uͤber die
Naturlehre
zur
Belehrung derer, denen es an mathematiſchen
Vorkenntniſſen fehlt.
beiGeorg Joachim Goͤſchen.
[[II]][[III]]
Vorrede.
Der Beifall, welchen einige meiner Freunde, vielleicht
mit zu viel freundſchaftlichem Wohlwollen, mir uͤber
meine Vorleſungen uͤber die Aſtronomie be-
zeugt haben, macht mich ſo kuͤhn, einen Verſuch, auch
die Phyſik auf aͤhnliche Weiſe darzuſtellen, zu wagen,
und den Freunden dieſer Wiſſenſchaft hier eine moͤg-
lichſt klare, und dennoch jeden Gegenſtand gruͤndlich
erklaͤrende Entwickelung der Hauptlehren der Phyſik
vorzulegen. Obgleich ich nicht vorausſehen kann, wie-
fern dieſes Unternehmen den Beifall der Leſer finden
werde, ſo glaube ich wenigſtens das als Empfehlung
deſſelben anfuͤhren zu duͤrfen, daß ein oͤfter wiederholter
Vortrag der Phyſik vor Zuhoͤrern, die ohne irgend die
Vorausſetzung mathematiſcher Kenntniſſe zu geſtatten,
dennoch von dem ganzen Umfange des jetzigen Zuſtan-
des der Naturlehre gruͤndlich unterrichtet zu werden
verlangten, es mir zur Pflicht gemacht hat, alles, was
zur Befoͤrderung der Klarheit in der Darſtellung die-
[IV] nen konnte, mit moͤglichſter Sorgfalt aufzuſuchen, und
daß ich bei dieſem Bemuͤhen in manchen Lehren ein-
fachere, und dennoch gruͤndliche Beweiſe der vorkom-
menden Theoreme, eine zu ſchnellerem und mehr uͤber-
zeugendem Ueberblicke fuͤhrende Anordnung der Schluͤſſe
gefunden zu haben meine, als diejenigen ſind, die ich
in andern Buͤchern gefunden habe. Zu eben jenem
Zwecke, meine Vortraͤge denen recht nuͤtzlich zu machen,
die dieſer Wiſſenſchaft nur wenig Zeit ſchenken koͤnnen,
habe ich es immer zu meinem Beſtreben gemacht, die
mannigfaltigſten Anwendungen aller einzelnen Lehren
der Phyſik, theils auf Gegenſtaͤnde des taͤglichen Le-
bens, theils auf Kuͤnſte und Gewerbe, theils auf die
Erſcheinungen, die ſich uns in den Wirkungen der
Natur im Großen darſtellen, mit der Entwickelung
jener Lehrſaͤtze ſelbſt zu verbinden, und dadurch die
Aufmerkſamkeit, welche bei bloß theoretiſchen Entwicke-
lungen ſo leicht ermuͤdet, ſelbſt da, wo keine Experi-
mente zu Belebung des Vortrages anzubringen ſind,
zu feſſeln. Und eben dieſes Beſtreben, welches, wie
ich hoffe, oft ſeinen Zweck dort erreicht hat, wird man
auch in den hier mitgetheilten Vorleſungen erkennen.
Ich weiß ſehr wohl, daß dieſes Aneinanderreihen
mannigfaltiger, aber in naher Beziehung auf einander
ſtehender Betrachtungen, zuweilen den Vortrag von
einer ſtrengen ſyſtematiſchen Anordnung abzulenken
ſcheint, und in dieſer Hinſicht vielleicht einen Vorwurf
[V] verdient *), aber mir hat es oft geſchienen, als ob
man grade durch dieſen kleinen Kunſtgriff, die Leſer
von zu ſtrenge theoretiſchen Betrachtungen zuweilen
abzulenken und auf einen ſeitwaͤrts liegenden Spazier-
gang zu fuͤhren, den Zweck, ſie ſicher und ohne Er-
muͤdung zum Ziele zu bringen, am aller ſicherſten er-
reichte. Was in einem ſtrenge ſyſtematiſchen Lehrbuche
nicht erlaubt waͤre, die vollendete Entwickelung einer
Folge von Lehrſaͤtzen abzubrechen, um bei Einzelnem
zu verweilen, und jene erſt ſpaͤter weiter fortzufuͤhren,
das ſcheint mir in dem lebendigen Vortrage einer
muͤndlichen Unterhaltung, wo der Reichthum des Ge-
genſtandes uns fortreißt, und wo wir den Zuhoͤrer
mit fortgeriſſen zu ſehen wuͤnſchen, nicht ſo unſtatthaft
zu ſein. — Daß es freilich da, wo man den graden
Weg verlaͤßt, auch leicht iſt, ſich zu verirren, laͤßt
ſich allerdings nicht leugnen, und ich muß es dem Ur-
theile der Leſer uͤberlaſſen, ob ſie bei der Anordnung
meines Vortrages ſich auf einem anmuthigen Wege
zum Ziele gefuͤhrt finden, oder ob ſie auf Irrwegen
das Ziel aus dem Auge zu verlieren glauben.
In Ruͤckſicht der Ausfuͤhrlichkeit der Darſtellung
habe ich mich zwar ſehr beſchraͤnkt, aber ich hoffe doch,
[VI] daß in den drei Baͤndchen, in welchen alle Lehren
der Phyſik abgehandelt werden ſollen, kein weſentlich
wichtiger Gegenſtand unerklaͤrt bleiben wird, und ſelbſt
die ſchwierigſten neuen Entdeckungen vollkommen ge-
nuͤgend entwickelt dargeſtellt werden ſollen. Eine groͤ-
ßere Ausfuͤhrlichkeit, fuͤrchtete ich, wuͤrde mehr ermuͤ-
den, als nuͤtzen, da wir doch nur das leicht und voll-
ſtaͤndig uͤberſehen, was uns gleich Anfangs von der
rechten Seite dargeſtellt wird, und ein breit ausge-
dehntes Hinzufuͤgen immer neuer Erlaͤuterungen wenig
hilft, wenn der Leſer nicht ſogleich auf den rechten
Standpunct geſtellt worden iſt. In Ruͤckſicht des Reich-
thumes und der Mannigfaltigkeit der erklaͤrten Erſchei-
nungen wird man, hoffe ich, zufrieden ſein, obgleich
freilich die unendlich zahlreichen Gegenſtaͤnde, die ſich
uns faſt in jeder einzelnen Lehre der Phyſik darbieten,
noch einen reichen Stoff zu einer viel ausgedehnteren
Arbeit geben koͤnnten.
Doch, was der Autor ſelbſt zum Lobe ſeines
Werkes ſagt, pflegt nur ſchwachen Eindruck auf den
Leſer zu machen, welcher nur dann zufrieden iſt, wenn
nicht der Meiſter das Werk, ſondern das Werk den
Meiſter lobt.
Das Buch wird aus drei Theilen beſtehen. Der
erſte enthaͤlt die ganze Mechanik, die Lehre von dem
[VII] Gleichgewichte feſter und fluͤſſiger Koͤrper, nebſt der
Acuſtik, der zweite wird zuerſt die Erſcheinungen der
Anziehung, die wir bei den Haarroͤhrchen und in aͤhn-
lichen Faͤllen beobachten, und dann die Grundlehren
der Chemie abhandeln, zugleich aber die Lehren von
Waͤrme und Licht mit moͤglichſter Vollſtaͤndigkeit um-
faſſen, der dritte iſt der Electricitaͤt, dem Galvanis-
mus, den magnetiſchen und electromagnetiſchen Er-
ſcheinungen gewidmet, und wird auf alles, was die
neueſten Entdeckungen hier Wichtiges gelehrt haben,
Ruͤckſicht nehmen.
Was den Grad der Vorkenntniſſe betrifft, welche
ich vorausſetze, ſo glaube ich mit Recht ſagen zu
koͤnnen, daß ich von mathematiſchen Kenntniſſen gar
nichts vorausſetze. Daß der Leſer dieſes Buches ge-
woͤhnliche Zahlenrechnungen, die nicht uͤber die Regel
de tri hinausgehen, leicht uͤberſehe und nachzurechnen
wiſſe, darf ich wohl annehmen; jede Anwendung der
Algebra aber iſt voͤllig vermieden. Nur in dem ein-
zigen Umſtande gehe ich uͤber die gewoͤhnlichen Rechen-
buͤcher hinaus, daß ich die Decimalbruͤche auf die be-
kannte Weiſe ohne Nenner ſchreibe, und hieran zu
denken, muß ich den minder geuͤbten Leſer bitten.
Koͤmmt naͤmlich in einer Zahl eine Abtheilung durch ein
Comma vor, ſo bedeutet die naͤchſte hinter dem Comma
ſtehende Zahl Zehntel, die zweite Hunderttel, die dritte
[VIII] Tauſendtel, die vierte Zehntauſendtel u. ſ. w.; man
muß daher 15,625 niemals in dieſem Buche ſo leſen,
als ob das Comma die Tauſende oder die Millionen
ſchloͤſſe, ſondern 15,625 heißt: 15 Ganze, 6 Zehntel,
2 Hunderttel, 5 Tauſendtel und ſo in allen aͤhnlichen
Faͤllen. — Wo arithmetiſche Begriffe, die uͤber das
allgemein Bekannte hinausgehen, vorkommen, iſt die
Erlaͤuterung ſo beygefuͤgt, daß ſie gewiß vollkommen
leicht verſtanden werde. Ebenſo verhaͤlt es ſich mit
den Beziehungen auf Geometrie. Jeder weiß, was
ein Kreis iſt, was ein rechter Winkel iſt u. ſ. w. —
mehr aber als dieſe Grundbegriffe bedarf es nicht, um
die Folgerungen zu verſtehen, die hier vorkommen, denn
obgleich mancher in der Phyſik vorkommende Satz einer
geometriſchen Begruͤndung beduͤrfte, wenn er ſtrenge
demonſtrirt werden ſollte, ſo erlaubt uns doch die na-
tuͤrliche Geometrie, die beim Anblicke der Figur zur
Thaͤtigkeit hervorgerufen wird, ſehr oft dieſe Demon-
ſtration zu uͤbergehen, und ich glaube daher, daß man
nicht von einer Forderung geometriſcher Kenntniſſe
reden wird, wenn zum Beiſpiel die Behauptung vor-
koͤmmt, daß im rechtwinklichen Drei-Ecke die dem
rechten Winkel gegenuͤberſtehende Seite die groͤßeſte
iſt; — der Geometer demonſtrirt dieſes, aber bekannt
iſt es einem jeden. Das aber muß ich freilich for-
dern, daß der Leſer ſich gewoͤhne, jeden Theil einer
Figur ſorgfaͤltig mit dem, was davon geſagt wird, zu
[IX] vergleichen, und im Fortgange des Leſens auch immer
das Auge auf die Figur zu werfen; — ich weiß wohl,
daß ſelbſt dies dem daran nicht gewoͤhnten Leſer, ei-
nige Schwierigkeit macht, aber dieſe Schwierigkeit
iſt doch wohl eben ſo geringe, als ſie unerlaͤßlich iſt.
Doch dieſe Erklaͤrungen uͤber die verlangten Vor-
kenntniſſe ſind vielleicht ganz unnoͤthig, da die Vorle-
ſungen uͤber die Aſtronomie genau eben dieſes fordern,
und die Leſer derſelben darin eben keine Schwierigkeit
zu finden ſcheinen.
Ich ſchließe dieſe Vorrede mit der Bitte, um
eine nachſichtige Beurtheilung von Seiten der Kenner
der Wiſſenſchaft. Die hier behandelten Gegenſtaͤnde
ſind ſo mannigfaltig, daß es ſchon deshalb ſchwieriger
iſt, als in der Aſtronomie, ſie alle gleich vollkommen
vorzutragen, uͤber manche dieſer Gegenſtaͤnde ſind die
Meinungen der Gelehrten noch nicht ſo einſtimmig,
wie es in der Aſtronomie faſt uͤberall der Fall iſt, und
da ein populaͤres Buch nicht dazu geeignet iſt, die
verſchiedenen Anſichten alle darzulegen und zu verglei-
chen, ſo habe ich mich oft begnuͤgen muͤſſen, diejenige
Anſicht, welche mir die richtige ſcheint, deutlich zu ent-
wickeln und zu begruͤnden, und andre Meinungen nur
obenhin anzufuͤhren, doch habe ich da, wo unſre Ein-
ſicht mir noch mangelhaft ſcheint, dieſes offen bekannt,
(wovon beſonders im zweiten und dritten Bande Bei-
[X] ſpiele vorkommen werden,) und mich von dem ſtolzen
Duͤnkel, der da glaubt alles erklaͤren zu muͤſſen, frei
zu erhalten geſucht.
[XI]
Inhalt.
Erſte Vorleſung. Einleitung. Ueber den Umfang und ganzen
Inhalt der Phyſik. Anordnung des Studiums der Phyſik. Nutzen.
Zweite Vorleſung. Eigenſchaften der Materie. Geſtalt der Koͤr-
per. Undurchdringlichkeit. Beſtehen der Materie durch anziehende
und abſtoßende Kraͤfte. Theilbarkeit. Poroſitaͤt. Cohaͤrenz. Feſtigkeit
des Eiſens, des Holzes, des Papieres. Haͤrte und Weiche. Sproͤde
und zaͤhe Koͤrper. Elaſticitaͤt, — der Seile, der Kugeln, der Staͤbe.
Dritte Vorleſung. Bewegung und Ruhe. Scheinbare und wahre
Bewegung. Bewegung der Erde. Bahn des bewegten Koͤrpers. Ge-
ſchwindigkeit. Gleichfoͤrmige Bewegung. Accelerirte oder retardirte
Bewegung. Kraft. Geſetz der Traͤgheit. Beſchleunigende Kraͤfte.
Bewegende Kraft; Abhaͤngigkeit der durch ſie bewirkten Geſchwindig-
keit von der Groͤße der bewegten Maſſe. Wirkungen des Stoßes.
Jeſſop's Methode Felſen zu ſprengen. Weiches Eiſen ſchneidet in
Stahl.
Vierte Vorleſung. Schwerkraft. Ihre Richtung. Gleichgewicht.
Statik. Federwaage. Rumford's Verſuche mit Fuhrwerk. Dyna-
mometer. Zuſammenſetzung und Zerlegung der Kraͤfte. Parallelo-
gramm der Kraͤfte. Bewegung der Schiffe bei unguͤnſtigem Winde,
des Papierdrachen, des Tretrades. Anwendung der geneigten Ebne,
der Schraube, des Keils. Friction; Vortheile und Nachtheile derſel-
ben; — warum entgleiten keilfoͤrmige Koͤrper unſrer Hand?
Fuͤnfte Vorleſung. Hebel. Kraft der Muskeln. Relative Feſtig-
keit der Koͤrper. Der ſtaͤrkſte Balken. Rad an der Welle. Mo-
[XII] ment. Moment der Reibung. Schwerpunct. Sicherheit des Gleich-
gewichtes. Die gewoͤhnliche Waage. Schnellwaage. Bruͤckenwaage.
Kettenlinie. Gewoͤlbe.
Sechste Vorleſung. Geſetze des freien Falles. Atwood's Fall-
maſchine. Bahn geworfener Koͤrper. Parabel. Bewegung des Mon-
des um die Erde, der Planeten um die Sonne. Allgemeine Attrac-
tion aller Weltkoͤrper. Meteorſteine. Maſſe der Sonne. Anziehungs-
kraft der Berge. Dichtigkeit der ganzen Erde. Drehwaage. Anzie-
hung kleiner Maſſen. Wie im Innern der Erde die Schwerkraft ab-
nimmt. Ebbe und Fluth.
Siebente Vorleſung. Schwungkraft. Geſetze fuͤr die Beſtimmung
ihrer Staͤrke. Schwungmaſchine. Verſuche mit derſelben. Verſuch
uͤber die Geſtalt der Erde. Stellung der Kunſtreiter. Der Brumm-
kreiſel. Das Schwungrad. Moment der Traͤgheit. Wie man aus
aſtronomiſchen Beobachtungen ſich von der gleichbleibenden Waͤrme der
ganzen Erde uͤberzeugt.
Achte Vorleſung. Vom Pendel. Hauptgeſetze der Pendelſchwin-
gungen. Convertibles Pendel. Mittelpunct des Schwunges. Die ge-
naue Groͤße des Fallraums in 1 Secunde. Beſtimmung der Figur
der Erde. Beſſel's Beſtimmung der Pendellaͤnge. Mittel zu ſehr
feinen Laͤngemeſſungen. Comparateur. Fuͤhlhebel. Andre Oſcillations-
bewegungen. Cycloide. Tautochrone. Brachyſtochrone. Metronom.
Glocken zum Gelaͤute. Federn an Kutſchen.
Neunte Vorleſung. Vom Stoße feſter Koͤrper. Quantitaͤt der
Bewegung. Geſetze des Stoßes unelaſtiſcher Kugeln. Geſchwindigkeit
der abgeſchoſſenen Kugeln. Tragekraft eingerammter Pfaͤle. Ein-
dringen der Kugeln in Erdwaͤlle. Geſetze des Stoßes elaſtiſcher Ku-
geln. Schiefer Stoß. Billiardſpiel.
Zehnte Vorleſung. Fluͤſſige Koͤrper. Gleichmaͤßige Verbreitung
des Druckes. Elaſtiſche fluͤſſige und tropfbar fluͤſſige Koͤrper. Groͤße
des Druckes auf jeden Theil der Wand. Zerſprengen von Flaſchen
durch einen geringen Druck. Bramah's Waſſerpreſſe. Der Druck
des Waſſers wegen ſeiner Schwere. Horizontale Oberflaͤche. Waſſer-
waͤgen, Rivelliren. Schichten verſchiedener Fluͤſſigkeiten. Die Kunſt,
Waſſer in Wein zu verwandeln. Stroͤmungen des Waſſers beim
Kochen, der Luft zwiſchen warmen und kalten Zimmern. Rauchen
der Schornſteine. Meeresſtroͤme. Land- und Seewinde. Fruͤhlings-
Oſtwind.
[XIII]
Elfte Vorleſung. Druck des Waſſers auf Boden und Waͤnde des
Gefaͤßes. Anſcheinende Paradoxen. Druck auf Schleuſenboͤden. Waſ-
ſerſaͤulenmaſchine. Druck des Waſſers auf eingetauchte Koͤrper. Wie-
viel der eingetauchte Koͤrper an Gewicht verliert. Eisberge. Die
Kunſt, wodurch Menſchen ſich ſchwimmend erhalten. Wahrnehmun-
gen, wozu das ungleiche ſpecifiſche Gewicht des Meerwaſſers und Fluß-
waſſers, des kalten und warmen Waſſers Veranlaſſung giebt.
Zwoͤlfte Vorleſung. Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes der
Koͤrper. Gewicht eines Cubiczolles Waſſer. Araometer. Welche Lage
nimmt der ſchwimmende Koͤrper an? Sichres und unſichres Gleich-
gewicht. Bemerkungen aus der Schifffahrtskunde.
Dreizehnte Vorleſung. Geſchwindigkeit des ausfließenden Waſ-
ſers. Feuerſpruͤtzen. Zuſammengezogner Strahl. Auffallende Formen
des Waſſerſtrahles. Arteſiſche Brunnen. Oſcillationen des Waſſers
in Roͤhren. Montgolfier's hydrauliſcher Widder. Mascaret.
Merkwuͤrdige Sturmfluthen. Wellen. Kreislauf der Waſſertheilchen.
Neue Welle, die hinter einer ſchon erregten entſteht. Wie tief die
Wellen gehen, wie hoch ſie gehen; ihr verderbliches Ueberſtuͤrzen. Zu-
ruͤckwerfung der Wellen; ihr Zuſammentreffen im Brennpuncte der
Ellipſe.
Vierzehnte Vorleſung. Groͤße der Kraft des Stoßes fluͤſſiger
Koͤrper. Waſſermuͤhlen. Windmuͤhlen. Anemometer. Schnelligkeit
des Windes. Strommeſſer. Waſſermaſſen, die von den Stroͤmen
ins Meer gefuͤhrt werden. Nuͤtzlicher Effect, den ſie zu leiſten ver-
moͤgen. Widerſtand, den feſte Koͤrper leiden. Gewalt des Windes
bei Stuͤrmen. Berechnung des Widerſtandes bei abgeſchoſſenen Ca-
nonenkugeln. Exponent des Widerſtandes. Rudern. Fliegen der
Voͤgel. Strudel in Stroͤmen. Wirbelwinde. Ruͤckwirkung der Fluͤſ-
ſigkeiten. Segnerſches Rad. Zuruͤckprallen der Canone. Meteore.
Funfzehnte Vorleſung. Auch das Waſſer iſt einiger Zuſammen-
druͤckung faͤhig. Piezometer. Elaſticitaͤt der Luft. Die Luft iſt
ſchwer. Druck der Luft. Barometer. Gefaͤßbarometer. Heberba-
rometer. Luftleerer Raum. Nonius oder Vernier. Hoͤhenmeſſung mit
dem Barometer. Mariotte'ſches Geſetz. Tafel der Barometerhoͤhen,
in verſchiedenen Hoͤhen. Noͤthigſte Regeln fuͤr das Hoͤhenmeſſen.
Sechzehnte Vorleſung. Ungleiche Waͤrme in verſchiedenen Hoͤhen
und daraus entſpringende Fehler beim Hoͤhenmeſſen. Dalton's
[XIV] Theorie. Taͤgliche Oſcillationen der Barometerhoͤhe. Veraͤnderungen
des Barometers in den gemaͤßigten und kalten Zonen. Verſchieden-
heit des Barometerſtandes bei ungleichen Winden. Sehr tiefe Baro-
meterſtaͤnde bei Stuͤrmen. Einfluß des Windes auf das Hoͤhenmeſſen.
Siebzehnte Vorleſung. Druck der Luft auf 1 Quadratzoll,
Stechheber. Waſſer im Siebe. Uebertragen einer Fluͤſſigkeit bei ge-
nauen Abwaͤgungen. Leslie's Inſtrument zu Beſtimmung der ſpe-
cifiſchen Schwere. Saugepumpe. Das Athmen und Saugen. Der
Heber. Intermittirende Quelle. Windkeſſel an Pumpen. Herons-
brunnen. Carlsbader Sprudel. Springbrunnen in Island. Hervor-
dringen der Luft aus Fluͤſſigkeiten. Kuͤnſtliche Mineralwaſſer. Fa-
raday's Verſuch, Luft-Arten in tropfbaren Zuſtand zu verſetzen.
Achtzehnte Vorleſung. Luftpumpe. Der doppelt durchbohrte
Hahn. Schaͤdlicher Raum. Ventilpumpe. Barometerprobe. Birn-
probe. Abmeſſung der Verdichtung. Guerik'ſche Halbkugeln. Groͤße
des Luftdrucks auf den menſchlichen Koͤrper. Schroͤpfen. Entwicke-
lung von Luft aus den Koͤrpern. Abwaͤgung der Luft. Gewichtver-
luſt in der Luft. Manometer. Fall der Koͤrper im Vacuo.
Neunzehnte Vorleſung. Starker Druck der verdichteten Luft.
Windbuͤchſe. Abmeſſung der Gewalt des Schießpulvers. Geblaͤſe.
Orgel. Windwaagen. Luftballons. Anwendung der erwaͤrmten Luft,
der brennbaren Luft. Berechnung ihrer Steigekraft und der Hoͤhe,
die ſie erreichen. Fallſchirm.
Zwanzigſte Vorleſung. Acuſtik. Verſchiedene Worte zur Be-
zeichnung verſchiedener Arten des Schalles. Ton. Entſtehung des
Schalles. Schwingungen der Saiten. Beſtimmung ihrer Schwin-
gungszahlen. Vergleichung mit den Toͤnen. Monochord. Schwin-
gungsknoten. Schwingungen der Staͤbe. Die Eiſenvioline. Die Stroh-
fiedel. Die Stimmgabel.
Ein und zwanzigſte Vorleſung. Zuſammentreffen der harmo-
niſchen Toͤne mit den in kleinen Zahlen ausgedruͤckten Verhaͤltniſſen
der Schwingungszeiten. Darſtellung der Dur-Tonleiter nach arith-
metiſchen Betrachtungen. Gruͤnde, warum ganze und halbe Ton-
Intervalle in der beſtimmten Folge wechſeln. Vorzeichen bei verſchie-
denen Ton-Arten. Unterſchied zwiſchen Gis und Aes. Moll-Ton-
leiter. Verwandte Dur-Ton-Arten und Moll-Ton-Arten. Tem-
peratur; ihre Nothwendigkeit.
[XV]
Zwei und zwanzigſte Vorleſung. Welche Toͤne eine Saite,
ein Stab und die Stimmgabel zu geben faͤhig ſind. Beſtimmung
der Anzahl der Schwingungen, welche beſtimmten Toͤnen entſprechen.
Schwingungen der Glocken, der Glaͤſer, der duͤnnen Scheiben. Klang-
figuren. Regeln um die Klangfiguren gut darzuſtellen und Beſtim-
mung derſelben in einfachern Faͤllen. Klangfiguren im Waſſer.
Drei und zwanzigſte Vorleſung. Fortpflanzung des Schalles
in der Luft. Geſetze derſelben in Beziehung auf die ungleiche ſpecifi-
ſche Elaſticitaͤt. Einfluß der bei der Compreſſion frei werdenden
Waͤrme. Schwaͤchung des Schalles in der Ferne. Sprachrohr. Fort-
pflanzung des Schalles bei verſchiedener Richtung des Windes, bei
Stuͤrmen. Echo. Floͤten und Orgelpfeifen. Beſtimmung des Tones
einer gedackten Orgelpfeife. Verſchiedene Toͤne, welche dieſelbe ge-
dackte Pfeife geben kann. Uebereinſtimmung der Theorie mit der Er-
fahrung. Verſuche uͤber die Geſchwindigkeit des Schalles in andern
Luft-Arten. Die Zungenpfeifen. Gegenſeitige Abhaͤngigkeit der Vi-
brationen der Zunge und der Vibrationen der Luftſaͤule. Compenſa-
tionspfeifen.
Vier und zwanzigſte Vorleſung. Laͤngentoͤne der Saiten und
Staͤbe. Schnelle Fortpflanzung des Schalles in feſten Koͤrpern und
im Waſſer. Klangfiguren in Roͤhren. Mittoͤnen; Reſonanz; Klang-
figuren durch Reſonanz. Hinderung der nachtheiligen Reſonanz in
Gebaͤuden. Interferenz bei der Fortpflanzung des Schalles. Ton
durch verbrennendes Hydrogengas. Das Gehoͤr-Organ; uͤber Fehler
des Gehoͤrs. Das Stimm-Organ.
[[XVI]]
Erſte Vorleſung.
Einleitung.
Wenn wir, meine hochgeehrten Herren, die uns umgebende
Natur anblicken, wenn wir die mannigfaltigen Erſcheinungen,
welche in unaufhoͤrlichem Wechſel vor uns voruͤbergehen, wahr-
nehmen, wenn wir darauf achten, wie faſt kein Augenblick unſers
Lebens vorbeigeht, der uns nicht zu der Frage auffordert, woher
alle dieſe Erſcheinungen entſtehen, welcher Zuſammenhang zwiſchen
ihnen ſtatt findet, aus welchen Urſachen ſie hervorgehen: ſo
draͤngt ſich uns gewiß die Ueberzeugung auf, daß die Natur-
kunde, das iſt diejenige Wiſſenſchaft, welche uns uͤber alle Er-
ſcheinungen der Natur naͤher unterrichten ſoll, nicht bloß eine
unendlich reichhaltige Wiſſenſchaft, ſondern auch eine der wichtig-
ſten und anziehendſten Wiſſenſchaften ſein muß. Reichhaltig,
weil ſie ja das unermeßliche Gebiet alles deſſen, was die Sinnen-
welt uns wahrzunehmen darbietet, umfaßt, weil ſie in dieſem
anſcheinend regelloſen Gewirre unendlich mannigfaltiger Veraͤn-
derungen, Ordnung und Geſetze auffinden ſoll; wichtig, weil ſie
uns die Mittel lehren muß, um die Gefahren abzuwenden, mit
denen die feindlich uns umgebenden Kraͤfte der Natur uns be-
drohen, weil ſie uns die Regeln angeben muß, wie wir dieſe
Naturkraͤfte zu unſerm Nutzen anwenden koͤnnen; anziehend, den
Geiſt erheiternd und erhebend, weil wir gewiß alle die Beſtim-
mung in uns fuͤhlen, den Schauplatz, auf welchen eine hoͤhere
Weisheit uns gefuͤhrt hat, kennen zu lernen, an dieſer Kenntniß
die uns verliehenen Geiſteskraͤfte zu uͤben und zu ſtaͤrken, und
durch eine weiſe Herrſchaft uͤber die Natur, ſo weit ſie uns zu
erlangen geſtattet iſt, einen wichtigen Theil unſrer irdiſchen Be-
ſtimmung zu erfuͤllen.
I. A
[02[2]]
Aber werden wir denn die große Anforderung, die Natur
zu durchſchauen, ihre tief verborgenen Geſetze mit unſerm ſchwa-
chen Verſtande zu ergruͤnden, erfuͤllen koͤnnen? Wird es uns je
gelingen, die unzaͤhlbaren Raͤthſel zu loͤſen, welche das in ſeiner
Groͤße unermeßliche, in der Verwickelung ſeiner Erſcheinungen
immer neue Tiefen darbietende Weltgebaͤude uns vorlegt? —
Dieſe Frage wird zwar niemand mit der kuͤhnen Hoffnung, je
die Natur ganz zu ergruͤnden, beantworten; aber wir fuͤhlen die
Kraft in uns, immer tiefer eindringend in die Geſetze der Natur,
ein Geheimniß nach dem andern zu durchforſchen, und in der Loͤ-
ſung einer Aufgabe, die allerdings unendlich iſt, immer weiter
fortzuſchreiten. Und ſo wollen auch wir den Verſuch wagen, wie
weit uns dieſes gelingen mag.
Gegenſtand der Naturlehre.
Ich breche dieſe Vorrede ab, um ſogleich den Gegenſtand,
der uns beſchaͤftigen ſoll, ſelbſt ins Auge zu faſſen. Bei der Be-
trachtung der uns umgebenden Welt bemerken wir, daß wir auf
eine zweifache Weiſe uns mit den Gegenſtaͤnden und Erſcheinun-
gen, welche wir beobachten, bekannt machen koͤnnen, daß wir naͤm-
lich theils die Merkmale, wodurch ein Gegenſtand ſich von dem
andern unterſcheidet, auffaſſen muͤſſen, theils die Veraͤnderungen,
die ſich uns zeigen, bemerken, und wie ſie auf einander folgen,
beobachten muͤſſen, um die Urſachen, warum ſie ſo erfolgen, ken-
nen zu lernen. Jenes Beſtreben, die gleichartigen und ungleich-
artigen Merkmale, welche den Gegenſtaͤnden dauernd eigen ſind,
kennen zu lernen, fuͤhrt zu derjenigen Wiſſenſchaft, welche wir
Naturgeſchichte oder Naturbeſchreibung nennen. Sie hat
den Zweck, die gleichartigen oder die einander verwandten Koͤrper
im Thierreiche, im Pflanzenreiche und im Mineralreiche kennen
zu lehren, ſie in ein Syſtem zu ordnen und dadurch den Beob-
achter aͤhnlicher Gegenſtaͤnde in Stand zu ſetzen, dieſen ihren
richtigen Ort im Syſteme, das nach gewiſſen Merkmalen claſſi-
ficirt, anzuweiſen. Die Zoologie, die Botanik, die Mineralogie,
beſchaͤftigen ſich bloß hiemit, und ſofern ſie bloß in dem Bezirke
der Naturbeſchreibung bleiben, fragen ſie nicht nach den Urſachen
der Veraͤnderungen, welche an den in ihr Gebiet gehoͤrigen Koͤr-
[03[3]] pern beobachtet werden. Die Naturlehre im engern Sinne
dagegen hat den Zweck, die Veraͤnderungen in der Koͤrperwelt
aufzufaſſen, und die Naturgeſetze, nach welchen ſie erfolgen, auf-
zuſuchen. Sie umfaßt daher eigentlich ebenſowohl die Erſchei-
nungen der belebten, als der lebloſen Schoͤpfung; aber um das
immer noch ſehr große Gebiet der Naturlehre etwas enger zu
begrenzen, ſondern wir die Phyſiologie, die von den Geſetzen
handelt, nach welchen die Erſcheinungen der lebendigen Koͤrper
ſich richten, von ihr ab. Dieſe Geſetze des Lebens und der Le-
bensthaͤtigkeit bieten ſo viel Schwieriges und ſo viel Eigenthuͤm-
liches dar, daß ſie mit großem Rechte als eine eigne Wiſſenſchaft
bildend angeſehen werden; indeß ſtuͤtzt ſich auch wieder die Phy-
ſiologie ſehr oft auf die allgemeinen Geſetze, die in der lebloſen
Koͤrperwelt gelten, und manche Erſcheinung koͤmmt genau ſo
oder allenfalls nur wenig modificirt, bei den belebten, wie bei den
lebloſen Koͤrpern vor, ſo daß manche Phaͤnomene der belebten
Welt, als groͤßtentheils in das Gebiet der Phyſik fallend, anzu-
ſehen ſind. — Ich ſollte hier nun freilich die Frage beantworten,
wo denn das Reich der Lebensthaͤtigkeit anfange, und wo dem-
nach die Forſchungen der Phyſik in dieſer Hinſicht ihre Grenze
finden; aber dieſe Unterſuchung, deren Schwierigkeit ſelbſt da,
wo ſie ſich bei den einzelnen Erſcheinungen darbietet, ſchon
ſehr groß iſt, wuͤrde unuͤberwindliche Schwierigkeiten darbieten,
wenn man ſie im Allgemeinen durchzufuͤhren unternehmen wollte,
und ich will daher lieber hier eine offen eingeſtandene Luͤcke
laſſen, als bei dem verfehlten Unternehmen, ſie auszufuͤllen, ver-
weilen.
Alle Veraͤnderungen alſo, die wir in der lebloſen Natur
wahrnehmen, gehoͤren der Betrachtung der Naturkunde oder der
im engern Sinne ſo genannten Phyſik an. Wie ſie ſich an-
einander reihen, ſoll uns eine wohlgeordnete Beobachtung lehren,
und unſer bei jeder Erſcheinung nach der Urſache derſelben fragen-
der Verſtand, ſoll aus der Verbindung der Erſcheinungen auf ihre
Urſachen, auf ihre naͤchſten und auf ihre hoͤher hinauf liegenden
Grund-Urſachen ſchließen; auf dieſem Wege ſoll, wenn es moͤglich
iſt, ein Syſtem der Phyſik dargeſtellt werden, welches uns die An-
ordnung der ganzen Natur uͤberſchauen laͤßt, welches alle Erſchei-
A 2
[04[4]] nungen auf ihre wahren Urſachen zuruͤckfuͤhrt, und alle Raͤthſel loͤ-
ſet, welche ſich uns in der uns umgebenden Wunder vollen Welt
darbieten. — Ich habe wohl nicht noͤthig hinzuzuſetzen, daß dies
zwar das Ziel, aber auch das unerreichbare Ziel unſrer Beſtrebun-
gen iſt; daß wir zwar Gelegenheit genug finden, uns des gluͤckli-
chen Erfolges der Unterſuchungen zu erfreuen, die wir beendiget vor
uns ſehen, ja daß wir Grund genug finden, zu erſtaunen uͤber den
ſchon erlangten Reichthum tief eindringender Aufſchluͤſſe uͤber die
Geſetze der Natur-Erſcheinungen, aber daß dennoch die unermeß-
lich reiche Natur uns immer noch zu dem Bekenntniſſe zwingt,
und gewiß unſre ſpaͤteſten Nachkommen zu dem Bekenntniſſe zwin-
gen wird, daß wir nur das Wenigſte erkennen, und viel Groͤßeres
uns noch verborgen bleibt.
Richtige Anordnung der Naturforſchung.
Auf welchem Wege gelangen wir denn zur Kenntniß der Na-
turgeſetze? — das iſt wohl die Frage, welche ſich uns nun zuerſt
darbietet. Man hat oft die Hoffnung ausgeſprochen, daß eine
Naturphiloſophie, gegruͤndet auf eine Reihe wohl geordneter
Schluͤſſe, uns tief in das innere Weſen der Dinge hinein fuͤhren
koͤnne; aber, obgleich es wahr iſt, wie ich bald zeigen werde, daß
wir einige Eigenſchaften der Materie als nothwendig anerkennen,
und, daß ſich ſo einige Grundzuͤge naturwiſſenſchaftlicher Kenntniſſe
a priori entwickeln laſſen, ſo iſt es doch ohne allen Zweifel auch
wahr, daß der Umfang dieſer nuͤtzlichen Naturphiloſophie
in ſehr enge Grenzen eingeſchloſſen iſt, und daß ſie uns gaͤnzlich
verlaͤßt, wo es auf einzelne Erſcheinungen und ihre Erklaͤrung an-
koͤmmt. Die Erfahrung kann allein hier unſre Leiterin ſein,
und die Kunſt, Erfahrungen zu ſammeln und an einander zu rei-
hen, iſt die eigentliche Kunſt des Phyſikers. Auf dieſe Kunſt deu-
ten wir ſchon hin, wenn wir vom Beobachten reden. Das
Heer der Erſcheinungen bietet ſich jedem Auge dar, und wer nicht
allzu ſtumpfſinnig die wechſelnden Erſcheinungen an ſich voruͤber-
gehen laͤſſet, der nimmt auch dieſe Phaͤnomene wahr; aber wir
ſagen erſt dann, daß er ſie beobachte, wenn er auf jedes Einzelne
in der Erſcheinung merkt, wenn er mit Ueberlegung auf den
Gang der Erſcheinungen achtet, und aus dem Gewirre mannig-
[5] faltiger Ereigniſſe das, was mit einander in Verbindung ſteht
oder zu ſtehen ſcheint, geordnet auffaßt. Unſre Geiſtes-Anlagen
noͤthigen uns, uͤberall eine Verbindung von Urſache und Wirkung
aufzuſuchen, und der Beobachter der Naturphaͤnomene fuͤhlt ſich
daher ſogleich zu der Frage veranlaßt, ob unter zwei auf einander
folgenden Erſcheinungen die eine als Urſache der andern anzuſehen
ſei. Um dieſe Frage zu entſcheiden, muß er ſich in den meiſten
Faͤllen an die Erfahrung wenden, und jener vermuthete Zuſam-
menhang dient daher ſeiner Aufmerkſamkeit zur Leitung; er achtet
darauf, ob jene zwei Erſcheinungen immer ſo verbunden vorkom-
men, und erſt, wenn er das durch wiederholte Beobachtung be-
ſtaͤtigt findet, haͤlt er ſich berechtiget, in der einen die naͤchſte Ur-
ſache der andern anzuerkennen. Da faſt keine Erſcheinung ſich oft
wiederholt ganz auf dieſelbe Weiſe zutraͤgt, ſondern oft Nebenum-
ſtaͤnde Verſchiedenheiten hervorbringen, ſo fuͤhrt gewoͤhnlich eine
wiederholte Beobachtung zur Kenntniß dieſer Nebenumſtaͤnde, und
lehrt uns eben dadurch die weſentliche Urſache um ſo ſicherer und
genauer kennen, wenn wir ſie bei allen den, in andrer Hinſicht ab-
geaͤnderten Umſtaͤnden wieder finden. So kann ſelbſt bloße Beob-
achtung uns zu der Kenntniß der naͤchſten Urſache einer Erſchei-
nung fuͤhren; aber dieſe Kenntniß wird noch ſicherer beſtaͤtigt,
wenn es uns gelingt, eben die Erſcheinung durch einen Verſuch,
durch ein Experiment, hervorzubringen. Bei dem Verſuche
bringen wir die Umſtaͤnde ſelbſt hervor, durch welche, unſrer Mei-
nung nach, jene Erſcheinung bewirkt werden ſoll, und der Verſuch
beſtaͤtigt unſre Meinung, wenn er immer, bei richtiger Anordnung
eben den Erfolg giebt. Der Verſuch lehrt gewoͤhnlich dann noch
mehr; denn entweder tritt durch Zufall einmal eine kleine Abaͤn-
derung der Umſtaͤnde ein, welche zum Gelingen des Verſuches er-
fordert werden, und wir erlangen dadurch Belehrung uͤber die
Urſache ſeines Mislingens, oder wir aͤndern abſichtlich die Umſtaͤnde
ab, um uns uͤber die Verſchiedenheiten des Erfolges zu belehren.
In dieſer mit beſtimmter Abſicht angeordneten Abaͤnderung zeigt
ſich oft der Scharfſinn des Phyſikers in ſeinem ſchoͤnſten Lichte,
wenn er die Ungleichheit der Erfolge voraus ſieht, welche aus jenen
Abaͤnderungen wahrſcheinlich hervorgehen muͤſſen, und die Ent-
wickelung der einzelnen Lehren wird uns Beiſpiele genug liefern,
[6] welche zeigen, wie eine Reihe von Erſcheinungen neu entdeckt
wurde, indem man die erſten Verſuche, welche die Anleitung dazu
gaben, geſchickt veraͤndert fortfuͤhrte.
Wenn ein Stuͤckchen Kreide in ein Gefaͤß mit hinreichend
ſtarker Saͤure faͤllt, ſo verſchwindet in Kurzem die Kreide, wir
ſagen, ſie wird aufgeloͤſt, dies iſt eine Beobachtung; wenn
wir aber nun abſichtlich ein Stuͤck Kreide in eben ſolche Saͤure
legen, um zu ſehen, ob es immer ſo erfolgt, wenn wir eben die
Kreide etwa in ſehr verduͤnnte Saͤure legen, um die Grenzen dieſer
Aufloͤſungskraft zu beſtimmen, wenn wir andre Koͤrper ſtatt der
Kreide in eben die Saͤure legen oder andre Arten von Saͤuren
nehmen, ſo ſtellen wir ſchon eine ganze Reihe von Verſuchen
an. Bemuͤhen wir uns nun ſogar die Natur der Luftblaſen,
die ſich uns bei dem Aufſchaͤumen der Aufloͤſung zeigen, zu be-
ſtimmen, finden wir Mittel die ſo entwickelte Luft aufzufangen,
gelangen wir zu der Kenntniß, daß dieſe Luftart ganz andre Ei-
genſchaften als die uns umgebende atmoſphaͤriſche Luft beſitzt, ſo
haben wir an jene unbedeutende Erfahrung eine Reihe wichtiger
Erſcheinungen angeknuͤpft, und die Grundlagen eines hoͤchſt be-
deutenden Zweiges der Phyſik ſind in dieſen wenigen Experimen-
ten enthalten.
Eine ſolche Anordnung von Beobachtungen und Verſuchen
kann in vielen Faͤllen ſchon dienen, um zu einer ſehr genuͤgen-
den Einſicht in die Geſetze der Erſcheinungen zu gelangen; aber
ſehr oft iſt es uns auch geſtattet, noch tiefer einzudringen. Viele
Wirkungen, welche wir wahrnehmen, ſind einer Abmeſſung faͤ-
hig, und in den Faͤllen, wo dies ſtatt findet, kann man mit
Huͤlfe der Mathematik dahin gelangen, aus dem Maaße der wir-
kenden Kraͤfte den Erfolg in genauen Zahlen zu berechnen, es
ſei nun, daß man jenes Maaß der wirkenden Kraͤfte ſchon als
ſicher bekannt annehmen oder nur als hypothetiſch gegeben anſe-
hen kann; und wir halten unſre Erklaͤrung der Natur-Erſcheinun-
gen erſt da fuͤr recht vollendet, wo ſie uns dahin fuͤhrt, nach
Zahl und Maaß genau den Erfolg jedes Mal beſtimmen zu
koͤnnen. Gewoͤhnlich gehen wir, grade bei dieſer Art von Be-
ſtimmung, von Hypotheſen aus, und es iſt daher hier der
Ort, die Wichtigkeit, ja die Nothwendigkeit der Einfuͤhrung von
[7]Hypotheſen in die Phyſik zu erklaͤren. So bedenklich man
es gewoͤhnlich zu finden pflegt, wenn man Hypotheſen zur Er-
klaͤrung einer Natur-Erſcheinung anwendet, und ſo oft allerdings
durch den Misbrauch der Hypotheſen dem Fortſchreiten richtiger
Kenntniſſe geſchadet worden iſt, ſo laͤßt es ſich doch auch von der
andern Seite nicht leugnen, daß wir faſt zu keiner Kenntniß gelan-
gen, ohne eine Hypotheſe aufzuwerfen. Wenn wir bei Nacht eine
Gegend des Horizontes ſich erhellen ſehen, ſo fragen wir: kann
denn der Mond dort aufgehen? — Dieſe Frage iſt eine Hypo-
theſe, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit ſich freilich ſehr bald
entſcheiden laͤßt. Aber ebenſo fragen wir, wenn der Blitz ein
Haus getroffen hat und ohne zu zuͤnden zur Erde herabgelaufen
iſt, ob dies an der Natur grade dieſes Blitzes lag, ob es ein kal-
ter Schlag war, oder ob er durch Umſtaͤnde, die in der Beſchaf-
fenheit des Hauſes lagen, ohne großen Schaden herabfuhr; und
wenn wir aus Vergleichung mehrerer Erfahrungen finden, daß
der Blitz da, wo er eine Metallleitung findet, ohne das Gebaͤude
zu beſchaͤdigen, zur Erde gelangt, ſo geben wir die Hypotheſe von
dem Unterſchiede warmer und kalter Schlaͤge auf, und finden
dagegen die andre Hypotheſe, daß es in der Beſchaffenheit der
getroffenen Koͤrper liege, wenn der Blitz ohne zu zuͤnden fort-
geht, deutlich beſtaͤtiget. Auf aͤhnliche Weiſe ſind wir bei jedem
uns neuen Phaͤnomene, auch in dem regelmaͤßigen Gange der
Naturforſchung, veranlaßt, zu fragen, ob dies nicht von dem
oder jenem beſtimmten Umſtande abhaͤnge, und eben damit haben
wir ſchon eine Hypotheſe aufgeworfen. Die Pflicht des Natur-
forſchers iſt es nun, zunaͤchſt zu ſehen, ob die Erſcheinung ſich
immer an die hypothetiſch angenommene Urſache anſchließe, zu
unterſuchen, nach welchen Geſetzen dieſe Urſache wirkt, und die
hypothetiſch angenommenen oder nach Wahrſcheinlichkeit vermu-
theten Geſetze mit dem zu vergleichen, was die Erfahrung ergiebt.
Sind die Geſetze dieſer Wirkungen einfach, und findet man die
Erfolge der Erfahrung entſprechend, ſo kann man die aufgeſtellte
Hypotheſe als richtig anſehen; muß man dagegen kuͤnſtlich ver-
wickelte Geſetze ausdenken, um hier der einen, dort der andern
Erfahrung Genuͤge zu thun, die ſich den einfachern Geſetzen nicht
ganz gemaͤß zeigt, ſo hat man Grund die Hypotheſe mit Mis-
[8] trauen anzuſehen. Ein Beiſpiel hiezu giebt des Copernicus
Hypotheſe, daß die Erde um die Sonne laufe. Aus ihr ließen ſich
alle rechtlaͤufige und ruͤcklaͤufige Bewegungen der Planeten, als
aus bloßem Scheine entſpringend, als ganz entſprechend der rela-
tiven Bewegung gegen die bewegte Erde, erklaͤren, ſtatt daß die
aͤltere Hypotheſe, daß die Erde ruhe, zu der Vorausſetzung, daß
die Planeten in ſehr verſchlungenen Bahnen laufen muͤßten,
fuͤhrte. Dieſe Hypotheſen ſind nicht ſelten von der Art, daß ſich
an ſie ſtrenge rechnende Beſtimmungen knuͤpfen laſſen, und in
dem Falle laͤßt ſich zu einer vollkommenen Entſcheidung uͤber ihre
Richtigkeit gelangen; denn wenn die Erfolge nicht bloß obenhin
ſo ſind, wie die Hypotheſe ſie erwarten laͤßt, ſondern die Erſchei-
nungen genau in dem Maaße, zu der richtigen Zeit, eintreffen,
wie ſie eintreffen ſollten, ſo kann man, je ſchaͤrfer dies der Fall
iſt, deſto ſicherer, die Wahrheit der Hypotheſe als entſchieden an-
ſehen. Das glaͤnzendſte Beiſpiel einer ſolchen durch die mathema-
tiſche Berechnung bewaͤhrten Hypotheſe ſtellt uns Newtons
Attractionslehre dar, indem die nach ihr berechneten Bewegungen
der Planeten jeder Beobachtung derſelben ſo genau entſprechen,
daß die Vorherbeſtimmung aller Erſcheinungen mit der groͤßten
Genauigkeit zutrifft, und dieſes Zutreffen ſtatt findet, ohne daß
es einer Huͤlfshypotheſe oder irgend einer fuͤr einen Planeten ſo,
fuͤr den andern Planeten anders beſtimmten Correction bedarf.
Und ſo wie hier ſich eine Hypotheſe, als ein großes Ganzes von
Erſcheinungen umfaſſend, bewaͤhrt hat, ſo haben auch manche
andre Hypotheſen ſich, mehr oder minder fruchtbar in dem Um-
fange ihrer Anwendungen, als wahr und als zu Erklaͤrung ganzer
Reihen von Erſcheinungen zureichend, gezeigt. Die Gefahr, durch
falſche Hypotheſen irre gefuͤhrt zu werden, laͤßt ſich durch aufrich-
tige Wahrheitsliebe und durch aufmerkſames Beachten aller Um-
ſtaͤnde zwar nicht unbedingt vermeiden, aber doch in hohem Grade
vermindern. Wenn man mit moͤglichſter Strenge die Folgerungen
entwickelt, zu denen die Hypotheſe fuͤhrt, und mit unbefangener
Achtſamkeit die Erſcheinungen, die ſich wirklich zeigen, damit ver-
gleicht, ſo darf man hoffen, daß der Irrthum, zu dem eine falſche
Hypotheſe verleiten koͤnnte, nicht lange unentdeckt bleiben kann,
und es verſteht ſich, daß man ſich nicht durch Vorliebe fuͤr eine
[9] einmal gefaßte Meinung darf blenden laſſen, und daß man ſich
huͤten muß, der Hypotheſe noch Vertrauen zu ſchenken, die ſich
nicht als wahr bewaͤhrt.
Einzelne Hauptgegenſtaͤnde der Naturlehre.
Dieſe Bemerkungen uͤber die Art, wie die Naturforſchung
getrieben werden muß, wie wir Naturgeſetze entdecken und ihre
Richtigkeit beſtaͤtigen koͤnnen, werden bald durch die Anwendung
noch deutlicher werden. Ueber die verſchiedenen Gegenſtaͤnde, die
ſich in der Naturlehre unſrer Unterſuchung darbieten, und die
daraus hervorgehenden einzelnen Zweige der Phyſik, iſt es ſchwe-
rer hier ſchon etwas ganz Genuͤgendes anzugeben. Die Frage,
was denn die Materie ſei, oder was den Stoff zu allen unſern
ſinnlichen Wahrnehmungen liefere, und welche nothwendige oder
zufaͤllige Eigenſchaften die Materie beſitze, iſt die erſte, wozu wir
uns hingezogen finden. Die Bewegung, deren Geſetze wir, als
nothwendig, aus mathematiſchen Betrachtungen herleiten koͤnnen,
bietet uns durch die mannigfaltigſten Anwendungen auf einzelne
Erſcheinungen einen reichhaltigen Stoff zu Unterſuchungen dar.
Die Erfahrungen ferner uͤber diejenige Einwirkung der Koͤrper
auf einander, wodurch ihr ganzes Weſen veraͤndert zu werden
ſcheint, die Aufloͤſungen, wo der feſte Koͤrper in einen fluͤſſigen
uͤbergeht, die Niederſchlaͤge, wo ſich aus dem Fluͤſſigen ein ganz
andrer feſter Koͤrper darſtellt, bieten eine eigne Wiſſenſchaft, die
Chemie dar, die in ihren beſondern Anwendungen ſo reich iſt,
daß man ſie, als einen eignen Zweig der Naturwiſſenſchaft, von der
Phyſik trennt, und nur ihre Grundzuͤge in der Phyſik vorzutra-
gen pflegt. Die uͤbrigen Lehren der Phyſik laſſen ſich endlich in
vier Haupt-Abtheilungen bringen, da die Erfahrungen darauf
geleitet haben, die Erſcheinungen, welche das Licht, die Waͤrme,
die Electricitaͤt und der Magnetismus darſtellen, zu unterſuchen,
und ihre Geſetze zu erforſchen.
Anordnung des Vortrags. — Nutzen des Studiums der
Phyſik.
Um dieſe verſchiedenen Lehren vollſtaͤndig und gruͤndlich dar-
zuſtellen, wuͤrde es nun freilich der Mathematik beduͤrfen; aber
da es Ihr Zweck nicht iſt, den ganzen Reichthum ſchoͤner, aber
[10] zum Theil tiefſinniger und ſchwieriger Betrachtungen vollſtaͤndig
kennen zu lernen, den eine ſo tief eindringende Darſtellung der
Phyſik liefert, ſo werde ich mich hier begnuͤgen, nur die Reſultate
jener Unterſuchungen darzulegen, und ich hoffe Ihnen zu zeigen,
daß dieſe ſich mit Ueberzeugung uͤberſehen laſſen, daß man die
Gruͤnde, warum es ſo iſt, deutlich machen kann, wenn man theils
die Verſuche, welche die wichtigſten Erſcheinungen darſtellen, vor
Augen hat, theils die daran geknuͤpften Schluͤſſe auf eine Weiſe,
die auch dem Nichtmathematiker vollkommen verſtaͤndlich iſt, ent-
wickelt. Da die Experimentalphyſik den Hauptgegenſtand dieſer
Vorleſungen ausmachen ſoll, ſo wird es mein Beſtreben ſein, Ihnen
die Erfahrungen und Verſuche vollſtaͤndig und deutlich zu erklaͤren,
die entweder den weitern Schluͤſſen zur Grundlage dienen, oder
ſich an dieſe als Beſtaͤtigung anſchließen; ich werde ſuchen, das
ganze Syſtem der Phyſik gleichſam aus Verſuchen aufzubauen.
Daneben aber werde ich, theils aus den Anwendungen der Phyſik
auf die Gegenſtaͤnde des gemeinen Lebens und auf die Kuͤnſte und
Gewerbe, theils aus der Meteorologie, phyſiſchen Geographie und
Aſtronomie, Ihnen das Wichtigſte mittheilen, um, ſo weit es
unſre, vorzuͤglich in der Meteorologie noch ſehr beſchraͤnkten, Kennt-
niſſe erlauben, Ihnen zu zeigen, wie die wichtigſten und groͤßeſten
Natur-Ereigniſſe mit den Geſetzen zuſammenhaͤngen, die wir aus
unſern Verſuchen ableiten.
Es iſt wohl nicht noͤthig, uͤber den Nutzen, den wir uns von
dieſer Erforſchung der Natur verſprechen duͤrfen, umſtaͤndlich zu
reden. Waͤre es auch bloß die Befriedigung des Beduͤrfniſſes,
ſich uͤber alles, was uns umgiebt, zu belehren, eines Beduͤrfniſſes,
das jeder denkende Menſch um ſo mehr empfindet, je mehr er ſeine
Geiſteskraͤfte ausbildet, ſo wuͤrde ſchon darin Aufforderung genug
liegen, uns mit der Naturkunde zu beſchaͤftigen. Wohin wir unſer
Auge wenden, da bieten ſich uns Erſcheinungen dar, die wir in
ihrem Zuſammenhange zu uͤberſehen wuͤnſchen, die unſern Scharf-
ſinn, um ſie zu erklaͤren, die unſre Aufmerkſamkeit, um ſie zu
benutzen oder den Nachtheilen, welche ſie drohen, zu entgehen,
auffordern; und die Naturkunde iſt es, die uns Belehrung uͤber
ſie gewaͤhrt. Aber auch die unzaͤhligen Vortheile, welche Kuͤnſte
und Gewerbe aus der Phyſik gezogen haben, und noch mehr zie-
[11] hen koͤnnen, verdienen unſre Aufmerkſamkeit, und verdienen dieſe
oft eben ſo ſehr um des Scharfſinnes willen, der ſich bei dieſen An-
wendungen gezeigt hat, als um des Nutzens willen, den ſie ge-
waͤhren. Und endlich fuͤhrt uns auch das Studium der Phyſik
zu einer eigenthuͤmlichen Ausbildung unſerer Geiſteskraͤfte; denn
ſo wie die Mathematik uns an Gruͤndlichkeit und Strenge in den
Schluͤſſen gewoͤhnt, und uns zeigt, was denn eigentlich mit Sicher-
heit wahr und gewiß heißen kann, wie die Botanik uns gewoͤhnt,
mit Schaͤrfe die aͤußern Merkmale der Gegenſtaͤnde wahrzuneh-
men und diejenigen Kennzeichen aufzuſuchen, wodurch ſich die ein-
zelnen Pflanzen von einander unterſcheiden und wornach ſie im
Syſteme koͤnnen aufgefunden werden, ſo fuͤhrt uns die Phyſik
zur Kunſt des Beobachtens, indem ſie uns Beiſpiele zeigt,
wie man durch richtiges Auffaſſen der Erſcheinungen die wahrhaft
wirkſamen Urſachen von dem bloß Zufaͤlligen unterſcheidet, wie
man durch Abaͤnderung der Umſtaͤnde die Geſetze der Wirkungen
erforſcht, wie man oft mit Wahrſcheinlichkeit vorausſehen kann,
welche Anordnung von Verſuchen zu ganz neuen Aufſchluͤſſen
fuͤhren kann, und ſo weiter. Und dieſer Kunſt des Beobachtens
beduͤrfen wir auch bei den gewoͤhnlichſten Ereigniſſen.
Doch es iſt Zeit, daß ich dieſe Einleitung ſchließe, um zu
dem Gegenſtande unſrer Unterhaltungen uͤberzugehen.
Zweite Vorleſung.
Allgemeine Eigenſchaften der Materie. — Geſtalt. Un-
durchdringlichkeit.
Da die Erſcheinungen in der Sinnenwelt im Allgemeinen
der Gegenſtand der Phyſik ſind, ſo fragen wir, m. h. H., wohl zu-
erſt nach dem Weſen des Stoffes, der bei allem Wechſel der Er-
ſcheinungen, als das Beharrliche, zum Grunde liegt, nach den
Eigenſchaften der Materie oder der Koͤrper im Allgemeinen.
Da alles, was wir erkennen koͤnnen, im Raume iſt, einen Ort
einnehmen, eine Geſtalt haben muß, ſo ſehen wir es mit Recht
als eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an, daß ſie irgend
[12] eine Form beſitzen. Selbſt da, wo unſre Sinne uns nicht mehr
geſtatten, die materiellen Theile wahrzunehmen, koͤnnen wir uns
nicht enthalten, ihnen Vermuthungsweiſe eine Form, eine gewiſſe
Lage im Raume beizulegen, und reden daher von den Lichttheilchen
als von kleinen Koͤrpern, oder von den wellenartigen Oſcillationen
des Aethers, die wir nach Abmeſſungen im Raume zu beſtimmen
ſuchen. Aber ſtatt daß die mathematiſche Betrachtung des Koͤr-
pers allein bei ſeiner Geſtalt und Groͤße ſtehen bleibt, ſtatt daß
der Raum keine andre Eigenſchaften, als die der Groͤße und Ge-
ſtalt beſitzt, legen wir ſogleich der Materie noch die zweite Ei-
genſchaft bei, den Raum auszufuͤllen. In dem Puncte
des Raumes, in welchem ſich ſchon Materie befindet, kann kein
andrer phyſiſcher Koͤrper zugleich auch vorhanden ſein, der eine
verdraͤngt entweder den andern aus ſeiner Stelle, oder jener hin-
dert dieſen, den Platz einzunehmen, den er einzunehmen im Be-
griff war. Wir nennen dieſes die Undurchdringlichkeit der
Materie oder des phyſiſchen Koͤrpers, und ſehen auch dieſe als
eine nothwendige Eigenſchaft der Koͤrper an. Obgleich es hier
nicht meine Abſicht iſt, in Unterſuchungen einzugehen, die eigent-
lich der Philoſophie angehoͤren, ſo kann ich doch nicht ganz die
Betrachtungen uͤbergehen, die ſich an dieſe Eigenſchaft der Koͤrper
angeknuͤpft und zu der Behauptung gefuͤhrt haben, die Materie
habe ihr Beſtehen durch die vereinigte Wirkung anziehender und
abſtoßender Kraͤfte. Wir ſind gewohnt, alles das, was eine Aen-
derung in der Koͤrperwelt hervorbringt, Kraft zu nennen, und
ebenſo es einer Kraft zuzuſchreiben, wenn eine Aenderung des Zu-
ſtandes, die durch eine Kraft bewirkt werden ſollte, gehindert
wird. Da nun der eine Koͤrper das Eindringen des andern in
den von jenem eingenommenen Raum nicht geſtattet, ſo ſchreiben
wir beiden eine Kraft, das Eindringen zu hindern, eine abſtoßende
Kraft, Repulſivkraft zu. Beſitzen aber die einzelnen Theile der
Materie eine ſolche Repulſivkraft, ſo muͤßten ſie ſich von einander
trennen, wenn nicht zugleich eine anziehende oder Attractivkraft
wirkſam waͤre. In dieſem Zugleichwirken beider Kraͤfte ſuchen wir
daher den Grund des Beſtehens der Materie in beſtimmter Aus-
dehnung und Dichtigkeit; aber wenn wir weiter gehen und ſagen
wollen, die Materie ſei nichts anders, als der Conflict dieſer Kraͤfte,
[13] ſo verlieren wir uns in eine unaufloͤsliche Dunkelheit, indem wir
uns Kraͤfte nicht, als etwas fuͤr ſich allein Vorhandenes, denken
koͤnnen, ſondern ſie als dem unbekannten Etwas, das wir Materie
nennen, anhaftend anſehen. Ich weiß wohl, daß der Naturphi-
loſoph mit dieſer Beſchraͤnkung jener Betrachtung nicht zufrieden
iſt; aber der bloß bei den Erſcheinungen ſtehen bleibende Phyſiker
kann ſich in das Gebiet jener Forſchungen um ſo weniger hinein
wagen, da der aus ihnen hervorgegangene Gewinn, weder von
Seiten vollendeter Zuverlaͤſſigkeit, noch von Seiten practiſcher
Fruchtbarkeit, ſich recht werthvoll gezeigt hat. Die Betrachtung,
daß das Beſtehen eines gegebnen Koͤrpers in der Beſchaffenheit, die er
einmal beſitzt, auf ſolchen gegen einander wirkenden Kraͤften beruhe,
daß daher eine aͤußere Kraft, indem ſie die Attractivkraft durch ein
Zuſammendraͤngen unterſtuͤtzt, oder mit der Repulſivkraft durch ein
Auseinanderziehen zuſammen wirkt, die Geſtalt des Koͤrpers aͤn-
dern koͤnne, iſt wenigſtens nicht ganz unfruchtbar. Uebrigens zeigt
ſich uns die Undurchdringlichkeit bei allen den Koͤrpern, die ſich
unſerer ſinnlichen Wahrnehmung darbieten, augenſcheinlich. Dringt
gleich das Waſſer in die Zwiſchenraͤume des Holzes, des Papieres
ein, ſo thut es das doch nur ſo fern, als dieſe Zwiſchenraͤume nicht
ausgefuͤllt ſind, oder als die in ihnen enthaltene Luft den von ihr
eingenommenen Platz verlaͤßt, und wir ſehen dieſe in Form von
Blaſen entweichen, wenn ſie aus ihrem Platze fortgetrieben wird.
Selbſt die Luft iſt alſo undurchdringlich, ſie geſtattet da, wo ihr
kein Ausgang gelaſſen iſt, nicht den Zutritt eines andern Koͤrpers,
welches man dadurch zu zeigen pflegt, daß man ein mit Luft ge-
fuͤlltes Glas mit der ins Waſſer getauchten Muͤndung in die
Waſſermaſſe hinab druͤckt, und wahrnehmen laͤßt, daß das Waſſer
nicht den Raum ausfuͤllt, den es einnehmen wuͤrde, wenn man
die Luft entweichen ließe.
Theilbarkeit.
Eine dritte Eigenſchaft legen wir als nothwendige Eigenſchaft
der Materie bei, die Theilbarkeit. Nicht bloß in der Vorſtellung
koͤnnen wir uns den Koͤrper als in Theile zerlegt denken, ſondern
er geſtattet auch phyſiſch eine Zertheilung. Wollen wir dieſe Ei-
genſchaft an die Kraͤfte anknuͤpfen, welche das Beſtehen der
[14] Materie bedingen, ſo wuͤrden wir ſagen, da die Kraft des Zuſam-
menhanges nicht unendlich ſein kann, ſo muß es moͤglich ſein,
dieſe Kraft des Zuſammenhanges zu uͤberwinden, eine Trennung
der Theile von einander zu bewirken. Die Mittel, die uns in
der Erfahrung hiezu dargeboten werden, ſind mannigfaltig und
groͤßtentheils bekannt. Sie beſtehen zum Beiſpiel darin, daß wir
einen Koͤrper zwiſchen die Theilchen des andern hinein draͤngen und
dann ſchneidend, brechend und ſo ferner, die Zertrennung be-
wirken. Am merkwuͤrdigſten iſt die ſehr feine Zertheilung, die bei
Miſchung fluͤſſiger Koͤrper ſtatt findet, und die ſich durch chemiſche
Veraͤnderungen ſehr deutlich darthut. Die chemiſchen Reagentien,
das iſt diejenigen Stoffe, welche das Vorhandenſein eines be-
ſtimmten Koͤrpers in einer Aufloͤſung zeigen, geben Beiſpiele hiezu.
So iſt zum Beiſpiel die Gallapfeltinctur ein vorzuͤgliches Mittel,
die Gegenwart des Eiſens zu erkennen, indem ein Tropfen jener
Tinctur, ſelbſt in einer ſehr verduͤnnten Eiſen-Aufloͤſung, eine
Schwaͤrzung hervorbringt. Eine eben ſolche auf Eiſen reagirende
Subſtanz iſt die Blutlauge *). Ein Gran derſelben faͤrbt 20
Pfund oder ¼ Cubicfuß **) Eiſen-Aufloͤſung merklich blau; wenn
man nun bedenkt, daß eine Maſſe von mehr als 700000 Cubic-
linien hier eine Faͤrbung erhaͤlt, daß das Auge noch Zehntel der
Linie, alſo Tauſendtel der Cubiclinie, deutlich erkennt, ſo kann
man den Gran als in jedem der 700 Millionen ſichtbarer Theil-
chen ſeine Wirkung zeigend, anſehen. Aehnliche Beiſpiele geben
die practiſch anwendbaren Faͤrbemittel. Venturi bemerkt, daß
man mit 1 Unze Cochenille 10 Unzen Seide ſtark genug gefaͤrbt
erhaͤlt. Aber die ſo gefaͤrbten 10 Unzen Seidenfaͤden waren 145000
Fuß lang und die microſcopiſche Unterſuchung zeigte in jedem Faden
[15] 50 Coconfaͤden, deren geſammte Laͤnge alſo 7250000 Fuß betrug.
Jeder dieſer Faͤden zeigte ſich unter dem Microſcop roth gefaͤrbt,
und wenn man alſo annimmt, daß in jedem Fuße auch nur 2000
Theile ſichtbar wurden, ſo konnte man 14500 Millionen ſichtbare
Theile als wirklich gefaͤrbt wahrnehmen *). Welche zarte Bildun-
gen die Natur uns, beſonders in den organiſchen Koͤrpern zeigt, wie
in den Thierchen, die nur dem Milliontel eines Sandkoͤrnchens an
Groͤße gleich kommen, noch Theile zu Unterhaltung der Lebens-
functionen wahrgenommen werden, iſt aus Leuwenhoeks und
andern Beobachtungen bekannt; und ebenſo feine Theile, immer
noch in regelmaͤßiger Anordnung, ein Entſtehen aus noch zarteren
Faſern und Gefaͤßen verrathend, zeigen uns die Vergroͤßerungs-
glaͤſer in den einzelnen Haͤuten und andern Theilen auch der groͤ-
ßeren Thiere.
Aber ſelbſt die Kunſt iſt im Stande, uns Beiſpiele von un-
gemein feiner Theilung zu liefern. Die Kunſt, feine Linien auf
Glas oder Metall einzuſchneiden und dieſe mit Huͤlfe einer ganz
genau gleich fortruͤckenden Schraube ſo regelmaͤßig an einander zu
zeichnen, daß die Eintheilung vollkommen gleichmaͤßig iſt, hat be-
ſonders Fraunhofer ſo weit getrieben, daß er die Theilung eines
Zolles in Zehntauſendtel als ganz genau, und die Theilung des
Zolles in 32000 Theile als nur ſehr wenig von der voͤlligen Gleich-
heit abweichend anſieht. Eine aͤhnliche Feinheit liefert die Kunſt
des Drathziehens, wenn man ſie nach Wollaſtons Anleitung auf
Gold und Platina von Silber umgeben anwendet. Die Drathzieher
dehnen einen Silbercylinder von 22 Zoll Laͤnge, nach Reaumur's
Bemerkung, in einen Drath von 110 franzoͤſiſchen Meilen, das
iſt beinahe 16 Millionen Zoll aus, alſo zur 720000 maligen Laͤnge,
indem ſie ihn nach und nach durch immer engere Loͤcher ziehen.
Bohrt man nun in der Axe eines ſolchen Silbercylinders ein Loch,
das genau den zehnten Theil des Durchmeſſers haͤlt, und fuͤllt dieſes
mit Gold oder Platina aus, ſo dehnt ſich beim Drathziehen der
den innern Kern des Cylinders ausmachende Koͤrper mit dem
Silber aus, und man kann auf dieſe Weiſe Golddrath erhalten,
von welchem 500 Fuß nur 1 Gran wiegen. Berechnet man hier-
[16] aus den Durchmeſſer des Drathes, ſo findet man ihn ungefaͤhr
= \frac{1}{5400} Zoll *), und dies ſtimmt mit Wollaſton's Angabe uͤber-
ein, der den Silberdrath als bis zu \frac{1}{500} Zoll Dicke ausgezogen
angiebt, wo dann der nur den zehnten Theil ſo dicke Gold- oder
Platinadrath nur \frac{1}{5000} Zoll dick ſein wuͤrde. Da der ſo gezogene
Drath ſeinen Silber-Ueberzug behaͤlt, ſo muß man ihn davon
durch Salpeterſaͤure, welche das Silber aufloͤſt, befreien, und
erhaͤlt dann einen ſo feinen Drath, daß man ihn mit bloßem
Auge nicht mehr wahrnehmen kann, weshalb man gern an den
Enden ihm den Silber-Ueberzug laͤßt, um ihn bequemer halten
und behandeln zu koͤnnen.
Man hat gefragt, ob die Materie ins Unendliche theilbar
ſei. Dieſe Frage laͤßt ſich nicht beantworten; aber die ange-
fuͤhrten Beiſpiele zeigen, daß dieſe Theilbarkeit ſich wenigſtens
ungemein weit nachweiſen laͤßt **).
[17]
Poroſitaͤt.
An dieſe Eigenſchaften der Koͤrper ſchließt ſich eine andere an,
die wir freilich nicht als nothwendig mit dem Begriffe der Materie
verbunden anſehen koͤnnen; — die Poroſitaͤt. Ein Koͤrper
nimmt einen gewiſſen Raum ein, und da wir Gruͤnde haben,
bei dem einen Koͤrper mehr materielle Theilchen in demſelben
Raume anzunehmen, als bei dem andern, ſo legen wir den
Koͤrpern eine ungleiche Dichtigkeit bei; aber der Koͤrper er-
fuͤllt ſeinen Raum nicht auf eine ſtetige, uͤberall gleiche Weiſe,
ſondern ſelbſt unſer bloßes Auge zeigt uns Zwiſchenraͤume, die
nicht mit der Materie des Koͤrpers erfuͤllt ſind; das Microſcop
laͤßt uns dieſe Poren noch deutlicher wahrnehmen. Da die Koͤrper,
die wir zu beobachten Gelegenheit haben, faſt immer lange in der
Luft geweſen ſind, ſo koͤnnen wir meiſtens annehmen, daß die zwiſchen
den Theilchen der Koͤrper leer bleibenden Stellen, oder die Poren, mit
Luft gefuͤllt ſind; dieſe Luft ſehen wir daher gewoͤhnlich beim Ein-
tauchen in Waſſer, indem das Waſſer in die Poren eindringt, in
Blaſen hervorkommen, und wo das Waſſer unter den gewoͤhn-
lichen Verhaͤltniſſen auch nicht in die Poren eindringt, da ge-
ſchieht es doch, wenn man unter der Luftpumpe das Hervortreten
der Luft aus dieſen Poren bewirkt. Selbſt im Waſſer, obgleich
von einem Wahrnehmen der Poren des Waſſers nicht die Rede
ſein kann, befindet ſich Luft, die wir beim Kochen und unter
der Luftpumpe, bei aufgehobenem Drucke der Luft, hervorgehen
ſehen.
Daß von dieſer Poroſitaͤt es zum Theil abhaͤngt, daß einige
Koͤrper leichter, weniger dicht, als andere ſind, iſt ziemlich in
die Augen fallend, oder laͤßt ſich wenigſtens aus den Veraͤnde-
rungen ſchließen, die man bei ſtarker Zuſammenpreſſung derſelben
wahrnimmt. Wir ſind gewohnt, Holz als weniger dicht in Ver-
gleichung gegen Waſſer anzuſehen; aber Scoresby erzaͤhlt einen
Fall, wo ein Boot, durch einen weit in die Tiefe gehenden Wall-
fiſch hinabgezogen, als der Wallfiſch getoͤdtet und nun das an
ihm feſthaͤngende Boot heraufgezogen war, eine ſolche Dichtigkeit
erlangt hatte, daß es nicht mehr uͤber Waſſer zu erhalten und
ſelbſt nach dem Austrocknen unbrauchbar geworden war. Wir
I. B
[18] werden in der Folge ſehen, daß ein ſo tief unter die Oberflaͤche
des Waſſers hinabgezogener Koͤrper mit ſehr maͤchtigem Drucke com-
primirt wird, alſo viel weniger poroͤs als vorher ſein muß, daß
alſo das Holz eine groͤßere Dichtigkeit erlangt hatte, und deshalb
zum Schwimmen untauglich geworden war.
Man pflegt in der Experimentalphyſik mehrere Verſuche zu
zeigen, die einen Beweis fuͤr die Poroſitaͤt der Koͤrper geben, z. B.
daß ſich Queckſilber durch die Poren dichten Leders druͤcken laͤßt, ja
daß ein ſtarker Druck es ſelbſt durch die Poren des Holzes hindurch
treibt; daß fluͤſſige Materien, namentlich Waſſer und Weingeiſt
zu einander gemiſcht, einen kleinern Raum einnehmen, als ſie un-
gemiſcht einnahmen; daß die Ausduͤnſtung gewiſſer Materien ihre
Wirkungen da zeigen, wohin ſie bloß durch die Poren feſter Koͤrper
gelangen koͤnnen. Zum Beweiſe des letztern dient folgender Ver-
ſuch. Man loͤſet Bleizucker in Waſſer auf, und ſchreibt mit dieſer
ganz farbeloſen Aufloͤſung auf ein weißes Papier; man legt das ſo
beſchriebene, trocken gewordene Papier in ein Buch, ſo daß es
zwiſchen den dicht an einander liegenden Blaͤttern des Buches gegen
allen freien Zutritt der Luft geſichert iſt; man legt nun an eine
andre Stelle des Buches, ſo daß mehr als 200 Blaͤtter dazwiſchen
ſind, ein mit friſch bereiteter Aufloͤſung von Schwefelkalk in Waſ-
ſer befeuchtetes Papier, und legt das Buch ſo zuſammen, daß die
Duͤnſte der Schwefelleber nur durch die Poren des Papiers dorthin
gelangen koͤnnen, ſo findet man dennoch nach ſehr kurzer Zeit jene
Schrift braun geworden, vermoͤge der Einwirkung eben jener
Daͤmpfe. —
Die Beobachtung der Poren mit dem Microſcope giebt uns
zugleich Gelegenheit, die Structur der Koͤrper in ihren einzelnen
Theilen wahrzunehmen; die regelmaͤßigen Blaͤttchen der Cryſtalle,
die Faſern bei den organiſchen Koͤrpern, die zarten Gefaͤße in ihnen
zu erkennen, in welchen die Saͤfte der Pflanzen aufſteigen, die
Fluͤſſigkeiten im thieriſchen Koͤrper ſich bewegen, u. ſ. w.
Cohaͤrenz. — Feſtigkeit. — Fluͤſſigkeit.
Eine ebenſo wichtige Eigenſchaft der Koͤrper lernen wir durch
den Widerſtand kennen, welchen ſie der Zertheilung entgegenſetzen.
Alle Koͤrper zeigen eine mehr oder mindere Kraft des Zuſammen
[19] hanges, der Cohaͤrenz, und durch dieſe thut ſich auch in den
gewoͤhnlichen Erfahrungen jene Anziehungskraft dar, die wir vor-
hin ſchon, durch andre Gruͤnde geleitet, als den Koͤrpern eigen,
annahmen. Dieſe Kraft der Cohaͤrenz aͤußert ſich am ſtaͤrkſten bei
den feſten Koͤrpern, das iſt bei denen, deren Geſtalt ſich nur
durch Einwirkung groͤßerer Kraͤfte aͤndern laͤßt; aber ſelbſt die fluͤſ-
ſigen, obgleich ſie der ſchwaͤchſten Kraft nachgeben, und jeder
Aenderung der Geſtalt empfaͤnglich ſind, zeigen doch ebenfalls einen
Zuſammenhang, der wenigſtens beim Waſſer und aͤhnlichen Koͤr-
pern ſich in der Bildung der Tropfen wahrnehmen laͤßt. Die feſten
Koͤrper zeigen ſich ſelbſt unſerm Auge ſchon verſchieden von den
fluͤſſigen; in jenen bemerken wir eine faſerige, koͤrnige oder ge-
ſchichtete Lage ihrer Theilchen, wir erkennen mehr oder weniger
deutlich die Zwiſchenraͤume, die ſich zwiſchen den Theilen des Koͤr-
pers befinden, ſtatt daß der fluͤſſige Koͤrper den Raum mit mehr
Stetigkeit erfuͤllt. Und obgleich ſelbſt bei dieſen eine ſtrenge gleich-
foͤrmige Raum-Erfuͤllung nicht ſtatt finden mag, ſo laͤßt ſich doch
ein Grund einſehen, warum in denjenigen Koͤrpern, welche den
Raum mit beinahe vollkommener Gleichfoͤrmigkeit erfuͤllen, die
Beweglichkeit der einzelnen Theilchen groͤßer iſt. Wird naͤmlich,
vermoͤge der jedem Theilchen eigenen Anziehungskraft, irgend eines
derſelben von ſeinen Nachbarn nach beiden oder vielmehr nach allen
Seiten gleich gezogen, ſo reicht ſchon eine kleine Kraft hin, um
die Lage dieſes Theilchens zu aͤndern, und die große Beweglichkeit
der Theile findet weit mehr ſtatt, als es da der Fall iſt, wo die
Beſtandtheile ungleichfoͤrmig ausgetheilt ſind.
Die Feſtigkeit der Koͤrper, denn ſo nennen wir den
Grad des Widerſtandes, welchen ſie dem Zerreißen entgegenſetzen,
iſt nicht im Verhaͤltniſſe der Dichtigkeit. Wir werden in der Folge
Mittel finden zu zeigen, daß Gold viel mehr Dichtigkeit beſitzt,
als Eiſen, und dennoch beſitzt Eiſen eine viel groͤßere Feſtigkeit.
Man beſtimmt dieſe abſolute Feſtigkeit aus dem Gewichte,
welches ein Koͤrper, ohne zu zerreißen, tragen kann, und obgleich
die daruͤber angeſtellten Verſuche, wegen der Ungleichheit einzelner
Koͤrpermaſſen derſelben Art, nicht ganz uͤbereinſtimmen, ſo hat
man doch dadurch ſich eine zureichend genaue Kenntniß dieſer un-
gleichen Feſtigkeit erworben. Die Feſtigkeit des Eiſens, naͤmlich
B 2
[20] des guten engliſchen Stab-Eiſens, iſt ſo groß, daß, nach Tred-
gold's und nach Duleau's Verſuchen, ein Stab von 1 rhein-
laͤnd. Quadratzoll Querſchnitt mit 18200 Pfund belaſtet, ſich nur
um \frac{1}{1400} ſeiner Laͤnge ausdehnt, und erſt bei 50000, ja zuweilen
erſt bei 70000 Pfund Belaſtung reißt. Dabei iſt es merkwuͤrdig,
daß ſich die Quantitaͤt des Gewichtes, welche der Koͤrper zu tragen
vermag, nicht genau dem Querſchnitte proportional zeigt, ſon-
dern zum Beiſpiel duͤnner Eiſendrath ſo ſtark iſt, daß neben ein-
ander gelegte Draͤthe, deren Querſchnitte zuſammen auch nur 1
rheinl. Quadratzoll betruͤgen, 130000 Pfunde tragen koͤnnen *).
Selbſt die Holz-Arten beſitzen einen hohen Grad von Feſtig-
keit, indem nach Eytelwein ein gut ausgetrocknetes Kiefernholz
mit parallelen Faſern 16000 bis 21000 Pfund bei einem Quer-
ſchnitte von 1 Quadratzoll traͤgt, und unter dem Eichenholze
Stuͤcke vorkommen, deren Tragekraft 26500 Pfund iſt **). Unter
den zartern Koͤrpern ſind manche, die dennoch ein erhebliches Ge-
wicht tragen, z. B. nach Muſſchenbroek's Angabe ein Faden
der Seidenraupe 80 Gran, ein Menſchenhaar 2000 Gran, und
ſelbſt ſehr weiches feines Haar doch 1200 bis 1300 Gran.
Da es hier nicht meine Abſicht iſt, alles aufzuzaͤhlen, was
man uͤber dieſen Gegenſtand beobachtet hat, ſo verweile ich nur
noch bei einigen auffallenden Merkwuͤrdigkeiten, auf welche Rum-
ford vorzuͤglich aufmerkſam gemacht hat. Eine ſolche Bemerkung
iſt die, auch ſonſt ſchon bekannte, daß in einander geflochtene
Faͤden mehr Staͤrke beſitzen, als eben die Faͤden, parallel neben
einander geſpannt, haben wuͤrden, ferner daß Drehung der Seile
weniger vortheilhaft, als Flechten der einzelnen Faͤden, zur Staͤrke
des Seiles beitraͤgt, und daß zu ſtarkes Drehen die Staͤrke des
Seiles vermindert, manche kuͤnſtlichere Arten der Flechtung aber
dadurch, daß ſie eine gleichmaͤßige Dehnung der gewundenen ein-
zelnen Faͤden bewirken, weſentliche Vortheile fuͤr die Haltbarkeit
gewaͤhren. Zu den auffallenden Beiſpielen von Feſtigkeit, welche
Koͤrper beſitzen, denen man keine große Feſtigkeit zuzutrauen pflegt,
gehoͤren folgende gleichfalls von Rumford bekannt gemachte Er-
[21] fahrungen. Er fand daß Kupferbleche von \frac{1}{20} Zoll, alſo reichlich ½
Linie dick zu hohlen Roͤhren geformt, eine doppelt ſo große Feſtig-
keit erhielten, wenn man ſie mit einer doppelt ſo dicken Lage ſtar-
ken Papiers, wohl geleimt, uͤberklebte; ferner daß ein aus Pa-
pierlagen mit gutem Leim zuſammengeklebter Cylinder bei einem
Querſchnitte von 1 Quadratzoll 30000 Pfund zu tragen im Stan-
de war; ein ebenſo aus guten Hanffaͤden zuſammengeleimter Cy-
linder trug ſogar 92000 Pfund *).
In Ruͤckſicht auf dieſen Zuſammenhang oder auf die Cohaͤ-
ſion bieten die Koͤrper eine hoͤchſt mannigfaltige Verſchiedenheit
dar, indem einige dem Zerreißen, andre dem Zerbrechen, andre
dem Eindringen in ihre Oberflaͤche groͤßern Widerſtand leiſten.
Wir unterſcheiden daher harte und weiche Koͤrper, und ſelbſt
der weiche Koͤrper, das iſt derjenige, deſſen Oberflaͤche ziemlich
leicht Eindruͤcke annimmt, kann dennoch dem Zerreißen (wie z. B.
das Holz) einen großen Widerſtand leiſten. Hart nennen wir naͤm-
lich die Koͤrper, die jedem Hineindringen in ihre Oberflaͤche ſtarken
Widerſtand darbieten. Der Stahl iſt haͤrter als Eiſen, der Dia-
mant ſo hart, daß kein andrer Koͤrper ſeine Oberflaͤche durch Ein-
ritzen angreift, und dennoch kann der geſchickte Kuͤnſtler, wenn
er die Lage der Blaͤttchen, aus denen der als Cryſtall gebildete
Diamant beſteht, richtig wahrnimmt, dieſe Blaͤtter abſpalten, ſo
daß die Haͤrte hauptſaͤchlich nur auf dem feſten Zuſammenhange
der Theilchen jedes ſolchen Blaͤttchens beruht. — Der weiche Koͤr-
per nimmt dagegen leicht Eindruͤcke in ſeine Oberflaͤche an, und
laͤßt ſich leicht andre Formen geben. Dieſe große Haͤrte der Koͤrper
iſt oft mit Sproͤdigkeit verbunden, welche ſich dadurch aͤußert,
daß eine geringe Beugung ſogleich ein Zerbrechen bewirkt. Die
Sproͤdigkeit bei bedeutender Haͤrte beruht alſo darauf, daß die ge-
genſeitige Attraction der Theilchen zwar bei der Lage, welche wir
die natuͤrliche Lage nennen koͤnnen, ſehr groß iſt, aber in ſtarkem
Grade vermindert wird, ſobald es nur gelungen iſt, die Theilchen
ſehr wenig aus dieſer natuͤrlichen Lage herauszuruͤcken. Biegſam,
von einer zaͤhen Beſchaffenheit ſind dagegen die Koͤrper dann, wenn
ſie eine Aenderung der Geſtalt, ohne zu zerbrechen oder zu zerrei-
[22] ßen, geſtatten. Wenn man ſich das Beſtehen irgend eines be-
ſtimmten Koͤrpers in ſeiner einmal ſtattfindenden Beſchaffenheit,
als in dem Gleichgewichte zwiſchen anziehender und abſtoßender
Kraft ſeiner Theilchen begruͤndet, denkt, ſo muͤßte man hier ſagen,
indem man die Theilchen aus der natuͤrlichen Lage bringt, ſo tritt
gleichwohl in der neuen Lage wieder ein Zuſtand des Gleichgewichts
ein; beide Kraͤfte muͤſſen alſo wohl in ziemlich gleichem Maaße,
bei vergroͤßertem Abſtande der Theilchen ihre Wirkung aͤndern, ſtatt
daß ſproͤde Koͤrper die Eigenſchaft beſitzen, daß die Attraction, die
zuſammenhaltende Kraft der Theilchen, bei der geringſten Vergroͤ-
ßerung der Entfernung ſchnell abnimmt, und daher, wenn die
Repulſivkraft nicht in eben dem Grade vermindert wird, ein Auf-
hoͤren des Zuſammenhanges eintreten muß. Doch ich breche dieſe
minder nuͤtzlichen Speculationen ab, um bei dem zu verweilen,
was ſich in der Erfahrung als merkwuͤrdig, in Beziehung auf dieſe
Eigenſchaften, zeigt. Die dehnbaren Koͤrper, die ſich in die Laͤnge
ausdehnen laſſen, ohne zu zerreißen, bieten darin etwas Auffallen-
des dar, daß ſie bei vermindertem Querſchnitte eine groͤßere Laſt
tragen. Die Metallſaite zum Beiſpiel verlaͤngert ſich erheblich, und
folglich nimmt ihr Querſchnitt erheblich ab, wenn man ein Ge-
wicht an ſie anhaͤngt; man ſollte nun glauben, die Laſt, welche
zu ſchwer war, um von der Saite vor der Dehnung getragen
zu werden, muͤſſe jetzt um ſo mehr zu ſchwer ſein, die Dehnung
muͤſſe ſich ſogleich bis zum Zerreißen vermehren; aber das iſt be-
kanntlich nicht der Fall.
Als Beiſpiel großer Haͤrte und großer Sproͤdigkeit pflegt man
immer die ſchnell gekuͤhlten Glastropfen (Fig. 1.) und Glasflaͤſch-
chen anzufuͤhren. Beide Arten von Glasmaſſe ſind feſt genug,
um recht bedeutenden Stoͤßen zu widerſtehen, und bleiben auch
beim Reiben an harten Koͤrpern in ihrem feſten Zuſammenhange;
aber bricht man an den Glastropfen den feinen Faden ab, ſo zer-
ſpringt der ganze dicke Glaskoͤrper in Pulver, und laͤßt man auf
den Boden des Glasflaͤſchchens (dieſe Flaͤſchchen ſind unter dem
Namen Bologneſer-Flaͤſchchen bekannt) auch nur ein kleines Stuͤck-
chen Feuerſtein fallen, ſo zerſpringt das Gefaͤßchen. Die ſchnelle
Kuͤhlung muß hier den Theilchen nicht erlaubt haben, die regelmaͤ-
ßige und feſte Stellung anzunehmen, die ſonſt beim Glaſe ſtatt
[23] findet, und eine Aenderung der Lage einiger Theilchen reicht daher
hin, um die ganze Structur des Koͤrpers zu zerſtoͤren. Koͤrper,
die ſich durch Zerſtampfen ſollen zertheilen laſſen, muͤſſen in eini-
gem Grade ſproͤde ſein.
Elaſticitaͤt.
Die biegſamen und dehnbaren Koͤrper zeigen ſich uns wieder
verſchiedenartig, indem einige die Geſtalt, welche man ihnen durch
gewaltſame Einwirkung gegeben hat, behalten, andre ihre vorige
Geſtalt wieder annehmen. Jene heißen unelaſtiſch, dieſe ela-
ſtiſch. Bei den elaſtiſchen muͤſſen wir, wie es mir ſcheint, an-
nehmen, daß bei der Compreſſion der Theilchen das Uebermaaß
der abſtoßenden Kraft ſo groß wird, daß ſie die vorige Entfernung
der Theilchen von einander herzuſtellen ſtrebt und herſtellt, und
daß hingegen bei dem Auseinanderdehnen die anziehende Kraft nicht
in dem Maaße, wie die abſtoßende Kraft, abgenommen hat, und
jene alſo mit uͤberwiegender Gewalt die Theilchen zu ihrer vorigen
Lage zuruͤckfuͤhrt. Die Elaſticitaͤt aͤußert ſich auf mannigfaltige
Weiſe. Einige Koͤrper, zum Beiſpiel Kugeln aus Elfenbein oder aus
Federharz, koͤnnen durch ſtarken und ploͤtzlichen Druck ein wenig
zuſammengepreßt werden, nehmen aber bei nachlaſſendem Drucke
ſogleich ihre Geſtalt wieder an. Andre Koͤrper, zum Beiſpiel laͤngere
Staͤbe, erlauben eine Biegung, ſpringen aber mit großer Gewalt
zuruͤck, wenn man ſie frei laͤßt. Die elaſtiſche Saite wird durch
das angehaͤngte Gewicht zuerſt mehr ausgedehnt, zieht ſich dann
ein wenig wieder zuſammen, und gelangt nach abwechſelnder Oſcil-
lation zu dem Zuſtande der Dehnung, welcher eigentlich dem an-
gehaͤngten Gewichte angemeſſen iſt. Ein gedrehter Faden kehrt
durch Zuruͤckdrehung in ſeine vorige Lage zuruͤck u. ſ. w. Die un-
elaſtiſchen Koͤrper leiden dagegen die Veraͤnderungen ihrer Geſtalt,
ohne ein Beſtreben, zu ihrem vorigen Zuſtande zuruͤckzukehren, zu
zeigen.
Mit welcher Gewalt die elaſtiſchen Koͤrper ſtreben, ihre na-
tuͤrliche Geſtalt wieder anzunehmen, davon ſind zahlreiche Beiſpiele
ſo bekannt, daß ich Sie nur daran zu erinnern brauche. Der Ball
aus Federharz, den man frei fallen ließ, wird durch die Elaſticitaͤt
wieder hoch hinaufgeworfen; der geſpannte Bogen, ein elaſtiſcher
[24] Stab, treibt indem er in ſeine urſpruͤngliche Lage zuruͤckkehrt, den
Pfeil mit großer Geſchwindigkeit fort; die Balliſten und Catapulten
der Alten, mit welchen Laſten von mehr als 100 Pfund geworfen
wurden, erhielten die große Gewalt, mit welcher ſie dieſe auf
3000 Fuß weit ſollen fortgeſchleudert haben, durch die Elaſticitaͤt
ſtark gedrehter Seile, die man ploͤtzlich frei ließ, und deren maͤch-
tige Kraft beim Zuruͤckkehren in ihre ungedrehte Lage jene Laſten
in Bewegung ſetzte. Daß ſelbſt die ſproͤden Koͤrper, zum Beiſpiel
Glas, elaſtiſch ſind, zeigt ſich in dem Klange, den ſie hervorzu-
bringen im Stande ſind; aber ſproͤde Koͤrper verſtatten nur geringe
Aenderungen der Geſtalt, und nehmen die vorige Geſtalt in ſchnell
auf einander folgenden Oſcillationen, die uns im Klange hoͤrbar
werden, wieder an.
Sehr merkwuͤrdig iſt es, daß wir bei manchen Koͤrpern die
Mittel beſitzen, um ihnen die eine oder die andre dieſer Eigen-
ſchaften zu ertheilen. Daß man die Sproͤdigkeit des Glaſes in
hohem Grade verſtaͤrken kann, wenn man es ſchnell abkuͤhlt, habe
ich ſchon erwaͤhnt. Etwas Aehnliches, aber viel groͤßere Unterſchiede
bewirkend, findet bei der Bereitung des Stahles ſtatt, welcher
ſeine große Haͤrte und Sproͤdigkeit durch ſchnelles Abkuͤhlen nach
dem Gluͤhen erlangt, und den man wieder dieſer Eigenſchaften be-
raubt, indem man ihn nach abermaligem Gluͤhen nicht ſo ploͤtzlich
abkuͤhlt. Die verſchiedene Behandlung des Eiſens, wobei theils
ſeine Beſtandtheile, indem es Kohle aufnimmt, in einem doch nur
geringen Grade, geaͤndert werden, theils bloß eine Einwirkung
auf die innere Anordnung ſeiner Theile ſtatt findet, giebt ihm viele
Verſchiedenheiten ſeiner Eigenſchaften, indem es in einem Zuſtande
ſproͤde und daher nicht haͤmmerbar, im andern geſchmeidig, in
einem andern hart und elaſtiſch und ſo weiter iſt. Fortin hat
durch Verſuche gezeigt, daß der ſchnell abgekuͤhlte oder gehaͤrtete
Stahl ein groͤßeres Volumen behaͤlt, als ohne Haͤrtung. Man
nimmt genau abgedrehte cylindriſche Stuͤcke ungehaͤrteten Stahls,
die genau in einen hohlen Cylinder von Stahl paſſen; wenn man
nun jene allein, getrennt von dem hohlen Cylinder haͤrtet, ſo gehen
ſie nach dem Abkuͤhlen nicht mehr in jene Hoͤhlung, ſondern haben
ein zu großes Volumen behalten. Iſt der hohle Cylinder aus einer
andern Materie, die nicht der Veraͤnderung faͤhig iſt, wie der
[25] Stahl beim Haͤrten, ſo kann man den Stahlcylinder in dem hoh-
len Cylinder laſſen, ſie zuſammen erhitzen und ſchnell abkuͤhlen;
dann wird der Stahl ſo feſt eingetrieben ſein, als ob er mit Ge-
walt in einen zu engen Cylinder getrieben waͤre. — Daß aber auch
geringe Aenderung der Beſtandtheile den Grad der Feſtigkeit und
Haͤrte ſehr aͤndern kann, haben Faraday und Stodart durch
viele Verſuche gezeigt, wo zum Beiſpiel eine Beimiſchung von \frac{1}{500}
Silber zum Stahl dieſem eine ungemeine Haͤrte und Vorzuͤglichkeit
gab *).
Dritte Vorleſung.
Bewegung und Ruhe. Abſolute und relative
Bewegung.
Schon in den Betrachtungen, m. h. H., womit ich Sie neu-
lich unterhielt, konnte ich es mehrmals nicht vermeiden, von einer
Aenderung in der Lage der Koͤrpertheilchen und von Urſachen, welche
dieſe Aenderung bewirken, zu reden; aber was dort nur obenhin
angedeutet zu werden brauchte, verdient eine gruͤndlichere Ueberle-
gung, und die Fragen, wiefern Beweglichkeit eine nothwendige
Eigenſchaft der Koͤrper ſei, was Ruhe und Bewegung heißt,
und wie ſie entſteht, oder, einmal entſtanden, fortdauert, — dieſe
Fragen ſollen uns jetzt beſchaͤftigen.
Jeder Koͤrper nimmt einen Raum ein, aber er bleibt nicht
immerfort in demſelben Orte, ſondern kann ſeine Stelle aͤndern, er
iſt alſo beweglich. Er ruhet ſo lange er an demſelben Orte ver-
harret, er bewegt ſich, wenn er, in nach einander folgenden Augen-
blicken, in einen andern Ort hinuͤbertritt, einen gewiſſen Weg
durchlaͤuft, ſeine Lage im Raume aͤndert. Wir ſind gewoͤhnlich ge-
neigt, die Entſcheidung, ob ein Koͤrper ſich bewege oder ruhe, fuͤr
ziemlich leicht zu halten; aber ſelbſt alltaͤgliche Erfahrungen koͤnnen
[26] uns belehren, daß dieſe Entſcheidung nicht immer ſo leicht iſt, und
daß wir ſehr oft eine ſcheinbare Bewegung wahrnehmen, wo doch
Ruhe ſtatt findet, und daß Koͤrper uns zu ruhen ſcheinen, die ſich
doch wirklich bewegen. Wenn wir in dem untern Raume eines ſehr
gleichfoͤrmig fortgehenden Schiffes ſitzen, ſo bemerken wir es oft gar
nicht, daß wir mit allen uns zunaͤchſt umgebenden Koͤrpern fortbe-
wegt werden, und wir halten den Tiſch, an welchem wir ſitzen, die
Waͤnde, die uns umgeben, fuͤr ruhend, weil alle dieſe Gegenſtaͤnde
unter ſich und gegen uns ſelbſt eine ungeaͤnderte Lage behalten. Alle
dieſe einzelnen Koͤrper ſind relativ gegen einander ruhend,
indem ſie ihre gegenſeitige Lage nicht aͤndern, und dies verleitet uns,
ſie fuͤr abſolut ruhend zu halten, ſo lange wir ſie nicht mit der
Lage andrer Koͤrper vergleichen, die an der Bewegung jener im
Schiffe befindlichen Koͤrper nicht Theil nehmen. Befinden wir uns
ſo in der Kajuͤte des Schiffes in voͤlliger vermeinter Ruhe, und
blicken nun zum Fenſter hinaus auf die hinter uns zuruͤckbleibenden
im Waſſer ſchwimmenden Koͤrper, ſo ſind wir geneigt zu glauben,
dieſe gingen in raſchem Strome zuruͤckeilend, an uns vorbei, ja dieſe
Taͤuſchung findet ſelbſt noch ſtatt, wenn wir auf das Ufer blicken, und
obgleich wir wiſſen, daß die Baͤume und Haͤuſer am Ufer nicht auf dieſe
Weiſe zuruͤcklaufen, ſo koͤnnen wir doch dem ſinnlichen Eindrucke,
als ob es ſo ſei, kaum widerſtehen. Eben dieſe Taͤuſchung empfinden
wir beim ſchnellen Fahren im Wagen und in vielen andern Faͤllen,
und wir lernen dadurch, daß unſer Urtheil uͤber die Bewegung oder
Ruhe durch unſre eigne Bewegung ſehr unſicher wird. Iſt es alſo
wahr, was die Aſtronomen behaupten, daß die Erde mit großer
Schnelligkeit eine Bahn um die Sonne durchlaͤuft, und zugleich taͤg-
lich eine Umdrehung um ihre eigne Axe vollendet, ſo iſt es einleuch-
tend, daß uns dieſe Bewegung durch keinen auf der Erde befindlichen
Gegenſtand merklich werden kann, indem Land und Waſſer, Berge
und Staͤdte, in eben der gegenſeitigen Lage verharrend, und eben
die Lage gegen uns, wenn wir auf der Erde ſtill ſtehen, behaltend,
mit fortgefuͤhrt werden, daß alſo dieſe relative Ruhe der auf der Erde
befindlichen Koͤrper gegen einander gar wohl ſtatt finden kann, wenn
auch die ganze Erde mit allen dieſen Koͤrpern ſich fortbewegt. Wollen
wir wiſſen, ob die ganze Erde ſich bewegt, ſo muͤſſen wir (wenn ich
den von dem vorhin betrachteten Falle entlehnten Ausdruck hier ge-
[27] brauchen darf), aus dem Fenſter unſers Schiffes hinaus auf Ge-
genſtaͤnde hinblicken, die nicht in Verbindung mit der Erde ſtehen,
und da ſehen wir ſogleich, daß Sonne und Geſtirne eine ſcheinbare
Bewegung darbieten, eine Bewegung, die uns zu der Frage auf-
fordert, ob dies etwa ebenſolche feſtſtehende Gegenſtaͤnde ſind, wie
es vorhin die Haͤuſer und Baͤume am Ufer waren, deren ſcheinbare
Bewegung durch unſre eigne wahre Bewegung hervorgebracht wird.
Und da wir wahrnehmen, daß alle Geſtirne, alle nicht mit un-
ſerm Schiffe, mit der Erde naͤmlich, verbundenen Gegenſtaͤnde jene
Bewegung zeigen, ſo werden wir zu der Ueberzeugung geleitet, daß
es nur die Erde iſt, welche ſich bewegt, welche, vermoͤge ihrer taͤg-
lichen Umwaͤlzung oder Rotation, bald ihre eine, bald ihre andre
Seite der Sonne darbietend, uns die Sonne aufgehend und unter-
gehend zeigt, und welche, vermoͤge ihres Umlaufs um die Sonne
in einem ganzen Jahre, uns einen ſcheinbaren Lauf der Sonne
durch die Geſtirne des Thierkreiſes wahrnehmen laͤßt.
Ich verweile bei dieſen Gegenſtaͤnden, deren ausfuͤhrliche Be-
trachtung in die Aſtronomie gehoͤrt, nicht laͤnger, da es hier hin-
reicht, eine kurze Andeutung der Schluͤſſe zu geben, die auf eine
genaue Darſtellung der einzelnen Erſcheinungen geſtuͤtzt, jene Ueber-
zeugung von der wahren Bewegung der Erde ſicher gewaͤhren.
Wiſſen wir aber, daß die Erde ſich bewegt, ſo erhellt die große
Schwierigkeit der Beſtimmung, ob ein Koͤrper wahrhaft ruhe, da
ſeine ſcheinbare Ruhe in Vergleichung gegen die Erde gar keine Ent-
ſcheidung hieruͤber gewaͤhrt. Indeß, wenn auch dieſe Entſcheidung
im einzelnen Falle ſchwer, ja faſt unmoͤglich ſein mag, ſo bleibt doch
der Begriff einer abſoluten Ruhe, als eines wahrhaften Verharrens
in demſelben Orte des Raumes, nicht minder klar, und die abſolute
Bewegung beſteht alſo in einer wahren Aenderung der Lage.
Richtung und Geſchwindigkeit der Bewegung.
Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir uns die Be-
wegung eines einzigen Punctes denken. Der Weg, den dieſer
durchlaͤuft, iſt eine grade oder krumme Linie, und wir ſagen, der
Punct gehe in immer gleicher Richtung fort, wenn er eine grade
Linie beſchreibt, und daß er hingegen ſeine Richtung aͤndre, wenn
er entweder ploͤtzlich auf einer andern graden Linie fortzugehen an-
[28] faͤngt, oder nach und nach von ſeiner vorigen Richtung abweichend,
eine krumme Linie durchlaͤuft. Er durchlaͤuft dieſen Weg mit irgend
einer Geſchwindigkeit, und bekanntlich nennen wir diejenige
Geſchwindigkeit doppelt ſo groß, bei welcher der Punct in derſelben
Zeit den doppelten Raum durchlaͤuft, und eben jene gleichmaͤßige
Zunahme des Weges in gleichen Zeiten dient uns als Maaß der Ge-
ſchwindigkeit. Auch der Ausdruck: daß die Geſchwindigkeit dem in
gleichen Zeiten durchlaufenen Wege proportional ſei, iſt hieraus
deutlich, und ebenſo daß die zum Durchlaufen eines beſtimmten
Weges erforderliche Zeit, der Geſchwindigkeit umgekehrt proportional
iſt; denn der doppelt ſo ſchnell bewegte Koͤrper gebraucht fuͤr eben
den Raum nur halb ſo viel Zeit, der dreimal ſo ſchnell bewegte
braucht nur ein Drittel der Zeit u. ſ. w. — und dieſes will eben der
Ausdruck: umgekehrt proportional, ſagen.
Etwas ſchwieriger iſt die Beantwortung der Frage, wie man
denn die Groͤße derjenigen Geſchwindigkeiten beſtimmt, die nicht,
laͤngere Zeit durch, ungeaͤndert bleiben. Bei der gleichfoͤrmi-
gen Bewegung iſt die Geſchwindigkeit immer unveraͤndert, und
an dieſe denken wir, wenn wir etwa von der Geſchwindigkeit des
Windes, die bei Stuͤrmen 100 Fuß in der Secunde und noch mehr
betragen kann, von der Geſchwindigkeit des engliſchen Rennpferdes
Stirling, das zu Anfang ſeines Laufes 82½ Fuß in einer Secunde
zuruͤcklegte *), von der Geſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die
= 93700 pariſer Fuß in einer Secunde iſt, reden; aber der frei
fallende Stein zeigt uns, je tiefer er gefallen iſt, deſto maͤchtigere
Wirkungen, und giebt uns ſo eine mit dem tiefern Falle immer
groͤßer werdende Geſchwindigkeit zu erkennen; wir fragen daher mit
Recht, wie wir hier den Begriff der in irgend einem Augenblicke
ſtatt findenden Geſchwindigkeit klar auffaſſen ſollen. Da es erſt in
der Folge mir moͤglich ſein wird, durch Experimente Ihnen zu zeigen,
daß wir gar wohl in gewiſſen Faͤllen im Stande ſind, die Beſchleu-
nigung der Bewegung zu unterbrechen, das heißt, zu bewirken, daß
die bis dahin fortwaͤhrend ſchneller werdende Bewegung nun nur
diejenige Geſchwindigkeit ohne weitere Vermehrung behaͤlt, welche
[29] ſie einmal erlangt hat: ſo muß ich mich hier begnuͤgen, nur zu
ſagen, daß wir uns wenigſtens vorſtellen koͤnnen, die Beſchleuni-
gung, die Zunahme der Geſchwindigkeit, hoͤre ploͤtzlich auf, und
der Koͤrper gehe mit dieſer erlangten Geſchwindigkeit fort; dann
wuͤrden wir dieſe grade in dem Augenblicke erlangte Geſchwindigkeit
unmittelbar kennen lernen. Wo dies nicht der Fall iſt, da koͤnnten
wir allenfalls auf andre Mittel denken, um dieſe, in einem be-
ſtimmten Augenblicke ſtatt findende Geſchwindigkeit kennen zu ler-
nen, die ſich jedoch erſt in der Folge auf eine recht angemeſſene
Weiſe darbieten. Dieſe Ungleichfoͤrmigkeit der Geſchwindigkeit kann
eben ſo gut in einer allmaͤhligen Abnahme der Geſchwindigkeit be-
ſtehen, wie wir es an Kugeln, die uͤber einer rauhen Flaͤche hin-
rollen, ſehen, und eine ſolche Bewegung heißt eine retardirte,
langſamer werdende, ſtatt daß die vorhin betrachtete, accelerirt,
oder beſchleunigt, heißt.
Kraft. — Traͤgheit.
Bei der Betrachtung jeder Bewegung bietet ſich ferner als eine
der wichtigſten Fragen die Frage dar, welche Urſache denn dieſe Be-
wegung bewirke, welche Urſache die Geſchwindigkeit vermehre oder
vermindre, oder die entſtandene Bewegung wieder aufhebe? Wir
nennen dieſe Urſache der Bewegung eine Kraft, und die Mecha-
nik oder Bewegungslehre ſoll uns daher auch uͤber die Kraͤfte
Belehrung gewaͤhren. Wenn ein bis dahin ruhender Koͤrper anfaͤngt,
ſich zu bewegen, ſo ſetzen wir eine Kraft, welche dieſe Veraͤnderung
in dem Zuſtande des Koͤrpers bewirkte, als nothwendig, voraus,
und obgleich wir dieſe Kraft ſelbſt nur aus ihrer Wirkung kennen
lernen, ſo legen wir doch der einen Kraft eine andre Groͤße, als der
andern, bei, und beſtimmen die Groͤße der Kraft, welche Bewe-
gung hervorbringt, aus der Geſchwindigkeit, welche ſie, eine be-
ſtimmte Zeit durch wirkend, zur Folge hat. Aber ſo wie keine Be-
wegung entſtehen kann, ohne eine Kraft, wodurch ſie hervorgebracht
wird, ſo kann auch keine Aenderung der Bewegung ohne Einwir-
kung einer Kraft eintreten, oder mit andern Worten, die einmal
entſtandene Bewegung dauert in gleicher Richtung und mit gleicher
Geſchwindigkeit fort, wenn nicht eine neue Kraft einwirkt. Auch
dieſe Behauptung ſcheint keines Beweiſes zu beduͤrfen; denn wenn
[30] der Koͤrper von der Richtung, von der graden Linie, in welcher er
ſich fortbewegt, abweicht, ſo iſt es gewiß eine beſtimmte Urſache,
eine Kraft, welche ihn grade nach der Seite abzuweichen beſtimmt,
und wenn er mehr Geſchwindigkeit erlangt, aber eben ſo gut auch,
wenn er an Geſchwindigkeit verliert, ſo muß eine Kraft vorhanden
ſein, die dies bewirkt.
Man hat dieſes das Geſetz der Traͤgheit genannt, nach
welchem ein Koͤrper in dem Zuſtande der Ruhe oder der Bewegung
beharret, zu welchem er einmal gelangt iſt, und wuͤrde wohl gar
nicht noͤthig finden, bei Beweiſen fuͤr die Richtigkeit dieſes Geſetzes
zu verweilen, wenn nicht die Erfahrung uns ſo oft Bewegungen
zeigte, die anſcheinend von ſelbſt ſich aͤndern, wo der Koͤrper, mit
abnehmender Geſchwindigkeit fortgehend, endlich zur Ruhe gelangt.
Aber man braucht nur dieſe Erfahrungen aufmerkſam zu betrachten,
ſo zeigt ſich ſogleich, daß die uͤber einer rauhen Flaͤche hin rollende
Kugel eher, die uͤber einer glatten Flaͤche hin rollende Kugel ſpaͤter
einen merklichen Verluſt an Geſchwindigkeit leidet, daß es alſo nur
der Widerſtand, eine der Bewegung entgegen wirkende Kraft, iſt,
welche die erlangte Geſchwindigkeit vermindert, und daß wir, da in
allen Faͤllen auf aͤhnliche Weiſe die Urſache der verminderten Bewe-
gung ſich nachweiſen laͤßt, Unrecht haben wuͤrden, wenn wir der
Materie an ſich ein Beſtreben nach Ruhe beilegen wollten. Alle
Erſcheinungen, wenn wir ſie richtig und ſorgfaͤltig betrachten, deuten
vielmehr darauf hin, daß allemal erſt eine neue Kraft noͤthig iſt, um
irgend eine Veraͤnderung im Zuſtande des Koͤrpers, in Hinſicht auf
Bewegung und Ruhe hervorzubringen. Unzaͤhlige Erſcheinungen
zeigen uns dieſe Wirkung der Traͤgheit. Wenn wir im Wagen ſitzen
und der Wagen ploͤtzlich fortgezogen wird, ſo ſchwankt der obere frei
gehaltene Theil unſers Koͤrpers ruͤckwaͤrts, weil er noch in Ruhe
bleibt, waͤhrend der untere ſchon fortgezogen wird, aber umgekehrt
auch, wenn der ſchnell fortgezogene Wagen ploͤtzlich angehalten wird,
ſo ſchwankt der obere Theil unſers Koͤrpers vorwaͤrts, weil er, ver-
moͤge der Traͤgheit, ſeine Bewegung noch behaͤlt, waͤhrend ſie dem
untern, feſt an den Theilen des Wagens anliegenden Theile des
Koͤrpers ploͤtzlich geraubt iſt. Wer in einem ſchnell fahrenden Schiffe
aufrecht ſteht, muß, wenn das Schiff ploͤtzlich ans Ufer ſtoͤßt, ſeine
Stellung ſehr vorſichtig nehmen, wenn er nicht nach der Richtung,
[31] nach welcher das Schiff ſich bewegte, hinſtuͤrzen will; denn auch
hier behaͤlt der nur wenig mit dem Schiffe verbundene Koͤrper ſeine
Geſchwindigkeit noch, wenn dieſes ſchon feſtgehalten wird. —
Vermoͤge der Traͤgheit befeſtiget ſich die Axt am Stiele, wenn man
den Stiel auf einen harten Koͤrper aufſtoͤßt; das Eiſen naͤmlich
behaͤlt die niederwaͤrts gerichtete Bewegung, die man ihm mit dem
Stiele zuſammen ertheilt hatte, noch dann wenn der Stiel ſchon
feſtgehalten wird, und es ruͤckt daher auf dem Stiele zu enger an-
ſchließenden Puncten fort. — Durch die Traͤgheit wird das Pendel,
nach ſeinem Fallen, in dem hinaufgehenden Bogen fortgefuͤhrt, und
alle oſcillirende Bewegungen verdanken ihren Urſprung dem durch
Traͤgheit bewirkten Fortgange der Bewegung uͤber den Zuſtand
hinaus, den die wirkende Kraft herzuſtellen ſtrebte. Doch noch
viel gewoͤhnlichere Erfahrungen zeigen uns dieſe Traͤgheit. Meine
Feder iſt zu ſehr mit Dinte gefuͤllt, doch nicht ſo ſehr, daß der in
ihr haͤngende Tropfen herabfiele, ſo lange ich ſie ruhig halte; aber
hebe ich mit ploͤtzlicher Bewegung die Feder aufwaͤrts, ſo faͤllt der
Tropfen herunter, weil er nicht feſt genug mit der Feder verbunden,
vermoͤge der Traͤgheit in dem Orte bleibt, wo er ſich befand, und
dann freilich, nicht mehr von der Feder gehalten, als ſchwerer
Koͤrper herabfaͤllt. Ich ſchreibe auf einem ungleichen, faſerigen
Papiere, meine Feder wird ploͤtzlich angehalten, und ſpruͤtzt die
Dinte vorwaͤrts; — indem die Feder naͤmlich, gekruͤmmt durch
den widerſtehenden Theil des Papiers, wenn ſie ſich von dieſem
frei macht, vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt ihre Geſtalt wieder annimmt,
ertheilt ſie auch der in ihr enthaltenen Dinte eine bedeutende Ge-
ſchwindigkeit, und dieſe behaͤlt, vermoͤge der Traͤgheit noch die Ge-
ſchwindigkeit, wenn die zur Ruhe kommende Federſpitze ſie verliert,
die Dinte eilt alſo der Feder voraus und beſchmutzt das Papier.
In eben dieſem Geſetze der Traͤgheit, in dem Beharren im
Zuſtande der ſchon erlangten Bewegung, liegt auch der Grund,
warum eine fortwaͤhrend wirkende, dem Koͤrper Geſchwindigkeit
ertheilende Kraft eine beſchleunigte Bewegung hervorbringt;
denn der Koͤrper wuͤrde auch ohne erneuerte Einwirkung jener
Kraft mit der ſchon erlangten Geſchwindigkeit fortgehen; er muß
alſo groͤßere Geſchwindigkeit erlangen, mit beſchleunigter Bewegung
fortgehen bei fortdauernder Einwirkung dieſer Kraft; und ſo erhellt
[32] zugleich der Grund, warum eine ſolche Kraft, wie die Schwere,
eine beſchleunigende Kraft heißt, naͤmlich eine ſolche, die
durch ſtetige, ununterbrochene Wirkung nach einer beſtimmten
Richtung, die dieſer Richtung gemaͤße Geſchwindigkeit unaufhoͤrlich
vermehrt.
Wir koͤnnen die Kraͤfte, durch welche Bewegung hervorge-
bracht wird, in zwei Claſſen theilen. Einige wirken, zum Beiſpiel
durch einen Stoß, nur augenblicklich, andre wirken, wie die
Schwere, dauernd, und heißen deswegen, im Gegenſatze gegen jene,
beſchleunigende Kraͤfte, weil ſie die von ihnen ſelbſt hervorgebrachte
Geſchwindigkeit fortdauernd vermehren, die Bewegung beſchleuni-
gen. Die Einwirkung des Stoßes auf einen noch ruhenden Koͤr-
per ſetzt dieſen in Bewegung; aber offenbar ertheilt ſie ihm eine
deſto kleinere Geſchwindigkeit, je groͤßer die Maſſe iſt, welcher
Bewegung ertheilt werden ſoll. Sowohl die Erfahrung, als eine
theoretiſche Ueberlegung zeigt, daß wenn ein Stoß von beſtimmter
Staͤrke einer gewiſſen Maſſe, einer gewiſſen Menge von Materie,
die Geſchwindigkeit von 10 Fuß in der Secunde ertheilt, ſo wird
eben der Stoß der doppelt ſo großen Maſſe nur eine Geſchwindig-
keit von 5 Fuß in der Secunde ertheilen, und ſo wird immer bei
gleicher bewegender Kraft die Geſchwindigkeit umgekehrt der
Maſſe proportional ſein; daß aber auch die Geſchwindigkeit nach
dem Maaße der bewegenden Kraft wachſen oder dieſer proportional
ſein wird, das heißt, daß eine gleich große Maſſe durch eine dop-
pelte, oder eine dreifache bewegende Kraft auch eine doppelte oder
eine dreifache Geſchwindigkeit erlangen wird, das verſteht ſich wohl
von ſelbſt.
Mittheilung der Bewegung.
Wenn eine ſolche Einwirkung auf einen feſten Koͤrper ſtatt
findet, ſo ſind wir gewohnt, dieſen Koͤrper durch den Stoß ganz
fortgefuͤhrt, ihn als unzertheilten Koͤrper die ſeiner Maſſe an-
gemeſſene Bewegung annehmen zu ſehen. Die Mittheilung der
Bewegung erſtreckt ſich dann nicht bloß auf einige unmittel-
bar durch den Stoß getroffene Theilchen, ſondern auf alle feſt
verbundene Theile des Koͤrpers. Daher faͤllt es uns als eine ſon-
derbare Erſcheinung auf, wenn, bei ſehr heftigem Stoße, diejeni-
gen Theile, welche unmittelbar getroffen werden, losgeriſſen von
[33] den uͤbrigen, allein die dem Stoße angemeſſene Bewegung anneh-
men, wenn zum Beiſpiel die durch das Schießpulver in ſo unge-
mein ſchnelle Bewegung geſetzte Flintenkugel durch eine leicht be-
wegliche duͤnne Holzplatte dringt, ohne die ganze Maſſe aus der
Stelle zu bewegen. Man kann aͤhnliche Erſcheinungen leicht er-
halten. Legt man zum Beiſpiel eine Menge von Platten mit pa-
rallelen Oberflaͤchen, die Steine des Damenſpieles oder ebenge-
ſchliffene Metallplatten, auf einander, bis ſie eine ziemlich hohe
Saͤule bilden, ſo wird bei einem langſamen Drucke, der von der
Seite her einen dieſer Koͤrper, etwa mit Huͤlfe eines Meſſers, das
nur einen derſelben mit ſeiner Schaͤrfe beruͤhrt, fortzuſchieben
ſtrebt, der ganze obere Theil der Saͤule mit fortgeſchoben und eben
deshalb auch umgeworfen werden; ſchlaͤgt man dagegen mit recht
ſicherm, raſchem Stoße mit der Schaͤrfe des Meſſers an einen
der mittlern Koͤrper, ſo ſchlaͤgt man dieſen heraus, und die hoͤher
liegenden Stuͤcke werden ſo wenig mit fortgeriſſen, daß die Saͤule
ruhig ſtehen bleibt, und hoͤchſtens nur, (wenn man nicht zu unge-
ſchickt getroffen hat,) die naͤchſten Platten ſich um etwas Weniges
auf die Seite geruͤckt finden. Ein aͤhnlicher, ſehr bekannter Ver-
ſuch iſt der, wo ein Pfeifenſtiel horizontal an zwei Haaren aufge-
haͤngt wird; bei einem langſamen, allmaͤhlig verſtaͤrkten Drucke
auf die Mitte des Pfeifenſtieles reißen die Haare, aber ein hefti-
ger, auf die Mitte des Pfeifenſtieles gefuͤhrter Schlag zerbricht die-
ſen, ohne die Haare zu zerreißen. Wenn man ein Kartenblatt auf
ein Glas und auf jenes ein Stuͤck Geld legt, ſo wird, bei langſa-
mem Drucke von der Seite, die Karte mit dem Gelde auf die Seite
geſchoben, aber ein raſcher Schlag an die Karte, eine an die Karte
treffende losgeſchnellte Feder, oder ſelbſt der auf dieſe Weiſe antref-
fende Finger, fuͤhrt die Karte unter dem Geldſtuͤcke fort, ſo daß
dies in das Glas herabfaͤllt. Um das, worauf es ankoͤmmt, damit
dieſe Erſcheinung das Auffallende verliere, deutlicher hervorzuheben,
haben wir nur noͤthig, an aͤhnliche Verſuche mit weichen Koͤrpern
zu denken. Wenn ich eine weiche Thonkugel mit dem Finger vor-
ſichtig beruͤhre, ſo kann ich ſie fortſchieben, ohne eben einen tiefen
Eindruck in ihre Maſſe zu machen; aber ein heftiger Stoß mit
der Spitze des Fingers gegen dieſe weiche Maſſe macht den Finger
tief eindringen, ohne die ganze Maſſe erheblich fortzufuͤhren. Wir
I. C
[34] ſehen daher, daß der Zuſammenhang der Theile einer allmaͤhlig
wirkenden Kraft beſſer widerſteht, daß die Seitenmittheilung einer
nur auf wenige Theile beſchraͤnkt wirkenden Kraft ſich wirkſamer
zum Fortreißen der nicht unmittelbar getroffenen Theile zeigt, wenn
die Kraft langſam und ſtetig wirkt; es iſt, als ob dieſe Seitenmit-
theilung eine gewiſſe Zeit forderte, ſo daß bei ſehr raſchem Stoße
das Losreißen der Theile ſchon erfolgt iſt, ehe dieſe Seitenmitthei-
lung eintreten konnte. Unzaͤhlige taͤgliche Erfahrungen beruhen
hierauf. Ein ſcharf gefaltetes Papier kann nach der Richtung dieſer
Falte zerriſſen werden; aber nur dann, wenn man mit einem
ſchnellen Riſſe die Theile trennt, geht der Riß grade fort, und
langſam, Punct fuͤr Punct trennend, iſt man der Gefahr ſeitwaͤrts
einzureißen, weit mehr ausgeſetzt.
Und ſo wie hier der Zweck durch eine ſchnelle Bewegung, nach
ſicher beſtimmter Richtung ausgefuͤhrt, erreicht wird, ſo dient zu
andern Zwecken eine recht langſame, vorſichtige Bewegung. Ein
eingeroſtetes Schloß ſoll geoͤffnet werden, und der Schluͤſſel, obgleich
er richtig eingeſteckt iſt, laͤßt ſich nicht drehen; — ein Ungeſchickter
ſieht ſich ſogleich nach einem Verſtaͤrkungsmittel ſeiner Kraft, eine
durch den obern Ring zu ſteckende Stange und dergleichen um;
wendet raſch alle Gewalt an, und bricht den Bart des Schluͤſſels
ab; der Schloſſer dagegen, oder wer auch nur mit Schloͤſſern umzu-
gehen weiß, faßt den Schluͤſſel leiſe, draͤngt langſam vorwaͤrts,
verſtaͤrkt recht langſam ſeine Kraft, und erreicht dadurch ſeinen
Zweck. — Man will eine verhaͤltnißmaͤßig ſchwere Laſt an einem
ziemlich ſchwachen Faden oder Seile fortziehen; — es gelingt viel-
leicht bei recht langſam und ſtetig vermehrter Kraft, aber der Faden
reißt, wenn man die Laſt mit einem Stoße auf einmal in Bewe-
gung ſetzen will. —
Dieſe ungleiche Einwirkung einer ploͤtzlich wirkenden und einer
langſam andraͤngenden Kraft zeigt ſich auch in einigen Erſcheinun-
gen, die ſich beim Steineſprengen und beim ſchnellen Reiben
weichen Eiſens an Glas oder Stahl darbieten. Es iſt bekannt,
daß man beim Abſprengen der Steinmaſſen vom natuͤrlichen Fels
oder beim Zerſprengen einzelner Steine ſich des Schießpulvers ſo
bedient, daß man cylindriſche Loͤcher ſo tief, als man es nach
Maaßgabe der abzuſprengenden Stuͤcke noͤthig findet, einbohrt, ſie
[35] mit Schießpulver zum Theil fuͤllt, dann oben ſie durch kleines feſt-
geſtampftes Geſtein verſchließt und durch ein mit Schießpulver ge-
fuͤlltes, durch dieſe eingeſtampfte Bedeckung reichendes Rohr, das
unten enthaltene Pulver entzuͤndet. Die Gewalt der Exploſion
des Pulvers zerſprengt den Stein, und, obgleich man ſchon hier
zu der Frage geleitet werden ſollte, warum denn das, in Verglei-
chung gegen die ungemeine Feſtigkeit des Steines immer nur locker
eingeſtampfte Geſtein nicht herausgeworfen werde, ehe der Stein
ſich in Stuͤcke theilt, ſo hat man doch dieſen Erfolg als den ganz
natuͤrlichen angeſehen; aber als eine wunderbare Erſcheinung trat
dagegen die von Jeſſop gemachte Erfahrung hervor, daß es des
Feſtſtampfens gar nicht beduͤrfe, ſondern daß bei Fuͤllung des Bohr-
loches mit voͤllig loſem Sande das Zerſpringen des Steines eben ſo
gut ſtatt finde. Hier bietet ſich die Frage, warum denn nicht die
kleine Quantitaͤt locker aufgeſchuͤtteten Sandes herausgeworfen
werde, ehe der Stein eine Zertrennung erleidet, ſo natuͤrlich dar,
daß man genoͤthiget war, nach ihrer Beantwortung ſich umzuſehen,
und dieſe ſcheint mir auf folgende Art gegeben werden zu muͤſſen.
Es iſt bekannt, daß ſelbſt wenn die Kugel aus dem Schießgewehr
hervorgetrieben wird, auch die Waͤnde des Rohres einen Stoß lei-
den; da aber hier die Kugel, als ein einziger feſter Koͤrper ſogleich
fortgefuͤhrt wird, ſo hat der Druck auf die Waͤnde nicht Kraft und
Dauer genug, um das Rohr oder den Stein zu ſprengen; ſind es
dagegen einzelne Sandkoͤrnchen, locker aufgeſchuͤttet, oder ſind es
Steinſtuͤckchen, die man zuſammengeſtampft hat, ſo draͤngt ſich die
erſte Schichte an die zweite, dieſe an die dritte, und ſo klein der
Zeitverluſt uns ſcheint, der dadurch bewirkt wird, ſo reicht doch dieſe
Verlaͤngerung der Einwirkung hin, um die Zerſprengung des Stei-
nes zu Stande zu bringen, ehe der Sand herausgeworfen wird.
So wie der Pfeifenſtiel ſchon zerbrochen iſt, ehe die Mittheilung der
Bewegung bis zu den Aufhaͤngepuncten an den Haaren gelangt, ſo
iſt hier der Stein in Stuͤcke geſprengt, ehe der Sand Zeit hatte,
die verſchiedenen Stufen der Zuſammenpreſſung durchzugehen. Ob-
gleich iſt faſt beſorge, zu lange bei dieſem Gegenſtande zu verweilen,
ſo ſcheint mir folgendes Beiſpiel von dieſer Sprengungsmethode doch
zu merkwuͤrdig, um es zu uͤbergehen. Peluger erzaͤhlt, daß man
in den Steinbruͤchen bei Solothurn ſehr große Stuͤcke abzuſpren-
C 2
[36] gen pflege, daß aber da oft der unangenehme Umſtand eintrete, daß
der abgeſprengte Block zu nahe an der Felsmaſſe liegen bleibe, um
bequem fortgeſchafft zu werden. In dieſem Falle thut das Auf-
ſchuͤtten von Sand beſonders gute Dienſte, wie er an folgendem
Beiſpiele zeigt. Am 24. Sept. 1825 wurde ein Bohrloch von
3½ Zoll weit und 14½ Fuß tief mit 18 Pfund Pulver, die 8 Fuß
des Loches fuͤllten, geladen, die uͤbrigen 6½ Fuß aber mit grobkoͤrni-
gem Sande gefuͤllt. Die Exploſion hatte einen ſehr großen Fels-
block abgetrennt, aber der Spalt war nur 2 Linien weit, und man
wuͤnſchte daher, das Felsſtuͤck weiter zu entfernen. Zu dieſem
Zwecke fuͤllte man das Bohrloch noch einmal mit 15 Pfund Pulver,
die jetzt nur bis 2 Fuß hoch reichten, der ganze Spalt aber wurde
mit lockerm Sande gefuͤllt, und nach abermaliger Entzuͤndung war
der ungeheure Felsblock von 14½ Fuß hoch, 16 Fuß breit, 21 Fuß
lang, etwa 720000 Pfunde ſchwer, 4 Fuß vom Felſen abgeruͤckt *).
Auch die neuerlich erſt von Barnes bemerkte Erſcheinung,
daß eine Scheibe aus weichem Eiſen, ſehr ſchnell gedreht, in Glas
und Stahl einſchneidet, gehoͤrt hieher. Colladons Verſuche
zeigen deutlich, wie dieſe Einwirkung des weichen Koͤrpers auf den
harten von der Geſchwindigkeit abhaͤngt. Ein harter Grabſtichel
macht bekanntlich tiefe Einriſſe in eine Metallſcheibe, wenn man
ihn auf dieſer fortbewegt, und eben ſo fuhr er fort zu aͤtzen, wenn
die Metallſcheibe ſich mit geringerer Geſchwindigkeit, als 34 Fuß
in 1 Secunde drehte; wurde die Geſchwindigkeit groͤßer, ſo fing
die Spitze des Grabſtichels an ſehr zu leiden und die Scheibe wenig
zu verletzen, und bei 70 Fuß Geſchwindigkeit in 1 Secunde ward
der Grabſtichel ſtark abgeſchliffen, waͤhrend die weiche Eiſenſcheibe
nur wenig mehr geritzt wurde. Auch hier iſt es die Schnelligkeit,
womit die Theile der Scheibe an die Spitze des Grabſtichels oder
uͤberhaupt an die Theile des harten Koͤrpers antreffen, wodurch dieſe
fortgeriſſen werden; ihr feſter Zuſammenhang ſcheint hier ungefaͤhr
eben ſo wenig, wie bei dem raſch aus der Saͤule herausgeſchlagenen
Damenſteine in Betrachtung zu kommen **).
[37]
Ich kehre von dieſen einzelnen Bemerkungen zuruͤck zu der Be-
trachtung, woran ſich dieſe anknuͤpften, daß es naͤmlich momentan
wirkende und daß es unausgeſetzt wirkende Kraͤfte gebe. Von den
Kraͤften der zweiten Art giebt uns die Kraft der Schwere, welche
jedes einzelne Theilchen eines Koͤrpers zur Bewegung antreibt, und
ununterbrochen die einmal bewirkte Bewegung zu vermehren ſtrebt,
ein Beiſpiel, das umſtaͤndlicher betrachtet zu werden verdient.
Vierte Vorleſung.
Schwerkraft.
Die Wirkungen der Schwerkraft, m. h. H., bieten uns einen
reichen Schatz merkwuͤrdiger Erſcheinungen dar, ſie ſetzen uns bei
richtigem Fortſchreiten unſrer Betrachtung derſelben, in Stand,
ſelbſt ſehr verwickelt ſcheinende Phaͤnomene zu erklaͤren, und ver-
dienen daher, daß wir ihnen eine genauere Aufmerkſamkeit widmen.
Wir werden die Wirkſamkeit der Schwerkraft durch zweierlei Arten
von Erſcheinungen gewahr, durch den Druck, welchen die Koͤrper
waͤhrend der Ruhe ausuͤben, und durch beſchleunigte Bewegung, da,
wo ſich kein die Bewegung hemmendes Hinderniß dieſer entgegen
ſtellt.
Die Richtung der Schwerkraft iſt uͤberall grade gegen die Erde
zu. Der an einem Faden aufgehaͤngte Koͤrper zeigt uns dieſe Rich-
tung, indem er den Faden nach derjenigen Richtung, welche mit
der Richtung der Schwere uͤbereinſtimmt, ausdehnt; der frei fal-
lende Koͤrper folgt eben dieſer Richtung; und da dieſe uͤberall gegen
die Oberflaͤche der Erde ſenkrecht iſt, ſo ſagen wir, weil die Kugel-
geſtalt der Erde durch Abmeſſungen bekannt iſt, die Schwere treibe
alle Koͤrper gegen den Mittelpunct der Erde hin, die ganze Erde
beſitze eine anziehende Kraft, durch welche ſie alles zu ſich hin zu
bewegen ſtrebe. Da die Erde ſo groß iſt, daß wir, ſelbſt auf
groͤßere Entfernungen als bei unſern Verſuchen vorkommen, die
Oberflaͤche des Meeres als eine Ebne anſehen koͤnnen, ſo ſtimmen
die Richtungslinien der Schwere in unſern Verſuchen mit Parallel-
[38] linien uͤberein, und in unzaͤhligen Faͤllen haben wir nicht noͤthig,
darauf Ruͤckſicht zu nehmen, daß dieſe Richtungslinien ſich um
etwas Weniges von der gleichlaufenden Richtung oder von der
Parallelitaͤt entfernen, um im Mittelpuncte der Erde zuſammen
zu treffen.
Gleichgewicht.
Da wo das Gewicht eines Koͤrpers bloß einen Druck ausuͤbt,
wo die Bewegung gehindert wird, da iſt eine entgegen wirkende
Kraft vorhanden, welche der Kraft der Schwere das Gleichge-
wicht haͤlt. Meine Hand haͤlt den Faden, an welchem der Koͤrper
befeſtigt iſt, und ſie muß einen Druck hinaufwaͤrts ausuͤben, damit
der Koͤrper nicht ſinke; — offenbar iſt dieſer hinaufwaͤrts ausgeuͤbte
Druck oder Zug eine Kraft, dem Gewichte des Koͤrpers gleich, und
ſo bietet ſich uns das erſte und einfachſte Mittel zu Beſtimmung
gleicher Kraͤfte dar. Aber nicht bloß zu Beſtimmung genau gleicher,
ſondern auch auf Abmeſſung anderer in ſtrenge angegebenem Ver-
haͤltniſſe ſtehender Kraͤfte werden wir hier geleitet; denn wenn ich
zu der Bleimaſſe, die ich ein Pfund nenne, eine zweite ganz gleiche
fuͤge, ſo wird niemand zweifeln, daß die Kraft, welche beide erhaͤlt,
doppelt ſo groß iſt, als die, welche eine derſelben zu erhalten hin-
reichte. So erhellt die Moͤglichkeit, Kraͤfte, welche einander im
Gleichgewichte erhalten, gegen einander abzumeſſen. Eine Anwen-
dung dieſer Beſtimmungen zeigt die Federwaage. Eine elaſtiſche
Feder, die durch ein Gewicht ausgedehnt wird, nimmt, ſelbſt bei
oft wiederholtem Gebrauche, immer dieſelbe Ausdehnung bei gleichen
ziehenden Kraͤften an, und wenn ich alſo Merkmale anbringe, wie
groß dieſe Ausdehnung war, als die mir unter dem Namen eines
Pfundes, zweier Pfunde u. ſ. w. gegebnen Gewichte angehaͤngt
wurden, ſo dient mir die Federwaage zu Beſtimmung des Gewich-
tes andrer Koͤrper. Sie dient aber auch zu Abmeſſung andrer
Kraͤfte. Halte ich die Federwaage am Aufhaͤngepuncte mit der
einen Hand, waͤhrend die andre da angreift, wo das Gewicht hing,
ſo ſehe ich an der Dehnung bis zu einem der bezeichneten Merk-
male, wie viele Pfunde Kraft ich ſo auszuuͤben im Stande bin.
Graf Rumford befeſtigte beim Anſpannen der Pferde die Feder-
waagen ſo zwiſchen den Zugriemen und dem Wagen, daß er die von
[39] jedem Pferde angewandte Kraft beim Fortziehen des Wagens daran
beobachten konnte. Ein beim Nachlaſſen des Zuges in derjenigen
Stellung, die er beim Zuge angenommen hatte, ſtehendbleibender
Zeiger erlaubte, dieſe Beſtimmung auch nach vollendetem Experi-
mente nachzuſehen, und ſo erhielt er die von ihm bekannt gemach-
ten Reſultate, daß auf gepflaſterten Straßen die breitfelgigen Raͤ-
der eine bedeutend geringere Ziehkraft, als die gewoͤhnlichen Raͤder,
fordern, daß auf Steinpflaſter die Pferde beim ſtarken Trott faſt
dreimal ſoviel Kraft, als beim langſamen Schritte, anwenden
muͤſſen, daß hingegen auf einem recht ebnen, harten, ungepflaſter-
ten Wege im Schritt und im Trott beinahe nur gleiche Kraft an-
gewandt wird *).
