehn,
Was Jahre lang bereitet werden ſollte,
In einem Augenblick gehoben ſeyn,
Was Mühe kaum in Jahren löſen könnte.
Er fordert das Unmögliche von ſich,
Damit er es von andern fordern dürfe
Die letzten Enden aller Dinge will
Sein Geiſt zuſammen faſſen; das gelingt
Kaum Einem unter Millionen Menſchen,
Und er iſt nicht der Mann: er fällt zuletzt,
Um nichts gebeſſert, in ſich ſelbſt zurück.


Leonore.

Er ſchadet andern nicht, er ſchadet ſich.


[137]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Und doch verletzt er andre nur zu ſehr.
Kannſt du es läugnen, daß im Augenblick
Der Leidenſchaft, die ihn behend ergreift,
Er auf den Fürſten, auf die Fürſtinn ſelbſt,
Auf wen es ſey, zu ſchmähn, zu läſtern wagt?
Zwar augenblicklich nur, allein genug
Der Augenblick kommt wieder: er beherrſcht
So wenig ſeinen Mund als ſeine Bruſt.


Leonore.

Ich ſollte denken, wenn er ſich von hier
Auf eine kurze Zeit entfernte, ſollt’
Es wohl für ihn und andre nützlich ſeyn.


Antonio.

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch eben jetzt
Iſt nicht daran zu denken. Denn ich will
Den Fehler nicht auf meine Schultern laden;
Es könnte ſcheinen, daß ich ihn vertreibe,
Und ich vertreib’ ihn nicht. Um meinetwillen
Kann er an unſerm Hofe ruhig bleiben;
[138]Torquato Taſſo
Und wenn er ſich mit mir verſöhnen will,
Und wenn er meinen Rath befolgen kann,
So werden wir ganz leidlich leben können.


Leonore.

Nun hoffſt du ſelbſt auf ein Gemüth zu wir-
ken,
Das dir vor kurzem noch verloren ſchien.


Antonio.

Wir hoffen immer, und in allen Dingen
Iſt beſſer hoffen als verzweifeln. Denn
Wer kann das Mögliche berechnen? Er
Iſt unſerm Fürſten werth. Er muß uns
bleiben.
Und bilden wir dann auch umſonſt an ihm,
So iſt er nicht der einz’ge, den wir dulden.


Leonore.

So ohne Leidenſchaft, ſo unparteyiſch
Glaubt’ ich dich nicht. Du haſt dich ſchnell
bekehrt.


[139]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Das Alter muß doch Einen Vorzug haben,
Daß, wenn es auch dem Irrthum nicht ent-
geht,
Es doch ſich auf der Stelle faſſen kann.
Du warſt, mich deinem Freunde zu verſöh-
nen,
Zuerſt bemüht. Nun bitt’ ich es von dir.
Thu’ was du kannſt, daß dieſer Mann ſich
finde,
Und alles wieder bald im Gleichen ſey.
Ich gehe ſelbſt zu ihm, ſo bald ich nur
Von dir erfahre, daß er ruhig iſt,
So bald du glaubſt, daß meine Gegenwart
Das Übel nicht vermehrt. Doch was du thuſt,
Das thu’ in dieſer Stunde; denn es geht
Alphons heut’ Abend noch zurück, und ich
Werd’ ihn begleiten. Leb’ indeſſen wohl.


[140]Torquato Taſſo.

Fünfter Auftritt.


Leonore
allein.

Für dießmal, lieber Freund, ſind wir nicht
eins,
Mein Vortheil und der deine gehen heut
Nicht Hand in Hand. Ich nütze dieſe Zeit
Und ſuche Taſſo zu gewinnen. Schnell!


[[141]]

Vierter Aufzug.


Erſter Auftritt.


Zimmer.

Taſſo
allein.

Biſt du aus einem Traum erwacht, und hat
Der ſchöne Trug auf einmal dich verlaſſen?
Hat dich nach einem Tag der höchſten Luſt
Ein Schlaf gebändigt, hält und ängſtet nun
Mit ſchweren Feſſeln deine Seele? Ja,
Du wachſt und träumſt. Wo ſind die Stun-
den hin,
Die um dein Haupt mit Blumenkränzen ſpiel-
ten?
[142]Torquato Taſſo
Die Tage, wo dein Geiſt mit freyer Sehn-
ſucht
Des Himmels ausgeſpanntes Blau durch-
drang?
Und dennoch lebſt du noch, und fühlſt dich an,
Du fühlſt dich an, und weißt nicht ob du lebſt.
Iſt’s meine Schuld, iſt’s eines andern Schuld,
Daß ich mich nun als ſchuldig hier befinde?
Hab’ ich verbrochen, daß ich leiden ſoll?
Iſt nicht mein ganzer Fehler ein Verdienſt?
Ich ſah ihn an, und ward vom guten Willen,
Vom Hoffnungswahn des Herzens übereilt:
Der ſey ein Menſch, der menſchlich Anſehn
trägt.
Ich ging mit off’nen Armen auf ihn los,
Und fühlte Schloß und Riegel, keine Bruſt.
O hatt’ ich doch ſo klug mir ausgedacht,
Wie ich den Mann empfangen wollte, der
Von alten Zeiten mir verdächtig war!
Allein was immer dir begegnet ſey,
So halte dich an der Gewißheit feſt:
Ich habe ſie geſehn! Sie ſtand vor mir!
[143]Ein Schauſpiel.
Sie ſprach zu mir, ich habe ſie vernommen!
Der Blick, der Ton, der Worte holder Sinn,
Sie ſind auf ewig mein, es raubt ſie nicht
Die Zeit, das Schickſal, noch das wilde Glück,
Und hob mein Geiſt ſich da zu ſchnell empor,
Und ließ ich allzu raſch in meinem Buſen
Der Flamme Luft, die mich nun ſelbſt ver-
zehrt,
So kann mich’s nicht gereun, und wäre ſelbſt
Auf ewig das Geſchick des Lebens hin.
Ich widmete mich ihr, und folgte froh
Dem Winke, der mich in’s Verderben rief.
Es ſey! So hab’ ich mich doch werth gezeigt
Des köſtlichen Vertrauns, das mich erquickt,
In dieſer Stunde ſelbſt erquickt, die mir
Die ſchwarze Pforte langer Trauerzeit
Gewaltſam öffnet. — Ja, nun iſt’s gethan!
Es geht die Sonne mir der ſchönſten Gunſt
Auf einmal unter; ſeinen holden Blick
Entziehet mir der Fürſt, und läßt mich hier
Auf düſtrem, ſchmalen Pfad verloren ſtehn.
Das häßliche zweydeutige Geflügel,
[144]Torquato Taſſo
Das leidige Gefolg’ der alten Nacht,
Es ſchwärmt hervor und ſchwirrt mir um das
Haupt.
Wohin, wohin beweg’ ich meinen Schritt?
Dem Ekel zu entfliehn, der mich umſaußt,
Dem Abgrund zu entgehn, der vor mir liegt?


Zweyter Auftritt.


Leonore. Taſſo.

Leonore.

Was iſt begegnet? Lieber Taſſo, hat
Dein Eifer dich, dein Argwohn ſo getrieben?
Wie iſt’s geſchehn? Wir alle ſtehn beſtürzt.
Und deine Sanftmuth, dein gefällig Weſen,
Dein ſchneller Blick, dein richtiger Verſtand,
Mit dem du jedem gibſt was ihm gehört,
Dein Gleichmuth, der erträgt, was zu ertra-
gen
Der Edle bald, der Eitle ſelten lernt,
[145]Ein Schauſpiel.
Die kluge Herrſchaft über Zung’ und Lip-
pe? —
Mein theurer Freund, faſt ganz verkenn’ ich
dich.


Taſſo.

Und wenn das alles nun verloren wäre?
Wenn einen Freund, den du einſt reich ge-
glaubt,
Auf einmal du als einen Bettler fändeſt?
Wohl haſt du recht, ich bin nicht mehr ich
ſelbſt,
Und bin’s doch noch ſo gut als wie ich’s
war.
Es ſcheint ein Räthſel, und doch iſt es keins.
Der ſtille Mond, der dich bey Nacht erfreut,
Dein Auge, dein Gemüth mit ſeinem Schein
Unwiderſtehlich lockt, er ſchwebt am Tage
Ein unbedeutend blaſſes Wölkchen hin.
Ich bin vom Glanz des Tages überſchienen,
Ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr.


Goethe’s W. 6. B. K
[146]Torquato Taſſo
Leonore.

Was du mir ſagſt, mein Freund, verſteh’ ich
nicht
Wie du es ſagſt. Erkläre dich mit mir.
Hat die Beleidigung des ſchroffen Mann’s
Dich ſo gekränkt, daß du dich ſelbſt und
uns
So ganz verkennen magſt? Vertraue mir.


Taſſo.

Ich bin nicht der Beleidigte, du ſiehſt
Mich ja beſtraft, weil ich beleidigt habe.
Die Knoten vieler Worte löſ’t das Schwert
Gar leicht und ſchnell, allein ich bin gefangen.
Du weißt wohl kaum — erſchrick nicht, zarte
Freundinn —
Du triffſt den Frennd in einem Kerker an.
Mich züchtiget der Fürſt wie einen Schüler.
Ich will mit ihm nicht rechten, kann es nicht.


Leonore.

Du ſcheineſt mehr, als billig iſt, bewegt.


[147]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Hältſt du mich für ſo ſchwach, für ſo ein
Kind,
Daß ſolch ein Fall mich gleich zerrütten könne?
Das was geſchehn iſt, kränkt mich nicht ſo tief,
Allein das kränkt mich, was es mir bedeutet.
Laß meine Neider meine Feinde nur
Gewähren! Frey und offen iſt das Feld.


Leonore.

Du haſt gar manchen fälſchlich in Verdacht,
Ich habe ſelbſt mich überzeugen können.
Und auch Antonio feindet dich nicht an,
Wie du es wähnſt. Der heutige Verdruß —


Taſſo.

