[][][][][][][[I]]
Das Weſen
des
Chriſtenthums


Leipzig::
Otto Wigand.
1841.

[[II]][[III]]

Vorwort.


Die in verſchiedenen Arbeiten zerſtreuten, meiſt nur gelegent-
lichen, aphoriſtiſchen und polemiſchen Gedanken des Verfaſſers
über Religion und Chriſtenthum, Theologie und ſpeculative
Religionsphiloſophie findet der geneigte und ungeneigte Leſer
im vorliegendem Werke concentrirt, aber jetzt ausgebildet, durch-
geführt, begründet — conſervirt und reformirt, beſchränkt und
erweitert, gemäßigt und geſchärft, je nachdem es eben ſachge-
mäß und folglich nothwendig war, aber keineswegs wohlge-
merkt! vollſtändig erſchöpft und zwar ſchon aus dem Grunde
nicht, weil der Verfaſſer, abgeneigt allen nebuloſen Allgemein-
heiten, wie bei allen ſeinen Schriften, ſo auch bei dieſer nur
ein ganz beſtimmtes Thema verfolgte.


Vorliegendes Werk enthält die Elemente wohlgemerkt!
nur die und zwar kritiſchen Elemente zu einer Philoſophie der
poſitiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie ſich
im Voraus erwarten läßt, einer Religions-Philoſophie weder
in dem kindiſch phantaſtiſchen Sinne unſerer chriſtlichen My-
thologie, die ſich jedes Ammenmährchen der Hiſtorie als That-
ſache aufbinden läßt, noch in dem pedantiſchen Sinne unſerer
ſpeculativen Religionsphiloſophie, welche, wie weiland die
Scholaſtik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logiſch-
metaphyſiſche Wahrheit demonſtrirt.


Die ſpeculative Religionsphiloſophie opfert die Religion
der Philoſophie, die chriſtliche Mythologie die Philoſophie der
Religion auf, jene macht die Religion zu einem Spielball der
ſpeculativen Willkühr, dieſe die Vernunft zum Spielball eines
phantaſtiſchen religiöſen Materialismus, jene läßt die Reli-
*
[IV] gion nur ſagen, was ſie ſelbſt gedacht und weit beſſer ſagt,
dieſe läßt die Religion anſtatt der Vernunft reden, jene un-
fähig, aus ſich heraus zu kommen, macht die Bilder der Re-
ligion zu ihren eigenen Gedanken, dieſe, unfähig, zu ſich
zu kommen, die Bilder zu Sachen.


Es verſteht ſich allerdings von ſelbſt, daß Philoſophie
oder Religion im Allgemeinen, d. h. abgeſehen von ihrer ſpeci-
fiſchen Differenz identiſch ſind, daß, weil es ein und daſſelbe
Weſen iſt, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Re-
ligion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß
jede beſtimmte Religion, jede Glaubensweiſe auch zugleich eine
Denkweiſe iſt, indem es völlig unmöglich iſt, daß irgend ein
Menſch Etwas glaubt, was wirklich wenigſtens ſeinem
Denk- und Vorſtellungsvermögen widerſpricht. So iſt das
Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Wider-
ſprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine ſich
von ſelbſt ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleich-
falls für ihn eine ſehr natürliche Vorſtellung iſt. So iſt dem
Glauben die Auferſtehung des Fleiſches aus dem Grabe ſo
klar, ſo natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem
Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter,
die Entſtehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten
Samen. Nur wann der Menſch nicht mehr in Harmonie
mit ſeinem Glauben iſt, fühlt und denkt, der Glaube alſo
keine den Menſchen mehr penetrirende Wahrheit iſt, nur dann
erſt wird der Widerſpruch des Glaubens, der Religion mit
der Vernunft mit beſonderm Nachdruck hervorgehoben. Aller-
dings erklärt auch der mit ſich einige Glaube ſeine Gegen-
ſtände für unbegreiflich, für widerſprechend der Vernunft; aber
er unterſcheidet zwiſchen chriſtlicher und heidniſcher, erleuchte-
ter und natürlicher Vernunft. Ein Unterſchied, der übrigens
nur ſo viel ſagt: dem Unglauben nur ſind die Glaubensgegen-
ſtände vernunftwidrig; aber wer ſie einmal glaubt, der iſt von
ihrer Wahrheit überzeugt, dem gelten ſie ſelbſt für die höchſte
Vernunft.


[V]

Aber auch inmitten dieſer Harmonie zwiſchen dem chriſt-
lichen oder religiöſen Glauben und der chriſtlichen oder religiö-
ſen Vernunft bleibt doch immer ein weſentlicher Unterſchied
zwiſchen dem Glauben und der Vernunft übrig, weil auch
der Glaube ſich nicht der natürlichen Vernunft entäußern
kann. Die natürliche Vernunft iſt aber nichts andres als die
Vernunft κατ̛ ἐζοχὴν, die allgemeine Vernunft, die Vernunft
mit allgemeinen Wahrheiten und Geſetzen, der chriſtliche Glaube,
oder, was eins iſt, die chriſtliche Vernunft dagegen iſt ein In-
begriff beſonderer Wahrheiten, beſonderer Privilegien und Ex-
emptionen, alſo eine beſondere Vernunft. Kürzer und ſchär-
fer: die Vernunft iſt die Regel, der Glaube die Ausnahme von
der Regel. Selbſt in der beſten Harmonie iſt daher eine Col-
liſion zwiſchen beiden unvermeidlich, denn die Specialität des
Glaubens und die Univerſalität der Vernunft decken ſich, ſätti-
gen ſich nicht vollkommen, ſondern es bleibt ein Ueberſchuß
von freier Vernunft, welcher für ſich ſelbſt, im Widerſpruch
mit der an die Baſis des Glaubens gebundenen Vernunft,
wenigſtens in beſondern Momenten, empfunden wird. So
wird die Differenz zwiſchen Glauben und Vernunft ſelbſt zu
einer pſychologiſchen Thatſache.


Und nicht das, worin der Glaube mit der allgemeinen
Vernunft übereinſtimmt, begründet das Weſen des Glaubens,
ſondern das, wodurch er ſich von ihr unterſcheidet. Die Be-
ſonderheit iſt die Würze des Glaubens — daher ſein Inhalt
ſelbſt äußerlich ſchon gebunden iſt an eine beſondere, hiſto-
riſche Zeit, einen beſondern Ort, einen beſondern Namen.
Den Glauben mit der Vernunft identificiren, heißt den Glau-
ben diluiren, ſeine Differenz auslöſchen. Wenn ich z. B. den
Glauben an die Erbſünde nichts weiter ausſagen laſſe, als
dieß, daß der Menſch von Natur nicht ſo ſei, wie er ſein ſoll,
ſo lege ich ihm nur eine ganz allgemeine rationaliſtiſche Wahr-
heit in den Mund, eine Wahrheit, die jeder Menſch weiß,
ſelbſt der rohe Naturmenſch noch beſtätigt, wenn er auch nur
mit einem Felle ſeine Schaam bedeckt, denn was ſagt er durch
[VI] dieſe Bedeckung anders aus, als daß das menſchliche Indivi-
duum von Natur nicht ſo iſt, wie es ſein ſoll. Freilich
liegt auch der Erbſünde dieſer allgemeine Gedanke zu Grunde,
aber das, was ſie zu einem Glaubensobject, zu einer religiö-
ſen Wahrheit macht, dieß iſt gerade das Beſondere, das Diffe-
rente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Uebereinſtim-
mende.


Allerdings iſt immer und nothwendig das Verhältniß
des Denkens zu den Gegenſtänden der Religion als ein ſie
be- und erleuchtendes, in den Augen der Religion, oder
wenigſtens der Theologie, ein ſie diluirendes und deſtruirendes
Verhältniß — ſo iſt es auch die Aufgabe dieſer Schrift, nach-
zuweiſen, daß den übernatürlichen Myſterien der Religion
ganz einfache, natürliche Wahrheiten zu Grunde liegen —
aber es iſt zugleich unerläßlich, die weſentliche Differenz der
Philoſophie und Religion ſtets feſtzuhalten, wenn man anders
die Religion, nicht ſich ſelbſt expectoriren will. Die weſent-
liche Differenz der Religion von der Philoſophie begründet
aber das Bild. Die Religion iſt weſentlich dramatiſch. Gott
ſelbſt iſt ein dramatiſches, d. h. perſönliches Weſen. Wer der
Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur
das Caput mortuum in Händen. Das Bild iſt als Bild
Sache.


Hier in dieſer Schrift nun werden die Bilder der Reli-
gion weder zu Gedanken — wenigſtens nicht in dem Sinne
der ſpeculativen Religionsphiloſophie — noch zu Sachen ge-
macht, ſondern als Bilder betrachtet — d. h. die Theologie
wird weder als eine myſtiſche Pragmatologie, wie von der
chriſtlichen Mythologie, noch als Ontologie, wie von der
ſpeculativen Religionsphiloſophie, ſondern als pſychiſche Pa-
thologie
behandelt.


Die Methode, die aber der Verfaſſer hiebei befolgt, iſt
eine durchaus objective — die Methode der analytiſchen
Chemie. Daher werden überall, wo es nur nöthig und mög-
lich war, Documente, theils gleich unter dem Text, theils in
[VII] einem beſondern Anhange, angeführt, um die durch die Ana-
lyſe gewonnenen Concluſionen zu legitimiren, d. h. als ob-
jectiv begründete zu erweiſen. Findet man daher die Reſultate
ſeiner Methode auffallend, illegitim, ſo ſei man ſo billig, die
Schuld nicht auf ihn, ſondern auf den Gegenſtand zu ſchieben.


Daß der Verf. dieſe ſeine Zeugniſſe aus dem Archiv
längſt vergangner Jahrhunderte herholt, das hat ſeine guten
Gründe. Auch das Chriſtenthum hat ſeine claſſiſchen Zeiten
gehabt — und nur das Wahre, das Große, das Claſſiſche
iſt würdig gedacht zu werden; das Unclaſſiſche gehört vor
das Forum der Komik oder Satyre. Um daher das Chriſten-
thum als ein denkwürdiges Object fixiren zu können, mußte
der Verf. von dem feigen, charakterloſen, comfortabeln, belle-
triſtiſchen, coquetten, epikureiſchen Chriſtenthum der modernen
Welt abſtrahiren, ſich zurückverſetzen in Zeiten, wo die Braut
Chriſti noch eine keuſche, unbefleckte Jungfrau war, wo ſie
noch nicht in die Dornenkrone ihres himmliſchen Bräutigams
die Roſen und Myrten der heidniſchen Venus einflocht, um
über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu
verſinken; wo ſie zwar arm war an irdiſchen Schätzen, aber
überreich und überglücklich im Genuſſe der Geheimniſſe einer
übernatürlichen Liebe.


Das moderne Chriſtenthum hat keine andern Zeugniſſe
mehr aufzuweiſen als — Testimonia paupertatis. Was es
allenfalls noch hat — das hat es nicht aus ſich — es lebt
vom Allmoſen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne
Chriſtenthum ein der philoſophiſchen Kritik würdiger Gegen-
ſtand, ſo hätte ſich der Verfaſſer die Mühe des Nachdenkens
und Studiums, die ihm ſeine Schrift gekoſtet, erſparen kön-
nen. Was nämlich in dieſer Schrift ſo zu ſagen a priori be-
wieſen wird, daß das Geheimniß der Theologie die An-
thropologie
iſt, das hat längſt a posteriori die Geſchichte
der Theologie bewieſen und beſtätigt. „Die Geſchichte des
Dogmas“ allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt
iſt die „Kritik des Dogmas“ der Theologie überhaupt. Die
[VIII] Theologie iſt längſt zur Anthropologie geworden. So hat
die Geſchichte realiſirt, zu einem Gegenſtande des Bewußtſeins
gemacht, was an ſich — hierin iſt die Methode Hegels voll-
kommen richtig, hiſtoriſch begründet — das Weſen der Theo-
logie war.


Obgleich aber „die unendliche Freiheit und Perſönlichkeit“
der modernen Welt ſich alſo der chriſtlichen Religion und
Theologie bemeiſtert hat, daß der Unterſchied zwiſchen dem
producirenden heiligen Geiſt der göttlichen Offenbarung und
dem conſumirenden menſchlichen Geiſt längſt aufgehoben, der
einſt übernatürliche und übermenſchliche Inhalt des Chriſten-
thums längſt völlig naturaliſirt und anthropomorphoſirt iſt; ſo
ſpukt doch immer noch unſrer Zeit und Theologie, in Folge
ihrer unentſchiedenen Halbheit und Charakterloſigkeit, das
übermenſchliche und übernatürliche Weſen des alten Chriſten-
thums wenigſtens als ein Geſpenſt im Kopfe. Allein es
wäre eine Aufgabe ohne alles philoſophiſche Intereſſe geweſen,
wenn der Verfaſſer den Beweis, daß dieſes moderne Geſpenſt
nur eine Illuſion, eine Selbſttäuſchung des Menſchen iſt,
zum Ziele ſeiner Arbeit ſich geſetzt hätte. Geſpenſter ſind
Schatten der Vergangenheit — nothwendig führen ſie uns
auf die Frage zurück: was war einſt das Geſpenſt, als es
noch ein Weſen von Fleiſch und Blut war?


Der Verf. muß jedoch den geneigten, insbeſondere aber
den ungeneigten Leſer erſuchen, nicht außer Acht zu laſſen,
daß er, wenn er aus der alten Zeit herausſchreibt, darum
noch nicht in der alten, ſondern in der neuen Zeit und für
die neue Zeit ſchreibt, daß er alſo das moderne Geſpenſt nicht
außer Augen läßt, während er ſein urſprüngliches Weſen be-
trachtet, daß überhaupt zwar der Inhalt dieſer Schrift ein
pathologiſcher oder phyſiologiſcher, aber doch ihr Zweck zu-
gleich ein therapeutiſcher oder praktiſcher iſt.


Dieſer Zweck iſt — Beförderung der pneumatiſchen
Waſſerheilkunde
— Belehrung über den Gebrauch und
Nutzen des kalten Waſſers der natürlichen Vernunft
[IX] Wiederherſtellung der alten einfachen joniſchen Hydrologie auf
dem Gebiete der ſpeculativen Philoſophie, zunächſt auf dem
der ſpeculativen Religionsphiloſophie. Die alte joniſche, ins-
beſondere Thales’ſche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer
urſprünglichen Geſtalt alſo: das Waſſer iſt der Urſprung aller
Dinge und Weſen, folglich auch der Götter; denn der Geiſt
oder Gott, welcher nach Cicero dem Waſſer bei der Geburt
der Dinge als ein beſonderes Weſen aſſiſtirt, iſt offenbar
nur ein Zuſatz des ſpätern heidniſchen Theismus.


Nicht widerſpricht das ſokratiſche Γνῶϑι σαυτὸν, wel-
ches das wahre Epigramm und Thema dieſer Schrift iſt, dem
einfachen Naturelement der joniſchen Weltweisheit, wenn es
wenigſtens wahrhaft erfaßt wird. Das Waſſer iſt nämlich
nicht nur ein phyſiſches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wo-
für es allein der alten beſchränkten Hydrologie galt; es iſt
auch ein ſehr probates pſychiſches und optiſches Remedium.
Kaltes Waſſer macht klare Augen. Und welche Wonne iſt
es, auch nur zu blicken in klares Waſſer! wie ſeelerquickend,
wie geiſterleuchtend ſo ein optiſches Waſſerbad! Wohl zieht
uns das Waſſer mit magiſchem Reize zu ſich hinab in die
Tiefe der Natur, aber es ſpiegelt auch dem Menſchen ſein
eignes Bild zurück. Das Waſſer iſt das Ebenbild des Selbſt-
bewußtſeins, das Ebenbild des menſchlichen Auges — das
Waſſer der natürliche Spiegel des Menſchen. Im Waſſer
entledigt ſich ungeſcheut der Menſch aller myſtiſchen Umhül-
lungen; dem Waſſer vertraut er ſich in ſeiner wahren, ſeiner
nackten Geſtalt an; im Waſſer verſchwinden alle ſupranatu-
raliſtiſchen Illuſionen. So erloſch auch einſt in dem Waſſer
der joniſchen Naturphiloſophie die Fackel der heidniſchen Aſtro-
theologie.


Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Waſſers —
hierin die Wohlthätigkeit und Nothwendigkeit der pneumati-
ſchen Waſſerheilkunſt, namentlich für ſo ein waſſerſcheues, ſich
ſelbſt bethörendes, ſich ſelbſt verweichlichendes Geſchlecht, wie
großen Theils das gegenwärtige iſt.


[X]

Fern ſei es jedoch von uns, über das Waſſer, das helle,
ſonnenklare Waſſer der natürlichen Vernunft uns Illuſionen
zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus ſelbſt
wieder ſupranaturaliſtiſche Vorſtellungen zu verbinden. Ἄϱιστον
ὕδωϱ, allerdings; aber auch ἄϱιστον μέτϱον. Auch die
Kraft des Waſſers iſt eine in ſich ſelbſt begränzte, in Maaß und
Ziel geſetzte Kraft. Auch für das Waſſer gibt es unheilbare
Krankheiten. So iſt vor Allem incurabel die Venerie, die
Luſtſeuche der modernen Frömmler, Dichtler und Schöngeiſt-
ler, welche, den Werth der Dinge nur nach ihrem poetiſchen
Reize bemeſſend, ſo ehr- und ſchamlos ſind, daß ſie ſelbſt
auch die als Illuſion erkannte Illuſion, weil ſie ſchön und
wohlthätig ſei, in Schutz nehmen, ſo weſen- und wahrheits-
los, daß ſie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illuſion nur
ſo lange ſchön iſt, ſo lange ſie für keine Illuſion, ſondern für
Wahrheit gilt. Doch an ſolche grundeitle, luſtſüchtige Sub-
jecte wendet ſich auch nicht der pneumatiſche Waſſerheilkünſtler.
Nur wer den ſchlichten Geiſt der Wahrheit höher ſchätzt als
den gleißneriſchen Schöngeiſt der Lüge, nur wer die Wahrheit
ſchön, die Lüge aber häßlich findet, nur der iſt würdig und
fähig, die heilige Waſſertaufe zu empfangen.


[[XI]]

Inhalt.


  • Einleitung.
  • Seite
  • Das Weſen des Menſchen im Allgemeinen 1
  • Das Weſen der Religion im Allgemeinen 17
  • Erſter Theil.
    Die Religion in ihrer Uebereinſtimmung mit dem
    Weſen des Menſchen.
  • Gott als Geſetz oder als Weſen des Verſtandes 37
  • Das Geheimniß der Incarnation oder Gott als Liebe, als
    Herzensweſen 48
  • Das Geheimniß des leidenden Gottes 60
  • Das Myſterium der Trinität und Mutter Gottes 71
  • Das Geheimniß des Logos und göttlichen Ebenbildes 85
  • Das Geheimniß des kosmogoniſchen Princips in Gott 96
  • Das Geheimniß der Natur in Gott 105
  • Das Geheimniß der Vorſehung und Schöpfung aus Nichts 126
  • Die Bedeutung der Creation im Judenthum 142
  • Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des Ge-
    betes 154
  • Das Geheimniß des Glaubens — das Geheimniß des Wunders 163
  • Das Geheimniß der Auferſtehung und übernatürlichen Geburt 175
  • Das Geheimniß des chriſtlichen Chriſtus oder des perſön-
    lichen Gottes 183
  • Der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum 197
  • Die chriſtliche Bedeutung des freien Cälibats und Mönch-
    thums 212
  • Der chriſtliche Himmel oder die perſönliche Unſterblichkeit 225
  • Seite
  • Zweiter Theil.
    Die Religion in ihrem Widerſpruch mit dem Weſen
    des Menſchen.
  • Der weſentliche Standpunkt der Religion 248
  • Der Widerſpruch in dem Begriffe der Exiſtenz Gottes 266
  • Der Widerſpruch in der Offenbarung Gottes 277
  • Der Widerſpruch in dem Weſen Gottes 290
  • Der Widerſpruch in den Sacramenten 320
  • Der Widerſpruch von Glaube und Liebe 335
  • Schlußanwendung 369
  • Anhang.
  • Anmerkungen und Beweisſtellen 381
[[1]]

Einleitung.


Das Weſen des Menſchen im Allgemeinen.


Die Religion beruht auf dem weſentlichen Unterſchiede
des Menſchen vom Thiere — die Thiere haben keine Reli-
gion. Die ältern kritikloſen Zoographen legten wohl dem Ele-
phanten unter andern löblichen Eigenſchaften auch die Tugend
der Religioſität bei; allein die Religion der Elephanten gehört
in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner
der Thierwelt, ſtellt, geſtützt auf eigne Beobachtungen, den Ele-
phanten auf keine höhere Geiſtesſtufe als den Hund.


Was iſt aber dieſer weſentliche Unterſchied des Menſchen
vom Thiere? Die einfachſte und allgemeinſte, auch populärſte
Antwort auf dieſe Frage iſt: das Bewußtſein — aber Be-
wußtſein im ſtrengen Sinne; denn Bewußtſein im Sinne des
Selbſtgefühls, der ſinnlichen Unterſcheidungskraft, der Wahr-
nehmung der äußern Dinge nach beſtimmten ſinnfälligen Merk-
malen, ſolches Bewußtſein kann den Thieren nicht abgeſpro-
chen werden. Bewußtſein im ſtrengſten Sinne iſt nur da,
wo einem Weſen ſeine Gattung, ſeine Weſenheit Gegen-
ſtand iſt. Das Thier iſt wohl ſich als Individuum — darum
hat es Selbſtgefühl — aber nicht als Gattung Gegenſtand —
darum mangelt ihm das Bewußtſein, welches ſeinen Namen
Feuerbach. 1
[2] vom Wiſſen ableitet. Wo Bewußtſein, da iſt Fähigkeit zur
Wiſſenſchaft. Die Wiſſenſchaft iſt das Bewußtſein der
Gattungen
. Im Leben verkehren wir mit Individuen, in
der Wiſſenſchaft mit Gattungen. Aber nur ein Weſen, dem
ſeine eigene Gattung, ſeine Weſenheit Gegenſtand iſt, kann
andere Dinge oder Weſen nach ſeiner weſentlichen Natur zum
Gegenſtande machen.


Das Thier hat daher nur ein einfaches, der Menſch ein
zweifaches Leben: bei dem Thiere iſt das innere Leben eins
mit dem äußern — der Menſch hat ein inneres und äußeres
Leben. Das innere Leben des Menſchen iſt das Leben im
Verhältniß zu ſeiner Gattung, ſeinem allgemeinen Weſen.
Der Menſch denkt, d. h. er converſirt, er ſpricht mit ſich
ſelbſt
. Das Thier kann keine Gattungsfunction verrichten
ohne ein anderes Individuum außer ihm; der Menſch aber
kann die Gattungsfunction des Denkens, des Sprechens —
denn Denken, Sprechen ſind wahre Gattungsfunctionen
— ohne einen Andern verrichten. Der Menſch iſt ſich ſelbſt zu-
gleich Ich und Du; er kann ſich ſelbſt die Stelle des Andern
vertreten, eben deßwegen, weil ihm ſeine Gattung, ſein We-
ſen
, nicht nur ſeine Individualität Gegenſtand iſt.


Die Religion im Allgemeinen, als identiſch mit dem
Weſen des Menſchen, iſt identiſch mit dem Selbſtbewußt-
ſein
, mit dem Bewußtſein des Menſchen von ſeinem Weſen.
Aber die Religion iſt, allgemein ausgedrückt, Bewußtſein des
Unendlichen; ſie iſt alſo und kann nichts andres ſein als das
Bewußtſein des Menſchen von ſeinem, und zwar nicht end-
lichen, beſchränkten, ſondern unendlichen Weſen. Ein wirk-
lich
endliches Weſen hat keine, auch nicht die entfernteſte
Ahnung
, geſchweige Bewußtſein von einem unendlichen
[3] Weſen
, denn die Schranke des Weſens iſt auch die
Schranke des Bewußtſeins. Das Bewußtſein der Raupe,
deren Leben und Weſen auf eine beſtimmte Pflanzenſpecies
eingeſchränkt iſt, erſtreckt ſich auch nicht über dieſes beſchränkte
Gebiet hinaus. Sie unterſcheidet wohl dieſe Pflanze von an-
dern Pflanzen, aber mehr weiß ſie nicht. Solches beſchränk-
tes, aber eben wegen ſeiner Beſchränktheit infallibles, untrüg-
liches Bewußtſein nennen wir darum auch nicht Bewußtſein,
ſondern Inſtinkt. Bewußtſein im ſtrengen oder eigentlichen
Sinne und Bewußtſein des Unendlichen iſt identiſch.
Beſchränktes
Bewußtſein iſt kein Bewußtſein; das Bewußt-
ſein iſt weſentlich unendlicher Natur*). Das Bewußtſein des
Unendlichen iſt nichts andres als das Bewußtſein von der
Unendlichkeit des Bewußtſeins. Oder: im Bewußtſein
des Unendlichen iſt dem Bewußten nur die Unendlichkeit
des eignen Weſens Gegenſtand
.**)


Aber was iſt denn das Weſen des Menſchen, deſſen er
ſich bewußt iſt, oder was conſtituirt die Gattung, die eigent-
liche Menſchheit im Menſchen? Die Vernunft, der Wille,
1*
[4]das Herz. Zu einem vollkommenen Menſchen gehört die
Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des
Herzens. Die Kraft des Denkens iſt das Licht der Erkennt-
niß, die Kraft des Willens die Energie des Charakters, die
Kraft des Herzens die Liebe. Vernunft, Liebe, Willenskraft
ſind Vollkommenheiten, die Vollkommenheiten des menſch-
lichen Weſens, ja abſolute Weſensvollkommenheiten.
Wollen, Lieben, Denken ſind die höchſten Kräfte, ſind das
abſolute Weſen des Menſchen qua talis, als Menſchen, und
der Grund ſeines Daſeins. Der Menſch iſt, um zu denken, um
zu lieben, um zu wollen. Was aber der Endzweck, iſt auch
der wahre Grund und Urſprung eines Weſens. Aber was iſt
der Zweck der Vernunft? die Vernunft. Der Liebe? die Liebe.
Des Willens? die Willensfreiheit. Wir denken, um zu denken,
lieben, um zu lieben, wollen, um zu wollen, d. h. frei zu ſein.
Wahres Weſen iſt denkendes, liebendes, wollendes Weſen.
Wahr, vollkommen, göttlich iſt nur, was um ſein ſelbſt
willen
iſt. Aber ſo iſt die Liebe, ſo die Vernunft, ſo der
Wille. Die göttliche Dreieinigkeit im Menſchen über dem
individuellen Menſchen iſt die Einheit von Vernunft, Liebe,
Wille. Vernunft (in ihren ſinnlichen Formen: Einbildungs-
kraft, Phantaſie, Vorſtellung, Meinung)*), Wille, Liebe
oder Herz ſind keine Kräfte, welche der Menſch hat — denn
er iſt nichts ohne ſie, er iſt, was er iſt, nur durch ſie — ſie
ſind als die ſein Weſen, welches er weder hat, noch macht,
conſtituirenden Kräfte, Elemente oder Principien, die ihn be-
ſeelenden, beſtimmenden, beherrſchenden Mächte —
[5] göttliche, abſolute Mächte
, denen er keinen Widerſtand
entgegenſetzen kann.


Wie könnte der gefühlvolle Menſch dem Gefühl, der Lie-
bende der Liebe, der Vernünftige der Vernunft widerſtehen?
Wer hat nicht die zermalmende Macht der Töne erfahren?
Aber was iſt die Macht der Töne als die Macht der Gefühle?
Die Muſik iſt die Sprache der Gefühle — der Ton das laute
Gefühl, das Gefühl, das ſich mittheilt. Wer hätte nicht die
Macht der Liebe erfahren oder wenigſtens von ihr gehört?
Wer iſt ſtärker? die Liebe oder der individuelle Menſch? Hat
der Menſch die Liebe, oder hat nicht vielmehr die Liebe den
Menſchen? Wenn die Liebe den Menſchen bewegt, ſelbſt mit
Freuden für den Geliebten in den Tod zu gehen, iſt dieſe den
Tod überwindende Kraft ſeine eigne individuelle Kraft oder
nicht vielmehr die Kraft der Liebe? Und wer, der je wahrhaft
gedacht, hätte nicht die Macht des Denkens, die freilich ſtille,
geräuſchloſe Macht des Denkens erfahren? Wenn Du in
tiefes Nachdenken verſinkeſt, Dich und was um Dich vergeſ-
ſend, beherrſcheſt Du die Vernunft oder wirſt Du nicht von
ihr beherrſcht und verſchlungen? Iſt die wiſſenſchaftliche Be-
geiſterung nicht der ſchönſte Triumph, den die Vernunft über
Dich feiert? Iſt die Macht des Wiſſenstriebs nicht eine
ſchlechterdings unwiderſtehliche, Alles überwin-
dende Macht
? Und wenn Du eine Leidenſchaft unterdrückſt,
eine Gewohnheit ablegſt, kurz einen Sieg über Dich ſelbſt er-
ringſt, iſt dieſe ſiegreiche Kraft Deine eigne perſönliche Kraft,
für ſich ſelbſt gedacht, oder nicht vielmehr die Willensenergie,
die Macht der Sittlichkeit, welche ſich gewaltſam Deiner be-
meiſtert und Dich mit Indignation gegen Dich ſelbſt und
Deine individuellen Schwachheiten erfüllt?


[6]

Der Menſch iſt nichts ohne Gegenſtand. Große,
exemplariſche Menſchen — ſolche Menſchen, die uns das We-
ſen des Menſchen offenbaren, beſtätigten dieſen Satz durch ihr
Leben. Sie hatten nur eine dominirende Grundleidenſchaft:
die Verwirklichung des Zwecks, welcher der weſentliche Ge-
genſtand ihrer Thätigkeit war. Aber der Gegenſtand, auf
welchen ſich ein Subject weſentlich, nothwendig bezieht,
iſt nichts andres, als das eigne, aber gegenſtändliche
Weſen dieſes Subjects. Iſt derſelbe ein mehreren der Gattung
nach gleichen, der Art nach aber unterſchiedenen Individuen
gemeinſchaftlicher Gegenſtand, ſo iſt er wenigſtens ſo, wie er
dieſen Individuen je nach ihrer Verſchiedenheit Object iſt, ihr
eignes aber gegenſtändliches Weſen.


So iſt die Sonne das gemeinſchaftliche Object der Planeten,
aber ſo, wie ſie dem Merkur, der Venus, dem Saturn, dem Ura-
nus, ſo iſt ſie nicht der Erde Gegenſtand. Jeder Planet hat
ſeine eigne Sonne
. Die Sonne, die und wie ſie den Ura-
nus erleuchtet und erwärmt, hat kein phyſiſches (nur ein aſtro-
nomiſches, wiſſenſchaftliches) Daſein für die Erde; und die
Sonne erſcheint nicht nur anders, ſie iſt auch wirklich auf dem
Uranus eine andere Sonne als auf der Erde. Das Ver-
halten der Erde zur Sonne iſt daher zugleich ein Verhalten
der Erde zu ſich ſelbſt oder zu ihrem eignen Weſen, denn das
Maaß der Größe und der Intenſität des Lichts, in welchem
die Sonne der Erde Gegenſtand iſt, iſt das Maaß der Ent-
fernung, welches die eigenthümliche Natur der Erde begrün-
det. Die Sonne jedes Planeten iſt der Spiegel ſeines eignen
Weſens.


An dem Gegenſtande wird daher der Menſch ſeiner
ſelbſt
bewußt: das Bewußtſein des Gegenſtands iſt das
[7]Selbſtbewußtſein des Menſchen. Aus dem Gegenſtande
erkennſt Du den Menſchen; an ihm erſcheint Dir ſein We-
ſen: der Gegenſtand iſt ſein offenbares Weſen, ſein wah-
res objectives
Ich. Und dieß gilt keineswegs nur von den
geiſtigen, ſondern auch den ſinnlichen Gegenſtänden. Auch
die dem Menſchen fernſten Gegenſtände ſind, weil und wie-
fern
ſie ihm Gegenſtände ſind, Offenbarungen des menſchli-
chen Weſens. Auch der Mond, auch die Sonne, auch die
Sterne rufen dem Menſchen das Γνῶϑι σαυτὸν zu. Daß
er ſie ſieht und ſie ſo ſieht, wie er ſie ſieht, das iſt ein Zeug-
niß ſeines eignen Weſens. Das Thier wird nur ergriffen von
dem das Leben unmittelbar afficirenden Lichtſtrahl, der Menſch
dagegen auch noch von dem kalten Strahl des entfernteſten
Sternes. Nur der Menſch hat reine, intellectuelle, intereſſe-
loſe Freuden und Affecte — nur der Menſch feiert theoretiſche
Augenfeſte. Das Auge, das in den Sternenhimmel ſchaut,
jenes nutz- und ſchadenloſe Licht erblickt, welches nichts mit
der Erde und ihren Bedürfniſſen gemein hat, dieſes Auge blickt
in dieſem Lichte in ſein eignes Weſen, ſeinen eignen Urſprung.
Das Auge iſt himmliſcher Natur. Darum erhebt ſich der
Menſch über die Erde nur mit dem Auge; darum beginnt die
Theorie mit dem Blicke nach dem Himmel. Die erſten
Philoſophen waren Aſtronomen. Der Himmel erinnert den
Menſchen an ſeine Beſtimmung, daran, daß er nicht blos
zum Handeln, ſondern auch zur Beſchauung beſtimmt iſt.


Das abſolute Weſen des Menſchen iſt ſein eignes
Weſen
. Die Macht des Gegenſtandes über ihn iſt daher
die Macht ſeines eignen Weſens. So iſt die Macht des
Gegenſtands der Liebe die Macht der Liebe, die Macht des
Gegenſtands der Vernunft die Macht der Vernunft ſelbſt.
[8] Den Menſchen, deſſen Weſen der Ton beſtimmt, beherrſcht
das Gefühl — wenigſtens das Gefühl, welches im Tone ſein
entſprechendes Element findet. Nicht der Ton für ſich ſelbſt,
nur der inhaltsvolle, der ſinn- und gefühlvolle Ton hat Macht
auf das Gefühl. Das Gefühl wird nur durch das Gefühl-
volle, d. h. durch ſich ſelbſt, ſein eignes Weſen beſtimmt.
So auch der Wille, ſo auch und unendlich mehr die Vernunft.
Was für eines Gegenſtandes wir uns daher auch nur immer
bewußt werden: wir werden ſtets zugleich auch unſres eignen
Weſens uns bewußt. Wir können nichts Anderes bethäti-
gen, ohne uns ſelbſt zu bethätigen. Und weil Wollen, Füh-
len, Denken Vollkommenheiten ſind, Perfectionen, Realitäten,
ſo iſt es unmöglich, daß wir mit Vernunft die Vernunft,
mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine
beſchränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden, oder
wahrnehmen. Endlichkeit nämlich und Richtigkeit ſind iden-
tiſch. Endlichkeit iſt nur ein Euphemismus für Nichtigkeit.
Endlichkeit iſt der metaphyſiſche, der theoretiſche, Nichtig-
keit der pathologiſche, praktiſche Ausdruck. Was dem
Verſtande endlich, iſt nichtig dem Herzen. Es iſt aber
unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Ver-
nunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkom-
menheit, jede urſprüngliche Kraft und Weſenheit die unmit-
telbare Bewahrheitung
und Bekräftigung ihrer ſelbſt
iſt. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne
dieſe Thätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht
wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes
Weſen iſt, ohne darüber eine unendliche Freude zu empfin-
den. Bewußtſein iſt das ſich ſelbſt Gegenſtand Sein eines
Weſens; daher nichts Apartes, nichts von dem Weſen, das
[9] ſich ſeiner bewußt iſt, Unterſchiednes. Wie könnte es ſonſt
ſich ſeiner bewußt ſein? Unmöglich iſt es darum, einer Voll-
kommenheit als einer Unvollkommenheit ſich bewußt zu wer-
den, unmöglich, das Gefühl als beſchränkt zu empfin-
den, unmöglich,
das Denken als beſchränkt zu denken.


Bewußtſein iſt Selbſtbethätigung, Selbſtbejahung,
Selbſtliebe
, — Selbſtliebe nicht im Sinne der thieriſchen —
Freude an der eignen Vollkommenheit. Bewußtſein iſt
das charakteriſtiſche Kennzeichen eines vollkommnen
Weſens
. Bewußtſein iſt nur in einem geſättigten, vollendeten
Weſen. Selbſt die menſchliche Eitelkeit beſtätigt dieſe Wahr-
heit. Der Menſch ſteht in den Spiegel. Er hat einen Wohl-
gefallen an ſeiner Geſtalt. Dieſes Wohlgefallen iſt eine noth-
wendige, unwillkührliche Folge von der Vollendung, von der
Schönheit ſeiner Geſtalt. Die ſchöne Geſtalt iſt in ſich geſät-
tigt, ſie hat nothwendig eine Freude an ſich, ſie ſpiegelt ſich
nothwendig in ſich ſelbſt. Eitelkeit iſt es nur, wenn der
Menſch ſeine eigne individuelle Geſtalt beliebäugelt, aber nicht
wenn er die menſchliche Geſtalt überhaupt bewundert. Er ſoll
ſie bewundern. Allerdings liebt jedes Weſen ſich, ſein Sein
und ſoll es lieben. Sein iſt ein Gut. Quidquid essentia
dignum est, scientia dignum est.
Alles was iſt hat Werth,
iſt ein Weſen von Diſtinction. Wenigſtens gilt dieß von der
Species, von der Gattung. Darum bejaht, behauptet es ſich.
Aber die höchſte Form der Selbſtbejahung, die Form, welche
ſelbſt eine Auszeichnung iſt, eine Vollkommenheit, ein Glück,
ein Gut, iſt das Bewußtſein.


Jede Beſchränkung der Vernunft oder überhaupt des
Weſens des Menſchen beruht auf einer Täuſchung, einem
Irrthum. Wohl kann und ſoll ſelbſt das menſchliche Indi-
[10] viduum
— hierin beſteht ſein Unterſchied von dem thieri-
ſchen — ſich als beſchränkt fühlen und erkennen; aber es kann
ſich ſeiner Schranken, ſeiner Endlichkeit nur bewußt werden,
weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung
Gegenſtand iſt, ſei es nun als Gegenſtand des Gefühls, oder
des Gewiſſens, oder des denkenden Bewußtſeins. Macht es
gleichwohl ſeine Schranken zu Schranken der Gattung,
ſo beruht dieß auf der Täuſchung, daß es ſich mit der Gat-
tung unmittelbar identificirt — eine Täuſchung, die mit der
Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbſtſucht des
Individuums aufs innigſte zuſammenhängt. Eine Schranke
nämlich, die ich blos als meine Schranke weiß, demüthigt,
beſchämt
und beunruhigt mich. Um mich daher von die-
ſem Schamgefühl, von dieſer Unruhe zu befreien, mache ich
die Schranken meiner Individualität zu Schranken
des menſchlichen Weſens
ſelbſt. Was mir unbegreiflich,
iſt auch den Andern unbegreiflich; was ſoll ich mich weiter
kümmern? es iſt ja nicht meine Schuld; es liegt nicht an mei-
nem
Verſtande; es liegt am Verſtande der Gattung ſelbſt.
Aber es iſt Wahn, lächerlicher und zugleich frevelhafter Wahn,
das, was die Natur des Menſchen conſtituirt, das Weſen
der Gattung, welches das abſolute Weſen des Individuums
iſt, als endlich, als beſchränkt zu beſtimmen. Jedes Weſen
iſt ſich ſelbſt genug
. Kein Weſen kann ſich d. h. ſeine
Weſenheit negiren; kein Weſen iſt ſich ſelbſt ein beſchränktes.
Jedes Weſen iſt vielmehr in ſich und für ſich unendlich.
Jede Schranke eines Weſens exiſtirt nur für ein andres
Weſen außer und über ihm. Das Leben der Ephemeren iſt
außerordentlich kurz im Vergleich zu länger lebenden Thie-
ren; aber gleichwohl iſt für ſie dieſes kurze Leben ſo lang, als
[11] für Andere ein Leben von Jahren. Das Blatt, auf dem die
Raupe lebt, iſt für ſie eine Welt, ein unendlicher Raum.


Was ein Weſen zu dem macht, was es iſt, das iſt eben
ſein Talent, ſein Vermögen, ſein Reichthum, ſein Schmuck.
Wie wäre es möglich, ſein Sein als Nichtſein, ſeinen Reich-
thum als Mangel, ſein Talent als Unvermögen zu gewahren?
Hätten die Pflanzen Augen, Geſchmack und Urtheilskraft —
jede Pflanze würde ihre Blume für die ſchönſte erklären; denn
ihr Verſtand, ihr Geſchmack würde nicht weiter reichen als
ihre producirende Weſenskraft. Was die producirende We-
ſenskraft als das Höchſte hervorbrächte, das müßte auch ihr
Geſchmack, ihre Urtheilskraft als das Höchſte bekräftigen, an-
erkennen. Was das Weſen bejaht, kann der Verſtand,
der Geſchmack, das Urtheil nicht verneinen; ſonſt wäre der
Verſtand, die Urtheilskraft nicht mehr der Verſtand, die Ur-
theilskraft dieſes beſtimmten, ſondern irgend eines andern We-
ſens. Das Maaß des Weſens iſt auch das Maaß des
Verſtandes
. Iſt das Weſen beſchränkt, ſo iſt auch das Ge-
fühl, auch der Verſtand beſchränkt. Aber einem beſchränkten
Weſen iſt ſein beſchränkter Verſtand keine Schranke; es iſt viel-
mehr vollkommen glücklich und befriedigt mit demſelben; es
empfindet ihn, es lobt und preiſt ihn als eine herrliche, gött-
liche Kraft; und der beſchränkte Verſtand preiſt ſeinerſeits wie-
der das beſchränkte Weſen, deſſen Verſtand er iſt. Beide paſ-
ſen aufs genauſte zuſammen; wie ſollten ſie mit einander zerfal-
len können? Der Verſtand iſt der Geſichtskreis eines Weſens.
So weit Du ſiehſt, ſo weit erſtreckt ſich Dein Weſen, und um-
gekehrt. Das Auge des Thieres reicht nicht weiter, als ſein Be-
dürfniß, und ſein Weſen nicht weiter, als ſein Bedürfniß.
Und ſo weit Dein Weſen, ſo weit reicht Dein unbeſchränk-
[12] tes Selbſtgefühl
, ſo weit biſt Du Gott. Der Zwieſpalt
von Verſtand und Weſen, von Denkkraft und Productions-
kraft im menſchlichen Bewußtſein iſt einerſeits ein nur indivi-
dueller, ohne allgemeine Bedeutung, andrerſeits nur ein ſchein-
barer. Wer ſeine ſchlechten Gedichte als ſchlecht erkennt, iſt,
weil in ſeiner Erkenntniß, auch in ſeinem Weſen nicht
ſo beſchränkt, wie der, welcher ſeine ſchlechten Gedichte in ſei-
nem Verſtande approbirt.


Kein Weſen kann alſo in ſeinen Gefühlen, Vorſtellungen,
Gedanken ſeine Natur verläugnen. Was es auch ſetzt — es
ſetzt immer Sich ſelbſt. Jedes Weſen hat ſeinen Gott, ſein
höchſtes Weſen in ſich ſelbſt. Preiſeſt Du die Herrlichkeit
Gottes, ſo preiſeſt Du die Herrlichkeit des eignen Weſens.
Alle Bewunderung iſt im Grunde Selbſtbewunderung, alles
Lob Selbſtlob; jedes Urtheil, das Du über Anderes fällſt, ein
Urtheil über Dich ſelbſt. Rühmliches zu rühmen, iſt ſelbſt
Ruhm, Tugenden eines Andern anzuerkennen, zu fühlen, ſelbſt
Tugend. Was des Lichtes ſich freut, das iſt in ſich ſelbſt
ein illuminirtes, aufgeklärtes Weſen. Gleich und Gleich ge-
ſellt ſich gern. Nur der helle Kopf verlangt nach Licht; nur
Licht vernimmt Licht.


Denkſt Du folglich das Unendliche, ſo denkſt und be-
ſtätigſt Du die Unendlichkeit des Denkvermögens; fühlſt
Du das Unendliche, ſo fühlſt und beſtätigſt Du die Unend-
lichkeit
des Gefühlsvermögens. Der Gegenſtand der
Vernunft iſt die ſich gegenſtändliche Vernunft, der Ge-
genſtand
des Gefühls das ſich gegenſtändliche Gefühl.
Haſt Du keinen Sinn, kein Gefühl für Muſik, ſo vernimmſt
Du auch in der ſchönſten Muſik nicht mehr, als in dem Winde,
der vor Deinen Ohren vorbeiſauft, als in dem Bache, der vor
[13] Deinen Füßen vorbeirauſcht. Was ergreift Dich alſo, wenn
Dich der Ton ergreift? Was vernimmſt Du in ihm? was
anders, als die Stimme Deines eignen Herzens? Darum
ſpricht das Gefühl nur zum Gefühl, darum iſt das Gefühl
nur dem Gefühl, d. h. ſich ſelbſt verſtändlich — darum, weil
der Gegenſtand des Gefühls ſelbſt nur Gefühl iſt. Die Mu-
ſik iſt ein Monolog des Gefühls. Aber auch der Dialog
der Philoſophie iſt in Wahrheit nur ein Monolog der Ver-
nunft. Der Gedanke ſpricht nur zum Gedanken. Der Far-
benglanz der Kryſtalle entzückt die Sinne; die Vernunft inter-
eſſiren nur die Geſetze der Kryſtallonomie. Der Vernunft iſt
nur das Vernünftige Gegenſtand.


Alles daher, was im Sinne der hyperphyſiſchen trans-
cendenten Speculation und Religion nur die Bedeutung des
Secundären, des Subjectiven, des Mittels, des Or-
gans
hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung
des Primitiven, des Weſens, des Gegenſtandes ſelbſt.
Iſt z. B. das Gefühl das weſentliche Organ der Religion, ſo
drückt das Weſen Gottes nichts andres aus, als das We-
ſen des Gefühls
. Der wahre, aber verborgene Sinn der
Rede: „das Gefühl iſt das Organ des Göttlichen,“ lautet:
das Gefühl iſt das Nobelſte, Trefflichſte, d. h. Göttliche
im Menſchen. Wie könnteſt Du das Göttliche vernehmen
durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht ſelbſt göttlicher Na-
tur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche,
Gott nur durch ſich ſelbſt erkannt. Das göttliche Weſen, wel-
ches das Gefühl vernimmt, iſt in der That nichts als das
von ſich ſelbſt entzückte und bezauberte Weſen des Ge-
fühls — das wonnetrunkene, in ſich ſelige Gefühl.


Es erhellt dieß ſchon daraus, daß da, wo das Gefühl
[14] zum Organ des Unendlichen, zum ſubjectiven Weſen der Re-
ligion gemacht wird, der Gegenſtand derſelben ſeinen objecti-
ven Werth verliert. So iſt, ſeitdem man das Gefühl zur
Hauptſache der Religion gemacht, der ſonſt ſo heilige Glau-
bensinhalt des Chriſtenthums gleichgültig geworden. Wird
auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenſtand noch
Werth eingeräumt, ſo hat er doch dieſen nur um des Gefühls
willen. Würde ein anderer Gegenſtand dieſelben Gefühle er-
regen, ſo wäre er eben ſo willkommen. Der Gegenſtand des
Gefühls wird aber eben nur deßwegen gleichgültig, weil, wo
einmal das Gefühl als das ſubjective Weſen der Religion
ausgeſprochen wird, es in der That auch das objective We-
ſen
derſelben iſt, wenn es gleich nicht als ſolches, wenigſtens
direct, ausgeſprochen wird. Direct ſage ich; denn indirect
wird dieß allerdings eingeſtanden, indem, wenn einmal das
Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als
ſolches
, jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, alſo
der Unterſchied zwiſchen ſpecifiſch religiöſen und irreli-
giöſen oder wenigſtens nicht religiöſen Gefühlen aufgehoben
wird und aufgehoben werden muß. Warum denn anders als we-
gen ſeines Weſens, ſeiner Natur machſt Du das Gefühl zum Or-
gan des unendlichen, des göttlichen Weſens? Iſt aber nicht die
Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes ſpeciellen Ge-
fühls, ſein Gegenſtand ſei nun welcher er wolle? Was macht alſo
dieſes Gefühl zum religiöſen? der beſtimmte Gegenſtand?
Mit nichten, denn dieſer Gegenſtand iſt ſelbſt nur ein reli-
giöſer
, wenn er nicht ein Gegenſtand des kalten Verſtandes
oder Gedächtniſſes, ſondern des Gefühls iſt. Was alſo?
die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterſchied
des Gegenſtandes, Theil hat. Das Gefühl iſt alſo heilig ge-
[15] ſprochen, lediglich weil es Gefühl iſt; der Grund der Reli-
gioſität iſt die Natur des Gefühls, liegt in ihm ſelbſt. Iſt
aber dadurch nicht das Gefühl als das Abſolute, als das
Göttliche ſelbſt
ausgeſprochen? Wenn das Gefühl durch
ſich ſelbſt
gut, religiös, d. h. heilig, göttlich iſt, hat das Ge-
fühl ſeinen Gott nicht in ſich ſelbſt?


Wenn Du aber dennoch ein Object des Gefühls feſtſetzen,
zugleich aber Dein Gefühl wahrhaft auslegen willſt, ohne
mit Deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was
bleibt Dir übrig, als zu unterſcheiden zwiſchen Deinen indi-
viduellen Gefühlen und zwiſchen dem allgemeinen Weſen, der
Natur des Gefühls, als abzuſondern das Weſen des Gefühls
von den ſtörenden, verunreinigenden Einflüſſen, an welche in
Dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden iſt?
Was Du daher allein vergegenſtändlichen, als das Unend-
liche ausſprechen, als deſſen Weſen beſtimmen kannſt, das iſt
nur die Natur des Gefühls. Du haſt hier keine andere Be-
ſtimmung für Gott als dieſe: Gott iſt das reine, das un-
beſchränkte, das freie Gefühl
. Jeder andre Gott, den
Du hier ſetzeſt, iſt ein von Außen Deinem Gefühl aufgedrun-
gener Gott. Das Gefühl iſt atheiſtiſch im Sinne des or-
thodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern
Gegenſtand anknüpft. Das Gefühl läugnet einen gegen-
ſtändlichen
Gott — es iſt ſich ſelbſt Gott. Die Nega-
tion des Gefühls nur
iſt auf dem Standpunkt des Gefühls
die Negation Gottes. Du biſt nur zu feige oder zu be-
ſchränkt, um mit Worten einzugeſtehen, was Dein Gefühl im
Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rückſichten, in den
Banden des gemeinſten Empirismus noch befangen, unfähig
die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erſchrickſt Du vor
[16] dem religiöſen Atheismus Deines Herzens und zerſtörſt in
dieſem Schrecken die Einheit Deines Gefühls mit ſich
ſelbſt
, indem Du Dir ein vom Gefühl unterſchiednes, objecti-
ves Weſen vorſpiegelſt, und Dich ſo nothwendig wieder zu-
rückwirfſt in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott iſt
oder nicht iſt? Fragen und Zweifel, die doch da verſchwun-
den, ja unmöglich ſind, wo das Gefühl als das Weſen der
Religion beſtimmt wird. Das Gefühl iſt Deine innigſte und
doch zugleich eine von Dir unterſchiedene, unabhängige Macht,
es iſt in Dir über Dir: es iſt ſelbſt ſchon das Objective in
Dir, Dein eigenſtes Weſen, das Dich als und wie ein an-
deres Weſen
ergreift, kurz Dein Gott — wie willſt Du
alſo von dieſem objectiven Weſen in Dir noch ein an-
deres objectives Weſen unterſcheiden? wie über Dein Gefühl
hinaus?


Das Gefühl wurde aber hier nur als Beiſpiel hervorge-
hoben. Dieſelbe Bewandtniß hat es mit jeder andern Kraft,
Fähigkeit, Potenz, Realität, Thätigkeit — der Name iſt gleich-
gültig — welche man als das weſentliche Organ eines
Gegenſtandes beſtimmt. Was ſubjectiv die Bedeutung des
Weſens, das hat eben damit auch objectiv die Bedeutung
des Weſens. Der Menſch kann nun einmal nicht über ſein
wahres Weſen hinaus. Wohl mag er ſich vermittelſt der
Phantaſie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorſtel-
len, aber von ſeiner Gattung, ſeinem Weſen kann er nimmer-
mehr abſtrahiren; die Weſensbeſtimmungen, die poſitiven letz-
ten Prädicate, die er dieſen andern Individuen gibt, ſind im-
mer aus ſeinem eignen Weſen geſchöpfte Beſtimmungen —
Beſtimmungen, in denen er in Wahrheit nur ſich ſelbſt abbil-
det und vergegenſtändlicht.


[17]

Das Weſen der Religion im Allgemeinen.


Was im Allgemeinen, ſelbſt in Beziehung auf die ſinn-
lichen Gegenſtände, von dem Verhältniß des Subjects zum
Object bisher behauptet wurde, das gilt insbeſondere von
dem Verhältniß des Subjects zum religiöſen Gegenſtande.


Im Verhältniß zu den ſinnlichen Gegenſtänden iſt das
Bewußtſein des Gegenſtandes wohl unterſcheidbar vom Selbſt-
bewußtſein; aber bei dem religiöſen Gegenſtand fällt das Be-
wußtſein mit dem Selbſtbewußtſein unmittelbar zuſammen.
Der ſinnliche Gegenſtand iſt außer dem Menſchen da, der
religiöſe in ihm, ein ſelbſt innerlicher — darum ein Ge-
genſtand, der ihn eben ſo wenig verläßt, als ihn ſein Selbſt-
bewußtſein, ſein Gewiſſen verläßt — ein intimer, ja der al-
lerintimſte, der allernächſte Gegenſtand. „Gott, ſagt Augu-
ſtin und Malebranche, iſt uns näher als wir uns ſelbſt. Gott
iſt enger mit uns verbunden als der Leib mit der Seele, als
wir mit uns ſelbſt.“ Der ſinnliche Gegenſtand iſt an ſich
ein indifferenter, unabhängig von der Geſinnung, von der
Urtheilskraft; der Gegenſtand der Religion aber iſt ein aus-
erleſener
Gegenſtand: das vorzüglichſte, das erſte, das höchſte
Weſen; er ſetzt weſentlich ein kritiſches Urtheil voraus, den
Unterſchied zwiſchen dem Göttlichen und Nichtgöttlichen, dem
Anbetungswürdigen und Nichtanbetungswürdigen*). Und hier
gilt daher ohne alle Einſchränkung der Satz: der Gegen-
ſtand des Subjects iſt nichts andres als das gegenſtänd-
liche Weſen des Subjects
ſelbſt. Wie der Menſch ſich
Gegenſtand, ſo iſt ihm Gott Gegenſtand; wie er denkt, wie er
Feuerbach. 2
[18] geſinnt iſt, ſo iſt ſein Gott. So viel Werth der Menſch hat,
ſo viel Werth und nicht mehr hat ſein Gott. Das Bewußt-
ſein Gottes iſt das Selbſtbewußtſein des Menſchen,
die Erkenntniß Gottes
die Selbſterkenntniß des Men-
ſchen
*). Aus ſeinem Gotte erkennſt Du den Menſchen, und
hinwiederum aus dem Menſchen ſeinen Gott; beides iſt iden-
tiſch. Was dem Menſchen Gott iſt, das iſt ſein Geiſt,
ſeine Seele
, und was des Menſchen Geiſt, ſeine Seele,
ſein Herz, das iſt ſein Gott
: Gott iſt das offenbare
Innere, das ausgeſprochne Selbſt des Menſchen; die Reli-
gion iſt die feierliche Enthüllung der verborgnen Schätze des
Menſchen, das Eingeſtändniß ſeiner innerſten Gedanken, das
öffentliche Bekenntniß ſeiner Liebesgeheimniſſe.


Wenn aber die Religion, das Bewußtſein Gottes, als
das Selbſtbewußtſein des Menſchen bezeichnet wird, ſo iſt dieß
nicht ſo zu verſtehen, als wäre der religiöſe Menſch ſich direct
bewußt, daß ſein Bewußtſein von Gott das Selbſtbewußtſein
ſeines Weſens iſt, denn der Mangel dieſes Bewußtſeins be-
gründet eben die differentia specifica der Religion. Um die-
ſen Mißverſtand zu beſeitigen, iſt es beſſer zu ſagen: die Re-
ligion iſt die erſte und zwar indirecte Selbſterkenntniß
des Menſchen. Die Religion geht daher überall der Philoſophie
voran, wie in der Geſchichte der Menſchheit, ſo auch in der
[19] Geſchichte der Einzelnen. Der Menſch verlegt ſein Weſen zu-
erſt außer ſich, ehe er es in ſich findet. Das eigne Weſen iſt
ihm zuerſt als ein andres Weſen Gegenſtand. Der geſchicht-
liche Fortgang in den Religionen beſteht deßwegen darin, daß
das, was der frühern Religion für etwas Objectives galt, als
etwas Subjectives, d. h. was als Gott angeſchaut und an-
gebetet wurde, jetzt als etwas Menſchliches erkannt wird.
Die frühere Religion iſt der ſpätern Götzendienſt: der Menſch
hat ſein eignes Weſen angebetet. Der Menſch hat ſich ver-
objectivirt, aber den Gegenſtand nicht als ſein Weſen erkannt;
die ſpätere Religion thut dieſen Schritt. Jeder Fortſchritt in
der Religion iſt daher eine tiefere Selbſterkenntniß. Aber jede
beſtimmte Religion, die ihre ältern Schweſtern als Götzendie-
nerinnen bezeichnet, nimmt ſich ſelbſt — und zwar nothwen-
dig, ſonſt wäre ſie nicht mehr Religion — von dem Schick-
ſal, dem allgemeinen Weſen der Religion aus; ſie ſchiebt
nur auf die andern Religionen, was doch — wenn an-
ders Schuld — die Schuld der Religion überhaupt iſt. Weil
ſie einen andern Gegenſtand, einen andern Inhalt hat, weil
ſie über den Inhalt der frühern ſich erhoben, wähnt ſie ſich er-
haben über die nothwendigen und ewigen Geſetze, die das
Weſen der Religion conſtituiren, wähnt ſie, daß ihr Gegen-
ſtand, ihr Inhalt ein übermenſchlicher ſei. Aber dafür durch-
ſchaut das ihr ſelbſt verborgne Weſen der Religion der
Denker, dem die Religion Gegenſtand iſt, was ſich ſelbſt die
Religion nicht ſein kann. Und unſre Aufgabe iſt es eben,
nachzuweiſen, daß der Gegenſatz des Göttlichen und Menſch-
lichen ein durchaus illuſoriſcher, daß folglich auch der Gegen-
ſtand und Inhalt der chriſtlichen Religion ein durchaus menſch-
licher iſt.


2*
[20]

Die Religion, wenigſtens die chriſtliche, iſt das Ver-
halten des Menſchen zu ſich ſelbſt
, oder richtiger: zu
ſeinem
(und zwar ſubjectiven *)Weſen, aber das Verhalten
zu ſeinem Weſen als zu einem andern Weſen. Das
göttliche Weſen iſt nichts andres als
das menſchliche
Weſen oder beſſer: das Weſen des Menſchen, gereinigt,
befreit von den Schranken des individuellen Menſchen **),
verobjectivirt, d. h. angeſchaut und verehrt als ein and-
res von ihm unterſchiednes, eignes Weſen
— alle Be-
ſtimmungen
des göttlichen Weſens ſind darum menſchliche
Beſtimmungen.


In Beziehung auf die Beſtimmungen, die Prädicate des
göttlichen Weſens wird dieß denn auch ohne Anſtand zugege-
ben, aber keineswegs in Beziehung auf das Subject dieſer
Prädicate. Die Negation des Subjects gilt für Irreligioſität,
ja für Atheismus, nicht aber die Negation der Prädicate.
Aber was keine Beſtimmungen hat, das hat auch keine Wir-
kungen auf mich; was keine Wirkungen, auch kein Daſein für
mich. Alle Beſtimmungen negiren, iſt ſo viel als das Weſen
ſelbſt negiren. Ein beſtimmungsloſes Weſen iſt ein unge-
genſtändliches Weſen, ein ungegenſtändliches ein nichtiges
Weſen. Wo der Menſch alle Beſtimmungen von Gott ent-
[21] fernt, da iſt ihm Gott nur noch ein negatives Weſen. Dem
wahrhaft religiöſen Menſchen iſt Gott kein beſtimmungsloſes
Weſen, weil er ihm ein gewiſſes, wirkliches Weſen iſt. Die
Beſtimmungsloſigkeit und mit ihr identiſche Unerkennbarkeit
Gottes iſt daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Product
der modernen Ungläubigkeit.


Wie die Vernunft nur da als endlich beſtimmt wird und be-
ſtimmt werden kann, wo dem Menſchen der ſinnliche Genuß oder
das religiöſe Gefühl oder die äſthetiſche Anſchauung oder die mo-
raliſche Geſinnung für das Abſolute, das Wahre gilt: ſo kann
nur da die Unerkennbarkeit oder Unbeſtimmbarkeit Gottes als
ein Dogma ausgeſprochen und fixirt werden, wo dieſer Ge-
genſtand kein Intereſſe mehr für die Erkenntniß hat,
wo die Wirklichkeit allein den Menſchen in Anſpruch nimmt,
das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des weſentlichen,
des abſoluten, göttlichen Gegenſtandes hat, aber doch zugleich
noch im Widerſpruch mit dieſer rein weltlichen Tendenz ein
alter Reſt von Religioſität vorhanden iſt. Der Menſch ent-
ſchuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor ſeinem noch übrig-
gebliebenen religiöſen Gewiſſen ſeine Gottvergeſſenheit, ſein
Verlorenſein in die Welt; er negirt Gott praktiſch durch die
That — all ſein Sinnen und Denken hat die Welt inne —
aber er negirt ihn nicht theoretiſch; er greift ſeine Exiſtenz
nicht an; er läßt ihn beſtehen. Allein dieſe Exiſtenz tangirt
und incommodirt ihn nicht; ſie iſt eine nur negative Exiſtenz,
eine Exiſtenz ohne Exiſtenz, eine ſich ſelbſt widerſprechende
Exiſtenz, — ein Sein, das ſeinen Wirkungen nach nicht un-
terſcheidbar vom Nichtſein iſt. Die Negation beſtimmter, po-
ſitiver Prädicate des göttlichen Weſens iſt nichts andres als
eine Negation der Religion, welche aber noch einen Schein
[22] von Religion
für ſich hat, ſo daß ſie nicht als Negation
erkannt wird — nichts andres als ein ſubtiler, verſchlag-
ner Atheismus
. Die angeblich religiöſe Scheu, Gott durch
beſtimmte Prädicate zu verendlichen, iſt nur der irreligiöſe
Wunſch, von Gott nichts mehr wiſſen zu wollen, Gott ſich
aus dem Sinne zu ſchlagen. Wer ſich ſcheut, endlich zu
ſein, ſcheut ſich zu exiſtiren
. Alle reale Exiſtenz, d. h.
alle Exiſtenz, die wirklich, re vera Exiſtenz iſt, die iſt qua-
litative, beſtimmte
und deßwegen endliche Exiſtenz. Wer
ernſtlich, wirklich, wahrhaft an die Exiſtenz Gottes glaubt,
der ſtößt ſich nicht an den ſelbſt derbſinnlichen Eigenſchaf-
ten Gottes. Wer nicht durch ſeine Exiſtenz beleidigen, wer
nicht derb ſein will, der verzichte auf die Exiſtenz. Ein Gott,
der ſich durch die Beſtimmtheit beleidigt fühlt, hat nicht den
Muth und nicht die Kraft zu exiſtiren. Die Qualität iſt
das Feuer, die Lebensluft, der Sauerſtoff, das Salz der Exi-
ſtenz. Eine Exiſtenz überhaupt, eine Exiſtenz ohne Quali-
tät iſt eine geſchmackloſe, eine abgeſchmackte Exiſtenz. In
Gott iſt aber nicht mehr als in der Religion iſt. Nur da, wo
der Menſch den Geſchmack an der Religion verliert, die
Religion ſelbſt alſo geſchmacklos wird, nur da wird daher auch
die Exiſtenz Gottes zu einer abgeſchmackten Exiſtenz.


Es gibt übrigens noch eine gelindere Weiſe der Negation
der göttlichen Prädicate als die directe, eben bezeichnete. Man
gibt zu, daß die Prädicate des göttlichen Weſens endliche,
insbeſondre menſchliche Beſtimmungen ſind; aber man ver-
wirft ihre Verwerfung; man nimmt ſie ſogar in Schutz, weil
es dem Menſchen nothwendig ſei, ſich beſtimmte Vorſtellun-
gen von Gott zu machen, und weil er nun einmal Menſch
ſei, ſo könne er ſich auch keine andern als eben menſchliche
[23] Vorſtellungen von ihm machen. In Beziehung auf Gott,
ſagt man, ſind dieſe Prädicate freilich ohne objective Bedeu-
tung, aber für mich kann er, weil und wenn er für mich ſein
ſoll, nicht anders erſcheinen als ſo, wie er mir erſcheint,
nämlich als ein menſchliches oder doch menſchenähnliches
Weſen. Allein dieſe Unterſcheidung zwiſchen dem, was Gott
an ſich und dem, was er für mich iſt, zerſtört den Frieden
der Religion, und iſt überdem an ſich ſelbſt eine grund- und
haltungsloſe Diſtinction. Ich kann gar nicht wiſſen, ob Gott
etwas andres an ſich oder für ſich iſt, als er für mich iſt;
wie er für mich iſt, ſo iſt er Alles für mich. Für mich liegt
eben in dieſen Prädicaten, unter welchen er für mich iſt, ſein
Anſichſelbſtſein, ſein Weſen ſelbſt; er iſt für mich ſo, wie er
für mich nur immer ſein kann. Der religiöſe Menſch iſt in
dem, was Gott in Bezug auf ihn iſt — von einer andern
Beziehung weiß er als Menſch nichts — vollkommen be-
friedigt, denn Gott iſt ihm, was er dem Menſchen über-
haupt ſein kann
. In jener Diſtinction ſetzt ſich der Menſch
über ſich ſelbſt, d. h. über ſein Weſen, ſein abſolutes Maaß
hinweg; aber dieſe Hinwegſetzung iſt nur eine Illuſion. Den
Unterſchied nämlich zwiſchen dem Gegenſtande, wie er an ſich,
und dem Gegenſtand, wie er für mich iſt, kann ich nur da ma-
chen, wo ein Gegenſtand mir wirklich anders erſcheinen
kann, als er erſcheint; aber nicht, wo er mir ſo erſcheint, wie
er mir nach meinem abſoluten Maaße erſcheint, wie er
mir erſcheinen muß. Wohl kann meine Vorſtellung eine ſub-
jective ſein, d. h. eine ſolche, an welche die Gattung nicht
gebunden iſt. Aber wenn meine Vorſtellung dem Maaße der
Gattung entſpricht, ſo fällt die Unterſcheidung zwiſchen An-
ſichſein und Fürmichſein weg; denn dieſe Vorſtellung iſt ſelbſt
[24] eine abſolute. Das Maaß der Gattung iſt das abſolute
Maaß, Geſetz und Kriterium des Menſchen. Aber die Reli-
gion hat eben die Ueberzeugung, daß ihre Vorſtellungen, ihre
Prädicate von Gott ſolche ſind, die jeder Menſch haben ſoll
und haben muß, wenn er die wahren haben will, daß ſie
die nothwendigen Vorſtellungen der menſchlichen Natur, ja,
die objectiven, die gottgemäßen Vorſtellungen ſind. Jeder
Religion ſind die Götter der andern Religionen nur Vorſtel-
lungen von Gott, aber die Vorſtellung, die ſie von Gott
hat, iſt ihr Gott ſelbſt, Gott, wie ſie ihn vorſtellt, der ächte,
wahre Gott, Gott, wie er an ſich iſt. Die Religion begnügt
ſich nur mit einem ganzen, rückhaltsloſen Gott. Die Re-
ligion will nicht eine bloße Erſcheinung von Gott; ſie will
Gott ſelbſt, Gott in Perſon
. Die Religion gibt ſich ſelbſt
auf, wenn ſie das Weſen Gottes aufgibt. Sie iſt keine
Wahrheit mehr, wo ſie auf den Beſitz des wahren Gottes
verzichtet. Der Skepticismus iſt der Erzfeind der Religion.
Aber die Unterſcheidung zwiſchen Object und Vorſtellung, zwi-
ſchen Gott an ſich und Gott für mich iſt eine ſkeptiſche irreli-
giöſe Unterſcheidung.


Was dem Menſchen die Bedeutung des Anſichſeienden
hat, was ihm das höchſte Weſen iſt, das, worüber er nichts
Höheres
ſich vorſtellen kann, dieſes iſt ihm eben das gött-
liche
Weſen. Wie könnte er alſo bei dieſem Gegenſtande noch
fragen: was er an ſich ſei? Wenn Gott dem Vogel Gegen-
ſtand wäre, ſo wäre er ihm nur als ein geflügeltes Weſen
Gegenſtand: der Vogel kennt nichts Höheres, nichts Selige-
res als das Geflügeltſein. Wie lächerlich wäre es, wenn die-
ſer Vogel urtheilte: mir erſcheint Gott als ein Vogel, aber
was er an ſich iſt, weiß ich nicht. Das höchſte Weſen iſt dem
[25] Vogel eben das Weſen des Vogels. Nimmſt Du ihm die
Vorſtellung vom Weſen des Vogels, ſo nimmſt Du ihm
die Vorſtellung des höchſten Weſens. Wie könnte er
alſo fragen: ob Gott an ſich geflügelt ſei? Fragen: ob Gott
an ſich ſo iſt, wie er für mich iſt, heißt fragen: ob Gott Gott
iſt? heißt über ſeinen Gott ſich erheben, gegen ihn ſich em-
pören.


Wo ſich daher einmal das Bewußtſein des Menſchen be-
mächtigt, daß die religiöſen Prädicate nur Anthropomorphis-
men ſind, da hat ſich ſchon der Zweifel, der Unglaube des
Glaubens bemächtigt. Und es iſt nur die Inconſequenz der
Herzensfeigheit und der Verſtandesſchwäche, die von dieſem
Bewußtſein aus nicht bis zur förmlichen Negation der Prädi-
cate und von dieſer bis zur Negation des zu Grunde liegenden
Subjects fortgeht. Bezweifelſt Du die objective Wahrheit der
Prädicate, ſo mußt Du auch die objective Wahrheit des
Subjects
dieſer Prädicate in Zweifel ziehen. Sind Deine
Prädicate Anthropomorphismen, ſo iſt auch das Subject der-
ſelben ein Anthropomorphismus. Sind Liebe, Güte, Perſön-
lichkeit u. ſ. w. menſchliche Beſtimmungen, ſo iſt auch das
Subject derſelben, welches Du ihnen vorausſetzeſt, auch die
Exiſtenz Gottes, auch der Glaube, daß überhaupt ein Gott
iſt, ein Anthropomorphismus — eine durchaus menſchliche
Vorausſetzung. Woher weißt Du, daß der Glaube an Gott
überhaupt nicht eine Schranke der menſchlichen Vorſtellungs-
weiſe iſt? Höhere Weſen — und Du nimmſt ja deren an —
ſind vielleicht ſo ſelig in ſich ſelbſt, ſo einig mit ſich, daß ſie
ſich nicht mehr in der Spannung zwiſchen ſich und einem hö-
hern Weſen befinden. Gott zu wiſſen und nicht ſelbſt Gott
zu ſein, Seligkeit zu kennen und nicht ſelbſt zu genießen, das iſt
[26] ein Zwieſpalt, ein Unglück. Höhere Weſen wiſſen nichts
von dieſem Unglück; ſie haben keine Vorſtellung von dem,
was ſie nicht ſind.


Du glaubſt an die Liebe als eine göttliche Eigenſchaft,
weil Du ſelbſt liebſt, Du glaubſt, daß Gott ein weiſes, ein
gütiges Weſen iſt, weil Du nichts Beſſeres von Dir kennſt
als Güte und Verſtand, und Du glaubſt, daß Gott exiſtirt,
daß er alſo Subject iſt — was exiſtirt, iſt ein Subject, werde
dieſes Subject nun als Subſtanz oder Perſon oder Weſen oder
ſonſtwie beſtimmt und bezeichnet — weil Du ſelbſt exiſtirſt,
ſelbſt Subject biſt. Du kennſt kein höheres menſchliches Gut,
als zu lieben, als gut und weiſe zu ſein, und eben ſo kennſt
Du kein höheres Glück, als überhaupt zu exiſtiren, Subject
zu ſein; denn das Bewußtſein aller Realität, alles Glückes iſt
Dir an das Bewußtſein des Subjectſeins, der Exiſtenz gebun-
den. Gott iſt Dir ein Exiſtirendes, ein Subject aus demſel-
ben Grunde, aus welchem er Dir ein weiſes, ein ſeliges, ein
perſönliches Weſen iſt. Der Unterſchied zwiſchen den göttli-
chen Prädicaten und dem göttlichen Subject iſt nur dieſer,
daß Dir das Subject, die Exiſtenz nicht als ein Anthropo-
morphismus erſcheint, weil in dieſem Deinem Subjectſein
die Nothwendigkeit liegt, daß Dir Gott ein Exiſtirendes,
ein Subject iſt, die Prädicate dagegen als Anthropomorphis-
men erſcheinen, weil die Nothwendigkeit derſelben, die
Nothwendigkeit, daß Gott weiſe, gut, bewußt u. ſ. w. iſt, keine
unmittelbare, mit dem Sein des Menſchen identiſche, ſondern
durch ſein Selbſtbewußtſein, die Thätigkeit des Denkens ver-
mittelte Nothwendigkeit iſt. Subject bin ich, ich exiſtire, ich
mag weiſe oder unweiſe, gut oder ſchlecht ſein. Exiſtiren iſt
dem Menſchen das Erſte, das Subject in ſeiner Vorſtellung,
[27] die Vorausſetzung der Prädicate. Die Prädicate gibt er da-
her frei, aber die Exiſtenz Gottes iſt ihm eine ausgemachte,
unantaſtbare, ſchlechterdings unbezweifelbare, abſolut gewiſſe,
objective Wahrheit. Aber gleichwohl iſt dieſer Unterſchied nur
ein ſcheinbarer. Die Nothwendigkeit des Subjects liegt nur
in der Nothwendigkeit des Prädicats. Du biſt Subject nur
als menſchliches Subject. Die Gewißheit und Realität
Deiner Exiſtenz liegt nur in der Gewißheit und Realität Dei-
ner menſchlichen Eigenſchaften. Was das Subject iſt, das
liegt nur im Prädicat; das Prädicat iſt die Wahrheit des
Subjects. Das Subject iſt nun das perſonificirte, das exiſti-
rende Prädicat. Subject und Prädicate unterſcheiden ſich nur
wie Exiſtenz und Weſen. Die Negation der Prädi-
cate iſt daher die Negation des Subjects
. Was bleibt
Dir vom menſchlichen Subject übrig, wenn Du ihm die menſch-
lichen Eigenſchaften nimmſt? Selbſt in der Sprache des ge-
meinen Lebens ſetzt man die göttlichen Prädicate: die Vorſe-
hung, die Weisheit, die Allmacht ſtatt des göttlichen Subjects.


Die Gewißheit der Exiſtenz Gottes, von welcher man
geſagt hat, daß ſie dem Menſchen ſo gewiß, ja gewiſſer, als
die eigne Exiſtenz ſei, hängt daher nur ab von der Gewißheit
der Qualität Gottes — ſie iſt keine unmittelbare Gewiß-
heit. Dem Chriſten iſt nur die Exiſtenz des chriſtlichen,
dem Heiden die Exiſtenz des heidniſchen Gottes eine Ge-
wißheit. Der Heide bezweifelte nicht die Exiſtenz Jupiters, weil er
an dem Weſen Jupiters keinen Anſtoß nahm, weil er ſich Gott
in keiner andern Qualität vorſtellen konnte, weil ihm dieſe
Qualität eine Gewißheit, eine göttliche Realität war. Die
Realität des Prädicats iſt allein die Bürgſchaft der Exi-
ſtenz
. Ein wahrer Atheiſt iſt daher auch nur der, welchem
[28] die göttlichen Prädicate, die Liebe, die Weisheit, die Gerech-
tigkeit Nichts ſind, aber nicht der, welchem das Subject die-
ſer Prädicate Nichts iſt.


Wenn es nun aber ausgemacht iſt, daß, was das Subject iſt,
lediglich in den Beſtimmungen des Subjects liegt, d. h. daß
das Prädicat es iſt, wodurch das Subject uns allein in ſei-
nem Weſen Gegenſtand iſt; ſo iſt auch erwieſen, daß, wenn
die göttlichen Prädicate Beſtimmungen des menſchlichen We-
ſens ſind, auch das Subject derſelben menſchlichen We-
ſens
iſt. Die göttlichen Prädicate ſind aber einerſeits allge-
meine, andererſeits perſönliche. Die allgemeinen ſind die me-
taphyſiſchen, aber dieſe dienen nur der Religion zum äußer-
ſten Anknüpfungspunkte; ſie ſind nicht die charakteriſtiſchen
Beſtimmungen
der Religion. Die perſönlichen Prädicate
allein ſind es, welche das Weſen der Religion conſtituiren,
in welchen das göttliche Weſen der Religion Gegenſtand iſt.
Solche Prädicate ſind, z. B. daß Gott Perſon, daß er der
moraliſche Geſetzgeber, der Vater der Menſchen, der Heilige,
der Gerechte, der Gütige, der Barmherzige iſt. Es erhellt
nun aber ſogleich von dieſen und andern Beſtimmungen, oder
wird wenigſtens im Verlaufe erhellen, daß ſie, namentlich als
perſönliche Beſtimmungen, rein menſchliche Beſtimmungen
ſind und daß ſich folglich der Menſch in der Religion im Ver-
halten zu Gott zu ſeinem eignen Weſen verhält, denn der
Religion ſind dieſe Prädicate nicht Vorſtellungen, nicht
Bilder
, die ſich der Menſch von Gott macht, unterſchieden
von dem, was Gott an ſich ſelbſt iſt, ſondern Wahrheiten,
Sachen, Realitäten. Die Religion weiß nichts von Anthro-
pomorphismen: die Anthropomorphismen ſind ihr keine An-
thropomorphismen. Das Weſen der Religion iſt gerade, daß
[29] ihr dieſe Beſtimmungen das Weſen Gottes ausdrücken. Nur
der über die Religion reflectirende, ſie, indem er ſie vertheidigt,
vor ſich ſelbſt verläugnende Verſtand erklärt ſie für Bil-
der. Aber der Religion iſt Gott wirklicher Vater, wirk-
liche
Liebe und Barmherzigkeit, denn er iſt ihr ein wirkliches,
ein lebendiges, perſönliches Weſen, ſeine wahren Beſtimmun-
gen ſind daher auch lebendige, perſönliche Beſtimmungen. Ja die
adäquaten Beſtimmungen ſind gerade die, welche dem Verſtande
den meiſten Anſtoß geben, welche er in der Reflexion über die Re-
ligion verläugnet. Die Religion iſt weſentlich Affect; noth-
wendig iſt ihr daher auch objectiv der Affect göttlichen Weſens.
Selbſt der Zorn iſt ihr kein Gottes unwürdiger Affect, wofern
nur dieſem Zorne ein religiöſer Zweck zu Grunde liegt.*)


Es iſt aber hier ſogleich weſentlich zu bemerken, daß —
und dieſe Erſcheinung iſt eine höchſt merkwürdige, das innerſte
Weſen der Religion charakteriſirende — je menſchlicher im
Weſen das göttliche Subject iſt, um ſo größer ſcheinbar die
Differenz iſt, welche zwiſchen Gott und dem Menſchen ge-
ſetzt wird, um ſo mehr das Menſchliche, wie es als ſolches
dem Menſchen Gegenſtand ſeines Bewußtſeins iſt, negirt
wird. Der Grund hievon iſt: weil das Poſitive in der An-
ſchauung des göttlichen Weſens allein das Menſchliche, ſo
kann die Anſchauung des Menſchen, wie er Gegenſtand des
[30] Bewußtſeins iſt, nur eine negative ſein. Um Gott zu be-
reichern, muß der Menſch arm werden; damit Gott Alles ſei,
der Menſch nichts ſein. Aber er braucht auch nichts für ſich
ſelbſt
zu ſein, weil Alles, was er ſich nimmt, in Gott nicht
verloren geht, ſondern in ihm erhalten wird. Der Menſch
hat ſein Weſen in Gott, wie ſollte er es alſo in ſich und
für ſich haben? Warum wäre es nothwendig, daſſelbe zwei-
mal zu ſetzen, zweimal zu haben? Je ähnlicher daher Gott
in der Wahrheit dem Menſchen iſt, deſto unähnlicher wird der
Menſch Gott gemacht oder erſcheint er ſich ſelbſt. Allein dieſe
Selbſtverneinung iſt nur Selbſtbejahung. Was der Menſch
ſich entzieht, was er an ſich ſelbſt entbehrt, genießt er nur in
um ſo unvergleichlich höherem und reicheren Maaße in Gott.


Die Mönche gelobten die Keuſchheit dem göttlichen We-
ſen, ſie negirten die Geſchlechterliebe an ſich, aber dafür hatten
ſie im Himmel, in Gott, an der Jungfrau Maria das Bild
des Weibes — ein Bild der Liebe. Sie konnten um ſo mehr
des wirklichen Weibes entbehren, je mehr ihnen ein ideales, vor-
geſtelltes Weib ein Gegenſtand wirklicher Liebe war. Je größere
Bedeutung ſie auf die Negation der Sinnlichkeit legten, je größere
Bedeutung hatte für ſie die himmliſche Jungfrau: ſie trat ih-
nen ſelbſt an die Stelle Chriſti, an die Stelle Gottes. Je
mehr das Sinnliche negirt wird, deſto ſinnlicher iſt
der Gott, dem das Sinnliche geopfert wird
. Aber dieſe
himmliſche Jungfrau iſt nur eine ſinnfällige Erſcheinung einer
allgemeinen, das Weſen der Religion betreffenden Wahrheit.
Der Menſch negirt nur von ſich, was er in Gott ſetzt.
So negirt der Menſch in der Religion ſeine Vernunft: er weiß
nichts aus ſich von Gott, ſeine Gedanken ſind nur weltlich,
irdiſch: er kann nur glauben, was Gott ihm geoffenbart.
[31] Aber dafür ſind die Gedanken Gottes menſchliche, irdiſche Ge-
danken; er hat Plane wie der Menſch im Kopf; er accomo-
dirt ſich den Umſtänden und Verſtandeskräften, wie ein Lehrer
ſeinen Schülern; er berechnet genau den Effect ſeiner Gaben
und Offenbarungen; er beobachtet den Menſchen in all ſeinem
Thun und Treiben; er weiß Alles — auch das Irdiſchſte, das
Gemeinſte, das Schlechteſte. Kurz der Menſch negirt Gott
gegenüber ſein Wiſſen, ſein Denken, um in Gott ſein Wiſſen,
ſein Denken zu ſetzen. Der Menſch gibt ſeine Perſon auf,
aber dafür iſt ihm Gott, das allmächtige, unbeſchränkte We-
ſen, ein perſönliches Weſen; er negirt die menſchliche Ehre,
das menſchliche Ich; aber dafür iſt ihm Gott ein ſelbſtiſches,
egoiſtiſches Weſen
, das in Allem nur ſich, nur ſeine
Ehre, ſeinen Nutzen ſucht, Gott alſo die Selbſtbefriedi-
gung
der eignen, gegen alles Andere mißgünſtigen Selbſtiſch-
keit, Gott der Selbſtgenuß des Egoismus*). Die Reli-
gion negirt ferner das Gute als eine Beſchaffenheit des menſch-
lichen Weſens: der Menſch iſt ſchlecht, verdorben, unfähig zum
Guten; aber dafür iſt Gott nur gut, Gott das gute Weſen.
Es wird die weſentliche Forderung gemacht, daß das Gute
als Gott dem Menſchen Gegenſtand ſei; aber wird denn da-
durch nicht das Gute als eine weſentliche Beſtimmung des
Menſchen ausgeſprochen? Wenn ich abſolut, d. h. von Na-
tur, von Weſen böſe, unheilig bin, wie kann das Heilige, das
Gute mir Gegenſtand ſein? gleichgültig ob dieſer Gegenſtand
von Außen oder von Innen mir gegeben iſt. Wenn mein
[32] Herz böſe, mein Verſtand verdorben iſt, wie kann ich was hei-
lig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfin-
den? Wie kann ich ein ſchönes Gemälde als ſchönes wahr-
nehmen, wenn meine Seele eine abſolute äſthetiſche Schlech-
tigkeit iſt? Wenn ich auch ſelbſt kein Maler bin, nicht die
Kraft habe, aus mir ſelbſt Schönes zu produciren, ſo habe ich
doch äſthetiſches Gefühl, äſthetiſchen Verſtand, indem ich Schö-
nes außer mir wahrnehme. Entweder iſt das Gute gar nicht
für den Menſchen, oder iſt es für ihn, ſo offenbaret ſich hierin
dem einzelnen Menſchen die Heiligkeit und Güte des menſch-
lichen Weſens. Was abſolut meiner Natur zuwider iſt, wo-
mit mich kein Band der Gemeinſchaft verknüpft, das iſt mir
auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige iſt mir
nur als Gegenſatz gegen meine Perſönlichkeit, aber als Ein-
heit mit meinem Weſen Gegenſtand. Das Heilige iſt der
Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als
Sünder; aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht
bin, aber ſein ſoll, und eben deßwegen an ſich, meiner Be-
ſtimmung nach, ſein kann; denn ein Sollen ohne Können
tangirt mich nicht, iſt eine lächerliche Chimäre, ohne Affection
des Gemüths. Aber eben indem ich das Gute als meine Be-
ſtimmung, als mein Geſetz erkenne, erkenne ich, ſei es nun be-
wußt oder unbewußt, daſſelbe als mein eignes Weſen. Ein
anderes, ſeiner Natur nach von mir unterſchiednes Weſen
tangirt mich nicht. Die Sünde kann ich als Sünde nur em-
pfinden, wenn ich ſie als einen Widerſpruch meiner mit
mir ſelbſt, d. h. meiner Perſönlichkeit mit meiner
Weſenheit
empfinde. Als Widerſpruch mit dem abſoluten,
als einem andern Weſen gedacht, iſt das Gefühl der Sünde
unerklärlich, ſinnlos.


[33]

Der Unterſchied des Auguſtinianismus vom Pelagianis-
mus beruht im Grunde nur auf einer religiöſen Illuſion.
Beide ſagen Daſſelbe; nur der eine rationaliſtiſch, der andere
myſtiſch illuſoriſch; beide haben das nämliche Ziel, das näm-
liche Object; nur kommt der eine in gerader und darum kürze-
ſter Linie zum Ziel, während der andere Umwege macht. So
lange das Gute als eine Weſensbeſtimmung Gottes ausge-
ſprochen wird, ſo lange iſt die auguſtiniſche Lehre eine Lüge,
und ihr Unterſchied vom Pelagianismus in der Grundbe-
ſtimmung
nur eine religiöſe Illuſion*). Denn was dem
Gott des Menſchen gegeben wird, das wird in Wahrheit
dem Menſchen ſelbſt gegeben; was der Menſch von Gott
ausſagt
, das ſagt er in Wahrheit von ſich ſelbſt aus.
Der Auguſtinianismus wäre nur dann eine Wahrheit, wenn
der Menſch den Teufel zu ſeinem Gotte hätte, den Teufel,
und zwar mit dem Bewußtſein, daß er der Teufel iſt, als
ſein höchſtes Weſen verehrte und feierte. Aber ſo lange
der Menſch ein gutes Weſen als Gott verehrt, ſo lange ſchaut
er in Gott ſein eignes gutes Weſen an.


Wie mit der Lehre von der Grundverdorbenheit des menſch-
lichen Weſens, iſt es mit der damit identiſchen Lehre, daß der
Menſch nichts Gutes, d. h. in Wahrheit Nichts aus ſich
ſelbſt, aus eigner Kraft
vermöge. So wie die Lehre von
der Grundverdorbenheit des Menſchen nur dann, wie eben
geſagt, eine Wahrheit wäre, wenn der Menſch den Ausbund
der Häßlichkeit mit Bewußtſein und Wohlgefallen als das
Ideal der höchſten Schönheit und Liebenswürdigkeit, als ſein
Feuerbach. 3
[34] wahres und höchſtes Weſen verehrte und anbetete: ſo wäre die
Negation der menſchlichen Kraft und Thätigkeit nur dann eine
wahre Negation, wenn der Menſch auch in Gott die mo-
raliſche Thätigkeit negirte
und ſagte, wie der orientaliſche
Nihiliſt oder Pantheiſt: das göttliche Weſen iſt ein abſolut
willen- und thatloſes, indifferentes, nichts von Discrimen des
Böſen und Guten wiſſendes Weſen. Aber wer Gott als ein
thätiges Weſen beſtimmt und zwar als ein moraliſch thätiges,
moraliſch kritiſches Weſen, als ein Weſen, welches das Gute
liebt, wirkt, belohnt, das Böſe beſtraft, verwirft, verdammt,
wer Gott ſo beſtimmt, der negirt nur ſcheinbar die menſchliche
Thätigkeit, in Wahrheit macht er ſie zur höchſten, reellſten
Thätigkeit. Wer Gott menſchlich handeln läßt, erklärt die
menſchliche Thätigkeit für eine göttliche; der ſagt: ein Gott, der
nicht thätig iſt und zwar moraliſch oder menſchlich thätig, iſt
kein Gott und macht daher vom Begriffe der Thätigkeit, re-
ſpective der menſchlichen — denn eine höhere kennt er nicht —
den Begriff der Gottheit abhängig. Was ich zu einer Eigen-
ſchaft, einer Beſtimmung Gottes mache, das habe ich ſchon
vorher für etwas Göttliches erkannt. Eine Qualität iſt nicht
dadurch göttlich, daß ſie Gott hat, ſondern Gott hat ſie, weil
ſie an und für ſich, durch ſich ſelbſt göttlich iſt, weil
Gott nicht Gott iſt, wenn ſie ihm mangelt. Der Menſch
— dieß iſt das Geheimniß der Religion — vergegenſtändlicht
ſich ſein Weſen und macht dann wieder ſich zum Object die-
ſes vergegenſtändlichten, in ein Subject verwandelten Weſens;
er denkt ſich, iſt ſich Object, aber als Object eines Objects,
eines andern Weſens. So hier. Der Menſch iſt ein Object
Gottes. Daß der Menſch gut oder ſchlecht, das iſt Gott nicht
gleichgültig; nein! er hat ein lebhaftes, inniges Intereſſe
[35] daran, daß er gut iſt; er will, daß er gut, daß er ſelig ſei —
denn ohne Güte keine Seligkeit. Die menſchlichen Geſinnun-
gen und Handlungen ſind alſo Gott nicht gleichgültig; ſie ſind
Gegenſtände Gottes, alſo göttliche Gegenſtände, Gegenſtände
von höchſtem Werthe und Intereſſe, weil ſie für Gott Werth
und Intereſſe haben. Die Nichtigkeit der menſchlichen Thä-
tigkeit widerruft alſo der religiöſe Menſch wieder dadurch, daß
er ſeine Geſinnungen und Handlungen zu einem Gegenſtande
Gottes, den Menſchen zum Zweck Gottes — denn was Ge-
genſtand im Geiſte, iſt Zweck im Handeln — die göttliche
Thätigkeit zu einem Mittel des menſchlichen Heils macht.
Gott wirkt auf den Menſchen, iſt thätig, damit der Menſch
gut und ſelig werde. So wird der Menſch, indem er ſchein-
bar aufs Tiefſte erniedrigt wird, in Wahrheit aufs Höchſte
erhoben! Der Menſch bezweckt ſich ſelbſt in und durch
Gott
. Der Menſch bezweckt Gott, aber Gott bezweckt nichts,
als das moraliſche und ewige Heil des Menſchen, alſo be-
zweckt der Menſch nur ſich ſelbſt. Die göttliche Thätigkeit un-
terſcheidet ſich nicht von der menſchlichen.


Wie könnte aber auch die göttliche Thätigkeit auf mich als
ihr Object, ja in mir ſelber wirken, wenn ſie eine andere, eine
weſentlich andere wäre, wie einen menſchlichen Zweck haben,
den Zweck, den Menſchen zu beſſern, zu beglücken, wenn ſie
nicht ſelbſt eine menſchliche wäre? Beſtimmt der Zweck nicht
die Handlung? Wenn der Menſch ſeine moraliſche Beſſerung
ſich zum Zwecke ſetzt, ſo hat er göttliche Entſchlüſſe, göttliche
Vorſätze, wenn aber Gott des Menſchen Heil bezweckt, ſo hat
er menſchliche Zwecke und dieſen Zwecken entſprechende menſch-
liche Thätigkeit. So iſt dem Menſchen in Gott nur ſeine
eigene Thätigkeit Gegenſtand
. Aber weil er die eigne
3*
[36] Thätigkeit nur als eine objective, das Gute nur als Object
anſchaut, ſo empfängt er nothwendig auch den Impuls, den
Antrieb nicht von ſich ſelbſt, ſondern von dieſem Object. Er
ſchaut ſein Weſen außer ſich und dieſes Weſen als das Gute
an; es verſteht ſich alſo von ſelbſt, es iſt nur eine Tautologie,
daß ihm der Impuls zum Guten auch nur daher kommt, wo-
hin er das Gute verlegt.


Gott iſt das ab- und ausgeſonderte ſubjectivſte Weſen
des Menſchen, alſo kann er nicht aus ſich handeln, alſo kommt
alles Gute aus Gott. Je ſubjectiver Gott iſt, deſto mehr
entäußert der Menſch ſich ſeiner Subjectivität, weil Gott
per se ſein entäußertes Selbſt iſt, welches er aber doch zu-
gleich ſich wieder vindicirt. Wie die arterielle Thätigkeit das
Blut bis in die äußerſten Extremitäten treibt, die Venenthätig-
keit wieder zurückführt, wie das Leben überhaupt in einer fort-
währenden Syſtole und Diaſtole beſteht, ſo auch die Religion.
In der religiöſen Syſtole ſtößt der Menſch ſein eignes Weſen
von ſich aus, er verſtößt, verwirſt ſich ſelbſt; in der religiöſen
Diaſtole nimmt er das verſtoßne Weſen wieder in ſein Herz
auf. Gott nur iſt das aus ſich handelnde, aus ſich thätige
Weſen — dieß iſt der Act der religiöſen Repulſionskraft, Gott
iſt das in mir, mit mir, durch mich, auf mich, für mich
handelnde Weſen, das Princip meines Heils, meiner guten
Geſinnungen und Handlungen, folglich mein eignes gutes
Princip und Weſen — dieß iſt der Act der religiöſen Attrac-
tionskraft.


[37]

Erſter Theil.
Die Religion in ihrer Uebereinstimmung mit dem
Wesen des Menſchen.


Gott als Geſetz oder als Weſen des Verſtandes.


Die Religion iſt das bewußtloſe Selbſtbewußtſein des
Menſchen. In der Religion iſt dem Menſchen ſein eignes
Weſen Gegenſtand, ohne daß er weiß, daß es das ſeinige iſt;
das eigne Weſen iſt ihm Gegenſtand als ein andres We-
ſen
. Die Religion iſt die Entzweiung des Menſchen mit
ſich: er ſetzt ſich Gott als ein ihm entgegengeſetztes Weſen
gegenüber. Gott iſt nicht, was der Menſch iſt — der Menſch
nicht, was Gott iſt. Gott iſt das unendliche, der Menſch
das endliche Weſen, Gott vollkommen, der Menſch unvollkom-
men, Gott ewig, der Menſch zeitlich, Gott allmächtig, der Menſch
unmächtig, Gott heilig, der Menſch ſündhaft. Gott und Menſch
ſind Extreme: Gott das ſchlechthin Poſitive, der Inbegriff al-
ler Realitäten, der Menſch das ſchlechtweg Negative, der In-
begriff aller Nichtigkeiten.


Aber der Menſch vergegenſtändlicht in der Religion ſein
eignes geheimes Weſen. Es muß alſo nachgewieſen werden,
daß auch dieſer Gegenſatz, dieſer Zweiſpalt, mit welchem die
Religion anhebt, ein Zwieſpalt des Menſchen mit ſei-
nem eignen Weſen
iſt.


Die innere Nothwendigkeit dieſes Beweiſes ergibt ſich
übrigens ſchon daraus, daß, wenn wirklich das göttliche We-
ſen, welches Gegenſtand der Religion iſt, ein andres wäre,
als das menſchliche, eine Entzweiung, ein Zwieſpalt gar nicht
ſtatt finden könnte. Iſt Gott wirklich ein andres Weſen,
was kümmert mich ſeine Vollkommenheit? Entzweiung findet
[38] nur ſtatt zwiſchen Weſen, welche mit einander zerfallen ſind,
aber Eins ſein ſollen, Eins ſein können und folglich im We-
ſen, in Wahrheit Eins ſind. Es muß alſo ſchon aus dieſem
allgemeinen Grunde das Weſen, mit welchem ſich der Menſch
entzweit fühlt, ein ihm eingebornes Weſen ſein, obwohl es
zugleich anderer Beſchaffenheit ſein muß, als das Weſen
oder die Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtſein der
Einheit, der Verſöhnung mit Gott oder, was eins iſt, mit ſich
ſelbſt gibt.


Dieſes Weſen iſt die Intelligenz — der Verſtand*). Gott
als Extrem des Menſchen gedacht, iſt das objective Weſen
des Verſtandes
. Das reine, vollkommne, mangelloſe gött-
liche Weſen iſt das Selbſtbewußtſein des Verſtandes, das
Bewußtſein des Verſtandes von ſeiner eignen Vollkom-
menheit
. Der Verſtand weiß nichts von den Leiden des
Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenſchaften, keine
Bedürfniſſe und eben darum keine Mängel und Schwächen,
wie das Herz. Reine Verſtandesmenſchen, Menſchen, die uns
das Weſen des Verſtandes perſonificiren und verſinnbildlichen,
ſind enthoben den Gemüthsqualen, den Paſſionen, den Exceſ-
ſen der Gefühlsmenſchen; ſie ſind für keinen endlichen, d. i. be-
ſtimmten Gegenſtand leidenſchaftlich eingenommen; ſie „ver-
pfänden“ ſich nicht; ſie ſind frei. „Nichts bedürfen,“ „nicht ſich
den Dingen, ſondern die Dinge ſich unterwerfen,“ „Alles iſt
eitel,“ dieſe und ähnliche Sätze ſind Mottos von Verſtan-
desmenſchen. Der Verſtand iſt das neutrale, apathiſche, unbe-
[39] ſtechliche, unverblendete Weſen in uns — das reine affectloſe
Licht der Intelligenz. Der Verſtand iſt das kategoriſche rück-
ſichtsloſe Bewußtſein der Sache als Sache, weil er ſelbſt
objectiver Natur, das Bewußtſein des Widerſpruchloſen,
weil er ſelbſt widerſpruchsloſe Einheit, die Quelle der logiſchen
Identität iſt, das Bewußtſein des Geſetzes, der Nothwen-
digkeit
, der Regel, des Maaßes, weil er ſelbſt Geſetzesthä-
tigkeit, die Nothwendigkeit der Natur der Dinge als Selbſt-
thätigkeit
, die Regel der Regeln, das abſolute Maaß, das
Maaß der Maaße iſt. Durch den Verſtand nur kann der
Menſch im Widerſpruch mit ſeinen theuerſten perſönlichen
und menſchlichen Gefühlen urtheilen und handeln, wenn es alſo
der Verſtandesgott, das Geſetz gebietet. Der Vater, welcher
ſeinen eignen Sohn, weil er ihn ſchuldig erkannt, als Richter
zum Tode ſelbſt verurtheilt, vermag dieß nur als Verſtandes-
nicht als Gefühlsmenſch. Der Verſtand zeigt uns die Fehler
ſelbſt unſrer Geliebten — ſelbſt unſre eignen. Er verſetzt uns
deßwegen ſo oft in peinliche Colliſion mit uns ſelbſt, mit unſerm
Herzen. Wir wollen dem Verſtande nicht Recht laſſen: wir
wollen nicht aus Schonung, aus Nachſicht das wahre, aber
harte, aber rückſichtsloſe Urthel des Verſtandes vollſtrecken.
Der Verſtand iſt das eigentliche Gattungsvermögen
das Herz vertritt die beſondern Angelegenheiten, die Indi-
viduen
, der Verſtand die allgemeinen Angelegenheiten; er
iſt die übermenſchliche, unperſönliche Kraft oder Weſen-
heit im Menſchen. Nur durch den Verſtand und in dem Ver-
ſtande hat der Menſch die Kraft, von ſich ſelbſt, d. h. von
ſeinem ſubjectiven Weſen zu abſtrahiren, ſich zu erheben zu all-
gemeinen Begriffen und Verhältniſſen, den Gegenſtand zu un-
terſcheiden von den Eindrücken, die er auf das Gemüth macht,
[40] ihn an und für ſich ſelbſt, ihn ohne Beziehung auf den
Menſchen zu betrachten. Die Philoſophie, die Mathematik,
die Aſtronomie, die Phyſik, kurz die Wiſſenſchaft überhaupt, iſt
der thatſächliche Beweis, weil das Product, dieſer in Wahrheit
unendlichen und göttlichen Thätigkeit. Dem Verſtande wider-
ſprechen
daher auch die religiöſen Anthropomorphis-
men
; er negirt ſie von Gott. Aber dieſer anthropomor-
phismenfreie, rückſichtsloſe, affectloſe Gott
iſt nichts
andres, als das eigne gegenſtändliche Weſen des Ver-
ſtandes
.


Das Weſen des Verſtandes, wie es dem Menſchen in-
nerhalb der Religion Gegenſtand wird, iſt Gott als allge-
meines, unperſönliches, abſtractes, d. i. metaphyſi-
ſches
Weſen, Gott als Gott, Gott als Gegenſatz der menſch-
lichen Nichtigkeit. Aber dieſes Weſen hat für die Religion
nicht mehr Bedeutung, als für eine beſondere Wiſſenſchaft ein
allgemeiner Grundſatz, von welchem ſie anhebt: es iſt nur der
oberſte, letzte Anhalts- und Anknüpfungspunkt, gleichſam der
mathematiſche Punkt der Religion. Das Bewußtſein der menſch-
lichen Nichtigkeit, welches ſich mit dem Bewußtſein dieſes We-
ſens verbindet, iſt keineswegs ein religiöſes Bewußtſein; es
bezeichnet vielmehr den Skeptiker, den Materialiſten, den Na-
turaliſten, den Pantheiſten. Der Skeptiker, der Materialiſt
verliert den Glauben an Gott — wenigſtens den Gott der
Religion — weil er den Glauben an den Menſchen, we-
nigſtens den Menſchen der Religion, verliert. So wenig
es daher der Religion mit der menſchlichen Nichtigkeit Ernſt
iſt und ſein kann, ſo wenig iſt ihr Ernſt mit dem Weſen, wel-
ches eins iſt mit dem Bewußtſein dieſer Nichtigkeit. Ernſt iſt
es der Religion nur mit den Beſtimmungen, welche dem Men-
[41] ſchen das Weſen des Menſchen und zwar das ſubjective We-
ſen, ſein Gemüth vergegenſtändlichen.