Eine aͤhnliche Abmeſſung der Kraft giebt Regniers Dyna-
mometer, ein elaſtiſcher metallener Reifen, deſſen eine Seite man
unten anhaͤngt, waͤhrend man die andre Seite mit einem bequem
angebrachten Handgriffe mit den Haͤnden aufwaͤrts zieht, um die
Kraft zu unterſuchen; die man in dieſer Stellung anwenden
kann **).
Dieſer einfachſte Fall von Vergleichung derjenigen Kraͤfte,
die ſich im Gleichgewichte halten, leitet uns zu einer naͤhern Ent-
wickelung aller Faͤlle des Gleichgewichtes, zur Statik feſter
Koͤrper.
Zuſammenſetzung der Kraͤfte.
Ein Gewicht C braucht nicht nothwendig durch eine einzige,
der Richtung der Schwere grade entgegen wirkende Kraft erhalten
zu werden, ſondern wenn zwei Kraͤfte, nach den ſchiefen Rich-
tungen LM LN (Fig. 3.) ziehend, das Gewicht C tragen, ſo kann
eber ſowohl ein Gleichgewicht ſtatt finden. Ohne jetzt ſchon be-
ſtimmen zu wollen, wie groß die beiden in ſolchen ſchiefen Rich-
tungen ziehenden Kraͤfte ſein muͤſſen, duͤrfen wir wenigſtens erſtlich
behaupten, daß ſie zuſammen mehr betragen muͤſſen, als das Ge-
wicht C, grade aufwaͤrts gezogen, fordern wuͤrde, indem ſie zum
[40] Theil einander entgegen wirken und ſich ſofern theilweiſe aufheben,
und wir koͤnnen zweitens behaupten, daß das Gleichgewicht beſteht,
wenn die ſeitwaͤrts oder horizontal gerichteten Wirkungen beider
Kraͤfte ſich genau aufheben, die aufwaͤrts oder vertical gerichteten
Kraͤfte dagegen dem zu tragenden Gewichte gleich ſind. Um naͤher
zu beſtimmen, was unter dieſen ſeitwaͤrts und aufwaͤrts gerichteten
Wirkungen zu verſtehen iſt, will ich mir Gewichte, die uͤber Rollen
ziehend angebracht ſind, denken, weil man da genau abgemeſſene
Kraͤfte in beſtimmten Richtungen durch angehaͤngte Gewichte er-
halten kann, und es iſt offenbar, daß zwei an der Rolle Fig. 2.
einander gegenuͤberhaͤngende Gewichte A, B, gleich ſein muͤſſen,
um ſich im Gleichgewichte zu erhalten, und daß auch Fig. 3. der
durch das Gewicht B nach der Richtung LN bewirkte Zug eben ſo
vielen Pfunden als B ſelbſt gleich iſt. Hier iſt es offenbar, daß ein
Gewicht A, nach der Richtung LM wirkend, beinahe mit ſeiner
ganzen Kraft aufwaͤrts und nur in geringem Maaße horizontal
wirkt, ſtatt daß ein Gewicht B, nach der Richtung LN ziehend,
einen groͤßern Theil ſeiner Wirkung horizontal ausuͤbt. Sollen
dieſe beiden Kraͤfte ſo gegen einander abgemeſſen ſein, daß der an-
gegriffene Punkt L zu keiner horizontalen Bewegung angetrieben
werde, ſo darf B nicht ſo ſtark als A ziehen, weil aus 10 Pfun-
den nach LN ziehend, mehr horizontaler Zug als aus 10 Pfun-
den nach LM ziehend, hervorgeht. Wie groß die horizontale
und wie groß die verticale Kraft iſt, die bei gegebener Richtung
aus einer beſtimmten Kraft entſpringt, das laͤßt ſich nach folgender
einfachen Regel finden. Wenn nach der Richtung LM (Fig. 4.)
eine Kraft zum Beiſpiel von 13 Pfund wirkt, ſo zeichnet man
auf der Richtungslinie LM 13 gleiche, uͤbrigens willkuͤrliche
Theile von L bis P auf, zieht durch L eine verticale, durch P eine
horizontale Linie, und mißt beide mit dem Cirkel in eben ſolchen
Theilen ab; unſre Figur zeigt, daß die horizontale Linie Pr4
Theile, die verticale Lr ungefehr 12⅓ enthaͤlt, und das belehrt
uns, daß L mit 4 Pfund Kraft horizontal fortgezogen, zugleich
aber mit 12⅓ Pfund Kraft hinauf getrieben wird. Damit L in
horizontaler Richtung nicht ſeine Stelle aͤndere, muß nach LN
eine Kraft ziehen, die mit 4 Pfund Gewalt horizontal wirkt, und
bei der in der Figur gewaͤhlten Richtung reichen 5 Pfund Kraft
[41] nach LN wirkend hiezu hin, indem 5 eben ſolche Theile von L bis
Q aufgetragen, einen Abſtand Qs = 4, eine horizontal wirkende
Kraft von 4 Pfunden geben. Die beiden Kraͤfte A = 13, B = 5,
uͤben, wie die Abmeſſung der Figur zeigt, hinaufwaͤrts eine Kraft
= 12 ⅓ und = 3, alſo zuſammen = 15 ⅓ Pfund aus, und
wenn das nach C herabwaͤrts ziehende Gewicht ſo groß iſt, ſo fin-
det das Gleichgewicht ſtatt.
Der Grund, warum jene Linien zum Maaße des hinauf-
waͤrts und des ſeitwaͤrts wirkenden Antheils dienen, laͤßt ſich
ziemlich vollſtaͤndig ſo uͤberſehen. Braͤchten die Kraͤfte von 13
Pfund und 5 Pfund eine Bewegung hervor, ſo waͤre dieſe gewiß
in genauem Verhaͤltniß der Kraͤfte ſelbſt, oder die eine wuͤrde fuͤr
ſich allein den Punct L nach P, die andere wuͤrde ihn in gleicher
Zeit fuͤr ſich allein nach Q bringen; dadurch wuͤrde eine gleich
große Entfernung von der Verticallinie LT bewirkt, und folg-
lich hebt ſich, beim Zugleichwirken beider, dieſe horizontale Wir-
kung gaͤnzlich auf; daß aber die verticale Wirkung beider, die
durch 12 ⅓ und 3 angegeben wurde, grade hinreicht, um 15⅓
Pfund zu tragen, iſt nun leicht zu uͤberſehen.
Fig. 5. zeigt noch ein Beiſpiel, wo die ziehenden Kraͤfte 10
und 7 ½ ſind. Die Richtungen ſind ſo gewaͤhlt, daß die Horizon-
talkraft nach beiden Seiten 7 betraͤgt, die Verticalkraͤfte ſind 7
aus der erſten und 2 ¾ aus der andern, ſo daß hier die Kraͤfte 10
und 7 ½ nur eine Laſt von 9 ¾ Pfunden tragen, weil ſie ſo be-
deutend von der Verticallinie abweichen *).
Dieſe Betrachtungen uͤber Zerlegung und Zuſammen-
ſetzung der Kraͤfte, die auf einen Punct wirken, finden die
allerhaͤufigſte Anwendung, und laſſen ſich, wenn auch nicht
grade immer von horizontaler und verticaler Wirkung die Rede
iſt, noch allgemeiner und dennoch ſehr einfach, darſtellen. Wenn
nach der Richtung LA eine Kraft von 5 Pfund, nach der Rich-
tung LB (Fig. 6.) eine Kraft von 3 Pfund wirkt: ſo laͤßt ſich
die Richtung LC, nach welcher eine zu Erhaltung des Gleichge-
[42] wichts paſſende Kraft wirken muß, und die Groͤße derſelben ſo an-
geben. Man traͤgt auf LA 5, auf LB 3 Theile von gleicher
Groͤße auf, zieht BD und AD mit beiden parallel, und zeichnet
LD, dann iſt LD ſeiner Groͤße nach das Maaß der hervorge-
henden Mittelkraft, die aus jenen beiden entſteht, oder zugleich
das Maaß der das Gleichgewicht erhaltenden Kraft, — (alſo un-
ſerer Figur zu Folge 6) und die Richtung LD ruͤckwaͤrts verlaͤngert
giebt die Richtung LC der zum Gleichgewichte erforderlichen Kraft
von 6 Pfunden an. Der Grund, warum dieſes Parallelo-
gramm der KraͤfteLADB uns richtig leitet, iſt leicht ein-
zuſehen. Auch hier naͤmlich kann man ſagen, wenn LA die ganze
Kraft = 5 andeutet, ſo ſtellt Aq = 2½ den von LD abwaͤrts
ziehenden Theil, Lq den mit LD uͤbereinſtimmend gerichteten
Antheil vor; Bp, als der von LD abwaͤrts ziehende Antheil der
zweiten Kraft iſt ſo groß als Aq, alſo findet kein Ablenken von
LD ſtatt, die Summe der nach LD ziehenden Kraͤfte iſt aber
Lq = 4 ⅓, und Lp = 1 ⅔, zuſammen = 6, wie es die Linie
LD beſtimmte.
Eben dieſe Regel fuͤr die Zuſammenſetzung der Kraͤfte findet auch
ſtatt, wenn mehr als zwei Kraͤfte nach verſchiedenen Richtungen
wirken. Wenn (Fig. 15.) der Punct A von drei Kraͤften nach den
Richtungen AB, AC, AD, gezogen wird, und es iſt die erſte = 10,
die zweite = 5, die dritte = 7 Pfund, ſo nehmen wir zuerſt
Ab = 10, Ac = 5 gleichen Theilen und vollenden das Parallelo-
gramm Abec; die Abmeſſung von Ae zeigt uns, daß die beiden
Kraͤfte von 10 und von 5 Pfund eine Wirkung von 14 Pfund
hervorbringen, indem Ae ſich = 14 findet. Statt jener beiden
Kraͤfte koͤnnte alſo eine von 14 Pfund nach der Richtung Ae wir-
kend angebracht ſein, und indem wir dieſe mit der dritten nach AD
wirkenden Kraft verbinden, erhalten wir die Wirkung aller drei
Kraͤfte. Das Parallelogramm Aefd naͤmlich, worin Ad = 7,
Ae = 14 iſt, fuͤhrt abermals durch Abmeſſung der Ecklinie Af
zur Kenntniß der Groͤße und Richtung der Mittelkraft; die Figur
zeigt, daß Af 11 Theile enthaͤlt, und daß alſo die drei Kraͤfte von
10,5 und 7 Pfund doch nur eine Wirkung von 11 Pfund nach der
Richtung Af hervorbringen, weil ſie ſich zum Theil, als einander
entgegen wirkend, zerſtoͤren. Ebenſo verfaͤhrt man, wenn noch
[43] mehr Kraͤfte, nach verſchiedenen Richtungen auf einen einzigen
Punct wirken.
Beiſpiele von Zuſammenſetzung und Zerlegung der
Kraͤfte.
Die Anwendungen, wo eine ſolche Zuſammenſetzung von
Kraͤften, welche nach verſchiedenen Richtungen wirken, vorkoͤmmt,
ſind unzaͤhlig. Wenn mehrere Menſchen an ſchief gezogenen Seilen
den ſchweren Block, mit welchem man Pfaͤle einſchlaͤgt, heben,
ſo wird ein Theil der Kraft allemal unnuͤtz angewandt, indem der
ſeitwaͤrts gerichtete Theil der angewandten Kraͤfte ſich gegenſeitig
zerſtoͤrt, und dies iſt deſto mehr der Fall, je weiter die Menſchen
aus einander ſtehen, je mehr von der Verticallinie abweichend die
Seile ſind. —
Wenn eine in C haͤngende Laſt durch eine Kraft, die uͤber
eine Rolle B zieht (Fig. 7.) gehoben wird, waͤhrend das Ende
des Seiles in A befeſtiget iſt, ſo wird es der in D ziehenden Hand
immer ſchwerer und ſchwerer die Laſt zu heben, weil die Anfangs
nach FG noch ziemlich vortheilhaft ziehende Kraft eine hoͤchſt unvor-
theilhafte Richtung erhaͤlt, wenn die Laſt ſchon bis E hinaufgezogen
iſt. Hier naͤmlich traͤgt der Haken bei A Anfangs einen bedeuten-
den Theil der Laſt, ſo daß wenn die Laſt ſich in F befindet, die in
D ziehende Hand nur wenig mehr als die Haͤlfte der Laſt zu heben
hat; bei der Stellung in E aber werden von 100 Pfund Kraft,
die man in D aufwendet, kaum noch 10 zur Hebung der Laſt ver-
wandt, der groͤßte Theil der Kraft hingegen wird angewandt, um
die horizontale Spannung des Seiles hervorzubringen, und den
Haken bei A aus der Wand herauszuziehen. Ein Schiff, welches
der Wind nach einer auf die Richtung des Stromes ſenkrechten
Richtung forttreibt, folgt zugleich beiden Kraͤften, dem Winde und
dem Strome, und die Richtung ſeines Fortruͤckens, oder wenn es
vor Anker liegt, die Richtung die das Ankertau annimmt, zeigen
die Richtung dieſer Mittelkraft. Sind beide Kraͤfte nicht ſenkrecht
auf einander, ſondern nach AC und AB (Fig. 8.) wirkend, ſo un-
terſtuͤtzen ſie einander, und wenn man das Parallelogramm ABDC
zeichnet, deſſen Seiten den Kraͤften proportional ſind, ſo giebt AD
verhaͤltnißmaͤßig die Gewalt an, mit welcher die Mittelkraft den
[44] Koͤrper nach AD forttreibt. Wenn bei unguͤnſtigem Winde der
Schiffer ſeine Segel ſo befeſtigt, daß ſie eine ſchiefe Richtung, wie
AB gegen die Axe CD (Fig. 9.) des Schiffes haben, ſo wirkt der
Wind durch Zerlegung der von ihm angewandten Kraft vortheilhaft
auf das Forttreiben des Schiffes. Waͤre die Richtung des Win-
des genau ſenkrecht auf die Richtung der Axe des Schiffes, ſo
wuͤrde von der nach EF wirkenden Kraft, die auf das ſchief geſtellte
Segel AB ausgeuͤbt wird, ein Theil am Segel vorbei, mit dem
Segel parallel, verlohren gehen, ein andrer Theil, den die Linie
IE verhaͤltnißmaͤßig darſtellt, zum Forttreiben des Segels und des
Schiffes verwandt werden. Dieſe Richtung EI der Kraft, welche
das Schiff von F nach G braͤchte, waͤre immer ſchon vortheilhafter
als die Richtung FH, die der Wind zu ertheilen ſtrebte; aber die
Einwirkung des Windes wird dadurch noch vortheilhafter, daß das
Schiff viel leichter nach der Richtung ſeiner Axe als nach der Seite
beweglich iſt. Wuͤrde durch einen ſehr ſtarken Widerſtand die Sei-
tenbewegung ganz gehemmt, ſo wuͤrde die nach FG zu, auf das
Segel ſtoßende Kraft das Schiff ganz grade, obgleich nur mit ge-
ringer Gewalt, vorwaͤrts treiben, und etwas Aehnliches erfolgt, da
die Breite der Flaͤche, welche ſich dem Fortfuͤhren nach der Seite
entgegen ſtellt, einen viel erheblichern Widerſtand nach dieſer Rich-
tung, als nach der Richtung der Axe, hervorbringt.
Eine ganz aͤhnliche Zerlegung der Kraft des Windes iſt es,
welche den Papierdrachen der Kinder hebt. Bekanntlich iſt die breite
Flaͤche, welche ſeinen Koͤrper ausmacht, am einen Ende beſchwert,
und das Seil, woran er gehalten wird, befindet ſich am andern
Ende; der Drache nimmt dadurch eine Stellung (Fig. 10.) unge-
fehr wie AB an, waͤhrend das Seil ihn nach der Richtung AC
feſthaͤlt. Der nach horizontaler Richtung DE aufſtoßende Wind
ſtrebt die ganze Flaͤche fortzufuͤhren, aber da das Seil in C bei-
nahe voͤllig feſtgehalten wird, ſo ſtreicht der Wind unter ihm weg
und hebt ihn etwa in die Stellung ab hinauf; — daß es dabei
auf ein geſchicktes Anhalten oder Verlaͤngern des Seiles ankoͤmmt,
wenn man ihn gut zum Steigen bringen will, iſt bekannt.
Auf eben den Regeln der Zuſammenſetzung und Zerlegung der
Kraͤfte beruht der ſtaͤrkere Widerſtand, den eine Glaskugel von klei-
nem Halbmeſſer oder den ein engerer Glascylinder dem Zerdruͤcken
[45] entgegen ſetzt. Zwei Glasplatten naͤmlich, die wie DE, FG
(Fig. 27.) aufgeſtellt ſind, tragen gewiß ein groͤßeres Gewicht H,
als ſie thun wuͤrden, wenn der Winkel bei EF groͤßer waͤre, und
ebenſo traͤgt auch die Woͤlbung ABC ein groͤßeres Gewicht, als es
bei flacherer Woͤlbung, wo die einzelnen Theile ab unter weniger
vortheilhaften Richtungen Widerſtand leiſten, der Fall ſein wuͤrde.
Bei der Fortſchaffung oder Hebung von Laſten, bei der Be-
wegung der Maſchinen und in andern Faͤllen, koͤmmt dieſe Zerlegung
der Kraft bald vortheilhaft bald nachtheilig vor. Wenn die Laſt M
(Fig. 11.) auf dem horizontalen Boden fortgezogen werden ſoll, und
die Groͤße des Menſchen oder Pferdes nicht wohl eine andre Rich-
tung des Zuges als BC geſtattet, ſo wird nicht die ganze Kraft des
Zuges zum Fortfuͤhren der Laſt verwandt, ſondern in dem Verhaͤlt-
niſſe, wie BD kleiner, als BC, iſt, wird die nuͤtzlich wirkende Kraft
kleiner, als die aufgewandte Kraft, ſein. — Wenn man (Fig. 12.)
das Rad BD durch ein bei E angebrachtes Gewicht zur Umdrehung
bringen wollte, ſo wuͤrde lange nicht das ganze Gewicht die Dre-
hung bewirken. Das Gewicht naͤmlich bringt theils einen Druck auf
den unterſtuͤtzten Mittelpunkt A hervor und traͤgt theils zur Dre-
hung bei. Betruͤge das ganze Gewicht, nach der Richtung EF wir-
kend, 10 Pfund, ſo muͤßte man, um die Groͤße jener beiden Wir-
kungen zu beurtheilen, 10 Theile Ef auf die Richtung der Schwer-
kraft auftragen, fe ſenkrecht auf den Halbmeſſer des Rades ziehen
und nun Ee, ef meſſen; nach der Angabe der Figur ſind dieſe Li-
nien etwa 9½ und 3, und alſo ſind es nur 3 Pfund Kraft, mit
welcher die Drehung befoͤrdert wird, denn 3 Pfund nach Eg und
9½ Pfund nach Ee wirkend wuͤrden nach Ef einen Druck von 10
Pfunden hervorbringen; es kommen alſo nur 3 Pfund als nuͤtzlich
wirkend in Betrachtung. So verhaͤlt es ſich bei den Tretraͤdern, wo
der Menſch in dem inneren Rande des Rades bis nach H hinauf-
geht und durch ſein Gewicht das Rad umtreibt. Ebenſo wirkt bei
den oberſchlaͤchtigen Waſſerraͤdern das Gewicht des in den Kaͤſten
befindlichen Waſſers. Die Schwierigkeit, eine ſehr große Laſt, ein
ganzes Schiff zum Beiſpiel, zu heben, uͤberwinden wir dadurch,
daß wir die Laſt auf einer geneigten Ebne herauf ziehen. Hier iſt
eine geringere Kraft zum Hinaufziehen noͤthig, weil die Laſt PQ als
aus zwei Kraͤften PS, PR zuſammengeſetzt anzuſehen iſt (Fig. 13.)
[46] und nur PS diejenige Kraft iſt, welcher man beim Hinaufwaͤrts-
ziehen entgegen zu wirken hat. Die Gewalt, deren es bedarf, um
die Laſt hinauf zu ziehen, iſt deſto kleiner, je geringer die Neigung
der Ebne gegen den Horizont iſt, und zwar ſo, daß man, abgeſehen
von der Reibung, nur ein Viertel ſo viel als die Laſt wiegt, an
Kraft zum Hinaufziehen anzuwenden braucht, wenn BC ein Vier-
tel der AB iſt, und ſo in allen Faͤllen. Hiebei zeigt ſich uns noch
eine andre in der Statik oder in der Lehre vom Gleichgewichte merk-
wuͤrdige Regel. Soll die Laſt auf die Hoͤhe BC gehoben werden,
(Fig. 13.) ſo kann dies unmittelbar geſchehen, ſo daß auch die he-
bende Kraft keinen laͤngeren Weg als BC durchlaͤuft, aber dann
muß auch die Kraft voͤllig der ganzen Laſt gleich ſein; dagegen kann
man auf der ſchiefen Ebne AB mit ein Viertel der Kraft ausrei-
chen, muß ſich aber dann gefallen laſſen, die Laſt durch den vier-
fachen Weg fortzuziehen, ehe ſie bis zu derſelben Hoͤhe BC hinauf
gelangt. Und ſo finden wir immer, daß eine geringere Kraft nur
dadurch, daß ſie einen laͤngeren Weg durchlaͤuft, eben das ausrich-
ten kann, was eine groͤßere Kraft bei geringerem Wege bewirken
wuͤrde. — Was man an Kraft gewinnt, verliert
man an Geſchwindigkeit, ſo daß es gar wohl Faͤlle geben
kann, wo man lieber die vierfache Kraft anwendet, um die Laſt
vertical hinaufwaͤrts zu heben, damit dieſes ſchneller bewirkt werde.
Wenn die Schraube eine Laſt hebt, ſo ruͤckt bei einer Umdre-
hung der Schraube die Laſt nur ſo viel hinauf, als der Abſtand der
Schraubengaͤnge von einander betraͤgt, und die Hand, welche die
Schraube faßt, durchlaͤuft den Umfang der Schraube, die Laſt nur
die Hoͤhe des Schraubenganges; in eben dem Verhaͤltniſſe aber, wie
die Laſt ſich langſamer bewegt, in eben dem Verhaͤltniſſe iſt die
Kraft kleiner als die Laſt, wenn die Schraube wenig Reibung hat.
Wenn wir mit dem Meſſer, deſſen Ruͤcken nur ein Zwanzigſtel ſo
breit als die Seite des Meſſers iſt, den Zuſammenhang des Holzes
uͤberwinden wollen, ſo brauchen wir nur ein Zwanzigſtel derjenigen
Kraft, womit die Theile des Holzes zuſammenhaͤngen, anzuwenden,
um in das Holz einzudringen; aber unſre Hand muß auch das
Meſſer um ſeine ganze Breite vorwaͤrts draͤngen, waͤhrend die wi-
derſtehenden Holztheile nur um die Breite des Ruͤckens von einan-
der entfernt werden. — Das Meſſer alſo und jeder Keil erlaubt
[47] uns mit deſto geringerer Kraft zu wirken, je ſchaͤrfer er iſt, aber
um deſto weiter muͤſſen wir auch hineindringen, um eine gewiſſe
Trennung der Holztheile von einander zu erhalten.
Reibung.
Dieſe Regeln fuͤr das Gleichgewicht der Kraͤfte und fuͤr die
zum Heben von Laſten erforderlichen Kraͤfte wuͤrden genau guͤltig
ſein, wenn es keine Reibung (Friction) gaͤbe. Dann wuͤrde wirklich
auf einer Ebne, deren Hoͤhe ein Zwanzigſtel der Laͤnge iſt, nicht
bloß ein Pfund eine Laſt von 20 Pfunden im Gleichgewichte halten,
ſondern eine Kraft, wenig groͤßer als 1 Pfund wuͤrde auch die 20
Pfunde wirklich heben. Aber die Reibung, die ja ſelbſt auf ganz
horizontalem Boden uns das Fortziehen einer Laſt ſo ſehr erſchwert,
bringt hier ſehr erhebliche Unterſchiede hervor. Daß dieſe Reibung
nach Verſchiedenheit der Koͤrper ſehr ungleich iſt, zum Beiſpiel ſtaͤr-
ker, wenn Holz ſich auf Holz reibt, ſchwaͤcher wenn Metall ſich auf
Metall reibt, daß ſehr harte Koͤrper, die eine ſchoͤne Politur an-
nehmen, am wenigſten Reibung geben, und daß man daher in recht
vollkommenen Uhren die Stahl-Axen der Raͤder in diamantenen
Pfannen gehen laͤßt, iſt bekannt. Ein Mittel, um die Groͤße der
Reibung zu beſtimmen, findet ſich bei dem Gebrauche der ſchiefen
Ebne. Man richte naͤmlich die geneigte Ebne AB ſo ein, daß ſie
ſich mit Huͤlfe einer langſam fortruͤckenden Schraube in B allmaͤhlig
hoͤher ſtellen laͤßt, und ſetze, waͤhrend die Laſt P, die dann keine
Kugel ſein darf, auf der Ebne liegt, dieſes Erhoͤhen des Punctes
B ſo lange fort, bis die Laſt herabzugleiten anfaͤngt; findet man
dann BC ein Viertel ſo groß als AB, ſo betraͤgt die Reibung ein
Viertel der ganzen Laſt, denn da hier keine andre Kraft das Herab-
ſinken hindert, ſo iſt die Reibung als zuruͤckhaltende Kraft bei jeder
niedrigeren Stellung noch mehr als hinreichend geweſen, die Laſt
zu halten. Bei der Reibung von Holz auf Holz kann die Reibung
ein Drittel des Druckes und ſelbſt noch mehr betragen; bei Kupfer
auf Eiſen betraͤgt ſie etwa ein Sechstel, jedoch bei recht ſorgfaͤltiger
Politur weniger. Will man auf dieſe Reibung beim Gebrauche der
ſchiefen Ebne Ruͤckſicht nehmen, ſo muͤßte man bei dem in Fig. 14.
gezeichneten Falle, ſo rechnen. Da BC etwa 220 ſolche Theile
enthaͤlt, deren 1000 auf AB gehen, ſo iſt die zu Erhaltung von
[48] 1000 Pfunden noͤthige Kraft nach der vorigen Regel freilich nur
220 Pfund. Soll aber dieſe Laſt hinauf gezogen werden, ſo wider-
ſteht zugleich die Reibung, die wenn ſie ein Drittel des Druckes
betruͤge, hier uͤber 300 Pfund waͤre, und es beduͤrfte daher freilich
gar keiner Kraft, um die Laſt auf der Ebne ruhend zu erhalten,
indem die Reibung hiezu voͤllig ausreicht, aber um ſie hinaufzuzie-
hen, waͤren uͤber 500 Pfund Kraft erforderlich. Auf dieſe Weiſe tritt
uns ſehr oft die Reibung hindernd entgegen, und noͤthiget uns weit
groͤßere Kraͤfte aufzuwenden als ſonſt erforderlich waͤren; und wir
ſuchen daher ſie in vielen Faͤllen zu vermindern. Auf dieſer Vermin-
derung der Reibung beruht zum Beiſpiel ein großer Theil des Vor-
theils, den die Eiſenbahnen gewaͤhren, auf welchen 1 Pferd leiſtet,
was ſonſt 8 bis 10 Pferde leiſteten, ja wo bei recht glatten Eiſen-
bahnen ein Pferd 400 Centner ſoll ziehen koͤnnen *). Aber ſo ſehr
die Reibung uns oft hindert, ſo iſt ſie doch keinesweges immer eine
nachtheilig wirkende Kraft. Wie es uns beim Hinaufgehen auf den
ſanfteſten Abhang ergehen wuͤrde, wenn es keine Reibung gaͤbe,
davon uͤberzeugen wir uns, wenn wir beim Glatt-Eiſe eine nur
etwas geneigte Straße gehen wollen; wir finden dann noͤthig, durch
wollene Ueberſchuhe oder dergleichen, die beinahe ganz fehlende Rei-
bung zu vermehren. Ebenſo finden wir im Fahren, da die Reibung
des Rades beim Waͤlzen nur geringe iſt, zuweilen die Nothwendig-
keit, durch Feſtbinden des Rades die waͤlzende Reibung in eine
ſchleifende zu verwandeln oder durch den angelegten Hemmſchuh die
Reibung noch zu vermehren, damit nicht der Wagen in zu ſchnelle
Bewegung gerathe. Der Reibung verdanken wir es, daß nicht alle
an einem Abhange liegenden Steine in das Thal hinabgleiten, daß
nicht beim geringſten Winde alle auf der Straße oder auf dem Felde
unbefeſtigt ſtehenden Dinge fortgefuͤhrt werden; ja wir ſelbſt wuͤrden
auf dem genau horizontalen Boden der Gewalt des Windes nicht
widerſtehen koͤnnen, wenn keine Reibung waͤre, ſo wie es uns ja
ſchon auf glattem Eiſe, wo doch immer noch Friction vorhanden iſt,
ſchwer wird, bei ſtaͤrkerem Winde grade fortzugehen. Waͤre keine
Reibung ſo wuͤrde kein Feſthalten zwiſchen den Fingern oder zwiſchen
den flachen Endplatten einer Zange moͤglich ſein, ſondern alles
[49] wuͤrde uns entgleitend aus den Haͤnden fallen; wir bemerken dies
an ſehr glatten Koͤrpern, die wir nur durch heftiges Zuſammendruͤcken
der Finger erhalten, weil, wenn die Reibung vielleicht nur ein Zwoͤlf-
tel der druͤckenden Kraft betraͤgt, meine Finger mit 12 Pfund Kraft
druͤcken muͤſſen, um 1 Pfund zu erhalten, ſtatt daß ich da, wo die
Reibung ein Drittel der druͤckenden Kraft betruͤge, mit drei Pfund
Kraft ausreichte. — Dieſe Schwierigkeit, einen hinreichend großen
Druck auszuuͤben, und ſo die Reibung hinreichend zu vermehren, iſt
es, wodurch das Hinaufklettern an dem Stamme eines Baums,
den man mit Armen und Beinen feſt umklammert, ſo ſchwer und
nur dem moͤglich wird, der viele Kraft beſitzt; er muß naͤmlich einen
ſo großen Druck ausuͤben, daß die daraus hervorgehende, bei einem
glatten Baume einen geringen Theil der Kraft betragende, Reibung,
ſo viel als das ganze Gewicht ſeines Koͤrpers ausmacht.
Auch von Zerlegung der Kraͤfte finden wir hier Beiſpiele. Das
aufs beſte polirte Glas laͤßt ſich mit einem Drucke der Finger gegen
einander noch wohl feſthalten, wenn es bei maͤßiger Dicke zwei pa-
rallele Seitenflaͤchen hat, gegen welche unſre Finger ſenkrecht preſ-
ſend wirken koͤnnen; aber ein keilfoͤrmiges Glas, ein gleichſeitiges
Glasprisma LMN (Fig. 14. b.) werden wir, ſelbſt bei dem ange-
ſtrengteſten Andruͤcken der Finger gegen die beiden ſchiefen Flaͤchen,
nicht halten koͤnnen, wenn die Finger dieſe gegen einander geneigten
Flaͤchen von oben ergreifen. Hier naͤmlich druͤcken wir unſre Finger
in horizontaler Richtung (Fig. 14. b.) gegen einander; von dieſer
nach AB gerichteten Kraft wird nur ein Theil, nach Verhaͤltniß
durch AC ausgedruͤckt und ungefehr ⅞ der Kraft AB betragend,
ſenkrecht auf die Flaͤche druͤckend angewandt, und mit einer Kraft halb
ſo groß als AB ſchiebt unſer Finger ſich auf der Ebne BC fort; die
Reibung muͤßte daher ſchon uͤber die Haͤlfte des Druckes betragen,
wenn die Reibung dieſer fortſchiebenden Kraft widerſtehen ſollte, und
da das Gewicht des Prisma's uͤberdies noch getragen werden muß,
ſo iſt es nicht moͤglich, das Prisma ſo aufzuheben.
Es gaͤbe noch unzaͤhlige Beiſpiele von der nuͤtzlichen und von
der nachtheiligen Wirkung der Reibung; aber ich breche dieſe Be-
trachtung ab, um Ihre Geduld nicht zu ermuͤden.
I.
[50]
Fuͤnfte Vorleſung.
Gleichgewicht am Hebel.
Die Faͤlle des Gleichgewichtes, mit welchen ich Sie, meine
h. H., neulich unterhielt, kamen alle darauf hinaus, daß zwei oder
mehr Kraͤfte in verſchiedenen Richtungen wirkend einer ihrer mitt-
leren Richtung gegenuͤberſtehenden Kraft entgegen wirkten. Bei
der ſchiefen Ebne zum Beiſpiel iſt es, wenn ich von der Reibung,
die bei einer herabrollenden Kugel auch wirklich ganz unbedeutend
iſt, abſehe, die nach PT ziehende Kraft (Fig. 13.) und die nach
RP Widerſtand gegen den Druck leiſtende Kraft der feſten Ebne
ſelbſt, welche ſo wie zwei nach PU, PT ziehende Kraͤfte dem
Gewichte der Laſt P, welches nach PQ herabdruͤckt, das Gleich-
gewicht halten.
Aber noch eine zweite Claſſe von Faͤllen, wo Gleichgewicht
ſtatt findet, bietet ſich unſerer Betrachtung dar, naͤmlich das
Gleichgewicht der Kraͤfte am Hebel. Unſre gewoͤhnliche Waage
giebt uns von dem Entgegenwirken der beiden Kraͤfte am Hebel
das einfachſte Beiſpiel, indem die eine Waageſchaale ſteigen muß,
wenn die andere ſinkt, und das Gegengewicht in jener das Sinken
dieſer hindert. Im Allgemeinen verſtehen wir unter einem Hebel
eine unbiegſame Stange, die in einem Puncte unterſtuͤtzt, durch
zwei Kraͤfte nach entgegengeſetzten Richtungen zur Drehung um
jenen Punct angetrieben wird. Unſre gewoͤhnliche Waage iſt ein
gleicharmiger Hebel und wegen der gleichen Entfer-
nung vom Unterſtuͤtzungspuncte muͤſſen es hier gleiche Ge-
wichte ſein, die einander das Gleichgewicht halten. Iſt der He-
bel ungleicharmig, ſo laͤßt die Regel zur Beſtimmung der nun
zum Gleichgewichte erforderlichen Kraͤfte ſich am beſten ſo uͤber-
ſehen. Wenn der Hebel AB (Fig. 16.) in C unterſtuͤtzt iſt, und
CA iſt dreimal ſo lang als CB, ſo durchlaͤuft A bei einer geringen
Drehung um C einen dreimal ſo großen Weg als B; nach der
Regel alſo, daß man an Kraft ſo viel gewinnt, als man ſich an
groͤßerem Aufwande von Geſchwindigkeit einen Nachtheil muß ge-
[51] fallen laſſen, wuͤrden wir ſchließen, daß 1 Pfund in A drei Pfunden
in B das Gleichgewicht hielte; jenes eine Pfund traͤgt eine drei-
mal ſo große Laſt, aber bei, entſtehender Bewegung muß es ſich
dreimal ſo ſchnell, als dieſe groͤßere Laſt, bewegen, und das iſt es
ja, was wir meinen, wenn wir die Regel feſtſetzen, daß der Gewinn
an Kraft durch den Aufwand an Geſchwindigkeit ausgeglichen
werde.
Dieſes Geſetz, daß am Hebel die Kraͤfte ſich umgekehrt wie
die Entfernungen verhalten muͤſſen, daß ich in der zehnfachen
Entfernung nur ein Zehntel der Kraft anzuwenden brauche, die
ich in der einfachen Entfernung anwenden muͤßte, iſt es, welches
uͤberall, wo eine Drehung um einen Ruhepunct ſtatt findet, guͤltig
iſt. Es gilt nicht bloß in dem Falle, wo die Kraͤfte an den ent-
gegen geſetzten Enden des Hebels angebracht ſind, ſondern eben ſo
gut, wenn der Drehungspunct C, (Fig. 14. c.) ſo liegt, daß an
einerlei Seite desſelben eine Kraft A in E hinaufwaͤrts, eine Kraft
B in D hinabwaͤrts zieht; auch hier muß B doppelt ſo groß als A
ſein, wenn CD halb ſo groß als CE iſt. Ja der Hebel braucht
nicht einmal grade zu ſein, und dennoch findet ein ganz aͤhnliches
Geſetz ſtatt. Es ſei ACB (Fig. 17.) ein in C unterſtuͤtzter Win-
kelhebel, ſo wuͤrde eine auf den Arm BC ſenkrecht wirkende, in B
angebrachte Kraft in eben dem Verhaͤltniſſe groͤßer als eine in A
auf AC ſenkrecht wirkende Kraft ſein muͤſſen, als BC kleiner m
Verhaͤltniß gegen AC iſt. Wirken dagegen in B und in A Kraͤfte
nach den ſchiefen Richtungen BD und AH, ſo findet man die zum
Gleichgewichte erforderliche Groͤße dieſer Kraͤfte durch folgende Ue-
berlegung. Wenn die ganze Ebne IABG eine feſte Ebne waͤre,
die ſich um C drehen ließe, ſo waͤre es einerlei, ob ich den an ihrer
Oberflaͤche hin laufenden Faden BD in B oder in G an der Ebne
befeſtigt haͤtte, immer wuͤrde die Wirkung der Kraft D zur Dre-
hung der Ebne um C dieſelbe ſein; und ebenſo koͤnnte ich den an
der Ebne anliegenden Faden AH in A oder in I befeſtigt haben,
immer wuͤrde die Kraft H gleich viel zur Drehung um C wirken.
Dieſer Betrachtung gemaͤß waͤre es am angemeſſenſten, von C
aus die Linie CG auf BD ſenkrecht, CI auf AH ſenkrecht zu zie-
hen, dann wirket gewiß die Kraft D ſo, als ob ſie auf CG ſenk-
recht angebracht waͤre, und die Kraft H ſo, als ob ſie auf CI ſenk-
D 2
[52] recht angebracht waͤre, und D muß folglich zehnmal ſo groß, als
H ſein, wenn CI zehnmal ſo groß als CG iſt. Es gilt alſo hier
die allgemeine Regel, daß man vom Unterſtuͤtzungspunkte C die
Linien CG, CI, ſenkrecht gegen die Richtungen der Kraͤfte ziehen
und die Kraͤfte dieſen Abſtaͤnden umgekehrt proportional nehmen
muß.
Anwendungen des Hebels.
Von den unzaͤhligen Anwendungen des Hebels will ich nur
einige Beiſpiele anfuͤhren. — Wenn wir mit geringer Gewalt
eine erhebliche Laſt heben wollen, ſo geben wir der Stange AB
(Fig. 18.) ihren Unterſtuͤtzungspunct in C ſo, daß die Laſt D in moͤg-
lichſt geringer Entfernung wirke, der Punct A hingegen, wo die
Kraft angreifen ſoll, erheblich entfernt vom Unterſtuͤtzungspuncte
liege. Daß BCA hier ein Hebel iſt, erhellt wohl ſelbſt, und
daß, wenn AC zehnmal ſo groß als DC iſt, die Kraft in A nur ein
Zehntel der Laſt zu betragen brauche, erhellt ebenfalls. Aber nicht
da allein, wo eine auf einer Unterlage ruhende Stange in der ein-
fachſten Form des Hebels wirkſam iſt, bedienen wir uns des Hebels,
ſondern manche andere Werkzeuge ſind ebenfalls Hebel. Die Zange,
mit welcher man recht feſt faſſen will, hat lange Handgriffe, ſtatt
daß der zu faſſende Gegenſtand mit kuͤrzern Armen gefaßt wird; —
hier iſt der Drehungspunct als Unterlage des Hebels anzuſehen,
und zwei einander entgegen druͤckende Hebel uͤben nahe bei dieſem
Drehungspuncte eine große Gewalt aus, waͤhrend die in einem ent-
ferntern Puncte wirkende Kraft nur geringe zu ſein braucht. Die
Scheeren wirken eben ſo. Jeder Schluͤſſel, bei dem der Bart das
Schloß faßt, waͤhrend die Hand den obern Ring dreht, iſt ein Hebel.
Es iſt naͤmlich einerlei, ob (Fig. 19.) die wegzuſchiebende Laſt bei
A oder bei a, ebenſo entfernt von der zu drehenden Axe CD liegt,
und da die Hand vorzuͤglich auf die entfernteſten Theile des Hand-
griffes BB wirkt, ſo braucht man nur eine in dem Maaße kleinere
Kraft, als die Entfernung CB groͤßer als Ca iſt. Dieſes wiſſen
wir alle ſo wohl, daß wir, um den Schluͤſſel mit mehr Gewalt zu
drehen, uns gern, obgleich oft zum Nachtheil des Schloſſes und
Schluͤſſels, eines laͤngern, bei BB durchgeſteckten Stabes bedienen.
Die breitern Handgriffe an unſeren Bohrern haben eben den Zweck,
[53] und da beim Bohren der Widerſtand ſehr nahe an der Drehungs-
Axe liegt, ſo leiſtet eine geringe Gewalt an einem ziemlich breiten
Handgriffe ungemein viel.
Wenn die um die Angeln A, B, (Fig. 20.) bewegliche Fallthuͤr
oder horizontale Platte gehoben werden ſoll, ſo ergreifen wir ſie am
liebſten bei C, moͤglichſt weit von der Drehungs-Axe, damit unſre
Kraft deſto wirkſamer ſei. Wir bemerken uͤbrigens hier auch die
ungleiche Gewalt, mit welcher die Fallthuͤr unſrer Kraft entgegen
wirkt, daß ſie uns naͤmlich am ſchwerſten zu heben iſt, wenn ſie
noch horizontal liegt, und ſich immer leichter heben laͤßt, je hoͤher
ſie ſchon gehoben iſt. In der Lage AC naͤmlich (Fig. 21.) muͤſſen
wir die ganze Laſt der Thuͤr uͤberwinden und nur der Umſtand
koͤmmt uns vortheilhaft zu ſtatten, daß unſre Kraft in groͤßerer
Entfernung wirkt, als der Haupttheil der Laſt. Wenn dagegen die
Fallthuͤr ſchon in die Lage AD gehoben iſt, ſo wirkt die nach EF
herabdraͤngende Laſt zum Theil auf die Axe A druͤckend, und nur
der bei der Zerlegung der Kraft als auf AD ſenkrecht hervorgehende
Theil braucht noch von uns uͤberwunden zu werden.
Dieſe Geſetze der Wirkung von Kraͤften am Hebel geben uns
Mittel, die große Gewalt zu berechnen, mit welcher die Muskeln
zur Bewegung der Glieder wirken. Bei der Anordnung der Mus-
keln war der Zweck nicht, mit kleiner Kraft große Laſten zu heben,
ſondern er beſteht offenbar darin, die Kraft ſo anzuwenden, daß
durch ſehr geringe Verkuͤrzung oder Verlaͤngerung des dieſe Kraft
ausuͤbenden Muskels die Glieder einen bedeutenden Weg durchlaufen,
ſo wie es zu dem Zwecke ihrer Thaͤtigkeit noͤthig iſt. Aus dieſem
Grunde ſind die Muskeln ſehr nahe am Drehungspuncte des He-
bels angebracht, und zugleich ſo, daß ſie den Gelenken kein dickes
und unfoͤrmliches Anſehen geben; aber eben deshalb mußten ſie
eine große Spannung ertragen koͤnnen, und die geheimnißvolle
Kraft der Seele, die Muskeln zu verlaͤngern oder zu verkuͤrzen,
mußte ſich in ihnen ſo maͤchtig zeigen, wie ich es ſogleich angeben
will. Borelli giebt uͤber die Muskeln des Armes, welche am
Ellenbogen die Biegung des Gelenkes bewirken, Folgendes an.
Wenn man den Arm ſo ausſtreckt (Fig. 22.), daß eine Beugung
des Ellenbogens den vordern Theil des Armes hinaufwaͤrts be-
wegen wuͤrde, ſo kann ein ruͤſtiger Mann an den Fingerſpitzen
[54] eine Laſt von 26 Pfunden tragen, zu denen man noch wegen des
Gewichtes des Vorder-Armes 2 Pfund hinzurechnen muß. Bei
dieſer Lage des Armes ſind es zwei Muskeln, der musculus bi-
ceps und der musculus brachieus, welche das Gewicht erhalten;
dieſe Muskeln ziehen in einer ſehr ſchiefen Richtung, und wirken
daher ſo wie (Fig. 23.) eine nach fe an der Rolle df ziehende
Kraft, welche den Punct f nur um einen Zoll fortzubewegen
braucht, waͤhrend der 20 mal ſo entfernte Punct D zwanzig Zoll
durchlaͤuft. Soll alſo in D eine Kraft von 28 Pfund erhalten wer-
den, ſo muß in f, da nach Borelli das Gewicht zwanzigmal ſo
entfernt als der Muskel wirkte, eine zwanzigmal ſo große Kraft
von 560 Pfunden wirken, und ſo groß rechnet Borelli die von
beiden Muskeln gemeinſchaftlich ausgeuͤbte Kraft. Haͤlt man dage-
gen den Ober-Arm vertical herabwaͤrts, den Vorder-Arm hori-
zontal, ſo daß die innere Seite der Hand aufwaͤrts gekehrt iſt, ſo
kann man an den Fingerſpitzen 33 Pfund tragen, alſo etwa 35
Pfund, wenn man das Gewicht des Vorder-Arms mit rechnet, dies
ruͤhrt daher weil die Entfernung AC (Fig. 24.) ungefaͤhr 16 mal
ſo groß als AB iſt, und die Muskeln jetzt in etwas vortheilhafte-
rer Lage, als vorhin, ziehen (Fig. 24.). Borelli rechnet aus,
wie viel jeder der beiden Muskeln einzeln zu tragen vermag, indem
er bemerkt, daß bei ſtark zuruͤckgebeugtem Ober-Arme, wenn der
(alsdann einen ſpitzen Winkel mit dem Ober-Arme bildende) Vor-
der-Arm horizontal gehalten wird, der musculus brachieus faſt
gar nicht zu Erhaltung der Laſt, die man dann an den Fingern
traͤgt, mitwirke; in dieſer Lage koͤnne man 25 Pfund tragen und
die Wirkung des Muskels ſei nun ſo vortheilhaft, daß ſie nur 12
mal ſo groß, als die zu haltende Laſt, zu ſein brauche; dieſer
Muskel allein beſitze alſo 300 Pfund Kraft. Auf ebenſolchen Gruͤn-
den beruhet folgende Berechnung Borelli's. Wenn ein Mann,
der ſelbſt 180 Pfund wiegt, noch 200 Pfund auf dem Nacken traͤgt,
und waͤhrend der eine Fuß gehoben wird, mit etwas gebogenem
Knie ganz auf dem andern Fuße ruht, uͤben die an der convexen
Rundung des Kniees aufliegenden Muskeln eine Kraft von 2280
Pfunden aus.
Die Berechnung, welche Kraft die Muskeln beim Zerbeißen
einer harten Nuß anwenden, beruht ebenſo auf den Geſetzen des
[55] Hebels, und man ſetzt dabei voraus, daß man das Gewicht, unter
deſſen Laſt die Nuß zerdruͤckt wird, kenne *). Daß man das Tra-
gen eines Gewichtes noch ſchwieriger mache, wenn man es an einem
in der Hand gehaltenen Stabe mit ausgeſtrecktem Arme haͤlt, laͤßt
ſich auch leicht uͤberſehen. Hier wird naͤmlich erſtlich der Hebel-Arm,
an welchem das Gewicht wirkt, durch die Laͤnge des Stabes ver-
groͤßert, und die in gleicher Entfernung vom Drehungspuncte
wirkende Muskelkraft muß daher groͤßer ſein; aber zweitens muß
ich noch eine ganz neue Kraft anwenden, indem ich den auf
dem Zeigefinger liegenden Stab mit dem Daumen niederdruͤcke
und ſo meinen Zeigefinger oder einen andern Theil der Hand
zum Unterſtuͤtzungspuncte des Hebels, den der Stab darſtellt,
mache; hier muß der Daumen, wenn 1 Pfund am Stabe haͤn-
gend zehnmal ſo entfernt als der Daumen vom Zeigefinger an-
gebracht iſt, 10 Pfund Kraft ausuͤben und der Zeigefinger den
Druck von 11 Pfunden tragen.
Staͤrke der Balken.
Eine andre Anwendung der Lehre vom Hebel bietet die
Beſtimmung des Widerſtandes dar, den wir bei dem Zerbrechen
feſter Koͤrper finden. Die abſolute Feſtigkeit lernten wir
durch die Kraft, welche zum Zerreißen des Koͤrpers noͤthig iſt,
kennen, dagegen nennen wir relative Feſtigkeit denjenigen
Widerſtand des Zuſammenhanges, der ſich dem Zerbrechen ent-
gegenſetzt. Wenn ein Stab oder Balken in C unterſtuͤtzt, in A
und B aber mit Gewichten beſchwert wird, ſo zerbricht er, und
es erhellt nun erſtlich, daß das Gewicht B oder A mit deſto
groͤßerer Gewalt wirkt, je entfernter von der Unterlage C (Fig.
25.) es angebracht iſt, ſo daß in der doppelt ſo großen Entfer-
nung ein halb ſo großes Gewicht eben die Wirkung leiſten wuͤrde.
Die relative Feſtigkeit iſt daher der Laͤnge umgekehrt proportional,
und dies wiſſen wir ſehr gut, und unternehmen es eher einen
laͤngern Stab als einen kurzen eben ſo dicken zu zerbrechen. Daß
die relative Feſtigkeit zweitens der Menge der zu zerreißenden
Theilchen gemaͤß waͤchſt, iſt offenbar, aber wenn in E ein Theil-
[56] chen ebenſoviel Gewalt des abſoluten Zuſammenhanges beſitzt als
ein zweites in D, ſo leiſtet das in D viel groͤßern Widerſtand,
weil eine ſo entfernt von C wirkende Kraft wirkſamer iſt. Ent-
ſtaͤnde alſo der Widerſtand auch nur aus dem Zuſammenhange
der drei Theilchen D, E, F im einen, d, e, f im andern Bal-
ken, ſo waͤre doch fuͤr den erſtern eine doppelt ſo große Kraft
zum Zerbrechen noͤthig, wenn D doppelt ſo weit als d, E dop-
pelt ſo weit als e, F doppelt ſo weit als f von dem Drehungs-
puncte entfernt waͤre; da nun im doppelt ſo hohen Balken zu-
gleich doppelt ſo viele Theilchen uͤber einander liegen, und jedes
mit doppelter Gewalt wirkt, ſo iſt die relative Feſtigkeit viermal
ſo groß beim doppelt ſo hohen, neunmal ſo groß beim dreimal
ſo hohen, hundertmal ſo groß beim zehnmal ſo hohen Balken.
Hierauf beruht die große Feſtigkeit eines ſchmalen, in die hohe
Kante geſtellten Brettes; waͤre es zum Beiſpiel 2 Zoll dick und
12 Zoll breit, ſo kaͤme bei flacher Lage nur 2 als Hoͤhe vor
und 2 mal 2 mal 12 = 48 gaͤbe die Feſtigkeit in Vergleichung
gegen einen 1 Zoll breiten und 1 Zoll dicken Stab an, das
heißt jenes fordert 48 mal ſo viel Kraft zum Zerbrechen bei
gleicher Laͤnge, als dieſer; aber wenn 12 die Hoͤhe iſt und 2 die
Breite, ſo hat man dagegen 12 mal 12 mal 2 = 288 als
Ausdruck der Feſtigkeit. Ein Brett von ½ Zoll dick und 12
Zoll breit wuͤrden wir ziemlich leicht zerbrechen, wenn es auf der
breiten Seite aufliegt, aber es iſt eine 24 mal ſo große Kraft
dazu noͤthig, wenn es auf der hohen Kante liegt.
Die Frage, wie man aus dem cylindriſchen Baume den ſtaͤrk-
ſten Balken ſchneidet, gehoͤrt auch hieher. Der Querſchnitt des
Balkens muß etwas hoͤher als breit ſein, das iſt offenbar; die ge-
naue Beſtimmung koͤnnte ein guter Rechner durch einiges Probiren,
welche zuſammengehoͤrigen Breiten und Hoͤhen am meiſten Staͤrke
geben, finden; die Breite \frac{58}{100} des Durchmeſſers und die Hoͤhe
\frac{82}{100} des Durchmeſſers wuͤrden ſich als die vortheilhafteſten zeigen *).
[57]
Auch der Grund, warum ein elaſtiſcher Stab, am einen
Ende in A (Fig. 26.) befeſtiget, am andern Ende D mit einem
Gewichte beſchwert, ſich nicht uͤberall gleich ſtark kruͤmmt, erhellt
hieraus; denn das in P ziehende Gewicht uͤbt weniger Gewalt zu
Befoͤrderung der Kruͤmmung in B als in C aus, und die Kruͤm-
mung muß alſo gegen A hin ſtaͤrker werden. Die wahre Geſtalt,
die der gleichfoͤrmig elaſtiſche Stab annimmt, oder die elaſtiſche
Curve, laͤßt ſich hieraus beſtimmen.
Die Holzverbindungen, wo ſchief ſtuͤtzende Stuͤcke die horizon-
talen Balken tragen, die Verbindung von Balken, die man Haͤnge-
werke nennt, und aͤhnliche, beruhen gleichfalls theils auf einer Zer-
legung der Kraͤfte, theils auf dem Geſetze der am Hebel wirkenden
Kraͤfte.
Rad an der Welle und Raͤderwerk.
Eine andre, viele Faͤlle umfaſſende Anwendung der Geſetze
des Hebels bietet das Rad an der Welle und das Raͤderwerk dar.
Man verſteht unter dem Rade an der Welle diejenige Verbindung,
wo die Laſt am Umfange eines Cylinders AB (Fig. 29.) von
kleinerem Durchmeſſer zieht, die Kraft dagegen an einem Rade ED
von groͤßerm Durchmeſſer; hier ſteigt die aufgezogne Laſt um einen
Umfang der Welle AB, waͤhrend die Kraft ſoviel, als der Um-
fang des Rades betraͤgt, fortziehen muß, und die Kraft iſt wieder
in eben dem Maaße geringer, als der durchlaufene oder zu durch-
laufende Weg groͤßer iſt. Daß dieſes Werkzeug ganz mit dem
Hebel zu vergleichen iſt, laͤßt ſich ſo uͤberſehen. Wenn (Fig. 29.)
EDF die Flaͤche des Rades, AB den Querſchnitt der Welle vor-
ſtellt, ſo iſt der Mittelpunct C der eigentliche Drehungspunct und
es mag nun, wenn die Laſt in B hinabwaͤrts zieht, die Kraft in D
hinaufwaͤrts oder in E herabwaͤrts ziehen, immer wird ECB oder
*)
[58]CBD als ein Hebel anzuſehen ſein, an welchem Kraͤfte Drehungen
nach entgegengeſetzten Richtungen zu bewirken ſtreben; daß aber dann
die Kraft bei E in eben dem Verhaͤltniſſe gegen B gerechnet geringer
ſein darf, als der Abſtand CE groͤßer in Verhaͤltniß gegen CB iſt, habe
ich ja ſchon gezeigt. Das Raͤderwerk in Uhren und Maſchinen iſt
ganz aͤhnlich eingerichtet. Hier zieht zum Beiſpiel (Fig. 30.) die
Laſt P an der Axe C und ein Rad von 10mal ſo großem Durch-
meſſer, welches an ſeinem Umfange Zaͤhne hat, wuͤrde an ſeinem
Umfange nur eine Kraft ein Zehntel ſo groß als P fordern; die an-
zubringende Kraft wirkt aber hier nicht unmittelbar, ſondern mit
Huͤlfe eines zweiten Rades, und wenn hier wieder DF zehnmal ſo
groß als DE iſt, ſo uͤbt eine Kraft von einem Pfunde in F wir-
kend, auf E einen Druck von 10 Pfunden aus, und dieſer Druck
von 10 Pfunden auf die Zaͤhne des erſten Rades haͤlt 100 Pfunden
am Umfange der Welle C das Gleichgewicht. Hier iſt alſo 1 Pfund
in F hinreichend, um 100 Pfunden in C das Gleichgewicht zu hal-
ten; aber indem das Gewicht P ſich um ſoviel hebt, als der Um-
fang der Welle C betraͤgt, muß die Kraft F das Seil, woran ſie
zieht, hundertmal ſo weit fortziehen; es dreht ſich naͤmlich unter-
deß das Rad CG, deſſen Umfang 10mal ſo groß als der Umfang
ſeiner Welle iſt, auch ein ganzes Mal, und da jeder Zahn an EG
einen Zahn an ED mitnimmt, ſo dreht ſich das kleine gezaͤhnte
Rad ED ebenſo ſchnell fort, und die Geſchwindigkeit am Umfange
F iſt wieder 10mal ſo groß als in E, das iſt 100mal ſo groß, als die
Geſchwindigkeit der Laſt. Man wendet das gezaͤhnte Rad oft mit einer
aus wenigen Schraubengaͤngen beſtehenden Schraube verbunden an.
Der zwiſchen die Zaͤhne eingreifende Schraubengang ſchiebt den ei-
nen Zahn um ſo viel vorwaͤrts, als der Abſtand der Schraubengaͤnge
von einander betraͤgt, und indem dieſer vorbei geruͤckt iſt, wird ein
zweiter Zahn fortgetrieben. Weil hier dieſelben Schraubengaͤnge
immer aufs Neue wirken, ſo nennt man die Schraube eine
Schraube ohne Ende.
Auch den Flaſchenzug kann ich hier doch nicht ganz
uͤbergehen, da er ein ſo wichtiges Mittel zu Vermehrung der
Hebekraft da darbietet, wo kein ſchnelles Heben der Laſt erfor-
derlich iſt. Wenn (Fig. 35.) das Gewicht P mit der Rolle C
verbunden iſt, und das um die Rolle C gehende Seil iſt in A
[59] feſtgeknuͤpft, indem an B die erhaltende Kraft aufwaͤrts zieht, ſo
braucht dieſe offenbar nur ſo groß, als die Haͤlfte von P zu
ſein, da der Haken die eine Haͤlfte der Laſt traͤgt. Sind zwei
verbundene Rollen F, G, die um ihre Axen frei beweglich ſind,
in I aufgehaͤngt (Fig. 36.), und iſt an den beiden andern ver-
bundenen Rollen K, L, die Laſt P befeſtigt, ſo haͤngt dieſe, wenn
das in M feſtgeknuͤpfte Seil, ſo wie MKNOQRSTV zeigt, um
die Rollen geht, an vier Seilen MK, ON, QR, TS, und
jedes Seil traͤgt nur ein Viertel der Laſt; die nach V ziehende
Kraft von 10 Pfunden erhaͤlt ein Gewicht T = 40 Pfund. Soll
aber die Laſt um 1 Fuß gehoben werden, ſo muͤſſen alle vier
Seile um 1 Fuß verkuͤrzt werden, die in V angreifende Kraft
muß alſo das Seil um 4 Fuß fortziehen, und der Gewinn an
Kraft fordert einen in eben dem Verhaͤltniſſe groͤßern Aufwand
an Geſchwindigkeit.
Moment.
Die ungleiche Wirkſamkeit einer in groͤßerer oder kleinerer
Entfernung vom Drehungspuncte angebrachten Kraft nennt man
ihr Moment, und man ſagt daher, daß die Momente zweier
Kraͤfte am Hebel oder am Rade mit der Welle gleich ſind, wenn
das Gleichgewicht beſteht. Hieraus iſt es denn auch verſtaͤndlich
warum man in gewiſſen Faͤllen die Reibung, wenn ſie gleich an
ſich ebenſo ſtark wirkt, fuͤr weniger nachtheilig als in andern
Faͤllen zu halten hat, naͤmlich dann, wenn ſie ein geringes Mo-
ment hat. Wenn man die Welle AB des Rades CD (Fig. 29.)
auf einer Unterlage ruhen laͤßt, ſo findet die Reibung an dieſem
Umfange ſtatt; die Reibung ſelbſt wird nicht geringer, wenn man
die Welle auf dem duͤnnen Zapfen C ruhen laͤßt, aber jetzt wirkt
der Widerſtand der Reibung ſehr nahe am Mittelpuncte und
hat daher ein geringes Moment; — waͤre der Zapfen nur ein
Zehntel ſo dick als die Welle, ſo wuͤrde die Reibung jetzt mit
einer nur ein Zehntel ſo großen Kraft, als vorhin, uͤberwunden
werden. Aus dieſem Grunde drehen ſich die auf einem duͤnnen
Fuße laufenden Kreiſel ſo ungemein lange. Sie leiden allerdings
an dem Fußpuncte eine Reibung, aber dieſe wirkt ſo nahe an
der Drehungs-Axe, daß ſie nur in geringem Grade zu Ver-
[60] minderung der Bewegung beitragen kann, und daher koͤmmt es,
daß die wenig gehinderte Bewegung, ſo wie die Traͤgheit es for-
dert, ſehr lange faſt ungeaͤndert fortdauert. Daß man deshalb
die Reibung allemal gern an duͤnnen Zapfen wirken laͤßt, und
dieſe am liebſten von hartem Stahle macht, verſteht ſich nun
von ſelbſt. Aber auch der Nutzen der Reibungsrollen oder Fric-
tionsrollen laͤßt ſich uͤberſehen. Wenn (Fig. 31.) die Welle CD
auf einer feſten Ebne A aufliegt, ſo uͤbt die Reibung einen ge-
wiſſen Widerſtand aus; liegt die Welle aber auf zwei um duͤnne
Zapfen ſich drehenden Rollen E, F, ſo vermindert ſich dieſer
Widerſtand beinahe in dem Verhaͤltniſſe, wie der Durchmeſſer
der Zapfen geringer als der Durchmeſſer der Rollen iſt: — bei-
nahe genau, weil die Reibung, die am Umfange der Rollen ent-
ſteht, nur ſehr geringe iſt, ſo wie uͤberhaupt die Reibung beim
Fortwaͤlzen ziemlich unbedeutend iſt. — Hierauf beruht der Vor-
theil hoher Wagenraͤder, deren Durchmeſſer naͤmlich in Verglei-
chung gegen die eben ſo dick bleibende Axe groͤßer iſt. Der Vor-
theil der breiten Felgen beſteht in etwas Anderm, naͤmlich darin,
daß das Hineinſinken zwiſchen zwei hoͤher liegende Steine ſelt-
ner vorkoͤmmt, und daher nicht ſo oft ein neues Heben auf die
Hoͤhe des vorliegenden Steines noͤthig iſt.
Schwerpunct.
An dieſe reichhaltige Lehre vom Hebel ſchließt ſich die Lehre
vom Schwerpuncte an. Wenn an einer Stange ein Gewicht
haͤngt, und man will dieſes, indem man die Stange in A und
B ergreift, forttragen, ſo muͤſſen freilich (Fig. 32.) die in A und
B wirkenden Kraͤfte zuſammen der Laſt gleich ſein, aber unter
einander gleich duͤrfen ſie nicht ſein, wenn die Abſtaͤnde AC, BC
ungleich ſind. Man kann ihre Groͤße ſo beſtimmen. Wuͤrde A
ganz feſt gehalten, ſo brauchte B nur ein ſolcher Theil von P
zu ſein, wie AC von AB iſt, zum Beiſpiel, wenn, wie in der
Figur, AC = ⅜ AB iſt, hat B nur ⅜ des Gewichtes P zu
tragen, die uͤbrigen ⅝ traͤgt A, und man hat alſo die Regel:
Man theile die Laſt in ſo viel Theile als die ganze Entfernung
AB enthaͤlt, ſo hat A ſo viele ſolcher Theile zu tragen, als die
Entfernung BC angiebt, und B hat ſo viele ſolche Theile zu tra-
[61] gen, als die Entfernung AC angiebt. Wenn zwei Menſchen von
ungleicher Staͤrke eine Laſt tragen, ſo muß der ſchwaͤchere in B,
weiter entfernt von dem belaſteten Puncte angreifen, als der
ſtaͤrkere. Hier iſt die geſammte Wirkung der beiden in A, B
wirkenden Kraͤfte in C ſo vereinigt, daß ſie dort eine ihrer Summe
gleiche Laſt tragen, ohne eine Drehung zu bewirken, und C heißt
daher der Mittelpunct dieſer Kraͤfte. Ebenſo wenn (Fig. 33.)
zwei Gewichte P = 18, Q = 14 Pfunde herabwaͤrts ziehen, ſo
traͤgt die Unterlage in C die Summe beider Gewichte, und wenn
AC zu CB wie 14 zu 18 iſt, ſo bleibt alles im Gleichgewichte;
die geſammte Wirkung der beiden Gewichte iſt ein auf C aus-
geuͤbter Druck, und C heißt nun der Mittelpunct dieſer
Kraͤfte oder ihr Schwerpunct. Der Schwerpunct iſt alſo
derjenige, in welchem die ganze Wirkung zweier oder mehrerer
parallel wirkender Gewichte ſich vereinigt. Wenn ich den ganzen
Hebel AB mit den daran haͤngenden Gewichten an dem Seile
DC trage, ſo iſt es ganz ſo, als ob die Summe der Gewichte
in C hinge, indem der Hebel kein Beſtreben, nach einer Seite
ſich zu heben, nach der andern ſich zu ſenken, zeigt.
Haͤngen mehrere Gewichte an der Linie AE, zum Beiſpiel
(Fig. 34.) in A, B, D, E, ſo beſtimmt man den Schwerpunct
ebenfalls leicht. Wenn in A 5 Pfund, in B 7 Pfund, in D
12 Pfund, in E 1 Pfund haͤngen, ſo theilt man AB in 5+7
Theile, und es iſt ſo gut, als ob 12 Pfund in F hingen; eben-
ſo theilt man DE in 13 = 12+1 Theile, und es iſt ſo gut
als ob 13 Pfund in G hingen; endlich theilt man FG in 25
Theile, und auf dem zwoͤlften Theilungspuncte von G her liegt
der Schwerpunct H aller vier Gewichte, eine Kraft in H auf-
waͤrts ziehend, muͤßte 25 Pfund betragen und erhielte dann alles
im Gleichgewichte. Eben ſo, wie es hier einen Schwerpunct fuͤr
vier Gewichte giebt, ſo laͤßt ſich nun auch der Schwerpunct eines
ganzen Koͤrpers als derjenige Punct bezeichnen, den man unter-
ſtuͤtzen muß, um den ganzen Koͤrper im Gleichgewichte zu erhal-
ten. Wenn man (Fig. 37.) in einem, aus gleichfoͤrmigem Blech
geſchnittenen Drei-Ecke ABC die Linie AD von der Spitze
nach der Mitte der Grundlinie zieht und dieſe mit einer Meſſer-
ſchneide unterſtuͤtzt, ſo iſt das Drei-Eck im Gleichgewichte, weil
[62]BD mit CD, bd im Gleichgewichte iſt. Zieht man
ebenſo BE nach der Mitte der AC, ſo wuͤrde auch BE unter-
ſtuͤtzt werden duͤrfen, um das Drei-Eck im Gleichgewichte zu er-
halten. Aber es braucht nicht eine dieſer Linien ganz unterſtuͤtzt
zu werden, ſondern eine Nadelſpitze unter dem Durchſchnitts-
puncte F beider, als Unterſtuͤtzung, angebracht, erhaͤlt das ganze
Drei-Eck im Gleichgewichte, und F iſt des Drei-Ecks Schwer-
punct. — Eben ſo erhalten wir eine Kreisflaͤche ohne daß ſie ſich
nach einer Seite ſenkt, wenn wir ihren Mittelpunct unterſtuͤtzen;
wuͤrde dagegen ein andrer Punct neben dem Mittelpuncte unter-
ſtuͤtzt, ſo wuͤrde der Kreis nach der Richtung hinabſinken, wie es
geſchaͤhe, wenn der Mittelpunct allein mit dem ganzen Gewichte
des Kreiſes belaſtet waͤre. Der Schwerpunct liegt uͤbrigens nicht
immer in der Maſſe des Koͤrpers ſelbſt, ſondern ein kreisfoͤrmi-
ger Reifen zum Beiſpiel hat den Schwerpunct im Mittelpuncte,
obgleich dieſer Mittelpunct keinen Theil der Maſſe des Reifens
enthaͤlt. Zoͤge man einen feinen Faden als Durchmeſſer des
Kreisringes und hielte dieſen Faden in ſeiner Mitte an einem
angeknuͤpften Faden feſt, ſo wuͤrde der Ring horizontal ſchwebend
erhalten. —
Hiernach laſſen ſich nun die Umſtaͤnde beſtimmen, wann
ein Koͤrper auf einer beſtimmten Unterſtuͤtzung ruhen kann, oder
nicht. Iſt er nur in einem Puncte unterſtuͤtzt, ſo muß dieſe
Unterſtuͤtzung entweder im Schwerpuncte ſelbſt, oder ſenkrecht uͤber,
oder ſenkrecht unter demſelben angebracht ſein; und wenn ſie
unterhalb des Schwerpunctes liegt, ſo ruht der Koͤrper zwar ſo
lange, als der Schwerpunct ſich genau grade uͤber ihr befindet,
er faͤllt aber herab, wenn er durch einen Zufall oder durch eine
ſeitwaͤrts wirkende Kraft um etwas Geringes aus dieſer Lage ge-
ruͤckt iſt. Bei der Lage AB, (Fig. 38.) koͤnnte ſelbſt die Kugel
auf einer Nadelſpitze D ruhen, aber ſobald ſie in die Lage ab
ruͤckt, ſo iſt ihr Schwerpunct e nicht unterſtuͤtzt und faͤllt un-
fehlbar, wenn man nicht durch ſchnelle Unterſtuͤtzung des richti-
gen Punctes dieſes hindert. Waͤre dagegen die Kugel oberhalb
des Schwerpunctes in D (Fig. 39.) unterſtuͤtzt, ſo wuͤrde bei
einer geringen Verruͤckung der Schwerpunct c gehoben werden,
weil die Drehung um D ſtatt faͤnde, und nun wuͤrde er nach C
[63] zuruͤckſinken, das Gleichgewicht alſo ſich herſtellen; — in dieſem
Falle heißt das Gleichgewicht ein ſicheres Gleichgewicht,
ſtatt daß es im andern Falle ein unſicheres oder wanken-
des, leicht zerſtoͤrbares, heißen wuͤrde. Nach der Lage des Schwer-
punctes beurtheilen wir, ob ein Koͤrper feſtſtehe, Stabilitaͤt
beſitze, oder nicht. Dem Koͤrper ABCD (Fig. 40.) wuͤrden wir
keine Feſtigkeit in der Stellung zutrauen; denn da wir den
Schwerpunct am natuͤrlichſten in der Mitte der Figur ſuchen,
in E, ſo glauben wir dieſen ununterſtuͤtzt zu ſehen, indem die
Linie EF uͤber die Grundflaͤche AB hinausfaͤllt, und E unge-
hindert ſinken kann. Indeß koͤnnte ein ungleichfoͤrmiger Koͤrper,
der unten aus Blei, oben aus Holz beſtaͤnde, dennoch feſtſtehen;
denn bei dieſem wuͤrde der Schwerpunct tiefer, etwa in G liegen,
und wenn die durch G gezogene Verticallinie noch in die Grund-
flaͤche AB trifft, ſo hat der Koͤrper keine Neigung umzuſtuͤrzen.
Hierauf beruht das Feſtſtehen und das Zuruͤckkehren zur auf-
rechten Stellung bei den unten mit Blei beſchwerten menſchlichen
Figuren, mit welchen die Kinder ſich zu beluſtigen pflegen; der
Schwerpunct liegt hier, da der obere Theil der Figur ſehr leicht
iſt, in der Bleihalbkugel, und er hat daher beim aufrechten Ste-
hen eine niedrigere Lage, als wenn man die Figur auf die Seite
legt. Der ſehr ſichere Stand einer Figur, die in der Hand einen
tief hinabreichenden, unten ſehr beſchwerten Stab traͤgt, laͤßt ſich
ebenſo erklaͤren. Wenn die Kugel (Fig. 41.) D viel mehr als
die Figur BC wiegt, ſo wuͤrde der Schwerpunct nahe bei D,
etwa in E zu ſuchen ſein, und dieſer befindet ſich bei der eintre-
tenden ruhigen Stellung vertical unter dem Puncte C, auf wel-
chem die Figur ruht; bringt man die Figur in die Stellung
Cb, ſo hebt man die Kugel nach d, und der Schwerpunct E
wird gehoben, er ſtrebt alſo zu ſinken und kehrt, da C immer in
demſelben Puncte bleibt, in ſeine alte Stellung zuruͤck. — Nach
der Lage des Schwerpunctes beurtheilen wir, ob ein Menſch eine
gewiſſe Stellung annehmen kann. Wenn jemand zuruͤckgelehnt
auf dem Stuhle ſitzt, ſo kann er nicht aufſtehen, ohne ſich vor-
waͤrts zu buͤcken, denn der Schwerpunct muß erſt bis uͤber die
Fuͤße hin vorruͤcken, ehe man ſich vom Stuhle erheben kann.
Wenn ein Mann eine ſchwere Laſt auf dem Ruͤcken traͤgt, ſo
[64] muß er ſich voruͤberbeugen, damit der Schwerpunct der geſammten
Maſſe, ſeines eignen Koͤrpers naͤmlich und der auf dem Ruͤcken
befeſtigten Laſt, grade uͤber den Fußſohlen liege; will er fortſchrei-
ten, ſo muß er ſich noch etwas mehr vorwaͤrts beugen, damit der
Schwerpunct beim Heben des einen Fußes ein wenig vor dem an-
dern Fuße liege, und nun erſt durch Auftreten mit jenem Fuße
wieder ſeinen Ruhepunct finde. Wir alle lehnen uns mehr vor-
waͤrts bei ſchnellem Gehen, damit ſogleich nach dem Auftreten des
gehobnen Fußes der Schwerpunct wieder uͤber den unterſtuͤtzten
Punct hinausgeruͤckt ſei. Menſchen, welche Laſten auf dem Kopfe
tragen, gehen ſehr grade aufrecht, damit theils die auf dem Kopfe
nur in wenigen Puncten unterſtuͤtzte Laſt nicht herabfalle, theils
auch der hoch hinauf geruͤckte Schwerpunct des oben belaſteten Koͤr-
pers nicht zu weit vorwaͤrts liege; ſie ſchreiten in kleinen Schritten
vorwaͤrts, damit die Bewegung moͤglichſt gleichfoͤrmig ſei, und die
am Kopfe nicht befeſtigte, ſondern frei aufliegende Laſt nicht bei
ploͤtzlich ſchneller und ploͤtzlich abgeſetzter Bewegung durch die Traͤg-
heit beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung vorruͤcke; iſt es ſogar
ein Gefaͤß mit Waſſer oder ein Milch-Eimer, den ſie ſo tragen, ſo
muͤſſen ſie um ſo mehr dieſe Vorſicht beobachten, da die fluͤſſige
Maſſe ſogleich beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung durch die
Traͤgheit weiter nach vorne gefuͤhrt wuͤrde und die Gefahr des Her-
unterfallens vermehrte.
Die Regel, daß man auf einem Wagen ſitzend, wenn dieſer
umzuſtuͤrzen droht, nicht aufſtehen, am wenigſten an der hinab-
waͤrts geneigten Seite aufſtehen ſoll, erklaͤrt ſich ebenfalls hieraus;
denn beim Aufſtehen ruͤckt der Schwerpunct hoͤher, und wenn er
vielleicht ſchon um etwas Geringes uͤber die Grenze der Unter-
ſtuͤtzung hinaus liegt, ſo wird das Moment der Kraft, die das
Umſtuͤrzen bewirkt, noch vermehrt, und die Gefahr, daß bei et-
was ſtaͤrkerer Neigung des Wagens der hoͤher liegende Schwer-
punct uͤber die Unterſtuͤtzungspuncte hinausgefuͤhrt werde, iſt
ebenfalls groͤßer. — Wenn wir im Gehen ausgleiten und nach der
rechten Seite zu fallen im Begriff ſind, ſo ſtrecken wir den linken
Arm aus, damit der Schwerpunct ein wenig mehr auf die linke
Seite, das iſt dahin ruͤcke, wo er noch uͤber den Unterſtuͤtzungs-
puncten liegt, welche die Fuͤße darbieten, und dieſes Ausſtrecken
[65] des Armes iſt noch wirkſamer, wenn wir etwas Schweres in dieſer
Hand halten. Dabei iſt das ſehr weite Ausſtrecken des Armes
darum vortheilhaft, weil die, wenn gleich nicht bedeutend ſchweren,
aber ſehr entfernten Theile ein großes Moment erhalten und da-
durch auf die Fortruͤckung des Schwerpuncts wirken. Sind in
A 20 Pfund, in B (Fig. 42.) 1 Pfund, ſo liegt der Schwerpunct
nur um \frac{1}{21}AB von A entfernt, ruͤckt aber das eine Pfund ziem-
lich weit bis C fort, ſo ruͤckt der Schwerpunct um \frac{1}{21}BC von D
nach d fort. Die Kuͤnſte der Seiltaͤnzer beruhen vorzuͤglich auf
einer genauen Achtſamkeit auf die Lage des Schwerpunctes. So
lange der Schwerpunct genau uͤber dem Seile liegt, ruht der
Koͤrper ſelbſt auf dem ſchmalen Seile noch ſicher, aber da ein Hin-
ausruͤcken des Schwerpunctes uͤber dieſe engen Grenzen unver-
meidlich iſt, ſo erfordert es große Kunſt, durch Ausſtrecken des
Armes oder auf aͤhnliche Weiſe, den Schwerpunct wieder ſenkrecht
uͤber die Unterſtuͤtzung zu bringen; mit Huͤlfe einer ſchweren Ba-
lancierſtange geht es, zumal wenn dieſe tief herabgehalten wird,
etwas leichter. Auch diejenigen Kuͤnſte des Aequilibrirens, wo
ſchwere Koͤrper in aufrechter Stellung, auf dem Finger oder auf
einer Degenſpitze getragen, erhalten werden, beruhen auf einem
ſorgfaͤltigen Wahrnehmen der Lage des Schwerpunctes. Ein ho-
her, an ſeinem obern Ende ſchwerer Koͤrper laͤßt ſich, in ſeinem
untern Puncte unterſtuͤtzt, leichter balanciren, als wenn der
Schwerpunct niedriger laͤge. Wenn naͤmlich (Fig. 43.*) der
Schwerpunct A nach a ausgewichen iſt, ſo iſt, wenn C den Un-
terſtuͤtzungspunct vorſtellt, das Beſtreben zu fallen, noch ſehr
geringe, und der unterſtuͤtzende Finger braucht nur langſam nach
e fortzugehen, um das Gleichgewicht zu erhalten; iſt aber der
niedriger in B liegende Schwerpunct, eben ſo weit, nach b aus-
gewichen, ſo iſt das Beſtreben zu fallen, wegen der erlangten
ſchiefern Richtung, groͤßer, und das weitere Umſtuͤrzen erfolgt
zu ſchnell, um es durch ein Fortruͤcken nach c zu hindern.
Die Betrachtung der Lage des Schwerpunctes erklaͤrt zwei
Phaͤnomene, die man gewoͤhnlich als auffallende anzufuͤhren pflegt,
naͤmlich das Aufwaͤrtsrollen eines an einer Seite ſchwereren Cylin-
ders auf einer geneigten Ebne, und das Aufwaͤrtsrollen eines Dop-
pelkegels, der zwiſchen zwei, geneigten Ebnen aufliegt. Wenn ein
I. E
[66] Cylinder (Fig. 43.) AB an ſeiner einen Seite A mit Blei be-
ſchwert iſt und beim Auflegen auf eine ſchiefe Ebne dieſe Seite den
obern Platz einnimmt, ſo ſinkt der Schwerpunct, der etwa in C
liegt, herab, dabei aber waͤlzt der ganze Cylinder ſich an der Ebne hin-
aufwaͤrts, und hierin beſteht das Auffallende der Erſcheinung. —
Der Doppelkegel (Fig. 44.) ABCD beſteht aus zwei gleichen, mit
ihren Grundflaͤchen in CD zuſammen gefuͤgten Kegeln. Legt man
ihn auf zwei geneigte, gegen EF zu naͤher an einanderſtehende Un-
terlagen, die in E und F ihre tiefſten Puncte haben, ſo waͤlzt er ſich
nach GH zu, obgleich dieſe Puncte die hoͤhern der geneigten Ebnen
ſind; da naͤmlich dort der Zwiſchenraum weiter iſt, ſo ſenkt ſich ſein
dickerer Theil zwiſchen die Unterlagen hinab und der Schwerpunct
ſinkt, obgleich die Axe des Koͤrpers ſich hinauf waͤlzt, und es daher
ſo ausſieht, als ſteige der ganze Koͤrper.
Die Waage.
Als eine Anwendung dieſer Lehre muß ich noch die Einrichtung
unſrer gewoͤhnlichen Waage erklaͤren, deren Eigenſchaft, einen groͤ-
ßern oder kleinern Ausſchlag zu geben, auf der Lage des Schwer-
punctes beruht. Wir ſind gewohnt beim Hebel die eigne Schwere
des Hebels nicht zu beruͤckſichtigen, und duͤrfen dies in den meiſten
Faͤllen um ſo eher, da gewoͤhnlich die am Hebel wirkenden Kraͤfte
ſehr viel groͤßer ſind, als das Gewicht des Hebels ſelbſt; aber bei
der Waage koͤmmt dieſes dennoch ſehr in Betrachtung. Unſre ge-
woͤhnliche Waage iſt ein gleicharmiger Hebel und ihre Richtigkeit
wird daran erkannt, daß man die zum Gleichgewichte erforderlichen
Gewichte vertauſcht, indem bei einiger Ungleichheit der Arme das
zum Gleichgewicht am laͤngeren Arme erforderliche Gewicht etwas
kleiner, als das am kuͤrzern iſt, bei der Verwechſelung alſo das Gleich-
gewicht nicht mehr beſtehen koͤnnte. Waͤre nun die Waage in dem
Schwerpuncte des Wagebalkens unterſtuͤtzt, ſo wuͤrde das geringſte
Uebergewicht an einer Seite ein voͤlliges Herunterſinken dieſer Seite
zur Folge haben, und das, was wir den Ausſchlag der Waage nen-
nen, naͤmlich ein, nach Maaßgabe des Uebergewichtes geringeres
oder ſtaͤrkeres Abweichen von der Gleichgewichtslage, faͤnde gar
nicht ſtatt. Da es nun hoͤchſt unbequem waͤre, wenn nur bei ge-
nauem Gleichgewichte die Waage ihren regelmaͤßigen Stand be-
[67] hielte, und beim geringſten Uebergewichte der Waagebalken ſogleich
die verticale Stellung annaͤhme, ſo iſt der Drehungspunct des
Waagebalkens nicht einerlei mit dem Schwerpuncte, ſondern jener
liegt hoͤher als dieſer. Der dadurch erreichte Vortheil laͤßt ſich leicht
uͤberſehen. (Fig. 45.) Es ſei C der Punct, um welchen ſich die
feſtverbundenen Theile CG, AB, der Waage drehen und der
Schwerpunct des Waagebalkens befinde ſich in G; dann wird beim
Gleichgewichte der Theil AB ſich horizontal ſtellen, und da CG
ſenkrecht gegen die Mitte des Waagebalkens ſein muß, ſo hindert
es waͤhrend des Gleichgewichtes nichts, daß G vom Drehungspuncte
C entfernt liegt. Iſt aber in B ein Uebergewicht, ſo ſenkt ſich der
Arm GB und dadurch ruͤckt der Schwerpunct G, ein wenig gehoben,
auf die entgegengeſetzte Seite; indem nun erſtlich das leichtere
Gewicht an A ein wenig weiter vom Unterſtuͤtzungspuncte fort ruͤckt,
oder de groͤßer als AG, fh kleiner als GB iſt, und zweitens auch
das Gewicht des Waagebalkens, welches wir als im Schwerpuncte G
vereinigt anſehen koͤnnen, auf der Seite des leichtern Gewichtes her-
abwaͤrts zieht, ſo tritt (vorausgeſetzt, daß das Uebergewicht bei B
nicht zu groß iſt), ein Gleichgewicht bei maͤßiger Neigung des Waa-
gebalkens ein. Iſt die Entfernung des Schwerpunctes G vom
Drehungspuncte C ſehr geringe, ſo muß bei gleichem Uebergewichte
die Neigung groͤßer werden, und die Waage heißt dann eine ſehr
empfindliche, weil ſie einen großen Ausſchlag giebt; im entgegen-
geſetzten Falle heißt ſie eine traͤge Waage. Goldwaagen und vollends
diejenigen Waagen, die zu ſehr genauen, bis auf feine Theile des
Grans gehenden Abwiegungen bei phyſicaliſchen oder chemiſchen
Experimenten gebraucht werden ſollen, muͤſſen von der erſtern Art
ſein. Die Sorgfalt, mit welcher man bei ſo feinen Waagen die
Reibung zu vermindern ſucht, die dazu dienenden Anordnungen, um
die Waage nur dann auf der feinen Meſſerſchneide, die den Dre-
hungspunct darbietet, ruhen zu laſſen, wenn die Waage gebraucht
wird, ſonſt aber ſie abzuheben und an andern Puncten zu unter-
ſtuͤtzen, und aͤhnliche Vorſichts-Maaßregeln kann ich hier nicht um-
ſtaͤndlich anfuͤhren.
Die Schnellwaage hat die Beſtimmung, mit einem ein-
zigen Gewichte verſchiedene Laſten abzuwaͤgen. Iſt dieſes Gewicht
als Beſchwerung des Hebel-Armes ſelbſt angebracht, ſo iſt der
E 2
[68] Schwerpunct G des ganzen Werkzeuges ein fuͤr allemal als mit dem
beſtimmten Gegengewichte belaſtet anzuſehen. Wird dann in A
eine unbekannte Laſt angehaͤngt, indem C der Unterſtuͤtzungspunct
iſt (Fig. 46.), ſo giebt die Entfernung AC die Groͤße dieſer Laſt
an. Geſetzt die ganze Schnellwaage ſei 10 Pfund ſchwer, und
man finde, daß AC halb ſo groß als CG ſein muß, damit das
Gleichgewicht beſtehe, ſo iſt die angehaͤngte, abzuwaͤgende Laſt
20 Pfund, und es pflegt auf dem Arme ACG dieſe Zahl der
Pfunde fuͤr jede Lage der Unterſtuͤtzung bemerkt zu ſein.
Man kann den Vortheil, mit kleinen Gewichten große Laſten
abzuwaͤgen, durch eine angemeſſene Verbindung mehrerer Waage-
balken noch mehr erhoͤhen, zum Beiſpiel durch eine ſolche Einrich-
tung, wie (Fig. 10. *) zeigt. Hier iſt AB ein in E aufliegender
Waagebalken, der mit der Stange BC und dem zweiten Waage-
balken CD ſo verbunden iſt, daß eine Drehung um die Verbin-
dungspuncte B und C ſtatt finden kann; das Ende D aber iſt um
eine an den Unterlagen befeſtigte Axe D drehbar. Laͤßt man nun
auf die Bruͤcke FG, die vermittelſt der Stuͤtze H auf den zweiten
Hebel-Arm in H druͤckt, einen beladenen Wagen fahren, und be-
laſtet zugleich die Waageſchale A, ſo wird, wenn AE fuͤnfmal ſo
groß als EB iſt, ein Gewicht in A gleich 10 Pfunden, in B eine
hinaufziehende Kraft von 50 Pfund hervorbringen, und wenn fer-
ner CD fuͤnfmal ſo groß iſt, als HD, ſo widerſteht dieſe in C
hinaufziehende Kraft von 50 Pfunden einer in H druͤckenden Kraft
von 250 Pfunden; man hat alſo nur den 25ſten Theil des in H
druͤckenden Gewichtes noͤthig, um auf der Waageſchale A der Laſt
H das Gleichgewicht zu halten. Dies gewaͤhrt nicht bloß eine Be-
quemlichkeit wegen des ſehr erleichterten Abhebens und Aufſetzens
der Gewichte, ſondern der Druck auf die Unterlagen wird auch ge-
ringer. Wollte man 2500 Pfund mit der gewoͤhnlichen Waage
abwaͤgen, ſo muͤßte man die zweite Schale mit 2500 Pfund, alſo
die Unterlage mit 5000 Pfund belaſten; hier hingegen muͤſſen,
wenn in H 2500 Pfund druͤcken, in C 500 Pfund hinauf ziehen
und D leidet doch nur einen Druck von 2000 Pfunden, E einen
Druck von 600 Pfunden, weil in A nur 100 Pfund noͤthig ſind,
um in D den Druck von 500 Pfunden hervorzubringen.
[69]
Kettenlinie.
Noch einen Gegenſtand muß ich hier erwaͤhnen, naͤmlich die
Beſtimmung der Form, welche eine in zwei Puncten aufgehaͤngte
uͤberall gleich ſchwere Kette annimmt. Wenn mehrere Koͤrper ſo
verbunden ſind, daß ſie um ihre Verbindungspuncte ſich drehen,
und gegen einander eine verſchiedene Lage annehmen koͤnnen, ſo
nehmen ſie, frei aufgehaͤngt, diejenige Lage an, bei welcher der
Schwerpunct jedes einzelnen Theiles die niedrigſte Lage erhaͤlt. Auf
dieſes Geſetz gruͤndet ſich die Beſtimmung der Kettenlinie. Um
dieſe Linie zuerſt practiſch anzugeben, um zu wiſſen, wie lang eine
Kette ſein muß, die, in zwei beſtimmten Endpuncten A, E, be-
feſtigt, bis zu einer gewiſſen Tiefe herabhaͤngen ſoll (Fig. 47.),
zeichnet man in verkleinertem Maaßſtabe die Lage der drei Puncte,
durch welche die Kettenlinie gehen ſoll, auf einer vertical ſtehenden
Tafel auf, befeſtigt eine uͤberall gleich ſchwere Kette mit ihrem ei-
nen Endpuncte, in einem der Aufhaͤngepuncte, und bringt, indem
man die Kette allmaͤhlig weiter durch den andern Aufhaͤngepunct
fortruͤcken laͤßt, ihren herabhaͤngenden Theil dahin, daß er den drit-
ten Punct beruͤhrt; dann hat man das Modell der verlangten Ket-
tenlinie, und kann daher theils die noͤthige Laͤnge der Kette, aus
jenem verkleinerten Maaße auf wahres Maaß zuruͤckgefuͤhrt, ſchlie-
ßen, theils auch alle einzelne Puncte, durch welche die Kette gehen,
welche Hoͤhe ſie in jedem Puncte haben wird, beſtimmen. Dieſe
Beſtimmung iſt bei der Errichtung von Kettenbruͤcken und in an-
dern Faͤllen oft von Wichtigkeit. Auch die in jedem Theile der
Kette wirkſame Kraft der Spannung, welche die Kette zu zerreißen
ſtrebt, kann man durch einen Verſuch angeben, wenn man an der
Stelle, wo man ſie zu wiſſen verlangt, eine Federwaage einſpannt,
die durch die Laͤnge, zu welcher ſie ausgezogen wird, Pfunde und
Lothe angiebt; man uͤbertraͤgt naͤmlich dann die im Modell gefun-
dene Spannung auf das verhaͤltnißmaͤßige Gewicht der groͤßern
Kette, ſo daß zum Beiſpiel die Pfunde der Federwaage Centner der
Spannung angeben, wenn die Modellkette ſo viele Pfunde wiegt,
als die wirklich zu gebrauchende Kette Centner.
Auch die Theorie der Kettenlinie iſt nicht ſchwer zu uͤberſehen.
Da die aus der Spannung hervorgehenden, in horizontaler Richtung
[70] wirkenden Kraͤfte ſich einander im Gleichgewichte halten muͤſſen, der
hinaufwaͤrts gerichtete Theil der Spannung aber das Gewicht der
Kette traͤgt, ſo ergiebt ſich folgende Regel fuͤr die richtig gezeichnete
Kettenlinie ABCDE (Fig. 47.). Wenn C ihr tiefſter Punct iſt,
und man zieht in verſchiedenen Puncten D, d, Beruͤhrungslinien
DG, dg ſo lang, daß die horizontalen Laͤngen DF, df gleich ſind,
ſo muͤſſen die zugehoͤrigen verticalen Laͤngen FG, fg den vom un-
terſten Puncte an gerechneten Bogen proportional ſein, alſo FG =
2fg, wenn CD = 2Cd iſt. Hier ſtellt naͤmlich DF oder df den
aus der Spannung entſtehenden horizontalen Zug vor, FG, fg
aber den verticalen Zug, der offenbar das ganze unterhalb liegende
Gewicht der Kette traͤgt.
Dieſe Kettenlinie koͤmmt auch bei der Form der Gewoͤlbe vor.
Wenn man zwei Staͤbe ſo auf einander ſetzt, daß (Fig. 48.) der
eine ſich an die feſte Wand AB anlehnt, der andre auf dem Boden
BC ruhet, ſo giebt es eine gewiſſe Stellung, bei welcher die in D ſich
an einander ſtuͤtzenden Staͤbe AD, DC, ohne fremde Kraft ſich ſelbſt
erhalten. Naͤhme man drei oder mehr Staͤbe, ſo koͤnnten auch dieſe
bei gehoͤrig gewaͤhlter Neigung, ſo wie AD, DE, EF, ſich im Gleich-
gewichte erhalten, und die Form, die man dieſer ganzen Verbindung
von Staͤben geben muͤßte, ſtimmt, wenn alle Staͤbe gleich ſchwer
ſind, deſto naͤher mit der Kettenlinie uͤberein, je mehrere der Staͤbe
ſind; denn auch hier muß die nach horizontaler Richtung ſchie-
bende Kraft bei allen gleich, die nach verticaler Richtung ſtuͤtzende
und tragende Kraft der ganzen aufliegenden Laſt gleich ſein.
So reichhaltig in nuͤtzlichen Anwendungen iſt die Lehre vom
Gleichgewichte der Koͤrper, und wenn ich hier vielleicht bei Gegen-
ſtaͤnden, die vorzuͤglich ein practiſches Intereſſe gewaͤhren, zu lange
mich aufgehalten habe, ſo muͤſſen Sie dieſes damit entſchuldigen,
daß ich doch gern auf die zahlreichen Faͤlle hindeuten wollte, die als
von dieſer Lehre abhaͤngig, ſich uns als Grundlage des ganzen
Maſchinenbaues darbieten. Die Mechanik, zu welcher ich jetzt
uͤbergehe, bietet uns noch mannigfaltigere, und zugleich hoͤchſt an-
ziehende Anwendungen dar. —
[71]
Sechste Vorleſung.
Geſetze des Falles der Koͤrper.
Wir haben, m. h. H., in dem Vorigen die Kraͤfte in ihrem
Gleichgewichte betrachtet, wo naͤmlich die eine diejenige Wirkung
zerſtoͤrte, welche die andre hervorzubringen im Begriffe war; —
da wo dieſe entgegengeſetzte Wirkſamkeit nicht ſtatt findet, iſt eine
hervorgebrachte Bewegung die Wirkung der Kraft. Dauert die
Einwirkung der Kraft nur eine Zeit lang, ſo iſt der Erfolg eine be-
ſtimmte Geſchwindigkeit, die alsdann, vermoͤge der Traͤgheit, gleich-
foͤrmig fortdauert; aber ſo lange die Kraft ihre Wirkung fortſetzt,
wird die Geſchwindigkeit vermehrt, wenn naͤmlich die Kraft immer
nach der gleichen Richtung hin treibt.
Eine Kraft wuͤrde gleichfoͤrmig beſchleunigend heißen,
wenn ſie die Geſchwindigkeit des von ihr fortgetriebenen Koͤrpers
in jeder gleichen Zeit um gleich viel vergroͤßerte, und wir wollen
nun Mittel ſuchen, zu entdecken, ob die merkwuͤrdigſte Kraft, die
wir in der Natur wirkſam ſehen, die Kraft der Schwere gleichfoͤrmig
beſchleunigend ſei. Daß der herabfallende Stein, je laͤnger er ſchon
gefallen iſt, deſto ſchneller faͤllt, wiſſen wir; aber ob er am Ende
der zweiten Secunde ſich genau doppelt ſo ſchnell, am Ende der drit-
ten Secunde ſich dreimal ſo ſchnell bewege, als am Ende der erſten
Secunde, laͤßt ſich nicht ſo leicht beſtimmen; dagegen bieten ſich
unſrer Beobachtung andre Beſtimmungen dar, und wir muͤſſen aus
dieſen die Frage, ob die Schwere eine gleichfoͤrmig beſchleunigende
Kraft ſei, zu beantworten ſuchen. Die Vergleichung der in der erſten
Secunde, in den 2 erſten Secunden, in den 3 erſten Secunden,
durchlaufenen Wege bietet uns ein Mittel hiezu dar. Waͤre wirk-
lich die Schwere eine gleichfoͤrmig beſchleunigende Kraft von der
Staͤrke, daß ſie in 1 Secunde dem freifallenden Koͤrper eine Ge-
ſchwindigkeit von 30 Fuß ertheilte, ſo muͤßte die Geſchwindigkeit
am Ende der 2ten Secunde 60 Fuß, am Ende der 3ten Secunde
90 Fuß ſein. Da nun der freifallende Koͤrper am Anfange der
[72] erſten Secunde gar keine, dagegen nach unſrer Vorausſetzung am
Ende der erſten Secunde 30 Fuß Geſchwindigkeit hat, ſo iſt 15 Fuß
ſeine mittlere Geſchwindigkeit und er muß 15 Fuß in der erſten Se-
cunde durchlaufen; in der zweiten Secunde iſt ſeine mittlere Ge-
ſchwindigkeit die mittlere zwiſchen 30 und 60, alſo 45 Fuß der Weg
in der zweiten Secunde, 60 Fuß der Weg in den zwei erſten Se-
cunden; in der dritten Secunde iſt der Weg 75 Fuß, naͤmlich das
Mittlere zwiſchen 60 und 90, und ſo ferner. Bei jeder gleichfoͤr-
migen Beſchleunigung iſt daher der Weg in der zweiten Secunde
3mal ſo groß als in der erſten, in der dritten Secunde 5mal ſo
groß, in der vierten Secunde 7mal ſo groß als in der erſten, und
da 1+3 = 4, 1+3+5 = 9, 1+3+5+7 = 16, die Reihe
der Quadratzahlen 2 mal 2, 3 mal 3, 4 mal 4, giebt, ſo erhal-
ten wir die Regel, daß die durchlaufenen Raͤume den Quadraten
der Zeiten proportional ſind, das heißt, diejenige gleichfoͤrmig be-
ſchleunigende Kraft, welche den Koͤrper in 1 Secunde durch 15 Fuß
treibt, fuͤhrt ihn in 2 Secunden durch 4.15 Fuß, in 3 Secunden
durch 9.15 Fuß, in 4 Secunden durch 16.15 Fuß und ſo weiter.
Und hier haben wir alſo das Mittel zu entſcheiden, ob die Schwere
eine gleichfoͤrmig beſchleunigende Kraft iſt, da wir die in beſtimm-
ten Zeiten durchlaufenen Fallraͤume zu beobachten und zu vergleichen
im Stande ſind. Die Erfahrung zeigt, daß die Schwere ſich
wirklich dem angegebenen Geſetze gemaͤß verhaͤlt.
Um den Schwierigkeiten auszuweichen, die mit Fallverſuchen
bei freier Einwirkung der Schwere verbunden ſind, dient die von
Atwood angegebne Fallmaſchine *), an welcher man den Fall
der Koͤrper ſo langſam, als man will, hervorbringen kann. Dieſe
Vorrichtung dient erſtlich zu zeigen, wie die Geſchwindigkeit der
fallenden Koͤrper bei verminderter beſchleunigender Kraft abnimmt,
zweitens kann man an ihr die Groͤße der Fallraͤume in ungleichen
Zeiten und drittens die in jedem beſtimmten Augenblicke erlangte
Geſchwindigkeit wahrnehmen. Was das erſte betrifft, ſo iſt es
offenbar, daß zwei an der Rolle (Fig. 49.) AB einander gegen
uͤber haͤngende Gewichte P, Q, voͤllig im Gleichgewichte ſein werden,
wenn ſie gleich ſind, und daß dagegen, wenn ein Uebergewicht an
[73] einer Seite iſt, die uͤberwiegende Laſt deſto ſchneller herabſinken
wird, je groͤßer das Uebergewicht iſt. Um aber die hier ſtatt fin-
dende Beſchleunigung genau zu beſtimmen, muͤſſen wir folgende
Ueberlegung anſtellen. Ließe man das Gewicht Q ganz frei fallen,
ſo zeigt die Erfahrung, daß es 15 pariſer Fuß in der erſten Secunde
durchlaͤuft; aber nun betrage die Summe beider Gewichte P und
Q tauſend Gran, und Q habe nur ein Uebergewicht von 10 Gran
(P = 495 Gr. Q = 505 Gr.), ſo muß dieſes geringe Uebergewicht
eine hundertfach ſo große Maſſe fortziehen, und kann dieſer nur ein
Hunderttel jener durch den freien Fall bewirkten Geſchwindigkeit er-
theilen. In dieſem Falle wird alſo Q nicht 15 Fuß oder 180 Zoll,
ſondern nur den hundertſten Theil, naͤmlich 1,8 Zoll in der erſten
Secunde durchlaufen. Macht man das Uebergewicht immer gleich,
waͤhrend beide Gewichte eine andre Groͤße erhalten, ſo findet man,
daß wirklich die in gleichen Zeiten durchlaufenen Raͤume dem eben
angegebenen Geſetze gemaͤß ſind.
Da das Gewicht, welchem man an der Rolle AB das Ueber-
gewicht ertheilt hat, vor der eingetheilten Scale an CD herablaͤuft
und hier eine langſame Bewegung, ſo daß man es mit dem Auge
verfolgen kann, behaͤlt, ſo laͤßt ſich nun auch das Geſetz der Fall-
raͤume beobachten. Man nehme das eine Gewicht 900 Gran, das
andre 910 Gran ſchwer, ſo iſt die bewegende Kraft des Ueberge-
wichts 10 Gran, aber da dieſe Kraft 1810 Gran fortziehen muß,
ſo durchlaͤuft das ſchwerere Gewicht nur \frac{1}{181} des Raumes, welchen
es bei freiem Falle durchlaufen wuͤrde, das iſt beinahe genau 1 Zoll
in 1 Secunde; giebt man alſo der Tafel CD genau die Hoͤhe, daß
man die untere Flaͤche des Gewichtes Q 64 Zoll uͤber dem Boden
aufhaͤngen kann, ſo wird es am Ende der achten Secunde nach dem
Anfange des Falles auftreffen, und wenn man eine zum Anſchrau-
ben eingerichtete Platte auf 49 Zoll, auf 36 Zoll Tiefe, auf 25 Zoll
Tiefe unter dem Anfangspuncte befeſtigt, ſo wird ſie in 7 Secun-
den oder in 6 Secunden oder in 5 Secunden erreicht werden. Da-
mit man hiebei einen genauen Zeitmoment fuͤr den Anfang des
Fallens wahrnehmen koͤnne, wird das Staͤbchen EF, welches die
Figur nur im Querſchnitte zeigt, an den Faden gedraͤngt, um
dieſen feſt zu halten, und man ſtoͤßt dieſes ploͤtzlich in dem Augen-
blicke fort, da das in der Naͤhe aufgehaͤngte Secundenpendel grade
[74] eine Schwingung vollendet, um das Zaͤhlen der Pendelſchlaͤge ganz
genau mit dem Anfange des Fallens zu beginnen.
Der dritte Zweck, die in einem gewiſſen Puncte des Weges
erlangte Geſchwindigkeit abzumeſſen, wird durch ploͤtzliches Abheben
des Uebergewichts erreicht. So lange jenes Uebergewicht, von
\frac{1}{181} des Ganzen, wirkſam bleibt, beſchleuniget ſich die Bewegung
immer mehr, und nach den vorigen Betrachtungen muß die am
Ende der erſten Secunde erlangte Geſchwindigkeit ſo groß ſein, daß
der bewegte Koͤrper vermoͤge derſelben, durch die Traͤgheit allein,
2 Zoll in der Secunde zuruͤck legen wuͤrde; hat man ihn 2 Secun-
den alſo durch 4 Zoll herablaufen laſſen, ſo muß die Geſchwindigkeit
4 Zoll, am Ende der dritten Secunde oder in der Tiefe = 9 Zoll,
muß ſie 6 Zoll ſein, u. ſ. w. Dieſe Beſchleunigung dauert aber nur
fort, ſo lange Q ſein Uebergewicht behaͤlt, und wenn dieſes Ueber-
gewicht von 1 Gewichttheilchen in Form eines Staͤbchens aufgelegt
iſt, und abgehoben wird, indem Q durch eine bei R angeſchraubte
kreisfoͤrmige Oeffnung geht, die nur das Gewicht Q, nicht aber
das in Form eines Staͤbchens aufgelegte Uebergewicht durchlaͤßt, ſo
hoͤrt nun die Beſchleunigung auf, und das Gewicht Q behaͤlt von
R an eine gleichfoͤrmige Geſchwindigkeit. Bringt man alſo dieſe
zum Abheben eingerichtete Oeffnung auf 16 Zoll Tiefe an, wo der
Koͤrper nach unſrer Rechnung eine Geſchwindigkeit von 8 Zoll haben
ſoll, ſo durchlaͤuft er die folgenden 48 Zoll in 6 Secunden, und
wenn man mit dem Pendelſchlage, wo man das Staͤbchen EF
fortſtoͤßt, anfaͤngt, Null, Eins etc. zu zaͤhlen, ſo ſieht man das
Gewicht mit Vier bei 16 Zoll, mit Zehn bei 64 Zoll eintreffen;
haͤtte man ſchon bei 4 Zoll Tiefe das Abheben ſtatt finden laſſen,
ſo wuͤrden die uͤbrigen 60 Zoll erſt in 15 Secunden, naͤmlich mit
4 Zoll Geſchwindigkeit durchlaufen. Und ſo haben wir alſo, wie
ich fruͤher einmal erwaͤhnte, ein Mittel, um die in jedem Augen-
blicke wirklich erlangte Geſchwindigkeit auch in Verſuchen darzu-
ſtellen *).
[75]
Bewegung geworfener ſchwerer Koͤrper.
Die Ueberzeugung, daß die Schwerkraft eine gleichfoͤrmig be-
ſchleunigende Kraft ſei, fuͤhrt nun zu einer Menge von Anwen-
dungen, die freilich durch den Widerſtand der Luft ſehr betraͤchtliche
Beſchraͤnkungen erleiden, aber darum doch nicht weniger merkwuͤr-
dig ſind. Wenn ein Koͤrper vertical aufwaͤrts geworfen wird, ſo
raubt die Schwerkraft ihm in jeder Secunde ebenſoviel Geſchwin-
digkeit, als er bei freiem Falle erlangen wuͤrde. Hatte er alſo beim
Wurfe aufwaͤrts, in genau verticaler Richtung, eine Geſchwindig-
keit von 30 Fuß, ſo ſteigt er nur 1 Sec. lang und alſo nur 15
Fuß hoch; hatte er 60 Fuß Geſchwindigkeit, ſo nimmt dieſe in 1
Sec. auf 30 Fuß ab, und ſein Weg in der erſten Secunde iſt der
mittlern Geſchwindigkeit zwiſchen 60 und 30 gleich, = 45 Fuß,
in der zweiten Sec. verliert er alle Geſchwindigkeit und ſteigt
nur noch 15 Fuß, uͤberhaupt alſo 60 Fuß, ebenſo hoch, als er
fallen muß, um 60 Fuß Geſchwindigkeit zu erlangen. Werfe
ich alſo einen Koͤrper bis zu 100 Fuß Hoͤhe, ſo muß ich ihm
ungefehr eine Geſchwindigkeit von 77 Fuß ertheilt haben, denn
in 2½ Sec. verliert er 75 Fuß Geſchwindigkeit und ſteigt 94
Fuß. — Wegen des Widerſtandes der Luft fordert ein ſo hohes
Steigen ſogar noch etwas mehr anfaͤngliche Geſchwindigkeit. Wen-
det man dieſe Regeln auf unſer Schießgewehr an, ſo ergiebt ſich,
daß dieſes die Kugeln bei verticaler Richtung bis zu ſehr großen
Hoͤhen fuͤhren muͤßte, aber ich werde kuͤnftig zeigen, wie ſehr
der Widerſtand der Luft dieſe Hoͤhen vermindert. Waͤre dieſer
Widerſtand nicht vorhanden, ſo wuͤrde eine mit 1500 Fuß an-
faͤnglicher Geſchwindigkeit aufwaͤrts geſchoſſene Kugel 50 Sec.
lang ſteigen, weil die Schwere in jeder Secunde nur 30 Fuß
Geſchwindigkeit raubt; ſie haͤtte dann am Anfang der 1. Sec.
1500 Fuß, am Ende der 1. Sec. 1470 Fuß Geſchwindigkeit
und durchliefe in der erſten Secunde 1485 Fuß; ſie haͤtte am
Anfang der zweiten Sec. 1470 Fuß am Ende der zweiten Sec.
1440 Fuß Geſchwindigkeit und durchliefe in dieſer Secunde 1455
Fuß; in der dritten Sec. Anfangsgeſchwindigkeit = 1440; End-
geſchwindigkeit = 1410, durchlaufener Weg 1425 Fuß, alſo in
3 Sec. 4365 Fuß, und wenn man ſo durch 50 Sec. fortrech-
[76] net, ſo iſt bei einer Hoͤhe = 50⋅50⋅15 = 37500 Fuß alle
Geſchwindigkeit verlohren, und ſo hoch wuͤrde ein Canonenſchuß
von 1500 Fuß Geſchwindigkeit reichen.
Die richtige Kenntniß des Weges, welchen der fallende Koͤr-
per in jeder Secunde durchlaͤuft, fuͤhrt uns aber noch weiter
auch zu der Beſtimmung der gekruͤmmten Bahn, die ein in
ſchiefer Richtung oder in horizontaler Richtung geworfner Koͤrper
durchlaͤuft. Es verſteht ſich, daß wir auch dabei fuͤr jetzt an den
Widerſtand der Luft nicht denken, obgleich er allerdings in der An-
wendung ſehr wichtig iſt. Eine Zeichnung fuͤhrt uns am leich-
teſten zur Kenntniß jener gekruͤmmten Bahn, wenn wir die
Zeichnung der Ueberlegung gemaͤß einrichten, daß der Koͤrper,
ohne Einwirkung der Schwere, auf ſeiner anfaͤnglichen Richtungs-
linie mit immer gleicher Geſchwindigkeit fortgehen wuͤrde, durch
die Schwere aber um 15 Fuß in 1 Sec., um 60 Fuß in 2
Sec., um 135 Fuß in 3 Sec. herunter gezogen wird, u. ſ. w.
Stellt naͤmlich (Fig. 50.) AB die Richtung des anfaͤnglichen
Wurfes vor, ſo tragen wir darauf die Puncte C, D, E, F
auf, bis zu welchen der geworfne Koͤrper in jeder Secunde ge-
langen wuͤrde, wenn er, bloß der Traͤgheit unterworfen, ſeine
Geſchwindigkeit ungeaͤndert behielte; von jedem dieſer Puncte
ziehen wir Verticallinien herunter und nehmen auf der erſten
Cc = 15 Fuß, auf der zweiten Dd = 60 Fuß, auf der dritten
Ee = 135 Fuß, auf der vierten Ff = 240 Fuß, dann bezeich-
nen c, d, e, f, die Puncte, wohin der geworfne Koͤrper am
Ende jeder der vier erſten Secunden gelangt. Die Gruͤnde hie-
fuͤr ſind ſo einleuchtend, daß ich kaum noͤthig habe, ſie zu er-
waͤhnen. Sie werden noch einleuchtender, wenn man eben das
Verfahren auf die Bewegung des vertical aufwaͤrts geworfenen
Koͤrpers anwendet. Dieſer ſollte, mit 1500 Fuß anfaͤnglicher
Geſchwindigkeit geworfen, am Ende der erſten, zweiten, dritten
u. ſ. w. Secunde, auf 1500, 3000, 4500, 6000, 7500, 9000
Fuß Hoͤhe angekommen ſein, die Schwere aber zieht ihn in 1
Sec. 15 Fuß, in 2 Sec. 60 Fuß, in 3 Sec. 135 Fuß, in 4 Sec.
240 Fuß, in 5 Sec. 375 Fuß, in 6 Sec. 540 Fuß herunter,
alſo erreicht er am Ende der einzelnen Secunden nur 1485, 2940,
4365, 5760, 7125, 8460 Fuß Hoͤhe.
[77]
Dieſe Art, die Betrachtung anzuſtellen, ſo als ob die eine
der beiden Urſachen fuͤr ſich allein wirkend zu der Wirkung der an-
dern hinzutraͤte, iſt hier beſonders darum ſo leicht, weil die Rich-
tungen der Schwere in allen Puncten, die ein von uns geworfe-
ner Koͤrper erreicht, unter ſich parallel ſind. Sie fuͤhrt aber zu-
gleich noch zu einigen einfachen Folgerungen. Erſtlich, wenn ich
auf der horizontalen Ebne (Fig. 50.) AH ſo fortgehe, daß der ge-
worfne Koͤrper immer genau uͤber mir ſchweben wuͤrde, wenn keine
Schwere wirkte, ſo thut er das auch, obgleich die Schwere ein-
wirkt, nur mit dem Unterſchiede, daß er mir in der Verticallinie
naͤher koͤmmt und mich endlich irgendwo in l erreicht. Zweitens,
wenn man vom hoͤchſten Puncte der Bahn eines geworfnen Koͤr-
pers eine horizontale Linie LM zieht, und auf ihr gleiche Theile
auftraͤgt, LN, NO, OP, ſo iſt der Koͤrper in f viermal ſo tief
unter O, als er in e unter N war, und in p 9 mal ſo tief unter
P, als er in e unter N war; es ſind naͤmlich eN, fO, pP die
Fallraͤume in 1, in 2, in 3 gleichen Zeittheilen. Drittens der
Gipfel oder der hoͤchſte Punct der Wurflinie liegt genau halb ſo
hoch, als der Punct Z, den der Koͤrper ohne Einwirkung der
Schwere in eben der Zeit, in welcher er wirklich nach L koͤmmt,
erreicht haͤtte. Dies haͤngt mit der bei verticalem Wurfe erreichten
groͤßten Hoͤhe zuſammen, die in 50 Sec. 75000 Fuß geweſen
waͤre, wenn die anfaͤngliche Geſchwindigkeit = 1500 Fuß unge-
aͤndert fortgedauert haͤtte, aber nur halb ſo groß = 37500 Fuß
iſt wegen der Einwirkung der Schwere, welche die Geſchwindigkeit
gleichfoͤrmig von 1500 Fuß auf Null herabſetzt, und daher
den Koͤrper nur eine Hoͤhe erreichen laͤßt, die der zwiſchen 0 und
1500 in der Mitte liegenden Geſchwindigkeit entſpricht.
Die beiden zuletzt angefuͤhrten Eigenſchaften der Wurflinie
zeigen dem Geometer, daß dieſe Linie eine Parabel iſt, die naͤm-
lich die beiden Eigenſchaften hat, daß in jedem Puncte die Tiefe
Pp dem Quadrate von LP proportional iſt, und daß jede Tan-
gente AZ ebenſohoch uͤber dem Scheitel in die Axe einſchneidet,
als der Beruͤhrungspunct A unterhalb des Scheitels L liegt.
Wenn man den Wurf ſehr nahe vertical richtet, ſo iſt offen-
bar die horizontale Wurfweite AB geringe (Fig. 51.) wegen der
zu großen Hoͤhe der Parabel AZB; aber auch wenn man den Wurf
[78] beinahe in horizontaler Richtung ſtattfinden laͤßt, iſt die Wurfweite
AD geringe, weil die geworfne Kugel zu bald unter die Horizontal-
linie AM herabſinkt; der weiteſte Wurf fordert daher eine mittlere
Richtung. — Daß die Neigung von 45 Graden den weiteſten
Wurf AE giebt, bei gleicher Geſchwindigkeit, laͤßt ſich freilich
nur mit Huͤlfe einer ſtrengern Theorie uͤberſehen, aber wer nach
den vorigen Regeln zeichnet, kann ſich auch durch Zeichnung uͤber-
zeugen, daß es ſo iſt. Ein Wurf mit 283 Fuß Geſchwindigkeit
unter 45 Gr. geneigt, iſt ſo anzuſehen, als ob er dem Koͤrper
200 Fuß horizontale und 200 Fuß verticale Geſchwindigkeit er-
theilte *), der Koͤrper ſteigt daher 6⅔ Sec. und erreicht in dieſer
Zeit die halbe Hoͤhe = 666 Fuß, die er mit ſeiner anfaͤnglichen
verticalen Geſchwindigkeit erlangen ſollte, in dieſer Zeit koͤmmt der
Koͤrper in horizontaler Richtung 1333 Fuß vorwaͤrts, und eben-
ſoviel waͤhrend der Koͤrper faͤllt, alſo iſt 2667 Fuß die Wurfweite.
Waͤre keine Luft in der Naͤhe der Erde, ſo wuͤrden wir mit
den Geſchwindigkeiten von 1800 oder 2000 Fuß, die wir den Ca-
nonenkugeln zu ertheilen im Stande ſind, ſehr große Entfernungen
erreichen koͤnnen, mit 2000 Fuß Anfangsgeſchwindigkeit bei 45
Grad Neigung eine Weite von 132450 Fuß, und bei groͤßern
Geſchwindigkeiten immer noch groͤßere Weiten. Dies fuͤhrt zu der
Frage, ob eine ſo große Wurfgeſchwindigkeit denkbar ſei, daß dabei
der geworfne Koͤrper rund um die Erde herum gefuͤhrt werde?
Bewegung um einen anziehenden Mittelpunct.
Daß die Erde eine Kugel iſt, darf ich hier wohl als aus
andern Beobachtungen bekannt, annehmen, und daß die Schwere
uͤberall, wo man auf der Erde hin koͤmmt, gegen ihren Mittel-
punct gerichtet iſt, lehrt, wie ich ſchon ſonſt erwaͤhnt habe, die
Erfahrung. Wird ein Koͤrper horizontal, nach der Richtung AB
(Fig. 52.), ſenkrecht gegen die Richtung der Schwere, geworfen,
ſo wuͤrde er ſich vom Mittelpuncte der Erde entfernen, wenn er
bloß der Traͤgheit gemaͤß fortginge. Die Kraft der Schwere noͤ-
thigt ihn, ſich der Erde zu naͤhern und wir koͤnnen dem Koͤrper
[79] eine ſo große anfaͤngliche Geſchwindigkeit in Vergleichung gegen
die Schwere beilegen, daß der Fall ihn am Ende der erſten Mi-
nute genau durch BC gefuͤhrt und wieder ebenſo nahe zum Mittel-
puncte der Erde gebracht hat, als er beim Anfange ſeiner Bewe-
gung von demſelben entfernt war. Iſt aber das der Fall, ſo
durchlaͤuft er in der Zwiſchenzeit den ganzen Kreisbogen AC,
weil dieſer in D, wo AD = DC = ½ AC iſt, um ED =
¼ BC, und da wo die Entfernung = ⅓ AC iſt, um \frac{1}{9}BC von
der graden Linie entfernt iſt. So laͤßt ſich die Moͤglichkeit, daß
ein geworfner Koͤrper einen Umlauf um die Erde mache, uͤber-
ſehen. Aber damit ein horizontal geworfner Koͤrper genau immer
gleich weit von der Erde bleibe, muß er ſo ſchnell geworfen
werden, daß er in 1 Sec. den Punct B erreiche, wo BC =
15 Fuß iſt, und dieſes fordert bei einem Kreiſe von 19600000
Fuß Halbmeſſer oder bei der Groͤße der Erde eine Entfernung
AB = 24400 Fuß. So weit muͤßte alſo der geworfene Koͤrper
in 1 Sec. fortgehen, damit an der Oberflaͤche der Erde der Fall
in 1 Sec. ihn genau wieder auf den Kreis AC zuruͤckfuͤhre.
Nach dieſen Geſetzen bewegt der Mond ſich um die Erde;
aber die Berechnung der Groͤße ſeiner Bahn und der Zeit ſeines
Umlaufs um die Erde zeigt, daß er auf der Beruͤhrungslinie
fortgehend, erſt in 1 Minute ſich um 15 Fuß von der Erde
entfernen wuͤrde, und da die Erfahrung zeigt, daß er in immer
gleicher Entfernung von ihr erhalten wird, und dies ohne Zwei-
fel durch die anziehende Kraft der Erde, ſo ſchließen wir, daß
dieſe Anziehungskraft nur ein Fallen von 15 Fuß in 1 Minute
bewirkt, ſtatt daß nahe an der Erde ein Koͤrper in 1 Secunde
15 Fuß faͤllt, und in 1 Minute 54000 Fuß durchfallen wuͤrde.
So ergiebt alſo eine richtige Erwaͤgung der Erfahrungen, daß
die anziehende Kraft der Erde in der Ferne abnimmt, und ſo
abnimmt, daß ſie in der Gegend des Mondes, das iſt 60 mal
ſo weit vom Mittelpuncte der Erde, als wir auf der Oberflaͤche
der Erde uns von ihrem Mittelpuncte entfernt befinden, nur
\frac{1}{60}⋅\frac{1}{60} oder \frac{1}{3600} ſo groß, als bei uns, iſt. Dieſes aus einer
Erfahrung abgeleitete Geſetz, daß die Anziehungskraft ſich umgekehrt
wie die Quadrate der Entfernungen verhaͤlt, beſtaͤtiget ſich auch
bei der Sonne. Die Erde durchlaͤuft auf ihrer Bahn um die
[80] Sonne in jeder Minute 248 Meilen, und wuͤrde ſich, wenn ſie
dieſen Raum auf der Beruͤhrungslinie der Erdbahn, nicht angezo-
gen von der Sonne, durchliefe, in 1 Minute um 35 Fuß von
der Sonne entfernen; die anziehende Kraft der Sonne erhaͤlt ſie
in ihrer Bahn und noͤthigt ſie alſo, in 1 Minute 35 Fuß gegen
die Sonne zu von der Tangente abzugehen. Der Mercur, welcher
⅖ mal ſo weit als die Erde von der Sonne entfernt iſt, durchlaͤuft
in jeder Minute beinahe 400 Meilen und wuͤrde ſich dabei auf der
Tangente ſeines kleinern Kreiſes 230 Fuß von der Sonne entfernen,
wenn er ohne Anziehungskraft der Sonne, nach dem Geſetze der
Traͤgheit, fortginge; die Attraction der Sonne bringt ihn auf ſei-
nen Kreis zuruͤck und zieht ihn alſo 230 Fuß von der Tangente
abwaͤrts. Dieſe 230 Fuß ſind, ſo nahe als das nur oberflaͤchlich
angegebene Verhaͤltniß 1 : ⅖ geſtattet *), \frac{5}{2}⋅\frac{5}{2}⋅35, alſo auch hier
die anziehende Kraft dem Quadrate der Entfernung umgekehrt pro-
portional. Genau ebenſo ergiebt es ſich fuͤr alle Planeten.
Waͤre die Anziehungskraft der Sonne nicht genau ſo groß,
daß der Planet zu der voͤllig gleichen Entfernung herangezogen
wuͤrde, ſo erhielte ſeine Bahn eine etwas von der Kreisform ab-
weichende Geſtalt, und eine genauere Betrachtung zeigt, daß die
Bahn dann eine ovale, oder genauer ausgedruͤckt eine elliptiſche
Form erhaͤlt. In der Sonnennaͤhe geht naͤmlich der Planet ſo
ſchnell fort, daß die Anziehungskraft der Sonne ihn nicht ganz bis
an den Kreis zuruͤckfuͤhren kann; er faͤngt daher an, ſich etwas
von der Sonne zu entfernen, indem er aber dies thut, erhaͤlt die
Kraft der Sonne immer mehr eine Richtung, die dem Fortgange
des Planeten entgegengeſetzt iſt, ſie vermindert daher nun ſeine
Geſchwindigkeit auf aͤhnliche Weiſe, wie es die Schwerkraft bei
einem ſchief aufwaͤrts geworfenen Koͤrper thut, und dadurch verliert
er nach und nach ſeine Geſchwindigkeit ſo, daß er endlich, ſtatt ſich
weiter zu entfernen, der Sonne wieder naͤher ruͤckt, und indem er
nach ſeiner Sonnenferne genau ebenſo ſich der Sonne wieder naͤ-
hert, wie er vor der Sonnenferne ſich von ihr entfernte, ſo
gelangt er nach einem vollen Umlaufe in eben den Punct zuruͤck,
[81] von welchem er ausgegangen war. Daß ſeine Bahn dadurch, daß
in G (Fig. 53.) eine zu große Geſchwindigkeit ihn uͤber den um
die Sonne C gezogenen Kreis hinaustreibt, eine Ellipſe wird, die
genau beſtimmte Linie naͤmlich, die man mit einem in C und c feſt-
geknuͤpften Faden beſchreibt, wenn man dieſen mit dem Bleiſtifte,
der die krumme Linie zeichnen ſoll, nach CFc, CEc geſpannt er-
haͤlt, — das zu beweiſen, waͤre hier zu ſchwierig, und ich verweile
hier um ſo mehr nicht allzu lange hiebei, da dieſe Betrachtungen
zum Theil der Aſtronomie angehoͤren, *), und ſo zahlreiche andre
Gegenſtaͤnde hier unſre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen. Die
Hauptgeſetze, welche der Planet bei ſeiner Bewegung um die Sonne
befolgt, ſind die, daß er eine Ellipſe durchlaͤuft, und ſich in dieſer
ſo fortbewegt, daß die Sectoren in gleichen Zeiten gleich ſind, das
heißt, wenn der Planet in 10 Tagen von A nach B, und in an-
dern 10 Tagen von E nach F gelangt, ſo ſind die Flaͤchenraͤume
ACB, ECF gleich, wo naͤmlich C die Sonne bedeutet; — ſeine
Bewegung iſt alſo in der Sonnenferne bei A viel langſamer, als
in der Sonnennaͤhe bei G; weil die Sonne ſeine Geſchwindig-
keit vermehrt, waͤhrend er von A nach H und vonH nach G laͤuft.
Ob Meteorſteine vom Monde zu uns fallen.
Die in der Aſtronomie, bei der Berechnung des Laufes der
Planeten ſo wichtige Bemerkung, daß alle Himmelskoͤrper eine
anziehende Kraft beſitzen, und daß wir dieſe anziehende Kraft als
eine allgemeine Eigenſchaft aller Materie anſehen koͤnnen, fuͤhrt
zur Beantwortung mehrerer Fragen, die auch hier nicht unerwaͤhnt
bleiben duͤrfen. Die in unſern Tagen ſo oft gemachte Beobachtung,
daß zuweilen Steine vom Himmel fallen, hat zu der Unterſuchung
Veranlaſſung gegeben, ob dieſe Meteorſteine vielleicht vom Monde
zu uns heruͤbergeworfen werden koͤnnten. Gruͤnde, von welchen
ich bald noch etwas mehr ſagen will, zeigen, daß der Mond nur
etwa \frac{1}{75} ſo viel Anziehungskraft als die Erde hat, und wenn man
alſo den Abſtand der Erde vom Monde in zehn gleiche Theile ein-
theilt, ſo iſt im neunten Theilungspuncte die Anziehungskraft der
Erde etwas ſchwaͤcher, als die des Mondes, weil ſie nur \frac{1}{81} von
I. F
[82] dem iſt, was ſie bei neunmal ſo großer Naͤhe ſein wuͤrde. Befaͤnde
ſich alſo ein Koͤrper etwa in der Mitte zwiſchen dem achten und
neunten Theilungspuncte, ſo wuͤrde er vom Mond und der Erde
gleich ſtark angezogen, ſchwebend bleiben, und wenn ein Koͤrper
vom Monde aus mit ſolcher Gewalt geworfen wuͤrde, daß er ſich
5200 bis 5300 Meilen von ihm entfernte, ſo wuͤrde er jenen
Punct erreichen, und wenn er etwas weniges daruͤber hinaus ge-
langte, zur Erde herab fallen. Hieraus laͤßt ſich beſtimmen, daß
eine Geſchwindigkeit von 8000 Fuß in der Secunde fuͤr einen auf
dem Monde aufwaͤrts geworfenen Koͤrper ausreicht, um ihn ſo
weit fortzutreiben, daß er nicht auf den Mond zuruͤckfallen koͤnnte,
ſondern zur Erde heruͤbergehen muͤßte, wenn naͤmlich die Richtung
des Wurfes gegen die Erde zu ginge. Dies gilt zwar alles nur,
wenn Mond und Erde einander ruhend gegenuͤberſtaͤnden, aber es
zeigt doch, worauf es bei der Frage, ob dieſe Steine vom Monde
kommen, ankoͤmmt. Obgleich die Beſchreibung ſolcher Steinregen
nicht hieher gehoͤrt, wo wir bloß nach der Moͤglichkeit eines ſolchen
Fallens fragen, ſo darf ich doch wohl bei einer der merkwuͤrdigſten
dieſer Erſcheinungen einen Augenblick verweilen. Im Jahre 1803,
als man zwar angefangen hatte, den Nachrichten von Steinregen
einige Aufmerkſamkeit zu widmen, aber doch den Zweifeln an der
Wahrheit derjenigen Nachrichten, die von Steinregen in Gegen-
den, weit von Vulcanen entfernt, redeten, noch ſehr viel Raum
gab, erregte ein Steinregen, der im Departement der Orne (in der
ehemaligen Normandie) am 26. April gefallen war, allgemeine
Aufmerkſamkeit. Auf einem Raume von ungefehr 2½ Lieues Laͤnge
und 1 Lieue Breite waren wenigſtens 2000 Steine herabgefallen,
die an Gewicht von 17 Pfunden bis zu ½ Loth verſchieden waren.
Eine Feuerkugel hatte ſich in der Luft ſehen laſſen, die ſich ſchnell
fortbewegte, und ſehr bald nachher hoͤrte man eine heftige Exploſion,
die 5 bis 6 Minuten fortdauerte und auf 30 Lieues umher hoͤrbar
war. Sie glich anfangs einigen Canonenſchuͤſſen, und dann einem
lange dauernden Getoͤſe, das mit einer Menge von Schuͤſſen aus
kleinem Gewehr und mit ſehr heftigem Trommeln verglichen wurde.
Dieſes Getoͤſe ſchien von einer kleinen viereckigen Wolke auszugehen,
die ſehr hoch in der Atmoſphaͤre ſtehen mußte, da man ſie an ziem-
lich entfernten Orten im Zenith ſah. — Bei Nacht haͤtte dieſe
[83] Wolke ſich vermuthlich, ſo wie die Schweife der Feuerkugeln, als
matt leuchtend gezeigt; es war aber kurz nach Mittag, und ſo
konnte ihr matter Glanz wohl im Tageslichte unſichtbar werden.
Die Menſchen, die ſich im Freien befanden, ſahen groͤßere und
kleinere Steine, zum Theil mit einem ſie in Schrecken ſetzenden
Getoͤſe herabfallen, und bei der genauen Unterſuchung fand ſich, daß
auf einem laͤnglich ovalen Raume die groͤßten Steine am ſuͤdoͤſtlichen
Ende, die kleinſten am nordweſtlichen Ende herabgefallen waren.
Ungefehr eben ſo ſind die Berichte uͤber alle Steinregen, nur
mit dem Unterſchiede, daß ſelten die Zahl der Steine ſo groß iſt,
indem zuweilen nur von einem Steine oder von einigen wenigen
Stuͤcken die Rede iſt. *).
Die Rechnung, die man fuͤhren muͤßte, um zu beſtimmen,
mit welcher Geſchwindigkeit ein vom Monde aus geworfener Koͤrper
zur Erde gelangen wuͤrde, iſt etwas ſchwierig, da der allmaͤhlig
immer weiter ſich vom Monde entfernende Koͤrper immer weniger
von ihm und immer ſtaͤrker von der Erde angezogen wird, und
daher, nachdem er eine erhebliche Entfernung erlangt hat, ſeine
Geſchwindigkeit langſamer verliert, als zu Anfang; man kann
indeß dieſe Schwierigkeit uͤberwinden, wenn man in der Entfer-
nung = 860 Meilen (welches der Halbmeſſer der Erde iſt), die
Kraft = \frac{1}{75}, alſo den Verluſt an Geſchwindigkeit = \frac{30}{75} = ⅖
Fuß in 1 Secunde, in 1720 Meilen Entfernung den Verluſt an
Geſchwindigkeit = ¼⋅⅖ Fuß in 1 Secunde und ſo ferner ſetzt, und
ſo ſtationenweiſe fortrechnet. Der ſo vom Monde auf die Erde
fallende Koͤrper wuͤrde auf der Erde mit etwa 34000 Fuß Ge-
ſchwindigkeit in der Secunde ankommen.
Maſſe der Sonne.
Daß der Mond eine nur \frac{1}{75} ſo ſtarke Anziehungskraft als die
Erde beſitzt, hat man theils aus ſeiner Wirkung auf das Meer,
welche ſich in der Ebbe und Fluth zeigt, theils aus den Stoͤrungen,
die er im Laufe der Erde hervorbringt, geſchloſſen; bei der Sonne
laͤßt ſich das Maaß der Anziehungskraft leichter finden. Nach dem
F 2
[84] Geſetze naͤmlich, daß die Anziehungskraft in der zehnfachen Entfer-
nung nur ein Hunderttel deſſen betraͤgt, was ſie in der einfachen
Entfernung war, muͤßte die Anziehungskraft der Erde in der Ent-
fernung, wo die Sonne ſich befindet, 400 mal ſo weit als der
Mond von uns iſt, nur \frac{1}{160000} deſſen betragen, was ſie da be-
traͤgt, wo ſich der Mond befindet. Da ſie nun den Mond um 15
Fuß in 1 Minute zu ſich heranzieht, ſo wuͤrde ſie einen ſo weit als
die Sonne entfernten Koͤrper nur \frac{15}{160000} Fuß in 1 Minute fort-
treiben; die Sonne dagegen zieht die Erde in 1 Minute 35 Fuß,
das iſt weit uͤber 300000 mal ſo viel von der Tangente ihrer Bahn
ab; die Wirkung der Sonne iſt alſo in gleicher Entfernung weit
uͤber 300000 mal ſo groß, als die Wirkung der Erde, und da wir
dieſe Anziehungskraft als eine Eigenſchaft, die jedem Theilchen
Materie eigen iſt, anſehen, ſo legen wir der Sonne eine mehr als
300000 mal ſo große Maſſe als der Erde bei, und berechnen auf
aͤhnliche Weiſe die Maſſen der Planeten.
Anziehungskraft der Berge.
Ich ſchließe hier noch einige Phaͤnomene an, die auf dieſe ge-
genſeitige Anziehungskraft der materiellen Theilchen, und auf die
Anziehungskraft der Weltkoͤrper auf einander Beziehung haben.
Das eine dieſer Phaͤnomene beantwortet die Frage, ob denn jeder
Theil der Erde eine ſolche Attractionskraft beſitzt, das andre zeigt,
daß der Mond auf alle Theilchen der Erde anziehend wirkt. Wenn
jeder Theil der Erde eine Anziehungskraft beſitzt, ſo iſt es offenbar,
daß eine kugelfoͤrmige Erde alle Koͤrper genau gegen ihren Mittel-
punct anzieht, denn da (Fig. 54.) nach allen Seiten der Linie AC
die anziehenden Theilchen gleichfoͤrmig liegen, ſo heben die ſeitwaͤrts
ziehenden Kraͤfte ſich einander auf, und ſelbſt die in B, D, gleich
entfernt von A liegenden Theilchen bringen zuſammen einen verti-
calen Zug nach AC hervor. Aber wenn ſich auf der Oberflaͤche
dieſer kugelfoͤrmigen Erde ein Berg E befindet, ſo uͤbt dieſer eine
an der andern Seite nicht ausgeglichene Seitenkraft aus, und die
Richtung der Schwere muß in A ein wenig nach der einen Seite,
in G ein wenig nach der andern Seite von der Verticallinie abwei-
chen. Eine ſolche Ablenkung findet man wirklich in der Naͤhe von
Bergen, und obgleich der Winkel, um welchen die Richtung der
[85] Schwere dadurch geaͤndert wird, ſehr geringe iſt, ſo hat man ihn
doch, namentlich bei den ausdruͤcklich zu dieſem Zwecke an dem
Berge Shehallien angeſtellten Beobachtungen, wahrnehmen
koͤnnen. Dieſe Wahrnehmung findet naͤmlich dadurch ſtatt, daß
wir am Himmel ſehr genau beſtimmen koͤnnen, wie weit die nach
dem Mittelpuncte der Erde gehenden Richtungen AC, GC, bei
bekannter Entfernung der Beobachtungs-Orte A, G, von einan-
der abweichen muͤſſen, und nun an den in A und in G durch
das Zenith gehenden Sternen ſehen, ob die beiden Verticallinien
dieſe Richtungen haben. Die bei dieſer Beobachtung ſich ergebende
Abweichung bietet ein Mittel dar, die Dichtigkeit der ganzen Erde
zu beſtimmen, wenn man die Dichtigkeit des die Ablenkung bewir-
kenden Berges kennt. Waͤre die Mitte dieſes Berges, wo man ſich
ſeine Maſſe vereinigt denken kann, ein Tauſendtel ſo weit, als der
Mittelpunct der Erde, von G entfernt, ſo wuͤrde eine Maſſe in E
eine Million mal ſo ſtark als eine gleiche in C wirken, betruͤge alſo
der Berg ein Tauſend-Milliontel der ganzen Erde, ſo zoͤge eine
tauſendfache Kraft nach C und eine einfache nach E, woraus die
Richtung der Mittelkraft, als die Richtung des Lothes, hervorginge.
