1834.
[[II]]
Krieg und Kriegfuͤhrung.
bei Ferdinand Dümmler.
1834.
[[III]]
bei Ferdinand Dümmler.
1834.
[[IV]][[V]]
Nachdem ich es ſchon einmal gewagt habe zu den
Leſern des vorliegenden Werkes zu ſprechen und dieſe
Kuͤhnheit, ſo viel ich weiß, mit Nachſicht aufgenom-
men worden iſt, muß ich um die Erlaubniß bitten
auch dieſen dritten Theil mit einigen Zeilen zu beglei-
ten, und zwar zuvoͤrderſt um deſſen verſpaͤtetes Er-
ſcheinen zu erklaͤren und zu entſchuldigen.
Dieſer Theil enthaͤlt das ſiebente und achte Buch
des Werkes vom Kriege, welche beide leider unvollen-
det geblieben ſind und nur in fluͤchtigen Skizzen und
Vorarbeiten vorhanden waren. Man wollte ſie den
Leſern nicht vorenthalten, denn auch in dieſer unvoll-
endeten Geſtalt waren ſie von Intereſſe, da ſie wenig-
ſtens den Weg andeuten den der Verfaſſer zu gehen
beabſichtigte. Sie bedurften jedoch einer ſorgfaͤltigen
Durchſicht und da der Herr Major O’Etzel, der die
Guͤte hatte dieſe Arbeit zu uͤbernehmen, durch Dienſt-
geſchaͤfte lange in derſelben geſtoͤrt wurde, ſchien es
um ſo zweckmaͤßiger dieſem dritten Theile den vierten
ganz vollendeten vorangehn zu laſſen, als dieſer den
Feldzug von 1796, mithin den Anfang der eigentlichen
Kriegsgeſchichte enthielt und ſchon von mehreren Sei-
ten der Wunſch ausgeſprochen worden war, auch mit
dieſer Abtheilung des vorliegenden Werkes ſo bald als
moͤglich bekannt gemacht zu werden.
[VI]
Man hoffte dieſe[n] dritten Theil zugleich mit dem
fuͤnften herausgeben zu koͤnnen, aber auch dies war
nicht moͤglich, und ſo muß denn die Nachſicht der
Leſer wegen dieſer doppelten Unterbrechung der natuͤr-
lichen Reihenfolge in Anſpruch genommen werden.
Es ſind den beiden unvollendeten Buͤchern des
Werkes vom Kriege noch einige Aufſaͤtze beigefuͤgt
worden, die zwar nicht eigentlich zu demſelben gehoͤ-
ren, aber doch in ſo naher Beziehung damit ſtehn,
daß ſie hoffentlich nicht unwillkommen ſein werden.
Der erſte dieſer Aufſaͤtze wurde durch den Unter-
richt veranlaßt den der Verfaſſer in den Jahren 1810,
11 und 12 die Ehre hatte Seiner Koͤniglichen Hoheit
dem Kronprinzen zu ertheilen. Derſelbe enthaͤlt erſtens
den Entwurf den der Verfaſſer dem Herrn General
von Gaudi, Gouverneur des Kronprinzen, vorlegte;
zweitens die Überſicht des Ganzen mit welcher er die-
ſen Unterricht ſchloß. Es iſt ſchon in der Vorrede
zum erſten Bande geſagt worden daß dieſe Arbeit
gleichſam den Keim des ganzen Werkes vom Kriege
enthaͤlt, und ſchon in dieſer Hinſicht duͤrfte ſie wohl
fuͤr die meiſten Leſer ein beſonderes Intereſſe haben.
Seine Koͤnigliche Hoheit der Kronprinz haben die
Gnade gehabt den Druck dieſes Aufſatzes zu erlauben,
wofuͤr ich Hoͤchſtdenſelben hier nochmals meinen unter-
thaͤnigſten Dank zu Fuͤßen lege.
Berlin den 5. Dezember 1833.
Marie von Clauſewitz.
[[VII]]
Inhalt.
Siebentes Buch.
- Seite
- Der Angriff.1 ‒ 86
- 1. Kapitel. Der Angriff in Beziehung auf die Verthei-
digung 3 - 2. ‒ ‒ Natur des ſtrategiſchen Angriffs 5
- 3. ‒ ‒ Vom Gegenſtande des ſtrategiſchen Angriffs 9
- 4. ‒ ‒ Abnehmende Kraft des Angriffs 10
- 5. ‒ ‒ Kulminationspunkt des Angriffs 11
- 6. ‒ ‒ Vernichtung der feindlichen Streitkräfte 13
- 7. ‒ ‒ Die Offenſivſchlacht 14
- 8. ‒ ‒ Flußübergänge 16
- 9. ‒ ‒ Angriff von Defenſivſtellungen 21
- 10. ‒ ‒ Angriff verſchanzter Läger 22
- 11. ‒ ‒ Angriff eines Gebirges 24
- 12. ‒ ‒ Angriff von Linienkordons 29
- 13. ‒ ‒ Manövriren 30
- 14. ‒ ‒ Angriff von Moräſten, Überſchwemmungen,
Wäldern 34 - 15. ‒ ‒ Angriff eines Kriegstheaters mit Entſchei-
dung 36 - 16. ‒ ‒ Angriff eines Kriegstheaters ohne Entſchei-
dung 41 - 17. ‒ ‒ Angriff von Feſtungen 47
- 18. ‒ ‒ Angriff von Transporten 53
- 19. ‒ ‒ Angriff einer feindlichen Armee in Quar-
tieren 57 - 20. ‒ ‒ Diverſion 66
- 21. ‒ ‒ Invaſion 70
- Seite
- Kriegsplan. 87 ‒ 202
- 1. Kapitel. Einleitung 89
- 2. ‒ ‒ Abſoluter und wirklicher Krieg 92
- 3. ‒ ‒ A. Innerer Zuſammenhang des Krieges 97
- B. Von der Größe des kriegeriſchen Zwecks
und der Anſtrengung 102 - 4. ‒ ‒ Nähere Beſtimmungen des kriegeriſchen Ziels.
Niederwerfung des Feindes 121 - 5. ‒ ‒ Fortſetzung. Beſchränktes Ziel 132
- 6. ‒ ‒ A. Einfluß des politiſchen Zwecks auf das
kriegeriſche Ziel 135 - B. Der Krieg iſt ein Inſtrument der Po-
litik 139 - 7. ‒ ‒ Beſchränktes Ziel. Angriffskrieg 150
- 8. ‒ ‒ Beſchränktes Ziel. Vertheidigung 154
- 9. ‒ ‒ Kriegsplan, wenn Niederwerfung des Fein-
des das Ziel iſt 161
- 1. Überſicht des Sr. Königl. Hoheit dem Kronprin-
zen in den Jahren 1810, 1811 und 1812 vom
Verfaſſer ertheilten militäriſchen Unterrichts. 203 ‒ 262 - Entwurf der dem Herrn General von Gaudi vorgelegt
wurde 205 - Die wichtigſten Grundſätze des Kriegführens, zur Ergänzung
meines Unterrichts bei Sr. Königl. Hoheit dem Kron-
prinzen 210 - 2. Über die organiſche Eintheilung der Streitkräfte. 263 ‒ 274
- 3. Skizze eines Plans zur Taktik oder Gefechtslehre. 275 ‒ 386
- Leitfaden zur Bearbeitung der Taktik oder Gefechtslehre 281
Skizzen zum ſiebenten Buche.
Der Angriff.
III 1[[2]][[3]]
Erſtes Kapitel.
Der Angriff in Beziehung auf die
Vertheidigung.
Wenn zwei Begriffe wahre logiſche Gegenſaͤtze bilden,
der eine alſo das Complement des andern wird, ſo geht
im Grunde aus dem einen ſchon der andere hervor; wo
aber auch die Beſchraͤnktheit unſeres Geiſtes nicht geſtattet
beide mit einem Blicke zu uͤberſehen und in der Totalitaͤt
des einen durch den bloßen Gegenſatz die Totalitaͤt des
andern wiederzufinden, da wird doch in jedem Fall von
dem einen immer ein bedeutendes und fuͤr viele Theile
genuͤgendes Licht auf den andern fallen. So glauben
wir daß die erſten Kapitel der Vertheidigung ein hinrei-
chendes Licht auf den Angriff werfen in allen Punkten
welche ſie beruͤhren. Aber ſo wird es nicht durchgehends
bei allen Gegenſtaͤnden ſein; das Gedankenſyſtem hat nie-
mals ganz erſchoͤpft werden koͤnnen, es iſt alſo natuͤrlich
daß da, wo der Gegenſatz nicht ſo unmittelbar in der Wur-
zel des Begriffs liegt wie bei den erſten Kapiteln, aus
Dem was in der Vertheidigung geſagt iſt nicht unmittelbar
Dasjenige folgt was vom Angriff geſagt werden kann.
Eine Veraͤnderung des Standpunktes bringt uns dem Ge-
genſtande naͤher, und es iſt alſo natuͤrlich, Dasjenige, was
1*
[4] man aus dem entfernten Standpunkte uͤberblickt hat, aus
dieſem naͤhern in Betrachtung zu ziehen. Es wird alſo
eine Ergaͤnzung des Gedankenſyſtems ſein, wobei nicht ſel-
ten Das, was vom Angriff geſagt wird, noch ein neues
Licht auf die Vertheidigung wirft. So werden wir in
dem Angriff meiſtens dieſelben Gegenſtaͤnde vor uns haben,
die in der Vertheidigung dageweſen ſind. Aber es iſt nicht
in unſerer Anſicht und nicht in der Natur der Sache,
nach Art der meiſten Ingenieurlehrbuͤcher, beim Angriffe
alle poſitiven Werthe, welche wir in der Vertheidigung ge-
funden haben, zu umgehen oder zu vernichten, und zu be-
weiſen daß es gegen jedes Mittel der Vertheidigung irgend
ein unfehlbares Mittel des Angriffs gebe. Die Verthei-
digung hat ihre Staͤrken und Schwaͤchen; ſind die erſtern
auch nicht unuͤberwindlich, ſo koſten ſie doch einen unver-
haͤltnißmaͤßigen Preis, und das muß von jedem Stand-
punkte aus wahr bleiben oder man widerſpricht ſich. Fer-
ner iſt es nicht unſere Abſicht das Widerſpiel der Mittel
erſchoͤpfend durchzugehen; jedes Mittel der Vertheidigung
fuͤhrt zu einem Mittel des Angriffs, aber oft liegt dieſes
ſo nahe daß man nicht noͤthig hat erſt von dem Stand-
punkte der Vertheidigung zu dem des Angriffs uͤberzuge-
hen um es gewahr zu werden; das eine ergiebt ſich aus
dem andern von ſelbſt. Unſere Abſicht iſt bei einem je-
den Gegenſtande die eigenthuͤmlichen Verhaͤltniſſe des An-
griffs, inſoweit ſie nicht unmittelbar aus der Vertheidigung
hervorgehen, anzugeben, und dieſe Art der Behandlung muß
uns dann nothwendig auch zu manchen Kapiteln fuͤhren, die
in der Vertheidigung keine korreſpondirende haben.
[5]
Zwites Kapitel.
Natur des ſtrategiſchen Angriffs.
Wir haben geſehen daß die Vertheidigung im Kriege
uͤberhaupt, alſo auch die ſtrategiſche, kein abſolutes Abwar-
ten und Abwehren, alſo kein vollkommenes Leiden iſt, ſon-
dern ein relatives, folg[l]ich mit mehr oder weniger offenſi-
ven Prinzip[i]en durchdrungen. Eben ſo iſt der Angriff kein
homogenes Ganze, ſondern mit der Vertheidigung unauf-
hoͤrlich vermengt. Der Unterſchied aber iſt daß die Ver-
theidigung ohne Ruͤckſtoß gar nicht gedacht werden kann,
daß dieſer ein nothwendiger Beſtandtheil derſelben iſt. So
iſt es aber nicht beim Angriff; der Stoß oder der Akt
des Angriffs iſt an ſich ein vollſtaͤndiger Begriff, die Ver-
theidigung iſt ihm an ſich nicht noͤthig, aber Zeit und Raum,
an welche er gebunden iſt, fuͤhren ihm die Vertheidigung
als ein nothwendiges Übel zu. Denn erſtlich kann er
nicht in einer ſtetigen Folge bis zur Vollendung fortgefuͤhrt
werden, ſondern erfordert Ruhepunkte, und in dieſer Zeit
der Ruhe, wo er ſelbſt neutraliſirt iſt, tritt der Zuſtand
der Vertheidigung von ſelbſt ein. Zweitens iſt der Raum
welchen die vorſchreitende Streitkraft hinter ſich laͤßt und
den ſie zu ihrem Beſtehen nothwendig braucht, nicht immer
durch den Angriff an ſich gedeckt, ſondern muß beſonders
geſchuͤtzt werden.
Es iſt alſo der Akt des Angriffs im Kriege, vor-
zugsweiſe aber in der Strategie ein beſtaͤndiges Wechſeln
und Verbinden von Angriff und Vertheidigung, wobei aber
letztere nicht als eine wirkſame Vorbereitung zum Angriff,
als eine Steigerung deſſelben anzuſehen iſt, alſo nicht als
[6] ein thaͤtiges Prinzip, ſondern als ein bloßes nothwendiges
Übel, als das retardirende Gewicht welches die bloße
Schwere der Maſſe hervorbringt; ſie iſt ſeine Erbſuͤnde,
ſein Todesprinzip. Wir ſagen ein retardirendes Ge-
wicht, weil, wenn die Vertheidigung Nichts fuͤr den An-
griff thut, ſie ſchon durch den bloßen Zeitverluſt, welchen
ſie repraͤſentirt, ſeine Wirkung vermindern muß. Aber
kann dieſer Beſtandtheil von Vertheidigung, der in jedem
Angriffe enthalten iſt, nicht auch poſitiv nachtheilig auf
denſelben einwirken? Wenn man ſich ſagt daß der An-
griff die ſchwaͤchere, die Vertheidigung die ſtaͤr-
kere Form des Krieges iſt, ſo ſcheint daraus zu folgen
daß dieſe nicht poſitiv nachtheilig auf jene einwirken koͤnne,
denn ſo lange man fuͤr die ſchwaͤchere Form noch Kraͤfte
genug hat, muͤſſen dieſe um ſo mehr fuͤr die ſtaͤrkere
ausreichen. Dies iſt im Allgemeinen d. h. in der Haupt-
ſache wahr, und wie es ſich noch naͤher beſtimmt, werden
wir im Kapitel von dem Kulminationspunkt des
Sieges genauer auseinanderſetzen; aber wir muͤſſen nicht
vergeſſen daß jene Überlegenheit der ſtrategiſchen Ver-
theidigung eben zum Theil darin ihren Grund hat, daß
der Angriff ſelbſt nicht ohne Beimiſchung von Vertheidi-
gung ſein kann, und zwar von einer Vertheidigung viel
ſchwaͤcherer Art; was er von der Vertheidigung mit ſich
herumſchleppen muß, ſind die ſchlimmſten Elemente derſel-
ben; von dieſen kann nicht mehr behauptet werden was
vom Ganzen gilt, und ſo begreift ſich wie dieſe Elemente
der Vertheidigung auch poſitiv ein ſchwaͤchendes Prinzip
fuͤr den Angriff werden koͤnnen. Eben dieſe Augenblicke
einer ſchwachen Vertheidigung im Angriff ſind es ja, in
welche die poſitive Thaͤtigkeit des offenſiven Prinzips in
der Vertheidigung eingreifen ſoll. In welcher verſchie-
[7] denen Lage befinden ſich, waͤhrend der 12 Stunden Raſt die
einem Tagwerk zu folgen pflegen, der Vertheidiger in ſeiner
ausgeſuchten ihm wohlbe[ka]nnten, zubereiteten Stellung, und
der Angreifende in ſeinem Marſchlager, in welches er wie ein
Blinder hineingetappt iſt; oder, waͤhrend der laͤngern Raſt,
die eine neue Einrichtung der Verpflegung, das Abwarten
von Verſtaͤrkungen u. ſ. w. erfordern kann, wo der Ver-
theidiger in der Naͤhe ſeiner Feſtungen und Vorraͤthe und
der Angreifende wie der Vogel auf dem Aſte iſt. Aber
jeder Angriff muß mit einem Vertheidigen endigen; wie
dies beſchaffen ſein wird, haͤngt von Umſtaͤnden ab; dieſe
koͤnnen ſehr guͤnſtig ſein wenn die feindlichen Streitkraͤfte
zerſtoͤrt ſind, aber auch ſehr ſchwierig wenn dies nicht der
Fall iſt. Obgleich dieſe Vertheidigung nicht mehr zum
Angriff ſelbſt gehoͤrt, ſo muß doch ihre Beſchaffenheit auf
ihn zuruͤckwirken und ſeinen Werth mitbeſtimmen helfen.
Das Reſultat dieſer Betrachtung iſt: daß bei jedem
Angriff auf die demſelben nothwendig beiwohnende Verthei-
digung Ruͤckſicht genommen werden muß, um die Nach-
theile welchen er unterworfen iſt klar einzuſehen und ſich
darauf gefaßt machen zu koͤnnen.
Dagegen iſt der Angriff in einer andern Beziehung
vollkommen in ſich immer ein und derſelbe. Die Verthei-
digung aber hat ihre Stufen, naͤmlich je mehr das Prin-
zip des Abwartens erſchoͤpft werden ſoll. Dies giebt For-
men die ſich weſentlich von einander unterſcheiden, wie wir
in dem Kapitel von den Widerſtandsarten entwickelt haben.
Da der Angriff nur ein thaͤtiges Prinzip hat, und
die Vertheidigung in ihm nur ein todtes Gewicht iſt das
ſich an ihn haͤngt, ſo iſt eine ſolche Verſchiedenheit in ihm
nicht vorhanden. Freilich findet in der Energie des An-
griffs, in der Schnelligkeit und Kraft des Stoßes ein
[8] ungeheurer Unterſchied ſtatt, aber das iſt nur ein Unter-
ſchied in den Graden, nicht in der Art. — Man koͤnnte
ſich wohl denken daß auch der Angreifende einmal die ver-
theidigende Form waͤhlte um beſſer zum Ziele zu kommen,
daß er ſich z. B. in einer guten Stellung aufſtellte um
ſich darin angreifen zu laſſen; aber dieſe Faͤlle ſind ſo ſel-
ten daß wir in unſerer Gruppirung der Begriffe und der
Sachen, wo wir immer von dem Praktiſchen ausgehen,
nicht darauf Ruͤckſicht zu nehmen brauchen. Es findet alſo
beim Angriff keine ſolche Steigerung ſtatt wie ſie die Wi-
derſtandsarten darbieten.
Endlich beſteht der Umfang der Angriffsmittel in der
Regel nur aus der Streitkraft; zu dieſer muß man dann
freilich auch die Feſtungen rechnen, die, in der Naͤhe des
feindlichen Kriegstheaters gelegen, auf den Angriff einen
merklichen Einfluß haben. Aber dieſer Einfluß wird mit
dem Vorſchreiten immer ſchwaͤcher, und es iſt begreiflich
daß beim Angriffe die eigenen Feſtungen niemals eine ſo
weſentliche Rolle ſpielen koͤnnen wie bei der Vertheidigung,
wo ſie oftmals eine Hauptſache werden. Der Beiſtand
des Volkes laͤßt ſich mit dem Angriff in ſolchen Faͤllen
verbunden denken, wo die Einwohner dem Angreifenden
mehr zugethan ſind als ihrem eigenen Heere; endlich kann
der Angreifende auch Bundesgenoſſen haben, aber ſie ſind
dann bloß das Ergebniß beſonderer oder zufaͤlliger Ver-
haͤltniſſe, nicht eine aus der Natur des Angriffs hervorge-
hende Huͤlfe. Wenn wir alſo in der Vertheidigung Fe-
ſtungen, Volksaufſtand und Bundesgenoſſen in den Um-
fang der Widerſtandsmittel aufgenommen haben, ſo koͤn-
nen wir dies nicht auch beim Angriff thun; dort gehoͤren
ſie zur Natur der Sache, hier finden ſie ſich ſelten und
ſind dann meiſtens zufaͤllig.
[9]
Drittes Kapitel.
Vom Gegenſtande des ſtrategiſchen
Angriffs.
Das Niederwerfen des Feindes iſt das Ziel des
Krieges, Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte das Mit-
tel. Es bleibt beim Angriff wie bei der Vertheidigung.
Dieſe fuͤhrt durch die Vernichtung der feindlichen Streit-
kraͤfte zum Angriff, dieſer zur Eroberung des Landes; es
iſt alſo dies ſein Gegenſtand, braucht aber nicht das ganze
Land zu ſein, ſondern kann ſich auf einen Theil, eine Pro-
vinz, einen Landſtrich, eine Feſtung u. ſ. w. beſchraͤnken.
Alle dieſe Dinge koͤnnen einen genuͤgenden Werth haben
als politiſche Gewichte beim Frieden, entweder zum Behal-
ten oder zum Austauſch.
Der Gegenſtand des ſtrategiſchen Angriffs kann alſo
von der Eroberung des ganzen Landes in zahlloſen Abſtu-
fungen herab gedacht werden bis zum unbedeutendſten Platz.
Sobald dieſer Gegenſtand erreicht iſt und der Angriff auf-
hoͤrt, tritt die Vertheidigung ein. — Man koͤnnte ſich alſo
einen ſtrategiſchen Angriff als eine beſtimmt begrenzte Ein-
heit denken. So iſt es aber, wenn wir die Sache prak-
tiſch nehmen, d. h. nach den wirklichen Erſcheinungen,
nicht. Hier laufen die Angriffsmomente, d. h. die Abſich-
ten und Maaßregeln, oft eben ſo unbeſtimmt in die Ver-
theidigung aus, wie die Plaͤne der Vertheidigung in den
Angriff. Selten oder wenigſtens nicht immer ſchreibt ſich
der Feldherr genau vor was er erobern will, ſondern er
laͤßt es von den Ereigniſſen abhaͤngen. Sein Angriff fuͤhrt
ihn oft weiter als er gedacht hat, er bekoͤmmt oft nach
[10] mehr oder weniger kurzer Raſt neue Gewalt, ohne daß
man veranlaßt waͤre zwei ganz verſchiedene Akte daraus
zu machen; ein andermal koͤmmt er fruͤher zum Stehen
als er gedacht, ohne jedoch ſeinen Plan aufzugeben und in
eine wahre Vertheidigung uͤberzugehen. Man ſieht alſo, daß,
wenn die erfolgreiche Vertheidigung unmerklich in den An-
griff uͤbergehen kann, dies umgekehrt auch bei dem Angriff
der Fall iſt. Dieſe Abſtufungen muß man im Auge ha-
ben, wenn man von Dem, was wir von dem Angriff allge-
mein ſagen, nicht eine falſche Anwendung machen will.
Viertes Kapitel.
Abnehmende Kraft des Angriffs.
Dies iſt ein Hauptgegenſtand der Strategie; von
ſeiner richtigen Wuͤrdigung im einzelnen Fall haͤngt das
richtige Urtheil uͤber Das ab was man thun kann.
Die Schwaͤchung der abſoluten Macht entſteht:
- 1. durch den Zweck des Angriffs das feindliche Land
ſelbſt zu beſetzen; dies tritt meiſtens erſt nach der
erſten Entſcheidung ein, aber mit der erſten Entſchei-
dung hoͤrt ſo der Angriff nicht auf; - 2. durch das Beduͤrfniß der angreifenden Armeen das Land
hinter ſich zu beſetzen, um ſich die Verbindungslinien
zu ſichern und leben zu koͤnnen; - 3. durch Verluſte in Gefechten und durch Krankheiten;
- 4. Entfernung von den Ergaͤnzungsquellen;
- 5. Belagerungen, Einſchließungen von Feſtungen;
- 6. Nachlaſſen in den Anſtrengungen;
- 7. Abtreten von Verbuͤndeten.
[11]
Aber dieſen Schwaͤchungsgruͤnden gegenuͤber befinden
ſich auch einige die den Angriff verſtaͤrken koͤnnen. Es iſt
jedoch klar daß erſt die Ausgleichung dieſer verſchiedenen
Groͤßen das allgemeine Reſultat beſtimmt; ſo kann z. B.
die Schwaͤchung des Angriffs durch die Schwaͤchung der
Vertheidigung zum Theil oder ganz aufgewogen oder uͤber-
wogen werden. Dies Letztere iſt ſelten der Fall; man
muß nur nicht immer alle im Felde ſtehende Streitkraͤfte
mit einander vergleichen, ſondern die an der Spitze oder
die auf den entſcheidenden Punkten ſich gegenuͤberſtehen-
den. — Beiſpiele verſchiedener Art: die Franzoſen in
Öſtreich und Preußen, in Rußland; die Verbuͤndeten in
Frankreich, die Franzoſen in Spanien.
Fünftes Kapitel.
Kulminationspunkt des Angriffs.
Der Erfolg im Angriff iſt das Reſultat einer vor-
handenen Überlegenheit, wohlverſtanden phyſiſche und mo-
raliſche Kraͤfte zuſammengenommen. Wir haben im vori-
gen Kapitel gezeigt daß ſich die Kraft des Angriffs nach
und nach erſchoͤpft; moͤglicher Weiſe kann die Überlegen-
heit dabei wachſen, aber in der großen Mehrheit der Faͤlle
wird ſie abnehmen. Der Angreifende kauft Friedens-
vortheile ein, die ihm bei den Unterhandlungen Etwas gel-
ten ſollen, die er aber auf der Stelle baar mit ſeinen
S[t]reitkraͤften bezahlen muß. Fuͤhrt dieſes im Vortheil
des Angriffs ſich taͤglich vermindernde Übergewicht bis
zun Frieden, ſo iſt der Zweck erreicht. — Es giebt ſtra-
[12] tegiſche Angriffe die unmittelbar zum Frieden gefuͤhrt ha-
ben — aber die wenigſten ſind von der Art, und die mei-
ſten fuͤhren nur bis zu einem Punkt wo die Kraͤfte noch
eben hinreichen, ſich in der Vertheidigung zu halten und
den Frieden abzuwarten. — Jenſeit dieſes Punktes liegt
der Umſchwung, der Ruͤckſchlag; die Gewalt eines ſolchen
Ruͤckſchlages iſt gewoͤhnlich viel groͤßer als die Kraft des
Stoßes war. Dies nennen wir den Kulminationspunkt
des Angriffs. — Da der Zweck des Angriffs der Beſitz
des feindlichen Landes iſt, ſo folgt: daß das Vorſchreiten
ſo lange dauern muß bis die Überlegenheit erſchoͤpft iſt;
dies treibt alſo an das Ziel und kann auch leicht daruͤber
hinausfuͤhren. — Bedenkt man aus wie viel Elementen
die Gleichung der Kraͤfte zuſammengeſetzt iſt, ſo begreift
man wie ſchwer es in manchen Faͤllen auszumachen iſt
wer von beiden die Überlegenheit auf ſeiner Seite hat.
Oft haͤngt Alles an dem ſeidenen Faden der Einbildung.
Es kommt alſo Alles darauf an, den Kulminations-
punkt mit einem feinen Takt des Urtheils herauszufuͤhlen. —
Hier ſtoßen wir auf einen ſcheinbaren Widerſpruch. — Die
Vertheidigung iſt ſtaͤrker als der Angriff, man ſollte alſo
glauben daß dieſer nie zu weit fuͤhren koͤnne, denn ſo lange
die ſchwaͤchere Form ſtark genug bleibt, iſt man es ja fuͤr
die ſtaͤrkere um ſo mehr *).
[13]
Sechstes Kapitel.
Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte.
Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte iſt das Mit-
tel zum Ziel. — Was darunter verſtanden wird. — Preis
den es koſtet. — Verſchiedene Geſichtspunkte welche dabei
moͤglich ſind:
- 1. nur ſo viel zu vernichten als der Gegenſtand des An-
griffs erfordert; - 2. oder ſo viel als uͤberhaupt moͤglich iſt;
- 3. wenn die Schonung der eigenen dabei der Hauptge-
ſichtspunkt wird; - 4. dies kann wieder ſo weit gehn, daß der Angriff nur
bei guͤnſtiger Gelegenheit Etwas zur Vernich-
tung der feindlichen Streitkraͤfte unternimmt; wie dies
bei dem Gegenſtand des Angriffs auch der Fall ſein kann
und im dritten Kapitel ſchon vorgekommen iſt.
Das einzige Mittel zur Zerſtoͤrung der feindlichen Streit-
kraͤfte iſt das Gefecht, aber freilich auf eine doppelte Art:
1. unmittelbar; 2. mittelbar, durch Kombination von
Gefechten. — Wenn alſo die Schlacht das Hauptmittel
iſt, ſo iſt ſie doch nicht das einzige. Die Einnahme einer
Feſtung, eines Stuͤck Landes iſt an ſich ſchon eine Zerſtoͤ-
rung der feindlichen Streitkraͤfte, ſie kann aber auch zu
einer groͤßern fuͤhren, es alſo auch mittelbar werden.
Die Beſetzung eines unvertheidigten Landſtrichs kann
alſo, außer dem Werth welchen ſie als eine unmittelbare
Zweckerfuͤllung hat, auch noch als Zerſtoͤrung der feindli-
chen Streitkraͤfte gelten. Das Herausmanoͤvriren des Fein-
des aus einer von ihm beſetzten Gegend iſt etwas nicht
viel Anderes, und kann alſo nur unter demſelben Geſichts-
[14] punkt, nicht wie ein eigentlicher Waffenerfolg angeſehen
werden. — Dieſe Mittel werden meiſtens uͤberſchaͤtzt, —
ſelten haben ſie den Werth einer Schlacht; und dabei iſt
immer noch zu fuͤrchten daß man die nachtheilige Lage
uͤberſieht in welche ſie fuͤhren; wegen des geringen Preiſes
den ſie koſten ſind ſie verfuͤhreriſch.
Überall muͤſſen ſie als geringere Einſaͤtze angeſehen
werden, die auch nur zu geringen Gewinnen fuͤhren und
ſich fuͤr beſchraͤnktere Verhaͤltniſſe und ſchwaͤchere Motive
paſſen. Dann ſind ſie offenbar beſſer als zweckloſe Schlach-
ten. — Siege deren Erfolge ſich nicht erſchoͤpfen laſſen.
Siebentes Kapitel.
Die Offenſivſchlacht.
Was wir von der Defenſivſchlacht geſagt haben, wirft
ſchon ein großes Licht auf die Offenſivſchlacht.
Wir haben dort die Schlacht im Auge gehabt wo
die Vertheidigung am ſtaͤrkſten ausgeſprochen iſt, um das
Weſen derſelben fuͤhlbar zu machen, — die wenigſten
Schlachten ſind aber ſo, die meiſten ſind halbe rencontres,
wo der Defenſivcharakter ſehr verlorengeht. So iſt es
aber nicht mit der Offenſivſchlacht; ſie behaͤlt ihren Cha-
rakter unter allen Umſtaͤnden und darf ihn um ſo drei-
ſter behaupten als der Vertheidiger ſich nicht in ſeinem
eigentlichen esse befindet. Darum bleibt auch bei der nicht
recht ausgeſprochenen Defenſivſchlacht und bei den wahren
rencontres immer Etwas von dem Unterſchiede in dem
Charakter der Schlacht auf Seiten des Einen und des
Andern. Die Haupteigenthuͤmlichkeit der Offenſivſchlacht
[15] iſt das Umfaſſen oder Umgehen, alſo zugleich die Lieferung
der Schlacht.
Das Gefecht mit umfaſſenden Linien hat an ſich ganz
offenbar große Vortheile; dies iſt ein Gegenſtand der Tak-
tik. Dieſe Vortheile kann der Angriff nicht aufgeben,
weil die Vertheidigung ein Mittel dagegen hat, denn die-
ſes Mittel kann er ſelbſt nicht anwenden in ſofern es mit den
uͤbrigen Verhaͤltniſſen der Vertheidigung zu genau zuſam-
menhaͤngt. Um den umfaſſenden Feind mit Vortheil wie-
der zu umfaſſen, muß man ſich in einer ausgeſuchten und
wohl eingerichteten Stellung befinden. Aber was viel wich-
tiger iſt, nicht alle Vortheile welche die Vertheidigung
darbietet kommen wirklich in Anwendung; die meiſten
Vertheidigungen ſind ein duͤrftiger Nothbehelf und die
Vertheidiger befinden ſich meiſtens in einer ſehr bedraͤng-
ten und bedrohten Lage, wo ſie, das Schlimmſte erwar-
tend, dem Angriff auf halbem Wege entgegenkommen.
Die Folge iſt, daß Schlachten mit umfaſſenden Linien oder
gar mit verwandter Fronte, welche eigentlich die Folge
eines vortheilhaften Verhaͤltniſſes der Verbindungslinien
ſein ſollten, gewoͤhnlich die Folge der moraliſchen und phy-
ſiſchen Überlegenheit ſind. Marengo, Auſterlitz, Jena. —
Bei der erſten Schlacht iſt uͤbrigens die Baſis des An-
greifenden, wenn auch nicht der der Vertheidigung uͤberle-
gen, doch wegen der nahen Grenze meiſtens ſehr groß,
alſo kann er ſchon Etwas wagen. — Der Seitenanfall,
d. h. die Schlacht mit verwandter Fronte, iſt uͤbrigens
wirkſamer als die umfaſſende. — Falſche Vorſtellung,
daß ein umfaſſendes ſtrategiſches Vorruͤcken von Hauſe
aus damit verbunden ſein muͤſſe, wie bei Prag. Dies
hat ſelten Etwas damit gemein und iſt eine ſehr miß-
liche Sache, woruͤber in dem Angriff eines Kriegstheaters
[16] das Naͤhere. — So wie in der Vertheidigungsſchlacht der
Feldherr das Beduͤrfniß hat die Entſcheidung moͤglichſt
lange hinzuhalten, Zeit zu gewinnen, weil eine unent-
ſchiedene Vertheidigungsſchlacht mit Sonnenuntergang ge-
woͤhnlich eine gewonnene iſt: ſo hat der Feldherr in der
Angriffsſchlacht das Beduͤrfniß die Entſcheidung zu be-
ſchleunigen; aber von der andern Seite iſt mit der Über-
eilung eine große Gefahr verbunden, weil ſie zur Verſchwen-
dung der Kraͤfte fuͤhrt. Eine Eigenthuͤmlichkeit der An-
griffsſchlacht iſt in den meiſten Faͤllen die Ungewißheit
uͤber die Lage des Gegners; ſie iſt ein wirkliches Hinein-
tappen in unbekannte Verhaͤltniſſe. Auſterlitz, Wagram,
Hohenlinden, Jena, Katzbach. Je mehr ſie das iſt, um
ſo mehr Vereinigung der Kraͤfte, um ſo mehr Umgehen
als Umfaſſen. Daß die Hauptfruͤchte des Sieges erſt im
Verfolgen errungen werden, lehrt ſchon das zwoͤlfte Kapi-
tel des vierten Buchs. Der Natur der Sache nach iſt
bei der Offenſivſchlacht das Verfolgen mehr ein integri-
render Theil der ganzen Handlung als in der Vertheidi-
gungsſchlacht.
Achtes Kapitel.
Flußuͤbergaͤnge.
1. Ein betraͤchtlicher Fluß welcher die Richtungslinie
des Angriffs durchſchneidet iſt immer eine ſehr unbequeme
Sache fuͤr den Angreifenden; denn er iſt, wenn er ihn
uͤberſchritten hat, meiſtens auf eine Bruͤcke eingeſchraͤnkt,
und wird alſo, wenn er nicht dicht an demſelben ſtehen
blei-
[17] bleiben will, in all’ ſeinem Handeln ſehr beengt ſein.
Denkt er gar darauf dem Feinde jenſeits ein entſcheidendes
Gefecht zu geben oder darf er erwarten daß dieſer ihm
dazu entgegenkommen wird, ſo begiebt er ſich in große
Gefahren; ohne bedeutende moraliſche und phyſiſche Über-
legenheit wird ſich alſo ein Feldherr in dieſe Lage nicht
begeben.
2. Aus dieſer Schwierigkeit des bloßen Hinterſichneh-
mens des Fluſſes entſteht auch die Moͤglichkeit ihn wirk-
lich zu vertheidigen viel oͤfter als es ſonſt der Fall ſein
wuͤrde. Setzt man voraus daß dieſe Vertheidigung nicht
als das einzige Heil betrachtet, ſondern ſo eingerichtet wird
daß, wenn ſie ſelbſt mißlungen iſt, doch noch ein Wider-
ſtand in der Naͤhe des Fluſſes moͤglich bleibt: ſo treten
zu dem Widerſtand, welchen der Angreifende durch die Ver-
theidigung des Fluſſes erleiden kann, in ſeinem Kalkuͤl auch
noch alle Vortheile wovon unter No. 1. geſprochen iſt, und
Beides zuſammen macht daß man die Feldherrn beim
Angriff vor einem vertheidigten Fluß ſo viel Reſpekt
haben ſieht.
3. Aber wir haben im vorigen Buch geſehn, daß
unter gewiſſen Bedingungen die eigentliche Vertheidigung
des Fluſſes recht gute Erfolge verſpricht, und wenn wir
auf die Erfahrung ſehen, ſo muͤſſen wir geſtehen daß dieſe
Erfolge eigentlich noch viel haͤufiger eintreten als die Theo-
rie ſie verſpricht, weil man in dieſer doch nur mit den
wirklichen Verhaͤltniſſen rechnet wie ſie ſich finden, waͤh-
rend in der Ausfuͤhrung dem Angreifenden gewoͤhnlich alle
etwas ſchwieriger erſcheinen als ſie wirklich ſind, und da-
her ein ſtarker Hemmſchuh ſeines Handelns werden.
Iſt nun gar von einem Angriff die Rede, der nicht
auf eine große Entſcheidung geht und nicht mit durchgreifender
III 2
[18] Energie gefuͤhrt wird, ſo kann man ſagen daß in der Aus-
fuͤhrung eine Menge von kleinen, in der Theorie gar nicht
zu berechnenden Hinderniſſen und Zufaͤllen ſich zum Nach-
theil des Angreifenden zeigen werden, weil er der Handelnde
iſt, alſo mit ihnen am erſten in Konflikt kommt. Man
bedenke nur wie oft die an ſich unbedeutenden lombar-
diſchen Fluͤſſe mit Erfolg vertheidigt worden ſind. —
Wenn es in der Kriegsgeſchichte dagegen auch Flußverthei-
digungen giebt die nicht das von ihnen Erwartete geleiſtet
haben, ſo liegt es darin daß man zuweilen von dieſem
Mittel ganz uͤbertriebene Wirkung verlangt hat, die ſich
ganz und gar nicht auf ſeine taktiſche Natur gruͤndete,
ſondern bloß auf ſeine aus der Erfahrung bekannte Wirk-
ſamkeit, die man dann noch uͤber alle Gebuͤhr ausdeh-
nen wollte.
4. Nur dann wenn der Vertheidiger den Fehler
macht, auf die Vertheidigung des Fluſſes ſein ganzes Heil
zu bauen, und ſich in den Fall ſetzt durch ihre Spren-
gung in große Verlegenheiten und eine Art Kataſtrophe
zu gerathen, nur dann kann die Flußvertheidigung als eine
dem Angriff guͤnſtige Form des Widerſtandes angeſehen
werden, denn es iſt allerdings leichter eine Flußvertheidi-
digung zu ſprengen als eine gewoͤhnliche Schlacht zu
gewinnen.
5. Es folgt aus dem Bisherigen von ſelbſt, daß Fluß-
vertheidigungen von einem großen Werth werden wenn
keine große Entſcheidung geſucht wird, daß aber da wo
dieſe von der Übermacht oder Energie des Gegners zu er-
warten iſt, dies Mittel, wenn es falſch angewendet wird,
von einem poſitiven Werth fuͤr den Angreifenden ſein kann.
6. Die wenigſten Flußvertheidigungen ſind ſo, daß
ſie nicht umgangen werden koͤnnten, ſei es im Allgemeinen
[19] der ganzen Vertheidigungslinie oder im Beſonderen eines
einzelnen Punktes. Es bleibt alſo dem uͤberlegenen, auf
große Schlaͤge ausgehenden Angreifenden immer das Mit-
tel auf einem Punkt zu demonſtriren und auf einem an-
dern uͤberzugehen und dann die erſten nachtheiligen Ver-
haͤltniſſe im Gefecht, welche ihn treffen koͤnnen, durch die
Überzahl und ein ruͤckſichtsloſes Vordringen gut zu machen,
denn auch dies Letztere wird durch die Überlegenheit moͤg-
lich gemacht. Ein eigentliches taktiſches Forciren eines
vertheidigten Fluſſes, indem man einen feindlichen Haupt-
poſten durch uͤberlegenes Feuer und uͤberlegene Tapferkeit
vertreibt, kommt daher ſelten oder nie vor, und der Aus-
druck eines gewaltſamen Überganges iſt immer nur ſtrate-
giſch zu nehmen, in ſofern der Angreifende durch ſeinen
Übergang an einer gar nicht oder wenig vertheidigten Stelle,
innerhalb der angeordneten Linie, alle Nachtheile, die ihm
nach der Abſicht des Vertheidigers aus ſeinem Übergang
erwachſen ſollen, bravirt. — Das Schlechteſte aber was
der Angreifende thun kann iſt ein wirklicher Übergang auf
mehreren Punkten, wenn ſie nicht ganz nahe bei einander
liegen und ein gemeinſchaftliches Schlagen geſtatten; denn
da der Vertheidiger nothwendig getheilt ſein muß, ſo be-
giebt der Angreifende ſich durch ein Theilen ſeiner Kraͤfte
ſeines natuͤrlichen Vortheils. Dadurch verlor Bellegarde
1814 die Schlacht am Mincio, wo zufaͤllig beide Armeen
zugleich an verſchiedenen Punkten uͤbergingen, und die
Öſtreicher mehr getheilt als die Franzoſen.
7. Bleibt der Vertheidiger dieſſeit des Fluſſes, ſo
verſteht es ſich von ſelbſt daß es zwei Wege giebt ihn
ſtrategiſch zu beſiegen: entweder indem man deſſenungeachtet
auf irgend einem Punkt uͤbergeht und alſo den Verthei-
diger in demſelben Mittel uͤberbietet, oder durch eine Schlacht.
2*
[20] Bei dem erſten ſollten die Verhaͤltniſſe der Baſis und
Verbindungslinien vorzuͤglich entſcheiden, aber freilich ſieht
man oft die ſpeziellen Anſtalten mehr entſcheiden als die
allgemeinen Verhaͤltniſſe; wer beſſere Poſten zu waͤhlen
weiß, beſſer ſich einzurichten, wem beſſer gehorcht wird,
wer ſchneller marſchirt u. ſ. w., kann mit Vortheil gegen
die allgemeinen Umſtaͤnde ankaͤmpfen. Was das zweite
Mittel betrifft, ſo ſetzt es bei dem Angreifenden die Mit-
tel, die Verhaͤltniſſe und den Entſchluß zu einer Schlacht
voraus; wo aber dieſe vorauszuſetzen ſind, da wird der
Vertheidiger nicht leicht dieſe Art von Flußvertheidigung
wagen.
8. Als Endreſultat muͤſſen wir alſo ſagen, daß, wenn
auch der Übergang uͤber einen Fluß an und fuͤr ſich in
den wenigſten Faͤllen große Schwierigkeiten hat, doch in
allen Faͤllen, die keine große Entſcheidung mit ſich fuͤhren, ſich
ſo viel Bedenken fuͤr die Folgen und entfernteren Verhaͤltniſſe
daran anknuͤpfen, daß allerdings der Angreifende dadurch
leicht zum Stehen gebracht werden kann; ſo daß er entweder
den Vertheidiger dieſſeit des Fluſſes laͤßt, oder allenfalls
uͤbergeht, aber dann dicht am Fluß ſtehen bleibt. Denn
daß beide Theile lange an verſchiedenen Seiten des Fluſ-
ſes einander gegenuͤber bleiben, kommt nur in wenigen
Faͤllen vor.
Aber auch in Faͤllen großer Entſcheidung iſt ein Fluß
ein wichtiges Objekt; er ſchwaͤcht und ſtoͤrt immer die
Offenſive, und das Guͤnſtigſte in dieſem Fall iſt wenn
der Vertheidiger dadurch verleitet wird ihn als eine takti-
ſche Barriere zu betrachten und aus ſeiner eigentlichen
Vertheidigung den Hauptakt ſeines Widerſtandes zu ma-
chen, ſo daß der Angreifende den Vortheil in die Haͤnde
bekommt den entſcheidenden Schlag auf eine leichte Art
[21] zu thun. — Freilich wird dieſer Schlag im erſten Augen-
blick niemals eine vollſtaͤndige Niederlage des Gegners ſein,
aber er wird in einzelnen vortheilhaften Gefechten beſtehen
und dieſe dann beim Gegner ſehr ſchlechte allgemeine Ver-
haͤltniſſe herbeifuͤhren, wie 1796 bei den Öſtreichern am
Niederrhein.
Neuntes Kapitel.
Angriff von Defenſivſtellungen.
Im Buche von der Vertheidigung iſt hinreichend aus-
einandergeſetzt, in wiefern Defenſivſtellungen zwingen wer-
den, ſie entweder anzugreifen oder ſein Vorſchreiten aufzu-
geben. Nur ſolche die das thun ſind zweckmaͤßig, und
geeignet die Angriffskraft ganz oder zum Theil zu verzeh-
ren oder zu neutraliſiren, und in ſo weit vermag der An-
griff Nichts dagegen, d. h. es giebt in ſeinem Bereich kein
Mittel dieſen Vortheil aufzuwiegen. Aber nicht alle De-
fenſivſtellungen die vorkommen ſind wirklich ſo. Sieht der
Angreifende daß er ſein Ziel verfolgen kann ohne ſie an-
zugreifen, ſo waͤre der Angriff ein Fehler; kann er ſein
Ziel nicht verfolgen, ſo fraͤgt es ſich: ob er den Gegner
durch Flankenbedrohung herausmanoͤvriren kann. Nur
wenn dieſe Mittel unwirkſam ſind, entſchließt man ſich
zum Angriff einer guten Stellung und dann pflegt der
Angriff von der Seite her immer etwas weniger Schwie-
rigkeit darzubieten; aber die Wahl zwiſchen beiden Seiten
entſcheidet die Lage und Richtung der gegenſeitigen Ruͤck-
zugslinien, alſo die Bedrohung des feindlichen Ruͤckzugs
[22] und die Sicherung des eigenen. Zwiſchen beiden kann
dann Konkurrenz entſtehen, und dabei gebuͤhrt der erſten
Ruͤckſicht ein natuͤrlicher Vorzug, denn ſie iſt ſelbſt offen-
ſiver Natur, alſo mit dem Angriff homogen, waͤhrend die
andere defenſiver Natur iſt. Aber es iſt gewiß und muß
hier als eine Hauptwahrheit betrachtet werden: daß einen
tuͤchtigen Gegner in einer guten Stellung an-
zugreifen ein mißliches Ding iſt. Es fehlt freilich
nicht an Beiſpielen ſolcher Schlachten, und zwar gluͤckli-
cher, wie Torgau, Wagram, (Dresden nennen wir nicht,
weil wir den Gegner in derſelben nicht tuͤchtig nennen moͤ-
gen); aber im Ganzen iſt die Gefahr ſehr gering und
verſchwindet gegen die Unzahl der Faͤlle wo wir die ent-
ſchloſſenſten Feldherrn vor guten Stellungen ſalutiren ſahn.
Aber man muß mit dem Gegenſtand, den wir hier im
Auge haben, nicht die gewoͤhnlichen Schlachten verwech-
ſeln. Die meiſten Schlachten ſind wahre rencontres, in
denen zwar der Eine ſteht, aber in einer unzubereiteten
Stellung.
Zehntes Kapitel.
Angriff verſchanzter Laͤger.
Es war eine Zeitlang Mode, ſehr geringſchaͤtzend
von Schanzen und ihren Wirkungen zu ſprechen. Die
kordonartigen Linien der franzoͤſiſchen Grenzen welche oft
geſprengt worden waren, das verſchanzte Lager von Bres-
lau, in dem der Herzog von Bevern die Schlacht verlor,
die Schlacht bei Torgau und mehrere andere Faͤlle hatten
[23] dies Urtheil herbeigefuͤhrt, und die durch Bewegung und
Offenſivmittel errungenen Siege Friedrichs des Großen
hatten auf alle Vertheidigung, alles ſtehende Gefecht und na-
mentlich alle Schanzen einen Reflex geworfen, der dieſe
Geringſchaͤtzung noch vermehrte. Freilich wenn ein Paar
Tauſend Mann mehrere Meilen Land vertheidigen ſollen,
oder wenn Schanzen nichts Anders ſind als umgekehrte
Laufgraͤben, ſo ſind ſie fuͤr Nichts zu rechnen und es ent-
ſteht alſo durch das Vertrauen, welches man auf ſie ſetzt,
eine gefaͤhrliche Luͤcke. Aber iſt es denn nicht Widerſpruch
oder vielmehr Unſinn, wenn man dies, im Geiſt eines ge-
meinen Schwadroneurs, wie Tempelhoff es thut, auf den Be-
griff der Verſchanzung ſelbſt ausdehnt? Wozu waͤren dann
uͤberhaupt Schanzen, wenn ſie nicht geeignet waͤren die
Vertheidiger zu verſtaͤrken? Nein! — nicht nur die Ver-
nunft ſondern auch hundert und tauſend Erfahrungen zei-
gen daß eine gut eingerichtete, gut beſetzte, gut verthei-
digte Schanze als ein in der Regel unnehmbarer
Punkt zu betrachten iſt und auch ſo von den Angrei-
fenden betrachtet wird. Von dieſem Element der Wirk-
ſamkeit einer einzelnen Schanze ausgegangen, iſt es wohl
nicht zu bezweifeln daß der Angriff eines verſchanzten La-
gers eine ſehr ſchwierige, meiſtens eine unmoͤgliche Aufgabe
fuͤr den Angreifenden iſt.
Es liegt in der Natur der verſchanzten Laͤger daß
ſie ſchwach beſetzt ſind; aber mit guten Terrainhinderniſſen
und tuͤchtigen Schanzen kann man ſich auch gegen eine
große Überzahl wehren. Friedrich der Große hielt den
Angriff auf das Lager von Pirna fuͤr unthunlich, ob er gleich
das Doppelte der Beſatzung dagegen anwenden konnte,
und wenn ſpaͤter hin und wieder behauptet worden iſt daß
es wohl haͤtte genommen werden koͤnnen, ſo gruͤndet ſich
[24] der einzige Beweis dieſer Behauptung auf den ſehr ſchlech-
ten Zuſtand der ſaͤchſiſchen Truppen, welches denn freilich
Nichts gegen die Wirkſamkeit der Schanzen beweiſt. Aber
es iſt die Frage, ob diejenigen, welche hinterher den Angriff
nicht allein fuͤr moͤglich ſondern ſogar fuͤr leicht gehalten
haben, in dem Augenblick ſich dazu entſchloſſen haͤtten.
Wir glauben alſo daß der Angriff eines verſchanzten
Lagers zu den ganz ungewoͤhnlichen Mitteln der Offenſive
gehoͤrt. Nur wenn die Schanzen in der Eile aufgewor-
fen, nicht vollendet, noch weniger mit Zugangshinderniſſen
verſtaͤrkt ſind, oder wenn uͤberhaupt, wie das oft der Fall
iſt, das ganze Lager nur ein Schema von Dem iſt was es
ſein ſollte, eine halbfertige Ruine, dann kann ein An-
griff darauf rathſam ſein und ſogar ein Weg werden, den
Gegner mit Leichtigkeit zu beſiegen.
Eilftes Kapitel.
Angriff eines Gebirges.
Was ein Gebirge in den allgemeinen ſtrategiſchen
Beziehungen iſt, ſowohl bei der Vertheidigung als ſelbſt
beim Angriff, geht hinreichend aus dem fuͤnften und den
folgenden Kapiteln des ſechsten Buchs hervor. Auch die
Rolle welche ein Gebirge als eigentliche Vertheidigungsli-
nie ſpielt, haben wir dort zu entwickeln geſucht, und dar-
aus geht ſchon hervor wie daſſelbe in dieſer Bedeutung
von Seiten des Angriffs zu betrachten iſt. Es bleibt uns
daher uͤber dieſen wichtigen Gegenſtand hier Wenig zu ſa-
gen uͤbrig. Unſer Hauptreſultat war dort: daß die Ver-
[25] theidigung den ganz verſchiedenen Geſichtspunkt eines un-
tergeordneten Gefechts oder einer Hauptſchlacht annehmen
muß, daß im erſten Fall der Angriff eines Gebirges nur
als ein nothwendiges Übel betrachtet werden kann, weil er
alle Verhaͤltniſſe gegen ſich hat, daß aber im zweiten Fall
ſich die Vortheile auf Seite des Angriffs befinden.
Ein Angriff alſo, der mit den Kraͤften und dem Ent-
ſchluß zu einer Schlacht ausgeruͤſtet iſt, wird ſeinem Geg-
ner im Gebirge begegnen und gewiß ſeine Rechnung dabei
finden.
Aber wir muͤſſen auch hier noch einmal darauf zuruͤck-
kommen, daß es ſchwer ſein wird dieſem Reſultat Gehoͤr
zu verſchaffen, weil es gegen den Augenſchein und auf den
erſten Blick auch gegen alle Kriegserfahrung laͤuft. Noch
in den meiſten Faͤllen hat man naͤmlich geſehn, daß eine
zum Angriff vordringende Armee, ſie mag nun eine Haupt-
ſchlacht ſuchen oder nicht, es fuͤr ein unerhoͤrtes Gluͤck ge-
halten hat, wenn der Feind das Zwiſchengebirge nicht be-
ſetzt hatte, und ſie beeilte ſich dann ihm zuvorzukommen,
und Niemand wird in dieſem Zuvorkommen einen Wider-
ſpruch mit dem Intereſſe des Angreifenden finden. Dies
iſt auch in unſerer Anſicht ſehr zulaͤſſig, nur muß man hier
genauer unterſcheiden.
Eine Armee, die dem Feinde entgegengeht, um ihm
eine Hauptſchlacht zu liefern, wird, wenn ſie ein unbeſetztes
Gebirge zu uͤberſchreiten hat, die natuͤrliche Beſorgniß ha-
ben, daß der Feind nur eben diejenigen Paͤſſe, welcher ſie
ſich dazu bedienen will, im letzten Augenblick verrennt; in
dieſem Fall wuͤrden fuͤr den Angreifenden nicht mehr die-
ſelben Vortheile vorhanden ſein, die ihm eine gewoͤhnliche
Gebirgsſtellung des Feindes dargeboten haͤtte. Dieſer iſt
naͤmlich dann nicht mehr uͤbernatuͤrlich ausgedehnt, iſt nicht
[26] mehr ungewiß uͤber den Weg welchen der Angreifende
einſchlaͤgt, der Angreifende hat die Wahl ſeiner Stra-
ßen nicht mit Ruͤckſicht auf die feindliche Aufſtellung waͤh-
len koͤnnen, und es iſt alſo dieſe Schlacht im Gebirge
nicht mehr mit allen den Vorzuͤgen fuͤr den Angreifenden
ausgeruͤſtet, von denen wir im ſechsten Buche geſprochen
haben; unter ſolchen Umſtaͤnden koͤnnte der Vertheidiger
in einer unangreifbaren Stellung gefunden werden. So-
nach wuͤrde ja dem Vertheidiger auf dieſe Weiſe doch das
Mittel zu Gebot ſtehen, einen vortheilhaften Gebrauch fuͤr
ſeine Hauptſchlacht aus dem Gebirge zu ziehen. — Moͤglich
waͤre dies allerdings, aber wenn man die Schwierigkeiten
bedenkt, die es fuͤr den Vertheidiger haben wuͤrde, ſich im
letzten Augenblick in einer guten Stellung im Gebirge feſt-
zuſetzen, zumal wenn er es vorher ganz unbeſetzt gelaſſen
haͤtte, ſo wird man wohl dieſes Vertheidigungsmittel fuͤr
ein ganz unzuverlaͤſſiges, und alſo auch den Fall, welchen
der Angreifende zu fuͤrchten hat, fuͤr einen ſehr unwahr-
ſcheinlichen halten. Aber darum weil dieſer Fall ſehr
unwahrſcheinlich iſt, bleibt es doch natuͤrlich ihn zu fuͤrch-
ten. Denn im Kriege iſt es oft der Fall daß eine Be-
ſorgniß ſehr natuͤrlich und doch ziemlich uͤberfluͤſſig iſt.
Aber ein anderer Gegenſtand, welchen der Angreifende
hier zu fuͤrchten hat, iſt die vorlaͤufige Gebirgsvertheidigung
durch eine Avantgarde oder Vorpoſtenkette. Auch dieſes
Mittel wird nur in den wenigſten Faͤllen ſeinem Intereſſe
zuſagen, aber der Angreifende iſt nicht wohl im Stande
zu unterſcheiden in wiefern dies der Fall ſein wird oder
nicht, und ſo fuͤrchtet er das Schlimmſte.
Ferner widerſpricht unſere Anſicht in dieſem Punkt kei-
neswegs der Moͤglichkeit daß eine Stellung durch den
Gebirgscharakter des Terrains ganz unangreifbar werde;
[27] es giebt dergleichen Stellungen, die darum noch nicht im
Gebirge liegen, Pirna, Schmottſeifen, Meißen, Feldkirch;
und gerade weil ſie nicht im Gebirge liegen, ſind ſie taug-
licher. Aber man kann ſich auch ſehr wohl denken, daß
ſolche Stellungen im Gebirge ſelbſt gefunden werden koͤn-
nen, wo ſich die Vertheidiger von den gewoͤhnlichen Nach-
theilen der Gebirgsſtellungen losmachen koͤnnen, z. B. auf
hohen Plateaus, doch ſind ſie aͤußerſt ſelten und wir
konnten nur die Mehrzahl im Auge haben.
Wie wenig ſich Gebirge zu entſcheidenden Vertheidi-
gungsſchlachten eignen, ſehen wir gerade aus der Kriegs-
geſchichte, denn die großen Feldherren, wenn ſie es auf
eine ſolche Schlacht ankommen laſſen wollten, haben ſich
lieber in der Ebene aufgeſtellt, und es finden ſich in der
ganzen Kriegsgeſchichte keine anderen Beiſpiele entſcheiden-
der Gefechte im Gebirge, als die im Revolutionskrieg,
wo offenbar eine falſche Anwendung und Analogie den Ge-
brauch der Gebirgsſtellungen auch da herbeigefuͤhrt hat, wo
man auf entſcheidende Schlaͤge rechnen mußte, 1793 und
1794 in den Vogeſen, und 1795, 96 und 97 in Ita-
lien. Jedermann hat Melas angeklagt, daß er 1800 die
Alpendurchgaͤnge nicht beſetzt hatte; aber das ſind Kritiken
des erſten Einfalls, des bloßen, man moͤchte ſagen kindi-
ſchen Urtheils nach dem Augenſchein. Bonaparte an Melas
Stelle haͤtte ſie eben ſo wenig beſetzt.
Die Anordnung eines Gebirgsangriffs iſt groͤßtentheils
taktiſcher Natur, nur glauben wir hier fuͤr die erſten Um-
riſſe, alſo fuͤr diejenigen Theile, welche der Strategie zu-
naͤchſt liegen und mit ihr zuſammenfallen, Folgendes ange-
ben zu muͤſſen:
1. Da man im Gebirge nicht wie in anderen Gegen-
den von der Straße ausweichen und aus einem zwei oder
[28] drei machen kann, wenn das Beduͤrfniß des Augenblicks
es erfordert die Maſſe der Truppen zu theilen, ſondern
meiſtens in langen Defileen ſtockt, ſo muß das Vorgehen
uͤberhaupt auf mehreren Straßen oder vielmehr auf einer
etwas breiteren Fronte geſchehen.
2. Gegen eine weit ausgedehnte Gebirgsvertheidigung
wird natuͤrlich der Angriff mit geſammelten Kraͤften geſche-
hen; an ein Umfaſſen des Ganzen iſt da nicht zu denken,
und wenn ein bedeutender Siegserfolg eintreten ſoll, ſo
muß er mehr durch das Sprengen der feindlichen Linie
und das Abdraͤngen der Fluͤgelpartien erreicht werden als
durch umfaſſendes Abſchneiden. Schnelles unaufhaltſames
Vordringen auf der Hauptruͤckzugsſtraße des Feindes iſt
da das natuͤrliche Beſtreben des Angreifenden.
3. Iſt aber der Feind in einer weniger geſammel-
ten Aufſtellung im Gebirge anzugreifen, ſo ſind die Um-
gehungen ein ſehr weſentlicher Theil des Angriffs, denn
die Stoͤße auf die Fronte werden auf die groͤßte Staͤrke
des Vertheidigers treffen; die Umgehungen aber muͤſſen
wieder mehr auf ein wahres Abſchneiden als auf einen
taktiſchen Seiten- oder Ruͤckenanfall abzielen, denn ſelbſt
im Ruͤcken ſind Gebirgsſtellungen, wenn es nicht an Kraͤf-
ten fehlt, noch eines großen Widerſtandes faͤhig; und es
iſt der ſchnellſte Erfolg immer nur von der Beſorgniß zu
erwarten, die man dem Feinde giebt, daß er ſeinen Ruͤck-
zug verliere; und dieſe Beſorgniß entſteht im Gebirge fruͤ-
her und wirkt ſtaͤrker, weil man ſich im ſchlimmſten Fall
nicht ſo leicht mit dem Degen in der Fauſt Platz machen
kann. Aber eine bloße Demonſtration iſt hier nicht das
genuͤgende Mittel; ſie wuͤrde den Feind allenfalls aus ſeiner
Stellung herausmanoͤvriren, aber keinen ſonderlichen Erfolg
geben, es muß alſo auf ein wirkliches Abſchneiden abgeſehn ſein.
[29]
Zwölftes Kapitel.
Angriff von Linienkordons.
Wenn in ihrer Vertheidigung und in ihrem Angriff
eine Hauptentſcheidung enthalten ſein ſoll, ſo gereichen ſie
dem Angreifenden zu einem wahren Vortheil, denn ihre
uͤbernatuͤrliche Ausdehnung widerſpricht noch mehr als die
unmittelbare Fluß- oder Gebirgsvertheidigung allen Erfor-
derniſſen einer entſcheidenden Schlacht. Eugens Linien von
Denain 1712 ſind wohl hierher zu zaͤhlen, denn ihr Verluſt
glich einer verlorenen Schlacht vollkommen, ſchwerlich aber
haͤtte Villars in einer konzentrirten Stellung gegen Eugen
dieſen Sieg erfochten. Wo die Mittel zu einer entſchei-
denden Schlacht nicht im Angriff liegen, da ſind ſelbſt
Linien reſpektirt, wenn ſie naͤmlich von der feindlichen
Hauptarmee beſetzt ſind; wie die von Stollhofen unter
Ludwig von Baden im Jahre 1703 ſelbſt von Villars
reſpektirt wurden. Sind ſie aber nur von einer unterge-
ordneten Streitkraft beſetzt, ſo kommt freilich Alles auf
die Staͤrke des Korps an, welches man zu ihrem Angriff
verwenden kann. Der Widerſtand iſt dann meiſtens nicht
groß, aber freilich das Reſultat des Sieges auch ſelten
Viel werth.
Die Cirkumvallationslinien der Belagerer haben einen
eigenen Charakter, wovon in dem Kapitel vom Angriff
eines Kriegstheaters geſprochen werden ſoll.
Alle kordonartige Aufſtellungen, z. B. verſtaͤrkte Vor-
poſtenlinien u. ſ. w., haben immer das Eigenthuͤmliche daß
ſie leicht zu ſprengen ſind; aber wenn es nicht geſchieht
um weiter vorzudringen und eine Entſcheidung daraus zu
[30] nehmen, ſo geben ſie nur einen ſchwachen Erfolg, der
meiſtens nicht der Muͤhe werth iſt die man darauf ge-
wendet hat.
Dreizehntes Kapitel.
Manoͤvriren.
1. Schon im dreißigſten Kapitel des ſechsten Buchs
iſt daſſelbe beruͤhrt. Es iſt aber allerdings, obgleich dem
Vertheidiger und Angreifenden gemeinſchaftlich, doch immer
etwas mehr angreifender als vertheidigender Natur, daher
wir es hier naͤher charakteriſiren wollen.
2. Das Manoͤvriren ſteht nicht der gewaltſamen Aus-
fuͤhrung des Angriffs durch große Gefechte, ſondern jeder
ſolchen Ausfuͤhrung des Angriffs entgegen, die unmittelbar
aus den Mitteln deſſelben hervorgeht, waͤre es auch eine
Wirkung auf die feindlichen Verbindungslinien, auf den
Ruͤckzug, eine Diverſion u. ſ. w.
3. Halten wir uns an den Sprachgebrauch, ſo liegt
in dem Begriff des Manoͤvrirens eine Wirkſamkeit, welche
gewiſſermaßen aus Nichts, d. h. aus dem Gleichgewicht,
erſt hervorgerufen wird durch die Fehler welche man
dem Feinde ablockt. Es ſind die erſten Zuͤge im Schach-
ſpiel. Es iſt alſo ein Spiel gleichgewichtiger Kraͤfte, um
eine gluͤckliche Gelegenheit zu Erfolgen herbeizufuͤhren und
dieſe dann als eine Überlegenheit uͤber den Gegner zu be-
nutzen.
4. Diejenigen Intereſſen aber, welche theils als das
Ziel, theils als die Stuͤtzpunkte des Handelns hierbei be-
trachtet werden muͤſſen, ſind hauptſaͤchlich:
[31]
- a) die Verpflegung, welche man dem Gegner abzuſchnei-
den oder zu beſchraͤnken ſucht; - b) die Vereinigung mit anderen Korps;
- c) die Bedrohung anderer Verbindungen mit dem In-
nern des Landes oder mit andern Armeen und Korps; - d) die Bedrohung des Ruͤckzuges;
- e) der Angriff einzelner Punkte mit uͤberlegenen Kraͤften.
Dieſe fuͤnf Intereſſen koͤnnen ſich in den allerkleinſten
Einzelnheiten der individuellen Lage feſtſetzen, und dieſe da-
durch zu dem Gegenſtand werden um den ſich eine Zeit
lang Alles dreht. Eine Bruͤcke, eine Straße, eine Schanze
ſpielen dann oft die Hauptrolle. Es iſt leicht in jedem
Fall darzuthun, daß nur die Beziehung, die ſie zu einem
der eben genannten Gegenſtaͤnde haben, ihnen die Wichtig-
keit giebt.
f) Das Reſultat eines gluͤcklichen Manoͤvers iſt dann
fuͤr den Angreifenden, oder vielmehr fuͤr den aktiven Theil,
welches allerdings auch der Vertheidigende ſein kann, ein
Stuͤckchen Land, ein Magazin u. ſ. w.
g) Bei dem ſtrategiſchen Manoͤver kommen zwei Ge-
genſaͤtze vor, die das Anſehn verſchiedener Manoͤver haben
und auch wohl zu Ableitung falſcher Maximen und Regeln
gebraucht worden ſind, wovon vier Glieder, aber im Grunde
alle nothwendige Beſtandtheile der Sache ſind und als
ſolche betrachtet werden muͤſſen. Der erſte Gegenſatz iſt das
Umfaſſen und das Wirken auf inneren Linien, der zweite
das Zuſammenhalten der Kraͤfte und das Ausdehnen in
vielen Poſten.
h) Was den erſten Gegenſatz betrifft, ſo kann man
durchaus nicht ſagen daß eins der beiden Glieder vor dem
andern einen allgemeinen Vorzug verdiene; denn theils iſt
es natuͤrlich, daß das Beſtreben der einen Art die andere
[32] als ſein natuͤrliches Gegengewicht, als ſeine wahre Arzenei
hervorruft; theils iſt das Umfaſſen dem Angriff, das Blei-
ben auf den inneren Linien aber der Vertheidigung homogen,
und es wird alſo meiſtens jenes dem Angreifenden, dieſes
dem Vertheidiger mehr zuſagen. Diejenige Form wird die
Oberhand behalten, die am beſten gehandhabt wird.
i) Die Glieder des andern Gegenſatzes laſſen ſich eben
ſo wenig eins dem andern unterordnen. Dem Staͤrkeren iſt
es verſtattet ſich in mehreren Poſten auszudehnen; dadurch
wird er ſich in vielen Ruͤckſichten ein bequemes ſtrategiſches
Daſein und Handeln verſchaffen und die Kraͤfte ſeiner
Truppen ſchonen. Der Schwaͤchere muß ſich mehr zuſam-
menhalten und durch Bewegung den Schaden einzubringen
ſuchen der ihm ſonſt daraus erwachſen wuͤrde. Dieſe groͤ-
ßere Beweglichkeit ſetzt einen hoͤheren Grad von Fertigkeit
in den Maͤrſchen voraus. Der Schwaͤchere muß alſo ſeine
phyſiſchen und moraliſchen Kraͤfte mehr anſtrengen, — ein letz-
tes Reſultat, was uns natuͤrlich uͤberall entgegentreten
muß, wenn wir immer konſequent geblieben ſind, und wel-
ches man daher gewiſſermaßen als die logiſche Probe des
Raͤſonnements betrachten kann. Friedrich der Große gegen
Daun im Jahre 1759 und 1760, und gegen Laudon 1761,
und Montecuculi gegen Tuͤrenne 1673 und 75 haben im-
mer fuͤr die kunſtvollſten Ereigniſſe dieſer Art gegolten und
aus ihnen haben wir hauptſaͤchlich unſere Anſichten ent-
nommen.
k) So wie die vier Glieder der gedachten beiden Gegen-
ſaͤtze nicht zu falſchen Maximen und Regeln gemißbraucht
werden ſollen, ſo muͤſſen wir auch warnen, anderen allge-
meinen Verhaͤltniſſen, z. B. der Baſis, dem Terrain u. ſ. w.
eine Wichtigkeit und einen durchgreifenden Einfluß beizu-
legen, die ſich in der Wirklichkeit nicht finden. Je kleiner
die
[33] die Intereſſen ſind, um die es ſich handelt, um ſo wichti-
ger werden die Einzelnheiten des Orts und des Augen-
blicks, um ſo mehr tritt das Allgemeine und Große zu-
ruͤck, welches in dem kleinen Kalkuͤl gewiſſermaßen nicht
Platz hat. Giebt es, allgemein betrachtet, eine widerſin-
nigere Lage als die Tuͤrenne’s im Jahre 1675, als er mit
dem Ruͤcken dicht am Rhein in einer Ausdehnung von
3 Meilen ſtand und ſeine Ruͤckzugsbruͤcke auf ſeinem aͤu-
ßerſten rechten Fluͤgel hatte? Gleichwohl erfuͤllten ſeine Maaß-
regeln ihren Zweck und es geſchieht nicht mit Unrecht daß
ihnen ein hoher Grad von Kunſt und Verſtaͤndigkeit zuge-
ſchrieben wird. Man begreift aber dieſen Erfolg und dieſe
Kunſt erſt, wenn man mehr auf das Einzelne achtet, und
es nach dem Werth wuͤrdigt, den es in dem individuellen
Fall haben mußte.
l) Wir ſind alſo uͤberzeugt, daß es fuͤr das Manoͤvri-
ren keine Art von Regeln giebt, daß keine Manier, kein
allgemeiner Grundſatz den Werth des Handelns beſtimmen
kann, ſondern daß uͤberlegene Thaͤtigkeit, Praͤciſion, Ord-
nung, Gehorſam, Unerſchrockenheit in den individuellſten
und kleinſten Umſtaͤnden die Mittel finden koͤnnen ſich fuͤhl-
bare Vortheile zu verſchaffen, und daß alſo von jenen
Eigenſchaften hauptſaͤchlich der Sieg in dieſem Wettkampf
abhaͤngen wird.
III 3
[34]
Vierzehntes Kapitel.
Angriff von Moraͤſten, Überſchwemmungen,
Waͤldern.
Moraͤſte, d. h. ungangbare Wieſen, die nur durch
wenig Daͤmme durchſchnitten ſind, bieten dem taktiſchen
Angriff eigene Schwierigkeiten dar, wie wir das ſchon bei
der Vertheidigung geſagt haben. Ihre Breite erlaubt nicht
den Feind durch Geſchuͤtz vom jenſeitigen Ufer zu vertrei-
ben und eigene Übergangsmittel zu konſtruiren. Die ſtra-
tegiſche Folge iſt, daß man ihren Angriff zu vermeiden
und ſie zu umgehen ſucht. Wo die Kultur ſo groß iſt,
wie in manchen Niederungsſtrichen, daß die Durchgaͤnge
zahllos werden, da iſt der Widerſtand des Vertheidigers
zwar relativ noch immer ſtark genug, aber fuͤr eine abſo-
lute Entſcheidung auch um ſo ſchwaͤcher und alſo ganz un-
geeignet. — Dagegen wird, wenn die Niederung, wie in
Holland, durch eine Überſchwemmung geſteigert iſt, der Wi-
derſtand bis zum abſoluten wachſen koͤnnen und dann jeder
Angriff daran zu Schanden werden. Holland hat es im
Jahre 1672 gezeigt, wo nach Eroberung und Beſetzung
aller außerhalb der Überſchwemmungslinie liegenden Feſtun-
gen doch noch 50,000 Mann franzoͤſiſcher Truppen uͤbrig
blieben, die erſt unter Condé und dann unter Luxemburg
nicht im Stande waren die Überſchwemmungslinie zu uͤber-
waͤltigen, obgleich vielleicht nur 20,000 Mann dieſe Linie
vertheidigten. Wenn der Feldzug der Preußen von 1787
unter dem Herzog von Braunſchweig gegen die Hollaͤnder
ein ganz entgegengeſetztes Reſultat zeigt, daß mit faſt gar
keiner Übermacht und ſehr unbedeutendem Verluſt dieſe
[35] Linien uͤberwaͤltigt wurden, ſo muß man die Urſache in
dem durch politiſche Meinungen geſpaltenen Zuſtande der
Vertheidiger und der fehlenden Einheit im Befehl ſuchen,
und doch iſt Nichts ausgemachter als daß das Gelingen
des Feldzuges, d. h. das Vordringen durch die letzte Über-
ſchwemmungslinie, bis vor die Mauern von Amſterdam
auf einer ſo feinen Spitze ruhte daß man unmoͤglich dar-
aus eine Folgerung ziehen kann. Dieſe Spitze war das
unbewachte Harlemer Meer. Vermittelſt deſſelben umging
der Herzog die Vertheidigungslinie und kam dem Poſten
von Amſelvoen in den Ruͤcken. Haͤtten die Hollaͤnder auf
dieſem Meer ein Paar Schiffe gehabt, ſo waͤre der Her-
zog niemals bis vor Amſterdam gekommen; denn er war
au bout de son latin. Welchen Einfluß dies auf den
Friedensſchluß gehabt haͤtte geht uns hier Nichts an, aber
es iſt dadurch ausgemacht daß von einem Überwaͤltigen
der letzten Überſchwemmungslinie nicht weiter die Rede
ſein konnte.
Der Winter iſt freilich der natuͤrliche Feind dieſes
Vertheidigungsmittels, wie die Franzoſen 1794 und 95 ge-
zeigt haben, aber es gehoͤrt ein ſtrenger Winter dazu.
Waͤlder von geringer Zugaͤnglichkeit haben wir gleich-
falls zu den Mitteln gezaͤhlt welche der Vertheidigung
einen kraͤftigen Beiſtand darbieten. Sind ſie von geringer
Tiefe, ſo kann der Angreifende auf ein Paar nahe bei
einander liegenden Wegen durchdringen und die beſſere Ge-
gend erreichen, denn die taktiſche Staͤrke der einzelnen
Punkte wird nicht groß ſein, weil ein Wald niemals ſo
abſolut undurchdringlich gedacht werden kann wie ein Fluß
oder Moraſt. — Aber wenn, wie in Rußland und Polen,
ein bedeutender Landſtrich faſt uͤberall mit Wald bedeckt
iſt und die Kraft des Angreifenden ihn nicht daruͤber hin-
3*
[36] ausfuͤhren kann, ſo wird allerdings ſeine Lage eine ſehr
beſchwerliche ſein. Man bedenke nur, mit wie vielen
Schwierigkeiten der Verpflegung er zu kaͤmpfen hat und
wie wenig er im Stande iſt, im Dunkel der Waͤlder den
uͤberall gegenwaͤrtigen Gegner ſeine Überlegenheit in der
Zahl fuͤhlen zu laſſen. Gewiß gehoͤrt dies zu den ſchlimm-
ſten Lagen, in die ſich der Angriff begeben kann.
Funfzehntes Kapitel.
Angriff eines Kriegstheaters mit Ent-
ſcheidung.
Die meiſten Gegenſtaͤnde ſind ſchon im ſechsten Buch
beruͤhrt und geben fuͤr den Angriff, durch den bloßen Re-
flex, das gehoͤrige Licht.
Der Begriff eines geſchloſſenen Kriegstheaters hat oh-
nehin eine naͤhere Beziehung zur Vertheidigung als zum
Angriff. Manche Hauptpunkte, Gegenſtand des An-
griffs, Wirkungsſphaͤre des Sieges, ſind in dieſem
Buche ſchon abgehandelt, und das Durchgreifendſte und
Weſentlichſte uͤber die Natur des Angriffs wird ſich beim
Kriegsplan erſt darſtellen laſſen; doch bleibt uns hier noch
Manches zu ſagen und wir wollen wieder mit dem Feldzug
den Anfang machen, in welchem die Abſicht einer großen
Entſcheidung vorhanden iſt.
1. Das naͤchſte Ziel des Angriffs iſt ein Sieg. Alle
Vortheile, welche der Vertheidiger in der Natur ſeiner
Lage findet, kann der Angreifende nur durch Überlegenheit
[37] gut machen, und allenfalls durch den maͤßigen Vorzug
welchen das Gefuͤhl, der Angreifende und Vorſchreitende zu
ſein, dem Heere giebt. Meiſtens wird dies letztere ſehr
uͤberſchaͤtzt, denn es dauert nicht lange und haͤlt gegen reel-
lere Schwierigkeiten nicht Stich. Es verſteht ſich daß
wir hierbei vorausſetzen, daß der Vertheidiger eben ſo feh-
lerfrei und angemeſſen verfahre wie der Angreifende. Wir
wollen mit dieſer Bemerkung die dunklen Ideen von Über-
fall und Überraſchung entfernen, welche man ſich beim An-
griff gewoͤhnlich als reichliche Siegesquellen denkt und die
doch ohne beſondere individuelle Umſtaͤnde nicht eintreten.
Wie es mit dem eigentlichen ſtrategiſchen Überfall iſt, ha-
den wir ſchon an einem andern Ort geſagt. — Fehlt alſo
dem Angriff die phyſiſche Überlegenheit, ſo muß eine mo-
raliſche da ſein, um die Nachtheile der Form aufzuwiegen,
und wo auch dieſe fehlt, iſt der Angriff nicht motivirt und
wird nicht gluͤcklich ſein.
2. So wie Vorſicht der eigentliche Genius der Ver-
theidigung iſt, ſo iſt es Kuͤhnheit und Zuverſicht beim An-
greifenden; nicht daß die entgegengeſetzten Eigenſchaften beiden
fehlen duͤrften, ſondern es ſtehen die ihnen zur Seite in
einer ſtaͤrkeren Affinitaͤt damit. Alle dieſe Eigenſchaften
ſind ja uͤberhaupt nur noͤthig, weil das Handeln kein ma-
thematiſches Konſtruiren iſt, ſondern eine Thaͤtigkeit in
dunklen oder hoͤchſtens daͤmmernden Regionen, wo man
ſich demjenigen Fuͤhrer anvertrauen muß, der ſich am mei-
ſten fuͤr unſer Ziel eignet. — Je moraliſch ſchwaͤcher ſich
der Vertheidiger zeigt, um ſo dreiſter muß der Angreifende
werden.
3. Zum Sieg gehoͤrt das Treffen der feindlichen Haupt-
macht mit der eigenen. Dies hat beim Angriff weniger
Zweifel als bei der Vertheidigung, denn der Angreifende
[38] ſucht den Vertheidiger, welcher ja gewoͤhnlich ſchon ſteht,
in ſeiner Stellung auf. Allein wir haben behauptet (bei der
Vertheidigung), er ſolle ihn, wenn der Vertheidiger ſich falſch
geſtellt hat, nicht aufſuchen, weil er ſicher ſein koͤnne daß
dieſer ihn aufſuchen wuͤrde und er dann den Vortheil
haͤtte ihn unvorbereitet zu treffen. Es kommt hierbei Alles
auf die wichtigſte Straße und Richtung an, und dieſen
Punkt haben wir bei der Vertheidigung uneroͤrtert gelaſſen
und auf dieſes Kapitel verwieſen. Wir wollen alſo hier
das Noͤthige daruͤber ſagen.
4. Welches die naͤheren Gegenſtaͤnde des Angriffs und
alſo die Zwecke des Sieges ſein koͤnnen, haben wir ſchon
fruͤher geſagt; liegen nun dieſe innerhalb des Kriegstheaters
welches angegriffen wird und innerhalb der wahrſcheinlichen
Siegesſphaͤre, ſo ſind die Wege dahin die natuͤrlichen Rich-
tungen des Stoßes. Aber wir muͤſſen nicht vergeſſen, daß
der Gegenſtand des Angriffs gewoͤhnlich erſt ſeine Bedeu-
tung mit dem Sieg erhaͤlt, daß der Sieg alſo immer in
Verbindung damit gedacht werden muß; es kommt alſo dem
Angreifenden nicht ſo ſehr darauf an, den Gegenſtand bloß
zu erreichen, ſondern als Sieger, und ſo wird denn die
Richtung ſeines Stoßes nicht ſowohl auf den Gegenſtand
ſelbſt, als auf den Weg treffen muͤſſen den das feind-
liche Heer dahin zu nehmen hat. Dieſer Weg iſt uns das
naͤchſte Objekt. Die feindliche Armee zu treffen, ehe ſie
jenen Gegenſtand erreicht, ſie davon abzuſchneiden und in
dieſer Lage zu ſchlagen, giebt den potenzirten Sieg. — Waͤre
alſo die feindliche Hauptſtadt das Hauptobjekt des An-
griffs, und der Vertheidiger haͤtte ſich nicht zwiſchen ihr
und dem Angreifenden aufgeſtellt, ſo haͤtte dieſer Unrecht
gerade auf die Hauptſtadt loszugehen, ſondern er thut beſ-
ſer, auf die Verbindung zwiſchen der feindlichen Armee
[39] und der Hauptſtadt ſeine Richtung zu nehmen und dort
den Sieg zu ſuchen der ihn dahin bringen ſoll.
Liegt in der Siegesſphaͤre des Angriffs kein großes
Objekt, ſo iſt die Verbindung der feindlichen Armee mit
dem naͤchſten großen Objekt der Punkt welcher die vor-
herrſchende Wichtigkeit hat. Es wird ſich alſo jeder An-
greifende fragen: wenn ich in der Schlacht gluͤcklich bin,
was fange ich mit dem Siege an? Das Eroberungsobjekt,
worauf ihn dieſes fuͤhrt, iſt dann die natuͤrliche Richtung
des Stoßes. Hat der Vertheidiger ſich in dieſer Richtung
aufgeſtellt, ſo iſt er im Recht und es bleibt Nichts uͤbrig,
als ihn da aufzuſuchen. Waͤre ſeine Stellung zu ſtark,
ſo muͤßte der Angreifende das Vorbeigehn verſuchen, d. h.
aus der Noth eine Tugend machen. Iſt der Vertheidiger
aber nicht auf der rechten Stelle, ſo waͤhlt der Angrei-
fende dieſe Richtung und wendet ſich, ſobald er in die
Hoͤhe des Vertheidigers kommt und dieſer ſich unterdeß
nicht ſeitwaͤrts vorgeſchoben hat, in die Richtung ſeiner
Verbindungslinie mit dem Gegenſtand, um die feindliche
Armee dort aufzuſuchen; waͤre ſie ganz ſtehen geblieben,
ſo wuͤrde der Angreifende gegen dieſelbe umkehren muͤſſen,
um ſie von hinten anzugreifen.
Unter allen Wegen, deren Wahl der Angreifende zum
Objekt hat, ſind die großen Handelsſtraßen immer die
beſten und natuͤrlichſten. Wo ſie eine zu ſtarke Biegung
machen, muß man freilich fuͤr dieſe Stellen die geraderen,
wenn auch kleineren Wege waͤhlen, denn eine von der
geraden Linie ſtark abweichende Ruͤckzugsſtraße hat immer
große Bedenklichkeiten.
5. Zu einer Theilung der Macht hat der Angreifende,
der auf eine große Entſcheidung ausgeht, durchaus keine
Urſache, und es iſt meiſtens, wenn es dennoch geſchieht,
[40] als ein Fehler der Unklarheit zu betrachten. Er ſoll alſo
mit ſeinen Kolonnen nur in ſolcher Breite vorruͤcken, daß
alle zugleich ſchlagen koͤnnen. Hat der Feind ſelbſt ſeine
Macht getheilt, ſo wird das dem Angreifenden um ſo mehr
zum Vortheil gereichen, nur koͤnnen dabei freilich kleine
Demonſtrationen vorkommen, die gewiſſermaßen die ſtrate-
giſchen fausses attaques ſind und die Beſtimmung haben
jene Vortheile feſtzuhalten; die dadurch veranlaßte Thei-
lung der Macht waͤre dann gerechtfertigt.
Die ohnehin nothwendige Theilung in mehrere Kolon-
nen muß zur umfaſſenden Anordnung des taktiſchen An-
griffs benutzt werden, denn dieſe Form iſt dem Angriff
natuͤrlich und darf nicht ohne Noth verſaͤumt werden. Aber
ſie muß taktiſcher Natur bleiben, denn ein ſtrategiſches
Umfaſſen, waͤhrend ein großer Schlag geſchieht, iſt voll-
kommene Kraftverſchwendung. Es waͤre alſo nur zu ent-
ſchuldigen, wenn der Angreifende ſo ſtark waͤre daß der
Erfolg gar nicht als zweifelhaft betrachtet werden koͤnnte.
6. Aber auch der Angriff hat ſeine Vorſicht, denn
der Angreifende hat auch einen Ruͤcken, hat Verbindungen,
die geſichert werden muͤſſen. Dieſe Sicherung muß aber
wo moͤglich durch die Art geſchehen wie er ſich vorbewegt,
d. h. alſo eo ipso durch die Armee ſelbſt. Wenn dazu
beſondere Kraͤfte beſtimmt werden muͤſſen, alſo eine Thei-
lung der Kraͤfte hervorgerufen wird, ſo kann dies natuͤrlich
der Kraft des Stoßes ſelbſt nur ſchaden. — Da eine
betraͤchtliche Armee immer in der Breite von wenigſtens
einem Marſch vorzuruͤcken pflegt, ſo wird, wenn die Ruͤck-
zugsverbindungslinien nicht zu ſehr von der ſenkrechten ab-
weichen, die Deckung derſelben meiſtens ſchon durch die
Fronte der Armee erreicht.
Die Gefahren dieſer Art, welchen der Angreifende
[41] ausgeſetzt iſt, muͤſſen hauptſaͤchlich nach der Lage und dem
Charakter des Gegners abgemeſſen werden. Wo Alles
unter dem Atmoſphaͤrendruck einer großen Entſcheidung
ruht, bleibt dem Vertheidiger fuͤr Unternehmungen dieſer
Art wenig Spielraum; der Angreifende wird alſo in den
gewoͤhnlichen Faͤllen nicht Viel zu fuͤrchten haben. Aber
wenn das Vorſchreiten voruͤber iſt, der Angreifende nach
und nach ſelbſt in den Zuſtand der Vertheidigung mehr
und mehr uͤbergeht, dann wird die Deckung des Ruͤckens
immer nothwendiger, immer mehr eine Hauptſache. Denn da
der Ruͤcken eines Angreifenden der Natur der Sache nach
ſchwaͤcher iſt als der des Vertheidigers, ſo kann dieſer
ſchon lange vorher, ehe er zum wirklichen Angriff uͤbergeht,
und ſogar indem er ſelbſt noch immer Land einraͤumt, an-
gefangen haben auf die Verbindungslinien des Angreifen-
den zu wirken.
Sechszehntes Kapitel.
Angriff eines Kriegstheaters ohne
Entſcheidung.
1. Wenn auch der Wille und die Kraft nicht zu
einer großen Entſcheidung hinreichen, ſo kann doch noch die
beſtimmte Abſicht eines ſtrategiſchen Angriffs vorhanden
ſein, auf irgend ein geringes Objekt gerichtet. Gelingt
der Angriff, ſo kommt mit der Erreichung dieſes Objekts
das Ganze in Ruhe und Gleichgewicht. Finden ſich eini-
germaßen Schwierigkeiten, ſo tritt der Stillſtand des all-
gemeinen Fortſchreitens ſchon vorher ein. Nun tritt eine
bloße Gelegenheitsoffenſive oder auch ein ſtrategiſches Ma-
[42] noͤvriren an die Stelle. Dies iſt der Charakter der mei-
ſten Feldzuͤge.
2. Die Gegenſtaͤnde welche das Ziel einer ſolchen
Offenſive ausmachen ſind:
a)Ein Landſtrich. Vortheile der Verpflegung,
allenfalls auch Kontributionen, Schonung des Landes,
Äquivalent beim Frieden ſind die Vortheile welche daraus
fließen. Zuweilen knuͤpft ſich auch der Begriff der Waf-
fenehre daran, wie in den Feldzuͤgen der franzoͤſiſchen
Feldherrn unter Ludwig XIV. unaufhoͤrlich vorkommt.
Einen ſehr weſentlichen Unterſchied macht es ob der
Landſtrich behauptet werden kann oder nicht. Das
Erſtere iſt gewoͤhnlich nur der Fall, wenn er ſich an das
eigene Kriegstheater anſchließt und ein natuͤrliches Kom-
plement deſſelben ausmacht. Nur ſolche koͤnnen beim
Frieden als Äquivalent in Betrachtung kommen, die an-
dern ſind gewoͤhnlich nur fuͤr die Dauer eines Feldzugs
eingenommen und ſollen im Winter verlaſſen werden.
b)Ein bedeutendes feindliches Magazin.
Wenn es nicht bedeutend iſt, ſo kann es auch nicht wohl
als der Gegenſtand einer den ganzen Feldzug beſtimmenden
Offenſive angeſehen werden. Es bringt zwar an und fuͤr
ſich dem Vertheidiger Verluſt und dem Angreifenden Ge-
winn, indeſſen iſt der Hauptvortheil des Letzteren dabei doch,
daß der Vertheidiger dadurch genoͤthigt wird ein Stuͤck
zuruͤckzugehen und einen Landſtrich aufzugeben den er
ſonſt gehalten haͤtte. Die Eroberung des Magazins iſt
alſo eigentlich mehr das Mittel und wird hier nur als
Zweck angefuͤhrt, weil ſie das naͤchſte beſtimmte Ziel des
Handelns wird.
c)Die Eroberung einer Feſtung. Wir haben
von der Eroberung der Feſtungen ein eigenes Kapitel
[43] handeln laſſen und verweiſen darauf zuruͤck. Aus den da-
ſelbſt entwickelten Gruͤnden iſt es begreiflich, wie die Fe-
ſtungen immer den vorzuͤglichſten und erwuͤnſchteſten Ge-
genſtand derjenigen Angriffskriege und Feldzuͤge ausmachen,
die auf ein voͤlliges Niederwerfen des Gegners oder auf
die Eroberung eines bedeutenden Theils ſeines Landes ihre
Abſicht nicht richten koͤnnen; und ſo iſt es denn leicht
erklaͤrlich wie in den feſtungsreichen Niederlanden ſich
Alles immer um die Beſetzung der einen oder der anderen
Feſtung drehte, und zwar ſo, daß meiſtens dabei die Suc-
ceſſiveroberung der ganzen Provinz nicht einmal als
Hauptlineament durchſchien, ſondern daß jede Fe-
ſtung wie eine diskrete Groͤße betrachtet wurde, die an
ſich etwas werth waͤre und bei der wohl mehr auf die
Bequemlichkeit und Leichtigkeit des Unternehmens als auf
den Werth des Platzes geſehen wurde.
Indeſſen iſt eine Belagerung eines nicht ganz unbe-
deutenden Platzes immer ein bedeutendes Unternehmen, weil
es große Geldausgaben verurſacht und bei Kriegen, wo
ſich’s nicht immer um das Ganze handelt, dieſe ſehr be-
ruͤckſichtigt werden muͤſſen[.] Daher gehoͤrt eine ſolche Be-
lagerung hier ſchon zu den bedeutenden Gegenſtaͤnden eines
ſtrategiſchen Angriffs. Je unbedeutender der Platz iſt,
oder je weniger es mit der Belagerung ernſt iſt, je weniger
Vorbereitungen dazu getroffen ſind, je mehr Alles en passant
gemacht werden ſoll, um ſo kleiner wird dies ſtrategiſche
Ziel, um ſo angemeſſener ganz ſchwachen Kraͤften und Ab-
ſichten, und oft ſinkt dann das Ganze zu einer bloßen
Spiegelfechterei hinab, um den Feldzug mit Ehren hinzu-
bringen, weil man als Angreifender doch irgend Etwas
thun will.
d)Ein vortheilhaftes Gefecht, Treffen oder
[44] gar eine Schlacht um der Trophaͤen oder gar um der
bloßen Waffenehre willen, und zuweilen auch aus bloßem
Ehrgeiz des Feldherrn; daß dies vorkommt, koͤnnte nur der
bezweifeln, der gar keine Kriegsgeſchichte wuͤßte. In
den Feldzuͤgen der Franzoſen zur Zeit Ludwig XIV.
ſind die meiſten Offenſivſchlachten von der Art. Aber
nothwendiger iſt es zu bemerken, daß dieſe Dinge nicht
ohne objektives Gewicht, nicht bloßes Spiel der Eitelkeit
ſind; ſie ſind von einem ſehr beſtimmten Einfluß auf den
Frieden, fuͤhren alſo ziemlich direkt ans Ziel. Die Waf-
fenehre, das moraliſche Übergewicht des Heeres und des
Feldherrn ſind Dinge die unſichtbar wirken, aber den gan-
zen kriegeriſchen Akt unaufhoͤrlich durchdringen.
Das Ziel eines ſolchen Gefechts ſetzt freilich voraus: a)
daß man eine ziemliche Ausſicht zum Siege habe, b) daß man
bei dem Verluſt des Gefechts nicht zu Viel auf das Spiel
ſetze. — Mit einer ſolchen Schlacht, die man in beengten
Verhaͤltniſſen und mit beſchraͤnktem Ziel liefert, muß man
natuͤrlich nicht Siege verwechſeln, die bloß aus moraliſcher
Schwaͤche unbenutzt geblieben ſind.
3. Mit Ausnahme des letzten dieſer Gegenſtaͤnde (d)
laſſen ſich alle ohne bedeutendes Gefecht erreichen, und ge-
woͤhnlich werden ſie vom Angreifenden ohne ein ſolches
erſtrebt. Die Mittel nun welche ohne entſcheidendes Ge-
fecht dem Angreifenden zu Gebot ſtehen, liegen in allen
den Intereſſen welche der Vertheidiger in ſeinem Kriegs-
theater hat: das Bedrohen ſeiner Verbindungslinien ſei es
mit Gegenſtaͤnden des Unterhalts, wie Magazinen, frucht-
baren Provinzen, Waſſerſtraßen u. ſ. w., oder mit andern
Korps, oder mit maͤchtigen Punkten, wie Bruͤcken, Paͤſſen
u. ſ. w.; das Einnehmen ſtarker Stellungen aus denen er
uns nicht wieder vertreiben kann und die ihm unbequem
[45] liegen; die Einnahme bedeutender Staͤdte, fruchtbarer
Landſtriche, unruhiger Gegenden die zur Rebellion verfuͤhrt
werden koͤnnten; das Bedrohen ſchwacher Verbuͤndeten
u. ſ. w. Indem der Angriff jene Verbindungen
wirklich unterbricht, und zwar auf eine ſolche Weiſe daß
der Vertheidiger ſie ſich nicht ohne bedeutende Opfer wieder
oͤffnen kann, indem er jene Punkte einzunehmen ſich an-
ſchickt: noͤthigt er den Vertheidiger eine andere Stellung
mehr ruͤckwaͤrts oder ſeitwaͤrts zu nehmen, um jene Objekte
zu decken und lieber geringere aufzugeben. So wird denn
ein Landſtrich frei; ein Magazin, eine Feſtung entbloͤßt;
jenes der Eroberung, dieſe der Belagerung preisgegeben.
Dabei koͤnnen kleinere und groͤßere Gefechte vorkommen,
aber ſie werden dann nicht geſucht und als Zweck behan-
delt, ſondern als ein nothwendiges Übel, und koͤnnen
einen gewiſſen Grad der Groͤße und Wichtigkeit nicht uͤber-
ſchreiten.
4. Die Einwirkung des Vertheidigers auf die Ver-
bindungslinien des Angreifenden iſt eine Reactionsart die
in den Kriegen mit großer Entſcheidung nur dann vorkom-
men kann, wenn die Operationslinien ſehr groß werden,
dagegen iſt dieſe Reactionsart bei Kriegen ohne große Ent-
ſcheidung mehr in der Natur der Sache. Die Verbin-
dungslinien des Gegners werden zwar hier ſelten ſehr lang
ſein, aber es kommt auch hier nicht darauf an, dem Geg-
ner ſo große Verluſte der Art beizubringen, eine bloße Be-
laͤſtigung und Verkuͤrzung ſeines Unterhalts thut oft ſchon
Wirkung, und was den Linien an Laͤnge fehlt, erſetzt eini-
germaßen die Laͤnge der Zeit, welche man auf dieſe Be-
kaͤmpfung des Gegners verwenden kann; darum wird alſo
die Deckung ſeiner ſtrategiſchen Flanken ein wichtiger Ge-
genſtand des Angreifenden. Wenn alſo zwiſchen dem An-
[46] greifenden und Vertheidiger ein Kampf der Art entſteht,
ein Überbieten, ſo muß der Angreifende ſeine natuͤrlichen
Nachtheile durch ſeine Überlegenheit gut machen. Bleibt
dem Erſteren noch ſo viel Vermoͤgen und Entſchluß, ein-
mal einen bedeutenden Streich gegen ein feindliches Korps
oder die feindliche Hauptarmee ſelbſt zu wagen, ſo wird
er ſich durch dieſe Gefahr, die er uͤber ſeinem Gegner ſchwe-
ben laͤßt, noch am beſten decken koͤnnen.
5. Schließlich muͤſſen wir noch eines bedeutenden Vor-
theils gedenken, den in Kriegen dieſer Art der Angreifende
allerdings uͤber ſeinen Gegner hat, naͤmlich ihn ſeiner Ab-
ſicht und ſeinem Vermoͤgen nach beſſer beurtheilen zu koͤn-
nen als dies umgekehrt der Fall iſt. In welchem Grade
ein Angreifender unternehmend und dreiſt ſein wird, iſt viel
ſchwerer vorherzuſehen, als ob der Vertheidiger etwas Gro-
ßes im Sinn fuͤhrt. Gewoͤhnlich liegt, praktiſch genom-
men, ſchon in der Wahl dieſer Kriegsform eine Garantie,
daß man nichts Poſitives wolle; außerdem ſind die An-
ſtalten zu einer großen Reaction von den gewoͤhnlichen Ver-
theidigungsanſtalten viel verſchiedener als die Anſtalten des
Angriffs bei groͤßeren oder geringeren Abſichten; endlich iſt
der Vertheidiger genoͤthigt ſeine Maaßregeln fruͤher zu
nehmen und der Angreifende in dem Vortheil der
Hinterhand.
