[][][][][][][[I]]
Boͤrne's
Mittheilungen
aus
dem
Gebiete der Laͤnder- und Voͤlkerkunde.


Zweiter Theil.

[[II]][[III]]
Mittheilungen
aus dem
Gebiete der Laͤnder- und Voͤlkerkunde



Zweiter Theil.


Offenbach: ,
BeiL. Brunet.
1833.

[[IV]][[V]]
Geſammelte Schriften



Zwölfter Theil.


Offenbach: ,
BeiL. Brunet.
1833.

[[VI]][[VII]]

Inhalt.


  • Sechzehnter BriefSeite 1
  • Siebzehnter Brief— 12
  • Achtzehnter Brief— 22
  • Neunzehnter Brief— 45
  • Zwanzigſter Brief— 53
  • Ein und zwanzigſter Brief— 64
  • Zwei und zwanzigſter Brief— 76
  • Drei und zwanzigſter Brief— 93
  • Vier und zwanzigſter Brief— 97
  • Fünf und zwanzigſter Brief— 113
  • Sechs und zwanzigſter Brief Seite 131
  • Sieben und zwanzigſter Brief — 210
  • Acht und zwanzigſter Brief — 216
  • Neun und zwanzigſter Brief — 228
  • Dreißigſter Brief — 236
  • Ein und dreißigſter Brief — 243

Sechzehnter Brief.


Dr. Rießer in Hamburg hat für mich gegen mei¬
nen Eduard geſchrieben; aber weder in Hamburg
noch in Altona wollte die Cenſur den Druck der
Schrift erlauben. Sie wird jetzt in Braunſchweig
gedruckt. So ſind die deutſchen Regierungen! So
ſchaamlos iſt ihre Cenſur! So ſind die freien
Städte — welche die Monarchen nur darum fort¬
beſtehen ließen, um republikaniſche Regierungs¬
formen lächerlich und verächtlich zu machen, um zu
zeigen, daß ein Senat von Bürgern ſo knechtiſcher
Geſinnung ſeyn [könne], als ein Staatsrath von
Edelleuten. Der nehmliche [Cenſor], der es doch ge¬
ſchehen ließ, daß eine Schrift voll der unerhörteſten
Schimpfreden gegen mich erſchien, deren Titel ſchon
eine Beleidigung war, verbot die Schrift, die meine
IV. 1[2] Vertheidigung übernahm! Und ſolche Regierungen ver¬
langen noch, daß man ſie achte! Campe ſchreibt mir
ferner: „denken Sie ſich die Tollheit der Menſchen,
einige behaupten ſteif und feſt, Sie hätten dieſe
Briefe im öſtreichiſchen Solde geſchrieben, damit man
der Preſſe beikommen könne. Iſt das erhört?“
Glauben Sie mir, ſo dumm das iſt, ſo giebt es
doch Menſchen, die noch dümmer ſind als das, und
es iſt darum gar nicht unmöglich, daß irgend ein
Lohnbedienter irgend eines Kommis-Voyageurs der
Diplomatie ein ſolches Gerücht vorſätzlich in den
Gang gebracht.


Sechszehnmal iſt Campe ſchon verhört worden.
Ich habe eine Vorſtellung davon, was ſie ihn alles
ausfragen. So oft ſtand Louvel nicht vor Gericht.
Es koſtet viele Arbeit, bis man in Deutſchland ge¬
hängt wird. Der Artikel gegen meine Briefe, deſſen
ich geſtern erwähnt, ſteht in der Zeitung von Bern,
wie ich Ihnen ſchon geſchrieben, einen Trödelmarkt,
wo die ariſtokratiſchen Lumpen von ganz Europa auf¬
gehäuft liegen. Er lautet wie folgt: Noch ein
Urtheil über Börne's Briefe
. „Die Mann¬
„heimer Zeitung ſchließt eine kurze Kritik dieſer po¬
„litiſchen literäriſchen Monſtroſität folgendermaaßen:
„Was hier mit dürren Worten, von allen hochtra¬
„benden Phraſen befreit, geſagt wird, iſt leider die
„Geſchichte der heutigen Tage. Geld- und Ehrgeiz
[3] „bilden die Grundlage der Börneſchen Ausfälle,
„und erwecket in ihm den tödtlichen Haß, welcher
„ſich auf jeder Seite ausſpricht. Weil er nicht Hof¬
„rath, Staatsrath, Miniſter iſt, haßt er alle Be¬
„amten; weil er ſelbſt kein Geld hat, ſo trifft ſein
„Haß alle Begüterte, Banquiers oder wohlhabende
„Bürger, und weil er endlich nie Fürſt werden kann,
„ſo fällt das größte Gewicht ſeines Haſſes auf die
„Großen dieſer Erde. Was er auszuſprechen, in
„ſo furchtbarer Wahrheit laut zu denken wagt, ver¬
„zehrt im Stillen Tauſende. Es iſt daher die Wuth
„ganz begreiflich, mit der alle ſeine Geiſtesverwandten
„über den Unverſchämten herfallen, welcher in ſo
„ganz unbegreiflich naiven Geſtändniſſen der Zeit ver¬
„gißt, und den Schleier lüftet, welchen bisher ein
„erkünſtelter Patriotismus ſo fein gewoben hatte.
„Es war daher nur ein Schrei des Entſetzens unter
„ſeinen Freunden, als ſie ihr klug bewahrtes Geheim¬
„niß ſo leichtſinnig verrathen, und alle die zarten
„Fäden aufgedeckt ſahen, mit denen ſie ihre Pläne
„umſponnen. Sie mußten, und wohl nicht mit Un¬
„recht, fürchten, daß, iſt einmal die Maske gefallen,
„ſich die öffentliche Meinung, welche ſie bisher ſchlau
„für ſich benutzt, ſich gegen ſie richten, und ſo den
„Nimbus zerſtören würde, der ſie umgiebt. Solche
„Fingerzeige bleiben für den Triumph der guten
„Sache nicht verlohren! Es iſt daher Börne's Werk
1*[4] „ein lehrreiches und nützliches Buch!“ Das merkt
euch, Kinder, und ſtellt die Pariſer Briefe neben
eure Andachtsſtunden!


— Mein Kamin raucht nicht mehr, er iſt ge¬
heilt worden, und gründlich. Ich habe da wieder
erfahren, daß man gegen dieſe ſpitzbübiſchen Fran¬
zoſen, will man ſein Recht behaupten oder erlangen,
grob ſeyn muß. Iſt man artig, wird man beſiegt,
denn ſie verſtehen noch artiger zu ſeyn als wir.
Dieſe ihre Waffen wiſſen ſie ſo geſchickt zu gebrau¬
chen; ſie geben uns freundliche Worte, ſüße Ver¬
ſprechungen, um uns einzuſchläfern und unſere An¬
ſprüche zu entwaffnen. Ich aber, der das kannte,
ließ mich nie irre führen, und wußte durch periodiſch¬
abgemeſſene, regelmäßig wiederkehrende Grobheit im¬
mer zu erlangen, was mir gebührte. Acht Tage
lang ſchickte ich täglich viermal den Conrad zum
Hausherrn mit der Ermahnung, für den Kamin zu
ſorgen. Da dies nichts half, kündigte ich das Logis
auf. Das wirkte.


— Herold's Artikel in den Zeitſchwingen hat
mir ſehr gut gefallen. Darin iſt jugendlicher Muth
und Uebermuth, wie ihn der Kampf dieſer Zeit er¬
fordert. So eine Butter-Seele wie dieſer Alexis,
will es ja nicht beſſer, als geſchmiert zu werden —
freilich mit goldenen Meſſerchen, von zarter Hand,
auf zartgeröſtetes Weisbrödchen. Nun kömmt eine
[5] tüchtige Bürgerfauſt, und ſchmiert ſie mit einem
Kochlöffel auf Haberbrod; das wird der Berliner
Butter-Seele ihre Schmiegſamkeit etwas verleiden.


Ob ich die Wiener Gedichte kenne? Wie
ſollte ich ſie nicht kennen! Sie wohnen ſeit zwei
Monaten in meinem Herzen, und ich ſehe und höre
ſie täglich. Aber zanken muß ich mit Ihnen, daß
Sie durch ſolches unzeitiges Fragen mich in meiner
Druckerei ſtören. Ich wollte nächſtens mit Ihnen
davon zu ſprechen anfangen, ich wollte Sie fragen:
„Haben Sie die Spaziergänge eines Wiener
Poeten
geleſen?“ und dann, trott, trott, weiter.
Jetzt muß ich erſt zu vergeſſen ſuchen, daß ſie Ihnen
bekannt ſind. Wenn das noch einmal geſchieht, wenn
Sie noch einmal durch ungerufenes Entgegenkommen
mir meine ſchüchterne Schriftſtellerei verwirren, laſſe
ich künftig Ihre eigenen Briefe ſtatt der meinigen
drucken. Da wird ſich auch wohl für Sie ein weib¬
licher Eduard finden, und dann wollen wir ſehen,
wie Sie mit dieſer Hamburger Megäre fertig
werden.


Der Conſtitutionel, ſeit vielen Jahren das
mächtigſte Blatt der Oppoſition, iſt jetzt in Caſimir
Perriers Hände gefallen. Er hat ihn für eine halbe
Million Aktien gekauft und kann daher mit ihm ver¬
fahren, wie ihm beliebt. Sie müſſen das bekannt
machen, und die andern ſollen es auch weiter ver¬
[6] breiten, damit ſich keiner täuſchen laſſe. Es wird
noch einige Zeit dauern, bis der Conſtitutionel
ſeine Maske völlig abwirft. Das Blatt hat ſeit
vier Wochen ſchon viertauſend Abbonenten ver¬
lohren.

[7]

So eben verläßt mich ein Beſuch, deſſen Ver¬
anlaſſung mir ſehr erfreulich war, deſſen Erfolg noch
erfreulicher werden kann. Es war ein junger freund¬
licher Menſch, aus Hof in Baiern gebürtig, ſeit
einigen Jahren in einer hieſigen Handlung als Kom¬
mis angeſtellt. Er ſagte, daß er im Namen ſeiner
zahlreichen Freunde käme, die erſt kürzlich aus der
Zeitung erfahren, daß ich in Paris ſey, um mir zu
danken für den Eifer, den ich in meinen Schriften
für die Sache des Vaterlandes an den Tag gelegt
— und ſo fort. Ich ſuchte das abzukürzen. Dar¬
auf weiter: er ſey beauftragt, mich um Rath zu
fragen. Er, ſeine Freunde und Kameraden, wohl
zwei bis dreihundert an der Zahl, alle junge
Kaufleute
, hätten ſich vorgenommen, an die Bairi¬
ſchen und Badiſchen Stände eine Adreſſe zu erlaſſen,
um ihnen für den Muth und die Beharrlichkeit, mit
welcher ſie für Recht und Freiheit geſtritten, die Ge¬
fühle ihrer Bewunderung und ihrer Erkenntlichkeit
auszudrücken. Auf meine Bemerkung, daß eine ſolche
Adreſſe zu ſpät käme, weil in wenigen Tagen die
Stände in München und Carlsruhe auseinander ge¬
hen würden, erwiederte man mir: daran läge nichts;
es wäre ihnen ja blos darum zu thun, auch ihrer¬
[8] ſeits ihre Geſinnung öffentlich kund zu thun. Der
ausdrücklichen Bitte zuvorkommend, erklärte ich, daß
ich herzlich gern eine ſolche Adreſſe aufſetzen würde.
Ich bemerkte: der Schritt, den ſie zu machen däch¬
ten, würde von den heilſamſten Folgen ſein. Uns
Andern, aus dem Stande der Gelehrten und Schrift¬
ſteller, ſo oft wir von verfaſſungsmäßigen Rechten,
von Freiheit und Staatsreformen ſprächen, machte
man den Vorwurf der Unruheſtiftung und heilloſen
Zerſtörungsſucht, und wo man einmal ſo gnädig ſey,
uns milder zu betrachten, ſpottete man unſerer lufti¬
gen Schwärmereien, die mit dem wahren Glück des
Volkes, das auch für ſolche hohe Ideen nirgends
Sinn habe, in gar keiner Verbindung ſtünde. Jetzt
aber kämen ſie, alle Kaufleute, die durch Stand,
Gewerbe und tägliche Beſchäftigung an das Poſitive
gewieſen, ja durch Maas, Gewicht und Zahlen an
die Wirklichkeit, wenn ſie ſie je vergeſſen möchten,
ſtündlich erinnert würden, und wünſchten und forder¬
ten das Nehmliche. Sie ſprächen es aus, daß die
materiellen Intereſſen, wo die Sorge für dieſelbe
löblich wäre, innigſt an die moraliſchen Intereſſen
gebunden wären, und daß nach Allem das ſinnliche
Wohlbefinden und Wohlbehagen der Menſchen nicht
ihre höchſte Beſtimmung ſey. Dieſes würde eine
große Wirkung machen und die ewigen Feinde der
[9] Freiheit in Verwirrung bringen, die, deren Freunde
um ſo leichter zu beſiegen, den Stand der Handels¬
leute und den der Gelehrten zu entzweien ſuchten...
In dieſem Sinn werde ich nun für die jungen Leute
die Adreſſe abfaſſen.

[10]

Dreimal leſe ich Ihren Brief. Aber wie
kann ich auf Alles antworten? Ein Frauenzimmer
frägt mehr, als hundert Männer beantworten können.


Von Schlegels Epigrammen habe ich einige vor¬
leſen hören, keine gegen Arndt, aber welche gegen
Menzel. Ganz erbärmlich. Der Geck iſt jetzt hier.
Solche Leute ſchickt ſeit der Revolution die preußiſche
Regierung eine Menge hierher. Aber ſtatt zu ſpio¬
niren, welches ihre Sendung iſt, werden ſie ſpionirt.
Die franzöſiſche Regierung erſpart dadurch Geld,
Spione in Berlin zu beſolden. Bequemer und beſ¬
ſer kann man es nicht haben. Schlegel wohnt, aus
alter Freundſchaft von der Staël her, bei deren
Schwiegerſohn, dem Herzog von Broglie, und wird
dort, wie man mir erzählt, zum Beſten gehabt, und
en bas behandelt.


Die Damen hier und eine große Zahl von
Künſtlern haben ſich vereinigt, Handarbeiten, kleine
Kunſtwerke zu verfertigen, und ſie zum Vortheile der
Polen auszuſpielen. Die Gegenſtände der Lotterie
werden bis zur Ziehung in einem Saale öffentlich
ausgeſtellt. Der Zettel koſtet zwei und einen halben
Frank. Wie gewöhnlich bei ſolchen Unternehmungen,
ſtehen die Namen der Frauenzimmer in der Zeitung,
[11] bei welchen die Looſe zu haben ſind. Frau von ***
iſt dieſesmal nicht dabei. Es iſt keine legitime Barm¬
herzigkeit, und Revolutionärs verhungern zu ſehen,
thut auch einem ſanften weiblichen Herzen wohl. Die
ſchöne Dame in ihrem Boudoir denkt, wie es einer
zärtlichen Gattin ziemt, an den Mann auf dem Bü¬
reau, und begreift, daß an einer Anleihe für Könige
mehr zu verdienen ſey, als an einer für den Himmel.

[[12]]

Siebzehnter Brief.


Ihre Frage wegen der Simoniſten möchte ich
Ihnen gern klar und genau beantworten; aber ich
weiß nicht viel davon. Da ich mich nicht ſchämte,
unwiſſend hierin zu bleiben, will ich mich auch nicht
ſchämen, meine Unwiſſenheit zu geſtehen. Sie iſt
um ſo weniger zu entſchuldigen, da mir bekannt, daß
der Simonismus eine der wichtigſten Erſcheinungen,
ja noch mehr iſt: der Inbegriff von vielen wichtigen
Erſcheinungen dieſer Zeit. Das ſchwebte vor mir
in der Luft und genauer unterſuchte ich es nicht.
Es iſt nicht zu ändern. Hier in Paris braucht man
nur einen halben Magen; denn der gefällige Koch¬
topf übernimmt die Hälfte der Verdauung. Hier in
Paris braucht man gar kein Herz; denn da alle
öffentliche Gedanken in öffentliche Empfindungen über¬
gegangen, iſt das Klima davon warm geworden und
[13] man braucht die Bruſt nicht einzuheitzen. Aber tau¬
ſend Beine braucht man hier, um nach allen Merk¬
würdigen zu gehen, tauſend Augen und Ohren, alles
Merkwürdige zu ſehen und zu hören, und tauſend
Köpfe, um alles aufzufaſſen, ſich anzueignen und zu
verarbeiten.


Die Simoniſten halten jeden Sonntag öffent¬
liche Vorleſungen, in welchen ſie ihre Lehren zuſam¬
menſtellen und erläutern. Ich habe aber dieſen Pre¬
digten nie beigewohnt. Man muß zwei Stunden
vorher da ſeyn, um Platz zu finden, und ſo viele
Zeit mochte ich nicht darauf verwenden. Aus gleichem
Grunde war ich auch noch nie in einer Kammerſitzung,
bei den Verhandlungen der Aſſiſen, noch in einer der
öffentlichen Verſammlungen, die hier faſt jede Woche
gehalten werden. Das bürgerliche Leben, das in
ſeinem ganzen Umfange und in allen ſeine Stockwer¬
ken öffentlich geworden, hat die Architektur hinter ſich
gelaſſen, die monarchiſch und ariſtokratiſch geblieben.
Es giebt in Paris kein öffentliches Gebäude, das
ſelbſt für das beſcheidenſte Bedürfniß einer Volksver¬
ſammlung Raum genug hätte. Es iſt lächerlich, wie
wenige öffentliche Sitze in der Deputirtenkammer ſind.
Die Regierungen, wenn ſie die Freiheit mit keinen
moraliſchen Schranken mehr umziehen dürfen, engen
ſie wenigſtens ſo viel und ſo lang als möglich mit
Steinmauern ein. Der Saal, den die Simoniſten
[14] haben, der iſt nun beſonders klein und ich glaube, daß
ſie ihn aus Schelmerei ſo gewählt, damit die Zu¬
hörer um ſo begieriger herbeiſtrömen. Wo die Pa¬
riſer keinen Platz finden, da eilen ſie am liebſten hin,
beſonders die Frauenzimmer; es iſt ihre Wonne, ge¬
ſtoßen und gedrückt zu werden.


Was mich bis jetzt von einer nähern Bekannt¬
ſchaft, nicht mit den Grundſätzen, ſondern mit den
Lehren der Simoniſten, abgehalten, iſt die monarchi¬
ſche Verfaſſung ihrer Kirche. Sie haben einen
Papſt; vor ſolchem kreuze ich mich, wie vor dem
Satan. Sie haben eine Autorität; die fürchte ich
noch mehr, als den Räuber im [finſtern] Walde. Ich
laſſe mich von keiner Wahrheit gern einſchränken;
ich trinke, wie der goldgelockte Felix im Wilhelm
Meiſter, am liebſten aus der Flaſche. Wenn ein
Pabſt mir ſagt: zwei mal zwei iſt vier — glaube
ich es ihm nicht, und habe ich es früher gewußt,
fange ich an, daran zu zweifeln. Zwar weiß ich
recht gut, daß keine neue Kirche der monarchiſchen
Leitung entbehren kann; das Chriſtenthum ſelbſt blieb
ſchwach, ward verfolgt und geſchlagen, ſo lange es
republikaniſch war, und wurde erſt ſtark, ſiegend und
erobernd, als es einen höchſten Biſchof an ſeine
Spitze ſtellte. Jedem Staate iſt die monarchiſche
Gewalt in ſeiner Kindheit die Laufbank, in ſeinem
Greiſenalter eine Krücke; Freiheit gehört dem Jüng¬
[15] lingsalter und den männlichen Jahren. Aber, ob ich
auch das begreife, verabſcheue ich doch die Monar¬
chie für jedes Verhältniß und für jede Zeit. Ein
junger Staat ſoll lieber auf allen Vieren kriechen und
etwas ſpäter gehen lernen, ſoll lieber, ſobald er das
Greiſenalter erreicht, ſich freiwillig den Tod geben,
als gemächliche und ſchnellere Entwickelung ſeiner
Glieder, als einige Jahre Friſt jämmerlichen Daſeins
mit der Freiheit bezahlen. Wie einem die Regierung
oft alle bürgerliche Geſellſchaft, das Syſtem die
ſchönſte Philoſophie verleiden kann; ſo verleidet ei¬
nem die Kirche jeden Glauben. Muß ich ſelig ſeyn
im Paradieſe, dann will ich lieber in der Hölle lei¬
den. Es liegt gar nicht ſo viel daran, daß eine
neue Wahrheit ſich ſchnell und weit umher verbreite;
ſie wird leicht an Würde verlieren, was ſie an Macht,
im Werthe verlieren, was ſie im Preiſe gewinnt.


Sie fragen mich: ob die Simoniſten etwa das
reine Chriſtenthum herzuſtellen ſuchen? Ich glaube
es. Aber was heißt reines Chriſtenthum?
Es giebt nur eine reine Quelle des wahren Glau¬
bens, und aus dieſer fließen die mannigfaltigen
Ströme der Religionen, die nach und nach den
Schlamm der Ufer abſpülen, und ſich mit Allem be¬
ſudeln, was die ſchmutzigen Menſchen hineingeworfen.
Die Simoniſten mögen wohl in Frankreich ſeyn,
was die Carbonari in Italien ſind. Was dieſe wol¬
[16] len, weiß ich zwar auch nicht klar; doch daß ſie einen
edlen Zweck haben, daß ſie ſuchen Licht in das dunkle
Lügengebäude des Papſtthums zu bringen, und die
Zwingburgen der Gewalt niederzureißen: das erfahre
ich von der unbeſchreiblichen Wuth, mit welcher die
geiſtliche und weltliche Macht in Italien den Carbo¬
narismus verfolgt.


Der hier erſcheinende Globe iſt das Apoſtel-
Blatt der Simoniſten; eine Art hauſirende Bibel,
die alle Tage den wahren Glauben friſch und warm
in die Häuſer bringt. Doch ich kann keine Milch
vertragen und leſe darum das Blatt nicht. Von
den drei ſtereotypen Lehren, die der Globe als Motto's
täglich hinter ſeinem Titel hat, kann ich nur die
erſte annehmen; die zweite iſt mir zu trivial; die
dritte finde ich falſch, und eine vierte; mir die erſte,
mangelt gänzlich. Erſte Grundlehre. Les in¬
stitutions sociales doivent avoir pour but l'amé¬
lioration du sort moral, physique et intellectuel
de la classe la plus nombreuse et la plus
pauvre.
Daß die bürgerliche Geſellſchaft nur für
die Mehrzahl, nur für die ärmeren Claſſen zu ſor¬
gen habe, dieſem Grundſatze kann man dann erſt
beitreten, nachdem man ſtillſchweigend angenommen,
daß die Minderzahl der Geiſt- und Güterbegabten,
daß jene Glücklichen, für welche ſchon die Natur ge¬
ſorgt, den Schutz und den Beiſtand der bürgerlichen
[17] Geſetze entbehren können. Dann aber bleibt in jenem
Grundſatze die reinſte, heiligſte und unverletzlichſte
Vorſchrift, wie der Sittlichkeit, ſo der Religion übrig.
Weil ſie rein iſt, wird ſie von allen beſudelt; weil
ſie heilig iſt, wird ſie verſpottet; weil unverletzlich,
täglich übertreten. Doch ich mag nicht davon ſprechen.
Wer nur etwas gelebt hat und nur einen Tag nicht
ſich allein, der konnte wahrnehmen, wie man überall
und zu allen Zeiten das niedre Volk als unorgani¬
ſches Produkt betrachtet, als Erde, Steine, Sand,
Waſſer — von Gott, dem Hofarchitekten der Vor¬
nehmen und Reichen, herbeigeſchafft, dieſen das Le¬
ben wohnlich und angenehm zu machen. Aber der
Tag wird kommen, wo der zum Himmel geſtiegene
Thränendunſt aller der Millionen Unglücklichen als
Sündfluth niederſtürzen, und die Reichen mit allen
ihren aufgeſparten Gütern bedrohen wird, und dann
werden Schrecken und zu ſpäte Reue die hohle Bruſt
der Hartherzigen ausfüllen, und ſie werden das Er¬
barmen, deſſen Rufe ſie nie gefolgt, ſelbſt anrufen.
Zweite Grundlehre. Tous les privilèges
de la naissauce, sans exception, seront abolis
.


Werden hier die alterthümlichen bekannten Privilegien
gemeint, wie die des Adels, der Pairs, oder ſonſt
eines bevorrechteten Standes, ſo iſt das eine ſo ent¬
ſchiedene Wahrheit, ein ſo feſt gegründetes Recht,
das man durch ein ſchadenfrohes Erwähnen derſelben
IV.2[18] nicht die Anmaßung des Widerſpruchs herausfordern
ſollte. Nicht die Vernunft iſt auf der Seite der
Gleichheit, ſondern auf der Seite der Ungleichheit iſt
der Wahnſinn. Aber der Vernunft ziemt es nicht,
dem Wahnſinn entgegen zu treten, ihm den Weg zu
verſperren; ſondern ſie ſoll warten bis er herbei
kömmt, bis er losbricht. Dann ſoll ſie ihn beſpre¬
chen, heilen, und wenn er ſich unheilbar zeigt, ihn
an die Kette legen und unſchädlich machen. Jedes
Wort, noch ferner gegen den Adel geſprochen, iſt ein
Schwertſtreich dem Schlachtfelde entzogen; die Zeit
des Redens iſt vorüber.


Dritte Grundlehre. A chacun selon sa ca¬
pacité, à chaque capacité selon ses oeuvres.
Eine
heilloſe Irrlehre! Die Wahrheit iſt ganz auf der entge¬
gengeſetzten Seite. Jemehr Verdienſt, je weni¬
ger Lohn
; das iſt die Regel der Vernunft. Verdienſt
iſt die reine Vorausbezahlung, welche die Natur ſol¬
chen Menſchen leiſtet, denen ſie vertraut, und der,
dem ſie geworden, hat keinen weitern Lohn zu for¬
dern. Bezahlung werde dem Verdienſtloſen, der nichts
von der Natur geerbt. „Jeder Capacität nach
ihren Werken
,“ iſt auch falſch. Was der Menſch
iſt, beſtimmt ſeinen Werth, und alſo ſeinen Preiß,
nicht das, was er thut. Iſt das, was er thut ſei¬
ner Natur gemäß, iſt es blos Lebensäußerung, Selbſt¬
erhaltungstrieb, und er hat dafür keinen Lohn zu for¬
[19] dern; iſt es ſeiner Natur zuwieder, kann es nichts
Gutes ſeyn. Dieſe Irrlehre der Simoniſten ent¬
ſpringt aus einer andern, zu welcher ſie ſich beken¬
nen, der von einer Gütergemeinſchaft, — eine
Lehre der verderblichſten Art, weil ſie den Menſchen
nicht allein in der bürgerlichen Geſellſchaft, ſondern
auch in ſeinen reinmenſchlichen Verhältniſſen zu
Grunde richtet. Freiheit und Gleichheit beſtehen
darin, daß jeder einzelne Menſch in ſeiner Lebens¬
ſphäre, ſey nun dieſer Kreis ſo eng gezogen als
man wolle, Despot ſeyn darf; nicht aber darin,
daß man alle dieſe Perſönlichkeiten zerſtört, und dar¬
aus einen allgemeinen Menſchenteig knetet, den man
Staat, Kirche, Gemeinde, Volk nennt. Wenn die
Lebensgüter gemeinſchaftlich ſind, wenn das Recht ſich
Alles nehmen darf, was bleibt dann noch dem ſchö¬
nen Vertrauen zu fordern, was der Liebe zu geben
übrig? Man wirft den Simoniſten vor — ob der
Vorwurf gegründet, weiß ich nicht — ſie wollten die
Ehe aufheben. Es fällt mir ſchwer, das zu glauben.
Manche Religionen, mancher politiſche Bund, haben
im Verlaufe ſpäterer Entartung ſittenverderbliche
Grundſätze angenommen; aber eine neue Religion,
eine neue Gemeinde, wurden nie auf Sittenloſigkeit
gegründet. Doch einen andern Grundſatz ſprechen
die Simoniſten deutlich aus: den der Emancipa¬
tion der Weiber
. Wollen ſie damit täuſchen,
2*[20] oder täuſchen ſie ſich ſelbſt — ich weiß es nicht.
Vielleicht heucheln ſie dieſen Grundſatz, um die
Frauen für ihre Sekte zu gewinnen. Iſt es ihnen
aber Ernſt, dann ſind ſie in einem Wahne befangen,
der nur darum nicht verderblich iſt, weil er nie zur
Wirklichkeit werden kann. Bei einer flüchtigen Be¬
trachtung ſcheint es zwar Gewinn, wenn das weib¬
liche Geſchlecht emancipirt würde, wenn es gleiche
ſittliche, gleiche politiſche Rechte mit den Männern
erhielte; der Kreis der Menſchheit, ſcheint es, würde
dadurch erweitert werden. Aber es iſt Täuſchung.
Selbſtſtändigkeit des Weibes würde nicht allein die
Beſtimmung des weiblichen, ſondern auch die des
männlichen Geſchlechts vereiteln. Nicht das Weib,
nicht der Mann allein drücken die menſchliche Natur
aus; nur Mann und Frau vereinigt bilden den voll¬
kommenen Menſchen. Nur in der Ehe, nur im Fa¬
milienleben wird der Zweck der Menſchheit erreicht.

[[21]]

Achtzehnter Brief.


Wie können Sie nur glauben, ich wünſchte
darum nicht, daß meine Briefe in das Franzöſiſche
überſetzt würden, weil ich fürchte, der Regierung zu
misfallen? Wie ſollte ich ſimpler Bürgersmann die
Anmaßung haben, mich zu fürchten? Das iſt jetzt
ein Prärogativ der Krone, ein Regal der Fürſten.
Ich wäre eine Art Falſchmünzer, wenn ich mich mit
Fürchten beſchäftigte; das könnte mich den Kopf ko¬
ſten. Es wäre mir darum unlieb, hier überſetzt zu
werden, weil mir Angſt iſt, die Arbeit, von irgend
einem ökonomiſchen Buchhändler aus Gewinnſucht
veranſtaltet, möchte in die wohlfeilen Hände eines
Taglöhners fallen, und ich verunſtaltet werden. Mein
kleiner weicher Geiſt iſt leicht außer Form gebracht.
Wenn aber ein Mann, wie der Profeſſor Willms
in Straßburg, der Bruchſtücke aus meinen ältern
[22] Schriften in der Revüe Germanique ſo vortreff¬
lich überſetzt hat, auch die Briefe franzöſiſch heraus
geben wollte, würde ich mich ſehr darüber freuen.


— Wäre Herr von Raumer darum aus der
preußiſchen Cenſurbande getreten, um die Schande,
Mitglied derſelben geweſen zu ſeyn, abzuwaſchen —
auch dann würde ihm das nicht zur Ehre gereichen;
denn ſein Ruf ſtünde immer nur auf dem Gefrier¬
punkte der Tadelloſigkeit. Aber nein, nicht aus
Buße, nicht um der beleidigten Menſchheit Abbitte
zu thun, hat er aufgehört Cenſor zu ſeyn; ſondern
aus gereizter Eitelkeit, weil er ſich perſönlich gekränkt
fühlte, daß die Cenſur ſein Werk über Polen anzu¬
zeigen verboten, that er den angſtzitternden Schritt.
Ich begreife es nicht, ich werde es niemals faſſen,
wie ein Mann, der ſich nur ein wenig ſelbſtachtet,
der nicht ſchaamlos ſeine ganze Menſchenwürde von
ſich geworfen, um nackt wie ein Thier im warmen
Stalle zu lagern, dort ſeinen Bauch zu füttern oder
bei gutem Wetter auf der Gunſt der großen Glücks¬
pächter herum zu graſen — wie ein ſolcher Mann
ſich dazu verſtehen kann, ein Cenſor, ein Henker zu
werden — nein, ſchlimmer als ein Henker, denn
dieſer tödtet nur die ſchuldig Gerichteten — ein
Meuchelmörder der Gedanken, der im Dunkeln lauert
und trifft, der das Einzige, was göttlich iſt am
Menſchen: die Freiheit des Geiſtes, zerſtört,
[23] daß nichts an ihm übrig bleibe, als das blöde Vieh,
das vor der Peitſche ſeiner Treiber hergeht, und
kaut und wiederkaut, was ihm ſeine Herren in die
Krippe geworfen! Und auch hier wieder wie immer,
empört ſich mein Herz gegen die Dummheit des
Volks überall, das gar ſeine Macht und Uebermacht
nicht kennt; das gar nicht ahnet, daß es nur zu
wollen braucht, um jede verhaßte Tyrannei umzu¬
ſtoßen. Wenn unter den Tauſenden in jeder Stadt,
welche die Cenſur als einen ſchändlichen Uebermuth
verabſcheuen, als eine erbärmliche Feigheit verachten,
ſich nur zwanzig angeſehene Familienhäupter zu dem
Bunde vereinigten, jeden Cenſor als einen ehrloſen
Menſchen zu betrachten und zu behandeln, unter kei¬
nem Dache mit ihm zu wohnen, an keinem Tiſche
mit ihm zu eſſen, ſeine Umgebungen nicht zu berüh¬
ren, ihn zu fliehen wie einen Verpeſteten, ihn immer¬
fort mit Verachtung zu beſtrafen, mit Spott zu
necken — dann würde ſich bald kein Mann von
Ehre mehr finden, der Cenſor würde ſeyn wollen;
ja ſelbſt der Gefühlloſe, wenn er nur von einem ge¬
wiſſen Range iſt, würde nicht den Muth haben, der
öffentlichen Meinung zu trotzen, und die Regierungen
würden genöthigt ſeyn, ihre Cenſur den Schinders¬
knechten anzuvertrauen, und der Anger vor dem
Thore würde bedeckt werden mit Pferdeknochen,
Schaafſchädeln und confiscirten Büchern. Aber wie
[24] die Menſchen zum Guten vereinigen? Das iſt der
Jammer. In jedem Lande, in jeder Stadt, in jeder
Gemeinde, in jeder Regierung und in jeder Amts¬
ſtube giebt es edle Menſchen genug; aber jeder glaubt,
er ſey allein gut geſinnt, und ſo fürchtend, Alle ge¬
gen ſich zu haben, wagt es Keiner mit ſeiner Stimme
hervorzutreten, und der Sieg bleibt den Schlechten
die ſich beſſer errathen, ſich leichter finden. Das iſts,
was mir vor vielen Andern den Muth giebt, für
Recht und Freiheit ſo laut das Wort zu führen:
daß ich weiß, ich ſtehe nicht allein, daß ich weiß, es
giebt Tauſende, die ſo gut und beſſer ſind als ich,
die meinem Rufe folgen und ſich mir anſchließen.
Wüßte ich das nicht, glaubte ich im ſelbſtverliebten
Dünkel allein zu ſtehen im Vaterlande, wahrlich, ich
wäre nicht der Thor, einer dummen, feigen und un¬
dankbaren Menge meine Ruhe fruchtlos aufzuopfern,
und ich ſchwiege und duldete wie die Andern alle.


— Gleich nach Empfange Ihres Briefes ſchrieb
ich nach Stuttgardt, und beſtellte dort das Hofblatt,
das die Donau- und Neckarzeitung gewaſchen hat.
Ich behalte mir vor, es zu bläuen und zu bügeln.
Erwünſchter konnte mir nichts kommen. Da finde
ich den General-Stab und das Genie-Corps der
Süddeutſchen Miniſterial-Armee auf einem Flecke
beiſammen. In Würtemberg bereitet man ſich auf
die ſchrecklich drohende unvermeidliche Landplage der
[25] Stände mit einer Bedächtigkeit vor, zu der in unſern
Tagen die Cholera alle deutſche Regierungen gewöhnt
hat. Die beſten Aerzte gegen den Liberalismus, die
um ſo beſſer ſind, weil ſie die Krankheit ſelbſt über¬
ſtanden, werden herbei gerufen und Rathe gezo¬
gen. Die Doktoren Münch, Pahl, Lindner,
von Wangenheim werden am Ständelazarehte an¬
geſtellt. Da die Regierung den Liberalismus nicht
für contagiös hält, ſondern miasmatiſch, wird ſie die
Angeſtellten keiner ſtrengen Abſonderung unterwerfen,
und ſich darum dem Eintritte in die Kammer von
liberalen Männern wie Uhland, Pfizer und Schott
nicht allzuängſtlich widerſetzen. Um aber den üblen
Folgen einer ſolchen Gemeinſchaft zwiſchen Geſunden
und Kranken zu begegnen, will die Regierung in
einigen Punkten freiwillige Verbeſſerungen vor¬
ſchlagen, und hofft dadurch, „der zweiten Kam¬
mer die Gelegenheit zu benehmen
, ſich auf
Koſten der leitenden Staatsgewalt eine un¬
ruhige Popularität zu erwerben
.“ Kurz es
iſt zum Todtlachen, und alle die komiſchen Präſer¬
vative gegen die Cholera ſind erhaben dagegen. Die
allgemeine und die Stuttgardter Zeitung ſind die
zwei großen Rauchfäſſer, aus welchen in einem fort
Chlor-Wolken ſich erheben. Herr Münch iſt der
Lindenblüthen-Thee, deſſen Heilſamkeit gegen Erkältung
er im feuchten Holland oft erprobt; Herr Lindner iſt
[26] die Kupfer-Platte auf dem Magen, ein Minimum
von diplomatiſchem Gifte, das homöopatiſch heilt;
Herr von Wangenheim wird wohl reiben, und wenn
nichts hilft, wird die Bundesverſammlung den wür¬
temberger Ständen das Dampfbad bereiten. Die
Cholera-Politik! Ich bekomme Leibſchmerzen, wenn
ich nur daran denke.


Die Stuttgardter Hof- und Cholera-Zeitung
gehört dem Herrn von Cotta, und das auch kömmt
mir ſehr gelegen. Mit dem Vater der allgemeinen
Zeitung habe ich ohnedies ein ernſtes Wort zu ſpre¬
chen. Seine unverſchämte Tochter ſprach neulich ein
freches Wort gegen mich aus, und hätte ich etwas
darauf erwiedern wollen, wäre es vom zärtlichen
Vater zurück gewieſen worden, wie vor Kurzem
Heine es erfahren. Nun aber werde ich nicht län¬
ger mehr der Thor ſeyn, aus prunkender Großmuth
den Vortheil der allgemeinen Sache zu vernachläſſi¬
gen, weil zufällig mein eigner damit verbunden iſt.
Dann brauchte ja jeder ſchlechte Schriftſteller, jeder
feile Zeitungsſchreiber mich nur zu beleidigen, um
vor meinem Urtheile ſicher zu ſeyn! Ich kenne die
geheime Lebensgeſchichte der allgemeinen Zeitung ſehr
genau, von den Jahren des franzöſiſchen Direktori¬
ums bis zum Untergange Warſchaus; und es hängt
blos von mir ab, ihr den Namen der deutſchen
Phryne zu verſchaffen. Die allgemeine Zeitung iſt
[27] freilich ohne Vorliebe die gefällige Allgemeine für
Alle, die bezahlen; aber das Recht hat ſelten
Geld und das Unrecht immer, und wenn das Recht
ja einmal die Gunſt der Allgemeinen bezahlen kann,
iſt die Schöne ſo ſchlau, ehe ſie das Recht einläßt,
das Unrecht durch die Hinterthüre zu entlaſſen, da¬
mit die beiden Nebenbuhler ſich nie begegnen, ſich
meſſen, und die Schöne auffordern können, endlich
einmal zwiſchen ihnen zu wählen.


— Die Briefe von Cormenin habe ich noch
nicht geleſen. Sind ſie aber wirklich ſo herrlich, als
Sie ſie gefunden, dann werde ich, Ihrem Rathe
folgend, ſie überſetzen und mit deutſchen Bemerkun¬
gen verzieren. Ich begehe jedes Staatsverbrechen,
wozu Sie mich anreitzen, mit tauſend Freuden.
Kann mir denn etwas erwünſchter ſeyn, als früher
oder ſpäter auf der Frankfurter Hauptwache Ihre
ſchöne und gute Geſellſchaft zu genießen? Zwar
hat dieſe freie Stadt Frankfurt keine Civil-Liſte zu
bezahlen, aber unſere Regierung muß ihr Contingent
zu jeder Bundes-Tyrannei ſtellen, und der Senat
würde meine Gottesläſterungen über die großen
Königs-Magen
ſo ſtreng beſtrafen, als ob er
ſelbſt ein König wäre. Ja wohl iſt die Sache von
der größten Wichtigkeit. Nicht darauf kömmt es an,
ob man einem Fürſten für ſeine ungemeine Gefällig¬
keit zu regieren einige Millionen mehr oder weniger
[28] giebt — man gebe ihm ſo viel er braucht, ſo viel
er wünſcht, daß er zufrieden ſey und uns zufrieden
laſſe; denn die üblen Launen eines Fürſten ſind dem
Lande verderblich, und zu allen Zeiten mußte das
Volk ſein Glück und ſeine Freiheit erkaufen. Son¬
dern das iſt zu bedenken: jeder überflüſſige Sold,
den ein Volk ſeinem Fürſten giebt, den dieſer nicht
für ſich und ſeine Familie verwenden kann, wird
dazu gebraucht, einen Hof zu bilden und zu nähren,
der als giftiger Nebel ſich zwiſchen Fürſt und Volk
hinzieht, und eine traurige Thronfinſterniß hervor¬
bringt. Vielleicht iſt es wahr, was die Fürſtengläu¬
bigen behaupten: eine Krone ſey etwas himmliſches,
eine Art Sonne, die im reinſten Lichte ſtrahle; aber
woher wollen wir Bürger das wiſſen? Man zer¬
ſtreue den Hofdunſt, der jede Krone umgiebt, und
dann werden wir ſehen, was daran iſt. Dann iſt
zu überlegen, daß man ganz falſch rechnet, wenn
man blos die Millionen, die man einem Fürſten als
Civilliſte bewilligt, zählt. Dieſe Millonen ſind nur
das Saatkorn, das dreißigfachen Ertrag giebt; dieſe
Civilliſte iſt nur die Waffe, womit ein Fürſt ſich
Alles erbeutet von ſeinem Volke, wornach ihm gelü¬
ſtet. Ludwig XVIII. hatte fünf und dreißig Millio¬
nen; aber mit dieſen fünf und dreißig Millionen
holte er ſich tauſend andere, womit er ſich und ſeine
Creaturen für den durch die Emigration erlittenen
[29] Verluſt entſchädigte. Hätte er keine fünf und dreißig
Millionen gehabt, ſondern nicht mehr als er zu ſei¬
nem Unterhalte bedurfte, hätte er die Kammer nicht
beſtechen können, und das heilloſe Geſetz der Emi¬
granten-Entſchädigung wäre nicht angenommen wor¬
den. Louis Philipp, der Pflaſter-König, hat zwölf
Millionen jährlicher Einkünfte aus ſeinem Privatver¬
mögen, und doch verlangt er eine Civil-Liſte von
achtzehn Millionen. Die Einwohner der Stadt
Bourgs haben der Kammer eine Bittſchrift überſendet,
worin ſie darauf antragen, man möchte dem Könige
nicht mehr als eine halbe Million geben. Das iſt
nach meiner Geſinnung eine halbe Million zu viel,
ich würde ihm gar nichts geben. Wer die Ehre
haben will, ein großes Volk zu regieren, der mag es
ſich etwas koſten laſſen. Frankreich konnte unter
ſechs Millionen Bürgern einen König wählen; aber
König Philipp konnte ſich kein Volk wählen; die
Völker ſind ſelten. Die Kommiſſion der Kammer
war in ihren Anſichten getheilt. Vier Mitglieder
derſelben ſtimmten für vierzehn Millionen, die vier
andern für zwölf und eine halbe, und das neunte
Glied, eben Ihr verehrter Cormenin, ſtimmte für
eine ſo kleine Summe, daß der miniſterielle Bericht-
Erſtatter der Commiſſion ſich ſchämte, ſie in der
Kammer laut anzugeben. Dem Kronprinzen wurde
überdies, daß ihm die Zeit nicht lange werde, bis
[30] er den Thron beſteigt, eine Million bewilligt. Nichts
empört mich mehr, als dieſe unverſchämte Apanagi¬
rung der Erbprinzen überall. Mein Gott, wer giebt
denn dem armen Volke Warte-Geld, wenn es auf
den Tod eines böſen Fürſten ängſtlich harrt? Aber
die Höfe ſorgen dafür, daß die Kronprinzen ſchon in
ihrer früheſten Jugend an Verſchwendung gewöhnt
werden; ſie fürchten: in den reifern Jahren der
Thronbeſteigung möchten ſie vielleicht für das Laſter
nicht genug Empfänglichkeit mehr haben.


Der jetzige König wird alſo vierzehn Millionen
bekommen, eine Civilliſte, die jedem Deutſchen, der,
wenn auch mit ſeinen Füßen, doch nie mit ſeinem Kopfe
Deutſchland verlaſſen, ſehr winzig erſcheinen muß.
Und nach dieſer Vergleichung iſt ſie es auch. Das
Budget von Frankreich beträgt vierzehnhundert Millio¬
nen, die Civilliſte mit vierzehn Millionen würde alſo den
hundertſten Theil der Staatsausgaben betragen.
Das Budget von Baiern beträgt ſieben und zwanzig
Millionen, und die Civilliſte des Königs drei Millio¬
nen, alſo den neunten Theil des ganzen Staats¬
haushalts. Wenn der König von Frankreich im
gleichem Verhältniſſe, wie der König von Baiern
ausgeſtattet wäre, würde ſeine Civilliſte auf
155 Millionen ſteigen; und wenn der König von
Baiern dem Könige von Frankreich gleich geſetzt
würde, ſänke ſein Einkommen auf 270,000 Gulden
[31] herab. Und wäre das nicht genug? Die ungeheu¬
ren Summen, die der König von Baiern verſchwen¬
det, ſeinen Wohnort zum neuen Athen zu machen,
könnten erſpart werden: München war die Stadt
der Nachteule, ſchon ehe es Statüen und Gemählde
beſaß. Iſt es nicht ein herzzerreißender Jammer,
daß der arme Häusler im Speſſart, der ſich glück¬
lich ſchätzt, wenn ihm nur drei Tage in der Woche
die Kartoffeln mangeln, den Schweiß ſeiner Hände
verſilbern muß, damit in einer ſechzig Stunden ent¬
fernten Stadt, die er nie geſehen, wohin er nie kom¬
men wird, eine Klypthothek, eine Pinothek, ein Odeon
— Dinge, deren Namen er nicht einmal kennt —
die eitle Ruhmſucht eines Königs befriedige? Und
dieſer kunſtliebende König, der Zögling des alten
freien Griechenlands, der Nacheiferer eines Perikles,
hat den Stellvertretern des baieriſchen Volks ſagen
laſſen: Er würde ſie auseinander treiben,
wenn ſie ſich unterſtänden, ihm noch ſo
wenig von ſeiner Civilliſte zu ſtreichen
!
Und er hat ſpäter ſeiner Adelskammer kund gethan,
er wolle ſich mit drei Millionen begnügen! und die
Miniſter dieſes Königs haben in öffentlicher Sitzung
der Kammer zu verſtehen gegeben: ihr Herr würde
der Kammer manche Forderung bewilligen, wenn ſie
ſich gegen die Civilliſte billig zeigten! Sie — Königin
der Unglücklichen, wenn dieſe ſich je ihren Herrſcher
[32] wählen dürften — haben Sie das auch wohl ver¬
ſtanden? Der König von Baiern ließ ſeinem Volke
ſagen, er würde ihm dieſes und jenes Recht gewäh¬
ren, dieſe und jene Freiheit bewilligen, die man doch
unmöglich geſchenkt verlangen könnte, wenn man ſie
ihm bezahltebezahlte! Und was hat die
Kammer geantwortet? und was hat die badiſche [ge¬
than]
? und .... doch davon ſpäter. Ich will war¬
ten, bis die von Caſſel auch dazu kommt, noch eine
kurze Zeit warten. Und dann? Nun dann werde
ich trauern, daß ich Recht behalten. Ich werde nicht
Triumph! Triumph! rufen, wie es der feurige Wel¬
ker ſchon vor dem Siege, ja ſchon vor dem Kampfe
gethan! Nicht für meine Eitelkeit, für mein Vater¬
land habe ich die Stimme erhoben, und darum weh¬
klagt mein Herz über den Sieg, den mein Geiſt er¬
rungen.....