Den laß’ ich ganz bey Seite, nehme nur
Antonio wie er war und wie er bleibt.
Verdrießlich fiel mir ſtets die ſteife Klugheit,
Und daß er immer nur den Meiſter ſpielt.
Anſtatt zu forſchen, ob des Hörers Geiſt
Nicht ſchon für ſich auf guten Spuren wandle,
Belehrt er dich von manchem, das du beſſer
K 2
[148]Torquato Taſſo
Und tiefer fühlteſt, und vernimmt kein Wort,
Das du ihm ſagſt, und wird dich ſtets ver-
kennen.
Verkannt zu ſeyn, verkannt von einem Stol-
zen,
Der lächelnd dich zu überſehen glaubt!
Ich bin ſo alt noch nicht und nicht ſo klug,
Daß ich nur duldend gegenlächeln ſollte.
Früh oder ſpat, es konnte ſich nicht halten,
Wir mußten brechen; ſpäter wär’ es nur,
Um deſto ſchlimmer worden. Einen Herrn
Erkenn’ ich nur, den Herrn der mich ernährt,
Dem folg’ ich gern, ſonſt will ich keinen
Meiſter.
Frey will ich ſeyn im Denken und im Dichten,
Im Handeln ſchränkt die Welt genug uns ein.


Leonore.

Er ſpricht mit Achtung oft genug von dir.


Taſſo.

Mit Schonung willſt du ſagen, fein und klug.
Und das verdrießt mich eben; denn er weiß
[149]Ein Schauſpiel.
So glatt und ſo bedingt zu ſprechen, daß
Sein Lob erſt recht zum Tadel wird, und daß
Nichts mehr, nichts tiefer dich verletzt, als Lob
Aus ſeinem Munde.


Leonore.

Möchteſt du, mein Freund,
Vernommen haben, wie er ſonſt von dir
Und dem Talente ſprach, das dir vor vielen
Die gütige Natur verlieh. Er fühlt gewiß,
Das was du biſt und haſt, und ſchätzt es auch.


Taſſo.

O glaube mir, ein ſelbſtiſches Gemüth
Kann nicht der Qual des engen Neid’s ent-
fliehen.
Ein ſolcher Mann verzeiht dem andern wohl
Vermögen, Stand und Ehre; denn er denkt,
Das haſt du ſelbſt, das haſt du wenn du willſt,
Wenn du beharrſt, wenn dich das Glück be-
günſtigt.
Doch das, was die Natur allein verleiht,
Was jeglicher Bemühung, jedem Streben
[150]Torquato Taſſo
Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold,
Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharr-
lichkeit
Erzwingen kann, das wird er nie verzeihn.
Er gönnt es mir? Er, der mit ſteifem Sinn
Die Gunſt der Muſen zu ertrotzen glaubt?
Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter
Zuſammenreiht, ſich ſelbſt ein Dichter ſcheint?
Weit eher gönnt er mir des Fürſten Gunſt,
Die er doch gern auf ſich beſchränken möchte,
Als das Talent, das jene Himmliſchen
Dem armen, dem verwaiſ’ten Jüngling gaben.


Leonore.

O ſäheſt du ſo klar, wie ich es ſehe!
Du irrſt dich über ihn, ſo iſt er nicht.


Taſſo.

Und irr’ ich mich an ihm, ſo irr’ ich gern!
Ich denk’ ihn mir als meinen ärgſten Feind,
Und wär’ untröſtlich, wenn ich mir ihn nun
Gelinder denken müßte. Thöricht iſt’s
In allen Stücken billig ſeyn; es heißt
[151]Ein Schauſpiel.
Sein eigen Selbſt zerſtören. Sind die Men-
ſchen
Denn gegen uns ſo billig? Nein, o nein!
Der Menſch bedarf in ſeinem engen Weſen
Der doppelten Empfindung, Lieb’ und Haß.
Bedarf er nicht der Nacht als wie des Tag’s?
Des Schlafens wie des Wachens? Nein, ich
muß
Von nun an dieſen Mann als Gegenſtand,
Von meinem tiefſten Haß behalten; nichts
Kann mir die Luſt entreißen ſchlimm und
ſchlimmer
Von ihm zu denken.


Leonore.

Willſt du, theurer Freund,
Von deinem Sinn nicht laſſen, ſeh’ ich kaum,
Wie du am Hofe länger bleiben willſt.
Du weißt, wie viel er gilt und gelten muß.


Taſſo.

Wie ſehr ich lang’, o ſchöne Freundinn, hier
Schon überflüſſig bin, das weiß ich wohl.


[152]Torquato Taſſo
Leonore.

Das biſt du nicht, das kannſt du nimmer
werden!
Du weißt vielmehr, wie gern der Fürſt mit
dir,
Wie gern die Fürſtinn mit dir lebt; und
kommt
Die Schweſter von Urbino, kommt ſie faſt
So ſehr um dein’t- als der Geſchwiſter willen.
Sie denken alle gut und gleich von dir,
Und jegliches vertraut dir unbedingt.


Taſſo.

O Leonore, welch Vertraun iſt das?
Hat er von ſeinem Staate je ein Wort,
Ein ernſtes Wort mit mir geſprochen? Kam
Ein eigner Fall, worüber er ſogar
In meiner Gegenwart mit ſeiner Schweſter,
Mit andern ſich berieth, mich fragt’ er nie.
Da hieß es immer nur: Antonio kommt!
Man muß Antonio ſchreiben! fragt Antonio!


[153]Ein Schauſpiel.
Leonore.

Du klagſt anſtatt zu danken. Wenn er dich
In unbedingter Freyheit laſſen mag,
So ehrt er dich, wie er dich ehren kann.


Taſſo.

Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt.


Leonore.

Du biſt nicht unnütz, eben weil du ruhſt.
So lange hegſt du ſchon Verdruß und Sorge,
Wie ein geliebtes Kind, an deiner Bruſt.
Ich hab’ es oft bedacht, und mag’s bedenken
Wie ich es will, auf dieſem ſchönen Boden,
Wohin das Glück dich zu verpflanzen ſchien,
Gedeihſt du nicht. O Taſſo! — rath’ ich
dir’s?
Sprech’ ich es aus? — Du ſollteſt dich ent-
fernen!


Taſſo.

Verſchone nicht den Kranken, lieber Arzt!
Reich’ ihm das Mittel, denke nicht daran,
[154]Torquato Taſſo
Ob’s bitter ſey. — Ob er geneßen könne,
Das überlege wohl, o kluge, gute Freundinn!
Ich ſeh’ es alles ſelbſt, es iſt vorbey!
Ich kann ihm wohl verzeihen, er nicht mir;
Und ſein bedarf man, leider! meiner nicht.
Und er iſt klug, und leider! bin ich’s nicht.
Er wirkt zu meinem Schaden, und ich kann,
Ich mag nicht gegenwirken. Meine Freunde
Sie laſſen’s gehn, ſie ſehen’s anders an,
Sie widerſtreben kaum, und ſollten kämpfen.
Du glaubſt, ich ſoll hinweg, ich glaub’ es
ſelbſt —
So lebt denn wohl! ich werd’ auch das er-
tragen.
Ihr ſeyd von mir geſchieden — werd’ auch
mir
Von euch zu ſcheiden, Kraft und Muth ver-
liehn!


Leonore.

Ach in der Ferne zeigt ſich alles reiner,
Was in der Gegenwart uns nur verwirrt.
[155]Ein Schauſpiel.
Vielleicht wirſt du erkennen, welche Liebe
Dich überall umgab, und welchen Werth
Die Treue wahrer Freunde hat, und wie
Die weite Welt die Nächſten nicht erſetzt.


Taſſo.

Das werden wir erfahren! Kenn’ ich doch
Die Welt von Jugend auf, wie ſie ſo leicht
Und hülflos, einſam läßt, und ihren Weg
Wie Sonn’ und Mond und andre Götter geht.


Leonore.

Vernimmſt du mich, mein Freund, ſo ſollſt du
nie
Die traurige Erfahrung wiederhohlen.
Soll ich dir rathen, ſo begibſt du dich
Erſt nach Florenz, und eine Freundinn wird
Gar freundlich für dich ſorgen. Sey getroſt,
Ich bin es ſelbſt. Ich reiſe, den Gemahl
Die nächſten Tage dort zu finden, kann
Nichts freudiger für ihn und mich bereiten,
Als wenn ich dich in unſre Mitte bringe.
Ich ſage dir kein Wort, du weißt es ſelbſt,
[156]Torquato Taſſo
Welch einem Fürſten du dich nahen wirſt,
Und welche Männer dieſe ſchöne Stadt
In ihrem Buſen hegt, und welche Frauen.
Du ſchweigſt? Bedenk’ es wohl! Entſchließe
dich.


Taſſo.

Gar reitzend iſt, was du mir ſagſt, ſo ganz
Dem Wunſch gemäß, den ich im Stillen nähre;
Allein es iſt zu neu: ich bitte dich
Laß mich bedenken, ich beſchließe bald.


Leonore.

Ich gehe mit der ſchönſten Hoffnung weg
Für dich und uns und auch für dieſes Haus.
Bedenke nur, und wenn du recht bedenkſt,
So wirſt du ſchwerlich etwas beſſers denken.


Taſſo.

Noch eins, geliebte Freundinn! ſage mir,
Wie iſt die Fürſtinn gegen mich geſinnt?
War ſie erzürnt auf mich? Was ſagte ſie? —
Sie hat mich ſehr getadelt? Rede frey.


[157]Ein Schauſpiel.
Leonore.

Da ſie dich kennt, hat ſie dich leicht entſchul-
digt.


Taſſo.

Hab’ ich bey ihr verloren? ſchmeichle nicht.


Leonore.

Der Frauen Gunſt wird nicht ſo leicht ver-
ſcherzt.


Taſſo.

Wird ſie mich gern entlaſſen, wenn ich gehe?


Leonore.

Wenn es zu deinem Wohl gereicht, gewiß.


Taſſo.

Werd’ ich des Fürſten Gnade nicht verlieren?


Leonore.

In ſeiner Großmuth kannſt du ſicher ruhn.


Taſſo.

Und laſſen wir die Fürſtinn ganz allein?
[158]Torquato Taſſo
Du gehſt hinweg; und wenn ich wenig bin,
So weiß ich doch, daß ich ihr etwas war.


Leonore.

Gar freundliche Geſellſchaft leiſtet uns
Ein ferner Freund, wenn wir ihn glücklich
wiſſen.
Und es gelingt, ich ſehe dich beglückt,
Du wirſt von hier nicht unzufrieden gehn.
Der Fürſt befahl’s, Antonio ſucht dich auf.
Er tadelt ſelbſt an ſich die Bitterkeit,
Womit er dich verletzt. Ich bitte dich,
Nimm ihn gelaſſen auf, ſo wie er kommt.


Taſſo.

Ich darf in jedem Sinne vor ihm ſtehn.


Leonore.