[47]
Siebenzehntes Kapitel.
Angriff von Feſtungen.
Der Angriff von Feſtungen kann uns natuͤrlich nicht
von der Seite der fortifikatoriſchen Arbeiten hier beſchaͤf-
tigen, ſondern: erſtens in Beziehung auf den damit verbun-
denen ſtrategiſchen Zweck; zweitens auf die Wahl unter
mehreren Feſtungen; drittens auf die Art die Belagerung
zu decken.
Daß der Verluſt einer Feſtung die feindliche Verthei-
digung ſchwaͤcht, beſonders dann wenn ſie ein weſentliches
Stuͤck derſelben ausgemacht hat, daß dem Angreifenden
aus ihrem Beſitz große Bequemlichkeiten entſpringen, in-
dem er ſie zu Magazinen und Depots gebrauchen, Land-
ſtriche und Quartiere dadurch decken kann u. ſ. w., daß ſie,
wenn ſein Angriff zuletzt in die Vertheidigung uͤbergehen
ſollte, die ſtaͤrkſten Stuͤtzen dieſer Vertheidigung werden:
alle dieſe Beziehungen, welche die Feſtungen zu den Kriegs-
theatern in dem Fortgang des Krieges haben, laſſen ſich
hinreichend aus Dem erkennen, was wir im Buch von der
Vertheidigung uͤber die Feſtungen geſagt haben, der Re-
flex davon wird das noͤthige Licht uͤber den Angriff ver-
breiten.
Auch in Beziehung auf die Eroberung feſter Plaͤtze
findet ein großer Unterſchied zwiſchen den Feldzuͤgen mit
einer großen Entſcheidung und den andern ſtatt. Dort iſt
dieſe Eroberung immer als ein nothwendiges Uebel anzu-
ſehen. Man belagert nur was man ſchlechterdings nicht
unbelagert laſſen kann, ſo lange man naͤmlich noch Etwas
zu entſcheiden hat. Nur wenn die Entſcheidung ganz gege-
[48] ben, die Kriſe, die Spannung der Kraͤfte auf geraume
Zeit voruͤber, und alſo ein Zuſtand der Ruhe eingetreten
iſt: dann dient die Eroberung der feſten Plaͤtze als eine
Konſolidirung der gemachten Eroberung und dann kann
ſie meiſtens, zwar nicht ohne Anſtrengung und Kraftauf-
wand, aber doch ohne Gefahr ausgefuͤhrt werden. In der
Kriſe ſelbſt iſt die Belagerung einer Feſtung eine hohe Stei-
gerung derſelben zum Nachtheil des Angreifenden; es iſt au-
genſcheinlich daß Nichts ſo ſehr ſeine Kraͤfte ſchwaͤcht und alſo
Nichts ſo gemacht iſt ihm auf eine Zeitlang ſein Überge-
wicht zu rauben. Aber es giebt Faͤlle wo die Eroberung
einer oder der andern Feſtung ganz unerlaͤßlich iſt, wenn
der Angriff uͤberhaupt fortſchreiten ſoll, und in dieſen
iſt das Belagern als ein intenſives Fortſchreiten des An-
griffs zu betrachten; die Kriſe wird dann um ſo groͤßer
je weniger vorher ſchon entſchieden iſt. Was uͤber dieſen
Gegenſtand noch in Betrachtung zu ziehen iſt, gehoͤrt in
das Buch vom Kriegsplan.
In den Feldzuͤgen mit einem beſchraͤnkten Ziel iſt die
Feſtung gewoͤhnlich nicht das Mittel, ſondern der Zweck
ſelbſt; ſie wird als eine ſelbſtſtaͤndige kleine Eroberung
angeſehen und als ſolche hat ſie folgende Vorzuͤge vor
jeder andern:
- 1. daß die Feſtung eine kleine ſehr beſtimmt begraͤnzte
Eroberung iſt, die nicht zu einer groͤßeren Kraftanſtrengung
noͤthigt und alſo keinen Ruͤckſchlag befuͤrchten laͤßt; - 2. daß ſie beim Frieden als Äquivalent ſo gut gel-
tend zu machen iſt; - 3. daß die Belagerung ein intenſives Fortſchreiten
des Angriffs iſt oder wenigſtens ſo ausſieht, ohne daß
die Schwaͤchung der Kraͤfte dabei immer zunehme, wie
das jedes andere Vorſchreiten im Angriff mit ſich bringt;
4.
[49]
- 4. daß die Belagerung ein Unternehmen ohne Ka-
taſtrophe iſt.
Alle dieſe Dinge machen, daß die Eroberung eines
oder mehrerer feindlicher Plaͤtze ſehr gewoͤhnlich ein Gegen-
genſtand derjenigen ſtrategiſchen Angriffe iſt, die ſich kein
groͤßeres Ziel vorſetzen koͤnnen.
Die Gruͤnde, welche bei der Wahl der Feſtung, welche
belagert werden ſoll, beſtimmen, im Fall dieſe uͤberhaupt
zweifelhaft ſeyn kann, ſind:
a) Daß ſie bequem zu behalten ſei, alſo als Äqui-
valent beim Frieden recht hoch ſtehe.
b) Die Mittel der Eroberung. Geringe Mittel laſſen
nur kleine Feſtungen zu, und es iſt beſſer daß man eine
kleine wirklich einnimmt als vor einer großen ſcheitert.
c) Die fortifikatoriſche Staͤrke. Sie ſteht ja offenbar
nicht immer mit der Wichtigkeit in Verhaͤltniß; Nichts
waͤre thoͤrichter als vor einem ſehr feſten Platz von geringer
Wichtigkeit ſeine Kraͤfte zu verſchwenden, wenn man einen
weniger ſtarken zum Gegenſtand ſeines Angriffs machen kann
d) Die Staͤrke der Ausruͤſtung, alſo auch der Beſatzung
Iſt die Feſtung ſchwach beſetzt und ausgeruͤſtet, ſo iſt ihre Er-
oberung natuͤrlich leichter; aber es iſt hierbei zu bemerken,
daß die Staͤrke der Beſatzung und Ausruͤſtung zugleich zu
denjenigen Dingen gezaͤhlt werden muß, die die Wichtig-
keit des Platzes mit beſtimmen, weil Beſatzung und Aus-
ruͤſtung unmittelbar zu den Streitkraͤften des Feindes ge-
hoͤren, welches nicht in dem Maaße mit den Fortifikations-
werken der Fall iſt. Die Eroberung einer Feſtung mit
ſtarker Beſatzung kann alſo die Opfer, welche ſie koſtet,
viel eher lohnen als die einer mit beſonders ſtarken Werken.
e) Die Leichtigkeit der Belagerungstransporte. Die
meiſten Belagerungen ſcheitern aus Mangel an Mitteln,
III 4
[50] und dieſe fehlen meiſtens wegen der Schwierigkeit des
Transports. Eugen’s Belagerung von Landreci 1712 und
Friedrichs des Großen Belagerung von Olmuͤtz 1758 ſind
die hervorſtechendſten Beiſpiele.
f) Endlich iſt die Leichtigkeit der Deckung noch als
ein Punkt zu betrachten.
Es giebt zwei weſentlich verſchiedene Arten die Be-
lagerung zu decken: durch Verſchanzung der Belage-
rungsarmee, alſo durch eine Circumvallationslinie, und
durch eine ſogenannte Obſervationslinie. Die erſteren ſind
ganz aus der Mode gekommen, obgleich offenbar eine Haupt-
ſache fuͤr ſie ſpricht: daß naͤmlich auf dieſe Art die Macht
des Angreifenden diejenige Schwaͤchung durch Theilung
eigentlich gar nicht erfaͤhrt, die ein großer Nachtheil des
Belagerers uͤberhaupt iſt. Aber freilich findet die Schwaͤ-
chung auf eine andere Weiſe doch in einem ſehr merk-
lichen Grade ſtatt.
1. Die Stellung um die Feſtung herum erfordert in
der Regel eine zu große Ausdehnung fuͤr die Staͤrke des
Heeres.
2. Die Beſatzung, welche, ihre Staͤrke noch zur feind-
lichen Entſatzarmee hinzugefuͤgt, Nichts geben wuͤrde als
die Macht welche urſpruͤnglich der unſrigen entgegenſtand,
iſt unter dieſen Umſtaͤnden als ein feindliches Korps
mitten in unſerm Lager zu betrachten, welches aber, durch
ſeine Waͤlle geſchuͤtzt, unverwundbar oder wenigſtens
nicht zu uͤberwaͤltigen iſt, wodurch ſeine Wirkſamkeit ſehr
erhoͤht wird.
3. Die Vertheidigung einer Circumvallationslinie laͤßt
Nichts als die abſoluteſte Defenſion zu, weil die unguͤn-
ſtigſte und ſchwaͤchſte aller moͤglichen Aufſtellungsformen,
in einem Kreiſe mit der Fronte nach Außen, allen vortheil-
[51] haften Anfaͤllen auf das Äußerſte widerſtrebt. Es bleibt
alſo Nichts uͤbrig als ſich in ſeinen Verſchanzungen aufs
Äußerſte zu wehren. Daß dieſe Umſtaͤnde eine viel groͤßere
Schwaͤchung der Vertheidigung herbeifuͤhren koͤnnen, als die
Verminderung des Heeres um ein Drittel ſeiner Streiter,
welche vielleicht bei einer Obſervationsarmee ſtattfinden wuͤrde,
iſt leicht begreiflich. Bedenkt man nun noch die allgemeine
Vorliebe die man ſeit Friedrich dem Großen fuͤr die ſoge-
nannte Offenſive (es iſt eigentlich nicht immer eine ſolche),
fuͤr Bewegungen und Manoͤvriren hat, und den Wider-
willen gegen Schanzen, ſo wird man ſich nicht wundern,
wenn die Circumvallationslinien ganz außer Mode gekom-
men ſind. Aber jene Schwaͤchung des taktiſchen Wider-
ſtandes iſt keineswegs der einzige Nachtheil derſelben, und
wir haben nur die Vorurtheile, die ſich auch hineindraͤngen,
gleich neben jenem Nachtheil aufgezaͤhlt, weil ſie ihm zu-
naͤchſt verwandt ſind. Eine Circumvallationslinie deckt
vom ganzen Kriegstheater im Grunde nur den Raum
den ſie einſchließt, alles Übrige iſt dem Feinde mehr
oder weniger preisgegeben, wenn nicht beſondere Detache-
ments zur Deckung beſtimmt werden, woraus aber eine
Theilung der Kraͤfte entſtehen wuͤrde, die man doch ver-
meiden will. Alſo wird der Belagernde, ſchon wegen der
zur Belagerung noͤthigen Zufuhren, immer in Beſorgniß
und Verlegenheit ſein, und es iſt uͤberhaupt eine Deckung
derſelben durch Circumvallationslinien, wenn die Armee
und die Belagerungsbeduͤrfniſſe einigermaßen betraͤchtlich
ſind und wenn der Feind mit einer namhaften Macht im
Felde iſt, nicht anders denkbar als unter Verhaͤltniſſen wie
die in den Niederlanden, wo ein ganzes Syſtem nahe bei
einander liegender Feſtungen und dazwiſchen angelegter
Linien die uͤbrigen Theile des Kriegstheaters deckt und die
4*
[52] Zufuhrlinien in einem hohen Grade abkuͤrzt. In der
Zeit vor Ludwig XIV. war mit der Aufſtellung einer
Streitkraft noch nicht der Begriff eines Kriegstheaters
verbunden. Namentlich zogen die Armeen im dreißigjaͤh-
rigen Kriege ſporadiſch hin und her, vor dieſer oder jener
Feſtung, in deren Naͤhe ſich nicht gerade ein feindliches
Korps befand, und belagerten ſo lange wie die mitgebrach-
ten Belagerungsmittel zureichten und bis eine feindliche
Armee ſich zum Erſatz naͤherte. Da waren die Circum-
vallationslinien in der Natur der Sache.
In der Folge werden ſie wohl nur in wenigen Faͤllen
wieder gebraucht werden koͤnnen, wenn naͤmlich die Ver-
haͤltniſſe aͤhnlicher Art ſind; wenn der Feind im Felde
ganz ſchwach iſt, wenn der Begriff des Kriegstheaters gegen
den der Belagerung ſelbſt gewiſſermaßen verſchwindet: dann
wird es natuͤrlich ſeyn ſeine Kraͤfte bei der Belagerung
ſelbſt vereinigt zu behalten, weil dieſe dadurch unſtreitig in
einem hohen Grade an Energie gewinnt.
Die Circumvallationslinien unter Ludwig XIV. bei
Cambrai und Valenciennes haben wenig geleiſtet, als jene
von Tuͤrenne gegen Condé, und dieſe von Condé gegen Tuͤ-
renne geſtuͤrmt wurden; aber man darf auch nicht uͤberſehen
in wie unendlich vielen andern Faͤllen ſie reſpektirt worden
ſind, ſelbſt dann wenn die dringendſte Aufforderung zum
Entſatz vorhanden und der Feldherr des Vertheidigers ein
ſehr unternehmender Mann war, wie 1708, als Villars
es nicht wagte die Verbuͤndeten in ihren Linien vor Lille
anzugreifen. Auch Friedrich der Große bei Olmuͤtz 1758
und bei Dresden 1760 hatte, obgleich keine eigentliche
Circumvallationslinie, doch ein Syſtem das im Weſent-
lichen damit zuſammenfiel, er belagerte und deckte mit der-
ſelben Armee. Die Entfernung der oͤſtreichiſchen Armee bei Ol-
[53] muͤtz verleitete ihn dazu, aber die Verluſte ſeiner Transporte
bei Domſtaͤdtel ließen es ihn bereuen; 1760 bei Dresden
wurde dies Verfahren durch die Geringſchaͤtzung welche er
fuͤr die Reichsarmee hatte und durch die Eile mit welcher
er Dresden einnehmen wollte, motivirt.
Endlich iſt es ein Nachtheil der Circumvallations-
linien, daß das Belagerungsgeſchuͤtz im ungluͤcklichen Fall
ſchwerer zu retten iſt. Wird die Entſcheidung einen
oder ein Paar Tagemaͤrſche von dem belagerten Orte ge-
geben, ſo kann die Aufhebung erfolgen ehe der Feind an-
kommt, und man gewinnt mit dem großen Transport auch
wohl einen Vorſprung von einem Marſch.
Bei Aufſtellung der Obſervationsarmee kommt vor-
zuͤglich die Frage in Betrachtung: in welcher Entfernung
von der Belagerung? Dieſe Frage wird ſich in den mei-
ſten Faͤllen durch das Terrain beantworten oder durch die
Stellung anderer Armeen und Korps, mit welchen die
Belagerungsarmee in Verbindung bleiben will. Sonſt iſt
leicht einzuſehen, daß die groͤßere Entfernung die Belage-
rung beſſer deckt, aber die kleinere, welche nicht uͤber einige
Meilen betraͤgt, auch leichter erlaubt daß beide Armeen
ſich unterſtuͤtzen.
Achtzehntes Kapitel.
Angriff von Transporten.
Der Angriff und die Vertheidigung eines Transports
ſind ein Gegenſtand der Taktik; wir wuͤrden alſo hier gar
Nichts daruͤber zu ſagen haben, wenn nicht der Gegenſtand
uͤberhaupt gewiſſermaßen erſt als moͤglich nachgewieſen
[54] werden muͤßte, welches nur aus ſtrategiſchen Gruͤnden und
Verhaͤltniſſen geſchehen kann. Schon bei der Vertheidi-
gung haͤtten wir in dieſer Beziehung davon zu reden ge-
habt, wenn nicht das Wenige was daruͤber zu ſagen iſt,
ſich fuͤglich fuͤr Angriff und Vertheidigung zuſammenfaſ-
ſen ließe, und der erſtere dabei der Sache die Hauptwich-
tigkeit giebt.
Ein maͤßiger Transport von 3- bis 400 Wagen, ſie
moͤgen nun geladen haben was ſie wollen, nimmt eine
halbe Meile ein, ein bedeutender mehrere Meilen. Wie iſt
nun daran zu denken eine ſolche Entfernung mit ſo wenig
Truppen zu decken als gewoͤhnlich zur Begleitung beſtimmt
ſind? Nimmt man zu dieſer Schwierigkeit die Unbeweg-
lichkeit dieſer Maſſe, die nur im langſamſten Schritt fort-
kriecht und wobei doch immer die Gefahr der Verwirrung
zu befuͤrchten iſt, endlich daß es dabei auf eine partielle
Deckung eines jeden Theils ankommt, weil ſogleich Alles
ſtockt und in Verwirrung geraͤth ſobald ein Theil vom
Feinde erreicht wird: ſo kann man ſich mit Recht fragen,
wie iſt die Deckung und Vertheidigung eines ſolchen Din-
ges uͤberhaupt moͤglich? — oder mit andern Worten: warum
werden nicht alle genommen die angegriffen werden und
warum werden nicht alle angegriffen die uͤberhaupt gedeckt
werden muͤſſen, d. i. die dem Feinde zugaͤnglich ſind? Es
iſt offenbar daß alle taktiſchen Auskunftsmittel, wie die
hoͤchſt unpraktiſche Verkuͤrzung durch beſtaͤndiges Auf- und
Abmarſchieren, die Tempelhof vorſchlaͤgt, oder wie die viel
beſſere durch Theilung in mehrere Kolonnen, zu der
Scharnhorſt raͤth, nur ſchwache Huͤlfen gegen das Grund-
uͤbel ſind.
Der Aufſchluß liegt darin, daß bei weitem die mei-
ſten Transporte ſchon durch ihr ſtrategiſches Verhaͤltniß
[55] eine allgemeine Sicherung genießen, die ſie vor jedem an-
dern dem feindlichen Angriff bloßgeſtellten Theile voraus-
haben und die ihren geringen Vertheidigungsmitteln eine
viel groͤßere Wirkſamkeit giebt. Sie finden naͤmlich immer
mehr oder weniger im Ruͤcken des eigenen Heeres oder
wenigſtens in großer Entfernung vom feindlichen ſtatt.
Die Folge iſt daß nur ſchwache Haufen zu ihrem Angriff
abgeſendet werden koͤnnen und daß dieſe ſchwachen genoͤ-
thigt ſind ſich durch ſtarke Reſerven zu decken, um nicht
Flanken und Ruͤcken durch einen herbeieilenden anderweiti-
gen Feind zu verlieren. Nimmt man hierzu, daß eben die
Unbehuͤlflichkeit ſolcher Fuhrwerke es ſehr ſchwer macht ſie
fortzuſchaffen, daß der Angreifende ſich meiſtens begnuͤgen
muß die Straͤnge abzuhauen, die Pferde wegzufuͤhren,
Pulverkarren in die Luft zu ſprengen u. ſ. w., wodurch das
Ganze aufgehalten und desorganiſirt wird, aber doch nicht
wirklich verloren geht: ſo ſieht man noch mehr ein, wie
die Sicherheit eines ſolchen Transports mehr in dieſen
allgemeinen Verhaͤltniſſen als in dem Widerſtand ſeiner
Bedeckung liegt. Kommt nun dieſer Widerſtand der Be-
deckung hinzu, welcher durch entſchloſſenes Draufgehen zwar
nicht ſeinen Transport unmittelbar ſchuͤtzen, aber das Sy-
ſtem des feindlichen Angriffs ſtoͤren kann, ſo erſcheint zu-
letzt der Angriff der Transporte, anſtatt leicht und unfehl-
bar zu ſein, als ziemlich ſchwierig und in ſeinen Folgen
ungewiß.
Aber ein Hauptpunkt bleibt noch uͤbrig: es iſt
die Gefahr daß die feindliche Armee oder ein Korps
derſelben an dem Angreifenden Rache nimmt und ihn
durch eine Niederlage fuͤr das Unternehmen hinterher
beſtraft. Dieſe Beſorgniß haͤlt eine Menge Unternehmungen
zuruͤck, ohne daß die Urſache ans Licht tritt, ſo daß man
[56] die Sicherheit in der Bedeckung ſucht und ſich nicht genug
wundern kann wie eine ſo bemitleidenswerthe Verfaſſung,
wie die einer Bedeckung iſt, ſolche Ehrfurcht einfloͤßen
kann. Um die Wahrheit dieſer Bemerkung zu fuͤhlen,
denke man an den beruͤhmten Ruͤckzug welchen Friedrich
der Große 1758 nach der Belagerung von Olmuͤtz durch
Boͤhmen machte, wo die Haͤlfte ſeiner Armee in Pelotons
aufgeloͤſt war um einen aus 4000 Fuhrwerken beſtehenden
Train zu decken. Was hinderte Daun dieſes Unding an-
zufallen? Die Furcht, daß ihm Friedrich der Große mit der
andern Haͤlfte auf den Leib ruͤcken und ihn in eine Schlacht
verwickeln wuͤrde, die Daun nicht ſuchte. Was hinderte
Laudon in Ziſchbowitz den Transport, dem er immer zur
Seite war, fruͤher und dreiſter anzufallen als er that?
Die Furcht Etwas auf die Finger zu bekommen. Zehn
Meilen von ſeiner Hauptarmee entfernt und durch die preu-
ßiſche Armee ganz von ihr getrennt, glaubte er ſich in
Gefahr einer tuͤchtigen Niederlage, wenn der durch Daun
auf keine Weiſe beſchaͤftigte Koͤnig den groͤßeren Theil
ſeiner Kraͤfte gegen ihn richtete.
Nur wenn die ſtrategiſche Lage eines Heeres daſſelbe
in die widernatuͤrliche Nothwendigkeit verwickelt, ſeine
Transporte ganz ſeitwaͤrts oder gar von vornher zu be-
ziehen: dann werden dieſe Transporte in wirklich großer
Gefahr ſein und folglich ein vortheilhaftes Objekt des
Angriffs fuͤr den Gegner werden, wenn ihm ſeine Lage
erlaubt Kraͤfte dazu abzuſenden. Derſelbe Feldzug zeigt
in dem aufgehobenen Transport von Domſtaͤdtel den voll-
kommenſten Erfolg eines ſolchen Unternehmens. Die
Straße nach Neiße lag in der linken Seite der preußi-
ſchen Aufſtellung, und des Koͤnigs Kraͤfte waren durch die
Belagerung und das gegen Daun aufgeſtellte Korps ſo
[57] neutraliſirt, daß die Parteigaͤnger fuͤr ſich ſelbſt gar Nichts
zu beſorgen hatten und ſich mit vollkommener Muße an
ihren Angriff begeben konnten.
Eugen 1712 zog als er Landreci belagerte ſeine Be-
lagerungsbeduͤrfniſſe von Bouchain uͤber Denain heran,
alſo eigentlich vor der Fronte der ſtrategiſchen Aufſtellung.
Welche Mittel er anwendete um die unter dieſen Umſtaͤn-
den ſo ſchwierige Deckung zu bewirken, und in welche
Schwierigkeiten er ſich verwickelte, die mit einem foͤrmli-
chen Umſchwung der Angelegenheiten endigten, iſt bekannt.
Wir ziehen alſo das Reſultat: daß der Angriff von
Transporten, wie leicht er auch, taktiſch betrachtet, ſich aus-
nehmen moͤge, doch aus ſtrategiſchen Gruͤnden nicht ſo
viel fuͤr ſich hat, ſondern nur in den ungewoͤhnlichen Faͤl-
len ſehr preisgegebener Verbindungslinien bedeutende Er-
folge verſpricht.
Neunzehntes Kapitel.
Angriff einer feindlichen Armee in Quartieren.
Wir haben in der Vertheidigung dieſen Gegenſtand
nicht gehabt, weil eine Quartierlinie nicht als ein Ver-
theidigungsmittel betrachtet werden kann, ſondern als ein
bloßer Zuſtand des Heeres, und zwar als einer der eine
ſehr geringe Schlachtfertigkeit mit ſich fuͤhrt. Wir haben
uns alſo in Beziehung auf dieſe Schlachtfertigkeit mit
Dem begnuͤgt, was wir im dreizehnten Kapitel des fuͤnften
Buchs uͤber dieſen Zuſtand eines Heeres zu ſagen hatten.
Hier beim Angriff aber haben wir eines feindlichen
Heeres in Quartieren allerdings als eines beſonderen Ge-
[58] genſtandes zu gedenken; denn theils iſt ein ſolcher Angriff
ſehr eigenthuͤmlicher Art, theils kann er als ein ſtrategi-
ſches Mittel von beſonderer Wirkſamkeit betrachtet werden.
Es iſt alſo hier nicht die Rede von dem Anfall eines ein-
zelnen feindlichen Quartiers oder eines kleinen in wenig
Doͤrfer vertheilten Korps, denn die Anordnungen dazu
ſind ganz taktiſcher Natur: ſondern von dem Angriff einer
bedeutenden in mehr oder weniger ausgedehnte Quar-
tiere vertheilten Streitkraft, ſo daß nicht mehr der Über-
fall des einzelnen Quartiers ſelbſt, ſondern das Verhin-
dern der Verſammlung das Ziel iſt.
Der Angriff einer feindlichen Armee in Quartieren
iſt alſo der Überfall einer nicht verſammelten Armee.
Soll der Überfall als gelungen betrachtet werden, ſo muß
die feindliche Armee den vorher beſtimmten Verſammlungs-
punkt nicht mehr erreichen, alſo genoͤthigt ſein einen an-
dern, weiter ruͤckwaͤrts gelegenen zu waͤhlen; da dies Zu-
ruͤckverlegen im Augenblick der Noth ſelten unter einem
Tagemarſch, gewoͤhnlich aber mehrere betragen wird: ſo iſt
der Terrainverluſt welcher dadurch entſteht nicht unbedeu-
tend, und dies iſt der erſte Vortheil welcher dem Angrei-
fenden zu Theil wird.
Nun kann aber dieſer auf die allgemeinen Verhaͤlt-
niſſe ſich beziehende Überfall allerdings im Anfang zugleich
Überfall einiger einzelner Quartiere ſein; nur freilich nicht
aller und nicht ſehr vieler, weil ſchon das Letztere ein ſol-
ches Ausbreiten und Zerſtreuen der Angriffsarmee voraus-
ſetzen wuͤrde wie in keinem Fall rathſam waͤre. Es koͤn-
nen alſo nur die vorderſten feindlichen Quartiere, welche
in der Richtung der vorruͤckenden Kolonnen liegen, uͤber-
fallen werden, und auch dies wird wohl ſelten bei vielen
und im vollkommenen Maaße gelingen, weil das Annaͤhern
[59] einer bedeutenden Macht nicht ſo unbemerkt geſchehen kann.
Doch iſt dieſes Element des Angriffs keineswegs zu uͤber-
ſehen, und wir rechnen die Erfolge welche daraus hervor-
gehen als den zweiten Vortheil eines ſolchen Überfalls.
Ein dritter Vortheil ſind die partiellen Gefechte wozu
der Feind veranlaßt wird und in denen er große Verluſte
erleiden kann. Eine betraͤchtliche Truppenmaſſe verſammelt
ſich naͤmlich nicht in einzelnen Bataillonen auf dem
Hauptverſammlungspunkt, ſondern ſie vereinigt ſich gewoͤhn-
lich erſt in Brigaden oder Diviſionen oder doch in
Korps, und dieſe Maſſen koͤnnen dann nicht in eiligſter
Flucht nach dem Rendezvous eilen, ſondern ſie ſind genoͤ-
thigt, wenn eine feindliche Kolonne an ſie geraͤth, das Ge-
fecht anzunehmen; nun koͤnnen ſie zwar darin als Sieger
gedacht werden, wenn naͤmlich die angreifende Kolonne
nicht ſtark genug war, aber ſelbſt im Siegen verlieren ſie
Zeit, und uͤberhaupt iſt leicht begreiflich, daß ein Korps
unter ſolchen Verhaͤltniſſen und bei der allgemeinen Ten-
denz, einen ruͤckwaͤrts gelegenen Punkt zu gewinnen, von
ſeinem Siege keinen ſonderlichen Gebrauch machen kann.
Sie koͤnnen aber auch geſchlagen werden und das iſt an
ſich wahrſcheinlicher, weil ſie nicht die Zeit haben, ſich zu
einem guten Wiederſtand einzurichten. Es laͤßt ſich alſo
wohl denken, daß bei einem gut angelegten und ausgefuͤhr-
ten Überfall der Angreifende, durch dieſe partiellen Ge-
fechte, zu bedeutenden Trophaͤen kommen werde, die dann
eine Hauptſache in dem allgemeinen Erfolg ſein werden.
Endlich iſt der vierte Vortheil und der Schlußſtein
des Ganzen eine gewiſſe momentane Desorganiſation des
feindlichen Heeres und eine Entmuthigung deſſelben, die es
ſelten erlauben von den endlich verſammelten Kraͤften
Gebrauch zu machen, ſondern gewoͤhnlich den Überfallenen
[60] noͤthigen noch mehr Land zu raͤumen und uͤberhaupt einen
ganz andern Abſchnitt in ſeinen Operationen zu machen.
Dies ſind die eigenthuͤmlichen Erfolge eines gelunge-
nen Überfalls der feindlichen Quartiere, d. h. eines ſol-
chen wo der Gegner nicht im Stande geweſen iſt, ſein
Heer ohne Verluſt da zu verſammeln wo es in ſeinem
Plane lag. Aber das Gelingen wird der Natur der Sache
nach ſehr viel Abſtufungen haben und ſo werden die Er-
folge in einem Fall ſehr bedeutend, in dem andern kaum
nennenswerth ſein. Aber ſelbſt da wo ſie bedeutend ſind,
weil das Unternehmen ſehr gut gelungen iſt, werden ſie
doch ſelten den Erfolg einer gewonnenen Hauptſchlacht ge-
ben, theils weil die Trophaͤen ſelten ſo groß ſein werden,
theils weil der moraliſche Eindruck nicht ſo hoch ange-
ſchlagen werden kann.
Dieſes Geſammtreſultat muß man im Auge haben,
um ſich nicht von einem ſolchen Unternehmen mehr zu ver-
ſprechen als es leiſten kann. Manche halten es fuͤr das
non plus ultra offenſiver Wirkſamkeit; das iſt es aber,
wie uns dieſe naͤhere Betrachtung und auch die Kriegsge-
ſchichte lehrt, keineswegs.
Einer der glaͤnzendſten Ueberfaͤlle iſt der welchen der
Herzog von Lothringen 1643 bei Duttlingen gegen die
franzoͤſiſchen Quartiere unter dem General Ranzau unter-
nahm. Das Korps war 16,000 Mann ſtark, verlor den
kommandirenden General und 7000 Mann. Es war
eine vollkommene Niederlage. Der Mangel an allen Vor-
poſten ließ dieſen Erfolg zu.
Der Überfall welchen Tuͤrenne im Jahr 1644 bei
Mergentheim (Mariendal wie die Franzoſen es nennen)
erlitt, war in ſeinen Wirkungen allerdings gleichfalls einer
Niederlage gleich zu achten, denn er verlor von 8000 Mann
[61] 3000, welches hauptſaͤchlich davon herruͤhrte daß er ſich
verleiten ließ mit den verſammelten Trnppen einen unzei-
tigen Widerſtand zu thun. Auf aͤhnliche Wirkungen kann
man daher nicht oft rechnen; es war mehr der Erfolg
eines ſchlecht uͤberlegten Treffens als des eigentlichen Über-
falls, denn Tuͤrenne haͤtte fuͤglich dem Gefecht ausweichen
und ſich mit ſeinen in entlegenere Quartiere geſchickten
Truppen anderswo vereinigen koͤnnen.
Ein dritter beruͤhmt gewordener Überfall iſt der wel-
chen Tuͤrenne gegen die unter dem großen Kurfuͤrſten,
dem kaiſerlichen General Bournonville und dem Herzoge
von Lothringen im Elſaß ſtehenden Verbuͤndeten im Jahr
1674 unternahm. Die Trophaͤen waren ſehr gering, der
Verluſt der Verbuͤndeten nicht uͤber 2 bis 3000 Mann,
welches bei einer Macht von 50,000 Mann nicht entſchei-
dend ſein konnte; aber ſie glaubten doch im Elſaß keinen
weiteren Widerſtand wagen zu koͤnnen und zogen ſich uͤber
den Rhein zuruͤck. Dieſer ſtrategiſche Erfolg war Alles was
Tuͤrenne brauchte, aber man muß die Urſachen nicht in
dem eigentlichen Überfall ſuchen. Tuͤrenne uͤberraſchte
mehr die Plaͤne des Gegners als die Truppen deſſelben,
die Uneinigkeit der verbuͤndeten Heerfuͤhrer und der nahe
Rhein thaten das Übrige. Dieſe Begebenheit verdient
uͤberhaupt genauer angeſehn zu werden, weil ſie gewoͤhnlich
falſch aufgefaßt wird.
1741 uͤberfaͤllt Neiperg den Koͤnig in ſeinen Quar-
tieren, der ganze Erfolg beſteht aber nur darin, daß der
Koͤnig ihm mit nicht ganz vereinigten Kraͤften und in ver-
kehrter Fronte die Schlacht von Molwitz liefern muß.
1745 uͤberfaͤllt Friedrich der Große den Herzog von
Lothringen in der Lauſitz in ſeinen Quartieren; der Haupt-
erfolg entſteht durch den wirklichen Überfall eines der be-
[62] deutendſten Quartiere, naͤmlich von Hennersdorf, wodurch
die Öſtreicher einen Verluſt von 2000 Mann erleiden;
der allgemeine Erfolg iſt, daß der Herzog von Lothringen
durch die Oberlauſitz nach Boͤhmen zuruͤckkehrt, aber frei-
lich nicht verhindert wird auf dem linken Ufer der Elbe
wieder nach Sachſen zuruͤckzukehren, ſo daß ohne die
Schlacht von Keſſelsdorf kein bedeutender Erfolg einge-
treten waͤre.
1758 uͤberfaͤllt der Herzog Ferdinand die franzoͤſiſchen
Quartiere; der naͤchſte Erfolg iſt der Verluſt von einigen
tauſend Mann und daß die Franzoſen ihre Aufſtellung
hinter der Aller nehmen muͤſſen. Der moraliſche Ein-
druck mag wohl etwas weiter gereicht und auf die ſpaͤtere
Raͤumung ganz Weſtphalens Einfluß gehabt haben.
Wenn wir aus dieſen verſchiedenen Beiſpielen ein
Reſultat uͤber die Wirkſamkeit eines ſolchen Angriffs zie-
hen wollen, ſo ſind nur die beiden erſten gewonnenen
Schlachten gleich zu achten. Hier waren aber die Korps
nur klein und der Mangel an Vorpoſten in der damaligen
Kriegfuͤhrung ein ſehr beguͤnſtigender Umſtand. Die vier
anderen Faͤlle, obgleich ſie zu den vollkommen gelungenen
Unternehmungen gezaͤhlt werden muͤſſen, ſind in ihrem Er-
folg einer gewonnenen Schlacht offenbar nicht gleichzu-
ſtellen. Der allgemeine Erfolg konnte hier nur bei einem
Gegner von ſchwachem Willen und Charakter eintreten
und daher blieb er in dem Fall von 1741 ganz aus.
Im Jahr 1806 hatte die preußiſche Armee den
Plan die Franzoſen in Franken auf dieſe Weiſe zu uͤber-
fallen. Der Fall war wohl zu einem genuͤgenden Reſultat
geeignet. Bonaparte war nicht gegenwaͤrtig, die franzoͤſi-
ſchen Corps in ſehr ausgedehnten Quartieren; unter dieſen
Umſtaͤnden durfte die preußiſche Armee bei großer Ent-
[63] ſchloſſenheit und Schnelle wohl darauf rechnen ſie mit mehr
oder weniger Verluſt uͤber den Rhein zu treiben. Dies war
aber auch alles; haͤtte ſie auf mehr gerechnet, z. B. ein
Verfolgen ihrer Vortheile uͤber den Rhein, oder ein ſol-
ches moraliſches Übergewicht daß die Franzoſen es in
demſelben Feldzug nicht gewagt haͤtten wieder auf dem
rechten Rheinufer zu erſcheinen, ſo waͤre dieſe Rechnung
ganz ohne genuͤgenden Grund geweſen.
1812 Anfangs Auguſt wollten die Ruſſen von Smo-
lensk her die franzoͤſiſchen Quartiere uͤberfallen, als Na-
poleon in der Gegend von Witepsk ſeine Armee einen
Halt hatte machen laſſen. Es verging ihnen aber in der Aus-
fuͤhrung der Muth dazu und das war ein Gluͤck fuͤr ſie,
da der franzoͤſiſche Feldherr mit ſeinem Centro dem ihri-
gen nicht allein um mehr als das Doppelte uͤberlegen war,
ſondern auch der entſchloſſenſte Feldherr der je da geweſen
iſt, da der Verluſt von einigen Meilen Raum gar Nichts
entſcheiden konnte, gar kein Terrainabſchnitt nahe genug
lag um ihre Erfolge bis an denſelben zu treiben und da-
durch einigermaßen ſichern zu koͤnnen; da es auch nicht
etwa ein Feldzug war der ſich matt zu ſeinem Ende hin-
ſchleppt, ſondern der erſte Plan eines Angreifenden der
ſeinen Gegner vollkommen niederwerfen will. — So koͤnnen
die kleinen Vortheile, welche ein Überfall der Quartiere
gewaͤhren kann, nicht anders als im aͤußerſten Mißver-
haͤltniß mit der Aufgabe erſcheinen — ſie konnten unmoͤg-
lich ſo viel Ungleichheit der Kraͤfte und Verhaͤltniſſe gut
machen. — Dieſer Verſuch zeigt aber wie eine dunkle
Vorſtellung von dieſem Mittel zu einer ganz falſchen An-
wendung deſſelben verleiten kann.
Das bisher Geſagte ſtellt den Gegenſtand als ſtrate-
giſches Mittel ins Licht. Es liegt aber in der Natur
[64] deſſelben, daß ſeine Ausfuͤhrung nicht bloß taktiſch iſt,
ſondern zum Theil der Strategie ſelbſt wieder angehoͤrt,
in ſofern naͤmlich ein ſolcher Angriff gewoͤhnlich in einer
betraͤchtlichen Breite geſchieht und die Armee welche ihn
ausfuͤhrt, zum Schlagen kommen kann, und meiſtens kom-
men wird, ehe ſie vereinigt iſt, ſo daß das Ganze ein
Agglomerat einzelner Gefechte wird. Wir muͤſſen alſo nun
auch ein Paar Worte uͤber die natuͤrlichſte Einrichtung
eines ſolchen Angriffs ſagen.
Die erſte Bedingung alſo iſt: die feindliche Quar-
tierfronte in einer gewiſſen Breite anzugreifen, denn nur
ſo wird man mehrere Quartiere wirklich uͤberfallen, an-
dere abſchneiden und uͤberhaupt die Desorganiſation die
man ſich vorgeſetzt hat in das feindliche Heer bringen koͤn-
nen. — Die Anzahl und Entfernung der Kolonnen haͤngt
dann von den individuellen Umſtaͤnden ab.
Zweitens. Die Richtung der verſchiedenen Kolonnen
muß konzentriſch gegen einen Punkt gehen, auf dem man
ſich vereinigen will; denn der Gegner endet mehr oder
weniger mit einer Vereinigung und ſo muͤſſen wir es auch.
Dieſer Vereinigungspunkt wird wo moͤglich der feindliche
Verbindungspunkt ſein oder auf der Ruͤckzugslinie des
feindlichen Heeres liegen, natuͤrlich am beſten da wo dieſe
irgend einen Terrainabſchnitt durchſchneidet.
Drittens. Die einzelnen Kolonnen muͤſſen, wo ſie
mit feindlichen Kraͤften zuſammentreffen, dieſe mit großer
Entſchloſſenheit, mit Wagniß und Kuͤhnheit anfallen, denn ſie
haben die allgemeinen Verhaͤltniſſe fuͤr ſich und da iſt das Wa-
gen immer am rechten Ort. Die Folge iſt, daß die Be-
fehlshaber der einzelnen Kolonnen in dieſer Beziehung
große Freiheit und Vollmacht haben muͤſſen.
Viertens. Die taktiſchen Angriffsplane gegen die ſich
zu-
[65] zuerſt ſtellenden feindlichen Korps muͤſſen immer auf das
Umgehen gerichtet ſein, denn vom Trennen und Abſchnei-
den wird ja der Haupterfolg erwartet.
Fuͤnftens. Die einzelnen Kolonnen muͤſſen aus allen
Waffen beſtehen und duͤrfen nicht zu ſchwach an Reiterei
ſein, es kann ſogar gut ſein wenn die ganze Reſerveka-
vallerie unter ſie vertheilt wird; denn es waͤre ein gro-
ßer Irrthum wenn man glaubte, dieſe koͤnnte als ſolche
bei dieſem Unternehmen eine Hauptrolle ſpielen. Das erſte
beſte Dorf, die kleinſte Bruͤcke, der unbedeutendſte Buſch
haͤlt ſie auf.
Sechstens. Ob es gleich in der Natur eines Über-
falls iſt, daß der Angreifende ſeine Avantgarde nicht weit
voraus haben darf, ſo gilt doch das nur von der Annaͤherung,
Iſt das Gefecht in der feindlichen Quartierlinie ſchon wirklich
angefangen, alſo das was vom eigentlichen Überfall zu erwarten
war bereits gewonnen, ſo muͤſſen die Kolonnen Avantgarden von
allen Waffen ſo weit als moͤglich vorſchieben, denn dieſe
koͤnnen durch ihre ſchnelleren Bewegungen die Verwirrung
beim Feinde ſehr vermehren. Nur dadurch wird man im
Stande ſein hier und da den Troß von Bagage, Artillerie,
Commandirten und Traineurs wegzunehmen, welcher einem
eiligſt aufbrechenden Kantonnement nachzuziehen pflegt, und
dieſe Avantgarden muͤſſen das Hauptmittel des Umgehens
und Abſchneidens werden.
Siebentens. Endlich muß fuͤr eintretende Ungluͤcks-
faͤlle der Ruͤckzug und die Verſammlung des Heeres ange-
geben werden.
III 5
[66]
Zwanzigſtes Kapitel.
Diverſion.
Unter Diverſion verſteht der Sprachgebrauch einen
ſolchen Anfall des feindlichen Landes, wodurch Kraͤfte von
dem Hauptpunkt abgezogen werden. Nur wenn dies die
Hauptabſicht iſt und nicht der Gegenſtand welchen man
bei der Gelegenheit angreift und erobert, iſt es eine Unter-
nehmung eigenthuͤmlicher Art, ſonſt bleibt es ein gewoͤhn-
licher Angriff.
Natuͤrlich muß die Diverſion darum doch immer ein
Angriffsobjekt haben, denn nur der Werth dieſes Objekts
kann den Feind veranlaſſen Truppen dahin zu ſchicken;
außerdem ſind dieſe Objekte, im Fall die Unternehmung
als Diverſion nicht wirkt, eine Entſchaͤdigung fuͤr die dar-
auf gewandten Kraͤfte.
Dieſe Angriffsobjekte koͤnnen nun Feſtungen ſein oder
bedeutende Magazine oder reiche und große Staͤdte, be-
ſonders Hauptſtaͤdte, Kontributionen aller Art, endlich
Beiſtand unzufriedener Unterthanen des Feindes.
Daß Diverſionen nuͤtzlich ſein koͤnnen iſt leicht zu be-
greifen, aber gewiß ſind ſie es nicht immer, ſondern oft
ſogar ſchaͤdlich. Die Hauptbedingung iſt: daß ſie mehr
Streitkraͤfte des Feindes vom Hauptkriegstheater abziehen
als wir auf die Diverſion verwenden, denn wenn ſie nur
eben ſo viel abziehen, ſo hoͤrt die Wirkſamkeit als eigent-
liche Diverſion auf und das Unternehmen wird ein unter-
geordneter Angriff. Selbſt da wo man einen Nebenangriff
anordnet weil man der Umſtaͤnde wegen die Ausſicht hat mit
[67] wenig Kraͤften unverhaͤltnißmaͤßig Viel auszurichten, z. B.
eine wichtige Feſtung leicht zu nehmen, muß man es nicht
mehr Diverſion nennen. Man pflegt es freilich auch Di-
verſion zu nennen wenn ein Staat, waͤhrend er ſich gegen
einen andern wehrt, durch einen dritten angefallen wird, —
aber ein ſolcher Anfall unterſcheidet ſich von einem gewoͤhn-
lichen Angriff in Nichts als der Richtung, es iſt alſo kein
Grund ihm einen beſonderen Namen zu geben, denn in
der Theorie ſoll man durch eigene Benennungen auch nur
Eigenthuͤmliches bezeichnen.
Wenn aber ſchwache Kraͤfte ſtaͤrkere herbeiziehen ſollen,
ſo muͤſſen offenbar eigenthuͤmliche Verhaͤltniſſe die Veran-
laſſung dazu geben, und es iſt alſo fuͤr den Zweck einer
Diverſion nicht genug, irgend eine Streitkraft auf einen
bisher unbetretenen Punkt abzuſchicken.
Wenn der Angreifende irgend eine feindliche Provinz,
die nicht zum Hauptkriegstheater gehoͤrt, durch einen kleinen
Haufen von 1000 Mann heimſuchen laͤßt, um Kontribu-
tionen einzutreiben u. ſ. w., ſo iſt freilich vorherzuſehen,
daß der Feind dies nicht durch 1000 Mann verhindern
kann die er dahin abſendet, ſondern er wird, wenn er die
Provinz gegen Streifereien ſichern will, allerdings mehr
dahin ſchicken muͤſſen. Aber, muß man fragen, kann der
Vertheidiger, anſtatt ſeine Provinz zu ſichern, nicht das
Gleichgewicht dadurch herſtellen daß er die korreſpondirende
Provinz unſeres Landes durch ein eben ſolches Detaſche-
ment heimſuchen laͤßt? Es muß alſo, wenn fuͤr den
Angreifenden ein Vortheil hervorgehn ſoll, zuvor feſtſtehen
daß in der Provinz des Vertheidigers mehr zu holen oder
zu bedrohen iſt als in der unſrigen. Iſt dies der Fall,
ſo kann es nicht fehlen daß eine ganz ſchwache Diverſion
5*
[68] mehr feindliche Streitkraͤfte beſchaͤftigen wird als die ihri-
gen betragen. Dagegen geht aus der Natur der Sache
hervor, daß, je mehr die Maſſen wachſen, dieſer Vortheil
ſchwindet, denn 50,000 Mann koͤnnen eine maͤßige Provinz
nicht nur gegen 50,000 Mann mit Erfolg vertheidigen,
ſondern ſelbſt gegen eine etwas groͤßere Zahl. Bei ſtaͤrke-
ren Diverſionen wird alſo der Vortheil ſehr zweifelhaft,
und je groͤßer ſie werden, um ſo entſchiedener muͤſſen die
uͤbrigen Verhaͤltniſſe ſich ſchon zum Vortheil der Diverſion
ſtellen, wenn bei dieſer uͤberhaupt etwas Gutes heraus-
kommen ſoll.
Dieſe vortheilhaften Verhaͤltniſſe koͤnnen nun ſein:
- a) Streitkraͤfte welche der Angreifende fuͤr die Di-
verſion disponibel machen kann ohne den Hauptangriff zu
ſchwaͤchen; - b) Punkte des Vertheidigers die von großer Wich-
tigkeit ſind und durch die Diverſion bedroht werden koͤnnen; - c) unzufriedene Unterthanen deſſelben;
- d) eine reiche Provinz welche betraͤchtliche Kriegs-
mittel hergeben kann.
Wenn eine ſolche Diverſion unternommen werden ſoll,
die, nach dieſen verſchiedenen Ruͤckſichten gepruͤft, Erfolg
verſpricht, ſo wird man finden daß die Gelegenheit dazu
nicht haͤufig iſt.
Aber nun kommt noch ein Hauptpunkt. Jede Diver-
ſion bringt den Krieg in eine Gegend, wohin er ohne ſie
nicht gekommen waͤre; dadurch wird ſie mehr oder weniger
immer feindliche Streitkraͤfte wecken die ſonſt geruht haͤt-
ten, ſie wird dies aber auf eine hoͤchſt fuͤhlbare Weiſe
thun wenn der Gegner durch Milizen und Nationalbe-
waffnungsmittel zum Kriege ausgeruͤſtet iſt. Es iſt ja
[69] ganz in der Natur der Sache und die Erfahrung lehrt
es hinlaͤnglich daß, wenn eine Gegend ploͤtzlich von einer
feindlichen Abtheilung bedroht wird und zu ihrer Verthei-
digung Nichts vorgekehrt iſt, Alles was ſich in einer ſol-
chen Gegend an tuͤchtigen Beamten vorfindet, alle moͤg-
liche außergewoͤhnliche Mittel aufbietet und in Gang ſetzt
um das Übel abzuwehren. Es entſtehen alſo hier neue
Wiederſtandskraͤfte, und zwar ſolche die dem Volkskrieg
nahe liegen und ihn leicht wecken koͤnnen.
Dieſer Punkt muß bei jeder Diverſion wohl ins Auge
gefaßt werden, damit man ſich nicht ſeine eigene Grube
graͤbt.
Die Unternehmung auf Nordholland im Jahr 1799,
auf Walcheren 1809 ſind, als Diverſionen betrachtet, nur
in ſofern zu rechtfertigen als man die engliſchen Trup-
pen nicht anders brauchen konnte, aber es iſt nicht zwei-
felhaft daß dadurch die Summe der Widerſtandsmittel
bei den Franzoſen erhoͤht worden iſt, und eben das wuͤrde
jede Landung in Frankreich ſelbſt thun. Daß die franzoͤ-
ſiſche Kuͤſte bedroht ſei, hat allerdings große Vortheile,
weil es doch eine bedeutende Truppenzahl, die die Kuͤſte
bewachen, neutraliſirt, aber die Landung mit einer bedeu-
tenden Macht wird immer nur dann zu rechtfertigen ſein wenn
man auf den Beiſtand einer Provinz gegen ihre Regie-
rung rechnen kann.
Je weniger eine große Entſcheidung im Kriege vor-
liegt, um ſo eher ſind Diverſionen zulaͤſſig, aber freilich
um ſo kleiner wird auch der Gewinn welcher aus ihnen
zu ziehen iſt. Sie ſind nur ein Mittel die gar zu ſtagnante
Maſſe in Bewegung zu bringen.
[70]
Ausfuͤhrung.
1. Eine Diverſion kann einen wirklichen Angriff in
ſich ſchließen, dann iſt die Ausfuͤhrung von keinem beſon-
dern Charakter begleitet als dem der Kuͤhnheit und Eile.
2. Sie kann aber auch die Abſicht haben mehr zu
ſcheinen als ſie iſt, indem ſie zugleich Demonſtration iſt.
Welche beſonderen Mittel hier anzuwenden ſind kann nur
ein ſchlauer Verſtand angeben, der die Verhaͤltniſſe und
Menſchen gut kennt. Daß hierbei immer eine große Zer-
ſtreuung der Kraͤfte nothwendig wird, iſt in der Natur der
Sache.
3. Sind die Kraͤfte nicht ganz unbedeutend und iſt
der Ruͤckzug auf gewiſſe Punkte beſchraͤnkt, ſo iſt eine
Reſerve, an die ſich Alles anſchließt, eine weſentliche Be-
dingung.
Einundzwanzigſtes Kapitel.
Invaſion.
Was wir davon zu ſagen haben beſteht faſt nur in
der Worterklaͤrung. Wir finden den Ausdruck in den
neueren Schriftſtellern ſehr haͤufig gebraucht, und ſogar
mit der Praͤtenſion etwas Eigenthuͤmliches dadurch
zu bezeichnen, — guerre d’invasion kommt bei den
Franzoſen unaufhoͤrlich vor. Sie bezeichnen damit jeden
in das feindliche Land weit vorgehenden Angriff und moͤch-
ten ihn allenfalls als Gegenſatz aufſtellen von einem me-
[71] thodiſchen, d. h. einem der nur an der Grenze nagt. Aber
dies iſt ein unphiloſophiſcher Sprachwirrwarr. Ob ein
Angriff an der Grenze bleiben, tief in das feindliche Land
vordringen, ob er ſich mit der Einnahme der feſten Plaͤtze
vor Allem beſchaͤftigen, oder den Kern der feindlichen Macht
aufſuchen und unablaͤſſig verfolgen ſoll, haͤngt nicht von
einer Manier ab, ſondern iſt Folge der Umſtaͤnde, wenig-
ſtens kann die Theorie es nicht anders einraͤumen. In
gewiſſen Faͤllen kann das weite Vordringen methodiſcher und
ſogar vorſichtiger ſein als das Verweilen an der Grenze,
in den meiſten Faͤllen aber iſt es nichts Anders als eben
der gluͤckliche Erfolg eines mit Kraft unternommenen An-
griffs und folglich von dieſem nicht verſchieden.
Über den Kulminationspunkt des Sieges*).
Nicht in jedem Kriege iſt der Sieger im Stande
den Gegner voͤllig niederzuwerfen. Es tritt oft und mei-
ſtens ein Kulminationspunkt des Sieges ein. Die Maſſe
der Erfahrungen zeigt dies hinlaͤnglich; weil aber der Ge-
genſtand fuͤr die Theorie des Krieges beſonders wichtig
und der Stuͤtzpunkt faſt aller Feldzugsplane iſt, weil da-
bei auf ſeiner Oberflaͤche, wie bei ſchillernden Farben, ein
Lichtſpiel von ſcheinbaren Widerſpruͤchen ſchwebt, ſo wol-
len wir ihn ſchaͤrfer ins Auge faſſen und uns mit den
inneren Gruͤnden beſchaͤftigen.
[72]
Der Sieg entſpringt in der Regel ſchon aus einem
Übergewicht der Summe aller phyſiſchen und moraliſchen
Kraͤfte, unſtreitig vermehrt er dieſes Übergewicht, denn
ſonſt wuͤrde man ihn nicht ſuchen und theuer erkaufen.
Dies thut der Sieg ſelbſt unbedenklich, auch ſeine Folgen
thun es, aber dieſe nicht bis ans aͤußerſte Ende, ſondern
meiſtens nur bis auf einen gewiſſen Punkt. Dieſer Punkt
kann ſehr nahe liegen und liegt zuweilen ſo nahe, daß die
ganzen Folgen der ſiegreichen Schlacht ſich auf die Ver-
mehrung der moraliſchen Überlegenheit beſchraͤnken koͤnnen.
Wie das zuſammenhaͤngt haben wir zu unterſuchen.
In dem Fortſchreiten des kriegeriſchen Aktes begegnet
die Streitkraft unaufhoͤrlich Elementen die ſie vergroͤßern
und andern die ſie verringern. Es kommt alſo auf das
Übergewicht an. Da jede Verminderung der Kraft als
eine Vermehrung der feindlichen anzuſehen iſt, ſo folgt
hieraus von ſelbſt daß dieſer doppelte Strom von Zu- und
Abfluß beim Vorgehen wie beim Zuruͤckgehen ſtattfinde.
Es kommt darauf an die hauptſaͤchlichſte Urſache die-
ſer Veraͤnderung in dem einen Fall zu unterſuchen, um
uͤber den andern mit entſchieden zu haben.
Beim Vorgehen ſind die hauptſaͤchlichſten Urſachen
der Verſtaͤrkung:
- 1. der Verluſt welchen die feindliche Streitkraft
erleidet, weil er gewoͤhnlich groͤßer iſt als der unſrige; - 2. der Verluſt welchen der Feind an todten Streit-
kraͤften, als: Magazinen, Depots, Bruͤcken u. ſ. w., er-
leidet und den wir gar nicht mit ihm theilen; - 3. von dem Augenblick an wo wir das feindliche
Gebiet betreten, der Verluſt von Provinzen, folglich von
Quellen neuer Streitkraft;
[73]
- 4. fuͤr uns der Gewinn eines Theils dieſer Quellen;
mit andern Worten: der Vortheil auf Koſten des Feindes
zu leben; - 5. der Verluſt des innern Zuſammenhanges und der
regelmaͤßigen Bewegung aller Theile beim Feinde; - 6. die Verbuͤndeten des Gegners laſſen von ihm
los und andere wenden ſich uns zu; - 7. endlich Muthloſigkeit des Gegners, wobei ihm
die Waffen zum Theil aus den Haͤnden fallen.
Die Urſachen der Schwaͤchung ſind:
- 1. daß wir genoͤthigt ſind feindliche Feſtungen zu be-
lagern, zu berennen oder zu beobachten; oder daß der Feind
vor dem Siege daſſelbe that und beim Ruͤckzug dieſe Korps
an ſich zieht; - 2. von dem Augenblick an wo wir das feindliche
Gebiet betreten aͤndert ſich die Natur des Kriegstheaters,
es wird feindlich; wir muͤſſen daſſelbe beſetzen, denn es
gehoͤrt uns nur ſo weit wie wir es beſetzt haben, und
doch bietet es der ganzen Maſchine uͤberall Schwierigkei-
ten dar, die nothwendig zur Schwaͤchung ihrer Wirkungen
fuͤhren muͤſſen; - 3. wir entfernen uns von unſern Quellen waͤhrend
der Gegner ſich den ſeinigen naͤhert; dies verurſacht Auf-
enthalt in dem Erſatz der ausgegebenen Kraͤfte; - 4. die Gefahr des bedrohten Staats ruft andere
Maͤchte zu ſeinem Schutz auf; - 5. endlich groͤßere Anſtrengung des Gegners wegen
der Groͤße der Gefahr, dagegen ein Nachlaſſen in den
Anſtrengungen von Seiten des ſiegenden Staates.
Alle dieſe Vortheile und Nachtheile koͤnnen mit ein-
ander beſtehen, ſich gewiſſermaßen einander begegnen und
[74] ihren Weg in entgegengeſetzter Richtung fortſetzen. Nur
die letzten begegnen ſich wie wahre Gegenſaͤtze, koͤnnen nicht
an einander vorbei, ſchließen alſo einander aus. Dies
allein ſchon zeigt wie unendlich verſchieden die Wirkungen
des Sieges ſein koͤnnen, je nachdem ſie den Gegner be-
taͤuben oder zu groͤßerer Kraftanſtrengung draͤngen.
Wir wollen jeden der einzelnen Punkte mit ein Paar
Bemerkungen zu charakteriſiren verſuchen.
1. Der Verluſt der feindlichen Streitkraft nach
einer Niederlage kann im erſten Augenblick am ſtaͤrkſten
ſein und dann taͤglich geringer werden, bis er auf einen
Punkt kommt wo er mit dem unſrigen ins Gleichgewicht
tritt, er kann aber auch mit jedem Tage in ſteigender
Progreſſion wachſen. Die Verſchiedenheit der Lagen und
Verhaͤltniſſe entſcheidet. Allgemein kann man bloß ſagen
daß bei einem guten Heere das Erſtere, bei einem ſchlech-
ten das Andere gewoͤhnlicher ſein wird; naͤchſt dem Geiſt
des Heeres iſt der Geiſt der Regierung das Wichtigſte
dabei. Es iſt im Kriege ſehr wichtig beide Faͤlle zu un-
terſcheiden, um nicht aufzuhoͤren wo man erſt recht anfan-
gen ſollte und umgekehrt.
2. Eben ſo kann der Verluſt des Feindes in todten
Streitkraͤften ab- oder zunehmen, und dies haͤngt von der
zufaͤlligen Lage und Beſchaffenheit ſeiner Vorrathsoͤrter
ab. Dieſer Gegenſtand kann ſich uͤbrigens ſeiner Wich-
tigkeit nach heutiges Tages nicht mehr mit den andern
meſſen.
3. Der dritte Vortheil muß nothwendig mit dem Vor-
ſchreiten im Steigen bleiben, ja man kann ſagen daß er uͤber-
haupt erſt in Betrachtung kommt wenn man ſchon tief in den
feindlichen Staat vorgedrungen iſt, d. h. ein Viertel bis
[75] ein Drittel ſeiner Laͤnder hinter ſich hat. Übrigens kommt
dabei noch der innere Werth in Betrachtung, den die Pro-
vinzen in Beziehung auf den Krieg haben.
Eben ſo muß der 4. Vortheil mit dem Vorſchreiten
wachſen.
Aber es iſt von dieſen beiden letzten zu bemerken,
daß ihr Einfluß auf die im Kampf begriffenen Streit-
kraͤfte ſelten ſchnell fuͤhlbar iſt, ſondern daß ſie erſt lang-
ſamer auf einem Umwege wirken und daß man alſo um
ihrer willen den Bogen nicht zu ſcharf ſpannen, d. h. ſich
in keine zu gefaͤhrliche Lage begeben ſoll.
Der 5. Vortheil kommt wieder erſt in Betracht wenn
man ſchon bedeutend vorgeſchritten iſt und die Geſtalt des
feindlichen Landes Gelegenheit giebt, einige Provinzen von
der Hauptmaſſe zu trennen, die dann wie abgebundene
Glieder bald abzuſterben pflegen.
Von dem 6. und 7. iſt es wenigſtens wahrſcheinlich
daß ſie mit dem Vorſchreiten wachſen, wir werden uͤbri-
gens von beiden weiter unten ſprechen.
Gehen wir jetzt zu den Schwaͤchungsurſachen uͤber.
1. Das Belagern, Berennen und Einſchließen der Fe-
ſtungen wird in den meiſten Faͤllen mit dem Vorſchreiten
wachſen. Dieſe Schwaͤchung allein wirkt auf den augen-
blicklichen Stand der Streitkraͤfte ſo maͤchtig daß ſie
in dieſer Beziehung leicht alle Vortheile aufwiegen kann. Frei-
lich hat man in neueren Zeiten angefangen Feſtungen mit
ſehr wenigem Volk zu berennen oder gar mit noch weni-
gerem zu beobachten; auch muß der Feind dieſe Feſtungen
mit Beſatzungen verſehen. Nichts deſto weniger bleibt es
ein wichtiges Sicherungsprinzip. Die Beſatzungen beſtehen
gewoͤhnlich zur Haͤlfte aus Leuten die vorher nicht mit-
[76] ſpielten, vor denjenigen welche nahe an der Verbindungs-
ſtraße liegen muß man doch das Doppelte der Beſatzung
zuruͤcklaſſen, und will man nur eine einzige bedeutende
foͤrmlich belagern oder aushungern, ſo koſtet ſie eine kleine
Armee.
2. Die zweite Urſache, die Einrichtung eines Kriegs-
theaters im feindlichen Lande, waͤchſt nothwendig mit dem
Vorſchreiten und iſt, wenn auch nicht fuͤr den augenblick-
lichen Stand der Streitkraͤfte, doch fuͤr die dauernde Lage
deſſelben noch wirkſamer als die zweite.
Nur denjenigen Theil des feindlichen Landes koͤnnen
wir als unſer Kriegstheater betrachten den wir beſetzt,
d. h. wo wir entweder kleine Korps im freien Felde oder
hin und wieder Beſatzungen in den betraͤchtlichſten Staͤdten,
auf den Etappenoͤrtern u. ſ. w. gelaſſen haben; wie klein
nun auch die Garniſonen ſind die wir zuruͤcklaſſen, ſo
ſchwaͤcht es doch die Streitkraft betraͤchtlich. Aber dies
iſt das Geringſte.
Jede Armee hat ſtrategiſche Flanken, naͤmlich die
Gegend welche ſich auf beiden Seiten ihrer Verbindungs-
linien hinziehet; weil die feindliche Armee ſie aber gleich-
falls hat, ſo iſt die Schwaͤche dieſer Theile nicht fuͤhlbar.
Dies iſt aber nur der Fall im eigenen Lande; ſo wie man
ſich im feindlichen befindet wird, die Schwaͤche dieſer Theile
fuͤhlbar, weil bei einer ſehr langen, wenig oder gar nicht
gedeckten Linie die unbedeutendſte Unternehmung einigen
Erfolg verſpricht und dieſe uͤberall aus einer feindlichen
Gegend hervorgehen kann.
Je weiter man vordringt, um ſo laͤnger werden dieſe
Flanken und die daraus entſtehende Gefahr waͤchſt in ſtei-
gender Progreſſion; denn nicht bloß ſind ſie ſchwer zu
[77] decken, ſondern der Unternehmungsgeiſt des Feindes wird
auch hauptſaͤchlich erſt durch die langen ungeſicherten Ver-
bindungslinien hervorgerufen, und die Folgen welche ihr
Verluſt im Fall eines Ruͤckzugs haben kann, ſind hoͤchſt
bedenklich.
Alles dieſes traͤgt dazu bei, der vorſchreitenden Armee
mit jedem Schritt den ſie weiter thut ein neues Gewicht
anzuhaͤngen, ſo daß, wenn ſie nicht mit einer ungewoͤhnlichen
Überlegenheit angefangen hat, ſie ſich nach und nach immer
mehr beengt in ihren Planen, immer mehr geſchwaͤcht in
ihrer Stoßkraft und zuletzt ungewiß und beſorglich in ihrer
Lage fuͤhlt.
3. Die dritte Urſache, die Entfernung von der
Quelle aus welcher die unaufhoͤrlich ſich ſchwaͤchende Streit-
kraft auch unaufhoͤrlich ergaͤnzt werden muß, ſteigt mit
der Entfernung. Eine erobernde Armee gleicht hierin dem
Licht einer Lampe; je weiter ſich das naͤhrende Öl hinunter
ſenkt und vom Focus entfernt, um ſo kleiner wird dieſer
bis er nachher ganz erliſcht.
Freilich kann der Reichthum eroberter Provinzen die-
ſes Übel ſehr vermindern, doch niemals ganz aufheben,
weil es immer eine Menge Gegenſtaͤnde giebt die man
von Hauſe kommen laſſen muß, namentlich Menſchen, weil
die Leiſtungen des feindlichen Landes in der Allgemein-
heit der Faͤlle nicht ſo ſchnell und ſicher ſind als die
im eigenen Lande, weil fuͤr ein unvermuthet entſtehendes
Beduͤrfniß nicht ſo ſchnell Huͤlfe geſchafft werden kann,
weil Mißverſtaͤndniſſe und Fehler aller Art nicht ſo fruͤh
entdeckt und verbeſſert werden koͤnnen.
Fuͤhrt der Fuͤrſt ſein Heer nicht ſelbſt an, wie das
in den letzten Kriegen Sitte geworden, iſt er demſelben nicht
[78] mehr nahe, ſo entſteht noch ein neuer ſehr großer Nachtheil
aus dem Zeitverluſt den das Hin- und Herfragen mit ſich
bringt, denn die groͤßte Vollmacht eines Heerfuͤhrers kann
den weiten Raum ſeines Wirkungskreiſes nicht ausfuͤllen.
4. Die Veraͤnderung der politiſchen Verbindungen.
Sind dieſe Veraͤnderungen welche der Sieg hervorruft von
der Art, daß ſie dem Sieger nachtheilig ſein werden, ſo
werden ſie wahrſcheinlich mit ſeinen Fortſchritten im gera-
den Verhaͤltniß ſtehen, eben ſo wie das der Fall iſt wenn
ſie ihm guͤnſtig ſind. Hier kommt Alles auf die beſtehenden
politiſchen Verbindungen, Intereſſen, Gewohnheiten, Rich-
tungen, auf Fuͤrſten, Miniſter, Guͤnſtlinge und Maitreſſen
u. ſ. w. an. Allgemein kann man nur ſagen, daß, wenn
ein großer Staat beſiegt wird, der kleinere Bundesgenoſſen
hat, dieſe bald das Reißaus zu nehmen pflegen und daß
dann der Sieger in dieſer Beziehung mit jedem Schlage
ſtaͤrker wird; iſt aber der beſiegte Staat kleiner, ſo wer-
den ſich viel eher Beſchuͤtzer aufwerfen wenn er in ſeinem
Daſeyn bedroht wird, und Andere, die geholfen haben ihn
zu erſchuͤttern, werden umkehren, wenn ſie glauben daß es
zu viel wird.
5. Der groͤßere Widerſtand welcher beim Feinde
hervorgerufen wird. Einmal fallen dem Feinde die Waf-
fen aus den Haͤnden vor Schreck und Betaͤubung, ein
andermal ergreift ihn ein enthuſiaſtiſcher Paroxismus, Alles
eilt zu den Waffen und der Widerſtand iſt nach der er-
ſten Niederlage viel groͤßer als vor derſelben. Der Cha-
rakter des Volks und der Regierung, die Natur des Lan-
des, die politiſchen Verbindungen deſſelben ſind die Data
aus denen das Wahrſcheinliche errathen werden muß.
Wie unendlich verſchieden machen dieſe beiden letzten
[79] Punkte allein die Plane, welche man im Kriege in dem
einen und dem andern Fall machen darf und machen ſoll.
Waͤhrend der Eine durch Ängſtlichkeit und ſogenanntes
methodiſches Verfahren ſein beſtes Gluͤck verſcherzt, plumpt
der Andere bis uͤber die Ohren hinein und ſieht dann hin-
terher aus wie Einer den man eben aus dem Waſſer ge-
zogen hat, ganz beſtuͤrzt und verwundert.
Noch muͤſſen wir hier der Erſchlaffung gedenken
welche bei dem Sieger nicht ſelten dann zu Hauſe eintritt,
wenn die Gefahr entfernt iſt; waͤhrend doch umgekehrt
neue Anſtrengungen noͤthig waͤren um den Sieg zu unter-
ſtuͤtzen. Wirft man einen allgemeinen Blick auf dieſe
verſchiedenen einander entgegengeſetzten Principien, ſo er-
giebt ſich ohne Zweifel, daß die Benutzung des Sieges,
das Vorſchreiten in dem Angriffskriege in der Allgemein-
heit der Faͤlle die Überlegenheit vereinzelt, mit welcher
man angefangen oder die man durch den Sieg erwor-
ben hat.
Hier muß uns nothwendig die Frage einfallen —
wenn dem ſo iſt, was treibt nun den Sieger zum Ver-
folgen ſeiner Siegesbahn, zum Vorſchreiten in der Offen-
ſive? Und kann dies wirklich noch eine Benutzung des
Sieges genannt werden? Waͤre es nicht beſſer da inne zu
halten wo noch gar keine Verringerung des erhaltenen
Übergewichts ſtattgefunden hat?
Hierauf muß man natuͤrlich antworten: das Überge-
wicht der Streitkraͤfte iſt nicht der Zweck ſondern das
Mittel. Der Zweck iſt entweder den Feind niederzumachen
oder ihm wenigſtens einen Theil ſeiner Laͤnder zu nehmen,
um ſich dadurch zwar nicht fuͤr den augenblicklichen
Stand der Streitkraͤfte, aber doch fuͤr den Stand
[80] des Krieges und des Friedens in den Vortheil zu ſetzen. Selbſt
wenn wir den Gegner ganz niederwerfen wollen, muͤſſen
wir uns gefallen laſſen daß vielleicht jeder Schritt vor-
waͤrts unſere Überlegenheit ſchwaͤcht, woraus aber nicht
nothwendig folgt daß ſie vor dem Fall des Gegners Null
werden muͤſſe; der Fall des Gegners kann vorher eintreten,
und ließe ſich dieſer mit dem letzten Minimum des Über-
gewichts erreichen, ſo waͤre es ein Fehler dieſes nicht daran
gewendet zu haben.
Das Übergewicht alſo welches man im Kriege hat
oder erwirbt, iſt nur das Mittel, nicht der Zweck, und
muß fuͤr dieſen daran geſetzt werden. Aber man muß
den Punkt kennen wohin es reicht um nicht uͤber dieſen
hinauszugehen und, anſtatt neue Vortheile, Schande zu
ernten.
Daß es ſich mit dem Erſchoͤpfen des ſtrategiſchen
Ubergewichts in dem ſtrategiſchen Angriff alſo verhaͤlt, dar-
uͤber brauchen wir beſondere Faͤlle der Erfahrung nicht anzufuͤh-
ren; die Maſſe der Erſcheinungen hat uns vielmehr gedraͤngt
die inneren Gruͤnde dafuͤr aufzuſuchen. Nur ſeit Bonapartes
Erſcheinen kennen wir Feldzuͤge unter gebildeten Voͤlkern wo
das Übergewicht ununterbrochen bis zum Fall des Gegners
fuͤhrte; vor ihm endigte jeder Feldzug damit, daß die ſie-
gende Armee einen Punkt zu gewinnen ſuchte wo ſie ſich
mit dem bloßen Gleichgewicht erhalten konnte, und daß in
dieſem die Bewegung des Sieges aufhoͤrte oder auch
wohl daß gar ein Ruͤckzug nothwendig wurde. Dieſer
Kulminationspunkt des Sieges wird nun auch in der
Folge in allen Kriegen vorkommen wo das Niederwerfen
des Gegners nicht das kriegeriſche Ziel ſein kann und ſo
werden doch immer die meiſten Kriege ſein. Es iſt alſo
das
[81] das natuͤrliche Ziel aller einzelnen Feldzugsplaͤne der Wen-
depunkt des Angriffs zur Vertheidigung.
Nun iſt aber das Überſchreiten dieſes Zieles nicht
etwa bloß eine unnuͤtze Kraftanſtrengung die keinen
Erfolg mehr giebt, ſondern eine verderbliche welche
Ruͤckſchlaͤge verurſacht, und dieſe Ruͤckſchlaͤge ſind nach
einer ganz allgemeinen Erfahrung immer von unverhaͤltniß-
maͤßiger Wirkung. Dieſe letztere Erſcheinung iſt ſo allge-
mein, ſcheint ſo naturgemaͤß und dem inneren Menſchen
verſtaͤndlich, daß wir uns uͤberheben koͤnnen die Urſachen
davon umſtaͤndlich anzugeben. Mangel an Einrichtung in
dem eben eroberten Lande, und der ſtarke Gegenſatz, welchen
ein bedeutender Verluſt gegen den erwarteten neuen Erfolg
in den Gemuͤthern bildet, ſind in jedem Fall die haupt-
ſaͤchlichſten. Die moraliſchen Kraͤfte, Ermuthigung auf
der einen Seite, die oft bis zum Übermuth ſteigt, Nieder-
geſchlagenheit auf der andern bekommen hier gewoͤhnlich
ein ungewoͤhnlich lebhaftes Spiel. Die Verluſte beim
Ruͤckzug werden dadurch groͤßer, und man dankt in der
Regel dem Himmel, wenn man mit der Ruͤckgabe des
Eroberten davon kommt ohne Einbuße vom eigenen Lande
zu leiden.
Hier muͤſſen wir einen anſcheinenden Widerſpruch
beſeitigen, welcher ſich zu ergeben ſcheint.
Man ſollte naͤmlich glauben, daß ſo lange das Vor-
ſchreiten im Angriff ſeinen Fortgang hat, auch noch Über-
legenheit vorhanden ſei, und da die Vertheidigung welche
am Ende der Siegeslaufbahn eintritt, eine ſtaͤrkere Form
des Krieges iſt als der Angriff, ſo ſei um ſo weniger
Gefahr daß man unverſehens der Schwaͤchere werde. Und doch
iſt dem alſo, und wir muͤſſen, wenn wir die Geſchichte im Auge
III 6
[82] haben, daß oft die groͤßte Gefahr des Umſchwungs erſt
eintritt in dem Augenblick wo der Angriff nachlaͤßt und
in Vertheidigung uͤbergeht. Wir wollen uns nach dem
Grunde umſehen.
Die Überlegenheit welche wir der vertheidigenden Kriegs-
form zugeſchrieben haben, liegt:
- 1. in der Benutzung der Gegend;
- 2. in dem Beſitz eines eingerichteten Kriegstheaters;
- 3. in dem Beiſtand des Volkes;
- 4. in dem Vortheil des Abwartens.
Es iſt klar, daß dieſe Prinzipe nicht immer im glei-
chen Maaße vorhanden und wirkſam ſeyn werden, und daß
folglich eine Vertheidigung der anderen nicht immer gleich
iſt, daß folglich auch die Vertheidigung nicht immer die-
ſelbe Üeberlegenheit uͤber den Angriff haben wird. Na-
mentlich muß dies der Fall ſein bei einer Vertheidigung
die nach einem erſchoͤpften Angriff eintritt und deren
Kriegstheater gewoͤhnlich an der Spitze eines weit vorge-
ſchobenen Offenſivdreiecks zu liegen kommt. Dieſe behaͤlt
von den genannten vier Prinzipien nur das erſte, die Be-
nutzung der Gegend, unveraͤndert, das zweite faͤllt meiſtens
ganz weg, das dritte wird negativ und das vierte wird ſehr
geſchwaͤcht. Nur uͤber das letzte ein Paar Worte zur
Erlaͤuterung.
Wenn naͤmlich das eingebildete Gleichgewicht, in wel-
chem oft ganze Feldzuͤge erfolglos verſtreichen, weil der,
an welchem das Handeln iſt, nicht die nothwendige Ent-
ſchloſſenheit beſitzt, und worin wir den Vortheil des Ab-
wartens finden, — wenn dieſes Gleichgewicht durch einen
Offenſivakt geſtoͤrt, das feindliche Intereſſe verletzt, ſein
Wille zum Handeln hin gedraͤngt iſt, ſo iſt die Wahr-
[83] ſcheinlichkeit, daß er in muͤßiger Unentſchloſſenheit bleiben
werde, ſehr verringert. Eine Vertheidigung, die man auf
erobertem Boden einrichtet, hat einen viel mehr heraus-
fordernden Charakter als eine bei ſich zu Haus; es wird
ihr gewiſſermaßen das offenſive Prinzip eingeimpft und
ihre Natur dadurch geſchwaͤcht. Die Ruhe, welche Daun
Friedrich II. in Schleſien und Sachſen goͤnnte, wuͤrde er
ihm in Boͤhmen nicht geſtattet haben.
Es iſt alſo klar, daß die Vertheidigung, welche in
eine Offenſivunternehmung verflochten iſt, in allen ihren
Hauptprinzipien geſchwaͤcht ſein und alſo nicht mehr die
Überlegenheit uͤber dieſe haben wird, welche ihr urſpruͤng-
lich zukommt.
Wie kein Vertheidigungsfeldzug aus bloßen Verthei-
digungselementen zuſammengeſetzt iſt, ſo beſteht auch kein
Angriffsfeldzug aus lauter Angriffselementen, weil außer
den kurzen Zwiſchenperioden eines jeden Feldzugs, in wel-
chen beide Heere ſich in der Vertheidigung befinden, jeder
Angriff, der nicht bis zum Frieden reicht, nothwendig mit
einer Vertheidigung endigen muß.
Auf dieſe Weiſe iſt es die Vertheidigung ſelbſt, welche
zur Schwaͤchung des Angriffs beitraͤgt. Dies iſt ſo wenig
eine muͤßige Spitzfindigkeit, daß wir es vielmehr als den haupt-
ſaͤchlichſten Nachtheil des Angriffs betrachten, dadurch ſpaͤter in
eine ganz unvortheilhafte Vertheidigung verſetzt zu werden.
Und hiermit iſt denn erklaͤrt wie der Unterſchied, wel-
cher in der Staͤrke der offenſiven und defenſiven Kriegs-
form urſpruͤnglich beſteht, nach und nach geringer wird.
Wir wollen nun noch zeigen wie er ganz verſchwinden und
auf eine kurze Zeit in die entgegengeſetzte Groͤße uͤberge-
hen kann.
6*
[84]
Will man uns erlauben einen Huͤlfsbegriff aus der
Natur herbeizurufen, ſo werden wir uns kuͤrzer faſſen
koͤnnen.
Es iſt die Zeit welche in der Koͤrperwelt jede Kraft
braucht um ſich wirkſam zu zeigen. Eine Kraft, die
hinreichend waͤre einen bewegten Koͤrper aufzuhalten, wenn ſie
langſam und nach und nach angewendet wird, wird von ihm
uͤberwaͤltigt werden wenn es an Zeit fehlt. Dieſes Geſetz
der Koͤrperwelt iſt ein treffendes Bild fuͤr manche Erſcheinung
unſeres inneren Lebens. Sind wir einmal zu einer ge-
wiſſen Richtung des Gedankenzuges angeregt, ſo iſt nicht
jeder an ſich hinreichende Grund im Stande eine Veraͤn-
derung oder ein Innehalten hervorzubringen. Es iſt Zeit,
Ruhe, nachhaltiger Eindruck des Bewußtſeins erforderlich.
So iſt es auch im Kriege. Hat die Seele einmal eine be-
ſtimmte Richtung fort zum Ziele oder zuruͤckgewendet nach
einem Rettungshafen, ſo geſchieht es leicht, daß die Gruͤnde,
welche den Einen zum Innehalten noͤthigen, den Anderen
zum Unternehmen berechtigen, nicht leicht in ihrer ganzen
Staͤrke gefuͤhlt werden, und da die Handlung indeß fort-
ſchreitet, ſo kommt man im Strom der Bewegung uͤber
die Grenze des Gleichgewichts, uͤber die Kulminationslinie
hinaus ohne es gewahr zu werden; ja es kann geſchehen
daß dem Angreifenden, unterſtuͤtzt von den moraliſchen
Kraͤften, die vorzugsweiſe im Angriff liegen, das Weiter-
ſchreiten trotz der erſchoͤpften Kraft weniger beſchwerlich
wird als das Innehalten, ſo wie Pferden welche eine Laſt
den Berg hinauf ziehen. Hiermit glauben wir nun ohne
inneren Widerſpruch gezeigt zu haben, wie der Angreifende
uͤber denjenigen Punkt hinaus kommen kann, der ihm im
Augenblick des Innehaltens und der Vertheidigung noch
[85] Erfolge, d. h. Gleichgewicht verſpricht. Es iſt alſo wichtig
beim Entwurf des Feldzugs dieſen Punkt richtig feſtzuhal-
ten, ſowohl fuͤr den Angreifenden, damit er nicht uͤber ſein
Vermoͤgen unternehme, gewiſſermaßen Schulden mache; als
fuͤr den Vertheidiger, damit er dieſen Nachtheil, in welchen
ſich der Angreifende begeben hat, erkenne und benuͤtze.
Werfen wir nun einen Blick zuruͤck auf alle die
Gegenſtaͤnde welche der Feldherr bei dieſer Feſtſtellung im
Auge haben ſoll, und erinnern uns, daß er von den wich-
tigſten die Richtung und den Werth erſt durch den Über-
blick vieler andern nahen und entfernten Verhaͤltniſſe
ſchaͤtzen, gewiſſermaßen errathen muß — errathen, ob das
feindliche Heer nach dem erſten Stoß einen feſteren Kern,
eine immer zunehmende Dichtigkeit zeigen oder ob es wie
die bologneſer Flaſchen in Staub zerfallen wird ſobald
man ſeine Oberflaͤche verletzt; — errathen, wie groß die
Schwaͤchung und Laͤhmung ſein werde die das Verſiegen
einzelner Quellen, das Unterbrechen einzelner Verbindungen
im feindlichen Kriegsſtaat hervorbringt; — errathen, ob
der Gegner von dem brennenden Schmerz der Wunde
die er ihm geſchlagen ohnmaͤchtig zuſammenſinkt, oder wie
ein verwundeter Stier zur Wuth geſteigert wird; — errathen
ob die andern Maͤchte erſchreckt oder entruͤſtet ſein, ob
und welche politiſche Verbindungen ſich loͤſen oder bilden
werden, — ſagen wir uns, daß er dies Alles und vieles
Andere mit dem Takt ſeines Urtheils treffen ſoll wie der
Schuͤtze ſein Ziel: ſo muͤſſen wir eingeſtehen, daß ein ſolcher
Akt des menſchlichen Geiſtes nichts Geringes ſei. Tauſend
Abwege bieten ſich dem Urtheil, die ſich hier- und dorthin
verlaufen; und was die Menge, Verwickelung und Viel-
[86] ſeitigkeit der Gegenſtaͤnde nicht thun, das thut die Gefahr
und Verantwortlichkeit.
Und ſo geſchieht es denn daß die große Mehrheit
der Feldherrn lieber weit hinter dem Ziel zuruͤckbleibt als
ſich ihm zu ſehr zu nahen, und daß ein ſchoͤner Muth und
hoher Unternehmungsgeiſt oft daruͤber hinaus geraͤth und
alſo ſeinen Zweck verfehlt. Nur wer mit geringen Mit-
teln Großes thut hat es gluͤcklich getroffen.
[[87]]
Skizzen zum achten Buche.
Kriegsplan.
[[88]][[89]]
Erſtes Kapitel.
Einleitung.
In dem Kapitel vom Weſen und Zweck des Krieges
haben wir ſeinen Geſammtbegriff gewiſſermaßen ſkizzirt und
ſeine Verhaͤltniſſe zu den ihn umgebenden Dingen ange-
deutet, um mit einer richtigen Grundvorſtellung anzufangen.
Wir haben die mannigfaltigen Schwierigkeiten auf welche
der Verſtand dabei ſtoͤßt, durchblicken laſſen, uns eine
genauere Betrachtung derſelben vorbehaltend, und ſind bei
dem Reſultat ſtehen geblieben, daß die Niederwerfung des
Feindes, folglich die Vernichtung ſeiner Streitkraͤfte das
Hauptziel des ganzen kriegeriſchen Aktes ſei. Dies hat
uns in den Stand geſetzt im folgenden Kapitel zu zeigen
daß das Mittel, deſſen ſich der kriegeriſche Akt bedient,
allein das Gefecht ſei. Auf dieſe Weiſe glauben wir vor-
laͤufig einen richtigen Standpunkt gewonnen zu haben.
Nachdem wir nun die beachtungswertheſten Verhaͤlt-
niſſe und Formen, welche in dem kriegeriſchen Handeln
außerhalb des Gefechts vorkommen, einzeln durchgegangen
ſind, um ihren Werth theils nach der Natur der Sache,
theils nach der Erfahrung welche die Kriegsgeſchichte dar-
bietet, beſtimmter anzugeben, ſie von unbeſtimmten, zweideuti-
gen Vorſtellungen, die damit verbunden zu ſein pflegen,
[90] zu reinigen und auch bei ihnen das eigentliche Ziel des
kriegeriſchen Aktes, die Vernichtung des Feindes, uͤberall
gehoͤrig als die Hauptſache herantreten zu laſſen: kehren
wir nun zu dem Ganzen des Krieges zuruͤck, indem wir
uns vornehmen von dem Kriegs- und Feldzugsplan zu
reden, und ſind alſo genoͤthigt an die Vorſtellungen un-
ſeres erſten Buches wieder anzuknuͤpfen.
In dieſen Kapiteln, welche die Geſammtfrage abhan-
deln ſollen, iſt die eigentlichſte Strategie, das Umfaſſendſte
und Wichtigſte derſelben enthalten. Wir betreten dieſes
Innerſte ihres Gebietes, in welchem alle uͤbrigen Faͤden
zuſammenlaufen, nicht ohne Scheu.
In der That iſt dieſe Scheu nicht mehr als billig.
Wenn man auf der einen Seite ſieht wie das kriege-
riſche Handeln ſo hoͤchſt einfach erſcheint, wenn man hoͤrt
und lieſt wie die groͤßten Feldherrn gerade am einfachſten
und ſchlichteſten ſich daruͤber ausdruͤcken, wie das Regieren
und Bewegen der aus hunderttauſend Gliedern zuſammen-
geſetzten ſchwerfaͤlligen Maſchine in ihrem Munde ſich
nicht anders ausnimmt als ob von ihrem einzigen Indi-
viduo die Rede ſei, ſo daß der ganze ungeheuere Akt des
Krieges zu einer Art Zweikampf individualiſirt wird; wenn
man dabei die Motive ihres Handelns bald mit ein Paar
einfachen Vorſtellungen, bald mit irgend einer Regung des
Gemuͤthes angegeben findet; wenn man dieſe leichte, ſichere,
man moͤchte ſagen leichtfertige Weiſe ſieht, wie ſie den
Gegenſtand auffaſſen; und nun von der andern Seite die
Anzahl von Verhaͤltniſſen die fuͤr den unterſuchenden Ver-
ſtand in Anregung kommen; die großen, oft unbeſtimmten
Entfernungen, in welchen die einzelnen Faͤden auslaufen
und die Unzahl von Combinationen die vor uns liegen;
wenn man dabei an die Verpflichtung denkt welche die
[91] Theorie hat, dieſe Dinge ſyſtematiſch, d. h. mit Klarheit
und Vollſtaͤndigkeit aufzufaſſen und das Handeln immer
auf die Nothwendigkeit des zureichenden Grundes zuruͤck-
zufuͤhren: ſo uͤberfaͤllt uns die Angſt mit unwiderſtehlicher
Gewalt, zu einem pedantiſchen Schulmeiſterthum hinabge-
riſſen zu werden, in den untern Raͤumen ſchwerfaͤlliger
Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in
ſeinem leichten Uberblick alſo niemals zu begegnen. Wenn
ſo das Reſultat theoretiſcher Bemuͤhungen ſein ſollte,
ſo waͤre es eben ſo gut oder vielmehr beſſer ſie gar
nicht angeſtellt zu haben; ſie ziehen der Theorie die Ge-
ringſchaͤtzung des Talentes zu, und fallen bald in Ver-
geſſenheit. Und von der andern Seite iſt dieſer leichte
Überblick des Feldherrn, dieſe einfache Vorſtellungsart,
dieſe Perſonifizirung des ganzen kriegeriſchen Handelns ſo
ganz und gar die Seele jeder guten Kriegfuͤhrung, daß
nur bei dieſſer großartigen Weiſe ſich die Freiheit der Seele
denken laͤßt, die noͤthig iſt, wenn ſie uͤber die Ereigniſſe
herrſchen und nicht von ihnen uͤberwaͤltigt werden ſoll.
Mit einiger Scheu ſetzen wir unſern Schritt fort;
wir koͤnnen es nur, wenn wir den Weg verfolgen welchen
wir uns gleich anfangs vorgezeichnet haben. Die Theorie
ſoll mit einem klaren Blick die Maſſe der Gegenſtaͤnde
beleuchten, damit der Verſtand ſich leichter in ihnen finden;
ſie ſoll das Unkraut ausreißen welches der Irrthum uͤberall
hat hervorſchießen laſſen; ſie ſoll die Verhaͤltniſſe der
Dinge unter einander zeigen, das Wichtige von dem Un-
wichtigen ſondern. Wo ſich die Vorſtellungen von ſelbſt
zu einem ſolchen Kern der Wahrheit zuſammenfinden, den
wir Grundſatz nennen, wo ſie von ſelbſt eine ſolche Linie
halten die eine Regel bildet, da ſoll die Theorie es
angeben.
[92]
Was nun der Geiſt von dieſer unterirdiſchen Wande-
rung zwiſchen den Fundamental-Vorſtellungen der Sache mit
ſich nimmt, die Lichtſtrahlen welche in ihm geweckt werden,
das iſt der Nutzen welchen ihm die Theorie gewaͤhrt.
Sie kann ihm keine Formeln zur Aufloͤſung der Aufgaben
mitgeben, ſie kann ſeinen Weg nicht auf eine ſchmale Linie
der Nothwendigkeit einſchraͤnken durch Grundſaͤtze, die ſie
zu beiden Seiten aufmarſchiren laͤßt. Sie laͤßt ihn einen
Blick in die Maſſe der Gegenſtaͤnde und ihrer Verhaͤltniſſe
thun und entlaͤßt ihn dann wieder in die hoͤheren Re-
gionen des Handelns, um nach dem Maaß der ihm ge-
wordenen natuͤrlichen Kraͤfte mit der vereinten Thaͤtigkeit
Aller zu handeln, und ſich des Wahren und Rechten
wie eines einzelnen klaren Gedankens bewußt zu werden,
der, durch den Geſammtdruck aller jener Kraͤfte hervorge-
trieben, mehr ein Produkt der Gefahr als des Denkens
zu ſein ſcheint.
Zweites Kapitel.
Abſoluter und wirklicher Krieg.
Der Kriegsplan faßt den ganzen kriegeriſchen Akt
zuſammen, durch ihn wird er zur einzelnen Handlung, die
einen letzten endlichen Zweck haben muß, in welchem ſich
alle beſonderen Zwecke ausgeglichen haben. Man faͤngt
keinen Krieg an, oder man ſollte vernuͤnftiger Weiſe keinen
anfangen, ohne ſich zu ſagen, was man mit und was man
in demſelben erreichen will, das Erſtere iſt der Zweck, das
Andere das Ziel. Durch dieſen Hauptgedanken werden alle
[93] Richtungen gegeben, der Umfang der Mittel, das Maaß
der Energie beſtimmt, und er aͤußert ſeinen Einfluß bis
in die kleinſten Glieder der Handlung hinab.
Wir haben im erſten Kapitel geſagt, daß die Nieder-
werfung des Gegners das natuͤrliche Ziel des kriegeriſchen
Aktes ſei, und daß, wenn man bei der philoſophiſchen
Strenge des Begriffs ſtehen bleiben will, es im Grunde
ein anderes nicht geben koͤnne.
Da dieſe Vorſtellung von beiden kriegfuͤhrenden Thei-
len gedacht werden muß, ſo wuͤrde daraus folgen, daß es
im kriegeriſchen Akt keinen Stillſtand geben und nicht
eher Ruhe eintreten koͤnne, bis einer der beiden Theile
wirklich niedergeworfen ſei.
In dem Kapitel von dem Stillſtand im kriegeriſchen
Akt haben wir gezeigt wie das bloße Prinzip der Feind-
ſchaft auf den Traͤger deſſelben, den Menſchen und alle
Umſtaͤnde angewendet, aus denen es den Krieg zuſammen-
ſetzt, aus inneren Gruͤnden der Maſchine einen Aufenthalt
und eine Ermaͤßigung erleidet.
Aber dieſe Modifikation iſt lange nicht hinreichend
um uns von dem urſpruͤnglichen Begriff des Krieges zu
der konkreten Geſtalt deſſelben, wie wir ſie faſt uͤberall
finden, uͤberzufuͤhren. Die meiſten Kriege erſcheinen nur
wie eine gegenſeitige Entruͤſtung, wobei Jeder zu den
Waffen greift, um ſich ſelbſt zu ſchuͤtzen und dem Andern
Furcht einzufloͤßen, und — gelegentlich ihm einen Streich
beizubringen. Es ſind alſo nicht zwei ſich einander zerſtoͤ-
rende Elemente die zuſammengebracht ſind, ſondern es ſind
Spannungen noch getrennter Elemente, die ſich in einzel-
nen kleinen Schlaͤgen entladen.
Welches iſt nun aber die nicht leitende Scheidewand,
die das totale Entladen verhindert? Warum geſchieht der
[94] philoſophiſchen Vorſtellungsweiſe nicht Genuͤge? Jene
Scheidewand liegt in der großen Zahl von Dingen,
Kraͤften, Verhaͤltniſſen, die der Krieg im Staatsleben
beruͤhrt, und durch deren unzaͤhlbare Windungen ſich die
logiſche Conſequenz nicht wie an dem einfachen Faden von
ein Paar Schluͤſſen fortfuͤhren laͤßt; in dieſen Windungen
bleibt ſie ſtecken, und der Menſch, der gewohnt iſt im
Großen und Kleinen mehr nach einzelnen vorherrſchenden
Vorſtellungen und Gefuͤhlen, als nach ſtrenger logiſcher
Folge zu handeln, wird ſich hier ſeiner Unklarheit, Halb-
heit und Inconſequenz kaum bewußt.
Haͤtte aber auch die Intelligenz von welcher der
Krieg ausgeht, wirklich alle dieſe Verhaͤltniſſe durchlaufen
koͤnnen, ohne ihr Ziel einen Augenblick zu verlieren, ſo
wuͤrden alle uͤbrigen Intelligenzen im Staate, welche da-
bei in Betrachtung kommen, nicht eben das koͤnnen, und
alſo ein Widerſtreben entſtehen und mithin eine Kraft
noͤthig ſein, die Inertie der ganzen Maſſe zu uͤberwinden,
und dieſe Kraft wird meiſtens unzureichend ſein.
Dieſe Inconſequenz findet bei dem einen der beiden
Theile ſtatt, oder bei dem andern, oder bei beiden, und
wird ſo die Urſache daß der Krieg zu etwas ganz Anderem
wird als er dem Begriff nach ſein ſollte, zu einem Halb-
dinge, zu einem Weſen ohne inneren Zuſammenhang.
So finden wir ihn faſt uͤberall und man koͤnnte
zweifeln, daß unſere Vorſtellung von dem ihm abſolut zu-
kommenden Weſen einige Realitaͤt haͤtte, wenn wir nicht
gerade in unſeren Tagen den wirklichen Krieg in dieſer
abſoluten Vollkommenheit haͤtten auftreten ſehn. Nach
einer kurzen Einleitung, die die franzoͤſiſche Revolution ge-
macht hat, hat ihn der ruͤckſichtsloſe Bonaparte ſchnell
auf dieſen Punkt gebracht. Unter ihm iſt er raſtlos
[95] vorgeſchritten, bis der Gegner niederlag; und faſt eben
ſo raſtlos ſind die Ruͤckſchlaͤge erfolgt. Iſt es nicht na-
tuͤrlich und nothwendig, daß uns dieſe Erſcheinung auf
den urſpruͤnglichen Begriff des Krieges mit allen ſtrengen
Folgerungen zuruͤckfuͤhrt?
Sollen wir nun dabei ſtehen bleiben und alle Kriege,
wie ſehr ſie ſich auch davon entfernen, darnach beurtheilen?
Alle Forderungen der Theorie daraus ableiten?
Wir muͤſſen uns jetzt darin entſcheiden, denn wir
koͤnnen kein geſcheutes Wort vom Kriegsplan ſagen, ohne
bei uns ſelbſt ausgemacht zu haben, ob der Krieg nur ſo
ſein ſoll oder noch anders ſein kann.
Wenn wir uns zu dem Erſteren entſchließen, wird
unſere Theorie ſich uͤberall dem Nothwendigen mehr naͤhern,
mehr eine klare abgemachte Sache ſein. Aber was ſollen
wir dann zu allen Kriegen ſagen, welche ſeit Alexander
und einigem Feldzuͤgen der Roͤmer bis auf Bonaparte ge-
fuͤhrt worden ſind? Wir mußten ſie in Pauſch und
Bogen verwerfen und konnten es doch vielleicht nicht ohne
uns unſerer Anmaßung zu ſchaͤmen. Was aber ſchlimm
iſt, wir mußten uns ſagen daß im naͤchſten Jahrzehend
vielleicht wieder ein Krieg der Art da ſein wird, unſerer
Theorie zum Trotz, und daß dieſe Theorie mit einer
ſtarken Logik doch ſehr ohnmaͤchtig bleibt gegen die Ge-
walt der Umſtaͤnde. Wir werden uns alſo dazu verſtehen
muͤſſen, den Krieg wie er ſein ſoll, nicht aus ſeinem
bloßen Begriff zu konſtruiren, ſondern allem Fremdartigen,
was ſich darin einmiſcht und daranſetzt, ſeinen Platz zu
laſſen, aller natuͤrlichen Schwere und Reibung der Theile,
der ganzen Inkonſequenz, Unklarheit und Verzagtheit des
menſchlichen Geiſtes; wir werden die Anſicht faſſen muͤſſen,
daß der Krieg und die Geſtalt welche man ihm giebt,
[96] hervorgeht aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Ge-
fuͤhlen und Verhaͤltniſſen, ja wir muͤſſen, wenn wir ganz
wahr ſein wollen, einraͤumen, daß dies ſelbſt der Fall ge-
weſen iſt wo er ſeine abſolute Geſtalt angenommen hat,
naͤmlich unter Bonaparte.