Ich habe es vergeſſen: wir glücklichen Deut¬
ſchen haben einige und dreißig Fürſten, einige und
dreißig Civilliſten. Rechnen Sie, was das koſtet,
und athmen Sie dabei, wenn Sie können. Und Tau¬
ſende wandern jährlich nach Amerika aus, wandern ge¬
dankenlos vorüber an einigen und dreißig duftenden
Küchen, und ſchiffen ſich ein, um in einem fremden
Welttheile ihren Hunger zu ſtillen!.... Ich will
noch einmal zur Civilliſte des Königs von Frankreich
zurückkehren, um Ihnen zu zeigen, wie Unrecht Sie
[33] hatten, als Sie mich ſo oft einen Verſchwender ge¬
nannt Vergleichen Sie meinen Haushalt mit dem
Louis Philipps, und Sie werden erfahren, wer von
uns ökonomiſcher iſt. Die Verſchiedenheit der Ver¬
hältniſſe mögen Sie immer dabei berückſichtigen.
Freilich iſt Louis Philipp König und ich bin keiner,
und habe auch, wie die Mannheimer Zeitung meynt,
wenig Hoffnung einer zu werden. Freilich hat König
Philipp eine Frau und ſieben Kinder, und ich bin,
Gott ſey Dank unverheirathet. Aber auf der an¬
dern Seite hat König Louis Philipp freie Woh¬
nung, und ich muß die meinige bezahlen; er hat
freies Holz aus ſeinen Wäldern; er hat eine Frau,
die ihm die Wirthſchaft führt, und ich muß Alles
ſelbſt beſorgen und werde geprellt. Alſo das gleicht
ſich aus. jetzt ſtellen Sie unſere Bedürfniſſe
nebeneinander. Die meinigen ſind Ihnen bekannt,
ich brauche Ihnen alſo blos die des Königs mitzu¬
theilen, wie ſie vor einiger Zeit bekannt gemacht
wurden. Für Doktor und Apotheker jährlich
80,000 Fr. Ich bin viel krank das Jahr durch
und weiß, was es koſtet— nicht geheilt zu werden.
Der Hofſtaat des Königs ſoll aus tauſend Perſonen
beſtehen (doch das iſt viel zu viel). Nun wird ange¬
nommen, daß unter tauſend Menſchen einer das
ganze Jahr durch krank iſt. Ich will zugeben, daß
die Hofkrankheiten immer von der gefährlichſten Art
IV. 3[34] ſeyen, die täglich zwei ärztliche Viſiten erfordern.
Jede Viſite zu 10 Fr. gerechnet, alſo [täglich] 20 Fr.,
macht das jährlich 7,900 Fr. Arztlohn. Täglich für
2 Fr. Medizin, beträgt jährlich 730 Fr., alſo Arzt
und Apotheker zuſammen koſten jährlich 8,630 Fr.,
woher nun 80,000? Das iſt Verſchwendung. —
Livrée-Bediente, 200,000 Fr., zu viel. Be¬
ſoldete Tagediebe von Rang
, 650,000 Fr.,
unerhört! Küche 780,000 Fr., davon werde ich in
meinem künftigen Werke: von den Königs-Ma¬
gen
weitläufiger ſprechen. Keller 180,000: die
Flaſche zu 5 Fr. gerechnet, käme auf das Jahr
36,000 Flaſchen, und auf den Tag 100. Können
Mann und Frau und Schweſter und ſieben Kinder,
meiſtens Frauenzimmer, täglich 100 Flaſchen Wein
trinken? Und denken Sie nicht etwa, daß darunter
der Gebrauch für fremde Tiſchgäſte mitbegriffen ſey,
denn die Ausgabe für dieſe werden unter dem Arti¬
kel Feten beſonders mit 400,000 Fr. berechnet. —
Für 300 Pferde jährlich 900,000 Fr.; alſo jedes
Pferd 3,000 Fr. Ein Pariſer Blatt bemerkte:
Tauſende in Paris würden ſich glücklich ſchätzen,
wenn ſie zu ihrem Lager das Stroh jener Pferde
hätten. Und erinnern Sie ſich noch des herrlichen
Marſtalles in Hannover, des dortigen Muſeums,
das alle Reiſende, alle neugierigen Damen beſuchen?
Einige hundert Pferde zum Gebrauche eines Königs,
[35] der ſeit hundert Jahren nicht in Hannover reſidirte,
werden dort gefüttert mit dem Brode, getränkt mit
dem Schweiße der unglücklichen Unterthanen, damit
die Majeſtät des Thrones auch in Abweſenheit des
Königs ſichtbar werde. Und wenn es kalt iſt in
Hannover, aber recht kalt, ſo daß die Thränen der
Unglücklichen zu Eis werden, dann — wird in der
Nacht Stroh geſtreut auf dem Steinboden des Mar¬
ſtalles, quer über die durchlaufende trübe Goſſe ge¬
legt, und die armen Leute, die kein Holz haben und
kein Bett und keine Suppe haben, ihre erfrornen
Glieder zu wärmen, dürfen dahin kommen und dort
ſchlafen zwiſchen den königlichen Pferden bis der Tag
graut. Es iſt keine Verſchwendung, wie man ſie
oft den Höfen vorwirft; o nein. Das Stroh kann
man den andern Tag für die Pferde gebrauchen, und
den Stellvertretern der königlichen Majeſtät iſt der
warme Dunſt ſo vieler Menſchen ohnedies gedeihlich.
Gott, Gott! nein, Teufel! Teufel! Da wir doch
keine Heiden mehr ſeyn dürfen, welche die menſch¬
lichen Götter anriefen!


Weiter. Für Heitzung 250,000 Fr. Da¬
mit könnte man ganz Sibirien wärmen, und das
Holz wäre dort beſſer verwendet, damit unſere armen
Polen nicht erfrieren. Uebrigens ſteht die ganze
Ausgabe betrügeriſch da, da der König ſein Holz aus
ſeinen Domainen-Waldungen zieht, und es alſo nicht
3 *[36] zu bezahlen braucht. — Beleuchtung 370,000 Fr.,
und trotz den vielen Kerzen lebt König Philipp wie
jeder König, immer im Dunkeln! Wäſche 160,000 Fr.
Rechnen Sie mir aus, wie das möglich iſt. Mu¬
ſik
, Theater, 300,000 Fr. Reiſen eine Mil¬
lion; Geſchenke, 160,000 Fr. Ein Fürſt hat
gut ſchenken! Und alle dieſe Ausgaben zuſammen
nennt man an den Höfen: die kleinen Vergnü¬
gungen
der Fürſten, les menus plaisirs. Was
koſten ihnen nicht erſt ihre großen Freuden,
Kriege, Eroberungen, Mätreſſen, Leibgarden, Günſt¬
linge, Beſtechungen, geheime Polizei! Und fragen
Sie vielleicht, aber im Ernſte, wie ſind ſolche große
unmögliche Bedürfniſſe nachzuweiſen? iſt die Ant¬
wort: höchſtens der vierte Theil dieſer Summe wird
zu angegebnem Gebrauche verwendet; drei Viertheile
werden geſtohlen, kommen in die Hände einiger be¬
günſtigten Lieferanten, die den Vortheil mit dem Hof¬
miniſter theilen. Aber nicht der König, das Volk
wird betrogen, welches die Civilliſte bezahlen muß.


Neulich las ich einige merkwürdige Beiſpiele
von Hof-Gaunereien. Die Kaiſerin Katharina von
Rußland, welche ihren Haushalt ſelbſt überſah, fand
einmal in der Rechnung 28,000 Fr. für Talglichter
angeſetzt. Dieſe große Summe fiel ihr um ſo mehr
auf, da ſie den ſtrengſten Befehl gegeben hatte, daß
an ihrem Hofe kein Talglicht gebrannt werden ſollte.
[37] Sie ſtellte Unterſuchungen an, und da fand ſich, daß
der junge Prinz, nachmaliger Kaiſer Alexander, ſich
ein Talglicht hatte kommen laſſen, um damit ſeine
aufgeſprungene Lippe zu beſtreichen. Der Lakai, der
das Licht kaufte, ſtellte vier Pfund in Rechnung, der
Vorgeſetzte über ihn machte eine Summe von 300 Fr.
daraus, und ſo von Diener zu Diener hinaufſteigend,
ſchwoll die Summe immer höher an, bis endlich der
Oberhof-Intendant die runde Summe von 28,000 Fr.
zu Papier brachte. Ludwig XVIII. hat berechnet,
daß ihm jedes friſche Ei, das er verzehre, auf
30 Fr. zu ſtehen komme Es iſt wahr, die Hof¬
diebe treiben ihr Handwerk mit großer Genialität,
und ich ſelbſt, wenn ich Richter wäre, würde mich
bedenken, ſolche große Künſtler an den Galgen zu
bringen. Solche Geſchichten wären ſehr ſpashaft,
ſehr unterhaltend, wenn nur das Volk den theuern
Spaß nicht bezahlen müßte.

[38]

Geſtern war in dieſem Winter der erſte Abend
bei ***. Das ganze Perpetuum Mobile der
Kammer war da; Odillon-Barrot, Pagès, Clauzel,
Lamarque, Mauguin, und wie ſie ſonſt alle heißen.
Auch die Generale Romarino und Langermann, Lele¬
well und noch viel andere confiscirte Polen. Wenn
man denn Lelewell ſieht und hört, ſollte man es ihm
nicht zutrauen, daß er den Geiſt und Muth hätte,
vor einer Revolution herzugehen. Er ſieht ſo zer¬
quetſcht aus, ſpricht ſo matt und gebrochen, hat ein
ſo furchtbares Organ, daß man ihn für einen deut¬
ſchen Stubengelehrten halten ſollte. Doch vielleicht
hat ihn das Unglück ſeines Vaterlandes niedergewor¬
fen; vielleicht auch (und das iſt das Wahrſcheinlichſte,
iſt er bedenklich, an öffentlichen Orten frei zu ſpre¬
chen. Denn ein anderer Pole klagte mir, es wäre
ein Jammer und eine Schande, wie viele Spione
es unter ihnen in Paris gäbe. Unter den anweſen¬
den Deutſchen war auch Börne, der Verfaſſer „der
berüchtigten Briefe aus Paris,“ wie ſie die berühmte
allgemeine Zeitung nur allzugelinde nennt. Er mußte
mich wohl für einen Franzoſen gehalten haben; denn
er unterhielt ſich mit einem Deutſchen über Dinge,
die gewiß keiner hören ſollte, und es hinderte ihn
[39] gar nicht, daß ich ganz nah dabei ſtand. Und ſo
habe ich denn gehört, wie dieſer Freiheitsheld, dieſer
Demagog, dieſer Fürſtenknacker, zu dem andern
ſagte: er verſpräche, wenn er ihm ein Pfund Rauch¬
tabak und ein halbes Pfund Schnupftabak aus Deutſch¬
land verſchaffte, dafür ſeinen Fürſten, ſo viel und ſo
lange er wolle, öffentlich zu loben. Und für einen
ſo heilloſen Menſchen, der für anderthalb Pfund Ta¬
bak ſein Gewiſſen verkauft, können Sie eingenom¬
men ſeyn? Der Deutſche, dem er dieſes Anerbieten
machte, war Herr von *** aus ***.


Es herrſchte eine beſonders große Bewegung in
der Geſellſchaft. Die Herren waren noch ganz heiß
von der Kammerſitzung, in der an dieſem Tage ein
heftiger Aufruhr ſtatt fand, weil Montalivet die
Franzoſen Unterthanen des Königs genannt. Sie
werden das in der Zeitung geleſen haben. *** ließ
die ſeitdem bekannt gewordene Proteſtation in der
Geſellſchaft circuliren, welche die anweſenden Depu¬
tirten unterſchrieben. Um Mitternacht rief mich ***
in ein abgelegenes Cabinet, wo ich ***, den Gene¬
ral *** und *** an einem Tiſche mit Schreiben
beſchäftigt fand. Die deutſchen Angelegenheiten kamen
da zur Sprache. Was dort verhandelt worden, wage
ich nicht dem Papiere anzuvertrauen, und es in un¬
ſere Sprache zu überſetzen, habe ich heute keine Zeit.
Doch eine wichtige Aeußerung des Generals ***
[40] muß ich Ihnen mittheilen. (P. 414. T. 4. Mo¬
nat 18.) „Soli Branz, Resseo pariam vorum
„catibis, press ar littotas massica plissos, voris¬
„silo caruss ab itanis. Os? pervens politan.
„Ciro! navira canti babus sirneos romarinos;
„vertel. Cassus iran poplita poplites, varina
„faessionibus. Venamos pur? valemi naro inoi¬
„tamentamus. Pasti? marmorum quesitan. Cass
„ab, papiron gash.“
Ich fragte ***, welche
Garantie man den Deutſchen gäbe? Darauf brach
er in ein lautes und boshaftes Lachen aus, und ſprach:
Ihr ſeyd ein Volk und verlangt Garantie? Ich
ſchämte mich meiner Uebereilung und um meine Ver¬
legenheit zu verbergen, erzählte ich ihm eine bekannte
deutſche Anekdote. Kaiſer Joſeph errichtete zwei
Regimenter von lauter Juden. Als dieſe einmal in
Friedenszeiten Nachts durch einen Wald marſchiren
ſollten, baten ſie den General, er möchte ihnen Be¬
deckung mitgeben, weil, wie das Gerücht ging, Räu¬
ber den Wald unſicher machten. Praxas kuhu,
praxas kuhu
— ſagte ich noch. Mündlich das
Nähere.


— Heute ſchickte mir der hieſigen Geſandte
der freien Städte ein Protokoll der frankfurter Poli¬
zei mit, das ihm für mich zugeſchickt worden war.
Ich habe es aber auch gar zu gut und bequem in
dieſer Welt, über die alle Menſchen klagen, und
[41] mein Hotel des menus-plaisirs iſt viel reicher ver¬
ſorgt, wie das des Königs. Wie glücklich war ich,
als ich den guten alten Kanzlei-Styl wieder ſah!
Ich drückte ihn an mein Herz, ich küßte ihn. Ein
Ruf zu einem Staatsamte in Form eines Steckbrie¬
fes abgefaßt! Das Protokoll iſt geſchrieben „in
Gegenwart Sr. Hochwohlgeboren des wohlregierenden
jüngern Herrn Bürgermeiſters Herrn Senatoris
Dris
Miltenberg; S. T. Herrn Senatoris Dris Beh¬
rends; S. T. Hofs.
des Raths, und meiner des
Actuarii Münch.“ Herr, wird meinem Namen
niemals vorgeſetzt, ſondern ich heiße immer der
Dr. Ludwig Baruch modo Boerne. Das Herr,
das ſie mir geſtohlen, ſchenkten ſie dem jüngern Bür¬
germeiſter, ſo daß dieſer zweimal Herr vor ſeinem
Namen hat. Er hätte es nicht annehmen ſollen.
Heißt das wohl regieren? Ich mußte in Gegen¬
wart meiner
, des Dris Ludwig Baruch modo
Boerne
, herzlich lachen über das Polizei-Protokoll.
Es hat 57 Zeilen und nur ein einziges Punktum.
Es fängt an: „als vorkam, daß des zufolge,“ und
endet: „zu ſiſtiren habe.“ Hat man je eine Schrift
geleſen, die anfängt: als vorkam, daß des zu¬
folge
? Konnte da je etwas Gutes daraus werden?
In der Mitte des Protokolls heißt es: Nach dem
Reichs-Deputations-Schluß von 1803, müſſe ich
als Penſionir ein Amt annehmen, und nach meiner
[42] Vorſtellung an den Senat von 19. Juli 1815,
wollte ich eines annehmen. Da ich nun zugleich
müßte und wollte, ſollte ich mich ſiſtiren, um
der frankfurter Polizei in ihrer großen Verlegenheit
auszuhelfen; denn ſie könnte ohne mich länger nicht
mehr fertig werden. Ich ſchicke morgen dem
Dr. Reinganum das Protokoll, und bei dem können
Sie es leſen. Bringen Sie aber einige Punkte hin¬
ein, es könnte ſonſt ihrer Bruſt ſchaden. Sieben
und funfzig Zeilen
und ein Punktum! Es
iſt gräulich
, wie Eduard Meier in Hamburg
ſagt; und, was zu arg iſt, iſt zu arg, wie er
ebenfalls ſagt; und, da muß einem die Geduld
reißen
, wie er nicht minder ſagt. Sieben und
funfzig Zeilen und ein Punktum! Das iſt ja noch
ärger wie Falſtaffs Wirthshaus-Rechnung. Ein
Penny für Brod, und dreißig Schilling für Sekt.
O Herr Aktuarius Münch, warum haben Sie nichts
von mir profitirt? Ich war drei Jahre Ihr College,
und Sie hätten von mir lernen können, wie man
Punkte ſetzt, Fallen ſtellt, Schlingen legt.


Dem *** werde ich nicht ſchreiben, das habe
ich mir ſchon früher vorgenommen. Glauben Sie
doch ja nicht, daß mir ſolche Dinge Gemüthsbewe¬
gung machen. Unangenehme Berührungen von Men¬
ſchen weiß ich leicht zu heilen. So oft mir ein
Narr oder ein Böſewicht vorkömmt, erhebe ich ihn
[43] zu einem Narrenkönig, oder zu einem Könige der
Böſewichter. Dann ſehe ich ſein ganzes Volk hinter
ihm, und mit der Menſchheit darf man nicht rechten.
Gott hat ſie geſchaffen, wie ſie iſt, und hat allein
alles zu verantworten. *** iſt mir ein ſolcher
Narrenkönig. „Ich kann dich nur beklagen
— kömmt das nicht in einer Oper, ich glaube in
der Zauberflöte vor? Nun, ich ſage dem ***:
Ich kann dich nur beklagen, eitler Narrenkönig!


Den Cormenin, und was Sie ſonſt wünſchen,
werde ich Ihnen durch die erſte Gelegenheit ſchicken,
Drei Briefe ſind erſchienen, und jetzt in einer Bro¬
chüre vereinigt herausgekommen. Den dritten Brief
habe ich geleſen. Es iſt die Weisheit in Zahlen und
iſt die Thorheit in Zahlen. So, und nur ſo allein
muß man die Menſchen belehren; denn ſie ſind ſo
dumm, daß ſie nichts begreifen, was ſie nicht zählen
können. Sie ſind gar zu dumm, die Menſchen!
Wenn ſie nur einen einzigen Tag wollten, oder nur
einen einzigen Tag nicht wollten, dann wäre wenig¬
ſtens allen Leiden ein Ende gemacht, die von den
Menſchen kommen, und blieben dann nur noch Ueber¬
ſchwemmungen, Erdbeben, Krankheiten übrig, welche
Plagen nicht viel bedeuten. Aber wollen! Das
iſts. Nicht wollen; das iſts noch mehr. Kaiſer
Maximilian hatte einen Hofnarren, der ſagte ihm
einmal: Wenn wir nun Alle einmal nicht
[44] mehr wollen
, was willſt du dann thun? Ich
weiß nicht, was der Kaiſer darauf geantwortet; aber
der Narr, der ſchon vor länger als drei Jahrhun¬
derten einen ſolchen großen Gedanken haben konnte,
mußte ein erhab'ner Geiſt geweſen ſeyn.

[[45]]

Neunzehnter Brief.


Geſtern war ein ſchönes Concert im italieniſchen
Theater, wobei mir, wie gewöhnlich, das letzte Muſik¬
ſtück am beſten gefiel; denn ich bin immer froh,
wenn ein Concert zu Ende iſt. Es iſt mit dem
Kunſtgenuſſe, wie mit dem ſinnlichen: Ohr, Auge,
die Seele habe einen Punkt der Sättigung, den, er¬
reicht, alles weitere nicht mehr mundet, noch gut be¬
kömmt. Die vielen und beſonders verſchiedenartigen
muſikaliſchen Gerichte, eines nach dem andern vorge¬
ſetzt, ſtumpfen die Empfänglichkeit ab, und richten
das Urtheil ganz zu Grunde. Es iſt eine abſcheu¬
liche Ueppigkeit, die den Menſchen endlich empfin¬
dungsarm macht. Dieſes im Vorbeigehen; denn
man ſoll jede Gelegenheit benutzen, einer Freundin
etwas Philoſophie in Verwahrung zu geben. Die
[46] Zeit kann kommen, daß man ſie bei ihr braucht, und
dann iſt der überraſchende Vorrath ſehr angenehm.


Meine Malibran hatte einen ſtarken Huſten
und ſang ſchlecht. Das verzieh ich ihr auf der
Stelle. Aber ſie trug ein Kleid von rothem Sam¬
met, das einen reifrockartigen Umfang hatte, und das
konnte ich ihr anfänglich nicht verzeihen. Als aber
darauf Herr von Berriot erſchien, verzieh ich ihr das
auch. Es iſt das liebenswürdigſte Geſicht, das mir
je an einem Manne vorgekommen, Er iſt beſcheiden,
ſinnig, voll Geiſt und Gemüth. So iſt auch ſein
körperlicher Anſtand und ſo ſein Spiel. Paganini's
Humor hat er nicht, vielleicht auch nicht ſeine Tiefe;
aber ſeine Höhe und eine Harmonie, die Paganini
nicht hat. Grazie möchte ich in ſeinem Spiel nicht
nennen, was ein beſſeres Wort verdiente; denn mit
Grazie verbindet man doch immer die Vorſtellung
einer weiblichen Kraftloſigkeit; doch weiß ich nicht,
wie ich es nennen ſoll. Was mir an Berriot am
meiſten gefiel, war ſeine Anſpruchloſigkeit ſowohl in
ſeinem Vortrage, als in ſeiner Kompoſition. Ich
habe an andern großen Komponiſten und Virtuoſen
oft bemerkt, daß ſie ihrer gelungenſten Stellen ſich
ſelbſt bewußt ſind, und wenn ſie an dieſe kommen,
gleichſam zur Bewunderung herausfordern. Berriot
bleibt ſich immer gleich, giebt keinem Theile ſeines
Spieles und ſeiner Kompoſition einen Vorzug vor
[47] dem andern, und fordert keinen für ihn. Kurz,
Berriot iſt ein Nebenbuhler, der meiner würdig iſt,
und da Madame Malibran das Unglück hat, mich
gar nicht zu kennen, konnte ſie keine beſſere Wahl
[treffen].


Schon ſeit zehn Jahren komme ich nach Paris,
und erſt vor vierzehn Tagen habe ich die berühmte
Mars zum erſtenmal ſpielen ſehen. Aber das Sie
ja meine Ungeſchicklichkeiten keinem verrathen! Ich
hätte Ihnen früher über jenen Abend geſchrieben,
aber ich wußte nicht, was ich Ihnen ſagen ſollte,
und ich weiß es heute noch nicht was ich davon den¬
ken ſoll. Die Sache iſt: ich habe alle Uebung im
Kunſturtheile verloren. In frühern Jahren war ich,
wie mich mehrere dramatiſche Dichter und Schau¬
ſpieler, deren Stücke und deren Spiel ich gelobt,
verſichert haben, ein ſehr guter Theaterkritiker; aber
ſeitdem hat das unverſchämt proſaiſche Europa mich
aus aller Aeſthetik geworfen. Ich glaube, daß die
Mars die größte Künſtlerin iſt, als welche ſie den
Ruhm hat; aber ich weiß es noch nicht. Doch
weiß ich auch nichts im geringſten, was dieſen Glau¬
ben ſchwankend machen könnte. So viel merkte ich
wohl, daß ſie in den gewöhnlichen Momenten des
Spiels ſehr ökonomiſch iſt mit ihren Mitteln, und
man darum, den Reichthum ihrer Kunſt zu beurthei¬
len, erſt jene Feierlichkeiten des Herzens abwarten
[48] ſoll, in welchem ſich Glanz und Aufwand zeigen muß.
Zu ſolchen Feierlichkeiten boten aber die beide Stücke,
in welchen ſie auftrat, keinen Anlaß. Es waren:
l'Ecole des Vieillards von Delavigne, und les faus¬
ses confidences
von Marivaux. Mir behagen die
neuen Luſtſpiele nicht, auch nicht die Beſſern. Die
alten guten Komödien gaben uns Federzeichnungen,
geiſtreiche Umriſſe von Charakteren, die Leſer, Zu¬
hörer, und Schauſpieler ausmalten Das beſchäftigte
den Geiſt, und gab der Kunſt Beſchäftigung. Die
neuen Komödiendichter aber, ohne Geiſt und ohne
Erfindung wie ſie ſind, zeigen ihre Kunſt nur in den
Farben, und darum bleibt dem Schauſpieler nichts
weiter übrig, als ein Stück, das ihm nichts zu er¬
gänzen gelaſſen, zu kopiren. Das Drama Delavig¬
nes iſt ſolcher modernen Art, und ſelbſt eine Mars
konnte die Feinheit ihrer Rolle nicht noch feiner aus¬
ſpinnen, und wer daher, wie ich das Stück geleſen
und gut verſtanden, erfuhr nichts Neues von ihr.
In dem alten Luſtſpiele les fausses confidences,
fand ich die Mars zu modern. Was allen männli¬
chen Rollen in dem Stücke gelang, ihren Empfindun¬
gen etwas Perückenartiges zu geben, mußte einem
ſchönthuenden Frauenzimmer mislingen. Thut denn
die Mars ſchön? — werden Sie mich vielleicht mit
Verwunderung fragen? Doch vergeſſen Sie nicht,
daß es zehn Jahre ſind, daß Sie ſie geſehen, und
[49] zehn Jahre ſind ein Jahrhundert im Leben eines
Frauenzimmers. Ich will es bekennen, daß die
Mars mir nicht gefiel, weil ſie alt iſt. Zu meinem
Unglücke ſaß ich ihr ganz nahe, und glaubte über¬
dies meinem boshaften Vergrößerungs-Glaſe, das
ſelbſt eine Hebe verläumdet. O die Runzeln, dieſe
Särge ohne Deckel! Und das graudämmernde Lä¬
cheln, das mit dem letzten Strahle der untergegan¬
genen Schönheit gemiſcht iſt! Lächeln aber iſt die
ganze Kunſt einer Schauſpielerin in dieſen [modernen]
Komödien, wo Tugend und Laſter, Treue und Ver¬
rath, Liebe und Haß, Kraft und Mattigkeit, zu dem
bequemen und leicht verdaulichen Ragout, das man
geſellſchaftliches Leben nennt, zuſammengelächelt ſind.
Die Schauſpielerin, die nicht mehr gut lächeln kann,
ſoll die Medea ſpielen, die Clytemneſtra — oder die
Antigone, aber nicht die junge Frau eines alten
Mannes, in dieſem reconvalescirenden noch ſchwachen
Jahrhunderte. Ach die Weiber, welchen höchſtens
der Spiegel ſagt, daß ſie alt geworden, aber nie das
Herz! Und wenn nun die müden alten Züge
des Geſichts der Empfindung nicht mehr nachkommen
können — es iſt gar zu traurig. Ich hätte der alten
Mars gern die Jugend und Schönheit meiner acht¬
zehnjährigen Geliebten auf den Abend geliehen, und
hätte mit einer zahnloſen Braut den ganzen Abend
gekoſ't; ſo gerührt war ich. Die abſcheulichen Run¬
IV. 4[50] zeln! Ich könnte darüber weinen, wenn ich nicht
lachen müßte, daß ich ein Mann geworden. Und
wenn ich den Spiegel küßte, ich ſehe keine Runzeln
in meinem Geſichte. Und doch ſind ſie da; aber wir
Männer haben keine Augen dafür. Ja die Weiber
haben keinen beſſern Freund als mich, und einen der
ſeltenſten Art; einen Freund in der Noth und nur
in der Noth, nicht im Glücke. An euern Freuden
will ich nicht Theil haben, ich habe keinen Sinn da¬
für; aber euere Leiden von verrathener Liebe bis
zum Schmerze eines beſiegten Hutes: ſie ſind mir
alle heilig.


Die Mars hatte wegen Krankheit ſeit einem
Jahre nicht ſpielen können, und da ſie nun zum
Erſtenmale wieder auftrat, wurde ſie mit lebhaftem,
aber doch nicht mit jenem ſtürmiſchen Beifalle emp¬
fangen, welcher im Anfange des Winters der Mali¬
bran zu Theil ward, als ſie von einer Kunſtreiſe
von einigen Monaten, die ſie in Geſellſchaft des
Herrn von Berriot gemacht, zurückkehrte. Jugend
und Schönheit haben Kredit, die alte Mars mußte
den Beifall mit ihrem Spiele baar vorauszahlen.
Nicht wegen, aber trotz der Mars hätte ich mich
dieſen Komödien-Abend ſehr gelangweilt, hätte nicht
Monroſe mitgeſpielt in Marivauxs Stücke. Mon¬
[51] roſe iſt ein unvergleichlicher Schauſpieler für alle
ſpitzbübiſche Bedienten, welche in neuerer Zeit, durch
die Konkurrenz ihrer Herren, ganz zu Grunde gerich¬
tet worden. Die Schelmerei iſt ſo wenig ſchändlich
mehr, daß man die vertrauten Bedienten nicht mehr
braucht; denn man thut alles ſelbſt, und öffentlich.
Auch dadurch hat die neue Komödie viel verloren.
Monroſe iſt ein herrliches antikes Kunſtwerk. Der
König war auch im Theater. Den vorigen Winter
ſah ich ihn in den Fourberies de Scapin — nicht
den König, ſondern Monroſe — und erſtaunte über
ſein Talent. Er wurde mit Beifalls-Aeußerungen
empfangen — nicht Monroſe, ſondern der König —
der Zorn über meine dicke Dinte hat mich ganz ver¬
wirrt gemacht, und ich weiß gar nicht, was ich
ſchreibe — aber es waren einſtudirte Choriſten, das
merkte man gleich.


Von den Briefen eines Verſtorbenen im
Morgenblatte habe ich die, welche mich betreffen,
aber nur flüchtig geleſen; die andern noch gar nicht.
Ich werde ſie mir zu verſchaffen ſuchen, und dann
auch darüber ſprechen. Ich glaube, daß ſie Ro¬
bert geſchrieben. Der unglückliche Robert, der
an den Ufern der Oos trauert, daß in den
Stürmen der Julirevolution ſeine nicht aſſekurirten
4 *[52] Vaudevilles untergegangen! Dort ſinnt und ſinnt
er, wie zu machen, daß von ihm geſprochen
werde. Dem Manne kann geholfen wer¬
den
, — ſage ich, wie Karl Moor in den
Räubern.

[[53]]

Zwanzigſter Brief.


Geſtern war ich wieder bei dem monatlichen
encyclopädiſchen Diner. Die Geſellſchaft war gut,
das Eſſen ſchlecht. Es compenſirt ſich alles; bei
den Ariſtokraten ſpeißt man beſſer. Ich habe mich
viel mit Polen unterhalten, mit den Generalen Lan¬
german und Uminski. Letzterer war erfreut, mich
kennen zu lernen; er hatte in Strasburg meine
Briefe geleſen. Mehreren Anweſenden wurde ich
vorgeſtellt als ein Allemand très destingué. Bei
Tiſche wieder die gewöhnlichen Toaſts auf alle Völ¬
ker des Erdenrundes und die Deutſchen zuletzt, wie
immer. Jullien hat eine halbe Stunde ſehr ſchön
geſprochen. Der Trink-Refrain à l'union des
peuples
kettete Volk an Volk, und nahm ſich in der
Wiederholung recht muſikaliſch aus. Und wäre es
auch blos eine Komödie — iſt nicht die Bühne eine
[54] Beglaubigung des Lebens? Von den Mitgliedern
der letzten polniſchen Revolutions-Regierung waren
auch zwei [anweſend], der Miniſter der auswärtigen
Angelegenheiten, und der der Finanzen. Der Letz¬
tere war ſehr freundlich gegen mich, und wird mich
beſuchen. *** war poetiſch und hat ihm erzählt:
jedes Wort in meinen Briefen wäre ein Thräne, den
Polen geweint. Und das geſchah vor dem Eſſen,
da er noch nicht getrunken! Die Thränen machten
Eindruck auf einen Finanz-Miniſter; iſt das nicht
merkwürdig? Bei dem Toaſte auf die Deutſchen,
wurde des Herrn Bo-erne des Allemand distingué
und ſeiner Lettres de Paris gedacht. Zum Glücke
für uns Deutſche haben auch mehrere andere Natio¬
nen auf die Geſundheit nicht geantwortet, und man
bemerkte unſere Blödigkeit nicht. Nach dem Toaſte
auf die Spanier wurde ein Gedicht l'Espagne
et Torrijos
, à Ferdinand VII. von Barthelemy
geleſen. Barthelemy und Mery geben ſeit einem
Jahre eine politiſche Wochenſchrift in Verſen unter
dem Namen Némésis heraus. Der ſchändliche
Mord des Torrijos und fünfzig ſeiner Unglücksgefähr¬
ten, die kürzlich in Malaga erſchoſſen wurden, gab
Stoff zu erwähntem Gedichte. Da Sie es in
Frankfurt ſicher nicht haben, will ich Ihnen diejeni¬
gen Stellen mittheilen, die von der Verſammlung
mit ſtürmiſchem Beifalle aufgenommen wurden.


[55]
Voilà ce roi chrétien, que sa mère appellait

Ferdinandcoeur de tigre et tête de Mulet:
C'est le type incarné de l'absolu pouvoir.

— D'un clergé despote [orgueilleux] mannequin,

Je pare le gibet d'un cordon Franciscain,
L'Espagne est pour l'Europe une place de Grève.
Chose horrible! on dirait que depuis neuf années,

Comme sur des gradins, assise aux Pyrenées,

L'Europe, par plaisir, contemple avec effroi

La liberté qui meurt sous les griffes d'un roi.

Et nous, pour admirer ce long [martyrologe],

Nous nous sommes placés dans la première loge —
Et nous, nous peuple fier qui, sous le grand drapeau,

Chassons les rois mauvais comme un lâche troupeau,

Nous qui pouvons si bien leur tendre une main forte,

Nous souffrons qu'on les pende au seuil de notre porte,

Et les pieds convulsifs de ceux qui sont mourir

Sont comme les marteaux qui nous disent d'ouvrir!

Et quel est donc le Dieu, le Baal espagnol,

Pour qui fume ce sang repandu sur le sol?

Quel est l'homme assez fort pour que dans ses domaines

On recrute pour lui des victimes humaines?

Eh bien! connaissez donc le monarque puissant

Qui reçoit en tribut l'holocauste de sang.

C'est un Bourbon qui suit de ses aeux la trace

Imbécille héritier d'une stupide race;

Un roi caputchonné qui dans une oraison

Mêle un verset d'église avec la pendaison;
[56]
Comme Charles son père, en hurlant il dévore

Les boeufs amoncelés qui palpitent encore.*)

Signe de son instinct, il a sous un front chauve

Le cerveau déprimé, comme une bête fauve.

Roi fangeux, que le ciel pétrit dans sa colère

Voilà pourtant celui que l'Europe tolère!
Triste peuple, cadavre empoisonné d'ulcères

La vermine du cloître a rongé ses viscères.
Dans les jours solennels, courbé sur son chemin

L'ambassadeur Français va lui baiser la main;

Tr!!! par son envoyé, quand cet affront la touche,

La France avec horreur doit essuyer la bouche;

La main de l’Egorgeur! la main de Ferdinand!

II n'est rien de plus vil dans tout le continent!
Oh! des peuples souffrans la justice est tardive

Elle a le pied boiteux, mais enfin elle arrive;

Le peuple est patient car il est éternel,

Nos pleures ont coulé sur le sang fraternel!
[57]
Je ne peux pas juger le roi par contumace,

La France contre Lui doit se lever en masse;

Cette fois nous avons le droit d'intervenir,

Oui, quand un criminel si grand est à punir;

Quand son nom fait bouillir la haine universelle,

Il faut le reclamer du sol qui le recèle;

Si cet infame roi, fuyant de son palais,

Court chercher un asile au Gibraltar anglais,

II faudra, par pudeur, qu'on nous le restitue,

Car il faut voir la fin d'un règne de forfaits;

Les peuples de l'Espagne, une fois satisfaits

Epouvantant les rois d'un juste régicide

Suspendront son cadavre aux colonnes d'Alcide.
[58]

Wie war ich mit Ihrem geſtrigen Briefe über¬
raſcht, ehe ich ihn geöffnet! Aber als ich ihn las,
mußte ich heulen wie ein Kind, das ſich ein Loch in
den Kopf gefallen. Schreiben Sie mir keine ſolchen
Briefe mehr; man kann nicht Mann genug ſeyn in
dieſer kriegeriſchen Zeit ... Wollen Sie ſich denn
Ihre Aengſtlichkeit niemals abgewöhnen? Habe ich
Ihnen nicht erſt kürzlich erklärt, wie es jetzt ein
Majeſtäts-Verbrechen geworden, ſich zu fürchten,
weil es ein Eingriff in die Rechte der Krone iſt? —
Die engliſchen Blätter leſe ich nicht; ich kann alſo
nicht ſagen, ob Ueberſetzungen meiner Briefe darin
angekündigt, oder überhaupt davon geſprochen worden.
Aber hier in Paris erſcheinen zwei Ueberſetzungen.
Die eine iſt im Courrier von geſtern angezeigt. Le¬
ſen Sie ſelbſt was dabei geſagt iſt. Welcher Buch¬
händler die andere herausgiebt weiß ich nicht. Im
Literaturblatte, (der Beilage zum Morgenblatte
vom 19. Dezember 1831) ſagt Menzel bei Gele¬
genheit einer Beurtheilung über Wilhelm Müllers
Schriften etwas über mich, das Sie erfreuen wird.
Leſen Sie es ja. Er vergleicht die Verfolgungen,
[59] die ich jetzt von den Philiſtern zu ertragen habe, mit
denen, welchen Lord Byron ausgeſetzt war, und wie
wir beide aus gleichem Grunde verkannt werden.
Ich bin dem Menzel für ſeinen guten Willen und
ſeine ſchmeichelhafte Zuſammenſtellung ſehr großen
Dank ſchuldig; aber die Vergleichung muß ich zu¬
rückweiſen, ich habe ſie weder verdient noch verſchul¬
det. So zerriſſenen Herzens bin ich nicht wie By¬
ron. So wie er habe ich nie an der Menſchheit
verzweifelt. Sie iſt mir klar und darum iſt ſie mir
ſchuldlos. Gott iſt in ihr, der Teufel nur in ihren
Quälern. Und gegen dieſen ſich nicht blos zu be¬
kreuzigen, ſondern ihm mit Wort und Schwert ent¬
gegen zu treten; denn er hat ein Ohr, das man
ſchrecken, Fleiſch und Bein, das man treffen kann
— dazu muntere ich die Schläfrigen auf, dazu mache
ich die Abergläubigen beherzt. Auch an Deutſchland
verzweifle ich nicht, wie Menzel glaubt. Man ſchilt
keinen Bettler wegen ſeines Geizes, den Reichen
ſchilt man. Ein Volk iſt ein einziges Kind. Auch
mit Liebe im Herzen muß man es ſchelten; ſchelten
über jeden Fehler, und wenn der Fehler auch der
Dorn einer Tugend wäre. Es iſt nicht meine Schuld,
es iſt mein Verdienſt, wenn ich ein beſſerer Pädagog
bin, als es mancher Andere iſt. Es giebt nachtwan¬
delnde Völker: aber die Nacht eines Volkes iſt lang,
ſehr lang, ſie zählt Tage und Jahre und Jahrhun¬
[60] derte und beſſer, daß man ſolch ein nachtwandelndes
Volk anrufe, und könnte auch geſchehen, daß es den
Hals darüber bräche, als es ſo fort dämmern zu laſ¬
ſen, in ſchwankender Mitte zwiſchen Thier und Pflanze,
in ſchwankender Mitte zwiſchen Schlaf und Tod.

[61]

Nachfolgendes Gedicht von Berenger zirkulirt
in der Handſchrift. Dem guten Manne mag es in
St. Pelagie nicht gefallen haben, und darum läßt er
es wohl nicht drucken.


La Paix.
J'aime la paix, je hais la guerre,

La guerre ne va qu'aux héros;

Et moi par goût, par caractère

Je cherche avant tout le repos.

Les seuls conseils de la prudence

Doivent me régler désormais.

Pour moi d'abord et pour la France

Je veux la paix.
Grace a mes flatteurs, je l'avoue,

J'ai de la gloire à bon marché

Et de maint exploit on me loue

Ou mon courage a trébuche

Aussi de Valmy, de Jemapes

Pour ne point gâter les hauts faits

Gardons bien qu'on re m'y rattrape,

Je veux la paix
De l'empire on veut les frontières,

On veut l'agrandir, et pourquoi?

Mon dieu! la France de nos pères

Est déja trop grand pour moi.
[62]
Si quelque voisin le propose

De grand coeur ici je permets

Qu'on en rogne encore quelque chose;

Je veux la paix.
Un conquérant dans sa manie

Fit une France exprès pour lui,

Aussi vaste que son génie.

Il en faut une autre aujourd'hui.

Formons loin des champs de bataille

Sans jaloux, sans peine, sans frais,

Un petit royaume à ma taille.

Je veux la paix.
D'un oeil sec j'ai vu la Belgique

Briser le sceptre de Nassau,

Je vois la Pologne héroique

Lutter au bord de son tombeau;

L'Italie en vain nous appelle,

Tranquille au fond de mon palais

Qu'autour de moi le sang ruisselle;

Je veux la paix.
Oui je redoute les alarmes,

J'abhorre le bruit du canon,

Et je vous ai donné pour armes

Non pas un coq, mais un chapon.

Ma couronne est mieux affermie

Et même . . . . . . . . . . .

Je veux la paix.

Viele Verſe im heutigen Briefe. C'est pour
former le coeur et l'esprit aux jeunes Alle¬
[63] mands
. Der Schatten an der Oos ſchrieb in das
Morgenblatt: „ich hätte die „Briefe eines Verſtorbe¬
nen“ (das Buch) benutzt.“ Sollte er wohl damit
meinen, daß ich den leichten Briefſtyl nachzuahmen
geſucht? Nun, iſt es nicht geſchehen, ſo kann ich
es noch thun. Adieu, ma bonne amie, je dévore
un oeuf
. Sur ce, n'ayant plus rien à dire
Salut, fraternite, ou la mort. Ach! ich plumper
Bürgersmann kann die Freiheit keine zwei Zeilen
lang ertragen. Gott zum Gruß, und wann kömmt
mein Kanaſter?

[[64]]

Ein und zwanzigſter Brief.


O, es iſt himmliſch! Ich hatte vermicelle,
cotelettes de veau aigre-doux
, épinards — nein,
in allen Dingen die Wahrheit; ich hatte keine épi¬
nards
, ſondern choucroûte garnie; mögen mich die
Diplomaten immerhin verachten — und poulet au
cresson
. Ich war in reiner kalter Luft lange ſpa¬
zieren gegangen und hatte einen herrlichen Hunger
mit nach Hauſe gebracht. Und als ich mit dem Eſ¬
ſen fertig war, blieb noch ein kleiner Hunger übrig,
und es that mir leid, daß ich nicht auch omelette
ſoufflée
beſtellt hatte. Da ſchickte Freund D. ...
ein Zeitungsblatt mit Empfehlung, die allgemeine
Zeitung von Stuttgart und darin fand ich: Rap¬
ſodien
, veranlaßt durch Herr Börne's
Briefe
, von Pittſchaft. Da hatte ich meine
omelette soufflée! Es iſt nicht der Philoſoph Pitt¬
[65] ſchaft, der im Tollhauſe ſitzt; denn er ſitzt nicht mehr
im Tollhauſe, weil er ſich erhängt hat. Es iſt deſ¬
ſen Bruder, der Medizinalrath Pittſchaft in Baden
an der Oos. Hätte ich nur meinen Himmel mit
Ihnen theilen können; die andere Hälfte iſt noch
groß genug. Mein Tiſchchen ſchwankte unter der
Laſt des aufgehäuften Deſerts; mein Salzfaß ward
ſüß davon. Zuerſt: Während der Jahre, die ich
in Halle bei Reil wohnte, erſchien das bekannte Buch
dieſes großen Arztes: Rapſodien über die pſy¬
chiſche Behandlung der Wahnſinnigen. Lange
vor und nach Erſcheinung dieſes Werkes, das ſeinem
Verfaſſer beſonders lieb war, hörte ich alle Tage
von Rapſodien ſprechen, ſo daß ſeitdem und bis
heute, ſo oft ich das Wort Rapſodien leſe oder höre,
ich gleich an verrückte Menſchen denke. Ferner: Ich
dachte, wie viel zweckmäßiger es wäre, wenn ſtatt
meiner Herr Pittſchaft ſich am Frankfurter Polizeiamte
anſtellen ließe, weil dann Polizei-Amt und Medizi¬
nalrath ſich wechſelſeitig ihren Styl verbeſſern könn¬
ten. Von dem Polizei-Protokoll neulich habe ich,
wie Sie aus meinem Briefe mit Kummer erſehen
haben werden, das Aſthma bekommen, wegen gänz¬
lichen Mangels an Punkten, und an den Rapſodien
des Herrn Pittſchaft wäre ich beinahe erſtickt, wegen
des Ueberfluſſes an Punkten. Nein, ſo ein pünkt¬
licher Mann iſt mir noch gar nicht vorgekommen.


IV. 5[66]

Nur folgende kurze Stelle: „Es kann dem Kenner¬
„auge nicht entgehen, daß der Teufel ſich nur durch
„ſeine Klugheit hält. Der Teufel ſelbſt verſtellt ſich
„in einen Engel des Lichts. So ſagt der Apoſtel.
„Dem Schlechten ſtehen viel mehr Waffen zu Gebote,
„als dem Edlen. Dieſer muß zur Erreichung ſeines
„Zweckes ſich ſelbſt einſetzen. Jener ſetzt Andere ein.
„Jede Geburt hat ihre Wochen. Wenn nur das
„Kind beim Leben bleibt und zu einem großen kräf¬
„tigen Manne heranwächſt. Unſere Zeit leidet an
„einem ungebührlichen Heishunger. Macht ſie es
„doch wie Saturn und verzehrt die eignen Kinder.
„Wenn ſie nicht mäßiger wird, wird ſie ſich den
„Magen überladen,“ Sancho Panſa hat nicht mehr
Sprichwörter und nicht mehr Punkte; und ſo geht
es in einem fort. Dann fand ich ſo ſchön, daß Pitt¬
ſchaft und der Schatten Robert Beide in Baden woh¬
nen, und ich konnte mir ſo herrlich ausmalen, wie
der Medizinalrath, der im Winter keine Kranke hat,
und Robert der in keiner Jahreszeit Leſer hat, ſich
gegenſeitig in dieſen langen Ferien mit einem Kran¬
ken und einem Leſer ausgeholfen, und wie ſie beide
auf dem Berge und auf dem Sopha einander gegen¬
über ſaßen, und Robert dem Medizinalrathe ſeine
verſtorbenen Briefe vorgeleſen, und dabei vor und
nach jedem Komma einen prüfenden Blick auf ihn ge¬
worfen, um zu unterſuchen, ob er nicht außer ſich
[67] gekommen; und wie der Medizinalrath wirklich außer
ſich gekommen vor Ungeduld, und nach Hauſe ge¬
gangen, ſeine Rapſodien gegen mich geſchrieben, den
andern Tag wiedergekommen, und ſie aus Rache dem
Robert auch vorgeleſen — iſt das nicht Alles ſchön
vom Anfange bis zum Ende, mit Ausnahme der
Punktarmuth im langen Satze, welcher erſt die
Hälfte ſeines Wegs zurückgelegt, die ich aber vor¬
ſetzlich mildthätig aufgenommen, um mich auf das
Polizei-Amt würdig vorzubereiten, und dann den
Medizinalrath, ſeine Vollpünktlichkeit nämlich, damit
homöopatiſch zu heilen, und ihn dabei an das zu er¬
innern, was Horaz ſagt in ſeiner Poeten-Kunſt:
omne tulit punctum qui miscuit utile dulci,
welches auf Deutſch heißt für Frauenzimmer: Punkte
ſind nützlich und angenehm, doch nicht zu viel und
nicht zu wenig? Und fragen Sie mich nicht, was
das Fragezeichen bedeute am Ende des Satzes, ich
habe es vergeſſen; und fragen Sie mich gar nichts,
bis ich mich ausgeruht, .... Jetzt fragen Sie,
aber nicht was Herr Pittſchaft eigentlich will? denn
ich weiß es nicht. Er ſagt: Ich wäre eine Leuchte,
und ein Prophet, und ein brennender Buſch,
und ein Repräſentant der ſieben fetten Kühe,
(Ach, hätten alle Volksvertreter nur ſolche fette
Committenten, dann brauchte man gar keine reprä¬
ſentative Verfaſſungen!) und ein Dornbuſch. Und
5*[68] ich wäre darum ein Dornbuſch, weil ich haben wollte
daß etwas von den Andern daran hängen bliebe.
Freilich bin ich ein Dornbuſch, und von den Flocken,
die an mir hängen geblieben, könnte ich mir einen
weiten Schaafpelz machen laſſen. Aber wer hieß
den Medizinalrath mir ſo nahe kommen? Und wenn
etwas von ihm hängen geblieben, iſt das meine
Schuld? Der Dornbuſch ſteht, die Heerde geht; ſie
kann ausweichen. Ferner wäre ich der Engel mit
dem Schwerte
und ein Würgeengel. Dann
ſpricht er von Schuhen und vom Schuhputzen. Er¬
ſtens ſagt er: ich verlangte, die Deutſchen ſollten
ihre Schuhe vor mir ausziehen, und zweitens ſagt
er: Ich ſähe Deutſchland für eine Kratzbürſte an,
und putzte meine Schuhe daran ab. Jedermann
weiß, daß ich nie Schuhe trage. Sie ſehen, Pitt¬
ſchaft iſt ein Demagog, er will das Volk aufklären,
er ſchreibt für Stiefelputzer. Wie oft habe ich Ih¬
nen zu Baden geſagt: dieſer Ort iſt ein wahres
Carbonaro-Neſt; aber Sie wollten mir es nicht glau¬
ben. Was macht Robert dort? Warum kehrt er
nicht zum Königſtädtiſchen Theater zurück? Warum
iſt er kein unſchuldiger Waldfrevler geblieben? Warum
iſt er der Macht der Verhältniſſe untreu geworden;
und liebäugelt jetzt mit allen deutſchen Mächten?
Warum hat er ſeine ſchmerzſtillenden Didaskalien
unterbrochen? Zehen aufrühreriſche Völker hätte
[69] man dabei beruhigen können. Diebitſch hätte ſie ins
Polniſche überſetzen laſſen, und hätte dann Warſchau
im Schlafe überrumpelt. Noch einmal: was hat
Robert in Baden zu thun? Thöricht, das zu fragen.
Wer hat die Badener Bürger aufgehetzt, bei der
Ständeverſammlung eine Bittſchrift um Preßfreiheit
einzureichen? Wer hat dieſe Bittſchrift verfaßt?
Das hat der Nehmliche gethan, der auch die Ber¬
liner Briefe in den Meſſager geſchickt. O, ich habe
das gleich verſtanden! Ich durchſchaute Den und
Jenen und Manchen und gar Viele. Ich ließ mich nicht
von ihren ehrlichen Geſichtern irre führen; es täuſchte
mich nicht, daß ſie ſich für Polizei-Spione ausgaben;
ich erkannte ſie auf der Stelle als geheime Carbo¬
nari. Und jetzt ſchreibt Robert gegen mich; aber
ich bedanke mich dafür; ich will nicht ſeine Maske
ſein, ich mag nicht ſein Geſicht berühren. Und Pitt¬
ſchaft geſellt ſich ihm bei; der undankbare Medizi¬
nalrath! Undank! Undank! Wenn er den Deutſchen
ſagt: „Ihr habt immer den Saft zu dem
Punſche hergeben müſſen
, womit ſich An¬
dere gütlich gethan
“ — von wem hat er das
gelernt? Er rede! Wer gab ihm den Muth,
Deutſchland zu warnen für Rußlands Joche? Er
rede! Wer gab ihm den Muth, ſchon im Sommer
für die Contagioſität der Cholera zu ſchreiben, und
der preußiſchen Regierung zu trotzen? Er rede.
[70] Und was nützt ihm die Heuchelei. Seine ruſſiſche
Praxis iſt ihm auf immer verlohren, denn er hat
Rußland geläſtert. Seine franzöſiſche Praxis iſt
ihm auch verlohren, denn er hat Frankreich ge¬
läſtert. Seine preußiſche Praxis iſt ihm auch
verlohren, denn er hat Preußen für anſteckend
erklärt; und was ihm von deutſchen Bundeskrankhei¬
ten noch übrig bleibt, wird ihm zur Strafe entzogen
werden, weil er, ein badiſcher Unterthan, ein Staats¬
diener, ein Medizinalrath, ſich erlaubt hat, von Po¬
litik zu ſprechen, ehe er zweitauſend Gulden Cau¬
tion geleiſtet hat. Darum werfe er ſich ganz in
meine Arme; er hat ſich mir verſchrieben, mein iſt
er und mir gehört er zu. Es wäre nicht dazu ge¬
kommen, wenn ihn Robert nicht verführt.