Und ſchenke mir der Himmel, lieber Freund,
Noch eh’ du ſcheideſt, dir das Aug’ zu öffnen:
Daß niemand dich im ganzen Vaterlande
Verfolgt und haßt, und heimlich druckt und
neckt!
[159]Ein Schauſpiel.
Du irrſt gewiß, und wie du ſonſt zur Freude
Von andern dichteſt, leider dichteſt du
In dieſem Fall ein ſeltenes Gewebe,
Dich ſelbſt zu kränken. Alles will ich thun,
Um es entzwey zu reißen, daß du frey
Den ſchönen Weg des Lebens wandeln mögeſt.
Leb’ wohl! Ich hoffe bald ein glücklich Wort.


Dritter Auftritt.


Taſſo
allein.

Ich ſoll erkennen, daß mich niemand haßt,
Daß niemand mich verfolgt, daß alle Liſt
Und alles heimliche Gewebe ſich
Allein in meinem Kopfe ſpinnt und webt!
Bekennen ſoll ich, daß ich unrecht habe,
Und manchem unrecht thue, der es nicht
Um mich verdient! Und das in einer Stunde,
Da vor dem Angeſicht der Sonne klar
Mein volles Recht, wie ihre Türke, liegt!
[160]Torquato Taſſo
Ich ſoll es tief empfinden, wie der Fürſt
Mit offner Bruſt mir ſeine Gunſt gewährt,
Mit reichem Maß die Gaben mir ertheilt,
Im Augenblicke, da er, ſchwach genug,
Von meinen Feinden ſich das Auge trüben
Und ſeine Hand gewiß auch feſſeln läßt!


Daß er betrogen iſt, kann er nicht ſehen,
Daß ſie Betrüger ſind, kann ich nicht zeigen,
Und nur damit er ruhig ſich betrüge,
Daß ſie gemächlich ihn betrügen können,
Soll ich mich ſtille halten, weichen gar!


Und wer gibt mir den Rath? Wer dringt
ſo klug
Mit treuer, lieber Meinung auf mich ein?
Lenore ſelbſt, Lenore Sanvitale,
Die zarte Freundinn! Ha, dich kenn’ ich nun!
O warum traut’ ich ihrer Lippe je!
Sie war nicht redlich, wenn ſie noch ſo ſehr
Mir ihre Gunſt, mir ihre Zärtlichkeit
Mit ſüßen Worten zeigte! Nein, ſie war
[161]Ein Schauſpiel.
Und bleibt ein liſtig Herz, ſie wendet ſich
Mit leiſen klugen Tritten nach der Gunſt.


Wie oft hab’ ich mich willig ſelbſt betrogen,
Auch über ſie; und doch im Grunde hat
Mich nur — die Eitelkeit betrogen. Wohl!
Ich kannte ſie, und ſchmeichelte mir ſelbſt.
So iſt ſie gegen andre, ſagt’ ich mir,
Doch gegen dich iſt’s offne treue Meinung.
Nun ſeh’ ich’s wohl, und ſeh’ es nur zu ſpät:
Ich war begünſtigt, und ſie ſchmiegte ſich
So zart — an den Beglückten. Nun ich
falle,
Sie wendet mir den Rücken wie das Glück.


Nun kommt ſie als ein Werkzeug meines
Feindes,
Sie ſchleicht heran und ziſcht mit glatter
Zunge,
Die kleine Schlange, zauberiſche Töne.
Wie lieblich ſchien ſie! Lieblicher als je!
Wie wohl that von der Lippe jedes Wort!
Goethe’s W. 6. B. L
[162]Torquato Taſſo
Doch konnte mir die Schmeicheley nicht lang’
Den falſchen Sinn verbergen; an der Stirne
Schien ihr das Gegentheil zu klar geſchrieben
Von allem was ſie ſprach. Ich fühl’ es leicht,
Wenn man den Weg zu meinem Herzen ſucht
Und es nicht herzlich meint. Ich ſoll hinweg?
Soll nach Florenz, ſobald ich immer kann?


Und warum nach Florenz? Ich ſeh’ es
wohl.
Dort herrſcht der Mediceer neues Haus,
Zwar nicht in offner Feindſchaft mit Ferrara,
Doch hält der ſtille Neid mit kalter Hand,
Die edelſten Gemüther aus einander.
Empfang’ ich dort von jenen edlen Fürſten
Erhabne Zeichen ihrer Gunſt, wie ich
Gewiß erwarten dürfte, würde bald
Der Höfling meine Treu’ und Dankbarkeit
Verdächtig machen. Leicht geläng’ es ihm.


Ja, ich will weg, allein nicht wie ihr wollt;
Ich will hinweg, und weiter als ihr denkt.


[163]Ein Schauſpiel.

Was ſoll ich hier? Wer hält mich hier
zurück?
O ich verſtund ein jedes Wort zu gut,
Das ich Lenoren von den Lippen lockte!
Von Sylb’ zu Sylbe nur erhaſcht’ ich’s kaum,
Und weiß nun ganz wie die Prinzeſſinn
denkt —
Ja, ja, auch das iſt wahr, verzweifle nicht!
„Sie wird mich gern entlaſſen, wenn ich gehe,
„Da es zu meinem Wohl gereicht.“ O! fühlte
Sie eine Leidenſchaft im Herzen, die mein
Wohl
Und mich zu Grunde richtete! Willkommner
Ergriffe mich der Tod, als dieſe Hand,
Die kalt und ſtarr mich von ſich läßt. — Ich
gehe! —
Nun hüte dich, und laß dich keinen Schein
Von Freundſchaft oder Güte täuſchen! Nie-
mand
Betrügt dich nun, wenn du dich nicht be-
trügſt.


L 2
[164]Torquato Taſſo

Vierter Auftritt.


Antonio. Taſſo.

Antonio.

Hier bin ich, Taſſo, dir ein Wort zu ſagen,
Wenn du mich ruhig hören magſt und kannſt.


Taſſo.

Das Handeln, weißt du, bleibt mir unterſagt,
Es ziemt mir wohl zu warten und zu hören.


Antonio.

Ich treffe dich gelaſſen, wie ich wünſchte,
Und ſpreche gern zu dir aus freyer Bruſt.
Zuvörderſt löſ’ ich in des Fürſten Namen
Das ſchwache Band, das dich zu feſſeln ſchien.


Taſſo.

Die Willkür macht mich frey, wie ſie mich
band;
Ich nehm’ es an und fordre kein Gericht.


[165]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Dann ſag’ ich dir von mir: Ich habe dich
Mit Worten, ſcheint es, tief und mehr ge-
kränkt,
Als ich, von mancher Leidenſchaft bewegt,
Es ſelbſt empfand. Allein kein ſchimpflich
Wort
Iſt meinen Lippen unbedacht entflohen;
Zu rächen haſt du nichts als Edelmann,
Und wirſt als Menſch Vergebung nicht ver-
ſagen.


Taſſo.

Was härter treffe, Kränkung oder Schimpf,
Will ich nicht unterſuchen; jene dringt
In’s tiefe Mark, und dieſer reitzt die Haut.
Der Pfeil des Schimpfs kehrt auf den Mann
zurück,
Der zu verwunden glaubt, die Meinung an-
drer
Befriedigt leicht das wohl geführte Schwert —
Doch ein gekränktes Herz erhohlt ſich ſchwer.


[166]Torquato Taſſo
Antonio.

Jetzt iſt’s an mir, daß ich dir dringend ſage:
Tritt nicht zurück, erfülle meinen Wunſch,
Den Wunſch des Fürſten, der mich zu dir ſen-
det.


Taſſo.

Ich kenne meine Pflicht und gebe nach.
Es ſey verziehn, ſo fern es möglich iſt!
Die Dichter ſagen uns von einem Speer,
Der eine Wunde, die er ſelbſt geſchlagen,
Durch freundliche Berührung heilen konnte.
Es hat des Menſchen Zunge dieſe Kraft;
Ich will ihr nicht gehäſſig widerſtehn.


Antonio.

Ich danke dir, und wünſche, daß du mich
Und meinen Willen dir zu dienen gleich
Vertraulich prüfen mögeſt. Sage mir,
Kann ich dir nützlich ſeyn? Ich zeig’ es gern.


Taſſo.

Du bietheſt an, was ich nur wünſchen konnte.
[167]Ein Schauſpiel.
Du brachteſt mir die Freyheit wieder, nun
Verſchaffe mir, ich bitte, den Gebrauch.


Antonio.

Was kannſt du meinen? Sag’ es deutlich an.


Taſſo.

Du weißt, geendet hab’ ich mein Gedicht;
Es fehlt noch viel, daß es vollendet wäre.
Heut überreicht’ ich es dem Fürſten, hoffte
Zugleich ihm eine Bitte vorzutragen.
Gar viele meiner Freunde find’ ich jetzt
In Rom verſammelt; einzeln haben ſie
Mir über manche Stellen ihre Meinung
In Briefen ſchon eröffnet: vieles hab’ ich
Benutzen können, manches ſcheint mir noch
Zu überlegen; und verſchiedne Stellen
Möcht’ ich nicht gern verändern, wenn man
mich
Nicht mehr, als es geſchehn iſt, überzeugt.
Das alles wird durch Briefe nicht gethan;
Die Gegenwart löſ’t dieſe Knoten bald.
So dacht’ ich heut den Fürſten ſelbſt zu bitten:
[168]Torquato Taſſo
Ich fand nicht Raum; nun darf ich es nicht
wagen,
Und hoffe dieſen Urlaub nun durch dich.


Antonio.

Mir ſcheint nicht räthlich, daß du dich ent-
fernſt
In dem Moment, da dein vollendet Werk
Dem Fürſten und der Fürſtinn dich empfiehlt.
Ein Tag der Gunſt iſt wie ein Tag der Ernde;
Man muß geſchäftig ſeyn, ſobald ſie reift.
Entfernſt du dich, ſo wirſt du nichts gewin-
nen,
Vielleicht verlieren, was du ſchon gewannſt.
Die Gegenwart iſt eine mächt’ge Göttinn;
Lern’ ihren Einfluß kennen, bleibe hier!


Taſſo.

Zu fürchten hab’ ich nichts; Alphons iſt
edel,
Stets hat er gegen mich ſich groß gezeigt:
Und was ich hoffe, will ich ſeinem Herzen
Allein verdanken, keine Gnade mir
[169]Ein Schauſpiel.
Erſchleichen; nichts will ich von ihm empfan-
gen,
Was ihn gereuen könnte daß er’s gab.


Antonio.

So fordre nicht von ihm, daß er dich jetzt
Entlaſſen ſoll; er wird es ungern thun,
Und ich befürchte faſt, er thut es nicht.