Muͤſſen wir das, muͤſſen wir zugeben daß der Krieg
entſpringt und ſeine Geſtalt erhaͤlt nicht aus einer end-
lichen Abgleichung aller unzaͤhligen Verhaͤltniſſe die er
beruͤhrt, ſondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade
vorherrſchen: ſo folgt von ſelbſt, daß er auf einem Spiel von
Moͤglichkeiten, Wahrſcheinlichkeiten, Gluͤck und Ungluͤck
beruht, in dem ſich die ſtrenge logiſche Folgerung oft
ganz verliert und wobei ſie uͤberhaupt ein ſehr unbehuͤlf-
liches, unbequemes Inſtrument des Kopfes iſt; auch folgt
dann, daß der Krieg ein Ding ſein kann, was bald mehr
bald weniger Krieg iſt.
Dies Alles muß die Theorie zugeben, aber es iſt ihre
Pflicht, die abſolute Geſtalt des Krieges obenan zu ſtellen
und ſie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen;
damit Derjenige, der aus der Theorie Etwas lernen will,
ſich gewoͤhne, ſie nie aus den Augen zu verlieren, ſie als
das urſpruͤngliche Maaß aller ſeiner Hoffnungen und Be-
fuͤrchtungen zu betrachten, um ſich ihr zu naͤhern wo er
es kann oder wo er es muß.
Daß eine Hauptvorſtellung, welche unſerem Denken
und Handeln zum Grunde liegt, ihm auch da, wo die
naͤchſten Entſcheidungsgruͤnde aus ganz andern Regionen
kommen, einen gewiſſen Ton und Charakter giebt, iſt eben ſo
gewiß, als daß der Maler ſeinem Bilde durch die Farben,
womit er es untermalt, dieſen oder jenen Ton geben kann.
Daß die Theorie dies jetzt mit Wirkſamkeit thun
kann, verdankt ſie den letzten Kriegen. Ohne dieſe warnenden
Bei-
[97] Beiſpiele von der zerſtoͤrenden Kraft des losgelaſſenen
Elementes wuͤrde ſie ſich vergeblich heiſer ſchreien; Nie-
mand wuͤrde fuͤr moͤglich halten was jetzt von Allen
erlebt iſt.
Wuͤrde Preußen im Jahr 1798 es gewagt haben
mit 70,000 Mann in Frankreich einzudringen, wenn es
geahnt haͤtte daß der Ruͤckſchlag im Fall des Nichtge-
lingens ſo ſtark ſein wuͤrde das alte europaͤiſche Gleich-
gewicht uͤber den Haufen zu werfen?
Wuͤrde Preußen im Jahr 1806 den Krieg gegen
Frankreich mit 100,000 Mann angefangen haben, wenn
es erwogen haͤtte daß der erſte Piſtolenſchuß ein Funken
in den Minenherd ſei, der es in die Luft ſprengen ſollte?
Drittes Kapitel. A.
Innerer Zuſammenhang des Krieges.
Je nachdem man die abſolute Geſtalt des Krieges
oder eine der davon mehr oder weniger entfernten wirk-
lichen im Auge hat, entſtehen zwei verſchiedene Vorſtellun-
gen von dem Erfolge deſſelben.
Bei der abſoluten Geſtalt des Krieges, wo Alles aus
nothwendigen Gruͤnden geſchieht, Alles raſch ineinander-
greift, kein, wenn ich ſo ſagen darf, weſenloſer neutraler
Zwiſchenraum entſteht, giebt es, wegen der vielfaͤltigen
Wechſelwirkungen die der Krieg in ſich ſchließt *), wegen
des Zuſammenhanges in welchem, ſtrenge genommen, die
III 7
[98] ganze Reihe der aufeinander folgenden Gefechte ſteht *),
wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat,
uͤber welchen hinaus das Gebiet der Verluſte und Nieder-
lagen angeht **), wegen aller dieſer natuͤrlichen Verhaͤlt-
niſſe des Krieges, ſage ich, giebt es nur einen Erfolg,
naͤmlich den Enderfolg. Bis dahin iſt Nichts entſchieden,
Nichts gewonnen, Nichts verloren. Hier iſt es, wo man
ſich unaufhoͤrlich ſagen muß: das Ende kroͤnt das Werk.
In dieſer Vorſtellung iſt alſo der Krieg ein untheilbares
Ganze, deſſen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur Werth
haben in Beziehung auf dies Ganze. Die Eroberung
von Moskau und von halb Rußland 1812 hatte fuͤr Bona-
parte nur Werth, wenn ſie ihm den beabſichtigten Frieden
verſchaffte. Sie war aber nur ein Stuͤck ſeines Feldzugs-
plans und dieſem fehlte noch ein Theil, naͤmlich die
Zertruͤmmerung des ruſſiſchen Heeres; denkt man ſich dieſe
zu den uͤbrigen Erfolgen hinzu, ſo war der Friede ſo ge-
wiß, wie Dinge der Art werden koͤnnen. Dieſen zweiten
Theil konnte Bonaparte nicht mehr erringen, weil er ihn
fruͤher verſaͤumt hatte, und ſo wurde ihm der ganze erſte
Theil nicht bloß unnuͤtz, ſondern verderblich. —
Dieſer Vorſtellung von dem Zuſammenhange der
Erfolge im Kriege, welche man als eine aͤußerſte betrach-
ten kann, ſteht eine andere aͤußerſte gegenuͤber, nach welcher
derſelbe aus einzelnen fuͤr ſich beſtehenden Erfolgen zuſam-
mengeſetzt iſt, bei denen, wie im Spiel bei den Partien,
die vorhergehenden keinen Einfluß auf die nachfolgenden
haben. Hier kommt es alſo nur auf die Summe der
[99] Erfolge an, und man kann jeden einzelnen wie eine
Spielmarke zuruͤcklegen.
So wie die erſte Vorſtellungsart ihre Wahrheit
aus der Natur der Sache ſchoͤpft, ſo finden wir die der
zweiten in der Geſchichte. Es giebt eine Unzahl von
Faͤllen, wo ein kleiner maͤßiger Vortheil hat gewonnen
werden koͤnnen, ohne daß ſich daran irgend eine erſchwerende
Bedingung geknuͤpft haͤtte. Je mehr das Element des
Krieges ermaͤßigt iſt, um ſo haͤufiger werden dieſe Faͤlle,
aber ſo wenig wie je in einem Kriege die erſte der Vor-
ſtellungsarten vollkommen wahr iſt, eben ſo wenig giebt
es Kriege wo die letztere uͤberall zutrifft, und die erſtere
entbehrlich waͤre.
Halten wir uns an die erſte dieſer beiden Vorſtel-
lungsarten, ſo muͤſſen wir die Nothwendigkeit einſehn, daß
ein jeder Krieg von Hauſe aus als ein Ganzes aufgefaßt
werde, und daß beim erſten Schritt vorwaͤrts der Feldherr
ſchon das Ziel im Auge habe, wohin alle Linien laufen.
Laſſen wir die zweite Vorſtellungsart zu, ſo koͤnnen
untergeordnete Vortheile um ihrer ſelbſt willen verfolgt und
das Weitere den weiteren Ergebniſſen uͤberlaſſen werden.
Da keine dieſer beiden Vorſtellungsarten ohne Re-
ſultat iſt, ſo kann die Theorie auch keine derſelben ent-
behren. Der Unterſchied aber, den ſie im Gebrauch
derſelben macht, beſteht darin, daß ſie fordert: die erſtere
als die Grundvorſtellung auch uͤberall zum Grunde zu
legen und die letztere nur als eine Modifikation zu ge-
brauchen, die durch die Umſtaͤnde gerechtfertigt wird.
Wenn Friedrich der Große in den Jahren 1742,
1744, 1757 und 1758 von Schleſien und Sachſen aus
eine neue Offenſivſpitze in den oͤſtreichiſchen Staat hin-
eintrieb, von der er recht gut wußte daß ſie nicht zu einer
7*
[100] neuen dauernden Eroberung fuͤhren konnte, wie die von
Schleſien und Sachſen war, ſo geſchah es, weil er damit
nicht die Niederwerfung des oͤſtreichiſchen Staates, ſondern
einen untergeordneten Zweck, naͤmlich Zeit- und Kraftgewinn
beabſichtigte, und er durfte dieſen untergeordneten Zweck
verfolgen ohne zu fuͤrchten daß er damit ſein ganzes
Daſein auf das Spiel ſetzte. *) Wenn aber Preußen 1806
und Öſtreich 1805 und 1809 ſich noch ein viel beſchei-
deneres Ziel vorſetzte, naͤmlich: die Franzoſen uͤber den
Rhein zu treiben, ſo konnten ſie das vernuͤnftigerweiſe
nicht, ohne im Geiſte die ganze Reihe der Begebenheiten
zu durchlaufen, die ſich, ſowohl im Fall des guten als
ſchlechten Erfolges, wahrſcheinlich an den erſten Schritt
anknuͤpfen und bis zum Frieden fuͤhren wuͤrde. Dies
war ganz unerlaͤßlich, ſowohl, um bei ſich auszumachen
wie weit ſie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten,
als, wie und wo ſie den feindlichen Sieg zum Stehen
zu bringen, im Stande waͤren.
Worin der Unterſchied beider Verhaͤltniſſe ſei, zeigt
[101] eine aufmerkſame Betrachtung der Geſchichte. Im acht-
zehnten Jahrhundert, zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege, war
der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinets, an
welchem das Volk nur als blindes Inſtrument Theil
nahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ſtanden
die beiderſeitigen Voͤlker in der Wageſchale. Die Feld-
herren welche Friedrich dem Großen gegenuͤberſtanden
waren Maͤnner die im Auftrag handelten, und eben des-
wegen Maͤnner in welchen die Behutſamkeit ein vorherr-
ſchender Charakterzug war; der Gegner der Öſtreicher und
Preußen war, um es kurz zu ſagen, der Kriegsgott ſelbſt.
Mußten dieſe verſchiedenen Verhaͤltniſſe nicht ganz
verſchiedene Betrachtungen veranlaſſen? Mußten ſie nicht
im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das
Äußerſte der Ungluͤcksfaͤlle als auf eine nahe Moͤglichkeit,
ja als auf eine große Wahrſcheinlichkeit richten, und mit-
hin zu ganz andern Anſtrengungen und Plaͤnen fuͤhren, als
ſolche, deren Gegenſtand ein Paar Feſtungen und eine
maͤßige Provinz ſein konnten?
Sie haben es nicht in gehoͤrigem Maaße gethan, wie-
wohl die Maͤchte Preußen und Öſtreich bei ihren Ruͤſtungen
die Gewitterſchwere der politiſchen Atmoſphaͤre hinreichend
fuͤhlten. Sie haben es nicht vermocht, weil ſie damals
noch nicht ſo deutlich von der Geſchichte entwickelt waren.
Eben jene Feldzuͤge von 1805, 1806 und 1809, ſo wie
die ſpaͤteren, haben es uns ſo ſehr erleichtert den Begriff
des neueren, des abſoluten Krieges in ſeiner zerſchmettern-
den Energie davon zu abſtrahiren.
Die Theorie fordert alſo, daß bei jedem Kriege zuerſt
ſein Charakter und ſeine großen Umriſſe nach der Wahr-
ſcheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politiſchen Groͤßen
und Verhaͤltniſſe ergeben. Je mehr nach dieſer Wahr-
[102] ſcheinlichkeit ſein Charakter ſich dem abſoluten Kriege
naͤhert, je mehr die Umriſſe die Maſſe der kriegfuͤhrenden
Staaten umfaſſen und in den Strudel hineinziehen: um
ſo leichter wird der Zuſammenhang ſeiner Begebenheiten,
um ſo nothwendiger nicht den erſten Schritt zu thun ohne
an den letzten zu denken.
Drittes Kapitel. B.
Von der Groͤße des kriegeriſchen Zwecks
und der Anſtrengung.
Der Zwang, welchen wir unſerem Gegner anthun
muͤſſen, wird ſich nach der Groͤße unſerer und ſeiner poli-
tiſchen Forderungen richten. Inſofern dieſe gegenſeitig
bekannt ſind, wuͤrde es daſſelbe Maaß der Anſtrengung
geben; allein ſie liegen nicht immer ſo offen da, und dies
kann ein erſter Grund zur Verſchiedenheit in den Mitteln
ſein, die Beide aufbieten.
Die Lage und Verhaͤltniſſe der Staaten ſind einander
nicht gleich, dies kann ein zweiter Grund werden.
Die Willensſtaͤrke, der Charakter, die Faͤhigkeiten
der Regierungen ſind ſich eben ſo wenig gleich, dies iſt
ein dritter Grund.
Dieſe drei Ruͤckſichten bringen eine Ungewißheit in
die Berechnung des Widerſtandes welchen man finden
wird, folglich der Mittel die man anwenden ſoll, und des
Ziels welches man ſich ſetzen darf.
Da im Kriege aus unzureichenden Anſtrengungen nicht
bloß ein Nichterfolg, ſondern poſitiver Schaden entſtehen
kann, ſo treibt das beide Theile ſich einander zu uͤberbieten,
wodurch eine Wechſelwirkung entſteht.
[103]
Dieſe koͤnnte an das aͤußerſte Ziel der Anſtrengungen
fuͤhren, wenn ſich ein ſolches beſtimmen ließe. Dann
wuͤrde aber die Ruͤckſicht auf die Groͤße der politiſchen
Forderungen verloren gehen, das Mittel alles Verhaͤltniß
zum Zweck verlieren, und in den meiſten Faͤllen dieſe
Abſicht einer aͤußerſten Anſtrengung an dem Gegengewicht
der eigenen inneren Verhaͤltniſſe ſcheitern.
Auf dieſe Weiſe wird der Kriegsunternehmer wieder in
einen Mittelweg zuruͤckgefuͤhrt, in welchem er gewiſſer-
maaßen nach dem direkten Grundſatz handelt, um diejenigen
Kraͤfte aufzuwenden und ſich im Kriege dasjenige Ziel zu
ſtellen, welches zur Erreichung ſeines politiſchen Zweckes
eben hinreicht. Um dieſen Grundſatz moͤglich zu machen,
muß er jeder abſoluten Nothwendigkeit des Erfolges entſagen,
die entfernten Moͤglichkeiten aus der Rechnung weglaſſen.
Hier verlaͤßt alſo die Thaͤtigkeit des Verſtandes das
Gebiet der ſtrengen Wiſſenſchaft, der Logik und Mathe-
matik, und wird, im weiten Verſtande des Wortes, zur
Kunſt, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unuͤberſehbaren
Menge von Gegenſtaͤnden und Verhaͤltniſſen die wichtigſten
und entſcheidenden durch den Takt des Urtheils herauszu-
finden. Dieſer Takt des Urtheils beſteht unſtreitig mehr
oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Groͤßen
und Verhaͤltniſſe, wodurch die entfernten und unwichtigen
ſchneller beſeitigt und die naͤchſten und wichtigſten ſchneller
herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege
ſtrenger Schlußfolge geſchehen ſollte.
Um alſo das Maaß der Mittel kennen zu lernen,
welches wir fuͤr den Krieg aufzubieten haben, muͤſſen wir
den politiſchen Zweck deſſelben unſerer Seits und von Seiten
des Feindes bedenken; wir muͤſſen die Kraͤfte und Verhaͤlt-
niſſe des feindlichen Staates und des unſrigen; wir muͤſſen
[104] den Charakter ſeiner Regierung, ſeines Volkes, die Faͤhig-
keiten beider, und alles das wieder von unſerer Seite;
wir muͤſſen die politiſchen Verbindungen anderer Staaten
und die Wirkungen, welche der Krieg darin hervorbringen
kann, in Betrachtung ziehen. Daß das Abwaͤgen dieſer
mannichfachen und mannichfach durcheinandergreifenden Ge-
genſtaͤnde eine große Aufgabe, daß es ein wahrer Lichtblick
des Genies iſt, hierin ſchnell das Rechte herauszufinden,
waͤhrend es ganz unmoͤglich ſein wuͤrde, durch eine bloße
ſchulgerechte Überlegung der Mannichfaltigkeit Herr zu
werden: iſt leicht zu begreifen.
In dieſem Sinne hat Bonaparte ganz richtig geſagt:
es wuͤrde eine algebraiſche Aufgabe werden, vor der ſelbſt
ein Newton zuruͤckſchrecken koͤnnte.
Erſchweren die Mannichfaltigkeit und Groͤße der Ver-
haͤltniſſe und die Unſicherheit des rechten Maaßes das
guͤnſtige Reſultat in hohem Grade, ſo muͤſſen wir nicht
uͤberſehen, daß die ungeheure vergleichungsloſe Wichtig-
keit der Sache, wenn auch nicht die Verwickelung und
Schwierigkeit der Aufgabe, doch das Verdienſt der Loͤſung
ſteigert. Die Freiheit und Thaͤtigkeit des Geiſtes wird im
gewoͤhnlichen Menſchen durch die Gefahr und Verantwort-
lichkeit nicht erhoͤhet, ſondern heruntergedruͤckt; wo aber
dieſe Dinge das Urtheil befluͤgeln und kraͤftigen, da duͤrfen
wir nicht an ſeltener Seelengroͤße zweifeln.
Wir muͤſſen alſo zuvoͤrderſt einraͤumen, daß das Ur-
theil uͤber einen bevorſtehenden Krieg, uͤber das Ziel welches
er haben darf, uͤber die Mittel welche noͤthig ſind, nur
aus dem Geſammtuͤberblick aller Verhaͤltniſſe entſtehen
kann, in welchem alſo die individuellſten Zuͤge des Augen-
blicks mitverflochten ſind, und daß dieſes Urtheil, wie
jedes im kriegeriſchen Leben, niemals rein objektiv ſein
[105] kann, ſondern nach den Geiſtes- und Gemuͤthseigenſchaften
der Fuͤrſten, Staatsmaͤnner, Feldherren beſtimmt wird,
ſei es daß ſie in einer Perſon vereinigt ſind oder nicht.
Allgemein und einer abſtrakten Behandlung faͤhiger wird
der Gegenſtand ſchon dann, wenn wir auf die allgemeinen
Verhaͤltniſſe der Staaten ſehen, die ſie von ihrer Zeit und
den Umſtaͤnden erhalten haben. Wir muͤſſen uns hier
einen fluͤchtigen Blick auf die Geſchichte erlauben.
Halbgebildete Tartaren, Republiken der alten Welt,
Lehnsherren und Handelsſtaͤdte des Mittelalters, Koͤnige
des achtzehnten Jahrhunderts, endlich Fuͤrſten und Voͤlker
des neunzehnten Jahrhunderts: alle fuͤhren den Krieg auf
ihre Weiſe, fuͤhren ihn anders, mit andern Mitteln und
nach einem andern Ziel.
Die Tartarenſchwaͤrme ſuchen neue Wohnſitze. Sie
ziehen mit dem ganzen Volke aus, mit Weib und Kind,
ſie ſind alſo zahlreich, wie verhaͤltnißmaͤßig kein anderes
Heer, und ihr Ziel iſt Unterwerfung oder Vertreibung des
Gegners. Sie wuͤrden mit dieſen Mitteln bald Alles vor
ſich niederwerfen, ließe ſich damit ein hoher Kulturzuſtand
vereinigen.
Die alten Republiken, mit Ausnahme Roms, ſind
von geringem Umfange; noch geringer iſt der Umfang
ihres Heeres, denn ſie ſchließen die große Maſſe, den Poͤ-
bel, aus; ſie ſind zu zahlreich und zu nahe bei einander um
nicht in dem natuͤrlichen Gleichgewicht, in welches ſich
nach einem ganz allgemeinen Naturgeſetz kleine abgeſonderte
Theile immer ſetzen, Hinderniß zu großen Unternehmungen
zu finden; daher beſchraͤnken ſich ihre Kriege auf Ver-
heerungen des flachen Landes und Einnahme einzelner
Staͤdte, um in dieſen ſich fuͤr die Folge einen maͤßigen
Einfluß zu ſichern.
[106]
Nur Rom macht davon eine Ausnahme, doch erſt
in ſeinen ſpaͤteren Zeiten. Lange kaͤmpfte es mit kleinen
Schaaren um Beute und um Buͤndniß mit ſeinen Nach-
barn den gewoͤhnlichen Kampf. Es wird groß, mehr
durch die Buͤndniſſe die es ſchließt und in welchen ſich
die benachbarten Voͤlker nach und nach mit ihm zu einem
Ganzen verſchmelzen, als durch wahre Unterwerfungen.
Nur erſt, nachdem es ſich auf dieſe Weiſe in ganz Unter-
italien ausgebreitet hat, faͤngt es an wirklich erobernd vor-
zuſchreiten. Carthago faͤllt, Spanien und Gallien werden
erobert, Griechenland unterworfen, und in Aſien und
Ägypten ſeine Herrſchaft ausgebreitet. In dieſer Zeit ſind
ſeine Streitkraͤfte ungeheuer, ohne daß ſeine Anſtrengungen
es waͤren; ſie werden mit ſeinen Reichthuͤmern beſtritten;
es gleicht nicht mehr den alten Republiken und nicht mehr
ſich ſelbſt. Es ſteht einzig da.
Eben ſo einzig in ihrer Art ſind die Kriege Alexan-
ders. Mit einem kleinen, aber durch ſeine innere Voll-
kommenheit ausgezeichneten Heere wirft er die morſchen
Gebaͤude der aſiatiſchen Staaten nieder. Ohne Raſt und
ruͤckſichtslos durchzieht er das weite Aſien und dringt bis
Indien vor. Republiken konnten das nicht; das konnte
ſo ſchnell nur ein Koͤnig vollbringen, der gewiſſermaßen
ſein eigener Condottiero war.
Die großen und kleinen Monarchien des Mittelalters
fuͤhrten ihre Kriege mit Lehnsheeren. Da war Alles auf
eine kurze Zeit beſchraͤnkt; was in der nicht ausgerichtet
werden konnte, mußte als unausfuͤhrbar angeſehen werden.
Das Lehnsheer ſelbſt beſtand aus einer Einſchachtelung von
Vaſallenthum; das Band welches daſſelbe zuſammenhielt
war halb geſetzliche Pflicht, halb freiwilliges Buͤndniß,
das Ganze eine wahre Confoͤderation. Bewaffnung und
[107] Taktik waren auf das Fauſtrecht, auf den Kampf des
Einzelnen gegruͤndet, alſo fuͤr eine groͤßere Maſſe wenig
geſchickt. Überhaupt hat es nie eine Zeit gegeben wo der
Staatsverband ſo locker und der einzelne Staatsbuͤrger ſo
ſelbſtſtaͤndig war. Dies Alles bedingte die Kriege dieſer
Zeit auf die beſtimmteſte Art. Sie wurden verhaͤltniß-
maͤßig raſch gefuͤhrt, muͤßiges im Felde Liegen kam wenig
vor, aber der Zweck beſtand meiſtens nur in Zuͤchtigung,
nicht in Niederwerfung des Feindes; man trieb ſeine Heerden
weg, verbrannte ſeine Burgen und zog wieder nach Haus.
Die großen Handelsſtaͤdte und kleinen Republiken
brachten die Condottieri auf. Das war eine koſtbare,
mithin dem aͤußeren Umfange nach ſehr beſchraͤnkte Kriegs-
macht. Noch geringer war ſie ihrer intenſiven Kraft
nach zu ſchaͤtzen; von hoͤchſter Energie und Anſtrengung
konnte da ſo wenig die Rede ſein, daß es meiſt nur eine
Spiegelfechterei wurde. Mit einem Wort: Haß und Feind-
ſchaft regten den Staat nicht mehr zu perſoͤnlicher Thaͤ-
tigkeit an, [ſondern] wurden ein Gegenſtand ſeines Handels;
der Krieg verlor einen großen Theil ſeiner Gefahr, veraͤn-
derte durchaus ſeine Natur, und Nichts was man aus dieſer
Natur fuͤr ihn beſtimmen kann paßte auf denſelben.
Das Lehnsſyſtem zog ſich nach und nach zu einer
beſtimmten Territorialherrſchaft zuſammen, der Staatsver-
band wurde enger, die perſoͤnlichen Verpflichtungen ver-
wandelten ſich in ſaͤchliche, das Geld trat nach und nach
an die Stelle der meiſten, und aus den Lehnsheeren wur-
den Soͤldner. Die Condottieri machten den Übergang
dazu und waren daher eine Zeitlang auch das Inſtru-
ment der groͤßeren Staaten; es dauerte aber nicht lange,
ſo wurde aus dem auf kurze Zeit gemietheten Soldaten
ein ſtehender Soͤldner, und die Kriegsmacht der Staa-
[108] ten war nun auf das auf den Staatsſchatz gegruͤndete
ſtehende Heer gekommen.
Daß das langſame Fortſchreiten zu dieſem Ziel ein
mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von
Kriegsmacht verurſachte, iſt natuͤrlich. Unter Heinrich IV.
finden wir Lehnsleute, Condottieri und ſtehendes Heer bei-
ſammen. Die Condottieri haben ſich bis in den 30jaͤh-
rigen Krieg, ja mit einzelnen ſchwaͤcheren Spuren bis ins
achtzehnte Jahrhundert hineingezogen.
Eben ſo eigenthuͤmlich wie die Kriegsmacht dieſer
verſchiedenen Zeiten war, waren es auch die uͤbrigen Ver-
haͤltniſſe der Staaten in Europa. Im Grunde war dieſer
Welttheil in eine Maſſe von kleinen Staaten zerfallen,
die theils in ſich unruhige Republiken, theils kleine in
ihrer Regierungsgewalt hoͤchſt beſchraͤnkte und unſichere
Monarchien waren. Ein ſolcher Staat war gar nicht als
eine wahre Einheit zu betrachten, ſondern als ein Agglo-
merat von lockerverbundenen Kraͤften. Einen ſolchen Staat
darf man ſich alſo auch nicht wie eine Intelligenz denken
die nach einfachen logiſchen Geſetzen handelt.
Von dieſem Geſichtspunkt aus muß man die aͤußere
Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man
denke nur an die beſtaͤndigen Zuͤge der deutſchen Kaiſer
nach Italien waͤhrend eines halben Jahrtauſends, ohne
daß je eine gruͤndliche Eroberung dieſes Landes daraus
folgte, oder auch nur die Abſicht war. Es iſt leicht, dies
als einen ſich immer erneuernden Fehler, als eine in der
Zeit gegruͤndete falſche Anſicht zu betrachten, aber es iſt
vernuͤnftiger es als eine Folge von hundert großen Urſachen
anzuſehn in die wir uns allenfalls hinein denken koͤnnen, die
wir aber darum doch nicht mit der Lebendigkeit ergreifen wie
der mit ihnen im Konflikt begriffene Handelnde. So
[109] lange die großen Staaten, welche aus dieſem Chaos her-
vorgegangen ſind, Zeit gebraucht haben ſich zuſammenzufuͤ-
gen und auszubilden, geht ihre Kraft und Anſtrengung
hauptſaͤchlich nur darauf hinaus; es giebt der Kriege
gegen einen aͤußern Feind weniger und die es giebt tragen
das Gepraͤge des unreifen Staatsverbandes.
Die Kriege der Englaͤnder gegen Frankreich treten
am fruͤheſten hervor, und doch iſt Frankreich damals noch
nicht als eine wahre Monarchie zu betrachten, ſondern als
ein Agglomerat von Herzogthuͤmern und Grafſchaften;
England, obgleich es dabei mehr als Einheit erſcheint, ficht
doch mit Lehnsheeren und unter vielen inneren Unruhen.
Unter Ludwig XI. thut Frankreich den ſtaͤrkſten Schritt
zn ſeiner inneren Einheit, unter Karl VIII. erſcheint es
als erobernde Macht in Italien, und unter Ludwig XIV.
hat es ſeinen Staat und ſein ſtehendes Heer auf den
hoͤchſten Grad ausgebildet.
Spanien faͤngt ſeine Einheit unter Ferdinand dem
Katholiſchen an, durch zufaͤllige Heirathsverbindungen entſteht
ploͤtzlich unter Karl V. die große ſpaniſche Monarchie aus
Spanien, Burgund, Deutſchland und Italien zuſammen-
geſetzt. Was dieſem Koloß an Einheit und innerem
Staatsverbande fehlt, erſetzt er durch Geld, und die ſte-
hende Kriegsmacht deſſelben geraͤth zuerſt mit der ſte-
henden Kriegsmacht Frankreichs in Beruͤhrung. Der große
ſpaniſche Koloß zerfaͤllt nach Karls V. Abdankung in zwei
Theile, Spanien und Öſtreich. Dies letztere tritt nun,
durch Boͤhmen und Ungarn verſtaͤrkt, als große Macht
auf und ſchleppt die deutſche Konfoͤderation wie eine Scha-
luppe hinter ſich her.
Das Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts, die Zeit
Ludwigs XIV. laͤßt ſich als den Punkt in der Ge-
[110] ſchichte betrachten, wo die ſtehende Kriegsmacht, wie wir
ſie im achtzehnten Jahrhundert finden, ihre Hoͤhe erreicht
hatte. Dieſe Kriegsmacht war auf Werbung und Geld
begruͤndet. Die Staaten hatten ſich zur vollkommenen
Einheit ausgebildet und die Regierungen, indem ſie die
Leiſtungen ihrer Unterthanen in Geldabgaben verwandelten,
ihre ganze Macht in ihren Geldkaſten konzentrirt. Durch
die ſchnell vorgeſchrittene Kultur und eine ſich immer mehr
ausbildende Verwaltung war dieſe Macht, im Vergleich
mit der fruͤheren, ſehr groß geworden. Frankreich ruͤckte
mit ein Paar Mal hunderttauſend Mann ſtehender Trup-
pen ins Feld, und nach Verhaͤltniß die uͤbrigen Maͤchte.
Auch die uͤbrigen Verhaͤltniſſe der Staaten hatten
ſich anders geſtaltet. Europa war unter ein Dutzend
Koͤnigreiche und ein Paar Republiken vertheilt; es war
denkbar daß zwei davon einen großen Kampf mit einander
kaͤmpften ohne daß zehnmal ſo viel andere davon beruͤhrt
wurden, wie es ehedem geſchehen mußte. Die moͤglichen
Kombinationen der politiſchen Verhaͤltniſſe waren immer
noch ſehr mannigfaltig, aber ſie waren doch zu uͤber-
ſehen und von Zeit zu Zeit nach Wahrſcheinlichkeiten feſt-
zuſtellen.
Die inneren Verhaͤltniſſe hatten ſich faſt uͤberall zu
einer ſchlichten Monarchie vereinfacht, die ſtaͤndiſchen Rechte
und Einwirkungen hatten nach und nach aufgehoͤrt und
das Kabinet war eine vollkommene Einheit, welche den
Staat nach Außen hin vertrat. Es war alſo dahin ge-
kommen, daß ein tuͤchtiges Inſtrument und ein unabhaͤn-
giger Wille dem Kriege eine ſeinem Begriff entſprechende
Geſtalt geben konnte.
Auch traten in dieſer Epoche drei neue Alexander
auf: Guſtav Adolph, Karl XII. und Friedrich der Große,
[111] die es verſuchten aus kleinen Staaten, vermittelſt eines
maͤßigen und ſehr vervollkommneten Heeres, große Monar-
chien zu ſtiften und Alles vor ſich niederwerfen. Haͤtten
ſie es nur mit aſiatiſchen Reichen zu thun gehabt, ſo wuͤr-
den ſie in ihrer Rolle dem Alexander aͤhnlicher geworden
ſein. In jedem Fall kann man ſie, in Ruͤckſicht auf Das
was man im Kriege wagen duͤrfte, als die Vorlaͤufer
Bonapartes anſehn.
Allein was der Krieg von der einen Seite an Kraft
und Conſequenz gewann, ging ihm auf der anderen Seite
wieder verloren.
Die Heere wurden aus dem Schatz unterhalten, den
der Fuͤrſt halb und halb wie ſeine Privatkaſſe anſah oder
wenigſtens wie einen der Regierung und nicht dem Volke
angehoͤrigen Gegenſtand. Die Verhaͤltniſſe mit den andern
Staaten beruͤhrten, ein Paar Handelsgegenſtaͤnde ausge-
nommen, meiſtens nur das Intereſſe des Schatzes oder
der Regierung und nicht des Volkes; wenigſtens waren
uͤberall die Begriffe ſo geſtellt. Das Kabinet ſah ſich alſo
an wie den Beſitzer und Verwalter großer Guͤter, die es
ſtets zu vermehren trachtete, ohne daß die Gutsunter-
thanen bei dieſer Vermehrung ein ſonderliches Intereſſe
haben konnten. Das Volk alſo, welches bei den Tarta-
renzuͤgen Alles im Kriege iſt, bei den alten Republiken
und im Mittelalter, wenn man den Begriff deſſelben ge-
hoͤrig auf die eigentlichen Staatsbuͤrger beſchraͤnkt, ſehr
Vieles geweſen war, ward bei dieſem Zuſtand des achtzehn-
ten Jahrhunderts unmittelbar Nichts, ſondern hatte bloß
durch ſeine allgemeinen Tugenden oder Fehler noch einen
mittelbaren Einfluß auf den Krieg.
Auf dieſe Weiſe wurde der Krieg, in eben dem Maaße
wie ſich die Regierung vom Volke trennte und ſich als
[112] den Staat anſah, ein bloßes Geſchaͤft der Regierungen,
welches ſie vermittelſt der Thaler in ihrem Koffer und
der muͤßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten
Provinzen zu Stande brachten. Die Folge war, daß die
Mittel, welche ſie aufbieten konnten, ein ziemlich beſtimmtes
Maaß hatten, welches die eine von der andern gegenſeitig
uͤberſehen konnte, und zwar ein Maaß, ſowohl ihrem Um-
fang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die
gefaͤhrlichſte ſeiner Seiten: naͤmlich das Beſtreben zu dem
Äußerſten, und die dunkle Reihe von Moͤglichkeiten die
ſich daran knuͤpft.
Man kannte ungefaͤhr die Geldmittel, den Schatz,
den Kredit ſeines Gegners; man kannte die Groͤße ſeines
Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des
Krieges waren nicht thunlich. Indem man ſo die Grenzen
der feindlichen Kraͤfte uͤberſah, wußte man ſich vor einem
gaͤnzlichen Untergange ziemlich ſicher, und indem man die
Beſchraͤnkung der eigenen fuͤhlte, ſah man ſich auf ein
maͤßiges Ziel zuruͤckgewieſen. Vor dem Äußerſten geſchuͤtzt,
brauchte man nicht mehr das Äußerſte zu wagen. Die
Nothwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte alſo nur
der Muth und Ehrgeiz dazu treiben. Aber dieſe fanden
in den Staatsverhaͤltniſſen ein maͤchtiges Gegengewicht.
Selbſt die koͤniglichen Feldherren mußten behutſam mit
dem Kriegsinſtrumente umgehen. Wenn das Heer zer-
truͤmmert wurde, ſo war kein neues zu beſchaffen, und
außer dem Heere gab es Nichts. Dies heiſchte große
Vorſicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn ſich ein
entſchiedener Vortheil zu ergeben ſchien, machte man Ge-
brauch von der koſtbaren Sache; dieſen herbeizufuͤhren war
eine Kunſt des Feldherrn; ſo lange aber wie er nicht her-
beigefuͤhrt war, ſchwebte man gewiſſermaßen im abſoluten
Nichts,
[113] Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln und alle
Kraͤfte, naͤmlich alle Motive, ſchienen zu ruhen. Das ur-
ſpruͤngliche Motiv des Aggreſſors erſtarb in Vorſicht und
Bedenklichkeit.
So wurde der Krieg, ſeinem Weſen nach, ein wirk-
liches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten miſchten;
ſeiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas ver-
ſtaͤrkte Diplomatie, eine kraͤftigere Art zu unterhandeln,
in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten
waren. Sich in einen maͤßigen Vortheil zu ſetzen, um
beim Friedensſchluß davon Gebrauch zu machen, war das
Ziel auch des Ehrgeizigſten.
Dieſe beſchraͤnkte, zuſammengeſchrumpfte Geſtalt des
Krieges ruͤhrte, wie wir geſagt haben, von der ſchmalen
Unterlage her, worauf er ſich ſtuͤtzte. Daß aber ausge-
zeichnete Feldherren und Koͤnige wie Guſtav Adolph,
Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenſo aus-
gezeichneten Heeren nicht ſtaͤrker aus der Maſſe der
Totalerſcheinungen hervortreten konnten, daß auch ſie ſich
gefallen laſſen mußten, in dem allgemeinen Niveau des
mittelmaͤßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politiſchen
Gleichgewicht Europas. Was fruͤher bei der Menge
kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natuͤrliche In-
tereſſe, die Naͤhe, die Beruͤhrung, die verwandtſchaftliche
Verbindung, die perſoͤnliche Bekanntſchaft gethan hatte,
um den einzelnen zu verhindern ſchnell groß zu werden,
das that jetzt, wo die Staaten groͤßer und ihre Centra
weiter von einander entfernt waren, die groͤßere Ausbildung
der Geſchaͤfte. Die politiſchen Intereſſen, Anziehungen und
Abſtoßungen hatten ſich zu einem ſehr verfeinerten Syſtem
ausgebildet, ſo daß kein Kanonenſchuß in Europa geſchehen
konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Theil daran hatten.
III 8
[114]
Ein neuer Alexander mußte ſich alſo neben ſeinem
guten Schwerte auch eine gute Feder halten, und doch
brachte er es mit ſeinen Eroberungen ſelten weit.
Aber auch Ludwig XIV., obgleich er die Abſicht
hatte das europaͤiſche Gleichgewicht umzuſtoßen, und ſich am
Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts ſchon auf dem Punkte
befand, ſich wenig um die allgemeine Feindſchaft zu bekuͤm-
mern, fuͤhrte den Krieg auf die hergebrachte Weiſe, denn
ſeine Kriegsmacht war zwar die des groͤßten und reichſten
Monarchen, aber ihrer Natur nach wie die der andern.
Pluͤnderungen und Verheerungen des feindlichen Ge-
bietes, welche bei den Tartaren, bei den alten Voͤlkern
und ſelbſt im Mittelalter eine ſo große Rolle ſpielen,
waren nicht mehr im Geiſt der Zeit. Man ſah es mit
Recht wie eine unnuͤtze Rohheit an, die leicht vergolten
werden konnte und den feindlichen Unterthanen mehr traf
als die feindliche Regierung, daher wirkungslos blieb und
nur dazu diente die Voͤlker in ihrem Kulturzuſtande ewig
zuruͤckzuhalten. Der Krieg wurde alſo nicht bloß ſeinen
Mitteln, ſondern auch ſeinem Ziele nach immer mehr auf
das Heer ſelbſt beſchraͤnkt. Das Heer mit ſeinen Feſtun-
gen und einigen eingerichteten Stellungen machte einen
Staat im Staate aus, innerhalb deſſen ſich das kriege-
riſche Element langſam verzehrte. Ganz Europa freute
ſich dieſer Richtung und hielt ſie fuͤr eine nothwendige
Folge des fortſchreitenden Geiſtes. Obgleich hierin ein
Irrthum lag, weil das Fortſchreiten des Geiſtes niemals
zu einem Widerſpruch fuͤhren, niemals machen kann daß
aus zweimal zwei fuͤnf wird, wie wir ſchon geſagt haben und
noch in der Folge ſagen muͤſſen: ſo hatte allerdings dieſe
Veraͤnderung eine wohlthaͤtige Wirkung fuͤr die Voͤlker;
nur iſt nicht zu verkennen daß ſie den Krieg auch noch
[115] mehr zu einem bloßen Geſchaͤft der Regierung machte
und dem Intereſſe des Volkes noch mehr entfremdete.
Der Kriegsplan eines Staates beſtand in dieſer Zeit, wenn
er der Angreifende war, meiſtens darin, ſich einer oder der
andern feindlichen Provinz zu bemaͤchtigen; wenn er der
Vertheidigende war, dies zu verhindern; der einzelne
Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Feſtung
zu erobern, oder die Eroberung einer eigenen zu verhin-
dern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war,
wurde ſie geſucht und geliefert. Wer ohne dieſe Unver-
meidlichkeit eine Schlacht aus bloßem innern Siegesdrange
ſuchte, galt fuͤr einen kecken Feldherrn. Gewoͤhnlich ver-
ſtrich der Feldzug uͤber einer Belagerung, oder wenn es
hoch kam, uͤber zwei, und die Winterquartiere, die wie
eine neutrale Nothwendigkeit betrachtet wurden, in welchen
die ſchlechte Verfaſſung des Einen niemals ein Vortheil
des Andern werden konnte, in welchen die gegenſeitigen
Beziehungen Beider faſt gaͤnzlich aufhoͤrten, ich ſage die
Winterquartiere bildeten eine beſtimmte Abgraͤnzung der
Thaͤtigkeit, welche in einem Feldzuge ſtatthaben ſollte.
Waren die Kraͤfte zu ſehr im Gleichgewicht oder war
der Unternehmende von Beiden entſchieden der Schwaͤchere,
ſo kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und
dann drehte ſich die ganze Thaͤtigkeit eines Feldzuges um
Erhaltung gewiſſer Stellungen und Magazine und die
regelmaͤßige Auszehrung gewiſſer Gegenden.
So lange der Krieg allgemein ſo gefuͤhrt wurde und
die natuͤrlichen Beſchraͤnkungen ſeiner Gewalt immer ſo
nahe und ſichtbar waren, fand Niemand darin etwas
Widerſprechendes, ſondern Alles in der ſchoͤnſten Ordnung,
und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing
das Feld der Kriegskunſt zu beſuchen, richtete ſich auf das
8*
[116] Einzelne, ohne ſich viel um Anfang und Ende zu bekuͤm-
mern. So gab es denn Groͤße und Vollkommenheit aller
Art, und ſelbſt Feldmarſchall Daun, der hauptſaͤchlich dazu
beitrug daß Friedrich der Große ſeinen Zweck vollkommen
erreichte und Maria Thereſia den ihrigen vollkommen
verfehlte, mußte als ein großer Feldherr angeſehen werden
koͤnnen. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes
Urtheil hervor, naͤmlich der geſunde Menſchenverſtand,
welcher meinte daß man mit ſeiner Übermacht etwas Po-
ſitives erreichen muͤſſe oder den Krieg mit aller Kunſt
ſchlecht fuͤhre.
So waren die Sachen als die franzoͤſiſche Revolution
ausbrach. Öſtreich und Preußen verſuchten es mit ihrer
diplomatiſchen Kriegskunſt; ſie zeigte ſich bald unzureichend.
Waͤhrend man, nach der gewoͤhnlichen Art die Sachen an-
zuſehen, auf eine ſehr geſchwaͤchte Kriegsmacht ſich Hoff-
nung machte, zeigte ſich im Jahr 1793 eine ſolche von
der man keine Vorſtellung gehabt hatte. Der Krieg war
urploͤtzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und
zwar eines Volkes von 30 Millionen die ſich alle als
Staatsbuͤrger betrachteten. Ohne uns hier auf die naͤheren
Umſtaͤnde einzulaſſen, von welchen dieſe große Erſcheinung
begleitet war, wollen wir nur die Reſultate feſthalten, auf
die es hier ankommt. Mit dieſer Theilnahme des Volkes
an dem Kriege trat, ſtatt eines Kabinets und eines Heeres,
das ganze Volk mit ſeinem natuͤrlichen Gewicht in die
Waagſchale. Nun hatten die Mittel welche angewandt,
die Anſtrengungen welche aufgeboten werden konnten, keine
beſtimmte Grenze mehr; die Energie mit welcher der Krieg
ſelbſt gefuͤhrt werden konnte, hatte kein Gegengewicht
mehr, und folglich war die Gefahr fuͤr den Gegner die
aͤußerſte.
[117]
Wenn der ganze Revolutionskrieg daruͤber hingegangen
iſt, ehe ſich das in ſeiner Staͤrke fuͤhlbar machte und zur
voͤlligen Klarheit wurde, wenn nicht ſchon die Revolutions-
generale unaufhaltſam bis ans letzte Ziel vorgeſchritten
ſind und die europaͤiſchen Monarchien zertruͤmmert haben,
wenn die deutſchen Heere noch hin und wieder Gelegenheit
gehabt haben mit Gluͤck zu widerſtehen und den Sieges-
ſtrom aufzuhalten: ſo lag dies wirklich nur in der tech-
niſchen Unvollkommenheit, womit die Franzoſen zu kaͤmpfen
hatten und die ſich anfangs bei den gemeinen Soldaten,
dann bei den Generalen, dann zur Zeit des Direktoriums
beim Gouvernement ſelbſt zeigte.
Wie in Bonapartes Hand ſich das alles vervoll-
kommnet hatte, ſchritt dieſe auf die ganze Volkskraft
geſtuͤtzte Kriegsmacht zertruͤmmernd durch Europa, mit
einer ſolchen Sicherheit und Zuverlaͤſſigkeit, daß, wo ihr
nur die alte Heeresmacht entgegengeſtellt wurde, auch nicht
einmal ein zweifelhafter Augenblick entſtand. Die Reaction
iſt noch zu rechter Zeit erwacht. In Spanien iſt der
Krieg von ſelbſt zur Volksſache geworden. In Öſtreich
hat die Regierung im Jahre 1809 zuerſt ungewoͤhnliche
Anſtrengungen mit Reſerven und Landwehren gemacht, die
ſich dem Ziele naͤherten und Alles uͤberſtiegen was dieſer
Staat fruͤher als thunlich geglaubt hatte. In Rußland hat
man 1812 das Beiſpiel von Spanien und Öſtreich zum
Muſter genommen; die ungeheuern Dimenſionen dieſes
Reichs erlaubten den verſpaͤteten Anſtalten noch in Wirk-
ſamkeit zu treten und vergroͤßerten dieſe Wirkſamkeit von
der andern Seite. Der Erfolg war glaͤnzend. In Deutſch-
land raffte ſich Preußen zuerſt auf, machte den Krieg zur
Volksſache und trat mit Kraͤften auf, die, bei halb ſo viel
Einwohnern, gar keinem Gelde und Kredit doppelt ſo
[118] groß waren als die von 1806. Das uͤbrige Deutſchland
folgte fruͤher oder ſpaͤter dem Beiſpiele Preußens, und
Öſtreich, obgleich weniger ſich anſtrengend als im Jahr
1809, trat doch auch mit ungewoͤhnlicher Kraft auf. So
geſchah es daß Deutſchland und Rußland in den Jahren
1813 und 1814, Alles mitgerechnet was in Thaͤtigkeit
war und was in dieſen beiden Feldzuͤgen verbraucht wurde,
mit etwa einer Million Menſchen gegen Frankreich auftraten.
Unter dieſen Umſtaͤnden war auch die Energie der
Kriegfuͤhrung eine andere, und wenn ſie die franzoͤſiſche
nur theilweiſe erreichte und auf andern Punkten die Zag-
haftigkeit vorwaltete, ſo war doch der Gang der Feldzuͤge
im Allgemeinen nicht im alten ſondern im neuen Stil.
In acht Monaten wurde das Kriegstheater von der Oder
an die Seine verſetzt, das ſtolze Paris mußte zum erſten
Mal ſein Haupt beugen und der furchtbare Bonaparte lag
gefeſſelt am Boden.
Seit Bonaparte alſo hat der Krieg, indem er zuerſt
auf der einen Seite, dann auch auf der andern wieder Sache
des ganzen Volkes wurde, eine ganz andere Natur ange-
nommen, oder vielmehr er hat ſich ſeiner wahren Natur,
ſeiner abſoluten Vollkommenheit ſehr genaͤhert. Die Mittel
welche aufgeboten worden ſind, hatten keine ſichtbare Grenze,
ſondern dieſe verlor ſich in der Energie und dem Enthu-
ſiasmus der Regierungen und ihrer Unterthanen. Die
Energie der Kriegfuͤhrung war durch den Umfang der
Mittel und das weite Feld moͤglichen Erfolgs, ſo wie
durch die ſtarke Anregung der Gemuͤther ungemein erhoͤht
worden, das Ziel des kriegeriſchen Aktes war Niederwer-
fung des Gegners; nur dann erſt, wenn er ohnmaͤchtig zu
Boden liege, glaubte man innehalten und ſich uͤber die
gegenſeitigen Zwecke verſtaͤndigen zu koͤnnen.
[119]
So war alſo das kriegeriſche Element, von allen kon-
ventionellen Schranken befreit, mit ſeiner ganzen natuͤrlichen
Kraft losgebrochen. Die Urſache war die Theilnahme
welche den Voͤlkern an dieſer großen Staatsangelegenheit
wurde; und dieſe Theilnahme entſprang theils aus den
Verhaͤltniſſen welche die franzoͤſiſche Revolution in dem
Innern der Laͤnder herbeigefuͤhrt hatte, theils aus der
Gefahr womit alle Voͤlker von dem franzoͤſiſchen bedroht
waren.
Ob es nun immer ſo bleiben wird, ob alle kuͤnftigen
Kriege in Europa immer mit dem ganzen Gewicht der
Staaten und folglich nur um große, den Voͤlkern nahe
liegende Intereſſen gefuͤhrt ſein werden oder ob nach
und nach wieder eine Abſonderung der Regierung von dem
Volke eintreten wird, duͤrfte ſchwer zu entſcheiden ſein
und am wenigſten wollen wir uns eine ſolche Entſcheidung
anmaßen. Aber man wird uns Recht geben wenn wir
ſagen daß Schranken, die gewiſſermaßen nur in der Be-
wußtloſigkeit deſſen was moͤglich ſei lagen, wenn ſie einmal
eingeriſſen ſind, ſich nicht leicht wieder aufbauen laſſen, und
daß, wenigſtens jedesmal ſo oft ein großes Intereſſe zur
Sprache kommt, die gegenſeitige Feindſchaft ſich auf die
Art erledigen wird wie es in unſern Tagen geſchehen iſt.
Wir ſchließen hier unſern geſchichtlichen Überblick,
den wir nicht angeſtellt haben um fuͤr jede Zeit in der
Geſchwindigkeit ein Paar Grundſaͤtze der Kriegfuͤhrung
anzugeben, ſondern nur um zu zeigen wie jede Zeit ihre
eigenen Kriege, ihre eigenen beſchraͤnkenden Bedingungen,
ihre eigene Befangenheit hatte. Jede wuͤrde alſo auch
ihre eigene Kriegstheorie behalten, ſelbſt wenn man uͤberall,
fruͤh und ſpaͤt, aufgelegt geweſen waͤre ſie nach philoſophi-
ſchen Grundſaͤtzen zu bearbeiten. Die Begebenheiten jeder Zeit
[120] muͤſſen alſo mit Ruͤckſicht auf ihre Eigenthuͤmlichkeiten
beurtheilt werden, und nur der, welcher nicht ſowohl durch
ein aͤngſtliches Studium aller kleinen Verhaͤltniſſe als durch
einen treffenden Blick auf die großen, ſich in jede Zeit
verſetzt, iſt im Stande die Feldherrn derſelben zu verſtehen
und zu wuͤrdigen.
Aber dieſe nach den eigenthuͤmlichen Verhaͤltniſſen der
Staaten und der Kriegsmacht bedingte Kriegfuͤhrung
muß doch etwas noch Allgemeineres oder vielmehr etwas
ganz Allgemeines in ſich tragen, mit welchem vor Allem
die Theorie es zu thun haben wird.
Die letzte Zeit, wo der Krieg ſeine abſolute Gewalt
erreicht hatte, hat des allgemein Guͤltigen und Nothwen-
digen am meiſten. Aber es iſt eben ſo unwahrſcheinlich
daß die Kriege fortan alle dieſen großartigen Charakter
haben werden, als daß ſich je die weiten Schranken, welche
ihnen geoͤffnet worden ſind, ganz wieder ſchließen koͤnnen.
Man wuͤrde alſo mit einer Theorie, die nur in dieſem ab-
ſoluten Kriege verweilte, alle Faͤlle wo fremdartige Ein-
fluͤſſe ſeine Natur veraͤndern entweder ausſchließen oder
als Fehler verdammen. Dies kann nicht der Zweck der
Theorie ſein, die die Lehre eines Krieges, nicht unter idea-
len, ſondern unter wirklichen Verhaͤltniſſen ſein ſoll. Die
Theorie wird alſo, indem ſie ihren pruͤfenden, ſcheidenden
und ordnenden Blick auf die Gegenſtaͤnde wirft, immer
die Verſchiedenartigkeit der Verhaͤltniſſe im Auge haben,
von welchen der Krieg ausgehn kann, und ſie wird alſo
die großen Lineamente deſſelben ſo angeben daß das Be-
duͤrfniß der Zeit und des Augenblicks darin ſeinen Platz finde.
Hiernach muͤſſen wir ſagen daß das Ziel welches ſich
der Kriegsunternehmer ſetzt, die Mittel welche er aufbietet,
ſich nach den ganz individuellen Zuͤgen ſeiner Lage richten,
[121] daß ſie aber eben den Charakter der Zeit und der allge-
meinen Verhaͤltniſſe an ſich tragen werden, endlich daß ſie
den allgemeinen Folgerungen welche aus der
Natur des Krieges gezogen werden muͤſſen, un-
terworfen bleiben.
Viertes Kapitel.
Naͤhere Beſtimmungen des kriegeriſchen Ziels.
Niederwerfung des Feindes.
Das Ziel des Krieges ſollte nach ſeinem Begriff
ſtets die Niederwerfung des Gegners ſein; dies iſt die
Grundvorſtellung von der wir ausgehen.
Was iſt nun dieſe Niederwerfung? Nicht immer
iſt die ganze Eroberung des feindlichen Staates dazu noͤ-
thig. Waͤre man im Jahre 1792 nach Paris gekommen,
ſo war, nach aller menſchlichen Wahrſcheinlichkeit, der Krieg
mit der Revolutionsparthei vor der Hand geendigt; es
war nicht einmal noͤthig ihre Heere vorher zu ſchlagen,
denn dieſe Heere waren noch nicht als einzige Potenz zu
betrachten. Im Jahre 1814 hingegen wuͤrde man auch
mit Paris nicht Alles erreicht haben, ſobald Bonaparte
noch an der Spitze eines betraͤchtlichen Heeres geblieben
waͤre; da aber ſein Heer groͤßtentheils aufgerieben war,
ſo entſchied auch in den Jahren 1814 und 1815 die Ein-
nahme von Paris Alles. Haͤtte Bonaparte im Jahre 1812
das ruſſiſche Heer von 120,000 Mann, welches auf der
Straße von Caluga ſtand, vor oder nach der Einnahme
von Moskau gehoͤrig zertruͤmmern koͤnnen, wie er 1805
das oͤſtreichiſche und 1806 das preußiſche Heer zertruͤmmert
[122] hat, ſo wuͤrde der Beſitz jener Hauptſtadt hoͤchſt wahr-
ſcheinlich den Frieden herbei gefuͤhrt haben, obgleich noch
ein ungeheurer Landſtrich zu erwerben blieb. Im Jahre
1805 entſchied die Schlacht von Auſterlitz; es war alſo
der Beſitz von Wien und zwei Dritteln der oͤſtreichiſchen
Staaten nicht hinreichend den Frieden zu gewinnen; von
der andern Seite aber war auch nach jener Schlacht die
Integritaͤt von ganz Ungarn nicht hinreichend ihn zu verhin-
dern. Die Niederlage des ruſſiſchen Heeres war der letzte
Stoß der erforderlich war; der Kaiſer Alexander hatte
kein anderes in der Naͤhe und ſo war der Friede eine
unzweifelhafte Folge des Sieges. Haͤtte ſich die ruſſiſche
Armee ſchon an der Donau bei den Öſtreichern befunden
und die Niederlage derſelben getheilt, ſo waͤre wahrſchein-
lich die Eroberung Wiens gar nicht erforderlich geweſen
und der Friede ſchon in Linz geſchloſſen.
In andern Faͤllen reicht die vollſtaͤndige Eroberung
des Staates nicht hin, wie im Jahr 1807 in Preußen,
wo der Stoß gegen die ruſſiſche Huͤlfsmacht in dem
zweifelhaften Siege von Eilau nicht entſchieden genug
geweſen war, und der unzweifelhafte Sieg bei Friedland
werden mußte was der Sieg bei Auſterlitz ein Jahr vorher
geweſen war.
Wir ſehen, auch hier laͤßt ſich der Erfolg nicht aus
allgemeinen Urſachen beſtimmen; die individuellen, die kein
Menſch uͤberſieht der nicht zur Stelle iſt, und viele mora-
liſche, die nie zur Sprache kommen, ſelbſt die kleinſten
Zuͤge und Zufaͤlle, die ſich in der Geſchichte nur als Anek-
doten zeigen, ſind oft entſcheidend. Was ſich die Theorie
hier ſagen kann iſt Folgendes: Es kommt darauf an die
vorherrſchenden Verhaͤltniſſe beider Staaten im Auge zu
haben. Aus ihnen wird ſich ein gewiſſer Schwerpunkt,
[123] ein Centrum der Kraft und Bewegung bilden, von wel-
chem das Ganze abhaͤngt, und auf dieſen Schwerpunkt
des Gegners muß der geſammelte Stoß aller Kraͤfte ge-
richtet ſein.
Das Kleine haͤngt ſtets vom Großen ab, das Un-
wichtige von dem Wichtigen, das Zufaͤllige von dem We-
ſentlichen. Dies muß unſern Blick leiten.
Alexander, Guſtav Adolph, Karl XII., Friedrich der
Große hatten ihren Schwerpunkt in ihrem Heer, waͤre
dies zertruͤmmert worden, ſo wuͤrden ſie ihre Rolle ſchlecht
ausgeſpielt haben; bei Staaten, die durch innere Partheiun-
gen zerriſſen ſind, liegt er meiſtens in der Hauptſtadt; bei
kleinen Staaten, die ſich an maͤchtige ſtuͤtzen, liegt er im
Heer dieſer Bundesgenoſſen; bei Buͤndniſſen liegt er in
der Einheit des Intereſſes; bei Volksbewaffnung in der
Perſon der Hauptfuͤhrer und in der oͤffentlichen Mei-
nung. Gegen dieſe Dinge muß der Stoß gerichtet ſein.
Hat der Gegner dadurch das Gleichgewicht verloren, ſo
muß ihm keine Zeit gelaſſen werden es wieder zu gewinnen;
der Stoß muß immer in dieſer Richtung fortgeſetzt wer-
den, oder mit andern Worten, der Sieger muß ihn immer
ganz und das Ganze nicht gegen einen Theil des Gegners
richten. Nicht indem man mit gemuͤthlicher Ruhe und
Übermacht eine feindliche Provinz erobert und den mehr
geſicherten Beſitz dieſer kleinen Eroberung großen Erfolgen
vorzieht, ſondern indem man den Kern der feindlichen
Macht immer wieder aufſucht, das Ganze daran ſetzt um
das Ganze zu gewinnen, wird man den Gegner wirklich
zu Boden werfen.
Was aber auch das Hauptverhaͤltniß des Gegners
ſein mag, wogegen unſere Wirkſamkeit zu richten iſt, ſo
bleibt doch die Beſiegung und Zerſtoͤrung ſeiner Streitkraft
[124] der ſicherſte Anfang und in allen Faͤllen ein ſehr weſent-
liches Stuͤck.
Wir glauben daher daß nach der Maſſe der Erfah-
rungen folgende Umſtaͤnde die Niederwerfung des Gegners
hauptſaͤchlich ausmachen:
- 1. Zertruͤmmerung ſeines Heeres, wenn es einigermaßen
eine Potenz bildet. - 2. Einnahme der feindlichen Hauptſtadt, wenn ſie nicht
bloß der Mittelpunkt der Staatsgewalten, ſondern
auch der Sitz politiſcher Koͤrper und Partheiun-
gen iſt. - 3. Ein wirkſamer Stoß gegen den hauptſaͤchlichſten
Bundesgenoſſen, wenn dieſer an ſich bedeutender iſt
als der Gegner.
Wir haben uns bis jetzt den Gegner im Kriege
immer als Einheit gedacht, welches fuͤr die allgemeinſten
Beziehungen zulaͤſſig war. Aber nachdem wir geſagt haben
daß die Niederwerfung des Gegners in der Überwindung
ſeines im Schwerpunkt vereinigten Widerſtandes liegt,
muͤſſen wir dieſe Vorausſetzung verlaſſen und den Fall
unterſcheiden wo wir es mit mehr als einem Gegner zu
thun haben.
Wenn ſich zwei oder mehrere Staaten gegen einen
dritten verbinden, ſo bildet das, politiſch genommen, nur
einen Krieg; indeſſen hat auch dieſe politiſche Einheit ihre
Grade.
Die Frage iſt: ob jeder Staat ein ſelbſtſtaͤndiges
Intereſſe und eine ſelbſtſtaͤndige Kraft daſſelbe zu verfolgen
beſitzt, oder ob ſich die Intereſſen und die Kraͤfte der
uͤbrigen nur an das Intereſſe und die Kraft des einen
unter ihnen anlehnen. Je mehr dies Letztere der Fall iſt,
um ſo leichter laſſen ſich die verſchiedenen Gegner fuͤr uns
[125] als ein einziger betrachten, um ſo eher koͤnnen wir unſere
Hauptunternehmung zu einem Hauptſtoß vereinfachen; und
ſo lange dies irgend moͤglich iſt, bleibt es das durchgrei-
fendſte Mittel zum Erfolg.
Wir wuͤrden alſo den Grundſatz aufſtellen, daß, ſo
lange wir im Stande ſind die uͤbrigen Gegner in einem
zu beſiegen, die Niederwerfung dieſes einen das Ziel des
Krieges ſein muß, weil wir in dieſem einen den gemein-
ſchaftlichen Schwerpunkt des ganzen Krieges treffen.
Es giebt ſehr wenig Faͤlle wo dieſe Vorſtellungsart
nicht zulaͤſſig, wo dieſe Reduction mehrerer Schwerpunkte
auf einen ohne Realitaͤt waͤre. Wo dies aber nicht iſt,
bleibt freilich Nichts uͤbrig als den Krieg wie zwei oder
mehrere zu betrachten, wovon jeder ſein eigenes Ziel hat.
Da dieſer Fall die Selbſtſtaͤndigkeit mehrerer Feinde, folg-
lich die große Überlegenheit aller vorausſetzt, ſo wird darin
von Niederwerfung des Gegners uͤberhaupt nicht die Rede
ſein koͤnnen.
Wir wenden uns nun beſtimmter zu der Frage, wann
ein ſolches Ziel moͤglich und rathſam iſt.
Zuerſt muß unſere Streitkraft hinreichend ſein:
- 1. einen entſcheidenden Sieg uͤber die feindliche zu er-
halten; - 2. den Kraftaufwand zu machen welcher noͤthig iſt wenn
wir den Sieg bis auf den Punkt verfolgen wo die
Herſtellung des Gleichgewichts nicht mehr denkbar iſt.
Sodann muͤſſen wir nach unſerer politiſchen Lage ſicher
ſein durch einen ſolchen Erfolg nicht Feinde zu erwecken,
die uns auf der Stelle zwingen koͤnnen von dem erſten
Gegner abzulaſſen.
Frankreich konnte im Jahr 1806 Preußen voͤllig
niederwerfen, wenn es ſich auch dadurch die ganze ruſſiſche
[126] Kriegsmacht auf den Hals zog, denn es war im Stande
ſich in Preußen gegen Rußland zu wehren.
Eben das konnte Frankreich 1808 in Spanien in
Beziehung auf England, aber nicht in Beziehung auf
Öſtreich. Es mußte 1809 ſich in Spanien betraͤchtlich
ſchwaͤchen und wuͤrde es ganz haben aufgeben muͤſſen, wenn
es nicht gegen Öſtreich ſchon eine zu große phyſiſche und
moraliſche Überlegenheit gehabt haͤtte.
Jene drei Inſtanzen muß man ſich alſo wohl uͤber-
legen, um nicht vor der letzten den Prozeß zu verlieren
den man vor den fruͤheren gewonnen hat und dann in
die Koſten verurtheilt zu werden.
Bei dieſer Überlegung der Kraͤfte und deſſen was
damit ausgerichtet werden kann, ſtellt ſich haͤufig der Ge-
danke ein, nach einer dynamiſchen Analogie, die Zeit als
einen Faktor der Kraͤfte anzuſehen und zu meinen: die
halbe Anſtrengung, die halbe Summe von Kraͤften wuͤrde
hinreichen in zwei Jahren Das zu Stande zu bringen was in
einem nur mit dem Ganzen errungen werden konnte. Dieſe
Anſicht, welche, bald klar bald dunkel, den kriegeriſchen
Entwuͤrfen zum Grunde liegt, iſt durchaus falſch.
Der kriegeriſche Akt braucht ſeine Zeit wie jedes
Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß
von Wilna nach Moskau gehen, das verſteht ſich; aber
von einer Wechſelwirkung zwiſchen Zeit und Kraft, wie ſie
in der Dynamik ſtatt findet, iſt hier keine Spur.
Die Zeit iſt beiden Kriegfuͤhrenden noͤthig und es
fraͤgt ſich nur: welcher von beiden wird, ſeiner Stellung
nach, am erſten beſondere Vortheile von ihr zu er-
warten haben; dies aber iſt, die Eigenthuͤmlichkeit des
einen Falles gegen den andern aufgewogen, offenbar der
Unterliegende; freilich nicht nach dynamiſchen, aber nach
[127] pſychologiſchen Geſetzen. Neid, Eiferſucht, Beſorgniß, auch
wohl hin und wieder Edelmuth ſind die natuͤrlichen Fuͤr-
ſprecher des Ungluͤcklichen, ſie werden ihm auf der einen
Seite Freunde erwecken, auf der andern das Buͤndniß
ſeiner Feinde ſchwaͤchen und trennen. Es wird ſich alſo
mit der Zeit eher fuͤr den Eroberten etwas Vortheilhaftes
ergeben als fuͤr den Erobernden. Ferner iſt zu bedenken
daß die Benutzung eines erſten Sieges, wie wir anderswo
gezeigt haben, einen großen Kraftaufwand erfordert; dieſer
will nicht bloß gemacht, er will wie ein großer Hausſtand
unterhalten ſein; nicht immer ſind die Staatskraͤfte, welche
uns den Beſitz feindlicher Provinzen zugefuͤhrt, hinreichend,
dieſe Mehrausgaben auszugleichen, nach und nach wird die
Anſtrengung ſchwieriger, zuletzt kann ſie unzureichend werden,
die Zeit alſo von ſelbſt einen Umſchwung herbeifuͤhren.
Was Bonaparte im Jahr 1812 von Ruſſen und
Polen an Geld und andern Mitteln zog, konnte ihm das
Hunderttauſende von Menſchen verſchaffen, die er haͤtte
nach Moskau ſenden muͤſſen um ſich zu behaupten?
Sind die eroberten Provinzen aber bedeutend genug,
liegen in ihnen Punkte die fuͤr die nicht eroberten weſent-
lich ſind, ſo daß das Übel wie ein Krebsſchaden von ſelbſt
weiter frißt: ſo iſt es freilich moͤglich daß der Erobernde
bei dieſem Zuſtande, wenn auch Nichts weiter geſchieht,
mehr gewinnt als verliert. Wenn nun keine Huͤlfe von
Außen kommt, ſo kann die Zeit das angefangene Werk
vollenden; was noch nicht erobert war, wird vielleicht von
ſelbſt nachfallen. So kann alſo die Zeit auch ein Faktor
ſeiner Kraͤfte werden, aber dies iſt der Fall wo dem Un-
terliegenden kein Ruͤckſtoß mehr moͤglich, wo ein Umſchwung
nicht mehr denkbar war, und wo alſo dieſer Faktor ſeiner
Kraͤfte fuͤr den Eroberer keinen Werth mehr hat; denn
[128] er hat die Hauptſache gethan, die Gefahr der Kulmination
war voruͤber, mit einem Wort, der Gegner war ſchon
niedergeworfen.
Wir haben durch dieſes Raiſonnement klar machen
wollen, daß keine Eroberung ſchnell genug vollendet werden
kann; daß ihre Vertheilung auf einen groͤßeren Zeit-
raum, als abſolut noͤthig um die Handlung zu vollbringen,
ſie nicht erleichtert, ſondern erſchwert. Iſt dieſe
Behauptung richtig, ſo iſt es auch die: daß, wenn man
uͤberhaupt ſtark genug iſt eine gewiſſe Eroberung zu voll-
bringen, man es auch ſein muͤſſe um ſie in einem Zuge
zu machen, ohne Zwiſchenſtation. Daß unbedeutende Ruhe-
punkte, um die Kraͤfte zu ſammeln, um eine und die andere
Maaßregel zu treffen, hier nicht gemeint ſind, verſteht ſich
von ſelbſt.
Mit dieſer Anſicht, die dem Angriffskriege einen
Charakter des raſchen unaufhaltſamen Entſcheidens als
weſentlich beilegt, glauben wir diejenige Meinung in
ihren Quellen umgangen zu haben, die der unverhaltenen
fortſchreitenden Eroberung eine langſame, ſogenannte metho-
diſche als mehr geſichert und vorſichtiger gegenuͤberſtellt.
Aber unſere Behauptung hat vielleicht ſelbſt fuͤr Diejenigen,
die uns willig bis zu ihr gefolgt ſind, hinterher ſo ſehr
das Anſehn einer paradoxen, iſt dem erſten Anſchein ſo
ſehr entgegen, und greift eine Meinung an, die als ein
altes Vorurtheil ſo tief gewurzelt, in Buͤchern tauſendmal
wiederholt worden iſt, daß wir es fuͤr gerathen halten,
die Scheingruͤnde welche uns entgegentreten naͤher zu un-
terſuchen.
Freilich iſt es leichter ein nahes Ziel zu erreichen als
ein entferntes; aber wenn das nahe unſerer Abſicht nicht
entſpricht, ſo folgt noch nicht daß ein Abſchnitt, ein Ruhe-
punkt
[129] punkt uns in den Stand ſetzt, die zweite Haͤlfte des
Weges leichter zu durchlaufen. Ein kleiner Sprung iſt
leichter als ein großer, aber darum wird doch Niemand,
der uͤber einen breiten Graben ſetzen will, zuerſt mit einem
halben Sprung hineinſpringen.
Wenn wir naͤher ins Auge faſſen, was dem Begriff
eines ſogenannten methodiſchen Angriffskrieges zum Grunde
liegt, ſo ſind es gewoͤhnlich folgende Gegenſtaͤnde:
- 1. Eroberung der feindlichen Feſtungen, auf welche
man ſtoͤßt; - 2. Aufhaͤufung noͤthiger Vorraͤthe;
- 3. Befeſtigung wichtiger Punkte, als: Niederlagen,
Bruͤcken, Stellungen u. ſ. w.; - 4. Ausruhen der Kraͤfte im Winter und Erholungs-
quartiere; - 5. Abwarten der Verſtaͤrkungen des folgenden Jahres;
Setzt man zur Erreichung aller dieſer Zwecke einen
foͤrmlichen Abſchnitt im Laufe des Angriffs, einen Ruhe-
punkt in der Bewegung feſt, ſo glaubt man eine neue
Baſis und neue Kraͤfte zu gewinnen, als ruͤckte der eigene
Staat hinter ſeiner Armee her, und als erhielte dieſe mit
jedem neuen Feldzuge eine neue Schwungkraft.
Alle dieſe preislichen Zwecke moͤgen den Angriffskrieg
bequemer machen, aber ſie machen ihn nicht in ſeinen Fol-
gen ſicherer, und ſind meiſtens nur Scheinbenennungen
fuͤr gewiſſe Gegengewichte im Gemuͤthe des Feldherrn oder
in der Unentſchloſſenheit des Kabinets. Wir wollen ſie
vom linken Fluͤgel her aufzurollen ſuchen.
- 1. Das Abwarten neuer Kraͤfte iſt eben ſo gut, und
man kann wohl ſagen, mehr der Fall des Gegners.
Außerdem liegt es in der Natur der Sache daß
ein Staat an Streitkraͤften in einem Jahr ziemlich
III 9
[130] daſſelbe aufſtellen kann, was er in zweien aufſtellt;
denn was ihm in dieſem zweiten Jahre an Staats-
kraͤften wirklich zuwaͤchſt, iſt im Verhaͤltniß zum
Ganzen nur ſehr unbedeutend. - 2. Eben ſo ruht der Gegner ſich mit uns zu gleicher
Zeit aus. - 3. Die Befeſtigung von Staͤdten und Stellungen iſt
nicht das Werk des Heeres, und alſo kein Grund
zum Aufenthalt. - 4. Wie die Heere ſich jetzt verpflegen, ſind Magazine
mehr noͤthig wenn ſie ſtill ſtehen, als wenn ſie im
Vorſchreiten ſind. So lange dies gluͤcklich von
ſtatten geht, kommt man immer in den Beſitz feind-
licher Vorraͤthe, die da aushelfen wo die Gegend
arm iſt. - 5. Die Eroberung der feindlichen Feſtungen kann nicht
als ein Innehalten des Angriffs betrachtet werden,
es iſt ein intenſives Vorſchreiten, und alſo der da-
durch veranlaßte aͤußere Stillſtand nicht eigentlich
der Fall wovon wir ſprechen, nicht ein Aufhalten
und Ermaͤßigen der Kraft. Ob aber die wirkliche
Belagerung oder eine bloße Einſchließung oder gar
eine bloße Beobachtung des Einen oder Andern das
Zweckmaͤßigſte iſt, bleibt eine Frage die erſt nach
den beſonderen Umſtaͤnden entſchieden werden kann.
Nur das koͤnnen wir allgemein ſagen, daß bei der
Beantwortung dieſer Frage lediglich die andere ent-
ſcheiden muß: ob man durch die bloße Einſchließung
und weiteres Vorſchreiten in zu große Gefahr kommen
wuͤrde. Wo das nicht iſt, wo noch Raum zum Aus-
breiten der Kraͤfte iſt, da thut man beſſer, die
foͤrmliche Belagerung bis ans Ende der ganzen An-
[131] griffsbewegung aufzuſparen. Man muß ſich alſo nicht
durch den Gedanken verfuͤhren laſſen, das Eroberte
recht ſchnell in Sicherheit zu bringen, bei Seite zu
legen, und daruͤber Wichtigeres verſaͤumen.
Es hat freilich das Anſehen als ob man beim wei-
tern Vorſchreiten das Errungene gleich wieder aufs Spiel
ſetzte; — —
Wir glauben alſo daß im Angriffskriege kein Ab-
ſchnitt, kein Ruhepunkt, keine Zwiſchenſtation naturgemaͤß
iſt, ſondern daß man ſie, wo ſie unvermeidlich ſind, als
Übel betrachten muß, die den Erfolg nicht gewiſſer ſon-
dern ungewiſſer machen, ja daß, wenn wir uns ſtreng
an die allgemeine Wahrheit halten wollen, es von einem
Stationspunkt aus, den wir aus Schwaͤche haben ſuchen
muͤſſen, in der Regel keinen zweiten Anlauf zum Ziele
giebt, daß, wenn dieſer zweite Anlauf moͤglich iſt, die
Station nicht nothwendig war, und daß, wo ein Ziel fuͤr
die Kraͤfte von Hauſe aus zu weit iſt, es auch immer zu
weit bleiben wird.
Wir ſagen, ſo ſieht die allgemeine Wahrheit aus,
und wollen damit nur die Idee entfernen, als koͤnne die
Zeit an und fuͤr ſich etwas zum Beſten der Angreifenden
thun. Da ſich aber von einem Jahre zum andern die
politiſchen Verhaͤltniſſe aͤndern koͤnnen, ſo werden darum
allein ſchon haͤufig Faͤlle vorkommen, die ſich dieſer allge-
gemeinen Wahrheit entziehen.
Es hat vielleicht das Anſehn als haͤtten wir unſern
allgemeinen Geſichtspunkt verloren und nur den Angriffs-
krieg im Auge gehabt; dies iſt aber gar nicht unſere
Meinung. Freilich wird derjenige, welcher ſich die voͤllige
Niedermachung ſeines Gegners zum Ziel ſetzen kann, nicht
leicht in dem Falle ſein zur Vertheidigung ſeine Zuflucht
9*
[132] zu nehmen, deren naͤchſtes Ziel nur die Erhaltung des
Beſitzes iſt; allein da wir durchaus dabei beharren muͤſſen,
eine Vertheidigung ohne alles poſitive Prinzip in der
Strategie wie in der Taktik fuͤr einen inneren Wider-
ſpruch zu erklaͤren, und alſo immer wieder darauf zuruͤck-
kommen daß jede Vertheidigung nach Kraͤften ſuchen wird
zum Angriff uͤberzugehen, ſobald ſie die Vortheile der
Vertheidigung genoſſen hat: ſo muͤſſen wir unter das Ziel,
welches dieſer Angriff haben kann und welches als das
eigentliche Ziel der Vertheidigung zu betrachten iſt, wie
groß oder wie klein es ſei, doch auch moͤglicher Weiſe die
Niederwerfung des Feindes aufnehmen und ſagen, daß
es Faͤlle geben kann wo der Kriegfuͤhrende, ungeachtet
er ein ſo großes Ziel im Auge hatte, es doch vorzog ſich
anfangs der vertheidigenden Form zu bedienen. Daß dieſe
Vorſtellung nicht ohne Realitaͤt ſei, laͤßt ſich durch den
Feldzug von 1812 leicht beweiſen. Der Kaiſer Alexander
hat vielleicht nicht daran gedacht, durch den Krieg, in
welchen er ſich einließ, ſeinen Gegner ganz zu Grunde
zu richten, wie es nachher geſchehen iſt, aber waͤre ein
ſolcher Gedanke unmoͤglich geweſen? und wuͤrde es nicht
dabei immer ſehr natuͤrlich geblieben ſein daß die Ruſſen
den Krieg vertheidigungsweiſe anfingen?
Fünftes Kapitel.
Fortſetzung. Beſchraͤnktes Ziel
Wir haben im vorigen Kapitel geſagt, wie wir
unter Niederwerfung des Feindes das eigentliche abſolute
Ziel des kriegeriſchen Aktes verſtehen, wenn wir es fuͤr
[133] zulaͤſſig halten; jetzt wollen wir betrachten was uͤbrig bleibt
wenn die Bedingungen der Zulaͤſſigkeit nicht erfuͤllt ſind.
Dieſe Bedingungen ſetzen eine große phyſiſche oder
moraliſche Überlegenheit oder einen großen Unternehmungs-
geiſt, einen Hang zu großen Wagniſſen voraus. Wo nun
dies Alles nicht iſt, kann das Ziel des kriegeriſchen Aktes
nur von zweierlei Art ſein: entweder die Eroberung irgend
eines kleinen oder maͤßigen Theils der feindlichen Laͤnder,
oder das Erhalten des eigenen bis zu beſſeren Augenblicken;
dies Letztere iſt der gewoͤhnliche Fall des Vertheidigungs-
krieges.
Wo das Eine oder das Andere von rechter Art ſei,
daran erinnert uns ſchon der Ausdruck welchen wir bei
dem Letzten gebraucht haben. Das Abwarten bis zu
beſſeren Augenblicken ſetzt voraus daß wir von der
Zukunft dergleichen zu erwarten haben, und es iſt alſo
dieſes Abwarten, d. h. der Vertheidigungskrieg, allemal
durch dieſe Ausſicht motivirt; dagegen iſt allemal der An-
griffskrieg, d. h. die Benutzung des gegenwaͤrtigen Augen-
genblicks da geboten, wo die Zukunft nicht uns ſondern dem
Feinde beſſere Ausſichten gewaͤhrt.
Der dritte Fall, welcher vielleicht der gewoͤhnlichſte iſt,
wuͤrde der ſein wo beide Theile von der Zukunft nichts Be-
ſtimmtes zu erwarten haben, wo alſo aus ihr auch kein Be-
ſtimmungsgrund genommen werden kann. In dieſem Fall
iſt der Angriffskrieg offenbar demjenigen geboten der politiſch
der Angreifende iſt, d. h. der den poſitiven Grund hat; denn
fuͤr dieſen Zweck hat er ſich bewaffnet, und alle Zeit, die ver-
loren geht ohne hinreichendes Motiv, geht ihm verloren.
Wir haben hier aus Gruͤnden fuͤr den Angriffs- oder
Vertheidigungskrieg entſchieden, die mit dem Machtverhaͤlt-
niß weiter nichts zu thun haben, und es koͤnnte doch viel
[134] natuͤrlicher ſcheinen, dies wohl hauptſaͤchlich von dem
Machtverhaͤltniß abhaͤngen zu laſſen; wir glauben aber daß
man gerade dann vom rechten Wege abkommen wuͤrde.
Die logiſche Richtigkeit unſerer ſo einfachen Schlußfolge
wird Niemand beſtreiten, wir wollen nun ſehen ob ſie im
konkreten Falle ad absurdum fuͤhrt.
Denken wir uns einen kleinen Staat der mit ſehr
uͤberlegenen Kraͤften in Conflict gerathen iſt, aber voraus-
ſieht daß ſich ſeine Lage mit jedem Jahre verſchlimmern wird:
muß er nicht, wenn er den Krieg nicht vermeiden kann,
die Zeit benutzen wo ſeine Lage noch weniger ſchlimm iſt?
Er muß alſo angreifen; aber nicht weil der Angriff an
ſich ihm Vortheile gewaͤhrte, er wird vielmehr die Un-
gleichheit der Kraͤfte noch vergroͤßern, ſondern weil er das
Beduͤrfniß hat die Sache entweder ganz zu entledigen ehe
die ſchlimmen Perioden eintreten oder ſich wenigſtens einſt-
weilen Vortheile zu erringen, von denen er nachher zehren
kann. Dieſe Lehre kann nicht abſurd ſcheinen. Waͤre dieſer
kleine Staat ganz ſicher daß die Gegner gegen ihn vor-
ſchreiten werden, dann kann und mag er ſich der Verthei-
digung gegen ſie zu Erringung ſeines erſten Erfolgs be-
dienen, er iſt dann nicht in Gefahr Zeit zu verlieren.
Ferner, denken wir uns einen kleinen Staat mit einem
groͤßeren im Kriege begriffen und die Zukunft ohne allen
Einfluß auf ihre Entſchluͤſſe, ſo muͤſſen wir doch, wenn
der kleine Staat politiſch der Angreifende iſt, von ihm
auch fordern daß er zu ſeinem Ziel vorſchreite.
Hat er die Keckheit gehabt ſich gegen einen maͤchti-
gern den poſitiven Zweck vorzuſetzen, ſo muß er auch han-
deln, d. h. den Gegner angreifen, wenn dieſer ihm nicht
die Muͤhe erſpart. Das Abwarten waͤre eine Abſurditaͤt;
es muͤßte denn ſein daß er ſeinen politiſchen Entſchluß im
[135] Augenblick der Ausfuͤhrung geaͤndert haͤtte, ein Fall der
haͤufig vorkommt und nicht wenig dazu beitraͤgt den Krie-
gen einen unbeſtimmten Charakter zu geben, aus dem der
Philoſoph nicht weiß was er machen ſoll.
Unſere Betrachtung uͤber das beſchraͤnkte Ziel fuͤhrt
uns zu dem Angriffskrieg mit einem ſolchen und zum Ver-
theidigungskrieg; wir wollen beide in beſonderen Kapiteln
betrachten. Vorher aber muͤſſen wir uns noch nach einer
andern Seite hinwenden.
Wir haben die Modifikation des kriegeriſchen Ziels
bis jetzt bloß aus den inneren Gruͤnden abgeleitet. Die
Natur der politiſchen Abſicht haben wir nur in Betracht
gezogen in ſofern ſie etwas Poſitives will oder nicht.
Alles Übrige in der politiſchen Abſicht iſt im Grunde fuͤr
den Krieg ſelbſt etwas Fremdes, allein wir haben im zwei-
ten Kapitel des erſten Buches (Zweck und Mittel im Kriege)
bereits eingeraͤumt daß die Natur des politiſchen Zweckes, die
Groͤße unſerer oder der feindlichen Forderung und unſer
ganzes politiſches Verhaͤltniß faktiſch den entſcheidendſten
Einfluß auf die Kriegfuͤhrung behauptet, und wir wollen
daher im folgenden Kapitel uns damit noch beſonders be-
ſchaͤftigen.
Sechstes Kapitel. A.
Einfluß des politiſchen Zweckes auf das
kriegeriſche Ziel.
Niemals wird man ſehn daß ein Staat der in der
Sache eines andern auftritt dieſe ſo ernſthaft nimmt wie
ſeine eigene. Eine maͤßige Huͤlfsarmee wird vorgeſandt;
[136] iſt ſie nicht gluͤcklich, ſo ſieht man die Sache ziemlich als
abgemacht an und ſucht ſo wohlfeil als moͤglich herauszu-
kommen.
Es iſt in der europaͤiſchen Politik eine hergebrachte
Sache daß die Staaten ſich in Schutz- und Trutzbuͤnd-
niſſen zu gegenſeitigem Beiſtand verpflichten, aber nicht ſo
als wenn die Feindſchaft und das Intereſſe des Einen
dadurch eben das fuͤr den Andern werden ſollte, ſondern
indem ſie ſich einander, ohne Ruͤckſicht auf den Gegenſtand
des Krieges und die Anſtrengungen des Gegners, im Vor-
aus eine beſtimmte, gewoͤhnlich ſehr maͤßige Kriegsmacht
zuſagen. Bei einem ſolchen Akt der Bundesgenoſſenſchaft
betrachtet ſich der Bundesgenoſſe mit dem Gegner nicht
in einem eigentlichen Krieg begriffen, der nothwendig mit
einer Kriegserklaͤrung anfangen und mit einem Friedens-
ſchluß endigen muͤßte. Aber auch dieſer Begriff beſteht
nirgend mit einiger Schaͤrfe und der Gebrauch ſchwankt
hin und her.
Die Sache wuͤrde eine Art von innerem Zuſammen-
hang haben und die Theorie des Krieges weniger in Ver-
legenheit dabei kommen, wenn dieſe zugeſagte Huͤlfe von
10-, 20- oder 30,000 Mann dem im Kriege begriffenen
Staate voͤllig uͤberlaſſen wuͤrde, ſo daß er ſie nach ſeinem
Beduͤrfniß brauchen koͤnnte; alsdann waͤre ſie wie eine
gemiethete Truppe zu betrachten. Allein davon iſt der
Gebrauch weit entfernt. Gewoͤhnlich haben die Huͤlfstrup-
pen ihren eigenen Feldherrn, der nur von ſeinem Hofe
abhaͤngt und dem dieſer ein Ziel ſteckt wie es ſich mit der
Halbheit ſeiner Abſichten am beſten vertraͤgt.
Aber ſelbſt dann, wenn zwei Staaten wirklich krieg-
fuͤhrende gegen einen dritten ſind, heißt es nicht immer:
wir muͤſſen dieſen dritten als unſern Feind anſehn den wir
[137] vernichten muͤſſen damit er uns nicht vernichte, ſondern
die Sache wird oft wie ein Handelsgeſchaͤft abgemacht;
ein jeder legt, nach Verhaͤltniß der Gefahr die er zu be-
ſtehen und der Vortheile die er zu erwarten hat, eine Aktie
von 30- bis 40,000 Mann ein und thut als koͤnne er
Nichts als dieſe dabei verlieren.
Dieſer Geſichtspunkt findet nicht bloß dann ſtatt wenn
ein Staat dem andern in einer Angelegenheit beiſpringt
die ihm ziemlich fremd iſt, ſondern ſelbſt dann wenn
beide ein gemeinſames großes Intereſſe haben, kann es
ohne diplomatiſchen Ruͤckhalt nicht abgehn, und die Unter-
handelnden pflegen ſich nur zu einem geringen traktatenmaͤ-
ßigen Beiſtand zu verſtehen, um das Übrige ihrer kriege-
riſchen Kraͤfte nach den beſonderen Ruͤckſichten zu gebrau-
chen, zu welchen die Politik etwa fuͤhren koͤnnte.
Dieſe Art den Buͤndnißkrieg zu betrachten war ganz
allgemein, und hat nur in der neueſten Zeit, wo die aͤußerſte Ge-
fahr die Gemuͤther in die natuͤrlichen Wege hineintrieb, wie
gegen Bonaparte, und wo ſchrankenloſe Gewalt ſie hinein
zwang, wie mit Bonaparte, der natuͤrlichen weichen muͤſſen.
Sie iſt eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und
Friede ſind im Grunde Begriffe die keiner Gradation
faͤhig ſind; aber ſie iſt nichts deſto weniger kein bloßes
diplomatiſches Herkommen uͤber welches ſich die Vernunft
hinwegſetzen koͤnnte, ſondern tief in der natuͤrlichen Be-
ſchraͤnktheit und Schwaͤche des Menſchen gegruͤndet.
Endlich hat auch im eigenen Kriege die politiſche
Veranlaſſung deſſelben einen maͤchtigen Einfluß auf ſeine
Fuͤhrung.
Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, ſo
begnuͤgen wir uns durch den Krieg nur ein geringes
Äquivalent zu gewinnen, und dazu glauben wir mit maͤßi-
[138] gen Anſtrengungen zu gelangen. Ungefaͤhr eben ſo ſchließt
der Gegner. Findet nun der Eine oder der Andere daß er
ſich in ſeiner Rechnung etwas betrogen hat, daß er dem
Feinde nicht wie er gewollt um Etwas uͤberlegen, ſondern
daß er ſelbſt ſchwaͤcher iſt: ſo fehlt es doch in dem Augen-
blick gewoͤhnlich an Geld und an allen andern Mitteln,
es fehlt an hinreichendem moraliſchen Anſtoß zu groͤßerer
Energie; man behilft ſich alſo wie man kann, hofft von
der Zukunft guͤnſtige Ereigniſſe, wenn man auch gar kein
Recht dazu hat und der Krieg ſchleppt ſich unterdeſſen wie
ein ſiecher Koͤrper kraftlos fort.
So geſchieht es daß die Wechſelwirkung, das Über-
bieten, das Gewaltſame und Unaufhaltſame des Krieges
ſich in der Stagnation ſchwacher Motive verlieren, und
daß beide Partheien ſich in ſehr verkleinerten Kreiſen mit
einer Art Sicherheit bewegen.
Laͤßt man dieſen Einfluß des politiſches Zweckes auf
den Krieg einmal zu, wie man ihn denn zulaſſen muß, ſo
[] giebt es keine Grenze mehr, und man muß ſich gefallen
laſſen auch zu ſolchen Kriegen herunterzuſteigen, die in
bloßer Bedrohung des Gegners und in einem Sub-
ſidium des Unterhandelns beſtehen.
Daß ſich die Theorie des Krieges, wenn ſie eine
philoſophiſche Überlegung ſein und bleiben will, hier in
Verlegenheit befindet, iſt klar, Alles was in dem Begriff
des Krieges Nothwendiges liegt, ſcheint vor ihr zu fliehen
und ſie iſt in Gefahr jedes Stuͤtzpunktes zu entbehren.
Aber es zeigt ſich bald der natuͤrliche Ausweg. Je mehr
in den kriegeriſchen Akt ein ermaͤßigendes Prinzip kommt,
oder vielmehr: je ſchwaͤcher die Motive des Handelns wer-
den, um ſo mehr geht das Handeln in ein Leiden uͤber,
um ſo weniger traͤgt ſich zu, um ſo weniger bedarf es lei-
[139] tender Grundſaͤtze. Die ganze Kriegskunſt verwandelt ſich
in bloße Vorſicht und dieſe wird hauptſaͤchlich darauf ge-
richtet ſein daß das ſchwankende Gleichgewicht nicht ploͤtzlich
zu unſerem Nachtheil umſchlage und der halbe Krieg ſich
in einen ganzen verwandle.
Sechstes Kapitel. B.
Der Krieg iſt ein Inſtrument der Politik.
Nachdem wir uns bis jetzt, bei dem Zwieſpalt in dem
die Natur des Krieges mit anderen Intereſſen des einzel-
nen Menſchen und des geſellſchaftlichen Verbandes ſteht,
bald nach der einen bald nach der andern Seite haben
umſehn muͤſſen, um keins dieſer entgegengeſetzten Elemente
zu vernachlaͤſſigen, ein Zwieſpalt der in dem Menſchen
ſelbſt gegruͤndet iſt und den der philoſophiſche Verſtand
alſo nicht loͤſen kann: wollen wir nun diejenige Einheit
ſuchen, zu welcher ſich im praktiſchen Leben dieſe wider-
ſprechenden Elemente verbinden, indem ſie ſich theilweis
gegenſeitig neutraliſiren. Wir wuͤrden dieſe Einheit
gleich von vorn herein aufgeſtellt haben, wenn es nicht
nothwendig geweſen waͤre eben jene Widerſpruͤche recht
deutlich hervorzuheben und die verſchiedenen Elemente auch
getrennt zu betrachten. Dieſe Einheit nun iſt der Begriff
daß der Krieg nur ein Theil des politiſchen Ver-
kehrs ſei, alſo durch aus nichts Selbſtſtaͤndiges.
Man weiß freilich daß der Krieg nur durch den po-
litiſchen Verkehr der Regierungen und der Voͤlker her-
vorgerufen wird; aber gewoͤhnlich denkt man ſich die Sache ſo,
daß mit ihm jener Verkehr aufhoͤre und ein ganz anderer Zuſtand
eintrete, welcher nur ſeinen eigenen Geſetzen unterworfen ſei.
[140]
Wir behaupten dagegen: der Krieg iſt Nichts als eine
Fortſetzung des politiſchen Verkehrs mit Einmiſchung anderer
Mittel. Wir ſagen mit Einmiſchung anderer Mittel, um
damit zugleich zu behaupten daß dieſer politiſche Verkehr
durch den Krieg ſelbſt nicht aufhoͤrt, nicht in etwas ganz
Anderes verwandelt wird, ſondern daß er in ſeinem Weſen
fortbeſteht, wie auch die Mittel geſtaltet ſein moͤgen deren
er ſich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die
kriegeriſchen Ereigniſſe fortlaufen und gebunden ſind,
nur ſeine Lineamente ſind, die ſich zwiſchen den Krieg
durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie waͤre es
anders denkbar? Hoͤren denn mit den diplomatiſchen
Noten je die politiſchen Verhaͤltniſſe verſchiedener Voͤlker und
Regierungen auf? Iſt nicht der Krieg bloß eine andere Art
von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich
ſeine eigene Grammatik, aber nicht ſeine eigene Logik.
Hiernach kann der Krieg niemals von dem politiſchen
Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung
irgendwo geſchieht, werden gewiſſermaßen alle Faͤden des
Verhaͤltniſſes zerriſſen und es entſteht ein ſinn- und zweck-
loſes Ding.
Dieſe Vorſtellungsart wuͤrde ſelbſt dann unentbehrlich
ſein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene
Element der Feindſchaft waͤre, denn alle die Gegenſtaͤnde,
auf welchen er ruht und die ſeine Hauptrichtungen beſtim-
men: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderſeitige
Bundesgenoſſen, gegenſeitiger Volks- und Regierungscha-
rakter u. ſ. w., wie wir ſie im erſten Kapitel des erſten
Buches aufgezaͤhlt haben, ſind ſie nicht politiſcher Natur
und haͤngen ſie nicht mit dem ganzen politiſchen Verkehr
ſo genau zuſammen daß es unmoͤglich iſt ſie davon zu
trennen? — Aber dieſe Vorſtellungsart wird doppelt unent-
[141] behrlich wenn wir bedenken daß der wirkliche Krieg kein
ſo konſequentes auf das Äußerſte gerichtetes Beſtreben iſt,
wie er ſeinem Begriff nach ſein ſollte, ſondern ein Halb-
ding, ein Widerſpruch in ſich; daß er als ſolcher nicht ſei-
nen eigenen Geſetzen folgen kann, ſondern als Theil eines
andern Ganzen betrachtet werden muß, — und dieſes
Ganze iſt die Politik.
Die Politik, indem ſie ſich des Krieges bedient, weicht
allen ſtrengen Folgerungen aus, welche aus ſeiner Natur
hervorgehn, bekuͤmmert ſich wenig um die endlichen Moͤg-
lichkeiten und haͤlt ſich nur an die naͤchſten Wahrſchein-
lichkeiten. Kommt dadurch viel Ungewißheit in den ganzen
Handel, wird er alſo zu einer Art Spiel, ſo hegt die
Politik eines jeden Kabinets zu ſich das Vertrauen es dem
Gegner in Gewandtheit und Scharfſicht bei dieſem Spiel
zuvorzuthun.
So macht alſo die Politik aus dem Alles uͤberwaͤlti-
genden Element des Krieges ein bloßes Inſtrument; aus
dem furchtbaren Schlachtſchwert, was mit beiden Haͤnden
und ganzer Leibeskraft aufgehoben ſein will, um damit
einmal und nicht mehr zuzuſchlagen, einen leichten handlichen
Degen, der zuweilen ſelbſt zum Rapier wird und mit dem
ſie Stoͤße, Finten und Paraden abwechſeln laͤßt.
So loͤſen ſich die Widerſpruͤche in welche der Krieg
den von Natur furchtſamen Menſchen verwickelt, wenn
man dies fuͤr eine Loͤſung gelten laſſen will.
Gehoͤrt der Krieg der Politik an, ſo wird er ihren
Charakter annehmen. Sobald ſie großartiger und maͤch-
tiger wird, ſo wird es auch der Krieg, und das kann bis
zu der Hoͤhe ſteigen wo der Krieg zu ſeiner abſoluten Ge-
ſtalt gelangt.
Wir haben alſo bei dieſer Vorſtellungsart nicht noͤthig,
[142] den Krieg in dieſer Geſtalt aus den Augen zu verlieren; viel-
mehr muß fortwaͤhrend ſein Bild im Hintergrunde ſchweben.
Nur durch dieſe Vorſtellungsart wird der Krieg wie-
der zur Einheit, nur mit ihr kann man alle Kriege als
Dinge einer Art betrachten, und nur durch ſie wird dem
Urtheil der rechte und genaue Stand und Geſichtspunkt
gegeben, aus welchem die großen Entwuͤrfe gemacht und
beurtheilt werden ſollen.
Freilich dringt das politiſche Element nicht tief in
die Einzelnheiten des Krieges hinunter, man ſtellt keine
Vedetten und fuͤhrt keine Patroulle nach politiſchen Ruͤck-
ſichten: aber deſto entſchiedener iſt der Einfluß dieſes Ele-
ments bei dem Entwurf zum ganzen Kriege, zum Feldzuge
und oft ſelbſt zur Schlacht.
Wir haben uns deshalb auch nicht beeilt dieſen Ge-
ſichtspunkt gleich anfangs aufzuſtellen. Bei den einzelnen
Gegenſtaͤnden wuͤrde es uns wenig genutzt, unſere Auf-
merkſamkeit gewiſſermaßen zerſtreut haben; bei dem
Kriegs- und Feldzugsplan iſt er unentbehrlich.
Es iſt uͤberhaupt Nichts ſo wichtig im Leben, als
genau den Standpunkt auszumitteln, aus welchem die
Dinge aufgefaßt und beurtheilt werden muͤſſen, und an
dieſem feſtzuhalten; denn nur von einem Standpunkte
aus koͤnnen wir die Maſſe der Erſcheinungen mit Einheit
auffaſſen, und nur die Einheit des Standpunktes kann
uns vor Widerſpruͤchen ſichern.