Daß Beide mich getadelt, kann ich ihnen ver¬
zeihen; aber daß ſie mich gelobt, das verzeihe ich
ihnen nie. Sie rühmen meine Unbeſtechlichkeit. Pitt¬
ſchaft ſagt: Er wolle nicht glauben, daß die Heraus¬
gabe der Briefe eine Geldſpekulation geweſen, und
Robert verbürgt ſich, daß ich nicht feil bin. Wer
wird eine ſolche Bürgſchaft verſchmähen? Auch
danke ich ſchön für die gute Meinung. Aber das
Lob der Unbeſtechlichkeit muß man keinem Freunde
öffentlich geben; das iſt ein Tadel für Tauſende,
erweckt den Neid und ruft nur den Widerſpruch her¬
vor. Nun werden meine Gegner ſagen: Er iſt
[71] wohl feil; (ich thue es, um zu zeigen, daß ich ſelbſt
einen Affen nachäffen kann,) aber wohlfeil iſt er
nicht. Er würde ſich nie ſo geringe ſchätzen, in den
Hundstagen jedes Jahres um zwanzig Friedrichsd'or
ſeine Ehre zu vermiethen.... Der unglückſelige
Robert! Eine Welt hätte er ſetzen ſollen zwiſchen
ſich und mir, und jetzt, das Glück verſchmähend, daß
ich ihn vergeſſe, ſucht er mich auf, und zwingt mich,
ſeiner zu gedenken. Was gab ihm den kecken Muth,
mich herauszufordern? Iſt es etwa, daß ich ein
Herz habe, und ſeine eigne Bruſt nichts zu durch¬
bohren darbietet? Iſt es, daß er ſeine Brieftaſche,
ſeine polniſchen Looſe gut verſchloſſen weiß, und daß
ich ſie nicht durchlöchern kann und ſeine Seele nicht
berühren? Das der Unglückſelige es wagt, den tief¬
begrabnen Schmerz aus meiner Bruſt heraufzuwüh¬
len; daß jener Würmer einer, die von Polens Leiche
ſchmaußen, über meinen Weg zu kriechen wagt!
Wenn ich der Polen gedenke, und des Sommers und
Badens, und wie oft ich dort aus dem Leſezimmer
in das nahe Gebüſch wankte, meinen Schmerz oder
mein [Entzücken] auszuweinen; und wie ich mit krampf¬
bewegtem Herzen der Stunde entgegenſah, welche die
Zeitung brachte; — und wenn ich nun endlich das
Blatt in meiner zitternden Hand hielt und es nicht
zu leſen wagte; nicht zu erfahren wagte das Ur¬
theil jener furchtbaren, namenloſen Macht, die größer
[72] als das All, höher als der Himmel, älter als die
Ewigkeit; den Richterſpruch: ob es einen Gott
giebt oder nicht
— und kam dann jener Robert,
riß mir das Blatt aus der Hand, bat, „um Got¬
teswillen nur eine Minute
,“ wendete das
Blatt herum, ſah unten nach dem Courszettel; War¬
ſchau war gefallen, und die polniſchen Looſe waren
geſtiegen, und ein Höllenſchein verklärte ſein ſilber¬
graues Geſicht — — wenn Wünſche Dolche wären,
er lebte nicht mehr! Und jetzt wagt es ſolch ein
vermaledeiter Goldanbeter, der die Blätter der Ge¬
ſchichte ungeleſen und verächtlich überſchlägt, um am
Ende vor dem Courszettel niederzufallen und ihn an¬
zubeten; der ſeinen Blick von dem ſchönen Geſichte
der Zeit, ſo voll erhabnen Lächlens, ſchöner Trauer
und blinkender Thränen, abwendet, um ſie herum¬
gehet und ihren ...... küßt — ein ſolcher Menſch
wagt es, ungerufen vor mir zu erſcheinen und zu
ſagen: Da bin ich!

[73]

In der nämlichen Stuttgarter Zeitung, in wel¬
cher Herr Pittſchaft ſein Herz erleichtert, ſtanden
auch kurz vorher zwei Briefe, welche Herr Wurm,
der Redakteur der Börſenhalle, einer der verlornen
Vorpoſten der feindlichen Armee, und Herr Mebold,
Redakteur der Stuttgarter Zeitung, wegen meiner
gewechſelt. Herr Mebold hatte früher etwas zu
meiner Vertheidigung gegen Herrn Wurm, ſeinen al¬
ten Freund und Dutzbruder, in ſeinem Blatte ge¬
ſchrieben. Herr Wurm beklagt ſich darüber und
frägt ſeinen alten Freund: wie er ihn nur verkennen
möge, ihn einen freiſinnigen Mann, einen Patrioten,
der „gegenwärtig an einem Kommentar über
Preßgeſetzgebung nach engliſchen und ame¬
rikaniſchen Grundſätzen arbeitet
?“ Iſt das
nicht wieder recht ſchön deutſch; während die Frei¬
heit ſich auf dem Schlachtfelde verblutet, ſtatt ſie zu
verbinden und zu rächen, an einer Chirurgie nach
engliſchen und amerikaniſchen Grundſätzen zu ſchrei¬
ben? Auch Herr Dr.Schott in Stuttgart, ein
ſehr achtungswürdiger freiſinniger Mann, Chef der
dortigen liberalen Parthei, ſchrieb ſeinem Freunde
Wurm einen Brief, den ich Ihnen mittheilen will.
„Mein lieber Freund! da Sie in dem Schreiben an
[74] „unſern Freund Mebold meiner mit Namen und zu¬
„gleich des Umſtands erwähnen, daß Sie mir die
„Kritik über Börne zugeſendet, ſo glaube ich, Börne,
„den ich perſönlich kenne und deſſen Talent ich be¬
„wundere, die Erklärung ſchuldig zu ſeyn, daß ich,
„für meine Perſon, Ihre Kritik ſeiner Briefe nicht
„billigen kann. Wie iſt denn Ariſtophanes mit den
„Athenienſern und mit Sokrates, dem edelſten aller
„Menſchen umgegangen? Und was hat Swift
„dem engliſchen Volk und ſeinen Machthabern nicht
„geboten? Deſſenungeachtet ſind und werden ſie die
„Bewunderung aller Zeiten bleiben. Beide, wenn
„ſie lebten, würden Börne als ebenbürtig anerkennen.
„Sein ausgezeichnetes Talent darf da nicht mit der
„moraliſchen, und noch weniger mit der politiſchen
„Elle gemeſſen werden. Das deutſche Vaterland
„ſollte es ſich vielmehr zur Ehre rechnen, daß an
„ſeinem literariſchen Himmel ein ſolcher Stern der
„Satyre und des Humors aufgegangen iſt. Bei
„dieſer Ueberzeugung konnte ich für meine Perſon
„dieſes Blatt Ihrer Zeitſchrift nicht als Probeblatt
„auf dem Muſeum auflegen.“


Es kömmt mir ſpaßhaft vor, daß man in Deutſch¬
land ſchon einige Monate lang von meinen Briefen
ſpricht und ſchreibt; daß ich faſt ſo berühmt ge¬
worden, wie die Sontag. Und dabei gebrauchen
alle [meine] Gegner den Polizeipfiff, zu ſagen: es ver¬
[75] lohne ſich gar nicht der Mühe, des Buches zu er¬
wähnen. Auch Robert gebraucht ihn. Er ſagt: die
Briefe wären zu platt, für Deutſchland verführeriſch
zu ſeyn; das Buch wäre gar nicht der Rede werth.
Aber warum ſpricht er davon? Warum reden die
Andern davon? Das iſt leicht zu erklären. Bei
ſtürmiſchem Wetter ſetzen ſich die Mücken auf den
Rücken des Wanderers, um wärmer, ſchneller, und
ſicherer fortzukommen. Ich mag deren Tauſende auf
dem Rücken haben, aber ich ſpüre es gar nicht.

[[76]]

Zwei und zwanzigſter Brief.


Laſſen Sie die Leute immerhin ſprechen von
meiner Heftigkeit, die nicht nütze, die nur ſchade;
das ſind alles Worte ohne Sinn, wären ſie auch
noch ſo gut gemeint. Wer nützt? Wer ſchadet?
Die See geht hoch, der Wind iſt gut und Gott
ſitzt am Steuer. Ich armer Schiffsjunge ſchwanke
oben im Maſtkorbe und rufe: Klippe und Sandbank
und feindliche Segel und Land herab. Als wenn ich
mit dem Rücken gelehnt ſtünde an der Mauer der
Welt, und nur ſo vor mir mich zu bewegen brauchte,
wie und wohin ich wollte! Ich habe keine Freiheit
hinter mir, und darum keine vor mir. Ich treibe,
weil ich werde getrieben, ich reize, weil ich werde
gereizt. Der Wind iſt heftig, der mich ſchüttelt; iſt
das meine Heftigkeit? Habe ich den Wind ge¬
macht? Kann ich ihn ſchweigen heißen? Giebt es
[77] Menſchen ohne Bruſt, die nicht zu athmen brauchen
— gut für ſie; aber ſie mögen nicht rechten mit
mir; ich brauche die Lebensluft der Freiheit, um
fortzudauern. Und wenn ſie wieder einmal von ei¬
nem meiner guten Freunde ſagen hören: er dauert
mich, er darf es gar nicht wieder wagen, nach Deutſch¬
land zu kommen, er würde in jeder Geſellſchaft, an
jedem öffentlichen Orte beſchimpft werden — ſo mis¬
trauen Sie dem Herzen oder dem Kopfe dieſes gu¬
ten Freundes. Er iſt entweder Einer jener Goſſen,
welche die Verläumdungen der Polizei weiter ſchwem¬
men, oder iſt ein matſcher Schwamm, der jedes,
worin man ihn getaucht, gedankenlos aufnimmt und
es bei der Berührung behaglich wieder abtröpfelt.
Wir haben das gleich vom Anfange bemerkt und ver¬
ſtanden, wie jene, die ich in das Herz getroffen, das
Volk gegen mich aufzuwiegeln ſuchen. Alle Hunde,
die ihren Hof bewachen, haben ſie von der Kette los¬
gelaſſen; alle hungrigen Zeitungſchreiber mußten ein
Geſchrei erheben, ehe man ihnen die Schüſſel füllte,
und dieſes Gebell und dieſes Geſchrei ſollen das
Conzert der öffentlichen Meinung bilden! Seyen Sie
nur ruhig, wie ich es auch bin; ich bin ganz der
Mann, ſolche Gauklerkünſte zu vereiteln. Die Ari¬
ſtokraten möchten den Streit aus ihrem Gebiete ent¬
fernen, denn ſie wiſſen recht gut, daß er ſie gilt und
nicht das Volk; aber wir kennen das und ſpotten
[78] ihrer vergebenen Liſt. Das Vaterland herabwürdi¬
gen! Deutſches Volk beſchimpfen! Hätte ich wirk¬
lich gethan, was ſie durch ihre Ausrufer mich be¬
ſchuldigen laſſen — die Hände küßten ſie mir dafür!
Vaterland, Volk, Ehre, Schande, das ſind den Ari¬
ſtokraten nur mythologiſche Geſchöpfe, und ſie hätten
mich glücklichen Jäger bewundert, dem ſolche Fabel¬
thiere einmal wirklich in den Schuß gekommen, und
der ſie getroffen und dann abgethan. Ihr Vater¬
land iſt der Hof; ihre Ehre iſt in der Unterwürfig¬
keit des Volks; ihre Schande in deſſen Freiheit, und
das Volk iſt nichts, ein Stuhl, ein Tiſch, ein Ofen,
das man weder ſchänden noch ehren kann. Vor
ſolchen Menſchen ſoll ich mich fürchten? Sie,
ohne Herz und ohne Gott, was vermögen ſie mir
gegenüber, der ich liebe und glaube? Mit einem
einzigen Worte durchbreche ich den Nebel ihrer Ver¬
läumdungen; mit einer einzigen Zeile zünde ich ihre
Lügenbände an, und verbrenne ſie zu Aſche. Ich
erwarte ſie, wenn ich nach Deutſchland komme.


Geſtern las ich wieder in hieſigen Blättern
von Mauthzerſtörungen im Heſſiſchen, ich weiß aber
nicht, ob das die alten oder neuen Geſchichten ſind.
Indeſſen wahrſcheinlich das Erſtere, da Sie mir in
Ihren letzten Briefen von keinen ſpätern Vorfällen
ſchreiben. Das ſind recht traurige Verhältniſſe, und
am traurigſten iſt, daß ſich die Regierungen nicht zu
[79] helfen wiſſen. Immer Gewalt, immer Blutver¬
gießen! Warum ſuchen ſie das Volk über die wahre
Beſchaffenheit der Mauth, ihre Nothwendigkeit und
Nützlichkeit nicht aufzuklären? Warum ſuchen ſie es
nicht durch Sanftmuth zu beruhigen, durch Ueberre¬
dung zu gewinnen? Warum tragen ſie den Geiſt¬
lichen nicht auf, von der Kanzel herab ihre Gemein¬
den im Zollweſen zu unterrichten? Wäre ich Pfar¬
rer von Fechenheim, Bergen oder Bockenheim, hätte
ich am erſten Sonntage nach dem monarchiſchen Ge¬
metzel an der Mainkur ohngefähr folgende Predigt
gehalten, und dadurch gewiß zur Erhaltung der Ruhe
mehr beigetragen, als zehn Schwadronen Huſaren im
Stande ſind.


Liebe Gemeinde!


„Am Freitag wart Ihr wieder rechte Eſel ge¬
weſen, und habt Euch todſchießen laſſen. Wißt Ihr
warum? Ich will die ganze Woche keinen Tropfen
Wein trinken, wenn Ihr es wißt. Dummköpfe ſeyd
Ihr und Schwerenöther! Ihr jammert über die
Mauth, Ihr wollt keine Mauth bezahlen! Wißt
Ihr denn, was die Mauth iſt heut zu Tage? Wißt
Ihr, was ſie ſonſt geweſen? Begreift Ihr denn gar
nicht, wie viel beſſer Ihr es jetzt habt, als in frü¬
hern Zeiten? Nun, ſo gebt Acht; ich will Euch eine
Laterne in den Kopf hängen.“

[80]

„Viele von Euch ſind doch ſchon einmal den
Rhein hinabgefahren; der Hans dort, das weiß ich,
iſt oft als Floßknecht nach Holland gekommen, ehe
er ſich ein Frau genommen — ein kreuzbraves Weib,
ſie hat mir geſtern eine fette Gans geſchickt. Und
wer von Euch nicht am Rhein war, der iſt doch ein¬
mal in Königſtein geweſen und am Falkenſtein vor¬
beigekommen. Nun, das iſt alle eins. Oben auf
den Bergen an beiden Seiten des Rheins, da ſehet
Ihr viele verfallene alte Schlöſſer, die man Burgen
nennt. Sie waren aber nicht immer ſo öde und
verfallen, wie ſie jetzt ſind. Ehemals waren es
prächtige Schlöſſer, worin die Ritter wohnten, und
es ging luſtig daher. Liebe Kinder! Die Ritter,
das waren prächtige Leute! An denen hatte doch
der liebe Herrgott noch ſeine Freude. Wenn ſie ſich
recht wild herumtummelten in ihres Vaters Garten,
und er lag am Sonnenfenſter und ſah zu, wie ſie
ſpielten, lachte er und ſagte: Jugend hat keine Tu¬
gend, das will ſich austoben; aber es iſt mein Herz
und mein Blut. Wenn aber der liebe Herrgott uns
jämmerliche Wichte ſiehet, ſeine jüngſten Kinder, die
den ganzen Tag hinter den Büchern hocken und heu¬
len, wenn ſie der geſtrenge Herr Schulmeiſter mit
ſeinem Lineal anrührt, dann ſchämt er ſich, unſer
Vater zu ſein, ſchlägt das Fenſter zu und brummt:
Ja, ja, ich bin alt geworden! So ein Ritter war
[81] kerngeſund, ſtark wie ein Stier, und wenn er ſein
Kreuz gegen den Teufel geſchlagen hatte, fürchtete
er ſich vor nichts in der Welt. So ein Kerl hat
Euch den Tag zehn Pfund Roth- und Schwarz¬
wildpret gegeſſen, ſechs Pfund Hammelfleiſch, ein
ſchön Stück Schinken, einen großen Roſinenkuchen,
aber wenig Brod. Dazu hat er getrunken zwei
Eimer Bacharacher oder Rüdesheimer, und Abends
vor dem Schlafengehen ein paar Maas warmen
Gewürzwein. Ich ſage Euch Kinder, es iſt nichts
geſünder als warmer Wein mit Zucker, Nelken und
Zimmt angemacht. Geſtern hatte ich einen ſtarken
Schnupfen, und ich legte mich früh zu Bette. Wie ich
nun das Licht auslöſchen wollte, wer kömmt herein?
Meine Haushälterin. Sie hatte mir kein Wort
davon geſagt, war in die Küche gegangen und hatte
mir eine Kumpe Glühwein gemacht. Den ſetzt ſie
vor mein Bett und ſagt: Herr Paſtor, das wird
Euch gut thun. Ich habe den Glühwein getrunken,
habe tüchtig geſchwitzt, und heute morgen war der
Schnupfen weg. Merkt Ihr noch was davon?
Seht Ihr, ſolch ein luſtig Leben haben die alten
Ritter geführt: gut gegeſſen, gut getrunken und gut
geſchlafen. Und die übrige Zeit haben ſie gejagt und
ſich untereinander herumgebalgt. Das war aber
kein Kriegführen wie heute, es war ein wahrer Spaß.
Man ſchlug ſich einander auf Helm und Schild,
IV. 6[82] und war einer tüchtig getroffen, ſo ging er zum
Schmidt und den andern Tag war alles wieder
gut. Das hundsföttiſche Pulver war noch nicht
erfunden.


„Nun hört weiter. Die Ritter hatten zwar
große Schlöſſer, ſchöne Pferde, viele Jagdhunde und
Knechte; aber ſie hatten kein Geld. Woher wollten
ſie Geld haben? Sie arbeiteten niemals und ver¬
dienten alſo nichts. Aber alle Menſchen ſind Got¬
tes Kinder, und wenn es einen Menſchen giebt, der
nichts arbeitet, iſt es Chriſtenpflicht, daß der Andere,
welcher arbeitet, ihn ernährt. Die frommen Ritter,
welche Gottes Gebot kannten und ehrten, richteten
ſich auch darnach, und ſo oft ſie Geld brauchten,
nahmen ſie es von den Arbeitsleuten, die welches hat¬
ten; und das machten ſie ſo. Auf die hohen Thürme
ihrer Burgen ſtellten ſie einen armen Knecht mit ei¬
nem Horn, der mußte Tag und Nacht Acht geben,
und umher ſchauen, und ſobald ein Schiff mit Waa¬
ren den Rhein hinauffuhr, oder ein Wagen auf der
Chauſſee kam, um ihre Ladung auf die Frankfurter
Meſſe zu bringen, ſtieß der Knecht ins Horn. Die
Ritter, die das Zeichen verſtanden, ſprangen darauf
vom Tiſche oder aus dem Bette auf, ergriffen ihr
Schwert und eilten die Burg hinab. Schiff und
Wagen wurde angehalten, Schiffer, Fuhrleute und
Kaufherren wacker durchgebläut, Kiſten und Kaſten
[83] aufgeſchlagen, und Alles herausgenommen. Darauf
ſagten die Ritter: Viel Glück zur Frankfurter Meſſe,
Ihr Herren; und kehrten mit ihrem Fange jubelnd
zur Burg zurück. Und weil ſie auf dieſe Art ihr
Brod verdienten, nannte man ſie Raubritter. Die
Waaren verkauften ſie dann um einen Spottpreis an
Juden, und ſo hatten ſie Geld. Die Juden ver¬
kauften den geplünderten Kaufleuten ihre eigenen
Waaren wieder und darauf zogen ſie zur Frankfur¬
ter Meſſe, und alles war gut. So iſt die Mauth
entſtanden
, und was damals die Raubrit¬
ter waren
, das ſind heute die Zöllner.“

„Jetzt gebt weiter Acht. Die Kaufherren über¬
legten endlich bei ſich: Wäre es nicht geſcheidter, wir
gäben den Rittern lieber gleich ſo viel baar Geld,
als ſie für unſere Waaren von den Juden bekommen?
Dieſe Spitzbuben laſſen ſich von uns zweimal ſo viel
bezahlen, als ſie ſelbſt bezahlten. So wäre die Hälfte
Profit und die Prügel wären auch geſpart. Sie
ſchickten alſo dem Ritter Kunz eine Deputation, die
trug ihm vor: Herr Ritter, Ihr ſeyd ein ehrlicher
Mann, Ihr habt uns nie etwas zu leid gethan;
aber Euer Nachbar, der Ritter Ruprecht, iſt ein
Spitzbube und ein Räuber, der, ſo oft wir vor bei¬
kommen, uns mishandelt und beraubt. Wir kommen
alſo, Euch einen Vorſchlag zu machen. So oft wir
an Eure Burg kommen, begleitet uns mit einem
6 *[84] Fähnlein bis vor der Burg Eures böſen Nachbarn
vorüber, beſchützt uns und duldet nicht, daß er uns
beraube und zu Grunde richte. Für Euern guten
Willen geben wir Euch jedesmal hundert Goldgulden.
Ritter Kunz erwiederte: Ihr ſeyd kluge Leute und
ich will es bedenken, heute Abend gebe ich meinen
Nachbarn einen Schmaus: Habt Ihr nicht vielleicht
ein Fäßchen Bacharacher auf Euerem Schiff? Die
Kaufleute holten das Fäßchen, gingen darauf zu Rit¬
ter Ruprecht und ſagten ihm: Herr Ritter, Ihr
ſeyd ein ehrlicher Mann, Ihr habt uns nie etwas
zu Leid gethan; aber Euer Nachbar der Ritter Kunz,
iſt ein Spitzbube und ein Räuber, der, ſo oft wir
vorbeikommen, uns mishandelt und beraubt. Wir
kommen alſo Euch einen Vorſchlag zu machen. So
oft wir an Eure Burg kommen, begleitet uns mit
einem Fähnlein bis vor der Burg Eures böſen Nach¬
barn vorüber, beſchützt uns und duldet nicht, daß er
uns beraube und zu Grunde richte. Für Euern
guten Willen geben wir Euch jedesmal hundert Gold¬
gulden. Ritter Ruprecht erwiederte: Ihr ſeyd kluge
Leute und ich will es bedenken; morgen Mittag gebe
ich meinen Nachbarn einen Schmaus, habt Ihr nicht
vielleicht einige gute Schinken auf Euerm Wagen?
Die Kaufherren holten die Schinken und gingen dar¬
auf zum Ritter Eberſtein, und ſo gingen ſie von
einem Ritter zum andern von Rüdesheim bis nach
[85] Bonn und ſprachen mit allen auf die nehmliche Weiſe.
Und wie Abends viele Ritter zum Ritter Kunz zum
Schmauſen kamen, und jeder ſeinem Nachbarn er¬
zählte, wie die Kaufherren ihn ins Geſicht einen ehr¬
lichen Mann geſcholten, und ſeinen Nachbarn als
Spitzbuben gelobt, lachten ſie Alle ganz unbändig
und zechten bis der Morgen graute. Die Handels¬
leute hatten es aber jetzt viel beſſer als früher.“


„So währte das einige Jahrhunderte lang.
Endlich merkten die Kaiſer, Könige, Herzöge, Für¬
ſten, Landgrafen, die Vorfahren unſerer gnädigſten
Landesherren, daß ſie lang dumm geweſen. Sie dach¬
ten: Ei, die Ritter verdienen ein ſchön Stück Geld
an den Bürgers- und Landleuten, ſind wir nicht
rechte Narren, daß wir es nicht ſelbſt verdienen?
Wer iſt Herr im Lande, wir oder die Ritter? Das
muß anders werden. Sie ſagten alſo den Kaufleu¬
ten: Ihr unterſteht Euch nicht mehr, Euch von den
Rittern loszukaufen; das Geld, das Ihr ihnen ge¬
geben, gebt Ihr künftig uns ſelbſt, und dagegen be¬
ſchützen wir Euch gegen jede Gewalt. Die Kauf¬
leute mußten das zufrieden ſeyn, und den Rittern
wurde von den Landesherren unterſagt, ſie zu beun¬
ruhigen. Dieſe ließen ſich aber nicht wehren, und
wenn die Kaufleute vorüber kamen und nicht bezahl¬
ten, wurden ſie wie früher geplündert und todtgeſchla¬
gen. Sie mußten alſo, wollten ſie Ruhe haben, die
[86] Ritter auch bezahlen. Unſere gnädigſten Landesherren
erfuhren dies und dachten bei ſich: Unſere Kaufleute
geben für jede Ladung Waare den Rittern hundert
Goldgulden, und uns hundert Goldgulden, wäre es
nicht klüger, ſie geben uns zweihundert Goldgulden
und den Rittern gar nichts? Sie ließen alſo die
Kaufleute rufen und ſagten ihnen: Ihr gebt uns
künftig zweihundert Goldgulden für jede Fuhre und
den Rittern gar nichts; und dieſe wollen wir ſchon
das Handwerk legen. Auch hielten ſie Wort, zerſtör¬
ten alle Raubburgen, nahmen die Ritter gefangen
und führten ſie an ihren Hof, wo ſie durch gutes
Futter bald zahm gemacht wurden. Den Kaufleuten
aber gaben ſie das Geleit, ſo oft ſie auf die Meſſe
zogen. Als es nun keine Ritter und keine Räube¬
reien mehr gab, und die Kaufherren keine Furcht mehr
hatten, gingen ſie zu ihren Landesherren und ſagten
ihnen: wir danken unterthänigſt für den bis jetzt ge¬
leiſteten Schutz; aber wir brauchen ihn nicht mehr,
denn die Straßen ſind ſicher. Die Fürſten erwie¬
derten darauf: es freut uns, daß Ihr uns nicht mehr
braucht, wir brauchen aber Euer Geld, und den Ge¬
leit müßt Ihr bezahlen nach wie vor, und das iſt
jetzt altes Herkommen. Nach einiger Zeit bedachten
die Fürſten: iſt es nicht ganz überflüſſig, daß wir
den Kaufleuten Huſaren zur Begleitung mitgeben, da
doch die Wege ſicher ſind? Die Koſten des Geleits
[87] könnten wir ja ſparen. Sie hoben alſo das Geleit
auf, und ließen ſich ſtatt Geleitsgeld Zoll be¬
zahlen. An allen Ein- und Ausgängen des Landes
wurden Zollhäuſer errichtet, und ſo oft da Waa¬
ren vorüberkamen, mußten ſie den alten Raub und
das alte Geleit abkaufen, welche Abgabe man Zoll
nannte. Beklagte ſich nun ein benachbarter Fürſt,
daß man ſeine Untherthanen drücke, antwortete der
dieſſeitige: Herr Bruder, macht es mit meinen Unter¬
thanen, wie ich es mit den Eurigen mache; laßt Euch
auch Mauth von ihnen bezahlen; Schaafe wollen ge¬
ſchoren ſeyn, ſonſt gedeihen ſie nicht.“


„Jetzt werdet Ihr deutlich einſehen, daß Ihr
Ochſen ſeyd, wenn Ihr Euch über die Mauth be¬
klagt. Habt Ihr es nicht ehemals noch viel ſchlim¬
mer gehabt? Sonſt wurdet Ihr beraubt und gemis¬
handelt; jetzt werden Euere Kiſten mit Ordnung ge¬
öffnet, man nimmt Euch mit Höflichkeit Euer Geld
ab, und Ihr bekommt keine Schläge mehr. Zwar
werdet Ihr noch jetzt, wie zu den Zeiten der Raub¬
ritter, todt gemacht, wenn Ihr die Mauth nicht be¬
zahlen wollt und Euch zur Wehre ſetzt; Ihr werdet
aber nicht mehr wie damals todt gehauen, welches
grob war, ſondern todt geſchoſſen, welches viel höf¬
licher iſt, und gar nicht wehe thut; und da Ihr auf
Befehl Eueres gnädigen Landesherrn todtgeſchoſſen
werdet, ſo iſt das noch eine Ehre für Euch. Wenn
[88] Ihr aber fragt: warum nimmt unſer gnädigſter
Landesherr, der doch ſo reich iſt, uns armen Teufeln
ihre paar Pfennige weg; warum müſſen wir das
Pfund Zucker mit dreißig Kreuzer bezahlen, das uns
noch vor acht Tagen nur achtzehn gekoſtet? So
zeigt Ihr wieder, daß Ihr Ochſenköpfe ſeyd. Be¬
hält denn unſer gnädigſter Landesvater Euer Geld
für ſich? Ei bewahre! Das braucht er nicht, er
hat mehr als genug. Aber mit Euerm Gelde er¬
nährt er die Nachkommen jener Raubritter, die wie
ihre Vorfahren nicht arbeiten und nichts erwerben,
als Müßiggänger an ſeinem Hofe leben, und für die
Ihr, da ſie Euch nicht mehr berauben dürfen, wie
billig, ſorgen müßt. Und nicht blos für dieſe Räu¬
berbrut braucht unſer gnädigſter Landesfürſt Euer Geld,
ſondern auch ſeine vielen Soldaten zu bezahlen. Und
jetzt ſeyd mir keine Eſel und fragt: wozu braucht er
ſo viele Soldaten? Das habt Ihr ja am Freitag
ſelbſt geſehen, wozu er ſie braucht! Hätte er keine
Soldaten gehabt, hätte er ja mit Euch nicht fertig
werden können, als Ihr die Mauth geſtürmt. Nun
ſagt Ihr aber vielleicht: aber wäre keine Mauth da,
wären wir ruhig geblieben; ſind wir ruhig, braucht
man keine Soldaten; hat man keine Soldaten, braucht
man unſer Geld nicht; braucht man unſer Geld nicht,
iſt die Mauth unnöthig. In dem, was Ihr da ſagt,
iſt etwas Verſtand, und ich ſehe, Ihr ſeyd gar nicht
[89] ſo dumm, wie Ihr ausſehet. Aber, liebe Kinder, Ihr
müßt noch etwas bedenken. Unſer gnädigſter Landes¬
vater braucht nicht blos ſeine Soldaten gegen Euch,
ſeine Kinder, ſondern er braucht ſie auch gegen Fremde,
gegen den äußern Feind. Fragt Ihr nun: wer iſt
ſein Feind, wer will ihm etwas zu Leide thun? muß
ich Euch aufrichtig antworten: es denkt keiner daran.
Aber unſer gnädigſter [Landesherr] hat eine große Fa¬
milie, für die er auch ſorgen muß. Alle Kaiſer, Kö¬
nige, Großherzoge, Herzoge und Fürſten ſind ſeine
nahen Verwandte, denen er in der Noth beiſteht;
das iſt Chriſtenpflicht. Macht Ihr es nicht auch ſo?
Der Kaiſer von Rußland iſt ſein Bruder, der Kai¬
ſer von Oeſterreich iſt auch ſein Bruder, der König
von Preußen iſt ſein Schwager. Nun ſehet: der
Kaiſer Nikolas will Polen haben, der Kaiſer Franz
will Italien haben, der König Friedrich Wilhelm weiß
ſelbſt nicht, was er haben will; denn er will Alles
haben. Nun iſt aber das mächtige Frankreich drü¬
ben; dort iſt der König nicht Herr über Alles, er
iſt nicht mehr als jeder Andere, er iſt nur der erſte
Bauer im Lande. Das Volk iſt dort Alles, und
für das Volk geſchieht Alles. Nun ſagen die Fran¬
zoſen: alle Völker ſind mit uns verwandt, wir ſind
Alle von einer Familie. Die Polen ſind unſere
Brüder, die Italiener ſind unſere Vettern, die Deut¬
ſchen ſind unſere guten Nachbarn. Und wir wollen
[90] nicht leiden, daß ihnen Jemand etwas zu Leide thue,
ſondern ihnen helfen. Darum leiht unſer gnädigſter
Landesfürſt den Kaiſern und Königen ſeine Soldaten,
damit ſie mit den Franzoſen fertig werden, und
darum müßt Ihr Mauth bezahlen. Und die Solda¬
ten, die man gegen die Franzoſen ſchickt, das ſind
Euere eigenen Söhne und Brüder, und damit ſie
gern maſchiren — denn wer könnte ſie zwingen,
wenn ſie nicht wollten — lügt man ihnen vor, die
Franzoſen wären Feinde der Deutſchen, und wollten
unſer Land erobern. Glaubt es nicht. Die Fran¬
zoſen ſind Euere beſten Freunde, und wenn ſie kom¬
men, kommen ſie blos den Polen und Euch beizuſte¬
hen, und Ihr müßt ſie mit Jubel empfangen und
gleich in die Schenke führen. Aber ſchließt Eure
Mädchen ein, bis ſie wieder fort ſind.“


„Jetzt habe ich Euch erklärt, was die Mauth
iſt; nun geht und beſſert Euch. Wie wollt Ihr es
denn vor Gott und Euerem Gewiſſen verantworten,
wenn Ihr widerſpenſtig ſeyd gegen Euren gnädigſten
Landesherrn, und ihn zwingt, Soldaten gegen Euch
zu ſchicken, die ja Alle Euere Brüder und Söhne
ſind, und die, wenn ſie Euch erſchießen, Vater- und
Brudermörder werden? Gehet und bezahlt die
Mauth. Und wollt Ihr ja einmal wieder kommen
und die Mauth zerſtören, ſo ſeyd keine Ochſen, und
[91] bleibt weit von den Soldaten ſtehen, was ihnen
Herz macht auf Euch zu ſchießen, ſondern geht ihnen
ganz nahe auf den Leib, damit ſie Euch erkennen.
Bringt Euere Töchter mit. Die Liſe dort wird un¬
ter den Jägern gewiß mehr als einen Schatz finden
— brauchſt nicht roth zu werden, Liſe, wir waren
Alle einmal jung — und wenn ſie nun zu ihnen
tritt und ſagt: „aber Peter, aber Hans, ſeyd Ihr
„denn ſtockblind? Sehet Ihr denn nicht, daß ich es
„bin? Haben wir nicht auf der vorigen Kirchweih
„mit einander getanzt? Peter, da iſt ja mein Va¬
„ter, der Dir manchen Apfel von ſeinem Baume ge¬
„holt? Hans, da iſt ja mein Bruder, dem Du erſt
„neulich den Bierkrug an den Kopf geworfen? Lie¬
„ber Peter, kennſt Du Deine Liſe nicht mehr? Willſt
„Du um ein Stück Kommisbrod ein Mörder werden?
„Biſt Du nicht ſelbſt ein Bauerkind! Was gehen
„Dich die Fürſten, was geht Dich die Mauth an?
„Komm zu uns lieber Hans! Du ſagſt nichts? Nun,
„da ſteh ich, ſchieß mich armes Mädchen todt, wenn
„Du das Herz haſt.“ Aber ich ſage Euch, meine
geliebten Kinder, Hans und Peter werden nicht das
Herz haben zu ſchießen, ſondern das Gewehr wird
ihnen aus der Hand fallen, und ſie werden anfangen
zu weinen. Und alle ihre Kameraden werden das
Gewehr wegwerfen, Euch in die Arme ſtürzen und
[92] heiße Thränen vergießen, daß ſie ſo gottlos ver¬
blendet geweſen. Dann braucht Ihr keine Mauth
mehr zu bezahlen. Jetzt geht nach Hauſe und
beſſert Euch. Wer mich nicht verſtanden, iſt ein
Eſel. Amen!“

[[93]]

Drei und zwanzigſter Brief.


Es widerfährt mir ſeit einigen Tagen das
Sonderbare, daß ich an zwei Briefen für Sie zu
gleicher Zeit ſchreibe. Der eine gegenwärtige liegt
auf dem Pulte, vor dem ich ſtehe, und der andere
liegt auf dem Schreibtiſche, an dem ich ſitze. Die
Abwechſelung iſt artig und unterhält mich. Nach
einigen Sätzen gehe ich vom Stehbriefe zum Sitz¬
briefe, oder zurück und ſetze bald den einen bald den
[andern] fort. Die Sache verhält ſich ſo. Der Tiſch¬
brief behandelt einen Gegenſtand, der zwar kurzwei¬
lig aber langwierig iſt, und ſich ſehr ausdehnt, den
ich aber aus Gründen der Kochkunſt nicht unterbre¬
chen darf. Darum habe ich ihn vom Pultbriefe ge¬
trennt, und Sie werden ihn einige Tage ſpäter er¬
halten als dieſen. Es giebt nehmlich einen Härings-
Salat
. Den Häring habe ich aus Berlin bekom¬
[94] men und den will ich zwiebeln und zurecht machen.
Einen Artikel im literariſchen Unterhaltungsblatt, den
der Referendar Häring unter dem Schäfernamen Wil¬
libald Alexis
gegen mich geſchrieben, und von dem
ich früher ſchon gehört, habe ich jetzt erhalten und
ihn geleſen. Nun weiß ich wahrhaftig ſelbſt nicht,
wie mir in den Sinn gekommen, dieſem Männchen
zu antworten; aber eine innere Stimme rieth mir
dazu. Dabei machen mir meine ungeſchickten Ver¬
ſuche, die Sprache ſolcher Gegner nachzuahmen, tau¬
ſend Spaß. Ich bin an gar keine grobe Arbeit ge¬
wöhnt, und meine rechte Hand iſt mir wund von
dem wenigen Schimpfen. Ich bin dabei eigentlich
in einer wunderlichen Lage. Warum ich mich mit
ſolchen [unbedeutenden] Menſchen und auf ſolche Weiſe
einlaſſe, darf ich nicht deutlich machen, denn ſonſt
würde ich meine beabſichtigte Wirkung verfehlen. Und
doch möchte ich aus Eigenliebe durchſchaut und er¬
rathen ſeyn. Das ſetzt mich in Verlegenheit. Hä¬
rings-Salat
, Zwiebeln, Zurechtmachen,
Schäfer, Männchen, unbedeutender Menſch
— Sie werden ſehen, daß mein Wörterbuch von
Schimpfwörtern viel reicher werden wird, als das
von Meyer, von Wurm, von Robert und von Alexis.

[95]

Geſtern, Sonntag, hat Caſimir Perrier wieder
einen Bubenſtreich begangen. An dem Tage, wo
die Kirche ſeines Glaubens geſchloſſen iſt, wo die
Börſe keinen Gottesdienſt hält, vergißt er am leich¬
teſten Gott und ſein Gebot, und folgt ſeinen böſen
Neigungen. An Börſentagen bedenkt er ſich doch noch
etwas, die Renten, das zarte, leicht verletzliche Ge¬
ſchöpf, durch allzurauhes Weſen zu ſchrecken. Ich
kenne kein Land in der Welt, ich kenne keine Zeit
in der Geſchichte, wo ein Volk unter ſo ſchmach¬
voller Herrſchaft geſtanden, als jetzt das Franzöſiſche.
Tauſendmal, ja zehntauſendmal lieber, möchte ich
einen Thron unter dem Galgen errichtet ſehen, von
Henkersknechten bedient und von Raben umſchmeichelt,
als ſehen, wie ein König auf dem Drehſtuhle trohnt
und wie ſein erſter Miniſter Glück, Ruhm und Ehre
eines großen Volks wie ein Buchhalter unter Soll
und Haben bringt. Ich habe mich nie ſo ſehr er¬
niedriget, vor einem Könige: Vivat! zu ſchreien;
nicht, da ich als gedankenloſes Kind Kaiſer Franz
im Krönungszuge geſehen, wo alles ſchrie; nicht als
Napoleon an mir vorüberzog, den ich mit dem Glau¬
ben eines Jünglings wie einen Gott anſtaunte; aber
kehrte morgen Karl X. nach Paris zurück mit ſeinem
[96] alten Herzen und ſeinem neuen Haſſe, mit dem gan¬
zen Gefolge aller ſeiner Laſter, aller ſeiner Thor¬
heiten, umgeben von den Trabanten ſeiner Rache, —
ich, jetzt ein alter Mann, kletterte auf einen Baum
und würde, wie ein betrunkener armer Teufel, den
die Polizei bezahlt, Vivat ſchreien, bis ich die Stimme
verlöhre. Was iſt's mit der Tyrannei? Sie macht
unglücklich und das iſt Alles. Wie der Winter
drängt ſie Blut und Leben zurück; aber das ſtille
Herz iſt dann der Kerker, nicht der Sarg der Frei¬
heit. Aber dieſe giftige Geldwirthſchaft hier trocknet
wie der Sirokko alle Adern aus, und könnte ſie zehn
Jahre fortdauern, würde dann kein Tyrann es der
Mühe werth halten, ſolch ein Volk von Mumien zu
unterjochen?


Ich wollte von den Simoniſten ſprechen, über
die man geſtern wie über eine Diebsbande hergefal¬
len, aber Sie können das in den Zeitungen leſen,
und Sie wiſſen ſo gut als ich, was dabei zu denken
und zu fühlen iſt.

[[97]]

Vier und zwanzigſter Brief.


— Rothſchild hat dem Papſte die Hand geküßt
und beim Abſchiede ſeine hohe Zufriedenheit mit dem
Nachfolger Petri unter allergnädigſten Ausdrücken zu
erkennen gegeben. Jetzt kömmt doch endlich einmal
alles in die Ordnung, die Gott beim Erſchaffen der
Welt eigentlich hat haben wollen. Ein armer Chriſt
küßt dem Papſte die Füße und ein reicher Jude küßt
ihm die Hand. Hätte Rothſchild ſein römiſches An¬
leihen, ſtatt zu 65 p. c. zu 60 erhalten und ſo dem
Kardinal-Kämmerling zehn Tauſend Ducaten mehr
ſpendiren können, hätte er dem heiligen Vater um
den Hals fallen dürfen. Wie viel edler ſind doch
die Rothſchild, als deren Ahnherr Judas Iſchariot!
Dieſer verkaufte Chriſtus für dreißig kleine Thaler,
die Rothſchild würden ihn heute kaufen, wenn er für
Geld zu haben wäre. Ich finde das alles ſehr ſchön.
lV. 7[98] Louis Philipp, wenn er in einem Jahre noch König
iſt, wird ſich krönen laſſen; aber nicht zu Rheims
in St. Remi, ſondern zu Paris in Notre-Dame de
la bourse
und Rotſchild wird dabei als Erzbiſchof
fungiren. Nach der Krönung wird man, wie üblich,
Tauben auffliegen laſſen, und eine unter ihnen, eine
luſtige Lachtaube, wird nach St. Helena hinüberfliegen,
ſich auf das Grab Napoleons ſetzen und ſeinen Ge¬
beinen lachend erzählen, ſie habe geſtern ſeinen Nach¬
folger ſalben ſehen, aber nicht vom Papſte, ſondern
von einem Juden, und der jetzige Beherrſcher Frank¬
reichs habe den Titel angenommen: Empereur des
cinq pour Cent, Roi des trois pour Cent, pro¬
tecteur des banquiers et médiatiseur des agens
de change.
Ich weiß aber wahrhaftig nicht, was
die dumme Taube dabei zu lachen findet. Wäre es
nicht das größte Glück für die Welt, wenn man alle
Könige wegjagte und die [Familie] Rothſchild auf deren
Throne ſetzte? Man bedenke die Vortheile. Die
neue Dynaſtie würde keine Anleihen machen, denn ſie
wüßte am beſten, wie theuer ihnen das zu ſtehen
käme, und ſchon dadurch allein würde die Abgaben¬
laſt der Unterthanen jährlich um viele Millionen er¬
leichtert werden. Die Beſtechungen der Miniſter
müßten aufhören, die activen wie die paſſiven; denn
womit ſollten ſie, wofür ſollte man ſie beſtechen?
Das wird dann alte Regel. Dadurch würde die
[99] Moral ſehr in Flor kommen. Alle Civilliſten wür¬
den aufhören, bis auf die der Rothſchilde, welche
aber für die Völker keine neue Laſt wäre, denn die
Rothſchilde hatten ſie als Privatleute auch ſchon be¬
zogen, und zwar eine ſtärkere, als die irgend eines
andern Fürſten.


Wenn das Haus Rothſchild auf dem franzöſi¬
ſchen Throne ſäße, wäre die Welt von der großen
Furcht des Kriegs befreit, der zwiſchen dieſem mäch¬
tigen Hauſe und dem Hauſe Habsburg auszubrechen
droht. Oeſterreich und Rothſchild ſollen, wie die
engliſchen Blätter aus guten Quellen berichten, ſeit
einiger Zeit ſehr gereitzt gegen einander ſein. Oe¬
ſterreich hat nehmlich die Entdeckung gemacht, daß die
Freundſchaft, mit welcher die Brüder Rothſchild es
beehren, ihm theuer zu ſtehen komme. Das letzte
vierprocentige Anleihen ſchloß jenes Haus zu 85 oder
86 ab. Aber gleich nach Abſchluß des Vertrags
gewann es 6 bis 7 p. c. Ein ſo außerordentlicher
Umſtand, mußte die Aufmerkſamkeit des öſterreichi¬
ſchen Kabinets erwecken. Es beſchloß daher, für
ſeine Finanzen künftig wohlfeilere Agenten zu wählen,
oder ſeinen Geldunternehmungen eine Concurrenz zu
eröffnen. Das Haus Rothſchild, um ſolche Schritte
zu vereiteln und der öſterreichiſchen Regierung zu
zeigen, daß man ſeine Allianz nicht ungeſtraft brechen
dürfte, wußte darauf durch ſeine Verbindungen und
7 *[100] Speculationen das baare Geld in Wien, Frankfurt
und andern Städten ſo ſelten zu machen, daß kein
anderes Haus im Stande war, eine Staats-Anleihe
zu unternehmen. Oeſterreich mußte um [Verzeihung]
bitten.


Schon früher fand eine Spannung zwiſchen
beiden Häuſern ſtatt. Oeſterreich hatte nehmlich dem
Hauſe Rothſchild die Summen überlaſſen, die ihm
aus den franzöſiſchen Contributionsgeldern für ſeinen
Antheil zugefallen. Dieſe Summen ſollten in fran¬
zöſiſchen Renten, die damals niedrig waren, angelegt
und ſolche verkauft werden, ſobald ſie einen hohen
Stand erreicht hätten. Nach einigen Jahren ver¬
kaufte das Haus Rothſchild jene Renten und verrech¬
nete ſie zu 95. Oeſterreich aber entdeckte, daß zur
Zeit des Verkaufs die Renten Al Pari geſtanden.
Es war eine kleine Differenz von acht Millionen
Gulden. Oeſterreich war darüber empfindlich und
ſchmollte; Rothſchild aber wußte durch Vermittlung
beiderſeitiger Freunde alles wieder auszugleichen.