Taſſo.

Er wird es gern, wenn recht gebethen wird,
Und du vermagſt es wohl, ſobald du willſt.


Antonio.

Doch welche Gründe, ſag’ mir, leg’ ich vor?


Taſſo.

Laß mein Gedicht aus jeder Stanze ſprechen!
Was ich gewollt iſt löblich, wenn das Ziel
Auch meinen Kräften unerreichbar blieb.
An Fleiß und Mühe hat es nicht gefehlt.
Der heitre Wandel mancher ſchönen Tage,
Der ſtille Raum ſo mancher tiefen Nächte,
[170]Torquato Taſſo
War einzig dieſem frommen Lied geweiht.
Beſcheiden hofft’ ich, jenen großen Meiſtern
Der Vorwelt mich zu nahen; kühn geſinnt
Zu edlen Thaten unſern Zeitgenoſſen
Aus einem langen Schlaf zu rufen, dann
Vielleicht mit einem edlen Chriſten-Heere,
Gefahr und Ruhm des heil’gen Kriegs zu
theilen.
Und ſoll mein Lied die beſten Männer wecken,
So muß es auch der beſten würdig ſeyn.
Alphonſen bin ich ſchuldig was ich that,
Nun möcht’ ich ihm auch die Vollendung dan-
ken.


Antonio.

Und eben dieſer Fürſt iſt hier, mit andern,
Die dich ſo gut als Römer leiten können.
Vollende hier dein Werk, hier iſt der Platz,
Und um zu wirken eile dann nach Rom.


Taſſo.

Alphons hat mich zuerſt begeiſtert, wird
Gewiß der letzte ſeyn, der mich belehrt.
[171]Ein Schauſpiel.
Und deinen Rath, den Rath der klugen Män-
ner,
Die unſer Hof verſammelt, ſchätz’ ich hoch.
Ihr ſollt entſcheiden, wenn mich ja zu Rom
Die Freunde nicht vollkommen überzeugen.
Doch dieſe muß ich ſehn. Gonzaga hat
Mir ein Gericht verſammelt, dem ich erſt
Mich ſtellen muß. Ich kann es kaum erwar-
ten.
Flaminio de’ Nobili, Angelio
Da Barga, Antoniano, und Speron Speroni!
Du wirſt ſie kennen. — Welche Namen
ſind’s!
Vertraun und Sorge flößen ſie zugleich
In meinen Geiſt, der gern ſich unterwirft.


Antonio.

Du denkſt nur dich und denkſt den Fürſten
nicht.
Ich ſage dir, er wird dich nicht entlaſſen;
Und wenn er’s thut, entläßt er dich nicht gern,
Du willſt ja nicht verlangen, was er dir
[172]Torquato Taſſo
Nicht gern gewähren mag. Und ſoll ich hier
Vermitteln, was ich ſelbſt nicht loben kann?


Taſſo.

Verſagſt du mir den erſten Dienſt, wenn ich
Die angebothne Freundſchaft prüfen will?


Antonio.

Die wahre Freundſchaft zeigt ſich im Verſagen
Zur rechten Zeit, und es gewährt die Liebe
Gar oft ein ſchädlich Gut, wenn ſie den Willen
Des Fordernden mehr als ſein Glück bedenkt.
Du ſcheineſt mir in dieſem Augenblick
Für gut zu halten, was du eifrig wünſcheſt,
Und willſt im Augenblick, was du begehrſt.
Durch Heftigkeit erſetzt der Irrende,
Was ihm an Wahrheit und an Kräften [fehlt].
Es fordert meine Pflicht, ſo viel ich kann
Die Haſt zu mäß’gen, die dich übel treibt.


Taſſo.

Schon lange kenn’ ich dieſe Tyranney
Der Freundſchaft, die von allen Tyranneyen
Die unerträglichſte mir ſcheint. Du denkſt
[173]Ein Schauſpiel.
Nur anders, und du glaubſt deswegen
Schon recht zu denken. Gern erkenn’ ich an,
Du willſt mein Wohl; allein verlange nicht,
Daß ich auf deinem Weg es finden ſoll.


Antonio.

Und ſoll ich dir ſogleich mit kaltem Blut,
Mit voller, klarer Überzeugung ſchaden?


Taſſo.

Von dieſer Sorge will ich dich befreyn!
Du hältſt mich nicht mit dieſen Worten ab.
Du haſt mich frey erklärt, und dieſe Thüre
Steht mir nun offen, die zum Fürſten führt.
Ich laſſe dir die Wahl. Du oder ich!
Der Fürſt geht fort. Hier iſt kein Augenblick
Zu harren. Wähle ſchnell! Wenn du nicht
gehſt,
So geh’ ich ſelbſt, und werd’ es wie es will.


Antonio.

Laß mich nur wenig Zeit von dir erlangen,
Und warte nur des Fürſten Rückkehr ab!
Nur heute nicht!


[174]Torquato Taſſo
Taſſo.

Nein, dieſe Stunde noch,
Wenn’s möglich iſt! Es brennen mir die Soh-
len
Auf dieſem Marmorboden; eher kann
Mein Geiſt nicht Ruhe finden, bis der
Staub
Des freyen Wegs mich Eilenden umgibt.
Ich bitte dich! Du ſiehſt, wie ungeſchickt
In dieſem Augenblick ich ſey mit meinem
Herrn
Zu reden; ſiehſt — wie kann ich das verber-
gen —
Daß ich mir ſelbſt in dieſem Augenblick,
Mir keine Macht der Welt gebiethen kann.
Nur Feſſeln ſind es, die mich halten können!
Alphons iſt kein Tyrann, er ſprach mich frey.
Wie gern gehorcht’ ich ſeinen Worten ſonſt!
Heut kann ich nicht gehorchen. Heute nur
Laßt mich in Freyheit, daß mein Geiſt ſich
finde!
Ich kehre bald zu meiner Pflicht zurück.


[175]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Du machſt mich zweifelhaft. Was ſoll ich
thun?
Ich merke wohl, es ſteckt der Irrthum an.


Taſſo.

Soll ich dir glauben, denkſt du gut für mich,
So wirke was ich wünſche, was du kannſt.
Der Fürſt entläßt mich dann, und ich verliere
Nicht ſeine Gnade, ſeine Hülfe nicht.
Das dank’ ich dir, und will dir’s gern ver-
danken;
Doch hegſt du einen alten Groll im Buſen,
Willſt du von dieſem Hofe mich verbannen,
Willſt du auf ewig mein Geſchick verkehren,
Mich hülflos in die weite Welt vertreiben,
So bleib’ auf deinem Sinn und widerſteh!


Antonio.

Weil ich dir doch, o Taſſo, ſchaden ſoll,
So wähl’ ich denn den Weg, den du erwählſt.
Der Ausgang mag entſcheiden wer ſich irrt!
Du willſt hinweg! Ich ſag’ es dir zuvor,
[176]Torquato Taſſo
Du wendeſt dieſem Hauſe kaum den Rücken,
So wird dein Herz zurück verlangen, wird
Dein Eigenſinn dich vorwärts treiben:
Schmerz,
Verwirrung, Trübſinn harr’t in Rom auf
dich,
Und du verfehleſt hier und dort den Zweck.
Doch ſag’ ich dieß nicht mehr, um dir zu ra-
then;
Ich ſage nur voraus, was bald geſchieht,
Und lade dich auch ſchon im voraus ein,
Mir in dem ſchlimmſten Falle zu vertraun.
Ich ſpreche nun den Fürſten, wie du’s for-
derſt.


[177]Ein Schauſpiel.

Fünfter Auftritt.


Taſſo
allein.

Ja gehe nur, und gehe ſicher weg,
Daß du mich überredeſt was du willſt,
Ich lerne mich verſtellen, denn du biſt
Ein großer Meiſter und ich faſſe leicht.
So zwingt das Leben uns zu ſcheinen, ja
Zu ſeyn wie jene, die wir kühn und ſtolz
Verachten konnten. Deutlich ſeh’ ich nun
Die ganze Kunſt des höfiſchen Gewebes!
Mich will Antonio von hinnen treiben,
Und will nicht ſcheinen, daß er mich vertreibt.
Er ſpielt den Schonenden, den Klugen, daß
Man nur recht krank und ungeſchickt mich
finde,
Beſtellet ſich zum Vormund, daß er mich
Zum Kind erniedrige, den er zum Knecht
Nicht zwingen konnte. So umnebelt er
Die Stirn des Fürſten und der Fürſtinn
Blick.


Goethe’s W. 6. B. M
[178]Torquato Taſſo

Man ſoll mich halten, meint er; habe
doch
Ein ſchön Verdienſt mir die Natur geſchenkt,
Doch leider habe ſie mit manchen Schwächen
Die hohe Gabe wieder ſchlimm begleitet,
Mit ungebundnem Stolz, mit übertriebner
Empfindlichkeit und eignem düſtern Sinn.
Es ſey nicht anders, einmal habe nun
Den Einen Mann das Schickſal ſo gebildet,
Nun müſſe man ihn nehmen wie er ſey,
Ihn dulden, tragen und vielleicht an ihm
Was Freude bringen kann am guten Tage
Als unerwarteten Gewinſt genießen,
Im übrigen, wie er geboren ſey,
So müſſe man ihn leben, ſterben laſſen.


Erkenn’ ich noch Alphonſens feſten Sinn?
Der Feinden trotzt und Freunde treulich
ſchützt,
Erkenn’ ich ihn, wie er nun mir begegnet?
Ja wohl erkenn’ ich ganz mein Unglück nun!
[179]Ein Schauſpiel.
Das iſt mein Schickſal, daß nur gegen mich
Sich jeglicher verändert, der für andre feſt
Und treu und ſicher bleibt, ſich leicht verän-
dert
Durch einen Hauch, in einem Augenblick.


Hat nicht die Ankunft dieſes Mann’s
allein
Mein ganz Geſchick zerſtört, in Einer Stunde?
Nicht dieſer das Gebäude meines Glücks
Von ſeinem tiefſten Grund aus umgeſtürzt?
O muß ich das erfahren? Muß ich’s heut?
Ja, wie ſich alles zu mir drängte, läßt
Mich alles nun; wie jeder mich an ſich
Zu reißen ſtrebte, jeder mich zu faſſen,
So ſtößt mich alles weg und meidet mich.
Und das warum? Und wiegt denn er allein
Die Schale meines Werths und aller Liebe,
Die ich ſo reichlich ſonſt beſeſſen, auf?