Wenn alſo auch bei Kriegsentwuͤrfen der zwei- und
mehrfache Standpunkt nicht zulaͤſſig iſt, wonach die Dinge
angeſehen werden koͤnnten, jetzt mit dem Auge des Sol-
daten, jetzt mit dem des Adminiſtrators, jetzt mit dem des
Politikers u. ſ. w.: ſo fraͤgt es ſich nun, ob es denn noth-
wendig die Politik iſt, der ſich alles Übrige unterordnen muß.
[143]
Daß die Politik alle Intereſſen der inneren Ver-
waltung, auch die der Menſchlichkeit und was ſonſt der
philoſophiſche Verſtand zur Sprache bringen koͤnnte, in
ſich vereinigt und ausgleicht, wird vorausgeſetzt; denn die
Politik iſt ja Nichts an ſich, ſondern ein bloßer Sachwal-
ter aller dieſer Intereſſen gegen andere Staaten. Daß
ſie eine falſche Richtung haben, dem Ehrgeiz, dem Privat-
intereſſe, der Eitelkeit der Regierenden vorzugsweiſe dienen
kann, gehoͤrt nicht hierher; denn in keinem Fall iſt es die
Kriegskunſt welche als ihr Praͤceptor betrachtet werden
kann, und wir koͤnnen hier die Politik nur als Repraͤſen-
tanten aller Intereſſen der ganzen Geſellſchaft betrachten.
Die Frage bleibt alſo nur: ob bei Kriegsentwuͤrfen
der politiſche Standpunkt dem rein militaͤriſchen (wenn
ein ſolcher uͤberhaupt denkbar waͤre) weichen, d. h. ganz
verſchwinden oder ſich ihm unterordnen, oder ob er der
herrſchende bleiben und der militaͤriſche ihm untergeordnet
werden muͤſſe.
Daß der politiſche Geſichtspunkt mit dem Kriege
ganz aufhoͤren ſollte, wuͤrde nur denkbar ſein, wenn die
Kriege aus bloßer Feindſchaft Kaͤmpfe auf Leben und Tod
waͤren; wie ſie ſind, ſind ſie nichts als Äußerungen der
Politik ſelbſt, wie wir oben gezeigt haben. Das Unterord-
nen des politiſchen Geſichtspunktes unter den militaͤri-
ſchen waͤre widerſinnig, denn die Politik hat den Krieg
erzeugt; ſie iſt die Intelligenz, der Krieg aber bloß das
Inſtrument, und nicht umgekehrt. Es bleibt alſo nur das
Unterordnen des militaͤriſchen Geſichtspunktes unter den
politiſchen moͤglich.
Denken wir an die Natur des wirklichen Krieges,
erinnern wir uns des im dritten Kapitel dieſes Buches
Geſagten: daß jeder Krieg vor allen Dingen nach
[144] der Wahrſcheinlichkeit ſeines Charakters und
ſeiner Hauptumriſſe aufgefaßt werden ſoll, wie
ſie ſich aus den politiſchen Groͤßen und Verhaͤlt-
niſſen ergeben, und daß oft, ja wir koͤnnen in unſern
Tagen wohl behaupten meiſtens der Krieg wie ein or-
ganiſches Ganze betrachtet werden muß, von dem ſich die
einzelnen Glieder nicht abſondern laſſen, wo alſo jede ein-
zelne Thaͤtigkeit mit dem Ganzen zuſammenſtroͤmen und
aus der Idee dieſes Ganzen hervorgehen muß: ſo wird
es uns vollkommen gewiß und klar, daß der oberſte
Standpunkt fuͤr die Leitung des Krieges, von dem die
Hauptlinien ausgehen, kein anderer als der der Politik
ſein koͤnne.
Von dieſem Standpunkt aus ſind die Entwuͤrfe wie
aus einem Guß hervorgegangen, das Auffaſſen und Beur-
theilen wird leichter, natuͤrlicher, die Überzeugung kraͤf-
tiger, die Motive befriedigender und die Geſchichte ver-
ſtaͤndlicher.
Von dieſem Standpunkte aus iſt ein Streit zwiſchen
den politiſchen und kriegeriſchen Intereſſen wenigſtens nicht
mehr in der Natur der Sache und alſo da, wo er ein-
tritt, nur als eine Unvollkommenheit der Einſicht zu be-
trachten. Daß die Politik an den Krieg Forderungen
macht die er nicht leiſten kann, waͤre gegen die Voraus-
ſetzung, daß ſie das Inſtrument kenne welches ſie ge-
brauchen will, alſo gegen eine natuͤrliche ganz unerlaͤßliche
Vorausſetzung. Beurtheilt ſie aber den Verlauf der
kriegeriſchen Ereigniſſe richtig, ſo iſt es ganz ihre Sache
und kann nur die ihrige ſein, zu beſtimmen, welche Ereig-
niſſe und welche Richtung der Begebenheiten dem Ziele
des Krieges entſprechen.
Mit einem Wort, die Kriegskunſt auf ihrem hoͤchſten
Stand-
[145] Standpunkte wird zur Politik, aber freilich eine Politik
die ſtatt Noten zu ſchreiben Schlachten liefert.
Mit dieſer Anſicht iſt es eine unzulaͤſſige und ſelbſt
ſchaͤdliche Unterſcheidung, wonach ein großes kriegeriſches
Ereigniß oder der Plan zu einem ſolchen eine rein mili-
taͤriſche Beurtheilung zulaſſen ſoll; ja, es iſt ein
widerſinniges Verfahren bei Kriegsentwuͤrfen Militaͤre zu
Rathe zu ziehen, damit ſie rein militaͤriſch daruͤber
urtheilen ſollen, wie die Kabinette wohl thun; aber noch
widerſinniger iſt das Verlangen der Theoretiker, daß die
vorhandenen Kriegsmittel dem Feldherrn uͤberwieſen werden
ſollen, um danach einen rein militaͤriſchen Entwurf zum
Kriege oder Feldzuge zu machen. Auch lehrt die allge-
meine Erfahrung, daß, trotz der großen Mannigfaltigkeit
und Ausbildung des heutigen Kriegsweſens, die Haupt-
lineamente des Krieges doch immer von den Kabinetten
beſtimmt worden ſind, d. h. von einer, wenn man techniſch
ſprechen will, nur politiſchen, nicht militaͤriſchen Behoͤrde.
Dies iſt vollkommen in der Natur der Dinge. Keiner
der Hauptentwuͤrfe, welche fuͤr einen Krieg noͤthig ſind,
kann ohne Einſichten in die politiſchen Verhaͤltniſſe ge-
macht werden, und man ſagt eigentlich etwas ganz Anderes
als man ſagen will, wenn man, was haͤufig geſchieht, von
dem ſchaͤdlichen Einfluß der Politik auf die Fuͤhrung des
Krieges ſpricht. Es iſt nicht dieſer Einfluß, ſondern die
Politik ſelbſt, welche man tadeln ſollte. Iſt die Politik
richtig, d. h. trifft ſie ihr Ziel, ſo kann ſie auf den Krieg
in ihrem Sinn auch nur vortheilhaft wirken; und wo
dieſe Einwirkung vom Ziel entfernt, iſt die Quelle nur
in der verkehrten Politik zu ſuchen.
Nur dann, wenn die Politik ſich von gewiſſen kriege-
riſchen Mitteln und Maaßregeln eine falſche, ihrer Natur
III 10
[146] nicht entſprechende Wirkung verſpricht, kann ſie mit ihren
Beſtimmungen einen ſchaͤdlichen Einfluß auf den Krieg
haben. Wie Jemand in einer Sprache, der er nicht ganz
gewachſen iſt, mit einem richtigen Gedanken zuweilen Un-
richtiges ſagt, ſo wird die Politik dann oft Dinge anord-
nen, die ihrer eigenen Abſicht nicht entſprechen.
Dies iſt unendlich oft vorgekommen und dies macht
es fuͤhlbar daß eine gewiſſe Einſicht in das Kriegsweſen
von der Fuͤhrung des politiſchen Verkehrs nicht getrennt
werden ſollte.
Aber ehe wir ein Wort weiter reden, muͤſſen wir
uns vor einer falſchen Deutung verwahren, die ſehr nahe
liegt. Wir ſind weit entfernt zu glauben daß ein in
Akten vergrabener Kriegsminiſter oder ein gelehrter Inge-
nieur oder auch ſelbſt ein im Felde tuͤchtiger Soldat
darum den beßten Staatsminiſter abgeben wuͤrde, wo der
Fuͤrſt es nicht ſelbſt iſt; oder, mit andern Worten, wir
wollen durchaus nicht daß dieſe Einſicht in das Kriegs-
weſen die Haupteigenſchaft deſſelben ſei; ein großartiger,
ausgezeichneter Kopf, ein ſtarker Charakter, das ſind die
Haupteigenſchaften; die Einſicht in das Kriegsweſen laͤßt
ſich auf eine oder die andere Art wohl ergaͤnzen. Frank-
reich iſt in ſeinen kriegeriſchen und politiſchen Haͤndeln nie
ſchlechter berathen geweſen, als unter den Gebruͤdern Belle-
isle und dem Herzog von Choiſeuil, obgleich alle drei gute
Soldaten waren.
Soll ein Krieg ganz den Abſichten der Politik ent-
ſprechen und ſoll die Politik den Mitteln zum Kriege
ganz angemeſſen ſein, ſo bleibt, wo der Staatsmann und
der Soldat nicht in einer Perſon vereinigt ſind, nur ein
gutes Mittel uͤbrig, naͤmlich den oberſten Feldherrn zum
Mitglied des Kabinets zu machen, damit daſſelbe Theil an
[147] den Hauptmomenten ſeines Handelns nehme. Dies iſt
aber wieder nur moͤglich wenn das Kabinet, d. h. alſo die
Regierung, ſelbſt ſich in der Naͤhe des Schauplatzes be-
findet, damit die Dinge ohne merklichen Zeitverluſt abge-
macht werden koͤnnen.
So hat es der Kaiſer von Öſtreich im Jahre 1809
und ſo haben es die verbuͤndeten Monarchen in den Jah-
ren 1813, 1814 und 1815 gemacht, und dieſe Einrichtung
hat ſich vollkommen bewaͤhrt.
Hoͤchſt gefaͤhrlich iſt der Einfluß eines andern Mili-
taͤrs als des oberſten Feldherrn im Kabinet; ſelten wird
das zum geſunden tuͤchtigen Handeln fuͤhren. Frankreichs
Beiſpiel, wo Carnot 1793, 1794 und 1795 die Kriegs-
angelegenheiten von Paris aus leitete, iſt durchaus ver-
werflich, weil der Terrorismus nur revolutionaͤren Re-
gierungen zu Gebote ſteht.
Wir wollen jetzt mit einer hiſtoriſchen Betrachtung
ſchließen.
Als in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhun-
derts jene merkwuͤrdige Umwaͤlzung der europaͤiſchen Kriegs-
kunſt eintrat, wodurch die beſten Heere einen Theil ihrer
Kunſt unwirkſam werden ſahen, und kriegeriſche Erfolge
ſtattfanden, von deren Groͤße man bisher keinen Begriff
gehabt hatte; ſchien es freilich daß aller falſche Kalkuͤl der
Kriegskunſt zur Laſt falle. Es war offenbar, daß ſie, durch
die Gewohnheit in engere Kreiſen der Begriffe einge-
ſchraͤnkt, uͤberfallen worden war durch Moͤglichkeiten, die
außerhalb dieſer Kreiſe, aber freilich nicht außerhalb der
Natur der Dinge lagen.
Diejenigen Beobachter welche den umfaſſendſten Blick
hatten, ſchrieben die Erſcheinung dem allgemeinen Einfluß
zu, welchen die Politik ſeit Jahrhunderten auf die Kriegs-
10*
[148] kunſt, zum groͤßten Nachtheil derſelben, gehabt hatte und
wodurch dieſe zu einem Halbdinge, oft zu einer wahren
Spiegelfechterei herabgeſunken war. Das Faktum war
richtig, aber es war nur falſch daſſelbe als ein zufaͤllig
entſtandenes, vermeidliches Verhaͤltniß anzuſehen.
Andere glaubten Alles aus dem augenblicklichen Ein-
fluß der individuellen Politik Öſtreichs, Preußens, Eng-
lands u. ſ. w. erklaͤren zu koͤnnen.
Iſt es aber wahr daß der eigentliche Überfall, wovon
ſich die Intelligenz getroffen fuͤhlte, innerhalb der Krieg-
fuͤhrung faͤllt und nicht innerhalb der Politik ſelbſt? d. h.
nach unſerer Sprache zu reden: iſt das Ungluͤck entſtanden
aus dem Einfluß der Politik auf den Krieg oder aus
der falſchen Politik ſelbſt?
Die ungeheuren Wirkungen der franzoͤſiſchen Revo-
lution nach Außen ſind aber offenbar viel weniger in neuen
Mitteln und Anſichten ihrer Kriegfuͤhrung, als in der
ganz veraͤnderten Staats- und Verwaltungskunſt, in dem
Charakter der Regierung, in dem Zuſtande des Volks u.
ſ. w. zu ſuchen. Daß die andern Regierungen alle dieſe
Dinge unrichtig anſahen, daß ſie mit gewoͤhnlichen Mit-
teln Kraͤften die Wage halten wollten, die neu und uͤber-
waͤltigend waren: das Alles ſind Fehler der Politik.
Haͤtte man nun dieſe Fehler von dem Standpunkte
einer rein militaͤriſchen Auffaſſung des Krieges einſehen
und verbeſſern koͤnnen? Unmoͤglich. Denn wenn es auch
wirklich einen philoſophiſchen Strategen gegeben haͤtte,
welcher bloß aus der Natur des feindſeligen Elementes
alle Folgen haͤtte herleiten und dadurch eine Prophezeiung
entfernter Moͤglichkeiten aufſtellen wollen: ſo waͤre es doch
rein unmoͤglich geweſen ſolchen Hirnngeſpinnſten die geringſte
Folge zu geben.
[149]
Nur wenn die Politik ſich zu einer richtigen Wuͤrdi-
gung der in Frankreich erwachten Kraͤfte und der in der
Politik Europas neuentſtehenden Verhaͤltniſſe erhob, konnte
ſie das Reſultat vorherſehen, welches fuͤr die großen Li-
neamente des Krieges daraus entſtehen wuͤrde, und nur
auf dieſe Weiſe auf den nothwendigen Umfang der Mittel
und die Wahl der beſten Wege gefuͤhrt werden.
Man kann alſo ſagen: die zwanzigjaͤhrigen Siege der
Revolution ſind hauptſaͤchlich die Folge der fehlerhaften
Politik der ihr gegenuͤberſtehenden Regierungen.
Freilich haben ſich dieſe Fehler erſt innerhalb des
Krieges offenbart, und die Erſcheinungen deſſelben haben
den Erwartungen, welche die Politik hatte, voͤllig wider-
ſprochen. Dies iſt aber nicht deshalb geſchehen, weil die Politik
verſaͤumt hatte ſich bei der Kriegskunſt Raths zu erholen.
Diejenige Kriegskunſt, an welche ein Politiker glauben
konnte, d. h. die aus der wirklichen Welt, die der Politik
der Zeit zugehoͤrige, das ihr wohlbekannte Inſtrument
deſſen ſie ſich bis dahin bedient hatte, dieſe Kriegskunſt,
ſage ich, war natuͤrlich in dem Irrthum der Politik mit-
befangen und konnte ſie darum nicht eines Beſſeren
belehren. Es iſt wahr, auch der Krieg ſelbſt hat in ſeinem
Weſen und in ſeinen Formen bedeutende Veraͤnderungen
erlitten, die ihn ſeiner abſoluten Geſtalt naͤher gebracht
haben; aber dieſe Veraͤnderungen ſind nicht dadurch ent-
ſtanden daß die franzoͤſiſche Regierung gewiſſermaßen eman-
cipirt, vom Gaͤngelbande der Politik losgelaſſen haͤtte,
ſondern ſie ſind aus der veraͤnderten Politik entſtanden,
welche aus der franzoͤſiſchen Revolution ſowohl fuͤr
Frankreich als fuͤr ganz Europa hervorgegangen iſt.
Dieſe Politik hatte andere Mittel, andere Kraͤfte auf-
geboten und dadurch eine Energie der Kriegfuͤhrung
[150] moͤglich gemacht, an welche außerdem nicht zu denken ge-
weſen waͤre.
Alſo auch die wirklichen Veraͤnderungen der Kriegs-
kunſt ſind eine Folge der veraͤnderten Politik, und weit
entfernt, fuͤr die moͤgliche Trennung beider zu beweiſen,
ſind ſie vielmehr ein ſtarker Beweis ihrer innigen Ver-
einigung.
Alſo noch einmal: der Krieg iſt ein Inſtrument der
Politik; er muß nothwendig ihren Charakter tragen, er
muß mit ihrem Maaße meſſen; die Fuͤhrung des Krieges
in ſeinen Hauptumriſſen iſt daher die Politik ſelbſt, welche
die Feder mit dem Degen vertauſcht, aber darum nicht
aufgehoͤrt hat nach ihren eigenen Geſetzen zu denken.
Siebentes Kapitel.
Beſchraͤnktes Ziel. Angriffskrieg.
Selbſt dann, wenn auch nicht die Niederwerfung des
Gegners das Ziel ſein kann, kann es doch noch ein un-
mittelbar poſitives ſein, und dieſes poſitive Ziel kann alſo
nur in der Eroberung eines Theils der feindlichen Laͤnder
beſtehen.
Der Nutzen einer ſolchen Eroberung beſteht darin
daß wir die feindlichen Staatskraͤfte, folglich auch ſeine
Streitkraͤfte, ſchwaͤchen und die unſrigen vermehren; daß wir
alſo den Krieg zum Theil auf ſeine Koſten fuͤhren. Ferner,
daß beim Friedensſchluß der Beſitz feindlicher Provinzen
als ein baarer Gewinn anzuſehen iſt, weil wir ſie entweder
behalten oder andere Vortheile dafuͤr eintauſchen koͤnnen.
[151]
Dieſe Anſicht von einer Eroberung des feindlichen
Staates iſt ſehr natuͤrlich und wuͤrde Nichts gegen ſich
haben, wenn nicht der Vertheidigungszuſtand, welcher dem
Angriff folgen muß, haͤufig Bedenken erregen koͤnnte.
In dem Kapitel vom Kulminationspunkt des Sieges
haben wir hinreichend auseinandergeſetzt, auf welche Weiſe
eine ſolche Offenſive die Streitkraͤfte ſchwaͤcht, und daß
ihr ein Zuſtand folgen kann der gefaͤhrliche Folgen beſor-
gen laͤßt.
Dieſe Schwaͤchung unſerer Streitkraft durch die Er-
oberung eines feindlichen Landſtrichs hat ihre Grade, und
dieſe haͤngen am meiſten von der geographiſchen Lage eines
ſolchen Landſtrichs ab. Je mehr er ein Supplement unſe-
rer eigenen Laͤnder iſt, innerhalb derſelben liegt oder ſich
an ihnen hinzieht, je mehr er in der Richtung der Haupt-
kraͤfte liegt, um ſo weniger wird er unſere Streitkraft
ſchwaͤchen. Sachſen, im ſiebenjaͤhrigen Kriege, war ein na-
tuͤrliches Supplement des preußiſchen Kriegstheaters, und
die Streitkraft Friedrichs des Großen wurde durch die
Beſetzung deſſelben nicht bloß nicht vermindert ſondern
verſtaͤrkt, weil es Schleſien naͤher liegt als der Mark und
dieſe doch zugleich deckt.
Selbſt Schleſien, nachdem Friedrich der Große im
Jahr 1740 und 1741 es einmal erobert hatte, ſchwaͤchte
ſeine Streitkraͤfte nicht, denn ſeiner Geſtalt und Lage ſo
wie der Beſchaffenheit ſeiner Grenze nach bot es den
Öſtreichern nur eine ſchmale Spitze dar, ſo lange ſie nicht
Meiſter von Sachſen waren, und dieſer ſchmale Punkt
des Contactes lag ohnehin noch in der Richtung welche
die gegenſeitigen Hauptſtoͤße nehmen mußten.
Wenn dagegen der eroberte Landſtrich ſich mitten
zwiſchen die andern feindlichen Provinzen hineinſtreckt, eine
[152] excentriſche Lage hat und eine unguͤnſtige Geſtalt des
Bodens, ſo waͤchſt die Schwaͤchung ſo ſichtbar daß nicht
bloß eine ſiegreiche Schlacht dem Feinde erleichtert, ſondern
daß dieſe fuͤr ihn unnoͤthig wird.
Die Öſtreicher haben jedesmal die Provence ohne
Schlacht raͤumen muͤſſen, wenn ſie von Italien aus einen
Verſuch darauf gemacht haben. Die Franzoſen im Jahr
1744 dankten Gott, aus Boͤhmen zu entkommen, auch
ohne eine Schlacht verloren zu haben. Friedrich der Große
konnte ſich 1758 in Boͤhmen und Maͤhren nicht halten,
mit derſelben Streitkraft, die ihm im Jahre 1757 in
Schleſien und Sachſen ſo glaͤnzende Erfolge gegeben hatte.
Überhaupt gehoͤren die Beiſpiele von Armeen die ſich in
dem eroberten Landſtrich nicht halten konnten, bloß weil
ihre Streitkraft dadurch geſchwaͤcht wurde, zu dem ge-
woͤhnlichen Vorkommen, und es iſt alſo nicht der Muͤhe
werth noch andere davon herauszuheben.
Es kommt alſo bei der Frage, ob wir uns ein ſolches
Ziel ſtecken ſollen, darauf an, ob wir uns verſprechen koͤn-
nen im Beſitz der Eroberung zu bleiben oder ob ein
voruͤbergehender Beſitz (Invaſion, Diverſion) die darauf
verwendeten Kraͤfte hinreichend vergilt, beſonders ob nicht
ein ſtarker Ruͤckſchlag zu befuͤrchten iſt, der uns ganz aus
dem Gleichgewicht wirft. Wie Vieles bei dieſer Frage in
jedem einzelnen Fall zu uͤberlegen iſt, davon haben wir im
Kapitel von dem Kulminationspunkt geſprochen.
Nur Eins muͤſſen wir noch hinzufuͤgen.
Eine ſolche Offenſive iſt nicht immer geeignet Das-
jenige wieder einzubringen, was wir auf andern Punkten
verlieren. Waͤhrend wir uns mit einer Theileroberung
beſchaͤftigen, kann der Feind auf andern Punkten daſſelbe
thun, und wenn unſer Unternehmen nicht von einer uͤber-
[153] wiegenden Wichtigkeit iſt, ſo wird der Feind dadurch nicht
gezwungen werden das ſeinige aufzugeben. Es kommt
alſo auf eine reifliche Überlegung an, ob wir auf der
einen Seite nicht mehr verlieren als wir auf der andern
gewinnen.
An und fuͤr ſich verliert man immer mehr durch die
feindliche Eroberung als man durch die eigene gewinnt,
wenn auch der Werth beider Provinzen genau derſelbe
ſein ſollte, weil eine Menge von Kraͤften gewiſſermaßen
als feux froids außer Wirkſamkeit kommen. Allein da
dies auch der Fall beim Gegner iſt, ſo ſollte dies eigent-
lich kein Grund ſein, mehr auf die Erhaltung als auf
die Eroberung bedacht zu ſein. Und doch iſt es ſo. Die
Erhaltung des Eigenen liegt immer naͤher, und der eigene
Schmerz, den unſer Staat erleidet, wird nur dann durch
die Vergeltung aufgewogen und gewiſſermaßen neutrali-
ſirt, wenn dieſe merkliche Prozente verſpricht d. h. viel
groͤßer iſt.
Die Folge von Allem iſt: daß ein ſolcher ſtrategiſcher
Angriff, der nur ein maͤßiges Ziel hat, ſich viel weniger
von der Vertheidigung der andern, durch ihn nicht unmit-
telbar gedeckten Punkte losmachen kann, als einer der
gegen den Schwerpunkt des feindlichen Staates gerichtet
iſt; es kann alſo in ihm auch die Vereinigung der Kraͤfte
in Zeit und Ort niemals ſo weit getrieben werden. Damit
ſie nun wenigſtens in der Zeit ſtattfinden koͤnne, ſo ent-
ſteht das Beduͤrfniß von allen einigermaßen dazu geeigne-
ten Punkten angriffsweiſe und zwar gleichzeitig vorzugehen,
und es entgeht alſo dieſem Angriff der andere Vortheil,
daß er ſich durch die Vertheidigung auf einzelnen Punkten
mit weit geringeren Kraͤften behelfen koͤnnte. Auf dieſe
Weiſe ſtellt ſich bei einem ſo mittelmaͤßigen Ziele Alles
[154] mehr im Niveau; der ganze kriegeriſche Akt kann nicht
mehr in eine Haupthandlung zuſammengedraͤngt und dieſe
nach Hauptgeſichtspunkten geleitet werden; er breitet ſich
mehr aus; uͤberall wird die Friktion groͤßer, und uͤberall
dem Zufall mehr Feld eingeraͤumt.
Dies iſt die natuͤrliche Tendenz der Sache. Der
Feldherr wird durch ſie heruntergezogen, immer mehr neu-
traliſirt. Je mehr er ſich fuͤhlt, je mehr innere Huͤlfs-
mittel und aͤußere Gewalt er hat, um ſo mehr wird er
ſuchen ſich von dieſer Tendenz loszumachen um einem
einzelnen Punkt eine vorherrſchende Wichtigkeit zu geben,
ſollte es auch nur durch ein groͤßeres Wagen moͤglich
werden.
Achtes Kapitel.
Beſchraͤnktes Ziel. Vertheidigung.
Das endliche Ziel der Vertheidigungskriege kann
niemals eine abſolute Negation ſein, wie wir es ſchon
fruͤher geſagt haben. Es muß auch fuͤr den Schwaͤchſten
irgend Etwas geben womit er ſeinem Gegner empfindlich
werden, ihn bedrohen kann.
Zwar koͤnnte man ſagen, dieſes Ziel koͤnne im Ermuͤ-
den des Gegners beſtehen, denn da dieſer das Poſitive
will, ſo iſt im Grunde jede fehlgeſchlagene Unternehmung,
wenn ſie auch keine andere Folgen hat als den Verluſt
der darauf verwendeten Kraͤfte, ſchon ein Zuruͤckſchreiten,
waͤhrend der Verluſt welchen der Angegriffene erleidet,
nicht vergeblich war, weil die Erhaltung ſein Ziel war
und dieſes Ziel erreicht iſt. So, wuͤrde man ſagen, liegt
[155] fuͤr den Vertheidiger in der bloßen Erhaltung ſein poſiti-
ves Ziel. Dieſe Vorſtellungsart koͤnnte gelten, wenn man
im Stande waͤre zu ſagen: der Angreifende muß nach
einer beſtimmten Anzahl vergeblicher Verſuche ermuͤden
und nachlaſſen. Allein dieſe Nothwendigkeit fehlt eben.
Sehen wir auf das reelle Erſchoͤpfen der Kraͤfte, ſo iſt der
Vertheidiger, bei der Totalvergleichung, im Nachtheil.
Der Angriff ſchwaͤcht, aber nur in dem Sinn daß es
einen Umſchwungspunkt geben kann; wo dieſer gar nicht
mehr gedacht wird, iſt die Schwaͤchung allerdings groͤßer
beim Vertheidiger als beim Angreifenden; denn theils iſt
er der Schwaͤchere und bei gleicher Einbuße verliert
er alſo mehr als der Andere, theils nimmt ihm jener ge-
woͤhnlich einen Theil ſeiner Laͤnder und Huͤlfsquellen.
Es kann alſo hieraus kein Grund des Nachlaſſens
fuͤr den Gegner entnommen werden, und es bleibt immer
nur die Vorſtellung uͤbrig, daß, wenn der Angreifende
ſeine Streiche wiederholt, waͤhrend der Vertheidiger Nichts
thut als ſie abzuwehren, dieſer die Gefahr, daß einer fruͤher
oder ſpaͤter gelingen koͤnnte, durch kein Gegengewicht aus-
gleichen kann.
Wenn alſo auch wirklich die Erſchoͤpfung oder viel-
mehr die Ermuͤdung des Staͤrkeren ſchon oft einen Frie-
den herbeigefuͤhrt hat, ſo liegt das in jener Halbheit
welche der Krieg meiſtens hat, und kann philoſophiſch
nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgend einer Ver-
theidigung gedacht werden, und es bleibt Nichts uͤbrig als
daß dieſe ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet,
der uͤberhaupt ihr eigentliches Charakteriſtikon iſt. Dieſer
Begriff ſchließt eine Veraͤnderung der Umſtaͤnde, eine
Verbeſſerung der Lage in ſich, die alſo, da wo ſie durch
innere Mittel, d. h. durch den Widerſtand ſelbſt, gar
[156] nicht erreicht werden kann, nur von Außen zu erwarten
iſt. Dieſe Verbeſſerung von Außen kann nun keine an-
dere ſein als andere politiſche Verhaͤltniſſe; es entſtehen
entweder fuͤr den Vertheidiger neue Buͤndniſſe oder alte,
die gegen ihn gerichtet waren, zerfallen.
Dies iſt alſo das Ziel des Vertheidigers, im Fall
ſeine Schwaͤche ihm nicht erlaubt an irgend einen bedeu-
tenden Ruͤckſtoß zu denken. So iſt aber nicht jede Ver-
theidigung nach dem Begriff welchen wir davon gegeben
haben. Nach dieſem iſt ſie die ſtaͤrkere Form des Krieges,
und kann alſo um dieſer Staͤrke willen auch dann ange-
wendet werden, wenn es auf einen mehr oder weniger
ſtarken Ruͤckſchlag abgeſehen iſt.
Dieſe beiden Faͤlle muß man von vorn herein tren-
nen, weil ſie Einfluß auf die Vertheidigung haben.
Im erſten Fall ſucht der Vertheidiger ſein Land ſo
lange wie moͤglich zu beſitzen und intakt zu erhalten, weil
er dabei die meiſte Zeit gewinnt und Zeit gewinnen der
einzige Weg zum Ziel iſt. Das poſitive Ziel was er
meiſt [erreichen] kann, was ihm Gelegenheit geben ſoll ſeine
Abſicht beim Frieden durchzuſetzen, kann er noch nicht in
ſeinen Kriegsplan aufnehmen. In dieſer ſtrategiſchen Paſ-
ſivitaͤt ſind die Vortheile welche er auf einzelnen Punkten
erhalten kann bloße abgewehrte Streiche, das Übergewicht
welches er auf dieſen Punkten gewinnt fuͤhrt er auf andere
Punkte uͤber, denn gewoͤhnlich iſt da Noth an allen Ecken
und Orten; hat er dazu keine Gelegenheit, ſo bleibt ihm
oft nur der kleine Gewinn uͤbrig daß der Feind ihm eine
Zeitlang Ruhe laſſen wird.
Kleine Offenſivunternehmungen wobei es weniger auf
einen bleibenden Beſitz als auf einen einſtweiligen Vortheil
als Spielraum fuͤr ſpaͤtere Einbuße abgeſehn iſt, Inva-
[157] ſionen, Diverſionen, Unternehmungen gegen eine einzelne
Feſtung, koͤnnen, wenn der Vertheidiger nicht allzuſchwach
iſt, in dieſem Vertheidigungsſyſtem Platz finden, ohne das
Ziel und Weſen deſſelben zu aͤndern.
Im zweiten Fall aber, wo der Vertheidigung ſchon
eine poſitive Abſicht eingeimpft iſt, nimmt ſie auch mehr
den poſitiven Charakter an, und zwar um ſo mehr je groͤ-
ßer der Ruͤckſtoß iſt welchen die Verhaͤltniſſe zulaſſen. Mit
andern Worten: je mehr die Vertheidigung aus freier
Wahl entſtanden iſt um den erſten Stoß ſicher zu fuͤhren,
um ſo kuͤhnere Schlingen darf der Vertheidiger dem Geg-
ner legen. Das Kuͤhnſte und, wenn es geraͤth, Wirkſamſte
iſt der Ruͤckzug ins Innere des Landes; und dieſes Mittel
iſt dann zugleich dasjenige welches von dem andern Syſtem
am weiteſten entfernt iſt.
Man denke nur an die Verſchiedenheit der Lage in
welcher ſich Friedrich der Große im ſiebenjaͤhrigen Kriege
und Rußland im Jahr 1812 befunden haben.
Als der Krieg anfing, hatte Friedrich durch ſeine
Schlagfertigkeit eine Art Überlegenheit; dies verſchaffte
ihm den Vortheil ſich Sachſens zu bemaͤchtigen, welches
uͤbrigens ſo ſehr ein natuͤrliches Complement ſeines Kriegs-
theaters war, daß der Beſitz deſſelben ſeine Streitkraͤfte
nicht verminderte ſondern vermehrte.
Bei Eroͤffnung des Feldzugs von 1757 ſuchte er ſei-
nen ſtrategiſchen Angriff fortzuſetzen, welches, ſo lange die
Ruſſen und Franzoſen noch nicht auf dem Kriegstheater
von Schleſien, der Mark und Sachſen angekommen wa-
ren, nicht unmoͤglich war. Der Angriff mißlang, er wurde
fuͤr den uͤbrigen Theil des Feldzugs auf die Vertheidigung
zuruͤckgeworfen, mußte Boͤhmen wieder raͤumen und das
eigene Kriegstheater vom Feinde befreien, welches ihm nur
[158] gelang, indem er ſich mit einer und derſelben Armee erſt
gegen die Öſtreicher wandte, und dieſen Vortheil verdankte
er nur der Vertheidigung.
Im Jahre 1758, wo ſeine Feinde den Kreis ſchon
enger um ihn gezogen hatten und ſeine Streitkraͤfte an-
fingen in ein ſehr ungleiches Verhaͤltniß zu kommen, wollte
er noch eine kleine Offenſive in Maͤhren verſuchen; er ge-
dachte Olmuͤtz zu nehmen ehe ſeine Gegner recht unter den
Waffen waͤren; nicht in der Hoffnung es zu behalten oder
gar von da aus weiter vorzuſchreiten, ſondern es als ein
Außenwerk, eine contre-approche gegen die Öſtreicher zu
benutzen, die dann den uͤbrigen Feldzug, vielleicht auch
noch einen zweiten, darauf verwenden mußten um es wieder
zu nehmen. Auch dieſer Angriff mißlang. Friedrich gab
nun den Gedanken an jede wirkliche Offenſive auf, weil
er fuͤhlte wie ſie nur das Mißverhaͤltniß in den Streit-
kraͤften vermehrte. Eine zuſammengezogene Aufſtellung in
der Mitte ſeiner Laͤnder, in Sachſen und Schleſien, eine
Benutzung der kurzen Linien, um die Streitkraͤfte ploͤtzlich
auf dem bedrohten Punkte zu vermehren, eine Schlacht
wo ſie unvermeidlich wurde, kleine Invaſionen wo ſich die
Gelegenheit darbot, und demnaͤchſt ein ruhiges Abwarten,
ein Aufſparen ſeiner Mittel fuͤr beſſere Zeiten, war nun
ſein Kriegsplan im Großen. Nach und nach wurde die
Ausfuͤhrung immer paſſiver. Da er ſah daß auch die Siege
ihm zu viel koſteten, ſo verſuchte er es mit Wenigerem
auszukommen; es kam ihm nur auf Zeitgewinn an,
nur auf die Erhaltung deſſen was er noch beſaß, er wurde
mit dem Boden immer oͤkonomiſcher und ſcheuete ſich nicht
in ein wahrhaftes Cordonſyſtem uͤberzugehn. Dieſen Na-
men verdienen ſowohl die Stellungen des Prinzen Heinrich
in Sachſen als die des Koͤnigs im ſchleſiſchen Gebirge.
[159] In ſeinen Briefen an den Marquis d’Argens ſieht man
die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen
ſieht, und wie froh er iſt wenn er ſie wieder beziehen kann
ohne merklich eingebuͤßt zu haben.
Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur ſeinen
geſunkenen Muth ſehen wollte, wuͤrde, wie es uns ſcheint,
ein ſehr unuͤberlegtes Urtheil faͤllen.
Wenn das verſchanzte Lager von Bunzelwitz, die Po-
ſtirungen des Prinzen Heinrich in Sachſen und des Koͤnigs
im ſchleſiſchen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie ſolche
Maaßnehmungen erſcheinen, auf welche man ſeine letzte
Hoffnung ſetzen kann, weil ein Bonaparte dieſe taktiſchen
Spinngewebe bald durchſtoßen wuͤrde: ſo muß man nicht
vergeſſen daß die Zeiten ſich geaͤndert haben, daß der Krieg
ein ganz anderer geworden iſt, von andern Kraͤften belebt,
und daß alſo damals Stellungen wirkſam ſein konnten die
es nicht mehr ſind, daß aber auch der Charakter des
Gegners Ruͤckſicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen
Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln,
die Friedrich ſelbſt fuͤr Nichts gehalten haben wuͤrde, die
hoͤchſte Weisheit ſein.
Der Erfolg hat dieſe Anſicht gerechtfertigt. Im ru-
higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und
Schwierigkeiten umgangen, gegen die ſeine Kraft zerſchellt
ſein wuͤrde. —
Das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte, welche die Ruſſen
den Franzoſen im Jahr 1812 bei Eroͤffnung des Feld-
zugs entgegenzuſtellen hatten, war noch viel unguͤnſtiger
als es fuͤr Friedrich dem Großen im ſiebenjaͤhrigen Kriege
geweſen war. Allein die Ruſſen hatten die Ausſicht ſich
im Laufe des Feldzugs betraͤchtlich zu verſtaͤrken. Bona-
parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, ſeine Macht
[160] war auf den aͤußerſten Punkt hinausgeſchraubt, ein ver-
zehrender Krieg beſchaͤftigte ihn in Spanien, und das weite
Rußland erlaubte, durch einen hundert Meilen langen Ruͤck-
zug, die Schwaͤchung der feindlichen Streitkraͤfte aufs
Äußerſte zu treiben. Unter dieſen großartigen Umſtaͤnden
war nicht allein auf einen ſtarken Ruͤckſchlag zu rechnen,
wenn das franzoͤſiſche Unternehmen nicht gelang (und wie
konnte es gelingen wenn der Kaiſer Alexander nicht Friede
machte oder ſeine Unterthanen nicht rebellirten?), ſondern
dieſer Ruͤckſchlag konnte auch den Untergang des Gegners
herbeifuͤhren. Die hoͤchſte Weisheit haͤtte alſo keinen
beſſeren Kriegsplan angeben koͤnnen, als derjenige war,
welchen die Ruſſen unabſichtlich befolgten.
Daß man damals nicht ſo dachte und eine ſolche
Anſicht fuͤr eine Extravaganz gehalten haben wuͤrde, iſt
fuͤr uns jetzt kein Grund ſie nicht als die richtige aufzu-
ſtellen. Sollen wir aus der Geſchichte lernen, ſo muͤſſen
wir die Dinge, welche ſich wirklich zugetragen haben, doch
auch fuͤr die Folge als moͤglich anſehen, und daß die Reihe
der großen Begebenheiten, die dem Marſch auf Moskau
gefolgt ſind, nicht eine Reihe von Zufaͤllen iſt, wird Jeder
einraͤumen der auf ein Urtheil in ſolchen Dingen Anſpruch
machen kann. Waͤre es den Ruſſen moͤglich geweſen ihre
Grenzen nothduͤrftig zu vertheidigen, ſo waͤre zwar ein
Sinken der franzoͤſiſchen Macht und ein Umſchwung des
Gluͤcks immer wahrſcheinlich geblieben, aber er waͤre gewiß
nicht ſo gewaltſam und entſcheidend eingetreten. Mit
Opfern und Gefahren (die freilich fuͤr jedes andere Land
viel groͤßer, fuͤr die meiſten unmoͤglich geweſen waͤren) hat
Rußland dieſen ungeheuren Vortheil gekauft.
So wird man immer einen großen poſitiven Erfolg
nur durch poſitive, auf Entſcheidung und nicht auf bloßes
Ab-
[161] Abwarten gerichtete Maaßregeln herbeifuͤhren, kurz, man
erhaͤlt auch in der Vertheidigung den großen Gewinn nur
durch einen hohen Einſatz.
Neuntes Kapitel.
Kriegsplan, wenn Niederwerfung des Feindes
das Ziel iſt.
Nachdem wir die verſchiedenen Zielpunkte welche der
Krieg haben kann naͤher charakteriſirt haben, wollen wir
die Anordnung des ganzen Krieges fuͤr die drei einzelnen
Abſtufungen durchgehen, welche ſich nach jenen Zielpunkten
ergeben haben.
Nach Allem was wir bis jetzt uͤber den Gegenſtand
ſchon geſagt haben, werden zwei Hauptgrundſaͤtze den gan-
zen Kriegsplan umfaſſen und allen uͤbrigen zur Richtung
dienen.
Der erſte iſt: das Gewicht der feindlichen Macht auf
ſo wenig Schwerpunkte als moͤglich zuruͤckzufuͤhren, wenn
es ſein kann auf einen; wiederum den Stoß gegen dieſe
Schwerpunkte auf ſo wenig Haupthandlungen als moͤglich
zuruͤckzufuͤhren, wenn es ſein kann auf eine; endlich alle
untergeordnete Handlungen ſo untergeordnet als moͤglich zu
halten. Mit einem Wort, der erſte Grundſatz iſt: ſo kon-
zentrirt als moͤglich zu handeln.
Der zweite Grundſatz iſt: ſo ſchnell als moͤglich zu
handeln, alſo keinen Aufenthalt und keinen Umweg ohne
hinreichenden Grund.
Das Reduziren der feindlichen Macht auf einen
Schwerpunkt haͤngt ab:
Erſtens von dem politiſchen Zuſammenhang derſelben
III 11
[162] Sind es Heere eines Herrn, ſo hat es meiſt keine Schwie-
rigkeit; ſind es verbuͤndete Heere, deren das eine als bloßer
Bundesgenoſſe ohne eigenes Intereſſe handelt, ſo iſt die
Schwierigkeit nicht viel groͤßer; ſind es zu gemeinſchaftli-
chen Zwecken Verbuͤndete, ſo kommt es auf den Grad der
Befreundung an; wir haben davon ſchon geredet.
Zweitens von der Lage des Kriegstheaters auf wel-
chem die verſchiedenen feindlichen Heere erſcheinen.
Sind die feindlichen Kraͤfte auf einem Kriegstheater
in einem Heere beiſammen, ſo bilden ſie faktiſch eine Ein-
heit und wir brauchen nach dem Übrigen nicht zu fragen;
ſind ſie auf einem Kriegstheater in getrennten Heeren, die
verſchiedenen Maͤchten angehoͤren, ſo iſt die Einheit nicht
mehr abſolut, es iſt aber doch noch ein hinreichender Zu-
ſammenhang der Theile da, um durch einen entſchiedenen
Stoß gegen einen Theil den andern mitfortzureißen.
Sind die Heere auf benachbarten, durch keine großen Na-
turgegenſtaͤnde getrennten Kriegstheatern aufgeſtellt, ſo fehlt
es auch hier noch nicht an dem entſchiedenen Einfluß des
einen auf das andere; ſind die Kriegstheater ſehr weit
von einander entfernt, liegen neutrale Strecken, große
Gebirge u. ſ. w. dazwiſchen, ſo iſt der Einfluß ſehr zwei-
felhaft, alſo unwahrſcheinlich; liegen ſie gar an ganz ver-
ſchiedenen Seiten des bekriegten Staates, ſo daß die Wir-
kungen gegen dieſelben in excentriſchen Linien aus einander
gehen, ſo iſt faſt die Spur jedes Zuſammenhanges ver-
ſchwunden.
Wenn Preußen von Rußland und Frankreich zugleich
bekriegt wuͤrde, ſo waͤre das, in Beziehung auf die Krieg-
fuͤhrung, ſo gut als wenn es zwei verſchiedene Kriege waͤ-
ren; allenfalls wuͤrde die Einheit in den Unterhandlungen
zum Vorſchein kommen.
[163]
Die ſaͤchſiſche und die oͤſtreichiſche Kriegsmacht im
ſiebenjaͤhrigen Kriege waren dagegen als eine zu betrachten;
was die eine litt mußte die andere mitempfinden, theils
weil die Kriegstheater in derſelben Richtung fuͤr Friedrich
den Großen lagen, theils weil Sachſen gar keine politiſche
Selbſtſtaͤndigkeit hatte.
So viel Feinde Bonaparte im Jahr 1813 zu be-
kaͤmpfen hatte, ſo lagen ſie ihm doch alle ziemlich nach
einer Richtung hin, und die Kriegstheater ihrer Heere
ſtanden in einer nahen Verbindung und ſtarken Wechſel-
wirkung. Haͤtte er irgendwo durch Vereinigung ſeiner
Kraͤfte die Hauptmacht uͤberwaͤltigen koͤnnen, ſo haͤtte er
dadurch uͤber alle Theile entſchieden. Wenn er die boͤhmi-
ſche Hauptarmee geſchlagen haͤtte, uͤber Prag gegen Wien
vorgedrungen waͤre, ſo haͤtte Bluͤcher bei dem beſten Wil-
len nicht in Sachſen bleiben koͤnnen, weil man ihn nach
Boͤhmen zu Huͤlfe gerufen haben wuͤrde, und dem Kron-
prinzen von Schweden wuͤrde es ſogar an gutem Willen
gefehlt haben in der Mark zu bleiben.
Dagegen wird es fuͤr Öſtreich immer ſchwer ſein,
wenn es den Krieg gegen Frankreich am Rhein und in
Italien zugleich fuͤhrt, durch einen erfolgreichen Stoß auf
einem dieſer Kriegstheater uͤber das andere mit zu ent-
ſcheiden. Theils trennt die Schweiz mit ihren Bergen
beide Kriegstheater zu ſtark, theils iſt die Richtung der
Straßen auf beiden excentriſch. Frankreich dagegen kann
ſchon eher durch einen entſcheidenden Erfolg auf dem einen
uͤber das andere mitentſcheiden, weil die Richtung ſeiner
Kraͤfte auf beide koncentriſch gegen Wien und den Schwer-
punkt der oͤſtreichiſchen Monarchie geht; ferner kann man
ſagen, daß es leichter von Italien aus uͤber das rheiniſche
Kriegstheater, als umgekehrt mitentſcheiden kann, weil der
11*
[164] Stoß von Italien aus mehr auf das Centrum und der
vom Rhein aus mehr auf den Fluͤgel der oͤſtreichiſchen
Macht trifft.
Es geht hieraus hervor daß der Begriff von getrenn-
ter und zuſammenhaͤngender feindlicher Macht auch durch
alle Stufenverhaͤltniſſe fortlaͤuft und daß man alſo im
einzelnen Fall erſt uͤberſehen kann, welchen Einfluß die
Begebenheiten des einen Kriegstheaters auf das andere
haben werden, wonach ſich dann erſt ausmachen laͤßt, in
wiefern man die verſchiedenen Schwerpunkte der feindlichen
Macht auf einen zuruͤckfuͤhren kann.
Von dem Grundſatz, alle Kraft gegen den Schwer-
punkt der feindlichen Macht zu richten, giebt es nur eine
Ausnahme: wenn naͤmlich Nebenunternehmungen unge-
woͤhnliche Vortheile verſprechen, und doch ſetzen wir
dabei voraus daß entſchiedene Überlegenheit uns dazu in
den Stand ſetzt ohne auf dem Hauptpunkt zu viel zu
wagen.
Als General Buͤlow im Jahr 1814 nach Holland
marſchirte, konnte man vorausſehen daß die 30,000 Mann
ſeines Korps nicht allein eben ſo viel Franzoſen neutraliſi-
ren, ſondern auch den Hollaͤndern und Englaͤndern Gelegen-
heit geben wuͤrden, mit Kraͤften aufzutreten, die ohne dem
gar nicht in Wirkſamkeit gekommen waͤren.
So wird alſo der erſte Geſichtspunkt beim Entwurf
des Krieges der ſein: die Schwerpunkte der feindlichen Macht
auszumitteln und ſie wo moͤglich auf einen zuruͤckzufuͤhren.
Der zweite wird ſein: die Kraͤfte, welche gegen dieſen
Schwerpunkt gebraucht werden ſollen, zu einer Haupthand-
lung zu vereinigen.
Hier koͤnnen nun folgende Gruͤnde fuͤr ein Theilen
und Trennen der Streitkraͤfte uns entgegentreten:
[165]
1. Die urſpruͤngliche Aufſtellung der Streitkraͤfte,
alſo auch die Lage der im Angriff begriffenen Staaten.
Wenn die Vereinigung der Streitkraͤfte Umwege und
Zeitverluſt verurſacht und die Gefahr beim getrennten
Vordringen nicht zu groß iſt, ſo kann daſſelbe dadurch
gerechtfertigt ſein; denn eine nicht nothwendige Vereini-
gung der Kraͤfte mit großem Zeitverluſt zu bewerkſtelligen
und dem erſten Stoß dadurch ſeine Friſche und Schnell-
kraft zu benehmen, waͤre gegen den zweiten von uns auf-
geſtellten Hauptgrundſatz. In allen Faͤllen wo man Aus-
ſicht hat den Feind einigermaßen zu uͤberraſchen, wird dies
eine beſondere Ruͤckſicht verdienen.
Aber wichtiger iſt noch der Fall, wenn der Angriff
von verbuͤndeten Staaten unternommen wird, die gegen
den angegriffenen Staat nicht auf einer Linie, nicht hinter,
ſondern neben einander liegen. Wenn Preußen und Öſt-
reich den Krieg gegen Frankreich unternehmen, ſo waͤre es
eine ſehr gezwungene, Zeit und Kraͤfte verſchwendende Maaß-
regel, wenn die Heere beider Maͤchte von einem Punkte
aus vorgehen wollten, da die natuͤrliche Richtungslinie der
Preußen vom Niederrhein und der Öſtreicher vom Ober-
rhein auf das Herz von Frankreich geht. Die Vereinigung
koͤnnte alſo hier nicht ohne Aufopferung erreicht werden,
und es fraͤgt ſich alſo in dem einzelnen Fall, ob ſie ſo
nothwendig iſt dieſe Opfer bringen zu muͤſſen.
2. Das getrennte Vorgehen kann groͤßere Erfolge
darbieten.
Da hier von dem getrennten Vorgehen gegen einen
Schwerpunkt die Rede iſt, ſo ſetzt das ein koncentri-
ſches Vorgehen voraus. Ein getrenntes Vorgehen auf
parallelen oder excentriſchen Linien gehoͤrt in die Rubrik
[166] der Nebenunternehmungen, wovon wir ſchon geſpro-
chen haben.
Nun hat jeder koncentriſche Angriff, in der Strategie
wie in der Taktik, die Tendenz der groͤßeren Erfolge;
denn wenn er gelingt, ſo iſt nicht ein einfaches Werfen,
ſondern mehr oder weniger ein Abſchneiden der feindlichen
Armeen die Folge davon. Der koncentriſche Angriff iſt
alſo immer der erfolgreichere, aber wegen der getrenn-
ten Theile und des vergroͤßerten Kriegstheaters auch der
gewagtere; es verhaͤlt ſich damit wie mit Angriff und
Vertheidigung, die ſchwaͤchere Form hat den groͤßten Er-
folg fuͤr ſich.
Es kommt alſo darauf an, ob ſich der Angreifende
ſtark genug fuͤhlt nach dieſem großen Ziel zu ſtreben.
Als Friedrich der Große im Jahr 1757 in Boͤhmen
vordringen wollte, that er es mit getrennter Macht von
Sachſen und Schleſien aus. Die beiden Hauptgruͤnde
dazu waren: daß ſeine Macht ſich im Winter ſo aufgeſtellt
fand und ein Zuſammenziehen derſelben auf einen Punkt
dem Stoß die Überraſchung benommen haben wuͤrde;
naͤchſtdem aber daß durch dieſes koncentriſche Vordringen
jedes der beiden oͤſtreichiſchen Kriegstheater in ſeiner Flanke
und im Ruͤcken bedroht war. Die Gefahr, welcher ſich
Friedrich der Große dabei ausſetzte, war, daß eine ſeiner
beiden Armeen von uͤberlegener Macht zu Grunde gerichtet
wuͤrde; verſtanden die Öſtreicher das nicht, ſo konnten
ſie die Schlacht entweder nur im Centro annehmen oder
ſie waren in Gefahr auf der einen oder andern Seite ganz
aus ihrer Ruͤckzugslinie hinausgeworfen zu werden und
eine Kataſtrophe zu erleben; und dies war der erhoͤhete
Erfolg welchen dieſes Vordringen dem Koͤnige verſprach.
Die Öſtreicher zogen die Schlacht im Centro vor, aber
[167] Prag, wo ſie ſich aufſtellten, lag noch zu ſehr im Einfluß
des umfaſſenden Angriffs, der, weil ſie ſich ganz leidend
verhielten, Zeit hatte in ſeine letzte Wirkſamkeit auszu-
laufen. Die Folge war, als ſie die Schlacht verloren
hatten, eine wahre Kataſtrophe; denn daß zwei Drittel der
Armee mit dem kommandirenden General ſich in Prag
einſchließen laſſen mußten, kann wohl dafuͤr gelten.
Dieſer glaͤnzende Erfolg bei Eroͤffnung des Feldzugs
lag in dem Wagſtuͤck des koncentriſchen Angriffs. Wenn
Friedrich die Praͤziſion ſeiner eigenen Bewegungen, die
Energie ſeiner Generale, die moraliſche Überlegenheit ſeiner
Truppen auf der einen Seite, und die Schwerfaͤlligkeit der
Öſtreicher auf der andern fuͤr hinreichend hielt, um ſeinem Plan
Erfolg zu verſprechen, wer konnte ihn tadeln! Aber dieſe
moraliſchen Groͤßen duͤrfen nicht aus dem Kalkuͤl wegge-
laſſen und der einfachen geometriſchen Form des Angriffs
ſchlechtweg die Urſache zugeſchrieben werden. Man denke
nur an den nicht weniger glaͤnzenden Feldzug Bonapartes
im Jahr 1796, wo die Öſtreicher fuͤr ein koncentriſches
Vordringen in Italien ſo auffallend beſtraft wurden. Die
Mittel welche dem franzoͤſiſchen General hier zu Gebot
ſtanden, haͤtten, mit Ausſchluß der moraliſchen, auch dem
oͤſtreichiſchen Feldherrn im Jahr 1757 zu Gebot geſtan-
den, und zwar mehr als das, denn er war nicht, wie Bo-
naparte, ſchwaͤcher als ſein Gegner. Wo man alſo befuͤrchten
muß, dem Gegner durch ein getrenntes koncentriſches Vor-
dringen die Moͤglichkeit zu verſchaffen, vermittelſt der in-
neren Linien die Ungleichheit der Streitkraͤfte aufzuheben:
da iſt es nicht zu rathen, und wenn es der Lage der
Streitkraͤfte wegen ſtatt finden muß, als ein nothwendiges
Übel zu betrachten.
Wenn wir von dieſem Geſichtspunkt aus einen Blick
[168] auf den Plan werfen, welcher im Jahr 1814 fuͤr das
Eindringen in Frankreich gemacht wurde, ſo koͤnnen wir
ihn unmoͤglich billigen. Die ruſſiſche, oͤſtreichiſche und
preußiſche Armee befanden ſich auf einem Punkt bei Frank-
furt am Main in der natuͤrlichſten und geradeſten Rich-
tung gegen den Schwerpunkt der franzoͤſiſchen Monarchie.
Man trennte ſie, um mit einer Armee von Mainz her,
mit der andern durch die Schweiz in Frankreich einzudrin-
gen. Da der Feind ſo ſchwach an Kraͤften war daß an
eine Vertheidigung der Grenze nicht gedacht werden konnte,
ſo war der ganze Vortheil welchen man von dieſem kon-
centriſchen Vordringen zu erwarten hatte, wenn es gelang:
daß, indem man mit der einen Armee Lothringen und den
Elſaß eroberte, mit der andern die Franche-Comté ge-
nommen wurde War dieſer kleine Vortheil der Muͤhe
werth nach der Schweiz zu marſchiren? — Wir wiſſen wohl
daß noch andere, uͤbrigens eben ſo ſchlechte, Gruͤnde fuͤr
dieſen Marſch entſchieden haben, wir bleiben aber hier bei
dem Element ſtehen wovon wir gerade handeln.
Von der andern Seite war Bonaparte der Mann
der die Vertheidigung gegen einen koncentriſchen Angriff
ſehr wohl verſtand, wie ſein meiſterhafter Feldzug von
1796 gezeigt hatte, und wenn man ihm ſehr an der Zahl
uͤberlegen war, ſo raͤumte man doch bei jeder Gelegenheit
ein, wie ſehr er es moraliſch ſei. Er kam zu ſpaͤt bei
ſeiner Armee nach Chalons an und dachte uͤberhaupt zu
geringſchaͤtzig von ſeinen Gegnern, und doch fehlte wenig
daran daß er die beiden Armeen unvereinigt getroffen
haͤtte; und wie fand er ſie bei Brienne dennoch geſchwaͤcht?
Bluͤcher hatte von ſeinen 65,000 Mann noch 27,000 unter
den Haͤnden, und die Hauptarmee von 200,000 Mann noch
100,000. Es war unmoͤglich dem Gegner ein beſſeres
[169] Spiel zu geben. Auch fuͤhlte man, von dem Augenblick
an wo man zum Handeln ſchritt, kein ſehnlicheres Beduͤrf-
niß als die Wiedervereinigung.
Wir glauben nach allen dieſen Betrachtungen daß,
wenn der koncentriſche Angriff auch an ſich das Mittel
zu groͤßeren Erfolgen iſt, er doch hauptſaͤchlich nur aus
der urſpruͤnglichen Vertheilung der Streitkraͤfte hervorge-
hen ſoll, und daß es wenig Faͤlle geben wird wo man
Recht hat um ſeinetwillen die kuͤrzeſte und einfachſte Rich-
tung der Kraͤfte zu verlaſſen.
3. Die Ausbreitung eines Kriegstheaters kann ein
Grund zum getrennten Vorgehen ſein.
Wenn eine angreifende Armee von einem Punkt aus
vorgeht und mit Erfolg weiter in das feindliche Land
eindringt, ſo wird zwar der Raum welchen ſie beherrſcht
nicht genau auf die Wege die ſie zieht beſchraͤnkt bleiben,
ſondern ſich etwas erweitern, doch wird dies von der
Dichtigkeit und Cohaͤſion des feindlichen Staates [abhaͤngen],
wenn wir uns dieſes Bildes bedienen duͤrfen. Haͤngt der
feindliche Staat nur locker zuſammen, iſt ſein Volk weich-
lich und des Krieges entwoͤhnt, ſo wird, ohne daß wir
Viel dazu thun, ſich hinter unſerm ſiegreichen Heer ein
weiter Landſtrich oͤffnen; haben wir es aber mit einem
tapfern und treuen Volke zu thun, ſo wird der Raum hinter
unſerm Heere mehr oder weniger ein ſchmales Dreieck ſein.
Um nun dieſem Übel vorzubeugen, hat der Vorge-
hende das Beduͤrfniß ſein Vordringen in einer gewiſſen
Breite anzuordnen. Iſt die feindliche Macht auf einem
Punkt vereinigt, ſo kann dieſe Breite nur ſo lange beibe-
halten werden als wir nicht im Contact mit ihr ſind, und
muß ſich zu ihrem Aufſtellungspunkt hin verengen; das iſt
an ſich verſtaͤndlich.
[170]
Aber wenn der Feind ſich ſelbſt in einer gewiſſen
Breite aufgeſtellt hat, ſo wuͤrde eine ebenmaͤßige Vertheilung
unſerer Streitkraͤfte an ſich nichts Widerſinniges haben.
Wir ſprechen hier von einem Kriegstheater oder von meh-
reren, die aber nahe bei einander liegen. Offenbar iſt alſo
dies da der Fall, wo, nach unſerer Anſicht, die Hauptunter-
nehmung uͤber die Nebenpunkte mitentſcheiden ſoll.
Kann man es nun immer darauf ankommen laſſen,
und darf man ſich der Gefahr ausſetzen welche entſteht
wenn der Einfluß des Hauptpunktes auf die Nebenpunkte
nicht groß genug iſt? Verdient das Beduͤrfniß einer ge-
wiſſen Breite des Kriegstheaters nicht eine beſondere
Ruͤckſicht?
Hier wie uͤberall iſt es unmoͤglich die Zahl der Com-
binationen zu erſchoͤpfen die ſtattfinden koͤnnen; aber wir
behaupten, daß, mit wenig Ausnahmen, die Entſcheidung
auf dem Hauptpunkte die Nebenpunkte mittreffen werde.
Nach dieſem Grundſatz iſt alſo die Handlung in allen
Faͤllen einzurichten wo nicht das Gegentheil offenbar iſt.
Als Bonaparte in Rußland eindrang, durfte er mit
Recht glauben die Streitkraͤfte der Ruſſen an der oberen
Duͤna durch die Überwaͤltigung der Hauptmacht mitfort-
reißen zu koͤnnen. Er ließ anfangs nur das Korps von
Oudinot gegen ſie ſtehen, allein Wittgenſtein ging zum
Angriff uͤber, und Bonaparte war genoͤthigt auch noch das
ſechste Korps dahin zu ſchicken.
Dagegen hatte er von Hauſe aus einen Theil ſeiner
Streitkraͤfte gegen Bagration gerichtet; dieſer aber wurde
von der ruͤckgaͤngigen Bewegung der Mitte mitfortgeriſſen,
und Bonaparte konnte dieſe Streitkraͤfte wieder an ſich
ziehen. Haͤtte Wittgenſtein nicht die zweite Hauptſtadt zu
decken gehabt, ſo wuͤrde auch er Barklay gefolgt ſein.
[171]
In den Jahren 1805 und 1809 hatte Bonaparte
bei Ulm und Regensburg uͤber Italien und Tyrol mit-
entſchieden, obgleich das erſtere doch ein ziemlich entlegenes,
fuͤr ſich beſtehendes Kriegstheater war. Im Jahre 1806
hat er bei Jena und Auerſtaͤdt uͤber Alles entſchieden was
in Weſtphalen, Heſſen und auf der frankfurter Straße
gegen ihn geſchehen konnte.
Unter der Menge von Umſtaͤnden welche auf den
Widerſtand der Seitentheile Einfluß haben koͤnnen, treten
hauptſaͤchlich zwei hervor.
Der erſte iſt: wenn man, wie in Rußland, einem Lande
von großen Dimenſionen und verhaͤltnißmaͤßig auch großen
Kraͤften, den entſcheidenden Schlag im Hauptpunkte lange
verzoͤgern kann und nicht genoͤthigt iſt dort Alles in der
Eile zuſammenzuraffen.
Der zweite: wenn, wie im Jahre 1806 Schleſien,
ein Seitenpunkt durch eine Maſſe von Feſtungen unge-
woͤhnliche Selbſtſtaͤndigkeit bekommt. Und doch hat Bo-
naparte dieſen Punkt mit großer Geringſchaͤtzung behandelt,
indem er, ob er ihn gleich bei ſeinem Marſch auf War-
ſchau voͤllig hinter ſich laſſen mußte, doch nur 20,000 Mann
unter ſeinem Bruder Jerome dahin anruͤcken ließ.
Hat ſich nun in einem vorliegenden Falle ergeben daß der
Schlag auf den Hauptpunkt die Seitenpunkte hoͤchſt wahrſchein-
lich nicht erſchuͤttern wird, oder wirklich nicht erſchuͤttert hat, ſo
liegt doch darin, daß der Feind auf dieſen Punkten wirklich
Streitkraͤfte aufgeſtellt hat, und dieſen werden dann, als
ein nothwendiges Übel, andere angemeſſenere entgegengeſtellt
werden muͤſſen, weil man ſeine Verbindungslinie nicht
von Hauſe aus abſolut preisgeben kann.
Die Vorſicht aber kann noch einen Schritt weiter
gehen; ſie kann fordern daß das Vorſchreiten gegen den
[172] Hauptpunkt mit dem Vorſchreiten auf Nebenpunkten genau
Schritt halte, und daß folglich jedesmal mit dem Haupt-
unternehmen innegehalten werde wenn die Nebenpunkte des
Feindes nicht weichen wollen.
Dieſer Grundſatz wuͤrde dem unſrigen, Alles in eine
Haupthandlung ſo viel als moͤglich zu vereinigen, zwar
nicht geradezu widerſprechen, allein der Geiſt, aus welchem
er entſpringt, iſt dem Geiſt, in welchem der unſrige ge-
dacht iſt, vollkommen entgegen. Aus dieſem Grundſatz
wuͤrde ein ſolches Abmeſſen der Bewegung, ein ſolches
Laͤhmen der Stoßkraft, ein ſolches Spiel von Zufaͤllen,
ein ſolcher Zeitverluſt entſtehen, daß er ſich mit einer Of-
fenſive, die auf die Niederwerfung des Gegners gerichtet
iſt, praktiſch durchaus nicht vertraͤgt.
Die Schwierigkeit wird noch groͤßer wenn die Kraͤfte
dieſer Nebenpunkte ſich excentriſch zuruͤckziehen koͤnnen —
was wuͤrde da aus der Einheit unſeres Stoßes werden?
Wir muͤſſen uns alſo gegen die Abhaͤngigkeit des
Hauptangriffs von den Nebenpunkten als Grundſatz durch-
aus erklaͤren, und behaupten: daß ein auf das Niederwerfen
des Gegners gerichteter Angriff, der nicht die Kuͤhnheit
hat wie eine Pfeilſpitze gegen das Herz des feindlichen
Staates hinzuſchießen, ſein Ziel nicht erreichen kann.
4. Endlich liegt noch in der Erleichterung des Un-
terhaltes ein vierter Grund zum getrennten Vorgehen.
Es iſt freilich viel angenehmer mit einer kleinen
Armee durch eine wohlhabende Provinz zu ziehen, als mit
einer großen durch eine arme; aber bei zweckmaͤßigen
Maaßregeln und einem an Entbehrung gewoͤhnten Heere
iſt das Letztere nicht unmoͤglich, und es ſollte alſo das
Erſtere niemals ſo viel Einfluß auf unſere Entſchluͤſſe
haben um uns einer großen Gefahr auszuſetzen.
[173]
Wir haben nun hiermit den Gruͤnden zur Trennung
der Kraͤfte, wodurch die eine Haupthandlung in mehrere
zerlegt wird, ihr Recht eingeraͤumt, und werden nicht zu
tadeln wagen wenn die Trennung nach einem dieſer Gruͤnde
mit deutlichem Bewußtſein des Zweckes und ſorgfaͤltiger
Abwaͤgung der Vortheile und Nachtheile geſchieht.
Wenn aber, wie es gewoͤhnlich geſchieht, von einem ge-
lehrten Generalſtabe der Plan bloß aus Gewohnheit ſo
gemacht wird, wenn die verſchiedenen Kriegstheater wie
die Felder im Schachſpiel, jedes mit ſeinem Theil, vorher
beſetzt werden muͤſſen ehe die Zuͤge anfangen, wenn dieſe
Zuͤge mit einer eingebildeten Combinationsweisheit in ver-
wickelten Linien und Verhaͤltniſſen ſich dem Ziele naͤhern,
wenn die Heere ſich heute trennen muͤſſen um ihre ganze
Kunſt darin beſtehen zu laſſen ſich in vierzehn Tagen mit
groͤßter Gefahr wieder zu vereinigen — dann haben wir
ein Graͤuel an dieſem Verlaſſen des graden, einfachen,
ſchlichten Weges um ſich abſichtlich in lauter Verwirrung
zu ſtuͤrzen. Dieſe Thorheit tritt um ſo leichter ein, je
weniger es der oberſte Feldherr iſt der den Krieg leitet
und ihn in dem Sinne, wie wir im erſten Kapitel ange-
deutet haben, als eine einfache Handlung ſeines, mit unge-
heuren Kraͤften ausgeruͤſteten, Individuums fuͤhrt; je mehr
alſo der ganze Plan in der Fabrik eines unpraktiſchen
Generalſtabes entſtanden und aus den Ideen von einem
Dutzend Halbwiſſer hervorgegangen iſt. —
Wir haben nun noch den dritten Theil unſeres erſten
Grundſatzes zu bedenken: naͤmlich die untergeordneten Theile
ſo untergeordnet als moͤglich zu halten.
Indem man den ganzen kriegeriſchen Akt auf ein
einfaches Ziel zuruͤckzufuͤhren ſtrebt und dieſes ſo viel als
moͤglich durch eine große Handlung zu erreichen ſucht,
[174] beraubt man die uͤbrigen Beruͤhrungspunkte der gegenſeiti-
gen Kriegsſtaaten eines Theiles ihrer Selbſtſtaͤndigkeit; ſie
werden untergeordnete Handlungen. Koͤnnte man Alles
abſolut in eine einzige zuſammendraͤngen, ſo wuͤrden jene
Beruͤhrungspunkte ganz neutraliſirt werden, das iſt aber
ſelten moͤglich, und es kommt alſo darauf an ſie ſo in
Schranken zu halten daß ſie der Hauptſache nicht zu viel
Kraͤfte entziehen.
Wir fangen damit an, zu ſagen daß der Kriegsplan
dieſe Tendenz ſelbſt dann haben muß, wenn es nicht moͤg-
lich iſt den ganzen feindlichen Widerſtand auf einen
Schwerpunkt zuruͤckzufuͤhren, wenn man alſo in dem Fall
iſt, wie wir uns ſchon einmal ausgedruͤckt haben, zwei
faſt ganz verſchiedene Kriege zu gleicher Zeit zu fuͤhren.
Immer muß der eine als die Hauptſache angeſehen
werden, auf welche ſich vorzugsweiſe die Kraͤfte und Thaͤ-
tigkeiten richten.
Bei dieſer Anſicht iſt es vernuͤnftig, angriffsweiſe
nur nach dieſer einen Hauptſeite hinzugehen, auf der andern
aber vertheidigend zu bleiben. Nur wo ungewoͤhnliche
Umſtaͤnde zu einem Angriff einladen wuͤrde er zu recht-
fertigen ſein.
Ferner wird man dieſe Vertheidigung, welche auf den
untergeordneten Punkten ſtatt findet, mit ſo wenigen Kraͤften
als moͤglich zu fuͤhren, und ſich aller Vortheilezu bedienen
ſuchen welche dieſe Widerſtandsform zu gewaͤhren vermag.
Noch viel mehr wird dieſe Anſicht bei allen Kriegs-
theatern gelten, auf welchen zwar auch Heere verſchiedener
Maͤchte auftreten, aber doch ſolche die in dem allgemeinen
Schwerpunkte mitgetroffen werden.
Gegen den Feind aber, welchem der Hauptſtoß gilt,
kann es hiernach auf Nebenkriegstheatern keine Vertheidi-
[175] gung mehr geben. Der Hauptangriff ſelbſt und die durch
andere Ruͤckſichten herbeigefuͤhrten untergeordneten Angriffe
machen dieſen Stoß aus, und machen jede Vertheidigung
von Punkten, welche durch ſie nicht unmittelbar gedeckt
werden, uͤberfluͤſſig. Auf die Hauptentſcheidung kommt es
an, in ihr wird jeder Verluſt eingebracht. Reichen die
Kraͤfte hin eine ſolche Hauptentſcheidung vernuͤnftigerweiſe
zu ſuchen, ſo kann die Moͤglichkeit des Fehlſchlagens
nicht mehr als ein Grund gebraucht werden, ſich in jedem
Fall auf andere Punkte fuͤr Schaden zu huͤten; denn
dieſes Fehlſchlagen wird eben dadurch viel wahrſchein-
licher, und es iſt alſo in unſerer Handlung ein Wider-
ſpruch entſtanden.
Aber dieſes Vorherſehen der Haupthandlung uͤber die
untergeordneten ſoll auch ſelbſt bei den einzelnen Gliedern
des ganzen Angriffs ſtatt finden. Da ſich aber meiſt aus
anderweitigen Gruͤnden beſtimmt, welche Kraͤfte von dem
einen Kriegstheater und welche von dem andern gegen
den gemeinſchaftlichen Schwerpunkt vordringen ſollen: ſo
kann hier nur gemeint ſein, daß ein Beſtreben da ſein
muß die Haupthandlung vorwalten zu laſſen, und
daß Alles einfacher und weniger Zufaͤllen unterworfen ſein
wird, je mehr dieſes Vorwalten erreicht werden kann.
Der zweite Grundſatz betrifft den ſchnellen Gebrauch
der Streitkraͤfte.
Jeder unnuͤtze Zeitaufwand, jeder unnuͤtze Umweg iſt
eine Verſchwendung der Kraͤfte, und alſo der Strategie
ein Graͤuel.
Aber wichtiger iſt die Erinnerung, daß der Angriff
uͤberhaupt faſt ſeinen einzigen Vorzug in der Überraſchung
beſitzt, womit die Eroͤffnung der Scene wirken kann. Das
Ploͤtzliche und Unaufhaltſame ſind ſeine ſtaͤrkſten Schwin-
[176] gen, und wo es auf die Niederwerfung des Gegners an-
kommt kann er dieſer ſelten entbehren.
Hiermit fordert die Theorie alſo die kuͤrzeſten Wege
zum Ziel, und ſchließt die zahlloſen Diskuſſionen uͤber
rechts und links, hierhin oder dorthin von der Betrachtung
ganz aus.
Wenn wir an Das erinnern was wir in dem Kapitel
von dem Gegenſtand des ſtrategiſchen Angriffs uͤber die
Herzgrube der Staaten geſagt haben, ferner an Das was
im vierten Kapitel dieſes Buchs uͤber den Einfluß der
Zeit vorkommt: ſo, glauben wir, bedarf es keiner weiteren
Entwickelungen um zu zeigen daß jenem Grundſatz der
Einfluß wirklich gebuͤhre welchen wir fuͤr ihn fordern.
Bonaparte hat niemals anders gehandelt. Die naͤchſte
Hauptſtraße von Heer zu Heer oder von Hauptſtadt zu
Hauptſtadt war ihm immer der liebſte Weg.
Und worin wird nun die Haupthandlung, auf welche
wir Alles zuruͤckgefuͤhrt und fuͤr welche wir eine raſche
und unumwundene Vollziehung gefordert haben, beſtehen?
Was die Niederwerfung des Feindes ſei, haben wir,
ſoviel es ſich im Allgemeinen thun laͤßt, im vierten Ka-
pitel geſagt, und es waͤre unnuͤtz es zu wiederholen.
Worauf es nun auch dabei im einzelnen Fall am Ende
ankommen mag, ſo iſt doch der Anfang dazu uͤberall der-
ſelbe: die Vernichtung der feindlichen Streitkraft d. h.
ein großer Sieg uͤber dieſelbe und ihre Zertruͤmmerung.
Je fruͤher, d. h. je naͤher an unſeren Grenzen dieſer Sieg
geſucht wird, um ſo leichter iſt er; je ſpaͤter d. h. je tiefer
im feindlichen Lande er erfochten wird, um ſo entſchei-
dender iſt er. Hier wie uͤberall halten ſich die Leichtig-
tigkeit des Erfolgs und die Groͤße deſſelben das Gleich-
gewicht.
Sind
[177]
Sind wir alſo der feindlichen Streitkraft nicht ſo
uͤberlegen daß der Sieg unzweifelhaft iſt, ſo muͤſſen wir
ſie, d. h. ihre Hauptmacht, wo moͤglich aufſuchen. Wir
ſagen wo moͤglich, denn wenn dieſes Aufſuchen zu großen
Umwegen, falſchen Richtungen und Zeitverluſt fuͤr uns
fuͤhrte, ſo koͤnnte es leicht ein Fehler werden. Findet ſich
die feindliche Hauptmacht nicht auf unſerem Wege und
koͤnnen wir, weil es ſonſt gegen unſer Intereſſe iſt, ſie
nicht aufſuchen, ſo duͤrfen wir ſicher ſein ſie ſpaͤter zu fin-
den, denn ſie wird nicht ſaͤumen ſich uns entgegen zu
werfen. Wir werden dann, wie wir eben geſagt haben,
unter weniger vortheilhaften Umſtaͤnden ſchlagen; ein Übel
dem wir uns unterziehen muͤſſen. Gewinnen wir die
Schlacht dennoch, ſo wird ſie um ſo entſcheidender ſein.
Hieraus folgt, daß, in dem angenommenen Fall, ein
abſichtliches Vorbeigehen der feindlichen Hauptmacht, wenn
ſie ſich ſchon auf unſerem Wege befindet, ein Fehler ſein
wuͤrde, wenigſtens in ſofern man dabei eine Erleichterung
des Sieges beabſichtigte.
Dagegen folgt aus dem Obigen: daß man, bei einer
ſehr entſchiedenen Überlegenheit, der feindlichen Hauptmacht
abſichtlich vorbeigehen koͤnne, um ſpaͤterhin eine entſcheiden-
dere Schlacht zu liefern.
Wir haben von einem vollſtaͤndigen Siege, alſo von
einer Niederlage des Feindes und nicht von einer bloßen
gewonnenen Schlacht geſprochen. Zu einem ſolchen Siege
aber gehoͤrt ein umfaſſender Angriff oder eine Schlacht
mit verwandter Fronte, denn beide geben dem Ausgang
jedesmal einen entſcheidenden Charakter. Es gehoͤrt alſo
zum Weſentlichen des Kriegsplanes daß wir uns darauf
einrichten, ſowohl was die Maſſe der Streitkraͤfte betrifft
die noͤthig, als die Richtungen welche ihnen zu geben ſind,
III 12
[178] wovon das Weitere im Kapitel von dem Feldzugsplan
geſagt werden ſoll.
Daß auch Schlachten mit gerader Fronte zu vollkom-
menen Niederlagen fuͤhren, iſt zwar nicht unmoͤglich und es
fehlt nicht an Beiſpielen in der Kriegsgeſchichte, allein der Fall
iſt ſeltener, und wird immer ſeltener je mehr die Heere ſich
an Ausbildung und an Gewandheit aͤhnlicher werden. Jetzt
macht man nicht mehr, wie bei Blenheim, einundzwanzig
Bataillone in einem Dorfe gefangen.
Iſt nun der große Sieg erfochten, ſo ſoll von keiner
Raſt, von keinem Athemholen, von keinem Beſinnen, von
keinem Feſtſtellen u. ſ. w. die Rede ſein, ſondern nur von
der Verfolgung, von neuen Stoͤßen wo ſie noͤthig ſind,
von der Einnahme der feindlichen Hauptſtadt, von dem
Angriff der feindlichen Huͤlfsheere oder was ſonſt als der
Unterſtuͤtzungspunkt des feindlichen Staates erſcheint.
Fuͤhrt uns der Strom des Sieges an feindlichen
Feſtungen vorbei, ſo haͤngt es von unſerer Staͤrke ab ob
ſie belagert werden ſollen oder nicht. Bei großer Überle-
genheit waͤre es ein Zeitverluſt ſich ihrer nicht ſo fruͤh als
moͤglich zu bemaͤchtigen; ſind wir aber des ferneren Er-
folges an der Spitze nicht ſicher, ſo muͤſſen wir uns vor
den Feſtungen mit ſo Wenigem als moͤglich behelfen, und
das ſchließt die gruͤndliche Belagerung derſelben aus. Von
dem Augenblick an wo die Belagerung der Feſtungen uns
zwingt mit dem Vorſchreiten des Angriffs inne zu halten,
hat dieſer in der Regel ſeinen Kulminationspunkt er-
reicht. Wir fordern alſo ein ſchnelles raſtloſes Vordringen
und Nachdringen der Hauptmacht; wir haben es ſchon
verworfen daß dieſes Vorſchreiten auf dem Hauptpunkte
ſich nach dem Erfolg auf den Nebenpunkten richte; die
Folge wird alſo ſein daß in allen gewoͤhnlichen Faͤllen
[179] unſer Hauptheer nur einen ſchmalen Landſtrich hinter ſich
behaͤlt, welchen es ſein nennen kann und der alſo ſein
Kriegstheater ausmacht. Die Art wie dies die Stoßkraft
an der Spitze ſchwaͤcht, die Gefahren welche dem Angrei-
fenden daraus erwachſen, haben wir fruͤher gezeigt. Wird
dieſe Schwierigkeit, wird dieſes innere Gegengewicht nicht
einen Punkt erreichen koͤnnen der das weitere Vordringen
hemmt? Allerdings kann das ſein. Aber ſo wie wir
oben behauptet haben, daß es ein Fehler waͤre von Hauſe
aus dieſes verengte Kriegstheater vermeiden zu wollen
und um dieſes Zweckes willen dem Angriff ſeine Schnell-
kraft zu benehmen, ſo behaupten wir auch jetzt: ſo
lange der Feldherr ſeinen Gegner noch nicht niedergewor-
fen hat, ſo lange er glaubt ſtark genug zu ſein um das
Ziel zu gewinnen, ſo lange muß er es verfolgen. Er thut
es vielleicht mit ſteigender Gefahr, aber auch mit ſteigen-
der Groͤße des Erfolgs. Kommt ein Punkt wo er es
nicht wagt weiterzugehen, wo er glaubt fuͤr ſeinen Ruͤk-
ken ſorgen zu muͤſſen, ſich rechts und links auszubreiten —
wohlan, es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich ſein Kulminationspunkt.
Die Flugkraft iſt dann zu Ende, und wenn der Gegner
nicht niedergeworfen iſt ſo wird hoͤchſt wahrſcheinlich Nichts
daraus werden.
Alles was er zur intenſiven Ausbildung ſeines An-
griffs mit Eroberung von Feſtungen, Paͤſſen, Provinzen
thut, iſt zwar noch ein langſames Vorſchreiten, aber nur
ein relatives, kein abſolutes mehr. Der Feind iſt nicht
mehr auf der Flucht, er ruͤſtet ſich vielleicht ſchon zu er-
neuertem Widerſtand, und es iſt alſo ſchon moͤglich daß,
obgleich der Angreifende noch intenſiv vorwaͤrtsſchreitet,
der Vertheidiger, indem er es auch thut, ſchon taͤglich et-
was uͤber ihn gewinnt. Kurz wir kommen darauf zuruͤck:
12*
[180] es giebt in der Regel nach einem nothwendigen Halt keinen
zweiten Anlauf.
Die Theorie fordert alſo nur: daß, ſo lange die Idee
beſteht den Feind niederzuwerfen, raſtlos gegen ihn vor-
geſchritten werde; giebt der Feldherr dieſes Ziel auf, weil
er die Gefahr dabei zu groß findet, ſo thut er recht inne
zu halten und ſich auszubreiten. Die Theorie tadelt dies
nur wenn er es thut um dadurch zum Niederwerfen des
Gegners geſchickter zu werden.
Wir ſind nicht ſo thoͤricht zu behaupten daß es kein
Beiſpiel von Staaten gaͤbe die nach und nach aufs Äu-
ßerſte gebracht worden waͤren. Erſtlich iſt der von uns
aufgeſtellte Satz keine abſolute Wahrheit, von der eine
Ausnahme unmoͤglich waͤre, ſondern er gruͤndet ſich nur
auf den wahrſcheinlichen und gewoͤhnlichen Erfolg; ſodann
muß man unterſcheiden ob der Untergang eines Staates
nach und nach ſich hiſtoriſch zugetragen hat oder ob er
gleich das Ziel des erſten Feldzugs geweſen war. Nur
von dieſem Fall ſprechen wir hier, denn nur in ihm findet
jene Spannung der Kraͤfte ſtatt, die den Schwerpunkt
der Laſt entweder uͤberwaͤltigt oder in Gefahr iſt von
ihm uͤberwaͤltigt zu werden. Wenn man ſich im erſten
Jahre einen maͤßigen Vortheil verſchafft, zu dieſem im
folgenden einen andern hinzufuͤgt und ſo nach und nach
langſam gegen das Ziel vorſchreitet: ſo findet ſich nirgend
eine eminente Gefahr, aber dafuͤr iſt ſie auf viele Punkte
vertheilt. Jeder Zwiſchenraum von einem Erfolg zum
andern giebt dem Feinde neue Ausſichten; die Wirkungen
des fruͤheren Erfolges haben auf den ſpaͤteren einen ſehr
geringen Einfluß, oft keinen, oft einen negativen, weil der
Feind ſich erholt oder gar zu groͤßerem Widerſtand ent-
flammt wird, oder neue Huͤlfe von Außen bekommt,
[181] waͤhrend da, wo Alles in einem Zuge geſchieht, der geſtrige
Erfolg den heutigen mit ſich fortreißt, der Brand am
Brande ſich entzuͤndet. Wenn es Staaten giebt die durch
ſucceſſive Stoͤße uͤberwaͤltigt worden ſind, und wo ſich alſo
die Zeit dem Vertheidiger, deſſen Schutzheiliger ſie iſt,
verderblich gezeigt hat, — wie unendlich viel zahlreicher
ſind die Beiſpiele wo die Abſicht des Angreifenden daruͤber
ganz verfehlt worden iſt. Man denke nur an den Erfolg
des ſiebenjaͤhrigen Krieges, wo die Öſtreicher das Ziel mit
ſo viel Gemaͤchlichkeit, Behutſamkeit und Vorſicht zu er-
reichen ſuchten daß ſie es ganz verfehlten.
Bei dieſer Anſicht koͤnnen wir alſo gar nicht der
Meinung ſein, daß die Sorge fuͤr ein gehoͤrig eingerichtetes
Kriegstheater dem Trieb nach Vorwaͤrts immer zur Seite
ſtehen und ihm gewiſſermaßen das Gleichgewicht halten
muͤſſe, ſondern wir ſehen die Nachtheile die daraus er-
wachſen als ein unvermeidliches Übel an, welches erſt dann
Ruͤckſicht verdient wenn uns nach vornhin keine Hoffnung
mehr bleibt.
Bonaparte’s Beiſpiel vom Jahre 1812, weit ent-
fernt uns von unſerer Behauptung zuruͤckzuſchrecken, hat
uns vielmehr darin beſtaͤrkt.
Sein Feldzug iſt nicht mißrathen weil er zu ſchnell
und zu weit vorgedrungen iſt, wie die gewoͤhnliche Mei-
nung geht, ſondern weil die einzigen Mittel zum Erfolg
fehlſchlugen. Das ruſſiſche Reich iſt kein Land was man
foͤrmlich erobern d. h. beſetzt halten kann, wenigſtens nicht
mit den Kraͤften jetziger europaͤiſcher Staaten und auch
nicht mit den 500,000 Mann die Bonaparte dazu an-
fuͤhrte. Ein ſolches Land kann nur bezwungen werden
durch eigene Schwaͤche und durch die Wirkungen des inne-
ren Zwieſpaltes. Um auf dieſe ſchwachen Stellen des
[182] politiſchen Daſeins zu ſtoßen iſt eine bis ins Herz des
Staates gehende Erſchuͤtterung nothwendig. Nur wenn
Bonaparte mit ſeinem kraͤftigen Stoß bis Moskau hin-
reichte, durfte er hoffen den Muth der Regierung und die
Treue und Standhaftigkeit des Volkes zu erſchuͤttern.
In Moskau hoffte er den Frieden zu finden, und dies
war das einzige vernuͤnftige Ziel welches er ſich bei dieſem
Kriege ſtecken konnte.
Er fuͤhrte alſo ſeine Hauptmacht gegen die Haupt-
macht der Ruſſen, die vor ihm zuruͤck uͤber das Lager
von Driſſa hinſtolperte und erſt bei Smolensk zum Stehen
kam. Er riß Bagration mit fort, ſchlug beide und nahm
Moskau ein. Er handelte hier wie er immer gehandelt hatte;
nur auf dieſe Weiſe war er der Gebieter Europas geworden
und nur auf dieſe Weiſe hatte er es werden koͤnnen.
Wer alſo Bonaparte in allen ſeinen fruͤheren Feld-
zuͤgen als den groͤßten Feldherrn bewundert, der ſoll ſich in
dieſem nicht uͤber ihn erheben.
Es iſt erlaubt eine Begebenheit nach dem Erfolg zu
beurtheilen, weil dieſer die beſte Kritik davon iſt (ſiehe fuͤnftes
Kapitel des zweiten Buches), aber dieſes bloß aus dem Erfolg
gezogene Urtheil muß man dann nicht mit menſchlicher Weis-
heit nachweiſen wollen. Die Urſachen eines verungluͤckten
Feldzugs aufſuchen, heißt noch nicht eine Kritik deſſelben
machen; nur wenn man beweiſt daß dieſe Urſachen nicht
haͤtten uͤberſehen oder unbeachtet bleiben ſollen, macht man
die Kritik und erhebt ſich uͤber den Feldherrn.
Nun behaupten wir, daß wer in dem Feldzug von
1812 bloß wegen ſeines ungeheueren Ruͤckſchlages eine
Abſurditaͤt findet, waͤhrend er beim gluͤcklichen Erfolg darin
die erhabenſten Kombinationen geſehen haͤtte, eine voͤllige
Unfaͤhigkeit des Urtheils zeigt.
[183]
Waͤre Bonaparte in Litthauen ſtehen geblieben, wie
die meiſten Kritiker gewollt haben, um ſich erſt der Feſtun-
gen zu verſichern, deren es uͤbrigens, außer dem voͤllig
ſeitwaͤrts gelegenen Riga, kaum eine gab, weil Bobruisk
ein kleines unbedeutendes Neſt iſt: ſo wuͤrde er ſich fuͤr
den Winter in ein trauriges Vertheidigungsſyſtem ver-
wickelt haben; dann wuͤrden dieſelben Leute die erſten ge-
weſen ſein welche ausgerufen haͤtten: das iſt nicht mehr
der alte Bonaparte! Wie, nicht einmal zu einer erſten
Hauptſchlacht hat er es getrieben, er der ſeine Eroberungen
durch die Siege von Auſterlitz und Friedland an den letzten
Mauern der feindlichen Staaten zu beſiegeln pflegte? Die
feindliche Hauptſtadt, das entbloͤßte zum Fall bereite Mos-
kau hat er zu nehmen zaghaft verſaͤumt und dadurch
den Kern beſtehen laſſen um den ſich neuer Widerſtand
ſammeln konnte? Er hat das unerhoͤrte Gluͤck dieſen ent-
fernten ungeheuern Koloß zu uͤberfallen, wie man eine
benachbarte Stadt oder wie Friedrich der Große das
kleine nahe Schleſien uͤberfaͤllt, und er benutzt dieſen Vor-
theil nicht, haͤlt mitten im Siegeslauf inne als wenn ſich
ein boͤſer Geiſt an ſeine Ferſen gelegt haͤtte? — So wuͤrden
die Leute geurtheilt haben, denn ſo ſind die Urtheile der
meiſten Kritiker beſchaffen.
Wir ſagen: der Feldzug von 1812 iſt nicht gelungen,
weil die feindliche Regierung feſt, das Volk treu und
ſtandhaft blieb, weil er alſo nicht gelingen konnte. Es
mag ein Fehler Bonapartes ſein ihn unternommen zu
haben, wenigſtens hat der Erfolg gezeigt daß er ſich in
ſeinem Kalkuͤl betrogen hat, aber wir behaupten, daß,
wenn dieſes Ziel geſucht werden ſollte, es der Hauptſache
nach nicht anders zu erreichen war.
Anſtatt ſich im Oſten einen endloſen koſtbaren Ver-
[184] theidigungskrieg aufzuladen, wie er ihn ſchon im Weſten
zu fuͤhren hatte, verſuchte Bonaparte das einzige Mittel
zum Zweck: mit einem kuͤhnen Schlag dem beſtuͤrzten
Gegner den Frieden abzugewinnen. Daß ſeine Armee
dabei zu Grunde ging war die Gefahr welcher er ſich
dabei unterzog, es war der Einſatz im Spiel, der Preis
der großen Hoffnung. Iſt dieſe Zerſtoͤrung ſeiner Streit-
kraͤfte durch ſeine Schuld groͤßer geworden als noͤthig ge-
weſen waͤre, ſo iſt dieſe Schuld nicht in das weite Vordringen
zu ſetzen, denn dies war Zweck und unvermeidlich, ſondern
in die ſpaͤte Eroͤffnung des Feldzugs, in die Menſchen-
verſchwendung ſeiner Taktik, in den Mangel an Sorgfalt
fuͤr den Unterhalt des Heeres und fuͤr die Einrichtung der
Ruͤckzugsſtraße, endlich in den etwas verſpaͤteten Abmarſch
von Moskau.
Daß ſich ihm die ruſſiſchen Armeen an der Bereſina
vorlegen konnten, um ihm foͤrmlich den Ruͤckzug zu ver-
wehren, iſt kein ſtarkes Argument gegen uns. Denn: erſtlich
hat gerade dies gezeigt wie ſchwer das wirkliche Abſchnei-
den zu bewirken iſt, da ſich der Abgeſchnittene unter
den unguͤnſtigſten denkbaren Umſtaͤnden am Ende den
Weg noch gebahnt hat und dieſer ganze Akt zur
Vergroͤßerung ſeiner Kataſtrophe zwar beigetragen hat,
aber ſie doch nicht weſentlich ausmachte. Zweitens bot
nur die ſeltene Beſchaffenheit der Gegend die Mittel dar
es ſo weit zu treiben, und ohne die, der großen Straße
ſich queervorlegenden, Suͤmpfe der Bereſina, mit ihren wald-
reichen unzugaͤnglichen Raͤndern, waͤre ein Abſchneiden noch
weniger moͤglich geweſen. Drittens giebt es uͤberhaupt
kein Mittel ſich gegen eine ſolche Moͤglichkeit anders zu
ſichern, als indem man ſeine Macht in einer gewiſſen
Breite vorfuͤhrt, welches wir ſchon fruͤher verworfen ha-
[185] ben; denn iſt man einmal darauf eingegangen in der Mitte
vorzudringen und ſich die Seiten durch Heere zu decken
die man rechts und links zuruͤcklaͤßt, ſo muͤßte man bei
jedem moͤglichen Unfall eines ſolchen Heeres mit der Spitze
gleich zuruͤck eilen, und dann koͤnnte wohl aus dem Angriff
nicht Viel werden.
Man kann gar nicht ſagen daß Bonaparte ſeine
Seiten vernachlaͤſſigt habe. Gegen Wittgenſtein blieb eine
uͤberlegene Macht ſtehen; vor Riga ſtand ein angemeſſenes
Belagerungskorps, welches ſogar dort uͤberfluͤſſig war,
und im Suͤden hatte Schwarzenberg 50,000 Mann, wo-
mit er Tormaſſof uͤberlegen und ſelbſt Tſchitſchagow bei-
nahe gewachſen war; dazu kamen noch 30,000 Mann un-
ter Victor im Mittelpunkt des Ruͤckens. — Selbſt im
Monat November, alſo im entſcheidenden Augenblick als
ſich die ruſſiſchen Streitkraͤfte verſtaͤrkt hatten, und die
franzoͤſiſchen ſchon ſehr geſchwaͤcht waren, war die Überle-
genheit der Ruſſen im Ruͤcken der moskauer Armee noch
nicht ſo außerordentlich. Wittgenſtein, Tſchitſchagow und
Sacken bildeten zuſammen eine Macht von 110,000 Mann.
Schwarzenberg, Regnier, Victor, Oudinot und St. Cyr
waren effektiv noch 80,000 Mann. Der behutſamſte Ge-
neral wuͤrde beim Vorgehen ſeinen Flanken kaum eine
groͤßere Streitkraft widmen.
Haͤtte Bonaparte von den 600,000 Mann, die im
Jahr 1812 den Niemen uͤberſchritten haben, ſtatt 50,000
die mit Schwarzenberg, Regnier und Macdonald uͤber
denſelben zuruͤckgegangen ſind, 250,000 zuruͤckgebracht,
welches bei Vermeidung der Fehler die wir ihm vorge-
worfen haben moͤglich war, ſo blieb es ein ungluͤcklicher
Feldzug, aber die Theorie haͤtte Nichts dagegen einwenden
koͤnnen, denn uͤber die Haͤlfte ſeines Heeres einzubuͤßen iſt
[186] in ſolchem Fall nichts Ungewoͤhnliches, und nimmt ſich fuͤr
uns nur wegen des großes Maaßſtabes ſo aus. —
So viel uͤber die Haupthandlung, ihre nothwendige
Tendenz und ihre unvermeidlichen Gefahren. Was die
untergeordneten Handlungen betrifft, ſo ſagen wir vor
allen Dingen: es muß [ein] gemeinſchaftliches Ziel aller
da ſein, aber dieſes Ziel muß ſo geſtellt werden daß es
nicht die Thaͤtigkeiten einzelner Theile laͤhmt. Wenn man
vom Ober- und Mittelrhein und von Holland aus gegen Frank-
reich vordringt um ſich bei Paris ein Rendezvous zu ge-
ben, und jede Armee Nichts wagen, ſondern ſich ſo viel
wie moͤglich intact erhalten ſoll bis dieſe Vereinigung
erreicht iſt, ſo nennen wir das einen verderblichen Plan.
Es entſteht nothwendig ein Abwaͤgen der dreifachen Be-
wegung, welche Zoͤgerung, Unentſchloſſenheit und Zaghaf-
tigkeit in das Vorſchreiten jedes Theils bringt. Beſſer
iſt es jedem Theil ſeine Armee fuͤr ſich zuzumeſſen und
nur die Einheit dahin zu ſetzen wo dieſe verſchiedenen
Thaͤtigkeiten von ſelbſt zur Einheit werden.
Dieſes Trennen, um ſich ein Paar Maͤrſche ſpaͤter
wieder zu vereinigen, kommt faſt in allen Kriegen vor und
iſt doch im Grunde ganz ohne Sinn. Iſt man getrennt,
ſo muß man wiſſen warum man es iſt, und dieſes warum
muß erfuͤllt werden und kann nicht in der ſpaͤteren Ver-
einigung beſtehen wie bei einer Quadrillentour.
Es ſoll alſo, wenn die Kriegsmacht zum Angriff auf
getrennten Kriegstheatern vorgeht, jedem Heer ſeine Auf-
gabe fuͤr ſich beſtehend gegeben werden, an deren Gegen-
ſtand es ſeine Stoßkraft erſchoͤpfen kann. Daß dies
Letztere von allen Seiten geſchehe, darauf kommt es
an, und nicht darauf daß Alle verhaͤltnißmaͤßige Vortheile
erringen.
[187]
Wird einem der Heere ſeine Rolle zu ſchwer, weil
der Feind eine andere Vertheilung gemacht hat als wir
glaubten, erlebt es Ungluͤcksfaͤlle, ſo muß und darf dies
keinen Einfluß auf die Thaͤtigkeit der andern haben, oder
man wuͤrde von Hauſe aus die Wahrſcheinlichkeit des
allgemeinen Erfolges gegen ſich ſelbſt wenden. Nur wenn
die Mehrheit ungluͤcklich iſt oder die Haupttheile es ſind,
darf und muß dies Einfluß auf die andern haben: alsdann
iſt naͤmlich der Fall eines verfehlten Plans eingetreten.
Eben dieſe Regel gilt fuͤr diejenigen Heere und Ab-
theilungen welche urſpruͤnglich zur Vertheidigung beſtimmt
ſind und durch einen guͤnſtigen Erfolg derſelben zum An-
griff uͤbergehen koͤnnen, wenn es nicht vorzuziehen iſt ihre
uͤberfluͤſſigen Streitkraͤfte auf den Hauptpunkt der Offen-
ſive uͤberzufuͤhren, welches hauptſaͤchlich von der geographi-
ſchen Lage des Kriegstheaters abhaͤngt.