Das franzöſiſche Blatt, welches dieſe Friedens-
und Kriegsgeſchichten nach engliſchen Blätter um¬
ſtändlich erzählte, bemerkt darauf folgendes: „Durch
„welche Mittel wiſſen jene Banquiers die öſterreichi¬
„ſche Regierung zu zwingen, ſich nach ihren An¬
„maßungen zu bequemen? Es ſind dieſelben Mittel,
„welche ſie unter dem Miniſter Villele angewendet,
[101] „mit welchem die Herren Rothſchild ungeheuren Ge¬
„winnſt getheilt haben, wie wir es in der Folge be¬
„weiſen werden; ſind die nehmlichen Mittel, die ſie
„neulich beim Anleihen des Miniſteriums Perrier in
„Bewegung geſetzt. Hat man nicht durch fort
„dauernde Verkäufe, von jenen bewirkt, welche die
„Anleihe zu einem unbilligen Satze haben wollten,
„die franzöſiſchen Fonds erdrücken ſehen? Dieſe
„Darleiher haben unter unſern Augen das Nehmliche
„gethan, worüber die öſterreichiſche Regierung ſich
„beklagte, als ſie mit ihnen brechen wollte. Unſere
„fünf-procentigen wurden unter 80 Fr. hinabgedrückt,
„um das Anleihen zu dieſem Preiſe zu haben, und ſo¬
„bald die Anleihe zu 84 zugeſchlagen war, ſtiegen
„die Fonds bis über 88 Fr. Es iſt immer das
„nehmliche Spiel, welches dieſe Rothſchild treiben,
„um ſich auf Koſten des Landes, das ſie ausbeuten,
„zu bereichern..... Wir haben es ſchon frü¬
„her gezeigt
, daß die Geldleute die gefähr¬
lichſten Feinde der Völker ſind. Sie haben
„am meiſten dazu beigetragen
, den Grund¬
„bau der Freiheit zu untergraben
, und ohne
„Zweifel wäre der größte Theil der euro¬
„päiſchen Völker ſchon in vollem Beſitze der
„Freiheit
, wenn die Rothſchild, die Ouvrad,
„die Aguado, die Caſimir Perrier und an¬
[102]dere, mit ihrem Gelde nicht die abſolute
Gewalt unterſtützt hätten.“


Düpin hat dieſe Woche in der Kammer die
Banquiers loup-cerviers, Luchſe genannt! Das
ſind Raubthiere, die zum Katzengeſchlechte gehören.
Caſimir Perrier hat ihm über ſeine unzeitige Natur¬
geſchichte die bitterſten Vorwürfe gemacht. Das
führt mich auf die Rothſchilde zurück. Noch einmal
— wäre es nicht ein Glück für die Welt, wenn alle
Kronen auf deren Häuptern ſäßen, ſtatt daß ſie jetzt
zu ihren Füßen liegen? Es kommt auch noch dahin.
Sitzen die Rothſchild noch auf keinen Thronen, ſo
werden ſie [wenigſtens], ſobald ein Thron frei wird,
um Rath gefragt, wen man darauf ſetzen ſolle.
Herr von Gagern hat dieſes neulich öffentlich in
der allgemeinen Zeitung erzählt. Es iſt eine ſchöne
Geſchichte. Herr von Gagern war früher Geſand¬
ter beim Bundestage. Dieſer große Staatsmann,
der den Ariſtokratismus ganz allerliebſt romantiſch
zu machen weiß und zwiſchen den Gräbern alter
Ritter mit ſeinem Adelſtolze im Mondſcheine ſpazie¬
ren geht, hat ſich auf einer ſolchen nächtlichen Wan¬
derung ſchon vor vielen Jahren erkältet. Seit der
Zeit leidet er an einem politiſchen Mundfluſſe, einer
Krankheit, die unter den Diplomaten eben ſo ſelten
gefunden wird, als die Mundſperre häufig unter ih¬
nen vorkömmt. Dieſe ſeltene Krankheit des Herrn
[103] von Gagern giebt uns aber über die verborgene Phy¬
ſiologie der Diplomaten und Ariſtokraten lehrreiche
und nützliche Aufſchlüſſe. Der große Staatsmann
ſchreibt der kleinen allgemeinen Zeitung über Grie¬
chenland aus Hornau einen Brief. Hornau liegt
aber nicht in Griechenland, ſondern im Taunus, und
ich glaube, daß wir vor zwei Jahren, als wir den
Sommer in Soden zugebracht, eines Abends in der
Schenke von Hornau Eierkuchen gegeſſen. Herr von
Gagern ſchreibt: er, Herr von Stein und Ca¬
podiſtrias
, hätten ſich in Naſſau und Ems oft
von Griechenland unterhalten. Ich kann das bezeu¬
gen. In Ems habe ich zwei nach einander folgende
Sommer dieſe Herren ſehr oft eifrig mit einan¬
der ſprechen hören. Ich hätte aber, ob ich zwar
viel gehorcht, nie gedacht, daß von Griechenland die
Rede ſey. Es ſchien mir als ſprächen ſie von ihren
eignen Angelegenheiten und denen ihrer [Familie]. Sie
gehörten „zu den wärmſten, und eifrigſten Verthei¬
digern Griechenlands, oder der griechiſchen
Frage
.“ Warum Herr von Gagern das allgemein
bekannte Wort Griechenland ganz ohne Noth mit
griechiſche Frage überſetzt, will ich Ihnen erklä¬
ren. Es giebt nichts weichherzigeres, warmblütige¬
res, nervenzarteres, thränenreicheres, kurz gefühlvol¬
leres als ein Diplomat, und ein ſolcher hat ſich ſehr
in Acht zu nehmen, bei ſeinen ſtarken und häufigen
[104] Gemüthsbewegungen ſeine zarte Geſundheit nicht ganz
zu Grunde zu richten. Strenge Diät iſt ihm un¬
entbehrlich. Wenn daher Tauſende der edelſten Por¬
tugieſen vom Fleiſcher Miguel geſchlachtet und zer¬
fetzt werden; wenn die Italiener, von der Treibjagd
der Liſt und Gewalt in ihr Todesnetz gejagt, von
feigen und bequemen Jägern erlegt werden; wenn
Belgien wie ein Käſe zerſchnitten, zugewogen und, in
Protokoll-Papier gewickelt, den hungrigen Käufern
ſtückweiſe eingehändigt wird; wenn Polen den Keu¬
lenſchlägen des Tyrannen unterliegt, und ſterbend den
Helfers-Helfern flucht — wie wollen die Diplomaten
es ertragen, täglich ſolche Gräuel und Schändlichkei¬
ten zu ſehen und zu hören? und doch iſt ihnen das
Schickſal der Völker anvertraut; wie erleichtern ſie
ſich den Schmerz? Durch eine einfache Veränderung
der Worte. Sie ſtellen ſich an, als gäbe es kein
Land und kein Volk in der Welt; ſie ſuchen das zu
vergeſſen und es gelingt ihnen durch Uebung. Sie
ſagen darum nie: Portugal und Portugieſen, Italien
und Italiener, Belgien und Belgier, Polen und pol¬
niſches Land; ſondern ſie ſagen: die portugieſi¬
ſche Frage
, die italieniſche Frage, die bel¬
giſche Frage
, die polniſche Frage. Es iſt
eine Art Salpeter-Säure, welche das Blut abkühlt,
und das Herz ruhiger macht. Aus dieſem diäteti¬
[105] ſchen Grunde ſpricht Herr von Gagern von der
griechiſchen Frage
; aber ſein Herz iſt gut.


Jetzt weiter; und verlaſſe mich nicht, lieber
Scherz! denn mir graut vor dieſen Seelenverkäufern.
Monarchiſche Verfaſſung, deutſche Leib¬
wache, hinreichender Kredit, waren die
großen Grundſätze, worüber wir einver¬
ſtanden waren.“ Hört! Hört! vernehmet doch
die großen Grundſätze dieſer großen Männer! Ein
edles Volk, Erbe des ſchönſten Jahrtauſendes der
Zeit, Nachkommen von den Lieblingen der Götter,
noch immer verklärt von der Abendröthe einer vor
zwanzig Jahrhunderten untergegangenen Sonne, noch
immer duftend von den Wohlgerüchen eines verbliche¬
nen Paradieſes. — Dieſes edle Volk, verarmt, ver¬
ſchmäht, vergeſſen, zu Boden gedrückt, erinnert ſich,
was es geweſen und ſchüttelt ſeine Ketten; will wie¬
der werden, was es war und wirft ſeine Ketten ab.
Es ergreift ſein roſtiges Schwert und kämpft. Män¬
ner, Weiber, Kinder, Greiſe ſtürzen und füllen den
[Abgrund] aus, der die Knechtſchaft von der Freiheit
trennt. Die übriggebliebenen ziehen darüber weg,
treten ihr eignes Herz mit Füßen, ſuchen den Feind
und ſiegen. Einer kämpft gegen hundert. Die
chriſtlichen Könige Europens erfahren, ein kleines
Chriſten-Völkchen habe ſich gegen Mohamet empört
— ſie lachen. Das Völkchen ſiegt — ſie werden
[106] aufmerkſam. Der Sieg wird entſcheidender — ſie
werden bedenklich. Ein Volk ſoll die Freiheit erwer¬
ben, ohne ſie und trotz ihnen? Nein! Sie laſſen
den Griechen ſagen: Ihr ſeyd zu ſchwach, wir wollen
euch helfen. Sie ſchicken ihre Flotten ab, die Grie¬
chen von ihren Feinden zu trennen, damit ſie nicht
den letzten Sieg erringen. Ein edelmüthiger Staats¬
mann läßt ſich von ſeinem Herzen hinreißen und
giebt den Befehl, daß man die Flotte der Türken
zerſtöre. Codrington ſiegt und die chriſtlichen Mächte
trauern und zürnen. Der Admiral wird zurückgeru¬
fen und wie ein Schulbube ausgeſcholten. Die
Griechen ſind frei
! Dieſer Angſtruf ſchallt von
Hof zu Hof. Wie iſt dem Verderben Einhalt zu
thun? Darauf ſinnen jetzt die Räthe der Fürſten.
Es giebt viele magere Fürſtenſöhne in Europa, die
kann man mäſten mit dem Fleiſche und Blute der
Griechen — alſo monarchiſche Verfaſſung.
Die Griechen ſind begeiſtert, ſie leiden an der ge¬
fährlichſten Bruſtentzündung; ſchnell, nur ja recht
ſchnell das ſtärkſte freiheittreibende Mittel — alſo
deutſche Leibwache. Aber kein Königſohn wird
der Narr ſeyn, ſein eignes Geld nach Griechenland
zu bringen, die Griechen müſſen ihn aus ihrem Beu¬
tel bezahlen, wenn er ſie glücklich machen ſoll; aber
die Griechen ſind arm, ſie müſſen alſo borgen; ihr
König thut es in ihrem Namen — alſo hinrei¬
[107]chender Kredit. Viele Fürſtenſöhne meldeten ſich,
die Griechen glücklich zu machen. Wen unter ihnen
wählen? das iſt die griechiſche Frage. Den
Edelſten, den Tapferſten, den Geiſtreichſten, den
Muthigſten? Nein! Den, der am meiſten Kre¬
dit hat
; den, der ſeine Miniſter, Oberſtallmeiſter,
Geſandte, Hofmarſchälle, Oberkammerherren, und ad¬
ligen Garde-Offiziere am beſten bezahlen kann.
Herr von Gagern erkundigt ſich alſo ſorgfältig „bei
dem erſten europäiſchen Wechſel-Hauſe
“ (alſo
bei Herrn von Rothſchild), welcher Fürſt den mei¬
ſten Kredit habe? Herr von Rothſchild ſchlägt in
ſeinem Kreditbuche nach, es ſtanden alle Fürſten Eu¬
ropas darin, nur der einzige Prinz Friedrich der
Niederlande
nicht. Herr von Rothſchild ſchließt
mit Recht daraus, daß ein Fürſt, der nie Kredit bei
ihm geſucht, des Kredits am allerwürdigſten ſey. Er
giebt alſo dem Herrn von Gagern den Beſcheid:
Prinz Friedrich der Niederlande hat den größten
Kredit. „Alſo iſt Prinz Friedrich der Niederlande
am würdigſten, König der Griechen — ich will ſagen
König der griechiſchen Frage — zu werden,“ ruft
Herr von Gagern aus. Er eilt, dieſen großen
Grundſatz dem Grafen Capodiſtrias mitzutheilen.
Dieſer aber iſt auf Reiſen, angeblich einen griechi¬
ſchen König zu ſuchen, eigentlich aber, um zu erlau¬
ſchen, gegen welche künftigen Anſprüche er das mos¬
[108] cowitiſche Intereſſe werde zu vertheidigen haben.
Herr von Gagern reiſt dem Compagnon ſeiner gro¬
ßen Grundſätze nach. In Paris verfehlt er ihn, in
Brüſſel erwiſcht er ihn, und erzählt ihm athemlos:
Herr von Rothſchild habe erklärt, Prinz Friedrich
der Niederlande habe am meiſten Kredit, und er ſolle
daher gleich zu deſſen Vater, dem Könige, gehen und
die griechiſche Frage mit ihm in Ordnung bringen.
Capodiſtrias gehörte aber unglücklicherweiſe zu den¬
jenigen Diplomaten, welche die Mundſperre im höch¬
ſten Grade haben, und Herr von Gagern konnte nichts
von ihm herausbringen. Er bekam zur Antwort:
ich kann nicht zum Könige gehen, ich habe kein
Kleid
. Nun bei den Göttern! ich habe Cornelius
Nepos und Plutarch geleſen, und habe darin nicht
einen einzigen großen Mann des Alterthums gefun¬
den, der ſo arm geweſen, daß er kein Kleid gehabt,
wo es darauf ankam, für das Glück eines großen
Volks zu reden und zu handeln! Warum hat Herr
von Gagern, einer der wärmſten und frühſten
Vertheidiger der griechiſchen Frage
, nicht
dem Grafen Capodiſtrias ein paar hundert Franken
vorgeſchoſſen, daß er ſich ein Kleid machen laſſe?
Jeder geſchickte Schneider verfertigt in einem halben
Tage einen vollſtändigen Anzug. Capodiſtrias erbot
ſich jedoch, zum niederländiſchen Miniſter zu gehen,
„aber nicht als Staatsmann, ſondern Mann zu
[109] Mann
.“ Er geht. Herr von Gagern ſtirbt vor
Ungeduld, bis der Mann vom Manne zurückkömmt,
was hat er geſagt? „... j'ai trouvé la fibre
un peu molle
,“ erwiederte Capodiſtrias ... „was
ich mit der Pflicht des wirklichen Staats¬
mannes explicirte,“ bemerkt Herr von Gagern.
Er aber dürfe ſeinen Mundfluß haben, weil er nur
in der Rolle des Dilettanten erſchien.“
Aber in meinem Leben hätte ich nicht errathen, daß
eine lockere Fiber das Weſen eines wahren
Staatsmannes bilde, und daher der vierwöchentliche
Gebrauch des Schwalbacher Brunnens, da die Fiber
ſpannt, einen Talleyrand zum Eſel machen würde!
Kurz, die einzige Sorge des Herrn von Stein, des
Grafen Capodiſtrias und des Herrn von Gagern
war: einen Prinzen mit Griechenland zu apanagiren,
Rothſchild zu einem neuen Anleihen zu verhelfen, und
den Prinzen und die Curſe der griechiſchen Papiere
durch deutſche Leibwachen zu ſchützen. Kürzer und
kräftiger hat noch keiner das ſeelenloſe, mechaniſche,
ſelbſtſüchtige, ſchacherhafte Treiben der neuern euro¬
päiſchen Staatskunſt, des Monarchenthums und der
Hofſchwänzelei dargethan, als dieſer Herr von Ga¬
gern in Hornau, wo wir vor zwei Jahren Eier¬
kuchen gegeſſen.

[110]

Laſſen Sie den *** tauſend, ja zehntauſend
male von mir grüßen und danken für die herrliche
Geſundheit, die er ausgebracht: Allen Völkern
ohne König
! hier ſagen ſie: Les Rois s'en
vont.
Dieſe Taugenichtſe von Franzoſen finden
doch gleich das rechte Wort für jede Sache, ſobald
wir guten Deutſchen die rechte Sache gefunden. Wir
wollen unſere Töchter mit ihren Söhnen, unſere
Ideen mit ihren Worten vermählen, dann haben wir
eine mächtige Verwandtſchaft und wehe dann jedem,
der uns zu nahe kömmt mit feindlichen Gedanken.
Was Sie mir von den Polen geſchrieben, und wie
herrlich ſie in Frankfurt aufgenommen worden, hat
mich bis zu Thränen gerührt. Dem Manne, der
auf der Brücke einem Polen ſeinen Mantel umge¬
hängt und ſtillſchweigend fortging, dem ſollte man
auf dieſer Stelle ein Denkmal errichten; keinen ſchö¬
nern Zug des Herzens weiß die alte Geſchichte zu
erzählen. So mögen ſie meine Briefe widerlegen!
Ich will unter Männern der Wahrheit gern der ein¬
zige Lügner, in einem Lande des Glaubens gern der
einzige Spötter, unter einem ſtarken Volke der ein¬
zige Schwächling ſeyn, und bin ich erſt der Schlech¬
teſte aller Deutſchen geworden, dann iſt keiner ſeli¬
[111] ger als ich. Guter Gott, was iſt an einem einzel¬
nen Menſchen, was an mir gelegen? Beſſere als ich
ſind verkannt worden. Das Leben iſt kurz und der
Tod noch kürzer. Aber der Tag der Wahrheit kömmt
einmal, und keinem wird Gerechtigkeit zu ſpät aus¬
gezahlt, der, wie ich, als er ſeinem Vaterlande diente,
nicht einmal Gerechtigkeit als Lohn verlangte.


Von den herrlichen Reden Raspails und der
übrigen jungen Republikaner, die neulich vor Gericht
ſtanden, aber richteten ſtatt gerichtet zu werden, habe
ich einiges überſetzt, daß ich Ihnen ſpäter mittheilen
werde. Der und jener Ball, bei dem und jenem
Bankier dieſen Winter, hat Sie doch vielleicht etwas
glacirt. Eine kleine republikaniſche Vorleſung zum
Erwärmen kann immer gut ſeyn.


Noch einmal — was Sie mir von Frankfurt
geſchrieben, hat mich bis tief in das Herz gefreuet.
Möge es fortgehen auf dieſem Wege; möge es ſich
emſig auf ſeine große Beſtimmung vorbereiten und
ſich deren würdig zu machen ſuchen. Denn Frank¬
furt iſt beſtimmt, einſt die Hauptſtadt des deutſchen
Reichs und der Sitz der deutſchen National-Verſamm¬
lung zu werden. Dort, wo jetzt die Tyrannei auf
dreißig Stühlen thront, wird in wenigen Jahren die
Freiheit gekrönt werden. Den Taxiſchen Pallaſt,
[112] die deutſche Baſtille, wird man niederreißen und nach¬
dem der Boden von allen Trümmern der Zwingburg
geſäubert, wird auf dem Platze eine hohe Säule ſich
erheben, welche die Inſchrift trägt: Hier liegt
Deutſchlands Schande
!

[[113]]

Fünf und zwanzigſter Brief.


In dem letzten Hefte der Revüe de Paris
(vom 29. Januar) ſtehen Proben aus der bald er¬
ſcheinenden Ueberſetzung meiner Briefe. Es iſt das
Krönungsgemälde von David und ein Stück von
Lord Byron. Ich finde das alle ſehr matt; zum
Glücke habe ich eine gute Natur. Der kleine Aer¬
ger macht mir eine Gänſehaut, aber nach innen dringt
die Erkältung nicht.


— Ich habe ſchon in einer andern Recenſion
geleſen, daß man mich gereizt und nervenſchwach
genannt. Das wunderte mich nicht. Die Gemeinen
im Volke haben ſogar keine Vorſtellung davon, wie
man anders als ſie ſelbſt denken und fühlen könne,
daß, finden ſie es einmal, ſie die wundervolle Er¬
ſcheinung einer Krankheit zuſchreiben. Sie kennen
ſo wenig die Macht und Wirkſamkeit des Geiſtes,
IV. 8[114] daß ſie es lächerlich finden, wenn ein körperſchwacher
Menſch die hohe und dicke Mauer der Gewohnheit
zu erſchüttern ſucht. Ich erinnere mich, daß, als
vor mehreren Jahren eine Verſchwörung gegen die
ruſſiſche Regierung entdeckt wurde und die Haupt¬
verſchwornen hingerichtet wurden, man von einem
derſelben nichts verächtlicheres glaubte ſagen zu kön¬
nen, als er ſey nervenſchwach und habe doch geſucht
ein Reich umzuſtürzen! Auch Robert hat mich einen
nervenſchwachen Athleten genannt. Ueber die
Spötter! weil ſie, wie jener Crotoneſer, von Kind¬
heit an gewöhnt, ein Kälbchen mit ſich herumzuſchlep¬
pen, in ihrem Alter es dahin gebracht, einen ganz
lebendigen Ochſen zu tragen, halten ſie ſich für ſtark,
weil ſie dumm ſind. Dieſe Menſchen, die, weil ſie
ſich nie der Außenwelt widerſetzt, auch niemals Wi¬
derſtand gefunden, ſehen nicht die nächſte Grenze
ihrer Kraft und halten ſich für mächtig, weil ſie zur
allgemeinen Materie gehören. Der Johanniter Meyer
in Hamburg kennt mich beſſer. Er nennt mich ſo
ein Kerl
, was doch auf eine ſechs Fuß hohe
Seele hindeutet. Ach! wäre ich nur ſo ein Kerl!
nicht wie jetzt, ein jämmerlich überſetzter Kerl,
ſondern ein unterſetzter Kerl, mit breiten Schul¬
tern, breiter Bruſt, breiten Zähnen, breiten Fäuſten
und breiten Gedanken — Hei! wie wollte ich ſie
zurichten! Denn wahrlich, ſtünden mir alle Waffen
[115] der olympiſchen Götter frei, ich wählte nicht Jupi¬
ters königliche Blitze, nicht Dianens ferntreffenden
Pfeil, nicht Merkurs Rednerliſt, nicht Apollo's Leier,
nicht das Lächeln der Grazien, nicht Aphroditens
Zauberblick, nicht Amors Schelmerei — ich wählte
mir nur die Keule des Herkules und Sylens groben
Spaß. Sie ſchrieben mir neulich, es ſey meiner un¬
würdig, wie ich mich gegen Robert und Pittſchaft
ausgeſprochen. Freilich iſt es meiner unwürdig:
aber es iſt ganz meiner würdig, in ſolcher Zeit nicht
an meine Würde zu denken. Sind es Worte, die
man braucht in dieſen Tagen der Entſcheidung?
Soll ich daran denken, wie Leute von Geſchmack
über meine Schreibart urtheilen, was Weiber von
meiner Aeſthetik halten? Wenn ich Ruhe, Blut und
Leben an die Sache des Vaterlandes wage, ſoll ich
ängſtlich beſorgt ſein, mir meine Kleider nicht zu
verunreinigen? Wenn die Feinde der Freiheit im
Kothe lagern, ſoll ich fern bleiben und ſie nicht an¬
greifen, um meine Stiefel nicht zu beſchmutzen?
Wenn es darauf ankömmt, von den feinſten Worten
ein Filigran zu flechten, ein Drathnetz für Mücken¬
ſeelen — ich verſtehe das ſo gut als einer. Wenn
es darauf ankömmt, eine Satire zu ſpitzen, ſo ſpitz,
das ſie durch die Pore eines Glaſes dringt — ich
verſtehe das ſo gut als einer. Wenn es darauf an¬
kömmt, ein Gift zu miſchen, klar, hell, rein, durch¬
8*[116] ſichtig, ohne Farbe, Geruch und Geſchmack, unſchul¬
dig wie friſches Quellwaſſer, ein Verläumdungsgift,
eine aqua tofana — ich verſtehe das ſo gut als
einer. Aber nein, ich will die Kerls todt ſchlagen,
am hellen Tage und vor Aller Augen; denn Alle ſol¬
len es wiſſen, und ſie ſelbſt, daß ſie von meiner
Hand gefallen. Wie? wenn ein dummer Bauerlüm¬
mel mir in der Schlacht gegenüber ſteht, der gar
nicht weiß, wo er ſich befindet, nicht weiß, woher
er gekommen, wohin er geht, für was, für wen er
ſtreitet — ſoll ich ihn ſchonen, weil er dumm iſt?
Er gilt ſeinen Mann und ſeine Kugel trifft ſo gut,
als kenne er ihr Ziel. Darum ſchlage ich ihn zu
Boden. Soll ich ihm verächtlich den Rücken wenden,
daß er mich von hinten treffe? Fein thun mit ſol¬
chen plumpen Thieren, unter Scherz und Lachen
Kirſchkerne ſchnellen gegen ſolche Elephanten — es
iſt lächerlich. Sie ſpüren es gar nicht. Oder
glauben Sie vielleicht, daß Alle die Plumpheit,
die Roheit, die Gemeinheit meiner Gegner fühl¬
ten? Glauben ſie das nicht. Nicht einmal die
beſſern Alle. Ich habe das erfahren. Ein wohl¬
meinender Freund brachte mir das Blatt aus Stutt¬
gart; ich las es in ſeiner Gegenwart und ergötzte
mich unter lautem Lachen an dem Fiſchweiberwitze
einer deutſchen [Hofzeitung]. Aber der Freund be¬
merkte mit bedenklichem Geſichte: ja es bleibt doch
[117] immer etwas hängen. Ich erwiederte pah! das bür¬
ſtet mein Bedienter wieder aus. Als ich aber ſpä¬
ter darüber nachgedacht, fand ich, daß ich nur eine
leere Floskel gebraucht, um etwas zu ſagen, und daß
der Freund Recht gehabt. Selbſt Heine, der doch
ſo fein iſt in ſeinen Ausdrücken, und ein plumpes
Wort gar nicht verſtehen ſollte, bemerkte, als er ſah,
wie ich mich luſtig machte, über ein anderes jener
rohen Tabaksblätter, es wäre Perfidie darin. Und
hätte ich mich blind geleſen, ich hätte die Perfidie
nicht gefunden. So urtheilen aber die Leute, die
entweder ſelbſt zur rohen Menge gehören, oder aus
Erfahrung beſſer wiſſen als ich, wie man auf
ſie wirkt.


Die miniſteriellen Blätter, die Hofzeitungen,
warum ſchreiben ſie denn ſo plump, warum ſchimp¬
fen ſie ſo pöbelhaft gegen die Vertheidiger der Frei¬
heit? Glauben Sie, weil ſie nicht fein zu ſeyn ver¬
ſtehen? O nein! Sie verſtehen es nur zu gut.
Wenn ſie einen Streit unter ſich haben, Hof gegen
Hof, Fürſt gegen Fürſt, Macht gegen Macht, dann
kocht ſelbſt ihr heftigſter Zorn nie ſo ſtark über, daß
der trübe Schaum der Wuth zum Vorſchein käme.
Haß im Herzen, haben ſie die liebevollſten Worte
auf den Lippen und mit der ausgeſuchteſten Höflich¬
keit ſtoßen ſie dem Feinde ein ſchönes Schwert in die
Bruſt. Wo es aber darauf ankömmt, die Frei¬
[118] heit nieder zu reden, da wo die öffentliche Meinung
die Menge entſcheidet, ſind ſie grob und plump, um
auf die grobe, plumpe und gedankenloſe Menge zu
wirken, die in allen Ständen, vom Hofmanne bis
zum Bauer, die Mehrzahl bildet. Was ſie gegen
uns, ſollten wir gegen ſie thun. Seit fünfzehn Jah¬
ren hat die Freiheit den Sieg, den ſie ſiebenmal er¬
rungen, ſiebenmal wieder verlohren, weil ſie zu mä¬
ßig war, wie in ihren Handlungen, ſo in ihren Re¬
den. Die Völker glauben noch nicht feſt genug an
ihr eigenes Recht, und daß ſie allein alles Recht be¬
ſitzen. Sie kennen noch nicht genug ihre eigene
Macht und daß Keiner Macht hat neben ihnen. Sie
wiſſen noch nicht genug, daß die Welt ihnen allein
gehört und Königen nicht der kleinſte Theil davon
der ſich weiter erſtreckte, als ihr väterliches Erbe,
und daß ſie darum von allem was ſie wollen und
was ſie thun, keinem Rechenſchaft zu geben haben,
als Gott allein. Darum, weil ſie das nicht wiſſen,
ihr Recht und ihre Macht nicht kennen, wollen die
Völker in den Augen ihrer Fürſten gut und billig er¬
ſcheinen, rechtfertigen ſich, ſtatt Rechtfertigung zu be¬
gehren, fordern, wo ſie nehmen ſollten, fordern nicht
alles, was ihnen gebührt und fordern es mit ſo lei¬
ſen höflichen Worten, daß man ſich anſtellt, die
Hälfte nicht verſtanden zu haben, und die verſtandene
Hälfte abzuſchlagen den Muth bekömmt; das muß
[119] anders werden. Keine Schonung mehr, nicht im
Handeln, nicht im Reden. Liegt die Freiheit hinter
einem Meere von Blut — wir holen ſie; liegt ſie
tief im Kothe verſenkt, wir holen ſie auch. Darum
ſiegt die Bosheit überall, darum wiſſen Dummheit
und Gemeinheit immer den Vorſprung zu gewinnen,
weil ſie den kürzeſten Weg zum Ziele nehmen, un¬
bekümmert, ob er rein ſei oder ſchmutzig. Sie hält
die Reinlichkeit nicht ab, ſie gebrauchen ſelbſt edle
Mittel, wenn etwas Schlechtes dadurch zu erreichen,
und wir ſollten den Koth meiden, auch wenn er zum
Guten führt? Wir ſuchen reinliche Umwege, ver¬
lieren die Zeit und alles; denn wo wir auch den
Feind einholen, wo und wenn wir auch zu ihm
ſtoßen, wir finden ihn immer im Schlamme, den wir
früher oder ſpäter durchwaten müſſen, wollen wir
ſiegen für das Recht. Was andere thun für die
Tyrannei, warum ſollen wir es nicht für die Frei¬
heit thun? Schwert gegen Schwert, Liſt gegen Liſt,
Koth gegen Koth, Hundegebell gegen Hundegebell.
Heine ſagt: auch die Freiheit müſſe ihre Jeſuiten
haben; ich ſage das auch. Aber nicht das allein,
die Freiheit muß alles haben, was im Lager der
Tyrannei zu finden: Stück-Knechte, Rothmäntel,
Baſchkiren, Marodeurs, Paukenſchläger und Tro߬
buben. Lernen wir begreifen, daß die Tyrannen nur
ſolche Waffen fürchten, die ſie ſelbſt gebrauchen; denn
[120] nur dieſe kennen ſie. Darum der Liſt ja keine Of¬
fenheit, dem Laſter keine Tugend, der Frechheit keine
Milde, der Plumpheit keinen Anſtand gegenüber.


Iſt es wie in den großen Kämpfen dieſer Zeit,
wo Macht gegen Macht ſtreitet, nicht auch in den
kleinen Kämpfen aller Zeiten, wo jeder Menſch für
ſein beſonderes Leben gegen das andere beſondere
Leben kämpft? Siegt nicht immer der Dumme über
den Weiſen, der Böſewicht über den edlen Mann?
Das geſchieht, weil die edlen Menſchen den Sieg
mit dem Kampfe, die Beute mit der Waffe verwech¬
ſeln, und mit Recht für das Recht ſtreiten. Nur
mit Unrecht gewinnt man das Recht; denn man kann
ſelbſt im Kampfe für die Wahrheit die Söldlinge
nicht entbehren, und dieſe bezahlt man mit Tugend
nicht. Sehen Sie Rouſſeau. Es gab keinen Men¬
ſchen, der das Gute mehr geliebt, das Schlechte
mehr gehaßt, als er. Er kämpfte ſein ganzes Leben
für Freiheit und Recht, und warum wurde er ſo ver¬
kannt? Warum wurde er ſo verſpottet? Warum
war ſein Leben ſo voll Schmach und Noth? Er
verſpottete die Gemeinheit und war gutmüthig gegen
die Gemeinen; er bekämpfte den Trug und lebte in
Frieden mit allen Betrügern; er verfolgte alles
Schlechte, und ſchonte die Schlechten. Ueber die
Sache verſchwand ihm der Menſch; er liebte das
Gute, und verſtand die Guten nicht zu lieben;
[121] aber man muß Feinde haben, um Freunde zu finden,
man muß haſſen, um lieben zu können. Rouſſeau
haßte und liebte Keinen, darum ſtand er allein; er
verſchonte Jeden, darum wurde er nicht verſchont;
er verfolgte Keinen, darum wurde er von Allen ver¬
folgt. Gott und Welt, Himmel und Erde verthei¬
digte er, aber ſich ſelbſt wußte er nicht zu vertheidi¬
gen. Das ſchien ihm ſchnöder Lohn für freien Liebes¬
dienſt, und den verſchmähte er. Darum ging er zu
Grunde. Alle Blitze ſeiner Beredtſamkeit gebrauchte
er für Andere; für ſich ſelbſt war er wehrlos und
ſtumm. Einmal ſagt er in ſeinen Bekenntniſſen: „Hätte
ich meine Kraft gebrauchen wollen gegen meine Feinde,
ich hätte gewiß die Lacher auf meine Seite gehabt.“


Ich habe mir das gemerkt. Die Lacher will
ich auf meiner Seite ziehen; die Lacher, die gutes
Herz und gute Fäuſte haben, und nicht die feinen
Lächler, die, ob ſie zwar tauſendmal mir recht
gäben, doch tauſendmale mich todtſchlagen ließen, ohne
die Hand für mich aufzuheben; aber mir immerfort
recht gäben und immerfort lächeln würden. Göttliche
Grobheit! vor dir falle ich nieder.


Abends. So eben habe ich die Abendzeitung,
den Meſſager, geleſen. Geſtern war ſie noch mini¬
ſteriell, heute hat ſie die gewechſelt. Die
Actionairs haben ſich nicht gut geſtanden bei dem
bisherigen Miniſterialismus der Zeitung, und haben
[122] darum die Redaktion geändert. Es iſt merkwürdig!
Läſe ich keine andere Zeitung, als nur den Meſſager,
hätte ich denken müſſen, daß ſeit geſtern ſich die
ganze Welt geändert, daß ein Comet an die Erde
geſtoßen und ſie in eine neue Bahn getrieben. Dar¬
aus ſah ich wieder, wie weit die Meinung der Re¬
gierenden von der des Volkes abſteht. Und wer von
beiden auch irre, gleichviel. Der Abſtand bleibt im¬
mer der nehmliche. Und ſo iſt es überall. Wie
kann das gut enden?


Verfloſſene Nacht hat man eine Verſchwörung
entdeckt. Aber keine von den neuen dummen Gaſ¬
ſenverſchwörungen beim hellen Sonnenſcheine, ſondern
eine von der guten alten Art, ſchauerlich, mitter¬
nächtlich, blutdürſtig, wie ſie in den Melodramen
vorkommen. Einige hundert Menſchen, mit Dolchen
und Piſtolen bewaffnet, wurden um Mitternacht in
einem Hauſe überfallen. Sie ſetzten ſich zur
Wehre. Der erſte eindringende Soldat wurde
erſchoſſen. Einige hundert ſind arretirt. Die
Verſchwornen ſollen ſtarke bewaffnete Trupps in
verſchiedenen Stadttheilen aufgeſtellt haben. Man
wollte in die Tuillerien dringen; General Bour¬
mont ſoll in Paris ſeyn. Doch iſt alles noch
ſchwankendes Gerücht. Waren es Republikaner?
Waren es Carliſten? Man ſagt das Letztere. Wäre
das — der König hatte am nehmlichen Abend einen
[123] Ball — dann muß in der Geſellſchaft doch mehr
als Einer geweſen ſeyn, der von der Verſchwörung
wußte. Es iſt eine intereſſante Situation! Heuer
gedeiht aber nichts. Warum ſind ſie nicht ſo klug
wie Joſeph von Egypten geweſen, und haben in den
Jahren der Fruchtbarkeit beſſer für die Hungerjahre
geſorgt? Jetzt kömmt die Beſcherung.


— Habe ich Ihnen vor einiger Zeit nicht ein¬
mal geſchrieben: in Oeſterreich würden ſie erſchrecken
über die furchtbaren Fortſchritte des Liberalismus,
wenn ſie erfahren, daß ſogar in Conſtantinopel eine
Zeitung erſcheint? Nun das war damals freilich
geſcherzt; aber es war ein Scherz im Geiſte des
Ernſtes. Und jetzt iſt es wirklicher Ernſt geworden.
Der Oeſterreichiſche Geſandte in Conſtantinopel hat
der hohen Pforte eine ſehr eindringliche Note über¬
reicht, worin er im Namen ſeines Hofes vorſtellt,
welch eine ſchrecklich gefährliche Sache es um eine
Zeitung wäre, ſelbſt wenn ſie im Sinne der Regie¬
rung geſchrieben. Gäbe man dem Teufel einen Fin¬
ger, bekomme er bald die ganze Hand. Was ſagen
Sie dazu? Und wenn ich mich auf den Kopf ſtelle,
ich kann nicht mehr lügen, kann nicht mehr ſatyriſch
ſeyn. Alle Phantaſie geht dabei zu Grunde. Bei
dieſer Gelegenheit will ich Ihnen eine artige Ge¬
ſchichte von der ruſſiſchen Cenſur erzählen. Hängt
Euch deutſche Cenſoren! das da hättet Ihr nie er¬
[124] funden. Im Jahre 1813 wollte ein Ruſſe die Be¬
ſchreibung einer Reiſe drucken laſſen, die er im Jahre
1812 durch Frankreich gemacht. Die Cenſur fand
auch an dem Buche nichts auszuſetzen, außer dem
Titel; denn es war nicht ſchicklich, daß ein Ruſſe
1812 in Frankreich reiſe, zu einer Zeit, wo Ru߬
land und Frankreich Krieg führten. Um dieſem Mis¬
ſtande abzuhelfen, ſtrich die Cenſur den Titel Reiſe
durch Frankreich
aus und ſchrieb dafür Reiſe
durch England
, und wo im Buche das Wort
Frankreich vorkam, ſetzte ſie England an deſſen Stelle.


Jetzt noch zwei chineſiſche Anekdoten zum
Einſchlafen
, denn ich will zu Bette gehen. Der
Kaiſer von Rußland ließ dem Kaiſer von China ſa¬
gen: er möchte doch an der Grenze ſeines Reichs
einen Cordon gegen die Cholera ziehen laſſen. Dar¬
auf ließ der Kaiſer von China erwiedern: er werde
das bleiben laſſen; denn er habe gehört, daß die
Krankheit nur Müſſiggänger, Trunkenbolde und un¬
reinliche Menſchen befalle, und es wäre ihm ganz
lieb, wenn er fünf Millionen ſolcher Unterthanen
verlöhre. Auch an einer andern Grenze des chineſi¬
ſchen Reichs wollte der Regierungsbeamte von Maas¬
regeln gegen das Eindringen der Cholera nichts hö¬
ren, weil er ſie als fruchtlos und den Müſſigang be¬
günſtigend anſah. Um ſeine Meinung zu unterſtützen,
erzählte er folgende Anekdote:

[125]

„Im Jahre 1070 brach in Peking eine ſonder¬
„bare Krankheit aus, deren Wirkung ſich an den
„Haaren derjenigen zeigte, die in freier Luft lebten.
„In kurzer Zeit verlohr der Kranke die Hälfte ſei¬
„ner Haare und darauf ſtarb er. Als der damalige
„Kaiſer Tſchanglug dieſes erfuhr, ſagte er mit be¬
„ſtimmten Worten, er wolle von dieſer Krank¬
heit nichts hören. Dieſer höchſte Wille, mit
„Feſtigkeit ausgedrückt, machte die Seuche verſchwin¬
„den.“ Gute Nacht.


Iſt denn das Alles wahr, was ich in einer
Stuttgarter Zeitung geleſen, wie neulich die Frank¬
furter beim Durchzuge der Polen durch manches
ſchöne Wort eine noch ſchönere Geſinnung offenbart?
Einer, der vor dem Wagen der Polen zog, ſagte:
„Dir helf ich ziehen, Philipp, was geht mich Kaiſer
„und König an? Das hier ſind brave Kerle, das
„weiß ich.“ Ein Anderer, den man abwendig ma¬
chen wollte, antwortete: „Ei, Ihr habt die Sontag
„ziehen wollen; die haben den Ruſſen noch etwas
„ganz Anderes vorgeſungen.“ Ein dritter äußerte:
wir müſſen den jungen Leuten zeigen, daß
wir keine Preußen ſind.“ Der Berichterſtat¬
ter in der Stuttgarter Zeitung bemerkte hierbei, daß
die Frankfurter, die ſich ſo geäußert, aus den nie¬
[126] drigen Ständen geweſen. Dieſe Bemerkung war
ganz überflüſſig. Man weiß recht gut, daß bei uns,
wie überall, die höheren Stände weder ſo viel Ver¬
ſtand, noch ſo viel Herz haben. Der Polenzug durch
Deutſchland wird die ſchönſten Früchte tragen. O,
die klugen Leute! O, die ſchlauen Staatsmänner!
Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬
ſchau war ihnen bange; ſie zerſtreuten es, und jetzt
geht die Freiheit hauſiren im ganzen Lande, von
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der
Schmach und Tücke, die Oeſterreich und Preußen
den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen
Blätter ſchweigen; und jetzt ſchicken ſie zwanzigtau¬
ſend Prediger im Lande herum, die erzählen, was
ſie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre.
Kommen jetzt die Ruſſen, dann wird man lange rei¬
ſen müſſen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu
beſuchen.


Was ſich aber Preußen für Mühe giebt, ſich
verhaßt zu machen! So viel Beſcheidenheit hätte
ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬
chen nicht zu ſtudiren. Daß aber meine guten Deut¬
ſchen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es
iſt in ihrer ſchönen Art, über ihr Herz doppelte
Buchhalterei zu führen: was ſie dem Haſſe geliehen
(und ſie leihen ihm nur und nehmen ſpäter zurück)
ſetzen ſie gleich der Liebe in die Einnahme. Thut
[127] das nicht. Ihr möget Preußen haſſen, aber liebt
darum Oeſterreich nicht mehr. Preußen klappert und
warnt; Oeſterreich ziſcht nicht eher, bis es gebiſſen.
Preußen watſchelt, wie ein Bär, auf die Freiheit
los; Oeſterreich wartet, bis ſie an dem Dickicht vor¬
bei kömmt, wo es verborgen lauert. Haſſet Preußen,
aber fürchtet Oeſterreich. Oeſterreich kann, was
Preußen nur will. Preußen iſt nur Oeſter¬
reichs Mund; rechtet mit dem Herzen, und nicht mit
den Lippen. Oeſterreich findet die Weichſel roth
genug, es iſt ganz zufrieden, und jetzt will es den
Reſt der Polen dazu benutzen, im Deutſchen Volke
Haß gegen Preußen zu erregen, das es fürchtet, mehr
als Rußland. Dieſes iſt doch ein Körper, aber
Preußen iſt ein ſchauerlicher Geiſt. Hätte Oeſter¬
reich nicht dieſen Zweck, wäre es nicht damit einver¬
ſtanden, hätte die Begeiſterung des deutſchen Volks
für die edlen Polen in gar manchem deutſchen Lande,
in gar mancher Stadt, ſich ſo ungeſtört nicht zeigen
dürfen; hätte man nicht geſehen, daß ſelbſt die feig¬
ſten aller Regierungen an dieſer Begeiſterung Theil
genommen. Gar manche von den edlen Männern,
die im milden Wirken für die Polen ſich ausgezeich¬
net, ſind der öſterreichiſchen Regierung mit ganz be¬
ſonderer Liebe zugethan, durch ganz beſondere Bande
an ſie geknüpft. Haſſet eure offnen Feinde, aber
[128]fürchtet die Danaer, auch wenn ſie Ge¬
ſchenke bringen
!


Heine wurde neulich von Jemand gefragt:
worin er ſich in ſeinen politiſchen Anſichten von mir
unterſcheide? Er antwortete: ich bin eine gewöhn¬
liche Guillotine und Börne iſt eine Dampfguillotine.


— Mehr als zweihundert Perſonen ſind wegen
der letzten Verſchwörung arretirt worden, und dar¬
unter Leute von Namen, wie der General Düfour.
Das iſt der nehmliche General Düfour, welcher in
den Juli-Tagen, als der Herzog von Orleans vor
dem Rathhauſe um die Gunſt des Volkes bettelte,
zu ihm ſagte: Sie ſehen, gnädiger Herr, welch ein
ſchlechtes Ende ſchlechte Könige nehmen, und das
diene Ihnen zur Lehre. Worauf der Herzog von
Orleans ganz prächtig die Hand auf ſein Herz legte,
und nachdem er eine der ſchönſten Stellungen Tal¬
ma's ausgewählt, zu Düfour ſagte: „es bedarf Ih¬
rer Ermahnungen nicht; ich bin ein guter Franzoſe,
habe die Freiheit immer geliebt, immer für ſie ge¬
kämpft.“ Faſt geweint hat der gute Herzog vor ed¬
lem Zorne. Jetzt ſitzt er auf dem Throne und
Düfour im Kerker.


Auf Perriers Ball hätte ich leicht kommen kön¬
nen, wie jeder Andere auch. Man konnte ſich ein
[129] Billet dazu verſchaffen, wie zum Theater; aber ich
wollte nicht. Ich will nicht wandeln, wo Sünder
gehen, und mich nicht ſetzen, wo Spötter ſitzen.


— Bei dem Anlaſſe neulich, wo die Simoni¬
ſten in die rauhen Fäuſte der Gewalt gefallen, haben
ſich die Franzoſen hier wieder auf eine ſehr liebens¬
würdige Art gezeigt. Die öffentliche Meynung war
zum großen Theile gegen die Simoniſten; faſt alle
Blätter, am meiſten aber die Liberalen, waren ihnen
entgegen. Der Figaro beſonders, dieſes reiche Na¬
delkiſſen, ſtach ſie täglich auf das grauſamſte. Aber
ſeit dem Tage, daß die Regierung ſich plump, wie
jede, in ein zartes Verhältniß des Geiſtes gemiſcht,
hat ſich alles geändert. Alle bisher feindlichen Blät¬
ter nehmen ſich der Simoniſten auf das freundlichſte
an. Der Figaro erklärt auf eine edle und rüh¬
rende Weiſe, er werde von nun an kein Wort mehr
gegen ſie ſchreiben, ſondern all ſeinen Spott der
rohen Gewalt zuwenden. Ein Blatt für die prote¬
ſtantiſchen Intereſſen, das die religiöſe Lehre der
Simoniſten ſtets mit Kraft und Ernſt bekämpft,
machte gleich am andern Morgen bekannt, es ent¬
ſage von nun an ſeinem Kriege, und werde die
Waffe nun gegen die gemeinſchaftlichen Feinde füh¬
ren. Ein Mann, der eine Schrift gegen die Simo¬
niſten zum Drucke fertig hatte, erklärte öffentlich, er
werde ſie unter ſolchen Verhältniſſen nicht bekannt
IV. 9[130] machen. Iſt das nicht alles, wie bei uns? Auch
dort, ſobald die Regierung einen Menſchen, ein Buch,
eine Lehre verfolgt, erheben ſich gleich die lieben,
guten, hochherzigen Deutſchen zum Schutze und zum
Beiſtande der Schwachen.


Das Gedicht auf den Preußen-Galgen iſt wun¬
derſchön. Ich werde es dem General Uminski mit¬
theilen.


Schrieb ich Ihnen nicht ſchon im Anfange die¬
ſes Winters, es würde noch dahin kommen, daß die
franzöſiſche Regierung, von der man früher erwartet,
ſie würde andern Völkern beiſtehen, ihre Freiheit zu
erkämpfen, ſich mit allen despotiſchen Mächten ver¬
bindet, die Freiheit überall zu unterdrücken? Nun
heute erzählt man, Schiffe mit Menſchen wären aus
einem franzöſiſchen Hafen ausgelaufen, um Ankona
zu beſetzen, und gemeinſchaftlich mit Oeſterreich und
dem Papſte die Italiener unter das alte ſchmähliche
Joch zu bringen! Wahrhaftig ich ſchäme mich.
Mein Argwohn hinkt lächerlich hinter der Tyrannei
her, die, Hand in Hand mit der Thorheit, ſchneller
als der Wind ſeinen Blicken enteilt.

[[131]]

Sechs und zwanzigſter Brief.


Vor einigen Tagen wurden hier, zum Erſten¬
male ſeit der Revolution, zwei Menſchen hingerichtet.
Da verloſch der letzte Strahl eines ſchönen Tages.
Als damals das Volk über das Leben aller ſeiner
Feinde gebot und es ſchonte, dachten einige edle
Männer daran, dieſe Tugend des Volkes, ſo lange
ſie noch regierte zum künftigen Geſetze zu erheben,
damit, wenn die Macht wieder an Jene käme, die
nie geſchont, ſie ihren Rachedienſt doch wenigſtens
nicht mit Blut ſollen ſtillen dürfen. Sie trugen da¬
her in der Kammer auf die Abſchaffung der Todes¬
ſtrafe an. Doch jene Andern, die es genau berech¬
neten, wie viel in dieſer betrübten Zeit, da ihr Ge¬
werbe ganz darnieder lag, ihnen an Kapital und
Zinſen verlohren ginge, und daß ſie das ſpäter alle
wieder [herbeiſchaffen] müßten, es zum alten Schatze
9 *[132] zu legen, erſchracken über die Abſchaffung der Todes¬
ſtrafe. All ihr Glück liegt in der Hoffnungsloſig¬
keit des Unglücks — wie kann man regieren ohne
Tod? Doch ſchwiegen ſie. Denn damals ſtanden
ihre unglücklichen Freunde vor Gericht, die Miniſter
Karls X., die ganz in ihrem Geiſte und nach ihrem
Herzen gehandelt, denen es aber mislungen war.
Man wollte ſie vom Tode retten und ließ darum
die Wünſche des Volks für die Abſchaffung der
Todesſtrafe nicht kalt werden. Sobald aber die
Miniſter zur Gefangenſchaft verurtheilt waren, be¬
freite man ſich von der ſchweren Heuchelei und führte
für die Beibehaltung der Todesſtrafe alle die Gründe
an, welche die Mächtigen, Vornehmen und Reichen
ſeit jeher geltend gemacht, weil ihnen der Schutz
ihrer Macht und die unbeſtrittene Herrſchaft ihrer
Leidenſchaften und eine mathematiſche Sicherheit ihrer
Reichthümer höher gelten, als Chriſtus Lehre und als
das Gebot der Menſchlichkeit. Ihr eignes Herz zum
Maasſtabe nehmend, hatten ſie ausgemeſſen, nach ei¬
nem Jahre würde das Herz des Volks ſo klein ge¬
worden ſeyn, daß die große Idee von der Abſchaf¬
fung der Todesſtrafe nicht mehr Platz darin findet.
Aber ſie täuſchten ſich.


Vor einigen Monaten wollte man auf dem
Grève-Platze einen Verbrecher hinrichten, als aber
das Volk die Vorbereitungen ſah, zeigte es ſich ſo
[133] aufgeregt und widerſetzlich, daß man die Hinrichtung
nicht vorzunehmen wagte. Jetzt haben ſie den Richt¬
platz an das Ende der Vorſtadt St. Jaques verlegt,
außerhalb des Geſichtskreiſes des Volkes, eine
Stunde vom Mittelpunkte der Stadt entfernt. Die
letzte Hinrichtung haben ſie ganz im Stillen voll¬
zogen; erſt zwei Tage ſpäter erfuhr Paris davon.
Die Zeitungen der Miniſter haben es im Triumphe
erzählt, wie ſchön Alles gelungen, und wie der
Schleier des Geheimniſſes alles dicht bedeckte. Das
Schaffot wurde in der Nacht aufgerichtet und die
Verbrecher morgens acht Uhr auf den Richtplatz ge¬
führt. Dieſe waren ſchon ſeit vielen Monaten ver¬
urtheilt, auf die Begnadigung hofften ſie nicht
mehr, ſie war ihnen Gewißheit. Noch am Nachmit¬
tage gingen ſie im Hofe der Conciergerie ruhig und
rettungsfroh ſpatzieren, und als ſie ſich Abends zu
Bette legen wollten, kündigte man ihnen für den
andern Morgen den Tod an. Der eine Verurtheilte
ſagte am Fuße der Guillotine zum Henker: eilt
Euch
! eilt Euch! Aber ſie haben ihn nicht ver¬
ſtanden, dieſen Donner des Himmels. Eilt Euch!
Eilt Euch! ruft es ihnen von oben herab; kurz iſt
Eure Zeit! Die heillos verblendeten Thoren! Als
der edle Tracy in der Kammer auf die Abſchaffung
der Todesſtrafe angetragen, da hätten ſie nicht ruhen
und raſten, ſie hätten ihre Kinder nicht wiederſehn,
[134] nicht eher eſſen, trinken und ſchlafen ſollen, bis das
rettende Geſetz angenommen und verkündigt worden.
Die Unglückſeligen! Für wen denn haben ſie das
Schaffot aufgerichtet, für wen haben ſie das ver¬
roſtete Beil des Henkers wieder blank geſchliffen?
Für ſich [ſelbſt]. Nicht zum Zweitenmale wird
das Volk ſeine Freiheit Tyrannen anvertrauen, nicht
zum zweitenmale wird es ſeinen Feinden das Leben
ſchenken.