Es liegt wohl im Intereſſe der Religion, daß das Weſen,
welches ihr Gegenſtand, ein andres ſei als der Menſch; aber
es liegt eben ſo, ja noch mehr in ihrem Intereſſe, daß dieſes
andre Weſen zugleich ein menſchliches ſei. Daß es ein
andres ſei, dieß betrifft nur die Exiſtenz, daß es aber ein
menſchliches ſei, die innere Weſenheit deſſelben. Wenn es
ein andres dem Weſen nach wäre, was könnte dem Menſchen
an ſeinem Sein oder Nichtſein gelegen ſein? Wie könnte er
an der Exiſtenz deſſelben ſo inniges Intereſſe nehmen, wenn
nicht ſein eignes Weſen dabei betheiligt wäre? Der Menſch
verhält ſich in der Religion zum Weſen des Menſchen als ei-
nem andern Weſen, aber eben ſo verhält er ſich wieder zu
dieſem andern als dem eignen Weſen. Er will, daß Gott ſei,
aber eben ſo will er, daß er ſein Gott, ein Weſen für ihn,
ein menſchliches Weſen ſei.


Ein ſpecielles, aber gleichwohl allgemeingültiges Bei-
ſpiel beſtätige dieß. „Wenn ich das glaube, daß allein die
menſchliche Natur für mich gelitten hat, ſo iſt mir der
Chriſtus ein ſchlechter Heiland, ſo bedarf er wohl ſelbſt ei-
nes Heilandes.“ Es wird alſo über den Menſchen hinaus-
gegangen, ein andres vom Menſchen unterſchiednes Weſen aus
Heilsbedürfniß poſtulirt. Aber ſo wie dieſes andre Weſen
geſetzt iſt, ſo entſteht auch ſogleich das Verlangen des Men-
ſchen nach ſich ſelbſt, nach ſeinem Weſen, ſo wird auch ſo-
gleich der Menſch wieder geſetzt. „Hie iſt Gott, der nicht
Menſch
iſt und noch nie Menſch worden. Mir aber des
Gottes nicht .... Es ſollt mir ein ſchlechter Chriſtus
bleiben, der .... allein ein bloßer abgeſonderter Gott
[42] und göttliche Perſon .... ohne Menſchheit
. Nein Ge-
ſell, wo Du mir Gott hinſetzeſt, da mußt Du mir die
Menſchheit mit hinſetzen
.“ *)


Der Menſch will in der Religion ſich in Gott befriedi-
gen. Aber wie könnte er in ihm Troſt und Frieden finden,
wenn er ein weſentlich andres Weſen wäre? Wie kann ich
den Frieden eines Weſens theilen, wenn ich nicht ſeines We-
ſens bin? Wenn ſein Weſen ein andres, ſo iſt auch ſein
Friede ein weſentlich andrer, kein Frieden für mich. Wie
kann ich alſo ſeines Friedens theilhaftig werden, wenn ich
nicht ſeines Weſens theilhaftig werden kann, wie aber ſeines
Weſens theilhaftig werden, wenn ich wirklich andern Weſens
bin? Frieden empfindet alles was lebt nur in ſeinem eignen
Weſen, nur in ſeinem eignen Element. Empfindet alſo der
Menſch Frieden in Gott, ſo empfindet er ihn nur, weil Gott
erſt ſein wahres Weſen, weil er hier erſt bei ſich ſelbſt iſt,
weil Alles, worin er bisher Frieden ſuchte und was er bisher
für ſein Weſen nahm, ein andres fremdes Weſen war. Und
ſoll und will daher der Menſch in Gott ſich befriedigen, ſo muß
er Sich in Gott finden.


Ein Gott, welcher nur das objective Weſen des Ver-
ſtandes
ausdrückt, befriedigt darum nicht die Religion, iſt
nicht der Gott der Religion. Der Verſtand intereſſirt ſich
nicht nur für den Menſchen, ſondern auch für die Weſen au-
ßer dem Menſchen, für die Natur
. Der Verſtandes-
menſch vergißt ſogar über der Natur ſich ſelbſt. Die Chriſten
verſpotteten die heidniſchen Philoſophen, weil ſie ſtatt an ſich,
an ihr Heil, nur an die Dinge außer ihnen gedacht hätten.
[43] Der Chriſt denkt nur an ſich*). Der Verſtand betrachtet
mit demſelben Enthuſiasmus den Floh, die Laus, als das
Ebenbild Gottes, den Menſchen. Nicht der Religionsbegei-
ſterung, dem Verſtandesenthuſiasmus verdanken wir das
Daſein einer Botanik, einer Zoologie, einer Mineralogie, ei-
ner Aſtronomie. — Kurz der Verſtand iſt ein univerſa-
les, pantheiſtiſches
Weſen, die Liebe zum Univerſum,
aber die Religion, insbeſondere die chriſtliche, ein durchaus
anthropotheiſtiſches Weſen, die Liebe des Menſchen
zu ſich ſelbſt
, die ausſchließliche Selbſtbejahung des
menſchlichen und zwar des ſubjectiv menſchlichen Weſens;
denn allerdings bejaht auch der Verſtand das Weſen des Men-
ſchen, aber das objective, das auf den Gegenſtand um des
Gegenſtandes willen ſich beziehende Weſen, deſſen Darſtellung
eben die Wiſſenſchaft iſt. Es muß auch noch etwas ganz
Andres, als das Weſen des Verſtandes, dem Menſchen in der
Religion Gegenſtand werden, wenn er ſich in ihr befriedigen
ſoll und will, und dieſes Etwas wird und muß den eigentli-
chen Kern der Religion enthalten.


Die in der Religion, zumal der chriſtlichen, vor allen an-
dern objectiven Beſtimmungen hervortretende Verſtandes- oder
Vernunftbeſtimmung iſt diejenige, welche, indem ſie Gott vom
Menſchen unterſcheidet, unmittelbar zugleich eine weſentliche
Beziehung auf den Menſchen ausdrückt. Dieſe Beſtimmung
[44] iſt die der moraliſchen Vollkommenheit. Gott iſt der
Religion als moraliſch vollkommnes Weſen Gegenſtand. Gott
wohnt nur in einem reinen Herzen; nur dem reinen Sinne iſt
er zugänglich. Warum, wenn er nicht ſelbſt das reine mora-
liſche Weſen iſt? *) Die Sünde iſt ein Widerſpruch mit dem
göttlichen Weſen — in der Sprache der Religion, die Alles
perſonificirt: Gott haßt die Sünde, ſie iſt ihm zuwider. War-
um iſt ſie aber ein Widerſpruch mit dem göttlichen Weſen?
weil ſie die Natur des Menſchen iſt? weil ſie in ſeinem Weſen
liegt? Mit Nichten. Wenn der Menſch in der Sünde ſeiner
Natur gemäß handelte, ſo handelte er, wie er handeln ſoll, ſo
wäre ſeine Sünde ein comme il faut, ein Wohlklang, kein
Mißton in der Welt. Alſo widerſpricht nur die Sünde dem
göttlichen Weſen, weil ſie dem menſchlichen Weſen, dem,
was der Menſch ſein ſoll, ſein kann, widerſpricht. Die Sünde
beleidigt Gott, weil ſie des Menſchen Weſen beleidigt. Wäre
das göttliche Weſen ein andres, vom menſchlichen unterſchie-
denes, ſo könnte die Sünde, wie ſchon entwickelt, keinen Wi-
derſpruch gegen das göttliche Weſen ausdrücken; ſie wäre
demſelben abſolut indifferent. Der Widerſpruch der Sünde
mit Gott iſt daher nur der Widerſpruch des individuellen Men-
ſchen mit ſeinem Weſen. Das religiöſe Bewußtſein ſetzt ſein
eignes Weſen ſich als Object entgegen, als mangel- und ſünd-
[45] loſes, vollkommen heiliges Weſen — es iſt ſein eignes We-
ſen, denn es iſt das Geſetz des Menſchen, es ſtellt die Forde-
rung an ihn zu ſein, wie es ſelbſt iſt: „Heilig iſt Gott, ihr
ſollt heilig ſein wie Gott;“ ſein eignes Gewiſſen, denn
wie könnte es ſonſt vor dieſem Weſen erzittern, wie vor ihm
ſich anklagen, wie es zum Richter ſeiner innerſten Gedanken
und Geſinnungen machen? Aber es wird angeſchaut als ein
andres objectives Weſen. Indem nun der religiöſe Menſch
ſein Weſen ſich entgegenſetzt als abſolut heiliges Weſen, em-
pfindet er ſich, wie er iſt, wie er ſich ſeiner bewußt iſt, im Wi-
derſpruch mit dieſem Weſen, nicht entſprechend dieſer Forderung,
dieſem Geſetze, ihm zu gleichen, als unvollkommen, als ſünd-
haft. Der Menſch iſt entzweit mit ſeinem eignen Weſen; er
iſt nicht, wie er ſein ſoll und folglich ſein kann, und in die-
ſem Zwieſpalt fühlt er ſich unglücklich, nichtig, verdammt, um
ſo mehr, als ihm in der Religion das moraliſche Geſetz nicht
nur als Geſetz und als ſein eignes, wahres Weſen, ſondern
als ein andres perſönliches Weſen Gegenſtand iſt, welches die
Sünder haßt, von ſeiner Gnade, der Quelle alles Heils und
Glücks ausſchließt.


Das Bewußtſein der moraliſchen Vollkommenheit iſt herz-
los
, denn es iſt das Bewußtſein meiner perſönlichen Nich-
tigkeit
und zwar der allerempfindlichſten, der moraliſchen
Nichtigkeit. Das Bewußtſein der göttlichen Allmacht und
Ewigkeit im Gegenſatze zum Bewußtſein meiner Beſchränkt-
heit in Zeit und Kraft thut mir nicht wehe; denn die Allmacht,
die Ewigkeit iſt für mich nicht das Geſetz, ſelbſt ewig, ſelbſt
allmächtig zu ſein. Aber der moraliſchen Vollkommenheit kann
ich mir nicht bewußt werden, ohne derſelben zugleich als eines
Geſetzes für mich bewußt zu werden, denn das Bewußtſein
[46] der moraliſchen Vollkommenheit iſt im Grunde nichts andres
als das Bewußtſein deſſen, was ich ſein ſoll. Die morali-
ſche Vollkommenheit hängt, wenigſtens für das moraliſche Be-
wußtſein, nicht von der Natur, ſondern vom Willen ab; ſie
iſt eine Willensvollkommenheit, der vollkommne Wille. Den
vollkommnen Willen, den Willen, der eins mit dem Geſetze,
der ſelbſt Geſetz iſt, kann ich nicht denken, nicht mir vorſtellen,
ohne ihn zugleich als Willensobject, d. h. als Sollen für mich
zu denken. Kurz die Vorſtellung des moraliſch vollkommnen
Weſens iſt keine nur theoretiſche, friedliche, ſondern zugleich
praktiſche, zur Handlung, zur Nacheiferung auffordernde, mich
in Spannung, Differenz, Zwieſpalt mit mir ſelbſt verſetzende
Vorſtellung; denn indem ſie mir zuruft: was ich ſein ſoll, ſagt
ſie mir zugleich ohne alle Schmeichelei ins Geſicht: was ich
nicht bin.


Aber in dieſer Zwietracht mit ſich ſelbſt kann es der Menſch
nicht aushalten; er empfindet vielmehr das dringende Bedürf-
niß, den unheilvollen Zwieſpalt zwiſchen ſich, dem Sünder,
und dem vollkommnen Weſen aufzuheben. Der Gedanke des
ſchlechthin vollkommnen Weſens läßt den Menſchen kalt und
leer, weil er die Lücke zwiſchen ſich und dieſem Weſen ge-
wahrt, fühlt; d. h. er widerſpricht dem menſchlichen Her-
zen
. Der Menſch muß daher nicht nur die Macht des Ge-
ſetzes, das Weſen des Verſtandes, er muß auch die Macht
der Liebe
, das Weſen des Herzens bejahen, vergegen-
ſtändlichen, wenn er anders in der Religion ſich befriedigen,
zur Ruhe kommen will und ſoll.


Der Verſtand urtheilt nur nach der Strenge des Geſetzes;
das Herz accommodirt ſich, iſt nachſichtig, rückſichtsvoll, billig,
κατ̕ ἄνϑϱωπον. Dem Geſetze, das nur die moraliſche Voll-
[47] kommenheit uns vorhält, genügt Keiner, aber darum genügt
auch nicht das Geſetz dem eigentlichen Menſchen im Men-
ſchen, dem Herzen. Das Geſetz verdammt; das Herz erbarmt
ſich auch des Sünders. Das Herz gibt mir das Bewußtſein,
daß ich Menſch bin, das Geſetz nur das Bewußtſein, daß ich
nichtig, daß ich Sünder bin *).


Wodurch alſo erlöſt ſich der Menſch von der Pein des
Sündenbewußtſeins, von der Qual des Nichtigkeitsgefühles?
wodurch ſtumpft er der Sünde ihren tödtlichen Stachel ab?
Nur dadurch, daß er ſich des Herzens, der Liebe als der
höchſten, als der abſoluten Macht und Wahrheit be-
wußt wird, daß er das göttliche Weſen nicht nur als Geſetz,
als moraliſches Weſen, als Verſtandesweſen, ſondern vielmehr
als ein liebendes, herzliches, ſelbſt ſubjectiv menſch-
liches Weſen anſchaut
.


Die Liebe iſt der Terminus medius, das ſubſtanzielle
Band, das Vermittelungsprincip zwiſchen dem Vollkommnen und
Unvollkommnen, dem ſündlichen und ſündhaften Weſen, dem
Allgemeinen und Individuellen, dem Geſetz und dem Herzen,
dem Göttlichen und Menſchlichen. Die Liebe iſt Gott ſelbſt
und außer ihr iſt kein Gott. Die Liebe macht den Menſchen
zu Gott und Gott zum Menſchen. Die Liebe ſtärket das
Schwache und ſchwächet das Starke, erniedrigt das Hohe und
erhöhet das Niedrige, idealiſirt die Materie und materialiſirt
den Geiſt. Die Liebe iſt die wahre Einheit von Menſch und
Gott, Natur und Geiſt. In der Liebe iſt die gemeine Natur
Geiſt und der vornehme Geiſt Materie. Lieben heißt vom
[48] Geiſte aus: den Geiſt, von der Materie aus: die Materie ne-
giren. Liebe iſt Materialismus. Immaterielle Liebe iſt
ein Unding. Aber zugleich iſt die Liebe der Idealismus der
Natur*). Liebe iſt Esprit. Nur die Liebe macht die Nach-
tigall zur Sängerin; nur die Liebe ſchmückt die Befruchtungs-
werkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche
Wunder thut nicht die Liebe ſelbſt in unſerm gemeinen bürger-
lichen Leben! Was der Glaube, die Confeſſion, der Wahn
trennt, verbindet die Liebe. Selbſt unſre hohe Nobleſſe iden-
tificirt humoriſtiſch genug die Liebe mit dem bürgerlichen Pö-
bel. Was die alten Myſtiker von Gott ſagten, daß er das
höchſte und doch das gemeinſte Weſen ſei, das gilt in Wahr-
heit von der Liebe, und zwar nicht einer erträumten, imaginä-
ren Liebe, nein! von der wirklichen Liebe, von der Liebe, die
Fleiſch und Blut hat, von der Liebe, die alle lebendigen
Weſen als eine allgemeine Macht durchbebt.


Das Geheimniß der Incarnation oder Gott als Liebe,
als Herzensweſen.


Das Bewußtſein der Liebe iſt es, wodurch ſich der Menſch
mit Gott oder vielmehr mit ſich, mit ſeinem Weſen, welches
er im Geſetz als ein andres Weſen ſich gegenüberſtellt, ver-
ſöhnt. Die Anſchauung, das Bewußtſein der göttlichen Liebe,
oder, was eins iſt, Gottes als eines ſelbſt menſchlichen
Weſens
— dieſe Anſchauung iſt das Geheimniß der
[49] Incarnation
. Die Incarnation iſt nichts andres als die
thatſächliche ſinnliche Erſcheinung von der menſchlichen Na-
tur
Gottes. Die Incarnation war nur eine Folge der gött-
lichen Liebe und Barmherzigkeit. Seinetwegen iſt Gott nicht
Menſch geworden. Die Noth, das Bedürfniß des Menſchen
— ein Bedürfniß, das übrigens heute noch ein Bedürfniß des
religiöſen Gemüths — war der Grund der Incarnation. Aus
Barmherzigkeit wurde er Menſch — er war alſo ſchon in ſich
ſelbſt ein menſchlicher Gott, ehe er wirklicher Menſch wurde;
denn er fühlte das menſchliche Bedürfniß; es ging ihm das
menſchliche Elend zu Herzen. Die Incarnation war eine
Thräne des göttlichen Mitleids, alſo nur eine Erſcheinung ei-
nes menſchlich fühlenden, darum weſentlich menſchlichen We-
ſens.


Wenn der menſchgewordne Gott in der Incarnation
als das Erſte geſetzt und betrachtet wird, ſo erſcheint freilich
die Menſchwerdung Gottes als ein unerwartetes, frappirendes,
wunderbares, geheimnißvolles Ereigniß. Allein der menſch-
gewordne
Gott iſt nur die Erſcheinung des gottgeword-
nen
Menſchen, was freilich im Rücken des religiöſen Be-
wußtſeins
liegt; denn der Herablaſſung Gottes zum Men-
ſchen geht nothwendig die Erhebung des Menſchen zu Gott
vorher. Der Menſch war ſchon in Gott, war ſchon Gott
ſelbſt
, ehe Gott Menſch wurde. Wie hätte ſonſt Gott Menſch
werden können? Ex nihilo nil fit. Ein Gott, der ſich nicht
um Menſchliches kümmert, wird nicht um des Menſchen willen
Menſch werden. Ein König, der nicht auf ſeinem Herzen das
Wohl ſeiner Unterthanen trägt, der nicht ſchon auf dem Throne
mit ſeinem Geiſte in den Wohnungen derſelben weilt, nicht
ſchon in ſeiner Geſinnung, wie das Volk ſpricht, ein gemei-
Feuerbach. 4
[50]ner Mann iſt, ein ſolcher König wird auch nicht körperlich
von ſeinem Throne herabſteigen, um ſeine Untergebenen zu be-
glücken mit ſeiner perſönlichen Gegenwart. Iſt alſo nicht ſchon
der Unterthan zum König emporgeſtiegen, ehe der König zum
Unterthan herabſteigt? Und wenn ſich der Unterthan durch
die perſönliche Gegenwart ſeines Königs geehrt und beglückt
findet, bezieht ſich dieſes Gefühl nur auf dieſe ſichtbare Erſchei-
nung als ſolche, oder nicht vielmehr auf die Erſcheinung der
Geſinnung, des menſchenfreundlichen Weſens, welches der
Grund dieſer Erſcheinung iſt?


Das Tiefe, d. h. das Widerſprechende, das Unbegreifliche,
welches man in dem Satze: Gott iſt oder wird Menſch, fin-
det, kommt nur daher, daß man den Begriff oder die Beſtim-
mungen des allgemeinen, uneingeſchränkten, d. i. lediglich me-
taphyſiſchen Weſens mit dem Begriffe oder den Beſtimmungen
des religiöſen Gottes unmittelbar verbindet oder vielmehr
vermiſcht — eine Vermiſchung, die überhaupt die Einſicht in
das Weſen der Religion erſchwert. Aber es handelt ſich in
der That nur um die menſchliche Geſtalt eines Gottes, der
ſchon ein Weſen, im tiefſten Grunde ſeiner Seele ein barm-
herziger, d. i. menſchlicher Gott iſt.


In der kirchlichen Lehre wird dieß ſo ausgedrückt, daß es
nicht die erſte Perſon der Gottheit, ſondern die zweite iſt,
welche ſich incarnirt — die zweite Perſon, welche die Welt
geſchaffen, welche der zum Menſchen redende Gott iſt, welche
den Menſchen in und vor Gott vertritt *), kurz nichts andres
als der göttliche Menſch iſt — die zweite Perſon, die aber
fürwahr, wie ſich zeigen wird, der eigentliche Gott, die wahre,
[51]erſte Perſon der Religion iſt. Und nur ohne dieſen Termi-
nus medius,
welcher aber der Terminus a quo der Incarna-
tion, erſcheint die Incarnation unbegreiflich, myſteriös, „ſpecu-
lativ,“ während ſie im Zuſammenhang mit demſelben eine ſich
von ſelbſt verſtehende Folge iſt. Die Behauptung daher, daß
die Incarnation eine rein empiriſche Thatſache ſei, von der
man nur aus der Offenbarung Kunde erhalte, iſt eine Aeuße-
rung des ſtupideſten religiöſen Materialismus, denn die In-
carnation iſt ein Schlußſatz, der auf einer ſehr begreiflichen
Prämiſſe beruht. Aber eben ſo verkehrt iſt es, wenn man aus
puren ſpeculativen, d. i. metaphyſiſchen Gründen die Incar-
nation der kirchlichen, orthodoxen Theologie deduciren will,
denn die Metaphyſik gehört nur der erſten Perſon an, welche
ſich nicht incarnirt, keine dramatiſche Perſon iſt.


Aus dieſem Exempel erhellt, wie ſich die genetiſch-kri-
tiſche
, die ſpeculativ-rationelle oder ſpeculativ-empiriſche
Methode, die Methode der pneumatiſchen Waſſerheilkunde, von
der purlautern ſpeculativen Methode unterſcheidet. Die gene-
tiſch-kritiſche oder ſpeculativ-rationelle Methode philoſophirt
nicht über die Menſchwerdung als ein beſonderes, ſtupen-
des
Myſterium, wie die vom myſtiſchen Schein verblendete
Speculation; ſie zerſtört vielmehr die Illuſion, als ſtecke ein
ganz beſondres Geheimniß dahinter, ſie kritiſirt das Dogma
und reducirt es auf ſeine natürlichen Elemente, auf ſeinen
innern Urſprung — auf die Liebe. Der Mittelpunkt der In-
carnationslehre, des myſtiſchen „Gottmenſchen“ iſt die Liebe
Gottes zum Menſchen; inwiefern Gott den Menſchen liebt,
Gott an den Menſchen denkt, Gott für den Menſchen
fürſorgt, iſt er ſchon Menſch
; Gott begibt ſchon in ſich
ſeiner Gottheit, entäußert, anthropomorphirt ſich, indem er liebt.
4*
[52] Die wirkliche Incarnation iſt nun das geiſtliche Argument
ad hominem von dieſer innerlichen weſentlichen Menſchheit
Gottes.


Das Dogma aber oder die Religion ſtellt uns zweierlei
dar: Gott und die Liebe. Gott iſt die Liebe; was heißt
aber das? Iſt Gott noch Etwas außer der Liebe? ein von
der Liebe unterſchiedenes Weſen? Iſt es ſo viel, als wie ich
auch von einer menſchlichen Perſon im Affect ausrufe: ſie iſt
die Liebe ſelbſt? Allerdings; ſonſt müßte ich den Namen: Gott,
der ein beſondres perſönliches Weſen, ein Subject im Unter-
ſchiede von Prädicat ausdrückt, fahren laſſen. Alſo wird die
Liebe zu etwas Beſondren gemacht. Gott hat aus Liebe
ſeinen eingebornen Sohn geſandt. Die Liebe wird ſo zurück
und herabgeſetzt, verfinſtert durch den dunkeln Hintergrund:
Gott. Sie wird nur zu einer perſönlichen, wenn auch weſen-
beſtimmenden Eigenſchaft; ſie behält daher im Geiſte und Ge-
müthe, objectiv und ſubjectiv, den Rang nur eines Prädicats,
nicht des Subjects, nicht der Subſtanz; ſie verſchiebt ſich mir
als eine Nebenſache, ein Accidenz aus den Augen; bald tritt
ſie als etwas Weſentliches vor mich hin; bald verſchwindet ſie
mir wieder. Gott erſcheint mir auch noch in andrer Geſtalt,
als in der der Liebe, auch in der Geſtalt der Allmacht, einer
finſtern, nicht durch die Liebe gebundnen Macht, einer Macht,
an der auch, wenn gleich in geringerem Maaße, die Dämone,
die Teufel participiren.


So lange die Liebe nicht zur Subſtanz, zum Weſen ſelbſt
erhoben wird, ſo lange lauert im Hintergrunde der Liebe ein
Subject, das auch ohne Liebe noch Etwas für ſich iſt, ein
liebloſes Ungeheuer, ein dämoniſches Weſen, deſſen von der
Liebe unterſcheidbare
und wirklich unterſchiedene Per-
[53] ſönlichkeit
an dem Blute der Ketzer und Ungläubigen ſich
ergötzt — das Phantom des religiöſen Fanatismus.
Aber gleichwohl iſt das Weſentliche in der Incarnation, ob-
wohl noch gebunden an die Nacht des religiöſen Bewußtſeins,
die Liebe. Die Liebe beſtimmte Gott zur Entäußerung ſeiner
Gottheit *). Nicht aus ſeiner Gottheit als ſolcher, nach wel-
cher er das Subject iſt in dem Satze: Gott iſt die Liebe, ſon-
dern aus der Liebe, dem Prädicat kam die Verläugnung ſeiner
Gottheit; alſo iſt die Liebe eine höhere Macht als die Macht
der Gottheit. Die Liebe überwindet Gott. Die Liebe
war es, der Gott ſeine göttliche Majeſtät aufopferte. Und
was war das für eine Liebe? eine andere als die unſrige? als
die, der wir Gut und Blut opfern? War es die Liebe zu
ſich
? zu ſich als Gott? Nein! die Liebe zum Menſchen. Aber
iſt die Liebe zum Menſchen nicht menſchliche Liebe? Kann ich
den Menſchen lieben, ohne ihn menſchlich zu lieben, ohne ihn
ſo zu lieben, wie er ſelbſt liebt, wenn er in Wahrheit liebt?
Wäre ſonſt nicht die Liebe vielleicht teufliſche Liebe? Der
Teufel liebt ja auch die Menſchen, aber nicht um des Men-
ſchen, ſondern um ſeinet willen, alſo aus Egoismus, um ſich
[54] zu vergrößern, ſeine Macht auszubreiten. Aber Gott liebt,
indem er den Menfchen liebt, den Menſchen um des Menſchen
willen, um ihn gut, glücklich, ſelig zu machen. Liebt er alſo
nicht ſo den Menſchen, wie der wahre Menſch den Menſchen
liebt? Hat die Liebe überhaupt einen Plural? Iſt ſie nicht
überall ſich ſelbſt gleich? Was iſt alſo der wahre, reine Text
der Incarnation als der Text der Liebe ſchlechtweg, ohne Bei-
ſatz, ohne Differenz von göttlicher und menſchlicher Liebe;
denn wenn es auch eine eigennützige Liebe unter den Menſchen
gibt, ſo iſt doch die wahre menſchliche Liebe, die allein dieſes
Namens würdige diejenige, welche dem Andern zu Liebe das
Eigne opfert. Wer iſt alſo unſer Erlöſer und Verſöhner?
Gott oder die Liebe? Die Liebe, denn Gott als Gott hat uns
nicht erlöſt, ſondern die Liebe, welche über die Differenz von
göttlicher und menſchlicher Perſönlichkeit erhaben iſt. Wie Gott
ſich ſelbſt aufgegeben aus Liebe, ſo ſollen wir auch der Liebe
Gott aufopfern; denn opfern wir nicht Gott der Liebe
auf, ſo opfern wir die Liebe Gott auf
, und wir haben
trotz des Prädicats der Liebe den Gott, das böſe Weſen des
religiöſen Fanatismus.


Indem wir nun aber dieſen Text aus der Incarnation
gewonnen, ſo haben wir zugleich das Dogma in ſeiner Un-
wahrheit und Nichtigkeit dargeſtellt, die Illuſion aufgehoben,
als ſtecke ein ganz beſondres Geheimniß dahinter, das ſchein-
bar übernatürliche und überverſtändige Myſterium auf eine
einfache, dem Menſchen natürliche Wahrheit reducirt —
eine Wahrheit, die nicht der chriſtlichen Religion allein, ſon-
dern jeder Religion als Religion mehr oder minder angehört.
Jede Religion ſetzt nämlich voraus, daß Gott nicht gleichgül-
tig iſt gegen die Weſen, die ihn verehren, daß alſo Menſchliches
[55] ihm nicht fremd, daß er als ein Gegenſtand menſchlicher Ver-
ehrung ſelbſt ein menſchlicher Gott iſt. Jedes Gebet enthüllt
das Geheimniß der Incarnation, jedes Gebet iſt in der
That eine Incarnation Gottes
. Im Gebete ziehe ich
Gott in das menſchliche Elend herein; ich laſſe ihn Theil neh-
men an meinen Leiden und Schwächen. Gott iſt nicht taub
gegen meine Klagen; er erbarmt ſich meiner; er verläugnet
alſo ſeine göttliche Majeſtät, ſeine Erhabenheit über alles
Menſchliche und Endliche; er wird Menſch mit dem Menſchen;
denn erhört er mich, erbarmt er ſich meiner, ſo wird er afficirt
von meinem Leiden.


Die Theologie freilich, welche die metaphyſiſchen Ver-
ſtandesbeſtimmungen der Apathie, der Immutabilität, Ewigkeit
und andere dergleichen abſtracte Weſensbeſtimmungen im Kopfe
hat und feſthält, die Theologie freilich läugnet die Paſſibi-
lität
Gottes, läugnet aber eben damit auch die Wahrheit
der Religion
*). Denn die Religion, der religiöſe Menſch
glaubt im Acte der Andacht des Gebets an eine wirkliche
Theilnahme des göttlichen Weſens an ſeinen Leiden und Be-
dürfniſſen, glaubt an einen durch die Innigkeit des Gebets,
d. h. durch die Kraft des Gemüths beſtimmbaren Wil-
len Gottes, glaubt an eine wirkliche, gegenwärtige, durch das
Gebet
bewirkte Erhörung. Der wahrhaft religiöſe Menſch
legt unbedenklich ſein Herz in Gott; Gott iſt ihm ein Herz,
[56] ein Gemüth, das für alles Menſchliche empfänglich iſt. Das
Herz kann nur zum Herzen ſich wenden; das Gemüth findet
nur in ſich ſelbſt, in ſeinem Weſen, nur in einem Gotte, der
iſt, wie und was das Gemüth, ſeine Befriedigung. „Wir be-
dürfen einen willkührlichen Gott.“


Die Behauptung, daß die Erfüllung des Gebetes von
Ewigkeit her ſchon beſtimmt, ſchon in den Plan der Welt-
ſchöpfung urſprünglich mit aufgenommen ſei, iſt eine leere ab-
geſchmackte Fiction einer mechaniſchen Denkart, die abſolut dem
Weſen der Religion widerſpricht. Ueberdem iſt ja auch in
dieſer Fiction Gott eben ſo ein vom Menſchen beſtimmbares
Weſen, als in der wirklichen, gegenwärtig auf die Kraft des
Gebets erfolgten Erhörung; nur daß der Widerſpruch mit der
Immutabilität und Unbeſtimmbarkeit Gottes, d. h. die Schwie-
rigkeit in die täuſchende Ferne der Vergangenheit oder Ewig-
keit hinausgeſchoben wird. Ob Gott jetzt auf mein Gebet hin
ſich zur Erfüllung meines Gebets entſchließt oder ſich einſt da-
zu entſchloſſen hat, das iſt im Grunde ganz eins.


Es iſt die größte Inconſequenz, die Vorſtellung eines durch
das Gebet, d. h. die Kraft des Gemüths beſtimmbaren Gottes
als eine unwürdige anthropomorphiſtiſche Vorſtellung zu ver-
werfen. Glaubt man einmal ein Weſen, welches Gegenſtand
der Verehrung, Gegenſtand des Gebetes, Gegenſtand des Ge-
müthes iſt, ein Weſen, welches ein vorſehendes, fürſor-
gendes
iſt — eine Vorſehung, welche nicht ohne Liebe denk-
bar — ein Weſen alſo, welches ein liebendes iſt, die Liebe
zum Beſtimmungsgrunde ſeiner Handlungen hat, ſo glaubt
man auch ein Weſen, welches, wenn auch nicht ein anato-
miſches
, doch ein pſychiſches menſchliches Herz hat. Das
[57] religiöſe Gemüth legt überhaupt Alles in Gott — Das aus-
genommen, was es ſelbſt verſchmäht. Die Chriſten gaben
ihrem Gotte zwar keine ihren moraliſchen Begriffen widerſpre-
chende Affecte, aber die Empfindungen und Gemüthsaffecte
der Liebe, der Barmherzigkeit gaben ſie ihm ohne Anſtand und
mußten ſie ihm geben. Und die Liebe, die das religiöſe Ge-
müth in Gott ſetzt, iſt eine eigentliche, nicht nur ſo vorgeſpie-
gelte, vorgeſtellte, eine wirkliche, wahrhafte Liebe — Gott wird
geliebt und liebt wieder; in der göttlichen Liebe vergegenſtänd-
licht, bejaht ſich nur die menſchliche Liebe. In Gott vertieft
ſich nur die Liebe in ſich als die Wahrheit ihrer ſelbſt.


Gegen die eben entwickelte Bedeutung der Incarnation
kann man erwidern, daß es mit der chriſtlichen Incarnation
doch eine ganz beſondre, wenigſtens andre Bewandtniß habe
— was allerdings auch in gewiſſer Hinſicht wahr iſt, wie ſelbſt
ſpäter gezeigt werden wird — als mit den Menſchwerdungen
der heidniſchen, etwa griechiſchen oder indiſchen Götter. Dieſe
ſeien bloße Menſchenproducte oder vergötterte Menſchen; aber
im Chriſtenthum ſei die Idee des wahren Gottes gegeben; hier
werde die Vereinigung des göttlichen Weſens mit dem menſch-
lichen erſt bedeutungsvoll und „ſpeculativ.“ Jupiter verwandle
ſich auch in einen Stier; die heidniſchen Menſchwerdungen ſeien
bloße Phantaſien. Im Heidenthum ſei nicht mehr in dem
Weſen Gottes als in der Erſcheinung Gottes; im Chriſten-
thum dagegen ſei es Gott, ſei es ein andres, übermenſchliches
Weſen, welches als Menſch erſcheine. Aber dieſer Einwurf
widerlegt ſich durch die bereits gemachte Bemerkung, daß auch
die Prämiſſe der chriſtlichen Incarnation ſchon das menſchliche
Weſen enthält. Gott liebt den Menſchen; Gott hat überdem
einen Sohn in ſich; Gott iſt Vater; die Verhältniſſe der
[58] Menſchlichkeit ſind von Gott nicht ausgeſchloſſen; Menſchliches
iſt Gott nicht unbekannt, nicht ferne. Es iſt daher auch hier
nicht mehr im Weſen Gottes als in der Erſcheinung. In
der Incarnation geſteht die Religion nur ein, was ſie au-
ßerdem nicht Wort haben will, daß Gott ein durchaus menſch-
liches Weſen iſt. Die Incarnation, das Geheimniß des Gott-
menſchen, iſt daher keine myſteriöſe Compoſition von Ge-
genſätzen
, kein ſynthetiſches Factum, wofür es der ſpecu-
lativen Religionsphiloſophie gilt, weil ſie eine beſondere Freude
am Widerſpruch hat; ſie iſt ein analytiſches Factum — ein
menſchliches Wort mit menſchlichem Sinne. Wäre ein Wi-
derſpruch vorhanden, ſo läge dieſer ſchon vor und außer der
Incarnation; der Widerſpruch läge ſchon in der Verbindung
der Vorſehung, der Liebe mit der Gottheit; denn iſt
dieſe eine wirkliche, ſo iſt ſie keine von unſrer Liebe we-
ſentlich unterſchiedene — es ſind nur die Schranken zu be-
ſeitigen — und ſo iſt die Incarnation nur der kräftigſte, in-
tenſivſte, offenherzigſte Ausdruck dieſer Vorſehung, dieſer Liebe.
Die Liebe weiß ihren Gegenſtand nicht mehr zu beglücken, als
daß ſie ihn mit ihrer perſönlichen Gegenwart erfreut, daß ſie
ſich ſehen läßt. Den unſichtbaren Wohlthäter von Angeſicht
zu Angeſicht zu ſchauen, iſt das heißeſte Verlangen der Liebe.
Seligkeit liegt im bloßen Anblick des Geliebten. Der Blick iſt
die Gewißheit der Liebe. Und die Incarnation ſoll nichts ſein,
nichts bedeuten, nichts wirken als die zweifelloſe Gewiß-
heit
an der Liebe Gottes zum Menſchen. Die Liebe bleibt,
aber die Incarnation auf der Erde geht vorüber; die Erſchei-
nung war eine zeitlich und räumlich beſchränkte, Wenigen zu-
gängliche; aber das Weſen der Erſcheinung iſt ewig und all-
gemein. Wir ſollen noch glauben an die Erſcheinung, aber
[59] nicht um der Erſcheinung, ſondern um des Weſens willen;
denn uns iſt nur geblieben — die Anſchauung der Liebe.


Der klarſte, unwiderſprechlichſte Beweis, daß der Menſch
in der Religion ſich als göttlicher Gegenſtand, als gött-
licher Zweck Object
iſt, daß er alſo in der Religion nur zu
ſeinem eignen Weſen, nur zu Sich ſelbſt ſich verhält —
iſt die Liebe Gottes zum Menſchen: der Grund und Mit-
telpunkt
der Religion. Gott entäußert ſich um des Menſchen
willen ſelbſt ſeiner Gottheit. Hierin liegt der erhebende Ein-
druck der Incarnation: das höchſte, das bedürfnißloſe Weſen
demüthigt, erniedrigt ſich um meinetwillen. In Gott kommt
daher mein eignes Weſen mir zur Anſchauung; ich habe
für Gott Werth; die göttliche Bedeutung meines Weſens
wird mir offenbar. Wie kann denn der Werth des Menſchen
höher ausgedrückt werden, als wenn Gott um des Menſchen
willen Menſch wird, wenn der Menſch der Endzweck, der Ge-
genſtand der göttlichen Liebe iſt? Die Liebe Gottes zum Men-
ſchen iſt eine weſentliche Beſtimmung des göttlichen We-
ſens: Gott iſt ein mich, den Menſchen überhaupt, lieben-
der
Gott. Darauf ruht der Accent, darin liegt der Grundaf-
fect der Religion. Gottes Demuth macht mich demüthig, ſeine
Liebe liebend. Nur die Liebe iſt der Gegenſtand der Liebe:
nur was liebt, wird wieder geliebt. Die Liebe Gottes zum
Menſchen iſt der Grund der Liebe des Menſchen zu Gott: die
göttliche Liebe verurſacht, erweckt die menſchliche Liebe. „Laſ-
ſet uns ihn lieben, denn Er hat uns erſt geliebet
.“*)
Was liebe ich alſo in und an Gott? Die Liebe und zwar
die Liebe zum Menſchen. Wenn ich aber die Liebe liebe
und anbete, mit welcher Gott den Menſchen liebt, liebe ich
[60] nicht den Menſchen, iſt meine Gottesliebe nicht, wenn auch
indirecte, Menſchenliebe? Iſt denn nicht der Menſch der
Inhalt Gottes, wenn Gott ihn liebt? Iſt nicht das mein
Innigſtes, was ich liebe? Habe ich ein Herz, wenn ich nicht
liebe? Nein! Die Liebe nur iſt das Herz des Menſchen.
Aber was iſt die Liebe ohne Das, was ich liebe? Was ich
alſo liebe, das
iſt mein Herz, das iſt mein Inhalt, das
iſt mein Weſen. Warum trauert der Menſch, warum verliert
er die Luſt zum Leben, wenn er den geliebten Gegenſtand ver-
liert? Warum? weil er mit dem geliebten Gegenſtande ſein
Herz, das Princip des Lebens, verloren. Liebt alſo Gott den
Menſchen, ſo iſt der Menſch das Herz Gottes — des Men-
ſchen Wohl ſeine innigſte Angelegenheit. Iſt alſo nicht, wenn
der Menſch der Gegenſtand Gottes iſt, der Menſch ſich
ſelbſt in Gott Gegenſtand
, nicht der Inhalt des göttli-
chen Weſens das menſchliche Weſen, wenn Gott die Liebe,
der weſentliche Inhalt dieſer Liebe aber der Menſch iſt,
nicht die Liebe Gottes zum Menſchen, der Grund und
Mittelpunkt der Religion, die Liebe des Menſchen zu ſich
ſelbſt
, vergegenſtändlicht, angeſchaut als die höchſte objective
Wahrheit, als das höchſte Weſen des Menſchen? Iſt denn
nicht der Satz: „Gott liebt den Menſchen“ ein Orientalismus
— die Religion iſt weſentlich orientaliſch — welcher auf Deutſch
heißt: das Höchſte iſt die Liebe des Menſchen? —


Das Geheimniß des leidenden Gottes.


Der Glaube an den aus Liebe Menſch gewordnen
Gott
— und dieſer Gott iſt der Mittelpunkt der chriſtlichen
Religion — iſt nichts andres als der Glaube an die Liebe,
[61] der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die Wahr-
heit
und Gottheit des menſchlichen Herzens. Der ſei-
ner ſelbſt bewußte, der denkende Menſch erkennt das Herz als
Herz
, den Verſtand als Verſtand, beide in der Einheit ih-
rer Weſenheit und Wirklichkeit, als göttliche, abſolute Mächte.
Aber die Religion, ihrer ſich nicht bewußt, und beruhend auf
der Scheidung der Weſenheit von der Wirklichkeit des
Weſens des Menſchen, als eines andern Weſens, vom wirk-
lichen individuellen Menſchen, vergegenſtändlicht auch das
Weſen des Herzens, wie des Verſtandes, als ein andres, ob-
jectives und zwar perſönliches Weſen.


Eine Weſensbeſtimmung des menſchgewordnen oder, was
eins iſt, des menſchlichen Gottes, alſo Chriſti, iſt die Paſſion.
Die Liebe bewährt ſich durch Leiden. Alle Gedanken und
Empfindungen, die ſich zunächſt an Chriſtus anſchließen, con-
centriren ſich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott
iſt der Inbegriff aller menſchlichen Vollkommenheit, Chriſtus
der Inbegriff alles menſchlichen Elends. Die heidniſchen Phi-
loſophen feierten die Actuoſität, die Spontaneität der Intelli-
genz als die höchſte, als die göttliche Thätigkeit; die Chriſten
heiligten das Leiden, ſetzten das Leiden ſelbſt in Gott. Wenn
Gott als Actus purus der Gott der Philoſophie, ſo iſt dage-
gen Chriſtus, der Gott der Chriſten, die Passio pura — der
höchſte metaphyſiſche Gedanke, das être suprême des Her-
zens
. Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als
Leiden? und zwar das Leiden des an ſich Leidloſen, des über
alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unſchuldigen, des Sün-
denreinen, das Leiden lediglich zum Beſten Anderer, das frei-
willige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbſtaufopferung?
Aber eben deßwegen weil die Paſſionsgeſchichte die ergreifendſte
[62] Geſchichte für das menſchliche Herz oder überhaupt für das
Herz iſt — denn es wäre ein lächerlicher Wahn des Menſchen,
ſich ein andres Herz als das menſchliche vorſtellen zu wollen
— ſo folgt daraus aufs unwiderſprechlichſte, daß in ihr nichts
ausgedrückt, nichts vergegenſtändlicht iſt als das Weſen des
Herzens
, daß ſie zwar nicht in dem menſchlichen Verſtande
oder Dichtungsvermögen, aber doch im menſchlichen Herzen
ihren Urſprung hat. Das Chriſtenthum, ſeinem beſſern
Theil
nach, gereinigt von den widerſprechenden eigenthümli-
chen Elementen des religiöſen Bewußtſeins, die erſt ſpäter in
Betracht kommen, iſt eine Invention des menſchlichen Herzens.
Aber das Herz erfindet nicht, wie die freie Phantaſie oder In-
telligenz; es verhält ſich leidend, empfangend; alles, was aus
ihm kommt, erſcheint ihm als gegeben, tritt gewaltſam auf,
wirkt mit der Kraft der dringenden Nothwendigkeit. Das Herz
bewältigt, bemeiſtert den Menſchen; wer einmal von ihm er-
griffen, iſt von ihm als ſeinem Dämon, ſeinem Gotte ergriffen.
Das Herz kennt keinen andern Gott, kein trefflicheres Weſen
als ſich, als einen Gott, deſſen Name zwar ein beſonderer,
ein andrer ſein mag, deſſen Weſen, deſſen Subſtanz aber
das eigne Weſen des Herzens iſt. Und aus dem Herzen, aus
dem innern Drange, Gutes zu thun, für die Menſchen zu leben
und ſterben, aus dem göttlichen Triebe der Wohlthätig-
keit
, die Alle beglücken will, die Keinen, auch den Verworfen-
ſten, den Niedrigſten nicht, von ſich ausſchließt, aus der ſittli-
chen Pflicht der Wohlthätigkeit im höchſten Sinne, wie ſie zu
einer innern Nothwendigkeit, d. i. zum Herzen geworden,
aus dem menſchlichen Weſen alſo, wie es ſich als Herz und
durch das Herz offenbart, iſt die Pars melior, der beſſere Theil
des Chriſtenthums entſprungen.


[63]

Was nämlich die Religion zum Prädicat macht, Das
dürfen wir nur immer zum Subject, und, was ſie zum Sub-
ject
, zum Prädicat machen, alſo die Orakelſprüche der Reli-
gion umkehren, als contre-véritez auffaſſen, ſo haben wir
das Wahre. Gott leidet — Leiden iſt Prädicat — aber für
die Menſchen, für Andere, nicht für ſich. Was heißt das auf
Deutſch? nichts andres als: Leiden für Andere iſt gött-
lich
*); wer für Andere leidet, ſeine Seele läßt, handelt gött-
lich, iſt den Menſchen Gott. Aber leidende, ſich ſelbſt auf-
opfernde Liebe iſt das höchſte Weſen des Herzens. Chriſtus
alſo das ſich ſelbſt gegenſtändliche Herz — der Eindruck
und Inhalt ſeiner Leidensgeſchichte ein rein menſchlicher. Denn
daß Chriſtus zugleich Gott war, Gott im Sinne der Religion
oder Dogmatik, iſt eine vage, nichtige, phantaſtiſche Vorſtel-
lung. Der poſitive, reale Eindruck auf Kopf und Herz, der
Eindruck, der allein den objectiven Inhalt in ſeiner Wahr-
heit
ausdrückt, iſt: daß er freiwillig litt, daß er nicht zu leiden
brauchte, wenn er nicht hätte leiden wollen, daß er litt unver-
ſchuldet, daß er litt für Andere, litt aus freier Liebe. Aber
ſolches Leiden geht wohl über den gemeinen, aber nicht über
den Menſchen an ſich, über den wahren Menſchen. Denke ich
dagegen zugleich mit dieſem menſchlichen Leiden den ſuprana-
turaliſtiſchen religiöſen oder dogmatiſchen Inhalt, den leidenden
[64] Chriſtus zugleich als Gott, ſo geht alle Wahrheit verloren, ſo
litt er, ſo zu ſagen, nur auf der einen Seite, auf der andern
aber nicht — denn was war für ihn als Gott, als den ſeiner
Gottheit, ſeiner Ewigkeit und himmliſchen Seligkeit Bewußten
ſein Leiden? — ſo war ſein Leiden nur ein Leiden für ihn als
Menſchen, nicht als Gott, nur ein ſcheinbares, kein wahres
Leiden — kurz eine bloße Komödie.


Das Leiden Chriſti repräſentirt jedoch nicht nur das ſitt-
liche Leiden, das Leiden der Liebe, der Kraft, ſich ſelbſt zum
Wohle Anderer aufzuopfern: es repräſentirt auch das Leiden
als ſolches
, das Leiden inwiefern es ein Ausdruck der Paſ-
ſibilität überhaupt iſt. Die chriſtliche Religion iſt ſo wenig
eine übermenſchliche, daß ſie ſelbſt die menſchliche Schwachheit
ſanctionirt. Wenn der heidniſche Philoſoph ſelbſt bei der Nach-
richt von dem Tode des eignen Kindes die Worte ausruft: Ich
wußte, daß ich einen Sterblichen gezeugt; ſo vergießet dagegen
Chriſtus Thränen über den Tod des Lazarus — einen Tod,
der doch in Wahrheit nur ein Scheintod war. Wenn Sokra-
tes mit unbewegter Seele den Giftbecher leert, ſo ruft dagegen
Chriſtus aus: „wenn es möglich, ſo gehe dieſer Kelch von
mir.“*) Chriſtus iſt in dieſer Beziehung das Selbſtbekenntniß
der menſchlichen Senſibilität. Der Chriſt hat, ganz im Ge-
genſatz gegen das heidniſche, namentlich ſtoiſche Princip mit
ſeiner rigoroſen Willensenergie und Selbſtſtändigkeit, das Be-
[65] wußtſein der eignen Reizbarkeit und Empfindlichkeit in das
Bewußtſein Gottes aufgenommen; in Gott findet er ſie, wenn
ſie nur keine ſündliche Schwachheit, nicht negirt, nicht ver-
dammt *).


Leiden iſt das höchſte Gebot des Chriſtenthums — die
Geſchichte des Chriſtenthums ſelbſt die Leidensgeſchichte
der Menſchheit
. Wenn bei den Heiden das Jauchzen der
ſinnlichen Luſt ſich in den Cultus der Götter miſchte, ſo gehö-
ren bei den Chriſten, natürlich den alten Chriſten, die
Seufzer und Thränen des leidenden Herzens, des Gemüths
zum Gottesdienſt. Wie aber ein ſinnlicher Gott, ein Gott des
Lebens, der Lebensfreude da verehrt wird, wo ſinnliches Freu-
dengeſchrei zu ſeinem Cultus gehört, ja wie dieſes Freudenge-
ſchrei nur eine ſinnliche Definition iſt von dem Weſen der
Götter, denen dieſes Geſchrei gilt: ſo ſind auch die Herzens-
ſeufzer der Chriſten Töne, die aus der innerſten Seele, dem
innerſten Weſen ihres Gottes kommen. Der Gott des Gottes-
dienſtes, bei den Chriſten des innern Gottesdienſtes, nicht der
Gott der ſophiſtiſchen Theologie iſt der wahre Gott des Men-
ſchen. Aber mit Thränen, den Thränen der Reue und
Sehnſucht
, glaubten die Chriſten, natürlich die alten Chri-
ſten
, ihrem Gott die höchſte Ehre anzuthun. Die Thränen
ſind alſo die ſinnlichen Glanzpunkte des chriſtlich religiöſen
Gemüths, in denen ſich das Weſen ihres Gottes abſpiegelt.
Aber ein Gott, der an Thränen Gefallen hat, iſt nichts andres
als das gegenſtändliche Weſen des leidenden Herzens —
des Gemüths. Zwar heißt es in der chriſtlichen Religion:
Feuerbach. 5
[66] Chriſtus hat Alles für uns gethan, hat uns erlöſt, verſöhnt
mit Gott; und es ließe ſich daher hieraus der Schluß ziehen:
Laſſet uns fröhlichen Sinnes ſein, was brauchen wir uns dar-
über zu kümmern, wie wir uns mit Gott verſöhnen ſollen;
wir ſind es ja ſchon. Aber das Imperfectum des Leidens macht
einen ſtärkern, anhaltendern Eindruck, als das Perfectum der
Erlöſung. Die Erlöſung iſt nur das Reſultat des Leidens;
das Leiden der Grund, die Quelle der Erlöſung. Das Lei-
den befeſtigt ſich daher tiefer im Gemüthe; das Leiden macht
ſich zu einem Gegenſtande der Nachahmung, die Erlöſung nicht.
Wenn Gott ſelber litt um meinetwillen, wie ſoll ich fröhlich
ſein, wie mir eine Freude gönnen, wenigſtens auf dieſer ver-
dorbnen Erde, die der Schauplatz ſeiner Leiden war *)? Soll
ich beſſer ſein als Gott? ſoll ich alſo ſein Leiden mir nicht an-
eignen? Iſt was Gott, mein Herr thut, nicht mein Vorbild?
Oder ſoll ich nur den Gewinn, nicht auch die Koſten tragen?
Weiß ich nur, daß er mich verſöhnt, erlöſt hat? Iſt mir ſeine
Leidensgeſchichte nicht auch Gegenſtand? Soll ſie mir nur ein
Gegenſtand kalter Erinnerung ſein oder gar ein Gegenſtand
der Freude, weil dieſes Leiden mir die Seligkeit erkauft? Aber
wer kann ſo denken, wer ſich ausſchließen wollen von den Lei-
den ſeines Gottes, außer der verworfenſte religiöſe Egois-
mus
?


Die chriſtliche Religion iſt die Religion des Leidens. Die
Bilder des Gekreuzigten, die uns heute noch in allen Kirchen
begegnen, ſtellen uns keinen Erlöſer, ſondern nur den Gekreu-
zigten, den Leidenden dar. Selber die Selbſtkreuzigungen unter
[67] den Chriſten ſind pſychologiſch tief begründete Folgen ihrer
religiöſen Anſchauung. Wie ſollte dem nicht die Luſt kommen,
ſich ſelbſt oder Andere zu kreuzigen, der ſtets das Bild eines
Gekreuzigten im Sinne hat? Wenigſtens ſind wir zu dieſem
Schluſſe eben ſo gut berechtigt, als Auguſtin und andere Kir-
chenväter zu dem Vorwurf gegen die heidniſche Religion, daß
die unzüchtigen religiöſen Bilder die Heiden zur Unzucht auf-
forderten.


Aber ſo ſehr dem objectiven Gemüthe, dem Herzen des
natürlichen oder ſelbſtbewußten Menſchen das Leiden wider-
ſpricht, weil in ihm der Trieb zur Selbſtthätigkeit, zur Kraft-
äußerung der vorherrſchende iſt: ſo ſehr entſpricht dem ſub-
jectiven
, nur einwärts gekehrten, weltſcheuen, nur
auf ſich concentrirten Herzen
, d. i. dem Gemüthe das
Leiden. Leiden iſt eine Selbſtnegation, aber eine ſelbſt ſub-
jective, dem Gemüthe wohlthätige — auch ganz abgeſehen
davon, daß das chriſtliche Leiden, ſelbſt das Leiden des Mär-
tyrerthums identiſch iſt mit der Hoffnung der himmli-
ſchen Seligkeit
*) — die Anſchauung eines leidenden Got-
tes daher die höchſte Selbſtbejahung, die höchſte Wol-
luſt des leidenden Herzens
.


Gott leidet, heißt aber nichts andres als: Gott iſt
ein Herz
. Das Herz iſt die Quelle, der Inbegriff aller Lei-
den. Ein Weſen ohne Leiden iſt ein Weſen ohne Herz. Im
Verſtande ſind wir ſelbſtthätig; im Herzen leiden, d. i. empfin-
den wir. Das Geheimniß des leidenden Gottes iſt
5*
[68]daher das Geheimniß der Empfindung. Ein leidender
Gott iſt ein empfindender, empfindſamer Gott*). Aber
was der Religion nur Prädicat, das iſt in Wahrheit das Subject,
die Sache ſelbſt, das Weſen. Der Satz: Gott iſt ein empfin-
dendes Weſen, iſt nur die religiöſe Periphraſe des Satzes:
die Empfindung iſt abſoluten, göttlichen Weſens. Die
Religion iſt nichts andres als das vergegenſtändlichte Selbſt-
bewußtſein des Menſchen — ſo verſchieden daher, als verſchie-
den das Selbſtbewußtſein des Menſchen, d. h. der Gegenſtand,
deſſen der Menſch ſich als ſeines höchſten Weſens bewußt iſt.
Der Menſch hat aber nicht nur das Bewußtſein einer Thätig-
keitsquelle, ſondern auch Leidensquelle in ſich. Ich empfinde;
und empfinde die Empfindung, nicht blos das Wollen, nicht
blos das Denken, welches nur zu oft im Gegenſatze mir mir
und meinen Empfindungen iſt, als zu meinem Weſen gehörig,
und obwohl als die Quelle aller Leiden und Schmerzen, doch
zugleich als eine herrliche, göttliche Macht und Vollkommen-
heit. Was wäre der Menſch ohne Empfindung? Sie iſt die
muſikaliſche Macht im Menſchen. Aber was wäre der Menſch
ohne den Ton? So gut der Menſch einen muſikaliſchen Trieb,
eine innere Nöthigung in ſich fühlt, im Tone, im Liede ſeine
Empfindungen auszuhauchen, ſo nothwendig ſtrömt er in reli-
giöſen Seufzern und Thränen das Weſen der Empfindung als
gegenſtändliches göttliches Weſen aus.


Die Religion iſt die Reflexion, die Spiegelung
des menſchlichen Weſens in ſich ſelbſt
. Was iſt, hat
[69] nothwendig einen Gefallen an ſich. Weil es iſt, iſt es vor-
trefflich. Sein iſt ein Glück, ein Vorzug. Was iſt, liebt ſich.
Tadelſt Du, daß es ſich liebt, ſo machſt Du ihm den Vorwurf,
daß es iſt. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des
Lebens überdrüſſig, nimmt ſich das Leben. Wo die Empfin-
dung daher nicht zurückgeſetzt oder unterdrückt wird, wie bei
den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da iſt ihr auch
ſchon religiöſe Macht und Bedeutung eingeräumt, da iſt
ſie auch ſchon auf die Stufe erhoben, auf welcher ſie ſich in
ſich ſpiegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel
blicken kann. Gott iſt der Spiegel des Menſchen.


Was für den Menſchen weſentlichen Werth hat, was ihm
für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres
Gefallen hat, das allein iſt ihm Gott. Wem die Empfin-
dung für eine herrliche Eigenſchaft, für eine Realität gilt, dem
gilt ſie eben damit für eine göttliche Eigenſchaft, eine gött-
liche Eſſenz. Der empfindende, gefühlvolle Menſch glaubt an
einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die
Wahrheit ſeines eignen Seins und Weſens, denn er kann
nichts andres glauben, als was er ſelbſt in ſeinem
Weſen
iſt. Sein Glaube iſt das Bewußtſein deſſen, was ihm
heilig iſt. Aber heilig iſt dem Menſchen nur, was ſein In-
nerſtes
, ſein Eigenſtes, der letzte Grund, das Weſen
ſeiner Individualität iſt. Dem empfindungsvollen Menſchen
iſt ein empfindungsloſer Gott ein leerer, todter, abſtracter, ne-
gativer Gott, weil ihm das fehlt, was dem Menſchen werth
und heilig iſt, und weil nur der Gott den Menſchen befrie-
digt
, welcher des Menſchen eignes Weſen enthält und aus-
drückt. Gott iſt dem Menſchen das Collectaneenbuch ſeiner
höchſten Gedanken und Empfindungen, das Stammbuch,
[70] in welches er die Namen der ihm theuerſten, heiligſten Weſen
einträgt.


Es iſt ein Zeichen einer haushälteriſchen Gemüthlichkeit,
ein weiblicher Trieb, zu ſammeln und das Geſammelte zuſam-
men zu halten, nicht den Wogen der Vergeßlichkeit, dem Zu-
fall der Erinnerung, überhaupt nicht ſich ſelbſt zu überlaſ-
ſen und anzuvertrauen, was man Werthes hat kennen lernen.
Der Freigeiſt iſt der Gefahr eines diſſoluten Lebens ausgeſetzt,
der Religiöſe, weil er Alles in Eins zuſammenfaßt, iſt der Ge-
fahr, ſich im ſinnlichen Leben zu verlieren, entnommen, aber
dafür der Gefahr der Illiberalität, der geiſtlichen Selbſt- und
Gewinnſucht ausgeſetzt. Der Ir- oder wenigſtens Nichtreli-
giöſe erſcheint daher auch, wenigſtens dem Religiöſen, als der
Menſchliches Vergötternde, als der Subjective, Eigenmächtige,
Hochmüthige, nicht deßwegen, weil ihm nicht auch an ſich
heilig wäre, was dem Religiöſen heilig iſt, ſondern nur, weil
Das, was der Nicht-religiöſe nur in ſeinem Kopfe behält,
der Religiöſe außer ſich als Object ſich gegenüber und zugleich
über ſich ſetzt, daher das Verhältniß der Subordination, der
Subjection in ſich aufnimmt. Kurz der Religiöſe hat, weil
ein Collectaneenbuch, einen Sammelpunkt, einen Zweck. Ohne
Religion erſcheint den Menſchen das Leben als ein zweckloſes.
In der That ſetzten auch alle tüchtigen Menſchen ſich einen
höchſten Zweck. Das Geheimniß eines im höhern Sinne ſitt-
lichen Lebens beruht auf dieſer Teleologie. Nicht der Wille
als ſolcher, nicht das vage Wiſſen, nur der Zweck, in dem ſich
die theoretiſche Thätigkeit mit der praktiſchen verbindet, gibt
dem Menſchen einen ſittlichen Grund und Halt, d. h. Cha-
rakter. Der gewöhnliche Menſch verliert ſich ohne Religion
(im gewöhnlichen, aber weltgültigen Sinne), es fehlt ihm der
[71] Punkt der Sammlung, des Zuſammenhalts. Jeder Menſch
muß ſich daher einen Gott d. h. einen Endzweck ſetzen. Der
Endzweck iſt der bewußte und gewollte weſentliche Lebenstrieb,
der Genieblick, der Lichtpunkt der Selbſterkenntniß — die Ein-
heit von Natur und Geiſt
im individuellen Menſchen. Wer
einen Endzweck, hat ein Geſetz über ſich: er leitet ſich nicht
ſelbſt nur; er wird geleitet. Wer keinen Endzweck, hat keine
Heimath, kein Heiligthum. Größtes Unglück iſt Zweckloſigkeit.
Selbſt wer ſich gemeine Zwecke ſetzt, kommt beſſer durch, auch
wenn er nicht beſſer iſt, als wer keinen Zweck ſich ſetzt. Der
Zweck beſchränkt; aber die Schranke iſt der Tugend Meiſterin.
Wer einen Zweck hat, einen Zweck, der an ſich wahr und we-
ſenhaft iſt, der hat darum eo ipso Religion — wenn auch
nicht im Sinne der gewöhnlichen, der herrſchenden Religion,
aber doch im Sinne der Vernunft, der Wahrheit, der univer-
ſellen Liebe, der allein wahren Liebe.


Das Myſterium der Trinität und Mutter Gottes.


So wenig ein Gott ohne Empfindung, ohne Leidensver-
mögen einem empfindenden, leidenden Weſen genügt, ſo wenig
genügt auch wieder ein Weſen nur mit Empfindung, ein We-
ſen ohne Activität und Spontaneität, als auf welcher allein
der Begriff der Intelligenz, der Willenskraft, des Selbſtbe-
wußtſeins beruht. So ſehr es den Menſchen drängt, die Em-
pfindung zu vergöttern, d. h. zu bejahen, ſo ſehr drängt es ihn,
den Geiſt, den Verſtand, den Willen, das Selbſtbewußtſein,
die Selbſtthätigkeit in ihrer Weſenheit zu vergegenſtändlichen.
Kurz nur ein Weſen, welches den ganzen Menſchen in ſich
trägt, kann auch den ganzen Menſchen befriedigen. Das
[72] Bewußtſein des Menſchen von ſich in ſeiner Totalität iſt
das Bewußtſein der Trinität. Das Geheimniß dieſes Myſte-
riums iſt nichts andres als das Geheimniß des Menſchen
ſelbſt. Was als Abdruck, Bild, Aehnlichkeit, Gleichniß
von der Religion und Theologie bezeichnet wird, dürfen wir
nur als die Sache ſelbſt, das Weſen, das Urbild, das
Original erfaſſen, ſo haben wir das Räthſel gelöſt. Die
angeblichen Bilder, durch die man die Trinität zu veranſchau-
lichen, begreiflich zu machen ſuchte, waren vorzüglich: Geiſt,
Verſtand, Gedächtniß, Wille, Liebe, mens, intellectus, me-
moria, voluntas, amor
.


Gott denkt und zwar denkt er ſich, erkennt er ſich, und
das Gedachte, das Erkannte iſt Gott ſelbſt. Die Vergegen-
ſtändlichung des Selbſtbewußtſeins iſt das Erſte, was in der
Trinität uns begegnet. Das Selbſtbewußtſein drängt ſich
nothwendig, unwillkührlich dem Menſchen als etwas Abſolutes
auf. Sein iſt für ihn eins mit Selbſtbewußtſein, Sein mit
Bewußtſein iſt für ihn Sein ſchlechtweg. Der Unterſchied von
Sein und Nichtſein iſt für ihn an das Bewußtſein gebunden.
Ob ich gar nicht bin, oder bin, ohne daß ich weiß, daß ich bin,
iſt gleich. Selbſtbewußtſein hat für den Menſchen, hat in der
That an ſich ſelbſt abſolute Bedeutung. Ein Gott, der ſich
nicht weiß, ein Gott ohne Bewußtſein, iſt kein Gott. Wie
der Menſch ſich nicht denken kann ohne Bewußtſein, ſo auch
nicht Gott. Das göttliche Selbſtbewußtſein iſt nichts
andres als das Bewußtſein des Bewußtſeins als
abſoluter Weſenheit
.


Uebrigens iſt damit keineswegs die Trinität erſchöpft.
Wir würden vielmehr ganz willkührlich verfahren, wenn wir
darauf allein das Geheimniß der Trinität zurückführen und
[73] einſchränken wollten. Das Bewußtſein in ſeiner abſtracten
Bedeutung iſt nur Sache der Philoſophie. Die Religion aber
iſt das Bewußtſein des Menſchen von ſich in ſeiner empiri-
ſchen Totalität, in welcher die Identität des Selbſtbewußtſeins
nur als die beziehungsreiche, erfüllte Einheit von Ich und
Du
exiſtirt.


Die Religion, wenigſtens die chriſtliche, abſtrahirt von
der Welt; ſie bezieht ſich auf die Dinge in ihrer Erſcheinung,
nicht in ihrem Weſen, denn dieſes iſt nur Gegenſtand des
Denkens, der Wiſſenſchaft; die Welt und Alles, was in der
Welt, iſt ihr nichtig; nur Gott allein das Weſen. Der reli-
giöſe Menſch zieht ſich vor der Welt in ſich zurück. Innerlich-
keit gehört zum Weſen der Religion. Der religiöſe Menſch
führt ein abgezogenes, in Gott verborgenes, ſtilles, weltfreu-
denleeres Leben. Tritt er auch in die Welt, ſo tritt er doch nur
in polemiſche Verhältniſſe zu ihr; er ſucht die Welt, die Men-
ſchen anders zu machen, als ſie ſind, der Welt abzugewinnen,
Gott zuzuführen. Er bezieht alle Dinge und Weſen nur auf
Gott; er liebt die Menſchen, aber nicht um ihret- ſondern um
Gottes willen; er liebt in ihnen nicht ſie ſelbſt, ſondern ih-
ren Vater, ihren Erlöſer. Der religiöſe Menſch ſondert ſich
aber nur von der Welt ab, und zwar von der Welt nicht nur
im gemeinen Sinne, in jenem Sinne, in welchem die Nega-
tion der Welt zum Leben jedes wahren ernſten Menſchen ge-
hört, ſondern auch in jenem Sinne, in welchem die Wiſſen-
ſchaft dieſes Wort nimmt, ſich ſelbſt Weltweisheit nennend; er
ſondert ſich nur ab von der Welt, weil Gott ſelbſt ein von
der Welt abgeſondertes
, d. i. ein außer- und überwelt-
liches
Weſen iſt. Gott als Gott iſt ein abgeſondertes,
unweltliches
Weſen — ſtreng, abſtract philoſophiſch ausge-
[74] drückt, das Nichtſein der Welt. Um ſich mit Gott zu verbin-
den, löſt der Menſch alle Bande mit der Welt. Gott ſelbſt als
außerweltliches Weſen iſt nichts andres als das von der Welt
in ſich zurückgezogene, aus allen Banden und Ver-
wicklungen mit der Welt herausgerißne, über die
Welt hinweg ſich ſetzende, d. i. weltloſe Innere des
Menſchen, geſetzt als gegenſtändliches Weſen
.


Aber der Menſch kann nur abſtrahiren von der menſch-
lichen Individualität, nicht vom menſchlichen Weſen, von der
Erſcheinung der Welt, aber nicht von ihrem Weſen. Er muß
alſo in die Abſtraction Das, wovon er abſtrahirt oder zu ab-
ſtrahiren glaubt, wieder aufnehmen. Und ſo ſetzt denn auch
wirklich die Religion Alles, was ſie bewußt negirt, unbewußt
wieder in Gott
, aber mit dem Merkmale der Abſonderung,
der Abſtraction.


Gott als Gott, Gott der Vater iſt der abgeſonderte Gott,
das a- und antikosmiſche, anthropomorphismenloſe Weſen,
Gott in Beziehung nur auf ſich; Gott der Sohn die Beziehung
Gottes auf uns, aber er erſt der wirkliche Gott. In Gott
als Gott wird der Menſch beſeitigt, im Sohne kehrt er wieder.
Der Vater iſt die metaphyſiſche Eſſenz, wie ſich an ſie die Re-
ligion anſchließt, weil ſie unvollſtändig wäre, wenn ſie nicht
auch das metaphyſiſche Element in ſich aufnähme; im Sohne
iſt er erſt Gegenſtand der Religion; Gott, als Gegenſtand
der Religion, als religiöſer Gott, iſt Gott als Sohn. Im
Sohne wird der Menſch Gegenſtand; in ihm concentriren
ſich alle menſchliche Bedürfniſſe.


So ſehr der religiöſe Menſch vor der Außenwelt ſich ver-
birgt, in ſein einſames Innere ſich zurückzieht, ſo iſt ihm doch
ein weſentliches Bedürfniß das Andre, die Welt, der Menſch.
[75] Er iſt ſich ſelbſt ein abſtractes Du; er hat eben deßwegen ein
Bedürfniß nach einem wirklichen Du. Verſchmäht der reli-
giöſe Menſch auch die natürliche Freundſchaft und Liebe; ſo
iſt ihm doch wenigſtens religiöſe Gemeinſchaft ein Bedürfniß.
Gott als Gott, als einfaches Weſen, iſt allein, ein einſa-
mer
Gott. Gott als Gott iſt ſelbſt nichts andres als die ab-
ſolute, hypoſtaſirte Einſamkeit und Selbſtſtändigkeit
,
denn einſam kann nur ſein, was ſelbſtſtändig iſt. Einſam ſein
können, iſt ein Zeichen von Denk- und Charkaterkraft. Ein-
ſamkeit
iſt das Bedürfniß des Denkens, Geſellſchaft
das Bedürfniß des Herzens. Denken kann man allein,
lieben
nur ſelbander. Einſamkeit iſt Autarkie — bedürf-
nißlos ſind wir nur in der Intelligenz, nur im Acte des
Denkens.


Gott als Gott iſt nichts andres als das Bewußtſein der
Denkkraft, der Kraft, von allen Andern zu abſtrahiren
und für ſich allein mit ſich ſein
zu können, wie ſie inner-
halb
der Religion, d. h. als ein vom Menſchen unterſchied-
nes, apartes Weſen
den Menſchen Gegenſtand wird. Aber
von einem einſamen Gott iſt das dem Menſchen weſentliche
Bedürfniß der Liebe, der Gemeinſchaft, des realen, erfüll-
ten Selbſtbewußtſeins
, des Alter Ego im engſten und
weiteſten Sinne ausgeſchloſſen *). Dieſes Bedürfniß daher
befriedigt; aufgenommen in die ſtille Einſamkeit des göttlichen
Weſens, iſt Gott der Sohn — ein anderes, zweites Weſen,
[76] unterſchieden vom Vater der Perſönlichkeit nach, aber dem
Weſen nach mit ihm identiſch — ſein Alter Ego.


Gemeinſchaftliches Leben nur iſt wahres, in ſich
befriedigtes, göttliches Leben, Gott iſt ein ζῶον πο-
λιτικὸν
— dieſer einfache Gedanke, dieſe natürliche Wahr-
heit iſt das Geheimniß des übernatürlichen Myſteriums der
Trinität. Aber die Religion ſpricht auch dieſe, wie jede andere
Wahrheit verkehrt, d. h. indirect aus, indem ſie eine all-
gemeine Wahrheit zu einer beſondern und das wahre Subject
nur zum Prädicat macht, indem ſie ſagt: Gott iſt ein gemein-
ſchaftliches Leben, ein Leben und Weſen der Liebe und
Freundſchaft
. Die dritte Perſon in der Trinität drückt ja
nichts weiter aus als die Liebe der beiden göttlichen Perſonen
zu einander, iſt die Einheit des Vaters und Sohns, der Be-
griff der Gemeinſchaft, widerſinnig genug ſelbſt wieder als ein
perſönliches, beſondres Weſen geſetzt *).


Das Myſterium der Trinität war eben deßwegen für den
religiöſen Menſchen ein Gegenſtand der überſchwänglichſten
[77] Bewunderung, Begeiſterung und Entzückung, weil ihm hier
die Befriedigung der innerſten menſchlichen Bedürfniſſe, welche
er in der Wirklichkeit negirte, des Bedürfniſſes der naturgemä-
ßen, der intenſivſten Liebe, des wirklichen Selbſtbewußtſeins,
welches nichts andres als die Anſchauung oder das Gefühl
des Andern als meinen eignen Weſens iſt, zur Anſchauung
kam. Nur ein dreieiniger Gott iſt für den religiöſen Menſchen
ein Gegenſtand der Liebe, weil ihm in der Trinität ſelbſt die
Liebe Gegenſtand iſt. Daß es im Grunde nicht mehr als
zwei Perſonen ſind, denn die dritte Perſon repräſentirt, wie
geſagt, nichts andres als die Liebe, obwohl ſelbſt wieder als
ein beſondres Weſen vorgeſtellt, dieß liegt darin, daß dem
ſtrengen Begriffe der Liebe das Zwei genügt. Zwei iſt das
Princip und eben damit der vollkommne Erſatz der Vielheit.
Würden mehrere Perſonen geſetzt, ſo würde nur die Kraft der
Liebe geſchmälert; ſie würde ſich zerſtreuen. Aber Liebe und
Herz ſind identiſch. Ohne Liebe kein Herz. Das Herz iſt
kein beſondres Vermögen — das Herz iſt der Menſch, der in
ſofern er liebt. Die zweite Perſon iſt daher die Selbſtbe-
jahung des menſchlichen Herzens, das Princip des
gemeinſchaftlichen Lebens, der Liebe
— die Wärme, der
Vater das Licht, obwohl das Licht hauptſächlich ein Prädicat
des Sohns war, weil in ihm die Gottheit erſt dem Menſchen
licht, klar, verſtändlich wird. Aber deſſen ungeachtet können
wir dem Vater, als dem Repräſentanten der Gottheit als ſol-
cher, des kalten Weſens der Intelligenz, das Licht als hyper-
telluriſches Princip, dem Sohne die telluriſche Wärme zuſchrei-
ben. Gott als Sohn erwärmt erſt den Menſchen, hier wird
Gott aus dem Object des Auges, des kalten indifferenten Licht-
ſinnes ein Object des Gefühls, des Affects, der Begeiſterung,
[78] der Entzückung, aber nur weil der Sohn ſelbſt nichts andres
iſt als die Glut der Liebe, der Begeiſterung *). Gott als
Sohn iſt die primitive Incarnation, die primitive Selbſtver-
läugnung Gottes; denn als Sohn iſt er endliches Weſen;
denn er iſt ab alio, von einem Grunde; der Vater dagegen
grundlos, a se, von ſich ſelbſt. Es wird alſo in der zweiten
Perſon die weſentliche Beſtimmung der Gottheit, die Beſtim-
mung des von ſich ſelbſt Seins aufgegeben. Aber Gott der
Vater zeugt ſelbſt den Sohn; er reſignirt alſo auf ſeine rigo-
roſe ausſchließliche Göttlichkeit; er iſt herablaſſend, erniedrigt
ſich, ſetzt das Princip der Endlichkeit, des von einem Grunde
Seins in ſich; er wird im Sohne Menſch, zwar zuvörderſt
nicht der Geſtalt, doch dem Weſen nach. Aber eben dadurch
wird auch Gott erſt Gegenſtand des Menſchen, Gegenſtand
des Gefühls, des Herzens.


Das Herz ergreift nur, was aus dem Herzen ſtammt.
Aus der Beſchaffenheit des ſubjectiven Verhaltens iſt untrüg-
lich der Schluß auf die Beſchaffenheit des Objects dieſes Ver-
haltens. Der reine, freie Verſtand negirt den Sohn, der durch
das Gefühl beſtimmte, vom Herzen überſchattete Verſtand nicht;
er findet vielmehr die Tiefe der Gottheit im Sohne, weil er
in ihm das Gefühl findet, das Gefühl, das an und für ſich
etwas Dunkles iſt und darum dem Menſchen für etwas My-
ſteriöſes gilt. Der Sohn ergreift das Herz, weil der wahre
Vater
des göttlichen Sohnes das menſchliche Herz iſt, der
Sohn ſelbſt nichts iſt als das göttliche Herz, das ſich als
göttliches Weſen gegenſtändliche menſchliche Herz
.


[79]

Ein Gott, in dem nicht ſelbſt das Weſen der Endlichkeit,
das Weſen des Abhängigkeitsgefühls, das Princip der
Empirie, des nicht von ſich ſelbſt Seins iſt, ein ſolcher Gott
iſt kein Gott für ein empiriſches, endliches Weſen. So wenig
der religiöſe Menſch einen Gott lieben kann, der nicht das
Weſen der Liebe in ſich hat, ſo wenig kann der Menſch, kann
überhaupt ein endliches Weſen Gegenſtand eines Gottes ſein,
der nicht den Grund, das Princip der Endlichkeit in ſich hat.
Es fehlt einem ſolchen Gott der Sinn, der Verſtand, die Theil-
nahme für Endliches. Wie kann Gott der Vater der Men-
ſchen ſein, wie, ſo zu ſagen, ſeine entfernteren Verwandten lie-
ben, wenn er nicht ſelbſt einen Sohn in ſich hat, wenn er
nicht aus eigner Erfahrung, nicht in Beziehung auf
ſich ſelbſt
weiß, was Lieben heißt? So nimmt auch der ver-
einzelte Menſch weit weniger Antheil an den Familienleiden
eines Andern, als wer ſelbſt im Familienbande lebt. Gott
der Vater liebt daher die Menſchen nur im Sohne und um
des Sohnes willen
. Die Liebe zu den Menſchen iſt eine
von der Liebe zum Sohne abgeleitete Liebe.


Der Vater, der Sohn in der Trinität ſind darum auch
nicht im bildlichen Sinne, ſondern im allereigentlichſten
Sinne Vater und Sohn. Der Vater iſt wirklicher Vater
in Beziehung auf den Sohn; der Sohn wirklicher Sohn
in Beziehung auf den Vater. Ihr weſentlicher perſönli-
cher
Unterſchied beſteht nur darin, daß jener der Erzeuger,
dieſer der Erzeugte iſt. Nimmt man dieſe natürliche empi-
riſche Beſtimmtheit
weg, ſo hebt man ihre perſönliche
Exiſtenz
und Realität auf. Die Chriſten, natürlich die al-
ten Chriſten, welche die heutigen verliebten, galanten, zucker-
ſüßen, geſchwätzigen, geſellſchaftsſüchtigen Chriſten wohl ſchwer-
[80] lich als ihre Brüder in Chriſto anerkennen würden, ſetzten an
die Stelle der natürlichen Liebe und Einheit eine nur reli-
giöſe Liebe
und Einheit; ſie verwarfen das wirkliche Fami-
lienleben, die innigen Bande der naturſittlichen Liebe als
ungöttliche, unhimmliſche, d. h. in Wahrheit nichtige Dinge.
Aber dafür hatten ſie zum Erſatz in Gott einen Vater und
Sohn, die ſich mit innigſter Liebe umfingen, mit jener inten-
ſiven Liebe, welche nur die Naturverwandtſchaft einflößt.


Ganz in der Ordnung war es daher auch, daß um die
göttliche Familie, den Liebesbund zwiſchen Vater und Sohn
zu ergänzen, noch eine dritte und zwar weibliche Perſon in
den Himmel aufgenommen wurde; denn die Perſönlichkeit des
heiligen Geiſtes iſt eine zu vage und precäre, eine zu ſichtliche
blos poetiſche Perſonification der gegenſeitigen Liebe des Va-
ters und Sohns, als daß ſie dieſes dritte ergänzende Weſen
hätte ſein können. Die Maria wurde zwar nicht ſo zwiſchen
den Vater und Sohn hingeſtellt, als hätte der Vater den Sohn
vermittelſt derſelben erzeugt, weil die Vermiſchung des Man-
nes und Weibes den Chriſten etwas Unheiliges, Sündhaftes
war; aber es iſt genug, daß das mütterliche Princip neben
Vater und Sohn hingeſtellt wurde.


Es iſt in der That auch nicht abzuſehen, warum die
Mutter etwas Unheiliges, d. i. Gottes Unwürdiges ſein ſoll,
wenn einmal Gott Vater, Gott Sohn iſt. Wenn gleich der
Vater nicht Vater im Sinne der natürlichen Zeugung, die
Zeugung Gottes vielmehr eine andere ſein ſoll, als die natür-
liche, menſchliche und daher aus ſehr begreiflichen Gründen
eine unbegreifliche, übernatürliche, myſteriöſe Zeugung iſt; ſo
iſt er doch immerhin wirklicher, nicht nomineller oder bildlicher
Vater in Bezug auf den Sohn. Und die uns jetzt ſo befremd-
[81] liche Compoſition der Mutter Gottes iſt daher nicht mehr be-
fremdlich oder paradox als der Sohn Gottes, widerſpricht nicht
mehr den allgemeinen metaphyſiſchen Beſtimmungen der Gott-
heit, als die Vater- und Sohnſchaft. Die Maria paßt viel-
mehr ganz in die Kategorie der Dreieinigkeitsverhältniſſe, weil
ſie ohne männliche Befruchtung den Sohn gebar, wie Gott
Vater ohne weiblichen Schooß den Sohn erzeugte, ſo daß
alſo die Maria eine nothwendige, innerlich herausgeforderte,
ergänzende Antitheſe zum Vater im Schooße der Dreieinigkeit
bildet. Auch haben wir ja ſchon, wenn auch nicht in concreto
und explicite, doch in abstracto und implicite das weibliche
Princip im Sohne. Der Sohn Gottes iſt das milde ſanfte
Weſen, das weibliche Gemüth Gottes; im Sohn gibt Gott
ſein rigoroſes, ausſchließliches Selbſtbewußtſein auf. Gott als
Vater iſt nur Zeuger, das Activum, das Princip der männlichen
Spontaneität; aber der Sohn iſt gezeugt, ohne ſelbſt zu zeugen,
Deus genitus, das Paſſivum, das leidende empfangende We-
ſen: der Sohn empfängt vom Vater ſein Sein. Der Sohn
iſt als Sohn, natürlich nicht als Gott, abhängig vom Vater,
der väterlichen Autorität unterworfen *). Der Sohn iſt alſo
das weibliche Abhängigkeitsgefühl in Gott; der Sohn dringt
uns daher auch unwillkührlich das Bedürfniß nach einem
wirklichen weiblichen Weſen auf **).


Feuerbach. 6
[82]

Der Sohn, auch der natürliche menſchliche Sohn, iſt an
und für ſich ein Mittelweſen zwiſchen dem männlichen Weſen
des Vaters und dem weiblichen der Mutter; er iſt gleichſam
noch halb Mann, halb Weib, indem er noch nicht das volle
rigoroſe Selbſtſtändigkeitsbewußtſein hat, welches den Mann
charakteriſirt, und mehr zur Mutter als zum Vater ſich hinge-
zogen fühlt. Die Liebe des Sohnes zur Mutter iſt die erſte
Liebe des männlichen Weſens zum weiblichen. Die Liebe des
Mannes zum Weibe, des Jünglings zur Jungfrau empfängt
ihre religiöſe — ihre einzig wahre religiöſe — Weihe in der
Liebe des Sohns zur Mutter. Die Mutterliebe des Sohnes
iſt die erſte Sehnſucht, die erſte Demuth des Mannes vor dem
Weibe.


Nothwendig iſt daher auch mit dem Gedanken an den
Sohn Gottes der Gedanke an die Mutter Gottes verbun-
den — daſſelbe Herz das eines Sohnes Gottes, bedarf auch einer
Mutter Gottes. Wo der Sohn iſt, da kann auch die Mutter
nicht fehlen. Dem Vater iſt der Sohn eingeboren, aber dem
Sohne die Mutter. Dem Vater erſetzt der Sohn das Be-
dürfniß der Mutter, aber nicht der Vater dem Sohne. Dem
Sohne iſt die Mutter unentbehrlich; das Herz des Sohnes iſt
das Herz der Mutter. Warum wurde denn Gott der Sohn
nur im Weibe Menſch? Hätte der Allmächtige nicht auf an-
dere Weiſe, nicht unmittelbar als Menſch unter den Menſchen
erſcheinen können? Warum begab ſich alſo der Sohn in einen
weiblichen Schooß? Warum anders, als weil der Sohn die
**)
[83] Sehnſucht nach der Mutter iſt, weil ſein weibliches, liebevolles
Herz nur in einem weiblichen Leibe den entſprechenden Aus-
druck fand? Zwar weilt der Sohn nur neun Monden lang
unter dem Obdach des weiblichen Herzens, aber die Eindrücke,
die er hier empfängt, ſind unauslöſchlich. Die Mutter kommt
dem Sohne nimmer aus dem Sinne und Herzen. Wenn da-
her die Anbetung des Sohnes Gottes kein Götzendienſt, ſo
iſt auch die Anbetung der Mutter Gottes kein Götzendienſt.
Schämt ſich Gott nicht einen Sohn zu haben, ſo braucht er
ſich auch nicht einer Mutter zu ſchämen. Wenn wir daraus
die Liebe Gottes zu uns erkennen ſollen, daß er ſeinen einge-
bornen Sohn, d. h. das einzige Kind, das Liebſte und Theuerſte,
was er hatte, für uns zum Heile dahin gab; ſo können wir
dieſe Liebe noch weit beſſer erkennen, wenn uns in Gott ein
Mutterherz entgegenſchlägt. Die höchſte und tiefſte Liebe iſt
die Mutterliebe. Der Vater tröſtet ſich über den Verluſt des
Sohnes; er hat ein ſtoiſches Princip in ſich. Die Mutter
dagegen iſt untröſtlich; die Mutter iſt die Schmerzenreiche,
aber die Troſtloſigkeit die Wahrheit der Liebe.


Wo der Glaube an die Mutter Gottes ſinkt, da ſinkt auch
der Glaube an den Sohn Gottes und den Gott Vater. Der
Vater iſt nur da eine Wahrheit, wo die Mutter eine Wahr-
heit iſt. Die Liebe iſt an und für ſich weiblichen Geſchlechts
und Weſens. Der Glaube an die Liebe Gottes iſt der Glaube
an das weibliche als ein göttliches Princip. Liebe
ohne Natur
iſt ein Unding, ein Phantom. An der Liebe er-
kennt die heilige Nothwendigkeit und Tiefe der Natur!


Der Proteſtantismus *) hat die Mutter Gottes auf die
6*
[84] Seite geſetzt *); aber das zurückgeſetzte Weib hat ſich dafür
ſchwer an ihm gerochen. Die Waffen, die er gegen die Mut-
ter Gottes gebraucht, haben ſich gegen ihn ſelbſt, gegen den
Sohn Gottes, gegen die geſammte Dreieinigkeit gekehrt. Wer
einmal die Mutter Gottes dem Verſtande aufopfert, hat nicht
mehr weit hin, auch das Myſterium des Sohnes Gottes als
einen Anthropomorphismus aufzuopfern. Der Anthropomor-
phismus wird allerdings verſteckt, indem das weibliche Weſen
ausgeſchloſſen wird, aber nur verſteckt, nicht aufgehoben. Frei-
lich hatte der Proteſtantismus auch kein Bedürfniß nach einem
himmliſchen Weibe, weil er das irdiſche Weib mit offnen
Armen in ſein Herz aufnahm. Aber eben deßwegen hätte er
auch ſo ehrlich und conſequent ſein ſollen, mit der Mutter auch
den Vater und Sohn dahin zu geben. Nur wer keine irdi-
ſchen Eltern hat, braucht himmliſche Eltern. Der dreieinige
Gott iſt der Gott des Katholicismus; er hat eine innige,
inbrünſtige, nothwendige, wahrhaft religiöſe
Bedeu-
tung nur im Gegenſatze zur Negation aller ſubſtanziellen **)
Bande, im Gegenſatze zum Anachoreten-, Mönchs- und Non-
nenweſen. Der dreieinige Gott iſt ein inhaltsvoller Gott,
deßwegen da ein Bedürfniß, wo von dem Inhalt des wirkli-
chen Lebens abſtrahirt wird. Je leerer das Leben, deſto
[85]voller, deſto concreter, wie man zu reden beliebt, deſto reicher
iſt Gott. Die Entleerung der wirklichen Welt und die Er-
füllung der Gottheit iſt ein Act. Gott entſpringt aus dem
Gefühl eines Mangels; was der Menſch vermißt — ſei
dieſes nun ein beſtimmtes, bewußtes oder unbeſtimmtes Ver-
miſſen — das iſt Gott. So bedarf das troſtloſe Gefühl der
Leere und Einſamkeit einen Gott, in dem Geſellſchaft, ein
Verein ſich innigſt liebender Weſen iſt.


Hier haben wir den wahren Erklärungsgrund, warum
die Trinität in der neuern Zeit zuerſt ihre praktiſche und end-
lich auch ihre theoretiſche Bedeutung verlor.


Das Geheimniß des Logos und göttlichen Ebenbildes.


Die weſentliche Bedeutung der Trinität für die Religion
concentrirt ſich in dem Begriffe der zweiten Perſon. Das
warme Intereſſe der chriſtlichen Menſchheit an der Trinität
war hauptſächlich nur das Intereſſe an dem Sohne Gottes.
Der heftige Streit über das Homouſios und Homoiouſios
war kein leerer, obwohl nur ein Buchſtabe den Unterſchied aus-
macht. Es handelte ſich hier um die Gottebenbürtigkeit, um
die göttliche Würde der zweiten Perſon, hiemit um die Ehre
der chriſtlichen Religion ſelbſt *); denn ihr weſentlicher cha-
rakteriſtiſcher
Gegenſtand iſt eben die zweite Perſon; was
aber der weſentliche Gegenſtand einer Religion, das iſt auch
[86] ihr weſentlicher, wahrer Gott. Der wahre, reale Gott einer
Religion iſt überhaupt erſt der ſogenannte Mittler, weil
dieſer nur der unmittelbare Gegenſtand der Religion iſt.
Wer ſich ſtatt an Gott, an den Heiligen wendet, der wendet
ſich an den Heiligen nur in der Vorausſetzung, daß dieſer Al-
les über Gott vermag
, daß, was er bittet, d. h. wünſcht
und will, Gott gutwillig vollſtreckt, d. h. daß Gott in den
Händen des Heiligen
iſt. Die Bitte iſt das Mittel, unter
dem Scheine der Demuth und Unterwürfigkeit, ſeine Herr-
ſchaft
und Superiorität über ein andres Weſen auszuüben.
Der König herrſcht, aber regiert nicht — dieſer Grundſatz gilt
auch von dem Regiment der Heiligen. Woran ich mich zu-
erſt
in meinem Geiſte wende, das iſt mir auch in Wahrheit
das erſte Weſen. Ich wende mich an den Heiligen, nicht
weil der Heilige von Gott
, ſondern weil Gott von dem
Heiligen abhängig iſt
, Gott von den Bitten, d. h. von
dem Willen und Herzen des Heiligen beſtimmt und beherrſcht
wird. Die Unterſchiede, welche die katholiſchen Theologen
zwiſchen Latria, Dulia, Hyperdulia machen, ſind abgeſchmackte,
grundloſe Sophismen. Kurz, der Gott hinter dem Mittler
iſt nur eine abſtracte müßige Vorſtellung, die Vorſtellung
oder Idee der Gottheit; und nicht, um ſich mit dieſer Idee zu
verſöhnen, ſondern um ſie zu entfernen, zu negiren*), um
[87] einzugeſtehen, daß ſie kein Gegenſtand für die Religion iſt,
tritt der Mittler dazwiſchen. Der Gott über dem Mittler iſt
nichts andres als der kalte Verſtand über dem Herzen
ähnlich dem Fatum über den olympiſchen Göttern.


Gott als Vater, d. i. Gott als Gott — denn der Vater
iſt das Princip der ganzen Dreieinigkeit, principium totius
trinitatis
— iſt, um dieſen Gegenſtand noch einmal aufzu-
nehmen, nur Gegenſtand des Denkens. Er iſt das un-
ſinnliche, geſtaltloſe, unfaßbare, bildloſe Weſen, das abſtracte,
negative
Weſen; er wird nur durch Abſtraction und Ne-
gation
(via negationis) erkannt, d. i. Gegenſtand. Warum?
weil er nichts iſt als das gegenſtändliche Weſen der Denk-
kraft
, überhaupt der Kraft oder Thätigkeit, wodurch ſich der
Menſch der Vernunft, des Geiſtes, der Intelligenz bewußt
wird *). Der Menſch kann keinen andern Geiſt, d. h. —
denn der Begriff des Geiſtes iſt lediglich der Begriff der
Erkenntniß, der Vernunft
, jeder andre Geiſt ein Geſpenſt
der Phantaſie — keine andre Intelligenz oder Vernunft ahn-
den, vorſtellen, glauben, denken als die Vernunft, die ihn er-
leuchtet. Er kann nichts weiter als die Intelligenz abſon-
dern von den Schranken ſeiner Individualität
. Gott
als Gott iſt daher nichts andres als die von den Schranken
der Individualität, der Leiblichkeit
— denn Individua-
lität und Leiblichkeit ſind untrennbar — abgeſonderte In-
telligenz
. Gott, ſagten die Scholaſtiker, die Kirchenväter und
lange vor ihnen ſchon die heidniſchen Philoſophen: Gott iſt
[88] Geiſt, reiner Geiſt, immaterielles Weſen, Intelligenz. Von
Gott als Gott kann man ſich kein Bild machen; aber kannſt
Du Dir von der Vernunft, von der Intelligenz ein Bild ma-
chen? Hat ſie eine Geſtalt? Iſt ihre Thätigkeit nicht die un-
faßbarſte, die undarſtellbarſte? Gott iſt unbegreiflich; aber
kennſt Du das Weſen der Intelligenz? Haſt Du die geheim-
nißvolle Operation des Denkens, das geheime Weſen des
Selbſtbewußtſeins erforſcht? Iſt nicht das Selbſtbewußtſein,
die Intelligenz das Räthſel der Räthſel? Haben nicht ſchon
die alten Myſtiker, Scholaſtiker und Kirchenväter die Unfaß-
lichkeit und Undarſtellbarkeit Gottes mit der Unfaßlichkeit und
Unbegreiflichkeit der menſchlichen Seele verglichen, erläutert?
nicht alſo in Wahrheit das Weſen Gottes mit dem Weſen der
Seele identificirt?


Der Unterſchied zwiſchen dem „unendlichen und end-
lichen
Geiſt,“ welcher ſo ſehr die hyperphyſiſchen Speculanten
torquirt, iſt nichts als der Unterſchied zwiſchen dem Geiſte an
ſich, der Intelligenz an ſich
, abgeſondert von den Schran-
ken der Individualität, und dem ſeiner Schranken ſich be-
wußten Individuum
. Der religiöſe Menſch faßt alle Dinge,
weil er ſich nicht in ihr Weſen vertieft, nur auf den überwelt-
lichen Gott ſich bezieht, nur im Scheine auf; der Schein iſt
ihm das Weſen; das wirkliche Weſen der Dinge an ſich
daher ein andres Weſen, ein von ihnen unterſchiednes
Weſen
Gott. Die Intelligenz, der Verſtand oder die
Vernunft, wie der Religiöſe ſie mit Bewußtſein faßt, iſt
ihm, weil nur in ihrem Scheine Gegenſtand, nicht Gott, ſon-
dern vielmehr etwas Endliches, Menſchliches; aber das ihm
unbekannte Weſen der Intelligenz, die Intelligenz, wie ſie
nicht Gegenſtand ſeines Bewußtſeines
iſt, als ein andres
[89] gegenſtändliches Weſen geſetzt, das iſt ihm Gott überhaupt,
Gott im Allgemeinen, Gott der Vater, d. i. die Idee der
Gottheit
oder der abſtracte Gott.


Aber die Intelligenz als ſolche entſpricht, als eine abge-
zogne unſinnliche Thätigkeit und Weſenheit, nicht dem ſinnli-
chen und gemüthlichen Menſchen. Den ſinnlichen und gemüth-
lichen Menſchen beherrſcht und beſeligt nur das Bild. Die
bildliche, die gemüthliche, die ſinnliche Vernunft iſt die Phan-
taſie
. Das zweite Weſen in Gott, in Wahrheit das erſte
Weſen der Religion, iſt das gegenſtändliche Weſen der
Phantaſie
. Die Beſtimmungen der zweiten Perſon ſind
vorzüglich Bilder. Und dieſe Bilder kommen nicht her von
dem Unvermögen des Menſchen, den Gegenſtand nicht anders
denken zu können als bildlich — was eine ganz falſche Inter-
pretation iſt — ſondern die Sache ſelbſt kann gar nicht an-
ders gedacht werden, denn bildlich, weil die Sache ſelbſt
Bild iſt
. Der Sohn heißt daher auch expreß das Ebenbild
Gottes *). Sein Weſen iſt, daß er Bild iſt. Der Sohn iſt
das befriedigte Bedürfniß der Bilderſchau; das vergegenſtänd-
lichte Weſen der Bilderthätigkeit als einer abſoluten, gött-
lichen Thätigkeit. Der Menſch macht ſich ein Bild von Gott,
d. h. er verwandelt das abſtracte Vernunftweſen, das
Weſen der Denkkraft in ein Phantaſieweſen. Er ſetzt
aber dieſes Bild in Gott ſelbſt, weil es natürlich nicht ſeinem
Bedürfniß entſprechen würde, wenn er dieſes Bild nicht als
objective Realität wüßte, wenn dieſes Bild für ihn nur ein
[90] ſubjectives, von Gott unterſchiednes, von ihm gemachtes
wäre. In der That iſt es auch kein gemachtes, kein willkühr-
liches; denn es drückt die Nothwendigkeit der Phantaſie aus,
die Nothwendigkeit, die Phantaſie als eine göttliche Macht zu
bejahen. Der Sohn iſt der Abglanz der Phantaſie, das Lieb-
lingsbild des Herzens; aber eben deßwegen, weil er nur der
Phantaſie Gegenſtand, iſt er nur das gegenſtändliche Weſen
der Phantaſie.


Es erhellt hieraus, wie befangen die dogmatiſche Specu-
lation iſt, wenn ſie, völlig überſehend die innere Geneſis des
Sohnes als des Gottesbildes, den Sohn als ein metaphyſi-
ſches Ens, als eine Gedankenweſenheit demonſtrirt, da eben
der Sohn das Bedürfniß nach einem andern Weſen, als das
metaphyſiſche Weſen iſt, ausdrückt, gewiſſer Maaßen ein Ab-
ſprung, ein Abfall von der Idee der Gottheit iſt — ein Abfall,
den aber natürlich der religiöſe Menſch in Gott ſelbſt ſetzt, um
den Abfall zu rechtfertigen, nicht als Abfall zu empfinden. Der
Sohn iſt das oberſte und letzte Princip des Bilderdienſtes;
denn er iſt das Bild Gottes; das Bild tritt aber nothwen-
dig
an die Stelle der Sache. Die Verehrung des Heiligen
im Bilde iſt die Verehrung des Bildes als des Heili-
gen
. Das Bild iſt das Weſen der Religion, wo das Bild
der weſentliche Ausdruck, das Organ der Religion iſt.


Das Concilium zu Nicäa führte unter andern Gründen
für den religiöſen Gebrauch der Bilder als Autorität auch den
Gregor von Nyſſa an, welcher ſagt, daß er ein gewiſſes Bild,
welches Iſaaks Opferung darſtellte, nie habe anſehen können,
ohne darüber bis zu Thränen gerührt zu werden, weil es ihm ſo
lebendig dieſe heilige Geſchichte vergegenwärtigt habe. Aber die
Wirkung des abgebildeten Gegenſtandes iſt nicht die Wirkung
[91] des Gegenſtandes als ſolche, ſondern die Wirkung des
Bildes
. Der heilige Gegenſtand iſt nur der Heiligen-
ſchein
, in welchen das Bild ſeine geheimnißvolle Macht ver-
hüllt. Der religiöſe Gegenſtand iſt nur ein Vorwand der
Phantaſie, um ihre Herrſchaft über den Menſchen ungehin-
dert
ausüben zu können. Für das religiöſe Bewußtſein knüpft
ſich freilich und zwar nothwendig die Heiligkeit des Bildes
nur an die Heiligkeit des Gegenſtandes. Aber das religiöſe
Bewußtſein iſt nicht der Maaßſtab der Wahrheit. So ſehr
übrigens auch die Kirche zwiſchen dem Bilde und dem Gegen-
ſtand des Bildes unterſchieden, geläugnet hat, daß dem Bilde
die Verehrung gelte, ſo hat ſie doch zugleich nolens volens
die Wahrheit indirect wenigſtens eingeſtanden und die Heilig-
keit des Bildes ausgeſprochen *).


Aber das letzte, höchſte Princip der Bilderverehrung iſt
die Verehrung des Gottesbildes in Gott. Der „Abglanz Got-
tes“ iſt der entzückende Glanz der Phantaſie, der in den ſicht-
baren Bildern nur zur äußern Erſcheinung gekommen. Wie
innerlich, ſo war auch äußerlich das Bild des Gottesbildes
das Bild der Bilder. Die Bilder der Heiligen ſind nur opti-
ſche Vervielfältigungen des einen und ſelben Bildes. Die
ſpeculative Deduction des Gottesbildes iſt daher nichts als
eine unbewußte Deduction und Begründung des Bilderdien-
ſtes, denn die Sanction des Princips iſt nothwendig auch die
Sanction ſeiner nothwendigen Conſequenzen; aber die Sanction
[92] des Urbildes iſt die Sanction des Abbildes. Wenn Gott ein
Bild von ſich hat, warum ſoll ich kein Bild von Gott haben?
Wenn Gott ſein Ebenbild wie ſich ſelbſt liebt, warum ſoll
auch ich das Bild Gottes nicht wie Gott ſelbſt lieben?
Wenn das Bild Gottes Gott ſelbſt iſt, warum ſoll das Bild
des Heiligen nicht der Heilige ſelbſt ſein? Wenn es keine
Superſtition iſt, daß das Bild, welches ſich Gott von ſich
macht, kein Bild, kein Gedanke, ſondern Subſtanz, Perſon iſt,
warum ſoll es denn Superſtition ſein, daß das Bild des Hei-
ligen die empfindende Subſtanz des Heiligen ſelbſt iſt? Das
Bild Gottes iſt lebendig; warum ſoll denn das Bild des Hei-
ligen todt ſein? Das Bild Gottes thränt und blutet; warum
ſoll denn das Bild des Heiligen nicht auch thränen und blu-
ten? Soll der Unterſchied daher kommen, daß das Heiligenbild
ein Product der Hände? Ei; die Hände haben dieſes Bild
nicht gemacht, ſondern der Geiſt, der dieſe Hände beſeelte, die
Phantaſie, und wenn Gott ſich ein Bild von ſich macht, ſo iſt
dieſes Bild auch nur ein Product der Einbildungskraft. Oder
ſoll der Unterſchied daher kommen, daß das Gottesbild ein
von Gott ſelbſt producirtes, das Heiligenbild aber ein von ei-
nem andern Weſen gemachtes iſt? Ei; das Heiligenbild iſt
auch eine Selbſtbethätigung des Heiligen; denn der Heilige
erſcheint dem Künſtler; der Künſtler ſtellt ihn nur dar, wie er
ſich ſelbſt ihm dargeſtellt.