Aber was wird unter dieſen Umſtaͤnden aus der geo-
metriſchen Geſtalt und Einheit des ganzen Angriffs, was
aus Flanken und Ruͤcken der einem geſchlagenen Theile
benachbarten Abtheilungen?
Das iſt es eben was wir hauptſaͤchlich bekaͤmpfen
wollen. Dieſes Zuſammenleimen eines großen Angriffs in
ein geometriſches Viereck iſt eine Verirrung in ein falſches
Gedankenſyſtem hinein.
Wir haben in dem funfzehnten Kapitel des dritten Buches
gezeigt daß das geometriſche Element in der Strategie nicht ſo
wirkſam iſt als in der Taktik, und wir wollen hier nur das
Reſultat wiederholen daß beſonders beim Angriff die wirk-
lichen Erfolge auf den einzelnen Punkten durchaus mehr
Ruͤckſicht verdienen als die Figur, welche aus dem Angriff
nach und nach durch die Verſchiedenheit der Erfolge ent-
ſtehen kann.
[188]
In jedem Fall aber iſt es eine ausgemachte Sache,
daß, bei den großen Raͤumen in der Strategie, die Ruͤck-
ſichten und Entſchluͤſſe, welche die geometriſche Lage der
Theile veranlaſſen, fuͤglich dem Oberfeldherrn uͤberlaſſen
bleiben koͤnnen; daß alſo keiner der Unterfeldherren das
Recht hat nach Dem zu fragen was ſein Nachbar thut
oder unterlaͤßt, ſondern angewieſen werden kann ſein Ziel
unbedingt zu verfolgen. Entſteht wirklich ein ſtarkes Miß-
verhaͤltniß daraus, ſo kann die Abhuͤlfe von oben her im-
mer noch zur rechten Zeit gegeben werden. Und damit iſt
denn das Hauptuͤbel dieſer getrennten Wirkungsweiſe ent-
fernt: daß an die Stelle reeller Dinge eine Menge von
Befuͤrchtungen und Vorausſetzungen ſich in den Verlauf
der Begebenheit miſchen, daß jeder Zufall nicht bloß den
Theil den er trifft ſondern conſenſualiſch das Ganze afficirt,
und daß perſoͤnlichen Schwaͤchen und perſoͤnlicher Feind-
ſchaft der Unterfeldherren ein weites Feld eroͤffnet wird.
Wir glauben daß man dieſe Anſicht nur dann paradox
finden wird, wenn man noch nicht lange und ernſt genug
die Kriegsgeſchichte im Auge gehabt, das Wichtige von
dem Unwichtigen getrennt und den ganzen Einfluß der
menſchlichen Schwaͤchen gewuͤrdigt hat.
Wenn es ſchon in der Taktik ſchwer iſt den gluͤckli-
chen Erfolg eines Angriffs in mehreren getrennten Ko-
lonnen durch die genaue Zuſammenſtimmung aller Theile
zu erhalten, wie das Urtheil aller Erfahrenen einraͤumt,
wie viel ſchwieriger oder vielmehr wie ganz unmoͤglich
wird dies in der Strategie ſein, wo die Trennung ſo viel
groͤßer iſt. Sollte alſo das beſtaͤndige Zuſammenſtimmen
aller Theile eine nothwendige Bedingung des Erfolges ſein,
ſo muͤßte ein ſolcher ſtrategiſcher Angriff durchaus verwor-
fen werden. Aber von der einen Seite haͤngt es nicht
[189] von unſerer Willkuͤhr ab ihn ganz zu verwerfen, weil
Umſtaͤnde dazu beſtimmen koͤnnen uͤber welche wir gar
nicht zu gebieten haben, von der andern iſt ſelbſt in der
Taktik dieſe beſtaͤndige Zuſammenſtimmung aller Theile
fuͤr jeden Augenblick des Verlaufs nicht einmal noͤthig,
und viel weniger iſt ſie es wie geſagt in der Strategie.
Man muß alſo in dieſer um ſo mehr davon abſehen und
um ſo mehr darauf beharren daß jedem Theil ein ſelbſt-
ſtaͤndiges Stuͤck Arbeit zugemeſſen werde.
Dieſem haben wir noch eine wichtige Bemerkung an-
zuſchließen, ſie betrifft die gute Vertheilung der Rollen.
In den Jahren 1793 und 1794 befand ſich die oͤſtreichi-
ſche Hauptmacht in den Niederlanden, die preuß. am Oberrhein.
Die oͤſtreichiſchen Truppen wurden von Wien nach Condé
und Valenciennes gefahren, und durchkreuzten ſich mit den
preußiſchen, die von Berlin nach Landau mußten. Die
Öſtreicher hatten zwar dort ihre belgiſchen Provinzen zu
vertheidigen, und wenn ſie Eroberungen im franzoͤſiſchen
Flandern machten, ſo waren ſie ihnen ſehr gelegen, allein
dies Intereſſe war nicht ſtark genug. Nach dem Tode
des Fuͤrſten Kaunitz ſetzte der oͤſtreichiſche Miniſter Thugut
die Maaßregel durch, die Niederlande ganz aufzugeben
um ſeine Kraͤfte mehr zu koncentriren. In der That
haben die Öſtreicher nach Flandern faſt noch einmal ſo
weit als nach dem Elſaß, und in einer Zeit wo die Streit-
kraͤfte ſich in ſehr gemeſſenen Grenzen befanden und Alles
mit baarem Gelde unterhalten werden mußte, war das
keine Kleinigkeit. Doch war die Abſicht des Miniſters
Thugut offenbar noch eine andere: er wollte die Maͤchte,
welche bei der Vertheidigung der Niederlande und des
Niederrheins intereſſirt waren: Holland, England und Preu-
ßen, durch die Dringlichkeit der Gefahr in den Fall ſetzen,
[190] ſtaͤrkere Anſtrengungen zu machen. Er hat ſich in ſeinem
Kalkuͤl betrogen, weil dem preußiſchen Kabinet damals
auf keine Weiſe beizukommen war. Aber immer zeigt
dieſer Hergang den Einfluß des politiſchen Intereſſes auf
den Gang des Krieges.
Preußen hatte im Elſaß weder Etwas zu vertheidigen
noch zu erobern. Es hatte im Jahr 1792 den Marſch
durch Lothringen nach der Champagne in einem ritterlichen
Sinne unternommen. Als dieſer gegen den Drang der
Umſtaͤnde nicht mehr vorhielt, fuͤhrte es den Krieg nur
noch mit halbem Intereſſe fort. Haͤtten ſich die preußi-
ſchen Truppen in den Niederlanden befunden, ſo waren ſie
mit Holland in unmittelbarer Verbindung, welches ſie
halb und halb als ihr eigenes Land anſehen konnten, da ſie
es im Jahr 1787 unterworfen hatten, ſie deckten den
Niederrhein und folglich denjenigen Theil der preußiſchen
Monarchie, der dem Kriegstheater am naͤchſten lag. Auch
mit England befand ſich Preußen wegen der Subſidien
in einem ſtaͤrkeren Bundesverhaͤltniſſe, welches unter dieſen
Umſtaͤnden nicht ſo leicht in die Hinterliſt ausarten konnte,
welcher ſich das preußiſche Kabinet damals ſchuldig ge-
macht hat.
Es waͤre alſo eine viel beſſere Wirkung zu erwarten
geweſen, wenn die Öſtreicher mit ihrer Hauptmacht am
Oberrhein, die Preußen mit ihrer ganzen Macht in den
Niederlanden aufgetreten waͤren und die Öſtreicher dort
nur ein verhaͤltnißmaͤßiges Korps gelaſſen haͤtten.
Wenn man im Jahr 1814 ſtatt des unternehmenden
Bluͤchers den General Barklay an die Spitze der ſchleſi-
ſchen Armee geſtellt und Bluͤcher unter Schwarzenberg
bei der Hauptarmee behalten haͤtte, ſo waͤre der Feldzug
vielleicht ganz verungluͤckt.
[191]
Wenn der unternehmende Laudon, ſtatt ſein Kriegs-
theater auf dem ſtaͤrkſten Punkt der preußiſchen Monarchie,
naͤmlich in Schleſien zu haben, ſich an der Stelle der
Reichsarmee befunden haͤtte, ſo wuͤrde vielleicht der ganze
ſiebenjaͤhrige Krieg eine andere Wendung genommen haben.
Um dieſem Gegenſtande naͤher zu treten, muͤſſen wir die
Faͤlle nach ihren Hauptverſchiedenheiten betrachten.
Der erſte iſt: wenn wir den Krieg mit andern Maͤch-
ten gemeinſchaftlich fuͤhren, die nicht blos als unſere Bun-
desgenoſſen auftreten, ſondern ein ſelbſtſtaͤndiges Intereſſe
haben.
Der zweite: wenn ein Bundesheer zu unſerm Bei-
ſtande herbeigekommen iſt.
Der dritte: wenn nur von der perſoͤnlichen Eigen-
thuͤmlichkeit der Generale die Rede iſt.
Fuͤr die beiden erſten Faͤlle kann man die Frage
aufwerfen, ob es beſſer ſei die Truppen der verſchiedenen
Maͤchte vollkommen zu vermiſchen, ſo daß die einzelnen
Heere aus Korps verſchiedener Maͤchte zuſammengeſetzt ſind,
wie das in den Jahren 1813 und 1814 ſtattgefunden
hat; oder ob man ſie ſo viel als moͤglich trennen ſoll,
damit jede ſelbſtſtaͤndiger handle.
Offenbar iſt das erſte das Heilſamſte, aber es ſetzt
einen Grad von Befreundung und gemeinſchaftlichem In-
tereſſe voraus, der ſelten ſtattfinden wird. Bei dieſer
engen Verbindung der Streitkraͤfte wird den Kabinetten
die Abſonderung ihrer Intereſſen weit ſchwerer, und was
den ſchaͤdlichen Einfluß egoiſtiſcher Anſichten bei den Heer-
fuͤhrern betrifft, ſo kann er ſich unter dieſen Umſtaͤnden
nur bei den Unterfeldherren, alſo nur im Gebiet der Taktik
und auch hier nicht ſo ungeſtraft und frei zeigen wie bei
einer vollkommenen Trennung. Bei dieſer geht er in die
[192] Strategie uͤber und wirkt alſo in entſcheidenden Zuͤgen.
Aber wie geſagt, es gehoͤrt eine ſeltene Hingebung von
Seiten der Regierung dazu. Im Jahr 1813 draͤngte die
Noth alle in dieſe Richtung, und doch iſt es nicht genug
zu preiſen daß der Kaiſer von Rußland, der mit der
ſtaͤrkſten Streitkraft auftrat und das groͤßte Verdienſt
um den Umſchwung des Gluͤcks hatte, ſeine Truppen den
preußiſchen und oͤſtreichiſchen Befehlshabern unterordnete,
ohne den Ehrgeiz zu haben, mit einer ſelbſtſtaͤndigen ruſſi-
ſchen Armee aufzutreten.
Iſt nun eine ſolche Vereinigung der Streitkraͤfte
nicht zu erhalten, ſo iſt eine vollkommene Trennung der-
ſelben allerdings beſſer als eine halbe und das Schlimmſte
iſt immer wenn zwei unabhaͤngige Feldherren verſchiedener
Maͤchte ſich auf ein und demſelben Kriegstheater befinden,
wie das im ſiebenjaͤhrigen Kriege mit den Ruſſen, Öſtrei-
chern und der Reichsarmee haͤufig der Fall war. Bei
einer vollkommenen Trennung der Kraͤfte ſind auch die
Laſten, welche uͤberwunden werden ſollen, mehr getrennt,
und es wird dann jeder von der ſeinigen gedruͤckt, alſo
[durch] die Gewalt der Umſtaͤnde mehr zur Thaͤtigkeit ge-
draͤngt; befinden ſie ſich aber in naher Verbindung oder
gar auf einem Kriegstheater, ſo iſt dies nicht der Fall,
und außerdem laͤhmt der uͤble Wille des Einen die Kraͤfte
des Andern mit.
Im erſten der drei angegebenen Faͤlle wird die voͤllige
Trennung keine Schwierigkeiten haben, weil das natuͤrliche
Intereſſe jeder Macht ihr gewoͤhnlich ſchon eine andere
Richtung ihrer Kraͤfte zuweiſt; im zweiten Fall kann es
daran fehlen, und dann bleibt in der Regel Nichts uͤbrig,
als ſich der Huͤlfsarmee, wenn ihre Staͤrke einigermaßen
dazu geeignet iſt, ganz unterzuordnen, wie die Öſtreicher
[193] am Ende des Feldzugs von 1815 und die Preußen im
Feldzug von 1807 gethan haben.
Was die perſoͤnliche Eigenthuͤmlichkeit der Generale
betrifft, ſo geht hier Alles in das Individuelle uͤber, aber
die eine allgemeine Bemerkung duͤrfen wir nicht uͤbergehen,
daß man nicht, wie wohl zu geſchehen pflegt, die vorſich-
tigſten und behutſamſten an die Spitze der untergeordneten
Armeen ſtellen ſoll, ſondern die unternehmendſten,
denn wir kommen darauf zuruͤck: es iſt bei der getrennten
ſtrategiſchen Wirkſamkeit Nichts ſo wichtig als daß jeder
Theil tuͤchtig arbeite, die volle Wirkſamkeit ſeiner Kraͤfte
aͤußere, wobei denn die Fehler welche auf einem Punkte
begangen ſein koͤnnen, durch die Geſchicklichkeit auf andern
ausgeglichen werden. Nun iſt man aber dieſer vollen Thaͤ-
tigkeit aller Theile nur gewiß wenn die Fuͤhrer raſche unter-
nehmende Leute ſind, die der innere Trieb, das eigene Herz
vorwaͤrtstreibt, weil eine bloße objektive kalte Überlegung
von der Nothwendigkeit des Handelns ſelten ausreicht.
Endlich bleibt noch die Bemerkung uͤbrig daß wenn
es ſonſt die Umſtaͤnde geſtatten, die Truppen und Feld-
herren in Beziehung auf ihre Beſtimmung und auf die
Natur der Gegend nach ihren Eigenthuͤmlichkeiten gebraucht
werden ſollen.
Stehende Heere, gute Truppen, zahlreiche Reiterei,
alte vorſichtige verſtaͤndige Feldherren in offenen Gegen-
den; Landmilizen, Volksbewaffnung, zuſammengerafftes
Geſindel, junge unternehmende Fuͤhrer in Waͤldern, Ber-
gen und Paͤſſen, Huͤlfsheere in reichen Provinzen wo ſie
ſich gefallen.
Was wir bisher uͤber den Kriegsplan im Allgemeinen
und in dieſem Kapitel uͤber denjenigen insbeſondere geſagt
haben welcher auf die Niederwerfung des Gegners ge-
III 13
[194] richtet iſt, hatte die Abſicht das Ziel deſſelben uͤber Alles
hervorzuheben und demnaͤchſt Grundſaͤtze anzugeben welche
bei der Einrichtung der Mittel und Wege leiten ſollen.
Wir wollten dadurch ein klares Bewußtſein von Dem was
man in einem ſolchen Kriege will und ſoll, bewirken. Das
Nothwendige und Allgemeine wollten wir herausheben,
dem Individuellen und Zufaͤlligen ſeinen Spielraum laſſen,
aber das Willkuͤhrliche, Unbegruͤndete, das Spie-
lende oder Phantaſtiſche oder Sophiſtiſche wollten
wir entfernen. Haben wir dieſen Zweck erreicht, ſo ſehen
wir unſere Aufgabe als geloͤſt an.
Wer nun ſehr betreten iſt, hier Nichts von Umgehung
der Fluͤſſe, von Bemeiſterung der Gebirge durch ihre be-
herrſchenden Punkte, von Vermeidung der feſten Stellungen
und Schluͤſſel des Landes zu finden, der hat uns nicht
verſtanden und wir geſtehen daß wir glauben ein ſolcher
hat auch den Krieg in ſeinen großen Beziehungen noch
nicht verſtanden.
Wir haben in den fruͤheren Buͤchern dieſe Gegen-
ſtaͤnde im Allgemeinen charakteriſirt und dabei gefunden
daß ſie meiſtens von einer viel ſchwaͤcheren Natur ſind
als man nach ihrem Ruf glauben ſollte. Um ſo weniger
koͤnnen und ſollen ſie in einem Kriege deſſen Ziel die
Niederwerfung des Feindes iſt, eine große Rolle ſpielen,
naͤmlich eine ſolche die auf den ganzen Kriegsentwurf Ein-
fluß haͤtte.
Der Einrichtung des Oberbefehls werden wir am
Schluſſe dieſes Buchs ein eigenes Kapitel widmen. —
Wir wollen dies Kapitel mit einem Beiſpiel be-
ſchließen.
Wenn Öſtreich, Preußen, der deutſche Bund, die
Niederlande und England einen Krieg gegen Frankreich
[195] beſchließen, Rußland aber neutral bleibt, ein Fall der ſich
ſeit hundert und funfzig Jahren ſchon ſo oft erneuert hat,
ſo ſind ſie im Stande einen Angriffskrieg zu fuͤhren der
auf die Niederwerfung des Gegners gerichtet iſt. Denn
ſo groß und maͤchtig Frankreich iſt, ſo kann es doch in
den Fall kommen die groͤßere Haͤlfte ſeines Reichs von
feindlichen Armeen uͤberſchwemmt, die Hauptſtadt in ihrem
Beſitz und ſich auf unzureichende Huͤlfsquellen zuruͤckge-
fuͤhrt zu ſehen, ohne daß es außer Rußland eine Macht
gaͤbe die es mit großer Wirkſamkeit unterſtuͤtzen koͤnnte.
Spanien iſt zu weit entfernt und zu unvortheilhaft gele-
gen; die italieniſchen Staaten ſind vor der Hand zu
morſch und ohnmaͤchtig.
Die genannten Laͤnder haben ohne ihre außereuro-
paͤiſchen Beſitzungen uͤber 75,000,000 Einwohner zu ge-
bieten, waͤhrend Frankreich nur 30,000,000 hat, und das
Heer welches ſie zu einem ernſtlich gemeinten Kriege gegen
Frankreich aufzubieten haben, wuͤrde ohne Übertreibung fol-
gendes ſein koͤnnen.
- Öſtreich _ _ 250,000 Mann.
- Preußen _ _ 200,000 ‒
- Das uͤbrige Deutſchland _ _ 150,000 ‒
- Die Niederlande _ _ 75,000 ‒
- England _ _ 50,000 ‒
- Summa 725,000 Mann.
Treten dieſe effektiv auf, ſo ſind ſie der Macht welche
Frankreich entgegenſtellen kann hoͤchſt wahrſcheinlich weit
uͤberlegen, denn dieſes Land hat unter Bonaparte zu keiner
Zeit eine Streitmaſſe von aͤhnlicher Staͤrke gehabt. Be-
denkt man nun was an Feſtungsbeſatzungen und Depots
zur Bewachung der Kuͤſte u. ſ. w. abgeht, ſo wird man
die Wahrſcheinlichkeit einer bedeutenden Überlegenheit auf
13*
[196] dem Hauptkriegstheater nicht bezweifeln, und auf dieſe
iſt der Zweck den Feind niederzuwerfen hauptſaͤchlich ge-
gruͤndet.
Der Schwerpunkt des franzoͤſiſchen Reichs liegt in
ſeiner Kriegsmacht und in Paris. Jene in einer oder
mehreren Hauptſchlachten beſiegen, Paris erobern, die Über-
reſte des feindlichen Heeres uͤber die Loire zuruͤckwerfen
muß das Ziel der Verbuͤndeten ſein. Die Herzgrube der
franzoͤſiſchen Monarchie liegt zwiſchen Paris und Bruͤſſel,
dort iſt die Grenze von der Hauptſtadt nur 30 Meilen
entfernt. Der eine Theil der Verbuͤndeten, die Englaͤnder,
Niederlaͤnder, Preußen und die norddeutſchen Staaten
haben dort ihren natuͤrlichen Aufſtellungspunkt, ihre Laͤnder
liegen zum Theil in der Naͤhe, zum Theil gerade dahinter.
Öſtreich und Suͤddeutſchland kann ſeinen Krieg mit Be-
quemlichkeit nur vom Oberrhein her fuͤhren. Die natuͤr-
lichſte Richtung geht auf Troyes und Paris oder auch
auf Orleans. Beide Stoͤße, der von den Niederlanden
wie der vom Oberrhein her, ſind alſo ganz direkt und
ohne Zwang, kurz und kraͤftig, und beide fuͤhren zum
Schwerpunkt der feindlichen Macht. Auf dieſe beiden
Punkte ſollte alſo die ganze feindliche Macht vertheilt
werden.
Nur zwei Ruͤckſichten entfernen von dieſer Einfach-
heit des Plans.
Die Öſtreicher werden Italien nicht entbloͤßen, ſie
werden dort in jedem Fall Meiſter der Begebenheiten
bleiben wollen. Sie werden es alſo nicht darauf ankom-
men laſſen Italien durch einen Angriff auf das Herz von
Frankreich mittelbar zu decken. Bei dem politiſchen Zu-
ſtande des Landes iſt dieſe Nebenabſicht nicht zu verwer-
fen; aber es wuͤrde ein ganz entſchiedener Fehler ſein wenn
[197] wenn die alte ſchon ſo oft verſuchte Idee eines Angriffs
des ſuͤdlichen Frankreichs von Italien her damit verbun-
den und aus dieſem Grunde der italieniſchen Macht eine
Groͤße gegeben wuͤrde die ſie zur bloßen Sicherung gegen
die aͤußerſten Ungluͤcksfaͤlle im erſten Feldzuge nicht brauchte.
Nur ſo viel ſoll in Italien bleiben, nur ſo viel darf der
Hauptunternehmung entzogen werden, wenn man dem
Hauptgedanken: Einheit des Plans, Vereinigung
der Macht nicht untreu werden will. Wenn man Frank-
reich an der Rhone erobern will, ſo iſt das als wenn man
eine Muskete an der Spitze ihres Bajonets aufheben will,
aber auch als Nebenunternehmung iſt ein Angriff auf das
ſuͤdliche Frankreich verwerflich, denn er weckt nur neue
Kraͤfte gegen uns. Jedesmal wo man eine entfernte
Provinz angreift, ruͤhrt man Intereſſen und Thaͤtigkeiten
auf die ſonſt geſchlummert haͤtten. Nur wenn ſich zeigt
daß die in Italien gelaſſenen Kraͤfte fuͤr die bloße Siche-
rung des Landes zu groß waͤren und alſo muͤßig bleiben
muͤßten, iſt ein Angriff auf das ſuͤdliche Frankreich von
da aus gerechtfertigt.
Wir wiederholen es daher: die italieniſche Macht muß
ſo ſchwach gehalten werden als es die Umſtaͤnde nur irgend
zulaſſen, und ſie iſt hinreichend wenn die Öſtreicher nicht
in einem Feldzuge das ganze Land verlieren koͤnnen.
Nehmen wir dieſe Macht in unſerem Beiſpiele mit
50,000 Mann an.
Die andere Ruͤckſicht iſt das Verhaͤltniß Frankreichs
als Kuͤſtenland. Da England zur See die Oberhand hat,
ſo folgt daraus eine große Reizbarkeit Frankreichs laͤngs
ſeiner ganzen atlantiſchen Kuͤſte und folglich eine mehr
oder weniger ſtarke Beſetzung derſelben. Wie ſchwach dieſe
nun auch eingerichtet ſei, ſo wird doch die franzoͤſiſche
Grenze damit verdreifacht, und es kann nicht fehlen daß
[198] dadurch den franzoͤſiſchen Armeen auf den Kriegstheatern
eine Menge von Kraͤften entzogen werden. 20- oder
30,000 Mann disponibler Landungstruppen womit die
Englaͤnder Frankreich bedrohen, wuͤrden vielleicht das
Doppelte oder Dreifache von franzoͤſiſchen Kraͤften abſor-
biren, wobei man nicht bloß an Truppen, ſondern auch
an Geld, Kanonen u. ſ. w. denken muß, welche Flotte
und Strandbatterien erfordern. Nehmen wir an daß die
Englaͤnder dazu 25,000 Mann verwenden.
Unſer Kriegsplan wuͤrde alſo ganz einfacherweiſe darin
beſtehen.
Erſtens: Daß ſich in den Niederlanden
- 200,000 Mann Preußen,
- 75,000 ‒ Niederlaͤnder,
- 25,000 ‒ Englaͤnder,
- 50,000 ‒ norddeutſcher Bundestruppen,
Summa 350,000 Mann verſammelten, wovon etwa
50,000 zur Beſetzung der Grenzfeſtungen verwendet wer-
den und 300,000 uͤbrig bleiben um gegen Paris vorzu-
dringen und den franzoͤſiſchen Armeen eine Hauptſchlacht
zu liefern.
Zweitens: Daß ſich 200,000 Öſtreicher und 100,000
Mann ſuͤddeutſcher Truppen am Oberrhein verſammelten,
um gleichzeitig mit der niederlaͤndiſchen Armee vorzudringen
und zwar gegen die obere Seine und von da gegen die
Loire um der feindlichen Armee gleichfalls eine Haupt-
ſchlacht zu liefern. An der Loire wuͤrden ſich vielleicht
dieſe beiden Stoͤße zu einem verbinden.
Hiermit iſt die Hauptſache beſtimmt; was wir weiter
zu ſagen haben betrifft hauptſaͤchlich die Entfernung falſcher
Ideen und beſteht in Folgendem.
Erſtens: Die vorgeſchriebene Hauptſchlacht zu ſuchen
und ſie mit einem Machtverhaͤltniß und unter Umſtaͤnden
[199] zu liefern die einen entſcheidenden Sieg verſprechen, muß
die Tendenz der Feldherren ſein; dieſem Zweck muͤſſen ſie
Alles aufopfern und ſich uͤbrigens in Belagerungen, Ein-
ſchließungen, Beſatzungen u. ſ. w. mit ſo Wenigem als
moͤglich behelfen. Wenn ſie, wie Schwarzenberg im Jahre
1814 that, ſobald ſie das feindliche Gebiet betreten in
excentriſchen Radien auseinandergehen, ſo iſt Alles verloren,
und die Verbuͤndeten verdankten im Jahre 1814 es nur
der Ohnmacht Frankreichs daß nicht in den erſten vierzehn
Tagen wirklich Alles verloren ging. Der Angriff ſoll
einem kraͤftig getriebenen Pfeil und nicht einer Seifenblaſe
gleichen die ſich bis zum Zerplatzen ausdehnt.
Zweitens: Die Schweiz muß man ihren eigenen
Kraͤften uͤberlaſſen. Bleibt ſie neutral, ſo hat man am
Oberrhein einen guten Anlehnungspunkt; wird ſie von
Frankreich angegriffen, ſo mag ſie ſich ihrer Haut wehren,
wozu ſie im mehr als einer Hinſicht ſehr geeignet iſt.
Nichts waͤre thoͤrichter als der Schweiz, weil ſie das
hoͤchſte Land Europas iſt, einen geographiſch herrſchenden
Einfluß auf die Kriegsbegebenheiten einraͤumen zu wollen.
Ein ſolcher Einfluß beſteht nur unter gewiſſen ſehr be-
ſchraͤnkten Bedingungen, die hier gar nicht vorhanden ſind.
Waͤhrend die Franzoſen im Herzen ihres Landes ange-
griffen ſind, koͤnnen ſie keine kraͤftige Offenſive von der
Schweiz aus weder nach Italien noch nach Schwaben
hinein unternehmen, und am wenigſten kann dabei die hohe
Lage dieſes Landes als ein entſcheidender Umſtand in Be-
trachtung kommen. Der Vortheil des ſtrategiſchen Domi-
nirens iſt zuerſt hauptſaͤchlich bei der Vertheidigung wich-
tig, und was fuͤr den Angriff von dieſer Wichtigkeit uͤbrig
bleibt kann ſich in einem einzelnen Stoß zeigen. Wer
dies nicht weiß hat die Sache nicht bis zur Klarheit
durchdacht, und wenn im kuͤnftigen Rath des Machthabers
[200] und Feldherrn ſich ein gelehrter Generalſtabsoffizier finden
ſollte der mit ſorgenvoller Stirn ſolche Weisheit auskramt,
ſo erklaͤren wir es im Voraus fuͤr eitle Thorheit und
wuͤnſchen daß ſich in eben dieſem Rath irgend ein tuͤchtiger
Haudegen, ein Kind des geſunden Menſchenverſtandes finden
moͤge, der ihm das Wort beim Munde abſchneidet.
Drittens: Den Raum zwiſchen beiden Angriffen
laſſen wir ſo gut wie unbeachtet. Muß man, waͤhrend
ſich 600,000 Mann 30 und 40 Meilen von Paris ver-
ſammeln um gegen das Herz des franzoͤſiſchen Staates
vorzudringen, noch darauf denken den Mittelrhein, alſo
Berlin, Dresden, Wien und Muͤnchen zu decken? Darin
waͤre kein Menſchenverſtand. Soll man die Verbindung
decken? Das waͤre nicht unwichtig; aber dann kann man
logiſch bald dahin gefuͤhrt werden dieſer Deckung die
Staͤrke und Wichtigkeit eines Angriffs geben zu muͤſſen,
und alſo anſtatt auf zwei Linien vorzugehn, wozu die Lage
der Staaten unbedingt noͤthigt, auf dreien vorzugehen,
wozu ſie nicht noͤthigt, und dieſe drei wuͤrden dann viel-
leicht zu fuͤnf oder gar zu ſieben werden und ſo die ganze
alte Litanei wieder an die Tagesordnung kommen.
Unſere beiden Angriffe haben jeder ihr Ziel; die
darauf verwendeten Kraͤfte ſind hoͤchſt wahrſcheinlich den
feindlichen merklich uͤberlegen; geht jeder ſeinen kraͤftigen
Gang vorwaͤrts, ſo kann es nicht anders ſein als daß ſie
gegenſeitig vortheilhaft aufeinander wirken. Waͤre einer
der beiden Angriffe ungluͤcklich, weil der Feind ſeine Macht
zu ungleich vertheilt hat, ſo iſt mit Recht zu erwarten
daß der Erfolg des andern dieſes Ungluͤck von ſelbſt gut-
machen werde, und dies iſt der wahre Zuſammenhang beider.
Einen Zuſammenhang welcher ſich auf die Begebenheiten
der einzelnen Tage erſtreckte, koͤnnen ſie bei der Entfernung
nicht haben; ſie brauchen ihn nicht, und darum iſt die un-
[201] mittelbare oder vielmehr die gerade Verbindung von keinem
ſo großen Werthe.
Der Feind welcher in ſeinem Innerſten angegriffen
iſt, wird ohnehin keine namhaften Streitkraͤfte zur Unter-
brechung dieſer Verbindung verwenden koͤnnen; Alles was
zu fuͤrchten iſt beſteht vielmehr darin daß dieſe Unter-
brechung durch die Mitwirkung der von Streifpartheien
unterſtuͤtzten Einwohner allein bewirkt werde, ſo daß dieſer
Zweck dem Feinde an eigentlicher Streitkraft Nichts koſtet.
Um Dem zu begegnen iſt es hinreichend wenn von Trier
aus ein 10- bis 15,000 Mann, an Kavallerie vorzuͤglich
ſtarkes Korps die Richtung auf Rheims haͤlt, es wird
hinreichend ſein jedem Partheigaͤnger uͤber den Leib zu
marſchiren und die Hoͤhe der großen Armee zu halten.
Es ſoll weder Feſtungen einſchließen noch beobachten, ſon-
dern zwiſchen ihnen durchmarſchiren, ſich keine feſte Baſis
halten und einer Übermacht nach jeder beliebigen Richtung
ausweichen. Ein großes Ungluͤck wird ihm da nicht be-
gegnen koͤnnen und wenn dies geſchaͤhe, ſo waͤre es wieder
kein großes Ungluͤck fuͤr das Ganze. Unter dieſen Um-
ſtaͤnden wird ein ſolches Korps wahrſcheinlich hinreichen
einen Zwiſchenpunkt fuͤr die beiden Angriffe zu bilden.
Viertens: Die beiden Nebenunternehmungen, naͤm-
lich die oͤſtreichiſche Armee in Italien und die engliſche
Landungsarmee moͤgen ihrem Zweck nach beſter Weiſe
nachgehen. Wenn ſie nicht muͤßig bleiben, ſo iſt er der
Hauptſache nach ſchon erfuͤllt und auf keinen Fall ſoll
einer der beiden großen Angriffe in irgend einer Art davon
abhaͤngig gemacht werden.
Wir halten uns feſt uͤberzeugt daß auf dieſe Weiſe
Frankreich jedesmal niedergeworfen und gezuͤchtigt werden
kann, wenn es ſich einfallen laͤßt den Übermuth, womit
es Europa 150 Jahre lang gedruͤckt hat, wieder anzuneh-
[202] men. Nur jenſeit Paris an der Loire kann man von ihm
die Bedingungen erhalten die zu Europas Ruhe noͤthig
ſind. Nur ſo wird ſich ſchnell das natuͤrliche Verhaͤltniß
von 30,000,000 zu 75,000,000 kundthun, nicht aber
wenn jenes Land, wie 150 Jahre lang geſchehen iſt,
von Duͤnkirchen bis Genua mit einem Guͤrtel von Ar-
meen umſchnallt werden ſoll, indem man funfzigerlei ver-
ſchiedene kleine Zwecke ſich vorſetzt, wovon keiner ſtark
genug iſt die Inertie, die Friktion, die fremdartigen Ein-
fluͤſſe zu uͤberwaͤltigen die ſich uͤberall, beſonders aber bei
verbuͤndeten Heeren erzeugen und ewig regeneriren.
Wie wenig einer ſolchen Anordnung die vorlaͤufigen
Anordnungen des deutſchen Bundesheeres entſprechen, wird
dem Leſer von ſelbſt einfallen. In dieſen Einrichtungen
bildet der foͤderative Theil Deutſchlands den Kern der
deutſchen Macht, und Preußen und Öſtreich durch ihn ge-
ſchwaͤcht verlieren ihr natuͤrliches Gewicht. Ein foͤderativer
Staat iſt aber im Kriege ein ſehr morſcher Kern; da iſt
keine Einheit, keine Energie, keine vernuͤnftige Wahl des
Feldherrn, keine Autoritaͤt, keine Verantwortlichkeit denkbar.
Öſtreich und Preußen ſind die beiden natuͤrlichen
Mittelpunkte des Stoßes fuͤr das deutſche Reich, ſie bil-
den den Schwingungspunkt, die Staͤrke der Klinge, ſie
ſind monarchiſche Staaten, des Krieges gewohnt, haben
ihre beſtimmten Intereſſen, Selbſtſtaͤndigkeit der Macht,
ſind vorherrſchend vor den andern. Dieſen natuͤrlichen
Lineamenten muß die Einrichtung folgen und nicht einer
falſchen Idee von Einheit, dieſe iſt hier ganz unmoͤglich,
und wer uͤber dem Unmoͤglichen das Moͤgliche verſaͤumt,
der iſt ein Thor.
[[203]]
Überſicht
des
Sr. Koͤnigl. Hoheit dem Kronprinzen
in
den Jahren 1810, 1811 und 1812
vom
Verfaſſer ertheilten militaͤriſchen Unterrichts.
[[204]][[205]]
Entwurf
der
dem Herrn General von Gaudi vorgelegt wurde.
Bei der Anſicht daß es nur eine vorlaͤufige Kenntniß
ſein ſoll welche Se. Koͤnigliche Hoheit der Kronprinz
durch mich von der Kriegskunſt erhalten werden, und
daß Hoͤchſtdieſelben dadurch in den Stand geſetzt werden
ſollen die neuere Kriegsgeſchichte zu verſtehen, kommt es
mir vorzuͤglich darauf an dem Prinzen eine deutliche Vor-
ſtellung vom Kriege zu geben, und zwar auf einem Wege
der nicht zu weitlaͤuftig iſt und des Prinzen Kraͤfte nicht
zu ſehr in Anſpruch nimmt.
Denn bei dem Studio einer Wiſſenſchaft die man
aus dem Grunde erlernen will, wird erfordert daß man
derſelben ſeine Kraͤfte und Zeit eine Zeit lang vorzugs-
weiſe widmet, und dies ſcheint beim Kronprinzen noch zu
fruͤh zu ſein.
Ich habe aus dieſen Ruͤckſichten den folgenden Weg
gewaͤhlt, der mir der natuͤrlichen Ideenreihe eines jungen
Menſchen am naͤchſten zu liegen ſchien.
Mein hoͤchſtes Beſtreben wird dabei ſein: einmal,
dem Prinzen immer verſtaͤndlich zu bleiben, weil ſonſt bei
dem aufmerkſamſten Schuͤler ſehr bald Langeweile, Zer-
ſtreuung und Ekel vor dem Gegenſtande eintritt; zweitens,
ihm keine falſchen Vorſtellungen in irgend einer Sache zu
[206] geben, wodurch einem ausfuͤhrlichen Unterrichte oder ſei-
nem eigenen Studio Schwierigkeiten in den Weg gelegt
wuͤrden.
Um des erſten Zweckes willen werde ich den Gegen-
ſtand ſtets an den natuͤrlichen Menſchenverſtand ſo nahe
als moͤglich anzuknuͤpfen ſuchen und mich daruͤber oft von
dem wiſſenſchaftlichen Geiſte und von den Formen der
Schule entfernen.
Ich lege nun Ew. Hochwohlgeboren den fluͤchtig ent-
worfenen Plan vor und bitte, meine Anſicht, wo ſie
nicht mit der Ihrigen uͤbereinſtimmt, guͤtigſt berichtigen
zu wollen.
Außer einer vorlaͤufigen Kenntniß der Waffen- und
Truppenarten ſind es doch vorzuͤglich die ſogenannte ange-
wandte oder hoͤhere Taktik und die Strategie, wovon
man einige Begriffe haben muß, um die Kriegsgeſchichte
zu verſtehen. Die Taktik oder Gefechtslehre iſt eigentlich
die Hauptſache, theils weil die Gefechte entſcheiden, theils
weil in ihr am meiſten zu lehren iſt. Die Strategie, oder
die Lehre von der Kombination der einzelnen Gefechte
zum Zwecke des Feldzuges, iſt mehr ein Gegenſtand der
natuͤrlichen und gereiften Urtheilskraft; doch muͤſſen die
darin vorkommenden Gegenſtaͤnde wenigſtens deutlich ge-
macht und in ihrem Zuſammenhange gezeigt werden.
Die Feldfortifikation erhaͤlt in einem ſolchen uͤber-
ſichtlichen Curſus am zweckmaͤßigſten ihre Stelle bei der
Lehre von der Vertheidigung in der Taktik, die perma-
nente Fortifikation in oder hinter der Strategie.
Die Taktik ſelbſt hat zwei verſchiedene Arten von
Gegenſtaͤnden. Die einen koͤnnen verſtanden werden ohne
[207] Begriffe von dem ſtrategiſchen Zuſammenhange des Gan-
zen zu haben; dahin gehoͤrt die Stellung und Fechtart
aller kleinern Theile von der Kompagnie und Eskadron
bis zur Brigade von allen Waffen, in allen Terrainarten.
Die andern haͤngen mit ſtrategiſchen Vorſtellungen zuſam-
men; dahin gehoͤrt das Verhalten ganzer Korps und Ar-
meen im Gefechte, Vorpoſten, kleiner Krieg u. ſ. w., weil
hier die Begriffe Poſition, Schlacht, Marſch u. ſ. w. ein-
treten, die ohne Vorſtellungen vom Zuſammenhange des
ganzen Feldzuges nicht verſtanden werden koͤnnen.
Ich werde daher beide Arten von Gegenſtaͤnden tren-
nen, mit einer ganz oberflaͤchlichen Darſtellung des Krieges
den Anfang machen, dann die Taktik oder das Verhalten
im Gefechte der kleinern Theile folgen laſſen und bei der
bloßen Aufſtellung (Schlachtordnung) ganzer Korps und
Armeen ſtehen bleiben, um erſt noch einmal zur Überſicht
des Feldzuges zuruͤckzukehren und den Zuſammenhang der
Dinge naͤher anzugeben; dann werde ich die uͤbrigen Ka-
pitel von der Taktik folgen laſſen.
Die Strategie wird endlich wieder mit einer Vorſtel-
lung von dem Laufe eines Feldzuges anfangen, um die Ge-
genſtaͤnde unter dieſem neuen Geſichtspunkte zu betrachten.
Hieraus entſpringt nun folgende Ordnung:
Waffen.
Pulver, Musketen, Buͤchſen, Kanonen mit ihrem
Zubehoͤr.
Artillerie.
Begriff von Schuß- und Wurfladungen.
Bedienung des Geſchuͤtzes.
Organiſation einer Batterie.
Koſten des Geſchuͤtzes und der Munition.
[208]
Wirkung des Geſchuͤtzes — Schußweiten — Wahr-
ſcheinlichkeit des Treffens.
Andere Truppenarten.
Kavallerie leichte, ſchwere.
Infanterie desgl.
Formation — Beſtimmung — Charakter. —
Angewandte oder hoͤhere Taktik.
Ein allgemeiner Begriff vom Kriege — Gefechte.
Stellung und Fechtart kleiner Truppenabtheilungen.
Eine Kompagnie Infanterie mit und ohne Artillerie
in allen Arten von Terrain.
Eine Eskadron Kavallerie ebenſo.
Beide zuſammen.
Immer in den verſchiedenen Terrainarten.
Schlachtordnung eines Korps von mehreren Brigaden.
Schlachtordnung einer Armee von mehreren Korps.
Die beiden letzten Titel ohne Beziehung aufs Terrain,
weil ſonſt der Begriff von Poſition eintritt.
Naͤhere Darſtellung eines Feldzuges.
Organiſation der Armee bei Eroͤffnung des Feldzuges.
Waͤhrend ſie marſchirt und Stellungen nimmt bedarf
ſie der Sicherheitsanſtalten, Vorpoſten, Patrouillen, Re-
kognoscirungen. — Detaſchements. — Kleiner Krieg. —
Wenn die Armee Stellungen waͤhlt, ſo beduͤrfen die-
ſelben ſolcher Anordnungen daß die Armee ſich darin ver-
theidigen kann. — Taktiſche Defenſive. — Verſchan-
zungen. —
Angriff des Feindes in ſolchen Stellungen. — Ver-
halten im Gefechte ſelbſt. — Schlacht. — Ruͤckzug. —
Verfolgen. —
Maͤrſche. — Flußvertheidigungen, — Flußuͤbergaͤnge. —
Poſtirungen. — Kantonirungen. —
Stra-
[209]
Strategie.
Überſicht eines Feldzuges und eines ganzen Krieges
in ſtrategiſcher Hinſicht. —
Was den Erfolg im Kriege beſtimmt. —
Operationsplan. —
Operationslinie. — Einrichtung der Verpflegung. —
Angriffskrieg. —
Vertheidigungskrieg. —
Poſitionen — Poſtirungen — Schlachten — Maͤr-
ſche — Flußvertheidigungen und Übergaͤnge. —
Kantonirungen. —
Winterquartiere. —
Gebirgskrieg. —
Kriegsſyſtem ꝛc. ꝛc. —
Die permanente Fortifikation und der Belagerungs-
krieg gingen der Strategie entweder voran oder machten
den Beſchluß des Ganzen.
III 14
[210]
Die wichtigſten Grundſaͤtze des Kriegfuͤhrens
zur Ergaͤnzung meines Unterrichts bei Sr.
Koͤniglichen Hoheit dem Kronprinzen.
Dieſe Grundſaͤtze, obgleich das Reſultat laͤngeren Nach-
denkens und eines fortgeſetzten Studiums der Kriegsge-
ſchichte, ſind gleichwohl nur ganz fluͤchtig aufgeſetzt und
leiden in Ruͤckſicht auf ihre Form durchaus keine ſtrenge
Kritik. Übrigens ſind von der Menge der Gegenſtaͤnde
nur die wichtigſten herausgehoben, weil es weſentlich auf
eine gewiſſe Kuͤrze ankam. Es koͤnnen daher dieſe Grund-
ſaͤtze Ew. Koͤniglichen Hoheit nicht ſowohl eine vollſtaͤndige
Belehrung gewaͤhren, als ſie vielmehr Veranlaſſungen zum
Eignen Nachdenken werden und bei dieſem Nachdenken
zum Leitfaden dienen ſollen.
I.Grundſaͤtze fuͤr den Krieg uͤberhaupt.
1. Die Theorie des Krieges beſchaͤftigt ſich zwar
vorzuͤglich damit wie man auf den entſcheidenden Punkten
ein Übergewicht von phyſiſchen Kraͤften und Vortheilen
erhalten koͤnne; allein wenn dieſes nicht moͤglich iſt, ſo
lehrt die Theorie auch auf die moraliſchen Groͤßen kalku-
liren: auf die wahrſcheinlichen Fehler des Feindes, auf
den Eindruck welchen ein kuͤhnes Unternehmen macht u.
ſ. w., ja auf unſere eigene Verzweiflung ſelbſt. Alles
dieſes liegt gar nicht außer dem Gebiete der Kriegskunſt
und ihrer Theorie, denn dieſe iſt Nichts als ein vernuͤnf-
[211] tiges Nachdenken uͤber alle Lagen in welche man im Kriege
kommen kann. Die gefaͤhrlichſten dieſer Lagen muß man
ſich am haͤufigſten denken, muß am beſten daruͤber mit
ſich einig werden. Das fuͤhrt zu heroiſchen Entſchluͤſſen
aus Gruͤnden der Vernunft, die dann kein kalter Kluͤgler
je erſchuͤttern kann.
Wer Ew. Koͤniglichen Hoheit je die Sache anders
vorſtellt iſt ein Pedant, der Ihnen durch ſeine Anſichten
nur ſchaͤdlich werden kann. Sie werden in großen Mo-
menten des Lebens, im Getuͤmmel der Schlacht einſt deut-
lich fuͤhlen daß nur eine ſolche Anſicht aushelfen kann, da
wo Huͤlfe am noͤthigſten iſt und wo eine trockene Zahlen-
pedanterie uns im Stiche laͤßt.
2. Natuͤrlich ſucht man im Kriege immer die Wahr-
ſcheinlichkeit des Erfolges auf ſeiner Seite zu haben, ſei
es indem man auf phyſiſche oder auf moraliſche Vortheile
zaͤhlt. Allein dieſes iſt nicht immer moͤglich; man muß
oft Etwas gegen die Wahrſcheinlichkeit unternehmen,
wenn man naͤmlich nichts Beſſeres thun kann.
Wollten wir hier verzweifeln, ſo hoͤrte unſere vernuͤnftige
Überlegung gerade da auf wo ſie am nothwendigſten wird,
da wo ſich Alles gegen uns verſchworen zu haben ſcheint.
Wenn man alſo auch die Wahrſcheinlichkeit des Er-
folges gegen ſich hat, ſo muß man das Unternehmen
darum nicht fuͤr unmoͤglich oder unvernuͤnftig halten; ver-
nuͤnftig iſt es immer wenn wir nichts Beſſeres zu thun
wiſſen und bei den wenigen Mitteln die wir haben Alles
ſo gut als moͤglich einrichten.
Damit es in einem ſolchen Falle nicht an Ruhe und
Feſtigkeit fehle, die im Kriege immer am erſten in Gefahr
kommen und die in einer ſolchen Lage ſo ſchwer zu be-
wahren ſind, ohne welche man aber mit den glaͤnzendſten
14*
[212] Eigenſchaften des Geiſtes Nichts leiſtet: ſo muß man ſich
mit dem Gedanken eines ehrenvollen Unterganges vertraut
machen, ihn immerfort bei ſich naͤhren, ſich ganz daran
gewoͤhnen. Sein Sie uͤberzeugt, gnaͤdigſter Herr, daß ohne
dieſen feſten Entſchluß ſich im gluͤcklichſten Kriege nichts
Großes leiſten laͤßt, geſchweige denn im ungluͤcklichſten.
Friedrich II. hat dieſer Gedanke gewiß waͤhrend ſei-
ner erſten ſchleſiſchen Kriege oft beſchaͤftigt; weil er ver-
traut damit war unternahm er an jenem merkwuͤrdigen
5. Dezember den Angriff der Öſtreicher bei Leuthen, nicht
weil er herausgerechnet hatte daß er mit der ſchiefen
Schlachtordnung die Öſtreicher hoͤchſt wahrſcheinlich ſchla-
gen wuͤrde.
3. Bei allen Operationen welche Sie in einem be-
ſtimmten Falle waͤhlen, bei allen Maaßregeln die Sie er-
greifen koͤnnen, bleibt Ihnen immer die Wahl zwiſchen der
kuͤhnſten und der vorſichtigſten. Einige Leute meinen die
Theorie riethe immer zum Vorſichtigſten; das iſt falſch;
wenn die Theorie Etwas raͤth, ſo liegt es in der Natur
des Krieges daß ſie das Entſcheidendſte, alſo das Kuͤhnſte
rathen wuͤrde; aber die Theorie uͤberlaͤßt es hier dem Feld-
herrn nach dem Maaßſtabe ſeines eigenen Muthes, ſeines
Unternehmungsgeiſtes, ſeines Selbſtvertrauens zu waͤhlen.
Waͤhlen Sie alſo nach dem Maaße dieſer innern Kraft,
aber vergeſſen Sie nicht daß kein Feldherr groß geworden
iſt ohne Kuͤhnheit.
II.Taktik oder Gefechtslehre.
Der Krieg beſteht aus einer Kombination von vielen
einzelnen Gefechten. Wenn nun dieſe Kombination auch
weiſe oder unvernuͤnftig ſein kann und der Erfolg davon
ſehr abhaͤngt, ſo iſt doch zunaͤchſt das Gefecht ſelbſt noch
[213] wichtiger. Denn nur die Kombination von gluͤcklichen Ge-
fechten giebt gute Erfolge. Das Wichtigſte im Kriege
bleibt alſo immer die Kunſt ſeinen Gegner im Gefechte zu
beſiegen. Hierauf koͤnnen Ew. Koͤnigliche Hoheit nicht
Aufmerkſamkeit und Nachdenken genug verwenden. Fol-
gende Grundſaͤtze halte ich fuͤr die wichtigſten.
1. Allgemeine Grundſaͤtze.
A.Für die Vertheidigung.
1. Seine Truppen bei der Vertheidigung ſo lange
als moͤglich verdeckt zu halten. Da man, nur den Mo-
ment wo man ſelbſt angreift ausgenommen, immer ange-
griffen werden kann, alſo auf der Vertheidigung iſt, ſo
muß man ſich immer ſo verdeckt als moͤglich aufſtellen.
2. Nicht alle ſeine Truppen gleich ins Gefecht zu
bringen. Dann hoͤrt alle Weisheit in der Fuͤhrung des Ge-
fechts auf; nur mit disponibeln Truppen kann man dem
Gefechte eine andere Wendung geben.
3. Sich wenig oder gar nicht um die Groͤße ſeiner
Fronte zu bekuͤmmern, da ſie an ſich etwas Gleichguͤltiges
iſt und die Tiefe der Stellung (naͤmlich die Anzahl der
Korps welche man hintereinander aufſtellt) durch die Aus-
dehnung der Fronte beſchraͤnkt wird. Truppen die man
hinten hat ſind disponibel, ſie koͤnnen ſowohl gebraucht wer-
den das Gefecht auf dem naͤmlichen Punkte zu erneuern,
als um damit auf andern daneben liegenden Punkten zu
erſcheinen. Dieſer Punkt iſt eine Folge des vorigen.
4. Da der Feind in der Regel zugleich uͤberfluͤgelt
und umfaßt waͤhrend er einen Theil der Fronte angreift,
ſo ſind die hintenſtehenden Korps geeignet Dem zu begegnen,
alſo den Mangel einer Anlehnung an Terrainhinderniſſe
zu erſetzen. Sie ſind dazu mehr geeignet als wenn ſie
[214] mit in der Linie ſtaͤnden und die Fronte verlaͤngerten,
denn der Feind wuͤrde ſie in dieſem Falle ſelbſt leicht um-
gehen. Auch dieſer Punkt iſt eine naͤhere Beſtimmung
des zweiten.
5. Hat man viele Truppen die man zuruͤckſtellt, ſo
muß nur ein Theil gerade hinter der Fronte ſtehen; den
andern ſtellt man ſeitwaͤrts zuruͤck.
Von dieſer letztern Stellung aus kann man die feind-
lichen Kolonnen welche uns umgehen ſelbſt wieder in die
Flanke nehmen.
6. Ein Hauptgrundſatz iſt: ſich nie ganz paſſiv zu
verhalten, ſondern den Feind ſelbſt waͤhrend er uns an-
greift, von vorn und von der Seite anzufallen. Man
vertheidigt ſich alſo auf einer gewiſſen Linie nur um den
Feind zu veranlaſſen ſeine Kraͤfte zum Angriff derſelben
zu entwickeln und geht dann mit andern zuruͤckgehalte-
nen Truppen zum Angriff uͤber. Wie Ew. Koͤnigliche
Hoheit einmal Selbſt ganz vortrefflich geſagt haben, ſoll
die Verſchanzungskunſt dem Vertheidiger nicht dienen ſich
wie hinter einem Walle mit mehr Sicherheit zu wehren,
ſondern den Feind mit mehr Erfolg anzugreifen, — eben
das muß man von aller paſſiven Defenſive ſagen; ſie
iſt immer nur das Mittel den Feind in der Gegend
welche ich mir auserſehe, in der ich meine Truppen dis-
ponirt, die ich fuͤr mich eingerichtet habe, mit Vortheil
anzufallen.
7. Dieſer Angriff der Vertheidigung kann ſtatthaben
in dem Augenblick wo der Feind mich wirklich angreift
oder waͤhrend er im Marſch gegen mich begriffen iſt. Sie
kann auch ſo geſchehen daß ich meine Truppen wenn der
Feind ſich zum Angriff anſchickt, zuruͤckziehe, ihn dadurch
in ein ihm fremdes Terrain hineinziehe und dann von allen
[215] Seiten uͤber ihn herfalle. Fuͤr alle dieſe Dispoſitionsarten
iſt die tiefe Aufſtellung, naͤmlich die Aufſtellung wo man
nur ⅔ oder die Haͤlfte ſeiner Armee oder noch weniger
in Fronte hat und das Übrige gerade und ſeitwaͤrts da-
hinter, wo moͤglich verſteckt, ſehr paſſend; darum iſt dieſe
Aufſtellungsart von einer unendlichen Wichtigkeit.
8. Wenn ich alſo 2 Diviſionen haͤtte, ſo wuͤrde ich
ſie lieber hinter als nebeneinander ſtellen; wenn ich 3
haͤtte wuͤrde ich wenigſtens eine zuruͤckſtellen; bei 4
wahrſcheinlich 2; bei 5 wenigſtens 2, in manchen Faͤllen
wohl 3 u. ſ. w.
9. Auf den Punkten wo man paſſiv bleibt muß
man ſich der Verſchanzungskunſt bedienen, aber in lauter
einzelnen geſchloſſenen Werken von ſehr ſtarken Profilen.
10. Bei dem Plan welchen man ſich fuͤr das Ge-
fecht entwirft muß man einen großen Zweck waͤhlen:
den Angriff einer großen feindlichen Kolonne und den voll-
kommenen Sieg uͤber dieſelbe. Waͤhlt man einen kleinen
Zweck waͤhrend der Feind einem großen nachgeht, ſo kommt
man offenbar zu kurz. Man ſpielt mit Thalern gegen
Pfennige.
11. Hat man ſich in ſeinem Vertheidigungsplane einen
großen Zweck (die Vernichtung einer feindlichen Kolonne ꝛc.)
vorgeſetzt, ſo muß man dieſen mit der hoͤchſten Energie, mit
dem Aufwande der letzten Kraͤfte verfolgen. In den mei-
ſten Faͤllen wird der Angreifende ſeinem Zwecke auf einem
andern Punkte nachgehen; waͤhrend wir auf ſeinen rechten
Fluͤgel fallen wird er ſuchen mit ſeinem linken entſchei-
dende Vortheile zu erringen. Laſſen wir nun fruͤher nach
als der Feind, verfolgen wir unſere Abſicht mit weniger
Energie als er, ſo wird er ſeinen Zweck ganz erreichen,
ſeinen Vortheil ganz erkaͤmpfen, wir den unſrigen nur
[216] halb. So hat er das Übergewicht, ſo wird der Sieg
ſein und wir muͤſſen den halb errungenen Vortheil gleich-
falls fahren laſſen. Leſen Ew. Koͤnigliche Hoheit die Ge-
ſchichte der Schlachten von Regensburg und Wagram mit
Aufmerkſamkeit, ſo wird Ihnen dies als wahr und wich-
tig erſcheinen.
In beiden griff der Kaiſer Napoleon mit ſeinem
rechten Fluͤgel an und ſuchte mit dem linken zu wider-
ſtehen. Eben Das that der Erzherzog Karl. Aber jener
that es mit aller Entſchloſſenheit und Energie, dieſer war
unentſchloſſen und blieb immer auf dem halben Wege ſte-
hen. Was er mit dem ſiegreichen Theile ſeiner Armee er-
focht waren unbedeutende Vortheile, was der Kaiſer Na-
poleon in derſelben Zeit auf dem entgegengeſetzten Punkte
erfocht, entſcheidende.
12. Laſſen Sie mich die beiden letzten Grundſaͤtze
noch einmal zuſammenfaſſen, ſie geben durch ihre Verbin-
dung ein Produkt was unter allen Urſachen des Sieges
in der heutigen Kriegskunſt als die erſte angeſehen werden
muß, naͤmlich: „Einen großen entſcheidenden Zweck mit
Energie und Beharrlichkeit zu verfolgen.“
13. Die Gefahr im Falle des Nichtgelingens waͤchſt
dadurch, das iſt wahr; aber die Vorſicht auf Unkoſten
des Zweckes zu vermehren iſt keine Kunſt, das iſt eine
falſche Vorſicht, wie ich ſchon in meinen allgemeinen Grund-
ſaͤtzen geſagt habe, die der Natur des Krieges entgegen
iſt: fuͤr große Zwecke muß man im Kriege Großes wagen.
Die rechte Vorſicht beſteht darin: daß man wenn man
Etwas im Kriege wagt, diejenigen Mittel die uns in der
Erreichung unſeres Zweckes nicht ſchwaͤchen aufzuſuchen und
anzuwenden nicht aus Faulheit, Traͤgheit und Leichtſinn
unterlaͤßt. So iſt die Vorſicht des Kaiſers Napoleon,
[217] der noch nie große Zwecke aus Vorſicht furchtſam und mit
halben Schritten verfolgt hat.
Denken Sie, gnaͤdigſter Herr, an die wenigen De-
fenſivſchlachten die in der Geſchichte gewonnen ſind, ſo wer-
den die ſchoͤnſten darunter in dem Geiſte der hier gegebe-
nen Grundſaͤtze gefuͤhrt ſein, denn eben das Studium der
Kriegsgeſchichte hat dieſe Grundſaͤtze an die Hand gegeben.
Bei Minden erſchien der Herzog Ferdinand ploͤtzlich auf
einem Schlachtfelde wo der Feind ihn nicht erwartet hatte
und ging zum Angriff uͤber, waͤhrend er bei Tannhauſen
hinter Schanzen ſich paſſiv wehrte.
Bei Roßbach warf ſich Friedrich II. auf einen Punkt
und in einem Augenblick dem Feinde entgegen wo er nicht
erwartet war.
Bei Liegnitz trafen die Öſtreicher in der Nacht den
Koͤnig in einer ganz andern Stellung an, als ſie ihn Tags
vorher geſehen hatten; er fiel mit der ganzen Armee uͤber
eine Kolonne der feindlichen her und ſchlug dieſe ehe die
andern zum Gefechte kommen konnten.
Bei Hohenlinden hatte Moreau 5 Diviſionen in ſei-
ner Fronte und 4 in ſeinem Ruͤcken und ſeitwaͤrts hinter
ſich. Er umging den Feind und fiel auf ſeine rechte Fluͤ-
gelkolonne, ehe dieſe noch ihren Angriff ausfuͤhren konnte.
Bei Regensburg vertheidigt ſich der Marſchall Da-
vouſt paſſiv, waͤhrend Napoleon mit dem rechten Fluͤgel
das 5te und 6te Armeekorps angreift und total ſchlaͤgt.
Bei Wagram waren die Öſtreicher zwar die eigent-
lichen Vertheidiger, doch kann man, da ſie am zweiten
Tage mit dem groͤßten Theil ihrer Macht den Kaiſer an-
griffen, auch dieſen als den Vertheidiger betrachten. Mit
ſeinem rechten Fluͤgel greift er den oͤſtreichiſchen linken an,
[218] umgeht, ſchlaͤgt ihn, waͤhrend er ſich um ſeinen ganz
ſchwachen linken Fluͤgel (er beſtand aus einer einzigen Di-
viſion) an der Donau nicht bekuͤmmerte, aber durch ſtarke
Reſerven (tiefe Aufſtellung) verhinderte daß der Sieg des
oͤſtreichiſchen rechten Fluͤgels Einfluß auf den Sieg be-
kam den er am Rußbach erfocht. Er nahm mit dieſen
Reſerven Aderklaa wieder.
Nicht alle der obigen Grundſaͤtze ſind in jeder der
angefuͤhrten Schlachten deutlich enthalten, aber alle ſind
doch eine aktive Vertheidigung.
Die Beweglichkeit der preußiſchen Armee unter Fried-
rich II. war ihm ein Mittel zum Siege worauf wir jetzt
nicht mehr rechnen koͤnnen, da die andern Armeen wenig-
ſtens ebenſo beweglich ſind als wir. Von der andern
Seite war das Umgehen in jener Zeit weniger allgemein
und daher die tiefere Aufſtellung weniger dringend.
B. Fuͤr den Angriff.
1. Man ſucht einen Punkt der feindlichen Stellung
d. i. einen Theil ſeiner Truppen (eine Diviſion, ein Korps)
mit großer Überlegenheit anzufallen, waͤhrend man die
uͤbrigen in Ungewißheit erhaͤlt (ſie beſchaͤftigt). Nur da-
durch kann man bei gleicher oder kleinerer Macht mit
Überlegenheit, alſo mit Wahrſcheinlichkeit des Erfolges
fechten. Iſt man ſehr ſchwach, ſo muß man nur ſehr
wenig zur Beſchaͤftigung des Feindes auf andern Punkten
nehmen, damit man auf dem entſcheidenden Punkte ſo
ſtark als moͤglich ſei. Unſtreitig hat Friedrich II. die
Schlacht von Leuthen nur gewonnen, weil er die kleine
Armee auf einem Flecke hatte und im Verhaͤltniß zum
Feinde ſehr konzentrirt war.
[219]
2. Den Hauptſtoß richtet man gegen einen feindli-
chen Fluͤgel, indem man ihn von vorn und von der Seite
angreift oder auch ganz umgeht und von hinten kommt.
Nur wenn man im Siegen den Feind von ſeiner Ruͤck-
zugslinie abdraͤngt, hat man große Erfolge.
3. Wenn man auch ſtark iſt, ſo waͤhlt man doch
nur einen Punkt worauf man den Hauptſtoß richten will
und giebt ſich auf dieſem dafuͤr um ſo mehr Staͤrke;
denn eine Armee foͤrmlich einzuſchließen iſt in den wenig-
ſten Faͤllen moͤglich oder wuͤrde eine ungeheure phyſiſche
oder moraliſche Überlegenheit vorausſetzen. Von den Ruͤck-
zugslinien abdraͤngen kann man aber den Feind auch von
einem Punkte ſeiner Flanke aus und das giebt ſchon große
Erfolge.
4. Überhaupt iſt die Gewißheit (hohe Wahrſchein-
lichkeit) des Sieges, d. h. die Gewißheit den Feind
vom Schlachtfelde zu vertreiben, die Hauptſache. Darauf
muß die Anlage der Schlacht gerichtet ſein, denn es iſt
leicht einen erhaltenen nicht entſchiedenen Sieg durch Ener-
gie im Verfolgen entſcheidend zu machen.
5. Man ſucht den Feind auf dem Fluͤgel wo man
ihn mit der Hauptſtaͤrke angreift, konzentriſch anzufallen,
d. h. ſo, daß ſeine Truppen ſich von allen Seiten bekaͤmpft
ſehen. Geſetzt auch, der Feind hat hier Truppen genug
um nach allen Seiten Fronte zu machen, ſo werden die
Truppen unter ſolchen Umſtaͤnden doch leichter muthlos,
ſie leiden mehr, kommen in Unordnung ꝛc., kurz man hat
die Hoffnung ſie eher zum Weichen zu bringen.
6. Dieſes Umfaſſen des Feindes noͤthigt den Angrei-
fenden ſeine Kraͤfte in der Fronte mehr zu entwickeln
als der Vertheidiger.
[220]
Wenn die Korps a b c den Theil e der feindlichen
Armee konzentriſch anfallen ſollen, ſo muͤſſen ſie ſich na-
tuͤrlich neben einander befinden. Aber nie muß dieſe Ent-
wickelung unſerer Kraͤfte in der Fronte ſo groß ſein daß
man nicht bedeutende Reſerven behielte. Das wuͤrde der
groͤßte Fehler ſein, und wenn der Gegner einigermaßen
gegen das Umgehen vorbereitet iſt, zur Niederlage fuͤhren.
Wenn a b c Korps ſind die den Theil e angrei-
fen, ſo muͤſſen f g Korps ſein die zur Reſerve zuruͤckge-
[221] halten ſind. Mit dieſer tiefen Aufſtellung iſt man im
Stande dem angegriffenen Punkte unaufhoͤrlich mit neuen
Angriffen zuzuſetzen und wenn unſere Truppen auf dem
entgegengeſetzten Ende geſchlagen werden, ſo iſt man nicht
gleich genoͤthigt hier die Sache aufzugeben, weil man Etwas
hat womit man den Feind entgegengehen kann. Die
Franzoſen in der Schlacht bei Wagram. Der linke Fluͤ-
gel der ſich dem oͤſtreichiſchen rechten gegenuͤber an der
Donau befand, war aͤußerſt ſchwach und wurde auch total
geſchlagen. Selbſt ihr Centrum bei Aderklaa war nicht
ſehr ſtark und wurde von den Öſtreichern am erſten Tage
der Schlacht zum Weichen gebracht. Aber Alles das that
Nichts, weil der Kaiſer auf ſeinem rechten Fluͤgel mit
welchem er den oͤſtreichiſchen linken in Fronte und Flanke
angriff, eine ſolche Tiefe hatte daß er mit einer gewalti-
gen Kolonne Kavallerie und reitenden Artillerie den Öſt-
reichern nach Aderklaa entgegenruͤckte und ſie hier, wenn
auch nicht ſchlagen, doch zum Stehen bringen konnte.
7. Wie bei der Vertheidigung muß man auch beim
Angriff einen ſolchen Theil der feindlichen Armee zum
Gegenſtande ſeines Anfalls nehmen deſſen Niederlage ent-
ſcheidende Vortheile giebt.
8. Wie bei der Vertheidigung muß man hier nicht
eher loslaſſen als bis man ſeinen Zweck erreicht hat oder
gar keine Mittel mehr uͤbrig ſind. Iſt der Vertheidiger
auch aktiv, greift er uns auf andern Punkten an, ſo koͤn-
nen wir den Sieg nicht anders erhalten als wenn wir
ihn uͤberbieten an Energie und Kuͤhnheit. Iſt er paſſiv,
ſo wir [man] ohnehin keine große Gefahr laufen.
9. Lange zuſammenhaͤngende Truppenlinien vermei-
det man ganz, ſie wuͤrden nur zu Parallelangriffen fuͤhren,
die jetzt nicht mehr zweckmaͤßig ſind.
[222]
Die einzelnen Diviſionen machen ihre Angriffe fuͤr
ſich, obgleich nach hoͤhern Beſtimmungen und alſo in
Übereinſtimmung. Nun iſt aber eine Diviſion (8- bis
10,000 Mann) nie in ein Treffen formirt, ſondern in
2 oder 3 oder gar 4; daraus folgt ſchon daß keine lange
zuſammenhaͤngende Linie mehr vorkommen koͤnne.
10. Die Übereinſtimmung der Diviſionen und Armee-
korps in ihren Angriffen muß nicht dadurch erhalten wer-
den daß man ſie von einem Punkte aus zu leiten ſucht,
ſo daß ſie, obgleich von einander entfernt und vielleicht
ſelbſt durch den Feind von einander getrennt, dennoch im-
mer in Verbindung bleiben, ſich genau nach einander
richten ꝛc. Dies iſt die fehlerhafte, die ſchlechte Art das
Zuſammenwirken hervorzubringen, die tauſend Zufaͤllen un-
terworfen iſt, bei der nie etwas Großes ausgerichtet wer-
den kann und bei der man alſo gewiß ſein kann von ei-
nem kraͤftigen Gegner tuͤchtig geſchlagen zu werden.
Die wahre Art iſt jedem einzelnen Korps- oder Di-
viſionskommandanten die Hauptrichtung ſeines Marſches
anzugeben, den Feind zum Ziel und den Sieg uͤber den
Feind zum Zweck zu ſetzen.
Jeder Befehlshaber einer Kolonne hat alſo den Be-
fehl den Feind anzugreifen wo er ihn findet und das mit
allen Kraͤften. Er darf nicht verantwortlich gemacht wer-
den fuͤr den Erfolg, denn das fuͤhrt zur Unentſchloſſen-
heit; ſondern er iſt verantwortlich dafuͤr daß ſein Korps
mit allen Kraͤften und Aufopferungen Theil an dem Ge-
fechte nehme.
11. Ein gut organiſirtes ſelbſtſtaͤndiges Korps kann
dem uͤberlegenſten Angriff eine Zeit lang (einige Stun-
den) widerſtehen und alſo nicht im Augenblick vernichtet
werden; wenn es ſich alſo auch wirklich zu fruͤh mit dem
[223] Feinde eingelaſſen hat, ſo wird ſein Gefecht, geſetzt auch
es wuͤrde geſchlagen, doch fuͤr das Ganze nicht verloren
gehen; der Feind wird ſeine Kraft an dieſem einen Korps
entwickeln und brechen und den uͤbrigen eine vortheilhafte
Gelegenheit zum Anfall geben.
Wie ein Korps dazu organiſirt ſein muͤſſe, davon in
der Folge.
Man wird alſo des Zuſammenwirkens der Kraͤfte
gewiß dadurch daß jedes Korps eine gewiſſe Selbſtſtaͤn-
digkeit hat und daß jedes den Feind aufſucht und mit
aller Aufopferung angreift.
12. Einer der wichtigſten Grundſaͤtze fuͤr den An-
griffskrieg iſt die Überraſchung des Feindes. Je mehr der
Angriff uͤberfallsweiſe geſchehen kann, um ſo mehr wird
man gluͤcklich ſein. Die Überraſchung welche der Verthei-
diger durch die Verſtecktheit ſeiner Maaßregeln, durch die
verdeckte Aufſtellung ſeiner Truppen hervorbringen kann,
kann der Angreifende nur durch den unvermutheten An-
marſch gewinnen.
Dieſe Erſcheinung iſt aber in den neuern Kriegen ſehr
ſelten. Der Grund liegt theils in den beſſern Sicherheits-
anſtalten die man jetzt hat, theils in der ſchnellen Fuͤhrung
des Krieges, ſo daß ſelten ein langer Stillſtand in den
Operationen eintritt welcher den Einen einſchlaͤferte und
dem Andern Gelegenheit gaͤbe ihn ploͤtzlich anzufallen.
Unter dieſen Umſtaͤnden kann man außer den eigent-
lichen naͤchtlichen Überfaͤllen (wie bei Hochkirch) die im-
mer moͤglich bleiben, den Feind nur noch dadurch uͤber-
raſchen daß man einen Marſch ſeitwaͤrts oder ruͤckwaͤrts
thut und dann ploͤtzlich wieder gegen den Feind anruͤckt;
ferner, wenn man entfernt ſteht, daß man durch eine ganz
[224] ungewoͤhnliche Anſtrengung und Thaͤtigkeit ſchneller da iſt
als der Feind uns erwartet hat.
13. Der eigentliche Überfall (naͤchtlich wie bei Hoch-
kirch) iſt der beſte um mit einer ganz kleinen Armee noch
Etwas zu unternehmen; aber er iſt fuͤr den Angreifenden
welcher die Gegend weniger kennt als der Vertheidigende,
mehrern Zufaͤllen unterworfen. Je weniger genau man
die Gegend und die Anordnungen des Feindes kennt, um
ſo groͤßer werden dieſe Zufaͤlle, daher dergleichen Angriffe
in manchen Lagen nur als ein Mittel der Verzweiflung
zu betrachten ſind.
14. Bei dieſen Angriffen muß man Alles noch viel
einfacher einrichten und noch konzentrirter ſein als bei Tage.
2. Grundſaͤtze fuͤr den Gebrauch der Truppen.
1. Kann man die Feuerwaffen nicht entbehren (und
wenn man ſie entbehren koͤnnte, warum fuͤhrt man ſie
mit?) ſo muß mit ihnen das Gefecht eroͤffnet werden und
die Kavallerie muß erſt gebraucht werden wenn der Feind
durch Infanterie und Artillerie ſchon viel gelitten hat.
Daraus folgt:
- a) daß man die Kavallerie hinter die Infanterie ſtel-
len muß, - b) daß man ſich nicht zu leicht bewegen laſſen muß
das Gefecht mit ihr anzufangen. Nur in Faͤllen,
wo Unordnungen des Feindes, ſchneller Ruͤckzug
deſſelben Hoffnung des Erfolgs geben, muß man
kuͤhn mit der Reiterei auf ihn losgehen.
2. Artillerie iſt in ihrem Feuer viel wirkſamer als
Infanterie. Eine Batterie von 8 Sechspfuͤndern nimmt
noch nicht den dritten Theil der Fronte eines Bataillons
ein, hat nicht den achten Theil der Menſchen die ein
Ba-
[225] Bataillon ſtark iſt und leiſtet gewiß zwei- bis dreimal
ſo viel in der Wirkung des Feuers. Dagegen hat Ar-
tillerie den Nachtheil nicht ſo beweglich zu ſein wie die
Infanterie. Im Allgemeinen gilt dies ſelbſt von der
leichteſten reitenden Artillerie, denn ſie kann nicht wie die
Infanterie in jedem Boden gebraucht werden. Man muß
alſo die Artillerie von Hauſe aus auf den wichtigſten
Punkten zuſammenhalten, weil ſie nicht wie die Infanterie
im Fortſchreiten des Gefechts ſich gegen dieſe Punkte hin
konzentriren kann. Eine große Batterie von 20 bis 30
Geſchuͤtzen entſcheidet meiſtens fuͤr den Punkt auf wel-
chem ſie ſich befindet.
3. Aus den angegebenen und andern in die Augen
fallenden Eigenthuͤmlichkeiten ergeben ſich fuͤr den Gebrauch
der einzelnen Waffen folgende Regeln:
- a) Man faͤngt das Gefecht mit der Artillerie an, und
zwar von Hauſe aus mit dem groͤßten Theile der-
ſelben; nur bei großen Truppenmaſſen iſt reitende
und auch Fußartillerie zur Reſerve. Man braucht
die Artillerie dabei in groͤßern Maſſen auf einem
Punkte. 20 bis 30 Kanonen vertheidigen den
Hauptpunkt in einer großen Batterie oder beſchießen
den Theil der feindlichen Stellung welchen man an-
fallen will. - b) Hierauf faͤngt man mit leichter Infanterie an —
ſei es mit Schuͤtzen, Jaͤgern oder Fuͤſilieren —
hauptſaͤchlich um nicht gleich Anfangs zu viel Kraͤfte
ins Spiel zu geben; man will erſt verſuchen, was
man vor ſich hat (denn das kann man ſelten or-
dentlich uͤberſehen), man will ſehen, wie ſich das
Gefecht wendet ꝛc.
Kann man mit dieſer Feuerlinie dem Feinde das
III 15
[226]Gleichgewicht halten und iſt man nicht eilig, ſo hat
man Unrecht ſich mit Anwendung der uͤbrigen Kraͤfte
zu uͤbereilen: man ermuͤde den Feind mit dieſem
Gefechte ſo ſehr als moͤglich. - c) Bringt der Feind ſo viele Truppen ins Gefecht
daß unſere Feuerlinie weichen muß oder duͤrfen wir
nicht laͤnger zoͤgern, ſo ziehen wir eine volle Infan-
terielinie heran, die ſich auf 100 bis 200 Schritte
vom Feinde entwickelt und ſchießt oder auch auf ihn
eindringt wie es eben gehen will. - d) Dies iſt die Hauptbeſtimmung der Infanterie; hat
man ſich aber ſo tief aufgeſtellt daß man nun noch
eine Infanterielinie in Kolonnen zur Reſerve hat,
ſo iſt man auf dieſem Punkte ziemlich Herr des
Gefechtes. Dieſe zweite Infanterielinie muß man
wo moͤglich nur in Kolonnen zur Entſcheidung ge-
brauchen. - e) Die Kavallerie haͤlt bei dem Gefechte ſo nahe hin-
ter den fechtenden Truppen als es ohne großen
Verluſt geſchehen kann, naͤmlich außer dem Kar-
taͤtſch- und Musketenfeuer. Sie muß aber bei der
Hand ſein, damit man jeden Erfolg der ſich im Ge-
fecht zeigt ſchnell benutzen koͤnne.
4. Indem man dieſe Regeln mehr oder weniger ge-
nau befolgt, behaͤlt man folgenden Grundſatz, den ich nicht
wichtig genug darſtellen kann, im Auge:
Seine Kraͤfte nicht alle mit einem Male auf gut
Gluͤck ins Spiel zu bringen,
wobei man alle Mittel das Gefecht zu leiten aus den
Haͤnden giebt; ſeinen Gegner wo moͤglich zu ermuͤden mit
wenigen Kraͤften und ſich fuͤr den letzten entſcheidenden
Augenblick eine entſcheidende Maſſe zu konſerviren. Iſt
[227] dieſe entſcheidende Maſſe einmal darangeſetzt, ſo muß ſie
von der hoͤchſten Kuͤhnheit geleitet werden.
5. Eine Schlachtordnung d. h. eine Aufſtellungsart der
Truppen vor und im Gefecht muß eingefuͤhrt ſein fuͤr den
ganzen Feldzug oder den ganzen Krieg. Dieſe Schlachtord-
nung vertritt in allen Faͤllen wo es an aller Zeit zur Dis-
poſition fehlt die Stelle derſelben. Sie muß daher vorzuͤg-
lich auf die Vertheidigung berechnet ſein. Dieſe Schlacht-
ordnung wird die Fechtart in der Armee auf einen ge-
wiſſen Modus bringen, der ſehr nothwendig und heilſam
iſt, weil es unvermeidlich bleibt daß ein großer Theil der
Untergenerale und andern Offiziere die ſich an der Spitze
kleinerer Abtheilungen befinden, ohne beſondere Kenntniß in
der Taktik, auch wohl ohne vorzuͤgliche Anlagen fuͤr den
Krieg ſein wird.
Es entſteht alſo daraus ein gewiſſer Methodismus,
der da an die Stelle der Kunſt tritt wo dieſe fehlt. Mei-
ner Überzeugung nach iſt das in den franzoͤſiſchen Armeen
im hoͤchſten Grade der Fall.
6. Nach Dem was ich uͤber den Gebrauch der Waf-
fen geſagt habe, wuͤrde dieſe Schlachtordnung fuͤr eine
Brigade ungefaͤhr folgende ſein:
15*
[228]
a b iſt die Linie der leichten Infanterie welche das
Gefecht eroͤffnet, im durchſchnittenen Terrain gewiſſer-
maßen als Avantgarde dient; dann kommt die Artil-
lerie c d, um auf vortheilhaften Punkten aufgeſtellt
zu werden. So lange ſie nicht poſtirt iſt, bleibt ſie
hinter der erſten Infanterielinie. e f iſt die erſte In-
fanterielinie, welche beſtimmt iſt aufzumarſchiren und
zu feuern, hier 4 Bataillone; g h ein Paar Kaval-
lerieregimenter; i k iſt die zweite Infanterielinie, die
zur Reſerve, zur Entſcheidung des Gefechtes beſtimmt
iſt; l m ihre Kavallerie.
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen wird einem ſtarken
Korps eine aͤhnliche Aufſtellung gegeben. Übrigens iſt es
nichts durchaus Weſentliches ob die Schlachtordnung ge-
rade ſo oder ein wenig anders iſt, wenn nur die oben an-
gegebenen Grundſaͤtze darin befolgt ſind. So z. B. kann
die Kavallerie g h ſich bei der gewoͤhnlichen Aufſtellung
[229] mit in der Linie l m befinden und man nimmt ſie nur
in einzelnen Faͤllen vor, wenn ſie in dieſer Stellung zu
weit zuruͤck ſich zu befinden wuͤrde.
7. Die Armee beſteht aus mehrern ſolcher ſelbſtſtaͤn-
digen Korps die ihren General und Generalſtab haben.
Sie werden neben und hintereinander aufgeſtellt, wie dies
in den allgemeinen Grundſaͤtzen fuͤr das Gefecht angege-
ben iſt. Eins iſt hier noch zu bemerken, daß man naͤm-
lich, wenn man nicht ganz ſchwach an Kavallerie iſt, ſich
eine beſondere Kavalleriereſerve bildet, die natuͤrlich hinten
zu ſtehen kommt und folgende Beſtimmungen hat:
- a) Wenn der Feind im Ruͤckzuge vom Schlachtfelde
begriffen iſt, auf ihn einzudringen und die Kavallerie
welche er zur Deckung ſeiner Ruͤckzuges anwendet,
anzugreifen. Schlaͤgt man in dieſem Augenblick die
feindliche Kavallerie, ſo werden unvermeidlich große
Erfolge eintreten wenn die feindliche Infanterie
nicht Wunder der Tapferkeit thut. Kleine Kaval-
leriehaufen wuͤrden hier den Zweck nicht erreichen. - b) Wenn der Feind auch ungeſchlagen auf einem Ruͤck-
marſch begriffen iſt oder wenn er ſich nach einer
verlorenen Schlacht am folgenden Tage weiter zu-
ruͤckzieht, ihn ſchneller zu verfolgen. Kavallerie mar-
ſchirt ſchneller als Infanterie und macht auf die ſich
zuruͤckziehenden Truppen einen mehr imponirenden
Eindruck. Das Verfolgen aber iſt im Kriege naͤchſt
dem Schlagen das Wichtigſte. - c) Wenn man den Feind im Großen (ſtrategiſch) um-
gehen will und ſich wegen des Umweges einer
Waffe bedienen muß die ſchneller marſchirt, ſo
nimmt man dieſe Kavalleriereſerve dazu.
Damit dieſes Korps einigermaßen mehr Selbſtſtaͤn-
[230] digkeit erhaͤlt, ſo muß ihm eine bedeutende Maſſe reiten-
der Artillerie mitgegeben werden; denn die Verbindung
mehrerer Waffen giebt nur eine groͤßere Staͤrke.
8. Die Schlachtordnung der Truppen bezog ſich auf
das Gefecht; es war alſo ihr Aufmarſch.
Die Ordnung im Marſche iſt dem Weſentlichen nach
folgende:
- a) Jedes ſelbſtſtaͤndige Korps (Brigade oder Diviſion
wie es heißen mag) hat ſeine eigene Avant- und
Arriergarde und [ſomit] ſeine eigene Kolonne; das
hindert aber nicht daß mehrere Korps auf einer
Straße hinter einander marſchiren und alſo im Gro-
ßen gewiſſermaßen eine Kolonne bilden. - b) Die Korps marſchiren in Folge der allgemeinen
Schlachtordnung; wie ſie nach dieſer neben und hin-
ter einander zu ſtehen kommen, ſo marſchiren ſie auch. - c) Die Ordnung in den Korps ſelbſt bleibt immer un-
veraͤndert folgende: die leichte Infanterie macht die
Avant- und Arriergarde, ein Regiment Kavallerie
iſt ihr zugegeben, dann folgt die Infanterie, dann
die Artillerie, zuletzt die uͤbrige Kavallerie.
Dieſe Ordnung bleibt, man mag ſich gegen den Feind
bewegen, wo ſie an ſich die natuͤrliche Ordnung iſt; oder
mit ihm parallel, wo eigentlich Das was in der Aufſtel-
lung hintereinander ſtehen ſollte, nebeneinander marſchiren
muͤßte. Kommt man zum Aufmarſch, ſo kann es nie an
ſo viel Zeit fehlen daß man nicht die Kavallerie und das
zweite Treffen rechts oder links herausziehen koͤnnte.
3. Grundſaͤtze fuͤr den Gebrauch des Terrains.
1. Das Terrain (der Boden, die Gegend) giebt im
Kriegfuͤhren zwei Vortheile.
[231]
Der erſte iſt daß es Hinderniſſe des Zugangs giebt,
die dem Feinde das Vordringen auf dieſem Punkte ent-
weder unmoͤglich machen oder ihn noͤthigen langſamer zu
marſchiren, in Kolonnen zu bleiben ꝛc.
Die zweite iſt daß die Hinderniſſe uns erlauben un-
ſere Truppen verdeckt aufzuſtellen.
Beide Vortheile ſind ſehr wichtig, aber der zweite
ſcheint mir wichtiger als der erſte; wenigſtens iſt es ge-
wiß daß man ihn haͤufiger genießt, weil die einfachſte Ge-
gend in den meiſten Faͤllen noch erlaubt ſich mehr oder
weniger verdeckt zu ſtellen.
Fruͤher kannte man nur den erſten dieſer beiden Vor-
theile und machte wenig Gebrauch von dem zweiten. Jetzt
hat die Beweglichkeit aller Armeen gemacht daß man je-
nen weniger benutzen kann und eben darum muß man ſich
des zweiten um ſo haͤufiger bedienen. Der erſte dieſer bei-
den Vortheile iſt allein bei der Vertheidigung wirkſam,
der andere bei dem Angriff und der Vertheidigung.
2. Das Terrain als Zugangshinderniß betrachtet,
kommt vorzuͤglich in folgenden Punkten vor: a) als Flan-
kenanlehnung, b) als Fronteverſtaͤrkung.
3. Um die Flanken daranzulehnen muß es ganz
undurchdringlich ſein: ein großer Strom, ein See, ein
undurchdringlicher Moraſt. Alle dieſe Gegenſtaͤnde finden
ſich aber ſelten, darum iſt eine vollkommen ſichere Anleh-
nung der Flanken etwas Seltenes und zwar jetzt noch
mehr als ſonſt, weil man ſich mehr bewegt, nicht ſo lange
in einer Stellung bleibt, folglich mehr Stellungen auf
dem Kriegstheater benutzen muß.
Iſt das Hinderniß des Zugangs nicht ganz undurch-
dringlich, ſo iſt es eigentlich kein Stuͤtzpunkt fuͤr die
die Flanke, ſondern ein bloßer Verſtaͤrkungspunkt. Dann
[232] muͤſſen Truppen dahinter aufgeſtellt werden und fuͤr dieſe
wird es dann wieder ein Zugangshinderniß.
Es iſt zwar immer noch vortheilhaft ſeine Flanke
auf dieſe Art zu ſichern, weil man dann weniger Truppen
auf dieſem Punkte gebraucht; aber man muß ſich vor
zwei Dingen huͤten: erſtens, ſich ganz auf eine ſolche Fe-
ſtigkeit ſeiner Flanke zu verlaſſen, um alſo keine ſtarke
Reſerve hinter ſich zu haben; zweitens, ſich auf beiden
Fluͤgeln mit ſolchen Hinderniſſen zu umgeben, denn da ſie
nicht vollkommen ſichern, ſo werden ſie das Gefecht auf
den Flanken auch nicht unmoͤglich machen; dann fuͤhren
ſie aber zu einer hoͤchſt nachtheiligen Defenſive, denn ſie
erlauben uns ſelbſt nicht mit Leichtigkeit auf einem Fluͤgel
zur aktiven Vertheidigung vorzubrechen und man wird ſich
in der unguͤnſtigſten aller Formen mit zuruͤckgebliebenen
Flanken a d, c b vertheidigen muͤſſen.
4. Die eben angeſtellten Betrachtungen fuͤhren wieder
auf die tiefe Aufſtellung. Je weniger man ſeine Flanke
ſicher anlehnen kann, um ſo mehr muß man hinter ſich
Korps haben, die den umgehenden Theil des Feindes um-
gehen koͤnnen.
5. Alle Arten von Terrain die man nicht in Fronte
paſſiren kann, alle Ortſchaften, alle Einheegerungen der
Grundſtuͤcke durch viele Hecken und Graͤben, alle ſumpfigen
[233] Wieſen, endlich alle Berge die mit einiger Muͤhe erſtiegen
werden muͤſſen, gehoͤren zu den Terrainhinderniſſen dieſer
Art, naͤmlich zu ſolchen die zwar paſſirt werden koͤnnen,
aber nur mit Anſtrengung und langſam, die alſo den da-
hinter aufgeſtellten Truppen eine groͤßere Staͤrke in dem
Gefechte geben. Waͤlder ſind nur dann hierher zu rechnen,
wenn ſie ſehr verwachſen und ſumpfig ſind. Ein gewoͤhn-
licher hoher Wald iſt eben ſo leicht zu paſſiren als die
Ebene. In Ruͤckſicht der Waͤlder aber darf man einen
Punkt nicht uͤberſehen, daß ſie naͤmlich den Feind verber-
gen. Stellt man ſich hinein, ſo findet dieſer Nachtheil
fuͤr beide Theile Statt; ſehr gefaͤhrlich und alſo ein gro-
ßer Fehler iſt es aber ſie vor der Fronte oder auf den
Flanken zu nehmen: dies darf durchaus nur geſchehen wenn
der Durchgang auf wenige Wege beſchraͤnkt iſt. Verhaue
die man zu dieſem Behufe anlegt helfen nicht Viel, ſie
ſind leicht weggeraͤumt.
6. Aus allem dieſen folgt daß man ſich dieſer Ter-
rainhinderniſſe auf einer Flanke zu bedienen ſuchen wird,
um hier mit wenigen Truppen verhaͤltnißmaͤßig einen ſtar-
ken Widerſtand zu leiſten, waͤhrend man auf der andern
Flanke ſeine vorgeſetzte Offenſive ausfuͤhrt. Sehr zweck-
maͤßig iſt es mit dieſen Hinderniſſen den Gebrauch der
Schanzen zu verbinden, weil dann, wenn der Feind das
Hinderniß paſſirt hat, unter dem Feuer der Schanzen dieſe
die ſchwachen Truppen gegen einen zu uͤberlegenen Anfall
und ein zu ploͤtzliches Zuruͤckwerfen ſichern.
7. Als Zugangshinderniß auf der Fronte iſt da wo
man ſich vertheidigen will jedes Hinderniß von großem
Werthe.
Alle Berge auf die man ſich ſtellt werden allein aus
dieſer Ruͤckſicht beſetzt. Denn auf die Wirkung der Waf-
[234] fen hat das Hoͤherſtehen oft gar keinen, meiſtens keinen
wichtigen Einfluß. Wenn wir oben ſtehen und der Feind,
indem er ſich uns naͤhert, muͤhſam ſteigen muß, ſo ruͤckt
er nur langſam vor, kommt auseinander, langt mit er-
ſchoͤpften Kraͤften an; Vortheile die bei gleicher Bravheit
und Staͤrke entſcheidend werden. Beſonders muß man
nicht uͤberſehen daß der ſchnelle Anfall im vollen Laufe
moraliſch ſo wirkſam iſt. Der vordringende Soldat be-
taͤubt ſich dadurch ſelbſt gegen die Gefahr, der ſtehende
verliert die Gegenwart des Geiſtes. Seine vorderſte In-
fanterie und Artillerie auf Berge zu ſtellen iſt alſo immer
ſehr vortheilhaft.
Iſt der Fall des Berges ſo ſteil oder ſein Abhang
ſo wellenfoͤrmig und ungleich daß man ihn nicht wirkſam
beſchießen kann, welches gar zu oft der Fall iſt, ſo ſtellt
man ſeine erſte Linie nicht an den Rand des Berges, ſon-
dern beſetzt dieſen hoͤchſtens mit Schuͤtzen und ſtellt die
volle Linie ſo daß der Feind in dem Augenblick wo er
auf die Hoͤhe heraufkommt und ſich wieder ſammelt, in
das wirkſamſte Feuer kommt.
Alle andern Zugangshinderniſſe, als: kleine Fluͤſſe,
Baͤche, hohle Wege ꝛc. dienen die Fronte des Feindes
zu brechen; er muß ſich dieſſeits wieder formiren und das
haͤlt ihn auf. Darum muͤſſen ſie in unſer wirkſamſtes
Feuer genommen werden. Dies wirkſamſte Feuer iſt der
Kartaͤtſchenſchuß (4- bis 600 Schritte) wenn viel Artille-
rie da iſt, der Flintenſchuß (150 bis 200 Schritte) wenn
wenig Artillerie auf dieſem Punkte iſt.
8. Es iſt mithin ein Geſetz alle Hinderniſſe des Zu-
ganges welche unſere Fronte verſtaͤrken ſollen in unſer
wirkſamſtes Feuer zu nehmen. Aber Eins iſt wichtig zu
bemerken, daß man nie den ganzen Widerſtand auf dieſem
[235] bloßen Feuern beruhen laſſen, ſondern immer einen be-
deutenden Theil ſeiner Truppen (⅓ bis ½) zum Anfall
mit dem Bajonet bereit haben muß in Kolonnen. Iſt
man alſo ganz ſchwach, ſo muß man bloß die Feuerlinie
(Schuͤtzen und Kanonen) ſo nahe ſtellen daß ſie das Hin-
derniß beſchießen, die uͤbrigen Truppen aber in Kolonnen,
wo moͤglich verdeckt, 6- bis 800 Schritte weiter zuruͤck.
9. Eine andere Benutzungsart der Zugangshinder-
niſſe vor der Fronte iſt die, wenn man dieſelben etwas
weiter vor der Fronte liegen laͤßt, ſo daß man ſie nur
unter dem wirkſamen Kanonenſchuß hat (1000 bis 2000
Schritte) und indem der Feind mit ſeinen Kolonnen uͤber-
geht, dieſe von allen Seiten anfaͤllt.
(Bei Minden that der Herzog Ferdinand etwas
Ähnliches.)
Alsdann dient das Terrainhinderniß der Abſicht ſich
aktiv zu vertheidigen, und dieſe aktive Vertheidigung, von
der wir fruͤher ſchon geſprochen haben, wird dann auf
der Fronte ausgefuͤhrt.
10. In dem Bisherigen ſind die Hinderniſſe des
Bodens und der Gegend vorzuͤglich als zuſammenhaͤngende
Linien fuͤr groͤßere Stellungen betrachtet worden. Es iſt
aber noͤthig noch Etwas uͤber einzelne Punkte zu ſagen.
Einzelne iſolirte Punkte koͤnnen uͤberhaupt nur ver-
theidigt werden durch Schanzen oder bei einem ſtarken
Terrainhinderniß. Von den erſten iſt hier nicht die Rede.
Terrainhinderniſſe die iſolirt gehalten werden ſollen koͤnnen
nur ſein:
a) iſolirte ſteile Hoͤhen.
Hier ſind Schanzen gleichfalls unentbehrlich, weil der
Feind hier immer in einer mehr oder weniger großen
Fronte gegen den Vertheidiger anruͤcken kann, dieſer alſo
[236] am Ende immer im Ruͤcken genommen werden wird, weil
man faſt nie ſo ſtark iſt nach allen Seiten Fronte zu
machen.
b) Defileen.
Unter dieſem Ausdruck verſteht man jeden engen
Weg wo der Feind nur auf einem Punkte anruͤcken kann.
Bruͤcken, Daͤmme, ſteile Felsſchluchten gehoͤren hierher.
In Ruͤckſicht aller dieſer Faͤlle iſt zu bemerken daß
entweder der Angreifende ſie durchaus nicht umgehen kann,
wie Bruͤcken uͤber große Stroͤme, alsdann kann der Ver-
theidiger dreiſt ſeine ganze Mannſchaft aufſtellen, um den
Punkt des Überganges ſo wirkſam als moͤglich zu be-
ſchießen; oder daß man gegen das Umgehen nicht abſolut
geſichert iſt, wie bei Bruͤcken uͤber kleine Fluͤſſe und bei
den meiſten Gebirgsdefileen. Alsdann iſt es nothwendig
einen bedeutenden Theil (⅓ bis ½) ſeiner Truppen zum
geſchloſſenen Anfall zuruͤckzubehalten.
c) Ortſchaften, Doͤrfer, kleine Staͤdte ꝛc.
Sind die Truppen ſehr brav, fuͤhren ſie den Krieg
mit Enthuſiasmus, ſo iſt in den Haͤuſern eine Vertheidi-
gung Weniger gegen Viele moͤglich, wie es keine andere
giebt. Iſt man aber des einzelnen Mannes nicht gewiß,
ſo iſt es beſſer die Haͤuſer, Gaͤrten ꝛc. nur mit Schuͤtzen
zu beſetzen, die Eingaͤnge mit Kanonen und den groͤßten
Theil der Truppen (½ bis ¾) in geſchloſſenen Kolonnen
entweder in dem Orte oder auch hinter demſelben verdeckt
aufzuſtellen, um damit uͤber den Feind herzufallen indem
er eindringt.
11. Dieſe iſolirten Poſten dienen den großen Opera-
tionen theils als Vorpoſten, wo es meiſtens nicht auf eine
abſolute Vertheidigung ankommt, ſondern auf ein bloßes
Aufhalten des Feindes, theils auf Punkten die in den
[237] Kombinationen welche man fuͤr die Armee entworfen hat,
wichtig werden. Oft iſt es noͤthig einen entlegenen Punkt
feſtzuhalten, um Zeit zur Entwickelung der aktiven Ver-
theidigungsmaaßregeln zu haben die man ſich vorgeſetzt hat.
Iſt aber der Punkt entlegen, ſo wird er dadurch von
ſelbſt iſolirt.
12. Es ſind nur noch zwei Bemerkungen uͤber die
iſolirten Punkte zu machen noͤthig. Die erſte, daß man
hinter dieſen Punkten Truppen zur Aufnahme des zuruͤck-
geworfenen Detaſchements bereithalten muͤſſe; die zweite,
daß Der welcher eine ſolche Vertheidigung in die Reihe
ſeiner Kombinationen aufnimmt, nie zu Viel darauf rech-
nen muͤſſe, wenn auch das Terrainhinderniß noch ſo ſtark
iſt; daß dagegen Der welchem die Vertheidigung aufgege-
ben iſt, auch unter den ſchlechteſten Umſtaͤnden den Zweck
zu erreichen ſich vorſetzen muͤſſe. Hier iſt ein Geiſt der
Entſchloſſenheit und Aufopferung noͤthig, der nur in dem
Ehrgeize und Enthuſiasmus ſeine Quelle findet. Hier
muß man alſo ſolche Leute hinſtellen denen es nicht an
dieſen edlen Seelenkraͤften fehlt.
13. Was die Benutzung des Terrains als Deckungs-
mittels fuͤr unſere Aufſtellung und unſern Anmarſch betrifft,
ſo bedarf das keiner weitlaͤufigen Auseinanderſetzung.