— Wenn Pfeilſchifters Blätter für den
deutſchen Adelſtand
nicht eben ſo unſichtbar ſind,
als es noch alle ſeine frühern Schriften waren, wenn
man ſie in Frankfurt finden kann, bitte ich Sie, mir
einige davon hieher zu ſchicken. Es iſt ein Werk
der Menſchlichkeit und ich wäre im Stande ſelbſt
daran zu arbeiten. Charpie für den deutſchen Adel¬
ſtand — er wird ſie bald nöthig haben. Zupft!
Zupft! Ihr habt es nicht für die Polen gethan: doch
wir rächen uns nicht. Auch ein Edelmann wird zum
Menſchen, ſobald er krank und unglücklich geworden.
Ach, wie ſchön ordnet ſich das jetzt alles; wir dum¬
men Demokraten hätten das nie gefunden. In den
früheſten Zeiten war das Volk nichts, der Fürſt we¬
nig, der Adel Alles. Aber die Fürſten wollten mehr
werden, und verbanden ſich mit dem Volke, den Adel
zu unterdrücken. Das gelang nach einigen Jahr¬
hunderten. Die Fürſten wurden viel, der Adel ſank
[135] zu wenig herab, das Volk erhob ſich zu etwas. Nun
aber wollten die Fürſten Alles werden, und verban¬
den ſich wieder mit dem Adel, um das Volk in ſein
altes Nichts zurück zu ſtürzen. Das gelang nicht;
ja, das Volk wurde immer mächtiger und gelangte
endlich zu der ſpäten Einſicht, daß ihm allein Alles
gebühre, und den Fürſten und Edelleuten, ſo lange
ſie außer dem Volke ſtehn, nicht das Geringſte.
Jetzt in unſern Tagen iſt die Noth und Gefahr für
die Fürſten ſo groß geworden, daß ſie, wie immer in
Gefahren, ſich hinter die Fronte der Streiter bege¬
ben. Den Adel, an deſſen Spitze ſie ſonſt ſtanden,
ſtellen ſie vor ſich hin, und das ändert die Lage des
Kampfes auf das Allervortheilhafteſte für uns. Den
Völkern war eine Art religiöſer Scheu vor ihren
Fürſten anerzogen, und darum, ob ſie zwar immer
wußten, daß der Adel ihr eigentlicher Feind ſey, tru¬
gen ſie doch Bedenken, denſelben mit aller Macht zu
treffen, aus Furcht, die Fürſten zu verletzen, die vor
ihm ſtanden. Jetzt aber, da die Fürſten zurücktreten,
wird die Völker nichts mehr abhalten, ihren ewigen
Feind mit aller Kraft zu bekämpfen, und ihr Sieg
iſt ſicher. Nach dem polniſchen Kriege hat ſich der
mächtige Kaiſer Nikolas ganz erſchöpft in die Arme
ſeines Adels geworfen; der abſolute König von Preu¬
ßen organiſirt die Ariſtokratie der Schweiz, und dient
als gemeiner Ritter in ihren Reihen. Der engliſche
[136] Adel drängt ſeinen König zurück, und der franzöſiſche
rüſtet ſich mit dem Gelde der dummen Banquiers.
Darum ſchreibt, Ihr Pfeilſchifter! Zupft, Ihr gnä¬
digen Fräulein von Neuſchatel! Zupft; das iſt Wei¬
berarbeit, das kömmt Euch zu! Aber erröthet, daß
Ihr die alten Fiſchweiber von Paris übertroffen, und
furienartiger, als jene einſt die Ariſtokraten mishan¬
delt, mit Euern zarten adlichen Händen den Demo¬
kraten das Geſicht zerkratzt, die der galante Herr
von Pfuel, einſt der Bayard des Tugendbundes, ge¬
feſſelt vor Euer Sopha geſchleppt. Zupft, während
wir die Schwerter wetzen!


— In der allgemeinen Zeitung — nicht in
der des Herrn von Cotta, ſondern in der deutſchen
allgemeinen Zeitung — ſtehet: „noch ein Wort
über Börne
;“ ein ſehr verdienſtvoller Artikel, der
wegen der vielen Wunden, die er empfangen, mit
dem Cenſur-Orden geſchmückt worden iſt. Das iſt
nun einer der Wohlwollenden, der froh und emſig
Alles herbeigeholt, was er zu meiner Vertheidigung
für nöthig hielt, und der es herzlich bedauert, daß
er mich nicht in Allem vertheidigen kann. Nun wohl,
er hat mich beſſer verſtanden, als die Andern; aber
auch nur beſſer verſtanden was ich geſagt, was
gedruckt zu leſen war. Doch was ich nicht geſagt,
was nicht gedruckt worden, das entging ihm, wie
es den Uebrigen entgangen. Haben Euch denn die
[137] täglichen Gedankenſtriche Euerer Cenſur nicht wenig¬
ſtens im Errathen einige Uebung gegeben? Ach, das
iſt eben der Jammer mit den Deutſchen. Weil ſie
immer ſo gründlich, ſo vollſtändig ſind; weil ſie Alles,
was ſie thun, mit dem Anfange anfangen, und mit
dem Ende aller Dinge endigen; weil, ſo oft ſie leh¬
ren, ſie Alles lehren, was ſie wiſſen über Alles; weil
ſie, wäre auch nur zu reden von der Angelegenheit
dieſer Stunde, von den Verhältniſſen eines beſchränk¬
ten Raumes, ſie die ganze Ewigkeit, die ganze Un¬
endlichkeit durchſprechen; weil ſie hinausſchiffen in
den großen Ocean, ſo oft ſie ſich die Hände waſchen
wollen- urtheilen ſie, findet ſich einmal ein Mann,
der ſagt, was zu wiſſen nur eben Noth thut, es ſey
ein oberflächlicher, einſeitiger Menſch, der luftige
Worte ſpräche und nichts gründliches ſage. Was
iſt da zu thun? Ach, geſtehet es nur, wenn wir
uns wechſelſeitig unerträglich ſind, ſo iſt doch meine
Laſt viel größer, als die Euere. Meine kleine
Bür e unter dreißig Millionen Menſchen vertheilt:
das gibt jedem von Euch gar wenig zu tragen.
Aber mir hocken dreißig Millionen Deutſche auf
dem Rücken, und die ſind ſehr ſchwer, ſehr
ſchwer! Geſteht es nur, ich brauche mehr Geduld
mit Euch, als Ihr Geduld mit mir braucht.


Mein wohlmeinender Freund in der deutſchen
allgemeinen Zeitung ſagt: man möge nicht vergeſſen,
[138] daß ich ein Jude bin. Aber das ſpricht er nicht
als Vorwurf wie die Andern aus; nein, er gedenkt
deſſen zu meiner Entſchuldigung, ja, zu meinem Lobe.
Er ſagt: mit Recht wäre ich gegen die Deutſchen
erbittert, die mein Volk ſo gedrückt und geſchändet;
nicht der Haß, die Liebe habe mich verblendet. Fer¬
ner: „Der Ironie Börne's iſt das Franzoſenthum
„der Rieſenmaasſtab geworden, mit welchem gemeſ¬
„ſen die deutſche Nationalität in ihrer ganzen
„Zwerghaftigkeit und Verkrüppelung erſcheinen ſoll.“
Ferner: „Auch die Ironie bedarf eines Gegenſatzes,
„wie Alles in dieſer Welt voll Licht und Schatten,
„und ſie muß daher, um ihren Gegenſtand in ſeiner
„ganzen Kleinheit darzuſtellen, ein wirklich oder ſchein¬
„bar Großes ihm entgegenſetzen.“ Ferner: „Die
„ernſten ſchlagenden Worte eines Rotteck und Wel¬
ker, aber wahrlich nicht die fliegenden Witze eines
Heine und Börne, ſtreuen den Saamen künfti¬
„ger Thaten über unſer Vaterland aus.... Hat
„man Börne's Briefe zu Ende geleſen, ſo iſt auch
„der Eindruck vorüber und es iſt uns nicht anders zu
„Muthe, als hätten wir einem glänzenden Feuer¬
„werke zugeſehen .... Allein alle dieſe einzelnen
„Winke können doch nimmer die Bahn bezeichnen,
„auf welcher die Nationen vorwärts zu ſchreiten ha¬
„ben; das vermögen keine blendenden, zuckenden Ge¬
„dankenblitze, ſondern nur das Licht der klaren un¬
[139]wandelbaren Sonne.“ Und noch mehrere Dinge
ſolcher Art ſpricht der Freund, auf welche ich Dinge
meiner Art erwiedern will.


Es iſt wie ein Wunder! Tauſendmale habe
ich es erfahren, und doch bleibt es mir ewig neu.
Die Einen werfen mir vor, daß ich ein Jude ſey;
die Andern verzeihen mir es; der Dritte lobt mich
gar darfür; aber Alle denken daran. Sie ſind wie
gebannt in dieſem magiſchen Judenkreiſe, es kann
keiner hinaus. Auch weiß ich recht gut, woher der
böſe Zauber kömmt. Die armen Deutſchen! Im
unterſten Geſchoſſe wohnend, gedrückt von den ſieben
Stockwerken der höhern Stände, erleichtert es ihr
ängſtliches Gefühl von Menſchen zu ſprechen, die
noch tiefer als ſie ſelbſt, die im Keller wohnen.
Keine Juden zu ſeyn, tröſtet ſie dafür, daß ſie nicht
einmal Hofräthe ſind. Nein, daß ich ein Jude ge¬
boren, das hat mich nie erbittert gegen die Deut¬
ſchen, das hat mich nie verblendet. Ich wäre ja
nicht werth, das Licht der Sonne zu genießen, wenn
ich die große Gnade, die mir Gott erzeigt, mich zu¬
gleich ein Deutſcher und ein Jude werden zu laſſen,
mit ſchnödem Murren bezahlte — wegen eines Spot¬
tes, den ich immer verachtet, wegen Leiden, die ich
längſt verſchmerzt. Nein, ich weiß das unverdiente
Glück zu ſchätzen, zugleich ein Deutſcher und ein
Jude zu ſeyn, nach allen Tugenden der Deutſchen
[140] ſtreben zu können, und doch keinen ihrer Fehler zu
theilen. Ja, weil ich als Knecht geboren, darum
liebe ich die Freiheit mehr als Ihr. Ja, weil ich
die Sclaverei gelernt, darum verſtehe ich die Freiheit
beſſer als Ihr. Ja, weil ich keinem Vaterlande ge¬
boren, darum wünſche ich ein Vaterland heißer als
Ihr, und weil mein Geburtsort nicht größer war,
als die Judengaſſe, und hinter dem verſchloſſenen
Thore das Ausland für mich begann, genügt mir
auch die Stadt nicht mehr zum Vaterlande, nicht
mehr ein Landgebiet, nicht mehr eine Provinz; [nur]
das ganze große Vaterland genügt mir, ſo weit ſeine
Sprache reicht. Und hätte ich die Macht, ich dul¬
dete nicht, daß Landgebiet von Landgebiet, daß deut¬
ſcher Stamm von deutſchem Stamm auch nur eine
Goſſe trennte, nicht breiter als meine Hand; und
hätte ich die Macht, ich duldete nicht, daß nur ein
einziges deutſches Wort aus deutſchem Munde jen¬
ſeits der Grenzen zu mir herüberſchallte. Und weil
ich einmal aufgehört, ein Knecht von Bürgern zu
ſeyn, will ich auch nicht länger der Knecht eines
Fürſten bleiben; ganz frei will ich werden. Ich
habe mir das Haus meiner Freiheit von Grunde auf
gebaut; macht es wie ich und begnügt Euch nicht,
das Dach eines baufälligen Staatsgebäudes mit neuen
Ziegeln zu decken. Ich bitte Euch, verachtet mir
meinen Juden nicht. Wäret Ihr nur wie ſie, dann
[141] wäret Ihr beſſer; wären ihrer nur ſo viele als Ihr
ſeyd, dann wären ſie beſſer als Ihr. Ihr ſeyd
dreißig Millionen Deutſche, und zählet nur für drei¬
ßig in der Welt; gebet uns dreißig Millionen Juden,
und die Welt zählte nicht neben ihnen. Ihr habt
den Juden die Luft genommen; aber das hat ſie
vor Fäulniß bewahrt. Ihr habt ihnen das Salz des
Haſſes in ihr Herz geſtreut; aber das hat ihr
Herz friſch erhalten. Ihr habt ſie den ganzen lan¬
gen Winter in einen tiefen Keller geſperrt, und das
Kellerloch mit Miſt verſtopft; aber Ihr, frei dem
Froſte blosgeſtellt, ſeyd halb erfroren. Wenn der
Frühling kömmt, wollen wir ſehen, wer früher grünt,
der Jude oder der Chriſt. —


Sie ſagen: Die Franzoſen erſchienen mir als
Rieſen, und die Deutſchen ſtellte ich als Zwerge ne¬
ben ſie. Soll man da lachen oder trauern? Wem
ſoll man begegnen? Was ſoll man beantworten?
Unverſtand und Misverſtand ſind Zwillingsbrüder,
und es iſt ſchwer, ſie von einander zu unterſcheiden,
für jeden, der nicht ihr Vater iſt. Wo habt Ihr
klugen Leute denn das herausgeleſen, daß ich die
Franzoſen als Rieſen anſtaune, und die Deutſchen
als Zwerge verachte? Wenn ich den Reichthum
jenes ſchlechten Banquiers, die Geſundheit jenes
dummen Bauers, die Gelehrſamkeit jenes Göttinger
Profeſſors preiſe, und mich glücklich ſchätze, ſolche
[142] Güter zu beſitzen — bekenne ich denn damit, daß
jene glücklicher ſind als ich, und daß ich mit ihnen
tauſchen möchte? Ich, mit ihnen tauſchen? Der
Teufel mag ſie holen alle drei. Nur ihre Vorzüge
wünſche ich mir, weil mir dieſe Güter fehlen. Mir
würden ſie zum Guten gereichen; aber jenen, die ſie
beſitzen, gedeihen ſie nicht, weil es die einzigen Gü¬
ter ſind, die ihnen nicht fehlen. Wenn ich den
Deutſchen ſage: Macht, daß Euer Herz ſtark genug
werde für Euern Geiſt; daß Euere Zunge feurig
genug werde für Euer Herz; daß Euer Arm ſchnell
genug werde für Euere Zunge; eignet Euch die
Vorzüge der Franzoſen an; und Ihr werdet das
erſte Volk der Welt — habe ich denn damit erklärt,
daß die Deutſchen Zwerge ſind, und die Franzoſen
Rieſen? Austauſchen, nicht tauſchen ſollen wir mit
Frankreich. Käme ein Gott zu mir und ſpräche:
Ich will dich in einen Franzoſen umwandeln mit
allen deinen Gedanken und Gefühlen, mit allen dei¬
nen Erinnerungen und Hoffnungen — ich würde ihm
antworten: Ich danke, Herr Gott. Ich will ein
Deutſcher bleiben mit allen ſeinen Mängeln und
Auswüchſen; ein Deutſcher mit ſeinen ſechs und
dreißig Fürſten, mit ſeinen heimlichen Gerichten, mit
ſeiner Cenſur, mit ſeiner unfruchtbaren Gelehrſam¬
keit, mit ſeinem Demuthe, ſeinem Hochmuthe, ſeinen
Hofräthen, ſeinen Philiſtern — — auch mit ſeinen
[143] Philiſtern? — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — —
— — — Nun ja, auch mit ſeinen Philiſtern.
Aber ich ſage Euch, es iſt ſchwer, ein gerechter Rich¬
ter ſeyn!


Ihr ſagt: Die Ironie bedürfe eines Gegen¬
ſatzes, die der meinigen fehle. Wie! Merket Ihr,
was ihr fehlet, dann fehlt ihr ja nichts mehr, und
merkt Ihr nichts, dann fehlt ihr wieder nichts. Ihr
ja ſeyd ſelbſt der Gegenſatz! Soll ich Euch, breit
wie Ihr ſeid, auf das ſchmale Papier hinſtellen, das
ja kaum für meine kleine Ironie groß genug iſt?
Man malet den Schatten, man malet nie das Licht.
Soll ich Euch etwa loben, ein Volk loben? Seid
Ihr denn mehr als Sonne und Mond? Nun, wenn
die Sternkundigen von Mond und Sonne lehren,
dann reden ſie nicht lange und breit davon, daß
Mond und Sonne leuchten — das ſiehet jeder dumme
Hanns — von ihrem Schatten, ihren Flecken reden
ſie. Das iſt, was gelernt werden muß, darin iſt
die Wiſſenſchaft. Von den Tugenden der Franzoſen
konnte ich ſprechen, denn das ſind Lichtflecken.
Ihr ſeyd ein Ganzes mit meinem Buche. Beur¬
theilt es, aber beurtheilt Euch mit, daß Ihr es nicht
falſch beurtheilet. Ihr ſagt: mit ſolchen fliegenden
[144] Witzen ſtreue man nicht den Saamen künftiger
Thaten
über unſer Vaterland aus! O ſchonet nicht!
Ich bekomme Krämpfe, wenn ich von Saamen
ausſtreuen
reden hören. Jetzt reden ſie noch von
ſäen, da doch ihr Korn ſchon längſt geſchnitten iſt,
und es nur an Dreſchern fehlt, die es ausſchla¬
gen! Nun, ich war einer von den Flegeln, die
Euch gedroſchen; dankt es mir! Saamen aus¬
ſtreuen
! Man verliert alle Geduld. So macht
Euch auch eine neue Erde für Euern Saamen, das
wäre noch viel gründlicher. So wirkt man nicht —
meinet Ihr. Wenn man meine Briefe geleſen, bliebe
nichts übrig, es war ein glänzendes Feuerwerk!
Bin ich ein Gott? Kann ich Euch den Tag geben?
Ich kann Euch nur zeigen, daß Ihr im Dunkeln
lebt, und dazu leuchtet ein Feuerwerk lang und hell
genug. Es bliebe nichts übrig? Wenn man meine
Briefe geleſen, bleibt noch die ganze Göttinger Bib¬
liothek übrig. Wie! Ich hätte nichts gewirkt? Hört
doch die argen Schelme an! Sie zanken mit mir,
daß ich ihnen Waſſer ſtatt Wein einſchenkte, und
können doch vor Trunkenheit kaum den Vorwurf
ſtammeln. Was nennt Ihr wirken? Was nennt
Ihr die Menſchen bewegen? Heißt Ihr das, ſie
bewegen, wenn es Euch gelingt, ſie zu Eueren Ge¬
ſinnungen hinüber zu ziehen? Wenn ſo, dann bin
ich beſcheidener als Ihr. Ich nenne es auch die
[145] Menſchen bewegen, wenn es mir gelingt, ſie fortzu¬
treiben, entfernten ſie ſich auch von meiner Geſinnung.
Sie gingen doch, ſie blieben nicht länger ſtehen. Und
das iſt mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt
hat denn ſeit der großen Sontag das deutſche Volk
ſo in Bewegung geſetzt als mein Buch? Nun freilich,
der Sängerin haben ſie den Wagen gezogen, und
nach mir, der gepfiffen, haben ſie mit faulen Aepfeln
geworfen; aber ſie haben ſich bewegt für mich, wie
für ſie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich
haben ſie die Sängerin mit Flötenliedern in den
Schlaf gelullt, und mich haben ſie mit einer gräu¬
lichen Katzenmuſik aus dem Schlafe geweckt; aber
bis vor Mitternacht haben ſie vor meinem Hauſe
gekeſſelt und geklappert, ſie ſind ſpäter zu Bette ge¬
gangen, ſie haben drei Stunden weniger ge¬
ſchlafen
. Iſt das nicht Gewinn? Habe ich nicht
die Röthe des Zorns in tauſend blutleere Wangen
gejagt, und ſeyd Ihr denn ſo ganz gewiß, daß nicht
manche ſchüchterne Schaamröthe das benutzt, ſich
leiſe, ſachte auch darüber hinzuſchleichen? Habe ich
nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die
Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den
Weihrauch, den man auf meinen Altar geſtreut —
was geht das Euch an? Das iſt meine Sache. Ge¬
nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen
Euerer treuſten Diener, der mit den Andern gehol¬
lV. 10[146] fen, Euch aus dem Schlafe zu rütteln. Als der
große Friedrich in ſeinen hohen Jahren ſchlafbegierig
geworden, da, ſeiner Fürſtenpflicht eingedenk, befahl
er ſeinem Kammerdiener, ihn früh zu wecken und
wenn er nicht gleich das Bett verließe, ihm die
Decke vom Leibe wegzuziehen. Er murrte immer
über die Gewalt; aber war er einmal munter ge¬
worden, dann lobte er ſeinen Diener. Trinkt nur
erſt Eueren Kaffee, und dann werdet Ihr es mir
danken, daß ich Euch die Bettdecke vom Leibe weg¬
gezogen. Die Zeit wird kommen, wo Ihr alle meine
Vorwürfe ungerecht gemacht; und dann werdet Ihr
die Erſten ſeyn, es zu geſtehn, daß ſie einſt gerecht
geweſen. —


Sie verlangen, ich ſolle ihnen die Bahn be¬
zeichnen
, auf welcher ſie vorwärts zu ſchreiten
haben
. Wenn ich ein Narr wäre! Ich weiß oft
nicht: ſpottet Ihr über Euch ſelbſt, oder wollt Ihr
mich zum Beſten haben? Wie? Soll ich Euch
Bücher ſchreiben? Soll ich reden von Preßfreiheit
und Cenſur, ja nicht zu vergeſſen die Caution; von
öffentlichen Gerichten; von Geſchwornen; von Ab¬
ſchaffung des Neubruchszehenten, des Blutzehenten,
und anderer Teufelszehnten; von Aufhebung der
Frohnden und Zünften; von Aufhebung der Univer¬
ſitäts-Gilden; von perſönlicher Freiheit; von einem
gemeinſchaftlichen deutſchen Geſetzbuche; von gleichem
[147] Maaße und Gewicht und gleichem Münzfuße; von
Freiheit des Handels; von wahrer freier Volksver¬
tretung; von ſtarker Wehrverfaſſung gegen das Aus¬
land? Von dem Allen ſollte ich Euch ſprechen?
Hat es denn noch Keiner vor mir gethan? Habt
Ihr geſchlafen die letzen funfzig Jahre? Dankt es
mir doch, daß ich Euch den Buchbinder-Lohn erſpare.
Poſitives wollen ſie haben! Wahrhaftig, ſie haben
es mir vorgeworfen, es ſey gar nichts Poſitives
in meinen Briefen. Poſitives! Und ihr Poſtament
iſt die ganze Erde! Iſt es Euch noch nicht
hoch, noch nicht breit genug? Traut Ihr ſeiner
Dauerhaftigkeit nicht, und bittet mich, noch eine Lage
Poſitives aufzuſetzen? Ich verbürge mich für ſeine
Dauerhaftigkeit. Wagt es, wagt es endlich einmal,
die Bildſäule der [Freiheit] darauf zu ſetzen. Olden¬
burger
! — Doch nein, ich will mich nicht ärgern
und Euch auch nicht. Doch könnt Ihrs nicht mit
Freundſchaft anhören, was ich Euch mit Freundſchaft
ſage, daß Ihr Alle wie die Oldenburger Herren ſeyd?
Dieſe arbeiten jetzt an guten Communalſchuhen, und
ſind dieſe fertig nach hundert Jahren, ſtecken ſie die
Füße hinein; und nach hundert Jahren ſtellen ſie
den Leib auf die Füße; und nach hundert Jahren
ſtellen ſie den Hals auf den Leib; und nach hundert
Jahren ſetzen ſie den Kopf auf den Hals; und nach
hundert Jahren ſetzen ſie den Freiheitshut auf den
10*[148] Kopf; und dann hat Oldenburg eine Conſtitution,
ſo gut und ſo ſchön wie eine. O Oldenburger!
Oldenburger!


Neue Ideen wollen ſie auch von mir haben!
Ein anderer Narr hat erzählt, er habe in meinem
Buche nicht eine, nicht eine einzige neue Idee ge¬
funden. Spannet alle Euere Profeſſoren auf die
Folter, und wenn ſie Euch beim dritten Grade eine
neue Idee bekennen, dann hat ihnen der Schmerz die
Lüge abgepreßt, die ſie widerrufen, ſobald Ihr ſie
von ihrer Qual befreit. — Schweigt! Ihr wißt
nicht, wie man Völker erzieht. Ich verſtehe es beſ¬
ſer. Ein Volk iſt ein Kind! Habt Ihr einen hoff¬
nungsvollen Knaben, geſchmückt mit allen Vorzügen
des Körpers, ausgeſtattet mit allen Gaben des Her¬
zens und des Geiſtes; aber eine unheilbare Schwäche,
eine ſchlimme Angewohnheit verunziert des Knaben
gute Natur, oder für einen gemeinen Fehler hat er
Strafe verdient — werdet Ihr, wie folgt, mit ihm
reden? „Komm her Junge, küſſe mich. Du biſt
ein herrliches Kind, meine Freude und mein Stolz;
deine Mutter lobt dich, deine Lehrer rühmen dich,
deine Kameraden bewundern dich. Und jetzt haſt du
eine Ohrfeige, denn du warſt unartig geweſen. Und
jetzt küſſe mich wieder, theures Kind!“ Nein, ſo han¬
delt Ihr, ſo redet Ihr nicht, ſo thöricht ſeyd Ihr
nicht. Ihr gebt dem Knaben eine Ohrfeige und von
[149] dem Uebrigen ſchweigt Ihr. Darüber gehen ſeine
ſchönen Eigenſchaften nicht zu Grunde. War aber
ein reifer und verſtändiger Mann bei der Züchtigung
des Knaben, dann vernahm er wohl etwas in der
ſchwankenden Stimme des Vaters, das wie eine
frohe Rührung klang; dann ſah er wohl etwas in
ſeinem Auge, das wie eine Hoffnungs-Thräne ſchim¬
merte. Dann küßte vielleicht der fremde Mann
den weinenden Knaben, doch ganz gewiß tadelte er
den Vater nicht.


Es erzählte mir Jemand aus der Zeitung, die
Juden in Frankfurt würden mehrere Freiheiten be¬
kommen; ſtatt funfzehen Paare jährlich, ſollen künf¬
tig achtzehn Paare heyrathen dürfen. O Zeitgeiſt!
Zeitgeiſt! Wer kann dir widerſtehen?


— Wenn * * * * zu Ihnen kömmt, binden Sie
ſich einen dicken Schawl um den Hals, denn er haut
Einem den Kopf ab, ehe man ſich's verſieht. Das
iſt ein Jacobiner!


— In Preußen hat man den Juden das deut¬
ſche Predigen verboten. Ach ja, ich will es wohl
glauben. Wie glücklich wären ſie, wenn ſie auch in
den Kirchen, den Gerichten, auf dem Markte, in den
Zeitungen und ſonſt überall, wo man mit der Menge
ſpricht, die deutſche Sprache verbieten und dafür die
hebräiſche einführen könnten, die Keiner verſtehet!
[150]Hebräiſch regieren — das wäre etwas himm¬
liſches! Ein Punkt kann den ehrlichſten Mann an
den Galgen bringen; ein Punkt, ein Strich mehr
oder weniger, da oder dort, giebt dem Geſetze einen
ganz andern Sinn; man kann das Recht kneten wie
Butter und eine grobe Conſtitution ſo fein machen, daß
ſie durch ein Nadelöhr geht. Denkt daran, Ihr
chriſtlichen Miniſter! werdet Rabbiner und ich habe
das erfunden! Auch will man jetzt in Preußen al¬
len Civilbeamten Uniformen geben. Das iſt die
rechte Höhe der Tyrannei, der Superlativ, der deut¬
ſche Superlativ des Monarchismus; es iſt eine aller¬
höchſte Spitzbüberei. Dadurch will man die Regie¬
rung ganz vom Volke trennen, die Beamten unter
den Corporalſtock der Disciplin bringen, Vaterlands¬
liebe in blinden Gehorſam verwandeln, und aus dem
ſitzenden Heere der Schreiber ein ſtehendes Heer
machen; aus Richtern und Hofräthen Soldaten, welche
die Feder ſtatt der Flinte ſchultern, ſtatt Patron¬
taſchen Wappen tragen und Verordnungen und Stra¬
fen wie Patronen gebrauchen. Die Kammergerichts-
Aſſeſſoren werden Schildwache ſtehen müſſen und die
Referendaire des Nachts patrouilleren. Das Mini¬
ſterium wird das Hauptquartier und jedes Amt
eine Wachtſtube. So verknechtet man das Volk,
ſo verknechtet man ſeine Hüter, ſo verknechtet
man Alles von der Hütte bis zum Throne, vom
[151] Bettler bis zum Oberknechte. Ach! ſo viele Um¬
ſtände wären gar nicht nöthig. Die Preußen ſind
gute Menſchen und leitſam wie die Hämmel. Der
Kühnſte unter ihnen, der Herr Profeſſor von Raumer,
iſt noch furchtſam wie ein Spatz. Er hatte einmal
den Muth, von der Galeerenbank der Cenſur weg¬
zulaufen. Es war in den Schreckenstagen der Cho¬
lera, wo Jeder den Kopf verlor. Er hätte ihn frei¬
lich nicht gehabt, wäre nicht Sr. Excellenz, der Ge¬
heimerath von Raumer, Galeerenhauptmann und ſein
Onkel geweſen, auf deſſen Schutz er rechnen durfte,
wenn man ihn wieder erwiſchte. Indeſſen er hatte
ihn. Gleich ließ er ſeine Heldenthaten, als ſein eig¬
ner Homer, in die allgemeine Zeitung ſetzen. Das
war zu viel. Dagegen konnte ihn auch ſein gnädi¬
ger Onkel nicht ſchützen, das griff die preußiſche
Monarchie zu gefährlich an. Man befahl dem Pro¬
feſſor Raumer, ſeinen kühnen Schritt zu leugnen, und
er hatte die Feigheit, es zu thun und öffentlich be¬
kannt zu machen, er habe die Nachricht nicht in die
allgemeine Zeitung geſchickt, er wiſſe nichts davon.
Und hätte er wirklich nichts davon gewußt, er hätte
das doch nicht erklären dürfen. Braucht man Uni¬
formen gegen oder für ſolche Menſchen? Herr von
Raumer kam wieder zu Gnade und zu größerer als
vorher. Denn nicht aufrichtige, treuergebene Diener
will man haben, Menſchen, die mit Herz und Glau¬
[152] ben dem Abſolutismus dienen; nein, Herz und Glau¬
ben ſind der Tyrannei verhaßt, auch wenn ſie ihr
dienen. Man will freigeſinnte, aber gottvergeſſene
Menſchen, die ein Gewiſſen zu verkaufen, die eine
urſprünglich gute Geſinnung dem Teufel zu verſchrei¬
ben haben. Die ſucht man, die belohnt man am be¬
ſten. Die kann man dem Volke zur Verführung
aufſtellen, als hohnlächelnde Beweiſe vorzeigen, daß
Tugend nichts iſt und Ehre eine Waare. So ver¬
knechtet, ſo entadelt man die Menſchheit, daß ſie
Gott ſelbſt nicht mehr erkennt und ſie der Gewalt der
Tyrannei überläßt.


Heute bin ich ganz vergnügt, daß ich geſtern
keinen Brief bekommen. Dafür bekomme ich ihn
heute, oder jeder Funke der Menſchlichkeit müßte in
Ihnen erloſchen ſeyn. Haben Sie meine erſchüttern¬
den Ermahnungen vom Neujahrstage ſchon vergeſſen?
Warten Sie nur, dann [ſchreibe] ich Ihnen wieder
einen Brief, der Ihnen das Herz in tauſend kleine
Stücke brechen ſoll.


Den geſtrigen Abend brachte ich in einer Soi¬
rée St. Simonienne
zu, bis gegen Mitternacht.
Es iſt eine wöchentliche Zuſammenkunft, die, wie
jede Andere, der geſelligen Unterhaltung gewidmet iſt,
und keine beſondere religiöſe oder doctrinaire Beſtim¬
[153] mung hat. Ich kann Ihnen nicht beſchreiben, wel¬
chen wohlthuenden Eindruck das Ganze auf mich ge¬
macht. Es war mir, als wäre ich aus der Winter¬
kälte einer beſchneiten nordiſchen Stadt in ein Glas¬
haus gekommen, wo laue Frühlingslüfte und Blumen¬
düfte mich empfingen. Es []war etwas aus einer
fremden Zone und aus einer ſchönern Jahreszeit.
Und doch war ich mit keinem vorbereitet günſtigem
Gefühle, ſondern ganz anders, mit unfreundlichen
Gedanken dahin gekommen. Ich hatte mir feſt ver¬
ſprochen: dort findeſt du Menſchen, die einem Jahr¬
hunderte und einer Welt vorausgeeilt, oder die Jahr¬
tauſende zurückgegangen, um das Kinderparadies der
Menſchheit aufzuſuchen; und du findeſt ſie mit den
neueſten Geſichtern vom 9. Februar 1832, mit den
Meinungen, Reden, Geſinnungen, Witzworten, Fra¬
gen und Antworten und dem ganzen ewigen Kalen¬
der aller Franzoſen und Pariſer. Ich fand ſie nicht
ſo. Es ſchwebte ein Geiſt heitern Friedens über
dieſen Menſchen, ein Band der Verſchwiſterung um¬
ſchlang ſie Alle und ich fühlte mich mit umſchlungen.
Eine Art Wehmuth überſchlich mich, ich ſetzte mich
nieder, und unbekannte Gefühle lullten mich in eine
Vergeſſenheit, die mich dem Schlummer nahe brachte.
War es der magnetiſche Geiſt des Glaubens, der
auch den Ungläubigen ergreift wider ſeinen Willen?
Ich weiß nicht. Aber ſchweigende Begeiſterung muß
[154] wohl mehr wirken als redende; denn die Reden der
Simoniſten haben mich nie gerührt. Dabei war
Alles Luſt und Freude, nur ſtiller. Es wurde ge¬
tanzt, Muſik gemacht, geſungen; man ſpielte Quar¬
tetts von Haydn. Es waren wohl hundert Men¬
ſchen, ein Dritttheil Frauenzimmer. Die Männer
waren mit ihren Weibern gekommen! Das ſieht man
freilich in andern Pariſer Geſellſchaften auch; aber
dort kommen und gehen die Männer mit ihren
Weibern, während ſie aber beiſammen ſind, findet eine
Art Eheſcheidung zwiſchen ihnen ſtatt. Hier aber konnte
ich erkennen, welcher Mann zu welcher Frau gehörte.
Im Vorzimmer ſaß eine ganze Reihe Kammer- und
Dienſtmädchen. Sie kamen oft in das eine Geſell¬
ſchaftszimmer, um durch die offne Thüre des Salons
ihre Herrſchaften tanzen zu ſehen und ſingen zu hören.
Dieſe Gleichheit gefiel mir ſehr. Noch beim Nach¬
hauſegehen auf den Boulevards fühlte ich mich ſeelen¬
warm und ich ging zu Tartonie und aß ein Glas
Plombieres, wobei ich Ihrer gedachte, beſonders als
ich an die Vanille kam. —


Es geht dem *** wie vielen Deutſchen, welche
die Nebenſache zur Hauptſache gemacht. Die fran¬
zöſiſche Leichtigkeit iſt bei ihnen zum Leichtſinn, das
ſo nothwendige und darum verzeihliche ſich Hervor¬
ſtellen
zur Zudringlichkeit geworden, und wenn ſie
[155] ſich als die gemeinſten Charlatane betragen, glauben
ſie Leute von Welt, feine Pariſer zu ſeyn.


An der deutſchen Tribune zu arbeiten, dazu
habe ich keine Zeit jetzt. Aber ich thue es, ſobald
ich frei werde. Das iſt ein Schlachtfeld, auf dem
kein Mann, der ſein Vaterland liebt, fehlen ſoll.
Aber die Zeitung, wird ſie noch lange beſtehen? Sie
hat bis jetzt der Cenſur getrotzt, wofür der Redac¬
teur zu ſechs-monatlicher Gefängnißſtrafe verurtheilt
worden.


Ich ſchicke Ihnen heute den Herings-Salat.
Es iſt eine große Schüſſel und Sie werden Durſt
darauf bekommen.


Herings-Salat.

Beim Thor, beim hohen Odin, und beim
höchſten Bör, meinem erhabenen Ahn, dieſer Knabe
Alexis kämpft mit einer Berſerker-Wuth, für die ihm
einſt in Walhalla ein Zwiebelkuchen duften wird!
Aber noch bedenke ich mich. Soll ich, oder ſoll ich
nicht? Kennten mich nur die Menſchen alle, fühlten
es nur alle mit, welch einen Stolz ich aufzuopfern
habe, wenn ich ſolchen niedrigen Troßbuben das Ge¬
[156] ſicht zuwende. Aber auch dieſen Stolz lege ich auf
den Altar des Vaterlandes, und wahrlich, hätte ich
ihm alles zu verdanken, was ich ihm zu verzeihen
habe — ich wäre ihm jetzt nichts mehr ſchuldig. Oder
glaubt Ihr, es wäre nichts, mit einem Philiſterchen
zu rechten, daß es geworden, wie es die Natur in
einer langweiligen Stunde aus dem Kern einer Ha¬
ſelnuß geſchnitzelt? Wenig für einen Mann von
Ehre und Gefühl, ſich vor ein Nürnberger Schäch¬
telchen hinzuſtellen, wie es beſchaffen, wenn eben der
letzte Nachtlichtdocht herausgenommen: offen und leer
— und es ernſthaft zu fragen, warum es nichts
enthalte, und wo ſeine Seele hingekommen? Es iſt
viel. Und doch dauert mich der arme Schelm! Sie
haben ihm heimlich Branntwein in ſeine Bierkalt¬
ſchale gegoſſen, und der blaſſe blöde Junge, der frü¬
her nicht den Muth hatte, eine rothwangige Bauern¬
dirne zum Tanze aufzufordern, ſtürzt hervor, wird
ein Held, fliegt die Sturmleiter hinauf, und erwacht
nicht eher aus ſeinem Taumel, bis eine ſtarke Fauſt
dort oben ihn mit einer Ohrfeige lachend in den
Graben hinunter ſtürzt. Dann jammert er: Ach,
Papa Schleſſinger! Ach, lieber Papa Schleſſinger!
Ach, wäre ich doch freimüthig und zu Hauſe geblie¬
ben! Ach, hätte ich doch kein Handgeld genommen!
Ach, wäre ich nur fort von hier, man erwiſchte mich
kein zweitesmal! Thörigter Knabe! Trinke Milch
[157] und gehe nicht hin wo Werber zechen. Sie haben
dir wohl verſprochen, du ſollteſt Hauptmann werden;
aber du bliebeſt Trommelſchläger dein ganzes Leben.
Du dauerſt mich.


Ich habe des großen Bör, meines göttlichen
Ahns, gedacht. Das war er, und darum nenne ich
mich Börne (Sohn des Bör). Mütterlicher Seite
ſtamme ich von Belſta ab, des Rieſen Bergthor
Tochter, und Gattin des Bör. Keiner, der mich
kennt, wird mich des Ahnenſtolzes fähig halten; ich
erwähne nur meine Abſtammung, um jenen thörigten
Menſchen, welche glauben, daß eine hohe Geburt ein
niederes Leben gut mache, und eine niedrige Geburt
ein hohes Leben verderben könne, mir vorwerfen, ich
ſei als Jude geboren, und darum weniger als ſie
— um ihnen zu zeigen, das ich mehr bin, als ſie,
wie durch mein Leben, ſo auch durch meine Geburt.
Der Urſprung meiner Familie geht hoch über das
Chriſtenthum hinaus, und iſt noch älter als das
Judenthum. Wir ſtammen aus der Lichtwelt, Mu߬
pellheim
war unſer Wiegenland; Ihr aber ſtammt
aus der Nebelwelt, von Nilfheim ſeyd Ihr her¬
gekommen, ſeyd Imer's böſe Kinder, und die ver¬
zwergten Enkel der langweiligen, aber einſt gewalti¬
gen Eisrieſen. Einſt heyrathete ein Mann aus
meiner Familie eine Frau aus der Eurigen, die Kuh
[158]Andumbia, und dieſe Verwandſchaft ſpüre ich bei
naßkaltem Wetter in allen meinen Gliedern.


Zwei tauſend Jahre vor Chriſtus zog der mäch¬
tige Heimball, Nachkomme Bör's und einer mei¬
ner glorreichen Vorfahren, mit einem zahlloſen Heere
dem Mittage zu, um dort die Teutonen, die Nach¬
kömmlinge Imers, aufzuſuchen, und mit dieſen ſeinen
tückiſche Vettern einen alten Rechtsſtreit auszukämpfen.
Nach langem und beſchwerdevollen Zuge kam Heim¬
ball mit ſeinem Heere an der Grenze des feindlichen
Landes an. Die Nacht war angebrochen, aus allen
Städten und Dörfern ſchallten die Sturmglocken,
und zahlloſe Wachtfeuer brannten rings umher. Heim¬
balls kampfbegierige Streiter jauchzten dem kommen¬
den Morgen entgegen. Als der Held eben ſein letz¬
tes Horn ausgeleert, und ſich unter einer Eiche zur
Ruhe legen wollte, wurde ihm eine Botſchaft gemel¬
det. Es erſchienen fünf und zwanzig Zwerge in
ſeidnen Kleidern und mit hundert Bändern und Gold¬
blechen behangen. Der Kleinſte derſelben trat her¬
vor, warf ſich Heimball zu Füßen, küßte ſie, ſtand
dann wieder auf und ſprach: „Allerdurchlauchtigſter
„Fürſt und Herr, Allergnädigſte Geiſel Gottes!
„Mein Herr, der König der Hofräthe, ſendet
„mich zu Allerhöchſtderen allerhöchſter Perſon, und
„flehet Allerhöchſtdieſelben, ihn in dieſen kritiſchen
„Zeiten mit keinem Kriege zu überziehen, weil deren
[159] „heilige Perſon gerade beſchäftigt iſt, mit ihren ge¬
„treuen Unterthanen die Stumme von Portici einzu¬
„ſtudiren. Allerhöchſtdieſelben mögen geruhen zu be¬
„denken, oder wollen geruhen zu bedenken, wie es
„meiner ſchuldigſten Ehrfurcht am angemeſſenſten lau¬
„tet, daß von dieſer neuen Oper das Glück des gan¬
„zen Volkes der Hofräthe abhängt, und darum ge¬
„ruhen gefälligſt umzukehren, und Allerhöchſtderen
„Königreich, das geſegnete Mußpellheim, wieder mit
„Allerhöchſtderen Gegenwart zu beglücken. Mein
„Herr und König überſendet Ew. glorreichen Maje¬
„ſtät durch meine unwürdigen Hände dieſes blaue
„Band der ſchönen Sängerin, deren Hausorden, als
„ein Zeichen ſeiner Freundſchaft und unwandelbaren
„Geſinnung, und bittet Allerhöchſtdieſelben mit Aller¬
„höchſtdenſelben einen Allerhöchſten Zollvertrag abzu¬
„ſchließen, zu wechſelſeitigem Vortheile der beider¬
„ſeitigen Höfe.“ Als darauf der Zwerg dem großen
Heimball das kleine Ordensband umhängen wollte,
aber kaum ſeine Knie erreichen konnte, brach darüber
Heimballs Heer in ſolch ein donnerndes Gelächter
aus, daß achtzehn von den Zwergen vor Schrecken
umfielen und ſtarben. Deren Anführer und Vor¬
mund riß ſich die Haare aus dem Kopfe, warf ſich
Heimball abermals zu Füßen und ſprach mit thränen¬
den Augen: „Allerdurchlauchtigſtes göttliches Weſen!
„Mächtiger Beherrſcher von Mußpellheim! Mögen
[160] „Allerhöchſtdieſelben in Allerhöchſtderen gerechtem
„Zorne, wenn ich mich allerunterthänigſt ſo aus¬
„drücken darf, es unſerm unglücklichen Lande nicht
„anrechnen, daß einige ſchlechte Hofräthe ſich erkühnt,
„in Gegenwart Allerhöſtderen geheiligter Perſon um¬
„zufallen und zu ſterben. Es ſind junge Leute,
„die erſt vor zehn Jahren von Jena zurückgekommen,
„wo ihnen die Burſchenſchaft heilloſe demagogiſche
„Schwärmereien in den Kopf geſetzt. Wollen Aller¬
„höchſtdieſelben Gnade für Recht ergehen laſſen, und
„ſich damit begnügen, daß wir zu Allerhöchſtderen
„Satisfaction gleich morgen früh unſern Cenſor auf¬
„knüpfen, weil er, wie dieſes Beiſpiel der frechſten
„majeſtätsſchändenden Todesart lehrt, den revolutio¬
„nairen Grundſätzen nicht ſtreng genug Einhalt ge¬
„than. Gnade! Friede! O, wäre die Stumme
„von Portici hier, daß ſie ſelbſt für uns reden
könnte!“ Heimball gerieth in den heftigſten Zorn
und ſprach. „Ihr feigen Hunde habt nicht den Muth
„mit uns zu kämpfen, und wollt uns meuchelmörderiſch
„in den Rücken fallen! Ihr ſprecht von Frieden,
„und im ganzen Lande erſchallen die Sturmglocken!
„Ihr ſprecht von Ergebenheit, und rings umher ver¬
„rathen zahlloſe Wachtfeuer ein zahlloſes Heer!“ —
Der Zwerg ſchlug ſich vor die Stirn und erwiederte:
„O jammervolles, o allerhöchſtbetrübtes Misverſtänd¬
„niß! Allerhöchſtdieſelben geruhen nichts zu wiſſen,
[161] „was Sie ſprechen! Allerhöchſtdieſelben geruhen
„falſch zu hören und falſch zu ſehen! Was Sere¬
„niſſimus für Sturmglocken gehalten, iſt nichts als
„das feſtliche Geläute, womit wir Allerhöchſtderen er¬
„freuliche Ankunft feiern, und was Allerhöchſtdieſelben
„geruhten für Wachtfeuer anzuſehen, waren die Illu¬
„minationen, die im ganzen Lande der Hofräthe von
„der Polizei anbefohlen worden. O Gnade! O
„Barmherzigkeit!“ Heimball gab dem Zwerge einen
Fußtritt und ſprach: „Fort, Hunde, mit Tagesan¬
„bruch ſeht Ihr mich wieder!“


Nach Aufgang der Sonne ſtand Heimball mit
ſeinem ganzen Heere im Gebiet der Hofräthe. Der
Zwerg vom vorigen Tage trat abermals hervor und
ſprach: „Allerdurchlauchtigſter, ich wünſche wohl
„geruht zu haben. Allerhöchſtderen heiterer Blick
„verkündet uns Ruhe und Frieden. Der Cenſor iſt
„gehenkt, und die Güter der achtzehn Demagogen, die
„geſtern Abend eines revolutionairen Todes geſtorben,
„ſind confiszirt worden. Ich bin von meinem Könige
„und Herrn bevollmächtigt, dem durchlauchtigſten Be¬
„herrſcher von Mußpellheim eine Oper-Allianz anzu¬
„bieten. Die beiderſeitigen reſpectiven Höfe ſollen auf
„ewige Zeiten ihre Sängerinnen und Tänzerinnen
„mit einander austauſchen, zum größten Vortheile
„des Handels, der Induſtrie, der Moral, Geſund¬
„heitspolizei und Bevölkerung der beiden Staaten.
IV. 11[162] „Um Allerhochſtdenſelben die Koſten der Kriegsrüſtung
„zu erſetzen, will mein König und Herr die Hälfte
„ſeiner Staaten an Ew. Majeſtät abtreten. Höchſt¬
„deren allerunterthänigſter Zwerg hat ſeinem Herrn
„dazu gerathen. Wir ſind unſerer Hofräthe, Domai¬
„nenverwalter, Gardeoffiziere, Miniſter, Kammer¬
„herren, Oberſtallmeiſter, Ober-Cermonienmeiſter, Hof¬
„damen, Maitreſſen, General-Intendanten, und Hof¬
„banquiers in allem nur 814. Für dieſe bleibt die
„Hälfte des Landes groß genug und wenn die uns
„bleibenden Unterthanen zweimal ſo viel Steuer be¬
„zahlen, als früher, verlieren wir nichts an den An¬
„dern. Geruhen jetzt Ew. Majeſtät ein ganz unter¬
„thäniges Frühſtück einzunehmen, und dann der
„General-Probe der Stummen von Portici huldreichſt
„beizuwohnen.“


Nachdem der Zwerg-Hofrath ſo geſprochen, er¬
hob ſich im Hintergrunde ein wildes Geſchrei: Zu
den Waffen
, zu den Waffen! Keinen
ſchmachvollen Frieden
! Auf Brüder! Es
lebe Teutonia
! Es lebe die Freiheit!
Heimball ſchob die Hofräthe, welche die Ausſicht
hemmten, weg, um zu ſehen, was hinter ihnen vor¬
ging. Da gewahrte er eine Schaar edler Jünglinge,
welchen der Muth in den Augen blitzte, welchen
Kampfbegierde die Wangen röthete, und, den Ruf
zur Schlacht erwartend, freudig mit den Schwertern
[163] auf den Schild ſchlugen. Heimball mit ſeiner Hel¬
denſchaar, ſtreckten froh bewegt ihre Arme den Hel¬
denbrüdern entgegen und riefen: „Gruß, Liebe und
„Dank euch Brüdern! Wir kommen, Ihr ſeyd es
„werth mit uns zu ſtreiten, und Sieger oder beſiegt,
„in Walhalla trinken wir aus einem Horn!“ Da
erbleichte der Zwerg, ſprang auf einen Stuhl, ſah
die tapfern Jünglinge zornig an und ſprach: Ruhe
iſt die erſte Bürgerpflicht
! Heimballs Kriegern
bot ſich darauf ein Schauſpiel dar, worüber ſie zu
Bildſäulen erſtarrten, und ihnen Schwert und Schild
mit donnerndem Getöſe aus den lebloſen Händen fiel.
Sobald die teutoniſchen Jünglinge gehört: Ruhe iſt
die erſte Bürgerpflicht
! legten ſie ihre Rüſtung
ab, zogen Schlafröcke an, ſtopften ihre Pfeifen und
fingen an zu leſen und zu ſchreiben. Heimball ſprach
darauf zu ſeiner Schaar: „Auf, tapfere Genoſſen,
„flieht, fort von hier. Wir ſind gekommen mit
„Männern zu kämpfen, nicht mit Schulmeiſtern und
„ihren Knaben. Fort von jener bedauernswürdigen
„Jugend, fort von dieſen verächtlichen Alten! Flieht
„und ſchaut nicht rückwärts, bis wir nach Mußpell¬
„heim gekommen.“ So verließ Heimball mit ſei¬
„nem Heere Teutonia, ließ aber zur Bewachung
„der Hofräthe ſechs Mann und einen Unteroffizier
„zurück.“

11*[164]

Dieſer Unteroffizier war Heimballs jüngſter
Sohn, der aber trotz ſeiner königlichen Abſtammung
nicht beſſer gehalten wurde, als der gemeinſte Krie¬
ger. Nachdem aber ſein Vater fortgezogen war,
und der junge Menſch ſich ſelbſt überlaſſen blieb,
konnte er den Schmeicheleien und Kriechereien der
Hofräthe nicht lange wiederſtehen. Er verweichlichte,
ſein reines ſkandinaviſches Blut artete aus, und von
dem vielen Eſſen und Trinken, daß man ihm alle
Tage vorſetzte, bekam er die Gicht, welche Krank¬
heit ſich durch länger als zweitauſend Jahre in ſei¬
ner Familie fortgeerbt. Vier und zwanzig hundert
Jahre nach Heimball reiſte ein Nachkömmling jenes
Unteroffiziers, Namens Widar, wegen ſeines Po¬
dagra's nach Baden bei Raſtadt. Auf dem Wege
dahin, im würtembergiſchen Städtchen Mergentheim,
lernte er ein ſchönes Mädchen kennen, Namens
Goldchen, Tochter des Juden Baruch. Er ver¬
liebte ſich in ſie, und verlangte ſie zur Gattin. Er
erhielt ſie unter der Bedingung, ein Jude zu werden
und den Namen Baruch anzunehmen. Widar lernte
in Baden den berühmten Dichter Robert kennen,
der ihn Tag und Nacht um Stoff zu einem Drama
quälte. Widar erzählte ihm ſeine eigene Lebens¬
geſchichte und daraus entſtand Roberts Europäiſches
Schauſpiel: die Macht der Verhältniſſe. Dar¬
auf zog Widar oder Baruch an den Main, da, wo
[165] ſpäter Frankfurt erbaut wurde. Die Gegend gefiel
ihm und er ließ ſich da nieder. Sein Haus ſtand
an der Stelle, wo jetzt in Sachſenhaußen die untere
Mühle liegt. Nach und nach ſiedelten ſich viele Hei¬
den und Juden dort an, und es entſtand eine Stadt,
die Widar nach ſeinem Namen nannte. Dieſes zeigt
auch das Wort Frankfurt ganz deutlich; denn Frank
heißt im ſkandinaviſchen Wi, und furt heißt dar.
Alſo waren es Juden, die Frankfurt gegründet, und
S. T. der Herr Senator Dr. Schmitt Wohlgeboren,
waren daher im größten Irrthum, als ſie gegen mich,
der die Rechte der Juden vertheidigte, vor einigen
Jahren im Gelehrtenvereine bemerkten: die Juden
könnten keine Bürger ſeyn in Frankfurt, weil es vor
1500 Jahren Chriſten geweſen, welche Frankfurt
erbaut. Gerade im Gegentheile. Wenn hier die
Religion ein Recht geben oder nehmen könnte, wären
die Frankfurter Juden die einzigen Bürger, und die
Chriſten wären blos Schutzchriſten, welche die Juden
in eine Chriſtengaſſe einſperren und ihnen verbieten
dürften, mehr als zwölf Ehen jährlich zu ſchließen,
damit ſie nach und nach ausſterben, und den Handel
der Juden nicht ganz zu Grunde richten.