Eine andere mit dem Weſen des Bildes zuſammenhän-
gende Beſtimmung der zweiten Perſon iſt, daß ſie das Wort
Gottes iſt *).


[93]

Das Wort iſt ein abſtractes Bild, die imaginäre Sache,
oder inwiefern jede Sache immer zuletzt auch ein Object der
Denkkraft iſt, der eingebildete Gedanke, daher die Menſchen,
wenn ſie das Wort, den Namen einer Sache kennen, ſich ein-
bilden, auch die Sache ſelbſt zu kennen. Das Wort iſt eine
Sache der Einbildungskraft. Schlafende, die lebhaft träumen,
Kranke, die phantaſiren, ſprechen. Was die Phantaſie erregt,
macht redſelig, was begeiſtert, beredt. Sprachfähigkeit iſt ein poe-
tiſches Talent. Die Thiere ſprechen nicht, weil es ihnen an Poeſie
fehlt. Der Gedanke äußert ſich nur bildlich; die Aeußerungs-
kraft des Gedankens iſt die Einbildungskraft; die ſich äußernde
Einbildungskraft aber die Sprache. Wer ſpricht, bannt, fasci-
nirt den, zu dem er ſpricht; aber die Macht des Worts iſt die
Macht der Einbildungskraft. Ein Weſen, ein geheimnißvolles,
magiſch wirkendes Weſen war nur den alten Völkern, als Kin-
dern der Einbildungskraft, das Wort. Selbſt die Chriſten
noch und nicht nur die gemeinen, ſondern auch die gelehrten,
die Kirchenväter, knüpften an den bloßen Namen: Chriſtus
geheimnißvolle Heilkräfte *). Und noch heute glaubt das ge-
meine Volk, daß man durch bloße Worte den Menſchen be-
*)
[94] zaubern könne. Woher dieſer Glaube an eingebildete Kräfte
des Wortes? nur daher, weil das Wort ſelbſt nur ein Weſen
der Einbildungskraft iſt, aber eben deßwegen narkotiſche Wir-
kungen auf den Menſchen äußert, ihn unter die Herrſchaft der
Phantaſie gefangen nimmt. Worte beſitzen Revolutionskräfte,
Worte beherrſchen die Menſchheit. Heilig iſt die Sage; aber
verrufen die Sache der Vernunft und Wahrheit.


Die Bejahung oder Vergegenſtändlichung des Weſens der
Phantaſie iſt daher zugleich verbunden mit der Bejahung oder
Vergegenſtändlichung des Weſens der Sprache: des Wortes.
Der Menſch hat nicht nur einen Trieb, eine Nothwendigkeit,
zu denken, zu ſinnen, zu phantaſiren; er hat auch den Trieb
zu ſprechen, ſeine Gedanken zu äußern, mitzutheilen. Gött-
lich
iſt dieſer Trieb, göttlich die Macht des Wortes. Das
Wort iſt der bildliche, der offenbare, der ausſtrahlende, der glän-
zende, der erleuchtende Gedanke. Das Wort iſt das Licht
der Welt. Das Wort leitet in alle Wahrheit, erſchließt alle
Geheimniſſe, veranſchaulicht das Unſichtbare, vergegenwärtigt
das Vergangne und Entfernte, verendlicht das Unendliche, ver-
ewigt das Zeitliche. Die Menſchen vergehen, das Wort be-
ſteht; das Wort iſt Leben und Wahrheit. Dem Wort iſt alle
Macht übergeben: das Wort macht Blinde ſehend, Lahme
gehend, Kranke geſund, Todte lebendig — das Wort wirkt
Wunder und zwar die allein vernünftigen Wunder. Das
Wort iſt das Evangelium, der Paraklet der Menſchheit. Denke
Dich, um Dich von der göttlichen Weſenheit der Sprache zu
überzeugen, einſam und verlaſſen, aber der Sprache kundig
und Du hörteſt zum erſten Male das Wort eines Menſchen:
würde Dir nicht dieſes Wort als ein Engel erſcheinen, nicht
als die Stimme Gottes ſelbſt, als die himmliſchſte Muſik er-
[95] klingen? Das Wort iſt in der That nicht ärmer, nicht ſeelen-
loſer als der muſikaliſche Ton, obwohl der Ton unendlich mehr
zu ſagen ſcheint, als das Wort, und deßwegen, weil ihn
dieſer Schein, dieſe Illuſion umgibt, tiefer und reicher als das
Wort erſcheint.


Das Wort hat erlöſende, verſöhnende, beglückende Kraft.
Die Sünden, die wir bekennen, ſind uns vergeben kraft der gött-
lichen Macht des Wortes. Verſöhnt ſcheidet der Sterbende,
der noch die längſt verſchwiegene Sünde bekannt. Die Verge-
bung der Sünde liegt im Eingeſtändniß der Sünde. Die
Schmerzen, die wir dem Freunde offenbaren, ſind ſchon halb
geheilt. Worüber wir ſprechen, darüber mildern ſich unſre
Leidenſchaften; es wird helle in uns; der Gegenſtand des Zor-
nes, des Aergers, des Kummers erſcheint uns in einem Lichte,
in welchem wir die Unwürdigkeit der Leidenſchaft erkennen.
Worüber wir im Dunkel und Zweifel ſind, wir dürfen nur
darüber ſprechen — oft in dem Augenblick ſchon, wo wir den
Mund aufthun, um den Freund zu fragen, ſchwinden die Zwei-
fel und Dunkelheiten. Das Wort macht endlich den Menſchen
frei. Wer ſich nicht äußern kann, iſt ein Sklav. Sprachlos
iſt darum die übermäßige Leidenſchaft, die übermäßige Freude,
der übermäßige Schmerz. Sprechen iſt ein Freiheitsact;
das Wort iſt ſelbſt Freiheit. Mit Recht gilt deßwegen die
Sprachbildung für die Wurzel der Bildung. Wo das Wort
cultivirt wird, da wird die Menſchheit cultivirt. Die Barbarei
des Mittelalters ſchwand mit der Bildung der Sprache.


Wie wir nichts Andres als göttliches Weſen ahnden,
vorſtellen, denken können, denn das Vernünftige, welches wir
denken, denn das Gute, welches wir lieben, das Schöne, wel-
ches wir empfinden; ſo kennen wir auch keine höhere, geiſtige,
[96] wirkende Macht und Kraftäußerung, als die Macht des Wor-
tes. Gott iſt der Inbegriff aller Realität. Alles, was
der Menſch als Realität empfindet oder erkennt, muß er in
Gott ſetzen. Die Religion muß ſich daher auch der Macht des
Wortes als einer göttlichen Macht bewußt werden. Das
Wort Gottes iſt die Göttlichkeit des Wortes, wie ſie in-
nerhalb der Religion dem Menſchen Gegenſtand wird; denn
es gehört, wie bereits gezeigt, zur differentia specifica der
Religion, daß ſie überall das eigentliche Subject zum Prädi-
cat und eine allgemeine Wahrheit zu einer particulären macht
— ſo hier das allgemeine Weſen des Wortes zu einem beſon-
dern, perſönlichen Weſen — aber zugleich ſo, daß doch immer
die allgemeine Wahrheit, die Natur der Sache, durch die par-
ticuläre Wahrheit hindurch ſchimmert.


Das Geheimniß des kosmogoniſchen Princips in Gott.


Die zweite Perſon iſt als der ſich offenbarende, äußernde,
ſich ausſprechende Gott (Deus se dicit) das weltſchöpferi-
ſche Princip
in Gott. Das heißt aber nichts Andres als:
die zweite Perſon iſt das Mittelweſen zwiſchen dem un-
ſinnlichen Weſen
Gottes und dem ſinnlichen Weſen der
Welt, das göttliche Princip des Endlichen, des von Gott
Unterſchiedenen. Die zweite Perſon hat einen, obwohl der
Vorſtellung nach zeitloſen, Anfang, einen Grund; ſie iſt ge-
zeugt, das erſte der erzeugten Weſen. Sie hat alſo als ge-
zeugt, als nicht a se, von ſich ſeiend, die allgemeine Grund-
beſtimmung des Endlichen in ſich *). Aber zugleich iſt ſie noch
[97] nicht ein wirkliches endliches Weſen, außer Gott geſetzt; ſie iſt
vielmehr noch identiſch mit Gott — ſo identiſch als es mit
dem Vater der Sohn iſt, der zwar eine andre Perſon, aber
doch gleiches Weſen mit dem Vater hat. Die zweite Perſon
repräſentirt uns daher nicht den reinen Begriff der Gottheit, aber
auch nicht den reinen Begriff der Menſchheit oder Wirklichkeit
überhaupt — ſie iſt ein Mittelweſen zwiſchen beiden Gegen-
ſätzen. Der Gegenſatz von dem unſinnlichen oder unſichtbaren
göttlichen Weſen und dem ſinnlichen oder ſichtbaren Weſen der
Welt iſt aber nichts andres als der Gegenſatz zwiſchen dem
Weſen der Abſtraction und dem Weſen der ſinnlichen
Anſchauung
, das die Abſtraction mit der ſinnlichen Anſchau-
ung Verknüpfende aber die Phantaſie oder Einbildungs-
kraft
: folglich iſt der Uebergang von Gott zur Welt ver-
mittelſt der zweiten Perſon nur der vergegenſtändlichte
Uebergang
von der Abſtractionskraft vermittelſt der
Phantaſie zur Sinnlichkeit
. Die Phantaſie iſt es allein,
durch die der Menſch den Gegenſatz zwiſchen Gott und Welt
aufhebt, vermittelt. Alle religiöſen Kosmogonien ſind Phanta-
ſien — jedes Mittelweſen zwiſchen Gott und Welt, es werde
nun beſtimmt, wie es wolle, ein Phantaſieweſen. Die pſycho-
logiſche
Wahrheit und Nothwendigkeit, die allen dieſen Theo-
und Kosmogonien zu Grunde liegt, iſt die Wahrheit und
Nothwendigkeit der Einbildungskraft als des Ter-
minus medius
zwiſchen dem Abſtracten und Concre-
ten
. Und die Philoſophie, die ihrer ſelbſtbewußte Philoſophie
*)
Feuerbach. 7
[98] hat daher, in Beziehung auf dieſe Materie, wenn ſie dieſelbe
zu einem Gegenſtande ihrer Unterſuchung macht, nur die all-
gemeine Aufgabe, das Verhältniß der Einbildungskraft zur
Vernunft, die Geneſis des Bildes, wodurch ein Object des
Gedankens zu einem Object des Sinnes, des Gefühls wird,
zu begreifen.


Das Weſen der Einbildungskraft iſt jedoch die volle er-
ſchöpfende Wahrheit des kosmogoniſchen Weſens nur da, wo
der Gegenſatz von Gott und Welt nichts ausdrückt als den
unbeſtimmten Gegenſatz von dem unſinnlichen, unſichtbaren,
unfaßlichen Weſen, Gott, und dem ſichtbaren, handgreiflichen
Weſen der Welt. Wird dagegen das kosmogoniſche Weſen
abſtracter erfaßt und ausgedrückt, ſo, wie es von der religiöſen
Speculation geſchieht, ſo haben wir auch eine abſtractere pſycho-
logiſche Wahrheit als ſeine Grundlage zu erkennen.


Die Welt iſt nicht Gott, ſie iſt das Andere, der Gegen-
ſatz Gottes, oder wenigſtens — wenn dieſer Ausdruck zu ſtark
ſein ſollte, weil er das Kind beim rechten Namen nennt —
das von Gott Unterſchiedene. Aber das von Gott Unterſchie-
dene kann nicht unmittelbar aus Gott kommen, ſondern nur
aus einem Unterſchied von Gott in Gott. Die andere Per-
ſon iſt der ſich in ſich von ſich unterſcheidende, ſich ſelbſt ſich
gegenüber und entgegen ſetzende, darum ſich Gegenſtand
ſeiende, bewußte Gott. Die Selbſtunterſcheidung Gottes
von ſich iſt der Grund des von ihm Unterſchiedenen — das
Selbſtbewußtſein alſo der Urſprung der Welt. Gott denkt die
Welt erſt dadurch, daß er ſich gedacht — ſich Denken iſt ſich
Zeugen, die Welt denken die Welt ſchaffen. Die Zeugung
geht der Schöpfung vor. Die productive Idee der Welt, ei-
[99] nes anderen Weſens, das nicht Gott iſt, wird vermittelt durch
die productive Idee eines anderen Weſens, das Gott gleich iſt.


Dieſer kosmogoniſche Proceß iſt nun aber nichts andres
als die myſtiſche Periphraſe eines pſycho-logiſchen Proceſ-
ſes, nichts andres als die Vergegenſtändlichung der Einheit
des Bewußtſeins
und Selbſtbewußtſeins. Gott denkt
ſich — ſo iſt er bewußt, ſelbſtbewußt — Gott iſt das Selbſt-
bewußtſein als Object, als Weſen geſetzt; aber indem er ſich
weiß, ſich denkt, ſo denkt er auch damit zugleich ein Andres
als Er ſelbſt iſt; denn Sich wiſſen iſt Sich unterſcheiden
von Anderem, ſei dieſes nun ein mögliches, nur vorgeſtelltes,
oder ein wirkliches. So iſt alſo zugleich die Welt — wenigſtens
die Möglichkeit, die Idee der Welt — geſetzt mit dem Bewußt-
ſein oder vielmehr vermittelt durch daſſelbe. Der Sohn, der
von ſich gedachte, der gegenſtändliche, der urabbildliche, der an-
dere Gott iſt das Princip der Weltſchöpfung. Die Wahrheit,
die zu Grunde liegt, iſt das Weſen des Menſchen: die Iden-
tität ſeines Selbſtbewußtſeins mit dem Bewußtſein von einem
Andern, welches mit ihm identiſch, und von einem Andern,
welches nicht mit ihm identiſch iſt. Und das zweite, das we-
ſensgleiche Andre iſt nothwendig das Mittelglied, der Termi-
nus medius
zwiſchen dem Erſten und Dritten. Der Gedanke
eines Andern überhaupt, eines weſentlich Andern ent-
ſteht mir erſt durch den Gedanken eines im Weſen mir glei-
chen Andern
.


Das Bewußtſein der Welt iſt das Bewußtſein meiner
Beſchränktheit — wüßte ich nichts von einer Welt, ſo wüßte
ich nichts von Schranken — aber das Bewußtſein meiner Be-
ſchränktheit ſteht im Widerſpruch mit dem Triebe meiner Selbſt-
7*
[100] heit nach Unbeſchränktheit. Ich kann alſo von der Selbſtheit,
ſie abſolut gedacht — Gott iſt das abſolute Selbſt — nicht
unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen; ich muß dieſen
Widerſpruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Bewußt-
ſein eines Weſens, welches zwar auch ein anderes iſt und in
ſofern mir die Anſchauung meiner Beſchränktheit gibt, aber ſo,
daß es zugleich mein Weſen bejaht, mein Weſen mir vergegen-
ſtändlicht. Das Bewußtſein der Welt iſt ein demüthigendes
Bewußtſein — die Schöpfung war ein „Act der Demuth“ —
aber der erſte Stein des Anſtoßes, an dem ſich der Stolz der
Ichheit bricht, iſt das Du, der Alter Ego. Erſt ſtählt das
Ich ſeinen Blick in dem Auge eines Du, ehe es die Anſchauung
eines Weſens erträgt, welches ihm nicht ſein eignes Bild zu-
rückſtrahlt. Der andere Menſch iſt das Band zwiſchen mir
und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der
Welt, weil ich zuerſt von andern Menſchen mich abhängig
fühle. Bedürfte ich nicht des Menſchen, ſo bedürfte ich auch
nicht der Welt. Ich verſöhne, ich befreunde mich mit der Welt
nur durch den andern Menſchen. Ohne den Andern wäre die
Welt für mich nicht nur todt und leer, ſondern auch ſinn- und
verſtandlos. Nur an dem Andern wird der Menſch ſich klar
und ſelbſtbewußt; aber erſt, wenn ich mir ſelbſt klar, wird mir
die Welt klar. Ein abſolut für ſich allein exiſtirender Menſch
würde ſich ſelbſtlos und unterſchiedslos in dem Ocean der Na-
tur verlieren; er würde weder ſich als Menſchen, noch die Natur
als Natur erfaſſen. Der erſte Gegenſtand des Menſchen iſt der
Menſch. Der Sinn für die Natur, der uns erſt das Bewußt-
ſein der Welt als Welt erſchließt, iſt ein ſpäteres Erzeugniß;
denn er entſteht erſt durch den Act der Abſonderung des Men-
ſchen von ſich. Den Naturphiloſophen Griechenlands gehen
[101] die ſogenannten ſieben Weiſen voran, deren Weisheit ſich un-
mittelbar nur auf das menſchliche Leben bezog.


Das Bewußtſein der Welt iſt alſo für das Ich vermittelt
durch das Bewußtſein des Du. So iſt der Menſch der Gott
des Menſchen
. Daß er iſt, verdankt er der Natur, daß er
Menſch iſt, dem Menſchen. Wie er nichts phyſiſch vermag
ohne den andern Menſchen, ſo auch nichts geiſtig. Vier Hände
vermögen mehr als zwei; aber auch vier Augen ſehen mehr
als zwei. Und dieſe vereinte Kraft unterſcheidet ſich nicht
nur quantitativ, ſondern auch qualitativ von der vereinzel-
ten
. Einzeln iſt die menſchliche Kraft eine beſchränkte, ver-
einigt
eine unendliche Kraft. Beſchränkt iſt das Wiſſen
des Einzelnen, aber unbeſchränkt die Vernunft, unbeſchränkt die
Wiſſenſchaft, denn ſie iſt ein gemeinſchaftlicher Act der Menſch-
heit, und zwar nicht nur deßwegen, weil unzählig Viele an
dem Bau der Wiſſenſchaft mit arbeiten, ſondern auch in dem
innerlichen Sinne, daß das wiſſenſchaftliche Genie einer be-
ſtimmten Zeit die Gedankenkräfte der vorangegangenen Genies
in ſich vereinigt, wenn auch ſelbſt wieder auf eine beſtimmte,
individuelle Weiſe, ſeine Kraft alſo keine vereinzelte Kraft iſt.
Witz, Scharfſinn, Phantaſie, Gefühl, als unterſchieden von
der Empfindung, Vernunft als ſubjectives Vermögen, alle dieſe
ſogenannten Seelenkräfte ſind Kräfte der Menſchheit, nicht
des Menſchen als eines Einzelweſens, ſind Culturproducte,
Producte der menſchlichen Geſellſchaft. Nur wo ſich der Menſch
am Menſchen ſtößt und reibt, entzündet ſich Witz und Scharf-
ſinn — mehr Witz iſt daher in der Stadt als auf dem Lande,
mehr in großen, als kleinen Städten — nur wo ſich der Menſch
am Menſchen ſonnt und wärmt, entſteht Gefühl und Phan-
taſie — die Liebe, ein gemeinſchaftlicher Act, ohne Erwiederung
[102] darum der größte Schmerz, iſt der Urquell der Poeſie — und
nur wo der Menſch mit dem Menſchen ſpricht, nur in der
Rede, einem gemeinſamen Acte, entſteht die Vernunft. Fragen
und Antworten ſind die erſten Denkacte. Zum Denken gehö-
ren urſprünglich Zwei. Erſt auf dem Standpunkt einer höhern
Cultur verdoppelt ſich der Menſch, ſo daß er jetzt in und für ſich
ſelbſt die Rolle des Andern ſpielen kann. Denken und Sprechen
iſt darum bei allen alten und ſinnlichen Völkern identiſch; ſie
denken nur im Sprechen, ihr Denken iſt nur Converſation.
Gemeine Leute, d. h. nicht abſtract gebildete Leute verſtehen
noch heute Geſchriebenes nicht, wenn ſie nicht laut leſen, nicht
ausſprechen, was ſie leſen. Wie richtig iſt es in dieſer Be-
ziehung, wenn Hobbes den Verſtand des Menſchen aus den
Ohren ableitet!


Auf abſtracte logiſche Kategorien reducirt, drückt das kos-
mogenetiſche Princip in Gott nichts weiter aus als den tau-
tologiſchen Satz: das Verſchiedene kann nur aus einem Prin-
cip der Verſchiedenheit, nicht aus einem einfachen Weſen
kommen. So ſehr die chriſtlichen Philoſophen und Theologen
der Schöpfung aus Nichts das Wort geredet, ſo haben ſie doch
wieder den alten Grundſatz: aus Nichts wird Nichts, weil er
ein Geſetz des Denkens ausſpricht, nicht ganz umgehen kön-
nen. Sie haben zwar keine wirkliche Materie als Princip der
unterſchiednen materiellen Dinge geſetzt, aber ſie haben doch
den göttlichen Verſtand — der Sohn aber iſt die Weisheit,
die Wiſſenſchaft, der Verſtand des Vaters — als den Inbe-
griff aller Dinge
, als die geiſtige Materie zum Princip
der wirklichen Materie gemacht. Der Unterſchied zwiſchen der
heidniſchen Ewigkeit der Materie und der chriſtlichen Schöpfung
in dieſer Beziehung iſt nur, daß die Heiden der Welt eine
[103] reale, objective, die Chriſten eine nicht ſinnliche Ewigkeit vindi-
cirten. Die Dinge waren, ehe ſie exiſtirten, aber nicht als
Object des Sinnes, ſondern des ſubjectiven Verſtandes. Die
Chriſten, deren Princip das Princip der abſoluten Subjectivi-
tät, denken Alles nur durch dieſes Princip vermittelt. Die
durch ihr ſubjectives Denken geſetzte, die vorgeſtellte, ſub-
jective Materie iſt ihnen daher auch die erſte Materie — weit
vorzüglicher als die wirkliche objective Materie. Aber deſſen
ungeachtet iſt dieſer Unterſchied nur ein Unterſchied in der
Weiſe der Exiſtenz. Die Welt iſt ewig in Gott. Oder iſt ſie
etwa in ihm entſtanden, wie ein plötzlicher Einfall, eine Laune?
Allerdings kann ſich auch dieß der Menſch vorſtellen, aber dann
vergöttlicht der Menſch nur ſeinen eignen Unſinn. Bin ich
dagegen bei Vernunft, ſo kann ich die Welt nur ableiten aus
ihrem Weſen
, ihrer Idee, d. h. eine Art ihrer Exiſtenz aus
einer andern Art — mit andern Worten: ich kann die Welt
immer nur aus ſich ſelbſt ableiten. Die Welt hat ihren
Grund in ſich ſelbſt, wie Alles in der Welt, was auf den
Namen einer Gattungsweſenheit Anſpruch hat. Die differen-
tia specifica,
das eigenthümliche Weſen, das, wodurch ein be-
ſtimmtes Weſen iſt, was es iſt, dieß iſt immer ein im gemei-
nen Sinne Unerklärliches, Unableitbares, iſt durch ſich, hat
ſeinen Grund in ſich.


So iſt es nun auch mit der Vielfachheit und Verſchie-
denheit, wenn wir die Welt auf dieſe abſtracte Kategorie im
Gegenſatz zur Einfachheit und Identität des göttlichen Weſens
reduciren. Die wirkliche Verſchiedenheit kann nur abgeleitet
werden aus einem in ſich ſelbſt verſchiedenen Weſen. Aber
ich ſetze die Verſchiedenheit nur in das urſprüngliche Weſen,
weil mir ſchon urſprünglich die Verſchiedenheit eine poſitive
[104] Realität
iſt. Wo und wenn die Verſchiedenheit an ſich ſelbſt
Nichts iſt, da wird auch im Princip keine Verſchiedenheit ge-
dacht. Ich ſetze die Verſchiedenheit als eine weſentliche Kate-
gorie, als eine Wahrheit, wo ich ſie aus dem urſprünglichen
Weſen ableite und umgekehrt: beides iſt identiſch. Der ver-
nünftige Ausdruck iſt: die Verſchiedenheit liegt eben ſo noth-
wendig in der Vernunft, als die Identität.


Da nun aber eben die Verſchiedenheit eine poſitive Ver-
nunftbeſtimmung iſt, ſo kann ich die Verſchiedenheit nicht ab-
leiten, ohne ſchon die Verſchiedenheit vorauszuſetzen; ich kann
ſie nicht erklären außer durch ſich ſelbſt, weil ſie eine ur-
ſprüngliche, durch ſich ſelbſt einleuchtende, durch ſich ſelbſt ſich
bewährende Realität iſt. Wodurch entſteht die Welt, das von
Gott Unterſchiedene? durch den Unterſchied Gottes von ſich in
Gott ſelbſt. Gott denkt ſich, er iſt ſich Gegenſtand, er unter-
ſcheidet ſich von ſich
— alſo entſteht dieſer Unterſchied, die
Welt, nur von einem Unterſchied anderer Art, der äußere von
einem innerlichen, der ſeiende von einem thätigen, einem Un-
terſcheidungsacte, alſo begründe ich den Unterſchied nur durch
ſich ſelbſt, d. h. er iſt ein urſprünglicher Begriff, ein Non plus
ultra
meines Denkens, ein Geſetz, eine Nothwendigkeit, eine
Wahrheit. Der letzte Unterſchied, den ich denken kann, iſt der
Unterſchied eines Weſens von und in ſich ſelbſt. Der Un-
terſchied eines Weſens von einem andern verſteht ſich von ſelbſt,
iſt ſchon durch ihr Daſein geſetzt, eine ſinnfällige Wahrheit: es
ſind zwei. Für das Denken begründe ich aber erſt den Un-
terſchied, wenn ich ihn in ein und daſſelbe Weſen aufnehme,
wenn ich ihn mit dem Geſetze der Identität verbinde.
Hierin liegt die letzte Wahrheit des Unterſchieds. Das kos-
mogenetiſche Princip in Gott
, auf ſeine letzten Elemente
[105] reducirt, iſt nichts andres als der nach ſeinen einfachſten Mo-
menten vergegenſtändliche Denkact. Wenn ich den Un-
terſchied aus Gott entferne, ſo gibt er mir keinen Stoff zum
Denken; er hört auf ein Denkobject zu ſein; denn der Unter-
ſchied iſt ein weſentliches Denkprincip. Und wenn ich
daher Unterſchied in Gott ſetze, was begründe, was verge-
genſtändliche ich anders, als die Wahrheit und Nothwendigkeit
dieſes Denkprincipes?


Das Geheimniß der Natur in Gott.


Einen intereſſanten Stoff zur Kritik der kosmo- und theo-
goniſchen Phantaſien liefert die von Schelling aufgefriſchte,
aus Jacob Böhm geſchöpfte Lehre von der ewigen Natur in
Gott.


Gott iſt reiner Geiſt, lichtvolles Selbſtbewußtſein, ſittliche
Perſönlichkeit; die Natur dagegen iſt, wenigſtens ſtellenweiſe,
verworren, finſter, wüſte, unſittlich oder doch nicht ſittlich. Es
widerſpricht ſich aber, daß das Unreine aus dem Reinen, die
Finſterniß aus dem Lichte komme. Wie können wir alſo aus
Gott dieſe offenbaren Inſtanzen gegen eine göttliche Abkunft
ableiten? Nur dadurch, daß wir dieſes Unreine, dieſes Dunkle
in Gott ſetzen, in Gott ſelbſt ein Princip des Lichtes und der
Finſterniß unterſcheiden. Mit andern Worten: nur dadurch
können wir den Urſprung des Finſtern erklären, daß wir über-
haupt die Vorſtellung eines Urſprungs aufgeben, die Finſterniß
als ſeiend von Anbeginn an vorausſetzen*).


[106]

Das Finſtere in der Natur iſt aber das Irrationelle,
Materielle, die eigentliche Natur im Unterſchiede von der In-
telligenz. Der einfache Sinn dieſer Lehre iſt daher: die Natur,
die Materie kann nicht aus der Intelligenz erklärt und abgeleitet
werden; ſie iſt vielmehr der Grund der Intelligenz, der Grund
der Perſönlichkeit, ohne ſelbſt einen Grund zu haben; der Geiſt
ohne Natur iſt ein unreelles Abſtractum; das Bewußtſein ent-
wickelt ſich nur aus der Natur. Aber dieſe materialiſtiſche
Lehre wird dadurch in ein myſtiſches, aber gemüthliches Dun-
kel gehüllt, daß ſie nicht allgemein, nicht mit den klaren ſchlich-
ten Worten der Vernunft ausgeſprochen, ſondern vielmehr mit
dem heiligen Empfindungsworte Gottes betont wird. Wenn
das Licht in Gott aus der Finſterniß in Gott entſpringt, ſo
entſpringt es nur, weil es in dem Begriffe des Lichts über-
haupt liegt, daß es Dunkles erhellt, alſo das Dunkle voraus-
ſetzt, aber nicht macht. Wenn Du alſo einmal Gott einem
allgemeinen Geſetze unterwirfſt — was denn nicht anders als
nothwendig iſt, wofern Du nicht Gott zum Tummelplatz der
ſinnloſeſten Einfälle machen willſt — wenn alſo eben ſo gut
in Gott, als an und für ſich, als überhaupt, das Selbſtbe-
wußtſein durch ein natürliches Princip bedingt iſt, warum ab-
ſtrahirſt Du nicht von Gott? Was einmal Geſetz des Be-
wußtſeins an ſich, iſt Geſetz für das Bewußtſein jedes perſön-
lichen Weſens, es ſei Menſch, Engel, Dämon, Gott oder was
Du nur immer Dir ſonſt noch als Weſen einbilden magſt.
Worauf reduciren ſich denn, bei Lichte beſehen, die beiden Prin-
*)
[107] cipien in Gott? Das eine auf die Natur, wenigſtens die Na-
tur, wie ſie in Deiner Vorſtellung exiſtirt, abſtrahirt von ihrer
Wirklichkeit, das andere auf Geiſt, Bewußtſein, Perſönlichkeit.
Nach ſeiner einen Hälfte, nach ſeiner Rück- und Kehrſeite
nennſt Du Gott nicht Gott, ſondern nur von ſeiner Vorder-
ſeite, ſein Geſicht, wornach er Dir Geiſt, Bewußtſein zeigt:
alſo iſt ſein ſpecifiſches Weſen, das worin er Gott iſt, Geiſt,
Intelligenz, Bewußtſein
. Warum machſt Du denn aber,
was das eigentliche Subject in Gott als Gott, d. i. als
Geiſt iſt, zu einem bloßen Prädicat, als wäre Gott als Gott,
auch ohne Geiſt, ohne Bewußtſein Gott? warum anders als
weil Du denkſt als Sklave der myſtiſch religiöſen Imagination,
weil das primäre Princip in Dir die Imagination, das ſecun-
däre, formelle nur, das Denken iſt, weil es Dir nur wohl und
heimlich iſt im trügeriſchen Zwielicht des Myſticismus?


Myſticismus iſt Deuteroſkopie. Der Myſtiker ſpeculirt
über das Weſen der Natur oder des Menſchen, aber in und
mit der Einbildung, daß er über ein anderes, von beiden
unterſchiedenes, perſönliches Weſen ſpeculirt. Der Myſtiker
hat dieſelben Gegenſtände, wie der einfache, ſelbſtbewußte
Denker; aber der wirkliche Gegenſtand iſt dem Myſtiker nur
Object, nicht als er ſelbſt, ſondern als ein eingebildeter,
und daher der eingebildete Gegenſtand ihm der wirkliche
Gegenſtand. So iſt hier, in der myſtiſchen Lehre von den
zwei Principien in Gott, der wirkliche Gegenſtand die Pa-
thologie
, der eingebildete die Theologie; d. h. die Pa-
thologie wird zur Theologie gemacht. Dagegen ließe ſich nun
eigentlich nichts ſagen, wenn mit Bewußtſein die wirkliche
Pathologie als Theologie erkannt und ausgeſprochen würde;
unſre Aufgabe iſt es ja eben, zu zeigen, daß die Theologie
[108] nichts iſt als eine ſich ſelbſt verborgene, als die eſoteriſche Pa-
tho-, Anthropo- und Pſychologie, und daß daher die wirkliche
Anthropologie, die wirkliche Pathologie, die wirkliche Pſycho-
logie weit mehr Anſpruch auf den Namen Theologie haben, als
die Theologie ſelbſt, weil dieſe doch nichts weiter iſt als eine
imaginäre Pſychologie und Anthropologie. Aber es ſoll der
Inhalt dieſer Lehre oder Anſchauung — und darum iſt ſie eben
Myſtik und Phantaſtik — nicht Pathologie, ſondern Theologie,
Theologie im alten oder gewöhnlichen Sinne des Wortes ſein;
es ſoll hier das Leben eines andern von uns unterſchiednen
Weſens aufgeſchloſſen werden, und es wird doch nur unſer
eignes Weſen aufgeſchloſſen, aber zugleich wieder verſchloſſen,
weil es das Weſen eines andern Weſens ſein ſoll. Bei Gott,
nicht bei uns menſchlichen Individuen — das wäre eine viel
zu triviale Wahrheit — ſoll ſich die Vernunft erſt nach der
Leidenſchaft der Natur einſtellen, nicht wir, ſondern Gott ſoll
ſich aus dem Dunkel verworrner Gefühle und Triebe zur Klar-
heit der Erkenntniß emporringen, nicht in unſrer ſubjectiven
beſchränkten Vorſtellungsweiſe, ſondern in Gott ſelbſt ſoll der
Nervenſchrecken der Nacht eher ſein, als das freudige Bewußt-
ſein des Lichtes; kurz, es ſoll hier nicht eine menſchliche Krank-
heitsgeſchichte, ſondern die Entwicklungs- d. i. Krankheits-
geſchichte Gottes — Entwicklungen ſind Krankheiten

— dargeſtellt werden. Leider! gehört aber das Sollen der
Einbildung, die Wahrheit, die Objectivität nur dem patholo-
giſchen Element an.


Wenn daher der kosmogenetiſche Unterſcheidungsproceß
in Gott uns das Licht der Unterſcheidungskraft als eine
göttliche Weſenheit zur Anſchauung bringt; ſo repräſentirt
uns dagegen die Nacht oder Natur in Gott die Leibnitz’ſchen
[109]Pensées confuses als göttliche Kräfte oder Poten-
zen
. Aber die Pensées confuses, die verworrnen, dunkeln
Vorſtellungen und Gedanken, richtiger Bilder repräſentiren das
Fleiſch, die Materie: eine reine, von der Materie abgeſon-
derte Intelligenz hat nur lichte, freie Gedanken, keine dunkeln,
d. i. fleiſchliche Vorſtellungen, keine materiellen, die Phan-
taſie erregende, das Blut in Aufruhr bringende Bilder. Die
Nacht in Gott ſagt daher nichts andres aus, als: Gott iſt
nicht nur ein geiſtiges, ſondern auch materielles, leibli-
ches, fleiſchliches Weſen
; aber wie der Menſch Menſch iſt
und heißt nicht nach ſeinem Fleiſch, ſondern ſeinem Geiſt, ſo
auch Gott.


Aber die Nacht ſpricht dieß nur in dunkeln, myſtiſchen,
unbeſtimmten, hinterhaltigen
Bildern aus. Statt des
kräftigen, aber eben deßwegen präciſen und picanten Ausdrucks
Fleiſch ſetzt ſie die vieldeutigen, abſtracten Worte: Natur
und Grund
. „Da nichts vor oder außer Gott iſt, ſo muß
er den Grund ſeiner Exiſtenz in ſich ſelbſt haben. Das ſagen
alle Philoſophien, aber ſie reden von dieſem Grund als einem
bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirk-
lichem
zu machen. Dieſer Grund ſeiner Exiſtenz, den Gott
in ſich hat, iſt nicht Gott abſolut betrachtet, d. h. ſofern er
exiſtirt; denn er iſt ja nur der Grund ſeiner Exiſtenz. Er iſt die
Natur — in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber
doch unterſchiednes Weſen. Analogiſch (?) kann dieſes
Verhältniß durch das der Schwerkraft und des Lichts in der
Natur erläutert werden.“ Aber dieſer Grund iſt das Nicht-
intelligente
in Gott. „Was der Anfang einer Intelligenz
(in ihr ſelber) iſt, kann nicht wieder intelligent ſein.“ „Aus
dieſem Verſtandloſen iſt im eigentlichen Sinne der Verſtand
[110] geboren. Ohne dieß vorausgehende Dunkel gibt es keine
Realität der Creatur.“ „Mit ſolchen abgezognen Begrif-
fen von Gott als Actus purissimus, dergleichen die ältere
Philoſophie aufſtellte, oder ſolchen, wie ſie die neuere, aus Für-
ſorge, Gott ja recht weit von aller Natur zu entfernen, immer
wieder hervorbringt, läßt ſich überall nichts ausrichten. Gott
iſt etwas Realeres, als eine bloße moraliſche Weltord-
nung
und hat ganz andre und lebendigere Bewegungs-
kräfte in ſich, als ihm die dürftige Subtilität abſtracter
Idealiſten
zuſchreibt. — Der Idealismus, wenn er nicht ei-
nen lebendigen Realismus zur Baſis erhält, wird ein eben
ſo leeres und abgezogenes Syſtem, als das Leibnitziſche, Spi-
noziſche oder irgend ein anderes dogmatiſches.“ „So lange
der Gott des modernen Theismus das einfache, rein weſenhaft
ſein ſollende, in der That aber weſenloſe — Weſen bleibt, das er
in allen neuern Syſtemen iſt, ſo lange nicht in Gott eine wirk-
liche Zweiheit erkannt und der bejahenden, ausbreitenden Kraft
eine einſchränkende, verneinende entgegengeſetzt wird; ſo
lange wird die Läugnung eines perſönlichen Gottes wiſſen-
ſchaftliche Aufrichtigkeit ſein.“ „Alles Bewußtſein iſt Concen-
tration, iſt Sammlung, iſt Zuſammennehmen, Zuſammenfaſſen
ſeiner ſelbſt. Dieſe verneinende, auf es ſelbſt zurückgehende
Kraft eines Weſens, iſt die wahre Kraft der Perſönlichkeit in
ihm, die Kraft der Selbſtheit, der Egoität.“ „Wie ſollte eine
Furcht Gottes ſein, wenn keine Stärke in ihm wäre? Daß
aber Etwas in Gott ſei, das bloß Kraft und Stärke ſei,
kann nicht befremden, wenn man nur nicht behauptet, daß er
allein dieſes und ſonſt nichts andres ſei.“ *)


[111]

Aber was iſt denn nun Kraft und Stärke, die nur Kraft
und Stärke iſt im Unterſchiede von der geiſtigen Macht der
Güte und Intelligenz, als die leibliche Kraft und Stärke?
Iſt denn eine bloße Kraft, eine bloße Stärke ohne ein wirk-
liches leibliches Subſtrat
nicht auch „dürftige Subtilität
eines abſtracten Idealismus?“ Kennſt Du im Unterſchiede von
der Macht der Güte und der Macht der Vernunft eine andere
Dir zu Gebote ſtehende Kraft als die Muskelkraft? Wenn
Du durch Güte und Vernunftgründe nichts ausrichten kannſt,
ſo mußt Du zur Stärke Deine Zuflucht nehmen. Kannſt Du
aber etwas „ausrichten“ ohne kräftige Arme und Fäuſte?
Kennſt Du im Unterſchiede von der Macht der morali-
ſchen Weltordnung
„andere und lebendigere Bewegungs-
kräfte“ als die Hebel der peinlichen Halsgerichtsord-
nung
? Gibt es ein anderes Syſtem „lebendigen Realis-
mus’s
“ als das Syſtem des organiſchen Leibes? Iſt
Natur ohne Leib nicht ein leerer, abgezogner Begriff? das
Geheimniß der Natur nicht das Geheimniß des Leibes?
Kennſt Du eine andere Exiſtenz, ein anderes Weſen der Na-
tur, als die leibliche Exiſtenz, als das leibliche Weſen? Iſt aber
nicht der höchſte, der realſte, der lebendigſte Leib der Leib von
Fleiſch und Blut? Kennſt Du eine andere der Intelligenz ent-
gegengeſetzte Kraft, als die Kraft von Fleiſch und Blut, eine
andere Stärke der Natur als die Stärke der ſinnlichen Triebe?
Iſt aber nicht der ſtärkſte, der der Intelligenz entgegengeſetzteſte
Naturtrieb der Geſchlechtstrieb? Wer erinnert ſich nicht an
den alten Spruch: Amare et Sapere vix Deo competit?
Wenn wir alſo eine Natur, ein dem Lichte der Intelligenz ent-
gegengeſetztes Weſen in Gott ſetzen wollen, können wir uns
einen lebendigeren, realeren Gegenſatz denken, als den Gegen-
[112] ſatz von Amare und Sapere, von Geiſt und Fleiſch, von
Freiheit und Geſchlechtstrieb? Du entſetzeſt Dich über dieſe
Descendenzen und Conſequenzen? O! ſie ſind die legitimen
Sproſſen von dem heiligen Ehebündniß zwiſchen Gott und
Natur. Du ſelbſt haſt ſie gezeugt unter den günſtigen Auſpi-
cien der Nacht. Ich zeige ſie Dir jetzt nur im Lichte.


Perſönlichkeit, Egoität, Bewußtſein ohne Natur iſt Nichts
oder, was eins, ein hohles, weſenloſes Abſtractum. Aber die Na-
tur iſt, wie bewieſen und von ſelbſt klar iſt, nichts ohne Leib.
Der Leib iſt allein jene verneinende, einſchränkende,
zuſammenziehende, beengende Kraft, ohne welche
keine Perſönlichkeit denkbar
iſt. Nimm Deiner Perſön-
lichkeit ihren Leib — und Du nimmſt ihr ihren Zuſammen-
halt. Der Leib iſt der Grund, das Subject der Per-
ſönlichkeit
. Nur durch den Leib unterſcheidet ſich die reale
Perſönlichkeit von der eingebildeten eines Geſpenſtes. Was
wären wir für abſtracte, vage, leere Perſönlichkeiten, wenn uns
nicht das Prädicat der Impenetrabilität inhärirte, wenn an
demſelben Orte, in derſelben Geſtalt, worin wir ſind, zugleich
Andere ſich befinden könnten? Nur durch die räumliche Aus-
ſchließung bewährt ſich die Perſönlichkeit als eine wirkliche.
Aber der Leib iſt nichts ohne Fleiſch und Blut. Fleiſch
und Blut iſt Leben
, und Leben allein die Realität, die
Wirklichkeit des Leibes. Aber Fleiſch und Blut iſt nichts
ohne den Sauerſtoff der Geſchlechtsdifferenz. Die Ge-
ſchlechtsdifferenz iſt keine oberflächliche oder nur auf gewiſſe Kör-
pertheile beſchränkte; ſie iſt eine weſentliche; ſie durchdringt
Mark und Bein. Die Subſtanz des Mannes iſt die Männ-
lichkeit, die des Weibes die Weiblichkeit. Sei der Mann auch
noch ſo geiſtig und hyperphyſiſch — er bleibt doch immer Mann;
[113] eben ſo das Weib. Die Perſönlichkeit iſt daher nichts
ohne Geſchlechtsdifferenz
; die Perſönlichkeit unterſcheidet
ſich weſentlich in männliche und weibliche Perſönlichkeit.
Wo kein Du, iſt kein Ich; aber der Unterſchied von Ich und
Du, die Grundbedingung aller Perſönlichkeit, alles Bewußt-
ſeins, iſt nur ein realer, lebendiger, feuriger als der
Unterſchied von Mann und Weib
. Das Du zwiſchen
Mann und Weib hat einen ganz andern Klang, als das mo-
notone Du zwiſchen Freunden.


Natur im Unterſchiede von Perſönlichkeit kann gar nichts
anderes bedeuten als Geſchlechtsdifferenz. Ein perſönliches
Weſen ohne Natur iſt eben nichts andres als ein Weſen ohne
Geſchlecht, und umgekehrt. Natur ſoll von Gott prädicirt wer-
den „in dem Sinne wie von einem Menſchen geſagt wird, er
ſei eine ſtarke, eine tüchtige, eine geſunde Natur.“ Aber was
iſt krankhafter, was unausſtehlicher, was naturwidriger als
eine Perſon ohne Geſchlecht oder eine Perſon, die in ihrem
Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen ihr Geſchlecht verläug-
net? Was iſt die Tugend, die Tüchtigkeit des Menſchen als
Mann? die Männlichkeit. Des Menſchen als Weibes? die
Weiblichkeit. Aber der Menſch exiſtirt nur als Mann und
Weib. Die Tüchtigkeit, die Geſundheit des Menſchen beſteht
demnach nur darin, daß er als Weib ſo iſt, wie er als Weib
ſein ſoll, als Mann ſo, wie er als Mann ſein ſoll. Du ver-
wirfſt „den Abſcheu gegen alles Reale, der das Geiſtige durch
jede Berührung mit demſelben zu verunreinigen meint.“ Alſo
verwirf vor allem Deinen eignen Abſcheu vor dem Geſchlechts-
unterſchied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt,
ſo wird er auch nicht durch das Geſchlecht verunreinigt. Deine
Scheu vor einem geſchlechtlichen Gott iſt eine falſche
Feuerbach. 8
[114] Schaam — falſch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die
Nacht, die Du in Gott geſetzt, Dich der Schaam überhebt; die
Schaam ſchickt ſich nur für das Licht; dann, weil Du mit ihr
Dein ganzes Princip aufgibſt. Ein ſittlicher Gott ohne Na-
tur iſt ohne Baſis. Aber die Baſis der Sittlichkeit iſt der
Geſchlechtsunterſchied. Selbſt das Thier wird durch den Ge-
ſchlechtsunterſchied aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit
der Natur, all’ ihre Macht, all’ ihre Weisheit und Tiefe con-
centrirt und individualiſirt ſich in der Geſchlechtsdifferenz.
Warum ſcheuſt Du Dich alſo, die Natur Gottes bei ihrem
wahren Namen zu nennen? Offenbar nur deßwegen, weil
Du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in ihrer Wahr-
heit und Wirklichkeit
haſt, weil Du Alles nur durch den
trügeriſchen Nebel des Myſticismus erblickſt. Aber eben deß-
wegen, weil die Natur in Gott nur ein trügeriſcher, weſen-
loſer Schein
, ein phantaſtiſches Geſpenſt der Natur
iſt, — denn ſie ſtützt ſich, wie geſagt, nicht auf Fleiſch und
Blut, nicht auf einen realen Grund — alſo auch dieſe Be-
gründung eines perſönlichen Gottes eine fehlgeſchoſſene iſt: ſo
ſchließe auch ich mit den Worten: „die Läugnung eines per-
ſönlichen
Gottes wird ſo lange wiſſenſchaftliche Aufrichtig-
keit,“ ich ſetze hinzu: wiſſenſchaftliche Wahrheit ſein, als man
nicht mit klaren, unzweideutigen Worten ausſpricht und
beweiſt, erſtens a priori, aus ſpeculativen Gründen, daß Ge-
ſtalt, Oertlichkeit, Fleiſchlichkeit, Geſchlechtlichkeit nicht dem Be-
griffe der Gottheit widerſprechen, zweitens a posteriori
denn die Realität eines perſönlichen Weſens ſtützt ſich nur auf
empiriſche Gründe — was für eine Geſtalt Gott hat, wo
er exiſtirt — etwa im Himmel — und endlich welchen Ge-
ſchlechtes er iſt, ob er ein Männlein oder Weiblein oder
[115] gar ein Hermaphrodit. Uebrigens hat ſchon anno 1682
ein Pfarrer die kühne Frage aufgeworfen: „Ob Gott auch
ehelich ſei und ein Weib habe? Und wie viel er Wei-
ſen (modos) habe, Menſchen zu Wege zu bringen
?“
Mögen ſich daher die tiefſinnigen ſpeculativen Reli-
gions-Philoſophen
Deutſchlands dieſen ehrlichen, ſchlichten
Pfarrherrn zum Muſter nehmen! Mögen ſie den gênanten
Reſt von Rationalismus, der ihnen noch im ſchreiendſten Wi-
derſpruch mit ihrem innerſten Weſen anklebt, muthig von ſich
abſchütteln und endlich die myſtiſche Potenz der Natur Got-
tes in einen wirklich potenten, zeugungskräftigen Gott reali-
ſiren! Amen.


Die Lehre von der Natur in Gott iſt Jakob Böhm ent-
nommen. Aber im Original hat ſie eine weit tiefere und in-
tereſſantere Bedeutung als in ihrer zweiten caſtrirten und mo-
derniſirten Auflage. J. Böhm iſt ein tiefinniges, tiefſinniges
religiöſes Gemüth; die Religion iſt das Centrum ſeines Lebens
und Denkens. Aber zugleich hat ſich die Bedeutung, welche
die Natur in neuerer Zeit erhielt — im Studium der Naturwiſ-
ſenſchaften, im Spinozismus, Materialismus, Empirismus —
ſeines religiöſen Gemüthes bemächtigt. Er hat ſeine Sinne
der Natur geöffnet, einen Blick in ihr geheimnißvolles Weſen
geworfen, aber ſie erſchreckt ihn; und er kann dieſen Schrecken
der Natur nicht zuſammenreimen mit ſeinen religiöſen Vorſtel-
lungen. „Als ich anſchauete die große Tiefe dieſer Welt, darzu
die Sonne und Sternen, ſowohl die Wolken, darzu Regen und
Schnee, und betrachtete in meinem Geiſte die ganze Schöpfung
dieſer Welt; darinnen ich dann in allen Dingen Böſes und
Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Creatu-
8*
[116] ren, als in Holz, Steinen, Erden und Elementen, ſowohl als
in Menſchen und Thieren. .... Weil ich aber befand, daß in
allen Dingen Böſes und Gutes war, in den Elementen ſo-
wohl als in den Creaturen und daß es in der Welt dem Gott-
loſen ſo wohl ginge als den Frommen, auch die Barbariſchen
Völker die beſten Länder inne hätten und daß ihnen das Glück
noch wohl mehr beyſtünde als den Frommen: ward ich dero-
wegen ganz melancholiſch und hoch betrübet und konnte mich
keine Schrift tröſten, welche mir doch faſt wohl bekannt war:
darbey dann gewißlich der Teufel nicht wird gefeyret haben,
welcher mir dann oft Heidniſche Gedanken einbleuete, deren ich
allhie verſchweigen will.“ *) Aber ſo ſchrecklich ſein Gemüth
das finſtre, nicht mit den religiöſen Vorſtellungen eines himm-
liſchen Schöpfers zuſammenſtimmende Weſen der Natur er-
greift, ſo entzückend afficirt ihn andrerſeits die Glanzſeite der
Natur. J. Böhm hat Sinn für die Natur. Er ahndet, ja
empfindet die Freuden des Mineralogen, die Freuden des Bo-
tanikers, des Chymikers, kurz die Freuden der „gottloſen Na-
turwiſſenſchaft.“ Ihn entzückt der Glanz der Edelſteine, der
Klang der Metalle, der Geruch und Farbenſchmuck der Pflan-
zen, die Lieblichkeit und Sanftmuth gewiſſer Thiere. Ich kann
es (nämlich die Offenbarung Gottes in der Lichtwelt, den Pro-
ceß wo „aufgehet in der Gottheit die wunderliche und ſchöne
Bildung des Himmels in mancherley Farben und Art und er-
zeiget ſich jeder Geiſt in ſeiner Geſtalt ſonderlich“) ich kann es,
ſchreibt er an einer andern Stelle, mit nichts vergleichen als
mit den alleredelſten Steinen als Jerubin, Schmaragden, Del-
fin, Onir, Saffir, Diamant, Jaspis, Hyacinth, Amethyſt,
[117] Berill, Sardis, Carfunkel und dergleichen.“ Wo anders:
„Anlangend aber die köſtlichen Steine, als Carfunkel, Jeru-
bin, Schmaragden, Delfin, Onyr und dergleichen, die die al-
lerbeſten ſeynd, die haben ihren Urſprung wo der Blitz des
Lichtes in der Liebe auffgangen iſt. Dann derſelbe Blitz wird
in der Sanfftmuth geboren und iſt das Hertze im Centro der
Quellgeiſter, darum ſeynd dieſelben Steine auch ſanffte, kräftig
und lieblich.“ Wir ſehen, J. Böhm hatte keinen übeln mine-
ralogiſchen Geſchmack. Daß er aber auch an den Blumen
Wohlgefallen, folglich botaniſchen Sinn hatte, beweiſen unter
Anderm folgende Stellen: „Die himmliſchen Kräfte gebären
himmliſche freudenreiche Früchte und Farben, allerley Bäume
und Stauden, darauf wächſt die ſchöne und liebliche Frucht
des Lebens: Auch ſo gehen in dieſen Kräfften auf allerley Blu-
men mit ſchönen himmliſchen Farben und Geruch. Ihr Schmack
iſt mancherley, ein jedes nach ſeiner Qualität und Art, ganz
heilig, Göttlich und Freudenreich.“ „So du nun die himm-
liſche Göttliche Pomp und Herrlichkeit willſt betrachten, wie
die ſey, was für Gewächſe, Luſt oder Freude da ſey, ſo ſchaue
mit Fleiß
an dieſe Welt, was für Früchte und Gewächſe
aus dem Salniter der Erden wächſt von Bäumen, Stauden,
Kraut, Wurzeln, Blumen, Oehle, Weine, Getreide und alles
was da iſt und dein Herz nur forſchen kann: Das iſt alles
ein Vorbild der himmliſchen Pomp.“ *)


J. Böhm’n konnte nicht ein despotiſcher Machtſpruch
als Erklärungsgrund der Natur genügen; die Natur lag
ihm zu ſehr im Sinne und auf dem Herzen; er verſuchte daher
eine natürliche Erklärung der Natur; aber er fand na-
[118] türlicher und nothwendiger Weiſe keine andern Erklärungs-
gründe als eben die Qualitäten der Natur, die den tiefſten
Eindruck auf ſein Gemüth machten. J. Böhm — dieß iſt
ſeine weſentliche Bedeutung — iſt ein myſtiſcher Naturphilo-
ſoph, ein theoſophiſcher Vulkaniſt*)und Neptuniſt,
denn im „Feuer und Waſſer urſtänden nach ihm alle Dinge.“
Die Natur hatte Jakob’s religiöſes Gemüth fascinirt — nicht
umſonſt empfing er von dem Glanze eines zinnernen Geſchir-
res ſein myſtiſches Licht — aber das religiöſe Gemüth webt
nur in ſich ſelbſt; es hat nicht die Kraft, nicht den Muth,
zur Anſchauung der Dinge in ihrer Wirklichkeit zu dringen; es
erblickt Alles durch das Medium der Religion, Alles in Gott,
d. h. Alles im entzückenden, das Gemüth ergreifenden Glanze
der Imagination, Alles im Bilde und als Bild. Aber die
Natur afficirte ſein Gemüth entgegengeſetzt; er mußte dieſen
Gegenſatz daher in Gott ſelbſt ſetzen — denn die Annahme
von zwei ſelbſtſtändig exiſtirenden entgegengeſetzten Urprinci-
pien hätte ſein religiöſes Gemüth zerriſſen — er mußte in
Gott ſelbſt
unterſcheiden ein ſanftes, wohlthätiges und ein
grimmiges, verzehrendes Weſen. Alles Feurige, Bittere, Herbe,
Zuſammenziehende, Finſtere, Kalte kommt aus einer göttlichen
Herbigkeit, Bitterkeit, alles Milde, Glänzende, Erwärmende,
Weiche, Sanfte, Nachgiebige aus einer milden, ſanften, erleuch-
tenden Qualität in Gott. „Das ſeynd nun die Creaturen auf
Erden, im Waſſer und in der Luft, die Vögel, eine jede Crea-
tur aus ſeiner eignen Scientz, aus Gutem und Böſem .....
[119] wie man das vor Augen ſiehet, daß gute und böſe Creaturen
ſeynd; als gifftige Thiere und Würmer nach dem Centrum der
Natur der Finſterniß, aus Gewalt der grimmen Eigen-
ſchaft
, welche auch nur begehren im Finſtern zu wohnen,
als da ſind diejenigen, ſo in den Löchern wohnen und ſich
vor der Sonnen verbergen. An jedes Thieres Eſſen
und Wohnung ſiehet man, woraus das herkommen ſey, denn
eine jede Creatur begehret in ſeiner Mutter zu wohnen und
ſehnet ſich nach ihr, wie das klar vor Augen iſt.“ „Das Gold,
Silber, Edelgeſteine und alles lichte Ertzt hat ſeinen Ur-
ſprung vom Lichte
, welches vor den Zeiten des Zornes ꝛc.
geſchienen hat.“ „Alles was im Weſen dieſer Welt weich,
ſanft
und dünn iſt, das iſt ausfließend und ſich ſelber ge-
bend und iſt deſſen Grund und Urſtand nach der Einheit der
Ewigkeit, da die Einheit immerdar von ſich ausfleußt, wie
man dann an dem Weſen der Dünnheit, als am Waſſer und
Lufft keine Empfindlichkeit oder Peinen verſtehet, was daſſelbe
Weſen einig in ſich ſelber iſt.“ *) Kurz, der Himmel iſt ſo
reich
als die Erde. Alles was auf der Erde, iſt im Himmel,
was in der Natur, in Gott. Aber hier iſt es göttlich,
himmliſch, dort irdiſch, ſichtbarlich, äußerlich, materiell, aber
doch daſſelbe. „Wann ich nun ſchreibe von Bäumen, Stau-
den und Früchten, ſo mußt Du es nicht irdiſch, gleich dieſer
Welt verſtehen, dann das iſt nicht meine Meinung, daß im
Himmel wachſe ein todter harter hölzerner Baum oder
Stein der in irdiſcher Qualität ſtehet. Nein, ſondern
meine Meinung iſt himmliſch und geiſtlich, aber doch
wahrhaftig
und eigentlich, alſo ich meine kein ander
[120] Ding, als wie ich’s in Buchſtaben ſetze
,“ d. h. im Him-
mel ſind dieſelben Bäume und Blumen, aber die Bäume im
Himmel ſind die Bäume, wie ſie in meiner Imagination
duften und blühen, ohne grobe materielle Eindrücke auf mich
zu machen; die Bäume auf Erden die Bäume in meiner ſinn-
lichen, wirklichen Anſchauung
. Der Unterſchied iſt der
Unterſchied zwiſchen Imagination und Anſchauung.
„Nicht iſt das mein Fürnehmen, ſagt er ſelbſt, daß ich wollte
aller Sternen Lauff, Ort oder Namen beſchreiben oder wie ſie
jährlich ihre Conjunction oder Gegenſchein oder Quadrat und
dergleichen haben, was ſie jährlich und ſtündlich wirken. Wel-
ches durch die lange Verjährung iſt erfahren worden von den
hochweiſen und klugen Geiſtreichen Menſchen, durch fleißiges
Anſchauen und Auffmerken und tiefen Sinn und Rechnen.
Ich habe daſſelbe auch nicht gelernet und ſtudiret und laſſe
daſſelbe die Gelehrten handeln: ſondern mein Fürnehmen iſt
nach dem Geiſt und Sinne zu ſchreiben, und nicht nach
dem Anſchauen
.“ *)


Die Lehre von der Natur in Gott will durch den Natu-
ralismus
den Theismus, namentlich den Theismus, wel-
cher das höchſte Weſen als ein perſönliches Weſen betrachtet,
begründen. Der perſönliche Theismus denkt ſich aber Gott
als ein von allem Materiellen abgeſondertes perſönliches We-
ſen; er ſchließt von ihm alle Entwicklung aus, weil dieſe nichts
andres iſt als die Selbſtabſonderung eines Weſens von Zu-
ſtänden und Beſchaffenheiten, die ſeinem wahren Begriffe nicht
entſprechen. Aber in Gott findet dieß nicht ſtatt, weil in ihm
Anfang, Ende, Mitte ſich nicht unterſcheiden laſſen, weil er
[121] mit einem Mal iſt, was er iſt, von Anbeginn an ſo iſt, wie
er ſein ſoll, ſein kann; er iſt die reine Einheit von Sein und
Weſen, Realität und Idee, That und Wille. Deus suum
Esse est.
Der Theismus ſtimmt hierin mit dem Weſen der
Religion überein. Alle auch noch ſo poſitiven Religionen
beruhen auf Abſtraction; ſie unterſcheiden ſich nur in Dem,
was geſetzt wird als Das, wovon abſtrahirt werden ſoll. Auch
die Homeriſchen Götter ſind bei aller Lebenskräftigkeit und
Menſchenähnlichkeit abſtracte Geſtalten; ſie haben Leiber
wie die Menſchen, aber doch keine ſo plumpe, beſchwerliche,
beſchränkte, keine ſterbliche. Die erſte Beſtimmung des gött-
lichen Weſens iſt: es iſt ein abgeſondertes, deſtillirtes
Weſen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Abſtraction keine
willkührliche
, ſondern durch den weſentlichen Standpunkt
des Menſchen beſtimmte iſt. So wie er iſt, ſo wie er über-
haupt denkt, ſo abſtrahirt er.


Die Abſtraction drückt ein Urtheil aus — ein bejahen-
des und verneinendes zugleich, Lob und Tadel. Was der
Menſch lobt und preiſt, das iſt ihm Gott; *) was er tadelt,
verwirft, das Ungöttliche. Die Religion iſt ein Urtheil
die Affirmation deſſen, was der Menſch als ſein Weſen an-
ſchaut. Was dem Menſchen werth und theuer, das gibt er
nicht den zerſtörenden Elementen der Außenwelt preis; er ver-
wahrt es in ſein Schatzkäſtchen, d. h. er macht es zu einem
unantaſtbaren Heiligthum. Die weſentlichſte Beſtimmung
in der Religion, in der Idee des göttlichen Weſens iſt demnach
die Abſcheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des
Vollkommnen vom Unvollkommnen, kurz des Poſitiven vom
[122] Negativen. Der Cultus ſelbſt beſteht in nichts Anderm als
in der fortwährenden Erneuerung des Urſprungs der Religion
— in der kritiſchen, aber feierlichen Sonderung des Göttlichen
vom Ungöttlichen.


Das göttliche Weſen iſt das durch den Tod der Ab-
ſtraction verklärte menſchliche Weſen
— der abgeſchie-
dene Geiſt
des Menſchen. In der Religion befreit ſich der
Menſch von den Schranken des Lebens; hier läßt er fallen,
was ihn drückt, hemmt, widerlich afficirt; Gott iſt das von
aller Widerlichkeit befreite Selbſtgefühl des Men-
ſchen
; frei, glücklich, ſelig fühlt ſich der Menſch nur in ſeiner
Religion, weil er nur hier ſeinem Genius lebt, ſeinen Sonn-
tag feiert. Die Vermittlung, die Begründung der göttlichen
Idee liegt für ihn außer dieſer Idee — die Wahrheit derſel-
ben ſchon im Urtheil, darin, daß Alles, was er von Gott
ausſchließt, die Bedeutung des Ungöttlichen, das Ungöttliche
aber die Bedeutung des Nichtigen hat. Würde er die Ver-
mittlung dieſer Idee in die Idee ſelbſt aufnehmen, ſo würde
ſie ihre weſentlichſte Bedeutung, ihren wahren Werth, ihren
beſeligenden Zauber verlieren. Das göttliche Weſen iſt die
reine, von allem Andern, allem Objectiven losgemachte, ſich
nur zu ſich ſelbſt verhaltende, nur ſich ſelbſt genie-
ßende, ſich ſelbſt feiernde Subjectivität
des Menſchen
— ſein ſubjectivſtes Selbſt, ſein Innerſtes. Der Proceß der
Abſonderung, der Scheidung des Intelligenten vom Nicht-in-
telligenten, der Perſönlichkeit von der Natur, des Vollkomm-
nen vom Unvollkommnen fällt daher nothwendig in das Sub-
ject, nicht in das Object, und die Idee der Gottheit nicht an
den Anfang, ſondern an das Ende der Sinnlichkeit, der Welt,
der Natur — „wo die Natur aufhört, fängt Gott an
[123] — weil Gott das Non plus ultra, die letzte Gränze der
Abſtraction
iſt. Das, wovon ich nicht mehr abſtrahiren
kann, iſt Gott, — der letzte Gedanke, den ich zu faſſen fähig
bin — der letzte, d. i. der höchſte. Id quo majus nihil cogi-
tari potest, Deus est.
Daß nun dieſes Omega der Sinn-
lichkeit auch das Alpha wird, iſt leicht begreiflich, aber das
Weſentliche iſt, daß es das Omega iſt. Das Alpha iſt erſt
die Folge; weil es das Letzte, ſo iſt es auch das Erſte. Und
das Prädicat: das erſte Weſen hat keineswegs ſogleich kosmo-
goniſche Bedeutung, ſondern nur die Bedeutung des höchſten
Ranges. Die Schöpfung in der moſaiſchen Religion hat den
Zweck, Jehovah das Prädicat des höchſten und erſten, des
wahren, ausſchließlichen Gottes im Gegenſatz zu den Götzen
zu ſichern *).


Dem Beſtreben, die Perſönlichkeit Gottes durch die Natur
begründen zu wollen, liegt daher eine unlautere, heilloſe Ver-
miſchung der Philoſophie
und Religion, eine völlige
Kritik- und Bewußtloſigkeit über die Geneſis des
perſönlichen Gottes
zu Grunde. Wo die Perſönlichkeit
für die weſentliche Beſtimmung Gottes gilt, wo es heißt: ein
unperſönlicher Gott iſt kein Gott, da gilt die Perſönlichkeit
ſchon an und für ſich für das Höchſte und Realſte, da liegt
das Urtheil zu Grunde: was nicht Perſon, iſt todt, iſt Nichts;
nur perſönliches Sein iſt reales, iſt abſolutes Sein, iſt Leben
und Wahrheit; die Natur iſt aber unperſönlich, alſo ein nich-
[124] tiges Ding. Die Wahrheit der Perſönlichkeit ſtützt ſich nur
auf die Unwahrheit der Natur: die Perſönlichkeit iſt Alles,
weil die Natur Nichts iſt. Die Perſönlichkeit von Gott prä-
diciren heißt nichts andres als die Perſönlichkeit für das ab-
ſolute Weſen erklären; aber die Perſönlichkeit wird nur im
Unterſchiede, in der Abſtraction
von der Natur erfaßt.
Freilich iſt ein nur perſönlicher Gott ein abſtracter Gott;
aber das ſoll er ſein, das liegt in ſeinem Begriffe; denn er
iſt nichts andres als das ſich außer allen Zuſammenhang
mit der Welt ſetzende
, ſich von aller Abhängigkeit von der
Natur freimachende perſönliche Weſen des Menſchen. In
der Perſönlichkeit Gottes feiert der Menſch die Ueber-
natürlichkeit, Unſterblichkeit, Unabhängigkeit, Unbe-
ſchränktheit ſeiner eignen Perſönlichkeit
.


Das Bedürfniß eines perſönlichen Gottes hat überhaupt
darin ſeinen Grund, daß der perſönliche Menſch erſt in der
Perſönlichkeit bei ſich ankommt, erſt in ihr Sich findet. Sub-
ſtanz, reiner Geiſt, bloße Vernunft genügt ihm nicht, iſt ihm
zu abſtract, d. h. drückt nicht ihn ſelbſt aus, führt ihn nicht
auf ſich zurück. Befriedigt, glücklich iſt aber der Menſch nur,
wo er bei ſich, bei ſeinem Weſen iſt. Je perſönlicher daher ein
Menſch, deſto ſtärker iſt für ihn das Bedürfniß eines perſön-
lichen Gottes. Der freie Geiſt kennt nichts Höheres, als die
Freiheit; er braucht ſie nicht an ein perſönliches Weſen anzu-
knüpfen; die Freiheit iſt ihm durch ſich ſelbſt, als ſolche, ein
reales, poſitives Weſen. Ein mathematiſcher, aſtronomiſcher
Kopf, ein reiner Verſtandesmenſch, ein objectiver Menſch, der
nicht in ſich befangen iſt, der frei und glücklich ſich nur fühlt
in der Anſchauung objectiv vernünftiger Verhältniſſe, in der
Vernunft, die in den Dingen ſelbſt liegt, ein ſolcher wird
[125] die Spinoziſche Subſtanz oder eine ähnliche Idee als ſein höch-
ſtes Weſen feiern, voller Antipathie gegen einen perſönlichen,
d. i. ſubjectiven Gott. Jacobi war darum ein claſſiſcher, weil
(in dieſer Beziehung wenigſtens) conſequenter, mit ſich einiger
Philoſoph. Wie ſein Gott, ſo war ſeine Philoſophie — per-
ſönlich, ſubjectiv. Der perſönliche Gott kann nicht anders
wiſſenſchaftlich begründet werden, als wie ihn Jacobi und ſeine
Schüler begründeten. Die Perſönlichkeit bewährt ſich nur auf
ſelbſt perſönliche Weiſe.


Sicherlich läßt ſich, ja ſoll ſich die Perſönlichkeit auf na-
türlichem Wege begründen; aber nur dann, wann ich aufhöre,
im Dunkeln des Myſticismus zu munkeln, wenn ich heraus-
trete an den hellen lichten Tag der wirklichen Natur, und den
Begriff des perſönlichen Gotres mit dem Begriff der Perſön-
lichkeit überhaupt
vertauſche. Aber in den Begriff des per-
ſönlichen Gottes, deſſen poſitiver Begriff eben die befreite,
abgeſchiedene, von der einſchränkenden Kraft der Na-
tur erlöſte Perſönlichkeit
iſt, eben dieſe Natur wieder ein-
zuſchwärzen, das iſt eben ſo verkehrt, als wenn ich in den
Nektar der Götter Braunſchweiger Mumme miſchen wollte,
um dem ätheriſchen Trank eine ſolide Grundlage zu geben.
Allerdings laſſen ſich nicht aus dem himmliſchen Safte, der
die Götter nährt, die Beſtandtheile des animaliſchen Blutes
ableiten. Allein die Blume der Sublimation entſteht nur durch
Verflüchtigung der Materie; wie kannſt Du alſo in der ſubli-
mirten Subſtanz eben die Stoffe vermiſſen, von welchen Du
ſie geſchieden? Allerdings läßt ſich das unperſönliche Weſen
der Natur nicht aus dem Begriffe der Perſönlichkeit erklären.
Erklären heißt Begründen; aber wo die Perſönlichkeit eine
Wahrheit oder vielmehr die abſolute Wahrheit iſt, da hat die
[126] Natur keine poſitive Bedeutung und folglich auch keinen
poſitiven Grund
. Die eigentliche Schöpfung aus Nichts
iſt hier allein der zureichende Erklärungsgrund; denn ſie ſagt
nichts weiter als: die Natur iſt Nichts, ſpricht alſo präcis
die Bedeutung aus, welche die Natur für die abſolute Perſön-
lichkeit hat.


Das Geheimnitz der Vorſehung und Schöpfung aus
Nichts.


Die Schöpfung iſt das ausgeſprochene Wort Gottes,
das ſchöpferiſche kosmogenetiſche Wort, das innerliche, mit dem
Gedanken identiſche Wort. Ausſprechen iſt ein Willensact, die
Schöpfung alſo ein Product des Willens. Wie der Menſch
in dem Worte Gottes die Göttlichkeit des Wortes, ſo bejaht
er in der Schöpfung die Göttlichkeit des Willens, und
zwar nicht des Willens der Vernunft, ſondern des Willens
der Einbildungskraft
, des abſolut ſubjectiven, unbe-
ſchränkten Willens
. Der höchſte Gipfel des Subjectivi-
tätsprincips iſt die Schöpfung aus Nichts. Wie die Ewigkeit
der Welt oder Materie nichts weiter bedeutet als die Weſen-
haftigkeit
der Materie; ſo bedeutet die Schöpfung der Welt
aus Nichts weiter nichts als die Nichtigkeit der Welt. Mit
dem Anfang eines Dings iſt unmittelbar dem Begriffe, wenn
auch nicht der Zeit nach, das Ende deſſelben geſetzt. Der An-
fang der Welt iſt der Anfang ihres Endes. Wie gewonnen,
ſo zerronnen. Der Wille hat ſie ins Daſein gerufen, der Wille
ruft ſie wieder zurück ins Nichts. Wann? die Zeit iſt gleich-
gültig. Das Schwert, das ihr Todesurtheil vollſtreckt, ſchwebt
ſtets über ihrem Nacken. Ihr Sein oder Nichtſein hängt
[127] nur vom Willen ab. Aber dieſer Wille iſt nicht ihr eigner
Wille — kein Ding kann ſein Nichtſein wollen — aber auch
ſchon deßwegen nicht, weil ſie ſelbſt willenlos iſt. Daß ſie
alſo nichtig iſt, das iſt nur die Kraft des Willens. Der Wille,
daß ſie iſt, iſt in Einem der Wille, wenigſtens der mögliche
Wille, daß ſie nicht iſt. Die Exiſtenz der Welt iſt daher eine
momentane, willkührliche, unzuverläſſige, d. h. eben
nichtige Exiſtenz.


Die Schöpfung aus Nichts iſt der höchſte Ausdruck der
Allmacht. Aber die Allmacht iſt nichts als die allen objecti-
ven Beſtimmungen und Begränzungen ſich entbindende, dieſe
ihre Ungebundenheit als die höchſte Macht und Weſenheit
feiernde Subjectivität — die Macht des Vermögens, ſubjectiv
alles Wirkliche als ein Unwirkliches, alles Vorſtellbare als ein
Mögliches zu ſetzen — die Macht der Einbildungskraft
oder des mit der Einbildungskraft identiſchen Willens, die
Macht der Willkühr*). Der bezeichnendſte, ſtärkſte Aus-
druck ſubjectiver Willkühr iſt das Belieben, das Wohlgefallen.
— „Es hat Gott beliebt, eine Körper- und Geiſterwelt ins
Daſein zu rufen“ — der unwiderſprechlichſte Beweis, daß die
eigne Subjectivität, die eigne Willkühr als das höchſte We-
ſen, als allmächtiges Weltprincip
geſetzt wird. Die
Schöpfung aus Nichts als ein Werk des allmächtigen Wil-
lens fällt aus dieſem Grunde in eine Kategorie mit dem
Wunder
**), oder vielmehr ſie iſt das erſte Wunder nicht
[128] nur der Zeit, ſondern auch dem Range nach — das Prin-
cip
, aus dem ſich alle weitern Wunder von ſelbſt ergeben. Der
Beweis iſt die Geſchichte ſelbſt. Alle Wunder hat man aus
der Allmacht, die die Welt aus Nichts geſchaffen, gerechtfer-
tigt, erklärt und veranſchaulicht. Wer die Welt aus Nichts
gemacht, wie ſollte der nicht aus Waſſer Wein machen, aus
einem Efel menſchliche Worte hervorbringen, aus einem Felſen
Waſſer hervorzaubern können? Aber das Wunder iſt, wie wir
weiter ſehen werden, nur ein Product und Object der Ein-
bildungskraft
— alſo auch die Schöpfung aus Nichts als
das primitive Wunder. Man hat deßwegen die Lehre von
der Schöpfung aus Nichts für eine übernatürliche erklärt, auf
welche die Vernunft nicht von ſelbſt hätte kommen können und
ſich auf die heidniſchen Philoſophen berufen, als welche aus
einer ſchon vorhandenen Materie die Welt durch die göttliche
Vernunft bilden ließen. Allein dieſes übernatürliche Princip
iſt kein andres, als das Princip der Subjectivität, welches ſich
im Chriſtenthume zur unbeſchränkten Univerſalmonarchie erhob,
während die alten Philoſophen nicht ſo ſubjectiv waren, das
abſolut ſubjective Weſen als das ſchlechtweg, das ausſchließlich
abſolute Weſen zu erfaſſen, weil ſie durch die Anſchauung der
Welt oder Wirklichkeit die Subjectivität beſchränkten — weil
ihnen die Welt eine Wahrheit war.


Die Schöpfung aus Nichts iſt, als identiſch mit dem
Wunder, eins mit der Vorſehung; denn die Idee der Vor-
ſehung
iſt — urſprünglich, in ihrer wahren religiöſen Bedeu-
tung, wo ſie noch nicht bedrängt und beſchränkt worden durch
den ungläubigen Verſtand — eines mit der Idee des
**)
[129]Wunders. Der Beweis der Vorſehung iſt das Wunder *).
Der Glaube an die Vorſehung iſt der Glaube an eine Macht,
der alle Dinge zu beliebigem Gebrauche und Gebote ſtehen,
deren Kraft gegenüber alle Macht der Wirklichkeit Nichts
iſt
. Die Vorſehung hebt die Geſetze der Natur auf; ſie un-
terbricht den Gang der Nothwendigkeit, das eiſerne Band, das
unvermeidlich die Folge an die Urſache knüpft; kurz ſie iſt der-
ſelbe unbeſchränkte, allgewaltige Wille
, der die Welt
aus Nichts ins Sein gerufen. Das Wunder iſt eine Crea-
tio ex nihilo,
eine Schöpfung aus Nichts. Wer Wein
aus Waſſer macht, der macht Wein aus Nichts, denn der Stoff
zum Wein liegt nicht im Waſſer; widrigensfalls wäre die Her-
vorbringung des Weins keine wunderbare, ſondern natürliche
Handlung. Aber nur im Wunder bewährt, beweiſt ſich
die Vorſehung. Daſſelbe, was die Schöpfung aus Nichts,
ſagt daher die Vorſehung aus. Die Schöpfung aus Nichts
kann nur im Zuſammenhang mit der Vorſehung, mit
dem Wunder begriffen und erklärt werden
; denn das
Wunder will eigentlich nichts weiter ausſagen, als daß der
Wunderthäter Derſelbe iſt, welcher die Dinge durch ſei-
nen bloßen Willen aus Nichts hervorgebracht — Gott, der
Schöpfer.


Die Vorſehung bezieht ſich aber weſentlich auf den
Menſchen. Um des Menſchen willen
macht die Vor-
ſehung mit den Dingen, was ſie nur immer will, um ſeinet-
willen hebt ſie die Gültigkeit und Realität des ſonſt allmäch-
tigen Geſetzes auf. Die Bewunderung der Vorſehung in der
Natur, namentlich der Thierwelt, iſt nichts andres als eine
Feuerbach. 9
[130] Bewunderung der Natur und gehört daher nur dem, wenn auch
religiöſen, Naturalismus an *); denn in der Natur offen-
bart ſich auch nur die natürliche, nicht die göttliche Vor-
ſehung, die Vorſehung, wie ſie Gegenſtand der Reli-
gion
. Die religiöſe Vorſehung offenbart ſich nur im
Wunder
— vor Allem im Wunder der Menſchwerdung, dem
Mittelpunkt der Religion. Aber wir leſen nirgends, daß Gott
um der Thiere willen Thier geworden ſei — ein ſolcher Ge-
danke ſchon iſt in den Augen der Religion ein ruchloſer, gott-
loſer — oder daß Gott überhaupt Wunder um der Thiere
oder Pflanzen willen gethan habe. Im Gegentheil: wir le-
ſen, daß ein armer Feigenbaum, weil er keine Früchte trug
zu einer Zeit, wo er keine tragen konnte, verflucht wurde, nur
um den Menſchen ein Beiſpiel zu geben, was für eine Macht
der Glaube über die Natur ſei, daß die dämoniſchen Plage-
geiſter zwar den Menſchen aus-, aber dafür den Thieren
eingetrieben wurden. Wohl heißt es: „kein Sperling fällt
ohne des Vaters Willen vom Dach;“ aber dieſe Sperlinge ha-
ben nicht mehr Werth und Bedeutung, als die Haare auf
des Menſchen Haupt, die alle gezählt ſind.


Das Thier hat — abgeſehen vom Inſtinkt — keinen an-
dern Schutzgeiſt, keine andere Vorſehung als ſeine Sinne oder
überhaupt Organe. Ein Vogel, der ſeine Augen verliert, hat
[131] ſeine Schutzengel verloren; er geht nothwendig zu Grunde,
wenn nicht ein Wunder geſchieht. Aber wir leſen wohl, daß
ein Rabe dem Propheten Elias Speiſen gebracht habe, nicht
jedoch (wenigſtens meines Wiſſens), daß je um ſeinetwillen
ein Thier auf andere Weiſe als natürliche erhalten worden
ſei. Wenn nun aber ein Menſch glaubt, daß auch er keine
andere Vorſehung habe, als die Kräfte ſeiner Gattung, ſeine
Sinne, ſeinen Verſtand; ſo iſt er in den Augen der Religion
und aller Derer, welche der Religion das Wort reden, ein ir-
religiöſer Menſch, weil er nur eine natürliche Vorſehung
glaubt, die natürliche Vorſehung aber eben in den Augen der
Religion ſo viel als keine iſt. Die Vorſehung bezieht ſich
darum weſentlich nur auf den Menſchen — ſelbſt unter den
Menſchen eigentlich nur auf die religiöſen. „Gott iſt der
Heiland aller Menſchen, ſonderlich aber der Gläubigen.“
Sie gehört wie die Religion nur dem Menſchen an — ſie ſoll
den weſentlichen Unterſchied des Menſchen vom Thiere
ausdrücken, den Menſchen der Gewalt der Naturmächte ent-
reißen. Jonas im Leibe des Fiſches, Daniel in der Löwen-
grube ſind Beiſpiele, wie die Vorſehung den (religiöſen) Men-
ſchen vom Thiere unterſcheidet. Wenn daher die Vorſehung,
welche in den Fang- und Freßwerkzeugen der Thiere ſich äu-
ßert und von den frommen chriſtlichen Naturforſchern ſo ſehr
bewundert wird, eine Wahrheit iſt, ſo iſt die Vorſehung der
Bibel, die Vorſehung der Religion eine Lüge, und umgekehrt.
Welch’ erbärmliche und zugleich lächerliche Heuchelei, leider,
Natur und Bibel zugleich huldigen zu wollen! Die Natur, wie
widerſpricht ſie der Bibel! die Bibel, wie widerſpricht ſie der
Natur! Der Gott der Natur offenbart ſich darin, daß er dem
Löwen die Stärke und ſchicklichen Organe gibt, um zur Erhal-
9*
[132] tung ſeines Lebens im Nothfall ſelbſt ein menſchliches Indivi-
duum erwürgen und freſſen zu können; der Gott der Bibel aber
offenbart ſich darin, daß er das menſchliche Individuum den
Freßwerkzeugen des Löwen wieder entreißt *)!


Die Vorſehung iſt ein Vorzug des Menſchen; ſie drückt
den Werth des Menſchen im Unterſchied von den andern na-
türlichen Weſen und Dingen aus; ſie entreißt ihn dem Zu-
ſammenhange des Weltganzen
. Die Vorſehung iſt die
Ueberzeugung des Menſchen von dem unendlichen Werth ſei-
ner Exiſtenz — eine Ueberzeugung, in der er den Glauben an
die Realität der Außendinge aufgibt — der Idealismus der
Religion — der Glaube an die Vorſehung daher eins mit dem
Glauben an die perſönliche Unſterblichkeit, nur mit dem Unter-
ſchiede, daß hier in Beziehung auf die Zeit der unendliche Werth
als unendliche Dauer des Daſeins ſich beſtimmt. Wer keine
beſondern Anſprüche macht, wer gleichgültig gegen ſich iſt, wer
ſich mit der Natur identificirt, wer ſich als einen Theil im
Ganzen verſchwinden ſieht, der glaubt keine Vorſehung, d. h.
keine beſondere Vorſehung; aber nur die beſondere Vor-
ſehung iſt Vorſehung im Sinne der Religion. Der Glaube
an die Vorſehung iſt der Glaube an den eignen Werth
daher die wohlthätigen Folgen dieſes Glaubens, aber auch die
falſche Demuth, der religiöſe Hochmuth, der ſich zwar nicht auf
ſich verläßt, aber dafür dem lieben Gott die Sorge für ſich
überläßt — der Glaube des Menſchen an ſich ſelbſt. Gott
bekümmert ſich um mich; er beabſichtigt mein Glück, mein Heil;
er will, daß ich ſelig werde; aber Daſſelbe will ich
[133] auch; mein eignes Intereſſe iſt alſo das Intereſſe
Gottes, mein eigner Wille Gottes Wille, mein eig-
ner Endzweck Gottes Zweck
; — die Liebe Gottes zu
mir
nichts als meine vergötterte Selbſtliebe. Woran
glaube ich alſo in der Vorſehung, als an die göttliche Realität
und Bedeutung meines eignen Weſens?


Aber wo die Vorſehung geglaubt wird, da wird der Glaube
an Gott von dem Glauben an die Vorſehung abhängig ge-
macht. Wer läugnet, daß eine Vorſehung iſt, läugnet, daß
Gott iſt; oder — was daſſelbe — Gott Gott iſt; denn ein
Gott, der nicht die Vorſehung des Menſchen, iſt ein lächer-
licher Gott, ein Gott, dem die göttlichſte, anbetungswürdigſte
Weſenseigenſchaft fehlt. Folglich iſt der Glaube an Gott
nichts als der Glaube an die menſchliche Würde*), der
Glaube des Menſchen an die abſolute Realität und
Bedeutung ſeines Weſens
. Aber der Glaube an die (re-
ligiöſe) Vorſehung iſt der Glaube an die Schöpfung aus Nichts
und vice versa: dieſe kann alſo auch keine andere Bedeutung
haben, als die eben entwickelte Bedeutung der Vorſehung, und
ſie hat auch wirklich keine andere. Die Religion ſpricht dieß
hinlänglich dadurch aus, daß ſie den Menſchen als den Zweck
der Schöpfung ſetzt **). Alle Dinge ſind um des Menſchen
willen, nicht um ihretwillen. Wer dieſe Lehre, wie die from-
men chriſtlichen Naturforſcher, als Hochmuth bezeichnet,
erklärt das Chriſtenthum ſelbſt für Hochmuth; denn daß die
[134]materielle Welt“ um des Menſchen willen iſt, das will
unendlich weniger ſagen, als daß Gott oder wenigſtens, wenn
wir Paulus folgen, ein Weſen, das faſt Gott, kaum zu un-
terſcheiden von Gott iſt, um des Menſchen willen Menſch
wird
.


Wenn aber der Menſch der Zweck der Schöpfung, ſo iſt
er auch der wahre Grund derſelben, denn der Zweck iſt
das Princip der Thätigkeit. Der Unterſchied zwiſchen dem
Menſchen als Zweck der Schöpfung und dem Menſchen als
Grund derſelben iſt nur, daß der Grund der verborgne, inner-
liche Menſch, das Weſen des Menſchen, der Zweck aber der
ſich offenbare, der empiriſche, individuelle Menſch iſt, daß der
Menſch ſich wohl als den Zweck der Schöpfung weiß, aber
nicht als den Grund, weil er den Grund, das Weſen als ein
andres perſönliches Weſen von ſich unterſcheidet *). Allein
dieſes andre Weſen, dieſes ſchöpferiſche Princip iſt in der That
nichts andres als ſein von den Schranken der Individualität
und Materialität, d. i. Objectivität abgeſondertes ſubjec-
tives Weſen
, der unbeſchränkte Wille, die außer allen Zu-
ſammenhang mit der Welt geſetzte Perſönlichkeit, welche ſich
durch die Schöpfung, d. h. das Setzen der Welt, der Objec-
tivität, des Andern als eines unſelbſtſtändigen, endli-
chen, nichtigen Daſeins
die Gewißheit ihrer Allein-
[135] wirklichkeit
gibt. Bei der Creation handelt es ſich nicht
um die Wahrheit und Realität der Natur oder Welt, ſondern
um die Wahrheit und Realität der Perſönlichkeit, der
Subjectivität im Unterſchiede von der Welt
. Es han-
delt ſich um die Perſönlichkeit Gottes; aber die Perſönlichkeit
Gottes iſt die von allen Beſtimmungen und Begrän-
zungen der Natur befreite Perſönlichkeit
des Menſchen.
Daher die innige Theilnahme an der Creation, der Ab-
ſcheu
vor pantheiſtiſchen Kosmogonien; die Creation iſt,
wie der perſönliche Gott überhaupt, keine wiſſenſchaftliche, ſon-
dern perſönliche Angelegenheit, kein Object der freien
Intelligenz
, ſondern des Gemüthsintereſſes; denn es han-
delt ſich in der Creation nur um die Garantie, die letzte denk-
bare Bewährung und Beſcheinigung der Perſönlichkeit oder
Subjectivität als einer ganz aparten, gar nichts mit dem We-
ſen der Natur gemein habenden, einer ſupra- und extramun-
danen
Weſenheit *).


Der Menſch unterſcheidet ſich von der Natur. Die-
ſer ſein Unterſchied iſt ſein Gott — die Unterſchei-
dung Gottes von der Natur nichts andres als die
Unterſcheidung des Menſchen von der Natur
. Der
Gegenſatz von Pantheismus und Perſonalismus oder Anthro-
potheismus löſt ſich in die Frage auf: iſt das Weſen des Men-
ſchen ein transcendentes oder immanentes, ein ſupra-
naturaliſtiſches
oder naturaliſtiſches Weſen? Unfrucht-
[136] bar, eitel, kritiklos, ekelhaft ſind darum die Speculationen und
Streitigkeiten über die Perſönlichkeit oder Unperſönlichkeit Got-
tes; denn die Speculanten nennen das Kind nicht beim rechten
Namen; ſie ſtellen das Licht unter den Scheffel; ſie ſpeculiren
in Wahrheit nur über ſich ſelbſt, ſpeculiren ſelbſt nur im
Intereſſe ihres eignen Glückſeligkeitstriebes, und doch
wollen ſie es nicht Wort haben, daß ſie ſich nur über ſich
ſelbſt
die Köpfe zerbrechen, ſpeculiren in dem Wahne, die Ge-
heimniſſe eines andern Weſens auszuſpähen. Der Pantheis-
mus identificirt den Menſchen mit der Natur — ſei es
nun mit ihrer augenfälligen Erſcheinung oder ihrem abgezoge-
nen Weſen — der Perſonalismus iſolirt, ſeparirt ihn von
der Natur, macht ihn aus einem Theile zum Ganzen, zu
einem abſoluten Weſen für ſich ſelbſt. Dieß iſt der Unter-
ſchied. Wollt ihr daher über dieſe Dinge ins Reine kommen,
ſo vertauſcht eure myſtiſche, verkehrte Anthropologie, die ihr
Theologie nennt, mit der wirklichen Anthropologie und
ſpeculirt im Lichte des Bewußtſeins und der Natur über die
Differenz oder Identität des menſchlichen Weſens mit dem
Weſen der Natur. Ihr gebt ſelbſt zu, daß das Weſen des
pantheiſtiſchen Gottes nichts iſt als das Weſen der Natur.
Warum wollt ihr denn nun nur die Splitter in den Augen
eurer Gegner, nicht aber die doch ſo leicht wahrnehmbaren
Balken in euren eignen Augen bemerken, warum bei euch eine
Ausnahme von einem allgemein gültigen Geſetz machen? Alſo
gebt auch zu, daß euer perſönlicher Gott nichts andres iſt als
euer eigenes perſönliches Weſen, daß ihr, indem ihr die Ueber-
und Außernatürlichkeit eures Gottes glaubt und conſtruirt,
nichts andres glaubt und conſtruirt als die Ueber-
und Außernatürlichkeit eures eignen Selbſtes
.


[137]

Wie überall, ſo verdecken auch in der Creation die beigemiſch-
ten, allgemeinen, metaphyſiſchen oder ſelbſt pantheiſtiſchen
Beſtimmungen das eigentliche Princip der Creation. Aber man
braucht nur aufmerkſam zu ſein auf die nähern Beſtimmungen,
um ſich zu überzeugen, daß das Princip der Creation nichts
andres als die Selbſtbewährung der Subjectivität im Unter-
ſchiede von der Natur iſt. Gott producirt die Welt außer
ſich
— zuerſt iſt ſie nur Gedanke, Plan, Entſchluß, jetzt wird
ſie That und damit tritt ſie außer Gott hinaus als ein von
ihm unterſchiednes, relativ wenigſtens, ſelbſtſtändiges Object.
Aber eben ſo ſetzt die Subjectivität überhaupt, die ſich von der
Welt unterſcheidet, ſich als ein von ihr unterſchiednes Weſen,
erfaßt die Welt außer ſich als ein andres Weſen — ja dieſes
Außerſichſetzen und das Sichunterſcheiden iſt Ein Act.
Indem daher die Welt außer Gott geſetzt wird, ſo wird Gott
für ſich ſelbſt geſetzt, unterſchieden von der Welt. Was iſt
alſo Gott anders als euer ſubjectives Weſen, wenn die Welt
außer ihn tritt *)? Was anders wird durch dieſe That einge-
ſtanden, als was mit Worten geläugnet wird, nämlich, daß das
göttliche Weſen das Weſen der eignen Subjectivität iſt? Indem
die liſtige Reflexion hinzutritt, ſo wird freilich der Unterſchied
zwiſchen Extra und Intra als ein endlicher, menſchlicher (?)
[138] Unterſchied geläugnet. Aber auf das Läugnen des Verſtandes,
der ein purer Miß- und Unverſtand der Religion, iſt nichts zu
geben. Iſt es ernſtlich gemeint, ſo zerſtört es das Fundament
des religiöſen Bewußtſeins; es hebt die Möglichkeit, ja das
Princip der Schöpfung auf, denn ſie beruht nur auf der Rea-
lität
dieſes Unterſchieds. Ueberdieß geht der Effect der Schö-
pfung, die ganze Majeſtät dieſes Actes für Gemüth und Phan-
taſie verloren, wenn das Außerſichſetzen nicht im wirklichen
Sinne genommen wird. Was heißt denn machen, ſchaffen,
hervorbringen anders als etwas, was zunächſt nur ein Sub-
jectives, inſofern Unſichtbares, Nichtſeiendes iſt, gegenſtändlich
machen, verſinnlichen, ſo daß nun auch andre, von mir unter-
ſchiedne Weſen es kennen und genießen, alſo Etwas außer mich
ſetzen, zu etwas von mir Unterſchiedenem machen? Wo nicht
die Wirklichkeit oder Möglichkeit eines Außer mir Seins iſt,
da iſt von Machen, Schaffen keine Rede. Gott iſt ewig, aber
die Welt entſtanden; Gott war, als die Welt noch nicht war;
Gott iſt unſichtbar, unſinnlich; aber die Welt iſt ſinnlich, ma-
teriell; alſo außer Gott; denn wie wäre das Materielle als
ſolches, die Maſſe, der Stoff in Gott? Die Welt iſt in dem-
ſelben Sinne außer Gott, in welchem der Baum, das Thier,
die Welt überhaupt außer meiner Vorſtellung, außer mir ſelbſt
iſt — ein von der Subjectivität unterſchiednes Weſen. Nur
da, wo ein ſolches Außerſichſetzen zugegeben wird, wie bei den
ältern Theologen, haben wir daher die unverfälſchte, unver-
miſchte Lehre des religiöſen Bewußtſeins. Die ſpeculativen
Theologen dagegen ſchwärzen allerlei pantheiſtiſche Beſtim-
mungen mit ein, obwohl ſie das Princip des Pantheismus
negiren, aber ſie bringen deßwegen auch nur ein abſolut ſich
widerſprechendes, unausſtehliches Geſchöpf zur Welt.


[139]

Die Schöpfung der Welt drückt nichts aus als die Sub-
jectivität, welche ſich durch das Bewußtſein, daß die Welt er-
ſchaffen
, ein Product des Willens, d. h. eine ſelbſtloſe,
machtloſe, nichtige
Exiſtenz iſt, die Gewißheit der eignen
Realität und Unendlichkeit gibt. Das Nichts, aus dem die
Welt hervorgebracht wurde, iſt ihr eignes Nichts. Indem
Du ſagſt: die Welt iſt aus Nichts gemacht, denkſt Du Dir
die Welt ſelbſt als Nichts, räumſt Du alle Schranken Deiner
Phantaſie, Deines Gemüths, Deines Willens aus dem Kopfe;
denn die Welt iſt die Schranke Deines Willens, Dei-
nes Gemüths
; die Welt allein bedrängt Deine Subjectivi-
tät; ſie allein iſt die Scheidewand zwiſchen Dir und
Gott, Deinem ſeligen vollkommen Weſen
. Du ver-
nichteſt alſo ſubjectiv die Welt; Du denkſt Dir Gott allein
für ſich, d. h. die ſchlechthin unbeſchränkte Subjecti-
vität, die
Subjectivität, die ſich ſelbſt allein genießt, die
nicht der Welt bedarf, die nichts weiß von den ſchmerz-
lichen Banden der Materie
. Im innerſten Grunde Dei-
ner Seele willſt Du, daß keine Welt ſei; denn wo Welt iſt,
da iſt Materie, und wo Materie, da iſt Druck und Stoß, Raum
und Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwohl iſt aber
doch eine Welt, doch eine Materie. Wie kommſt Du aus
der Klemme dieſes Widerſpruchs hinaus? Wie ſchlägſt Du
Dir die Welt aus dem Sinne, daß ſie Dich nicht ſtört in dem
Wonnegefühl der unbeſchränkten Subjectivität? Nur dadurch,
daß Du die Welt ſelbſt zu einem Willensproduct machſt, daß
Du ihr eine willkührliche, ſtets zwiſchen Sein und Nicht-
ſein ſchwebende, ſtets ihrer Vernichtung gewärtige Exiſtenz gibſt.
Allerdings läßt ſich die Welt, oder die Materie — denn beide
laſſen ſich nicht trennen — nicht aus dem Creationsacte er-
[140] klären; aber es iſt gänzlicher Mißverſtand, ſolche Forderung
an die Creation zu ſtellen; denn es liegt dieſer der Gedanke zu
Grunde: es ſoll keine Welt, keine Materie ſein; und es wird
daher auch täglich ihrem Ende ſehnlichſt entgegengeharrt. Die
Welt in ihrer Wahrheit exiſtirt hier gar nicht; ſie iſt nur als
der Druck, die Schranke der Subjectivität Gegenſtand; wie
ſollte die Welt in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus ei-
nem Princip, das die Welt negirt, ſich deduciren, begründen
laſſen?


Um die entwickelte Bedeutung der Creation zu erkennen,
bedenke man nur dieß Eine ernſtlich, daß es ſich in der Crea-
tion keineswegs um die Schöpfung von Kraut und Vieh, von
Waſſer und Erde, für die ja kein Gott iſt, ſondern um die
Schöpfung von perſönlichen Weſen, von Geiſtern, wie man
zu ſagen pflegt, handelt. Gott iſt der Begriff oder die Idee
der Perſönlichkeit als ſelbſt Perſon
, die in ſich ſelbſt
ſeiende von der Welt abgeſchloſſene Subjectivität, das als ab-
ſolutes Sein und Weſen geſetzte bedürfnißloſe Fürſichſelbſtſein,
das Ich ohne Du. Da aber das abſolute nur für ſich ſelbſt
Sein dem Begriffe des wahren Lebens, dem Begriffe der Liebe
widerſpricht, da das Selbſtbewußtſein weſentlich gebunden iſt
an das Bewußtſein eines Du, da in die Dauer wenigſtens
die Einſamkeit ſich nicht vor dem Gefühle der Langweiligkeit
und Einförmigkeit bewahren kann: ſo wird ſogleich von dem
göttlichen Weſen fortgeſchritten zu andern bewußten Weſen,
der Begriff der Perſönlichkeit, der zuvörderſt nur in Ein We-
ſen condenſirt iſt, zu einer Vielheit von Perſonen erweitert *).
[141] Wird die Perſon phyſiſch gefaßt, als wirklicher Menſch, als
welcher ſie ein bedürftiges Weſen iſt, ſo tritt ſie erſt am Ende
der phyſiſchen Welt, wenn die Bedingungen ihrer Exiſtenz vor-
handen, als der Endzweck der Creation auf. Wird dagegen
der Menſch abſtract als Perſon gedacht, wie es von der reli-
giöſen Speculation geſchieht, ſo iſt dieſer Umweg abgeſchnit-
ten; es handelt ſich in gerader Linie um die Deduction der
Perſon, d. h. um die Selbſtbegründung, die letzte Selbſt-
bewährung
der menſchlichen Perſönlichkeit. Zwar wird die
göttliche Perſönlichkeit auf alle mögliche Weiſe von der menſch-
lichen diſtinguirt, um ihre Identität zu verſchleiern; aber dieſe
Unterſchiede ſind entweder rein phantaſtiſche oder bloße Ver-
ſicherungen, Vorſpiegelungen, welche die That der Deduction
in ihrer Nichtigkeit zeigt. Alle poſitiven Gründe der Creation
reduciren ſich nur auf die Beſtimmungen, auf ſolche Gründe,
welche dem Ich das Bewußtſein der Nothwendigkeit eines an-
dern perſönlichen Weſens aufdrängen. Speculirt ſo viel als
ihr wollt: ihr werdet nie eure Perſönlichkeit aus Gott heraus-
bringen, wenn ihr ſie nicht ſchon vorher hineingebracht habt,
wenn nicht Gott ſelbſt ſchon der Begriff eurer Perſönlichkeit,
euer eignes ſubjectives Weſen iſt.



[142]

Die Bedeutung der Creation im Judenthum.


Die Creationslehre ſtammt aus dem Judenthum; ſie iſt
ſelbſt die charakteriſtiſche Lehre, die Fundamentallehre der jüdi-
ſchen Religion. Das Princip, das ihr hier zu Grunde liegt,
iſt aber nicht ſowohl das Princip der Subjectivität, als viel-
mehr des Egoismus. Die Creationslehre in ihrer charakte-
riſtiſchen Bedeutung entſpringt nur auf dem Standpunkt, wo
der Menſch praktiſch die Natur nur ſeinem Willen und Be-
dürfniß ſubjicirt, und daher auch in ſeiner Vorſtellungskraft zu
einem bloßen Machwerk, einem Product des Willens degra-
dirt. Jetzt iſt ihm ihr Daſein erklärt, indem er ſie aus ſich,
in ſeinem Sinne erklärt und auslegt. Die Frage: woher iſt
die Natur oder Welt? ſetzt eigentlich eine Verwunderung dar-
über voraus, daß ſie iſt, oder die Frage: warum ſie iſt? Aber
dieſe Verwunderung, dieſe Frage entſteht nur da, wo ſich der
Menſch bereits von der Natur ſeparirt und ſie zu einem bloßen
Willensobject gemacht hat. Der Verfaſſer des Buchs der
Weisheit
ſagt mit Recht, daß „die Heiden vor Bewun-
derung der Schönheit der Welt ſich nicht zum Begriffe
des Schöpfers erhoben hätten
.“ Wem die Natur ein
ſchönes Object iſt, dem erſcheint ſie als Zweck ihrer ſelbſt,
für den hat ſie den Grund ihres Daſeins in ſich ſelbſt, in dem
entſteht nicht die Frage: warum iſt ſie? Der Begriff der Na-
tur
und Gottheit identificirt ſich in ſeinem Bewußtſein,
ſeiner Anſchauung von der Welt. Die Natur, wie ſie in ſeine
Sinne fällt, iſt ihm wohl entſtanden, erzeugt, aber nicht er-
ſchaffen im eigentlichen Sinne, im Sinne der Religion, nicht
ein willkührliches Product, nicht gemacht. Und mit dieſem
Entſtandenſein drückt er nichts Arges aus; die Entſtehung in-
volvirt für ihn nichts Unreines, Ungöttliches; er denkt ſich
[143] ſeine Götter ſelbſt als entſtanden. Die zeugende Kraft iſt ihm
die erſte Kraft: er ſetzt als Grund der Natur daher eine Kraft
der Natur; eine reale, gegenwärtige, in ſeiner Anſchauung ſich
bethätigende Kraft als Grund der Realität. So denkt der
Menſch, wo er ſich äſthetiſch oder theoretiſch — denn die theo-
retiſche Anſchauung iſt urſprünglich die äſthetiſche, die Aeſthetik
die prima philosophia — zur Welt verhält, wo ihm der Be-
griff der Welt der Begriff des Kosmos, der Herrlichkeit, der
Göttlichkeit ſelbſt iſt. Nur da, wo ſolche Anſchauung Grund-
princip war, konnten Gedanken gefaßt und ausgeſprochen wer-
den, wie der des Anaxagoras: der Menſch ſei geboren zur
Anſchauung der Welt
*). Der Standpunkt der Theorie iſt
der Standpunkt der Harmonie mit der Welt. Die ſub-
jective
Thätigkeit, diejenige, in welcher der Menſch ſich be-
friedigt, ſich freien Spielraum läßt, iſt hier allein die ſinnliche
Einbildungskraft. Er läßt hier, indem er ſich befriedigt, zu-
gleich die Natur in Frieden gewähren und beſtehen, indem er
ſeine Luftſchlöſſer, ſeine poetiſchen Kosmogonien nur aus na-
türlichen Materialien
zuſammenſetzt. Wo dagegen der
Menſch nur auf den praktiſchen Standpunkt ſich ſtellt und von
dieſem aus die Welt betrachtet, den praktiſchen Standpunkt
ſelbſt zum theoretiſchen macht, da iſt er entzweit mit der Natur,
da macht er die Natur zur unterthänigſten Dienerin ſei-
nes ſelbſtiſchen Intereſſes, ſeines praktiſchen Egoismus’s. Der
theoretiſche Ausdruck dieſer egoiſtiſchen, praktiſchen An-
ſchauung
, welcher die Natur an und für ſich ſelbſt Nichts
[144] iſt, iſt: die Natur oder Welt iſt gemacht, geſchaffen, ein Pro-
duct des Befehls
. Gott ſprach: es werde die Welt und es
ward die Welt, d. i. Gott befahl: es werde die Welt und
ohne Verzug ſtand ſie auf dieſen Befehl hin da *).