Kennt man umgekehrt dieſe aus Beobachtungen und weiß zum
Beiſpiel, daß die Erde 2000 Millionen mal ſo ſtark wirkt, obgleich
ihr Volumen nur 1000 Millionen mal ſo groß als der Berg waͤre,
ſo wuͤrde man ihr eine doppelt ſo große Dichtigkeit, als dem Berge
zuſchreiben. Die Berechnungen jener Verſuche am Shehallien
geben die Dichtigkeit der Erde ungefehr 5 mal ſo groß als die Dich-
tigkeit des Waſſers, und die auf dem Mont Cenis angeſtellten
Verſuche, welche die Schnelligkeit der Pendelſchwingungen zum
Gegenſtande hatten, haben Carlini die Dichtigkeit beinahe 4½
mal ſo groß, als die des Waſſers, angegeben *).
Man hat die Kraft der Schwere noch auf eine andre Weiſe
mit der Anziehungskraft kleiner Koͤrper zu vergleichen geſucht. Ca-
vendiſh bediente ſich hiezu der Drehwaage. Ein leichter Waage-
balken, an beiden Enden mit Bleimaſſen beſchwert, haͤngt an
einem ſehr feinen Faden, und koͤmmt in der Stellung zur Ruhe,
wo der Faden ganz ungedreht iſt. Naͤhert man nun mit aller Vor-
[86] ſicht von der Seite her eine andre Bleimaſſe, ſo bringt ihre Anzie-
hung auf die Bleimaſſe des Waagebalkens, eine kleine Drehung
hervor, und da man durch andre Mittel beſtimmen kann, welche
Gewalt noͤthig iſt, um dem Faden eine Drehung, die einen Um-
fang, zwei Umlaͤufe u. ſ. w. betraͤgt, zu ertheilen, ſo kennt man
auch jene aus der Anziehung hervorgehende, eine nur ſehr kleine
Abweichung bewirkende Kraft, und kann ihr Verhaͤltniß zu dem
Gewichte der Bleimaſſen, und daher ihr Verhaͤltniß zur anziehenden
Kraft der Erde herleiten. Bei der großen Schwierigkeit, dieſe Ver-
ſuche, die zu den feinſten in der Phyſik gehoͤren, genau auszufuͤh-
ren, hat noch niemand nach Cavendiſh ſie wiederholt, und ſein
Reſultat, daß die Erde 5½ mal ſo dicht als Waſſer ſei, bedarf daher
noch einer naͤhern Pruͤfung *).
Anziehung im Innern der Kugel, und in der Ferne.
An die Kenntniß, daß jeder Theil der Erde eine anziehende
Kraft ausuͤbe, ſchließen ſich noch einige merkwuͤrdige Lehrſaͤtze an,
naͤmlich die zwei, daß die Anziehungskraft einer uͤberall gleich dich-
ten Kugel auf Gegenſtaͤnde außerhalb der Kugel genau ſo iſt, als
wenn die Maſſe der Kugel im Mittelpuncte vereinigt waͤre, und
daß im Innern der Kugel die oberhalb des angezogenen Punctes
liegende Kugelſchichte gar keine Wirkung, kein Hinſtreben gegen den
Mittelpunct zu, noch auch das Entgegengeſetzte, hervorbringt.
Beide Lehrſaͤtze gelten nur in dem Falle, da die Kraft der Anziehung
ſich umgekehrt wie das Quadrat der Entfernungen verhaͤlt, und
der Beweis fuͤr den letzten iſt ſehr leicht zu fuͤhren. Es ſei ABCD
(Fig. 55.) eine duͤnne anziehende Kugelſchichte, M der innerhalb
liegende angezogne Punct. Zieht man durch M Linien wie NMn,
OMo, und ſchneidet durch ſolche durch M gehende Linien kleine
Kreisflaͤchen NO, no auf der Kugelflaͤche ab, ſo iſt die Kreisflaͤche
NO viermal ſo groß als no, wenn MN zweimal ſo groß als Mn
iſt, ebenſo NO = 9. no, wenn MN = 3. Mn iſt, und ſo wei-
ter; da nun die 9fache Maſſe in der dreifachen Entfernung, die
16fache Maſſe in der vierfachen Entfernung u. ſ. w. nur ebenſo
ſtark als die einfache Maſſe in der einfachen Entfernung wirkt, ſo
[87] heben die einander entgegengeſetzten von NO, no auf M ausgeuͤb-
ten Anziehungen einander auf, und da dies fuͤr alle durch M gezogene
Richtungslinien gilt, ſo leidet M nach keiner Richtung eine Anzie-
hung von der gleichfoͤrmigen Kugelſchichte ABCD, und eben dies
gilt, wenn auch die Kugelſchichte irgend eine groͤßere Dicke haͤtte.
Waͤre die Erde alſo hohl und ihre innere Oberflaͤche haͤtte eine ge-
naue Kugelform, ſo wie die aͤußere, ſo daß die Mittelpuncte beider
zuſammenfielen, ſo wuͤrde ein Punct M im Innern kein Beſtreben,
nach irgend einer Seite hin zu fallen, zeigen. Aus eben dem Grun-
de iſt die Kraft der Schwere, wenn wir uns in die uͤberall als gleich
dicht vorausgeſetzte Erde hinabſteigend denken, immer geringer, je
tiefer wir hinab kommen, immer naͤmlich nur durch die kleinere,
noch unter uns liegende Kugel hervorgebracht. Koͤnnten wir ſo tief
in die Erde eindringen, daß wir den halben Erdhalbmeſſer uͤber uns
haͤtten, ſo waͤre, wofern die Erde uͤberall gleich dicht iſt, die Kraft
der Schwere nur noch halb ſo groß, als an der Oberflaͤche; denn
die unter uns bleibende Kugel iſt freilich bei halb ſo großem Durch-
meſſer nur ein Achtel der ganzen Erde; aber der Mittelpunct dieſer
Kugel iſt nur halb ſo entfernt, alſo jedes Theilchen viermal ſo wirk-
ſam, und jenes Achtel hat daher gleichwohl eine halb ſo große Wirk-
ſamkeit, als die ganze Erde.
Fluth und Ebbe.
Ein zweites Phaͤnomen wollte ich noch erwaͤhnen, das in der
phyſiſchen Geographie hoͤchſt wichtig iſt, und einen Beweis fuͤr die
Anziehungskraft der Sonne und des Mondes giebt, naͤmlich die
Ebbe und Fluth. Die Erde, die wir hier als ganz aus
Waſſer beſtehend anſehen koͤnnen, wuͤrde, wenn ſie ſich nicht um
ihre Axe drehete, wegen der Anziehung aller ihrer Theile gegen ein-
ander, eine genaue Kugel ſein; aber die anziehende Kraft des Mon-
des aͤndert dieſe Kugelgeſtalt. Die Bewegung der Erde um die
Sonne wird durch die anziehende Kraft der Sonne ſo beſtimmt,
daß der Mittelpunct der Erde immer genau auf dieſer Bahn bliebe,
wenn kein Mond da waͤre. Denken wir uns aber den Mond ploͤtz-
lich zwiſchen die Sonne und Erde in C hin geſtellt (Fig. 56.), wo
er ſich im Neumonde befindet, ſo zoͤge er den Mittelpunct C der
Erde ein wenig aus der Bahn gegen die Sonne zu; aber der Punct
[88]A wird ſeiner Naͤhe wegen ſtaͤrker, der Punct B wird ſeiner Ferne
wegen ſchwaͤcher von der Bahn abgezogen, und die Erde nimmt
daher eine ovale, ſowohl bei A als bei B uͤber den Kreis hinausge-
hende und bei D, E, abgeflaͤchte Form an. Dieſe Verlaͤngerung
iſt ſo unbedeutend, daß ſie nur 10 Fuß ungefehr betraͤgt, ſtatt daß
der Halbmeſſer der Erde 19 Millionen Fuß iſt; aber eben dieſe 10
Fuß werden uns als ein Steigen des Waſſers in A und B, als ein
Fallen des Waſſers in D und E, dort als Fluth, hier als Ebbe,
merklich. Waͤre der Mond im Viertel in M, ſo wuͤrde er die Be-
wegung der ganzen Erde gegen M zu ein wenig beſchleunigen, und
dieſe Beſchleunigung wuͤrde den vorangehenden Punct E am meiſten
treffen, dieſer wuͤrde daher dem Mittelpuncte ein wenig voraus
laufen, und der entferntere, etwas weniger angezogene Punct D
wuͤrde etwas zuruͤckbleiben, alſo auch hier eine Fluth, ſo wohl an
der Seite, wo der Mond ſteht, als an der andern Seite, ſtatt finden.
Die Erſcheinungen der Fluth und Ebbe ſtehen ſo genau mit
dem Monde in Verbindung, ſie wiederholen ſich zweimal des Tages,
und grade dann, wann der Mond oberhalb des Horizontes und un-
terhalb des Horizontes in die gleiche Stellung gegen den Meridian
koͤmmt, ſo beſtimmt, daß niemand daran, daß der Mond dieſe
Erſcheinungen bewirkt, zweifeln kann. Die Fluthen ſind groͤßer,
wenn der Mond in der Erdnaͤhe iſt, ganz ſo wie es dem alsdann
vergroͤßerten Unterſchiede der Anziehungskraft auf den naͤchſten
Punct der Erde und auf den Mittelpunct angemeſſen iſt, und
ebenſo ſind ſie am kleinſten, wenn der Mond in der Erdferne iſt.
Auch der wichtige Umſtand, daß die Fluthen bei Neumond und
Vollmond, die Springfluthen, hoͤher, als bei den Vierteln, ſind,
erklaͤrt ſich aus eben den Gruͤnden. Denn ſelbſt die Sonne allein
wuͤrde ſchon eine geringe Fluth ſo wohl an der der Sonne zugekehr-
ten Seite, als an der von ihr abgekehrten Seite der Erde hervor-
bringen; dieſe Sonnenfluthen vereinigen ſich mit den Mondfluthen,
wenn der Mond als Neumond in L oder als Vollmond in l ſteht,
hingegen treffen die durch die Sonne bewirkten Ebben in E, D,
mit den dort durch den Mond erregten Fluthen zuſammen, wenn
ſich der Mond in M oder m befindet, und deshalb ſind bei den
Vierteln die Fluthen weniger hoch und die Ebben weniger tief. Die
Ungleichheit der bei den Springfluthen und bei den Viertelmonds-
[89] fluthen eintretenden Waſſerhoͤhe lehrt uns die comparative Staͤrke
der Anziehung des Mondes, alſo ſeine Maſſe, kennen.
Die Menge der Gegenſtaͤnde, die ſich uns hier darbieten, er-
laubt mir nicht, laͤnger bei dieſem einzelnen Phaͤnomene zu verwei-
len, und ich darf hier um ſo eher eine umſtaͤndliche Erzaͤhlung aller
einzelnen Umſtaͤnde weglaſſen, da man auch dieſen Gegenſtand in
der Aſtronomie abzuhandeln pflegt *).
Siebente Vorleſung.
Schwungkraft.
Bei der Bewegung eines Koͤrpers im Kreiſe nehmen wir
allemal ein Beſtreben fortzufliegen, eine Schwungkraft, wahr,
die den Faden, woran der Koͤrper feſtgehalten wird, ausdehnt, ja
ihn wohl gar zerreißt. Es wird Ihnen, m. h. H., wohl nicht uner-
wartet ſein, wenn ich Ihnen dieſe Schwungkraft als eine bloße
Folge der Traͤgheit darſtelle. Indem ich den an dem Faden AG
in G feſtgehaltenen Koͤrper A nach der Richtung AB fortſtoße
und ihm (Fig. 52.) eine Geſchwindigkeit nach dieſer Richtung er-
theile, erlangt der Koͤrper das Beſtreben auf der Linie AB fort-
zugehen und ſich alſo vom Mittelpuncte G zu entfernen. Der
Faden AG hindert ihn, dieſem Antriebe Folge zu leiſten und er-
haͤlt ihn auf dem Kreiſe ADE, aber wenn der Faden ſehr ſchwach
waͤre, ſo wuͤrde er zerreißen, und der bewegte Koͤrper ginge auf
AB fort. In dieſer Betrachtung bietet ſich uns ſogleich ein Mittel
dar, die Staͤrke der Schwungkraft abzumeſſen. Wir wollen einen Fa-
den waͤhlen, der ſo ſtark iſt, daß er grade ein Pfund tragen kann,
und nun durch Verſuche beſtimmen, bei welcher Geſchwindigkeit
der Faden reißt, und hier wuͤrde ſich finden, daß ein ſchwerer her-
umgeſchwungener Koͤrper den Faden bei geringerer Geſchwindig-
keit zerreißt, ſtatt daß ein leichterer eine groͤßere Schnelligkeit for-
[90] dert. Doch dieſe Betrachtung verdient etwas ſorgfaͤltiger angeſtellt
zu werden.
Es ſei ADC (Fig. 52.) der Kreis, auf
welchem der Koͤrper
A herumgefuͤhrt wird, und es ſei die Geſchwindigkeit ſo groß, daß
A in ⅛ Sec. bis B gelangen und dabei um BC = \frac{15}{64} Fuß vom
Kreiſe entfernt werden wuͤrde, wenn der Faden dieſes nicht ver-
hinderte. Da die frei wirkende Schwerkraft einen Koͤrper in 1
Sec. durch 15 Fuß, in ⅛ Sec. durch \frac{15}{64} Fuß forttreibt, ſo iſt
die Wirkung, welche die Schwungkraft hier auszuuͤben ſtrebt,
genau ſo groß, als die Wirkung, welche die Schwere auszuuͤben
ſtrebt, wenn das Gewicht am Faden haͤngend in Ruhe erhalten
wird. Der Faden alſo, welcher ſtark genug iſt, das frei herab-
haͤngende Gewicht A zu tragen, wird auch ſtark genug ſein, um
bei horizontalem Schwunge, unter den vorausgeſetzten Umſtaͤnden
der Schwungkraft zu widerſtehen. Koͤnnten wir uns an einen
Ort hin begeben, wo die Schwerkraft nur ein Viertel ſo ſtark,
als bei uns, wirkte, ſo wuͤrden wir dieſes daran erkennen, daß
dort die Koͤrper nur durch \frac{15}{4} Fuß in der erſten Secunde fielen,
und ebenſo wird die Schwungkraft nur ¼ ſo maͤchtig als die
Schwerkraft wirken, wenn die Entfernung BC, die ein im Kreiſe
bewegter Koͤrper in ⅛ Sec. erlangen wuͤrde, wenn kein Faden
ihn hielte, nur ein Viertel der vorhin angegebenen Groͤße waͤre.
Aber damit ED nur ein Viertel der BC ſei, muß AE = ½ AB
ſein, und folglich wenn zwei Koͤrper ſich auf demſelben Kreiſe von
Faͤden AC feſtgehalten bewegen, der eine aber iſt halb ſo ſchnell
als der andere, ſo iſt bei jenem die Schwungkraft nur ein Viertel
ſo groß, als bei dieſem, und allgemein wenn eben der Koͤrper auf
demſelben Kreiſe, oder immer an demſelben Faden gehalten, ſich
herumbewegt, verhaͤlt ſich die Schwungkraft, wie das Quadrat
der Geſchwindigkeit. Ein Gewicht von einem Pfunde ſo ge-
ſchwungen, daß der in \frac{1}{10} Sec. erreichte Abſtand zwiſchen Kreis
und Tangente \frac{15}{100} Fuß betraͤgt, fordert einen Faden, der ein
Pfund tragen kann, aber doppelt ſo ſchnell bewegt fordert es einen
Faden der 4 Pfunde tragen kann, weil dieſe doppelt ſo ſchnelle
Bewegung es ſchon in \frac{1}{20} Sec. um \frac{15}{100} Fuß von der Tangente
entfernt, ſtatt daß die Schwerkraft den Koͤrper in eben der Zeit
[91] nur durch \frac{15}{400} Fuß, durch ein Viertel jenes Raumes, fortzufuͤhren
vermag.
Wuͤrde eben der Koͤrper von 1 Pfund ſchwer das eine Mal
auf dem Kreiſe AG (Fig. 57.), das andre Mal auf dem Kreiſe ag
von doppelt ſo großem Halbmeſſer fortgefuͤhrt, ſo entfernt er ſich
bei gleicher Geſchwindigkeit nur halb ſo viel von dem großen Kreiſe
als vom kleinen. Es iſt naͤmlich offenbar bf doppelt ſo groß,
als BF, weil auf dem Kreiſe von doppelt ſo großem Halbmeſſer
alle aͤhnlichen Laͤngen doppelt ſo groß ausfallen; da nun, bei glei-
cher Geſchwindigkeit, der Koͤrper das eine Mal AB, das andere
Mal ad = ½ ab durchlaͤuft, und hier der Abſtand de = ¼ bf =
½ BF iſt, ſo hat der Koͤrper auf dem Kreiſe von doppelt ſo großem
Halbmeſſer bei gleicher Geſchwindigkeit nur eine halb ſo große
Schwungkraft, das iſt der Faden, welcher von einem Pfunde grade
zerriſſen wuͤrde, wenn dieſe Maſſe den Kreis AG durchliefe, koͤnnte
einer Maſſe von 2 Pfunden bei eben ſo ſchneller Bewegung auf
ag Widerſtand leiſten. Und ſo verhaͤlt ſich immer die Schwung-
kraft umgekehrt wie der Halbmeſſer des Kreiſes. Daß aber endlich
die Kraft, welche der geſchwungene Koͤrper anwendet, um den Faden
zu zerreißen, auch dem Gewichte dieſes Koͤrpers proportional ſein
muß, iſt offenbar; denn zwei Pfunde an zwei Faͤden gehalten,
werden jeden derſelben unter ſonſt gleichen Umſtaͤnden gewiß ſo
ſpannen, wie 1 Pfund einen Faden.
Um die Verſuche mit der Schwungmaſchine gut zu uͤber-
ſehen, muͤſſen wir noch den Fall betrachten, wo zwei Koͤrper in
ungleicher Entfernung vom Mittelpuncte ihre Umlaͤufe in gleichen
Zeiten vollenden. Es ſei der Abſtand CA des einen halb ſo groß,
als der Abſtand Ca des andern. Gehen nun beide in \frac{1}{10} Sec. durch
den Winkel ACB fort, ſo iſt die erlangte Entfernung
bf von der
Tangente ab bei dem ſchnellern doppelt ſo groß, als BF bei dem
andern, und die Schwungkraft nimmt offenbar in eben dem Ver-
haͤltniſſe zu. Wird dagegen dasſelbe Experiment ſo angeſtellt,
daß die Drehungsgeſchwindigkeit nur halb ſo groß iſt, daß die
Koͤrper nur nach e und E in \frac{1}{10} Sec. kommen, ſo iſt der erreichte
Abſtand von der Tangente, naͤmlich de, nur ein Viertel des vo-
rigen, und bei doppelter Geſchwindigkeit ſteigt daher die Schwung-
[92] kraft auf das Vierfache, bei dreifacher Geſchwindigkeit auf das
Neunfache und ſo ferner.
Verſuche mit der Schwungmaſchine.
Die Schwungmaſchine zeigt dies fuͤr eine Menge von Faͤllen.
Sie iſt am beſten ſo eingerichtet, daß eine mit maͤßiger Geſchwin-
digkeit gedrehte Scheibe QR eine zweite Scheibe DE, entweder
durch eingreifende Zaͤhne oder auch nur durch eine um AB (Fig.
58.) gehende Schnur in ſehr ſchnelle Bewegung ſetzt; zaͤhlt man
dann die Umdrehungen der einen Scheibe, ſo kennt man die Ge-
ſchwindigkeit der andern, und kann dieſe bis zu einem hohen Grade
vermehren. Legt man nun zuerſt auf die ſchnellere Scheibe kleine
Kugeln in ungleichen Entfernungen vom Mittelpuncte in flachen
Vertiefungen auf, ſo werden bei maͤßiger Schnelligkeit zuerſt die
entfernteren Kugeln, endlich bei groͤßerer Schnelligkeit auch die
dem Mittelpuncte naͤheren herausgeworfen und nur die im Mittel-
puncte ſelbſt aufliegende bleibt immer in Ruhe. Wenn man uͤber
dieſer Scheibe ein Metallſtaͤbchen ſo befeſtigt, daß es, wie LM, mit
der Scheibe parallel durch die Axe der Drehung geht, und durch-
bohrte Kugeln auf dasſelbe aufſchiebt, ſo gehen dieſe bei jeder Dre-
hung ſogleich dem Umfange zu; denn obgleich die Bewegung nach
der Tangente durch das Metallſtaͤbchen gehindert wird, ſo bleibt
doch das Beſtreben, ſich vom Mittelpuncte zu entfernen, und ſo
wie dadurch in andern Faͤllen bloß der Faden geſpannt wird, ſo zeigt
ſich hier ein Zuruͤckweichen vom Mittelpuncte. Verbindet man zwei
Kugeln N, O, mit einem Faden, und ſtellt ſie an die entgegenge-
ſetzten Seiten des Mittelpunctes, ſo ſtreben ſie bei der Drehung ein-
ander entgegen, und es erhellt erſtlich leicht, daß keine zuruͤckwei-
chen kann, wenn beide gleich und beide in gleichen Abſtaͤnden vom
Mittelpuncte ſind, aber auch wenn N zwei Loth, O ein Loth wiegt,
jene aber halb ſo weit als dieſe vom Mittelpuncte entfernt iſt, ſo
halten ſich die Schwungkraͤfte im Gleichgewichte, weil bei gleichen
Kugeln die halb ſo entfernt vom Centro befindliche nur halb ſo viel
Kraft ausuͤben wuͤrde, bei ungleichen Kugeln alſo unter den ange-
gebenen Umſtaͤnden eine Gleichheit der Kraft eintritt.
Die Schwungmaſchine kann zu genauer Abmeſſung der
Schwungkraft angewandt werden. Zu dieſem Zwecke iſt in der
[93] Axe der Scheibe ſelbſt eine Saͤule errichtet, an welcher ein durch-
bohrtes Gewicht P ſich ohne erheblichen Widerſtand hinauf und
hinab ſchieben laͤßt. Dieſes Gewicht, dem man durch zugelegte
ſcheibenfoͤrmige Gewichte eine beſtimmte Groͤße geben kann, wird
an einem Faden, der bei d und e uͤber Rollen geht, und an ſei-
nem andern Ende an die Kugel O befeſtigt iſt, gehalten, und
muß alſo an dem Saͤulchen aufſteigen, wenn die Kugel O ſich
vom Mittelpuncte entfernt. Man ſtellt nun die Kugel in eine
beſtimmte Entfernung vom Mittelpuncte und ſetzt die Scheibe
nach und nach in ſchnellere Drehung, wobei man die Geſchwin-
digkeit auf eine abgemeſſene Weiſe immer eine Zeit lang gleich-
maͤßig fortwaͤhren, dann erſt ſie zunehmen laͤßt. Hat man eine
hinreichende Geſchwindigkeit erreicht, ſo hebt die Kugel das Ge-
wicht und die bewegende Kraft der Schwungkraft iſt alſo nun
dem Gewichte gleich. Man ſtellt dann die Kugel O auf die dop-
pelte Entfernung und ertheilt eben die Geſchwindigkeit, ſo hebt
ſie ein doppelt ſo großes Gewicht, oder man bringt eine halb ſo
große Kugel in doppelter Entfernung an, ſo hebt ſie bei der vo-
rigen Geſchwindigkeit ein gleiches Gewicht, oder man verdoppelt
die Anzahl der Umlaͤufe in derſelben Zeit, behaͤlt aber dieſelbe
Kugel in derſelben Entfernung bei, ſo hebt ſie ein viermal ſo
großes Gewicht als vorhin.
Von den uͤbrigen Erſcheinungen, welche die Schwungma-
ſchine zeigt, ſind beſonders folgende merkwuͤrdig. Wenn man
ein geſchloſſenes Gefaͤß, worin ſich eine gefaͤrbte Fluͤſſigkeit be-
findet, auf die Axe der Scheibe befeſtigt, ſo daß das Gefaͤß ſelbſt
um ſeine verticale Axe gedreht wird, ſo weicht, je ſchneller die Dre-
hung iſt, deſto mehr, die Fluͤſſigkeit nach den Waͤnden des Gefaͤßes
zuruͤck, und es iſt daher bei geringer Drehungsgeſchwindigkeit die
Oberflaͤche nur wenig ausgehoͤlt, bei groͤßerer Geſchwindigkeit
aber die ganze Maſſe der Fluͤſſigkeit an der Wand des Gefaͤßes
hinaufgedraͤngt und in der Mitte ein leerer Raum gelaſſen. Legt
man die Roͤhre, AB, worin etwas Queckſilber und Waſſer be-
findlich iſt, ſo wie die Figur 59 zeigt, auf die Scheibe DE, ſo
nimmt bei der Ruhe das Queckſilber den untern, alſo hier den
der Axe G am naͤchſten liegenden Platz B ein; bei hinreichend
ſchneller Bewegung aber entfernt ſich das Queckſilber am meiſten
[94] von der Mitte und bewirkt, daß die um C bewegliche Roͤhre mit
ihrem Ende A niederſinkt. Dies laͤßt ſich ſo erklaͤren. Wenn
beim ſchnellen Schwunge ein Queckſilbertheilchen und ein Waſſer-
theilchen einander beruͤhren, ſo druͤckt jedes derſelben mit einer
ſeiner Maſſe proportionalen Kraft vom Centro abwaͤrts und das
ſchwerere Queckſilbertheilchen verdraͤngt alſo das Waſſertheilchen,
bis das Queckſilber den entfernteſten Theil der Roͤhre erreicht hat.
Man pflegt an der Schwungmaſchine auch ein Experiment
zu zeigen, welches die Urſache der abgeplatteten Figur der Erde er-
klaͤrt. Die Erde, welche vermoͤge der Attraction ihrer Theilchen
eine genaue Kugelform annehmen wuͤrde, wenn ſie ganz aus Waſ-
ſer beſtaͤnde und keine Bewegung haͤtte, beſitzt, wie Ihnen bekannt
iſt, eine Rotations-Bewegung um ihre Axe, und dadurch wird allen
Theilchen eine Schwungkraft ertheilt. Diejenigen Theilchen, die
um den Aequator der Erde liegen, haben, als am ſchnellſten be-
wegt, die meiſte Schwungkraft oder das meiſte Beſtreben, ſich von der
Axe zu entfernen, und obgleich die Anziehungskraft der Erde hindert,
daß die Theilchen ſich nicht von der Erde trennen und fortfliegen
koͤnnen, ſo wird doch ihre Schwere vermindert, und es draͤngen
ſich mehr Waſſertheilchen gegen den Aequator hin, ſo daß die Erde
einen groͤßern Aequatorealdurchmeſſer erhaͤlt, als ſie ohne Dre-
hung haben wuͤrde. Aus der Schnelligkeit der Umdrehung wuͤrde
ſich die ſphaͤroidiſche Geſtalt der Erde berechnen laſſen, wenn die
Erde ganz aus Waſſer beſtaͤnde und uͤberall gleich dicht waͤre; da
dies nicht der Fall iſt, ſo muͤſſen wir durch Abmeſſungen der Erde
und durch die Experimente uͤber die in verſchiedenen Gegenden un-
gleiche Kraft der Schwere, wovon ich ſpaͤter noch reden werde,
ihre Geſtalt kennen lernen. — Um das nachzuahmen, was hier
die Veraͤnderung der Kugelgeſtalt in eine ſphaͤroidiſche bewirkt,
ſchraubt man auf die Scheibe der Schwungmaſchine zwei ſenkrecht
ſtehende kreisfoͤrmige Meſſingreifen, die auf ein verticales Staͤb-
chen ſo aufgeſchoben ſind, daß ſie ſich daran leicht verſchieben laſſen.
Die Meſſingreifen ſind Kreiſe und werden durch ihre Elaſticitaͤt
in dieſer Form erhalten; wenn man ſie aber um die durch ihren Mit-
telpunct gehende Axe dreht, ſo ertheilt man den am meiſten von
der Axe entfernten Theilen am meiſten Schwungkraft, und daher
platten ſich die Reifen, die leicht biegſam ſein muͤſſen, ſo ab,
[95] daß die Axe kuͤrzer als der auf ſie ſenkrechte Durchmeſſer wird.
Bei der ſchnellen Drehung, wo unſer Auge keine einzelne Stel-
lung der Reifen mehr deutlich wahrnimmt, ſcheint es dann, als
ob eine ſphaͤroidiſche Maſſe den ganzen bei der Drehung durch-
laufenen Raum ausfuͤllte. Die Abplattung iſt deſto ſtaͤrker,
je ſchneller die Drehung wird.
Noch ein Experiment, welches zugleich eine Zuſammenſetzung
von Kraͤften, naͤmlich der zugleich wirkenden Schwerkraft und
Schwungkraft, zeigt, gehoͤrt hierher. Wenn man (Fig. 60) an
verticalen Staͤbchen KI, GH ſchwere Kugeln aufhaͤngt, ſo treibt
die Schwungkraft dieſe Kugeln bei der Drehung der Scheibe DE
vom Mittelpuncte C abwaͤrts, die Schwerkraft dagegen treibt ſie
niederwaͤrts, und beiden Kraͤften folgend ſtellen ſich die Kugeln in
eine ſchiefe Stellung, wie HL, IM, und deſto mehr der horizon-
talen Richtung genaͤhert, je ſchneller die Bewegung oder je groͤßer
uͤberhaupt die Schwungkraft iſt, und bei einer die Schwerkraft ſehr
weit uͤbertreffenden Schwungkraft erreichen ſie eine nur wenig von
der Horizontallinie abweichende Richtung.
Andre Erſcheinungen, die von der Schwungkraft
abhaͤngen.
Eine aͤhnliche Zuſammenſetzung der Kraͤfte iſt es, welche den
auf ſeinem Pferde ſtehenden Kunſtreiter noͤthigt, ſich ſtark nach dem
Innern des Kreiſes, durch welchen er forteilt, zu lehnen. Hier
naͤmlich wuͤrde die Schwungkraft ihn vom Sattel hinabſchleudern,
wenn er grade auf demſelben zu ſtehen verſuchen wollte; er muß
daher ſeinem Fuße eine Stuͤtze in derjenigen Richtung geben, welche
als Richtung der Mittelkraft aus Schwungkraft und Schwere her-
vorgeht, und die ganze Stellung ſeines Koͤrpers lehnt ſich in dieſe
Richtung, ja das Pferd ſelbſt lehnt ſich, vorzuͤglich bei ſehr ſchnel-
lem Laufe im Kreiſe, eben ſo nach dem Innern des Kreiſes, und
die Erfahrung lehrt, ſelbſt in gewoͤhnlicheren Faͤllen, den unge-
ſchickten Reiter, daß er, bei ſchneller Aenderung der Richtung ſeines
Weges, ſich nach der innern Seite des von ihm beſchriebenen Bo-
gens hin lehnen muß, damit er nicht zu ſtark nach der andern Seite
getrieben werde, und wohl gar das Gleichgewicht verliere.
[96]
Die Schwungkraft zeigt ſich uns noch bei manchen andern
theils mehr ſpielenden, theils ernſthaften Anwendungen. Man
kann ein in einen Reifen geſtelltes Glas mit Waſſer bei geſchicktem
Schwingen ſo herum ſchwingen, daß die Muͤndung des Glaſes zu
unterſt gekehrt iſt, ohne daß das Waſſer auslaͤuft; denn wenn in
demſelben Augenblicke, wo die Schwere das Waſſer aus der unten
ſtehenden Muͤndung treiben ſollte, die Schwungkraft vertical auf-
waͤrts gerichtet, und groͤßer als die Schwerkraft iſt, ſo draͤngt ſie
das Waſſer gegen den oben ſtehenden Boden des Gefaͤßes. Das
Brummen der Brummkraͤuſel, womit die Kinder zu ſpielen pflegen,
iſt eine Folge der Schwungkraft. Die in der hohlen Kugel enthal-
tene Luft draͤngt ſich naͤmlich, bei der ſchnellen Rotation, durch
die Schwungkraft getrieben, aus der Seiten-Oeffnung heraus,
und wenn die Luft groͤßtentheils ausgetrieben iſt, hoͤrt das brum-
mende Getoͤſe auf, bis gegen das Ende der Bewegung bei abneh-
mender Schnelligkeit die wieder eindringende Luft ein aͤhnliches Ge-
raͤuſch macht. — Doch dies ſind Spielereien!
Aber wichtig ſind dagegen die Anwendungen, welche die Ma-
ſchinenlehre von der Schwungkraft macht, und die Ruͤckſichten, die
ihretwegen bei der Berechnung der Maſchinen vorkommen. Es ſcheint
zuweilen dem Unkundigen raͤthſelhaft, warum man die Maſchine,
außer den ſonſt nothwendigen Raͤdern oft noch mit einem Schwung-
rade beſchwert; aber der Nutzen hievon iſt, vorzuͤglich in gewiſſen
Faͤllen, leicht einleuchtend zu machen. Manche zum Betriebe von
Maſchinen brauchbare Kraͤfte laſſen ſich nicht ſo anordnen, daß ſie
mit immer gleicher Gewalt wirken, und bei andern Maſchinen iſt die
entgegen wirkende Laſt nicht immer gleich wirkſam; in dieſen Faͤllen
wuͤrde eine ungleichfoͤrmige Bewegung entſtehen, und die im einen
Augenblicke etwas nachlaſſende Kraft muͤßte im naͤchſten Augenblicke
erſt die in jener Zwiſchenzeit verminderte Geſchwindigkeit wieder
herſtellen. Iſt aber ein Rad, das eine große Maſſe beſitzt und
deſſen Maſſe ziemlich weit von der Axe liegt, mit in Drehungsbe-
wegung geſetzt, ſo behaͤlt ja dieſes Schwungrad ſeine Drehungs-
bewegung lange faſt ungeaͤndert, ſelbſt wenn auch die wirkende
Kraft dieſe Drehung zu befoͤrdern aufhoͤrte, um ſo mehr alſo wird
es in den kurzen Zeitraͤumen einer verminderten Wirkſamkeit der
Kraft, ſeine Bewegung gleichfoͤrmig behalten, und die mit ihm
[97] verbundenen Raͤder gleichfalls regelmaͤßig umtreiben, und ſo der
Maſchine weſentlichen Nutzen bringen.
Moment der Traͤgheit.
Hieran ſchließt ſich eine in der Maſchinenlehre wichtige Frage
an, wie man die Drehungsgeſchwindigkeit der durch bewegende
Kraͤfte angetriebenen Raͤder beſtimmt, und obgleich ich dieſe Lehre
hier nur kurz beruͤhren kann, ſo glaube ich doch den wichtigen Be-
griff des Momentes der Traͤgheit nicht uͤbergehen zu duͤr-
fen, um ſo weniger, da ſich dadurch die uͤberraſchend ſcheinende Be-
hauptung Laplace's erklaͤrt, daß wir aus aſtronomiſchen Beob-
achtungen, aus der Vergleichung alter und neuer Beobachtungen,
ſchließen koͤnnen, daß die Temperatur der Erde ſeit Hipparchs
Zeiten nicht merklich abgenommen habe.
Wenn eine bewegende Kraft unmittelbar auf eine Maſſe wirkt,
ſo ertheilt ſie derſelben eine beſtimmte Geſchwindigkeit, die, bei
gleich lange dauernder Einwirkung, der Maſſe umgekehrt propor-
tional iſt. Wir ſehen dies zum Beiſpiel, wenn wir ein aufgehaͤngtes
ſchweres Gewicht in Bewegung zu ſetzen ſtreben, indem die Ge-
ſchwindigkeit, die wir ihm ertheilen koͤnnen, deſto kleiner iſt, je
groͤßer die in Bewegung zu ſetzende Maſſe iſt. — Aber nun ſei die
zu bewegende Maſſe an einem Hebel-Arme AB angebracht, nach
welchen Geſetzen richtet ſich dann die Geſchwindigkeit? Es ſei zuerſt
(Fig. 61.) die Maſſe in C und die Kraft wirke unmittelbar auf C,
dann wird dieſe der Maſſe eben die Geſchwindigkeit ertheilen, wie
bei gradlinigem Fortſchieben der Maſſe, und der Drehungswinkel
wird ſich daher, bei gleich bleibender und einerlei Zeit lang gleich-
foͤrmig wirkender Kraft, umgekehrt, wie die Maſſe verhalten. Iſt
dagegen die Maſſe in D angebracht, ſo daß AD = ½ AC iſt, ſo
ertheilt dieſelbe in C wirkende Kraft ihr eine groͤßere Winkelgeſchwin-
digkeit; denn aus der Lehre vom Gleichgewichte wiſſen wir, daß
eine Kraft von einem Pfunde in C ebenſo viel bewirkt, als eine
Kraft von 2 Pfunden in D; konnte alſo die in C wirkende Kraft
der Maſſe, als ſie in C war, eine Geſchwindigkeit von 1 Fuß in
der Secunde ertheilen, ſo wird ſie jetzt der in D befindlichen Maſſe
eine Geſchwindigkeit von 2 Fuß in der Secunde ertheilen. Dieſe 2
Fuß in D betragen aber dort 4 Grade des Umfanges, wenn ſie in
I. G
[98]C zwei Grade betruͤgen, weil der Umfang des von D beſchriebenen
Kreiſes nur halb ſo groß iſt, und wir erhalten daher, daß eben die
in C wirkende Kraft, welche eine in C befindliche Maſſe durch 1
Grad des Umfangs in 1 Secunde trieb, eben dieſe in D befindliche
Maſſe durch 4 Grade treibt. Daß ebenſo die in ⅓ der Entfernung
vom Mittelpuncte verſetzte Maſſe durch 9 Grade fortgefuͤhrt wird,
weil die wirklich in C wirkende Kraft, in der Entfernung AE =
⅓ AC, dreimal ſo viel leiſtet, dreimal ſo große Geſchwindigkeit er-
theilt, und dieſer dreimal ſo große Weg hier 9 mal ſoviele Grade,
als der einfache Weg auf dem durch C gehenden Kreiſe, betraͤgt, iſt
einleuchtend. Und ſo erhellt allgemein, daß bei einer immer gleich
an einerlei Puncte des Hebels wirkenden Kraft, die Umdrehungs-
geſchwindigkeit nicht allein der Maſſe umgekehrt proportional iſt,
ſondern auch dem Quadrate des Abſtandes vom Mittelpuncte um-
gekehrt proportional. Aus dieſem Grunde hat man den Ausdruck,
Moment der Traͤgheit eingefuͤhrt, worunter man das
Product aus der Maſſe in das Quadrat der Entfernung vom Dre-
hungspuncte verſteht, und die Winkelgeſchwindigkeit iſt ebenſo die-
ſem Momente der Traͤgheit umgekehrt proportional, wie, bei grad-
linigter Bewegung, die Geſchwindigkeit der Maſſe umgekehrt pro-
portional iſt. Ein Beiſpiel wird dies noch mehr erlaͤutern. Es ſei
(Fig. 62.) AB ein Rad, deſſen ganze Maſſe in dem ſchweren
Reifen ADBE gleichmaͤßig ausgetheilt iſt, ſo daß dieſer ſchwere
Ring nur mit Staͤben von unbedeutender Maſſe mit dem Mittel-
puncte verbunden iſt. Auf die Axe FG ſei ein Seil aufgewickelt,
an welchem ein Gewicht P von einem Pfunde herabhaͤngt, und
jenes Rad in Bewegung zu ſetzen ſtrebt. Da das Rad fuͤr ſich
allein im Gleichgewichte iſt, ſo wirkt jenes 1 Pfund als Ueberge-
wicht, und wir wuͤrden, wenn der ſchwere Ring ebenſo weit, als
der Angriffspunct dieſer Kraft, von dem Mittelpuncte entfernt waͤre,
fuͤr ein 99 Pfund ſchweres in dem Reifen ausgetheiltes Gewicht,
den Raum, durch welchen das Gewicht ſinkt, oder um welchen
dann jeder Punct des Reifens fortruͤckte = \frac{15}{100} Fuß fuͤr die erſte
Secunde ſetzen, genau ſo wie bei Atwood's Fallmaſchine. Hat
aber der Reifen den fuͤnffachen Durchmeſſer, ſo kann eben die Kraft
dieſer fuͤnfmal ſo entfernt vom Mittelpuncte wirkenden Maſſe nur
ein Fuͤnftel der Geſchwindigkeit mittheilen, und wenn \frac{15}{100} Fuß
[99] dem Umfange der Axe gleich war, ſo ſind \frac{15}{500} Fuß nur ein Fuͤnf
und Zwanzigſtel vom Umfange fuͤr den Reifen, welcher den fuͤnf-
fachen Halbmeſſer hat. Statt alſo, daß eben die Maſſe, in einen
dicht um die Axe gelegten Reifen vereinigt, in jeder Secunde einen
Umlauf vollenden wuͤrde; macht ſie jetzt, fuͤnfmal ſo entfernt vom
Mittelpuncte, nur \frac{1}{25} des Umlaufs in 1 Secunde.
Hieraus erhellt nun auch, welche Aenderung in der Schnellig-
keit der Umdrehung eintreten muß, wenn eine mit dem Rade in
Bewegung geſetzte Maſſe ſich ploͤtzlich dem Mittelpuncte naͤhert,
oder ſich von ihm entfernt. So lange alle einzelne Theile der
Maſſe ihre Lage gegen den Mittelpunct behalten, dauert, ohne
Einwirken neuer Kraͤfte, die Rotation nach dem Geſetze der Traͤg-
heit ungeaͤndert fort; aber wenn ploͤtzlich ein Theil der Maſſe wei-
ter von der Axe weggeruͤckt wird, ſo behaͤlt er nur die Geſchwindig-
keit, die er vorhin hatte, die ihn jetzt durch einen kleinern Winkel
fortfuͤhrt, und obgleich dieſer Theil der Maſſe, verbunden mit der
uͤbrigen Maſſe, die Winkelgeſchwindigkeit nicht ſo ſehr vermindert,
als es hiernach der Fall ſein ſollte, ſo wird ſie dennoch in einigem
Grade herabgeſetzt, und deſto mehr, je groͤßer der in die Ferne ge-
ruͤckte Theil der Maſſe in Vergleichung gegen die ganze bewegte
Maſſe iſt. Und nun werde ich Ihnen mit wenigen Worten den
Zuſammenhang zwiſchen der Waͤrme oder Temperatur der ganzen
Erde und den aſtronomiſchen Beobachtungen erklaͤren, und La-
place's ſeltſam klingende Behauptung rechtfertigen koͤnnen. Es
iſt eine, in einem andern Abſchnitte der Phyſik genauer zu erklaͤ-
rende Erfahrung, daß die Koͤrper ſich ausdehnen, wenn ihre Tem-
peratur groͤßer wird, und daß ſie ſich in einen engern Raum zuſam-
men ziehen, bei abnehmender Waͤrme; alſo muß auch die Erde,
wenn ihre Temperatur ſeit uralten Zeiten abgenommen haͤtte, jetzt
einen etwas geringern Durchmeſſer, als in jenen fruͤhern Zeiten,
haben. Aber bei einem ſo verkleinerten Halbmeſſer ſind alle Theile
der Erdmaſſe der Erd-Axe naͤher geruͤckt, und die Umdrehungs-
bewegung muß daher ſchneller geworden ſein, wenn im Laufe der
Zeit irgend eine ſolche Aenderung ſtatt gefunden hat. Da nun die
Zeit, in welcher die Erde eine taͤgliche Rotation vollendet, aus den
alten Beobachtungen fuͤr jene Zeiten, aus den neuen Beobachtun-
gen fuͤr unſre Zeit, bekannt iſt, und dieſe Laͤnge des Sternentages,
G 2
[100] dieſe Laͤnge der einmaligen Umdrehungsperiode ſich voͤllig genau jetzt
ſo findet, wie Hipparch ſie vor 2000 Jahren gefunden hat, ſo
hat ſich das Volumen der Erde nicht geaͤndert, die Maſſentheile
ſind nicht der Axe naͤher geruͤckt, die Waͤrme der ganzen Erde hat
ſich nicht oder hat ſich hoͤchſtens ganz unbedeutend geaͤndert, da
ſelbſt ein Grad Waͤrme-Aenderung, bei einer Erſcheinung, die
immer gleichmaͤßig wiederkehrend die ſtatt findenden Differenzen in
einem Jahre 365fach zeigt, ſchon mehr Einfluß haben wuͤrde, als
die vorhandenen Beobachtungen anzunehmen erlauben.
Dieſe Betrachtung, welche zugleich zeigt, wie die am weite-
ſten von einander ſtehenden Erſcheinungen dennoch durch ein enges
Band verbunden ſind, wie die eine zur Erklaͤrung der andern dient,
wie die eine unſre Kenntniß der andern berichtiget, ſcheint mir ſo
wichtig, ſcheint mir ſo ſehr die Wuͤrde der Naturforſchung in einem
ſchoͤnen Glanze zu zeigen, und den Scharfſinn des Urhebers dieſer
Betrachtung zu bezeugen, daß ich Bedenken trage, von ihr noch zu
andern Gegenſtaͤnden heute uͤberzugehen, obgleich auch der Gegen-
ſtand, von welchem ich das naͤchſte Mal zu reden gedenke, den
Scharfſinn und die Genauigkeit der Beobachter und Kuͤnſtler auf
eine andre Weiſe in einem ſehr vortheilhaften Lichte zeigt.
Achte Vorleſung.
Bewegung des Pendels.
Die neulich betrachteten Phaͤnomene ſchloſſen ſich ſo natuͤrlich
an einander, daß ich ſie nicht von einander trennen konnte und da-
her jetzt erſt zu einem weniger ſchwierigen und in ſeinen Anwendun-
gen gleichwohl hoͤchſt wichtigen Gegenſtande, zur Betrachtung des
Pendels, uͤbergehe.
Das Pendel beſteht aus einem ſchweren Koͤrper, der, an ei-
nem Faden oder an einer duͤnnen Stange aufgehaͤngt, durch die
Schwerkraft zu einer lange dauernden oſcillirenden Bewegung ange-
trieben wird, ſobald man das Pendel einmal von der Lage, welche das
Gleichgewicht fordert, entfernt hatte. Bringt man naͤmlich das
[101] Pendel AB in die Lage AC, (Fig. 63.) ſo treibt die Schwere den
Koͤrper C, den wir, als die Hauptmaſſe enthaltend, vorzuͤglich ins
Auge faſſen, herab, und noͤthiget ihn, den Kreisbogen CB zu durch-
laufen; dabei erlangt er eine, bei tieferem Falle immer ſchnellere
Bewegung und koͤmmt mit einer gewiſſen Geſchwindigkeit im un-
terſten Puncte B an. Hier hoͤrt die Schwere auf, beſchleunigend
auf ihn zu wirken, aber ſeine erlangte Geſchwindigkeit fuͤhrt ihn,
nach dem Geſetze der Traͤgheit, weiter fort, ſo daß er ſteigend den
Bogen BD durchlaͤuft. Es iſt leicht zu uͤberſehen, daß die Schwer-
kraft hier den aufſteigenden Koͤrper genau ebenſo ſeiner Geſchwindig-
keit beraubt, wie ſie dem ſinkenden Koͤrper, da er auf einem genau
aͤhnlichen und gleichen Bogen herabſank, ſeine Geſchwindigkeit er-
theilte. Der ſchwere Koͤrper wird daher in d eben die Geſchwindig-
keit, wie in dem gleich hoch liegenden Puncte c haben, und in D
ſeine Geſchwindigkeit ganz verlohren haben, wenn er in C ohne alle
anfaͤngliche Geſchwindigkeit ſeine Bewegung anfing. Daß der ſo
bis D geſtiegene Koͤrper nun wieder zu ſinken anfaͤngt, daß er eine
gleiche Schwingung bis nach C zuruͤck vollenden, und ſo eine Reihe
von Schwingungen machen wird, laͤßt ſich leicht uͤberſehen. Ließe
ſich die Aufhaͤngung des Pendels ſo einrichten, daß es gar keine
Reibung litte, waͤre nicht der Widerſtand der Luft und uͤberhaupt
kein Hinderniß der Bewegung vorhanden, ſo muͤßte dieſe Bewegung
des Pendels ohne Ende fortdauern, und wirklich dauert die Be-
wegung eines Pendels, an deſſen Aufhaͤngepuncte alle Reibung und
andre Hinderniſſe ſorgfaͤltig vermieden worden, durch mehrere tau-
ſend Schwingungen, wenn ſie gleich endlich, wegen des nie ganz
fehlenden Widerſtandes, aufhoͤrt.
Die Geſetze dieſer Bewegung ſind ſo einfach, daß es Ihnen
nicht ſchwer werden wird, ſie genau zu uͤberſehen. Was zuerſt die
Frage betrifft, welche Geſchwindigkeit das Pendel erlangt, ſo iſt dieſes
wenigſtens in dem Falle leicht zu beantworten, wenn die ſchwere
Materie des Pendels faſt ganz in der Gegend B. beinahe in einem
Puncte vereiniget iſt. Dieſer Punct durchlaͤuft den Bogen CB.
und indem er ſo vom Anfange ſeines Falles die Tiefe EB erreicht,
erlangt er auch die dieſer Falltiefe entſprechende Geſchwindigkeit.
Der Grund dieſer Uebereinſtimmung laͤßt ſich an dem einfacheren
Falle, wo eine Kugel auf einer ſchiefen Ebne herablaͤuft, noch beſſer
[102] nachweiſen. Hier ſei zum Beiſpiel (Fig. 64.) die Hoͤhe AB der
Ebne ein Drittel ihrer Laͤnge BC, ſo hat uns die Zerlegung der
Kraͤfte in der Statik gezeigt, daß die herabwaͤrts, nach der Richtung
der Ebne wirkende Kraft nur ein Drittel des ganzen Gewichtes iſt,
und daraus erhellt, daß die auf BC fortrollende Kugel nur 5 Fuß
in der erſten Secunde durchlaufen und die Geſchwindigkeit von
10 Fuß (ein Drittel deſſen, was der frei wirkenden Schwere ent-
ſpricht,) erlangen kann. Indem ſie von B an um 5 Fuß bis D
fortgeruͤckt iſt, hat ſie die Tiefe BE = \frac{5}{3} Fuß erreicht, und da dies
ein Neuntel der Tiefe iſt, welche ſie bei freiem Falle erreichen
wuͤrde, ſo waͤre der frei fallende Koͤrper in ⅓ Secunde von B nach
E gekommen, und haͤtte in E die Geſchwindigkeit = 10 Fuß, ge-
nau eben die, welche der auf der ſchiefen Ebne herabrollende Koͤrper
in einer ganzen Secunde in D erlangt hat. Ginge der Koͤrper mit
dieſer Geſchwindigkeit von 10 Fuß auf eine neue ſchiefe Ebne uͤber,
bei welcher die Hoͤhe DF nur ein Fuͤnftel der Laͤnge DG waͤre, ſo
wuͤrde er, weil die ihn beſchleunigende Kraft nur ein Fuͤnftel der
Schwerkraft iſt, am Ende der naͤchſten Secunde nur 6 Fuß neue
Geſchwindigkeit erlangt, und mit 10 Fuß Anfangsgeſchwindigkeit
und 16 Fuß Endgeſchwindigkeit 13 Fuß in dieſer Secunde durch-
laufen haben; dieſen 13 Fuß = DH entſpricht die Tiefe \frac{13}{5} Fuß
= EI, oder die ganze Tiefe BI = \frac{5}{3}+\frac{13}{5} Fuß = \frac{64}{15} Fuß, und
dies iſt die Tiefe, welche ein freifallender Koͤrper in \frac{8}{15} Secunden
erreicht und an deren Ende er 16 Fuß Geſchwindigkeit das iſt \frac{8}{15}
derjenigen Geſchwindigkeit erlangt hat, die er in 1 Secunde erlangt
haͤtte, alſo eben die Geſchwindigkeit, mit welcher die Kugel in H
ankoͤmmt. *).
Dieſes Geſetz iſt bei der durch beſchleunigende Kraͤfte bewirkten
Fortbewegung auf krummen Linien ganz allgemein; beim Ueber-
gange von einer Ebne auf eine andre wuͤrde einiger Verluſt an
Geſchwindigkeit beim Antreffen an die, ploͤtzlich eine andre Richtung
der Bewegung fordernde Ebne ſtatt finden, der aber bei dem ſanf-
[103] ten Uebergange zu neuen Richtungen auf einer krummen Linie
wegfaͤllt.
Bei der Bewegung der Pendel findet ferner das merkwuͤrdige
Geſetz ſtatt, daß faſt ganz genau die Schwingungszeiten gleich ſind,
man mag das Pendel große oder kleine Bogen durchlaufen laſſen.
Dies haͤngt davon ab, daß das nur wenig aus ſeiner Gleichgewichts-
ſtellung gebrachte Pendel Ad (Fig. 63.) mit einer hoͤchſt geringen
Kraft zu ſeiner tiefſten Stellung zuruͤckſtrebt, und daher den frei-
lich kleinen Bogen dB ſehr langſam durchlaͤuft; iſt es dagegen
weit, wie AD, von ſeiner Ruhetage entfernt, ſo erlangt es, ver-
moͤge der ſtarken Neigung ſeiner Bahn ſchon ſogleich eine bedeu-
tende Geſchwindigkeit und wird durch den großen Bogen DB in
eben der Zeit, wie vorhin durch den kleinen Bogen dB fortgefuͤhrt.
Auf dem Kreiſe iſt dieſe Gleichheit der Schwingungszeiten nicht
ganz genau richtig; aber obgleich die Schwingungszeit bei groͤßern
Bogen ein wenig laͤnger iſt, ſo betraͤgt dies doch ſelbſt bei Bogen
von 20 Graden noch kaum ein Hundertel der Schwingungszeit.
Indeß verſteht es ſich, daß man bei der Genauigkeit, die wir von
unſern Uhren fordern, und wegen der unaufhoͤrlich ſich ſummiren-
den Zeit-Unterſchiede bei vielen Pendelſchlaͤgen, ſelbſt ſo kleine Ab-
weichungen nicht unbeachtet laſſen darf.
Kuͤrzere Pendel vollenden ihre Schwingungen ſchneller als
laͤngere. Wir wollen uns (Fig. 65.) zwei Pendel AB, ab, jenes
viermal ſo lang als dieſes denken, beide moͤgen um den Winkel
BAD = bad, gehoben ſein, ſo iſt die Einwirkung der Schwere
auf beide in Ruͤckſicht auf die Richtung der Bewegung, die beide,
gleich geneigt gegen die Verticallinie, annehmen koͤnnen, gleich, und
bei den nach und nach erlangten Stellungen in der Mitte oder auf
dem Viertel der Wege DB, db ſind die Einwirkungen der Schwere
immer wieder gleich; aber es iſt der Weg BD viermal ſo groß als
bd, und bei gleicher Einwirkung der Schwere wird der vierfache
Weg in der zweifachen Zeit durchlaufen, alſo iſt, da dieſe Vervier-
fachung des Raumes und daher die Verdoppelung der Zeit waͤhrend
der ganzen Bewegung ſtatt findet, ab ein Pendel fuͤr halbe Se-
cunden, wenn AB ein Pendel fuͤr ganze Secunden iſt. Die
Schwingungszeiten ſind allgemein den Quadratwurzeln aus den
Laͤngen proportional, das heißt, man muß des Secundenpendels
[104] Laͤnge viermal, neunmal, ſechzehnmal nehmen, um Pendel zu er-
halten, deren Schwingungszeit 2, 3, 4 Secunden betraͤgt. Ga-
lilaͤi wurde durch die langſamen Schwingungen der Kronleuchter
in den hohen Kirchengewoͤlben zu Betrachtungen hieruͤber geleitet,
und beſtimmte die Hoͤhe dieſer Gewoͤlbe, die Laͤnge dieſer Pendel,
aus ihren Schwingungszeiten. — Da ein 3 Fuß langes Pendel un-
gefehr in 1 Secunde eine Schwingung vollendet, ſo braucht ein
48 Fuß langes Pendel 4 Secunden.
Eine andre Frage, deren Beantwortung von großer Wichtig-
keit iſt, betrifft die ungleiche Schwingungszeit zweier gleich langer,
aber einer ungleichen Schwerkraft unterworfener Pendel. Wenn
wir uns in eine Gegend verſetzen koͤnnten, wo die Schwere viermal
ſo maͤchtig wirkte, ſo wuͤrde der frei fallende Koͤrper 60 Fuß in der
erſten Secunde durchlaufen, ſtatt daß wir ihn nur 15 Fuß durch-
laufen ſehen, das heißt, die vierfach ſo ſtarke Schwerkraft triebe den
fallenden Koͤrper durch den Raum in 1 Secunde, durch welche er
in 2 Secunden vermoͤge der einfachen Schwerkraft faͤllt. Und da
auf einer geneigten Ebne dieſelbe Ueberlegung guͤltig bliebe, ſo bleibt
ſie auch bei den gleichen Kreisbogen guͤltig, die von gleichen Pendeln
beſchrieben werden, und unſer Secundenpendel wuͤrde in einer hal-
ben Secunde eine Schwingung vollenden, wenn es einer vierfachen
Schwerkraft ausgeſetzt waͤre, in ⅓ Secunde bei neunfacher Schwer-
kraft und ſo ferner.
Genaue Beſtimmung des Fallraums in 1 Secunde und
der Figur der Erde.
Die Kenntniß der genauen Laͤnge des Secundenpendels iſt ein
Gegenſtand von ſo großer Wichtigkeit fuͤr den Phyſiker und Aſtro-
nomen, daß man auf die Beſtimmung derſelben den ſorgfaͤltigſten
Fleiß gewandt hat. Wir lernen den genauen Fallraum eines frei
fallenden Koͤrpers erſt durch die Laͤnge des Secundenpendels kennen,
indem ſich durch Schluͤſſe, die hier zu ſchwierig ſein wuͤrden, zeigen
laͤßt, daß man die Laͤnge des Secundenpendels mit 4,9348 multi-
pliciren muß, um den Fallraum in einer Secunde zu haben. *)
Wenn alſo nach Beſſels Beſtimmung die Laͤnge des Secunden-
[105] pendels in Koͤnigsberg an der Oberflaͤche der Oſtſee = 440,8179
pariſer Linien iſt, ſo erhaͤlt man den Fallraum in 1 Secunde eben
dort = 2175,349 Linien = 181,279 Zoll = 15,1066 Fuß. Dieſe
Werthe bleiben nicht auf der ganzen Erde gleich, indem an der
Meeresflaͤche unter dem Aequator die Pendellaͤnge = 439,248 Li-
nien, der Fallraum in 1 Secunde = 15,053 pariſer Fuß iſt. Und
in dieſer Ungleichheit liegt der Grund, weswegen die Pendellaͤnge
fuͤr den Geographen und Aſtronomen wichtig iſt, indem ſie uns
dient, die Figur der Erde kennen zu lernen.
Die Schwerkraft wuͤrde an allen Puncten der Erd-Ober-
flaͤche gleich ſein, wenn die Erde eine genaue Kugel, von uͤberall
gleicher Materie, und ohne Bewegung waͤre. Schon wegen der
hoͤhern oder tiefern Lage der einzelnen Puncte findet eine Ungleich-
heit ſtatt, die freilich klein iſt, aber doch in ſo genauen Verſuchen,
wie die nachher zu erwaͤhnenden, ſelbſt bei kleinen Hoͤhen merklich
werden wuͤrde. Beſſel beſtimmt die Laͤnge des Secundenpendels
auf der Koͤnigsberger Sternwarte als 0,0032 pariſer Linien kuͤrzer
als es an der 67 Fuß niedrigern Oberflaͤche der Oſtſee ſein wuͤrde,
und bei hoͤhern Bergen, wo freilich nicht bloß die Abnahme der
Schwerkraft wegen weiterer Entfernung vom Mittelpuncte der
Erde, ſondern auch ihre Zunahme durch die Anziehungskraft des
Berges, auf welchem man ſich befindet, in Betrachtung koͤmmt,
wird dieſer Unterſchied viel erheblicher. — Es laͤßt ſich zugleich
uͤberſehen, wie er dienen kann, die Anziehungskraft des Berges zu
finden, und worauf die Behauptung beruhet, daß man, um aus
beobachteten Pendellaͤngen genaue Schluͤſſe zu ziehen, billig auf die
geologiſche Beſchaffenheit der Gegenden, wo ſie angeſtellt worden
ſind, Ruͤckſicht nehmen ſollte.
Der wichtigſte Unterſchied, den wir in der Pendellaͤnge finden,
iſt indeß der aus der Umdrehung der Erde um ihre Axe entſtehende.
Ich habe ſchon bei einer andern Gelegenheit bemerkt, daß, durch
die bei der Umdrehung entſtehende Schwungkraft, das Waſſer der
Meere gegen den Aequator hin gedraͤngt wird, und deswegen die
Erde eine von der Kugelgeſtalt abweichende Form erhaͤlt; und
hierin liegt ein doppelter Grund, um die Schwerkraft am Aequator
zu vermindern. Nehmen wir naͤmlich an, unſer Standpunct bei
allen anzuſtellenden Verſuchen ſei an der Oberflaͤche des Meeres,
[106] ſo ſind wir doch (Fig. 60.) in A, am Aequator der Erde weiter, als
in B, vom Mittelpuncte C der Erde entfernt, und ſchon deshalb
wuͤrde die Wirkung der Schwere in A ſchwaͤcher, als in B, ſein.
Aber hiezu koͤmmt noch die am Aequator groͤßere Schwungkraft, die
naͤmlich mit dem Abſtande von der Axe DE zunimmt, und am
Aequator der Richtung der Schwere grade entgegen wirkt. Beide
Urſachen vereinigt bringen die Wirkung hervor, daß der Fallraum
in unſern mittlern geographiſchen Breiten ungefehr um \frac{1}{300} groͤßer
als am Aequator iſt. Dieſer Unterſchied ließe ſich genau berechnen,
wenn wir die Figur der Erde, das iſt, der Oberflaͤche aller Meere,
ganz genau kennten; ergiebt die Beobachtung ſie alſo anders als
wir bei Vorausſetzung einer gewiſſen Geſtalt der Erde erwarteten,
ſo dient uns dies zur Berichtigung unſrer uͤber die Figur der Erde
gemachten Vorausſetzungen. Dieſe Methode, die Figur der Erde zu
beſtimmen, geſtattet eine große Genauigkeit, da wir wohl dahin
kommen koͤnnen, die Laͤnge des Secundenpendels an vielen Orten
bis auf kleinere Theile als ein Hunderttel Linie, alſo die Kraft der
Schwere ſo genau zu beſtimmen, daß unſre Angaben um weniger
als \frac{1}{44000} von der Wahrheit abweichen.
Verſuche uͤber die Laͤnge des Secundenpendels.
Aber wie gelangen wir zu dieſer Genauigkeit? — Das iſt eine
Frage, deren Beantwortung um ſo mehr hieher gehoͤrt, da die Be-
ſtimmung der Pendellaͤnge eines der ſchoͤnſten Beiſpiele von der
großen Genauigkeit giebt, welche die Kuͤnſtler unſrer Zeit in ihren
Inſtrumenten und die Beobachter in ihren Beſtimmungen zu er-
reichen wiſſen. Die Beantwortung der Frage fordert zweierlei, erſt-
lich daß wir die Mittel angeben, die ſehr ſtrenge beſtimmte Schwin-
gungszeit eines Pendels zu beobachten, zweitens, daß wir die Laͤnge
dieſes Pendels mit großer Schaͤrfe abmeſſen. Das Letztere iſt am ſchwie-
rigſten und ich will daher damit anfangen. Eigentlich ſollten wir
ein Pendel haben, welches nur einen einzigen ſchweren Punct in B
(Fig. 65.) haͤtte; dann wuͤrde die Abmeſſung vom Aufhaͤngepuncte
A bis zu dieſem Puncte B uns die Laͤnge des Pendels geben; aber
ſolche Pendel beſitzen wir nicht, und wenn zum Beiſpiel das Pendel
aus einer duͤnnen Stange und einer unten daran befeſtigten Kugel
beſteht, ſo iſt nicht der Mittelpunkt der Kugel, ſondern ein andrer
[107] Punct derjenige, bis zu welchem hin gemeſſen werden muß. Dieſen
Punct, welchen man den Mittelpunct des Schwunges nennt, in
welchem naͤmlich jener einzige ſchwere Punct ſich befinden muͤßte,
um ein in ebenſo langen Zeiten ſchwingendes Pendel darzubieten,
laͤßt ſich nun freilich berechnen; aber dieſe Berechnung beruht auf
einer vollkommen genauen Kenntniß aller einzelnen Theile des Pen-
dels, und es wuͤrde immer ſchwer ſein, die Lage deſſelben bis auf
\frac{1}{100} Linie zu verbuͤrgen.
Wegen dieſer nicht ſtrengen Beſtimmung verdiente Bohnen-
berger's Pendel, welches Beſſel das Pendel mit reciproken
Axen nennt, und das von andern das convertible, umwendbare
Pendel genannt iſt, einen Vorzug, indem es den Schwingungsmit-
telpunct an einer genau beſtimmten Stelle, zur Abmeſſung bequem,
darbietet. Es iſt naͤmlich ein leicht aufzufaſſender Satz, daß, wenn
ein Pendel am obern Ende aufgehaͤngt Secunden ſchlaͤgt, es auch
irgendwo gegen das untere Ende hin einen Punct geben wird, in
welchem umgekehrt aufgehaͤngt, es wieder Secunden ſchlaͤgt, und
daß der Abſtand dieſer Puncte von einander der Abſtand des
Schwingungsmittelpunctes von der Axe, oder der ſo beſtimmte
Punct der Schwingungsmittelpunct iſt, der zu jener Axe gehoͤrt.
Bringt man alſo an einem Stabe AB (Fig. 67.) eine als Schneide
zugeſchaͤrfte, zum Auflegen auf eine wohlpolirte Unterlage geeignete
Axe CD an, und befeſtigt eine zweite Axe EF, deren Schaͤrfe nach
oben gekehrt iſt, vermittelſt einer Schraube, ſo wird man nach ei-
nigen Verſuchen den Abſtand der beiden Schneiden CD, EF ſo
einrichten koͤnnen, daß die Schwingungszeiten des Pendels gleich
ſind, man mag es in der Stellung, welche die Figur zeigt, oder in
umgekehrter Stellung, mit EF aufliegend, ſchwingen laſſen. Die
Schwierigkeit, die es haben mag, dies genau auszufuͤhren, will ich
hier nicht weiter beruͤckſichtigen, ſondern nur kurz ſagen, — wenn
dieſe Anordnung vollkommen ausgefuͤhrt iſt, ſo iſt die Schneide der
einen Axe genau in dem der andern Axe zugehoͤrigen Schwingungs-
puncte, und der Abſtand beider Axen von einander iſt das, was wir
Laͤnge des Pendels nennen. Die Abmeſſung dieſer Laͤnge
ließe ſich ſehr genau erhalten; aber bei einer Beſtimmung, die bis
auf ein Tauſendtel einer Linie genau ſein ſoll, muß man ſehr feine
Umſtaͤnde mit beruͤckſichtigen, und hier ſind es beſonders zwei Um-
[108] ſtaͤnde, die zu Fehlern, und zu ſolchen Fehlern, denen ſelbſt die
Sorgfalt des Beobachters nicht ganz abhelfen kann, fuͤhren koͤnnen.
Der erſte Fehler beruht auf der Unvollkommenheit der Schneide, auf
welcher das Pendel aufliegt. Haͤtten wir es mit einer dicken, cylin-
driſchen Axe auf die Unterlage gelegt, ſo wuͤrde offenbar die Laͤnge
des Pendels nicht ſo gradezu von dem Puncte, mit welchem die Axe
die Unterlage beruͤhrt, an zu rechnen ſein, ſondern man muͤßte auf
das Waͤlzen dieſes Cylinders Ruͤckſicht nehmen, und etwas Aehnli-
ches, wenn gleich in viel geringerm Maaße, findet ſelbſt bei der
feinſten Schneide ſtatt, die doch immer noch mit andern Beruͤh-
rungspuncten aufliegt, wenn das Pendel rechts ausweicht, mit an-
dern, wenn es links ausweicht. So wenig dies auch bei einer
Schneide, deren Breite nur einige Tauſendtel einer Linie betraͤgt,
ausmacht, ſo iſt es doch gegen die Feinheit der Verſuche, die ſich
hier erreichen laͤßt, nicht ganz unbedeutend. Noch wichtiger iſt der
Widerſtand der Luft. Jene Regel, daß der Abſtand der beiden
Axen die wahre Laͤnge des Pendels angiebt, wenn beide eine genau
gleiche Schwingungszeit geben, gilt nur im leeren Raume mit voͤlli-
ger Schaͤrfe, und fordert wegen des Widerſtandes der Luft eine
ſchwer zu beſtimmende Correction. Ein Pendel, das im leeren
Raume in beiden Lagen gleiche Schwingungszeiten hat, behaͤlt nicht
nothwendig dieſe Eigenſchaft in der Luft.
Dieſe, auch hier uͤbrig bleibende Unvollkommenheit hat in der
allerneueſten Zeit Beſſel zu einer anders eingerichteten Reihe von
Verſuchen veranlaßt, die ſich auf die Betrachtung ſtuͤtzt, daß es nicht
nothwendig iſt, die genaue Laͤnge eines Pendels zu kennen, ſondern
daß die genaue Kenntniß des Unterſchiedes der Laͤngen zweier Pen-
del, deren Schwingungszeiten man beobachtet, eben ſo gut zur Be-
ſtimmung der Laͤnge des einfachen Secundenpendels fuͤhrt. Beſſel
bediente ſich deshalb zweier Pendel, deren Laͤnge genau um eine
Toiſe verſchieden war, und beſtimmte ihre Schwingungszeit mit
moͤglichſter Sorgfalt.
Ich wuͤrde beſorgen, daß ich Ihnen zu lange bei dieſem Gegen-
ſtande zu verweilen ſchiene, wenn ich nicht ſicher hoffen duͤrfte, daß
ein Beiſpiel von der großen Genauigkeit, welche Verſuche dieſer Art
geſtatten, jedem von Ihnen merkwuͤrdig genug ſcheinen werde, um
gern dabei etwas laͤnger zu verweilen. Da ich das Mittel, die ſehr
[109] genaue Schwingungszeit zu finden, noch nicht erwaͤhnt habe, ſo
mag davon jetzt zuerſt die Rede ſein. Und hier klingt es freilich im
erſten Augenblicke unglaublich, wenn man ſagt, daß bei Beſſel's
Verſuchen jede einzelne Beobachtungsreihe die Schwingungszeit ſei-
nes Pendels ſelten um ein ganzes Hunderttauſendtel einer Secunde
unſicher ließ. Aber dieſes Unglaubliche wird ſchon etwas naͤher in
die Grenze des uns Begreiflichen gebracht, wenn wir uͤberlegen, daß
ſein Pendel 4000 bis 6000 einzelne Schwingungen ungeſtoͤrt hinter
einander vollendete, daß alſo der Zeitraum zwiſchen der erſten und
letzten Schwingung bis auf 1 Sec. genau beobachtet, ſchon die Zeit
jeder einzelnen Schwingung bis auf \frac{1}{4000} oder \frac{1}{5000} Secunde genau
geben wuͤrde, und daß dieſe Genauigkeit noch in hohem Grade zu-
nahm, weil ſich in dieſer langen Reihe von Schwingungen eine Menge
einzelner Beſtimmungen, fuͤr die erſten 500, fuͤr die zweiten 500 und
ſo ferner darboten. Aber auch in der Art, wie die Beobachtung
angeſtellt ward, lag das Mittel zu Erreichung einer ſo großen Ge-
nauigkeit. Die Methode der Beobachtung der Coincidenzen beſteht
bei den Pendeln darin, daß man zwei Pendel, die keinen genau
gleichen Zeitraum zu ihren Schwingungen brauchen, beim Zuſam-
mentreffen ihrer Schlaͤge beobachtet, und hiezu machte Beſſel
folgende Einrichtung. Es ward eine genau gehende Uhr vor dem
zu beobachtenden Hauptpendel aufgeſtellt, jedoch entfernt genug, da-
mit nicht etwa die Schlaͤge der Uhr auf jenes Pendel ſtoͤrend ein-
wirken koͤnnten. An dem Pendel der Uhr befand ſich ein kleines
Loch, durch welches man, bei der tiefſten Lage des Pendels, auf die
weiß gelaſſene Mitte der Scale ſah, die ſich hinter dem zu beobach-
tenden Hauptpendel befand; aber dieſes Weiß wurde, wenn das zu
beobachtende Pendel entweder ruhete oder auch bei der Bewegung
ſeinen tiefſten Punct erreichte, von einem an demſelben befeſtigten
ſchwarzen Cylinder bedeckt, und wenn beide Pendel in Schwingung
waren, ſo ſah das durch ein Fernrohr auf jenes Weiß gerichtete
Auge, beim Eintreffen des Uhrpendels im tiefſten Puncte, durch das
Loch deſſelben, in den meiſten Faͤllen jenes Weiß, und nur dann,
wenn beide Pendel zugleich ihre tiefſte Stellung erreichten, war das
Weiß durch den ſchwarzen Cylinder des Hauptpendels verdeckt, und
dadurch waren die Coincidenzen merklich gemacht. Dieſe Coinci-
denzen erfolgen nicht ganz genau in immer gleichen Zwiſchenraͤumen,
[110] ſondern da das frei haͤngende Pendel anfangs etwas groͤßere, all-
maͤhlig immer kleinere Bogen durchlaͤuft, ſo werden die Schwin-
gungszeiten nach und nach etwas, freilich ſehr wenig, kuͤrzer. —
Doch ich habe wohl genug geſagt, um zu zeigen, daß die Zeit der
Schwingungen des Pendels auf dieſe Weiſe ſehr vollkommen be-
ſtimmt war, und doch habe ich mehrere ſorgfaͤltige Vorrichtungen,
um dieſen Zweck vollkommen zu erreichen, noch mit Stillſchweigen
uͤbergangen. Bei der Abmeſſung der Laͤnge kam es nun vorzuͤglich
auf die groͤßeſte Genauigkeit in Beſtimmung des Laͤngen-Unterſchiedes
beider Pendel an. Es ward dazu eine von Fortin in Paris ver-
fertigte Toiſe angewandt, die mit dem Normalmaaße der Toise de
Perou genau verglichen, und nur um \frac{8}{10000} einer Linie zu kurz be-
funden war. — Da ich nachher Gelegenheit haben werde zu ſagen,
wie man ſich von einer ſo genauen Uebereinſtimmung uͤberzeugen
kann, ſo will ich jetzt bei der Einrichtung des Comparateurs, mit
welchem dieſe Maaßvergleichungen angeſtellt werden, nicht verweilen.
Dieſe Toiſe wurde, in ihrer Mitte von einer Huͤlfe getragen, vertical
aufgehaͤngt, und ſtuͤtzte ſich auf einen genau horizontal abgeſchliffe-
nen Cylinder, den ich die Unterlage nennen will. Indem nun die
zum Aufhaͤngen des Pendels dienende Vorrichtung ſich ganz genau
ebenſo bei den Schwingungen des laͤngern Pendels an die obere
Flaͤche der Toiſe, wie bei den Schwingungen des kuͤrzern Pendels
an die obere Flaͤche der Unterlage andruͤckte, ſo waren die Hoͤhen der
Aufhaͤngepuncte ganz genau um eine Toiſe verſchieden, jedoch muß-
ten die geringen Unterſchiede, welche die Ausdehnung der Toiſe durch
die Waͤrme hervorbringt, in Rechnung gezogen werden. Die Lage
des untern Endpunctes ward durch ein Micrometer, das ich ſogleich
beſchreiben werde, berichtigt. Da das Pendel aus einem Stahlfa-
den beſteht, an welchem eine Meſſingkugel haͤngt, ſo iſt es der un-
terſte Punct der Kugel, deſſen Lage eine genau ſo große Hoͤhe im
einen und im andern Falle haben muß, wenn das laͤngere Pendel um
eine genaue Toiſe laͤnger als das kuͤrzere ſein ſoll. Die Hoͤhe dieſes
Endpunctes wird mit einer Micrometerſchraube abgemeſſen, deren
ganze Schraubengaͤnge eine Weite von 0,0902 Linien haben, und an
der noch die Hunderttel einer Drehung, die alſo 0,0009 Linien be-
tragen, abgeleſen werden. Um aber noch eine groͤßere Genauigkeit
zu erreichen, beruͤhrt der durch die Drehung der Micrometerſchraube
[111] gehobne oder geſenkte Cylinder nicht ſelbſt unmittelbar die Kugel,
ſondern ein 60mal vergroͤßernder Fuͤhlhebel druͤckt ſich an ſie an, und
macht ſelbſt die feinſten Aenderungen wahrnehmbar. Dieſer Fuͤhl-
hebel, den Sie ſich am leichteſten ſo vorſtellen, daß am kurzen Arme
eine polirte Stahlplatte ſich an die Kugel andruͤckt, waͤhrend der
60mal laͤngere Arm als Zeiger an einer Scale beobachtet wird, kann
offenbar dienen, um \frac{1}{60000} Linie noch wahrnehmbar zu machen,
wenn ein Microſcop, wodurch \frac{1}{1000} Linie kenntlich wird, auf das
der Scale gegen uͤberſtehende Zeichen des Zeigers gerichtet wird, —
und wenn auch niemand fuͤr ein einziges Sechzigtauſendtel wird buͤr-
gen wollen, ſo erhellt doch nun deutlich, wie von den Zehntauſend-
teln einer Linie gar wohl die Rede ſein darf, wenn ſolche Inſtru-
mente, wie dieſer von dem ausgezeichneten Repſold verfertigte
Apparat, dem Beobachter zu Gebote ſtehen.
Da es hier nicht meine Abſicht iſt, Sie mit den großen Vor-
zuͤgen der Beſſel'ſchen Beobachtungen und Berechnungen voll-
kommen bekannt zu machen, ſondern nur Ihnen den moͤglichen
Grad von Genauigkeit anzugeben, der ſich erreichen laͤßt, ſo uͤbergehe
ich alle die Vorſichten, die ſonſt noch bei jedem einzelnen Umſtande
der Beobachtungen angewandt wurden, und die feinen Berichtigun-
gen, welche die Rechnung darbot, und begnuͤge mich das Hauptre-
ſultat, daß man die Pendellaͤnge als gewiß auf ein Tauſendtel Linie
fuͤr Koͤnigsberg ſicher beſtimmt anſehen kann, anzufuͤhren *).
Wenn mit gleicher Sorgfalt die Pendellaͤnge an vielen Orten
an der Meeres-Oberflaͤche, wenn ſie mit gleicher Sorgfalt auf Ber-
gen und in nahe gelegnen Thaͤlern und endlich in tiefen Schachten
und oberhalb derſelben auf der Oberflaͤche der Erde beſtimmt wuͤrde,
ſo wuͤrde noch manche Frage uͤber die Geſtalt der Erde, uͤber ihre
Dichtigkeit und uͤber die comparative Dichtigkeit der oberſten Schich-
ten gegen die Dichtigkeit des Erdkernes beantwortet werden koͤnnen,
und theils manche nuͤtzliche Beſtimmung hervorgehen, theils unſer
Streben, uͤber alle dieſe Gegenſtaͤnde ganz genau belehrt zu werden,
Befriedigung finden.
[112]
Andre oſcillirende Bewegungen.
Ich gehe jetzt zu einigen andern, mit der Lehre vom Pendel
in Verbindung ſtehenden Betrachtungen uͤber. Zuerſt mag eine
kurze Erwaͤhnung anderer Faͤlle, wo eine Bewegung, der Pendel-
bewegung aͤhnlich, eintritt, hier Platz finden. Bei der Bewe-
gung des Pendels iſt zuerſt die Schwere thaͤtig, um den vom Zu-
ſtande des Gleichgewichts entfernten Koͤrper zu dieſem Zuſtande zu-
ruͤck zu fuͤhren, aber wenn ſie das Pendel in die dem Gleichge-
wichte angemeſſene Lage gebracht hat, ſo fuͤhrt die erlangte Ge-
ſchwindigkeit es uͤber den Zuſtand des Gleichgewichts hinaus, und
ſo entſteht die wechſelnde Bewegung. Ein aͤhnliches Hinausgehen
uͤber der Zuſtand des Gleichgewichtes, und eben deswegen eine
oftmals wiederholte hin und her gehende Bewegung beobachten
wir auch in vielen andern Faͤllen. Die elaſtiſche Feder, die wir
in eine gezwungene Lage druͤcken und dann frei laſſen, kehrt nicht
bloß in den Zuſtand des Gleichgewichtes zuruͤck, ſondern geht ebenſo
weit uͤber denſelben hinaus nach der andern Seite, als wir ſie zu
Anfang von demſelben entfernt hatten, und wuͤrde ihre Vibra-
tionen ohne Aufhoͤren fortſetzen, wenn nicht die Steifheit des
Koͤrpers dieſe Vibrationen bald verminderte. Wenn wir ein her-
abhaͤngendes Seil drehen, ſo gelangt es frei gelaſſen, nicht bloß
in ſeinen natuͤrlichen Zuſtand, ſondern macht eine Drehung dar-
uͤber hinaus, die ein neues Ruͤckwaͤrtsdrehen zur Folge hat. Eben
ſo verhaͤlt es ſich beim Vibriren der Saiten, bei der Fortpflanzung
des Schalles, beim Schwanken des Waſſers in Roͤhren, bei der
Bewegung der Wellen u. ſ. w.
Eigenſchaften der Cycloide.
Eine zweite Bemerkung betrifft die Linie, auf welcher ein
Koͤrper fortgehen muͤßte, um große und kleine Bogen in gleichen
Zeiten zu durchlaufen. Wenn wir ein Pendel beobachten, ſo
finden wir keinen merklichen Unterſchied in der Zeit der Pendel-
ſchlaͤge, die durchlaufenen Bogen moͤgen groß oder klein ſein; indeß
zeigt die Rechnung und ſelbſt eine mit hinreichender Sorgfalt an-
geſtellte Beobachtung laͤßt es wahrnehmen, daß groͤßere Bogen
etwas laͤngere Zeit fordern. Die Cycloide dagegen hat die Eigen-
[113] ſchaft, daß Koͤrper, die (Fig. 68.) in A, in B, in C aufgelegt
werden, alle zugleich im unterſten Puncte D ankommen; ſie er-
langen naͤmlich bei der ſtarken Neigung in A ſogleich eine große
Geſchwindigkeit und ereilen daher die mit geringerer Geſchwindig-
keit einen kurzen Weg durchlaufenden Koͤrper. Dieſe Cycloide iſt
eine merkwuͤrdige, auch ſonſt in der Phyſik oͤfter vorkommende
Linie. Sie zeigt ſich uns am deutlichſten, wenn wir den Weg
verfolgen, den ein Nagel an einem auf gradem Wege ſich fortwaͤl-
zenden Rade durchlaͤuft. Ich zeichne hier dieſes Fortwaͤlzen ſo,
als ob das Rad AH ſich an der untern Seite der graden Linie AE
fortwaͤlzte, um die Cycloide ſogleich in der fuͤr unſre Betrachtung
noͤthigen Stellung zu erhalten, ſtatt daß wir ſie gewoͤhnlich mit
der Woͤlbung nach oben bei der Waͤlzung des Rades entſtehen
ſehen. Indem das Rad AH, deſſen Mittelpunct zuerſt in G iſt,
ſich von A nach I fortwaͤlzt, gelangt der Nagel A, oder der die
Cycloide beſchreibende Punct, nach B, und der Bogen IB iſt ſo
groß, als AI; iſt das Rad nach KM gekommen, ſo iſt der be-
ſchreibende Punct in M, wenn man KM = AK nimmt, und
ſo kann man die ganze Cycloide ABCDE zeichnen, die ſich in
immer gleichen Wiederholungen jenſeits E bei weiterem Fortgange
der Waͤlzung wieder darſtellt.
Die Cycloide iſt nicht bloß durch dieſe Gleichzeitigkeit des
Falls, durch die Eigenſchaft eine tautochroniſche Curve zu
ſein, merkwuͤrdig, ſondern ſie iſt auch die Linie des ſchnellſten
Falls, die Brachyſtochrone. Sind die beiden Puncte A, M
gegeben, und man verlangt, daß der von A ausgehende fallende
Koͤrper in der kuͤrzeſten Zeit nach M gelange, ſo muß man ihn
nicht auf einer durch AM gehenden geneigten Ebne laufen laſſen,
ſondern auf dem laͤngern, nach der Cycloide ABM gekruͤmmten
Wege gelangt er ſchneller, und auf keiner andern Linie gleich ſchnell,
von A nach M. —
Anwendung der Pendel.
Ich komme endlich zu den Anwendungen des Pendels und
der Federn, welche pendelartige Bewegungen bewirken. Bekannt-
lich dienen ſie zur Regulirung unſrer Uhren, deren Bewegung
I. H
[114] durch eine ſtetig wirkende Kraft hervorgebracht, aber durch den
Pendelſchlag regelmaͤßig wird. Das Gewicht an den groͤßern Uhren
und die beim Aufziehen zuſammengezogne Feder an den Taſchen-
uhren wuͤrde das Raͤderwerk bald in ſchnelle Bewegung ſetzen, und
zugleich ein baldiges Ablaufen der ganzen Kette bewirken, wenn
nicht die Wirkung dieſer Kraft unterbrochen wuͤrde. Dieſe Unter-
brechung, ſo weit ſie hier erwaͤhnt zu werden braucht, wird durch
die am obern Ende des Pendels angebrachten, in das Steigerad
eingreifenden Hemmungen zu Stande gebracht, die, waͤhrend das
Pendel ſchwingt, nur einen Zahn vorbeigehen laſſen, und dann
das fernere Fortruͤcken des Rades und damit das Herabſinken
des Gewichts auf einen Augenblick aufhalten, alſo nie eine be-
ſchleunigte Bewegung geſtatten. Die Spiralfeder an den Taſchen-
Uhren bewirkt eben dieſe Hemmung. —
Das Pendel iſt in neuern Zeiten oft als Tactzaͤhler em-
pfohlen worden, und man hat ihm dazu die in Fig. 69. gezeich-
nete Einrichtung gegeben. Der Stab BC iſt unten mit dem
Gewichte A beſchwert, und ein kleines Gewicht D iſt an ihm ver-
ſchiebbar. Die Schwingungen, die dieſes Pendel um die Axe E
vollendet, werden von laͤngerer Dauer, wenn das Gewicht D
nach C fortgeruͤckt wird. Die auf dem Staͤbchen aufgetragenen
Abtheilungen zeigen durch die beigeſetzten Zahlen die Verhaͤltniſſe
der Schwingungszeiten, die den verſchiedenen Lagen des Gewichtes
D entſprechen, an, und es ſtehen daher naͤher bei E die groͤßern
Zahlen, weil mehrere dieſer ſchnellen Schwingungen auf eine
Minute gehen. Der Grund, warum die Schwingungen langſamer
ſind, wenn das Gewicht nach C zu ruͤckt, iſt, daß der immer un-
terhalb E bleibende Schwerpunct der Axe naͤher koͤmmt, wenn
das Gewicht gegen C zu geht, dadurch wird das Moment der
bewegenden Kraft geringer, und die Gegenwirkung der Maſſe D
wird dagegen ſtaͤrker, je weiter vom Drehungspuncte ſie ihre
Stelle erhaͤlt. Man hat dieſes Inſtrument Metronom genannt.
Auch manche Gegenſtaͤnde, bei denen wir nicht ſo gradezu an
das Pendel erinnert werden, haͤngen doch von den Geſetzen der
Pendelbewegung mehr oder weniger ab. Wenn eine Glocke durch
ihren Kloͤppel zum Toͤnen gebracht werden ſoll, indem man beide
[115] in pendelartige Bewegung ſetzt, ſo muͤſſen nicht beide ihre Schwin-
gungen gleichzeitig vollenden, ſondern der Mittelpunct des Schwun-
ges im Kloͤppel muß eine andre Entfernung von der Axe haben,
als der Mittelpunct des Schwunges in der Glocke. — Selbſt eine
andere, anſcheinend gar nicht hierher gehoͤrige Frage, uͤber den
Nutzen der Federn an Wagen oder Kutſchen, ſteht dennoch mit
dieſen Unterſuchungen in Verbindung. Bekanntlich ſollen die
Federn, auf denen der Kutſchkaſten ruht, hindern, daß wir die
durch Ungleichheiten des Weges entſtehenden Stoͤße nicht ſo heftig
fuͤhlen. Indem naͤmlich das Rad ploͤtzlich von einem Steine her-
unterfaͤllt, folgt der an der dehnbaren Feder haͤngende Kutſch-
kaſten zwar faſt ebenſo ſchnell, aber ſeine Bewegung wird beim Auf-
treffen des Rades auf den tiefern Stein nicht ploͤtzlich angehalten,
ſondern wegen der Traͤgheit druͤckt der heruntergehende Kaſten die
Feder ein wenig zuſammen, und der ploͤtzliche Stoß, den wir ſonſt
empfunden haͤtten, geht in ein etwas laͤnger dauerndes Schwanken
uͤber. Dabei wird zugleich den Pferden ihr Ziehen etwas erleichtert,
und dies laͤßt ſich durch folgende Ueberlegung erklaͤren. Auf unſern
Straßen iſt es unvermeidlich, daß nicht ein ſtets wiederholtes Herab-
ſinken zu einem tiefern Steine mit dem Heben zum naͤchſt hoͤhern
wechſele, und hier muͤſſen die Pferde ihre groͤßte Kraft beim Heben
anwenden. Dieſes Heben bewirkt aber zum Theil die beim Stoße
auf den tiefern Stein ein wenig zuſammengedruͤckte Feder, die ja
durch ihre Ausdehnung und ihr Hinausgehen uͤber den Ruheſtand
den Kutſchkaſten offenbar in die Hoͤhe bringt, und alſo wenigſtens in
den Faͤllen, wo der Weg mit einiger Regelmaͤßigkeit unterbrochen iſt,
den Pferden ihre Arbeit erleichtert. — Edgeworth's Verſuche mit
Wagenmodellen ohne Federn und mit Federn zeigen, daß man faſt
eben die Geſchwindigkeit bei gleicher Ziehekraft erreicht, es moͤgen
Hinderniſſe, den tiefern und hoͤhern Steinen aͤhnlich, da ſein oder
nicht, wenn der Wagen in Federn haͤngt, ſtatt daß bei Wagen ohne
Federn der Unterſchied ſehr erheblich iſt. Man koͤnnte dies auch
durch Verſuche mit wirklichen Wagen zeigen, wenn man, wie
Rumford es bei ſeinen Verſuchen uͤber die Vortheile der breit-
felgigen Raͤder machte, Federwaagen ſo zwiſchen das Pferd und
den Wagen einſpannte, daß ſie die beim Zuge angewandten Kraͤfte
H 2
[116] angaͤben, und nach vollendetem Verſuche durch einen feſt bleibenden
Zeiger noch die groͤßte Gewalt des Zuges abzuleſen erlaubten *).
Doch es iſt Zeit dieſen Gegenſtand endlich zu verlaſſen. —
Neunte Vorleſung.
Grader Stoß unelaſtiſcher Koͤrper.
Die Lehre vom Stoße der Koͤrper bietet mir, als die letzte
aus der Mechanik feſter Koͤrper, noch eine Reihe von Betrachtun-
gen dar, womit ich Sie, m. h. H., heute zu unterhalten gedenke.
Wenn zwei gleiche unelaſtiſche Kugeln mit gleichen Geſchwin-
digkeiten einander ſo begegnen, daß die Richtungen ihrer Bewegun-
gen einander genau entgegengeſetzt ſind, ſo werden dieſe Bewegun-
gen im Zuſammentreffen ſich gewiß voͤllig aufheben. Waͤre die
Maſſe des einen Koͤrpers doppelt ſo groß, als die des andern, die
Geſchwindigkeit des kleinern aber doppelt ſo groß, als die des groͤ-
ßern, ſo wuͤrden wieder beide im Zuſammentreffen alle Bewegung
verlieren; denn man koͤnnte ſich jene doppelte Maſſe, als in zwei
gleich hinter einander eintreffende Theile zerlegt denken, deren
erſter, als der begegnenden Maſſe gleich, ihr ebenſo viel Geſchwin-
digkeit raubt, als er ſelbſt beſitzt, wo dann der zweite ebenſo große
Theil die noch uͤbrig bleibende ebenſo große Geſchwindigkeit der klei-
nern Maſſe voͤllig zerſtoͤrt. Dieſelbe Ueberlegung zeigt allgemein,
daß zwei Koͤrper, wenn ſie in grade entgegengeſetzten Richtungen auf
einander treffen, ihre Bewegung gegenſeitig ganz zerſtoͤren, wenn
ihre Geſchwindigkeiten den Maſſen umgekehrt proportional ſind,
das heißt, wenn die Geſchwindigkeit des kleinern ein ebenſo Viel-
faches der Geſchwindigkeit des groͤßern iſt, als die Maſſe des klei-
nern in der Maſſe des groͤßern enthalten iſt. Hierauf gruͤndet ſich
der Begriff von Quantitaͤt der Bewegung. Wir ſchreiben
der Maſſe von 10 Pfunden, wenn ſie mit 3 Fuß Geſchwindigkeit
in 1 Secunde bewegt wird, eben die Groͤße der Bewegung oder eben
[117] die Quantitaͤt der Bewegung zu, wie einer Maſſe von 5 Pfunden,
die mit 6 Fuß Geſchwindigkeit bewegt wird, oder wie einer Maſſe
von 1 Pfund, die mit 30 Fuß Geſchwindigkeit in 1 Secunde fort-
geht, und die Producte 10.3 = 5.6 = 1.30. druͤcken die Quan-
titaͤt der Bewegung aus.
Dieſe Ueberzeugung, daß beim Stoße an einander gleiche
Quantitaͤten der Bewegung ſich voͤllig aufheben, wenn die Richtun-
gen der Bewegungen entgegengeſetzt ſind, fuͤhrt zu dem zweiten
Satze, daß bei unelaſtiſchen Koͤrpern, wo gar keine neuen Kraͤfte
thaͤtig ſind, nach dem Stoße die Summe der Bewegungen ebenſo
groß iſt als vor dem Stoße, wenn die Koͤrper einander folgten, und
daß der Unterſchied der beiden Bewegungsquantitaͤten vor dem Stoße
die Quantitaͤt der Bewegung nach dem Stoße giebt, wenn ſie einan-
der begegnen. Beiſpiele werden dies voͤllig erlaͤutern. Wenn zwei
Kugeln einander in genau entgegengeſetzten Richtungen begegnen,
die eine von 4 Pfund, die andre von 1 Pfund, jene mit der Ge-
ſchwindigkeit = 9, dieſe mit der Geſchwindigkeit = 6 Fuß in der
Secunde, ſo druͤckt 4. 9 = 36 bei jener 1. 6 = 6 bei dieſer die
Quantitaͤt der Bewegung vor dem Stoße aus, und im Stoße behaͤlt
die erſtere einen Ueberreſt von 30; aber ſie kann in ihrer Richtung
nicht fortgehen, ohne auch noch das eine Pfund mit fortzureißen, und
die Quantitaͤt der Bewegung = 30, auf die 5 vereinigten Pfunde
ausgetheilt, giebt dieſen 6 Fuß Geſchwindigkeit. Die Einwirkung
der mit groͤßerer Bewegung begabten Maſſe iſt alſo eine doppelte,
erſtlich raubt ſie der begegnenden Maſſe alle Geſchwindigkeit, dazu
waͤre ſie bei 1½ Fuß Geſchwindigkeit ſchon im Stande geweſen, und
ihr bleiben daher 7½ Fuß Geſchwindigkeit uͤbrig; aber zweitens er-
theilt ſie der aufgehaltenen Maſſe eine neue entgegengeſetzte Ge-
ſchwindigkeit, und dieſe muß derjenigen gleich ſein, die ſie ſelbſt am
Ende behaͤlt; die den 4 Pfunden noch uͤbrige Geſchwindigkeit =
7½ Fuß wird daher unter die 5 Pfunde ſo vertheilt, daß beide Maſ-
ſen 6 Fuß Geſchwindigkeit erhalten. Man kann, obgleich der Stoß
bei ziemlich harten Koͤrpern in einem einzigen Augenblicke ſeine Wir-
kung zu vollenden ſcheint, dennoch dieſe Wirkung als in auf einander
folgenden, ſehr kleinen Zeitmomenten vorgehend anſehen, naͤmlich
ſo: die Maſſe 4 mit der Geſchwindigkeit 9 trifft gegen die Maſſe 1
mit Geſchwindigkeit 6, im erſten Momente verliere die letztere
[118] 2 Fuß Geſchwindigkeit, womit ein Verluſt von ½ Fuß bei der erſtern
nothwendig verbunden iſt, die groͤßere Maſſe behaͤlt alſo noch
8½ Fuß, die kleinere 4 Fuß Geſchwindigkeit; im zweiten Zeitmo-
mente tritt eben der Verluſt noch einmal ein, und 8 Fuß, 2 Fuß
ſind die Geſchwindigkeiten der noch immer gegen einander andrin-
genden Maſſen; im dritten Zeitmomente wiederholt ſich derſelbe
Verluſt an Geſchwindigkeit und 7½ Fuß, 0 Fuß ſind nun die Ge-
ſchwindigkeiten; im vierten Zeitmomente ertheilt die ſtaͤrker bewegte
Maſſe der andern eine Geſchwindigkeit, und indem jene auf 7 Fuß
Geſchwindigkeit gelangt, hat dieſe 2 Fuß Geſchwindigkeit erhalten,
im fuͤnften Zeitmomente werden die Geſchwindigkeiten 6½ Fuß und
4 Fuß, im ſechſten Zeitmomente 6 Fuß und 6 Fuß, und nun
gehen beide, ohne weiter in einander einzudringen, mit dieſer gleichen
Geſchwindigkeit zuſammen fort. Wenn beide Maſſen gleich von
Anfang einander folgen, ſo iſt die Rechnung ganz aͤhnlich. Die
vorangehende ſei die groͤßere = 7 Pfund, die nachfolgende die klei-
nere = 3 Pfund, aber jene habe nur 2, dieſe 12 Fuß Geſchwindig-
keit. Sobald die ſchnellere jene erreicht, fangen ſie an gegen einan-
der zu druͤcken, und die ſchnellere verliert, die langſamere gewinnt
an Geſchwindigkeit; wegen der Ungleichheit der Maſſen verliert die
kleine 7 Fuß an Geſchwindigkeit waͤhrend die große nur 3 Fuß ge-
winnt, und wenn dies geſchehen iſt, ſo hat jene noch 5 Fuß Ge-
ſchwindigkeit uͤbrig, und dieſe hat 5 Fuß Geſchwindigkeit erlangt;
ſie gehen alſo mit dieſer Geſchwindigkeit zuſammen fort. Auch bei
unbequemer zu rechnenden Faͤllen bleibt doch die Anordnung der
Rechnung dieſelbe.
Anwendungen.
Dieſes Geſetz der Mittheilung der Geſchwindigkeit beim Stoße
hat man angewandt, um die Geſchwindigkeit der aus Flinten und
Canonen abgeſchoſſenen Kugeln zu beſtimmen. Wenn man eine
Kugel von 1 Pfund gegen eine ruhende Maſſe von 1000 Pfund,
auch mit 1000 Fuß Geſchwindigkeit abſchießt, ſo erlangt jene große
Maſſe nur die Geſchwindigkeit = 1 Fuß (eigentlich = \frac{1000}{1001} Fuß,)
es koͤmmt alſo nur darauf an, dieſe Geſchwindigkeit ſehr genau zu
beſtimmen. Um dies zu thun, haben Robins, Hutton und
Andre die Kugeln gegen ein ſehr ſchweres Pendel abgeſchoſſen, und
[119] indem ſie die Groͤße des vom Pendel durchlaufenen Bogens mit
großer Genauigkeit abmaaßen, daraus die Hoͤhe, um welche der
Mittelpunct des Schwunges gehoben war, berechneten, und ſo
mittelbar die Geſchwindigkeit dieſes Punctes beſtimmten, erhielten
ſie die Geſchwindigkeit der abgeſchoſſenen Kugel. Die Berechnung
hat freilich viel mehr Schwierigkeiten, als ich hier angeben kann,
indem der genaue Punct des Pendels, wo die Kugel auftraf, ſelbſt
der Widerſtand der Luft und andre Umſtaͤnde beruͤckſichtigt werden
muͤſſen; aber Sie uͤberſehen aus dem, was ich als die Hauptſache
angefuͤhrt habe, daß es auf zuverlaͤſſigen Beſtimmungen beruht,
wenn man die Geſchwindigkeit der Canonenkugeln als bis auf
1800 bis 2000 Fuß in der Secunde gehend angiebt.
Eine andre, dem Architecten wichtige, Frage gehoͤrt hieher, —
welche Feſtigkeit ein zum Grundbau eines Gebaͤudes eingeſchlagener
Pfal gewaͤhre? — Wenn wir ein Gebaͤude auffuͤhren auf einem
Boden, der nicht feſt genug iſt, die Luft deſſelben zu tragen, ſo
rammen wir Pfaͤle ein, und koͤnnen aus der geſammten Laſt des
Gebaͤudes berechnen, wieviel jeder Pfal zu tragen hat; die zu be-
antwortende Frage iſt alſo die, wie feſt muß der Pfal ſtehen, wie
wenig muß er bei jedem Schlage des Rammklotzes nur noch wei-
chen, um eine jener Laſt angemeſſene Feſtigkeit zu haben? Um
dieſe Frage zu beantworten, muͤſſen wir den Widerſtand richtig be-
urtheilen, den der weiche Boden dem Einſinken entgegen ſetzt, und
das wollen wir zuerſt an einem Falle verſuchen, wo der Stoß des
Rammklotzes ſich noch nicht in die Betrachtung einmiſcht. Es liege
eine 2000 Pfund ſchwere Laſt auf einem Boden, der weich genug iſt,
um ein Einſinken von 3 Fuß in 1 Minute zu geſtatten, ſo bewirkt
der Widerſtand, daß das Herabſinken, welches vermoͤge der frei
wirkenden Schwere 54000 Fuß in 1 Minute betragen ſollte, nur
3 Fuß, nur \frac{1}{18000} jener Groͤße betraͤgt, und jener Widerſtand muß
alſo \frac{17999}{18000} der Schwere betragen, da er nur \frac{1}{18000} der Schwere
zur Wirkſamkeit kommen laͤßt.
In den Faͤllen dagegen, wo nur heftige Schlaͤge den Koͤrper
zum Sinken bringen, iſt der Widerſtand viel groͤßer als die Schwer-
kraft. Wenn ein Rammklotz von 2000 Pfund einen Pfal von
1000 Pfund ſchwer in 25 Schlaͤgen nur noch ¼ Zoll hineintreibt,
ſo treibt jeder Schlag ihn nur um \frac{1}{100} Zoll hinein, und man wuͤrde
[120] nun ſo rechnen: Der Rammklotz falle 3¾ Fuß tief, welches ein
Viertel des Fallraumes in der erſten Secunde iſt, ſo hat er dazu ½
Secunde Zeit gebraucht, und alſo 15 Fuß Geſchwindigkeit erlangt;
im Augenblicke des Stoßes ertheilt er dem Pfale der halb ſo ſchwer
iſt als der Rammklotz, eine Geſchwindigkeit von 10 Fuß in der Se-
cunde, und mit dieſer Geſchwindigkeit wuͤrden Klotz und Pfal fort-
gehen, wenn weder Schwere noch Widerſtand einwirkte. Um zu
beurtheilen, welcher Widerſtand es iſt, der ſchon beim Vorruͤcken
um \frac{1}{100} Zoll = \frac{1}{1200} Fuß dieſe Geſchwindigkeit zerſtoͤrt, wollen
wir uͤberlegen, daß ein mit 10 Fuß Geſchwindigkeit aufwaͤrts ge-
worfener Koͤrper ⅓ Secunde lang ſteigen und \frac{1}{9}⋅15 Fuß = \frac{5}{3} Fuß
Hoͤhe erreichen wuͤrde. Dieſe Hoͤhe von \frac{5}{3} oder \frac{2000}{1200} Fuß iſt noͤthig,
damit der Widerſtand der Schwere jene Geſchwindigkeit zerſtoͤre,
aber ein 2000 mal ſo großer Widerſtand zerſtoͤrt ſie ſchon waͤhrend
eines Fortruͤckens von \frac{1}{1200} Fuß, und der Widerſtand, den die
Erde dem weiteren Einrammen leiſtet, iſt alſo 2000 mal ſo groß
als die Schwere. Dieſer Widerſtand bleibt derſelbe, es mag eine
große oder kleine Laſt auf dem Pfale ruhen, und wenn er mit dem
2000 fachen des Gewichtes belaſtet wuͤrde, welches er jetzt trug,
alſo mit 6 Millionen Pfunden, ſo wuͤrde die Laſt das Uebergewicht
uͤber den Widerſtand erhalten. Daß man uͤbrigens die Belaſtung
lange nicht ſo weit zu treiben pflegt und lange nicht ſo weit treiben
darf, iſt bekannt; denn bei einer ſo ſtarken Belaſtung traͤte die Ge-
fahr ein, daß jede zufaͤllige Verminderung des Widerſtandes, Er-
weichung des Bodens, ſtarke Erſchuͤtterung und dergleichen zu-
reiche, um ein Sinken zu veranlaſſen.
Voͤllig dieſen Betrachtungen aͤhnlich iſt die Beantwortung der
Frage, wie tief eine Canonenkugel in einen Erdwall eindringt. Iſt
der Widerſtand, den dieſer Erdwall leiſtet, 5000 mal ſo groß, als
die Kraft der Schwere und trifft die Kugel mit 900 Fuß Geſchwin-
digkeit an, ſo bringt ſie ungefehr 33 Zoll tief ein; denn die Schwere
zerſtoͤrt eine Geſchwindigkeit von 900 Fuß bei einem 13500 Fuß
hohen Steigen; eine 5000 fache Schwere wuͤrde dieſelbe Geſchwin-
digkeit bei einem Steigen von 33 Zoll zerſtoͤren.
[121]
Grader Stoß elaſtiſcher Koͤrper.
Bei dieſen Beſtimmungen wurden die an einander ſtoßenden
Koͤrper als unelaſtiſch vorausgeſetzt; bei elaſtiſchen Koͤrpern ſind die
Erfolge des Stoßes ſehr hievon verſchieden. Die Elaſticitaͤt der
Koͤrper beſteht darin, daß dieſe Koͤrper zwar eine Aenderung der
Geſtalt erlauben, aber die vorige Geſtalt mit eben der Kraft wieder
anzunehmen ſtreben, mit welcher die Veraͤnderung hervorgebracht
war. Wenn zwei unelaſtiſche Kugeln, einander folgend, ſich er-
reichen, ſo draͤngt ſich die nachfolgende ſchnellere gegen die andre,
und beide druͤcken ſich einander zuſammen; waͤhrend der kurzen
Zeit der Dauer des Stoßes ruͤcken die Mittelpuncte einander immer
naͤher, und erſt wenn beide Kugeln gleiche Geſchwindigkeit erlangt
haben, hoͤrt die Einwirkung des Stoßes auf, und die Kugeln be-
halten die etwas eingedruͤckte Form, die der Stoß ihnen gegeben
hat. Bei elaſtiſchen Kugeln dagegen faͤngt nun ein zweiter Theil
der ganzen Erſcheinung an, indem die von ihrer natuͤrlichen Geſtalt
abweichenden Kugeln dieſe wieder anzunehmen ſtreben. In die-
ſem letzten Theile der Wirkung wiederholt ſich alles das noch
einmal, was in dem erſten Theile der Wirkung vorgekommen
iſt, und darnach laͤßt ſich die am Ende ſtatt findende Geſchwin-
digkeit beſtimmen. Wenn zwei gleiche Kugeln ſich mit gleichen
Geſchwindigkeiten begegnen, ſo beſteht die erſte Einwirkung darin,
daß die Mittelpuncte ſo lange gegen einander draͤngen, bis beide
Kugeln ihre Geſchwindigkeiten verlohren haben; ſind die Kugeln
unelaſtiſch, ſo bleiben ſie dann in Ruhe an der Stelle, wo ſie
ſich trafen, und ſind ſie weich, ſo finden wir ihre Geſtalt ſo ver-
aͤndert, wie das Gegeneinanderdraͤngen es forderte. Zwei elaſti-
ſche Kugeln von gleicher Maſſe und gleicher Geſchwindigkeit zer-
ſtoͤren ebenſo ihre Geſchwindigkeiten gegenſeitig, indem ſie ſich
begegnen; aber nachdem die Geſchwindigkeiten gaͤnzlich zerſtoͤrt,
dabei aber die Kugeln in einen gewiſſen Grad der Zuſammen-
druͤckung gebracht ſind, ſtrebt die Kraft der Elaſticitaͤt, die Kugeln
wieder aus einander zu treiben, und da dieſe Kraft, womit die
vorige Geſtalt ſich herſtellt, bei vollkommen elaſtiſchen Koͤrpern,
ſo groß iſt, als die, welche das Zuſammenpreſſen bewirkte, ſo er-
theilt ſie beiden Kugeln nach den Richtungen, die ihren erſten
[122] Bewegungen entgegen geſetzt ſind, eben die Geſchwindigkeiten wie-
der, die ſie hatten; begegneten ſich die Kugeln mit 3 Fuß Ge-
ſchwindigkeit, ſo gehen ſie nun mit drei Fuß Geſchwindigkeit
aus einander.
Wenn eine ruhende Kugel von einer ebenſo großen Kugel
mit der Geſchwindigkeit = 4 Fuß getroffen wird, ſo beſteht die
erſte Wirkung des Stoßes darin, daß beide Kugeln die Ge-
ſchwindigkeit = 2 Fuß annehmen. Sind ſie unelaſtiſch, ſo be-
halten ſie dieſe Geſchwindigkeit; ſind ſie aber elaſtiſch, ſo bringt
die aus einander draͤngende elaſtiſche Kraft bei der einen Kugel
einen abermaligen Gewinn von 2 Fuß Geſchwindigkeit hervor,
ſo daß ſie mit 4 Fuß Geſchwindigkeit fortgeht, und bei der an-
dern Kugel bringt ſie einen abermaligen Verluſt von 2 Fuß Ge-
ſchwindigkeit hervor, ſo daß dieſe ganz zur Ruhe koͤmmt. Die
Kugeln haben alſo ihre Geſchwindigkeiten vertauſcht, A ruhete
und B kam mit 4 Fuß Geſchwindigkeit vor dem Stoße an, jetzt
ruht B und A hat 4 Fuß Geſchwindigkeit, und da die ganze
Wirkung in einem unmerklichen Augenblicke vollendet wird, ſo
bleibt B an dem Orte ruhend, wo ſie A antraf. Eben dieſes
Vertauſchen der Geſchwindigkeiten findet immer ſtatt, wenn die
Kugeln gleich ſind. A habe 5 Fuß Geſchwindigkeit, B folge ihr
mit 7 Fuß Geſchwindigkeit; im erſten Zeitraume des Stoßes er-
langt jene und verliert dieſe 1 Fuß Geſchwindigkeit und ſie wuͤr-
den ohne Elaſticitaͤt mit 6 Fuß Geſchwindigkeit fortgehen; aber
wegen der Elaſticitaͤt gewinnt die vorangehende noch 1 Fuß und die
nachfolgende verliert noch einen Fuß, ſo daß jene mit 7 Fuß, dieſe
mit 5 Fuß Geſchwindigkeit fortgeht.
Bei ungleichen Kugeln iſt die Rechnung nicht viel ſchwieriger.
A = 2 Pfund gehe mit 4 Fuß Geſchwindigkeit voran, B = 1
Pfund folge mit 7 Fuß Geſchwindigkeit. Da A 1 Fuß gewinnt,
wenn B 2 Fuß an Geſchwindigkeit verliert, ſo wuͤrden beide mit 5
Fuß Geſchwindigkeit fortgehen, wenn ſie unelaſtiſch waͤren; die
Elaſticitaͤt verdoppelt jenen Gewinn und verdoppelt dieſen Verluſt,
und A geht am Ende des Stoßes mit 6 Fuß, B nur mit 3
Fuß Geſchwindigkeit fort.
Dieſe Geſetze des Stoßes elaſtiſcher Koͤrper laſſen ſich in
Verſuchen beſſer darſtellen, als die Erſcheinungen des Stoßes
[123] unelaſtiſcher Koͤrper, weil nur die weichen und deshalb zu Ver-
ſuchen nicht gut anwendbaren Koͤrper ganz ohne Elaſticitaͤt ſind.
Haͤngt man zwei elfenbeinerne Kugeln an gleich langen Faͤden nahe
neben einander vor einem Gradbogen auf, in deſſen Centro
die Faͤden befeſtigt ſind, und hebt, vom unterſten Puncte an,
beide zu einer gleichen Anzahl von Graden, ſo erlangen ſie gewiß
beim Fallen gleiche Geſchwindigkeit; ſie prallen beim Zuſammen-
treffen ſo von einander ab, daß ſie wieder dieſelben Hoͤhen er-
reichen, von welchen man ſie fallen ließ. Wenn dagegen eine
dieſer Kugeln auf 10 Grade, die andre auf 30 Grade gehoben
war, ſo geht beim Zuruͤckprallen jene auf 30 Grade, dieſe auf 10
Grade. Hatte man die eine ganz in Ruhe gelaſſen, und die
andre von 30 Graden her fallen laſſen, ſo geht nach dem Stoße
jene auf 30 Grade hinauf, und dieſe bleibt unten in Ruhe.
Sind die Kugeln ungleich und man laͤßt die kleinere, ich will
annehmen, nur den halben Durchmeſſer, nur ein Achtel der Maſſe
der groͤßern enthaltende, ruhen, ſo wird dieſe viel weiter fortge-
ſtoßen, als die groͤßere beim Antreffen und bei der Erlangung
ihrer Geſchwindigkeit fortgegangen war. Haͤtte naͤmlich dieſe 9
Fuß Geſchwindigkeit gehabt, ſo erlangt die kleinere, weil ſie nur
⅛ jener Maſſe hat, 16 Fuß Geſchwindigkeit, und wenn dieſe
eine dritte noch kleinere ruhende traͤfe, ſo wuͤrde die Geſchwindig-
keit dieſer dritten noch viel groͤßer werden.
Haͤngt man fuͤnf oder ſechs gleiche Kugeln hinter einander auf,
und laͤßt die erſte an die ruhenden uͤbrigen treffen, ſo bleiben nach
dem Stoße alle, die letzte ausgenommen, in Ruhe, und dieſe
letzte erlangt die Geſchwindigkeit, welche die erſte vor dem Stoße
hatte. Im Augenblicke des Stoßes verliert naͤmlich die erſte ihre
Geſchwindigkeit ganz und uͤbertraͤgt ſie auf die zweite; aber dieſe
trifft ſogleich die dritte an und giebt ihr die erlangte Geſchwindig-
keit, waͤhrend ſie ſelbſt zur Ruhe koͤmmt; und ſo geht es fort,
bis zur letzten, welche abprallt. Laͤßt man zwei, hinter einander
liegende Kugeln, gehoben an die dritte ſtoßen, ſo prallen die
zwei letzten ab, und ſo ferner. Dieſe letzte Erſcheinung erklaͤrt
ſich dadurch, daß die zwei gehobenen Kugeln doch nicht im aller-
ſtrengſten Sinne gleichzeitig ſtoßen; indem eine ſehr kleine, uns
unmerkliche Zwiſchenzeit zwiſchen dem Stoße der erſten Kugel und dem
[124] der zweiten ſtatt findet, treibt die zuerſt antreffende Kugel die
letzte fort, die unmittelbar darauf antreffende ſtoͤßt die vorletzte
nun auch fort.
Der ſchiefe Stoß.
Alle dieſe Faͤlle gehoͤren zu den einfacheren, wo die Rich-
tung der Bewegung oder der Bewegungen durch beider Kugeln
Mittelpuncte geht; aber grade die ſchwierigeren Faͤlle kommen
uns haͤufig, zum Beiſpiel beim Billardſpiele, vor. Daß hier die
elaſtiſche Kugel von einer feſten Wand mit eben der Geſchwin-
digkeit und unter eben dem Winkel, unter welchem ſie antraf,
zuruͤckgeworfen wird, iſt leicht zu erklaͤren. Trifft die Kugel in
ſenkrechter Richtung auf LM (Fig. 70.), ſo ertheilt die Kraft der
Elaſticitaͤt ihr genau eben die Geſchwindigkeit wieder, die ſie vor-
hin hatte; denn die Gewalt, mit welcher ſie zuſammengedruͤckt
wurde, raubte die Geſchwindigkeit, die ebenſo große Gewalt, mit
welcher die Geſtalt ſich herſtellt, bringt eine ebenſo große neue
Geſchwindigkeit hervor. Iſt die Richtung ſchief geneigt gegen die
Ebne LM, ſo koͤnnen wir die Bewegung des Koͤrpers als zu-
ſammengeſetzt aus einer Bewegung ſenkrecht gegen die Ebne und
aus einer damit parallel, anſehen, und wenn AB ſein Weg in
einer Secunde iſt, ſo behaͤlt er die mit der Ebne LM parallele
Geſchwindigkeit, die ihn durch den Raum ab in 1 Secunde
fuͤhrt, auch nach dem Stoße, ſo daß er in den einzelnen Se-
cunden ſich neben a, b, c, d, e, f, befindet; aber beim Anſto-
ßen in d geht die ſenkrechte Geſchwindigkeit in die entgegengeſetzte
uͤber, und der Koͤrper entfernt ſich eben ſo von LM, wie er ſich
dieſer Ebne vorher naͤherte; er geht daher in der Linie dH
zuruͤck, die unter eben dem Winkel HdM = AdL gegen jene
Ebne geneigt iſt, wie die Linie, in welcher er ſich vorher be-
wegte. Dieſe Zuruͤckwerfung unter einem, dem Einfallswinkel
gleichen Winkel, findet bei feſten elaſtiſchen Koͤrpern ſtatt, aber
auch bei der Welle fluͤſſiger Koͤrper, bei der Zuruͤckwerfung der
Lichtſtrahlen und der Waͤrmeſtrahlen finden wir eben das wieder.
Eben dieſe Betrachtungen beſtimmen die Richtung, wohin
die vorher ruhende Kugel im Billardſpiele nach dem Stoße gelangt.
Es ſei (Fig. 71.) A dieſe ruhende Kugel, die von der nach der
[125] Richtung DB herankommenden Kugel getroffen wird. Indem die
Kugeln ſich in M beruͤhren, wo LN die gemeinſchaftliche Be-
ruͤhrungslinie beider Kugeln iſt, wird nur die auf LN ſenkrechte
Bewegung aufgehalten, die mit LN parallele Bewegung der
Kugel B bleibt dagegen ungeſtoͤrt. Wir wiſſen, daß bei gleichen
elaſtiſchen Kugeln ein Vertauſchen der Geſchwindigkeiten eintritt,
und dieſes Vertauſchen bezieht ſich hier bloß auf die gegen LN
ſenkrechte Geſchwindigkeit, ſo daß, wenn DB den Weg in 1 Se-
cunde, alſo DE das Annaͤhern gegen LN in 1 Secunde angiebt,
dieſe Geſchwindigkeit ſich ganz auf A uͤbertraͤgt und fuͤr B ver-
lohren geht. Die Kugel B behaͤlt daher allein die mit LN pa-
rallele Geſchwindigkeit und kommt in der naͤchſten Secunde nach
G, ſo daß BG = EB iſt, die Kugel A dagegen erlangt keine
andre, als die auf LN ſenkrechte Geſchwindigkeit und geht nach
AF ſo fort, daß ſie in 1 Secunde bis f, wo Af = DE, ge-
langt. Hierin liegt der Grund, warum man die Kugel A, die
nach der Richtung AF gehen ſoll, an der Seite bei M und
zwar da treffen muß, wo die Beruͤhrungslinie LN ſenkrecht auf
die verlangte Richtung iſt.
Die Beſtimmung, daß B nach BG und A nach AF fort-
geht, wuͤrde ganz genau ſein, wenn beide Kugeln ohne Rotation
fortgingen; aber dies iſt beim Billardſpiele nicht der Fall und
ſehr geſchickte Spieler wiſſen die Abweichungen, die dadurch ent-
ſtehen, ſehr wohl zu benutzen. Um von dieſen Abweichungen
nur etwas anzufuͤhren, bleibe ich bei den einfachſten Faͤllen ſtehen.
Wenn eine Kugel grade gegen den Mittelpunct einer gleich großen
Kugel geſtoßen wird, ſo ſollte ſie dieſer ihre ganze Geſchwindigkeit
ertheilen, und ſelbſt ruhend bleiben; hat ſie aber eine drehende Be-
wegung, durch welche die obern Theile vorwaͤrts gefuͤhrt werden,
ſo wird ſie noch auf der Tafel fort, vorwaͤrts rollen, obgleich die
Bewegung des Mittelpuncts ganz gehemmt ſein ſollte, und koͤnnte
man ihr eine entgegengeſetzte Bewegung ertheilen, ſo daß die
obern Theile beim Rotiren zuruͤckgingen, ſo muͤßte ſie auf der
Tafel ruͤckwaͤrts rollen. Aus einem aͤhnlichen Grunde wird der
Winkel beim Zuruͤckprallen nicht immer genau dem Einfallswinkel
gleich ſein, ſondern wenn die Rotation ein Hinwaͤrtsgehen nach der
Zuruͤckwerfungs-Ebne zu hervorbraͤchte, ſo wird der Winkel zu
[126] klein, im entgegengeſetzten Falle zu groß werden. Horizontale
Rotationen, das iſt Drehungen um Axen, die ſenkrecht gegen die
Tafel ſind, koͤnnen aͤhnliche Erfolge haben.
Wenn man die Lehre vom Stoße auf Koͤrper von andern
Geſtalten, oder auch nur auf Kugeln, die ihren Schwerpunct
nicht im Mittelpuncte haben, anwenden will, ſo werden die Un-
terſuchungen faſt immer ſehr ſchwierig. Wenn man gegen eine
ruhende Kugel, deren Schwerpunct in A laͤge, nach der Richtung
BD ſtieße (Fig. 72.), ſo naͤhme ſie eine rotirende Bewegung an,
und die Frage, um welche Axe ſie zu rotiren anfinge, und ob
ſie ihre Rotation um dieſe Axe immerwaͤhrend fortſetzen wuͤrde,
oder ob die anfaͤnglich als Axe ruhende Linie nachher der Rota-
tion um eine andre Axe weichen wuͤrde, ſcheint mir zu ſchwierig,
um ſie hier zu eroͤrtern. Die Geſetze der Bewegung der gewoͤhn-
lichen Kreiſel, die Beantwortung der Frage, warum ihre gegen
die Verticallinie geneigte Axe eine Kegelflaͤche um die Vertical-
linie durchlaͤuft u. ſ. w., hat man mehrmals einer ſorgfaͤltigen
Betrachtung gewuͤrdiget, und dieſe Betrachtung iſt wichtig, weil
die Rotationsbewegungen der Himmelskoͤrper um ihre Axen, und
diejenigen wechſelnden Richtungen der Axe, die ſich uns in Be-
ziehung auf die Erde an dem Ruͤckgehen der Nachtgleichen zeigen,
mit dieſen Bewegungen in einer nahen Beziehung ſtehen.
Ich endige hiermit die Unterſuchungen uͤber die Bewegung
feſter Koͤrper, die freilich noch zu vielfaͤltigen Betrachtungen Anlaß
geben koͤnnte, wenn ich mir irgend vorſetzen duͤrfte, dieſe Ge-
genſtaͤnde zu erſchoͤpfen, von denen ich hier nur das Wichtigſte
habe darſtellen koͤnnen.
Zehnte Vorleſung.
Wenn wir, m. h. H., einen Blick zuruͤckwerfen auf die
Kenntniſſe, die ſich in den bisherigen Betrachtungen vor uns
entwickelt haben, ſo duͤrfen wir, glaube ich, wohl behaupten,
daß eine reiche Erndte wichtiger Belehrungen aus den zuerſt gering-
fuͤgig ſcheinenden uns zu Anfang gegebenen Beſtimmungen hervor
[127] gegangen iſt. Die einfache Betrachtung, daß eine Bewegung,
ohne neue Einwirkung einer Kraft, ungeaͤndert in Ruͤckſicht auf
Richtung und Geſchwindigkeit fortdauern muͤſſe, fuͤhrte uns zu der
Frage, wie denn Kraͤfte, welche die Bewegung zu aͤndern ſtreben,
ihre Wirkung zeigen, wie ſie ſich im Gleichgewichte erhaltend, ein-
ander zerſtoͤren, und im entgegengeſetzten Falle Bewegung hervor-
bringen. Die leichte Unterſuchung, welche Geſetze diejenige Bewegung
befolgen werde, die durch eine gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorge-
bracht wird, lehrte uns die Schwere als eine ſolche gleichfoͤrmig
wirkende Kraft kennen, und da es uns gelang, die Geſetze der
Bewegung vertical aufwaͤrts geworfener Koͤrper aus dem, was
die Traͤgheit und die gleichfoͤrmig wirkende Kraft hervorbringen
mußten, vollſtaͤndig herzuleiten, ſo ſuchten wir eben die Princi-
pien auf die krummlinigte Bewegung ſchief geworfener Koͤrper
anzuwenden. Es gelang uns, auch hier die Bahn des gewor-
fenen Koͤrpers zu beſtimmen, und wir fanden uns aufgemuntert,
nach den Geſetzen zu fragen, die ein die Erde umkreiſender Koͤrper
befolgen muͤſſe; wir uͤberzeugten uns, daß eine Kreisbewegung
um einen anziehenden Mittelpunct ſtatt finden koͤnne, wir fanden
Mittel die Frage zu beantworten, wie ſtark die anziehende Kraft
der Erde auf den Mond, wie ſtark die anziehende Kraft der Sonne
auf die Erde wirke, und indem wir die Beobachtungen mit
den Reſultaten unſrer theoretiſchen Rechnungen verglichen, ent-
deckte ſich uns das Geſetz der in groͤßern Abſtaͤnden abnehmenden
allgemeinen Attraction der Weltkoͤrper. Ein ganzes Heer von
Erſcheinungen war jetzt auf einmal erklaͤrt; — wir erkannten
deutlich, daß es nur einer ſorgfaͤltig durchgefuͤhrten Berechnung be-
duͤrfe, um die genaue Bewegung der Planeten und Cometen in
ihren Bahnen kennen zu lernen, um die Figur der Erde zu be-
ſtimmen, und ſo weiter. Und ſo wie dieſe eine Reihe von Un-
terſuchungen ſich gleichſam von ſelbſt entwickelte, wie hier eine
beantwortete Frage uns ſogleich zu einer neuen leitete, deren Be-
antwortung wir ſchon vorauszuſehen im Stande waren, ſo ging
es auch in den uͤbrigen Gegenſtaͤnden, bei denen ich jetzt nicht ver-
weilen will.
Aufgemuntert durch dieſen gluͤcklichen Erfolg betreten wir
heute ein neues Feld lehrreicher Unterſuchungen. Bisher richteten
[128] wir nur auf die feſten Koͤrper unſre Aufmerkſamkeit, aber auch bei
fluͤſſigen Koͤrpern findet ein Zuſtand des Gleichgewichts und der
Bewegung ſtatt, und es ſcheint hier ſchwerer die Geſetze des Gleich-
gewichts und der Bewegung zu beſtimmen, da jedes Theilchen des
Fluͤſſigen ganz unabhaͤngig von dem andern ſcheint, ſtatt daß bei
feſten Koͤrpern nur die Bewegung einiger weniger Puncte be-
ſtimmt zu werden brauchte, und damit die Bewegung aller uͤb-
rigen zugleich gegeben war. Indeß auch hier bieten ſich uns
einfache Geſetze, wenigſtens fuͤr eine zahlreiche Menge von Erſchei-
nungen, dar.
Gleichfoͤrmige Verbreitung des Druckes in fluͤſſigen
Koͤrpern.
Die fluͤſſigen Koͤrper haben alle die Eigenſchaft, daß ihre
Theilchen jeder Einwirkung leicht folgend, ihre Lage gegen einander
bei der geringſten Veranlaſſung aͤndern, und deshalb, wenn irgend
eine Kraft auf ſie wirkt, zerfließen, wenn ſie nicht in ein Gefaͤß
eingeſchloſſen ſind. Da wo ein Gefaͤß dieſes Zerfließen hindert,
zeigen ſie uns eine andre Eigenſchaft, wodurch ſie ſich auffallend
von den feſten Koͤrpern unterſcheiden, naͤmlich die Eigenſchaft der
nach allen Seiten gleichfoͤrmigen Verbreitung des Druckes. Wenn
ein feſter Koͤrper von einer Kraft nach der Richtung BA ge-
druͤckt wird (Fig. 73.), ſo bedarf es nur eines feſten Bodens CD,
gegen welchen ſenkrecht der Druck gerichtet iſt, um ihn ganz in
Ruhe zu erhalten; waͤre der Koͤrper ganz in ein Gefaͤß EFGH
eingeſchloſſen, das ihn dicht anſchließend umgaͤbe, ſo wuͤrde dieſes
an den Waͤnden EF, GH gar keinen Druck leiden, ſondern
bloß der Boden FG wuͤrde eine hinreichende Feſtigkeit haben
muͤſſen, um nicht auszuweichen. Iſt dagegen das rund um ge-
ſchloſſene Gefaͤß EFGH mit Waſſer gefuͤllt, und wird auf dieſes
Waſſer vermittelſt eines in der Roͤhre Aaa beweglichen Kolbens
ein Druck ausgeuͤbt, der nach BA, gegen den Boden FG, ge-
richtet iſt, ſo hat das Waſſer dadurch nicht allein ein Beſtreben
gegen den Boden zu, ſondern wenn bei f oder ſelbſt bei g eine
Oeffnung waͤre, ſo wuͤrde auch da das Waſſer hervordringen,
alſo ſelbſt an den Stellen, wo ein feſter Koͤrper gar keinen Druck
auf die Waͤnde, vermoͤge des auf ihn ausgeuͤbten Druckes, zeigen
[129] wuͤrde. Dieſe Mittheilung des Druckes findet aber nicht bloß
in einigem Grade nach allen Seiten ſtatt, ſondern ſie iſt auch
gleichmaͤßig ſtark nach allen Seiten. Waͤre jenes Gefaͤß mit
Sand gefuͤllt, ſo wuͤrden wir auch bemerken, daß ein Druck bei
A auf den Sand, vermittelſt eines Kolbens ausgeuͤbt, den Sand
aus Oeffnungen bei f hervortreiben wuͤrde, aber gewiß waͤre die
Menge des bei f herausgedraͤngten Sandes nur geringe, und bei e
weit erheblicher *). Waſſer dagegen, wenn wir von dem, was
die Schwere bewirkt, abſehen, dringt mit gleicher Gewalt hervor,
der Strahl mag in g oder in f einen Ausgang finden, und das
iſt es, was wir gleichmaͤßige Fortpflanzung des Druckes nach allen
Seiten nennen.
Dieſe Eigenſchaft der gleichen Fortpflanzung des Druckes
nach allen Seiten iſt allen vollkommen fluͤſſigen Koͤrpern ge-
mein, und nur die unvollkommen fluͤſſigen, die, wie Honig
und andere zaͤhe Fluͤſſigkeiten, auch eine mindere Beweglichkeit der
Theile zeigen, koͤnnen, zumal wenn ſie dem voͤlligen Erſtarren
ziemlich nahe ſind, eine merkliche Abweichung zeigen. Unter den
fluͤſſigen Koͤrpern aber, wenn ſie auch vollkommen fluͤſſig ſind,
findet eine große Verſchiedenheit darin ſtatt, daß das Waſſer
und aͤhnliche Koͤrper tropfbar und unelaſtiſch, alle Luft-Arten
und Daͤmpfe dagegen elaſtiſch ſind. Wenn in dem Gefaͤße EFGH
Waſſer, Weingeiſt, oder eine aͤhnliche Fluͤſſigkeit enthalten iſt,
die das Gefaͤß ganz fuͤllet, ſo laͤßt ſich der Kolben bei a faſt gar
nicht hineindraͤngen und gleichwohl leidet jeder Theil der Wand
des Gefaͤßes einen, der auf A wirkenden Kraft gemaͤßen, Druck;
zieht man dagegen den Kolben in der Roͤhre aA zuruͤck, ſo ent-
fernt der Kolben ſich ſogleich von der Oberflaͤche des Waſſers,
und aller durch ſeine Wirkung entſtehende Druck auf die Waͤnde
hoͤrt ſogleich auf. Druͤckt dagegen der Kolben bei aa auf Luft,
die im Gefaͤße enthalten iſt, ſo wird dieſe in einen engern Raum
getrieben und nach Maaßgabe des geringern oder ſtaͤrkern auf aa
wirkenden Druckes erreicht dieſe Zuſammenpreſſung einen geringern
I.I
[130] oder hoͤhern Grad; dabei iſt der Druck, den die Waͤnde leiden, erſt
dann dem vollen Werthe der auf aa druͤckenden Kraft angemeſſen,
wenn die Zuſammendruͤckung den Grad erreicht hat, welchen die
angebrachte Kraft hervorzubringen vermag. Wird der Kolben
zuruͤckgezogen, ſo dehnt die Luft ſich aus, und der Druck auf die
Waͤnde hoͤrt keinesweges ganz auf, obgleich er immer geringer
wird, je mehr die Dichtigkeit der Luft abnimmt. Wegen dieſer
Faͤhigkeit der Luft, ſich in einen groͤßern Raum auszudehnen,
heißt ſie elaſtiſch, und das Waſſer iſt dagegen unelaſtiſch,
eben deshalb aber auch tropfbar. Wollten wir naͤmlich eine
kleine Luftmaſſe, ſo wie wir einen Tropfen Waſſer hervorheben,
in einen luftleeren Raum uͤbertragen, ſo wuͤrde dieſes Theilchen
ſich ſogleich ausdehnen, und alſo aufhoͤren, einen Tropfen zu bil-
den. Daß das Waſſer ſich als Tropfen in den leeren Raum
hinuͤbertragen laͤßt, beruht offenbar darauf, daß die Anziehungs-
kraft ſeiner einzelnen Theilchen den Tropfen zuſammenhaͤlt, und
eine viel zu unerhebliche Kraft abſtoßend entgegen wirkt; bei der
Luft hingegen hat die abſtoßende Kraft, welche durch die Waͤrme
vermehrt wird, und vielleicht einzig eine Folge der Waͤrme iſt,
das Uebergewicht. Jene anziehende Kraft der Waſſertheilchen er-
klaͤrt auch die der Kugelform aͤhnliche Geſtalt der Waſſertropfen,
die ſich, an einem feſten Koͤrper haͤngend, der Schwere wegen,
verlaͤngern, und auf einer horizontalen Flaͤche ruhend, durch die
Schwere und durch die Anziehungskraft der Ebne eine breitere
Form annehmen; Queckſilbertropfen bleiben, wenn ſie klein ſind,
faſt ganz kugelrund, weil die Attractionskraft ihrer Theilchen gegen
einander ſehr groß iſt. Waſſertropfen rollen uͤber einer mit Staub,
am beſten mit Hexenmehl (semen lycopodii), beſtreuten Flaͤche ku-
gelfoͤrmig fort, weil ſie gegen die mit dieſem Pulver bedeckte Flaͤche
faſt gar keine Anziehung zeigen.
Ich kehre von dieſer Abſchweifung zu der Betrachtung des
durch den fluͤſſigen Koͤrper fortgepflanzten Druckes zuruͤck. Um hier
das genau anzugeben, was ich vorhin, ohne mich genauer zu er-
klaͤren, den der wirkenden Kraft angemeſſenen Druck nannte, will
ich annehmen, die untere Flaͤche des Kolbens A enthalte einen
Quadratzoll (Fig. 73.), und bei f ſowohl als bei g ſei eine ebenſo
große durch einen Deckel verſchloſſene Oeffnung; dann wird jeder
[131] dieſer Deckel mit eben der Kraft hinauswaͤrts gedruͤckt, welche in
B auf den Kolben wirkt, und wenn nicht entweder eine eigne Kraft
dieſe Deckel feſthaͤlt, oder die Reibung, welche ſie an dem Rande
der Oeffnung leiden, groß genug iſt, ſo werden ſie wirklich fortge-
ſtoßen werden, und dem Waſſer den Ausfluß geſtatten. So wie
hier die Deckel einen Druck leiden, ſo findet eben dies auch fuͤr alle
andere Theile der Waͤnde des Gefaͤßes ſtatt, und es iſt wohl zu
uͤberſehen, daß jeder einzelne Quadratzoll der innern Oberflaͤche
einen gleichen Druck leidet. Daraus entſteht die anſcheinend auf-
fallende Folgerung, daß eine Kraft von einem Pfunde, auf den einen
Quadratzoll A druͤckend, eine Kraft von 100 Pfunden auf die ſaͤmmt-
lichen Waͤnde ausuͤbt, wenn dieſe 100 Quadratzolle betragen; aber
dieſe Folgerung iſt gleichwohl eine nothwendige, und verliert ihr pa-
radoxes Anſehen, wenn man ſie mit andern verwandten Betrach-
tungen in Vergleichung ſetzt. Es ſcheint im erſten Augenblicke
ebenſo auffallend, daß ein am Hebel gehaltenes Gewicht von einem
einzigen Pfunde mich noͤthigen kann, 200 Pfund Kraft aufzuwen-
den, wenn ich es mit dem Daumen erhalten will, waͤhrend es an
einem Hebel wirkt, der auf dem Zeigefinger ruht; und doch iſt es
wahr, daß mein Daumen 100 Pfund Kraft noͤthig hat, um das
Gewicht von 1 Pfunde zu erhalten, wenn das letztere hundertmal
ſo entfernt, als der druͤckende Daumen, von der Unterlage ange-
bracht iſt, und daß mein Zeigefinger dann 101 Pfund zu tragen
hat, obgleich die Laſt nur ein Pfund betraͤgt. Dieſes Beiſpiel hat
auch in ſo fern Aehnlichkeit mit unſerm hier zu betrachtenden Falle,
weil die Kraft = 100 Pfund am Hebel nur um \frac{1}{100} Zoll fortge-
ruͤckt wird, wenn die Laſt von einem Pfunde einen ganzen Zoll
fortruͤckt; denn ebenſo wuͤrden hier die Waͤnde nur ein Hunderttel
Zoll auszuweichen noͤthig haben, um der auf dem Kolben wirkenden
Kraft ein Fortruͤcken von einem ganzen Zoll zu geſtatten, wenn die
Oberflaͤche des Gefaͤßes hundertmal ſo groß, als die Grundflaͤche
des druͤckenden Kolbens waͤre. Da, wo die Waͤnde kein ſolches Aus-
weichen oder Nachgeben geſtatten, ſehen wir oft dieſe unerwartete
Wirkung eines geringen Druckes. Ein Beiſpiel davon giebt die
Erfahrung, daß man mit einem ſehr unbedeutenden Schlage auf
den Stoͤpſel einer ganz mit Waſſer gefuͤllten Flaſche, dieſe zerſpren-
gen kann; — dieſer geringe Druck, den der Stoͤpſel, indem er den
J 2
[132] Stoß empfaͤngt, auf das Waſſer ausuͤbt, bringt auf alle Theile
der Seitenwaͤnde einen ebenſo großen Druck hervor und zerſprengt
die Flaſche, ſo gut als wenn eben der Schlag unmittelbar auf jede
einzelne Stelle des Glaſes ausgeuͤbt worden waͤre. Die Gefahr,
in welcher die Flaſche ſich befindet, iſt nur dann ſo ſehr groß, wenn
ſich gar keine Luft unter dem Stoͤpſel befindet; dies muß darin ſei-
nen Grund haben, daß das ſehr ſproͤde Glas doch einer nicht ganz
ploͤtzlich einwirkenden Kraft etwas nachgiebt, und daß, wenn unter
dem Stoͤpſel ſich etwas Luft befindet, dieſe durch die erlittene Zu-
ſammendruͤckung die Wirkung um etwas Weniges verzoͤgert, eben
dadurch aber auch den Stoß weniger zerſtoͤrend macht.