M 2
[180]Torquato Taſſo

Ja, alles flieht mich nun. Auch du!
Auch du!
Geliebte Fürſtinn, du entziehſt dich mir.
In dieſen trüben Stunden hat ſie mir
Kein einzig Zeichen ihrer Gunſt geſandt.
Hab’ ich’s um ſie verdient? — Du armes
Herz,
Dem ſo natürlich war ſie zu verehren! —
Vernahm ich ihre Stimme, wie durchdrang
Ein unausſprechliches Gefühl die Bruſt!
Erblickt’ ich ſie, da ward das helle Licht
Des Tag’s mir trüb’; unwiderſtehlich zog
Ihr Auge mich, ihr Mund mich an, mein
Knie
Erhielt ſich kaum, und aller Kraft
Des Geiſt’s bedurft’ ich, aufrecht mich zu
halten,
Vor ihre Füße nicht zu fallen, kaum
Vermocht’ ich dieſen Taumel zu zerſtreun.
Hier halte feſt, mein Herz! Du klarer Sinn,
Laß hier dich nicht umnebeln! Ja auch Sie!
Darf ich es ſagen? und ich glaub’ es kaum,
[181]Ein Schauſpiel.
Ich glaub’ es wohl, und möcht’ es mir ver-
ſchweigen.
Auch Sie! auch Sie! Entſchuldige ſie ganz,
Allein verbirg’ dir’s nicht: auch Sie! auch
Sie!


O dieſes Wort, an dem ich zweifeln ſollte,
So lang’ ein Hauch von Glauben in mir
lebt,
Ja, dieſes Wort, es gräbt ſich, wie ein Schluß
Des Schickſals noch zuletzt am ehrnen Rande
Der vollgeſchriebnen Qualentafel, ein.
Nun ſind erſt meine Feinde ſtark, nun bin
ich
Auf ewig einer jeden Kraft beraubt.
Wie ſoll ich ſtreiten, wenn Sie gegenüber
Im Heere ſteht? Wie ſoll ich duldend har-
ren,
Wenn Sie die Hand mir nicht von ferne
reicht?
Wenn nicht ihr Blick dem Flehenden begeg-
net?
[182]Torquato Taſſo.
Du haſt’s gewagt zu denken, haſt’s geſprochen,
Und es iſt wahr, eh’ du es fürchten konnteſt!
Und eh’ nun die Verzweiflung deine Sinnen
Mit ehrnen Klauen aus einander reißt,
Ja, klage nur das bittre Schickſal an,
Und wiederhole nur, auch Sie! auch Sie!


[[183]]

Fünfter Aufzug.


Erſter Auftritt.


Garten.
Alphons. Antonio
.

Antonio.

Auf deinen Wink ging ich das zweytemal
Zu Taſſo hin, ich komme von ihm her.
Ich hab’ ihm zugeredet, ja gedrungen;
Allein er geht von ſeinem Sinn nicht ab,
Und bittet ſehnlich, daß du ihn nach Rom
Auf eine kurze Zeit entlaſſen mögeſt.


[184]Torquato Taſſo
Alphons.

Ich bin verdrießlich, daß ich dir’s geſtehe,
Und lieber ſag’ ich dir, daß ich es bin,
Als daß ich den Verdruß verberg’ und mehre.
Er will verreiſen; gut, ich halt’ ihn nicht:
Er will hinweg, er will nach Rom; es ſey!
Nur daß mir Scipio Gonzaga nicht,
Der kluge Medicis, ihn nicht entwende!
Das hat Italien ſo groß gemacht,
Daß jeder Nachbar mit dem andern ſtrei-
tet,
Die Beſſern zu beſitzen, zu benutzen.
Ein Feldherr ohne Heer ſcheint mir ein Fürſt,
Der die Talente nicht um ſich verſammelt.
Und wer der Dichtkunſt Stimme nicht ver-
nimmt,
Iſt ein Barbar, er ſey auch wer er ſey.
Gefunden hab’ ich dieſen und gewählt,
Ich bin auf ihn als meinen Diener ſtolz,
Und da ich ſchon für ihn ſo viel gethan,
So möcht’ ich ihn nicht ohne Noth verlie-
ren.


[185]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Ich bin verlegen, denn ich trage doch
Vor dir die Schuld von dem, was heut geſchah;
Auch will ich meinen Fehler gern geſtehn,
Er bleibet deiner Gnade zu verzeihn:
Doch wenn du glauben könnteſt, daß ich nicht
Das Mögliche gethan ihn zu verſöhnen,
So würd’ ich ganz untröſtlich ſeyn. O! ſprich
Mit holdem Blick mich an, damit ich wieder
Mich faſſen kann, mir ſelbſt vertrauen mag.


Alphons.

Antonio, nein, da ſey nur immer ruhig,
Ich ſchreib’ es dir auf keine Weiſe zu;
Ich kenne nur zu gut den Sinn des Mannes,
Und weiß nur allzu wohl was ich gethan,
Wie ſehr ich ihn geſchont, wie ſehr ich ganz
Vergeſſen, daß ich eigentlich an ihm
Zu fordern hätte. Über vieles kann
Der Menſch zum Herrn ſich machen, ſeinen
Sinn
Bezwinget kaum die Noth und lange Zeit.


[186]Torquato Taſſo
Antonio.

Wenn andre vieles um den Einen thun;
So iſt’s auch billig, daß der Eine wieder
Sich fleißig frage, was den andern nützt.
Wer ſeinen Geiſt ſo viel gebildet hat,
Wer jede Wiſſenſchaft zuſammengeitzt,
Und jede Kenntniß, die uns zu ergreifen
Erlaubt iſt, ſollte der ſich zu beherrſchen
Nicht doppelt ſchuldig ſeyn? Und denkt er
dran?


Alphons.

Wir ſollen eben nicht in Ruhe bleiben!
Gleich wird uns, wenn wir zu genießen den-
ken,
Zur Übung unſrer Tapferkeit ein Feind,
Zur Übung der Geduld ein Freund gegeben.


Antonio.

Die erſte Pflicht des Menſchen, Speiſ’ und
Trank
Zu wählen, da ihn die Natur ſo eng’
Nicht wie das Thier beſchränkt, erfüllt er die?
[187]Ein Schauſpiel.
Und läßt er nicht vielmehr ſich wie ein Kind
Von allem reitzen, was dem Gaumen ſchmei-
chelt?
Wann miſcht er Waſſer unter ſeinen Wein?
Gewürze, ſüße Sachen, ſtark Getränke,
Eins um das andre ſchlingt er haſtig ein,
Und dann beklagt er ſeinen trüben Sinn,
Sein feurig Blut, ſein allzu heftig Weſen.
Er ſchilt auf die [Natur] und das Geſchick.
Wie bitter und wie thöricht hab’ ich ihn
Nicht oft mit ſeinem Arzte rechten ſehn;
Zum Lachen faſt, wär’ irgend lächerlich
Was einen Menſchen quält und andre plagt.
„Ich fühle dieſes Übel,“ ſagt er bänglich
Und voll Verdruß: „Was rühmt ihre eure
Kunſt?
„Schafft mir Geneſung!“ Gut verſetzt der
Arzt,
So meidet das und das — „Das kann ich
nicht“ —
So nehmet dieſen Trank — „O nein! der
ſchmeckt
[188]Torquato Taſſo
„Abſcheulich, er empört mir die Natur“ —
So trinkt denn Waſſer — „Waſſer? nimmer-
mehr!
„Ich bin ſo waſſerſcheu als ein Gebißner —“
So iſt euch nicht zu helfen — „Und war-
um?“ —
Das Übel wird ſich ſtets mit Übeln häufen,
Und, wenn es euch nicht tödten kann, nur
mehr
Und mehr mit jedem Tag euch quälen —
„Schön!
„Wofür ſeyd ihr ein Arzt? Ihr kennt mein
Übel,
„Ihr ſolltet auch die Mittel kennen, ſie
„Auch ſchmackhaft machen, daß ich nicht noch
erſt,
„Der Leiden los zu ſeyn, recht leiden müſſe.“
Du lächelſt ſelbſt und doch iſt es gewiß,
Du haſt es wohl aus ſeinem Mund gehört?


Alphons.

Ich hab’ es oft gehört und oft entſchuldigt.


[189]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Es iſt gewiß, ein ungemäßigt Leben,
Wie es uns ſchwere, wilde Träume gibt,
Macht uns zuletzt am hellen Tage träumen.
Was iſt ſein Argwohn anders als ein Traum?
Wohin er tritt, glaubt er von Feinden ſich
Umgeben. Sein Talent kann niemand ſehn,
Der ihn nicht neidet, niemand ihn beneiden,
Der ihn nicht haßt und bitter ihn verfolgt.
So hat er oft mit Klagen dich beläſtigt:
Erbrochne Schlöſſer, aufgefangne Briefe,
Und Gift und Dolch! Was alles vor ihm
ſchwebt!
Du haſt es unterſuchen laſſen, unterſucht,
Und haſt du was gefunden? Kaum den
Schein.
Der Schutz von keinem Fürſten macht ihn
ſicher,
Der Buſen keines Freundes kann ihn laben.
Und willſt du einem ſolchen Ruh’ und Glück,
Willſt du von ihm wohl Freude dir ver-
ſprechen?


[190]Torquato Taſſo
Alphons.

Du hätteſt Recht, Antonio, wenn in ihm
Ich meinen nächſten Vortheil ſuchen wollte!
Zwar iſt es ſchon mein Vortheil, daß ich nicht
Den Nutzen g’rad’ und unbedingt erwarte.
Nicht alles dienet uns auf gleiche Weiſe;
Wer vieles brauchen will, gebrauche jedes
In ſeiner Art, ſo iſt er wohl bedient.
Das haben uns die Medicis gelehrt,
Das haben uns die Päbſte ſelbſt gewieſen.
Mit welcher Nachſicht, welcher fürſtlichen
Geduld und Langmuth trugen dieſe Männer
Manch groß Talent, das ihrer reichen Gnade
Nicht zu bedürfen ſchien und doch bedurfte!


Antonio.