Aber der Utilismus iſt die weſentliche Anſchauung des
Judenthums. Der Glaube an eine beſondere göttliche Vor-
ſehung iſt charakteriſtiſcher Glaube des Judenthums; der Glaube
an die Vorſehung der Glaube an Wunder; der Glaube an
Wunder aber iſt es, wo die Natur nur als ein Object der
Willkühr, des Egoismus, der eben die Natur nur zu willkühr-
lichen Zwecken gebraucht, angeſchaut wird **). Das Waſſer
theilt ſich entzwei oder ballt ſich zuſammen, wie eine feſte
Maſſe, der Staub verwandelt ſich in Läuſe, der Stab in eine
Schlange, der Fluß in Blut, der Felſen in eine Quelle, an
demſelben Orte iſt es zugleich Licht und Finſterniß, die Sonne
ſteht bald ſtille in ihrem Laufe, bald geht ſie zurück. Und alle
dieſe Widernatürlichkeiten geſchehen zum Beſten Iſraels, le-
diglich auf Befehl Jehovah’s, der ſich um nichts als Iſrael
kümmert, nichts iſt als die perſonificirte Selbſtſucht des iſraeli-
tiſchen Volks, mit Ausſchluß aller andern Völker, die abſolute
Intoleranz — das Geheimniß des Monotheismus.


Die Griechen betrachteten die Natur mit den theoretiſchen
Sinnen; ſie vernahmen himmliſche Muſik in dem harmoniſchen
[145] Laufe der Geſtirne; ſie ſahen aus dem Schaume des allgebä-
renden Oceans die Natur in der Geſtalt der Venus Anadyo-
mene emporſteigen. Die Iſraeliten dagegen öffneten der Na-
tur nur die gaſtriſchen Sinne; nur im Gaumen fanden ſie Ge-
ſchmack an der Natur; nur im Genuſſe des Manna wurden
ſie ihres Gottes inne. „Zwiſchen Abend ſollt ihr Fleiſch zu
eſſen haben und am Morgen Brots ſatt werden und inne
werden, daß ich der Herr euer Gott bin.“ *) Eſſen iſt der
feierlichſte Act oder doch die Initiation der jüdiſchen Religion.
Im Eſſen feiert und erneuert der Iſraelite den Creationsact;
im Eſſen erklärt der Menſch die Natur für ein an ſich nich-
tiges
Object. Als die ſiebenzig Aelteſten mit Moſe den Berg
hinanſtiegen, da „ſahen ſie Gott und da ſie Gott ge-
ſchauet hatten, tranken und aßen ſie
.“ **) Der Anblick
des höchſten Weſens beförderte alſo bei ihnen nur den Appetit
zum Eſſen. „Und Jacob that ein Gelübde und ſprach: So
Gott wird mit mir ſein und mich behüten auf dem Wege, den
ich reiſe, und Brot zu eſſen geben und Kleider anzuziehen
und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen,
ſo ſoll der Herr mein Gott ſein.“ ***)


Der Grieche trieb Humaniora, die Artes liberales, die
Philoſophie; der Iſraelite erhob ſich nicht über das Brotſtu-
dium der Theologie
. Dem Griechen war die Natur ein
Diamant; er konnte ſich nicht ſatt ſehen an ſeinem wundervol-
len Farbenſpiel, an ſeinen regelmäßigen Formen, an ſeiner
Feuerbach. 10
[146] himmliſchen Klarheit und Durchſichtigkeit; er erblickte in ihm
ſeinen reinen, von keinem praktiſchen Egoismus getrübten Geiſt
im Spiegel; er erkannte Vernunft, Geiſt in der Natur; er
blickte in ihre Tiefe — darum war ihm die Natur ewig. Kurz,
der Grieche betrachtete die Natur mit den Augen des enthu-
ſiaſtiſchen Mineralogen, der Jude mit den Augen des ſeinen
Vortheil berechnenden Mineralienhändlers.


Die Juden haben ſich in ihrer Eigenthümlichkeit bis auf
den heutigen Tag erhalten. Ihr Princip, ihr Gott iſt das
praktiſchſte Princip von der Welt — der Egoismus und
zwar der Egoismus in der Form der Religion. Der
Egoismus iſt der Gott der ſeine Diener nicht zu Schanden
werden läßt. Der Egoismus iſt weſentlich monotheiſtiſch,
denn er hat nur Eines, nur Sich zum Zweck. Der Egoismus
ſammelt, concentrirt den Menſchen auf ſich; er gibt ihm ein con-
ſiſtentes Lebensprincip; aber er macht ihn theoretiſch bornirt,
weil gleichgültig gegen Alles, was nicht unmittelbar auf das
Wohl des Selbſt ſich bezieht. Die Wiſſenſchaft entſteht
daher — wie die Kunſt, nur aus dem Polytheismus, denn
der Polytheismus iſt der offne, neidloſe Sinn für alles Schöne
und Gute ohne Unterſchied, der Sinn für die Welt, für das
Univerſum. Die Griechen ſahen ſich in der weiten Welt um,
um ihren Geſichtskreis zu erweitern; die Juden beten noch heute
mit gen Jeruſalem gekehrtem Geſichte. Kurz, der monotheiſti-
ſche Egoismus raubte den Iſraeliten den freien theoretiſchen
Trieb und Sinn. Salomo allerdings übertraf „alle Kinder
gegen Morgen“ an Verſtand und Weisheit und redete (han-
delte, agebat) ſogar „von Bäumen, von der Ceder zu Li-
banon bis zu dem Yſop, der an der Wand wächſt,“ auch von
[147] „Vieh, Vögeln, von Gewürme und von Fiſchen.“ (I. Könige
4, 30—34.) Aber Salomo diente auch dem Jehovah nicht
mit ganzem Herzen; Salomo huldigte fremden Göttern und
Weibern; Salomo hatte alſo polytheiſtiſchen Sinn und
Geſchmack. Der polytheiſtiſche Sinn iſt die Grundlage
der Wiſſenſchaft
. Naturſtudium iſt vom Standpunkt des
Jehovah aus Götzendienſt; denn der Naturforſcher vertieft
ſich in den Gegenſtand um des Gegenſtandes willen; er wid-
met ihm enthuſiaſtiſche, göttliche Verehrung. Kein Studium
iſt wahr, fruchtbar, productiv ohne Enthuſiasmus. Ein der
Wiſſenſchaft unwürdiges, ein feiles Subject iſt Jeder, dem ſein
Gegenſtand nicht der höchſte, der abſolute iſt. Heilig muß
dem Menſchen ſein, was er zum weſentlichen Gegenſtand
ſeines Lebens und Denkens macht. Heuchelei iſt alle Wiſſen-
ſchaftlichkeit mit einer ihrem Gegenſtande fremden Religioſität.
In der Wiſſenſchaft gilt keine andre als die wiſſenſchaft-
liche Frömmigkeit
— die Pietät gegen die Wiſſenſchaft, die
Geſinnung der Gründlichkeit, der Treue, der Aufrichtigkeit, der
Wahrhaftigkeit, mit welcher ſich der Menſch ſeinem Gegen-
ſtande ergibt.


Eins nun mit dieſer Bedeutung, welche die Natur überhaupt
für den Hebräer hatte, iſt auch die Bedeutung ihres Urſprungs.
In der Art, wie ich mir die Geneſis eines Dings erkläre, ſpreche
ich nur unverhohlen meine Meinung, meine Geſinnung von
demſelben aus. Denke ich deſpectirlich davon, ſo denke ich mir
auch einen deſpectirlichen Urſprung. Das Ungeziefer, die In-
ſecten leiteten ſonſt die Menſchen vom Aas und ſonſtigem Un-
rath ab. Nicht weil ſie das Ungeziefer von einem ſo unappe-
titlichen Urſprung ableiteten, dachten ſie ſo verächtlich davon,
ſondern weil ſie ſo dachten, weil ihnen ihr Weſen ſo verächt-
10*
[148] lich erſchien, dachten ſie ſich einen, dieſem Weſen entſprechen-
den, einen verächtlichen Urſprung. Den Juden war die Natur
ein bloßes Mittel zum Zwecke des Egoismus, ein bloßes Wil-
lensobject. Das Ideal, der Abgott des egoiſtiſchen Willens
iſt aber der Wille, welcher unbeſchränkt gebietet, welcher, um
ſeinen Zweck zu erreichen, ſein Object zu realiſiren, keiner Mit-
tel bedarf, welcher, was er nur immer will, unmittelbar durch
ſich ſelbſt, d. h. den bloßen Willen ins Daſein ruft. Den
egoiſtiſchen Menſchen ſchmerzt es, daß die Befriedigung ſeiner
Wünſche und Bedürfniſſe eine vermittelte iſt, daß für ihn eine
Kluft vorhanden iſt zwiſchen der Realität und dem Wunſche,
zwiſchen dem Zwecke in der Wirklichkeit und dem Zwecke in der
Vorſtellung. Er ſetzt daher, um dieſen Schmerz zu heilen, um
ſich frei zu machen von den Schranken der Wirklichkeit als das
wahre, als ſein höchſtes Weſen das Weſen, welches durch das
bloße: Ich will den Gegenſtand hervorbringt. Deßwegen
war dem Hebräer die Natur, die Welt das Product eines dic-
tatoriſchen Wortes, eines kategoriſchen Imperativs
,
eines zauberiſchen Machtſpruchs.


Was für mich keine theoretiſche Bedeutung hat, was mir
kein Weſen in der Theorie iſt, dafür habe ich auch keinen
theoretiſchen, keinen poſitiven Grund. Durch den Wil-
len bekräftige, realiſire
ich nur ſeine theoretiſche Nich-
tigkeit
. Was wir verachten, das würdigen wir keines Blickes.
Was man anſieht, achtet man. Anſchauung iſt Anerken-
nung
. Was man anſchaut, das feſſelt durch geheime An-
ziehungskräfte, das überwältigt durch den Zauber, den es auf
das Auge ausübt, den frevelnden Uebermuth des Willens, der
Alles nur ſich unterwerfen will. Was einen Eindruck auf den
theoretiſchen Sinn, auf die Vernunft macht, das entzieht ſich
[149] der Herrſchaft des egoiſtiſchen Willens; es reagirt, leiſtet Wi-
derſtand. Was der vertilgungsſüchtige Egoismus dem Tode
weiht, das gibt die liebevolle Theorie dem Leben wieder.


Die ſo ſehr verkannte Ewigkeit der Materie oder Welt bei
den heidniſchen Philoſophen hat keinen andern Sinn, als daß
ihnen die Natur eine theoretiſche Realität war *). Die
Heiden waren Götzendiener, d. h. ſie ſchauten die Natur
an; ſie thaten nichts andres, als was die tiefchriſtlichen Völ-
ker heute thun, wenn ſie die Natur zum Gegenſtande ihrer
Bewunderung, ihrer unermüdlichen Forſchung machen. „Aber
die Heiden beteten ja die Naturgegenſtände an.“ Allerdings;
allein die Anbetung iſt nur die kindliche, die religiöſe Form
der Anſchauung
. Anſchauung und Anbetung unterſcheiden
ſich nicht weſentlich. Was ich anſchaue, vor dem demüthige
ich mich, dem weihe ich das Herrlichſte, was ich habe, mein
Herz, meine Intelligenz zum Opfer. Auch der Naturforſcher
fällt vor der Natur auf die Kniee nieder, wenn er eine Flechte,
ein Inſect, einen Stein ſelbſt mit Lebensgefahr aus der Tiefe
der Erde hervorgräbt, um ihn im Lichte der Anſchauung zu
verherrlichen und im Andenken der wiſſenſchaftlichen Menſch-
heit zu verewigen. Naturſtudium iſt Naturdienſt, und
Götzendienſt nichts als die erſte Naturanſchauung des
Menſchen; denn die Religion iſt nichts andres als die erſte,
darum kindliche, volksthümliche, aber befangene, unfreie Natur-
und Selbſtanſchauung des Menſchen. Die Hebräer dagegen
[150] erhoben ſich über den Götzendienſt zum Gottesdienſte, über die
Creatur zur Anſchauung des Creators, d. h. ſie erhoben ſich
über die theoretiſche Anſchauung der Natur, welche den
Götzendiener bezauberte, zur rein praktiſchen Anſchauung, welche
die Natur nur den Zwecken des Egoismus unterwirft. „Daß
Du auch nicht Deine Augen aufhebeſt gen Himmel und ſeheſt
die Sonne und den Mond und die Sterne, das ganze Heer
des Himmels und falleſt ab und beteſt ſie an und dieneſt ih-
nen, welche der Herr, dein Gott verordnet hat (d. i. geſchenkt,
largitus est) allen Völkern unter dem ganzen Himmel.“*)
Nur in der unergründlichen Tiefe und Gewalt des hebräi-
ſchen Egoismus hat alſo die Schöpfung aus Nichts, d. h. die
Schöpfung als ein bloßer befehlshaberiſcher Act, ihren Ur-
ſprung.


Aus dieſem Grunde iſt auch die Schöpfung aus Nichts
kein Object der Philoſophie — wenigſtens in keiner andern
Weiſe, als in welcher ſie hier es iſt — denn ſie ſchneidet mit
der Wurzel alle wahre Speculation ab, bietet dem Denker, der
Theorie keinen Anhaltpunkt dar; ſie iſt eine für die Theorie
bodenloſe, aus der Luft gegriffene Lehre, die nur den Utilismus,
den Egoismus bewahrheiten ſoll, nichts enthält, nichts andres
ausdrückt, als den Befehl, die Natur nicht zu einem Gegen-
ſtande des Denkens, der Anſchauung, ſondern der Nutznießung
zu machen. Aber freilich je leerer ſie für die natürliche Phi-
loſophie, um ſo tiefer iſt ihre „ſpeculative“ Bedeutung; denn
eben weil ſie keinen theoretiſchen Anhaltspunkt hat, läßt ſie
der Speculation einen unendlichen Spielraum zu willkührlicher
bodenloſer Deutelei.


[151]

Es iſt in der Geſchichte der Dogmen und Speculationen,
wie in der Geſchichte der Staaten. Uralte Gebräuche und In-
ſtitute ſchleppen ſich mit fort, nachdem ſie längſt ihren Sinn
verloren. Was einmal geweſen, das will ſich nicht mehr das
Recht nehmen laſſen, für immer zu ſein; was einmal gut war,
das will nun auch für alle Zeiten gut ſein. Hinterdrein kom-
men dann die Deutler, die Speculanten und ſprechen von dem
tiefen Sinne, weil ſie den wahren Sinn nicht mehr kennen *).
So betrachtet auch die religiöſe Speculation die Dogmen, los-
geriſſen aus dem Zuſammenhang, in welchem ſie allein Sinn
haben; ſie reducirt ſie nicht kritiſch auf ihren wahren innern
Urſprung; ſie macht vielmehr das Secundäre zum Primitiven
und das Primitive zum Secundären. Gott iſt ihr das Erſte;
der Menſch das Zweite. So kehrt ſie die natürliche Ordnung
der Dinge um! Das Erſte iſt gerade der Menſch, das Zweite
das ſich gegenſtändliche Weſen des Menſchen: Gott. Nur
in der ſpätern Zeit, wo die Religion bereits Fleiſch und Blut
geworden, kann man ſagen: wie der Gott ſo der Menſch, ob-
wohl auch dieſer Satz immer nur eine Tautologie ausdrückt.
Aber im Urſprung iſt es anders und nur im Urſprung kann
man Etwas in ſeinem wahren Weſen erkennen. Erſt ſchafft
der Menſch Gott nach ſeinem Bilde
und dann erſt ſchafft
wieder dieſer Gott den Menſchen nach ſeinem Bilde. Dieß
[152] beſtätigt vor Allem der Entwicklungsgang der iſraelitiſchen
Religion. Daher der Satz der theologiſchen Halbheit, daß die
Offenbarung Gottes gleichen Schritt mit der Entwicklung des
Menſchengeſchlechts hält. Natürlich; denn die Offenbarung
Gottes iſt nichts andres als die Offenbarung, die Selbſtent-
faltung des menſchlichen Weſens. Nicht aus dem Creator ging
der ſupranaturaliſtiſche Egoismus der Juden hervor, ſon-
dern umgekehrt jener aus dieſem: in der Creation rechtfertigte
nun gleichſam vor dem Forum ſeiner Vernunft der Iſraelite
ſeinen Egoismus.


Allerdings konnte ſich auch der Iſraelite als Menſch, wie
leicht begreiflich, ſelbſt ſchon aus praktiſchen Gründen, nicht der
theoretiſchen Anſchauung und Bewunderung der Natur ent-
ziehen. Aber er feiert nur die Macht und Größe Jehovahs,
indem er die Macht und Größe der Natur feiert. Und dieſe
Macht Jehovahs hat ſich am herrlichſten gezeigt in den Wun-
derwerken, die ſie zum Beſten Iſraels gethan. Es bezieht ſich
alſo der Iſraelite in der Feier dieſer Macht immer zuletzt auf
ſich ſelbſt; er feiert die Größe der Natur nur aus demſelben
Intereſſe, aus welchem der Sieger die Stärke ſeines Gegners
vergrößert, um dadurch ſein Selbſtgefühl zu ſteigern, ſeinen
Ruhm zu verherrlichen. Groß und gewaltig iſt die Natur,
die Jehovah gemacht, aber noch gewaltiger, noch größer iſt
Iſraels Selbſtgefühl. Um ſeinetwillen ſteht die Sonne ſtille;
um ſeinetwillen erbebt nach Philo bei der Verkündigung des
Geſetzes die Erde; kurz, um ſeinetwillen verändert die ganze
Natur ihr Weſen. „Die ganze Creatur, ſo ihre eigene
Art hatte, veränderte ſich wieder nach Deinem Ge-
bote, dem ſie dient, auf daß Deine Kinder unverſehrt
[153] bewahrt würden
.“*) Gott gab Moſe nach Philo Macht
über die ganze Natur. Jedes der Elemente gehorchte ihm als
dem Herrn der Natur.**) Iſraels Bedürfniß iſt das all-
mächtige Weltgeſetz, Iſraels Nothdurft das Schickſal der
Welt
. Jehovah iſt das Bewußtſein Iſraels von der Heilig-
keit und Nothwendigkeit ſeiner Exiſtenz — eine Nothwendig-
keit, vor welcher das Sein der Natur, das Sein anderer Völ-
ker in Nichts verſchwindet — Jehovah die Salus populi, das
Heil Iſraels, dem Alles was im Wege ſteht aufgeopfert wer-
den muß, Jehovah das ausſchließliche, monarchiſche Selbſtge-
fühl, das vernichtende Zornfeuer in dem racheglühenden Auge
des vertilgungsſüchtigen Iſraels, kurz, Jehovah das Ich Iſraels,
das ſich als der Endzweck und Herr der Natur Gegenſtand iſt.
So feiert alſo der Iſraelite in der Macht der Natur die Macht
Jehovahs und in der Macht Jehovahs die Macht des eignen
Selbſtbewußtſeins. „Gelobt ſei Gott! Iſt Hülfsgott uns,
ein Gott zu unſerm Heil.“ „Jehovah Gott iſt meine
Kraft
.“ „Gott ſelbſt des Helden (Joſua) Wort gehorchte,
denn Er, Jehovah ſelbſt ſtritt mit vor Iſrael.“ „Jehovah iſt
Kriegsgott.“***)


Wenn ſich gleich im Verlaufe der Zeit der Begriff des
Jehovah in einzelnen Köpfen erweiterte und ſeine Liebe, wie
von dem Verfaſſer des Buchs Jona, auf die Menſchen über-
haupt ausgedehnt wurde, ſo gehört dieß doch nicht zur weſent-
lichen Charakteriſtik der iſraelitiſchen Religion. Der Gott der
Väter, an den ſich die theuerſten Erinnerungen knüpfen, der
[154]alte hiſtoriſche Gott bleibt doch immer die Grundlage einer
Religion*).


Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des
Gebetes.


Iſrael iſt die hiſtoriſche Definition der ſpecifiſchen Natur
des religiöſen Bewußtſeins, nur daß dieſes hier noch mit der
Schranke eines beſondern, des Nationalintereſſes behaftet war.
Wir dürfen daher dieſe Schranke nur fallen laſſen, ſo haben
wir die chriſtliche Religion. Das Judenthum iſt das welt-
liche Chriſtenthum
, das Chriſtenthum das geiſtliche Ju-
denthum
. Die chriſtliche Religion iſt die vom National-
egoismus gereinigte jüdiſche Religion, allerdings zugleich eine
neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung
bringt, namentlich in religiöſen Dingen, wo ſelbſt das Unbe-
deutende Bedeutung hat, eine weſentliche Veränderung her-
vor. Dem Juden war der Iſraelite der Mittler, das Band
zwiſchen Gott und Menſch; er bezog ſich in ſeiner Beziehung
auf Jehovah auf ſich als Iſraeliten; Jehovah war ſelbſt nichts
andres als die Identität, das ſich als abſolutes Weſen gegen-
ſtändliche Selbſtbewußtſein Iſraels, das Nationalgewiſſen, das
[155] allgemeine Geſetz, der Centralpunkt der Politik*). Laſſen wir
die Schranke des Nationalbewußtſeins fallen, ſo bekommen wir
ſtatt des Iſraeliten — den Menſchen. Wie der Iſraelite in
Jehovah ſein Nationalweſen vergegenſtändlichte, ſo vergegen-
ſtändlichte ſich der Chriſt in Gott ſein von der Schranke der
Nationalität befreites, menſchliches und zwar ſubjectiv menſch-
liches Weſen. Wie Iſrael das Bedürfniß, die Noth ſeiner
Exiſtenz zum Geſetz der Welt machte, wie es in dieſem Bedürf-
niß ſelbſt ſeine politiſche Rachſucht vergötterte; ſo machte der
Chriſt die Bedürfniſſe des menſchlichen Gemüths zu den abſo-
luten Mächten und Geſetzen der Welt. Die Wunder des
Chriſtenthums, die eben ſo weſentlich zur Charakteriſtik deſſel-
ben gehören, als die Wunder des A. T. zur Charakteriſtik des
Judenthums, haben nicht das Wohl einer Nation zu ihrem
Gegenſtande, ſondern das Wohl des Menſchen — aller-
dings nur des chriſtgläubigen, denn das Chriſtenthum an-
erkannte den Menſchen nur unter der Bedingung, der Be-
ſchränkung
der Chriſtlichkeit, im Widerſpruch mit dem wahr-
haft, dem univerſell menſchlichen Herzen, aber dieſe verhäng-
nißvolle Beſchränkung kommt erſt ſpäter zur Sprache. Das
Chriſtenthum hat den Egoismus des Judenthums zur Sub-
jectivität
vergeiſtigt — obwohl ſich auch innerhalb des Chri-
ſtenthums dieſe Subjectivität wieder, z. B. im Herrnhutianis-
mus, als purer Egoismus ausgeſprochen — das Verlangen
nach irdiſcher Glückſeligkeit, das Ziel der iſraelitiſchen
Religion, in die Sehnſucht himmliſcher Seligkeit, das Ziel
des Chriſtenthums, verwandelt.


[156]

Der höchſte Begriff, der Gott eines politiſchen Gemein-
weſens, eines Volks, deſſen Politik aber in der Form der
Religion
ſich ausſpricht, iſt das Geſetz, das Bewußtſein des
Geſetzes als einer abſoluten, göttlichen Macht; der höchſte
Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitiſchen menſchlichen
Gemüths, die Liebe — die Liebe, die dem Geliebten alle
Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum
Opfer bringt, die Liebe, deren Geſetz der Wunſch des Ge-
liebten und deren Macht die unbeſchränkte Macht der Phan-
taſie, der intellectuellen Wunderthätigkeit iſt.


Gott iſt die Liebe, die unſre Wünſche, unſre Gemüthsbe-
dürfniſſe befriedigt — Er iſt ſelbſt der realiſirte Wunſch des
Herzens, der zur Gewißheit ſeiner Erfüllung, ſeiner Realität,
zur zweifelloſen Gewißheit, vor der kein Widerſpruch des Ver-
ſtandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt beſteht,
geſteigerte Wunſch. Gewißheit iſt für den Menſchen die höchſte
Macht; was ihm gewiß, das iſt ihm das Seiende, das Gött-
liche. Gott iſt die Liebe — dieſer Ausſpruch, der höchſte
des Chriſtenthums — iſt nur der Ausdruck von der Selbſt-
gewißheit
des menſchlichen Gemüthes, von der Gewiß-
heit ſeiner als der allein ſeienden, d. i. abſoluten, göttli-
chen Macht
— der Ausdruck von der Gewißheit, daß des
Menſchen innere Herzenswünſche objective Gültigkeit und Rea-
lität haben, daß es keine Schranke, keinen poſitiven
Gegenſatz des menſchlichen Gemüths
gibt, daß die ganze
Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts iſt gegen
das menſchliche Gemüth
. Gott iſt die Liebe — d. h. das
Gemüth
iſt der Gott des Menſchen, ja Gott ſchlechtweg,
das abſolute Weſen. Gott iſt das ſich gegenſtändliche Weſen
des Gemüths, das ſchrankenfreie, reine Gemüth — Gott
[157] iſt der in das Tempus finitum, in das gewiſſe ſelige Iſt
verwandelte Optativ des menſchlichen Herzens, die rückſichts-
loſe Allmacht des Gefühls, das ſich ſelbſt erhörende Gebet,
das ſich ſelbſt vernehmende Gemüth, das Echo unſerer
Schmerzenslaute. Aeußern muß ſich der Schmerz; unwill-
kührlich greift der Künſtler nach der Laute, um in ihren Tö-
nen ſeinen eignen Schmerz auszuhauchen. Er befriedigt ſei-
nen Schmerz, indem er ihn vernimmt, indem er ihn vergegen-
ſtändlicht; er erleichtert die Laſt, die auf ſeinem Herzen ruht,
indem er ſie der Luft mittheilt, ſeinen Schmerz zu einem all-
gemeinen
Weſen macht. Aber die Natur erhört nicht die
Klagen des Menſchen — ſie iſt gefühllos gegen ſeine Leiden.
Der Menſch wendet ſich daher weg von der Natur, weg von
den ſichtbaren Gegenſtänden überhaupt — er kehrt ſich nach
Innen, um hier verborgen und geborgen vor den gefühlloſen
Mächten, Gehör für ſeine Leiden zu finden. Hier ſpricht er
ſeine drückenden Geheimniſſe aus, hier macht er ſeinem ge-
preßten Herzen Luft. Dieſe freie Luft des Herzens, die-
ſes ausgeſprochne Geheimniß, dieſer entäußerte Seelen-
ſchmerz iſt Gott. Gott iſt eine Thräne der Liebe in tiefſter
Verborgenheit, vergoſſen über das menſchliche Elend. „Gott
iſt ein unausſprechlicher Seufzer
, im Grund der Seelen
gelegen“ — dieſer Ausſpruch*) iſt der merkwürdigſte, tiefſte,
wahrſte Ausſpruch der chriſtlichen Myſtik.


Das tiefſte Weſen der Religion offenbart der einfachſte
Act der Religion — das Gebet — ein Act, der unendlich
mehr oder wenigſtens eben ſo viel ſagt, als das Dogma der
[158] Incarnation, obgleich die religiöſe Speculation daſſelbe als
das größte Myſterium anſtiert. Aber freilich nicht das Gebet
vor und nach der Mahlzeit, das Maſtgebet des Egoismus,
ſondern das ſchmerzensreiche Gebet, das Gebet der troſtloſen
Liebe, das Gebet, welches die den Menſchen zu Boden ſchmet-
ternde Macht ſeines Herzens ausdrückt, das Gebet, welches
in der Verzweiflung beginnt und in der Seligkeit endet.


Im Gebet redet der Menſch Gott mit Du an; er erklärt
alſo laut und vernehmlich Gott für ſein Alter Ego; er beich-
tet Gott, als dem ihm nächſten, innigſten Weſen ſeine geheim-
ſten
Gedanken, ſeine innigſten Wünſche, die er außerdem ſich
ſcheut, laut werden zu laſſen. Aber er äußert dieſe Wünſche,
in der Zuverſicht, in der Gewißheit, daß ſie erfüllt werden.
Wie könnte er ſich an ein Weſen wenden, das kein Ohr für
ſeine Klagen hätte? Was iſt alſo das Gebet, als der mit der
Zuverſicht in ſeine Erfüllung geäußerte Wunſch des
Herzens
?*) was anders das Weſen, das dieſe Wünſche er-
füllt, als das ſich ſelbſt Gehör gebende, ſich ſelbſt genehmi-
[159] gende, ſich
ohne Ein- und Widerrede bejahende menſch-
liche Gemüth
? Der Menſch, der ſich nicht die Vorſtellung
der Welt aus dem Kopf ſchlägt, die Vorſtellung, daß Alles
hier nur vermittelt iſt, jede Wirkung ihre natürliche Urſache
hat, jeder Wunſch nur erreicht wird, wenn er zum Zweck ge-
macht und die entſprechenden Mittel ergriffen werden, ein ſol-
cher Menſch betet nicht; er arbeitet nur: er verwandelt die er-
reichbaren Wünſche in Zwecke reeller Thätigkeit, die übrigen
Wünſche, die er als ſubjective erkennt, negirt er oder betrach-
tet ſie eben nur als ſubjective, fromme Wünſche. Kurz, er be-
ſchränkt, bedingt ſein Weſen durch die Welt, als deren Mit-
glied er ſich denkt, ſeine Wünſche durch die Vorſtellung der
Nothwendigkeit. Im Gebete dagegen ſchließt der Menſch die
Welt und mit ihr alle Gedanken der Vermittlung, der Abhän-
gigkeit, der traurigen Nothwendigkeit von ſich aus; er macht ſeine
Wünſche, ſeine Herzensangelegenheiten zu Gegenſtänden des
unabhängigen, allvermögenden, des abſoluten Weſens, d. h. er
bejaht
ſie unbeſchränkt. Gott iſt das Jawort des menſch-
lichen Gemüths — das Gebet die unbedingte Zuverſicht des
menſchlichen Gemüthes zur abſoluten Identität des Sub-
jectiven und Objectiven
, die Gewißheit, daß die Macht
des Herzens größer als die Macht der Natur, daß das Her-
zensbedürfniß die abſolute Nothwendigkeit
, das
Schickſal der Welt iſt. Das Gebet verändert den Na-
turlauf
— es beſtimmt Gott zur Hervorbringung einer Wir-
kung, die mit den Geſetzen der Natur im Widerſpruch
ſteht. Das Gebet iſt das abſolute Verhalten des menſch-
lichen Herzens zu ſich ſelbſt, zu ſeinem eigenen We-
ſen
— im Gebete vergißt der Menſch, daß eine Schranke ſei-
ner Wünſche exiſtirt, und iſt ſelig in dieſem Vergeſſen.


[160]

Das Gebet iſt die Selbſttheilung des Menſchen in
zwei Weſen — ein Dialog des Menſchen mit ſich ſelbſt, mit
ſeinem Herzen. Es gehört mit zur Wirkung des Gebets, daß
es laut, deutlich, nachdrucksvoll ausgeſprochen wird. Un-
willkührlich quillt das Gebet über die Lippen heraus — der
Druck des Herzens zerſprengt das Schloß des Mundes. Aber
das laute Gebet iſt nur das ſein Weſen offenbarende Gebet:
das Gebet iſt weſentlich, wenn auch nicht äußerlich ausge-
ſprochene Rede — das lateiniſche Wort oratio bedeutet bei-
des — im Gebete ſpricht ſich der Menſch unverhohlen aus
über das, was ihn drückt, was ihm überhaupt nahe geht; er
vergegenſtändlicht ſein Herz; — daher die moraliſche Kraft des Ge-
bets. Sammlung, ſagt man, iſt die Bedingung des Gebets. Aber
ſie iſt mehr als Bedingung: das Gebet iſt ſelbſt Sammlung —
Beſeitigung aller zerſtreuenden Vorſtellungen, aller ſtörenden
Einflüſſe von Außen, Einkehr in ſich ſelbſt, um ſich nur zu
ſeinem eignen Weſen zu verhalten. Nur ein zuverſichtliches,
aufrichtiges, herzliches, inniges Gebet, ſagt man, hilft, aber
dieſe Hülfe liegt im Gebete ſelbſt. Wie überall in der Reli-
gion das Subjective, Secundäre, Bedingende die
prima causa, die objective Sache ſelbſt iſt — ſo ſind
auch hier dieſe ſubjectiven Eigenſchaften das objective Weſen
des Gebets ſelbſt*).


[161]

Die oberflächlichſte Anſicht vom Gebet iſt, wenn man in
ihm nur einen Ausdruck des Abhängigkeitsgefühles ſieht.
Allerdings drückt es ein ſolches aus, aber die Abhängigkeit
des Menſchen von ſeinem Herzen, von ſeinen Gefüh-
len
. Wer ſich nur abhängig fühlt, der öffnet ſeinen Mund
nicht zum Gebete; das Abhängigkeitsgefühl nimmt ihm die
Luſt, den Muth dazu; denn Abhängigkeitsgefühl iſt Noth-
wendigkeitsgefühl. Das Gebet wurzelt vielmehr in dem
unbedingten, um alle Nothwendigkeit unbekümmerten Ver-
trauen der Subjectivität, daß ihre Angelegenheiten Gegen-
ſtand des abſoluten Weſens ſind, daß das allmächtige unend-
liche Weſen der Vater der Menſchen, ein theilnehmendes,
gefühlvolles, liebendes Weſen
iſt, daß alſo die dem
Menſchen theuerſten, heiligſten Empfindungen göttliche Reali-
täten ſind. Das Kind fühlt ſich aber nicht abhängig von
dem Vater als Vater; es hat vielmehr im Vater das Gefühl
ſeiner Stärke, das Bewußtſein ſeines Werths, die Bürgſchaft
ſeines Daſeins, die Gewißheit der Erfüllung ſeiner Wünſche;
auf dem Vater ruht die Laſt der Sorge; das Kind dagegen
lebt ſorglos und glücklich im Vertrauen auf den Vater, ſeinen
lebendigen Schutzgeiſt, der nichts will, als des Kindes Wohl
und Glück. Der Vater macht das Kind zum Zweck, ſich
ſelbſt zum Mittel ſeiner Exiſtenz. Das Kind, welches ſeinen
Vater um Etwas bittet, wendet ſich nicht an ihn als ein von
ihm unterſchiedenes, ſelbſtſtändiges Weſen, als Herrn, als
Perſon überhaupt, ſondern an ihn, wie und wiefern er ab-
hängig beſtimmt iſt
von ſeinen Vatergefühlen, von der
*)
Feuerbach. 11
[162]Liebe zu ſeinem Kinde*). Die Bitte iſt nur ein Ausdruck
von der Gewalt, die das Kind über den Vater ausübt —
wenn man anders den Ausdruck Gewalt hier anwenden darf,
da die Gewalt des Kindes nichts iſt, als die Gewalt des
Vaterherzens ſelbſt
. Die Sprache hat für Bitten und
Befehlen dieſelbe Form — den Imperativ. Die Bitte iſt der
Imperativ der Liebe. Und der amatoriſche Imperativ
hat unendlich mehr Macht als der despotiſche. Die Liebe
befiehlt nicht; die Liebe braucht ihre Wünſche nur leiſe anzu-
deuten, um ſchon der Erfüllung derſelben gewiß zu ſein; der
Despot muß ſchon in den Ton eine Gewalt hineinlegen, um
andere, gegen ihn an ſich gleichgültige Weſen zu Vollſtreckern
ſeiner Wünſche zu machen. Der amatoriſche Imperativ wirkt
mit elektro-magnetiſcher Kraft, der despotiſche mit der mecha-
niſchen Kraft eines hölzernen Telegraphen. Der innigſte
Ausdruck Gottes im Gebet iſt das Wort: Vater — der
innigſte, weil ſich hier der Menſch zu dem abſoluten Weſen als
dem ſeinigen verhält, das Wort Vater eben ſelbſt der Ausdruck
der innigſten, intenſivſten Identität iſt, der Ausdruck, in dem
unmittelbar die Gewähr meiner Wünſche, die Garantie
meines Heils liegt. Die Allmacht, an die ſich der Menſch im
Gebete wendet, iſt nichts als die Allmacht der Güte, die
zum Heile des Menſchen auch das Unmögliche möglich macht —
in Wahrheit nichts andres als die Allmacht des Her-
zens
, des Gefühls, welches alle Verſtandesſchranken durch-
bricht, alle Gränzen der Natur überflügelt, welches will, daß
[163]nichts Andres ſei als Gefühl, nichts ſei, was dem
Herzen widerſpricht
. Der Glaube an die Allmacht iſt der
Glaube an die Irrealität der Außenwelt, der Objectivität, —
der Glaube an die abſolute Realität des Gemüths. Das
Weſen der Allmacht drückt nichts aus als das Weſen des
Gemüths
. Die Allmacht iſt die Macht, vor der kein Geſetz,
keine Determination gilt und beſteht, aber dieſe Macht iſt eben
das Gemüth, welches jede Determination, jedes Geſetz als
Schranke empfindet und deßwegen aufhebt. Die Allmacht thut
nichts weiter, als daß ſie den innerſten Willen des Ge-
müths vollſtreckt, realiſirt
. Im Gebete wendet ſich der
Menſch an die Allmacht der Güte — das heißt alſo nichts
andres als: im Gebete betet der Menſch ſein eignes
Herz an
, ſchaut er das Weſen ſeines Gemüths als das ab-
ſolute Weſen an.


Das Geheimniß des Glaubens — das Geheimniß des
Wunders.


Der Glaube an die Macht des Gebets — und nur da,
wo dem Gebete eine Macht und zwar eine objective Macht
zugeſchrieben wird, iſt noch das Gebet eine religiöſe Wahr-
heit
— iſt eins mit dem Glauben an die Wundermacht und
der Glaube an Wunder eins mit dem Weſen des Glaubens
überhaupt. Nur der Glaube betet; nur das Gebet des Glau-
bens hat Kraft. Der Glaube iſt aber nichts andres als die
Zuverſicht zur Realität des Subjectiven im Gegen-
ſatz
zu den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und Ver-
nunft, d. h. der natürlichen Vernunft. Das ſpecifiſche Ob-
ject des Glaubens iſt daher das Wunder — Glaube iſt
11*
[164]Wunderglaube, Glaube und Wunder abſolut unzer-
trennlich
. Was objectiv das Wunder, oder die Wunder-
macht, das iſt ſubjectiv der Glaube — das Wunder iſt das
äußere Geſicht des Glaubens, der Glaube die innere Seele
des Wunders — der Glaube das Wunder des Geiſtes,
das Wunder des Gemüths, das ſich im äußern Wunder nur
vergegenſtändlicht. Dem Glauben iſt nichts unmöglich
und dieſe Allmacht des Glaubens verwirklicht nur das
Wunder. Das Wunder iſt nur ein ſinnliches Beiſpiel von
dem, was der Glaube vermag. Unbegränztheit, Uebernatür-
lichkeit der Subjectivität, Ueberſchwänglichkeit des Gefühls, —
Transcendenz iſt daher das Weſen des Glaubens. Der Glaube
bezieht ſich nur auf Dinge, welche, im Widerſpruch mit den
Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und Vernunft*), die
Realität des menſchlichen Gemüths, der menſchlichen Wün-
ſche vergegenſtändlichen. Der Glaube entfeſſelt die Wünſche
der Subjectivität von den Banden der natürlichen Vernunft.
Er genehmigt, was Natur und Vernunft verſagen; er macht
den Menſchen darum ſelig, denn er befriedigt ſeine ſubjectiv-
ſten Wünſche. Und kein Zweifel beunruhigt den wahren Glau-
ben. Der Zweifel entſteht nur da, wo ich aus mir ſelbſt her-
[165] ausgehe, die Gränzen meiner Subjectivität überſchreite, wo ich
auch dem Andern außer mir, dem von mir Unterſchiedenen
Realität und Stimmrecht einräume, wo ich mich als ein ſub-
jectives, d. i. beſchränktes Weſen weiß und nun durch das
Andere außer mir meine Gränzen zu erweitern ſuche. Aber im
Glauben iſt das Princip des Zweifels ſelbſt verſchwunden,
denn dem Glauben gilt eben an und für ſich das Subjective
für das Objective, das Abſolute ſelbſt
. Der Glaube iſt
eben nichts andres als der Glaube an die abſolute Rea-
lität der Subjectivität
. Die rauhe Wirklichkeit exiſtirt gar
nicht für ihn, das Wirkliche iſt ihm das Unwirkliche; wie ſollte
alſo das Audiatur et altera pars hier ſtatt finden können?
Der Glaube beſchränkt ſich nicht durch die Vorſtellung
einer Welt
, eines Weltganzen, einer Nothwendigkeit.
Für den Glauben iſt nur Gott, d. h. die ſchrankenfreie
Subjectivität
. Wo der Glaube im Menſchen aufgeht,
da geht die Welt unter, ja ſie iſt ſchon untergegangen. Der
Glaube an den wirklichen Untergang und zwar an einen
demnächſt bevorſtehenden, dem Gemüth präſenten
Untergang dieſer den chriſtlichen Wünſchen widerſpre-
chenden
Welt iſt daher ein Phänomen von dem innerſten
Weſen
des chriſtlichen Glaubens, ein Glaube, der ſich gar
nicht abtrennen läßt
von dem übrigen Inhalt des chriſtli-
chen Glaubens, mit deſſen Aufgebung das wahre poſitive
Chriſtenthum aufgegeben, verläugnet wird*). Das Weſen
[166] des Glaubens, welches ſich durch alle ſeine Gegenſtände bis
ins Speciellſte hinein beſtätigen läßt, iſt: daß das iſt, was
der Menſch wünſcht — er wünſcht unſterblich zu ſein, alſo
iſt er unſterblich; er wünſcht, daß ein Weſen ſei, welches
alles vermag, was der Natur und Vernunft unmög-
lich iſt
, alſo exiſtirt ein ſolches Weſen; er wünſcht, daß eine
Welt ſei, welche den Wünſchen des Gemüths entſpricht, eine
Welt der unbeſchränkten Subjectivität, d. i. der unge-
ſtörten Empfindung, der ununterbrochnen Seligkeit; nun exi-
ſtirt aber dennoch eine dieſer ſubjectiven Welt entgegengeſetzte
Welt, alſo muß dieſe Welt vergehen — ſo nothwendig ver-
gehen als nothwendig ein Gott, das abſolute Weſen der Sub-
jectivität, beſteht. Glaube, Liebe, Hoffnung iſt die chriſtliche
Dreieinigkeit. Die Hoffnung bezieht ſich auf die Erfüllung
der Verheißungen — der Wünſche, die noch nicht erfüllt
ſind, aber erfüllt werden; die Liebe auf das Weſen, wel-
ches dieſe Verheißungen gibt und erfüllt, der Glaube auf die
Verheißungen, die Wünſche, welche bereits erfüllt, hiſto-
riſche Thatſachen
ſind.


Das Wunder iſt ein weſentlicher Gegenſtand des Chri-
ſtenthums, weſentlicher Glaubensinhalt. Aber was iſt das Wun-
der? Ein realiſirter ſupranaturaliſtiſcher Wunſch
ſonſt nichts. Der Apoſtel Paulus erläutert das Weſen des
chriſtlichen Glaubens an dem Beiſpiel Abrahams. Abraham
konnte auf natürlichem Wege nimmer auf Nachkommenſchaft
hoffen. Jehovah verhieß ſie ihm gleichwohl aus beſonderer
*)
[167] Gnade. Und Abraham glaubte, der Natur zum Trotz. Darum
wurde ihm auch dieſer Glaube zur Gerechtigkeit, zum Ver-
dienſt angerechnet; denn es gehört viele Kraft der Subjectivi-
tät dazu, etwas im Widerſpruch mit Erfahrung, wenigſtens
vernünftiger, geſetzmäßiger Erfahrung dennoch als gewiß an-
zunehmen. Aber was war denn der Gegenſtand dieſer gött-
lichen Verheißung? Nachkommenſchaft: der Gegenſtand eines
menſchlichen Wunſches. Und woran glaubte Abraham, wenn
er Jehovah glaubte? an ein Weſen, welches alles vermag,
alle menſchlichen Wünſche erfüllen kann. „Sollte dem Herrn
etwas unmöglich ſein
*)?“


Doch wozu verſteigen wir uns bis zu Abraham hinauf?
Die ſchlagendſten Beweiſe haben wir ja viel näher. Das
Wunder ſpeiſt Hungrige, heilt von Natur Blinde, Taube,
Lahme, errettet aus Lebensgefahren, belebt ſelbſt Todte auf die
Bitten ihrer Verwandten. Es befriedigt alſo menſchliche Wün-
ſche — Wünſche, die aber zugleich, zwar nicht immer an ſich
ſelbſt
, wie der Wunſch, den Todten zu beleben, doch inſo-
fern
, als ſie die Wundermacht, wunderbare Hülfe anſprechen,
transcendente, ſupranaturaliſtiſche Wünſche ſind. Aber
das Wunder unterſcheidet ſich dadurch von der natur- und
vernunftgemäßen Befriedigungsweiſe menſchlicher Wünſche und
Bedürfniſſe, daß es die Wünſche des Menſchen auf eine dem
Weſen des Wunſches entſprechende, auf die wünſchens-
wertheſte Weiſe
befriedigt. Der Wunſch bindet ſich an keine
Schranke, kein Geſetz: er iſt ungeduldig; er will unverzüg-
lich, augenblicklich erfüllt ſein. Und ſiehe da! ſo ſchnell als
der Wunſch, ſo ſchnell iſt das Wunder. Die Wunderkraft rea-
[168] liſirt augenblicklich, mit einem Schlag, ohne alles Hin-
derniß
die menſchlichen Wünſche. Daß Kranke geſund wer-
den, das iſt kein Wunder, aber daß ſie unmittelbar auf einen
bloßen Machtſpruch hin geſund werden, das iſt das Ge-
heimniß des Wunders. Nicht alſo durch das Product oder
Object, welches ſie hervorbringt — würde die Wundermacht
etwas abſolut Neues, nie Geſehenes, nie Vorgeſtelltes, auch
nicht einmal Erdenkbares verwirklichen, ſo wäre ſie als eine
weſentlich andere und zugleich objective Thätigkeit fac-
tiſch erwieſen — ſondern allein durch den Modus, die Art
und Weiſe
unterſcheidet ſich die Wunderthätigkeit von der
Thätigkeit der Natur und Vernunft. Allein die Thätigkeit,
welche dem Weſen, dem Inhalt nach eine natürliche, ſinn-
liche, nur dem Modus nach eine übernatürliche, über-
ſinnliche
iſt, dieſe Thätigkeit iſt nur die Phantaſie oder Ein-
bildungskraft. Die Macht des Wunders iſt daher nichts
andres als die Macht der Einbildungskraft.


Die Wunderthätigkeit iſt eine Zweckthätigkeit. Die Sehn-
ſucht nach dem verlornen Lazarus, der Wunſch ſeiner Ver-
wandten, ihn wieder zu beſitzen, war der Beweggrund der
wunderbaren Erweckung — die That ſelbſt, die Befriedigung
dieſes Wunſches, der Zweck. Allerdings geſchah zugleich das
Wunder „zur Ehre Gottes, daß der Sohn Gottes dadurch
geehret werde,“ aber die Schweſtern des Lazarus, die nach
dem Herrn ſchicken mit den Worten: „ſiehe, den du lieb haſt,
der liegt krank“ und die Thränen, die Jeſus vergoß, vindi-
ciren zugleich dem Wunder einen menſchlichen Urſprung und
Zweck. Der Sinn iſt: der Macht, die ſelbſt Todte erwecken
kann, iſt kein menſchlicher Wunſch unerfüllbar. Die Zweck-
thätigkeit beſchreibt bekanntlich einen Kreis: ſie läuft im Ende
[169] auf ihren Anfang zurück. Aber die Wunderthätigkeit unter-
ſcheidet ſich dadurch von der gemeinen Verwirklichung des
Zwecks, daß ſie einen Zweck ohne Mittel realiſirt, daß ſie
eine unmittelbare Identität des Wunſches und der Er-
füllung
bewirkt, daß ſie folglich einen Kreis beſchreibt, aber
nicht in krummer, ſondern in gerader, folglich der kürzeſten
Linie. Ein Kreis in gerader Linie iſt das mathematiſche Sinn-
und Ebenbild des Wunders. So lächerlich es daher wäre,
einen Kreis in gerader Linie conſtruiren zu wollen, ſo lächer-
lich iſt es, das Wunder philoſophiſch deduciren zu wollen.
Das Wunder iſt für die Vernunft ſinnlos, undenkbar, ſo un-
denkbar als ein hölzernes Eiſen, ein Kreis ohne Peripherie.
Ehe man die Möglichkeit beſpricht, ob ein Wunder geſchehen
kann, zeige man die Möglichkeit, ob das Wunder, d. h. das
Undenkbare denkbar iſt.


Was dem Menſchen die Einbildung der Denkbarkeit des
Wunders beibringt, iſt, daß das Wunder als eine ſinnliche
Begebenheit vorgeſtellt wird und der Menſch daher ſeine Ver-
nunft durch, zwiſchen den Widerſpruch ſich einſchiebende, ſinn-
liche Vorſtellungen täuſcht. Das Wunder der Verwandlung
des Waſſers in Wein z. B. ſagt in Wahrheit nichts andres
als: Waſſer iſt Wein, nichts andres als die Identität zweier
ſich abſolut widerſprechender Prädicate oder Subjecte; denn in
der Hand des Wunderthäters iſt kein Unterſchied zwiſchen
beiden Subſtanzen; die Verwandlung iſt nur die ſinnliche Er-
ſcheinung von dieſer Identität des ſich Widerſprechenden. Aber
die Verwandlung verhüllt den Widerſpruch, weil die natür-
liche Vorſtellung der Veränderung ſich dazwiſchen einſchiebt.
Allein es iſt ja keine allmählige, keine natürliche, ſo zu ſagen
organiſche, ſondern eine abſolute, ſtoffloſe Verwandlung —
[170] eine reine creatio ex nihilo. In dem geheimniß- und
verhängnißvollen Wunderact, in dem Act, der das Wunder
zum Wunder macht, iſt urplötzlich, ununterſcheidbar Waſſer
Wein — was eben ſo viel ſagen will, als Eiſen iſt Holz oder
ein hölzernes Eiſen.


Der Wunderact — und das Wunder iſt nur ein flüchti-
ger Act — iſt daher kein denkbarer, denn er hebt das Princip
der Denkbarkeit auf — aber eben ſo wenig ein Object des
Sinnes, ein Object wirklicher oder nur möglicher Erfahrung.
Waſſer iſt wohl Gegenſtand des Sinnes, auch Wein; ich ſehe
jetzt wohl Waſſer, hernach Wein; aber das Wunder ſelbſt,
das was dieſes Waſſer urplötzlich zum Wein macht, dieß iſt,
weil kein Naturproceß, ein reines Perfectum ohne vorherge-
hendes Imperfectum ohne Modus, ohne Mittel und Weiſe iſt,
kein Gegenſtand wirklicher oder nur möglicher Erfahrung. Das
Wunder iſt ein Ding der Einbildung — eben deßwegen
auch ſo gemüthlich, denn die Phantaſie iſt die dem ſubjec-
tiven Gemüthe allein entſprechende Thätigkeit, weil ſie alle
Schranken, alle Geſetze, welche dem Gemüthe wehethun, be-
ſeitigt, und ſo dem Menſchen die unmittelbare, ſchlechthin un-
beſchränkte Befriedigung ſeiner ſubjectivſten Wünſche vergegen-
ſtändlicht*). Gemüthlichkeit iſt die weſentliche Eigenſchaft des
Wunders. Wohl macht auch das Wunder einen erhabnen,
erſchütternden Eindruck, inſofern als es eine Macht ausdrückt,
vor der nichts beſteht — die Macht der Phantaſie. Aber die-
[171] ſer Eindruck liegt nur in dem vorübergehenden Act des Thuns —
der bleibende, weſenhafte Eindruck iſt der gemüthliche. In dem
Momente, wo der geliebte Todte aufgeweckt wird, erſchrecken
wohl die umſtehenden Verwandten und Freunde über die au-
ßerordentliche, allmächtige Kraft, die Todte in Lebende ver-
wandelt; aber in demſelben ungetheilten Momente — denn die
Wirkungen der Wundermacht ſind abſolut ſchnell — wo er
auferſteht, wo das Wunder vollbracht iſt, da fallen auch ſchon
die Verwandten dem Wiedererſtandnen in die Arme und füh-
ren ihn unter Freudenthränen nach Hauſe, um hier ein ge-
müthliches Feſt zu feiern. Aus dem Gemüthe entſpringt
das Wunder, auf das Gemüth geht es wieder zurück
.
Selbſt in der Darſtellung verläugnet es nicht ſeinen Urſprung.
Die adäquate Darſtellung iſt allein die gemüthliche. Wer
ſollte in der Erzählung von der Erweckung des Lazarus, des
größten Wunders, den gemüthlichen, behaglichen Legendenton
verkennen*)? Gemüthlich iſt aber eben das Wunder, weil es,
wie geſagt, ohne Arbeit, ohne Anſtrengung die Wünſche des
Menſchen befriedigt. Arbeit iſt gemüthlos, ungläubig, ratio-
naliſtiſch; denn der Menſch macht hier ſein Daſein abhängig
von der Zweckthätigkeit, die ſelbſt wieder lediglich durch den
Begriff der gegenſtändlichen Welt vermittelt iſt. Aber das
Gemüth kümmert ſich nichts um die objective Welt; es geht
nicht außer und über ſich hinaus; es iſt ſelig in ſich. Das
Element der Bildung, das nordiſche Princip der Selbſtentäu-
[172] ßerung geht dem Gemüthe ab. Die Apoſtel und Evangeli-
ſten waren keine wiſſenſchaftlich gebildete Männer. Bildung
überhaupt iſt nichts andres als die Erhebung des Indivi-
duums über ſeine Subjectivität zur objectiven univerſalen
Anſchauung, zur Anſchauung der Welt
. Die Apoſtel
waren Volksmänner; das Volk lebt nur in ſich, im Gemü-
the; darum ſiegte das Chriſtenthum über die Völker. Vox
populi vox Dei.
Hätte das Chriſtenthum über einen Philo-
ſophen, einen Geſchichtſchreiber, einen Dichter der claſſiſchen
Zeit geſiegt? Die Philoſophen, die zum Chriſtenthum übergin-
gen, waren ſchwache, ſchlechte Philoſophen. Alle diejenigen,
die noch claſſiſchen Geiſt in ſich hatten, waren feindſelig oder
doch gleichgültig gegen das Chriſtenthum. Der Untergang
der Bildung war identiſch mit dem Sieg des Chriſtenthums.
Der claſſiſche Geiſt, der Geiſt der Bildung iſt der ſich ſelbſt
durch Geſetze — freilich nicht willkührliche, endliche, ſondern
wahrhafte, an und für ſich gültige Geſetze beſchränkende, durch
die Nothwendigkeit, die Wahrheit der Natur der Dinge
Gefühl und Phantaſie beſtimmende, kurz der objective Geiſt.
An die Stelle dieſes Geiſtes trat mit dem Chriſtenthum das
Princip der unbeſchränkten, maaßloſen, überſchwänglichen, ſu-
pranaturaliſtiſchen Subjectivität — ein in ſeinem innerſten
Weſen dem Princip der Wiſſenſchaft, der Bildung entgegen-
geſetztes Princip*). Mit dem Chriſtenthum verlor der Menſch
[173] den Sinn, die Fähigkeit, ſich in die Natur, das Univerſum
hineinzudenken. So lange das wahre, ungeheuchelte, un-
verfälſchte, rückſichtsloſe
Chriſtenthum exiſtirte, ſo lange
das Chriſtenthum eine lebendige, praktiſche Wahrheit
war, ſo lange geſchahen wirkliche Wunder, und ſie geſcha-
hen nothwendig, denn der Glaube an todte, hiſtoriſche, ver-
gangne Wunder iſt ſelbſt ein todter Glaube, der erſte Anſatz
zum Unglauben
oder vielmehr die erſte und eben deßwegen
ſchüchterne, unwahre, unfreie Weiſe, wie der Unglaube an
das Wunder ſich Luft macht. Aber wo Wunder geſchehen,
da verfließen alle beſtimmten Geſtalten in den Nebel der Phan-
taſie und des Gemüths; da iſt die Welt, die Wirklichkeit
Nichts, da iſt das objective, wirkliche Weſen allein das
wunderthätige, gemüthliche, d. i. ſubjective Weſen.


Für den bloßen Gemüthsmenſchen iſt unmittelbar, ohne
daß er es will und weiß, die Einbildungskraft die höchſte Thä-
tigkeit, die ihn beherrſchende; als die höchſte, die Thätigkeit
Gottes, die ſchöpferiſche Thätigkeit. Sein Gemüth iſt ihm
eine unmittelbare Wahrheit und Realität; ſo real ihm das
Gemüth iſt — und es iſt ihm das Realſte, Weſenhafteſte; er
*)
[174] kann nicht von ſeinem Gemüthe abſtrahiren, nicht darüber
hinaus — ſo real iſt ihm die Einbildung. Die Phantaſie oder
Einbildungskraft, (die hier nicht unterſchieden werden, ob-
wohl an ſich verſchieden) iſt ihm nicht ſo, wie uns Verſtan-
desmenſchen, die wir ſie als die ſubjective von der objectiven
Anſchauung unterſcheiden, Gegenſtand; ſie iſt unmittelbar
mit ihm ſelbſt, mit ſeinem Gemüthe identiſch, und als iden-
tiſch mit ſeinem Weſen, ſeine weſentliche, gegenſtändliche,
nothwendige Anſchauung ſelbſt. Für uns iſt wohl die Phan-
taſie eine willkührliche Thätigkeit, aber wo der Menſch das
Princip der Bildung, der Weltanſchauung nicht in ſich aufge-
nommen, wo er nur in ſeinem Gemüthe lebt und webt, da iſt
die Phantaſie eine unmittelbare, unwillkührliche Thätig-
keit.


Die Erklärung der Wunder aus Gemüth und Phantaſie
gilt Vielen heutigen Tags freilich für oberflächlich. Aber man
denke ſich hinein in die Zeiten, wo noch lebendige, gegenwär-
tige Wunder geglaubt wurden, wo die Realität der Dinge
außer uns noch kein geheiligter Glaubensartikel war, wo die
Menſchen ſo abgezogen von der Weltanſchauung lebten, daß
ſie tagtäglich dem Untergang der Welt entgegen ſahen, wo ſie
nur lebten in der wonnetrunknen Ausſicht und Hoffnung des
Himmels, alſo in der Einbildung — denn mag der Himmel
ſein, was er will, für ſie wenigſtens exiſtirte er, ſo lange ſie
auf Erden waren, nur in der Einbildungskraft — wo dieſe
Einbildung keine Einbildung, ſondern Wahrheit, ja die
ewige, allein beſtehende Wahrheit, nicht ein thatloſes müßiges
Troſtmittel nur, ſondern ein praktiſches, die Handlun-
gen beſtimmendes Moralprincip
war, welchem die Men-
ſchen mit Freuden das wirkliche Leben, die wirkliche Welt mit
[175] allen ihren Herrlichkeiten zum Opfer brachten — man denke
ſich da hinein und man muß in der That ſelbſt ſehr oberfläch-
lich ſein, wenn man die pſychologiſche Geneſis für oberflächlich
erklärt. Kein ſtichhaltiger Einwand iſt es, daß dieſe Wunder im
Angeſicht ganzer Verſammlungen geſchehen ſind oder geſchehen
ſein ſollen: Keiner war bei ſich, Alle erfüllt von überſchwänglichen,
ſupranaturaliſtiſchen Vorſtellungen, Empfindungen; Alle beſeelte
derſelbe Glaube, dieſelbe Hoffnung, dieſelbe Phantaſie. Wem ſollte
es aber unbekannt ſein, daß es auch gemeinſchaftliche oder gleich-
artige Träume, gemeinſchaftliche oder gleichartige Viſionen gibt,
zumal bei gemüthlichen, in und auf ſich beſchränkten, enge zuſam-
menhaltenden Individuen? Doch dem ſei wie es wolle. Iſt
die Erklärung der Wunder aus Gemüth und Phantaſie ober-
flächlich, ſo fällt die Schuld der Oberflächlichkeit nicht auf den
Erklärer, ſondern auf den Gegenſtand ſelbſt — auf das Wun-
der; denn das Wunder drückt, bei Lichte beſehen, eben gar nichts
weiter aus, als die Zaubermacht der Phantaſie, die ohne
Widerſpruch alle Wünſche des Herzens erfüllt.


Das Geheimniß der Auferſtehung und übernatürlichen
Geburt.


Die Qualität der Gemüthlichkeit gilt nicht nur von den
praktiſchen Wundern, wo von ſelbſt dieſe Qualität in die
Augen ſpringt, da ſie unmittelbar das Wohl, den Wunſch des
menſchlichen Individuums betreffen; ſie gilt auch von den
theoretiſchen oder eigentlich dogmatiſchen Wundern. So von
dem Wunder der Auferſtehung und übernatürlichen Geburt.


Der Menſch hat, wenigſtens im Zuſtande des Wohl-
ſeins, den Wunſch, nicht zu ſterben. Dieſer Wunſch iſt ur-
[176] ſprünglich eins mit dem Selbſterhaltungstriebe. Was lebt, will
ſich behaupten, will leben, folglich nicht ſterben. Dieſer erſt
negative Wunſch wird in der ſpätern Reflexion und im Ge-
müthe, unter dem Drucke des Lebens, beſonders des bürgerli-
chen und politiſchen Lebens, zu einem poſitiven Wunſche, zum
Wunſche eines Lebens und zwar beſſern Lebens nach dem
Tode. Aber in dieſem Wunſche liegt zugleich der Wunſch
nach Gewißheit dieſer Hoffnung. Die Vernunft kann dieſe
Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher geſagt: alle Be-
weiſe für die Unſterblichkeit ſind ungenügend, oder ſelbſt, daß
ſie die Vernunft gar nicht aus ſich erkennen, viel weniger
beweiſen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur all-
gemeine
Beweiſe; die Gewißheit meiner perſönlichen
Fortdauer kann ſie mir nicht geben, und dieſe Gewißheit ver-
langt man eben. Aber zu ſolcher Gewißheit gehört eine un-
mittelbare perſönliche Verſicherung, eine thatſächliche Beſtäti-
gung. Dieſe kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein
Todter, von deſſen Tode wir vorher verſichert waren, wieder
aus dem Grabe auferſteht, und zwar ein Todter, der kein
gleichgültiger, ſondern vielmehr das Vorbild der Andern iſt,
ſo daß auch ſeine Auferſtehung das Vorbild, die Garantie der
Auferſtehung der Andern iſt. Die Auferſtehung Chriſti iſt
daher der realiſirte Wunſch des Menſchen nach unmittel-
barer Gewißheit
von ſeiner perſönlichen Fortdauer
nach dem Tode — die perſönliche Unſterblichkeit als eine
ſinnliche, unbezweifelbare Thatſache.


Die Frage nach der Unſterblichkeit war bei den heidniſchen
Philoſophen eine Frage, bei welcher das Intereſſe der Perſön-
lichkeit außer dem Spiele blieb. Es handelte ſich hier nur
[177] um die Natur der Seele, des Geiſtes, des Lebensprincipes.
Im Gedanken von der Unſterblichkeit des Lebensprincipes liegt
keineswegs der Gedanke, geſchweige die Gewißheit der perſön-
lichen Unſterblichkeit. Darum drücken ſich die Alten ſo unbe-
ſtimmt, ſo widerſprechend, ſo zweifelhaft über dieſen Gegen-
ſtand aus. Die Chriſten dagegen in der zweifelloſen Gewiß-
heit, daß ihre perſönlichen, gemüthlichen Wünſche erfüllt wer-
den, d. h. in der Gewißheit von dem göttlichen Weſen ihres
Gemüths, ihrer Perſönlichkeit, von der Wahrheit und Unan-
taſtbarkeit ihrer ſubjectiven Gefühle, machten, was bei den
Alten die Bedeutung eines theoretiſchen Problems hatte,
zu einer unmittelbaren Thatſache, eine theoretiſche,
eine an ſich freie Frage zu einer bindenden Gewiſſens-
ſache
, deren Läugnung dem Majeſtätsverbrechen des Atheis-
mus gleich kam. Wer die Auferſtehung läugnet, läugnet die
Auferſtehung Chriſti, wer Chriſti Auferſtehung läugnet, läug-
net Chriſtus, wer aber Chriſtus läugnet, läugnet Gott. So
machte das „geiſtige“ Chriſtenthum eine geiſtige Sache zu
einer geiſtloſen Sache! Den Chriſten war die Unſterblichkeit
der Vernunft, des Geiſtes viel zu abſtract und negativ; den
Chriſten lag nur die perſönliche, gemüthliche Unſterblichkeit am
Herzen; aber die Bürgſchaft dieſer liegt nur in der fleiſchlichen
Auferſtehung. Die Auferſtehung des Fleiſches iſt der höchſte
Triumph des Chriſtenthums über die erhabene, freilich ab-
ſtracte, Geiſtigkeit und Objectivität der Alten. Darum wollte
auch die Auferſtehung den Heiden durchaus nicht in den
Kopf.


Aber wie die Auferſtehung, das Ende der heiligen Ge-
ſchichte — eine Geſchichte, die aber nicht die Bedeutung einer
Hiſtorie, ſondern der Wahrheit ſelber hat — ein realiſirter
Feuerbach. 12
[178] Wunſch, ſo iſt es auch der Anfang derſelben, die übernatür-
liche Geburt, obgleich dieſe ſich nicht auf ein unmittelbar per-
ſönliches Intereſſe, ſondern mehr nur auf ein particuläres
ſubjectives Gefühl bezieht.


Je mehr ſich der Menſch der Natur entfremdet, je ſubjec-
tiver, d. i. über- oder widernatürlicher ſeine Anſchauung wird,
deſto größere Scheu bekommt er vor der Natur oder wenig-
ſtens vor gewiſſen natürlichen Dingen und Proceſſen, die ſei-
ner Phantaſie mißfallen, ihn widerlich afficiren. Der freie,
objective Menſch findet allerdings auch Ekelhaftes und Wider-
liches in der Natur, aber er begreift es als eine natür-
liche, unvermeidliche Folge und überwindet in dieſer Einſicht
ſeine Gefühle als nur ſubjective, unwahre Gefühle. Der
ſubjective, nur im Gemüthe und in der Phantaſie lebende
Menſch dagegen fixirt, beanſtandet dieſe Dinge mit einem
ganz beſondern Widerwillen. Er hat das Auge jenes un-
glücklichen Findlings, welcher auch an der ſchönſten Blume
nur die kleinen „ſchwarzen Käferchen“, die auf ihr herumlie-
fen, bemerkte und durch dieſe Wahrnehmung den Genuß an
der Anſchauung der Blume ſich verbitterte. Der ſubjective
Menſch macht aber ſeine Gefühle zum Maaßſtab deſſen, was
ſein ſoll. Was ihm nicht gefällt, was ſein transcendentes,
über- oder widernatürliches Gemüth beleidigt, das ſoll nicht
ſein
. Kann auch das, was ihm wohlgefällt, nicht ſein ohne
das, was ihm mißfällt — der ſubjective Menſch richtet ſich
nicht nach den langweiligen Geſetzen der Logik und Phyſik,
ſondern nach der Willkühr der Phantaſie — er läßt daher das
Mißfällige an einer Sache weg, das Wohlgefällige aber hält
er feſt. So gefällt ihm wohl die reine, unbefleckte Jungfrau;
aber wohl gefällt ihm auch die Mutter, jedoch nur die Mut-
[179] ter, die keine Beſchwerden leidet, die Mutter, die ſchon das
Kindlein auf den Armen trägt.


An und für ſich iſt die Jungfrauſchaft im innerſten Weſen
ſeines Geiſtes, ſeines Glaubens ſein höchſter Begriff, das
Cornu copiae ſeiner ſupranaturaliſtiſchen Gefühle und Vor-
ſtellungen, ſein perſonificirtes Ehr- und Schamgefühl vor
der gemeinen Natur*). Aber zugleich regt ſich doch auch
ein natürliches Gefühl in ſeiner Bruſt, das barmherzige
Gefühl der Mutterliebe. Was iſt nun in dieſer Herzensnoth,
in dieſem Zwieſpalt zwiſchen einem natürlichen und über-
oder widernatürlichen Gefühl zu thun? Der Supranatura-
liſt muß Beides verbinden, in einem und demſelben Subjecte
zwei ſich gegenſeitig ausſchließende Prädicate zuſammenfaſ-
ſen**). O welche Fülle gemüthlicher, holdſeliger, überſinnlich
ſinnlicher Gefühle liegt in dieſer Verknüpfung!


Hier haben wir den Schlüſſel zu dem Widerſpruch im
12*
[180] Katholicismus, daß zugleich die Ehe, zugleich die Eheloſigkeit
heilig iſt. Der dogmatiſche Widerſpruch der jungfräu-
lichen Mutter
oder mütterlichen Jungfrau iſt hier nur als
ein praktiſcher Widerſpruch verwirklicht. Aber gleichwohl
iſt dieſe wunderbare, der Natur und Vernunft widerſprechende,
dem Gemüthe und der Phantaſie aber im höchſten Grade ent-
ſprechende Verknüpfung der Jungferſchaft und Mutterſchaft
kein Product des Katholicismus; ſie liegt ſelbſt ſchon in der
zweideutigen Rolle, welche die Ehe in der Bibel, namentlich
im Sinne des Apoſtels Paulus ſpielt. Die Lehre von der
übernatürlichen Zeugung und Empfängniß Chriſti iſt eine
weſentliche Lehre des Chriſtenthums, eine Lehre, die ſein
inneres dogmatiſches Weſen ausſpricht, die auf demſelben
Fundament, wie alle übrigen Wunder und Glaubensartikel
beruht. So gut die Chriſten an dem Tode, den der Philo-
ſoph, der Naturforſcher, der freie, objective Menſch überhaupt
für eine natürliche Nothwendigkeit erkennt, überhaupt an den
Gränzen der Natur, welche dem Gemüthe Schranken, der
Vernunft aber vernünftige Geſetze ſind, Anſtoß nahmen
und ſie daher durch die Macht der Wunderthätigkeit beſeitig-
ten, ſo gut mußten ſie auch an dem Naturproceß der Zeugung
Anſtoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negiren. Und
wie die Auferſtehung, ſo kommt auch die übernatürliche Geburt
Allen, nämlich Gläubigen, zu Gute; denn die Empfängniß der
Maria, als unbefleckt durch das männliche Sperma, welches
das eigentliche Contagium der Erbſünde iſt, war ja der erſte
Neinigungsact der ſünden-, d. i. naturbeſchmutzten Menſchheit.
Nur weil der Theanthropos nicht angeſteckt war von der Erb-
ſünde, konnte Er, der Reine, die Menſchheit reinigen in den
Augen Gottes, welchen der natürliche Zeugungsproceß ein
[181] Gräuel, weil er ſelbſt nichts andres als das übernatürliche
Gemüth
iſt.


Selbſt die trocknen, ſo willkührlich kritiſchen proteſtanti-
ſchen Orthodoxen betrachteten noch die Empfängniß der gott-
gebärenden Jungfrau als ein großes, verehrungs- und an-
ſtaunungswürdiges, heiliges, übervernünftiges Glaubensmyſte-
rium*). Aber bei den Proteſtanten, welche den Chriſten nur auf
den Glauben reducirten und beſchränkten, im Leben aber
Menſch ſein ließen, hatte auch dieſes Myſterium nur dogma-
tiſche, nicht mehr praktiſche
Bedeutung. Sie ließen ſich
durch dieſes Myſterium in ihrer Heirathsluſt nicht irre ma-
chen. Bei den Katholiken, überhaupt den alten unbeding-
ten unkritiſchen Chriſten war, was ein Myſterium des
Glaubens auch ein Myſterium des Lebens, der Mo-
ral
**). Die katholiſche Moral iſt chriſtlich, myſtiſch, die pro-
teſtantiſche Moral war ſchon von Anfang an rationali-
ſtiſch
. Die proteſtantiſche Moral iſt und war eine fleiſchliche Ver-
miſchung des Chriſten mit dem Menſchen — dem natürlichen,
politiſchen, bürgerlichen, ſocialen Menſchen oder wie ihr ihn
ſonſt im Unterſchiede vom chriſtlichen nennen wollt — die
katholiſche Moral bewahrte auf ihrem Herzen das Geheim-
niß der unbefleckten Jungfräulichkeit. Die katholiſche Moral
war die Mater dolorosa, die proteſtantiſche eine wohlbeleibte,
kindergeſegnete Hausfrau. Der Proteſtantismus iſt von
Grund aus der Widerſpruch zwiſchen Glauben und Leben.
[182] Nicht ſo der Katholicismus. Die übernatürlichen Glaubens-
principien waren ihm zugleich übernatürliche Moralprin-
cipien
. Eben deßwegen weil das Myſterium der Virgo
Deipara
bei den Proteſtanten nur noch in der Theorie oder
vielmehr in der Dogmatik, aber nicht mehr in praxi galt, ſag-
ten ſie, daß man ſich nicht vorſichtig, nicht zurückhaltend genug
darüber ausdrücken könne, daß man es durchaus nicht zu
einem Object der Speculation machen dürfe. Was man
praktiſch negirt, hat keinen wahren Grund und Beſtand mehr
im Menſchen, iſt nur noch ein Geſpenſt der Vorſtellung.
Deßhalb verbirgt, entzieht man es dem Verſtande. Geſpen-
ſter vertragen nicht das Tageslicht.


Selbſt auch die ſpätere, übrigens ſchon in einem Briefe
an den heiligen Bernhard, der ſie aber verwirft, ausgeſpro-
chene, Glaubensvorſtellung, daß auch die Maria unbefleckt ohne
Erbſünde empfangen worden ſei, iſt keineswegs eine „ſon-
derbare Schulmeinung
,“ wie ſie Ranke in ſeiner Ge-
ſchichte der Reformation nennt. Sie ergab ſich vielmehr aus
einer natürlichen Folgerung und einer frommen dankbaren
Geſinnung gegen die Mutter Gottes. Was ein Wunder,
was Gott gebiert, muß ſelbſt wunderbaren, göttlichen Ur-
ſprungs und Weſens ſein. Wie hätte Maria die Ehre ha-
ben können vom heiligen Geiſte beſchattet zu werden, wenn
ſie nicht vorher ſchon von Hauſe aus wäre purificirt worden?
Konnte der heil. Geiſt in einem von der Erbſünde beſudelten
Leibe Wohnung nehmen? Wenn ihr das Princip des Chri-
ſtenthums, die heil- und wundervolle Geburt des Heilands
nicht ſonderbar findet — o! ſo findet doch auch die naiven,
einfältigen, gutmüthigen Folgerungen des Katholicismus nicht
ſonderbar.


[183]

Das Geheimniß des chriſtlichen Chriſtus oder des per-
ſönlichen Gottes.


Die Grunddogmen des Chriſtenthums ſind realiſirte Her-
zenswünſche — das Weſen des Chriſtenthums iſt das Weſen
des Gemüths. Es iſt gemüthlicher, zu leiden als zu handeln,
gemüthlicher, durch einen Andern erlöſt und befreit zu werden,
als ſich ſelbſt zu befreien, gemüthlicher, von einer Perſon als
von der Kraft der Selbſtthätigkeit ſein Heil abhängig zu ma-
chen, gemüthlicher ſtatt des Objects des Strebens ein Object
der Liebe zu ſetzen, gemüthlicher, ſich von Gott geliebt zu wiſ-
ſen, als ſich ſelbſt zu lieben mit der einfachen, natürlichen
Selbſtliebe, die allen Weſen eingeboren, gemüthlicher, ſich
in den liebeſtrahlenden Augen eines andern perſönlichen We-
ſens zu beſpiegeln, als in den Hohlſpiegel des eignen Selbſts
oder in die kalte Tiefe des ſtillen Oceans der Natur zu
ſchauen, gemüthlicher überhaupt, ſich von ſeinem eignen
Gemüthe als von einem andern
, aber doch im Grunde
demſelbigen Weſen afficiren
zu laſſen, als ſich ſelbſt
durch die Vernunft zu beſtimmen. Das Gemüth iſt über-
haupt der Casus obliquus des Ich, das Ich im Accuſativ.
Das Fichte’ſche Ich iſt gemüthlos, weil der Accuſativ dem
Nominativ gleich iſt, weil es ein Indeclinabile. Aber das
Gemüth iſt das von ſich ſelbſt afficirte und zwar das
von ſich als wie von einem andern Weſen afficirte
Ich
— das paſſive Ich. Das Gemüth verwandelt das
Activum im Menſchen in ein Paſſivum, und das Paſſivum in
ein Activum. Das Denkende iſt dem Gemüthe das Gedachte,
das Gedachte das Denkende. Das Gemüth iſt träumeriſcher
Natur; darum weiß es auch nichts Seligeres, nichts Tieferes
[184] als den Traum. Aber was iſt der Traum? Die Umkeh-
rung des wachen Bewußtſeins. Im Traume iſt das Han-
delnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume
nehme ich meine Selbſtaffectionen als Affectionen von Außen,
die Gemüthsbewegungen als Ereigniſſe, meine Vorſtellungen
und Empfindungen als Weſen außer mir wahr, leide ich,
was ich außerdem thue. Der Traum bricht die Strahlen des
Lichts doppelt — daher ſein unbeſchreiblicher Reiz. Es iſt
daſſelbe Ich, daſſelbe Weſen im Traume, wie im Wachen; der
Unterſchied iſt nur, daß im Wachen das Ich ſich ſelbſt af-
ficirt
, im Traume von ſich ſelbſt, als wie von einem andern
Weſen afficirt wird. Ich denke mich — iſt gemüthlos,
rationaliſtiſch; ich bin gedacht von Gott und denke mich
nur als gedacht von Gott — iſt gemüthvoll, iſt religiös.
Das Gemüth iſt der Traum mit offnen Augen; die Religion
der Traum des wahren Bewußtſeins; der Traum der Schlüſ-
ſel zu den Geheimniſſen der Religion.


Das höchſte Geſetz des Gemüths iſt die unmittelbare
Einheit des Willens und der That, des Wunſches und der
Wirklichkeit. Dieſes Geſetz erfüllt der Erlöſer. Wie das
äußerliche Wunder im Gegenſatz zur natürlichen Thätigkeit
die phyſiſchen Bedürfniſſe und Wünſche des Menſchen unmit-
telbar realiſirt; ſo befriedigt der Erlöſer, der Verſöhner, der
Gottmenſch im Gegenſatze zur moraliſchen Selbſtthätigkeit des
natürlichen oder rationaliſtiſchen Menſchen unmittelbar die
innern moraliſchen Bedürfniſſe und Wünſche, indem er den
Menſchen der Vermittlungsthätigkeit ſeinerſeits überhebt.
Was Du wünſcheſt, iſt bereits ein Perfectum. Du willſt Dir
die Seligkeit erwerben, verdienen. Du kannſt es nicht — d.
h. in Wahrheit: Du brauchſt es nicht. Es iſt ſchon
[185] geſchehen, was Du erſt machen willſt. Du haſt Dich nur paſ-
ſiv
zu verhalten, Du brauchſt nur zu glauben, nur zu genie-
ßen. Du willſt Dir Gott geneigt machen, ſeinen Zorn be-
ſchwichtigen, Frieden haben vor Deinem Gewiſſen. Aber die-
ſer Friede exiſtirt ſchon; dieſer Friede iſt der Mittler, der Gott-
menſch — Er iſt Dein beſchwichtigtes Gewiſſen, Er die Erfül-
lung des Geſetzes und damit die Erfüllung Deines eignen
Wunſches und Strebens.


Als der Erfüller des Geſetzes iſt aber jetzt nicht mehr das
Geſetz, ſondern der Erfüller das Muſter, die Richtſchnur,
das Geſetz Deines Lebens. Wer das Geſetz erfüllt, annullirt
das Geſetz. Das Geſetz hat nur Autorität, nur Gültigkeit der
Geſetzwidrigkeit gegenüber. Wer aber das Geſetz vollkommen
erfüllt, der ſagt zum Geſetz: was du willſt, das will ich von
ſelbſt, und was du nur befiehlſt, bekräftige ich durch die That;
mein Leben iſt das wahre, das lebendige Geſetz. Der Erfül-
ler des Geſetzes tritt daher nothwendig an die Stelle des Ge-
ſetzes, und zwar als ein neues Geſetz, ein Geſetz, deſſen Joch
ſanft und milde iſt. Denn ſtatt des nur commandirenden
Geſetzes ſtellt er ſich ſelbſt als Beiſpiel, als ein Object
der Liebe
, der Bewunderung und Nacheiferung hin und
wird dadurch zum Erlöſer von der Sünde. Das Geſetz gibt
mir nicht die Kraft, das Geſetz zu erfüllen; nein! es iſt bar-
bariſch; es befiehlt nur, ohne ſich darum zu bekümmern, ob ich
es auch erfüllen kann und wie ich es erfüllen ſoll; es über-
läßt mich rath- und hülflos nur mir ſelbſt. Aber wer mir
mit ſeinem Beiſpiel voranleuchtet, der greift mir unter die
Arme, der theilt mir ſeine eigne Kraft mit. Das Geſetz lei-
ſtet keinen Widerſtand der Sünde, aber Wunder wirkt das
Beiſpiel. Das Geſetz iſt todt; aber das Beiſpiel animirt,
[186] begeiſtert, reißt den Menſchen unwillkührlich mit ſich fort.
Das Geſetz ſpricht nur zum Verſtande und ſetzt ſich direct den
Trieben entgegen; das Beiſpiel dagegen ſchmiegt ſich an
einen mächtigen, ſinnlichen Trieb — an den unwillkühr-
lichen Nachahmungstrieb an. Das Beiſpiel wirkt auf Ge-
müth und Phantaſie. Kurz, das Beiſpiel hat magiſche, d. h.
ſinnliche Kräfte; denn die magiſche, d. i. unwillkührliche An-
ziehungskraft iſt eine weſentliche Eigenſchaft, wie der Materie
überhaupt, ſo der Sinnlichkeit insbeſondre.


Die Alten ſagten, wenn die Tugend ſich ſehen laſſen
könnte oder würde, ſo würde ſie durch ihre Schönheit Alle für
ſich gewinnen und begeiſtern. Die Chriſten waren ſo glück-
lich, auch dieſen Wunſch erfüllt zu ſehen. Die Heiden hatten
ein ungeſchriebenes, die Juden ein geſchriebenes Geſetz, die
Chriſten ein Exempel, ein Vorbild, ein ſichtbares, perſönlich
lebendiges Geſetz, ein Fleiſch gewordnes, ein menſchliches Ge-
ſetz. Daher die Freudigkeit namentlich der erſten Chriſten —
daher der Ruhm des Chriſtenthums, daß nur es allein die
Kraft habe und gebe, der Sünde zu widerſtehen. Und dieſer
Ruhm ſoll ihm nicht abgeſtritten werden. Nur iſt zu bemer-
ken, daß die Kraft des Tugendexempels nicht ſowohl die Macht
der Tugend, als vielmehr die Macht des Beiſpiels über-
haupt iſt, gleichwie die Macht der religiöſen Muſik nicht die
Macht der Religion, ſondern die Macht der Muſik iſt*),
[187] daß daher das Tugendbild wohl tugendhafte Handlungen zur
Folge hat, aber ohne die Geſinnungen und Beweggründe der
Tugend. Aber dieſer einfache und wahre Sinn von der erlö-
ſenden und verſöhnenden Macht des Beiſpiels im Unterſchiede
von der Macht des Geſetzes, auf welchen wir reducirten den
Gegenſatz von Geſetz und Chriſtus, iſt keineswegs der volle
erſchöpfende Sinn der religiöſen oder dogmatiſchen Erlöſung
und Verſöhnung. Hier reducirt ſich Alles auf die perſönliche
Kraft jenes wunderbaren Mittelweſens, welches weder Gott,
noch Menſch allein, ſondern ein Menſch iſt, der zugleich Gott
und ein Gott, der zugleich Menſch iſt, und welches daher nur
im Zuſammenhang mit der Bedeutung des Wunders begrif-
fen werden kann*). Das Wunder iſt der realiſirte Wunſch
des Menſchen, frei zu ſein von den Bedingungen, Schranken,
Geſetzen, an welche der Vernunft und Natur nach die Befrie-
digung der phyſiſchen Bedürfniſſe geknüpft iſt; der wunderbare
Erlöſer iſt der realiſirte Wunſch des Gemüths, frei zu ſein von
den Geſetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an
welche die Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden iſt,
der realiſirte Wunſch, von den moraliſchen Uebeln augen-
blicklich, unmittelbar, mit einem Zauberſchlag, d. h. auf abſo-
lut ſubjective, gemüthliche Weiſe erlöſt zu werden. Der höchſte
Selbſtgenuß der Subjectivität, die höchſte Selbſtgewißheit des
Menſchen überhaupt iſt, daß Gott für ihn handelt, für ihn
leidet, für ihn ſich opfert.


[188]

Daß die Wunderkraft eins iſt mit dem Begriffe des Mit-
telweſens, iſt hiſtoriſch ſelbſt ſchon dadurch erwieſen, daß die
Wunder des Alten Teſtaments, die Geſetzgebung, die Vorſe-
hung, kurz alle die Elemente, welche das Weſen der Religion
conſtituiren, ſchon vor dem Chriſtenthum in die göttliche Weis-
heit, in den Logos verlegt wurden. Die Gottheit, an welche
der Logos ſelbſt wieder angeknüpft wurde, iſt nur das Be-
wußtſein der Vernunft, eine abſtracte metaphyſiſche Idee kein
Weſen, keine Perſon; mit dem Logos erſt beginnt die Reli-
gion. Dieſer Logos ſchwebt bei Philo noch in der Luft zwi-
ſchen Himmel und Erde, bald als ein Abſtractum, bald als
ein Concretum, d. h. Philo ſchwankt zwiſchen ſich ſelbſt als
Philoſoph und ſich als religiöſen Iſraeliten, zwiſchen dem po-
ſitiven Element der Religion und der metaphyſiſchen Idee, je-
doch ſo, daß das abſtracte Element ſelbſt bei ihm ein mehr oder
weniger phantaſtiſches iſt. Im Chriſtenthum kam erſt dieſer
Logos zu vollkommner Conſiſtenz, das Abſtractum wurde ein
entſchiednes Concretum, d. h. die Religion concentrirte ſich
jetzt ausſchließlich auf das Element, das Object, welches ihre
weſentliche Differenz begründet. Der Logos iſt das perſonifi-
cirte Weſen der Religion, der Logos daher das Weſen des
Chriſtenthums. Die Kirche hat hierin einen ſehr guten Tact
bewieſen, daß ſie ſo ſehr auf die Weſenseinheit des Logos
(Chriſtus) mit Gott drang*). Die Unterordnung Chriſti un-
ter Gott bei Paulus war nur ein Reſt noch jüdiſch alexandri-
niſcher Bildung, jedenfalls nur eine theoretiſche, ohne prakti-
[189] ſche Bedeutung in Bezug auf das weſentliche Thema, den
eigentlichen religiöſen Text ſeines Lebens. Kurz, der Logos iſt
erſt der Gott im Sinne der Religion, der offenbare, der wirk-
liche Gott. Wenn daher Gott als das Weſen des Ge-
müths beſtimmt wurde, ſo hat dieß erſt im Logos ſeine volle
Wahrheit.


Gott als Gott iſt noch das verſchloßne, verborgne Ge-
müth; das aufgeſchloßne, offne, ſich gegenſtändliche Ge-
müth oder Herz
iſt erſt Chriſtus — es verſteht ſich übrigens
von ſelbſt, daß auch hier wieder, denn Das conſtituirt eben das
Weſen der Religion, dieſes ſich offenbare Herz als ein andres,
ſelbſtſtändiges Weſen angeſchaut wird; aber in Beziehung auf
Gott als Gott, relativ, iſt erſt in Chriſtus das Gemüth voll-
kommen ſeiner ſelbſt gewiß und verſichert, außer al-
lem Zweifel
über die Wahrhaftigkeit und Göttlichkeit
ſeines eignen Weſens
; denn Chriſtus ſchlägt nichts dem
Gemüthe ab; er erfüllt alle ſeine Bitten. In Gott verſchweigt
noch das Gemüth, was ihm auf dem Herzen liegt; es ſeufzt
nur; aber in Chriſtus ſpricht es ſich vollkommen aus; hier be-
hält es nichts mehr für ſich zurück. Der Seufzer iſt der noch
ängſtliche Wunſch; er drückt ſich mehr durch die Klage aus,
daß das nicht iſt, was er wünſcht, als daß er offen, poſitiv
herausſagt, was er will; im Seufzer zweifelt noch das Ge-
müth an der Rechtskräftigkeit ſeiner Wünſche. Aber in Chri-
ſtus iſt alle Seelenangſt verſchwunden; Er iſt der in Siegesge-
ſang über ſeine Erfüllung übergegangne Seufzer, die frohlo-
ckende Gewißheit des Gemüths von der Wahrheit und Wirk-
lichkeit ſeiner in Gott verborgnen Wünſche; der thatſächliche
Sieg über den Tod, über alle Gewalt der Welt und Natur,
die nicht mehr nur gehoffte, die bereits vollbrachte Auferſte-
[190] hung*); Er iſt das Herz, das aller drückenden Schranken,
aller Leiden frei und ledig iſt, das ſelige Gemüth — die
ſichtbare Gottheit.


Gott zu ſehen, dieß iſt der höchſte Wunſch, der höchſte
Triumph des Herzens. Chriſtus iſt dieſer erfüllte Wunſch,
dieſer Triumph. Gott nur gedacht, nur als Denkweſen, d. i.
Gott als Gott iſt immer nur ein entferntes Weſen, das
Verhältniß zu ihm ein abſtractes, gleich dem Freundſchafts-
verhältniß, in welchem wir zu einem räumlich entfernten, per-
ſönlich uns unbekannten Menſchen ſtehen. So ſehr auch ſeine
Werke, die Beweiſe von Liebe, die er uns gibt, uns ſein We-
ſen vergegenwärtigen; es bleibt doch ſtets eine unausgefüllte
Lücke, das Herz unbefriedigt; wir ſehnen uns darnach, ihn zu
ſehen. So lange uns ein Weſen nicht von Angeſicht zu An-
geſicht bekannt iſt, ſind wir doch immer noch im Zweifel, ob
es wohl iſt und ſo iſt, wie wir es vorſtellen; erſt im Sehen
liegt die letzte Zuverſicht, die vollſtändige Beruhigung. Chri-
ſtus iſt der perſönlich bekannte Gott, Chriſtus daher die
ſelige Gewißheit, daß Gott iſt und ſo iſt, wie es das Ge-
müth will und bedarf, daß er iſt. Gott als Gegenſtand des
Gebets iſt wohl ſchon ein menſchliches Weſen, indem er an
menſchlichem Elend Theil nimmt, menſchliche Wünſche erhört,
aber er iſt doch noch nicht als wirklicher Menſch dem reli-
giöſen Bewußtſein Gegenſtand. Erſt in Chriſtus iſt daher der
letzte Wunſch der Religion realiſirt, das Geheimniß des reli-
giöſen Gemüthes aufgelöſt — aufgelöſt aber in der der Re-
ligion eigenthümlichen Bilderſprache — denn, was Gott
[191] im Weſen iſt, das iſt in Chriſtus zur Erſcheinung gekom-
men. In ſofern kann man die chriſtliche Religion die abſo-
lute nennen. Daß Gott, der an ſich nichts andres als das
Weſen des Menſchen iſt, auch als ſolches verwirklicht werde,
als Menſch dem Bewußtſein Gegenſtand ſei, das iſt das
Ziel der Religion. Und dieſes erreichte die chriſtliche Religion
in der Menſchwerdung Gottes, die keineswegs ein vorüberge-
hender Act iſt, denn Chriſtus bleibt auch noch nach ſeiner
Himmelfahrt Menſch, Menſch von Herzen und Menſch von
Geſtalt, nur daß jetzt ſein Leib nicht mehr ein irdiſcher, dem
Leiden unterworfner Körper iſt.


Die Menſchwerdungen Gottes bei den Orientalen, wie
namentlich den Indern, haben keine ſo intenſive Bedeutung
als die chriſtliche. Eben weil ſie oft geſchehen, werden ſie
gleichgültig, verlieren ſie ihren Werth. Die Menſchheit
Gottes iſt ſeine Perſönlichkeit. Gott iſt ein perſön-
liches Weſen, heißt: Gott iſt ein menſchliches Weſen,
Gott iſt Menſch
. Die Perſönlichkeit iſt ein Abſtractum, das
nur als wirklicher Menſch Realität hat*). Der Sinn, der
den Menſchwerdungen Gottes zu Grunde liegt, iſt daher un-
endlich beſſer erreicht durch eine Menſchwerdung, eine Per-
ſönlichkeit. Wo Gott in mehreren Perſonen nach einander
erſcheint, da ſind dieſe Perſönlichkeiten verſchwindende. Aber
es handelt ſich eben um eine bleibende Perſönlichkeit, eine
ausſchließende Perſönlichkeit. Wo viele Incarnationen vor-
[192] kommen, da iſt Raum gegeben für noch unzählig viele andere;
die Phantaſie iſt nicht beſchränkt; da treten auch die bereits
wirklichen in die Kategorie der nur möglichen oder vorſtellba-
ren, in die Kategorie von Phantaſien oder von bloßen Er-
ſcheinungen. Wo aber ausſchließlich eine Perſönlichkeit als
die Incarnation der Gottheit geglaubt und angeſchaut wird,
da imponirt dieſe ſogleich mit der Macht einer hiſtoriſchen
Perſönlichkeit
; die Phantaſie iſt abgethan, die Freiheit, noch
andere ſich vorzuſtellen, aufgegeben. Dieſe Eine Perſönlich-
keit nöthigt mir den Glauben an ihre Wirklichkeit auf. Der
Charakter der wirklichen Perſönlichkeit iſt eben die Ausſchließ-
lichkeit — das Leibnitz’ſche Principium des Unterſchieds, daß
nichts Exiſtirendes dem andern vollkommen gleich iſt. Der
Ton, der Nachdruck, mit dem die Eine Perſönlichkeit ausge-
ſprochen wird, macht einen ſolchen Effect auf das Gemüth,
daß ſie unmittelbar als eine wirkliche ſich darſtellt, aus einem
Object der Phantaſie zu einem Object der gemeinen hiſtori-
ſchen Anſchauung wird.


Die Sehnſucht iſt die Nothwendigkeit des Ge-
müths
; und das Gemüth ſehnt ſich nach einem perſönlichen
Gott. Aber dieſe Sehnſucht nach der Perſönlichkeit Gottes iſt
nur eine wahre, ernſte, tiefe, wenn ſie die Sehnſucht nach
Einer Perſönlichkeit iſt, wenn ſie ſich mit Einer begnügt. Mit
der Mehrheit der Perſonen ſchwindet die Wahrheit des
Bedürfniſſes
, wird die Perſönlichkeit zu einem Luxusar-
tikel der Phantaſie
. Was aber mit der Gewalt der
Nothwendigkeit
, das wirkt mit der Gewalt der Wirk-
lichkeit
auf den Menſchen. Was namentlich dem Gemüth
ein nothwendiges, das iſt ihm unmittelbar auch ein wirk-
liches
Weſen. Die Sehnſucht ſagt: es muß ein perſönli-
[193] cher
Gott ſein, d. h. er kann nicht nicht ſein, das befriedigte
Gemüth: er iſt. Die Bürgſchaft ſeiner Exiſtenz liegt für
das Gemüth in der Nothwendigkeit ſeiner Exiſtenz — die
Nothwendigkeit der Befriedigung in der Gewalt des Bedürf-
niſſes. Die Noth kennt kein Geſetz außer ſich. Die Noth
bricht Eiſen. Das Gemüth kennt keine andere Nothwendig-
keit, als die Gemüthsnothwendigkeit, die Sehnſucht: es per-
horrescirt die Nothwendigkeit der Natur, die Nothwendigkeit
der Vernunft. Nothwendig iſt alſo dem Gemüthe ein ſubjec-
tiver, gemüthlicher, perſönlicher Gott; aber nothwendig nur
Eine Perſönlichkeit, und dieſe Eine nothwendig eine hiſtoriſche,
wirkliche Perſönlichkeit. Nur in der Einheit der Perſönlich-
keit befriedigt, ſammelt ſich das Gemüth. Die Mehrheit zer-
ſtreut.


Wie aber die Wahrheit der Perſönlichkeit die Einheit,
die Wahrheit der Einheit die Wirklichkeit — ſo iſt die Wahr-
heit der wirklichen Perſönlichkeit — das Blut. Der letzte,
von dem Verfaſſer des vierten Evangeliums mit beſonderm
Nachdruck hervorgehobne Beweis, daß die ſichtbare Perſon
Gottes kein Phantasma, ſondern wirklicher Menſch geweſen,
iſt, daß Blut aus ſeiner Seite am Kreuze gefloſſen. Wo der
perſönliche Gott eine wahre Herzensnoth iſt, da muß er
ſelbſt Noth leiden. Nur in ſeinem Leiden liegt die Gewißheit
ſeiner Wirklichkeit; nur darauf der weſentliche Ein- und Nach-
druck der Incarnation. Gott zu ſehen genügt dem Gemüthe
nicht. Die Augen geben noch keine hinlängliche Bürgſchaft.
Die Wahrheit der Geſichtsvorſtellung bekräftigt nur das Ge-
fühl. Aber wie ſubjectiv das Gefühl, ſo iſt auch objectiv die
Fühlbarkeit, Antaſtbarkeit, Paſſibilität das letzte Kriterium der
Wirklichkeit — das Leiden Chriſti daher die höchſte Wonne,
Feuerbach. 13
[194]die letzte Zuverſicht, der höchſte Selbſtgenuß, der
höchſte Troſt des Gemüthes
; denn nur im Blute Chriſti
iſt der Durſt nach einem perſönlichen, d. i. menſchlichen,
theilnehmenden, empfindenden
Gotte geſtillt.


„Darum wir es für einen ſchädlichen Irrthum halten, da
Chriſto nach ſeiner Menſchheit ſolche (nämlich göttliche)
Majeſtät entzogen, dadurch den Chriſten ihr höchſter Troſt ge-
nommen, den ſie in … Verheißung von der Gegenwärtigkeit
und Beiwohnung ihres Haupts, Königs und Hohenprieſters
haben, der ihnen verſprochen hat, daß nicht allein ſeine bloße
Gottheit, welche gegen uns arme Sünder, wie ein verzehren-
des Feuer gegen dürre Stoppeln iſt, ſondern Er, Er, der
Menſch
, der mit ihnen geredet hat, der alle Trübſal in ſei-
ner angenommenen menſchlichen Geſtalt verſucht hat, der
dahero auch mit uns, als mit Menſchen und ſeinen Brü-
dern ein Mitleiden
haben kann, der wolle bei uns ſein in
allen unſern Nöthen, auch nach der Natur, nach welcher er
unſer Bruder iſt und wir Fleiſch von ſeinem Fleiſche
ſind
*).“


Oberflächlich iſt es, wenn man geſagt, das Chriſtenthum
ſei nicht die Religion von einem perſönlichen Gott, ſondern
von drei Perſönlichkeiten. Dieſe drei Perſönlichkeiten haben
allerdings in der Dogmatik Exiſtenz; aber auch hier iſt die Per-
ſönlichkeit des heil. Geiſtes nur ein willkührlicher Machtſpruch,
welcher durch die unperſönlichen Beſtimmungen, wie z. B. die,
daß der heil. Geiſt die Gabe, das donum des Vaters und
Sohnes ſei, widerlegt wird**). Schon der Ausgang des
[195] heil. Geiſtes ſtellt ſeiner Perſönlichkeit ein ſchlechtes Prognoſti-
kon, denn nur durch die Zeugung, nicht aber durch das unbe-
ſtimmte Aus- und Hervorgehen oder durch die Spiratio wird
ein perſönliches Weſen hervorgebracht. Und ſelbſt der Vater,
als Repräſentant des rigoroſen Begriffes der Gottheit, iſt nur
der Einbildung und Behauptung nach, aber nicht ſeinen Be-
ſtimmungen nach ein perſönliches Weſen: er iſt ein abſtracter
Begriff, ein rein rationaliſtiſches Weſen. Die plaſtiſche
Perſönlichkeit
iſt nur Chriſtus. Zur Perſönlichkeit ge-
hört Geſtalt. Die Geſtalt iſt die Wirklichkeit der Perſönlich-
keit. Chriſtus allein iſt der perſönliche Gott — Er der
wahre, wirkliche Gott der Chriſten, was nicht oft genug
wiederholt werden kann. In ihm allein concentrirt ſich die
chriſtliche Religion, das Weſen der Religion überhaupt. Nur
Er entſpricht der Sehnſucht nach einem perſönlichen Gott; nur
Er iſt eine mit dem Weſen des Gemüths identiſche Exi-
**)
13*
[196]ſtenz; nur auf ihn häufen ſich alle Freuden der Phanta-
ſie
und alle Leiden des Gemüths; nur in ihm erſchöpft
ſich das Herz und erſchöpft ſich die Phantaſie. Chriſtus iſt
die Identität von Herz und Phantaſie.