Die Waſſerpreſſe.
Eine nuͤtzliche Anwendung dieſes Satzes, daß der durch Waſ-
ſer fortgepflanzte Druck der gedruͤckten Oberflaͤche proportional wirkt,
giebt die Bramah'ſche Waſſerpreſſe (Fig. 74.), die vermittelſt
eines geringen angebrachten Druckes die heftigſte Gewalt ausuͤbt.
Da ſie nicht ſo angewandt werden kann, daß ſie dieſe Gewalt auf
einen vollkommen ruhenden Koͤrper ausuͤbt, ſo muß ſie abwechſelnd
einen Zutritt neuen Waſſers geſtatten, und iſt deswegen mit zwei
Ventilen verſehen, die das Waſſer einlaſſen, aber ihm kein Zu-
ruͤckfließen geſtatten. Dieſe Ventile, die ich hier am beſten als
kegelfoͤrmige Zapfen anſehen kann, verſchließen die Oeffnungen bei
a und b ſo, daß der Kegel a, mit ſeinem dickern Theile oben, den
Zutritt des Waſſers von unten geſtattet, bei einem Drucke von
oben aber die Oeffnung ſchließt, und daß der Kegel b, mit ſeinem
dickern Ende gegen E gekehrt, das Waſſer nicht aus der weitern
Roͤhre zuruͤcklaͤßt. Die eigentlich wirkſamen Theile der Waſſerpreſſe
ſind die beiden Kolben A und D, die von ſehr ungleichem Durch-
meſſer ſind, und ſich in Roͤhren, deren Weiten dieſen Durchmeſ-
ſern angepaßt ſind, auf und ab bewegen koͤnnen. Wird ein Druck
auf A ausgeuͤbt, ſo treibt dieſer Kolben, wenn der ganze Raum
AabED mit Waſſer gefuͤllt iſt, ein wenig Waſſer in die weite
Roͤhre hinuͤber, und der Druck auf A theilt ſich dem Kolben D ſo
mit, daß dieſer mit hundertfacher Kraft gedruͤckt wird, wenn er
hundertmal ſo viel Oberflaͤche als A hat. Da ſich gewoͤhnlich uͤber
D ein Widerſtand befindet, der ein kleines Zuruͤckweichen des Kol-
[133] bens D geſtattet, zum Beiſpiel ein feſt zu packender Waarenballen,
Buͤcher in der Buchbinderpreſſe und dergleichen, ſo dringt der Kol-
ben A leicht zu tief herab, und man iſt genoͤthiget ihn zuruͤckzuzie-
hen; dabei laͤßt das Ventil a neues Waſſer aus dem mit Waſſer
gefuͤllten Gefaͤße UV ein, und die Roͤhre A fuͤllt ſich wieder ganz
mit Waſſer, waͤhrend das Ventil b das ſchon im Cylinder E ent-
haltene Waſſer zuruͤckhaͤlt. Ein neuer Stoß, der den Kolben A
herabwaͤrts treibt, draͤngt die Laſt bei D wieder hoͤher hinauf und
ſo ferner. Der hier ausgeuͤbte Druck laͤßt ſich leicht berechnen.
Wenn der Durchmeſſer des Kolbens A = 3 Linien, der des Kol-
bens D = 3 Zoll iſt, ſo hat der letztere 144 mal ſo viel Ober-
flaͤche als der erſtere. Der Druck, den man mit der Hand an-
wendet, laͤßt ſich durch einen angebrachten Hebel, der den Kolben
herab druͤckt, leicht ſo verſtaͤrken, daß der Druck auf A 250 Pfund
betruͤge, wenn die Hand auch nur 50 Pfund Kraft ausuͤbt; dann
iſt der auf D ausgeuͤbte Druck = 144⋅250 = 36000 Pfund,
und wenn man davon auch ein Drittel auf den Widerſtand der
Reibung rechnet, ſo uͤbt dennoch der Kolben D eine Gewalt von
24000 Pfunden aus. Da nun nach Eytelwein's Verſuchen
ein Stuͤck Eichenholz von 1 Zoll breit und 1 Zoll hoch mit 8000
Pfund Kraft in 1 Zoll Entfernung vom Ruhepuncte gebrochen wird,
ſo wuͤrde mit jener Kraft ein Stuͤck Eichenholz von 3 Zoll Breite
und 2 Zoll Hoͤhe, 4 Zoll vom Unterſtuͤtzungspuncte angegriffen,
abgebrochen werden koͤnnen. Man hat wegen dieſer ſo leicht und
ſchnell anzuwendenden großen Gewalt die Waſſerpreſſe angewandt,
um die einzelnen Kettenglieder, die zu einer Kettenbruͤcke gebraucht
werden ſollen, zu pruͤfen, und um Preſſungen von vielen Centnern
zu bewirken u. ſ. w. Daß aber dieſe Waſſerpreſſe mit der groͤßten
Sorgfalt gemacht ſein muß, damit kein Waſſer zwiſchen dem Kol-
ben und der Roͤhrenwand durchbringe, verſteht ſich von ſelbſt.
Es verdient wohl bei dieſer Gelegenheit auch die Ueberlegung,
wie dick die Waͤnde des Cylinders und der Roͤhre ſein muͤſſen, um
nicht ſelbſt von dieſem maͤchtigen Drucke zerriſſen zu werden, eine
naͤhere Betrachtung. Wir wollen uns vorſtellen, man habe ab-
ſichtlich dem Cylinder, deſſen Querſchnitt ABCD vorſtellt (Fig.
75.) in B und D eine etwas ſchwaͤchere Stelle gegeben, damit er,
wenn er zerriſſe, grade hier zerreiße, ſo laͤßt ſich leicht zeigen,
[134] daß der hiezu wirkſame Druck des in der Roͤhre ABCD enthal-
tenen Waſſers eben ſo groß iſt, als der Druck auf eine ebne
Wand FE ſein wuͤrde. In unſerm vorigen Beiſpiele war fuͤr
den weitern Cylinder EF = 3 Zoll, alſo auf jeden Zoll Hoͤhe
der Druck ſo groß als auf 3 Quadratzoll des Kolbens, oder wenn
der ganze Cylinder 6 Zoll hoch iſt, der ganze Druck ſo groß wie
auf 18 Quadratzoll des Kolbens. Der Kolben von 3 Zoll Durch-
meſſer enthaͤlt etwas uͤber 7 Quadratzoll, und von den 36000
Pfund Druck, die er leidet, kommen alſo etwa 5000 Pfund
auf jeden Quadratzoll, 90000 Pfund auf jene 18 Quadratzolle;
90000 Pfund Kraft wirken alſo, um den Cylinder aus einander zu
reißen. Da man die Feſtigkeit des Metalles, das ſich freilich
nicht im geringſten dehnen darf, doch gewiß auf 23000 Pfund
fuͤr 1 Quadratzoll rechnen kann, ſo iſt der Cylinder bei ⅓ Zoll
Dicke der Waͤnde ſtark genug, indem zwei Waͤnde von 6 Zoll lang,
die bei ⅓ Zoll Dicke alſo 4 Quadratzoll Bruchflaͤche halten, aus ein-
ander geriſſen werden muͤßten, wenn der Cylinder zerſprengt wer-
den ſollte; dieſe aber 23000⋅4 oder 92000 Pfund Widerſtand
darbieten. Der nur \frac{1}{12} ſo weite Cylinder A braucht bei weitem
nicht dieſe Dicke der Waͤnde zu haben, da die zerreißende Kraft
dem Durchmeſſer der Roͤhre proportional iſt.
Man hat bei dieſen Preſſen die Kraft bis auf 300000
Pfund getrieben, und kann bei gehoͤriger Erweiterung des groͤßern
Cylinders ſie noch weiter treiben; daß ſie dann zum Heben großer
Laſten auf geringe Hoͤhen, und ſelbſt bei geringerer Groͤße zum
Auspreſſen von Extracten, zum Tuchpreſſen u. ſ. w. dienen koͤn-
nen, erhellt leicht, und ſelbſt in Deutſchland iſt die Waſſerpreſſe
vielfaͤltig zu ſolchen Zwecken angewandt *).
Gleichgewicht des Waſſers in Gefaͤßen und Roͤhren.
Dieſe Betrachtungen ließen ſich ohne Ruͤckſicht auf die
Schwere des Waſſers anſtellen; denn in der That iſt in der
Waſſerpreſſe und in manchen aͤhnlichen Faͤllen die gebrauchte
Waſſermenge ſo geringe, daß das Gewicht derſelben dabei ganz
unbeachtet bleiben darf; aber auch die Wirkung, welche die
[135] Schwere ausuͤbt, laͤßt ſich jetzt leicht angeben. Jedes hoͤher lie-
gende Waſſertheilchen druͤckt offenbar auf das zunaͤchſt unter ihm
liegende, aber dieſes uͤbt nun nicht bloß einen Druck nach unten,
ſondern auch nach der Seite aus. — In dieſen wenigen Wor-
ten liegt der Aufſchluß uͤber eine Menge einzelner Erſcheinungen,
die wir jetzt nach und nach betrachten wollen. Das Waſſer kann
nicht anders, als mit horizontaler Oberflaͤche ruhen. Denn waͤre
ein Waſſertheilchen a uͤber die Horizontallinie AB der uͤbrigen
Oberflaͤche erhaben (Fig. 76.), ſo druͤckte dieſes auf das unter
ihm liegende Theilchen b, dieſes aber wuͤrde vermoͤge des daraus
hervorgehenden Seitendruckes gegen das Theilchen c druͤcken,
welches, als unbelaſtet, keinen gleichen Druck entgegenſetzen kann,
alſo ausweichen muß, — die Ruhe der Oberflaͤche tritt alſo erſt
ein, wenn kein Theilchen mehr hoͤher, als die uͤbrigen, liegt.
Der Druck, den jedes Waſſertheilchen leidet, iſt ſeiner Tiefe
unter der Oberflaͤche proportional, und es koͤmmt dabei nicht dar-
auf an, ob es, wie F (Fig. 76.) eine Waſſerſaͤule Fc grade
uͤber ſich hat, oder ob es wie G nur von der Seite her dieſen
Druck empfaͤngt. Denn indem das Waſſer bei F, unter der
gradezu darauf ruhenden Waſſermaſſe cF, einen Druck, dem Ge-
wichte dieſer Waſſerſaͤule gleich, leidet, pflanzt ſich dieſer Druck
nach allen Seiten gleich fort, und jedes Theilchen in der hori-
zontalen Schichte FG leidet einen ebenſo großen Druck. Die
Groͤße dieſes Druckes auf eine Flaͤche von beſtimmter Ausdehnung
laͤßt ſich leicht berechnen, wenn man weiß, daß der Cubicfuß Waſ-
ſer ungefehr 70 Pfund wiegt; in 1 Fuß Tiefe unter dem Waſſer
betraͤgt der Druck des Waſſers 70 Pfund auf den Quadratfuß
oder etwa ½ Pfund auf den Quadratzoll, in 1000 Fuß Tiefe 500
Pfund auf den Quadratzoll. Dieſer maͤchtige Druck iſt es, der
ſo oft zu der Erfahrung Anlaß gegeben hat, daß ſehr tief ins
Meer verſenkte leere Flaſchen zerdruͤckt wurden; dieſer Druck war
es, der, nach Scoresby's Erzaͤhlung, ein Boot, welches ein
Wallfiſch mit in die große Tiefe von vielleicht 1000 Fuß hinabge-
zogen hatte, ſo veraͤndert hatte, daß es nie wieder recht tauglich
wurde, indem nicht allein alle Poren mit Waſſer gefuͤllt waren,
ſondern auch das Holz ſelbſt (unter einem Drucke von vielleicht
70000 Pfunden von beiden Seiten auf jeden Quadratfuß) ſo ſchwer
[136] an ſich ſelbſt, ſo verdichtet geworden war, daß es auch ausge-
trocknet nicht mehr die noͤthige Leichtigkeit wieder erlangte.
Eben den Druck, welchen die Waſſertheilchen ſelbſt in be-
ſtimmter Tiefe leiden, haben auch die Waͤnde zu ertragen. Liegt
der Punct G zehn Fuß tief unter der Oberflaͤche des Waſſers, ſo
hat jeder Quadratzoll in dieſer Gegend der Wand einen Druck
von ungefehr 5 Pfund auszuhalten. Selbſt die als horizontaler
Boden oberhalb des Waſſers liegende Wand HI hat einen aͤhnli-
chen Druck hinaufwaͤrts zu leiden, naͤmlich auf jeden Quadratzoll
einen Druck ſo groß, als das Gewicht einer Waſſerſaͤule von 1
Quadratzoll Querſchnitt, deren Hoͤhe ſo groß waͤre, als die Tiefe
der Flaͤche HI unter der freien Oberflaͤche AB des Waſſers.
Daran ſchließt ſich ferner die Ueberzeugung an, daß das Waſ-
ſer in zwei Roͤhren, die mit einander in Verbindung ſtehen, bis
zu einerlei Horizontallinie hinaufreichen muß, oder das in der
Roͤhre ABCD (Fig. 77.) befindliche Waſſer beim Zuſtande der
Ruhe in Aa, Dd eine Horizontallinie darſtellt. Waͤre bei C oder
irgendwo ſonſt ein feſter horizontaler Boden, ſo wuͤrde dieſer durch
das in AB befindliche Waſſer hinaufwaͤrts gedraͤngt mit einer
Gewalt, welche der Hoͤhe der Flaͤche Aa uͤber dieſem Boden an-
gemeſſen iſt; eben dieſer feſte Boden wird durch das Waſſer in
Cd herabwaͤrts gedruͤckt, und dieſe Preſſungen ſind nur dann
gleich oder erhalten ſich nur dann im Gleichgewichte, wenn das
Waſſer in Dd ſo hoch, als in Aa ſteht.
Waſſerwaagen.
Man hat dieſe verbundenen Roͤhren oft zum Nivelliren,
zum Beſtimmen der Lage gleich hoher Puncte, angewandt, und
wo es, wie beim Anlegen einer Straße, auf einige Zolle nicht
ankoͤmmt, da kann man ſich allerdings dieſer Waſſerwaage bedie-
nen. Ihr Gebrauch beſteht darin, daß man uͤber die beiden Ober-
flaͤchen AB, CD, (Fig. 78.), die um etwa 4 oder 5 Fuß von ein-
ander entfernt ſind, wegſehend, an einem in 100 Fuß Entfernung oder
noch weiter entfernt aufgerichteten Maaßſtabe den Punct beſtimmt,
den die Linie AD trifft; findet man dieſes Punctes Hoͤhe uͤber dem
Boden 10 Zoll hoͤher als die Hoͤhe der Oberflaͤche AD, da wo ich
[137] ſtehe, uͤber dem Boden iſt, ſo hat ſich der Boden bis dorthin um
10 Zoll geſenkt.
Statt dieſer unvollkommenen Waſſerwaage iſt es freilich
beſſer, ſich der feinere Angaben erlaubenden Niveaus mit einer
Luftblaſe zu bedienen, wo naͤmlich die Roͤhre LM (Fig. 79.) nicht
ganz mit Fluͤſſigkeit gefuͤllt iſt, und wo bei genau horizontaler
Stellung der Roͤhre LM, der leere Raum genau die Mitte ein-
nehmen muß. Dieſe iſt zu dieſem Zwecke durch Theilſtriche, die
von der genauen Mitte an nach beiden Seiten mit gleichen Zahlen
bezeichnet ſind, kenntlich gemacht. Wenn mit dieſem Niveau ein
Fernrohr PQ ſo verbunden iſt, daß die Axe des Fernrohrs genau
horizontal ſteht, wenn ſich die Luftblaſe in der Mitte befindet, ſo
dient dieſes, um Puncte, mit der Axe des Fernrohrs gleich hoch,
zu beſtimmen. Dabei bietet ſich zugleich ein Mittel dar, um zu
entdecken, ob wirklich die Axe des Fernrohres horizontal iſt, wenn
das Niveau die richtige Stellung erreicht hat. Waͤre dies nicht
der Fall, ſondern waͤre (Fig. 80.) das Fernrohr AB nicht mit dem
Niveau cd parallel, ſo wuͤrde man nach einem unrichtigen Puncte
E des entfernten Gegenſtandes viſiren; aber wenn man das Ni-
veau ſo umwendet, daß c nach der Seite koͤmmt, wo vorhin d
war, und nun das Fernrohr AB in ſeinen ungleich hohen Unter-
lagen ſo legt, daß man abermals nach jenem Gegenſtande viſiren
kann, ſo wird die neue Lage des Fernrohres ab auf einen zu tiefen
Punct F gerichtet ſein, wenn es vorhin auf einen zu hohen Punct
E gerichtet war, und man erkennt ſogleich den Fehler des Inſtru-
ments. Bei dem gewoͤhnlichen Gebrauche des Nivellir-Inſtru-
ments bedarf man meiſtens keiner ſo uͤberaus großen Genauigkeit
des Niveaus; denn wenn auch, bei dem Berichtigen der Stellung,
das Fernrohr um eine ganze Minute von der Horizontallinie ab-
wiche, ſo wuͤrde, bei einer Entfernung von 250 Fuß, der Fehler
in der Hoͤhe doch noch keinen Zoll betragen. Und es iſt freilich
ein Gluͤck, daß man bei der unſichern Aufſtellung im Freien keiner
groͤßern Genauigkeit zu beduͤrfen pflegt, indem es ſchwer ſein wuͤrde,
bei den hier unvermeidlichen Schwankungen des Inſtruments, die
aͤußerſte Genauigkeit zu erreichen. Diejenigen Niveaus, deren der
Aſtronom ſich bedient, um der Axe ſeines Mittagsfernrohrs eine
horizontale Lage zu geben, oder uͤberhaupt die Stellung der Inſtru-
[138] mente zu berichtigen, muͤſſen ſo fein gearbeitet ſein, daß ſie noch
eine Abweichung des Niveaus von der horizontalen Lage zeigen,
wenn dieſe Abweichung auch nur eine Secunde betraͤgt.
Gleichgewicht verſchiedenartiger Fluͤſſigkeiten.
Wenn in zwei ſo verbundenen Roͤhren fluͤſſige Koͤrper von
ungleicher Dichtigkeit ſich befinden, ſo ſtehen die Oberflaͤchen nicht
gleich hoch. Man fuͤlle die Roͤhren (Fig. 89.) bis an AB mit
Queckſilber, gieße nun aber bei E Waſſer ein, ſo druͤckt dieſes
freilich das Queckſilber herab und bringt es in der andern Roͤhre
zum Steigen; aber wenn die Queckſilberflaͤche D im andern
Schenkel um 1 Zoll uͤber der Oberflaͤche des Queckſilbers in C
ſteht, ſo muß das Waſſer in E bis ungefehr 14 Zoll uͤber C hinauf
reichen. Die hohe Waſſerſaͤule von 14 Zollen haͤlt alſo der 1
Zoll hohen Queckſilberſaͤule das Gleichgewicht. Wenn wir uns
vorſtellen, wir begaͤben uns mit einer zweiſchenklichen Roͤhre,
deren einer Schenkel dem freien Zutritte des umgebenden Waſſers
ausgeſetzt waͤre, unter Waſſer, und richteten es ſo ein, daß das
Queckſilber im andern Schenkel gegen den Druck des Waſſers ge-
ſichert waͤre, ſo koͤnnten wir, wenn das Queckſilber bis an D, einen
Fuß hoch uͤber C hinaufgetrieben waͤre, ſchließen, daß wir uns 14 Fuß
tief unter der Oberflaͤche E des Waſſers befaͤnden. Auf aͤhnliche
Weiſe zeigt unſer Barometer, wie hoch das Luftmeer, auf deſſen
Boden wir uns befinden, uͤber uns hinauf reicht.
Befinden ſich verſchiedene Fluͤſſigkeiten, die ſich nicht miſchen,
in einem Gefaͤße, ſo ordnen ſie ſich in horizontale Schichten und die
ſchweren nehmen den untern Platz ein. Auf dieſem Beſtreben der
ſchwerern Fluͤſſigkeiten, den untern Platz einzunehmen, beruht das
Experiment, welches man ſcherzhaft, die Kunſt Waſſer in Wein zu
verwandeln, zu nennen pflegt. Man bedient ſich dabei eines Ge-
faͤßes (Fig. 81.), deſſen oberer Theil B mit dem gleich großen un-
tern A durch eine ſehr enge Roͤhre C verbunden iſt; der untere Theil
wird mit rothem Weine, der obere mit Waſſer gefuͤllt. Wenn man
nun das Gefaͤß ganz ruhig ſtehen laͤßt, ſo ſteigt der leichtere Wein
durch die Roͤhre C hinauf, und dringt wie ein feiner Strom bis an
die Oberflaͤche des Waſſers in B, wo ſich eine nach und nach immer
[139] ſtaͤrker werdende Schichte von Wein ſammelt, ſtatt daß Waſſer aus
dieſem obern Gefaͤße in das untere Gefaͤß bringt.
Stroͤmungen in der Luft und im Meere.
Da, wo durch andre Umſtaͤnde eine ungleiche Dichtigkeit der
Fluͤſſigkeit in derſelben horizontalen Schichte hervorgebracht wird, da
kann das Gleichgewicht nicht beſtehen, und hierdurch werden in un-
zaͤhligen Faͤllen Stroͤmungen hervorgebracht. Es iſt eine ziemlich
bekannte Erfahrung, daß alle Fluͤſſigkeiten durch die Waͤrme eine
geringere Dichtigkeit erhalten, und daher entſtehen manche Stroͤ-
mungen, die wir bei Experimenten, die wir in unſern Zimmern,
die wir im Meere und in der Atmoſphaͤre wahrnehmen, dadurch
daß in einerlei horizontalen Schichte die Waͤrme in verſchiedenen
Stellen ungleich iſt.
Wenn wir ein Toͤpfchen mit Waſſer ſo ans Feuer ſetzen, daß
nur die eine Seite ſtark erwaͤrmt wird, ſo ſehen wir ſchon vor dem
Kochen und oft ſelbſt noch waͤhrend des Kochens einen Strom an
der erhitzten Wand hinauf und oben von ihr abwaͤrts nach der Mitte
des Gefaͤßes gehen, und dieſer Strom erneuert ſich in ſtetem Kreis-
laufe. Oeffnen wir die Thuͤr eines geheizten Zimmers waͤhrend es
außen kalt iſt, ſo fuͤhlen wir den Luftzug im warmen Zimmer kalt
an unſere Fuͤße dringen, und wenn wir unſer Geſicht bald hoͤher
bald tiefer herab gebuͤckt in die Thuͤr bringen, ſo fuͤhlen wir oben
gar nichts von der kalten Luft, die in dem untern Theile der Thuͤr
dagegen deſto empfindlicher auf uns eindringt, je tiefer herab wir
uns buͤcken, um das Geſicht, als den am meiſten empfindlichen
Theil des Koͤrpers, dem Luftſtrome auszuſetzen. Dieſer kalte in das
Zimmer eindringende Luftſtrom zeigt ſich uns noch deutlicher, wenn
wir ein brennendes Licht unten, mitten und oben in die geoͤffnete
Thuͤr bringen, indem die Flamme unten, wie von einem lebhaften
Winde hereinwaͤrts, oben dagegen hinauswaͤrts getrieben wird, und
in der Mitte ganz ruhig in ihrer gewoͤhnlichen Stellung bleibt. Eben
den Luftzug bemerken wir am geheitzten Ofen; die kaͤltere Luft des
Zimmers dringt nahe am Fußboden gegen den Ofen zu, am Ofen
ſelbſt iſt ein Strom hinaufwaͤrts, den uns die am Ofen aufwaͤrts
getriebnen Federn, oder andere leichte Koͤrper, und einige Spiel-
werke der Kinder, welche durch dieſen Luftzug in drehende Bewegung
[140] gerathen, kenntlich machen. Alle dieſe Stroͤmungen entſtehen da-
durch, daß die waͤrmern und deshalb leichtern Theilchen des fluͤſſi-
gen Koͤrpers nicht mit den in eben der Hoͤhe liegenden kaͤltern
Theilchen im Gleichgewichte bleiben koͤnnen. Waͤre die erwaͤrmte
Gegend A von der mit kalter Luft erfuͤllten Gegend B durch eine
Wand getrennt, in welcher ſich bei C, D, Oeffnungen in ungleichen
Hoͤhen befaͤnden, ſo koͤnnte nicht in beiden Oeffnungen der Druck
von beiden Seiten gleich ſein. Iſt naͤmlich unten (Fig. 82.) bei D
der Druck der kalten Luft ſo groß, als der der warmen, welches da-
durch bewirkt werden koͤnnte, daß die waͤrmere Luftſaͤule eine groͤßere
Hoͤhe haͤtte, ſo iſt in C der Druck der kalten Luft um das Gewicht
der ſchwerern Luftſaͤule CD vermindert, dagegen der Druck der
warmen Luft nur um das Gewicht der leichtern Luftſaͤule cd; die
waͤrmere Luft uͤbt alſo in der obern Oeffnung einen groͤßern Druck
aus als die kaͤltere, und ſtroͤmt hier in den kaͤltern Raum ein; da
aber dadurch die Luftmaſſe in dem kaͤltern Raume vermehrt wird,
ſo faͤngt die kalte Luft an, in D nach dem waͤrmern Raume zu
fließen und es entſteht ſo ein beſtaͤndiger Kreislauf. Auf aͤhnliche
Weiſe verhaͤlt es ſich, wenn eine groͤßere Oeffnung CD beide un-
gleich erwaͤrmten Raͤume verbindet, und da wird in der Mitte
Ruhe ſtatt finden, oben ein warmer unten ein kalter Strom entſte-
hen, ſo wie wir es beobachten.
Das Rauchen unſrer Oefen, wenn ſie naͤmlich Rauch in die
Zimmer gelangen laſſen, haͤngt in manchen Faͤllen hievon ab, wenn
es gleich in andern Faͤllen durch Winde, die auf die Muͤndung des
Schornſteins ſtoßen, und andre Umſtaͤnde veranlaßt wird. Der
hieher gehoͤrige Fall iſt folgender. Wenn nach anhaltend kaltem
Wetter die Luft in den Haͤuſern noch kalt iſt, waͤhrend die freie
Luft ſich ſchon erwaͤrmt, ſo iſt auch die in den Schornſteinroͤhren
befindliche Luft, wofern ſie nicht etwa durch ſehr bedeutendes Heitzen
erwaͤrmt wird, kaͤlter, als die freie Luft. Es entſteht daher in den
Schornſteinroͤhren ein herabwaͤrts gehender Zug, der ſeinen Ausweg
durch die unten befindlichen, gegen die Zimmer offenen Oefen in
die Zimmer nimmt. Dieſer Luftzug, den wir ſonſt nicht ſehr be-
merken, wird ſogleich merklich, wenn eine geringe Menge Rauch,
zu geringe um die ganze Luftſaͤule zu erwaͤrmen, in jene Roͤhre ge-
langt, und der Rauch wird nun entweder in das Zimmer, wo ge-
[141] heißt wird, zuruͤckgetrieben, oder (weil in der Naͤhe dieſes Ofens der
noch warme Rauch den Luftſtrom uͤberwindet,) in andre Zimmer,
die mit eben dem Schornſteine in Verbindung ſtehen. Aus dem
entgegengeſetzten Grunde ziehen die Oefen ſo ſehr gut bei kaltem
Wetter, weil die erwaͤrmte Luft in den Schornſteinroͤhren nun ſchon
wegen des ſich ſogleich einfindenden hinaufwaͤrts gehenden Luftſtro-
mes oben ausſtroͤmt und alſo den Rauch mit hinaufnimmt. Des-
wegen iſt auch bei ſchlecht ziehenden Oefen die erſte Zeit nach dem
Einheitzen die ſchlimmſte, indem, ſobald nur einige Erwaͤrmung der
Luft im Schornſteine eingetreten iſt, der Luftzug hinaufwaͤrts leich-
ter hervorgeht; ja ſelbſt wenn heftiger Wind den Rauch herunter-
treibt, ſo iſt dies weniger der Fall, ſobald eine ſchon ſehr erwaͤrmte
Luft im Schornſteine einen aufſteigenden Strom veranlaßt, der
endlich ſo ſtark werden kann, daß er den von oben einwirkenden
Druck gaͤnzlich uͤberwindet. Jenes Uebel, daß die Oefen bei milde
werdendem Wetter ſo leicht rauchen, laͤßt ſich daher durch eine hohe
und enge Roͤhre oft gaͤnzlich heben. Setzt man auf die Oeffnung,
wo das gewoͤhnliche Ofenrohr in den Schornſtein geht, noch eine
Roͤhre von der Weite der gewoͤhnlichen Ofenroͤhren, aber 6 bis
10 Fuß hoch, ſo wird beim Heitzen die darin enthaltene geringe
Menge Luft ſchnell durchwaͤrmt, weit ſchneller als es mit der die
weite Feuer-Eſſe fuͤllenden Luftmaſſe geſchehen koͤnnte; es entſteht
daher in dieſer engen Roͤhre ſogleich, wenigſtens wenn man ein nicht
allzu unbedeutendes Feuer angemacht hat, ein ſtarker Luftſtrom auf-
waͤrts, der nicht nur das Herausdringen des Rauches in das eben
geheitzte Zimmer hindert, ſondern ſelbſt lebhaft genug werden kann,
um den entgegengeſetzten Luftſtrom auch in den hoͤhern Theilen des
Schornſteines zu uͤberwinden, und in dieſem Falle auch in die uͤbri-
gen Zimmer keinen Rauch gelangen laͤßt.
Auch in den Meeren und in der Atmoſphaͤre ſcheint es vor-
zuͤglich dieſe Ungleichheit des Druckes zu ſein, die ſo mannigfaltige
Stroͤmungen hervorbringt. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß in den
großen Meeren ein Strom in der Tiefe von den Polen gegen den
Aequator geht, der dorthin kaltes Waſſer fuͤhrt, waͤhrend wir in
manchen Gegenden ſehr auffallend eine warme Stroͤmung an der
Oberflaͤche gegen die Pole zu bemerken. Aber hiebei finden ſo viele
andre Urſachen mit ſtatt, daß die Erſcheinungen ein mehr verwickel-
[142] tes Anſehen erhalten. Der Hauptſtrom der Meere naͤmlich, welcher
unter dem Aequator und in den tropiſchen Gegenden von Oſten nach
Weſten geht, ſcheint theils von der beſtaͤndig nach dieſer Richtung
fortgehenden Fluth, theils von der in oͤſtlichern Gegenden immer
etwas groͤßern Erwaͤrmung des Waſſers, theils von dem oͤſtlichen
Paſſatwinde herzukommen. Was die Erwaͤrmung betrifft, ſo
ſcheint es zwar, daß von jedem mehr erwaͤrmten Puncte aus ein
Strom an der Oberflaͤche, nach Oſten ſo wohl, als nach Weſten,
entſtehen ſollte; aber indem die Sonne und mit ihr die am meiſten
erwaͤrmte Gegend unaufhoͤrlich nach Weſten fortruͤckt, wird der nach
Oſten gehende Strom in jedem Augenblicke zerſtoͤrt, der nach We-
ſten gehende dagegen verſtaͤrkt. Dieſer, im Atlantiſchen Meere ſo
ſehr merkliche Strom, der vielleicht ſehr weſentlich zur Ausbildung
der Form beigetragen hat, welche die Kuͤſten America's erhalten
haben, draͤngt ſich da, wo dieſe Kuͤſten ſeinen Fortgang hindern,
noͤrdlich und iſt als warmer Strom, unter dem Namen Golph-
ſtrom noch in ſehr noͤrdlichen Gegenden kenntlich. Was in dieſen
Gegenden ſeinen genau beſtimmten Lauf ſo feſt auf eine gewiſſe
Breite, auf eine gewiſſe Richtung beſchraͤnkt, wie von Humboldt
es ſo ſchoͤn und belehrend nachweiſt *), ob davon die große Tiefe der
Meere in den Gegenden dieſes Stromes die Urſache iſt, oder ob
dieſe Tiefe durch den Strom erſt gebildet iſt, das iſt wohl nicht ganz
zu entſcheiden moͤglich. Aber merkwuͤrdig iſt, daß neben ihm dicht
an der Kuͤſte des noͤrdlichſten America bei Neu-Fundland, Neu-
Schottland, Cap Breton ein kalter Strom ſtatt zu finden ſcheint **).
Die Winde entſtehen gewiß zum Theil aus dieſer ungleichen
Waͤrme. Die Atmoſphaͤre iſt immer am Aequator mehr, als gegen
die Pole hin, erwaͤrmt, und es beſteht daher im Allgemeinen ein
Beſtreben der kalten Luft, nahe an der Erde gegen den Aequator
zuzuſtroͤmen. Dieſer auf der noͤrdlichen Halbkugel noͤrdliche Wind
geht in einen nordoͤſtlichen oder oͤſtlichen uͤber, weil die mit der Um-
drehung der Erde nach Oſten fortruͤckenden Lufttheilchen in der
Naͤhe der Pole nicht die Schnelligkeit beſitzen, wie die Oberflaͤche der
Erde am Aequator; die nach Oſten zu fortgefuͤhrten Gegenſtaͤnde
[143] auf der Erde finden daher in jener minder ſchnellen aus Norden in
ſuͤdlichere Gegenden kommenden Luft einen Widerſtand an ihrer Oſt-
ſeite, es ſcheint, als wuͤrden ſie von einem aus Oſten herandringen-
den Strome getroffen, und da auf dieſe Weiſe ein wirklich von Nor-
den kommender Luftſtrom ſich mit dieſer relativen Bewegung der
Lufttheilchen gegen die Oſtſeite der Gegenſtaͤnde auf der Erde ver-
bindet, ſo entſteht ein nordoͤſtlicher oder oſtnordoͤſtlicher Wind, wie
wir ihn in den verſchiedenen Gegenden der noͤrdlichen Halbkugel fin-
den. Auch in unſern Gegenden iſt dieſer nordoͤſtliche Wind, der ſich
bei heiterm Wetter immer einfindet, eine Folge dieſer ungleichen
Erwaͤrmung, und daß er dieſes iſt, zeigt ſich beſonders darin, daß er
in den Jahreszeiten am meiſten herrſcht, wo der Unterſchied der
Temperatur in den noͤrdlichen Gegenden und in der Mitte der ge-
maͤßigten Zone am groͤßeſten iſt. Wenn man die mittlere Waͤrme,
die zu beſtimmter Jahreszeit in Mannheim und in Petersburg ſtatt
findet, vergleicht, ſo findet man, daß ſie nie mehr, als im Anfange
des Maͤrz, verſchieden iſt, und daß dann der mittlere Unterſchied,
nach den Beobachtungen mehrerer Jahre, auf 12 Grade des Reau-
mur'ſchen Thermometers geht; im Januar und im Anfange des
Februar betraͤgt dieſer Unterſchied nur etwa 9 Grade, im April etwa
6 Grade, in den Herbſtmonaten nur 4 bis 5 Grade, im Juli und
im Anfange des Auguſt kaum 2 Grade; und ganz dieſen Unter-
ſchieden angemeſſen, ſind die drei letzten Wintermonate weit mehr,
als die erſtern, durch kalte Nordoſtwinde ausgezeichnet; der Maͤrz
beſonders bringt in ſeinem erſten Drittel faſt immer noch groͤßere
Kaͤlte, als der Hoͤhe der Sonne gemaͤß ſcheint, und ſein kalter aus-
trocknender Nordoſtwind iſt uns empfindlicher, als er ſelbſt im Win-
ter zu ſein pflegt. Im Sommer dagegen zeigt ſich wenig Neigung
zum vorherrſchenden Nordoſtwinde, ſondern der Weſtwind herrſcht,
weil die Erwaͤrmung groͤßer iſt uͤber dem feſten Lande, als uͤber
dem Atlantiſchen Meere. Warum jener Nordoſtwind zugleich aus-
trocknend iſt, und heitern Himmel macht, das gehoͤrt mehr in die
Lehre von der Waͤrme und von den Daͤmpfen, und ich will hier nur
obenhin bemerken, daß in den Phaͤnomenen der Wolken zuweilen
ein oberer warmer Luftſtrom kenntlich zu werden ſcheint, waͤhrend
unten dieſer kalte Luftſtrom ſtatt findet, wenigſtens hat die Behaup-
tung viel fuͤr ſich, daß die Schaͤfchenwolken im Fruͤhling, bei anhal-
[144] tendem kalten Nordoſtwinde und heiterm Himmel, darum Vorbo-
ten warmer Witterung ſind, weil ſie anzeigen, daß der in großer
Hoͤhe vermuthlich immer im Winter ſtatt findende warme ſuͤdliche
Strom anfange, das Uebergewicht zu erlangen und zu niedrigeren
Gegenden herabzukommen *).
Die wechſelnden Seewinde und Landwinde in den heißern Ge-
genden der Erde erklaͤren ſich auch hieraus, indem am Tage in der
heißeſten Zeit die uͤber dem Meere weniger erwaͤrmte Luft in den un-
tern Gegenden dem feſten Lande zu ſtroͤmt, ſtatt daß waͤhrend der
Nacht die uͤber dem Lande zu einer tiefern Temperatur abgekuͤhlte
Luft ſich nach dem Meere zu ergießt, wo die Luft waͤhrend der Nacht
waͤrmer bleibt.
Wiefern die bei Gewittern oft ploͤtzlich entſtehenden ſehr kalten
Winde, die von der Gegend des Gewitters ausgehen, hieher gehoͤ-
ren, iſt wohl noch nicht vollkommen aufgeklaͤrt; es ſcheint aber, als
ob eine durch uns nicht genau bekannte Urſachen erzeugte Kaͤlte, die
ja ſogar große Hagelmaſſen zum Gefrieren bringt, die Luft in der
Gegend der Wolke ſo ſehr abkuͤhlt, daß ſie als ſchwerer ſich durch die
umgebende waͤrmere Luft herabſtuͤrzt, und nach den eben angegebnen
Geſetzen ſeitwaͤrts fließt. Einige andre meteorologiſche Phaͤnomene,
die auf aͤhnlichen Urſachen beruhen, muß ich uͤbergehen, um nicht
zu weit von dem Hauptgegenſtande abzuſchweifen.
Elfte Vorleſung.
Auffallende Erſcheinungen des Waſſerdruckes.
Die Beſtimmung des von fluͤſſigen Koͤrpern ausgeuͤbten
Druckes, m. h. H., bietet uns uͤber manche ſchwierig ſcheinende
Fragen und uͤber manche unerwartete Erſcheinungen Aufſchluͤſſe dar,
[145] und ich zweifle nicht, daß Sie die Gegenſtaͤnde, die ich noch, als mit
jener Beſtimmung in Verbindung ſtehend, vorzutragen habe, Ihrer
Aufmerkſamkeit werth finden werden.
Zu den auffallenden Erſcheinungen, die man als hydroſtatiſche
Paradoxen anzufuͤhren pflegt, gehoͤrt zuerſt die, daß der Druck,
welchen der Boden eines mit Waſſer gefuͤllten Gefaͤßes leidet, viel
groͤßer, als das Gewicht der ganzen Waſſermaſſe ſein kann, und
daß dennoch, auf einer Waageſchale abgewogen, nur das Gewicht
der Waſſermaſſe in Betrachtung koͤmmt. — Wenn das Gefaͤß die
Form ABCD (Fig. 83.) hat, ſo wird der Boden bei U durch die
ganze Laſt der daruͤberſtehenden Waſſerſaͤule gedruͤckt, und es iſt
wegen der Verbreitung des Druckes nach allen Seiten offenbar, daß
der ganze Boden BC in jedem Puncte ebenſo ſtark gedruͤckt wird,
alſo einen Druck leidet, der dem Gewichte des Waſſercylinders
EBCF gleich iſt. Koͤnnte man den Boden beweglich machen, und
es ſo einrichten, daß man durch ein Gegengewicht ihn, ohne erheb-
liche Reibung, erhielte, ſo wuͤrde ſich wirklich der Druck ſo groß
finden, obgleich das ganze mit Waſſer gefuͤllte feſte Gefaͤß ABCD
gewiß doch nur ſo viel wiegt, als der darin enthaltenen Maſſe ange-
meſſen iſt. Der Grund hiervon iſt leicht zu uͤberſehen. Der Theil
BG, CH des Gefaͤßes naͤmlich leidet einen Druck hinaufwaͤrts, und
dieſer hebt grade ſo viel von dem hinabwaͤrts gerichteten Drucke auf,
daß nur das wahre Gewicht der Maſſe uͤbrig bleibt. Da wo der
obere Boden eine ſolche Form, wie HI (Fig. 76.) hat, daß er
naͤmlich horizontal und mit dem horizontalen untern Boden parallel
iſt, wird HI von dem bis an AB reichenden Waſſer mit einer Ge-
walt hinaufwaͤrts gedruͤckt, die dem Gewichte der Waſſerſaͤule,
welche in BHIL Platz finden koͤnnte, gleich iſt, und der Theil des
Bodens KM wird hinabwaͤrts gedruͤckt durch eine Kraft, die dem
Gewichte der Waſſerſaͤule BKML gleich iſt; der Ueberſchuß dieſes
Druckes hinabwaͤrts iſt der Druck, den ich beim Tragen des Ge-
faͤßes nur empfinde, und dieſer iſt der Waſſermaſſe HIKM gleich.
Ganz aͤhnlich verhaͤlt es ſich auch bei jedem andern Gefaͤße (Fig. 83.)
ABCD. Hier leidet die ſchief geneigte Flaͤche ab einen groͤßern
Druck, als die horizontale Flaͤche ac, wenn ſie das Gefaͤß be-
grenzte, leiden wuͤrde, naͤmlich darum einen groͤßern Druck, weil
ab groͤßer als ac iſt, aber von dieſem ſchief gegen die Verticallinie
I. K
[146] geneigten Drucke findet ſich, bei der Zerlegung in einen verticalen
und in einen horizontalen Druck, der vertical aufwaͤrts gerichtete
genau dem Gewichte der Waſſerſaͤule deba gleich, die uͤber ab
ſtehen wuͤrde, wenn der ganze Cylinder EFCB mit Waſſer gefuͤllt
waͤre, und der Druck auf fg dem Gewichte der ganzen Waſſerſaͤule
degf gleich; beide ſtreben einander entgegen und wuͤrden das Ge-
faͤß, wenn es ſchwach genug waͤre, zerſprengen; aber wer das ganze,
hinreichend feſte Gefaͤß haͤlt, empfindet nur den aus der Differenz
beider hervorgehenden Druck, oder in Beziehung auf alle aͤhnliche
Waſſerſaͤulen geſprochen, hat er das Gewicht aller dieſer Waſſerſaͤu-
len zu tragen.
Und eben hierin liegt denn auch der Aufſchluß uͤber eine
aͤhnliche Ungleichheit im Seitendrucke. Wenn die Wand AB
(Fig. 84.) viel groͤßer als die gegenuͤberſtehende CD iſt, ſo leidet
freilich AB einen groͤßern Druck, aber der bei der Zerlegung hervor-
gehende horizontale Druck iſt ſo groß fuͤr AB als fuͤr CD, und das
Gefaͤß zeigt daher kein Beſtreben nach horizontaler Richtung fortzu-
ruͤcken, ſo lange alle Waͤnde des Gefaͤßes feſt vereinigt bleiben, oder
das Gefaͤß nicht zerſprengt wird.
Eben dieſes bisher betrachtete Paradoxon, wie man es ſo oft
genannt hat, findet ſich in vielen einzelnen Phaͤnomenen wieder.
Wenn man den weiten Schenkel AB (Fig. 85.) der Roͤhre ABCD,
deren enger Schenkel CD ſehr hoch iſt, mit Blaſe feſt zubindet und
dieſe Blaſe mit großen Gewichten beſchwert, ſo wird dennoch, nach-
dem CD bis oben gefuͤllt iſt, die Blaſe ſtark nach außen gedraͤngt
und das aufgelegte Gewicht gehoben werden, obgleich die in CD
druͤckende Waſſermenge ſehr geringe iſt. Waͤre CD ſo eng, daß ihr
Querſchnitt nur 1 Quadratzoll betruͤge, ſo faßt ſie, ſelbſt bei 10 Fuß
Hoͤhe nur etwa 5 Pfund Waſſer; iſt dagegen AB einen Quadrat-
fuß groß und das Waſſer ſteht in C 10 Fuß hoͤher als in AB, ſo
leidet die Oberflaͤche AB einen Druck von 700 Pfunden, den jene
5 Pfunde ausuͤben. Ein andrer Verſuch iſt faſt noch auffallender.
Man ſtelle das cylindriſche Gefaͤß AB (Fig. 86.) auf eine Waage-
ſchale oder verbinde es mit dem Ende des Waagebalkens AD, gieße
nur wenig Waſſer hinein und bringe alles ins Gleichgewicht. Nun
ſtelle man die Waage ſo auf, daß ſie ſich vertical unter dem ſoliden
Cylinder CD befinde, der an einem feſten Fuße E ſo befeſtigt iſt,
[147] daß man ihn herabſchrauben kann. Man ſchraube ihn ſo herab,
daß er ohne das Gefaͤß AB irgend zu beruͤhren ſich in das Waſſer
eintaucht, und dieſes alſo zu einer groͤßern Hoͤhe uͤber dem Boden
des Gefaͤßes anſteigen macht, ſo reicht nun das in der andern Schale
liegende Gewicht nicht mehr zum Gleichgewichte aus, ſondern man
muß jetzt ſo viel Gewicht auflegen, als der ganze Waſſercylinder bis
zu der Hoͤhe, wo ſich die Oberflaͤche des Waſſers befindet, wiegen
wuͤrde. Iſt alſo der ſolide Cylinder von nicht viel geringerm Durch-
meſſer, als die innere Hoͤhlung des Gefaͤßes, ſo kann man eine ge-
ringe Quantitaͤt Waſſer bis zu einer großen Hoͤhe in dieſem ſchma-
len ringfoͤrmigen Raume hinauftreiben, und den Druck auf die
Waageſchalen ſehr vermehren. Daß es hier nicht das Gewicht des
Cylinders CD iſt, welches auf die Waageſchale druͤckt, davon kann
man ſich wohl leicht uͤberzeugen, da dieſes durch den Fuß E voll-
kommen unterſtuͤtzt wird; es iſt alſo bloß der Druck auf den Boden
des Gefaͤßes, dem zwar ein Gegendruck auf den untern Boden des
ſoliden Cylinders entgegenſteht, welcher letztere aber auf die Waage-
ſchale keine Wirkung aͤußert.
Anwendungen bei Waſſerbauen und bei Maſchinen.
Der maͤchtige Druck, welchen eine hohe Waſſerſaͤule ſelbſt da
ausuͤbt, wo ſie nur ſeitwaͤrts her einen Zugang findet, iſt den Waſ-
ſerbaumeiſtern ſehr wohl bekannt, und noͤthiget ſie, die aͤußerſte
Sorgfalt anzuwenden, daß kein ſolcher Druck ſtatt finden koͤnne.
Wenn eine Schleuſe entweder das hoͤher ſtehende Waſſer eines
Stromes oder des Meeres zuruͤckhalten ſoll, oder wenn ſie zum
Durchlaſſen von Schiffen in einem Canale beſtimmt iſt, ſo muß ſie
ſehr oft an der einen Seite den Druck eines hoch ſtehenden Waſſers
ertragen, waͤhrend an der andern nur eine niedrige Waſſerſaͤule
druͤckt; haͤtte ſich nun hier unter dem Schleuſenboden AB (Fig. 87.)
ein Zugang fuͤr das Waſſer von C her gefunden, ſo wuͤrde ein
20 Fuß langer Balken AB, wenn das Waſſer in C 10 Fuß hoͤher
als in DE ſteht, mit dem Gewichte von 200 Cubicfuß Waſſer, das
iſt mit 14000 Pfunden gedruͤckt, und eine 20 Fuß breite Schleuſe
wuͤrde auf den ſaͤmmtlichen zwanzig Balken ihres Bodens einen
Druck von 280000 Pfunden auszuhalten haben, der gewiß ſehr
wohl den Schleuſenboden hinaufwaͤrts draͤngen koͤnnte. Man ver-
K 2
[148] wahrt aus dieſem Grunde den Boden unter den Schleuſenthuͤren
mit ſehr ſorgfaͤltig in einander genutheten Pfaͤlen AG, damit kein
Waſſer unter AB eindringe. Die Schiffsdocken, in welche die
großen Schiffe, auf hinreichend tiefem Waſſer einfahrend, einge-
laſſen werden, und die dann, nachdem die Thuͤren feſt verſchloſſen
und waſſerdicht gemacht worden, vom Waſſer befreiet werden, da-
mit an den trocken gelegten Schiffen die Reparatur leichter vollendet
werden koͤnne, muͤſſen eben ſo gegen den Zudrang des Waſſers
unter ihren Boden geſichert ſein, da ſonſt der Boden, waͤre er auch
von den ſchwerſten Steinen, gehoben werden wuͤrde.
Dieſen maͤchtigen Druck, der ſo nachtheilig werden kann,
hat man bei der Waſſerſaͤulenmaſchine nuͤtzlich angewandt, indem
man ihn da zum Heben der Pumpenkolben in tiefen Schachten und
auf aͤhnliche Weiſe brauchte. Die weſentlichen Theile der Waſſer-
ſaͤulenmaſchine, zeigt Fig. 88. Die ſehr hohe Zuleitungsroͤhre
AB wird von oben durch zufließendes Waſſer gefuͤllt, und hat
Waſſerzufluß genug, um gefuͤllt zu bleiben, wenn auch der Hahn
C eine Zeit lang geoͤffnet wird und das Waſſer in das weite Rohr
ED einlaͤßt. Hier iſt ein in der cylindriſchen Roͤhre beweglicher
Kolben, ED, der mit dem Pumpenkolben H an einem Hebel-
arme GF, der ſich um G dreht, haͤngend, den Pumpenkolben
hebt, wenn ED ſelbſt gehoben wird. Das durch den Hahn C
eingelaſſene Waſſer hebt ED mit großer Gewalt, naͤmlich mit
einer der Oberflaͤche des Kolbens proportionalen Kraft aufwaͤrts;
aber ſobald dieſer Kolben die gehoͤrige Hoͤhe erreicht hat, dreht man
den Hahn C ſo, daß er gegen B geſchloſſen iſt, das Waſſer aus
der Roͤhre ED aber unten ausfließen laͤßt. Iſt dies geſchehen,
ſo druͤckt das Uebergewicht des Kolbens dieſen wieder herab, und
eine neue Drehung des Hahnes oͤffnet aufs neue dem Waſſer den
Zugang nach ED, um einen neuen Kolbenzug zu bewirken. Der
Hahn C hat zu dieſem Zwecke zwei gar nicht mit einander zu-
ſammen treffende Bohrungen, deren eine grade durch geht, um
die Roͤhre B mit CD zu verbinden, die andere geht von der
Seite nach unten, um, wenn ihre Oeffnung nach a gewandt iſt,
das Waſſer dort von der Seite a her auszulaſſen, waͤhrend es
in der Roͤhre AB geſperrt bleibt.
Doch nicht bloß die Faͤlle, wo eine geringe Waſſermaſſe
[149] eine ſehr große Kraft ausuͤbt, ſind merkwuͤrdig, ſondern auch
der einfache Seitendruck einer Waſſermaſſe oder Queckſilber-
maſſe giebt uns zu nuͤtzlichen Bemerkungen Anlaß. Wenn
ein hohes Gefaͤß mit einer Fluͤſſigkeit gefuͤllt iſt, ſo verdient
ſchon die Ueberlegung, ob der untere Theil der Waͤnde auch
den ſtarken Druck aushalten kann, einige Aufmerkſamkeit. Vor-
zuͤglich iſt das bei dem ſchweren Queckſilber der Fall, das bei 2
Fuß Hoͤhe auf den untern Theil der Waͤnde einen Druck von 14
Pfund auf den Quadratzoll ausuͤbt, das daher eine Glaswand
von mehreren Zollen Breite wohl zerſprengen kann, und ſich durch
jede nur irgend dem Drucke nachgebende Verbindung eine Oeff-
nung ſucht. Auch der Druck der Erde, wenn ſie gleich kein
fluͤſſiger Koͤrper iſt, gehoͤrt hierher. Waͤre naͤmlich der Raum
(Fig. 87.) CA mit Sand gefuͤllt, der durch die Wand CA zu-
ruͤckgehalten werden ſollte, ſo muß dieſe Wand den Druck des
Sandes, der abzuſchießen, ſich in einer ſchiefen Abdachung ab-
zuflaͤchen ſtrebt, zuruͤckhalten, und die Frage, wie ſtark eine
ſolche Mauer an Ufern, an Feſtungswaͤllen, u. ſ. w. ſein muß,
mit welchen Befeſtigungsmitteln man ſie gegen das Umſtuͤrzen
ſichern muß, beruht auf Ueberlegungen, die denen ganz aͤhnlich
ſind, welche man uͤber den Druck des Waſſers anſtellt.
Gleichgewicht feſter Koͤrper im Waſſer.
Aehnliche practiſche Anwendungen ließen ſich noch manche
angeben; aber es iſt Zeit, zu einem andern Gegenſtande uͤberzu-
gehen, zu den Erſcheinungen naͤmlich, welche die in Waſſer ein-
getauchten feſten Koͤrper uns darbieten. Offenbar leidet der ein-
getauchte Koͤrper, wenn er in ſeiner Stellung feſt gehalten wird,
eben den Druck, welchen er leiden wuͤrde, wenn er ein Theil des
Gefaͤßes waͤre, und dieſer Druck iſt ein hinaufwaͤrts gerichteter
und in allen Faͤllen ſo groß, als das Gewicht der Waſſermaſſe,
welche er aus der Stelle treibt. Iſt der Koͤrper ganz eingetaucht,
ſo druͤckt (Fig. 90.) das uͤber ihm befindliche Waſſer auf ſeine
obere Seite niederwaͤrts, am untern Theile hingegen wird er hin-
aufwaͤrts gedruͤckt, und da zwei einander vertical gegenuͤberſte-
hende Stuͤcke ab, cd, der Oberflaͤche, von Kraͤften gedruͤckt
werden, die den Gewichten der Waſſerſaͤulen cfab, efcd, gleich
[150] ſind, ſo iſt der Druck auf cd in Ruͤckſicht auf ſeine verticale
Wirkung genau um ſo viel uͤberwiegend uͤber den verticalen Druck
auf ab, als das Gewicht einer den Raum abcd fuͤllenden
Waſſerſaͤule angiebt. Wenn der Koͤrper nicht ganz eingetaucht
iſt, ſo iſt, ſo wie Fig. 91. allein der hebende Druck auf die
untere Flaͤche vorhanden, der in jedem kleinen Theile gh dem
Gewichte einer den Raum klgh fuͤllenden Waſſerſaͤule gleich iſt,
im Ganzen alſo ſo viel betraͤgt, als das Gewicht des Waſſers,
welches aus ſeiner Stelle gedraͤngt iſt, oder welches den Raum
LMKH ausfuͤllen wuͤrde, wenn der feſte Koͤrper dies nicht hinderte.
Hiemit ſind alle Umſtaͤnde beſtimmt, von welchen es ab-
haͤngt, ob ein feſter Koͤrper ſich im Waſſer ſchwimmend erhalten
oder unterſinken ſoll, und wie tief er ſich im erſten Falle ein-
taucht. Das Gewicht des feſten Koͤrpers wirkt jener hebenden
Kraft des Waſſers entgegen, und der Koͤrper ſinkt, wenn jenes
Gewicht mehr betraͤgt, als dieſer hebende Waſſerdruck, ſtatt daß
er im entgegengeſetzten Falle aufſteigt. Betraͤgt das Gewicht
des ganzen Koͤrpers weniger, als das Gewicht desjenigen Waſſers,
welches er, ganz untergetaucht, aus der Stelle treibt, ſo muͤſſen
wir ihn mit einiger Gewalt unter Waſſer erhalten, ſo lange
er ganz untergetaucht iſt; hat er ſich aber zum Theil uͤber die Ober-
flaͤche des Waſſers erhoben, ſo ruhet er und dies genau dann,
wenn die jetzt noch aus der Stelle getriebene Waſſermaſſe genau
ſo viel wiegt, als der ganze Koͤrper. — Die Kraft, mit welcher
der leichtere Koͤrper aufwaͤrts ſtrebt, iſt immer gleich groß, er
mag ſich in großer oder in geringer Tiefe befinden, und es iſt ein
unrichtiges Vorurtheil, daß er durch den groͤßern Druck einer
hoͤher uͤber ihm ſtehenden Waſſermaſſe mehr hinabgedruͤckt werde —
das iſt freilich der Fall, aber der heraufdraͤngende Druck iſt auch
in eben dem Maaße groͤßer.
Ehe ich zu den merkwuͤrdigen Anwendungen uͤbergehe, die
man von dieſem Verluſte an Gewicht, welchen die feſten Koͤrper
im Waſſer leiden, machen kann, muß ich einen Verſuch angeben,
welcher vollkommen deutlich die Groͤße dieſes Verluſtes an Gewicht
zeigt. Man haͤngt an dem einen Arme einer Waageſchale den
ſoliden metallenen Wuͤrfel AB, (Fig. 92.) an einem Faden haͤn-
gend, auf, und uͤber ihm iſt das cubiſche Gefaͤß CD, deſſen in-
[151] nere Hoͤhlung ganz genau durch jenen Wuͤrfel ausgefuͤllt wird,
an eben den Waagebalken befeſtigt; am andern Arme der Waage
bringt man das noͤthige Gegengewicht an, damit die Waage im
Gleichgewichte bleibe. Nun ſchraubt man das auf einem beweglichen
Fuße unter AB ſtehende Gefaͤß mit Waſſer EF hinauf, ſo daß
der Koͤrper AB anfaͤngt ſich einzutauchen, und ſogleich ſinkt die
Waageſchale G, oder es zeigt ſich, daß der Koͤrper AB beim Ein-
tauchen etwas an Gewicht verliert. Um dies auszugleichen gießt
man etwas Waſſer in das Gefaͤß CD, und faͤhrt damit, indem
das Gefaͤß EF weiter gehoben wird, ſo fort wie es das Gleichgewicht
fordert. Hat man an dem ſoliden Wuͤrfel Theilungslinien ange-
bracht, um zu ſehen, wann ein Viertel, zwei Viertel, drei Viertel
eingetaucht ſind, und zeigen eben ſolche Theilungslinien im Ge-
faͤße CD an, wie viel Waſſer man hat eingießen muͤſſen, um
das Gleichgewicht zu erhalten, ſo findet man, daß immer das
Gefaͤß grade ſo weit gefuͤllt iſt, als der Wuͤrfel ſich eingetaucht hat,
und daß der hohle Wuͤrfel ganz angefuͤllt iſt, wenn der ſolide
Wuͤrfel ganz eingetaucht iſt; — er hat alſo ſo viel an Gewicht
verlohren, als die fluͤſſige Maſſe wiegt, deren Platz er einnimmt.
Da bei Koͤrpern, welche ſich in einer Fluͤſſigkeit ſchwimmend
erhalten, der ganze Koͤrper ſo viel wiegt, als die aus der Stelle
getriebene Fluͤſſigkeit, ſo ſinkt derſelbe Koͤrper tiefer ein in einer
nicht ſo ſchweren Fluͤſſigkeit. Holz kann im Weingeiſt unterſinken,
wenn es gleich im Waſſer ſchwimmt, und auf Queckſilber dagegen
haͤlt ſich ein ſo großer Theil des Holzes uͤber der Oberflaͤche des
Queckſilbers, daß jenes faſt wie auf einem feſten Boden darauf zu
ſtehen ſcheint. Wiſſen wir daß 10 Cubicfuß Waſſer ungefehr ſo
viel wiegen als 11 Cubicfuß Eis, ſo ſchließen wir, daß ein 11 Fuß
hohes Eisprisma ſich 10 Fuß tief einſenken und nur 1 Fuß hoch
uͤber dem Waſſer bleiben wird, und darauf gruͤnden ſich die Berech-
nungen der ungeheuern Eismaſſen, die man oft in den Polarmee-
ren treibend antrifft. Parry ſah in dem merkwuͤrdigen Jahre 1817,
wo die im Norden losgeriſſenen ungeheuern Eismaſſen bis nach
Cuba, in die heiße Zone, gelangt ſein ſollen, einen 150 Fuß hohen
Eisberg auf dem Meere ſchwimmen, und dieſe Eismaſſe mußte alſo
unter dem Waſſer zehnmal ſo viel Raum ausfuͤllen, als uͤber dem
Waſſer. In den Polarmeeren kommen aͤhnliche Maſſen oft vor.
[152]
Der menſchliche Koͤrper iſt in der Regel, ſo lange er von der einge-
athmeten Luft nichts von ſich laͤßt, etwas leichter als Waſſer und
nach Robertſon's Beſtimmung *) giebt es Menſchen, die wenig
uͤber vier Fuͤnftel des Waſſers welches ſie aus der Stelle treiben,
wiegen. Die meiſten Menſchen ſinken alſo nicht ganz unter, wenn
ſie ſich ohne alle Anſtrengung den Einwirkungen der Schwere uͤber-
laſſen, aber ſorgfaͤltig ſich huͤten, ja kein Waſſer zu verſchlucken; —
im Seewaſſer, welches etwas ſchwerer als ſuͤßes Waſſer iſt, bleibt
ein noch groͤßerer Theil des Koͤrpers uͤber dem Waſſer. Daß den-
noch der Menſch ſich nur mit Muͤhe gegen das Ertrinken ſichert,
ruͤhrt theils davon her, daß er nicht ganz im Stande iſt, das Ein-
dringen des Waſſers durch Mund und Naſe, wenn dieſe einmal
untergetaucht ſind, zu hindern, und daß Mangel an Geiſtesgegen-
wart ihn oft unfaͤhig macht, das Einſchlucken von Waſſer, dem er
widerſtehen koͤnnte, zu wehren, theils iſt es Folge nachtheiliger Be-
muͤhungen, wozu Mangel an Ueberlegung und Mangel an richtiger
Einſicht ihn antreibt. Wir ſtrecken gern unſre Arme nach Huͤlfe
aus, und ſo glaubt auch der ins Waſſer Gefallene die Arme hervor-
ſtrecken zu muͤſſen; aber da immer nur ein geringer Theil (bei den
meiſten Menſchen lange kein Zehntel) des Koͤrpers außer dem Waſ-
ſer bleiben kann, ſo ſinkt unfehlbar der Kopf ins Waſſer, wenn man
die Arme herausſtreckt, und jedes Hervorheben eines andern Theiles
vergroͤßert die Gefahr des Ertrinkens. Hierin liegt ein Grund,
warum bei ploͤtzlichen Ueberſchwemmungen zuweilen Kinder lebend
ans Land geſchwemmt werden, waͤhrend Erwachſene, die ſich zu
helfen ſuchen, umkommen; jene naͤmlich ſchaden ſich wenigſtens
nicht durch unrichtige, in der Angſt angewandte Rettungsmittel.
Nicholſon erzaͤhlt, daß man einen ins Meer gefallenen Matroſen,
der nicht ſchwimmen konnte, und dem man erſt nach einiger Zeit,
nach Vorbereitung des Bootes, zu Huͤlfe kommen konnte, einzig
dadurch gerettet habe, daß man ihm von Zeit zu Zeit mit dem
Sprachrohre zurief, die Haͤnde unter Waſſer zu halten. — Hierin
alſo beſteht der Theil der Schwimmkunſt, der bloß das Schwim-
mend-Erhalten, das Vermeiden, daß der Koͤrper nicht durch einge-
ſchlucktes Waſſer ſchwerer als Waſſer werde, betrifft. Der zweite
[153] Theil der Schwimmkunſt, ſich durch angemeſſene Bewegungen theils
im Waſſer fortzurudern, theils, indem man hinabwaͤrts ſtoͤßt,
einen groͤßern Theil des Koͤrpers hervorzuheben, als ohne dieſe An-
ſtrengung ſtatt faͤnde, gehoͤrt nicht eigentlich hieher, indeß laͤßt ſich
doch uͤberſehen, daß Bewegungen des Koͤrpers, bei welchen man das
Waſſer ſo trifft, wie das Ruder beim Fortrudern des Schiffes, den
menſchlichen Koͤrper nach der entgegengeſetzten Richtung, alſo ſelbſt
auch aufwaͤrts zu bewegen, dienen.
Wie die leichten Koͤrper, die man als Schwimmguͤrtel oder auf
andre Weiſe am Koͤrper befeſtigt, dienen, um den Koͤrper hoͤher
uͤber dem Waſſer zu erhalten, habe ich nicht noͤthig zu erwaͤhnen;
auf die richtige Weiſe angebracht, geben ſie zugleich ein Mittel, den
obern Theil des Koͤrpers ſicher uͤber dem Waſſer zu erhalten, ſtatt
daß es ſonſt mehr dem Zufalle uͤberlaſſen bleibt, ob Arme, Bruſt
oder Kopf aus dem Waſſer hervorragen.
Da ich den wichtigſten Theil der hieher gehoͤrigen Anwendun-
gen fuͤr die naͤchſte Vorleſung aufſparen muß, ſo will ich heute nur
noch einige Erfahrungen kurz anfuͤhren, die mit dem bisher Ange-
gebnen in Verbindung ſtehen. Die eine betrifft das Heben ſchwerer
Maſſen unter dem Waſſer und das Hervorheben derſelben aus dem
Waſſer. Wenn ein Mann, der nur 150 Pfunde zu heben im
Stande iſt, eine Granitmaſſe von 250 Pfunden, die im Waſſer
liegt, heraufzuziehen verſucht, ſo wird er ſich dazu im Stande fuͤh-
len, weil dieſe Granitmaſſe ungefehr im Waſſer 100 Pfund an
Gewicht verliert; aber ſobald ſie uͤber die Oberflaͤche hervorgehoben
wird, ſcheint ſie ſchwerer zu werden, und jeder Verſuch, ſie bedeu-
tend aus dem Waſſer hervorzuheben, wuͤrde ihm mislingen. Eine
andre Erfahrung betrifft die ungleiche Tiefe, zu welcher Schiffe ſich
im Meerwaſſer und im ſuͤßen Waſſer einſenken. Es giebt Hand-
lungsgegenſtaͤnde, die man beim Ankommen nicht wohl abwaͤgen
kann, zum Beiſpiel Steinkohlen; — bei einer Ladung dieſer Art,
wenn naͤmlich das ganze Schiff keine andre Befrachtung enthaͤlt, iſt
es uͤblich, daß das Schiff bis auf ſeine Marke geladen wird, das
heißt, ſo daß es bis an gewiſſe eingebrannte Merkmale im Waſſer
eingeſenkt iſt, und nach dem ein fuͤr alle Mal ausgewognen Inhalte
des Schiffes kennt man die Anzahl von Tonnen oder Laſten, die
dazu erforderlich ſind. Iſt nun die Beladung auf ſuͤßem Waſſer
[154] geſchehen, und hat der Schiffer ſeine Ladung in einem Seehafen,
auf ſalzigem Waſſer, abzuliefern, ſo findet das Schiff ſich nicht mehr
auf ſeine Marke geladen, weil das ſchwerere Seewaſſer nicht in ſo
großer Menge, als das leichtere Flußwaſſer aus der Stelle getrieben
zu werden braucht, um eben ſo viel als das Schiff mit ſeiner Ladung
zu wiegen; — der Empfaͤnger der Ladung muß alſo zu beurtheilen
wiſſen, wie viel dieſer Unterſchied betragen darf.
Zu einem belehrenden, gleichfalls hieher gehoͤrenden Experi-
mente giebt die geringe Aenderung Anlaß, welche die Dichtigkeit
oder das ſpecifiſche Gewicht des Waſſers bei veraͤnderter Waͤrme lei-
det. Wenn man hohle, ringsum verſchloſſene Glaskoͤrper ſo aus-
waͤhlt, daß ſie beinahe genau eben ſo ſchwer als Waſſer ſind, doch
aber auf kaltem Waſſer ſich alle ſchwimmend erhalten, ſo ſieht man
bei einiger Erwaͤrmung des Waſſers zuerſt die, welche am wenigſten
leicht ſind, hinabſinken, und nach und nach bei ſteigender Erwaͤr-
mung einen dieſer Koͤrper nach dem andern untergehen. Da ſie
naͤmlich alle ſo gewaͤhlt ſind, daß ſie nur mit geringem Uebergewichte
des Druckes aus dem Waſſer hervorgehoben werden, ſo braucht das
durch die Erwaͤrmung ſich ausdehnende, leichter werdende Waſſer,
nur wenig waͤrmer zu werden, um ſchon nicht mehr den zum Tragen
der Koͤrperchen erforderlichen Gegendruck auszuuͤben. — Wenn man
keine Koͤrperchen beſitzt, die nahe genug das ſpecifiſche Gewicht des
Waſſers beſitzen, um ſchon bei der Erwaͤrmung unterzuſinken, ſo
kann man durch Beimiſchung von Weingeiſt zum Waſſer ihr Unter-
ſinken bewirken, doch dann gehoͤrt das Experiment mehr in die Lehre
vom Araͤometer.
Zwoͤlfte Vorleſung.
Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes.
Schon neulich habe ich, m. h. H., oͤfters das ungleiche ſpecifi-
ſche Gewicht der Koͤrper erwaͤhnt, ohne mich vollſtaͤndig uͤber die
Art, wie man es beſtimmt, zu erklaͤren. Wir ſagen von einem
Koͤrper, er habe ein doppelt ſo großes ſpecifiſches Gewicht, als ein
[155] andrer Koͤrper, wenn er bei gleichem Volumen, bei gleicher koͤrper-
licher Groͤße, ein doppelt ſo großes abſolutes Gewicht, als jener
zweite, hat. Ein Pariſer Cubicfuß Waſſer, das nahe an der zum
Gefrieren noͤthigen Kaͤlte iſt, wiegt 70,014 franz. Pfunde, ein Pa-
riſer Cubicfuß Queckſilber wiegt bei eben der Waͤrme 953,522 franz.
Pfunde; das letztere iſt alſo 13,619mal, etwas mehr als 13½mal
ſo ſchwer an ſich als Waſſer, und auf aͤhnliche Weiſe faͤnde die Ver-
gleichung in allen Faͤllen ſtatt. Man pflegt zur Vergleichung der
ſpecifiſchen Gewichte immer das reine deſtillirte Waſſer zum Grunde
zu legen, und dabei beſonders zu bemerken, fuͤr welche Waͤrme die
Angaben eingerichtet ſind; wir wollen hier immer die Gefrierkaͤlte
des Waſſers als diejenige anſehen, worauf ſich die Angaben beziehen,
und alſo nur kurz ſagen, das ſpecifiſche Gewicht des gehaͤmmerten
Platins ſei = 21,314, anſtatt umſtaͤndlich anzugeben, daß es
21\frac{314}{1000}mal ſo ſchwer als Waſſer iſt.
Um dieſes ſpecifiſche Gewicht, deſſen genaue Kenntniß wir oft
beduͤrfen, zu beſtimmen, ſind die Mittel verſchieden, je nachdem
man es fuͤr feſte Koͤrper, fuͤr fluͤſſige Koͤrper, fuͤr Koͤrper, die ge-
pulvert ſind u. ſ. w. finden will. Feſte Koͤrper kann man am beſten
an einer feinen Waage abwaͤgen, und beſtimmt den Gewichtverluſt,
den ſie in reinem Waſſer leiden. Das Verfahren iſt ſehr einfach,
fordert aber doch, um genau zu ſein, ſehr viele Vorſichtsregeln.
Bei dem gewoͤhnlichen Abwaͤgen in der Luft iſt außer der Sorgfalt,
mit welcher ſelbſt kleine Gewichtstheile, Theile von Granen, ange-
geben werden muͤſſen, wenig zu bemerken; aber wenn man nun den
Koͤrper in das Waſſer eintaucht, ſo muß man die Temperatur des
Waſſers und des Koͤrpers genau kennen, man muß vollkommen
reines Waſſer nehmen, man muß aufs ſorgfaͤltigſte jedes Anhaͤngen
von Luftblaͤschen vermeiden, und von dem moͤglichſt feinen Faden
oder Haare, woran der Koͤrper haͤngt, nur ſo viel als grade noͤthig
iſt, mit in das Waſſer eintauchen und den Gewichtverluſt dieſes
Theiles in Rechnung bringen. Das Gewicht, um welches jetzt das
vorhin erforderliche Gegengewicht vermindert werden muß, giebt an,
wie viel ein dem Koͤrper gleiches Volumen desjenigen Waſſers, deſſen
man ſich bedient, wiegt, und da man durch genaue Verſuche die
Ausdehnung des Waſſers bei ungleichen Waͤrmegraden kennt, ſo
laͤßt ſich aus dem Gewichte des angewandten Waſſers leicht das
[156] Gewicht des auf 0° abgekuͤhlten Waſſers, das eben den Raum ein-
naͤhme, finden. Das Anhaͤngen von Luftblaͤschen muß man ver-
huͤten, denn da auch ſie Waſſer aus der Stelle treiben wuͤrden, ſo
erhielte man eine groͤßere Verminderung des Gewichtes, als man
eigentlich erhalten ſollte.
Wenn der feſte Koͤrper, den man abwaͤgen will, leichter als
Waſſer iſt, ſo verbindet man ihn mit einem ſchwerern, damit er ſich
ganz eintauche. Man koͤnnte ſtatt des vorhin betrachteten Koͤrpers
an der Waage ein Eimerchen von Glas oder Metall aufhaͤngen,
und nun nicht bloß das Gewicht dieſes Gefaͤßes, ſondern auch ſeinen
Gewichtsverluſt im Waſſer beſtimmen; wird dann ein Stuͤck Kork
oder ein andrer leichter Koͤrper in das Eimerchen gelegt und darin,
etwa durch einen durchloͤcherten Deckel des Eimers, feſtgehalten, ſo
findet man das Gewicht des in der Luft und des im Waſſer abge-
wognen Korkes. Um ein Beiſpiel zu geben, wiege das Gefaͤßchen
von Glas, deſſen Drathdeckel den hineingelegten Koͤrper feſthaͤlt, in
der Luft 350 Gran, im Waſſer 250 Gran; man lege ein Stuͤck
Kork hinein, das 50 Gran wiegt, ſo daß das Eimerchen mit dem
Korke trocken in der Luft ein Gewicht von 400 Gran hat, ſo wird man
das mit dem Kork in Waſſer eingetauchte Gefaͤß nur etwa 100 Gran
wiegend finden, und ſagen, von den 300 Granen Gewichtsverluſt
kommen 100 auf das Gefaͤß, alſo 200 auf das Stuͤck Kork, oder
das vom Kork aus der Stelle getriebene Waſſer iſt 200 Gran
ſchwer, 4mal ſo ſchwer als das Korkſtuͤck, deſſen ſpecifiſches Gewicht
man alſo auf 0,25 oder auf ¼ ſetzen wuͤrde.
Eben dieſes Verfahren dient nun auch, das abſolute Gewicht
eines Cubiczolles eines fluͤſſigen Koͤrpers zu finden. Es iſt zwar
offenbar, daß man dieſes auch dadurch, daß man ein ſeinem innern
Raume nach genau ausgemeſſenes Gefaͤß mit dem Fluͤſſigen fuͤllte,
finden kann, indem die Abwaͤgung dann unmittelbar das ergaͤbe,
was man zu finden verlangt; aber es iſt bei Waſſer und bei allen
fluͤſſigen Materien gar nicht leicht, ein Gefaͤß ſo damit zu fuͤllen,
daß dieſe Materie genau, im ſtrengſten Sinne bis an den Rand
reiche, indem ſie leicht geneigt iſt, eine gewoͤlbte oder eine hohle
Oberflaͤche zu bilden. Man bedient ſich daher lieber eines mit großer
Sorgfalt aus Metall gearbeiteten ſoliden Cubiczolles, den man in
der Luft und dann im Waſſer abwiegt; das Gewicht, welches er
[157] im Waſſer verliert, zeigt genau an, wie viel Grane und Theile von
Granen ein Cubiczoll Waſſer mehr wiegt, als ein Cubiczoll Luft.
Ich brauche wohl nicht umſtaͤndlich zu zeigen, daß der in Luft einge-
tauchte, von Luft umgebene Koͤrper etwas weniger wiegt, als er im
luftleeren Raume wiegen wuͤrde, — der Druck der Luft bringt
ebenſo, wie der Druck des Waſſers einen, wenn gleich wegen der
geringen Dichtigkeit der Luft nur kleinen Gewichtsverluſt hervor,
und auf dieſen ſollten wir immer Ruͤckſicht nehmen, wenn wir das
Gewicht eines Koͤrpers genau angeben wollen. Wenn wir auf dieſe
Weiſe das Gewicht eines Cubiczolles Waſſer ganz genau beſtimmen
wollen, ſo muͤſſen wir aber nicht vergeſſen, daß jener Cubiczoll nicht
bei jeder Waͤrme ein genauer Cubiczoll bleibt, ſondern bei ſteigender
Erwaͤrmung etwas groͤßer wird, wir duͤrfen nicht vergeſſen, daß das
Gewicht eines Cubiczolles Waſſer nicht immer gleich iſt, ſondern
daß die Dichtigkeit des Waſſers ſich vom Gefrierpuncte bis in die
Naͤhe des Siedepunctes um mehr als \frac{1}{25} aͤndert, und daher ein
Pariſer Cubiczoll Waſſer bei 0° Waͤrme 373,4 franzoͤſiſche Grains,
bei 80° Reaum. kaum noch 358 Grains wiegt.
Da es hier nicht meine Abſicht ſein kann, Ihnen Anleitung
zu genauen Verſuchen zu geben, ſo wird die eben gegebne Andeutung
deſſen, was zu ſo genauen Verſuchen erforderlich waͤre, wohl mehr
als zureichend ſein, und ich fuͤge uͤber das durch Abwaͤgung zu be-
ſtimmende Gewicht andrer fluͤſſiger Koͤrper nur noch das hinzu, daß
man aus dem Gewichtsverluſte in Weingeiſt, in Oel, in Schwefel-
ſaͤure, die ſpecifiſchen Gewichte dieſer Koͤrper in Vergleichung gegen
die des Waſſers kennen lernen kann. Der in ſo verſchiedenen Fluͤſ-
ſigkeiten abzuwaͤgende Koͤrper muß freilich von allen dieſen Fluͤſſig-
keiten nicht angegriffen werden. — Um das ſpecifiſche Gewicht des
Queckſilbers zu finden, iſt es am beſten, es in das oben erwaͤhnte
Eimerchen zu thun, und im Waſſer abgewogen, ſo wie einen feſten
Koͤrper zu behandeln.
Araͤometer.
Eine zweite Art, das ſpecifiſche Gewicht feſter ſowohl als fluͤſſi-
ger Koͤrper zu beſtimmen, geben uns die Araͤometer oder Senk-
waagen. Schwimmende Koͤrper tauchen ſich, wie ich ſchon erwaͤhnt
habe, in einer leichtern Fluͤſſigkeit tiefer ein, und wenn man dem
[158] ſchwimmenden Koͤrper eine ſolche Geſtalt, wie ABC (Fig. 93.) giebt,
ſo iſt dieſe Verſchiedenheit des eingetauchten Volumens an dem duͤn-
nen Halſe des Koͤrpers, der nun ein Araͤometer heißt, ſehr merklich.
Wenn man zum Beiſpiel den Theil A 400 Cubiclinien groß machte,
und der cylindriſche Theil BC haͤtte eine Quadratlinie Querſchnitt,
ſo wuͤrde der Koͤrper ſich um 4 Linien tiefer eintauchen, wenn man
ihn in eine um nur ein Hunderttel weniger dichte Fluͤſſigkeit braͤchte.
So ſind dieſe Araͤometer ſelbſt dem oberflaͤchlichen Beobachter brauch-
bar, der mit einem ſchnellen Blicke ſehen will, ob der Weingeiſt,
welchen er eben vor ſich hat, mehr oder weniger Waſſer enthalte,
ob die Salzſohle mehr oder weniger mit Salz geſaͤttigt ſei u. ſ. w.
Aber auch zu den aller genaueſten Verſuchen ſind die Araͤometer
tauglich.
Obgleich die Araͤometer auf ſehr mannigfaltige Art eingerichtet
ſind, ſo beſteht doch ihre Hauptverſchiedenheit nur darin, daß ſie
entweder ganz unveraͤndert in jede gegebne Fluͤſſigkeit eingetaucht
werden, wo ſie ſich dann bis zu ungleichen Tiefen einſenken, oder
daß ſie bald mit mehr bald mit weniger aufgelegten Gewichten be-
ſchwert, und dadurch in jeder Fluͤſſigkeit bis zu gleicher Tiefe einge-
ſenkt werden. Die erſte Art von Araͤometern gewaͤhrt die Annehm-
lichkeit, an der an BC angebrachten Scale ſogleich das zu leſen,
was man zu wiſſen verlangt. Sie ſind entweder allgemein auf alle
Arten von Fluͤſſigkeiten eingerichtet, und dann giebt die Scale an,
wie groß das ſpecifiſche Gewicht des Fluͤſſigen, wo die Eintauchung
bis zu einem gewiſſen Puncte geht, in Vergleichung gegen die des
Waſſers ſei, oder ſie ſind fuͤr Salzſohlen ins beſondere oder fuͤr
Miſchungen von Weingeiſt und Waſſer ſo eingerichtet, daß ſie ſo-
gleich zeigen, wie viel Theile Salz, oder wie viel Theile Weingeiſt
ſich in dem Waſſer befinden. Die mit Scalen verſehenen Araͤome-
ter wuͤrden unbequem werden, wenn ein einziges Araͤometer fuͤr
alle fluͤſſige Koͤrper brauchbar ſein ſollte; man pflegt daher mehrere,
die eine regelmaͤßige Folge bilden, zu verfertigen, ſo daß bei dem
erſten derſelben die Kugel A mit etwas mehr Gewicht, mit Queck-
ſilber oder mit Bleikuͤgelchen, belaſtet iſt, damit es in den ſchwer-
ſten Fluͤſſigkeiten, zum Beiſpiel in Schwefelſaͤure, die beinahe dop-
pelt ſo ſchwer, als Waſſer iſt, nur etwa bis B einſinke; das letzte
dagegen muͤßte mit ſo wenig Gewicht belaſtet ſein, daß es ſelbſt im
[159] ſtaͤrkſten Schwefelaͤther, der kaum drei Viertel von der ſpecifiſchen
Schwere des Waſſers hat, nicht ganz unterſinke. Wird das erſte
in ſehr concentrirte Schwefelſaͤure getaucht, ſo ſchwimmt es hoch,
nur bis D eingetaucht; in einer Fluͤſſigkeit, die anderthalbmal ſo
ſchwer als Waſſer iſt, ſinkt es faſt ganz unter, und weiter erſtreckt
ſich ſeine Brauchbarkeit nicht. Das zweite dagegen iſt ſo belaſtet,
daß es in eben dieſer Fluͤſſigkeit etwa bis B ſinkt, und alſo da
brauchbar zu werden anfaͤngt, wo jenes aufhoͤrte. Man muß bei
dem Gebrauche dieſer Araͤometer nicht vergeſſen, darauf zu achten,
fuͤr welchen Waͤrmegrad der Kuͤnſtler ſie eingerichtet hat, und da
das gewoͤhnlich ein mittlerer Waͤrmegrad, etwa 10 Gr. Reaum.,
zu ſein pflegt, ſo iſt es am beſten die fluͤſſigen Koͤrper, die man pruͤ-
fen will, ſo wie das Araͤometer ſelbſt, ungefehr bis zu dieſem Waͤr-
megrade zu bringen, damit man nicht erſt einer Correction be-
duͤrfe; — bei recht genauen Verſuchen wird man jedoch dieſe Cor-
rection dennoch nicht ganz vermeiden koͤnnen.
Wenn es auf ſehr genaue Verſuche ankoͤmmt, ſo ſind dieſe
Araͤometer deswegen nicht zu empfehlen, weil theils nicht mit abſo-
luter Sicherheit auf die ſtrenge Richtigkeit ihrer Scale zu bauen iſt,
theils immer eine kleine Unſicherheit uͤber die Tiefe der Einſenkung
bleibt, indem Waſſer und andre Fluͤſſigkeiten ſich am Glaſe hinauf-
ziehen und uns nicht geſtatten, den eigentlichen Punct, bis zu wel-
chem der Koͤrper eingeſunken iſt, als ganz ſtrenge beſtimmt anzu-
ſehen. Die mit Gewichten beſchwerten Senkwaagen dagegen ſind
eines ſehr hohen Grades von Genauigkeit empfaͤnglich.
Das Nicholſon'ſche Araͤometer hat folgende Einrichtung,
die ich, ſtatt aller andern, naͤher beſchreiben will, AB (Fig. 94.) iſt
ein hohler Koͤrper von Meſſing, mit welchem das hinreichend ſchwere
Gefaͤß C ſo verbunden iſt, daß der cylindriſche Theil des Koͤrpers
AB ſich im Schwimmen genau vertical haͤlt. Auf jenem Koͤrper
befindet ſich, mit der verlaͤngerten Axe des Cylinders zuſammenfal-
lend, ein ſehr duͤnner grader Stift bc, ſtark genug, um die, immer
nur maͤßigen Belaſtungen, die man auf die Schale E auflegt, zu
tragen. Man kann dieſes Araͤometer erſtlich brauchen, um das
abſolute Gewicht irgend eines nicht zu ſchweren Koͤrpers zu finden,
wenn man keine hinreichend genaue Waage beſitzt, man kann zwei-
[160] tens das ſpecifiſche Gewicht feſter Koͤrper, und endlich auch drittens
das ſpecifiſche Gewicht fluͤſſiger Koͤrper durch ſeine Huͤlfe beſtimmen.
Das Gewicht aller eben beſchriebenen Theile des Araͤometers
iſt ſo gewaͤhlt, daß der Koͤrper AB in Waſſer ſchwimmend noch
ziemlich weit uͤber dem Waſſer hervorragt, damit man ein erhebli-
ches Gewicht zulegen muͤſſe, um das Araͤometer bis an das auf dem
feinen Stifte aufgezeichnete Merkmal a einzuſenken. Ich will an-
nehmen, dies waͤren 1600 Gran, ſo wird man, um einen Koͤrper
genau abzuwaͤgen, dieſen auf die Schale E auflegen und ſo viele
Gewichte zulegen, als noch noͤthig ſind, um das Einſenken bis an
a zu bewirken. Faͤnde man dieſe noch noͤthige Zulage = 629,27
Gran, ſo woͤge der aufgelegte Koͤrper 970,73 Gran. Man darf
aber in der That hoffen, dieſes Gewicht bis auf kleine Theile eines
Granes richtig zu beſtimmen; denn da der Stift nur etwa ¼ Linie
dick, ſein Querſchnitt nur ungefehr \frac{1}{20} Quadratlinie iſt, ſo ſenkt er
ſich um ¼ Linie ein, wenn das Gewicht von \frac{1}{80} Cubiclinie Waſſer
zugelegt wird, und dieſes Gewicht betraͤgt nur drittehalb Tauſendtel
eines Granes.
Mit gleicher Genauigkeit findet man das ſpecifiſche Ge-
wicht des feſten Koͤrpers, wenn er nur im Waſſer nicht aufgeloͤſt
wird oder ſonſt eine Aenderung leidet. Nachdem man ihn naͤmlich
auf der Schale E liegend abgewogen hat, bringt man ihn in das
untere Gefaͤß C, und ſieht nun, wie viele Gewichtstheile man
oben noch zulegen muß. Bleibe ich bei meinem vorigen Beiſpiele,
wo oben 629,27 Gran zugelegt waren, ſo wird, wenn man den
Koͤrper unten hinlegt, dieſes Gewicht nicht mehr zureichen, weil
er im Waſſer ſoviel weniger wiegt, als er Waſſer aus der Stelle
treibt; man legt alſo Gewichte nach, und wenn zum Beiſpiel
80,89 Gran noͤthig ſind, ſo ſagt man der Koͤrper wog 970,73,
ebenſo viel Waſſer dem Volumen nach wiegt 80,89, da dies
genau der zwoͤlfte Theil von jenem iſt, ſo hat der Koͤrper ein
zwoͤlfmal ſo großes ſpecifiſches Gewicht als das Waſſer, deſſen wir
uns eben bedienen. Iſt dieſes Waſſer waͤrmer, als dasjenige, auf
deſſen Dichtigkeit unſre Tafeln alle ſpecifiſchen Gewichte zu beziehen
pflegen, ſo bedarf dieſe Angabe einer kleinen Verbeſſerung, ſo wie
es denn uͤberhaupt erhellt, daß man auch hier auf die Waͤrme
des Waſſers und des eingetauchten Koͤrpers aufs ſorgfaͤltigſte Ruͤck-
[161] ſicht nehmen muß, wenn die Angaben auf die hier erforderliche
und hier zu erreichende Genauigkeit ſollen Anſpruch machen koͤnnen.
Um endlich das ſpecifiſche Gewicht andrer fluͤſſiger Koͤrper
mit dem des Waſſers zu vergleichen, kann man folgendes Ver-
fahren anwenden. Man waͤget den ganz a Koͤrper des Aerome-
ters mit dem Gefaͤße C und dem Schaͤlchen E ſehr ſorgfaͤltig ab,
und weiß damit, wieviel das Waſſer wiegt, welches bei der Ein-
ſenkung bis an a aus der Stelle getrieben wird; dieſes wiegt
naͤmlich ſo viel, als dieſer ganze Koͤrper und in unſerm Exempel
noch 1600 Grane mehr, die zugelegt werden muͤſſen, um die
ganze Einſenkung hervorzubringen. Bringen wir hierauf das In-
ſtrument in Weingeiſt, ſo bedarf es eines geringern Gewichtes,
um bis zu dem Puncte a hinabgedruͤckt zu werden, ja wenn das
ganze Inſtrument allein 6400 Gran woͤge, ſo wuͤrde es in einem
Alkohol, der nur ⅘ des Waſſers wiegt, ſich ohne alles zugelegtes
Gewicht voͤllig bis zu dem Merkmale einſenken, und eben deshalb
fuͤr Aether und andre Fluͤſſigkeiten, die leichter als Alkohol ſind,
nicht mehr brauchbar ſein.
So vollkommen aber die Beſtimmungen auch ſind, die man
auf dieſem Wege erhalten kann, ſo bleiben doch einige Faͤlle uͤbrig,
die große Schwierigkeiten darbieten. Dahin gehoͤren die, wo pul-
verartige Koͤrper, die in Fluͤſſigkeiten entweder aufgeloͤſt werden,
oder ſich zum Theil zerſtreuen, oder ſonſt auf irgend eine Weiſe
ſich mit ihnen miſchen, zu unterſuchen ſind. Fuͤr dieſe hat Les-
lie ein Inſtrument zu Beſtimmung des ſpecifiſchen Gewichtes
angegeben, deſſen Einrichtung ich aber erſt da werde erklaͤren koͤn-
nen, wo vom Barometer und der Elaſticitaͤt der Luft die Rede
ſein wird. Ich gehe daher jetzt zu dem letzten Gegenſtande der
Hydroſtatik, zu der Frage, in welcher Stellung ein Koͤrper ſich
ſchwimmend erhaͤlt, und was man beachten muß, um ihm ein
ſicheres Gleichgewicht zu geben, uͤber.
Gleichgewichtsſtellung ſchwimmender Koͤrper.
Obgleich jeder Koͤrper, der ſpecifiſch leichter iſt, als Waſſer,
ſich gewiß, ohne unterzuſinken, auf der Oberflaͤche des Waſſers
erhaͤlt, ſo kann er doch offenbar nur dann die ihm gegebne Stel-
lung behalten, wenn erſtlich ein ſolcher Theil eingetaucht iſt, der
I. L
[162] ebenſoviel Waſſer, als der Koͤrper wiegt, aus der Stelle treibt,
und wenn zweitens ſein Schwerpunct nicht tiefer ſinken kann.
Waͤre ABCD (Fig. 95.) ein Prisma von Kork, das etwa zu
ein Viertel ſeines Inhaltes ſich im Waſſer einſenken wird, ſo
kann es doch offenbar nicht in der Stellung ABCD ruhen, weil
der auf AB wirkende Druck des Waſſers nicht das Herunterſin-
ken des Schwerpunctes G der ganzen Korkmaſſe aufhalten kann.
Jener Druck muß in ſeiner mittlern Richtung durch den Schwer-
punct des Koͤrpers gehen, wenn der Koͤrper die ihm gegebene Lage
behalten ſoll, und da ſich leicht zeigen laͤßt, daß der mittlere Druck,
welchen der eingetauchte Theil AB aufwaͤrts leidet, eine durch den
Schwerpunct H der Waſſermaſſe AB gehende Richtung hat, ſo
folgt, daß der Schwerpunct der aus der Stelle getriebenen Waſſer-
maſſe ſenkrecht uͤber, oder allenfalls auch ſenkrecht unter dem
Schwerpuncte des ganzen Koͤrpers liegen muß, wenn dieſer in
der ihm gegebenen Stellung ruhend bleiben ſoll. Es iſt naͤmlich
ſo anzuſehen, als ob in G eine Kraft, dem Gewichte des Koͤrpers
gleich, nach der Richtung GK, und in H eine Kraft, dem Ge-
wichte des aus der Stelle getriebenen Waſſers gleich, nach HL
wirkte, und beide Kraͤfte bewirken ein Umſtuͤrzen des Prisma's
ABCD. Das Prisma koͤnnte in der genau aufrechten Stellung
offenbar ſich erhalten, wenn der Schwerpunct G in der Mitte des
Koͤrpers liegt; aber ſobald es nur wenig auf die Seite geneigt wird,
ſo ſtuͤrzt es um, und jenes Gleichgewicht bei aufrechter Stellung
iſt alſo ein unſichres, bei der geringſten Schwankung geſtoͤrtes
Gleichgewicht. Die Stoͤrung des Gleichgewichts kann in manchen
Faͤllen auch durch andre Veraͤnderungen, die keine ſchwankende
Bewegung vorausſetzen, ſtatt finden. So kann das oft ſo ploͤtzliche
und den Schiffen gefaͤhrliche Umſtuͤrzen eines hohen Eisberges, den
wir uns unter der Form des Prisma's ABCD, in ſeiner auf-
rechten Lage, denken wollen, dadurch entſtehen, daß durch Zufall
oder Abthauen die Ecke D herabſtuͤrzt; dann ruͤckt der Schwerpunct
G ploͤtzlich etwas weiter nach der Seite CB hin, und da der un-
tere Theil ungeaͤndert geblieben iſt, ſo wird der Eisberg gewiß ſich
nach der Seite C hin neigen. Dabei kann er noch in einer bei-
nahe aufrechten Stellung bleiben, wenn der nun etwas veraͤn-
derte eingetauchte Theil eine angemeſſene Aenderung in der Lage
[163] ſeines Schwerpunctes erleidet; er wird aber umſtuͤrzen, und das
in B befindliche Schiff bedecken oder zertruͤmmern, wenn er die
Geſtalt eines verhaͤltnißmaͤßig hohen und ſchmalen Prisma's hat,
oder der Schwerpunct allzu weit auf dieſe Seite geruͤcket iſt.
Im Allgemeinen ſieht man das Gleichgewicht meiſtens als
ein unſicheres an, wenn der Schwerpunct des ſchwimmenden Koͤr-
pers hoͤher als der Schwerpunct des aus der Stelle getriebenen
Waſſers liegt; indeß iſt dies eine Regel, die viele Ausnahmen lei-
det. Es ſei ABCD (Fig. 96.) eine Korktafel, auf welcher ſich
ein hoher Koͤrper EF von ſchwerer Materie befindet. Der Schwer-
punct des Korkes liegt in H, der Schwerpunct des mit der Tafel
verbundenen Koͤrpers in G, und wenn der letztere eben ſo viel
wiegt, als jene, ſo wird der Kork, der fuͤr ſich allein nur bis zu
ein Viertel ſeiner Dicke in das Waſſer einſinken wuͤrde, ſich bis
zur Haͤlfte ſeiner Dicke einſenken. In der Stellung ABCD
wuͤrde der aus beiden Maſſen zuſammengeſetzte Koͤrper auf der
Waſſerflaͤche PQ ruhen, und der Schwerpunct des Ganzen laͤge
in I, mitten zwiſchen G und H. Geben wir nun dem ganzen
Koͤrper die geneigte Stellung, welche abdcEf darſtellt, ſo
taucht ſich wieder die Haͤlfte der Korktafel bed in das Waſſer ein;
aber der Schwerpunct dieſer dreieckigen, aus der Stelle getriebenen
Waſſermaſſe liegt nicht mehr in der Mitte der Tafel, ſondern in
K, naͤmlich ſo daß KD = ⅓ BD iſt, und der Schwerpunct der
Maſſe Ef iſt nach g geruͤckt, ſo daß der gemeinſchaftliche Schwer-
punct der ganzen Maſſe in L liegt, mitten zwiſchen g und H.
Hier ſtrebt allerdings der Schwerpunct L zu ſinken, und die in K
entgegen wirkende Kraft, die nach KM hinaufwaͤrts gerichtet iſt,
kann dieſes nicht hindern; aber beide Kraͤfte wirken vereint dahin,
den Koͤrper zu ſeiner anfaͤnglichen Lage zuruͤckzufuͤhren, und hier
war alſo die anfaͤngliche Gleichgewichtsſtellung eine Stellung ſiche-
ren Gleichgewichtes, die ſich nach einigen Oſcillationen wieder her-
ſtellt.
Die Geſtalt des Koͤrpers und die ungleiche Vertheilung der
Maſſe koͤnnte ſo ſein, daß auch in der zweiten Lage der Schwer-
punct L der ganzen Maſſe grade ſenkrecht uͤber K, als Schwerpunct
der Waſſermaſſe, laͤge; dann wuͤrde der Koͤrper in der neuen Lage
in Ruhe bleiben. Aber endlich koͤnnte auch, etwa dadurch, daß
L 2
[164] man den Koͤrper EF auf einer hohen und wenig ſchweren Unter-
lage hinauf geruͤckt haͤtte, der Schwerpunct L jenſeits K liegen, dann
wuͤrde der Koͤrper ſich in der neuen Lage nicht erhalten, ſondern
voͤllig umſtuͤrzen. Die Sicherheit des Gleichgewichts findet alſo
bei nicht zu großen Schwankungen dann ſtatt, wenn der Schwer-
punct des ganzen Koͤrpers weniger als der Schwerpunct des einge-
tauchten Theiles nach der Seite hin ruͤckt, wo die tiefere Eintau-
chung erfolgt.
Dieſe Betrachtung zeigt genauer, als eine bloß oberflaͤchliche
Ueberlegung, warum man einen gewiſſen Theil der Belaſtung der
Schiffe tief gegen den unterſten Theil des Bodens hin bringen
muß, und warum dies um ſo mehr noͤthig wird, je groͤßer die
durch Maſten und Tauwerk hoch hinauf geruͤckte Maſſe wird.
Indeß wuͤrden wir bei den Schiffen ſehr irren, wenn wir uns be-
gnuͤgen wollten, ihnen ein fuͤr ruhiges Wetter ſicheres Gleichgewicht
zu geben; der ſelbſt auf Maſten und Tauwerk, noch mehr aber
auf die Segel heftig ſtoßende Wind, der bei der Hoͤhe der Maſten
ein großes ſtatiſches Moment hat, draͤngt das ſich ſeitwaͤrts nei-
gende Schiff noch tiefer, und koͤmmt als eine horizontal wirkende,
das Umwerfen des Schiffes befoͤrdernde Kraft in Betrachtung.
Damit dieſe Kraft bei Stuͤrmen minder groß ſei, verkleinern die
Schiffer beim Sturme ihre Segel durch das eintreffen oder Ein-
binden, und ziehen ſie nur am untern Theile des Maſtes hinauf;
dagegen kann ein unvermutheter Windſtoß theils deswegen, weil
er die Segel am Maſte zu hoch hinauf gezogen trifft, theils weil
man in der Richtung des Schiffes nicht die noͤthige Ruͤckſicht auf
ihn genommen hat, zu hindern, daß er es nicht zu ſehr von der
Seite treffe, doppelt gefaͤhrlich werden. Dagegen aber zeigt auch
die Betrachtung der vorhin als Beiſpiel gebrauchten Korkplatte, daß
eine bedeutend ſchiefe Stellung des Schiffes ohne Gefahr ſtatt fin-
den kann, indem die Seite C ſich ſchon ſehr tief ins Waſſer ein-
tauchen kann, ohne daß noch die mindeſte Gefahr des Umſchlagens
vorhanden ſei.
Die Frage, in welchen verſchiedenen Lagen ein Koͤrper auf
dem Waſſer ruhen kann, wie groß die Oſcillationen, in welche man
ihn ſetzt, ſein duͤrfen, um ihn noch immer zu ſeiner vorigen Lage
zuruͤckkehren zu laſſen, u. ſ. w. gehoͤren zu den ziemlich ſchwierigen
[165] Fragen, machen aber einen Hauptgegenſtand der theoretiſchen
Schiffbaukunſt aus. Die Form des Schiffes, die Lage und Hoͤhe
der Maſten und andre Umſtaͤnde werden zum Theil hiernach be-
ſtimmt, und obgleich die Erfahrung uͤber manche Einzelnheiten zu
Rathe gezogen werden muß, ſo verdankt doch die Schiffbaukunſt
auch den tiefſinnigen theoretiſchen Unterſuchungen uͤber dieſen Ge-
genſtand einen bedeutenden Theil ihrer Vervollkommnung.
Dreizehnte Vorleſung.
Ausfluß des Waſſers aus kleinen Oeffnungen.
Indem ich im Begriff bin, zu den Erſcheinungen uͤberzugehen,
welche die Bewegungen der tropfbar fluͤſſigen Koͤrper uns darbieten,
fuͤhle ich mich zwar genoͤthiget, mit der Klage, daß unſre theoreti-
ſchen Forſchungen hier noch lange nicht den Grad der Vollkom-
menheit, wie bei den bisher erlaͤuterten Unterſuchungen, erlangt
haben, anzufangen; indeß, wenn es uns gleich an ſo ſtrengen Be-
rechnungsmethoden, wie die Mechanik feſter Koͤrper ſie liefert,
fehlt, wenn wir gleich in der Theorie der Wellen und bei aͤhnlichen
Erſcheinungen uͤber viele einzelne Umſtaͤnde noch tiefere Belehrung
fordern, als unſre jetzigen Huͤlfsmittel ſie uns darbieten *), ſo iſt
doch auch hier ſchon ſo vieles mit Gluͤck erforſcht, daß Sie ſelbſt
hier Gelegenheit finden werden, mit dem Reichthume an merk-
wuͤrdigen Belehrungen zufrieden zu ſein.
Das Hervordringen des Waſſers aus Oeffnungen, die klein
genug ſind, um kein ſchnelles Ausleeren des Gefaͤßes zu geſtatten,
zieht als eines der einfachſten Phaͤnomene zuerſt unſre Aufmerk-
ſamkeit auf ſich. Wenn die Oeffnung ſich, wie Fig. 97. in einer
horizontalen Platte AB aufwaͤrts gerichtet befindet, ſo zeigt die
Erfahrung, daß der ſpringende Waſſerſtrahl bis zu der Hoͤhe ſteigt,
[166] die der druͤckenden Waſſerſaͤule gleich iſt. Dieſe Hoͤhe wird zwar
nie ganz erreicht, aber offenbar nur deswegen nicht, weil der Wi-
derſtand der Luft, der bei dem geringen ſpecifiſchen Gewichte des
Waſſers und bei der Zertrennung des Strahles in Tropfen ſehr
erheblich iſt, den Erfolg nicht ganz ſo ſtatt finden laͤßt, wie er
ohne Einwirkung dieſes Hinderniſſes ſein ſollte. Dieſe Erfahrung
giebt uns die Geſchwindigkeit an, mit welcher das Waſſer aus der
Oeffnung hervordringt; denn wir wiſſen, daß ein Koͤrper, um,
aufwaͤrts geworfen, eine gewiſſe Hoͤhe zu erreichen, mit eben der
Geſchwindigkeit geworfen werden muß, die er bei ebenſo tiefem
freiem Falle erreicht haͤtte. Das Waſſer dringt alſo aus einer Oeff-
nung mit derjenigen Geſchwindigkeit, die ein Koͤrper frei fallend
erlangt, wenn er von einer Hoͤhe, der Hoͤhe der druͤckenden Waſ-
ſermaſſe gleich, herabfaͤllt. Dieſe Regel laͤßt ſich leicht auch da an-
wenden, wo es nicht eine Waſſermaſſe allein, ſondern wo es ein
fremder Druck iſt, der das Waſſer zum Springen bringt. Wenn
wir fordern, daß unſre Feuerſpritzen das Waſſer 80 Fuß hoch trei-
ben ſollen, ſo muͤſſen wir einen Druck, der 80 Fuß Waſſerhoͤhe
gleich gilt, anwenden, um dies zu bewirken, und noch etwas mehr,
wegen der Verminderung der Sprunghoͤhe, die ich ſchon bemerkt
habe; dieſen Druck laſſen wir auf die Waſſer-Oberflaͤche in dem
weiteren Cylinder der Feuerſpritze wirken, und wenn dieſer alſo
einen halben Quadratfuß Querſchnitt haͤtte, ſo muß der Druck
der an der Spritze arbeitenden Menſchen den Druck von 40 Cubic-
fuß Waſſer erſetzen oder, durch einen laͤngern Hebel-Arm gehoͤrig
verſtaͤrkt, 2800 Pfund betragen. Damit der Strahl jene Hoͤhe
erreiche, muß er mit einer Geſchwindigkeit von beinahe 70 Fuß in
1 Secunde aus der Muͤndung der Roͤhre hervordringen, und man
kann daher der Roͤhre nur einen Querſchnitt von einem halben
Quadratzoll geben, wenn der fortgedruͤckte Kolben in der weiten
Roͤhre einen halben Fuß in der Secunde durchlaͤuft, denn die her-
vorgetriebne Waſſermaſſe muß derjenigen gleich ſein, die der fort-
geſchobne Kolben aus der Stelle treibt. So uͤberſehen Sie, wie
man uͤber die Anordnung der Feuerſpritze rechnen muß, um theils
die Hoͤhe des Strahles, theils den Waſſer-Aufwand ſo zu erhalten,
wie es die gegebenen Umſtaͤnde fordern.
[167]
Arteſiſche Brunnen.
Die natuͤrlichen Springbrunnen haͤngen oft gewiß von andern
Umſtaͤnden, vom Drucke einer eingeſchloſſenen Luft oder entwickel-
ter Daͤmpfe ab; bei den gewoͤhnlichen Brunnen und den meiſten
aus der Erde hervorſprudelnden Quellen ſind wir dagegen gewohnt,
anzunehmen, daß ſie bloß dem Drucke eines hoͤher ſtehenden Waſ-
ſers ihren Urſprung verdanken. Daß dies bei den am Fuße oder
Abhange eines Berges entſpringenden Quellen der Fall iſt, daß zu
ihnen hin die durch Regen und durch die auf den Gipfeln der Berge
liegenden Wolken dem Boden mitgetheilten Waſſer ſich fortziehen,
leidet keinen Zweifel, und man hat daher mit Recht die ehemals zu-
weilen vertheidigte Theorie, daß das Waſſer im Innern der Erde
heraufgetrieben werde, aufgegeben, oder vielmehr anerkannt, daß
ſie nur als ſeltene Ausnahme, vorzuͤglich bei heißen Quellen, ſtatt
findet. Aber dennoch ſcheinen einige neuerlich bekannt gewordene
Phaͤnomene faſt die Sicherheit, daß jene Urſache das Entſtehen
der Quellen erklaͤre, zu erſchuͤttern. Man hat naͤmlich in der
neueſten Zeit viel von den auffallenden Erſcheinungen erzaͤhlt,
welche die gebohrten Brunnen darbieten, die man arteſiſche Brun-
nen nennt, weil ſie in der Provinz Artois in fruͤherer Zeit
mehr als anderswo ausgefuͤhrt ſein ſollen. Wenn man naͤmlich mit
dem Erd- und Steinbohrer die Steinſchichten bis zu erheblicher
Tiefe durchbricht, dabei aber zugleich das gebohrte Loch mit einer
immer tiefer geſenkten Roͤhre umgiebt, um den Zudrang der hoͤ-
hern, unreinen Gewaͤſſer abzuhalten, ſo koͤmmt man ſehr oft in
Tiefen von hundert Fuß oder 200, 300 Fuß, auf eine ſo maͤch-
tige Quelle, daß ſich nicht allein das ganze gebohrte Loch bis oben
mit Waſſer fuͤllt, ſondern zuweilen ſogar das Waſſer mit großer
Gewalt uͤber dem Boden hervorſpringt. Man erzaͤhlt die auffal-
lendſten Beiſpiele von der Reichhaltigkeit dieſer Quellen und von
der Gewalt, mit welcher das Waſſer zuweilen hervordringt, ſo daß
man ſeinen, den Umgebungen nachtheiligen Ueberfluß kaum mit
Gewalt zuruͤckzuhalten im Stande war. Da es ſehr ausgedehnte
Gegenden, namentlich in Frankreich, England, Ober-
Italien, giebt, wo man bei gehoͤrig tiefem Bohren faſt ſicher
endlich auf ſolche Quellen koͤmmt, ſo waren einige Schriftſteller
[168] ſchon nahe daran zu behaupten, daß jeder Waſſer armen Gegend
durch dieſes Mittel Brunnen verſchafft werden koͤnnten, und daß
dieſes Hervorheben des Waſſers auf andern Geſetzen, als denen
des bloß durch Druck bewirkten Ausfließens beruhen muͤſſe.
Sorgfaͤltigere Vergleichung der Umſtaͤnde ſcheint indeß jene
Hoffnungen, daß man endlich die Africaniſchen Wuͤſten bewaͤſſern
und ſo dieſe unbewohnbaren Gegenden fruchtbar machen, ja das
Clima ganzer Laͤnder aͤndern koͤnne, ſehr herabgeſetzt und die wah-
ren Urſachen jener immer auffallend bleibenden Erſcheinungen ent-
huͤllt zu haben. Garnier beſonders *) hat aus zahlreichen Bei-
ſpielen nachgewieſen, daß doch auch hier die Brunnen nur in der
Nachbarſchaft eines hoͤhern Terrains die Eigenſchaft, ſich bis oben
und bis uͤber die Hoͤhe des Bodens zu fuͤllen, beſitzen, ferner daß
nur da das Brunnenbohren den gewuͤnſchten Erfolg zeigt, wo
eine von Kluͤften und offenen Hoͤhlungen unterbrochene Gebirgs-
Art zu weit verbreiteten unterirdiſchen Waſſerverbindungen Veran-
laſſung giebt, und wo das aus der Atmoſphaͤre herabfallende Waſ-
ſer Spalten findet, um ſich dort hinab zu ſenken, zugleich aber
durch ſehr dichte hoͤher liegende Schichten gehindert wird, an den
niedrigeren Stellen des Bodens aus dieſem hervorzubrechen. In
ſolchen Gegenden braucht man alſo nur an Orten, die etwas nie-
driger als die hoͤchſten Stellen jener unterirdiſchen Waſſerbehaͤlter
liegen, die dem Waſſer undurchdringliche Steinſchichte zu durch-
brechen und fortzubohren, bis man in groͤßerer oder geringerer
Tiefe jene Waſſerbehaͤlter erreicht, und wird dann, wenn dieſe
bis zu hoͤhern Gegenden hinauf mit Waſſer gefuͤllt ſind, ein ſchnell
und mit Gewalt herauf dringendes Waſſer hervorbrechen ſehen.
Da man die Lage jener Waſſerbehaͤlter, die ganz unter der Erde
verborgen ſind, nicht kennt, ſo bleibt es immer einem gluͤcklichen
Zufalle unterworfen, ob und in welchem Grade man ſeinen Zweck
erreicht; aber aus dem in ſolchen Gegenden ſo haͤufigen Gelingen
dieſes Unternehmens muß man ſchließen, daß in Kalkſteinlagerun-
gen ſich ſehr weit verbreitete unterirdiſche Waſſervorraͤthe finden
[169] muͤſſen, die mit hoͤheren ebenfalls mit Waſſer gefuͤllten Hoͤhlungen
in Verbindung ſtehend, einen unerſchoͤpflichen Waſſervorrath her-
vordringen laſſen, ſobald man die Steinſchichte durchbricht, welche
das Waſſer in der Tiefe hinderte, ſich bis zu dem Niveau der hoͤ-
heren Behaͤlter zu erheben.
Ausfließende Waſſermenge.
Ich kehre zu dem Ausfließen des Waſſers aus Gefaͤßen zuruͤck,
und muß, ehe ich zu einer hierbei vorkommenden Schwierigkeit
uͤbergehe, doch noch ein zweites Mittel anfuͤhren, wodurch wir uns
von der Richtigkeit der vorhin angegebenen Geſchwindigkeit uͤber-
zeugen koͤnnen. Statt den Strahl nach verticaler Richtung her-
vorſpringen zu laſſen, wollen wir ihm durch eine Oeffnung in der
verticalen Wand AB (Fig. 98.) die horizontale Richtung CD
geben, und nun die Sprungweite EF bis dahin, wo er den Boden
FE erreicht, abmeſſen. Da hier die anfaͤngliche Geſchwindigkeit
voͤllig horizontal iſt, ſo gelangt das Waſſer, wie ein andrer ge-
worfener Koͤrper, bloß wegen der Kraft der Schwere von C bis
zur Tiefe CE, es wird alſo zu ſeinem Fallen eine Secunde
brauchen, wenn CE 15 Fuß betraͤgt, und da die Entfernung EF
den in eben der Zeit durchlaufenen Weg nach horizontaler
Richtung zeigt, ſo iſt, wenn man CE = 15 Fuß genommen
hat, EF das Maaß der Ausflußgeſchwindigkeit. Man findet dieſe
mit einem geringen Verluſte, welchen der Widerſtand der Luft
bewirkt, gleich derjenigen Geſchwindigkeit, die ein von der Hoͤhe
GC frei fallender Koͤrper erreichen wuͤrde, wenn naͤmlich in G die
Oberflaͤche des Waſſers iſt.
Aber obgleich wir ſo die Geſchwindigkeit des hervorſtroͤmenden
Waſſers kennen, ſo iſt damit doch die ausfließende Waſſermenge
noch nicht beſtimmt, ja dieſe findet ſich verſchieden, je nachdem
die Oeffnung C in einer ſehr duͤnnen Platte angebracht iſt, oder
ein kurzes Roͤhrchen bildet, obgleich in beiden Faͤllen die Geſchwin-
digkeit einerlei bleibt. Eine genaue Aufmerkſamkeit auf den her-
vordringenden Strahl zeigt naͤmlich, daß, indem die Waſſer-
theilchen gegen die Oeffnung A (Fig. 99.) zu gehen, die ſeit-
waͤrts herandraͤngenden Theilchen die Form des Strahls ungefehr
ſo beſtimmen, wie die Figur zeigt, ſo daß er in a einen kleinern
[170] Querſchnitt als die Groͤße der Oeffnung hat, und daß daher nur
ſo viel Waſſer ausfließt, als mit der vorhin gefundenen Geſchwin-
digkeit durch den verengerten Querſchnitt a gehen kann. Wenn
man ein Roͤhrchen an die Oeffnung anſetzt, ſo bewirkt die anzie-
hende Kraft der Roͤhre, daß jene Zuſammenziehung des Strahles
groͤßtentheils aufgehoben wird, und wenn man im Innern durch
eine etwas erweiterte Einmuͤndung nur diejenigen Waſſertheilchen
eintreten laͤßt, die bei der freien Bildung des Strahles ſeinen
aͤußern Umfang bilden wuͤrden, ſo erhaͤlt man faſt ſo viel Waſſer,
als nach Angabe der oben beſtimmten Geſchwindigkeit aus der
ganzen Oeffnung fließen koͤnnte. Im letzten Falle giebt dieſelbe
Oeffnung ungefehr anderthalb mal ſo viel Waſſer, als bei der ein-
fachen Oeffnung in einer ſehr duͤnnen Platte. Durch ein ſich
nach außen erweiterndes Roͤhrchen wird die Menge des aus-
fließenden Waſſers noch mehr vergroͤßert, zumal wenn ſie mit
der eben erwaͤhnten im Innern angebrachten Roͤhre verbunden iſt.
Der hervordringende Waſſerſtrahl giebt uns in den uns
taͤglich vorkommenden Faͤllen manche Veranlaſſung zu Fragen,
warum er ſich grade ſo darſtellt. Wenn wir Waſſer uͤber den
Rand eines Gefaͤßes ausgießen, ſo nimmt der etwas in die Breite
ausgedehnte Strahl eine Geſtalt an, die uns ungefehr wie ſchrau-
benfoͤrmig gewunden vorkoͤmmt; beobachten wir dieſe Geſtalt aber
genauer, ſo zeigt ſich, daß der anfangs in der Richtung des Ge-
faͤßrandes breite Strahl durch die von den Seiten gegen die
Mitte draͤngenden Theilchen ſich in einiger Entfernung vom Ausguß
geſchmaͤlert und in einer gegen die vorige Richtung ſenkrechten
Richtung breiter zeigt, daß er weiter herabwaͤrts ſeine breite Seite
wieder dem Rande des Gefaͤßes parallel hat, und ſo ferner.
Man ſieht dies am beſten, wenn man an einem Brunnen, wo
die Ausflußmuͤndung einen zwei oder dreimal ſo breiten als hohen
Strahl giebt, das Auge auf einen vom obern Rande mehrere
Zolle entfernten Theil des Strahles richtet. Stehen wir vor dem
Brunnen, ſo daß oben der breite Strahl uns in ſeiner vollen
Breite erſcheint, ſo ſehen wir ihn in 6 bis 8 Zoll Entfernung
von oben als ſchmal, noch 6 bis 8 Zoll tiefer wieder als breit;
und wenn wir uns dagegen auf die Seite ſtellen, ſo daß wir auf
die ſchmale Seite des uͤber den Rand des Ausguſſes ſtuͤrzenden
[171] Strahles ſehen, ſo bietet ſich 6 oder 8 Zoll tiefer ſeine breite
Seite, abermals 6 bis 8 Zoll tiefer wieder ſeine ſchmale Seite
dar. Man kann eben das beim Ausgießen aus kleinern Gefaͤßen
beobachten, aber da erhaͤlt ſich der Strahl nicht ſo gut lange Zeit
in immer gleicher Form.
Wie wichtig die Beſtimmung der aus Gefaͤßen ausfließenden
Waſſermenge iſt, erhellt leicht, da zum Beiſpiel da, wo eine ganze
Stadt mit Waſſer aus dem Vorrathe einer Waſſerkunſt verſorgt
werden ſoll, die Groͤße der Oeffnungen, durch welche dem einen
Theile der Stadt viel, dem andern Theile weniger zugefuͤhrt werden
ſoll, von dieſen Ueberlegungen abhaͤngt. Dabei koͤmmt noch eine
andere Betrachtung vor, naͤmlich wie in langen Roͤhrenleitungen
die Geſchwindigkeit des Waſſers beſtimmt, wie ſie da durch den
Widerſtand an den Roͤhrenwaͤnden und durch den Widerſtand,
den die Kruͤmmungen der Roͤhren hervorbringen, vermindert
wird, u. ſ. w.; aber dieſe ganze auf Erfahrung beruhende Be-
ſtimmung bietet wenig wiſſenſchaftlich Merkwuͤrdiges dar.
Auf der Kenntniß der Geſetze, denen der Ausfluß des Waſſers aus
kleinen Oeffnungen unterworfen iſt, beruhete die Einrichtung der
Waſſer-Uhren bei den Alten. Ein Schwimmer auf der allmaͤhlig
ſinkenden Oberflaͤche des im Gefaͤße noch uͤbrigen Waſſers zeigte auf
einer an der Wand des Gefaͤßes angebrachten Scale die Stunden
an, und die Geſchicklichkeit des Cteſibius, Hero und anderer
wußte ſchon damals kuͤnſtlichere Einrichtungen hiemit in Verbindung
zu ſetzen.
Oſcillationen des Waſſers in Roͤhren.
Die oſcillirende Bewegung des Waſſers in einer zweiſchenk-
lichen Roͤhre ABCD (Fig. 100.) ſcheint zwar beim erſten An-
blicke nur zu einer angenehmen Unterhaltung oder allenfalls zu
einer nutzloſen theoretiſchen Speculation Anlaß zu geben; aber
Sie werden bald ſehen, daß nuͤtzliche Anwendungen fuͤr die Be-
duͤrfniſſe der Geſellſchaft und Erklaͤrungen merkwuͤrdiger Natur-
Erſcheinungen ſich auch an dieſe anſcheinend unbedeutende Be-
trachtung anknuͤpfen.
Wenn das Waſſer, in den verbundenen verticalen Roͤhren
(Fig. 100.) AB, CD ruhend, ſich bis an E und F erſtreckt,
[172] ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß bei der Stoͤrung des Gleichge-
wichts die eine Oberflaͤche ſinken muß, wenn die andre ſteigt, und
daß dieſe Abweichung vom Gleichgewichtszuſtande bei gleicher Weite
beider Roͤhren gleich viel betragen, die Oberflaͤche H ſo tief unter
F, als die Oberflaͤche G uͤber E liegen wird. Ebenſo einleuchtend
iſt es, daß die hoͤhere Oberflaͤche im Sinken, die tiefere im Steigen
grade dann, wenn beide in E, F ankommen, die groͤßte Ge-
ſchwindigkeit erreichen, daß ſie uͤber den Gleichgewichtszuſtand
hinausgehen und daß eine lange Reihe von Oſcillationen, die wegen
des Widerſtandes an den Waͤnden allmaͤhlig abnehmen, die Folge
dieſer Stoͤrung des Gleichgewichts ſein wird.
Dieſe Oſcillationen werden deſto langſamer vollendet, je
laͤnger die in der uͤberall gleich weiten Roͤhre enthaltene Waſſer-
maſſe iſt, und zwar iſt genau die Zeit einer Oſcillation doppelt ſo
groß bei einer viermal ſo langen Waſſermaſſe, wenn ſonſt alles
gleich iſt. Eſ ſei EB CF (Fig. 100.) die eine, ebcf die andre
Waſſermaſſe, jene viermal ſo lang als dieſe; man bringe beide
gleich weit aus der Stellung des Gleichgewichts, ſo daß FH = fh,
EG = eg iſt; dann iſt offenbar die bewegende Kraft, der Druck,
welcher das Gleichgewicht herzuſtellen ſtrebt, in beiden Faͤllen gleich,
aber die in Bewegung zu ſetzende Maſſe iſt viermal ſo groß im
einen, als im andern Falle, und deshalb iſt es ganz ſo, als ob
im einen Falle eine ein Viertel ſo große Schwerkraft als im andern
Falle wirkte. Wir wiſſen aber daß die einfache Schwerkraft in
1 Sec. den fallenden Koͤrper ſo weit treibt, als die ein Viertel
ſo große Kraft in 2 Sec. und da hier in Beziehung auf die be-
ſchleunigenden Kraͤfte, welche eben das Verhaͤltniß haben, die-
ſelben Folgerungen gelten, ſo erhellt die Richtigkeit der Behauptung,
daß die viermal ſo lange Maſſe ihre Oſcillationen halb ſo ſchnell
vollendet, und daß ebenſo die neunmal ſo lange Maſſe dreimal ſo
viel Zeit, die 16 mal ſo lange Maſſe 4 mal ſo viel Zeit gebraucht,
u. ſ. w. Fuͤr ein zweites merkwuͤrdiges Geſetz glaube ich hier um
ſo eher den Beweis mittheilen zu duͤrfen, da dieſer zugleich mehr
Licht uͤber die Gleichzeitigkeit der groͤßern und kleinern Oſcillationen
eines Pendels verbreitet. Es ſei (Fig. 101.) in LMNO eine
genau eben ſolche Waſſermaſſe wie in PQRS, jene aber werde
ſo ins Schwanken geſetzt, daß die groͤßte Hebung der einen Ober-
[173] flaͤche = LI doppelt ſo viel als Pp in der andern Roͤhre betrage.
Ziehen wir hier durch die Oberflaͤchen o und s, in den beiden andern
Schenkeln die Horizontallinien ou, sv, ſo iſt offenbar bei dem
geſtoͤrten Gleichgewichte, die Druckhoͤhe lu in der einen, pv
in der andern Roͤhre das Maaß der bewegenden Kraft. Jene
doppelt ſo große Kraft treibt die Oberflaͤche l in gleicher Zeit,
durch einen doppelt ſo großen Weg lt, ſtatt daß dieſe nur den
kleinern Weg pw zu durchlaufen angetrieben wird, und da dies Ver-
haͤltniß immer ſtatt findet, ſo koͤmmt l ebenſo ſchnell in L an, als
p in P, der Ungleichheit der Wege ungeachtet. Hier erhellt alſo
der ſtrenge Grund der Gleichzeitigkeit ungleich großer Oſcillationen,
wenn die Form beider Roͤhren und die Laͤnge der in ihnen ent-
haltenen Waſſermaſſen gleich iſt, oder auch eine und dieſelbe Waſ-
ſermaſſe in eben der Roͤhre ungleiche Oſcillationen vollendet.
Die Oſcillationen ſind langſamer, wenn die Schenkel, in
welchen die Waſſerflaͤchen ſich auf und ab bewegen, nicht ver-
tical, ſondern gegen den Horizont geneigt ſind, offenbar deswegen,
weil dann, wie auf der ſchiefen Ebne, nur ein Theil der Schwer-
kraft beſchleunigend einwirkt.
Iſt die Weite der beiden Roͤhren ungleich, ſo muß das Waſſer
in der engern Roͤhre AB (Fig. 102.) ſehr hoch ſteigen, wenn es
auch in der weitern CD nur wenig ſinkt, und kleine Oſcillationen
in dieſer werden ſehr große Oſcillationen in jener zur Folge haben.
Dieſe Ueberlegung koͤnnte Anlaß geben, wenn das Waſſer von A
nach B gehoben und dort in dem Gefaͤße E aufgefangen werden
ſoll, dieſes durch geringe Schwankungen der Oberflaͤche D zu be-
wirken, und es iſt wenigſtens einleuchtend, daß es moͤglich ſei, das
Waſſer in AB 100 Fuß hoch zu heben, wenn man in der hun-
dertmal weitern Roͤhre Schwankungen von 1 Fuß hoch bewirkte; —
ob dies mit Vortheil anzuwenden ſei, waͤre ſchwerer zu beſtimmen,
aber es hebt wenigſtens das Unbegreifliche auf, was der Stoßheber,
oder, nach Montgolfier's Benennung, der hydrauliſche Wid-
der, in ſeiner Wirkung zu zeigen ſcheint.
Montgolfier's Stoßheber.
Die etwas kuͤnſtlichere Zuſammenſetzung dieſes hydrauliſchen
Widders zeigt Fig. 103., wo freilich die einzelnen Theile nicht in
[174] ihren wahren Verhaͤltniſſen dargeſtellt werden konnten. Der ganze
Stoßheber beſteht aus dem weiten Gefaͤße AB, der Leitroͤhre BC,
die bedeutend lang ſein muß, und der Steigeroͤhre DE. Bei der
letztern will ich ſogleich noch erwaͤhnen, daß man ſie in dem feſt
verſchloſſenen Gefaͤße DC bis nahe an den Boden gehen laͤßt,
damit die uͤber der Waſſerflaͤche FG vorhandene Luft das Aufſtei-
gen des Waſſers waͤhrend der Zeit unterhalte, wo die Hauptkraft
ihre Wirkung unterbricht.
Die weſentlichſten Stuͤcke des Stoßhebers ſind aber die zwei
Ventile H, I, auf welche ich vorzuͤglich Ihre Aufmerkſamkeit len-
ken muß. Das letztere I iſt ein ganz gewoͤhnliches Ventil, das
bloß die Beſtimmung hat, das Waſſer in das Gefaͤß FDG ein-
zulaſſen, und ihm dagegen den Ruͤckweg zu verſperren. Das Ventil
H ſchließt die an der obern Seite der Leitroͤhre, nahe an ihrem
Ende befindliche Oeffnung von unten; eine gut eingeſchliffene ke-
gelfoͤrmige Platte hat in der unten etwas weiteren Roͤhre bei H
nur einen kleinen Spielraum und ſchließt die Oeffnung, wenn ſie
von unten hinaufwaͤrts gedruͤckt wird; hoͤrt dieſer Druck auf, ſo
ſenkt ſie ſich vermoͤge ihres eignen Gewichtes hinab, wobei aber,
durch ein ſich auf den Rand der Oeffnung ſtuͤtzendes Querſtuͤckchen,
geſorgt iſt, daß das Sinken nur wenig betragen koͤnne. Den von
unten hinaufwaͤrts ſtrebenden Druck bewirkt das Waſſer, wenn
Gefaͤß und Roͤhre bis an A und bis an FG gefuͤllt ſind, indem
das Gewicht der Ventilplatte ſo geringe ſein muß, daß der Druck
des Waſſers auf die Ventilplatte H groͤßer als das Gewicht der
letztern iſt; in dieſem Zuſtande iſt alles geſchloſſen, und das Waſſer
nimmt die Stellung des Gleichgewichtes ein.
Um das Inſtrument in Thaͤtigkeit zu ſetzen, druͤckt man fuͤr
einen Augenblick von außen das Ventil H nieder, laͤßt es aber
ſogleich wieder frei. Dadurch wird bewirkt, daß das Waſſer bei
H auszufließen anfaͤngt, und alſo ein Zuſtroͤmen des Waſſers von
AB her eintritt; aber ſobald das Ventil wieder losgelaſſen iſt,
wird es durch den Druck des andraͤngenden Waſſers ſogleich ge-
ſchloſſen, das gegen C draͤngende Waſſer ſucht ſich bei I einen Aus-
weg und ſteigt in der Steigeroͤhre hinauf. Offenbar kann dieſe
von B nach C gerichtete Oſcillation nur einen Augenblick dauern,
und nun faͤngt die ruͤckwaͤrts gehende Schwankung an. Da ſich,
[175] ſobald dieſe in der Steigeroͤhre anfaͤngt, das Ventil I ſchließt, ſo
kann nur unterhalb I das Beſtreben zuruͤckzugehen eintreten, und
dabei wird der Waſſerdruck auf H ſo vermindert, daß das Ventil
H herabſinkt, und die Oeffnung H frei laͤßt, alſo einen neuen
Ausfluß geſtattet, der nun ſogleich einen neuen Zufluß von B her,
alſo eine neue Oſcillation, zur Folge hat, die ſich genau wie die vo-
rige verhaͤlt. Damit das Spiel des Stoßhebers fortwaͤhrend ſtatt
finde, muß das Gewicht des Ventils H und der Spielraum, um
welchen es ſich ſenken kann, ſorgfaͤltig regulirt ſein; wenn das ge-
ſchehen iſt, ſo bewegt das Ventil H ſich nach einem immer gleichen
Tacte auf und ab, und waͤhrend bei H eine ziemliche Menge Waſ-
ſers in unterbrochenen Zeitraͤumen verlohren geht, wird das Waſſer
in der Steigeroͤhre immer hoͤher getrieben, bis es eine ſo große Hoͤhe
erreicht, daß der auf dem Ventile I laſtende Druck dem Waſſerſtoße
nicht mehr nachgiebt. Soll die Abſicht, das in E ausfließende
Waſſer zu ſammeln, erreicht werden, ſo muß die Hoͤhe CE alſo
nicht zu groß ſein, und dann wird das ausfließende Waſſer bei
jedem neuen Stoße auf das Ventil I erſetzt, und die Wirkung wird
unaufhoͤrlich fortgehen, wenn bei A die Waſſerflaͤche in immer
gleicher Hoͤhe erhalten wird.
Damit der Zweck des Stoßhebers erreicht werde, muß die an-
draͤngende Waſſermaſſe in der Leitroͤhre groß genug ſein, um mit
gehoͤriger Gewalt auf das Ventil I zu wirken; die Lage des Ven-
tils H muß angemeſſen gewaͤhlt ſein, und uͤberhaupt das Ver-
haͤltniß aller einzelnen Theile auf eine paſſende Weiſe abgemeſſen
ſein, damit eine ziemliche Menge Waſſer gehoben werde. Ein un-
vermeidlicher Nachtheil aber, der mit dieſer Vorrichtung zum Heben
des Waſſers verbunden iſt, beſteht darin, daß eine groͤßere Waſſer-
menge bei H verlohren geht, als durch die Steigeroͤhre gehoben
wird, und daß die gehobene Waſſermenge in ſtarkem Maaße ab-
nimmt, wenn die Hoͤhe etwas erheblicher ſein ſoll, bis zu welcher
man es hebt. An dieſem Umſtande ſcheint es vorzuͤglich zu liegen,
daß die viel verſprechenden Ankuͤndigungen, mit denen die Erfin-
dung zuerſt bekannt gemacht wurde, nicht durch den weitern Erfolg
gerechtfertigt worden ſind. Indeß hat doch wirklich Montgol-
fier mit ſeiner Maſchine das Waſſer 108 Fuß hoch gehoben, und
ſie wuͤrde eine Anwendung in Faͤllen, wo reicher Waſſervorrath vor-
[176] handen iſt, wo man vielleicht aus einem Fluſſe Waſſer zur Be-
waͤſſerung oder zu andern Zwecken heben wollte, ihren Nutzen
haben koͤnnen *).
Ungewoͤhnliche Erſcheinungen bei ploͤtzlichen Fluthen.
Ob ich Recht habe, wenn ich eine Reihe merkwuͤrdiger Er-
ſcheinungen, welche die Fluthen in gewiſſen Gegenden und die
durch Sturm erregten Anſchwellungen des Waſſers in andern
Gegenden, uns darbieten, mit dieſen Oſcillationen des Waſſers
in Verbindung ſetze, will ich Ihrer eignen Entſcheidung uͤberlaſſen,
und Ihnen dieſe Erſcheinungen nebſt der Erklaͤrung, wie ſie mir
am wahrſcheinlichſten vorkoͤmmt, angeben.
Obgleich die Fluth in ihrem allmaͤhligen Wachſen an den
meiſten Orten einen ziemlich regelmaͤßigen Fortgang zeigt, ſo daß
ſie zwar ſchneller um die Mitte der Fluth, langſamer kurz nach
dem niedrigſten und kurz vor dem hoͤchſten Waſſer, aber doch
immer nur allmaͤhlig anwaͤchſt, ſo giebt es doch in den Muͤndun-
gen der Stroͤme an einigen Orten ein ſo ploͤtzliches Einſtuͤrzen der
Fluth, daß es den Schiffen gefaͤhrlich wird. Dies iſt zum Beiſpiel
in der Dordogne beſonders dann der Fall, wenn eine Spring-
fluth, bei niedrigem Stande des Waſſers im Strome, eintritt,
und der Mascaret, wie man dieſes heftige Einſtuͤrzen des Waſ-
ſers dort nennt, wie eine ungeheure Welle ſich den Strom hinauf
waͤlzt. Die Gewalt des Mascarets iſt ſo groß, daß ſie zuweilen
die ſteinernen Einbaue zerſtoͤrt, Schiffe verſenkt, u. ſ. w. Dieſes
unregelmaͤßig ſchnelle Anſchwellen der Fluth in einem ploͤtzlich ver-
engerten Strome laͤßt ſich mit dem ſchnellen Aufſteigen in einer
engern Roͤhre vergleichen. Die Dordogne iſt ein verhaͤltniß-
maͤßig enger Strom, der in ziemlich grade fortgehender Richtung
von der breitern Garonne aufgenommen wird, welche ſelbſt ſich
in den weiten, einem langen Meerbuſen aͤhnlichen Raum der Gi-
ronde ergießt. Tritt nun die Fluth in dieſen weiten Meeres-
Arm ein, ſo iſt die Waſſermenge, die ihn bis 1 oder 2 Fuß fuͤllt,
zureichend, um in der engern Dordogne eine viel hoͤher gehende
Oſcillation hervorzubringen, und je ſchneller bei Springfluthen das
[177] Waſſer waͤchſt, und je mehr ſein gleichmaͤßiger Eintritt durch Un-
tiefen gehindert wird, deſto auffallender und heftiger muß das
Steigen des Waſſers, wenn es nun auf einmal erfolgt, in dem
engern Strome ſein, in welchen eine große Waſſermaſſe ſich ſo
ploͤtzlich hineindraͤngt.