Auf dieſe Weiſe iſt meine früher heidniſche Fa¬
milie eine jüdiſche geworden, und iſt es geblieben bis
auf den heutigen Tag. Ich aber, als im Jahre 1818
die jüdiſche Familie Rothſchild ſo übermächtig wurde,
[166] beſchloß zum Chriſtenthume [überzugehen]; denn es
war immer meine Neigung, es mit der ſchwächern
und unterdrückten Parthei zu halten. Der Pfarrer
wollte mich aber unter dem Namen Baruch nicht
taufen, und darum nahm ich den Namen Börne an,
um hiedurch das zerriſſene Band mit meinem Ahn¬
herrn, dem göttlichen Bör, wieder feſt zu knüpfen.
Seitdem heiße ich alſo Börne und nicht Baruch
modo Börne
, wie das Frankfurter Polizei-Proto¬
koll ohne Punkte vom 5. Dez. ſagt. Ich habe den
Namen mit Wiſſen und gnädigſter Erlaubniß meiner
hohen Obrigkeit angenommen. Wenn ich von mir
ſelbſt ſpreche, heiße ich kurzweg Börne; wenn aber
andere von mir ſprechen, heiße ich Herr Börne.
Und ich heiße mit viel größerem Rechte Herr, als
irgend ein Frankfurter Senator der drei Bänke, den
ältern und jüngern Bürgermeiſter nicht ausgenommen.
Denn ich bin wahrer Herr, ich diene keinem, ich bin
keiner Macht Unterthan. Ich diene nur der Wahr¬
heit und dem Rechte, ob es mich zwar nur ſo weit
angeht, daß ich ſelbſt es nicht zu verletzen habe.
Wäre ich aber eine obrigkeitliche Perſon, ein Richter,
ein Senator, ein Bürgermeiſter; wäre das Recht
meiner Mitbürger meinem Schutze anvertraut und
irgend eine zahnſtochernde Excellenz, dem etwa einer
meiner Schutzbefohlenen wegen der Form ſeiner Naſe
mißfallen, lächelte mir beim Derſert den Befehl
[167] zu, deſſen Recht zu kränken, ließ ich lieber meinen
armen Leib in tauſend Stücke hauen und ihn als
Fraß den Schweinen vorwerfen, als daß ich meine
unſterbliche Seele um das Spottgeld eines ſolchen
Lächelns verkaufte. Alſo Herr Börne heiße ich und
werde jedem zu begegnen wiſſen, der mir mein Herr
anrührt. Als vor einiger Zeit einige junge Leute
von der Geſellſchaft der Volksfreunde, wegen
Vergehen, die mit fünfjähriger Einſperrung beſtraft
werden können, vor ihren Richtern ſtanden, und an¬
geſchuldigt auf dieſe Weiſe, ihre Vertheidigung auf
eine, wenn auch nicht ſtrafwürdige doch höchſt ſtraf¬
fällige Weiſe führten; Recht und [Ordnung] ihre eige¬
nen Richter, den König und die Verfaſſung verhöhn¬
ten und bei dem Verhör der Gerichts-Präſident die
Angeklagten beim Namen rief, ohne Herr vorzuſetzen;
da ſprach Raspail, einer derſelben, zum Präſiden¬
ten: „Wenn ich das Wort an Sie richte, nenne ich
Sie Herr Präſident; wenn Sie mit uns ſprechen,
ſagen Sie blos Raspail, Hubert, Thauret.
Doch ſind wir gleich vor dem Geſetze; geben Sie
uns die Eigenſchaft, die wir Ihnen ſelbſt ertheilen.
Die Achtung, die Sie von uns ſelbſt zu fordern das
Recht haben, ſind Sie auch uns ſchuldig.“ Lautes
Bravorufen der Zuhörer folgte auf dieſe Anrede.
Der Präſident aber nahm keine Rückſicht darauf und
fuhr fort, Raspail zu ſagen, ohne Herr. Darauf
[168] ſprach Raspail: „Herr Präſident, nennen Sie mich
Herr Raspail, ich verlange es; nicht für mich
„(man weiß, wie wenig wir auf ſo nichtige Dinge
„halten), aber ich fordere es im Namen der Würde
„der Vertheidigung und der Achtung, die man den
„Angeklagten ſchuldig iſt. Die Beklagten, die man
„alle Tage auf dieſe Bänke ſchleppt, ſind gewohnt
„vor Ihnen zu zittern. Nun wohl! Sie mögen ſich
„ſelbſt achten lernen, es iſt ein gutes Beiſpiel, das
„wir ihnen geben.“ So wie Raspail vor den Aſ¬
ſiſen, ſtehe ich jetzt vor der Frankfurter Polizei.
Mein Verbrechen iſt mir unbekannt; aber die mir
drohende Strafe iſt fürchterlich. Wenn ich verurtheilt
werde, muß ich den Galeeren-Dienſt bei dieſem Amte
verſehen. Darum ſage ich im Gefühle meiner Würde
dieſer Polizei: „Madame! Wenn ich Sie anrede,
„nenne ich Sie Madame; nennen Sie mich Herr.
„Die [Achtung], die ich Ihnen bezeuge, ſind Sie auch
„mir ſchuldig. Den Doktor erlaſſe ich Ihnen, auch
„meine übrigen Titel, deren ich viele habe, brauchen
„Sie mir nicht zu ſalviren, auch dem Wohlge¬
„bornen
entſage ich. [Aber] nennen Sie mich
Herr Börne, ich beſtehe darauf.“


— Auf dieſes Tutti laſſe ich ein Solo folgen;
denn ich ſpiele ein unpartheiiſches Doppel-Conzert,
indem ich zwar als Komponiſt und Conzertgeber mir
die erſte Stimme vorbehalte, doch zur gehörigen Zeit
[169] mit der zweiten abwechsle. Jetzt kömmt die Reihe
zu geigen an den Meiſter Alexis. „Noch nie habe
„ich ein Buch mit ſo ſteigendem Widerwillen, bis es
„zuletzt völliger Ekel wurde, durchgeleſen. Börne
„iſt ein deutſcher Ultraliberaler, ſagen Sie. Mein
„Gott, reicht denn das Wort aus, dieſen Inbegriff
„von knabenhafter Wuth, pöbelhafter Ungezogenheit,
„dieſen bodenloſen Revolutionsgeiſt, dieſe hohle, ans
„alberne ſtreifende Begeiſterung für negirende Be¬
„griffe auszudrücken, ja nur zu bezeichnen? Thut
„man nicht unſern Liberalen Unrecht, Börne als ei¬
„nen ihres Gleichen zu nennen? Mich dünkt, ſo
„etwas von erſchütternd Nichtigem, in einer ab¬
„ſchreckenden Geſtalt, iſt noch nicht da geweſen, we¬
„nigſtens nicht in der deutſchen Literatur .... Es
„wälzt ſich ein Gemeinplätzen, in einem bachantiſchen
„Taumel, oder wie jener iriſche Häuptling, der ſich
„vor der Fronte in den Koth warf, um ſich abzu¬
„kühlen, wenn ihn das Fieber brannte. Es juckt
„ihn und er kratzt ſich, daß es eine Luſt iſt.“ Noch
einmal, mich dauert der arme Schelm! Vor vierzig
Jahren hatte irgend ein pfuſchender Naturgeſell von
Lappen, die er ſeiner Meiſterin geſtohlen, dem klei¬
nen hagern Seelchen Röckchen und Höschen zuſam¬
mengeſchneidert. Zur Ruhe, zum Sitzenbleiben und
zum Referiren gebohren, war dem Seelchen das enge
Kleidchen weit genug und die Nähte hielten. Aber
[170] da ſchlägt ein Blitz in ſeiner Nähe nieder, das
Seelchen erſchrickt, ſpringt auf, zum erſtenmale be¬
wegen ſich die Glieder, die knappe Sprache
platzt
, Lumpenworte hängen herum, und dem armen
nackten Seelchen kann man alle Rippchen zählen.
Edler! Warum biſt du erſchrocken? Nicht dir galt
der Blitz; Lorbeeren verſchont er. Uebrigens nehmen
Sie mir es nicht übel, wenn ich mehreremale Du
zu Ihnen ſage. Zuweilen rede ich in Streckverſen,
und dann dutze ich jeden ohne Unterſchied des Ran¬
ges, der mir in den Weg kömmt. Aber eines bitte
ich Sie mir zu erklären. Ich erinnere mich ganz
genau: es war im Jahre 1819, nach dem Karlsba¬
der Congreſſe, da nahm ich Aſſafötida ein, und zwar
in Mixtur; denn ich verabſcheue die feigen Pillen.
Es war ein einziger Löffel voll, es war der Ekel
einer Minute und der Schauer von fünf Minuten.
Aber hinge mein Leben davon ab, ich nähme keinen
zweiten Löffel Aſſafötida. Sie aber, mein Beſter,
haben mehrere Stunden an meinem Buche mit im¬
mer ſteigendem Ekel geleſen! Wie ertrugen Sie das?
Wer hieß Sie das? Wer bezahlte Ihnen das?
Oder finden Sie ſolche Freude am Ekel, daß Sie
ihn gutwillig ſuchen, warum erbrechen Sie ſich vor
den Augen aller Welt? Iſt das artig? Thut das
ein wohlerzogener Menſch? Zwar haben es die al¬
ten Römer auch gethan, aber Sie ſind kein alter
[171] Römer, ſondern im Gegentheil ein Referendair.
Zweitens, beantworten Sie mir die Frage: iſt das
literariſche Unterhaltungs-Blatt ein Nachtgeſchirr?
Endlich möchte ich wiſſen, wo Sie geleſen, daß ein
iriſcher Häuptling ſich durch ein Schlammbad vom
Fieber geheilt? Ich habe eben das Fieber, aber es
nützt mir nichts.


Alexis: „Von dieſem in ihm kochenden Grimme
„merkte man wenig, als er vor einigen Jahren eine
„Reiſe durch Nord-Deutſchland machte. Man wußte
„bis dahin nicht viel mehr von ihm, als daß er um
„Frankfurt herum berühmt ſey. ... Die Meiſten
„hörten zum Erſtenmale von ihm, weil er ins Mor¬
„genblatt eine Kritik über die Sontag einrücken laſ¬
„ſen, und ſo wurde er in Berlin präſentirt.“ „Es
iſt der Mann, der über die Sontag ge¬
ſchrieben.“ Theurer Freund! Du gleichſt dem
Geiſte, den du begreifſt. Du ſaubergewaſchenes,
kuchenlächlendes, bimmbammelndes Sonntagskind, er¬
kenneſt nur den müßigen, ſchöngeputzen, luſtigen Sonn¬
tag in mir; aber die Wochentage voll ſchwerer Sor¬
gen, ſaurer Arbeit und lohngeiziger Bezahlung, die
haſt du nicht erkannt. Ja, es kochte damals, wie
ſpäter der Grimm in mir, nur heißer noch; denn
als in den Juli-Tagen der Vulkan ſich in einem
Feuerſtrome Luft gemacht, da wurde mit Millionen
Herzen auch das meinige friedlicher und ſtiller. Da¬
[172] mals aber, da die Freiheit nur erſt rauchte und kna¬
benhaft mit Steinen warf nach der Tyrannei, da,
zu ſtolz zum Kinderſpiele, verſchloß ich meine Bruſt,
und ließ den Grimm darin kochen zum ſpäterm Ge¬
richte. Hätteſt du meine Glut geahndet, ſchwammi¬
ger Alexis, du wäreſt entſetzt von mir weggelaufen,
und hätteſt dich vor Angſt in ein Waſſerfaß geſtürzt.
Vielleicht hörteſt du zuweilen, [wie] es ſiedete in mir;
aber du dachteſt wohl, ich ſumme ein Sonntags-Lied¬
chen und liebteſt mich darum. Doch über den Nar¬
ren! daß er noch ſelbſt herbeiſchleppt, was er ver¬
ſtecken ſollte, damit es mein Spott nicht finde. Ja
freilich, ſo iſt es, man wußte in Berlin nichts von
mir, als daß ich über die Sontag geſchrieben, und
ſo wurde ich jedem vorgeſtellt: es iſt der Mann
der über die Sontag geſchrieben
! Wenn ich
jener Tage gedenke — doch ich will erſt das Feuer
ſchüren; mich friert, wenn ich daran denke. Komme
her, Muſe, ſetze dich zu mir beim Kamin und er¬
zähle mir von jenen Tagen. Aber ſei vernünftig und
kichere nicht.


Ich wohnte in der Stadt Rom und doch war
es fürchterlich kalt. Aber es war die Stadt Rom
unter den Linden. Am zweiten Tage nach meiner
Ankunft, Morgens zwiſchen zehn und zwölf Uhr und
22 bis 24 Grade, kamen Robert und Hering zu
mir, ſchwarz gekleidet, in ſeidenen Strümpfen und
[173] überhaupt ſehr feſtlich zubereitet. Ich ſaß gerade
beim Kaffee. Börne! ſagte Robert, trinken denn
die Geiſter Kaffee? Darauf ſah er Hering an und
wartete auf eine günſtige Rezenſion ſeines Einfalls.
Hering aber, der ſeinen Beifall für ſich ſelbſt auf¬
ſparen wollte, ſprach: „Warum nicht? Im Kaffee
„iſt Geiſt, ſchöne Geiſter begegnen ſich, darum trinkt
„Börne Kaffee.“ Darauf ſagte er: O Börne!
Sontag! Göttlich! und fiel mir laut ſchluchzend um
den Hals. Robert aber ſprach, mit bewegter doch
feſter Stimme: ermannen Sie ſich, Referendär; wir
wollen gehen, das Volk hart Ihrer, Börne. Wir
gingen. Vor dem Hauſe begegnete uns ein Mann,
wir blieben ſtehen. Hering ſprach: Hofrath! Börne!
Der Hofrath war erſtarrt und rief: Börne? Son¬
tag — göttlich! dann ging er. Nach zehn Schrit¬
ten kam wieder ein Mann. Robert ſprach: Hof¬
rath! Börne! Der Hofrath war erſtarrt und rief:
Börne? Sontag — göttlich! Etwas weiter begeg¬
nete uns wieder einer. Hering ſprach: Hofrath!
Börne! Der Hofrath war erſtarrt und rief: Börne?
Sontag — göttlich! So wurde ich unter den Lin¬
den vier und dreißig Perſonen vorgeſtellt, die alle
Hofräthe waren. Endlich erreichten wir den Pariſer
Platz. Ich hoffte, meine Leiden würden jetzt geendigt
ſeyn; aber nein. Man ſchleppte mich den Thier¬
garten zu. Unter dem Brandenburger Thore mach¬
[174] ten wir halt. Hering blieb mir zur Seite, damit ich
nicht entwiſchte; Robert aber ſtellte ſich mir gegen¬
über, zog ein dickes Manuſkript aus der Taſche, es
waren gewiß hundert Bogen, ich zitterte wie ein
Espenblatt, und er fing zu leſen an. „Heil dir im
Siegeskranz, Vater des Vaterlands!“ — Da ſchlug
ſich Robert vor die Stirn und rief: ich Eſel! da
habe ich den Waldfrevel ſtatt der Rede eingeſteckt!
Schadet aber nichts, ich weiß ſie auswendig. „Edler
„Börne. Hier unter dieſen Pferden, die einſt die
„Franzoſen ſchmachvoll nach Paris geführt, die wir
„aber glorreich wieder zurückgebracht; hier unter die¬
„ſen Pferden, wo Jahn einem Turnjungen Ohrfeigen
„gegeben, weil auf die Frage: was er jetzt denke?
„der Junge geantwortet: er denke gar nichts, wor¬
„auf Jahn geſagt: er ſolle daran denken, wie man
„die Pferde wieder ſchaffe; hier unter dieſen Pferden
„denke ich“ .... Lieber Robert, fiel ich ins Wort,
ganz Berlin weiß, daß Sie unter Pferden ein den¬
kendes Weſen ſind, aber ... doch Robert ließ ſich
nicht einhalten und fuhr fort: „Hier unter dieſen
„heiligen Hallen, glücklich nachgebildet den Propyläen
„in Athen, welche eben ſo viele Talente zu erbauen
„gekoſtet, als Sie beſitzen, nehmlich tauſend und
„zwölf; hier unter dieſen ſchönen Talenten — ich
„wollte ſagen Propyläen — wo einſt die verdienten
„Männer des Alterthums auf Koſten unſers gelieb¬
[175] „ten Königs verpflegt worden, freie Koſt, Wohnung,
„Heizung und Wäſche hatten, täglich eine Flaſche
„Champagner, und monatlich hundert Thaler Taſchen¬
„geld“ . . . . Der Referendär fiel hier dem Robert
ins Wort, und ſagte: lieber Robert, Sie faſeln. Sie
verwechſeln Propyläen mit Prytanäen. Robert aber
erwiederte ärgerlich: Prytanäen oder Propyläen, das
iſt mir alles eins. Er wollte fortfahren; ich aber
halb todt vor Hunger und Durſt, raffte alle meine
Kraft zuſammen und ſprach: „lieber Robert! In
„den Prytanäen oder Propyläen, denn weil es Ihnen
„alle eins iſt, iſt es mir auch alle eins, bekamen die
„verdienten Männer des Vaterlandes, wenn ſie Hun¬
„ger hatten, ein Gebackenes zu eſſen, das man
„Madſa nannte. Sind Sie der Meinung, daß
„das Wort Mazza, womit Ihre Glaubensgenoſſen
„das ungeſäuerte Brod bezeichnen, das ſie an ihrem
„Paſcha eſſen, mit jenem griechiſchen Madſa ver¬
„wandt ſey? Ich bin nicht der Meynung, ſondern
„ich ſtimme mit der des berühmten ſeeligen Wolf
„überein, der in ſeinen Prolegomenen zum Homer
„gezeigt, daß das griechiſche Madſa, nichts anders
„geweſen, als ein Berliner Pfannkuchen. Ach, lieber
„Robert! Ach, theurer Alexis! wie glücklich wäre ich,
„wenn ich jetzt ein Dutzend Pfannkuchen hätte! Aber
„wohlverſtanden, von den Guten in der Jägerſtraße,
„mit einer Zuckerglaſur und mit Aprikoſen gefüllt.“
[176] Robert, an den Reſt ſeiner Rede denkend, ſagte ſchmerz¬
lich lächlend: Herr, dein Wille geſchehe! Sie führ¬
ten mich zurück. Bald kam ein Mann, wir blie¬
ben ſtehen, und Hering ſagte: [Juſtizrath]! Börne!
Der [Juſtizrath] erſtarrte und ſagte: Börne? Sontag
— göttlich! Das wiederholte ſich alle zehn Schritte,
bis unter die Stechbahn. Dieſesmal aber waren es
lauter Juſtizräthe. Endlich traten wir bei Juſti ein,
und dort wurde ich im Namen der preußiſchen Mon¬
archie von deren Stellvertretern mit Pfannkuchen,
Chocolade und Madera bewirthet. Hering überreichte
mir den erſten Pfannkuchen auf ſilbernem Teller, und
ſprach: Börne! Dieſer Pfannkuchen iſt ein Bild Ih¬
rer ſchönen Seele! Darüber mußte ich aber in ein
ſo unbändiges Lachen ausbrechen, daß ich die Choco¬
lade umſtieß, die herabfloß und mir ein ganz neues
ſchwarzes Kleid zu Grunde richtete, das mir am
nehmlichen Morgen erſt der Schneider gebracht hatte.
Denn am Tage vorher, den zweiten meiner Ankunft
in Berlin, waren mir meine Kleider aus dem Zim¬
mer geſtohlen worden, woraus ich erkannte, daß
Preußen wirklich eine von republikaniſchen Inſtitu¬
tionen umgebene Monarchie ſei; denn je freier ein
Volk, je ſchlechter iſt ſeine Polizei. In Paris
wurde mir nie etwas geſtohlen.


Und dieſe Menſchen, die mir einen Purpur¬
mantel umgeworfen, mich unter den Linden im
[[177]] Triumpfe herumgeführt, vor mir hergingen wie Ha¬
man vor dem Mardochai, und ausriefen: ſo ehrt
Ahasverus den Mann
, der über die Son¬
tag geſchrieben
! — dieſe Menſchen, die mir tau¬
ſend und zwölf Talente angeſchmeichelt und meine
Seele mit einem Pfannkuchen verglichen — machen
mir jetzt die größten Grobheiten, aus Todesfurcht,
Herr von Arnim, der Polizei-Präſident möchte es er¬
fahren, daß ſie bei einem Eſſen, das ſie mir im
Kaffe Français unter den Linden gegeben, allen
Königen den Tod zugetrunken!


Alexis: „Ihm zitterte das Herz unter ſei¬
„ner Bruſt, und die Brücke unter ſeinem Geſäß
„beim Gedanken, daß auf derſelben Brücke der erſte
„Freiheits-Kämpfer des July gefallen.“ .... Ach,
die Naſe! Die Königsnaſe — darauf ſitzen jetzt
ſchon dreihundert Mücken! .... Meinen Jammer,
daß „deutſche Genies“ hungern mußten, den lobt
und billigt der Philiſter; doch das iſt ſeine einzige
Unpartheilichkeit .... „Man kann ihm keine größere
Freude machen, als wenn man ihm deutſche Dumm¬
heiten mittheilt.“ Danke, lieber Herr! — „Der
Patriot fingirt, daß ihm jemand aus Oeſterreich
folgendes ſchreibt.“ Das haben die andern Philiſter
auch geſagt: ich hätte den Brief erdichtet, denn ich
hätte den Muth nicht gehabt, in meinem eigenen
Namen gegen Göthe zu ſchreiben; ſie wollen mich
lV. 12[178] nur allein ſtellen, alle Schuld auf mich allein häufen;
das iſt ein Pfiff, den ſie von irgend einem abgeſetz¬
ten Polizei-Diener gelernt. Vielleicht hoffen ſie auch
auf dieſe Weiſe, mir den Namen des braven Man¬
nes abzulocken, der den Brief geſchrieben. O! geht,
geht. Ich bin ein gerader ſchlichter Mann, aber für
euch bin ich noch zehntauſendmal zu ſchlau.


Der Referendär hat mir auch vorgeworfen, ich
hätte nichts gelernt, ich wäre ein unwiſſender Menſch!
Oder hat es mir Robert vorgeworfen, oder Pittſchaft,
oder ein Anderer? Die vielen Grobheiten haben
mich ganz verwirrt gemacht; daher kann ich unmög¬
lich darüber Buch und Rechnung führen. Ich muß
es mit meinen Gegnern machen, wie es einmal
Schinderhannes mit einem Trupp Juden gemacht, der
ihm in ſeine Hand gefallen. Er zwang ſie alle,
ihre ſchmutzigen Stiefel auszuziehen; dieſe warf er
untereinander und befahl ihnen, ſie jetzt wieder anzu¬
ziehen. Nun hätte man das Geſchrei und Zanken
der Juden hören müſſen, wie ſie einander in die
Haare fielen und ſich die Stiefel aus den Händen
riſſen. Schinderhannes ſtand dabei und hielt ſich die
Seiten. Wie kommt es aber, daß mich noch keiner
von euch Schinderhannes genannt? Ihr ſeyd
doch im S eures Schimpfwörterbuchs und ſchon über
die Schmeisfliege hinaus. Aber jetzt iſt es zu
ſpät. Wer mich jetzt Schinderhannes nennt, der iſt
[179] nichts als ein ſchlechter Nachdrucker. Ich verwahre
feierlich meine Rechte auf den Schinderhannes, und
der hohe deutſche Bund wird es gewiß nicht zugeben,
daß man den 18. Artikel der Bundesakte übertrete,
und meine Schriften ganz, oder zum Theile nach¬
drucke.


Alſo Einer von meinen Gegnern ſagte, ich
wäre ein unwiſſender Menſch. Ich? Wie viele Ge¬
lehrte giebt es denn in Deutſchland außer mir, die
einem armen Scribenten zu rathen wiſſen, wie er es
zu machen hat, mit ſeinem Einkommen auszukommen,
daß er nicht nöthig habe, für Tagelohn zu ſchimpfen?
Er muß es machen wie der Thrazier Paräbius,
der Freund des Königs Phinous. Er muß der
Nymphe Thynis einen Altar errichten, dann wird es
ihm nie mehr an Lebensmitteln fehlen. Ich weiß
freilich nicht, wer der Apollonius iſt, der die
Geſchichte des Paräbius erzählt — ob Apollonius
Liminus
, des Creſſus Freigelaſſener, der korrekteſte
Schriftſteller aller Zeiten, denn er hat nie etwas
herausgegeben; oder Apollonius der Rhodier,
von dem man ein berühmtes Heldengedicht vom Ar¬
gonautenzuge beſitzt; oder Apollonius Cronus,
der Philoſoph aus der Megariſchen Schule; oder
Apollonius Parga, der berühmte Mathematiker,
welcher ein Meiſterwerk von den Kegelſcheiben her¬
ausgegeben; oder Apollonius von Tyana, der
12*[180] Pythagoräer, von dem man die unglaublichſten und
lächerlichſten Wunder erzählt, (ſo ſoll er in der kur¬
zen Zeit von zehn Jahren einen ganzen Monat des
Freimüthigen zweimal durchgeleſen haben) — aber
ein einzelner Menſch kann nicht alles wiſſen. Da¬
gegen weiß ich, daß Carme die Tochter Eubulus
und Enkelin Carmanors war, und daß Jupiter
mit ihr die Britonortis erzeugte, und daß die¬
jenigen Gelehrten, welche, wie Schwabe in ſeinem
mythologiſchen Lexicon, behaupten, die Carme wäre
eine Tochter des Phönix und Enkelin des Agenors
geweſen, craſſe Ignoranten, jämmerliche Wichte, ver¬
fluchte Kerls, und elende Schmeisfliegen ſind, welchem
Geſindel man einmal auf die Finger klopfen muß,
daß etwas Furcht hineinfährt. Ich habe gelernt, daß
man ſich ſehr hüten müſſe, die Δειπνα απο σϰυ¬
ριδος der Griechen mit den Sportulis der Römer
zu verwechſeln, daß man ungebetene Gäſte σϰιας
nannte, und ich weiß auch den Grund davon. Nicht
weniger iſt mir aus meinen Studien bekannt, daß
man bei den Römern diejenigen Causarii nannte,
welche wegen Kränklichkeit vom Kriegsdienſte befreit
werden mußten, daß aber, weil dabei oft Betrüge¬
reien vorgingen, bei ausbrechendem Kriege ſtrenge
Unterſuchungen angeſtellt wurden, weßwegen der hohe
Frankfurter Senat, als er den Beſchluß gefaßt, mich
bei der Polizei anzuſtellen, welches ein Kriegsdienſt
[181] iſt, ein Platz im Genie-Korps, und da Einer der Sena¬
toren die Einwendung gemacht: meine Kränklichkeit ver¬
ſtatte mir nicht, dieſen Dienſt zu verſehen, erklärte:
nun, ſo ſolle ich im Dezember von Paris nach
Frankfurt reiſen, um mich von dem dortigen Stadt¬
phyſikus unterſuchen zu laſſen? Und weiß ich nicht,
daß, thät' ich dies auch, es mir nichts nützen würde,
weil, wenn auch der Frankfurter Stadtphyſikus mich
aus alter Freundſchaft krank machte, ich doch dienen
müßte, da, ſo oft ein Tumult entſteht, oder die Stadt
in höchſte Noth geräth, gar keine Entſchuldigung an¬
genommen wird? War aber nicht neulich in Frank¬
furt ein Tumult wegen der Thorſperre, und iſt nicht
die Stadt durch die preußiſche Mauth in die höchſte
Noth gerathen? Das Alles weiß ich, und ich wüßte
noch tauſendmal mehr, wenn ich aus Funkes Real-
Schullexicon, worin ich das Zeug geſtern Abend ge¬
leſen, noch einige andere klaſſiſche Werke von zu
Hauſe mitgenommen hätte, wie: Eſchenburgs Hand¬
buch der klaſſiſchen Literatur, Heliodore die Lauten¬
ſpielerin aus Griechenland, Thibaults Pandekten und
Roberts Waldfrevel. Und jetzt kommen ſolche Mord¬
brenner, ſolche Mauerbrecher, Dornbüſche, lächerliche
Thoren, heilloſe Geſellen und jämmerliche Wichte,
und erfrechen ſich zu ſagen, ich hätte nichts gelernt!
Aber ich werde dem ſeichten Geſchwätze dieſer elenden
Schmeisfliegen bald ein Ende machen. Ich beſchwöre
[182] Sie, laſſen Sie auf der Stelle aus meinem Hauſe
den großen Koffer holen, der in der Dachkammer
ſteht. Nicht den engliſchen Koffer; denn darin lie¬
gen bloß meine Novellen, Romane, Tragödien, Vaude¬
ville's, Romanzen, Xenien, und eine deutſche Ueber¬
ſetzung von Willibald Alexis Schriften — welche mir
alle zu meinem ernſten Zweck nicht dienen können.
Sondern den größern deutſchen Koffer, welcher mit
einem Felle überzogen iſt, den drei Latten feſthalten.
Darin liegen meine gelehrten Manuſkripte. Ferner
ein großes gelbes Felleiſen, worin die zu meinen
Werken gehörigen Citate gepackt ſind. Ganz oben
im Koffer liegt ein Verzeichniß ſämmtlicher Manu¬
ſkripte, wovon ich eine Abſchrift mit nach Paris ge¬
nommen. Ich bitte Sie nun inſtändig, aus dem
Koffer diejenigen Manuſkripte zu nehmen, die ich Ih¬
nen mit den Nummern bezeichnen werde, und ſie mir
durch die Poſt hieher zu ſchicken. Nur vier oder
fünf will ich drucken laſſen: das wird ganz hinrei¬
chen, der Welt zu zeigen, wer ich bin. Aber, um
des Himmelswillen, laſſen Sie den Koffer und das
Felleiſen in Ihrer alleinigen Gegenwart öffnen und
unterſuchen, aber ja keinen Ihrer gelehrten Freunde
dabei ſeyn. Es könnte mir Einer ein Manuſkript,
oder gar einen Gedanken, oder gar ein Citat ſtehlen;
denn die Gelehrten haben in ſolchen Dingen weder
Schaam noch Gewiſſen. Ich wünſche alſo zu haben:
[183] „No. 189. De Confectione tractarum
Berolinensium
. Auctore L. Boerne 1826.
No. 214. De captura harengorum 1831.
No. 215. Deutſche Uberſetzung des nehmlichen
Werkes: Von dem Heringsfange. Mit Zeich¬
nungen. No. 333. Kommentar über die Ge¬
ſetzgebung der geheimen Polizei
, nach eng¬
liſchen und nordamerikaniſchen Grundſätzen
bearbeitet
. Mit Anmerkungen von Wurm. End¬
lich mein Hauptwerk: No. 709. Vollſtändiges
Verzeichniß aller Trauerſpiele
, Luſtſpiele,
bürgerlichen Schauſpiele, Liederſpiele, Me¬
lodramen und Opern
, welche auf ſämmtli¬
chen deutſchen Bühnen vom Jahre 1774 bis
zum Jahre 1827 aufgeführt worden ſind
,
nebſt Angabe der darin aufgetretenen Schau¬
ſpieler und Schauſpielerinnen
, Sänger
und Sängerinnen
, und Nachweiſungen al¬
ler über die theatraliſchen Leiſtungen Deut¬
lands erſchienenen Kritiken
. Nach den Quel¬
len bearbeitet von Ludwig Börne, und mit einer
Vorrede von Ludwig Robert, zwölf Theile. Ich
wollte dieß Werk ſchon verfloſſenen Sommer in Ba¬
den drucken laſſen, ließ mich aber durch Robert da¬
von abwendig machen. Er widerrieth mir wegen der
ſtürmiſchen Zeit, in welcher alle Talente untergingen.
Ich hätte mich aber von Robert nicht ſollen abwen¬
[184] dig machen laſſen. Grobe und ſchwere Talente, wie
die Seinigen, gehen freilich leicht unter; aber meine,
leicht wie Nußſchaalen, ſchwimmen oben und haben
keinen Sturm zu fürchten. Ich werde das Manu¬
ſkript dem Hrn. Brockhaus anbieten, der es gewiß
gern verlegt, da es ein deutſches Nationalwerk iſt,
und gleichſam eine Fortſetzung von Ludens Geſchichte
der Deutſchen. Es iſt nur ein Jammer, daß er ſo
ſchlecht bezahlt.


Der Referendär Hering oder Willibald Alexis,
wie er mit ſeinem Süßwaſſer-Namen heißt, baut ein
Pantheon für die großen deutſchen Männer und ſtellt
die Büſten von Menzel, Puſtkuchen, Heine
und Börne hinein .... Wie kömmt Puſtkuchen hie¬
her? Puſtkuchen hat gegen Göthe geſchrieben, und
wer gegen Göthe ſchreibt, den hohen Prieſter von
Karlsbad, iſt ein Revolutionair. Hering macht die
Inſchrift für genannte Büſten. Als er aber an die
von Heine kömmt, zupft ihm Einer am Rock. Ich
weiß nicht, wie er heißt, es iſt aber Jemand von der
hohen Polizei. Der ſagt ihm etwas ins Ohr, wor¬
auf der Referendär ein pfiffiges Geſicht macht, und
lispelt: ich verſtehe! Der Wesbinder, der deutſche
Pantheos, ſchreibt nun, ſtatt der Inſchrift zu Hei¬
ne's Büſte, folgendes von ihm. „Heine hat — doch
„halt! ich denke lieber an das, was Heine noch
„thun wird. Heine hat, ſo lang es eine kitzliche
[185] „Oppoſition war, als Liberaler gefochten; jetzt iſt er
„es nur noch aus jugendlichem Muthwillen. Sein
„Talent will Beſchäftigung haben. Ich hoffe, die
„Zeit zu erleben, wo er denſelben Kitzel darein ſetzt,
gegen den jetzt bequemen Liberalismus
ſich in Ungelegenheit zu ſetzen. Ich laſſe
„den Schleier über ſeiner Büſte im Pantheon der
„deutſchen Republik ruhen, und denke an ſeine Büſte
„in der deutſchen Literatur.“ Iſt das nicht merk¬
würdig? Eine ähnliche Aeußerung über Heine, einem
andern Artikel entnommen, den man auch aus Ber¬
lin eingeſchickt, und auf den ich zurückkommen werde,
lautet wie folgt: „Ein Schriftſteller (Heine), nicht
„ohne Geiſt und auch nicht ganz ohne Poeſie (ob¬
„wohl der Funke ſchon zu erlöſchen beginnt) und
„den man früher gern mit Börne oder Lord Byron
„zuſammenſtellte, wandelt eine ähnlich gefährliche
„Bahn, und wir wünſchen es aufrichtig zu ſeinem
„Beſten, daß er zeitig umkehre. Schon das
„Streben, der Mode und der Tagesneigung beſtän¬
„dig zu huldigen, iſt äußerſt bedenklich. Ueberſchrei¬
„tet er auch einſt nur um ein Haarbreit die Grenze,
„ſo ſtürzt er (wie jetzt Börne) erbarmungslos von
„ſeiner Höhe herab, und hinter ihm erſchallen Ver¬
„achtung und Hohngelächter.“


Dieſe Zwerge fühlen ſelbſt, daß ſie dem Kampfe
der Zeit nicht gewachſen ſind, und darum möchten
[186] ſie Heine anwerben. Nun, was gewönnen ſie dabei?
Wäre ein kleiner Vortheil der guten Sache mit der
Schande eines verdienſtvollen Mannes nicht zu theuer
bezahlt, ſo wünſchte ich, Heine ließe ſich von den
Polizei-Werbern verlocken. Nicht ihnen, uns würde
das nützen. Die Wahrheit würde ihn treffen, wie
die Andern auch, nur tödtlicher, weil er ſtark iſt und
Widerſtand leiſtet; während der Kleiſter der Andern
ſich um die Schärfe der Schwerts legt, ſie einwickelt,
und manchen guten Streich abhält.


Wie konnte gegen alle Naturgeſchichte unter den
literariſchen Haſen, die gar keine Stimme haben, ſich
ein ſolches Geheul erheben? Ein anderer Artikel in
dem nehmlichen Blatte, ein Brief aus Berlin,
wahrſcheinlich von dem nehmlichen Hering, erklärt die
wunderbare Erſcheinung, und giebt die beſten Auf¬
ſchlüſſe. Mir brauchte er ſie nicht erſt zu geben;
die Naturgeſchichte der deutſchen Haſen im geſunden
und im kranken Zuſtande war mir zu genau bekannt,
als daß mir jene Erſcheinung hätte unerklärlich blei¬
ben können. Aber Andern, die weniger belehrt als
ich, werden die Aufſchlüſſe nützlich und willkommen
ſeyn. Der zweite Alexis ſchreibt von mir: „Der
„Verfaſſer genoß hier früher eines außerordentlich
„guten Rufes, der viel über ſeine Verdienſte hinaus¬
„ragte ... Der Mann wurde hier verehrt und
vergöttert..... Und jetzt auf einmal dieſer un¬
[187] „geheure Abfall! Man ſpricht nur mit Abſcheu und
„Widerwillen von ihm. Jeder möchte ſeine
Hand in Unſchuld waſchen und nie bekannt
mit ihm geweſen ſeyn. Gewiß ſind die in je¬
„nen Briefen niedergelegten Anſichten durchaus ver¬
„werflich, aber eben ſo gewiß iſt es, daß die jetzt
hier vorherrſchende perſönliche Erbitte¬
rung nicht allein aus dieſer Quelle fließt.
„Theils tritt bei vielen gekränkte Eitelkeit ins Spiel,
„theils bei Andern, die Furcht, man möchte nun
auch ſie nach einem neuen Maasſtabe zu
beurtheilen verſucht werden .... Die Juli¬
„revolution hatte ihn völlig berauſcht, und in dieſem
„Rauſche zeigte er ſich auf einmal wie er war.
Daß ihn dieß gereut, bezweifle ich gar
nicht.“ O der große Menſchenkenner! .. Doch
ich will das wichtigere beſprechen. Ja freilich, das
iſt es. Sie haben mich verehrt und vergöttert in
Berlin. Als ich aber anfing gegen die Gewaltigen
im Lande zu reden, da ward ihnen todesangſt. Sie
dachten an die Hausvogtei, an Magdeburg, Köpenick,
den Galgen und Pilatus-Kamptz. Sie verläug¬
neten mich und werden mich noch hundert mal ver¬
läugen, ehe der Hahn kräht. Kräht aber einmal
der deutſche Hahn
, werden ſie ſich wie die Wür¬
mer zu meinen Füßen winden, und von denen mit
[188] Haß und Abſcheu ſprechen, welche ſie jetzt verehren
und vergöttern.


O Berliner! O Haſenpaſteten! O Kuchen¬
freſſer! O Ihr dreizehn Bühnendichter, welchen erſt
die Knochen wieder hart geworden, und die Ihr, ſeit
die Katze nicht zu Hauſe iſt, ganz luſtig auf den
Tiſchen herumſpringt! — wenn ich jetzt unter Euch
erſchiene, mit meinem alten Herzen zu Eurem alten
Herzen träte, würdet Ihr nicht entſetzt vor mir flie¬
hen, wie vor dem Dämon der Cholera, und mit
thränenden Augen vor Eurem Pilatus wimmern:
O wir Unglücklichen! Wir kennen den Mann gar
nicht? Ich komme! Wenn Ihr nicht artig ſeyd,
komme ich. Wahrhaftig, ich muß nach Berlin; das
Herz hüpft mir vor Freude, wenn ich daran denke.
Ich muß dieſe Menſchen in Angſtſchweiß verwandeln,
daß ihr ganzes Daſeyn in den Goſſen abfließe. Den
Einen ſuchte ich in dem Buchladen auf, wo nichts
geheim bleibt, fiele ihm um den Hals und ſpräche:
„Du ſiehſt, theurer Freund, ich habe Wort gehalten
„und kam, ſobald mich Preußens Söhne riefen!“
An den Andern drängte ich mich in der Oper, zeigte
ihm den Meſſager und ſagte ganz laut: „Du biſt
„ein Schelm, dein Styl iſt gar nicht zu verkennen.“
Dem Dritten ſchrie ich bei Rehäly zu: „Deine
„geſtrige Nachricht, daß der König abdanke, beſtätigt
„ſich; um deſto beſſer.“ Meinem vertrauteſten Freunde
[189] aber, dem Referendär Hering, ſchriebe ich folgenden
Brief: „Theurer Brutus! Himmliſch warſt du
„wieder geſtern Abend. Warum mußteſt du uns
„wegen deiner Diarrhö ſobald verlaſſen? Als du
„fort warſt, tranken wir auf die Geſundheit des
„preußiſchen Marats. Deine Epigramme auf Hrn.
„von Witzleben und den Prinzen von Meklenburg
„wurden zum zweitenmale vorgeleſen und mit jauch¬
„zendem Beifall aufgenommen. Der öſterreichiſche
„Geſandte läßt dich erinnern, daß du ihm eine Ab¬
„ſchrift davon verſprochen. Ich habe heute Briefe
„vom General Uminsky bekommen. Tauſend Grüße
„für dich. Nie wird er es vergeſſen, daß du ihn
„drei Tage in deinem Hauſe verſteckt gehalten, und
„er ſeine Flucht von hier nur deiner Anſtrengungen
„zu verdanken hat. Morgen verſammeln wir uns
„wieder zum Abendeſſen. Wir feiern den 31. Ja¬
„nuar, den ſchönen Tag, an dem das Haupt eines
[Tyrannen] gefallen. Du wirſt doch kommen? Noch
„eine andere, noch eine ſchönere Begebenheit feiern
„wir. Aber du erfährſt das erſt morgen. Doch
„nein, du lieber ungeduldiger Menſch, noch heute,
„du ſollſt es gleich erfahren. Rathe! Wie, dein
„Herz ſagt dir, du ahndeſt nicht? Du haſt gewiß
„wieder Leibſchmerzen. Die Sontag iſt in die
Wochen gekommen und die hohe Kindbetterin
„und das neugeborne Kind befinden ſich ſehr wohl.
[190] „Und jetzt? Biſt du heute im Stande ein vernünf¬
„tiges Wort in den Freimüthigen zu ſchreiben, dann
„will ich zwölf Dutzend Auſternſchaalen ohne ihren
„Inhalt hinunterſchlingen. Dein Spartakus.
„N. S. Die Kiſten mit den Dolchen werden heute
„Abend bei dir abgeholt werden.“ Dieſes Billet
würde ich an den Referendär Hering adreſſiren, ver¬
ſiegeln, wieder aufbrechen, und damit auf die Polizei
gehen, meinen Permiſſionsſchein gegen acht Groſchen
erneuern zu laſſen. Da ließ ich das Billet unbe¬
merkt aus der Taſche fallen. Ein Polizeibeamter
würde es aufheben, und es ganz natürlich finden,
das es der Referendär dort verlohren. Und jetzt die
Unterſuchung, die Herings-Angſt! Das alle müßte
köſtlich ſeyn.


— Gott ſtehe mir bei! Ich wollte das Brock-
Narren-Haus verlaſſen, in dem ich mich einige Stun¬
den aufgehalten, da ſtürzte mir auf dem Korridor ein
verrückter Philolog entgegen, und hielt mich feſt, und
drehte mir alle Knöpfe vom Rocke. Ich weiß nicht,
wie der Narr heißt; es muß aber ein ausgezeichne¬
ter deutſcher Philolog ſeyn, denn er verſteht kein
deutſch. Der Narr hat No. 97 im Hauſe. Der
läßt ſich, wie folgt, vernehmen. „Börne (der Phi¬
„loſoph, wie er ſich ſelbſt nennt) hat in den Briefen
„aus Paris einen Beitrag zur forcirten Juden¬
literatur geliefert, zu welcher auch Heine, ſein
[191] „Freund und Idol, ſchon manches ſteuerte, und damit
„ein ſehr widerliches Buch geliefert, welches einer
„ſcharfen Geiſel wird Stand halten müſſen. Dieſe
„Briefe ganz zu durchleſen, iſt ein Opfer, zu dem
„man ſich nur in gerechter Indignation und mit gro¬
„ßem Unwillen entſchließen kann. Wenn ſich glück¬
„liche Anlagen und Scharfſinn ſo mit Frechheit und
„Anmaßung paaren, vergißt man darüber das Haſ¬
„ſenswürdige und Verworfene, was jedem Abtrünni¬
„gen, jedem Renegaten, und jedem an ſeinem ange¬
„ſtammten Glauben ſeiner Väter zum Verräther ge¬
„wordenen anklebt. Daß ein ſolcher auch ſein Va¬
„terland und was ſeinen Landsleuten heilig und ver¬
„ehrungswürdig erſcheint, zu beſchimpfen verſucht, iſt
„darum kein Wunder, und wird ſich dieſe Untreue ge¬
„wiß empfindlich ſtrafen. Ein Herr Dr. Meyer hat
„in einer kleinen Schrift, betitelt ...... ſchlagend
und tiefgreifend, doch faſt zu flüchtig den erſten
„Streich dagegen geführt. Wie kann auf ſo weni¬
„gen Seiten mit zwei Bänden Auswurf gekämpft
„werden? Doch vielleicht findet ein tüchtiger Mann
„Ruhe und Reſignation, um für Deutſchland gegen
„Börne in die Schranken zu treten. Darum ſey auch
„hier ein einzelner Fleck, der uns anzuhangen zuge¬
„dacht wird, beleuchtet.“ Sehen wir jetzt, was dieſe
Flecklaterne beleuchtet. Ich hätte die deutſche
Sprache geſchmäht und verächtlich herab¬
[192] geſetzt
, und die franzöſiſche über ſie erho¬
ben
, dieſe fände ich ſublim! Und das müſſe
„eine Verachtung bei jedem Freunde ſeiner
Mutterſprache unter uns hervorbringen
,
die höher ſteigen muß, als irgend eine Scala
auszudrücken vermag
.“ Wo der Narr in mei¬
nen Schriften das geleſen, möchte ich wiſſen. O
Schulmeiſter!


Mascula sunt panis, piscis, civis, crinis, ignis,

funis, glis, vectis, ſollis, fascis, lapis, amnis,

Sic fustis, postis, sic axis, vermis et unguis,

Et penis, collis, callis, sic sanguis et ensis.

Mugulis et mensis, pollis cum caule, canalis;

Et vomis, sentis, pulvis, sitis, cucumisque,

Anguis, item cuspis, torris, cum cassibus orbis.

So wollen wir künftig mit einander korreſpondiren;
aber nur ja nicht deutſch. Sie verſtehen mich nicht
und ich verſtehe Sie nicht. Habe ich außer den
Schimpfwörtern, worin ich ſeit einigen Mona¬
ten bei dem erſten deutſchen Schullehrer fleißi¬
gen Unterricht genommen, ſonſt ein Wort in Ihrem
Artikel verſtanden, will ich kein ehrlicher Mann ſeyn.
Schreiben wir uns lateiniſch.