Dadurch unterſcheidet ſich das Chriſtenthum von andern
Religionen, daß in dieſen Herz und Phantaſie auseinander
gehen, im Chriſtenthum aber zuſammenfallen. Die Phantaſie
vagirt hier nicht ſich ſelbſt überlaſſen herum; ſie folgt dem
Zuge des Herzens; ſie beſchreibt einen Kreis, deſſen Mittel-
punkt das Gemüth iſt. Die Phantaſie iſt hier beſchränkt durch
Herzensbedürfniſſe, realiſirt nur die Wünſche des Gemüths,
bezieht ſich nur auf das Eine, was Noth iſt; kurz ſie hat, we-
nigſtens im Ganzen, eine praktiſche, concentriſche, keine aus-
ſchweifende, nur poetiſche Tendenz. Die Wunder des Chri-
ſtenthums, empfangen im Schooße des nothleidenden, bedürf-
tigen Gemüths, keine Producte nur der freien, willkührlichen
Selbſtthätigkeit, verſetzen uns unmittelbar auf den Boden des
gemeinen, wirklichen Lebens; ſie wirken auf den Gemüthsmen-
ſchen mit unwiderſtehlicher Gewalt, weil ſie die Nothwendig-
keit des Gemüths für ſich haben. Kurz, die Macht der Phan-
taſie iſt hier zugleich die Macht des Herzens, die Phantaſie
nur das ſiegreiche, triumphirende Herz. Bei den Orien-
talen, bei den Griechen ſchwelgte die Phantaſie, unbekümmert
um die Noth des Herzens, im Genuſſe irdiſcher Pracht und
Herrlichkeit; im Chriſtenthume ſtieg ſie aus dem Pallaſte der
Götter herab in die Wohnung der Armuth, wo nur die Noth-
wendigkeit des Bedürfniſſes waltet, demüthigte ſie ſich unter
die Herrſchaft des Herzens. Aber je mehr ſie ſich extenſiv be-
ſchränkte, um ſo mehr gewann ſie an intenſiver Stärke. An
der Noth des Herzens ſcheiterte der Muthwille der olympiſchen
[197] Götter; aber allmächtig wirkt die Phantaſie im Bunde mit
dem Herzen. Und dieſer Bund der Freiheit der Phantaſie mit
der Nothwendigkeit des Herzens iſt Chriſtus. Alle Dinge
ſind Chriſto unterthan
; Er iſt der Herr der Welt, der mit
ihr macht, was er nur will; aber dieſe über die Natur unbe-
ſchränkt gebietende Macht iſt ſelbſt wieder unterthan der
Macht des Herzens
: Chriſtus gebietet der tobenden Natur
Stillſchweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Noth-
leidenden*).


Der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum.


Chriſtus iſt die Allmacht der Subjectivität, das von allen
Banden und Geſetzen der Natur erlöſte Herz, das mit Aus-
ſchluß der Welt nur auf ſich allein concentrirte Gemüth, die
Realität aller Herzenswünſche, die Himmelfahrt der Phanta-
ſie, das Auferſtehungsfeſt des Herzens — Chriſtus daher
der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum
.


Im Chriſtenthum concentrirte ſich der Menſch nur auf
ſich ſelbſt; erfaßte er ſich als das allein berechtigte, allein we-
ſenhafte Weſen; löſte er ſich vom Zuſammenhang des
Weltganzen los
; machte er ſich zu einem ſelbſtgenügſamen
Ganzen, zu einem abſoluten, außer- und überweltlichen
Weſen
. Eben dadurch, daß er ſich nicht mehr als einen
Theil der Welt anſah, den Zuſammenhang mit ihr unterbrach,
fühlte er ſich als unbeſchränktes Weſen — denn die Schranke
der Subjectivität iſt eben die Welt, die Objectivität — hatte
er keinen Grund mehr, die Wahrheit und Gültigkeit ſeiner
[198] ſubjectiven Wünſche und Gefühle zu bezweifeln. Die Heiden
dagegen, nicht auf ſich zurückgezogen, nicht in ſich ſelbſt vor
der Natur ſich verbergend, beſchränkten ihre Subjectivität durch
die Anſchauung der Welt. So ſehr die Alten die Herrlichkeit
der Intelligenz, der Vernunft feierten, ſo waren ſie doch ſo
liberal, ſo objectiv, auch das Andere des Geiſtes, die Ma-
terie leben und zwar ewig leben zu laſſen, im Theoretiſchen,
wie im Praktiſchen; die Chriſten bewährten ihre, wie prakti-
ſche, ſo theoretiſche Intoleranz auch darin, daß ſie ihr ewi-
ges ſubjectives Leben nur dadurch zu ſichern glaubten, daß ſie,
wie z. B. in dem Glauben an den Untergang der Welt, den
Gegenſatz der Subjectivität, die Natur vernichteten. Die Al-
ten waren frei von ſich, aber ihre Freiheit war die Freiheit der
Gleichgültigkeit gegen ſich; die Chriſten frei von der Natur,
aber ihre Freiheit war nicht die Freiheit der Vernunft, die
wahre Freiheit — die wahre Freiheit iſt nur die durch die
Weltanſchauung ſich beſchränkende
— ſondern die Frei-
heit des Gemüths und der Phantaſie, die Freiheit des
Wunders
. Die Alten entzückte der Kosmos ſo ſehr, daß ſie
ſelbſt ſich darüber aus dem Auge verloren, ſich im Ganzen ver-
ſchwinden ſahen; die Chriſten verachteten die Welt; was iſt
die Creatur gegen den Creator? was Sonne, Mond und Erde
gegen die menſchliche Seele? Die Welt vergeht, aber der Menſch
und zwar der individuelle, perſönliche Menſch iſt ewig. Wenn
die Chriſten den Menſchen aus aller Gemeinſchaft mit der
Natur losriſſen und dadurch in das Extrem einer vornehmen
Delicateſſe verfielen, die ſchon die entfernte Vergleichung des
Menſchen mit dem Thiere als gottloſe Verletzung der Men-
ſchenwürde bezeichnete; ſo verfielen dagegen die Heiden in das
andere Extrem, in die Gemeinheit, welche den Unterſchied zwi-
[199] ſchen Thier und Menſch aufhebt, oder gar, wie z. B. Celſus,
der Gegner des Chriſtenthums, den Menſchen unter die Thiere
degradirt.


Die Heiden betrachteten aber den Menſchen nicht nur im
Zuſammenhang mit dem Univerſum; ſie betrachteten den Men-
ſchen, d. h. das Individunm nur im Zuſammenhang mit an-
dern Menſchen, in Verbindung mit einem Gemeinweſen. Sie
unterſchieden ſtrenge das Individuum von der Gattung, das
Individuum als Theil vom Ganzen des Menſchengeſchlechts
und ſubordinirten dem Ganzen das einzelne Weſen. Wie willſt
Du klagen über den Verluſt Deiner Tochter? ſchreibt Sulpi-
cius an Cicero. Große, weltberühmte Städte und Reiche ſind
untergegangen und Du geberdeſt Dich ſo über den Tod eines
homunculi, eines Menſchleins. Wo iſt Deine Philoſophie?
Der Begriff des Menſchen als Individuum war den Alten
ein durch den Begriff der Gattung vermittelter, ſecundärer Be-
griff. Dachten ſie auch hoch von der Gattung, hoch von den
Vorzügen der Menſchheit, hoch und erhaben von der Intelli-
genz, ſo dachten ſie doch gering vom Individuum. Das Chri-
ſtenthum dagegen ließ die Gattung fahren, hatte nur das In-
dividuum im Auge und Sinne. Das Chriſtenthum, frei-
lich nicht das heutige Chriſtenthum, welches nur noch den
Namen und einige allgemeine Sätze vom Chriſtenthum behal-
ten hat, iſt der directe Gegenſatz des Heidenthums
es wird nur wahrhaft erfaßt, nicht verunſtaltet durch will-
kührliche, ſpeculative Deutelei, wenn es als Gegenſatz er-
faßt wird; es iſt wahr, ſo weit als ſein Gegenſatz falſch
iſt
, aber falſch, ſo weit ſein Gegenſatz wahr iſt. Die
Alten opferten das Individuum der Gattung auf; die Chri-
ſten die Gattung dem Individuum. Oder: das Heidenthum
[200] dachte und erfaßte das Individuum nur als Theil im Unter-
ſchiede von dem Ganzen der Gattung, das Chriſtenthum da-
gegen nur in ſeiner unmittelbaren, unterſchiedloſen Einheit
mit der Gattung.


Dem Chriſtenthum war das Individuum Gegenſtand
einer unmittelbaren Vorſehung, d. h. ein unmittelbarer
Gegenſtand des göttlichen Weſens
. Die Heiden glaub-
ten eine Vorſehung des Einzelnen nur vermittelſt der Gattung,
des Geſetzes, der Weltordnung, alſo nur eine mittelbare, na-
türliche, nicht wunderbare Vorſehung *); die Chriſten aber lie-
ßen die Vermittlung fallen, ſetzten ſich in unmittelbaren Con-
nex mit dem vorſehenden, allumfaſſenden, allgemeinen Weſen;
[201] d. h. ſie identificirten unmittelbar mit dem allgemeinen We-
ſen das einzelne Weſen.


Aber der Begriff der Gottheit fällt mit dem Begriff der
Menſchheit in Eins zuſammen. Alle göttlichen Beſtimmun-
gen, alle Beſtimmungen, die Gott zu Gott machen, ſind Gat-
tungsbeſtimmungen
— Beſtimmungen, die in dem Ein-
zelnen, dem Individuum beſchränkt ſind, aber deren Schranken
in dem Weſen der Gattung und ſelbſt in ihrer Exiſtenz — in-
wiefern ſie nur in allen Menſchen zuſammengenommen ihre
entſprechende Exiſtenz hat — aufgehoben ſind. Mein Wiſſen,
mein Wille iſt beſchränkt; aber meine Schranke iſt nicht die
Schranke des Andern, geſchweige der Menſchheit; was mir
ſchwer, iſt dem Andern leicht; was einer Zeit unmöglich, un-
begreiflich, iſt der kommenden begreiflich und möglich. Mein
Leben iſt an eine beſchränkte Zeit gebunden, das Leben der
Menſchheit nicht. Die Geſchichte der Menſchheit beſteht
in nichts anderm als einer fortgehenden Ueberwindung von
Schranken
, — Schranken, die immer der vorangegang-
nen Zeit für Schranken der Menſchheit, und darum für
abſolute, unüberſteigliche Schranken galten. Die Zu-
kunft enthüllt aber immer, daß die angeblichen Schranken der
Gattung nur Schranken der Individuen waren. Die Ge-
ſchichte der Wiſſenſchaften, namentlich der Philoſophie und
Naturwiſſenſchaft liefern hiefür die intereſſanteſten Belege. Es
wäre höchſt intereſſant und lehrreich, eine Geſchichte der Wiſ-
ſenſchaften lediglich aus dieſem Geſichtspunkt zu ſchreiben, um
den Wahn des Menſchen, als könnte er etwas Höheres als
ſeine Gattung denken, ſeine Subſtanz beſchränkt denken und
fühlen, in ſeiner ganzen Nichtigkeit zu zeigen. Unbeſchränkt
iſt alſo die Gattung, beſchränkt nur das Individuum.


[202]

Aber das Gefühl der Schranke iſt ein peinliches; von die-
ſer Pein befreit ſich das Individuum in der Anſchauung des
vollkommnen Weſens; in dieſer Anſchauung beſitzt es, was
ihm außerdem fehlt. Gott iſt nichts andres bei den Chriſten
als die Anſchauung von der unmittelbaren Einheit
der Gattung und Individualität
, des allgemeinen und
individuellen Weſens. Gott iſt der Begriff der Gattung
als eines Individuums
, der Begriff oder das Weſen
der Gattung, welche als Gattung, als allgemeines Weſen,
als der Inbegriff aller Vollkommenheiten, aller von
den Schranken, die in das Bewußtſein und Gefühl des In-
dividuums fallen, gereinigten Eigenſchaften oder Realitäten,
zugleich wieder ein individuelles, perſönliches Weſen iſt.
Ipse suum Esse est. Weſen und Exiſtenz iſt bei Gott iden-
tiſch, d. h. eben nichts andres, als er iſt der Gattungsbegriff,
das Gattungsweſen unmittelbar zugleich als Exiſtenz, als In-
dividuum. Der höchſte Gedanke von dem Standpunkt der
Religion aus iſt: Gott liebt nicht, er iſt ſelbſt die Liebe; er
lebt nicht, er iſt das Leben; er iſt nicht gerecht, ſondern die
Gerechtigkeit ſelbſt, nicht eine Perſon, ſondern die Perſönlich-
keit ſelbſt — das Abſtractum, die Idee unmittelbar als Con-
cretum *).


Eben wegen dieſer unmittelbaren Einheit der Gattung
und Individualität, dieſer Concentration aller Allgemeinhei-
ten und Realitäten in ein perſönliches Weſen iſt Gott ein tief
gemüthliches, die Phantaſie entzückendes Object, während die
Idee der Menſchheit eine gemüthloſe iſt, weil die Menſchheit
[203] nur als ein Abſtractum, als das Wirkliche aber, im Unter-
ſchied von dieſem Abſtractum, die unzählig vielen einzelnen
beſchränkten Individuen uns in unſerer Vorſtellung erſchei-
nen *). In Gott dagegen befriedigt ſich unmittelbar das Ge-
müth, weil hier Alles in Eins zuſammengefaßt, Alles mit
einem Mal, d. h. weil hier die Gattung unmittelbar Exi-
ſtenz, d. i. Individualität iſt. Gott iſt die Liebe, die Gerech-
rigkeit als ſelbſt Subject, das vollkommne, allgemeine Weſen
als ein Weſen, die unendliche Extenſion der Gattung als ein
compendiariſcher Inbegriff. Aber Gott iſt nur die Anſchauung
des Menſchen von ſeinem eignen Weſen, Gott ſein wahres
Weſen — die Chriſten unterſcheiden ſich alſo dadurch von den
Heiden, daß ſie das Individuum unmittelbar mit der Gattung
identificirten, daß bei ihnen das Individuum die Bedeutung
der Gattung hat, das Individuum für ſich ſelbſt für das
vollkommne Daſein der Gattung gilt — dadurch, daß ſie das
menſchliche Individuum vergötterten, zum abſoluten
Weſen
machten.


Charakteriſtiſch beſonders iſt die Differenz des Chriſten-
thums und Heidenthums in Betreff des Verhältniſſes des In-
dividuums zur Intelligenz, zum Verſtande, zum Νοῦς. Die
Chriſten individualiſirten den Verſtand, die Heiden mach-
ten ihn zu einem univerſalen Weſen. Den Heiden war
der Verſtand, die Intelligenz das Weſen des Menſchen, den
Chriſten nur ein Theil ihrer ſelbſt, den Heiden war darum
[204] nur die Intelligenz, die Gattung, den Chriſten das In-
dividuum unſterblich, d. i. göttlich
. Hieraus ergibt ſich
von ſelbſt die weitere Differenz zwiſchen heidniſcher und chriſt-
licher Philoſophie.


Der unzweideutigſte Ausdruck, das charakteriſtiſche Sym-
bolum dieſer unmittelbaren Identität der Gattung und Indivi-
dualität im Chriſtenthum iſt Chriſtus, der reale Gott der Chriſten.
Chriſtus iſt das Urbild, der exiſtirende Begriff der Menſchheit, der
Inbegriff aller moraliſchen und göttlichen Vollkommenheiten,
mit Ausſchluß alles Negativen, reiner, himmliſcher, ſündloſer
Menſch, Gattungsmenſch, der Adam Kadmon, aber nicht an-
geſchaut als die Totalität der Gattung, der Menſchheit,
ſondern unmittelbar als Individuum, als eine Perſon.
Chriſtus, d. h. der chriſtliche, religiöſe Chriſtus iſt daher nicht
der Mittelpunkt, ſondern das Ende der Geſchichte. Dieß geht
eben ſo aus dem Begriffe, als der Hiſtorie hervor. Die
Chriſten erwarteten das Ende der Welt, der Geſchichte. Chri-
ſtus ſelbſt prophezeit in der Bibel, allen Lügen und Sophis-
men unſerer Exegeten zum Trotz, klar und deutlich das nahe
Weltende
. Die Geſchichte beruht nur auf dem Unterſchiede
des Individuums von der Gattung. Wo dieſer Unterſchied
aufhört, hört die Geſchichte auf, geht der Verſtand, der Sinn
der Geſchichte aus. Es bleibt dem Menſchen nichts weiter
übrig, als die Anſchauung und Aneignung dieſes realiſirten
Ideals und der formelle, quantitative Ausbreitungstrieb —
die Predigt, daß Gott erſchienen und das Ende der Welt ge-
kommen iſt.


Deßwegen, weil die unmittelbare Identität der Gattung
und des Individuums über die Gränzen der Vernunft und
Natur hinausgeht, war es auch ganz natürlich und nothwen-
[205] dig, dieſes univerſale, ideale Individuum für ein überſchwäng-
liches, übernatürliches, himmliſches Weſen zu erklären. Ver-
kehrt iſt es daher, aus der Vernunft die unmittelbare Identi-
tät der Gattung und des Inviduums deduciren zu wollen;
denn es iſt nur die Phantaſie, die dieſe Identität bewerkſtelligt,
die Phantaſie, der nichts unmöglich — dieſelbe Phantaſie, die
auch die Schöpferin der Wunder iſt; denn das größte Wun-
der iſt das Individuum, welches zugleich die Idee, die Gat-
tung, die Menſchheit in der Fülle ihrer Vollkommenheit und
Unendlichkeit, d. h. der Gottheit iſt. Verkehrt iſt es daher
auch, den hiſtoriſch dogmatiſchen Chriſtus beizubehalten, aber
die Wunder auf die Seite zu ſchieben. Wenn Du das Prin-
cip feſthältſt, wie willſt Du ſeine nothwendigen Conſequenzen
verläugnen?


Die gänzliche Abweſenheit des Begriffes der Gattung im
Chriſtenthum bekundet beſonders die charakteriſtiſche Lehre deſ-
ſelben von der allgemeinen Sündhaftigkeit der Menſchen. Es
liegt nämlich dieſer Lehre die Forderung zu Grunde, daß das
Individuum nicht ein Individuum ſein ſoll, eine Forderung,
die aber ſelbſt wieder zu ihrem Fundament die Vorausſetzung
hat, daß das Individuum für ſich ſelbſt ein vollkommnes
Weſen, für ſich ſelbſt die adäquate Darſtellung oder Exiſtenz
der Gattung iſt *). Es fehlt hier gänzlich die objective An-
ſchauung, das Bewußtſein, daß das Du zur Vollkommenheit
des Ich gehört, daß die Menſchen erſt zuſammen den Men-
[206] ſchen ausmachen, die Menſchen nur zuſammen das ſind und
ſo ſind, was und wie der Menſch ſein ſoll und ſein kann.
Alle Menſchen ſind Sünder. Ich gebe es zu; aber ſie ſind
nicht Sünder alle auf gleiche Weiſe; es findet vielmehr ein
ſehr großer, ja weſentlicher Unterſchied ſtatt. Der eine Menſch
hat Neigung zur Lüge, der Andere aber nicht: er würde eher
ſein Leben laſſen, als ſein Wort brechen oder lügen; der
Dritte hat Neigung zur Trinkluſt, der Vierte zur Geſchlechts-
luſt, der Fünfte aber hat alle dieſe Neigungen nicht — ſei es
nun durch die Gnade der Natur oder die Energie ſeines Cha-
rakters. Es compenſiren ſich alſo auch im Moraliſchen,
wie im Phyſiſchen und Intellectuellen, gegenſeitig die Men-
ſchen, ſo daß ſie im Ganzen zuſammengenommen ſo ſind, wie
ſie ſein ſollen, den vollkommnen Menſchen darſtellen.


Darum beſſert und hebt der Umgang unwillkührlich, ohne
Verſtellung iſt der Menſch ein anderer im Umgang, als allein
für ſich. Wunder wirkt namentlich die Liebe und zwar die
Geſchlechterliebe. Mann und Weib berichten und ergänzen
ſich gegenſeitig, um ſo vereint erſt die Gattung, den vollkomm-
nen Menſchen darzuſtellen *). Ohne Gattung iſt die Liebe
undenkbar. Die Liebe iſt nichts andres als das Selbſtge-
fühl der Gattung
innerhalb der Geſchlechtsdifferenz. In
[207] der Liebe iſt die Realität der Gattung, die ſonſt nur eine
Vernunftſache, ein Gegenſtand des Denkens iſt, eine Ge-
fühlsſache
, eine Gefühlswahrheit, denn in der Liebe
ſpricht der Menſch ſeine Ungenügſamkeit an ſeiner Individua-
lität für ſich aus, poſtulirt er das Daſein des Andern als ein
Herzensbedürfniß, rechnet er den Andern zu ſeinem eignen
Weſen, erklärt er nur ſein durch die Liebe mit ihm verbund-
nes Leben für wahres menſchliches, dem Begriffe des Men-
ſchen, d. i. der Gattung entſprechendes Leben. Mangelhaft,
unvollkommen, ſchwach, bedürftig iſt das Individuum; aber
ſtark, vollkommen, befriedigt, bedürfnißlos, ſelbſtgenugſam,
unendlich die Liebe, weil in ihr das Selbſtgefühl der
Individualität das geheimnißvolle Selbſtgefühl der Vollkom-
menheit der Gattung iſt. Aber wie die Liebe, wirkt auch die
Freundſchaft, wo ſie wenigſtens intenſiv iſt, wie ſie es bei den
Alten war — daher wir auch nicht den Chriſten, ſondern den
Heiden den tiefen Ausſpruch verdanken, daß der Freund der
Alter Ego ſei. Freunde compenſiren ſich; Freundſchaft iſt
ein Tugendmittel und mehr: ſie iſt ſelbſt Tugend, aber eine
gemeinſchaftliche Tugend. Nur zwiſchen Tugendhaften
kann Freundſchaft ſtatt finden, wie die Alten ſagten. Aber
doch kann nicht vollkommne Gleichheit, es muß vielmehr Un-
terſchied ſtatt finden, denn die Freundſchaft beruht auf einem
Ergänzungstriebe. Der Freund gibt ſich durch den Andern,
was er ſelbſt nicht beſitzt. Die Freundſchaft ſühnt durch die
Tugenden des Einen die Fehler des Andern. Der Freund
rechtfertigt den Freund vor Gott. Er liebt in dem Freunde
die ſeinen Fehlern entgegengeſetzten Tugenden. So fehlerhaft
auch ein Menſch für ſich ſelbſt ſein mag: er beweiſt doch darin
ſchon einen guten Kern, wenn er tüchtige Menſchen zu Freun-
[208] den hat. Wenn ich auch ſelbſt nicht vollkommen ſein kann,
ſo liebe ich doch wenigſtens an Andern die Tugend, die Voll-
kommenheit. Wenn daher einſt der liebe Gott wegen mei-
ner Sünden, Schwächen und Fehler mit mir rechten will, ſo
ſchiebe ich als Fürſprecher, als Mittelsperſonen die Tugenden
meiner Freunde ein. Wie barbariſch, wie unvernünftig wäre
der Gott, der mich verdammte wegen Sünden, welche ich
wohl begangen, aber ſelbſt in der Liebe zu meinen Freunden,
die frei von dieſen Sünden waren, verdammte.


Wenn nun aber ſchon die Freundſchaft, die Liebe, die
ſelbſt nur ſubjective Realiſationen der Gattung ſind, aus für
ſich unvollkommnen Weſen ein, wenigſtens relativ, vollkomm-
nes Ganzes machen, wie viel mehr verſchwinden in der Gat-
tung ſelbſt, welche nur in der Geſammtheit der Menſchheit ihr
adäquates Daſein hat und eben darum nur ein Gegenſtand
der Vernunft iſt, die Sünden und Fehler der einzelnen Men-
ſchen! Das Lamento über die Sünde kommt daher nur da
an die Tagesordnung, wo das menſchliche Individuum in ſeiner
Individualität ſich als ein für ſich ſelbſt vollkommnes,
completes, des Andern nicht
zur Realiſirung der Gat-
tung, des vollkommenen Menſchen, bedürftiges Weſen Gegen-
ſtand, wo an die Stelle des Bewußtſeins der Gattung
das ausſchließliche Selbſtbewußtſeins des Indivi-
duums
getreten iſt, wo das Individuum ſich nicht als einen
Theil der Menſchheit weiß, ſondern ſich mit der Gattung
identificirt, und deßwegen ſeine Sünden, ſeine Schranken,
ſeine Schwächen zu allgemeinen Sünden, zu Sünden, Schran-
ken und Schwächen der Menſchheit ſelbſt macht. Aber gleich-
wohl kann der Menſch das Bewußtſein der Gattung nicht
verlieren, denn ſein Selbſtbewußtſein iſt weſentlich an das
[209] Bewußtſein des Andern gebunden. Wo darum dem Men-
ſchen nicht die Gattung als Gattung Gegenſtand iſt, da
wird ihm die Gattung als Gott Gegenſtand. Den Man-
gel des Begriffs der Gattung ergänzt er durch den Begriff
Gottes, als des Weſens, welches frei iſt von den Schranken
und Mängeln, die das Individuum, und, nach ſeiner Meinung,
die das Individuum mit der Gattung identificirt, die Gattung
ſelbſt drücken. Aber dieſes von den Schranken der Individuen
freie, unbeſchränkte Weſen iſt eben nichts andres als die Gat-
tung, welche die Unendlichkeit ihres Weſens darin offenbart,
daß ſie ſich in unbeſchränkt vielen und verſchiedenartigen In-
dividuen verwirklicht. Wären alle Menſchen abſolut gleich,
ſo wäre allerdings kein Unterſchied zwiſchen der Gattung und
dem Individuum. Aber dann wäre auch das Daſein vieler
Menſchen ein reiner Luxus. Ein Einziger genügte hinläng-
lich dem Zweck der Gattung. Alle miteinander hätten an dem
Einen, der das Glück der Exiſtenz genöſſe, ihren hinreichenden
Erſatzmann.


Allerdings iſt das Weſen der Menſchen Eines, aber
dieſes Weſen iſt unendlich; ſein wirkliches Daſein daher
unendliche, ſich gegenſeitig ergänzende Verſchiedenartigkeit, um
den Reichthum des Weſens zu offenbaren. Die Einheit im
Weſen iſt Mannigfaltigkeit im Daſein. Zwiſchen Mir
und dem Andern — aber der Andere iſt der Repräſentant der
Gattung, auch wenn er nur Einer iſt, er erſetzt mir das Be-
dürfniß nach vielen Andern, hat für mich univerſelle
Bedeutung, iſt der Deputirte der Menſchheit, der in ihrem
Namen zu mir Einſamen ſpricht, ich habe daher, auch nur
mit Einem verbunden, ein gemeinſames, menſchliches Leben —
zwiſchen Mir und dem Andern findet daher ein weſentlicher,
Feuerbach. 14
[210]qualitativer Unterſchied ſtatt. Der Andere iſt mein Du
ob dieß gleich wechſelſeitig iſt — mein Alter Ego, der mir
gegenſtändliche Menſch, mein aufgeſchloſſenes Innere
— das ſich ſelbſt ſehende Auge. An dem Andern habe ich
erſt das Bewußtſein der Menſchheit. Durch ihn erſt erfahre,
fühle ich, daß ich Menſch bin; in der Liebe zu ihm wird mir
erſt klar, daß er zu mir und ich zu ihm gehöre, daß wir
beide nicht ohne einander ſein können, daß nur die Gemein-
ſamkeit die Menſchheit conſtituirt. Aber eben ſo findet auch
moraliſch ein qualitativer, ein kritiſcher Unterſchied zwi-
ſchen dem Ich und Du ſtatt. Der Andere iſt mein gegen-
ſtändliches
Gewiſſen: er macht mir meine Fehler zum Vor-
wurf, auch wenn er ſie mir nicht ausdrücklich ſagt: er iſt
mein perſonificirtes Schaamgefühl. Das Bewußtſein des
Moralgeſetzes, des Rechtes, der Schicklichkeit, der Wahrheit
ſelbſt iſt nur an das Bewußtſein des Andern gebunden. Wahr
iſt, worin der Andere mit mir übereinſtimmt — Uebereinſtimmung
iſt das erſte Kriterium der Wahrheit, aber nur deßwegen, weil die
Gattung das letzte Maaß der Wahrheit iſt. Was ich
nur denke nach dem Maaße meiner Individualität, daran iſt
der Andere nicht gebunden, das kann anders gedacht werden,
das iſt eine zufällige, nur ſubjective Anſicht. Was ich aber
denke im Maaße der Gattung, das denke ich, wie es der
Menſch überhaupt nur immer denken kann und folglich der
Einzelne denken muß, wenn er normal, geſetzmäßig und folg-
lich wahr denken will. Wahr iſt, was mit dem Weſen
der Gattung übereinſtimmt
, falſch, was ihr widerſpricht.
Ein anderes Geſetz der Wahrheit gibt es nicht. Aber der
Andere iſt mir gegenüber der Repräſentant der Gattung, der
Stellvertreter der Andern im Plural, ja ſein Urtheil kann
[211] mir mehr gelten, als das Urtheil der zahlloſen Menge. „Mache
der Schwärmer ſich Schüler, wie Sand am Meere; der Sand
iſt Sand; die Perle ſei mein, Du o vernünftiger Freund!“
Die Beiſtimmung des Andern gilt mir daher für das Krite-
rium der Normalität, der Allgemeinheit, der Wahrheit meiner
Gedanken. Ich kann mich nicht ſo von mir abſondern, um
vollkommen frei und intereſſelos mich beurtheilen zu können;
aber der Andere hat ein unpartheiiſches Urtheil; durch ihn be-
richtige, ergänze, erweitre ich mein eignes Urtheil, meinen
eignen Geſchmack, meine eigne Erkenntniß. Kurz, es findet
eine qualitative, kritiſche Differenz zwiſchen den Men-
ſchen ſtatt. Aber das Chriſtenthum löſcht dieſe qualitativen
Unterſchiede aus, es ſchlägt alle Menſchen über einen Leiſten,
betrachtet ſie wie ein und daſſelbe Individuum, weil es keinen
Unterſchied zwiſchen der Gattung und dem Individuum kennt:
ein und daſſelbe Heilmittel für alle Menſchen ohne
Unterſchied, ein und daſſelbe Grund- und Erbübel in
allen.


Eben deßwegen, weil das Chriſtenthum aus überſchwäng-
licher Subjectivität nichts weiß von der Gattung, in welcher
allein die Löſung, die Rechtfertigung, die Verſöhnung und
Heilung der Sünden und Mängel der Individuen liegt, be-
durfte es auch einer übernatürlichen, beſondern, ſelbſt wieder
nur perſönlichen ſubjectiven Hülfe, um die Sünde zu überwin-
den. Wenn ich allein die Gattung bin, wenn außer mir keine
anderen, qualitativ anderen Menſchen exiſtiren oder, was völ-
lig eins iſt, wenn kein Unterſchied zwiſchen mir und den An-
dern iſt, wenn wir Alle vollkommen gleich ſind, wenn meine
Sünden nicht neutraliſirt und paralyſirt werden durch die
entgegengeſetzten Eigenſchaften anderer Menſchen; ſo iſt frei-
14*
[212] lich meine Sünde ein himmelſchreiender Schandfleck, ein em-
pörender Greuel, der nur durch außerordentliche, außermenſch-
liche, wunderbare Mittel getilgt werden kann. Glücklicher
Weiſe gibt es aber eine natürliche Verſöhnung. Der An-
dere
iſt per se der Mittler zwiſchen mir und der heiligen
Idee der Gattung. Homo homini Deus est. Meine Sünde
iſt dadurch ſchon in ihre Schranke zurückgewieſen, in ihr
Nichts verſtoßen, daß ſie eben nur meine, aber deßwegen
noch nicht auch die Sünde des Andern iſt.


Die chriſtliche Bedeutung des freien Cälibats und
Mönchthums.


Der Begriff der Gattung und mit ihm die Bedeu-
tung des Gattungslebens war mit dem Chriſtenthum ver-
ſchwunden. Der früher ausgeſprochne Satz, daß das Chri-
ſtenthum das Princip der Bildung nicht in ſich enthält, erhält
dadurch eine neue Beſtätigung. Wo der Menſch die Gattung
unmittelbar mit dem Individuum identificirt und dieſe Iden-
tität als ſein höchſtes Weſen, als Gott ſetzt, wo ihm alſo die
Idee der Menſchheit nur als die Idee der Gottheit Gegenſtand
iſt: da iſt das Bedürfniß der Bildung verſchwunden; der
Menſch hat Alles in ſich, Alles in ſeinem Gotte, folglich kein
Bedürfniß, ſich zu ergänzen durch den Andern, den Repräſen-
tanten der Gattung, durch die Anſchauung der Welt über-
haupt — ein Bedürfniß, auf welchem allein der Bildungstrieb
beruht. Allein für ſich erreicht der Menſch ſeinen Zweck —
er erreicht ihn in Gott, Gott iſt ſelbſt dieſes erreichte
Ziel, dieſer realiſirte höchſte Zweck der Menſchheit
;
aber Gott iſt jedem Individuum allein für ſich gegenwärtig.
[213] Gott nur iſt das Bedürfniß des Chriſten, — den Andern, die
Menſchengattung, die Welt bedarf er nicht nothwendig
dazu. Das innere Bedürfniß des Andern fehlt. Gott vertritt
mir eben die Gattung, den Andern; ja in der Abkehr von der
Welt, in der Abſonderung werde ich erſt recht gottesbedürf-
tig
, empfinde ich erſt recht lebendig die Gegenwart Gottes,
empfinde ich erſt, was Gott iſt, und was er mir ſein ſoll.
Wohl iſt dem Religiöſen auch Gemeinſchaft, gemeinſchaftliche
Erbauung Bedürfniß, aber das Bedürfniß des Andern iſt an
ſich ſelbſt doch immer etwas höchſt Untergeordnetes. Das
Seelenheil iſt die Grundidee, die Hauptſache des Chriſten-
thums, aber dieſes Heil liegt nur in Gott, nur in der Con-
centration auf ihn. Die Thätigkeit für Andere iſt eine gefor-
derte, iſt Bedingung des Heils, aber der Grund des Heils iſt
Gott, die unmittelbare Beziehung auf Gott. Und ſelbſt die
Thätigkeit für Andere hat nur eine religiöſe Bedeutung, hat
nur die Beziehung auf Gott zum Grund und Zweck
iſt im Weſen nur eine Thätigkeit für Gott — Verherrlichung
ſeines Namens, Ausbreitung ſeines Ruhmes. Aber Gott iſt
die abſolute Subjectivität, die von der Welt abgeſchiedene,
überweltliche
, von der Materie befreite, von dem Gat-
tungsleben
und damit von der Geſchlechtsdifferenz ab-
geſonderte Subjectivität
. — Die Scheidung von der
Welt, von der Materie, von dem Gattungsleben iſt daher das
weſentliche Ziel des Chriſten *). Und dieſes Ziel realiſirte
ſich auf ſinnliche Weiſe im Mönchsleben.


[214]

Es iſt Selbſtbetrug, das Mönchthum nur aus dem Orient
ableiten zu wollen. Wenigſtens muß man, wenn dieſe Ab-
leitung gelten ſoll, dann auch ſo gerecht ſein und die dem
Mönchthum entgegengeſetzte Tendenz der Chriſtenheit nicht
aus dem Chriſtenthum, ſondern aus dem Geiſte, aus der Na-
tur des Occidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt ſich
dann die Begeiſterung des Abendlandes für das Mönchsleben?
Das Mönchthum muß vielmehr geradezu aus dem Chriſten-
thum ſelbſt abgeleitet werden: es war eine nothwendige
Folge
von dem Glauben an den Himmel, welchen das
Chriſtenthum der Menſchheit verhieß. Wo das himmliſche
Leben eine Wahrheit, da iſt das irdiſche Leben eine Lüge —
wo Alles die Phantaſie, die Wirklichkeit Nichts. Wer ein
ewiges himmliſches Leben glaubt, dem verliert dieſes Leben
ſeinen Werth. Oder vielmehr es hat ſchon ſeinen Werth ver-
loren: der Glaube an das himmliſche Leben iſt eben der Glaube
an die Nichtigkeit und Werthloſigkeit dieſes Lebens.
Das Jenſeits kann ich mir nicht vorſtellen, ohne mich nach
ihm zu ſehnen, ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der
Verachtung auf dieſes erbärmliche Leben herabzuſchauen. Das
himmliſche Leben kann kein Gegenſtand, kein Geſetz des Glau-
bens
ſein, ohne zugleich ein Geſetz der Moral zu ſein: es
muß meine Handlungen beſtimmen *), wenn anders mein
Leben mit meinem Glauben übereinſtimmen
ſoll: ich
darf mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge dieſer
Erde. Ich darf nicht, aber ich mag auch nicht, denn was
*)
[215] ſind alle Dinge hienieden gegen die Herrlichkeit des himmli-
ſchen Lebens *)?


Allerdings hängt die Qualität jenes Lebens von der Qua-
lität, der moraliſchen Beſchaffenheit dieſes Lebens ab, aber die
Moralität iſt ſelbſt beſtimmt durch den Glauben an das ewige
Leben. Und dieſe dem überirdiſchen Leben entſprechende Mo-
ralität iſt nur die Abkehr von dieſer Welt, die Negation dieſes
Lebens. Die ſinnliche Bewährung dieſer geiſtigen Abkehr aber
iſt das klöſterliche Leben. Alles muß ſich zuletzt äußerlich,
ſinnlich darſtellen **). Was innere Geſinnung, muß ſich prak-
tiſch realiſiren. Das klöſterliche, überhaupt ascetiſche Leben
iſt das himmliſche Leben, wie es ſich hienieden bewährt und
bewähren kann. Wenn meine Seele dem Himmel angehört,
warum ſoll ich, ja wie kann ich mit dem Leibe der Erde ange-
hören? Die Seele animirt den Leib. Wenn aber die Seele
im Himmel iſt, ſo iſt der Leib verlaſſen, todt — abgeſtorben
alſo das Medium, das Verbindungsglied zwiſchen der Welt
und der Seele. Der Tod, die Scheidung der Seele vom Leibe,
wenigſtens von dieſem groben materiellen, ſündhaften Leibe,
iſt der Eingang zum Himmel. Wenn aber der Tod die Be-
dingung der Seligkeit und moraliſchen Vollkommen-
heit
iſt, ſo iſt nothwendig die Abtödtung, die Mortification
das einzige Geſetz der Moral
. Der moraliſche Tod iſt
die nothwendige Anticipation des natürlichen Todes —
[216] die nothwendige; denn es wäre die höchſte Immoralität, dem
ſinnlichen Tod, der kein moraliſcher, ſondern natürlicher, dem
Menſchen mit dem Thiere gemeiner Act iſt, den Erwerb des
Himmels zu überlaſſen. Der Tod muß daher zu einem mo-
raliſchen Act
, einem Act der Selbſtthätigkeit erhoben
werden. „Ich ſterbe täglich,“ ſagt der Apoſtel. Und die-
ſen Spruch machte der heilige Antonius, der Gründer des
Mönchthums*), zum Thema ſeines Lebens.


Aber das Chriſtenthum, entgegnet man, hat nur eine
geiſtige Freiheit gewollt. Richtig; aber was iſt die geiſtige
Freiheit, die nicht in die That übergeht, die ſich nicht ſinnlich
bewährt? Die ſinnliche Freiheit iſt allein die Wahrheit der
geiſtigen Freiheit. Ein Menſch, der an den irdiſchen Schätzen
das geiſtige Intereſſe wirklich verloren, der wirft ſie auch bald
zum Fenſter hinaus, um vollkommen ſein Herz zu entledigen.
Was ich nicht mehr mit der Geſinnung habe, das iſt mir
zur Laſt, wenn ich es dennoch habe, denn ich habe es im
Widerſpruch
mit meiner Geſinnung. Alſo weg damit! Was
die Geſinnung entlaſſen, das halte auch die Hand nicht mehr
feſt. Nur die Geſinnung iſt die Schwerkraft des Händedrucks;
nur die Geſinnung heiligt den Beſitz. Wer ſein Weib ſo ha-
ben ſoll, als habe er es nicht, der thut beſſer, wenn er ſich gar
kein Weib nimmt. Haben, als habe man nicht, heißt haben
ohne die Geſinnung des Habens, heißt in Wahrheit nicht
haben. Und wer daher ſagt: man ſolle ein Ding haben ſo,
als habe man es nicht, der ſagt nur auf eine feine, ſchlaue,
ſchonende Weiſe: man ſoll es gar nicht haben. Was ich aus
dem Herzen fahren laſſe, das iſt nicht mehr mein, das iſt vo-
[217] gelfrei. Der heilige Antonius faßte den Entſchluß, der Welt
zu entſagen, als er einſt den Spruch hörte: „Willſt Du voll-
kommen ſein, ſo gehe hin, verkaufe, was Du haſt und gib es
den Armen, ſo wirſt Du einen Schatz im Himmel haben
und komm und folge mir nach.“ Der heilige Antonius gab
die allein wahre Auslegung dieſes Ausſpruchs. Er ging hin
und verkaufte ſeine Reichthümer und gab ſie den Armen. Nur
ſo bewährte er ſeine geiſtige Freiheit von den Schätzen dieſer
Welt*).


Solche Freiheit, ſolche Wahrheit widerſpricht nun freilich
dem heutigen Chriſtenthum, welchem zufolge der Herr nur eine
geiſtige Freiheit gewollt, d. h. eine Freiheit, die durchaus keine
Opfer erheiſcht, die bei vollem Wanſte frei iſt von den Be-
gierden des Fleiſches, bei vollem Geldbeutel frei von den
irdiſchen Sorgen. Deßwegen ſagte ja auch der Herr: „mein
Joch iſt ſanft und leicht.“ Wie barbariſch, wie unſinnig wäre
das Chriſtenthum, wenn es den Menſchen zumuthete, die
Schätze dieſer Welt aufzuopfern! Dann paßte ja das Chri-
ſtenthum gar nicht für dieſe Welt. Aber das ſei ferne! Das
Chriſtenthum iſt höchſt praktiſch und weltklug. Es überläßt
die Freiheit von den Schätzen und Lüſten dieſer Welt dem
natürlichen Tode, — die Selbſttödtung der Mönche iſt un-
chriſtlicher Selbſtmord — aber der Selbſtthätigkeit den Erwerb
und Genuß der irdiſchen Schätze. Die ächten Chriſten zwei-
feln zwar nicht an der Wahrheit des himmliſchen Lebens, Gott
bewahre! Darin ſtimmen ſie noch heute mit den alten Mön-
[218] chen überein; aber ſie erwarten daſſelbe geduldig, ergeben in
den Willen Gottes, d. h. in den Willen der Selbſtſucht,
der wohlbehaglichen Genußſucht dieſer Welt*). Doch ich
wende mich mit Ekel und Verachtung weg von dem moder-
nen Chriſtenthum, wo die Braut Chriſti bereitwillig ſelbſt
der Polygamie huldigt, wenigſtens der ſucceſſiven Polygamie,
die ſich aber nicht weſentlich in den Augen des wahren Chri-
ſten von der gleichzeitigen unterſcheidet, aber doch zugleich —
o ſchändliche Heuchelei! — auf die ewige, allverbindende, un-
widerſprechliche, heilige Wahrheit des Wortes Gottes ſchwört,
und kehre zurück mit heiliger Scheu zur verkannten Wahrheit
der keuſchen Kloſterzelle, wo noch nicht die dem Himmel
angetraute Seele mit einem fremden Leibe ſich ver-
miſchte
**)!


Das unweltliche, übernatürliche Leben iſt weſentlich auch
eheloſes Leben. Das Cälibat — freilich nicht als Geſetz —
liegt gleichfalls alſo im innerſten Weſen des Chriſtenthums.
Hinlänglich iſt dieß ſchon in der übernatürlichen Herkunft des
Heilands ausgeſprochen. In dieſem Glauben heiligten die
Chriſten die unbefleckte Jungfräulichkeit als das heil-
bringende Princip, als das Princip der neuen, der
chriſtlichen Welt
. Komme man nicht mit ſolchen Stellen
der Bibel wie etwa: Mehret euch, oder: was Gott zuſammen-
gefügt, ſoll der Menſch nicht ſcheiden, um damit die Ehe zu
[219] ſanctioniren! Die erſte Stelle bezieht ſich, wie ſchon Tertullian
und Hieronymus bemerkten, nur auf die menſchenleere, nicht
aber bereits erfüllte Erde, nur auf den Anfang, nicht aber auf
das mit der unmittelbaren Erſcheinung Gottes auf Erden ein-
getretne Ende der Welt. Und auch die zweite bezieht ſich nur
auf das Alte Teſtament. Juden ſtellten die Frage: ob es auch
recht ſei, daß ſich ein Menſch ſcheide von ſeinem Weibe: die
zweckmäßigſte Abfertigung dieſer Frage war obige Antwort.
Wer einmal eine Ehe ſchließt, der ſoll ſie auch heilig halten.
Schon der Blick nach einer andern iſt Ehebruch. Die Ehe iſt
an und für ſich ſchon eine Conceſſion gegen die Schwachheit
der Sinnlichkeit, ein Uebel, das daher ſo viel als möglich be-
ſchränkt werden muß. Die Unauflöslichkeit der Ehe iſt ein
Nimbus, ein Heiligenſchein, welcher gerade das Gegentheil
von Dem ausſpricht, was die vom Scheine geblendeten und
perturbirten Köpfe dahinter ſuchen. Die Ehe iſt an ſich eine
Sünde, eine Schwachheit, die Dir nur unter der Bedingung
erlaubt und verziehen wird, daß Du Dich auf ein einziges —
bedenke es wohl! — ein einziges Weib für immer beſchränkſt.
Kurz, die Ehe iſt nur im Alten, aber nicht mehr im Neuen
Teſtament geheiligt: das N. T. kennt ein höheres, ein über-
natürliches
Princip, das Geheimniß der unbefleckten Jung-
fräulichkeit. „Wer es faſſen mag, der faſſe es.“ „Die Kin-
der dieſer Welt freyen und laſſen ſich freyen
, welche
aber würdig ſein werden, jene Welt zu erlangen in
der Auferſtehung von den Todten, die werden weder
freyen, noch ſich freyen laſſen
. Denn ſie können hinfort
nicht ſterben, denn ſie ſind den Engeln gleich und Got-
tes Kinder
, dieweil ſie Kinder ſind der Auferſtehung.“ Im
Himmel freyen ſie alſo nicht; vom Himmel iſt das Princip
[220] der Geſchlechtsliebe
als ein irdiſches, weltliches aus-
geſchloſſen
. Aber das himmliſche Leben iſt das wahre, das
beſtändige, ewige Leben des Chriſten. Warum ſoll alſo ich,
der ich für den Himmel beſtimmt bin, ein Band knüpfen, das
in meiner wahren Beſtimmung aufgelöſt iſt? Warum ſoll ich,
der ich an ſich, der Potenz nach ein himmliſches Weſen bin,
nicht hier ſchon dieſe Möglichkeit verwirklichen*)? Ja die Ehe
iſt ſchon aus meinem Sinne, meinem Herzen verbannt,
indem ſie aus dem Himmel, dem weſentlichen Gegenſtand
meines Glaubens, Hoffens und Lebens verſtoßen iſt. Wie
kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdi-
ſches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwiſchen
Gott und dem Menſchen theilen? Die Liebe des Chriſten zu
Gott iſt nicht eine abſtracte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe
zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wiſſenſchaft; ſie iſt die
Liebe zu einem ſubjectiven, perſönlichen Gott, alſo ſelbſt
eine ſubjective perſönliche Liebe
. Ein weſentliches Attri-
but dieſer Liebe iſt es, daß ſie eine ausſchließliche, eifer-
ſüchtige
Liebe iſt, denn ihr Gegenſtand iſt ein perſönliches
und zugleich das höchſte Weſen, dem kein andres gleich
kommt. „Halte Dich zu Jeſus (aber Jeſus Chriſtus iſt der
Gott des Chriſten) im Leben und im Tode; verlaß Dich auf
ſeine Treue: er allein kann Dir helfen, wenn Dich Alles ver-
läßt. Dein Geliebter hat die Eigenſchaft, daß er keinen An-
dern neben ſich dulden will: er allein will Dein Herz haben,
allein in Deiner Seele wie ein König auf ſeinem Throne herr-
[221] ſchen.“ Was kann Dir die Welt ohne Jeſus nützen? „Ohne
Chriſtus ſein, iſt Höllenpein; mit Chriſtus ſein, himmliſche Sü-
ßigkeit.“ „Ohne Freund kannſt Du nicht leben; aber wenn
Dir nicht Chriſti Freundſchaft über Alles geht, ſo wirſt Du
über Maaßen traurig und troſtlos ſein.“ „Liebe Alle um
Jeſu willen, aber Jeſus um ſeinetwillen. Jeſus Chri-
ſtus allein iſt der Liebenswerthe.“ „Mein Gott, meine
Liebe (mein Herz): ganz biſt Du mein und ganz bin Ich
Dein
.“ „Die Liebe … hofft und vertraut immer auf Gott,
auch wenn ihr Gott nicht gnädig iſt (oder bitter ſchmeckt non
sapit);
denn ohne Schmerz lebt man nicht in der Liebe.....“
„Um des Geliebten willen muß der Liebende Alles, auch das
Harte und Bittere gern ſich gefallen laſſen.“ „Mein Gott
und mein Alles.... In Deiner Gegenwart iſt mir Alles
ſüß, in Deiner Abweſenheit Alles widerlich..... Ohne
Dich kann mir nichts gefallen.“ „O wann wird endlich jene
ſelige, jene erſehnte Stunde kommen, daß Du mich ganz mit
Deiner Gegenwart erfüllſt und mir Alles in Allem biſt! So
lange mir dieß nicht vergönnt iſt, iſt meine Freude nur Stück-
werk.“ „Wo war es mir je wohl ohne Dich? oder wann in
Deiner Gegenwart wehe? Ich will lieber arm ſein um Dei-
netwillen, als reich ohne Dich. Ich will lieber mit Dir auf
der Erde ein Pilger, als ohne Dich Beſitzer des Himmels
ſein. Wo Du biſt, iſt der Himmel; Tod und Hölle, wo Du
nicht biſt. Nur nach Dir ſehne ich mich.“ „Du kannſt nicht
Gott dienen und zugleich am Vergänglichen Deine Freude ha-
ben: Du mußt Dich entfernen von allen Bekannten und Freun-
den und von allem zeitlichen Troſte Deinen Geiſt abſondern.
Die Gläubigen Chriſti ſollen ſich nach der Ermahnung des
heiligen Apoſtels Petrus nur als Pilger und Fremd-
[222] linge dieſer Welt
anſehen*).“ Die Liebe zu Gott als einem
perſönlichen Weſen iſt alſo eine eigentliche, förmliche,
perſönliche, ausſchließliche Liebe
. Wie kann ich alſo
Gott, ſage Gott, und zugleich ein ſterbliches Weib lieben.
Setze ich dadurch nicht Gott auf gleichen Fuß mit dem Weib?
Nein! einer Seele, die Gott wahrhaft liebt, iſt die Liebe
zum Weibe eine Unmöglichkeit — ein Ehebruch. Wer ein
Weib hat, ſagt der Apoſtel Paulus — den man nicht unrich-
tig den eigentlichen Stifter des Chriſtenthums genannt hat —
denket, was des Weibes iſt, wer keines hat, denkt nur, was
des Herrn iſt. Der Verheirathete denkt daran, daß er dem
Weibe gefalle, der Unverheirathete daran, daß er Gott gefalle.


Der wahre Chriſt hat, wie kein Bedürfniß der Bildung,
weil dieſe ein dem Gemüthe widerliches, weltliches Princip iſt,
ſo auch kein Bedürfniß der (natürlichen) Liebe. Gott erſetzt
ihm den Mangel, das Bedürfniß der Bildung, Gott deßglei-
chen den Mangel, das Bedürfniß der Liebe, des Weibes, der
Familie. Der Chriſt identificirt unmittelbar mit dem Indivi-
duum die Gattung: er ſtreift daher die Geſchlechtsdifferenz
als einen läſtigen, zufälligen Anhang von ſich ab. Mann und
Weib zuſammen machen erſt den wirklichen Menſchen aus, Mann
und Weib zuſammen iſt die Exiſtenz der Gattung — denn
ihre Verbindung iſt die Quelle der Vielheit, die Quelle ande-
[223] rer Menſchen. Der Menſch daher, der ſeine Mannheit nicht
negirt, der ſich fühlt als Mann und dieſes Gefühl als ein
natur- und geſetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt
ſich als ein Theilweſen, welches eines andern Theilweſens
zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menſchheit,
bedarf. Der Chriſt dagegen erfaßt ſich in ſeiner überſchwäng-
lichen, transcendenten Subjectivität als ein für ſich ſelbſt
vollkommnes Weſen. Aber dieſer Anſchauung war der Ge-
ſchlechtstrieb entgegen; er ſtand mit ſeinem Ideal, ſeinem höch-
ſten Weſen in Widerſpruch; der Chriſt mußte daher dieſen
Trieb negiren.


Wohl empfand auch der Chriſt das Bedürfniß der Ge-
ſchlechterliebe, aber nur als ein ſeiner himmliſchen Beſtimmung
widerſprechendes, nur natürliches — natürlich in dem gemei-
nen, verächtlichen Sinne, den dieſes Wort im Chriſtenthum
hat — nicht als ein moraliſches, inniges Bedürfniß, nicht als ein,
um mich ſo auszudrücken, metaphyſiſches, d. i. weſentliches Bedürf-
niß, welches der Menſch aber nur da empfinden kann, wo er die
Geſchlechtsdifferenz nicht von ſich abſondert, ſondern vielmehr zu
ſeinem innern Weſen rechnet. Heilig iſt darum nicht die Ehe im
Chriſtenthume — wenigſtens nur ſcheinbar, illuſoriſch
denn das natürliche Princip der Ehe, die Geſchlechterliebe
— mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal dieſem Prin-
cip widerſprechen — iſt im Chriſtenthum ein unheiliges,
vom Himmel ausgeſchloſſenes. Was aber der Menſch
von ſeinem Himmel ausſchließt, das ſchließt er von
ſeinem wahren Weſen aus*). Der Himmel iſt ſein Schatz-
[224] käſtchen. Glaube nicht dem, was er auf der Erde etablirt,
was er hier erlaubt und ſanctionirt: hier muß er ſich accomo-
diren; hier kommt ihm Manches in die Quere, was nicht in
ſein Syſtem paßt; hier weicht er Deinem Blick aus, denn er
befindet ſich unter fremden Weſen, die ihn ſchüchtern machen.
Aber belauſche ihn, wo er ſein Incognito abwirft und ſich in
ſeiner wahren Würde, ſeinem himmliſchen Staate zeigt. Im
Himmel ſpricht er, wie er denkt; dort vernimmſt Du ſeine
wahre Meinung. Wo ſein Himmel, iſt ſein Herz — der
Himmel iſt ſein offnes Herz. Der Himmel iſt nichts, als der
Begriff des Wahren, Guten, Gültigen, deſſen, was ſein ſoll;
die Erde nichts als der Begriff des Unwahren, Ungültigen,
deſſen, was nicht ſein ſoll. Der Chriſt ſchließt vom Himmel
das Gattungsleben aus: dort hört die Gattung auf, dort gibt
es nur reine, geſchlechtsloſe Individuen, Geiſter, dort
herrſcht die abſolute Subjectivität — alſo ſchließt der Chriſt
von ſeinem wahren Leben das Gattungsleben aus; er negirt
*)
[225] das Princip der Ehe als ein ſündiges, ein zu negirendes;
denn das ſündloſe, das poſitive Leben iſt das himmliſche*).


Der chriſtliche Himmel oder die perſönliche Unſterb-
lichkeit.


Das eheloſe, überhaupt ascetiſche Leben iſt der directe
Weg zum himmliſchen unſterblichen Leben, denn der Himmel
iſt nichts andres als das übernatürliche, gattungsfreie,
geſchlechtsloſe, abſolut ſubjective Leben. Dem Glauben an
die perſönliche Unſterblichkeit liegt der Glaube zu Grunde, daß
die Geſchlechtsdifferenz nur ein äußerlicher Anflug der Indi-
vidualität, daß an ſich das Individuum ein geſchlechtsloſes,
für ſich ſelbſt vollſtändiges, abſolutes Weſen iſt. Wer aber
keinem Geſchlecht angehört, gehört keiner Gattung an — die
Geſchlechtsdifferenz iſt die Nabelſchnur, durch welche die Indi-
vidualität mit der Gattung zuſammenhängt — und wer keiner
Gattung angehört, der gehört nur ſich ſelbſt an, iſt ein ſchlecht-
hin bedürfnißloſes, göttliches, abſolutes Weſen. Nur da daher,
wo die Gattung aus dem Bewußtſein verſchwindet, wird das
himmliſche Leben zur Gewißheit. Wer im Bewußtſein der
Gattung
und folglich ihrer Realität lebt, der lebt auch
Feuerbach. 15
[226] im Bewußtſein der Realität der Geſchlechtsdifferenz. Er
betrachtet dieſelbe nicht als einen mechaniſch eingeſprengten
zufälligen Stein des Anſtoßes; er betrachtet ſie als einen inni-
gen, einen chemiſchen Beſtandtheil ſeines Weſens. Er weiß
ſich wohl als Menſch, aber zugleich in der Beſtimmtheit der
Geſchlechtsdifferenz, die nicht nur Mark und Bein durchdringt,
ſondern auch ſein innerſtes Selbſt, die weſentliche Art ſeines
Denkens, Wollens, Empfindens beſtimmt. Wer daher im
Bewußtſein der Gattung lebt, wer ſein Gemüth und ſeine
Phantaſie beſchränkt, beſtimmt durch die Anſchauung des wirk-
lichen Lebens, des wirklichen Menſchen, der kann ſich kein
Leben denken, wo das Gattungsleben und damit die Ge-
ſchlechtsdifferenz aufgehoben iſt: er hält das geſchlechtsloſe In-
dividuum, den himmliſchen Geiſt für eine gemüthliche Vor-
ſtellung der Phantaſie.


Aber eben ſo wenig, wie von der Geſchlechtsdifferenz,
kann der reale Menſch von ſeiner ſittlichen oder geiſtigen Be-
ſtimmtheit, die ja aufs innigſte mit ſeiner natürlichen Be-
ſtimmtheit zuſammenhängt, abſtrahiren. Eben, weil er in der
Anſchauung des Ganzen lebt, ſo lebt er in der Anſchauung
ſeiner nur als eines Theilweſens, das nur iſt, was es iſt,
durch die Beſtimmtheit, die es eben zum Theil des Ganzen
oder zu einem relativen Ganzen macht. Jeder hält daher mit
Recht ſein Geſchäft, ſeinen Stand, ſeine Kunſt oder Wiſſen-
ſchaft für die höchſte: denn der Geiſt des Menſchen iſt nichts
als die weſentliche Art ſeiner Thätigkeit. Wer etwas Tüchti-
ges in ſeinem Stande, ſeiner Kunſt iſt, wer, wie man im
Leben ſagt, ſeinen Poſten ausfüllt, mit Leib und Leben ſeinem
Berufe ergeben iſt, der denkt ſich auch ſeinen Beruf als den
höchſten und ſchönſten. Wie ſollte er in ſeinem Geiſte ver-
[227] läugnen, in ſeinem Denken erniedrigen, was er durch die
That celebrirt, indem er mit Freuden demſelben ſeine Kräfte
weiht? Was ich gering ſchätze, wie kann ich dem meine Zeit,
meine Kräfte weihen? Muß ich dennoch, ſo iſt meine Thätig-
keit eine unglückliche, denn ich bin zerfallen mit mir ſelbſt.
Arbeiten iſt Dienen. Wie kann ich aber einem Gegenſtand
dienen, mich ihm ſubjiciren, wenn er mir nicht im Geiſte hoch
ſteht? Kurz, die Beſchäftigungen beſtimmen das Urtheil, die
Denkart, die Geſinnung des Menſchen. Und je höher die
Art der Beſchäftigung, deſto mehr identificirt ſich der
Menſch damit. Was überhaupt der Menſch zum weſentlichen
Zweck ſeines Lebens macht, das erklärt er für ſeine Seele;
denn es iſt das Princip der Bewegung in ihm. Durch ſeine
Zwecke, durch die Thätigkeit, in welcher er dieſe Zwecke reali-
ſirt, iſt aber der Menſch zugleich, wie Etwas für ſich, ſo
Etwas für Andere, für das Allgemeine, die Gattung. Wer
daher in dem Bewußtſein der Gattung als einer Realität
lebt, der hält ſein Sein für Andere, ſein öffentliches, gemein-
nütziges Sein für das Sein, welches eins iſt mit dem Sein
ſeines Weſens, für ſein unſterbliches Sein. Er lebt mit
ganzer Seele, mit ganzem Herzen für die Menſchheit. Wie
könnte er eine beſondere Exiſtenz für ſich noch im Rückhalt ha-
ben, wie ſich von der Menſchheit ſcheiden? Wie ſollte er im
Tode verläugnen, was er im Leben bekräftigte? Aber ſein
Glaube im Leben war: Nec sibi sed toti genitum se
credere mundo
.


Das himmliſche Leben oder — was wir hier nicht unter-
ſcheiden — die perſönliche Unſterblichkeit iſt eine charakteri-
ſtiſche Lehre des Chriſtenthums. Allerdings findet ſie ſich zum
Theil auch ſchon bei den heidniſchen Philoſophen, aber hier
15*
[228] hat ſie nur die Bedeutung einer ſubjectiven Phantaſie,
weil ſie nicht mit ihrer Grundanſchauung zuſammenhing.
Wie widerſprechend äußern ſich nicht z. B. die Stoiker über
dieſen Gegenſtand! Erſt bei den Chriſten fand die perſönliche
Unſterblichkeit das Princip, woraus ſie ſich mit Nothwendig-
keit als eine ſich von ſelbſt verſtehende Wahrheit ergibt. Den
Alten kam die Anſchauung der Welt, der Natur, der Gattung
ſtets in die Quere, ſie unterſchieden zwiſchen dem Lebensprin-
cip und dem lebenden Subject, zwiſchen der Seele, dem Geiſte
und ſich ſelbſt; während der Chriſt den Unterſchied zwiſchen
Seele und Perſon, Gattung und Individuum aufhob, unmit-
telbar in ſich ſelbſt daher ſetzte, was nur der Totalität der
Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gat-
tung
und Individualität iſt eben das höchſte Princip, der
Gott des Chriſtenthums — das Individuum hat in ihm
die Bedeutung des abſoluten Weſens — und die noth-
wendig immanente Folge dieſes Princips eben die perſönliche
Unſterblichkeit.


Oder vielmehr: der Glaube an die perſönliche Un-
ſterblichkeit
iſt ganz identiſch mit dem Glauben an den
perſönlichen Gott — d. h. daſſelbe
, was der Glaube an
das himmliſche, unſterbliche Leben der Perſon ausdrückt, daſ-
ſelbe drückt Gott aus, wie er den Chriſten Gegenſtand war —
das Weſen der abſoluten, uneingeſchränkten Subjecti-
vität
. Die uneingeſchränkte Subjectivität iſt Gott, aber die
himmliſche Subjectivität iſt nichts andres als die uneinge-
ſchränkte, die von allen irdiſchen Beſchwerden und Schranken
erledigte Subjectivität — der Unterſchied nur der, daß Gott
der geiſtige Himmel, der Himmel der ſinnliche Gott iſt, daß
in Gott nur in abstracto geſetzt wird, was im Himmel
[229] mehr ein Object der Phantaſie iſt. Gott iſt nur der im-
plicirte, involvirte Himmel
, der wirkliche Himmel der
explicirte Gott. Gegenwärtig iſt Gott das Himmelreich,
in Zukunft der Himmel Gott. Gott iſt die Bürgſchaft, die,
aber noch abſtracte, Präſenz und Exiſtenz der Zukunft
— der anticipirte compendiöſe Himmel. Unſer eignes
zukünftiges, aber von uns, wie wir gegenwärtig in dieſer
Welt, in dieſem Leibe exiſtiren, unterſchiednes, nur ideal gegen-
ſtändliches Weſen iſt Gott — Gott iſt der Gattungsbegriff,
der ſich dort erſt realiſiren, individualiſiren wird. Gott iſt die
himmliſche, reine, freie Weſenheit, die dort als himmliſche
reine Weſen exiſtiren wird, die Seligkeit, die dort in einer
Fülle ſeliger Individuen ſich entfaltet. Gott iſt alſo nichts
andres als der Begriff oder das Weſen des abſoluten, des
ſeligen, himmliſchen Lebens, das aber hier ſelbſt noch zuſam-
mengefaßt wird in eine ideale Perſönlichkeit. Deutlich genug
iſt dieß ausgeſprochen in dem Glauben, daß das ſelige Leben
die Einheit mit Gott iſt. Hier ſind wir unterſchieden und
getrennt von Gott, dort fällt die Scheidewand; hier ſind wir
Menſchen, dort Götter; hier iſt die Gottheit ein Monopol, dort
ein Gemeingut; hier eine abſtracte Einheit, dort eine concrete
Vielheit*).


[230]

Was die Erkenntniß dieſes Gegenſtandes erſchwert, iſt
nur die Phantaſie, welche einerſeits durch die Vorſtellung der
Perſönlichkeit Gottes, anderſeits durch die Vorſtellung der vie-
len Perſönlichkeiten, welche ſie zugleich gewöhnlich in ein mit
ſinnlichen Farben ausgemaltes Reich verlegt, die Einheit des Be-
griffs auseinandertrennt. Aber in Wahrheit iſt kein Unter-
ſchied zwiſchen dem abſoluten Leben, welches als Gott
und dem abſoluten Leben, welches als der Himmel ge-
dacht wird, nur daß im Himmel in die Länge und Breite aus-
gedehnt wird, was in Gott in Einen Punkt concentrirt iſt.
Der Glaube an die Unſterblichkeit des Menſchen iſt der
Glaube an die Göttlichkeit des Menſchen, und umgekehrt
der Glaube an Gott der Glaube an die reine, von allen
Schranken erlöſte und folglich eo ipso unſterbliche Subjec-
tivität. Die Unterſchiede, die man ſetzt zwiſchen der unſterb-
lichen Seele und Gott, ſind entweder nur ſophiſtiſche oder
phantaſtiſche, wie wenn man z. B. die Seligkeit der Himmels-
bewohner wieder in Schranken einſchließt, in Grade eintheilt,
um einen Unterſchied zwiſchen Gott und den himmliſchen We-
ſen zu etabliren.


Die Identität der göttlichen und himmliſchen Subjectivi-
tät erſcheint ſelbſt in den populären Beweiſen der Unſterblich-
keit. Wenn kein andres beſſeres Leben iſt, ſo iſt Gott nicht
gerecht und gut. Die Gerechtigkeit und Güte Gottes wird ſo
abhängig gemacht von der Fortdauer der Individuen; aber
ohne Gerechtigkeit und Güte iſt Gott nicht Gott — die
Gottheit, die Exiſtenz Gottes wird daher abhängig gemacht
von der Exiſtenz der Individuen. Wenn ich nicht un-
ſterblich bin, ſo glaube ich keinen Gott; wer die Unſterblich-
keit läugnet, läugnet Gott. Aber das kann ich unmöglich
[231] glauben: ſo gewiß Gott iſt, ſo gewiß iſt meine Seligkeit.
Gott iſt eben die Gewißheit meiner Seligkeit. Das Inter-
eſſe, daß Gott iſt, iſt eins mit dem Intereſſe, daß ich bin,
ewig bin. Gott iſt meine geborgne, meine gewiſſe Exi-
ſtenz: er iſt die Subjectivität der Subjecte, die Perſönlichkeit
der Perſonen. Wie ſollte daher den Perſonen nicht zukom-
men, was der Perſönlichkeit zukommt? In Gott mache ich
eben mein Futurum zu einem Präſens oder vielmehr ein
Zeitwort zu einem Subſtantiv; wie ſollte ſich eins vom andern
trennen laſſen? Gott iſt die meinen Wünſchen und Gefühlen ent-
ſprechende Exiſtenz: er iſt der Gerechte, der Gütige, der meine Wün-
ſche erfüllt. Die Natur, dieſe Welt iſt eine meinen Wünſchen,
meinen Gefühlen widerſprechende Exiſtenz. Hier iſt es nicht ſo,
wie es ſein ſoll — dieſe Welt vergeht — Gott aber iſt das
Sein, welches ſo iſt, wie es ſein ſoll. Gott erfüllt meine
Wünſche — dieß iſt nur populäre Perſonification des Satzes:
Gott iſt der Erfüller, d. i. die Realität, das Erfülltſein
meiner Wünſche
. Aber der Himmel iſt eben das meinen
Wünſchen, meiner Sehnſucht adäquate Sein — alſo kein
Unterſchied zwiſchen Gott
und Himmel. Gott iſt die
Kraft, durch die der Menſch ſeine ewige Glückſeligkeit reali-
ſirt
— Gott die abſolute Perſönlichkeit, in der alle einzelnen
Perſonen die Gewißheit ihrer Abſolutheit, ihrer Seligkeit und
Unſterblichkeit haben — Gott die höchſte letzte Gewißheit der
Subjectivität von ihrer abſoluten Wahrheit und Weſenhaftigkeit.


Die Unſterblichkeitslehre iſt die Schlußlehre der Reli-
gion — ihr Teſtament, worin ſie ihren letzten Willen äußert.
Hier ſpricht ſie darum unverhohlen aus, was ſie ſonſt ver-
ſchweigt. Wenn es ſich ſonſt um die Exiſtenz eines andern
Weſens handelt, ſo handelt es ſich hier offenbar nur um die eigne
[232] Exiſtenz
; wenn außerdem der Menſch in der Religion ſein
Sein vom Sein Gottes abhängig macht, ſo macht er hier die
Realität Gottes von ſeiner eignen Realität abhängig; was
ihm ſonſt die primitive, unmittelbare Wahrheit, das iſt ihm
daher hier eine abgeleitete, ſecundäre Wahrheit: wenn ich
nicht ewig bin, ſo iſt Gott nicht Gott
, wenn keine
Unſterblichkeit
, ſo iſt kein Gott. Und dieſen Schluß hat
ſchon der Apoſtel gemacht. Wenn wir nicht auferſtehen, ſo iſt
Chriſtus nicht auferſtanden und Alles iſt Nichts. Edite,
bibite
. Allerdings kann man das ſcheinbar oder wirklich
Anſtößige, was in der populären Argumentation liegt, beſeiti-
gen, indem man die Schlußform vermeidet, aber nur dadurch,
daß man die Unſterblichkeit zu einer analytiſchen Wahr-
heit
macht, ſo daß eben der Begriff Gottes, als der abſo-
luten Perſönlichkeit oder Subjectivität, per se ſchon der
Begriff der Unſterblichkeit
iſt. Gott iſt die Bürgſchaft
meiner zukünftigen Exiſtenz, weil er ſchon die Gewißheit und
Realität meiner gegenwärtigen Exiſtenz, mein Heil, mein
Troſt, mein Schirm vor den Gewalten der Außenwelt iſt; ich
brauche alſo die Unſterblichkeit gar nicht expreß zu folgern,
nicht als eine aparte Wahrheit herauszuſtellen; habe ich
Gott, ſo habe ich Unſterblichkeit
. So war es bei
den tiefern chriſtlichen Myſtikern: ihnen ging der Begriff der
Unſterblichkeit in dem Begriff Gottes auf: Gott war ihnen
ihr unſterbliches Leben — Gott ſelbſt die ſubjective Seligkeit,
alſo das für ſie, für ihr Bewußtſein, was er an ſich
ſelbſt
, d. i. im Weſen der Religion iſt.


Somit iſt bewieſen, daß Gott der Himmel iſt, daß beide
[identiſch] ſind. Leichter wäre der umgekehrte Beweis geweſen,
nämlich, daß der Himmel der eigentliche Gott der Menſchen
[233] iſt. Wie der Menſch ſeinen Himmel denkt, ſo denkt er ſeinen
Gott; die Inhaltsbeſtimmtheit ſeines Himmels iſt die Inhalts-
beſtimmtheit ſeines Gottes, nur daß im Himmel ſinnlich aus-
gemalt, ausgeführt wird, was in Gott nur Entwurf, Con-
cept iſt. Der Himmel iſt daher der Schlüſſel zu den innerſten
Geheimniſſen der Religion. Wie der Himmel objectiv das
aufgeſchloßne Weſen der Gottheit, ſo iſt er auch ſubjectiv die
offenherzigſte Ausſprache der innerſten Gedanken und Geſin-
nungen der Religion. Daher ſind die Himmelreiche ſo ver-
ſchieden als die Religionen und ſo viel unterſchiedne Religio-
nen, als weſentliche Menſchenunterſchiede ſind. So unter-
ſchieden Das iſt, was für die Menſchen die Bedeutung des
Höchſten, des Guten, Wahren, Heiligen hat, ſo unterſchieden
iſt der Himmel, ſo unterſchieden der Gott. Auch die Chriſten
ſelbſt denken ſich ſehr verſchiedenartig den Himmel *).


Nur die Pfiffigen unter ihnen denken und ſagen gar
nichts Beſtimmtes über den Himmel oder das Jenſeits über-
haupt, weil es unbegreiflich ſei und daher immer nur nach
einem dießſeitigen, nur für das Dießſeits gültigen Maaßſtab
gedacht werde. Alle Vorſtellungen hienieden ſeien nur Bilder,
mit denen ſich der Menſch das ſeinem Weſen nach unbekannte,
aber ſeiner Exiſtenz nach gewiſſe Jenſeits vergegenwärtige.
Es iſt hier eben ſo wie mit Gott: das Daſein Gottes ſei ge-
wiß — aber was er ſei oder wie er ſei, das ſei unerforſch-
lich. Aber wer ſo ſpricht, der hat ſich das Jenſeits ſchon aus
[234] dem Kopfe geſchlagen; er hält es nur noch feſt, entweder weil
er über ſolche Dinge gar nicht denkt, oder weil es ihm nur
noch ein Herzensbedürfniß iſt; aber er ſchiebt es, zu ſehr er-
füllt mit realen Dingen, ſo weit als möglich ſich aus dem
Geſichte; er negirt mit ſeinem Kopfe, was er mit ſeinem
Herzen bejaht; denn er negirt das Jenſeits, indem er dem-
ſelben ſeine Beſchaffenheiten nimmt, durch die allein ein
Gegenſtand ein für den Menſchen wirklicher und wirkſamer iſt.
Die Qualität iſt nicht vom Sein unterſchieden — die Quali-
tät iſt nichts als das wirkliche Sein. Sein ohne Beſchaf-
fenheit iſt eine Chimäre — ein Geſpenſt. Durch die Qualität
wird mir erſt das Sein gegeben; nicht erſt das Sein und hin-
tendrein die Qualität. Die Lehre von der Unerkennbarkeit und
Unbeſtimmbarkeit Gottes, wie die von der Unerforſchlichkeit
des Jenſeits ſind daher keine urſprünglich religiöſen Lehren:
ſie ſind vielmehr Producte der Irreligioſität, die aber ſelbſt
noch in der Religion befangen iſt oder vielmehr hinter der
Religion ſich verſteckt, und zwar eben deßwegen, weil urſprüng-
lich das Sein Gottes nur mit einer beſtimmten Vorſtel-
lung Gottes, das Sein des Jenſeits
nur mit einer be-
ſtimmten Vorſtellung
deſſelben gegeben iſt. So iſt dem
Chriſten nur die Exiſtenz ſeines Paradieſes, des Paradieſes,
welches die Qualität der Chriſtlichkeit hat, nicht aber das
Paradies der Muhamedaner oder das Elyſium der Griechen
eine Gewißheit. Die erſte Gewißheit iſt überall die Quali-
tät; das Sein verſteht ſich von ſelbſt, wenn einmal die Qua-
lität gewiß iſt. Im Neuen Teſtament kommen keine Beweiſe
oder ſolche allgemeine Sätze vor, worin es heißt: es iſt ein
Gott oder es iſt ein himmliſches Leben; ſondern es werden
nur Beſchaffenheiten aus dem Leben des Himmels angeführt:
[235] „dort werden ſie nicht freyen.“ Das iſt natürlich, kann man
entgegnen, weil ſchon das Sein vorausgeſetzt iſt. Allein man
trägt hier ſchon eine Diſtinction der Reflexion in den urſprüng-
lich nichts von dieſer Diſtinction wiſſenden religiöſen Sinn
hinein. Freilich iſt das Sein vorausgeſetzt, aber nur weil die
Qualität ſchon das Sein iſt, weil das ungebrochne reli-
giöſe Gemüth nur in der Qualität lebt, gleichwie dem na-
türlichen Menſchen nur in der Qualität, die er empfindet, das
wirkliche Sein, das Ding an ſich liegt. So iſt in jener neu-
teſtamentlichen Stelle das jungfräuliche oder vielmehr ge-
ſchlechtsloſe Leben als das wahre Leben vorausgeſetzt, das
jedoch nothwendig zu einem zukünftigen wird, weil dieſes wirk-
liche Leben dem Ideal des wahren Lebens widerſpricht. Aber
die Gewißheit dieſes zukünftigen Lebens liegt nur in der Ge-
wißheit von der Beſchaffenheit
dieſer Zukunft als des
wahren, höchſten, dem Ideal adäquaten Lebens.


Wo das jenſeitige Leben wirklich geglaubt wird, wo es
ein gewiſſes Leben, da iſt es; eben weil ein gewiſſes,
auch beſtimmtes. Wenn ich nicht weiß, was und wie ich
einſt bin, wenn ein weſentlicher, abſoluter Unterſchied zwiſchen
meiner Zukunft und Gegenwart iſt; ſo weiß ich auch einſt
nicht, was und wie ich ehedem war, ſo iſt die Einheit des
Bewußtſeins aufgehoben, ein andres Weſen dort an meine
Stelle getreten, mein künftiges Sein in der That nicht vom
Nichtſein unterſchieden. Iſt dagegen kein weſentlicher Unter-
ſchied, ſo iſt auch das Jenſeits ein von mir beſtimmbarer und
erkennbarer Gegenſtand. Und ſo iſt es auch wirklich: ich bin
das bleibende Subject in dem Wechſel der Beſchaffenheiten,
ich bin die Subſtanz, die Dießſeits und Jenſeits zur Einheit
verbindet. Wie ſollte mir alſo das Jenſeits unklar ſein? Im
[236] Gegentheil: das Leben dieſer Welt iſt das dunkle, unbegreif-
liche Leben, das erſt durch das Jenſeits klar und licht wird;
hier bin ich ein vermummtes, verwickeltes Weſen; dort fällt
die Maske; dort bin ich, wie ich in Wahrheit bin. Die Be-
hauptung daher, es ſei wohl ein anderes, ein himmliſches Le-
ben, aber was und wie es ſei, das bleibe hier unerforſchlich,
iſt nur eine Erfindung des religiöſen Skepticismus, der
auf abſolutem Mißverſtand der Religion beruht, weil er ſich
gänzlich ihrem Weſen entfremdet hat. Das, was die irreli-
giös-religiöſe Reflexion nur zum bekannten Bilde einer unbe-
kannten, aber dennoch gewiſſen Sache macht, das iſt im Ur-
ſprung, im urſprünglichen wahren Sinn der Religion nicht
Bild, ſondern die Sache, das Weſen ſelbſt. Der Unglaube,
der zugleich noch Glaube iſt, ſetzt die Sache in Zweifel, aber
er iſt zu gedankenlos und feig, um ſie direct zu bezweifeln: er
ſetzt ſie nur ſo in Zweifel, daß er das Bild oder die Vorſtel-
lung bezweifelt, d. h. das Bild nur für ein Bild erklärt. Aber
die Unwahrheit und Nichtigkeit dieſes Skepticismus iſt ſchon
hiſtoriſch conſtatirt. Wo man einmal zweifelt an der Reali-
tät der Bilder der Unſterblichkeit, zweifelt, daß man ſo exiſti-
ren könne, wie es der Glaube vorſtellt, z. B. ohne materiellen,
wirklichen Leib oder ohne Geſchlechtsdifferenz, da zweifelt man
auch bald an der jenſeitigen Exiſtenz überhaupt. Mit dem
Bilde fällt die Sache — eben weil das Bild die Sache ſelbſt iſt.


Der Glaube an den Himmel oder überhaupt ein jenſeiti-
ges Leben beruht auf einem Urtheil. Er ſpricht Lob und
Tadel aus; er iſt kritiſcher Natur; er macht eine Blumen-
leſe aus der Flora dieſer Welt. Und dieſes kritiſche Florile-
gium iſt eben der Himmel. Was der Menſch ſchön, gut, an-
genehm findet, das iſt für ihn das Sein, welches allein ſein
[237]ſoll; was er ſchlecht, garſtig, unangenehm findet, das iſt für
ihn das Sein, welches nicht ſein ſoll und daher, wenn und
weil es dennoch iſt, ein zum Untergang verdammtes, ein nich-
tiges iſt. Wo das Leben nicht im Widerſpruch gefunden wird
mit einem Gefühl, einer Vorſtellung, einer Idee und dieſes
Gefühl, dieſe Idee nicht für abſolut wahr und berechtigt gilt,
da entſteht nicht der Glaube an ein andres, himmliſches Le-
ben. Das andere Leben iſt nichts andres als das Leben im
Einklang mit dem Gefühl, mit der Idee
, welcher die-
ſes Leben widerſpricht
. Das Jenſeits hat keine andere
Bedeutung, als dieſen Zwieſpalt aufzuheben, einen Zuſtand
zu realiſiren, der dem Gefühl entſpricht, in dem der Menſch
mit ſich im Einklang iſt. Ein unbekanntes Jenſeits iſt
eine lächerliche Chimäre: das Jenſeits iſt nichts weiter als die
Realität einer bekannten Idee, die Befriedigung eines
bewußten Verlangens, die Erfüllung eines Wunſches *): es
iſt nur die Beſeitigung der Schranken, die hier der Rea-
lität der Idee im Wege ſtehen. Wo wäre der Troſt, wo die
Bedeutung des Jenſeits, wenn ich in ihm in ſtockfinſtere Nacht
blicke? Nein! dort ſtrahlt mir mit dem Glanze des gediegenen
Metalls entgegen, was hier nur mit den trüben Farben des
oxydirten Erzes glänzt. Das Jenſeits hat keine andere Be-
deutung, keinen andern Grund ſeines Daſeins, als den, zu
ſein die Scheidung des Metalls von ſeinen beigemengten frem-
den Beſtandtheilen, die Scheidung des Guten vom Schlech-
ten, des Angenehmen vom Unangenehmen, des Lobenswürdi-
gem vom Tadelnswerthen. Das Jenſeits iſt die Hochzeit,
wo der Menſch den Bund mit ſeiner Geliebten ſchließt. Längſt
[238] kannte er ſeine Braut, längſt ſehnte er ſich nach ihr; aber
äußere Verhältniſſe, die gefühlloſe Wirklichkeit ſtand ſeiner
Verbindung mit ihr entgegen. Auf der Hochzeit wird ſeine
Geliebte nicht ein anderes Weſen; wie könnte er ſonſt ſo heiß
nach ihr ſich ſehnen? Sie wird nur die Seinige, ſie wird jetzt
nur aus einem Gegenſtand der Sehnſucht ein Gegenſtand des
wirklichen Beſitzes. Das Jenſeits iſt hienieden allerdings nur
ein Bild, aber nicht ein Bild eines fernen, unbekannten Dings,
ſondern ein Porträt von dem Weſen, welches der Menſch vor
allen andern bevorzugt, liebt. Was der Menſch liebt, das iſt
ſeine Seele. Die Aſche geliebter Todten ſchloß der Heide in
Urnen ein; bei den Chriſten iſt das himmliſche Jenſeits das
Mauſoleum, in das er ſeine Seele verſchließt.


Zur Erkenntniß eines Glaubens, überhaupt der Religion,
iſt es nothwendig, ſelbſt die unterſten, rohſten Stufen der Re-
ligion zu beachten. Man muß die Religion nicht nur in einer
aufſteigenden Linie betrachten, ſondern in der ganzen
Breite ihrer Exiſtenz
überſchauen. Man muß die verſchie-
denen Religionen auch bei der abſoluten Religion gegenwär-
tig
haben, nicht hinter ihr, in der Vergangenheit zurücklaſſen,
um eben ſowohl die abſolute als die andern Religionen rich-
tig würdigen und begreifen zu können. Die ſchrecklichſten Ver-
irrungen, die wildeſten Ausſchweifungen des religiöſen Be-
wußtſeins laſſen oft die tiefſten Blicke auch in die Geheimniſſe
der abſoluten Religion werfen. Die ſcheinbar rohſten Vor-
ſtellungen ſind oft nur die kindlichſten, unſchuldigſten, wahr-
ſten Vorſtellungen. Dieß gilt auch von den Vorſtellungen
des Jenſeits. Der „Wilde,“ deſſen Bewußtſein nicht über die
Gränzen ſeines Landes hinaus geht, der ganz mit ihm zuſam-
mengewachſen iſt, nimmt auch ſein Land in das Jenſeits auf
[239] und zwar ſo, daß er entweder die Natur läßt wie ſie iſt, oder
ſie ausbeſſert, und ſo die Beſchwerden ſeines Lebens in der
Vorſtellung des Jenſeits überwindet*). Es liegt in dieſer
Beſchränktheit der uncultivirten Völker ein ergreifender Zug.
Das Jenſeits drückt hier nichts andres aus als das Heim-
weh. Der Tod trennt den Menſchen von den Seinigen, von
ſeinem Volke, ſeinem Lande. Aber der Menſch, der ſein Be-
wußtſein nicht erweitert hat, kann es in dieſer Trennung nicht
aushalten; er muß wieder zurück in ſein Heimathland. Die
Neger in Weſtindien entleibten ſich, um in ihrem Vaterlande
wieder aufzuleben. Auch „nach Oiſians Vorſtellung ſchweben
die Geiſter Derer, die in einem fremden Lande ſterben, nach
ihrer Heimath zurück**).“ Es iſt dieſe Beſchränktheit das
directe Gegentheil von dem phantaſtiſchen Spiritualismus,
welcher den Menſchen zu einem Vagabunden macht, der, gleich-
gültig ſelbſt gegen die Erde, von einem Stern zum andern
läuft. Und es liegt ihr allerdings eine reelle Wahrheit zu
Grunde. Der Menſch iſt, was er iſt, durch die Natur, ſo viel
auch ſeiner Selbſtthätigkeit angehört; aber auch ſeine Selbſt-
thätigkeit hat in der Natur, reſpective ſeiner Natur, ihren
Grund. Seid dankbar gegen die Natur! Der Menſch läßt
ſich nicht von ihr abtrennen. Der Germane, deſſen Gottheit
die Spontaneität iſt, verdankt ſeinen Charakter eben ſo gut
[240] ſeiner Natur, als der Orientale. Der Tadel der indiſchen
Kunſt, der indiſchen Religion und Philoſophie iſt ein Tadel
der indiſchen Natur. Ihr beklagt euch über den Recenſenten,
der eine Stelle in euren Werken aus dem Zuſammenhang reißt,
um ſie dadurch dem Spotte Preis zu geben. Warum thut
ihr ſelbſt, was ihr an Andern tadelt? Warum reißt ihr die
indiſche Religion aus dem Zuſammenhang, in welchem ſie
eben ſo vernünftig iſt als eure abſolute Religion?


Der Glaube an ein Jenſeits, an ein Leben nach dem
Tode iſt daher bei den „wilden“ Völkern im Weſentlichen
nichts weiter als der directe Glaube an das Dießſeits, der
unmittelbare, ungebrochne Glaube an dieſes Leben. Die-
ſes Leben hat für ſie, ſelbſt mit ſeinen Localbeſchränktheiten,
allen, abſoluten Werth; ſie können nicht davon abſtrahiren,
ſich keine Abbrechung denken; d. h. ſie glauben geradezu
an die Unendlichkeit, die Unaufhörlichkeit dieſes Le-
bens
. Erſt dadurch, daß der Glaube der Unſterblichkeit ein
kritiſcher Glaube wird, daß man nämlich unterſcheidet zwiſchen
dem, was hier zurück und dort übrig bleibt, hier vergehen,
dort beſtehen ſoll, erſt dadurch geſtaltet ſich der Glaube an das
Leben nach dem Tode zum Glauben an ein anderes Leben.
Aber gleichwohl fällt auch dieſe Kritik, dieſe Unterſcheidung
ſchon in dieſes Leben. So unterſchieden die Chriſten zwiſchen
dem natürlichen und chriſtlichen, dem ſinnlichen, weltlichen
und geiſtlichen, heiligen Leben. Das himmliſche, das andere
Leben iſt kein andres Leben, als das hier ſchon von dem nur
natürlichen Leben unterſchiedne, aber hier zugleich noch mit
demſelben behaftete geiſtliche Leben. Was der Chriſt ſchon
hier von ſich ausſchließt, wie das Geſchlechtsleben, das iſt
auch vom andern Leben ausgeſchloſſen. Der Unterſchied iſt
[241] nur, daß er dort davon frei iſt, wovon er hier frei zu ſein
wünſcht und ſich durch den Willen, die Andacht, die Ca-
ſteiung frei zu machen ſucht. Darum iſt dieſes Leben für den
Chriſten ein Leben der Qual und Pein, weil er hier noch mit
ſeinem Gegenſatz behaftet iſt, mit den Lüſten des Fleiſches,
den Anfechtungen des Teufels zu kämpfen hat.


Der Glaube der cultivirten Völker unterſcheidet ſich alſo
nur dadurch von dem Glauben der uncultivirten, wodurch ſich
überhaupt die Cultur von der Uncultur unterſcheidet — da-
durch, daß der Glaube der Cultur ein unterſcheidender,
ausſondernder, abſtracter
Glaube iſt. Wo unterſchieden
wird, da wird geurtheilt; wo aber geurtheilt, da entſteht die
Scheidung zwiſchen Poſitivem und Negativem. Der Glaube
der wilden Völker iſt ein Glaube ohne Urtheil. Die Bildung
dagegen urtheilt: dem gebildeten Menſchen iſt nur das gebil-
dete Leben das wahre, dem Chriſten das chriſtliche. Der rohe
Naturmenſch tritt ohne Anſtand, ſo wie er ſteht und geht, ins
Jenſeits ein: das Jenſeits iſt ſeine natürliche Blöße. Der
Gebildete dagegen nimmt an einem ſolchen ungezügelten Le-
ben nach dem Tode Anſtand, weil er ſchon hier das ungezü-
gelte Naturleben beanſtandet. Der Glaube an das jenſeitige
Leben iſt daher nur der Glaube an das dießſeitige wahre
Leben: die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Dießſeits iſt
auch die weſentliche Inhaltsbeſtimmtheit des Jenſeits; der
Glaube an das Jenſeits demnach kein Glaube an ein an-
deres unbekanntes
Leben, ſondern an die Wahrheit, Un-
endlichkeit, folglich Unaufhörlichkeit des Lebens, das ſchon
hier
für das authentiſche Leben gilt.


Feuerbach. 16
[242]

Wie Gott nichts andres iſt als das Weſen des Men-
ſchen, gereinigt von dem, was dem menſchlichen Individuum,
ſei es nun im Gefühl oder Denken als Schranke, als Uebel
erſcheint: ſo iſt das Jenſeits nichts andres als das Dießſeits,
befreit von Dem, was als Schranke, als Uebel erſcheint. So
beſtimmt und deutlich die Schranke als Schranke, das Uebel
als Uebel von dem Individuum gewußt wird, eben ſo be-
ſtimmt und deutlich wird von ihm das Jenſeits, wo dieſe
Schranken wegfallen, gewußt. Das Jenſeits iſt das Gefühl,
die Vorſtellung der Freiheit von den Schranken, die hier das
Selbſtgefühl, die Exiſtenz des Individuums beeinträchtigen.
Der Gang der Religion unterſcheidet ſich nur dadurch von
dem Gang des natürlichen Menſchen, daß ſie den Weg, wel-
chen dieſer in gerader als der kürzeſten Linie macht, in einer
krummen und zwar der Kreislinie beſchreibt. Der natürliche
Menſch bleibt in ſeiner Heimath, weil es ihm hier wohlge-
fällt, weil er vollkommen befriedigt iſt; die Religion, die in
einer Unzufriedenheit, einer Zwietracht anhebt, verläßt die
Heimath, geht in die Ferne, aber nur um in der Entfernung
das Glück der Heimath um ſo lebhafter zu empfinden. Der
Menſch trennt ſich in der Religion von ſich ſelbſt, aber nur,
um immer wieder auf denſelben Punkt zurückzukom-
men, von dem er ausgelaufen
. Der Menſch negirt ſich,
aber nur um ſich wieder zu ſetzen, und zwar jetzt in verherr-
lichter Geſtalt; je mehr er ſich in ſeinen Augen erniedrigt, deſto
höher ſteigt er in den Augen Gottes. Und er negirt ſich, weil
der poſitive Menſch, der Poſitivus der Menſchheit Gott
iſt; er erniedrigt ſich, weil Gott der erhöhte Menſch iſt. Gott
iſt Menſch: darum muß der Menſch von ſich ſelbſt ſo niedrig
als möglich denken. Er braucht nichts für ſich zu ſein, weil
[243] das, was er iſt, ſchon ſein Gott iſt. Gott iſt ſein Ich; darum
muß er ſich verläugnen. So negirt der Menſch auch das
Dießſeits, aber nur um am Ende es als Jenſeits wieder
zu ſetzen
*). Das verlorne aber wiedergefundne und in der
Freude des Wiederſehens um ſo heller ſtrahlende Dießſeits iſt
das Jenſeits. Der religiöſe Menſch gibt die Freuden dieſer
Welt auf; aber nur um dafür die himmliſchen Freuden zu ge-
winnen, oder vielmehr er gibt ſie deßwegen auf, weil er ſchon
in dem wenigſtens idealen Beſitze der himmliſchen Freuden
iſt. Die himmliſchen Freuden ſind allerdings andere Freuden,
als die irdiſchen, aber es ſind doch immerhin Freuden; die
Gattung, die Subſtanz haben ſie gemein mit den irdiſchen;
ſie ſind nur anderer, höherer Art. Die Religion kommt ſo,
aber auf einem Umweg zu dem Ziele, dem Ziele der Freude,
worauf der natürliche Menſch in gerader Linie zueilt. Das
Weſen im Bilde iſt das Weſen der Religion. Die Re-
ligion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenſeits iſt das
Dießſeits im Spiegel der Phantaſie — das bezaubernde Bild,
im Sinne der Religion das Urbild des Dießſeits: dieſes wirk-
liche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes idealen bild-
lichen Lebens. Das Jenſeits iſt das im Bilde angeſchaute,
von aller groben Materie gereinigte — das verſchönerte Dieß-
ſeits, oder poſitiv ausgedrückt: das ſchöne Dießſeits κατ̕
ἐξοχην.


16*
[244]

Die Verſchönerung, die Verbeſſerung ſetzt einen Tadel,
ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen iſt nur ein ober-
flächliches. Ich ſpreche der Sache nicht Werth ab; nur ſo,
wie ſie iſt, gefällt ſie mir nicht; ich negire nur die Beſchaffen-
heiten, nicht die Subſtanz, ſonſt würde ich auf Vertilgung
dringen. Ein Haus, das mir abſolut mißfällt, laſſe ich ab-
tragen, aber nicht verſchönern. Der Glaube an das Jenſeits
gibt die Welt auf, aber nicht ihr Weſen; nur ſo, wie ſie iſt,
gefällt ſie nicht. Die Freude gefällt dem Jenſeitsgläubiger —
wer ſollte die Freude nicht als einen Poſitiv empfinden? —
aber es mißfällt ihm, daß hier auf die Freude entgegengeſetzte
Empfindungen folgen, daß ſie vergänglich iſt. Er ſetzt daher
die Freude auch ins Jenſeits, aber als ewige, ununterbrochne
göttliche Freude — das Jenſeits heißt darum das Freuden-
reich
— wie er hier ſchon die Freude in Gott ſetzt; denn Gott
iſt nichts als die ewige, ununterbrochene Freude als
Subject
. Die Individualität gefällt ihm, aber nur nicht die
mit objectiven Trieben belaſtete; er nimmt daher die Indivi-
dualität auch mit, aber die reine, die abſolut ſubjective. Das
Licht gefällt; aber nicht die Schwere, weil ſie als eine Schranke
dem Individuum erſcheint, nicht die Nacht, weil in ihr der
Menſch der Natur gehorcht; dort iſt Licht, aber keine Schwere,
keine Nacht — reines, ungeſtörtes Licht.


Wie der Menſch in der Entfernung von ſich, in Gott
immer wieder nur auf ſich ſelbſt zurückkommt, immer nur
ſich um ſich ſelbſt dreht; ſo kommt der Menſch auch in der
Entfernung vom Dießſeits immer wieder zuletzt nur auf daſ-
ſelbe zurück. Je außer- und übermenſchlicher Gott im Anfang
erſcheint, deſto menſchlicher zeigt er ſich im Verlaufe oder
Schluſſe. Ebenſo: je übernatürlicher im Anfang oder in der
[245] Ferne beſchaut das himmliſche Leben ausſieht, deſto mehr ſtellt
ſich am Ende oder in der Nähe betrachtet die Identität des
himmliſchen mit dem natürlichen Leben heraus — eine Iden-
tität, die ſich zuletzt bis auf das Fleiſch, bis auf den Leib er-
ſtreckt. Zunächſt handelt es ſich um die Scheidung der Seele
vom Leibe, wie in der Anſchauung Gottes um die Scheidung
des Weſens von dem Individuum — das Individuum ſtirbt
einen geiſtigen Tod, der todte Leib, der zurückbleibt, iſt das
menſchliche Individuum, die Seele, die ſich davon geſchieden,
Gott. Aber die Scheidung der Seele vom Leibe, des Weſens
vom Individuum, Gottes vom Menſchen iſt nicht von Beſtand.
Jede Trennung thut wehe. Die Seele ſehnt ſich wieder nach
ihrem verlornen Theile, nach ihrem Leibe, wie Gott, die abge-
ſchiedene Seele, ſich wieder nach dem wirklichen Menſchen
ſehnt. Wie Gott daher wieder Menſch wird, ſo kehrt die Seele
wieder in ihren Leib zurück — und die vollkommene Iden-
tität
des Dieß- und Jenſeits iſt jetzt wieder hergeſtellt. Zwar
iſt dieſer neue Leib ein lichtvoller, verklärter, wunderbarer
Leib, aber — und das iſt die Hauptſache — es iſt ein ande-
rer
und doch derſelbe Leib *), wie Gott ein anderes und
doch daſſelbe Weſen als das menſchliche iſt. Wir kommen
hier wieder auf den Begriff des Wunders, welches Wider-
ſprechendes vereinigt. Der übernatürliche Körper iſt ein Kör-
per der Phantaſie, aber eben deßwegen ein dem Gemüthe des
Menſchen adäquater, weil ihn nicht beläſtigender — ein rein
ſubjectiver Körper **). Der Glaube an das Jenſeits iſt nichts
[246] anderes als der Glaube an die Wahrheit der Phantaſie, wie
der Glaube an Gott der Glaube an die Wahrheit und Unend-
lichkeit des menſchlichen Gemüthes. Oder: wie der Glaube
an Gott nur der Glaube an das abſtracte Weſen des Men-
ſchen iſt, ſo der Glaube an das Jenſeits nur der Glaube an
das abſtracte Dießſeits.


Aber der Inhalt des Jenſeits iſt die Seligkeit, die ewige
Seligkeit der Individualität oder Subjectivität, die hier durch
die Natur
beſchränkt und beeinträchtigt exiſtirt. Der Glaube
an das Jenſeits iſt daher der Glaube an die Freiheit der
Subjectivität von den Schranken der Natur
— alſo
der Glaube an die Ewigkeit, Unendlichkeit, Abſolutheit der
Subjectivität, und zwar nicht in ihrem Gattungsbegriffe, der
ſich in immer neuen Individuen entfaltet, ſondern dieſer bereits
exiſtirenden Individuen — folglich der Glaube des Men-
ſchen an ſich ſelbſt
. Aber der Glaube an das Himmelreich
iſt eins mit dem Glauben an Gott — es iſt derſelbe Inhalt
in beiden — Gott iſt die reine, abſolute, von allen Natur-
ſchranken erledigte Subjectivität: er iſt ſchlechtweg, was die
menſchlichen Individuen nur ſein ſollen, ſein werden — der
Glaube an Gott
iſt daher der Glaube des Menſchen an
**)
[247]ſein eignes Weſen, an die Unendlichkeit ſeiner ſelbſt
— das göttliche Weſen das menſchliche und zwar ſubjectiv
menſchliche Weſen in ſeiner abſoluten Freiheit und Unbe-
ſchränktheit.


Unſere weſentlichſte Aufgabe iſt hiermit erfüllt. Wir haben
das außerweltliche, übernatürliche und übermenſchliche Weſen
reducirt auf die Beſtandtheile des menſchlichen Weſens als
ſeine Grundbeſtandtheile. Wir ſind im Schluſſe wieder auf
den Anfang zurückgekommen. Der Menſch iſt der Anfang der
Religion, der Menſch iſt der Mittelpunkt der Religion, der
Menſch iſt das Ende der Religion.


Die Religion iſt das von der Welt abgeſchloſſene Ver-
halten des Menſchen zu ſeinem Weſen — das innere, das
in ſich ſelbſt verborgene Leben des Menſchen. Die poſitive,
wahre Bedeutung und Lehre der Religion iſt: Menſch gehe
in Dich! ſei bei und in Dir ſelbſt zu Hauſe
! ſammle
Dich: bete! Beten heißt: ſich ſammeln, den zerſtreuenden
Dialog des Lebens in den ernſten Monolog der Selbſtbeſin-
nung überſetzen. Hierin ſtimmt die Philoſophie mit der Reli-
gion überein; hierin und nur hierin allein liegt die ſittliche
Heilkraft und die theoretiſche Wahrheit der Religion.


[248]

Zweiter Theil.
Die Religion in ihrem Widerſpruch mit dem Weſen
des Menſchen.


Der weſentliche Standpunkt der Religion.


Die Religion iſt das Verhalten des Menſchen zu ſeinem
eignen Weſen — darin liegt ihre Wahrheit — aber zu ſeinem
Weſen nicht als dem ſeinigen, ſondern als einem andern,
aparten, von ihm unterſchiedenen, ja entgegengeſetzten Weſen
— darin liegt die Unwahrheit, darin die Schranke, darin das
böſe Weſen der Religion, darin die unheilſchwangere Quelle
des religiöſen Fanatismus, darin das oberſte, metaphyſiſche
Princip der blutigen Menſchenopfer, kurz, darin die prima
materia
aller Gräuel, aller ſchaudererregenden Scenen in dem
Trauerſpiel der Religionsgeſchichte.