Andre Stroͤme zeigen aͤhnliche Erſcheinungen, und wenn ich
Noyer's Beſchreibung der im Amazonenfluſſe unter dem Namen
Barre bekannten ungeſtuͤmen Bewegungen richtig verſtehe, ſo
muß ſich dort dieſes Schwanken noch auffallender zeigen, indem
er es als ein heftiges Zuſammentreffen des Flußwaſſers mit dem
Seewaſſer, als einen Kampf entgegengeſetzter Kraͤfte ſchildert, was
ſich wenigſtens ſo auslegen laͤßt, als ob die aus dem weiten Theile
der Muͤndung in den engen Strom gedraͤngte Waſſermaſſe hier
ein Anſchwellen uͤber den Gleichgewichtszuſtand, dann eine zuruͤck-
gehende Oſcillation, einen abermaligen Zuſturz, kurz ein heftiges
Schwanken in einer engen Roͤhre durch eine maͤßige Aenderung
des Waſſerſtandes in der weiteren Roͤhre, hervorbringt.
Etwas Aehnliches ſcheint die Urſache der zwar ſeltenen, aber
zerſtoͤrenden Fluthen zu ſein, die zuweilen Petersburg betroffen
haben. Die enge Newa iſt eine Fortſetzung des Kronſtaͤdter
Meerbuſens, der ſelbſt eine Verlaͤngerung des noch weiteren finni-
ſchen Meerbuſens bildet. Wird nun vom Sturme eine große Waſ-
ſermaſſe, die im Finniſchen Meerbuſen nur eine maͤßige Erhoͤhung
der Oberflaͤche bildet, in den Kronſtaͤdter Meerbuſen und in die
engere Newa gedraͤngt, ſo kann, bei ſehr ſchnellem Eindringen, das
Waſſer uͤber das Niveau des Meerbuſens ſteigen und die ſehr ploͤtz-
lichen Ueberſchwemmungen bewirken, wovon die Fluth am 19. Nov.
1824. ein Beiſpiel gab. Auch die nicht ſo ſeltnen Sturmfluthen
an den hollaͤndiſchen und deutſchen Kuͤſten der Nordſee laſſen ſich,
wenigſtens da, wo ein Eindringen in einen engern Raum ſtatt
findet, hiemit vergleichen, und die oft gemachte Bemerkung, daß
bei den Sturmfluthen das Waſſer ploͤtzlich waͤchſt, dann geraume
Zeit gleiche Hoͤhe behaͤlt oder wohl gar ein wenig abzunehmen ſcheint,
und nach einiger Zeit wieder ſtaͤrker andringt, ſcheint auf ſolche
Oſcillationen hinzudeuten *).
I. M
[178]
Bewegung der Wellen.
Die Wellenbewegung gehoͤrt endlich auch noch hieher, und
wenn ſie ſich gleich nicht ſo unmittelbar, wie man es wohl zuwei-
len angenommen hat, mit den Oſcillationen in Roͤhren vergleichen
laͤßt, ſo erhaͤlt ſie doch von dieſer manche Aufklaͤrung. Daß bei ihr
nicht, wie das ſcheinbare Fortruͤcken der Wellenkoͤpfe es anzuzeigen
ſcheint, ein lebhaftes Fortſtroͤmen ſtatt findet, davon uͤberzeugt uns
der Augenſchein, wenn wir darauf achten, wie ein auf den Wellen
ſchwimmendes Stuͤckchen Holz zwar ſchwankend gehoben wird, und
ſich wieder ſenkt, aber nicht erheblich mit den Wellen fortgefuͤhrt
wird; und hieran zeigt ſich alſo, daß jedes Waſſertheilchen nur
eine oſcillirende Bewegung hat. Daß dieſe indeß nicht in einem
Hinauf- und Hinabgehen beſteht, wie in den verbundenen Roͤhren,
das haben theils Beobachtungen, theils theoretiſche Betrachtungen
gezeigt. Die Beobachtung laͤßt ſich ſchon an den Wellen, wie wir
ſie, vom Winde erregt und unterhalten, ſo oft wahrnehmen, an-
ſtellen; aber noch genauer haben die ſchoͤnen Verſuche von E. und
W. Weber die Bewegung der einzelnen Waſſertheilchen an der
Oberflaͤche des Waſſers und in der Tiefe kennen gelehrt. Sie
bedienten ſich zu ihren Verſuchen einer ziemlich langen Rinne, in
welcher Wellen erregt wurden, und da die Rinne ſchmal genug
war, um auf das, was nach der Querrichtung ſtatt fand, nicht
Ruͤckſicht zu nehmen; ſo liefen die Wellen in ihr bloß der Laͤnge
nach fort. Damit man aber uͤberall, wo man wollte, die Be-
wegung der Waſſertheilchen ſehen koͤnne, beſtanden die verticalen
Seitenwaͤnde der Rinne aus Glas, und man richtete, quer durch
die Rinne durchſehend, das mit einem Microſcope bewaffnete Auge
auf irgend ein kleines im Waſſer ſchwimmendes Koͤrperchen. So
wie nun die Welle vorbei lief, ſah man dieſes Koͤrperchen einen
kleinen Kreis beſchreiben, wenn es ſich an der Oberflaͤche befand,
man ſah, wie es eine nach verticaler Richtung weniger als in die
Breite ausgedehnte Ellipſe durchlief, wenn es in einiger Tiefe
unter der Oberflaͤche lag, und daß endlich nahe am Boden dieſe
Bewegung in ein bloßes Vorwaͤrts- und Ruͤckwaͤrtsgehen uͤberging.
Dieſe kreisfoͤrmige Bewegung jedes einzelnen Theilchens erklaͤrt
das Fortlaufen der Wellen auf der Oberflaͤche. Da naͤmlich die
[179] Beobachtung zeigt, daß die einem Theilchen gegebene Bewegung
ſich im naͤchſten Augenblicke zu dem anliegenden Theilchen und
ſo ferner fortpflanzt, und daß ſo nach und nach alle Theilchen
ihre Bahnen durchlaufen, ſo brauchen wir nur zu uͤberlegen, in
welchen Puncten ihrer Bahnen die verſchiedenen Theilchen ſich
gleichzeitig befinden, um die Figur der Oberflaͤche in dem Augen-
blicke kennen zu lernen. Es ſei b (Fig. 104.) das zuerſt in Be-
wegung geſetzte Theilchen; die Beobachtung zeigt, daß die Wir-
kung der erregten Erſchuͤtterung theils darin beſteht, dieſem Theil-
chen eine Bewegung, vermoͤge welcher es den Kreis bcde durch-
laͤuft, zu ertheilen, theils die vor ihm liegenden Theilchen in eben
ſolche Bewegung zu ſetzen. Iſt nun die Fortpflanzung der Be-
wegung ſo ſchnell, daß ſie das Theilchen f grade dann erreicht,
wenn b ſeinen Kreislauf einmal vollendet hat, ſo laͤßt ſich fuͤr
die zwiſchen liegenden Theilchen Folgendes uͤberſehen. Man theile
den Zwiſchenraum bf in mehrere gleiche, zum Beiſpiel in vier
gleiche Stuͤcke, in g, h, i, ſo bezeichnen g, h, i, die Theilchen,
welche ihre Bewegung anfingen, als das Theilchen b in den
Puncten e, d, e, ankam; dann ergiebt ſich leicht, daß b den
ganzen Umfang, g drei Viertel ſeines Kreiſes, h die Haͤlfte, i ein
Viertel der ihm angehoͤrenden Bahn durchlaufen hat, eben in
dem Augenblicke, da f anfaͤngt von f an vorzuruͤcken. In dieſem
Augenblicke ſind alſo die fuͤnf Theilchen b, g, h, i, f in den
Puncten b, k, l, m, f, ſo daß bklmf die Wellenlinie der
Oberflaͤche iſt, wenn b ſeine Seitenbewegung bei einer bis b unter
den Gleichgewichtszuſtand hinabgedruͤckten Lage anfing. Es ſei n
ein ebenſo weit von f entferntes Theilchen, ſo faͤngt dies ſeine
Bewegung an, wenn b in c, wenn g in g, wenn h in o, wenn
i in p, wenn f in q ankoͤmmt, und jetzt iſt egopqn die Wel-
lenlinie der Oberflaͤche; kurz nachher iſt der hoͤchſte Wellenkopf nach
r, das tiefſte Wellenthal nach h gekommen, und dshtrn iſt die
Wellenlinie, ſo daß der Wellenberg von l nach r, das Wellenthal
von b nach h fortgeruͤckt iſt, in dem Zeitraume, in welchem jedes
Theilchen ſeine halbe Bahn durchlaͤuft.
Aus dieſem Kreislaufe erklaͤrt ſich auch die Erfahrung, daß
jede Welle, wenn wir ſie auch mit der groͤßten Sorgfalt als eine
einzige zu erregen ſuchen, dennoch hinter ſich eine neue erregt;
M 2
[180] denn offenbar muß, wenn das Theilchen h einmal in Kreisbe-
wegung geſetzt iſt, und alle vor ihm liegenden Theilchen in eine
gleiche Bewegung ſetzt, das Theilchen b nach Vollendung eines
Umlaufs einen zweiten anfangen, und es entſteht daher hinter
der urſpruͤnglich erregten Welle eine neue, wenn jene um eine
ganze Wellenbreite fortgegangen iſt. Die Erregung einer Welle,
die man als in ihrer Entſtehung einzig nennen koͤnnte, iſt nicht
ſo ganz leicht. Laſſen wir nur einen einzigen Tropfen in das
Waſſer fallen, ſo ſollte dieſer freilich auch nur eine Welle erregen;
aber wir bemerken, daß ein zuruͤckſpringender Tropfen entſteht,
der eine zweite Erſchuͤtterung hervorbringt und daß ſo mehrere auf
einander folgende Wellen entſtehen. Jenes Zuruͤckſpringen eines
neuen Tropfens entſteht daher, daß der von dem fallenden Tropfen
hervorgebrachte Stoß auf die Waſſerflaͤche, die naͤchſten Theilchen
zuruͤcktreibt und ſie uͤber die Oberflaͤche erhebt, dadurch erlangen
ſie theils eine Fortſchiebung nach außen und bringen die jenen
Punct kreisfoͤrmig umgebenden Wellenringe hervor, theils erhalten
ſie das Beſtreben, in die in der Mitte gemachte Vertiefung zu-
ruͤckzugehen, wo ſie, von allen Seiten zuſammentreffend, durch
die Heftigkeit ihres Stoßes einen neuen Tropfen hinaufwerfen.
Dieſer Tropfen beſteht, wenn auch der ins Waſſer hineinfallende
Tropfen aus einer andern Fluͤſſigkeit beſtand, dennoch großen
Theils aus Waſſer, wovon aus dem Angefuͤhrten der Grund er-
hellt. Bei den von E. und W. Weber angeſtellten Verſuchen
ward ein andres Verfahren, um dieſe mehrfachen Wellen-Erre-
gungen zu vermeiden, angewandt; ſie zogen naͤmlich in einer
eingetauchten Roͤhre ein wenig Waſſer ſo herauf, daß die ganze
Saͤule ſich uͤber die Oberflaͤche erhob, und indem ſie dieſe ploͤtz-
lich ſinken ließen, brachten ſie eine einfache Wellen-Erregung
hervor.
Da es dem Plane dieſer Vorleſungen nicht angemeſſen waͤre,
wenn ich dieſem einzelnen Gegenſtande ſo viel Zeit ſchenken wollte,
als noͤthig waͤre, um die vielfach abgeaͤnderten, lehrreichen Ver-
ſuche mit einiger Vollſtaͤndigkeit zu erwaͤhnen, welche von dieſen
beiden Naturforſchern angeſtellt ſind, ſo muß ich mich begnuͤgen,
nur einige derjenigen Verſuche und Betrachtungen auszuheben, die
zu einer Erklaͤrung der Phaͤnomene fuͤhren, welche ſich uns am
[181] haͤufigſten darbieten. Dahin gehoͤren die Verſuche uͤber die Tiefe,
bis zu welcher noch die Bewegung der Theilchen merklich bleibt,
wenn man Wellen von geringer Hoͤhe erregt; — ſelbſt in einer
Tiefe, die 350 mal ſo groß als die Hoͤhe der Wellen war, fand
noch eine merkliche Bewegung ſtatt. Daß auch auf dem Meere,
wo die Wellen bekanntlich eine große Hoͤhe erreichen, die Wellen
ſich bis in ſehr große Tiefen erſtrecken, dafuͤr ſpricht nicht bloß die
nach Stuͤrmen ſo merkliche Truͤbung des Waſſers, ſelbſt bei ſehr
tiefer Lage des Bodens, ſondern auch der unmittelbare Augenſchein,
wenn man die Wellen beobachtet. Bremontier beobachtete den
Fortgang der gegen das Ufer heranruͤckenden Wellen im Biscaiſchen
Meerbuſen, und ſah, wie ſie bei einer Hoͤhe von 5 bis 6 Fuß alle-
mal eine Brechung erlitten von Felſen, deren Spitzen gegen 30 Fuß
tief lagen; hier naͤmlich hoben ſie ſich mehr, als da wo ſie uͤber
tieferem Boden ruhig fortgingen. Bei etwas ſtuͤrmiſchem Wetter
ſieht man ein Brechen und Schaͤumen der Wellen an Orten, wo
kein ſichtbares Hinderniß vorhanden iſt; dieſes findet da ſtatt, wo
Sandbaͤnke in der Tiefe ſind, und de la Coudraye behauptet,
daß an der Bank von Terre-neuve (Neufundland) die Wellen
ſich nicht mehr frei bilden koͤnnen, da wo der Boden noch 250
Fuß tief unter der Oberflaͤche iſt. Bei geringern Tiefen wird
jeder Stein am Boden durch die Unregelmaͤßigkeit kenntlich, die
er im Fortgange der Wellen hervorbringt. Dieſer gehinderte Fort-
gang der Welle iſt am Ufer eine der Haupturſachen ihres ſchaͤu-
menden Ueberſtuͤrzens, welches den Daͤmmen, mit welchen die nie-
drigen Gegenden am Meere gegen das Waſſer geſchuͤtzt werden, ſo
verderblich iſt. Wenn die Welle an einem gleichmaͤßigen Abhange
herauflaͤuft, ſo haͤlt der Boden den Fortgang der untern Theile
auf, waͤhrend die obern Theile ſich noch mit ihrer vorigen Schnel-
ligkeit fortbewegen; die Welle wird daher an ihrem vorangehenden
Theile einen ſteilern Abhang erhalten, und endlich wird ihr Gipfel
uͤber den vorangehenden Fußpunct der Welle fortgefuͤhrt, und
ſtuͤrzt ſchaͤumend auf den vom Waſſer wenig oder gar nicht be-
deckten Boden herab. Dieſer Waſſerſturz iſt unbedeutend bei
einem ſehr flachen Ufer, nachtheilig wird er da wo die Hemmung
der Welle ſchneller eintritt und wo das Ueberſtuͤrzen durch den
auf den Gipfel der Welle wirkenden Sturm noch beſchleuniget
[182] wird; hat hier die mit Gewalt gegen das Ufer gepreßte, und
von dem ſtets andringenden Waſſer doppelt hoch aufgethuͤrmte
Welle eine Hoͤhe von 8 oder 10 Fuß erreicht, und ſtuͤrzt nun auf
die vorliegende Flaͤche des Dammes herab, ſo laͤßt ſich begreifen,
wie ſie Centner ſchwere Steine wegfuͤhren, die ſtaͤrkſten Daͤmme
durch ihre immer auf denſelben Punct wiederholte Einwirkung zer-
ſtoͤren, und die großen Verheerungen anrichten kann, von welchen
die Bewohner der See-Ufer, wenn auch ihre Daͤmme den Ueber-
ſchwemmungen wohl Widerſtand zu leiſten pflegen, dennoch ſo oft
verderbliche Proben zu ſehen Gelegenheit haben.
Wie hoch die Wellen im Meere ſteigen koͤnnen, daruͤber ſind
die Nachrichten ſehr verſchieden. Wenn mehrere Wellen einander
durchkreutzend fortgehen, ſo thuͤrmen ſie ſich im Durchſchnittspuncte
ſo auf einander auf, daß der Wellenkopf ungefehr die Hoͤhe erreicht,
welche der Summe beider Wellen gleich iſt. Sie bilden dann die
nach allen Seiten abhaͤngigen, ſchaͤumenden Wellenkoͤpfe, welche
man in großen Stroͤmen oder am Ufer des Meeres ſo oft wahrzu-
nehmen Gelegenheit hat. Ein ſolches Aufeinanderthuͤrmen der
Wellen kann aber im Meere gewiß noch vielfacher ſtatt finden und
groͤßere Wellen hervorbringen, als wir vom Ufer aus je zu ſehen ge-
wohnt ſind; nach Bremontier's Behauptung, womit auch
andre Angaben uͤberein ſtimmen, kann dieſe Wellenhoͤhe bis auf
60 Fuß gehen. Wenn die Welle ſich an einem ſteilen, tief in
das Waſſer hinabgehenden Gegenſtande bricht, ſo kann ſie, hoch
aufbrauſend und in Tropfen zerſchlagen bis zu einer, die Hoͤhe der
Welle vielfach uͤbertreffenden Hoͤhe hinaufſpruͤtzen und Smeaton
erzaͤhlt von dem Edyſtone-Felſen an der engliſchen Kuͤſte, daß man
die Hoͤhe, bis zu welcher das tobende Waſſer hier zuweilen hinaufge-
trieben wird, auf 200 Fuß, 100 Fuß hoͤher als der Leuchtthurm
iſt, rechne; die an dieſen Felſen mit ungewoͤhnlicher Wuth tobenden
Wellen zertruͤmmerten im Jahre 1703 am 26. November den da-
maligen, ſehr feſt gebauten Leuchtthurm in einer Nacht ſo, daß
keine Spur davon uͤbrig blieb.
Die ſchon alte Behauptung, daß Oel in das ſtuͤrmende Meer
gegoſſen, dieſes beruhige, iſt durch neuere Beobachtungen beſtaͤtiget
worden. Das Oel, welches ſich in einer ſehr duͤnnen Schichte auf
der Oberflaͤche verbreitet, ſcheint die Einwirkung des Windes zu hin-
[183] dern, und dieſer ſcheint dann nur ein Fortſchieben des Oeles auf
der Waſſerflaͤche hervorzubringen. Gewiß iſt wenigſtens, daß durch
das Oel die unzaͤhligen kleinen Wellen, die die Oberflaͤche der groͤßern
Wellen zu bedecken pflegen, verſchwinden, und die Wellen eine
glaͤttere Oberflaͤche zeigen, wodurch allerdings dem Stoße des Win-
des wenigere Angriffspuncte dargeboten werden.
Unter den uͤbrigen Beobachtungen, wozu die Wellen Veran-
laſſung geben, und deren viele in der Weberſchen Wellenlehre
mitgetheilt ſind, will ich nur diejenigen noch hervorheben, welche
die Zuruͤckwerfung der Wellen von feſten Gegenſtaͤnden betreffen.
Wenn die Welle, der noch keine andre vorangegangen iſt, mit ih-
rem Wellenberge, den ich hier als den vorangehenden Theil anſehe,
an eine verticale Wand antrifft, ſo muß der Wellenberg hoͤher an-
ſchwellen. So lange bis der vorangehende Fuß des Wellenberges
die Wand erreicht, bleibt die Welle in ihrer natuͤrlichen Form; ſo-
bald aber dieſer an die Wand ſtoͤßt, faͤngt eine neue zuruͤckgehende
Wellenbewegung an, und in dem Augenblicke, da der Gipfel des
Wellenberges die Wand erreicht hat, iſt der vordere Fußpunct ſo
weit zuruͤckgelaufen, daß er mit dem hinteren oder nachfolgenden
Fußpuncte des Wellenberges zuſammentrifft. Nehme ich alſo die
vordere und hintere Haͤlfte des Wellenberges als genau gleich und
jede als ein Viertel der ganzen Wellenbreite ausmachend an, ſo wird
nun in dem einen Viertel der Wellenbreite doppelt ſoviel Waſſer
vereinigt ſein, als beim ruhigen Fortgange, und der nachfolgende
Fuß der Welle wird ſich in der natuͤrlichen Oberflaͤche des ruhenden
Waſſers befinden, der Wellenkopf aber doppelt ſo hoch angeſchwollen
ſein. Die Figur 105. I. ſtellt den noch ungeaͤnderten Fortgang
der Wellen dar, in dem Augenblicke, wo der vorangehende Fuß-
punct A der Welle die Wand A erreicht; in Fig. 105. IL. iſt
abcdef die Oberflaͤche in dem Augenblicke, da des zuruͤckgehenden
Wellenberges vordere Haͤlfte ſich mit der hintern Haͤlfte des heran-
ruͤckenden Wellenberges vereiniget hat, eg ſtellt die Welle vor, wie
ſie ohne Zuruͤckwerfung geweſen waͤre. Da die heranruͤckende Welle
immer gleichfoͤrmig vorwaͤrts und die zuruͤckgeworfene immer gleich-
foͤrmig zuruͤckgeht, wobei die an die Wand gelangten Theile ſich an
die zuruͤckgehende Welle anſchließen; ſo iſt der hoͤchſte Gipfel g
(Fig. 105. III.) zuruͤckgehend nach g gelangt, in dem Augenblicke,
[184] wo die groͤßte Tiefe des Wellenthales d ſich eben ſo weit von der
Wand entfernt befindet; in dieſem Augenblicke fuͤllt daher der Wel-
lenberg das Wellenthal genau aus und zabce iſt die Oberflaͤche.
Dagegen trifft etwas ſpaͤter, (Fig. 105. IV.) die zuruͤckgehende eine
Haͤlfte des Wellenthales mit der vorruͤckenden andern Haͤlfte zuſam-
men, der zuruͤckgeworfene Wellenberg ge trifft mit dem heran-
ruͤckenden abc zuſammen, und die Oberflaͤche iſt daher yzaich.
Dabei iſt noch immer e in der dem Gleichgewichte entſprechenden
Oberflaͤche oder in der mittlern Hoͤhe zwiſchen den Gipfeln der Wel-
lenberge und den Tiefen der Wellenthaͤler, und dieſer Punct, der
um ein Viertel der Wellenlaͤnge von der Wand entfernt iſt, bleibt
immer in dieſer Hoͤhe, waͤhrend der zwiſchen ihm und der Wand
liegende Theil der Oberflaͤche bald wie ef (Fig. 105. II.) hoch geho-
ben, bald wie ke (Fig. 105. III.) horizontal, bald wie ch tief ge-
ſenkt (Fig. 105. IV.) große Schwankungen macht. Wenn immer
neue ganz gleiche Wellen heranruͤcken, ſo erſtrecken dieſe groͤßern
Schwankungen ſich auch auf die weiter entfernten Wellen und die
Oberflaͤche zeigt ſich ſo wie (Fig. 105. V.) lmnop mit ebenſo
breiten, aber doppelt ſo hohen Wellen.
Man kann dieſe Erſcheinungen der ſich begegnenden Wellen
oft da beobachten, wo eine Folge von Wellen gegen einen ſteilen
Gegenſtand trifft, nur muß der Wind, der die gewoͤhnliche Urſache
einer Wellenreihe iſt, nicht in bedeutendem Maaße auf die naͤchſten
Wellen an der Wand wirken, indem ſonſt zu viel Stoͤrung fuͤr die
zuruͤckgehenden Wellen eintritt. Da wo dies nicht der Fall iſt, be-
merkt man deutlich (Fig. 105. V.), daß der Punct o, deſſen Abſtand
ein Viertel der Wellenbreite iſt, immer gleich hoch bleibt, die Ober-
flaͤche von da an aber ſich abwechſelnd ſtark hebt und ſtark ſenkt.
Selbſt die zweite und ſo auch die etwas weiter entfernte Welle zei-
gen dieſe ſtarken Schwankungen, ſo daß, wenn (Fig. 106.) abcde
die Wellen im ruhigen Fortgang vorſtellt, jetzt, wenn lm die Wand
iſt, afeg und ahei die entgegengeſetzten Zuſtaͤnde der Wellenberge
und Wellenthaͤler darſtellen. In groͤßerer Entfernung von der wi-
derſtehenden Wand treten meiſtens Unregelmaͤßigkeiten ein, ſo daß
man nur ſehr in der Naͤhe der Wand das eben Geſagte beſtaͤtiget
findet, aber die kurzen und hohen Wellen, die man unter ſolchen
Umſtaͤnden immer wahrnimmt, erhalten hiedurch ihre Erklaͤrung.
[185] Die ſtaͤrkſten Brandungen, welche theils aus einem Ueberſtuͤrzen der
Wellen, theils durch das Zuſammentreffen der zuruͤckgehenden Wel-
len mit den anruͤckenden hervorgehen, ſcheinen da ſtatt zu finden,
wo auf großen Meeren die herangewaͤlzte Waſſermaſſe einer ſehr
breiten Welle ſehr groß iſt, und wo ploͤtzlich ein minder tiefer Boden
den gleichmaͤßigen Fortgang dieſer bis dahin ruhig vorruͤckenden
Waſſermaſſe hemmt; denn ein 10 Fuß hoher Waſſerberg, der eine
ſehr breite Welle bildet, kann gewiß auf dem freien Meere, ohne
ſehr unangenehm bemerkt zu werden, fortgehen, ſteigt er aber am
Ufer, ploͤtzlich aufgehalten auf 20 Fuß, und ſtuͤrzt wohl gar, durch
ein Felſenriff aufgehalten, ſchaͤumend von dieſer Hoͤhe herab, ſo
muß ſeine Wirkung ſehr zerſtoͤrend ſein.
Dieſe Zuruͤckwerfung der Wellen bietet auch im Kleinen Gele-
genheit zu merkwuͤrdigen Experimenten dar. Die in ſchiefer Rich-
tung an einen feſten Gegenſtand treffenden Wellen werden unter
eben dem Winkel zuruͤckgeworfen, unter welchem ſie antrafen und
daraus entſteht ein von Weber ſchoͤn dargeſtelltes Phaͤnomen, wel-
ches man leicht mit reinem Queckſilber zeigen kann. Man nimmt
ein cylindriſches Gefaͤß, deſſen Querſchnitt eine Ellipſe iſt, und laͤßt
einen unaufhoͤrlich fließenden feinen Strahl Queckſilbers ſo hinein-
fallen, daß er ſo nahe, als moͤglich, den Brennpunct der Ellipſe
trifft; dann durchſchneiden ſich die Wellen, die aus der Zuruͤckwer-
fung der von dieſem Brennpuncte ausgehenden Wellen entſtehen,
im zweiten Brennpuncte und ſtellen die Erſcheinung, ſo wie die
Figur ſie zeigt, (Fig. 107.) dar. Hat man den Brennpunct nicht
genau getroffen, ſo ſieht man dies an der mindern Regelmaͤßigkeit
der Erſcheinung und kann durch einiges Verruͤcken des einfallenden
Strahles leicht den richtigen Punct finden. Fig. 107. zeigt die
Erſcheinungen der ſich durchkreutzenden Wellen *).
[186]
Vierzehnte Vorleſung.
Stoß fluͤſſiger Koͤrper.
Unter den Lehren, m. h. H., welche an practiſchen Anwendun-
gen reich ſind, nimmt die Lehre von dem Stoße, den bewegte fluͤſſige
Koͤrper auf feſte Koͤrper ausuͤben, und von dem Widerſtande, den
feſte Koͤrper in ruhenden fluͤſſigen fortbewegt leiden, einen vorzuͤg-
lichen Platz ein. Um die Kraft des Stoßes fluͤſſiger Koͤrper abzu-
meſſen, kann man eine Platte AB (Fig. 108.) ſo dem ausſtroͤmen-
den Waſſerſtrahle entgegen ſtellen, daß ſie, an dem Hebel-Arme
AC angebracht, durch ein Gegengewicht in D gehindert wird, aus-
zuweichen. Bei dieſer Einrichtung erhaͤlt man die Kraft des Stoßes
in Pfunden ausgedruͤckt, wenn fuͤr die Mitte des auffallenden
Strahles E der Abſtand vom Ruhepuncte C ebenſo groß, als der
Hebel-Arm CD iſt, welcher das Gewicht traͤgt. Dieſe Kraft iſt
bei Strahlen von ungleichem Querſchnitte aber gleicher Geſchwin-
digkeit des ausfließenden Waſſers, doppelt ſo groß, wenn der Quer-
ſchnitt verdoppelt wird, und uͤberhaupt dem Querſchnitte proportio-
nal; dagegen wird ſie, wenn aus einerlei Oeffnung das Waſſer
fließt, vierfach bei verdoppelter Geſchwindigkeit, neunfach bei dreimal
ſo großer Geſchwindigkeit. Es iſt naͤmlich leicht einzuſehen, daß die
Kraft des Stoßes ſich verdoppeln muß, wenn zweimal ſo viele Theil-
chen einwirken; aber wenn bei vermehrter Geſchwindigkeit nicht bloß
mehrere Theilchen wirken, ſondern dieſe auch mit verſtaͤrkter Gewalt
wirken, ſo wird die Kraft in groͤßerm Verhaͤltniſſe wachſen, als
dem, welches der Zahl der anſtoßenden Theilchen gemaͤß iſt, da die
Quantitaͤt der Bewegung zugleich mit der Menge der Theilchen und
zugleich mit der Geſchwindigkeit waͤchſt. Man kann die Groͤße der
Kraft des Stoßes durch folgende leichte Ueberlegung finden. Es
ſtroͤme das Waſſer (Fig. 108.) aus der Oeffnung F aus, und
werde nahe vor dieſer Oeffnung von der Ebne AB aufgefangen, ſo
wuͤrde ſchon der ruhige Druck in E ſo groß als in F ſein, wenn
eine Roͤhre FE die Ebne BA mit dem Gefaͤße verbaͤnde; aber da
das mit einem Stoße anprallende Waſſer beinahe ſo wie ein elaſti-
[187] ſcher Koͤrper zuruͤckgeworfen wird, ſo kann man dieſen Druck bei-
nahe als verdoppelt anſehen. Der Druck auf die Oeffnung F wuͤrde,
wenn ſie geſchloſſen waͤre, ſo viel betragen, als das Gewicht einer
Waſſerſaͤule, die uͤber ihr ſtehend bis an die Oberflaͤche des Waſſees
GH reichte, und ſo groß wuͤrde die Kraft des Stoßes auch ſein,
wenn das Waſſer nicht zuruͤckgeworfen wuͤrde; da hingegen, wo der
frei antreffende Strahl eine ruͤckwaͤrts gehende Bewegung ſeiner
einzelnen Theile annimmt, wird dieſe Kraft beinahe, jedoch nie voll-
kommen, verdoppelt. Hierauf beruht es, daß man fuͤr eine in den
offenen Strom eines groͤßeren fließenden Waſſers eingetauchte Platte
nur eine ſo große Kraft findet, als der einfachen zu dieſer Geſchwin-
digkeit gehoͤrenden Druckhoͤhe angemeſſen iſt, dagegen fuͤr einen
freien Waſſerſtrahl von eben dem Querſchnitte, vorausgeſetzt, daß
er von einer groͤßern Ebne aufgefangen wird, um ſich ausbreiten und
ſeine ganze Wirkung ausuͤben zu koͤnnen, eine beinahe doppelt ſo
große Kraft, die nach Brunacci's Verſuchen ſich deſto mehr die-
ſem Doppelten naͤhert, je mehr man, etwa durch einen erhoͤheten
Rand, das Waſſer zwingt, die zuruͤckgehende Bewegung anzu-
nehmen.
Die Berechnung dieſes Stoßes giebt die Kraft an, mit welcher
das unterſchlaͤchtige Rad unſrer Waſſermuͤhlen gedreht wird. Bei
dieſem naͤmlich iſt es ein mit großer Geſchwindigkeit gegen die untern
Schaufeln A, B, des Rades DA ſtoßender Waſſerſtrom, der das
Rad umtreibt. (Fig. 109.) Bei den oberſchlaͤchtigen Raͤdern iſt es
dagegen das Gewicht des in die Kaͤſten ſtuͤrzenden Waſſers, welches
als bewegende Kraft wirkt.
Windmuͤhlen. Meſſung der Geſchwindigkeit des
Windes.
Daß dieſer Stoß, wenn er ſchief auf eine Ebne wirkt, nicht
ſeine ganze Gewalt ausuͤbt, ſondern dann eine Zerlegung der Kraft
eintritt, und der parallel mit der Ebne wirkende Theil derſelben keine
Wirkung auf die Ebne hervorbringt, iſt Ihnen bekannt. Auf einer
ſolchen Zerlegung der Kraft des Stoßes beruht die Bewegung der
gewoͤhnlichen Windmuͤhlen. Ihre Fluͤgelflaͤchen haben eine Neigung
gegen die Ebne des Kreiſes, welchen der Fluͤgel durchlaufen ſoll, un-
gefehr ſo wie Sie es ſich in Fig. 110. vorſtellen koͤnnen, wenn der
[188] um C in der Ebne des Papieres bewegliche Fluͤgel eine Ebne BADE
traͤgt, die mit der Seite AB vor der Ebne des Papieres liegt, waͤh-
rend die Seite DE hinter derſelben iſt. Wenn dieſe Flaͤche von
einem Winde, der ſenkrecht gegen die Ebne des Papiers gerichtet iſt,
getroffen wird, ſo weicht ſie dem unter ihr vorbei gehenden Winde
oberwaͤrts aus und gelangt nach abed, wo eben die Einwirkung
fortwaͤhrt und die drehende Bewegung immerfort unterſtuͤtzt. Wenn
die Flaͤche, welche den Stoß empfaͤngt, groß iſt, ſo darf man ihr
nicht mehr die Form einer Ebne geben, weil eine ganz gleiche Wir-
kung in der Naͤhe von C eine ſchnellere Drehungsbewegung bewirken
wuͤrde, und deshalb der Stoß auf die von C entferntern Theile des
Fluͤgels keinen hinreichenden Nutzen braͤchte; aus dieſem Grunde iſt
die Fluͤgelflaͤche windſchief, in der Naͤhe von C weniger, entfern-
ter von C mehr gegen die Ebne, in welcher der Fluͤgel fortgeht,
geneigt.
Mehr, als dieſe techniſche Anwendung, der Phyſik angehoͤrend,
iſt die Anwendung, die man von einem Inſtrumente mit Wind-
muͤhlenfluͤgeln gemacht hat, um die Geſchwindigkeit des Windes
und des ſtroͤmenden Waſſers zu finden. Hat die in Fig. 110.
dargeſtellte kleine Fluͤgelflaͤche eine ſehr geringe Neigung gegen die
Ebne des Fluͤgel-Umlaufs, ſo wird ſie, faſt ſenkrecht vom Winde
getroffen, nur langſam nach der Seite ausweichen; ſtaͤnde ſie bei-
nahe ſenkrecht gegen jene Ebne, ſo wuͤrde ſie ebenfalls langſam aus-
weichen, weil der Wind, mit deſſen Richtung ihre Lage beinahe
uͤberein ſtimmte, ſie nur wenig traͤfe; — in der genau mittleren
Stellung dagegen weicht ſie genau ſo ſchnell ſeitwaͤrts aus, als der
Wind ſelbſt fortgeht. Hat man alſo das Inſtrument, welches unter
dem Namen des Woltman'ſchen Anemometers bekannt iſt, ſo
eingerichtet, daß die Mitte der Flaͤche AE einen Kreis von 10 Fuß
Laͤnge (deſſen Durchmeſſer 3\frac{2}{11} Fuß) durchlaͤuft, ſo ſtimmt die Zeit
eines Umlaufes der Fluͤgel, deren man vier anzubringen pflegt, mit
10 Fuß Fortgang des Windes uͤberein. Man richtet das Inſtru-
ment ſo ein, daß die Axe der Fluͤgel vermittelſt einer Schraube ohne
Ende ein Rad einmal umtreibt, waͤhrend die Fluͤgel 30mal um-
laufen, und indem dieſes Rad die Umlaͤufe waͤhrend einer halben
Minute zaͤhlt, erhaͤlt man leicht die Geſchwindigkeit des Win-
des. Auf dieſe Weiſe findet man, daß bei heftigen Stuͤrmen die
[189] Geſchwindigkeit des Windes gegen 80 Fuß in der Secunde betragen
kann, und man muß, da die heftigſten Stoͤße nicht grade beobachtet
werden, und auch nicht einmal eine halbe Minute in ihrer ganzen
Gewalt dauern, wohl annehmen, daß die ſtaͤrkſten Stoͤße noch mehr
Schnelligkeit haben.
Ein Vorwurf, den man dieſem Inſtrumente mit Recht macht,
iſt, daß es nur die mittlere Geſchwindigkeit in einem ſchon etwas
laͤngern Zeitraume giebt; Schmidt hat daher neuerlich Verſuche
mit einem andern Inſtrumente, wo eine pendelartig herabhaͤn-
gende, mit der breiten Seite dem Winde entgegengeſtellte Ebne
vom Winde gehoben wird, angeſtellt. Der Winkel, bis zu welchem
dieſes Pendel durch den Wind hinauf gehoben wird, beſtimmt die
Gewalt und eben dadurch die Geſchwindigkeit des Windes, und
man hat den Vortheil, die ungleiche Hebung, alſo auch die ungleiche
Staͤrke des Windes in jedem Augenblicke beſonders beſtimmen zu
koͤnnen. Schmidt bemerkt, daß die ungleiche Art der Windſtoͤße,
welche zuweilen langſam anſchwellend an Staͤrke zunehmen, zuweilen
beinahe ploͤtzlich ihre groͤßte Gewalt erreichen, ſich bei dieſen Beob-
achtungen ſehr gut wahrnehmen laſſe. Eine aͤhnliche Beobach-
tungsmethode hat Balz in Nismes laͤngere Zeit, jedoch nur zu
Beſtimmung der bei den ſtaͤrkſten Windſtoͤßen wirkſamen Kraft, an-
gewandt, und dieſer nimmt an, daß man einen Wind ziemlich ſtark
nenne, wenn er 15 bis 30 Fuß in 1 Secunde durchlaͤuft, ſehr ſtark
heiße er bei 60 Fuß Geſchwindigkeit, Sturm bei 75 bis 90 Fuß Ge-
ſchwindigkeit, Orcan bei 100 bis 120 oder 130 Fuß Geſchwindig-
keit, — eine Geſchwindigkeit, wobei er Haͤuſer umſtuͤrze. Ob dieſe
Beſtimmungen ſchon voͤllig beglaubigt ſind, erhellt indeß aus ſeinen
Angaben nicht *)
Menge des von den Stroͤmen ins Meer gefuͤhrten
Waſſers.
Zu ebenſo nuͤtzlichen Zwecken, wie der Windmeſſer, dient der
Strommeſſer, den Woltman ebenſo wie den Windmeſſer einge-
richtet, nur die Fluͤgel kuͤrzer angeordnet hat. Er iſt ſo eingerichtet,
[190] daß man auch in ſehr erheblichen Tiefen das Eingreifen der durch
die Fluͤgel umgetriebenen Axe in das abzaͤhlende Rad kann anfangen
und aufhoͤren laſſen, wie man will, alſo auch hier die Anzahl der
Umlaͤufe zum Beiſpiel in ½ Minute erhaͤlt. Da man ihn in alle
Tiefen, die nicht allzu erheblich ſind, bringen kann, ſo giebt der
Strommeſſer Aufſchluß uͤber die ungleiche Geſchwindigkeit in ver-
ſchiedenen Tiefen, uͤber die Ungleichheit derſelben bei Anſchwellungen
des Stromes, bei ungleichem Gefaͤlle der Oberflaͤche, bei Veren-
gungen im Strome u. ſ. w. Mit Huͤlfe ſolcher Beſtimmungen der
Geſchwindigkeit kann man zur Beantwortung der in der phyſiſchen
Geographie hoͤchſt wichtigen Frage, wie viel Waſſer die Stroͤme ins
Meer bringen, gelangen. Beobachtet man naͤmlich bei großen
Stroͤmen in demſelben Querſchnitte in der Mitte und an den Sei-
ten des Stromes, an der Oberflaͤche und in der Tiefe, die Geſchwin-
digkeit, ſo erhaͤlt man die mittlere Geſchwindigkeit des Waſſers und
kann aus der ausgemeſſenen Groͤße des Querſchnitts die Anzahl
von Cubicfußen ausrechnen, die in 1 Secunde oder in laͤngerer Zeit
durch dieſen Querſchnitt gehen. Obgleich nun dieſe Geſchwindigkeit
im Laufe des Jahres ſehr wechſelnd, bei hohem Waſſer gewoͤhnlich
am groͤßeſten iſt, ſo laͤßt ſich doch aus dem, was bei mittlerm Waſ-
ſerſtande gefunden wird, ein ziemlich allgemeiner Schluß ziehen,
und auf ſolchen Beobachtungen, die freilich immer noch nicht zahlreich
genug angeſtellt ſind, beruhen folgende Angaben. Die mittlere Ge-
ſchwindigkeit des Rheins bei Duͤſſeldorf rechnet man zu 3¼ Fuß in
1 Secunde in einem Querſchnitte von 12000 Quadratfußen; er
fuͤhrt alſo in 1 Secunde 39000 Cubicfuß, in 1 Tage beinahe 3370
Millionen Cubicfuß Waſſer in die Nordſee; das betraͤgt im Jahre
1⅕ Billionen Cubicfuß, wozu aber auch 2000 Quadratmeilen, das
iſt ungefehr 1 Billion Quadratfuß das Waſſer liefern. Von der
Donau wird angegeben, daß ſie 10 Billionen Cubicfuß jaͤhrlich
ins Meer fuͤhre, was auch bei dem ſehr ausgedehnten Flußgebiete
der Donau nicht zu verwundern iſt. Hiebei wuͤrden ſich noch eine
Menge von Unterſuchungen uͤber die mit groͤßerm Gefaͤlle der Ober-
flaͤche des Stromes zunehmende Geſchwindigkeit, uͤber die Ungleich-
heit dieſes Gefaͤlles in verſchiedenen Stromſtrecken und dergl. an-
ſchließen; ich will indeß nur bei einer ſehr anziehenden Betrachtung
[191] verweilen, die Dupin mittheilt *). Er nimmt an, daß auf dem
Raume des ganzen Koͤnigreichs Frankreich zwiſchen 10 und 11 Bil-
lionen Cubicfuß Regenwaſſer fallen, wovon ungefehr ein Drittel
durch die Stroͤme ins Meer gefuͤhrt werde; er bemerkt ferner, da
der Theilungspunct des Canales von Burgund, welcher unter den
Theilungspuncten aller franzoͤſiſchen Canaͤle am hoͤchſten liegt **),
nur eine Hoͤhe von 1313 Fuß uͤber dem Meere hat, ſo koͤnne man
das mittlere Gefaͤlle aller dieſer Gewaͤſſer nicht uͤber 300 Fuß an-
ſetzen; und nun gruͤndet er hierauf folgende Berechnung, welche
nuͤtzliche Wirkung dieſes Waſſer leiſten koͤnnte, wenn man es ganz
zu mechaniſchen Zwecken anzuwenden im Stande waͤre. Drei und
eine halbe Billion Cubicfuß Waſſer leiſten bei 300 Fuß Gefaͤlle,
was 1050 Billionen bei 1 Fuß Gefaͤlle leiſten wuͤrden, und die
nuͤtzliche Wirkung dieſer Maſſe kann man mit dem, was die Arbeit
von Menſchen ausrichtet, vergleichen, wenn man weiß, daß ein
ſtarker Mann 1400 bis 1500 Cubicfuß Waſſer 3 Fuß hoch in einem
Tage hinaufzuſchaffen im Stande iſt, alſo gegen 4500 Cubicfuß
1 Fuß hoch. Da naͤmlich dieſes Tagewerk eines ſtarken Mannes,
das Jahr zu 300 Arbeitstagen gerechnet, die dem ganzen Jahre
entſprechende Quantitaͤt 1350000 Cubicfuß ergiebt, ſo wuͤrden
800 Millionen Menſchen das ganze Jahr arbeiten muͤſſen, um
das aus Frankreich ins Meer fließende Waſſer bis zu der Hoͤhe ſei-
ner Quellen hinauf zu tragen, und ebenſo viele nuͤtzliche Kraft bietet
alſo dieſes Waſſer, zum Betreiben von Maſchinen, in ſeinem Her-
abſtroͤmen dar. Dupin berechnet ferner, nach einem freilich nur
hoͤchſt oberflaͤchlichen Ueberſchlage, daß die Waſſermuͤhlen, welche
in Frankreich Getreide mahlen, die Arbeit von 1 Million Menſchen
verrichten, und ſchließt daher, daß nur etwa \frac{1}{800} der ganzen Kraft
der Gewaͤſſer zu mechaniſchen Zwecken diene.
Furchtbare Gewalt des Waſſerſtoßes.
Als ein Beiſpiel der großen Gewalt, mit welcher der Stoß
des Waſſers ſelbſt die ſchwerſten Maſſen uͤberwaͤltigen kann, ver-
[192] dient hier wohl die Erfahrung erzaͤhlt zu werden, die man bei
dem Durchbruche einer Waſſermaſſe am Banienthale in Unter-
wallis in der Schweitz machte. In dieſem Thale hatte ſich in
den kalten Sommern 1816 und 1817 das vorruͤckende Eis der
Gletſcher ſo angeſammelt, daß es durch Abſtuͤrzen im Anfange
des Jahres 1818 den durch dieſes Thal fließenden Strom, die
Dranſe, voͤllig daͤmmte. Das hiedurch geſperrte Waſſer wuchs
daher oberhalb des Eisdammes hoch auf, und obgleich dieſer
Eisdamm an ſeinem Fuße 3000 Fuß dick geſchaͤtzt wurde, ſo
mußte man doch endlich ein Ueberſtuͤrzen des ſchon bis zu 180
Fuß Tiefe angeſchwollenen Seees und dann ein Durchbrechen des
Dammes fuͤrchten. Um dieſem zuvorzukommen, entſchloß man
ſich oberhalb des ſchon geſammelten Waſſers einen Stollen durch
den, ſelbſt in dieſer Hoͤhe, uͤber 700 Fuß dicken Eisdamm zu ar-
beiten, damit, wenn das Waſſer im Steigen dieſen Stollen er-
reichte, es allmaͤhlig abfließen koͤnne. Dieſer Stollen wurde mit
großer Anſtrengung gluͤcklich vollendet, und das allmaͤhlig ange-
wachſene Waſſer floß einige Tage lang nach Wunſch langſam ab.
Aber eine um die Mitte des Juni 1818 eingetretene große Hitze
wirkte auf den Eisdamm ſo ſtark, daß theils dadurch, theils durch
den Sturz des Waſſers der geoͤffnete Waſſerlauf ſich an der von
dem See abgewandten Seite immer mehr und immer weiter
gegen den See fortruͤckend, vertiefte. Endlich am 16. Juni
bahnte das Waſſer des Seees ſich einen ungefehr 80 Fuß tiefen
Durchbruch, aus welchem das Waſſer mit der groͤßten Gewalt
hinabwaͤrts ſtuͤrzte. Und hier zeigte ſich nun die Gewalt des
Waſſerſtoßes ſo groß, daß die groͤßeſten Felsſtuͤcke auf dem Waſſer
ſchwimmend mit fortgeriſſen wurden, daß Bruͤcken und feſte
Mauern in einem Augenblicke zerſtoͤrt, die Felſenwaͤnde zertruͤmmert
und ganze Waͤlder vernichtet wurden. Die Truͤmmer von Felſen,
Waͤldern und Haͤuſern wurden gleich einem Berge von 300 Fuß
Hoͤhe von der wild heranwogenden Waſſermaſſe fortgeſchoben, deren
Geſchwindigkeit ſo groß war, daß ſie gegen 2000 Fuß in 1 Min.
zuruͤcklegte *).
[193]
Aber ſo ſehr auch dieſes Ereigniß uns groß und furchtbar
erhaben von der einen Seite, grauenvoll und ſchrecklich von der
andern Seite erſcheint, ſo duͤrfen wir doch wohl glauben, daß
es nur ein ſehr ſchwaches Nachbild derjenigen Ereigniſſe war, die
bei der großen Umbildung unſrer Erde ſtatt gefunden haben
muͤſſen; — Ereigniſſe, von denen keine Geſchichte Kunde giebt,
von denen aber die Felſentruͤmmer zeugen, die wir durch weit aus-
gedehnte Gegenden zerſtreut finden. Nach Sauſſure und von
Buch liegen die aus einem dem Jura fremden Geſtein beſte-
henden Geſchiebe des Jura, die bis zu 30000 Centnern an Ge-
wicht vorkommen, alle den großen Alpenthaͤlern gegenuͤber und
ſcheinen durch Stroͤme von ungeheurer Kraft ſo weit fortge-
ſtoßen zu ſein. Auf aͤhnliche Weiſe, aber mit noch groͤßerer Gewalt,
moͤgen die zahlloſen Granitmaſſen, die in den Ebenen des ganzen
noͤrdlichen Deutſchlands zerſtreut vorkommen, aus Schweden her-
beigefuͤhrt ſein; — freilich durch Stroͤmungen, deren Gewalt
den Durchbruch im Banienthale noch ebenſo weit uͤbertroffen haben
muß, als dieſer ſelbſt die Gewalt der gewoͤhnlichen Bergſtroͤme*).
Doch dieſe merkwuͤrdigen Erſcheinungen liegen zu weit von
meinem jetzigen Zwecke ab, um laͤnger bei ihnen zu verweilen.
Widerſtand bei der Bewegung feſter Koͤrper in
fluͤſſigen.
Auf denſelben Gruͤnden, die ich bei der Beſtimmung des
Stoßes fluͤſſiger Koͤrper angefuͤhrt habe, beruhet auch die Be-
rechnung des Widerſtandes, den feſte Koͤrper leiden, wenn ſie
in fluͤſſigen fortbewegt werden. Es iſt bekannt, daß eine ſchwere
Kugel im Waſſer ſehr langſam zu Boden faͤllt; dieſes iſt zwar
theils Folge ihres im Waſſer verminderten Gewichtes, aber theils
beruht es auch auf dem Widerſtande, den ſie dadurch, daß ſie
die Waſſertheilchen aus der Stelle treiben muß, leidet. Die
Frage, welche Geſtalt man einem Koͤrper geben muß, damit er
im Waſſer fortgefuͤhrt, den kleinſten Widerſtand bei beſtimmter
Breite leide, iſt eine von denen, die man zum Beſten der Schiff-
baukunſt zu beantworten geſucht hat, und auf welche allerdings,
I. R
[194] ſo weit es andere Forderungen geſtatten, beim Bau der Schiffe
Ruͤckſicht genommen wird. Es iſt naͤmlich einleuchtend, daß eine
ganz ebene, dem Waſſer ſenkrecht entgegen gefuͤhrte Flaͤche mehr
Widerſtand leidet, als eine eben den Waſſerquerſchnitt aus der
Stelle treibende gewoͤlbte oder kegelfoͤrmig zugeſchaͤrfte, das Waſſer
durchſchneidende Flaͤche, und hieran knuͤpft ſich die Beſtimmung
der Flaͤche, die den geringſten Widerſtand darbietet.
Einen mannigfaltigern Schatz von Anwendungen gewaͤhrt
uns die Betrachtung des Widerſtandes der Luft. Wir ſind zwar
gewohnt, die Luft als ſo duͤnne anzuſehen, daß ſie wohl nicht ſehr
als widerſtehendes Mittel in Betracht kommen koͤnne; aber wenn
wir einem auch nur mittelmaͤßigen Winde entgegengehen, ſo fuͤhlen
wir ſchon dieſen Widerſtand, und wenn wir den Sturm die ſtaͤrkſten
Baͤume umreißen ſehen, obgleich dieſer Sturm doch nur eine Ge-
ſchwindigkeit von etwa 100 Fuß in 1 Secunde hat, ſo uͤberzeugen wir
uns wohl, daß eine mit 2000 Fuß Geſchwindigkeit fortbewegte Ca-
nonenkugel einen ſehr großen Widerſtand muß zu uͤberwinden haben.
Um den Stoß, welchen die Gewalt des Sturmes bei einer
Geſchwindigkeit von 120 Fuß in der Secunde ausuͤben wuͤrde, zu
berechnen, iſt es hier am beſten, an die Elaſticitaͤt der Luft nicht zu
denken, ſondern, ganz wie beim Waſſer, zu ſagen, zu einer Ge-
ſchwindigkeit von 120 Fuß gehoͤrt eine Fallhoͤhe von 240 Fuß, alſo
hier ein 240 Fuß hohes Gefaͤß, um die zu einem ſo ſchnellen Aus-
fluſſe gehoͤrende Druckhoͤhe zu erhalten. Nehmen wir alſo die ge-
ſtoßene Flaͤche 1 Quadratfuß groß an, ſo iſt die Kraft des Stoßes
wenigſtens dem Gewichte einer Luftſaͤule von 240 Cubicfuß, das iſt
21 Pfunden gleich, (weil ungefehr 11 Cubicfuß Luft 1 Pfund wie-
gen). Boͤte man alſo dem Winde eine Kreisflaͤche von 20 Fuß
Durchmeſſer oder 300 Quadratfuß Inhalt dar, ſo litte dieſe einen
Druck von 6000 Pfunden. Hiernach laͤßt ſich die auf einen dicht
belaubten Baum von großer Krone ausgeuͤbte Gewalt berechnen,
obgleich die Wirkung nicht ganz ſo groß, wie bei einer feſten Ebne
iſt, und da nach Eytelwein's Verſuchen ein Stuͤck Eichenholz
von 2 Zoll Seite im Querſchnitte und 66 Zoll vom Unterſtuͤtzungs-
puncte belaſtet, von 700 Pfund zerbrochen wurde, ſo muͤßte ein
Eichbaum von 1 Fuß Durchmeſſer in einer Hoͤhe von 20 Fuß mit
etwas mehr als 30000 Pfund Kraft ſeitwaͤrts gezogen werden, um
[195] zu brechen; aber dieſe Baͤume brechen auch gewoͤhnlich nicht von der
Kraft des Windes, ſondern werden umgeſtuͤrzt, indem die Wurzel
nachgiebt.
Die Gewalt, mit welcher der in die Segel des Schiffes
ſtoßende Wind das Schiff forttreibt, die Gewalt, mit welcher er
bei ſchief oder ſeitwaͤrts geſtellten Segeln das Schiff umzuſtuͤrzen
ſtrebt, laͤßt ſich eben ſo beſtimmen. Daran knuͤpft ſich die fernere
Frage, wie tief der Schwerpunct des Schiffes liegen muß, damit
das Schiff nicht umſchlage, und ſo ferner.
Bei Koͤrpern, die in der Luft fortbewegt werden, wird der
Widerſtand zwar auf ganz aͤhnliche Art beſtimmt, wie in den vori-
gen Beiſpielen die Kraft des Stoßes; aber ſeine Wirkung beſteht
hier nur in der Verminderung der Geſchwindigkeit. Eine 3pfuͤndige
eiſerne Kugel hat ungefehr einen Durchmeſſer von 2⅔ Zoll, und ihr
groͤßeſter Querſchnitt enthaͤlt 5½ Quadratzoll. Wenn auf dieſen
Querſchnitt eine 1320 Fuß hohe Luftſaͤule druͤckte, oder wenn Luft
mit der Geſchwindigkeit, welche der Druckhoͤhe = 1320 Fuß zu-
koͤmmt, das iſt mit 280 Fuß Geſchwindigkeit ſtieße, ſo betruͤge die
Kraft des Stoßes 4½ Pfund; dieſe Kraft iſt wegen der Woͤlbung
der Kugelflaͤche etwas geringer, nur 3 Pfund, und ſo groß iſt alſo
der Widerſtand, welchen die 3 pfundige eiſerne Kugel bei 280 Fuß
Geſchwindigkeit leidet. Bei dieſer Geſchwindigkeit iſt genau der
Widerſtand dem Gewichte gleich, und es laͤßt ſich daraus ſchließen,
daß eine freifallende eiſerne Kugel von 3 Pfund nur hoͤchſtens eine
Geſchwindigkeit von 280 Fuß in 1 Secunde erlangen kann, indem,
wenn dieſe Geſchwindigkeit erreicht iſt, die Gewalt, welche die Luft
zu Zerſtoͤrung der Geſchwindigkeit anwendet, genau ſo groß iſt, als
die Kraft der Schwere, welche die Bewegung zu beſchleunigen ſtrebt.
Man nennt deshalb dieſe Geſchwindigkeit den Exponenten des Wi-
derſtandes, weil ſie uns das Maaß, die wahre Groͤße des Wider-
ſtandes ſo genau kennen lehrt.
Bei einer genau ebenſo großen Kugel von Holz wuͤrde der Wider-
ſtand ſchon bei viel geringerer Geſchwindigkeit dem Gewichte gleich ſein.
Eine ſolche Kugel wuͤrde etwa ⅜ Pfund wiegen, oder ⅛ deſſen, was
die eiſerne Kugel wog; alſo duͤrfte die Druckhoͤhe, aus der wir vor-
hin die Groͤße der Geſchwindigkeit herleiteten, nur etwa 160 Fuß,
die Geſchwindigkeit nur ungefehr 100 Fuß in 1 Secunde ſein, und
N 2
[196] ſchneller bewegt ſich eine frei fallende hoͤlzerne Kugel von 2⅔ Zoll
Durchmeſſer nie.
Wenn man Kugeln aus einerlei Materie, aber von ungleichem
Halbmeſſer nimmt, ſo iſt der Exponent des Widerſtandes groͤßer bei
den groͤßern, das heißt, bei freiem Falle kann die groͤßere eine ſchnel-
lere Bewegung erlangen, ehe Widerſtand und Schwerkraft gleich
ſtark wirken. Allerdings naͤmlich iſt bei einer Kugel von doppelt ſo
großem Durchmeſſer der geſammte Widerſtand, ſo wie der groͤßte
Querſchnitt der Kugel, viermal ſo groß; aber das Gewicht der Ku-
gel iſt achtmal ſo groß, als bei einfachem Durchmeſſer. Reichte
alſo vorhin eine Druckhoͤhe von 1320 Fuß Luft aus, um den Druck
gleich dem Gewichte der Kugel hervorzubringen, ſo muß dieſe Druck-
hoͤhe jetzt 2640 Fuß ſein, damit der Druck auf die viermal ſo große
Flaͤche bis zum achtfachen ſteige; aber zu 2640 Fuß Hoͤhe gehoͤrt
eine Geſchwindigkeit von beinahe 400 Fuß in der Secunde, und
ſtatt daß die 3 pfuͤndige eiſerne Kugel hoͤchſtens 280 Fuß Geſchwin-
digkeit erlangt, kann dieſe Geſchwindigkeit bei der 24 pfuͤndigen,
deren Durchmeſſer das Doppelte jener iſt, beinahe 400 Fuß werden.
Bei einer eiſernen Kugel von 4 mal ſo großem Durchmeſſer wuͤrde
die Geſchwindigkeit 2.280 Fuß; bei einer Kugel von 9 mal ſo
großem Durchmeſſer 3.280 Fuß ſein.
Dieſe Berechnungen zeigen, warum die in der Luft abgeſchoſ-
ſenen Kugeln ſo ſehr geringe Weiten und Hoͤhen in Vergleichung
gegen diejenigen Weiten und Hoͤhen erreichen, die ſie ohne Wider-
ſtand erreichen ſollten. Ich habe fruͤher angefuͤhrt, daß eine mit
2000 Fuß Geſchwindigkeit unter 45 Grad Neigung geworfene Ku-
gel bis 132000 Fuß oder 5½ geographiſche Meilen weit gehen
wuͤrde, welches bekanntlich in hohem Grade von der Erfahrung ab-
weicht; aber wenn wir eine Kugel nehmen, fuͤr welche der Expo-
nent des Widerſtandes 400 Fuß iſt, und dieſe mit 2000 Fuß Ge-
ſchwindigkeit fortſchleudern, ſo leidet ſie im erſten Augenblicke bei
dieſer in Vergleichung gegen den Exponenten des Widerſtandes fuͤnf-
fach ſo großen Geſchwindigkeit einen 25 mal ſo großen Widerſtand
als derjenige war, den wir der Schwerkraft gleich fanden. Da nun
die Schwere dem aufwaͤrts ſteigenden Koͤrper ſchon in \frac{1}{30} Secunde
1 Fuß Geſchwindigkeit raubt, ſo raubt dieſer Widerſtand in \frac{1}{30} Se-
cunde 25 Fuß Geſchwindigkeit, und wuͤrde alſo in 1 Secunde
[197] 750 Fuß Geſchwindigkeit rauben, wenn nicht mit abnehmender Ge-
ſchwindigkeit auch der Widerſtand abnaͤhme. Wenn man dieſe Rech-
nungen fortſetzt, ſo findet man fuͤr eine anfaͤngliche Geſchwindigkeit
von 3000 Fuß in 1 Secunde, bei einem Neigungswinkel von
20 Graden, erſtlich daß die ſo geworfene Kugel im luftleeren Raume
einen Bogen von 17600 Fuß hoch, und 193000 Fuß weit, uͤber
einer horizontalen Ebne durchlaufen wuͤrde, zweitens daß eine Kugel,
deren Exponent des Widerſtandes 400 Fuß iſt, das heißt eine eiſerne
Kugel von 5,2 Zoll Durchmeſſer oder 23 bis 24 Pfund, oder eine
bleierne Kugel von 3,6 Zoll Durchmeſſer oder 11 Pfund, oder eine
Platinakugel von 2 Zoll Durchmeſſer oder 3⅓ Pfund, einen Bogen
von 2450 Fuß hoch und 13400 Fuß weit durchliefe, drittens daß
eine Kugel, deren Exponent des Widerſtandes 250 Fuß iſt, das
heißt eine eiſerne Kugel von 2 Zoll Durchmeſſer oder \frac{4}{3} Pfund, eine
bleierne von 1,4 Zoll Durchmeſſer oder \frac{2}{8} Pfund, nur bis zu 1290
Fuß ſteigen und nur 6350 Fuß weit gehen wuͤrde.
Ich habe dieſes Beiſpiel grade ſo gewaͤhlt, um zu zeigen, daß
man mit einer Platinakugel von 2 Zoll Durchmeſſer doppelt ſo
weit als mit einer eiſernen Kugel von eben dem Durchmeſſer ſchießen
kann. Kaͤme es alſo darauf an, ſehr weite Schuͤſſe zu thun, ſo
muͤßte man nicht ſo ſehr darauf denken, die anfaͤngliche Geſchwin-
digkeit zu vermehren, weil dieſe doch durch den Widerſtand ſehr
ſchnell herabgeſetzt wird, ſondern man muͤßte große Kugeln von ſehr
ſchwerer Materie nehmen, wie es die Franzoſen vor Cadir thaten *).
Auf dieſem Widerſtande beruht es, daß wir mit Rudern das
Schiff forttreiben, indem wir die breite Flaͤche des Ruders gegen
das Waſſer druͤcken und ſo dem Schiffe eine Bewegung nach der
entgegengeſetzten Richtung ertheilen. Die Schaufeln des Rades
am Dampfſchiffe treiben auf gleiche Weiſe das Schiff fort, indem
ſie naͤmlich durch die Kraft der Dampfmaſchine getrieben im Waſſer
fortgezogen werden, weicht das Schiff nach der entgegengeſetzten
Richtung aus und erhaͤlt bei dieſer immer dauernden Einwirkung
eine ſehr bedeutende Geſchwindigkeit. Die Kunſt des Schwimmens,
[198] daß man die Haͤnde oder Fuͤße kraͤftig ſtoßend gegen das Waſſer
bewegt, und ſich entweder horizontal fortrudert, oder indem man
vertical hinabwaͤrts wirkt, den Koͤrper hoͤher, als es ſonſt geſchehen
wuͤrde, uͤber dem Waſſer hervorhebt, beruht auch auf dieſem Wider-
ſtande. Beim Fliegen der Voͤgel, deren Fluͤgelſchlaͤge eben das
leiſten, koͤmmt noch die ihren Fluͤgeln ertheilte Einrichtung in Be-
trachtung, daß dieſe beim hinaufgehenden Fluͤgelſchlage eine gewoͤlbte
und ſich etwas zuſammenbeugende Flaͤche, beim herabwaͤrts gehen-
den Fluͤgelſchlaͤge eine hohle und ſich etwas mehr in die Breite aus-
dehnende Flaͤche, der Luft darbieten, alſo beim herabwaͤrts
oder im horizontalen Fluge hinterwaͤrts gehenden Fluͤgelſchlage den
meiſten Widerſtand leiſten. Der Vogel erhaͤlt ſich durch ſehr ſchnell
auf einander folgende kleine Fluͤgelſchlaͤge ſchwebend, beim Fortflie-
gen aber beduͤrfen manche groͤßere Voͤgel nur langſam wiederholter
Fluͤgelſchlaͤge, indem die Groͤße ihrer Fluͤgelflaͤchen, ſelbſt ganz ru-
hend ausgeſpannt, nur ein ſehr langſames Fallen geſtatten wuͤrden.
Da wo einzelne Theile des Stromwaſſers einen Widerſtand
leiden, an Bruͤckenpfeilern oder aͤhnlichen Gegenſtaͤnden aufgehalten
werden, entſtehen Wirbel und Strudel. Die in ihrem Laufe auf-
gehaltenen Theilchen b, (Fig. III.) bleiben hinter den in a vorbei-
gehenden zuruͤck, und dieſe nehmen daher einen gekruͤmmten Lauf,
ſo wie es die Figur zeigt, an. Da wo der Unterſchied der Bewe-
gung groß genug iſt, entſteht an ſolchen Stellen eine voͤllig kreisfoͤr-
mige Bewegung, wobei das Waſſer, durch die Schwungkraft nach
außen gedraͤngt, eine trichterfoͤrmig vertiefte Oberflaͤche bildet. Die
ſchwimmenden feſten Koͤrper, die in dieſen Wirbel gerathen, gleiten
auf dieſer vertieften Oberflaͤche hinab und werden von dem Strudel
verſchlungen. Da wo im Meere dieſe Strudel groß und dauernd
ſind, werden ſie durch zufaͤllige Beengungen der Meeresſtroͤme oder
des Fluthſtromes hervorgebracht, indeß ſind die Nachrichten von
ſolchen Strudeln aus aͤlteren Zeiten wohl meiſtens uͤbertrieben.
Auch in der Luft ſehen wir zuweilen ſolche Strudel, welche die
abgefallenen Blaͤtter an beſtimmten Stellen zuſammenhaͤufen und
im Kreiſe herumfuͤhren. Die eigentlichen Wirbelwinde, die in
ihren Wirkungen ſo zerſtoͤrend ſind und die Gegenſtaͤnde, welche ſie
fortgeriſſen haben, weit umher zerſtreuen, muͤſſen von eigenthuͤmli-
chen Urſachen herruͤhren, aber die Wirkung, daß ſie die Truͤmmer
[199] eines zerſtoͤrten Gebaͤudes und aͤhnliche Gegenſtaͤnde weit umher
werfen, iſt die Ihnen bekannte Wirkung der Schwungkraft.
Ruͤckwirkung.
Der letzte Gegenſtand, den ich als die Bewegung tropfbar
fluͤſſiger Koͤrper betreffend, Ihnen vorzutragen habe, iſt diejenige
Wirkung beim Ausfließen des Waſſers, welche man die Ruͤck-
wirkung nennt. Sie wiſſen, daß ein mit ruhendem Waſſer gefuͤll-
tes Gefaͤß deswegen keine Neigung, nach einer oder der andern
Seite hin auszuweichen, zeigt, weil der nach zwei entgegengeſetzten
Seiten wirkende Druck genau nach beiden Seiten gleich iſt. Bringt
man aber nun in einer Wand eine Oeffnung an, ſo faͤllt hier der
Seitendruck weg und das Gefaͤß wird durch Ruͤckwirkung nach der
entgegengeſetzten Seite getrieben. Um dieſe Wirkung durch ein
Experiment zu zeigen, muß man ſich begnuͤgen, eine kleine Oeffnung
anzubringen, damit der Waſſerverluſt nicht zu ſchnell die Wirkung
ſchwaͤche; da aber bei einer kleinen Oeffnung auch die Groͤße dieſer
Ruͤckwirkung geringe iſt, ſo muß man ſorgen, ſie auf andre Weiſe
merklicher zu machen. Hiezu dient eine Vorrichtung, die dem Gefaͤße
ſelbſt eine drehende Bewegung erlaubt. Es ſei das Gefaͤß (Fig. 112.)
AB, deſſen hohler Raum ſich durch E bis zu den Seiten-Armen
F, G, erſtreckt, ſo mit der verticalen Axe CD verbunden, daß es
ſich um dieſe Axe ſehr leicht dreht. Dieſes Gefaͤß habe an der Vor-
derſeite des Armes G und an der Hinterſeite des Armes F eine
kleine Oeffnung, ſo daß beim Fuͤllen des Gefaͤßes ſogleich aus beiden
Oeffnungen ein horizontaler Waſſerſtrahl hervorgehe; ſo wird eine
Drehung des Armes G von uns abwaͤrts, eine Drehung des Armes
F gegen uns zuwaͤrts entſtehen, weil die Hinterſeite des Armes G
einen ſtaͤrkern Druck, als die mit einem Loche zum Ausfließen ver-
ſehene Vorderſeite leidet, und eben das an dem andern Arme auf
aͤhnliche Art ſtatt findet. Man hat dieſe Einrichtung im Großen
ausgefuͤhrt, zum Betreiben von Maſchinen, unter dem Namen des
Segner'ſchen Waſſerrades angewandt; aber dieſe Einrichtung
nicht vortheilhaft genug gefunden.
Die Ruͤckwirkung zeigt ſich uns bei einigen andern Erſchei-
nungen, vorzuͤglich bei dem Zuruͤckprallen der Canone im Augen-
blicke des Abfeuerns. Hier entwickelt ſich naͤmlich ein elaſtiſch fluͤſ-
[200] ſiger Koͤrper, der, wenn die Canone uͤberall verſchloſſen waͤre, einen
heftigen Druck nach allen Seiten ausuͤben wuͤrde, deſſen große
Wirkung ſich uns aber, bei dem freien Hervorſtroͤmen aus der
Muͤndung dadurch zeigt, daß der Druck auf den der Oeffnung ent-
gegenſtehenden Boden maͤchtig genug iſt, die ganze mit ſo bedeuten-
der Reibung auf dem Boden widerſtehende Canone fortzutreiben.
Wird eine Kugel abgeſchoſſen, ſo kann der, alsdann noch ſtaͤrkere
Ruͤckſtoß dienen, um die Geſchwindigkeit der Kugel zu berechnen,
da ſich, wenn die Kugel zum Beiſpiel \frac{1}{100} der ganzen Canone
wiegt, die Geſchwindigkeit der Kugel als 100 mal ſo groß, in Ver-
gleichung gegen die Geſchwindigkeit des Ruͤckſtoßes ergeben wuͤrde.
Es iſt wahrſcheinlich, daß die meteoriſchen Feuerkugeln eben-
falls durch Ruͤckwirkung fortgetrieben werden. Entwickelt ſich naͤm-
lich in der ſich aufblaͤhenden Maſſe der Feuerkugel eine elaſtiſche
Fluͤſſigkeit und bricht dieſe mit großer Gewalt an einer Seite her-
vor, ſo treibt ſie die Maſſe nach der entgegengeſetzten Seite zuruͤck
und der Schweif der Feuerkugeln koͤnnte wohl durch jene brennende
oder gluͤhende Materie hervorgebracht werden.
Funfzehnte Vorleſung.
Compreſſion des Waſſers.
Bei allen bis jetzt mitgetheilten Unterſuchungen durfte ich,
m. h. H, das Waſſer ſo betrachten, als ob es gar keiner Zuſam-
menpreſſung faͤhig waͤre; da aber dieſes nicht ganz der Fall iſt, ſo
muß ich Ihnen doch die in neuern Zeiten oͤfter und ſorgfaͤltiger wie-
derholten Verſuche erzaͤhlen, welche einige Compreſſibilitaͤt des
Waſſers zeigen. Da die Zuſammendruͤckung hier immer geringe
iſt, ſo hat man ſich meiſtens ſtarker Kraͤfte bedient, um einige be-
deutende Wirkung zu erhalten; aber Pfaff hat ein ſinnreiches
Verfahren angegeben, das ſelbſt bei kleinem Drucke die ungleiche
Ausdehnung des Waſſers zeigt. Er bedient ſich dazu eines, oben
in ein ſehr enges Roͤhrchen EF ausgehenden Gefaͤßes AB, (Fig. 113.)
das mit der hohen Roͤhre CD in Verbindung geſetzt, aber auch
[201] durch vollkommen dichte Haͤhne a, b, an beiden Enden geſchloſſen
werden kann. Laͤßt man beide Haͤhne offen und fuͤllt die Roͤhre
CD bis an den Nullpunct, ſo ergiebt ſich auch an der engen Roͤhre
EF der richtige Nullpunct. Jetzt ſchließt man den Hahn a, fuͤllt
die andre Roͤhre bis zur Hoͤhe von einigen Zollen uͤber den Null-
punct, und ſchließt den Hahn b. Es iſt gewiß, daß jetzt das Waſſer
im Gefaͤße diejenige Dichtigkeit angenommen hat, die dem Drucke
der Waſſerſaͤule in CD entſpricht, und daß es dieſe Dichtigkeit,
durch die Haͤhne von allen Seiten eingeſchloſſen, auch behaͤlt; oͤffnet
man aber den Hahn a, ſo leidet das Waſſer an der Muͤndung der
engen Roͤhre E nicht den ebenſo großen Druck, wie vom Innern
des Gefaͤßes her, und wird daher, obgleich aller Zufluß durch den
Hahn b gehindert wird, ein wenig in dem engen Roͤhrchen hinauf-
ſteigen, wenn irgend die Compreſſion dazu erheblich genug war.
Dieſe Verſuche erlauben eine große Genauigkeit, weil eine Linie der
engen Roͤhre nur wenig uͤber ein Milliontel der im Gefaͤße AB ent-
haltenen Waſſermaſſe enthaͤlt, und daher ein Steigen von 4 Linien,
wie Pfaff es bei einer durch 20 Zoll Waſſerhoͤhe bewirkten Com-
preſſion beobachtete, einer Zuſammendruͤckung, die nur ungefehr
\frac{1}{200000} iſt, entſpricht. Staͤrkere Preſſungen haben Derſtaͤdt,
Perkins, Sturm und Colladon angewandt, und ſich dabei
des Piezometers bedient, eines Inſtrumentes, das aus einer ſehr
feinen, uͤberall gleich weiten Roͤhre AB (Fig. 114.) und einem
daran angeſchmelzten Gefaͤße BC beſteht. Dieſes Inſtrument wird
bis zu ſeinem Nullpuncte mit der zu pruͤfenden Fluͤſſigkeit gefuͤllt,
und dann in einer Roͤhre DFE von ſtarkem Glaſe, in welcher die
Luft durch eine Compreſſionspumpe bei E verdichtet werden kann,
eingeſchloſſen. Indem man nun durch den bei E angebrachten Kolben
die das Inſtrument ABC umgebende Luft zuſammenpreßt, ſo leidet
auch die in dieſem offenen Gefaͤße ABC enthaltene Fluͤſſigkeit eben
den Druck und geht in eineu engern Raum, den man an der Scale
wahrnimmt*), zuſammen; das Gefaͤß ABC aber, welches von
innen und außen gleichen Druck leidet, kann weder zerſprengt wer-
[202] den, noch auch ſeinen innern Raum erheblich veraͤndern, (wenigſtens
nur um ſo viel, als das von beiden Seiten der Waͤnde ſtark ge-
druͤckte Glas ſein Volumen aͤndert,) und wenn alſo zum Beiſpiel
1 Linie der Roͤhre AB ein Milliontel des Gefaͤßes C betraͤgt, ſo
laſſen ſich die Milliontel der Raum-Aenderung noch wahrnehmen.
Die Verſuche jener Phyſiker geben bei 32 Fuß hohem Waſſerdrucke
eine Zuſammendruͤckung des Waſſers = 48 Millionteln, welches
etwas weniger iſt, als man nach Pfaff's Verſuchen erhalten ſollte.
Die Verſuche wurden bis zu Preſſungen, die 24 mal ſo ſtark als
der Druck der Atmoſphaͤre waren, fortgeſetzt, und ſo eine Zuſam-
mendruͤckung, die uͤber ein Tauſendtel des ganzen Volumens be-
trug, bewirkt. Auch das Queckſilber zeigt bei dieſen Verſuchen eine
geringe Verminderung der Ausdehnung bei großem Drucke.
Die großen Vorſichten, die bei dieſen Verſuchen noͤthig ſind,
die Entfernung aller Luft aus dem Innern des mit der Fluͤſſigkeit
gefuͤllten Gefaͤßes, die Vermeidung der geringſten Aenderung in der
Temperatur u. ſ. w. kann ich hier nur obenhin erwaͤhnen; aber die
Verſuche ſind genau genug angeſtellt und ſtimmen unter ſich ſo gut
uͤberein, daß man ihnen vollkommenes Vertrauen ſchenken darf.
Daß aber dieſe Zuſammendruͤckung geringe genug iſt, um bei alle
den Phaͤnomenen, die wir bis dahin betrachtet haben, als ganz un-
bedeutend bei Seite geſetzt zu werden, das erhellt wohl von ſelbſt,
und wir koͤnnen alſo immer noch vom Waſſer als einer der Zuſam-
mendruͤckung nicht empfaͤnglichen Materie reden, und es der elaſti-
ſchen Luft entgegenſetzen, wenn gleich in den Tiefen von 1000 Fuß,
wohin die Wallfiſche ſich zuweilen im Meere begeben, die Verdich-
tung des Waſſers doch wohl uͤber ein Tauſendtel (immer wenig
genug!) betragen kann *).
Beweiſe fuͤr die Elaſticitaͤt der Luft.
Die Luft dagegen iſt in auffallendem Grade elaſtiſch. Wenn
wir eine am einen Ende verſchloſſene cylindriſche Roͤhre nehmen und
am offenen Ende einen dicht ſchließenden Kolben hineintreiben, ſo
[203] laͤßt dieſer ſich mit gehoͤrig angewandter Gewalt ziemlich tief hinein-
draͤngen; aber ſobald der Druck nachlaͤßt, treibt die zuſammenge-
preßte Luft ihn zuruͤck. Wenn eine mit Luft ganz gefuͤllte und feſt
zugebundene Blaſe durch ein aufgelegtes Gewicht zuſammengedruͤckt
wird, ſo leidet gewiß die darin enthaltene Luft eine Zuſammenpreſ-
ſung, eine Verdichtung; aber bei nachlaſſendem Drucke zeigt ſich
auch die Blaſe wieder ganz gefuͤllt, indem die Luft ihren vorhin ein-
genommenen Raum wieder ausfuͤllt. Wenn man ein hohes oben
geſchloſſenes Glas mit ſeiner Muͤndung ins Waſſer hinabdruͤckt, ſo
zeigt ſich uns zwar die darin enthaltene Luft dadurch, daß ſie den
Eintritt des Waſſers in das Glas hindert, als undurchdringlich;
aber ſie zeigt ſich uns zugleich als merklicher Zuſammendruͤckung
faͤhig, indem das Glas, tief hinabgedruͤckt, einiges Waſſer einlaͤßt,
aber wieder ganz leer iſt, wenn man es hoͤher heraufzieht, alſo den
Druck des Waſſers auf die im Glaſe enthaltene Luft vermindert.
Hier ſehen wir vorzuͤglich nur eine Verdichtung der Luft und
ihre Ruͤckkehr zum natuͤrlichen Zuſtande; aber auch eine Verduͤn-
nung koͤnnen wir wahrnehmen. Braͤchten wir, um dies nur ganz
einfach zu zeigen, in der bei A geſchloſſenen Roͤhre (Fig. 115.), die
bis BC mit Waſſer gefuͤllt iſt, bei D einen eng ſchließenden Kolben
an, ſo zieht ſich das Waſſer dem Kolben nach, indem man ihn nach
E fortruͤckt, und die Luft hat offenbar ſtatt des Raumes AB den
ganzen Raum AF eingenommen, wenn man ihr, durch Zuruͤckzie-
hung des Kolbens und Wegſchaffung des aͤußern Druckes, dazu die
Veranlaſſung giebt. Und dies geſchieht nicht etwa, weil die Schwere
der in AC enthaltenen Luft das Waſſer herabdruͤckt, ſondern wuͤrde
auch nach jeder Richtung ſtatt finden. Die Eigenſchaft der Luft,
daß ſie ſich durch Druck verdichten laͤßt, iſt eines der Hinderniſſe,
weswegen man die Taucherglocken nicht bis zu ſehr großen Tiefen
anwenden kann. Die Taucherglocke naͤmlich, eine oben dicht ge-
ſchloſſene Glocke, die man ſo, daß ihr unterer Rand uͤberall zugleich
das Waſſer beruͤhrt, ins Waſſer ſenkt, gewaͤhrt beim Verſenken in
das Waſſer denen, welche ſich in ihr befinden, einen trockenen Auf-
enthalt; man kann ſich mit ihr, ſo daß wenigſtens der obere Theil
des Koͤrpers mit Luft umgeben bleibt, bis auf den Boden des Mee-
res begeben; aber da der Menſch nicht gut in ſtark verdichteter Luft
leben kann, ſo wuͤrde man 64 Fuß unter dem Waſſer, wo die Luft
[204] ungefehr zu einer dreifach ſo großen Dichtigkeit, als die natuͤrliche
Dichtigkeit iſt, comprimirt waͤre, nicht wohl mehr ausdauern
koͤnnen, wenn auch nicht die andre Unbequemlichkeit, daß man die
durch das Ausathmen verdorbene Luft immer durch friſche Luft er-
ſetzen muß, in ſo großen Tiefen unuͤberwindliche Schwierigkeiten in
den Weg ſtellte. Wie nuͤtzlich uͤbrigens der Gebrauch der Tau-
cherglocke da, wo man den Boden tiefer Gewaͤſſer unterſuchen
will, werden kann, brauche ich kaum zu erwaͤhnen, da Ihnen
gewiß aus oͤffentlichen Nachrichten bekannt iſt, wie man bei dem
großen Bau eines Weges unter der Themſe ſich der Taucher-
glocke bedient hat, um die Oeffnungen genau kennen zu lernen
und zu verſtopfen, durch welche vom Boden der Themſe her ſich
dieſer Weg einigemal mit Waſſer angefuͤllt hatte.
Die Elaſticitaͤt der Luft zeigt ſich uns nicht allein da, wo
eine Aenderung des Druckes ſtatt findet, oder wo man durch eine
Zuruͤckziehung des Kolbens ihr Gelegenheit giebt, einen groͤßern
Raum einzunehmen, ſondern auch da, wo die Luft eine groͤßere
Waͤrme erlangt. Die Waͤrme naͤmlich giebt der Luft eine ſtaͤr-
kere Elaſticitaͤt, ſo daß ſie bei ſtaͤrkerer Erwaͤrmung den Druck
uͤberwindet, der ſie bei geringerer Waͤrme in einem gewiſſen Zu-
ſtande von Verdichtung erhielt. Um nur einen Fall, wo ſich dies
zeigen laͤßt, anzufuͤhren, will ich die Erſcheinungen erzaͤhlen, die
ſich an dem Gefaͤße B (Fig. 81.) beobachten laſſen, wenn dieſes
bei C eine ſehr enge Roͤhre hat. Fuͤlle ich hier das Gefaͤß B
mit Waſſer, ſo zeigt die Erfahrung, daß eine ſehr enge Roͤhre C
das Hervordringen der Luft aus dem untern Gefaͤße nicht ge-
ſtattet, weil der doppelte Strom der heraufgehenden Luft und des
hinabfließenden Waſſers hier nicht Raum genug findet. Die in
dem untern Theile A des Gefaͤßes enthaltene Luft bleibt daher
dort eingeſchloſſen. Erwaͤrmt man nun dieſen unteren Theil des
Gefaͤßes mit der Hand, ſo dringt eine Luftblaſe nach der andern
durch das Waſſer hervor, und dennoch bleibt das untere Gefaͤß
mit Luft, die nun offenbar verduͤnnt iſt, erfuͤllt, bis man die
erwaͤrmende Hand wegnimmt, wo bei der Abkuͤhlung die Ver-
minderung der Luft ſich dadurch zeigt, daß Waſſer durch die
enge Roͤhre in den untern Raum eindringt.
[205]
Druck der Luft. Barometer.
Die Luft hat alſo diejenige Dichtigkeit, welche ſie irgendwo
beſitzt, vermoͤge eines gewiſſen Druckes, und wenn wir auch fuͤr
jetzt von den Veraͤnderungen im Zuſtande der Erwaͤrmung abſehen,
ſo kann doch von einer beſtimmten Dichtigkeit der Luft nur ſo fern,
als ſie einen gewiſſen Druck leidet, die Rede ſein. Auch die uns
im Freien uͤberall umgebende Luft hat alſo die Dichtigkeit, welche
ſie beſitzt, durch irgend einen Druck, und das kann offenbar kein
andrer ſein, als derjenige, den die uͤber uns befindliche Luft auf
die untern Schichten ausuͤbt. Dies uͤberzeugt uns, daß die Luft
ſchwer iſt, welches ſich auch durch andre Verſuche und Erfahrungen
noch mehr beſtaͤtiget.
Um dieſen Druck der Luft naͤher kennen zu lernen und end-
lich zur Abmeſſung deſſelben zu gelangen, wollen wir einen Verſuch
naͤher ins Auge faſſen, der ſich uns leicht darbietet und den jeder
von Ihnen gewiß ſchon oft zu wiederholen Gelegenheit gefunden
hat. Wir nehmen ein hohes Gefaͤß, ein Glas oder eine am einen
Ende verſchloſſene Roͤhre AB, laſſen dieſes Gefaͤß, ganz unter
Waſſer getaucht, ſich mit Waſſer fuͤllen, und bringen nun die
offene Muͤndung zu unterſt, um ſo das mit Waſſer gefuͤllte Gefaͤß
mit dem geſchloſſenen Ende aus der umgebenden Waſſerflaͤche her-
vorzuheben, waͤhrend die Muͤndung unter Waſſer bleibt; dann
finden wir, daß wir ſo eine Waſſerſaͤule von bedeutender Hoͤhe
uͤber die Oberflaͤche des Waſſers hervorheben koͤnnen. Dieſe Waſ-
ſerſaͤule AB (Fig. 116.) druͤckt doch gewiß in B auf die mit der
umgebenden Oberflaͤche CD gleich hoch liegenden Waſſertheilchen,
und das Gleichgewicht koͤnnte nicht beſtehen, wenn nicht ein an-
drer Druck auf CD dem Drucke jener Waſſerſaͤule das Gleichge-
wicht hielte; aber dieſer Druck kann kein andrer als der ſein,
welchen die Luft ausuͤbt. Wenn das Gefaͤß AB keine ſehr große
Hoͤhe hat, ſo erhaͤlt es ſich ganz gefuͤllt, weil dann der Druck
der Waſſerſaͤule AB noch lange nicht dem ganzen Drucke der At-
moſphaͤre gleich iſt; aber dies muß offenbar ſeine Grenze haben.
Um dieſe zu finden, wollen wir einige andre Verſuche unterneh-
men. Es ſei (Fig. 117.) eine ſehr lange Roͤhre AB mit ihrem
einen Ende in Waſſer getaucht; ein dicht ſchließender Kolben C
[206] ſei bis auf die Oberflaͤche des Waſſers DE hinabgedruͤckt und
werde nun in der Roͤhre hinauf gezogen. Da dieſer Kolben hin-
dert, daß die Luft nicht auf die Oberflaͤche des Waſſers in der
Roͤhre druͤckt, ſo treibt der auf die Oberflaͤche DE wirkende
Druck der Luft das Waſſer in der Roͤhre hinauf, ſo daß das
Waſſer dem hinaufgezogenen Kolben folgt, ohne einen Zwiſchen-
raum frei zu laſſen; aber wenn man die Roͤhre uͤber 32 Fuß
hoch, in verticaler Richtung, nimmt, ſo hoͤrt dieſes Steigen auf,
wenn der Kolben eine Hoͤhe von ungefehr 32 Fußen erreicht hat,
und bei noch weiterem Hinaufziehen bleibt ein von Luft und Waſſer
leerer Raum unter dem Kolben. Der Verſuch mit einer 32 Fuß
hohen Roͤhre iſt zu ſchwierig, um ihn oft zu wiederholen; aber
da er zeigt, daß der Druck der Luft auf die Oberflaͤche DE ſo
groß iſt, als der Druck einer 32 Fuß hohen Waſſerſaͤule, ſo
duͤrfen wir ſchließen, daß eine Saͤule des 14 mal ſo ſchweren
Queckſilbers bei weit geringerer Hoͤhe, bei etwa 28 Zoll Hoͤhe,
ſchon dem Drucke der Luft das Gleichgewicht halten wird. Wie-
derholen wir den vorigen Verſuch mit Queckſilber und bedienen
uns einer etwa 30 Zoll hohen Glasroͤhre AB, ſo ſehen wir das
Queckſilber ſteigen, aber bei einer Hoͤhe von ungefehr 28 Zoll
(pariſer Maaß) bleibt es ſtehen, und der Kolben laͤßt, hoͤher hinauf
gezogen, einen luftleeren Raum unter ſich. Der Verſuch laͤßt
ſich mit einer am Ende geſchloſſenen Roͤhre auch ſo wiederholen,
daß man ſie ganz mit Queckſilber fuͤllt, ihr offenes Ende mit dem
Daumen verſchließt, und ſie dann umgekehrt mit der Muͤndung
in ein Gefaͤß mit Queckſilber taucht; nimmt man, nachdem die
ganze Oeffnung ſich unter Queckſilber befindet, den verſchließen-
den Daumen weg, ſo ſenkt ſich zwar die Oberflaͤche des Queckſil-
bers in der Roͤhre, aber bleibt auf ungefehr 28 Zoll hoch ſtehen,
und wir haben nun unſer gewoͤhnliches Barometer.
Ich habe fruͤher einmal gelegentlich darauf hingedeutet, daß
das Barometer ſich mit derjenigen zweiſchenklichen Roͤhre, in wel-
cher zwei ungleiche Fluͤſſigkeiten einander gegenuͤberſtehen, ver-
gleichen laſſe, und dieſe Vergleichung laͤßt ſich hier vollſtaͤndiger
uͤberſehen. Koͤnnten wir uͤber dem Gefaͤße DE eine Luftſaͤule
bis zum Ende der Atmoſphaͤre hinauf in eine Roͤhre einſchließen,
ſo waͤre die Vergleichung ganz vollſtaͤndig, und der Druck der
[207] ſehr hohen Luftſaͤule in der langen Roͤhre, erhielte die Queckſilber-
ſaͤule in der kurzen Roͤhre im Gleichgewichte; aber auch ohne dieſe
Roͤhre iſt die Vergleichung hinreichend zutreffend, da es auf die
Geſtalt der Roͤhre bei jenem Gegendrucke der beiden Fluͤſſigkeiten
nicht ankommt.
Das Barometer dient uns alſo, um den Druck oder das
Gewicht der ganzen uͤber uns ſtehenden Luftſaͤule abzumeſſen.
Steht das Queckſilber im Barometer 28 Zoll hoch, ſo iſt der
Druck der Luft auf jede beſtimmte Flaͤche ſo groß, als wenn eine
Queckſilberſaͤule von 28 Zoll hoch uͤber dieſer Flaͤche errichtet waͤre;
faͤllt das Queckſilber im Barometer, ſo zeigt uns dies einen ver-
minderten Druck der Luft an, indem ſie jetzt nicht mehr im Stande
iſt, einer ſo hohen Queckſilberſaͤule das Gleichgewicht zu halten.
Verſchiedene Arten des Barometers. Regeln bei der
Beobachtung.
Ehe ich noch mehr Beweiſe fuͤr dieſe Behauptung, vorzuͤglich
aus der Beobachtung des auf Bergen niedriger ſtehenden Queckſil-
bers im Barometer, anfuͤhre, wird es nothwendig ſein, etwas
von der Einrichtung unſrer Barometer und der Kunſt, ſie zu be-
obachten, zu erwaͤhnen, wobei ich indeß nicht alle die mannigfalti-
gen Formen anfuͤhren will, die man dem Barometer gegeben hat,
ſondern nur die beiden Haupt-Arten beſchreiben werde, die man
als vorzuͤglich brauchbar kennen muß.
Das empfindlichſte Barometer, dasjenige naͤmlich, welches
jede Aenderung im Drucke der Luft ſogleich anzeigt, iſt das Gefaͤß-
barometer. Es beſteht aus einer ziemlich weiten, oben geſchloſſe-
nen Glasroͤhre, die mit Queckſilber gefuͤllt und mit ihrer Oeff-
nung unten in ein Gefaͤß mit Queckſilber getaucht iſt, wie Fig.
119. es zeigt. Iſt hier die Roͤhre weit genug und der Raum
oberhalb des in der Roͤhre enthaltenen Queckſilbers voͤllig luftleer,
ſo findet ſich kein Hinderniß, wodurch die Einwirkung des Druckes
der aͤußern Luft aufgehalten wuͤrde, und die Hoͤhe der Queckſilber-
ſaͤule giebt genau den von der freien Luft ausgeuͤbten Druck an.
Nicht ganz ſo vollkommen findet dieſes ſtatt, wenn die Roͤhre eng
iſt, indem der Widerſtand an der Roͤhrenwand in ſolchen Roͤhren
nur dann eine merkliche Aenderung der Queckſilberhoͤhe zulaͤßt,
[208] wenn der Druck der Luft ſich ſchon um etwas mehr geaͤndert hat.
Die zweite Art von Barometern, das Heberbarometer (Fig. 118.),
iſt in manchen Hinſichten bequemer, aber nicht ganz ſo empfindlich.
Es beſteht aus einer gekruͤmmten, oben bei c luftleeren Roͤhre, wo
der Druck der Luft auf die Oberflaͤche des Queckſilbers im kuͤr-
zern, offenen Schenkel, bei B wirkt, und das Queckſilber im laͤn-
gern Schenkel ſo hoch erhaͤlt, als es dem jedesmaligen Luftdrucke
angemeſſen iſt. Es iſt nicht ganz ſo empfindlich, als das aus
einer graden Roͤhre beſtehende Gefaͤßbarometer, weil der Wider-
ſtand, den das Queckſilber in der Kruͤmmung der Roͤhre findet,
immer etwas erheblicher iſt.
In beiden Arten von Barometern muß der Raum oberhalb
der hoͤchſten Queckſilberflaͤche voͤllig luftleer ſein, damit dieſe Ober-
flaͤche im vollkommenſten Sinne frei von allem Drucke der Luft
ſei, und die Hoͤhe der Queckſilberſaͤule, welche von der untern
Oberflaͤche B an, vertical hinauf gemeſſen wird, den voͤlligen Druck
der aͤußern Luft angebe. Um dieſe vollkommene Luftleere zu er-
halten, muß man das Queckſilber in der Roͤhre auskochen, indem
die Erfahrung zeigt, daß ſich immer Luft aus dem nicht ausge-
kochten Queckſilber entwickelt, ſelbſt wenn man ſo gluͤcklich gewe-
ſen iſt, die Roͤhre ſo zu fuͤllen, daß kein ſichtbares Blaͤschen uͤbrig
blieb; dieſe im Queckſilber enthaltene Luft wird, ſo wie die noch
etwa anhaͤngenden feinen Blaͤschen, nur dann voͤllig entfernt, wenn
man die ganze Queckſilbermaſſe in der Roͤhre ſelbſt, ehe man
dieſe in ihre umgekehrte Stellung gebracht hat, auskocht, indem
dann die durch die Hitze ausgedehnte Luft voͤllig ausgetrieben wird.
Daß der Zweck, eine voͤllige Luftleere zu erhalten, wirklich er-
reicht ſei, davon kann man ſich ziemlich ſicher uͤberzeugen, wenn
man das Barometer ſo weit auf die Seite lehnt, daß das Queck-
ſilber ſich oben anlegt, und dann mit dem Microſcope unterſucht,
ob gar nichts von einem Blaͤschen oben uͤbrig bleibt, ſondern das
Queckſilber ſich ohne den geringſten Zwiſchenraum an das Glas
anlegt.
Ein zweites Erforderniß iſt, daß die neben der Roͤhre ange-
brachte Scale nach einem genauen Maaße getheilt ſei. Wir wollen
in den meiſten Faͤllen nicht das Steigen oder Fallen unſeres Baro-
meters allein beobachten, ſondern wir wollen unſre Beobachtungen
[209] mit den Beobachtungen an andern Orten vergleichen, und muͤſſen
uns daher eines genauen Maaßes bedienen. Um gewoͤhnlichſten
iſt es bei uns die Pariſer Zolle in 12 Linien getheilt, anzuwenden,
und auf dieſe Eintheilung will ich mich hier immer beziehen; —
jedes andre Maaß, wenn es nur in Vergleichung gegen das pari-
ſer Maaß ein bekanntes iſt, laͤßt ſich auf dieſes zuruͤckfuͤhren *).
Die Abmeſſung der Barometerhoͤhe muß von der niedrigern
Oberflaͤche, ſie ſei nun die Queckſilber-Oberflaͤche in dem weite-
ren Gefaͤße AB (Fig. 119 ) oder im andern
Schenkel B (Fig.
118.), an gerechnet werden, und es wird daher hier am beſten
ſein, die ganze Scale, auf welcher die Zolle aufgetragen ſind, als
beweglich anzuſehen, ſo daß ihr Nullpunct jedesmal genau an die
untere Oberflaͤche gebracht werden kann. Iſt das Barometer ein
Gefaͤßbarometer (Fig. 119. ), ſo kann dies dadurch geſchehen, daß
eine Spitze a, die genau mit dem Nullpuncte uͤberein ſtimmt, bis
zur Beruͤhrung der Oberflaͤche AB herabgebracht wird; iſt es ein
Heberbarometer, ſo muß ſich an der Scale vor und hinter der
Roͤhre ein horizontal geſpanntes Haar befinden, und dieſe Haare,
deren Lage mit dem Null der Scale zuſammentrifft, werden mit
der ganzen Scale ſo herabgeſchraubt, daß ſie dem richtig gehaltenen
Auge beide zugleich die Queckſilber-Oberflaͤche B zu beruͤhren ſchei-
nen. Hiemit iſt der Anfang der Scale richtig geſtellt, und es
iſt nur noch uͤbrig, oben die richtige Anzahl der Zolle, Linien und
Theile von Linien abzuleſen. Damit dies bequem geſchehe, iſt
(Fig. 118.) das bewegliche Taͤfelchen ed ebenſo mit zwei hori-
zontalen Haaren oder einer die Roͤhre genau in horizontaler Rich-
tung umgebenden Faſſung verſehen, und man ſtellt dieſe durch eine
Schraube ſo, daß die beiden Haare die obere Woͤlbung des Queck-
ſilbers zu beruͤhren ſcheinen; dann iſt der erſte Theilſtrich das Null
I. O
[210] des in (Fig. 120.) groͤßer dargeſtellten beweglichen Stuͤckes genau
an der Scale ſo hoch, als die Queckſilber-Oberflaͤche. Damit
man ſie genau richtig ſtellen koͤnne, bedient man ſich des Micro-
ſcopes. Der erſte Theilſtrich zeigt uns nun zwar die ganzen Linien
der Barometerhoͤhe an der Scale ſogleich an, aber wir verlangen
wenigſtens auch noch die Zehntel der Linie nicht bloß zu ſchaͤtzen,
ſondern genau abzuleſen; hiezu dient der Ronius oder Vernier,
deſſen Einrichtung folgende iſt. Statt daß auf der Scale ſelbſt die
einzelnen Linien aufgetragen ſind, hat man in der Theilung
auf dem beweglichen Stuͤcke, welche den Vernier oder Ronius
darſtellt, den Raum von 9 Linien in 10 gleiche Theile getheilt.
Treffen alſo (Fig. 120.) bei c zwei Theilſtriche, der Scale naͤm-
lich und des Vernier, genau zuſammen, ſo ſind die naͤchſten d, e
um \frac{1}{10} Linie, die zweiten folgenden f und g um zwei zehntel
aus einander, und wenn der Inder, naͤmlich die mit dem am Ver-
nier befindlichen Haare zuſammentreffende Linie, um fuͤnf Zehntel
von der vollen Linientheilung der Scale abſteht, ſo erkennen wir
dies an dem genauen Zuſammentreffen des fuͤnften Theilſtriches.
(Fig. 121.) ſtellt in a den Theilſtrich des Vernier vor, der mit
dem Haare zuſammentrifft, in b den fuͤnften, der auf eine volle
Linie der Scale I m zeigt.
Ich wuͤrde mich bei dieſen genauen Anweiſungen nicht ſo
lange aufhalten, wenn es nicht ein Inſtrument betraͤfe, das in
aller Menſchen Haͤnden iſt, und von welchem Sie ſelbſt gewiß
oft eine moͤglichſt genaue Anwendung zu machen wuͤnſchen. Daß
das Barometer genau vertical haͤngen muß, damit das, was wir
ableſen, auch der wahre Hoͤhen-Unterſchied der beiden Queckſilber-
Oberflaͤchen ſei, verſteht ſich von ſelbſt. Daß man durch einige
ganz leiſe Stoͤße muß zu bewirken ſuchen, daß das Queckſilber den
Widerſtand an den Roͤhrenwaͤnden uͤberwinde, und genau die dem
Luftdrucke angemeſſene Hoͤhe erreiche, iſt eine Regel, die vorzuͤglich
bei engen Roͤhren nicht zu uͤberſehen iſt. Um aber bei Gefaͤßba-
rometern, weil da bald eine weitere, bald eine engere Roͤhre ge-
waͤhlt iſt, die Hoͤhen richtig zu erhalten, muß man noch bemerken,
daß bei engen Roͤhren das Queckſilber, ſelbſt mit ſeiner hoͤchſten
Woͤlbung, (auf welche man immer die Beobachtung zu richten
hat,) ein wenig zu niedrig ſteht, und daß deshalb eine kleine Cor-
[211] rection, die man in den Anleitungen zur Hoͤhenmeſſung mit dem
Barometer, als der Capillar-Attraction wegen noͤthig, angegeben
findet, anzubringen iſt.
Von der Ruͤckſicht auf die Waͤrme muß ich noch etwas er-
waͤhnen. Wir haben gleich zu Anfang dieſer Betrachtungen uͤber
den Druck der Luft die Bemerkung gemacht, daß eine leichtere
Fluͤſſigkeit in der luftleeren Roͤhre bis zu groͤßern Hoͤhen durch
den Druck der Luft hinaufgedraͤngt wird, und es iſt daher leicht
zu uͤberſehen, daß ein etwas leichteres Queckſilber im Barometer
hoͤher ſtehen wird, als ein etwas ſchwereres. Da nun die Erfah-
rung uns zeigt, daß die Waͤrme alle Koͤrper und ſo auch das
Queckſilber ausdehnt, ſo muß das waͤrmere Queckſilber etwas hoͤher
ſtehen, als kaltes. Daß dieſer Unterſchied nicht unerheblich iſt,
davon kann man ſich im Winter am beſten uͤberzeugen, wenn
man zwei ganz gleiche Barometer beobachtet, deren eines in einem
kalten Raume, das andre nahe am Ofen aufgehaͤngt iſt. Hier
iſt es leicht zu erreichen, daß der Waͤrme-Unterſchied 25 Grade
der achtzigtheiligen Thermometerſcale betraͤgt *), und in dieſem
Falle wird das in der Waͤrme haͤngende Barometer beinahe 2
Linien hoͤher ſtehen, als das andre, wenn das letztere ungefehr
auf 28 Zoll ſteht. Will man alſo Barometerbeobachtungen mit
Genauigkeit anſtellen, ſo muß man zugleich vermittelſt des Ther-
mometers die Waͤrme beobachten, und die beobachtete Barometer-
hoͤhe fuͤr jeden Reaumuͤr'ſchen Grad um \frac{1}{4440}, oder fuͤr jeden
Centeſimalgrad um \frac{1}{5550} corrigieren. Man reducirt am liebſten
auf den Nullgrad der Temperatur, das heißt, da warmes Queck-
ſilber und kaltes Queckſilber nicht als ein und derſelbe Koͤrper in
Hinſicht auf die ſpecifiſche Schwere anzuſehen ſind, ſo mißt man
den Druck der Luft mit demjenigen Queckſilber ab, deſſen Waͤrme
O 2
[212] der des gefrierenden Waſſers oder des ſchmelzenden Eiſes gleich
iſt. — Daß dieſe Genauigkeit nothwendig iſt, wird ſogleich noch
vollſtaͤndiger erhellen.
Hoͤhenmeſſung mit dem Barometer.
Ich verſprach vorhin einen noch vollſtaͤndigern Beweis fuͤr die
Behauptung, daß das Queckſilber im Barometer durch den Druck
der Luft in ſeiner beſtimmten Hoͤhe erhalten werde. Dieſer Be-
weis ergiebt ſich daraus, daß das Queckſilber im Barometer ſinkt,
wenn wir das Barometer an einen hoͤhern Ort bringen. Dieſes
muß offenbar ſtatt finden, wenn es der Druck der Luft iſt, wel-
cher das Queckſilber in dieſer Hoͤhe erhaͤlt; denn, indem ich in der
Luft hinaufſteige, laſſe ich einen Theil der Luftſaͤule unter mir
zuruͤck, die nun nicht mehr zu dem Drucke auf das Barometer
beitraͤgt, und der Barometerſtand in einem hoͤhern Standpuncte
giebt nur das Gewicht des noch uͤber uns liegenden Theiles der
Luftſaͤule an. Auf dieſe Weiſe ſieht man das Barometer auf dem
Brocken 24½ Zoll hoch bei einer Hoͤhe von 3650 Fuß, auf dem
St. Bernhard 21 Zoll hoch bei 7650 Fuß Hoͤhe, auf dem Aerna
19 Zoll hoch bei 10300 Fuß Hoͤhe, auf dem Mont Blanc 16
Zoll hoch bei 14650 Fuß Hoͤhe, auf dem Chimborazo 12⅚ Zoll
hoch bei 20100 Fuß Hoͤhe.
Dieſe Beobachtungen bieten uns ein weites Feld zu weiteren
Unterſuchungen dar, denn es erhellt, daß wir nur das Geſetz,
nach welchem ſich dieſes Fallen des Barometers in hoͤhern Stand-
puncten richtet, naͤher kennen zu lernen brauchen, um das Baro-
meter, als ein Inſtrument zum Hoͤhenmeſſen anzuwenden.
Wenn man von zwei Barometern, die neben einander haͤn-
gend beide genau gleich, 28 Zoll hoch, ſtanden, das eine zu einem
73 Fuß hoͤhern Standpuncte bringt, ſo faͤllt es um eine Linie, und
wir ſchließen daher, daß eine Luftſaͤule von 73 Fuß hoch, oder
876 Zoll oder 10512 Linien hoch, ebenſoviel wiegt, als eine
Queckſilberſaͤule von 1 Linie hoch bei gleichem Querſchnitte, das
heißt, wir finden, daß die uns umgebende, von der ganzen obern
Luft zuſammengedruͤckte Luft nur \frac{1}{10512} ſo dicht als Queckſilber,
alſo nur ungefehr \frac{1}{720} ſo dicht als Waſſer iſt. Hiemit kennen
wir einen Umſtand, auf welchen es bei der barometriſchen Hoͤhen-
[213] meſſung ankommt; aber gewiß iſt nicht das ſpecifiſche Gewicht
der Luft uͤberall ſo groß, ſondern, da die Luft bei geringerm Drucke
ſich ausdehnt, ſo muß ſie in hoͤheren Standpuncten weniger dicht
ſein, und ſelbſt nachdem wir nur um 73 Fuß hoͤher geſtiegen ſind,
und ein Sinken des Queckſilbers von einer Linie beobachtet haben,
befinden wir uns in einer minder dichten Luft, und muͤſſen etwas
mehr als 73 Fuß hoch ſteigen, damit das Queckſilber wieder um
eine Linie falle, und jedes folgende Sinken des Queckſilbers bei
hoͤherem Steigen gehoͤrt, wenn es 1 Linie betraͤgt, mit hoͤhern
Luftſaͤulen zuſammen. Daß dies ſich ſo verhaͤlt, iſt wohl ganz
gewiß, da die Luft an der Erde nur darum ihre beſtimmte Dich-
tigkeit hat, weil ein ſo großes Gewicht von Luft auf ihr ruht,
und die hoͤhere, von einem geringeren Gewichte belaſtete Luft alſo
gewiß nicht ſo dicht iſt; aber das Geſetz, nach welchem ſich die
Abnahme der Dichtigkeit richtet, muß durch Erfahrung beſtimmt
werden. Dies koͤnnte ſo geſchehen, daß wir da, wo das Baro-
meter genau 28 Zoll hoch ſteht, zu der Hoͤhe hinaufſtiegen, wo
das Barometer 1 Linie gefallen iſt, und eben die Beobachtung in
großen Hoͤhen, wo das Barometer auf 21 Zoll und endlich auf
14 Zoll ſteht, wiederholten; wir wuͤrden dieſe Hoͤhen im erſten
Standpuncte nahe an 73 Fuß, im zweiten nahe an 109½ Fuß,
im dritten nahe an 146 Fuß finden, und ſchließen, daß ſich die
Dichtigkeit wie der Druck verhalte, daß man alſo da, wo der Druck
und halb ſo groß (= 14 Zoll) iſt, doppelt ſo hoch ſteigen muͤſſe,
als da, wo er 28 Zoll war, um den Druck um 1 Linie vermin-
dert zu ſehen. Da aber dieſe Beobachtung manche Schwierigkeit
darbietet, ſo hat man jenes Geſetz, welches das Mariottiſche
Geſetz heißt, durch folgende Verſuche beſtaͤtiget. Man nimmt
eine zweiſchenkliche Roͤhre, deren kurzer Schenkel uͤberall von genau
gleicher Weite iſt, und deren langer Schenkel wenigſtens das drei-
oder vierfache der Barometerhoͤhe, das iſt, 3 bis 4 mal 28 Zoll
lang iſt. Man fuͤllt zuerſt die Roͤhre bis AB, (Fig. 122.) ſo
daß die Luft in dem Schenkel AC eingeſchloſſen iſt, ohne noch
verdichtet zu ſein; dann gießt man in B mehr Queckſilber auf, und
dieſes bewirkt auch in A ein Steigen, aber die nun verdichtete
Luft widerſteht dem Steigen des Queckſilbers, ſo daß es im andern
Schenkel viel hoͤher ſteigt. Gießt man ſo lange Queckſilber ein,
[214] bis die Luft auf den halben anfaͤnglichen Raum CD zuſammenge-
draͤngt iſt, ſo findet man das Queckſilber in E ſo hoch uͤber der
Oberflaͤche D, als die Barometerhoͤhe, alſo 28 Zoll = EF, wenn
das Barometer 28 Zoll hoch ſtand; eine doppelt ſo dichte Luft wi-
derſteht alſo außer dem Drucke der Luft noch dem Drucke einer
28 Zoll hohen Queckſilberſaͤule, oder im ganzen einem Drucke, der
doppelt ſo groß iſt, als der, welchen die Luft bei einfacher Dichtig-
keit litt. Gießt man ſo viel Queckſilber ein, daß die Luft in den
Raum CG zuſammengedraͤngt iſt, der = ⅓ CA iſt, ſo ſteht die
Oberflaͤche H doppelt ſo hoch uͤber G, als E uͤber F war, oder die
zur dreifachen Dichtigkeit comprimirte Luft traͤgt einen Druck
dreimal ſo groß, als den, welchen die Luft in ihrer anfaͤnglichen
Dichtigkeit ertrug. Und ſo geht es fort bei fernern Compreſſionen.
Um eben dieſe Pruͤfung des Mariottiſchen Geſetzes bei Ver-
duͤnnung der Luft anzuſtellen, wollen wir annehmen, die Roͤhre
ABC (Fig. 123.) ſei zuerſt an beiden Enden offen und werde
ſo gefuͤllt, daß DE die Oberflaͤche des Queckſilbers ſei; nun aber
werde bei C die Oeffnung luftdicht verſchloſſen, und hierauf bei
A ſo viel Queckſilber weggenommen, bis die Luft CE ſich in den
doppelten Raum CF ausgedehnt habe; dann wird die andre
Oberflaͤche in G um 14 Zoll niedriger, als F ſtehen, und daraus
ſich ergeben, daß der auf G ausgeuͤbte Druck der Atmoſphaͤre einem
Drucke von 14 Zoll Queckſilber, nebſt dem Druck der halb ſo
dichten Luft das Gleichgewicht haͤlt; dieſer letztere erſetzt alſo den
Druck von 14 Zoll Queckſilber, weil wir die Barometerhoͤhe
= 28 Zoll annehmen. Nehmen wir abermals bei A Queckſilber
weg, ſo lange bis die Luft in CH einen dreimal ſo großen Raum
einnimmt, als ſie bei natuͤrlicher Dichtigkeit einnahm, ſo finden
wir die Oberflaͤche 1 um 18⅔ Zoll tiefer, als die Oberflaͤche H; die
auf ein Drittel ihrer natuͤrlichen Dichtigkeit gebrachte Luft haͤlt
naͤmlich nur noch eine Queckſilberſaͤule = ⅓ ⋅ 28 = 9⅓ Zoll hoch,
und dem geſammten Drucke der aͤußern Luft wird daher durch
dieſen Druck und 18⅔ Zoll Queckſilber das Gleichgewicht gehalten.
Hiedurch haben wir Beweis genug, daß der Druck in eben
dem Maaße, wie die Dichtigkeit der Luft, zunimmt und abnimmt,
und koͤnnen alſo nun den Verſuch wagen, zu beſtimmen, wie groß
der Druck der Luft in irgend einer Hoͤhe ſein wird. Die Verglei-
[215] chung mit der Erfahrung wird dann zeigen, ob wir recht gerechnet haben.
Um dieſe Vergleichung anzuſtellen, wollen wir uns eine Tafel
berechnen, und dabei bemerken, daß wir bei 28 Zoll oder 336 Li-
nien Barometerhoͤhe 73 Fuß ſteigen muͤſſen, damit das Baro-
meter auf 335 Linien hoch ſtehe, daß wir aber nun \frac{336}{335} ⋅ 73 Fuß
ſteigen muͤſſen, damit es bis zu 334 Linien falle, daß wir dann
aufs Neue \frac{336}{334} ⋅ 73 Fuß ſteigen muͤſſen, damit es auf 333 Linien
falle und ſo ferner. So finden wir
die Barometerhoͤhe = 336‴ auf der Hoͤhe = 0 Fuß,
335‴ auf der Hoͤhe = 73,000 Fuß,
334‴ auf der Hoͤhe = 146,218 Fuß,
333‴ auf der Hoͤhe = 219,655 Fuß,
332‴ auf der Hoͤhe = 293,313 Fuß,
331‴ auf der Hoͤhe = 367,193 Fuß,
330‴ auf der Hoͤhe = 441,296 Fuß,
329‴ auf der Hoͤhe = 515,623 Fuß,
328‴ auf der Hoͤhe = 590,176 Fuß,
327 auf der Hoͤhe = 664,956 Fuß,
326 auf der Hoͤhe = 739,965 Fuß,
325 auf der Hoͤhe = 815,204 Fuß,
324 auf der Hoͤhe = 890,674 Fuß,
323 auf der Hoͤhe = 966,378 Fuß,
322 auf der Hoͤhe = 1042,316 Fuß,
321 auf der Hoͤhe = 1118,490 Fuß,
320 auf der Hoͤhe = 1194,900 Fuß,
319 auf der Hoͤhe = 1271,551 Fuß,
318 auf der Hoͤhe = 1348,441 Fuß,
317 auf der Hoͤhe = 1425,573 Fuß,
316 auf der Hoͤhe = 1502,948 Fuß,
Schon dieſe kleine Tafel zeigt, daß man, um das Barometer
20 Linien fallen zu ſehen, nicht 20 mal 73 oder 1460 Fuß ſteigen
muß, ſondern 1503 Fuß, und je hoͤher man ſteigt, deſto mehr
betraͤgt dieſer Unterſchied; aber mit Huͤlfe dieſes Taͤfelchens, welches
ſich ohne große Muͤhe weiter fortfuͤhren laͤßt, waͤre es nun leicht,
ſogleich aus dem beobachteten Stande des Barometers zu wiſſen,
[216] auf welcher Hoͤhe man ſich uͤber dem Standpuncte befindet, wo
das Barometer 28 Zoll hoch ſteht; wenn nicht die Waͤrme, deren
ungleiche Grade die Luft in einen mehr oder minder dichten Zuſtand
verſetzen, hier noch beruͤckſichtigt werden muͤßte.
Wenn die Waͤrme beinahe einen halben Grad uͤber Null iſt,
ſo iſt es bei trockner Luft genau wahr, daß man 73 Fuß ſteigen
muß, um das Barometer von 28 Zoll auf 27 Zoll 11 Linien fallen
zu ſehen; dagegen muß man, wenn die ganze Luftſaͤule 10 Grade
der 80theiligen Scale warm iſt, 76 Fuß 5 Zoll ſteigen, um das
Barometer ebenſo fallen zu ſehen. Die Luft dehnt ſich naͤmlich
bei zunehmender Waͤrme ſo ſehr aus, daß ſie bei 10 Grad Waͤrme
faſt um \frac{1}{21} leichter iſt, als bei 0° Waͤrme, und man alſo 73 ⋅ \frac{22}{21} =
beinahe 76½ Fuß, als diejenige Hoͤhe erhaͤlt, die jetzt an Gewicht
den vorigen 73 Fuß gleich iſt; und in eben dem Verhaͤltniſſe neh-
men alle Hoͤhen der Tafel zu.
Um alſo die ganze Theorie des Hoͤhenmeſſens mit dem Ba-
rometer zu uͤberſehen, reichen folgende wenige Regeln zu. Man
muß erſtlich die Barometerhoͤhe an den zwei Orten, deren Hoͤhen-
Unterſchied man wiſſen will, ſehr genau meſſen, und dieſes ſo
viel moͤglich zu gleicher Zeit, damit eine Aenderung im Stande
des Barometers, ſo wie ſie mit wechſelnder Witterung verbunden
zu ſein pflegt, nicht eine Unrichtigkeit hervorbringe. Man muß
zweitens die beobachtete Queckſilberhoͤhe auf die Waͤrme des ge-
frierenden Waſſers zuruͤckfuͤhren, weil das Queckſilber bei groͤßerer
Waͤrme nicht die Dichtigkeit hat, die bei der Berechnung der vor-
handenen Tafeln vorausgeſetzt iſt. Dieſe Correction betraͤgt fuͤr
10 Grade \frac{1}{444}, alſo fuͤr 13⅕ Grade faſt genau \frac{1}{336} oder 1 Linie
auf 28 Zoll, das heißt, wenn das Barometer bei 13⅕ Gr. Waͤrme
auf 28 Zoll ſteht, ſo ſinkt es auf 27 Zoll 11 Linien, wenn man
es in die Eiskaͤlte bringt; und wenn es bei - 13⅕ Gr. oder
bei einer ſo viel Grade unter Null betragenden Kaͤlte auf 28 Zoll
ſteht, ſo ſteigt es auf 28 Zoll 1 Lin., wenn man es in die Null-
temperatur bringt. Man ſucht drittens mit Huͤlfe einer ſolchen
Tafel, wie ſie oben angegeben iſt, wie hoch der eine und wie
hoch der andre Standpunct ſich uͤber demjenigen befindet, wo das
Barometer 28 Zoll hoch ſteht, und wuͤrde daraus, weil dieſe Tafeln
auf die Nulltemperatur eingerichtet zu ſein pflegen, den Hoͤhen-
[217] Unterſchied genau haben, wenn die Waͤrme der Luft = Null
Grad geweſen waͤre. Endlich viertens nimmt man aus den in
beiden Standpuncten in freier Luft beobachteten Waͤrmegraden das
Mittel und legt dem vorigen Hoͤhen-Unterſchiede ſo viele 213tel
zu, als dieſe Mittelwaͤrme in Reaumuͤr'ſchen Graden uͤber Null
iſt; — waͤre die Mittelwaͤrme unter Null, ſo muͤßte man ſub-
trahiren.
Dies ſind die wichtigſten Regeln; einige andre Correctionen,
die darauf beruhen, daß die Luft bei ungleicher Feuchtigkeit nicht
genau gleich ſchwer iſt, und daß die Schwerkraft in der Hoͤhe,
in groͤßern Entfernungen von der Erde, abnimmt, kann ich hier
wohl uͤbergehen, da eine vollkommene Anleitung zum Hoͤhen-
meſſen mit dem Barometer hier nicht mein Zweck iſt.
Sechzehnte Vorleſung.
Schwierigkeiten, die einer genauen Hoͤhenmeſſung im
Wege ſtehen.
Ehe ich zu den Veraͤnderungen im Stande des Barometers
uͤbergehe, welche an einem und demſelben Orte ſtatt finden, muß
ich Ihnen, m.h.H., doch noch einige Umſtaͤnde bemerklich machen,
welche der vollkommenen Genauigkeit der durch das Barometer
erhaltenen Hoͤhenbeſtimmungen im Wege ſtehen. Jene Wechſel
im Barometerſtande, die wir alle als mit der Witterung in Be-
ziehung ſtehend kennen, und auf welche ich ſogleich zuruͤckkommen
werde, gehoͤren mit zu dieſen Hinderniſſen; denn da die Aende-
rungen des Barometerſtandes nicht ganz gleichzeitig erfolgen, ſelbſt
an Orten nicht, die nur wenige Meilen aus einander liegen, ſo
kann bei einer Entfernung, die mehrere Meilen betraͤgt, einige
Unſicherheit entſtehen, und dieſe kann ſich bei Orten, deren Hoͤhe
beinahe gleich iſt, ſo gar ſo erheblich zeigen, daß derſelbe Ort
bald einen etwas hoͤhern, bald einen etwas niedrigern Barome-
terſtand, als der andere hat. Aber ſelbſt bei gleichzeitigen Beob-
achtungen an Orten, die nur wenig in horizontaler Richtung
[218] von einander entfernt, aber in ungleicher Hoͤhe liegen, bleibt
eine Unſicherheit in der Beſtimmung uͤbrig, weil wir nicht immer
die Waͤrme der ganzen Luftſaͤule genau kennen. Wenn wir die
Waͤrme am Fuße des Berges 12 Grad und an ſeinem Gipfel
8 Grad finden, ſo nehmen wir 10 Grad als die Waͤrme der
ganzen Luftſaͤule an; aber etwas genauer angeſtellte Beobach-
tungen zeigen, daß dieſe Beſtimmung des Mittels oft ſehr be-
deutend fehlerhaft iſt. In den Mittagsſtunden erwaͤrmt bei hei-
terem Wetter der Boden ſich ſo ſehr, daß nahe an der Erde eine
große Erhitzung bemerkt wird, die in Hoͤhen von einigen hundert
Fuß von der Erde ganz aufhoͤrt; denken wir daran nicht, daß
dieſe Waͤrme nur auf den unterſten Theil der Luftſaͤule einge-
ſchraͤnkt iſt, und laſſen uns dadurch verleiten, die ganze Luft-
ſaͤule als um 1 Grad zu warm anzuſehen, ſo berechnen wir einen
Berg von 2130 Fuß um 10 Fuß zu hoch. Einen noch auffallendern
Irrthum begeht man leicht um die Zeit des Sonnen-Untergangs
nach heißen Tagen oder um die Zeit des Sonnen-Aufgangs nach
heitern, ſtillen Sommernaͤchten. Wenn am Tage die Erwaͤrmung
des Bodens ſehr groß war, und dadurch auch die Luft bis zu 100
oder 200 Fuß Hoͤhe bedeutend durchwaͤrmt iſt, ſo findet man
Abends bei Sonnen-Untergang die Luft in 100 Fuß Hoͤhe lange
nicht ſo abgekuͤhlt, wie am Boden oder in 3 bis 4 Fuß Hoͤhe.
Beobachtet man nun das Thermometer in 3 oder 4 Fuß Hoͤhe
und in 4000 Fuß Hoͤhe, ſo wird man das erſtere vielleicht auf
10 Grad, die Waͤrme in der Hoͤhe dagegen, wo es immer kalt
iſt, nur 4 Grad finden; aber zwiſchen beiden Standpuncten kann
es eine Gegend geben, wo es 12 oder 13 Grad warm waͤre,
ſo daß wir ſtatt 7 Grad Mittelwaͤrme, wenigſtens 8, vielleicht
9 Gr. haͤtten annehmen muͤſſen; in ſolchen Faͤllen iſt die waͤrmere
Luftſaͤule laͤnger, als wir ſie berechnen, wir finden die Hoͤhe des
Berges zu niedrig, und dieſer Unterſchied wird oft ſo erheblich,
daß man die am ſpaͤten Abend, oder Morgens vor Sonnen-
Aufgang gemachten Beobachtungen, als viel zu geringe Hoͤhen
gebend, ganz unbrauchbar gefunden hat. Dieſem Fehler weicht
man am beſten aus, wenn man die Beobachtungen in den mitt-
leren Vormittagsſtunden, von 8 bis 10 Uhr, oder in den mittlern
Nachmittagsſtunden, im Sommer um 4 oder 5 Uhr anſtellt,
[219] weil dann die Waͤrme in der Luft am gleichfoͤrmigſten ausge-
theilt iſt.
Wegen dieſer ſo ſchwer ganz zu vermeidenden Ungewißheit
uͤber die genaue mittlere Waͤrme der Luftſaͤule, deren Hoͤhe wir
abmeſſen, ſcheint es mir nicht moͤglich, einer Meſſung durch das
Barometer eine Sicherheit, die bis auf 8 oder 10 Fuß, bei 4000
Fuß Hoͤhen-Unterſchied ginge, beizulegen. So lange dieſe Un-
gewißheit nicht gehoben iſt, und ſo lange wir, wie es bisher
meiſtens geſchehen iſt, auf die Feuchtigkeit der Luft nur ſehr
oberflaͤchlich Ruͤckſicht nehmen, halte ich es daher auch fuͤr unmoͤglich
zu entſcheiden, ob die von Dalton angenommene Beſchaffenheit
der Atmoſphaͤre, die Benzenberg vorzuͤglich vertheidiget hat,
wirklich ſtatt findet. Sie werden ſich von dieſer Dalton'ſchen
Theorie am beſten nach folgenden Angaben einen Begriff machen.
Unſre Atmoſphaͤre beſteht aus zwei Luft-Arten, der Sauerſtoff-
luft und der Stickſtoffluft, und aus Waſſerdaͤmpfen. Die Menge
der erſten Luft-Art iſt nur ſo groß, daß wenn die beiden andern
Fluͤſſigkeiten ploͤtzlich weggenommen wuͤrden, unſer Barometer
ſich nur auf 6½ Zoll erhalten wuͤrde; waͤre die Stickſtoffluft
allein da, ſo erhielte ſie das Barometer auf 21 Zoll; die Daͤmpfe
in der Luft wuͤrden fuͤr ſich allein eine Barometerhoͤhe von nur
½ Zoll geben; und alle zuſammen geben die 28 Zoll, welche wir
beobachten. Da die Sauerſtoffluft ſchwerer als die Stickſtoffluft
iſt, ſo brauchten wir in jener nur etwas uͤber 15000 Fuß hoch
zu ſteigen, um das Barometer bis zur halben Hoͤhe = 3¼ Zoll
herabſinken zu ſehen; in der Stickſtoff-Atmoſphaͤre muͤßten wir
dagegen ungefehr bis 17500 Fuß ſteigen, damit in ihr das Baro-
meter ſeine halbe Hoͤhe erreichte. Nehmen wir alſo bloß auf dieſe
beiden Ruͤckſicht, ſo wuͤrde, wenn wir Luft aus der einen und
aus der andern Atmoſphaͤre in 17000 Fuß Hoͤhe ſchoͤpften, die
Stickſtoffluft halb ſo dicht als unten, die Sauerſtoffluft ſchon
erheblich verduͤnnter ſein. Iſt alſo, wie Dalton annimmt,
unſre Atmoſphaͤre in jeder Hoͤhe aus den beiden Luft-Arten
ſo gemiſcht, wie ſie es auf dieſe Weiſe, angemeſſen der Dich-
tigkeit jeder einzeln genommenen Atmoſphaͤre, ſein ſollte, ſo
enthielten die hoͤhern Schichten etwas weniger von der ſchwerern
Sauerſtoffluft, und das haͤtte, bis zu ſehr großen Hoͤhen hinauf,
[220] die Wirkung, daß das Barometer in einer ſo gemiſchten At-
moſphaͤre etwas niedriger ſtehen wuͤrde, als es der Fall iſt,
wenn das Miſchungsverhaͤltn[i]ß in allen Hoͤhen ſo bleibt, wie
es unten iſt*) Der Unterſchied der Barometerſtaͤnde in dieſen
nach verſchiedenen Beſtimmungen gemiſchten Atmoſphaͤren wuͤrde
hoͤchſtens \frac{2}{100} Zoll betragen, und in die Beſtimmung der Hoͤhen
bei 12000 Fuß eine Differenz von 30 Fuß bringen; — ebenſo
viel als wir fehlen, wenn wir die mittlere Waͤrme der Luft
um ½ Grad fehlerhaft anſetzen.
Taͤgliche regelmaͤßige Oſcillationen des Barometers,
Das Barometer ſoll uns aber nicht bloß zum Hoͤhen-
meſſen dienen, ſondern eine ſeiner Hauptbeſtimmungen iſt be-
kanntlich, daß es als Wetterglas uns die bevorſtehenden Aen-
derungen der Witterung anzeigen ſoll; — und, ſo viel ſich
auch gegen ſeine Verdienſte in dieſer Hinſicht ſagen laͤßt, ſo
bieten uns doch die Variationen im Stande des Barometers
Gelegenheit zu den merkwuͤrdigſten Betrachtungen dar, die, ſo
viel Raͤthſelhaftes ſie auch noch uͤbrig laſſen, dennoch hoͤchſt be-
lehrend ſind.
Die großen und jeden Tag verſchiedenen Aenderungen
im Stande des Barometers, welche wir in unſern Gegenden
wahrnehmen, ſind beinahe ganz unbekannt in der Naͤhe des
Aequators, und es finden dagegen dort Aenderungen in der
Barometerhoͤhe ſtatt, die taͤglich regelmaͤßig wiederkehren, und
nur ſelten in einigen Gegenden durch Orcane und aͤhnliche Er-
eigniſſe unterbrochen werden. Dieſe taͤglichen Oſcillationen des
Barometers, auf deren Beobachtung man zwar ſchon fruͤher
aufmerkſam geworden war, die aber erſt durch von Hum-
boldt's, Horner's u. a. wiederholte und mit Ausdauer fort-
geſetzte Beobachtungen genau bekannt geworden ſind, beſtehen
darin, daß zwiſchen den Wendekreiſen ungefehr um 4½ Uhr
[221] Nachmittags das Barometer ſeinen tiefſten Stand erreicht, dann
bis Abends um 10 Uhr ſteigt, bis Morgens um 3½ Uhr faͤllt,
zwiſchen 9 und 10 Uhr Vormittags ſeinen hoͤchſten Stand er-
reicht, und endlich wieder um 4½ Uhr zu ſeinem tiefſten
Stande zuruͤckgekehrt iſt. Es ſteigt von 4½ Uhr Nachmittags
bis 10 Uhr Abends 0,6 Linien; faͤllt von 10 Uhr Abends bis
3½ Uhr Morgens 0,3 Linien, ſteigt wieder bis 9½ Uhr Vor-
mittags, 0,7 Linien, ſo daß es faſt eine ganze Linie hoͤher als
Nachmittags ſteht, und ſinkt in den folgenden 7 Stunden um
dieſe ganze Differenz. Dieſe Wechſel ſind zwar weder an allen
Orten der heißen Zone gleich groß, noch kehren ſie an allen
Orten ganz genau zu derſelben Stunde wieder; aber ihre Re-
gelmaͤßigkeit iſt in den Gegenden America's, wo von Hum-
boldt beobachtete, und auf dem Meere, wo beſonders Horner
und Simonoff beobachtet haben, ſo beſtimmt, daß man ſie
jeden Tag wahrnehmen kann. In der großen Hoͤhe, wo Quito
und Mexico liegen, ſind dieſe Unterſchiede ebenſo merklich, wie
am Meere, dagegen ſollen nach Horsburgh's Beobachtungen
in Oſt-Indien bedeutende Verſchiedenheiten, theils nach der
Lage der Orte gegen die Gebirge, theils nach der Witterung,
ſtatt finden, ſo daß, wenigſtens an einigen Orten des feſten
Landes von Indien, dieſe regelmaͤßigen Wechſel waͤhrend der
Regenzeit aufhoͤren, obgleich ſie auf dem Meere fortdauern.
In der gemaͤßigten Zone laſſen zwar die von der Witterung
abhaͤngigen unregelmaͤßigen Aenderungen des Barometerſtandes
nicht zu, daß man dieſe taͤglichen Oſcillationen ſo leicht und
beſtimmt wahrnehme; aber wenn man eine laͤngere Reihe von
Tagen ſtuͤndlich das Barometer beobachtet, ſo ergeben die aus
den Beobachtungen jeder einzelnen Tagesſtunde gezogenen Mit-
telzahlen, daß auch hier eben dieſe Schwankungen merklich ſind.
Die von Chiminello in Padua, von Ramond in Spanien,
von Arago in Frankreich, von von Yelin in Muͤnchen an-
geſtellten und andre Beobachtungen zeigen, daß auch hier die
Perioden ziemlich ebenſo auf 4 Uhr Morgens, 10 Uhr Vor-
mittags, 4 Uhr Nachmittags und 10 Uhr Abends fallen, daß
aber der Unterſchied zwiſchen der groͤßten Hoͤhe Vormittags und
der kleinſten Nachmittags kaum ½ Linien betraͤgt. Nach Ra-
[222] mond's Beobachtungen faͤllt die Zeit des hoͤchſten und tiefſten
Standes am Tage im Winter etwas naͤher gegen Mittag, als
im Sommer. Endlich hat auch Haͤllſtroͤm in Åbo dieſen
Unterſchied als ⅕ Linie betragend gefunden, aber ſo daß am
Tage der hoͤchſte Stand erſt nahe vor Mittag, der tiefſte um 4 Uhr
eintritt, die Ungleichheit zwiſchen den um 10 Uhr Abends und
5½ Uhr Morgens eintretenden hoͤchſten und tiefſten Staͤnden aber
hier mehr, als die Ungleichheit zwiſchen den am Tage beobachteten
Grenzen, betraͤgt *).
Dieſe Schwankungen, die hoͤchſt wahrſcheinlich in dem Wech-
ſel der Temperatur und der Feuchtigkeit der Luft ihren Grund
haben muͤſſen, ſind noch nicht ganz erklaͤrt. Es laſſen ſich zwar
zwei Gruͤnde fuͤr zwei Minima des Barometerſtandes zu verſchiede-
nen Tageszeiten angeben; aber es laͤßt ſich nicht darthun, daß ſie
auf die Zeiten fallen muͤſſen, welche die Beobachtung ihnen an-
weiſet; indeß werden Sie mir dennoch erlauben, Ihnen folgende
Ueberlegungen mitzutheilen. Wenn die Sonne in den heißeſten
Tagesſtunden die uns umgebende Atmoſphaͤre bis zu großen Hoͤhen
hinauf erwaͤrmt hat, ſo muß die uͤber uns ſtehende Luftſaͤule ſich
ausgedehnt haben, und oben nach den Gegenden abfließen, wo
mindere Waͤrme herrſcht; dadurch kann gar wohl der Druck der
Luft etwas abnehmen, indem der unten zu uns her dringende
Strom kalter Luft doch erſt eintreten kann, wenn der Unterſchied
des Druckes ſchon in einigem Grade merklich geworden iſt. Hieraus
ließe ſich das Minimum des Barometerſtandes in den heißeſten
Tagesſtunden vielleicht erklaͤren. Aber noch ein zweites Minimum
ſcheint, wenigſtens in heitern Naͤchten, wo Thau faͤllt, eintreten
zu muͤſſen. Wenn wir uns diejenige Luft, die zur Zeit des Son-
nen-Unterganges uͤber uns ſteht, als in eine, bis an das Ende
der Atmoſphaͤre gehende Roͤhre eingeſchloſſen denken, ſo muß das
Gewicht dieſer Luft ganz gewiß um etwas abnehmen, wenn ſich die
bedeutende Menge Waſſers, die ſich uns als Thau zeigt, daraus
niederſchlaͤgt; indeß muͤßten ſchon alle Gegenſtaͤnde mit 3 Linien
Thau bedeckt ſein, ehe das Fallen des Barometers ¼ Linie betragen
[223] koͤnnte. Dieſe Urſache iſt alſo zwar vorhanden, aber ſie iſt nicht
ſo bedeutend, als die beobachteten Wechſel es fordern, und fuͤr das
naͤchtliche Minimum, welches uͤberdies ſo ſpaͤt nach Mitternacht
eintritt, findet ſich hierin keine genuͤgende Erklaͤrung, zumal da
das Barometer Abends um 10 Uhr, ungeachtet des dann ſchon ſo
ſehr bedeutenden Thaues, einen hoͤhern Stand, als vorher und
nachher hat, der alſo wohl eher durch diejenigen Luftſtroͤmungen
bewirkt werden muß, welche von der Erwaͤrmung der Luft abhaͤn-
gen. Dieſes iſt um ſo mehr glaublich, da die beiden niedrigſten
Staͤnde des Barometers mit der waͤrmſten und mit der kaͤlteſten
Tageszeit zuſammentreffen.