— Jetzt will ich der Stuttgarter Hofzei¬
tung
einen Beſuch machen. Ich habe mich über und
über mit Kölniſchem Waſſer gewaſchen, meine Klei¬
der gewechſelt, und bin herzlich froh, daß ich von
[193] der Bürger-Canaille einmal loskomme. So eine
Hofzeitung, die hat doch eine ganz andere Art und
Sprache, und noch in ihrem Morgenanzug von Löſch¬
papier iſt ſie reizender, als eine bürgerliche Abend¬
zeitung in ihrem Velinkleide. Ihr Zorn iſt zarter
champagner Schaum; ihr Spott, Prickeln auf der
Zunge, das mehr ſchmeichelt als wehe thut; und ihr
Unmuth, ein trübes Wölkchen über der Sonne, an
ſeinem Rande von ihrem Liebesblick gefärbt. Sie
ſtraft durch Vergebung und ſchweigt wenn ſie verach¬
tet. Und alle, die einer ſo lieben, gnädigen Hof¬
zeitung nahe kommen, werden übergoſſen von ihrem
Roſenſchimmer, verzuckert, waren ſie vorher noch ſo
bitter; und fein, artig und gewandt, waren ſie frü¬
her die plumpſten Grobiane und die ſchwerfälligſten
Tölpel geweſen. Seht den ehrlichen Münch und
den ehrlichen Lindner. Es ſind, wie allgemein be¬
kannt, ehrliche und brave Männer; es ſind aber
eben Bürgersleute, gerade aber knorrig, treu aber
knurrig. Doch wie hat ſie die Hofzeitung umgewan¬
delt! Wie fein ſind ſie geworden, ſeitdem ſie daran
arbeiten! In dieſe Schule müßt Ihr gehen, Ihr
Meyer, Ihr Würmer, Ihr Heringe, Ihr Roberts,
Ihr Pittſchaft, und wie Ihr ſonſt alle heißen möget.
Dieſer Stuttgarter Hofzeitung haben meine Briefe
aus Paris auch nicht gefallen; aber wie fein giebt
ſie das zu verſtehen! Und wendet nicht ein: ja die
IV. 13[194] Herren, welche die Stuttgarter Hofzeitung ſchreiben,
bekommen einen jährlichen Gehalt von dreitauſend
Gulden und für dreitauſend Gulden kann man ſchon
fein ſeyn, aber wir armen Schlucker, womit ſollen
wir die Artigkeit beſtreiten? Das ſind leere Ent¬
ſchuldigungen. Stehen nicht in dem nehmlichen
Wörterbuche die feinen Worte und Redensarten, wie
die groben? Was hält Euch ab ſie zu wählen?
Schlingels ſeyd Ihr. Bedenkt nur, welche gemeine
Schimpfreden Ihr gegen mich geführt, und vergleicht
damit die zarten Ausdrücke, deren ſich die Stuttgar¬
ter Hofzeitung bedient. Frivoler Jude, herz¬
loſer Spötter
, elender Schwätzer, toller
Schwätzer
, erbärmliche Judenſeele, ehrlos,
ſchaamlos, ſeichtes Geſchwätz, inhaltloſes
Geſchwätz
, leichtfertiges Geſchwätz, armer
Revolutions-Jäger
, ſchaamloſe Frechheit,
ſeichte Frivolität, ungeheure Anmaßung,
jüdiſche Anmaßung, ſchmutziges Buch, ekel¬
haftes Buch
, niederträchtiges Buch, elende
Schmeisfliege
. Stand Euch das nicht alles auch
zu Gebote? Schämt Euch! Und jetzt erſt die un¬
vergleichliche Syntax, mit welcher die artigen Worte
zuſammengeſetzt ſind! „Ueberall zeigt ſich der fri¬
„vole Jude, dem nichts heilig iſt, der herzloſe Spöt¬
„ter auf Geiſt und Charaktere der deutſchen Na¬
tion, der elende Schwätzer ins Blaue hinein, der
[195]der Menge gefallen will und der Erbärmlich¬
„keit der Leidenſchaften des Tages, und im Grunde
„doch ſelbſt nicht weiß, was er eigentlich will. Wohl
„kann man ſagen, daß ſich Börne durch dieſes Buch
„in jeder Rückſicht ſelbſt gebrandmarkt hat; kein
Deutſcher, dem die Ehre ſeines Landes
heilig iſt, wird ihn fortan mehr in ſeiner
Geſellſchaft dulden können.“ Lieber alter
Freund! Sie ſind alt geworden und wiſſen nicht,
was Sie ſprechen. Um der Menge zu gefallen,
hätte ich die deutſche Nation verſpottet? Das wäre
doch ein ſonderbares Mittel! Was iſt denn die
Nation anders als die Menge? Verſpottet man
Einen, wenn man ihm gefallen will? Sie freilich
und Ihre Bande, Sie verſtehen unter Nation nicht
die Menge, ſondern nur die dreißigtauſend unter
dreißig Millionen Menſchen, welche die Blutſauger
des Volks ſind, die ohne Vaterland und ſelbſt ohne
Fürſten nur den Hof kennen, an den ſie feſtgeſchloſ¬
ſen, und keinen andern Gott haben, als den Hof¬
knecht, der ihnen ihr Futter vorwirft. Dieſe Nation
würde ich wohl verſpottet haben, wenn ſie eine Ehre
hätte, die man verwunden könnte, und wenn ſie
nicht, ſobald ſie ſatt iſt, jedes Spottes ſpottete. Ach
beſter Freund, es wäre recht ſchön, wenn mich künf¬
tig kein Deutſcher in ſeiner Geſellſchaft duldete; aber
ich fürchte, man duldet mich nach wie vor. Wie oft
13 *[196] waren wir nicht in frühern Zeiten in der Geſellſchaft
manches braven Mannes, dem die Ehre ſeines Lan¬
des heilig iſt, und doch wurden wir nicht zur Thüre
hinaus geworfen! Man wußte, daß wir betrügeri¬
ſche Schuldenmacher, unverſchämte Bettler, lauſige
Schmarozer, ehrloſe Kuppler, feile Lohnſchreiber, und
die niederträchtigſten Spione aller Europäiſchen Höfe
wären, und daß wir unſer deutſches Vaterland für
tauſend Silberrubel zehntauſendmal verrathen — und
doch warf man uns nicht zur Thür hinaus! Es iſt
aber ein geduldiges Volk, das Deutſche! Wie gerne
ließe ich mich zur Thüre hinauswerfen, wenn nur das
zur heilſamen Uebung unter den Deutſchen würde,
daß ſie nicht länger niederträchtige Schurken, die ſie
im Grunde ihrer Seele verachten, aus weibiſcher
Aengſtlichkeit wie ehrliche Leute, und Menſchen, die
ſie haſſen, aus dummer Höflichkeit mit Achtung be¬
handeln! — „Bevor Ref. dieſes im Vergleich zu
„der Niederträchtigkeit des Buches noch ſehr gelinde
„Urtheil nur durch einige Belege, wie ſie ihm gerade
„in die Augen fallen, motivirt, hat er ſich dagegen
„zu verwahren, als ob er zu den Juden-Feinden [ge¬
„höre]
, zu welchen man ſeine Landsleute ſo gerne
„rechnet .... Er ſchätzt den braven aufgeklärten
„redlichen Mann, weſſen Religion er auch ſeyn möge.
„Wenn er aber alle die Verworfenheit, welche man
„gewöhnlich dem jüdiſchen Volke Schuld giebt, ſo
[197] „ſchaamlos ausgeſprochen ſieht, wie in dieſem Buche
„des Herrn Baruch Börne .... dann kann er auch,
„tief empört über ſolche Schändlichkeit, gegen den
„Juden auftreten. Auch er muß am Ende überzeugt
„werden, daß ſolcher ſchaamloſen Frechheit und ſeich¬
„ten [Frivolität] nur der Jude fähig iſt.“ Seht Ihr,
Ihr gemeinen bürgerlichen Rezenſenten! Ihr habt
Euch gegen mich, den Juden, ereifert; aber Ihr
habt es mit Eurer gewöhnlichen tölpelhaften Art ge¬
than. Lernet von dieſem Hofzeitungs-Schreiber, wie
man mit Hofmanier grob ſey. Als er gegen den
Baruch in Börne losziehen wollte, durch welche
Theilung er nichts gewann, als was Göthe's Zau¬
berlehrling durch Spaltung des Beſenſtiels gewonnen:
daß er von zweien bedient wird, ſtatt früher von ei¬
nem — bedachte er: Halt! Dem Herrn von
Moſes bin ich Geld ſchuldig; von Herrn von Aa¬
ron will ich Geld borgen; bei Herrn von Jakob
werde ich oft zu Tiſche geladen, Herr von Abraham
zahlt mir meine ruſſiſchen Gelder aus; Herr von
Iſaak hinterbringt mir, was am Münchner Hof vor¬
geht; Herr von Joſeph beſorgt mir meine Wiener
Korreſpondenz — ich muß dieſe koſtbaren Leute ſcho¬
nen, und nun ſagen, die Juden wären brave ſchar¬
mante Leute, und der Baruch Börne mache eine
Ausnahme. Von dem lernt, Ihr Flegel. Und fragt
Ihr mich, wie viele Dukaten und Flaſchen Cham¬
[198] pagner es mich gekoſtet haben würde, den Stuttgar¬
ter Hofzeitungsſchreiber zu meinem Lobredner zu ma¬
chen? ſo ſage ich Euch: ich bin ein Lump, wie Ihr
alle ſeyd; aber dieſe kleine Ausgabe hätte mich nicht
beläſtiget.


Der arme Teufel fühlt es manchmal ſelbſt, daß
zum Schreiben die Finger allein nicht hinreichen, wie
auch ein Geiſt dazu gehöre, und dann im Gefühle
ſeiner Armſeligkeit, ruft er den Geiſt Mendelſohns
aus dem Grabe hervor, daß er ihm beiſtehe in ſei¬
ner Noth. „O edler Moſes Mendelſohn, im Grabe
„mußt du dich umwenden, daß länger als ein halbes
„Jahrhundert nach dir einer deines Volkes alſo
„ſchwatzen kann.“ Und da der edle Moſes Mendel¬
ſohn auf die Beſchwörung eines Taugenichts natürlich
nicht erſchien, wurde er zum zweitenmal hervorgeru¬
fen. „Nochmals rufe ich den Schatten des edlen
„Mendelſohns an. Zürnend erſcheine deinem entar¬
„teten Enkel und beſſere ihn, wenn es möglich iſt.“
Vielleicht wundert man ſich darüber, daß ein Hofzei¬
tungs-Schreiber ſo romantiſch iſt; aber was kann
man nicht alles ſeyn für dreitauſend Gulden jährlich?
Gebet dem Manne Sechstauſend Gulden, und er
wäre im Stande und würde ein ehrlicher Mann dafür.


Der Stuttgar[t]er Hofzeitungs-Schreiber wie die
ganze Schaafheerde, die gegen mich geblöckt, fürchtet
mich mehr, als den böſen Wolf, und ſähe daher gar
[199] zu gern, daß ich keine Gelegenheit verſäumte, mich
todtſchießen zu laſſen. So ein Schuß iſt freilich eine
Kritik, die keine Antikritik zu fürchten hat. Darum
ſucht der Narr auch meinen Ehrgeiz rege zu machen
und ſagt: „Bald will Hr. B. nur Revolutionen
„und zappelt krampfhaft darnach, bald fürchtet ſeine
„erbärmliche Judenſeele ſie ängſtlich, wie im
„19ten Brief. So oft Spektakel und Auflauf
„war in Paris, hatte er Zahnweh oder dicke Ba¬
„cken und jammert dann hinterdrein wahrhaft kin¬
„diſch-komiſch, nicht dabei geweſen zu ſeyn.“ Mein
guter alter Freund, wo haben Sie denn im 19ten
Brief Furcht gefunden? Unſer Muth und unſere
Bangigkeit ſind freilich ſehr verſchieden von einander.
Sie fürchten alles, nur die Polizei nicht, weil Sie
unter deren beſonderm Schutz ſtehen; ich aber fürchte
nichts als den Meuchelmord der Polizei, eine offene
Kugel fürchte ich nicht. Wenn ich ſie früher oder
ſpäter einmal in Stuttgart beſuche, werde ich Ihnen
beweiſen, daß eine dicke Backe einem wirklich am
Ausgehen hindern kann, und daß, wenn man in
Paris zu Hauſe bleibt, und man als Ober-Spion
keine andern Spione unter ſich hat, man nicht er¬
fährt, was ſich in der Stadt ereignet.


Es gab noch mehrere ſolcher Narren, die, um
mich los zu werden, einen kindiſchen Ehrgeiz in mir
aufzuregen ſuchten. Als ſie erröthen mußten, daß
[200] ich, ich allein unter all den Stummen und Ver¬
ſchnittenen, es gewagt, den Unterdrückten des Volks
die Wahrheit zu ſagen, da meinten ſie: Welch ein
großer Muth
, ſich in Paris hinzuſetzen,
und dort gegen deutſche Regierungen zu
ſchreiben
. Und jetzt hoffen ſie, ich würde hurtig
wie ein thörigter Knabe in die Höhle des Tigers
laufen. Und was iſt die Höhle des Tigers gegen
das dunkle und heimliche Gericht, worin deutſche Re¬
gierungen die Beleidigung ihrer himmliſchen Allmacht
rügen? In dunkler Nacht aus dem Bette gezerrt
werden von Räubern, die ſich Gerichtsdiener nennen;
dummen, tückiſchen, abergläubiſchen Staatspfaffen, die,
ihren Gott im Bauche, der ſie füttert, verehrend,
die kleinſte Beleidigung ihres Gottes grauſam ſtrafen
— ihnen Rede ſtehen während ſie ſitzen und ver¬
dauen; und dann aus der Welt zu verſchwinden, wie
eine Seifenblaſe, nicht Luft, nicht Erde zeigt unſre
Spur; ausgelöſcht im Gedächtniſſe ſeiner ſehr deut¬
ſchen Mitbürger, welchen der kleinſte Schreck den
Kopf trifft, welchen Polizeifurcht wie ein Sirocco das
Herz ausdörrt; und dann zu ſchmachten in einem
feuchten Gewölbe, ohne Licht, ohne Luft, ohne Buch,
ohne Freundestroſt, erfrierend von dem kalten Blicke
der Kerkerwärter — den Muth verlangt Ihr von
mir? Gebet mir offenes Gericht, gebet mir den
Schutz, den in Frankreich noch der Mörder hat, ge¬
[201] bet Preßfreiheit, daß meine Freunde aus den Zei¬
tungen erſehen können, wo ich hingekommen, und
dann will ich Euch zu Rede ſtehen. Aber Ihr wer¬
det Euch wohl hüten, das zu thun; denn ich ſtünde
dann Euch nicht Rede, Ihr müßtet mir und dem
Volke Rede ſtehen. Fragt Maſſenbach, fragt Ypſi¬
lanti, fragt die andern Schlachtopfer alle, wie ſie
im Kerker gelebt, warum ſie geſtorben? Gehet hin,
fragt ſie, ſie ſtehen jetzt vor Gott und brauchen nicht
mehr zu ſchweigen. Fragt Jahn, der endlich frei¬
gekommen, was ſeine Richter ihn gefragt? Er
ſchweigt, er darf nicht reden. An einer langen
Kette hält man ihn feſt — das iſt ſeine Freiheit.
Fragt Murhardt in Kaſſel, der ſchuldlos erklärt
worden, warum er im Kerker geſchmachtet? Er iſt
ſtumm. Er hat ſchwören müſſen, die Geheimniſſe
der Tyrannei nicht zu verrathen. Die thörigten
Menſchen! Solch einen Eid halten, den man ihnen,
den Dolch auf der Bruſt, abgezwungen? Der lä¬
ſtert Gott, und verräth die Liebe, der lebendig aus
der Höhle der Tyrannei kömmt und ſeinen Brüdern
nicht erzählt, was im Dunkeln die Bosheit übt und
die Unſchuld leidet. Ich hielte ſolchen Schwur nicht;
es iſt Sünde, ihn zu halten.


Ich habe in meinen Briefen geſagt: im nächſten
Jahre würde das Dutzend Eier theurer ſeyn, als
das Dutzend Fürſten — und jetzt, lieber alter Freund,
[202] machen Sie ſich luſtig über mich, weil von dieſer Prophe¬
zeihung „gerade das Gegentheil eingetroffen.“
O ich möchte mich aufknüpfen! Das da habe ich nicht
erfunden! Ich räume Ihnen ganz beſchämt den er¬
ſten Platz ein, Sie ſind ein viel feinerer Spasvogel
als ich. Warum ſind Sie nicht immer ſo fein?
Warum — Sie, ein Hofzeitungs-Schreiber, ein
Dietrich zu den größten wie zu den kleinſten Kabi¬
netskaſten aller Fürſten Europa's, ein Meiſter-Schelm,
der die Polizei ſelbſt betrügt — warum ſind Sie zu¬
weilen ſo grob, daß Sie in Verdacht gerathen, ein
ehrlicher Mann zu ſeyn, und Ihren wohlerworbenen
Ruf gefährden? Wie konnten Sie ſich nur vergeſſen,
Ei, ei,“ zu rufen. Ei, ei — iſt das nicht die
Eſſenz der Dummheit? Riecht das nicht den Phi¬
liſter eine Meile im Umkreiſe? Ich ließe mich lie¬
ber todtſchlagen, ehe ich ei, ei ſagte oder ſchriebe.
[Und] Sie haben, ei, ei drucken laſſen — läugnen
Sie es nicht. Um mich über die Eleuſinien der deut¬
ſchen Höfe luſtig zu machen, erzählte ich, daß der
parſamste aller Sterblichen, ein deutſcher ungeadelter
jüdiſcher Jüngling, in gemeiner Reitertracht auf einem
Hofballe des Allerchriſtlichen Königs getanzt. Und
Sie bemerkten darauf: „Ei, ei, Hr. Baruch Börne,
„man ſollte faſt glauben, daß Ihnen doch die Zeit
„ein wenig lange wird, bis Sie ſich herablaſſen kön¬
„nen, einer Prinzeſſin oder Herzogin die Hand zum
[203] „Tanze zu reichen!!“ Ich bitte Sie, zeigen Sie
mir die Brücke, die von meinem Spotte zu Ihrem
führt; ich kann ſonſt nicht hinüber kommen. Und
ei, ei! Ehe ich Ihr Ei, ei geleſen, war es mir
eine Beluſtigung, mich mit Ihnen zu necken, aber
dieſes Ei, ei hat mich ganz verſtimmt, und [unwil¬
lig]
rufe ich aus: es iſt eine Schmach! Mit
ſolchem Ei-ei-Geſindel muß ich mich herumſchlagen!


Der Stuttgarter Hofzeitungs-Schreiber, als er
den höchſten Gipfel der Begeiſterung erreicht — dort
oben in jener reinen Höhe, wo der Hofzahlmeiſter
wohnt; in jener ſeligen Stunde, wo er ſein Quar¬
tal empfangen, ſagt er, ſchreibt er als heiße, gefühl¬
ausſtrömende Quittung: „O du elende Schmeis¬
fliege
!“ Nein das iſt zu arg, und „was zu arg
iſt
, iſt zu arg,“ ſagt Eduard Meyer in Hamburg.
Erſt jetzt verſtehe ich das große Wort. Und du mit
einem kleinen d — ſo alles Herkommen und deutſche
Sitte verhöhnend! Und O! Hätte er wenigſtens
geſagt: Ach, du elende Schmeisfliege! Eine Grob¬
heit, die mit Ach anfängt, kann ein vernünftiger
Menſch eigentlich gar nicht übel nehmen. Ach iſt ein
Ausathmen, und von einer Grobheit zeigt es an, daß
die Grobheit in dem Menſchen geſteckt, und daß er,
blos ſich Luft zu machen, ſie ausgeſprochen. O
aber iſt ein Einathmen, und verräth, daß eine Grob¬
heit, die damit beginnt, außer dem Menſchen gewe¬
[204] ſen, daß er ſie vorſätzlich aufgenommen, und daß,
wenn der Grobian das Maul gehalten, er nicht grob
geweſen wäre. Man wird daher finden, daß alle
Grobheiten in meinen geſammelten Schriften mit ach
anfangen, in einigen wenigen Fällen ausgenommen,
wo ich aus Ironie o gebrauchte.


Der Freund, der mir aus Stuttgart das Hof¬
blättchen mit dem Stall-Artikel ſchickte, ſchrieb: er
wäre von Lindner, und er erkenne ſeine Art in
der Schmeisfliege. Aber das beweiſ't nichts; es
giebt oft täuſchende Aehnlichkeiten und ich glaube es
nicht. Doch wer ihn auch verfaßt! O du elende
Schmeisfliege
! iſt zu arg und das laſſe ich mir
nicht gefallen. Glaubt Ihr denn, weil ich ſo lange
geſchwiegen, ich würde das fort geduldig anhören?
Warum glaubt Ihr das? Etwa weil ich ein Deut¬
ſcher bin? Aber höret, was Eduard Meyer ſagt:
„Der Deutſche iſt geduldig, ſchweigſam und
„bedenklich
, aber doch nur bis zu einem ge¬
„wiſſen Grade
. Wenn ihm die Geduld reißt,
„wenn er das Schweigen bricht und einen
„Entſchluß gefaßt hat
, ſo wird ſich man¬
„cher wundern über die ſcheinbare Umwand¬
„lung ſeiner Natur
. Und ich fühle es, daß
„auch ich ein Deutſcher bin
.... Man muß
„dem Geſindel einmal auf die Finger klop¬
„fen
, daß etwas Furcht hineinfährt.“ Ja,
[205] ich fühle es, daß auch ich ein Deutſcher bin! Wehe
euch, wenn mir die Geduld reißt! Wehe dem Ge¬
ſindel, wenn ich ihm auf die Finger klopfe, daß Furcht
hineinfährt! Ich gebe euch mein Wort: ſie fährt
nicht wieder heraus. Ja, ich bin ein Deutſcher!
Ja, mir reißt die Geduld! Ja, ich klopfe! Ihr
Schlingels, Ihr Flegels, Ihr Ochſen, Ihr Eſel,
Ihr Schweine, Ihr Schaafe, Ihr Mordbrenner,
Ihr Spitzbuben, Ihr jämmerlichen Wichte, Ihr Sch
— doch ohne Leidenſchaft! Alles mit Ordnung.
Ihr!

A.

Aalquappen, Aasfliegen, Abdecker, Abendländer,
Aberwitzige, Achſelträger, Affen, Alltagsgeſichter,
Ameiſenfreſſer, Anfänger, Angeber, Anſchwärzer,
Ariſtokraten, Auerochſen, Aufpaſſer, Aufſchneider,
Aufwiſchlumpen, Auskundſchafter, Ausreißer, Aus¬
rufungszeichen, Auſterſchaalen, Auswurf, Autoren;

B.

Bagage, Bandwürmer, Bängel, Bärenhäuter,
Bauchdiener, Bauchredner, Bedienten, Beſtien, Beu¬
telſchneider, Blattläuſe, Blutigel, Böſewichter, Brech¬
eiſen, Brechpulver, Broddiebe, Brudermörder, Brumm¬
bären, Brunnenſchwängel, Büffel, Buſchklepper,
Butterfäſſer;

[206]

C.

Cabalenmacher, Cenſoren, Charletane, Chineſen,
Correkturbogen;

D.

Dachshunde, Delinquenten, Demokraten, Des¬
poten, Dichterlinge, Diebe, Diebslaternen, Dienſt¬
boten, Diplomatiker, Doggen, Dompfaffen, Dorn¬
büſche, Dreckkäfer, Druckfehler, Dubletten, Duck¬
mäuſer, Dummköpfe, Düten;

E.

Eintagsfliegen, Eisſchollen, Elendthiere, Eſel,
Eſelsköpfe, Eulen;

F.

Falſchmünzer, Ferkel, Filzläuſe, Fiſchweiber,
Fladen, Fledermäuſe, Flegel, Fratzengeſichter, Froſt¬
beulen, Fußſchemmel;

G.

Galgenvögel, Gaudiebe, Gecken, Gegenfüßler,
Geheimſchreiber, Geifermäuler, Gelehrte, Gemein¬
ſchreiber, Giftmiſcher, Gimpel, Gliedermänner, Glocken¬
ſchwängel, Grobiane, Grundeln, Grundſuppen;

H.

Halunken, Haſenfüße, Heringe, Hofhunde, Hof¬
narren, Hunde[,] Hundsvötter, Hungerleider;

[207]

I.

Janitſchaaren, Insgeſammt, Johanniswürm¬
chen, Irrwiſche;

K.

Kammerdiener, Käſemaden, Kellerwürmer, Kerls,
Kellerhunde, Kipper und Wipper, Kleckſe, Kleinſtädter,
Klöſe, Klötze, Knechte, Koſtgänger, Kothkäfer, Krähen,
Krautköpfe, Krebſe, Krüppel, Kundſchafter, Kürbiſſe;

L.

Laffen, Läſtermäuler, Laxirmittel, Lebkuchen,
Lehrjungen, Leibeigene, Lichtſtumpen, Lieferanten,
Lohnbedienten, Lotterbuben, Luder, Luftpumpen, Lüm¬
mel, Lumpen, Lumpenhunde;


Makulatur, Maden, Mameluken, Maſtvieh,
Maultrommeln, Maulwürfe, Mispeln, Milchbröd¬
chen, Miſtkäfer, Mordbrenner, Murmelthiere;

N.

Nachtgeſchirre, Nachtmützen, Nachtwandler, Nar¬
ren, Nudeln;

O.

Ochſen;

P.

Papagayen, Pedanten, Phariſäer, Philiſter,
Pinſel;

[208]

Q.

Quantitäten, Quappen, Quarke, Quintaner,
Quitten;

R.

Rapunzeln, Räucherkerzchen, Recenſenten, Re¬
kruten, Referendaren, Renegaten, Reſonanzböden,
Rohrdommeln, Rotznaſen;

S.

Schaafe, Schaafsköpfe, Schandbuben, Scheuer¬
lappen, Schinderknechte, Schindmähren, Schlaraffen¬
geſichter, Schlingel, Schlucker, Schmarotzer, Schmeis¬
fliegen, Schnitzel, Schufte, Schulfüchſe, Schurken,
Schweine, Scribler, Siebenſchläfer, So ſo, Söldner,
Spanferkel, Speichellecker, Spione, Spürhunde, Stie¬
felknechte, Stimmgabeln, Stockfiſche, Stöpſel, Sudler;

T.

Tagediebe, Tagelöhner, Taugenichtſe, Theekeſſel,
Tintenklekſe, Tölpel, Trampelthiere, Tremulanten,
Trommelſchläger, Trompeter, Troßjungen, Trüffel¬
hunde, Tuckmäuſer;

U.

Unleſerliche, Unterthanen, Unverſchämte:

[209]

V.

Verſchnittene, Verjagte, Vielſchreiber, Vorhäng¬
ſchlöſſer;

W.

Wachsbilder, Waldfrevler, Wandläuſe, Wanzen,
Waſſergeiſter, Waſſerköpfe, Weihrauchfäſſer, Wespen,
Wetterhähne, Wichte, Windmühlen, Wiſche, Wohl¬
edelgebohrne, Wohlgebohrne, Würmer, Wurſtmäuler;

Z.

Zahnſtocher, Zeitungs-Schreiber, Zeloten, Zeug¬
drucker, Zitteraale, Zwerge; — Ihr ſollt ſehen, daß
ich mit euch fertig werden kann.


Jetzt aber bitte ich den erſten Kunſtkenner ſei¬
ner Zeit, den Herrn Geheimen Kabinets-Sekretair
Saphir in München, öffentlich zu entſcheiden, wer
von uns gröber geweſen. Nicht der Herr Saphir
oder ich — ſo anmaßend bin ich nicht; ſondern
Hr. Meyer, Hr. Wurm, Hr. Hering, Hr. Robert,
Hr. Pittſchaft, die Münchner Hofzeitung, die Stutt¬
garter Hofzeitung, die Mannheimer Zeitung, die
Berner Zeitung, und alle die andern Menſchen und
Blätter, die ich nicht geleſen, ſie alle für Einen ge¬
zählt — oder ich, jenen Allen der einzelne gegenüber.


Ende des Herings-Salats.


lV. 14
[[210]]

Sieben und zwanzigſter Brief.


Ich las kürzlich in einem engliſchen Journale
eine gute Kritik von meinem Buche, mit ſehr vielen
Auszügen. Ich mußte im Leſekabinet laut auflachen,
als ich den Konrad mit ſeinen Abendteuern überſetzt
fand. Was der Menſch Schickſale haben kann!
Wurde es denn Konrad bei ſeiner Wiege vorgeſun¬
gen, daß einſt in einem Londoner kritiſchen Journale
von ihm die Rede ſeyn würde? Die Ueberſetzungen
leſen ſich ſehr ſchön und viel ſchöner, als das Ori¬
ginal. Die engliſche Sprache eignet ſich ſehr für
dieſe Art zu ſchreiben. Sie hat etwas kräftiges,
ſchwer treffendes, braun und blau ſchlagendes. Jedes
Wort iſt ein Knotenſtück, jede Rede eine Prügelei.


Der Mädchen-Verein für die Polen in Mainz
hat an das hieſige polniſche Komité (nehmlich das
aus Polen ſelbſt zuſammengeſetzte, an deſſen Spitze
[211]Lelewell als Präſident ſteht) ein Schreiben erlaſ¬
ſen, das dieſe hochgeprüften unerſchütterlichen Män¬
ner mit thränenden Augen geleſen. Ganz deutſch
und fromm im ſchönſten Sinne des Wortes, ganz
unterwürfig und mädchenhaft, und wie Mondesblick,
freundlich aber wehmüthig auf die deutſchen Männer
herabſehend, welche ſchlafen. Der Brief wird von
hier in die deutſchen Blätter geſchickt werden, und
Sie werden ihn darin leſen. Dieſen Mädchen-Brief
haben die jungen deutſchen Patrioten hier an ſämmt¬
liche Univerſitäten, mit folgendem Rundſchreiben be¬
gleitet, geſchickt: „Nachſtehendes Schreiben deutſcher
„Jungfrauen haben uns mit thränenden Augen die
„Polen gegeben, damit wir es unſerm Volke bekannt
„machen, und in Sonderheit euch akademiſchen Brü¬
„dern, in deren höhern Bildung und veredelten Ge¬
fühlen das Vaterland zweier Nationen den Keim
„ſeiner großen Hoffnungen niederlegte. Mit Stolz
„und Schaamgefühl erfüllen wir den Wunſch der
Männer. Er wird einen gewaltigen und folge¬
„reichen Wiederhall finden, denn es ſind Worte der
„Wahrheit, aus deutſcher Jungfrauen Munde
„hinüberſtrömend in deutſcher Jünglinge Bruſt.
„Als wir ſie laſen, dieſe deutſchen Worte, da ſchwu¬
„ren wir bei unſerer Ehre und bei unſerm Vater¬
„lande, uns würdig zu machen der Jungfrauen,
„welche ſie dachten. Dieſen Schwur, Brüder, wir
14 *[212] „ſenden ihn euch! Polen, Deutſche, Männer
„— dieſe Worte wird hinfort keine Verſchiedenheit
„der Bedeutung trennen!“ Ich kenne die Jünglinge,
die das geſchrieben. Kennte ich ſie nicht und hätte
ich ſie nicht erkannt, würde ich ſpotten, wie ich es
oft gethan, über die hohlen Reden, die wie Seifen¬
blaſen glänzen und zerfließen. Aber ich kenne ſie.
Sie haben in Deutſchland und in Belgien für die
Freiheit muthig gekämpft, und ob ſie zwar unglücklich
waren und kein beredtſamer Sieg für ſie ſprach,
ſind ſie doch beſcheiden und fromm geblieben und ha¬
ben nur Worte für ihre künftigen Thaten, keine für
ihre vergangenen. Wenn das deutſche Volk viele
ſolcher zählt, nun, dann kann es wohl fallen im
Kampfe gegen Tyrannei, aber in die alte Gefangen¬
ſchaft geräth es nimmermehr.


Der Doktor Gartenhof ſollte mir eigentlich
zur Warnung dienen. Der hat lange nicht ſo heftig
geſchrieben, als ich, und doch haben ſie ihn eingeſperrt.
Dabei hat er noch das Glück, daß der conſtitutionelle
Geiſt in Heſſen ihn gegen geſetzwidrige Gewaltthätig¬
keiten ſchützt. Wie würde es mir ergehen, wenn ich
mich in Frankfurt der ſchnödeſten Willkühr preiß gäbe?
Ich werde mich ſehr bedenken, nach Deutſchland zu
kommen.


Leſen Sie denn die deutſche Tribune nicht?
Sind Sie nicht erſtaunt, was der kleine Herkules,
[213] den Sie noch in der Wiege geſehen, für ein prächti¬
ger Mann geworden? Ich war der kleine Herku¬
les in der Wiege, der einige Schlangen zerdrückt,
aber der Wirth, der ſchwingt die eiſerne Keule und
ſchlägt Ochſen und Löwen todt. Ach! wie bald wer¬
den ſie kommen, und werden mich wegen meines
ſanften Weſens, wegen meiner mäßigen und beſchei¬
denen Schreibart loben. Wie bald wird der Meyer
drucken laſſen: „was zu arg iſt, iſt zu arg.
„Die Börneſchen Briefe hatten meinen Unwillen in
„hohem Grade erregt, aber die Reden von Wirth
„übertreffen doch noch die dort aufgetiſchten Frechhei¬
„ten. Man muß dem Geſindel einmal auf die
Finger klopfen, daß etwas Furcht hinein¬
fährt.“


Das iſt ein braver Wirth, der giebt ſeinen
Gäſten reinen Wein, und ſie werden ſich geſunden
Muth daran trinken. Endlich, endlich findet ſich doch
einmal Einer, der einen deutſchen Mann ſteckt in das
hohle deutſche Wort, und jetzt hat es eine Art. Das
Wort hinter der That, der Diener hinter ſeinem
Herrn, das iſt feine Sitte. Die große Idee einer
deutſchen National-Aſſociation zur Vertheidigung der
Preſſe, hat Wirth zugleich ausgeführt und beſprochen.
Man unterzeichnet monatliche Beiträge, die kleinſte
Summe wird angenommen, ſogar ein Kreuzer monat¬
lich. Mit dieſem Gelde werden die liberalen Bü¬
[214] cher und Zeitungen befördert, die Geldſtrafen für
Preßvergehen bezahlt, und nöthigenfalls für die Fa¬
milie derjenigen Schriftſteller geſorgt, die wegen
Preßvergehen eingekerkert werden. Das Eigenthum
der Blätter gehört der Geſellſchaft. Der Redakteur
eines liberalen Journals wird aus der Kaſſe bezahlt.
Die Journaliſten werden als Beamte des Volks
angeſehn, und können, wenn ſie ſich unfähig oder des
Vertrauens unwürdig zeigen, abgeſetzt werden. Dieſe
Idee, die öffentliche Meynung förmlich zu organi¬
ſiren, um ſie der Standesmeynung der Regierung
entgegen zu ſetzen, und die Organe derſelben, die
Journaliſten, als die Beamten des Volks zu betrach¬
ten, ſchwebte mir ſchon längſt vor. Wenn dieſer
Plan, deſſen Ausführung in Rheinbaiern ſchon be¬
gonnen, ſich über ganz Deutſchland verbreitet und
Wurzel faßt, kann noch alles gerettet werden, ſogar
auf friedlichem Wege.


Ich gehe heute Abend in Geſellſchaft und habe
mich noch gar nicht entſchieden, wie ich meine Hals¬
ſchleife binden ſoll. Man knüpft ſie jetzt: en porte¬
manteau, en bec-de lièvre
und en chauve¬
souris
. Mantelſack iſt ſehr bequem und ſo trage
ich ſie gewöhnlich. Fledermaus iſt eine uralte Mode.
Ich erinnere mich, daß ich an dem Tage, wo ich
[215] confirmirt worden, eine Fledermaus-Schleife getragen.
Aber was Haſen-Maul iſt, weiß ich nicht. Ich
will *** fragen, der alles, was ſich auf Haſen be¬
zieht, ſehr genau kennt.


. . . . . Man muß jetzt mit den Schuften per¬
ſönlich Krieg führen, ich thue es auch, ob es zwar
ſonſt meine Art nicht war. Es iſt nothwendig. Im
kleinen Kriege iſt ein Mann ein Mann und einer
weniger, iſt auch ſchon ein Sieg.


Es iſt ſchön von den Frankfurtern, daß ſie
Bockenheim in Bann gethan. Das iſt ganz in mei¬
nem Geiſte gehandelt. Dadurch wird Bockenheim
gegen ſeine Mauth und Regierung aufgeregt und das
kann gute Folgen haben. Sie werden ſehen, die
Leute lernen etwas aus meinen Briefen.


Sehen Sie, welch eine traurige und zugleich
lächerliche Sache es mit der Cenſur iſt. Frankfurt
iſt nur vier Stunden von Hanau entfernt, und man
weiß nicht genau, was dort vorgeht, und Sie ſchrei¬
ben mir, vorgeſtern ſollen dort Unruhen ſtatt
gefunden haben!

[[216]]

Acht und zwanzigſter Brief.


Alle Deutſche hier warnen mich auf's Drin¬
gendſte, ja nicht nach Deutſchland zu reiſen, weil
man ganz ohne Zweifel mich einkerkern würde. Mir
ſchaudert vor dem Gedanken, unter die Bärentatzen
einer aufgebrachten deutſchen Regierung zu fallen.


Die Frankfurter Jahrbücher haben mir
ſehr gefallen und überhaupt macht mir die Sache
große Freude. Es iſt doch wenigſtens ein Dämmer¬
licht, und da es in Frankfurt bis jetzt Nacht gewe¬
ſen, kann es keine Abenddämmerung, es muß eine
Morgendämmerung ſeyn. Die Artikel ſind alle gut
geſchrieben, und bei der nöthigen Mäßigung fehlt es
doch auch nicht an der erforderlichen Kraft. Dieſes
Lüftchen von Freiheit, wäre es denn je zu uns ge¬
kommen, hätten die Franzoſen keinen Sturm gehabt?
Hätten die deutſchen Regierungen je etwas gehört von
[217] der Stimme des Himmels, hätte Frankreich nicht ge¬
donnert? Schlimm genug für das deutſche Volk,
daß die Furcht der Könige ſeine einzige Hoffnung,
ihr Schrecken ſein einziger Troſt iſt.


Friede! Friede! Friede! Nicht Caſimir Per¬
rier ſeufzet ſo nach Frieden, wie ich ſeufze! Doch
mein Friede iſt wohl ein anderer. Wie bin ich die¬
ſes Kampfes müde! Wie ängſtigen mich die Blut¬
flecken, die mir vor den Augen flimmern! Ich
möchte ſpielen und ſollte ich darüber zum Kinde wer¬
den. Ich möchte in einem Kolleg bei meinem Schop¬
pen ſitzen, das Wochenblättchen leſen und Anekdoten
erzählen, bis ich darüber zum Philiſter würde. Die
Zunge iſt mir trocken; ich bin ſo durſtig, daß ein
Morgenblatt, ein Abendblatt, mir Labſal wäre. Ich
bin nicht dumm und faul geworden, wie ich neulich
meynte; ich bin der Politik überdrüßig geworden.
Beſtellen Sie ſich etwas Luſtiges bei mir, ſchlechte
Witze, wohlfeile Späße; es wird mir alles gut thun.
Soll ich Ihnen kleine Geſchichten erzählen? Kürz¬
lich vertheidigte ein Advokat einen Angeſchuldigten
vor Gericht. Es war ein Preßvergehen und die
Sache von keiner großen Bedeutung. Der Advokat
hatte ſchon zwei Stunden geſprochen, und war noch
ſo ferne vom Ziele als zwei Stunden früher. Da
[218] erhob ſich einer der Geſchwornen und ſagte: Müßte
ich auch fünf hundert Franken Strafe bezahlen, ich
halte das nicht länger aus. Ich bekomme Krämpfe,
ich falle in Ohnmacht, wenn der Advokat noch län¬
ger ſpricht; meine Langeweile iſt unerträglich! Der
Advokat lächelte und ſchwieg. Der Präſident und
die Richter lächelten; alle Zuhörer lächelten, und
waren des Scherzes froh, der Allen wohlthat. Aber
den folgenden Tag erfuhr man, daß der gute Ge¬
ſchworne, als er nach Hauſe gekommen, einen An¬
fall von Schlag gehabt, und daß man ihm zu Ader
laſſen mußte. Das vermag die Langeweile!


In ein Kaffehaus in Mailand traten vor eini¬
ger Zeit zwei öſterreichiſche Offiziere in bürgerlicher
Kleidung. Der Eine fragte den Andern, ob er Cho¬
colade trinken wolle? Dieſer antwortete: er möge
lieber Thee. Gleich darauf wurden die Offiziere
vor die Polizei geladen, und ihnen vorgehalten, ſie
wären Revolutionaire, Carbonari, Liberale und ſie
ſollten nur alles geſtehen, dann würde man ihnen
vielleicht das Leben ſchenken. Die Offiziere ſahen
ſich einander verwundert an, und betheuerten ihre
Unſchuld. Unſchuldig? donnerte der Polizei-Direktor.
Herbei, Zeuge! Da kam ein italieniſcher Spion,
und ſagte den Offizieren ins Geſicht, ſie hätten im
Kaffehauſe von Freiheit geſprochen. Der gute Spion
hatte lieber Thee gehört und das für Liberté
[219] verſtanden. Die Offiziere wurden mit einem ernſten
Verweiſe wegen ihrer Unvorſichtigkeit entlaſſen. Den
andern Morgen wurde bei der Parade dem Offiziers-
Korps die Parole gegeben: Es ſolle bei Strafe der
Degradation künftig keiner mehr in einem Kaffehaus
ſagen: ich trinke lieber Thee, ſondern: ich trinke
Thee lieber. Der Spion bekam eine Extra-Gra¬
tification von zehn Dukaten.


Im preußiſchen Lande Poſen haben zwei Brü¬
der der heiligen Hermandad Rottecks Weltge¬
ſchichte
verbrannt. Sie ſind dafür zu Hofräthen
ernannt worden. — Geſtern iſt hier ein Roman in
zwei Bänden erſchienen, mit dem Titel: Crac!
Pchet! Bavunhd
! Wie fordert man das
Buch in der Leihbibliothek? In Hannover er¬
ſcheint ein Journal, worin dem hannöveriſchen Volke
periodiſch bewieſen wird, daß es durch ſeine unver¬
gleichliche Regierung das glücklichſte Volk der Welt
ſey. Das Journal wird von drei Hofräthen redigirt.
Sie heißen: Hüpeden, Wedemier, Ubbehohde.
Wer ſolchen Namen nicht glaubt, der iſt ſchwer zu
befriedigen. — Der Rektor der Berliner Univerſität
(ich glaube er heißt Marheineke) hat an alle
deutſche Univerſitäten geſchrieben, ſie möchten doch
ſubſcribiren auf die Werke des Königlich Preußi¬
ſchen Hofphiloſophen Hegel
, die in einer ſtyl¬
verbeſſerten
Ausgabe erſcheinen werden.


[220]

— So eben verläßt mich Einer, der im Na¬
men des Verlegers der angekündigten Ueberſetzung
meiner Briefe zu mir kam, und mich um biographi¬
ſche Notizen bat, die man dem Buche vordrucken
wolle. Ich muſterte in Gedanken alle Merkwürdig¬
keiten und Erinnerungen meines Lebens, um einige
davon hinauszuſchicken. Aber da erging es mir, wie
der Viertelsmeiſterin Wolf in den Huſſiten vor Naum¬
burg. Ich fand, daß es alle meine lieben Kinder
ſind und ich konnte nicht wählen. Ich ließ den
Mann wieder gehen, und ſagte ihm, daß ich gar
nichts von meinem Leben wiſſe, und er ſolle ſich an
Andere wenden, die beſſer unterrichtet wären, als ich
in dieſer Sache. Im Ernſte, ich begreife gar nicht,
wie Einer ſo unverſchämt ſeyn kann, von ſich ſelbſt
zu reden, außer er müßte ſich über ſich luſtig machen.
Das wollte ich aber auch nicht. Darin ſind meine
Franzoſen ganz andere Leute. Dr. **** hat vom
Buchhändler Brockhaus den Auftrag, für ein biogra¬
phiſches Lexicon das Leben der hier wohnenden be¬
rühmten Männer zu ſchreiben. *** wendete ſich
ſchriftlich an dieſe ſelbſt, und gleich den andern Tag
hatte er von Allen die vollſtändigſten Selbſtbiogra¬
phien, worin ſie ohne alle Satyre ſich auf das
Schönſte lobten. Mancher beſuchte außerdem ***,
und firnißte noch mündlich ſein ſchriftliches Lebensge¬
mälde. In dem Namens-Verzeichniſſe der Perſonen,
[221] deren Biographien geliefert werden ſollen, welches
Brockhaus dem *** geſchickt, wählte dieſer auch
meinen Namen aus. Aber Brockhaus entzog ihm die¬
ſen Artikel. Gewiß aus Furcht, er möchte als mein
guter Bekannter Gutes von mir ſagen. Jetzt läßt
er ſich ohne Zweifel meine Biographie von einem
Hering oder einem andern ſolchen Vieh ſchreiben.
Ich lache jetzt ſchon darüber. Solche Narren mey¬
nen, ſie könnten einen jeden beliebigen Ruf machen.
Von der ſiegenden Macht der Wahrheit haben ſie
gar keine Vorſtellung.


Ich freue mich ſehr auf Ihren nächſten Brief,
worin Sie mir ganz gewiß von dem Aufruhr in
Wisbaden erzählen werden, und von den Gefahren,
welchen dort unſer Geld ausgeſetzt iſt. Nun was
mich angeht, ſo kann ich es gar nicht erwarten, bis
ſie mir den letzten Kreuzer genommen. Habe ich erſt
nichts, dann bin ich alles was ich habe, und das
gäbe mir friſche Lebenskraft und machte mich ganz
wieder jung. Man fühlt die Leiden des armen
Volks doch nicht ganz, ſo lange man ſie errathen
muß. Und Sie gar, ein Frauenzimmer, wie können
Sie fürchten für Ihr Geld? Möchten Sie nicht
jung bleiben bis zum Grabe? Ach! der Reichthum
macht einem alt, ſehr alt. Wiſſen Sie, warum man
den Deputirten in Wisbaden arretirt hat, oder arre¬
tiren wollte? (Ich weiß nicht, wie weit es gekom¬
[222] men.) Weil man ihn in Verdacht hatte, Artikel [ge¬
gen]
die Naſſauer Regierung in die Hanauer Zei¬
tung geſchrieben zu haben. Sehen Sie, die ſind
klug! Sobald ſie eine Henne gackern hören, ſuchen
ſie die Revolution in der Dotter des friſchen Ei's
auf; ſie warten nicht, bis ſie herauskriecht. Und
das iſt das Geheimniß: die kleinen deutſchen
Fürſten alle ſind von ihrem Adel an Oeſter¬
reich und Preußen verkauft
. Die Miniſter
dieſer kleinen Fürſten drücken das Volk noch über
ihre eigne Neigung hinaus, damit es ſich empöre, und
Oeſterreich und Preußen Anlaß bekämen, die Staa¬
ten mit ihren Truppen zu beſetzen. Dann jagt man
die kleinen Fürſten fort, und die Judaſſe von Mini¬
ſter werden gut beſoldet. Sind aber die kleinen
Fürſten ſo dumm, daß ſie das nicht einſehen? O
nein, ſie ſind gar nicht ſo dumm, ſie ſehen das recht
gut ein. Wenn ſie aber ihre Bürger nicht wie
Hunde regieren können, wollen ſie lieber gar nicht
regieren, und treten darum ihre Herrſchaft gern an
Mächtigere ab, denen es mit der Unterdrückung des
Volks beſſer gelingt als ihnen. Ich kann es nicht
verantworten, bis mein lieber Graf Bellinghauſen
von Wien zurückkömmt, und ſeine Pandora-Büchſe
öffnet. Es möchten wohl Uebel herauskommen, von
denen er ſich gar nicht erinnerte, ſie eingeſchloſſen zu
haben.


[223]

Höchſt merkwürdig iſt ein Artikel in den neue¬
ſten Blättern der deutſchen Tribüne: „Der Kampf
des deutſchen Bundes mit der deutſchen
Tribüne.“ Der Verfaſſer ſagt: ohne Zweifel
werde die deutſche Bundesverſammlung ihren neuen
Feldzug gegen die deutſche Freiheit damit beginnen,
daß ſie die Tribüne verbietet. Was wird nun dar¬
auf erfolgen? Die Tribüne wird ſich nicht wehren
laſſen und fort erſcheinen. Die Baieriſche Regierung
wird dann durch Soldatengewalt die Preſſe zerſtören
wollen; dann aber werden die Bürger in Rheinbaiern
ſich bewaffnen und werden zur Vertheidigung ihrer
Freiheit gegen die Königsſoldaten kämpfen. Gelingt
es ihnen nicht und ſind ſie zu ſchwach, dann wird
man die benachbarten Franzoſen zu Hilfe rufen, die
trotz und entgegen ihrer „verächtlichen Regie¬
rung
,“ den Deutſchen beiſtehen werden. Und dann
allgemeiner Krieg. ... Dieſer offene Trotz muß
einen ganz beſondern Grund haben. Und hätte er
keinen, wäre er blos aus der ſehr edlen Leidenſchaft¬
lichkeit des Redakteurs hervorgegangen, auch dann
wäre er von den beſten Folgen. In der jetzigen Lage
der Dinge können wir für die Freiheit gar nichts
vernünftigeres thun; unſere ganze Hoffnung beruht
auf der Unvernunft der Tyrannei. Dieſe herauszu¬
fordern, zu reizen, muß der Zweck jedes liberalen
Schriftſtellers ſeyn, der von der Sache etwas ver¬
[224] ſteht. Oeſterreich und Preußen müſſen die
Revolution machen
. Und man kann ihnen ge¬
rade herausſagen, was man von ihnen erwartet;
denn ſie werden uns zum Trotze und um unſere Er¬
wartung zu täuſchen, gewiß nicht vernünftig werden.


Von dem erſten März an erſcheinen im Badi¬
ſchen zwei neue liberale Blätter, ohne Cenſur. Das
Eine in Heidelberg vom Deputirten von Itzſtein re¬
digirt, das Andere in Freiburg von den Deputirten
Duttlinger, von Rotteck und Welker. Das iſt nun
zum erſtenmal in Deutſchland, daß bedeutende und
angeſehene Männer ein politiſches Blatt ſchreiben.
Das wird glückliche Folgen haben. Was aber wird
die hohe Bundesverſammlung thun? Die Art, wie
ich geſchrieben und die Tribüne, war den Herrn für
einige Zeit wenigſtens gewiß willkommen. Das gab
ihnen Vorwand, gegen die Preßfreiheit mit Strenge
zu verfahren, und Tauſende von deutſchen liberalen
Philiſtern, die früher in der Abenddämmerung ein
leiſes Wort mitgeſprochen, ſind von unſerm lauten
Worte am hellen Tage ſo in Schrecken verſetzt wor¬
den, daß ſie ſeitdem ſchweigen. Das war jenen in
Frankfurt auch Gewinn. Wenn aber Männer, wie
die genannten, mit Feſtigkeit doch mit Mäßigung,
auf eine dem ängſtlichen und frommen Gemüthe der
Deutſchen entſprechende Weiſe — — und ſie wirken
doch, nur langſamer — die conſtitutionelle Geſin¬
[225] nung zu verbreiten ſuchen, dann werden Oeſterreich
und Preußen, deren bisheriger Einfluß auf die klei¬
nen deutſchen Mächte hierdurch bedroht wird, alles
anwenden, dem, was ſie als ihr Verderben anſehen,
Einhalt zu thun. Und was dann? Geduld. Wir
werden ſehen, wer am nächſten erſte April den An¬
dern in den April ſchickt.