Man ſtellt ſich nicht auf den Berg welchen man ver-
theidigen will (wie bisher ſo oft geſchah), ſondern dahinter;
man ſtellt ſich nicht vor den Wald, ſondern hinein oder
dahinter; das Letztere nur wenn man den Wald oder das
Gehoͤlz dennoch uͤberſehen kann. Man behaͤlt ſeine Trup-
pen in Kolonnen um ſie leichter verdeckt aufſtellen zu koͤn-
nen; man benutzt Doͤrfer, kleine Gehoͤlze, alle Woͤlbungen
des Terrains um ſeine Truppen dahinter zu verſtecken; man
waͤhlt beim Anruͤcken die durchſchnittenſte Gegend u. ſ. w.
[238]
Es giebt faſt keine Gegend in angebauten Laͤndern
die ſo leicht zu uͤberſehen waͤre daß bei einer geſchickten
Benutzung der Hinderniſſe nicht ein großer Theil der
Truppen des Vertheidigers unentdeckt bleiben ſollten. Fuͤr
den Angreifenden hat die Deckung ſeines Marſches mehr
Schwierigkeiten, weil er den Wegen folgen muß.
Es verſteht ſich von ſelbſt daß man wenn man das
Terrain zur Verſteckung ſeiner Truppen benutzt, dies in
Übereinſtimmung mit den Zwecken thun muß und den Kom-
binationen die man ſich vorgeſetzt hat; dahin gehoͤrt alſo
vor allen Dingen daß man die Schlachtordnung nicht ganz
auseinanderreiße, wenn man ſich auch kleine Abweichungen
davon erlaubt.
14. Faſſen wir das bisher uͤber das Terrain Ge-
ſagte zuſammen, ſo ergiebt ſich fuͤr den Vertheidiger
d. h. fuͤr die Wahl der Stellungen Folgendes als das
Wichtigſte:
- a) Anlehnung einer oder beider Flanken;
- b) freie Ausſicht auf Fronte und Flanken;
- c) Hinderniſſe des Zugangs auf der Fronte;
- d) verdeckte Aufſtellung der Truppen. Hierzu kommt noch
- e) im Ruͤcken ein durchſchnittenes Terrain, weil das im
Falle eines Ungluͤcks das Verfolgen erſchwert; aber
keine zu nahen Defileen (wie bei Friedland), weil
das Aufenthalt und Verwirrung verurſacht.
15. Es waͤre pedantiſch zu glauben dieſe Vortheile
ließen ſich bei jeder Stellung die man im Kriege bezieht
alle erreichen. Nicht alle Stellungen ſind von gleicher
Wichtigkeit: ſie ſind um ſo wichtiger je wahrſcheinlicher
es iſt darin angegriffen zu werden. Nur bei den wichtig-
ſten ſucht man dieſe Vortheile alle zu erreichen, bei den
andern mehr oder weniger.
[239]
16. Die Ruͤckſichten welche der Angreifende auf das
Terrain zu nehmen hat vereinigen ſich vorzuͤglich in den
zwei Hauptpunkten: ein zu ſchwieriges Terrain nicht zum
Angriffspunkt zu waͤhlen, von der andern Seite aber wo
moͤglich durch die Gegend anzuruͤcken in der uns der Feind
am wenigſten uͤberſehen kann.
17. Ich ſchließe dieſe Bemerkungen uͤber den Ge-
brauch des Terrains mit einem Grundſatz der fuͤr die
Vertheidigung von der hoͤchſten Wichtigkeit und als
Schlußſtein der ganzen Vertheidigungslehre zu betrachten
iſt, naͤmlich:
Nie Alles von der Staͤrke des Terrains zu er-
warten, ſich folglich nie durch ein ſtarkes Terrain
zur paſſiven Defenſive verleiten zu laſſen.
Denn iſt das Terrain wirklich ſo ſtark daß es dem
Angreifenden unmoͤglich wird uns zu vertreiben, ſo wird er
es umgehen, welches immer moͤglich iſt, und dann iſt das
ſtaͤrkſte Terrain uͤberfluͤſſig; wir werden unter ganz andern
Umſtaͤnden, in einer ganz andern Gegend zur Schlacht ge-
zwungen, und es iſt ſo gut als haͤtten wir jenes Terrain
gar nicht in unſere Kombinationen mit aufgenommen. Iſt
das Terrain aber nicht von einer ſolchen Staͤrke, iſt ein
Angriff in demſelben noch moͤglich, ſo koͤnnen die Vor-
theile dieſes Terrains nie die Nachtheile einer paſſiven
Vertheidigung aufwiegen. Alle Terrainhinderniſſe muͤſſen
alſo nur zu einer theilweiſen Vertheidigung benutzt werden,
um mit wenigen Truppen einen verhaͤltnißmaͤßig großen
Widerſtand zu leiſten und Zeit fuͤr die Offenſive zu ge-
winnen, durch welche man auf andern Punkten den wah-
ren Sieg zu erhalten ſucht.
[240]
III.Strategie.
Sie iſt die Verbindung der einzelnen Gefechte die
den Krieg ausmachen, zum Zweck des Feldzuges und des
Krieges.
Weiß man zu fechten, weiß man zu ſiegen, ſo iſt
Wenig mehr uͤbrig. Denn gluͤckliche Erfolge zu verbinden
iſt leicht, weil es eine bloße Sache geuͤbter Urtheilskraft
iſt und nicht mehr, wie die Leitung des Gefechtes, auf be-
ſonderem Wiſſen beruht.
Die wenigen Grundſaͤtze welche darin vorkommen, die
vorzuͤglich auf der Verfaſſung der Staaten und Armeen
beruhen, werden ſich daher dem Weſentlichen nach ſehr
kurz zuſammenfaſſen laſſen.
1. Allgemeine Grundſaͤtze.
1. Es giebt beim Kriegfuͤhren drei Hauptzwecke:
- a) die feindliche bewaffnete Macht zu beſiegen und auf-
zureiben; - b) ſich in Beſitz der todten Streitkraͤfte und der andern
Quellen der feindlichen Armee zu ſetzen, und - c) die oͤffentliche Meinung zu gewinnen.
2. Um den erſten Zweck zu erreichen richtet man
ſeine Hauptoperation immer gegen die feindliche Hauptar-
mee oder doch gegen einen ſehr bedeutenden Theil der
feindlichen Macht; denn nur wenn man damit anfaͤngt
dieſe zu ſchlagen, kann man den andern beiden Zwecken
mit Erfolg nachgehen.
3. Um die feindlichen todten Kraͤfte zu erobern rich-
tet man ſeine Operationen gegen diejenigen Punkte wo dieſe
Kraͤfte am meiſten konzentrirt ſind: Hauptſtaͤdte, Nieder-
lagen, große Feſtungen. Auf dem Wege zu ihnen wird
man
[241] man die feindliche Hauptmacht oder einen betraͤchtlichen
Theil der feindlichen Armee antreffen.
4. Die Meinung gewinnt man durch große Siege
und durch den Beſitz der Hauptſtadt.
5. Der erſte und wichtigſte Grundſatz den man zur
Erreichung jener Zwecke ſich machen muß iſt der: alle
Kraͤfte die uns gegeben ſind mit der hoͤchſten Anſtrengung
aufzubieten. Jede Maͤßigung welche man hierin zeigt iſt
ein Zuruͤckbleiben hinter dem Ziele. Waͤre auch der Er-
folg an ſich ziemlich wahrſcheinlich, ſo iſt es doch hoͤchſt
unweiſe nicht die hoͤchſte Anſtrengung zu machen um ſeiner
ganz gewiß zu werden; denn dieſe Anſtrengung kann nie
einen nachtheiligen Erfolg haben. Geſetzt das Land wuͤrde
dadurch noch ſo ſehr gedruͤckt, ſo entſteht daraus kein Nach-
theil, denn der Druck wird um ſo ſchneller aufhoͤren.
Von unendlichem Werthe iſt der moraliſche Eindruck
den dieſe Anſtalten machen; jeder iſt von dem Erfolge
uͤberzeugt: dies iſt das beſte Mittel die Nation ploͤtzlich
zu heben.
6. Der zweite Grundſatz iſt: ſeine Macht da wo die
Hauptſchlaͤge geſchehen ſollen ſo viel als immer moͤglich zu
konzentriren, ſich auf andern Punkten Nachtheilen aus-
zuſetzen, um auf dem Hauptpunkte des Erfolges um ſo
gewiſſer zu ſein. Dieſer Erfolg hebt alle andern Nach-
theile wieder auf.
7. Der dritte Grundſatz iſt: keine Zeit zu verlieren.
Wenn uns nicht aus dem Zoͤgern beſonders wichtige
Vortheile entſpringen, ſo iſt es wichtig ſo ſchnell als
moͤglich ans Werk zu gehen. Durch die Schnelligkeit
werden Hundert Maaßregeln des Feindes im Keime er-
ſtickt und die oͤffentliche Meinung wird am erſten fuͤr
uns gewonnen.
III 16
[242]
Die Überraſchung ſpielt in der Strategie eine viel wich-
tigere Rolle als in der Taktik; ſie iſt das wirkſamſte Prin-
zip zum Siege. Der Kaiſer von Frankreich, Friedrich II.,
Guſtav Adolph, Caͤſar, Hannibal, Alexander verdanken ih-
rer Schnelligkeit die ſchoͤnſten Strahlen ihres Ruhmes.
8. Endlich iſt der vierte Grundſatz: die Erfolge welche
wir erringen, mit der hoͤchſten Energie zu benutzen.
Das Verfolgen des geſchlagenen Feindes giebt allein
die Fruͤchte des Sieges.
9. Der erſte dieſer Grundſaͤtze iſt die Grundlage der
drei andern. Man kann bei ihnen das Hoͤchſte wagen
ohne Alles aufs Spiel zu ſetzen, wenn man den erſten
Grundſatz befolgt hat. Er giebt das Mittel immer neue
Kraͤfte hinter uns zu bilden, und mit neuen Kraͤften macht
man jeden Ungluͤcksfall wieder gut.
Hierin liegt diejenige Vorſicht welche man weiſe nen-
nen kann, nicht darin daß man furchtſamen Schrittes
vorwaͤrtsſchreitet.
10. Kleine Staaten koͤnnen in der jetzigen Zeit keine
Eroberungskriege fuͤhren. Fuͤr den Vertheidigungskrieg
aber ſind die Mittel auch kleiner Staaten unendlich groß.
Darum halte ich mich feſt uͤberzeugt daß wer alle ſeine
Kraͤfte aufbietet um mit immer neuen Maſſen aufzutreten,
wer alle erſinnlichen Mittel der Vorbereitung trifft, wer
ſeine Kraͤfte auf dem Hauptpunkte zuſammenhaͤlt, wer ſo
ausgeruͤſtet mit Determination und Energie einen großen
Zweck verfolgt, der hat Alles gethan was ſich im Großen
fuͤr die ſtrategiſche Leitung des Krieges thun laͤßt, und
wenn er dabei nicht ganz ungluͤcklich im Gefechte iſt, ſo
wird er unausbleiblich in dem Maaße ſiegreich ſein als
ſein Gegner hinter dieſer Anſtrengung und Energie zu-
ruͤckbleibt.
[243]
11. Bei dieſen Grundſaͤtzen kommt am Ende auf
die Form in welcher die Operationen gefuͤhrt werden We-
nig an. Indeſſen will ich verſuchen das Wichtigſte davon
mit wenigen Worten klar zu machen.
In der Taktik ſucht man den Feind immer zu um-
faſſen, naͤmlich den Theil gegen welchen man ſeinen Haupt-
angriff gerichtet hat, theils weil die konzentriſche Wirkung
der Streitkraͤfte vortheilhafter iſt als die parallele, theils
weil man nur ſo den Feind vom Ruͤckzugspunkte abdraͤn-
gen kann.
Wenden wir was ſich dort auf den Feind und die
Stellung bezieht hier auf ſeine Kriegstheater (alſo auch
auf ſeine Verpflegung) an, ſo werden die einzelnen Ko-
lonnen oder Armeen welche den Feind umfaſſen ſollen, in
den meiſten Faͤllen ſo weit von einander entfernt ſein daß
ſie nicht an einem und demſelben Gefechte Theil nehmen
koͤnnen. Der Gegner wird ſich in der Mitte befinden und
ſich nach und nach gegen die einzelnen Korps wenden koͤn-
nen, um dieſe mit ein und derſelben Armee einzeln zu
ſchlagen. Friedrichs II. Feldzuͤge geben davon Beiſpiele,
beſonders die von 1757 und 58.
Da nun das Gefecht die Hauptſache, das Entſchei-
dende iſt, ſo wird der konzentriſch Verfahrende, wenn er
nicht eine ganz entſcheidende Übermacht hat, mit den
Schlachten alle Vortheile verlieren welche ihm das Um-
faſſen gewaͤhrt haben wuͤrde; denn die Einwirkung auf
die Verpflegung wirkt nur ſehr langſam, der Sieg in der
Schlacht ſehr ſchnell.
In der Strategie iſt alſo Der welcher ſich zwiſchen
dem Feinde befindet beſſer daran als Der welcher ſeinen
Gegner umgiebt, beſonders bei gleichen oder gar ſchwaͤchern
Kraͤften.
16*
[244]
Darin hat alſo der Oberſt Jomini ganz Recht, und
wenn Herr von Buͤlow mit ſo vielem Anſchein von Wahr-
heit das Gegentheil demonſtrirt hat, ſo liegt es bloß darin
daß er der Einwirkung auf die Verpflegung eine zu ſchnelle
Wirkung zugeſchrieben, den unausbleiblichen Erfolg einer
Schlacht aber leichtſinnigerweiſe ganz geleugnet hat.
Um den Feind von ſeinem Ruͤckzugspunkte abzuſchnei-
den iſt ein ſtrategiſches Umgehen und Umfaſſen allerdings
ſehr wirkſam; da man dieſen Zweck aber auch allenfalls
durch das taktiſche Umgehen erreichen kann, ſo wird das
ſtrategiſche Umgehen immer nur dann rathſam ſein, wenn
man (phyſiſch und moraliſch) ſo uͤberlegen iſt daß man auf
dem Hauptpunkte ſtark genug bleibt und mithin das deta-
ſchirte Korps entbehren kann.
Der Kaiſer von Frankreich hat ſich auf das ſtrate-
giſche Umgehen nie eingelaſſen, wiewohl er doch phyſiſch
und moraliſch ſo oft, faſt immer uͤberlegen war.
Friedrich II. that es nur ein einziges Mal im Angriff
auf Boͤhmen 1757. Allerdings veranlaßte er dadurch daß
die erſte Schlacht von den Öſtreichern erſt bei Prag ge-
liefert werden konnte; allein was half ihm die Eroberung
Boͤhmens bis Prag ohne entſcheidenden Sieg? Die Schlacht
von Kollin zwang ihn ſie wieder aufzugeben; ein Beweis
daß Schlachten Alles entſcheiden. Bei Prag war er of-
fenbar in Gefahr von der ganzen oͤſtreichiſchen Macht an-
gefallen zu werden ehe Schwerin herankam. Dieſer Ge-
fahr haͤtte er ſich nicht ausgeſetzt wenn er mit der ganzen
Macht durch Sachſen gezogen waͤre. Bei Budin an der
Eger waͤre dann vielleicht die erſte Schlacht geliefert wor-
den und dieſe waͤre eben ſo entſcheidend geweſen wie die
von Prag. Die Dislokation der preußiſchen Armee waͤh-
rend des Winters in Schleſien und Sachſen hatte zu die-
[245] ſem konzentriſchen Einmarſch unſtreitig Veranlaſſung ge-
geben, und es iſt wichtig zu bemerken daß Beſtimmungs-
gruͤnde dieſer Art in den meiſten Faͤllen dringender ſind
als die Vortheile in der Form der Aufſtellung, denn die
Leichtigkeit der Operationen befoͤrdert die Schnelligkeit, und
die Friktion welche die ungeheure Maſchine einer bewaff-
neten Macht hat, iſt ſchon ſo groß daß man ſie nicht
ohne Noth vermehren muß.
12. Durch den Grundſatz welchen wir eben ange-
fuͤhrt haben, ſich auf dem Hauptpunkte moͤglichſt zu kon-
zentriren, wird man ohnehin von dem Gedanken eines
ſtrategiſchen Umfaſſens abgezogen und die Aufſtellung un-
ſerer Streitkraͤfte ergiebt ſich ſchon von ſelbſt daraus.
Darum durfte ich ſagen daß die Form dieſer Aufſtellung
wenig Werth hat. Einen Fall indeſſen giebt es doch wo
die ſtrategiſche Wirkung in des Feindes Flanke zu großen,
einer Schlacht aͤhnlichen Erfolgen fuͤhrt: wenn der Feind
in einem armen Lande mit großer Muͤhe Magazine auf-
gehaͤuft hat, von deren Erhaltung ſeine Operationen durch-
aus abhaͤngen. In dieſem Falle kann es ſogar rathſam
werden mit der Hauptmacht nicht der feindlichen entgegen-
zugehen, ſondern auf die feindliche Baſis zu marſchiren.
Es ſind aber zwei Bedingungen erforderlich:
- a) daß der Feind von ſeiner Baſis ſo weit entfernt ſei
daß er dadurch zu einem bedeutenden Ruͤckzuge ge-
zwungen werde, und - b) daß wir auf der Richtung welcher ſeine Hauptmacht
folgt ihm durch Hinderniſſe der Natur und Kunſt
mit wenigen Truppen das Vorruͤcken ſo weit er-
ſchweren koͤnnen, daß er hier nicht Eroberungen
machen kann die ihm den Verluſt ſeiner Baſis
erſetzen.
[246]
13. Die Verpflegung der Truppen iſt eine noth-
wendige Bedingung des Kriegfuͤhrens und hat deshalb
einen großen Einfluß auf die Operationen, vorzuͤglich da-
durch daß ſie das Konzentriren der Maſſen nur bis auf
einen gewiſſen Grad erlaubt und daß ſie bei der Wahl
der Operationslinie das Kriegstheater mitbeſtimmt.
14. Die Verpflegung der Truppen geſchieht da wo
die Provinz es irgend erlaubt auf Koſten der Provinz
durch Requiſitionen.
Bei der jetzigen Kriegsart nehmen die Armeen einen
betraͤchtlich groͤßern Raum ein als ehemals.
Die Bildung eigener ſelbſtſtaͤndiger Korps hat dies
moͤglich gemacht ohne ſich gegen Den in Nachtheil zu ſtel-
len welcher auf die alte Art (mit 70- bis 100,000 Mann)
auf einem Flecke konzentrirt ſteht; denn ein einzelnes Korps
was ſo organiſirt iſt wie man ſie jetzt organiſirt hat, kann
es mit einem zwei- und dreifach uͤberlegenen Feinde eine
Zeit lang aufnehmen; die uͤbrigen kommen dann herbei,
und wenn dies Korps auch wirklich ſchon geſchlagen iſt,
ſo hat es nicht umſonſt gefochten, wie das ſchon bei einer
andern Gelegenheit bemerkt iſt.
Es ruͤcken alſo jetzt die einzelnen Diviſionen und
Korps von einander getrennt neben und hintereinander ins
Feld, nur ſo weit zuſammengehalten daß ſie, wenn ſie zu
einer Armee gehoͤren, noch an der naͤmlichen Schlacht An-
theil nehmen koͤnnen.
Dies macht die augenblickliche Verpflegung ohne
Magazine moͤglich. Die Einrichtung der Korps ſelbſt
mit ihrem Generalſtabe und ihrer Verpflegungsbehoͤrde er-
leichtert ſie.
15. Da wo nicht wichtigere Gruͤnde entſcheiden (z. B.
die Stellung der feindlichen Hauptarmee), waͤhlt man die
[247] fruchtbarſten Provinzen zu ſeinen Operationen, denn die
Leichtigkeit der Verpflegung befoͤrdert die Schnelligkeit der
Unternehmungen. Wichtiger als die Verpflegung kann nur
die Stellung der feindlichen Hauptarmee ſein die man auf-
ſucht, die Lage der Hauptſtadt und des Waffenplatzes die
man erobern will. Alle andern Gruͤnde, z. B. die vor-
theilhafte Form in der Aufſtellung der Streitkraͤfte, wo-
von wir ſchon geſprochen haben, ſind in der Regel viel
weniger wichtig.
16. Trotz dieſer neuen Verpflegungsart iſt man weit
entfernt aller Magazine entbehren zu koͤnnen und ein wei-
ſer Feldherr wird, wenn auch die Kraͤfte der Provinz
ganz hinreichen, doch nicht unterlaſſen fuͤr unvorhergeſehene
Faͤlle und um auf einzelnen Punkten ſich mehr zuſammen-
halten zu koͤnnen, Magazine hinter ſich anzulegen. Dieſe
Vorſicht gehoͤrt zu denjenigen die nicht auf Unkoſten des
Zweckes genommen werden.
2. Vertheidigung.
1. Politiſch heißt Vertheidigungskrieg ein ſolcher den
man fuͤr ſeine Unabhaͤngigkeit fuͤhrt; ſtrategiſch heißt Ver-
theidigungskrieg derjenige Feldzug in welchem ich mich be-
ſchraͤnke den Feind in dem Kriegstheater zu bekaͤmpfen
das ich mir fuͤr dieſen Zweck zubereitet habe. Ob in die-
ſem Kriegstheater ich die Schlachten offenſiv oder defenſiv
liefere aͤndert darin Nichts.
2. Man waͤhlt die ſtrategiſche Defenſive hauptſaͤchlich
wenn der Feind uͤberlegen iſt. Natuͤrlich geben Feſtungen
und verſchanzte Lager, welches die Hauptzubereitungen eines
Kriegstheaters ſind, große Vortheile, wohin auch noch die
Kenntniß der Gegend und der Beſitz guter Karten zu rech-
nen iſt. Mit dieſen Vortheilen wird eine kleinere Armee
[248] oder eine Armee die auf einen kleineren Staat und gerin-
gere Huͤlfsquellen baſirt iſt, eher im Stande ſein dem
Gegner zu widerſtehen als ohne dieſe Huͤlfsmittel.
Naͤchſt Dem giebt es noch folgende zwei Gruͤnde
die zur Wahl eines Defenſivkrieges beſtimmen koͤnnen.
Erſtens wenn die mein Kriegstheater umgebenden Pro-
vinzen die Operationen der Verpflegung wegen außerordent-
lich erſchweren. In dieſem Falle entziehe ich mich dem Nach-
theil und der Feind muß ſich demſelben unterwerfen. Dies
iſt z. B. jetzt (1812) der Fall der ruſſiſchen Armee.
Zweitens wenn der Feind mir im Kriegfuͤhren uͤber-
legen iſt.
In einem zubereiteten Kriegstheater welches wir ken-
nen, wo alle Nebenumſtaͤnde zu unſerm Vortheil ſind,
iſt der Krieg leichter zu fuͤhren; es werden nicht ſo viele
Fehler begangen. In dieſem Falle, naͤmlich wenn die Un-
zuverlaͤſſigkeit unſerer Truppen und Generale uns zum
Vertheidigungskrieg veranlaßt, verbindet man mit der
ſtrategiſchen Defenſive gern die taktiſche — d. h. man
liefert die Schlachten in den von uns zubereiteten Stellun-
gen und zwar gleichfalls weil man dabei wenigern Feh-
lern ausgeſetzt iſt.
3. In dem Vertheidigungskriege muß eben ſo gut
wie in dem Angriffskriege ein großer Zweck verfolgt wer-
den. Dieſer kann kein anderer ſein als die feindliche Armee
aufzureiben, ſei es durch eine Schlacht oder dadurch daß
man ihr ihre Subſiſtenz bis aufs Äußerſte erſchwert,
ſie dadurch in eine ſchlechte Verfaſſung bringt und zum
Ruͤckzuge noͤthigt, wobei ſie nothwendig großen Verluſten
ausgeſetzt ſein muß. Wellingtons Feldzug im Jahre 1810
und 11 giebt davon ein Beiſpiel.
Der Vertheidigungskrieg beſteht alſo nicht in einem
[249] muͤßigen Abwarten der Begebenheiten; abwarten muß man
nur wenn man ſichtbaren und entſcheidenden Nutzen davon
hat. Hoͤchſt gefaͤhrlich iſt fuͤr den Vertheidiger jene Ge-
witterſtille, die großen Schlaͤgen vorhergeht zu welchen
der Angreifende neue Kraͤfte ſammelt.
Haͤtten die Öſtreicher nach der Schlacht von Aspern
ſich dreimal ſo ſehr verſtaͤrkt wie der Kaiſer von Frank-
reich, welches ſie allerdings konnten, ſo war die Zeit der
Ruhe welche bis zur Schlacht von Wagram eintrat, ih-
nen nuͤtzlich; aber nur unter dieſer Bedingung; da ſie es
nicht thaten, ſo ging ihnen dieſe Zeit verloren und es waͤre
weiſer geweſen Napoleons nachtheilige Lage zu benutzen,
um die Folgen der Schlacht von Aspern zu ernten.
4. Die Feſtungen ſind beſtimmt einen bedeutenden
Theil der feindlichen Armee durch die Belagerung zu be-
ſchaͤftigen. Dieſer Zeitpunkt muß alſo benutzt werden
um den uͤbrigen Theil zu ſchlagen. Man muß alſo ſeine
Schlachten hinter ſeinen Feſtungen, nicht vor denſelben
liefern. Man muß aber nicht muͤßig zuſehen daß ſie ge-
nommen werden, wie Bennigſen that, waͤhrend Danzig
belagert wurde.
5. Große Stroͤme, d. h. ſolche uͤber welche man
nur mit vielen Umſtaͤnden eine Bruͤcke zu Stande bringt,
wie die Donau von Wien an und der Niederrhein, geben
eine natuͤrliche Vertheidigungslinie. Nicht indem man ſich
laͤngs des Stromes gleichmaͤßig vertheilt um das Über-
gehen abſolut zu verhindern, welches gefaͤhrlich iſt, ſondern
indem man ihn beobachtet und da wo der Feind uͤberge-
gangen iſt, in dem Augenblick wo er noch nicht alle
Kraͤfte an ſich gezogen hat, wo er noch auf ein enges
Terrain nahe am Fluſſe eingeſchraͤnkt iſt, uͤber ihn von
allen Seiten herfaͤllt. Die Schlacht von Aspern giebt da-
[250] von ein Beiſpiel. Bei der Schlacht von Wagram hat-
ten die Öſtreicher den Franzoſen ganz ohne Noth zu viel
Terrain uͤberlaſſen, ſo daß die eigenthuͤmlichen Nachtheile
des Flußuͤberganges dadurch aufgehoben wurden.
6. Gebirge ſind das zweite Terrainhinderniß welches
eine gute Vertheidigungslinie bildet. Entweder indem man
ſie vor ſich liegen laͤßt und ſie nur mit leichten Truppen
beſetzt, um ſie gewiſſermaßen als einen Fluß zu betrachten
uͤber welchen der Feind ſetzen muß und ſobald er aus den
Paͤſſen mit einzelnen Kolonnen vordringt, uͤber eine der-
ſelben herzufallen mit der ganzen Macht; oder indem man
ſich ſelbſt hineinſtellt. In dem letztern Falle darf man
die einzelnen Paͤſſe nur mit kleinen Korps vertheidigen
und ein bedeutender Theil der Armee (⅓ bis ½) muß zur
Reſerve bleiben um damit eine der durchgedrungenen Ko-
lonnen uͤberlegen anzufallen. Man muß alſo dieſe große
Reſerve nicht vereinzeln um das Durchdringen aller Ko-
lonnen abſolut zu verhindern, ſondern ſich von Hauſe aus
vorſetzen damit auf diejenigen Kolonnen zu fallen welche
man als die ſtaͤrkſten vermuthet. Schlaͤgt man auf dieſe
Weiſe einen bedeutenden Theil der angreifenden Armee,
ſo werden die durchgedrungenen Kolonnen ſich von ſelbſt
wieder zuruͤckziehen.
Die Formation der meiſten Gebirge iſt von der Art
daß ſich in der Mitte derſelben mehr oder weniger hohe
Ebenen befinden (Plateaus), waͤhrend die nach der Ebene
zu gelegene Seite von ſteilen Thaͤlern durchbrochen iſt,
die die Eingaͤnge bilden. Der Vertheidiger findet alſo
im Gebirge eine Gegend in der er ſich ſchnell rechts und
links bewegen kann, waͤhrend die angreifenden Kolonnen
durch ſteile unzugaͤngliche Ruͤcken von einander getrennt
ſind. Nur wenn das Gebirge von dieſer Art iſt, leidet
[251] es eine gute Defenſive. Iſt es in ſeinem ganzen Innern
rauh und unzugaͤnglich, ſo daß der Vertheidiger zerſtreut
und ohne Zuſammenhang ſteht, ſo iſt die Vertheidigung
deſſelben mit der Hauptmacht eine gefaͤhrliche Maaßregel,
denn unter dieſen Umſtaͤnden ſind alle Vortheile fuͤr den
Angreifenden, der einzelne Punkte mit großer Überlegen-
heit anfallen kann, und kein Paß, kein einzelner Punkt
iſt ſo ſtark daß er durch eine uͤberlegene Macht nicht in-
nerhalb eines Tages genommen werden koͤnnte.
7. In Ruͤckſicht des Gebirgskrieges iſt uͤberhaupt
zu bemerken daß darin Alles von der Geſchicklichkeit der
Untergeordneten, der Offiziere, noch mehr aber von dem
Geiſte der Soldaten uͤberhaupt abhaͤngt. Große Manoͤ-
verfaͤhigkeit iſt hier nicht erforderlich, aber kriegeriſcher
Geiſt und Herz fuͤr die Sache, denn mehr oder weniger iſt
ſich hier ein Jeder ſelbſt uͤberlaſſen; daher kommt es daß
beſonders Nationalbewaffnungen ihre Rechnung im Ge-
birgskriege finden, denn ſie entbehren das Eine waͤhrend ſie
das Andere im hoͤchſten Grade beſitzen.
8. Endlich iſt in Ruͤckſicht auf die ſtrategiſche De-
fenſive zu bemerken daß ſie, weil ſie an ſich ſtaͤrker iſt als
die Offenſive, nur dazu dienen ſoll die erſten großen Er-
folge zu erfechten und daß wenn dieſer Zweck erreicht iſt
und der Frieden nicht unmittelbar darauf erfolgt, die wei-
tern Erfolge nur durch die Offenſive erreicht werden koͤn-
nen; denn wer immer defenſiv bleiben will ſetzt ſich dem
großen Nachtheil aus, immer auf eigene Koſten den Krieg
zu fuͤhren. Dies haͤlt ein jeder Staat nur eine gewiſſe
Zeit aus und er wuͤrde alſo, wenn er ſich den Stoͤßen
ſeines Gegners ausſetzte ohne je wieder zu ſtoßen, hoͤchſt
wahrſcheinlich am Ende ermatten und unterliegen. Man
[252] muß mit der Defenſive anfangen damit man um ſo ſiche-
rer mit der Offenſive endigen koͤnne.
3. Angriff.
1. Der ſtrategiſche Angriff geht dem Zwecke des
Krieges unmittelbar nach, er iſt unmittelbar auf die Zer-
ſtoͤrung der feindlichen Streitkraͤfte gerichtet, waͤhrend die
ſtrategiſche Vertheidigung dieſen Zweck zum Theil nur
mittelbar zu erreichen ſucht. Daher kommt es daß die
Grundſaͤtze des Angriffs in den allgemeinen Grundſaͤtzen
der Strategie ſchon enthalten ſind. Nur zwei Gegen-
ſtaͤnde beduͤrfen einer naͤhern Erwaͤhnung.
2. Der erſte iſt die immerwaͤhrende Ergaͤnzung der
Truppen und Waffen. Dem Vertheidiger wird dieſes bei
der Naͤhe ſeiner Huͤlfsquellen verhaͤltnißmaͤßig leichter.
Der Angreifende, obgleich er in den meiſten Faͤllen uͤber
einen groͤßern Staat zu gebieten hat, muß ſeine Kraͤfte
mehr oder weniger aus der Entfernung und alſo mit
Schwierigkeit heranziehen. Damit es ihm nun nie an
Kraͤften fehle, ſo muß er ſolche Einrichtungen treffen daß
die Aushebung von Rekruten und der Transport der
Waffen dem Beduͤrfniß ihres Gebrauches lange vorher-
gehen. Die Straßen ſeiner Operationslinien muͤſſen un-
aufhoͤrlich mit anruͤckender Mannſchaft und zugefuͤhrten
Beduͤrfniſſen bedeckt ſein; auf dieſen Straßen muͤſſen
Militaͤrſtationen errichtet werden welche den ſchnellen Trans-
port befoͤrdern.
3. In den gluͤcklichſten Faͤllen bei der hoͤchſten mo-
raliſchen und phyſiſchen Überlegenheit muß der Angreifende
die Moͤglichkeit großer Ungluͤcksfaͤlle vorausſetzen. Er
muß ſich alſo auf ſeinen Operationslinien ſolche Punkte
ſchaffen wohin er ſich mit einer geſchlagenen Armee wen-
[253] den kann. Dies ſind Feſtungen mit verſchanzten Laͤgern
oder auch verſchanzte Laͤger allein.
Große Stroͤme ſind das beſte Mittel den verfolgen-
den Feind eine Zeit lang aufzuhalten. Man muß alſo die
Übergaͤnge uͤber dieſelben (Bruͤckenkoͤpfe, die von einer
Reihe ſtarker Redouten umgeben werden) ſichern.
Zur Beſetzung dieſer Punkte, zur Beſetzung der wich-
tigſten Staͤdte und der Feſtungen muͤſſen mehr oder we-
niger Truppen zuruͤckgelaſſen werden, je nachdem feindliche
Einfaͤlle oder die Einwohner der Provinz mehr oder we-
niger zu fuͤrchten ſind. Dieſe bilden mit den heranruͤcken-
den Verſtaͤrkungen neue Korps, welche bei gluͤcklichem Er-
folge der Armee nachgehen, im Ungluͤcksfall aber in den
befeſtigten Punkten aufgeſtellt werden um den Ruͤckzug
zu ſichern.
Der Kaiſer von Frankreich hat ſich in dieſen Anord-
nungen im Ruͤcken ſeiner Armee immer außerordentlich
vorſichtig gezeigt und darum bei ſeinen kuͤhnſten Operatio-
nen weniger gewagt als es das Anſehen hatte.
IV.Über die Befolgung der gegebenen Grund-
ſaͤtze im Kriege.
Die Grundſaͤtze der Kriegskunſt ſind an ſich hoͤchſt
einfach, liegen dem geſunden Menſchenverſtande ganz nahe
und wenn ſie in der Taktik etwas mehr als in der Stra-
tegie auf einem beſonderen Wiſſen beruhen, ſo iſt doch auch
dies Wiſſen von ſo geringem Umfange daß es ſich kaum
mit einer andern Wiſſenſchaft an Mannigfaltigkeit und
tiefem Zuſammenhange vergleichen laͤßt. Gelehrſamkeit
und tiefe Wiſſenſchaft ſind alſo hier durchaus nicht erfor-
derlich, ſelbſt nicht einmal große Eigenſchaften des Ver-
ſtandes. Wuͤrde außer einer geuͤbten Urtheilskraft eine
[254] beſondere Eigenſchaft des Verſtandes erfordert, ſo geht aus
Allem hervor, daß es Liſt oder Schlauheit waͤre. Es iſt
lange das gerade Gegentheil behauptet worden, aber nur
aus einer falſchen Ehrfurcht fuͤr die Sache, aus Eitel-
keit der Schriftſteller die daruͤber geſchrieben haben. Ein
vorurtheilsloſes Nachdenken muß uns davon uͤberzeugen;
die Erfahrung aber hat uns dieſe Überzeugung noch ſtaͤr-
ker aufgedrungen. Noch in dem Revolutionskriege haben
ſich eine Menge Leute als geſchickte Feldherrn, oft als
Feldherrn der erſten Groͤße gezeigt, die keine militaͤriſche
Bildung genoſſen hatten. Von Condé, Wallenſtein, Su-
warow und vielen andern iſt es wenigſtens ſehr zweifelhaft.
Das Kriegfuͤhren ſelbſt iſt ſehr ſchwer, das leidet
keinen Zweifel; allein die Schwierigkeit liegt nicht darin
daß beſondere Gelehrſamkeit oder großes Genie erfordert
wuͤrde die wahren Grundſaͤtze des Kriegfuͤhrens einzuſe-
hen; dies vermag jeder gut organiſirte Kopf der ohne
Vorurtheil und mit der Sache nicht durchaus unbekannt
iſt. Selbſt die Anwendung dieſer Grundſaͤtze auf der
Karte und dem Papier hat keine Schwierigkeit und einen
guten Operationsplan entworfen zu haben iſt noch kein
großes Meiſterſtuͤck. Die ganze Schwierigkeit beſteht darin:
den Grundſaͤtzen welche man ſich gemacht
hat, in der Ausfuͤhrung treu zu bleiben.
Auf dieſe Schwierigkeit aufmerkſam zu machen iſt
der Zweck dieſer Schlußbemerkung, und Ew. Koͤniglichen
Hoheit davon ein deutliches klares Bild zu geben, ſehe ich
als das Wichtigſte von Allem an was ich durch dieſen
Aufſatz habe erreichen wollen.
Das ganze Kriegfuͤhren gleicht der Wirkung einer
zuſammengeſetzten Maſchine mit ungeheurer Friktion, ſo
daß Kombinationen die man mit Leichtigkeit auf dem
[255] Papier entwirft, ſich nur mit großen Anſtrengungen aus-
fuͤhren laſſen.
So ſieht ſich der freie Wille, der Geiſt des Feld-
herrn in ſeinen Bewegungen alle Augenblick gehemmt und
es wird von der einen Seite eine eigene Kraft der Seele,
des Verſtandes erfordert um dieſen Widerſtand zu uͤber-
winden; von der andern Seite geht in dieſer Friktion
mancher gute Gedanke dennoch zu Grunde und man muß
einfacher und ſchlichter einrichten was kombinirter eine
groͤßere Wirkung gethan haͤtte.
Die Urſachen dieſer Friktion erſchoͤpfend aufzuzaͤhlen
iſt vielleicht nicht moͤglich, aber die hauptſaͤchlichſten ſind
folgende:
1. Man weiß immer viel weniger von dem Stande
und den Maßregeln des Feindes als man bei den Entwuͤr-
fen vorausſetzt. Tauſend Zweifel ſtoßen uns auf in dem
Augenblick wo wir einen gefaßten Entſchluß ausfuͤhren
wollen, uͤber die Gefahren die damit verbunden ſein koͤnn-
ten wenn wir uns ſehr in unſerer Vorausſetzung betrogen
haͤtten. Ein Gefuͤhl der Ängſtlichkeit, was uͤberhaupt den
Menſchen bei der Ausfuͤhrung großer Dinge leicht antritt,
bemaͤchtigt ſich dann unſerer und von dieſer Ängſtlichkeit
zur Unentſchloſſenheit, von dieſer zu halben Maaßregeln iſt
ein kleiner unmerklicher Schritt.
2. Nicht allein ungewiß uͤber die Staͤrke des Fein-
des iſt man, ſondern das Geruͤcht (alle Nachrichten die
wir durch Vorpoſten, durch Spione oder zufaͤllig von ihm
erhalten) vergroͤßert ſeine Zahl. Der große Haufen der
Menſchen iſt furchtſamer Natur und daher entſteht ein
regelmaͤßiges Übertreiben der Gefahr. Alle Einwirkungen
auf den Feldherrn vereinigen ſich alſo darin, ihm eine
falſche Vorſtellung von der Staͤrke des Feindes welchen
[256] er vor ſich hat zu geben; und hierin liegt ein neuer Quell
der Unentſchloſſenheit.
Man kann ſich dieſe Ungewißheit nicht groß genug
denken und es iſt wichtig ſich von Hauſe aus darauf vor-
zubereiten.
Hat man Alles vorher ruhig uͤberlegt, hat man den
wahrſcheinlichſten Fall ohne Vorurtheil geſucht und gefun-
den, ſo muß man nicht gleich bereit ſein die fruͤhere Mei-
nung aufzugeben, ſondern die Nachrichten welche einlaufen
einer gewiſſen Kritik unterwerfen, mehrere mit einander
vergleichen, nach neuen Nachrichten ausſchicken u. ſ. w.
Sehr haͤufig widerlegen ſich die falſchen Nachrichten da-
durch auf der Stelle, oft werden ſich die erſten Nachrich-
ten beſtaͤtigen, in beiden Faͤllen wird man alſo Gewißheit
erhalten und danach ſeinen Entſchluß nehmen koͤnnen.
Fehlt es an dieſer Gewißheit, ſo muß man ſich ſelbſt ſa-
gen daß im Kriege Nichts ohne Wagen ausgefuͤhrt werden
kann; daß die Natur des Krieges durchaus nicht erlaubt
immer zu ſehen wo man hinſchreitet; daß das Wahrſchein-
liche doch immer wahrſcheinlich bleibt, wenn es auch nicht
gleich ſinnlich in die Augen faͤllt; und daß man bei ſonſt
vernuͤnftigen Einrichtungen ſelbſt durch einen Irrthum
nicht gleich zu Grunde gerichtet werden kann.
3. Die Ungewißheit uͤber den jedesmaligen Zuſtand
der Dinge betrifft nicht bloß den Feind, ſondern auch die
eigene Armee. Dieſe kann ſelten ſo zuſammengehalten
werden daß man in jedem Augenblick alle Theile derſelben
klar uͤberſchaute. Iſt man nun zur Ängſtlichkeit geneigt,
ſo werden neue Zweifel entſtehen. Man will abwarten
und ein Aufenthalt in der Wirkung des Ganzen iſt die
unvermeidliche Folge.
Man muß alſo das Vertrauen zu ſeinen eigenen
all-
[257] allgemeinen Einrichtungen haben daß ſie der erwarte[te]n Wir-
kung entſprechen werden. Vorzuͤglich gehoͤrt hierher das
Vertrauen zu ſeinen Unterfeldherren; durchaus muß man
alſo Leute dazu waͤhlen auf die man ſich verlaſſen kann
und jede andere Ruͤckſicht nachſetzen. Hat man ſeine Ein-
richtungen zweckmaͤßig getroffen, hat man dabei auf die
moͤglichen Ungluͤcksfaͤlle Ruͤckſicht genommen und ſich alſo
ſo eingerichtet daß wenn ſie waͤhrend der Ausfuͤhrung ein-
treten, man nicht gleich zu Grunde gerichtet iſt: ſo muß
man muthig fortſchreiten durch die Nacht der Ungewißheit.
4. Will man mit großen Anſtrengungen der Kraͤfte
den Krieg fuͤhren, ſo werden die Unterbefehlshaber und
ſelbſt die Truppen (beſonders wenn ſie nicht kriegsge-
wohnt ſind) oft Schwierigkeiten finden die ſie als unuͤber-
windlich darſtellen. Sie werden den Marſch zu weit,
die Anſtrengung zu groß, die Verpflegung unmoͤglich fin-
den. Will man allen dieſen Diffikultaͤten, wie Friedrich II.
ſie nannte, Gehoͤr geben, ſo wird man bald ganz unter-
liegen und anſtatt mit Kraft und Energie zu handeln,
ſchwach und unthaͤtig ſein.
Dem Allen zu widerſtehen iſt ein Vertrauen in die
eigene Einſicht und Überzeugung erforderlich, welches in
dem Augenblicke gewoͤhnlich das Anſehen des Eigenſinns
hat, aber diejenige Kraft des Verſtandes und Charakters
iſt, die wir Feſtigkeit nennen.
5. Alle Wirkungen auf welche man im Kriege rech-
net, ſind nie ſo praͤcis wie ſie Der ſich denkt welcher den
Krieg nicht ſelbſt mit Aufmerkſamkeit beobachtet hat und
daran gewoͤhnt iſt.
Oft betruͤgt man ſich in dem Marſche einer Kolonne
um viele Stunden ohne daß man ſagen koͤnnte woran der
Aufenthalt gelegen; oft treten Hinderniſſe ein, die ſich nicht
III 17
[258] berechnen ließen; oft denkt man mit der Armee bis zu
einem Punkte zu kommen und muß mehrere Stunden da-
hinter zuruͤckbleiben; oft leiſtet ein kleiner Poſten den wir
ausgeſtellt viel weniger als wir erwarten konnten, ein
feindlicher viel mehr; oft reichen die Kraͤfte einer Provinz
nicht ſo weit als wir glaubten u. ſ. w.
Aller dieſer Aufenthalt iſt nicht anders gut zu machen
als mit ſehr großen Anſtrengungen, die der Feldherr nur
erhalten wird durch eine Strenge die an Haͤrte graͤnzt.
Nur dadurch, nur wenn er gewiß iſt daß das Moͤgliche
immer geleiſtet wird, darf er ſicher ſein daß dieſe klei-
nen Schwierigkeiten nicht einen großen Einfluß auf die
Operationen gewinnen, daß er nicht zu weit hinter einem
Ziele zuruͤckbleibt welches er haͤtte erreichen koͤnnen.
6. Man darf ſicher annehmen daß nie eine Armee
ſich in dem Zuſtande befindet, worin Der welcher in der
Stube ihren Operationen folgt, ſie vorausſetzt. Iſt er
fuͤr dieſe Armee geſtimmt ſo wird er ſie um ⅓ bis zur
Haͤlfte ſtaͤrker und beſſer annehmen als ſie iſt. Es iſt
ziemlich natuͤrlich daß der Feldherr ſich beim erſten Ent-
wurf ſeiner Operationen in demſelben Falle befindet; daß
er ſeine Armee in der Folge zuſammenſchmelzen ſieht, wie
er es ſich nicht gedacht hat; ſeine Kavallerie und Artille-
rie unbrauchbar werden u. ſ. w. Was alſo dem Beob-
achter und dem Feldherrn bei der Eroͤffnung des Feld-
zuges ſelbſt moͤglich und leicht ſcheint, wird in der Aus-
fuͤhrung oft ſchwer und unmoͤglich. Iſt nun der Feldherr
ein Mann, der mit Kuͤhnheit und Staͤrke des Willens,
von einem hohen Ehrgeiz getrieben, ſeine Zwecke dennoch
verfolgt, ſo wird er ſie erreichen, waͤhrend ein gewoͤhnli-
cher Menſch in dem Zuſtande der Armee hinreichende Ent-
ſchuldigung zu finden glaubt um nachzulaſſen.
[259]
Maſſena in Genua und Portugal; dort waren die
unendlichen Anſtrengungen wozu die Staͤrke ſeines Cha-
rakters, man kann ſagen ſeine Haͤrte, die Menſchen trieb,
mit Erfolg gekroͤnt. Hier, in Portugal, iſt er wenigſtens
viel ſpaͤter gewichen als ein Anderer.
In den meiſten Faͤllen befindet ſich die feindliche
Armee in einem aͤhnlichen Zuſtande. Wallenſtein und Gu-
ſtav Adolph bei Nuͤrnberg; der Kaiſer von Frankreich
und Bennigſen nach der Schlacht bei Eylau. Den Zu-
ſtand des Feindes ſieht man nicht, den eigenen hat man
vor Augen; daher wirkt der letztere auf gewoͤhnliche Men-
ſchen ſtaͤrker als der erſtere, weil bei gewoͤhnlichen Men-
ſchen die ſinnlichen Eindruͤcke ſtaͤrker ſind als die Sprache
des Verſtandes.
7. Die Verpflegung der Truppen hat, wie ſie auch
geſchehen moͤge, durch Magazine oder Requiſitionen, immer
eine ſolche Schwierigkeit daß ſie eine ſehr entſcheidende
Stimme bei der Wahl der Maßregeln hat. Sie iſt oft
der wirkſamſten Kombination entgegen und noͤthigt der
Nahrung nachzugehen, wo man dem Siege, dem glaͤnzen-
den Erfolge nachgehen moͤchte. Durch ſie vorzuͤglich be-
kommt die ganze Maſchine die Schwerfaͤlligkeit, bei der
ihre Wirkungen ſo weit hinter dem Fluge großer Ent-
wuͤrfe zuruͤckbleiben.
Ein General der von ſeinen Truppen die aͤußerſten
Anſtrengungen, die hoͤchſten Entbehrungen mit tyranniſcher
Gewalt fordert, eine Armee die in langen Kriegen an
dieſe Opfer gewoͤhnt iſt — wie viel werden ſie voraus
haben, wie viel ſchneller werden ſie trotz dieſen Hinderniſ-
ſen ihr Ziel verfolgen! Bei gleich guten Entwuͤrfen wie
verſchieden der Erfolg!
17*
[260]
8. Überhaupt und fuͤr alle dieſe Faͤlle kann man
folgende Bemerkung nicht ſcharf genug ins Auge faſſen.
Die ſinnlich anſchaulichen Vorſtellungen welche man
in der Ausfuͤhrung erhaͤlt, ſind lebendiger als die welche
man ſich fruͤher durch reife Überlegung verſchafft hat. Sie
ſind aber nur der erſte Anſchein der Dinge und dieſer
trifft, wie wir wiſſen, ſelten mit dem Weſen genau zu-
ſammen. Man iſt alſo in Gefahr die reife Überlegung
dem erſten Anſchein aufzuopfern.
Daß dieſer erſte Anſchein in der Regel zur Furcht
und uͤbergroßen Vorſicht hinwirkt, liegt in der natuͤrlichen
Furchtſamkeit des Menſchen die Alles einſeitig anſieht.
Dagegen muß man ſich alſo waffnen, muß ein blin-
des Vertrauen in die Reſultate ſeiner eigenen fruͤhern
reifen Überlegung ſetzen, um ſich dadurch gegen die ſchwaͤ-
chenden Eindruͤcke des Augenblicks zu ſtaͤrken.
Bei dieſer Schwierigkeit der Ausfuͤhrung kommt es
alſo auf die Sicherheit und Feſtigkeit der eigenen Über-
zeugung an. Darum iſt das Studium der Kriegsgeſchichte
ſo wichtig, weil man dadurch gewiſſermaßen die Dinge
ſelbſt kennen lernt, den Hergang ſelbſt ſieht. Die Grund-
ſaͤtze welche man durch einen theoretiſchen Unterricht er-
halten kann, ſind nur geeignet dies Studium zu erleich-
tern, auf das Wichtigſte in der Kriegsgeſchichte aufmerk-
ſam zu machen.
Ew. Koͤnigliche Hoheit muͤſſen ſich alſo mit dieſen
Grundſaͤtzen in der Abſicht bekannt machen ſie beim Leſen
der Kriegsgeſchichte zu pruͤfen, zu ſehen wo ſie mit dem
Hergange der Dinge uͤbereintreffen und wo ſie von dem-
ſelben berichtigt oder gar widerlegt werden.
[261]
Naͤchſtdem aber iſt das Studium der Kriegsgeſchichte
beim Mangel eigener Erfahrung allein geeignet eine an-
ſchauliche Vorſtellung von Dem zu geben was ich hier die
Friktion der ganzen Maſchine genannt habe.
Freilich muß man nicht bei den Hauptreſultaten ſte-
hen bleiben, noch weniger ſich an das Raiſonnement der
Geſchichtsſchreiber halten, ſondern ſo viel als moͤglich ins
Detail gehen. Denn die Geſchichtsſchreiber haben ſelten
die hoͤchſte Wahrheit in der Darſtellung zum Zweck; ge-
woͤhnlich wollen ſie die Thaten ihrer Armee verſchoͤnern
oder auch die Übereinſtimmung der Ereigniſſe mit den ver-
meintlichen Regeln beweiſen. Sie machen die Geſchichte
anſtatt ſie zu ſchreiben. Viel Geſchichte iſt fuͤr dieſen
Zweck nicht noͤthig. Die detaillirte Kenntniß von ein Paar
einzelnen Gefechten iſt nuͤtzlicher als die allgemeine Kennt-
niß vieler Feldzuͤge. Es iſt deshalb nuͤtzlicher, mehr
einzelne Relationen und Tagebuͤcher zu leſen, wie man ſie
in den Zeitſchriften findet, als eigentliche Geſchichtsbuͤcher.
Ein Muſter einer ſolchen Relation das nicht uͤbertroffen
werden kann, iſt die Beſchreibung der Vertheidigung von
Menin im Jahre 1794, in den Denkwuͤrdigkeiten des Ge-
nerals von Scharnhorſt. Dieſe Erzaͤhlung, beſonders die
Erzaͤhlung des Ausfalles und Durchſchlagens wird Ew.
Koͤniglichen Hoheit einen Maßſtab an die Hand geben
wie man Kriegsgeſchichte ſchreiben muß.
Kein Gefecht in der Welt hat mir ſo wie dieſes die
Überzeugung gegeben daß man im Kriege bis zum letzten
Augenblick nicht an dem Erfolge verzweifeln muß und daß
die Wirkung guter Grundſaͤtze, die uͤberhaupt nie ſo re-
gelmaͤßig vor ſich gehen kann wie man es ſich denkt,
auch in den ungluͤcklichſten Faͤllen, wenn man ihren Ein-
[262] fluß ſchon ganz verloren glaubt, unerwartet wieder zum
Vorſchein kommt.
Irgend ein großes Gefuͤhl muß die großen Kraͤfte
des Feldherrn beleben. Sei es der Ehrgeiz wie in Caͤſar,
der Haß des Feindes wie in Hannibal, der Stolz eines
glorreichen Untergangs wie in Friedrich dem Großen.
Öffnen Sie Ihr Herz einer ſolchen Empfindung.
Sein Sie kuͤhn und verſchlagen in Ihren Entwuͤrfen,
feſt und beharrlich in der Ausfuͤhrung, entſchloſſen einen
glorreichen Untergang zu finden, und das Schickſal wird
die Strahlenkrone auf Ihr jugendliches Haupt druͤcken,
die eine Zierde des Fuͤrſten iſt, deren Licht das Bild
Ihrer Zuͤge in die Bruſt der ſpaͤteſten Enkel tragen wird.
[[263]]
Über die organiſche Eintheilung der
Streitkraͤfte.
Kann als Erlaͤuterung vom fuͤnften Buche, fuͤnften Kapitel
(Theil II, Seite 25) dienen.
[[264]][[265]]
Über die organiſche Eintheilung der
Streitkraͤfte.
Daß die Beſtimmungsgruͤnde fuͤr die Eintheilung und
Staͤrke der verſchiedenen Abtheilungen einer Truppe welche
aus der Elementartaktik fließen, keine große Schaͤrfe ha-
ben und viel Willkuͤhr zulaſſen, muß man ſchon vermuthen
wenn man die Hundert Formationsarten ſieht die in der
Erfahrung vorkommen; aber es bedarf keines großen Nach-
denkens um ſich zu uͤberzeugen daß dieſe Gruͤnde keine ge-
nauere Beſtimmung geben koͤnnen. Was gewoͤhnlich in
dieſer Sache vorgebracht wird, wie z. B. wenn ein Ka-
vallerieoffizier demonſtrirt daß [ein] Kavallerieregiment nie-
mals zu ſtark ſein koͤnne, weil es ſonſt nicht im
Stande ſei Etwas auszurichten, verdient keiner
ernſthaften Erwaͤhnung. So iſt es ſchon mit den kleinen
Theilen mit welchen die Elementartaktik es zu thun hat,
naͤmlich den Kompagnien, Schwadronen, Bataillonen und
Regimentern; viel ſchlimmer aber iſt es noch mit den
groͤßern Abtheilungen, wo ſie gar nicht hinreicht und wo
die hoͤhere Taktik oder die Lehre von der Anordnung eines
Gefechtes es mit der Strategie ausmachen muß. Mit
[266] dieſen Abtheilungen wollen wir uns hier beſchaͤftigen; es
ſind die Brigaden, Diviſionen, Korps und die Armeen.
Beſchaͤftigen wir uns zuerſt einen Augenblick mit der
Philoſophie der Sache. Wozu ſind uͤberhaupt die Maſſen
in Theile geordnet? Offenbar weil Einer nur einer ge-
wiſſen Anzahl unmittelbar befehlen kann. Der Feldherr
kann nicht 50,000 Soldaten jeden auf ſeinen Fleck ſtellen
und erhalten und ihm heißen was er thun und laſſen ſoll;
welches, wenn es denkbar waͤre, offenbar das Beſte ſein
wuͤrde; denn keiner der unzaͤhligen Unterbefehlshaber thut
Etwas hinzu (wenigſtens waͤre dies eine Anomalie), jeder
aber, der eine mehr, der andere weniger, benimmt dem
Befehl Etwas von ſeiner urſpruͤnglichen Kraft und der
Idee Etwas von ihrer urſpruͤnglichen Praͤziſion. Außer-
dem braucht, wenn mehrere untergeordnete Eintheilungen
ſtattfinden, der Befehl ein Betraͤchtliches mehr an Zeit
um ſein Ziel zu erreichen. Woraus dann folgt daß die
Eintheilungen und Untereintheilungen, woraus eine Stufen-
leiter des Befehls entſteht, ein nothwendiges Übel
ſeien. Hier hoͤrt unſere Philoſophie auf und wir fangen an
etwas taktiſch und ſtrategiſch zu werden.
Eine ganz iſolirte Maſſe die gegen den Feind wie
ein großes oder kleines ſelbſtſtaͤndiges Ganze hingeſtellt
wird, hat drei weſentliche Theile ohne welche ſie kaum
gedacht werden kann, naͤmlich einen Theil welchen ſie vor-
ſchiebt, einen welchen ſie fuͤr unvorhergeſehene Faͤlle zuruͤck-
ſtellt, und den Haupttheil zwiſchen beiden, a b und c.
[267] Soll alſo die Eintheilung des groͤßern Ganzen auf Selbſt-
ſtaͤndigkeit gerichtet ſein, ſo muß daſſelbe niemals weniger
als drei Theile haben, wenn die permanente Eintheilung
mit jenem konſtanten Beduͤrfniß zuſammenfallen ſoll, was
doch natuͤrlich die Abſicht ſein muß. Aber es iſt nicht
ſchwer zu bemerken daß ſelbſt dieſe drei Theile noch keine
ſehr natuͤrliche Ordnung geben; denn Niemand wird gern
ſeinen vorgeſchobenen und zuruͤckgehaltenen Theil ſo ſtark
wie den Haupttheil machen wollen. Es wird alſo ſchon
natuͤrlicher ſein ſich die Hauptmacht aus wenigſtens zwei
Theilen beſtehend zu denken und alſo das Ganze aus vier,
in der Ordnung a b c d.
Aber wir ſind hier offenbar noch nicht auf dem Punkt
des Allernatuͤrlichſten. Da alle taktiſchen und ſtrategiſchen
Kraftaͤußerungen trotz aller jetzigen Tiefe ſich immer linien-
artig zeigen, ſo entſteht das Beduͤrfniß vom rechten Fluͤ-
gel, linken Fluͤgel und Centrum von ſelbſt, und es duͤrfte
alſo wohl fuͤnf als die natuͤrlichſte Zahl der Theile ange-
ſehen werden koͤnnen, in der Form a b c d e.
Dieſe Anordnung erlaubt ſchon einen, ja im Nothfalle
zwei Theile der Hauptmacht rechts oder links zu entſenden.
Wer wie ich ein Freund ſtarker Reſerven iſt wird nun
den zuruͤckgeſtellten Theil vielleicht in dem Verhaͤltniß zum
Ganzen zu ſchwach finden und deswegen einen neuen Theil
[268] hinzufuͤgen, um ⅓ in Reſerve zu haben. Dann giebt die
ganze Eintheilung die Ordnung a b c d e f.
Iſt von einer ganz großen Maſſe, von einer betraͤcht-
lichen Armee die Rede, ſo muß die Strategie die Bemer-
kung machen daß ſich dieſe faſt beſtaͤndig in dem Falle
befindet rechts und links Theile entſendet zu haben und
daß man bei dieſer deswegen fuͤglich zwei Theile mehr
annehmen kann und dann die ſtrategiſche Figur a b c d e
f g h bekommen wuͤrde.
Es waͤre alſo dadurch ausgemittelt daß man ein
Ganzes nicht unter 3, nicht uͤber 8 Theile groß machen
ſollte. Hiermit ſcheint indeſſen noch ſehr Wenig beſtimmt,
denn welch eine Zahl von verſchiedenen Kombinationen er-
geben ſich wenn man bedenkt daß man eine Armee ein-
theilen koͤnnte in 3 × 3 × 3, wenn man Korps, Divi-
ſionen und Brigaden auf dieſe Zahl fixiren wollte, welches
27 Brigaden gaͤbe, oder in jedes andere moͤgliche Produkt
der zugelaſſenen 18 Faktoren.
Es bleiben uns aber noch einige wichtige Ruͤckſich-
ten uͤbrig.
Wir haben uns nicht eingelaſſen auf die Staͤrke der
Bataillone und Regimenter, weil wir das der Elementar-
taktik uͤberlaſſen wollten; aus Dem was wir bisher ge-
ſagt haben, wuͤrde bloß folgen daß wir die Brigaden nicht
[269] ſchwaͤcher als zu 3 Bataillonen gemacht wiſſen wollten.
Hierauf muͤſſen wir nun allerdings auch beharren und
werden darin wohl keinen Widerſpruch finden; ſchwerer
aber iſt die groͤßte Staͤrke zu begrenzen welche die Bri-
gaden haben koͤnnen. In der Regel wird die Brigade
als eine ſolche Abtheilung angeſehen, die noch von einem
Manne unmittelbar, naͤmlich durch den Bereich ſeiner
Stimme gefuͤhrt werden koͤnne und muͤſſe. Halten wir
uns daran, ſo wird ſie freilich nicht uͤber 4- bis 5000
Mann ſein und alſo nach der Staͤrke der Bataillone aus
6 oder 8 derſelben beſtehen duͤrfen. Aber wir muͤſſen
hier zugleich einen andern Gegenſtand als ein neues Ele-
ment in dieſe Unterſuchung einfuͤhren. Dieſes Element
iſt die Verbindung der Waffen. Daß dieſe Verbindung
auf der Stufenleiter der Abtheilungen fruͤher eintreten
muͤſſe als bei der Armee, daruͤber iſt jetzt in Europa nur
eine Stimme. Die Einen wollen ſie aber nur bei Korps
d. h. Maſſen von 20- bis 30,000 Mann; die Andern
ſchon bei Diviſionen d. h. Maſſen von 8- bis 12,000 Mann.
Wir wollen uns auf dieſe Streitfrage vor der Hand nicht
einlaſſen, ſondern nur bemerken was uns wohl kein Menſch
widerlegen wird, daß hauptſaͤchlich die Verbindung der drei
Waffen die Selbſtſtaͤndigkeit einer Abtheilung konſtituirt
und daß alſo fuͤr Abtheilungen die beſtimmt ſind ſich im
Kriege haͤufig iſolirt zu finden, dieſe Verbindung wenig-
ſtens ſehr wuͤnſchenswerth bleibt.
Allein es iſt nicht bloß die Verbindung aller drei
Waffen in Betracht zu ziehen, ſondern auch die von zweien,
naͤmlich der Artillerie und Infanterie. Dieſe aber tritt
nach dem allgemein herrſchenden Gebrauch ſchon ſehr viel
fruͤher ein, wiewohl in der neuern Zeit die Artilleriſten,
[270] durch das Beiſpiel der Kavalleriſten angefeuert, faſt rebel-
liſch geworden waͤren und wieder ihre eigne kleine Armee
bilden zu wollen nicht uͤbel Miene machten. Sie haben
ſich indeſſen bis jetzt gefallen laſſen muͤſſen unter die Bri-
gaden vertheilt zu werden. Dieſe Verbindung von Artil-
lerie und Infanterie konſtituirt alſo den Begriff der Bri-
gade auf eine andere Weiſe und es kommt dann nur auf
die Frage an, wie groß der Haufen Infanterie ſein ſoll
dem man zuerſt eine Artillerieabtheilung auf eine perma-
nente Art verbinden will.
Der Einfluß dieſer Ruͤckſicht iſt viel beſtimmter als
man auf den erſten Anblick glauben ſollte, denn die An-
zahl der Kanonen welche man auf je 1000 Mann mit
ins Feld nehmen kann, haͤngt ſelten von unſerer Willkuͤhr
ab, ſondern beſtimmt ſich aus mancherlei andern zum Theil
ſehr entfernt liegenden Urſachen, und die Anzahl der Ge-
ſchuͤtze die ſich in eine Batterie vereinigen laſſen hat viel
mehr genuͤgende taktiſche Gruͤnde als irgend eine andere
aͤhnliche Beſtimmung; daher kommt es daß man nicht
fraͤgt wie viel Geſchuͤtze ſoll dieſe Maſſe Infanterie (z. B.
Brigade) haben, ſondern welche Maſſe Infanterie ſoll mit
einer Batterie zuſammengethan werden. Hat man z. B.
3 Kanonen auf 1000 Mann bei der Armee und rechnet
man davon eine zu den Reſervebatterien, ſo bleiben 2 bei
den Truppen zu vertheilen, welches bei einer Batterie von
8 Geſchuͤtzen eine Maſſe von 4000 Mann Infanterie
gaͤbe. Da die hier genannten Verhaͤltniſſe die am meiſten
gebraͤuchlichen ſind, ſo zeigt dies daß wir hier ungefaͤhr
auf daſſelbe Reſultat kommen. Hiermit wollen wir es
genug ſein laſſen fuͤr die Beſtimmung der Groͤße einer
[271] Brigade, die demzufolge aus 3- bis 5000 Mann beſte-
hen wuͤrde.
Ob nun gleich hierdurch das Feld der Eintheilung
auf der einen Seite begrenzt worden iſt und es auf der
andern Seite durch die Staͤrke der Armee als ein Gege-
benes ſchon begrenzt war, ſo bleiben doch immer noch eine
große Menge von moͤglichen Kombinationen uͤbrig, und es
wuͤrde zu fruͤh ſein den Grundſatz der moͤglichſt geringſten
Anzahl Theile daruͤber nach ſeiner Strenge ſchalten zu
laſſen; wir haben noch einige Ruͤckſichten allgemeiner Na-
tur im Vorrath und muͤſſen auch den beſondern Ruͤckſich-
ten des individuellen Falles ihre Rechte bewahren.
Zuerſt alſo muͤſſen wir ſagen daß die groͤßeren Theile
auch wieder mehr Glieder haben muͤſſen als die kleinen,
weil ſie gelenkiger ſein muͤſſen (wie ſchon oben beruͤhrt iſt),
und daß die kleinen mit zu vielen Gliedern nicht gut fer-
tig werden koͤnnen.
Wenn man eine Armee aus 2 Haupttheilen zuſam-
menſetzt, deren jede ihren beſondern Befehlshaber hat *),
ſo heißt das ſo viel als man will den Oberbefehlshaber
neutraliſiren. Dies wird Jeder der die Sache kennt ohne
weitere Auseinanderſetzungen verſtehen. Nicht viel beſſer
iſt die Sache wenn die Armee in 3 Theile getheilt iſt,
denn es laſſen ſich ohne ein unaufhoͤrliches Zerreißen dieſer
3 Glieder, womit man die Befehlshaber derſelben ſehr
[272] ſchnell verſtimmt, keine gewandte Bewegungen und paſſende
Gefechtsanordnungen machen.
Je groͤßer die Zahl der Theile wird um ſo groͤßer
wird die Macht des Oberbefehls und die Gewandtheit der
ganzen Maſſe. Man hat alſo Urſach hier ſo weit zu ge-
hen als es die Moͤglichkeit geſtattet. Da man in einem
großen Hauptquartiere, wie das der Armeefuͤhrung iſt, viel
mehr Mittel beſitzt ſeine Befehle zur Wirkſamkeit zu brin-
gen als bei dem beſchraͤnkteren Generalſtabe eines Korps
oder einer Diviſion, ſo iſt nach allgemeinen Gruͤnden eine
Armee am beſten in nicht weniger als 8 Theile eingetheilt.
Man kann dieſe Zahl, wenn die uͤbrigen Umſtaͤnde es an
die Hand geben, auf 9 und 10 ſteigen laſſen. Bei mehr
als 10 Theilen aber wird ſchon eine Schwierigkeit ein-
treten die Befehle immer mit der gehoͤrigen Schnelligkeit
und Vollſtaͤndigkeit zu geben, denn man muß nicht ver-
geſſen daß es hier nicht auf das bloße Befehlen ankommt,
weil ſonſt eine Armee eben ſo viel Diviſionen haben koͤnnte
wie eine Kompagnie Koͤpfe hat, ſondern daß eine Menge
von Anordnungen und Unterſuchungen damit verbunden
ſind und daß es leichter iſt dieſe fuͤr 6 oder 8 Diviſionen
zu veranſtalten als fuͤr 12 oder 15.
Dagegen kann eine Diviſion wenn ſie an abſoluter
Staͤrke klein iſt und alſo vorauszuſetzen iſt daß ſie der
Theil eines Korps ſei, ſich immer mit wenigern Theilen
als dem angegebenen Normalſatz behelfen: ganz fuͤglich mit
4, zur Noth mit 3; 6 und 8 wuͤrde ihr beſchwerlich wer-
den, weil ſie weniger Mittel hat die Befehle ſchnell in
Wirkſamkeit zu bringen.
Dieſe Reviſion unſerer eigenen Normalſaͤtze giebt
uns das Reſultat daß die Armee nicht unter 5 Theile
ha-
[273] haben ſoll und bis zu 10 gehen kann; daß die Diviſion
nicht uͤber 5 haben ſoll und bis zu 4 herunterſteigen kann.
Zwiſchen beiden nun liegen die Korps, und ſowohl ihre
Staͤrke als die Frage ob ſie uͤberhaupt exiſtiren ſollen,
haͤngt von dem Reſultate der beiden andern Kombina-
tionen ab.
200,000 Mann in 10 Diviſionen und die Diviſion
in 5 Brigaden getheilt gaͤbe der Brigade eine Staͤrke von
4000 Mann. Man koͤnnte alſo bei einer ſolchen Macht
noch mit Diviſionen ausreichen.
Man koͤnnte aber freilich dieſe Macht auch in 5 Korps,
das Korps in 4 Diviſionen, die Diviſion in 4 Brigaden
theilen, dann wuͤrde jede Brigade 2500 Mann ſtark.
Mir ſcheint die erſtere Eintheilung die vorzuͤglichere,
denn erſtlich hat man eine Stufe in der Ordnungsleiter
weniger, der Befehl kommt alſo ſchneller an u. ſ. w.
Zweitens ſind 5 Glieder fuͤr eine Armee zu wenig, ſie iſt
damit zu ungelenk; 4 fuͤr ein Korps ſind es wieder,
und 2500 Mann iſt eine ſchwache Brigade, da man auf
dieſe Weiſe 80 hat, ſtatt daß die andere Eintheilung nur
50 giebt, alſo einfacher iſt. Aber dieſe Vortheile opfert
man auf um ſtatt 10 Generalen nur 5 zu befehlen.
So weit reichen die allgemeinen Betrachtungen. Un-
endlich wichtig aber ſind die Beſtimmungen welche der in-
dividuelle Fall an die Hand giebt.
Zehn Diviſionen laſſen ſich mit Leichtigkeit in der
Ebene kommandiren; in weitlaͤufigen Gebirgsſtellungen
kann es ganz unmoͤglich werden.
Ein großer Strom der die Armee theilt, noͤthigt auf
der andern Seite einen beſondern Befehlshaber zu beſtellen.
Gegen das Gewicht aller dieſer lebendigen Faͤlle vermag
III 18
[274] die allgemeine Regel Nichts, und es iſt zu bemerken daß
mit dem Eintreten ſolcher Urſachen auch groͤßtentheils die
Nachtheile verſchwinden die manche Eintheilungsarten ſonſt
hervorbringen. Aber freilich kann auch hier Mißbrauch
entſtehen, wenn zur Befriedigung irgend eines unzeitigen
Ehrgeizes und aus Schwaͤche gegen perſoͤnliche Ruͤckſichten
ſchlechte Eintheilungen gemacht werden. Wie weit aber
auch die Beduͤrfniſſe der individuellen Faͤlle reichen, in der
Regel bleiben die Eintheilungen doch allgemeinen Gruͤnden
uͤberlaſſen, wie uns das die Erfahrung lehrt.
[[275]]
Skizze eines Plans
zur
Taktik oder Gefechtslehre.
18*
[[276]][[277]]
- I.Einleitung. Feſtſtellung der Begriffsgrenze
zwiſchen Strategie und Taktik. - II.Allgemeine Theorie des Gefechts. (Gefecht. —
Quartiere. — Lager. — Maͤrſche.)- 1. Natur des Gefechts. Wirkſame Prinzipien in dem-
ſelben. Haß und Feindſchaft — Modifikation —
Andere Gemuͤthskraͤfte — Verſtand und Talent. - 2. Naͤhere Beſtimmung eines Gefechts — Selbſtſtaͤn-
diges Gefecht — Theil-Gefecht — wie die letztern
entſtehen. - 3. Zweck des Gefechts: Sieg — Grade, Farben und
Gewicht des Sieges. - 4. Urſachen des Sieges d. i. des feindlichen Abzuges.
- 5. Arten des Gefechts nach den Waffen — Handge-
fecht — Feuergefecht. - 6. Verſchiedene Akte des Gefechts. Zerſtoͤrungs- und
Entſcheidungsakt. - 7. Arten des Gefechts nach poſitiver oder negativer
Urſache deſſelben. Angriff und Vertheidigung. - 8. Plan des Gefechts. Strategiſcher Zweck des Ge-
fechts. — Ziel in demſelben — Mittel — Beſtim-
mung der Art des Gefechts — der Zeit — des
Raumes — Wechſelwirkung — Fuͤhrung. - NB. Nach dieſer Eintheilung iſt der Faden dieſes er-
ſten Theils auszuarbeiten.
- 1. Natur des Gefechts. Wirkſame Prinzipien in dem-
- III.Gefechte, beſtimmte Abtheilungen ohne alle
Anwendung. (Formation — Schlachtordnung —
Elementartaktik.) - A. Die einzelnen Waffen.
[278]- 1. Infanterie
- 2. Artillerie
- 3. Kavallerie
- B. Vereinigte Waffen bei Angriff und Vertheidigung.
- 1. Theorie der Waffenvereinigung.
- a) Infanterie und Artillerie.
- b) Infanterie und Kavallerie.
- c) Kavallerie und Artillerie.
- d) Alle drei vereinigt.
- 2. Beſtimmte Abtheilungen die dadurch gebildet werden.
- a) Brigaden
- b) Diviſionen
- c) Korps
- d) Armeen
- 1. Theorie der Waffenvereinigung.
- IV.Gefechte in Verbindung mit Gegend und
Boden. - A. Über den Einfluß des Terrains auf das Gefecht im
Allgemeinen.- 1. Bei der Vertheidigung.
- 2. Beim Angriff.
- NB. Wenn die Betrachtung hier den logiſchen Faden
verlaͤßt, ſo geſchieht es [aus] praktiſchen Ruͤckſichten.
Das Terrain muß ſo fruͤh als moͤglich in die Be-
trachtung gezogen werden und man kann es nicht in
die Betrachtung ziehen ohne ſich gleich das Gefecht
unter einer der beiden Formen von Angriff oder
Vertheidigung zu denken, daher die Verſchmelzung
beider Gegenſtaͤnde.
- B. Allgemeine Theorie der Vertheidigung.
- C. Allgemeine Theorie des Angriffs.
- D. Vertheidigungsgefechte beſtimmter Abtheilungen.
[279]- 1. Eines kleinen Haufens.
- 2. Einer Brigade.
- 3. Einer Diviſion.
- 4. Eines Korps.
- 5. Einer Armee.
- E. Angriffsgefechte beſtimmter Abtheilungen.
- 1. Eines kleinen Haufens.
- 2. Einer Brigade.
- 3. Einer Diviſion.
- 4. Eines Korps.
- 5. Einer Armee.
- V.Gefechte mit beſtimmten Zwecken.
- A. Vertheidigung.
- 1. Sicherheitsanſtalten.
- a) Wachen.
- b) Patrouillen.
- c) Soutiens.
- d) Kleine Poſten.
- e) Vorpoſtenketten.
- f) Verbindungspoſten.
- g) Avantgarden.
- h) Arriergarden.
- i) Vorgeſchobene Korps.
- k) Seitendeckung beim Marſch.
- l) Nachrichtendetaſchements.
- m) Beobachtungsdetaſchements.
- n) Rekognoszirungen.
- 2. Bedeckungen.
- a) Einzelner Poſten.
- b) Von Wagenkolonnen.
- c) Fouragirungen.
[280]- 3. Poſtirungen. Verſchiedenheit der Zwecke.
- a) Im Gebirge.
- b) An Fluͤſſen.
- c) An Moraͤſten.
- d) In Waͤldern.
- 4. Schlachten. Verſchiedenheit der Zwecke. Ver-
nichtung feindlicher Streitkraft — Beſitz einer
Gegend — Das bloße moraliſche Gewicht —
Die Waffenehre.- a) Vertheidigungsſchlacht ohne Vorbereitung.
- b) In einer eingerichteten Stellung.
- c) In einer verſchanzten Stellung.
- 5. Ruͤckzuͤge.
- a) Der einzelne Ruͤckzug (Abzug) im Angeſicht
des Feindes.- α. Vor einem Gefecht.
- β. Im Lauf deſſelben.
- γ. Nach einem Gefecht.
- b) Strategiſcher Ruͤckzug, d. h. mehrere auf
einer folgende einzelne Ruͤckzuͤge in ihren
taktiſchen Anordnungen.
- a) Der einzelne Ruͤckzug (Abzug) im Angeſicht
- 1. Sicherheitsanſtalten.
- B. Der Angriff.
- 1. Nach den Objekten der Vertheidigung eingetheilt
und abgehandelt. - 2. Nach ihm eigenthuͤmlichen Objekten.
- a) Überfall.
- b) Durchſchlagen.
- 1. Nach den Objekten der Vertheidigung eingetheilt
- VI.Von den Lagern und Quartieren.
- VII.Von den Maͤrſchen.
[281]
Leitfaden zur Bearbeitung der Taktik oder
Gefechtslehre.
I.Allgemeine Theorie der Gefechte.
Zweck der Gefechte.
1. Was iſt der Zweck des Gefechtes?
- a) Vernichtung der feindlichen Streitkraͤfte.
- b) Beſitz irgend eines Gegenſtandes.
- c) Der bloße Sieg als Waffenehre.
- d) Mehrere oder alle drei zuſammengenommen.
Theorie des Sieges.
2. Alle dieſe vier Gegenſtaͤnde werden nur durch
den Sieg erreicht.
3. Sieg iſt der Abzug des Feindes vom Kampfplatz.
4. Dies kann der Feind nur thun;
- a) wenn er zu Viel verloren hat,
- α. alſo die Übermacht fuͤrchtet
- β. oder findet daß der Zweck ihn zu Viel koſten
wuͤrde.
- b) Wenn er in ſeiner Ordnung zu ſehr geſtoͤrt iſt, alſo
in der Wirkſamkeit des Ganzen. - c) Wenn er in den Nachtheil des Terrains geraͤth, alſo
zu viel Verluſte bei Fortſetzung des Gefechts fuͤrchtet.
(Hierin iſt alſo der Verluſt der Stellung mit
inbegriffen.)
[282]
- d) Wenn die Form in der Aufſtellung der Streitkraͤfte
von zu großen Nachtheilen begleitet iſt. - e) Wenn er uͤberraſcht oder gar uͤberfallen wird, alſo
nicht Zeit hat ſeine Anordnungen zu treffen, ſeine
Maßregeln gehoͤrig zu entwickeln. - f) Wenn er gewahr wird daß ſein Gegner ihm in der
Zahl zu ſehr uͤberlegen iſt. - g) Wenn er gewahr wird daß ſein Gegner ihm an
moraliſchen Kraͤften zu ſehr uͤberlegen iſt.
5. In allen dieſen Faͤllen kann ein Feldherr vermocht
werden das Gefecht aufzugeben, weil er keine Hoffnung
zur beſſern Wendung hat, ſondern Schlimmeres befuͤrchtet
als ſchon eingetreten iſt.
6. Ohne einen dieſer Gruͤnde waͤre ein Ruͤckzug nicht
motivirt, kann alſo nicht der Entſchluß des Feldherrn
oder Befehlshabers ſein.
7. Aber der Ruͤckzug kann ohne ſeinen Willen fak-
tiſch geſchehen:
- a) Wenn die Truppen aus Mangel an Muth oder
gutem Willen davongehen. - b) Wenn der Schrecken ſie vertreibt.
8. Unter dieſen Umſtaͤnden kann gegen den Willen
des Befehlshabers und ſelbſt bei vortheilhaften Reſultaten,
welche aus den uͤbrigen von a bis f beruͤhrten Verhaͤlt-
niſſen hervorgehen moͤgen, der Sieg des Gegners aner-
kannt werden.
9. Dieſer Fall kann und muß bei kleinen Haufen
oft vorkommen. Die geringe Dauer des ganzen Aktes
laͤßt da dem Befehlshaber oft kaum Zeit einen Entſchluß
zu faſſen.
10a. Bei großen Maſſen aber kann ſich dieſer Fall
nur bei den Theilen ereignen, nicht wohl beim Ganzen.
[283] Indem aber mehrere Theile dem Gegner dieſen zu leichten
Sieg einraͤumen, kann fuͤr das Ganze in den von a bis e
genannten Verhaͤltniſſen ein nachtheiliges Reſultat ent-
ſtehen und ſo der Entſchluß des Feldherrn zum Abzug
dadurch bedingt werden.
10b. Die unter a b c und d genannten nachthei-
ligen Verhaͤltniſſe zeigen ſich bei großen Maſſen dem Feld-
herrn nicht in den arithmetiſchen Summen aller einzelnen
Nachtheile welche ſtattgefunden haben, denn ſo vollkom-
men iſt die Überſicht niemals, ſondern ſie zeigen ſich da
wo dieſe Nachtheile in engem Raume zuſammengedraͤngt
eine betraͤchtliche Maſſe bilden, welches nun entweder bei
der Hauptmaſſe der Truppen oder bei einem bedeutenden
Gliede der Fall iſt. Nach dieſer Haupterſcheinung des
ganzen Aktes richtet ſich dann der Entſchluß.
11. Endlich kann der Feldherr noch durch Gruͤnde die
nicht im Gefecht liegen, ſondern als aͤußerlich betrachtet
werden muͤſſen, z. B. Nachrichten welche den Zweck auf-
heben oder die ſtrategiſchen Verhaͤltniſſe merklich aͤndern,
zum Aufgeben des Gefechts und alſo zum Ruͤckzug bewo-
gen werden. Dies wuͤrde ein Abbrechen des Gefechts ſein
und gehoͤrt nicht hierher, weil es kein taktiſcher, ſondern
ein ſtrategiſcher Akt iſt.
12. Das Aufgeben eines Gefechts iſt alſo die Aner-
kennung der augenblicklichen Überlegenheit des Gegners,
ſie ſei phyſiſch oder moraliſch und das Nachgeben in
ſeinen Willen. Darin liegt die erſte moraliſche Kraft
des Sieges.
13. Da man ein Gefecht nicht anders aufgeben kann
als wenn man den Kampfplatz verlaͤßt, ſo iſt der Abzug
vom Schlachtfelde das Zeichen dieſer Anerkennung,
das Senken des Paniers.
[284]
14. Aber das Merkmal des Sieges entſcheidet
noch Nichts uͤber ſeine Groͤße, Wichtigkeit und ſeinen Glanz.
Dieſe drei Dinge fallen oft zuſammen, ſind aber keines-
wegs identiſch.
15. Die Groͤße des Sieges haͤngt von der Groͤße
der Maſſen uͤber die er erfochten wird, ſo wie von der
Groͤße der Trophaͤen ab. Eroberte Geſchuͤtze, Gefangene,
genommenes Gepaͤck, Todte, Verwundete. Über einen
kleinen Haufen kann man alſo keinen großen Sieg er-
fechten.
16. Die Wichtigkeit des Sieges haͤngt von der Wich-
tigkeit des Zwecks ab der erreicht wird. Die Einnahme
einer wichtigen Stellung kann einen an ſich unbedeutenden
Sieg ſehr wichtig machen.
17. Der Glanz des Sieges beſteht in der relativen
Groͤße welche die Trophaͤen zur ſiegenden Armee haben.
18. Es giebt alſo Siege verſchiedener Art, beſon-
ders aber ſehr vieler Abſtufungen. Streng genommen
kann kein Gefecht ohne Entſcheidung bleiben, folglich ohne
Sieg, aber der Sprachgebrauch und die Natur der Sache
will daß man nur ſolche Gefechtsreſultate als Siege be-
trachtet, denen betraͤchtliche Anſtrengungen vorhergegan-
gen ſind.
19. Wenn der Feind nur ſo Viel thut als noͤthig iſt
unſere ernſtliche Abſicht zu erforſchen und ſobald ihm dieſe
kund iſt nachgiebt, ſo kann man das keinen Sieg nennen;
thut er mehr, ſo kann das nur ſein um wirklich Sieger
werden zu wollen und in dieſem Fall iſt er alſo, wenn er
das Gefecht aufgiebt, als beſiegt zu betrachten.
20. Da ein Gefecht nur aufgegeben werden kann
wenn einer der beiden Theile oder beide die im Kontakt
begriffenen Truppen etwas zuruͤcknehmen, ſo kann man
[285] eigentlich niemals ſtreng ſagen daß beide das Schlacht-
feld behauptet haͤtten. Inſofern man aber, wie die
Natur der Sache und der Sprachgebrauch will, unter
Schlachtfeld nur die Stellung der Hauptmaſſen verſteht,
weil nur beim Ruͤckzug der Hauptmaſſen die erſten
Folgen des Sieges eintreten, ſo kann es allerdings
Schlachten geben welche ganz unentſchieden bleiben.
Das Mittel zum Siege iſt das Gefecht.
21. Das Mittel zum Siege iſt das Gefecht. Da
die in Nr. 4. von a bis g genannten Gegenſtaͤnde den
den Sieg bedingen, ſo iſt auch das Gefecht auf dieſe Ge-
genſtaͤnde als ſeinen naͤhern Zweck gerichtet.
22. Wir muͤſſen das Gefecht nun nach ſeinen ver-
ſchiedenen Richtungen kennen lernen.
Was iſt ein einzelnes Gefecht?
23. Materiell laͤßt ſich jedes Gefecht in ſo viel ein-
zelne Gefechte aufloͤſen als Fechtende da ſind. Der Ein-
zelne erſcheint aber nur als eigene Groͤße wenn er einzeln
d. h. ſelbſtſtaͤndig ficht.
24. Von dem einzelnen Fechten ſteigen die Einheiten
mit den Befehlsabtheilungen hinauf zu neuen Einheiten.
25. Dieſe Einheiten ſind durch Zweck und Plan ver-
bunden, aber nicht ſo eng daß die Glieder nicht eine ge-
wiſſe Selbſtſtaͤndigkeit behielten. Dieſe wird immer groͤ-
ßer je weiter die Ordnung hinaufſteigt. Wie dieſe Loͤſung
der Glieder entſteht, werden wir erſt ſpaͤter zeigen koͤn-
nen (Nr. 97. seq.).
26. Es beſteht alſo jedes Geſammtgefecht aus einer
großen Menge einzelner Gefechte in abſteigender Ordnung
der Glieder bis zum letzten ſelbſtſtaͤndig handelnden Gliede.
[286]
27. Es beſteht aber auch ein Geſammtgefecht aus
einzelnen auf einander folgenden Gefechten.
28. Alle einzelnen Gefechte nennen wir Theilgefechte
und das Ganze Geſammtgefecht; den Begriff des Geſammt-
gefechts aber knuͤpfen wir an die Bedingung des perſoͤn-
lichen Befehls, ſo daß nur Dasjenige zu einem Gefechte
gehoͤrt was von einem Willen geleitet wird. (Bei Kor-
donſtellungen koͤnnen die Grenzen nie beſtimmt werden.)
29. Was hier von der Theorie des Gefechts geſagt
wird ſoll ſich ſowohl auf das Geſammtgefecht als auf die
Theilgefechte beziehen.
Prinzip des Gefechts.
30. Jeder Kampf iſt eine Äußerung der Feindſchaft
die inſtinktmaͤßig in denſelben uͤbergeht.
31. Dieſer Inſtinkt zum Anfall und zur Vernichtung
ſeines Feindes iſt das eigentliche Element des Krieges.
32. Auch beim roheſten Menſchen bleibt dieſer Feind-
ſchaftstrieb nicht bloßer Inſtinkt; der uͤberlegende Verſtand
tritt hinzu und es wird aus dem unabſichtlichen Inſtinkt
eine Handlung der Abſicht.
33. Auf dieſe Weiſe werden die Gemuͤthskraͤfte dem
Verſtande untergeordnet.
34. Niemals aber kann man ſie als ganz eliminirt
betrachten und die bloße Verſtandesabſicht in ihre Stelle
ſetzen, denn waͤren ſie wirklich in der Verſtandesabſicht
ganz untergegangen, ſo wuͤrden ſie ſich im Kampf ſelbſt
wieder entzuͤnden.
35. Da unſere Kriege nicht Äußerungen der Feind-
ſchaft Einzelner gegen Einzelne ſind, ſo ſcheint das Gefecht
aller eigentlichen Feindſchaft zu entbehren und alſo ein rein
verſtandesmaͤßiges Handeln zu ſein.
[287]
36. So iſt es aber keineswegs. Theils fehlt es nie
an dem Kollektivhaß der beiden Parteien, der ſich dann
in dem Einzelnen mehr oder weniger wirkſam zeigt, ſo
daß er von der gehaßten und befeindeten Partei auch den
einzelnen Mann haßt und befeindet; theils entzuͤndet ſich
ein wirkliches Feindſchaftsgefuͤhl im Kampfe ſelbſt mehr
oder weniger bei dem Einzelnen.
37. Ruhmbegierde, Ehrgeiz, Eigennutz und ésprit
de corps vertreten mit andern Gemuͤthskraͤften die Feind-
ſchaft wo dieſe nicht vorhanden iſt.
38. Es wird alſo in einem Gefechte ſelten oder nie
der bloße Wille des Befehlshabers, der bloße vorgeſchrie-
bene Zweck das einzige Motiv des Handelns in den Fech-
tenden, ſondern es wird immer ein ſehr merklicher Theil
der Gemuͤthskraͤfte wirkſam ſein.
39. Dieſe Wirkſamkeit wird dadurch erhoͤht daß der
Kampf ſich in der Region der Gefahr bewegt, wo alle
Gemuͤthskraͤfte mehr gelten.
40. Aber auch die Intelligenz welche den Kampf
leitet kann nie eine bloße Verſtandeskraft und der Kampf
alſo nie Gegenſtand bloßer Berechnung ſein.
- a) Weil er ein Stoß lebendiger phyſiſcher und mora-
liſcher Kraͤfte gegen einander iſt, die nur allgemeinen
Schaͤtzungen aber keinen beſtimmten Berechnungen
unterworfen werden koͤnnen. - b) Weil die Gemuͤthskraͤfte welche ins Spiel treten
den Kampf zum Gegenſtand einer Begeiſterung und
dadurch eines hoͤhern Urtheils machen koͤnnen.
41. Der Kampf kann alſo ein Gegenſtand des Ta-
lentes und des Genius ſein im Gegenſatz des berechnenden
Verſtandes.
42. Die Gemuͤthskraͤfte und der Genius nun welche
[288] ſich im Kampfe zeigen, muͤſſen als eigene moraliſche Groͤßen
betrachtet werden, die in ihrer großen Ungleichheit und
Elaſtizitaͤt unaufhoͤrlich uͤber die Linie des berechnenden
Verſtandes hinausſpielen.
43. Es iſt die Aufgabe der Kriegskunſt in der Theo-
rie und in der Ausfuͤhrung dieſe Kraͤfte zu beruͤckſichtigen.
44. Je hoͤher ſie genutzt werden koͤnnen, um ſo kraͤf-
tiger und erfolgreicher wird der Kampf ſein.
45. Alle Erfindungen der Kunſt, als Waffen, Orga-
niſation, eingeuͤbte Taktik und die Grundſaͤtze fuͤr den Ge-
brauch der Truppen im Gefechte ſind Beſchraͤnkungen des
natuͤrlichen Inſtinkts, indem er auf Umwegen zu einem
wirkſameren Gebrauche ſeiner Kraͤfte gefuͤhrt werden ſoll.
Aber die Gemuͤthskraͤfte laſſen ſich nicht ſo zuſchneiden,
und indem man ſie zu ſehr zum Inſtrument machen will
raubt man ihnen Schwung und Kraft. Es muß ihnen
alſo uͤberall, ſowohl zwiſchen den Beſtimmungen der Theo-
rie als ihren ſtehenden Einrichtungen, durchaus ein gewiſſer
Spielraum gelaſſen werden. Dazu gehoͤrt fuͤr die Theorie
ein hoher Standpunkt und große Umſicht, fuͤr die Aus-
fuͤhrung ein großer Takt des Urtheils.
Zwei Gefechtsarten. Handgefecht und Feuergefecht.
46. Von allen Waffen die der menſchliche Verſtand
erfunden hat ſind diejenigen welche die Kaͤmpfer einander
am naͤchſten bringen, dem rohen Fauſtkampfe am aͤhnlich-
ſten ſind, die natuͤrlichſten, welche dem Inſtinkt am meiſten
zuſagen. Der Dolch, die Streitaxt ſind es mehr als die
Lanze, der Wurfſpieß, die Schleuder.
47. Die Waffen womit der Feind ſchon in der Ent-
fernung bekaͤmpft wird ſind mehr Inſtrumente des Ver-
ſtandes; ſie laſſen die Gemuͤthskraͤfte und den eigentlichen
Kampf-
[289] Kampfinſtinkt faſt ganz ruhen, und zwar um ſo mehr je
groͤßer die Entfernung iſt in der ſie wirkſam ſind. Bei
der Schleuder kann man ſich noch einen gewiſſen Ingrimm
denken mit der ſie geworfen wird, weniger ſchon beim
Buͤchſenſchuß, noch weniger beim Kanonenſchuß.
48. Obgleich auch hier Übergaͤnge ſtattfinden, ſo bleibt
doch bei allen neueren Waffen eine große Theilung ſicht-
lich, naͤmlich in die Hieb- und Stoßwaffen und in die
Feuerwaffen; weil jene zum Handgefecht, dieſe zum Ge-
fecht aus der Ferne fuͤhren.
49. Es entſtehen daher zwei Fechtarten: das Hand-
gefecht und das Feuergefecht.
50. Beide haben die Vernichtung des Gegners
zum Zweck.
51. Im Handgefecht iſt dieſe eine ganz unzweifel-
hafte; im Feuergefecht nur eine mehr oder weniger wahr-
ſcheinliche. Aus dieſem Unterſchiede folgt eine ſehr ver-
ſchiedene Bedeutung beider Gefechtsformen.
52. Weil im Handgefecht die Vernichtung nun ganz
unzweifelhaft iſt, ſo iſt das geringſte Übergewicht der Vor-
theile oder des Muthes entſcheidend, und es ſucht Der
welcher ſich im Nachtheil befindet oder welcher ſchwaͤchern
Muthes iſt ſich der Gefahr durch die Flucht zu entziehen.
53. Dies tritt bei allen Handgefechten zwiſchen Meh-
reren ſo regelmaͤßig und gewoͤhnlich auch ſo fruͤh ein daß
die eigentliche Vernichtungskraft dieſes Gefechts dadurch
ſehr geſchwaͤcht wird und ſeine Hauptwirkung mehr im
Vertreiben als im Vernichten des Feindes beſteht.
54. Sieht man alſo auf die Wirkſamkeit welche das
Handgefecht in der praktiſchen Welt hat, ſo muß man
ſeinen Zweck nicht in die Vernichtung, ſondern in die
III 19
[290]Vertreibung des Feindes ſetzen. Die Vernichtung wird
zum Mittel.
55. So wie im Handgefecht urſpruͤnglich die Ver-
nichtung des Feindes der Zweck war, ſo iſt im Feuerge-
fecht urſpruͤnglich die Vertreibung des Feindes der Zweck
und die Vernichtung nur Mittel dazu. Man beſchießt
den Feind um ihn zu verjagen und ſich das Handgefecht
zu erſparen wozu man ſich nicht ausgeruͤſtet fuͤhlt.
56. Aber die Gefahr welche das Feuergefecht bringt
iſt keine ganz unvermeidliche, ſondern eine mehr oder we-
niger wahrſcheinliche; ſie iſt alſo fuͤr den ſinnlichen Ein-
druck des Einzelnen nicht ſo groß, ſondern wird es erſt
durch die Dauer und ſummariſche Wirkung, die keinen ſo
ſinnlichen, alſo keinen ſo unmittelbar wirkſamen Eindruck
macht. Darum iſt nicht nothwendig einer der beiden
Theile in dem Falle ſich ihr zu entziehen. Hieraus folgt
daß die Vertreibung des Einen nicht ſogleich und in vie-
len Faͤllen gar nicht erfolgt.
57. Iſt dies der Fall, ſo muß in der Regel am
Schluſſe des Feuergefechts das Handgefecht zur Vertrei-
bung gebraucht werden.
58. Dagegen waͤchſt die Vernichtungskraft des Feuer-
gefechts durch die Dauer eben ſo ſehr, wie die des Hand-
gefechts durch die ſchnelle Entſcheidung verloren ging.
59. Daraus iſt entſtanden daß der generelle Zweck
des Feuergefechts nicht mehr in die Vertreibung, ſondern in
die unmittelbare Wirkung des angewendeten Mittels geſetzt
wird, naͤmlich in die Vernichtung, d. i. auf das Kollektiv-
gefecht angewendet, in die Zerſtoͤrung oder Schwaͤchung
der feindlichen Streitkraͤfte geſetzt wird.
60. Hat das Handgefecht den Zweck der Vertrei-
bung, das Feuergefecht den der Zerſtoͤrung der feind-
[291] lichen Streitkraft, ſo iſt jenes als das eigentliche Inſtru-
ment der Entſcheidung, dieſes als das der Vorberei-
tung zu betrachten.
61. Beiden bleibt aber darum doch einige Wirkſam-
keit des andern Prinzips. Das Handgefecht iſt nicht ohne
zerſtoͤrende Kraft, das Feuergefecht nicht ohne vertreibende.
62. Die zerſtoͤrende Kraft des Handgefechts iſt in
den meiſten Faͤllen hoͤchſt unbedeutend, ſehr oft iſt ſie
voͤllig Null; ſie wuͤrde daher kaum noch in Betrachtung
kommen wenn ſie nicht in einigen Faͤllen durch die Ge-
fangenen wieder ſehr ſtiege.
63. Aber es iſt wohl zu merken daß dieſe Faͤlle
meiſtens erſt eintreten wenn das Feuergefecht ſchon ge-
wirkt hat.
64. Das Handgefecht ohne Feuergefecht wuͤrde alſo
bei dem jetzigen Verhaͤltniß der Waffen eine ſehr unbe-
deutende Vernichtungskraft haben.
65. Die Vernichtungskraft des Feuergefechts kann
durch die Dauer bis aufs Äußerſte, d. h. bis zur Erſchuͤt-
terung oder Erſchoͤpfung des Muthes geſteigert werden.
66. Die Folge iſt daß bei Weitem der groͤßte An-
theil an der Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte dem
Feuergefecht zukommt.
67. Durch die im Feuergefecht entſtehende Schwaͤchung
des Feindes wird entweder
- a) ſein Ruͤckzug ſelbſt motivirt werden,
- b) oder dem Handgefecht vorgearbeitet werden.