Und dieſes Verhalten zu Gott als einem andern Weſen
iſt einerſeits ein natürliches, unwillkührliches, unbewußtes,
andererſeits ein bewußtes, durch Reflexion vermitteltes. Das
unbewußte Verhalten wurzelt im Urſprung der Religion ſelbſt,
beruht auf ihrem weſentlichen Standpunkt. Dieſer Standpunkt
iſt der praktiſche. Der Zweck der Religion iſt das Wohl,
das Heil, die Seligkeit des Menſchen; die Beziehung des
Menſchen auf Gott nichts anderes als die Beziehung deſſelben
auf ſein Heil: Gott iſt das realiſirte Seelenheil oder die un-
beſchränkte Macht, das Heil, die Seligkeit des Menſchen zu
verwirklichen *). Alle poſitiven religiöſen Beſtimmungen Got-
[249] tes drücken dieſe Beziehung auf das Heil aus. Das Höchſte
und Innigſte der Religion faßt ſich in dem Gedanken zuſam-
men: Gott iſt die Liebe, die ſelbſt um des Menſchen willen
Menſch wurde. Die chriſtliche Religion namentlich unter-
ſcheidet ſich darin von andern Religionen, daß keine ſo nach-
drücklich wie ſie das Heil des Menſchen hervorgehoben. Darum
nennt ſie ſich auch nicht Wahrheits- oder Gotteslehre, ſondern
Heilslehre. Aber dieſes Heil iſt nicht weltliches, irdiſches
Glück und Wohl. Im Gegentheil die tiefſten, wahrſten Chri-
ſten haben geſagt, daß irdiſches Glück den Menſchen von Gott
abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den
Menſchen zu Gott zurückführen und daher ſich allein für den
Chriſten ſchicken. Warum? weil im Unglück der Menſch nur
praktiſch geſinnt iſt, im Unglück er ſich nur auf das Eine, was
Noth, bezieht, im Unglück Gott als Bedürfniß des Menſchen
empfunden wird **). Die Luſt, die Freude expandirt den
Menſchen, das Unglück, der Schmerz contrahirt und concen-
trirt ihn — im Schmerze verneint der Menſch die Realität
der Welt; alle Dinge, welche die Phantaſie des Künſtlers und
die Vernunft des Denkers bezaubern, verlieren ihren Reiz, ihre
Macht für ihn; er verſinkt in ſich ſelbſt, in ſein Gemüth.
Dieſes in ſich verſunkne, auf ſich nur concentrirte, in ſich nur
ſich beruhigende, die Welt verneinende, gegen die Welt, die
Natur überhaupt idealiſtiſche, in Beziehung auf den Menſchen
realiſtiſche, nur auf ſein nothwendiges inneres Heilbedürfniß
*)
[250] bezogene Weſen oder Gemüth iſt — Gott. Gott als Gott,
Gott, wie er Gegenſtand der Religion und nur ſo, wie er
dieſer Gegenſtand, iſt er Gott, nämlich Gott im Sinne eines
Nomen proprium, nicht eines allgemeinen, metaphyſiſchen
Weſens, Gott iſt weſentlich nur ein Gegenſtand der Reli-
gion, nicht der Philoſophie, des Gemüthes, nicht der Vernunft,
der Praxis, nicht der bedürfnißloſen Theorie, der Herzensnoth,
nicht der Gedankenfreiheit, kurz ein Gegenſtand, ein Weſen,
welches nicht das Weſen des theoretiſchen, ſondern des prak-
tiſchen Standpunkts ausdrückt.


Die Religion knüpft an ihre Lehren Fluch und Segen,
Verdammung und Seligkeit. Selig iſt, wer glaubt, unſelig,
verloren, verdammt, wer nicht ihr glaubt. Sie appellirt alſo
nicht an die Vernunft, ſondern an das Gemüth, an den Glück-
ſeligkeitstrieb, an die Affecte der Furcht und Hoffnung. Sie
ſteht nicht auf dem theoretiſchen Standpunkt; ſonſt müßte ſie
die Freiheit haben, ihre Lehren auszuſprechen, ohne an ſie
praktiſche Folgen anzuknüpfen, ohne gewiſſermaaßen zu ihrem
Glauben zu nöthigen; denn wenn es heißt: ich bin verdammt,
wenn ich nicht glaube, ſo iſt das ein feiner Gewiſſenszwang
zum Glauben; die Furcht vor der Hölle zwingt mich zu glau-
ben. Selbſt, wenn mein Glaube auch ſeinem Urſprung nach
ein freier ſein ſollte — die Furcht miſcht ſich doch immer mit
ein; mein Gemüth iſt immerhin befangen; der Zweifel, das
Princip der theoretiſchen Freiheit erſcheint mir als Verbrechen.
Der höchſte Begriff, das höchſte Weſen der Religion iſt aber
Gott: das höchſte Verbrechen alſo der Zweifel an Gott oder
gar der Zweifel, daß Gott iſt. Was ich mir aber gar nicht
zu bezweifeln getraue, nicht bezweifeln kann, ohne mich in
meinem Gemüthe beunruhigt zu fühlen, ohne mich einer Schuld
[251] zu zeihen, das iſt auch keine Sache der Theorie, ſondern eine
Gewiſſensſache, kein Weſen der Vernunft, ſondern des Ge-
müths.


Da nun aber der praktiſche Standpunkt allein der Stand-
punkt der Religion iſt, da ihr folglich auch nur der praktiſche,
vorſätzliche, nur nach ſeinen bewußten, ſei es nun phyſiſchen
oder moraliſchen Zwecken handelnde und die Welt nur in Be-
ziehung auf dieſe Zwecke und Bedürfniſſe, nicht an ſich ſelbſt
betrachtende Menſch für den ganzen, weſentlichen Menſchen
gilt; ſo fällt ihr Alles, was hinter dem praktiſchen Bewußt-
ſein liegt, aber der weſentliche Gegenſtand der Theorie iſt —
Theorie im urſprünglichſten und allgemeinſten Sinne, im Sinne
der theoretiſchen Anſchauung und Erfahrung, der Vernunft,
der Wiſſenſchaft überhaupt — außer den Menſchen und
die Natur
hinaus in ein beſonderes perſönliches Weſen.
Alles Gute, doch hauptſächlich nur ſolches, welches unwill-
kührlich den Menſchen ergreift, welches ſich nicht zuſammen-
reimt mit Vorſatz und Abſicht, welches über die Gränzen des
praktiſchen Bewußtſeins hinausgeht, kommt von Gott; alles
Schlimme, Böſe, Ueble, doch hauptſächlich nur ſolches, welches
ihn unwillkührlich mitten in ſeinen beſten moraliſchen Vorſätzen
überfällt oder mit furchtbarer Gewalt fortreißt, kommt vom
Teufel. Zur Erkenntniß des Weſens der Religion gehört die
Erkenntniß des Teufels, des Satans, der Dämone *). Man
[252] kann dieſe Dinge nicht weglaſſen, ohne die Religion gewaltſam
zu verſtümmeln. Die Gnade und ihre Wirkungen ſind der
Gegenſatz der Teufelswirkungen. Wie die unwillkührlichen,
aus der Tiefe der Natur auflodernden ſinnlichen Triebe über-
haupt alle ihr unerklärlichen Erſcheinungen des moraliſchen
und phyſiſchen Uebels der Religion als Wirkungen des böſen
Weſens erſcheinen, ſo erſcheinen ihr auch nothwendig die un-
willkührlichen Bewegungen der Begeiſterung und Entzückung
als Wirkungen des guten Weſens, Gottes, des heiligen Geiſtes
oder der Gnade. Daher die Willkühr der Gnade — die Klage
der Frommen, daß die Gnade ſie bald beſeligt, heimſucht, bald
wieder verläßt, verſtößt. Das Leben, das Weſen der Gnade iſt
das Leben, das Weſen des unwillkührlichen Gemüths. Das
Gemüth iſt der Paraklet der Chriſten. Die gemüth- und be-
geiſterungsloſen Momente ſind die von der göttlichen Gnade
verlaſſenen Lebensmomente.


In Beziehung auf das innere Leben kann man übrigens
auch die Gnade definiren als das religiöſe Genie; in Be-
ziehung auf das äußere Leben aber als den religiöſen Zu-
fall
. Der Menſch iſt gut oder böſe keineswegs nur durch ſich
ſelbſt, durch eigene Kraft, durch ſeinen Willen, ſondern zugleich
durch jenen Complex geheimer und offenbarer Determinationen,
die wir, weil ſie auf keiner innern Nothwendigkeit beruhen,
der Macht „Seiner Majeſtät des Zufalls,“ wie Friedrich
der Große zu ſagen pflegte, zuſchreiben *). Die göttliche Gnade
[253] iſt die myſtificirte Macht des Zufalls. Hier haben wir wieder
die Beſtätigung von dem, was wir als das weſentliche Geſetz
der Religion erkannten. Die Religion negirt, verwirft den
Zufall, Alles von Gott abhängig machend, Alles aus ihm
erklärend; aber ſie negirt ihn nur ſcheinbar; ſie verſetzt ihn
nur in die göttliche Willkühr. Denn der göttliche Wille,
welcher aus unbegreiflichen Gründen, d. h. offen und
ehrlich herausgeſagt, aus grundloſer abſoluter Willkühr,
gleichſam aus göttlicher Laune, die Einen zum Böſen, zum Un-
glück, die Andern zum Guten, zur Seligkeit beſtimmt, prädeſtinirt,
hat kein einziges poſitives Merkmal für ſich, welches ihn von
der Macht „Seiner Majeſtät des Zufalls“ unterſchiede. Das
Geheimniß der Gnadenwahl iſt alſo das Geheimniß, oder die
Myſtik des Zufalls. Ich ſage die Myſtik des Zufalls; denn
in der That iſt der Zufall ein Myſterium, obwohl überhudelt
und ignorirt von unſerer ſpeculativen Religions-Philoſophie,
welche über den illuſoriſchen Myſterien des abſoluten We-
ſens, d. h. der Theologie die wahren Myſterien des Den-
kens und Lebens, ſo auch über dem Myſterium der göttlichen
Gnade oder Wahlfreiheit das profane Myſterium des Zufalls
vergeſſen hat *).


Doch wieder zurück zu unſerem Gegenſtande. Der Teufel
iſt das Negative, das Böſe, das aus dem Weſen, nicht dem
Willen kommt, Gott das Poſitive, das Gute, welches aus
dem Weſen, nicht dem bewußten Willen kommt — der Teufel
das unwillkührliche, unerklärliche Böſe, Schlimme, Ueble,
[254] Gott das unwillkührliche, unerklärliche Gute. Beide haben
dieſelbe Quelle — nur die Qualität iſt verſchieden oder ent-
gegengeſetzt. Deßhalb hing auch faſt bis auf die neueſte Zeit
der Glaube an den Teufel aufs innigſte zuſammen mit dem
Glauben an Gott, ſo daß die Läugnung des Teufels eben ſo
gut für Atheismus galt, als die Läugnung Gottes. Nicht
ohne Grund; wenn man einmal anfängt, die Erſcheinungen
des Böſen, Ueblen aus natürlichen Urſachen abzuleiten, ſo
fängt man auch gleichzeitig an, die Erſcheinungen des Guten,
des Göttlichen aus der Natur der Dinge, nicht aus einem
übernatürlichen Weſen abzuleiten und kommt endlich dahin,
entweder Gott ganz aufzuheben, oder wenigſtens einen andern
als den Gott der Religion zu glauben, oder, was das Ge-
wöhnlichſte iſt, die Gottheit zu einem müßigen, thatloſen We-
ſen zu machen, deſſen Sein gleich Nichtſein iſt, indem es nicht
mehr wirkend in das Leben eingreift, nur an die Spitze der
Welt, an den Anfang als die erſte Urſache, die prima causa
hingeſtellt wird. Gott hat die Welt erſchaffen — dieß iſt das
Einzige, was hier von Gott noch übrig bleibt. Das Per-
fectum
iſt hier nothwendig; denn ſeitdem läuft die Welt wie
eine Maſchine ihren Gang fort. Der Zuſatz: er ſchafft immer,
er ſchafft noch heute, iſt nur der Zuſatz einer äußerlichen Re-
flexion; das Perfectum drückt hier adäquat den religiöſen
Sinn aus; denn der Geiſt der Religion iſt ein vergange-
ner, wo die Wirkung Gottes zu einem Fecit oder Creavit
gemacht wird. Anders; wenn das wirklich religiöſe Be-
wußtſein ſagt: das Fecit iſt heute noch ein Facit; hier hat
dieß, obwohl auch ein Product der Reflexion, doch einen
geſetzmäßigen Sinn, weil hier Gott überhaupt handelnd ge-
dacht wird.


[255]

Die Religion wird überhaupt aufgehoben, wo ſich zwiſchen
Gott und den Menſchen die Vorſtellung der Welt, der ſoge-
nannten Mittelurſachen einſchleicht. Hier hat ſich ſchon ein
fremdes Weſen, das Princip der Verſtandesbildung einge-
ſchlichen — gebrochen iſt der Friede, die Harmonie der Reli-
gion, welche nur im unmittelbaren Zuſammenhang des
Menſchen mit Gott liegt. Die Mittelurſache iſt eine Capitu-
lation des ungläubigen Verſtandes mit dem noch gläubigen
Herzen. Der Religion zufolge. wirkt allerdings auch Gott
vermittelſt anderer Dinge und Weſen auf den Menſchen. Aber
Gott iſt doch allein die Urſache, allein das handelnde und
wirkſame Weſen. Was Dir der Andere thut, das thut Dir im
Sinne der Religion nicht der Andere, ſondern Gott. Der Andere
iſt nur Schein, Mittel, Vehikel, nicht Urſache. Aber die Mittel-
urſache iſt ein unſeliges Mittelding zwiſchen einem ſelbſtſtän-
digen und unſelbſtſtändigen Weſen: Gott gibt wohl den erſten
Impuls; aber dann tritt ihre Selbſtthätigkeit ein *).


Die Religion weiß überhaupt aus ſich ſelbſt nichts
von dem Daſein der Mittelurſachen; dieſes iſt ihr vielmehr
der Stein des Anſtoßes; denn das Reich der Mittelurſachen,
die Sinnenwelt, die Natur iſt es gerade, welche den Menſchen
von Gott trennt **). Darum glaubt die Religion, daß Einſt
[256] dieſe Scheidewand fällt. Einſt iſt keine Natur, keine Materie,
kein Leib, wenigſtens kein ſolcher, der den Menſchen von Gott
trennt: einſt iſt nur Gott und die fromme Seele allein.
Die Religion hat nur aus der ſinnlichen, natürlichen, alſo un-
oder wenigſtens nicht religiöſen Anſchauung Kunde vom Daſein
der Mittelurſachen, d. h. der Dinge, die zwiſchen Gott
und dem Menſchen ſind. Und wenn daher die Religion eine
mittelbare Wirkung Gottes annimmt, ſo kommt dieß nur
daher, daß ſich die empiriſche Anſchauung geltend macht,
welche die Religion aber dadurch ſogleich niederſchlägt, daß ſie
die Wirkungen der Natur zu Wirkungen Gottes macht. Gott
allein iſt ihr das wahrhaft Seiende, Wirkende, Thätige. Dieſer
religiöſen Idee widerſpricht aber der natürliche Verſtand und
Sinn, welcher den natürlichen Dingen wirkliche Selbſt-
thätigkeit
einräumt. Und dieſen Widerſpruch der ſinnlichen
mit ihrer, der religiöſen, Anſchauung löſt die Religion eben
dadurch, daß ſie die unläugbare Wirkſamkeit der Dinge zu
einer Wirkſamkeit Gottes vermittelſt dieſer Dinge macht. Der
poſitive Begriff iſt hier der Begriff Gottes, der negative die
Welt.


Dagegen da, wo die Mittelurſachen in Activität ge-
ſetzt, ſo zu ſagen, emancipirt werden, da iſt der umgekehrte
Fall — die Natur das Poſitive, Gott ein negativer Begriff.
Die Welt iſt ſelbſtſtändig in ihrem Sein, ihrem Beſtehen; nur
**)
[257] ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott iſt hier nur ein
hypothetiſches, abgeleitetes, aus der Noth eines beſchränkten
Verſtandes, dem das Daſein der von ihm zu einer Ma-
ſchine gemachten Welt ohne ein ſelbſtbewegendes Princip un-
erklärlich iſt, entſprungnes, kein urſprüngliches, abſolut noth-
wendiges Weſen mehr. Gott iſt nicht um ſeinetwillen, ſon-
dern um der Welt willen da, nur darum da, um als die
prima causa die Meltmaſchine zu erklären. Der beſchränkte
Verſtandesmenſch nimmt einen Anſtoß an dem urſprünglich
ſelbſtſtändigen Daſein der Welt, weil er ſie nur vom prakti-
ſchen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als
Werkmaſchine, nicht in ihrer Majeſtät und Herrlichkeit, nicht
als Kosmos anſieht. Er ſtößt alſo ſeinen Kopf an der Welt
an. Der Stoß erſchüttert ſein Gehirn — und in dieſer Er-
ſchütterung hypoſtaſirt er denn außer ſich den eignen Anſtoß
als den Urſtoß, der die Welt ins Daſein geſchleudert, daß ſie
nun, wie die durch den mathematiſchen Stoß in Bewegung
geſetzte Materie, ewig fortgeht, d. h. er denkt ſich einen mecha-
niſchen
Urſprung. Eine Maſchine muß einen Anfang haben;
es liegt dieß in ihrem Begriffe; denn ſie hat den Grund der
Bewegung nicht in ſich.


Alle Kosmogonie iſt Tautologie — dieß ſehen wir auch
an dieſem Beiſpiel. In der Kosmogonie erklärt ſich oder rea-
liſirt nur der Menſch den Begriff, den er von der Welt hat;
ſagt er daſſelbe, was er außerdem von ihr ausſagt. So
hier: iſt die Welt eine Maſchine, ſo verſteht es ſich von ſelbſt,
daß ſie „ſich nicht ſelbſt gemacht“ hat, daß ſie vielmehr
gemacht iſt, d. h. einen mechaniſchen Urſprung hat.
Hierin ſtimmt allerdings das religiöſe Bewußtſein mit dem
mechaniſchen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes
Feuerbach. 17
[258] Machwerk, ein Product des Willens iſt; denn die Religion
betrachtet die Dinge nicht vom theoretiſchen, ſondern praktiſchen
Standpunkt. Aber ſie ſtimmen nur einen Augenblick, nur im
Moment des Machens oder Schaffens mit einander überein
— iſt dieſes ſchöpferiſche Nu verſchwunden, ſo iſt auch die
Harmonie vorüber. Der Mechanikus braucht Gott nur zum
Machen der Welt; iſt ſie gemacht, ſo kehrt ſie ſogleich dem lie-
ben Gott den Rücken, und freut ſich von Herzen ihrer gottlo-
ſen Selbſtſtändigkeit. Aber die Religion macht die Welt, nur
um ſie immer im Bewußtſein ihrer Nichtigkeit, ihrer
Abhängigkeit von Gott
zu erhalten. Die Schöpfung iſt
bei dem Mechaniker der letzte dünne Faden, an dem die Reli-
gion mit ihm noch zuſammenhängt; die Religion, welcher die
Nichtigkeit der Welt eine gegenwärtige Wahrheit iſt (denn
alle Kraft und Thätigkeit iſt ihr Gottes Kraft und Thätigkeit)
iſt bei ihm nur noch eine Reminiscenz aus der Jugend; er
verlegt daher die Schöpfung der Welt, den Act der Reli-
gion
, das Nichtſein der Welt — denn im Anfange, vor
der Erſchaffung war keine Welt, war nur Gott allein —
in die Ferne, in die Vergangenheit, während die Selbſt-
ſtändigkeit der Welt, die all ſein Sinnen und Trachten
abſorbirt, mit der Macht der Gegenwart auf ihn wirkt.
Der Mechaniker unterbricht und verkürzt die Thätigkeit
Gottes durch die Thätigkeit der Welt. Gott hat bei ihm
wohl noch ein hiſtoriſches Recht, das aber ſeinem Natur-
recht
widerſpricht, er beſchränkt daher ſo viel als möglich die-
ſes Gott noch zuſtehende Recht, um für ſeine natürlichen Ur-
ſachen und damit für ſeinen Verſtand um ſo größern und
freiern Spielraum zu gewinnen.


Es hat mit der Schöpfung im Sinne des Maſchiniſten
[259] dieſelbe Bewandtniß, wie mit den Wundern, die er ſich auch
gefallen laſſen kann und wirklich gefallen läßt, weil ſie einmal
exiſtiren, wenigſtens in der religiöſen Meinung. Aber — ab-
geſehen davon, daß er ſich die Wunder natürlich, d. h.
mechaniſch erklärt — er kann die Wunder nur verdauen,
wenn und indem er ſie in die Vergangenheit verlegt. Für
die Gegenwart aber bittet er ſich Alles hübſch natürlich aus.
Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren,
etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, ſondern nur glaubt,
weil es geglaubt wird oder aus irgend einem Grunde geglaubt
werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner
iſt; ſo verlegt man auch äußerlich den Gegenſtand des Glau-
bens in die Vergangenheit. Dadurch macht ſich der Unglaube
Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigſtens
hiſtoriſches, Recht. Die Vergangenheit iſt hier das glück-
liche Auskunftsmittel zwiſchen Glaube und Unglaube: ich
glaube allerdings Wunder, aber Nota benekeine Wunder,
die geſchehen, ſondern einſt geſchehen ſind, die Gottlob! be-
reits lauter Plusquamperfecta ſind. So auch hier. Die
Schöpfung iſt eine unmittelbare Handlung oder Wirkung
Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott.
In der Vorſtellung der Schöpfung geht der Menſch über die
Welt hinaus, abſtrahirt von ihr; er ſtellt ſie ſich vor als
nichtſeiend im Momente der Erſchaffung; er wiſcht ſich alſo
aus den Augen, was zwiſchen ihm und Gott in der Mitte
ſteht, die Sinnenwelt; er ſetzt ſich in unmittelbare Berührung
mit Gott. Aber der Maſchiniſt ſcheut dieſen unmittelbaren
Contact mit der Gottheit; er macht daher das Praesens,
wenn er ſich anders ſo hoch verſteigt, ſogleich zu einem Per-
fectum
; er ſchiebt Jahrtauſende zwiſchen ſeine natürliche oder
17*
[260] materialiſtiſche Anſchauung und zwiſchen den Gedanken einer
unmittelbaren Wirkung Gottes ein.


Im Sinne der Religion dagegen iſt Gott allein die Urſache
aller poſitiven Wirkungen, Gott allein der letzte aber auch einzige
Grund, womit ſie alle Fragen, welche die Theorie aufwirft, beant-
wortet oder vielmehr abweiſt; denn die Religion bejaht alle
Fragen mit Nein: ſie gibt eine Antwort, die eben ſo viel ſagt
wie keine, indem ſie die verſchiedenſten Fragen immer mit der
nämlichen Antwort erledigt, alle Wirkungen der Natur zu un-
mittelbaren Wirkungen Gottes, zu Wirkungen eines abſichtli-
chen, perſönlichen, außer- oder übernatürlichen Weſens macht.
Gott iſt der den Mangel der Theorie erſetzende Begriff.
Er iſt die Erklärung des Unerklärlichen, die nichts erklärt, weil
ſie Alles ohne Unterſchied erklären ſoll — er iſt die Nacht der
Theorie, die aber dadurch Alles dem Gemüthe klar macht, daß
in ihr das Maaß der Finſterniß, das unterſcheidende Ver-
ſtandeslicht ausgeht; das Nichtwiſſen, das alle Zweifel löſt,
weil es alle niederſchlägt, Alles weiß, weil es nichts Be-
ſtimmtes weiß, weil alle Dinge, die dem Theoretiker imponi-
ren, verſchwinden, ihre Individualität verlieren, im Auge der gött-
lichen Macht nichts ſind. Die Nacht iſt die Mutter der Religion.


Der weſentliche Act der Religion, in dem ſie bethätigt,
was wir als ihr Weſen bezeichneten, iſt das Gebet. Das
Gebet iſt allmächtig
. Was der Fromme im Gebete erſehnt,
erfüllt Gott. Er betet aber nicht um geiſtige Dinge nur *),
die liegen ja ſo in der Macht des Menſchen; er betet auch um
Dinge, die außer ihm liegen, in der Macht der Natur ſtehen, eine
Macht, die er eben im Gebete überwinden will; er greift im Gebet
[261] zu einem übernatürlichen Mittel, um an ſich natürliche
Zwecke zu erreichen. Gott iſt ihm nicht die causa remota,
ſondern die causa proxima, die unmittelbare, allernächſte wir-
kende Urſache aller natürlichen Wirkungen. Alle ſogenannte
Mittelkräfte und Mittelurſachen ſind ihm im Gebete Nichts.
Wären ſie ihm Etwas, ſo würde daran die Macht, die In-
brunſt des Gebetes ſcheitern. Sie ſind ihm vielmehr gar nicht
Gegenſtand; ſonſt würde er ja nur auf vermitteltem Wege ſei-
nen Zweck zu erreichen ſuchen. Aber er will unmittelbare
Hülfe. Er nimmt ſeine Zuflucht zum Gebete in der Gewiß-
heit, daß er durchs Gebet mehr, unendlich mehr vermag als
durch alle Anſtrengung und Thätigkeit der Vernunft und
Natur, daß das Gebet übermenſchliche und übernatürliche
Kräfte beſitzt *). Aber im Gebet wendet er ſich unmittelbar
an Gott. Gott iſt ihm alſo die unmittelbare Urſache, das
erfüllte Gebet, die Macht, die das Gebet realiſirt. Aber eine
unmittelbare Wirkung Gottes iſt ein Wunder — das Wun-
der liegt daher weſentlich in der Anſchauung der Religion.
Die Religion erklärt Alles auf wunderbare Weiſe. Daß
Wunder nicht immer geſchehen, das verſteht ſich von ſelbſt,
wie, daß der Menſch nicht immer betet. Aber daß nicht immer
Wunder geſchehen, das liegt außer dem Weſen der Religion,
nur in der empiriſchen, oder ſinnlichen Anſchauung. Wo
[262] aber die Religion beginnt, beginnt das Wunder.
Jedes wahre Gebet iſt ein Wunder
, ein Act der wun-
derthätigen Kraft
. Das äußerliche Wunder ſelbſt macht
nur ſichtbar die innerlichen Wunder, d. h. in ihm tritt nur
in Zeit und Raum, darum als ein beſonderes Factum ein, was an
und für ſich in der Grundanſchauung der Religion liegt, näm-
lich daß Gott überhaupt die übernatürliche, unmittelbare Ur-
ſache aller Dinge iſt. Das factiſche Wunder iſt nur ein af-
fectvoller Ausdruck der Religion — ein Moment der Begei-
ſterung. Die Wunder ereignen ſich nur in außerordentlichen
Fällen, in ſolchen, wo das Gemüth exaltirt iſt — daher
gibt es auch Wunder des Zorns. Mit kaltem Blute wird
kein Wunder verrichtet. Aber eben im Affect offenbart ſich
das Innerſte. Der Menſch betet auch nicht immer mit glei-
cher Wärme und Kraft. Solche Gebete ſind deßwegen erfolg-
los. Aber nur das affectvolle Gebet offenbart das Weſen des
Gebetes. Gebetet wird, wo das Gebet an und für ſich für
eine heilige Macht, eine göttliche Kraft gilt. So iſt es auch
mit dem Wunder. Wunder geſchehen — gleichviel, ob wenige
oder viele — wo eine wunderbare Anſchauung die Grund-
lage iſt. Das Wunder iſt aber keine theoretiſche Anſchauung
von der Welt und Natur; das Wunder realiſirt praktiſche
Bedürfniſſe und zwar im Widerſpruch mit den Geſetzen,
die dem Theoretiker imponiren
; im Wunder unterwirft
der Menſch die Natur als eine für ſich ſelbſt nichtige Exi-
ſtenz der Realität ſeiner Zwecke; das Wunder iſt der Su-
perlativus
des geiſtlichen oder religiöſen Utilismus; alle
Dinge ſtehen im Wunder dem nothleidenden Menſchen zu
Dienſten. Alſo erhellt hieraus, daß die weſentliche Weltan-
ſchauung der Religion die Anſchauung vom praktiſchen Stand-
[263] punkt aus iſt, daß Gott — denn das Weſen der Wunder-
macht iſt eins mit dem Weſen Gottes — ein rein praktiſches
Object iſt, aber ein ſolches, welches den Mangel und das
Bedürfniß der theoretiſchen Anſchauung erſetzt, kein Object des
Denkens, des Erkennens, ſo wenig als das Wunder, welches
nur dem Nicht-Denken ſeinen Urſprung verdankt. Stelle ich
mich auf den Standpunkt des Denkens, des Forſchens, der
Theorie, wo ich die Dinge in ſich reflectire, in ihrer Bezie-
hung auf ſich betrachte, ſo verſchwindet mir in nichts das
wunderthätige Weſen, in nichts das Wunder — verſteht ſich,
das religiöſe Wunder, welches abſolut verſchieden iſt
vom natürlichen Wunder, ob man gleich beide immer mit
einander verwechſelt, um die Vernunft zu bethören, unter dem
Scheine der Natürlichkeit das religiöſe Wunder in das Reich
der Vernünftigkeit und Wirklichkeit einzuführen.


Die Religion betrachtet alſo die Dinge nur von dem prakti-
ſchen Standpunkt aus. Selbſt der Menſch iſt ihr nur als prakti-
ſches, moraliſches Subject, darum nicht in ſeiner Gattung,
nicht, wie er im Weſen iſt, ſondern nur in ſeiner beſchränkten,
bedürftigen Individualität Gegenſtand. Aber eben deßwegen,
weil ſie abſtrahirt von dem Standpunkt, von dem Weſen der
Theorie, ſo beſtimmt ſich das ihr verborgene, nur dem theore-
tiſchen Auge gegenſtändliche, wahre, allgemeine Weſen der
Natur und Menſchheit zu einem andern, wunderbaren,
übernatürlichen Weſen — der Begriff der Gattung
zum Begriffe Gottes
, der ſelbſt wieder ein individuelles
Weſen iſt, aber ſich dadurch von den menſchlichen Individuen
unterſcheidet, daß er die Eigenſchaften derſelben im Maaße der
Gattung beſitzt. Nothwendig ſetzt daher in der Religion der
Menſch ſein Weſen außer ſich, ſein Weſen als ein andres
[264] Weſen
— nothwendig, weil das Weſen der Theorie außer
ihm liegt, weil all ſein bewußtes Weſen aufgeht in die
praktiſche Subjectivität. Gott iſt ſein Alter Ego, ſeine
andere verlorne Hälfte; in Gott ergänzt er ſich; in Gott iſt
er erſt vollkommner Menſch. Gott iſt ihm ein Bedürfniß;
es fehlt ihm Etwas, ohne zu wiſſen, was ihm fehlt — Gott
iſt dieſes fehlende Etwas, Gott ihm unentbehrlich; Gott
gehört zu ſeinem Weſen. Die Welt iſt der Religion
Nichts *) — die Welt, die nichts andres iſt als der Inbegriff
der Wirklichkeit, in ihrer Herrlichkeit offenbart nur die
Theorie; die theoretiſchen Freuden ſind die ſchönſten intel-
lectuellen Lebensfreuden, aber die Religion weiß nichts von
den Freuden des Denkers, nichts von den Freuden des Natur-
forſchers. Ihr fehlt die Anſchauung des Univerſums, das
Bewußtſein des wirklichen Unendlichen, das Bewußtſein der
Gattung. Nur in Gott ergänzt ſie den Mangel des Lebens,
den Mangel eines weſenhaften Inhalts, den in unendlicher
Fülle das wirkliche Leben den offnen Augen des ſchauluſtigen
Theoretikers darbietet. Gott iſt ihr der Erſatz der verlornen
Welt
— Gott iſt ihr die reine Anſchauung, das Leben der
Theorie
.


Die praktiſche Anſchauung iſt eine ſchmutzige, vom
Egoismus befleckte Anſchauung. Ich verhalte mich hier zu
einem Dinge nur um meinetwillen. Um ſein ſelbſt willen
ſchaue ich es nicht an; es iſt mir vielmehr im Grunde ein ver-
ächtliches Ding, wie ein Weib, das nur um des ſinnlichen
[265] Genuſſes willen Gegenſtand iſt. Die praktiſche Anſchauung
iſt eine nicht in ſich befriedigte Anſchauung, denn ich ver-
halte mich hier zu einem mir nicht ebenbürtigen Gegenſtand.
Die theoretiſche Anſchauung dagegen iſt eine freudenvolle,
in ſich befriedigte, ſelige
Anſchauung, denn ihr iſt der
Gegenſtand ein Gegenſtand der Liebe und Bewunderung,
er ſtrahlt im Lichte der freien Intelligenz wunderherrlich, wie ein
Diamant, durchſichtig, wie ein Bergkryſtall; die Anſchauung
der Theorie iſt eine äſthetiſche Anſchauung; die praktiſche
dagegen eine unäſthetiſche. Die Religion ergänzt daher in
Gott den Mangel der äſthetiſchen Anſchauung. Nich-
tig iſt ihr die Welt für ſich ſelbſt, die Bewunderung, die An-
ſchauung derſelben Götzendienſt; denn die Welt iſt ihr ein blo-
ßes Gemächte *). Gott iſt ihr daher die reine unbeſchmutzte, d. i.
theoretiſche oder äſthetiſche Anſchauung. Gott iſt das Object,
zu dem ſich der religiöſe Menſch objectiv verhält; in Gott iſt
ihm der Gegenſtand um ſein ſelbſt willen Gegenſtand.
Gott iſt Selbſtzweck; Gott hat alſo für die Religion in specie
die Bedeutung, welche für die Theorie der Gegenſtand über-
haupt hat. Das allgemeine Weſen der Theorie iſt der
Religion ein beſonderes Weſen. Allerdings bezieht ſich in
der Religion der Menſch in der Beziehung auf Gott wie-
der auf ſeine Bedürfniſſe ſowohl im höhern als niedern
Sinne: „gib uns unſer tägliches Brot;“ aber Gott kann nur
alle Bedürfniſſe des Menſchen befriedigen, weil er ſelbſt für
ſich kein Bedürfniß hat — die bedürfnißloſe Seligkeit iſt.


[266]

Der Widerſpruch in dem Begriffe der Exiſtenz Gottes.


Die Anſchauung des menſchlichen Weſens als eines an-
dern, für ſich exiſtirenden Weſens iſt als identiſch mit dem
Begriffe der Religion urſprünglich eine unwillkührliche, kind-
liche, unbefangne. Aber, wenn die Religion an Jahren und
mit den Jahren an Verſtande zunimmt, wenn innerhalb der
Religion die Reflexion über die Religion erwacht, das Be-
wußtſein von der Identität des göttlichen Weſens mit dem
menſchlichen zu dämmern beginnt; ſo wird die urſprünglich
unwillkührliche und harmloſe Scheidung Gottes vom Men-
ſchen zu einer abſichtlichen, ausſtudirten Unterſcheidung, welche
keinen andern Zweck hat, als dieſe bereits in das Bewußtſein
eingetretne Identität wieder aus dem Bewußtſein wegzu-
räumen.


Gott, das objective Weſen der Religion, iſt das ſich ſelbſt
gegenſtändliche Weſen des Menſchen. Die Religion iſt das
kindliche Weſen der Menſchheit. Das Kind ſieht ſein Weſen,
den Menſchen außer ſich — als Kind iſt der Menſch ſich als
ein andrer Menſch Gegenſtand. Die Religion bejaht, heiligt,
vergöttert, d. i. vergegenſtändlicht das menſchliche Weſen. Dieß
iſt das allgemeine Weſen der Religion. Die beſtimmte Reli-
gion, den Unterſchied der Religionen begründet nur, was vom
menſchlichen Weſen oder wie dieſes Was erfaßt und verge-
genſtändlicht wird, z. B. ob in unmittelbarer Einheit mit der
Natur oder im Unterſchiede von ihr. Je näher daher die Re-
ligion ihrem Urſprunge nach ſteht, je wahrhafter, je aufrichtiger
ſie iſt, deſto weniger verheimlicht ſie dieſes ihr Weſen. Das
heißt: im Urſprunge der Religion iſt gar kein qualitativer
oder weſentlicher Unterſchied zwiſchen Gott und dem Men-
[267] ſchen. Und an dieſer Identität nimmt der religiöſe Menſch
keinen Anſtoß; denn ſein Verſtand iſt noch in Harmonie mit
ſeiner Religion. So war Jehovah im alten Judenthum nur
ein der Exiſtenz nach vom menſchlichen Individuum unter-
ſchiednes Weſen; aber qualitativ, ſeinem innern Weſen nach
war er völlig gleich dem Menſchen, hatte er dieſelben Leiden-
ſchaften, dieſelben menſchlichen, ſelbſt körperlichen Eigenſchaf-
ten. Erſt im ſpätern Judenthum trennte man aufs ſchärfſte
Jehovah vom Menſchen und nahm ſeine Zuflucht zur Alle-
gorie
, um den Anthropopathismen einen andern Sinn un-
terzuſtellen, als ſie urſprünglich hatten. So war es auch im
Chriſtenthum. In den älteſten Urkunden deſſelben iſt die Gott-
heit Chriſti noch nicht ſo entſchieden ausgeprägt, wie ſpäter.
Bei Paulus namentlich iſt Chriſtus noch ein zwiſchen Him-
mel und Erde, zwiſchen Gott und dem Menſchen oder über-
haupt den dem Höchſten untergeordneten Weſen ſchwebendes,
unbeſtimmtes Weſen — der Erſte der Engel, der Erſtgeſchaffne,
aber doch geſchaffen; meinetwegen auch gezeugt, aber dann
ſind auch die Engel, auch die Menſchen nicht geſchaffen, ſon-
dern gezeugt; denn Gott iſt auch ihr Vater. Chriſtus iſt da-
her hier noch ein familiäreres Weſen — wenn gleich mehr
nur ein phantaſtiſches Weſen. Erſt die Kirche identificirte ihn
ausdrücklich mit Gott, machte ihn zu dem ausſchließlichen Sohn
Gottes, beſtimmte ſeinen Unterſchied von den Menſchen und
Engeln, und gab ihm ſo das Monopol eines ewigen, un-
creatürlichen Weſens.


Merkwürdig, aber wohl begründet iſt es hiebei, daß je
mehr im Grunde und Weſen der Religion Gott ein menſchen-
ähnliches, richtiger: nicht vom Menſchen unterſchiednes Weſen
iſt, um ſo mehr von der Reflexion über die Religion, von der
[268]Theologie der Unterſchied Gottes vom Menſchen hervorge-
hoben, die Identität geläugnet wird *). Da aber der Menſch
nichts Höheres denken und faſſen kann, als das Weſen des
Menſchen, ſo bleibt ihm, um Gott vom Menſchen recht zu
diſtinguiren, zu einem andern, entgegengeſetzten, übermenſchli-
chen Weſen zu machen, nichts übrig, als gerade Das in Gott
als eine gute, ja göttliche Eigenſchaft zu ſetzen, was er im
Menſchen als eine ſchlechte Eigenſchaft verwirft, ſo daß Gott
aus einem menſchlichen zu einem unmenſchlichen Weſen, aus
einem Vater der Liebe zu einem Tyrannen abſoluter, ſelbſt-
ſüchtiger Willkühr, kurz, aus einem guten ein böſes Weſen
wird. Merkwürdige Belege dieſer Behauptung liefert die Ge-
ſchichte der Theologie.


Die dem Begriffe nach erſte Weiſe, wie die Reflexion
über die Religion, die Theologie das göttliche Weſen zu einem
andern Weſen macht, außer den Menſchen hinausſetzt, iſt die
Exiſtenz Gottes, welche zum Gegenſtande eines förmlichen
Beweiſes gemacht wird.


Die Beweiſe vom Daſein Gottes hat man für dem We-
ſen der Religion widerſprechend erklärt. Sie ſind es; aber nur
der Beweisform nach. Die Religion ſtellt unmittelbar das
[269] innere Weſen des Menſchen als ein gegenſtändliches, andres
Weſen dar. Und der Beweis will nichts weiter, als bewei-
ſen, daß die Religion Recht hat. Das vollkommenſte Weſen
iſt das Weſen, über welches kein höheres gedacht werden
kann — Gott iſt das Höchſte, was der Menſch denkt und den-
ken kann. Dieſe Prämiſſe des ontologiſchen Beweiſes — des
intereſſanteſten Beweiſes, weil er von Innen ausgeht —
ſpricht das innerſte geheimſte Weſen der Religion aus. Das,
was das Höchſte für den Menſchen iſt, wovon er nicht mehr
abſtrahiren kann, was die poſitive Gränze ſeiner Vernunft,
ſeines Gemüths, ſeiner Geſinnung iſt, das iſt ihm Gott —
id quo nihil majus cogitari potest. Aber dieſes höchſte
Weſen wäre nicht das höchſte, wenn es nicht exiſtirte; wir
könnten uns dann ein höheres Weſen vorſtellen, welches die
Exiſtenz vor ihm voraus hätte; aber zu dieſer Fiction geſtat-
tet uns ſchon von Vorn herein der Begriff des vollkommenſten
Weſens keinen Raum. Nicht ſein, iſt Mangel; Sein: Voll-
kommenheit, Glück, Seligkeit. Einem Weſen, dem der Menſch
Alles gibt, Alles opfert, was ihm hoch und theuer, kann er
auch nicht das Gut, das Glück der Exiſtenz vorenthalten.
Das dem religiöſen Sinn Widerſprechende liegt nur darin,
daß die Exiſtenz abgeſondert gedacht wird, und dadurch der
Schein entſteht, als wäre Gott nur ein gedachtes, in der
Vorſtellung exiſtirendes Weſen, ein Schein, der übrigens ſo-
gleich aufgehoben wird; denn der Beweis beweiſt eben, daß
Gott ein vom Gedachtſein unterſchiednes Sein, ein Sein au-
ßer dem Menſchen, außer dem Denken, ein reales Sein, ein
Sein für ſich zukommt.


Der Beweis unterſcheidet ſich nur dadurch von der Reli-
gion, daß er das geheime Enthymema der Religion in
[270] einen förmlichen Schluß faßt, explicirt und deßwegen un-
terſcheidet, was die Religion unmittelbar verbindet; denn was
der Religion das Höchſte, Gott, das denkt ſie nicht als einen
Gedanken, in Abstracto, das iſt ihr unmittelbar Wahrheit
und Wirklichkeit. Daß aber die Religion ſelbſt auch einen
geheimen, unentfalteten Schluß macht, das geſteht ſie in ihrer
Polemik gegen andere Religionen ein. Ihr Heiden habt euch
eben nichts Höheres als eure Götter vorſtellen können, weil
ihr in ſündliche Neigungen verſunken waret. Eure Götter be-
ruhen auf einem Schluſſe, deſſen Prämiſſen eure ſinnlichen
Triebe, eure Leidenſchaften ſind. Ihr dachtet ſo: das treff-
lichſte Leben iſt, unbeſchränkt ſeinen Trieben zu leben, und
weil auch dieſes Leben das trefflichſte, wahrſte Leben war, ſo
machtet ihr es zu euerm Gott. Euer Gott war euer ſinnlicher
Trieb; euer Himmel nur der freie Spielraum der im bürger-
lichen, überhaupt wirklichen Leben beſchränkten Leidenſchaften.
Aber in Beziehung auf ſich natürlich iſt ſie ſich keines Schluſ-
ſes bewußt, denn der höchſte Gedanke, deſſen ſie fähig, iſt ihre
Schranke, hat für ſie die Kraft der Nothwendigkeit, iſt ihr kein
Gedanke, keine Vorſtellung, ſondern unmittelbare Wirklichkeit.


Die Beweiſe vom Daſein Gottes haben zum Zweck, das
Innere zu veräußern, vom Menſchen auszuſcheiden *). Durch
die Exiſtenz wird Gott ein Ding an ſich: Gott iſt nicht nur
ein Weſen für uns, ein Weſen in unſerm Glauben, unſerm
[271] Gemüthe, unſerm Weſen, er iſt auch ein Weſen für ſich, ein
Weſen außer uns.


Wodurch die Wahrheit der Religion am meiſten begrün-
det werden ſoll, dadurch gerade wird ihr wahres Weſen, die
wahre Bedeutung, das Leben des Menſchen im Verhältniß
zu ſeinem Weſen zu ſein, ihr genommen. Indem ſie des
Menſchen Weſen zu einem andern, dem Menſchen entgegen-
geſetzten Weſen macht, ſetzt ſie ſich mit dem Menſchen, mit der
Vernunft, mit der Ethik, mit ſich ſelbſt in Widerſpruch. Alle
ihre Lehren verkehren ſich in ihr Gegentheil, alle ihre Begriffe
werden ſich ſelbſt aufhebende Widerſprüche. Ein ſolcher Be-
griff iſt vor Allem der Begriff der Exiſtenz Gottes. Gott
ſoll nicht blos Glaube, Gefühl, Gedanke, nicht blos Gemüth,
Intelligenz ſein; er ſoll nicht nur ein geglaubtes, gefühltes,
gedachtes, ſondern ein vom gefühlten, gedachten, d. i. innerli-
chen Sein unterſchiednes, reales Sein haben. Aber ein vom
Gedachtſein unterſchiednes Sein iſt kein andres als ſinnli-
ches
Sein.


Der Begriff der Sinnlichkeit liegt übrigens ſchon in dem
charakteriſtiſchen Ausdruck des Außerunsſeins. Die ſophi-
ſtiſche Theologie wird freilich das Wort: außer uns nicht in
eigentlichem Sinne nehmen und dafür den unbeſtimmten
Ausdruck des von uns unabhängig und unterſchieden Seins
ſetzen. Allein wenn dieſes Außerunsſein nur uneigentlich iſt,
ſo iſt auch die Exiſtenz Gottes eine uneigentliche. Und doch
handelt es ſich ja eben nur um eine Exiſtenz im eigentlichſten
Verſtande, und iſt der beſtimmte, reale, nicht ausweichende
Ausdruck für Unterſchiedenſein allein Außerunsſein.


Reales, ſinnliches Sein iſt ſolches, welches nicht ab-
hängt von meinem mich ſelbſt Afficiren, von meiner Thätig-
[272] keit, ſondern von welchem ich unwillkührlich afficirt werde,
welches iſt, wenn ich auch gar nicht bin, es gar nicht denke,
fühle. Das Sein Gottes müßte alſo örtliches, überhaupt qua-
litativ, ſinnlich
beſtimmtes Sein ſein. Aber Gott wird
nicht geſehen, nicht gehört, nicht ſinnlich empfunden. Er iſt
für mich gar nicht, wenn ich nicht für ihn bin. Wenn ich
keinen Gott glaube, ſo iſt kein Gott für mich. Wenn ich
nicht göttlich geſinnt und geſtimmt bin, wenn ich mich nicht
erhebe über das ſinnliche Leben, ſo iſt er mir gar nicht Gegen-
ſtand. Er iſt alſo nur, indem er gefühlt, gedacht, geglaubt
wird — der Zuſatz: für mich iſt unnöthig. Alſo iſt ſein Sein
ein reales, das doch zugleich kein reales — ein geiſtiges Sein,
hilft man ſich. Aber geiſtiges Sein iſt eben nur Gedachtſein,
Gefühltſein, Geglaubtſein. Alſo iſt ſein Sein ein Mittelding
zwiſchen ſinnlichem Sein und Gedachtſein, ein Mittelding voll
Widerſpruch. Oder: es iſt ein ſinnliches Sein, dem aber alle
Beſtimmungen der Sinnlichkeit abgehen — alſo ein un-
ſinnliches ſinnliches
Sein, ein Sein, welches dem Be-
griffe der Sinnlichkeit widerſpricht oder nur eine vage Exi-
ſtenz überhaupt
, die im Grunde eine ſinnliche iſt, aber,
um dieſen Grund nicht zur Erſcheinung kommen zu laſſen, aller
Prädicate einer realen ſinnlichen Exiſtenz beraubt wird. Aber
eine ſolche Exiſtenz überhaupt widerſpricht ſich. Zur Exi-
ſtenz gehört volle, beſtimmte Realität.


Eine nothwendige Folge dieſes Widerſpruchs iſt der
Atheismus. Die Exiſtenz Gottes hat das Weſen einer
empiriſchen Exiſtenz, ohne doch die Wahrzeichen derſelben
zu haben; ſie iſt an ſich eine Erfahrungsſache und doch in
der Wirklichkeit kein Gegenſtand der Erfahrung. Sie fordert
den Menſchen ſelbſt auf, ſie in der Wirklichkeit aufzuſuchen;
[273] ſie ſchwängert ihn mit ſinnlichen Vorſtellungen und Präten-
ſionen; werden dieſe daher nicht befriedigt, findet er vielmehr
die Erfahrung im Widerſpruch mit dieſen Vorſtellungen, ſo iſt
er vollkommen berechtigt, dieſe Exiſtenz zu läugnen.


Kant hat bekanntlich in ſeiner Kritik der Beweiſe vom
Daſein Gottes behauptet, daß ſich das Daſein Gottes nicht
aus der Vernunft beweiſen laſſe. Kant verdiente deßwegen
keinen ſolchen Tadel, als er von Hegel erfuhr. Der Begriff
der Exiſtenz Gottes in jenen Beweiſen iſt ein durchaus empi-
riſcher
. Aber aus einem Begriffe a priori kann ich nicht
die empiriſche Exiſtenz ableiten. Nur in ſofern verdient Kant
Tadel, als er damit etwas Beſonderes ausſagen wollte. Es
verſteht ſich dieß von ſelbſt. Die Vernunft kann nicht ein Ob-
ject von ſich zum Object der Sinne machen. Ich kann nicht
im Denken das, was ich denke, zugleich außer mir als ein
ſinnliches Ding darſtellen. Der Beweis vom Daſein Gottes
geht über die Gränzen der Vernunft; richtig; aber in demſel-
ben Sinne, in welchem Sehen, Hören, Riechen über die Grän-
zen der Vernunft geht. Thöricht iſt es, der Vernunft darüber
einen Vorwurf zu machen, daß ſie nicht eine Forderung be-
friedigt, die nur an die Sinne geſtellt werden kann. Daſein,
empiriſches Daſein geben mir nur die Sinne. Und das Da-
ſein hat bei der Frage von der Exiſtenz Gottes nicht die Be-
deutung der innern Realität, der Wahrheit, ſondern die
Bedeutung einer förmlichen, äußerlichen Exiſtenz. Darum
hat auch volle Wahrheit die Behauptung, daß der Glaube,
daß Gott ſei oder nicht ſei, keine Folgen für die inneren mora-
liſchen Geſinnungen habe. Wohl begeiſtert der Gedanke: es
iſt ein Gott; aber hier bedeutet das Iſt die innere Realität;
hier iſt die Exiſtenz ein Moment der Begeiſterung, ein Act der
Feuerbach. 18
[274] Erhebung. Aber ſo wie die Exiſtenz zu einer proſaiſchen, em-
piriſchen Wahrheit geworden, ſo iſt auch die Begeiſterung er-
loſchen.


Die Exiſtenz iſt an und für ſich eine indifferente Sache;
darum keineswegs nothwendig, daß der Atheiſt, indem er läug-
net, daß Gott iſt, auch die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die
Güte, die Weisheit verwirft. Dieſe Prädicate haben eine in-
nere Realität; ſie dringen durch ihren Gehalt dem Menſchen
ihre Anerkennung auf, erweiſen ſich ihm unmittelbar durch ſich
ſelbſt als wahr; ſie bezeugen ſich ſelbſt die Güte, die Gerech-
tigkeit. Die Weisheit iſt dadurch keine Chimäre, daß die Exi-
ſtenz Gottes eine Chimäre iſt, noch dadurch eine Wahrheit,
daß dieſe eine Wahrheit iſt. Der Begriff Gottes iſt abhän-
gig von dem Begriffe der Gerechtigkeit, Güte u. ſ. w.; ein
Gott, der nicht gerecht, nicht gütig, iſt kein Gott, aber nicht
umgekehrt. Die Gerechtigkeit, überhaupt jede Beſtimmung,
welche die Göttlichkeit Gottes ausmacht, wird durch ſich ſelbſt
erkannt und beſtimmt, Gott aber durch die Gerechtigkeit; nur
in dem Falle, daß ich Gott und Gerechtigkeit ſchon identificirt
habe, Gott unmittelbar als die Realität der Idee der Ge-
rechtigkeit denke, beſtimme ich Gott durch ſich ſelbſt.


Die Religion wird daher, inwiefern ſie ſich auf die Exi-
ſtenz Gottes als eine empiriſche Wahrheit gründet, zu einer
für die innere Geſinnung gleichgültigen Angelegenheit. Ja
wie nothwendig in dem Cultus der Religion die Ceremonie,
der Gebrauch, das Sacrament für ſich ſelbſt, ohne den Geiſt,
die Geſinnung zur Sache ſelbſt wird: ſo wird endlich auch
der Glaube nur an die Exiſtenz Gottes, abgeſehen von der
innern Qualität, von dem geiſtigen Inhalt, zur Hauptſache
der Religion. Wenn Du nur glaubſt an Gott, glaubſt über-
[275] haupt, daß Gott iſt, ſo biſt Du ſchon gerettet. Ob Du Dir
unter dieſem Gott ein wirklich göttliches Weſen oder ein Un-
geheuer, einen Nero oder Caligula denkſt, ein Bild Deiner
Leidenſchaft, Deiner Rach- und Ruhmſucht, das iſt eins —
die Hauptſache iſt, daß Du kein Atheiſt biſt. Die Geſchichte
der Religion hat dieſe Folgerung, die wir hier aus dem Be-
griffe der Exiſtenz ziehen, hinlänglich bewieſen. Hätte ſich
nicht die Exiſtenz Gottes für ſich ſelbſt als religiöſe Wahr-
heit in den Gemüthern befeſtigt, ſo würde man nie zu jenen
ſchändlichen, unſinnigen, gräuelvollen Vorſtellungen von Gott
gekommen ſein, welche die Geſchichte der Religion brandmar-
ken. Die Exiſtenz Gottes war eine gemeine, empiriſche und
doch zugleich heilige Sache — was Wunder, wenn auf die-
ſem Grunde auch nur die gemeinſten, rohſten, unheiligſten
Vorſtellungen und Geſinnungen aufkeimten.


Die Moralität befeſtigt ſich an einen ihr äußerlichen
Grund, an die Exiſtenz Gottes. Der Atheismus galt und
gilt noch jetzt für die Negation aller Moralprincipien, aller
ſittlichen Gründe und Bande: wenn Gott nicht iſt, ſo hebt
ſich aller Unterſchied zwiſchen Gut und Böſe, Tugend
und Laſter auf
. Der Unterſchied liegt alſo nur an der Exi-
ſtenz Gottes; die Realität der Tugend nicht in ihr ſelbſt,
ſondern außer ihr. Allerdings wird alſo an die Exiſtenz Got-
tes die Realität der Tugend angeknüpft, aber nicht aus tu-
gendhafter Geſinnung, nicht aus Ueberzeugung von dem in-
nern Werth und Gehalt der Tugend. Im Gegentheil der
Glaube an Gott, als die nothwendige Bedingung der Tugend,
iſt der Glaube an die Nichtigkeit der Tugend für ſich ſelbſt.


Es iſt übrigens bemerkenswerth, daß der Begriff der em-
piriſchen Exiſtenz Gottes ſich erſt in neuerer Zeit, wo über-
18*
[276] haupt der Empirismus und Materialismus in Flor kam, voll-
kommen ausgebildet hat. Allerdings iſt auch ſchon im ur-
ſprünglichen, einfältigen, religiöſen Sinne Gott eine empiri-
ſche
, ſelbſt an einem Orte befindliche Exiſtenz. Aber ſie
hat doch hier nicht eine ſo nackte proſaiſche Bedeutung; die
Einbildungskraft identificirt wieder den äußerlichen Gott
mit dem Gemüthe des Menſchen. Die Einbildungskraft iſt
überhaupt der wahre Ort einer abweſenden, den Sinnen
nicht gegenwärtigen
, aber gleichwohl dem Weſen nach
ſinnlichen
Exiſtenz. Nur die Phantaſie löſt den Widerſpruch
zwiſchen einer zugleich ſinnlichen, zugleich unſinnlichen Exi-
ſtenz; nur die Phantaſie bewahrt vor dem Atheismus. In
der Einbildungskraft hat die Exiſtenz ſinnliche Wirkun-
gen
— die Exiſtenz bethätigt ſich als eine Macht; die Einbil-
dungskraft geſellt zu dem Weſen der ſinnlichen Exiſtenz auch
die Erſcheinungen derſelben. Wo die Exiſtenz Gottes eine
lebendige Wahrheit, eine Sache der Einbildungskraft iſt, da
werden auch Gotteserſcheinungen geglaubt. Wo dagegen
das Feuer der religiöſen Einbildungskraft erliſcht, wo die mit
einer an ſich ſinnlichen Exiſtenz nothwendig verbundnen ſinn-
lichen Wirkungen oder Erſcheinungen wegfallen, da wird die
Exiſtenz zu einer todten, ſich ſelbſt widerſprechenden Exiſtenz,
die rettungslos der Negation des Atheismus anheim fällt.


Der Glaube an die Exiſtenz Gottes iſt der Glaube an
eine beſondere, von der Exiſtenz des Menſchen und der Natur
unterſchiedne Exiſtenz. Eine beſondere Exiſtenz kann ſich nur
auf beſondere Weiſe conſtatiren. Dieſer Glaube iſt daher
nur dann ein wahrer lebendiger, wenn beſondere Wirkun-
gen, unmittelbare Gotteserſcheinungen, Wunder geglaubt
werden. Nur da, wo der Glaube an Gott ſich identifi-
[277] cirt
mit dem Glauben an die Welt, der Glaube an Gott
kein beſonderer Glaube mehr iſt, wo das allgemeine Weſen
der Welt den ganzen Menſchen einnimmt, verſchwindet natür-
lich auch der Glaube an beſondere Wirkungen und Erſcheinun-
gen Gottes. Der Glaube an Gott hat ſich gebrochen, iſt ge-
ſtrandet an dem Glauben an die Welt, an die natürlichen als
die allein wirklichen Wirkungen. Wie hier der Glaube an
Wunder nur noch der Glaube an hiſtoriſche, vergangne Wun-
der, ſo iſt auch die Exiſtenz Gottes hier nur noch eine hiſto-
riſche, an ſich ſelber atheiſtiſche Vorſtellung.


Der Widerſpruch in der Offenbarung Gottes.


Mit dem Begriff der Exiſtenz hängt der Begriff der Of-
fenbarung zuſammen. Die Selbſtbezeugung der Exiſtenz,
das authentiſche Zeugniß, daß Gott exiſtirt, iſt die Offenba-
rung. Die nur ſubjectiven Beweiſe vom Daſein Gottes
ſind die rationellen Beweiſe; der objective, der allein wahre
Beweis von ſeinem Daſein iſt ſeine Offenbarung. Gott ſpricht
zu dem Menſchen — die Offenbarung iſt das Wort Gottes
— er gibt einen Laut von ſich, einen Ton, der das Gemüth
ergreift und ihm die frohe Gewißheit gibt, daß Gott wirklich
iſt. Das Wort iſt das Evangelium des Lebens — das Kri-
terium von Sein und Nichtſein. Der Offenbarungsglaube iſt
der Culminationspunkt des religiöſen Objectivismus. Die
ſubjective Gewißheit von der Exiſtenz Gottes wird hier zu
einer unbezweifelbaren, äußern hiſtoriſchen Thatſache. Die
Exiſtenz Gottes iſt an ſich ſelbſt ſchon als Exiſtenz ein äußer-
liches empiriſches Sein, aber doch nur noch ein gedachtes,
vorgeſtelltes, darum bezweifelbares Sein, — daher die Be-
[278] hauptung, daß alle Beweiſe keine befriedigende Gewißheit
geben — dieſes gedachte, vorgeſtellte Sein als wirkliches Sein,
als Thatſache iſt die Offenbarung. Gott hat ſich geoffen-
bart, ſich ſelbſt demonſtrirt. Wer kann alſo noch zweifeln?
Die Gewißheit der Exiſtenz liegt mir in der Gewißheit der
Offenbarung. Ein Gott, der nur iſt, ohne ſich zu offenbaren,
der nur durch mich ſelbſt für mich iſt, ein ſolcher Gott iſt
nur ein abſtracter, vorgeſtellter, ſubjectiver Gott: nur ein Gott,
der mich durch ſich ſelbſt in Kenntniß von ſich ſetzt, iſt ein
wirklich exiſtirender, ſich als ſeiend bethätigender, objectiver
Gott. Der Glaube an die Offenbarung iſt die unmittelbare
Gewißheit des religiöſen Gemüths, daß das iſt, was es
glaubt, was es wünſcht, was es vorſtellt
. Die Religion
iſt ein Traum, in dem unſere eigenen Vorſtellungen als Weſen
außer uns erſcheinen. Das religiöſe Gemüth unterſcheidet
nicht
zwiſchen Subjectiv und Objectiv — es zweifelt nicht;
die Sinne hat es nur, nicht um Anderes zu ſehen, ſondern
um ſeine Vorſtellungen außer ſich als Weſen zu er-
blicken. Dem religiöſen Gemüth iſt eine an ſich theoretiſche
Sache eine praktiſche, eine Gewiſſensſache — eine Thatſache.
Thatſache iſt, was aus einem Vernunftgegenſtand zu
einer Gewiſſensſache gemacht wird, Thatſache iſt, was man
nicht bekritteln, nicht antaſten darf, ohne ſich eines Frevels *)
[279] ſchuldig zu machen, Thatſache iſt, was man nolens volens
glauben muß, Thatſache iſt ſinnliche Gewalt, kein Grund,
Thatſache paßt auf die Vernunft, wie die Fauſt aufs Auge.
O ihr armſeligen deutſchen Religions-Philoſophen, die ihr
uns die Thatſachen des religiöſen Bewußtſeins an den Kopf
werft, um unſre Vernunft zu betäuben und uns zu Knechten eures
kindiſchen Aberglaubens zu machen, ſeht ihr denn nicht, daß die
Thatſachen eben ſo relativ, ſo verſchieden, ſo ſubjectiv ſind als die
Vorſtellungen der Religionen? Waren die Götter des Olymps
nicht auch einſt Thatſachen, ſich ſelbſt bezeugende Exiſtenzen *)?
Galten nicht auch die lächerlichſten Mirakelgeſchichten der Hei-
den für Facta? Waren nicht auch die Engel, auch die Dämone
hiſtoriſche Perſonen? Sind ſie nicht wirklich erſchienen? Hat
nicht einſt der Eſel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht ſelbſt
von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der
ſprechende Eſel eben ſo gut als ein wirkliches Wunder geglaubt,
als das Wunder der Incarnation oder ſonſt ein anderes Wunder?
O ihr großen tiefſinnigen Philoſophen ſtudirt doch vor Allem
die Sprache des Eſels Bileams! Sie klingt nur dem Unwiſ-
ſenden ſo fremdartig, aber ich bürge euch dafür, daß ihr bei
*)
[280] näherm Studium in dieſer Sprache ſelbſt eure Mutterſprache
erkennen und finden werdet, daß dieſer Eſel ſchon vor Jahr-
tauſenden die tiefſten Geheimniſſe eurer ſpeculativen
Weisheit ausgeplaudert
hat. Thatſache, meine Herren!
iſt, um es euch nochmals zu wiederholen, eine Vorſtellung, an
deren Wahrheit man nicht zweifelt, weil ihr Gegenſtand kein Ob-
ject der Theorie, ſondern des Gemüths iſt, welches wünſcht, daß
iſt, was es wünſcht, was es glaubt, Thatſache iſt, was zu läug-
nen verboten iſt, wenn auch nicht äußerlich, doch innerlich, That-
ſache iſt jede Möglichkeit, die für Wirklichkeit gilt, jede Vorſtellung,
die für ihre Zeit, da, wo ſie eben Thatſache iſt, ein Bedürfniß
ausdrückt und eben damit eine nicht überſchreitbare Schranke
des Geiſtes iſt, Thatſache iſt jeder realiſirte Wunſch, kurz That-
ſache iſt Alles, was nicht bezweifelt wird, aus dem einfachen
Grunde, weil es nicht bezweifelt wird, nicht bezweifelt werden ſoll.


Das religiöſe Gemüth iſt, ſeiner bisher entwickelten Natur
zufolge, in der unmittelbaren Gewißheit, daß alle ſeine un-
willkührlichen Selbſtaffectionen Eindrücke von Außen, Erſchei-
nungen eines andern Weſens ſind. Das religiöſe Gemüth
macht ſich zu dem leidenden, Gott zu dem handelnden
Weſen. Gott iſt ſeine entäußerte Activität, die es nur in-
ſofern ſich wieder aneignet, alſo indirect, daß es ſich zum Ob-
ject
dieſer Activität macht. Gott iſt die Activität; aber was
ihn zur Thätigkeit beſtimmt, was ſeine Thätigkeit, die zu-
vörderſt nur Allvermögen, potentia iſt, zur wirklichen Thä-
tigkeit macht, das eigentliche Motiv, der Grund iſt nicht Er
— er braucht nichts für ſich, er iſt bedürfnißlos — ſondern
der Menſch, das religiöſe Subject oder Gemüth. Das Gott
zur Thätigkeit Beſtimmende iſt der Menſch; aber zugleich
wird wieder der Menſch beſtimmt von Gott, er macht ſich
[281] zum Paſſivum; er empfängt von Gott beſtimmte Offenbarun-
gen, beſtimmte Beweiſe ſeiner Exiſtenz. Es wird alſo in der
Offenbarung der Menſch von ſich, als dem Beſtimmungs-
grund Gottes, als dem Gott Beſtimmenden beſtimmt
,
— d. h. die Offenbarung iſt nur die Selbſtbeſtimmung
des Menſchen
, nur daß er zwiſchen ſich den Beſtimmten und
ſich den Beſtimmenden ein Object — Gott, ein anderes Weſen
— einſchiebt. Der Menſch vermittelt durch Gott ſein
eignes Weſen mit ſich — Gott iſt das Band
, das Vin-
culum substantiale
zwiſchen dem Weſen, der Gattung und
dem Individuum.


Der Offenbarungsglaube enthüllt am deutlichſten die cha-
rakteriſtiſche Illuſion des religiöſen Bewußtſeins. Die allge-
meine Prämiſſe dieſes Glaubens iſt: der Menſch kann nichts
aus ſich ſelbſt von Gott wiſſen: all ſein Wiſſen iſt nur eitel,
irdiſch, menſchlich. Gott aber iſt ein übermenſchliches Weſen:
Gott erkennt nur ſich ſelbſt. Wir wiſſen alſo nichts von Gott,
außer was er uns geoffenbart. Nur der von Gott mitgetheilte
Inhalt iſt göttlicher, übermenſchlicher, übernatürlicher
Inhalt. Mittelſt der Offenbarung erkennen wir alſo Gott
durch ſich ſelbſt; denn die Offenbarung iſt ja das Wort Gottes,
der von ſich ſelbſt ausgeſprochene Gott. In dem Offenbarungs-
glauben negirt ſich daher der Menſch, er geht außer und
über ſich hinaus; er ſetzt die Offenbarung dem menſch-
lichen Wiſſen und Meinen entgegen; in ihr erſchließt ſich
ein verborgenes Wiſſen, die Fülle aller überſinnlichen Ge-
heimniſſe; hier muß die Vernunft ſchweigen; hier hat ſich der
Menſch nur gläubig, nur paſſiv zu verhalten. Aber gleichwohl
iſt die göttliche Offenbarung eine von der menſchlichen Na-
tur beſtimmte
Offenbarung. Gott ſpricht nicht zu Thieren
[282] oder Engeln, ſondern zu Menſchen — alſo eine menſchliche
Sprache mit menſchlichen Vorſtellungen
. Der Menſch
iſt der Gegenſtand Gottes, ehe er ſich dem Menſchen äußerlich
mittheilt; er denkt an den Menſchen; er beſtimmt ſich nach
ſeiner Natur, nach ſeinen Bedürfniſſen
. Gott iſt wohl
frei im Willen; er kann offenbaren oder nicht; aber nicht frei
im Verſtande; er kann dem Menſchen nicht offenbaren, was
er nur immer will, ſondern was für den Menſchen paßt, was
ſeiner Natur, wie ſie nun einmal iſt, gemäß iſt, wenn er ſich
anders einmal offenbaren will; er offenbart, was er offenbaren
muß, wenn ſeine Offenbarung eine Offenbarung für den
Menſchen, nicht für irgend ein anderes Weſen ſein ſoll. Was
alſo Gott denkt für den Menſchen, das denkt er als von der
Idee des Menſchen beſtimmt
, das iſt entſprungen
aus der Reflexion über die menſchliche Natur
. Gott
verſetzt ſich in den Menſchen und denkt ſo von ſich, wie
dieſes andere Weſen von ihm denken kann und ſoll; er
denkt ſich nicht mit ſeinem, ſondern mit menſchlichem Denk-
vermögen
. Gott iſt in dem Entwurf ſeiner Offenbarung
nicht von ſich, ſondern von der Faſſungskraft des Men-
ſchen abhängig. Was aus Gott in den Menſchen kommt,
das kommt nur aus dem Menſchen in Gott an den Men-
ſchen, d. h. nur aus dem Weſen des Menſchen an den erſchei-
nenden Menſchen, aus der Gattung an das Individuum.
Alſo iſt zwiſchen der göttlichen Offenbarung und der ſogenann-
ten menſchlichen Vernunft oder Natur kein anderer als ein
illuſoriſcher Unterſchied
— auch der Inhalt der gött-
lichen Offenbarung
iſt menſchlichen Urſprungs, denn
nicht aus Gott als Gott, ſondern aus dem von der menſch-
lichen Vernunft, dem menſchlichen Bedürfniß be-
[283] ſtimmten
Gott, d. h. geradezu aus der menſchlichen Vernunft,
aus menſchlichem Bedürfniß iſt derſelbe entſprungen. So
geht auch in der Offenbarung der Menſch nur von ſich fort,
um auf einem Umweg wieder auf ſich zurückzukom-
men
! So beſtätigt ſich auch an dieſem Gegenſtand aufs
ſchlagendſte, daß das Geheimniß der Theologie nichts
andres als die Anthropologie iſt!


Uebrigens geſteht das religiöſe Bewußtſein ſelbſt in Be-
ziehung auf vergangne Zeiten die Menſchlichkeit des geoffen-
barten Inhalts ein. Dem religiöſen Bewußtſein einer ſpätern
Zeit genügt nicht mehr ein Jehovah, der von Kopf bis zu
Fuß Menſch iſt, ungeſcheut ſeine Menſchheit zur Schau trägt.
Das waren nur Vorſtellungen, in welchen ſich Gott der da-
maligen Faſſungsgabe der Menſchen accommodirt, d. h. nur
menſchliche Vorſtellungen. Aber in Beziehung auf ſeinen
gegenwärtigen Inhalt weil es in ihn verſenkt iſt, läßt es
dieß nicht gelten. Gleichwohl iſt jede Offenbarung nur
eine Offenbarung der Natur des Menſchen an den
exiſtirenden Menſchen. In der Offenbarung wird
dem Menſchen ſeine verborgene Natur aufgeſchloſſen, Gegen-
ſtand. Er wird von ſeinem Weſen beſtimmt, afficirt als von
einem andern Weſen. Er empfängt aus den Händen Gottes
was ihm ſein eignes unbekanntes Weſen als eine Nothwen-
digkeit unter gewiſſen Zeitbedingungen aufdringt. Die Ver-
nunft, die Gattung wirkt auf den praktiſchen Menſchen nur
unter der Vorſtellung eines perſönlichen Weſens. Die Geſetze
der Ethik haben für ihn nur Kraft als Gebote eines gött-
lichen Willens
, welcher zugleich die Macht hat, zu ſtrafen
und den Blick, welchem nichts entgeht. Was ihm ſein eignes
Weſen, ſeine Vernunft, ſein Gewiſſen ſagt, verbindet ihn nicht,
[284] weil der praktiſche Menſch der ſubjective iſt, der alſo im Ge-
wiſſen, in der Vernunft, inwiefern er ſie als die ſeinige weiß,
keine allgemeine, objective Macht erblickt; er muß daher das
Weſen, welches ihm moraliſche Geſetze gibt, von ſich aus-
ſcheiden
und als ein eignes perſönliches Weſen ſich ent-
gegenſetzen
.


Der Offenbarungsglaube iſt ein kindlicher Glaube und
nur ſo lange reſpectabel, ſo lange er kindlich iſt. Das
Kind wird aber von Außen beſtimmt. Und die Offenbarung
hat eben den Zweck, durch Hülfe Gottes zu bewirken, was
der Menſch nicht durch ſich ſelbſt erreichen kann. Deßhalb
hat man die Offenbarung die Erziehung des Menſchengeſchlechts
genannt. Dieß iſt richtig; nur muß man die Offenbarung
nicht außer die Natur des Menſchen hinauslegen. So ſehr
der Menſch von Innen dazu getrieben wird, in Form von
Erzählungen und Fabeln moraliſche und philoſophiſche Lehren
darzuſtellen, ſo nothwendig ſtellt er als Offenbarung dar, was
ihm von Innen gegeben wird. Der Fabeldichter hat einen
Zweck — den Zweck, die Menſchen gut und geſcheut zu ma-
chen; er wählt abſichtlich die Form der Fabel als die zweck-
mäßigſte, anſchaulichſte Methode; aber zugleich iſt er ſelbſt
durch ſeine Liebe zur Fabel, durch ſeine eigne innere Natur zu
dieſer Lehrweiſe gedrungen. So iſt es auch mit der Of-
fenbarung, an deren Spitze ein Individuum ſteht. Dieſes
hat einen Zweck, aber zugleich lebt es ſelbſt in den Vorſtel-
lungen, vermittelſt welcher es dieſen Zweck realiſirt. Der
Menſch veranſchaulicht unwillkührlich durch die Ein-
bildungskraft ſein innres Weſen
; er ſtellt es außer ſich
dar. Dieſes veranſchaulichte, durch die unwiderſtehliche
Macht
der Einbildungskraft auf ihn wirkende Weſen der
[285] Gattung, des Menſchen, als Geſetz ſeines Denkens und Han-
delns — iſt Gott.


Hierin liegen die wohlthätigen moraliſchen Wirkungen
des Offenbarungsglaubens auf den Menſchen. Aber wie die
Natur „ohne Bewußtſein Werke hervorbringt, die ausſehen,
als wären ſie mit Bewußtſein hervorgebracht,“ ſo erzeugt die
Offenbarung moraliſche Handlungen, aber ohne daß ſie aus
Moralität
hervorgehen — moraliſche Handlungen, aber
keine moraliſchen Geſinnungen. Die moraliſchen Gebote wer-
den wohl gehalten, aber ſie ſind dadurch ſchon der innern Ge-
ſinnung, dem Herzen entfremdet, daß ſie als Gebote eines
äußerlichen Geſetzgebers vorgeſtellt werden, daß ſie in die Ka-
tegorie willkührlicher, polizeilicher Gebote treten. Was gethan
wird, geſchieht, nicht, weil es gut und recht iſt, ſo zu handeln,
ſondern weil es von Gott befohlen iſt. Der Inhalt an ſich
ſelbſt
iſt gleichgültig; was nur immer Gott befiehlt, iſt recht*).
Stimmen dieſe Gebote mit der Vernunft, mit der Ethik über-
ein, ſo iſt es ein Glück, aber zufällig für den Begriff der Of-
fenbarung. Die Ceremonialgeſetze der Juden waren auch ge-
offenbarte, göttliche
und doch an ſich ſelbſt zufällige,
willkührliche Geſetze. Die Juden erhielten ſogar von Jehovah
das Gnadengebot, zu ſtehlen; freilich in einem beſondern Fall.


Der Offenbarungsglaube erſtickt aber nicht nur den mo-
raliſchen Sinn und Geſchmack, die Aeſthetik der Tugend; er
[286] vergiftet, ja tödtet auch den göttlichſten Sinn im Menſchen —
den Wahrheitsſinn, das Wahrheitsgefühl. Die Offen-
barung Gottes iſt eine beſtimmte, zeitliche Offenbarung: Gott
hat ſich geoffenbart ein für alle Mal anno ſo und ſo viel, und
zwar nicht dem ewigen Menſchen, den Menſchen aller Zeiten
und Orte, der Vernunft, der Gattung, ſondern beſtimmten,
beſchränkten Individuen. Als eine örtlich und zeitlich be-
ſtimmte muß die Offenbarung ſchriftlich fixirt werden, damit
auch Andern der Genuß derſelben zu Gute komme. Der Glaube
an die Offenbarung iſt daher zugleich, wenigſtens für Spätere,
der Glaube an eine ſchriftliche Offenbarung; die nothwen-
dige
Folge und Wirkung aber eines Glaubens, in welchem
ein hiſtoriſches, ein nothwendig unter allen Bedingungen
der Zeitlichkeit und Endlichkeit
verfaßtes Buch die Be-
deutung eines ewigen, abſolut, allgemein gültigen Wortes
hat — Aberglaube und Sophiſtik.


Der Glaube an eine ſchriftliche Offenbarung iſt nämlich
nur da noch ein wirklicher, wahrer, ungeheuchelter und
inſofern auch reſpectabler Glaube, wo geglaubt wird, daß
Alles, was in der heiligen Schrift ſteht, bedeutungsvoll,
wahr, heilig, göttlich iſt. Wo dagegen unterſchieden wird
zwiſchen Menſchlichem und Göttlichen, relativ und abſolut
Gültigem, Hiſtoriſchem und Ewigem, wo nicht Alles ohne
Unterſchied, ſchlechterdings unbedingt wahr iſt, was in der
heiligen Schrift ſteht; da wird das Urtheil des Unglau-
bens
, daß die Bibel kein göttliches Buch iſt, ſchon in die
Bibel hineingetragen, da wird ihr, indirect wenigſtens, d. h.
auf eine verſchlagne, unredliche Weiſe der Charakter einer
göttlichen Offenbarung abgeſprochen. Einheit, Unbedingtheit,
Ausnahmsloſigkeit, unmittelbare Zuverläſſigkeit iſt allein
[287] der Charakter der Göttlichkeit. Ein Buch das nur die Noth-
wendigkeit der Unterſcheidung
, die Nothwendigkeit
der Kritik
auferlegt, um das Göttliche vom Menſchlichen,
das Ewige vom Zeitlichen zu ſcheiden, iſt kein göttliches, kein
zuverläſſiges, kein untrügliches Buch mehr, iſt verſtoßen in die
Klaſſe der profanen Bücher; denn jedes profane Buch hat die-
ſelbe Eigenſchaft, daß es neben oder im Menſchlichen Göttli-
ches, neben oder im Individuellen Allgemeines und Ewiges
enthält. Ein wahrhaft gutes oder vielmehr göttliches Buch
iſt aber nur ein ſolches, wo nicht Einiges gut, Anderes ſchlecht,
Einiges ewig, Anderes zeitlich, ſondern wo Alles wie aus einem
Guſſe, Alles ewig, Alles wahr und gut iſt. Was iſt aber das
für eine Offenbarung, wo ich erſt den Apoſtel Paulus, dann
den Petrus, dann den Jacobus, dann den Johannes, dann
den Matthäus, dann den Marcus, dann den Lucas anhören
muß, bis ich endlich einmal an eine Stelle komme, wo meine
gottesbedürftige Seele ausrufen kann: εὕϱηκα; hier ſpricht
der heilige Geiſt ſelbſt; hier iſt Etwas für mich, Etwas für
alle Zeiten und Menſchen. Wie wahr dachte dagegen der
alte Glaube, wenn er die Inſpiration ſelbſt bis auf das Wort,
ſelbſt bis auf den Buchſtaben ausdehnte! Das Wort iſt dem Ge-
danken nicht gleichgültig. Der beſtimmte Gedanke kann nur
durch ein beſtimmtes Wort gegeben werden. Ein anderes
Wort, ein anderer Buchſtabe — ein anderer Sinn. Aberglaube
iſt allerdings ſolcher Glaube; aber dieſer Aberglaube iſt nur
der wahre, unverſtellte, offne, ſeiner Conſequenzen
ſich nicht ſchämende Glaube
. Wenn Gott die Haare auf
dem Haupte des Menſchen zählt, wenn kein Sperling ohne
ſeinen Willen vom Dache fällt, wie ſollte er ſein Wort, das
Wort, an dem die ewige Seligkeit des Menſchen hängt, dem
[288] Unverſtand und der Willkühr der Scribenten überlaſſen, warum
ſollte er ihnen nicht ſeine Gedanken, um ſie vor jeder Ent-
ſtellung zu bewahren, in die Feder dictiren? „Aber wenn der
Menſch ein bloßes Organ des heiligen Geiſtes wäre, ſo würde
ja damit die menſchliche Freiheit aufgehoben*)!“ O welch
ein erbärmlicher Grund! Iſt denn die menſchliche Freiheit
mehr werth als die göttliche Wahrheit? Oder beſteht die menſch-
liche Freiheit nur in der Entſtellung der göttlichen Wahrheit?


So nothwendig aber mit dem Glauben an eine beſtimmte
hiſtoriſche Offenbarung als die abſolute Wahrheit Aberglaube,
ſo nothwendig iſt mit ihm die Sophiſtik verbunden. Die Bibel
widerſpricht der Moral, widerſpricht der Vernunft, widerſpricht
ſich ſelbſt unzählige Male; aber ſie iſt das Wort Gottes, die
ewige Wahrheit, und „die Wahrheit kann und darf ſich nicht
widerſprechen**).“ Wie kommt der Offenbarungsgläubige aus
dieſem Widerſpruch zwiſchen der Idee der Offenbarung als
göttlicher, harmoniſcher Wahrheit und der vermeintlichen wirk-
lichen Offenbarung heraus? Nur durch Selbſttäuſchungen,
nur durch die albernſten Scheingründe, nur durch die ſchlech-
teſten, wahrheitsloſeſten Sophismen. Die chriſtliche So-
[289] phiſtik
iſt ein Product des chriſtlichen Glaubens, insbe-
ſondre des Glaubens an die Bibel als die göttliche Offenba-
rung.


Die Wahrheit, die abſolute Wahrheit iſt objectiv in der
Bibel, ſubjectiv im Glauben gegeben, denn zu dem, was Gott
ſelbſt ſpricht, kann ich mich nur gläubig, hingebend, anneh-
mend verhalten. Dem Verſtande, der Vernunft bleibt hier
nur ein formelles, untergeordnetes Geſchäft; ſie hat eine fal-
ſche
, ihrem Weſen widerſprechende Stellung. Der Ver-
ſtand für ſich ſelbſt iſt hier gleichgültig gegen das Wahre,
gleichgültig gegen den Unterſchied von Wahr und Falſch; er
hat kein Kriterium in ſich ſelbſt; was in der Offenbarung
ſteht, iſt wahr, wenn es auch direct dem Verſtande wider-
ſpricht
; er iſt dem Zufall der allerſchlechteſten Empirie wi-
derſtandslos
preis gegeben: was ich nur immer finde in
der göttlichen Offenbarung, muß ich glauben und mein
Verſtand, wenn’s Noth thut, vertheidigen; der Verſtand iſt
der Canis Domini; er muß ſich alles Mögliche ohne Un-
terſchied
— die Unterſcheidung wäre Zweifel, wäre Fre-
vel
— aufbürden laſſen als Wahrheit; es bleibt ihm folglich
nichts übrig als ein zufälliges, indifferentes, d. i. wahr-
heitsloſes, ſophiſtiſches
Denken, ein ränkevolles, in-
triguantes
Denken — ein Denken, das nur auf die grund-
loſeſten Diſtinctionen und Ausflüchte, die ſchmählichſten Pfiffe
und Kniffe ſinnt. Je mehr aber ſchon der Zeit nach der
Menſch ſich der Offenbarung entfremdet, je mehr der Verſtand
zur Selbſtſtändigkeit heranreift, deſto greller tritt auch noth-
wendig der Widerſpruch zwiſchen dem Verſtande und Offenba-
rungsglauben hervor. Der Gläubige kann dann nur noch im
bewußten Widerſpruch mit ſich ſelbſt, mit der Wahrheit,
Feuerbach. 19
[290]mit dem Verſtande, nur durch freche Willkühr, nur
durch ſchamloſe Lügen — nur durch die Sünde gegen den
heiligen Geiſt die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung
bewahrheiten.


Der Widerſpruch in dem Weſen Gottes.


Das oberſte Princip, der Centralpunkt der chriſtli-
chen Sophiſtik
iſt der Begriff Gottes. Gott iſt das
menſchliche Weſen und doch ſoll er ein andres, übermenſch-
liches
Weſen ſein. Gott iſt das allgemeine, reine Weſen,
die Idee des Weſens ſchlechtweg und doch ſoll er perſönliches,
individuelles Weſen ſein; oder: Gott iſt Perſon und doch ſoll
er Gott, allgemeines, d. h. kein perſönliches Weſen ſein.
Gott iſt; ſeine Exiſtenz iſt gewiß, gewiſſer als die unſrige; er
hat ein abgeſondertes, von uns und von den Dingen unter-
ſchiednes, d. i. individuelles Sein, und doch ſoll ſein Sein ein
geiſtiges, d. h. ein nicht als ein beſondres wahrnehmbares
Sein ſein. Im Soll wird immer geläugnet, was im Iſt
behauptet wird. Der Grundbegriff iſt ein Widerſpruch, der
nur durch Sophismen verdeckt wird. Ein Gott, der ſich nicht
um uns kümmert, unſere Gebete nicht erhört, uns nicht ſieht
und liebt, iſt kein Gott; es wird alſo die Menſchlichkeit zum
weſentlichen Prädicat Gottes gemacht; aber zugleich heißt es
wieder: ein Gott, der nicht für ſich exiſtirt, außer dem
Menſchen, über dem Menſchen, als ein andres Weſen, iſt
ein Phantom; es wird alſo die Un- und Außermenſchlich-
keit
zum weſentlichen Prädicat der Gottheit gemacht. Ein
Gott, der nicht iſt, wie wir, nicht Bewußtſein, nicht Einſicht,
d. h. nicht perſönlichen Verſtand, perſönliches Be-
[291] wußtſein
hat, wie etwa die Subſtanz des Spinoza, iſt kein
Gott. Die weſentliche Identität mit uns iſt die Haupt-
bedingung der Gottheit; der Begriff der Gottheit wird ab-
hängig
gemacht von dem Begriffe der Perſönlichkeit, des
Bewußtſeins, quo nihil majus cogitari potest. Aber ein
Gott, ſo heißt es zugleich wieder, der nicht weſentlich von
uns unterſchieden
, iſt kein Gott.


Der Charakter der Religion iſt die unmittelbare, unwill-
kührliche, unbewußte Anſchauung des menſchlichen Weſens
als eines andern Weſens. Dieſes gegenſtändlich angeſchaute
Weſen aber zum Object der Reflexion, der Theologie ge-
macht, ſo wird es zu einer unerſchöpflichen Fundgrube
von Lügen, Täuſchungen, Blendwerken, Widerſprü-
chen und Sophismen
.


Ein beſonders charakteriſtiſcher Kunſtgriff und Vortheil
der chriſtlichen Sophiſtik iſt die Unerforſchlichkeit, die Un-
begreiflichkeit
des göttlichen Weſens. Das Geheimniß dieſer
Unbegreiflichkeit iſt nun aber, wie ſich zeigen wird, nichts weiter,
als daß eine bekannte Eigenſchaft zu einer unbekannten, eine
natürliche Qualität zu einer über-, d. h. unnatürlichen [Quali-]
tät gemacht und eben dadurch der Schein, die Illuſion er-
zeugt wird, daß das göttliche Weſen ein andres als das
menſchliche und eo ipso ein unbegreifliches ſei.


Im urſprünglichen Sinne der Religion hat die Unbe-
greiflichkeit Gottes nur die Bedeutung eines affectvollen Aus-
drucks. So rufen auch wir im Affect bei einer überraſchenden
Erſcheinung aus: es iſt unglaublich, es geht über alle Be-
griffe, ob wir gleich ſpäter, wenn wir zur Beſinnung gekom-
men, den Gegenſtand unſrer Verwunderung nichts weniger
als unbegreiflich finden. Die religiöſe Unbegreiflichkeit iſt
19*
[292] nicht das geiſtloſe Punctum, welches die Reflexion ſo oft ſetzt,
als ihr der Verſtand ausgeht, ſondern ein pathetiſches Aus-
rufungszeichen von dem Eindruck, welchen die Phantaſie auf
das Gemüth macht. Die Phantaſie iſt das urſprüngliche
Organ und Weſen der Religion. Im urſprünglichen Sinne
der Religion iſt zwiſchen Gott und Menſch einerſeits nur ein
Unterſchied der Exiſtenz nach, inwiefern Gott als ſelbſtſtän-
diges Weſen dem Menſchen gegenüberſteht, andererſeits nur
ein quantitativer, d. h. ein Unterſchied der Phantaſie
nach
, denn die Unterſchiede der Phantaſie ſind nur quantita-
tive. Die Unendlichkeit Gottes in der Religion iſt quanti-
tative
Unendlichkeit. Gott iſt und hat Alles, was der
Menſch, aber in unendlich vergrößertem Maaßſtabe — daher
der entzückende Eindruck, den die religiöſen Vorſtellungen auf
das Gemüth machen. Gottes Weſen iſt das explicirte,
objective
oder vergegenſtändlichte Weſen der Phanta-
ſie
*). Gott iſt ein ſinnliches Weſen, aber befreit von den
Schranken der Sinnlichkeit — das unbeſchränkte ſinn-
liche Weſen
. Aber was iſt die Phantaſie? — die ſchran-
kenloſe, die unbeſchränkte Sinnlichkeit. Gott iſt die ewige
Exiſtenz, d. h. die immerwährende, die Exiſtenz zu allen
Zeiten
: Gott iſt die allgegenwärtige Exiſtenz, d. h. die Exi-
ſten an allen Orten: Gott iſt das allwiſſende Weſen, d.
h. das Weſen, dem alles Einzelne, alles Sinnliche,
ohne Unterſchied, ohne Zeit und Ortsbeſchränkung Gegen-
ſtand iſt.


[293]

Ewigkeit und Allgegenwart ſind ſinnliche Eigenſchaften,
denn es wird in ihnen nicht die Exiſtenz in der Zeit und im
Raume; es wird nur die ausſchließliche Beſchränkung auf eine
beſtimmte Zeit, auf einen beſtimmten Ort negirt. Eben
ſo iſt die Allwiſſenheit eine ſinnliche Eigenſchaft, ſinnliches
Wiſſen. Die Religion nimmt keinen Anſtand, Gott ſelbſt die
edleren Sinne beizulegen. Gott ſieht und hört Alles. Aber
die göttliche Allwiſſenheit iſt ein ſinnliches Wiſſen, von
dem die Eigenſchaft, die weſentliche Beſtimmtheit des wirk-
lichen, ſinnlichen Wiſſens negirt iſt. Meine Sinne ſtellen
mir die ſinnlichen Gegenſtände nur außer und nach einan-
der
vor; aber Gott ſtellt alles Sinnliche auf einmal vor,
alles Räumliche auf unräumliche, alles Zeitliche auf unzeit-
liche, alles Sinnliche auf unſinnliche Weiſe*). Das heißt:
ich erweitere meinen ſinnlichen Horizont durch die Phantaſie;
ich vergegenwärtige mir in der confuſen Vorſtellung der All-
heit alle auch die örtlich abweſenden Dinge und ſetze nun dieſe
über den beſchränkt ſinnlichen Standpunkt mich erhebende, wohl-
thätig afficirende Vorſtellung als eine göttliche Weſenheit. Ich
fühle als eine Schranke mein nur an den örtlichen Standpunkt, an
die ſinnliche Erfahrung gebundnes Wiſſen; was ich als Schranke
fühle, hebe ich in der Phantaſie auf, die meinen Gefühlen freien
Spielraum gewährt. Dieſe Negation durch die Phantaſie iſt
die Poſition der Allwiſſenheit als einer göttlichen Macht und
Weſenheit. Aber gleichwohl iſt zwiſchen der Allwiſſenheit und
[294] meinem Wiſſen nur ein quantitativer Unterſchied; die Qua-
lität
des Wiſſens iſt dieſelbe. Ich könnte ja auch in der
That gar nicht die Allwiſſenheit von einem Gegenſtande oder
Weſen außer mir prädiciren, wenn ſie weſentlich von mei-
nem Wiſſen unterſchieden, wenn ſie nicht eine Vorſtellungs-
art
von mir ſelbſt wäre, nicht in meinem Vorſtellungs-
vermögen
exiſtirte. Das Sinnliche iſt ſo gut Gegenſtand
und Inhalt der göttlichen Allwiſſenheit, als meines Wiſſens.
Die Phantaſie beſeitigt nur die Schranke der Quantität,
nicht der Qualität. Unſer Wiſſen iſt beſchränkt, heißt: wir
wiſſen nur Einiges, Weniges, nicht Alles.


Die wohlthätige Wirkung der Religion beruht auf dieſer
Erweiterung des ſinnlichen Bewußtſeins. In der Religion
iſt der Menſch im Freien, sub divo; im ſinnlichen Bewußt-
ſein in ſeiner engen, beſchränkten Wohnung. Die Re-
ligion bezieht ſich weſentlich, urſprünglich — und nur
in ſeinem Urſprung iſt Etwas heilig, wahr, rein und gut —
nur auf das unmittelbar ſinnliche Bewußtſein; ſie iſt die
Beſeitigung der ſinnlichen Schranken. Abgeſchloßne, beſchränkte
Menſchen und Völker bewahren die Religion in ihrem ur-
ſprünglichen Sinne, weil ſie ſelbſt im Urſprung, an der Quelle
der Religion ſtehen bleiben. Je beſchränkter der Geſichtskreis
des Menſchen, je weniger er weiß von Geſchichte, Natur,
Philoſophie, deſto inniger hängt er an ſeiner Religion.


Darum hat auch der Religiöſe kein Bedürfniß der Bil-
dung in ſich. Warum hatten die Hebräer keine Kunſt, keine
Wiſſenſchaft, wie die Griechen? weil ſie kein Bedürfniß dar-
nach hatten. Und warum hatten ſie kein Bedürfniß? Jehovah
erſetzte ihnen dieſes Bedürfniß. In der göttlichen Allwiſſen-
heit erhebt ſich der Menſch über die Schranken ſeines Wiſſens;
[295] in der göttlichen Allgegenwart über die Schranken ſeines Lo-
calſtandpunkts, in der göttlichen Ewigkeit über die Schranken
ſeiner Zeit. Der religiöſe Menſch iſt glücklich in ſeiner Phan-
taſie; er hat Alles in nuce immer beiſammen; ſein Bündel iſt
immer geſchnürt. Jehovah begleitet mich überall; ich brauche
nicht aus mir herauszugehen; ich habe in meinem Gotte den
Inbegriff aller Schätze und Koſtbarkeiten, aller Wiſ-
ſens-
und Denkwürdigkeiten. Die Bildung aber iſt ab-
hängig von Außen, hat mancherlei Bedürfniſſe, denn ſie
überwindet die Schranken des ſinnlichen Bewußt-
ſeins und Lebens durch reelle Thätigkeit
, nicht durch
die Zaubermacht der religiöſen Phantaſie. Daher hat auch
die chriſtliche Religion, wie ſchon öfter erwähnt wurde,
in ihrem Weſen kein Princip der Cultur, der Bil-
dung in ſich
, denn ſie überwindet die Schranken und Be-
ſchwerden des irdiſchen Lebens nur durch die Phantaſie,
nur in Gott, im Himmel. Wer aber Alles in Gott hat,
himmliſche Seligkeit ſchon in der Phantaſie genießt, wie ſollte
der jene Noth, jene Penia empfinden, die der Trieb zu aller
Cultur iſt? Die Cultur hat keinen andern Zweck, als einen
irdiſchen Himmel zu realiſiren; aber der religiöſe Him-
mel
wird auch nur durch religiöſe Thätigkeit realiſirt oder
erworben*).


Der urſprünglich nur quantitative Unterſchied zwiſchen
dem göttlichen und menſchlichen Weſen wird nun aber von
der Reflexion zu einem qualitativen Unterſchiede ausge-
[296] bildet, und dadurch, was urſprünglich nur ein Gemüthsaffect,
ein unmittelbarer Ausdruck der Bewunderung, der Entzückung,
ein Eindruck der Phantaſie auf das Gemüth iſt, als eine
objective Beſchaffenheit, als wirkliche Unbegreiflichkeit
fixirt. Die beliebteſte Ausdrucksweiſe der Reflexion in dieſer
Beziehung iſt, daß wir von Gott wohl das Daß, aber nim-
mermehr das Wie begreifen. Daß z. B. Gott das Prädicat
des Schöpfers weſentlich zukommt, daß er die Welt und zwar
nicht aus einer vorhandenen Materie, ſondern durch ſeine All-
macht aus Nichts geſchaffen, das iſt klar, gewiß, ja unbezwei-
felbar gewiß; aber wie dieß möglich, das natürlich geht über
unſern beſchränkten Verſtand. Das heißt: der Gattungs-
begriff
iſt klar, gewiß, aber der Artbegriff iſt unklar, un-
gewiß.


Der Begriff der Thätigkeit, des Machens, Schaf-
fens iſt an und für ſich ein göttlicher Begriff; er wird
daher unbedenklich auf Gott angewendet. Im Thun fühlt
ſich der Menſch frei, unbeſchränkt, glücklich, im Leiden be-
ſchränkt, gedrückt, unglücklich. Thätigkeit iſt poſitives
Selbſtgefühl
. Poſitiv überhaupt iſt, was im Menſchen
von einer Freude begleitet iſt — Gott daher, wie wir ſchon
oben ſagten, der Begriff der reinen, unbeſchränkten
Freude
. Es gelingt uns nur, was wir gern thun. Alles
überwindet die Freudigkeit. Eine freudige Thätigkeit iſt aber
eine ſolche, die mit unſerem Weſen übereinſtimmt, die wir
nicht als Schranke, folglich nicht als Zwang empfinden.
Die glücklichſte, ſeligſte Thätigkeit iſt jedoch die producirende.
Leſen iſt köſtlich; Leſen iſt paſſive Thätigkeit, aber Leſenswür-
diges Schaffen iſt noch köſtlicher. Geben iſt ſeliger als
Nehmen, heißt es auch hier. Der Gattungsbegriff der her-
[297] vorbringenden Thätigkeit wird alſo auf Gott angewendet, d.
h. in Wahrheit als göttliche Thätigkeit und Weſenheit reali-
ſirt, vergegenſtändlicht. Es wird aber abgeſondert jede beſon-
dere Beſtimmung
, jede Art der Thätigkeit — nur die
Grundbeſtimmung, die aber weſentlich menſchliche Grundbe-
ſtimmung: die Hervorbringung außer ſich bleibt. Gott hat
nicht Etwas hervorgebracht, Dieſes oder Jenes, Beſonderes,
wie der Menſch, ſondern Alles, ſeine Thätigkeit iſt ſchlecht-
hin univerſale, unbeſchränkte
. Es verſteht ſich daher
von ſelbſt, es iſt eine nothwendige Folge, daß die Art, wie
Gott dieß Alles hervorgebracht, unbegreiflich iſt, weil dieſe
Thätigkeit keine Art der Thätigkeit iſt, weil die Frage nach
dem Wie hier eine ungereimte
iſt, eine Frage, die durch
den Grundbegriff der unbeſchränkten Thätigkeit an
und für ſich abgewieſen iſt. Jede beſondere Thätigkeit
bringt auf beſondere Weiſe ihre Wirkungen hervor, weil
hier die Thätigkeit ſelbſt eine beſtimmte Weiſe der Thätigkeit
iſt; es entſteht hier nothwendig die Frage: wie brachte ſie
dieß hervor? Die Antwort auf die Frage aber: wie hat
Gott die Welt gemacht, fällt nothwendig negativ aus, weil
die die Welt ſchaffende Thätigkeit ſelbſt jede beſtimmte Thätig-
keit, die allein dieſe Frage privilegirte, jede an einen beſtimm-
ten Inhalt
, d. h. eine Materie gebundene Thätigkeitsweiſe
von ſich negirt. Es wird in dieſer Frage zwiſchen das
Subject, die hervorbringende Thätigkeit, und das Object, das
Hervorgebrachte, ein nicht hieher gehöriges, ein ausgeſchloßnes
Mittelding: der Begriff der Beſonderheit unrechtmäßiger
Weiſe eingeſchaltet. Die Thätigkeit bezieht ſich nur auf das
Collectivum: Alles, Welt: Gott hat Alles hervorgebracht,
aber nicht Etwas — das unbeſtimmte Ganze, das All, wie
[298] es die Phantaſie zuſammenfaßt, aber nicht das Beſtimmte,
Beſondere, wie es in ſeiner Beſonderheit den Sinnen, in ſeiner
Totalität als Univerſum der Vernunft Gegenſtand iſt. Alles
Etwas entſteht auf natürlichem Wege — es iſt ein Beſtimm-
tes und hat als ſolches, was nur eine Tautologie iſt, einen
beſtimmten Grund, eine beſtimmte Urſache. Nicht Gott hat
den Diamant hervorgebracht, ſondern der Kohlenſtoff; dieſes
Salz verdankt ſeinen Urſprung nur der Verbindung dieſer be-
ſtimmten Säure mit einer beſtimmten Baſis, nicht Gott. Gott
hat nur Alles zuſammen ohne Unterſchied hervorge-
bracht.


Gott hat freilich in der religiöſen Vorſtellung alles Ein-
zelne
geſchaffen, weil es ſchon in Allem mitbegriffen iſt, aber
nur indirect; denn er hat das Einzelne nicht auf einzelne, das
Beſtimmte nicht auf beſtimmte Weiſe hervorgebracht; ſonſt
wäre er ja ein beſtimmtes Weſen. Unbegreiflich iſt es nun frei-
lich, wie aus dieſer allgemeinen, unbeſtimmten Thätigkeit das
Beſondere, Beſtimmte hervorgegangen; aber nur, weil ich hier
das Object der ſinnlichen, natürlichen Anſchauung, das Beſon-
dere einſchwärze, weil ich der göttlichen Thätigkeit ein andres
Object, als das ihr gebührende unterſtelle. Die Religion hat
keine phyſikaliſche Anſchauung von der Welt; ſie intereſſirt
ſich nicht für eine natürliche Erklärung, die immer nur mit der
Entſtehung gegeben werden kann. Aber die Entſtehung iſt ein
theoretiſcher, naturphiloſophiſcher Begriff. Die heidniſchen
Philoſophen beſchäftigten ſich mit der Entſtehung der Dinge.
Aber das chriſtlich religiöſe Bewußtſein abhorrirte dieſen Be-
griff als einen heidniſchen, irreligiöſen, und ſubſtituirte den
praktiſchen oder ſubjectiv menſchlichen Begriff der Er-
ſchaffung
, der nichts iſt als ein Verbot, die Dinge ſich auf
[299] natürlichem Wege entſtanden zu denken, ein Interdict aller
Phyſik und Naturphiloſophie. Das religiöſe Bewußtſein
knüpft unmittelbar an Gott die Welt an; es leitet Alles aus
Gott ab, weil ihm nichts in ſeiner Beſonderheit und Wirklich-
keit, nichts als ein Object der Theorie Gegenſtand iſt. Alles
kommt aus Gott — das iſt genug, das befriedigt vollkom-
men das religiöſe Bewußtſein. Die Frage: wie Gott erſchaf-
fen? iſt ein indirecter Zweifel, daß Gott die Welt ge-
ſchaffen. Mit dieſer Frage kam der Menſch auf den Atheis-
mus, Materialismus, Naturalismus. Wer ſo fragt, dem iſt
ſchon die Welt Gegenſtand als Object der Theorie, der Phy-
ſik, d. h. in ihrer Wirklichkeit, in der Beſtimmtheit ihres In-
halts. Dieſer Inhalt widerſpricht aber der Vorſtellung der
unbeſtimmten, immateriellen, ſtoffloſen Thätigkeit. Und dieſer
Widerſpruch führt zur Negation der Grundvorſtellung.