Ungleiche Barometerſtaͤnde bei verſchiedenen Winden.
Dieſe Oſcillationen ſind durch ihre Regelmaͤßigkeit und weil
ſie eine uͤber die ganze Erde gehende Erſcheinung betreffen, merk-
wuͤrdig; die groͤßern Veraͤnderungen des Barometerſtandes ſind
uns wichtig wegen der oft auffallenden und weit ausgedehnten
Witterungs-Ereigniſſe, die mit ihnen in Verbindung ſtehen. So
ungeregelt aber auch dieſe faſt ſtuͤndlich wechſelnden Aenderungen
im Stande des Barometers ſcheinen, ſo laͤßt ſich doch zuerſt eine
Uebereinſtimmung mit den Winden wahrnehmen. Nicht allein
treffen die vorzuͤglich hohen Barometerſtaͤnde mit Oſtwinden und
Nordwinden zuſammen, ſondern allgemein ſteht das Barometer
hoͤher bei oͤſtlichen und nordoͤſtlichen Winden, als bei den aus an-
dern Richtungen kommenden Winden. Dabei zeigen ſich indeß
manche merkwuͤrdige Eigenheiten an verſchiedenen Orten, die von
Buch aufmerkſamer betrachtet hat. In Berlin ſteht das Baro-
meter, wenn man alle bei Nordoſtwind angeſtellten Beobachtungen
zuſammen nimmt, im Mittel auf 336,‴6, bei Suͤdwinde auf
333,‴1, und die Mittelhoͤhe aus allen Beobachtungen, die 335,‴1
iſt, findet faſt genau bei Weſt und faſt genau bei Oſtſuͤdoſtwinde
ſtatt. In Mittelburg in Seeland ſteht das Barometer bei
Nordwinde 338‴, bei Suͤdwinde 334‴ hoch, und die Mittelhoͤhe
trifft mit dem Winde zuſammen, den man Nordweſt gen Weſt
und den von Suͤdoſt gen Oſt nennen wuͤrde *). Dieſe Richtungen
[224] ſtehen hier einander beinahe genau gegenuͤber. In Ofen in Un-
garn dagegen ergeben ſich drei Richtungen der Winde, bei denen
das Barometer ſeine Mittelhoͤhe erreicht. Hier ſteht bei Suͤdoſt-
winde das Barometer am hoͤchſten, bei Suͤdweſtwinde am tiefſten,
und zwiſchen dieſen beiden Windſtrichen hat der Suͤd gen Oſt den
mittleren Barometerſtand; geht man von Suͤdweſt bis Weſtnord-
weſt, ſo findet man die dieſem letztern Winde entſprechende Baro-
meterhoͤhe der mittlern gleich; bei Nordweſt- und Nordwinde ſteht
es hoͤher, bei oͤſtlichern Winden wieder niedriger, bei Oſtwinde hat
es die Mittelhoͤhe und bei etwas ſuͤdlichern Winden iſt es viel hoͤher,
ſo daß es bei Suͤdoſtwind am hoͤchſten ſteht. Dieſe Beſonderheiten
beruhen ohne Zweifel auf einzelnen Umſtaͤnden in der oͤrtlichen Lage,
und werden mehr Wichtigkeit, als wir ihnen jetzt noch beilegen koͤn-
nen, bei der Vergleichung der an mehreren Orten angeſtellten
Beobachtungen erlangen. Dove hat an die Unterſuchung der in
Paris angeſtellten Beobachtungen noch mehr genauere Beſtimmun-
gen geknuͤpft. Die alte, dem gemeinen Manne, wenigſtens an
den Seekuͤſten, ſehr bekannte Erfahrung, daß der Wind, wenn
er Weſt iſt, allemal durch Nordweſt und Nord nach Oſten geht,
wenn das heitre Wetter ſich herſtellen will, und daß der anhaltende
Oſtwind durch Suͤden nach Weſten geht, vor eintretendem Regen,
giebt ihm Gelegenheit zu der Bemerkung, die ſich aus genau be-
rechneten Beobachtungen beſtaͤtigt, daß bei Nord- und Oſtwinden
das Barometer von fruͤh bis Abends im Mittel ein Fallen zeigen
muß, bei Winden in dem entgegengeſetzten Quadranten ein Stei-
gen, weil naͤmlich, wenn auch nur die mittlere Richtung des
Windes fuͤr den ganzen Tag angegeben iſt, ein Fortgehen des
Weſtwindes nach Norden im Laufe des Tages, und ein Umlaufen
des Oſtwindes nach Suͤden im Fortgange des Tages als am oͤfter-
ſten ſtatt findend vorauszuſetzen iſt. Dieſe Regel, ſo oft ſie auch
bei veraͤnderlichem Wetter und dem damit verbundenen unſtaͤten
*)
[225] Wanken des Windes Ausnahmen leidet, zeigt ſich doch in einem
Mittel aus ſehr zahlreichen Beobachtungen ganz deutlich als uͤber-
wiegend. Eine andre ſich hieran ebenfalls knuͤpfende Regel iſt die,
daß das Barometer bei Weſtwinden ſteigt, bei Oſtwinden faͤllt;
bei Weſtwinden naͤmlich iſt die nach und nach eintretende mehr nord-
liche Richtung des Windes mit einem Steigen des Barometers
verbunden; iſt dagegen bei heiterm Wetter der Wind Oſt, ſo
faͤngt er bald an, ſich nach Suͤden zu wenden, und damit gehoͤrt
ein Abnehmen der Barometerhoͤhe zuſammen. Dieſe Regel ſtimmt
ſehr mit der alten bekannten Regel zuſammen, daß das Steigen
des Barometers eine Voranzeige guten Wetters iſt; denn bei Weſt-
winde pflegt das Wetter noch nicht heiter zu ſein, und das vom
Barometer angezeigte Eintreten noͤrdlichen Windes laͤßt, wenn
dieſer dauernd wird, heitre Luft erwarten; der Grund dieſer Hei-
terkeit des Himmels bei den aus kalten Gegenden kommenden
Winden, gehoͤrt nicht hierher, ſondern beſſer in die Lehre von der
Waͤrme.
Ungleicher Stand des Barometers zu gleicher Zeit an
verſchiedenen Orten.
Dieſe Kenntniß von dem Zuſammenhange des hoͤheren und
niedrigeren Barometerſtandes mit den Richtungen des Windes iſt
allerdings ein Beitrag zur Theorie der Aenderungen des Barome-
terſtandes; aber zum Ziele fuͤhrt ſie uns dennoch nicht. Wir
ſehen hier nur die drei Umſtaͤnde vereinigt, wenn der Wind aus
Nordoſten koͤmmt, ſo ſteigt das Barometer, und wegen des aus
kaͤltern Gegenden kommenden Windes faͤllt das Thermometer,
wenn er aus Suͤden und Suͤdweſten koͤmmt, ſo faͤllt das Baro-
meter und das Thermometer ſteigt; — ſo fern iſt Dove's Regel,
(die auch ſonſt wohl ſchon angegeben iſt,) wahr, daß das Barome-
ter ein Thermometer iſt. Fuͤgt man hiezu auch noch die zweite
Bemerkung, daß die kaͤltere Luft darum, weil ſie dichter und ſchwe-
rer iſt, den Druck der Luft vermehrt und das Barometer zum
Steigen bringt, ſo erhellen doch die Gruͤnde noch nicht, warum
der Wechſel eintritt. Wir kommen der Beantwortung dieſer
Frage um etwas naͤher durch die aus den Beobachtungen gezogene
Folgerung, daß wir Nordwind haben oder bekommen, wenn daß
I. P
[226] Barometer in nordlichen Gegenden hoͤher ſteht und umgekehrt.
Hiernach ſcheint der ſtaͤrkere Druck der Atmoſphaͤre die Veranlaſ-
ſung zu dem von einer Gegend ausgehenden Winde zu geben.
Die Luft ſtroͤmt, und das iſt ganz natuͤrlich, den Gegenden zu,
wo der geringere Druck iſt; aber woher dieſer geringere Druck in
der einen, der ſtaͤrkere Druck in der andern Gegend entſtanden iſt,
das bleibt immer gleich dunkel *). Man hat, wie es ſcheint, mit
Recht, angenommen, daß aus den Stroͤmungen der warmen Luft
vom Aequator gegen den Nordpol und der kalten Luft gegen den
Aequator zu ſich nicht bloß zwei uͤber einander liegende Stroͤme
bilden, wie ich es neulich angab, ſondern daß ſie ſehr oft neben
einander fortgehen, indem der waͤrmere ſich (um nur von unſern
Gegenden zu reden,) uͤber dem Atlantiſchen Meere bis zur Erde
herab erſtrecke, und daneben uͤber dem feſten Lande von Europa
und Aſien ein kalter Strom, ſelbſt bis zur Erde herab, vorherrſchend
ſei; da wo einer dieſer Stroͤme das Uebergewicht erhaͤlt, da ent-
ſtehen die Aenderungen von Wind, Witterung, Barometerſtand
und Waͤrme. Aber welche erſte Urſache dieſem Wechſel zum Grunde
liegt, warum auf eine ſo ungleiche Weiſe bald der eine bald der
andre dieſer Luftſtroͤme herrſchend wird, wie dieſes mit den auf-
fallenden Erſcheinungen der Gewitter, der heftigen Regen u.ſ.w.
zuſammenhaͤngt, daruͤber ergiebt ſich hieraus kein genuͤgender Auf-
ſchluß. Wie wenig dieſes der Fall ſei, zeigt ſich am deutlichſten
bei einer naͤhern Betrachtung der tiefen Barometerſtaͤnde, die
zuweilen ploͤtzlich im auffallendſten Maaße eintreten.
Tiefe Barometerſtaͤnde.
Es ereignet ſich naͤmlich in unſern Gegenden zuweilen, daß
das Barometer in 18 oder 20 Stunden um einen ganzen Zoll faͤllt,
und bei dieſem ſchnellen Fallen zugleich eine ſehr große Tiefe unter
ſeinem mittlern Stande erreicht, eine Tiefe, die an einigen Orten
bis nahe an 2 Zoll unter der Mittelhoͤhe gehen kann, ja Krufen-
ſtern beobachtete im Japaniſchen Meere ein Sinken des Barometers
[227] von 30 Linien in 5 Stunden, worauf ein unerhoͤrt heftiger Sturm
folgte. Wenn ein ſo tiefer Barometerſtand ſtatt findet, ſo glaubt man
gewoͤhnlich, es muͤſſe ein Sturm eintreten; aber es iſt gar nicht ſelten,
daß an dem Orte, wo das Barometer ſo ſehr tief ſteht, die Luft ganz
ruhig bleibt, und meiſtens eine fuͤr die Jahreszeit zu hohe Waͤrme zeigt,
waͤhrend zu eben der Zeit andre Gegenden von den heftigſten Stuͤr-
men betroffen werden. Wenn man die an verſchiedenen Orten an-
geſtellten Beobachtungen vergleicht, ſo findet man immer eine Ge-
gend von nur geringer Ausdehnung, wo das Barometer am tiefſten
unter dem Mittel ſtand, und von dieſem Puncte des tiefſten Stan-
des ausgehend findet man, (ſo weit die Beobachtungen geſtatten,
dieſen Schluß allgemein auszuſprechen,) nach allen Seiten hin den
Barometerſtand nach und nach hoͤher; gegen dieſen Ort des kleinſten
Druckes zu aber den Wind der entlegenen Gegenden gerichtet, ſo
als ob die Luft von allen Seiten her dieſem Puncte des kleinſten
Luftdruckes zuſtroͤmte. Als ein Beiſpiel, wo ſich dieſe Abnahme
des tiefen Barometerſtandes faſt nach allen Seiten hin nachweiſen
laͤßt, will ich hier den 12. Maͤrz 1783 erwaͤhnen, wo das Centrum
der tiefen Barometerſtaͤnde in der Schweitz lag, wo in Deutſchland
oͤſtlicher Wind herrſchte, waͤhrend ein wuͤthender Orcan aus Suͤd-
weſt ſich vom Sicilianiſchen Meere uͤber Neapel nach dem Adria-
tiſchen Meere ausbreitete. Wenn man die am Morgen des 12.Maͤrz
beobachteten Barometerſtaͤnde vergleicht, ſo findet man das Barome-
ter auf dem St. Gotthard 11½ Linien unter der Mittelhoͤhe, in
Padua, Muͤnchen und Genf 10 Linien, in Regensburg, Wuͤrzburg,
Mannheim und Bologna 9 Linien, in Marſeille, Dijon und Prag
8½ bis 8 Linien, am Fuße der Pyrenaͤen, in Wien und Rom 7 Li-
nien, in Rochelle, Duͤſſeldorf, Goͤttingen und Berlin 6 bis 5½ Li-
nien, in Ofen und Middelburg 4 Linien, in Portugal 3 Linien, in
Copenhagen 1 Linie unter der Mittelhoͤhe, in Stockholm und Pe-
tersburg ſtand es ungefehr auf der Mittelhoͤhe, in Spydberga (in
Norwegen) u. Torneâ 3 Linien, in Moscau 8 Linien uͤber der Mit-
telhoͤhe. Die Beobachtungen ſind hier zu mangelhaft, um das Ent-
ſtehen und weitere Fortruͤcken dieſes Ortes des ſchwaͤchſten Luft-
druckes genau anzugeben; ich fuͤhre daher noch ein neueres, genau
von mir unterſuchtes Beiſpiel an. Am 24. und 25. Dec. 1821 fiel
das Barometer zu einer ſo ungewoͤhnlichen Tiefe in ganz Deutſch-
P 2
[228] land und Frankreich, daß dieſe Erſcheinung die Aufmerkſamkeit ſelbſt
der Unkundigen erregte. In Boulogne am Canal, wo ſchon am
24. Dec. in den Morgenſtunden das Barometer 10 Linien unter der
Mittelhoͤhe ſtand, fiel es in 20 Stunden noch um 12⅓ Linie, ſo
daß es eine Tiefe von 22½ Linien unter der Mittelhoͤhe, am 25.Dec.
vor Tage, erreichte. In Nantes war der tiefſte Stand ſchon in
den Nachmittagsſtunden des 24. Dec. eingetreten; in Holland und
Deutſchland wurde erſt um Mittag des 25. Dec. der tiefſte Baro-
meterſtand beobachtet, in Norwegen, Preußen und Pohlen am
25. Dec. Abends, in Petersburg und Åbo erſt am 26. Dec. Und
waͤhrend ſo ein ungewoͤhnlich geringer Luftdruck gegen Oſten hin
fortruͤckend ſtatt fand, wurden die ſuͤdlichen Kuͤſten Frankreichs und
Ober-Italiens von einem faſt unerhoͤrten Orcane betroffen, der in
Genua und Venedig große Verheerungen auf dem Meere und auf
dem Lande anrichtete; in Boulogne aber und an den franzoͤſiſchen
Kuͤſten des Canals, wo das Barometer am tiefſten ſtand, blieb die
Luft ruhig, und auch in Holland iſt wenigſtens kein auffallender
Sturm beobachtet worden. Aber auch hier war das Barometer
hoͤher rund um jene Orte des tiefſten Standes herum, ſo daß es
gleichzeitig folgende Hoͤhen unter dem Mittel erreichte. In Dieppe,
Boulogne, London 21 bis 22 Linien, in Schottland, in Harlem
und Paris 17½ bis 18½, in Altona, Coͤln, Heidelberg 14 bis 15,
in Bergen (in Norwegen), Berlin, Gotha, Augsburg, Zuͤrch, Genf,
12 bis 13 Linien, in Chriſtiania, Danzig, Cracau, Mailand 8 Linien,
in Petersburg und Unter-Italien (Molſetta) 2½ bis 3 Linien unter
dem Mittel.
Woher entſtand denn hier jene ſo ſeltſame Verminderung des
Luftdruckes, die mir ganz ſo erſcheint, als ob ſie die Urſache des
furchtbaren Sturmes geweſen waͤre, der nach dieſer Gegend eines
in hohem Grade verminderten Gegendruckes hin ſtuͤrzend, im ſuͤd-
lichen Frankreich und an den Kuͤſten des Mittellaͤndiſchen Meeres
in Ober-Italien wuͤthete, und der im mittlern Frankreich ſtarke
Gewitter und Regenguͤſſe hervorbrachte.
Dove hat auch dieſe ſehr tiefen Barometerſtaͤnde als durch
jene Luftſtroͤme hervorgebracht, zu erklaͤren geſucht, indem naͤmlich
jener noͤrdliche und ſuͤdliche Strom neben einander hin ihren Lauf
naͤhmen, ſo entſtaͤnden an den Grenzen beider Stroͤme Wirbel, die
[229] ſich darin, daß die Stuͤrme in der Nordſee meiſtens aus Suͤdweſt
anfangen, und dann nach Weſt und Nordweſt umlaufen, kenntlich
machten. Ich muß geſtehen, daß dieſe Erklaͤrung mir nicht genuͤgt,
vorzuͤglich, weil ein Fallen des Barometers, das bis zu ein Vier-
zehntel der ganzen Hoͤhe geht, wohl gewiß nicht durch eine Wir-
belbewegung erklaͤrt werden kann, und es auch gar nicht nachge-
wieſen werden kann, daß die einzelnen Lufttheilchen einen Kreis-
lauf um jenen Mittelpunct vollenden. Wenn man ſich den
Sturm aus einem Zuſtuͤrzen gegen die Stelle hin, wo der Druck
am kleinſten iſt, erklaͤrt, ſo laͤßt ſich aus dem Fortruͤcken dieſer
Stelle nach Oſten (deſſen Grund freilich nicht erhellt,) einſehen,
warum der Zuſturz von Suͤdweſten her eine weſtlichere und endlich
ſelbſt eine nordliche Richtung erhalten kann, wenn das Centrum des
ſchwaͤchſten Druckes uͤber den Beobachtungs-Ort hinaus nach Nor-
den oder Nordoſten fortgeruͤckt iſt. Ich verhehle es nicht, daß das
Phaͤnomen hoͤchſt raͤthſelhaft bleibt, daß wir jene Urſache, welche
die Luft gleichſam verzehrt, und welche oſtwaͤrts fortruͤckt, gar nicht
kennen, und alſo auch nicht genau anzugeben vermoͤgen, warum
ſie nur den Sturm aus Suͤden und Suͤdweſten ſeine ganze Gewalt
erreichen laͤßt, waͤhrend ſie dem Zuſtroͤmen der Luft von Oſten und
Norden her nur eine maͤßige Gewalt geſtattet; aber ich glaube, es
iſt hier beſſer, fuͤr jetzt nur Beobachtungen zuſammenzuſtellen und
die Erklaͤrung einem kuͤnftigen, wahrſcheinlich nicht mehr entfernten
Zeitpuncte vorzubehalten*).
Unter den Urſachen, die man als ſolche tiefe Barometerſtaͤnde
bewirkend angeſehen hat, muß ich auch die Erdbeben noch nennen.
Und auffallend genug trifft der vulkaniſche Ausbruch des Oefields-
Joͤkul auf Island mit dem tiefen Barometerſtaͤnde am 25. Dec.
1821 zuſammen, und im Jahre 1783 fand das furchtbare Erdbe-
ben in Calabrien am 5. Februar und den folgenden Tagen ſtatt,
womit tiefe Barometerſtaͤnde vom 6. bis 9. Febr. beinahe gleichzeitig
ſind; aber dennoch ſcheint es ſehr ungewiß, ob man eine ſolche Ver-
bindung annehmen darf, da dieſes Zuſammentreffen doch nicht re-
[230] gelmaͤßig genug ſcheint, und wenigſtens der tiefe Barometerſtand
nicht in den Gegenden am auffallendſten iſt, wo die Erdbeben und
die vulcaniſchen Ausbruͤche ſtatt finden*).
Ungleichheit der Variationen in verſchiedenen
Gegenden.
Im Allgemeinen nehmen die Ungleichheiten im Barometer-
ſtande deſto mehr zu, je mehr man ſich vom Aequator entfernt, in-
deß wuͤrde man ſich irren, wenn man gradezu nach der geographi-
ſchen Breite beurtheilen wollte, ob an einem Orte die Variationen
des Barometers groͤßer, als an einem andern Orte, ſind. So viel
ich aus den von mir verglichenen Beobachtungen ſchließen kann, ſind
ſie mitten im Lande im Allgemeinen geringer, als an den Ufern
des Meeres, und einige Orte ſcheinen ſich durch ungewoͤhnlich tiefe
Barometerſtaͤnde vor andern auszuzeichnen. So zum Beiſpiel faͤllt
das Barometer mitten in Deutſchland ſelten uͤber 14 oder hoͤchſtens
16 Linien unter dem Mittel, in 50 bis 51 Gr. geogr. Breite, ſtatt
daß es an den Ufern der Normandie in eben der geographiſchen
Breite bis 22½ Linie unter der Mittelhoͤhe ſinken kann; — eine
Tiefe, die es ſelbſt in Preußen unter 55 Gr. Breite nie zu erreichen
ſcheint. Kaͤmß hat diejenigen Orte, welche gleiche Variationen
des Barometers haben, durch Linien mit einander zu verbinden und
die Geſetze, nach welchen die Lage dieſer Orte von den Parallelkreiſen
abweicht, zu beſtimmen geſucht; aber die Beobachtungen ſind noch
nicht ausgedehnt genug an vielen Orten der Erde angeſtellt, um
ſichre Schluͤſſe darauf zu gruͤnden.
Merkwuͤrdig iſt ferner noch der Umſtand, daß die hoͤchſten Ba-
rometerſtaͤnde ſich lange nicht ſo hoch uͤber die Mittelhoͤhe erheben,
als die tiefen Barometerſtaͤnde unter derſelben zuruͤckbleiben, indem
z. B. die in Åbo am 25. Febr. 1825 beobachtete Barometerhoͤhe,
groͤßer als man ſie ſeit 50 Jahren beobachtet hatte, doch kaum
10½ Linie uͤber dem Mittel betrug, ſtatt daß es am 3. Febr. eben
des Jahres 21 Linien unter dem Mittel ſtand. Dieſe ungleiche
Entfernung der wahren mittlern Barometerhoͤhe von dem hoͤchſten
[231] und tiefſten Stande koͤmmt daher, weil die ſehr hohen Barometer-
ſtaͤnde nicht ſo ſchnell voruͤbergehend ſind, als die ſehr tiefen Baro-
meterſtaͤnde. Auch das iſt ſehr merkwuͤrdig, daß der mittlere Luft-
druck an der Oberflaͤche des Meeres nicht uͤberall gleich iſt. Kru-
ſenſtern fuͤhrt eine Gegend an der Kuͤſte des ſuͤdlichen America
an, wo er immer niedrigen Barometerſtand fand; aber noch ſicherer
begruͤndet iſt Thorſtenſen's Behauptung, daß in Island die
mittlere Barometerhoͤhe wenigſtens 3 Linien niedriger iſt, als an
den Kuͤſten Deutſchlands, Frankreichs u. ſ. w. — Ein Umſtand,
den man aus den uͤber das Atlantiſche Meer von Suͤden nach
Norden gehenden Luftſtroͤmungen vielleicht erklaͤren kann, uͤber
deſſen wahre Urſache aber doch immer noch viele Unſicherheit uͤbrig
bleibt.
Zu dieſen meteorologiſchen Beobachtungen, bei denen ich fuͤrch-
ten muͤßte zu lange zu verweilen, wenn ich nicht darauf rechnen
duͤrfte, daß ſie zu den anziehendſten Anwendungen der Lehren, wo-
mit wir uns hier eigentlich beſchaͤftigen, gehoͤren, fuͤge ich nur noch
eine kurze Bemerkung uͤber den Einfluß der Winde auf das Hoͤhen-
meſſen mit dem Barometer. Wenn die beiden Orte, wo man be-
obachtet, mehrere Meilen von einander entfernt liegen, ſo kann man
annehmen, daß das Barometer an dem Orte, wo der Wind her-
koͤmmt, etwas zu hoch ſteht, in Vergleichung gegen den andern.
Iſt daher der hoͤher liegende Ort zugleich der, von welchem der
Wind herkoͤmmt, ſo findet man ſeine Hoͤhe aus der Berechnung
des Barometers etwas zu geringe; liegt der hoͤhere Ort da, wo der
Wind hin geht, ſo findet man den berechneten Hoͤhen-Unterſchied
groͤßer, als er wirklich iſt. Eine Berechnung von beinahe 400 auf
dem Gotthard, in Genf und in Padua angeſtellten Beobachtungen
hat mir gezeigt, daß die Hoͤhe des Gotthard bei Nordweſtwind
88 Fuß zu groß uͤber Genf, und 48 Fuß zu klein uͤber Padua ge-
funden ward, und daß bei ſtuͤrmiſchen Nordweſtwinden der mittlere
Unterſchied ſogar dort 98, hier 74 Fuß betrug; bei Suͤdoſt-Suͤd-
und Suͤdweſtwinden ward dagegen jene Hoͤhe etwa 10 Fuß zu klein,
dieſe 17 Fuß zu groß gefunden*).
[232]
Ich muß endlich dieſen Gegenſtand abbrechen, obgleich die
großen Stoͤrungen des Gleichgewichtes, wobei es ſich ereignen kann,
daß am Meeres-Ufer in der einen Gegend das Barometer ſo hoch
ſteht, als in eben dem Augenblicke 2000 Fuß uͤber dem Meere in
einer andern Gegend, noch zu vielen Betrachtungen Anlaß geben
koͤnnten.
Siebzehnte Vorleſung.
Erſcheinungen, die der Druck der Luft hervorbringt.
Die merkwuͤrdigen Anwendungen, m. h. H., die das Baro-
meter uns darbietet, haben mich ſo weit von denjenigen Betrach-
tungen, die uns zur Kenntniß des Druckes der Luft fuͤhrten, abge-
lenkt, daß ich faſt von neuem wieder anfangen muß, um das Fol-
gende an das Fruͤhere anzuknuͤpfen. Den Druck der Luft lehrte
das Barometer uns kennen und abmeſſen; es zeigte uns, daß in
den niedrigern Gegenden, wo wir leben, die Luft auf jede Flaͤche ſo-
viel Druck ausuͤbt, als ob eben dieſe Flaͤche mit 28 Zoll hoch Queck-
ſilber bedeckt waͤre. Dieſer Druck iſt 15½ Pfund auf einen Pariſer
Quadratzoll und man kann daher rechnen, daß der menſchliche Koͤr-
per, deſſen Oberflaͤche wenigſtens 12 Quadratfuß betraͤgt, ungefehr
27000 Pfund Druck ertragen muß. Wir empfinden dieſen Druck
nicht, weil die Luft zugleich in unſerem ganzen Koͤrper alle ſonſt
leeren Zwiſchenraͤume ausfuͤllt, und dort mit eben der Elaſticitaͤt
wie die aͤußere Luft der Zuſammendruͤckung widerſteht.
Auf dieſem Drucke der Luft beruhen unzaͤhlige Phaͤnomene in
der Natur, und unzaͤhlige theils zu nuͤtzlichen Zwecken theils zum
Scherze ausgedachte Einrichtungen. Wenn man die an beiden
Enden offene Roͤhre AB (Fig. 124.), deren Oeffnung A am obern
Ende zum Verſchließen mit dem Daumen grade klein genug, die
andre B aber ſehr enge iſt, den ſogenannten Stechheber, ins
Waſſer eintaucht, waͤhrend beide Enden offen gelaſſen ſind, ſo fuͤllt
er ſich mit Waſſer; verſchließt man nun die obere Oeffnung mit [233]
dem Daumen und zieht die Roͤhre heraus, ſo bleibt das Waſſer in
ihr haͤngen und fließt weil die untere Oeffnung enge iſt, auch dann
nicht aus, wenn man das ganze Inſtrument aus dem Waſſer her-
vorhebt; erſt wenn man die obere Oeffnung frei macht, alſo dem
Drucke der Luft den freien Zutritt auf die obere Flaͤche geſtattet,
faͤngt das Waſſer an, auszufließen. Ganz ebenſo iſt es mit der
Kunſt, das Waſſer im Siebe zu tragen, wo naͤmlich (Fig. 125.)
der untere Boden AB mit vielen feinen Loͤchern durchbohrt iſt, durch
welche das Waſſer nicht ausfließt, ſo lange man die obere Oeffnung
C mit dem Finger verſchloſſen haͤlt. Selbſt in einem etwas wei-
tern Glaſe kann man das Waſſer durch den Druck der Luft erhal-
ten, wenn man die Oeffnung vor dem Umkehren des Glaſes mit
einem Blatte Papier bedeckt; dieſes hindert naͤmlich, daß nicht, wie
es ſonſt ſo leicht geſchieht, Wellen auf der untern Waſſerflaͤche ent-
ſtehen; denn wo dieſe entſtehen, wo auch nur in geringem Maaße
die etwas tiefer herabdringende, dadurch alſo in dieſem Puncte einen
groͤßern Druck ausuͤbende Waſſermaſſe mehr niederwaͤrts druͤckt,
als in den benachbarten Puncten, da faͤngt gewiß das Waſſer an
auszufließen, waͤhrend dicht daneben, in den weniger Druck leidenden
Puncten, die Luft hinauf ſteigt. Bei ſehr engen Oeffnungen findet
ein ſolches Ausweichen der Luft und des Waſſers neben einander
nicht ſtatt, und deshalb koͤnnen wir oft aus einem Glaſe mit engen
Halſe keinen Tropfen Waſſer herausbringen, wenn wir es auch
ſo halten, daß die Oeffnung zu unterſt iſt.
Dieſes Zuruͤckhalten der Fluͤſſigkeit in einer unten offenen
engen Roͤhre, kann zu einem bequemen Mittel dienen, um ohne
Verluſt bei ſehr genauen Abwaͤgungen grade die Quantitaͤt in ein
Gefaͤß zu bringen, welche man verlangt. Steht zum Beiſpiel das
zu fuͤllende Gefaͤß auf der Waageſchale und der geringe Ausſchlag
der Waage zeigt, daß nur noch eine ſehr geringe Quantitaͤt hinzuzu-
thun iſt, ſo taucht man eine enge Roͤhre in den noch uͤbrigen Vor-
rath der Fluͤſſigkeit, fuͤllt ſie, wie den Stechheber, und laͤßt durch
ein ſehr kurzes Oeffnen des obern Endes nur grade ſoviel von der
Fluͤſſigkeit, als man bedarf, in das auf der Waage ſtehende Gefaͤß
troͤpfeln; oder iſt ein wenig zu viel eingefuͤllt, ſo hebt man auf eben
die Weiſe wenige Tropfen daraus weg.
[234]
Leslie's Inſtrument, zu Beſtimmung der ſpecifiſchen
Gewichte.
Ein merkwuͤrdiges neues Inſtrument hat Leslie auf eben
dieſe Principien gegruͤndet. Bei der Beſtimmung des ſpecifiſchen
Gewichtes der Koͤrper blieb bisher in ſo fern eine bedeutende Luͤcke
uͤbrig, als man fuͤr Koͤrper, die nur in Pulver vorhanden ſind,
oder die bei dem Eintauchen in Fluͤſſigkeiten Veraͤnderungen erlei-
den, nicht gut im Stande war, das ſpecifiſche Gewicht zu fin-
den. Dieſe Luͤcke auszufuͤllen, dient Leslie's Inſtrument, das
(Fig. 134.) aus einer weiteren und einer engern Glasroͤhre beſteht.
Die enge Glasroͤhre AE iſt an beiden Enden offen, und oben bei A
ſo genau abgeſchliffen, daß eine aufgelegte Glasplatte ſie vollkommen
luftdicht ſchließt. Sie muß etwa 3 Fuß lang und im obern Theile
etwa 5 Linien weit von A bis B, im untern Theile 2½ Linien weit
von B bis E ſein. In B befindet ſich eine Scheidewand Bb, die
eine enge Oeffnung und von dieſer hinaufgehend das enge ganz
offene Roͤhrchen fg hat. Wenn man zuerſt dieſe Roͤhre AE, an
beiden Enden offen gelaſſen, mit dem untern Theile bis an B in das
im Gefaͤße M enthaltene Queckſilber taucht, ſo fuͤllt ſich die Roͤhre
bis B, und der Raum AB bleibt mit Luft von natuͤrlicher Dichtig-
keit gefuͤllt. Man legt nun bei A die Glasplatte auf, und zieht
die ſo oben luftdicht geſchloſſene Roͤhre langſam aus dem Queckſilber
in die Hoͤhe; dabei ſinkt nun freilich das Queckſilber in der engen
Roͤhre, aber da die aus AB durch das Roͤhrchen fg gegen C hin
vordringende Luft ſich verduͤnnt, ſo uͤbt ſie weniger Druck, als die
freie Luft, aus und je mehr man die Roͤhre AE hervorzieht, deſto
hoͤher wird die Queckſilberſaͤule, die man uͤber die umgebende Ober-
flaͤche hervorhebt. Man ſetze dieſes Heraufziehen ſo lange fort bis
man an der Scale, welche auf die enge Roͤhre aufgetragen iſt, das
Queckſilber im Innern der Roͤhre genau halb ſo viele Zolle und
Linien uͤber dem aͤußern Queckſilber findet, als die Barometerhoͤhe
zu der Zeit betraͤgt, und bemerke den Punct D, wo dieſes ſtatt fin-
det. Die Roͤhre wird nun wieder hinabgelaſſen, die Glasplatte abge-
nommen und der zu unterſuchende Koͤrper, Kohlenpulver zum Bei-
ſpiel, in den obern Theil AB gethan, wobei man achtſam ſein muß,
daß die enge Roͤhre nicht durch hineinkommenden Staub verunrei-
[235] nigt werde. Jetzt wird die Glasplatte wieder aufgelegt, und das
vorige Verfahren ganz genau ebenſo wiederholt, dabei findet man,
daß ſchon, indem die Luft in A, B ſich bis C ausgedehnt hat, die
Hoͤhe des Queckſilbers uͤber der Oberflaͤche des Queckſilbers in M
halb ſo hoch als die Barometerhoͤhe iſt. Da naͤmlich jetzt ein Theil
des Raumes AB mit den feſten Theilen des Kohlenſtaubes gefuͤllt
iſt, ſo hat weniger Luft, als vorhin, in demſelben ſein koͤnnen;
dieſe Luft zur halben Dichtigkeit verduͤnnt, dehnt ſich daher nur bis
C aus, und CD giebt das Volumen der ganzen Maſſe des Kohlen-
ſtaubes an, weil BD dem Volumen derjenigen Luft gleich iſt, die
den ganzen Raum AB fuͤllte, BC dagegen demjenigen Volumen
gleich iſt, welches die noch uͤbrige, durch den Kohlenſtaub nicht ver-
draͤngte Luft einnimmt. So iſt alſo der genaue Raum, den alle
feſte Theile des Kohlenpulvers einnehmen, beſtimmt, und wenn
man bei der Verfertigung des Inſtruments ausgemeſſen hat, wie
viele Gran Waſſer jeden Theil der Roͤhre fuͤllen, alſo die Anzahl
von Granen kennt, welche das den Raum CD fuͤllende Waſſer
wiegt, ſo hat man nun nur noͤthig, den angewandten Kohlenſtaub
auch abzuwaͤgen, um zu wiſſen, in welchem Verhaͤltniß ſein Gewicht
gegen das Gewicht des Waſſers ſteht, oder das ſpecifiſche Gewicht
zu beſtimmen.
Leslie's Verſuche geben das merkwuͤrdige Reſultat, daß
Kohle, ſo leicht ſie uns, wegen der vielen mit Luft gefuͤllten Poren
ſcheint, doch uͤber dreimal ſo ſchwer als Waſſer iſt, wenn man auf
dieſe Weiſe ſie von der in ihr enthaltenen Luft befreiet; und dieſes
Reſultat iſt beſonders deshalb merkwuͤrdig, weil daraus erhellt, daß
die ſpecifiſche Schwere des Diamants und andrer faſt ganz aus
Kohlenſtoff beſtehenden Koͤrper nicht ſo ſehr viel groͤßer als das der
Kohle iſt. Schreibpapier zeigte ſich bei dieſem Verfahren 1¾ mal ſo
ſchwer als Waſſer, Weitzenmehl 1½ mal ſo ſchwer als Waſſer u.ſ.w.
Die Saugepumpe.
Daß unſre gewoͤhnlichen Saugepumpen durch den Druck der
Luft wirkſam werden, habe ich ſchon in dem Experimente, das zur
Abmeſſung des Druckes der Luft fuͤhrte, angedeutet. Sie ſind,
wenn der Kolben CD (Fig. 126.) nicht bis auf die Oberflaͤche des
Waſſers herabgedruͤckt wird, mit zwei Ventilen verſehen, deren
[236] eines bei AB das Waſſer hereinlaͤßt, aber den Zuruͤckgang aus der
Roͤhre hindert, das zweite dagegen, im Kolben ſelbſt angebracht,
ſich nach oben oͤffnet, damit die unter dem Kolben enthaltene Luft
oder das den Kolben ſchon erreichende Waſſer von unten hinauf-
waͤrts durchgehen, aber keine Luft von oben zudringen koͤnne. Be-
fand ſich nun der Kolben CD 12 Fuß hoch uͤber dem Waſſer und
wird er bis EF 4 Fuß hoͤher gehoben, ſo kann die verduͤnnte Luft
nicht mehr ganz dem Drucke der aͤußern Luft das Gleichgewicht hal-
ten, und eine probirend fortgefuͤhrte Rechnung zeigt, wie hoch das
Waſſer bei dieſem erſten Kolbenzuge ſteigt. Stiege es 2 Fuß bis
GH, ſo waͤre EG = 14 Fuß, und die in 14 Fuß ſtatt 12 Fuß
ausgedehnte Luft, leiſtete nur noch \frac{6}{7} des ganzen Druckes der At-
moſphaͤre, den ich = 32 Fuß Waſſer annehme; dann alſo druͤckten
in A 2 Fuß Waſſer und dazu die Luft mit 32 ∅
\frac{6}{7} = 27\frac{3}{7} Fuß
Druck. Dies betraͤgt nur 29\frac{3}{7}, und das Waſſer ſteigt alſo noch
hoͤher. Stiege es bis 2½ Fuß, ſo waͤre EG = 16 - 2½ = 13½
Fuß, und die vorhin auf 12 Fuß ausgedehnte Luft naͤhme jetzt
13½ Fuß ein, ihr Druck waͤre = \frac{12}{13}½ ⋅ 32 = \frac{24}{27} ⋅ 32 = 28\frac{4}{9};
aber 2½ + 28\frac{4}{9} ſind noch nicht 32 Fuß. Stiege es 2¾ Fuß, ſo er-
hielten wir 2¾ + \frac{12}{13}¼ ⋅ 32 = beinahe 32. Alſo iſt AG =
2¾ Fuß ſehr nahe die Hoͤhe, die es erreicht. Nun wird der
Kolben herabgeſtoßen, und der Raum GC = 12 - 2¾ = 9¼ Fuß
bleibt mit Luft gefuͤllt. Rechnet man hier ebenſo, wie vorhin, ſo
findet man, daß das Waſſer bei dem zweiten Zuge bis auf 5 Fuß
ſteigt. Beim dritten Kolbenzuge nimmt die Luft den Raum ID
= 7 Fuß zu Anfang ein, und das Waſſer ſteigt um 2 Fuß; beim
Anfange des vierten Kolbenzugs nimmt die Luft nur noch 5 Fuß
= LD ein, beim Anfange des fuͤnften Kolbenzuges nur noch kaum
3 Fuß, und am Ende des fuͤnften Zuges hat das Waſſer beinahe
den Kolben erreicht. Sobald es den Kolben voͤllig erreicht hat, tritt
es uͤber ihn hinauf und wird dann weiter gehoben.
Das Einathmen der Luft und das Saugen mit dem Munde
wird ebenfalls durch den Druck der Luft moͤglich. Wir erweitern
naͤmlich die Bruſthoͤhle, wenn wir Luft einathmen wollen, und
dieſe dringt dann durch Mund und Naſe in den ſo erweiterten
Raum; bringen wir aber unſern Mund an eine Saugeroͤhre, ſo
[237] ſteigt bei der Erweiterung der Bruſthoͤhle die Fluͤſſigkeit, in welche
die Saugeroͤhre eingetaucht iſt, durch den Druck der Luft herauf.
Der Heber.
Auch der Heber gehoͤrt ganz hierher. Der Heber, der
aus einer gebognen Roͤhre beſteht, ſoll gewoͤhnlich nur dazu
dienen, die Fluͤſſigkeit uͤber eine geringe Hoͤhe hinuͤber zu heben,
zum Beiſpiel den Wein eines ruhig liegenden Faſſes durch das
oben liegende Spundloch abzuzapfen. Wenn man (Fig. 127)
am Ende A des Hebers ſaugt, oder, wo das nicht hinreichte,
durch andre Mittel die Luft verduͤnnt, ſo treibt der Druck der
Luft die Fluͤſſigkeit, welche das Ende B bedeckt, in der Roͤhre
hinauf, und die ganze Roͤhre fuͤllt ſich bis an A mit jener
Fluͤſſigkeit; laͤßt man nun die Oeffnung A frei, ſo wird allemal,
wenn ſie tiefer als die Oberflaͤche CD liegt, die Fluͤſſigkeit aus-
laufen. Es wuͤrde naͤmlich Ruhe ſtatt finden, wenn die Roͤhre
auch bei A in eben jener Fluͤſſigkeit eingetaucht waͤre, und
dieſe bis an EF reichte; bei geringerm Gegendrucke von außen
findet das Ausſtroͤmen ſtatt, und dauert fort, bis in CD die
Oberflaͤche ſo tief als die Oeffnung A geſunken iſt, oder wenn
die Fluͤſſigkeit in der Gegend EF ſteigt, bis beide Oberflaͤchen
gleich hoch ſind.
Daß der Heber nicht uͤber 32 Fuß hoch das Waſſer heben
kann, verſteht ſich von ſelbſt, da der Druck der Luft kein
hoͤheres Heben geſtattet, und ebenſo erhellet, daß man das
Waſſer vermittelſt des Hebers nie an einem hoͤhern Puncte,
als die Oberflaͤche des Waſſers CD iſt, zum Ausfließen bringen
kann, ſondern daß der Zweck nur der ſein darf, das Waſſer
uͤber ein zwiſchenliegendes Hinderniß weg, zu einem tiefern Puncte
zu leiten.
Der Heber hat zu manchen kleinen Scherz-Experimenten
Anlaß gegeben. Bringt man naͤmlich den Heber ſo an, daß
er (Fig. 128.) in der Saͤule AB verborgen liegt, ſo kann,
ſo lange das Gefaͤß noch nicht bis an CD gefuͤllt iſt, gar kein
Ausfließen ſtatt finden; fuͤllt man aber das Gefaͤß bis uͤber
CD und hindert durch den an die Oeffnung A gehaltenen
Finger den Ausfluß, ſo bleibt das Gefaͤß gefuͤllt, leert ſich aber
[238] ſogleich voͤllig aus, wenn man den bei A gehaltenen Finger
wegnimmt, indem dann ab die hinaufgehende, und bc, die herab-
gehende Heberroͤhre iſt. Daß der Scherz darin beſteht, den,
der das Gefaͤß gefuͤllt empfaͤngt, durch die unvermuthete Aus-
leerung, waͤhrend er es ruhig haͤlt, zu uͤberraſchen, erhellt leicht.
Die Natur ſcheint ſich zuweilen der Heberroͤhre zu be-
dienen, um ein ungleiches Abfließen der Gewaͤſſer hervorzu-
bringen. Es giebt Quellen, die periodiſch Waſſer geben und
dann eine Zeit lang zu fließen aufhoͤren, nach einem gewiſſen
Zeitverlaufe aber aufs Neue fortfließen. Dieſe Erſcheinung
kann man ſich durch eine heberfoͤrmig an einander gereihte
Folge von Roͤhren oder Hoͤhlen erklaͤren. Es ſei naͤmlich AB
(Fig. 129.) ein Behaͤlter, der ſeinen immer gleichen Zufluß
anders woher bei C empfaͤngt, und DEF ſei eine Heberroͤhre,
ſo wird das Waſſer bei F auszufließen anfangen, wenn der
Behaͤlter ſich bis an GH gefuͤllt hat; dann aber wird durch
den Druck der Luft bei GH das Ausfließen in F auch dann
noch unterhalten, wenn die Oberflaͤche wegen zu geringen Zu-
fluſſes unter G hinabſinkt, und der Behaͤlter leert ſich, waͤhrend
immer etwas Waſſer bei C zufließt, dennoch ganz bis an D
aus. Nachdem dies geſchehen iſt, hoͤrt das Abfließen auf, und
die bei F Waſſer gebende Quelle ſcheint verſiegt zu ſein, bis
das zuſtroͤmende Waſſer ein neues Anfuͤllen bis an G bewirkt
hat. Auf aͤhnliche Weiſe erklaͤrt man die Erſcheinungen des
Czirknitzer Sees, der zu gewiſſen Jahreszeiten ganz frei von
Waſſer wird, und in deſſen Boden man Oeffnungen bemerkt,
die zu ſolchen Zeiten dem Waſſer einen ſchnellen Abfluß geſtatten.
Noch einen ſehr merkwuͤrdigen Vortheil kann uns der Heber
gewaͤhren. Wir wuͤnſchen manchmal eine Fluͤſſigkeit, die ſich
unter einer leichtern befindet, abzuzapfen, ohne dieſe mit ab-
fließen zu laſſen, und dies laͤßt ſich vermittelſt des Hebers aus-
fuͤhren. Man bringt naͤmlich eine enge Heberroͤhre (Fig. 127.)
mit dem Ende B, waͤhrend man A mit dem Finger geſchloſſen
haͤlt, durch die obere Schichte hindurch, die man nicht ſtoͤren
will, ſaugt nun bei A, damit der Heber ſich mit der untern
Fluͤſſigkeit fuͤlle, und laͤßt die bei B eintretende Fluͤſſigkeit aus-
[239] fließen, ſo kann man dieſe bei A ſammeln, ohne einen Tropfen
der oben ſtehenden Fluͤſſigkeit mit zu bekommen.
Windkeſſel. Heronsbrunnen.
So zeigt ſich uns der Druck der Luft da, wo nur die
freie unverdichtete Luft ihn ausuͤbt; aber in manchen Faͤllen
wenden wir auch verdichtete Luft an, um das Waſſer fortzu-
treiben oder aͤhnliche Wirkungen hervorzubringen. Ein Beiſpiel
davon habe ich beim Stoßheber obenhin angegeben, obgleich
ich es da nicht vollſtaͤndig erklaͤren konnte; die Windkeſſel an
unſern Feuerſpritzen ſind genau eben daſſelbe. Die Wirkung
des Stoßhebers beſtand, wie Sie ſich erinnern werden, darin,
daß in unterbrochenen Stoͤßen das Waſſer durch das Ventil
I (Fig. 103.) eindrang, und alſo auch nur in unterbrochenen
Zeitraͤumen in E zum Ausfließen kam; und auf aͤhnliche Weiſe
wuͤrde auch die Feuerſpritze nur ſo lange Waſſer geben, als
der herandraͤngende Kolben das Waſſer gegen die Sprung-
Oeffnung treibt, wenn nicht der Windkeſſel FDG (Fig. 103.)
das Ausfließen des Waſſers auch in den Zwiſchenzeiten unterhielte.
Beim Stoßheber wurde naͤmlich das Waſſer bei I in dieſes
weitere Gefaͤß FDG hineingedraͤngt, und in dieſem ſo wohl
als in der Roͤhre IE zum Steigen gebracht; indem es aber
im Gefaͤße FDG ſteigt, draͤngt es die Luft, welche, ſobald die
untere Oeffnung der Roͤhre bedeckt iſt, keinen Ausfluß findet,
zuſammen, und der Gegendruck der verdichteten Luft treibt
daher das Waſſer in der Roͤhre hoͤher hinauf, als die Ober-
flaͤche FG des Waſſers im Gefaͤße iſt. Dieſer Druck der Luft
wirkt noch fort, wenn auch das Ventil in I geſchloſſen iſt, und
nachdem das Waſſer einmal angefangen hat, bei E auszufließen, un-
terhaͤlt dieſer Druck der eingeſperrten Luft den Ausfluß unab-
geſetzt, denn bei jedem Stoße des herandraͤngenden und durch
I eintretenden Waſſers ſteigt das Waſſer im Windkeſſel wieder
hoͤher und ſetzt die Luft aufs neue in Stand dieſelbe Wirkung
auszuuͤben.
Die Verdichtung der Luft iſt die Urſache, welche beim He-
ronsbrunnen das Waſſer mit ſo großer Gewalt zum Springen
antreibt, und wahrſcheinlich iſt ſie auch die wirkende Kraft
[240] bei manchen natuͤrlichen Springbrunnen. Der Heronsbrunnen
(Fig. 130.) beſteht aus einem obern Gefaͤße CDFE und einem
untern Gefaͤße GHKI. Beim Anfange des anzuſtellenden
Experiments fuͤllt man das obere Gefaͤß durch eine Oeffnung
bei L ungefehr bis an AB mit Waſſer, und verſchließt dann
dieſe Oeffnung L. Die Sprungroͤhre MN, die unterdeß mit
einem Hahne feſt verſchloſſen gehalten wird, iſt dann mit ihrer
untern Muͤndung in das Waſſer eingetaucht, und die uͤber
AB ſtehende Luft hat nirgends einen Ausweg, außer durch die
Roͤhre PO. Jetzt faͤngt man an, durch die Roͤhre QR, die
von der [Muͤndung]Q ſich bis beinahe an den Boden des untern
Gefaͤßes erſtreckt, Waſſer in dieſes untere Gefaͤß einfließen zu
laſſen. Sobald nur eine maͤßige Menge Waſſer hinabgefloſſen iſt,
und die Oeffnung R der Einflußroͤhre bedeckt hat, findet die in
dieſem Gefaͤße enthaltene Luft keinen Ausgang mehr, und indem
man immerfort Waſſer bei Q eingießt, hebt ſich die Waſſer-Ober-
flaͤche ST, draͤngt die Luft aus dem untern Gefaͤße zum Theil in
das obere durch die Roͤhre OP hinauf, und verdichtet ſie in beiden
Gefaͤßen. Dieſe zweite Roͤhre geht von dem oberen Boden des
Gefaͤßes GHK bis nahe an den obern Boden des obern Gefaͤßes,
damit unten die Luft immer ungehindert eindringen koͤnne, und da-
gegen aus dem obern Gefaͤße kein Waſſer durch ſie ausfließe.
Gießt man bei Q nur nach und nach kleine Quantitaͤten Waſſer ein,
ſo ſteigt zwar allmaͤhlig das Waſſer in der Roͤhre RQ immer etwas
hoͤher und hoͤher uͤber die Oberflaͤche ST im untern Gefaͤße, aber
erſt wenn die Luft hinreichend comprimirt iſt, um eine Waſſerſaͤule
von der ganzen Hoͤhe UQ zu tragen, finden wir die Roͤhre ganz bis
oben gefuͤllt, und koͤnnen nun kein Waſſer mehr einfuͤllen, obgleich
das untere Gefaͤß noch nicht ganz gefuͤllt iſt. Erſt nachdem alles
ſo weit vorbereitet iſt, oͤffnet man den Hahn der Sprungroͤhre bei
N, und das Waſſer dringt nun mit deſto groͤßerer Gewalt hervor,
je hoͤher die Saͤule QU iſt, deren Gewicht die Luft zuſammenpreßt.
Waͤren keine Hinderniſſe der Bewegung, ſo muͤßte das Waſſer
ebenſo hoch uͤber AB hinaufſpritzen, als die Hoͤhe QU angiebt;
denn die Luft druͤckt auf AB mit eben dieſer Gewalt, wie es eine ſo
hohe Waſſerſaͤule thun wuͤrde. Das Hervorſpringen des Waſſers
[241] dauert ſo lange fort, als es der Vorrath von Waſſer in dem obern
Gefaͤße erlaubt.
Natuͤrliche Springbrunnen.
Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die natuͤrlichen Springbrunnen
oft auf aͤhnliche Weiſe einem Zuſammenpreſſen der Luft oder der
Daͤmpfe ihr Entſtehen verdanken. Die Erſcheinungen, die man
am Carlsbader Sprudel beobachtet hat, legen am beſten vor Augen,
wie es ſich dabei auch in Faͤllen, wo die Wirkungen viel groͤßer ſind,
verhalten mag. Das Carlsbader Waſſer entwickelt ſo viele kohlen-
ſaure Luft und Daͤmpfe, daß dadurch, zumal weil die Oeffnungen
ſich gern mit Kalkniederſchlag verſtopfen, von dieſen elaſtiſchen Fluͤſ-
ſigkeiten und vom nachdringenden Waſſer, die Decke, unter welchem
der natuͤrliche Behaͤlter des Waſſers ſich befindet, im Anfange des
vorigen Jahrhunderts zerſprengt wurde. Man ſah bei dieſer Gele-
genheit, indem man die bedeckenden Kalkſchichten noch weiter durch-
brach, daß in dem unterirdiſchen großen Behaͤlter das Waſſer, mit
heftigem Brauſen unaufhoͤrlich aufkochend, Daͤmpfe und zugleich
auch Luft entwickelte. Indem man nun dieſe weite Oeffnung wie-
der durch ein feſtes Gewoͤlbe ſchloß, zwang man das Waſſer, durch
die ihm beſtimmten Oeffnungen hervorzufließen. Eine derſelben iſt
der Sprudel, aus welcher das Waſſer in Abſaͤtzen hervordringt, weil
die mit zu großer Heftigkeit entwickelte Luft ſich zugleich mit dem
Waſſer einen Ausweg ſucht. Waͤre hier der mit Dampf und Luft
gefuͤllte Raum uͤber dem großen Sprudelkeſſel ſo geſchloſſen, daß
die Sprudel-Oeffnung ihren Ausfluß ziemlich tief unter der Ober-
flaͤche, etwa in A haͤtte (Fig. 131.) ſo koͤnnte es, bei ploͤtzlich ver-
mehrtem Andrange der elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten oder bei ploͤtzlich ver-
mehrtem Drucke auf die Oberflaͤche BC, zu einem hoͤher hinauf ge-
triebenen Sprungſtrahle kommen, der am Sprudel, zumal da die
Luft mit entweicht, nicht vorkommen kann.
Das abwechſelnd ſo heftige Hervorbringen des Waſſers aus
den großen Springbrunnen Geyſer und Strok auf Island, deutet
auf einen aͤhnlichen Urſprung. Nach den Beſchreibungen von
Ohlſen und Hooker, womit auch andre Reiſende uͤberein ſtim-
I. Q
[242] men, findet man das Becken des Geyſer laͤngere Zeit mit ruhigem
Waſſer gefuͤllt; dann aber hoͤrt man ein wiederholtes unterirdiſches
Getoͤſe, wie Canonenſchuͤſſe, wobei das Waſſer zuerſt in einige auf-
wallende Bewegung geraͤth, und dann mehr oder minder hoch, zu-
weilen bis zu 200 Fuß hoch, hinaufgetrieben wird, und eine mit
Dampfwolken umgebene Waſſerſaͤule darſtellt. Beim Hervorbre-
chen hat es die Kochhitze. Wenn nach mehreren Minuten oder
einer Viertelſtunde der Ausbruch vorbei iſt, ſo ſinkt das Waſſer ſo
tief in dem Behaͤlter, woraus es hervordrang, daß Ohlſen das
Bleiloth bis 80 Fuß ohne Widerſtand hinabſenken konnte, und es
dauerte lange, ehe der Keſſel ſich wieder fuͤllte; und obgleich ſich
auch unterdeß zuweilen unterirdiſches Getoͤſe hoͤren ließ, ſo war es
doch dann erſt am ſtaͤrkſten, wenn der Keſſel wieder hoͤher angefuͤllt
war. Welchen Eindruck dieſes Schauſpiel eines zuweilen gegen
50 Fuß dicken, und 100 Fuß, ja 200 Fuß hinauf geſchleuderten
Waſſerſtrahles, deſſen Erſcheinen mit unterirdiſchem Donner beglei-
tet iſt, auf den Beobachter, der die Erde unter ſich beben fuͤhlt,
machen muß, laͤßt ſich denken. Die eigentlichen Urſachen der Er-
ſcheinung kennen wir zwar nicht, aber daß hier, wo in der Tiefe ein
unausloͤſchliches Feuer beſtaͤndig wirkſam iſt, dieſes die Erſcheinun-
gen hervorbringt, laͤßt ſich wohl nicht bezweifeln. Stellen wir uns
vor, die Waſſerquelle koͤnne den offenen Keſſel AB allmaͤhlig fuͤllen
(Fig. 132.), und das Waſſer erhebe ſich zugleich in den Hoͤhlen BC,
ſo kann dieſes Anſchwellen ſehr ruhig fortgehen, ſo lange die uͤber
dem unterirdiſchen Feuer D befindliche Luft durch ihren Gegendruck
das Ueberfließen des Waſſers bei C hindert; und da der Druck der
ſehr erhitzten, immer mit Daͤmpfen erfuͤllten Luft uͤber dem Feuer
D ſehr viel groͤßer, als der Druck der aͤußern Luft iſt, ſo kann der
hoͤchſte Punct der das Feuer und Waſſer trennenden Hoͤhe C, viel
niedriger, als A, liegen. Faͤngt nun aber bei fortwaͤhrendem Zu-
dringen des Waſſers dieſes an, ſich bei C hinuͤber in das Feuer zu
ſtuͤrzen, ſo entſteht auf einmal eine große Menge Dampf, die den
Druck auf die Oberflaͤche des Waſſers bei CE in ſtarkem Maaße
vermehrt, und es laͤßt ſich wenigſtens als moͤglich denken, daß dieſe
Dampf-Entwicklung, ſelbſt waͤhrend des Hervorbrechens aus der
Oeffnung A, noch fortdauert, und daß die Elaſticitaͤt des Dampfes
[243] groß genug iſt, um ſelbſt bis zu den Erſtaunen erregenden Hoͤhen,
die man dort beobachtet, das Waſſer hinaufzutreiben *).
Entwickelung von Luft aus Fluͤſſigkeiten.
Ich kann nicht unterlaſſen, Sie bei dieſer Gelegenheit auf noch
einen andern Gegenſtand aufmerkſam zu machen, auf welchen vor-
zuͤglich die Carlsbader Quelle mich leitet, der mit einer der aller-
merkwuͤrdigſten Entdeckungen neuer Zeit in Verbindung ſteht, und
daher gewiß wichtig genug iſt, um hier eingeſchaltet zu werden.
Ohne hier auf die Umſtaͤnde einzugehen, von welchen es ab-
haͤngt, daß in ſo unzaͤhligen Faͤllen andre Luft-Arten, verſchieden
von der atmoſphaͤriſchen Luft, ſich entwickeln, begnuͤge ich mich, Sie
nur an die Erſcheinungen zu erinnern, welche die Geſundbrunnen,
wenn wir eine damit gefuͤllte Flaſche oͤffnen, welche die Biere, und
andre in Gaͤhrung gekommene Fluͤſſigkeiten darbieten. Die aus
ihnen hervorſteigende Luft entwickelt ſich, ſobald der Gegendruck
von außen aufgehoben oder vermindert iſt, und bleibt dagegen in
ihnen gebunden, ſo lange die im obern Raume der Flaſche geſam-
melte Luft verdichtet genug iſt, um das fernere Hervordringen der
Luft aus der Fluͤſſigkeit zu hindern. Dieſe verdichtete Luft iſt es,
die von ſtarken Bieren den Stoͤpſel abwirft, die durch ihre große
Elaſticitaͤt die Flaſchen der Weine, die in der Flaſche in Gaͤhrung
gerathen, zerſprengt, oder wenigſtens doch durch ein Geraͤuſch beim
Oeffnen des Propfes ſich merklich macht. Sie verwandelt, bei ih-
rem Hervorſteigen aus dem Innern der Fluͤſſigkeit, dieſe in Schaum,
wenn die Fluͤſſigkeit Zuſammenhang, Zaͤhheit genug hat, um in
ſo duͤnnen Blaͤttchen, wie es die Waͤnde der Schaumblaͤschen ſind,
zu beſtehen. Da ein ſtarker Gegendruck verdichteter Luft noͤthig iſt,
um jene Luft in ihrem gebundenen Zuſtande zu erhalten, ſo ſehen
wir, wenn die geoͤffnete Flaſche aufs neue geſchloſſen wird, das Her-
vordringen der Luftblaſen aus dem Innern der Fluͤſſigkeit noch eine
Zeitlang fortdauern; aber nur ſo lange, bis der obere luftvolle
Raum ſich hinreichend mit Luft gefuͤllt hat, um dem Andrange der
hervorſteigenden Luft zu widerſtehen; die Blaͤschen kommen ſogleich
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[244] wieder, wenn wir der oben eingeſchloſſenen Luft auch nur durch
einiges Zuruͤckziehen des Stoͤpfels mehr Raum geben. Bei den
im Freien hervorſprudelnden Quellen iſt es eben ſo; — die in ihren
Waſſern enthaltene Luft dringt hervor, da wo kein Gegendruck ſie
zuruͤckhaͤlt, und eine unter dem Gewoͤlbe des Sprudelkeſſels in
Carlsbad verdichtete Luft wuͤrde dem Waſſer ſeine kohlenſaure Luft
in noch ſtaͤrkerer Quantitaͤt erhalten, als es ohne eine ſolche gegen-
wirkende Kraft der Fall iſt. Die von Dalton aufgeſtelte Be-
hauptung, daß nur der Druck gleichartiger Luft dieſe; Luft-
Entwickelung hindre, muß ich hier uneroͤrtert laſſen, da ſie mich zu
weit fuͤhren wuͤrde, wenn ich die Erſcheinungen anfuͤhren wollte,
welche entſtehen; wenn eine andre Luft-Art in der Fluͤſſigkeit ab-
ſorbirt iſt, und eine andre den Druck auf die Oberflaͤche ausuͤbt; —
dann tritt ein Theil von jener aus der Verbindung mit der Fluͤſſig-
keit heraus, und ein Theil von dieſer wird dagegen aufgenommen.
Die Verfertigung der kuͤnſtlichen Mineralwaſſer beruht auf
eben dieſem Drucke verdichteter Luft. Man bringt naͤmlich uͤber
die Oberflaͤche des Waſſers, welches mit kohlenſaurer Luft, impraͤ-
gnirt werden ſoll, eine hinreichend verdichtete kohlenſaure Luft, und
kann nach der Groͤße der elaſtiſchen Kraft, welche dieſe ausuͤbt, die
Staͤrke des hervorzubringenden Mineralwaſſers beſtimmen, weshalb
man durch Queckſilber in Roͤhren, die dem Barometer aͤhnlich ſind,
die Elaſticitaͤt der Luft uͤber dem damit zu impraͤgnirenden Waſſer
abmißt, und dieſe bis auf den angemeſſenen Grad verſtaͤrkt. —
Starkes Umſchuͤtteln oder Quirlen erleichtert die Abſorption der
Luft im Waſſer, und man bedient ſich daher dieſes Mittels, um
den Zweck ſchneller zu erreichen.
Verwandelung der Luft-Arten in tropfbare Fluͤſſigkeit.
In den meiſten Faͤllen iſt die Gewalt, mit welcher die Luft,
die in Fluͤſſigkeiten enthalten iſt, aus dieſen ſich zu entwickeln ſtrebt,
nicht ſo ſehr groß, und eine nur maͤßige Verdichtung der auf die
Oberflaͤche druͤckenden Luft hindert die fernere Entwickelung der
Luft; aber es giebt Faͤlle, wo die Gewalt der Entwickelung ſo groß
iſt, daß ſie nur bei einem ungemein ſtarken Gegendrucke gehindert
wird. Dieſe Faͤlle benutzte Faraday, um einige Luft-Arten auf
[245] ſo gewaltige Weiſe zu comprimiren, daß ſie dadurch in tropfbaren
Zuſtand verſetzt wurden, und dieſe Erſcheinung iſt es, auf die ich
vorhin, als auf eine ſo hoͤchſt merkwuͤrdige, hindeutete. Das Ver-
fahren iſt ſo eigenthuͤmlich, daß ich es hier mittheilen will, ohne
den Einwurf zu fuͤrchten, daß ich chemiſche Kenntniſſe dabei in An-
ſpruch nehme, die erſt an einer andern Stelle naͤher begruͤndet wer-
den. In der That koͤmmt es auch hier gar nicht darauf an, zu
wiſſen, was chemiſche Verwandtſchaft ſei, wenn gleich die Entwicke-
lung von Luft, die ich jetzt anfuͤhren will, auf dieſer Verwandtſchaft
beruht; ſondern es iſt genug, die Erfahrung gemacht zu haben, daß
in unzaͤhligen Faͤllen ſich eine Menge von Luftblaſen zeigt, ſich eine
Menge von Luft entwickelt, wenn man eine Saͤure auf einen Koͤr-
per gießt, und daß man offenbar eine verdichtete Luft erhaͤlt, wenn
dieſer Proceß im verſchloſſenen Raume ſtatt findet. Die ſo ent-
wickelten Luft-Arten zeigen ſich in ihren Eigenſchaften als mannig-
faltig verſchieden, und bei dem Beiſpiele, welches ich, nach Fara-
day's Erzaͤhlung, Ihnen mittheilen will, war es ſalzſaure Luft,
die ſich aus dem Salmiak (ſalzſauren Ammoniak) entwickelte, indem
Schwefelſaͤure auf denſelben gegoſſen wurde. Die Entwickelung
findet ſehr kraftvoll und ſehr ſchnell ſtatt, man muß daher den Pro-
ceß nicht eher anfangen laſſen, bis die Roͤhre feſt verſchloſſen iſt,
und deshalb nimmt man eine gebogne Roͤhre mit ſehr ſtarken Waͤn-
den, fuͤllt ſie in der Stellung AC (Fig. 133.) ſo weit als es noͤthig
iſt, etwa bis an B, mit Schwefelſaͤure, ohne den obern Theil AD
im geringſten mit dieſer Saͤure zu benetzen; man bringt dann ein
Platinblaͤttchen etwa in E hinab, um darauf den Salmiak bis zu
gehoͤriger Zeit ruhen zu laſſen, und ſchmelzt nun das Ende A vor
dem Loͤthrohre zu, mit Anwendung aller moͤglichen Vorſicht, um
zu hindern, daß Saͤure und Salmiak nicht eher in Beruͤhrung kom-
men, bis das Zuſchmelzen vollendet iſt und das allmaͤhlige Abkuͤhlen
gehoͤrig ſtatt gefunden hat. Wenn dies gehoͤrig beſorgt iſt und man
ſich verſichert haͤlt, daß die Roͤhre ſtark genug iſt, um einen ſehr
ſtarken Druck von innen auszuhalten, ſo bringt man ſie durch Um-
kehren in die Stellung, wobei die Schwefelſaͤure den Salmiak be-
ruͤhrt, und nun entwickelt ſich das ſalzſaure Gas mit großer Heftig-
keit. Da dieſe Luft nirgends hin entweichen kann, ſo verdichtet ſie
ſich, und ungeachtet des großen Druckes, den ſie deshalb ausuͤbt,
[246] geht die Entwickelung neuer Luft noch immer, obgleich mit vermin-
derter Gewalt, fort, und nach einigen Tagen ſieht man eine neue
Fluͤſſigkeit entſtehen, die man durch Abkuͤhlung noch deutlicher und
mehr geſammelt hervorbringt, wenn man die Roͤhre in die Stel-
lung ade, und de in eine Eismiſchung bringt, damit ſich dieſes
neue Fluidum in ed verdichte. Auf dieſe Weiſe hat Faraday
die ſalzſaure Luft, und durch aͤhnliche Verſuche mehrere andre Luft-
Arten in den tropfbar fluͤſſigen Zuſtand gebracht, und ſich uͤberzeugt,
daß dieſe Fluͤſſigkeiten wirklich nur aus Verdichtung der Luft ent-
ſtanden, indem ſie bei geoͤffneter Roͤhre ſogleich in der elaſtiſch fluͤſſi-
gen Form, wie man ſonſt dieſe Luft-Arten zu ſehen gewohnt iſt,
entwichen.
Durch welche Mittel man den Druck, den die ſo eingeſchloſ-
ſene Luft ausuͤbte, beſtimmt, will ich bei den Verdichtungen durch
die Luftpumpe erwaͤhnen, und hier nur bemerken, daß Faraday
die Groͤße des in dem erzaͤhlten Falle ſtatt findenden Druckes auf
40 Atmoſphaͤren angiebt, das heißt, dieſer Druck koͤnnte ein gewoͤhn-
liches Barometer auf 40.28 Zoll oder 1120 Zoll hoch erhalten.
Damit ein ſo gewaltiger Druck die Roͤhre nicht zerſprenge, muͤſſen
die Waͤnde der Roͤhre nicht allein dick, ſondern auch frei von allen
Blaͤschen und Ungleichheiten, gut gekuͤhlt und beim Zuſchmelzen
mit großer Sorgfalt behandelt ſein. Nach Brunel's Verſuchen
konnten Roͤhren von 18 Linien innerem Durchmeſſer, deren Waͤnde
10 Linien dick waren, den Druck von 135 Atmoſphaͤren ertragen,
wenn ſie aus ganz reinem Flintglaſe beſtanden *).
Durch dieſe Entdeckung, die auch Perkins durch bloßen
aͤußern Druck beſtaͤtiget hat, iſt der characteriſtiſche Unterſchied,
welchen man ſonſt zwiſchen Luft und Dampf darin zu finden glaub-
te, daß die dampffoͤrmigen Fluͤſſigkeiten durch Druck in den tropf-
baren Zuſtand uͤbergehen, die luftfoͤrmigen Fluͤſſigkeiten aber per-
manent elaſtiſch bleiben, aufgehoben; aber dennoch bleibt es bei den
meiſten, und grade bei den am gewoͤhnlichſten vorkommenden Luft-
Arten wahr, daß ſie bei einem nicht im hoͤchſten Grade ſtarken
Drucke ſich als permanent elaſtiſch zeigen, und ſo laͤßt ſich jener
Unterſchied, mit gehoͤriger Beſchraͤnkung, immer noch fuͤr die meiſten
[247] Faͤlle gebrauchen. Als ſtrenge trennend findet er indeß nicht ſtatt,
ſondern es giebt luftfoͤrmige Fluͤſſigkeiten, die ſchon bei ſehr maͤßi-
gem Drucke in den tropfbaren Zuſtand uͤbergehen, und alſo einen
Uebergang zu den dampffoͤrmigen, elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten bilden.
Achtzehnte Vorleſung.
Die Luftpumpe.
Eines der merkwuͤrdigſten Inſtrumente, durch welches wir die
Eigenſchaften der Luft naͤher kennen gelernt haben, iſt, wie Ihnen
bekannt genug iſt, die Luftpumpe. So verſchieden auch die
Einrichtungen ſind, die man ihr gegeben hat, ſo iſt doch der Zweck
aller dieſer Einrichtungen ganz derſelbe, indem er darin beſteht,
einen groͤßern Raum ſo gut als moͤglich luftleer zu machen; der
zweite Zweck, Luft in ſehr verdichteten Zuſtand zu verſetzen, kann,
weil das Zerſprengen der Gefaͤße dabei ſo ſehr zu fuͤrchten iſt, mei-
ſtens nur unvollkommen erreicht werden.
Die Einrichtung aller Luftpumpen ſtimmt darin uͤberein, daß
ein mit dem auszuleerenden Gefaͤße verbundener Cylinder ange-
bracht iſt, in welchem der zuruͤckgehende Kolben der Luft des Ge-
faͤßes einen groͤßern Raum, um ſich auszudehnen, darbietet, und
in welchem der vordringende Kolben da, wo eine Verdichtung beab-
ſichtiget wird, mehr Luft in das Gefaͤß hineintreibt. Die Ver-
ſchiedenheit der Einrichtung beſteht in den ungleichen Mitteln, die
man anwendet, um bei wiederholten Kolbenzuͤgen die Verbindung
der ſchon verduͤnnten oder verdichteten Luft mit der aͤußern Luft zu
unterbrechen; man bewirkt dieſes entweder durch einen doppelt
durchbohrten Hahn, oder durch Ventile, oder durch einen einfach
durchbohrten Hahn. Fig.135. ſtellt eine Einrichtung dar, wie ſie
bei doppelt durchbohrtem Hahne bequem ſtatt finden kann. AB iſt
hier das Gefaͤß, gewoͤhnlich eine Glasglocke, in welchem man die
Erfolge, die ſich in verduͤnnter Luft ereignen, beobachten will; eine
engere Roͤhre C, die durch einen Hahn geſchloſſen werden kann,
ſetzt dieſes Gefaͤß in Verbindung mit dem Cylinder DE, in welchem
[248] der Kolben ſich hin und her bewegt. Dieſen Kolben ſetzt man am
bequemſten durch ein gezaͤhntes Rad in Bewegung, das in die
Zaͤhne der Kolbenſtange G eingreift, und dieſe ſo gut hineinzuſchie-
ben, als herauszuziehen dient. Der Hahn iſt doppelt durchbohrt,
ſo naͤmlich (Fig. 136.), daß eine Bohrung c quer durch geht, um
einen graden Durchgang vom Gefaͤße zum Cylinder zu geſtatten,
und daß eine zweite Bohrung gekruͤmmt von der Seite a nach b zu
geht; der Eingang dieſer Bohrung iſt gegen den Cylinder gekehrt,
wenn der Hahn um ein Viertel einer Drehung von der Stellung
entfernt iſt, welche den graden Durchgang darbietet, und eben dieſer
Eingang iſt nach der Glocke gekehrt, wenn man nach der andern
Seite ein Viertel einer Drehung vollendet. Daß beide Bohrungen
ſo neben einander vorbei gehen muͤſſen, daß der eine Durchgang mit
dem andern nirgends zuſammen koͤmmt, werden Sie bei dem gleich
anzugebenden Gebrauche von ſelbſt uͤberſehen.
Wenn man die Luftpumpe zu gebrauchen anfaͤngt, ſo iſt im
Gefaͤße und im Cylinder Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit; ſoll nun
die Luft in AB verduͤnnt werden, ſo faͤngt man damit an, den
Hahn C ſo zu ſtellen, daß der gekruͤmmte Durchgang ab dem Cy-
linder zugewandt iſt, und dann ſchiebt man den Kolben bis nach D
hinauf, wo alſo alle im Cylinder befindliche Luft fortgetrieben und
der Kolben moͤglichſt nahe an den Hahn C gedraͤngt wird. Man
dreht nun den Hahn um ein Viertel ſeines Umfangs, damit der
Durchgang zwiſchen dem Cylinder und dem Recipienten AB offen
ſei; indem dann der Kolben zuruͤckgezogen wird, ergießt ſich ein
Theil der in AB enthaltenen Luft in den Cylinder, und wenn der
Raum im Cylinder ebenſo groß als unter der Glocke AB iſt, ſo er-
haͤlt dort die Luft eine nur halb ſo große Dichtigkeit, als vorher.
Der Hahn wird hierauf in die erſte Stellung zuruͤckgedreht, damit
beim Zuruͤckſchieben des Kolbens die Luft aus dem Cylinder durch
die Oeffnung ab bei b ins Freie getrieben werde. Bei abermals
hergeſtellter Verbindung zwiſchen dem Recipienten und dem Cylin-
der giebt man der ſchon verduͤnnten Luft aufs neue Raum, ſich aus-
zudehnen, und wenn ſie wieder den doppelten Raum findet, ſo
koͤmmt ihre Dichtigkeit auf ein Viertel der natuͤrlichen Dichtigkeit.
So faͤhrt man mit abwechſelnder Drehung des Hahnes und abwech-
ſelndem Hin- und Herziehen des Kolbens fort, und erhaͤlt, wenn
[249] der Cylinder immer ebenſo viel Raum als der Recipient darbietet,
die Luft bis zu ⅛, bis zu \frac{1}{16}, bis zu \frac{1}{32}, bis zu \frac{1}{64} der natuͤrlichen
Dichtigkeit bei den einzelnen Kolbenzuͤgen verduͤnnt. Iſt das Gefaͤß
AB klein, ſo daß der Cylinder zum Beiſpiel einen dreimal ſo großen
Raum darbietet, als die Glocke, daß alſo die Luft ſich in den vier-
fach ſo großen Raum ausbreiten kann, ſo erhaͤlt man die Dichtig-
keiten ¼, \frac{1}{16}, \frac{1}{64}, \frac{1}{256} bei den auf einander folgenden Kolbenzuͤ-
gen; iſt das Gefaͤß dagegen groß, zum Beiſpiel doppelt ſo groß, als
der Raum im Cylinder, ſo iſt die Dichtigkeit ⅔, \frac{4}{9}, \frac{8}{27}, \frac{16}{81}, \frac{32}{243},
\frac{64}{729}, und erſt nach ſechs Kolbenzuͤgen iſt die Dichtigkeit ungefehr
\frac{1}{11} der natuͤrlichen Dichtigkeit.
Man koͤnnte bei dieſer Einrichtung die Luft bei jedem Kolben-
zuge immer noch mehr verduͤnnen, wenn es moͤglich waͤre, den ſo-
genannten ſchaͤdlichen Raum ganz zu vermeiden. Dieſer ſchaͤdliche
Raum entſteht, wenn der Kolben ſich nicht ganz genau an den
Hahn bei C anlegt; denn wenn bei D ein kleiner luftvoller Raum
bleibt, ſo iſt dieſer, indem der Kolben hinauf geſchoben iſt, mit ge-
woͤhnlicher Luft gefuͤllt, die man bei der Drehung des Hahnes in
das Gefaͤß hineinlaͤßt; und durch dieſen, in geringem Maaße immer
ſtatt findenden Zutritt neuer Luft, erlangt die Verduͤnnung der Luft
eine Grenze, die man leicht beſtimmen kann. Geſetzt dieſer, mit
Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit gefuͤllte Raum ſei ein Hunderttel
des ganzen Cylinders, ſo koͤnnte, wenn auch keine Luft aus dem
Gefaͤße hinzutraͤte; die Verduͤnnung doch nie weiter, als bis auf
\frac{1}{100} der natuͤrlichen Dichtigkeit gehen, und wenn die Luft im Ge-
faͤße dieſe Verduͤnnung erreicht haͤtte, ſo wuͤrde ein ferneres Kolben-
ſpiel nichts mehr helfen. Die Kunſt des Verfertigers einer Luft-
pumpe beſteht daher theils darin, daß Hahn und Kolben im voll-
kommenſten Sinne luftdicht ſind, daß die Glocke AB gut abgeſchlif-
fen vollkommen luftdicht auf den Teller IB paſſe, theils aber auch
darin, daß der Kolben ſich ſo eng als moͤglich an den Hahn anlege
oder kein ſchaͤdlicher Raum da ſei.
Soll dieſe Luftpumpe zum Verdichten der Luft im Gefaͤße AB
angewandt werden, ſo muß fuͤrs erſte das Gefaͤß AB nicht eine auf-
geſetzte Glocke ſein, die, bei verſtaͤrktem Drucke von innen, gewiß
abgeworfen wuͤrde, ſondern es muß ein feſtes Gefaͤß, an den Teller
angeſchraubt und von hinreichend ſtarken Waͤnden ſein, und zwei-
[250] tens muß die ganze Arbeit des Hineindraͤngens der Luft durch eine
umgekehrte Anordnung des Oeffnens und Schließens zu Stande
gebracht werden. Man faͤngt die Arbeit damit an, den Zugang
der freien Luft zuzulaſſen, waͤhrend man den Kolben gegen E herab
zieht; die nun im Cylinder enthaltene Luft wird in das Gefaͤß hinein
gedraͤngt, und indem man bei jedem Kolbenſtoße einen neuen Cy-
linder voll Luft hineindraͤngt, wird die Quantitaͤt der Luft immer
um gleich viel vermehrt, ſo daß, wenn der Raum im Cylinder ſo
groß als der im Recipienten iſt, die Verdichtung auf das Doppelte,
Dreifache, Vierfache bei den drei erſten Kolbenſtoͤßen ſteigt.
Eine zweite Einrichtung der Luftpumpe iſt die, wo man ſich
der Ventile bedient. Dieſe Ventile duͤrfen hier nicht, wie es bei
groͤbern Werkzeugen wohl ſtatt findet, Klappen, etwa von Leder
oder dergleichen, ſein, ſondern man pflegt einen Streifen Blaſe
ſo mit beiden Enden zu befeſtigen, daß er, durch den Druck der
Luft von der einen Seite an die Raͤnder der Oeffnung angedruͤckt,
der Luft keinen Ausgang geſtattet, dagegen durch den von der an-
dern Seite kommenden Luftdruck geoͤffnet, ſie entweichen laͤßt. Die
Ventilluftpumpe hat die Bequemlichkeit, daß ſie des Drehens der
Haͤhne nicht bedarf, ſondern beim Hin- und Herziehen des Kol-
bens der Erfolg ſchon ganz von ſelbſt ſtatt findet. Sie bedarf
zweier Ventile, deren eins im Kolben ſelbſt zu ſein pflegt. Wird
naͤmlich Fig. 137. der Kolben AB nach der Muͤndung der Roͤhre,
die zum Recipienten CD fuͤhrt, zu gedraͤngt, ſo ſchließt ſich das
bei E angebrachte Ventil und die im Cylinder befindliche Luft findet
einen Ausweg durch das im Kolben angebrachte Ventil, welches
die Durchbohrung des Kolbens von oben her verſchließt, und ſich
beim Andrange der Luft von unten her oͤffnet. Hat man ſo den Kolben
bis unten hinabgedruͤckt, ſo wuͤrde beim Zuruͤckziehen des Kolbens
unter ihm ein luftleerer Raum entſtehen; aber die im Recipienten
CD enthaltene Luft oͤffnet durch ihren Druck das Ventil bei E,
und ſtroͤmt in den Cylinder ein, ſo daß die Luft im Recipienten
verduͤnnt wird. Geht der Kolben herab, ſo findet die im Cylinder
enthaltene verduͤnnte Luft ihren Ausweg durch den Kolben und die
Luft im Gefaͤße bleibt geſperrt; beim zweiten Zuge hinauf tritt von
der verduͤnnten Luft wieder ein Antheil hervor, und ſo geht es bei
jedem Zuge hinauf, bis endlich die Verduͤnnung ſo weit getrieben
[251] iſt, daß die ſehr verduͤnnte, allzuſchwach auf das Ventil E druͤk-
kende Luft dieſes nicht mehr zu heben im Stande iſt. Man ver-
bindet bei dieſer Einrichtung gern zwei Cylinder, damit, waͤhrend
im einen die Luft durch das Ventil des Kolbens fortgeſchafft wird,
im andern der Kolben zu neuer Verduͤnnung thaͤtig ſei. Im All-
gemeinen ſind die Luftpumpen mit Haͤhnen dieſen eben beſchriebe-
nen vorzuziehen, da der ſchaͤdliche Raum auch hier nicht ganz ver-
mieden wird, und außerdem die zum Heben des Ventiles endlich
zu ſchwach werdende Kraft dem Effecte Grenzen ſetzt.
Eine dritte Art von Luftpumpe gleicht in ihrem aͤußern An-
ſehen der zuerſt beſchriebenen Fig. 135.; der Hahn
C hat aber jetzt
nur eine, grade durchgehende Bohrung, und eine Oeffnung im
Cylinder ſelbſt, unmittelbar unter dieſem Hahne bei D, die man
abwechſelnd mit einem genau ſchließenden Stifte verſtopft, dient
um die Luft auszulaſſen. Um das Auspumpen oder Verduͤnnen
der Luft anzufangen, oͤffnet man die ins Freie gehende Oeffnung
bei D, ſchiebt den Kolben bis dicht an den Hahn und verſchließt
die eben erwaͤhnte Seiten-Oeffnung. Der Hahn C wird nun ſo
gedreht, daß er den Durchgang der Luft vom Recipienten AB zum
Cylinder DE geſtattet; der Kolben wird herabgezogen und die Luft
im Recipienten AB verduͤnnt. Wenn der Kolben in ſeinem tief-
ſten Puncte angekommen iſt, dreht man den Hahn, ſo daß er nun
der Luft allen Ausgang ſperrt, die noch im Cylinder enthaltene
Luft wird zu der Seiten-Oeffnung bei D hinausgetrieben, und
der Kolben legt ſich ganz dicht an den Hahn an, indem alle Luft
durch die Seiten-Oeffnung ihren Ausweg findet. Dieſe Seiten-
Oeffnung wird nun mit dem luftdicht ſchließenden Stifte verſtopft,
der Hahn geoͤffnet, der Kolben herabgezogen, und die Luft aufs
Neue verduͤnnt. So geht die Arbeit fort, und wenn der obere
Hahn in ſeiner Faſſung ganz genau ſchließt, der Stift in der
Seiten-Oeffnung keine Luft durchlaͤßt, und der ſchaͤdliche Raum
zwiſchen dem Kolben und dem Hahne durch ein genaues Anſchließen
beider an einander ſo vollkommen als moͤglich vermieden iſt, ſo kann
man die Luft bis zu einer Dichtigkeit, die kaum noch \frac{1}{300} der na-
tuͤrlichen Dichtigkeit iſt, herunter bringen. Will man ſich die Dre-
hungen des Hahnes erſparen, ſo kann man auch die Maſchine ſo
[252] einrichten, daß ſie ſelbſt das Oeffnen und Schließen der Haͤhne bewirkt.
Mittel den Grad der Verduͤnnung oder Verdichtung
zu beſtimmen.
Das beſte Mittel, um den Grad der erlangten Verduͤnnung
der Luft zu meſſen, iſt die Barometerprobe. Wir ſind ge-
wohnt, in unſerm Barometer, wo der ganze Druck der Atmoſphaͤre
das Queckſilber in die Hoͤhe treibt, dieſes gegen 28 Zoll hoch zu
ſehen; aber wenn der Druck der Luft abnimmt, ſo ſinkt das Ba-
rometer. Stellt man daher unter einer hohen Glocke ein wirk-
liches Barometer, eine unten in Queckſilber getauchte und damit
gefuͤllte, oben geſchloſſene Roͤhre auf, ſo ſinkt das Queckſilber im
Barometer bei jedem Kolbenzuge. Bei den meiſten Verſuchen will
man nicht das allmaͤhlige Abnehmen des Druckes, ſondern nur den
zuletzt erreichten Grad der Verduͤnnung der Luft wahrnehmen, und
dazu reicht ein nur einen Zoll hohes Barometer hin. Es ſei
Fig. 138. die kurze Roͤhre ABC ſo, wie ein Barometer, mit
ausgekochtem Queckſilber gefuͤllt, ſo wird das Queckſilber ſich an
die obere Woͤlbung A der zugeſchmelzten Roͤhre dicht anlegen, weil
der bei C wirkende Druck der Atmoſphaͤre das Queckſilber ja viel
hoͤher erhalten koͤnnte. Ich will annehmen, die Hoͤhe des oberſten
Punctes A uͤber C ſei = 1 Zoll. Wenn dieſes kleine Barometer
ſich unter der Glocke der Luftpumpe befindet, ſo bleibt die Roͤhre
bei A, auch bei anfangender Verduͤnnung der Luft, noch immer
gefuͤllt, bis die Luft nur noch \frac{1}{28} ihrer natuͤrlichen Dichtigkeit hat,
oder ſtatt 28 Zoll Queckſilber nur noch 1 Zoll Queckſilber zu tragen
im Stande iſt; wird die Verduͤnnung weiter fortgeſetzt, ſo ſieht
man das Queckſilber bei A fallen, bei C ſteigen, und der Unter-
ſchied der Hoͤhen beider Queckſilberſaͤulen giebt den Druck der
noch uͤbrigen Luft an. Es giebt viele Verſuche, bei denen man
ſich begnuͤgen kann, dieſes Barometer bis auf ½ Zoll herabgebracht
zu haben; aber es giebt einige Verſuche (namentlich das Gefrieren
des Waſſers im luftleeren Raume bei einer in der Umgebung der
Luftpumpe auf 15, 18 und mehr Grade ſteigenden Temperatur),
die nur gelingen, wenn das Barometer bis zu 1 Linie oder wenig-
[253] ſtens 1½ Linie herabgeſunken iſt *). Eine recht gute Luftpumpe muß
nicht nur geſtatten, daß die Verduͤnnung bis zu dieſem Puncte
gelange, ſondern dieſe Verduͤnnung muß auch ſich geraume Zeit
durch ungeaͤndert erhalten. Bei Luftpumpen, wo die Haͤhne nicht
ganz dicht ſchließen, geht bei jedem Kolbenzuge zwar das Barometer
bedeutend herunter, aber es ſteigt wieder, wenn man, bei geſchloſ-
ſenen Haͤhnen, der Luft allen Zutritt verwehrt zu haben glaubt;
bleibt das Queckſilber auf der einmal erreichten geringen Hoͤhe, ſo iſt
es offenbar, daß kein Zutritt der Luft ſtatt findet, und dies iſt
daher ein Mittel, die Guͤte einer Luftpumpe zu probiren.
Statt dieſer kleinen, unter die Glocke zu ſtellenden Barome-
terprobe, wendet man oft ein langes Glasrohr ST an, das ſich
(Fig. 135.) mit ſeinem oberen offenen Ende unter der Glocke AB
befindet, unten bei S aber in ein Gefaͤß mit Queckſilber getaucht
iſt. So lange noch keine Luft ausgepumpt iſt, ſteht das Queck-
ſilber im Gefaͤße ebenſo hoch, als in der an beiden Enden offenen
Roͤhre; aber ſo wie die Luft im Recipienten AB verduͤnnt wird,
ſteigt das Queckſilber in der Roͤhre, und je duͤnner die Luft dort
wird, deſto mehr naͤhert ſich die Hoͤhe des Queckſilbers in dieſer
Roͤhre der vollſtaͤndigen Hoͤhe des Queckſilbers im Barometer;
denn dieſe wuͤrde ja genau erreicht werden, wenn oberhalb des in
die Roͤhre hinaufgeſtiegenen Queckſilbers ſtatt verduͤnnter Luft ein
wahrhaft luftleerer Raum waͤre.
Zur Abmeſſung der verdichteten Luft ließe ſich eine aͤhnliche
Barometerprobe einrichten. Es ſei (Fig. 139.) GH das mit ver-
dichteter Luft gefuͤllte Gefaͤß, und daran eine hinreichend ſtarke, bei
A geſchloſſene, bei C mit dem Innern des Gefaͤßes in Verbin-
dung ſtehende Glasroͤhre angebracht. Wenn ſich bei AD in der
geſchloſſenen Roͤhre Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit befindet, ſo
ſteht beim Anfange des Verſuches das Queckſilber in D, E, gleich
hoch; ſobald aber bei E verdichtete Luft auf die Oberflaͤche des
Queckſilbers druͤckt, wird die Luft AD in einen engern Raum
zuſammengepreßt, und ihre Verdichtung wird, bei gehoͤriger Ruͤck-
ſicht auf die von der Luft im Recipienten zugleich noch getragene
Queckſilberſaͤule, den Grad der Verdichtung der im Recipienten
[254] enthaltenen Luft angeben *). Wenn man nach vollendetem Ver-
ſuche die Luft aus dem Recipienten auslaͤßt, ſo muß man Sorge
tragen, daß dieſes nicht zu ploͤtzlich geſchehe, damit das Queckſilber
aus der Roͤhre ſich nicht zu heftig gegen C hin hervordraͤnge.
Um die Verduͤnnung der Luft zu meſſen, hat man noch ein
andres Inſtrument angegeben. Man bediene ſich ſtatt der oben
ganz geſchloſſenen Glocken eines Recipienten, in deſſen oberem
Boden ein luftdicht durchgehendes Staͤbchen AB angebracht iſt
(Fig. 140.), und ſtelle unter dieſen Recipienten ein Gefaͤß mit
Queckſilber DE grade ſo, daß die Muͤndung FG des an jenem
Staͤbchen befeſtigten glaͤſernen Gefaͤßes FGH ſich uͤber dem Queck-
ſilber befindet. Das letztere Gefaͤß beſteht unten aus einem weite-
ren Theile FG, und endigt ſich oben in eine enge bei H zugeſchmelzte
Roͤhre. Wird nun die Luft aus dem Recipienten IK ausge-
pumpt, ſo wird auch das Gefaͤß FGH in eben dem Grade luftleer;
aber wenn man nach vollendetem Auspumpen das Gefaͤß mit ſeinem
Rande FG in das Queckſilber DE eintaucht, ſo kann, waͤhrend
der Recipient ſich mit Luft fuͤllt, keine Luft in dieſes Gefaͤß gelan-
gen, und der Druck der Luft treibt das Queckſilber in dem Gefaͤße
hinauf, wobei die im Gefaͤße noch uͤbrige, im verduͤnnten Zuſtande
das ganze Gefaͤß fuͤllende Luft ſich bei H in einen ſehr engen Raum
zuſammengedraͤngt findet. Dieſe Luft bringt man durch Einſenken
des Gefaͤßes in das Queckſilber zur Dichtigkeit der umgebenden freien
Luft, mit welcher ſie dann gleiche Dichtigkeit hat, wenn das Queck-
ſilber innen und außen gleich hoch ſteht, und bemerkt jetzt den Raum,
den ſie einnimmt; die auf der Roͤhre bezeichneten Tauſendtel des
ganzen inneren Raumes des Gefaͤßes geben dann an, wie ſich das
jetzige Volumen zu dem vorhin eingenommen Raume verhaͤlt, und
geben eben dadurch den Grad der Verduͤnnung an.
Dieſe von Smeaton unter dem Namen der Birnprobe an-
gegebne Beſtimmung der Verduͤnnung, giebt die Menge der noch
uͤbrig gebliebenen Luft richtig an, ſtatt daß die Barometerprobe den
Druck angiebt, den die in verduͤnnter Luft leicht hervorgehenden
Daͤmpfe in Verbindung mit der noch uͤbrigen Luft ausuͤben. Wenn
[255] die Barometerprobe die Elaſticitaͤt = \frac{1}{300} der zu Anfang ſtatt fin-
denden angiebt, ſo iſt die Luft nicht mehr voͤllig ſo dicht, als man
hiernach annehmen wuͤrde, ſondern ein Theil dieſes Druckes gehoͤrt
den entwickelten Daͤmpfen. Smeaton nannte ſein Inſtrument
die Birnprobe, weil es ungefehr die Geſtalt einer Birne hatte.
Mancherlei Verſuche mit der Luftpumpe.
Die Verſuche, zu welchen man die Luftpumpe anwendet, ſind
hoͤchſt mannigfaltig. Um die große Gewalt des Druckes der Atmo-
ſphaͤre zu zeigen, ſchraubt man als auszuleerenden Recipienten ein
Gefaͤß auf, das an einer Seite durch ein ebnes Glas geſchloſſen
iſt; wenn die Luft aus demſelben ausgepumpt wird, ſo wird dem
Drucke der Luft von außen nicht mehr durch den Druck der Luft
von innen das Gleichgewicht gehalten, und das Glas wird zerdruͤckt.
Oder man ſpannt uͤber das auszuleerende Gefaͤß eine Blaſe; ſobald
die Luft ausgepumpt wird, ſieht man dieſe durch den Druck der
aͤußern Luft hineingedraͤngt, und nachdem ſie, ihrer Dehnbarkeit
wegen, zuerſt ſehr geſpannt hineingedraͤngt iſt, zerplatzt ſie. Man
darf daher keine Glasgefaͤße mit ebenen Seiten anwenden, welche
gewiß zerbrochen wuͤrden; die Woͤlbungen widerſtehen dem Drucke
von außen beſſer.
Eben dieſen ſtarken Druck der Atmoſphaͤre zu zeigen, waren
vorzuͤglich Guerike's Verſuche beſtimmt, der als Erfinder der
Luftpumpe ſich bemuͤhte, auffallende Wirkungen, welche durch
dieſelbe hervorgebracht wurden, zu zeigen. Am beruͤhmteſten unter
ſeinen Verſuchen iſt der mit den guerikſchen Halbkugeln geworden.
Er ließ zwei metallene Halbkugeln von einer Elle Durchmeſſer ver-
fertigen, die mit abgeſchliffenen Raͤndern dicht an einander an-
ſchloſſen und durch zwiſchengelegtes Leder luftdicht gemacht wurden.
An beiden waren Ringe zum Anſpannen von Pferden angebracht,
und eine mit einem Hahne verſehene Oeffnung erlaubte, ſie, nach-
dem ſie an die Luftpumpe geſchraubt waren, luftleer zu machen.
Nachdem dies geſchehen und der Hahn geſchloſſen war, wurden an
beiden Halbkugeln nach entgegengeſetzten Richtungen Pferde ange-
ſpannt, und bei einem ſolchen Verſuche konnten 24 Pferde ſie nicht
aus einander reißen. Der Druck der Luft wirkte hier ſo ſtark zum
Zuſammenhalten der Kugeln, wie er auf einen Kreis von einer Elle
[256] Durchmeſſer wirken wuͤrde, da aber dieſer Kreis 450 Quadratzoll
enthaͤlt, worauf die Luft mit mehr als 6700 Pfund Kraft druͤckt,
ſo konnten allerdings 12 Pferde an jeder Seite dieſen Druck nicht
uͤberwinden, ſelbſt wenn die Luft nicht einmal in ſo hohem Grade
verduͤnnt war. Andre Verſuche Guerike's, wo die Luft ein großes
Gewicht trug, kommen auf eben das hinaus.
Wenn man eine gute Luftpumpe beſitzt, deren Kolben nicht
mit allzu großer Reibung geht, ſo findet man, daß er, wenn die
Luft ſtark verduͤnnt iſt, ohne alle angewandte Kraft zuruͤckgetrieben
wird, wenn man ihn nach dem Hervorziehen aus dem Cylinder frei
laͤßt. Dieſes iſt die Wirkung der auf ihn druͤckenden Luft, die von
innen, wo faſt gar keine Luft iſt, keinen Widerſtand leidet. Hat
der Cylinder einen Durchmeſſer von 3 Zoll, ſo iſt der Druck auf
den Kolben ungefehr 110 Pfund, und ſo viel Laſt muͤßte der Kol-
ben mit ſich hinaufziehen koͤnnen, wenn nicht die doch immer ſehr
erhebliche Reibung ein ſo großes Hinderniß hervorbraͤchte.
Man hat bei den Dampfmaſchinen von dieſem Drucke der
Luft Gebrauch gemacht, um den Kolben zuruͤckzutreiben. Iſt naͤm-
lich durch die Elaſticitaͤt des unter dem Kolben zugelaſſenen Dampfes
der Kolben gehoben worden, ſo hat man unter demſelben einen faſt
ganz luftleeren Raum, und wenn man durch Abkuͤhlung dem
Dampfe ſeine Elaſticitaͤt raubt, ſo wird der Kolben herabgedruͤckt,
weil faſt gar keine elaſtiſche Fluͤſſigkeit im Raume unter dem Kolben
dem Drucke der Luft auf denſelben Widerſtand leiſtet.
Der große Druck, den unſer ganzer Koͤrper von der uͤber uns
befindlichen Luft leidet, wird uns nicht fuͤhlbar, weil im Innern
unſeres Koͤrpers in allen Gefaͤßen und Fluͤſſigkeiten des Koͤrpers ſich
Luft von eben der Elaſticitaͤt wie die aͤußere Luft befindet; legt man
aber die Hand auf eine oben offene Glocke, und pumpt unterhalb
der Hand die Luft weg, ſo bemerkt man den Druck der Luft auf
doppelte Weiſe, erſtlich dadurch daß die Hand feſt gegen das luft-
leere Gefaͤß angedruͤckt wird, ſo daß man nicht vermoͤgend iſt, ſie
wegzuheben, zweitens dadurch, daß man, bei bedeutender Verduͤn-
nung der Luft und etwas laͤngerer Dauer des Verſuches, die Haut
roͤther, das Blut mehr in die Gefaͤße der Haut hereingetrieben
findet. Daß man die Hand nicht von der Oeffnung losreißen kann,
laͤßt ſich leicht erklaͤren; denn wenn die Luft auch nur bis zu ein
[257] Zehntel der natuͤrlichen Dichtigkeit gebracht iſt, ſo uͤbt doch die aͤu-
ßere Luft auf jeden Quadratzoll 13½ Pfund Druck mehr als die
innere aus, und wenn die Oeffnung 4 Quadratzolle betraͤgt, ſo
muͤßte unſre Hand 54 Pfunde heben, wozu ſie nicht im Stande iſt.
Das Hervordraͤngen des Blutes in die Gefaͤße der Haut, welches
beim Schroͤpfen aus aͤhnlichen Gruͤnden noch auffallender ſtatt fin-
det, iſt eine Folge der Elaſticitaͤt der im Innern des Koͤrpers ent-
haltenen Luft, welche ſich gegen die Oberflaͤche, die jetzt weniger
Druck leidet, hervordraͤngt. Man hat dieſes Hervordraͤngen des
Blutes an den Stellen, wo der Druck der Luft auf die Haut weg-
gehoben iſt, als ein Mittel, das Gift aus Wunden (z. B. beim
Biſſe giftiger Thiere) fortzuſchaffen, angewandt, und es laͤßt ſich
wohl uͤberſehen, daß dieſes wirkſamer als ein gewoͤhnliches Aus-
ſaugen ſein muß, wenn es fruͤh genug geſchieht. Einen aͤhnlichen
Erfolg des verminderten Luftdruckes leiden diejenigen, welche ſehr
hohe Berge erſteigen, indem ſie theils ein Herandraͤngen des Blutes
zu den feinen Aederchen des Auges und dadurch einige Entzuͤndung
des Auges empfinden, theils einen Druck im Ohre fuͤhlen, welcher
von der im Innern des Ohres enthaltenen Luft herruͤhrt, die nicht
ſo ſchnell ſich mit der aͤußern Luft ins Gleichgewicht ſetzen kann.
Dieſes Hervordringen der Luft aus dem Innern der Koͤrper
zeigt ſich unter der Luftpumpe noch bei zahlreichen andern Experi-
menten. Wenn man Holz, das an der Luft ausgetrocknet iſt,
durch ein daran befeſtigtes Gewicht unter Waſſer erhaͤlt, und es
ſo im Waſſer unter die Glocke der Luftpumpe bringt, ſo gehen zahl-
reiche Luftblaſen daraus hervor, ſobald man die Luft unter der
Glocke verduͤnnt. Laͤßt man, nachdem dies einige Zeit fortgeſetzt iſt,
die Luft wieder zu, ſo fuͤllen ſich die vorhin luftvollen Poren des
Holzes mit Waſſer. Man hat ein dieſem Experimente aͤhnliches
Verfahren angewandt, um Tuche beim Faͤrben recht vollkommen
durchzufaͤrben. Legt man naͤmlich das Tuch in die faͤrbende Fluͤſ-
ſigkeit und bringt es ſo untergetaucht in den luftleeren Raum, ſo
entwickelt ſich alle im Tuche enthaltene Luft, und nach Hinzulaſ-
ſung der Luft draͤngt ſich die Fluͤſſigkeit in alle Zwiſchenraͤume, wohin
ſie ſonſt nicht ſo leicht gedrungen waͤre.
Selbſt reines Waſſer, wenn es nicht etwa kurz vor dem Ver-
ſuche ausgekocht iſt, enthaͤlt viel Luft, die man in immer groͤßern
I. R
[258] Blaſen, je mehr die Verduͤnnung der Luft zunimmt, hervordringen
ſieht. Wird die Luft in hohem Grade verduͤnnt, ſo geht dieſes
Heraufſteigen der Blaſen in ein wahres Kochen, jedoch ohne ver-
mehrte Waͤrme, uͤber. Das Kochen naͤmlich entſteht aus einem
Entwickeln von Daͤmpfen im Innern der Fluͤſſigkeit; dieſe Dampf-
Entwickelung kann erſt ſtatt finden, die Dampfblaſen koͤnnen erſt
aufſteigen, wenn ihre Elaſticitaͤt den Druck der aͤußern Luft uͤber-
trifft, und daher tritt, bei dem gewoͤhnlichen Luftdrucke, das Kochen
erſt dann ein, wenn durch große Waͤrme die Elaſticitaͤt der Daͤmpfe
einen hohen Grad erreicht hat; iſt aber der aͤußere Druck geringe,
ſo reicht ſchon die gewoͤhnliche Waͤrme der Atmoſphaͤre hin, um
jene Dampfbildung, das wahre Aufkochen, zu bewirken. Der luft-
leere Raum iſt daher ein Befoͤrderungsmittel des Abdampfens, und
wenn man Fluͤſſigkeiten hat, die durch die gewoͤhnliche Kochwaͤrme
leiden wuͤrden, ſo iſt es doppelt wichtig, ſie in einem luftleeren
Raume bei maͤßiger Waͤrme verdampfen zu laſſen. Man hat dabei
nicht einmal immer die Luftpumpe noͤthig; ſondern wenn man
(Fig. 142.) die abzudampfende Fluͤſſigkeit in das Gefaͤß AB gethan
hat, welches mit einem zweiten Gefaͤße C in Verbindung ſteht, ſo
bringt man nur an die Roͤhre D eine Zeit lang ein Gefaͤß mit ko-
chendem Waſſer an, damit der ganze Raum DEFG ſich mit hei-
ßen Daͤmpfen fuͤlle; dieſe treiben durch einen bei I geoͤffneten Hahn
die Luft aus, deren Stelle ſie einnehmen. Verſchließt man nun,
nachdem die Daͤmpfe recht heiß einige Zeit durchgeſtrichen ſind, die
Haͤhne H und I, ſo ſchlaͤgt der erkaltende Dampf ſich bald nieder
und laͤßt einen luftleeren Raum zuruͤck, und damit nun die in die-
ſem luftleeren Raume erzeugten Daͤmpfe ſich in dem Gefaͤße C
condenſiren, ſtellt man dieſes in Eis, indem dadurch in G der
Dampf zu tropfbarer Fluͤſſigkeit wird, und immer neue Dampf-
Erzeugung in E erfolgt. Bei der Zuckerſiederei von Howard
und Hogſon iſt eine ſolche erleichterte Dampf-Erzeugung ange-
bracht, indem dort durch eine Luftpumpe der Raum uͤber dem Zucker
ſo ausgepumpt wird, daß der Zucker bei 30° R. kocht, alſo nie
einer zu großen Hitze ausgeſetzt iſt.
Jene Entwickelung von Luftblaſen zeigt ſich bei Bieren und
Mineralwaſſern noch lebhafter, aber das auf dieſe Weiſe ſeiner Luft
beraubte Bier iſt nun in wenigen Augenblicken ſchaal geworden.
[259]
Man kann die bei vermindertem aͤußern Drucke hervorgehende
Ausdehnung eingeſchloſſener Luft auch dadurch ſichtbar machen, daß
man eine zugebundene Blaſe, die faſt gar keine Luft zu enthalten
ſcheint, unter die Glocke der Luftpumpe bringt. Wird naͤmlich
dieſe Blaſe nicht mehr von dem Drucke der aͤußern Luft zuſammen-
gepreßt, ſo ſchwellt ſie durch die wenige, in den Falten uͤbrig ge-
bliebene Luft an, und zeigt ſogar Elaſticitaͤt genug, um ein bedeu-
tendes Gewicht zu heben. Bei lebenden Thieren ſieht man im luft-
leeren Raume eben dieſe Ausdehnung der im Innern enthaltenen
Luft an ihrem Aufſchwellen, an dem Hervortreiben der Augen
u. ſ. w.
Beſtimmung des Gewichtes einer Luftmaſſe.
Dieſe Verſuche laſſen ſich auf mannigfaltige Weiſe abaͤndern,
da ſie aber alle nur eins und daſſelbe zeigen, ſo gehe ich zu einem
weſentlich verſchiedenen Verſuche uͤber, wodurch man das wahre
Gewicht einer beſtimmten Quantitaͤt Luft zeigt. Man ſchraubt eine
mit einem Hahne verſehene hohle Kugel von erheblicher Groͤße an
die Luftpumpe und verduͤnnt die Luft in derſelben, haͤngt ſie dann
an die Waageſchaale und waͤget ſie genau ab, alsdann oͤffnet man
den Hahn, um die Luft einzulaſſen, und indem man das vorige Ge-
gengewicht nun nicht mehr zureichend findet, ſondern einige Drach-
men oder ſelbſt Unzen nachlegen muß, erhaͤlt man das Gewicht der
in die Kugel neu eingetretenen Luft. Dieſer Verſuch, den man
gewoͤhnlich nur oberflaͤchlich anſtellt, um zu zeigen, daß bei einer
Kugel von 1 Cubicfuß Inhalt das Gewicht der ausgepumpten Luft
eine Unze uͤbertrifft, iſt einer viel groͤßern Genauigkeit faͤhig. Um
dieſe zu erreichen, muß man zuerſt den innern Raum der Kugel
ſehr genau ausmeſſen, und dies geſchieht am beſten, indem man ſie
mit Waſſer fuͤllt; hat man ihr Gewicht beſtimmt als ſie leer war,
und beſtimmt man eben dies Gewicht, nachdem ſie mit Waſſer ge-
fuͤllt iſt, ſo erhaͤlt man, weil das Gewicht von 1 Cubiczoll Waſſer
bekannt iſt, den Cubic-Inhalt der Kugel; es verſteht ſich, daß
man dabei die Waͤrme des Waſſers beobachten muß, weil waͤrmeres
Waſſer leichter iſt. Wenn man ſo den genauen Inhalt der Kugel
und das Gewicht der leeren Kugel kennt, ſo ſcheint es hinreichend,
wenn man ſie nur auspumpte und wieder woͤge; aber da man nie
R 2
[260] die Luft ganz auspumpen kann, ſo reicht dieſes nicht zu, ſondern
man muß auch den Grad der Verduͤnnung der Luft kennen. Man
oͤffnet daher, nachdem man die mit ſehr verduͤnnter Luft gefuͤllte
Kugel gewogen hat, ihren Hahn unter Waſſer, laͤßt das Waſſer
durch den Druck der Luft hinein draͤngen, und beſtimmt, indem
man ſie ſo eintaucht, daß die innere Waſſer-Oberflaͤche mit der
aͤußern gleich hoch iſt, wie viel Luft im Innern noch uͤbrig geblieben
iſt. Faͤnde man das Gewicht des ſo eingedrungenen Waſſers nur
⅞ deſſen, was zur voͤlligen Fuͤllung der Kugel erforderlich iſt, ſo
ſchloͤſſe man, daß die Luft noch ⅛ der natuͤrlichen Dichtigkeit uͤbrig
hatte, und daß man das gefundene Gewicht der luftvollen Kugel
hiernach nur als das Gewicht derjenigen Luft, die ⅞ des Raumes
fuͤllte, anſehen muß. Auf dieſe Weiſe lernt man das Gewicht eines
Cubicfußes Luft genau kennen, und wenn man ſich erinnert, daß
die Luft bei hoͤherem Barometerſtande, nach Verhaͤltniß des Druckes
ſchwerer iſt, und daß ſie bei jedem geringeren Waͤrmegrade ſchwerer,
(bei jedem Reaumuͤr'ſchen Grade um \frac{1}{213} ſchwerer,) iſt, ſo hat man
alle Mittel, um die Dichtigkeit der Luft zu jeder Zeit zu beſtimmen.
Biot hat vorzuͤglich dieſe Verſuche mit großer Genauigkeit ausge-
fuͤhrt, und man weiß daher, daß bei 28 Zoll Barometerhoͤhe und
0° Waͤrme 1 pariſer Cubicfuß 0,0907 franzoͤſiſche Pfunde wiegt,
oder 11 Cubicfuß nur etwas weniges unter 1 Pfund an Gewicht
ſind. Die ſpecifiſche Schwere des Waſſers iſt bei eben dieſer Waͤrme
beinahe 772 mal ſo groß, als die der Luft, die ſpecifiſche Schwere
des Queckſilbers 10495 mal ſo groß, als die der Luft.
Manometer.
Dieſe Kenntniß von dem wahren Gewichte der Luft dient noch
zu Beantwortung einer Frage, naͤmlich wie viel Ungleichheit im
Gewichte der Koͤrper wir bei Abwaͤgungen in der Luft und im luft-
leeren Raume finden muͤßten. Wenn wir in der Luft an einer
gleicharmigen Waage Gold an dem einen Arme und einen ſehr
leichten Koͤrper am andern Arme ins Gleichgewicht bringen, dann
aber beide Koͤrper ins Waſſer tauchen, ſo zeigt, wie Sie wiſſen,
das Gold ein großes Uebergewicht; und ebenſo, wenn gleich in ge-
ringerm Maaße, wuͤrde Gold und Kork im luftleeren Raume ins
Gleichgewicht gebracht, nicht mehr im Gleichgewichte bleiben, wenn
[261] man die Waage mit dieſen Koͤrpern in einen luftvollen Raum
braͤchte. Auch in der Luft verliert jeder Koͤrper ſo viel an Gewicht,
als die Luft wiegt, die er aus der Stelle treibt; ein Cubiczoll Blei
treibt nur ungefehr ein Gewicht von \frac{3}{10} Gran Luft aus der Stelle,
aber da an Kork uͤber 40 Cubiczolle erforderlich ſind, um einem Cu-
biczoll Blei das Gleichgewicht zu halten, dieſe 40 Cubiczolle Kork
aber 12 Gran Luft aus der Stelle treiben, ſo wuͤrde man beim Ab-
waͤgen von 1 Cubiczoll Blei gegen 40 Cubiczoll Kork, ungefehr ein
Gewicht von 12 Gran zu viel Kork haben, wenn man die Abwaͤ-
gung in der Luft vorgenommen haͤtte. Man uͤberzeugt ſich hievon
mit Huͤlfe der Luftpumpe, wenn man eine Waage, an welcher eine
große aber ſehr leichte hohle Kugel einem ſchweren Koͤrper, Blei
zum Beiſpiel, gegenuͤberhaͤngt, unter den Recipienten der Luft-
pumpe bringt; fand in der Luft das Gleichgewicht ſtatt, ſo ſieht
man im luftleeren Raume den groͤßern Koͤrper ſinken, weil vorhin
die Luft auf ihn mehr tragende Kraft ausuͤbte. Iſt der groͤßere
Koͤrper eine Kugel von 3 Zoll Durchmeſſer, alſo ungefehr von 14
Cubiczoll Inhalt, ſo ſind 4 Gran erforderlich, um im ganz luft-
leeren Raume das Gleichgewicht herzuſtellen, wenn das Gegenge-
wicht ſehr wenig Raum einnimmt. Man hat hierauf ein Mano-
meter, ein Inſtrument, um zu jeder Zeit die Dichtigkeit der Luft
zu beſtimmen, gruͤnden wollen, das jedoch den Nutzen nicht ge-
waͤhrt hat, welchen man ſich davon verſprach. Haͤtte man eine
hohle Kugel von 1 Cubicfuß groß, die nur ſo viel woͤge, als ein
ſehr kleines gegenuͤber haͤngendes Gewicht, ſo verloͤhre jene unge-
fehr 520 Gran, das iſt 8⅔ Drachmen an Gewicht in einer Luft,
die 0 Gr. warm iſt und einen Druck von 28 Zoll Queckſilber leidet.
Sinkt das Barometer auf 27 Zoll, ſo wiegt die aus der Stelle
getriebene Luft \frac{1}{28} weniger, das iſt 18 Gran weniger und ſo koͤnnte
man allerdings ſowohl diejenigen Aenderungen, die einem verſchie-
denen Barometerſtande, als diejenigen, welche einer ungleichen
Waͤrme entſprechen, gar wohl beobachten. Aber da Barometer und
Thermometer uns uͤber dieſe Aenderungen vollſtaͤndig unterrichten,
diejenigen Unterſchiede aber, die in der Schwere der Luft durch
Feuchtigkeit und aͤhnliche Umſtaͤnde hervorgehen, unbedeutend ſind,
ſo hat man dieſes Manometer nur ſelten beobachtet.
[262]
Widerſtand der Luft.
Endlich muß ich noch eine Art von Verſuchen, die man mit
der Luftpumpe anzuſtellen pflegt, erwaͤhnen, naͤmlich die, welche
den Widerſtand der Luft betreffen. Obgleich es aus dem fruͤher
Geſagten wohl klar genug geworden iſt, daß ein Stuͤck Blei nur
darum ſchneller herabfaͤllt, als eine Feder, weil der Widerſtand der
Luft jene ſchwere Maſſe weniger zuruͤckhaͤlt, ſo iſt es doch der Muͤhe
werth, unter einer hohen Glocke den Verſuch zu zeigen, daß ein
Stuͤck Geld und eine Feder im luftleeren Raume gleich ſchnell den
Boden erreichen. Der Recipient, deſſen man ſich zu dieſem Verſuche
bedient, muß oben eine Faſſung mit einem luftdicht durchgehenden
Staͤbchen haben, und Geldſtuͤck und Feder muͤſſen auf einer Me-
tallplatte liegen, die man durch Drehung jenes Staͤbchens ploͤtzlich
aus der horizontalen Lage in die verticale Lage bringt. Sobald ſo
den beiden Koͤrpern ihre Unterlage entzogen iſt, ſtuͤrzen ſie herab
und erreichen zu gleicher Zeit den Boden.
Noch ein intereſſanter Verſuch uͤber den Widerſtand der Luft
laͤßt ſich unter der Glocke der Luftpumpe anſtellen. Man bringe
an zwei verſchiedenen Axen Fluͤgel, ſo wie Windmuͤhlenfluͤgel, an,
die ſo geſtellt werden koͤnnen, daß die Fluͤgel an der einen Axe ihre
breite Seite, die Fluͤgel an der andern Axe ihre ſcharfe Seite dem
Widerſtande der Luft darbieten. Setzt man ſie nun in gleich ſchnelle
Bewegung, ſo kommen diejenigen, welche ihre breite Seite dem Wi-
derſtande der Luft darbieten, viel fruͤher als die andern zur Ruhe;
im luftleeren Raume dagegen findet ein ſolcher Unterſchied nicht
ſtatt. Um die gleich ſchnelle Bewegung hervorzubringen, kann man
an jede der beiden Axen ein kleines gezaͤhntes Rad anbringen, in
deſſen Zaͤhne die Zaͤhne einer vertical herabgehenden Stange, die
ſich zwiſchen beiden befindet und an beiden Seiten gleiche Zaͤhne hat,
eingreift. Wird dieſe durch ein Gewicht herabgedruͤckt, deſſen Ein-
wirkung man unter der Glocke der Luftpumpe bis zu einem beſtimm-
ten Augenblicke hemmen, und dann zur freien Wirkung bringen
kann, ſo erhaͤlt man genau gleiche Drehungsbewegungen.
[263]
Neunzehnte Vorleſung.
Verſuche mit verdichteter Luft. — Compreſſionsluft-
pumpe. — Windbuͤchſe.
Nicht bloß die Verduͤnnung der Luft, m. h. H., von welcher
ich bisher nur geredet habe, ſondern auch die Verdichtung der Luft
vermittelſt der Luftpumpe bietet uns manches Belehrende dar;
indeß laͤßt ſich die Verdichtung nur in Faͤllen, wo man ſich ſehr
feſter Gefaͤße bedienen kann, bis zu einem hohen Grade treiben.
Warum die Gefahr des Zerſprengens der Gefaͤße hier in ſo hohem
Grade waͤchſt, laͤßt ſich ſehr leicht uͤberſehen, indem erſtlich ſchon
die Woͤlbung eines Gefaͤßes von der erhabenen oder convexen Seite
einen viel groͤßern Druck, als von der hohlen Seite, auszuhalten
im Stande iſt, und zweitens bei der Verduͤnnung der Luft, wenn
dieſe auch den hoͤchſten Grad erreicht, der Druck doch nur eine At-
moſphaͤre, ungefehr 15½ Pfund auf den Quadratzoll, betragen kann,
ſtatt daß eine 10fach verdichtete Luft die innere Oberflaͤche des Ge-
faͤßes mit 10 Atmoſphaͤren, mit 155 Pfund Druck auf jeden Qua-
dratzoll, nach außen draͤngt, waͤhrend der Gegendruck von außen
nur 15½ Pfund iſt. Wie ſtark, ſelbſt bei engen Roͤhren die Glas-
waͤnde ſein muͤſſen, damit das Gefaͤß nicht zerriſſen werde, habe
ich bei einer andern Gelegenheit erwaͤhnt; wollte man mit gleicher
Sicherheit in einem Cylinder von 6 Zoll Durchmeſſer Verſuche an-
ſtellen, ſo muͤßten die Waͤnde uͤber 3 Zoll dick ſein, und da nach
Faraday's Bemerkung das mit verdichteter Luft gefuͤllte Gefaͤß
oft bei den leichteſten Stoͤßen ſpringt, wenn es auch waͤhrend voͤlli-
ger Ruhe Widerſtand genug leiſtete, ſo wuͤrde man kaum, ſelbſt bei
ſo großer Dicke der Waͤnde, es wagen, ein Glasgefaͤß von einiger
Groͤße zu 100fachen und mehrfachen Verdichtungen zu gebrauchen.
In kleineren Glasgefaͤßen und in metallenen Gefaͤßen hat man
dennoch die Verdichtungen bis auf einen hohen Grad getrieben, in-
dem zum Beiſpiel Perkins angiebt, daß er bei 2000 Atmoſphaͤ-
ren Druck das Waſſer bis auf \frac{11}{12} ſeiner natuͤrlichen Dichtigkeit com-
primirt habe, und daß bei einem aͤußern Drucke von 500 Atmoſphaͤ-
[264] ren auch die atmoſphaͤriſche Luft anfange, in den tropfbaren Zu-
ſtand uͤberzugehen. Bei ſo ſtarken Compreſſionen wird es wichtig,
einen Kolben von nur kleiner Oberflaͤche bei der Compreſſionspumpe
anzuwenden. Haͤtte naͤmlich der Kolben einen Querſchnitt von
1 Quadratzoll, ſo muͤßte man bei 2000maliger Verdichtung einem
Drucke von 31000 Pfunden Widerſtand leiſten, und dieſen bei
weiterm Hineindraͤngen des Kolbens uͤberwinden; hat hingegen, wie
Perkins angiebt, der Kolben nur \frac{5}{16} Zoll Durchmeſſer, alſo un-
gefehr \frac{1}{13} Quadratzoll Flaͤche, ſo iſt der Druck auf den Kolben
doch nur ungefehr 2400 Pfund, alſo wenn man einen die Kraft
zwanzigfach verſtaͤrkenden Hebel anbringt, ſind 120 Pfund Kraft
hinreichend, um die Compreſſion zu bewirken und zu erhalten.
Wenn man die Verdichtung auf einen hohen Grad zu treiben
gedenkt, ſo bedient man ſich, um der Drehung des Hahnes uͤber-
hoben zu ſein, lieber einer Pumpe mit ſtarken Ventilen, wo naͤm-
lich (Fig. 143.) von innen her eine Metallkugel A vermittelſt einer
Feder B gegen eine kugelfoͤrmige Hoͤhlung CD feſt angedruͤckt wird.
Der Cylinder, in welchem der Kolben hinabgeht, hat dann da, wo
der Kolben ſeine hoͤchſte Stellung erreicht, bei E, eine Oeffnung,
damit, indem der Kolben bei dieſer vorbei geht, der Cylinder ſich
mit Luft fuͤlle, welche beim Hinabgehen des Kolbens immer mehr
zuſammengepreßt wird, und endlich Druck genug ausuͤbt, um die
Feder, welche die Kugel herandruͤckt, zuruͤck zu draͤngen und die
Luft in das zu Verdichtung der Luft beſtimmte Gefaͤß FG hinein zu
treiben. Auf dieſe Weiſe verdichtet man die Luft in der Wind-
buͤchſe, und dieſe hat die Einrichtung, daß beim Andruͤcken von
außen das Ventil auf einen Augenblick geoͤffnet wird, um die in
dem Rohre der Windbuͤchſe enthaltene Kugel fortzutreiben. Das
Ventil laͤßt beim Drucke nur die erforderliche Menge Luft, um die
Kugel in dem Laufe fortzuſtoßen, aus, und man kann daher mehr-
mals Kugeln abſchießen, wobei indeß die Kraft der Luft immer mehr
abnimmt.
Die Rechnung uͤber die der Kugel ertheilte Geſchwindigkeit
wird auf folgende Weiſe gefuͤhrt. Es ein Rohr von ⅜ Zoll
weit, aus welchem eine Bleikugel von eben dieſem Durchmeſſer ge-
ſchoſſen werden ſoll, und die Luft ſei bis zur hundertfachen Dichtig-
keit verdichtet. Eine Bleikugel von dieſer Groͤße wiegt ungefehr
[265] ⅖ Loth, der Druck der Atmoſphaͤre auf ihren Querſchnitt, der
\frac{1}{9} Quadratzoll betraͤgt, iſt ungefehr 54 Loth, alſo 130 mal ſo groß
als das Gewicht der Kugel, und hundertfach verdichtete Luft uͤbt
folglich eine 13000 mal ſo große bewegende Kraft aus, als das
Gewicht der Kugel. Da nun die Schwerkraft in \frac{1}{600} Secunde eine
Geſchwindigkeit von \frac{30}{600} = \frac{1}{20} Fuß hervorbringt, ſo wuͤrde jene
13000 fache Kraft eine Geſchwindigkeit von 650 Fuß in 1 Secunde
bewirken, wenn die Kraft auch nur \frac{1}{600} Secunde lang wirkſam
waͤre; und laͤnger kann man ihre geſammte Wirkſamkeit nicht rech-
nen, da die Kraft ſogleich abnimmt, wenn die Kugel im Rohre
fortgeht. Eine Geſchwindigkeit von 600 bis 700 Fuß in 1 Sec.
koͤnnte man alſo wohl von einer ſolchen Windbuͤchſe erwarten, wenn
nicht der Widerſtand, den die Kugel in der Roͤhre leidet, ſchon einen
erheblichen Theil der Kraft aufhoͤbe.
Kraft des Schießpulvers.
Auf ganz aͤhnliche Weiſe berechnet man die Wirkung des
Schießpulvers, indem auch bei der Entzuͤndung des Schießpul-
vers eine Quantitaͤt elaſtiſcher Fluͤſſigkeiten ploͤtzlich frei wird,
welche eine Wirkung, ganz den Wirkungen der verdichteten Luft
gemaͤß, zeigt. Die Berechnung, wie groß die anfaͤngliche Verdich-
tung der aus dem Schießpulver entwickelten Luft-Arten ſein
mußte, damit die Kugel diejenige Geſchwindigkeit erlange, welche
die Erfahrung uns zeigt, iſt darum truͤglich, weil der große Ver-
luſt an Luft, indem ſie durch das Zuͤndloch hervordringt, gar
nicht in Rechnung gebracht werden kann. Waͤre dieſes Hinder-
niß nicht, ſo wuͤrde man die Rechnung ſo fortfuͤhren koͤnnen,
daß man die bei groͤßerer Ausdehnung allmaͤhlig abnehmende
Kraft gehoͤrig in Rechnung braͤchte. Zur Beſtimmung der ſehr
großen Gewalt des Schießpulvers hat Rumford eine anders
angeordnete Reihe von Verſuchen angeſtellt. Um den Verluſt an
Kraft, der beim Hervordringen der Luft aus dem Zuͤndloche ſtatt
findet, zu vermeiden, ließ er einen kleinen Lauf von Eiſen ſo
verfertigen, daß er nach der Ladung, ganz dicht verſchloſſen, und
dann das Pulver durch ein von außen angebrachtes gluͤhendes
Eiſen entzuͤndet werden konnte. Da die Pulvermenge, welche
der kleine Flintenlauf faßte, ſo ſehr geringe war, (ſie betrug nur
[266]\frac{1}{10} Cubiczoll oder etwa ⅛ Loth,) ſo glaubten die bei den erſten
Verſuchen anweſenden Zuſchauer nicht, daß man viel von dieſem
unbedeutenden Verſuche zu erwarten habe; aber ſchon der zweite
Verſuch uͤberzeugte ſie vom Gegentheil, indem der kleine Cylin-
der, deſſen Waͤnde 2½ Zoll dick waren, und deſſen innere Boh-
rung nur ¼ Zoll Weite hatte, auseinander geſprengt wurde. Der
Cylinder war in zwei Stuͤcke zerriſſen, und ſeine Bruchflaͤche be-
trug 6½ Quadratzoll; da nun ein ſolider Cylinder von 1 Qua-
dratzoll aͤhnlichen Eiſens erſt von 63000 Pfunden zerriſſen wird,
ſo mußte die Gewalt des Pulvers 410000 Pfund betragen ha-
ben. Die fernern Verſuche wurden, um die genaue Druckkraft
der entwickelten elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten zu meſſen, ſo angeſtellt,
daß der Lauf, in welchem ſich das Pulver befand, oben durch
ein aufliegendes ſehr ſchweres Gewicht geſchloſſen, und bei wieder-
holten Verſuchen dieſes Gewicht ſo vermindert wurde, daß die
Entzuͤndung des Pulvers es grade zu heben vermochte. Die Muͤn-
dung des kleinen Laufes betrug bei dieſen Verſuchen \frac{1}{20} Qua-
dratzoll und der Druck der Luft in ihrer natuͤrlichen Dichtigkeit
konnte alſo nur ¾ Pfund auf dieſe Flaͤche betragen; und dennoch
wurde mit einer Ladung von 18 Gran eine auf der Muͤndung
ruhende Laſt von mehr als 8000 Pfunden gehoben, ſo daß die
im Innern entwickelten elaſtiſchen Fluͤſſigkeiten ungefehr die
11000 fache Kraft der Atmoſphaͤre ausuͤbten, ja einige Verſuche
gaben dieſe Kraft ſogar groͤßer als den 50000 fachen Druck der
Atmoſphaͤre an *). Hieraus erklaͤren ſich denn auch hinreichend
die ungeheuern Zerſtoͤrungen, welche eine groͤßere Pulvermaſſe
beim Entzuͤnden hervorbringt. Das Entzuͤnden von ungefehr
60 Centner Pulver in einem Pulverthurme in Danzig hatte bis
auf ¾ Stunden weit eine merkliche Wirkung, ein Erſchuͤttern der
Gegenſtaͤnde gezeigt, auf weiter als eine halbe Stunde wurden
die im Thurme befindlich geweſenen Kugeln, Kartaͤtſchen und
Steinſtuͤcke herumgeworfen, und vom Thurme ſelbſt fand man
ſogar die Fundamente aus der Erde gewuͤhlt **).
[267]
Geblaͤſe.
Weit maͤßigere Verdichtungen der Luft ſind es, deren wir
uns bedienen, um den Luftſtrom bei Geblaͤſen hervorzubringen.
Ihr Zweck iſt ein Ausſtroͤmen von Luft zu bewirken, und es
muß daher Luft an einem Orte geſchoͤpft und dann durch einige
Verdichtung genoͤthiget werden, durch die dazu beſtimmte Roͤhre
auszuſtroͤmen. Bei dem gewoͤhnlichen Blaſebalge geſchieht dies
dadurch, daß eine Seiten-Oeffnung die Luft aufnimmt, ſich dann
durch eine Klappe ſchließt, und beim Zuſammendruͤcken der Luft
den Ausgang nur durch die dem Feuer zugewandte Roͤhre geſtat-
tet. Der doppelte Blaſebalg hat eine Mittelwand mit einem
Ventile, und indem ſein einer Behaͤlter die Luft, wie der ein-
fache Blaſebalg, aufnimmt, dieſe aber beim Zuſammenpreſſen
durch das Ventil der Mittelwand in den zweiten Behaͤlter uͤber-
geht und ſich aus dieſem durch die Roͤhre in das anzublaſende
Feuer ergießt, wirkt er beinahe gleichmaͤßig, auch waͤhrend neue
Luft eingeſchoͤpft wird, fort, indem das Ventil der Mittelwand
die im zweiten Behaͤlter verdichtete Luft außer Verbindung mit
dem Raume ſetzt, in welchen Luft von natuͤrlicher Dichtigkeit ein-
dringt. Die Blaſebaͤlge der Orgel fuͤhren die Luft in die Wind-
lade, wo ſie comprimirt erhalten wird, und durch ein Ventil
außer Verbindung mit dem Blaſebalge, waͤhrend dieſer Luft ſchoͤpft,
geſetzt, der Orgel einen beſtaͤndigen Luftſtrom zufuͤhrt, dem das
Orgelſpiel den Zugang bald zu der einen, bald zu der andern
Pfeife oͤffnet.
Um große Feuer zu Schmelz-Oefen zu unterhalten, bedient
man ſich der Cylindergeblaͤſe, wo ein fortruͤckender Kolben die
zwiſchen ihm und dem Boden enthaltene Luft comprimirt und
durch eine im Boden befindliche Roͤhre dieſe Luft dem Feuer zu-
treibt; beim Hinaufgehen des Kolbens fuͤllt ſich der Cylinder
durch eine Seiten-Oeffnung mit Luft und dieſe ſowohl als die
Roͤhre ſchließen ſich abwechſelnd durch Ventile.
Bei allen dieſen Geblaͤſen muͤßte man den Grad der Ver-
dichtung der Luft kennen, um zu berechnen, wie ſchnell und in
welcher Menge die Luft ausſtroͤmt. Zu dieſer Abmeſſung dienen
[268] die Windwaagen, Elaſticitaͤtsmeſſer, die den Barometerproben aͤhn-
lich ſind. Sie beſtehen aus einer zweiſchenklichen an beiden En-
den offenen und unten mit Queckſilber gefuͤllten Roͤhre, deren
einer Schenkel im Innern des Windkaſtens, der andre in der
freien Luft iſt; je dichter die Luft in dem Geblaͤſe iſt, deſto hoͤ-
her wird das Queckſilber in dem Schenkel, welcher außer dem-
ſelben iſt, heraufgetrieben, und man kann daher angeben, durch
wieviel Zoll Queckſilber die Zuſammendruͤckung der Luft bewirkt
wird. Um aus dieſer Beſtimmung der Verdichtung die Geſchwin-
digkeit der hervorſtroͤmenden Luft zu berechnen, muß man folgen-
des uͤberlegen. Wenn die Luft in den leeren Raum ſtroͤmte, ſo
wuͤrde man ſich erinnern muͤſſen, daß die an der Oeffnung lie-
genden Lufttheilchen bei der natuͤrlichen Dichtigkeit der Atmoſphaͤre
einen Druck, wie von einer 32 Fuß hohen Waſſerſaͤule oder einer
24640 Fuß hohen Luftſaͤule leiden, daß alſo die Geſchwindigkeit,
als die dieſer Fallhoͤhe zugehoͤrende, uͤber 1200 Fuß in der Se-
cunde betragen muͤßte. Dieſe Geſchwindigkeit wuͤrde indeß durch
die allmaͤhlige Fuͤllung des Raumes, wohinein die Luft dringt,
ſehr ſchnell abnehmen, wenn auch die Widerſtaͤnde an den Waͤn-
den ihr uͤberhaupt geſtatteten einen ſo hohen Grad zu erreichen.
In den Faͤllen, wo Luft aus den Geblaͤſen ausfließt, betraͤgt der
Druck, wegen des Gegendruckes der Atmoſphaͤre viel weniger, und
wenn zum Beiſpiel die Dichtigkeit \frac{9}{8} der Dichtigkeit der aͤußern
Luft betraͤgt, waͤre der Ueberſchuß des Druckes nur ⅛ der eben
angegebnen Hoͤhe = 3080 Fuß, oder gleich einer Saͤule von
2740 Fuß der verdichteten Luft, und dieſer Fallhoͤhe gehoͤrt eine
Geſchwindigkeit von 380 Fuß zu, indeß bemerkt Schmidt, daß
die Widerſtaͤnde dieſe Geſchwindigkeit um ein Drittel vermindern.
Bei den Blaſebaͤlgen der Orgel iſt die Verdichtung ſehr geringe,
nur etwa bis \frac{81}{80} der natuͤrlichen Dichtigkeit, und die Geſchwin-
digkeit wuͤrde dort 130 Fuß hoͤchſtens betragen *).
Eines der groͤßeſten Windgewoͤlbe iſt dasjenige, welches in
Devon bei den dortigen Eiſenwerken wirkſam iſt. Das Wind-
[269] gewoͤlbe iſt 72 Fuß lang, 14 Fuß breit und 13 Fuß hoch, ſo daß
es 13000 Cubicfuß enthaͤlt; die Luft wird in demſelben vermit-
telſt einer Luftpumpe comprimirt, deren Kolben 6½ Fuß Durch-
meſſer hat und bei jedem Zuge 155 Cubicfuß Luft in das Wind-
gewoͤlbe treibt. Die Luftpumpe wird von einer Dampfmaſchine
getrieben und dadurch die Luft im Windgewoͤlbe ſo verdichtet,
daß ihre Elaſticitaͤt ungefehr 4 bis 6 Zoll groͤßer als die der na-
tuͤrlichen Luft iſt. Selbſt dieſe maͤßige Verdichtung aber reicht
ſchon hin, um, wie Roebuck erzaͤhlt, den Perſonen, die ſich ei-
nes Verſuches wegen in das Windgewoͤlbe begaben, die unange-
nehme Empfindung, als ob man die Ohren mit dem Finger zu-
druͤcke, zu verurſachen.
Wenn man Geblaͤſe zu beſchraͤnkteren Zwecken gebraucht, ſo
kann man einen mit dem Rande in Waſſer getauchten Gasbe-
haͤlter AB (Fig. 141.) anwenden, in welchem
ſich das eine Ende
der Roͤhre CD endigt, welche am andern Ende den Luftſtrom
hergeben ſoll. Indem dann der Gasbehaͤlter durch ein maͤßiges
Gewicht hinabgedruͤckt wird, noͤthiget dieſer Druck die Luft durch
jene Roͤhre zu entweichen. Will man bei Schmelzungen oder zu
andern Zwecken eine kuͤnſtlich bereitete Luft-Art anwenden, ſo
muß der Gasbehaͤlter dieſe Luft-Art durch irgend eine Gas-Ent-
wickelung zugefuͤhrt erhalten.
Auffallende Phaͤnomene beim Ausſtroͤmen verdichteter Luft.