Dieſen Morgen beſuchte mich Jemand aus Wis¬
baden und der von dort kömmt. Der erzählte mir,
man habe nicht einen Deputirten, ſondern einen Be¬
amten arretirt, den man in Verdacht hatte, Artikel
gegen die Naſſauer Regierung in die Hanauer Zei¬
tung geſchrieben zu haben. Der eigentliche Verfaſſer
jener Artikel ſey der Papierhändler Schulz in Wis¬
baden, und als dieſer von der Arretirung jenes
Beamten erfahren, ſey er vor Schrecken geſtor¬
ben
. Wir Deutſche empfinden jetzt die üblen Fol¬
gen, daß man Polignac und ſeine Geſellen nicht auf¬
geknüpft hat. Ein ſolches Beiſpiel hätte die deut¬
ſchen Miniſterchen doch etwas ſtutzig gemacht. Wie
bequem es aber unſere Regierungen haben! Wie
wohlfeil die Tyrannei bei uns iſt! Die Regierun¬
gen können ein Schreckensſyſtem ohne Guillotine
einführen. Sie brauchen ihre unterthänigen Philiſter
nur mit Gefängniß zu bedrohen, und da ſterben ſie
IV. 15[226] gleich vor Schrecken. So kriecht, kriecht, Ihr Regen¬
würmer, die Ihr nach dem Gewitter in Frankreich
Euch aus der Erde hervorgewagt — kriecht, bis Euch
der Fuß der Tyrannei zerquetſcht! Welker hat in
der Ankündigung ſeiner neuen Zeitung, die der Frei¬
ſinnige
heißen wird, [geſagt]: „das neue Blatt
wird zeigen, daß Baden werth iſt, das un¬
ſchätzbare Gut der Preßfreiheit zu ge¬
nießen
.“ Zeigen — werth iſt — wem zeigen?
Der Regierung? Der Bundesverſammlung? Die¬
ſer zeigen, daß ein deutſches Volk der Freiheit wür¬
dig ſey? Um den Beifall der Regierungen buhlen?
Großer Gott! Wie kann man nur ſo wenig die
Würde des Bürgers, ſo wenig die Würde eines
Volks fühlen, in deſſen Namen man ſpricht, daß
man ſagt, man wolle zeigen, daß das Volk des Bei¬
falls ſeiner Regierung würdig ſey? Die Regierun¬
gen müſſen um den Beifall ihrer Völker buhlen; ſie,
aus dem Volke hervorgegangen, von ihm erhoben,
von ihm theuer bezahlt — ſie müſſen zeigen, daß
ſie des Vertrauens würdig ſind, das man in ſie ge¬
ſetzt, daß ſie die Macht verdienen, die man ihnen
geliehen zum Beſten aller. Das Volk braucht nicht
zu bitten, das Volk braucht nicht zu ſchmeicheln, ihm
iſt alle Macht, ſein iſt alle Herrſchaft, und die Re¬
gierung iſt ſein Unterthan.


In einem deutſchen Blatte las ich: in Preußen
[227] wäre ein junger Patriot wegen ſeines Patriotismus
(welches man in der Schinderſprache demagogiſche
Umtriebe
nennt) zu lebenslänglicher Unter¬
ſuchung
verurtheilt worden. Man kann nicht wah¬
rer und geiſtreicher die himmelſchreiende Grauſamkeit
der deutſchen Gerichte bezeichnen, die überlegend, ob
ſie einen armen gefangenen Vogel fliegen laſſen oder
braten ſollen, ihn rupfen ſein ganzes Leben lang.
— In dem nehmlichen Blatte ſtehen einige Strophen
eines Ring- oder Doſen-Gedichts, welches der Hof¬
rath Rouſſeau in Frankfurt an den Kaiſer Franz
gemacht hat. Er ſagt darin: die Welt habe den
Schwindel, und wenn ſie Kaiſer Franz nicht am Arme
feſt hielte, wäre ſie ſchon längſt umgefallen. Dann
ſagt er: Jakob hätte ſieben Söhne gehabt, —
ſo viel mir bekannt, hat er zwölf Söhne gehabt;
aber weil zwölf nur eine Sylbe hat und ſieben zwei
Sylben, hat der zarte Lyriker fünf Menſchen todtge¬
ſchlagen. Alſo Jakob habe ſieben Kinder gehabt und
nur einen Benjamin. Aber Kaiſer Franz mache
keinen Unterſchied zwiſchen ſeinen Kindern, und Un¬
garn, Böhmen, Italia ſtünden ihm in gleicher Liebe
nah! Ich habe die größte Luſt, das Gedicht ganz
zu leſen. Bringen Sie mir es mit. Nicht ſchicken
— es wäre ſchade um das Kreuz.


15 *
[[228]]

Neun und zwanzigſter Brief.


Der deutſche Bund zur Vertheidigung der Pre߬
freiheit hat hier die größte Theilnahme gefunden; mit
ſteigender Wärme wird dieſe Angelegenheit behandelt,
und der Kreis der Mitglieder erweitert ſich täglich.
Die hier befindlichen deutſchen Handlungs-Kommis,
von deren Geſinnung und Streben ich Ihnen ſchon
früher geſchrieben, haben ſich vereinigt und ihre Liſte
mit Unterſchriften iſt ſchon bedeutend angewachſen.
Die deutſchen Handwerksgeſellen haben ſchon, ehe
dieſe Veranlaſſung kam, ihren Patriotismus an den
Tag gelegt. In dem Speiſehauſe, das ſie gewöhn¬
lich beſuchen, wo der Wirth ein Deutſcher iſt, wird
der Weſtbote (ein in Rheinbaiern erſcheinendes, im
Geiſte der Tribüne geſchriebenes Blatt) ſchon längſt
gehalten, und mit einem Eifer geleſen, und mit einer
Wärme und einem Verſtande erklärt, daß es zum
[229] Bewundern iſt. Dieſe tragen auch ihren Sou mo¬
natlich zur Aſſociation bei. Der Advokat Sa¬
voie
aus Zweibrücken, einer der Gründer des Ver¬
eins, iſt ſeit einigen Tagen hier und ſetzt für die
gute Sache alles in Bewegung. Die Polen haben
begriffen, daß dieſe Angelegenheit nicht blos eine deut¬
ſche, ſondern eine europäiſche, und mehr als alles,
eine polniſche ſey. Sie bedachten, daß der Rückweg
nach Polen über Deutſchland gehe, und daß nur ein
freies Deutſchland den Durchzug gewähre. Darum
werden auch ſie ſich der Aſſociation anſchließen, und
im Namen des hieſigen polniſchen Komités eine Be¬
kanntmachung erlaſſen. Die italieniſchen Flüchtlinge
werden dieſem Beiſpiele folgen; denn noch mehr als
die Deutſchen ſelbſt, drückt ſie die deutſche Tyrannei.
Die ſpaniſchen Patrioten werden es auch thun. Alle
begreifen, daß Deutſchland der Wall iſt, der die
Freiheit des weſtlichen Europa's gegen die Angriffe
des öſtlichen ſchützt. Wenn wir nur drei Monate
Zeit hätten! Jeder Tag iſt ein Sieg. Denn nichts
zu ſchaffen iſt in Deutſchland, es iſt nur wegzu¬
ſchaffen: das kleine Hinderniß, das die größte Be¬
wegung aufhält. Es iſt Mittag, das Volk ſieht hell;
doch ein Fenſterladen macht Tag zu Nacht und macht
das Volk blind. Ein ſchlechtes Stück Holz zerſchla¬
gen und alles iſt gewonnen. Aber wir werden keine
drei Monate Zeit haben! Das Gewitter in Frank¬
[230] furt ſteigt ſchwarz empor und wird die Frucht auf
dem Halme zerſchlagen. Eins wird immer gewon¬
nen und das eine rettet die Zukunft. Durch die Be¬
wegungen der deutſchen Patrioten, die trotz ihrer
Heftigkeit und ſcheinbaren Unregelmäßigkeit, doch kalt
und ſehr gut berechnet ſind, werden die in Frankfurt
völlig den Schwindel bekommen, die letzte Haltung
verlieren und ganz ohne Kopf thun, was ſie bis jetzt
mit wenig Kopf gethan. Völker ſind, wie die Oli¬
ven. Dem leichten Drucke geben ſie ſüßes Oehl,
dem ſtarken bitteres. Die Herren Diplomaten in
Frankfurt preſſen ſie nun um einen Grad ſtärker, als
ſie es bis jetzt gethan, bereiten ſich einen bittern
Salat und ſie werden den Mund verziehen.


Haben denn nicht auch Frauenzimmer, und be¬
ſonders Jüdiſche in Frankfurt für den Verein unter¬
ſchrieben? Letzteren muß man vorſtellen, das ſey
das einzige Mittel, die Heiraths-Freiheit (wor¬
an ihnen wohl mehr, als an der Preßfreiheit liegt)
zu gewinnen. Thun Sie das.

[231]

Geſtern Abend hatten wir ein patriotiſches Eſ¬
ſen, etwa ſechszig Deutſche, meiſtens Handlungs-Kom¬
mis. Der Zweck der deutſchen Aſſociation für die
Preßfreiheit wurde beſprochen, und da zeigte ſich denn
wieder, was ſich in jeder Geſellſchaft zeigt. Einige
ſind begeiſtert; die Andern, der Wärme froh, die
ihnen fehlt, ſonnen ſich gern; die meiſten ſind kalt,
bleiben es gern und müſſen mit Gewalt ins Feuer
geworfen werden. Deutſche Bedenklichkeiten ohne
Ende. Von den Juli-Tagen wollte der Eine nicht
geſprochen haben: das könne uns verdächtig machen.
Andere unterſchrieben, aber nur mit Buchſtaben, und
erklärten alle Theilnahme zu verweigern, wenn ſie
ihre Namen nennen müßten. Es war zum Lachen.
Sie ſtürzten nach dem Eſſen, als ſie warm gewor¬
den, wie blind nach dem Tiſche zu, worauf der Sub¬
ſcribtions-Zettel lag, gleich Einem, der in Gefahr,
vor der er zittert, die er aber nicht fliehen kann, mit
geſchloſſenen Augen ſtürzt. Deutſche Art trat in
dem Antrage mächtig hervor: ſie müſſen doch eine
Regierung haben, ein Komité, Präſidenten, Sekre¬
tair. Sie wollten für eine Freiheit kämpfen, die ih¬
[232] nen fehlt, und wurden gleich anfänglich ihrer eigenen
Freiheit müde, und ſuchten ſich unter dem Namen ei¬
nes Komités eine Herrſchaft. Ich ſtellte ihnen das
Gefährliche einer Kommiſſion vor; wie dann alle
Bewegungen, alle Geheimniſſe und Papiere in die
Hände weniger kämen, wie dann leicht die Polizei
Einfluß erhalte, durch wenige gewonnene Mitglieder
alles leiten, alles verhindern könne; wie ſie dann
wiſſe, wo ſämmtliche Papiere zu finden. Wie viel
Eindruck meine Vorſtellung gemacht, muß ich abwar¬
ten. Savoie hielt eine ſchöne Rede, die mit größerm
Enthuſiasmus hätte aufgenommen werden ſollen. Auf
Vaterland, Freiheit wurden mit mäßiger Wärme
Toaſts ausgebracht. Als aber — kann ich es doch
ohne Lachen kaum ſchreiben — veranlaßt durch einige
anweſende Polen, die Geſundheit der Polen ausge¬
bracht wurde, folgte ſtürmiſcher lauter Beifall. So
ſind ſie! Für fremde Freiheit hellflammend, für
eigne muß man ſie erſt einheitzen. Die hieſigen deut¬
ſchen Handwerker ſollen ſich aber vortrefflich beneh¬
men. Geſtern wurde an einem ihrer Verſammlungs¬
orte eine Liſte aufgelegt, und gleich in den erſten
Stunden waren dreißig unterſchrieben. Ob man ih¬
nen zwar geſagt, der monatliche Beitrag von einem
Sou ſei willkommen, wollte doch keiner weniger als
einen Frank [unterzeichnen], und ſagten dabei: gingen
die Geſchäfte beſſer, würden ſie mehr geben.


[233]

Nachmittags, ſagte ich zu Konrad: „Geben
„Sie Acht. In der Rüe TirechappeNo. 7.
„am Ende der Rüe St. Honoré, es iſt eine
„kleine finſtere Gaſſe, iſt ein Speiſehaus. Der
„Wirth iſt ein Deutſcher. Dort gehen Sie heute
„hin eſſen. Fordern Sie von dem Wirth die Liſte
„für die Deutſchen. Viele Handwerker und Andere
„haben unterſchrieben. Wir machen Geld zuſammen,
„und wollen die Fürſten wegjagen. Sie unterzeich¬
„nen auch mit einem Franken monatlich, und ich will
„das Geld für Sie bezahlen.“ Konrad lachte, und
war ſehr vergnügt über die Revolution und ſagte:
ich brauche ihm das Geld nicht wieder zu bezahlen,
er gebe das ſelbſt gern. Sein Freund, der Schrei¬
nergeſell aus Kaſſel habe ſchon geſtern mit ihm von
der Sache geſprochen. Und er möchte gern wiſſen,
wenn der Spektakel losgeht,“ damit er gleich
fort nach Deutſchland eile. Alſo Konrad hat da ge¬
geſſen, es waren ſchon 69 Unterſchriften und meiſtens
mit einem Frank. Das ſind arme Leute. Die
Komis, die doch alle guten Gehalt haben, und oft
Söhne reicher Eltern ſind, haben auch nur einen
Frank gegeben! Konrad ein Verſchworner! O
Zeitgeiſt!


Es intereſſirt mich ſehr zu wiſſen, wer im Ge¬
lehrten-Verein ja, und beſonders wer nicht unter¬
[234] ſchrieben. Daß es *** gethan, iſt ein gutes Zei¬
chen; denn es [beweiſ't], daß die Sache Mode iſt.


Das Pereat: der deutſche Bund, der todte
Hund
, hat mir ſehr gut gefallen. Vivat Pereat!


O, prächtig, da haben wir ſie ſchon! Sie heu¬
len mit den Wölfen, damit ſie ſelbſt für Wölfe ge¬
halten und nicht gefreſſen werden. Den einzelnen
deutſchen Regierungen wird bange vor der allgemei¬
nen deutſchen Aſſociation, die von Rheinbaiern aus¬
geht; ſie wollen dieſer fürchterlichen Einigung aller
Deutſchen zuvorkommen, und was thun ſie jetzt in
ihrer Schlauheit? Sie erfinden eine Badiſche, eine
Würtembergiſche, eine Darmſtädter Freiheit, daß nur
keine Deutſche ſich bilde. Herr von Fahnenberg,
Ober-Poſt-Direktor in Karlsruhe, ſonſt ein achtungs¬
werther Mann, aber ein Mitglied der Regie¬
rung
, alſo in ihrem Geiſte, auf ihren Befehl, und
zu ihrem Vortheile handelnd, ſtellt ſie an die Spitze
einer Grosherzoglich—Badiſchen—Preßfreiheits-Aſſo¬
ciation. Im Falle alſo, der Abſolutismus in ſeinem
Kampfe unterläge — berechnen unſere vorſichtigen
Regierungen — haben wir doch im ſchlimmſten Falle
nur einen Grosherzoglich Badiſchen, einen Königlich
Baieriſchen, einen Herzoglich Naſſauiſchen Liberalis¬
mus und mit dieſen kleinen Freiheitchen werden wir
[235] in einer günſtigeren Zeit ſchon fertig werden. Unter¬
deſſen genießt die Badiſche Regierung einen Finanz¬
vortheil bei dieſer Sache. Die Bundeskaſſe der
Preßfreiheits-Aſſociation vermehrt die Kaution der
Journaliſten, und ſichert ihre Beſtrafung. Alles
ſchön, alles gut; es kömmt nun darauf an, wie weit
die Dummheit des Deutſchen Volkes geht. Und geht
ſie ſo weit, daß ſie ihren Patriotismus provinzialiſi¬
ren und mit 39 dividiren laſſen, dann wären ja alle
dieſe ſchlauen Mittelchen ganz unnöthig. Sind wir
denn wirklich ſo dumm, als die Regierungen glau¬
ben? —


Geſtern ſteht in der allgemeinen Zeitung, daß
in Berlin wegen Heine's, zwiſchen einem Anhänger
und einem Gegner deſſelben, ein Duell vorgefallen.
Die politiſchen Duells ſind ſeit einiger Zeit ſehr
häufig, auch hier zwiſchen den Polen. Das iſt ein
gutes Zeichen. Je größer die Erbitterung zwiſchen den
Partheien, je näher der Kampf; je näher der Kampf,
je näher der Sieg.

[[236]]

Dreißigſter Brief.


Da iſt die Adreſſe nach Zweibrücken. Sie hat
mir den ganzen Vormittag verzehrt und ich muß
darum über alles übrige heute ſchweigen. Sie ſollen
ſich in alphabetiſcher Ordnung unterſchreiben. Wenn
nur nicht unglücklicher Weiſe der wahrſcheinliche
Abraham in der Geſellſchaft ein furchtſames Herz
hat, und ſich bedenkt, den Anfang zu machen! Vor¬
wärts, Israel! Die Mauern Jericho's ſind von
Trompeten eingefallen — aber es iſt kein wahres
Wort daran. Unter Trompete verſtand die heilige
Schrift die Preßfreiheit. Vor ihr werden auch
die Mauern der Tyrannei fallen. Und leſet das
Kapitel von Samuel und Saul zweimal, zehn Mal,
hundert Mal. Adieu.


[237]

An die Herren Vorſteher des Deutſchen
Preßvereins in Zweibrücken.

Wir haben die Ehre, Ihnen eine Liſte von
Einwohnern Frankfurts, die dem ſchönen Bunde für
das freie deutſche Wort beigetreten, zugleich mit
dem Betrage der Sammlung des erſten Monats zu
überſenden. Alle die Unterzeichneten ſind jüdiſchen
Glaubens
. Wenn dieſes Verhältniß unſerer Theil¬
nahme eine beſondere Bedeutung giebt, die ſie ohne
dies nicht hätte: ſo iſt das weder unſere Schuld noch
unſer Verdienſt, es iſt nur unſer Mißgeſchick.


Wir hätten vorauseilen ſollen in einem Kampfe,
der uns mehr verſpricht, als den übrigen Deutſchen,
weil uns alles fehlet; doch wir ſind die Minderzahl,
und es ziemte uns daher die Beſchlüſſe der Mehr¬
heit abzuwarten, und ihrer Leitung zu folgen. Ihr
dürft unſerem Mitgefühle vertrauen; den Schmerz,
kein Vaterland zu haben, kennen wir ſeit länger
als Ihr.


In dem Kriege, den ſie den Befreiungs¬
krieg
genannt, der aber nichts befreit, als unſere
Fürſten von den Banden, in welche die große, mäch¬
tige und erhabene Leidenſchaft eines Helden ihre klei¬
nen ſchwachen und verächtlichen Leidenſchaften ge¬
ſchmiedet, haben auch wir die Waffen geführt. Ehe
[238] der Kampf begann, genoſſen wir in Frankfurt, wie
überall in Deutſchland, wo franzöſiſche Geſetzgebung
herrſchte, gleiche Rechte mit unſern chriſtlichen Brü¬
dern. Und nicht etwa dem Murren des Volkes wurde
dieſe neue Gleichheit [aufgedrungen]. Sie überraſchte,
wie alles Fremde, doch ſie ward willkommen, wie
alles was die Liebe bringt. Die nehmlichen Bürger
tranken herzlich aus einem Glaſe mit uns, die noch
den Tag vorher uns mit Verachtung angeſehen, oder
mit Haß den Blick von uns gewendet. Denn das iſt
der Segen des Rechts, wenn es mit Macht gepaart,
daß es wie durch einen Zauber die Neigungen der
Menſchen umwandelt: Mistrauen in Vertrauen,
Thorheit in Vernunft, Haß in Liebe. Dem Waſſer
gleichet Gerechtigkeit; ſie fällt ſchnell herab und ſtei¬
get nie hinauf. Jede Regierung vermag in allem,
was gut und ſchön iſt, die Meinungen und Geſin¬
nungen, das Herz und den Willen der Völker um¬
zuwandeln; aber Völker brauchen Jahrhunderte, ihre
Regierungen zu veredlen, und nie der friedlichen
Mahnung, nur der Gewalt gelingt es endlich, ihre
Wildheit zu bezähmen.


Als wir aber aus dem Kampfe zurückkehrten,
fanden wir unſere Väter und Brüder, die wir als
freie Bürger verlaſſen, als Knechte wieder, und das
ſind wir geblieben bis auf heute. Nicht blos die
Rechte des Staatsbürgers, nicht blos die des Orts¬
[239] bürgers hat man uns geraubt, wir genießen nicht ein¬
mal die Menſchenrechte, die, weil ſie älter als die
bürgerliche Geſellſchaft, kein Recht unterdrücken noch
modeln darf. Man hat ſich uns gegenüber das
Recht der Peſt angemaaßt
, das Recht, unſere
Bevölkerung zu vermindern
, und um dieſes
fluchwürdige Ziel zu erreichen
, verſtattet
man uns
, die wir in Frankfurt fünftauſend
an der Zahl ſind
, jährlich nur funfzehn
Ehen zu ſchließen
. Höre es, deutſches Volk!
Und wenn Freiheit, Recht, Menſchlichkeit in
Deinem Wörterbuche ſtehen, erröthe, daß Du ohne
Erröthen dieſe Schmach, die das ganze Vaterland
ſchändet, ſo lange ertragen konnteſt.


So wurde uns gelohnt. Wir waren nicht die
einzigen, aber wir waren die am meiſt Betrogenen;
und wahrlich, nicht die einzigen zu ſeyn, hat uns
mehr geſchmerzt, als die am meiſt Betrogenen
zu ſeyn.


Verdienten wir unſer Schickſal? So wenig
als Ihr es verdientet. Doch hat es je der Tyran¬
nei an Unverſchämtheit gefehlt, wenn ſie aus Spott
eine Rechtfertigung ſucht, über die ſie ihre Gewalt
erhob? Dich, chriſtlich deutſches Volk, haben Deine
Fürſten und Edelleute als ein beſiegtes Volk, Dein
Land als ein erobertes Land behandelt. Und uns,
jüdiſch deutſchem Volke ſagte man, wir wären aus
[240] dem Orient gekommen, hätten zur angenehmen Ab¬
wechslung die Babyloniſche Gefangenſchaft mit der
Deutſchen vertauſcht, wir wären fremd im Lande
und wir betrachteten ja ſelbſt unſere Mitbürger als
Fremdlinge. Doch das iſt unſer Glauben, was auch
die Verläumdung gelogen, das iſt die Lehre unſerer
Väter; was auch die Schriftgelehrten herausgedeutet!
Als Gott die Welt erſchuf, da ſchuf er den Mann
und das Weib, nicht Herrn und Knecht, nicht Juden
und Chriſten, nicht Reiche und Arme. Darum lieben
wir den Menſchen, er ſei Herr oder Knecht, arm
oder reich, Jude oder Chriſt. Wenn unſere chriſt¬
lichen Brüder dieſes oft vergeſſen, dann kömmt es
uns zu, ſie mit Liebe an das Gebot der Liebe zu
ermahnen — uns, die wir älter ſind als ſie, die
wir ihre Lehrer waren, die wir den einen und wah¬
ren Gott früher erkannt, und der reinen Quelle der
Menſchheit näher ſtehen als ſie.


Viele unſerer Glaubensgenoſſen, und wie hier
ſo gewiß auch überall, zögern noch dem Vereine bei¬
zutreten. Sie theilen unſere Geſinnungen, ihr Herz
ſchlägt ſo warm als das unſere für die Freiheit des
Vaterlandes; aber ſie ſind bedenklich, ſie, die Rei¬
chen unter uns, weil ſie, den Räthen der Gewalt¬
herrſcher näher ſtehend, ſich einflüſtern ließen: wenn
das Volk zur Macht käme, werde es die Ketten der
Juden noch enger ſchließen.


[241]

Schenkt dieſen Einflüſterungen kein Gehör, ge¬
liebte Glaubensgenoſſen! So ſprechen jene nur, um
Bürger von Bürger zu trennen, damit ſie das ſo
getrennte, ſich wechſelſeitig mistrauende Volk leichter
nach ihrer Willkühr beherrſchen können. Tretet dem
Bunde bei. Die Freiheit der Preſſe gründet die
Herrſchaft der Vernunft, und unter dieſer Herrſchaft
ſind Alle gleich, giebt es keine Knechte.


Sie aber, würdige und muthige Männer, die
für das deutſche Volk das Wort genommen, ſprechen
Sie es aus, was unſere Glaubensgenoſſen zu er¬
warten haben von der Freiheit des Vaterlandes.
Reden Sie klar und offen, nicht für uns, nur für
die Andern, die ängſtlich noch zurückgeblieben.


Doch wie auch Ihre Antwort günſtig oder nicht,
wir treten nicht zurück. Als die Polen ihren Kampf
begannen, ſo erhaben er auch war, lud man dort die
Juden nur zum Kampfe ein, aber nicht einmal zur
Hoffnung der Siegesbeute. Polen unterlag! Be¬
ginnt jetzt Euren Kampf, wir theilen ihn und ver¬
trauen auf Gott. Wir wiſſen: das Schuldbuch des
Himmels hat nur noch wenige leere Blätter, die
Thorheiten und Sünden der Menſchen in Rechnung
zu bringen. Dem Undanke, dem verrathenen Ver¬
trauen folgt bald die Strafe nach. Ihr werdet frei
mit uns, oder Ihr werdet nicht frei.


Euch aber, geliebte Glaubensgenoſſen, ſey es
lV. 16[242] geſagt: wenn einſt unſere chriſtlichen Brüder die
Freiheit ſich gewonnen, und wir theilen, wie den
Kampf, ſo die Beute des Sieges mit ihnen, dann
— nichts vergeſſen, nichts vergeben, keine Verſöh¬
nung, die nur die Grenze des Haſſes iſt. All un¬
ſer Gedächtniß liege bei den Gebeinen unſerer Vä¬
ter; nur in der Zukunft wollen wir leben, nur für
die Zukunft wollen wir ſterben.

[[243]]

Ein und dreißigſter Brief.


Der Lindner iſt zum Legations-Rath in Mün¬
chen ernannt worden, und hat die allergnädigſte
Erlaubniß
, die Uniform des königlichen
Hauſes tragen zu dürfen
, taxfrei bekommen.
Ich möchte ihn ſehen in ſeiner Livree. Dieſer Lind¬
ner iſt die vollendetſte Laquaien-Seele, die ich je
kennen gelernt; er iſt mit gelben Aufſchlägen und
geprägten Knöpfen auf die Welt gekommen. Er und
Hormayer ſchreiben die neue baieriſche Staatszeitung,
und der Letztere hat das Feld der Literatur zu be¬
bauen übernommen. Das wird eine ſchöne Landwirth¬
ſchaft werden!


— Ach, was habe ich für einen ſchönen neuen
Ueberrock! Haſelnußfarbe, bequem über den Frack
zu tragen, wattirt, lang, ein Meiſterſtück. Sie hät¬
ten Ihre Freude daran. Auch hat ihn der berühmte
16*[244] Staub gemacht, der Rothſchild der Schneider. Als
ich ihm ſagte: Noch nie hätte mir ein pariſer Schnei¬
der einen Ueberrock nach Wunſch gemacht und ich
bäte ihn darum, die Sache mit Ernſt zu bedenken,
lächelte er ganz mitleidig und ſagte: une maison
comme la nôtre
! Und der Mann hat Recht, ſtolz
zu ſeyn. Was die Natur an mir verdorben, hat
er wieder gut gemacht. Meine Taille ſollten Sie
ſehen! — —


Mit dieſem ſchönen Ueberrock ausgeſchmückt (und
in dieſer Abſicht ſchone ich ihn und ziehe ihn ſel¬
ten an), werde ich künftigen Sommer den Redakteur
der Mannheimer Zeitung in Heidelberg beſuchen, und
werde ihm ſagen: Ich bin der Verfaſſer der Briefe
aus Paris, zu dem die Stuttgarter Hof-Zeitung ge¬
ſagt hat: O, du elende Schmeisfliege! Die
zwei Haupt-Redakteurs an dieſer Zeitung ſind der
ehrliche Lindner, und geheime Hofrath Münch, von
denen jeder dreitauſend Gulden Gehalt bekömmt.
Dafür müſſen ſie grob ſeyn. Sie aber werden weit
ſchlechter bezahlt, und ſind daher auch weit weniger
grob. Indeſſen haben Sie von mir geſagt: Ich
haſſe die Fürſten, weil ich keine Hoffnung hätte, ſelbſt
ein Fürſt zu werden, und haßte die Reichen, weil ich
kein Geld hätte. Das eine iſt dumm, und darum
verzeihe ich es Ihnen; aber das andere iſt gelogen.
Betrachten Sie mich in dieſem Rocke; ſehe ich aus,
[245] wie ein Mann der arm iſt? Der Rock hat eine
Haſelnußfarbe, einen Sammtkragen, und iſt mit
Seide gefüttert und wattirt von oben bis unten. Er
hat fünf Taſchen und eine ſechſte geheime für Ver¬
ſchwörungsliſten, und kann bis am Halſe zugeknöpft
werden. Fühlen Sie einmal dieſes Tuch an; fra¬
gen Sie Herrn Zimmern daneben, wieviel die Elle
von ſolchem Tuche koſtet und Sie werden erſtaunen.
Und Sie nennen mich arm? Wenn Ihre ganze
Garderobe ſo viel wehrt iſt, als mein einziger Rock,
ſollen Sie mich zum Fenſter hinaus in den Neckar
ſtürzen. Hundert und dreißig Franken hat er geko¬
ſtet. Ueberhaupt, für wie reich halten Sie mich?..
Der Redakteur, dem mein grimmiges Geſicht ganz
angſt gemacht, möchte gern höflich ſeyn und mich für
ſehr reich erklären; aber ſo ein armer Teufel von
Peſcheräh hat nicht weit zählen gelernt, und er ant¬
wortet: O, Herr von Börne, Sie ſind gewiß drei
bis vierhundert Gulden reich ... Vierhundert Gul¬
den! Sie [ſind] ein Narr. Eine Million bin ich
reich, ſowohl an baarem Gelde, als an Manuſcrip¬
ten und guten Eigenſchaften. Sie aber, wie viel
ſind Sie werth? .. O! ich bin wenig werth ....
Wenig werth? Gar nichts ſind Sie werth. Sie
ſind nicht werth, daß Sie der Teufel holt! Dann
ginge ich fort und lachte mich todt. Nur eines iſt
mir unerklärlich: Warum der Redakteur der Mann¬
[246] heimer Zeitung von den Heidelberger Studenten noch
niemals Prügel bekommen.


— Soviel ich das undeutlich geſchriebene Motto
aus dem Tacitus leſen kann, heißt es in deutſcher
Ueberſetzung ohngefähr wie folgt: „Nicht blos gegen
„die Schriftſteller, ſondern auch gegen deren Werke,
„wurde auf Befehl der Triumviren mit Erbitterung
„verfahren, und die Denkmäler der erhabenſten Geiſter
„wurden auf dem Forum verbrannt — als könnten
„durch Feuer die Klagen des römiſchen Volks, die Frei¬
„heit des Senats und das Gefühl des ganzen Men¬
„ſchengeſchlechts vernichtet werden!“


Nicht auf Myrons Kuh wurden zu ihrer Zeit ſo
viele Epigramme gemacht, als in Deutſchland ſeit eini¬
gen Monaten auf mich gemacht wurden! Und es ſind
nicht blos kleine Schaumuſter von Witz, von Fingers¬
länge, wie jene griechiſchen waren; ſondern es ſind
ganze lange, breite, ſchwere Witzſtücke, woran drei
Blei hängen, das bekannte Fabrikzeichen der deutſchen
Satyre. Es iſt aber merkwürdig, was ich bei den
Fabrikanten Kredit habe! Sie ſchicken mir ihre Waare
unbeſtellt, unverlangt, und ſcheinen ganz unbekümmert,
ob ich ſie einmal bezahlen werde oder nicht. Aber
ich bezahle ſie — ehrlich währt am längſten.


Ein ſolches Witzſtück erhielt ich geſtern in meinem
[247] Briefe, der das Poſtzeichen: Hamburg. 15. Nov.
trug. Der Menſch denkt's, Gott lenkt's. Ich wollte
darauf ſchwören, daß der Briefſteller acht Tage nach
dem 15. November ſich Morgens vergnügt die Hände
rieb und jubelte: heute kommt mein Brief nach Paris,
heute wird er braun, roth, gelb und weiß vor Aerger,
und zerbricht ſich den Kopf, wer das Sonett gemacht
haben mag. Goethe oder Platen, oder Uhland, oder
Heine, oder Chamiſſo — und kann es nicht errathen.
Aber es kam ganz anders. Den Brief erhielt ich erſt
geſtern, alſo vier Monate ſpäter, weil die Adreſſe
falſch war. Die Straße Rue de Provence war zwar
richtig angegeben, aber die Hausnummer war falſch.
Ich wohne Nr. 24, und die Adreſſe hatte Nr. 21.
Vier Monate ſuchte mich der Briefträger, bis er mich
endlich fand! Und ich wohne doch der Nr. 21 ge¬
rade gegenüber! Und ich erhielt den Brief zugleich
mit dem erſten Veilchen, zu einer Zeit, wo mich nichts
ärgern kann, weil ich dann meinem Oſt entgegen¬
dämmere, weil ich dann des baldigen Wiederſehens
froh bin. So weiſe hat mein Schutzgeiſt alles gelenkt,
um die Bosheit des Hamburger Sonnettiers zu vereiteln.


Aber ſo iſt der Deutſche! Dieſer unbekannte
Hamburger — ein Menſch, der ſo gar keine Schul¬
kenntniſſe hat, der ſo wenig von Geographie, Stati¬
ſtik, Hiſtorie, Topographie, Biographie gelernt hat,
daß er nicht einmal weiß, daß ich in der Rüe de
[248] Provence
No. 24 wohne und nicht No. 21 —
nimmt ſich heraus, ein Dichter ſeyn zu wollen, nimmt
ſich heraus, ein Sonett auf mich zu werfen! Und
mit welcher Bosheit ging er dabei zu Werke! Daß
ich ja nichts ahnden möchte; daß ich ja in der Er¬
wartung ſchwelgte, das Innere des Briefes werde ſo
rückſichtsvoll und artig ſeyn als ſein Aeußeres, und
die Ueberraſchung, der Schrecken mich ſo fürchterlicher
darnieder werfe — ſchrieb er auf die Adreſſe: à Mon¬
sieur L. Boerne
, savant Allemand und fran¬
kirte
den Brief. Wie man Einem Grobheiten fran¬
kirt
ſchicken mag, begreife ich nicht; nie hätte ich
das Herz dazu.


Hier folgt die Abſchrift des Sonett's. Das
Entwichner Wechſelbalg“ wird Ihnen gefallen.
Ich bitte, ſehen Sie in meinem Schimpfwörterbuche
nach, ob in W. Wechſelbalg ſteht; wenn nicht,
tragen Sie es nach.


An L. Börne
den Briefſteller aus Paris.

Iſt der ein Deutſcher, der mit frechem Hohne,

Den deutſchen Namen ſchändet, ihn entehrt,

Was Deutſchen heilig iſt, giftig zerſtört,

Es richtend nicht, hinrichtend gleich dem Frohne! —

Schütz Himmel uns vor dem verworfenen Sohne

Des Vaterlands, der Jud' und Chriſt empört,

Der Lug und Trug zu lehren nur begehrt,

Sich flechtend ſelbſt der ew'gen Schande Krone! —

Du wähnſt Dich ſicher im Aſyl der Franken,

Und nicht zu Deutſchen, nicht in Deutſche Schranken,
[249]

Entwichner Wechſelbalg, kehrſt Du zurück!
Doch wohin Dich die flücht'gen Sohlen tragen,
So lang' im Buſen Deutſche Herzen ſchlagen,
Iſt auch Verachtung Dein gerecht Geſchick!


Als ich geſtern den Wechſelbalg ſuchte, war er
nicht zu finden. Erſt einen Tag in meinem Zim¬
mer und ſchon verſchwunden! Darum heißt er auch
mit Recht ein flüchtiger Wechſelbalg. Endlich
fand ich ihn unter meinen Papieren verſteckt und
niedergekauert. Und als ich ſo Nachſuchung hielt,
fiel mir noch ein anderes Blatt in die Hände, ein
köſtliches Blatt, eine wahre papierene Krone, und ich
kann darum wie Saul ſagen: ich war hingegangen,
einen Eſel zu ſuchen und habe eine Krone gefunden.
Doch nein! O Gott nein! Jetzt nicht ſcherzen, nicht
lachen! Leſen Sie, leſen Sie. Dieſes ſchwefelfar¬
bige Aktenſtück aus dem Archive der Hölle, wurde
mir im Winter vor unſerem Aufenthalte in Soden
von *** vertraulich mitgetheilt. Ich ſollte es zum
Drucke befördern. Nun hatte mich wohl damals
meine ſchwere Krankheit unempfindlich, ſpäter die fran¬
zöſiſche Revolution hoffnungstrunken gemacht. Es
war mir ganz aus dem Sinne gekommen. Jetzt, ge¬
ſund genug und nur zu nüchtern, fand ich das Pa¬
pier wieder. Jetzt will ich es drucken laſſen. Schrei¬
ben Sie mir es ab, und verbrennen Sie ſogleich
das Original. Die Handſchrift möchte vielen in
[250] Frankfurt wohl bekannt ſeyn. O! es kocht, es kocht
in mir! Aber meine bevorſtehende Reiſe läßt mir
nicht Zeit zu warten, bis meine Zorn Suppe gar
geworden. Unglückliches Volk! Unglückliches Vater¬
land! Kein Wahnſinniger wird ſo bevormundet und
gepeinigt. Es iſt mir, als ſähe ich das ganze Deut¬
ſche Volk im Drillhäuschen. Doch genug, genug!


Bericht des Oeſterreichiſchen Generals von
Langenau an den Fürſten von Metternich.


(Frankfurt, 1823.


In die Majorität der Bundes-Geſandten iſt ein
Geiſt des Widerſpruchs gefahren, der ſich in zwei¬
facher Beziehung in der Form des Liberalismus ma¬
nifeſtirt, obwohl er durch und durch politiſcher
Natur iſt.


Die erſte Form iſt die Geſetzlichkeit. Kein
Antrag darf ohne ſtrenge Prüfung zur Abſtimmung
gebracht werden. An jeden wird der Buchſtabe des
Geſetzes als Maasſtab gelegt; jede Discuſſion wird
auf Grundſätze zurückgeführt. Alles wird unter die
[Lupe] der Bundes-Verſammlung gebracht; kein Geſetz
wird für oder wider angeführt, ohne durch künſt¬
liche Exegeſe den Sinn deſſelben auf ſo folgenreiche
Weiſe auszudehnen, daß der Convenienz bald gar
kein Spielraum mehr übrig bleiben wird. Aber nicht
die Geſetzlichkeit, die Verfaſſungsmäßigkeit iſt der
[251] letzte Zweck dieſer Sophiſten. Dieſer liegt vielmehr
darin, den großen Bundesmächten die formale Rechts¬
gleichheit aller Bundesglieder ſo unerträglich zu ma¬
chen, daß ſie, um ſich in ihren Intereſſen nicht bin¬
den zu laſſen, ſich genöthigt ſehen, im Bunde nur
eine paſſive Rolle zu ſpielen, und nur durch dieſe
Paſſivität gegen die Action der Mindermächtigen zu
reagiren. Allein dies gerade fördert ihren Zweck, in
dem die kleinern Staaten, eben durch dieſe Thätigkeit,
die öffentliche Meinung in dem Grade für ſich gewin¬
nen, in welchem die größern durch ihre Unthätigkeit,
die als hemmendes Prinzip erſcheint, dieſelbe verlieren.


Die zweite Form iſt die der Nationalität.
In dieſer Form ſuchen ſie die verſchiedenen, oft ſich
widerſtrebenden Intereſſen der einzelnen kleinen Staa¬
ten in Separathandlungen auszugleichen und zur Er¬
haltung der ſo errungenen gemeinſamen Intereſſen
förmliche Bünde im Bunde zu ſtiften. Warum wird
mit ſo großem Eifer, mit ſo vieler Umſicht an der
Organiſation der gemiſchten Armee-Corps gearbeitet?
Warum der Vereinigung darüber alle Rangverhältniſſe
ſo leicht geopfert? Warum ſtehen die Theilhaber
dieſer Corps, ſo bald ſie die Selbſtſtändigkeit der¬
ſelben nur von weitem gefährdet glauben, gleich für
einen Mann? Warum hat man in den Staaten,
welche von Proteſtanten regiert werden, mit ſo un¬
wandelbarer Hartnäckigkeit allen Schwierigkeiten, die
ſich der Gründung eines gemeinſamen Syſtems für
[252] die Katholiſchen Kirchenangelegenheiten in den Weg
ſtellten, Trotz geboten? Hat nicht, um nur das
Syſtem zu Stande zu bringen, Würtemberg ſeinen
Landesbiſchof einem Badiſchen Erzbiſchof unterge¬
ordnet, Darmſtadt der Metropolitanwürde, welche
Mainz ſo lange zierte, entſagt, Kurheſſen dem
Großherzogthum Heſſen den Vorrang eingeräumt?
Hat man nicht ſelbſt die kleinen Staaten Norddeutſch¬
lands in den ſüddeutſchen Verein zu locken gewußt?
Warum wird auf einmal jede Finanz-Rückſicht und
jedes Provinzial-Intereſſe für nichts geachtet, um
nur den ſüddeutſchen Handelsbund, an welchem in
Deutſchland ſo eifrig gearbeitet wird, zu Stande zu
bringen? — Die öffentliche Meinung ſoll da¬
mit gewonnen werden
, die Völklein ſollen
an die Möglichkeit glauben
, daß ſie ein Volk
werden könnten
; ſie ſollen in ſolchen Ver¬
einen ihr Wohl gegründet finden
, ſie ſollen
Parthei nehmen gegen die
, welche, weil ſie
andere Intereſſen haben
, den gleichen Weg
nicht nehmen können
, und in dieſer neuen
Liebelei mit den Völkern und der öffentli¬
chen Meinung
, wollen jene Liberalen dem
Einfluſſe ein Ziel ſtecken
, den, zu ihrem
großen Verdruſſe
, die großen Mächte noch
immer auf die innern Angelegenheiten der
einzelnen deutſchen Staaten ausüben und aus¬
zuübenberufen ſind
. Dieſe Menſchen die oft weniger
[253] liberal ſind, als ſie, um zu ihrem Zwecke zu ge¬
langen, ſich darſtellen, theilen ſich zwar wieder in
zwei verſchiedene Klaſſen, in die Idealiſten und
Realiſten; allein, wenn auch von verſchiedenen
Geſichtspunkten ausgehend, ſtreben ſie doch beide nach
dem einen Ziele, gegen die beiden großen Mächte
einen Antagonismus zu organiſiren.


An der Spitze der Idealiſten ſteht der Frei¬
herr von Wangenheim. Ihm ſchließen ſich mehr
oder weniger an die Herren von Carlowitz und
Harnier. Realiſten ſind der Freiherr von Are¬
tin
und der Herr von Lepel. Jener läßt die Idea¬
liſten ſprechen und zieht, indem er ſie zu bekämpfen
ſcheint, die Concluſa, wie ſie es wollen, gegen
Oeſterreich; dieſer ſtimmt offen und unverholen für
Alles, was gegen die großen Mächte iſt. — Ihm
folgt, wenn irgend möglich, der Herr von Roth.
Auf Graf Eyben, Graf Grüne, Graf Beuſt und
Baron Penz iſt nicht zu rechnen; ſie ſind den Idealiſten
und Realiſten perſönlich befreundet, und, wenn ſie auch
gegen die großen Mächte nichts unternehmen, ſind ſie
doch auch nicht für ſie zu gebrauchen. Macht man
Anſprüche auf ſie, ſo ſchützt der eine die Forderungen
der Ehre, der andere gar die des Pandektenrechtes
vor — im Grunde liebäugeln auch ſie mehr oder
minder mit der Popularität. Aus Freiherrn von
Blittersdorf iſt nicht klug zu werden, er lebt in
allen Elementen mit gleicher Leichtigkeit.


[254]

Was bleibt uns? Ein Präſident, der zwar ſa¬
gen muß, was wir wollen, es auch gern und mit
Heftigkeit ſagt, aber es nicht vertheidigen kann, ſo
daß er mit dem beſten Willen oft das Gegentheil
von dem ſelbſt mit beſchließen hilft, was er durch¬
ſetzen ſollte; ein Graf Goltz, der das, was Graf
Buel bejaht, zwar nie verneint, aber zur [Verthei¬
digung]
der Sache nie auch nur das mindeſte beizutragen
vermag; der Herr von Hammerſtein, der uns nur
bei ſeinem erſten Auftritte liberal und alſo gefährlich
erſchien, jetzt aber ſich täglich beſſer zeigt. Er hat
Kenntniſſe, Verſtand und einen gewiſſen Geiſt der
Intrigue, und den Stolz, der über die Kleinen
hinwegſieht; er wird uns, wenn Sie ihn mit dem
Bande, das er uns ſelbſt darreicht, vollends feſſeln,
wichtige Dienſte leiſten können. Der Miniſter Mar¬
ſchall
, auf den unter allen Umſtänden und für
jeden Zweck zu bauen iſt; der Freiherr Leonhardi,
der nicht muckſen darf, und die Geſandten der ſo¬
genannten freien Städte, obwohl auch dieſe, der
Mehrzahl nach, die Fauſt in der Taſche machen.


Hieraus folgt, daß, ſo gute Elemente wir auch
haben, dennoch an der Begründung des Stabilitäts-
Syſtems, und mithin an Herſtellung der Ruhe, nicht
zu denken iſt, wenn man nicht die Idealiſten zuſammt
den Realiſten bannen kann. — Die Bundes-Ver¬
ſammlung muß epurirt werden. Darauf müſſen
Oeſterreich und Preußen vor allen Dingen wirken.
[255] Die auf dieſen Zweck berechneten Schritte müſſen
zwar gemeinſchaftlich verabredet, aber nur abwechſelnd
von Einem dieſer beiden Staaten allein und ſehr
nach und nach gemacht werden, damit nicht andere
als die angegriffenen ſich in ihrer Würde gefährdet
glauben mögen. Deshalb darf man die Epuration
auch nicht beim Freiherrn von Aretin anfangen,
obwohl ſeine Entfernung, weil er vor allen Andern
der Verſtockteſte und daher der Gefährlichſte iſt, am
wünſchenswertheſten wäre. Bayern hält am meiſten
auf ſeine Unabhängigkeit, würde alſo am erſten Lärm
blaſen, und nicht ohne großen Anhang bleiben. Da¬
her muß das bayeriſche Gouvernement nicht gereizt,
ſondern ins Intereſſe gezogen und für die Epuration
gewonnen werden. Dies iſt zum Glück gar nicht ſo
ſchwer, da der Miniſter Rechberg das bayeriſche
anti-öſterreichiſche Syſtem vergißt, ſobald man ihn
in irgend einen magiſchen Spiegel die Revolution
und den Fürſten Metternich als deren Bändiger
zeigt.


Nicht ohne Erfolg hat Preußen in ſeinen Cir¬
kular-Bemerkungen über die Köthenſche Streit-An¬
gelegenheit den Freiherrn von Aretin nicht nur ge¬
ſchont, ſondern ſogar gelobt. Rechberg findet dieſe
Bemerkungen vortrefflich, das Benehmen der Mehr¬
zahl der Bundesgeſandten abſcheulich. Gelingt es,
das bayeriſche Gouvernement in dieſer Stimmung zu
erhalten, ſo wird der Epuration kein großes Hinder¬
[256] niß im Wege ſtehen. Es kommt dann nur darauf
an, immer nur Einen Geſandten auf Einmal und
zuerſt einen ſolchen zu attaquiren, deſſen Hof von
den übrigen aus irgend einem Grunde am leichteſten
zu iſoliren iſt. Es iſt ziemlich gleichgültig, wer dieſer
erſte ſey. Alles iſt gewonnen, wenn um ſeines
Benehmens gegen die großen Mächte willen

nur Einer rappellirt wird. Zeigt man dann nur den
feſten Entſchluß, daß, wenn es ſeyn muß, der nehm¬
liche Prozeß ſofort werde von vorn angefangen
werden; ſo darf man mit Sicherheit darauf rechnen,
daß der böſe Geiſt, der jetzt in der Bundes-Ver¬
ſammlung ſein Unweſen treibt, bald gebannt ſeyn
wird. Keinem Geſandten wird es alsdann ſo leicht
wieder einfallen, in ſeinen Berichten, die wir ja
meiſtens perluſtriren können, den Geiſt der Oppoſition,
der allerdings in den deutſchen Fürſten zu leicht nur
geweckt werden kann, zu nähern, vielmehr werden
ſie, um ſich in ihren einträglichen und zugleich ru¬
higen Poſten zu befeſtigen, ſelbſt dazu mitwirken,
ihre Höfe dem öſterreichiſchen, alſo auch dem preußi¬
ſchen An- und Abſichten, aus treuer Anhänglichkeit
an das alte Kaiſerhaus entgegen zu führen.


Dies iſt der einzige Weg, auf welchem meines
Dafürhaltens wir das wieder erobern können, was
wir uns in unbegreiflicher Sorgloſigkeit haben ent¬
reißen laſſen.

[][][]
Notes
*)

Les Bourbons sont des rois mangeurs. On sait
quelle énorme consommation de viandes, faisait
en Angléterre Louis-le-désiré. Charles IV. a
surpassé par sa voracité tous les rois de sa race.
Nous l'avons vu à Marseille et nous avons même
assisté à ses repas; au moment où l'on apportait
les filets de boeuf saignant, il s'agitait avec con¬
vulsion sur son fauteuil et poussait des rugisse¬
mens ranques comme ceux du tigre. Son fils
Ferdinand n'a pas dégénéré; il conserve encore
ce royal appétit.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Briefe aus Paris. Briefe aus Paris. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjmh.0