Die Schöpfung der Allmacht iſt nur da an ihrem Platze,
nur da eine Wahrheit, wo alle Ereigniſſe und Phänomene
der Welt aus Gott abgeleitet werden. Sie wird, wie ſchon
erwähnt, zu einer Mythe aus vergangner Zeit, wo ſich die
Phyſik ins Mittel ſchlägt, wo die beſtimmten Gründe, das
Wie der Erſcheinungen der Menſch zum Gegenſtand ſeiner
Forſchung macht. Dem religiöſen Bewußtſein iſt daher auch
die Schöpfung nichts Unbegreifliches, d. h. Unbefriedigendes,
höchſtens nur in den Momenten der Irreligioſität, des Zwei-
fels, wo es ſich von Gott ab und den Dingen zuwendet,
wohl aber der Reflexion, der Theologie, die mit dem einen
Auge in den Himmel, mit dem andern in die Welt ſchielt.
So viel in der Urſache iſt, ſoviel iſt in der Wirkung. Eine
Flöte bringt nur Flötentöne, aber keine Fagot- und Trompe-
tentöne hervor. Wenn Du einen Fagotton hörſt, aber außer
[300] der Flöte von keinem andern Blasinſtrument je etwas gehört
und geſehen haſt, ſo wird es Dir freilich unbegreiflich ſein,
wie aus der Flöte ein ſolcher Ton hervorkommen kann. So
iſt es auch hier — nur iſt das Gleichniß inſofern unpaſſend,
als die Flöte ſelbſt ein beſtimmtes Inſtrument iſt. Aber ſtelle
Dir vor, wenn es möglich, ein ſchlechthin univerſales Inſtru-
ment, welches alle Inſtrumente in ſich vereinigte, ohne ſelbſt
ein beſtimmtes zu ſein, ſo wirſt Du einſehen, daß es ein
thörichter Widerſpruch iſt, einen beſtimmten Ton, der nur
einem beſtimmten Inſtrument angehört, von einem Inſtrument
zu verlangen, wovon Du eben das Charakteriſtiſche aller be-
ſtimmten Inſtrumente weggelaſſen.


Es liegt aber zugleich dieſer Unbegreiflichkeit der Zweck
zu Grunde, die göttliche Thätigkeit der menſchlichen zu ent-
fremden, die Aehnlichkeit, Gleichförmigkeit oder vielmehr we-
ſentliche Identität derſelben mit der menſchlichen zu beſeitigen,
um ſie zu einer weſentlich andern Thätigkeit zu machen.
Dieſer Unterſchied zwiſchen der göttlichen und menſchlichen
Thätigkeit iſt das Nichts. Gott macht — er macht außer
ſich Etwas, wie der Menſch. Machen iſt ein ächt, ein grund-
menſchlicher Begriff. Die Natur zeugt, bringt hervor, der
Menſch macht. Machen iſt ein Thun, das ich unterlaſſen
kann, ein abſichtliches, vorſätzliches, äußerliches Thun — ein
Thun, bei dem nicht unmittelbar mein eigenſtes innerſtes We-
ſen betheiligt iſt, ich nicht zugleich leidend, angegriffen bin.
Eine nicht gleichgültige Thätigkeit dagegen iſt eine mit mei-
nem Weſen identiſche, mir nothwendige, wie die geiſtige
Production, die mir ein inneres Bedürfniß iſt und eben deß-
wegen mich aufs tiefſte ergreift, pathologiſch afficirt. Geiſtige
Werke werden nicht gemacht — das Machen iſt nur die äu-
[301] ßerlichſte Thätigkeit daran — ſie entſtehen in uns*). Ma-
chen aber iſt eine indifferente, darum freie, d. i. willkührliche
Thätigkeit. Bis ſo weit iſt alſo Gott ganz mit dem Menſchen
einverſtanden, gar nicht von ihm unterſchieden, daß er macht;
im Gegentheil es wird ein beſonderer Nachdruck darauf ge-
legt, daß ſein Machen frei, willkührlich, ja beliebig iſt. Gott
hat es beliebt, gefallen, eine Welt zu erſchaffen. So ver-
göttlicht hier der Menſch das Wohlgefallen an ſeinem eignen
Gefallen, ſeiner eignen Beliebigkeit und grundloſen Willkühr-
lichkeit. Die grundmenſchliche Beſtimmung der göttlichen Thä-
tigkeit wird durch die Vorſtellung der Beliebigkeit ſelbſt zu
einer gemein menſchlichen — Gott aus einem Spiegel des
menſchlichen Weſens zu einem Spiegel der menſchlichen Eitel-
keit und Selbſtgefälligkeit.


Aber nun löſt ſich auf einmal die Harmonie in Dishar-
monie auf; der bisher mit ſich einige Menſch entzweit
ſich: — Gott macht aus Nichts: er ſchafft; Machen aus
Nichts iſt Schaffen — dieß iſt der Unterſchied. Die poſitive
Beſtimmung iſt eine menſchliche: aber, indem die Beſtimmt-
heit
dieſer Grundbeſtimmung ſogleich wieder negirt wird,
macht ſie die Reflexion zu einer nicht menſchlichen. Mit die-
[302] ſer Negation geht aber der Begriff, der Verſtand aus; es bleibt
nur eine negative, inhaltsloſe Vorſtellung übrig, weil ſchon
die Denkbarkeit, die Vorſtellbarkeit erſchöpft iſt, d. h. der Un-
terſchied zwiſchen der göttlichen und menſchlichen Beſtimmung
iſt in Wahrheit ein Nichts, ein Nihil negativum des Ver-
ſtandes. Das naive Selbſtbekenntniß dieſes Verſtandesnichts’
iſt das Nichts als Object.


Gott iſt Liebe, aber nicht menſchliche Liebe, Verſtand,
aber nicht menſchlicher, nein! ein weſentlich andrer Ver-
ſtand. Aber worin beſteht dieſer Unterſchied? Ich kann mir
keinen Verſtand denken oder vorſtellen außer in der Beſtimmt-
heit, in welcher er ſich in uns bethätigt; ich kann den Ver-
ſtand nicht entzweitheilen oder gar viertheilen, ſo daß ich meh-
rere Verſtände bekäme, ein Verſtandesgeſetz hat für mich ab-
ſolute, ausnahmsloſe Gültigkeit; ich kann nur einen und
ſelben
Verſtand denken. Ich kann allerdings und muß ſo-
gar den Verſtand an ſich denken, d. h. frei von den Schran-
ken meiner Individualität; aber hier löſe ich ihn nur ab von
an ſich fremdartigen Beſchränkungen; ich laſſe nicht die we-
ſentliche Beſtimmtheit
weg. Die religiöſe Reflexion da-
gegen negirt gerade die Beſtimmtheit, welche Etwas zu dem
macht, was es iſt. Nur das, worin der göttliche Verſtand
identiſch iſt mit dem menſchlichen, nur das iſt Etwas, iſt
Verſtand, ein realer Begriff; das aber, was ihn zu einem
andern, ja weſentlich andern machen ſoll, iſt objectiv nichts,
ſubjectiv eine bloße Einbildung.


Ein andres pikantes Beiſpiel iſt das unerforſchliche
Geheimniß
der Zeugung des Sohnes Gottes. Die Zeu-
gung Gottes iſt natürlich eine andere als die gemeine na-
türliche, ja wohl! eine übernatürliche Zeugung, d. h. in
[303] Wahrheit eine nur illuſoriſche, imaginäre — eine Zeugung,
welcher die Beſtimmtheit, durch welche die Zeugung Zeu-
gung
iſt, abgeht, denn es fehlt die Geſchlechtsdifferenz —
eine Zeugung alſo, welcher die Natur und Vernunft wi-
derſpricht
, aber eben deßwegen, weil ſie ein Widerſpruch
iſt, weil ſie nichts Beſtimmtes ausſpricht, Nichts zu den-
ken
gibt, der Phantaſie einen um ſo größern Spielraum läßt
und dadurch auf das Gemüth den Eindruck der Tiefe macht.
Gott iſt Vater und Sohn — Gott, denke nur! Gott. Der
Affect bemeiſtert ſich des Gedankens; das Gefühl der Iden-
tität mit Gott ſetzt den Menſchen vor Entzückung außer ſich —
das Fernſte wird mit dem Nächſten, das Andre mit dem
Eigenſten, das Höchſte mit dem Niedrigſten, das Ueberna-
türliche
mit dem Natürlichen bezeichnet, d. h. das Ueber-
natürliche als das Natürliche, das Göttliche als das
Menſchliche
geſetzt, geläugnet, daß das Göttliche etwas
Andres
iſt als das Menſchliche. Aber dieſe Identität des
Göttlichen und Menſchlichen wird ſogleich wieder geläugnet:
was Gott mit dem Menſchen gemein hat, das ſoll in Gott
etwas ganz Andres bedeuten als im Menſchen — ſo wird
das Eigene wieder zum Fremden, das Bekannte zum Unbe-
kannten, das Nächſte zum Fernſten. Gott zeugt nicht, wie
die Natur, iſt nicht Vater, nicht Sohn, wie wir — nun wie
denn
? ja das iſt eben das Unbegreifliche, das unausſprech-
lich Tiefe der göttlichen Zeugung. So ſetzt die Religion das
Natürliche, das Menſchliche, was ſie negirt, immer zuletzt
wieder in Gott, aber im Widerſpruch mit dem Weſen des
Menſchen, mit dem Weſen der Natur, weil es in Gott etwas
Andres ſein ſoll, aber in Wahrheit doch nichts An-
dres iſt.


[304]

Bei allen andern Beſtimmungen des göttlichen Weſens
iſt nun aber dieſes Nichts des Unterſchieds ein verborgnes; in
der Schöpfung hingegen ein offenbares, ausgeſprochnes,
gegenſtändliches
Nichts — darum das officielle, noto-
riſche Nichts der Theologie in ihrem Unterſchiede von
der Anthropologie
.


Die Grundbeſtimmung aber, wodurch der Menſch ſein
eignes ausgeſchiednes Weſen zu einem fremden, unbegreifli-
chen Weſen macht, iſt der Begriff, die Vorſtellung der Selbſt-
ſtändigkeit
, der Individualität oder — was nur ein ab-
ſtracterer Ausdruck iſt — der Perſönlichkeit. Der Begriff
der Exiſtenz realiſirt ſich erſt in dem Begriffe der Offenbarung,
der Begriff der Offenbarung aber als der Selbſtbezeugung
Gottes, erſt in dem Begriffe der Perſönlichkeit. Gott iſt per-
ſönliches Weſen
— dieß iſt der Machtſpruch, der mit einem
Schlage das Ideale in Reales, das Subjective in Objectives
verzaubert. Alle Prädicate, alle Beſtimmungen des göttli-
chen Weſens ſind grundmenſchliche; aber als Beſtimmungen
eines perſönlichen, alſo andern, vom Menſchen unterſchieden
und unabhängig exiſtirenden Weſens ſcheinen ſie unmittelbar
auch wirklich andere Beſtimmungen zu ſein, aber ſo, daß
doch zugleich noch immer die weſentliche Identität zu
Grunde liegen bleibt. Damit entſteht für die Reflexion der
Begriff der ſogenannten Anthropomorphismen. Die An-
thropomorphismen ſind Aehnlichkeiten zwiſchen Gott und dem
Menſchen. Die Beſtimmungen des göttlichen und menſchli-
chen Weſens ſind nicht dieſelben, aber ſie ähneln ſich ge-
genſeitig
.


Daher iſt auch die Perſönlichkeit das Antidotum gegen
den Pantheismus; d. h. durch die Vorſtellung der Per-
[305] ſönlichkeit
ſchlägt ſich die religiöſe Reflexion die Identität
des göttlichen und menſchlichen Weſens aus dem Kopfe.
Der rohe, aber immerhin bezeichnende Ausdruck des Pantheis-
mus’ iſt: der Menſch iſt ein Ausfluß oder Theil des göttli-
chen Weſens; der religiöſe dagegen: der Menſch iſt ein Bild
Gottes; oder auch: ein Gott verwandtes Weſen; denn der
Menſch ſtammt der Religion zufolge nicht aus der Natur, ſon-
dern iſt göttlichen Geſchlechts, göttlicher Abkunft. Verwandt-
ſchaft iſt aber ein unbeſtimmter, ausweichender Ausdruck. Es
gibt Grade der Verwandtſchaft — nahe und ferne Verwandt-
ſchaft. Was für eine Verwandtſchaft iſt gemeint? Für das
Verhältniß des Menſchen zu Gott im Sinne der Religion
paßt jedoch nur ein einziges Verwandtſchaftsverhältniß —
das nächſte, innigſte, heiligſte, das ſich nur immer vorſtellen
läßt — das Verhältniß des Kindes zum Vater. Gott und
Menſch unterſcheiden ſich demnach alſo: Gott iſt der Vater
des Menſchen, der Menſch der Sohn, das Kind Gottes.
Hier iſt zugleich die Selbſtſtändigkeit Gottes und die Abhän-
gigkeit des Menſchen, und zwar unmittelbar als ein Gegen-
ſtand des Gefühls geſetzt, während im Pantheismus der Theil
eben ſo ſelbſtſtändig erſcheint als das Ganze, welches als ein
aus ſeinen Theilen Zuſammengeſetztes vorgeſtellt wird. Aber
gleichwohl iſt dieſer Unterſchied nur ein Schein. Der Vater
iſt nicht Vater ohne Kind; beide zuſammen bilden ein gemein-
ſchaftliches Weſen. In der Liebe gibt eben der Menſch ſeine
Selbſtſtändigkeit auf, ſich zu einem Theile herabſetzend —
eine Selbſterniedrigung, eine Selbſtdemüthigung, die nur da-
durch ſich ausgleicht, daß der Andere ſich gleichfalls zu einem
Theile herabſetzt, daß ſich beide einer höhern Macht — der
Macht des Familiengeiſtes, der Liebe unterwerfen. Es findet
Feuerbach. 20
[306] daher hier daſſelbe Verhältniß zwiſchen Gott und Menſch ſtatt,
wie im Pantheismus, nur daß es ſich hier als ein perſönli-
ches, patriarchaliſches, dort als ein unperſönliches, allgemei-
nes darſtellt, nur daß im Pantheismus logiſch, darum be-
ſtimmt, direct
ausgeſprochen, was in der Religion durch
die Phantaſie umgangen wird. Die Zuſammengehörigkeit
oder vielmehr Identität Gottes und des Menſchen wird näm-
lich hier dadurch verſchleiert, daß man beide als Perſonen oder
Individuen und Gott zugleich, abgeſehen von ſeiner Va-
terſchaft
, als ein ſelbſtſtändiges Weſen vorſtellt — eine
Selbſtſtändigkeit, die aber auch nur Schein iſt, denn wer, wie
der religiöſe Gott, von Herzensgrund aus Vater iſt, hat in
ſeinem Kinde ſelbſt ſein Leben und Weſen.


Das gegenſeitige innige Abhängigkeitsverhältniß von
Gott als Vater und Menſch als Kind kann man nicht durch dieſe
Diſtinction auflockern, daß nur Chriſtus der natürliche Sohn,
die Menſchen aber die Adoptivſöhne Gottes ſeien, daß alſo
nur Gott zu Chriſto als dem eingebornen Sohne, keineswegs
aber zu den Menſchen in einem weſentlichen Abhängigkeits-
verhältniß ſtehe. Denn dieſe Unterſcheidung iſt auch nur eine
theologiſche, d. h. illuſoriſche. Gott adoptirt nur Menſchen,
keine Thiere. Der Grund der Adoption liegt in der menſchli-
chen Natur. Der von der göttlichen Gnade adoptirte Menſch
iſt nur der ſeiner göttlichen Natur und Würde ſich bewußte
Menſch. Ueberdem iſt ja der eingeborne Sohn ſelbſt nichts
andres als der Begriff der Menſchheit, als der von ſich ſelbſt
präoccupirte Menſch, der ſich vor ſich ſelbſt und vor der
Welt in Gott verbergende Menſch. Der Logos iſt der ge-
heime, verſchwiegene Menſch; der Menſch der offenbare, der
ausgeſprochne Logos. Der Logos iſt nur der Avant-propos
[307] des Menſchen. Was vom Logos, gilt alſo vom Weſen des
Menſchen. Aber zwiſchen Gott und dem eingebornen Sohne
iſt kein reeller Unterſchied — wer den Sohn kennt, kennt den
Vater — alſo auch nicht zwiſchen Gott und Menſch.


Dieſelbe Bewandtniß hat es nun auch mit der Eben-
bildlichkeit
Gottes. Das Bild iſt hier kein todtes, ſondern
lebendiges Weſen. Der Menſch iſt ein Bild Gottes, heißt
nichts weiter als: der Menſch iſt ein Gott ähnliches Weſen.
Die Aehnlichkeit zwiſchen lebendigen Weſen beruht auf Na-
turverwandtſchaft. Die Ebenbildlichkeit reducirt ſich alſo auf
die Verwandtſchaft. Der Menſch iſt Gott ähnlich, weil das
Kind Gottes. Die Aehnlichkeit iſt nur die in die Sinne
fallende Verwandtſchaft; aus jener ſchließen wir überall auf
dieſe.


Die Aehnlichkeit iſt nun aber eben ſo eine täuſchende,
illuſoriſche, ausweichende Vorſtellung, als die Verwandtſchaft.
Nur die Vorſtellung der Perſönlichkeit iſt es, welche die Na-
turidentität beſeitigt. Die Aehnlichkeit iſt die Identität, welche
es nicht Wort haben will, daß ſie Identität iſt, welche
ſich hinter ein trübendes Medium, hinter den Nebel der Phan-
taſie verſteckt. Beſeitige ich dieſen Nebel, dieſen Dunſt, ſo
komme ich auf die nackte Identität. Je ähnlicher ſich We-
ſen ſind, deſto weniger unterſcheiden ſie ſich; kenne ich den Ei-
nen, ſo kenne ich den Andern. Die Aehnlichkeit hat aller-
dings ihre Grade. Aber auch die Aehnlichkeit zwiſchen Gott
und Menſch hat ihre Grade. Der Gute, Fromme iſt Gott
ähnlicher, als der Menſch, welcher nur die Natur des Men-
ſchen überhaupt zum Grunde ſeiner Aehnlichkeit hat. Es läßt
ſich alſo auch hier der höchſte Grad der Aehnlichkeit anneh-
men, ſollte dieſer auch nicht hienieden, ſondern erſt im Jen-
20*
[308] ſeits erreicht werden. Aber was einſt der Menſch wird, das
gehört auch jetzt ſchon zu ihm, wenigſtens der Möglichkeit
nach. Der höchſte Grad der Aehnlichkeit iſt nun aber, wo
zwei Individuen oder Weſen daſſelbe ſagen und ausdrücken,
ſo daß weiter kein Unterſchied ſtatt findet, als daß es eben
zwei Individuen ſind. Die weſentlichen Qualitäten, die,
durch welche wir Dinge unterſcheiden, ſind in beiden dieſel-
ben. Ich kann ſie daher nicht durch den Gedanken, durch die
Vernunft — für dieſe ſind alle Anhaltspunkte verſchwunden —
ich kann ſie nur durch die ſinnliche Vorſtellung oder An-
ſchauung unterſcheiden. Würden mir meine Augen nicht ſa-
gen: es ſind wirklich zwei der Exiſtenz nach verſchiedne We-
ſen — meine Vernunft würde beide für ein und daſſelbe We-
ſen nehmen. Darum verwechſeln ſie ſelbſt auch meine Augen
miteinander. Verwechſelbar iſt, was nur für den Sinn, nicht
für die Vernunft, oder nur dem Daſein, nicht dem Weſen nach
verſchieden iſt. Sich völlig ähnliche Perſonen haben daher
einen außerordentlichen Reiz wie für ſich ſelbſt, ſo für die
Phantaſie. Die Aehnlichkeit gibt zu allerlei Myſtificationen
und Illuſionen Anlaß, weil ſie ſelbſt nur eine Illuſion iſt;
denn mein Auge ſpottet meiner Vernunft, für die ſich der Be-
griff einer ſelbſtſtändigen Exiſtenz ſtets an den Begriff eines
beſtimmten Unterſchieds anknüpft.


Die Religion iſt das Licht des Geiſtes, welches ſich in
dem Medium der Phantaſie und des Gemüths entzweibricht,
daſſelbe Weſen als ein gedoppeltes veranſchaulicht. Die
Aehnlichkeit iſt die Identität der Vernunft, welche auf
dem Gebiete der Wirklichkeit durch die unmittelbar ſinnliche
Vorſtellung, auf dem Gebiete der Religion aber durch die
Vorſtellung der Einbildungskraft getheilt, unterbrochen wird,
[309] kurz, die durch die Vorſtellung der Individualität oder
Perſönlichkeit entzweite Vernunftidentität
. Ich kann
keinen wirklichen Unterſchied zwiſchen Vater und Kind, Urbild
und Ebenbild, Gott und Menſch entdecken, wenn ich nicht die
Vorſtellung der Perſönlichkeit zwiſchen einſchiebe. Die Aehn-
lichkeit iſt die äußerliche Identität; die Identität, die durch
die Vernunft, den Wahrheitsſinn bejaht, durch die Einbil-
dung verneint wird, die Identität, welche einen Schein
des Unterſchieds
beſtehen läßt — eine Scheinvorſtel-
lung
, die nicht geradezu Ja, nicht geradezu Nein ſagt.


Gott iſt Perſon — das heißt: Gott iſt nicht nur ein ge-
fühltes, vorgeſtelltes, geliebtes, gedachtes, er iſt ſelbſt ein lie-
bendes, denkendes und zwar ſich ſelbſt liebendes, ſich ſelbſt
denkendes Weſen. Die Perſönlichkeit Gottes iſt die entäußerte,
vergegenſtändlichte Perſönlichkeit des Menſchen. Vermittelſt
der Perſönlichkeit macht der Menſch ſeine eignen Selbſtbeſtim-
mungen und Gemüthsbewegungen zu göttlichen Beſtimmungen,
wie wenn er z. B. ſeine Gewiſſensfurcht in den Zorn Gottes,
ſeinen Frieden vor dem Gewiſſen in göttliches Wohlgefallen
verwandelt.


Auf dieſem Proceſſe der Selbſtentäußerung, Selbſtvergegen-
ſtändlichung beruht auch im Grunde die neuere, Hegel’ſche ſpe-
culative Lehre, welche das Bewußtſein des Menſchen von Gott
zum Selbſtbewußtſein Gottes macht, nur mit dem Unterſchiede,
daß hier dieſer Proceß ein ſelbſtbewußter iſt und daher zugleich,
in einem und demſelben Momente das entäußerte Weſen in den
Menſchen wieder zurückgenommen wird. Gott wird nicht nur
von uns gedacht — er denkt ſich ſelbſt. Dieſes ſein Gedachtwerden
[310] iſt der Speculation zufolge das Sich Denken Gottes; ſie iden-
tificirt die beiden Seiten. Die Speculation iſt hier bei weitem
tiefer als die Religion, denn das Gedachtſein Gottes iſt nicht,
wie das eines äußerlichen Gegenſtandes. Gott iſt ein innres,
geiſtiges Weſen, das Denken, das Bewußtſein ein innerer,
geiſtiger Act, das Gedachtwerden Gottes daher die Beja-
hung deſſen, was
Gott iſt, das Weſen Gottes als Act
bethätigt
. Daß Gott gedacht, gewußt wird, iſt weſentlich,
daß dieſer Baum gedacht wird, iſt dem Baume zufällig, un-
weſentlich. Gott iſt ein unentbehrlicher Gedanke, eine Noth-
wendigkeit des Denkens
. Wie iſt es nun aber möglich,
daß dieſe Nothwendigkeit nur eine ſubjective, nicht zugleich
objective ausdrücken ſoll? wie möglich, daß Gott, wenn er für
uns ſein, uns Gegenſtand ſein ſoll, nothwendig gedacht
werden muß, wenn Gott an ſich ſelbſt, wie ein Klotz, gleich-
gültig dagegen iſt, ob er gedacht, gewußt wird oder nicht?
Nein! es iſt nicht möglich. Wir ſind genöthigt, das Gedacht-
werden Gottes zum Sich ſelbſt Denken Gottes zu machen.


Der religiöſe Objectivismus hat zwei Paſſiva, zweierlei
Gedachtwerden. Einmal wird Gott von uns gedacht, das
andre Mal von ſich ſelbſt. Gott denkt ſich, unabhängig davon,
daß er von uns gedacht wird — er hat ein von unſerm Be-
wußtſein unterſchiednes, unabhängiges Selbſtbewußtſein. Es
iſt dieß allerdings auch conſequent, wenn Gott einmal als
wirkliche Perſönlichkeit vorgeſtellt wird; denn die wirkliche,
menſchliche Perſon denkt ſich und wird gedacht von einer
andern; mein Denken von ihr iſt ihr ein gleichgültiges, äußer-
liches. Es iſt dieß der höchſte Punkt des religiöſen Anthro-
popathismus. Um Gott von allem Menſchlichen frei und
ſelbſtſtändig zu machen, macht man aus ihm lieber geradezu
[311] eine menſchliche Perſönlichkeit, indem man ſein Denken in ihm
einſchließt, das Gedachtwerden von ihm ausſchließt, als
in ein andres Weſen fallend. Dieſe Gleichgültigkeit gegen
uns, gegen unſer Denken iſt das Zeugniß ſeiner ſelbſtſtän-
digen, d. i. äußerlichen, perſönlichen
Exiſtenz. Die Re-
ligion macht allerdings auch das Gedachtwerden Gottes zum
Selbſtdenken Gottes; aber weil dieſer Proceß hinter ihrem
Bewußtſein vorgeht, indem Gott unmittelbar vorausgeſetzt
iſt als ein für ſich exiſtirendes, perſönliches Weſen, ſo fällt
in ihr Bewußtſein nur die Gleichgültigkeit der beiden
Seiten. Die Speculation aber identificirt, was die Religion
entzweit.


Da der Speculation zufolge das Gedachtwerden Gottes
mit ſeinem Selbſtdenken zuſammenfällt, ſo fällt in der Wahr-
heit beides in ein und daſſelbe Weſen. Gott wird uns
hier vindicirt, zurückgegeben als unſer eignes Weſen: er wird
von uns gedacht, von uns gewußt, und dieſes Denken, dieſes
Wiſſen iſt ſein eignes Wiſſen und Denken, unſre ſubjective
Thätigkeit objective Thätigkeit, unſer Weſen alſo Gottes Weſen.
Es wird hier alſo eingeſtanden, was die Religion ver-
ſchweigt
, durch die Phantaſie umgeht, aber ſo, daß dieſes
Eingeſtändniß der Speculation ſelbſt noch nur ein indirectes,
unklares, unvollkommnes
iſt; denn es wird zugleich noch
Gott im religiöſen Sinne feſtgehalten, Gott als ein objectives,
von uns unterſchiednes Weſen geſetzt. Es iſt daher außeror-
dentlich ſchwer, dieſen Gedanken der Speculation zu faſſen,
weil das göttliche und das menſchliche Weſen doch noch als
zwei Weſen vorgeſtellt werden und das Bewußtſein des Einen
das Selbſtbewußtſein des Andern ſein ſoll, während doch das
Selbſtbewußtſein die innigſte, einfachſte Identität eines Weſens
[312] mit ſich ſelbſt ausdrückt, ſo daß alſo hier das Untheilbare an
Zwei vertheilt erſcheint.


Sollte dieſe Auffaſſung auch nur ein „Mißverſtand“
ſein, was ſie in Wahrheit aber nicht iſt, ſo liegt doch der
Grund hievon keineswegs in dem Mißverſtehenden allein.
Die Schwierigkeit des Verſtändniſſes liegt vielmehr in der
Unklarheit der Sache ſelbſt, die Möglichkeit unangemeſſener Vor-
ſtellungen iſt nicht beſeitigt; es fehlt die einfache Sprache
der Wahrheit
, es liegt die Duplicität des religiöſen Be-
wußtſeins zu Grunde; es iſt nicht die Identität des menſchli-
chen Weſens mit ſich ſelbſt, ſondern die Identität des gött-
lichen und menſchlichen Weſens ausgeſprochen *). Iſt aber
[313] in der That das göttliche und menſchliche Weſen identiſch,
wozu noch Zwei? Der gerade, einfache, wahre, ſachgemäße
Ausdruck iſt: das göttliche Weſen iſt gar nichts andres
als das menſchliche Weſen ſelbſt
. Der indirecte, ver-
kehrte, myſtiſche, aber deßwegen „tiefe“ Ausdruck — alles
Natürliche unnatürlich, alles Einfache verkehrt und widerſpre-
chend ausgedrückt iſt Tief, iſt Speculativ im modernen Sinn —
der myſtiſche Ausdruck iſt die Identität von Zweien, das
Und — dieſes Und daher die Akme der religiöſen Speculation,
indem damit einerſeits die Religion, wenigſtens bis zu einem
gewiſſen Grade, andererſeits die Speculation zufrieden geſtellt,
beruhigt wird. Zwei iſt der Schein der Religion, der übrig
geblieben und die Augen der Speculation verblendet, die Copula
dagegen die Befriedigung des Gedankens, der in dem Göttli-
chen das Menſchliche erkennt. Der Wahrheit nach iſt aber
dieſe Identität, wie geſagt, nur der verſchrobene Ausdruck
der Identität des menſchlichen Weſens mit ſich ſelbſt, welcher
zufolge der Menſch nichts als Gott ſetzen kann, was nicht
menſchlichen Weſens iſt.


Aller Identität, die nicht wahrhafte Identität, Identität
mit ſich ſelbſt iſt, liegt noch die Trennung in Zwei zu Grunde,
indem ſie zugleich aufgehoben wird oder aufgehoben werden
ſoll. Jede Einheit ſolcher Art iſt ein Widerſpruch mit ſich
ſelbſt und mit dem Verſtande — eine Halbheit — eine Phan-
*)
[314]taſie. Dieß beſtätigt vor Allem das unſelige Zwittergeſchöpf
der Schelling’ſchen Identitätsphiloſophie. Wenn wirklich Geiſt
und Natur identiſch ſind, ſo iſt die Wahrheit dieſer Identität
die Identität der Natur mit ſich ſelber. Wir brauchen
nichts weiter mehr als Natur: es gibt dann nicht mehr eine
Natur- und Geiſtesphiloſophie, ſondern Alles iſt Naturlehre.
So nur bekommen wir ein Syſtem der Identität — wahrer
Identität im Gegenſatze zu der ſcheinbaren, träumeriſchen Iden-
titätslehre der Schelling’ſchen Philoſophie, gleichwie wir nur
dann ein wahres Syſtem der Identität des göttlichen und
menſchlichen Weſens bekommen, wenn wir nicht mehr eine be-
ſondre, von der Pſychologie oder Anthropologie unterſchiedne
Religionsphiloſophie oder Theologie haben, ſondern die An-
thropologie ſelbſt als Theologie erkennen.


Die Religion realiſirt oder verobjectivirt aber nicht nur
das menſchliche oder göttliche Weſen überhaupt als perſönliches
Weſen; ſie realiſirt auch die Grundbeſtimmungen oder Grund-
unterſchiede deſſelben wieder als Perſonen. Die Trinität iſt
daher urſprünglich nichts andres als der Inbegriff der weſentli-
chen Grundunterſchiede, welche der Menſch im Weſen des
Menſchen wahrnimmt. Je nachdem dieſes erfaßt wird, je
nachdem ſind auch die Grundbeſtimmungen, worauf die Tri-
nität gegründet wird, verſchieden. So hat man in neuerer
Zeit hauptſächlich die Trinität nur auf den Act des Bewußt-
ſeins reducirt. Gott denkt ſich, was Gott denkt, iſt zwar auch
Gedanke, aber als Gedanke Gottes zugleich Weſen. Das
Weſentliche für uns iſt aber hier nur dieß, daß Gedankenun-
[315] terſchiede oder auch wirkliche Unterſchiede des Einen und ſelben
menſchlichen Weſens als Subſtanzen, als göttliche Per-
ſonen
hypoſtaſirt werden. Und darin daß dieſe unterſchiedne
Beſtimmungen in Gott Hypoſtaſen, Subjecte, Weſen ſind, ſoll
eben der Unterſchied liegen zwiſchen dieſen Beſtimmungen,
wie ſie in Gott und eben dieſen Beſtimmungen, wie ſie im
Menſchen
exiſtiren, in Folge des ausgeſprochenen Geſetzes,
daß nur in der Vorſtellung der Perſönlichkeit die menſchliche Per-
ſönlichkeit ihre eignen Beſtimmungen ſich alienirt und alterirt.
Die Perſönlichkeit exiſtirt aber nur in der Einbildungskraft;
die Grundbeſtimmungen ſind daher auch hier nur für die
Einbildung Hypoſtaſen, Perſonen, für die Vernunft, für das
Denken nur Relationen oder nur Beſtimmungen. Die Trinität
iſt der Widerſpruch von Polytheismus und Monotheismus,
von Phantaſie und Vernunft, Einbildung und Realität. Die
Phantaſie iſt die Dreiheit, die Vernunft die Einheit der Per-
ſonen. Der Vernunft nach ſind die Unterſchiedenen nur
Unterſchiede, der Phantaſie nach die Unterſchiede Unter-
ſchiedene
, welche daher die Einheit des göttlichen Weſens
aufheben. Für die Vernunft ſind die göttlichen Perſonen Phan-
tome, für die Einbildung Realitäten. Die Trinität macht dem
Menſchen die Zumuthung, das Gegentheil von dem zu denken,
was man ſich einbildet und das Gegentheil von dem ſich
einzubilden, was man denkt — Phantome als Realitäten
zu denken *).


[316]

Es ſind drei Perſonen, aber ſie ſind nicht weſentlich
unterſchieden. Tres personae, aber una essentia. So weit
geht es natürlich zu. Wir denken uns drei und ſelbſt mehrere
Perſonen, die im Weſen identiſch ſind. So wir Menſchen
unterſcheiden uns von einander durch perſönliche Unterſchiede,
aber in der Hauptſache, im Weſen, in der Menſchheit ſind wir
eins. Und dieſe Identification macht nicht nur der ſpeculirende
Verſtand, ſondern ſelbſt das Gefühl. Dieſes Individuum
da iſt Menſch wie wir; punctum satis; in dieſem Gefühle
verſchwinden alle andern Unterſchiede — ob reich oder arm,
geſcheut oder dumm, ſchuldig oder unſchuldig. Das Gefühl
des Mitleids, der Theilnahme iſt daher ein ſubſtanzielles, we-
ſenhaftes, ein ſpeculatives Gefühl. Aber die drei oder mehrere
menſchlichen Perſonen exiſtiren außer einander, haben eine
getrennte Exiſtenz, auch wenn ſie die Einheit des Weſens
noch außerdem durch innige Liebe verwirklichen, beſtätigen
ſollten. Sie conſtituiren durch die Liebe eine moraliſche Perſon,
aber haben, jede für ſich, eine phyſikaliſche Exiſtenz. Wenn
ſie auch gegenſeitig noch ſo ſehr von einander erfüllt ſind, ſich
nicht entbehren können, ſo haben ſie doch immer ein formel-
les Fürſichſein
. Fürſichſein und Außerandernſein iſt iden-
*)
[317] tiſch, weſentliches Merkmal einer Perſon, einer Subſtanz.
Anders bei Gott, und nothwendig anders, denn es iſt daſ-
ſelbe
in ihm, was im Menſchen, aber als ein Andres,
mit dem Poſtulat: es ſoll ein Andres ſein. Die drei Per-
ſonen in Gott haben keine Exiſtenz außer einander; ſonſt
würden uns im Himmel der chriſtlichen Dogmatik mit aller
Herzlichkeit und Offenheit zwar nicht wie im Olymp viele, aber
doch wenigſtens drei göttliche Perſonen in individueller Geſtalt,
drei Götter entgegenkommen. Die Götter des Olymps
waren wirkliche Perſonen, denn ſie exiſtirten außer einander,
ſie hatten das Wahrzeichen der Realität der Perſönlichkeit in
ihrer Individualität, ſtimmten aber im Weſen, in der Gottheit
überein; ſie hatten verſchiedne perſönliche Attribute, aber
waren jeder einzeln ein Gott; in der Gottheit gleich, als exi-
ſtirende Subjecte verſchieden: ſie waren wahrhafte göttliche
Perſonen. Die drei chriſtlichen Perſonen dagegen ſind nur
vorgeſtellte, eingebildete, vorgeheuchelte Perſonen
— allerdings andere Perſonen als die wirklichen Perſonen,
eben weil ſie nur eingebildete, nur Schemen von Perſönlich-
keiten ſind, zugleich aber dennoch wirkliche Perſonen ſein wol-
len
und ſollen. Das weſentliche Merkmal perſönlicher Rea-
lität, das polytheiſtiſche Element iſt ausgeſchloſſen, negirt
als ungöttlich. Aber eben durch dieſe Negation wird ihre
Perſönlichkeit nur zu einem Scheine der Einbildung. Nur in
der Wahrheit des Plurals liegt die Wahrheit der Per-
ſonen
. Die drei chriſtlichen Perſonen ſind aber nicht tres
Dii,
drei Götter — ſie ſollen es wenigſtens nicht ſein —
ſondern unus Deus. Die drei Perſonen endigen nicht, wie zu
erwarten, in einem Plural, ſondern Singular; ſie ſind nicht
nur Unum, Eins — ſolches ſind auch die Götter des Poly-
[318] theismus — ſondern nur Einer, Unus. Die Unität, Einheit
hat hier nicht die Bedeutung des Weſens nur, ſondern zugleich
der Exiſtenz; die Einheit iſt die Exiſtenzialform Gottes.
Drei iſt Eins: der Plural ein Singular. Gott iſt ein aus
drei Perſonen beſtehendes perſönliches Weſen *).


Die drei Perſonen ſind alſo nur Phantome in den Augen
der Vernunft, denn die Bedingungen oder Beſtimmungen,
durch welche ſich ihre Perſönlichkeit realiſiren müßte, ſind durch
das Gebot des Monotheismus aufgehoben. Die Einheit
läugnet die Perſönlichkeit; die Selbſtſtändigkeit der Perſonen
geht unter in der Selbſtſtändigkeit der Einheit; ſie ſind bloße
Relationen
. Der Sohn iſt nicht ohne den Vater, der Vater
nicht ohne den Sohn, der heilige Geiſt, der überhaupt die
Symmetrie ſtört, drückt nichts aus als die Beziehung beider
auf einander, die aber hier im offenbarſten, auch dem Blind-
gläubigen augenfälligen Widerſpruch mit der Beſtimmung,
eine bloße Beziehung zu ſein, ſelbſt wieder zu einer ſelbſtſtän-
digen Perſon gemacht wird. Die göttlichen Perſonen unter-
ſcheiden ſich aber nur dadurch von einander, wodurch ſie ſich
gegenſeitig auf einander beziehen. Das Weſentliche des Va-
ters als Perſon iſt, daß er Vater, des Sohnes, daß er Sohn
iſt. Was der Vater noch außer ſeiner Vaterſchaft iſt, das
betrifft nicht ſeine Perſönlichkeit; darin iſt er Gott, und als
Gott identiſch mit dem Sohne als Gott. Darum heißt es:
[319] Gottvater, Gottſohn, Gott h. Geiſt, Gott iſt in allen Dreien gleich,
Daſſelbe. „Ein anderer iſt der Vater, ein anderer der Sohn,
ein anderer der heilige Geiſt, aber nichts Anderes, ſondern das,
was der Vater iſt auch der Sohn und der h. Geiſt“ d. h. es ſind
verſchiedene Perſonen, aber ohne Verſchiedenheit des Weſens.
Die Perſönlichkeit geht alſo lediglich in das Verhältniß der
Vaterſchaft auf, d. h. der Begriff der Perſon iſt hier nur ein
relativer Begriff, der Begriff einer Relation. Der Menſch als
Vater iſt gerade darin, daß er Vater iſt, unſelbſtſtändig, we-
ſentlich in Bezug auf den Sohn; er iſt nicht ohne den Sohn
Vater; durch die Vaterſchaft ſetzt ſich der Menſch zu einem re-
lativen, unſelbſtſtändigen, unperſönlichen Weſen herab. Es
iſt vor Allem nöthig, ſich nicht täuſchen zu laſſen durch dieſe
Verhältniſſe, wie ſie in der Wirklichkeit, im Menſchen exiſtiren.
Der menſchliche Vater iſt außer ſeiner Vaterſchaft noch ſelbſt-
ſtändiges, perſönliches Weſen; er hat wenigſtens ein formelles
Fürſichſein, eine Exiſtenz außer ſeinem Sohne; er iſt nicht
nur Vater mit Ausſchluß aller andern Prädicate eines wirk-
lichen perſönlichen Weſens. Die Vaterſchaft iſt ein Verhält-
niß, das der ſchlechte Menſch ſogar zu einer ganz äußerlichen,
ſein perſönliches Weſen nicht tangirenden Relation machen
kann. Aber im Gottvater iſt kein Unterſchied zwiſchen dem
Gottvater und dem Gottſohn als Gott; nur die abſtracte Va-
terſchaft conſtituirt ſeine Perſönlichkeit, ſeinen Unterſchied von
dem Sohne, deſſen Perſönlichkeit gleichfalls nur die abſtracte
Sohnſchaft begründet.


Aber zugleich ſollen dieſe Relationen, wie geſagt, nicht
bloße Relationen, Unſelbſtſtändigkeiten, ſondern wirkliche Per-
ſonen, Weſen, Subſtanzen ſein. Es wird alſo wieder die
Wahrheit des Plurals, die Wahrheit des Polytheismus be-
[320] jaht *) und die Wahrheit des Monotheismus verneint. Die
Forderung der Realität der Perſonen iſt die Forderung der
Irrealität der Einheit, und umgekehrt die Forderung der Rea-
lität der Einheit die Forderung der Irrealität der Perſonen.
So löſt denn auch in dem heiligen Myſterium der Trinität
ſich Alles auf in Täuſchungen, Phantasmen, Widerſprüche
und Sophismen.


Der Widerſpruch in den Sacramenten.


Wie das objective Weſen der Religion, das Weſen Gottes
— ſo löſt ſich auch, aus leicht begreiflichen Gründen, das
ſubjective Weſen derſelben in lauter Widerſprüche auf.


Die ſubjectiven Weſensmomente der Religion ſind einer-
ſeits Glaube und Liebe, andererſeits, inwiefern ſie ſich in
einem Cultus äußerlich darſtellt, die Sacramente der Taufe
und des Abendmahls. Das Sacrament des Glaubens iſt
die Taufe, das Sacrament der Liebe das Abendmahl. Streng
genommen, gibt es nur zwei Sacramente, wie zwei ſubjective
Weſensmomente der Religion: Glaube und Liebe; denn die
Hoffnung iſt nur der Glaube in Bezug auf die Zukunft; ſie
wird daher mit demſelben logiſchen Unrecht, als der heilige
Geiſt zu einem beſondern Weſen gemacht.


[321]

Die Identität der Sacramente mit dem entwickelten ſpe-
cifiſchen Weſen der Religion, ſtellt ſich nun, abgeſehen von
andern Beziehungen, ſogleich dadurch heraus, daß die Baſis
derſelben natürliche Dinge oder Stoffe ſind, welchen aber
eine ihrer Natur widerſprechende Bedeutung und Wirkung ein-
geräumt wird. So iſt das Subject oder die Materie der
Taufe das Waſſer, gemeines, natürliches Waſſer, gleichwie
überhaupt die Materie der Religion unſer eignes natürliches
Weſen iſt. Aber wie unſer eignes Weſen die Religion uns
entfremdet und entwendet, ſo iſt auch das Waſſer der Taufe
zugleich wieder ein ganz anderes Waſſer, als das gemeine;
denn es hat keine phyſiſche, ſondern hyperphyſiſche Kraft und
Bedeutung: es iſt das Lavacrum regenerationis, reinigt den
Menſchen vom Schmutze der Erbſünde, treibt den angebornen
Teufel aus, verſöhnt mit Gott. Es iſt alſo ein natürliches
Waſſer eigentlich nur zum Schein, in Wahrheit übernatürli-
ches. Mit andern Worten: das Taufwaſſer hat übernatürliche
Wirkungen — was aber übernatürlich wirkt, iſt ſelbſt überna-
türlichen Weſens — nur in der Vorſtellung, in der Imagination.


Aber dennoch ſoll zugleich wieder der Taufſtoff na-
türliches Waſſer ſein. Die Taufe hat keine Gültigkeit
und Wirkſamkeit, wenn ſie nicht mit Waſſer vollbracht
wird. Die natürliche Qualität hat alſo doch auch
für ſich ſelbſt Werth und Bedeutung, weil nur mit dem
Waſſer, nicht mit einem andern Stoffe ſich die übernatürliche
Wirkung der Taufe auf übernatürliche Weiſe verbindet. Gott
könnte an ſich vermöge ſeiner Allmacht die nämliche Wirkung
an jedes beliebige Ding knüpfen. Aber er thut es nicht; er
accommodirt ſich der natürlichen Qualität; er wählt einen
ſeiner Wirkung entſprechenden, ähnlichen Stoff. Ganz wird
Feuerbach. 21
[322] alſo das Natürliche nicht zurückgeſetzt; es bleibt vielmehr immer
noch eine gewiſſe Analogie, ein Schein von Natürlichkeit
übrig. Der Wein repräſentirt das Blut, das Brot das
Fleiſch*). Auch das Wunder richtet ſich nach Aehnlichkeiten;
es verwandelt Waſſer in Wein oder Blut, eine Species in
eine andere, unter Beibehaltung des unbeſtimmten Gattungs-
begriffs der Flüſſigkeit. So alſo auch hier. Das Waſſer iſt
die reinſte, klarſte ſichtbare Flüſſigkeit: vermöge dieſer ſeiner
Naturbeſchaffenheit das Bild von dem fleckenloſen Weſen des
göttlichen Geiſtes. Kurz, das Waſſer hat zugleich für ſich
ſelbſt
, als Waſſer, Bedeutung; es wird ob ſeiner natürli-
chen Qualität
geheiligt, zum Organ oder Vehikel des heiligen
Geiſtes erkoren. Inſofern liegt der Taufe ein ſchöner tiefer
Naturſinn zu Grunde. Indeß dieſer ſchöne Sinn geht ſogleich
wieder verloren, indem das Waſſer eine transcendente Wirkung
hat — eine Wirkung, die es nur durch die übernatürliche
Kraft des heiligen Geiſtes, nicht durch ſich ſelbſt hat. Die
natürliche Qualität wird inſofern wieder gleichgültig: wer aus
Wein Waſſer macht, kann willkührlich mit jedem Stoffe die
Wirkungen des Taufwaſſers verbinden.


Die Taufe kann daher nicht ohne den Begriff des Wun-
ders gefaßt werden. Die Taufe iſt ſelbſt ein Wunder. Dieſelbe
Kraft, welche die Wunder gewirkt, und durch ſie, als that-
ſächliche Beweiſe der Gottheit Chriſti die Juden und Heiden
in Chriſten umgewandelt, dieſelbe Kraft hat die Taufe einge-
ſetzt und wirkt in ihr. Mit Wundern hat das Chriſtenthum
angefangen, mit Wundern ſetzt es ſich fort. Will man die
Wunderkraft der Taufe läugnen, ſo muß man auch die Wunder
[323] überhaupt läugnen. Das wunderwirkende Taufwaſſer hat
ſeine natürliche Quelle in dem Waſſer, welches an der Hoch-
zeit zu Kana in Wein verwandelt wurde.


Der Glaube, der durch Wunder bewirkt wird, hängt nicht
ab von mir, von meiner Selbſtthätigkeit, von der Freiheit der
Ueberzeugungs- und Urtheilskraft. Ein Wunder, das vor
meinen Augen geſchieht, muß ich glauben, wenn ich nicht ab-
ſolut verſtockt bin. Das Wunder nöthigt mir auf den Glau-
ben an die Gottheit des Wunderthäters *). Allerdings ſetzt es
in gewiſſen Fällen Glauben voraus, nämlich da, wo es als
Belohnung erſcheint, außerdem aber nicht ſowohl wirklichen
Glauben, als vielmehr nur gläubigen Sinn, Dispoſition,
Bereitwilligkeit, Hingebung im Gegenſatz zu dem unglaublich
verſtockten und böswilligen Sinn der Phariſäer. Das Wunder
ſoll ja beweiſen, daß der Wunderthäter wirklich der iſt, für
den er ſich ausgibt. Erſt der auf das Wunder geſtützte Glaube
iſt bewieſener, begründeter, objectiver Glaube. Der Glaube,
den das Wunder vorausſetzt, iſt nur der Glaube an einen
Meſſias, einen Chriſtus überhaupt, aber den Glauben, daß
dieſer Menſch hier der Chriſtus iſt — dieſen Glauben — und
dieſer iſt die Hauptſache — bewirkt erſt das Wunder. Uebri-
gens iſt auch die Vorausſetzung ſelbſt dieſes unbeſtimmten
Glaubens keineswegs nothwendig. Unzählige wurden erſt durch
die Wunder gläubig; das Wunder war alſo die Urſache ihres
Glaubens. Wenn daher die Wunder dem Chriſtenthum nicht
21*
[324] widerſprechen — und wie ſollten ſie ihm widerſprechen? — ſo
widerſpricht demſelben auch nicht die wunderbare Wirkung der
Taufe. Im Gegentheil es iſt nothwendig, der Taufe eine
ſupernaturaliſtiſche Bedeutung zu geben, wenn man ihr
eine chriſtliche Bedeutung geben will. Paulus wurde durch
eine plötzliche wunderbare Erſcheinung, wie er noch voll des
Chriſtenhaſſes war, bekehrt. Das Chriſtenthum kam gewaltſam
über ihn. Man kann ſich nicht mit der Ausflucht helfen, daß
bei einem Andern dieſe Erſcheinung nicht denſelben Erfolg
würde gehabt haben, daß alſo die Wirkung derſelben doch dem
Paulus ſelbſt zugerechnet werden müſſe. Denn wären Andere
derſelben Erſcheinung gewürdigt worden, ſo würden ſie ſicher-
lich eben ſo chriſtlich geworden ſein, als Paulus. Allmächtig
iſt ja die göttliche Gnade. Die Ungläubigkeit und Unbekehr-
lichkeit der Phariſäer iſt kein Gegengrund; denn eben ihnen
entzog ſich die Gnade. Der Meſſias mußte nothwendig, einem
göttlichen Decret zufolge, verrathen, mißhandelt, gekreuzigt
werden. Alſo mußten Individuen ſein, die ihn mißhandelten,
die ihn kreuzigten; alſo mußte ſchon im Voraus die göttliche
Gnade dieſen Individuen ſich entzogen haben. Freilich wird
ſie ſich ihnen nicht ganz und gar entzogen haben, aber nur,
um ihre Schuld zu vergrößern, keineswegs mit dem ernſtlichen
Willen, ſie zu bekehren. Wie wäre es möglich geweſen, dem
Willen Gottes, vorausgeſetzt natürlich, daß es wirklich ſein
Wille, nicht bloße Velleität war, zu widerſtehen? Paulus
ſelbſt ſtellt ſeine Bekehrung und Umwandlung als ein, von
ſeiner Seite völlig verdienſtloſes Werk der göttlichen Gnade
hin. Ganz richtig. Der göttlichen Gnade nicht widerſtehen
d. h. die göttliche Gnade aufnehmen, auf ſich wirken laſſen —
das iſt ja ſelbſt ſchon etwas Gutes, folglich eine Wirkung der
[325] Gnade des heiligen Geiſtes. Nichts iſt verkehrter, als das
Wunder mit der Lehr- und Denkfreiheit, die Gnade mit der
Willensfreiheit vermitteln zu wollen. Die Religion ſcheidet
das Weſen des Menſchen vom Menſchen. Die Thätigkeit
Gottes iſt die entäußerte Selbſtthätigkeit des Menſchen. Gott
handelt ſtatt des Menſchen: der Menſch verhält ſich nur paſſiv,
weil er ſein Selbſt außer ſich, in Gott ſetzt.


Es iſt die größte Inconſequenz, wenn man die Erfahrung,
daß die Menſchen durch die heilige Taufe nicht geheiligt, nicht
umgewandelt werden, als ein Argument gegen den Glau-
ben an eine wunderbare Wirkung der Taufe anführt, wie dieß
von rationaliſtiſch-orthodoxen Theologen geſchehen iſt *); denn
auch die Wunder, auch die objective Kraft des Gebetes, über-
haupt alle übernatürlichen Wahrheiten der Religion widerſpre-
chen der Erfahrung. Wer ſich auf die Erfahrung beruft, der
verzichte auf den Glauben. Wo die Erfahrung eine Inſtanz
iſt, da iſt der religiöſe Glaube und Sinn bereits verſchwunden.
Die objective Kraft des Gebets läugnet der Ungläubige nur
deßwegen, weil ſie der Erfahrung widerſpricht, der Atheiſt geht
noch weiter, er läugnet ſelbſt die Exiſtenz Gottes, weil er ſie
in der Erfahrung nicht findet. Die innere Erfahrung iſt ihm
kein Anſtoß; denn was Du in Dir ſelbſt erfährſt von einem
andern Weſen, das beweiſt nur, daß Etwas in Dir iſt, was
nicht Du ſelbſt biſt, was unabhängig von Deinem perſönlichen
Willen und Bewußtſein auf Dich wirkt, ohne daß Du weißt,
[326] was dieſes geheimnißvolle Etwas iſt. Aber der Glaube iſt ſtärker,
als die Erfahrung. Die wider ihn ſprechenden Inſtanzen ſtören
den Glauben nicht in ſeinem Glauben; er iſt ſelig in ſich; er
hat nur Augen für ſich, allem Andern außer ihm verſchloſſen.


Allerdings fordert die Religion auch auf dem Standpunkt
ihres myſtiſchen Materialismus immer zugleich das Moment
der Subjectivität, ſo auch bei den Sacramenten, aber hierin
eben offenbart ſich ihr Widerſpruch mit ſich ſelbſt. Und
dieſer Widerſpruch tritt beſonders grell in dem Sacrament des
Abendmahls hervor; denn die Taufe kommt ja auch ſchon den
Kindern zu Gute, ob man gleich auch ſelbſt bei ihr, als Be-
dingung ihrer Wirkſamkeit, das Moment der Subjectivität
geltend gemacht, aber ſonderbarer Weiſe in den Glauben An-
derer, in den Glauben der Eltern oder deren Stellvertreter
verlegt hat. Der Gegenſtand des Sacramentes des Abend-
mahls iſt nämlich der Leib Chriſti ſelbſt. Aber gleichwohl
wird der Glaube, die Geſinnung des Menſchen dazu erfordert,
daß die entſprechende Wirkung dieſes Leibes ſtatt findet. Habe
ich nicht die entſprechende Geſinnung, ſo wirkt dieſer Leib nicht
anders auf mich als ein gewöhnlicher Brotteig. Es iſt ein
Object da; es iſt der Leib Gottes ſelbſt; aber die Wirkung
iſt keine objective, keine leibliche, ſondern geiſtige, d. i.
ſubjective, nur von mir ſelbſt abhängige. Wir haben hier
wieder nur in einem ſinnfälligen Beiſpiele, was wir überhaupt
im Weſen der Religion fanden. Das Object oder Subject
in der religiöſen Sytaxe iſt immer ein wirkliches menſchliches
oder natürliches Subject oder Prädicat; aber die nähere Be-
ſtimmung, das weſentliche Prädicat dieſes Prädicats wird
negirt. Das Subject iſt ein ſinnliches, das Prädicat aber
ein nicht ſinnliches d. h. dieſem Subjecte widerſprechendes.


[327]

Derſelbe Fall iſt auch hier. Es iſt ein wirklicher Leib
da; aber es fehlen ihm die nothwendigen Prädicate der
Wirklichkeit
. Einen wirklichen Leib unterſcheide ich von
einem eingebildeten Leibe nur dadurch, daß jener leibliche
Wirkungen, unwillkührliche Wirkungen auf mich macht.
Wenn alſo das Brot der wirkliche Leib Gottes wäre,
ſo müßte der Genuß deſſelben unmittelbar, unwillkührlich
heilige Wirkungen in mir hervorbringen; ich brauchte keine
beſondere Vorbereitung zu treffen, keine heilige Geſinnung
mitzubringen. Wenn ich einen Apfel eſſe, ſo bringt mir
der Apfel von ſelbſt den Geſchmack des Apfels bei. Ich
brauche nichts weiter als höchſtens einen nicht überladnen
Magen, um den Apfel als Apfel zu empfinden. Die Katho-
liken fordern von Seiten des Körpers Nüchternheit als Be-
dingung des Genuſſes des Abendmahls. Dieß iſt genug.
Mit meinen Lippen ergreife ich den Leib, mit meinen Zähnen
zermalme ich ihn, mit meiner Speiſeröhre bringe ich ihn in
den Magen; ich aſſimilire mir ihn nicht geiſtig, ſondern leib-
lich. Warum ſollen alſo ſeine Wirkungen nicht körperlich ſein?
Warum ſoll dieſer Leib, der leiblichen, aber zugleich himmli-
ſchen, übernatürlichen Weſens iſt, nicht auch körperliche und
doch zugleich heilige, übernatürliche Wirkungen in mir hervor-
bringen? Wenn meine Geſinnung, mein Glaube erſt den Leib
zu einem mich heiligenden Leib macht, das trockne Brot in
pneumatiſch animaliſche Subſtanz transſubſtanziirt, wozu
brauche ich noch ein äußerliches Object? Ich ſelbſt bringe ja
die Wirkung des Leibes auf mich, alſo die Realität deſſelben
hervor; ich werde von mir ſelbſt afficirt. Wo iſt die ob-
jective Kraft und Wahrheit? Wer unwürdig das Abendmahl
genießt, der hat nichts weiter als den phyſiſchen Genuß von
[328] Brot und Wein. Wer nichts mitbringt, nimmt nichts mit
fort. Die ſpecifiſche Differenz dieſes Brotes von gemeinem
natürlichen beruht daher nur auf dem Unterſchiede der Geſin-
nung beim Tiſche des Herrn von der Geſinnung bei irgend
einem andern Tiſche. „Welcher unwürdig iſſet und trinket,
der iſſet und trinket ihm ſelber das Gericht, daß er nicht un-
terſcheidet
den Leib des Herrn *). Dieſe Geſinnung hängt
aber ſelbſt wieder nur ab von der Bedeutung, die ich dieſem
Brote gebe. Hat es für mich die Bedeutung, daß es nicht
Brot, ſondern der Leib Chriſti ſelbſt iſt, ſo hat es auch nicht
die Wirkung von gemeinem Brote. In der Bedeutung liegt
die Wirkung. Ich eſſe nicht, um mich zu ſättigen; ich ver-
zehre deßwegen nur ein geringes Quantum. So wird alſo
ſchon hinſichtlich der Quantität, die bei jedem andern mate-
riellen Genuſſe eine weſentliche Rolle ſpielt, die Bedeutung
gemeinen Brotes äußerlich beſeitigt.


Aber dieſe Bedeutung exiſtirt nur in der Phantaſie;
den Sinnen nach bleibt der Wein Wein, das Brot Brot.
Die Scholaſtiker halfen ſich darum mit der köſtlichen Diſtinc-
tion von Subſtanz und Accidenzen. Alle Accidenzen, welche
die Natur von Wein und Brot conſtituiren, ſind noch da;
nur das, was dieſe Accidenzen ausmachen, das Subject, die
Subſtanz fehlt, iſt verwandelt in Fleiſch und Blut. Aber alle
Eigenſchaften zuſammen, dieſe Einheit iſt die Subſtanz ſelbſt.
Was iſt Wein und Brot, wenn ich ihnen die Eigenſchaften
nehme, die ſie zu dem machen, was ſie ſind? Nichts. Fleiſch
und Blut haben daher keine objective Exiſtenz: ſonſt müß-
ten ſie ja auch den ungläubigen Sinnen Gegenſtand ſein.
[329] Im Gegentheil: die allein gültigen Zeugen einer objectiven
Exiſtenz — der Geſchmack, der Geruch, das Gefühl, das Auge
reden einſtimmig nur der Realität von Wein und Brot das
Wort. Wein und Brot ſind in der traurigen Wirklichkeit na-
türliche, in der Einbildung aber göttliche Subſtanzen.


Der Glaube iſt die Macht der Einbildungskraft,
welche das Wirkliche zum Unwirklichen, das Unwirkliche zum
Wirklichen macht — der directe Widerſpruch gegen die Wahr-
heit der Sinne, die Wahrheit der Vernunft
. Der
Glaube verneint, was die objective Vernunft bejaht, und be-
jaht, was ſie verneint *). Das Geheimniß des Abendmahls
iſt das Geheimniß des Glaubens **) — daher der Genuß deſ-
ſelben der höchſte, entzückendſte, wonnetrunkenſte Moment des
gläubigen Gemüths. Die Negation der objectiven, unge-
müthlichen Wahrheit, der Wahrheit der Wirklichkeit, der ge-
[330] genſtändlichen Welt und Vernunft — eine Negation, welche
das Weſen des Glaubens ausmacht — erreicht im Abend-
mahl ihren höchſten Gipfel, weil hier der Glaube ein unmit-
telbar gegenwärtiges, evidentes, unbezweifelbares
Object negirt
, behauptend: es iſt nicht, was es laut des
Zeugniſſes der Vernunft und Sinne iſt; behauptend: es iſt
nur Schein, daß es Brot, in Wahrheit iſt es Fleiſch. Der
Satz der Scholaſtiker: es iſt den Accidenzen nach Brot, der
Subſtanz nach Fleiſch, iſt nämlich nur der abſtracte, erklärende
Gedankenausdruck von dem, was der Glaube annimmt und
ausſagt, und hat daher keinen andern Sinn als: dem Sin-
nenſchein oder der gemeinen Anſchauung nach iſt es Brot, der
Wahrheit nach aber Fleiſch. Wo daher einmal die Einbil-
dungskraft des Glaubens eine ſolche Gewalt über die Sinne
und Vernunft ſich angemaßt hat, daß ſie die evidenteſte
Sinnenwahrheit läugnet, da iſt es auch kein Wunder, wenn
ſich die Gläubigen ſelbſt bis zu dem Grade exaltiren konnten,
daß ſie wirklich ſtatt Wein Blut fließen ſahen. Solche Bei-
ſpiele hat der Katholicismus aufzuweiſen. Es gehört wenig
dazu, außer ſich, ſinnlich wahrzunehmen, was man im Glau-
ben, in der Einbildung als wirklich annimmt.


So lange der Glaube an das Myſterium der Coena
Domini
als eine heilige, ja die heiligſte, höchſte Wahrheit
die Menſchheit beherrſchte, ſo lange war auch das herrſchende
Princip der Menſchheit die Einbildungskraft. Alle Kriterien
der Wirklichkeit und Unwirklichkeit, der Unvernunft und Ver-
nunft waren verſchwunden — Alles, was man ſich nur im-
mer einbilden konnte, galt für reale Möglichkeit. Die Reli-
gion heiligte jeden Widerſpruch mit der Vernunft, mit der Na-
tur der Dinge. Spottet nicht über die albernen Quäſtionen
[331] der Scholaſtiker! Sie waren nothwendige Conſequenzen des
Glaubens. Was nur Gemüthsſache iſt, ſollte Vernunftſache
ſein, was dem Verſtande widerſpricht, ſollte ihm nicht wider-
ſprechen. Das war der Grundwiderſpruch der Scholaſtik,
woraus ſich alle andern Widerſprüche von ſelbſt ergaben.
Aber gelten nicht heute noch die Glaubensdinge für reale
Dinge?


Und es iſt von keiner beſondern Erheblichkeit, ob ich die
proteſtantiſche oder katholiſche Abendmahlslehre glaube. Der
Unterſchied iſt nur der, daß ſich im Proteſtantismus erſt auf
der Zunge im Actus des Genuſſes Fleiſch und Blut auf eine
völlig wunderbare Weiſe mit Wort und Wein verbinden; im
Katholicismus aber ſchon vor dem Genuß durch die Macht
des Prieſters, der jedoch hier nur im Namen des Allmäch-
tigen
handelt *), Brot und Wein wirklich in Fleiſch und
Blut verwandelt werden. Der Proteſtant weicht nur kluger
Weiſe einer beſtimmten Erklärung aus: er gibt ſich nur keine
ſinnfällige Blöße, wie die fromme unkritiſche Einfalt des
Katholicismus, deſſen Gott, als ein äußerliches Object ſelbſt
von einer Maus aufgezehrt werden kann; er beherbergt ſeinen
Gott bei ſich, da, wo er ihm nicht mehr entriſſen werden kann
und ſichert ihn dadurch eben ſo vor der Macht des Zufalls,
als des Spottes; verzehrt aber deſſen ungeachtet eben ſo gut,
wie der Katholik, im Brote und Weine wirkliches Fleiſch und
Blut. Wie wenig unterſchieden ſich namentlich anfänglich die
[332] Proteſtanten von den Katholiken in der Abendmahlslehre!
So entſtund zu Anspach ein Streit über die Frage: „ob der
Leib Chriſti auch in den Magen komme, wie andre Speiſen
verdaut werde und alſo auch durch den natürlichen Gang wie-
der ausgeworfen werde?“


Aber obgleich die Einbildungskraft des Glaubens die
objective Exiſtenz zu einem bloßen Scheine, die gemüthliche,
imaginäre Exiſtenz zur Wahrheit und Wirklichkeit macht; ſo
iſt doch an ſich oder der Wahrheit nach das wirklich Gegen-
ſtändliche nur der natürliche Stoff. Selbſt der göttliche Leib
in der Büchſe des katholiſchen Prieſters iſt an ſich nur im
Glauben
göttlicher Leib; dieß äußerliche Ding, in das er das
göttliche Weſen verwandelt, nur ein Glaubensding; denn
der Leib iſt ja auch hier nicht als Leib ſichtbar, fühlbar,
ſchmeckbar. Das heißt: das Brot iſt nur der Bedeutung nach
Fleiſch. Zwar hat für den Glauben dieſe Bedeutung den
Sinn des wirklichen Seins — wie denn überhaupt in der
Ekſtaſe der Inbrunſt das Bedeutende zum Bedeuteten ſelbſt
wird — es ſoll nicht Fleiſch bedeuten, ſondern ſein. Aber
dieſes Sein iſt ja eben kein fleiſchliches; es iſt ſelbſt nur ge-
glaubtes, vorgeſtelltes, eingebildetes Sein, d. h. es hat ſelbſt
nur den Werth, die Qualität einer Bedeutung. Ein Ding,
das für mich eine beſondere Bedeutung hat, iſt ein andres in
meiner Vorſtellung, als in der Wirklichkeit. Das Bedeutende
iſt nicht ſelbſt das, was damit bedeutet wird. Was es iſt,
fällt in den Sinn; was es bedeutet, nur in meine Geſinnung,
Vorſtellung, Phantaſie, iſt nur für mich, nicht für den Andern,
nicht objectiv da. So auch hier. Wenn darum Zwingli
geſagt, das Abendmahl habe nur ſubjective Bedeutung, ſo hat
er daſſelbe geſagt, was die Andern; nur zerſtörte er die Illu-
[333] ſion der religiöſen Einbildungskraft
; denn das Iſt im
Abendmahl iſt ſelbſt nur eine Einbildung, aber mit der Ein-
bildung, daß es keine Einbildung iſt. Zwingli hat nur ein-
fach, nackt, proſaiſch, rationaliſtiſch, darum beleidigend ausge-
ſprochen, was die Andern myſtiſch, indirect ausſagten, in-
dem ſie eingeſtanden *), daß nur von der würdigen Geſinnung
die Wirkung des Abendmahls abhängt, d. h. daß nur für
den Brot und Wein das Fleiſch und Blut des Herrn, der
Herr ſelbſt ſind, für welchen ſie die übernatürliche Bedeutung
des göttlichen Leibes haben, denn nur davon hängt die wür-
dige Geſinnung, der religiöſe Affect ab.


Wenn aber das Abendmahl nichts wirkt, folglich nichts
iſt — denn nur was wirkt, iſt — ohne die Geſinnung, ohne
den Glauben, ſo liegt in dieſen allein die Realität deſſelben;
die ganze Begebenheit geht im Gemüthe vor ſich. Wirkt auch
die Vorſtellung, daß ich hier den wirklichen Leib des Heilands
empfange, auf das religiöſe Gemüth, ſo ſtammt doch ſelbſt
wieder dieſe Vorſtellung aus dem Gemüthe; ſie bewirkt nur
fromme Geſinnungen, wenn und weil ſie ſelbſt ſchon eine
fromme Vorſtellung iſt. So wird alſo auch hier das reli-
giöſe Subject von ſich ſelbſt als wie von einem andern
Weſen vermittelſt der Vorſtellung eines eingebilde-
ten Objects afficirt
. Ich könnte daher recht gut auch
ohne Vermittlung von Wein und Wort, ohne alle kirchliche
Ceremonie in mir ſelbſt, in der Einbildung die Handlung des
Abendmahls vollbringen. Es gibt unzählige fromme Gedichte,
[334] deren einziger Stoff das Blut Chriſti iſt. Hier haben wir
daher eine ächt poetiſche Abendmahlsfeier. In der lebhaften
Vorſtellung des leidenden, blutenden Heilands identificirt ſich
das Gemüth mit ihm; hier trinkt die fromme Seele in poeti-
ſcher Begeiſterung das reine, mit keinem widerſprechenden
ſinnlichen
Stoff vermiſchte Blut; hier iſt zwiſchen der Vor-
ſtellung des Blutes und dem Blute ſelbſt kein ſtörender Gegen-
ſtand vorhanden.


Aber obgleich das Abendmahl, überhaupt das Sacra-
ment gar nichts iſt ohne die Geſinnung, ohne den Glauben,
ſo ſtellt doch die Religion das Sacrament zugleich als etwas
für ſich ſelbſt Reales, Aeußerliches, vom menſchlichen We-
ſen Unterſchiedenes dar, ſo daß im religiöſen Bewußtſein die
wahre Sache: der Glaube, die Geſinnung nur zu einer Ne-
benſache
, zu einer Bedingung, die vermeintliche, die ima-
ginäre
Sache aber zur Hauptſache wird. Und die noth-
wendigen, immanenten Folgen und Wirkungen dieſes religiö-
ſen Materialismus, dieſer Subordination des Menſchlichen
unter das vermeintliche Göttliche, des Subjectiven unter das
vermeintliche Objective, der Wahrheit unter die Imagination,
der Moralität unter die Religion — die nothwendigen Folgen
ſind Superſtition und Immoralität, Superſtition, weil
mit einem Dinge eine Wirkung verknüpft wird, die nicht in
der Natur deſſelben liegt, weil ein Ding nicht ſein ſoll, was es
der Wahrheit nach iſt, weil eine bloße Einbildung für objec-
tive Realität gilt; Immoralität, weil ſich nothwendig im Ge-
müthe die Heiligkeit der Handlung als ſolcher von der Mora-
lität ſeparirt, der Genuß des Sacraments, auch unabhängig
von der Geſinnung, zu einem heiligen und heilbringenden
Act wird. So geſtaltet ſich wenigſtens die Sache in der
[335] Praxis, die nichts von der Sophiſtik der Theologie weiß.
Wodurch ſich überhaupt die Religion in Widerſpruch mit der
Vernunft ſetzt, dadurch ſetzt ſie ſich auch immer in Widerſpruch
mit dem ſittlichen Sinne. Nur mit dem Wahrheitsſinn iſt
auch der Sinn für das Gute gegeben. Verſtandesſchlechtig-
keit iſt immer auch Herzensſchlechtigkeit. Wer ſeinen Verſtand
betrügt und belügt, der hat auch kein wahrhaftiges, kein ehrli-
ches Herz. Sophiſtik verdirbt den ganzen Menſchen. Aber
Sophiſtik iſt die Abendmahlslehre. Mit der Wahrheit der
Geſinnung wird die Unwahrheit der leibhaften Gegenwart
Gottes und hinwiederum mit der Wahrheit der objectiven
Exiſtenz die Unwahrheit der Geſinnung ausgeſprochen.


Der Widerſpruch von Glaube und Liebe.


Die Sacramente verſinnlichen den Widerſpruch von
Idealismus und Materialismus
, von Subjectivis-
mus
und Objectivismus, welchen das innerſte Weſen der
Religion conſtituirt. Aber die Sacramente ſind nichts ohne
Glaube und Liebe. Der Widerſpruch in den Sacramenten
führt uns daher zurück auf den Widerſpruch von Glaube
und Liebe
.


Die Religion iſt das Verhalten des Menſchen zum eig-
nen Weſen als einem andern, aber zugleich wieder philan-
thropiſchen, humanen
, d. i. weſentlich menſchlichen We-
ſen. Die Religion ſcheidet das Weſen des Menſchen vom
Menſchen, um es wieder mit ihm zu identificiren. Das
geheime Weſen der Religion iſt die Identität des göttli-
chen Weſens mit dem menſchlichen — die Form der Religion
aber oder das offenbare, bewußte Weſen derſelben der Un-
terſchied
. Gott iſt das menſchliche Weſen: er wird aber
[336]gewußt als ein andres Weſen. Die Liebe iſt es nun,
welche den Grund, das verborgne Weſen der Religion offen-
bart, der Glaube aber, der die bewußte Form conſtituirt. Die
Liebe identificirt den Menſchen mit Gott, Gott mit dem Men-
ſchen, darum den Menſchen mit dem Menſchen; der Glaube
trennt Gott vom Menſchen, darum den Menſchen von dem
Menſchen; denn Gott iſt nichts andres als der myſtiſche Gat-
tungsbegriff der Menſchheit, die Trennung Gottes vom
Menſchen daher die Trennung des Menſchen vom Menſchen,
die Auflöſung des gemeinſchaftlichen Bandes. Durch den
Glauben ſetzt ſich die Religion mit der Sittlichkeit, der Ver-
nunft, dem einfachen Wahrheitsſinn des Menſchen in Wider-
ſpruch; durch die Liebe aber ſetzt ſie ſich wieder dieſem Wider-
ſpruch entgegen. Der Glaube iſolirt Gott, er macht ihn zu
einem beſondern, andern Weſen; die Liebe univerſaliſirt; ſie
macht Gott zu einem gemeinen Weſen, deſſen Liebe eins iſt
mit der Liebe zum Menſchen. Der Glaube entzweit den Men-
ſchen im Innern, mit ſich ſelbſt, folglich auch im Aeußern;
die Liebe aber iſt es, welche die Wunden heilt, die der
Glaube in das Herz des Menſchen ſchlägt. Der Glaube
macht den Glauben an ſeinen Gott zu einem Geſetz; die
Liebe iſt Freiheit, ſie verdammt ſelbſt den Atheiſten nicht,
weil ſie ſelbſt atheiſtiſch iſt, ſelbſt, wenn auch nicht immer theo-
retiſch, doch praktiſch die Exiſtenz eines beſondern, dem Men-
ſchen entgegengeſetzten Gottes läugnet. Die Liebe hat Gott
in ſich, der Glaube außer ſich; er entfremdet Gott den Men-
ſchen, er macht ihn zu einem äußerlichen Object.


Der Glaube geht in ſeiner, ihm weſentlich eingebornen
Aeußerlichkeit bis zum äußerlichen Factum, bis zum hiſtoriſchen
Glauben fort. Es liegt daher inſofern im Weſen des
[337] Glaubens ſelbſt, daß er zu einem ganz äußerlichen Be-
kenntniß
werden kann, mit dem bloßen Glauben als ſolchen
ſuperſtitiöſe, magiſche Wirkungen verknüpft werden *). Die
Teufel glauben auch, daß Gott iſt, ohne aufzuhören, Teufel
zu ſein. Man hat daher unterſchieden zwiſchen Gott glauben
und an Gott glauben. Aber in dieſem an Gott glauben iſt
ſchon die Aſſimilationskraft der Liebe mit eingemiſcht, die kei-
neswegs in dem Begriffe des Glaubens als ſolchen und in-
wiefern er ſich auf äußerliche Dinge bezieht, liegt. Die dem
Glauben immanenten, aus ihm ſelbſt ſtammenden Unterſchiede
oder Urtheile ſind allein die Unterſchiede von rechtem, äch-
ten
und unrechten, falſchen Glauben, oder überhaupt von
Glaube und Unglaube. Der Glaube ſcheidet: das iſt wahr,
das falſch. Und ſich nur vindicirt er die Wahrheit. Der
Glaube hat eine beſtimmte, beſondere Wahrheit, die daher
nothwendig mit Negation verbunden iſt, zu ſeinem Inhalte.
Der Glaube iſt ſeiner Natur nach excluſiv. Eines nur iſt
Wahrheit, Einer nur iſt Gott, Einer nur, dem das Mono-
pol des Gottesſohnes angehört; alles Andere iſt Nichts, Irr-
thum, Wahn. Jehovah allein iſt der wahre Gott; alle
andern Götter ſind nichtige Götzen.


Der Glaube hat etwas Beſonderes für ſich im Sinne;
er ſtützt ſich auf eine beſondere Offenbarung Gottes; er iſt zu ſei-
nem Beſitzthum nicht auf gemeinem Weg gekommen, auf dem
Wege, der allen Menſchen ohne Unterſchied offen ſteht. Was Allen
offen ſteht, iſt etwas Gemeines, was eben deßwegen kein beſondres
Glaubensobject bildet. Daß Gott der Schöpfer iſt, konnten
alle Menſchen ſchon aus der Natur erkennen, aber was dieſer
Feuerbach. 22
[338] Gott in Perſon für ſich ſelbſt iſt, das iſt eine beſondere Gna-
denſache, Inhalt eines beſondern Glaubens. Aber eben deß-
wegen, weil nur auf beſondere Weiſe geoffenbart, iſt auch der
Gegenſtand dieſes Glaubens ſelbſt ein beſonderes Weſen.
Der Gott der Chriſten iſt wohl auch der Gott der Heiden,
aber es iſt doch ein gewaltiger Unterſchied, gerade ein ſolcher
Unterſchied, wie zwiſchen mir, wie ich dem Freunde und mir,
wie ich einem Fremden, der mich aus der Ferne nur kennt,
Gegenſtand bin. Gott, wie er den Chriſten Gegenſtand, iſt
ein ganz anderer als wie er den Heiden Gegenſtand iſt. Die
Chriſten kennen Gott von Perſon, von Angeſicht zu Angeſicht.
Die Heiden wiſſen nur — und das iſt ſchon faſt zu viel ein-
geräumt — „was“ Gott iſt, aber nicht: „wer“ Gott iſt,
weßwegen die Heiden auch in Götzendienſt verfielen. Die
Identität der Heiden und Chriſten von Gott iſt daher eine
ganz vage; was die Heiden mit den Chriſten und umgekehrt
gemein haben — wenn wir anders ſo liberal ſein wollen,
etwas Gemeinſames zu ſtatuiren — dieß iſt nicht das ſpeci-
fiſch chriſtliche
, nicht das, was den Glauben conſtituirt.
Worin die Chriſten Chriſten ſind, darin ſind ſie eben von
den Heiden diſtinguirt. Sie ſind es aber durch ihre beſondre
Gotteserkenntniß; ihr Unterſcheidungsmerkmal iſt alſo
Gott. Die Beſonderheit iſt das Salz, welches dem gemei-
nen Weſen erſt Geſchmack beibringt. Was ein Weſen ins-
beſondre
iſt, das erſt iſt es. Nur wer mich in specie
kennt, kennt mich. Der ſpecielle Gott alſo, der Gott, wie er
insbeſondre den Chriſten Gegenſtand, der perſönliche Gott,
der erſt iſt Gott. Und dieſer iſt den Heiden, den Ungläubigen
überhaupt unbekannt, nicht für ſie. Er ſoll allerdings
auch für die Heiden werden, aber mittelbar, erſt dadurch,
[339] daß ſie aufhören Heiden zu ſein, daß ſie ſelbſt Chriſten wer-
den. Der Glaube particulariſirt und bornirt den Men-
ſchen; er nimmt ihm die Freiheit und Fähigkeit, das
Andre, das von ihm Unterſchiedne nach Gebühren zu
ſchätzen. Der Glaube iſt in ſich ſelbſt befangen. Der
philoſophiſche, überhaupt wiſſenſchaftliche Dogmatiker beſchränkt
ſich allerdings auch mit der Beſtimmtheit ſeines Syſtems.
Aber die theoretiſche Beſchränktheit hat, ſo unfrei, ſo kurzſichtig
und engherzig ſie auch iſt, doch noch einen freieren Charakter,
weil an und für ſich das Gebiet der Theorie ein freies iſt, wo
hier die Sache nur, der Grund, die Vernunft entſcheidet. Aber
der Glaube macht weſentlich ſeine Sache zu einer Gewiſ-
ſensſache
und einer Sache des Intereſſes, des Glückſe-
ligkeitstriebes
, denn ſein Object iſt ſelbſt ein beſonderes,
perſönliches
, auf Anerkennung dringendes und von
dieſer Anerkennung die Seligkeit abhängig machendes
Weſen.


Der Glaube gibt dem Menſchen ein beſonderes Ehr-
und Selbſtgefühl
. Der Gläubige findet ſich ausgezeichnet
vor andern Menſchen, erhoben über den natürlichen Men-
ſchen; er weiß ſich als eine Perſon von Diſtinction im
Beſitze beſonderer Rechte. Die Gläubigen ſind Ariſtokraten,
die Ungläubigen Plebejer. Gott iſt dieſer perſonificirte
Unterſchied und Vorzug
des Gläubigen vor dem Ungläu-
bigen *). Aber weil der Glaube das eigne Weſen als ein
andres Weſen vorſtellt, ſo ſchiebt der Gläubige ſeine Ehre
nicht unmittelbar in ſich, ſondern in dieſe andere Perſon.
22*
[340] Das Bewußtſein ſeines Vorzugs iſt das Bewußtſein die-
ſer Perſon
, das Gefühl ſeiner ſelbſt hat er in dieſer an-
dern Perſönlichkeit *). Wie der Diener in der Würde ſeines
Herrn ſich ſelbſt fühlt, ja ſich mehr zu ſein dünkt, als ein
freier ſelbſtſtändiger Mann von niedrigerem Stande als ſein
Herr, ſo auch der Gläubige **). Er ſpricht ſich alle Ver-
dienſte ab, um blos ſeinem Herrn die Ehre des Verdienſtes
zu laſſen, aber nur weil dieſes Verdienſt ihm ſelbſt zu gute
kommt, weil er in der Ehre des Herrn ſein eignes Ehrge-
fühl
befriedigt. Der Glaube iſt hochmüthig, aber er unter-
ſcheidet ſich von dem natürlichen Hochmuth dadurch, daß er
das Gefühl ſeines Vorzugs, ſeinen Stolz in eine andere
Perſon
überträgt, die ihn bevorzugt, eine andere Perſon,
die aber ſein eignes geborgnes Selbſt, ſein perſonificirter
und befriedigter Glückſeligkeitstrieb iſt, denn dieſe Perſönlich-
keit hat keine andern Beſtimmungen, als die, daß ſie der
Wohlthäter, der Erlöſer, der Heiland iſt, alſo Beſtimmungen,
in denen der Gläubige ſich nur auf ſich, auf ſein eignes
ewiges Heil
bezieht. Kurz, wir haben hier das charakteri-
ſtiſche Princip der Religion, daß ſie das natürliche Activum
in ein Passivum verwandelt. Der Heide erhebt ſich, der Chriſt
fühlt ſich erhoben. Der Chriſt verwandelt in eine Sache des
Gefühls, der Receptivität, was dem Heiden eine Sache der
Spontaneität iſt. Die Demuth des Gläubigen iſt ein umge-
[341] kehrter Hochmuth — ein Hochmuth, der aber nicht den Schein
der äußern Kennzeichen des Hochmuths hat. Er fühlt ſich
ausgezeichnet; aber dieſe Auszeichnung iſt nicht Reſultat ſei-
ner Thätigkeit, ſondern Sache der Gnade; er iſt ausgezeich-
net worden: er kann nichts dafür. Er macht ſich überhaupt
nicht zum Zweck ſeiner eignen Thätigkeit, ſondern zum Zweck,
zum Gegenſtand Gottes.


Der Glaube iſt weſentlich beſtimmter Glaube. Gott
in dieſer Beſtimmtheit nur iſt der wahre Gott. Dieſer
Jeſus iſt Chriſtus, der wahre, einzige Prophet, der einge-
borne Sohn Gottes. Und dieſes Beſtimmte mußt Du glau-
ben, wenn Du Deine Seligkeit nicht verſcherzen willſt. Der
Glaube iſt gebieteriſch. Es iſt daher nothwendig, es liegt
im Weſen des Glaubens, daß er als Dogma fixirt wird.
Das Dogma ſpricht nur aus, was der Glaube urſprüng-
lich ſchon auf der Zunge oder doch im Sinne hatte. Daß,
wenn einmal auch nur ein Grunddogma fixirt iſt, ſich daran
ſpeciellere Fragen anknüpfen, die dann wieder dogmatiſch ent-
ſchieden werden müſſen, daß ſich hieraus eine läſtige Vielheit
von Dogmen ergibt, dieß iſt freilich eine Fatalität, hebt aber
nicht die Nothwendigkeit auf, daß ſich der Glaube in Dogmen
fixire, damit Jeder beſtimmt weiß, was er glauben ſoll
und wie er ſeine Seligkeit ſich erwerben kann.


Was man heutiges Tages ſelbſt vom Standpunkt des
gläubigen Chriſtenthums aus verwirft, bemitleidet als Ver-
irrung, als Mißverſtand, oder gar belacht, das iſt lautere Folge
des innern Weſens des Glaubens. Der Glaube iſt ſeiner
Natur nach unfrei, befangen
, denn es handelt ſich im
Glauben wie um die eigne Seligkeit, ſo um die Ehre Got-
tes ſelbſt. Aber wie wir ängſtlich ſind, ob wir einem Höher-
[342] ſtehenden die gebührende Ehre erweiſen, ſo auch der Glaube.
Den Apoſtel Paulus erfüllt nichts als der Ruhm, die Ehre,
das Verdienſt Chriſti. Dogmatiſche, ausſchließliche,
ſcrupulöſe Beſtimmtheit
liegt im Weſen des Glaubens.
In Speiſen und andern dem Glauben indifferenten Dingen
iſt der Glaube allerdings liberal, aber keineswegs in Bezug
auf Glaubensgegenſtände. Wer nicht für Chriſtus, iſt
wider Chriſtus; was nicht chriſtlich, iſt antichriſtlich.
Aber was iſt chriſtlich? Dieſes muß abſolut beſtimmt, dieß
kann nicht frei geſtellt werden. Iſt der Glaubensinhalt gar
niedergelegt in Bücher, die von verſchiedenen Verfaſſern
ſtammen, niedergelegt in der Form zufälliger, ſich widerſpre-
chender gelegentlicher Aeußerungen, ſo iſt die dogmatiſche Be-
gränzung und Beſtimmung ſelbſt eine äußerliche Nothwen-
digkeit
. Nur der kirchlichen Dogmatik verdankt das Chri-
ſtenthum ſeinen Fortbeſtand.


Es iſt nur die Charakterloſigkeit, der gläubige Un-
glaube
der neuern Zeit, der ſich hinter die Bibel verſteckt
und die bibliſchen Ausſprüche den dogmatiſchen Beſtimmungen
entgegenſetzt, um durch die Willkühr der Exegeſe von den
Schranken der Dogmatik ſich frei zu machen. Aber der Glaube
iſt ſchon verſchwunden, gleichgültig geworden, wenn die Glau-
bensbeſtimmungen als Schranken
empfunden werden.
Es iſt nur die religiöſe Indifferenz unter dem Scheine
der Religioſität
, welche die ihrer Natur und ihrem Urſprung
nach unbeſtimmte Bibel zum Maaß des Glaubens macht, und
unter dem Vorwande, nur das Weſentliche zu glauben,
nichts glaubt, was den Namen des Glaubens verdient, z. B.
an die Stelle des beſtimmten charaktervollen Gottesſohnes der
Kirche das vage, hohle Negativ eines ſündloſen Menſchen ſetzt,
[343] eines Menfchen, der wie kein Andrer ſich den Namen des
Gottesſohnes vindiciren dürfe. Daß es aber wirklich nur der
religiöſe Indifferentismus iſt, der ſich hinter die Bibel verſteckt,
dieß erhellt daraus, daß man ſelbſt Das, was in der Bibel
ſteht, aber dem jetzigen Standpunkt der Bildung widerſpricht,
als nicht obligirend betrachtet oder gar läugnet, ja ſogar
Handlungen, die chriſtlich ſind, nothwendig aus dem
Glauben folgen, wie die Abſonderung der Gläubigen von den
Ungläubigen, jetzt als unchriſtliche bezeichnet.


Die Kirche hat mit vollem Rechte Anders- oder über-
haupt Ungläubige*) verdammt, denn dieſes Verdammen
liegt im Weſen des Glaubens. Der Glaube erſcheint zu-
nächſt nur als unbefangne Abſonderung der Gläubigen von
den Ungläubigen; aber dieſe Sonderung iſt eine höchſt kriti-
ſche Scheidung
. Der Gläubige hat Gott für ſich, der Un-
gläubige gegen ſich — nur als möglicher Gläubige hat er
nicht Gott gegen ſich, aber als wirklicher Ungläubiger —
darin liegt eben der Grund der Forderung, den Stand des
Unglaubens zu verlaſſen. Was aber Gott gegen ſich hat,
iſt nichtig, verſtoßen, verdammt
. Denn was Gott gegen
ſich hat, iſt ſelbſt wider Gott. Glauben iſt gleichbedeutend
mit Gutſein, nicht glauben mit Böſeſein. Der Glaube,
beſchränkt und befangen, ſchiebt Alles in die Geſinnung. Der
Ungläubige iſt ihm aus Verſtocktheit, aus Bosheit un-
gläubig **), ein Feind Chriſti. Der Glaube aſſimilirt ſich da-
[344] her nur die Gläubigen, aber die Ungläubigen verſtößt er. Er
iſt gut gegen die Gläubigen, aber böſe gegen die Ungläubi-
gen. Im Glauben liegt ein böſes Princip.


Es iſt nur der Egoismus, die Eitelkeit, die Selbſtgefäl-
ligkeit der Chriſten, daß ſie in andern Religionen die Splitter,
aber nicht die Balken in ihrem eignen Glauben erblicken. Nur
die Art der religiöſen Glaubensdifferenz iſt anders bei den
Chriſten, als bei andern Völkern. Es ſind nur klimatiſche
Unterſchiede oder die Unterſchiede der Volkstemperamente, die
den Unterſchied begründen. Ein an ſich kriegeriſches oder
überhaupt feurig ſinnliches Volk wird natürlich ſeinen religiö-
ſen Unterſchied auch durch ſinnliche Thaten, durch Waffenge-
walt bethätigen. Aber die Natur des Glaubens als ſolchen
iſt überall dieſelbe. Weſentlich verurtheilt, verdammt
der Glaube
. Allen Segen, alles Gute häuft er auf ſich,
auf ſeinen Gott, wie der Liebhaber auf ſeine Geliebte, allen
Fluch, alles Ungemach und Uebel wirft er auf den Unglau-
ben. Geſegnet, gottwohlgefällig, ewiger Seligkeit theilhaftig
iſt der Gläubige; verflucht, von Gott verſtoßen und vom Men-
ſchen verworfen der Ungläubige; denn was Gott verwirft,
darf der Menſch nicht annehmen
, nicht ſchonen; dieß
wäre eine Kritik des göttlichen Urtheils. Die Türken ver-
tilgen die Ungläubigen mit Feuer und Schwert, die Chriſten
mit den Flammen der Hölle. Aber die Flammen des Jen-
ſeits ſchlagen auch ſchon in das Dießſeits herein, um die
Nacht der ungläubigen Welt zu erleuchten. Wie der Gläu-
bige ſchon hienieden die Freuden des Himmels anticipirt, ſo
müſſen auch hier ſchon zum Vorgeſchmack der Hölle die Feuer
des Höllenpfuhls lodern, wenigſtens in den Momenten der
höchſten Glaubensbegeiſterung
. Das Chriſtenthum ge-
[345] bietet allerdings keine Ketzerverfolgungen, noch weniger Be-
kehrung mit Waffengewalt. Aber inſofern der Glaube ver-
dammt, erzeugt es nothwendig feindſelige Geſinnungen, die
Geſinnungen, aus welchen die Ketzerverfolgung entſpringt.
Den Menſchen zu lieben, der nicht glaubt an Chri-
ſtus, iſt eine Sünde gegen Chriſtus
, heißt den Feind
Chriſti lieben
*). Was Gott, was Chriſtus nicht liebt,
das darf der Menſch nicht lieben; ſeine Liebe wäre ein Wider-
ſpruch gegen den göttlichen Willen, alſo Sünde. Gott liebt
zwar alle Menſchen, aber nur wenn und weil ſie Chriſten
ſind oder wenigſtens ſein können und ſein wollen. Chriſt
ſein
heißt von Gott geliebt ſein, nicht Chriſt ſein von Gott
gehaßt werden, ein Gegenſtand des göttlichen Zorns ſein.
Der Chriſt darf alſo nur den Chriſten lieben, den An-
dern nur als möglichen Chriſten; er darf nur lieben, was
der Glaube heiligt, ſegnet. Der Glaube iſt die Taufe
der Liebe. Die Liebe zum Menſchen als Menſchen iſt nur die
natürliche. Die chriſtliche Liebe iſt die übernatürliche,
verklärte, geheiligte Liebe; aber die chriſtliche liebt auch nur
Chriſtliches. Der Satz: „liebet eure Feinde,“ bezieht ſich
nur auf Privatfeindſchaften unter Chriſten, aber nicht auf
die öffentlichen Feinde, die Feinde Gottes, die Feinde
des Glaubens
, die Ungläubigen. Wer den Menſchen
liebt, der Chriſtus läugnet, Chriſtus nicht glaubt, verläug-
net
ſeinen Herrn und Gott: der Glaube hebt die natur-
gemäßen Bande der Menſchheit auf
; er ſetzt an die
Stelle der allgemeinen, natürlichen Einheit eine particuläre.


[346]

Wende man nicht dagegen ein, daß es in der Bibel
heißt: „richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet,“ daß
der Glaube alſo Gott wie das Gericht, ſo das Verdammungs-
urtheil überlaſſe. Auch dieſer und andere ähnliche Sprüche
gelten nur im chriſtlichen Privatrecht, aber nicht im
chriſtlichen Staatsrecht
, gehören nur der Moral, nicht
der Dogmatik an. Es iſt ſchon Glaubensindifferenz, ſolche
moraliſche Ausſprüche auf das Gebiet der Dogmatik zu zie-
hen. Der Glaube gibt nicht Pardon. Er würde ſich ſelbſt
aufgeben, wenn er milde von ſeinem Gegenſatz urtheilte. Die
Unterſcheidung zwiſchen dem Ungläubigen und Men-
ſchen
iſt eine Frucht moderner Humanität. Dem Glau-
ben geht der Menſch im Glauben auf; der weſentliche Un-
terſchied des Menſchen vom Thiere beruht für ihn nur auf
dem religiöſen Glauben. Nur der Glaube begreift in ſich alle
Tugenden, die den Menſchen gottwohlgefällig machen. Gott
aber iſt das Maaß, ſein Wohlgefallen die höchſte Norm. Der
Gläubige iſt alſo allein der legitime, normale Menſch, der
Menſch wie er ſein ſoll, der Menſch, den Gott anerkennt.
Wo die Unterſcheidung zwiſchen Menſch und Glaube
gemacht wird, da hat ſich der Menſch ſchon vom Glauben
abgetrennt
; da gilt der Menſch ſchon für ſich ſelbſt, un-
abhängig vom Glauben. Der Glaube iſt daher nur dort ein
wahrer, ungeheuchelter, wo die Glaubensdifferenz in
aller Schärfe wirkt. Wird die Differenz des Glaubens abge-
ſtumpft, ſo wird natürlich auch der Glaube ſelbſt indifferent,
charakterlos. Nur in an ſich indifferenten Dingen iſt der
Glaube liberal. Der Liberalismus des Apoſtel Paulus hat
zur Vorausſetzung die Annahme des Grundartikels des Glau-
bens. Wo Alles auf den Grundartikel des Glaubens an-
[347] kommt, entſteht der Unterſchied zwiſchen Weſentlichem und Un-
weſentlichem. Im Gebiet des Unweſentlichen gibt es kein Ge-
ſetz, da ſeid ihr frei. Aber natürlich nur unter der Bedin-
gung, daß ihr dem Glauben ſein Recht ungeſchmälert laßt,
gewährt euch der Glaube Rechte, Freiheiten.


Es wäre daher ganz falſch, ſich ſo zu helfen, daß man
ſagte, der Glaube überlaſſe das Gericht Gott. Er überläßt
ihm nur das moraliſche Gericht, und nur das Gericht über
den erheuchelten oder aufrichtigen Glauben der Chriſten. Welche
zur Linken, welche zur Rechten Gottes ſtehen werden, das weiß
der Glaube. Nur in Rückſicht der Perſonen weiß er es nicht;
aber daß nur die Gläubigen überhaupt Erben des ewigen
Reichs ſind, das iſt außer Zweifel. Aber auch davon abge-
ſehen: der zwiſchen den Gläubigen und Ungläubigen un-
terſcheidende
, der verdammende und belohnende Gott iſt
nichts andres als der Glaube ſelbſt. Was Gott ver-
dammt, verdammt der Glaube
, und umgekehrt. Der
Glaube iſt ein ſein Gegentheil ſchonungslos verzehrendes
Feuer*). Dieſes Feuer des Glaubens als objectives
Weſen
angeſchaut iſt der Zorn Gottes oder was eins iſt, die
Hölle, denn die Hölle hat offenbar ihren Grund im Zorn
Gottes. Aber dieſe Hölle hat der Glaube in ſich ſelbſt, in
ſeinem Verdammungsurtheil. Die Flammen der Hölle ſind
nur die Funken von dem vertilgenden, zornglühenden Blick,
den der Glaube auf die Ungläubigen wirft.


Der Glaube iſt alſo weſentlich parteiiſch. Wer nicht
für Chriſtus iſt, der iſt wider Chriſtus. Für mich; oder:
[348]wider mich. Der Glaube kennt nur Feinde oder Freunde,
keine Unparteilichkeit; er iſt nur für ſich eingenommen. Der
Glaube iſt weſentlich intolerant — weſentlich, weil mit
dem Glauben immer nothwendig der Wahn verbunden iſt,
daß ſeine Sache die Sache Gottes ſei, ſeine Ehre die
Ehre Gottes. Der Gott des Glaubens iſt an ſich nichts
andres als das objective Weſen des Glaubens, der Glaube,
der ſich Gegenſtand iſt. Es identificirt ſich daher auch im re-
ligiöſen Gemüthe
und Bewußtſein die Sache des Glau-
bens mit der Sache Gottes. Gott ſelbſt iſt betheiligt; das
Intereſſe der Gläubigen iſt das innerſte Intereſſe
Gottes ſelbſt
. „Wer Euch antaſtet, heißt es beim Pro-
pheten Sacharja, der taſtet ſeinen (des Herrn) Augapfel
an*).“ Was den Glauben verletzt, verletzt Gott, was den
Glauben negirt, negirt Gott ſelbſt.


Der Glaube kennt keinen andern Unterſchied als den zwi-
ſchen Gottes- und Götzendienſt. Der Glaube allein gibt
Gott die Ehre; der Unglaube entzieht Gott, was ihm gebührt.
Der Unglaube iſt eine Injurie gegen Gott, ein Majeſtätsver-
brechen. Die Heiden beten Dämone an; ihre Götter ſind
Teufel. „Ich ſage, daß die Heiden, was ſie opfern, das
opfern ſie den Teufeln und nicht Gott. Nun will ich nicht,
daß ihr in der Teufel Gemeinſchaft ſein ſollt**). Der Teufel
iſt aber die Negation Gottes; er haßt Gott, will, daß kein
Gott ſei. So iſt der Glaube blind gegen das Gute und
[349] Wahre, das auch dem Götzendienſt zu Grunde liegt; ſo
erblickt er in Allem, was nicht ſeinem Gotte, d. i., ihm
ſelbſt
huldigt, Götzendienſt und im Götzendienſt nur Teu-
felswerk
. Der Glaube muß daher auch der Geſinnung
nach nur negativ ſein gegen dieſe Negation Gottes: er
iſt alſo weſentlich intolerant gegen ſein Gegentheil, über-
haupt gegen das, was nicht mit ihm ſtimmt. Seine Toleranz
waͤre Intoleranz gegen Gott, der das Recht zu unbedingter
Alleinherrſchaft hat. Es ſoll nichts beſtehen, nichts exiſtiren,
was nicht Gott, nicht den Glauben anerkennt. „Daß in dem
Namen Jeſu ſich beugen ſollen alle derer Kniee, die im Him-
mel und auf Erden und unter der Sonne ſind, und alle Zungen
bekennen ſollen, daß Jeſus Chriſtus der Herr ſei zur Ehre
Gottes des Vaters*).“ Darum poſtulirt der Glaube ein
Jenſeits, eine Welt, wo der Glaube keinen Gegenſatz
mehr
hat oder dieſer Gegenſatz wenigſtens nur noch dazu exi-
ſtirt, um das Selbſtgefühl des obſiegenden Glaubens zu ver-
herrlichen. Die Hölle verſüßt die Freuden der ſeligen
Gläubigen
. „Hervortreten werden ſie, die Auserwählten,
um zu ſchauen die Qualen der Gottloſen, und bei dieſem An-
blick werden ſie nicht von Schmerz ergriffen; im Gegentheil,
indem ſie die unausſprechlichen Leiden der Gottloſen ſehen,
danken ſie freudetrunken Gott für ihre Errettung**).“


[350]

Der Glaube iſt das Gegentheil der Liebe. Die
Liebe erkennt auch in der Sünde noch die Tugend, im Irrthum
die Wahrheit. Nur ſeit der Zeit, wo an die Stelle der Macht
des Glaubens die Macht der naturwahren Einheit der Menſch-
heit, die Macht der Vernunft, der Humanität getreten, erblickt
man auch im Polytheismus, im Götzendienſt überhaupt Wahr-
heit oder ſucht man wenigſtens durch poſitive Gründe zu er-
klären, was der in ſich ſelbſt befangene Glaube nur aus dem
Teufel ableitet. Darum iſt die Liebe nur identiſch mit
der Vernunft
, aber nicht mit dem Glauben. Denn wie die
Vernunft, ſo iſt die Liebe freier, univerſeller, der Glaube aber
engherziger, beſchränkter Natur. Nur wo Vernunft, da herrſcht
allgemeine Liebe. Die Vernunft iſt ſelbſt nichts andres als
die univerſale Liebe. Der Glaube hat die Hölle erfunden,
nicht die Liebe, nicht die Vernunft. Der Liebe iſt die Hölle ein
Greuel, der Vernunft ein Unſinn. Es wäre erbärmlich, in
der Hölle nur eine Verirrung des Glaubens, einen falſchen
Glauben erblicken zu wollen. Die Hölle ſteht auch ſchon in
der Bibel. Der Glaube iſt überhaupt überall ſich ſelbſt gleich,
wenigſtens der poſitiv religiöſe Glaube, der Glaube in dem
Sinne, in welchem er hier genommen wird und genommen
werden muß, wenn man nicht die Elemente der Vernunft, der
Bildung mit dem Glauben vermiſchen will — eine Vermi-
**)
[351] ſchung, in welcher freilich der Charakter des Glaubens un-
kenntlich wird.