Der Ausfluß zuſammengepreßter Luft aus kleinen Oeffnungen
giebt unter gewiſſen Umſtaͤnden die ſeltſame Erſcheinung einer An-
ziehung der vor der Oeffnung liegenden Koͤrper, ſtatt daß man dieſe
durch den Luftſtrom fortgeſtoßen zu ſehen erwarten konnte. Laͤßt
man die Luft durch eine freiſtehende Roͤhre ausfließen, und bringt
dieſer gegenuͤber eine bewegliche duͤnne Platte an, ſo wird dieſe
Platte fortgeſtoßen, wie wir es von der Gewalt des Luftſtroms er-
warten; iſt aber die Oeffnung, wie A (Fig.
144.) in einer breitern
Wand des Gefaͤßes und liegt auf ihr eine Platte FG von betraͤcht-
lich groͤßerem Durchmeſſer, leicht genug, um von dem Luftſtrome
fortgeſtoßen zu werden, ſo hebt dieſe ſich zwar, um die Luft auszu-
laſſen, ſie entfernt ſich aber nicht von der Oeffnung, ſondern ſcheint
[270] durch den zwiſchen DE und FG nach allen Seiten, wie durch eine
enge Spalte, hervordringenden Luftſtrom angezogen zu werden. Legt
man zwiſchen DE und FG hie und da kleine feſte Koͤrper, ſo daß
ſogleich von Anfang die Platte ſich in einer beſtimmten Entfernung
von der Oeffnung befindet, ſo dauert die ſcheinbare Anziehung fort;
ſind aber dieſe kleinen zwiſchen gelegten Saͤulchen ſo hoch, daß der
Abſtand ½ Zoll oder mehr betraͤgt, ſo wird die Platte FGfortgetrie-
ben, ſo wie es dem Stoße des Luftſtroms angemeſſen zu ſein ſcheint.
Dieſer ſeltſam ſcheinende Verſuch, den man leicht anſtellen
kann, wenn man durch eine Roͤhre CBA (Fig. 144.) blaͤſet, deren
Ende in einem Brette DE ſo befeſtigt iſt, daß die Oeffnung A nicht
uͤber daſſelbe hervorragt, giebt, wenn man ein ſehr biegſames Blaͤtt-
chen auf DE auflegt, noch zu der Erſcheinung Anlaß, daß dieſes
Papierblaͤttchen in eine zitternde Bewegung geraͤth, die von dem
Ausſtroͤmen der Luft und dem Andraͤngen gegen die Oeffnung, je
nachdem dieſe auf den einen oder andern Theil der Platte wirkſam
ſind, abhaͤngt. Die ganze Erſcheinung wird etwas verſtaͤndlicher,
wenn man ſie mit einer andern in Verbindung ſetzt, die man ſchon
laͤngſt bei dem Ausfluſſe des Waſſers aus Oeffnungen mit Anſatz-
roͤhren bemerkt hat, die ſich nach außen erweitern. Sie erinnern
ſich, daß bei dem Ausfluſſe des Waſſers aus Oeffnungen in einer
duͤnnen Wand die Waſſermenge wegen der Zuſammenziehung des
Waſſerſtrahles weniger betrug, als ſie nach Maaßgabe der Geſchwin-
digkeit betragen ſollte, daß aber dieſe Waſſermenge ſehr geſteigert
werden konnte, wenn man ein ſich nach außen erweiterndes Roͤhr-
chen, wie AB, an die Oeffnung anſetzte (Fig. 145.). Hier naͤmlich
dringt aus der weiten Oeffnung BC im erſten Augenblicke ſo viel
Waſſer hervor, als dem Drucke des Waſſers auf dieſe groͤßere Flaͤche
gemaͤß iſt; das Waſſer in der Oeffnung AD hat durch jenen Druck
nur einen Antrieb zu ebenſo großer Geſchwindigkeit und wuͤrde daher
den Waſſer-Abgang nicht erſetzen koͤnnen; aber wenn das nicht ge-
ſchaͤhe, ſo entſtaͤnde ja zwiſchen AD und BC ein Raum leer von
Luft und Waſſer, und in dieſen wuͤrde das Waſſer bei AD ſich mit
aller der Gewalt ſtuͤrzen, welche dem vereinigten Drucke der Luft
auf die Oberflaͤche des Waſſers GH und dem Drucke des Waſſers
im Gefaͤße gemaͤß iſt. Wegen dieſes ſich in demſelben Momente
aͤußernden Druckes entſteht daher der luftleere Raum gar nicht, ſon-
[271] dern der Waſſerzufluß durch AD verſtaͤrkt ſich ſo, daß die
aus-
fließende Waſſermenge ſo erheblich wird, wie es die Erfahrung zeigt.
Daß dieſes hier die wirkliche Urſache der Erſcheinung iſt, laͤßt ſich
dadurch zeigen, daß ein nahe bei D angebrachtes, unten in ein
Ge-
faͤß mit Waſſer endigendes Roͤhrchen EF ſich hoͤher als
das umge-
bende Waſſer es fordert, mit Waſſer fuͤllt, zum Zeichen, daß in
E
ein Anziehen nach innen, ein Aufnehmen einiger Luft aus der Roͤhre
EF und ſo ein Anſaugen des Waſſers ſtatt findet.
Auf aͤhnliche Weiſe wie in dieſem zuletzt erzaͤhlten Verſuche
die weitere Muͤndung den Ausfluß einer groͤßern Waſſermaſſe ge-
ſtattet, als durch die kleinere Oeffnung ausfließen wuͤrde, und wie
dadurch ein Anſaugen, ein Beſtreben der Luft, von der Seite ein-
zudringen, entſteht, ſo bringt auch der auf die ganze ringfoͤrmige
Oeffnung ABCD, wo naͤmlich die Luft zwiſchen dem Boden
FG
und der aufliegenden Platte hervordringen kann (Fig. 146.),
wirkende
Druck der verdichteten Luft, einen groͤßern Luft-Ausfluß hervor,
als die kleinere Oeffnung erſetzen kann, und daher folgt jedem Her-
vordraͤngen der Luft ein Heranziehen der beweglichen Platte, die
entweder immer abwechſelnd dem Luftzuge wieder Raum laͤßt und
dann wieder herangezogen wird, oder durch ein Hinderniß, durch
zwiſchen liegende Saͤulchen entfernt gehalten, ebenſo immer herange-
zogen wird, wie das Waſſer in der Roͤhre EF Fig. 145.
Daß dieſe Vorſtellung die richtige ſei, zeigen vorzuͤglich
Ewart's Verſuche, unter welchen folgender am belehrendſten iſt.
Aa iſt die Roͤhre (Fig. 147.), durch welche die
Luft herandringt,
um durch die Oeffnung in der Platte BC auszuſtroͤmen; uͤber dieſer
Oeffnung aber iſt, durch kleine Stuͤtzen in einer geringen Entfer-
nung erhalten, die Platte DE, zwiſchen welcher und der Boden-
platte die Luft, nach allen Seiten hin ſich ausbreitend, ihren Ausweg
ſuchen muß. Damit man nun den Druck der Luft ſowohl in der
Roͤhre A, als in der Mitte der obern Oeffnung kennen lerne,
ſind
bei F und M gebogne Roͤhren, zum Theil mit
Queckſilber gefuͤllt,
angebracht, und damit man die Staͤrke des Anſaugens zwiſchen bei-
den Ebnen gegen den Rand der Platte hin kennen lerne, ſind Roͤh-
ren H, I, K, angebracht, die unten in Waſſer getaucht ſind. Waͤh-
rend nun die verdichtete Luft gegen die Oeffnung herandraͤngte, hob
ſich bei Ewart's Verſuchen das Queckſilber in e um
1¼ Zoll engt.
[272] hoͤher als in b, und in c um 1¼ Zoll hoͤher, als in d alſo war in-
nerhalb der Roͤhre der Druck der Luft etwa um \frac{1}{24} ſtaͤrker als
außen; in der Roͤhre H ſtieg das Waſſer 9 Zoll, in 12 Zoll, in
K ½ Zoll, Queckſilber waͤre alſo etwa in
H ⅔ Zoll, in 1 \frac{1}{7} Zoll, in
K nur \frac{1}{28} Zoll hoch geſtiegen, aber deutlich zeigte ſich doch der die
obere Platte bei H ſtark, bei I ſchwaͤcher gegen die Oeffnung anſau-
gende Druck.
Man hat an dieſe Beobachtung die nuͤtzliche Bemerkung ge-
knuͤpft, daß man das Sicherheitsventil bei Dampfmaſchinen nicht
als eine breite, die Oeffnung verdeckende Klappe anbringen muͤſſe,
weil auch beim Hervordringen des Dampfes eben dieſes Anſaugen,
eben dadurch aber eine Hinderung fuͤr das freie Ausſtroͤmen des
Dampfes, wenn es noͤthig iſt dieſen auszulaſſen, eintritt.
Luftſchifffahrt.
Ich gehe jetzt zu einem der merkwuͤrdigſten Gegenſtaͤnde, der
auf der Lehre von der Ausdehnbarkeit der Luft und von dem ſpecifi-
ſchen Gewichte kuͤnſtlicher Gas-Arten beruht, uͤber, zu dem Luft-
ballon. Schon in aͤlterer Zeit hat man ſich mit dem Gedanken
beſchaͤftigt, ſich in die Luft zu erheben, und jene hoͤheren Gegenden
des Luftkreiſes naͤher zu unterſuchen; aber ſelbſt nachdem man die
Mittel, einen luftleeren Raum hervorzubringen, kennen gelernt
hatte, ſchien es doch immer noch unmoͤglich, durch die Auspumpung
der Luft einen Koͤrper ſo leicht zu machen, daß er ſich in der At-
moſphaͤre erheben und ſogar noch ein Schiffchen mit Menſchen mit
hinauf ziehen koͤnne. Obgleich naͤmlich die Luftmaſſe, die dem Ge-
wichte eines Menſchen gleich iſt, kein ſo gar großes Volumen hat,
indem ſie fuͤr einen 150 Pfund ſchweren Mann nur etwa 1650 Cu-
bicfuß betragen oder eine Kugel von 15 Fuß Durchmeſſer fuͤllen
wuͤrde, ſo fehlt es uns doch gaͤnzlich an einer Art von Koͤrpern, die
bei ſehr geringem Gewichte dem Drucke der aͤußern Luft Widerſtand
leiſten koͤnnten; ein biegſamer Koͤrper aber wuͤrde zu einem Gefaͤße,
das man luftleer machen will, nicht taugen, weil er, wie wir an
einer Blaſe ſehen, ſogleich zuſammen faͤllt, wenn man die innere
Luft fortſchafft. Ich brauche nicht bei der Berechnung, wie ſchwer
ſelbſt die duͤnneſte Metallſchale ausfallen wuͤrde, zu verweilen, und
es erhellt leicht, daß nur eine unausfuͤhrbar große Kugel aus ſehr
[273] duͤnnem Bleche, voͤllig luftleer gemacht, allenfalls dem Zwecke ent-
ſprechen koͤnnte. Erſt Montgolfier faßte vor nun bald 50 Jah-
ren den Gedanken auf, daß ja Rauch in der Luft aufſteige, oder
wie ich es lieber, den Anſichten der Erfinder vorgreifend, ausdruͤcken
will, daß warme Luft bei ſehr vermindertem ſpecifiſchen Gewichte
ebenſo viel Elaſticitaͤt, als kaͤltere, betraͤchtlich ſchwerere Luft beſitze,
und daß daher warme Luft in leichte Haͤute oder andre Huͤllen ein-
geſchloſſen, dem Zuſammendruͤcken durch die aͤußere Luft widerſte-
hen, und doch zum Aufſteigen wohl leicht genug ſein koͤnne. So
entſtanden die erſten Aëroſtaten oder Luftbaͤlle, indem die Bruͤder
Montgolfier einen mit erhitzter Luft gefuͤllten Ballon von
35 Fuß Durchmeſſer nicht bloß zum Steigen brachten, ſondern auch
ein erhebliches Gewicht mit demſelben in die Luft hinaufheben ließen.
Aber dieſer unvollkommene Anfang der Aëronautik gab bald Ver-
anlaſſung zu einer beſſern Einrichtung. Die Phyſiker hatten kuͤrzlich
erſt die kuͤnſtlichen Luft-Arten und die Mittel, ſie bequem aufzufan-
gen und naͤher zu unterſuchen, kennen gelernt, und unter dieſen Luft-
Arten zeichnete das brennbare Gas, das Hydrogengas, ſich als eine
ſehr leichte Luft-Art, die bei gleicher Elaſticitaͤt wie die natuͤrliche
Luft ein ſehr geringes Gewicht hat, aus. Charles in Paris machte
daher den Verſuch, dieſe Luft-Art in Ballons von duͤnner Materie
einzuſchließen, und brachte ſo diejenigen Luftballons zu Stande, die
ſich nachher als die brauchbarſten bewaͤhrt haben. Dieſe Luft-Art
iſt, ſelbſt wenn man ſie nicht vollkommen frei von atmoſphaͤriſcher
Luft erhalten kann, doch immer nur ¼ oder ⅙ ſo ſchwer als atmo-
ſphaͤriſche Luft, und man erhaͤlt daher, weil ſie in duͤnne Umhuͤllun-
gen eingeſchloſſen werden kann, ſelbſt bei einer ziemlich maͤßigen
Groͤße, Steigekraft genug, um ſehr bedeutende Laſten zu heben.
In der erſten Zeit der Luftſchiffkunſt, nachdem man die Moͤglichkeit,
ohne Gefahr ſich in die Luft zu erheben, kennen gelernt hatte, ſuchte
man durch ſehr große Luftballons den Zweck, recht große Laſten zu
heben, zu erreichen. So verfertigten Pilatre de Rozier und
Montgolfier eine Maſchine von 126 Fuß hoch und 102 Fuß
im Durchmeſſer, mit welcher 6 Perſonen ſich in die Luft erhoben.
Ich habe nicht noͤthig, Ihnen das Erſtaunen zu ſchildern, mit
welchem alle Menſchen den neuen Anblick eines die Luft Durch-
ſchiffens betrachteten; denn wer ſollte nicht das hoͤchſt uͤberraſchende
I. S
[274] Schauſpiel, ein Schiffchen mit Menſchen in den anſcheinend leeren
Raum hinaufſteigen zu ſehen, mit Erſtaunen anſehen; wen ſollte
nicht die unerhoͤrte Kuͤhnheit, ſich uͤber Berge und Wolken in die
Luft zu erheben, die Vorſtellung von den Gefahren, denen ſich der
Luftſchiffer ausſetzt, zur Bewunderung auffordern, und wie mußte
der Gedanke an die erhabenen Empfindungen, die einen tiefer fuͤh-
lenden Menſchen ergreifen muͤßten, wenn er ſo, alles Irdiſche unter
ſich zuruͤcklaſſend, gleichſam den Sternen zueilt, die Gemuͤther der
Zuſchauer beſchaͤftigen; wie mußte da jeder, nach der ihm eigen-
thuͤmlichen Art zu denken und zu empfinden, zur Bewunderung,
zur theilnehmenden Beſorgniß, zum freudigen Erſtaunen uͤber die
Kraft der Wiſſenſchaft und des menſchlichen Geiſtes, dem nichts
unmoͤglich iſt, hingezogen werden! Damals benutzte Blanchard,
ſpaͤter Garnerin und Andre dieſe Stimmung oͤfter und zeigten ſich
in zahlreichen Luftreiſen; jetzt iſt die Wiederholung dieſes ſchoͤnen
Schauſpiels ſeltener geworden.
Um aber unſre wiſſenſchaftliche Betrachtung des Gegenſtandes
zu verfolgen, wollen wir jetzt fragen, welche Laſt kann denn ein
Ballon von gegebner Groͤße heben, welche Hoͤhen kann er erreichen
und was fuͤr Mittel giebt es, um ſein Steigen und Sinken zu re-
gieren? Die erſte Frage will ich zuerſt kurz in Beziehung auf die
bloß durch Erwaͤrmung der Luft aufſteigenden Aëroſtaten beantwor-
ten. Wenn hier eine Kugel von ungefehr 50 Fuß Durchmeſſer,
alſo etwa 66000 Cubicfuß Inhalt eine Steigekraft von 600 Pfund
erhalten ſollte, ſo mußte die im Innern enthaltene Luft 600 Pfund
weniger wiegen, als die aus der Stelle getriebene atmoſphaͤriſche
Luft; die letztere aber wiegt, 11 Cubicfuß auf 1 Pfund gerechnet,
6000 Pfund, jene muß daher nur 5400 Pfund wiegen oder \frac{9}{10} der
Dichtigkeit der natuͤrlichen Luft haben, und dazu muͤßte ſie 21 Reaum.
Grade waͤrmer ſein, als die umgebende Luft. Bei dieſer Groͤße
waͤre es alſo nicht ſchwierig, eine noch viel erheblichere Steigekraft
zu erhalten, und obgleich in groͤßern Hoͤhen die wenigere Dichtigkeit
der aͤußern Luft die Steigekraft vermindert, ſo liegt doch nicht darin,
ſondern in der Gefahr, die ein Feuer zum Erhitzen der Luft allemal
mit ſich bringt, der Hauptgrund, warum man in ſpaͤtern Zeiten
nicht gern mehr Gebrauch von dieſer Art, den Luftball zum Steigen
zu bringen, gemacht hat.
[275]
Bei der zweiten Art von Luftballons macht die Entwickelung
einer ſo großen Menge brennbarer Luft zwar eine ſehr bedeutende
und viele Zeit koſtende Arbeit, aber man hat dann auch eine ſehr
anſehnliche Steigekraft ohne andre Gefahren, als diejenigen ſind,
denen man bei jeder Luftſchifffahrt allemal ausgeſetzt iſt. Man be-
dient ſich zu dieſen Ballons ſehr leichter Seidenzeuge, die durch Fir-
niß gegen den Verluſt der Luft beinahe voͤllig geſichert ſind. Dieſe
brennbare Luft, die man hier nie als ganz ungemiſcht in den Ballon
gelangend anſehen kann, laͤßt ſich doch immer als nur ⅙ des Ge-
wichtes der atmoſphaͤriſchen Luft habend anſehen. Ein Ballon,
deſſen großer Durchmeſſer 30 Fuß, der kleinere 25 Fuß waͤre, wie
es bei Garnerin's Ballon der Fall war, haͤtte 10400 Cubicfuß
Inhalt und triebe alſo in der untern Luft ungefehr 950 Pfund Luft
aus der Stelle; die brennbare Luft, die ihn fuͤllt, wuͤrde etwa
160 Pfund wiegen, die Umhuͤllung des Ballons 70 Pfund, die
Seile mit dem Schiffchen 200 Pfund; alſo hat der 950 Pfund be-
tragende, hinaufwaͤrts gerichtete Luftdruck ungefehr 430 Pfund zu
tragen, und es kann noch eine bedeutende Belaſtung ſtatt finden.
Betruͤge dieſe, etwa indem 2 Menſchen das Schiffchen beſtiegen,
300 Pfund, ſo behielte der Ballon noch 220 Pfund Steigekraft,
und koͤnnte mit einer Geſchwindigkeit von 7 oder 8 Fuß in der Se-
cunde zu ſteigen anfangen. Nach Beobachtungen, die man in an-
dern Faͤllen uͤber das Steigen der Luftbaͤlle angeſtellt hat, betrug
die Geſchwindigkeit 10 Fuß in der Secunde, ſo daß der Ballon in
7 Minuten 4000 Fuß Hoͤhe erreichte.
Indem der Ballon hoͤher ſteigt, erreicht er eine duͤnnere, weni-
ger druͤckende Luft; war er alſo ſchon unten vollkommen gefuͤllt, ſo
wird die Elaſticitaͤt der innern Luft ihn in groͤßerer Hoͤhe ſtark aus-
ſpannen und zu zerſprengen drohen; der Luftſchiffer muß daher mit
Huͤlfe eines am Ballon angebrachten Ventils, das er mit einem
Seile regiert, etwas Luft ausſtroͤmen laſſen, und auf dieſe Weiſe
erhaͤlt ſich das Verhaͤltniß des Gewichts der innern Luft und der aus
der Stelle getriebenen aͤußern ziemlich ungeaͤndert; aber da jene
ſowohl als dieſe in groͤßern Hoͤhen duͤnner iſt, ſo nimmt die Steige-
kraft des Ballons immer mehr ab. Hat zum Beiſpiel der Ballon
die Hoͤhe 8000 Fuß erreicht; wo die Dichtigkeit der Luft noch etwa
¾ der unten ſtatt findenden Dichtigkeit iſt, ſo treibt der Ballon noch
S 2
[276] 720 Pfund Luft aus der Stelle, die in ihm enthaltene Luft wiegt
120 Pfund, die Umhuͤllung, das Schiff mit ſeiner Belaſtung
570 Pfund, und der Ballon kann alſo nicht viel mehr ſteigen.
Sollte er hoͤher ſteigen, ſo muͤßte die Belaſtung geringer ſein, und
wir wollen daher zu einer neuen Fahrt nur eine Perſon mit neh-
men, damit die 150 Pfund geringere Belaſtung ſelbſt in 8000 Fuß
Hoͤhe noch eine Steigekraft von 180 Pfund uͤbrig laſſe. So er-
leichtert wuͤrde er faſt 18000 Fuß Hoͤhe erreichen; denn da in dieſer
Hoͤhe das Barometer auf 14 Zoll ſteht, ſo iſt die Dichtigkeit der
Luft nur halb ſo groß als unten; die aus der Stelle getriebne Luft
wiegt 480 Pfund, die im Ballon 80 Pfund, die ganze Belaſtung
420 Pfund, alſo iſt das Gewicht ſchon etwas zu groß und eine ſo
große Hoͤhe wuͤrde nicht voͤllig erreicht.
Die Luftſchiffer bedienen ſich, um bald mehr zu ſteigen, bald
ſich zu ſenken, meiſtens des doppelten Huͤlfsmittels, bald durch Aus-
werfen einiges mitgenommenen Ballaſtes ſich zu erleichtern, bald
durch Oeffnen des Ventiles einige Luft auszulaſſen; aber beide Mit-
tel duͤrfen nur vorſichtig angewandt werden, um nicht zuletzt Ver-
legenheit herbeizufuͤhren. Hat man naͤmlich Luft ausgelaſſen, ſo
hat man nun auch die Steigekraft des Ballons ſelbſt fuͤr die untern
Gegenden geſchwaͤcht, und wenn der Ballon einmal im Sinken iſt,
ſo ſinkt er nun unaufhaltſam, weil unter dem ſtaͤrkern Drucke der
untern Luft der Ballon ſich nicht mehr ganz aufgeblaſen, ſondern
nur zum Theil gefuͤllt zeigen wird, eben darum aber die Steigekraft
ſo geringe bleibt, oder ſo gaͤnzlich aufgehoben iſt, wie in den hoͤhern
Gegenden.
Ein andres Mittel, um das Steigen und Sinken des Luft-
balles zu regieren, bietet eine Lampe dar, die zu maͤßiger Erwaͤr-
mung der Luft, wenn man ſteigen will, angewandt wird, und die
man entfernt, oder ausloͤſcht, wenn man ſinken will. Denn da die
erwaͤrmte Luft mehr Elaſticitaͤt beſitzt, ſo blaͤhet ſich der unter dem
Drucke der aͤußern Luft etwas zuſammengefallene Luftball mehr auf,
wenn die Luft erwaͤrmt wird, er treibt alſo nun mehr Luft aus der
Stelle und erhaͤlt mehr Steigekraft, ſo daß er im Herabſinken auf-
gehalten, ja wohl gar, ohne daß ein Auswerfen von Ballaſt noͤthig
iſt, wieder zum Steigen gebracht wird. Wenn dieſe Lampe ſo an-
gebracht wird, daß ſie nirgends zuͤnden kann, ſo ſcheint dies Mittel,
[277] gewiſſer Maßen eine Verbindung beider Arten von Luftballons,
viele Vortheile zu gewaͤhren. Aber alle dieſe Mittel beſchraͤnken ſich
nur auf die verticale Bewegung, und eigentliche Mittel, die hori-
zontale Bewegung zu regieren, giebt es gar nicht. An einen Ge-
brauch von Rudern iſt in der Luft nicht wohl zu denken, da man ſehr
große Ruder haben muͤßte, um eine von der Richtung des Windes
abweichende Bewegung hervorzubringen, und die Fuͤhrung dieſer
Ruder hier weit ſchwieriger als im Waſſer waͤre, da man ſie ruͤck-
waͤrts nie mit der breiten Flaͤche gegen die Luft bewegen duͤrfte. Der
Gebrauch eines Steuers iſt noch weit weniger anwendbar, weil das
Steuer auch im Waſſerſtrome nur dann wirkſam iſt, wenn das
Schiff nicht bloß mit dem Strome fortgeriſſen wird, ſondern durch
fremde Kraft des Windes, der Ruder u. ſ. w. ſeine Stellung gegen
die Waſſertheilchen des Stromes aͤndert. Das einzige Mittel, das
man bis jetzt kennt, um die Richtung des Ballons einigermaßen
zweckmaͤßig zu waͤhlen, iſt, daß man unter den, in verſchiedenen
Hoͤhen oft ganz verſchiedenen Richtungen des Windes diejenige auf-
ſucht, die man am angemeſſenſten findet, daß man alſo durch ein
Steigen oder Sinken, ſich in derjenigen Hoͤhe zu erhalten ſucht, wo
man grade einen guͤnſtigen Wind fand. Da es aber allemal unge-
wiß iſt, ob man in irgend einer Hoͤhe einen Luftſtrom von der er-
wuͤnſchten Richtung findet, ſo reicht dieſes Mittel nicht aus, um
nach beſtimmten Richtungen die Luft zu durchſchiffen. Der Vor-
ſchlag ein Geſpann gezaͤhmter Adler vorzuſpannen, liegt fuͤr jetzt
wohl noch zu weit außer den Grenzen unſrer Kunſt, um ihn fuͤr
etwas mehr als einen ſcherzhaften Einfall auszugeben.
Der Fallſchirm.
An die Kunſt, ſich hoch in die Luft zu erheben, und ſie zu
durchſchiffen, hat der nie befriedigte Erfindungsgeiſt, der an das Be-
wundernswuͤrdige immer noch etwas, um das Erſtaunen zu ſtei-
gern, anzuknuͤpfen geneigt iſt, auch noch die Mittel, unbeſchaͤdigt
aus jenen Hoͤhen herabzufallen, angeknuͤpft. Garnerin und an-
dre Luftſchiffer haben dieſes Schauſpiel, ſich zuerſt hoch zu erheben,
und ſich dann mit einem Fallſchirme herabzulaſſen, oͤfter dargeſtellt,
und obgleich ſie bei dieſen Experimenten nur die Darſtellung einer
neuen und Verwunderung erregenden Erſcheinung beabſichtigten, ſo
[278] iſt doch auch dieſe Kunſt einer wiſſenſchaftlichen Betrachtung werth,
und kann zu nuͤtzlichen Anwendungen fuͤhren. Der Fallſchirm,
deſſen ſich die Luftſchiffer bedienen, iſt ſo eingerichtet, daß er zwar
zuerſt zuſammengefaltet wenig Raum einnimmt, aber beim Fallen
ſich ausbreitet, und dann, gleich einem ausgeſpannten Regenſchirme,
uͤber dem herabfallenden Luftſchiffer ſchwebt, wobei er durch den
Widerſtand, welchen er in der Luft findet, das zu ſchnelle Herab-
ſtuͤrzen hindert. Wenn Sie ſich an die Berechnungen erinnern, die
wir fruͤher ſchon uͤber den Widerſtand der Luft angeſtellt haben, ſo
werden Sie leicht die Mittel uͤberſehen, die ſich uns hier darbieten,
um, bei gegebner Groͤße des Fallſchirms und gegebner Schwere der
Belaſtung, die Geſchwindigkeit zu finden, welche hoͤchſtens der in
der Luft fallende Koͤrper erlangen kann. Wenn ein Fallſchirm von
15 pariſer Fuß Durchmeſſer, deſſen Flaͤche alſo etwas uͤber 170 Qua-
dratfuß betraͤgt, mit einer Geſchwindigkeit von 20 Fuß in der Se-
cunde herabfaͤllt, ſo iſt der Widerſtand, den er leidet, gleich dem
Gewichte einer Luftſaͤule von 170 Quadratfuß Querſchnitt und
13 Fuß Hoͤhe, weil naͤmlich zu 20 Fuß Geſchwindigkeit eine Fall-
hoͤhe von 6½ Fuß gehoͤrt; eine ſolche Luftſaͤule aber wiegt gegen
200 Pfund, und wenn das ganze Gewicht des Fallſchirms und des
herabfallenden Menſchen nahe an 200 Pfund betruͤge, ſo wuͤrde die
groͤßte erlangte Geſchwindigkeit nur 20 Fuß betragen. Um zu
ſchaͤtzen, wie ſtark der Stoß ſein moͤchte, mit welchem wir, bei ſo
ſchneller Bewegung, auf die Erde auftraͤfen, haben wir nur noͤthig,
zu bedenken, daß ein Sprung von 6½ Fuß Hoͤhe uns im luftleeren
Raume eine Geſchwindigkeit von 20 Fuß erlangen laͤßt, und daß
wir einen ſolchen Sprung ohne großes Bedenken wagen wuͤrden.
Dieſe Betrachtung kann in einer ſehr wichtigen Beziehung
nuͤtzlich werden. Der Fall iſt nicht ſo ſehr ſelten, wo bei Feuers-
bruͤnſten Menſchen genoͤthigt ſind, ſich von erheblicher Hoͤhe herab-
zuſtuͤrzen, und man hat daher mit Recht gefragt, wie viel Siche-
rung beim Herabſtuͤrzen es gewaͤhre, wenn man einen großen und
leichten Koͤrper als Fallſchirm benutzt. Und hier zeigt es ſich, daß
ſelbſt Fallſchirme von maͤßiger Groͤße ſchon einigen Nutzen gewaͤh-
ren, indem ein gewoͤhnlicher Regenſchirm von etwa 4½ Fuß Durch-
meſſer oder 15 Quadratfuß Inhalt bei 20 Fuß Geſchwindigkeit
einen Widerſtand von etwa 18 Pfunden hervorbringt, dadurch aber
[279] die Geſchwindigkeit des Falles eines 36 Pfund ſchweren Koͤrpers
ſchon ſo vermindert, daß bei Hoͤhen, die nicht ſehr groß ſind, der
Fall ziemlich unſchaͤdlich werden kann. Ein ſolcher Fallſchirm thaͤte
fuͤr ein Kind ſchon erhebliche Dienſte; fuͤr erwachſene Menſchen
nimmt die erforderliche Groͤße immer mehr zu. Die Gefahr, der
man ſehr oft unterworfen bleibt, daß der Fallſchirm eine andre, we-
nigern Widerſtand leiſtende Seite der widerſtehenden Luft darbiete,
muß man dadurch, daß der ſchwere Koͤrper in einiger Tiefe unter
dem Fallſchirme angebracht iſt, zu heben ſuchen; aber dennoch bleibt
das Herabſinken mit dem Fallſchirme nicht ohne Gefahr, indem ſelbſt
das ſtarke Schwanken des an einem Seile herabhaͤngenden Schiff-
chens ſo ſtark werden kann, daß der Luftſchiffer Gefahr laͤuft, heraus
geſchleudert zu werden.
Auch das Herabſinken mit dem Luftball ſelbſt iſt nicht ohne
Gefahren. Theils erreicht der ſeiner brennbaren Luft nach und
nach ſchon in ziemlichem Grade beraubte Luftball eine nicht ganz
unerhebliche Fallgeſchwindigkeit, theils iſt die Schnelligkeit, mit
welcher der Wind ihn fortfuͤhrt, und ihn in ſchwankender Bewegung
bald hinauf, bald hinab, fortreißt, oft ſehr bedeutend, und der Luft-
ſchiffer muß daher, wenn ſein Schiffchen im Begriffe iſt, auf dem
Boden aufzuſtoßen, ſich ſo hoch als moͤglich an den Stricken des
Ballons feſthalten, damit der Stoß, den ſein Schiffchen leidet, ihn
ſo wenig als moͤglich treffe. Er ſucht dann gewoͤhnlich durch einen
ausgeworfenen Anker ſich an irgend einem paſſenden Gegenſtande
feſtzuhalten, und muß, fuͤr den Fall, daß die Gegend ihm zum Lan-
den unpaſſend ſchiene, immer noch einen kleinen Reſt von Ballaſt
uͤbrig haben, um ſich noch etwas hoͤher wieder heben, wenigſtens ſein
Sinken verzoͤgern zu koͤnnen.
Die Beſchreibungen wirklicher Luftfahrten, ſo viel Unnuͤtzes
und theils wohl Unrichtiges ſie auch enthalten, geben viele merkwuͤr-
dige Umſtaͤnde an, die ſich der Beobachtung des Luftſchiffers darbie-
ten. Dahin gehoͤrt, beſonders bei den Luftfahrten, wo man ein be-
ſtimmtes Ziel erreichen mußte, z. B. bei Sadler's Fahrt von Ir-
land nach England, die Erfahrung, daß in einer Hoͤhe der Wind
guͤnſtig war, waͤhrend er in andern Hoͤhen die Reiſe nicht beguͤn-
ſtigte, und die daraus hervorgehende aͤngſtliche Sorge, ſich in dieſem
Luftſtrome zu erhalten, und das Land, welches erreicht werden mußte,
[280] nicht aus dem Geſichte zu verlieren; ferner das Ueberraſchende, wel-
ches oberhalb einer Wolkendecke die Ausſicht durch Oeffnungen der
Wolken auf die Erde gewaͤhrte; die unangenehme Empfindung bei
dem ſchnellen Hindurchfliegen durch dicke Wolken, die durch ſtuͤrmi-
ſchen Wind oft noch vermehrt wurde; die Kaͤlte in jenen hohen Ge-
genden, die unangenehmen Empfindungen, welche der Aufenthalt
in verduͤnnter Luft allemal hervorbringt u. ſ. w. Man hat auch zu
wiſſenſchaftlichen Belehrungen die Luftfahrten benutzt, die Waͤrme,
den Barometerſtand, die Electricitaͤt der Luft u. ſ. w. beobachtet;
aber der hieraus bis jetzt geſchoͤpfte Nutzen iſt nur geringe, theils
weil nur ſelten wohl unterrichtete Phyſiker Luftreiſen angeſtellt ha-
ben, theils weil doch nur wenige Unterſuchungen ſich in dem ſchwan-
kenden, ſich oft drehenden und nie einen ſichern Standpunct darbie-
tenden Schiffchen anſtellen laſſen.
Ich ſchließe heute die Unterſuchungen, welche die groͤßern, und
dem Auge ſo wie dem Gefuͤhle merkbaren Bewegungen der Luft
und der Koͤrper uͤberhaupt betreffen, und werde in der naͤchſten Vor-
leſung zu einer andern Claſſe von Bewegungen uͤbergehen, die un-
ſerm Auge und unſerm Gefuͤhle faſt entgehen, wenigſtens der
Wahrnehmung dieſer Sinne wenig merkwuͤrdig ſcheinen wuͤrden,
wenn nicht das Ohr uns hier zum Fuͤhrer in einer neuen Reihe der
allermerkwuͤrdigſten Erſcheinungen verliehen waͤre.
Zwanzigſte Vorleſung.
Acuſtik.
An die Betrachtungen uͤber das Gleichgewicht und die Bewe-
gung feſter und fluͤſſiger Koͤrper ſchließen ſich die Unterſuchungen
uͤber diejenigen Vibrationen der Theilchen der Koͤrper an, die zu
ſchwach, um von unſern uͤbrigen Sinnen mit Genauigkeit wahrge-
nommen zu werden, bloß auf das Gehoͤr den Eindruck des Schalles
hervorbringen. Dieſe Unterſuchungen gehoͤren zu den merkwuͤrdig-
ſten und anziehendſten in der ganzen Phyſik; denn obgleich ſie uns
keinen Aufſchluß uͤber den wundervollen Eindruck, welchen die Muſik
[281] nicht auf unſer Ohr allein, ſondern auf unſer Gemuͤth macht, uͤber
den ihr eignen Ausdruck von heiterer oder froͤhlicher, von ernſter
oder trauriger Empfindung, uͤber die Mittheilung von Begriffen
und Empfindungen durch die Sprache, kurz uͤber die ganze Einwir-
kung dieſer hoͤrbaren Toͤne auf unſre geiſtige Thaͤtigkeit geben koͤn-
nen, ſo enthalten ſie doch, ſelbſt in ihren bloß mechaniſchen Bezie-
hungen, ſo viel Unerwartetes, zeigen uns zwiſchen den mechaniſchen
Beſtimmungen der Toͤne und dem Wohlgefallen oder Misfallen, das
unſer Ohr daran findet, eine ſo ſicher begruͤndete Uebereinſtimmung,
daß man kein Bedenken tragen darf, die Acuſtik, die Lehre vom
Schalle, als einen der ſchoͤnſten Theile der Naturlehre zu empfehlen.
Daß wir unter Schall jede Einwirkung auf unſer Gehoͤr ver-
ſtehen, iſt bekannt, und ebenſo bekannt ſind die vielen Worte, durch
welche wir verſchiedene Arten des Schalles, oder die Ungleichheit des
Eindruckes, den er auf unſer Ohr macht, bezeichnen. Das allge-
meinſte darunter iſt das Wort Schall, welches alle andere in ſich
ſchließt; von den andern will ich nur einige zu erklaͤren ſuchen. Ge-
raͤuſch iſt ein zwar laͤngere Zeit fortwaͤhrender, aber nicht die
Empfindung einer Gleichartigkeit in ſeiner ganzen Dauer gebender
Schall; der Ton hingegen hat dieſe Gleichartigkeit. Wir geben
aber der Abwechſelung mehrerer Toͤne nicht den Namen eines Ge-
raͤuſches, weil unſer Ohr fein genug hoͤrt, um ſelbſt in dem ſchnellen
Wechſel der Toͤne die Reinheit des Tones, das iſt den gleichartigen
Eindruck waͤhrend der ſehr kurzen Zeit der Dauer eines Tones,
zu bemerken. Im Klange iſt allemal die Empfindung von Ton,
und ſelbſt die Miſchung mehrerer Toͤne kann darin merkbar ſein.
Vom Klange zum bloßen Geraͤuſch findet ein Uebergang ſtatt, und
in dem Geraͤuſche kann ein dumpfer Klang erkennbar werden, ohne
Zweifel dann, wenn unter den einzelnen Schall-Erregungen einige
gleichfoͤrmig dauernd mit andern, ſelbſt in den kleinſten Zeitmomen-
ten ungleichartigen gemiſcht ſind. Daß wir unter Knall einen ſehr
kurz abgebrochenen und dabei ſehr lauten Schall verſtehen, daß im
Geklapper eine gewiſſe gleichfoͤrmige Wiederkehr gleichartigen Ge-
raͤuſches merklich iſt, daß der Donner in einem durch verſchiedene
Grade der Staͤrke abnehmenden und wieder zunehmenden dumpfen
oder tiefen Schalle beſteht, daß das Sauſen und Ziſchen ein gleich-
foͤrmiger Schall iſt, der aber ſo wie das ſchwirrende Getoͤn, welches
[282] einige Inſecten mit ihren Fluͤgeln machen, uͤber die Scale der
unſerm Ohre als Ton hoͤrbaren Schall-Erregungen hinaus liegt, —
mag hier als Verſuch, einige dieſer Worte auf beſtimmte Begriffe
zuruͤckzufuͤhren, obenhin erwaͤhnt werden.
Entſtehung des Schalles.
Der Schall entſteht, wenn irgend ein Koͤrper in zitternde
oder vibrirende Bewegung geſetzt wird. Wir ſehen die Zitterungen
der Glocke, wenn ſie toͤnt, wir ſehen die Schwingungen der ange-
ſchlagnen Saite, und ſelbſt wo ein unregelmaͤßiges Geraͤuſch her-
vorgebracht wird, bemerken wir, daß es durch den Stoß an einen
feſten Koͤrper oder durch eine Bewegung eines Koͤrpers in der Luft,
wodurch ihr Zitterungen mitgetheilt ſein konnten, oder durch aͤhn-
liche Umſtaͤnde, bewirkt iſt. Die Luft iſt das Mittel, um den
Schall zu unſern Ohren fortzupflanzen, und der Verſuch, wo man
eine Glocke im luftleeren Raume der Luftpumpe in Schwingung
ſetzt, dennoch aber keinen Schall hoͤrt, zeigt, daß die Luft oder ein
andrer die Schwingungen bis zu unſerm Ohre fortpflanzender Koͤr-
per noͤthig iſt, um jene Schwingungen dem Ohre hoͤrbar zu machen.
Man ſieht hier die Zitterungen der Glocke, aber, wenn man vor-
ſichtig alle Mittheilung durch feſte Koͤrper gehindert hat, hoͤrt man
gar keinen Schall.
Indem wir nun hier zwei, anſcheinend ſehr ungleichartige Er-
ſcheinungen, Zitterungen naͤmlich, welche mechaniſchen Geſetzen
unterworfen ſind, und Toͤne, in denen das Ohr eine angenehme
Uebereinſtimmung oder im Gegentheil eine Disharmonie wahr-
nimmt, beobachten, finden wir uns wohl zuerſt zu der Frage hin-
gezogen, ob Regeln, nach welchen beide Wahrnehmungen ſich in
eine beſtimmtere Verbindung bringen laſſen, koͤnnen aufgefunden
werden; und da die mechaniſchen Geſetze der Vibrationen ſich in
manchen Faͤllen leicht auffinden laſſen, ſo iſt es am natuͤrlichſten
mit der Betrachtung derſelben den Anfang zu machen.
Schwingungen der Saiten.
Die Saiten, als Koͤrper, welche bloß der Laͤnge nach ausge-
dehnt ſind, zeigen ſich fuͤr die theoretiſche Betrachtung am meiſten
geeignet. Die Schwingungen, in welche wir ſie, durch Anſchlagen
[283] mit Haͤmmern oder durch das Streichen mit einem Violinbogen
quer gegen die Richtung der Saiten, verſetzen, entſtehen dadurch,
daß die elaſtiſche grade ausgeſpannte Saite ein wenig verlaͤngert,
in eine gekruͤmmte Lage gebracht und dann frei gelaſſen wird.
Vermoͤge ihrer Elaſticitaͤt ſtrebt ſie zu dem natuͤrlichen Zuſtande
zuruͤck, ſie verkuͤrzt ſich naͤmlich wieder, waͤhrend jedes Theilchen
in einer auf die Richtung der ganzen Saite ſenkrechten Richtung
gegen den Punct zuruͤckgeht, welchen es vor der Dehnung, vor
der Entfernung vom Zuſtande des Gleichgewichts, einnahm; aber
indem die Kraft der Elaſticitaͤt jedes Theilchen auf dieſe Weiſe noͤ-
thiget, eine gewiſſe Geſchwindigkeit anzunehmen, gelangt dieſes in
die Stelle, welche es vorhin bei dem natuͤrlichen Zuſtande ruhend
einnahm, mit einer Geſchwindigkeit, die es uͤber dieſen Punct
hinausfuͤhrt; jedes Theilchen geht daher an der andern Seite in
eine neue Entfernung von der graden Linie hinuͤber, und kehrt,
nachdem die Wirkung der Elaſticitaͤt jene erlangte Geſchwindigkeit
zerſtoͤrt hat, ebenſo wieder zuruͤck. Dieſe Wechſel des Zuruͤckkeh-
rens zum Gleichgewichtsſtande, des durch die Traͤgheit bewirkten
Hinausgehens uͤber dieſen Zuſtand, und des abermaligen Zuruͤck-
kehrens, wuͤrden ununterbrochen dauern, wenn nicht die Steifheit
der Saite, als Widerſtand gegen dieſe Bewegung, ſehr bald die
Ausweichungen verkleinerte und endlich ganz zerſtoͤrte.
Da dieſe Vibrationen der Saite, oft wiederholt, ganz gleich-
artig wiederkehren, und jede derſelben einen Schall hervorbringt,
ſo laͤßt ſich erwarten, was auch die Erfahrung zeigt, daß unſer
Ohr dieſe Gleichartigkeit des Schalles erkennen, und einen Ton,
durch die Zitterungen der Saite hervorgebracht, hoͤren wird, und
wir nennen denjenigen Ton einen hoͤheren, der durch ſchneller
auf einander folgende Schwingungen hervorgebracht wird, den
durch langſamere, ſeltner wiederholte Schwingungen hervorgehen-
den Ton einen tieferen. Wenn man die Schwingungen ſo
bewirkt, daß ſie immer langſamer erfolgen, ſo wird der Ton tiefer,
und endlich dumpf; das Ohr erkennt in dem dumpfen Getoͤne kaum
noch einigen Klang, und wenn die Zitterungen noch langſamer auf
einander folgen, ſo glaubt man in dem Klirren oder Schwirren faſt
ſchon die einzelnen Vibrationen abzaͤhlen zu koͤnnen; endlich erkennt
man die Schwingungen als wirklich zaͤhlbar, aber hoͤrt dann durch-
[284] aus keinen Ton mehr, weil jede einzelne Schwingung das Ohr zu
ſchwach ruͤhrt, oder man hoͤrt die Schwingungen nur als ein wie-
derholtes gleiches Geraͤuſch, weil jetzt das, was in jeder einzelnen
Schwingung Ungleichartiges iſt, hervortritt, ſtatt daß es vorhin
beim gleichmaͤßigen ſchnellen Wechſel unter dem lebhaftern Eindrucke
dieſes Gleichartigen im Wechſel verborgen blieb.
Die allgemeinen Bewegungsgeſetze laſſen uns leicht einige
Beſtimmungen uͤber die Schwingungszeiten der Saiten finden, und
das eben Angefuͤhrte laͤßt ſchon im Voraus uͤberſehen, daß daran
eine Beſtimmung des Tones, den die Saite giebt, ſich anknuͤpfen
wird. — Die Kraft, welche als bewegende Kraft jedes Theilchen
der Saite zu der graden Linie, in welcher es ſich beim Gleichgewichte
befand, zuruͤckzieht, iſt die Kraft der Elaſticitaͤt, und ſie iſt daher
der Spannung, die wir als durch ein beſtimmtes Gewicht hervor-
gebracht anſehen wollen, proportional; die bewegte Maſſe iſt offen-
bar durch das Gewicht jedes einzelnen Theiles der Saite beſtimmt.
Sind zwei Saiten von einerlei Materie gleich lang zwiſchen den
Befeſtigungspuncten und gleich dick, aber von ungleichen Gewichten
geſpannt, ſo iſt die beſchleunigende Kraft, welche die Fortbewegung
jedes einzelnen Punctes beſtimmt, doppelt ſo groß bei doppelt ſo
großer Spannung, dreimal ſo groß bei dreimal ſo großer Span-
nung; und da eine viermal ſo große beſchleunigende Kraft den Koͤr-
per viermal ſo weit in der erſten Secunde fuͤhrt, als die einfache
beſchleunigende Kraft, dagegen die einfache beſchleunigende Kraft
in 2 Secunden den Koͤrper viermal ſo weit als 1 in Secunde fuͤhrt,
ſo iſt hier bei der vierfachen ſpannenden Kraft der durchlaufene Weg
in einem Zeittheilchen ſo groß, als bei der einfachen ſpannenden
Kraft in 2 Zeittheilchen, oder die Vibrationen ſind doppelt ſo zahl-
reich in gleicher Zeit bei vierfacher Spannung als bei einfacher,
dreimal ſo zahlreich in gleicher Zeit bei neunfacher Spannung und
allgemein der Quadratwurzel aus der Spannung proportional.
Ebenſo laͤßt ſich fuͤr gleiche Laͤnge und gleiche Spannung die
Schwingungszeit vergleichen, wenn die Dicke der Saite ungleich
iſt. Eine doppelt ſo dicke, allemal als cylindriſch vorausgeſetzte
Saite enthaͤlt in jedem Querſchnitte viermal ſo viel Maſſe, als
die von der einfachen Dicke; iſt daher die Spannung gleich groß,
ſo wirkt eben die bewegende Kraft auf viermal ſo viel Maſſe bei
[285] jener, als bei dieſer, und die Beſchleunigung iſt bei der doppelt ſo
dicken Saite nur ein Viertel deſſen, was ſie bei der einfachen Dicke
iſt; die doppelt ſo dicke Saite braucht alſo bei gleicher Laͤnge und
gleicher Spannung doppelt ſo viel Zeit zu einer aͤhnlichen Vibration,
das iſt, die doppelt ſo dicke Saite macht halb ſo viele Vibrationen
in beſtimmter Zeit, als die von einfacher Dicke. Und obgleich dies
ſich am deutlichſten nur auf aͤhnliche Vibrationen bezieht, auf ſolche
naͤmlich, bei denen gleiche Ausweichungen vom Zuſtande der Ruhe
ſtatt finden, ſo laͤßt ſich doch auf eben die Weiſe, wie bei der Pen-
delbewegung, zeigen, daß es hierbei auf die Groͤße der Vibrationen
nicht ankoͤmmt, ſondern die Vibrationen gleichzeitig ſtatt finden, ſie
moͤgen groͤßer oder kleiner ſein, zumal da ſie gewiſſe Grenzen nicht
zu uͤberſchreiten pflegen.
Hiemit ſind zwei Hauptgeſetze fuͤr die Dauer einer Vibration
gegeben; das dritte Hauptgeſetz betrifft die ungleiche Dauer der Vi-
brationen bei verſchiedener Laͤnge der Saiten. Wenn wir bei glei-
cher Einwirkung der Schwere zwei Pendel, das eine viermal ſo lang
als das andre aufhingen, ſo mußte der ſchwere Punct des langen
Pendels unter der ganz aͤhnlichen Einwirkung derſelben Schwerkraft
allemal einen viermal ſo langen Bogen, als der des kurzen, durch-
laufen, wenn ſie um gleiche Winkel gehoben waren; das 4 mal ſo
lange Pendel gebrauchte daher zweimal ſo lange Zeit zu ſeinen Oſcil-
lationen, und ſo war allemal die Schwingungszeit zweimal ſo groß
bei vierfacher, dreimal ſo groß bei neunfacher Laͤnge, oder den Qua-
dratwurzeln aus den Laͤngen proportional. Bei den Saiten, obgleich
die Vibrationen den Schwingungen des Pendels ziemlich aͤhnlich
ſind, iſt die Betrachtung doch darum verſchieden, weil die Maſſe
der Saite mit ihrer Laͤnge in gleichem Verhaͤltniſſe zunimmt, ſtatt
daß wir dem laͤngern Pendel doch nur eben die Maſſe beizulegen
brauchten wie dem kurzen. Denken wir uns hier Saiten, deren
Laͤngen 1 und 4 ſind, beide auf aͤhnliche Weiſe vom Gleichgewichts-
zuſtande entfernt, ſo hat jedes Tauſendtel der letztern viermal ſo
viel Maſſe, als jedes Tauſendtel der erſtern, und ſchon deshalb
wuͤrde die Schwingungszeit doppelt ſo lang ſein; aber aus eben dem
Grunde, wie bei dem viermal ſo langen Pendel, verdoppelt die
Schwingungszeit ſich abermals, und die viermal ſo lange Saite hat
daher eine viermal ſo lange Schwingungszeit, als die von einfacher
[286] Laͤnge, und uͤberhaupt nimmt die Dauer jeder Schwingung in eben
dem Maaße, wie die Laͤnge der Saite, zu. Wenn alſo eine Saite
von beſtimmter Laͤnge hundert Schwingungen in einer gewiſſen Zeit
macht, ſo vollendet, dieſer theoretiſchen Betrachtung zu Folge, die
halb ſo lange Saite 200 Schwingungen in eben der Zeit, die ein
Drittel ſo lange Saite 300 Schwingungen in eben der Zeit, wenn
die uͤbrige Beſchaffenheit der Saiten einerlei, und die ſpannende
Kraft bei allen gleich iſt.
Es iſt wohl natuͤrlich, daß wir uns, ſobald wir uns von dieſen
Saͤtzen uͤberzeugt haben, an die Erfahrung wenden, um von ihr
eine Beſtaͤtigung dieſer theoretiſchen Schluͤſſe zu erhalten. Aber
obgleich das Abzaͤhlen der Vibrationen bei langſamen Schwingun-
gen dieſe Geſetze genau beſtaͤtiget, ſo findet doch dieſe Vergleichung
in der zu großen Schnelligkeit, mit welcher ſie auf einander folgen,
bald ihre Grenze, und es bleibt uns nur die Vergleichung uͤbrig,
welche das Gehoͤr uns darbietet. Indem wir dieſe verſuchen, zeigt
ſich uns die uͤberraſchendſte Uebereinſtimmung, die uns nur je vor-
kommen kann. Der Muſiker kennt, wenn ein Ton angegeben iſt,
den beſtimmten andern Ton, welchen man die Octave jenes Grund-
tones nennt, er kennt die Quinte, die Quarte, die doppelte Octave,
die Terze dieſes Grundtones, und dieſe Toͤne ſind ihm in ihrem
Verhaͤltniſſe zu jenem Grundtone merkwuͤrdig, weil ſie mit dem-
ſelben zuſammen dem Ohre angenehm ſind, Conſonanzen darbieten,
ſtatt daß das Zuſammentoͤnen des Grundtones mit manchen andern
Toͤnen diſſonirend iſt. Und grade auf jene conſonirenden Toͤne fuͤhrt
uns der Verſuch, wenn die Anzahl der Schwingungen ſich verdop-
pelt, verdreifacht, oder viermal und fuͤnfmal ſo groß wird.
Man bedient ſich unter dem Namen Monochord eines In-
ſtruments, wo eine Saite in Schwingung geſetzt wird, und wo
man durch verſchiedene Laͤnge, Dicke und Spannung der Saite
alle die verſchiedenen Schwingungen hervorbringen kann, die wir ſo
eben theoretiſch beſtimmt haben. Dieſes Inſtrument dient dem
muſicaliſchen Ohre zur Vergleichung der unter beſtimmten Umſtaͤn-
den hervorgehenden Toͤne, und kann daher Tonmeſſer, Ton-
vergleicher, genannt werden. Um den Saiten, wenn ſie zum Toͤnen
gebracht werden, eine beſtimmte Laͤnge zu geben, werden ſie in
zwei Puncten durch den Steg feſtgehalten, und nur der zwiſchen
[287] dieſen feſten Puncten liegende Theil der Saite wird in ſchwingende
Bewegung geſetzt. Will man der Saite eine andre Laͤnge geben,
ſo veraͤndert man die Stelle, wo das Feſthalten ſtatt findet. Um
aber die Spannung abzumeſſen, hat das ganze Inſtrument eine
verticale Stellung, die Saite wird durch angehaͤngte Gewichte in
den angemeſſenen Zuſtand der Spannung gebracht und dann in
jenem Puncte feſt eingeklemmt; ſoll die Spannung eine andre wer-
den, ſo loͤſet man die Klemmung, haͤngt vermehrte oder vermin-
derte Gewichte an, und ſtellt die Klemmung wieder her, wenn die
Saite ſich der neuen Spannung gemaͤß ausgedehnt hat.
Bedient man ſich dieſes Inſtruments und behaͤlt einerlei Saite
und einerlei Spannung bei, giebt aber dem toͤnenden Theile der
Saite zuerſt eine willkuͤrliche Laͤnge, dann die Haͤlfte, dann das
Drittel, dann das Viertel der Laͤnge, ſo findet man, daß der Ton,
den die halb ſo lange Saite angiebt, die naͤchſt hoͤhere Octave iſt, zu
dem Grundtone, den die ganze Laͤnge angab, daß die ein Drittel
ſo lange Saite die hoͤhere Octave der obern Quinte des Grundtons,
daß die ein Viertel ſo lange Saite die zweite hoͤhere Octave des
Grundtons angiebt. Bedient man ſich zweier Saiten, gleich ge-
ſpannt, aber die erſte doppelt ſo dick und halb ſo lang, als die zweite,
ſo geben ſie einerlei Ton, ſo wie auch nach der eben ausgefuͤhrten
Theorie die Zahl ihrer Schwingungen gleich iſt; ſind ſie beide gleich
lang und gleich geſpannt, ſo giebt die doppelt ſo dicke die tiefere
Octave zu der andern. Und eben dieſe Uebereinſtimmung, daß die
nach der Theorie doppelt ſo ſchnell ſchwingende Saite die hoͤhere
Octave giebt, die dreimal ſo ſchnell ſchwingende Saite die Octave
der Quinte u. ſ. w., findet ſtatt, wenn ungleiche Spannung die un-
gleiche Zahl der Schwingungen bewirkt.
Auf dieſer merkwuͤrdigen Uebereinſtimmung beruhen nun alle
Vergleichungen, zu welchen das Monochord dienen kann. Wir
haben eine zufaͤllig gewaͤhlte Saite aufgeſpannt, und wollen wiſſen,
wie viele Schwingungen ſie macht, waͤhrend die Saite unſers Mo-
nochords eine Schwingung macht; — geſetzt wir faͤnden, daß der
ſiebente Theil der Monochordsſaite eben den Ton gaͤbe, wie jene, ſo
wuͤßten wir, daß jene Saite ſieben Schwingungen macht, waͤhrend
die ganze Saite des Monochords nur eine Vibration vollendet.
[288]
Die bisher mitgetheilten Geſetze wuͤrden nicht allein zu Be-
ſtimmung des Verhaͤltniſſes der Schwingungszeiten bei verſchiedenen
Saiten dienen, ſondern ſelbſt die wahre Anzahl der Schwingungen
ergeben, wenn nicht bei dem Fortrechnen von einer geringen Zahl
von Schwingungen auf die viel zahlreicheren, ſo leicht ein Fehler
ſtatt finden koͤnnte. Naͤhme man naͤmlich eine ſo dicke und lange
Saite, daß ſie bei maͤßiger Spannung nur eine oder wenige Vibra-
tionen in einer Secunde machte, ſo koͤnnte man dieſe, nicht mehr
als Ton hoͤrbaren, aber mit dem Auge abzaͤhlbaren Schwingungen
zum Grunde legen, und nun bei einer halb ſo langen Saite auf dop-
pelt ſo ſchnelle Schwingungen, bei einer ein Zehntel ſo langen und
auch nur ein Zehntel ſo dicken Saite auf hundertmal ſo ſchnelle
Schwingungen rechnen. Die Rechnung wuͤrde richtig ſein, aber
der unbedeutendſte Fehler in der Abzaͤhlung der erſten Schwingun-
gen wuͤrde ſich bei der eben erwaͤhnten Anwendung auf das Hun-
dertfache und ſo immer weiter vermehren, ſo daß, wenn man die
erſten Schwingungen als ½ Secunde dauernd angeſehen haͤtte, ſtatt
daß ſie vielleicht \frac{3}{7} Secunden dauerten, man der 40 mal ſo ſchnell
ſchwingenden Saite 80 Schwingungen in der Secunde beilegen
wuͤrde, ſtatt daß ihr 93 wirklich zukaͤmen. Die aus Verſuchen her-
geleitete Beſtimmung wuͤrde alſo auf dieſem Wege nicht ſehr genau
werden. Die Theorie ſelbſt giebt zwar noch eine andre Regel, um
aus dem bloßen Gewichte der Saite, aus ihrer Laͤnge und Span-
nung die Anzahl der Schwingungen zu berechnen, aber es bedarf
doch der Vergleichung mit der Erfahrung, um uns zu uͤberzeugen,
daß hiebei Nebenumſtaͤnde, zum Beiſpiel die Steifheit der Saite,
keine zu große Unſicherheit hervorbringen.
Schwingungsknoten
Ein neuer Gegenſtand aber bietet ſich uns in den verſchiedenen
Schwingungen dar, welche anzunehmen eine und dieſelbe Saite
faͤhig iſt. Wir haben bisher vorausgeſetzt, daß die ganze Saite ihre
Schwingungen ſo vollende, daß alle ihre Theile in einem Zeitmo-
mente rechts, im naͤchſten Zeitmomente links von der graden Linie
ſind, zu welcher die Saite immer wieder zuruͤckkehrt; aber dieſes iſt
nicht nothwendig der Fall, ſondern die Saite kann ſich in mehrere
gleiche Theile ſo theilen, daß jeder Theil ſeine Schwingungen macht,
[289] waͤhrend die Endpuncte jedes Theiles ruhen. Wenn man eine
nicht allzu lange Saite in ihrer Mitte mit einem Bogen ſtreicht,
ſo koͤmmt ſie gewoͤhnlich in ſolche Schwingungen, wie wir ſie bisher
angenommen haben; ſtreicht man ſie mehrmals und giebt ſie dann
nicht immer einen gleich tiefen Ton, ſo iſt das ein Zeichen, daß ſie
ſich dennoch in Theile zerlegt, und der tiefſte Ton iſt der Grundton,
derjenige, wobei ſie ungetheilt in Schwingungen geraͤth. Wenn ſie
dieſe Schwingung annimmt, ſo werden leichte Papierſtuͤckchen,
welche man uͤber ſie haͤngt, abgeworfen, ſie moͤgen ſich befinden,
wo ſie wollen; dagegen wenn man die Saite auf der Mitte leiſe mit
dem Finger beruͤhrt und in der Mitte der einen Haͤlfte ſtreicht, ſo
gerathen beide Haͤlften in entgegengeſetzte Schwingungen, die Saite
nimmt naͤmlich die Geſtalt adbec (Fig. 148.) an, Papierſtuͤck-
chen in der Naͤhe von b bleiben faſt ganz ruhig liegen, ſtatt daß die
bei d oder e aufliegenden abgeworfen werden. Ein ſolcher Schwin-
gungsknoten bei b, wie man ihn in dieſem Falle durch ein
ſanftes Beruͤhren mit dem Finger in der Mitte hervorbringt, ent-
ſteht zuweilen auch von ſelbſt, wenn man in d oder e ſtreicht, und
aͤhnliche Knoten kann man auf ein Drittel der Laͤnge, auf ein Vier-
tel der Laͤnge durch ein leichtes Daͤmpfen mit dem angehaltenen
Finger hervorbringen. Der merkwuͤrdige Verſuch, welcher zeigt,
daß dann die ganze Saite ſich in gleiche Theile eintheilt, laͤßt ſich
an jeder zwiſchen zwei feſten Stegen aufgezogenen Saite anſtellen.
Mißt man naͤmlich ihre ganze Laͤnge ab, beſtimmt ihre gleichen Ab-
theilungen, zum Beiſpiel alle Fuͤnftel und legt auf die Endpuncte
dieſer Abtheilungen weiße, dagegen in die Mitte jeder Abtheilung
farbige Papierchen auf die Saite, daͤmpft mit leiſe angehaltnen
Finger auf dem Ende des erſten Fuͤnftels und ſtreicht in der Mitte
deſſelben, ſo fallen alle farbigen Papiere ſogleich herab, waͤhrend
die weißen ganz ruhig liegen bleiben. Es zeigt ſich alſo, daß obgleich
nur der Endpunct des erſten Fuͤnftels durch die leiſe Beruͤhrung
ruhend erhalten wurde, nun auch die Endpuncte aller Fuͤnftel
ruhend bleiben.
Wenn die Saite ſich ſo in mehrere Abtheilungen zerlegt, zwi-
ſchen denen unbewegte Puncte oder Schwingungsknoten liegen, ſo
ſind die Abtheilungen immer gleich, und nie begegnet es, daß z. B.
nur ein einziger Schwingungsknoten am Ende des einen Drittels
I.T
[290] vorhanden waͤre, alſo das Stuͤck ab ſeine Schwingungen machen
ſollte, waͤhrend das doppelt ſo lange Stuͤck bc gleichfalls ſeine
Schwingungen fortſetzte (Fig. 149.). Daß dies unmoͤglich iſt, laͤßt
ſich leicht uͤberſehen; denn wenn in einem Zeitmomente die Saite
wirklich ſo wie abc (Fig. 149.) gekruͤmmt waͤre, ſo haͤtte nach einer
gewiſſen Zeit ab einen ganzen Uebergang auf die andre Seite voll-
endet, bc aber waͤre wegen ſeiner doppelt ſo großen Laͤnge nur bis
zur Mitte zuruͤckgekehrt, oder die Saite muͤßte nach Verlauf eines
ſolchen Zeittheiles die Form a´d´b´c´, nach Verlauf zweier Zeittheile
ſogar die Form a˝d˝b˝e˝c˝ haben, was gewiß nicht ſtatt findet.
Wird die Saite alſo in b gedaͤmpft und in d geſtrichen, ſo nimmt
ſie abwechſelnd die Formen adbcef, a´d´b´c´e´f´ an (Fig. 150.).
Indem aber die Saite ſo getheilt ſchwingt, kann ſie zu gleicher Zeit
auch ganz ſchwingen. Dann ſind, z. B. bei einem einzigen Schwin-
gungsknoten in der Mitte, die Formen in verſchiedenen Zeitmomen-
ten, ſo wie ghikl, g´h´i´k´l´, g˝h˝i˝k˝l˝ (Fig. 151.). In
dieſem Falle hoͤrt das geuͤbte Ohr einen doppelten Ton, einen der
wegen des ſchnelleren Vibrirens der halben Saite hoͤher iſt, verbun-
den mit dem Grundtone der ganzen Saite, der eine Octave tiefer
iſt, wenn die ganze Saite ſich nur in zwei gleiche Stuͤcke theilt.
Schwingungen der Staͤbe.
Die Saiten, von welchen wir ſo unzaͤhligen Gebrauch machen,
verdienten wohl, daß wir ihnen eine etwas ſorgfaͤltige Aufmerkſam-
keit widmeten; aber auch die ſchwingenden Staͤbe geben uns zu aͤhn-
lichen Betrachtungen Veranlaſſung. Wenn ein elaſtiſcher Stab am
einen Ende befeſtigt iſt, und durch das Streichen mit einem Vio-
linbogen oder auf aͤhnliche Weiſe in Zitterung geſetzt wird, ſo giebt
auch er, wenn er gleichfoͤrmig genug gearbeitet iſt, um zu gleich-
maͤßigen und nicht allzu langſamen Schwingungen geſchickt zu ſein,
einen Ton, und die mathematiſche Berechnung hat Mittel gefunden,
auch hier die Geſetze der Schwingung bei ungleicher Laͤnge, Dicke
und Elaſticitaͤt anzugeben. Die einfachſte Schwingungs-Art iſt
hier diejenige, wo der ganze Stab Vibrationen macht und von einer
Lage, wie ab (Fig. 152.), in die ab´, und ſo wechſelsweiſe uͤber-
geht. Hier haͤngt die Kraft der Elaſticitaͤt, welche den gebognen
Stab zu ſeiner natuͤrlichen Lage zuruͤckfuͤhrt, von der natuͤrlichen
[291] Beſchaffenheit des Koͤrpers ab, indem bekanntlich bei gleich langen
und gleich dicken Staͤben doch nach Verſchiedenheit der Materie eine
ſehr ungleiche Kraft erfordert wird, um ſie bis zu einem beſtimmten
Grade zu kruͤmmen; mit eben der Kraft aber, welche hierzu erfor-
derlich iſt, ſtrebt auch der Stab zu ſeiner natuͤrlichen Lage zuruͤck.
Dieſe Kraft der Elaſticitaͤt koͤmmt hier genau ſo wie bei den Saiten
in Betrachtung, ſo daß ein Stab, der, bei gleicher Laͤnge, gleicher
Dicke und gleicher Maſſe oder gleichem Gewichte, viermal ſo viel
Elaſticitaͤt als ein zweiter beſitzt, ſeine Schwingungen doppelt ſo
ſchnell vollendet.
In Ruͤckſicht auf die Laͤnge und Dicke der Staͤbe gelten hier
ganz andre Regeln, als fuͤr Saiten. Zuerſt naͤmlich erhellt leicht,
daß ein breiterer Stab faſt ganz ſo, wie ein ſonſt gleicher, aber
ſchmaͤlerer ſchwingen muß; denn wenn man zum Beiſpiel einen
Stab von 1 Zoll breit nach der auf dieſe Breite ſenkrechten Richtung
von ſeiner natuͤrlichen Lage entfernt, und eben das bei einem 2 Zoll
breiten Stabe thut, ſo iſt zwar bei dem doppelt ſo breiten Stabe die
Maſſe verdoppelt, aber auch die elaſtiſche Kraft, und beide werden
gleichzeitig ſchwingen. Dagegen koͤmmt hier auf die Dicke, naͤmlich
auf die Abmeſſung, in deren Richtung die Biegung erfolgt, viel an.
Iſt der eine Stab doppelt ſo dick als der andre, ſo iſt zwar die Maſſe
verdoppelt, die Kraft der Elaſticitaͤt iſt aber in ſtaͤrkerem Verhaͤlt-
niſſe vermehrt, und deshalb werden hier die Schwingungen ſchneller
bei dicken Staͤben, als bei duͤnneren *), doppelt ſo ſchnell bei dop-
pelter Dicke u.ſ.w.
Iſt bei zwei Staͤben ſonſt alles gleich, aber die Laͤnge ungleich,
ſo ſind die Schwingungen langſamer bei laͤngeren Staͤben, und zwar
ſo, daß die Zeit einer Schwingung bei dem doppelt ſo langen Stabe
viermal ſo lang, bei dem dreimal ſo langen Stabe neunmal ſo lang
iſt, u. ſ. w. Die theoretiſche Ableitung dieſer Regeln kann ich hier
nicht unternehmen.
F2
[292]
Auch der ſo feſtgeſtellte Stab iſt verſchiedner Schwingungsar-
ten faͤhig. Entweder naͤmlich kann er ohne Schwingungsknoten,
der bisherigen Betrachtung gemaͤß, ſchwingen, oder es kann ein
Schwingungsknoten da ſein, und der Stab, waͤhrend b ruhend
bleibt, die entgegengeſetzten Lagen abc, a'b'e', abwechſelnd an-
nehmen (Fig. 153.); die Zahl der Schwingungen, welche er dann
annimmt, ſteht aber hier in keinem ſo leichten Verhaͤltniſſe zu den
Schwingungen des Grundtons wie bei Saiten, ſondern die Schwin-
gungen ſind etwas mehr als 6mal ſo ſchnell, als bei dem Grund-
tone. Die Beſtimmungen hierfuͤr, ſo wie die Ableitung der Schwin-
gungszahl bei ungleicher Laͤnge, iſt hier ſchwieriger, als bei Saiten,
weil ſie von der Natur und Geſtalt der elaſtiſchen Curve, der Geſtalt
naͤmlich, die ein gebogner elaſtiſcher Stab annimmt, abhaͤngen.
Ein elaſtiſcher Stab kann auf mehrerlei Weiſe zum Toͤnen ge-
bracht werden, indeß hat, außer dem eben betrachteten Falle, nur
der Fall, wo er auf zwei Unterlagen ruht, waͤhrend die Enden ganz
frei ſind, noch einiges Intereſſe. Bei dieſer Anordnung giebt der
Stab viel hoͤhere Toͤne, die mit denen uͤbereinſtimmen, welche der
am einen Ende feſtgehaltene Stab dann giebt, wenn er einen
Schwingungsknoten in der Mitte erhaͤlt. Auch hier koͤnnen meh-
rere Schwingungsknoten ſtatt finden, bei denen ich nicht verweile,
ſondern nur bemerken will, daß man von dem Schwingen der elaſti-
ſchen Staͤbe bei zwei nicht ſehr vollkommenen Inſtrumenten, der
Eiſenvioline, und der Strohfiedel Gebrauch macht. Bei der Eiſen-
violine ſind es Stahlſtaͤbe, die auf einem Reſonanzboden mit einem
Ende befeſtigt und am andern Ende frei ſind, welche mit einem
Violinbogen ungefehr in der Mitte geſtrichen, die Toͤne geben. Die
Laͤnge der Staͤbchen wird ſo abgeglichen, daß ſie der gewoͤhnlichen
Tonleiter entſprechende Toͤne geben; ſoll dieſe durch zwei Octaven
fotgehen, ſo muß, bei gleich dicken Staͤben, der tiefſte Ton an
einem doppelt ſo langen Staͤbchen als der hoͤchſte hervorgebracht wer-
den. Man ſtellt die Staͤbchen in einen Halbkreis und ſtreicht, um
eine einfache Melodie zu ſpielen, jedesmal den gehoͤrigen Stab.
Die Strohfiedel, die ihren verdaͤchtlich klingenden Namen wohl
von den allerroheſten Verſuchen, toͤnende Staͤbe zu erhalten, haben
muß, beſteht aus ungleich langen Staͤbchen, die frei auf einer wei-
chen Unterlage liegen. Der roheſte Verſuch, der indeß etwas Ue-
[293] berraſchendes hat, weil man von dem unbedeutenden Material nicht
einmal ſo viel Ton erwartet, beſteht darin, daß man aus recht
gleichfaſerigem Tannenholze recht gleichfoͤrmig bearbeitete Staͤbchen
von etwa 1 Zoll breit, ¼ bis ⅓ dick, nimmt, und ſie auf
Stroh-Unterlagen, die etwa ein Viertel der ganzen Laͤnge von bei-
den Enden entfernt ſind, legt, und auf die Mitte mit kleinen Haͤm-
mern ſchlaͤgt. Hat man eine ihrer Laͤnge nach gut abgeglichene Reihe
ſolcher ſo aufgelegter Staͤbchen, ſo daß die Toͤne der gewoͤhnlichen
Tonleiter alle vorkommen, ſo kann man einfache Stuͤcke darauf
ſpielen und die Toͤne ſind deſto klangreicher, je reiner die Holzfaſern
ſind und je ſauberer ihre Bearbeitung iſt. Schoͤnere, recht wohl-
klingende Toͤne erhaͤlt man durch Glasſtreifen oder Stahlſtaͤbchen,
die eben ſo in zwei Puncten, die mit den Schwingungsknoten zu-
ſammentreffen muͤſſen, unterſtuͤtzt, und mit kleinen Haͤmmern zum
Toͤnen gebracht werden.
Da es nicht meine Abſicht iſt, die Faͤlle alle durchzugehen,
wo Staͤbe zum Toͤnen gebracht werden, ſo verweile ich nicht bei
den minder anwendbaren Betrachtungen und will zum Schluſſe
dieſer Materie nur noch etwas von der Stimmgabel ſagen.
Die Stimmgabeln.
Die beiden Zinken einer Stimmgabel ſind als vibrirende ela-
ſtiſche Staͤbe anzuſehen. Nach Chladni's auf Verſuche gegruͤn-
deter Meinung muß man ſie als einen gebognen Stab anſehen,
deſſen zwei Schwingungsknoten gegen die untere Kruͤmmung hin
einander ſehr nahe liegen. Beim einfachſten Vibriren der Gabel
nimmt ſie ſolche Schwingungen an, daß die beiden Zinken zugleich
gegen einander (nach einwaͤrts) und zugleich von einander ab (nach
auswaͤrts) von der natuͤrlichen Stellung ausweichen; man muß
daher annehmen, wenn gleich die Beobachtung uns nicht gut dar-
uͤber belehren kann, daß der untere gekruͤmmte Theil in unmerklichem
Grade uͤber den natuͤrlichen Ruheſtand hinauswaͤrts ſchwingt, wenn
die Zinken ihre Schwingung hereinwaͤrts machen.
Man bedient ſich der Stimmgabeln, um immer einen genau
gleichen Ton zu erhalten, weil ſie, unabhaͤngig von Veraͤnderun-
gen, welche bei der Spannung einer Saite faſt unvermeidlich ſind,
immer denſelben Ton geben. Aber auch die Stimmgabel kann mehr
[294] als zwei Schwingungsknoten annehmen, und daher außer dem
Grundtone noch hoͤhere Toͤne geben, die ich in der Folge noch naͤher
beſtimmen werde, wo ihre Hoͤhe ſich mit der Tonleiter in Verbin-
dung ſetzen laͤßt.
Ein und zwanzigſte Vorleſung.
Obgleich es, m. h. H., wohl am angemeſſenſten ſcheinen
koͤnnte, an die neulich durchgefuͤhrten Betrachtungen uͤber Entſte-
hung des Schalles, uͤber Schwingungsnoten u. ſ. w. ſogleich wei-
tere Unterſuchungen, wie die Schwingungen von Flaͤchen beſchaffen
ſind, wie auch bei ihnen die verſchiedenen Toͤne von der Lage der
Schwingungsknoten abhaͤngen u. ſ. w. — anzuknuͤpfen, ſo haben
Sie doch gewiß ſelbſt zu ſehr, ſchon bei den neulich mitgetheilten
Bemerkungen und Verſuchen, das Beduͤrfniß empfunden, uͤber die
Entſtehung unſrer muſicaliſchen Tonleiter etwas genauere Auf-
ſchluͤſſe in acuſtiſcher Hinſicht zu erhalten. So wenig es den meiſten
von Ihnen unbekannt iſt, was wir unter Octave und Quinte ver-
ſtehen, ſo vollkommen Sie in der Muſik den Unterſchied zwiſchen
Conſonanzen und Diſſonanzen moͤgen kennen gelernt haben, ſo zweifle
ich doch nicht, daß Ihnen die Verhaͤltniſſe, welche die Theorie
der Saitenſchwingungen uns in den Schwingungszahlen der als
Octave oder Quinte, Quarte u. ſ. w. verwandten Toͤne angiebt,
hoͤchſt merkwuͤrdig erſcheinen und Sie zu einer genaueren Betrach-
tung auffordern werden. In der That gehoͤrt es zu dem Ueberra-
ſchendſten, was die Naturbetrachtung darbietet, daß die vom Ab-
zaͤhlen der Saitenſchwingungen ſo ganz unabhaͤngig ſcheinende Muſik,
dennoch ſich ſo ſehr an Zahlenverhaͤltniſſe anſchließt, ſo daß man
glauben moͤchte, die Harmonie der Toͤne ſei nichts anderes, als
ein Zuſammentreffen leichter Zahlenverhaͤltniſſe; und wenn man
auch dieſe Behauptung nicht ſtrenge durchfuͤhren kann, ſo finden wir
doch wirklich in einer leichten arithmetiſchen Betrachtung die Mit-
tel, um die gewoͤhnliche Tonleiter darzuſtellen und alle die Toͤne,
[295] deren die Muſik ſich bedient, als arithmetiſch begruͤndet, abzu-
leiten *).
Entſtehung einer Dur-Tonleiter.
Daß da, wo unſer Ohr einen und denſelben Ton hoͤrt, die
Anzahl der Schwingungen einerlei iſt, davon koͤnnen wir uns, wie
Sie aus unſern vorigen Betrachtungen wohl uͤberſehen haben, ſehr
gruͤndlich uͤberzeugen. Die Theorie giebt an, wie Saiten von ver-
ſchiedener Laͤnge in Dicke oder Spannung ungleich ſein muͤſſen, um
gleiche Schwingungszahlen zu geben, wie Staͤbe beſchaffen ſein
[296] muͤſſen, um gleich oft wiederholte Schwingungen hervorzubringen,
und Sie werden in der Folge ſehen, daß ſich eben dies von der in
den Floͤten oder Orgelpfeifen in Schwingung geſetzten Luft behaupten
laͤßt; — und unſer Ohr uͤberzeugt uns nun, daß in allen dieſen
Faͤllen, wo die Rechnung gleich ſchnelle Vibrationen angiebt, ein
gleicher Ton hervorgeht, daß bei aller Verſchiedenheit des Klanges,
der uns das Saiten-Inſtrument vom Blaſe-Inſtrumente und
das eine Saiten-Inſtrument vom andern leicht unterſcheiden laͤßt,
dennoch der Ton unifon, voͤllig uͤbereinſtimmend bei gleicher
Schwingungszahl gefunden wird. Dieſe Ueberzeugung finden wir
ſo durchaus in allen Faͤllen beſtaͤtigt, daß die kleinen Unſicher-
heiten, welche in der theoretiſchen Beſtimmung der abſolut gleichen
Schwingungszahlen allerdings uͤbrig bleiben, auf keine Weiſe den
Satz, daß gleicher Ton ſtrenge an gleiche Anzahl der Schwingun-
gen geknuͤpft ſei, zweifelhaft machen koͤnnen.
Einfache Erfahrungen lehrten uns, daß, wenn die Zahl der
Schwingungen die doppelte wird, der Ton zur naͤchſt hoͤhern Oc-
tave hinuͤbergegangen iſt, und unſer Ohr erkennt in dieſem Tone
eine ſehr nahe Verwandtſchaft mit dem vorigen. Dies koͤnnte
uns wohl bewegen, zu fragen, welche Schwingungszeiten wir denn
den Toͤnen geben muͤßten, damit ſie ſich durch einfache Zahlen-
verhaͤltniſſe empfoͤhlen; und wenn wir dieſe Frage zu beantworten
ſuchen, und mit dem Monochord uns die ſo beſtimmten Toͤne
wirklich verſchaffen, ſo zeigt ſich, daß die harmoniſchen Toͤne ſich
alle auf dieſe Art in unſern arithmetiſchen Betrachtungen wieder
finden.
Wir wollen von einem Tone ausgehen, den wir nach Art
der Muſiker mit C bezeichnen wollen, ſo iſt ſeine Octave C der
Ton, welcher zwei Schwingungen macht, waͤhrend C eine Schwin-
gung machte. Kuͤrzen wir unſre Saite auf ein Drittel der Laͤnge
ab, welche C gab, ſo erhalten wir einen neuen Ton, den wir
als harmoniſch zu C oder c toͤnend erkennen, und den uns das
muſicaliſche Ohr als g unſrer Scale, als die hoͤhere Quinte zu c
kennen lehrt; der Theil unſrer Saite, der zwei Drittel der ganzen
betraͤgt, ſchwingt dreimal, in eben der Zeit, da die ganze zwei
Schwingungen vollendet; und dieſem einfachen Verhaͤltniſſe der
Schwingungszeiten, wobei mit der zweiten, vierten, ſechſten Schwin-
[297] gung der laͤngern, die dritte, ſechſte, neunte der andern zuſammen-
trifft, iſt die dem muſicaliſchen Ohre harmoniſch klingende Quinte
G zum Grundtone C, und fuͤr die nur ein Drittel der Laͤnge habende
Saite, die g angiebt, trifft das Ende jeder dritten Schwingung
mit dem Ende einer Schwingung des C zuſammen.
Nehmen wir die Saite ein Viertel ſo lang, ſo daß vier Schwin-
gungen dieſer kuͤrzern Saite einer Schwingung des Grundtons
oder zwei Schwingungen der naͤchſten hoͤhern Octave entſprechen, ſo
iſt dies ein Ton, der als zweite hoͤhere Octave zum Grundtone ge-
hoͤrt, alſo nach der in der Muſik uͤblichen Bezeichnung, durch c,̅
als ſich an C, c, anſchließend, angegeben wird.
Die naͤchſte Eintheilung der Saite, die ſich uns darbietet,
wuͤrde in fuͤnf Theile ſein. Daß der Ton, den eine fuͤnfmal ſo
ſchnell wiederkehrende Vibration, als die, welche C giebt, uns hoͤren
laͤßt, hoͤher als c̅ ſein muß, erhellt von ſelbſt; aber die Merkwuͤr-
digkeit des Harmonirenden im Tone erneuert ſich abermals, und e̅,
der zu c̅ als große Terze gehoͤrende Ton iſt es, den eine Saite, ein
Fuͤnftel ſo lang als die C Saite, angiebt; die Saite, deren Laͤnge
zwei Fuͤnftel iſt, giebt e, als große Terze zu c, die Saite von vier
Fuͤnftel Laͤnge giebt E, als große Terze zu C. Indem die C Saite
4 Schwingungen macht, vollendet die E Saite 5 Schwingungen
und die vierte, achte, zwoͤlfte jener trifft alſo mit der fuͤnften, zehn-
ten, funfzehnten dieſer zuſammen.
Dieſe drei Toͤne C, E, G, die uns der Muſiker als den gro-
ßen Dreiklang, den Dur-Accorb zum Grundtone C kennen lehrt,
der als vollkommen harmoniſch dem Ohre ſo angenehm iſt, beſteht
alſo aus Schwingungen, die ſehr oft zuſammentreffend durch ein-
fache Zahlenverhaͤltniſſe ausgedruͤckt werden. In eben der Zeit, in
welcher C 4 Schwingungen macht, vollendet E 5, und G 6 Schwin-
gungen. Alſo auf eine Schwingung des C kommen \frac{5}{4} des E,\frac{3}{2} des
G, oder auf eine Schwingung des E kommen ⅘ des C und \frac{6}{5} des G.
Dieſe Intervalle oder Tonverhaͤltniſſe, die wir von C zu
E als durch eine große Terze, von E zu G als durch eine kleine
Terze fortſchreitend angeben, ſind alſo die, auf welche die arithme-
tiſche Betrachtung ſo gut als das Angenehme der Harmonie uns
zuerſt fuͤhren. Denn wenn wir gefragt haͤtten, welche Schwingun-
[298] gen treffen am oͤfterſten und ſo mit denen des C zuſammen, daß
von dieſen keine ohne ein Zuſammentreffen mit jenen iſt, ſo wuͤrden
wir die doppelt ſo oft wiederkehrenden Schwingungen angeben, deren
zweite mit der erſten von C, deren vierte mit der zweiten von C,
deren ſechſte mit der dritten von C gleichzeitig vollendet wird; —
und grade in dieſen doppelt ſo ſchnellen Schwingungen erkennt das
muſicaliſche Ohr den dem Grundtone am naͤchſten verwandten Ton,
die Octave c. Haͤtten wir weiter gefragt, welche zuſammen treffen-
den Schwingungen nun als am naͤchſten verwandt folgen muͤßten,
ſo wuͤrden wir auf diejenigen fallen, wo mit der zweiten des C die
dritte des neuen Tones, mit der vierten des C die ſechſte des neuen
Tones zuſammentraͤfe, und dieſen Ton erkennt das muſicaliſche
Ohr wirklich als die naͤchſte nach der Octave folgende Verwandt-
ſchaft, die zu C gehoͤrige Quinte G. Waͤhrend C eine Schwingung
vollendet, vollendet der Ton, den wir die Octave der Quinte oder
g nennen, drei Schwingungen oder die Schwingungszahlen ſind fuͤr
C eine Schwingung, fuͤr G\frac{3}{2} Schwingungen, fuͤr g 3 Schwingun-
gen, welches ich hier und nachher durch die darunter geſetzten Zahlen
andeute:
C G c g
1 \frac{3}{2} 2 3
Die Fortſchreitung von C zu E nennen die Muſiker eine große
Terze, das Intervall von E zu G eine kleine Terze; es macht naͤm-
lich E\frac{5}{4} Schwingung waͤhrend C eine macht, dagegen G\frac{6}{5} Schwin-
gung waͤhrend E eine macht, und CE treffen daher ſchon bei der
fuͤnften Schwingung der ſchneller vibrirenden Saite, EG dagegen
erſt bei der ſechſten Schwingung der ſchneller vibrirenden Saite zu-
ſammen; der Abſtand von 1 bis \frac{5}{4} iſt groͤßer als von 1 bis \frac{6}{5}.
So beſteht unſre Tonleiter nur erſt aus folgenden Toͤnen:
C E G c e g c̅ e̅ g̅
1 \frac{5}{4}\frac{3}{2} 2 \frac{5}{2} 3 4 5 6
indem die hoͤhere naͤchſte Octave fuͤr jeden Ton eine doppelt ſo große
Schwingungszahl hat. Um dieſe Tonleiter weiter zu vervollkomm-
nen, machen wir die Bemerkung, daß auch die Schwingungszahl
\frac{4}{3} als ſehr einfach in unſre Reihe gehoͤre; E macht 5 Schwingun-
gen gleichzeitig mit 4 der C Saite, der neue Ton macht 4 Schwin-
gungen gleichzeitig mit 3 der C Saite, G macht 3 Schwingungen
[299] gleichzeitig mit zweien der C Saite. Geben wir dieſen neuen Ton
auf dem Monochord an, ſo hoͤrt der Muſiker, daß es F, die Quarte
von C iſt, die er ebenfalls als harmoniſch zu C erkennt. Unſre
Rechnung ſagt uns zugleich, daß dieſer Ton die obere Quinte zu c
ſein muß; denn waͤhrend C dreimal ſchwingt, ſollte F viermal, zu-
gleich aber c ſechsmal ſchwingen, alſo trifft die zweite Schwingung
von F mit der dritten von c, die vierte von F mit der ſechſten von
c zuſammen; und dieſes war ja das Geſetz des Zuſammentreffens
bei der Quinte. — Wir nehmen alſo F in unſre Tonleiter auf und
haben ſoC E F G c
1 \frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{3}{2} 2
offenbar eine Tonleiter, die zu große Zwiſchenraͤume hat, um als
vollſtaͤndige Folge von Toͤnen uns angenehm zu ſein. Wir vervoll-
ſtaͤndigen ſie dadurch, daß wir der Quinte G ihren vollſtaͤndigen
Dur-Accord geben, das heißt, zwei Toͤne einſchalten, die \frac{5}{4} mal
und \frac{3}{2} mal ſchwingen, waͤhrend G einmal ſchwingt, die alſo \frac{15}{8} mal
und \frac{9}{4} mal ſchwingen, waͤhrend C einmal oder G\frac{3}{2} mal ſchwingt.
Dieſe beiden Toͤne werden die große Terze und die Quinte zu G
geben, und wenn wir ſie unter dem Namen H und d in unſre Ton-
leiter aufnehmen, zugleich aber bemerken, daß dem d mit \frac{9}{4} ein D
mit \frac{9}{8} eine Octave tiefer, entſpricht, (das heißt, wenn d 3 Schwin-
gungen macht, waͤhrend G zweimal ſchwingt, alſo d 9 Schwin-
gungen macht, waͤhrend C viermal ſchwingt, ſo hat D 9 Schwin-
gungen waͤhrend C achtmal ſchwingt,), ſo erhalten wir folgende Tonſcale:
C . D . E . F. G . . H . c d e f g h c̅ d̅
1 \frac{9}{8}\frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{3}{2}\frac{15}{8} 2 \frac{9}{4}\frac{5}{2}\frac{8}{3} 3 \frac{15}{4} 4 \frac{9}{2} u. ſ. w.
in welcher die Fortſchreitungen ſchon weit regelmaͤßiger ſind, nur
zwiſchen G und H iſt ein viel groͤßerer Abſtand \frac{3}{2} :∶ \frac{15}{8}
3 :∶ \frac{15}{4}
1 :∶ \frac{5}{4},
als irgendwo ſonſt, indem H um eine große Terze von G entfernt
iſt, und wir ſchalten deshalb noch die große Terze der Quarte, die
große Terze von F ein, ſo daß dieſem Tone A 5 Schwingungen
gleichzeitig mit 4 des Tones F zukommen, oder \frac{5}{3} Schwingungen
fuͤr \frac{4}{3} des F, das iſt \frac{5}{2} fuͤr eine Schwingung des C. Daß die ſo
berechneten Toͤne, wenn wir ſie nach der Berechnung auf dem Mo-
[300] nochord angeben, nun auch wirklich die ſind, die das muſicaliſche
Ohr unter jenen Namen fordert, habe ich wohl nicht noͤthig noch zu
wiederholen.
Die ſo aneinander gereiheten Toͤne enthalten die ganze Dur-
Tonleiter, die unſerm Ohre als ein angenehmer Fortgang von Toͤ-
nen erſcheint, obgleich die Fortſchritte von einem Tone zum andern
nicht gleich ſind. Eine leichte Zahlenrechnung zeigt, daß die Schwin-
gungszeiten ſich in folgenden, unter einander geſetzten Zahlen aus-
druͤcken laſſen, wenn man entweder an eine Schwingung des C,
oder an eine Schwingung des D, des E und ſo ferner, die des
naͤchſten Tons anſchließt
| C | D | E | F | G | A | H | c |
| 1. | \frac{9}{8} | \frac{5}{4} | \frac{4}{3} | \frac{3}{2} | \frac{5}{3} | \frac{15}{8} | 2 |
| 1. | \frac{10}{9} | ||||||
| 1. | \frac{16}{13} | ||||||
| 1. | \frac{9}{8} | ||||||
| 1. | \frac{10}{9} | ||||||
| 1. | \frac{9}{8} | ||||||
| 1. | \frac{16}{15}. |
Die Intervalle von einem Tone zum naͤchſten, ſind alſo von C zu
D,1 :∶ \frac{9}{8}, von D zu E, 1 :∶ \frac{10}{9}, beinahe gleich, dagegen von E zu F,
1 :∶ \frac{16}{15} iſt die Fortſchreitung nur etwas uͤber die Haͤlfte des vorigen;
von F zu G, 1 :∶ \frac{9}{8}, von G zu A, 1 :∶ \frac{10}{9}, von A zu H, 1 :∶ \frac{9}{8}, von
H zu c, 1 :∶ \frac{16}{15}. Wir nennen daher die beinahe gleichen Fortſchrei-
tungen von C zu D, D zu E, F zu G, G zu A, A zu H, Inter-
valle eines ganzen Tones, dagegen die viel geringern Fortſchreitun-
gen E zu F und H zu c Intervalle eines großen halben Tones, da
\frac{16}{15} nur um etwas mehr als halb ſo weit von 1 iſt, als \frac{9}{8} von 1 ent-
fernt iſt, (Jenes naͤmlich \frac{16}{15} = \frac{128}{120}, nur \frac{8}{120} von 1 verſchieden,
dieſes dagegen \frac{9}{8} = \frac{135}{120}, um \frac{15}{120} von 1 verſchieden). Man unter-
ſcheidet auch die Intervalle eines großen ganzen Tones, von C zu D,
F zu G, A zu H und die Intervalle eines kleinen ganzen Tones,
von D zu E, G zu A, welche von jenen um \frac{1}{81} (naͤmlich \frac{9}{8} = \frac{81}{72},
\frac{10}{9} = \frac{80}{72} verſchieden ſind.
Die anſcheinende Sonderbarkeit, daß unſer Ohr in der Dur-
Tonleiter ein Fortſchreiten durch zwei ganze Toͤne, dann durch einen
halben Ton, ferner durch drei ganze Toͤne und wieder durch einen
halben Ton, um die Octave zu vollenden, angenehm findet, loͤſet
[301] ſich durch dieſe Betrachtung dahin auf, daß eben in dieſen ungleichen
Fortſchritten ſich die an den Grundton, die Quinte und Quarte
angeknuͤpften einfachen Zahlenverhaͤltniſſe an einander anreihen,
daß von der großen Terze bis zur Quinte nur das Intervall einer
kleinen Terze enthalten iſt, und zwiſchen der großen Terze und
Quarte, die wir nothwendig in unſre Tonleiter aufnehmen mußten,
nur das Intervall eines halben Tones liegt.
Dur-Tonleiter fuͤr einen andern Grundton.
Dieſe Entwickelung der vollſtaͤndigen Tonleiter fuͤr C dur, reicht
nun zwar fuͤr dieſen einen Grundton hin; aber unſre Tonleiter
zeigt ſich nicht mehr als genuͤgend, wenn wir von einem andern
Grundtone ausgehen. Da unſre Tonleiter wenigſtens den Haupt-
Accord zur Quinte G enthaͤlt, ſo iſt es am natuͤrlichſten zu verſu-
chen, G als Grundton anzunehmen. Da
die Reihe:
- C D E F G A H c d e f g
- 1 \frac{1}{9}\frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{3}{2}\frac{5}{3}\frac{15}{8} 2 \frac{9}{4}\frac{5}{2}\frac{8}{3} 3
die Schwingungszahlen ausdruͤckt, ſo haben wir, als mit einer
Schwingung von G zuſammen gehoͤrend,
G A H c d e f g
1\frac{10}{9}\frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{3}{2}\frac{5}{3}\frac{16}{9} 2,
und hier iſt allerdings, ſo wie wir es in der C Dur-Tonleiter ange-
nehm fanden, die Fortſchreitung von G durch A, H eine Fortſchrei-
tung durch zwei ganze Toͤne, dann folgt ein großer halber Ton bis
e, dann folgen bis d, e, zwei ganze Toͤne, aber nun ſollte ein drit-
ter ganzer Ton und dann erſt zuletzt ein großer halber Ton folgen.
Wir ſind daher genoͤthigt, damit die Dur-Tonleiter ebenſo fuͤr G
fortſchreite, wie fuͤr C, einen Ton zwiſchen f und g einzuſchalten,
der um einen großen halben Ton tiefer als g liegt; wir nennen ihn
fis, und da fis, g
\frac{15}{8}, 2 ſein muͤßten, um ebenſo wie H, e, fortzuſchreiten,
ſo ſetzen wir unſre vervollſtaͤndigte Tonleiter in Beziehung auf eine
Schwingung von C ſo an:
C D E F Fis G A H e d e f fis g
1 \frac{9}{8}\frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{45}{32}\frac{3}{2}\frac{5}{3}\frac{15}{8} 2 \frac{9}{4}\frac{5}{2}\frac{8}{3}\frac{45}{16} 3
oder in Beziehung auf eine Schwingung des G
[302]G A H c d e f fis g
1 \frac{10}{9}\frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{3}{2}\frac{5}{3}\frac{16}{9}\frac{15}{8} 2,
wo ſich ſogleich zeigt, daß G H d der Dur-Accord fuͤr G iſt, daß c
die obere Quarte zu G iſt, und daß die Tonleiter G, A, H, c, d, e,
fis, g faſt genau ſo wie C, D, E, F, G, A, H, c fortſchreitet, mit
dem geringen Unterſchiede, der in den großen und kleinen ganzen
Ton-Intervallen liegt. In unſrer Anordnung des Notenſchrei-
bens iſt bekanntlich auf den Linien und zwiſchen den Linien nur
Raum fuͤr die Toͤne C, D, E, F, G, A, H, und ihre Wiederholun-
gen in den andern Octaven; um daher das Fis auszudruͤcken, wird
der Note F ein Kreutz vorgezeichnet, und g dur iſt daher diejenige
Ton-Art, welche ein Kreutz als Vorzeichen hat; dieſes Kreutz zeigt
an, daß ſtatt des Tones F ein um einen kleinen halben Ton
hoͤherer eingeſchalteter Ton genommen wird, und F ſelbſt koͤmmt in
der Tonleiter von g dur nicht vor.
Auch der zu C als Quarte gehoͤrige Ton F hat in der c dur
Tonleiter ſeine reine große Terze und reine Quinte; aber wenn wir
fuͤr ihn die ganze Tonleiter, naͤmlich die Tonleiter von f dur, ange-
ben wollen, ſo ſind wir abermals genoͤthigt, einen neuen halben Ton
einzuſchalten. Von F naͤmlich bis G und A ſchreiten wir durch
zwei ganze Toͤne fort, bei denen unſer Ohr die geringe Ungleichheit
in den Intervallen nicht bemerkt, aber nun ſoll eine Fortſchreitung
durch einen großen halben Ton folgen, und dieſes iſt der Grund,
warum wir zwiſchen A und H den halben Ton B einſchalten. Er
ſoll um einen großen halben Ton hoͤher als A, alſo um einen klei-
nen halben Ton tiefer als H ſein, und unſre Notenſchreibung zeigt
dies durch ein der Note H vorgeſetztes b, das Zeichen, daß dieſer
Ton um einen kleinen halben Ton erniedrigt werden ſoll, an. Mehr
Einſchaltungen bedarf f dur nicht, da von B bis c, c bis d, d bis e
drei Fortſchreitungen durch ganze Toͤne und endlich von e bis f das
Intervall eines großen halben Tones folgt, wie es die Tonleiter fordert.
F dur iſt alſo die Ton-Art, welche in unſern Noten mit einem h
bezeichnet iſt; und dieſes Zeichen der Herabſetzung auf einen etwas
tiefern Ton ſteht vor der Note h oder H, die dadurch in B uͤbergeht.
So wie wir von C dur, welches gar kein Vorzeichen hat,
zur Quinte G, wo ein Kreutz erfordert war, fortſchritten, ſo
giebt ein zweiter Fortſchritt durch eine Quinte bis d oder D uns
[303] eine Ton-Art, die zwei Kreutze fordert, d dur; denn ſo gut als
ſich fuͤr G alle Toͤne der Tonleiter bis auf einen in der c dur Ton-
leiter fanden, ſo werden ſich fuͤr d alle Toͤne bis auf den zunaͤchſt
an d liegenden, alle in der Tonleiter g dur finden. Dieſe Kreutze
ſtehen vor F und C oder erhoͤhen dieſe beiden Noten um einen klei-
nen halben Ton; denn die Fortſchreitung der Tonleiter fordert, von
D bis E einen ganzen Ton, E bis Fis einen ganzen Ton, Fis bis G
einen großen halben Ton, G bis A, A bis H ganze Toͤne, aber nun
von H bis zu dem zwiſchen c und d einzuſchaltenden cis einen ganzen
Ton, wodurch dann cis bis d ein großer halber Ton wird, weil cis
nur um einen kleinen halben Ton von c verſchieden iſt.
Von D noch eine Quinte hinaufwaͤrts fortſchreitend kommen
wir an A, und adur iſt die Ton-Art, welche drei Kreutze als Vor-
zeichen hat. F naͤmlich und C erhalten wieder Kreutze oder die d dur
Tonleiter bleibt, aber auch G erhaͤlt ein Kreutz, oder ſtatt der Note
G muß das um einen kleinen halben Ton hoͤhere Gis angeſchlagen
werden. Die Tonleiter iſt A bis H, H bis Cis, ganze Toͤne, Cis
bis D ein großer halber Ton, D bis E, E bis Fis, Fis bis Gis
ganze Toͤne, Gis bis A ein großer halber Ton. Wenn das In-
tervall eines ganzen Tones durch das Verhaͤltniß 1 ∶\frac{10}{9}, eines großen
halben Tones durch 1 ∶\frac{16}{15}, ausgedruͤckt wird, ſo iſt das Verhaͤltniß
fuͤr den kleinen halben Ton = \frac{25}{24}, weil \frac{10}{9} = \frac{16}{15}⋅ \frac{25}{24}, das heißt,
waͤhrend G neunmal ſchwingt, macht A zehn Schwingungen; waͤh-
rend G 24 mal ſchwingt, macht Gis 25 Schwingungen, waͤhrend
Gis 15 mal ſchwingt, macht A 16 Schwingungen.
Um die Ton-Art, die einb als Vorzeichen forderte, zu er-
halten ſchritten wir von C eine Quarte hinauf bis F, oder was
daſſelbe iſt, durch eine Quinte hinab von c bis F. Ich will mich
an den letzten Ausdruck halten, weil dann alle Fortgaͤnge von einer
Ton-Art zur naͤchſten nach Quinten angeordnet ſind, und ſage
daher, wenn man von f durch eine Quinte hinabwaͤrts geht, ſo
koͤmmt man auf den Ton B, den wir zwiſchen A, H, eingeſchaltet
haben. Von B naͤmlich hinaufwaͤrts iſt e um einen ganzen Ton,
d um zwei ganze Toͤne verſchieden, und d iſt alſo die große Terze
zu B, dagegen iſt d, e, f, ein Fortſchreiten um anderthalb ganze
Toͤne und f iſt um eine kleine Terze von d, um eine Quinte von
B entfernt. B dur iſt die Ton-Art, die zwei b als Vorzeichen for-
[304] dert, und zwar vor H, welches zu B erniedrigt wird, vor E, welches
zu Es erniedrigt wird. Geht man von B um eine Quinte hinab,
ſo trifft man auf Es, und Es dur hat drei b als Vorzeichen. Dieſe
Ton-Art fordert ebenſo wie A dur einen Ton zwiſchen G und A
einzuſchalten, und giebt uns daher Gelegenheit zu bemerken, warum
die theoretiſche Muſik einen Unterſchied zwiſchen dem fuͤr A dur und
dem fuͤr Es dur an derſelben Stelle eingeſchalteten Tone macht,
indem ſie ihn bei a dur, als erhoͤhetes G, Gis nennt, bei es dur,
als erniedrigtes A, Aes oder As nennt. Bei a dur war der letzte
Schritt der hinaufgehenden Tonleiter von Gis bis A, und dieſer
letzte, die Octave vollendende Schritt mußte ein großer halber Ton
ſein; bei es dur dagegen haben wir als erſte Fortſchreitungen in der
Tonleiter Es bis F, F bis G, als ganze Toͤne, nun ſoll ein großer
halber Ton G bis As folgen, aber G bis Gis waͤre nur ein kleiner
halber Ton, in aller Strenge genommen, iſt alſo As etwas hoͤher
als Gis, As iſt das (durch ein vorgeſetztes b) um einen kleinen hal-
ben Ton erniedrigte A, Gis iſt das (durch ein vorgeſetztes Kreutz)
um einen kleinen halben Ton erhoͤhete G. Dieſer ſelbige Unterſchied
findet bei andern Ton-Arten zwiſchen Cis und Des, oder Dis und
Es, oder Fis und Ges ſtatt, indeß iſt dieſer Unterſchied ſo klein,
daß unſer Ohr ihn nicht ſo ſtrenge wahrnimmt, und wir daher auf
allen mit unveraͤnderlichen Saiten verſehenen Inſtrumenten Gis
und As fuͤr einerlei gelten laſſen. Genau genommen ſollte, wenn
die Schwingungen ſo ausgedruͤckt werden
C D E F G A
1 \frac{9}{8}\frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{3}{2}\frac{5}{3}
Gis durch \frac{15}{16} ⋅ \frac{5}{3}, und As durch \frac{16}{15} ⋅ \frac{3}{2} als Zahl der Schwingungen
ausgedruͤckt werden, das gaͤbe
alſo auf
128 Schwingungen einen Unterſchied von 3 Schwingungen, ſo daß
waͤhrend C 80 Schwingungen macht, Gis 125, As 128 Schwin-
gungen machen ſollte. Mit 120 Schwingungen des G ſollen 125
des Gis und 128 Schwingungen des As und 133⅓ des A zuſam-
mentreffen.
[305]
Die Moll-Tonleiter.
Da dieſe Betrachtungen aus der theoretiſchen Muſik fuͤr jeden,
der ſich irgend mit Muſik beſchaͤftigt, Intereſſe haben, ſo muß ich
doch auch noch ein Wort uͤber die Moll-Tonleitern und uͤber die
mit jedem Dur-Ton verwandte Moll-Tonart ſagen. — Wenn
man von einem Grundtone ſo fortſchreitet, daß man um den
Haupt-Accord zu bilden, die große Terze mit der Quinte und dem
Grundtone zuſammen nimmt, ſo machen dieſe Toͤne gleichzeitig 4,
5 und 6 Schwingungen, der Grundton naͤmlich 4, waͤhrend der
ihm als große Terze angehoͤrende 5, der ihm als Quinte angehoͤ-
rende 6 macht. Hier geht man vom Grundtone zuerſt durch eine
große Terze, und hierauf durch eine kleine Terze zur Quinte fort.
Die kleine Terze vereinigt zwei Toͤne, deren Schwingungszeiten ſich
wie 5 zu 6 verhalten, indem zum Beiſpiel C E G
1 \frac{5}{4}\frac{3}{2}, alſo 6 Schwin-
gungen des G mit 5 Schwingungen des E gleichzeitig geſchehen, wie
ſchon mehrmals bemerkt iſt. Wenn man eben dieſe Intervalle einer
kleinen und großen Terze in umgekehrter Ordnung auf einander
folgen laͤßt, ſo hat man den Moll-Accord, in welchem die Verhaͤlt-
niſſe der drei Schwingungszeiten weniger einfach ausgedruͤckt ſind,
und der dem Ohre nicht ganz ſo angenehm, als der Dur-Accord
iſt. Fuͤr C wuͤrde der Moll-Accord aus
C Es G
1 \frac{6}{5}\frac{3}{2}
zuſammengeſetzt ſein; denn E = \frac{5}{4} um einen kleinen halben Ton
erniedrigt, giebt die Schwingungszahl = \frac{5}{4} ⋅ \frac{24}{25} = \frac{6}{5} fuͤr Es, oder
D um einen großen halben Ton erhoͤhet giebt Es = \frac{9}{8} ⋅ \frac{16}{15} = \frac{6}{5}.
Will man die Moll-Tonleiter vervollſtaͤndigen, ſo giebt man
der Quinte ihren Moll-Accord und der Quarte ihren Moll-Accord.
In der fuͤr c dur angegebnen Tonleiter finden ſich alle dazu noͤthi-
gen Toͤne, wenn wir von dem Grundtone A anfangen; da naͤmlich
iſt c die kleine Terze, e die Quinte, d die Quarte, zu A; aber egh
bildet den Moll-Accord der Quinte, dfa den Moll-Accord der
Quarte. Wir hatten naͤmlich die Schwingungszeiten
I. U
[306]C D E F G A H c d e f g a
1 \frac{9}{8}\frac{5}{4}\frac{4}{3}\frac{3}{2}\frac{5}{3}\frac{15}{8} 2 \frac{9}{4}\frac{5}{2}\frac{8}{3} 3 \frac{10}{3}
alſo kommen auf eine Schwingung des A
| A | H | c | d | e | f | g | a | h |
| 1 | \frac{9}{8} | \frac{6}{5} | \frac{27}{20} beinahe = \frac{4}{3} | \frac{3}{2} | \frac{8}{5} | \frac{9}{5} | 2 | \frac{9}{4} |
wo e fuͤnfmal ſchwingt, waͤhrend g 6 mal ſchwingt, alſo g die kleine
Terze zu e iſt, h aber die Quinte zu e, indem auf jede Schwingung
des e anderthalb des h kommen. Der Ton d iſt die Quarte zu A,
denn obgleich das Verhaͤltniß \frac{4}{3} eigentlich forderte, daß 28
Schwin-
gungen des d mit 21 Schwingungen des A zuſammen gehoͤrten, ſo
iſt doch dies von 27 zu 20 gehoͤrigen, nicht allzu merklich
verſchieden,
und wenn bei d\frac{4}{3} ſtatt \frac{27}{20} geſetzt wird, ſo wuͤrde f genau 6 Schwin-
gungen machen, waͤhrend d 5 macht.
Da auf dieſe Weiſe die Tonleiter a moll ganz in eben den Toͤ-
nen liegt, wie c dur, ſo ſind dieſe Ton-Arten verwandt, und ha-
ben beide kein Vorzeichen in unſern Noten. Und ebenſo hat immer
die um eine kleine Terze tiefere Moll-Ton-Art eben die Vorzeichen
wie die um ſoviel hoͤhere Dur-Ton-Art *). In der Tonleiter
D dur zum Beiſpiel iſt
D Fis A, der Dur-Accord,
A, cis, e der Dur-Accord der Quinte, G die
Quarte und G H d
ihr Dur-Accord, alſo D E Fis G A H cis d die Dur-Tonleiter fuͤr
D. Gehe ich eine kleine Terze von d herab zu
H, ſo iſt Hd fis
der Moll-Accord, fis a cis, der Moll-Accord der Quinte fis,e
die Quarte und egh ihr Moll-Accord; alſo auch hier
H cis d e fis g a h
die aus eben den Toͤnen hergenommene Moll-Tonleiter fuͤr H. Und
ſo in allen aͤhnlichen Faͤllen.
Die Temperatur.
Dies ſind die wichtigſten Bemerkungen, die uͤber die Entſte-
hung der Tonleiter hieher gehoͤren; aber es iſt noch ein Umſtand
[307] uͤbrig, der ganz in die rechnende Acuſtik gehoͤrt, und daher nicht
uͤbergangen werden darf. Dieſes iſt die von den Muſikern ſoge-
nannte Temperatur, oder die Anordnung kleiner Abweichungen
von den genauen Werthen der im Vorigen beſtimmten Intervalle.
Wir haben bisher ſoviel als moͤglich immer uns an die Ver-
haͤltniſſe gehalten, die von dem erſten Grundtone C abgeleitet
wa-
ren, und haben die kleinen Abweichungen, die dann bei den Conſo-
nanzen andrer Toͤne ſtatt fanden, nur obenhin bemerkt; dieſe Ab-
weichungen verdienen aber doch genauer erwogen zu werden. Wenn
man von C durch zwei ganze Toͤne zur großen Terze
E fortſchreitet,
ſo ſchwingt E\frac{5}{4} mal, waͤhrend C
einmal ſchwingt; ebenſo ſollte bei
abermaligem Fortſchreiten durch zwei ganze Toͤne von E bis
Gis
oder As, dies letztere \frac{5}{4} Schwingungen mit
einer Schwingung des
E, alſo \frac{25}{16} Schwingungen mit einer des
C gleichzeitig vollenden,
und wenn man von Gis oder As durch zwei ganze Toͤne bis c fort-
ſchritte, ſo ſollte c\frac{5}{4} mit Gis 1, oder c\frac{25}{16} mit E 1, oder c\frac{125}{64}
Schwingungen mit C 1, mit einer Schwingung des C gleichzeitig
ſein. Aber damit die Octave rein ſei, muß c 2 Schwingungen
= \frac{128}{64} vollenden, waͤhrend C eine vollendet, und es iſt daher un-
moͤglich drei reine große Terzen zu erhalten, ohne am Ende derſelben
die Octave um \frac{3}{64} zu verfehlen. Ebenſo wuͤrden vier kleine Terzen,
wenn ſie ganz rein ſein, naͤmlich immer im Verhaͤltniß \frac{6}{5} der
Schwingungszahl fortgehen ſollten, am Ende zu keiner reinen Oc-
tave fuͤhren; naͤmlich nach der kleinen Terze muͤßte ſein
C Es Fis oder Ges A c
1 \frac{6}{5}\frac{36}{25}\frac{216}{125}
\frac{1296}{625}
und das ſo beſtimmte c weicht um \frac{46}{625} vom
richtigen, der Octave
gemaͤßen c ab, das heißt, das als reine Octave
eingeſtimmte c
wuͤrde 2 Schwingungen machen waͤhrend das nach dem Fortgange
von 4 reinen kleinen Terzen eingeſtimmte c\frac{1296}{625}
Schwingung
machte, oder jenes 1250 Schwingungen waͤhrend dieſes 1296,
jenes 625 waͤhrend dieſes 648. Die aus vier kleinen Terzen zu-
ſammengeſetzte Octave iſt alſo um ſo viel als \frac{648}{625} angiebt zu
hoch,
ſo wie die aus drei großen Terzen zuſammengeſetzte Octave zu tief
war. Jene Abweichung heißt die groͤßere Dieſis, dieſe die kleinere
Dieſis.
U 2
[308]
Eine aͤhnliche Abweichung ergiebt der Fortgang durch reine
Quinten. Um ſie zu bezeichnen, muß ich Sie daran erinnern, daß
man die Toͤne in den hoͤhern Octaven mit mehrern Strichen zu be-
zeichnen pflegt; die tiefſte Discant-Octave iſt die, wo man die
Toͤne eingeſtrichene, c̅, d̅ u. ſ. w. nennt,
die naͤchſthoͤhere die zwei
geſtrichene c̿, d̿ und ſo ferner. Gehen wir alſo nach Quinten
von
C aus fort, und nehmen an, daß jeder folgende Ton (wobei ich
Fis
und Ges als einerlei anſehe,) nach reinen Quinten geſtimmt
ſein
ſollte, das heißt, jeder naͤchſt hoͤhere anderthalb Schwingungen
machen ſollte, waͤhrend der naͤchſt tiefere eine macht, ſo erhielten wir
C G d a e̅ h̅ fis̿ des̅̅̅ as̅̅̅
1 \frac{3}{2}\frac{9}{4}\frac{27}{8}\frac{81}{16}
\frac{243}{32}\frac{72}{64}\frac{2187}{128}
\frac{6561}{256}
es̅̅̅̅ b̅̅̅̅ f̅̅̅̅̅ c̅̅̅̅̅̅
\frac{19683}{512}\frac{59049}{1024}\frac{177147}{2048}
\frac{531441}{4096}
Nach den Octaven ſollten die Schwingungen ſein
C c c̅ c̿ c̅̅̅ c̅̅̅̅ c̅̅̅̅̅ c̅̅̅̅̅̅
1 2 4 8 16 32 64 128 = \frac{524288}{4096}, die
reinen Quinten geben alſo beinahe auf 524 Schwingungen 7 zu
viel, oder geben genau eine um \frac{531441}{524288} zu hohe Stimmung, und
dieſe Abweichung heißt das Pythagoriſche Comma.
Dieſe Unterſchiede liegen nicht in etwas Zufaͤlligem unſrer
Tonleiter oder in irgend etwas Willkuͤrlichem, ſondern ſie liegen
darin, daß weder \frac{5}{4} immer mit ſich ſelbſt multiplicirt, noch
\frac{6}{5}
immer mit ſich ſelbſt multiplicirt, noch \frac{3}{2} immer mit ſich ſelbſt
multiplicirt, je eine ganze Zahl geben kann. Keine Tonleiter
kann alſo, wenn man die Octave rein erhalten will, einen ganz
reinen Fortgang in lauter Terzen oder Quinten geſtatten, und
da die Reinheit der Octaven unſtreitig das Wichtigſte iſt, ſo
muß man alle zwiſchenliegenden Toͤne ein wenig modificiren,
damit die nicht ſtrenge rein zu erhaltenden Intervalle moͤglichſt
wenig von der Reinheit abweichen. Die Muſiker nennen dies: der
Ton muͤſſe ein wenig oberhalb oder ein wenig unterhalb ſchweben;
und darin eben beſteht die Temperatur. Bei der gleichſchwebenden
[309] Temperatur iſt die Austheilung ſo, daß die Schwingungszahl von
C zu der von Cis in eben dem Verhaͤltniß ſteht, wie von Cis zu D
und ſo ferner; ich ſetze hier die gleichzeitigen Schwingungszahlen her,
und ſetze bei der C dur Tonleiter daneben, was die oben
angegebnen
einfachen Verhaͤltniſſe fordern wuͤrden.
| Toͤne | Gleichschwebende Temp. | Urspruͤngl. Verh. |
| c | 100000 | 100000 |
| cis | 105946 | |
| d | 112246 | 112500 = 9/8 . 100000 |
| dis | 118921 | |
| e | 125992 | 125000 = 5/4 . 100000 |
| f | 133484 | 133333 = 4/3 . 100000 |
| fis | 141421 | |
| g | 149831 | 150000 = 3/2 . 100000 |
| gis | 158740 | |
| a | 168179 | 166666 = 5/3 . 100000 |
| b | 178180 | |
| h | 188775 | 187500 = 15/8 . 100000 |
| c̅ | 200000 | 200000. |
Es muß alſo die Quinte g ein wenig hinabwaͤrts, die große Terze e
ein wenig hinaufwaͤrts ſchweben und ſo bei den uͤbrigen Toͤnen.
Unſer Ohr, und ſelbſt, nach dem Urtheil der Kenner, das geuͤbteſte
muſicaliſche Ohr findet in dieſen kleinen Abweichungen nichts Unan-
genehmes; und es iſt allerdings ein Gluͤck, daß unſer, fuͤr jene
Zahlenverhaͤltniſſe feines Ohr, dem das oft wiederkehrende Zuſam-
mentreffen zweier Schwingungen eine angenehme Empfindung er-
regt, nicht noch feiner iſt, um durch ſo kleine Abweichungen verletzt
zu werden, denn ſonſt wuͤrde es unmoͤglich ſein, das ſo ſtrenge An-
forderungen machende Ohr zu befriedigen.
Dies iſt, glaube ich, alles, was uͤber die theoretiſche Muſik
hieher gehoͤrt. Ob ſich uͤber andre Umſtaͤnde, uͤber die Grundregeln
des Generalbaſſes etwas Gruͤndliches aus den Schwingungsverhaͤlt-
niſſen herleiten laͤßt, muß ich, zu wenig bekannt mit dieſem Gegen-
ſtande, unentſchieden laſſen. Das bisher Eroͤrterte lag aber ſo
[310] nahe, daß ich wohl keiner Entſchuldigung bedarf, wenn ich hier mich
in mehr Zahlenrechnung eingelaſſen habe, als es ſonſt der Plan ei-
ner populaͤren Darſtellung geſtattet.
Zwei und zwanzigſte Vorleſung.
Verſchiedene Toͤne einer Saite oder eines Stabes.
Die Unterſuchungen, mit welchen ich Sie, m. h. H., neulich
unterhalten habe, gewaͤhren uns den Vortheil, uns leichter und be-
ſtimmter uͤber das auszudruͤcken, was wir uͤber Toͤne der Saiten
und der Staͤbe ſchon fruͤher kennen gelernt hatten. Wenn eine
Saite ſich in mehrere Theile zerlegt, ſo ſind die dieſen einzelnen
Theilen entſprechenden Toͤne deſto mehr dem Grundtone harmoniſch
entſprechend, je geringer die Anzahl der gleichen Theile iſt, in welche
ſie ſich theilt, voͤllig disſonirende Toͤne aber wird ſie gar nicht geben,
weil ſie ſich in ungleiche Theile gar nicht theilen kann, und ſich auch
nie in eine ungemein große Zahl gleicher Theile theilt. Wenn der
Grundton der Saite c waͤre, ſo kann ſie auch, indem ſie frei ſchwin-
gend, ſich in zwei Haͤlften theilt, die Octave c̅ angeben, oder wenn
ſie ſich in drei Drittel theilt die obere Octave der Quinte, das iſt
g̅,
oder auch indem ſie ſich in vier Theile zerlegt, die doppelte hoͤhere
Octave c̿ angeben. Die Quinte g ſelbſt kann ſie nicht geben, aus
den ſchon fruͤher angefuͤhrten Gruͤnden. Ferner wenn die Saite ſich
in fuͤnf gleiche Theile zerlegt, macht jeder Theil 5 Schwingungen,
waͤhrend der Grundton c eine macht; da nun e\frac{5}{4}, e̅\frac{5}{2} Schwingun-
gen macht, ſo iſt der ſo hervorgebrachte Ton e̿ die doppelte Octave
der großen Terz; die Theilung in 6 Stuͤcke gaͤbe die doppelte Octave
g̿ der Quinte; die Theilung in 7 Theile giebt einen Ton, der auf
unſern Inſtrumenten mit feſten Toͤnen nicht vorkoͤmmt; wenn wir
aber a̿\frac{20}{3} Schwingungen, ais\frac{500}{72} = 7 - \frac{4}{72} beilegen, ſo iſt dieſer
der Theilung in Siebtel entſprechende Ton dem Ais ziemlich nahe
[311] und liegt zwiſchen ihm und b; er iſt der erſte, der nicht in der Ton-
leiter vorkommt. Die Theilung acht giebt c̅̅̅, neun giebt d̅̅̅, zehn
giebt c̅̅̅,
Auf dieſen mannigfaltigen Eintheilungen der Saiten beruhen
die Toͤne der Aeolsharfe. Bei ihr muͤſſen alle Saiten genau uniſon
geſtimmt werden, und da der auf die Saiten treffende Windzug
bald den Grundton, bald durch mancherlei Theilungen der Saiten
die naͤchſten harmonirenden Toͤne hervorbringt, ſo entſteht das an-
genehme harmoniſche Getoͤn, welches freilich ſeinen groͤßten Reitz
durch das abwechſelnde Anſchwellen und Verklingen der Toͤne bei
zunehmendem oder abnehmendem Luftzuge erhaͤlt; aber doch die
Harmonie aller Toͤne dem Umſtande verdankt, daß die Saiten ſich
nur in ſolche Theile theilen koͤnnen. Man muß die Aeolsharfe in
einen begrenzten Luftzug, etwa an ein nur wenig geoͤffnetes Fenſter
ſtellen, wenn ſie gut, und ſelbſt bei maͤßigem Luftzuge toͤnen ſoll,
indem dann der Wind die Saiten am beſten trifft.
Aus dieſen Betrachtungen erklaͤren ſich viele einzelne Erfah-
rungen. Es iſt bekannt, daß auf der Violine die verſchiedenen
Toͤne durch gehoͤriges Verkuͤrzen der ſchwingenden Saite bewirkt
werden, und daß die hoͤchſten Toͤne am ſchwerſten rein zu erhalten
ſind. Dies ruͤhrt daher, weil bei tiefen Toͤnen es weniger ſtrenge
auf den genauen Punct, wo man die Saite andruͤcken ſoll, an-
kommt, indem ein volles Neuntel der Laͤnge als Aenderung fuͤr einen
ganzen Ton noͤthig iſt, und dieſes bei tiefen Toͤnen einen ſehr erheb-
lichen, bei hohen Toͤnen aber einen ſehr kleinen Raum ausmacht,
ſo daß dort kleine Abweichungen noch nicht merklich werden, aber
bei einer 3 Zoll langen Saite ſchon ⅓ Zoll einen vollen ganzen Ton
als Aenderung hervorbringt.
Die verſchiedenen Toͤne, die ein mit dem einen Ende befeſtig-
ter Stab hervorbringen kann, ſind nicht harmoniſch. Wenn ein
ſolcher Stab den Ton C als Grundton hervorbringt, ſo iſt ungefehr
gis̅ der Ton, den er beim Entſtehen eines Schwingungsknotens
giebt, und bei zwei Schwingungsknoten wuͤrde d̅̅̅ hervorgehen. Nach
Chladni's Unterſuchungen verhaͤlt es ſich mit den Toͤnen der
Stimmgabel ziemlich eben ſo. Die Stimmgabel giebt ihren Grund-
[312] ton, wenn die ganzen Zinken ſchwingen, und alſo nur zwei nahe an
einander gegen die untere Kruͤmmung liegende Schwingungsknoten
vorhanden ſind. Der naͤchſt hoͤhere, ſchon ſehr hoch hinauf liegende
Ton entſteht, wenn in jeder Zinke zwei Schwingungsknoten ſind;
der dritte entſteht indem ein Schwingungsknoten in der Mitte der
Kruͤmmung und zwei in jeder Zinke ſich bilden. Iſt a̅ der Grund-
ton, ſo iſt der zweite f̅̅̅̅, der dritte es̅̅̅̅̅. Auf einigen Stimmgabeln
kann man ſelbſt den dritten Ton erhalten, wenn man ſehr nahe
gegen die Kruͤmmung hin mit dem Violinbogen ſcharf ſtreicht; es
geht dann ein ungemein hoher Ton hervor, der ſchon betraͤchtlich
uͤber die muſicaliſch brauchbaren Toͤne hinausliegt, und deſſen
Hoͤhe ſich durch andre Vergleichungen als ziemlich mit dem eben an-
gegebnen Tone uͤbereinſtimmend ergiebt. Der zweite Ton geht
ſehr oft von ſelbſt beim bloßen Anſchlagen hervor.
Schwingungszeiten fuͤr jeden Ton.
Ich habe bisher die Frage, wie viele Schwingungen denn ei-
nem beſtimmten Tone entſprechen, noch nicht genuͤgend beantwortet.
Außer dem von Chladni empfolnen Mittel, die Schwingungen
eines laͤngern Stabes abzuzaͤhlen, und daraus die in einer Secunde
ſtatt findende Schwingungszahl eines kuͤrzern Stabes, der ſchon
einen durch das Ohr beſtimmbaren Ton giebt, zu berechnen, wird
uns nachher die Orgelpfeife noch ein andres Mittel geben, die wahre
Schwingungszahl eines gegebnen Tones zu beſtimmen. Noch ein
andres Mittel hat Cagniard Latour angegeben. Da es bei
Hervorbringung des Tones nur einer in genau gleich abgemeſſenen
Zeitraͤumen immer wiederkehrenden gleichen Vibration bedarf, ſo er-
haͤlt man einen Ton, wenn ein gleichmaͤßig herandringender Luft-
ſtrom durch regelmaͤßige Unterbrechungen nur in wechſelnden Ab-
ſaͤtzen hervordringen kann. Das von Cagniard Latour unter
dem Namen Sirene bekannt gemachte Inſtrument beſteht daher
aus einem Rohr, durch welches ein gleichfoͤrmiges Blaſen einen an-
haltenden Luftſtrom hervorbringt; und aus einer mit Loͤchern ver-
ſehenen Scheibe (Fig. 154.), die ſchnell und gleichfoͤrmig gedreht,
bald eine Oeffnung bald einen undurchbohrten Theil bei der Roͤhre
vorbeifuͤhrt. Wird nun die Scheibe, auf deren Umfang ich 64 Loͤcher
[313] annehmen will, ſo gedreht, daß ſie einen Umlauf in 1 Secunde
macht, ſo entſteht, durch den in 1 Sec. 64 mal unterbrochenen und
64mal erneuerten Luftzug, ein Ton, der 64 Schwingungen in 1 Sec.
macht; dreht man die Scheibe doppelt ſo ſchnell, ſo erhaͤlt man den
Ton, der eine Octave hoͤher iſt und ſo weiter.
Nach dieſen und aͤhnlichen Beſtimmungen nimmt man an,
daß der tiefſte noch in der Muſik brauchbare Ton, 32 Schwingun-
gen in 1 Sec. macht, und dies iſt derjenige, der von einer 32fußigen
offenen Orgelpfeife angegeben wird, und als dasjenige C, welches
zwei Octaven tiefer als das ſogenannte große C auf dem Clavier iſt,
erkannt wird. Das Contra C macht alſo 64 Schwingungen in
1 Sec., das große C 128 Schwingungen, e 256 Schwingungen,
das tiefſte Discant e̅ 512 Schwingungen, c̿ 1024, c̅̅̅ 2048, c̅̅̅̅ 4096,
c̅̅̅̅̅ 8192 Schwingungen in 1 Secunde. Der ungemein hohe Ton,
der als dritter Ton der Stimmgabel hervorgeht, muß alſo ungefehr
9800 Schwingungen in 1 Sec. vollenden. Die Toͤne, die wir ge-
woͤhnlich nur auf dem Pianoforte gebrauchen, haben vom Contra
F bis f̅̅̅̅ die Schwingungszahlen 85⅓ bis 5461 Schwingungen in
1 Secunde.
Vibrationen der Flaͤchen, Klangfiguren.
Die Schwingungen von Flaͤchen, deren wir uns bei den
Glocken auch zu wirklichem Gebrauche bedienen, wuͤrden einen hoͤchſt
merkwuͤrdigen Gegenſtand fuͤr Unterſuchungen darbieten, wenn nur
nicht dieſe Unterſuchungen ſo ſchwer waͤren, daß ſie die Kraͤfte unſrer
bisherigen Theorien faſt gaͤnzlich uͤberſteigen. Wir ſind nicht im
Stande theoretiſch anzugeben, welchen Ton eine Glocke von gegeb-
ner Geſtalt hervorbringen wird, und ſelbſt die verſchiedenen Toͤne,
deren eine und dieſelbe Glocke faͤhig iſt, und die ſehr oft vermiſcht
unſer Ohr treffen, ſind wir nicht im Stande ganz genau zu beſtim-
men. — Wenn wir ein recht gut toͤnendes Glas nach und nach mit
Waſſer oder Wein fuͤllen, ſo wird der Ton, welchen es beim An-
ſchlagen giebt, immer tiefer; der Unterſchied iſt zuerſt wenig merk-
lich, wenn der Boden noch nicht hoch bedeckt iſt, aber wenn die
Fuͤllung ſich mehr und mehr dem Rande naͤhert, ſo macht eine
[314] geringe Vermehrung der Quantitaͤt den Ton ſchon merklich tiefer.
Der Grund hievon iſt offenbar der, daß mehr Maſſentheile in Be-
wegung geſetzt werden muͤſſen, und deshalb die Vibrationen nicht
die ganze Schnelligkeit mehr erreichen. Fuͤllt man das Glas mit
Queckſilber, ſo iſt es nicht zum Toͤnen zu bringen; aber auch eine
minder ſchwere Fluͤſſigkeit, Bier zum Beiſpiel, hindert das Toͤnen,
theils weil es nicht ſo vollkommen fluͤſſig, theils weil es wegen der
aufſteigenden Blaͤschen nicht ganz gleichartig iſt *).
Das Toͤnen der Glocken, deſſen genauere Geſetze faſt ganz un-
bekannt ſind, muß ſich nach aͤhnlichen Geſetzen richten, und eine
Glocke von dickerer Maſſe muß alſo offenbar tiefere Toͤne geben.
Uebrigens hoͤrt man bei der Glocke ein Zuſammenklingen mehrerer
Toͤne, uͤber deren Entſtehen das Vibriren ebener Scheiben einigen
Aufſchluß giebt.
So wenig es uns naͤmlich auch moͤglich iſt, ſelbſt fuͤr ebne
Scheiben, und ſelbſt fuͤr Scheiben von der einfachſten Form, die
Geſetze, wie ſie vibriren, vollſtaͤndig anzugeben, ſo bietet uns doch
Chladni's Entdeckung, daß man die Verſchiedenheit der Schwin-
gungen an Scheiben dem Auge ſichtbar machen kann, ein wichtiges
Mittel zur Belehrung dar. Nach Chladni's Vorſchrift naͤmlich
macht man die Schwingungsknoten einer ebenen Glasſcheibe oder
Metallſcheibe dadurch kenntlich, daß man etwas Sand auf ſie
ſtreuet, und ſie dann, zwiſchen den Fingern in einem Puncte feſt-
gehalten, mit einem Violinbogen ſenkrecht ſtreicht, um Toͤne her-
vorzubringen. Der Sand legt ſich, waͤhrend ſo die Scheibe toͤnt,
in beſtimmte Linien, und bleibt in dieſer Lage, ſo oft man durch
gleiches Streichen denſelben Ton hervorbringt, ſobald aber ein
andrer Ton hervorgeht, legt er ſich in andere Linien, und zeigt, daß
mit der Aenderung des Tones auch die Anordnung der Schwin-
gungsknoten eine andre geworden ſei, ſo wie dies bei Saiten der
Fall war, wo wir die Schwingungsknoten dadurch kenntlich mach-
[315] ten, daß wir die Stelle ſuchten, wo aufgelegte Papierſtuͤckchen in
Ruhe blieben.
Wenn die Chladni'ſchen Klangfiguren gut hervorgehen
ſollen, ſo muß man eine moͤglichſt gleichfoͤrmige Scheibe in einem
ſo kleinen Raum als moͤglich, entweder zwiſchen den Fingerſpitzen
feſthalten oder in einer Schraube einklemmen; man muß beim
Streichen den Bogen genau an einerlei Stelle und mit immer glei-
chem Drucke in einer gegen die Scheibe ſenkrechten Richtung herab-
ziehen, und nur eine maͤßige Menge trocknen und feinen Sand auf-
ſtreuen. Iſt die Stelle, in welcher die Scheibe feſtgehalten wird,
zu groß, ſo hindert man die freien Schwingungen; denn eigentlich
ſollte nur ein einziger Punct unterſtuͤtzt werden. Vollendet man die
die Vibration bewirkenden Zuͤge des Bogens nicht ſo, daß immer
dieſelbe Stelle der Scheibe in immer gleiche Schwingungen geſetzt
wird, ſo geht ſtatt des einen Tones, nach welchem ſich die Lage des
Sandes zu ordnen anfing, ein andrer Ton hervor, der andre Kno-
tenlinien fordert. Hat man zu viel Sand aufgeſtreut, ſo iſt wieder
die Bewegung nicht frei genug. Man bemerkt bei dieſen Verſuchen
ſehr bald, daß das Hervorgehen verſchiedener Toͤne waͤhrend der
erſten Zuͤge des Bogens am leichteſten ſtatt findet; hat aber der
Sand nur erſt einmal eine beſtimmte Anordnung erhalten, ſo geht
mit viel mehr Sicherheit immer derſelbe Ton wieder hervor, offen-
bar deswegen, weil der Sand nun grade auf den Stellen aufliegt,
die bei dieſem Tone ruhend bleiben, und dagegen erſt weggeſtoßen
werden muß, wenn ein andrer Ton hervorgehen ſoll. Man erleich-
tert daher das Hervorgehen einer beſtimmten Figur, wenn man an
einigen der Stellen, wo Knotenlinien entſtehen ſollen, das heißt, wo
der Sand ſich anlegen ſoll, leiſe mit den Fingern beruͤhrt, oder
wenn man die im Entſtehen begriffene Figur irgendwo leiſe mit dem
Finger beruͤhrt; denn indem ſo ein Punct oder einige Puncte der
Scheibe am Schwingen gehindert werden, koͤnnen wenigſtens dieje-
nigen Toͤne nicht hervorgehen, die ein Vibriren grade dieſer Theile
der Scheibe forderten. Wenn die Scheiben nicht elaſtiſch genug
ſind, um mit Leichtigkeit auf ihnen die Figuren recht gut begrenzt zu
erhalten, oder wenn man das Streichen nicht mit der noͤthigen
Gleichfoͤrmigkeit ausfuͤhrt, ſo kann eine vorſichtige Beruͤhrung in
mehrern Stellen dienen, um die Figuren zarter darzuſtellen. Bei
[316] ungleichfoͤrmiger Beſchaffenheit der Platten kann man es nicht be-
wirken, daß die Figuren die vollkommene Symmetrie erhalten, die
ſie erhalten ſollten, und eine vollkommene Gleichheit in allen Thei-
len der Platte ſcheint nach Savart's Verſuchen nie voͤllig ſtatt zu
finden und deshalb die einfache Form der Klangfiguren an gewiſſen
Stellen und in gewiſſen Richtungen reiner, in andern Richtungen
minder ſchoͤn hervorzugehen. Savart ſucht den Grund hiefuͤr
in einem cryſtalliniſchen Gefuͤge der Koͤrper, welches nach gewiſſen
Richtungen, ſelbſt in der ſchoͤnſten Kreisſcheibe, eine andre Anord-
nung der Vibrationen bewirkt, als in andern Richtungen.
Wie die einzelnen Theile der Scheibe ſich bei den Vibrationen
bewegen, das laͤßt ſich wohl uͤberſehen. Offenbar muß, wenn ab
(Fig. 155.) eine ziemlich lange rechtwinkliche Scheibe iſt, die bei e
geſtrichen, die Knotenlinien ab, de, fg zeigt, der Theil dhif
eine hinabgehende Vibration machen, indem ehig eine hinaufge-
hende Vibration macht, und ebenſo muͤſſen die Theileakeh, gibn,
gleichzeitige hinabgehende Vibrationen machen, waͤhrend der hinauf-
gehenden Vibrationen des Theiles chig. Es erhellt hiernach, daß
jeder hinaufwaͤrts vibrirende Theil grade neben ſich hinabwaͤrts vi-
brirende Theile, nach den Eckrichtungen aber hinaufwaͤrts vibrirende
Theile fordert, und daß zum Beiſpiel bei derjenigen Schwingung
der Quadratſcheibe, bei welcher die Knotenlinien, welche Fig. 156.
zeigt, entſtehen, die Theile ſo vibriren, daß die mit + bezeichneten
Theile die eine, die mit - bezeichneten die andre Richtung gleichzeitig
befolgen. Indem aber ſo die an einander liegenden vier Stuͤcke eine
in jeder Secunde mehrere hundertmal wechſelnde Stellung annehmen
muͤſſen, ſo laͤßt ſich auch wohl einſehen, daß dieſes nicht ſo geome-
triſch ſtrenge begrenzt geſchehen kann, wie die Zeichnung es fordert,
ſondern daß um jeden Durchſchnittspunct der Knotenlinien ein ge-
wiſſer Raum unerſchuͤttert bleiben, dadurch aber die Form der Li-
nien oft ins bogenfoͤrmige uͤbergehen, und an Einfachheit verlieren
wird.