Wer weiß es nicht, mein Fürſt? Des Lebens
Mühe
Lehrt uns allein des Lebens Güter ſchätzen.
So jung hat er zu vieles ſchon erreicht,
Als daß genügſam er genießen könnte.
O ſollt’ er erſt erwerben, was ihm nun
[191]Ein Schauſpiel.
Mit offnen Händen angebothen wird;
Er ſtrengte ſeine Kräfte männlich an,
Und fühlte ſich von Schritt zu Schritt begnügt.
Ein armer Edelmann hat ſchon das Ziel
Von ſeinem beſten Wunſch erreicht, wenn ihn
Ein edler Fürſt zu ſeinem Hofgenoſſen
Erwählen will, und ihn der Dürftigkeit
Mit milder Hand entzieht. Schenkt er ihm
noch
Vertraun und Gunſt, und will an ſeine Seite
Vor andern ihn erheben, ſey’s im Krieg,
Sey’s in Geſchäften oder im Geſpräch;
So dächt’ ich, könnte der beſcheidne Mann
Sein Glück mit ſtiller Dankbarkeit verehren,
Und Taſſo hat zu allem dieſem noch
Das ſchönſte Glück des Jünglings: daß ihn
ſchon
Sein Vaterland erkennt und auf ihn hofft.
O glaube mir, ſein launiſch Mißbehagen
Ruht auf dem breiten Polſter ſeines Glücks.
Er kommt, entlaß ihn gnädig, gib ihm Zeit;
In Rom und in Neapel, wo er will,
[192]Torquato Taſſo
Das aufzuſuchen, was er hier vermißt,
Und was er hier nur wiederfinden kann.


Alphons.

Will er zurück erſt nach Ferrara gehn?


Antonio.

Er wünſcht in Belriguardo zu verweilen.
Das nöthigſte, was er zur Reiſe braucht,
Will er durch einen Freund ſich ſenden laſſen.


Alphons.

Ich bin’s zufrieden. Meine Schweſter geht
Mit ihrer Freundinn gleich zurück, und reitend
Werd’ ich vor ihnen noch zu Hauſe ſeyn.
Du folgſt uns bald, wenn du für ihn geſorgt.
Dem Caſtellan befiehl das Nöthige,
Daß er hier auf dem Schloſſe bleiben kann,
So lang’ er will, ſo lang’ bis ſeine Freunde
Ihm das Gepäck geſendet, bis wir ihm
Die Briefe ſchicken, die ich ihm nach Rom
Zu geben Willens bin. Er kommt! Leb’ wohl!


[193]Ein Schauſpiel.

Zweyter Auftritt.


Alphons. Taſſo.

Taſſo

mit Zurückhaltung.

Die Gnade, die du mir ſo oft bewieſen,
Erſcheinet heute mir in vollem Licht.
Du haſt verziehen, was in deiner Nähe
Ich unbedacht und frevelhaft beging,
Du haſt den Widerſacher mir verſöhnt,
Du willſt erlauben, daß ich eine Zeit
Von deiner Seite mich entferne, willſt
Mir deine Gunſt großmüthig vorbehalten.
Ich ſcheide nun mit völligem Vertraun,
Und hoffe ſtill, mich ſoll die kleine Friſt
Von allem heilen, was mich jetzt beklemmt.
Es ſoll mein Geiſt auf’s neue ſich erheben,
Und auf dem Wege, den ich froh und kühn,
Durch deinen Blick ermuntert, erſt betrat,
Sich deiner Gunſt auf’s neue würdig machen.


Goethe’s W. 6. B. N
[194]Torquato Taſſo
Alphons.

Ich wünſche dir zu deiner Reiſe Glück,
Und hoffe, daß du froh und ganz geheilt
Uns wieder kommen wirſt. Du bringſt uns
dann
Den doppelten Gewinſt für jede Stunde,
Die du uns nun entziehſt, vergnügt zurück.
Ich gebe Briefe dir an meine Leute,
An Freunde dir nach Rom, und wünſche ſehr,
Daß du dich zu den Meinen überall
Zutraulich halten mögeſt, wie ich dich
Als mein, obgleich entfernt, gewiß betrachte.


Taſſo.

Du überhäufſt, o Fürſt, mit Gnade den,
Der ſich unwürdig fühlt, und ſelbſt zu danken
In dieſem Augenblicke nicht vermag.
Anſtatt des Danks eröffn’ ich eine Bitte!
Am meiſten liegt mir mein Gedicht am Herzen.
Ich habe viel gethan und keine Mühe
Und keinen Fleiß geſpart, allein es bleibt
Zu viel mir noch zurück. Ich möchte dort,
[195]Ein Schauſpiel.
Wo noch der Geiſt der großen Männer ſchwebt,
Und wirkſam ſchwebt, dort möcht’ ich in die
Schule
Auf’s neue mich begeben; würdiger
Erfreute deines Beyfalls ſich mein Lied.
O gib die Blätter mir zurück, die ich
Jetzt nur beſchämt in deinen Händen weiß.


Alphons.

Du wirſt mir nicht an dieſem Tage nehmen,
Was du mir kaum an dieſem Tag gebracht?
Laß zwiſchen dich und zwiſchen dein Gedicht
Mich als Vermittler treten; hüte dich
Durch ſtrengen Fleiß die liebliche Natur
Zu kränken, die in deinen Reimen lebt,
Und höre nicht auf Rath von allen Seiten!
Die tauſendfältigen Gedanken vieler
Verſchiedner Menſchen, die im Leben ſich
Und in der Meinung widerſprechen, faßt
Der Dichter klug in Eins, und ſcheut ſich nicht
Gar manchem zu mißfallen, daß er manchem
Um deſto mehr gefallen möge. Doch
N 2
[196]Torquato Taſſo
Ich ſage nicht, daß du nicht hie und da
Beſcheiden deine Feile brauchen ſollteſt;
Verſpreche dir zugleich, in kurzer Zeit
Erhältſt du abgeſchrieben dein Gedicht.
Es bleibt von deiner Hand in meinen Händen,
Damit ich ſeiner erſt mit meinen Schweſtern
Mich recht erfreuen möge. Bringſt du es
Vollkommner dann zurück; wir werden uns
Des höheren Genuſſes freun, und dich
Bey mancher Stelle nur als Freunde warnen.


Taſſo.

Ich wiederhohle nur beſchämt die Bitte:
Laß mich die Abſchrift eilig haben, ganz
Ruht mein Gemüth auf dieſem Werke nun.
Nun muß es werden was es werden kann.


Alphons.

Ich billige den Trieb der dich beſeelt!
Doch, guter Taſſo, wenn es möglich wäre,
So ſollteſt du erſt eine kurze Zeit
Der freyen Welt genießen, dich zerſtreuen,
[197]Ein Schauſpiel.
Dein Blut durch eine Cur verbeſſern. Dir
Gewährte dann die ſchöne Harmonie
Der hergeſtellten Sinne, was du nun
Im trüben Eifer nur vergebens ſuchſt.


Taſſo.

Mein Fürſt, ſo ſcheint es; doch, ich bin ge-
ſund,
Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann,
Und ſo macht wieder mich der Fleiß geſund.
Du haſt mich lang’ geſehn, mir iſt nicht
wohl
In freyer Üppigkeit. Mir läßt die Ruh’
Am mind’ſten Ruhe. Dieß Gemüth iſt nicht
Von der Natur beſtimmt, ich fühl’ es leider,
Auf weichem Element der Tage froh
In’s weite Meer der Zeiten hinzuſchwimmen.


Alphons.

Dich führet alles, was du ſinnſt und treibſt,
Tief in dich ſelbſt. Es liegt um uns herum
[198]Torquato Taſſo
Gar mancher Abgrund, den das Schickſal
grub;
Doch hier in unſerm Herzen iſt der tiefſte,
Und reitzend iſt es ſich hinab zu ſtürzen.
Ich bitte dich, entreiße dich dir ſelbſt!
Der Menſch gewinnt, was der Poet verliert.


Taſſo.

Ich halte dieſen Drang vergebens auf,
Der Tag und Nacht in meinem Buſen wech-
ſelt.
Wenn ich nicht ſinnen oder dichten ſoll,
So iſt das Leben mir kein Leben mehr.
Verbiethe du dem Seidenwurm zu ſpinnen,
Wenn er ſich ſchon dem Tode näher ſpinnt.
Das köſtliche Geweb’ entwickelt er
Aus ſeinem Innerſten, und läßt nicht ab,
Bis er in ſeinen Sarg ſich eingeſchloſſen.
O geb’ ein guter Gott uns auch dereinſt
Das Schickſal des beneidenswerthen Wurms,
Im neuen Sonnenthal die Flügel raſch
Und freudig zu entfalten!


[199]Ein Schauſpiel.
Alphons.

Höre mich!
Du gibſt ſo vielen doppelten Genuß
Des Lebens, lern’, ich bitte dich,
Den Werth des Lebens kennen, das du noch
Und zehnfach reich beſitzeſt. Lebe wohl!
Je eher du zu uns zurücke kehrſt,
Je ſchöner wirſt du uns willkommen ſeyn.


Dritter Auftritt.


Taſſo
allein.

So halte feſt, mein Herz, ſo war es recht!
Es wird dir ſchwer, es iſt das erſtemal,
Daß du dich ſo verſtellen magſt und kannſt.
Du hörteſt wohl, das war nicht ſein Gemüth,
Das waren ſeine Worte nicht; mir ſchien,
Als klänge nur Antonio’s Stimme wieder.
O gib nur Acht! Du wirſt ſie nun ſo fort
Von allen Seiten hören. Feſt, nur feſt!
[200]Torquato Taſſo
Um einen Augenblick iſt’s noch zu thun.
Wer ſpät im Leben ſich verſtellen lernt,
Der hat den Schein der Ehrlichkeit voraus,
Es wird ſchon gehn, nur übe dich mit ihnen.


Nach einer Pauſe.

Du triumphirſt zu früh, dort kommt ſie her!
Die holde Fürſtinn kommt! O welch Gefühl!
Sie tritt herein, es löſ’t in meinem Buſen
Verdruß und Argwohn ſich in Schmerzen auf.


Vierter Auftritt.


Prinzeſſinn. Taſſo. Gegen das Ende
des Auftritts die Übrigen.

Prinzeſſinn.

Du denkſt uns zu verlaſſen, oder bleibſt
Vielmehr in Belriguardo noch zurück,
Und willſt dich dann von uns entfernen, Taſſo?
Ich hoffe, nur auf eine kurze Zeit.
Du gehſt nach Rom?


[201]Ein Schauſpiel.
Taſſo.