68. Durch die beim Handgefecht beabſichtigte Ver-
treibung des Feindes wird ein eigentlicher Sieg erhalten,
weil Vertreiben vom Kampfplatz Sieg iſt. Iſt das
Ganze ſehr klein, ſo kann dieſer Sieg das Ganze um-
faſſen und uͤber den Erfolg entſcheiden.
19*
[292]
69. Wo das Handgefecht nur zwiſchen Theilen des
Ganzen ſtattfand oder wo mehrere ſucceſſive Handgefechte
das Geſammtgefecht ausmachen, kann der Erfolg im Einzel-
nen nur als ein Sieg im Theilgefechte betrachtet werden.
70. Waͤre dieſer Theil ein bedeutender des Ganzen,
ſo koͤnnte das Ganze dadurch mit fortgeriſſen werden und
alſo aus dem Siege des Theils unmittelbar ein Sieg
uͤber das Ganze folgen.
71. Wenn aber der Erfolg des Handgefechts nicht
ein Sieg des Ganzen iſt, ſo iſt er immer einer der fol-
genden Vortheile:
- a) Gewinn an Terrain;
- b) Brechung der moraliſchen Kraft;
- c) Zerſtoͤrung der Ordnung beim Gegner;
- d) Zerſtoͤrung phyſiſcher Streitkraft.
72. Fuͤr das Theilgefecht iſt alſo das Feuergefecht
als ein Zerſtoͤrungsakt, das Handgefecht als ein Entſchei-
dungsakt zu betrachten. Wie es fuͤr das Geſammtgefecht
angeſehen werden muß, werden wir ſpaͤter betrachten.
Beziehung beider Gefechtsformen auf Angriff und Ver-
theidigung.
73. Das Gefecht beſteht ferner aus Angriff und
Vertheidigung.
74. Der Angriff iſt die poſitive Abſicht; die Ver-
theidigung die negative. Jener will den Gegner vertrei-
ben, dieſe will ſich bloß erhalten.
75. Aber das Erhalten iſt kein bloßes Aushalten,
alſo kein Leiden, ſondern es haͤngt von einer aktiven Ruͤck-
wirkung ab. Dieſe Ruͤckwirkung iſt Vernichtung der an-
greifenden Streitkraft. Alſo iſt nur der Zweck, nicht das
Mittel als negativ zu betrachten.
[293]
76. Da aber aus der Behauptung der Stellung bei
der Vertheidigung von ſelbſt folgt daß der Gegner weichen
muß, ſo iſt trotz des negativen Zwecks auch fuͤr den Ver-
theidiger der Abzug, alſo das Weichen des Gegners das
Siegeszeichen.
77. Urſpruͤnglich iſt wegen des gleichen Zwecks das
Handgefecht das Element des Angriffs.
78. Da aber das Handgefecht ein ſo ſchwaches Zer-
ſtoͤrungsprinzip in ſich hat, ſo wuͤrde der Angreifende wel-
cher ſich deſſelben ganz allein bedienen wollte, in den meiſten
Faͤllen kaum als ein Fechtender zu betrachten und in jedem
Falle das Spiel ſehr ungleich ſein.
79. Nur bei kleinen Haufen oder bei bloßer Reite-
rei kann das Handgefecht den ganzen Angriff ausmachen.
Je groͤßer die Maſſen werden, je mehr Artillerie und In-
fanterie ins Spiel kommen, um ſo weniger reicht es zu.
80. Es muß alſo auch der Angriff ſo Viel von
dem Feuergefecht in ſich aufnehmen als noͤthig iſt.
81. In dieſem, naͤmlich im Feuergefecht ſind beide
Theile in Beziehung auf die Gefechtsart als ſich gleich
zu betrachten. Je groͤßer alſo das Verhaͤltniß deſſelben
zum Handgefecht wird, um ſo mehr nimmt die urſpruͤng-
liche Ungleichheit zwiſchen Angriff und Vertheidigung ab.
Was nun noch fuͤr das Handgefecht, zu dem der Angrei-
fende zuletzt ſchreiten muß, an Nachtheilen uͤbrig bleibt,
muß durch die eigenthuͤmlichen Vortheile deſſelben und
durch Überlegenheit ausgeglichen werden.
82. Das Feuergefecht iſt das natuͤrliche Element
des Vertheidigers.
83. Wo der gluͤckliche Erfolg (Abzug des Angrei-
fenden) ſchon durch daſſelbe bewirkt wird, bedarf es der
Handgefechte nicht.
[294]
84. Wo jener Erfolg nicht bewirkt wird und der
Angreifende zum Handgefecht uͤbergeht, muß auch der
Vertheidiger ſich deſſelben bedienen.
85. Überhaupt ſchließt die Vertheidigung das Hand-
gefecht auf keine Weiſe aus wo die Vortheile deſſelben
groͤßer erſcheinen als die des Feuergefechts.
Vortheilhafte Bedingungen in beiden Gefechtsarten.
86. Wir muͤſſen nun die Natur beider Gefechte im
Allgemeinen naͤher betrachten, um die Dinge kennen zu
lernen welche die Überlegenheit darin geben.
87. Das Feuergefecht.
- a) Die Überlegenheit im Gebrauch der Waffen (ſie
liegt in der Organiſation und dem Werthe der
Truppen). - b) Überlegenheit in der Formation und der niedern
Taktik als ſtehender Dispoſitionen.
Bei dem Gebrauch ausgebildeter Streitkraͤfte im
Gefecht koͤnnen dieſe Dinge nicht in Betrachtung
kommen, da ſie mit den Streitkraͤften ſchon ge-
geben ſind. Aber ſie koͤnnen und muͤſſen ſelbſt als
Gegenſtand der Gefechtslehre im ausgedehnteſten
Sinne betrachtet werden. - c) Die Zahl.
- d) Die Form der Aufſtellung, ſo weit ſie nicht ſchon
in b enthalten iſt. - e) Das Terrain.
88. Da wir nur den Gebrauch ausgebildeter
Streitkraͤfte abhandeln, ſo gehoͤren a und b nicht hier-
her, ſondern ſind nur als ein Gegebenes gewiſſermaßen
faktiſch in Betracht zu ziehen.
89a.Überlegenheit der Zahl.
[295]
Wenn zwei ungleiche Maſſen Infanterie und Artille-
rie parallel in gleichem Raume gegen einander aufgeſtellt
ſind, ſo wuͤrde, wenn alle Schuͤſſe Zielſchuͤſſe auf die
einzelnen Individuen waͤren, die Zahl der Treffer ſich ver-
halten wie die Zahl der Schießenden. Ebenſo wuͤrden
ſich die Treffer verhalten wenn nach einer vollen Scheibe
geſchoſſen wuͤrde, alſo wenn das Ziel nicht mehr der ein-
zelne Mann ſondern ein Bataillon, eine Linie u. ſ. w. iſt.
So aber ſind die Schuͤſſe im Kriege ſelbſt bei den
Schuͤtzengefechten in der großen Mehrheit wirklich anzu-
ſehen. Nun iſt aber die Scheibe nicht voll, ſondern ſie
beſteht aus Menſchen und Zwiſchenraͤumen. Dieſe letztern
nehmen in dem Maaße ab als die Zahl der Fechtenden
auf demſelben Raume zunimmt. Folglich wird die Wir-
kung eines Feuergefechts zwiſchen ungleicher Zahl zuſam-
mengeſetzt ſein aus der Zahl der Schießenden und der
Zahl der feindlichen Truppen auf welche geſchoſſen wird;
d. h. mit andern Worten: die Überlegenheit in der Zahl
giebt im Feuergefecht keine uͤberlegene Wirkung, weil man
Das was man durch die Menge ſeiner Schuͤſſe gewinnt,
dadurch daß die feindlichen um ſo viel beſſer treffen, wie-
der verliert.
Angenommen 50 Mann befaͤnden ſich in demſelben
Raume einem Bataillon von 500 gegenuͤber. Es ſollen
von den 50 Schuͤſſen 30 in die Scheibe gehen, d. h. in
den Quadratraum den das feindliche Bataillon einnimmt,
ſo werden von den feindlichen 500 Schuͤſſen 300 in den
Raum gehen den unſere 50 Mann einnehmen. Nun ſte-
hen aber die 500 Mann noch zehnmal ſo dicht als die
50, es treffen alſo von unſern Kugeln zehnmal ſo viel
als von den feindlichen, und mithin werden von unſern
[296] 50 Schuͤſſen gerade ſo viel der Feinde wie von den feind-
lichen 500 Schuͤſſen der Unſrigen getroffen.
Wenn gleich dies Reſultat in der Wirklichkeit nicht
genau zutreffen wird und im Allgemeinen ein kleiner Vor-
theil fuͤr die Überlegenheit der Zahl bleiben mag, ſo iſt
doch gewiß daß es im Weſentlichen zutrifft: daß naͤmlich
die einſeitige Wirkung, d. i. der Erfolg im Feuergefecht,
weit entfernt mit der Überlegenheit der Zahl genau Schritt
zu halten, kaum davon affizirt wird.
Dies Reſultat iſt von einer durchgreifenden Wichtig-
keit, denn es macht die Baſis derjenigen Ökonomie der
Kraͤfte im vorbereitenden Zerſtoͤrungsakte aus, welche als
eins der ſicherſten Mittel zum Siege betrachtet werden kann.
89b. Man glaube nicht daß dieſes Reſultat zu einem
Abſurdum fuͤhren koͤnnte, und daß z. B. 2 Mann (die
kleinſte Zahl welche einen laͤngern Raum einnehmen kann,
der hier als Scheibe gedacht iſt) dann eben ſo Viel leiſten
muͤßten als 2000, vorausgeſetzt daß die 2 Mann ſo weit
auseinander ſtaͤnden wie die 2000. Wenn jene 2000 im-
mer gerade vor ſich hinſchoͤſſen, ſo wuͤrde es allerdings der
Fall ſein. Wenn aber die Zahl des Schwaͤchern ſo ge-
ring iſt daß der Staͤrkere ſein Feuer konzentrirt auf die
einzelnen Leute richtet, ſo muß natuͤrlich eine große Ver-
ſchiedenheit der Wirkung eintreten; denn nun findet die
gemachte Vorausſetzung bloßer Scheibenſchuͤſſe nicht mehr
ſtatt. Ebenſo wuͤrde eine zu ſchwache Feuerlinie den Geg-
ner gar nicht vermoͤgen das Feuergefecht anzunehmen, ſon-
dern gleich von ihm vertrieben werden. Man ſieht alſo
daß man die obige Folgerung nicht zu weit treiben darf,
aber ſie bleibt darum doch unendlich wichtig. Hundertmal
hat man geſehen daß eine Feuerlinie einer doppelt ſo ſtar-
ken feindlichen das Gleichgewicht gehalten hat, und es iſt
[297] leicht einzuſehen welche Folgen das in der Ökonomie der
Kraͤfte hat.
89 c. Man kann alſo ſagen daß jeder der beiden
Theile es in ſeiner Gewalt hat die gegenſeitige d. i. die
Geſammtwirkung des Feuers zu verſtaͤrken oder zu ſchwaͤ-
chen, je nachdem er mehr Streiter in die Feuerlinie bringt
oder nicht.
90. Die Form der Aufſtellung kann ſein:
- a) In grader Fronte und in gleicher Ausdehnung, dann
iſt ſie gleichguͤltig von beiden Seiten. - b) In grader Fronte und in groͤßerer Ausdehnung, dann
iſt ſie vortheilhaft. Dies iſt begreiflicherweiſe we-
gen der Schußweite ſehr beſchraͤnkt. - c) Umfaſſend. Dann iſt ſie vortheilhaft wegen der
doppelten Wirkung der Schuͤſſe und weil die groͤ-
ßere Ausdehnung von ſelbſt daraus folgt.
Die Gegenſaͤtze von b und c ergeben ſich von ſelbſt
als Nachtheile.
91. Das Terrain wirkt im Feuergefecht vor-
theilhaft:
- a) Durch Deckung, wie eine Bruſtwehr.
- b) Durch Verbergung gegen den Feind, alſo als Hin-
derniß beim Zielen. - c) Als Hinderniß des Zugangs, wodurch der Feind in
unſerm Feuer lange aufgehalten, auch ſelbſt am
Feuern mehr gehindert wird.
92. Die Vortheile welche ſich im Handgefecht wirk-
ſam zeigen, ſind die naͤmlichen wie beim Feuergefecht.
93. Die beiden erſten Gegenſtaͤnde (a und b Nr. 87.)
gehoͤren nicht hierher. Zu bemerken iſt aber daß Überle-
genheit im Gebrauch nicht ſo große Unterſchiede wie beim
Feuergefecht hervorbringen kann, daß dagegen der Muth
[298] hier eine ganz entſcheidende Rolle ſpielt. Die unter b be-
ruͤhrten Gegenſtaͤnde werden wegen der Reiterei, die einen
großen Theil der Handgefechte liefert, beſonders wichtig.
94. Die Zahl iſt hier ſehr viel entſcheidender als
im Feuergefecht; ſie iſt faſt die Hauptſache.
95. Die Form der Aufſtellung iſt gleichfalls
noch viel entſcheidender als im Feuergefecht und zwar iſt
bei gerader Linie umgekehrt die geringere Ausdehnung
die vortheilhaftere.
96. Das Terrain.
- a) Als Hinderniß des Zugangs. Dies iſt beim Hand-
gefecht bei weitem die Hauptwirkſamkeit deſſelben. - b) Durch Verbergung. Dies beguͤnſtigt die Überra-
ſchung, welche im Handgefecht vorzuͤglich wichtig iſt.
Vereinzelung der Gefechte.
97. Wir haben in Nr. 23. geſehen daß ein jedes
Gefecht ein viel gegliedertes Ganze iſt, bei dem die Selbſt-
ſtaͤndigkeit der Glieder ungleich iſt, indem ſie nach Unten
hin abnimmt. Wir koͤnnen jetzt dieſen Gegenſtand naͤher
unterſuchen.
98. Man kann in jedem Gefecht fuͤglich als ein
einfaches Glied betrachten was durch das Komman-
dowort gefuͤhrt wird. Z. B. ein Bataillon, eine Bat-
terie, ein Kavallerieregiment u. ſ. w., wenn dieſe Maſſen
wirklich vereinigt ſind.
99. Wo das Kommandowort nicht mehr zureicht tritt
der Befehl ein, ſei es muͤndlich oder ſchriftlich.
100. Das Kommandowort iſt keiner Gradation faͤ-
hig, es iſt ſchon ein Theil der Ausfuͤhrung. Der Befehl
aber hat Abſtufungen von der hoͤchſten an das Komman-
dowort grenzenden Beſtimmtheit bis zur hoͤchſten Allge-
[299] meinheit. Er iſt nicht die Ausfuͤhrung ſelbſt, ſondern nur
ein Auftrag.
101. Alles was unter dem Kommandowort ſteht,
hat keinen Willen; ſo wie aber ſtatt deſſelben der Befehl
eintritt, ſo hebt auch eine gewiſſe Selbſtſtaͤndigkeit der Glie-
der an, weil der Befehl allgemeiner Natur iſt und der
Wille des Fuͤhrers ihn ergaͤnzen muß wenn er nicht zureicht.
102. Ließe ſich ein Gefecht in allen ſeinen neben
und nach einander liegenden Theilen und Ereigniſſen genau
vorher beſtimmen und uͤberſehen, koͤnnte alſo der Plan
deſſelben bis in die kleinſten Theile durchdringen wie bei
der Einrichtung einer todten Maſchiene, ſo wuͤrde der Be-
fehl dieſe Unbeſtimmtheit nicht haben.
103. Aber die Fechtenden hoͤren nie auf Menſchen
und Individuen zu ſein, koͤnnen nie zur willenloſen Ma-
ſchine gemacht werden und der Boden auf dem ſie fechten
wird ſelten oder nie ein vollkommenes und leeres Planum
ſein, welches ohne allen Einfluß auf das Gefecht bliebe.
Es iſt alſo ganz unmoͤglich alle Wirkungen vorher zu
berechnen.
104. Dieſes Unzureichende des Plans nimmt zu mit
der Dauer des Gefechts und mit der Zahl der Fechtenden.
Das Handgefecht eines ſchwachen Haufens iſt faſt ganz
in ſeinem Plan enthalten; im Feuergefecht, ſelbſt kleiner
Haufen, kann dagegen der Plan wegen der Dauer deſſel-
ben und der eintretenden Zwiſchenfaͤlle nicht in dem Maaße
durchdringen. Von der andern Seite kann auch das
Handgefecht großer Maſſen, z. B. einer Kavalleriediviſion
von 2. oder 3000 Pferden, nicht ſo von den Beſtimmun-
gen des erſten Plans durchdrungen werden, daß nicht
haͤufig der Wille einzelner Fuͤhrer ihn ergaͤnzen muͤßte.
[300] Von einer großen Schlacht aber kann der Plan außer
der Einleitung nur die Hauptumriſſe angeben.
105. Da alſo dies Unvermoͤgen des Plans (Dispo-
ſition) mit der Zeit und dem Raum welche das Gefecht
einnimmt, waͤchſt, ſo wird auch in der Regel den groͤßern
Truppenabtheilungen ein groͤßerer Spielraum gegeben wer-
den muͤſſen als den kleinern; und die Beſtimmtheit des
Befehls wird zunehmen in abſteigender Ordnung bis zu
den Theilen die durch das Kommandowort regiert werden.
106. Die Selbſtſtaͤndigkeit der Theile wird aber
ferner verſchieden ſein nach den Umſtaͤnden in welchen ſie
ſich befinden. Raum, Zeit, Charakter des Bodens und
der Gegend, Natur des Auftrags muͤſſen ſie bei ein und
derſelben Abtheilung ſchwaͤchen oder verſtaͤrken.
107. Außer dieſer planmaͤßigen Trennung des Ge-
ſammtgefechts in geſonderte Glieder, wird auch eine unab-
ſichtliche entſtehen koͤnnen und zwar:
- a) indem die beabſichtigte groͤßer wird als im Plane
lag; - b) indem da eine Trennung eintritt wo ſie gar nicht
ſein, ſondern das Kommandowort Alles fuͤhren ſollte.
108. Dieſe ruͤhrt von Umſtaͤnden her die ſich nicht
vorherſehen ließen.
109. Die Folge iſt ungleicher Erfolg bei Theilen
die zuſammengehoͤren (weil ſie ſich naͤmlich in ungleichen
Verhaͤltniſſen befinden koͤnnen).
110. Es entſteht dadurch bei einzelnen Theilen das
Beduͤrfniß einer Veraͤnderung die nicht im Plane des
Ganzen gelegen hat.
- a) Indem ſie ſich Nachtheilen des Terrains, der Zahl,
der Aufſtellung entziehen wollen.
[301]
- b) Indem ſie in allen dieſen Punkten Vortheile erhal-
ten die ſie benutzen wollen.
111. Die Folge iſt daß oft unwillkuͤhrlich oft mehr
oder weniger abſichtlich ein Feuergefecht in ein Handge-
fecht und umgekehrt das letztere in das erſtere uͤberge-
hen wird.
112. Die Aufgabe iſt dann dieſe Veraͤnderungen in
den Plan des Ganzen einzupaſſen, indem ſie:
- a) im Fall des Nachtheils auf eine oder die andere
Weiſe gut gemacht; - b) im Fall des Vortheils ſo weit benutzt werden als
ohne Gefahr eines Umſchlagens geſchehen kann.
113. Es iſt alſo die abſichtliche und unabſichtliche
Vereinzelung des Geſammtgefechts in mehr oder weniger
ſelbſtſtaͤndige Theilgefechte, welche einen Wechſel der Ge-
fechtsformen, ſowohl von Handgefecht und Feuergefecht,
als von Angriff und Vertheidigung innerhalb des Ge-
ſammtgefechts hervorbringt.
114. Jetzt bleibt in dieſer Beziehung noch das
Ganze zu betrachten.
Das Gefecht beſteht aus zwei Akten, dem Zerſtörungs- und
dem Entſcheidungsakt.
115 a. Aus dem Feuergefecht mit ſeinem Zerſtoͤrungs-
prinzip und aus dem Handgefecht mit ſeinem Vertrei-
bungsprinzip gehen nach Nr. 36. fuͤr das partielle Ge-
fecht zwei verſchiedene Akte hervor: ein Zerſtoͤrungsakt
und ein Entſcheidungsakt.
115 b. Je kleiner die Maſſen ſind, um ſo mehr wer-
den dieſe beiden Akte aus einem einfachen Feuergefecht und
einem einfachen Handgefecht beſtehen.
116. Je groͤßer die Maſſen werden, um ſo mehr
[302] werden dieſe beiden Akte kollektiv genommen werden muͤſ-
ſen, ſo daß der Zerſtoͤrungsakt aus einer Reihe von ne-
ben und nach einander beſtehenden Feuergefechten und der
Entſcheidungsakt eben ſo aus mehrern Handgefechten beſteht.
117. Auf dieſe Weiſe ſetzt ſich die Theilung des
Gefechts nicht nur fort, ſondern erweitert ſich auch im-
mer mehr, je groͤßer die kaͤmpfenden Maſſen werden,
indem der Zerſtoͤrungsakt und der Entſcheidungsakt in der
Zeit immer weiter von einander getrennt werden.
Der Zerſtörungsakt.
118. Je groͤßer das Ganze iſt, um ſo wichtiger wird
die phyſiſche Vernichtung, denn
- a) um ſo geringer iſt der Einfluß des Fuͤhrers. Die-
ſer Einfluß aber iſt beim Handgefecht viel weſent-
licher als beim Feuergefecht. - b) Um ſo geringer die moraliſche Ungleichheit. Bei
großen Maſſen, ganzen Armeen z. B., bleibt Nichts
als die nationale Verſchiedenheit; bei kleinern kom-
men die der Korps und die der Individuen, end-
lich beſondere zufaͤllige Umſtaͤnde hinzu, die ſich bei
großen Maſſen ausgleichen. - c) Um ſo tiefer iſt die Aufſtellung, d. h. um ſo mehr
Reſerven zur Erneuerung des Gefechts ſind vorhan-
den, wie wir in der Folge ſehen werden. Es nimmt
alſo die Zahl der einzelnen Gefechte zu und folglich
die Dauer des Geſammtgefechtes und dadurch wird
der Einfluß des erſten Augenblicks vermindert, der
beim Vertreiben immer ſo Viel entſcheidet.
119. Aus der vorigen Nummer folgt daß je groͤßer
das Ganze iſt um ſo mehr muß die phyſiſche Vernichtung
die Entſcheidung vorbereiten.
[303]
120. Dieſe Vorbereitung liegt darin daß ſich die
Maſſe der Kaͤmpfenden von beiden Seiten verkleinert, das
Verhaͤltniß aber ſich zu unſerm Beſten veraͤndert.
121. Das Erſte iſt zureichend wenn wir moraliſch
oder phyſiſch uͤberlegen ſind, das Zweite erforderlich wenn
dies nicht der Fall iſt.
122. Die Zerſtoͤrung der feindlichen Streitkraͤfte
beſteht:
- a) in Allem was phyſiſch außer Gefecht geſetzt iſt.
Todte, Verwundete und Gefangene. - b) In dem was phyſiſch und moraliſch erſchoͤpft iſt.
123. In einem Feuergefecht von mehreren Stunden
in welchem eine Truppe einen namhaften Verluſt macht,
z. B. ¼ oder ⅓ des Ganzen, iſt der uͤbrige Theil vor der
Hand faſt wie eine ausgebrannte Schlacke zu betrachten.
Denn:
- a) die Leute ſind koͤrperlich erſchoͤpft.
- b) Sie haben ſich verſchoſſen.
- c) Die Gewehre ſind verſchleimt.
- d) Viele haben ſich mit den Verwundeten entfernt,
ohne ſelbſt verwundet zu ſein. - e) Die Übrigen fuͤhlen fuͤr dieſen Tag das Ihrige ge-
than zu haben und gehen, wenn ſie einmal aus der
Sphaͤre der Gefahr zuruͤckgenommen ſind, nicht
gern wieder hinein. - f) Das urſpruͤngliche Gefuͤhl des Muthes iſt abge-
ſtumpft, die Kampfluſt befriedigt. - g) Die urſpruͤngliche Organiſation und Ordnung iſt
zum Theil geſtoͤrt.
124. Die Folgen e und f treten mehr oder weniger
ein je nachdem das Gefecht ungluͤcklich oder gluͤcklich ge-
weſen iſt. Eine Truppe die Terrain gewonnen oder das
[304] ihr anvertraute gluͤcklich behauptet hat, iſt eher wieder zu
gebrauchen als eine die zuruͤckgeworfen iſt.
125 a. Es ſind zwei Folgen von Nr. 123. in Be-
tracht zu ziehen.
Die erſte iſt die aus dem Gebrauch einer geringern
Streitkraft im Feuergefecht als der Gegner ſie anwendet er-
wachſende Ökonomie der Kraͤfte. Denn wenn die Zerſtoͤ-
rung der Kraͤfte im Feuergefecht nicht blos durch die Ver-
luſte an Solchen die außer Gefecht geſetzt werden, entſteht,
ſondern auch dadurch daß Alles was gefochten hat in ſeiner
Kraft geſchwaͤcht iſt, ſo wird natuͤrlich die Schwaͤchung
fuͤr Den geringer ſein der weniger angewendet hat.
Wenn 500 Mann im Stande geweſen ſind 1000 Mann
das Gleichgewicht im Gefecht zu halten, ſo bleiben bei glei-
chen Verluſten auf beiden Seiten, die wir auf 200 an-
nehmen wollen, dem Einen 300 Mann mit erſchoͤpften
Kraͤften, dem andern 800 Mann, wovon 300 erſchoͤpft,
500 aber friſch ſind.
125 b. Die zweite Folge iſt daß die Schwaͤchung
des Gegners, alſo die Zerſtoͤrung der feindlichen
Streitkraͤfte, viel mehr Umfang hat als die Zahl der
Todten, Verwundeten und Gefangenen. Die Zahl der
letztern betraͤgt vielleicht nur ⅕ des Ganzen, es ſollten alſo
⅚ uͤbrig bleiben. Aber unter dieſem ⅚ ſind eigentlich nur
die ganz intakten Reſerven und die Truppen welche
zwar gebraucht worden ſind aber noch wenig gelitten ha-
ben, als brauchbar und die uͤbrigen (vielleicht 4/6) als ein
caput mortuum zu betrachten.
126. Dieſe Verkleinerung der wirkenden Maſſen iſt
die erſte Abſicht des Zerſtoͤrungsakts, weil die Entſchei-
dung nur mit den kleinern Maſſen gegeben werden kann.
127. Es iſt aber nicht die abſolute Groͤße der
Maſſen
[305] Maſſen welche bei der Entſcheidung ein Hinderniß iſt
(wiewohl auch dieſe abſolute Groͤße etwas thut; 50 Mann
gegen 50 Mann koͤnnen auf der Stelle zur Entſcheidung
ſchreiten, aber nicht 50,000 gegen 50,000) ſondern die
relative Groͤße. Wenn naͤmlich ⅚ des Ganzen im Zer-
ſtoͤrungsakt ihre Kraͤfte ſchon an einander abgemeſſen ha-
ben, ſo ſind beide Feldherrn, wenn ſie auch beide vollkom-
men im Gleichgewicht geblieben waͤren, dem endlichen Be-
ſchluß welchen ſie zu faſſen haben dennoch viel naͤher und
es gehoͤrt nur noch ein verhaͤltnißmaͤßig kleiner Anſtoß
dazu um die Entſcheidung zu geben. So iſt es, das uͤbrig
gebliebene Sechstheil mag einer Armee von 30,000 Mann
angehoͤren, alſo 5000 Mann ſein, oder einer von 150,000,
alſo 25,000 Mann.
128. Aber die Hauptabſicht beider Theile im Zerſtoͤ-
rungsakt geht dahin, ſich in demſelben ein Übergewicht fuͤr
den Entſcheidungsakt zu verſchaffen.
129. Dieſes Übergewicht kann in Vernichtung feind-
licher phyſiſcher Kraͤfte, aber auch in den uͤbrigen unter
Nr. 4. angegebenen Gegenſtaͤnden erreicht werden.
130. Es beſteht alſo in dem Zerſtoͤrungsakt ein na-
tuͤrliches Beſtreben alle Vortheile welche ſich darbieten ſo
gut als es die Verhaͤltniſſe erlauben zu benutzen.
131. Nun zerfaͤllt das Gefecht groͤßerer Maſſen im-
mer in mehrere partielle Gefechte (Nr. 23) die mehr oder
weniger ſelbſtſtaͤndig ſind und alſo haͤufig in ſich einen Zer-
ſtoͤrungs- und einen Entſcheidungsakt haben muͤſſen, wenn
man die Vortheile welche man durch den erſten erhalten
hat benutzen will.
132. Durch dieſe geſchickte und gluͤckliche Einmi-
ſchung des Handgefechts wird man hauptſaͤchlich die Vor-
theile erhalten welche man in Zerſtoͤrung des feindlichen
III 20
[306] Muths und der feindlichen Ordnung und im Terrainge-
winn ſucht.
133. Aber ſelbſt die phyſiſche Zerſtoͤrung der feind-
lichen Streitkraͤfte wird dadurch ſehr geſteigert, denn Ge-
fangene kann man nur durch das Handgefecht machen.
Wenn alſo ein Bataillon durch unſer Feuer erſchuͤt-
tert iſt, wenn unſer Bajonetangriff es aus ſeiner vortheil-
haften Stellung wirft und wir ſenden ihm auf ſeiner
Flucht ein Paar Schwadronen nach, ſo begreift man wie
dieſer partielle Erfolg bedeutende Vortheile aller Art in
die Waagſchale des allgemeinen legen wird; aber es iſt
freilich Bedingung daß es geſchehe ohne in Verlegenheit
mit dieſer ſiegenden Truppe zu gerathen, denn wenn unſer
Bataillon und unſere Schwadronen dabei uͤberlegenen feind-
lichen Kraͤften in die Haͤnde fielen, ſo waͤre dieſe partielle
Entſcheidung unzeitig geweſen.
134. Die Benutzung dieſer partiellen Erfolge liegt
in der Hand der Unterbefehlshaber und giebt derjenigen
Armee eine große Überlegenheit, welche erfahrne Offiziere
an der Spitze ihrer Diviſionen, Brigaden, Regimenter,
Bataillone, Batterien u. ſ. w. hat.
135. So ſucht jeder der beiden Feldherrn ſchon im
Zerſtoͤrungsakt ſich diejenigen Vortheile zu verſchaffen die
die Entſcheidung geben und dadurch dieſe wenigſtens vor-
zubereiten.
136. Die wichtigſten Gegenſtaͤnde unter allen ſind
hier ſtets genommene Geſchuͤtze und genommenes Terrain.
137. Das Letztere nimmt an Wichtigkeit zu wenn
der Feind ſich in der Vertheidigung einer ſtarken Stel-
lung begriffen befand.
138. So iſt der Zerſtoͤrungsakt von beiden Seiten,
[307] vorzugsweiſe aber von Seiten des Angreifenden ſchon ein
behutſames Vorſchreiten zum Ziele.
139. Da im Feuergefecht die Zahl ſo wenig entſchei-
det (Nr. 53), ſo folgt von ſelbſt das Beſtreben in demſel-
ben mit ſo wenig Kraͤften als nur moͤglich auszureichen.
140. Da im Zerſtoͤrungsakt das Feuergefecht vor-
herrſcht, ſo herrſcht auch das Beſtreben der hoͤchſten Öko-
nomie der Kraͤfte in demſelben.
141. Da beim Handgefecht die Zahl ein ſo weſent-
licher Gegenſtand iſt, ſo wird bei den Entſcheidungen der
partiellen Gefechte im Zerſtoͤrungsakt auch haͤufig eine
Mehrzahl angewendet werden muͤſſen.
142. Im Ganzen muß aber der Charakter der Spar-
ſamkeit auch hier vorherrſchen, und es werden in der Re-
gel nur die Entſcheidungen angemeſſen ſein die ſich ohne
große Überlegenheit der Zahl gleichſam von ſelbſt machen.
143. Ein unzeitiges Beſtreben nach Entſcheidung hat
zur Folge:
- a) wenn ſie mit Ökonomie der Kraͤfte eingerichtet iſt
daß man in uͤberlegenen Maſſen hineingeraͤth; oder - b) wenn die gehoͤrigen Kraͤfte angewendet werden daß
man ſich zu fruͤh erſchoͤpft.
144. Die Frage ob es zeitgemaͤß iſt eine Entſchei-
dung zu geben, widerholt ſich alſo innerhalb des Zerſtoͤ-
rungsaktes ſehr oft, ſie tritt aber auch fuͤr die Hauptent-
ſcheidung am Ende deſſelben ein.
145. Der Zerſtoͤrungsakt hat deshalb das natuͤrliche
Beſtreben auf einzelnen Punkten in den Entſcheidungs-
akt uͤberzugehen, weil jeder Vortheil der ſich in ſeinem Ver-
lauf darbietet, erſt durch die zum Beduͤrfniß gewordene
Entſcheidung ſein volles Maaß erreichen kann.
146. Je erfolgreicher die im Zerſtoͤrungsakt ange-
20*
[308] wendeten Mittel ſind oder je groͤßer die phyſiſche oder
moraliſche Überlegenheit war, um ſo ſtaͤrker wird dieſe
Tendenz des Ganzen ſein.
147. Bei geringen oder negativen Erfolgen oder bei
der Überlegenheit des Gegners kann ſie aber auch in den
einzelnen Punkten ſo ſelten und ſo ſchwach ſein daß ſie
fuͤr das Ganze gar nicht vorhanden iſt.
148. Dieſe natuͤrliche Tendenz kann im Einzelnen
und im Allgemeinen zu unzeitigen Entſcheidungen fuͤhren,
iſt aber, weit entfernt darum ein Übel zu ſein, vielmehr
eine ganz nothwendige Eigenſchaft des Zerſtoͤrungsaktes,
weil ohne ſie viel verſaͤumt werden wuͤrde.
149. Das Urtheil des Fuͤhrers auf jedem Punkt
und des Feldherrn fuͤr das Allgemeine muß beſtimmen
ob die ſich darbietende Gelegenheit zu einer Entſcheidung
vortheilhaft iſt oder nicht, d. h. ob ſie nicht zu einem
Ruͤckſchlag und damit zu einem negativen Reſultat fuͤhrt.
150. Die Leitung eines Gefechts in Beziehung auf
die der Entſcheidung vorangehende Vorbereitung oder viel-
mehr Zubereitung deſſelben beſteht alſo darin ein Feuer-
gefecht und im weitern Sinne einen Zerſtoͤrungsakt anzu-
ordnen und demſelben eine angemeſſene Dauer zu geben,
d. h. die Entſcheidung erſt eintreten zu laſſen wenn man
glaubt daß der Zerſtoͤrungsakt eine hinreichende Wirkung
gethan hat.
151. Dieſes Urtheil wird aber nicht ſowohl nach
der Uhr abzunehmen ſein, nicht aus den bloßen Zeitver-
haͤltniſſen hervorgehen, ſondern aus den Umſtaͤnden welche
ſich ergeben haben, aus den Zeichen einer ſchon gewonne-
nen Überlegenheit.
152. Da nun der Zerſtoͤrungsakt, wenn er von gu-
tem Erfolg begleitet iſt, ſchon zur Entſcheidung ſelbſt
[309] ſtrebt, ſo kommt es fuͤr den Fuͤhrer mehr darauf an zu
beurtheilen wann und wo es Zeit iſt ihm die Zuͤgel ſchie-
ßen zu laſſen.
153. Wenn die Tendenz zur Entſcheidung in dem
Zerſtoͤrungsakt ſehr ſchwach waͤre, ſo wuͤrde dies ſchon ein
ziemlich ſicheres Zeichen ſein daß auf keinen Sieg zu
rechnen ſei.
154. Es werden alſo die Fuͤhrer und Feldherrn in
dieſem Falle meiſtens die Entſcheidung nicht geben ſondern
empfangen.
155. Wo ſie dennoch gegeben werden ſoll da geht
ſie von dem ausdruͤcklichen Befehl aus, der von allen der
Fuͤhrung zu Gebote ſtehenden perſoͤnlichen Mitteln der
Ermunterung und des fortreißenden Einfluſſes begleitet
ſein muß.
Der Entſcheidungsakt.
156. Die Entſcheidung iſt dasjenige Ereigniß wo-
durch der Entſchluß zum Abzuge in dem einen der Feld-
herrn hervorgerufen wird.
157. Die Gruͤnde zum Abzug haben wir in der
4ten Nummer angegeben. Dieſe koͤnnen nach und nach
entſtehen, indem ſich ſchon im Zerſtoͤrungsakt ein kleiner
Nachtheil zum andern haͤuft und der Entſchluß alſo ohne
eigentlich entſcheidendes Ereigniß gefaßt wird. In dieſem
Falle findet ein beſonderer Entſcheidungsakt nicht Statt.
158. Der Entſchluß kann aber auch durch ein ein-
zelnes bedeutend nachtheiliges Ereigniß, alſo ploͤtzlich her-
vorgebracht werden, nachdem bis dahin Alles noch im Gleich-
gewicht geſchwebt hatte.
159. In dieſem Falle nun iſt die Handlung des
[310] Gegners welche dieſes Ereigniß hervorgebracht hat als
die gegebene Entſcheidung zu betrachten.
160. Der gewoͤhnlichſte Fall aber iſt daß die Ent-
ſcheidung im Laufe des Vernichtungsaktes nach und nach
reift, daß aber der Entſchluß des Beſiegten durch ein be-
ſonderes Ereigniß den letzten Anſtoß erhaͤlt. Alſo auch in
dieſem Falle iſt die Entſcheidung als eine gegebene zu be-
trachten.
161. Iſt die Entſcheidung eine gegebene, ſo muß ſie
eine poſitive Handlung ſein.
- a) Dies kann ein Angriff ſein.
- b) Aber auch ein bloßes Anruͤcken neuer Reſerven die
verſteckt gehalten worden.
162. Bei kleinen Haufen iſt das Handgefecht in ei-
nem einzigen Anfall oft zur Entſcheidung ſchon zureichend.
163. Bei groͤßern Haufen kann der Angriff vermit-
telſt des bloßen Handgefechts auch noch zureichen, doch
wird es dann ſchwerlich bei einem einzelnen Anfall bleiben.
164. Werden die Haufen noch groͤßer, ſo miſcht ſich
das Feuergefecht ein. Wie bei dem Angriff bedeutender
Kavalleriemaſſen die reitende Artillerie.
165. Bei großen aus allen Waffen beſtehenden
Maſſen wird die Entſcheidung niemals in einem bloßen
Handgefecht beſtehen, ſondern es wird ein neues Feuerge-
fecht nothwendig werden.
166. Aber dieſes Feuergefecht wird dann im Cha-
rakter des Anfalls ſelbſt ſein; es wird in dichtern Maſ-
ſen, alſo mit einer in Zeit und Raum ſehr konzentrirten
Wirkung als eine kurze Vorbereitung des eigentlichen
Anfalls gebraucht werden.
167. Beſteht die Entſcheidung nicht mehr aus einem
einzelnen Handgefecht, ſondern aus einer Reihe von gleich-
[311] zeitigen und ſucceſſiven Gefechten beider Art, ſo wird ſie
dadurch ein eigner Akt des Geſammtgefechts, wie das
Nr. 115 ff. ſchon im Allgemeinen geſagt iſt.
168. In dieſem Akte wird das Handgefecht vor-
herrſchen.
169. In eben dem Maaße wie das Handgefecht
vorherrſcht, wird der Angriff vorherrſchen, wiewohl auf
einzelnen Punkten auch die Vertheidigung ſtattfinden kann.
170. Gegen das Ende einer Schlacht wird die Ruͤck-
ſicht auf den Ruͤckzugsweg immer wichtiger, daher wird
die Wirkung auf dieſen Weg ein wichtiges Vehikel zur
Entſcheidung.
171. Wo die Verhaͤltniſſe es zulaſſen, wird deshalb
ſchon von Hauſe aus der Plan der Schlacht auf dieſen
Punkt gerichtet.
172. Je mehr die Schlacht oder das Gefecht ſich
im Sinne dieſes Planes ausbildet, um ſo mehr werden
ſich auch die Mittel entwickeln auf den feindlichen Ruͤck-
zugsweg zu wirken.
173. Ein anderes großes Vehikel zum Siege iſt die
gebrochene Ordnung. Die kuͤnſtliche Struktur mit welcher
die Streitmaſſen in das Gefecht gehen, leidet in dem lan-
gen Zerſtoͤrungskampfe in dem ſich ihre Kraͤfte ausringen
ſehr betraͤchtlich. Iſt dieſe Erſchuͤtterung und Schwaͤ-
chung bis auf einen gewiſſen Punkt gekommen, ſo kann
ein ſchnelles Vordringen mit konzentrirten Maſſen von
Seiten des Einen in die Schlachtlinie des Andern eine
große Verwirrung hervorbringen, die an keinen Sieg mehr
denken laͤßt, ſondern alle Kraͤfte in Anſpruch nimmt um
die einzelnen Theile in Sicherheit zu bringen und einen
nothduͤrftigen Zuſammenhang des Ganzen herzuſtellen.
174. Aus allem bisher Geſagten geht hervor daß
[312] wenn in dem Vorbereitungsakte die hoͤchſte Ökonomie der
Kraͤfte vorherrſcht, im Entſcheidungsakte die Überwaͤltigung
durch die Zahl vorherrſchen muß.
175. So wie im Vorbereitungsakte Geduld, Stand-
haftigkeit und Kaͤlte vorherrſchen ſollen, ſo ſollen im Ent-
ſcheidungsakte Kuͤhnheit und Feuer vorherrſchen.
176. Von beiden Feldherrn pflegt nur einer die
Entſcheidung zu geben, der andere nimmt ſie an.
177. Wenn Alles noch im Gleichgewicht iſt, ſo kann
der welcher die Entſcheidung giebt
- a) der Angreifende,
- b) der Vertheidigende ſein.
178. Da der Angreifende den poſitiven Zweck hat,
ſo iſt es am natuͤrlichſten daß er ſie giebt und daher tritt
dieſer Fall auch am haͤufigſten ein.
179. Iſt aber das Gleichgewicht ſchon merklich ge-
ſtoͤrt, ſo kann die Entſcheidung gegeben werden
- a) von dem Feldherrn der im Vortheil iſt,
- b) von dem welcher im Nachtheil iſt.
180. Das Erſtere iſt offenbar das Natuͤrlichere, und
iſt dieſer Feldherr zugleich der Angreifende, ſo wird es
noch natuͤrlicher und daher wird es nur wenig Faͤlle
geben wo die Entſcheidung nicht von dieſem Feldherrn
ausginge.
181. Iſt es aber der Vertheidiger welcher im Vor-
theil iſt, ſo iſt es auch natuͤrlich daß er die Entſcheidung
giebt, ſo daß das nach und nach eingetretene Verhaͤltniß
mehr entſcheidet als die urſpruͤngliche Abſicht von Angriff
und Vertheidigung.
182. Ein Angreifender welcher ſchon in merklichem
Nachtheil iſt und doch noch die Entſcheidung giebt, ſieht
es als den letzten Verſuch an ſeine urſpruͤngliche Abſicht
[313] zu erreichen. Wenn der im Vortheil befindliche Verthei-
diger ihm Zeit dazu laͤßt, ſo iſt es allerdings in der Na-
tur der poſitiven Abſicht des Angreifenden einen ſolchen
letzten Verſuch zu machen.
183 a. Ein Vertheidiger der in merklichem Nachtheil
iſt und dennoch die Entſcheidung geben will, thut Etwas
was ganz gegen die Natur der Dinge und als eine Hand-
lung der Verzweiflung zu betrachten iſt.
183 b. Der Erfolg im Entſcheidungsakt richtet ſich
nach den eben entwickelten Verhaͤltniſſen, ſo daß er in der
Regel nur fuͤr Den ſein wird welcher die Entſcheidung
giebt wenn dieſe aus natuͤrlichen Verhaͤltniſſen hervorgeht.
184. Wo noch Alles im Gleichgewicht war iſt der
Erfolg gewoͤhnlich fuͤr Den welcher die Entſcheidung giebt,
denn in dem Augenblick einer zur Entſcheidung gereiften
Schlacht, wo ſich die Kraͤfte an einander ausgerungen
haben, iſt das poſitive Prinzip von viel groͤßerem Gewicht
als im Anfang derſelben.
185. Der Feldherr welcher die Entſcheidung empfaͤngt
kann entweder ſich dadurch augenblicklich zum Ruͤckzug be-
ſtimmen laſſen und allem weitern Gefecht ausweichen, oder
er kann das Gefecht noch fortſetzen.
186. Setzt er es fort ſo kann es nur ſein
- a) als Anfang ſeines Ruͤckzugs, indem er dadurch Zeit
zu gewinnen ſucht ſeine Einleitungen zu treffen; - b) als einen wirklichen Kampf worin noch Erfolg zu
hoffen iſt.
187. Befindet ſich der Feldherr welcher die Entſchei-
dung annimmt in ſehr guͤnſtigen Verhaͤltniſſen, ſo kann
er dabei auch auf der Vertheidigung bleiben.
188 a. Iſt aber die Entſcheidung aus natuͤrlichen d. h.
guͤnſtigen Verhaͤltniſſen deſſen der ſie giebt hervorgegangen,
[314] ſo wird auch der Feldherr welcher ſie annimmt mehr oder
weniger zu einer aktiven Vertheidigung uͤbergehen, d. h.
dem Anfall mit Anfall begegnen muͤſſen, theils weil die
natuͤrlichen Vortheile der Vertheidigung (Stellung, Ord-
nung, Überraſchung) im Verlaufe des Gefechts ſich
nach und nach erſchoͤpfen und zuletzt nicht mehr betraͤcht-
lich vorhanden ſind, theils weil, wie wir Nr. 184 geſagt
haben, das poſitive Prinzip ein immer groͤßeres Gewicht
bekommt.
Ihre Trennung in der Zeit.
188 b. Die hier gegebene Anſicht daß jedes Gefecht
in zwei getrennte Akte zerfaͤllt, wird bei der erſten Betrach-
tung viel Widerſpruch finden.
189. Dieſer Widerſpruch wird theils aus einer ein-
gewohnten falſchen Anſicht vom Gefecht, theils daraus ent-
ſtehen daß man auf den Begriff des Getrennten eine zu
pedantiſche Wichtigkeit legt.
190. Man denkt ſich den Gegenſatz zwiſchen Angriff
und Vertheidigung zu groß, beide Thaͤtigkeiten zu rein
antithetiſch, oder vielmehr man legt den Gegenſatz dahin
wo er ſich in der Ausfuͤhrung nicht findet.
191. Die Folge iſt daß man ſich den Angreifenden
vom erſten Augenblick bis zum letzten mit einem gleich-
maͤßigen unausgeſetzten Streben zum Vorſchreiten und
die Ermaͤßigung der vorſchreitenden Bewegung immer nur
wie eine ganz unwillkuͤhrlich erzwungene denkt, die un-
mittelbar vom Widerſtande ausgeht.
192. Nach dieſer Vorſtellungsart iſt Nichts natuͤr-
licher als daß jeder Angriff mit der hoͤchſten Energie des
des Sturmes anfinge.
193. Fuͤr die Artillerie hat man doch auch bei die-
ſer Vorſtellungsart ſich ſchon an einen Vorbereitungsakt
[315] gewoͤhnt, weil es doch zu einleuchtend war daß ſie ſonſt
groͤßtentheils unnuͤtz ſein wuͤrde.
194. Sonſt aber hat man jenes unvermiſchte Stre-
ben zum Vorſchreiten fuͤr ſo naturgemaͤß gehalten daß
man den Angriff ohne einen Schuß zu thun wie eine
Art Ideal betrachtet hat.
Selbſt Friedrich der Große hat bis zur Schlacht von
Zorndorf das Feuer beim Angriff wie etwas Ungehoͤriges
betrachtet.
195. Wenn man auch davon ſpaͤter etwas zuruͤckge-
kommen iſt, ſo glaubt doch noch heute der große Haufe
daß der Angreifende ſich der bedeutendſten Punkte einer
Stellung nicht zu fruͤh bemaͤchtigen koͤnne.
196. Diejenigen welche dem Feuer noch die meiſten
Conceſſionen machen, wollen doch gleich zum Angriff vor-
ruͤcken, in großer Naͤhe einige Bataillonsſalven geben und
dann mit dem Bajonet draufgehen.
197. Aber ein Blick auf die Kriegsgeſchichte und
ein Blick auf unſere Waffen zeigt daß die abſolute Ver-
werfung des Feuers beim Angriff ein Abſurdum iſt.
198. Etwas mehr Bekanntſchaft mit dem Gefecht
und beſonders die anſchauliche Erfahrung lehrt auch daß
eine Truppe die einmal ins Feuern verfaͤllt ſelten noch zu
einem kraͤftigen Sturme zu brauchen iſt. Folglich iſt die
in Nr. 196 erwaͤhnte Conceſſion Nichts werth.
199. Endlich zeigt die Kriegsgeſchichte eine unermeß-
liche Menge von Faͤllen wo man einen errungenen Vor-
theil mit großem Verluſt wieder hat aufgeben muͤſſen,
weil man unvorſichtig vorgedrungen war. Es kann alſo
auch der in Nr. 195 ausgeſprochene Grundſatz nicht zu-
geſtanden werden.
200. Wir behaupten alſo daß die ganze hier be-
[316] ruͤhrte Vorſtellungsart von der ungemiſchten Natur des
Angriffs, wenn man uns dieſen Ausdruck erlauben will,
falſch iſt, weil ſie nur aͤußerſt wenigen ſehr eigenthuͤm-
lichen Faͤllen entſpricht.
201. Iſt aber ein Anfang mit dem Handgefecht und
der Entſcheidung bei groͤßern Gefechten nicht in der Na-
tur der Dinge, ſo entſteht von ſelbſt eine Theilung in
Vorbereitung der Entſcheidung durch das Feuer und
in Entſcheidung, alſo in die beiden Akte mit denen wir
uns beſchaͤftigt haben.
202. Wir haben zugegeben daß ſie bei ganz kleinen
Gefechten wegfallen kann (z. B. kleinen Kavalleriehaufen).
Es entſteht nun die Frage ob ſie nicht am Ende auch wie-
der aufhoͤrt wenn die Maſſen eine gewiſſe Groͤße bekom-
men. Nicht als ob die Anwendung des Feuers aufhoͤren
koͤnnte, das waͤre ein Widerſpruch in ſich, ſondern ob die
diſtinkte Trennung beider Thaͤtigkeiten aufhoͤren wird, ſo
daß man ſie nicht mehr als zwei getrennte Akte betrach-
ten kann.
203. Man koͤnnte vielleicht ſagen ein Bataillon ſolle
ſchießen ehe es Sturm laͤuft; das Eine muß dem Andern
vorhergehen, es entſtehen alſo zwei verſchiedene Akte; aber
nur fuͤr das Bataillon, nicht fuͤr die groͤßere Abtheilung,
die Brigade. Dieſe hat keinen fuͤr alle Bataillone be-
ſtimmten Feuer- und Entſcheidungsabſchnitt, ſie ſucht von
Hauſe aus das Objekt zu erreichen das ihr aufgegeben iſt
und uͤberlaͤßt das den Bataillonen.
204. Wer ſieht nicht ein daß ſo alle Einheit verlo-
ren gehen muͤßte? Bei der großen Naͤhe in welcher ein
Bataillon neben dem andern ſicht, muͤſſen die Erfolge und
Nichterfolge des einen nothwendig Einfluß auf die andern
haben, und bei der geringen intenſiven Wirkung unſers
[317] Flintenfeuers und folglich ſeiner betraͤchtlichen Dauer wenn
es wirkſam werden ſoll, muß jener Einfluß wegen dieſer
Dauer groͤßer und entſcheidender werden. Aus dieſem
Grunde ſchon muß eine gewiſſe allgemeine Zeiteintheilung
fuͤr das Zerſtoͤrungs- und Entſcheidungsgefecht auch bei
der Brigade entſtehen.
205. Aber ein noch weſentlicherer Grund iſt daß man
ſich zur Entſcheidung gern friſcher, wenigſtens anderer
Truppen als zum Zerſtoͤrungsakte bedient; dieſe aber wer-
den von den Reſerven genommen und die Reſerven muͤſſen
ihrer Natur nach ein gemeinſchaftliches Gut ſein, koͤnnen
nicht bataillonsweiſe vorher vertheilt werden.
206. So wie nun das Beduͤrfniß eines allgemeinen
Abſchnittes des Gefechts von den einzelnen Bataillonen zu
der Brigade uͤbergeht, ſo geht es von dieſer zur Diviſion
uͤber und von der Diviſion zu noch groͤßern Abtheilungen.
207. Da aber die Theile eines Ganzen (Glieder der
erſten Ordnung) immer unabhaͤngiger werden je groͤßer das
Ganze iſt, ſo wird allerdings auch die Einheit des Ganzen
weniger beſchraͤnkend auf ſie wirken, und ſo entſteht es
daß innerhalb eines Theilgefechts immer mehr Entſchei-
dungsakte vorkommen koͤnnen und werden je groͤßer das
Ganze iſt.
208. Es werden alſo die Entſcheidungen bei einem
groͤßern Theile ſich nicht in dem Maaße zu einem einzigen
Ganzen vereinigen, wie dies bei dem kleinern Theile der
Fall iſt, ſondern ſich in Zeit und Raum mehr vertheilen,
doch wird immer noch eine merkliche Sonderung der bei-
den verſchiedenen Thaͤtigkeiten nach Anfang und Ende hin
bemerkbar bleiben.
209. Nun koͤnnen die Theile ſo groß, ihre Trennung
von einander kann ſo bedeutend werden daß ihre Thaͤtig-
[318] keit in dem Gefechte zwar noch von dem Willen des Feld-
herrn ausgeht (wodurch die Selbſtſtaͤndigkeit des Gefechts
bedingt wird), daß aber dieſe Leitung ſich auf eine anfaͤng-
liche Beſtimmung oder hoͤchſtens auf ein Paar im ganzen
Verlaufe des Gefechts beſchraͤnkt; in dieſem Falle verei-
nigt ein ſolcher Theil den ganzen Organismus des Gefechts
faſt vollſtaͤndig in ſich.
210. Je groͤßer die Entſcheidungen ſind die einem
Theil nach ſeinem Verhaͤltniſſe zuſtehen, um ſo mehr wer-
den ſie ſchon die Entſcheidung des Ganzen mitbeſtimmen,
und man kann ſich die Verhaͤltniſſe der Theile ſo denken
daß in ihrer Entſcheidung ſchon die des Ganzen enthalten,
ein eigener Entſcheidungsakt fuͤr das Ganze alſo nicht
mehr noͤthig iſt.
211. Beiſpiel. Eine Brigade kann in einer großen
Schlacht, deren Glieder erſter Ordnung Korps ſind, gleich
von vorn herein den Auftrag haben ein Dorf zu nehmen.
Sie wird ſich dazu ihres Zerſtoͤrungs- und ihres Entſchei-
dungsaktes fuͤr ſich bedienen. Die Eroberung dieſes Dor-
fes kann nun auf die Entſcheidung des Ganzen mehr oder
weniger Einfluß haben, aber es iſt nicht in der Natur
der Dinge daß ſie dieſe Entſcheidung in einem hohen
Grade beſtimme oder gar ſchon ſelbſt ausmache, weil eine
Brigade im Anfange der Schlacht dazu ein zu unbedeu-
tender Theil des Ganzen waͤre; dagegen kann man ſich
ſehr wohl denken daß die ganze Eroberung dieſes Dorfes
noch zu den Zerſtoͤrungsmaaßregeln gehoͤre wodurch die
feindlichen Streitkraͤfte nur geſchwaͤcht und erſchuͤttert wer-
den ſollen.
Denken wir uns dagegen ein bedeutendes Korps wel-
ches vielleicht den dritten Theil oder gar die Haͤlfte des
Ganzen ausmacht, mit dem Auftrage einen gewiſſen bedeu-
[319] tenden Theil der feindlichen Stellung zu nehmen, ſo kann
dieſer Theil ſehr leicht ſo wichtig ſein daß er uͤber das
Ganze entſcheidet und daß, wenn das Korps ſeinen Zweck
erreicht hat, eine weitere Entſcheidung nicht mehr noͤthig
wird. Nun koͤnnen die Verhaͤltniſſe leicht ſo gedacht wer-
den daß dieſem Korps wegen der Entfernung und wegen
der Gegend im Laufe der Schlacht nur wenig Beſtim-
mungen zugehen koͤnnen, es muß ihm alſo die Vorberei-
tung und die Entſcheidung zugleich mitaufgetragen werden.
Auf dieſe Weiſe kann der gemeinſchaftliche Entſcheidungs-
akt ganz wegfallen und in abgeſonderte Entſcheidungsakte
einiger großer Glieder zerlegt werden.
212. Dies iſt nun in großen Schlachten allerdings
oft der Fall und eine pedantiſche Vorſtellung von der
Trennung beider Theile, in welche wir das Gefecht
zerlegen, wuͤrde alſo im Widerſpruche mit dem Hergange
einer ſolchen Schlacht ſein.
213. Aber indem wir dieſen Unterſchied in der Ge-
fechtsthaͤtigkeit feſtſtellen und darauf einen großen Werth
legen, war es gar nicht unſere Abſicht dieſen Werth auf
die regelmaͤßige Abſonderung und Trennung die-
ſer beiden Thaͤtigkeiten zu legen und dies als einen prak-
tiſchen Grundſatz zu fordern, ſondern wir wollen nur was
weſentlich verſchieden iſt auch in der Vorſtellung ſondern
und zeigen wie dieſe innere Verſchiedenheit auch die Form
des Gefechts von ſelbſt beherrſcht.
214. Die Trennung in der Form zeigt ſich am ge-
naueſten in dem ganz kleinen Gefechte, wo das einfache
Feuer- und Handgefecht einander gegenuͤberſtehen. Der
Kontraſt wird weniger ſtark wenn die Theile groͤßer wer-
den, weil ſich da in den beiden Akten die beiden Gefechts-
formen von welchen ſie ausgegangen ſind, wieder zuſam-
[320] menfinden; aber die Akte ſelbſt werden groͤßer, nehmen
mehr Zeit ein und ruͤcken folglich in der Zeit weiter aus-
einander.
215. Die Trennung fuͤr das Ganze kann auch auf-
hoͤren inſofern die Entſcheidung ſchon den Gliedern erſter
Ordnung uͤbertragen iſt; aber ſelbſt dann wird ſich doch
auch im Ganzen noch eine Spur davon zeigen, da man
doch dahin ſtreben wird die Entſcheidungen dieſer verſchie-
denen Glieder in Beziehung auf die Zeit in Zuſammen-
hang zu bringen, ſei es daß man ein ganz gleichzeitiges
Eintreten der Entſcheidung oder ein Eintreten nach einer
gewiſſen Ordnung fuͤr noͤthig haͤlt.
216. Es wird ſich alſo der Unterſchied dieſer beiden
Akte auch fuͤr das Ganze niemals ganz verlieren, und was
davon fuͤr das Ganze verloren gegangen iſt wird ſich in
den Gliedern erſter Ordnung wiederfinden.
217. So muß alſo unſere Anſicht verſtanden wer-
den, und ſo verſtanden wird ihr von der einen Seite die
Realitaͤt nicht fehlen, von der andern wird ſie in dem
Fuͤhrer eines Gefechts, ſei es groß oder klein, Theilge-
fecht oder Geſammtgefecht, die Aufmerkſamkeit darauf rich-
ten jedem der beiden Thaͤtigkeitsakte ſein gebuͤhrendes Theil
zu geben, damit eben ſo wenig Etwas uͤbereilt als ver-
ſaͤumt werde.
218. Übereilt werden die Sachen wenn dem Zerſtoͤ-
rungsprinzip nicht Raum und Zeit genug gegeben, wenn
die Sache uͤbers Knie zerbrochen wird; ein ungluͤck-
licher Ausgang der Entſcheidung iſt die Folge, die entwe-
der gar nicht wieder gut zu machen iſt oder doch ein we-
ſentlicher Nachtheil bleibt.
219. Verſaͤumt wird uͤberall wo eine reife Entſchei-
dung aus Mangel an Muth oder aus falſcher Anſicht unter-
bleibt;
[321] bleibt; die Folge iſt in jedem Falle Kraftverſchwendung,
ſie kann aber auch ein poſitiver Nachtheil ſein, weil die
Reife der Entſcheidung nicht ganz allein von der Dauer
der Zerſtoͤrung abhaͤngt, ſondern auch von andern Umſtaͤn-
den d. h. von der guͤnſtigen Gelegenheit.
Plan des Gefechts. Definition.
220a. Der Plan des Gefechts macht die Einheit
deſſelben moͤglich; jedes gemeinſchaftliche Handeln bedarf
einer ſolchen Einheit. Dieſe Einheit iſt nichts Anderes
als der Zweck des Gefechts; von ihm gehen die Beſtim-
mungen aus welche fuͤr alle Theile noͤthig ſind um den
Zweck auf die beſte Art zu erreichen. Die Feſtſtellung des
Zwecks und der aus ihm folgenden Beſtimmungen iſt alſo
der Plan.
220b. Wir verſtehen hier unter Plan alle Beſtim-
mungen welche fuͤr das Gefecht gegeben werden, ſei es vor
demſelben bei ſeinem Anfange oder in ſeinem Verlaufe;
alſo die ganze Einwirkung der Intelligenz auf die Materie.
220c. Offenbar beſteht aber ein weſentlicher Unter-
ſchied zwiſchen ſolchen Beſtimmungen die nothwendig vorher
gegeben werden muͤſſen und die ſich vorher geben laſſen
auf der einen Seite und ſolchen auf der andern die der
Augenblick erzeugt.
220d. Das Erſtere iſt der Plan im eigentlichen
Sinne, das Letztere kann man die Fuͤhrung nennen.
221. Da dieſe Beſtimmungen die der Augenblick
erzeugt ihren reichhaltigſten Quell in der Wechſelwirkung
beider Gegner haben, ſo werden wir erſt dann dieſen Un-
terſchied feſthalten und naͤher betrachten wenn wir uns
mit der Wechſelwirkung beſchaͤftigen.
222. Ein Theil des Plans liegt ſchon ſtereotypiſch
III 21
[322] in der Formation der Streitkraͤfte, wodurch die große
Zahl der Glieder auf wenige zuruͤckgefuͤhrt wird.
223. Beim Theilgefecht iſt dieſe Formation mehr
die Hauptſache als beim Geſammtgefecht, ſie macht da
oft den ganzen Plan aus und zwar um ſo mehr je klei-
ner der Theil iſt. Ein Bataillon macht in einer großen
Schlacht nicht viel andere Dispoſitionen als ihm durch
das Reglement und den Übungsplatz vorgeſchrieben ſind;
eine Diviſion aber reicht damit nicht aus, hier werden
ſchon individuelle Beſtimmungen noͤthiger.
224. Im Geſammtgefecht iſt aber auch beim klein-
ſten Haufen die Formation ſelten der ganze Plan, ſondern
dieſer loͤſt oft die Formation auf um Freiheit zur indivi-
duellen Dispoſition zu bekommen. Eine Schwadron die
einen Überfall auf einen kleinen feindlichen Poſten unter-
nimmt theilt ſich in mehrere getrennte Kolonnen ſo gut
wie die groͤßte Armee.
Ziel des Plans.
225. Der Zweck des Gefechts macht die Einheit
des Plans; wir koͤnnen ihn als das Ziel deſſelben betrach-
ten, naͤmlich als diejenige Richtung nach der alle Thaͤtig-
keiten hinlaufen ſollen.
226. Zweck des Gefechts iſt der Sieg, alſo alles
Dasjenige was den Sieg bedingt und was in Nr. 4. auf-
gezaͤhlt iſt.
227. Alle die in Nr. 4. genannten Gegenſtaͤnde koͤn-
nen im Gefechte nur durch Vernichtung feindlicher Streit-
kraft erreicht werden, ſie erſcheint alſo bei allen als das
Mittel.
228. Sie iſt aber in den meiſten Faͤllen der Haupt-
zweck ſelbſt.
[323]
229. Wo das Letztere der Fall iſt, iſt der Plan auf
die moͤglichſt groͤßte Vernichtung feindlicher Streitkraft
gerichtet.
230. Wo andere von den in Nr. 1. genannten Ge-
genſtaͤnden hoͤher geſtellt werden als die Vernichtung der
feindlichen Streitkraft, nimmt dieſe als Mittel eine unter-
geordnete Stelle ein. Dann iſt nicht mehr die groͤßtmoͤg-
lichſte ſondern nur eine genuͤgende Vernichtung gefordert.
Man darf dann die naͤchſten Wege zum Ziel einſchlagen.
231a. Es giebt Faͤlle wo die in Nr. 4. c d e f g
genannten Gegenſtaͤnde welche den Abzug des Feindes be-
ſtimmen, ganz ohne Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte
erreicht werden koͤnnen; dann hat man den Feind durch
ein Manoͤver uͤberwunden und nicht durch ein Gefecht.
Aber dies iſt kein Sieg, alſo nur brauchbar inſofern man
ganz andere Zwecke als einen Sieg hat.
231b. In dieſen Faͤllen wird zwar die Anwendung
der Streitkraͤfte immer noch den Begriff eines Gefechts,
alſo einer Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte vorausſetzen,
aber nur als moͤglich, nicht als wahrſcheinlich. Denn
indem man ſeine Abſicht auf andere Dinge als die Ver-
nichtung feindlicher Streitkraͤfte richtet, ſetzt man voraus
daß dieſe andern Dinge wirkſam ſein und es nicht zu
einem namhaften Widerſtande kommen laſſen werden.
Duͤrfte man dieſe Vorausſetzung nicht machen, ſo koͤnnte
man auch dieſe andern Gegenſtaͤnde nicht zu ſeiner Abſicht
waͤhlen, und irrte man ſich in der Vorausſetzung, ſo waͤre
der Plan ein verfehlter.
232. Aus der vorigen Nummer folgt daß uͤberall
wo eine bedeutende Vernichtung feindlicher Streitkraͤfte
die Bedingung des Sieges wird, ſie auch der Hauptge-
genſtand des Plans ſein muͤſſe.
21*
[324]
233. Da nun ein Manoͤver als ſolches kein Gefecht
iſt ſondern daſſelbe nur anwendet inſofern es als Manoͤ-
ver nicht gelingen will, ſo koͤnnen die Geſetze fuͤr das Ge-
ſammtgefecht auch nicht auf den Fall eines Manoͤvers
paſſen, und die eigenthuͤmlichen Dinge welche im Manoͤ-
ver wirkſam ſind, koͤnnen in der Theorie des Gefechts
nicht zur Geſetzgebung beitragen.
234. Es kommen freilich in der Ausfuͤhrung haͤufig
gemiſchte Verhaͤltniſſe vor, das hindert aber nicht die
Dinge die in ihrem Weſen verſchieden ſind in der Theorie
zu trennen; weiß man was man an jedem Theile hat, ſo
laſſen ſich die Kombinationen nachher wieder machen.
235. Es iſt alſo die Vernichtung feindlicher Streit-
kraͤfte in allen Faͤllen die Abſicht, und die in Nr. 4. b c
d e f genannten Gegenſtaͤnde werden dadurch erſt hervor-
gerufen und treten dann freilich als eigene Potenzen da-
mit in Wechſelwirkung.
236. Das was von dieſen Gegenſtaͤnden immer wie-
derkehrt, d. h. nicht die Folge individueller Verhaͤltniſſe iſt,
iſt auch lediglich als eine Wirkung der Vernichtung feind-
licher Streitkraft zu betrachten.
237. Inſofern etwas ganz Allgemeines uͤber den
Plan des Gefechts feſtzuſtellen iſt kann es ſich alſo nur
auf die wirkſamſte Anwendung der eigenen Streitkraft
zur Vernichtung der feindlichen beziehen.
Verhältniß zwiſchen Größe und Sicherheit des Erfolgs.
238. Da man es im Kriege und folglich auch im
Gefechte mit moraliſchen Kraͤften und Wirkungen zu thun
hat, die ſich nicht beſtimmt berechnen laſſen, ſo bleibt im-
mer eine große Ungewißheit uͤber den Erfolg der ange-
wendeten Mittel.
[325]
239. Dieſe wird noch vermehrt durch die Menge
der Zufaͤlle mit welchen die kriegeriſche Handlung im Kon-
takt iſt.
240. Wo Ungewißheit iſt wird das Wagen ein we-
ſentliches Element.
241. Wagen in der gewoͤhnlichen Bedeutung heißt
auf Dinge bauen die mehr unwahrſcheinlich als wahrſchein-
lich ſind. Wagen in der weiteſten Bedeutung aber heißt
Dinge vorausſetzen die nicht gewiß ſind. In dieſer letzten
Bedeutung muͤſſen wir es hier nehmen.
242. Gaͤbe es nun bei allen vorkommenden Faͤllen
eine Linie zwiſchen Wahrſcheinlichkeit und Unwahrſcheinlich-
keit, ſo koͤnnte man auf den Gedanken kommen ſie zur
Grenzlinie des Wagens zu machen, und alſo das Wagen
uͤber dieſelbe hinaus, naͤmlich das Wagen im engeren
Sinne fuͤr unzulaͤſſig zu halten.
243. Allein erſtlich waͤre eine ſolche Linie eine Chi-
maͤre, zweitens iſt der Kampf nicht bloß ein Akt der Über-
legung ſondern auch der Leidenſchaft und des Muthes.
Man kann dieſe Dinge nicht ausſchließen, wollte man ſie
aber zu ſehr beſchraͤnken, ſo wuͤrde man ſeinen eigenen
Kraͤften die ſtaͤrkſten Prinzipe nehmen und dadurch in
konſtanten Nachtheil gerathen; denn in der Mehrheit der
Faͤlle gleicht ſich das unvermeidliche haͤufige Zuruͤckbleiben
hinter der Linie nur dadurch aus daß zuweilen daruͤber
hinausgegangen wird.
244. Je guͤnſtiger die Vorausſetzungen ſind die man
macht, d. h. je mehr man wagen will, um ſo groͤßer ſind
die Erfolge welche man bei denſelben Mitteln erwartet,
alſo die Zwecke welche man ſich vorſetzt.
245. Je mehr man wagt um ſo geringer iſt die
Wahrſcheinlichkeit, alſo die Sicherheit des Erfolgs.
[326]
246. Groͤße des Erfolgs und Sicherheit deſſelben
ſtehen alſo bei denſelben Mitteln im entgegengeſetzten Ver-
haͤltniſſe.
247. Die erſte Frage waͤre nun wie viel Werth
man auf das eine oder andere dieſer beiden entgegen-
geſetzten Prinzipe legen ſoll?
248. Daruͤber kann nichts Allgemeines beſtimmt
werden, es iſt vielmehr das Individuellſte im ganzen
Kriege. Einmal beſtimmen es die Verhaͤltniſſe die in
manchen Faͤllen das groͤßte Wagniß zur Nothwendigkeit
machen koͤnnen, und zweitens iſt der Unternehmungsgeiſt und
der Muth etwas rein Subjektives, was nicht vorgeſchrie-
ben werden kann. Man kann von einem Fuͤhrer fordern
daß er ſeine Mittel und Verhaͤltniſſe mit Sachkenntniß
beurtheile, ihre Wirkungen nicht uͤberſchaͤtze; thut er das
Erſtere, ſo muß man ihm uͤberlaſſen was er vermoͤge ſei-
nes Muthes damit auszurichten denkt.
Verhältniß zwiſchen Größe des Erfolgs und des Preiſes.
249. Die zweite Frage in Beziehung auf die zu
vernichtenden feindlichen Streitkraͤfte betrifft den Preis
mit welchem man ſie bezahlen will.
250. Bei der Abſicht feindliche Streitkraͤfte zu ver-
nichten iſt freilich gewoͤhnlich die Bedingung gedacht, da-
von mehr zu vernichten als wir ſelbſt dabei aufopfern;
aber dieſe Bedingung iſt keineswegs nothwendig, denn es
kann Faͤlle geben (z. B. den großer Überlegenheit) wo die
bloße Verminderung der feindlichen Kraft ein Vortheil
iſt, wenn wir ſie auch mit einer groͤßern der unſrigen
bezahlen.
251. Aber ſelbſt dann wenn unſere Abſicht beſtimmt
darauf gerichtet iſt mehr feindliche Streitkraͤfte zu ver-
[327] nichten als wir ſelbſt dabei aufopfern, bleibt immer die
Frage noch ſtehen uͤber die Groͤße dieſer Opfer, denn mit
ihnen waͤchſt und faͤllt natuͤrlich das Reſultat.
252. Man ſieht wohl daß die Beantwortung dieſer
Frage von dem Werth abhaͤngt den unſere Streitkraͤfte
fuͤr uns haben, alſo von den individuellen Verhaͤltniſſen.
Dieſen muß es uͤberlaſſen bleiben, und man kann weder
ſagen daß die moͤglichſte Schonung der eigenen Streit-
kraͤfte, noch daß der ruͤckſichtsloſe Verbrauch derſelben
ein Geſetz ſei.
Beſtimmung der Art des Gefechts für die einzelnen
Glieder.
253. Der Plan des Gefechts beſtimmt fuͤr die ein-
zelnen Glieder wann, wo und wie gefochten werden ſoll,
d. h. er beſtimmt Zeit, Raum und Art des Gefechts.
254. Hier, wie uͤberall, laſſen ſich die allgemeinen
d. h. die aus dem bloßen Begriff hervorgehenden Verhaͤlt-
niſſe von denen unterſcheiden die der individuelle Fall her-
beifuͤhrt.
255. Die mannigfaltigſte Verſchiedenheit der [Ge-
fechtsplaͤne] muß natuͤrlich aus den letztern hervorgehen,
indem die eigenthuͤmlichen Vortheile und Nachtheile auf-
geſucht, jene zur Wirkſamkeit gebracht, dieſe neutraliſirt
werden.
256. Aber auch die allgemeinen Verhaͤltniſſe geben
gewiſſe Reſultate und wenn dieſe der Zahl nach nur we-
nige und der Form nach ſehr einfache ſind, ſo ſind ſie
auch dafuͤr um ſo wichtiger, weil ſie das eigentlichſte We-
ſen der Sache betreffen und mithin bei allen uͤbrigen Ent-
ſcheidungen das Fundament ausmachen.
[328]
Angriff und Vertheidigung.
257. In Beziehung auf die Art des Gefechts giebt
es nur zwei Unterſchiede die uͤberall vorkommen, alſo all-
gemein ſind; der erſte entſpringt aus der poſitiven oder
negativen Abſicht und giebt den Angriff und die Verthei-
digung, der andere aus der Natur der Waffen und giebt
das Feuergefecht und das Handgefecht.
258. Strenge genommen waͤre Vertheidigung ein
bloßes Abwehren des Stoßes und gebuͤhrte ihr alſo keine
andere Waffe als der Schild.
259. Dies waͤre aber eine reine Negation, ein abſo-
lutes Leiden; Kriegfuͤhren aber iſt kein Leiden; der Ver-
theidigung kann alſo niemals der Begriff durchgehender
Paſſivitaͤt zum Grunde gelegt werden.
260. Genau betrachtet iſt die paſſiveſte der Waffen,
das Feuer, noch etwas Poſitives und Aktives. Aber die
Vertheidigung bedient ſich ja uͤberhaupt derſelben Waffen
wie der Angriff und auch derſelben Gefechtsformen von
Feuergefecht und Handgefecht.
261. Man muß alſo die Vertheidigung als einen
Kampf betrachten, ſo gut wie den Angriff.
262. Dieſer Kampf kann nur um den Sieg gefuͤhrt
werden, der alſo eben ſo gut Zweck der Vertheidigung
wie des Angriffs iſt.
263. Man iſt durch Nichts berechtigt ſich den Sieg
des Vertheidigers wie etwas Negatives zu denken; wenn
er in einzelnen Faͤllen ſo Etwas iſt, ſo liegt das in den
individuellen Bedingungen; in den Begriff der Ver-
theidigung darf es nicht aufgenommen werden, ſonſt wirkt
es logiſch auf die ganze Vorſtellung des Kampfes zuruͤck
und bringt Widerſpruͤche hinein, oder fuͤhrt bei ſtrenger
[329] Konſequenz wieder auf das Abſurdum eines abſoluten
Leidens zuruͤck.
264. Und doch beſteht ein hoͤchſt weſentlicher Unter-
ſchied zwiſchen Angriff und Vertheidigung, welcher aber
auch der einzige im Prinzip iſt: naͤmlich der daß der An-
greifende die Handlung (das Gefecht) will und ins Leben
ruft, der Vertheidiger aber dies abwartet.
265. Dies Prinzip geht durch den ganzen Krieg und
alſo durch das ganze Gebiet des Gefechtes durch und aus
ihm fließen urſpruͤnglich alle Unterſchiede zwiſchen Angriff
und Vertheidigung.
266. Wer aber eine Handlung will muß damit et-
was bezwecken und dieſer Zweck muß etwas Poſitives
ſein, weil die Abſicht daß Nichts geſchehe keine Hand-
lung hervorrufen koͤnnte. Der Angreifende muß alſo eine
poſitive Abſicht haben.
267. Der Sieg kann dieſe nicht ſein, denn er iſt
bloßes Mittel. Selbſt in dem Falle wo man den Sieg
ganz um ſeiner ſelbſt Willen ſuchte, der bloßen Waffen-
ehre wegen oder um in den politiſchen Unterhandlungen
mit ſeinem moraliſchen Gewichte zu wirken, iſt immer dieſe
Wirkung und nicht der Sieg ſelbſt der Zweck.
268. Die Abſicht des Sieges muß der Vertheidiger
mit dem Angreifenden gemeinſchaftlich haben, aber ſie ent-
ſpringt bei Beiden aus verſchiedenen Quellen: bei dem
Angreifenden aus dem Zweck welchem der Sieg dienen
ſoll, bei dem Vertheidiger aus dem bloßen Faktum
des Gefechts. Jenem kommt ſie von oben herab, dieſem
bildet ſie ſich von unten herauf. Wer ſich ſchlaͤgt kann
ſich nur des Sieges willen ſchlagen.
269. Warum ſchlaͤgt ſich nun der Vertheidiger, d. h.
warum nimmt er das Gefecht an? Weil er die poſitive
[330] Abſicht des Angreifenden nicht zulaſſen, d. h. zunaͤchſt weil
er den status quo erhalten will. Dies iſt die naͤchſte
und nothwendige Abſicht des Vertheidigers, was ſich wei-
ter daran anknuͤpft iſt nicht nothwendig.
270. Die nothwendige Abſicht des Vertheidigers oder
vielmehr der nothwendige Theil in der Abſicht des Ver-
theidigers iſt alſo negativ.
271a. Überall wo dieſe Negativitaͤt des Vertheidigers
vorhanden iſt d. h. uͤberall und immer wo er das Inter-
eſſe hat daß Nichts geſchehe ſondern die Sachen bleiben
wie ſie ſind, muß er dadurch beſtimmt werden nicht zu
handeln ſondern abzuwarten bis der Gegner handelt; von
dem Augenblick an aber wo dieſer handelt kann der Ver-
theidiger ſeine Abſicht durch bloßes Abwarten und Nicht-
handeln nicht mehr erreichen; nun handelt er alſo eben ſo
wie ſein Gegner und es hoͤrt alſo der Unterſchied auf.
271b. Wendet man dies zuvoͤrderſt blos auf das
Geſammtgefecht an, ſo wuͤrde der ganze Unterſchied zwi-
ſchen Angriff und Vertheidigung darin beſtehen daß die
letztere den erſtern abwartet, der Gang des Gefechts ſelbſt
aber dadurch nicht weiter bedingt werden.
272. Nun kann man aber dieſes Prinzip der Ver-
theidigung auch auf das Theilgefecht anwenden; es kann
auch fuͤr Glieder und Theile des Ganzen das Intereſſe
vorhanden ſein daß keine Veraͤnderung entſtehe und ſie
koͤnnen alſo dadurch zum Abwarten beſtimmt werden.
273. Dies iſt nicht allein moͤglich fuͤr Glieder und
Theile des Vertheidigers ſondern auch des Angreifenden
und findet auch wirklich bei Beiden Statt.
274. Es liegt aber in der Natur der Sache daß
es beim Vertheidiger haͤufiger vorkommen wird als beim
Angreifenden, was ſich erſt zeigen laͤßt wenn die mit dem
[331] Vertheidigungsprinzip in Verbindung tretenden individuel-
len Umſtaͤnde in Betrachtung kommen.
275. Je weiter man ſich in einem Geſammtgefecht
das Vertheidigungsprinzip hinu[n]terſteigend denkt bis zu den
kleinſten Gliedern und je allgemeiner auf alle Glieder aus-
dehnt, um ſo paſſiver wird der ganze Widerſtand, um ſo
mehr wuͤrde ſich die Vertheidigung jener Linie eines abſo-
luten Leidens naͤhern die wir als ein Abſurdum anſehn.
276. Wo in dieſer Richtung der Vortheil des Ab-
wartens fuͤr den Vertheidiger aufhoͤrt, d. h. ſeine Wirk-
ſamkeit erſchoͤpft iſt, wo gewiſſermaßen der Saͤttigungs-
punkt eintritt, werden wir erſt in der Folge naͤher betrach-
ten koͤnnen.
277. Fuͤr jetzt ziehen wir nur den Schluß aus dem
Bisherigen daß die Abſicht von Angriff oder Vertheidi-
gung nicht blos uͤber den Anfang eines Gefechtes Etwas
beſtimmt, ſondern daſſelbe auch in ſeinem Verlaufe durch-
dringen kann, daß alſo dadurch wirklich zwei verſchiedene
Arten des Gefechts gegeben werden.
278. Der Plan des Gefechts hat alſo in jedem Falle
fuͤr das Ganze zu beſtimmen ob daſſelbe Angriffs- oder
Vertheidigungsgefecht ſein ſoll.
279. Eben dieſe Beſtimmung muß er fuͤr diejenigen
Theile enthalten die er einer von ihrem Ganzen abwei-
chenden Beſtimmung unterwerfen will.
280. Laſſen wir alle individuelle Verhaͤltniſſe welche
uͤber die Wahl von Angriff und Vertheidigung entſchei-
den koͤnnen jetzt noch unberuͤckſichtigt, ſo ergiebt ſich nur
ein Geſetz, naͤmlich daß man da wo man die Entſcheidung
aufhalten will vertheidigend, da wo man ſie ſucht angriffs-
weiſe geht.
281. Wir werden dieſen Grundſatz gleich mit einem
[332] andern in Verbindung treten und dadurch ſich naͤher ge-
ſtalten ſehen.
Feuergefecht und Handgefecht.
282. Der Plan des Gefechts muͤßte ferner die
Wahl der aus den Waffen hervorgehenden Gefechtsformen
naͤmlich des Feuergefechts und des Handgefechts beſtimmen.
283. Allein dieſe beiden Formen ſind nicht ſowohl
Glieder des Gefechts als primitive Beſtandtheile deſſelben.
Sie ſind durch die Bewaffnung gegeben, gehoͤren zu ein-
ander und machen zuſammen erſt das vollſtaͤndige Ge-
fechtsvermoͤgen aus.
284. Die Wahrheit dieſer Anſicht, die uͤbrigens nur
eine approximative, die Mehrheit der Faͤlle umfaſſende, keine
abſolute iſt, beweiſt ſich durch die Verbindung der Waffen
in dem einzelnen Streiter und durch die zum Beduͤrfniß
gewordene innige Verbindung der Truppengattungen.
285. Aber eine Trennung dieſer beiden Elemente und
ein Gebrauch des einen ohne das andere bleibt nicht nur
moͤglich, ſondern kommt auch ſehr haͤufig vor.
286. In Beziehung auf das Zuſammengehoͤren bei-
der und ihre natuͤrliche Ordnung unter ſich hat nun der
Plan eines Gefechts Nichts zu beſtimmen, da dies ganz
allgemein durch den Begriff, durch die Formation und
die Übungsplaͤtze feſtſteht, und es gehoͤrt alſo dies wie die
Formation zu dem ſtereotypen Theile des Plans.
287. Über den getrennten Gebrauch dieſer beiden
Formen giebt es gar kein allgemeines Geſetz, wenn man
nicht das dafuͤr gelten laſſen will daß er immer nur wie
ein nothwendiges Übel, d. i. wie eine ſchwaͤchere Wirkungs-
form betrachtet werden muß. Saͤmmtliche Faͤlle wo man
veranlaßt ſein kann ſich dieſer ſchwaͤchern Form zu bedienen,
[333] gehoͤren in das Reich individueller Umſtaͤnde. Z. B. fuͤr
den Gebrauch des bloßen Handgefechts, wenn man uͤber-
fallen will oder wenn ſonſt die Zeit zum Feuergefecht fehlt
oder wenn man auf einen ſehr uͤberlegenen Muth der
Seinigen rechnen darf, ſind offenbar Vorkommenheiten
einzelne Faͤlle.
Beſtimmung von Zeit und Raum.
288. Fuͤr die Beſtimmung von Zeit und Raum iſt
zuerſt fuͤr beide gemeinſchaftlich zu bemerken, daß fuͤr das
Geſammtgefecht die Raumbeſtimmung allein der Verthei-
digung, die Zeitbeſtimmung dem Angriff angehoͤrt.
289. Fuͤr die Theilgefechte aber hat ſowohl der
Plan eines Angriffs- wie der eines Vertheidigungsgefechts
Beſtimmungen fuͤr beide zu geben.
Die Zeit.
290. Die Zeitbeſtimmung fuͤr die Theilgefechte welche
auf den erſten Blick den Gegenſtand hoͤchſtens in ein
Paar Punkten zu beruͤhren ſcheint, nimmt gleichwohl bei
naͤherer Betrachtung eine ganz andere Wendung und durch-
dringt ihn von einem Ende bis zum andern mit einem
hoͤchſt entſcheidenden geſetzgebenden Gedanken, naͤmlich der
Moͤglichkeit eines ſucceſſiven Gebrauchs der Streitkraͤfte.
Succeſſiver Gebrauch der Streitkräfte.
291. An und fuͤr ſich iſt bei der gemeinſchaftlichen
Wirkung einzelner Kraͤfte die Gleichzeitigkeit eine Grund-
bedingung. Dies iſt nun auch im Kriege und nament-
lich im Gefecht der Fall. Denn da die Zahl der Streit-
kraͤfte in dem Produkt derſelben ein Faktor iſt, ſo wird
bei uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden die gleichzeitige Anwen-
[334] dung aller Streitkraͤfte, d. h. die hoͤchſte Vereinigung der-
ſelben in der Zeit gegen einen Feind der ſie nicht alle zu-
gleich anwendet, den Sieg geben und zwar zuerſt uͤber
den Theil der feindlichen Streitkraͤfte der gebraucht wor-
den iſt; da aber durch dieſen Sieg uͤber einen Theil die
moraliſchen Kraͤfte des Siegers uͤberhaupt zu- und die des
Beſiegten abnehmen muͤſſen, ſo folgt, wenn auch der Ver-
luſt der phyſiſchen Kraͤfte auf beiden Seiten gleich groß
waͤre, daraus ſchon daß ein ſolcher Theilſieg die Ge-
ſammtkraͤfte des Siegers uͤber die Geſammtkraͤfte des
Beſiegten erhebt und folglich auch den Sieg im Geſammt-
gefecht bedingt.
292. Aber die in der vorigen Nummer gemachte
Folgerung ſetzt zwei Bedingungen voraus die nicht vor-
handen ſind: naͤmlich erſtens daß die Zahl kein Maximum
haben koͤnnte, zweitens daß der Gebrauch ein und derſel-
ben Streitkraft ſo lange noch Etwas von ihr uͤbrig iſt
keine Graͤnzen haͤtte.
293. Was den erſten Punkt betrifft ſo begrenzt
ſchon der Raum die Zahl der Streiter, denn was nicht
zur Wirkſamkeit kommen kann muß als uͤberfluͤſſig be-
trachtet werden. Dadurch wird alſo die Tiefe und die
Ausdehnung der Aufſtellung aller zur gleichzeitigen Wirk-
ſamkeit beſtimmten Streiter beſchraͤnkt und mithin die
Zahl der Streiter.
294. Aber eine viel wichtigere Beſchraͤnkung der
Zahl liegt in der Natur des Feuergefechts. Wir haben
geſehen (89. c.) daß die groͤßere Zahl in demſelben inner-
halb gewiſſer Grenzen nur die Wirkung hat die beiderſei-
tige alſo die Geſammtkraft des Feuergefechts zu verſtaͤr-
ken. Da alſo wo fuͤr einen Theil in dieſer Verſtaͤrkung
[335] nicht ſchon ein Vortheil liegt, hoͤrt ſie auf wirkſam fuͤr
ihn zu ſein; ſie erreicht alſo da leicht ein Maximum.
295. Dies Maximum beſtimmt ſich ganz nach dem
individuellen Fall, nach dem Terrain, dem moraliſchen Ver-
haͤltniß der Truppen und den naͤhern Zwecken des Feuer-
gefechts. Hier iſt es genug zu ſagen daß es ein ſol-
ches giebt.
296. Es hat alſo die Zahl der gleichzeitig [anzuwen-
denden] Streitkraͤfte ein Maximum, uͤber welches hinaus
eine Verſchwendung entſtehen wuͤrde.
297. Eben ſo hat der Gebrauch einer und derſelben
Streitkraft ſeine Grenzen. Wie die im Feuergefecht ge-
brauchte Streitkraft nach und nach unbrauchbar wird ha-
ben wir (Nr. 123.) geſehen; aber auch im Handgefecht
entſteht eine ſolche Verſchlechterung. Iſt die Erſchoͤpfung
der phyſiſchen Kraͤfte hier geringer als im Feuergefecht,
ſo iſt die der moraliſchen bei ungluͤcklichem Erfolge viel
groͤßer.
298. Durch dieſe Verſchlechterung welche die Streit-
kraͤfte im Gebrauch auch an allen uͤbrig bleibenden Thei-
len erfahren, kommt ein neues Prinzip in das Gefecht,
naͤmlich die innere Überlegenheit friſcher Streitkraͤfte ge-
gen ſchon gebrauchte.
299. Es kommt aber noch ein zweiter Gegenſtand
in Betrachtung, der in einer voruͤbergehenden Verſchlech-
terung gebrauchter Streitkraͤfte beſteht, naͤmlich in der
Kriſe welche jedes Gefecht in ihr hervorbringt.
300. Das Handgefecht hat, praktiſch genommen,
keine Dauer. In dem Augenblick wo ſich ein Kavallerie-
regiment auf das andere ſtuͤrzt iſt die Sache entſchieden
und die wenigen Sekunden des wirklichen Herumhauens
ſind als Zeit nicht der Rede werth; nicht viel anders iſt
[336] es bei der Infanterie und bei großen Maſſen. Aber die
Sache iſt darum noch nicht ganz abgemacht; der kritiſche
Zuſtand der ſich in der Entſcheidung entladen hat, iſt mit
ihr noch nicht ganz voruͤber; das ſiegende Regiment wel-
ches dem beſiegten mit verhaͤngtem Zuͤgel folgt, iſt nicht
gleich dem Regiment welches in geſchloſſener Ordnung auf
dem Kampfplatz hielt; ſeine moraliſche Kraft iſt allerdings
geſtiegen, aber ſeine phyſiſche und die Kraft ſeiner Ordnung
in der Regel vielmehr geſchwaͤcht. Es iſt nur der Ver-
luſt den der Gegner an moraliſcher Kraft gemacht hat und
der Umſtand daß er eben ſo aufgeloͤſt iſt wodurch der
Sieger ſein Übergewicht behielt; kommt nun ein anderer
Gegner der ſeine moraliſche Kraft noch nicht eingebuͤßt
hat und die Ordnung auch nicht, ſo iſt keine Frage daß er
bei gleichem Werth der Truppen den Sieger ſchlagen wird.
301. Auch im Feuergefecht findet eine ſolche Kriſe
ſtatt, ſo daß Derjenige welcher durch ſein Feuer eben ſieg-
reich geweſen und den Gegner abgewieſen hat, ſich doch in
dem Augenblicke in einem merklich geſchwaͤchten Zuſtande
ſeiner Ordnung und Kraft befindet, der ſo lange dauert
bis Alles was ſich in dem Ordnungsgefuͤge geloͤſt hatte
wieder in ſein Verhaͤltniß gebracht worden iſt.
302. Was wir hier von kleinern Theilen geſagt ha-
ben gilt auch von groͤßern.
303. An ſich iſt die Kriſe bei kleinern Theilen groͤ-
ßer, weil ſie das Ganze gleichartiger durchdringt, aber ſie
iſt von kuͤrzerer Dauer.
304. Am ſchwaͤchſten iſt die Kriſe des Ganzen, be-
ſonders ganzer Armeen; ſie dauert aber auch am laͤngſten,
bei betraͤchtlichen Armeen oft viele Stunden.
305. So lange die Kriſe des Gefechtes beim Sie-
ger dauert, liegt darin ein Mittel fuͤr den Beſiegten daſ-
ſelbe
[337] ſelbe herzuſtellen, d. i. ſeinen Erfolg zu wenden, wenn er
friſche Truppen in angemeſſener Zahl herbeifuͤhren kann.
306. Dadurch wird alſo der ſucceſſive Gebrauch der
Streitkraͤfte auf einem zweiten Wege als ein wirkſames
Prinzip eingefuͤhrt.
307. Iſt aber der ſucceſſive Gebrauch der Streit-
kraͤfte in einer Reihe hinter einander folgender Gefechte
moͤglich und iſt der gleichzeitige Gebrauch nicht unbegrenzt,
ſo folgt von ſelbſt daß die Kraͤfte welche nicht im gleich-
zeitigen Gebrauch wirkſam ſein, es im ſucceſſiven werden
koͤnnen.
308. Durch dieſe Reihe hinter einander liegender
Theilgefechte wird die Dauer des Geſammtgefechts bedeu-
tend ausgedehnt.
309. Dieſe Dauer nun bringt einen neuen Grund
fuͤr den ſucceſſiven Gebrauch der Streitkraͤfte in die Be-
trachtung, indem es eine neue Groͤße in die Rechnung
bringt; dieſe Groͤße iſt das unvorhergeſehene Er-
eigniß.
310. Iſt uͤberhaupt ein ſucceſſiver Gebrauch der
Streitkraͤfte moͤglich, ſo iſt der Gebrauch welchen der Geg-
ner von den ſeinigen macht nicht mehr bekannt; denn nur
was er zu gleichzeitiger Wirkung anwendet liegt unſerer
Beurtheilung vor, das Andere nicht und wir koͤnnen uns
nur im Allgemeinen darauf gefaßt machen.
311. Aber die bloße Dauer der Handlung bringt
auch noch den reinen Zufall in die Rechnung und dieſer
iſt der Natur der Sache nach im Kriege ſehr viel groͤßer
als ſonſt irgendwo.
312. Dieſes unvorhergeſehene Ereigniß alſo erfordert
eine allgemeine Beruͤckſichtigung und dieſe kann nichts An-
III 22
[338] ders ſein als das Zuruͤckſtellen einer angemeſſenen Kraft,
welches die eigentlichen Reſerven ſind.
Tiefe der Aufſtellung.
313. Alle Gefechte die ſucceſſiv geliefert werden ſol-
len, erfordern nach den Gruͤnden aus welchen ſie entſprin-
gen friſche Streitkraͤfte. Dieſe koͤnnen entweder noch ganz
friſch d. i. ungebraucht ſein, oder ſchon gebraucht, aber
durch eine Erholung von dem Zuſtande der Schwaͤchung
wieder mehr oder weniger hergeſtellt. Man ſieht leicht
ein daß dies viel Abſtufungen hat.
314. Beides, der Gebrauch ganz friſcher Streitkraͤfte,
ſo wie der Gebrauch ſolcher die ſich hergeſtellt haben, bedingt
eine Zuruͤckſtellung derſelben, d. h. eine Aufſtellung außer-
halb der Region der Zerſtoͤrung.
315. Auch dies hat ſeine Abſtufungen, denn die Re-
gion der Zerſtoͤrung hoͤrt nicht mit einemmale auf, ſondern
verliert ſich nach und nach bis ſie zuletzt ganz aufhoͤrt.
316. Aber ſehr merkliche Stufen bilden das Flinten-
und das Kartaͤtſchenfeuer.
317. Je weiter eine Truppe zuruͤckgeſtellt worden iſt,
um ſo friſcher wird ſie ſich beim Gebrauch zeigen.
318. Jede Truppe aber die im wirkſamen Flinten-
und Kartaͤtſchenfeuer geſtanden hat, iſt nicht mehr als eine
friſche zu betrachten.
319. Wir haben alſo einen dreifachen Grund fuͤr
das Zuruͤckſtellen gewiſſer Streitkraͤfte:
- a) Zum Abloͤſen oder Verſtaͤrken erſchoͤpfter Kraͤfte,
beſonders im Feuergefecht. - b) Zur Benutzung der Kriſe in welcher der Sieger ſich
unmittelbar nach dem Erfolge befindet. - c) Gegen unvorhergeſehene Ereigniſſe.
[339]
320. Alles was zuruͤckgeſtellt iſt gehoͤrt in dieſe Ka-
tegorien, es mag ſein von welcher Waffe es will, es mag
zweites Treffen oder Reſerve heißen, einem Theil oder
dem Ganzen angehoͤren.
Polarität des gleichzeitigen und des ſucceſſiven Gebrauchs
der Streitkräfte.
321. Da der gleichzeitige und der ſucceſſive Gebrauch
der Streitkraͤfte einander entgegengeſetzt ſind und jeder
ſeine Vortheile hat, ſo ſind ſie als ein Paar Pole zu be-
trachten welche den Entſchluß jeder fuͤr ſich an ſich ziehen
und ihn dadurch auf den Punkt ſtellen wo ſie ſich aus-
gleichen, vorausgeſetzt daß dieſer Entſchluß die gegenſeitige
Kraft richtig ſchaͤtzt.
322. Es kommt jetzt darauf an die Geſetze dieſer
Polaritaͤt, d. h. die Vortheile und Bedingungen beider
Kraftverwendungen kennen zu lernen und dadurch auch ihr
Verhaͤltniß unter einander.
323. Die gleichzeitige Anwendung der Streitkraͤfte
kann eine Steigerung erleiden:
- A. Bei gleicher Fronte und zwar
- a) im Feuergefecht,
- b) im Handgefecht.
- B. Bei groͤßerer Fronte, d. h. umfaſſend.
324. Nur was zu gleicher Zeit zur Wirkſamkeit ge-
bracht wird, kann als gleichzeitig angewendet betrachtet
werden. Es iſt alſo bei gleicher Fronte begrenzt durch
die Moͤglichkeit wirkſam zu werden. Drei Glieder z. B.
koͤnnen allenfalls im Feuergefecht noch zugleich wirken,
ſechs unmoͤglich.
325. Wir haben (Nr. 89) gezeigt daß zwei Feuer-
linien von ungleicher Staͤrke ſich das Gleichgewicht
22*
[340] halten koͤnnen und daß die Verminderung des einen Theils
wenn ſie gewiſſe Grenzen nicht uͤberſchreitet, nur den Er-
folg hat die gegenſeitige Wirkung zu ſchwaͤchen.