Daß den tiefern Toͤnen eine Eintheilung der Scheibe in weni-
gere Theile entſprechen wird, und daß man bei hoͤhern Toͤnen eine
mehr zuſammengeſetzte Klangfigur zu erwarten Grund hat, laͤßt ſich
aus den hoͤhern Toͤnen der in mehr Abtheilungen zerlegten Saiten
auch wohl vorausſehen; aber nach welchem Geſetze hier die Zahl
[317] der Schwingungen zunimmt, iſt noch ſehr wenig aufgeklaͤrt, obgleich
Chladni eine merkwuͤrdige Reihe von Erfahrungen daruͤber be-
kannt gemacht hat.
Bei Scheiben von geringer Breite findet man die Schwingun-
gen denen gemaͤß, die ein elaſtiſcher Stab annehmen kann. So
wie dieſer, wenn er in a, b, in Puncten naͤmlich, die Schwingungs-
knoten ſind, aufliegt, Schwingungen, wie die Fig. 157 darſtellt,
macht, ſo zeigt auch eine in g gehaltene und in f geſtrichene Scheibe
bei g und c Querlinien. Der Stab kann drei Schwingungsknoten
haben, wie Fig. 158. und ebenſo kann die Scheibe 1 m die drei ent-
ſprechenden Knotenlinien zeigen; der Ton, welchen ſie im letzten
Falle macht, giebt 25 Schwingungen waͤhrend der erſte 9 macht,
und iſt alſo fis, wenn den zwei Knoten C entſprach.
Wenn man die ſchmale Platte an der langen Seite ſtreicht,
ſo erhaͤlt ſie, mitten feſtgehalten, eine Mittellinie und kann mehrere
Querlinien erhalten. Haͤlt man die Scheibe in der Mitte a feſt und
ſtreicht bei b, ſo erhaͤlt man die beiden ſich durchkreutzenden Linien
(Fig. 159.); haͤlt man an der richtigen Stelle um 2 Linien zu be-
kommen, ſo iſt der Ton eine Octave hoͤher; erhaͤlt man drei Quer-
linien, ſo iſt er eine Octave und eine Quinte hoͤher, als im erſten
Falle; die Schwingungszahlen verhalten ſich alſo wie 1, 2, 3. Um
dieſe Linien zu erhalten, muß man in einem der Durchſchnittspuncte
feſthalten und in einem der Puncte, die mitten zwiſchen den Quer-
linien liegen, ſtreichen. Iſt die Scheibe erheblich breit, ſo weichen
die Schwingungszeiten von der eben gegebnen Beſtimmung ab, und
ihre Schnelligkeit waͤchſt in ſtaͤrkerm Maaße.
Um bei den Scheiben die Regelmaͤßigkeit der entſtehenden Kno-
tenlinien genauer wahrzunehmen, iſt es gut, die Scheiben durch
feine aufgezeichnete Linien einzutheilen; iſt die Maſſe der Scheiben
und ihre Dicke uͤberall gleich, ſo findet man die Anordnung der Li-
nien ſehr vollkommen ſymmetriſch; aber bei Ungleichheiten in der
Scheibe zeigen ſich erhebliche Abweichungen. Um hier nur einige
der Klangfiguren zu erwaͤhnen, die man ohne große Schwierigkeit
zu erhalten pflegt, und die man auf jeder reinen Glasſcheibe leicht
ſelbſt darſtellen kann, verweile ich nur bei der Quadratſcheibe und bei
der Kreisſcheibe. Ich nehme an, daß die Scheibe mit einer Schraube
in dem gehoͤrigen Puncte feſtgehalten werde; — bedient man ſich
[318] der Glasſcheiben, ſo muß man unter andern Vorſichten auch die
beobachten, daß kein Sandkorn unter der Schraube zu ſcharf in
die Glasſcheibe eindraͤnge, die dadurch leicht einen Riß bekommen
wuͤrde.
Welche Toͤne mit einer beſtimmten Klangfigur zuſammenge-
hoͤren, haͤngt von der Groͤße, Dicke und Schwere der klingenden
Platten ab; Metallplatten geben leicht ſehr tiefe Toͤne, ſind dann
aber bei nicht zu geringer Groͤße um ſo beſſer geeignet, diejenigen
Knotenlinien hervorzubringen, die zuſammengeſetzter den hoͤhern
Toͤnen entſprechen.
Bei der Quadratſcheibe entſteht der tiefſte Ton wenn man an
einer Ecke ſtreicht und mitten feſthaͤlt; die Knotenlinien bilden ein
grades Kreutz oder auch wohl bogenfoͤrmige Linien, die in der Mitte
ein groͤßeres nicht in Vibration geſetztes Feld zuruͤcklaſſen. Wenn
man, waͤhrend in a feſtgehalten wird, in einem oder mehrern der
mit c bezeichneten Puncte den Finger anlegt, ſo erhaͤlt man um ſo
leichter dieſen Grundton. Ob man an einer oder der andern Ecke
ſtreicht, iſt einerlei. (Fig. 160)
Mitten gehalten und in der Mitte der Seite geſtrichen, kann
man einen Ton erhalten, der nur um eine Quinte hoͤher als der vo-
rige iſt, und welchem die diagonalen Knotenlinien Fig. 161 ent-
ſprechen, ſtatt deren auch wohl die Bogen ab, cd erſcheinen.
Wenn man in a (Fig. 162) etwa um ein Viertel der Breite
von der Mitte einer Seite entfernt feſthaͤlt, ſo bildet ſich eine Mit-
tellinie und zwei ſymmetriſche Querlinien, wenn man in b oder b
ſtreicht. Der Ton iſt um eine Octave und eine große Terze hoͤher,
als der Grundton, und giebt alſo 5 Schwingungen waͤhrend der
Grundton zwei giebt.
Um Fig. 163. zu erhalten, haͤlt man in einem der Puncte a
und ſtreicht in einem der Puncte b. Der Ton iſt nicht voͤllig
2 Octaven und eine kleine Terze hoͤher, als der Grundton. Durch
die Unvollkommenheit der Tafel oder einen unrichtig gewaͤhlten
Punct zum Feſthalten, koͤnnen (nach Chladni) bei demſelben
Tone Bogenlinien fgh, nop, und zwei durch iq und r m ge-
ſchlaͤngelte Linien hervorgehen.
Fig. 164. laͤßt ſich erhalten, wenn man in der Mitte feſthaͤlt,
und in einigen der Durchſchnittspuncte einen Finger beruͤhrend an-
[319] bringt; b, b, b ſind die Stellen, wo man ſtreichen kann. Der Ton,
den ich auf Chladni's Autoritaͤt angebe, iſt einen halben Ton
hoͤher, als die dritte Octave des Grundtones.
Wenn man in der Mitte haͤlt und in der Mitte der Seite
ſtreicht, ſo geht gern Fig. 165 hervor; der Ton iſt um 3 Octaven
und eine Quarte hoͤher, als der Grundton.
In den Faͤllen, wo irgendwo auf der Mittellinie AB feſtge-
halten, und an einer Seite, etwa in b (Fig. 166.) geſtrichen wird,
tritt zwar oft eben die regelmaͤßige Symmetrie ein, ſo daß man in
b´ ſo gut als in b den Bogen anbringen kann; aber bei groͤßern
Platten, zumal wenn ſie irgend ungleich in ihren einzelnen Theilen
ſind, hoͤrt dieſe Symmetrie auf, und es koͤnnen reine Toͤne hervor-
gehen, wenn gleich die beiden Seiten der Scheibe ſehr ungleiche
Linien zeigen. Es waͤre wohl der Muͤhe werth, an groͤßern, recht
ſorgfaͤltig gearbeiteten Metallſcheiben zu verſuchen, mit welcher Ge-
nauigkeit die Schwingungsknoten der entferntern Theile in eben der
Ordnung, wie die der naͤhern, urſpruͤnglich in Vibration geſetzten,
liegen; denn daß die Steifheit der Scheibe je groͤßer dieſe iſt, deſto
mehr Abweichungen hervorbringt, laͤßt ſich wohl vorausſehen, und
auch der Verſuch zeigt es.
Bei einer quadratiſchen Meſſingſcheibe von beinahe 12 rhein.
Zoll Seite, kann man 10 Querlinien hervorbringen, die nach
Chladni's Beſtimmungen einem Tone entſprechen muͤſſen, der
5 Octaven und 1 Quinte hoͤher als der Grundton *) iſt.
Wenn eine Kreisſcheibe in ihrem Mittelpuncte feſtgehalten
wird, ſo ſollte ſie eigentlich gleiche Figuren geben, wenn man ſie an
irgend einem Puncte des Umfangs ganz gleichfoͤrmig ſtreicht, Sa-
vart bemerkt aber, daß dies, ſelbſt bei der genaueſten Bearbeitung
der Platte nicht geſchieht, ſondern gewiſſe Stellen paſſender zum
Hervorbringen der regelmaͤßigen Knotenlinien ſind, waͤhrend andre
Stellen ſie auf beſtimmte Weiſe gekruͤmmt geben; Savart glaubt
hierin zu erkennen, daß die innere Structur der Koͤrper, ſelbſt der
Metalle und des Glaſes, nicht ſo gleichfoͤrmig iſt, als wir gewoͤhn-
lich annehmen, und daß die nach einer Richtung anders geordnete
Lage der Theilchen dieſen Einfluß auf die Knotenlinien hat.
[320]
Bei der in der Mitte feſtgehaltenen Kreisſcheibe zeigt ſich,
wenn die Scheibe ihren tiefſten Ton giebt, ein Kreutz, zwei ſich
rechtwinklich durchſchneidende Durchmeſſer, als Knotenlinien. Dieſe
Durchmeſſer ſchneiden 45 Grad von dem Puncte, wo geſtrichen
wird, ein.
Will man den zweiten Ton haben, der eine Octave und einen
ganzen Ton hoͤher iſt, ſo muß man 30 Grade von dem in Vibration
geſetzten Umfangspuncte mit dem Finger leiſe beruͤhren; dann ent-
ſteht ein, aus drei Durchmeſſern gebildeter ſechsſtrahliger Stern.
Der achtſtrahlige Stern entſpricht einem Tone 2 Octaven hoͤher
als der Grundton; der zehnſtrahlige gehoͤrt zu einem noch um eine
kleine Sexte hoͤhern Tone. Aber die beiden letzten, die ſo ausſehen
ſollten, wie die punctirten Linien in Fig. 167 und 168. zeigen, er-
geben ſich oft ſo wie die ausgezognen Linien, ſo daß hier ſchon eine
nicht mehr regelmaͤßig fortgepflanzte Schwingung ſtatt findet.
Dieſe vielſtrahligen Sterne kann man auf großen Kreisplatten
ſo erhalten, daß die Sterne bis gegen dreißig Spitzen bekommen,
und dieſe ſtellt man dar, wenn man einen feinen Punct des Ran-
des, wenige Grade von dem geſtrichenen Puncte, mit dem Finger
beruͤhrt. Die Kreisſcheibe bietet eine zweite Reihe merkwuͤrdiger
Figuren dar, naͤmlich Kreiſe mit und ohne durchkreutzende Durch-
meſſer. Unterſtuͤtzt man die Platte in einem vom Mittelpuncte
entfernten Puncte und ſtreicht am Ende eben des Halbmeſſers, in
welchem jener Punct liegt, ſo kann ein Kreis entſtehen; indeß iſt
nicht jeder Abſtand des feſtgehaltenen Punctes vom Rande geeignet
um einen ſolchen Kreis zu geben. Nach Chladni entſteht der
Kreis bei einem Tone, der nur um eine kleine Sexte hoͤher iſt, als
der Grundton. Zwei concentriſche Kreiſe ſind ſchwer zu erhalten;
man muß an dazu geeigneten Puncten eines und deſſelben Radius
die Platte feſthalten, und am Ende des Radius ſtreichen; jene feſt-
gehaltnen oder leiſe beruͤhrten Puncte muͤſſen in moͤglichſt geringer
Ausdehnung angehalten werden. Der aͤußere Kreis erhaͤlt leichte
Biegungen, ſo daß er, wenn die Platte recht regelmaͤßig iſt, aus
einwaͤrts und auswaͤrts gebognen Stuͤcken, als eine im Kreiſe zu-
ſammengekruͤmmte Wellenlinie erſcheint.
Den einfachen Kreis mit einem Durchmeſſer erhaͤlt man
leicht, wenn man die Scheibe zwiſchen zwei Fingern an beiden Enden
[321] deſſelben Durchmeſſers faßt, und 90° davon entfernt ſtreicht; der
Ton iſt ungefehr eine Octave und eine Septime hoͤher, als der
Grundton.
Um einen Kreis mit zwei auf einander ſenkrechten Durchmeſ-
ſern zu erhalten, befeſtigt man die Scheibe da, wo ein Durchmeſſer
den Kreis ſchneiden ſoll, und ſtreicht 45 Grade von dieſer Stelle
entfernt. Der Ton iſt beinahe um eine kleine Septime hoͤher als
bei der vorigen Figur.
Dieſe Figuren moͤgen hier genuͤgen; ich bemerke nur noch,
daß man nicht glauben darf, bei dem Feſtſtellen der Platte in einem
beſtimmten Puncte und dem Streichen in einem andern beſtimmten
Puncte gewiß eine beſtimmte Figur zu erhalten. Geſtattet die
Scheibe unter jenen Umſtaͤnden mehr als einen Ton, ſo giebt ſie
auch verſchiedene Figuren; hat man aber bei einem gewiſſen Tone
eine beſtimmte Figur hervorgehen ſehen, ſo muß man auf dieſen
Ton horchen, und wenn er beim leiſen Anfangen des Streichens
hervorgeht, ihn ſo hell als moͤglich hervorzubringen ſuchen; hat man
wirklich denſelben Ton, waͤhrend der feſtgehaltne Punct und der
geſtrichene Punct auch dieſelben ſind, ſo geht auch die gleiche Figur
hervor.
Wenn man ſtatt des feinen Sandes Waſſertropfen auf ver-
ſchiedene Puncte der Platte anbringt, ſo ſieht man auf dieſen feine
Wellen entſtehen, wenn ſie nicht auf Knotenlinien ſind, dort hinge-
gen bleiben ſie ruhig. Bedeckt man groͤßere Theile der Platte mit
einer Waſſerſchichte, ſo ſieht man die zarten Wellen ſich uͤber einige
Theile der Platte ausbreiten, waͤhrend das Waſſer da, wo Knoten-
linien ſind, ruhig bleibt. Je hoͤher der Ton iſt, deſto feiner iſt
dieſe Wellenfolge, die, wie eine Schattirung, ganze Theile der Flaͤche
bedeckt. Und ſo wie hier ſich in den vibrirenden Flaͤchentheilen die
Art der Erſchuͤtterung an den ſchmaͤlern oder breitern Wellen zeigt,
ſo laͤßt ſich auch an feinem Staube, der ſich in gewiſſen Puncten
der vibrirenden Flaͤchen ſammelt, und an feinen Spaͤnchen, die oft
ſeltſam auf den vibrirenden Flaͤchen herumtanzen, die ungleiche Art
der Vibration in verſchiedenen Puncten wahrnehmen.
Dieſe Klangfiguren laſſen ſich auch an Glaͤſern mit Waſſer
gefuͤllt zeigen. Wenn man ein gut klingendes Weinglas oder noch
beſſer ein groͤßeres rundes Glasgefaͤß mit Waſſer fuͤllt, und dann
I. X
[322] den Rand mit dem Violinbogen ſtreicht, ſo ſieht man gewoͤhnlich
an vier Stellen das Waſſer aufſpritzen, an den Stellen dagegen,
die 45° und 135° von dem geſtrichnen Puncte ab liegen, iſt es
ruhig; an den vier Stellen, wo das Waſſer ruhig bleibt, kann man
den Finger an das Glas legen, ohne das Klingen zu hindern. Haͤlt
man an andern ſchicklich gewaͤhlten Stellen des Randes den Finger,
ſo kann man die Anzahl jener ruhenden Stellen oder Schwingungs-
knoten auf 6 oder 8 bringen. Offenbar beſteht alſo das durch den
Violinbogen hervorgebrachte Toͤnen darin, daß das kreisfoͤrmige
Gefaͤß ſich in abwechſelnde Formen wie abcdef, ghiklm
(Fig. 169.) biegt, und wenn dieſe Ausweichungen zu ſtark werden,
ſo zerbricht das Gefaͤß, welches man wirklich durch zu ſtark hervor-
gerufene Toͤne bewirken kann.
Alle hier erzaͤhlte Verſuche laſſen ſich auf die mannigfaltigſte
Weiſe abaͤndern, und bieten reichen Stoff zu angenehmer Unterhal-
tung dar. Auf eine andre Art, Klangfiguren hervorzubringen,
komme ich in der Folge noch zuruͤck.
Drei und zwanzigſte Vorleſung.
Fortpflanzung des Schalles durch die Luft.
Zu ebenſo merkwuͤrdigen Unterſuchungen, als die ſind, welche
die Erregung der Toͤne durch feſte Koͤrper uns darbot, fuͤhrt auch
die Betrachtung der Fortpflanzung des Schalles in der Luft; und
ſelbſt eine ohne Rechnung durchgefuͤhrte Unterſuchung lehrt uns
nicht bloß uͤber die Beſtimmung der Geſchwindigkeit des Schalles,
uͤber das Echo u. ſ. w. richtige Begriffe faſſen, ſondern giebt uns
auch die Erklaͤrung fuͤr die Hoͤhe und Tiefe der Toͤne, die bloß durch
Luftwellen in den Orgelpfeifen hervorgehen.
Daß der Schall eine Zeit gebraucht, um ſich in der Luft fort-
zupflanzen, das wird uns zwar bei den Lauten oder Toͤnen, die in
unſrer Naͤhe erregt werden, nicht deutlich, indem ein, wenige Fuße
von unſerm Ohre entſtandener Schall in unmerklich kurzer Zeit zu
uns gelangt; aber wenn wir in einer Entfernung auch nur von
[323] 500 Fuß Pfaͤle einſchlagen ſehen, oder (am beſten durch das Fern-
rohr) den Hammer einer Thurmglocke anſchlagen ſehen, ſo bemerken
wir eine kleine Verzoͤgerung des Schalles, oder nehmen wahr, daß
der Schall, der mit dem Anſchlagen zugleich entſtanden war, etwas
ſpaͤter unſer Ohr ruͤhrt, als wir das Anſchlagen ſehen. Durch Be-
obachtungen, die, dieſer aͤhnlich, mit groͤßerer Genauigkeit angeſtellt
werden, hat man die Geſchwindigkeit des Schalles abgemeſſen, in-
dem man bei Canonenſchuͤſſen, die weit entfernt abgefeuert wurden,
die Zeit beſtimmte, die zwiſchen dem geſehenen Blitze und dem ge-
hoͤrten Schalle verfloß. Bei den von Caſſini im Jahre 1738
angeſtellten Beobachtungen war die Entfernung der Canone vom
Beobachter 87000 Fuß; bei den von andern Beobachtern angeſtell-
ten Verſuchen iſt zwar keine ſo große Entfernung gewaͤhlt worden,
aber durch ſehr genaue Beobachtung der Zeit haben ſie dennoch die-
nen koͤnnen, die Entfernung, durch welche ſich der Schall in 1 Sec.
fortpflanzt, noch genauer zu beſtimmen. Dieſe Entfernung iſt bei
ungleicher Waͤrme der Luft etwas verſchieden, man kann ſie, wenn
die Luft die Temperatur = 0° R. hat, auf 1027 pariſ. Fuß, bei
10 Gr. Waͤrme auf 1051, bei 20 Gr. Waͤrme auf 1074 Fuß
ſetzen *)
Die wichtigſten Geſetze fuͤr die Geſchwindigkeit der Fort-
pflanzung des Schalles laſſen ſich auf folgende Weiſe uͤberſehen.
Indem die Vibration eines feſten Koͤrpers die Lufttheilchen trifft,
erleiden dieſe eine abwechſelnde Verdichtung und Verduͤnnung. Die
in dem zunaͤchſt liegenden Lufttheilchen entſtandene Verdichtung
bringt in dieſem ein Beſtreben zur Ausdehnung hervor, und das
naͤchſte Theilchen wird daher im folgenden Augenblicke in einen Zu-
ſtand der Verdichtung verſetzt, und ſo pflanzt ſich jene Vibration
von Theilchen zu Theilchen fort, indem jedes aͤhnliche Wechſel von
Verdichtung und Verduͤnnung erleidet, als das erſte. Die Schnel-
ligkeit dieſer Fortpflanzung wird nicht durch die mehr oder mindere
X 2
[324] Staͤrke des Schalles beſtimmt, ſondern durch die Elaſticitaͤt der
Luft-Art, in welcher der Schall ſich fortpflanzt. Wenn es Luft-
Arten giebt, die bei gleicher Dichtigkeit mehr ausdehnende Kraft be-
ſitzen, ſo muß in dieſen der Schall ſich ſchneller fortpflanzen; denn
wegen der gleichen Dichtigkeit iſt in jedem einzelnen, in Bewegung
zu ſetzenden Theilchen die Maſſe gleich, die bewegende Kraft aber,
mit welcher das zuſammengedruͤckte Theilchen das benachbarte fort-
treibt, groͤßer in der mehr elaſtiſchen Luft. Waͤre dieſe Ausdeh-
nungskraft in einem Falle viermal ſo groß als im andern, ſo waͤre
die auf jedes Theilchen wirkende beſchleunigende Kraft viermal ſo
groß; wir wiſſen aber, daß einer vierfachen Kraft eben der Raum
des fortbewegten Koͤrpers in 1 Sec. entſpricht, durch welchen die
viermal geringere Kraft ihn in 2 Sec. forttreiben wuͤrde; die Ge-
ſchwindigkeit des Schalles iſt alſo doppelt ſo groß in viermal ſo ela-
ſtiſcher Luft, und uͤberhaupt den Quadratwurzeln aus den ſpecifiſchen
Elaſticitaͤten, (aus den bei gleicher Dichtigkeit ſtatt findenden Ela-
ſticitaͤten) proportional. Da die erwaͤrmte Luft einen hoͤhern Grad
von Elaſticitaͤt beſitzt, als die kalte Luft, ſo erhellt hieraus der
Grund, warum der Schall ſich in warmer Luft ſchneller als in kal-
ter Luft fortpflanzt; und da die Elaſticitaͤt bei 0° zu der bei 10°
ſich ungefehr wie 215:225, das iſt wie 14⅔ mal 14⅔ zu 15 mal
15 verhaͤlt, ſo muß die Geſchwindigkeit des Schalles ungefehr in
dem Verhaͤltniſſe 14⅔ zu 15 oder 44 zu 45 wachſen, wenn die
Waͤrme um 10 Grad Reaum zunimmt. Aber \frac{1027}{44} iſt beinahe
24, es erhellt alſo, daß die Geſchwindigkeit des Schalles um \frac{1}{44},
das iſt um 24 Fuß, von 1027 auf 1051 wachſen muß, wenn die
Waͤrme um 10 Grade zunimmt, und bis 1003 abnimmt, wenn
die Luft 10° unter Null abgekuͤhlt iſt.
Im Waſſerſtoffgas wuͤrde die Fortpflanzung des Schalles weit
ſchneller ſein, weil es bei viel geringerer Dichtigkeit ebenſoviel Ela-
ſticitaͤt als die atmoſphaͤriſche Luft beſitzt, und Sie werden in der
Folge ſehen, daß ſich uns Erfahrungen darbieten, die dieſe Behaup-
tung beſtaͤtigen.
Die Geſchwindigkeit des Schalles haͤngt dagegen nicht von
dem Barometerſtande ab, ſondern wenn die Temperatur und die
Miſchungsbeſchaffenheit der Luft gleich iſt, ſo bleibt die Schnellig-
keit des Schalles in dichterer und in duͤnnerer Luft gleich. Der
[325] einleuchtende Grund hiefuͤr iſt, daß nach dem Mariotte'ſchen Ge-
ſetze die Ausdehnungskraft in eben dem Maaße wie die Dichtigkeit
waͤchſt, alſo bei doppelter Dichtigkeit zwar jedes Theilchen doppelt
ſo viel Maſſe, aber auch doppelt ſo viel bewegende Kraft beſitzt.
Dagegen kann die Fortpflanzung des Schalles wohl in einigem
Grade von dem Feuchtigkeitszuſtande der Luft abhaͤngen, indem
durch die Duͤnſte ein andres Verhaͤltniß zwiſchen Dichtigkeit und
Ausdehnungskraft entſteht.
An dieſe relativen Beſtimmungen uͤber die Geſchwindigkeit des
Schalles knuͤpft die Theorie weitere Folgerungen, welche die abſo-
lute Geſchwindigkeit ergeben, und hiebei hat lange eine Abweichung
der theoretiſch berechneten Geſchwindigkeit von der beobachteten, die
Aufmerkſamkeit der Phyſiker auf ſich gezogen. Wenn man an-
nimmt, daß auch bei den hoͤchſt geringen, auf die kleinſten Zeitmo-
mente beſchraͤnkten Wechſeln der Verdichtung und Verduͤnnung der
Luft, ſo wie ſie bei den Schallwellen ſtatt finden, das Mariotte'ſche
Geſetz ſtrenge richtig bleibt, ſo findet man nur 880 Fuß, als den
Raum, welchen der Schall in 1 Secunde durchlaufen ſollte; alſo
viel zu wenig. Man glaubte um ſo ſicherer das Mariotte'ſche Geſetz
als anwendbar in dieſem Falle anſehen zu duͤrfen, da es ſich bei viel
groͤßern Aenderungen der Dichtigkeit als richtig gezeigt hat; aber
dennoch hat eine genauere Ueberlegung gelehrt, daß es grade bei
dieſen ſchnellen, wenn gleich ſehr kleinen Wechſeln der Dichtigkeit
bedeutende Abweichungen von der Wahrheit ergeben muß.
Wenn wir in Roͤhren die Luft verdichten oder verduͤnnen, und
die druͤckende Kraft beobachten, die ſie alsdann ausuͤbt, ſo laſſen
wir ihr Zeit genug, um die Temperatur wieder anzunehmen, die
ihr und den umgebenden Koͤrpern eigen war, und dann zeigt ſich
jenes Geſetz als richtig. Haͤtten wir dagegen Mittel, um einen
aͤhnlichen Verſuch uͤber den von doppelt ſo dichter Luft ausgeuͤbten
Druck ſo ſchnell auszufuͤhren, daß wir ſehr ploͤtzlich die Verdichtung
zum Doppelten hervorbraͤchten, und in demſelben Augenblicke den
ausgeuͤbten Druck wahrnaͤhmen, ſo wuͤrden wir dieſen ſehr viel
groͤßer als das Doppelte des vorigen Druckes finden; weil eine ploͤtz-
liche Verdichtung allemal mit Erhitzung verbunden iſt *). Ebenſo
[326] wuͤrden wir eine ploͤtzlich verduͤnnte Luft ihren Druck nicht bloß im
Verhaͤltniß der Dichtigkeit aͤndern ſehen, ſondern ſie wuͤrde, wegen
der bei der Verduͤnnung entſtehenden Kaͤlte, weit geringeren Druck
zeigen. Um dies nur an einer ungefehren Rechnung zu zeigen, will
ich annehmen, bei einer Compreſſion zur zehnfachen Dichtigkeit der
Luft ſteige die Waͤrme um 100 R. Grade, ſo ſollte wegen der Ver-
dichtung die Elaſticitaͤt, die Verſtaͤrkung des Druckes, auf das Zehn-
fache ſteigen; aber eine auf 100 Grad erwaͤrmte Luft hat faſt dop-
pelt ſo große Elaſticitaͤt, und dieſe iſt daher auf das Zwanzigfache
gewachſen, waͤhrend die Dichtigkeit nur auf das Zehnfache waͤchſt.
Auf aͤhnliche Weiſe ſind auch bei den Verduͤnnungen die Aenderun-
gen der Elaſticitaͤt ſtaͤrker, als die Aenderungen der Dichtigkeit,
und das Mariotte'ſche Geſetz iſt alſo da, wo die momentanen Wir-
kungen der Verdichtung und Verduͤnnung zu beruͤckſichtigen ſind,
nicht mehr guͤltig; ſo daß, obgleich die Veraͤnderungen der Dichtig-
keit bei den Schallvibrationen hoͤchſt geringe ſind, dennoch, wegen
der ſtaͤrker als die Dichtigkeit wachſenden Elaſticitaͤt der Luft, die Ge-
ſchwindigkeit des Schalles viel groͤßer ſein muß, als bei ſtrenger
Anwendbarkeit des Mariotteſchen Geſetzes ſtatt faͤnde. Laplace
hat nach Verſuchen, die ſich hier nicht ganz erklaͤren laſſen, die Be-
rechnung dieſes Unterſchiedes angegeben und die ſo gefundene Ge-
ſchwindigkeit des Schalles ſtimmt wenigſtens ſehr nahe mit der Er-
fahrung uͤberein. Die bis dahin mangelhafte Theorie hat alſo hie-
durch eine ſehr wichtige Vervollſtaͤndigung erhalten.
Daß der Schall, indem er ſich durch die Luft fortpflanzt,
allmaͤhlig ſchwaͤcher wird, laͤßt ſich, da die Schallſtrahlen immer
weiter aus einander gehen, und die Schwingungen, die jedem Theil-
chen mitgetheilt werden, folglich an Staͤrke verlieren, leicht begreifen.
Um den Schall der menſchlichen Stimme in groͤßern Entfernungen
hoͤrbar zu machen, wendet man die Sprachroͤhre an, deren weſent-
*)
[327] lichſter Nutzen der iſt, daß ſie die, ſonſt aus einander gehenden
Schallſtrahlen der parallelen Richtung naͤher bringen. Kegelfoͤrmige
Sprachroͤhre ſcheinen dieſen Zweck am einfachſten und beſten zu er-
fuͤllen. Da naͤmlich die Schallſtrahlen, wie Wellen und wie Licht-
ſtrahlen, unter eben dem Winkel zuruͤckgeworfen werden, unter
welchem ſie antreffen, ſo werden die vom Munde A aus ſeitwaͤrts
nach B gehenden Schallwellen nach C und hier wieder nach CD
(Fig. 170.) zuruͤckgeworfen, wobei ſie eine immer mehr der Axe pa-
rallele Richtung erhalten, alſo ſich weniger zerſtreuen. Indeß ſind
die Sprachroͤhre doch nur auf maͤßige Entfernung brauchbar, zumal
da ſie die Worte nie ganz deutlich in der Verſtaͤrkung hoͤren laſſen,
und das um ſo weniger, je mehr die Materie, woraus ſie beſtehen,
ſelbſt mit in Schallſchwingungen geraͤth.
Wenn der Schall ſich nach der Richtung des Windes fort-
pflanzt, ſo iſt ſeine Schnelligkeit ungefehr um ſo viel, als die Ge-
ſchwindigkeit des Windes betraͤgt, groͤßer, dem Winde entgegen um
ebenſoviel langſamer. Die Ferne, bis zu welcher man einen beſtimm-
ten Schall hoͤrt, iſt ſehr ungleich. Bei Nacht iſt der Schall, zwar
theils der großen Stille wegen, theils aber auch wegen der gleichfoͤr-
migern Dichtigkeit der Luft weiter hoͤrbar *). — Beim Sturme
geht ſelbſt ein kurzer Schall in ein laͤnger fortdauerndes Nachhallen
uͤber. Es ſcheint, als ob dann die wellenfoͤrmig fortgefuͤhrten Luft-
theilchen, indem ſie die empfangenen Schallvibrationen zu den be-
nachbarten Theilchen fortpflanzen, denſelben Schall auf mehreren
laͤngeren und kuͤrzeren Wegen zum Ohre bringen, und dadurch, zum
Beiſpiel bei dem Klange einer Glocke, den bald wachſenden bald
wieder verhallenden Nachhall hervorbringen. Daß dabei zugleich in
der Richtung dem Winde entgegen der Schall ſich nicht ſo weit fort-
pflanzen, nicht ſo weit hoͤrbar ſein kann, ſcheint mir begreiflich,
indem wenigſtens diejenigen in Vibration geſetzten Theilchen, die
grade, indem ſie vibriren, gegen die Erde oder gegen feſte Koͤrper
getrieben werden, den Schall nicht weiter fortpflanzen werden.
Unter guͤnſtigen Umſtaͤnden und bei voͤlliger Stille der Luft hoͤrt
[328] man den Schall ſehr weit. Parry erzaͤhlt, daß man in den Po-
largegenden bei kalter Luft die menſchliche Stimme auf 7000 Fuß
weit verſtand, wozu die große Stille und freilich auch die groͤßere
Dichtigkeit der kaͤltern Luft beitraͤgt; Hundegebell hoͤrt man an ſtillen
Sommerabenden uͤber Waſſer mehr als 10000 Fuß weit. Cano-
nenſchuͤſſe ſoll man in einzelnen Faͤllen 30 Meilen weit gehoͤrt
haben *).
Echo.
In den gewoͤhnlichen Faͤllen iſt die Fortpflanzung des Schalles
gradlinig; aber ſehr oft taͤuſcht uns die Zuruͤckwerfung des Schalles
von feſten Koͤrpern, und veranlaßt uns, den toͤnenden Gegenſtand
an einem andern Orte, als da, wo er wirklich iſt, zu ſuchen. Dieſe
Zuruͤckwerfungen nennen wir Echo, und erklaͤren uns ihre Entſte-
hung leicht. So wie naͤmlich die Welle im Waſſer fortſchreitend,
ſo lange als ſie kein Hinderniß findet, ruhig ihren Weg fortſetzt, ſo
gehen auch die der Luft durch eine Schall-Erregung mitgetheilten
Schwingungen in grader Linie auf jedes naͤchſte Theilchen uͤber, ſo
lange kein widerſtehender Koͤrper ein Hinderniß darbietet; aber ſo
wie die Welle, zuruͤckgeworfen von einem feſten Gegenſtande, eine
von dieſem ausgehende neue Welle erregt, ſo entſteht auch hier ein
in neuer Richtung, von dem Gegenſtande zuruͤckgeworfener Schall.
Iſt man dem Gegenſtande, der das Echo erregt, ſehr nahe, und
zwiſchen der Gegend, von woher der Schall urſpruͤnglich kam und
dem Urſprunge des Echo, ſo bemerkt man keine deutliche Wiederho-
lung des Schalles, ſondern ein Nachtoͤnen, von jenem Gegenſtande
ausgehend, haͤngt ſich nur dem urſpruͤnglichen Schalle an. Entfernt
man ſich aber weiter vom Echo nach dem Orte zu, wo der Schall
her kam, ſo unterſcheidet man deutlich den das Ohr in grader Rich-
tung treffenden Schall und den nach einiger Zeit erſt, von dem das
Echo gebenden Koͤrper zuruͤckkommenden Schall; iſt man 500 Fuß
entfernt, ſo vergeht zwiſchen beiden Schall-Eindruͤcken etwa 1 Se-
cunde, weil der Schall ½ Secunde brauchte, um von uns bis zu
dem Gegenſtande zu gelangen und ½ Secunde, um wieder zuruͤck-
[329] zukommen. Hievon haͤngt zum Theil die Moͤglichkeit, daß ein Echo
mehrere Sylben wiederhole, ab, indem dies bei zu geringer Entfer-
nung nicht moͤglich iſt; aber damit das Echo rein ſei, muß auch
der Gegenſtand den Schall ganz genau in ſeiner unveraͤnderten Be-
ſchaffenheit zuruͤckwerfen. Dies iſt der Umſtand, durch welchen
es ohne Zweifel geſchieht, daß zuweilen ſelbſt unter guͤnſtig ſcheinen-
den Umſtaͤnden kein Echo gehoͤrt wird, weil es naͤmlich nicht allein
auf die Lage der Gegenſtaͤnde ankommt. Es iſt wohl ganz gewiß,
daß das Echo da am reinſten entſteht, wo der zuruͤckwerfende Ge-
genſtand geeignet iſt, ganz aͤhnliche Vibrationen anzunehmen, wie
die ſind, die er empfing, oder wenigſtens nicht, durch die antreffen-
den Lufttheilchen in Vibration geſetzt, eine zu ungleichartige Vibra-
tion erhalte. Die mehrmaligen Wiederholungen deſſelben Lautes
beim Echo entſtehen ſehr oft ganz deutlich daher, daß ein Zuruͤckwer-
fen zuerſt von naͤheren, dann von entfernteren Puncten zum Ohre
gelangt, zuweilen aber koͤnnen ſie auch, im minder freien Raume,
dadurch hervorgebracht werden, daß zuerſt die gradezu zu einem ge-
wiſſen Puncte gelangenden Schallwellen, ſpaͤter aber die von andern
Puncten zuruͤckgeworfenen und ſo nach mehreren Zuruͤckwerfungen
zum Ohre gelangenden Laute gehoͤrt werden. Da wo mehrere nach
einander angegebne Laute im Echo nach einander gehoͤrt werden,
wo man zum Beiſpiel eine Reihe laut ausgeſprochener Sylben wie-
derholt hoͤrt, muß die Entfernung des ruͤckwerfenden Gegenſtandes
groß genug ſein, damit die Sylben vollendet werden, und dann
erſt das Echo der erſten eintrifft. Rechnet man hoͤchſtens 5 Sylben,
die man laut genug in 1 Secunde ausſprechen kann, ſo muͤßte ein
fuͤnfſylbiges Echo eine Entfernung von 500 Fuß fordern; nach ein-
zelnen Erfahrungen reichen ſelbſt geringere Entfernungen zu, daß
aber Ebell ein 27 ſylbiges Echo bei 600 Fuß Entfernung gehoͤrt
hat, laͤßt ſich wohl nur als moͤglich annehmen, wenn erſtlich der
Sprechende dieſe Sylben ungemein ſchnell ausſprach und wenn zwei-
tens doch das Echo nur durch mehrmalige Zuruͤckwerfung, alſo in-
dem der Schall einen laͤngeren Weg durchlief, entſtand. — Der
merkwuͤrdige Umſtand, daß das Echo oft ſtaͤrker iſt, als ein in gra-
der Linie ſo weit fortgegangener Schall ſein wuͤrde, muß wohl da-
durch erklaͤrt werden, daß mehrere zuruͤckgeworfene Schallwellen ſich
in einem Puncte vereinigen oder auch der Gegenſtand, wie bei der
[330] Reſonanz, durch ſeine Beſchaffenheit geeignet ſei, den Schall zu
verſtaͤrken. Die Stimme eines Rufenden hoͤren wir in 2000 Fuß
Entfernung gewoͤhnlich kaum noch vernehmbar, aber ein Echo, das
von einem 1000 Fuß entfernten Gegenſtande kommt, iſt oft noch
ſehr deutlich. Daß dieſes dann nothwendig eintritt, wenn in einem
elliptiſchen Gewoͤlbe oder von einer elliptiſch geformten Mauer die
Toͤne regelmaͤßig nach dem andern Brennpuncte zuruͤckgeworfen wer-
den, wenn ſie im einen Brennpuncte hervorgebracht wurden, iſt
wohl gewiß, und fuͤr manche Schallverſtaͤrkungen in den Sprach-
gewoͤlben, wo man ein leiſe geſprochnes Wort an beſtimmtem
Puncte ausgeſprochen, an einem andern beſtimmten Puncte hoͤrt,
hat man hierin die Erklaͤrung gefunden. Aber es kann auch da ein-
treten, wo keine ſo genaue Vereinigung der Schallſtrahlen nachge-
wieſen werden kann. Denn wenn (Fig. 171.) a, b, c, d, ein-
zelne Gegenſtaͤnde ſind, die im Stande ſind, die von A ausgegang-
nen Vibrationen zuruͤckzuwerfen und dabei ſelbſt in aͤhnliche Schwin-
gungen verſetzt zu werden, ſo gehen von a, von b, c, d, Schall-
wellen, der dieſen Puncten mitgetheilten Staͤrke der Schall-Erre-
gung gemaͤß, nicht bloß in einer beſtimmten Richtung, ſondern in
betraͤchtlich verſchiedenen Richtungen aus, und ein Ohr in B ſo wohl
als in C und in mehreren Puncten wird das von allen dieſen
Puncten ausgehende Echo deutlich hoͤren, wenn die Wege des
Schalles nahe genug gleich lang ſind, um keinen Zwiſchenraum
zwiſchen dem vom einen und andern Puncte ausgehenden Schalle
merklich werden zu laſſen. Da nun unſer Ohr zwei Eindruͤcke, die
um \frac{1}{30} Secunde hinter einander folgen, gewiß nicht mehr unter-
ſcheidet, ſo kann man in B, C und mehreren Puncten ein verſtaͤrk-
tes Echo des in A erregten Schalles hoͤren, wenn die Wege Aa und
aB zuſammen, Ab und bB zuſammen, Ac und cB, Ad, dB,
zuſammen nur nicht um mehr als \frac{1020}{30}= 34 Fuß verſchieden ſind.
Daß dies in B, C und mehr Puncten ſtatt finden kann, iſt ein-
leuchtend.
Doch ich verweile zu lange bei dieſem Gegenſtande, der wenn
man das Echo an ſolchen Orten, wie bei Adersbach in Boͤhmen
hoͤrt, noch immer viel Raͤthſelhaftes und angenehm Ueberraſchendes
darbietet, und gehe zu einem andern noch merkwuͤrdigeren, dem
Toͤnen der Orgelpfeifen oder dem Entſtehen der Floͤtentoͤne, uͤber.
[331]
Toͤne der Orgelpfeifen und Floͤten.
Die Blaſe - Inſtrumente, deren wir uns zu muſicaliſchem
Zwecke bedienen, ſind von doppelter Art, indem bei einigen die Ent-
ſtehung des Tones von dem Schwingen eines duͤnnen Metallſtrei-
fens, der Zunge, oder uͤberhaupt von den Schwingungen des
Mundſtuͤckes abhaͤngt, bei andern aber die Luftſaͤule ſelbſt allein es
iſt, deren Vibrationen den Ton beſtimmen. Die letztern ſollen uns
zuerſt beſchaͤftigen. Um in dieſer Art von Orgelpfeifen die Luft in
zitternde Bewegung zu ſetzen, haben ſie die Einrichtung, daß ein
am einen Ende eindringender Luftſtrom an einer Seiten-Oeffnung
vorbeigehen muß, an deren Rande er ſich bricht, und dadurch eine
vibrirende Bewegung der Luft hervorbringt. Wenn die Pfeife von
unten bei C angeblaſen wird (Fig. 172), ſo iſt an dem Seiten-
Einſchnitte A die untere Seite, die untere Lippe, unter einem maͤ-
ßigen Winkel hineintretend, und der Luftſtrom, der von dem un-
tern Theile C nur durch eine ſchmale Oeffnung nahe unter A in
die Pfeife AB eintritt, bricht ſich an dem gleichfalls hineintretenden
obern Rande. Die bei A vorbeigehende Luft ſteht alſo hier immer
mit der aͤußern Luft in unmittelbarer Verbindung, und die Laͤnge
der in Zitterung geſetzten Luftſaͤule iſt nur von hier an bis an das
Ende B zu rechnen.
Um die Urſache zu erklaͤren, warum die Pfeife einen beſtimm-
ten Ton angiebt, und um die Hoͤhe dieſes Tones anzugeben, muß
ich Sie an einige Erfahrungen erinnern, die ſich uns bei der
Beobachtung der Wellen darboten, wenn dieſe von einem feſten
Gegenſtande, an dem Ende des Canals, in welchem man die
Wellen erregte, zuruͤckgeworfen werden. Hier gab es in einer
Entfernung von dem zuruͤckwerfenden Endpuncte, welche dem
Viertel einer Wellenlaͤnge gleich war, einen Punct, wo, dieſer
Wellenbewegung ungeachtet, die Hoͤhe der Waſſerflaͤche immer
gleich blieb, waͤhrend eben da ein wechſelndes Hingehen und Zu-
ruͤckgehen der Waſſertheilchen ſtatt fand. Um uns davon zu uͤber-
zeugen, hatten wir nur noͤthig, die vier Zeitmomente aufzufaſſen,
da der Anfangspunct eines Wellenberges, da der hoͤchſte Punct
eines Wellenberges, da der Anfangspunct eines Wellenthales, und
da der tiefſte Punct eines Wellenthales dieſen Interferenzpunct,
[332] ein Viertel der ganzen Wellenlaͤnge vom Endpuncte, erreicht. In
dem Augenblicke, da der Endpunct eines Wellenberges, welches zu-
gleich der Anfangspunct eines Wellenthales iſt, in dieſem Puncte e
(Fig. 105. II.) ankommt, iſt die vordere Haͤlfte des Wellenberges
zuruͤckkehrend mit der zweiten, erſt andraͤngenden Haͤlfte des Wel-
lenberges vereinigt, und von e an befindet ſich gegen die Wand zu
ein doppelt angeſchwellter Wellenberg ef, e aber hat die Hoͤhe der
dem Gleichgewichte entſprechenden Waſſer-Oberflaͤche. Iſt ein
Viertel einer Wellenlaͤnge vorbei geruͤckt, ſo waͤre die Tiefe des her-
andringenden Wellenthales und zugleich die Hoͤhe des zuruͤckkehren-
den Wellenberges in eben dem Puncte e angekommen; dieſe gleichen
einander aus, und k (Fig. 105. III.) hat noch immer die vorige
Hoͤhe, waͤhrend nun zugleich auch von c bis an die Wand die
Oberflaͤche horizontal iſt. Nach einer gleichen Zeit ſind in c e
(Fig. 105. IV.) der zuruͤckkommende Anfangspunct und der her-
andringende Endpunct des Wellenthales vereinigt; ein tiefes Wel-
lenthal liegt zwiſchen e und der Wand, aber in e iſt die Waſſer-
hoͤhe noch immer dieſelbe. Waͤhrend ſo in dem Interferenzpuncte,
wo das Anſchwellen des Wellenberges allemal durch ein zuruͤck-
kehrendes Wellenthal aufgehoben wird, die Oberflaͤche immer gleich
hoch bleibt, gehen entgegengeſetzte Oſcillationen unter dieſem Puncte
vorbei, indem zwiſchen dem Augenblicke, da der hoͤchſte Wellen-
berg und da das tiefſte Wellenthal ſich zwiſchen ihm und der
Wand befindet, offenbar die doppelte in eft enthaltene Waſſer-
maſſe unter e hinauswaͤrts fließt, und in dem folgenden, dem
Voruͤbergange einer halben Wellenlaͤnge gleichem Zeitraume eben-
ſoviel Waſſer wieder hereinfließt; und dieſe Oſcillationen, deren
Dauer in der einen Richtung und in der andern Richtung dem
doppelten Zeitraume des Vorruͤckens der Welle von e bis t (Fig.
105. II.) gleich iſt, wiederholen ſich unaufhoͤrlich.
Um dieſe Betrachtung der Wellenbewegung dem noch etwas
naͤher zu bringen, was ſich in den Orgelpfeifen uns zeigt, will
ich noch eine Bemerkung beifuͤgen. Befaͤnde ſich die ganze in
Wellenbewegung geſetze Maſſe in einem Canale, ſo duͤrfte man
den Waͤnden dieſes Canales in jenem Interferenzpuncte einen
Einſchnitt bis auf die Tiefe, welche der Waſſerhoͤhe im Ruhe-
ſtande gleich iſt, geben, ohne ein Ausfließen des Waſſers zu be-
[333] fuͤrchten, ſtatt daß naͤher gegen die Wand und uͤberhaupt in den
benachbarten Puncten der Canal mit hinreichend hohen Waͤnden,
damit die hoͤher ſteigenden Wellen nicht uͤberfließen koͤnnen, ver-
ſehen ſein muͤßte. Ja wir koͤnnen noch hinzufuͤgen, wenn ſich
jener Ausſchnitt der Wand in e befindet, ſo werden die Wellen im
Canale ſich ſo ordnen, daß et dem Viertel einer Wellenlaͤnge gleich
wird; denn wenn dies Anfangs nicht der Fall waͤre, ſo wuͤrde
das immer wieder eintretende Auslaufen einigen Waſſers aus die-
ſem Einſchnitte, den regelmaͤßigen Fortgang der Welle ſo lange
ſtoͤren, bis die Wellenlaͤnge ſich ſo geordnet hat, daß et einem
Viertel der Wellenlaͤnge gleich iſt, und dann erſt wuͤrde eine
Welle nach der andern ruhig ankommen und zuruͤckgeworfen werden.
Der Vorgang in den am Ende B geſchloſſenen oder gedeckten
Orgelpfeifen iſt dieſem ganz genau entſprechend, nur daß wir, ſtatt
eines Anſchwellens und eines Vertiefens der Oberflaͤche, hier eine
Verdichtung und Verduͤnnung der Lufttheilchen haben. Indem
der Luftſtrom (Fig. 172.), durch C eingelaſſen und durch einen
engen Spalt dicht an A gegen B zu hinaufdringend, beim An-
ſtoßen an die Lippe A eine Welle in der Pfeife erregt, ſcheint es
zuerſt, als ob dieſe Welle zufaͤllig jede Laͤnge annehmen koͤnnte;
aber es erhellt bald, daß die vom Ende B zuruͤckgeworfene Welle
mit der eintretenden zuſammentreffend ſich bald ſo ordnen werde,
daß in A die natuͤrliche Dichtigkeit ungeaͤndert bleibe. Da naͤmlich
hier eine freie Verbindung mit der aͤußern Luft ſtatt findet, ſo iſt
dies der Punct, wo wir vorhin einen Einſchnitt in der Canalwand
annahmen, und ſo wie bei den Waſſerwellen bei dieſem Einſchnitte
der Punct immer gleicher Hoͤhe lag, ſo liegt hier der Punct immer
gleicher Dichtigkeit. Die Luftwellen ordnen ſich daher ſo an, daß
die Entfernung von dem Einſchnitte A bis an das Ende B ein Vier-
tel der Wellenlaͤnge iſt, und ſo wie die Oſcillationen des unter
dem Interferenzpuncte herein und heraus ſtroͤmenden Waſſers in
den Zeiten wechſelten, die dem Hingange und Zuruͤckgange durch
dieſes Viertel der Wellenlaͤnge angemeſſen war, ſo dauert auch bei
der geſchloſſenen Orgelpfeife die Oſcillation ſo lange, als die Welle
Zeit gebraucht, um von A bis B und wieder zuruͤckzugehen, das iſt,
ſo lange, als der Schall Zeit noͤthig hat die Laͤnge AB zweimal zu
durchlaufen. Nach Zwiſchenraͤumen, die dieſer Zeit gleich ſind,
[334] treten, immer wiederholt, die entgegengeſetzten Zuſtaͤnde ein, und
dieſe Vibrationen werden uns als Ton hoͤrbar. Und hiemit iſt alſo
der Ton, den die Orgelpfeife giebt, beſtimmt; denn da die Fort-
pflanzung der Schallwellen ziemlich nahe 1024 Fuß in 1 Sec.
betraͤgt, ſo wird eine Pfeife, die von A bis B 1 Fuß lang iſt,
in \frac{1}{512} Secunde hin und her vom Schalle durchlaufen, und ihre
Oſcillationszeit iſt \frac{1}{512} Secunde. Findet man alſo daß ſie das
eingeſtrichne c angiebt, ſo iſt damit beſtaͤtiget, daß der Ton c̅
512 Schwingungen in 1 Secunde macht. Eine 16fußige am
Ende B geſchloſſene oder gedeckte Pfeife giebt einen Ton, der
32 Schwingungen in 1 Secunde macht, und dieſes iſt derjenige
Ton C, der noch eine Octave tiefer, als das Contra C liegt.
Aber die geſchloſſene Pfeife kann nicht bloß einen Ton
geben, ſondern die beiden Bedingungen, daß die Lufttheilchen am
Ende bei B alle ihre Geſchwindigkeit verlieren, und daß an der
Oeffnung bei A die Dichtigkeit immer unveraͤnderlich bleibt, kann
noch in mehrern Faͤllen erfuͤllt werden. Auch hier naͤmlich findet
eine Zerlegung der Luftſaͤule in mehrere Theile, ein Entſtehen von
Schwingungsknoten ebenſo gut, wie bei den Saiten ſtatt, jedoch
wird dazu eine gehoͤrige Moderirung des Anblaſens erfordert. Neh-
men wir an, B ſei (Fig. 173.) eben der vorhin betrachtete Inter-
ferenzpunct, die Roͤhre erſtrecke ſich aber weiter, ſo wird in E,
wenn BE = BD iſt, ein ebenſolcher Punct wie
D, wo die Luft-
theilchen aller fortruͤckenden Bewegung beraubt ſind, ſich finden.
Nach der Vergleichung mit der Waſſerwelle liegt E eine halbe
Wellenbreite von D entfernt, und folglich iſt in E die groͤßte vor-
ruͤckende Wellentiefe mit der groͤßten zuruͤckkehrenden Wellentiefe
vereinigt, wenn in D der Gipfel des Wellenberges ankoͤmmt; aber
die zuruͤckkehrenden Theilchen in dem tiefſten Wellenthale haben
eben die Geſchwindigkeit nach der einen Richtung, wie die vor-
ruͤckenden Theilchen des tiefſten Wellenthales nach der andern Rich-
tung, dieſe Geſchwindigkeiten zerſtoͤren ſich daher, und es bildet ſich
in E zwar ein tiefes Wellenthal, aber ohne Fortruͤcken nach der
Richtung der Roͤhre. Ebenſo wenn der Anfang des Wellenberges
in D ankoͤmmt, ſo iſt in E ein herandringender Anfang des Wellen-
thales und ein zuruͤckkehrender Anfang des Wellenthales, wo aber-
mals entgegengeſetzt gleiche Geſchwindigkeiten ſich zerſtoͤren; und ſo
[335] in allen Faͤllen. In F, wenn DB = BE = EF, iſt wieder
ein Punct immer gleicher Dichtigkeit der Luft oder ein ebenſolcher
Interferenzpunct, wie wir ihn in B fanden, wo die Geſchwindig-
keit der Vibrationen in gleichen Zeitzwiſchenraͤumen ſtark wechſelt,
die Dichtigkeit aber ungeaͤndert bleibt, und ſo wuͤrde, wenn die
Roͤhre laͤnger iſt, in G ein Punct der Ruhe, ein Schwingungs-
knoten, in A ein Punct ungeaͤnderter Dichtigkeit liegen. Dieſe
Betrachtungen zeigen, daß eine bei A offene, bei D geſchloſſene Pfeife
erſtlich den Ton angeben kann, der der Schallfortpflanzung durch
ADDA gemaͤß iſt, dieſes iſt der Grundton der Roͤhre; aber es
kann ſich auch die Roͤhre in drei gleiche Theile zerlegen, ſo daß D
und 1 Puncte ſind (Fig. 174.), durch welche keine Bewegung der
Lufttheilchen vorwaͤrts und ruͤckwaͤrts ſtatt findet, und zwiſchen
welchen die Theilchen ſo vibriren, daß in D und in 1 die Dichtigkeit
am ſtaͤrkſten, in H und A dagegen gar nicht wechſelt. Da hier
die Vibrationen ſich ſo oft erneuern, als es der auf ein Drittel her-
abgeſetzten Wellenlaͤnge gemaͤß iſt, ſo giebt eben die Roͤhre dreimal
ſo viele Vibrationen in derſelben Zeit, als vorhin, ihr Ton iſt alſo,
wenn dieſe Eintheilung ſtatt findet, die Octave der Quinte des bei
der erſten Schwingungs-Art beobachteten Grundtones. Ebenſo
kann ſich die Pfeife in fuͤnf gleiche Theile zerlegen, und da die Wie-
derkehr der Vibrationen jetzt ſo ſchnell iſt, als die Fortpflanzung des
Schalles hin und zuruͤck durch ein Fuͤnftel der Laͤnge, alſo 5 Vi-
brationen dieſes Tones auf einen des Grundtones kommen, ſo giebt
die Pfeife die doppelte Octave der großen Terze des Grundtones.
Andre Toͤne als die durch 1, 3, 5, 7, 9, 11 gleichzeitige Vibra-
tionen ausgedruͤckten, kann die am einen Ende geſchloſſene Pfeife
nicht geben, und ſo wie die theoretiſche Betrachtung dies ergiebt, ſo
zeigt es auch die Erfahrung.
In eben dieſen Betrachtungen iſt nun auch die Theorie der an
beiden Enden offenen Orgelpfeifen ſchon vollendet. Wenn ſich in
der gedeckten Pfeife, durch eine richtige Maͤßigung oder Verſtaͤrkung
des Anblaſens mehrere abgeſondert ſchwingende Luftſaͤulen (Fig.
175.), von D bis E, E bis G, G bis 1 reichend, gebildet haben,
ſo daß in C, F, H, Puncte unveraͤnderlicher Dichtigkeit ſind, ſo
bringt es keine Aenderung in der Vibration der Luftſaͤule hervor,
wenn auch in dieſen Puncten C, F, H, A ſich Oeffnungen befaͤn-
[336] den. Ein ſolcher Theil CA der Roͤhre iſt daher, als eine an bei-
den Enden offenen Pfeife anzuſehen, und es erhellt leicht, daß ſich
hier die Luftwelle entweder ſo bilden kann, daß in G ein einziger
ruhender Punct iſt, oder daß zwei ruhende Puncte auf ein Viertel
von jedem Ende liegen, waͤhrend in der Mitte ſich ein Punct un-
veraͤnderlicher Dichtigkeit findet, oder ſo daß es drei ruhende Puncte
giebt, die auf ein Sechstel, drei Sechstel, fuͤnf Sechstel der Laͤnge
liegen; oder vier ruhende Puncte auf ein Achtel, drei Achtel, fuͤnf
Achtel, ſieben Achtel vom einen Ende. — Die verſchiedenen Toͤne,
die ſich dann ergeben, ſind: erſtlich der Grundton, deſſen Schwin-
gungszeit ſo groß iſt, als der Schall gebraucht, um ſich durch die
eine Haͤlfte hin und zuruͤck zu bewegen, oder eine Entfernung, der
Laͤnge der ganzen offenen Pfeife gleich, zu durchlaufen; zweitens
die Octave des Grundtons, naͤmlich der Schwingungszeit ent-
ſprechend, die der Schall noͤthig hat, um das eine Viertel hin
und zuruͤck zu durchlaufen; drittens die Octave der Quinte, als
dem Drittel der Laͤnge, oder dem hin und her durchlaufenen
Sechstel entſprechend; viertens die doppelte Octave; fuͤnftens die
doppelte Octave der großen Terze des Grundtons; ſechstens die
doppelte Octave der Quinte und ſo weiter.
Die Erfahrung beſtaͤtiget dieſe Schluͤſſe der Hauptſache nach
ganz vollkommen. Wenn man zwei gleich lange Pfeifen, die eine
am Ende geſchloſſen, die andre offen, anblaͤſt, ſo iſt der Grund-
ton jener um eine Octave tiefer, und jene kann nicht die naͤchſt
hoͤhere Octave, wohl aber die Octave der Quinte und ſo ferner,
angeben. Die offene 32fußige Orgelpfeife giebt das ſogenannte
32fußige C, welches zwei Octaven tiefer liegt, als der unter dem
Namen des großen C auf dem Clavier bekannte Ton; — eben
denſelben, den die 16fußige geſchloſſene Pfeife giebt.
Die Uebereinſtimmung der Erfahrung mit der Theorie iſt
deſto genauer, je weniger die Weite der Roͤhre erheblich in Ver-
gleichung gegen die Laͤnge iſt; bei Roͤhren, die ziemlich kurz, einen
nicht viel geringeren Durchmeſſer haben, als ihre Laͤnge, treten
Abweichungen ein. Savart's hieruͤber angeſtellte Verſuche zeigen,
daß fuͤr den Ton a̅̅̅, der bei 0° Waͤrme hervorgeht, wenn die Luft-
ſaͤule 172⅘ Linien lang iſt, eine Laͤnge von 170 Linien erforderlich
[337] war, wenn der Durchmeſſer 15 Linien betrug, 144 Linien bei
54 Linien Durchmeſſer, 127 Linien bei 96 Linien Durchmeſſer,
und daß Pfeifen von 72 Linien Laͤnge das fuͤnf geſtrichne c angaben
bei 10 Linien Weite, aber das vier geſtrichne fis bei 54 Linien Weite.
Es erhellt leicht, daß dies kein Einwurf gegen die Theorie iſt, in-
dem dieſe annimmt, daß in einer ſehr engen Roͤhre gar keine Sei-
tenbewegung ſtatt finden koͤnne. Eine zweite kleine Abweichung
von der Theorie zeigt die Erfahrung darin, daß der Ton nicht ganz
und gar bei ungleicher Staͤrke des Anblaſens ungeaͤndert bleibt; er
wird naͤmlich bei ſtaͤrkerem Anblaſen ein wenig hoͤher, und man
ſieht daher daß jene Beſtimmung des mit der Oeffnung zuſammen-
fallenden Interferenzpunctes kleinen Schwankungen unterworfen iſt,
auf welche die angegebne einfache Theorie nicht Ruͤckſicht nimmt.
Dieſe beruhen darauf, daß die im vollkommenſten Sinne unveraͤn-
derliche Dichtigkeit an der Oeffnung A nicht ſo durchaus ſtrenge
ſtatt findet, und daß ſelbſt die Vorausſetzung, daß der feſte Boden
der am einen Ende geſchloſſenen Pfeife nicht im geringſten mit vi-
brire, offenbar nicht als ganz ſtrenge wahr gelten kann.
Savart hat auch einen ſinnreichen Verſuch ausgedacht, um
jene Ruhepuncte der Luftſaͤule dem Auge kenntlich zu machen.
Haͤngt man naͤmlich ein duͤnnes Papierſtuͤckchen, etwas kleiner
als der Durchmeſſer der Pfeife, die man dann am beſten von
Glas nimmt, ſo an Faͤden auf, daß es horizontal ſchwebend in
die vertical gehaltne Pfeife hinabgelaſſen werden kann, ſo ſieht
man, daß die in andern Gegenden der Roͤhre ſehr bemerkbaren
Schwingungen des Papierſtuͤckchens, am ſchwaͤchſten ſind, wenn
es die Mitte der Roͤhre erreicht; wenn es ſich da befindet, ſo iſt
der Ton der Pfeife verſtaͤrkt, vermuthlich deswegen, weil die
durch den fremden Koͤrper hervorgebrachte Daͤmpfung, der Lage
des Schwingungsknotens eine groͤßere Beſtimmtheit giebt, ebenſo,
wie beim Beruͤhren der Saite mit dem Finger.
Fortpflanzung des Schalles in andern Luft-Arten.
Die bisher entwickelte Theorie der Orgeltoͤne giebt uns zu-
gleich ein Mittel, die Schnelligkeit der Fortpflanzung des Schalles
in andern Luft-Arten zu beſtimmen. Man bringt naͤmlich an
einer Pfeife, deren genaue Laͤnge und deren Ton in der atmoſphaͤ-
I. Y
[338] riſchen Luft bekannt iſt, eine Blaſe ſo an, daß beim Zuſammen-
druͤcken der Blaſe die Pfeife angeblaſen wird, und den ihrer Laͤnge
angemeſſenen Ton giebt. Dieſe Pfeife bringt man in eine auf die
Luftpumpe geſetzte Glocke, deren obere Oeffnung ſo geſchloſſen wird,
daß die Pfeife luftdicht hervorragt und die Blaſe ſich außerhalb
befindet; man fuͤllt nun die Glocke und die Blaſe mit derjenigen
Luft-Art, die man pruͤfen will, damit die Pfeife mit dieſer Luft-
Art gefuͤllt ſei, und von der Blaſe aus eben die Luft-Art zum
Anblaſen verwandt werde. Indem dann durch einen Druck auf
die Blaſe die Pfeife zum Toͤnen gebracht wird, muß man mit
Huͤlſe des Monochords oder eines richtig geſtimmten Taſten-In-
ſtruments den Ton beſtimmen, welchen die Pfeife angab, und
leitet daraus her, in welcher Zeit der Schall die Laͤnge der Pfeife
durchlaͤuft und folglich welchen Raum der Schall in 1 Secunde
durchlaufen wuͤrde, wenn er ſich immer in dieſer Luft-Art fort-
pflanzte. Faͤnde man zum Beiſpiel im Waſſerſtoffgas den Ton
einer 12 Zoll langen Pfeife, als das drei geſtrichne c, ſo wuͤrde
man, da das drei geſtrichne c 2048 Schwingungen in 1 Secunde,
alſo das drei geſtrichne e 2560 Schwingungen in 1 Secunde macht,
ſagen, durch die offene Pfeife geht der Schall in \frac{1}{2560} Secunde,
oder in 1 Secunde durch 2560 Fuß. Die Verſuche geben nach
Verſchiedenheit der Reinheit des Waſſerſtoffgas etwas mehr oder
weniger. Die Theorie wuͤrde hier bei einer Luft-Art, die ein Vier-
tel ſo dicht iſt, bei gleicher Elaſticitaͤt, eine doppelt ſo große Schnel-
ligkeit fordern; aber ſtrenge trifft dieſe Beſtimmung nicht zu, indem
ohne Zweifel auch hier durch die Waͤrme-Entwickelung, welche mit
der Verdichtung verbunden iſt, eine eben ſolche, aber bei jeder Luft-
Art anders beſtimmte Abweichung vom Mariotteſchen Geſetze ſtatt
findet, wie wir ſie bei atmoſphaͤriſcher Luft bemerkt haben.
So lernen wir die Schnelligkeit der Fortpflanzung des Schal-
les in andern Luft-Arten kennen, aber freilich nicht mit einer ganz
vollkommenen Genauigkeit, weil ſelbſt in derſelben Gas-Art der
Ton nicht immer genau gleich bleibt. Dieſe kleinen Unterſchiede
entſtehen daher, weil einige Verſchiedenheit im Anblaſen den Ton
um etwas Weniges aͤndern kann, ſo wie denn auch der Einfluß der
Weite der Roͤhre, von welchem ich vorhin geredet habe, nicht ganz
[339] ſtrenge den Schluß auf die Fortpflanzung in einer ganzen Secunde
geſtattet.
Was die Staͤrke des Schalles in verſchiedenen Gas-Arten be-
trifft, ſo bemerkt Leſlie, daß der Schall in Hydrogengas viel
ſchwaͤcher, als in gleich dichter atmoſphaͤriſcher Luft iſt. Er ſucht
den Grund hiefuͤr in der ſo ſehr ſchnellen Fortpflanzung der Schwin-
gungen.
Von den hier entwickelten Geſetzen fuͤr die Toͤne der offenen
Orgelpfeifen haͤngen auch die Toͤne der Floͤte ab, und uͤberhaupt
die Toͤne der Inſtrumente, welche ohne Mundſtuͤck bloß durch die
Vibration der in ihnen enthaltenen Luft Toͤne geben. Die bei der
Floͤte bald geoͤffneten, bald geſchloſſenen Loͤcher beſtimmen die Laͤnge
der toͤnenden Luftſaͤule.
Bei denjenigen Inſtrumenten, die nicht durch Seiten-Oeff-
nungen eine Aenderung der toͤnenden Luftſaͤule erhalten koͤnnen,
laſſen ſich keine andre Toͤne hervorbringen, als die, welche eine offene
Roͤhre von unveraͤnderlicher Laͤnge geben kann, naͤmlich diejeni-
gen, deren Schwingungszahl nach der Folge der natuͤrlichen Zahlen
fortgeht; kleine Abaͤnderungen in den Toͤnen, die nicht in unſre
Tonleiter paſſen wuͤrden, bringt man durch Abaͤnderung der Muͤn-
dung und durch Abaͤnderung im Anblaſen hervor.
Zungenpfeifen.
Alle dieſe Unterſuchungen ſetzten voraus, daß die in der Pfeife
enthaltene Luft durch nichts gehindert wird, diejenigen Vibrationen
anzunehmen, die ſie durch Zerlegung in regelmaͤßige Luftwellen am
natuͤrlichſten anzunehmen im Stande iſt; aber es giebt eine andre
Art von Orgelpfeifen und Blaſe-Inſtrumenten, bei denen die ur-
ſpruͤngliche Beſtimmung des Tones von andern Vibrationen aus-
geht. Bei den Zungenpfeifen naͤmlich iſt die Roͤhre, durch welche
das Einblaſen der Luft geſchieht, an der Seite durch eine bewegliche
Platte, die Zunge, ſo geſchloſſen, daß die hervordringende Luft
dieſe Zunge, welche am einen Ende befeſtigt iſt, wie eine geoͤffnete
Klappe nach außen draͤngt. Die elaſtiſche Zunge nimmt hiedurch,
indem ſie bald dem Luftſtoße folgend ſich, durch die Traͤgheit fort-
gefuͤhrt, zu weit oͤffnet, bald zuruͤckgehend den Luftſtrom beengt,
gleichzeitig wechſelnde Vibrationen an, und giebt auf dieſe Weiſe
Y 2
[340] einen Ton, der zunaͤchſt durch die Laͤnge und Beſchaffenheit der
Zunge beſtimmt wird. Indem aber dieſe Zunge am Anfange einer
eingeſchloſſenen Luftſaͤule, am einen Ende der Orgelpfeife, ſich be-
findet, ertheilt ſie der ganzen Luftſaͤule die Schwingungen, welche
ſie ſelbſt annimmt, und der dadurch ungemein verſtaͤrkte Ton iſt
es, den wir durch dieſe Pfeifen vernehmen.
Daß hier nicht eine jede Laͤnge der Orgelpfeife gleich gut geeig-
net ſein werde, den Ton einer beſtimmten Zunge zu unterſtuͤtzen,
ſondern daß diejenige Laͤnge ſich am beſten dazu ſchicke, die ſchon
ſelbſt dem Tone angemeſſen iſt, welchen die Zunge hervorbringen
ſoll, laͤßt ſich wohl uͤberſehen; genauere Verſuche zeigen aber auch,
daß gegenſeitig die Laͤnge der in Zitterung zu ſetzenden Luftſaͤule eben-
ſogut auf die Vibrationen der Zunge einwirkt, wie dieſe auf jene.
Ein Verſuch von Biot, den er anſtellte, um die verſchiedenen Toͤne
offener Roͤhren hervorzubringen, zeigt dieſes ſchon. Er brachte
naͤmlich durch den Seiten-Einſchnitt der Orgelpfeife ein duͤnnes
Blech, allmaͤhlig weiter und weiter vorgeſchoben, in die Roͤhre,
und bewirkte dadurch, waͤhrend das Anblaſen ganz gleich fortgeſetzt
wurde, daß der Grundton in die verſchiedenen hoͤhern Toͤne hinuͤber
ſprang, wobei, wenn die kleine Blechplatte allmaͤhlig weiter hinein-
geſchoben ward, nicht ein durch fortgehende Aenderung des Tones
ſchreitender Uebergang zu dem neuen Tone ſtatt fand, ſondern ein
gaͤnzliches Unterbrechen des Toͤnens eintrat, bis die Stellung des
Bleches die richtige fuͤr den neuen Ton war. Offenbar wirkte hier
das Blech, wie eine vibrirende Zunge, und nur dann, wenn ſie
ſich mit einer der natuͤrlichen Vibrationen der Luftſaͤule in eine Ue-
bereinſtimmung ſetzen konnte, ging ein Ton hervor. Genauer hat
dieſen Zuſammenhang zwiſchen den Toͤnen des Zungenrohres und
der Laͤnge der Luftſaͤule der juͤngere Weber unterſucht, der unter
andern Verſuchen folgenden anſtellte. Ein Zungen-Inſtrument,
wo naͤmlich die kleine durch die Zunge abwechſelnd geoͤffnete und ge-
ſchloſſene Roͤhre noch nicht mit einer laͤngern Pfeife verſehen war,
gab den Ton g̅, welcher als durch die abwechſelnden Unterbrechun-
gen des hervorbringenden Luftſtromes beſtimmt anzuſehen iſt.
Wurde nun dieſes Inſtrument mit laͤngeren und laͤngeren Roͤhren,
ſo wie es bei den Orgelpfeifen geſchieht, verbunden, ſo ging bei
der immer groͤßern Verlaͤngerung der Ton durch alle Zwiſchentoͤne
[341] um eine ganze Octave herunter; aber als er dieſe Tiefe bei reichlich
16 Zoll Laͤnge der Roͤhre erreicht hatte, ſprang er bis zu g̅ zuruͤck
und von dieſer Laͤnge an brachte eine neue Verlaͤngerung wieder
eben die etwas tiefern Toͤne hervor, wie vorhin bei geringerer Laͤnge;
bei ungefehr 30 Zoll Laͤnge war der Ton ungefehr um drei ganze
Toͤne bis d herunter, und bei 33 Zoll Laͤnge fing der Ton g̅ wieder
an, neben d und cis hervorzugehen; bei groͤßerer Verlaͤngerung
fingen die Toͤne, zu g̅ zuruͤckſpringend, wieder von g̅ an tiefer zu
werden, gingen aber nun nur bis d̅i̅s̅ herab; da wo der Ueberſprung
zu g̅ zuruͤck eintrat, gab die Roͤhre zwei Toͤne nach Verſchiedenheit
des Anblaſens, ſtatt daß ſie bei andrer Laͤnge durchaus nur einen
Ton gab. In Hinſicht auf dieſes Zuruͤckſpringen iſt es nun merk-
wuͤrdig, daß 16 Zoll 3 Linien die Laͤnge iſt, bei welcher die offene
Roͤhre fuͤr ſich allein den Ton g̅ geben wuͤrde, und daß immer,
wenn die Roͤhre um ſo viel verlaͤngert wurde, der Ton g̅ wieder
zuruͤckkehrte. Man ſieht hieraus, daß die Zunge, indem ſie die Luft-
ſaͤule mit in Bewegung ſetzen ſoll, im Allgemeinen zu langſamerer
Bewegung gezwungen wird; hat aber die Luftſaͤule die Laͤnge, die
dem urſpruͤnglichen Tone des Zungen-Inſtrumentes angemeſſen
iſt, ſo kehrt die natuͤrliche Schwingungszahl der Zunge zuruͤck, und
dieſes geſchieht auch dann, wenn die Orgelpfeife die mehrfache Laͤnge
hat, und ſich daher die Luftſaͤule in Theile, jenen Vibrationen
gemaͤß, theilen kann.
Dieſe Zungenpfeifen, die man ehmals Schnarrwerke nannte,
die man aber durch eine verbeſſerte Einrichtung der Zunge, ſo daß
dieſe ohne anzuſtoßen ihre Vibrationen frei vollendet, von dem Un-
angenehmen eines rauhen Tones gaͤnzlich befreit hat, gewaͤhren den
Vortheil, daß man ein Anſchwellen und Nachlaſſen in der Staͤrke
des Tones bei ihnen bewirken kann, was hingegen bei den Floͤten-
roͤhren, bei denen, wo die Luftſaͤule ohne Zunge ſchwingt, nicht ſtatt
findet. Dieſe naͤmlich ſpringen bei einem veraͤnderten Anblaſen zu
leicht in einen der hoͤheren Toͤne uͤber, die ſie zu geben im Stande
ſind; die Zungenpfeifen ſind dagegen dieſem Ueberſpringen nicht
unterworfen.
Aber obgleich dieſes Hinuͤbergehen zu Toͤnen, die um eine
ganze Octave oder noch mehr vom Grundtone entfernt liegen, bei
[342] den Zungenpfeifen nicht ſtatt findet, ſo koͤnnen doch auch ſie auf
eine doppelte Weiſe um etwas Weniges von ihrem richtigen Tone
abweichen, und hieran hat der Scharfſinn des juͤngeren Weber
ein Mittel geknuͤpft, um voͤllig unveraͤnderliche Pfeifen zu erhalten.
Ich habe ſchon vorhin erwaͤhnt, daß die Floͤtenroͤhren ſich bei etwas
verſtaͤrktem Anblaſen in einen etwas hoͤhern Ton hinuͤberziehen, und
ebenſo kann es bei den Zungenpfeifen geſchehen, wenn bei ihnen die
Vibration der Luftſaͤule das Vorherrſchende iſt; dagegen wuͤrde eine
bloße Zunge, durch ſtaͤrkeres Anblaſen in groͤßere Vibrationen geſetzt,
einen etwas tiefern Ton geben, als bei maͤßigem Anblaſen, und
eine Zungenpfeife, bei der die Zunge vorherrſchend einwirkt, wird
alſo dieſem Fehler unterworfen ſein. Es laͤßt ſich daher wohl uͤber-
ſehen, daß hier eine Compenſation beider Fehler moͤglich iſt, wenn
man die Luftſaͤule, welche man der ſchwingenden Zunge zuordnet,
grade ſo beſtimmt, daß kein Vorherrſchen der Zunge und auch kein
Vorherrſchen der Luftſaͤule bei der Einwirkung auf den Ton ſtatt
findet. Weber hat die Verhaͤltniſſe, die bei ſolchen Compenſa-
tionspfeifen ſtatt finden muͤſſen, beſtimmt angegeben, und dadurch
das Mittel gefunden, um beim Anſchwellen des Tones dennoch
denſelben Ton genau zu erhalten, ſo daß man hoffen darf, auf
dieſe Weiſe eine große Vervollkommnung der Zungenpfeifen zu er-
halten.
Von dem, was ſonſt zum Bau der Orgel gehoͤrt, das die von
den Blaſebaͤlgen hergetriebene Luft in den Windladen verdichtet wird,
und nun indem durch das Anziehen der Regiſter der Zugang zu ge-
wiſſen Syſtemen von Pfeifen, und durch das Anſchlagen der Taſten
der Zugang zu den Pfeifen der einzelnen Toͤne geoͤffnet wird, das
Anblaſen der beſtimmten Pfeifen ſtatt finden kann, und ſo weiter,
kann ich hier nicht wohl etwas Umſtaͤndlicheres erwaͤhnen.
[343]
Vier und Zwanzigſte Vorleſung.
Laͤngentoͤne feſter Koͤrper.
An die Unterſuchungen uͤber die Toͤne der Orgelpfeifen, die
ich Ihnen, m. h. H., neulich zu erklaͤren ſuchte, ſchließt ſich die
Lehre von den Laͤngentoͤnen feſter Koͤrper an.
Nicht bloß in transverſale Schwingungen laͤßt ſich eine Saite
oder ein Stab verſetzen, ſondern er iſt noch mehrerer Schwingungs-
Arten faͤhig, unter denen indeß nur die Laͤngenſchwingungen uns
hier etwas naͤher beſchaͤftigen ſollen. Nur um den ganzen Umfang
der Unterſuchungen anzudeuten, die ſich dem theoretiſchen Forſcher
bei der Betrachtung der Vibrationen feſter Koͤrper darbieten, will
ich bemerken, daß nach Chladni's und Savart's Verſuchen die
Staͤbe auch noch eine drehende Schwingung anzunehmen und uͤber-
dies ſich in der Breite ebenſo abwechſelnd auszudehnen faͤhig ſind,
wie in der Laͤnge. Die Theorie ſollte eigentlich angeben, wie die
vier Haupttoͤne, die dieſen Vibrations-Arten entſprechen, einer
durch den andern beſtimmt werden, und Poiſſon und Navier
haben ſich bemuͤht, die dieſen Gegenſtand betreffenden theoretiſchen
Beſtimmungen weiter zu verfolgen. Da wir indeß jetzt noch nur
die erſten Schritte zu einer ſolchen Beſtimmung vor uns ſehen, ſo
muß ich dieſen ſchwierigen Gegenſtand verlaſſen, und zu dem uͤber-
gehen, was die Erfahrung von den Laͤngentoͤnen angiebt.
Wenn man eine Saite mit dem Violinbogen in diejenigen Vi-
brationen, welche man transverſale nennt, die wir fruͤher betrachtet
haben, verſetzen will, ſo bemuͤht man ſich, mit den verſchiedenen
Puncten des Bogens immer einerlei Punct der Saite zu ſtreichen;
aber man kann umgekehrt verfahren, mit einerlei Puncte des unter
einem ſpitzen Winkel gegen die Richtung der Saite geneigten Bo-
gens auf der Saite hin und her ſtreichen, und dann erhaͤlt man,
bei gehoͤriger Behandlung, den Laͤngenton der Saite. Noch leichter
und recht wohltoͤnend erhaͤlt man Laͤngentoͤne aus Glasſtaͤben, in-
dem man eine ziemlich lange Glasroͤhre oder einen duͤnnen Glasſtab
mit einem feuchten Lappen der Laͤnge nach reibt, waͤhrend dieſer
[344] Koͤrper in der Mitte zwiſchen zwei Fingern feſtgehalten wird. In-
dem man den Glasſtab ſo haͤlt, noͤthigt man ihn, ſo zu ſchwingen,
daß in der Mitte ein Schwingungsknoten ruhend bleibt, und man
erhaͤlt hier als tiefſten Ton denjenigen, der um eine Octave hoͤher
iſt, als der tiefſte Ton, den eben der Stab geben wuͤrde, wenn
man ihn am einen Ende feſt einſpannt und dann mit einem feuch-
ten Lappen nahe am andern Ende reibt. Bei dieſen Laͤngenſchwin-
gungen erleidet der Stab abwechſelnde Verlaͤngerungen und Verkuͤr-
zungen und zwar in ſeiner ganzen Laͤnge, wenn er am einen Ende
ganz feſt eingeſchraubt iſt, oder von der Mitte ausgehend in ſeiner
halben Laͤnge, wenn er in der Mitte gehalten wird. Theilt ſich
der Stab in mehrere Stuͤcke ab, ſo daß ſich mehrere Knoten bilden,
ſo iſt der Ton ein hoͤherer.
Dieſe Laͤngentoͤne ſind bei Koͤrpern von verſchiedener Materie
hoͤchſt verſchieden, wenn auch die Laͤnge der Staͤbe gleich iſt; auf
die Dicke des Stabes, die jedoch nie ſehr groß werden darf, koͤmmt
es nicht an; nimmt man aber ungleich lange, aus einerlei Materie
beſtehende Staͤbe, ſo iſt die Schwingungszahl fuͤr den tiefſten Ton
der Laͤnge umgekehrt proportional.
So wie eine offene Orgelpfeife den Ton giebt, welcher der Zeit
gemaͤß iſt, in welcher ſich der Schall durch ihre ganze Laͤnge fort-
pflanzt, ſo giebt auch der Stab, in der Mitte gehalten, denjenigen
Laͤngenton, welcher der Zeit gemaͤß iſt, die der Schall gebraucht,
um ſich durch die Maſſe des Stabes fortzupflanzen. Hier haben
wir alſo ein Mittel um die Schnelligkeit der Fortpflanzung des
Schalles in feſten Koͤrpern zu beſtimmen, denn da ein Silberſtab
einen Laͤngenton giebt 3 Octaven und einen ganzen Ton hoͤher, als
eine ebenſo lange offene Orgelpfeife, ſo ergiebt ſich daraus, daß der
Schall ſich durch das Silber ungefehr 9 mal ſo ſchnell als durch die
Luft fortpflanzt, weil der Ton, welchen der Silberſtab giebt, 9 Vi-
brationen macht, waͤhrend die Luftſaͤule eine macht. Man kann
daher nach Chladni's Beſtimmung ſagen, daß der Schall ſich im
Silber in 1 Secunde durch 9240 Fuß, im Glaſe in 1 Secunde
durch 17460 Fuß fortpflanzt. Hiernach muß ein Glasſtab von
6 Fuß Laͤnge 2910 Schwingungen in 1 Secunde machen und den
Ton fiſ̅̅̅ ungefehr angeben, und ein Glasſtab von 2⅛ Fuß Laͤnge wird
[345] ziemlich nahe das fuͤnf geſtrichne c angeben. Man kann daher durch
Huͤlfe der Laͤngentoͤne diejenigen Toͤne vergleichen und ihre Schwin-
gungszeiten beſtimmen, die fuͤr Vergleichung mit den muſicaliſch
anwendbaren Toͤnen zu hoch ſind.
Dieſe große Schnelligkeit der Fortpflanzung des Schalles durch
feſte Koͤrper hat man auch durch andre Verſuche dargethan. Biot
beobachtete an einer 2800 Fuß langen Roͤhrenleitung, daß man den
am einen Ende angegebenen Laut doppelt hoͤrte, und daß der durch
die Maſſe der Roͤhre fortgepflanzte Schall dem durch die Luft fort-
gepflanzten ſo voreilte, daß jener nur etwa ¼ Secunde konnte ge-
braucht haben; darnach muͤßte die Geſchwindigkeit der Fortpflanzung
durch die Maſſe der Roͤhre ungefehr 11000 Fuß in 1 Secunde be-
tragen, was mit Chladni's Beſtimmungen ſo nahe uͤbereintrifft,
als Biot's oberflaͤchlicher Verſuch geſtattet.
Mit dieſer ſchnelleren Fortpflanzung bei ſo großer Dichtigkeit
haͤngt auch die minder geſchwaͤchte Fortpflanzung des Schalles in
feſten Koͤrpern zuſammen. Wenn man an eine ziemlich entfernt
liegende Taſchen-Uhr einen langen Stab von Holz oder Metall haͤlt
und das andre Ende des Stabes an das Ohr bringt, ſo hoͤrt man
den Schlag der Unruhe viel lauter mit Huͤlfe des Stabes; bildet
man zwei einander beruͤhrende Staͤbe zu einem Winkel und laͤßt den
einen die Uhr beruͤhren, ſo glaubt man den Schall, nachdem er
beide Staͤbe durchlaufen hat, nach der Richtung des letzten Stabes
zu hoͤren. — Eben darauf beruht die Erfahrung, daß man das
Getoͤſe herankommender Menſchen und Pferde beſſer hoͤrt, wenn
man das Ohr an die Erde legt, wenigſtens bei Nacht, wo kein
andres Geraͤuſch hindert.
Eben dieſe ſchnelle und weniger geſchwaͤchte Fortpflanzung des
Schalles findet auch durch das Waſſer ſtatt. Nach Beudant's,
freilich etwas unvollkommenen Verſuchen betraͤgt die Geſchwindigkeit
des Schalles im Waſſer gegen 4500 Fuß; aber vollſtaͤndigere und
in mehrern Hinſichten belehrende Verſuche haben Colladon und
Sturm auf dem Genfer-See angeſtellt. Sie bedienten ſich
einer im Waſſer haͤngenden Glocke, die durch einen unter Waſſer
befindlichen, aber oberhalb des Waſſers bequem zu regieren-
den Hebel angeſchlagen wurde, und eines Hoͤrrohrs, das in das
Waſſer hinein reichte. Bei dieſen Verſuchen fand ſich naͤmlich der
[346] merkwuͤrdige Umſtand, daß man außerhalb des Waſſers den Schall
der Glocke nur in geringer Entfernung gut hoͤrte, und daß ſchon
in 700 bis 900 Fuß Entfernung der Schall der 2 Fuß hohen und
weiten Glocke, die ſich nur in geringer Tiefe unter dem Waſſer
befand, ganz unmerkbar wurde; tauchte man das Ohr in das
Waſſer, ſo hoͤrte man den Schall, konnte aber dann wegen unbe-
quemer Stellung keine genaue Beobachtung anſtellen. Es ward
daher eine unten dicht verſchloſſene Roͤhre von duͤnnem Blech, die
dem antreffenden Schalle eine Flaͤche von beinahe 2 Quadratfuß
darbot, in das Waſſer eingetaucht, damit durch die an ſie ſenkrecht
antreffenden Vibrationen im Waſſer, die Roͤhre und die Luft in
ihr erſchuͤttert werde; und mit dieſem Horchrohre hoͤrte das vor
dem Rohre, außerhalb des Waſſers, gehaltene Ohr den Schall der
Glocke bis auf 43000 Fuß Entfernung. Da das Anſchlagen des
Hammers an die Glocke zugleich mit dem Entzuͤnden einer Pulver-
maſſe verbunden war, deren Blitz der mit dem Horchrohre verſehene
Beobachter wahrnahm, ſo konnte mit Huͤlfe eines Chronometers
die Zeit, welche der Schall gebrauchte, ſehr gut beobachtet werden,
und die Beobachtungen gaben die Geſchwindigkeit des Schalles im
Waſſer 4415 Fuß in 1 Secunde. — Dieſe Zahl iſt der theoreti-
ſchen Beſtimmung, die man aus dem Grade der Compreſſibilitaͤt
des Waſſers hergenommen hat, ſehr nahe entſprechend; denn da
das Waſſer der Verdichtung reichlich 20000 mal ſo viel Kraft ent-
gegenſetzt, als die Luft, und doch nur 800 mal ſo dicht iſt, als
Luft, ſo iſt die beſchleunigende Kraft, mit welcher jedes Waſſertheil-
chen bei der Fortpflanzung des Schalles zur Bewegung angetrieben
wird, ziemlich nahe 25 mal ſo groß, als in der Luft, welches eine
fuͤnfmal ſo große Geſchwindigkeit giebt, als ſie ohne die Correction,
die wegen der Waͤrme-Entwicklung nothwendig wird, in der Luft
ſein wuͤrde, und dieſes ſtimmt nahe genug mit jener Zahl uͤberein.
Der merkwuͤrdige Umſtand, daß man den im Waſſer erregten
Schall außer dem Waſſer nur dann hoͤrt, wenn das Ohr die unter
einem ziemlich großen Winkel aus dem Waſſer hervorgehenden
Schallſtrahlen empfaͤngt, verdient noch eine beſondre Erwaͤhnung.
Offenbar hat dieſe Erſcheinung darin ihren Grund, daß die unter
einem ſehr kleinen Winkel an die Oberflaͤche des Waſſers antreffen-
den Vibrationen gar nicht mehr oder nur hoͤchſt geſchwaͤcht aus dem
[347] Waſſer hervorgehen, und dagegen reflectirt in das Innere des
Waſſers zuruͤckkehren. Eine aͤhnliche Erſcheinung zeigen uns die
Lichtſtrahlen, die unter aͤhnlichen Umſtaͤnden auch nicht aus dem
dichteren Koͤrper in den duͤnneren uͤbergehen.
Ich kehre zu den in den feſten Koͤrpern fortgepflanzten Schall-
vibrationen zuruͤck, deren Schnelligkeit man ebenfalls theoretiſch be-
rechnen kann, wenn die Kraft, mit welcher dieſe Koͤrper der Deh-
nung oder der Zuſammendruͤckung widerſtehen, bekannt iſt, und
auf aͤhnliche Weiſe, wie ich beim Waſſer gezeigt habe, mit der
Dichtigkeit in Vergleichung geſtellt wird. Wir lernen dieſe Vibra-
tionen bei feſten Koͤrpern nur durch die Laͤngentoͤne kennen, weil
die Fortpflanzung des Schalles durch ſehr große feſte Maſſen ſich ſo
ſchwer genau beobachten laͤßt.
Auch bei dieſen Laͤngentoͤnen iſt die Erſchuͤtterung der einzel-
nen Theile des Koͤrpers nicht gleichfoͤrmig, ſondern es giebt, wie
Savart und Weber gezeigt haben, Schwingungsknoten. Haͤlt
man eine ziemlich lange Glasroͤhre horizontal in der Mitte feſt, und
haͤngt auf der einen Haͤlfte mehrere leichte Papierringe auf, waͤh-
rend man durch Reiben mit einem naſſen wollenen Lappen auf der
andern Haͤlfte die Laͤngentoͤne hervorbringt, ſo ruhen jene Papier-
ringe nur an gewiſſen Stellen, ſtatt daß ſie von den uͤbrigen ſich
wegbewegen, und erſt an den Stellen, wo Schwingungsknoten ſind,
zur Ruhe kommen. Dabei iſt merkwuͤrdig, daß dieſe Puncte der
Ruhe ganz anders liegen, wenn man eine andre Seite der Roͤhre
nach oben oder mit den aufhaͤngenden Ringen in Beruͤhrung bringt.
Sand, in nicht zu enge Roͤhren gebracht, zeigt, daß die Knotenlinien
eine ſchraubenartig gewundene Geſtalt haben, daß aber das aͤußer-
liche Anſehen der Glasroͤhre nichts darbietet, woraus man ſchließen
koͤnnte, warum die Knoten in der anſcheinend gleichen Roͤhre hier
an der einen, dort an der andern Seite liegen.
Savart und Weber haben nicht bloß dieſe Schwingungs-
knoten ſorgfaͤltig unterſucht, ſondern Savart hat auch die ver-
ſchiedenartigen Bewegungen des auf Scheiben aufgeſtreuten Sandes
beobachtet, die dieſer annimmt, wenn man die Scheibe dadurch in
Schwingung ſetzt, daß man eine die Scheibe beruͤhrende oder durch
ein enges Loch in der Scheibe gezogene Saite bald in transverſale,
[348] bald in longitudinale Schwingungen verſetzt. Aber die Erzaͤhlung
dieſer Verſuche muß ich hier uͤbergehen.
Dagegen will ich noch einen von W. Weber angegebenen
Verſuch erzaͤhlen, welcher zeigt, mit welcher Gewalt bei den Laͤn-
gentoͤnen die Theilchen der Koͤrper erſchuͤttert werden. Wenn man
eine Glasroͤhre am untern Ende mit einem genau ſchließenden
Stoͤpſel verſchließt, die Roͤhre zum Theil mit Waſſer fuͤllt und ſie
vertical haͤlt, ſo ſteigt, indem man die Laͤngentoͤne hervorbringt,
jener Stoͤpſel in der Roͤhre herauf und hebt die uͤber ihm ſtehende
Waſſerſaͤule. Iſt die Roͤhre ganz mit Waſſer gefuͤllt und auch
oben mit einem Stoͤpſel verſchloſſen, ſo draͤngt ſich das Waſſer in
feinen Strahlen hervorſpringend heraus. Luftblaͤschen, die im Waſſer
enthalten ſind, zeigen gleichfalls die Erſchuͤtterung, welche die Theil-
chen des Koͤrpers bei den Laͤngenſchwingungen leiden.
Reſonanz. Klangfiguren durch Reſonanz.
Eine ſelbſt fuͤr die Anwendung wichtige Merkwuͤrdigkeit bietet
das Mittoͤnen andrer Koͤrper bei dem durch irgend einen Koͤrper er-
regten Tone dar. Wenn man mehrere enge, ziemlich hohe, aber
ungleich hohe cylindriſche Glaͤſer neben einander ſtellt, und eine in
Schwingung geſetzte Stimmgabel uͤber ihnen fortbewegt, ſo findet
man unter jenen Glaͤſern oft eines, uͤber welchem der Ton der
Stimmgabel in hohem Grade verſtaͤrkt hervorgeht, waͤhrend die
uͤbrigen ihn eben ſo ſchwach, kaum hoͤrbar, dauern laſſen, wie er in
der freien Luft, ohne Aufſetzen auf einen Reſonanzboden nur gehoͤrt
wird. Unterſucht man die Hoͤhe des ſich als den Ton verſtaͤrkend
zeigenden Glaſes, ſo findet man, daß ſie nahe mit derjenigen Laͤnge
uͤberein ſtimmt, die einer eben den Ton gebenden, am einen Ende
geſchloſſenen Orgelpfeife zukoͤmmt, und es erhellt alſo nun, daß nur
in dieſem Glaſe die Luftſaͤule faͤhig iſt, Vibrationen anzunehmen,
die denen der Stimmgabel gleichzeitig ſind. Wenn der Ton der
Stimmgabel a̅ iſt, ſo wiſſen Sie aus dem Vorigen, daß dieſer Ton
\frac{5}{3} Schwingungen macht, waͤhrend c̅ eine macht, daß alſo, wenn man
c̅ 512 Schwingungen in 1 Sec. beilegt, a̅ 853 Schwingungen in
1 Sec. vollendet. In \frac{1}{853} Sec. durchlaͤuft der Schall in der Luft
1⅕ Fuß, und halb ſo lang muß eine am einen Ende geſchloſſene Floͤ-
[349] tenroͤhre ſein, um den Ton a̅ hervorzubringen; ein reichlich 7 Zoll
hohes Glas iſt daher am paſſendſten, jene Verſtaͤrkung des Tones
zu zeigen, indeß tritt ſie bei einer etwas hievon abweichenden Laͤnge
auch ſchon ein, und man kann ein zu hohes Glas durch hinein ge-
goſſenes Waſſer zu dieſer Verſtaͤrkung des Tones geeignet machen.
Ein aͤhnliches Mittoͤnen findet bei gleich geſtimmten Saiten ſtatt.
Man kennt ein chineſiſches Inſtrument, wo jedem hervorgebrachten
Tone eine ſolche Roͤhre zur Verſtaͤrkung des Tons beigegeben iſt,
und nach Wheatſtone's ſehr wahrſcheinlichen Schluͤſſen, iſt es
das Mittoͤnen der Luft in der Mundhoͤhle, wodurch einige Virtuo-
ſen mit der gewoͤhnlichen Maultrommel ſo mannigfaltige und ſchoͤne
Toͤne hervorzubringen im Stande ſind, daß ſie mit Recht dieſes un-
ſcheinbare Inſtrument mit dem Namen Mundharmonica belegen
durften.
Auch das, was man im gewoͤhnlichen Sinne Reſonanz nennt,
beruht, wenn es gleich minder regelmaͤßig iſt, auf einer mitgetheil-
ten Vibration. Bekanntlich dient eine duͤnne elaſtiſche Holzplatte,
die von recht gleichfoͤrmiger Art, frei von unregelmaͤßigem Laufe der
Faſern und dergleichen iſt, als Reſonanzboden, das heißt, eine ſolche
Holzplatte verſtaͤrkt den Klang, und giebt ihm, wie es z. B. bei
den Violinen der Fall iſt, eine mehr oder minder angenehme Fuͤlle.
Die Stimmgabel giebt angeſchlagen einen nur in großer Naͤhe hoͤr-
baren Ton; aber auf einen Reſonanzboden mit dem Stiele aufge-
ſetzt, hoͤrt man ihn bis zu ſehr erheblichen Entfernungen. Der Re-
ſonanzboden muß, da er faͤhig iſt, einen jeden Ton oder wenigſtens
eine durch mehrere Octaven gehende Reihe von Toͤnen zu verſtaͤrken,
alle dieſe verſchiedenen Vibrationen anzunehmen faͤhig ſein.
Die oben ſchon erwaͤhnten Verſuche Savart's hatten zum
Theil den Zweck, zu zeigen, daß der Reſonanzboden bei ſeinem Mit-
klingen ebenſo gut eine, bei jedem einzelnen Tone andre Reihe von
Schwingungsknoten darbiete, wie es die unmittelbar in Vibration
geſetzten Scheiben thun. Er bewies naͤmlich, daß auf dem Reſo-
nanzboden, waͤhrend des Vibrirens einer uͤber demſelben aufgeſpann-
ten Saite, ebenſolche Klangfiguren entſtehen, wie Chladni ſie
auf andre Weiſe dargeſtellt hatte. Man kann einige dieſer durch
Reſonanz bewirkten Klangfiguren bequem mit der Stimmgabel dar-
ſtellen. Schraubt man naͤmlich eine zu Hervorbringung der Chlad-
[350] ni'ſchen Klangfiguren geeignete Metallplatte, die ich kreisfoͤrmig
oder quadratfoͤrmig annehmen will, in ihrer Mitte feſt, ſtellt die
mit der Hand gehaltene Stimmgabel mit dem Stiele ſenkrecht auf
die Scheibe, und bringt durch Streichen mit dem Violinbogen die
Toͤne der Stimmgabel hervor, ſo ſieht man den Sand auf der
Scheibe ſich in beſtimmte Figuren ordnen. Dabei tritt aber eine
doppelte Sonderbarkeit ein. Wenn man die Stimmgabel zuerſt
unaufgeſtuͤtzt frei haͤlt, und ihren tiefſten Ton hervorbringt, ſo
hoͤrt man dieſen bekanntlich ſchwach und erſt dann ſehr verſtaͤrkt,
wenn ſie auf der Scheibe als Reſonanzboden aufgeſetzt iſt; gleich-
wohl zeigt der Sand nur hoͤchſt ſchwache Bewegungen und ordnet
ſich bei anhaltendem Wiederholen dieſes Tones erſt ſehr langſam in
unvollkommene Klangfiguren. Bringt man dagegen, indem man
die Gabel etwas oberhalb der Mitte ſtreicht, den zweiten Ton her-
vor, ſo wird dieſer, wie ſchon Weber bemerkt hat, durch den Re-
ſonanzboden gar nicht verſtaͤrkt, ſondern hoͤrt, wenn man ihn nicht
immer neu erregt, bald ganz auf; aber eben dieſer Ton bringt auf
eine hoͤchſt ſchnelle Weiſe den Sand in rein ausgefuͤhrte elegante
Klangfiguren. Hat ſich der Sand dieſem Tone gemaͤß geordnet,
und beruͤhrt man die Scheiben in mehrern Stellen der nun bezeich-
neten Schwingungsknoten, ſo kann man, indem man die Scheibe
ſelbſt in paſſenden Puncten mit dem Bogen ſtreicht, eben den Ton
erhalten, welchen vorhin die Stimmgabel angab. Streicht man
die Stimmgabel ſo, daß ſie ihren dritten Ton angiebt, ſo erhaͤlt
man eine andre feiner getheilte Klangfigur, die aber auch ſehr ſchnell
hervorgeht, wenn nur der Ton recht rein aushallt. Wenn es alſo
gleich ſcheint, als ob der Reſonanzboden nicht geeignet ſei, um durch
ſein eignes Vibriren die ſehr hohen Toͤne zu verſtaͤrken, ſo ſieht man
dennoch, daß er darum doch nicht ohne Theilnahme an den Vibra-
tionen bleibt.
Auch auf dem gewoͤhnlichen hoͤlzernen Reſonanzboden gehen
bei dem Aufſetzen der toͤnenden Stimmgabel Klangfiguren hervor,
nur muß man den mit dem Violinbogen hervorgebrachten Ton
lange wiederholt hervorbringen.
Oft wird die Reſonanz hindernd, insbeſondre wenn in einem Ge-
baͤude, das zu oͤffentlichen Reden beſtimmt iſt, der unregelmaͤßige Wi-
derhall an den Waͤnden, der ſich als eine Reſonanz ausnimmt, allzu
[351] ſchallend iſt. Wir fordern zwar, daß bei dem Bau hierauf Ruͤckſicht ge-
nommen werde, aber dennoch tritt der Fall einer zu ſtarken Reſonanz
der Waͤnde oft ein. Man mildert dieſe, wenn man die Waͤnde mit
Tapeten, den Fußboden mit Decken belegt; daß aber zuweilen auch
durch einen zweckmaͤßig angelegten Schalldeckel der Zweck erreicht wird,
zeigt ein in einem engliſchen Journale erzaͤhlter Fall. In einer neu
erbauten Kirche, wo hinter der Kanzel ein elliptiſcher, oben gewoͤlbter
Anbau einen unertraͤglichen Widerhall gab, der die auf der Canzel
geſprochenen Worte ganz unverſtaͤndlich machte, brachte man einen
paraboliſchen Schalldeckel unmittelbar hinter dem Standpuncte des
Redners an. Dieſer hielt die nach jenem Gewoͤlbe zu gehenden Schall-
ſtrahlen auf, und hinderte daher die nachtheilige Wirkung derſelben,
zugleich aber war die Stimme des Redners nun deutlich und ver-
ſtaͤrkt in der ganzen Kirche zu hoͤren. Der Schalldeckel hatte naͤm-
lich die paraboliſche Form bed (Fig. 176) und der Mund des
Redners nahm ungefehr den Brennpunct a ein; da nun die Para-
bel die Eigenſchaft hat, daß die von a ausgehenden und die Parabel
bed treffenden Schallſtrahlen parallel zuruͤckgeworfen werden und
die nahe bei e in g hervorgehenden Schallſtrahlen ſich ſogar in der
Gegend von e vereinigen, ſo trugen die hinterwaͤrts gehenden
Strahlen ac, ad, nun nach ef, dh, zuruͤckgeworfen, bei, die
Worte in der Gegend e hoͤrbarer zu machen. Wenn umgekehrt in
e leiſe geſprochen ward, ſo hoͤrte man dies verſtaͤrkt in a, weil die
um e ausgehenden und in die Gegend b gelangenden
Schallſtrahlen
in g geſammelt werden.
Interferenz bei der Fortpflanzung des Schalles.
Ehe ich zu dem letzten Gegenſtande, den die Acuſtik uns ken-
nen lehren ſoll, zu dem Gehoͤr-Organe und Stimm-Organe, uͤber-
gehe, erlauben Sie mir noch, bei einigen einzelnen Erfahrungen zu
verweilen, denen ich im Vorigen keine ſo beſtimmte Stelle anzuwei-
ſen wußte. Unter dieſen mag ein merkwuͤrdiger Verſuch, der ſich
leicht mit der Stimmgabel anſtellen laͤßt, zuerſt erwaͤhnt werden.
Wenn man die Stimmgabel ihren tiefſten Ton hervorbringen laͤßt,
und ſie dann frei in der Luft nahe vor dem Ohre haͤlt, ſo hoͤrt man
dieſen Ton ſehr deutlich, wenn man entweder die Richtung durch
beide Zinken ac grade gegen das Ohr zu, oder ſenkrecht gegen die
[352] nach dem Ohre gehende Linie haͤlt; aber der Ton wird faſt unhoͤrbar,
wenn man (Fig. 177.) das Ohr ungefehr in die Linie ad, den
Ecken gegenuͤber bringt. Am auffallendſten wird der Unterſchied,
wenn man die am Stiele gehaltne Gabel vor dem Ohre um die Axe
des Stieles dreht, indem dann der Ton verſchwindet und wieder hoͤr-
bar wird, je nachdem man die eine oder andre Stellung hervor-
bringt. Man kann dieſes Unterbrechen des hoͤrbaren Tones viele
Perſonen zugleich beobachten laſſen, wenn man die toͤnende Stimm-
gabel uͤber ein mittoͤnendes, nicht zu weites Glas haͤlt; denn auch
da hoͤrt das Mittoͤnen auf, wenn man die Richtung ad dem Glaſe
zu wendet. Dieſe von Weber bemerkte und erklaͤrte Erſcheinung
laͤßt ſich aus einer Interferenz zweier Schallwellen erklaͤren.
Sie erinnern ſich, daß wir Interferenzpunct bei den Wellen
denjenigen Punct nannten, wo eine vorruͤckende und eine zuruͤckkeh-
rende Welle ſich immer gegenſeitig ausglichen, bei den Schallwellen
alſo, wo Verdichtung von einer und Verduͤnnung von einer andern
Welle her einen Zuſtand ungeaͤnderter Dichtigkeit hervorbringen.
Gehen nun von den beiden Seiten der einen Zinke der Stimmgabel
Schallwellen aus, und treffen dieſe irgendwo, in d, e, ſo zuſammen,
daß dort fortwaͤhrend, die eine die andre ausgleicht, ſo hoͤrt ein Ohr
in d oder e den Schall gar nicht, und dieſes iſt der Fall bei der
richtigen Stellung des Ohres in jener Beobachtung. Weber's
Verſuche geben genau an, wo das Ohr ſich befinden muß, um kei-
nen Schall zu hoͤren, und zeigt auch die Urſachen, wie eine Inter-
ferenz grade an dieſen Puncten entſteht; ich glaube aber dieſe ge-
nauen Entwickelungen hier wohl uͤbergehen zu duͤrfen.
Toͤne durch brennendes Waſſerſtoffgas.
Eine zweite Bemerkung, die ich hier einſchalte, betrifft einen
merkwuͤrdigen Fall einer Schall-Erregung. Man erhaͤlt naͤmlich
ein Toͤnen, wenn man brennbare Luft (Hydrogengas), die aus einer
engen Oeffnung hervordringt, anzuͤndet, und waͤhrend ſie ruhig,
aus der Oeffnung ausſtroͤmend, fort brennt, eine Glasroͤhre ſo haͤlt,
daß dieſe die Flamme innerhalb ihrer zu unterſt gehaltnen Muͤndung
enthaͤlt. Das hier verbrennende Gas bringt einen Ton hervor, der
ſich nach Maaßgabe der die Flamme umſchließenden Glasroͤhre hoͤher
oder tiefer zeigt. Ohne Zweifel muß hier die Zerſtoͤrung der hervor-
[353] ſtroͤmenden Luft, die ſich, wie die Chemie lehrt, mit einem Theile
der atmoſphaͤriſchen Luft zu Waſſer verbindet, in ſo gleichmaͤßig ab-
geſetzten Zeitmomenten erfolgen, daß daraus ein Ton hervorgehen
kann. Daß dieſe Vibrationen ſich ſo anordnen, wie es dem Tone,
welchen die Roͤhre geben kann, gemaͤß iſt, laͤßt ſich leicht einſehen.
Das Experiment gelingt am leichteſten, wenn man die aus einer
Aufloͤſung ſich entbindende brennbare Luft durch ein enges Roͤhrchen
ausſtroͤmen laͤßt, und ſie an der Muͤndung entzuͤndet, uͤber die man
dann ein Glasgefaͤß oder Glasroͤhre mit der Hand feſthaͤlt. Die
einzelnen Umſtaͤnde, die das Hervorgehen des Tones befoͤrdern, —
ein nicht zu weit und nicht zu wenig innerhalb der Muͤndung ge-
waͤhlter Ort der Flamme u. ſ. w. — darf ich hier wohl uͤbergehen.
Das Gehoͤr-Organ.
Das Gehoͤr-Organ, deſſen kuͤnſtliche Einrichtung ſchon jetzt
unſre Aufmerkſamkeit erregt, wird gewiß einſt den Phyſikern Gele-
genheit zu den intereſſanteſten Unterſuchungen und ohne Zweifel zur
Bewunderung ſeiner zweckmaͤßigen Anordnung geben; aber der
Zeitpunct ſcheint noch ziemlich entfernt zu ſein, wo eine vollendetere
Einſicht in die Geſetze der Einwirkung des Schalles auf das Ohr
uns berechtigen kann, uͤber die Art der Mitwirkung jedes einzelnen
Theiles auf das Hoͤren ſichere Schluͤſſe zu ziehen. Bis jetzt ſind
wie, obgleich die Anatomen uns mit der Einrichtung des Ohres
ſehr genau bekannt gemacht haben, noch gar nicht im Stande, die
ſichere Beſtimmung der einzelnen Theile des Gehoͤr-Organes anzu-
geben, und wir wiſſen nicht, ob wir neue Aufſchluͤſſe uͤber dieſen
Gegenſtand eher von noch unbekannten, erſt neu zu entdeckenden
Geſetzen in der Fortpflanzung des Schalles oder in der Natur der
durch denſelben bewirkten Vibrationen, erwarten ſollen, oder ob eine
genauere Aufmerkſamkeit auf Fehler des Gehoͤrſinns und auf die
dabei vielleicht erkennbaren Maͤngel an den Organen uns zur Kennt-
niß ihrer Thaͤtigkeit fuͤhren werden.
Daß die aͤußere Erweiterung der an den Gehoͤrgang ſich an-
ſchließenden Muſchel, des aͤußern Ohres, dazu beitragen ſoll, mehr
Schallſtrahlen aufzunehmen und dem innern Ohre zuzufuͤhren, iſt
wohl gewiß; aber ſelbſt hier ſchon moͤchte es ſchwer ſein, anzugeben,
warum das menſchliche Ohr genau dieſe Bildung haben mußte.
I. Z
[354]
Daß dieſes aͤußere Ohr nicht ein harter, zum Selbſttoͤnen geeigneter
Koͤrper iſt, davon laͤßt ſich wohl der Grund darin finden, daß ein
ſolcher Koͤrper ein Nachtoͤnen bewirken und dadurch das reine Auf-
faſſen jedes einzelnen Lautes hindern wuͤrde, ſo wie ja auch das ſo
oft angewandte metallene Hoͤrrohr, eine ſich nach außen erweiternde
Roͤhre, manchem Schwerhoͤrigen wegen dieſes Nachtoͤnens laͤſtig iſt.
Der Gehoͤrgang ſchließt ſich an die Muſchel an und iſt hinten
durch eine elaſtiſche Haut, das Trommelfell, geſchloſſen, und offen-
bar iſt dieſe Haut dazu da, um durch die zum Ohr gelangenden Vi-
brationen der Luft ſelbſt in Vibrationen verſetzt zu werden. Hinter
dem Trommelfelle liegt die Trommelhoͤhle, in welcher ſich eine
Verbindung von zarten Knoͤchelchen, dem Hammer, dem Ambos
und dem Steigbuͤgel, befindet. Der Hammer iſt mit ſeinem einen
Ende an das Trommelfell befeſtiget und geraͤth olglich mit in Vi-
brationen, wenn jene elaſtiſche Haut erſchuͤttert wird; der Ambos
ſteht durch eine Art von Gelenk mit dem Hammer in Verbindung,
und iſt durch das linſenfoͤrmige Knoͤchelchen mit dem Steigbuͤgel
verbunden, deſſen unterer Theil (gleichſam der Tritt, auf dem im
Steigbuͤgel der Fuß ruhet,) das ovale Fenſter ſchließt. Dieſe feine
Maſchine iſt ſo verbunden, daß bei den Vibrationen des Trommel-
felles auch der Steigbuͤgel in Bewegung geraͤth, und in die Oeff-
nung des ovalen Fenſters, worin er genau paßt, etwas herein und
heraustreten kann, indem die Haut, die ihn mit den umgebenden
Raͤndern des Fenſters verbindet, dieſes geſtattet. Dieſe Verbindung
zeigt nun wohl, daß die jenſeits des ovalen Fenſters in den Hoͤh-
lungen des Labyrinthes enthaltene Fluͤſſigkeit durch jene Vibratio-
nen ſoll erſchuͤttert werden, und daß die Vibrationen ſo den in den
Labyrinth eintretenden Nerven zugefuͤhrt werden ſollen; aber warum
die Anordnung ſo kuͤnſtlich und zuſammengeſetzt ſei, wozu die halb-
kreisfoͤrmigen Canaͤle dienen, welche Beſtimmung die Schnecke,
ein ſpiralfoͤrmig gewundener, noch in zwei getrennte Gaͤnge abge-
ſonderter Canal, habe, — das iſt noch voͤllig unaufgehellt. Die
Cuſtachiſche Roͤhre, die von der Trommelhoͤhle nach dem Munde
zu geht, ſcheint nur beſtimmt, die in der Trommelhoͤhle enthaltene
Luft mit der aͤußern Luft in Verbindung zu ſetzen.
Wenn man uͤberlegt, wie viel das Gehoͤr leiſten ſoll, ſo erhellt
wohl, daß dazu mancherlei Theile noͤthig ſein moͤgen, und daß wir
[355] erſt die Mittel, die zu Erreichung jener einzelnen Zwecke dienen
koͤnnen, noch naͤher muͤſſen kennen lernen, ehe die Einrichtung des
Ohres verſtaͤndlich werden kann. Denn das Ohr ſoll nicht bloß
die Schallwellen aufnehmen und fortpflanzen, ſondern es ſoll außer
der Zahl der Vibrationen, die den Ton beſtimmt, auch noch die
Eigenthuͤmlichkeiten des Klanges der Empfindung uͤberliefern; es
ſoll mehrere Schallwellen zugleich empfangen und im gefunden Zu-
ſtande ſie alle, vorausgeſetzt daß kein betaͤubend ſtarker Laut darunter
ſei, unvermiſcht dem Gehoͤrnerven zufuͤhren u. ſ. w. Es iſt ein bei
der Schwerhoͤrigkeit nicht ſelten auffallender Umſtand, daß ganz
vorzuͤglich das Unterſcheiden der einzelnen Laute, wenn mehrere zu-
gleich das Ohr treffen, erſchwert iſt, und daß der Schwerhoͤrige ſich
daher mit einer einzelnen Perſon leicht unterhaͤlt, aber zwiſchen
anderm Geraͤuſche oder wenn mehrere zugleich ſprechen, die Worte,
die er zwiſchen den uͤbrigen heraus wahrnehmen will, nicht ſo
wie bei geſundem Ohre heraushoͤren kann. Daß einige Menſchen,
wie Wollaſton bemerkt, die ſehr hohen und ſcharfen Toͤne nicht
wahrnehmen, ließe ſich vielleicht daraus, daß nicht jede Membran
eine Reſonanz ſo hoher Toͤne giebt, erklaͤren, indem vielleicht auch
das Trommelfell, von deſſen Reſonanz doch wohl das Empfinden
der Toͤne abhaͤngt, hier Grenzen der Empfaͤnglichkeit darbietet.
Woher bei einigen Perſonen die Unfaͤhigkeit ruͤhrt, die Hoͤhe und
Tiefe der Toͤne zu unterſcheiden, da ſie doch ſonſt gut hoͤren, iſt
ebenfalls unerklaͤrt.
Als eine bekannte Sache darf ich wohl noch erwaͤhnen, daß
auch die Knochen des Kopfes zum Hoͤren mitwirken, daher manche
Schwerhoͤrige durch einen an den Kopf gehaltenen Stab ſich in
Verbindung mit dem Gegenſtande ſetzen, von welchem der Schall
ausgeht. Nach E. Weber's ſchoͤner Bemerkung geht hier der
Schall nicht durch den Gehoͤrgang, ſondern gelangt auf anderm
Wege zu den Gehoͤrnerven; denn wenn man eine toͤnende Stimm-
gabel mit dem Stiele auf den Kopf ſetzt, waͤhrend man ein Ohr mit
dem Finger verſtopft, ſo hoͤrt man den Ton der Stimmgabel grade
mit dieſem Ohre am lauteſten.
Ueber die Richtung, von woher ein Schall koͤmmt, bleiben
wir ſehr oft in Ungewißheit. Dieſe Unſicherheit, die durch die viel-
faͤltigen, faſt uͤberall vorkommenden Zuruͤckwerfungen des Schalles
Z 2
[356] vermehrt wird, macht es dem Bauchredner moͤglich, die Taͤuſchung
hervorzubringen, als ob eine andre Perſon rede. Indem er naͤm-
lich, ohne den Mund zu oͤffnen, und ohne die Lippen zu bewegen,
Worte hervorbringt, fehlt uns das gewoͤhnliche Mittel, uns zu
uͤberzeugen, daß dieſe Perſon ſelbſt die redende ſei; und wenn der
Bauchredner nun aufmerkſam nach einem beſtimmten Orte hin-
blickend, dorthin zu horchen ſcheint, ſo bringt er leicht die Taͤuſchung
als ob dort ein andrer rede hervor. Spricht er nun ſogar abwech-
ſelnd auf die gewoͤhnliche Weiſe und antwortet mit einem dumpfen,
wie aus der Ferne ſchallenden Tone, ſo entſteht die nicht leicht zu
beſiegende Taͤuſchung, als ob das Geſpraͤch ſo zwiſchen dem Bauch-
redner und einem andern ſtatt finde, wie er es uns will glauben
machen. Es ſcheint, daß der Umſtand, daß die hervorgebrachte
Stimme nicht ſo beſtimmt von einem Puncte ausgeht, wie bei dem
Gebrauch der gewoͤhnlichen Sprach-Organe, jene Wirkung befoͤr-
dern hilft.
Das Stimm-Organ.
Die Wirkungs-Art des Stimm-Organes iſt zwar nicht ſo
gaͤnzlich dunkel, wie die des Ohres, aber dennoch ſind wir auch
daruͤber nicht ganz genau unterrichtet. Daß die Stimme im Kehl-
kopfe entſtehe, und daß die Verengerung dieſes Organes, die durch
die Vorragung der Stimmbaͤnder bewirkt wird, und die Stimmritze
heißt, dabei vorzuͤglich als das eigentliche Inſtrument der Stimme
zu betrachten ſei, leidet keinen Zweifel. Man hat dieſes Stimm-
Organ mit der Zungenpfeife verglichen, und das Vibriren derjenigen
Theile, welche die enge Stimmritze begrenzen, als den Ton beſtim-
mend angeſehen. Dieſes Vibriren hat Magendie beobachtet,
und dabei wahrgenommen, daß bei Thieren die Stimmritzenbaͤnder
ſich an einander anlegten und nicht mehr in ihrer ganzen Laͤnge vi-
brirten, wenn ein hoher Ton hervorgebracht wurde. Hiernach
ſcheint es allerdings, daß die Einwirkung der Stimmritze als eines
Zungen-Inſtrumentes einen weſentlichen Umſtand bei der Beſtim-
mung des Tones ausmache.
Gegen dieſe Uebereinſtimmung hat indeß Savart einge-
wandt, daß der Klang der menſchlichen Stimme ſich ſo weſentlich
von dem der Zungen-Inſtrumente unterſcheide, und vorzuͤglich, daß
[357] bei den Zungen-Inſtrumenten ein voͤlliges Schließen mit einem
Wiederoͤffnen abwechſele, und eine ſolche Abwechſelung hier nicht
ſtatt finde. Savart ſucht daher die Behauptung zu beweiſen,
daß das Stimm-Organ mehr einer kurzen offenen Pfeife zu ver-
gleichen ſei, und zeigt durch Verſuche, daß der Einwurf, welchen
man hiegegen aus der Kuͤrze der Roͤhre hergeleitet hat, ſich wider-
legen laſſe. Allerdings naͤmlich waͤre es auffallend, wie eine ſo
kurze Roͤhre ſo tiefe Toͤne hervorbringen koͤnnte, wenn dieſe Roͤhre
von ganz feſten Waͤnden umſchloſſen waͤre; aber wenn man Roͤhren
mit elaſtiſchen Waͤnden gebraucht, ſo haͤngt der Ton nicht mehr
allein von der Laͤnge der Luftſaͤule ab, ſondern eben die Pfeife mit
elaſtiſchen Waͤnden kann viel tiefere Toͤne angeben, als eine Pfeife
mit feſten Waͤnden und als der geringen Laͤnge der Luftſaͤule gemaͤß
iſt. Aus Savart's Verſuchen geht allerdings dieſer groͤßere Um-
fang der Verſchiedenheit der Toͤne hervor, und er zeigt ſogar, daß
man aus einem Inſtrumente, das aus elaſtiſchen Waͤnden, aus
Pergament oder einer aͤhnlichen Materie, pyramidaliſch gebildet, un-
gefehr die wahre Groͤße des Stimm-Organes hat, alle Toͤne erhal-
ten koͤnne, deren die menſchliche Stimme faͤhig iſt. Daß dabei
auch, wie bei dem Jaͤgerfloͤtchen, wo die Luft ſehr ſchnell durch enge
Oeffnungen hervorgetrieben wird, und wie bei dem Floͤten mit den
Lippen, die Schnelligkeit der hervorgetriebenen Luft Einfluß haben
kann, iſt uͤberdies ſehr glaublich.
Man darf daher wohl annehmen, daß beide Umſtaͤnde einen
Einfluß auf die Beſtimmung des Tones haben, und ebenſo gut der
uͤbrige Theil des Stimm-Organs, als die Raͤnder der Stimmritze
darauf einwirken.
Dieſe Beſtimmungen betreffen aber nur den Ton, nicht die
Hervorbringung articulirter Laute, welche durch die Anordnung und
Bewegung von Zunge, Lippen u. ſ. w. auf eine nicht ſo leicht zu
eroͤrternde Weiſe hervorgehen.
Die Unterſuchungen, die man uͤber die Mitwirkung jedes ein-
zelnen Theiles der Sprach-Organe zum Ausprechen einzelner Buch-
ſtaben u. ſ. w. angeſtellt hat, gewaͤhren den Vortheil, bei fehlerhaf-
ten Sprach-Organen, der Anlage zum Stottern, bei der Schwie-
rigkeit, die jemand findet, um gewiſſe Buchſtaben auszuſprechen,
[358] Regeln zu geben, wie man dieſen Unvollkommenheiten abhelfen
kann.
In dieſen hier zuletzt erwaͤhnten Gegenſtaͤnden ſehen Sie Be-
weiſe, wie viel noch den Forſchungen kuͤnftiger Zeiten vorbehal-
ten iſt, und wie ſehr wir, bei ſo vielſeitig erweiterter Kenntniß der
Natur, dennoch zu dem Bekenntniſſe gezwungen werden, daß ſelbſt
die wichtigſten und uns am naͤchſten liegenden Erſcheinungen noch
lange nicht ganz erklaͤrt ſind, und daß die Natur Reichthum genug
beſitzt, um dem Scharfſinne kuͤnftiger Zeiten vielſeitige Beſchaͤfti-
gung darzubieten.
Aſtronomie in d. Hall. Lit. Zeitg. mit einer meinen aufrichtigen
Dank verdienenden Milde leiſe andeutet.
breit, 1 Fuß hoch. Da 1 Fuß 12 Zolle enthaͤlt, ſo hat der Quadrat-
fuß eine Flaͤche von 1 Fuß lang und 1 Fuß breit, 144 Quadratzoll,
und der Cubicfuß 12⋅144 = 1728 Cubiczoll. Ebenſo hat der Laͤngen-
zoll 12 Linien, der Quadratzoll 144 Quadratlinien, der Cubiczoll
1728 Cubiclinien, alſo der Cubicfuß 1728⋅1728 = 2985984, (bei-
nahe 3 Millionen) Cubiclinien.
ungefaͤhr = 330 engliſchen Grains, ſo kann man 1 Cubiczoll Gold =
6350 engl. Grains rechnen. Sollen alſo 500 Fuß oder 6000 Zoll
Laͤnge 1 Gr. wiegen, ſo muͤſſen ſie \frac{1}{6350} Cubiczoll betragen, und der
Querſchnitt des Drathes muß = \frac{1}{38100000} Quadratzoll ſein, oder
ſein Durchmeſſer \frac{1}{5470} Zoll = \frac{1}{450} Linie betragen. Gilb. Ann. LII. 284.
chenden Koͤrpern ſich nachweiſen zu laſſen, von welchen ein einziger
Gran hinreicht, um ſehr große Raͤume mit dem Geruche zu erfuͤllen;
aber immer bleiben dieſe Theilungen doch weit hinter dem zuruͤck,
wovon man in der neueſten Zeit bei den Doſen von Arzneimitteln ge-
redet hat. Um von 1 Quintilliontel Gran einen Begriff zu erhalten,
(denn ſo wenig betraͤgt zuweilen eine ſolche Doſis) muß man erwaͤ-
gen, daß die 6000jaͤhrige Dauer der Menſchengeſchichte 2191500 Tage,
oder 52596000 Stunden, wofuͤr ich 53 Millionen Stunden ſetzen will,
betraͤgt. Die Weltgeſchichte umfaßt alſo nur etwa 190000 Millionen
Secunden. Waͤre nun die Erde dieſe ganze Zeit durch mit 1000 Millionen
Menſchen in jedem Zeitpuncte bevoͤlkert geweſen, und haͤtte jeder derſelben
alle Secunden eine Doſis eben des Arzneimittels genommen, ſo waͤren
190 Trillionen ſolcher Doſen oder ungefaͤhr 200 Trillionen ſolcher Doſen
verbraucht. Wenn demnach ein Arzt ſeit Adams Zeiten allen lebenden
Menſchen jede Secunde ein Quintilliontel Gran irgend eines Arznei-
mittels gegeben haͤtte, ſo waͤre dennoch der ganze Verbrauch noch nicht
ein Tauſendel vom Milliontel eines Granes. —
Experim. Phyſ. I. 390. Ueber die Verfertigung elaſtiſcher, luftdichter
Roͤhren aus Federharz. ſ. Faradaychemical manipulation. §. 416.
des Pferdes.
Avril.
d. Kuͤnſte u. Handwerke. 3r Theil. 1s u. 2s Cap.
zumeſſen geſtattet; berechnen laſſen ſie ſich genauer.
gende: Um die Seiten des Balkens, der am ſtaͤrkſten iſt, zu zeichnen,
theilt man den Durchmeſſer des Cylinders AB (Fig. 28.) in drei gleiche
Theile, errichtet in dem einen Drittelpuncte D die Senkrechte DE, zieht
derjenige Balken, welcher, wenn BE vertical liegt, dem Brechen am
meiſten widerſteht. Dies iſt eine leicht zu findende Conſtruction, die ſich auf
die aus andern Gruͤnden bekannte Ueberzeugung ſtuͤtzt, daß ſich die zwei
Seiten des ſtaͤrkſten Balkens und der Durchmeſſer wie 1 zu √ 2, zu
√ 3 verhalten.
die nie ganz zu vermeidende Reibung Ruͤckſicht nehmen.
jede 200 ſind, zur dritten Seite 283 hat.
229\frac{13}{16}, faſt genau 230.
giſter uͤber alle Baͤnde im Art. Meteormaſſen ſie angiebt.
ausgefuͤhrtere Erklaͤrung der Erſcheinungen der Ebbe und Fluth in
Gehlers phyſ. Woͤrterb. Art. Ebbe.
einer ganzen Secunde zugehoͤrt, in \frac{2}{15} Secunde durch \frac{4}{225}, in \frac{8}{15} Se-
cunde durch \frac{64}{225} eben des Raumes, aber \frac{64}{225}⋅ 15 = \frac{64}{15} Fuß iſt eben
jener Tiefe gleich.
denpendels. Berlin 1828.
Koͤrper ergeben, abweichend zeigt, erhellt aus Huber-Burnaud's
Verſuchen Biblioth. univ. XL. 22.
tungen fuͤr Freunde der Phyſik und Aſtronomie. I. S. 148. Ueber die
Urſachen des im Sommer vorherrſchenden Weſtwindes haben Schuͤ-
bler, Schouw und Kaͤmtz ſehr richtige Bemerkungen gemacht.
Schweigger's Journal 1828. 3. Heft.
vier's und Corancez's Anwendungen derſelben laſſen auch hier bal-
dige weitere Fortſchritte hoffen.
1826. und Poggendorf's Annalen XVI. 592., wo hoͤchſt merkwuͤrdige
einzelne Faͤlle erzaͤhlt werden.
1. Zſ Heft.
lehnt; einem Buche, das den reichſten Stoff zu mannigfaltigen Beleh-
rungen enthaͤlt.
59, de Zach corresp. astron.
X. 339.
Theilungspunct iſt derjenige hoͤchſte Punct eines Canales, wo
der den Canal mit Waſſer verſorgende Waſſerhaͤlter ſich befindet.
ſehr, daß man ſie in Gilb. Ann. 60. Band nachleſe.
ſtatt der Parabel, durchlaͤuft, ſ. in m. Lehrb. der Geſetze des Gleich-
gewichts u. d. Bewegung. II. Fig. 58.
man in dem Roͤhrchen AB ein Mittel anbringen, den Ort zu bezeich-
nen, den die Fluͤſſigkeit bei der Compreſſion erreicht hatte.
Da man auch wohl Barometerſcalen hat, die engliſche Zolle,
rheinlaͤndiſche Zolle und Millimeter angeben, ſo bemerke ich, daß 135
pariſer Linien 12 engliſche Zolle betragen, 139 pariſer Linien 12 rhein-
laͤndiſche Zolle, 324,84 Millimeter 12 pariſer Zolle. Es ſind daher
28 Zoll pariſer Maaß, = 29 Zoll 10,4 Linien engliſch.
= 29 Zoll 0,1 Linien rheinlaͤndiſch.
= 758 Millimeter.
theilt, daß ſie Null zeigen, wenn man das Thermometer in gefrieren-
des Waſſer taucht, und daß ſie entweder 80 Grade oder 100 Grade
zeigen, wenn man ſie in kochendes Waſſer bringt. Die Eintheilung
von 80 Graden heißt die Reaumuͤr'ſche, die Eintheilung von 100 Gra-
den die Centeſimal-Theilung. Die uͤbrigen Beſtimmungen kommen
in der Lehre von der Waͤrme vor.
uͤber die Schweitz. 2. Th. S.452. — Den Umſtand, daß dieſe Diffe-
renz in groͤßern Hoͤhen verſchwindet, finde ich hier zu erklaͤren nicht
noͤthig.
dorf's Annalen. VIII. 131. XI. 268.
lung in 16 Theile, ſo liegt Nordnordweſt mitten zwiſchen Nordweſt
und Nord, Weſtnordweſt mitten zwiſchen Weſt und Nordweſt. Bei der
Eintheilung in 32 Windſtriche endlich liegt Weſt gen Nord zwiſchen Weſt
und Weſtnordweſt, Nordweſt gen Weſt zwiſchen Nordweſt und Weſt-
nordweſt etc.
ſtehen in den Annalen der Phyſik. 67. 89. 90. 91. Band. Die letztere
Bemerkung habe ich aus Beobachtungen bewieſen in meinen Beitraͤgen
zur Witterungskunde.
rungskunde, in meinen Unterhaltungen fuͤr Freunde der
Phyſik, und in der Abh. de variationibus repentinis in pressione
atmosph. observatis.
nahe zuſammen eingetroffen ſind.
XLIII. und Beſchreibung daſelbſt XLIII. XLIX.
17ten Vorleſung angegebenen Verſuchen anwenden.
ſcheint die Luft wirklich aus den Geblaͤſen mit 180 bis 260 Fuß Ge-
ſchwindigkeit auszuſtroͤmen.
Dicke waͤchſt, alſo der doppelt ſo dicke Stab 8mal ſo viel Elaſticitaͤt,
dabei nur 2mal ſo viel Maſſe, alſo 4fache beſchleunigende Kraft beſitzt,
daher kommt die Regel, daß die Schwingungen doppelt ſo ſchnell ſind,
bei doppelter Dicke, und uͤberhaupt die Anzahl der Schwingungen den
Dicken proportional. Eptelwein's Stat. II.. 279.
Um fuͤr diejenigen, denen die aus der muſicaliſchen Bezeichnung
der Toͤne hergenommenen Ausdruͤcke fremd ſein ſollten, dasjenige, was
ich hier nothwendig vorausſetzen muß, einigermaßen zu ergaͤnzen, ſetze
ich folgende Bemerkungen hieher.
Ein jeder wird ſich leicht auf der Claviatur eines Clavieres oder
Fortepiano's zeigen laſſen, wie die Toͤne C, D, E, F, G, A, H, auf
einander folgen, wie ſich c wieder an H anſchließt, und ſo die neue
Octave der vorigen gleich fortgeht. Da hier dieſelben Tonnamen, C
zum Beiſpiel, in jeder Octave vorkommen, ſo unterſcheidet man ſie da-
durch, daß man das tiefe Bas C, uͤber welches hinaus noch wohl ein
Theil der tiefern Octave, ſelten die ganze Octave, auf dem Fortepiano
vorkoͤmmt, durch das große C bezeichnet, das naͤchſte c, durch das kleine
ungeſtrichene e; die folgende Octave erhaͤlt einen, die dann folgende
Octave zwei Striche uͤber den Buchſtaben und die Toͤne heißen dann
das ein geſtrichene, das zwei geſtrichene c, naͤmlich c̅c̿ und ſo fer-
ner. In der Octave, die noch tiefer als C iſt, fuͤhren die Toͤne den
Namen Contra C und ſo die uͤbrigen.
Von C an iſt D der zweite Ton und D heißt daher die obere Se-
cunde zu C, wir ſagen D iſt um einen ganzen Ton hoͤher als C; aus
aͤhnlichen Gruͤnden giebt der dritte Ton E die hoͤhere große Terze zu C,
F giebt die Quarte, G die Quinte an, und wenn wir durch die Toͤne
C, E, G, fortſchreiten, ſo geſchieht dieſe Fortſchreitung durch die große
Terze von C bis E, durch eine kleine Terze von E bis G, indem, wie
nachher erhellt, das Intervall von E. bis F kein ganzer, ſondern nur
ein halber Ton iſt, alſo von E bis G nur anderthalb ganze Toͤne.
Ebenſo iſt A die große Terze zu F, ferner c iſt die Quinte zu F und
ſo weiter. Die Entſtehung der mit Cis, Fis, u. ſ. w. bezeichneten
Toͤne koͤmmt nachher vor.
Die Anordnung des Notenſchreibens kann man ſich ſo leicht erklaͤ-
ren laſſen, daß ich davon hier nichts bemerke.
einige andre zufaͤllige Ton-Erhoͤhun-
gen vorkommen, iſt ein Umſtand, der hier wohl nicht weiter eroͤrtert
werden kann.
man ſich ſo uͤberzeugen. Man thue Waſſer in ein gut klingendes Glas
und lege auf den Boden ein Stuͤckchen Kreide; gießt man nun Schwe-
felſaͤure zu und ſchlaͤgt im erſten Augenblicke, wo recht viele Blaͤschen
ſich entwickeln, an, ſo iſt der Klang ſchlecht, nachher iſt er wieder beſſer.
kleiner ſcheinen die neuern Verſuche ſie anzugeben, indem die neuern
Pariſer Verſuche 1019, die von Goldingham 1022 und 1013, die von
Gregory 1011, die von Moll 1022, fuͤr die 0° Waͤrme anzugeben ſchei-
nen. Poggend. Ann. V. 476.
Zuͤndſchwamm zum Brennen gebracht und ein Lichtblitz hervorgebracht
wird. Es wird naͤmlich in einer Roͤhre von ſehr ſtarkem Glaſe, welche
am einen Ende geſchloſſen iſt, vermittelſt eines dicht ſchließenden Kol-
bens, durch einen ploͤtzlichen Stoß mit der Hand, die Luft ſchnell und
ſtark verdichtet, und dieſe Verdichtung bewirkt die ſo große Waͤrme,
deren der Zuͤndſchwamm zum Brennen bedarf.
waͤrmeren Luftſtroͤme eine Ungleichfoͤrmigkeit hervorbringen, die der
Fortpflanzung des Schalles hinderlich iſt.
aber kaum glaublich vorkommen.
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Brandes, Heinrich Wilhelm. Vorlesungen über die Naturlehre. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjrd.0