Ich richte meinen Weg
Zuerſt dahin, und nehmen meine Freunde
Mich gütig auf, wie ich es hoffen darf,
So leg’ ich da mit Sorgfalt und Geduld
Vielleicht die letzte Hand an mein Gedicht.
Ich finde viele Männer dort verſammelt,
Die Meiſter aller Art ſich nennen dürfen.
Und ſpricht in jener erſten Stadt der Welt
Nicht jeder Platz nicht jeder Stein zu uns?
Wie viele tauſend ſtumme Lehrer winken
In ernſter Majeſtät uns freundlich an!
Vollend’ ich da nicht mein Gedicht, ſo kann
Ich’s nie vollenden. Leider, ach, ſchon fühl’ ich,
Mir wird zu keinem Unternehmen Glück!
Verändern werd’ ich es, vollenden nie.
Ich fühl’, ich fühl’ es wohl, die große Kunſt,
Die jeden nährt, die den geſunden Geiſt
Stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde
richten,
Vertreiben wird ſie mich. Ich eile fort!
Nach Napel will ich bald!


[202]Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.

Darfſt du es wagen?
Noch iſt der ſtrenge Bann nicht aufgehoben,
Der dich zugleich mit deinem Vater traf.


Taſſo.

Du warneſt recht, ich hab’ es ſchon bedacht.
Verkleidet geh’ ich hin, den armen Rock
Des Pilgers oder Schäfers zieh’ ich an.
Ich ſchleiche durch die Stadt, wo die Bewe-
gung
Der Tauſende den Einen leicht verbirgt.
Ich eile nach dem Ufer, finde dort
Gleich einen Kahn mit willig guten Leuten,
Mit Bauern, die zum Markte kamen, nun
Nach Hauſe kehren, Leute von Sorrent;
Denn ich muß nach Sorrent hinüber eilen.
Dort wohnet meine Schweſter, die mit mir
Die Schmerzensfreude meiner Eltern war.
Im Schiffe bin ich ſtill, und trete dann
Auch ſchweigend an das Land, ich gehe ſacht
Den Pfad hinauf, und an dem Thore frag’ ich:
[203]Ein Schauſpiel.
Wo wohnt Cornelia? Zeigt mir es an!
Cornelia Serſale? Freundlich deutet
Mir eine Spinnerinn die Straße, ſie
Bezeichnet mir das Haus. So ſteig’ ich weiter.
Die Kinder laufen nebenher und ſchauen
Das wilde Haar, den düſtern Fremdling an.
So komm’ ich an die Schwelle. Offen ſteht
Die Thüre ſchon, ſo tret’ ich in das Haus —


Prinzeſſinn.

Blick’ auf, o Taſſo, wenn es möglich iſt,
Erkenne die Gefahr, in der du ſchwebſt!
Ich ſchone dich; denn ſonſt würd’ ich dir ſagen:
Iſt’s edel ſo zu reden, wie du ſprichſt?
Iſt’s edel nur allein an ſich zu denken,
Als kränkteſt du der Freunde Herzen nicht?
Iſt’s dir verborgen wie mein Bruder denkt?
Wie beyde Schweſtern dich zu ſchätzen wiſſen?
Haſt du es nicht empfunden und erkannt?
Iſt alles denn in wenig Augenblicken
Verändert? Taſſo! Wenn du ſcheiden willſt,
So laß uns Schmerz und Sorge nicht zurück.


[204]Torquato Taſſo
Taſſo wendet ſich weg.

Prinzeſſinn.

Wie tröſtlich iſt es einem Freunde, der
Auf eine kurze Zeit verreiſen will,
Ein klein Geſchenk zu geben, ſey es nur
Ein neuer Mantel, oder eine Waffe!
Dir kann man nichts mehr geben, denn du
wirfſt
Unwillig alles weg, was du beſitzeſt.
Die Pilgermuſchel und den ſchwarzen Kittel,
Den langen Stab erwählſt du dir, und gehſt
Freywillig arm dahin, und nimmſt uns weg,
Was du mit uns allein genießen konnteſt.


Taſſo.

So willſt du mich nicht ganz und gar ver-
ſtoßen?
O ſüßes Wort, o ſchöner, theurer Troſt,
Vertritt mich! Nimm in deinen Schutz mich
auf! —
Laß mich in Belriguardo hier, verſetze
[205]Ein Schauſpiel.
Mich nach Conſandoli, wohin du willſt!
Es hat der Fürſt ſo manches ſchöne Schloß,
So manchen Garten, der das ganze Jahr
Gewartet wird, und ihr betretet kaum
Ihn Einen Tag, vielleicht nur Eine Stunde.
Ja wählet den entferntſten aus, den ihr
In ganzen Jahren nicht beſuchen geht,
Und der vielleicht jetzt ohne Sorge liegt,
Dort ſchickt mich hin! Dort laßt mich euer
ſeyn!
Wie will ich deine Bäume pflegen! Die Ci-
tronen
Im Herbſt mit Bretern und mit Ziegeln decken,
Und mit verbund’nem Rohre wohl verwah-
ren!
Es ſollen ſchöne Blumen in den Beeten
Die breiten Wurzeln ſchlagen, rein und zier-
lich
Soll jeder Gang und jedes Fleckchen ſeyn.
Und laßt mir auch die Sorge des Pallaſtes!
Ich will zur rechten Zeit die Fenſter öffnen,
Daß Feuchtigkeit nicht den Gemählden ſchade;
[206]Torquato Taſſo
Die ſchön mit Stuckatur verzierten Wände
Will ich mit einem leichten Wedel ſäubern,
Es ſoll das Eſtrich blank und reinlich glänzen,
Es ſoll kein Stein, kein Ziegel ſich verrücken,
Es ſoll kein Gras aus einer Ritze keimen!


Prinzeſſinn.

Ich finde keinen Rath in meinem Buſen,
Und finde keinen Troſt für dich und — uns.
Mein Auge blickt umher, ob nicht ein Gott
Uns Hülfe reichen möchte? Möchte mir
Ein heilſam Kraut entdecken, einen Trank,
Der deinem Sinne Frieden brächte, Frieden
uns.
Das treuſte Wort, das von der Lippe fließt,
Das ſchönſte Heilungsmittel wirkt nicht mehr.
Ich muß dich laſſen, und verlaſſen kann
Mein Herz dich nicht.


Taſſo.

Ihr Götter, iſt ſie’s doch,
Die mit dir ſpricht und deiner ſich erbarmt?
[207]Ein Schauſpiel.
Und konnteſt du das edle Herz verkennen?
War’s möglich, daß in ihrer Gegenwart
Der Kleinmuth dich ergriff und dich bezwang?
Nein, nein, du biſt’s! und nun ich bin es auch.
O fahre fort, und laß mich jeden Troſt
Aus deinem Munde hören! Deinen Rath
Entzieh’ mir nicht! O ſprich: was ſoll ich
thun?
Damit dein Bruder mir vergeben könne,
Damit du ſelbſt mir gern vergeben mögeſt,
Damit ihr wieder zu den Euren mich
Mit Freuden zählen möget. Sag’ mir an.


Prinzeſſinn.

Gar wenig iſt’s, was wir von dir verlangen;
Und dennoch ſcheint es allzu viel zu ſeyn.
Du ſollſt dich ſelbſt uns freundlich überlaſſen.
Wir wollen nichts von dir, was du nicht biſt,
Wenn du nur erſt dir mit dir ſelbſt gefällſt.
Du machſt uns Freude, wenn du Freude haſt,
Und du betrübſt uns nur, wenn du ſie fliehſt;
Und wenn du uns auch ungeduldig machſt,
[208]Torquato Taſſo
So iſt es nur, daß wir dir helfen möchten,
Und, leider! ſehn, daß nicht zu helfen iſt;
Wenn du nicht ſelbſt des Freundes Hand er-
greifſt,
Die, ſehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht.


Taſſo.

Du biſt es ſelbſt, wie du zum erſtenmal,
Ein heil’ger Engel, mir entgegen kamſt!
Verzeih’ dem trüben Blick des Sterblichen,
Wenn er auf Augenblicke dich verkannt.
Er kennt dich wieder! Ganz eröffnet ſich
Die Seele, nur dich ewig zu verehren.
Es füllt ſich ganz das Herz von Zärtlich-
keit —
Sie iſt’s, ſie ſteht vor mir. Welch ein Gefühl!
Iſt es Verirrung, was mich nach dir zieht?
Iſt’s Raſerey? Iſt’s ein erhöhter Sinn,
Der erſt die höchſte, reinſte Wahrheit faßt?
Ja, es iſt das Gefühl, das mich allein
Auf dieſer Erde glücklich machen kann,
Das mich allein ſo elend werden ließ,
[209]Ein Schauſpiel.
Wenn ich ihm widerſtand und aus dem Her-
zen
Es bannen wollte. Dieſe Leidenſchaft
Gedacht’ ich zu bekämpfen; ſtritt und ſtritt
Mit meinem tiefſten Seyn, zerſtörte frech
Mein eignes Selbſt, dem du ſo ganz gehörſt.


Prinzeſſinn.

Wenn ich dich, Taſſo, länger hören ſoll,
So mäßige die Gluth, die mich erſchreckt.


Taſſo.

Beſchränkt der Rand des Bechers einen
Wein,
Der ſchäumend wallt und brauſend über-
ſchwillt?
Mit jedem Wort’ erhöheſt du mein Glück,
Mit jedem Worte glänzt dein Auge heller.
Ich fühle mich im innerſten verändert,
Ich fühle mich von aller Noth entladen,
Frey wie ein Gott, und alles dank’ ich dir!
Unſägliche Gewalt, die mich beherrſcht,
Goethe’s W. 6. B. O
[210]Torquato Taſſo
Entfließet deinen Lippen; ja, du machſt
Mich ganz dir eigen. Nichts gehöret mir
Von meinem ganzen Ich mir künftig an.
Es trübt mein Auge ſich in Glück und Licht,
Es ſchwankt mein Sinn. Mich hält der Fuß
nicht mehr.
Unwiderſtehlich ziehſt du mich zu dir,
Und unaufhaltſam dringt mein Herz dir zu.
Du haſt mich ganz auf ewig dir gewonnen,
So nimm denn auch mein ganzes Weſen hin.


Er fällt ihr in die Arme und drückt ſie feſt an ſich.

Prinzeſſinn

ihn von ſich ſtoßend und hinweg eilend.

Hinweg!


Leonore

die ſich ſchon eine Weile im Grunde ſehen laſſen, her-
bey eilend.

Was iſt geſchehen? Taſſo! Taſſo!


Sie geht der Prinzeſſinn nach.

[211]Ein Schauſpiel.
Taſſo

im Begriff ihnen zu folgen.

O Gott!


Alphons

der ſich ſchon eine Zeit lang mit Antonio genähert.

Er kommt von Sinnen, halt ihn feſt.


ab.