326. Je ſchwaͤcher aber die Zerſtoͤrungskraft des
Feuergefechts wird, um ſo mehr Zeit wird erforderlich die
gehoͤrige Wirkung hervorzubringen. Daher iſt derjenige
welcher hauptſaͤchlich Zeit gewinnen will (gewoͤhnlich der
Vertheidiger) in dem Intereſſe die gemeinſchaftliche (d. i.
die Summe der gegenſeitigen) Zerſtoͤrungskraft des Feuer-
gefechts ſo viel als moͤglich zu maͤßigen.
327. Ferner iſt auch der in der Zahl bedeutend
Schwaͤchere in dieſem Fall, denn bei gleichen Verluſten
ſind die ſeinen relativ immer groͤßer.
328. Die entgegengeſetzten Bedingungen werden die
entgegengeſetzten Intereſſen hervorbringen.
329. Wo kein beſonderes Intereſſe fuͤr die Beſchleu-
nigung der Wirkung vorherrſcht, werden beide Theile das
Intereſſe haben ſich mit ſo Wenigem als moͤglich zu be-
helfen, d. h. wie ſchon (Nr. 89 b.) geſagt iſt, nur ſo viel
anzuwenden um nicht durch die geringe Zahl den Gegner
zu veranlaſſen ſogleich ins Handgefecht uͤberzugehen.
330. Auf dieſe Weiſe iſt alſo die gleichzeitige An-
wendung der Streitkraͤfte im Feuergefecht durch den
Mangel des Vortheils beſchraͤnkt und auf den ſuc-
ceſſiven Gebrauch der entbehrlichen Kraͤfte hingewieſen.
331. Im Handgefecht entſcheidet die Überlegenheit
der Zahl vor allen Dingen und die gleichzeitige An-
wendung der Kraͤfte hat ſo ſehr den Vorzug vor der
ſucceſſiven, daß dieſe durch den bloßen Begriff faſt
ganz ausgeſchloſſen und erſt durch die Nebenumſtaͤnde wie-
der moͤglich wird.
332. Das Handgefecht iſt naͤmlich eine Entſcheidung
[341] und zwar eine die faſt ohne alle Dauer iſt; dies ſchließt
die ſucceſſive Kraftanwendung aus.
333. Aber wir haben ſchon geſagt daß die Kriſis des
Handgefechts die ſucceſſive Kraftanwendung ſehr beguͤnſtigt.
334. Ferner ſind die Entſcheidungen der einzelnen
Handgefechte wenn ſie Theilgefechte eines groͤßern Ganzen
ſind, keine abſolute; es muͤſſen alſo die fernern moͤglichen
Gefechte bei der Kraftverwendung gleich mitberuͤckſichtigt
werden.
335. Dies fuͤhrt alſo auch beim Handgefecht dahin,
nicht mehr Kraft zu gleicher Zeit anzuwenden als man
eben noͤthig erachtet um des Erfolges gewiß zu ſein.
336. Hier giebt es kein anderes allgemeines Geſetz
als daß Umſtaͤnde welche die Wirkſamkeit erſchweren (ho-
her Muth des Feindes, ſtarkes Terrain u. ſ. w.) eine
groͤßere Anzahl Streitkraͤfte nothwendig machen.
337. Wichtig aber bleibt fuͤr die allgemeine Theorie
die Bemerkung daß eine Kraftverſchwendung beim Hand-
gefecht nie ſo nachtheilig iſt als im Feuergefecht, weil bei
dem erſtern die Truppen nur im Augenblick der Kriſe un-
brauchbar werden, nicht dauernd.
338. Es iſt alſo beim Handgefecht die gleichzeitige
Anwendung der Kraͤfte ſo bedingt: daß ſie in jedem Falle
fuͤr den Erfolg hinreichend ſein muͤſſen und daß der ſuc-
ceſſive Gebrauch die Unzulaͤnglichkeit auf keine Weiſe er-
ſetzen kann, weil ſich nicht wie im Feuergefecht die Erfolge
addiren laſſen, daß aber wenn dieſer Grad erreicht iſt,
eine groͤßere gleichzeitige Kraftanwendung Verſchwendung
fein wuͤrde.
339. Nachdem wir beim Feuer- und Handgefecht
die Anwendung großer Streitkraͤfte durch Vermehrung
der Dichtigkeit derſelben betrachtet haben, kommen wir zu
[342] derjenigen welche in einer groͤßern Fronte, d. h. der
umfaſſenden Form moͤglich iſt.
340. Eine groͤßere Summe von Streitkraͤften gleich-
zeitig durch eine groͤßere Fronteausdehnung ins Gefecht zu
bringen, iſt auf zwei Arten denkbar. Naͤmlich:
- 1. Indem man durch eine groͤßere Fronte auch den
Gegner zu einer Verlaͤngerung der ſeinigen veran-
laßt. In dieſem Falle giebt es uns keine Überle-
genheit uͤber den Feind, aber es hat die Wirkung
daß von beiden Seiten mehr Kraͤfte gleichzeitig ins
Spiel gebracht werden. - 2. Durch das Umfaſſen der feindlichen Fronte.
341. Die Wirkung von beiden Seiten mehr Kraͤfte
ſogleich zur Anwendung zu bringen, koͤnnte nur in wenigen
Faͤllen fuͤr einen der beiden Theile einen Werth haben,
und es iſt ungewiß ob der Feind dieſe weitere Fronteaus-
dehnung gleichfalls annehmen wird.
342. Nimmt er ſie nicht an, ſo wird entweder ein
Theil unſerer Fronte, alſo unſerer Streitkraͤfte muͤßig oder
wir muͤſſen den uͤberſchießenden Theil unſerer Fronte zu
einem Umfaſſen des Feindes verwenden.
343. Die Furcht vor dieſem Umfaſſen iſt es denn
auch allein die den Feind bewegen koͤnnte ſich eben ſo weit
auszudehnen.
344. Allein wenn der Feind umfaßt werden ſoll, ſo
iſt es offenbar beſſer ſich gleich von Hauſe aus dazu ein-
zurichten und es iſt alſo die groͤßere Fronte nur unter die-
ſem Geſichtspunkt zu betrachten.
345. Die umfaſſende Form in dem Gebrauch der
Streitkraͤfte hat nun das Eigenthuͤmliche daß ſie nicht
blos die Summe der gleichzeitig angewendeten Streitkraͤfte
von beiden Seiten vermehrt, ſondern auch geſtattet eine
[343] groͤßere Streitkraft als der Gegner in Wirkſamkeit zu
bringen.
346. Wenn ein Bataillon, z. B. von 180 Schritt
Fronte, nach vier Seiten gegen einen umfaſſenden Feind
Fronte machen muß und dieſer ſich auf die wirkſame Ge-
wehrſchußweite (150 Schritt) von dieſem Bataillon be-
findet, ſo hat er Raum fuͤr acht Bataillone welche gegen
dies eine wirkſam ſein koͤnnen.
347. Wegen jener Eigenthuͤmlichkeit alſo gehoͤrt die
umfaſſende Form hierher; wir muͤſſen aber zugleich ihre
andern Eigenthuͤmlichkeiten, naͤmlich ihre andern Vortheile
und ihre Nachtheile hier mit in Betrachtung ziehen.
348. Ein zweiter Vortheil der umfaſſenden Form iſt
die ſtaͤrkere Wirkung konzentriſcher Feuer, inſofern die
Kugeln doppelt treffen koͤnnen.
349. Ein dritter Vortheil iſt das Abſchneiden des
Ruͤckzugs.
350. Dieſe drei Vortheile des Umfaſſens nehmen
ab je groͤßer die Streitkraͤfte oder vielmehr ihre Fronten
werden und nehmen zu je kleiner ſie ſind.
351. Denn was den erſten betrifft (345), ſo blei-
ben die Schußweiten dieſelben, die Truppenmaſſe mag
groß oder klein ſein (wenn ſie aus denſelben Waffen be-
ſteht) und es bleibt alſo auch die Differenz der umfaſſen-
den Linie mit der umfaßten dieſelbe und bekommt folglich
einen immer geringeren Werth je groͤßer die Fronte-
laͤnge wird.
352. Ein Bataillon koͤnnte auf 150 Schritt Ent-
fernung von 8 Bataillonen umſchloſſen werden; 10 Ba-
taillone wuͤrden nur von 20 Bataillonen umſchloſſen wer-
den koͤnnen, alſo nicht vom Acht- ſondern nur vom
Zweifachen.
[344]
353. Aber die umſchließende Form kommt ſelten oder
nie ganz d. h. im vollen Kreiſe vor, ſondern nur theil-
weiſe, gewoͤhnlich unterhalb 180°. Denkt man ſich nun
die Streitkraft von der Groͤße einer betraͤchtlichen Armee,
ſo ſieht man wohl ein wie gering der oben entwickelte erſte
Vortheil unter ſolchen Umſtaͤnden bleiben wird.
354. Genau ſo verhaͤlt es ſich mit dem zweiten
Vortheil, wie der Augenſchein zeigt.
355. Auch der dritte Vortheil muß merklich abneh-
men je groͤßer die Fronte iſt, wie ſich von ſelbſt verſteht;
obgleich hier noch andere Verhaͤltniſſe in Betrachtung kom-
men werden.
356. Aber die umfaſſende Form hat auch einen eigen-
thuͤmlichen Nachtheil; naͤmlich daß die Kraͤfte dabei im
groͤßern Raum zerſtreut und deshalb in zwei Beziehungen
in ihrer Wirkſamkeit geſchwaͤcht ſind.
357. Es kann naͤmlich die Zeit welche angewendet
wird einen gewiſſen Raum zu durchlaufen, nicht zum
Schlagen angewendet werden. Nun ſind alle Bewegun-
gen die nicht gerade ſenkrecht auf die feindliche Linie ſind,
bei dem Umfaſſenden im groͤßern Raum als bei dem Um-
faßten; denn dieſer bewegt ſich mehr oder weniger auf
den Radien ſeines kleinern Kreiſes, jener auf der Cir-
cumferenz ſeines groͤßern, welches ſehr bedeutende Unter-
ſchiede giebt.
358. Hieraus folgt die Moͤglichkeit daß jener ſeine
Kraͤfte leichter auf verſchiedenen Punkten brauchen kann.
359. Aber auch die Einheit des Ganzen wird ge-
ſchwaͤcht durch die groͤßern Raͤume welche Nachricht und
Befehl zu durchlaufen haben.
360. Dieſe beiden Nachtheile des Umfaſſens nehmen
mit der Fronteausdehnung zu. Bei einem Paar Bataillo-
[345] nen ſind ſie noch gar nicht merklich vorhanden, bei großen
Armeen ſind ſie ſehr betraͤchtlich.
361. Denn die Differenz zwiſchen Radius und Um-
kreis bleibt dieſelbe, es werden alſo die abſoluten Unter-
ſchiede immer groͤßer je groͤßer die Fronten ſind; auf dieſe
abſoluten Unterſchiede aber kommt es hier an.
362. Außerdem aber kommen bei ganz kleinen Thei-
len wenig oder keine Seitenbewegungen vor, und ſie neh-
men zu je groͤßer die Theile werden.
363. Endlich faͤllt fuͤr das Durchlaufen der Nach-
richten aller Unterſchied weg ſo lange man die Raͤume
uͤberſehen kann.
364. Sind alſo die Vortheile des Umfaſſens bei
kleinen Fronten ſehr groß und die Nachtheile ſehr klein,
nehmen die einen ab die andern zu mit dem Wachſen der
Fronte, ſo folgt daß es einen Punkt geben wird wo ſie
ſich das Gleichgewicht halten werden.
365. Über dieſen Punkt hinaus kann alſo die Fronte-
ausdehnung dem ſucceſſiven Kraftgebrauch keine Vortheile
mehr entgegenſtellen, ſondern es entſtehen Nachtheile.
366. Das Gleichgewicht zwiſchen den Vortheilen ſuc-
ceſſiver Kraftverwendung und denen einer groͤßern Fronte
(Nr. 341) muß ſich alſo dieſſeit jenes Punktes finden.
367. Um dieſen Punkt des Gleichgewichts aufzu-
ſuchen muͤſſen wir die Vortheile der umfaſſenden Form
noch beſtimmter in Betrachtung ziehen. Der einfachſte
Weg dazu iſt folgender.
368. Eine gewiſſe Fronte iſt nothwendig um ſich der
Wirkſamkeit der beiden erſten Nachtheile des Umfaßtwer-
dens zu entziehen.
369. Was die konzentriſche (doppelte) Wirkung des
Feuers betrifft, ſo giebt es eine Frontelaͤnge wo dieſe ab-
[346] ſolut aufhoͤrt; naͤmlich wenn die Entfernung der zuruͤckge-
bogenen Theile, im Fall man vom Feinde umfaßt wird,
groͤßer iſt als die Schußweiten.
370. Aber man braucht hinter jeder Aufſtellung auch
einen unbeſchoſſenen Raum fuͤr die Reſerve, fuͤr die Kom-
mandirenden u. ſ. w., die ſich hinter der Fronte befinden.
Wenn dieſe von drei Seiten beſchoſſen werden ſollten, ſo
wuͤrden ſie aufhoͤren das zu ſein wozu ſie beſtimmt ſind.
371. Da dieſe Gegenſtaͤnde bei groͤßern Maſſen ſelbſt
groͤßere Maſſen bilden und folglich mehr Raum brauchen,
ſo muß der unbeſchoſſene Raum hinter der Fronte auch
um ſo groͤßer ſein je groͤßer das Ganze iſt, mithin muß um
deßwillen die Fronte mit der Groͤße der Maſſen wachſen.
372. Aber der Raum hinter einer betraͤchtlichen
Truppenmaſſe muß nicht bloß darum groͤßer ſein weil
die Reſerven u. ſ. w. mehr Platz brauchen, ſondern er
muß auch außerdem noch groͤßer ſein um die Sicherheit
zu vermehren (zu ſteigern). Denn erſtens wuͤrden verlorne
Schuͤſſe gegen groͤßere Truppenmaſſen und Trains eine
viel groͤßere Wirkung haben als gegen ein Paar Batail-
lone; zweitens dauern die Gefechte der großen Maſſen viel
laͤnger und die Verluſte welche hinter der Fronte bei den
Truppen entſtehen die nicht eigentlich im Gefechte ſind,
werden dadurch viel groͤßer.
373. Setzte man alſo fuͤr die nothwendige Fronte-
laͤnge eine gewiſſe Groͤße feſt, ſo muͤßte ſie mit der Groͤße
der Maſſen ſteigen.
374. Der andere Vortheil der umfaſſenden Form
(die Überlegenheit der gleichzeitig wirkenden Kraͤfte) fuͤhrt
auf keine beſtimmte Groͤße fuͤr die Frontelaͤnge, ſondern
wir muͤſſen hauptſaͤchlich dabei ſtehen bleiben daß er mit
der Laͤnge der Fronte abnimmt.
[347]
375. Aber zur naͤhern Beſtimmung muͤſſen wir ſa-
gen daß ſich die gleichzeitige Wirkſamkeit groͤßerer Streit-
kraͤfte hauptſaͤchlich auf das Flintenfeuer bezieht; denn
fuͤr das Geſchuͤtz wird, ſo lange daſſelbe allein wirkt, es
auch in der kleinern Kreislinie des Umfaßten niemals an
Raum fehlen eben ſo viel aufzuſtellen als der Gegner in
ſeiner groͤßern; denn man hat niemals ſo viel Geſchuͤtz um
damit eine zuſammenhaͤngende Linie zu bilden.
376. Man wende nicht ein daß dem Gegner immer
noch der Vortheil des groͤßern Raumes bleiben wuͤrde,
weil ſeine Geſchuͤtze nicht ſo dicht ſtehen und alſo weniger
getroffen werden; denn man kann ſeine Batterien nicht
gleichmaͤßig in einzelnen Kanonen auf dem großen Raume
vertheilen.
377. Bei einem bloßen Artilleriegefechte oder einem
Gefechte wo die Artillerie die Hauptwaffe iſt, wird der
Vortheil der groͤßern umfaſſenden Fronte allerdings vor-
handen und wegen der groͤßern Schußweite, alſo der großen
Differenz beider Fronten ſehr groß ſein. Dieſer Fall tritt
z. B. bei einzelnen Redouten ein. Aber bei Streitkraͤften
wo die andern Waffen die Hauptſache ſind und die Ar-
tillerie untergeordnet iſt, hoͤrt dieſer Vortheil auf, weil es
da, wie geſagt, auch dem Umfaßten nicht an Raum fehlt.
378. Es iſt alſo hauptſaͤchlich das Infanterie-Feuer-
gefecht wo ſich die Vortheile der groͤßern Fronte zur gleich-
zeitigen Anwendung groͤßerer Streitkraͤfte zeigen muͤſſen.
Hier betraͤgt die Differenz beider Fronten dreimal die
Flintenſchußweite (wenn das Umfaſſen bis auf 180°
getrieben iſt), alſo etwa 600 Schritt. Dies giebt fuͤr
eine Fronte von 600 Schritt das Doppelte, iſt alſo dann
ſehr fuͤhlbar; fuͤr eine Fronte von 3000 Schritt aber
[348] wuͤrde ſie nur ⅕ geben, welches ſchon nicht mehr als ein
ſehr wirkſamer Vortheil zu betrachten iſt.
379. Man kann alſo ſagen daß in dieſer Beziehung
die Frontelaͤnge hinreicht ſobald die Differenz welche die
Flintenſchußweite giebt, aufhoͤrt eine merkliche Überlegen-
heit zu geben.
380. Aus allem bisher uͤber dieſe beiden Vortheile
des Umfaſſens Geſagten geht hervor daß kleine Maſſen
Muͤhe haben ſich die gehoͤrige Frontelaͤnge zu verſchaffen,
und dies iſt ſo wahr daß ſie, wie wir aus der Erfahrung
ſehen, meiſtens genoͤthigt ſind die ſtereotype Ordnung ihrer
Formation zu verlaſſen und ſich viel mehr auszudehnen.
Hoͤchſt ſelten wird ein ſich ſelbſt uͤberlaſſenes Bataillon ein
Gefecht in der bloßen Frontelaͤnge ſeiner gewoͤhnlichen Auf-
ſtellung (150 bis 200 Schritt) annehmen, ſondern ſich in
Kompagnien und dieſe wieder in Tirailleurs weiter ausein-
anderziehen und, nachdem es einen Theil zur Reſerve zu-
ruͤckbehalten hat, mit dem Übrigen einen zwei-, drei- oder
viermal ſo großen Raum einnehmen als es eigentlich ſollte.
381. Je groͤßer aber die Maſſen werden um ſo leich-
ter wird man zu der nothwendigen Frontelaͤnge kommen,
weil dieſe zwar mit den Maſſen waͤchſt (373), aber
nicht in demſelben Maaße.
382. Große Maſſen haben alſo nicht noͤthig die For-
mationsordnung zu verlaſſen und koͤnnen vielmehr Truppen
zuruͤckſtellen.
383. Dies hat dahin gefuͤhrt daß man fuͤr die groͤßern
Maſſen auch eine ſtereotype Ordnung mit zuruͤckgeſtellten
Theilen eingefuͤhrt hat, wie die gewoͤhnlichen Schlachtord-
nungen in zwei Treffen; gewoͤhnlich noch ein drittes von
Kavallerie dahinter, auch außerdem noch eine Reſerve von
⅛ bis ⅙ u. ſ. w.
[349]
384. Bei ganz großen Maſſen (Armeen von 100-,
150- bis 200,000 Mann) ſehen wir die Reſerven immer
groͤßer werden (¼ bis ⅓), ein Beweis daß die Kraͤfte
das Frontebeduͤrfniß immer mehr uͤberſteigen.
385. Wir fuͤhren das jetzt hier bloß an um durch
einen Blick auf die Erfahrung die Wahrheit unſerer Ent-
wickelung mehr in die Augen fallen zu laſſen.
386. So verhaͤlt es ſich alſo mit den beiden erſten
Vortheilen des Umfaſſens. Anders iſt es mit dem dritten.
387. Die beiden erſten wirken auf die Sicherheit
des Erfolgs, indem ſie unſere Kraͤfte ſteigern, der dritte
thut das auch, aber nur bei ganz kurzen Fronten.
388. Er wirkt naͤmlich auf den Muth der in der
feindlichen Fronte Fechtenden, indem er ihnen die Vorſtel-
lung eines verlornen Ruͤckzugs giebt, die immer auf den
Soldaten ſehr ſtark wirkt.
389. Aber dies iſt doch nur da der Fall wo die
Gefahr abgeſchnitten zu werden ſo nahe und augenſchein-
lich iſt, daß der Eindruck davon alle Geſetze der Disciplin
und des Befehls uͤberwaͤltigt und den Soldaten unwill-
kuͤhrlich fortreißt.
390. Bei groͤßern Entfernungen wo der Soldat nur
durch das in ſeinem Ruͤcken entſtehende Kanonen- und
Flintenfeuer mittelbar darauf hingefuͤhrt wird, koͤnnen Be-
ſorgniſſe bei ihm entſtehen, aber wenn der Geiſt nicht ſchon
ganz ſchlecht iſt, ſo werden ſie ihn nicht verhindern den
Befehlen des Fuͤhrers zu gehorchen.
391. In dieſem Falle iſt alſo der Vortheil des Ab-
ſchneidens welchen der Umfaſſende hat, nicht mehr als ein
ſolcher zu betrachten der die Sicherheit d. i. die Wahr-
ſcheinlichkeit des Erfolgs erhoͤht, ſondern als einer der
die Groͤße eines ſchon eingetretenen Erfolgs ſteigert.
[350]
392. Auch in dieſer Beziehung iſt der dritte Vor-
theil des Umfaſſens dem Gegenſatz unterworfen daß er
bei kurzer Fronte am groͤßten iſt und mit der zunehmen-
den Fronte abnimmt, wie der Augenſchein lehrt.
393. Dies verhindert aber nicht daß die groͤßeren
Maſſen nicht einer groͤßeren Fronte beduͤrfen ſollten wie
die kleinen, denn da der Ruͤckzug niemals in der ganzen
Breite einer Aufſtellung geſchieht, ſondern auf einzelnen
Wegen, ſo folgt von ſelbſt daß große Maſſen mehr Zeit
dazu brauchen als kleine; dieſe laͤngere Zeit bedingt alſo
eine breitere Fronte, damit der Feind der dieſe Fronte
umfaßt nicht ſo ſchnell an die Punkte gelangt durch welche
der Ruͤckzug geht.
394. Wirkt (nach 391) der dritte Vortheil des
Umfaſſens in der Mehrheit der Faͤlle (naͤmlich bei nicht
zu kurzen Fronten) nur auf die Groͤße, nicht auf die
Sicherheit des Erfolgs, ſo folgt daraus daß er nach den
Verhaͤltniſſen und Abſichten des Fechtenden einen ganz ver-
ſchiedenen Werth bekommt.
395. Wo die Wahrſcheinlichkeit des Erfolgs ohnehin
gering iſt muß fuͤr dieſe zunaͤchſt geſorgt werden; in ſolchem
Falle kann alſo ein Vortheil der hauptſaͤchlich auf die
Groͤße deſſelben geht nicht ſehr in Betrachtung kommen.
396. Wenn dieſer Vortheil aber gar der Wahr-
ſcheinlichkeit des Erfolgs entgegen waͤre (365), ſo wuͤrde
er in ſolchem Falle ein poſitiver Nachtheil werden.
397. In einem ſolchen Falle werden alſo die Vor-
theile ſucceſſiver Kraftanſtrengungen denen der groͤßern
Fronte fruͤher das Gleichgewicht halten.
398. Man ſieht alſo der Indifferenzpunkt zwiſchen
den beiden Polen der gleichzeitigen und der ſucceſ-
ſiven Kraftverwendung, der Ausdehnung und Tiefe
[351] liegt nicht bloß anders bei großen als bei kleinen Maſſen,
ſondern auch anders nach Verhaͤltniſſen und Abſichten bei-
der Theile.
399. Der Schwaͤchere und der Vorſichtige muß der
ſucceſſiven, der Staͤrkere und der Kuͤhne der gleichzeitigen
Kraftanſtrengung den Vorzug geben.
400. Es liegt in der Natur der Sache daß der
Angreifende der Staͤrkere oder der Kuͤhnere iſt; gleich-
viel ob aus Charakterzug des Feldherrn oder aus Noth-
wendigkeit.
401. Die umfaſſende Form des Gefechts, alſo die
welche die meiſte gleichzeitige Kraftanſtrengung bei uns
und beim Gegner bedingt, iſt alſo dem Angreifenden
natuͤrlich.
402. Die umfaßte, d. h. die welche die meiſte ſuc-
ceſſive Kraftanſtrengung ſucht und ſich darum dem Um-
faſſen ausſetzt, iſt alſo die natuͤrliche Form der Verthei-
digung.
403. In dem Erſtern liegt die Tendenz einer ſchnel-
len Entſcheidung, in dem Letztern die des Zeitgewinnes,
und dieſe Tendenzen ſind mit dem Zweck beider Gefechts-
formen in Harmonie.
404. Aber in der Natur der Vertheidigung kommt
noch ein anderer Grund vor warum ſie die tiefere Auf-
ſtellung ſucht.
405. Einer ihrer bedeutendſten Vortheile iſt der
Beiſtand der Gegend und des Bodens, von dieſem aber
macht die oͤrtliche Vertheidigung deſſelben ein wichtiges
Element aus.
406. Nun ſollte man glauben dies fuͤhrte dahin die
Fronte ſo lang als moͤglich zu machen, um dieſen Vor-
theil ſo weit als moͤglich zu treiben. (Wirklich iſt dieſe
[352] einſeitige Anſicht als eins der hauptſaͤchlichſten Motive zu
betrachten welches die Feldherren zu den ausgedehnten
Stellungen hingezogen hat.)
407. Allein wir haben bisher die Fronteausdehnung
ſtets ſo gedacht daß ſie entweder zu einer eben ſo großen
des Feindes fuͤhrte oder zur Überfluͤgelung, d. i. Um-
faſſung der feindlichen Fronte.
408. So lange man ſich beide Theile gleich aktiv,
alſo noch nicht unter dem Geſichtspunkte von Angriff und
Vertheidigung denkt, hat die Verwendung einer groͤßern
Fronte zum Umfaſſen auch keine Schwierigkeit.
409. Sobald aber mit dem Frontalgefecht mehr
oder weniger oͤrtliche Vertheidigung verbunden wird, wie
das bei der Vertheidigung der Fall iſt, ſo hoͤrt jene Ver-
wendung der uͤberſchießenden Frontetheile auf; ſie iſt ent-
weder gar nicht oder ſchwer mit der Überfluͤgelung zu ver-
einigen.
410. Um dieſe Schwierigkeit richtig zu ſchaͤtzen muß
man immer an die Geſtalt der wirklichen Faͤlle denken,
wo die natuͤrlichen Deckungsmittel des Bodens die Maaß-
regeln des Feindes ſo ſchwer uͤberſehen laſſen und alſo ein
Scheingefecht die zu einer oͤrtlichen Vertheidigung ange-
wieſenen Streitkraͤfte ſo leicht taͤuſchen und in Unthaͤtig-
keit erhalten kann.
411. Hieraus folgt daß man es in der Vertheidi-
gung als einen ſehr entſchiedenen Nachtheil anſehen muß
wenn man eine groͤßere Fronte hat als diejenige iſt
welche der Angreifende nothwendig zur Entwickelung ſei-
ner Kraͤfte braucht.
412. Wie groß die Fronte des Angreifenden noth-
wendig werden muß ſoll uns ſpaͤter beſchaͤftigen; hier ha-
ben wir nur zu ſagen daß wenn der Angreifende eine zu
kleine
[353]kleine Fronte annimmt, der Vertheidiger ihn dafuͤr nicht
dadurch beſtraft daß er ſeine eigene Fronte von vorn her-
ein groͤßer beſtimmte, ſondern durch offenſive umfaſ-
ſende Gegenmaaßregeln.
413. Es iſt alſo gewiß daß der Vertheidiger, um
in keinem Falle in den Nachtheil einer zu großen Fronte
zu gerathen, die kleinſte nehmen wird die ihm die Um-
ſtaͤnde geſtatten, denn dadurch bekommt er mehr Kraͤfte
zum Zuruͤckſtellen; dieſe koͤnnen aber nie in den Fall kom-
men muͤßig zu bleiben, wie die Theile einer zu großen
Fronte.
414. So lange der Vertheidiger ſich mit der klein-
ſten Fronte begnuͤgt und die groͤßte Tiefe ſucht, d. h. der
natuͤrlichen Tendenz ſeiner Gefechtsform folgt, ſo lange hat
der Angreifende die entgegengeſetzte Tendenz: die Fronte-
ausdehnung ſo groß als moͤglich zu machen, d. h. den
Gegner ſo weit als moͤglich zu umfaſſen.
415. Aber dies iſt nur eine Tendenz und kein
Geſetz, denn wir haben geſehen daß die Vortheile dieſes
Umfaſſens abnehmen mit der Groͤße der Fronten und alſo
auf gewiſſen Punkten dem Vortheil ſucceſſiver Kraftver-
wendung nicht mehr das Gleichgewicht halten koͤnnen. Die-
ſem Geſetze iſt der Angreifende wie der Vertheidiger un-
terworfen.
416. Hier ſind nun zwei verſchiedene Fronteausdeh-
nungen zu unterſcheiden: die welche der Vertheidiger durch
ſeine genommene Aufſtellung und die welche der Angrei-
fende durch ſeine Überfluͤgelung beſtimmt.
417. Iſt die erſte ſchon ſo groß daß alle Vortheile
der Überfluͤgelung verſchwinden oder unkraͤftig werden, ſo
muß dieſe wegfallen; der Angreifende muß dann den
III 23
[354] Vortheil auf einem andern Wege ſuchen, wie wir gleich
ſehen werden.
418. Iſt aber die erſte Fronte ſo klein wie ſie nur
irgend ſein konnte, hat mithin der Angreifende ein Recht
durch Überfluͤgelung und Umfaſſung nach Vortheilen zu
ſtreben, ſo muß doch die Grenze dieſes Umfaſſens wieder
beſtimmt werden.
419. Dieſe beſtimmt ſich durch die in einem uͤber-
triebenen Umfaſſen liegenden (Nr. 356 bis 365 genannten)
Nachtheile.
420. Jene Nachtheile entſtehen wenn das Umfaſſen
trotz einer zu großen feindlichen Fronteausdehnung geſucht
wird; ſie entſtehen aber noch viel ſtaͤrker wenn die Über-
treibung in einem zu weiten Umfaſſen einer kurzen Linie
liegt, wie der Augenſchein lehrt.
421. Stellen ſich dem Angreifenden dieſe Nachtheile
entgegen, ſo muͤſſen die Vortheile ſucceſſiver Kraftverwen-
dung, die der Gegner durch ſeine kurze Fronte erhaͤlt, um
ſo mehr Gewicht bekommen.
422. Nun ſcheint es zwar daß Der welcher die kurze
Fronte und tiefe Aufſtellung nimmt dadurch nicht in dem
einſeitigen Genuſſe der ſucceſſiven Kraftanwendung bleibt;
denn wenn der Gegner eine eben ſo kleine Fronte nimmt
und ihn alſo nicht umfaßt, ſo haben beide den Genuß der
ſucceſſiven Kraftverwendung in gleichem Grade; wenn der
Gegner ihn aber umfaßt, ſo muß er ihm uͤberall eine
Fronte entgegenſtellen, alſo (mit Ausnahme des geringen
hier nicht zu beruͤckſichtigenden Unterſchiedes beider konzen-
triſchen Kreisſtaͤrken) in eben ſo großer Fronte fechten.
Aber es kommen hier vier Gegenſtaͤnde zur Betrachtung.
423. Erſtlich bleibt es, wenn auch der Gegner ſeine
Fronte eben ſo ſehr verkuͤrzt, immer ein Vortheil des
[355] Vertheidigers daß das Gefecht aus der Region der aus-
gedehnten und ſchnell entſchiedenen in die der konzentrirten
dauernden uͤbergeht; denn die Dauer des Gefechts iſt das
Intereſſe des Vertheidigers.
424. Zweitens iſt der Vertheidiger wenn er vom
Gegner umfaßt wird nicht immer gezwungen die umfaſſen-
den Glieder in paralleler Fronte zu bekaͤmpfen, ſondern
er kann ſie in der Flanke und in dem Ruͤcken angreifen,
wozu die geometriſchen Verhaͤltniſſe gerade die beſte Gele-
genheit geben; dies iſt aber ſchon ein ſucceſſiver Gebrauch
der Streitkraͤfte, denn dieſer bedingt ja nicht nothwendig
daß die ſpaͤteren gerade ſo verwendet werden wie die fruͤ-
heren oder daß die ſpaͤteren uͤberhaupt in die Stelle von
fruͤheren treten, wie wir gleich naͤher angeben werden.
Ohne das Zuruͤckſtellen von Streitkraͤften waͤre ein ſolches
Umfaſſen des Umfaſſenden nicht thunlich.
425. Drittens laͤßt die kurze Fronte mit viel zuruͤck-
geſtellten Kraͤften die Moͤglichkeit eines uͤbertriebenen Um-
faſſens von Seiten des Angreifenden zu (Nr. 420), wo-
von dann eben vermittelſt der zuruͤckgeſtellten Kraͤfte Nutzen
gezogen werden kann.
426. Viertens endlich muß es als ein Vortheil be-
trachtet werden daß der Vertheidiger dadurch vor dem
entgegengeſetzten Fehler einer Kraftverſchwendung durch un-
angegriffene Frontetheile geſichert iſt.
427. Dies ſind die Vortheile der tiefen Aufſtellung,
d. h. der ſucceſſiven Kraftverwendung. Sie halten der
Ausdehnung nicht bloß beim Vertheidiger auf einem ge-
wiſſen Punkte das Gleichgewicht, ſondern auch dem An-
greifenden, d. h. ſie veranlaſſen ihn eine gewiſſe Grenze des
Umfaſſens nicht zu uͤberſchreiten; die Tendenz zur Ausdeh-
nung bis zu dieſer Grenze hin koͤnnen ſie nicht aufheben.
23*
[356]
428. Dieſe Tendenz aber wird geſchwaͤcht oder ganz
aufgehoben wenn der Vertheidiger ſich zu ſehr ausge-
dehnt hat.
429. Zwar kann der Vertheidiger unter dieſen Um-
ſtaͤnden, da es ihm an zuruͤckgeſtellten Maſſen fehlt, den
Angreifenden fuͤr ſeine eigne große Ausdehnung beim Um-
faſſen nicht beſtrafen, aber die Vortheile des Umfaſſens
werden eo ipso zu gering.
430. Der Angreifende wird alſo die Vortheile des
Umfaſſens nun nicht mehr ſuchen, wenn er nicht ſeiner
Verhaͤltniſſe wegen einen ſehr großen Werth auf das Ab-
ſchneiden legen muß. Auf dieſe Weiſe iſt alſo die Ten-
denz zum Umfaſſen geſchwaͤcht.
431. Sie wird aber ganz aufgehoben wenn der Ver-
theidiger eine ſo große Fronte genommen hat daß der An-
greifende einen großen Theil derſelben muͤßig laſſen kann,
denn dies iſt ihm ein hoͤchſt wirkſamer Gewinn.
432. In ſolchen Faͤllen kommt alſo der Angreifende
dazu ſeine Vortheile gar nicht mehr in der Ausdehnung
und dem Umfaſſen, ſondern auf der entgegengeſetzten Seite,
naͤmlich in der Konzentrirung ſeiner Kraͤfte gegen einen
Punkt zu ſuchen. Daß aber dies mit einer tieferen Auf-
ſtellung gleichbedeutend iſt lehrt der Augenſchein.
433. Wie weit der Angreifende die Verkleinerung
ſeiner Fronte treiben darf haͤngt ab
- a) von der Groͤße der Maſſen;
- b) von der Groͤße der feindlichen Fronte;
- c) von ſeiner Bereitſchaft zur Gegenoffenſive.
434. Bei kleinen Maſſen kann man keinen Theil
der feindlichen Fronte mit Vortheil unbeſchaͤftigt laſſen;
denn dieſe Theile koͤnnen, da Alles uͤberſehen wird und die
[357] Raͤume nur klein ſind, auf der Stelle zu anderer Wirk-
ſamkeit gebracht werden.
435. Hieraus folgt eo ipso daß auch bei großen
Maſſen und Fronten die angegriffene Fronte nicht zu klein
ſein darf, weil ſonſt der eben beruͤhrte Nachtheil wenig-
ſtens theilweiſe daraus entſtehen wuͤrde.
436. Im Allgemeinen aber iſt es in der Natur der
Sache daß der Angreifende, wenn er ſeinen Vortheil im
Konzentriren der Kraͤfte ſuchen darf, weil ihn die uͤber-
maͤßige Fronte des Vertheidigers oder deſſen Paſſivitaͤt
dazu berechtigt, in der Verkuͤrzung ſeiner Fronte weiter
gehen darf als der Vertheidiger, weil ſein Gegner nicht
ſo auf die offenſive Gegenwirkung des Umfaſſens einge-
richtet iſt.
437. Je groͤßer die Fronte des Vertheidigers iſt um
ſo mehr Theile kann er davon unbeſchaͤftigt laſſen.
438. Eben ſo je ſtaͤrker die Abſicht oͤrtlicher Ver-
theidigung ausgeſprochen iſt.
439. Endlich je groͤßer uͤberhaupt die Maſſen ſind.
440. Am meiſten Vortheil wird alſo der Angreifende
im Vereinigen ſeiner Kraͤfte finden wenn ſich alle dieſe
guͤnſtigen Umſtaͤnde vereinigen, naͤmlich große Maſſen, zu
lange Fronte und viel oͤrtliche Vertheidigung des Gegners.
441. Bei der Raumbeſtimmung kann dieſer Gegen-
ſtand erſt ſeine volle Erledigung finden.
442. Den Nutzen ſucceſſiver Kraftverwendung haben
wir bereits (Nr. 291 u. ff.) gezeigt. Wir haben hier
nur noch darauf aufmerkſam zu machen daß die Ur-
ſachen welche ihn bedingen nicht bloß auf die Erneuerung
deſſelben Gefechts mit friſchen Truppen fuͤhren, ſon-
dern auch jede ſpaͤtere Anwendung der Streitkraͤfte in
ſich ſchließen.
[358]
443. In dieſem ſpaͤtern Gebrauch liegt ein Haupt-
vortheil, wie ſich in der Folge zeigen wird.
444. Durch alle dieſe Entwickelungen ſehen wir wie
ſich der Indifferenzpunkt zwiſchen dem gleichzeitigen und
ſucceſſiven Kraftgebrauch anders ſtellt nach der Groͤße
der Theile, nach dem Verhaͤltniß der Macht, nach
Lage und Abſicht, nach Kuͤhnheit und Vorſicht.
445. Daß Gegend und Boden ebenfalls einen großen
Einfluß darauf haben verſteht ſich von ſelbſt und wird hier,
wo wir von aller Anwendung abſtrahiren, bloß beruͤhrt.
446. Bei ſo vielfaͤltigen Beziehungen und zuſammen-
geſetzten Verhaͤltniſſen koͤnnen keine abſolute Zahlen als
Normalgroͤßen feſtgeſtellt werden, aber es muß doch irgend
eine Einheit geben welche zum feſten Punkte fuͤr dieſe zu-
ſammengeſetzten wandelbaren Verhaͤltniſſe dient.
447. Solcher Anhaltpunkte giebt es nun zwei, naͤm-
lich nach beiden Seiten hin einen. Der erſte iſt daß
eine gewiſſe Tiefe als eine ſolche angeſehen wird deren
Kraͤfte gleichzeitig wirken. Zum Beſten der Ausdehnung
eine geringere anzunehmen muß alſo nur wie ein nothwen-
diges Übel betrachtet werden. Dies beſtimmt alſo die
nothwendige Tiefe. Der zweite iſt die Sicherheit der
Reſerve, wovon wir ſchon geſprochen haben. Dies be-
ſtimmt die nothwendige Ausdehnung.
448. Die eben erwaͤhnte nothwendige Tiefe liegt
allen ſtehenden Formationen zum Grunde, und wir werden
erſt in der Folge, wenn wir in das Einzelne der Waffen-
ordnung gehen, dies Reſultat feſtſtellen koͤnnen.
449. Ehe wir aber mit Antizipirung dieſes Reſul-
tats unſere allgemeine Betrachtung zu einem Schlußreſul-
tate bringen koͤnnen, muͤſſen wir noch die Raumbeſtimmung
entwickeln, weil dieſe gleichfalls Einfluß darauf hat.
[359]
Raumbeſtimmung.
450. Die Raumbeſtimmung beantwortet die Frage
wo gefochten werden ſoll, ſowohl fuͤr das Ganze als
die Theile.
451. Der Ort des Gefechts fuͤr das Ganze iſt eine
ſtrategiſche Beſtimmung die uns hier Nichts angeht. Wir
haben es hier nur mit der Konſtruktion des Gefechts zu
thun und muͤſſen alſo vorausſetzen daß beide Theile an
einander kommen; alſo wird der allgemeine Ort des Ge-
fechts entweder der ſein wo die feindliche Armee iſt (beim
Angriff), oder der wo wir ſie erwarten duͤrfen (bei
der Vertheidigung).
452. Was die Raumbeſtimmung fuͤr die Glieder
des Ganzen betrifft, ſo iſt darin die geometriſche Figur
enthalten welche die gegenſeitigen Streitkraͤfte im Gefechte
einnehmen ſollen.
453. Wir abſtrahiren hier von den in der ſtehenden
Formation enthaltenen Formen, welche wir ſpaͤter betrach-
ten wollen.
454. Die geometriſche Geſtalt des Ganzen kann auf
zwei zuruͤckgefuͤhrt werden: die geradlinige und die kon-
zentriſcher Kreiſe. Auf Eins von Beidem laͤuft alles An-
dere hinaus.
455. Was naͤmlich wirklich mit einander im Gefecht
gedacht werden ſoll muß in parallelen Grundlinien gedacht
werden. Wenn alſo eine Armee ſenkrecht auf die Grund-
linie der andern aufmarſchirt iſt, ſo muß dieſe entweder
ihre Fronte ganz veraͤndern und ſich parallel mit jener
ſtellen, oder ſie muß es wenigſtens mit einem Theile thun.
Unſere Armee aber muß den Theil gegen welchen kein
Theil der feindlichen herumgeſchwenkt iſt ſelbſt herum-
[360] ſchwenken, wenn ſie zur Wirkſamkeit kommen will; ſo
entſteht alſo eine Aufſtellung in konzentriſchen Kreis- oder
Polygonſtuͤcken.
456. Die gradlinige Form iſt offenbar als indiffe-
rent zu betrachten, denn die Verhaͤltniſſe ſind von beiden
Theilen ganz gleich.
457. Aber man kann nicht ſagen, wie es auf den
Blick ſcheint, daß die gradlinige Form nur aus dem gra-
den und parallelen Angriff entſpringt, ſie kann auch ent-
ſtehen wenn der Vertheidiger ſich einem ſchiefen Angriff
parallel entgegengeſtellt hat. In dieſem Falle werden die
uͤbrigen Umſtaͤnde freilich nicht immer gleich ſein, denn
oft wird die neue Stellung nicht gut, oft wird ſie nicht
ganz vollendet ſein u. ſ. w. Wir antizipiren dies hier nur
um einer Verwechslung der Begriffe vorzubeugen. Die
Indifferenz welche wir in dieſem Falle ſehen, liegt nur in
der Form der Aufſtellung.
458. Welcher Natur die Form in konzentriſchen
Kreisſtuͤcken (oder Polygonſtuͤcken, welches uns hier immer
daſſelbe iſt) ſei, haben wir bereits oben ausfuͤhrlich ent-
wickelt, es iſt die umfaſſende und die umfaßte Form, es
bleibt uns daruͤber gar Nichts zu ſagen uͤbrig.
459. Die Raumbeſtimmung fuͤr die Theile wuͤrde
durch die geometriſche Form der Grundlinien erſchoͤpft ſein,
wenn uͤberall den feindlichen Streitkraͤften eigene entgegen-
geſetzt werden muͤßten, dies iſt aber nicht nothwendig und
es entſteht jedesmal die Frage: ſollen alle Theile der
feindlichen Streitkraͤfte bekaͤmpft werden oder
nicht? und im letztern Falle welche?
460. Koͤnnen wir einen Theil der feindlichen Streit-
kraͤfte unbekaͤmpft laſſen, ſo werden wir dadurch ſtaͤrker
gegen die andern, entweder im gleichzeitigen oder ſucceſſi-
[361] ven Gebrauch der Streitkraͤfte. Ein Theil der feindli-
chen Macht wird dann durch unſere ganze bekaͤmpft.
461. Auf dieſe Weiſe werden wir alſo auf den
Punkten wo wir unſere Macht brauchen entweder der
feindlichen uͤberlegen oder wenigſtens ſtaͤrker als es das
allgemeine Machtverhaͤltniß mit ſich bringt.
462. Dieſe Punkte aber koͤnnen bei der Voraus-
ſetzung daß wir die uͤbrigen unbekaͤmpft laſſen duͤrfen,
fuͤr das Ganze genommen werden; es entſteht alſo eine
kuͤnſtliche Steigerung unſerer Macht durch eine groͤßere
Vereinigung derſelben im Raume.
463. Daß dieſes Mittel ein hoͤchſt wichtiges Ele-
ment aller Gefechtsplane iſt leuchtet von ſelbſt ein, es iſt
das am meiſten gebrauchte.
464. Es kommt alſo darauf an dieſen Gegenſtand
naͤher zu betrachten, um die Theile der feindlichen Macht
zu beſtimmen welche in dieſem Sinne fuͤr das Ganze ge-
nommen werden koͤnnen.
465. Wir haben in Nr. 4. die Motive angegeben
welche den Ruͤckzug eines Fechtenden beſtimmen. Es iſt
klar daß ſich die Thatſachen aus welchen dieſe Motive
entſpringen, entweder auf die ganzen Streitkraͤfte oder
wenigſtens auf einen ſo weſentlichen Theil derſelben be-
ziehen daß dieſer mehr gilt als alle uͤbrigen, alſo uͤber
dieſe mitbeſtimmt.
466. Daß ſich dieſe Thatſachen auf die ganze Streit-
kraft beziehen, kann bei kleinen Maſſen ſehr gut gedacht
werden, aber bei groͤßern Maſſen nicht. Hier beziehen
ſich war auch die unter d f g angegebenen Motive auf
das Ganze, aber die uͤbrigen, beſonders der Verluſt, be-
ziehen ſich immer nur auf gewiſſe Theile, denn bei groͤßern
[362] Maſſen iſt es hoͤchſt unwahrſcheinlich daß alle Theile auf
gleiche Weiſe affizirt werden.
467. Die Theile nun deren Zuſtand die Urſache des
Ruͤckzugs wird, muͤſſen natuͤrlich bedeutende Theile des
Ganzen ſein; wir wollen ſie der Kuͤrze wegen die uͤber-
wundenen nennen.
468. Dieſe uͤberwundenen Theile koͤnnen entweder
bei einander liegen oder in der ganzen Streitkraft mehr
oder weniger gleichmaͤßig vertheilt ſein.
469. Es iſt kein Grund vorhanden ſich das Eine
wirkſamer als das Andere zu denken. Iſt von einer Ar-
mee ein Korps vollkommen geſchlagen, alles Übrige aber
intakt, ſo kann das in dieſem Falle ſchlimmer, in jenem
beſſer ſein als wenn dieſe Verluſte auf die ganze Maſſe
gleichfoͤrmig vertheilt waͤren.
470. Aber der zweite Fall ſetzt eine gleichmaͤßige
Anwendung der entgegenſtehenden Kraͤfte voraus; wir aber
beſchaͤftigen uns hier mit der Wirkung einer ungleich-
maͤßigen (auf einem oder einigen Punkten mehr vereinig-
ten) Anwendung der Kraͤfte; wir haben es alſo nur mit
dem erſten Falle zu thun.
471. Liegen die uͤberwundenen Theile bei einander,
ſo kann man ſie kollektiv als ein Ganzes betrachten und
ſo verſtehen wir es wenn wir von dem angegriffenen oder
beſiegten Theile oder Punkte ſprechen.
472. Kann man beſtimmen wie dieſer Theil beſchaf-
fen ſein muß um das Ganze zu beherrſchen und in ſeiner
Richtung mit fortzuziehen, ſo hat man dadurch auch be-
ſtimmt gegen welchen Theil des Ganzen die Kraͤfte ge-
richtet ſein muͤſſen die den eigentlichen Kampf kaͤmpfen
ſollen.
473. Wenn wir von allen Gegenſtaͤnden des Ter-
[363] rains abſehen, ſo haben wir den anzugreifenden Theil nur
nach Lage und Groͤße zu beſtimmen. Wir wollen zuerſt
die Groͤße in Betracht ziehen.
474. Es ſind zwei Faͤlle zu unterſcheiden: der erſte
wenn wir unſere Kraͤfte gegen einen Theil der feindli-
chen vereinigen und den uͤbrigen gar nichts entgegen-
ſtellen; der zweite wenn wir dem uͤbrigen Theil blos
geringere Kraͤfte entgegenſtellen um ihn zu beſchaͤftigen.
Beides iſt offenbar eine Vereinigung der Kraft im Raum.
475. Wie groß im erſtern Falle der Theil der feind-
lichen Streitkraft iſt den wir nothwendig bekaͤmpfen muͤſ-
ſen, iſt offenbar gleichbedeutend mit der Frage: wie klein
unſere Fronte ſein darf? Dieſen Gegenſtand aber
haben wir bereits in Nr. 433 seq. entwickelt.
476. Um den Gegenſtand im zweiten Falle naͤher ken-
nen zu lernen, wollen wir uns zuerſt denken daß der Gegner
eben ſo poſitiv und thaͤtig ſei als wir, woraus folgt daß
wenn wir mit einem groͤßern Theile unſers Ganzen einen
kleinern des ſeinigen ſchlagen, er daſſelbe thut.
477. Wollen wir alſo den Totalerfolg fuͤr uns ha-
ben, ſo muͤſſen wir es ſo einrichten daß der Theil der
feindlichen Macht den wir ſchlagen wollen, ein groͤßeres
Verhaͤltniß zu ſeinem Ganzen habe als der von unſerer
Macht Preis gegebene Theil zu unſerm Ganzen hat.
478. Wollen wir z. B. den Hauptkampf mit ¾ un-
ſerer Macht fuͤhren und ¼ zur Beſchaͤftigung der nicht an-
gegriffenen Theile verwenden, ſo muß der Theil der feind-
lichen Macht den wir ernſthaft bekaͤmpfen groͤßer ſein als
¼, alſo etwa ⅓. Treten in dieſem Falle die Erfolge in
entgegengeſetzten Richtungen ein, ſo ſchlagen wir mit ¾
unſerer Macht ⅓ der feindlichen; der Feind aber mit ⅔
[364] der ſeinigen ¼ der unſrigen, welches uns offenbar im Vor-
theil laͤßt.
479. Waͤren wir dem Feinde ſehr uͤberlegen, ſo
daß die ¾ unſerer Macht hinreichten uns uͤber ½ der ſeini-
gen einen gewiſſen Sieg zu verſprechen, ſo wuͤrde der To-
talerfolg noch entſcheidender fuͤr uns ſein.
480. Je uͤberlegener wir in der Zahl ſind, um ſo
groͤßer darf der Theil der feindlichen Macht ſein den wir
ernſtlich bekaͤmpfen und um ſo groͤßer wird dann der Er-
folg ſein. Je ſchwaͤcher wir ſind um ſo kleiner muß der
ernſthaft bekaͤmpfte Theil ſein, welches mit dem natuͤrli-
chen Geſetze daß der Schwache ſeine Kraͤfte mehr
konzentriren muß zuſammenfaͤllt.
481. Aber hierbei iſt ſchweigend vorausgeſetzt daß
der Feind ungefaͤhr eben ſo viel Zeit braucht unſern ſchwa-
chen Theil zu ſchlagen wie wir zur Vollbringung unſers
Sieges uͤber den ſeinigen noͤthig haben. Waͤre das nicht
ſondern es faͤnde ein ſehr merklicher Unterſchied Statt, ſo
wuͤrde er einen Theil der Truppen die er dort angewendet
hat noch gegen unſere Hauptmacht brauchen koͤnnen.
482. Nun iſt aber ein Sieg in der Regel um ſo
ſchneller erfochten je ungleicher die Macht iſt; es folgt alſo
daraus daß wir den Theil welchen wir aufopfern wollen
nicht willkuͤhrlich klein machen duͤrfen, ſondern daß er zu
der feindlichen Macht die er beſchaͤftigen ſoll ein ertraͤgli-
liches Verhaͤltniß behalten muß. Das Konzentriren hat
alſo beim Schwachen ſeine Grenzen.
483. Aber die Nr. 476 gemachte Vorausſetzung findet
aͤußerſt ſelten Anwendung. Gewoͤhnlich iſt ein Theil des
Vertheidigers oͤrtlich verwendet und dieſer nicht im Stande
das Vergeltungsrecht ſo ſchnell zu uͤben wie noͤthig waͤre,
woraus denn hervorgeht daß der Angreifende beim Kon-
[365] zentriren ſeiner Kraͤfte auch jenes Verhaͤltniß noch etwas
uͤberſchreiten darf und daß er z. B. noch immer einige
Wahrſcheinlichkeit des Geſammterfolges fuͤr ſich hat wenn
er mit ⅔ ſeiner Kraͤfte ⅓ der feindlichen ſchlaͤgt, weil das
von ihm uͤbrig gebliebene Drittheil ſchwerlich in eben
dem Maaße ins Gedraͤnge kommen wird.
484. Wollte man aber in dieſer Folgerung weiter
gehen und den Schluß machen daß wenn der Vertheidi-
ger gar nichts Poſitives gegen den ſchwaͤchern Theil des
Angreifenden thaͤte (ein Fall der ſo ſehr oft eintritt), dar-
aus immer der Sieg des Angreifenden folgen muͤßte, ſo
wuͤrde man einen Fehlſchluß thun; denn in den Faͤllen
wo der Angegriffene ſich nicht an dem ſchwaͤchern Theile
der feindlichen Macht zu entſchaͤdigen ſucht, unterbleibt
dies hauptſaͤchlich weil er noch Mittel findet einen Theil
ſeiner nicht angegriffenen Macht in das Gefecht gegen
unſere Hauptmacht zu bringen und alſo den Sieg derſel-
ben zweifelhaft zu machen.
485. Je kleiner der Theil der feindlichen Macht iſt
den wir angreifen um ſo eher wird das moͤglich ſein, theils
wegen des kleinen Raumes, theils und beſonders weil die
moraliſche Kraft des Sieges bei kleinen Maſſen ſo ſehr
viel geringer iſt; der Sieg uͤber einen kleinen Theil macht
den Feind nicht ſo leicht Kopf und Muth verlieren die
noch vorhandenen Mittel zur Wiederherſtellung anzuwenden.
486. Nur wenn der Feind ſich in den Fall geſetzt
hat weder das Eine noch das Andere thun zu koͤnnen,
d. h. ſich weder durch einen poſitiven Sieg uͤber unſern
ſchwaͤchern Theil zu entſchaͤdigen, noch ſich mit den dort
uͤberfluͤſſigen Kraͤften dem Hauptangriff entgegenzuſtellen,
oder wenn er aus Unentſchloſſenheit nicht dazu kommt, ſo
darf der Angreifende hoffen auch mit einer verhaͤltnißmaͤ-
[366] ßig ſehr kleinen Macht ihn durch das Mittel der Konzen-
trirung zu uͤberwinden.
487. Aber die Theorie darf nicht blos den Verthei-
diger als in dem Nachtheil befangen darſtellen, die Kon-
zentrirung der Kraͤfte des Gegners nicht gehoͤrig vergelten
zu koͤnnen, ſondern ſie muß auch darauf hinweiſen daß,
ohne Bezichung auf Angriff und Vertheidigung, einer
der beiden Theile es in der Regel ſein wird.
488. Es iſt naͤmlich die unverhaͤltnißmaͤßige Verei-
nigung von Kraͤften auf einem Punkte um dadurch auf
dieſem uͤberlegen zu werden, immer mit auf die Hoffnung
gebaut den Gegner damit zu uͤberraſchen, damit er we-
der Zeit hat auf dieſen Punkt eben ſo viel Kraͤfte hinzu-
bringen noch ſich auf eine Wiedervergeltung einzurichten.
Daß dieſe Überraſchung gelingen werde hat einen Grund
fuͤr ſich, naͤmlich den des fruͤhern Entſchluſſes d. i. der
Initiative.
489. Dieſer Vortheil der Initiative hat aber auch
wieder ſeinen Gegenſatz, wovon weiter unten gehandelt wer-
den ſoll; wir bemerken alſo hier blos daß er kein abſo-
luter Vortheil iſt, deſſen Wirkungen ſich in allen Faͤllen
zeigen muͤßten.
490. Aber wenn auch von dem Grunde des Gelin-
gens der Überraſchung, welcher in der Initiative liegt,
abgeſehen und kein objektiver Grund uͤbrig gelaſſen wird,
ſo daß das Gelingen nichts mehr fuͤr ſich hat als das
Gluͤck, ſo iſt das doch in der Theorie nicht verwerflich,
denn der Krieg iſt ein Spiel von dem das Wagen un-
moͤglich ausgeſchloſſen werden kann. Es bleibt alſo zulaͤſſig
da wo alle andere Motive fehlen, auf gut Gluͤck einen
Theil ſeiner Macht zu konzentriren in der Hoffnung da-
mit den Gegner zu uͤberraſchen.
[367]
491. Gelingt dieſe Überraſchung auf der einen oder
andern Seite, ſo wird daraus, es mag der Angreifende
oder der Vertheidiger ſein dem ſie gelingt, fuͤr den an-
dern Theil ein gewiſſes Unvermoͤgen folgen ſich durch
Wiedervergeltung zu entſchaͤdigen.
492. Bisher haben wir uns mit der Groͤße des zu
bekaͤmpfenden Theils oder Punktes beſchaͤftigt, jetzt kom-
men wir zur Lage deſſelben.
493. Sieht man von allem Terrain und andern
individuellen Umſtaͤnden ab, ſo koͤnnen wir nur die Fluͤ-
gel, die Flanken, den Ruͤcken und das Centrum unter-
ſcheiden als Punkte die ihre Eigenthuͤmlichkeiten haben.
494. Die Fluͤgel weil man dort die feindlichen Streit-
kraͤfte umfaſſen kann.
495. Die Flanken weil man hoffen darf dort auf
einem Terrain zu ſchlagen auf welchem der Feind nicht
eingerichtet iſt und ihm den Ruͤckzug zu erſchweren.
496. Den Ruͤcken eben ſo wie die Flanken, nur
daß das Erſchweren oder voͤllige Abſchneiden des Ruͤck-
zugs hier noch mehr vorherrſcht.
497. Bei Flanken und Ruͤcken aber wird nothwen-
dig vorausgeſetzt daß man den Feind zwingen koͤnne uns
dort Streitkraͤfte entgegenzuſtellen; wo man dieſer Wir-
kung unſers Erſcheinens nicht gewiß iſt, wuͤrde es gefaͤhr-
lich ſein, denn wo man keinen Feind zu bekaͤmpfen hat iſt
man muͤßig, und wo dies mit der Hauptmacht der Fall
waͤre wuͤrde man unzweifelhaft ſeinen Zweck verfehlen.
498. Ein ſolcher Fall daß der Gegner Flanken und
Ruͤcken Preis giebt, iſt nun zwar hoͤchſt ſelten, aber er
kommt doch vor und zwar am leichteſten wenn der Geg-
ner ſich durch offenſive Gegenunternehmungen ſchadlos haͤlt
(Wagram, Hohenlinden, Auſterlitz gehoͤren z. B. hierher).
[368]
499. Das Centrum, worunter wir nichts verſtehen
als einen Theil der Fronte der nicht Fluͤgel iſt, hat die
Eigenthuͤmlichkeit daß es zur Trennung der Theile fuͤhrt,
welches gewoͤhnlich das Sprengen genannt wird.
500. Das Sprengen ſteht offenbar dem Umſchließen
entgegen. Beide wirken im Fall des Sieges ſehr zerſtoͤ-
rend auf die feindlichen Kraͤfte, aber jedes anders und zwar:
- a) Das Umfaſſen traͤgt zur Sicherheit des Erfolges
durch ſeine moraliſche Wirkung bei indem es den
Muth des Gegners ſchwaͤcht. - b) Das Sprengen im Centro traͤgt zur Sicherheit des
Erfolges bei indem es unſere Kraͤfte mehr bei ein-
ander laͤßt. Beides iſt ſchon vorgekommen. - c) Das Umfaſſen kann unmittelbar zu einer Vernich-
tung der feindlichen Armee fuͤhren wenn es mit
ſehr uͤberlegenen Kraͤften ausgefuͤhrt wird und ge-
lingt. In jedem Falle iſt, wenn es zum Siege
fuͤhrt, der Erfolg der erſten Tage dabei groͤßer als
beim Sprengen. - d) Das Sprengen kann nur indirekt zur Vernichtung
der feindlichen Armee fuͤhren und zeigt ſeine Wir-
kungen nicht leicht ſchon am erſten Tage ſo groß,
ſondern mehr ſtrategiſch in den folgenden.
501. Aber das Sprengen der feindlichen Armee durch
Vereinigung unſerer Hauptkraͤfte gegen einen Punkt ſetzt
eine uͤbertriebene Frontelaͤnge beim Feinde voraus, denn es
iſt viel ſchwerer die uͤbrigen Streitkraͤfte des Feindes durch
geringere zu beſchaͤftigen, weil die dem Hauptangriff zu-
naͤchſt liegenden feindlichen Kraͤfte leicht zur Bekaͤmpfung
deſſelben verwendet werden koͤnnen. Nun liegen aber bei
einem Centralangriff dergleichen zu beiden Seiten, bei ei-
nem Fluͤgelangriff nur auf einer Seite
502.
[369]
502. Die Folge iſt daß ein ſolcher Centralangriff
in Gefahr iſt durch einen konzentriſchen Gegenangriff in
eine ſehr nachtheilige Gefechtsform zu gerathen.
503. Es wird alſo die Wahl unter dieſen Punkten
nach den beſtehenden Verhaͤltniſſen geſchehen. Laͤnge der
Fronte, Beſchaffenheit und Lage der Ruͤckzugslinie, Werth
der feindlichen Truppen und Eigenthuͤmlichkeit des Feld-
herrn, endlich das Terrain werden bei dieſer Wahl beſtim-
men. Wir werden dieſe Gegenſtaͤnde erſt in der Folge
naͤher betrachten.
504. Wir haben die Vereinigung der Hauptmacht
zum wirklichen Kampf auf einen Punkt betrachtet, ſie
kann aber allerdings auf mehreren Punkten, auf zweien,
ja auf dreien Statt finden ohne daß es aufhoͤrt eine
Kraftvereinigung gegen einen Theil feindlicher Macht
zu ſein. Nur wird freilich mit der Mehrzahl der Punkte
die Kraft des Prinzips geſchwaͤcht.
505. Bisher haben wir nur die objektiven Vortheile
einer ſolchen Kraftvereinigung im Auge gehabt, naͤmlich
ein beſſeres Kraftverhaͤltniß fuͤr den Hauptpunkt. Aber
es giebt auch einen ſubjektiven Grund fuͤr die Fuͤhrer oder
Feldherrn, naͤmlich den den Haupttheil ſeiner Macht
mehr in ſeiner Hand zu haben.
506. Wenn gleich in einer Schlacht der Wille des
Feldherrn und ſeine Intelligenz das Ganze leitet, ſo dringt
doch dieſer Wille und dieſe Intelligenz nur in einem ſehr
geſchwaͤchten Grade bis zu den untern Gliedern durch
und dies iſt um ſo mehr der Fall je entfernter ſich die
Truppen von dem Feldherrn befinden; die Wichtigkeit und
Selbſtſtaͤndigkeit der Unterbefehlshaber nimmt zu und dies
iſt auf Koſten des oberſten Willens.
III 24
[370]
507. Es iſt aber nicht nur natuͤrlich, ſondern, ſo
lange keine Anomalie Statt findet, auch vortheilhaft daß
der Befehlshaber die groͤßte Wirkſamkeit behalte die die
Umſtaͤnde nur geſtatten wollen.
Wechſelwirkung.
508. Hiermit haben wir Alles erſchoͤpft was ſich
uͤber die Verwendung der Streitkraͤfte im Gefecht, aus
ihrer Natur ſelbſt Allgemeines entwickeln laͤßt.
509. Nur einen Gegenſtand haben wir noch zu be-
trachten: es iſt die Wechſelwirkung der beiderſeitigen Plaͤne
und Handlungen.
510. Da der eigentliche Plan eines Gefechts nur
Das feſtſtellen kann was ſich in der Handlung vorherſehn
laͤßt, ſo iſt er meiſtens auf drei Dinge beſchraͤnkt:
- 1. Die großen Umriſſe.
- 2. Die Vorbereitungen.
- 3. Die Einzelnheiten des Anfangs.
511. Es iſt alſo nur der Anfang durch den Plan
wirklich ganz feſtgeſtellt, der Verlauf muß es werden durch
neue aus den Umſtaͤnden hervorgehende Beſtimmungen
und Befehle, d. i. durch die Fuͤhrung.
512. Es iſt klar daß es wuͤnſchenswerth waͤre die
Grundſaͤtze welche bei dem Plan befolgt werden auch bei
der Fuͤhrung zu befolgen, denn Zweck und Mittel bleiben
ja dieſelben; wenn es alſo nicht uͤberall geſchehen kann, ſo
iſt das nur als eine unvermeidliche Unvollkommenheit zu
betrachten.
513. Aber es iſt nicht zu verkennen daß das Han-
deln der Fuͤhrung ganz anderer Natur iſt als das des
Entwurfs. Dieſer wird außer der Region der Gefahr
[371] und mit voͤlliger Muße gemacht, jene liegt immer im
Drange des Augenblicks. Der Plan entſcheidet immer
von einem hoͤhern Standpunkt aus mit einem weitern
Geſichtskreiſe; die Fuͤhrung wird von dem naͤchſten und
individuellſten beſtimmt, oft mehr als beſtimmt, fort-
geriſſen. Wir wollen ſpaͤter von dem Unterſchiede in
dem Charakter dieſer beiden Thaͤtigkeiten der Intelligenz
reden, hier aber noch davon abſehen und uns damit be-
gnuͤgen ſie als verſchiedene Epochen von einander getrennt
zu haben.
514. Denkt man ſich beide Theile ſo daß keiner
etwas von den Anordnungen des Gegners kennt, ſo wird
jeder die ſeinigen nur nach den allgemeinen Grundſaͤtzen
der Theorie machen koͤnnen. Ein großer Theil davon liegt
in der Formation und der ſogenannten Elementartak-
tik der Heere, die natuͤrlich nur auf das Allgemeine ge-
gruͤndet iſt.
515. Es iſt aber offenbar daß eine Anordnung die
ſich nur auf das Allgemeine bezieht, nicht die Wirk-
ſamkeit einer ſolchen haben kann die auf individuelle Um-
ſtaͤnde gebaut iſt.
516. Folglich muß es ein ſehr großer Vortheil ſein
ſeine Anordnungen ſpaͤter als der Feind und mit Beruͤck-
ſichtigung der feindlichen zu treffen; es iſt die Hinterhand
des Spielers.
517. Selten oder nie wird ein Gefecht ohne Be-
ruͤckſichtigung individueller Umſtaͤnde angeordnet. Der
erſte deſſen Kenntniß niemals ganz fehlen kann iſt das
Terrain.
518. Die Kenntniß des Terrains wohnt vorzugs-
weiſe dem Vertheidiger bei, denn nur er weiß genau und
24*
[372]vorher in welcher Gegend das Gefecht ſein wird und
hat alſo Zeit dieſe Gegend gehoͤrig zu unterſuchen. Hier
ſchlaͤgt die ganze Theorie der Stellungen, inſofern ſie in
die Taktik gehoͤrt, Wurzel.
519. Auch der Angreifende lernt die Gegend kennen
noch ehe das Gefecht angeht, aber nur unvollkommen,
denn der Vertheidiger iſt im Beſitz und erlaubt ihm nicht
naͤher zu unterſuchen. Was er von Fern etwa erkennen
kann dient ihm zur naͤhern Beſtimmung ſeines Plans.
520. Will der Vertheidiger einen andern Gebrauch
von der Gegend machen als den der bloßen Kenntniß,
will er ſie zu lokaler Vertheidigung benutzen, ſo folgt dar-
aus mehr oder weniger eine beſtimmte, ins Einzelne
gehende Verwendung ſeiner Streitkraͤfte; dadurch
kommt der Gegner in den Fall ſie kennen zu lernen und
bei ſeinem Plane zu beruͤckſichtigen.
521. Dies iſt alſo die erſte Beruͤckſichtigung des
Gegners welche eintritt.
522. In den meiſten Faͤllen iſt dieſe Station als
diejenige zu betrachten wo die Plaͤne beider Theile ab-
ſchließen, was weiter geſchieht gehoͤrt ſchon zur Fuͤhrung.
523. In Gefechten wo keiner der beiden Theile als
eigentlicher Vertheidiger zu betrachten iſt, wo beide einan-
der entgegenkommen, vertreten Formation, Schlachtordnung
und Elementartaktik, als ſtereotype Dispoſition, etwas mo-
difizirt durch das Terrain, die Stelle eines eigentlichen
Plans.
524. Bei kleinen Ganzen kommt dies ſehr haͤufig
vor, bei großen Ganzen ſehr ſelten.
525. Iſt aber die Handlung in Angriff und Verthei-
digung getheilt, ſo befindet ſich auf der Nr. 522 genannten
[373] Station der Angreifende, was die Wechſelwirkung betrifft,
offenbar im Vortheil. Zwar hat er die Initiative des
Handelns ergriffen, aber der Gegner hat durch ſeine Ver-
theidigungsanſtalten einen großen Theil deſſen was er thun
will kund geben muͤſſen.
526. Es iſt aus dieſem Grunde daß in der Theo-
rie bisher der Angriff als eine uͤberwiegend vortheilhafte
Form des Gefechtes betrachtet worden iſt.
527. Den Angriff als die vortheilhaftere oder mit
einem beſtimmteren Ausdruck als die ſtaͤrkere Form des
Gefechts betrachten, fuͤhrt zu einem Abſurdum, wie wir
in der Folge zeigen werden. Dies hat man uͤberſehen.
528. Der Fehler des Schluſſes liegt in der Über-
ſchaͤtzung des Nr. 525 genannten Vortheils. Er iſt wichtig
in Beziehung auf die Wechſelwirkung, aber dieſe iſt nicht
Alles. Der Vortheil ſich des Terrains als einer Huͤlfs-
macht zu bedienen und damit ſeine Streitkraͤfte gewiſſer-
maßen zu multipliziren iſt in ſehr vielen Faͤllen von groͤ-
ßerer Bedeutung und koͤnnte es mit gehoͤrigen Anordnun-
gen in den meiſten ſein.
529. Aber ein falſcher Gebrauch des Terrains (ſehr
ausgedehnte Stellungen) und ein falſches Syſtem der Ver-
theidigung (bloße Paſſivitaͤt) haben allerdings jenem Vor-
theil des Angreifenden, mit ſeinen Maaßregeln des
Plans in der Hinterhand zu bleiben, eine ſolche
Wichtigkeit gegeben daß der Angriff dieſem Punkt allein
faſt die ganze Wirkſamkeit zu danken hat die er in der
Praxis uͤber ſein natuͤrliches Maaß hinaus zeigt.
530. Aber die Einwirkung der Intelligenz hoͤrt mit
dem eigentlichen Plan nicht auf und wir muͤſſen das Ver-
[374] haͤltniß der Wechſelwirkung durch das Gebiet der Fuͤh-
rung verfolgen.
531. Das Gebiet der Fuͤhrung iſt der Verlauf
oder die Dauer des Gefechts; dieſe iſt aber um ſo groͤ-
ßer je mehr ſucceſſive Kraftverwendung Statt findet.
532. Wo man alſo auf die Fuͤhrung viel rechnen
will bedingt dies eine große Tiefe der Aufſtellung.
533. Es entſteht zuerſt die Frage ob es beſſer iſt
mehr dem Plane oder mehr der Fuͤhrung anzuvertrauen?
534. Es waͤre offenbar widerſinnig irgend ein vor-
handenes Datum abſichtlich unberuͤckſichtigt zu laſſen und
wenn es fuͤr die beabſichtigte Handlung irgend einen Werth
hat, dieſen nicht mit in die Überlegung aufzunehmen.
Hiermit aber iſt nichts Anderes geſagt als daß man den
Plan in die Handlung ſo weit hineingreifen laſſen wird
als Data vorhanden ſind und daß das Feld der Fuͤhrung
nur da anfangen wird wo der Plan nicht mehr hinrei-
chen kann. Die Fuͤhrung iſt alſo nur eine Stellvertretung
des Plans und inſofern wie ein nothwendiges Übel
zu betrachten.
535. Aber wohlverſtanden: es iſt nur vom moti-
virten Plane die Rede. Alle Beſtimmungen die eine in-
dividuelle Tendenz haben, muͤſſen nicht auf willkuͤrliche
Vorausſetzungen, ſondern auf Data gebaut ſein.
536. Wo alſo die Data aufhoͤren muͤſſen auch die
Beſtimmungen des Plans aufhoͤren. Denn es iſt offenbar
beſſer daß Etwas unbeſtimmt, d. h. unter die Obhut
allgemeiner Grundſaͤtze geſtellt bleibe, als daß es auf eine
Weiſe beſtimmt werde die nicht zu den Umſtaͤnden paßt
die ſich hinterher ergeben.
537. Jeder Plan der im Verlauf des Gefechts zu
[375] viel Detail beſtimmt, muß dadurch fehlerhaft und verderb-
lich ſein, denn das Detail haͤngt nicht blos von allgemei-
nen Gruͤnden, ſondern wieder von Einzelheiten ab die un-
moͤglich vorher gekannt ſein koͤnnen.
538. Wenn man uͤberlegt daß die Einwirkung einzel-
ner Umſtaͤnde (zufaͤlliger und anderer) zunimmt mit Zeit und
Raum, ſo ſieht man daß hier der Grund liegt warum
ſehr weit umfaſſende und kombinirte Bewegungen ſelten
gelingen und haͤufig verderblich werden.
539. Überhaupt liegt hier der Grund der Verderb-
lichkeit aller ſehr zuſammengeſetzten und kuͤnſtlichen Ge-
fechtsplane. Sie ſind ſaͤmmtlich, oft unbewußt, auf eine
Maſſe von kleinen Vorausſetzungen gegruͤndet von denen
ein großer Theil nicht zutrifft.
540. Statt einer ungebuͤhrlichen Ausdehnung des
Plans iſt es alſo beſſer mehr der Fuͤhrung zu uͤberlaſſen.
541. Dies ſetzt aber (nach 532) eine tiefe Aufſtel-
lung d. h. große Reſerven voraus.
542. Wir haben (525) geſehen daß der Angriff,
was die Wechſelwirkung betrifft, mit ſeinem Plane wei-
ter reicht.
543. Dagegen hat der Vertheidiger durch das Ter-
rain eine Menge von Veranlaſſungen den Gang ſeines
Gefechts im Voraus zu beſtimmen, d. h. mit ſeinem Plane
weit in daſſelbe hineinzugreifen.
544. Bliebe man auf dieſem Standpunkt ſtehen, ſo
wuͤrde man ſagen daß die [Plaͤne] des Vertheidigers viel
durchgreifender ſind als die des Angreifenden, daß die-
ſer viel mehr der Fuͤhrung uͤberlaſſen muß.
545. Aber dieſer Vorzug des Vertheidigers iſt nur
ſcheinbar, nicht wirklich vorhanden. Wir duͤrfen naͤmlich
[376] nicht vergeſſen daß die Anordnungen die ſich auf das Ter-
rain beziehen, bloß Vorbereitungen ſind die ſich auf
Vorausſetzungen, nicht auf wirkliche Maaßregeln des Geg-
ners gruͤnden.
546. Nur weil dieſe Vorausſetzungen gewoͤhnlich
ſehr wahrſcheinlich ſind, und inſofern ſie das ſind, ha-
ben ſie und die auf ſie gegruͤndeten Anordnungen Werth.
547. Dieſe Bedingung aber, die fuͤr den Verthei-
diger in ſeinen Vorausſetzungen und darauf gebauten An-
ordnungen gemacht wird, beſchraͤnkt ſie natuͤrlich ſehr und
noͤthigt ihn mit ſeinen Anordnungen und [Plaͤnen] vorſichtig
zu ſein.
548. Iſt er damit zu weit gegangen, ſo kann der
Angreifende ſich ihnen entziehen und dann entſteht auf der
Stelle eine todte Kraft, d. h. eine Kraftverſchwendung.
549. Hierher gehoͤren die zu ausgedehnten Stellun-
gen und zu haͤufig angewandte Lokalvertheidigung.
550. Gerade dieſe beiden Fehler haben oft den Nach-
theil gezeigt welcher aus einer uͤbertriebenen Ausdehnung
des Plans bei dem Vertheidiger entſteht und den Vortheil
welchen der Angreifende aus der naturgemaͤßen Ausdeh-
nung des ſeinigen ziehen kann.
551. Nur ſehr ſtarke Stellungen, die es aber
auch unter allen Geſichtspunkten ſind, geben dem
Plane des Vertheidigers ein groͤßeres Gebiet als der Plan
des Angreifenden haben kann.
552. In dem Maaße aber als die Stellung weni-
ger ausgezeichnet gut iſt, oder gar nicht vorhanden, oder
daß Zeit fehlt ſich gehoͤrig darin einzurichten, in dem
Maaße wird der Vertheidiger mit den Beſtimmungen ſei-
[377] nes Plans hinter dem Angreifenden zuruͤckbleiben und ſich
mehr auf die Fuͤhrung verlaſſen muͤſſen.
553. Dies Reſultat fuͤhrt alſo wieder dahin daß
der Vertheidiger vorzugsweiſe die ſucceſſive Kraftverwen-
dung ſuchen muß.
554. Aber wir haben fruͤher geſehen daß nur die
großen Maſſen den Vortheil kurzer Fronten haben koͤn-
nen, und wir muͤſſen alſo jetzt ſagen daß der Vertheidi-
ger ſich um ſo eher aus der Gefahr einer uͤbermaͤßi-
gen durch das Terrain veranlaßten Ausdehnung
ſeines Plans, einer verderblichen Kraftverſplit-
terung retten muß zu den Huͤlfsquellen die in der Fuͤh-
rung, d. i. in den ſtarken Reſerven liegen.
555. Hieraus entſteht offenbar die Folgerung daß
das Verhaͤltniß der Vertheidigung zum Angriff um ſo
guͤnſtiger wird je groͤßer die Maſſen werden.
556. Dauer des Gefechts, d. i. ſtarke Reſerven
und moͤglichſt ſucceſſive Verwendung derſelben,
iſt alſo die erſte Bedingung fuͤr die Fuͤhrung, und die
Überlegenheit in dieſen Dingen muß alſo auch eine Über-
legenheit in der Fuͤhrung mit ſich bringen, abgeſehen von
aller Virtuoſitaͤt deſſen der ſie braucht, denn die hoͤchſte
Kunſt kann ohne Mittel nicht wirkſam werden, und man
kann ſich ſehr gut denken daß der minder Geſchickte, dem
aber noch mehr Mittel zu Gebote ſtehen, im Verlauf des
Gefechts das Übergewicht bekommt.
557. Nun giebt es noch eine zweite objektive Be-
dingung welche im Allgemeinen die Überlegenheit in der
Fuͤhrung giebt, und dieſe liegt ganz auf der Seite des
Vertheidigers: es iſt die Bekanntſchaft mit der Gegend.
Welchen Vortheil dieſe da geben muß wo es auf ſchnelle
[378] Entſchluͤſſe ankommt, die ohne Überſicht im Drange der
Umſtaͤnde genommen werden, iſt an ſich klar.
558. Es iſt in der Natur der Dinge daß die Be-
ſtimmungen des Plans mehr die Glieder hoͤherer Ord-
nung, die der Fuͤhrung mehr die der niedern treffen;
folglich wird jede einzelne der letztern von geringerer Be-
deutung ſein, aber natuͤrlich ſind ſie auch viel zahlreicher,
wodurch der Unterſchied in der Wichtigkeit zwiſchen Plan
und Fuͤhrung zum Theil ausgeglichen wird.
559. Ferner iſt es in der Natur der Sache daß in
der Fuͤhrung die Wechſelwirkung ihr eigentliches Feld hat,
daß ſie hier nie aufhoͤrt, weil beide Theile einander im
Angeſicht ſind, und folglich daß ſie den groͤßten Theil der
Beſtimmungen entweder veranlaßt oder modifizirt.
560. Iſt nun der Vertheidiger beſonders darauf hin-
gewieſen die Kraͤfte fuͤr die Fuͤhrung aufzuſparen (Nr. 553),
iſt er im Allgemeinen bei ihrem Gebrauche im Vortheil
(Nr. 557), ſo folgt daraus daß er den Nachtheil in wel-
chem er ſich bei der Wechſelwirkung der Plane befindet,
durch das Übergewicht in der Wechſelwirkung der Fuͤhrung
nicht nur wieder gut machen, ſondern auch ein Übergewicht
in der Wechſelwirkung uͤberhaupt wird erreichen koͤnnen.
561. Wie aber auch in dem einzelnen Falle das Ver-
haͤltniß in dieſer Beziehung zwiſchen beiden Theilen ſei, es
wird bis auf einen gewiſſen Grad das Beſtreben vorhan-
den ſein muͤſſen mit ſeinen Maaßregeln in die Hinter-
hand zu kommen um die des Gegners dabei beruͤckſichti-
gen zu koͤnnen.
562. Dies Beſtreben iſt der eigentliche Gedanke wel-
cher den ſo ſehr viel ſtaͤrkeren Reſerven zum Grunde liegt,
die in der neuern Zeit bei großen Maſſen gebraucht werden.
[379]
563. Wir tragen kein Bedenken bei allen bedeuten-
den Maſſen, naͤchſt dem Terrain, in dieſes Mittel das
vorzuͤglichſte Agens der Vertheidigung zu ſetzen.
Charakter der Führung.
564. Wir haben geſagt daß in dem Charakter der
Beſtimmungen die den Plan und die die Fuͤhrung eines
Gefechts geben ein Unterſchied iſt; die Urſache iſt weil die
Umſtaͤnde verſchieden ſind unter denen die Intelligenz wirkt.
565. Dieſe Verſchiedenheit der Umſtaͤnde beſteht in
drei Elementen: naͤmlich in dem Mangel an Daten, in
dem Mangel an Zeit und in der Gefahr.
566. Dinge die bei vollkommener Überſicht der Lage
und des großen Zuſammenhanges Hauptſachen werden,
koͤnnen es nicht mehr ſein wenn dieſe Überſicht fehlt; es
werden alſo andere und zwar, wie ſich von ſelbſt verſteht,
naͤher liegende Erſcheinungen vorherrſchend wichtig.
567. Iſt der Plan eines Gefechts alſo mehr eine
geometriſche, ſo iſt die Fuͤhrung mehr eine optiſche Zeich-
nung; jener mehr ein Grundriß, dieſe mehr eine perſpekti-
viſche Anſicht. Wie dieſer Fehler gut gemacht werden
muß werden wir in der Folge ſehen.
568. Außerdem daß Mangel an Zeit auf den Man-
gel an Überſicht wirkt, wirkt er auch auf die Überlegung.
Es kann weniger ein vergleichendes, abwaͤgendes, kritiſches
Urtheil als der bloße Takt wirkſam werden, d. i. ein
zur Übung gewordener Handgriff des Urtheils. Auch
das muͤſſen wir uns merken.
569. Daß das unmittelbare Gefuͤhl großer Gefahr
fuͤr ſich und Andere ſtoͤrend auf den bloßen Verſtand
wirkt iſt in der menſchlichen Natur.
[380]
570. Wenn alſo das Urtheil des Verſtandes auf
jede Weiſe beengt und geſchwaͤcht wird, wohin kann es
ſich fluͤchten? — Nur zum Muth.
571. Es iſt hier offenbar ein Muth doppelter Art
erforderlich. Muth um nicht von der perſoͤnlichen Gefahr
uͤberwaͤltigt zu werden, und Muth um auf Ungewiſſes
zu rechnen und ſein Handeln darauf einzurichten.
572. Das Zweite pflegt man Muth des Verſtandes
(courage d’ésprit) zu nennen; fuͤr das Erſte giebt es
keinen dem Geſetz der Antitheſe genuͤgenden Namen. Die
Urſache iſt weil jene Benennung ſelbſt nicht richtig iſt.
573. Fragen wir uns was in der urſpruͤnglichen
Bedeutung Muth genannt wird, ſo iſt es die perſoͤnliche
Aufopferung in der Gefahr, und von dieſem Punkte muͤſ-
ſen wir auch ausgehen, denn darauf ſtuͤtzt ſich zuletzt Alles.
574. Ein ſolches Gefuͤhl der Aufopferung kann zwei
ganz verſchiedenartige Quellen haben: erſtens Gleichguͤltig-
keit gegen die Gefahr, ſei es daß ſie aus dem Organis-
mus des Individuums oder aus Gleichguͤltigkeit gegen das
Leben oder aus Gewohnheit der Gefahr hervorgehe, und
zweitens poſitive Motive: Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Be-
geiſterung jeder Art.
575. Nur die erſte iſt als der echte angeborne oder
zur Natur gewordene Muth zu betrachten, und er hat
das Eigenthuͤmliche daß er mit dem Menſchen ganz iden-
tiſch iſt, alſo nie fehlt.
576. Anders iſt es mit dem Muth der aus poſiti-
ven Gefuͤhlen entſpringt. Dieſe ſtellen ſich den Eindruͤcken
der Gefahr entgegen, dabei kommt es natuͤrlich auf ihr
Verhaͤltniß zu denſelben an. Es giebt Faͤlle wo ſie viel
weiter fuͤhren als die bloße Gleichguͤltigkeit gegen die Ge-
[381] fahr, in andern werden ſie von dieſer uͤberholt. Dieſe
laͤßt das Urtheil nuͤchterner und fuͤhrt zur Standhaf-
tigkeit, jene machen unternehmender und fuͤhren zur
Kuͤhnheit.
577. Iſt mit ſolchen Anregungen Gleichguͤltigkeit ge-
gen die Gefahr verbunden, ſo entſteht der vollkommenſte
perſoͤnliche Muth.
578. Dieſer bisher betrachtete Muth iſt etwas ganz
Subjektives, er bezieht ſich bloß auf die perſoͤnliche Aufopfe-
rung und kann darum perſoͤnlicher Muth genannt werden.
579. Nun iſt aber natuͤrlich daß Jemand der auf
das Opfer ſeiner Perſon keinen großen Werth legt, auch
die Aufopferung der Andern die zufolge ſeiner Stellung
von ſeinem Willen abhaͤngig gemacht ſind, nicht hoch an-
ſchlaͤgt. Er betrachtet ſie als eine Waare uͤber die er in
eben dem Gefuͤhle ſchalten kann wie uͤber ſich ſelbſt.
580. Ebenſo wird Der welcher durch irgend ein po-
ſitives Gefuͤhl in die Gefahr hineingezogen wird, dieſes
Gefuͤhl den Andern entweder leihen oder ſich berechtigt
glauben dieſe Andern ſeinem Gefuͤhle unterzuordnen.
581. Auf beide Arten bekommt der Muth einen ob-
jektiven Wirkungskreis. Er wirkt nun nicht mehr bloß
auf die eigene Aufopferung, ſondern auf den Gebrauch der
ihm untergebenen Streitkraͤfte.
582. Schließt der Muth alle zu lebhaften Eindruͤcke
der Gefahr von der Seele aus, ſo wirkt er auf die Thaͤ-
tigkeiten des Verſtandes. Dieſe werden frei weil ſie nicht
mehr unter dem Druck der Beſorgniſſe ſtehen.
583. Aber freilich koͤnnen Verſtandeskraͤfte die nicht
vorhanden ſind dadurch nicht entſtehen und noch weniger
Einſichten.
[382]
584. Es kann alſo der Muth bei Mangel an Ver-
ſtand und Einſicht oft zu ſehr falſchen Schritten fuͤhren.
585. Ganz andern Urſprungs iſt der Muth welchen
man Muth des Verſtandes genannt hat. Er entſpringt
aus der Überzeugung von der Nothwendigkeit des Wagens,
oder auch von einer hoͤhern Einſicht welcher das Wagen
nicht ſo groß als den Übrigen erſcheint.
586. Dieſe Überzeugung kann auch in ſolchen Menſchen
entſtehen die keinen perſoͤnlichen Muth haben, aber ſie wird
erſt Muth, d. h. ſie wird erſt eine Kraft die den Menſchen
im Drange des Augenblicks und der Gefahr aufrecht und
im Gleichgewichte erhaͤlt, wenn ſie auf das Gemuͤth zu-
ruͤckwirkt, die edlern Kraͤfte deſſelben weckt und ſteigert,
und darum iſt der Ausdruck Muth des Verſtandes
nicht ganz richtig, denn aus dem Verſtande ſelbſt ent-
ſpringt er nie. Daß Gedanken Gefuͤhle hervorbringen
koͤnnen und daß dieſe Gefuͤhle durch fortdauernde Einwir-
kung des Denkvermoͤgens geſteigert werden koͤnnen, weiß
Jeder aus der Erfahrung.
587. Indem auf der einen Seite der perſoͤnliche
Muth die Verſtandeskraͤfte unterſtuͤtzt und dadurch erhoͤht,
auf der andern die Verſtandesuͤberzeugung die Gemuͤths-
kraͤfte weckt und belebt, naͤhern ſich beide einander und
koͤnnen zuſammen fallen, d. h. daſſelbe Reſultat in der
Fuͤhrung geben. Aber dies iſt doch ſelten. Gewoͤhnlich
haben die Handlungen des Muthes etwas von dem Cha-
rakter ſeines Urſprungs.
588. Wo großer perſoͤnlicher Muth und großer Ver-
ſtand ſich vereinigt finden, da muß natuͤrlich die Fuͤhrung
die vollkommenſte ſein.
589. Daß der von der Verſtandesuͤberzeugung aus-
[383] gehende Muth ſich hauptſaͤchlich auf dasjenige Wagen be-
zieht welches in dem Vertrauen zu ungewiſſen Dingen
und zu gutem Gluͤck beſteht und weniger auf die perſoͤn-
liche Gefahr, liegt in der Natur der Sache, denn dieſe
kann nicht leicht ein Gegenſtand großer Verſtandesthaͤtig-
keit werden.
590. Wir ſehen alſo daß in der Gefechtsfuͤhrung,
d. h. im Drange des Augenblicks und der Gefahr die
Gemuͤthskraͤfte den Verſtand unterſtuͤtzen und dieſer die
Gemuͤthskraͤfte wecken muß.
591. Ein ſolcher erhoͤheter Zuſtand der Seele iſt er-
forderlich wenn das Urtheil ohne Überſicht, ohne Muße,
im heftigſten Drange der Erſcheinungen treffende Entſchei-
dungen geben ſoll. Man kann ihn das kriegeriſche Talent
nennen.
592. Wenn man ein Gefecht mit ſeiner Maſſe großer
und kleiner Glieder und der von ihm ausgehenden Hand-
lungen betrachtet, ſo faͤllt in die Augen daß der Muth
welcher von der perſoͤnlichen Aufopferung ausgeht, in der
niedern Region vorherrſchen d. h. mehr uͤber die kleinen
Glieder gebieten wird, der andere mehr uͤber die großen.
593. Je weiter man in dieſer Gliederung hinunter-
ſteigt um ſo einfacher wird das Handeln, um ſo mehr
kann alſo der einfache Verſtand zureichen, um ſo groͤßer
aber wird die perſoͤnliche Gefahr und folglich um ſo mehr
iſt der perſoͤnliche Muth in Anſpruch genommen.
594. Je hoͤher man hinaufſteigt um ſo wichtiger
und folgereicher wird das Handeln des Einzelnen, weil
die Gegenſtaͤnde woruͤber er entſcheidet mehr oder weniger
in einem durchgreifenden Zuſammenhange mit dem Ganzen
[384] ſtehen. Hieraus folgt daß viel mehr Überſicht erforder-
lich waͤre.
595. Nun hat zwar die hoͤhere Stelle auch immer
einen weiteren Horizont, uͤberſieht den Zuſammenhang viel
beſſer als die niedern; aber alle Überſicht die im Laufe
eines Gefechts vermißt wird, fehlt doch hauptſaͤchlich hier,
und es iſt alſo auch hauptſaͤchlich hier wo ſo Vieles auf
gut Gluͤck und mit dem bloßen Takte des Urtheils voll-
bracht werden muß.
596. Dieſer Charakter der Fuͤhrung ſteigert ſich im-
mer mehr je weiter das Gefecht vorruͤckt, denn um ſo
weiter hat ſich der Zuſtand von dem erſten der uns ganz
bekannt war, entfernt.
597. Je laͤnger das Gefecht gedauert hat um ſo
mehr Zufaͤlle, d. h. Ereigniſſe die außer unſerer Berech-
nung liegen, haben darin ſtattgefunden, um ſo mehr iſt
Alles aus dem Gefuͤge ſeiner Ordnung gewichen, um ſo
wilder und verworrener ſieht es hier und da ſchon aus.
598. Je weiter aber ein Gefecht vorgeruͤckt iſt um
ſo mehr haͤufen ſich die Entſcheidungen, um ſo naͤher ruͤk-
ken ſie an einander, um ſo weniger Zeit iſt zur Überlegung.
599. So geſchieht es daß auch die hoͤhern Glieder
nach und nach, beſonders fuͤr einzelne Punkte und Augen-
blicke, in die Region hinabgezogen werden wo perſoͤnlicher
Muth mehr gilt als Überlegung und faſt Alles macht.
600. Auf dieſe Weiſe erſchoͤpfen ſich in jedem Ge-
fechte die Kombinationen immer mehr und zuletzt iſt es
faſt der Muth allein der noch kaͤmpft und wirkt.
601. Wir ſehen alſo daß es der Muth und die von
ihm erhoͤhete Intelligenz ſind welche die Schwierigkeiten
auszugleichen haben die dem Handeln in der Fuͤhrung
ent-
[385] entgegentreten. Wie weit ſie das koͤnnen oder nicht iſt
darum nicht die Frage weil es beim Gegner ebenſo aus-
ſieht; unſere Fehler und Mißgriffe alſo in der Allgemein-
heit der Faͤlle durch die ſeinigen ausgeglichen werden. Aber
worauf es ſehr ankommen muß, das iſt dem Gegner in
Muth und Intelligenz, vor Allem aber in dem Erſten
nicht nachzuſtehen.
602. Aber es giebt noch Eins was hier von großer
Wichtigkeit iſt, es iſt der Takt des Urtheils. Dies
gehoͤrt, außer dem angebornen Talent, hauptſaͤchlich der
Übung an, welche mit den Erſcheinungen vertraut und das
Auffinden der Wahrheit, alſo das richtige Urtheil faſt
zur Gewohnheit macht. Hierin liegt der Hauptwerth
der Kriegserfahrung und das große Übergewicht welches
ſie dem Heere geben kann.
603. Endlich haben wir noch zu ſagen daß wenn
die Umſtaͤnde in der Gefechtsfuͤhrung immer dem Naͤheren
eine uͤberwiegende Wichtigkeit uͤber das Hoͤherſtehende oder
Entfernte geben, dieſer Fehler in der Anſicht der Dinge
nur dadurch gut gemacht werden kann daß der Handelnde,
in der Ungewißheit ob er das Rechte getroffen hat, ſeine
Handlung zum Beſtimmenden zu machen ſucht. Dies
geſchieht indem er alle moͤgliche Erfolge die daraus zu
ziehen ſind, wirklich erſtrebt. Auf dieſe Weiſe wird das
Ganze welches immer von einem hohen Standpunkte aus
geleitet werden ſollte, da wo dieſer nicht zu gewinnen war
von einem untergeordneten aus in einer gewiſſen Richtung
mit fortgeriſſen.
Wir wollen mit einem Beiſpiel verſtaͤndlicher zu wer-
den ſuchen. Wenn ein Diviſionsgeneral in dem Wirrwarr
einer großen Schlacht außer den Zuſammenhang des
III 25
[386] Ganzen gekommen iſt und ungewiß iſt ob er noch einen
Angriff wagen ſoll oder nicht, ſo wird er, wenn er ſich
zum Angriff entſchließt, doch allein darin eine Beruhigung
fuͤr ſich und das Ganze finden koͤnnen, daß er dahin ſtrebt
nicht allein mit ſeinem Angriff durchzudringen, ſondern
auch einen ſolchen Erfolg zu erhalten der, was unterdeß
auf andern Punkten ſich Schlimmes zugetragen haben
koͤnnte, wieder gut machen wird.
604. Ein ſolches Handeln iſt das was man im en-
geren Sinne die Entſchloſſenheit nennt. Die Anſicht alſo
welche wir hier geben, daß auf dieſe Weiſe allein das
Ungefaͤhr beherrſcht werden kann, fuͤhrt zur Entſchloſ-
ſenheit; dieſe bewahrt vor halben Maaßregeln und iſt
die glaͤnzendſte Eigenſchaft in der Fuͤhrung eines großen
Kampfes. J.
[][]
Appendix A
Hinterlaſſene Werke
des
Generals Carl von Clauſewitz
über
Krieg und Kriegfuͤhrung.
Dritter Band.
[][][]
„Entwickelung dieſes Gegenſtandes nach B. III., in dem Auf-
ſatz über den Kulminationspunkt des Sieges.“
Unter dieſem Titel findet ſich nun in einem Umſchlage mit der Aufſchrift:
einzelne Abhandlungen als Materialien, ein Aufſatz, welcher eine
Bearbeitung des hier nur ſkizzirten Kapitels zu ſein ſcheint und am Ende
des ſiebenten Buches abgedruckt iſt.
Anmerk. der Herausgeberim.
Kulminationspunkt des Sieges.)
mithin die öſtreichiſche Hauptarmee mit ihren beiden oberſten Feldherren
in Prag gefangen genommen, ſo war das ein ſo furchtbarer Schlag, daß
er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die öſtreichiſche
Monarchie zu erſchüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu ge-
winnen. Dieſer, für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg, der den Er-
folgen der neueſten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids
und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender geweſen wäre,
würde nach dem Gewinn dieſer einen Schlacht höchſt wahrſcheinlich ein-
getreten ſein, welches aber der oben gemachten Behauptung nicht wider-
ſpricht; denn dieſe ſpricht nur von Dem, was der König mit ſeiner Offen-
ſive urſprünglich beabſichtigte; die Einſchließung und Gefangennahme der
feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereigniß, was außer aller Berech-
nung lag und woran der König nicht gedacht hatte, wenigſtens nicht eher
als bis die Öſtreicher durch ihre ungeſchickte Aufſtellung bei Prag dazu
Veranlaſſung gaben.
ein Feldmarſchall 100,000 Mann kommandirt, wovon 50,000 Mann unter
einen beſondern General geſtellt ſind, waͤhrend der Feldmarſchall die andern
50,000 in 5 Diviſionen getheilt unmittelbar anführt, ein Fall der oft
vorkommt, ſo iſt das Ganze eigentlich nicht in 2 Theile getheilt, ſondern
gleich in 6, wovon nur einer fünfmal ſo groß iſt als die andern.
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Clausewitz, Carl von. Vom Kriege. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjps.0