Fünfter Auftritt.


Taſſo. Antonio.

Antonio.

O ſtünde jetzt, ſo wie du immer glaubſt
Daß du von Feinden rings umgeben biſt,
Ein Feind bey dir, wie würd’ er triumphiren?
Unglücklicher, noch kaum erhohl’ ich mich!
Wenn ganz was unerwartetes begegnet,
Wenn unſer Blick was ungeheures ſieht,
O 2
[212]Torquato Taſſo
Steht unſer Geiſt auf eine Weile ſtill,
Wir haben nichts, womit wir das vergleichen.


Taſſo

nach einer langen Pauſe.

Vollende nur dein Amt, ich ſeh’ du biſt’s!
Ja du verdienſt das fürſtliche Vertraun;
Vollende nur dein Amt, und martre mich,
Da mir der Stab gebrochen iſt, noch langſam
Zu Tode! Ziehe! Zieh’ am Pfeile nur,
Daß ich den Widerhaken grimmig fühle,
Der mich zerfleiſcht!
Du biſt ein theures Werkzeug des Tyran-
nen,
Sey Kerkermeiſter, ſey der Marterknecht,
Wie wohl! wie eigen ſteht dir beydes an!


Gegen die Scene.

Ja, gehe nur, Tyrann! Du konnteſt dich
Nicht bis zuletzt verſtellen, triumphire!
Du haſt den Sclaven wohl gekettet, haſt
Ihn wohl geſpart zu ausgedachten Qualen:
Geh’ nur, ich haſſe dich, ich fühle ganz
[213]Ein Schauſpiel.
Den Abſcheu, den die Übermacht erregt,
Die frevelhaft und ungerecht ergreift.


Nach einer Pauſe.

So ſeh’ ich mich am Ende denn verbannt,
Verſtoßen und verbannt als Bettler hier?
So hat man mich bekränzt, um mich ge-
ſchmückt
Als Opferthier vor den Altar zu führen!
So lockte man mir noch am letzten Tage
Mein einzig Eigenthum, mir mein Gedicht
Mit glatten Worten ab, und hielt es feſt!
Mein einzig Gut iſt nun in euren Händen,
Das mich an jedem Ort empfohlen hätte:
Das mir noch blieb vom Hunger mich zu ret-
ten!
Jetzt ſeh’ ich wohl, warum ich feyern ſoll.
Es iſt Verſchwörung, und du biſt das Haupt.
Damit mein Lied nur nicht vollkommner werde,
Daß nur mein Name ſich nicht mehr ver-
breite,
Daß meine Neider tauſend Schwächen finden,
[214]Torquato Taſſo
Daß man am Ende meiner gar vergeſſe;
Drum ſoll ich mich zum Müßiggang gewöh-
nen,
Drum ſoll ich mich und meine Sinne ſcho-
nen.
O werthe Freundſchaft, theure Sorglichkeit!
Abſcheulich dacht’ ich die Verſchwörung mir,
Die unſichtbar und raſtlos mich umſpann,
Allein abſcheulicher iſt es geworden.


Und du, Sirene! die du mich ſo zart,
So himmliſch angelockt, ich ſehe nun
Dich auf einmal! O Gott, warum ſo ſpät!


Allein wir ſelbſt betrügen uns ſo gern,
Und ehren die Verworfnen, die uns ehren.
Die Menſchen kennen ſich einander nicht;
Nur die Galerenſclaven kennen ſich,
Die eng’ an Eine Bank geſchmiedet keuchen;
Wo keiner was zu fordern hat und keiner
Was zu verlieren hat, die kennen ſich!
[215]Ein Schauſpiel.
Wo jeder ſich für einen Schelmen gibt,
Und ſeines Gleichen auch für Schelmen
nimmt.
Doch wir verkennen nur die andern höflich,
Damit ſie wieder uns verkennen ſollen.


Wie lang’ verdeckte mir dein heilig Bild
Die Buhlerinn, die kleine Künſte treibt.
Die Maske fällt, Armiden ſeh’ ich nun
Entblößt von allen Reitzen — ja, du biſt’s!
Von dir hat ahndungsvoll mein Lied geſun-
gen!


Und die verſchmitzte kleine Mittlerinn!
Wie tief erniedrigt ſeh’ ich ſie vor mir!
Ich höre nun die leiſen Tritte rauſchen,
Ich kenne nun den Kreis, um den ſie ſchlich.
Euch alle kenn’ ich! Sey mir das genug!
Und wenn das Elend alles mir geraubt,
So preiſ’ ich’s doch; die Wahrheit lehrt es
mich.


[216]Torquato Taſſo
Antonio.

Ich höre, Taſſo, dich mit Staunen an,
So ſehr ich weiß, wie leicht dein raſcher Geiſt
Von einer Gränze zu der andern ſchwankt.
Beſinne dich! Gebiethe dieſer Wuth!
Du läſterſt, du erlaubſt dir Wort auf Wort,
Das deinen Schmerzen zu verzeihen iſt,
Doch das du ſelbſt dir nie verzeihen kannſt.


Taſſo.

O ſprich mir nicht mit ſanfter Lippe zu,
Laß mich kein kluges Wort von dir verneh-
men!
Laß mir das dumpfe Glück, damit ich nicht
Mich erſt beſinne, dann von Sinnen komme.
Ich fühle mir das innerſte Gebein
Zerſchmettert, und ich leb’ um es zu fühlen.
Verzweiflung faßt mit aller Wuth mich an,
Und in der Höllenqual, die mich vernichtet,
Wird Läſt’rung nur ein leiſer Schmerzens-
laut.
[217]Ein Schauſpiel.
Ich will hinweg! Und wenn du redlich biſt,
So zeig’ es mir, und laß mich gleich von hin-
nen.


Antonio.

Ich werde dich in dieſer Noth nicht laſſen;
Und wenn es dir an Faſſung ganz gebricht,
So ſoll mir’s an Geduld gewiß nicht fehlen.


Taſſo.

So muß ich mich dir denn gefangen geben?
Ich gebe mich, und ſo iſt es gethan;
Ich widerſtehe nicht, ſo iſt mir wohl —
Und laß es dann mich ſchmerzlich wieder-
hohlen,
Wie ſchön es war, was ich mir ſelbſt ver-
ſcherzte.
Sie gehn hinweg — O Gott! dort ſeh’ ich
ſchon
[218]Torquato Taſſo
Den Staub, der von den Wagen ſich erhebt —
Die Reiter ſind voraus — Dort fahren ſie,
Dort gehn ſie hin! Kam ich nicht auch da-
her?
Sie ſind hinweg, ſie ſind erzürnt auf mich.
O küßt’ ich nur noch einmal ſeine Hand!
O daß ich nur noch Abſchied nehmen
könnte!
Nur einmal noch zu ſagen: O verzeiht!
Nur noch zu hören: Geh’, dir iſt verziehn!
Allein ich hör’ es nicht, ich hör’ es nie —
Ich will ja gehn! Laßt mich nur Abſchied
nehmen,
Nur Abſchied nehmen! Gebt, o gebt mir
nur
Auf einen Augenblick die Gegenwart
Zurück! Vielleicht geneſ’ ich wieder. Nein,
Ich bin verſtoßen, bin verbannt, ich habe
Mich ſelbſt verbannt, ich werde dieſe Stim-
me
Nicht mehr vernehmen, dieſem Blicke nicht,
Nicht mehr begegnen —


[219]Ein Schauſpiel.
Antonio.

Laß eines Mannes Stimme dich erinnern,
Der neben dir nicht ohne Rührung ſteht!
Du biſt ſo elend nicht, als wie du glaubſt.
Ermanne dich! Du gibſt zu viel dir nach.


Taſſo.

Und bin ich denn ſo elend wie ich ſcheine?
Bin ich ſo ſchwach, wie ich vor dir mich
zeige?
Iſt alles denn verloren? Hat der Schmerz,
Als ſchütterte der Boden, das Gebäude
In einen grauſen Haufen Schutt verwan-
delt?
Iſt kein Talent mehr übrig, tauſendfältig
Mich zu zerſtreun, zu unterſtützen?
Iſt alle Kraft verloſchen, die ſich ſonſt
In meinem Buſen regte? Bin ich Nichts,
Ganz Nichts geworden?
Nein, es iſt alles da, und ich bin nichts;
Ich bin mir ſelbſt entwandt, ſie iſt es mir;


[220]Torquato Taſſo
Antonio.

Und wenn du ganz dich zu verlieren ſcheinſt,
Vergleiche dich! Erkenne was du biſt!


Taſſo.

Ja, du erinnerſt mich zur rechten Zeit! —
Hilft denn kein Beyſpiel der Geſchichte
mehr?
Stellt ſich kein edler Mann mir vor die
Augen,
Der mehr gelitten, als ich jemals litt;
Damit ich mich mit ihm vergleichend faſſe?
Nein, Alles iſt dahin! — Nur Eines bleibt:
Die Thräne hat uns die Natur verliehen,
Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann
zuletzt
Es nicht mehr trägt — Und mir noch über
alles —
Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,
Die tiefſte Fülle meiner Noth zu klagen:
[221]Ein Schauſpiel.
Und wenn der Menſch in ſeiner Qual ver-
ſtummt,
Gab mir ein Gott, zu ſagen wie ich leide.


Antonio

tritt zu ihm und nimmt ihn bey der Hand.

Taſſo.

O edler Mann! Du ſteheſt feſt und ſtill,
Ich ſcheine nur die ſturmbewegte Welle.
Allein bedenk’, und überhebe nicht
Dich deiner Kraft! Die mächtige Natur,
Die dieſen Felſen gründete, hat auch
Der Welle die Beweglichkeit gegeben.
Sie ſendet ihren Sturm, die Welle flieht
Und ſchwankt und ſchwillt und beugt ſich
ſchäumend über.
In dieſer Woge ſpiegelte ſo ſchön
Die Sonne ſich, es ruhten die Geſtirne
An dieſer Bruſt, die zärtlich ſich bewegte.
Verſchwunden iſt der Glanz, entflohn die Ruhe.
[222]Torquato Taſſo.
Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr,
Und ſchäme mich nicht mehr es zu bekennen.
Zerbrochen iſt das Steuer, und es kracht
Das Schiff an allen Seiten. Berſtend reißt
Der Boden unter meinen Füßen auf!
Ich faſſe dich mit beyden Armen an!
So klammert ſich der Schiffer endlich noch
Am Felſen feſt, an dem er ſcheitern ſollte.


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Torquato Tasso. Torquato Tasso. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjt8.0