Wenn alſo der Glaube nicht dem Chriſtenthum widerſpricht,
ſo widerſprechen ihm auch nicht die Geſinnungen, die aus
dem Glauben, nicht die Handlungen, die aus dieſen Geſin-
nungen ſich ergeben. Der Glaube verdammt: alle Handlungen,
alle Geſinnungen, welche der Liebe, der Humanität, der Ver-
nunft widerſprechen, entſprechen dem Glauben. Alle Greuel
der chriſtlichen Religionsgeſchichte, von denen unſere
Gläubigen ſagen, daß ſie nicht aus dem Chriſtenthum gekom-
men ſind, weil aus dem Glauben, aus dem Chriſtenthum
entſprungen. Es iſt dieſes ihr Läugnen ſogar eine nothwendige
Folge des Glaubens; denn der Glaube vindicirt ſich nur
das Gute, alles Böſe aber ſchiebt er auf den Unglauben oder
nicht rechten Glauben oder auf den Menſchen überhaupt. Aber
gerade darin, daß der Glaube läugnet, daß das Böſe im
Chriſtenthum ſeine Schuld ſei, haben wir den ſchlagenden
Beweis, daß er wirklich der Urheber davon iſt, weil der Be-
weis von ſeiner Beſchränktheit, Parteilichkeit und Intoleranz,
vermöge welcher er nur gut iſt gegen ſich, gegen ſeine Anhänger,
aber böſe, ungerecht gegen alles Andere. Das Gute, was
von Chriſten geſchehen, hat dem Glauben zufolge nicht der
Menſch, ſondern der Chriſt, der Glaube; aber das Böſe der
Chriſten hat nicht der Chriſt, ſondern der Menſch gethan.
Die böſen Glaubenshandlungen der Chriſtenheit entſprechen
alſo dem Weſen des Glaubens — des Glaubens, wie er ſich
ſelbſt ſchon in der älteſten und heiligſten Urkunde des Chriſten-
thums, der Bibel ausgeſprochen. „So Jemand euch Evan-
gelium anders predigt, denn das ihr empfangen habt, der ſei
[352] verflucht ἀνάϑεμα ἔστω*).“ Galater 1, 9. „Ziehet nicht
am fremden Joche mit den Ungläubigen, denn was hat die
Gerechtigkeit für Genieß mit der Ungerechtigkeit? Was hat das
Licht für Gemeinſchaft mit der Finſterniß? Wie ſtimmet Chri-
ſtus mit Belial? Oder was für ein Theil hat der Gläu-
bige mit dem Ungläubigen
? Was hat der Tempel Gottes
für eine Gleiche mit den Götzen? Ihr aber ſeid der Tempel
des lebendigen Gottes, wie denn Gott ſpricht: Ich will in
ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott ſein und ſie
ſollen mein Volk ſein. Darum gehet aus von ihnen, und ſon-
dert euch ab, ſpricht der Herr und rühret kein Unreines an:
ſo will ich euch annehmen.“ 2 Korinther 6, 14—17. „Wenn
nun der Herr Jeſus wird geoffenbart werden vom Himmel
ſammt den Engeln ſeiner Kraft und mit Feuerflammen, Rache
zu geben über die, ſo Gott nicht erkennen und über die ſo nicht
gehorſam ſind dem Evangelio unſers Herrn Jeſu Chriſti,
welche werden Pein leiden, das ewige Verderben von dem
Angeſicht des Herrn und von ſeiner herrlichen Macht, wenn
er kommen wird, daß er herrlich erſcheine mit ſeinen Heiligen
und wunderbar mit allen Gläubigen.“ 2 Theſſalonicher 1,
7—10. „Ohne Glauben iſt es unmöglich Gott gefallen.“
Hebräer 11, 6. „Alſo hat Gott die Welt geliebet, daß er
ſeinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle die an ihn glau-
ben
, nicht verloren werden, ſondern das ewige Leben haben.“
Johannes 3, 16. „Ein jeglicher Geiſt, der da bekennet, daß
Jeſus Chriſtus iſt in das Fleiſch gekommen, der iſt
von Gott, und ein jeglicher Geiſt, der da nicht bekennet, daß
[353] Jeſus Chriſtus iſt in das Fleiſch gekommen, der iſt nicht von
Gott
. Und das iſt der Geiſt des Widerchriſts.“ 1 Johannes
4, 2. 3. „Wer iſt ein Lügner, ohne der da läugnet, daß
Jeſus der Chriſt ſei. Das iſt der Widerchriſt, der den Vater
und den Sohn läugnet.“ 1 Johannes 2, 22. „Wer übertritt
und bleibet nicht in der Lehre Chriſti, der hat keinen Gott;
wer in der Lehre Chriſti bleibet, der hat beide, den Vater und
den Sohn. So Jemand zu Euch kommt und bringet dieſe Lehre
nicht, den nehmet nicht zu Hauſe und grüßet ihn auch nicht.
Denn wer ihn grüßet, macht ſich theilhaftig ſeiner böſen
Werke.“ 2 Joh. 9—11. So ſpricht der Apoſtel der Liebe.
Aber die Liebe, die er feiert, iſt nur die chriſtliche Bruder-
liebe
. „Gott iſt der Heiland aller Menſchen, ſonderlich
aber der Gläubigen.“ 1 Timoth. 4, 10. Ein verhängnißvolles
Sonderlich! „Laſſet uns Gutes thun an Jedermann, aller-
meiſt
aber an den Glaubensgenoſſen!“ Galater 6, 10. Ein
gleichfalls ſehr verhängnißvolles Allermeiſt! „Einen ketzeriſchen
Menſchen meide, wenn er einmal und abermal ermahnet iſt,
und wiſſe, daß ein ſolcher verkehrt iſt und ſündigt, als der ſich
ſelbſt verurtheilet hat
*). Titus 3, 10. 11. „Wer an den
Sohn glaubet, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohne
nicht glaubet, der wird das Leben nicht ſehen, ſondern der
Zorn Gottes bleibet über ihm.“ Johannes 3, 36. „Und wer
der Kleinen Einen ärgert, die an mich glauben, dem wäre
Feuerbach. 23
[354] es beſſer, daß ihm ein Mühlſtein an ſeinen Hals gehänget
würde und er in das Meer geworfen würde.“ Marcus 9, 42.
Matthäi 18, 6. „Wer da glaubet und getauft wird, der
wird ſelig werden, wer aber nicht glaubet, der wird
verdammet werden
.“ Marcus 16, 16. Der Unterſchied zwi-
ſchen dem Glauben, wie er ſich in der Bibel bereits ausgeſpro-
chen, und dem Glauben, wie er ſich in der ſpätern Zeit geltend
gemacht, iſt nur der Unterſchied zwiſchen dem Keime und der
Pflanze. Im Keime kann ich freilich nicht ſo deutlich ſehen,
was in der reifen Pflanze mir in die Augen fällt. Und doch
lag die Pflanze ſchon im Keime. Aber was in die Augen
fällt, das natürlich wollen die Sophiſten nicht mehr anerkennen.
Sie halten ſich nur an den Unterſchied zwiſchen der explicirten
und implicirten Exiſtenz; die Identität ſchlagen ſie ſich aus
dem Sinne.


Der Glaube geht nothwendig in Haß, der Haß in Ver-
folgung
über, wo die Macht des Glaubens keinen Wider-
ſtand
findet, ſich nicht bricht an einer dem Glauben fremden
Macht, an der Macht der Liebe, der Humanität, des Rechts-
gefühls. Der Glaube für ſich ſelbſt erhebt ſich nothwendig über
die Geſetze der natürlichen Moral. Die Glaubenslehre
iſt die Lehre der Pflichten gegen Gott — die höchſte
Pflicht der Glaube
. So viel höher Gott als der Menſch,
ſo viel höher ſtehen die Pflichten gegen Gott als gegen den
Menſchen. Und nothwendig treten die Pflichten gegen Gott
in Colliſion mit den gemein menſchlichen Pflichten. Gott
wird nicht nur geglaubt, vorgeſtellt als das gemeinſame Weſen,
der Vater der Menſchen, die Liebe — ſolcher Glaube iſt Glaube
der Liebe — er wird auch vorgeſtellt als perſönliches We-
ſen, als Weſen für ſich. So gut ſich daher Gott als ein
[355] Weſen für ſich vom Weſen des Menſchen abſondert, ſo
gut ſondern ſich auch die Pflichten gegen Gott ab von
den Pflichten gegen den Menſchen
— ſeparirt ſich im
Gemüthe der Glaube von der Moral, der Liebe*). Erwidere
man nicht, daß der Glaube an Gott der Glaube an die Liebe,
das Gute ſelbſt, der Glaube alſo ſchon ein Ausdruck des ſitt-
lich guten Gemüths iſt. Im Begriffe der Perſönlichkeit ver-
ſchwinden die ethiſchen Beſtimmungen; ſie werden zur Neben-
ſache
, zu bloßen Accidenzen. Die Hauptſache iſt das Sub-
ject, das göttliche Ich. Die Liebe zu Gott ſelbſt iſt, weil Liebe
zu einem perſönlichen Weſen, keine moraliſche, ſondern per-
ſönliche
Liebe. Unzählige fromme Lieder athmen nur Liebe
zum Herrn, aber in dieſer Liebe zeigt ſich kein Funke einer er-
habnen ſittlichen Idee oder Geſinnung.


Der Glaube iſt ſich das Höchſte, weil ſein Object eine
göttliche Perſönlichkeit. Er macht daher von ſich die ewige
Seligkeit abhängig, nicht von der Erfüllung der gemeinen
menſchlichen Pflichten. Was aber die ewige Seligkeit zur
Folge hat, das beſtimmt ſich im Sinne des Menſchen noth-
23*
[356] wendig zur Hauptſache. Wie daher innerlich dem Glauben
die Ethik ſubordinirt wird, ſo kann, ſo muß ſie auch äußerlich,
praktiſch ihm untergeordnet, ja aufgeopfert werden. Es iſt
nothwendig, daß es Handlungen gibt, in denen der Glaube
im Unterſchiede oder vielmehr im Widerſpruch mit der
Moral
zur Erſcheinung kommt — Handlungen die moraliſch
ſchlecht
, aber dem Glauben nach löblich ſind, weil ſie nur
das Beſte des Glaubens bezwecken. Alles Heil liegt am Glau-
ben; Alles daher wieder an dem Heil des Glaubens. Iſt
der Glaube gefährdet, ſo iſt die ewige Seligkeit und die Ehre
Gottes gefährdet. Alles privilegirt daher der Glaube, wenn
es nur die Beförderung des Glaubens zum Zwecke hat; denn
er iſt ja, ſtreng genommen, das einzige ſubjective Gute im
Menſchen, wie Gott ſelbſt das einzige gute und poſitive Weſen;
das erſte, das höchſte Gebot daher: Glaube!


Eben deßwegen, weil kein natürlicher innerer Zuſammen-
hung zwiſchen dem Glauben und der moraliſchen Geſinnung
ſtatt findet, es vielmehr im Weſen des Glaubens an ſich
liegt, daß er indifferent iſt gegen die moraliſchen Pflichten*),
daß er die Liebe des Menſchen der Ehre Gottes aufopfert,
eben deßwegen wird gefordert, daß der Glaube gute Werke
im Gefolge haben, daß er durch die Liebe ſich bethätigen ſoll.
[357] Der gegen die Liebe indifferente oder liebloſe Glaube wi-
derſpricht der Vernunft, dem moraliſchen Gefühl, dem natürli-
chen Rechtsſinn des Menſchen, als welchem ſich die Liebe un-
mittelbar als Geſetz und Wahrheit aufdringt. Der Glaube
wird daher im Widerſpruch mit ſeinem Weſen an ſich durch die
Moral beſchränkt. Ein Glaube, der nichts Gutes wirkt, ſich
nicht durch die Liebe bethätigt, iſt kein wahrer, kein lebendiger.
Aber dieſe Beſchränkung ſtammt nicht aus dem Glau-
ben ſelbſt
. Es iſt die vom Glauben unabhängige Macht
der Liebe, die ihm Geſetze gibt; denn es wird hier die mora-
liſche Beſchaffenheit
zum Kriterium der Aechtheit des
Glaubens, die Wahrheit des Glaubens von der Wahr-
heit der Ethik abhängig
gemacht — ein Verhältniß, das
aber dem Glauben widerſpricht.


Wohl mag der Glaube den Menſchen ſelig machen; aber
ſo viel iſt gewiß: er flößt ihm keine wirklich ſittlichen Geſin-
nungen ein. Beſſert er den Menſchen, hat er moraliſche Ge-
ſinnung zur Folge, ſo kommt das nur aus der innern, vom
religiöſen Glauben unabhängigen Ueberzeugung von der un-
umſtößlichen Realität der Moral. Nur die Moral iſt es, die
dem Gläubigen ins Gewiſſen ruft: Dein Glaube iſt nichts,
wenn er Dich nicht gut macht, keineswegs aber der Glaube.
Wohl kann, nicht iſt es zu läugnen, die Gewißheit ewiger
Seligkeit, der Vergebung der Sünden, der Begnadigung und
Erlöſung von allen Strafen, den Menſchen geneigt machen,
Gutes zu thun. Der Menſch, der dieſes Glaubens iſt, hat
Alles; er iſt ſelig; er wird gleichgültig gegen die Güter dieſer
Welt; kein Neid, keine Habſucht, kein Ehrgeiz, kein ſinnliches
Verlangen kann ihn feſſeln; alles Irdiſche ſchwindet im Hin-
blick auf die himmliſche Gnade und die ewige überirdiſche Se-
[358] ligkeit. Aber die guten Werke kommen bei ihm nicht aus den
Geſinnungen der Tugend ſelbſt. Nicht die Liebe ſelbſt, nicht
der Gegenſtand der Liebe, der Menſch, die Baſis aller
Moral
, iſt die Triebfeder ſeiner guten Handlungen. Nein!
er thut Gutes nicht um des Guten, nicht um des Menſchen,
ſondern um Gottes willen — aus Dankbarkeit gegen Gott,
der Alles für ihn gethan und für den er daher auch ſeinerſeits
wieder Alles thun muß, was nur immer in ſeinem Vermögen
ſteht. Er unterläßt die Sünde, weil ſie Gott, ſeinen Heiland,
ſeinen Wohlthäter beleidigt*). Der Begriff der Tugend iſt
hier der Begriff des vergeltenden Opfers. Gott hat ſich für
den Menſchen geopfert; dafür muß ſich jetzt wieder der Menſch
Gott opfern. Je größer das Opfer, deſto beſſer die Handlung.
Je mehr etwas dem Menſchen, der Natur widerſpricht, je grö-
ßer die Negation, deſto größer auch die Tugend. Dieſen nur
negativen Begriff des Guten hat beſonders der Katholicismus
verwirklicht und ausgebildet. Sein höchſter moraliſcher Be-
griff iſt der des Opfers — daher die hohe Bedeutung der
Verneinung der Geſchlechtsliebe — der Castitas. Die Keuſch-
heit iſt die charakteriſtiſche Tugend des katholiſchen Glau-
bens — deßwegen, weil ſie keine Baſis in der Natur hat —
die überſchwänglichſte, transcendenteſte, phantaſtiſchſte Tugend,
die Tugend des ſupranaturaliſtiſchen Glaubens**) — dem
[359] Glauben die höchſte Tugend, aber an ſich keine Tugend.
Der Glaube macht demnach zur Tugend, was an ſich, ſeinem
Inhalt nach keine Tugend iſt; er hat alſo keinen Tugendſinn;
er muß nothwendig die wahre Tugend herabſetzen, weil er
eine bloße Scheintugend ſo erhöht, weil ihn kein andrer
Begriff als der der Negation, des Widerſpruchs mit der Na-
tur des Menſchen leitet.


Aber obgleich die der Liebe widerſprechenden Handlungen
der chriſtlichen Religionsgeſchichte dem Chriſtenthum entſpre-
chen
, und daher die Gegner des Chriſtenthums recht ha-
ben, wenn ſie demſelben die Greuelthaten der Chriſten
Schuld geben; ſo widerſprechen ſie doch auch zugleich wie-
der dem Chriſtenthum, weil das Chriſtenthum nicht nur eine
Religion des Glaubens, ſondern auch der Liebe iſt, nicht
nur zum Glauben, ſondern auch zur Liebe uns verpflich-
tet. Die Handlungen der Liebloſigkeit*), des Ketzerhaſ-
ſes entſprechen und widerſprechen zugleich dem Chriſten-
thum? Wie iſt das möglich? Allerdings. Das Chri-
ſtenthum ſanctionirt zugleich die Handlungen, die aus der
Liebe
, und die Handlungen, die aus dem Glauben
**)
[360]ohne Liebe kommen. Hätte das Chriſtenthum nur die
Liebe zum Geſetze gemacht
, ſo hätten die Anhänger deſ-
ſelben recht, man könnte ihm die Greuelthaten der chriſtlichen
Religionsgeſchichte nicht als Schuld anrechnen; hätte es nur
den Glauben zum Geſetz gemacht, ſo wären die Vorwürfe
der Ungläubigen unbedingt, ohne Einſchränkung wahr.
Das Chriſtenthum hat die Liebe nicht frei gegeben; ſich nicht
zu der Höhe erhoben, die Liebe abſolut zu faſſen. Und
es hat dieſe Freiheit nicht gehabt, nicht haben können, weil es
Religion iſt — die Liebe daher der Herrſchaft des Glau-
bens
unterworfen. Die Liebe iſt nur die exoteriſche, der
Glaube die eſoteriſche Lehre des Chriſtenthums — die
Liebe nur die Moral, der Glaube aber die Religion der
chriſtlichen Religion.


Gott iſt die Liebe. Dieſer Satz iſt der höchſte des Chri-
ſtenthums. Aber der Widerſpruch des Glaubens und der
Liebe iſt ſchon in dieſem Satze enthalten. Die Liebe iſt nur
ein Prädicat, Gott das Subject. Was iſt aber dieſes Sub-
ject im Unterſchiede von der Liebe? Und ich muß doch
nothwendig ſo fragen, ſo unterſcheiden. Die Nothwendig-
keit der Unterſcheidung wäre nur aufgehoben, wenn es umge-
kehrt hieße: die Liebe iſt Gott, die Liebe das abſolute
Weſen
. So bekäme die Liebe die Stellung der Subſtanz.
In dem Satze: „Gott iſt die Liebe“ iſt das Subject das
Dunkel, hinter welches der Glaube ſich verſteckt; das Prä-
dicat das Licht, das erſt das an ſich dunkle Subject erhellt.
Im Prädicat bethätige ich die Liebe, im Subject den
Glauben
. Die Liebe füllt nicht allein meinen Geiſt aus:
ich laſſe einen Platz für meine Liebloſigkeit offen, indem
ich Gott als Subject denke im Unterſchied vom Prädi-
[361] cat. Der Begriff eines perſönlichen, für ſich ſeienden
Weſens iſt nichts weniger als identiſch mit dem Begriffe der
Liebe; es iſt vielmehr auch Etwas außer und ohne die
Liebe
. Es iſt daher nothwendig, daß ich bald den Gedan-
ken der Liebe verliere, bald wieder den Gedanken des Sub-
jects, bald der Gottheit der Liebe die Perſönlichkeit
Gottes
, bald wieder der Perſönlichkeit Gottes die Liebe
aufopfere. Die Geſchichte des Chriſtenthums hat dieſen Wi-
derſpruch hinlänglich conſtatirt. Der Katholicismus beſon-
ders feierte die Liebe als die weſentliche Gottheit ſo begeiſtert,
daß ihm in dieſer Liebe ganz die Perſönlichkeit Gottes ver-
ſchwand. Aber zugleich opferte er wieder in einer und derſel-
ben Seele der Majeſtät des Glaubens die Liebe auf. Der
Glaube hält ſich an die Selbſtſtändigkeit Gottes; die Liebe
hebt ſie auf. Gott iſt die Liebe, heißt: Gott iſt nichts für
ſich
; wer liebt, gibt ſeine egoiſtiſche Selbſtſtändigkeit auf; er
macht, was er liebt, zum Unentbehrlichen, Weſentlichen ſeiner
Exiſtenz. Der Begriff der Liebe iſt der der Identität.
Aber zugleich taucht doch wieder, während ich in die Tiefe
der Liebe das Selbſt verſenke, der Gedanke des Subjects
auf und ſtört die Harmonie des göttlichen und menſchli-
chen Weſens, welche die Liebe geſtiftet. Der Glaube tritt mit
ſeinen Prätenſionen auf und räumt der Liebe nur ſo viel ein,
als überhaupt einem Prädicat im gewöhnlichen Sinne zukommt.
Er läßt die Liebe ſich nicht frei entfalten; er macht ſie zu
einem Abſtractum, ſich zum Concretum, zur Sache, zum
Fundament. Die Liebe des Glaubens iſt nur eine rheto-
riſche Figur, eine poetiſche Fiction des Glaubens — der be-
trunkne
, der ſich ſelbſt betäubende Glaube. Kommt der
Glaube wieder zu ſich, ſo iſt auch die Liebe dahin.


[362]

Nothwendig mußte ſich dieſer theoretiſche Widerſpruch
auch praktiſch bethätigen. Nothwendig; denn die Liebe iſt
im Chriſtenthum befleckt durch den Glauben, ſie iſt nicht frei,
nicht wahrhaft erfaßt. Eine Liebe, die durch den Glauben
beſchränkt
, iſt eine unwahre Liebe*). Die Liebe kennt kein
Geſetz, als ſich ſelbſt. Sie iſt göttlich durch ſich ſelbſt; ſie
bedarf nicht der Weihe des Glaubens; ſie kann nur durch
ſich ſelbſt begründet
werden. Die Liebe, die durch den
Glauben gebunden, iſt eine engherzige, falſche, dem Be-
griffe der Liebe, d. h. ſich ſelbſt widerſprechende Liebe,
eine ſcheinheilige Liebe, denn ſie birgt den Haß des Glau-
bens in ſich; ſie iſt nur gut, ſo lange der Glaube nicht ver-
letzt wird. In dieſem Widerſpruch mit ſich ſelbſt, verfällt
ſie daher, um den Schein der Liebe zu behalten, auf die
teufliſchſten Sophismen, wie Auguſtin in ſeiner Apologie der
Ketzerverfolgungen. Die Liebe iſt beſchränkt durch den
Glauben
; ſie findet daher auch die Handlungen der Lieb-
loſigkeit
, die der Glaube geſtattet, nicht im Widerſpruch
mit ſich
; ſie legt die Handlungen des Haſſes, die um
des Glaubens willen geſchehen, als Handlungen der Liebe
aus. Und ſie verfällt nothwendig auf ſolche Widerſprüche,
weil es ſchon an und für ſich ein Widerſpruch iſt, daß die
Liebe durch den Glauben beſchränkt iſt. Duldet ſie einmal
dieſe Schranke
, ſo hat ſie ihr eignes Urtheil, ihr einge-
bornes Maaß und Kriterium
, ihre Selbſtſtändigkeit
aufgegeben; ſie iſt den Einflüſterungen des Glaubens
widerſtandlos preis gegeben.


[363]

Hier haben wir wieder ein Exempel, daß Vieles, was
nicht dem Buchſtaben nach in der Bibel ſteht, dem Princip
nach doch in ihr liegt. Wir finden dieſelben Widerſprüche in
der Bibel, die wir im Auguſtin, im Katholicismus überhaupt,
finden, nur daß ſie hier beſtimmt ausgeſprochen werden, eine
augenfällige, darum empörende Exiſtenz bekommen. Die
Bibel verdammt durch den Glauben, begnadigt durch die
Liebe. Aber ſie kennt nur eine auf den Glauben gegründete
Liebe. Alſo auch hier ſchon eine Liebe, die verflucht, eine un-
zuverläſſige Liebe, eine Liebe, die mir keine Garantie gibt, daß
ſie ſich nicht als Liebloſigkeit bewährt; denn anerkenne ich
nicht die Glaubensartikel, ſo bin ich außer das Gebiet und
Reich der Liebe gefallen, ein Gegenſtand des Fluchs, der
Hölle, des Zornes Gottes, dem die Exiſtenz der Ungläubi-
gen ein Aerger, ein Dorn im Auge iſt. Die chriſtliche Liebe
hat nicht die Hölle überwunden, weil ſie nicht den
Glauben überwunden. Die Liebe iſt an ſich ungläu-
big, der Glaube aber lieblos
. Ungläubig aber iſt deß-
wegen die Liebe, weil ſie nichts Göttlicheres kennt als ſich ſelbſt,
weil ſie nur an ſich ſelbſt, als die abſolute Wahrheit glaubt.


Die chriſtliche Liebe iſt ſchon dadurch eine beſondere,
daß ſie chriſtliche iſt, ſich chriſtliche nennt. Aber Univer-
ſalität
liegt im Weſen der Liebe. So lange die chriſtliche
Liebe die Chriſtlichkeit nicht aufgibt, nicht die Liebe ſchlechtweg
zum oberſten Geſetze macht, ſo lange iſt ſie eine Liebe, die den
Wahrheitsſinn beleidigt, denn die Liebe iſt es eben, die den
Unterſchied zwiſchen Chriſtenthum und ſogenanntem Heiden-
*)
[364] thum aufhebt, — eine Liebe, die durch ihre Particularität mit
dem Weſen der Liebe in Widerſpruch tritt, eine abnorme, lieb-
loſe Liebe, die daher längſt auch mit Recht ein Gegenſtand der
Ironie geworden iſt. Die wahre Liebe iſt ſich ſelbſt genug;
ſie bedarf keiner beſondern Titel, keiner Autorität. Die Liebe
iſt das univerſale Geſetz der Intelligenz und Na-
tur
— ſie iſt nichts andres als die Realiſation der Einheit
der Gattung auf dem Wege der Geſinnung. Soll dieſe Liebe
auf den Namen einer Perſon gegründet werden, ſo iſt dieß
nicht möglich, als dadurch, daß mit dieſer Perſon ſuperſti-
tiöſe
Begriffe verbunden werden, ſeien ſie nun religiöſer
oder ſpeculativer Art. Aber mit der Superſtition iſt immer
Particularismus, mit dem Particularismus Fanatismus ver-
bunden. Die Liebe kann ſich nur gründen auf die Einheit der
Gattung, der Intelligenz, auf die Natur der Menſchheit; nur
dann iſt ſie eine gründliche, im Princip geſchützte, garan-
tirte, freie
Liebe, denn ſie ſtützt ſich auf den Urſprung der
Liebe, aus dem ſelbſt die Liebe Chriſti ſtammte. Die Liebe
Chriſti war ſelbſt eine abgeleitete Liebe. Er liebte uns nicht
aus ſich, kraft eigner Vollmacht, ſondern kraft der Natur der
Menſchheit. Stützt ſich die Liebe auf ſeine Perſon, ſo iſt dieſe
Liebe eine beſondere, die nur ſo weit geht, als die An-
erkennung dieſer Perſon
geht, eine Liebe, die ſich nicht auf
den eignen Grund und Boden der Liebe ſtützt. Sollen wir
deßwegen uns lieben, weil Chriſtus uns geliebt? Solche Liebe
wäre affectirte, nachgeäffte Liebe. Können wir nur wahr-
haft lieben, wenn wir Chriſtus lieben? Aber iſt Chriſtus die
Urſache der Liebe? Oder iſt er nicht vielmehr der Apoſtel der
Liebe? nicht der Grund ſeiner Liebe die Einheit der Menſchen-
natur? Soll ich Chriſtus mehr lieben als die Menſchheit?
[365] Aber ſolche Liebe, iſt ſie nicht eine chimäriſche Liebe? Kann ich
über den Begriff der Gattung hinaus? Höheres lieben als die
Menſchheit? Was Chriſtus adelte, war die Liebe; was er war,
hat er von ihr nur zu Lehen bekommen; er war nicht Pro-
prietär
der Liebe, wie er dieß in allen ſuperſtitiöſen Vorſtel-
lungen iſt. Der Begriff der Liebe iſt ein ſelbſtſtändiger Be-
griff, den ich nicht erſt aus dem Leben Chriſti abſtrahire; im
Gegentheil ich anerkenne dieſes Leben nur, weil und wenn
ich es übereinſtimmend finde mit dem Geſetze, dem Begriffe
der Liebe.


Hiſtoriſch iſt dieß ſchon dadurch erwieſen, daß die Idee
der Liebe keineswegs nur mit dem Chriſtenthum und durch
daſſelbe in das Bewußtſein der Menſchheit erſt kam, keines-
wegs eine nur chriſtliche iſt. Sinnvoll gehen der Erſcheinung
dieſer Idee die Greuel des römiſchen Reichs zur Seite. Das
Reich der Politik, das die Menſchheit auf eine ihrem Begriffe
widerſprechende Weiſe vereinte, mußte in ſich zerfallen. Die
politiſche Einheit iſt eine gewaltſame. Roms Despotismus
mußte ſich nach Innen wenden, ſich ſelbſt zerſtören. Aber
eben durch dieſes Elend der Politik zog ſich der Menſch ganz
aus der herzzerdrückenden Schlinge der Politik heraus. An
die Stelle Roms trat der Begriff der Menſchheit, damit an
die Stelle des Begriffs der Herrſchaft der Begriff der Liebe.
Selbſt die Juden hatten in dem Humanitätsprincip der grie-
chiſchen Bildung ihren gehäſſigen religiöſen Separatismus
gemildert. Philo feiert die Liebe als die höchſte Tugend. Es
lag im Begriffe der Menſchheit ſelbſt, daß die nationellen Dif-
ferenzen gelöſt wurden. Der denkende Geiſt hatte ſchon frühe
die civiliſtiſchen und politiſchen Trennungen des Menſchen
vom Menſchen überwunden. Ariſtoteles unterſcheidet wohl den
[366] Menſchen vom Sklaven und ſetzt den Sklaven als Menſchen
auf gleichen Fuß mit dem Herrn, indem er ſelbſt Freundſchaft
zwiſchen beiden ſchließt. Sklaven waren ſelbſt Philoſophen.
Epiktet, der Sklave, war Stoiker; Antonin, der Kaiſer, war
es auch. So einte die Philoſophie die Menſchen. Die Stoi-
ker*) lehrten, der Menſch ſei nicht um ſeinetwillen, ſondern
um der Andern willen, d. h. zur Liebe geboren — ein Aus-
ſpruch, der unendlich mehr ſagt, als das rühmlichſt bekannte,
die Feindesliebe gebietende Wort des Kaiſers Antonin. Das
praktiſche Princip der Stoiker iſt inſofern das Princip der
Liebe. Die Welt iſt ihnen eine gemeinſame Stadt, die Men-
ſchen Mitbürger. Seneca namentlich feiert in den erhabenſten
Ausſprüchen die Liebe, die Clementia, die Humanität beſon-
ders gegen die Sklaven. So war der politiſche Rigorismus,
die patriotiſche Engherzigkeit und Bornirtheit verſchwunden.


Eine beſondere Erſcheinung dieſer menſchheitlichen Be-
ſtrebungen — die volksthümliche, populäre, darum religiöſe
Erſcheinung dieſes neuen Princips war das Chriſtenthum.
Was anderwärts auf dem Wege der Bildung ſich geltend
machte, das ſprach ſich hier als religiöſes Gemüth, als Glau-
bensſache aus. Darum machte das Chriſtenthum ſelbſt wie-
der eine allgemeine Einheit zu einer beſondern, die Liebe
zur Sache des Glaubens, aber ſetzte ſie eben dadurch in Wi-
derſpruch mit der allgemeinen Liebe. Die Einheit wurde nicht
bis auf ihren Urſprung zurückgeführt. Die Nationaldifferen-
zen verſchwanden; dafür tritt aber jetzt die Glaubensdiffe-
renz
, der Gegenſatz von Chriſtlich und Unchriſtlich, hef-
[367] tiger als ein nationeller Gegenſatz, häßlicher auch, in der Ge-
ſchichte auf.


Alle auf eine particuläre Erſcheinung gegründete Liebe
widerſpricht, wie geſagt, dem Weſen der Liebe, als welche keine
Schranken duldet, jede Particularität überwindet. Wir ſollen
den Menſchen um des Menſchen willen lieben. Der Menſch
iſt dadurch Gegenſtand der Liebe, daß er Selbſtzweck, daß er
ein vernunft- und liebefähiges Weſen iſt. Dieß iſt das
Geſetz der Gattung, das Geſetz der Intelligenz. Die Liebe
ſoll eine unmittelbare Liebe ſein, ja ſie iſt nur, als unmit-
telbare
, Liebe. Schiebe ich aber zwiſchen den Andern und
mich, der ich eben in der Liebe die Gattung realiſire, die
Vorſtellung einer Individualität ein, in welcher die Gattung
ſchon realiſirt ſein ſoll, ſo hebe ich das Weſen der Liebe auf,
ſtöre die Einheit durch die Vorſtellung eines Dritten außer
uns; denn der Andere iſt mir dann nur um der Aehnlichkeit
oder Gemeinſchaft willen, die er mit dieſem Urbild hat, nicht
um ſeinetwillen, d. h. um ſeines Weſens willen
Gegen-
ſtand der Liebe. Es kommen hier alle Widerſprüche wieder zum
Vorſchein, die wir in der Perſönlichkeit Gottes haben, wo der
Begriff der Perſönlichkeit nothwendig für ſich ſelbſt, ohne
die Qualität
, welche ſie zu einer liebens- und verehrungs-
würdigen Perſönlichkeit macht, im Bewußtſein und Gemüth
ſich befeſtigt. Die Liebe iſt die ſubjective Realität der Gat-
tung, wie die Vernunft die objective Realität derſelben. In
der Liebe, in der Vernunft
verſchwindet das Bedürfniß
einer Mittelsperſon. Chriſtus iſt ſelbſt nichts als ein Bild,
unter welchem ſich dem Volksbewußtſein die Einheit der
Gattung
aufdrang und darſtellte. Chriſtus liebte die Men-
ſchen: er wollte ſie alle ohne Unterſchied des Geſchlechts, Al-
[368] ters, Standes, der Nationalität beglücken, vereinen. Chriſtus
iſt die Liebe der Menſchheit zu ſich ſelbſt als ein Bild — der
entwickelten Natur der Religion zufolge — oder als eine Per-
ſon — eine Perſon, die aber nur die Bedeutung eines Bildes
hat, nur eine ideale iſt. Darum wird als Kennzeichen der
Jünger die Liebe ausgeſprochen. Die Liebe iſt aber, wie ge-
ſagt, nichts andres als die Bethätigung, die Realiſation der
Einheit der Gattung durch die Geſinnung. Die Gattung iſt
kein Abſtractum; ſie exiſtirt im Gefühle, in der Geſinnung, in
der Energie der Liebe. Die Gattung iſt es, die mir Liebe ein-
flößt. Ein liebevolles Herz iſt das Herz der Gattung. Alſo
iſt Chriſtus als das Bewußtſein der Liebe das Bewußt-
ſein der Gattung
. Alle ſollen wir eines in Chriſtus ſein.
Chriſtus iſt das Bewußtſein unſrer Identität. Wer alſo den
Menſchen um des Menſchen willen liebt, wer ſich zur Liebe
der Gattung erhebt, zur univerſalen, dem Weſen der Gattung
adäquaten Liebe*), der iſt Chriſt, der iſt Chriſtus ſelbſt.
Er thut, was Chriſtus that, was Chriſtus zu Chriſtus
machte. Wo alſo das Bewußtfein der Gattung als Gat-
tung entſteht, da verſchwindet Chriſtus, ohne daß ſein wah-
res Weſen vergeht; denn Er war ja der Stellvertreter des
Bewußtſeins der Gattung, das Bild, unter welchem die Gat-
tung dem Volke das Bewußtſein der Gattung als das Geſetz
ſeines Lebens beibrachte.


[369]

Schlußanwendung.


In dem entwickelten Widerſpruch zwiſchen Glaube und
Liebe haben wir den praktiſchen, handgreiflichen Nöthigungs-
grund, über das Chriſtenthum, über das eigenthümliche We-
ſen der Religion überhaupt uns zu erheben. Wir haben be-
wieſen, daß der Inhalt und Gegenſtand der Religion ein
durchaus menſchlicher iſt, und zwar menſchlicher in dem
doppelten Sinne dieſes Wortes, in welchem es eben ſowohl
etwas Poſitives, als Negatives bedeutet, daß die Religion
nicht nur die Mächte des menſchlichen Weſens, ſondern ſelbſt
auch die Schwachheiten, die ſubjectivſten Wünſche des menſch-
lichen Herzens, wie z. B. in den Wundern, unbedingt be-
jaht — bewieſen, daß auch die göttliche Weisheit menſch-
liche Weisheit
, daß das Geheimniß der Theologie die
Anthropologie, des abſoluten Geiſtes der ſogenannte end-
liche ſubjective Geiſt iſt. Aber die Religion hat nicht das
Bewußtſein von der Menſchlichkeit ihres Inhalts; ſie ſetzt ſich
vielmehr dem Menſchlichen entgegen, oder wenigſtens ſie ge-
ſteht nicht ein
, daß ihr Inhalt menſchlicher iſt. Der noth-
wendige Wendepunkt der Geſchichte iſt daher dieſes offne Be-
kenntniß und Eingeſtändniß
, daß das Bewußtſein Got-
tes nichts andres iſt als das Bewußtſein der Gattung, daß
der Menſch ſich nur über die Schranken ſeiner Individualität
erheben kann und ſoll, aber nicht über die Geſetze, die poſi-
tiven Weſensbeſtimmungen ſeiner Gattung
, daß der
Menſch kein andres Weſen als abſolutes Weſen denken,
ahnden, vorſtellen, fühlen, glauben, wollen, lieben und ver-
ehren kann als das Weſen der menſchlichen Natur*).


Feuerbach. 24
[370]

Unſer Verhältniß zur Religion iſt daher kein nur nega-
tives
, ſondern ein kritiſches; wir ſcheiden nur das Wahre
vom Falſchen — obgleich allerdings die von der Falſchheit
ausgeſchiedene Wahrheit immer eine neue, von der alten we-
ſentlich unterſchiedne
Wahrheit iſt. Die Religion iſt das
erſte Selbſtbewußtſein des Menſchen. Heilig ſind die Reli-
gionen eben weil ſie die Ueberlieferungen des erſten Bewußt-
ſeins ſind. Aber was der Religion das Erſte iſt, Gott, das
iſt an ſich, der Wahrheit nach das Zweite, denn er iſt nur
das ſich gegenſtändliche Weſen des Menſchen und was ihr
das Zweite iſt, der Menſch, das muß daher als das Erſte
geſetzt
und ausgeſprochen werden. Die Liebe zum Men-
ſchen darf keine abgeleitete ſein; ſie muß zur urſprünglichen
werden. Dann allein wird die Liebe eine wahre, heilige,
zuverläſſige
Macht. Hinter die religiöſe Liebe kann ſich,
wie bewieſen, auch der Haß ſicher verbergen. Iſt das Weſen
des Menſchen das höchſte Weſen des Menſchen, ſo muß
auch praktiſch das höchſte und erſte Geſetz die Liebe des
Menſchen zum Menſchen ſein. Homo homini Deus
est
— dieß iſt der oberſte praktiſche Grundſatz — dieß der
Wendepunkt der Weltgeſchichte. Die Verhältniſſe des Kindes
zu den Eltern, des Gatten zum Gatten, des Bruders zum
Bruder, des Freundes zum Freunde, überhaupt des Menſchen
zum Menſchen, kurz, die moraliſchen Verhältniſſe ſind per
se
wahrhaft religiöſe Verhältniſſe. Das Leben iſt
*)
[371] überhaupt in feinen weſentlichen, ſubſtanziellen Verhält-
niſſen durchaus göttlicher Natur. Seine religiöſe Weihe
empfängt es nicht erſt durch den Segen des Prieſters. Die
Religion will durch ihre an ſich äußerliche Zuthat einen Ge-
genſtand heiligen; ſie ſpricht dadurch ſich allein als die heilige
Macht aus; ſie kennt außer ſich nur irdiſche, ungöttliche Ver-
hältniſſe; darum eben tritt ſie hinzu, um ſie erſt zu heiligen,
zu weihen.


Aber die Ehe — natürlich als freier Bund der Liebe —
iſt durch ſich ſelbſt, durch die Natur der Verbindung, die
hier geſchloſſen wird, heilig. Nur die Ehe iſt eine religiöſe,
die eine wahre iſt, die dem Weſen der Ehe, der Liebe ent-
ſpricht. Und ſo iſt es mit allen ſittlichen Verhältniſſen. Sie
ſind nur da moraliſche, ſie werden nur da mit ſittlichem
Sinne gepflogen, wo ſie durch ſich ſelbſt als religiöſe
gelten. Wahrhafte Freundſchaft iſt nur da, wo die Gränzen
der Freundſchaft mit religiöſer Gewiſſenhaftigkeit bewahrt wer-
den, mit derſelben Gewiſſenhaftigkeit, mit welcher der Gläubige
die Dignität ſeines Gottes wahrt. Heilig iſt und ſei Dir die
Freundſchaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das
Wohl jedes Menſchen, aber heilig an und für ſich ſelbſt.


Im Chriſtenthum werden die moraliſchen Geſetze als Ge-
bote Gottes gefaßt; es wird die Moralität ſelbſt zum Kriterium
der Religioſität gemacht; aber die Ethik hat dennoch unterge-
ordnete Bedeutung, hat nicht für ſich ſelbſt die Bedeutung der
Religion. Dieſe fällt nur in den Glauben. Ueber der Moral
ſchwebt Gott als ein vom Menſchen unterſchiedenes Weſen,
dem das Beſte angehört, während dem Menſchen nur der
Abfall zukommt. Alle Geſinnungen, die dem Leben, dem
Menſchen zugewendet werden ſollen, alle ſeine beſten Kräfte
24*
[372] vergeudet der Menſch an das bedürfnißloſe Weſen. Die wirk-
liche
Urſache wird zum ſelbſtloſen Mittel, eine nur vorgeſtellte
imaginäre Urſache zur wahren, wirklichen Urſache. Der Menſch
dankt Gott für die Wohlthaten, die ihm der Andere ſelbſt
mit Opfern
dargebracht. Der Dank, den er ſeinem Wohl-
thäter ausſpricht, iſt nur ein ſcheinbarer, er gilt nicht ihm,
ſondern Gott. Er iſt dankbar gegen Gott, aber undankbar
gegen den Menſchen. So geht die ſittliche Geſinnung in der
Religion unter! So opfert der Menſch den Menſchen Gott
auf! Die blutigen Menſchenopfer ſind in der That nur roh-
ſinnliche Ausdrücke von den Geheimniſſen der Religion. Wo
blutige Menſchenopfer Gott dargebracht werden, da gelten dieſe
Opfer für die höchſten, das ſinnliche Leben für das höchſte
Gut. Deßwegen opfert man das Leben Gott auf, und zwar
in außerordentlichen Fällen; man glaubt damit ihm die größte
Ehre zu erweiſen. Wenn das Chriſtenthum nicht mehr, we-
nigſtens in unſrer Zeit
, blutige Opfer ſeinem Gott dar-
bringt, ſo kommt das nur daher, daß das ſinnliche Leben nicht
mehr für das höchſte Gut gilt. Man opfert dafür Gott die
Seele, die Geſinnung, weil dieſe für höher gilt. Aber das
Gemeinſame iſt, daß der Menſch in der Religion eine Ver-
bindlichkeit gegen den Menſchen — wie die, das Leben des
Andern zu reſpectiren, dankbar zu ſein — einer religiöſen Ver-
bindlichkeit, das Verhältniß zum Menſchen dem Verhältniß zu
Gott aufopfert. Die Chriſten haben durch den Begriff der
Bedürfnißloſigkeit Gottes, die nur ein Gegenſtand der reinen
Anbetung ſei, allerdings viele wüſte Vorſtellungen beſeitigt.
Aber dieſe Bedürfnißloſigkeit iſt nur ein metaphyſiſcher Begriff,
der keineswegs die differentia specifica der Religion begrün-
det. Das Bedürfniß der Anbetung nur auf eine Seite, auf
[373] die ſubjective verlegt, läßt wie jede Einſeitigkeit, das religiöſe
Gemüth kalt; es muß alſo, wenn auch nicht mit ausdrücklichen
Worten, doch der That nach eine dem ſubjectiven Bedürfniß
entſprechende Beſtimmung in Gott geſetzt werden, um Gegen-
ſeitigkeit herzuſtellen. Alle poſitiven Beſtimmungen der Religion
beruhen auf Gegenſeitigkeit*). Der religiöſe Menſch denkt an
Gott, weil Gott an ihn denkt, er liebt Gott, weil Gott ihn
zuerſt geliebt hat u. ſ. w. Gott iſt eiferſüchtig auf den Men-
ſchen — die Religion eiferſüchtig auf die Moral**);
ſie ſaugt ihr die beſten Kräfte aus; ſie gibt dem Menſchen,
was des Menſchen iſt, aber Gott, was Gottes iſt. Und Gottes
iſt die wahre, ſeelenvolle Geſinnung, das Herz.


Wenn wir in Zeiten, wo die Religion heilig war, die
Ehe, das Eigenthum, die Staatsgeſetze reſpectirt finden, ſo
[374] hat dieß nicht in der Religion ſeinen Grund, ſondern in dem
urſprünglich, natürlich ſittlichen und rechtlichen Bewußtſein,
dem die rechtlichen Verhältniſſe als ſolche für heilig gelten.
Wem das Recht nicht durch ſich ſelbſt heilig iſt, dem wird
es nun und nimmermehr durch die Religion heilig. Das Ei-
genthum iſt nicht dadurch heilig geworden, daß es als ein
göttliches Inſtitut vorgeſtellt wurde, ſondern weil es durch ſich
ſelbſt, für ſich ſelbſt für heilig galt, wurde es als ein göttliches
Inſtitut betrachtet. Die Liebe iſt nicht dadurch heilig, daß ſie
ein Prädicat Gottes, ſondern ſie iſt ein Prädicat Gottes, weil
ſie durch und für ſich ſelbſt göttlich iſt. Die Heiden verehren
nicht das Licht, nicht die Quelle, weil ſie eine Gabe Gottes
iſt, ſondern weil ſie ſich durch ſich ſelbſt dem Menſchen als
etwas Wohlthätiges erweiſt, weil ſie den Leidenden erquickt;
ob dieſer trefflichen Qualität erweiſen ſie ihr göttliche Ehre.
Der Unterſchied aber zwiſchen den Heiden und Chriſten iſt nur,
daß dieſe moraliſche oder geiſtige, jene natürliche Gegenſtände
anbeteten.


Wo die Moral auf die Theologie, das Recht auf
göttliche Einſetzung gegründet wird, da kann man die un-
moraliſchſten, unrechtlichſten, ſchändlichſten
Dinge
rechtfertigen und begründen. Ich kann die Moral durch
die Theologie nur begründen, wenn ich ſelbſt ſchon durch die
Moral
das göttliche Weſen beſtimme. Widrigenfalls habe ich
kein Kriterium des Moraliſchen und Unmoraliſchen, ſondern
eine unmoraliſche, willkührliche Baſis, woraus ich alles
Mögliche ableiten kann. Ich muß alſo die Moral, wenn ich
ſie durch Gott begründen will, ſchon in Gott ſetzen, d. h. ich
kann die Moral, das Recht, kurz alle ſubſtanziellen Verhält-
niſſe nur durch ſich ſelbſt begründen, und begründe ſie nur
[375]wahrhaft, ſo wie es die Wahrheit gebietet, wenn ich ſie
durch ſich ſelbſt begründe. Etwas in Gott ſetzen oder aus
Gott ableiten, das heißt nichts weiter als etwas der prüfenden
Vernunft entziehen, ohne Rechenſchaft abzulegen, als etwas
Unbezweifelbares, Unverletzliches, Heiliges hinſtellen. Selbſt-
verblendung, wo nicht ſelbſt böſe, hinterliſtige Abſicht, liegt
darum allen Begründungen der Moral, des Rechts durch die
Theologie zu Grunde. Wo es Ernſt mit dem Recht iſt, be-
dürfen wir keiner Anfeuerung und Unterſtützung von Oben
her. Wir brauchen keine chriſtlichen Könige; wir brauchen
nur Könige, die Könige ſind, groß geſinnt, gerecht und
weiſe*). Das Richtige, Wahre, Gute hat überall ſeinen Hei-
ligungsgrund in ſich ſelbſt, in ſeiner Qualität
. Wo
es Ernſt mit der Ethik iſt, da gilt ſie eben an und für ſich
ſelbſt für eine göttliche Macht. Für das Volk mag ſich aller-
dings der Beſtand der ethiſchen und rechtlichen Verhältniſſe an
den Beſtand der poſitiven Religion knüpfen, aber nur dann,
wann die religiöſen Beſtimmungen, die Beſtimmungen Gottes
ſelbſt ſittliche Beſtimmungen ſind. So kommen wir immer
wieder auf die Begründung des Rechts, der Ethik durch ſich
ſelbſt. Hat die Moral keinen Grund in ſich ſelbſt, ſo gibt es
auch keine innere Nothwendigkeit zur Moral; die Moral iſt
dann der bodenloſen Willkühr der Religion preis gegeben.


Es handelt ſich alſo im Verhältniß der ſelbſtbewußten
Vernunft zur Religion nur um die Vernichtung einer Illu-
ſion
— einer Illuſion aber, die keineswegs indifferent iſt,
[376] ſondern vielmehr grundverderblich auf die Menſchheit wirkt,
den Menſchen, wie um die Kraft des wirklichen Lebens, ſo
um den Wahrheits- und Tugendſinn bringt; denn ſelbſt die
Liebe, an ſich die innerſte, wahrſte Geſinnung, wird durch die
Religioſität zu einer nur ſcheinbaren, illuſoriſchen, indem
die religiöſe Liebe den Menſchen nur um Gotteswillen, alſo
nur ſcheinbar den Menſchen, in Wahrheit nur Gott liebt.


Und wir dürfen nur die religiöſen Verhältniſſe umkehren,
das, was die Religion als Mittel ſetzt, immer als Zweck faſ-
ſen, was ihr das Untergeordnete, die Nebenſache, die Bedin-
gung iſt, zur Hauptſache, zur Urſache erheben, ſo haben wir
die Illuſion zerſtört und das ungetrübte Licht der Wahrheit vor
unſern Augen. Die Sacramente der Taufe und des Abend-
mahls, die weſentlichen, charakteriſtiſchen Symbole der chriſt-
lichen Religion, mögen uns dieſe Wahrheit beſtätigen und
veranſchaulichen.


Das Waſſer der Taufe iſt der Religion nur das Mittel,
durch welches ſich der heilige Geiſt dem Menſchen mittheilt.
Durch dieſe Beſtimmung ſetzt ſie ſich aber mit der Vernunft,
mit der Wahrheit der Natur der Dinge in Widerſpruch. Einer-
ſeits liegt etwas an der objectiven, natürlichen Qualität des
Waſſers, andererſeits wieder nicht, iſt es ein bloßes willkühr-
liches Mittel der göttlichen Gnade und Allmacht. Von dieſen
und andern unerträglichen Widerſprüchen befreien wir uns,
eine wahre Bedeutung geben wir der Taufe nur dadurch, daß
wir ſie betrachten als ein Zeichen von der Bedeutung des
Waſſers
ſelbſt. Die Taufe ſoll uns darſtellen die wunder-
bare, aber natürliche Wirkung des Waſſers auf den Menſchen.
Das Waſſer hat in der That nicht nur phyſiſche, ſondern eben
deßwegen auch moraliſche und intellectuelle Wirkungen auf
[377] den Menſchen. Das Waſſer reinigt den Menſchen nicht nur
vom Schmutze des Leibes, ſondern im Waſſer fallen ihm auch
die Schuppen von den Augen: er ſieht, er denkt klarer; er fühlt
ſich freier; das Waſſer löſcht die Glut unreiner Begierden.
Wie viele Heilige nahmen zu der natürlichen Qualität des
Waſſers ihre Zuflucht, um die Anfechtungen des Teufels zu
überwinden! Was die Gnade verſagte, gewährte die Natur.
Das Waſſer gehört nicht nur in die Diätetik, ſondern auch in
die Pädagogik. Sich zu reinigen, ſich zu baden, iſt ſelbſt
die erſte, obwohl unterſte Tugend *). Im Schauer des Waſ-
ſers erliſcht die Brunſt der Selbſtſucht. Das Waſſer iſt das
nächſte und erſte Mittel, ſich mit der Natur zu befreunden.
Das Waſſerbad iſt gleichſam ein chemiſcher Proceß, in welchem
ſich unſre Ichheit in dem objectiven Weſen der Natur auflöſt.
Der aus dem Waſſer emportauchende Menſch iſt ein neuer,
wiedergeborner Menſch. Die Lehre, daß die Moral nichts
ohne Gnadenmittel vermöge, hat einen guten Sinn, wenn wir
[378] an die Stelle der imaginären übernatürlichen Gnadenmittel
natürliche Mittel ſetzen. Die Moral vermag nichts ohne
die Natur. Die Ethik muß ſich an die einfachſten Naturmittel
anknüpfen. Die tiefſten Geheimniſſe liegen in dem Gemei-
nen
, dem Alltäglichen, was die ſupranaturaliſtiſche Religion
und Speculation ignoriren, die wirklichen Geheimniſſe ima-
ginären, illuſoriſchen Geheimniſſen, ſo hier die wirkliche Wun-
derkraft des Waſſers einer eingebildeten Wunderkraft aufopfernd.
Das Waſſer iſt das einfachſte Gnaden- oder Arzneimittel gegen
die Krankheiten der Seele, wie des Leibes. Aber das Waſſer
wirkt nur, wenn es oft, wenn es regelmäßig gebraucht wird.
Die Taufe als ein einmaliger Act iſt entweder ein ganz nutz-
loſes und bedeutungsloſes, oder, wenn mit ihr reale Wirkungen
verknüpft werden, ein abergläubiſches Inſtitut. Ein vernünf-
tiges, ehrwürdiges Inſtitut iſt ſie dagegen, wenn in ihr die
moraliſche und phyſiſche Heilkraft des Waſſers, der Natur
überhaupt verſinnlicht und gefeiert wird.


Aber das Sacrament des Waſſers bedarf einer Ergän-
zung. Das Waſſer als ein univerſales Lebenselement erinnert
uns an unſern Urſprung aus der Natur, welchen wir mit den
Pflanzen und Thieren gemein haben. In der Waſſertaufe
beugen wir uns unter die Macht der reinen Naturkraft; das
Waſſer iſt der Stoff der natürlichen Gleichheit und Freiheit,
der Spiegel des goldnen Zeitalters. Aber wir Menſchen un-
terſcheiden uns auch von der Pflanzen- und Thierwelt, die
wir nebſt dem unorganiſchen Reiche unter den gemeinſamen
Namen der Natur befaſſen — unterſcheiden uns von der Natur.
Wir müſſen daher auch unſre Diſtinction, unſre ſpecifiſche
Differenz feiern. Die Symbole dieſes unſers Unterſchieds ſind
Wein und Brot. Wein und Brot ſind ihrer Materie nach
[379] Natur-, ihrer Form nach Menſchenproducte. Wenn wir im
Waſſer erklären: der Menſch vermag nichts ohne Natur; ſo
erklären wir durch Wein und Brot: die Natur vermag nichts,
wenigſtens Geiſtiges, ohne den Menſchen; die Natur bedarf
des Menſchen, wie der Menſch der Natur
. Im Waſſer
geht die menſchliche, geiſtige Thätigkeit zu Grunde; im Wein
und Brot kommt ſie zum Selbſtgenuß. Wein und Brot ſind
übernatürliche Producte — im allein gültigen und wahren,
der Vernunft und Natur nicht widerſprechenden Sinne. Wenn
wir im Waſſer die reine Naturkraft anbeten, ſo beten wir im
Weine und Brote die übernatürliche Kraft des Geiſtes,
des Bewußtſeins, des Menſchen an. Darum iſt dieſes Feſt
nur für den zum Bewußtſein gezeitigten Menſchen; die Taufe
wird auch ſchon den Kindern zu Theil. Aber zugleich feiern
wir hier das wahre Verhältniß des Geiſtes zur Natur: die
Natur gibt den Stoff, der Geiſt die Form. Das Feſt der
Waſſertaufe flößt uns Dankbarkeit gegen die Natur ein, das
Feſt des Brotes und Weines Dankbarkeit gegen den Menſchen.
Wein und Brot gehören zu den älteſten Erfindungen. Wein
und Brot vergegenwärtigen, verſinnlichen uns die Wahrheit,
daß der Menſch des Menſchen Gott und Heiland iſt.


Das Eſſen und Trinken ſind die Myſterien des Abend-
mahls — das Eſſen und Trinken ſind in der That an und
für ſich ſelbſt religiöſe Acte; ſie ſollen es wenigſtens ſein.
Denke daher bei jedem Biſſen Brotes, der Dich von der Qual
des Hungers erlöſt, bei jedem Schlucke Wein, der Dein Herz
erfreut, an den Gott, der Dir dieſe wohlthätigen Gaben ge-
ſpendet — an den Menſchen! Aber vergiß nicht über der
Dankbarkeit gegen den Menſchen die Dankbarkeit gegen die
heilige Natur! Vergiß nicht, daß der Wein das Blut der
[380] Pflanze und das Mehl das Fleiſch der Pflanze iſt, welches
dem Wohle Deiner Exiſtenz geopfert wird! Vergiß nicht, daß
die Pflanze Dir das Weſen der Natur verſinnbildlicht, die ſich
liebevoll Dir zum Genuſſe hingibt! Vergiß alſo nicht den Dank,
den Du der natürlichen Qualität des Brotes und Weines
ſchuldeſt! Und willſt Du darüber lächeln, daß ich das Eſſen
und Trinken, weil ſie gemeine, alltägliche Acte ſind, deßwegen
von Unzähligen ohne Geiſt, ohne Geſinnung ausgeübt werden,
religiöſe Acte nenne; nun ſo denke daran, daß auch das Abend-
mahl ein geſinnungsloſer, geiſtloſer Act bei Unzähligen iſt,
weil er oft geſchieht, und verſetze Dich, um die religiöſe Be-
deutung des Genuſſes von Brot und Wein zu erfaſſen, in die
Lage hinein, wo der ſonſt alltägliche Act unnatürlich, gewalt-
ſam unterbrochen wird. Hunger und Durſt zerſtören nicht nur
die phyſiſche, ſondern auch geiſtige und moraliſche Kraft des
Menſchen, ſie berauben ihn der Menſchheit, des Verſtandes,
des Bewußtſeins. O wenn Du je ſolchen Mangel, ſolches
Unglück erlebteſt, wie würdeſt Du ſegnen und preiſen die na-
türliche Qualität des Brotes und Weines, die Dir wieder Deine
Menſchheit, Deinen Verſtand gegeben! So braucht man nur den
gewöhnlichen gemeinen Lauf der Dinge zu unterbrechen, um
dem Gemeinen ungemeine Bedeutung, dem Leben als ſol-
chem
überhaupt religiöſe Bedeutung abzugewinnen. Hei-
lig
ſei uns darum das Brot, heilig der Wein, aber auch
heilig das Waſſer! Amen.


[[381]]

Anhang.


Anmerkungen und Beweisſtellen*).


Gott als Gott iſt das objective Weſen der Ver-
nunft oder des Verſtandes, Gott als Menſch, als
Gegenſtand der Religion, iſt das objective Weſen des
Herzens oder Gemüthes
. Verſtand und Herz oder Ge-
müth — als identiſch mit dem Herzen gedacht — unterſchei-
den ſich aber alſo. Die Vernunft iſt das Selbſtgefühl der
Gattung als ſolcher; das Gemüth das Selbſtgefühl der Indi-
vidualität. Das Herz iſt die Liebe des Menſchen zu den
Seinigen, die Vernunft die Liebe des Menſchen zur Gattung,
die Vernunft iſt der Menſch im Allgemeinen, das Herz der
Menſch in specie, das Herz ein nur perſönliches, die Ver-
nunft ein dingliches Vermögen, das Herz vertritt die
Perſon, die Vernunft die Sache. Ich bin — iſt Sache
des Herzens; Ich denke — Sache des Kopfes. Cogito
ergo sum?
Nein! sentio ergo sum. Fühlen nur iſt mein
Sein
, Denken iſt mein Nichtſein, Denken die Poſition der
Gattung, die Vernunft das Nichts der Perſönlichkeit. Den-
ken iſt ein geiſtiger Selbſtbegattungsact, der populäre Beweis
iſt die Sprache. Sprechen iſt eine gegenſeitige Befruchtung,
[382] Begattung. Nur die Weſen verſtehen ſich, die zu einer Gat-
tung gehören; der Mittheilungstrieb iſt der geiſtige Geſchlechts-
trieb. In der Vernunft ſieht ſich der Menſch im Ganzen ver-
ſchwinden; die Vernunft iſt der Anblick des Sternenhimmels,
der Anblick des Weltmeers, der Anblick einer unbegränz-
ten Ebene, das Gemüth der Anblick des menſchenfreund-
lichen Mondes, der Anblick des ſanftmurmelnden Mühlbaches,
der Anblick eines abgeſchloſſenen eng begränzten Thales. Das
Herz contrahirt, die Vernunft expandirt den Menſchen —
Unterſchiede, die alle nur in der Antitheſe Gültigkeit haben,
denn auch die Vernunft contrahirt, auch das Herz expandirt,
aber in anderer Art. Die Vernunft iſt kalt, weil ſie nicht dem
Menſchen ſchmeichelt, nicht ihm allein das Wort redet; das
Herz aber iſt der Menſch, der nur allein für ſich Partei
nimmt. Das Herz erbarmt ſich wohl auch der Thiere, aber
nur, weil auch das Thier ein Herz hat. Das Herz liebt nur,
was es mit ſich ſelbſt identificirt. Was Du dieſem
Weſen anthuſt, das thuſt Du mir ſelbſt an. Das Herz liebt
überall nur ſich ſelbſt, kommt nicht über ſich hinaus; das Herz
gibt uns nicht den Begriff eines Andern, eines von Uns
Unterſchiedenen. Die Vernunft dagegen erbarmt ſich der
Thiere, nicht weil ſie ſich ſelbſt in ihnen findet oder ſie mit
dem Menſchen identificirt, ſondern weil ſie dieſelben als vom
Menſchen unterſchiedne, nicht nur um des Menſchen willen
exiſtirende, ſondern auch als ſelbſtberechtigte Weſen anerkennt.
Das Herz opfert die Gattung dem Individuum, die Vernunft
das Individuum der Gattung auf. Der Menſch ohne Ge-
müth iſt ein Menſch, der keinen eignen Heerd hat. Das Ge-
müth iſt das Hausweſen, die Vernunft die Res publica
des Menſchen. Die Vernunft iſt die Wahrheit der Na-
tur
, das Herz die Wahrheit des Menſchen. Populä-
rer: die Vernunft iſt der Gott der Natur, das Herz
der Gott des Menſchen. Alles, was der Menſch
wünſcht, aber die Vernunft, aber die Natur verſagt, ge-
währt ihm das Herz. Gott, Unſterblichkeit, Freiheit im ſu-
[383] pranaturaliſtiſchen Sinne exiſtiren nur im Herzen. Das
Herz iſt ſelbſt die Exiſtenz Gottes, die Exiſtenz der
Unſterblichkeit
. Begnügt euch mit dieſer Exiſtenz! Ihr
verſteht euer Herz nicht — das iſt das Uebel. Ihr wollt
eine factiſche, eine äußere, eine objective Unſterblichkeit, einen
Gott außer euch. O welche Täuſchung! —


Aber wie das Herz den Menſchen von den Schranken
und zwar weſenhaften Schranken der Natur erlöſt; ſo erlöſt
dagegen die Vernunft die Natur von den Schranken der
äußerlichen Endlichkeit. Wohl iſt die Natur das Licht und Maaß
der Vernunft — dieß gilt gegen den naturloſen Idealismus.
Nur was natürlich wahr, iſt auch logiſch wahr. Was
keinen Grund in der Natur, hat gar keinen Grund. Was
kein phyſikaliſches, iſt auch kein metaphyſiſches Geſetz. Jedes
wahres Geſetz der Metaphyſik läßt ſich und muß ſich phyſika-
liſch bewähren laſſen. Aber zugleich iſt auch die Vernunft
das Licht der Natur — dieß gilt gegen den geiſt- und ver-
nunftloſen Materialismus. Die Vernunft iſt die zu ſich ſelbſt
gekommene, in integrum ſich reſtituirende Natur der
Dinge
. Die Vernunft reducirt die Dinge aus den Entſtel-
lungen und Veränderungen, die ſie im Drange der Außen-
welt erlitten, auf ihr wahres Weſen zurück. Die meiſten, ja
faſt alle Kryſtalle — um in die Augen fallende Beweiſe zu ge-
ben — kommen in der Natur in noch ganz andern Geſtalten
vor, als in ihrer Grundgeſtalt; ja viele Kryſtalle kommen nie
in ihrer Grundgeſtalt zum Vorſchein. Indeß die Vernunft
der Mineralogie hat die Grundform ausgemittelt. Es iſt
daher nichts thörichter, als die Natur der Vernunft als ein
ihr an ſich unbegreifliches Weſen entgegenzuſetzen. Wenn
die Vernunft die veränderten und verunſtalteten Formen auf
die primitive Grundform zurückführt, thut ſie nicht, was die
Natur ſelbſt im Sinne hatte, aber nur in Folge äußerer Hin-
derniſſe nicht ausführen konnte? Was thut ſie alſo anders
als daß ſie die äußern Störungen, Einflüſſe und Hemmungen
beſeitigt, um ein Ding ſo darzuſtellen, wie es ſein ſoll, das
[384]Daſein der Idee gleich zu machen; denn die Grundgeſtalt
iſt die Idee des Kryſtalls. Ein anderes populäres Beiſpiel.
Der Granit beſteht aus Glimmer, Quarz und Feldſpath.
Aber oft ſind ihm noch andere Steinarten beigemengt. Hät-
ten wir nun keine andern Führer und Docenten als die
Sinne, ſo würden wir ohne Bedenken alle die Steine, die
wir nur immer im Granit finden, auch zu ihm rechnen; wir
würden zu Allem, was uns die Sinne vorſagten, Ja ſagen
und ſo nie zum Begriffe des Granits kommen. Aber die
Vernunft ſagt zu den leichtgläubigen Sinnen: Quod non.
Sie unterſcheidet; ſie ſondert die weſentlichen von den zu-
fälligen
Beſtandtheilen. Die Vernunft iſt die Hebamme
der Natur; ſie explicirt, ſie läutert, ſie corrigirt, ſie be-
richtet
und ergänzt die Natur. Was nun das Weſentliche
vom Unweſentlichen, das Nothwendige vom Zufälligen, das
Eigne vom Fremden ſondert, was das gewaltſam Getrennte
der Einheit und das gewaltſam Vereinte ſeiner Freiheit zurück-
gibt, iſt das nicht göttlichen Weſens? ſolches Thun nicht das
Thun der höchſten, der göttlichen Liebe? nicht das Thun einer
erlöſenden Macht? Und wie wäre es möglich, daß die Ver-
nunft das lautere Weſen der Dinge, den Originaltext der
Natur herſtellte, wenn ſie ſelbſt nicht das lauterſte, reinſte,
originalſte Weſen wäre? Aber die Vernunft hat keine Vor-
liebe für dieſe oder jene Gattung der Dinge. Sie umfaßt mit
gleichem Intereſſe das ganze Univerſum: ſie intereſſirt ſich für
alle Dinge und Weſen ohne Unterſchied, ohne Aus-
nahme
— ſie würdigt den Wurm, den der menſchliche Egois-
mus mit Füßen tritt, derſelben Aufmerkſamkeit, als den Men-
ſchen, als die Sonne am Firmament. Die Vernunft iſt alſo
das allumfaſſende, das allbarmherzige Weſen, die
Liebe des Univerſums zu ſich ſelbſt. Nur der Vernunft
iſt das große Werk der Auferſtehung und Apokataſtaſis aller
Dinge und Weſen, der allgemeinen Erlöſung und Verſöhnung
aufgetragen. Auch nicht das vernunftloſe Thier, auch nicht
die ſprachloſe Pflanze, auch nicht der gefühlloſe Stein ſoll von
[385] dieſem Allerſeligenfeſt ausgeſchloſſen ſein. Aber wie wäre es
möglich, daß ſich die Vernunft für alle Weſen ohne Aus-
nahme intereſſirte, wenn die Vernunft nicht ſelbſt unbeſchränk-
ten, univerſalen Weſens wäre? Iſt es möglich, daß ſich be-
ſchränktes Weſen mit unbeſchränktem Intereſſe oder beſchränktes
Intereſſe mit unbeſchränktem Weſen verträgt? Woraus erkennſt
Du denn die Beſchränktheit des Weſens als eben aus der
Beſchränktheit des Intereſſes? So weit das Intereſſe, ſo
weit erſtreckt ſich das Weſen. Unendlich iſt der Wiſſenstrieb,
unendlich alſo die Vernunft. Die Vernunft iſt die oberſte
Weſensgattung — darum ſchließt ſie alle Gattungen in das
Gebiet des Wiſſens ein. Die Vernunft kann daher der Ein-
zelne nicht in ſich faſſen. Die Vernunft hat nur in der Gat-
tung ihre adäquate Exiſtenz
und zwar in der Gattung,
wie ſie nicht nur in der Vergangenheit und Gegenwart bereits
ſich explicirt hat, ſondern auch in der uns unbekannten Zu-
kunft noch expliciren wird. Woraus man gewöhnlich die
Endlichkeit der Vernunft zu beweiſen ſucht, gerade das beweiſt
ihre Unendlichkeit, wie umgekehrt das, woraus man gewöhn-
lich die Unendlichkeit des Gefühls, des Gemüths oder Herzens
beweiſt, gerade die Beſchränktheit des Gemüths enthüllt. Das
Individuum faßt in ſich das ganze Herz, aber nicht die ganze
Vernunft. Mein Denken, mein Wiſſen iſt beſchränkt, weil
die Vernunft unbeſchränkt iſt, mein Gefühl, mein Herz unbe-
ſchränkt, weil das Herz an ſich ſelbſt beſchränkt iſt, ganz in
mich aufgeht. In der Vernunftthätigkeit fühle ich einen Un-
terſchied
zwiſchen mir und der Vernunft; dieſer Unterſchied
iſt die Gränze der Individualität; im Gefühl fühle ich keinen
Unterſchied zwiſchen mir und dem Herzen; mit dem Unter-
ſchied fällt auch das Gefühl der Beſchränktheit weg. Dieß
ſind freilich wieder Unterſchiede, die nur antithetiſche Gül-
tigkeit haben, denn das Herz des Menſchen als Vernunft-
weſens
iſt ſo unbeſchränkt als die Vernunft ſelbſt, indem
ich nur dafür mich theoretiſch intereſſire, wofür ich Gefühl
habe.


Feuerbach. 25
[386]

Die Vernunft iſt alſo das von den Schranken der End-
lichkeit, des Raums und der Zeit gereinigte Weſen der Na-
tur und des Menſchen in ihrer Identität — das allgemeine
Weſen, der allgemeine Gott; das Herz aber, in ſeiner Dif-
ferenz
von der Vernunft gedacht, der Privatgott des Men-
ſchen. Alle Beſtimmungen Gottes als Gottes, als allgemeinen,
rationaliſtiſchen Weſens, ſind Vernunftbeſtimmungen — alle Be-
ſtimmungen Gottes als religiöſen Gottes ſind Beſtimmungen des
menſchlichen Herzens. Gott iſt das emancipirte, das von
den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur erlöſte Herz des
Menſchen. Das ſchrankenloſe Herz iſt das Gemüth; Gott
das unbeſchränkte Selbſtgefühl des menſchlichen Ge-
müthes
. Damit kommen wir auf die Differenz von Herz
und Gemüth. Das Gemüth im Einklang mit der
Natur
iſt das Herz, das Herz im Widerſpruch mit der
Natur
iſt das Gemüth. Oder: das Herz iſt das objective,
realiſtiſche
Gemüth, dieſes das ſubjective, idealiſtiſche oder
richtiger ſpiritualiſtiſche Herz. Die Thräne, welche die Braut
Chriſti über ihren himmliſchen Bräutigam vergießt, kommt aus
dem Gemüthe, aber die Thräne der realiſtiſchen Braut über
den irdiſchen natürlichen Bräutigam quillt aus dem Herzen.
Das Gemüth iſt transcendenten, übernatürlichen Weſens —
das kranke, das leidende, mit der Natur zerfallene, mit der
Welt entzweite Herz — die Sehnſucht nach Gott und
Unſterblichkeit, oder auch wirklich ſchon, wenn es mit Wil-
lenskraft die Negation der Welt vollbracht hat, keinen Wider-
ſpruch mehr empfindet, der überſchwengliche Genuß himmli-
ſcher Seligkeit und Unſterblichkeit — die Entzückung bis in
den Himmel. Das Herz anerkennt auch, was dem Her-
zen widerſpricht
, anerkennt die Macht des Schickſals, an-
erkennt auch den Tod der Geliebten, aber das Gemüth dul-
det nichts
, was ihm widerſpricht; es iſt das intolerante,
ungebührliche, überſchwengliche, ſich allein, ſich als das ab-
ſolute Weſen, als das Weſen der Weſen ſetzende Herz. Darum
hat das Herz nur wahre, das Gemüth nur ſcheinbare Leiden.
[387] Die Schmerzen des Herzens ſind Thatſachen, die Schmer-
zen des Gemüthes Vorſtellungen. Das Herz blutet, das
Gemüth weint. Chriſtus weint über den Tod des Laza-
rus. Das Herz hat die Natur zur Baſis, es hat phyſio-
logiſche Bedeutung; das Herz iſt eine phyſikaliſche Wahr-
heit
— nicht aber das Gemüth, d. h. das Gemüth gedacht
im Unterſchiede vom Herzen. Das Herz iſt activ, das
Gemüth paſſiv, das Herz hülfreich, das Gemüth troſt-
reich
. Das Herz iſt Leiden als Mitgefühl, als Mitlei-
den, das Gemüth Leiden als Selbſtgefühl, jenes handelt
für Andere, dieſes läßt Andere für ſich handeln. Das
Herz iſt beſtimmtes, das Gemüth unbeſtimmtes Gefühl,
jenes bezieht ſich nur auf wirkliche, dieſes auch auf er-
träumte
Gegenſtände. Das Gemüth iſt das träumeriſche
Herz
. Wenn wir Unſterblichkeit wünſchen aus Liebe zu
Andern
, ſo kommt dieſer Wunſch aus dem Herzen; wenn
wir aber Unſterblichkeit wünſchen um unſretwillen, aus
Mißbehagen, aus Unzufriedenheit mit der wirklichen Welt, ſo
kommt dieſer Wunſch aus dem Gemüthe. Im Herzen
bezieht ſich der Menſch auf Andere, im Gemüthe auf ſich.
Das Herz iſt die Sehnſucht, zu beglücken, das Gemüth,
ſelbſt unendlich glücklich zu ſein. Das Herz befriedigt
ſich nur im Andern, das Gemüth in ſich ſelbſt. Das
in ſich ſelbſt befriedigte Gemüth iſt Gott. Das Mittel-
alter iſt gemüthlich, aber herzlos; der chriſtliche Himmel ge-
müthlich, aber herzlos, denn er hat zur Seite die Hölle des
Glaubens. Das Herz iſt unabhängig vom Chriſtenthum,
ja es löſcht die religiöſen Differenzen aus, denn es iſt
univerſell, umfaßt alle Menſchen, weil es ſelbſt aus der
Gattung, dem gemeinſchaftlichen Urſprung abſtammt. Das
Herz beſeligt auch den Ungläubigen, aber das Gemüth
iſt chriſtlichen Glaubens, hat wenigſtens im chriſtlichen Glau-
ben ſeinen vollen, entſprechenden Ausdruck gefunden. Kurz,
das Herz iſt das philoſophiſche, das rationaliſtiſche, welt-
offne, ſonnenklare
Gemüth; das Gemüth das myſtiſche,
25*
[388] dunkle, weltſcheue Herz — das Herz das Naturrecht des
Menſchen, das Gemüth das willkührliche poſitive Recht.
Allerdings hat auch, wie ſich von ſelbſt verſteht, das Gemüth
Grund in der Natur. Aengſtliche Vorſtellungen z. B. in
Betreff der Zukunft, bange Ahndungen, unbeſtimmte und deß-
wegen namenloſe Gefühle ſind Eigenſchaften des Gemüths.
Allerdings hat auch das Gemüth an und für ſich, abgeſehen
von allen poſitiven Religionen, eine reale Bedeutung. In
dieſer iſt es das in ſich glückliche, das contemplative, ſpecula-
tive Herz. Aber es iſt auch, als weſentlich auf ſich concen-
trirt, das ſich ſelbſt quälende, das nur mit ſich beſchäftigte, das
von ſich fortwollende und doch nicht von ſich fortkommende
Herz. Dieſer bisher gemachte Unterſchied zwiſchen Ge-
müth und Herz iſt keineswegs nur ein willkührlicher. „Ge-
müth ſtammt von muthen, verlangen, wünſchen ab… Es
bezeichnet alſo das innere Principium des Menſchen von der
Seite ſeines geſammten Begehrungsvermögen, der vernünfti-
gen und ſinnlichen und dadurch unterſcheidet es ſich ſowohl
von Geiſt als von Seele.


Nieder am Staube zerſtreun ſich unſre gaukelnden Wünſche,
Eins wird unſer Gemüth droben ihr Sterne bei euch.
(Schiller.)

Das Herz bezeichnet die geſelligen Neigungen, womit wir
an dem Wohl und Wehe Anderer Theil nehmen“ und zwar
nur „die geſelligen Neigungen, die ſich durch Liebe äußern.


Hab ich treu im Buſen Dich getragen,

Dich geliebt, wie je ein Herz geliebt. Horen.“

J. A. Eberhard Synonymik. Art. Geiſt. Der Unterſchied
von Chriſtenthum und Heidenthum oder Philoſophie reducirt
ſich nur auf den Unterſchied von Gemüth und Vernunft oder
richtiger Gemüth und Herz. Denn auch die heidniſchen Phi-
loſophen hatten Herz, Gemüth, aber ihr Gemüth war ſelbſt
ein kosmiſches, realiſtiſches, durch die Natur beſtimm-
tes
; denn ſie hatten ihr Herz in wirklichen Gegenſtänden, in
der Freundſchaft, in der Gattenliebe, in der Familie, während die
[389] Chriſten ihr Gemüth in und als Gott ſelbſt ſetzten. Der
Chriſt findet Gott nicht in der Vernunft; ſie iſt ihm vielmehr
ein atheiſtiſches Weſen, negativ, unbeſtimmt, indirect ausge-
drückt: ſie kann Gott nicht faſſen, nicht begreifen; denn der
Gott, den die Vernunft ſetzt, iſt immer ein Vernunftweſen, das
eigne Weſen der Vernunft. Der Chriſt findet Gott nur im
Gemüthe, eben weil das Gemüth ſein wahrer Gott iſt. Das
Chriſtenthum machte das Herz zu Gott, zum abſoluten,
allmächtigen Weſen
— dieß iſt das Myſterium, welches
den Heiden und Philſophen verſchloſſen war, dieß das ganze
Myſterium des Chriſtenthums, woraus ſich auf eine eben ſo
ungezwungene, als ſpeculative, eben ſo mit der Philoſophie,
als mit der Empirie übereinſtimmende Weiſe alle Erſcheinun-
gen der chriſtlichen Geſchichte von Anbeginn an bis auf
den heutigen Tag erklären laſſen. Hieraus erhellt auch, daß
das Beſtreben unſerer poſitiven Speculanten oder richtiger
Phantaſten, die Rechts-, Staats- und Naturverhältniſſe, kurz
Alles, was dem Gemüthe, dem chriſtlichen Gott wider-
ſpricht
und daher im Himmel, d. i. in der Wahrheit des
Chriſtenthums aufgehoben wird, aus dieſem Gotte abzuleiten,
eben ſo auf einer Ignoranz der Natur, des Staats, des
Rechts, als des Chriſtenthums ſelbſt beruht, daß alſo dieſes
Beſtreben eben ſo unvernünftig, unphiloſophiſch als unchriſt-
lich
iſt. Aber gerade dadurch, daß das Chriſtenthum die na-
turgemäße Beſtimmung und Begränzung des Herzens negirte,
ſetzte es ſich wieder in Widerſpruch mit dem wahren, univer-
ſellen Herzen — das übernatürliche Herz wurde ein unnatür-
liches. Wenn daher in dieſer Schrift Gemüth und Herz bald
als gleichbedeutend gebraucht, bald in dem angegebenen Sinne
unterſchieden werden, ſo trägt die Schuld dieſes Widerſpruchs
keineswegs nur die Willkühr des Verfaſſers und des Sprach-
gebrauchs, der Gemüth bald für den ganzen Menſchen, bald
für Herz ſetzt, ſondern auch der Gegenſtand ſelbſt. Das
Chriſtenthum iſt der Widerſpruch von Herz und Gemüth,
weil der Widerſpruch von Glaube und Liebe. Der Glaube
[390] kommt aus dem Gemüthe, die Liebe aber aus dem
Herzen.


In der Religion bezweckt der Menſch ſich ſelbſt,
oder iſt er ſich ſelbſt als Gegenſtand, als Zweck Got-
tes Gegenſtand. Das Geheimniß der Incarnation
iſt das Geheimniß der Liebe Gottes zum Menſchen,
das Geheimniß der Liebe Gottes aber das Geheimniß
der Liebe des Menſchen zu ſich ſelbſt. Gott leidet —
leidet für mich — dieß iſt der höchſte Selbſtgenuß, die
höchſte Selbſtgewißheit des menſchlichen Gemüths
.
„Alſo hat Gott die Welt geliebet, daß er ſeinen eingebor-
nen Sohn
gab.“ Evangel. Joh. 3, 16. „Iſt Gott für
uns
, wer mag wider uns ſein? welcher auch ſeines eig-
nen Sohnes
nicht hat verſchonet, ſondern hat ihn für uns
Alle dahingegeben.“ Römer 8, 31. 32. „Preiſet Gott ſeine
Liebe gegen uns, daß Chriſtus für uns geſtorben iſt.“
Ebend. 5, 8. „Was ich jetzt lebe im Fleiſch, das lebe ich in
dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebet hat
und ſich ſelbſt für mich dargegeben.“ Galater 2, 20. Siehe
auch Epiſtel an Titum 3, 4. Hebräer 2, 11. Credimus in
unum Deum patrem … et in unum Dominum Jesum
Christum filium Dei … Deum ex Deo … qui propter
nos homines
et propter nostram salutem descendit
et incarnatus et homo factus est passus. Fides Nicae-
nae Synodi
.... Servator … ex praeexcellenti in
homines charitate
non despexit carnis humanae im-
becillitatem, sed ea indutus ad communem venit homi-
num salutem. Clemens Alex. (Stromata l. VII. Ed.
Wircel. 1779.) Christianos autem haec universa docent
providentiam esse, maxime vero divinissimum et
propter excellentiam amoris erga homines incre-
dibilissimum providentiae
opus, dei incarnatio,
quae propter nos facta est. Gregorii Nysseni (Phi-
losophiae l. VIII. de provid. c. I. 1512. B. Rhenanus.
[391] Jo. Cono interp.) Venit siquidem universitatis crea-
tor
et Dominus: venit ad homines, venit propter ho-
mines
, venit homo. Divus Bernardus Clarev. (de
adventu Domini. Basil. 1552.) Plus nos amat Deus
quam filium pater.... Propter nos filio non pe-
percit
. Et quid plus addo? et hoc filio justo et hoc
filio unigenito et hoc filio Deo. Et quid dici amplius
potest? et hoc pro nobis, i. e. pro malis etc. Salvia-
nus
(de gubernatione Dei. Rittershusius 1611. p. 126
—27.) Quid enim mentes nostras tantum erigit et ab
immortalitatis desperatione liberat, quam quod
tanti nos fecit Deus, ut Dei filius … dignatus no-
strum inire consortium mala nostra moriendo perferret.
Petrus Lomb. (lib. III. dist. 20. c. 1.) … Attamen si
illa quae miseriam nescit, misericordia non praeces-
sisset
, ad hanc cujus mater est miseria, non accessis-
set. D. Bernardus (Tract. de XII gradibus hum. et
sup.) Ecce omnia tua sunt, quae habeo et unde tibi ser-
vio. Verum tamen vice versa tu magis mihi servis,
quam ego tibi
. Ecce coelum et terra quae in ministe-
rium hominis creasti, praesto sunt et faciunt quotidie
quaecunque mandasti. Et hoc parum est: quin etiam An-
gelos in ministerium hominis ordinasti. Transcendit au-
tem omnia, quia tu ipse homini servire dignatus es
et te ipsum daturum ei promisisti. Thomas a Kempis
(de imit. l. III. c. 10.) Ego omnipotens et altissimus,
qui cuncta creavi ex nihilo, me homini propter
te humiliter subjeci
..... Pepercit tibi oculus meus,
quia pretiosa fuit anima tua in conspectu meo (ibid.
c. 13.) Fili ego descendi de coelo pro salute tua, suscepi
tuas miserias, non necessitate, sed charitate trahente
(ibid. c. 18.). Si consilium rei tantae spectamus, quod
totum pertinet, ut s. litterae demonstrant, ad salutem
generis humani, quid potest esse dignius Deo, quam illa
tanta hujus salutis cura, et ut ita dicamus, tantus in ea
[392] re sumptus? .... Itaque Jesus Christus ipse cum omni-
bus Apostolis … in hoc mysterio Filii Dei
ἐν σαϱκὶ
φανεϱωϑέντος angelis hominibusque patefactam esse di-
cunt magnitudinem sapientis bonitatis divinae. J. A.
Ernesti. (Dignit. et verit. inc. Filii Dei asserta. Opusc.
Theol. Lipsiae 1773. p.
404—5. Wie matt, wie geiſtlos
gegen die Ausſprüche des alten Glaubens!) Propter me
Christus suscepit meas infirmitates, mei corporis subiit
passiones, pro me peccatum h. e. pro omni homine, pro
me maledictum factus est etc. Ille flevit, ne tu homo
diu fleres. Ille injurias passus est, ne tu injuriam tuam
doleres. Ambrosius (de fide ad Gratianum. l. II. c. 4.).


Deine Monarchieen

Sind es wohl nicht eigentlich,

Die die Herzen ziehen

Wundervolles Herz an Dich

Sondern Dein Menſchwerden

In der Füll der Zeit,

Und Dein Gang auf Erden

Voll Mühſeligkeit.

Dieſes iſt das Große,

Nicht zu überſehn,

Aus des Vaters Schooße

In den Tod zu gehn

Für verlorne Sünder,

O Du höchſtes Gut!

Daß ſie Gottes Kinder

Würden durch Dein Blut.

Unſre Seele lebet,

Unſer ganzes Herze lacht,

Wenn der vor uns ſchwebet

Chriſtus, der uns ſelig macht,

Wenn wir ihn im Bilde

Sehn wie er voll Noth

Sich für uns ſo milde

Hat geblut’t zu Tod,

Weg ihr Herrlichkeiten

Und Du eitle Ehr!

Wer zu allen Zeiten

Nur ein Sünder wär,

Der wär immer ſelig,

Fröhlich und vergnügt,

Weil die Kraft unzählig,

Die im Elend liegt.

[393]
Führſt Du gleich das Steuerruder

Der geſtirnten Monarchie

Biſt Du dennoch unſer Bruder;

Fleiſch und Blut verkennt ſich nie.

Das mächtigſte Gereize,

Davon mein Herz zerfließt,

Iſt, daß mein Herr am Kreuze

Für mich verſchieden iſt.

Das iſt mein eigentlicher Trieb:

Ich liebe Dich für Deine Lieb,

Daß Du Gott Schöpfer, edler Fürſt

Für mich das Lämmlein Gottes wirſt.

O wüßts und glaubts doch Jedermann,

Daß unſer Schöpfer Fleiſch annahm

Und ſeiner armen Menſchen Noth

Zu Liebe ging in bittern Tod.

Und daß er wieder auferſtund

Und für uns droben ſitzt itztund

Als Herr der ganzen Creatur

In unſrer menſchlichen Natur.

Dank ſei Dir theures Gotteslamm

Mit tauſend Sünderthränen,

Du ſtarbſt für mich am Kreuzesſtamm

Und ſuchteſt mich mit Sehnen.

Dein Blut, Dein Blut das hats gemacht,

Daß ich mich Dir ergeben,

Sonſt hätt’ ich nie an Dich gedacht

In meinem ganzen Leben.

Hättſt Du Dich nicht ſelber an mich gehangen,

Ich wär Dich nimmer ſuchen gangen.

O ſüße Seelenweide

In Jeſu Paſſion!

Es regt ſich Schaam und Freude,

Du Gotts und Menſchenſohn,

Wenn wir im Geiſt Dich ſehen

Für uns ſo williglich

Ans Kreuz zum Tode gehen

Und jedes denkt: für mich.

Ich glaubs und fühls im Herzen:

Mein Heiland liebet mich.

[394]
Der Vater nimmt uns in ſeinen Hut,

Der Sohn wäſcht uns mit ſeinem Blut,

Der heilig Geiſt iſt ſtets bemüht,

Daß er uns pfleget und erzieht.

Was hat mein armes Herze

Vor Liebe krank gemacht?

Ach Jeſu Tod und Schmerze,

Darein ich ihn gebracht.

Ach König groß zu aller Zeit

Doch mir niemalen größer

Als in dem blutgen Marterkleid.

Mein Wohlergehn im Herzen

Kommt von den bittern Schmerzen

Des Lammes Gottes her

Ich kann vor Liebesthränen

Der Sache kaum erwähnen;

Ach ſeht nur ſeine Wunden an!

Ihr auserwählten Wunden,

Wie ſeid ihr mir ſo ſchön!

Mein Herz wünſcht alle Stunden

Euch gläubig anzuſehn.

Ach bliebe durch den ſteten Blick

Der Eindruck ſeiner Marter

Recht tief in mir zurück.

Mein Freund iſt mir und ich bin ihm

Wie’s Gnadenſtuhles Cherubim:

Wir ſehn einander immer an,

So viel er mag, ſo viel ich kann.

Er ſucht in meinem Herzen Ruh

Und ich eil immer ſeinem zu:

Er wünſcht zu ſein in meiner Seel

Und ich in ſeiner Seitenhöhl.

Dieſe Lieder ſind entnommen dem „Geſangbuch zum Ge-
brauch der evangeliſchen Brüdergemeine. Gnadau, 1824.“
Wir ſehen an den bisher gegebenen Beiſpielen deutlich genug,
daß das tiefſte Myſterium der chriſtlichen Religion ſich in das
Geheimniß der menſchlichen Selbſtliebe auflöſt, daß aber
die religiöſe Selbſtliebe ſich dadurch von der natürlichen un-
terſcheidet, daß ſie das Activum in ein Paſſivum verwandelt.
[395] Allerdings abhorrirt das tiefere, das myſtiſche religiöſe Gemüth
ſolchen nackten unverhohlenen Egoismus, wie er in den Herrn-
hutiſchen Liedern ausgeſprochen iſt; es reflectirt ſich in Gott
nicht ausdrücklich auf ſich ſelbſt zurück; vielmehr es vergißt,
negirt ſich ſelbſt, fordert ſelbſtloſe, intereſſeloſe Liebe zu Gott,
bezieht Gott auf Gott, nicht auf ſich. Causa diligendi Deum,
Deus est. Modus sine modo diligere.. Qui Domino con-
fitetur, non quoniam sibi bonus est, sed quoniam bonus
est, hic vere diligit Deum propter Deum et non pro-
pter seipsum
. Te enim quodammodo perdere, tan-
quam qui non sis et omnino non sentire te ipsum et a
temetipso exinaniri et pene annullari, coelestis est con-
versationis, non humanae affectionis
(alſo das Ideal der
Liebe, das aber erſt im Himmel realiſirt wird). Bernhardus
Tract. de dilig. Deo (ad Haymericum).
Aber dieſe freie
ſelbſtloſe Liebe iſt nur der Moment der höchſten religiöſen Be-
geiſterung, der Moment der Einigung des Subjects mit dem
Object. So wie der Unterſchied hervortritt — und er tritt
nothwendig hervor — ſo bezieht ſich auch ſogleich das Subject
als Object Gottes auf ſich ſelbſt zurück. Und auch hievon
abgeſehen: das religiöſe Subject negirt nur ſein Ich, ſeine
Perſönlichkeit, weil es in Gott den Genuß der ſeligen Perſön-
lichkeit hat, Gott per se das realiſirte Wohl der Seele, Gott
das höchſte Selbſt- und Wonnegefühl des menſchlichen Ge-
müths iſt. Daher der Ausſpruch: Qui Deum non diligit,
seipsum non diligit.


Weil und wie Gott leidet, ſo und darum muß
auch der Menſch hinwiederum leiden. Die chriſtliche
Religion iſt die Religion des Leidens
.


Videlicet vestigia Salvatoris sequimur in theatris.
Tale nobis scilicet Christus reliquit exemplum, quem
flevisse legimus, risisse non legimus. Salvianus
(l. c. l. VI. §. 181.) Christianorum ergo est pressuram
[396] pati
in hoc saeculo et lugere quorum est aeterna vita.
Origenes
(Explan. in Ep. Pauli ad Rom. l. II. c. II. in-
terp. Hieronymo.) Non est discipulus super magistrum.
Statim sequitur, nec servus super Dominum suum, quia
cum magister et dominus ipse perpessus sit persecutionem
et traditionem et occisionem, multo magis servi et disci-
puli eandem expendere debebunt, ne quasi superiores
exemti de iniquitate videantur, quando hoc ipsum suffi-
cere eis ad gloriam debeat, aequari passionibus Domini
et magistri. Tertulliani Scorpiace. c. IX. Si quidem
aliquid melius et utilius saluti hominum quam pati fuis-
set, Christus utique verbo et exemplo ostendisset …
Quoniam per multas tribulationes oportet nos in-
trare in regnum Dei. Thomas a Kempis
(de imit.
l. II. c. 12.)
Wenn übrigens die chriſtliche Religion als die
Religion des Leidens bezeichnet wird, ſo gilt dieß natürlich
nur von dem Chriſtenthum der alten verirrten Chriſten. Schon
der Proteſtantismus negirte das Leiden Chriſti als ein Mo-
ralprincip
. Der Unterſchied zwiſchen Katholicismus und
Proteſtantismus in dieſer Beziehung beſteht eben darin, daß
dieſer aus Selbſtgefühl ſich nur ans Verdienſt, jener aus
Mitgefühl auch ans Leiden Chriſti, als Gebot und Exem-
pel des Lebens, hielt. „Lämmlein! ich wein nur vor Freu-
den übers Leiden
; das war Deine, aber Dein Verdienſt
iſt meine!“ — „Ich weiß von keinen Freuden, als nur aus
Deinem Leiden.“ — „Es bleibt mir ewiglich im Sinn, daß
Dich’s Dein Blut gekoſtet, daß ich erlöſet bin.“ „O
mein Immanuel! wie ſüß iſt’s meiner Seel’, wenn Du mich
läßt genießen Dein theures Blutvergießen.“ „Sünder wer-
den herzensfroh, daß ſie einen Heiland haben, .... ihnen iſt es
wunderſchön, Jeſum an den Kreuz zu ſehn.“ (Geſangb. d. ev.
Brüdergemeinde). Nicht zu verwundern iſt es daher, wenn die
heutigen Chriſten nichts mehr vom Leiden Chriſti wiſſen wollen.
Die haben ja erſt herausgebracht, was das wahre Chriſtenthum
iſt — ſie ſtützen ſich ja allein auf das göttliche Wort der heiligen
[397] Schrift. Und die Bibel hat, wie männiglich bekannt, die köſtliche
Eigenſchaft, daß man Alles in ihr findet, was man nur immer
finden will. Was einſt, das ſteht natürlich jetzt nicht mehr
drinn. Das Princip der Stabilität iſt längſt auch aus der Bibel
verſchwunden; ſo veränderlich die menſchliche Meinung ſo ver-
änderlich iſt die göttliche Offenbarung. Tempora mutantur.
Davon weiß auch die heilige Schrift ein Lied zu ſingen. Aber
das iſt eben der Vorzug der chriſtlichen Religion, daß man ihr
das Herz aus dem Leibe reißen und doch noch ein guter Chriſt
ſein kann. Nur darf nicht der Name angetaſtet werden. In die-
ſem Punkte ſind auch die heutigen Chriſten noch ſehr empfind-
lich; ja der Name iſt es, worin noch allein die modernen
Chriſten mit den alten übereinſtimmen. Wie einſt der bloße
Name Chriſti Wunder wirkte, ſo auch jetzt noch; aber freilich
Wunder anderer, ja entgegengeſetzter Art. Einſt trieb nämlich
der Name Chriſti den Antichriſten, jetzt treibt er umgekehrt
den Chriſten aus dem Menſchen aus. Siehe über die
Metamorphoſen der chriſtlichen Wunder „Philoſophie und
Chriſtenthum v. L. F.“


Das Geheimniß der Trinität iſt das Geheimniß
des geſellſchaftlichen Lebens
.


Unum Deum esse confitemur. Non sic unum Deum,
quasi solitarium, nec eundem, qui ipse sibi pater, sit
ipse filius, sed patrem verum, qui genuit filium ve-
rum
, i. e. Deum ex Deo … non creatum, sed genitum.
Concil. Chalced
. (Carranza Summa 1559. p. 139.) Si
quis quod scriptum est: Faciamus hominem, non patrem
ad filium dicere, sed ipsum ad semetipsum asserit di-
xisse Deum, anathema sit. Concil. Syrmiense. (ibid.
p. 68.) Professio enim consortii sustulit intelligentiam
singularitatis, quod consortium aliquid nec potest esse
sibi ipsi solitario, neque rursum solitudo solitarii re-
cipit: faciamus … Non solitario convenit dicere: facia-
[398] mus
et nostram. Petrus Lomb. (l. I. dist. 2. c. 3. e.)

Auch die Proteſtanten erklären noch dieſe Stelle ſo: Quod
profecto aliter intelligi nequit, quam inter ipsas trini-
tatis personas
quandam de creando homine institutam
fuisse consultationem J. F. Buddei. (Comp. Inst.
Theol. dog. cur. J. G. Walch. l. II. c. 1. §. 45.)


Die Unterſchiede im göttlichen Weſen der Drei-
einigkeit ſind natürliche, phyſikaliſche Unterſchiede
.
Iam de proprietatibus personarum videamus … Ait Au-
gustinus in libro de fide ad Petrum: Aliud est genuisse
quam natum esse, aliudque est procedere quam genuisse
et natum esse. Unde manifestum est, quod alius est
pater, alius filius, alius spiritus s. Et est proprium
solius patris
, non quod non est natus ipse, sed quod
unum filium genuerit, propriumque solius filii, non
quod ipse non genuit, sed quod de patris essentia
natus est
.... Hylarius in l. III. de trinitate: .... Nos
filii Dei sumus, sed non talis hic filius. Hic enim verus
et proprius est filius origine, non adoptione, veritate,
non nuncupatione, nativitate, non creatione. Petrus L.
(l. I. dist. 26. c.
2 u. 4). Daß auch in der Bibel der Filius Dei
einen wirklichen Sohn bedeutet, das geht unzweideutig aus der
Stelle hervor: „alſo hat Gott die Welt geliebt, daß er ſei-
nen eingebornen Sohn gab.“ Soll die Liebe Gottes, die
uns dieſe Stelle vorhält, eine Wahrheit ſein, ſo muß auch der
Sohn eine und zwar, deutſch geſagt, phyſikaliſche Wahrheit
ſein. Darauf liegt der Accent, daß er ſeinen Sohn für
uns dahin gab — darin nur der Beweis von der Größe ſeiner
Liebe. Richtig trifft daher den Sinn der Bibel das Geſang-
buch der evangeliſchen Brüdergemeinde, wenn es darin „von
dem Vater unſers Herrn Jeſu Chriſti, der auch unſer Vater
iſt“ alſo heißt:


Sein Sohn iſt ihm nicht zu theuer,

Nein! er gibt ihn für mich hin,

Daß er mich vom ew’gen Feuer

Durch ſein theures Blut gewinn.

[399]
Alſo haſt Du die Welt geliebt,

Daß ſich Dein Herz drein ergibt,

Den Sohn, der Deine Freud’ und Leb’n,

In Noth und Tod dahin zu geb’n.

Gott iſt ein in ſich dreifaches, dreiperſönliches Weſen,
heißt: Gott iſt nicht nur ein metaphyſiſches, abſtractes, geiſtiges,
ſondern phyſikaliſches Weſen. Der Centralpunkt der Tri-
nität iſt der Sohn, denn der Vater iſt Vater nur durch den Sohn;
das Geheimniß der Zeugung aber das Geheimniß der Phyſik.
Der Sohn iſt das in Gott befriedigte Bedürfniß der
Sinnlichkeit oder des Herzens
, denn alle Herzenswün-
ſche, ſelbſt der Wunſch eines perſönlichen Gottes, und der
Wunſch himmliſcher Seligkeit ſind ſinnliche Wünſche. Dieß
erhellt beſonders daraus, daß der Sohn auch inmitten der göttli-
chen Dreieinigkeit den menſchlichen Leib zu einem weſentlichen
bleibenden Attribut hat. Ambrosius: scriptum est Ephes. I.:
Secundum carnem igitur omnia ipsi subjecta tra-
duntur. Chrysostomus: Christum secundum carnem
pater jussit a cunctis angelis adorari. Theodoretus:
Corpus dominicum surrexit quidem a mortuis, divina
glorificata gloria .... corpus tamen est et habet, quam
prius habuit, circumscriptionem
.
(S. Concordien-
buchs-Anhang. „Zeugniſſe der h. Schrift und Altväter von
Chriſto“ und Petrus L. l. III. dist. 10. c. 1. 2.) Ueberein-
ſtimmend hiemit ſingt die evangeliſche Brüdergemeine: „Will
in Lieb’ und Glauben Dich ſtets umfaſſen, bis ich, wenn einſt
mein Mund wird erblaſſen, Dich leiblich ſeh.“ „Wir dan-
ken Dir, Herr Jeſu Chriſt, daß Du gen Himmel g’fahren biſt.
Dein Abſchied und was da geſchehn, zielt auf ein fröhlichs
Wiederſehn: Die Reiſe, die das Haupt gethan, iſt gleichfalls
ſeiner Glieder Bahn.“ „Dein’ Augen, Deinen Mund, den
Leib für uns verwundt, drauf wir ſo feſt vertrauen, das werd
ich alles ſchauen
.“


Deßwegen iſt auch der Sohn Gottes der Lieblingsſohn
des menſchlichen Herzens, der Bräutigam der Seele, der
[400] Gegenſtand einer förmlichen, perſönlichen Liebe.
O Domine Jesu, si adeo sunt dulces istae la-
chrymae
, quae ex memoria et desiderio tui ex-
citantur, quam dulce erit gaudium, quod ex manifesta
tui visione
capietur? Si adeo dulce est flere pro te,
quam dulce erit gaudere de te. Sed quid hujusmodi
secreta colloquia proferimus in publicum? Cur ineffabiles
et innarrabiles affectus communibus verbis conamur ex-
primere? Inexperti talia non intelligunt. Zelotypus
est sponsus iste .... Delicatus est sponsus iste. Scala
Claustralium
(sive de modo orandi.
Unter den unächten
Schriften des h. Bernhard.) Luge propter amorem Jesu
Christi, sponsi tui, quousque eum videre possis. (De
modo bene vivendi. Sermo X.
Ebend.)


Der Unterſchied zwiſchen dem ſohnerfüllten oder ſinnlichen
und dem ſohnloſen oder ſinnlichkeitsloſen Gott iſt nichts weiter
als der Unterſchied zwiſchen dem myſtiſchen und dem rationel-
len, vernünftigen Menſchen. Der vernünftige Menſch lebt
und denkt; er ergänzt den Mangel des Denkens durch das
Leben, und den Mangel des Lebens durch das Denken,
ſowohl theoretiſch, indem er aus der Vernunft ſelbſt ſich von
der Realität der Sinnlichkeit überzeugt, als praktiſch, indem
er die Lebensthätigkeit mit der geiſtigen Thätigkeit verbindet.
Was ich im Leben habe, brauche ich nicht im Geiſte, nicht im
metaphyſiſchen Weſen, nicht in Gott zu ſetzen — Liebe, Freund-
ſchaft, Anſchauung, die Welt überhaupt gibt mir, was mir
das Denken nicht gibt, nicht geben kann, aber auch nicht geben
ſoll. Aber eben deßwegen lege ich im Denken die ſinnlichen
Herzensbedürfniſſe beiſeite, um die Vernunft nicht durch Be-
gierden
zu verdunkeln — in der Sonderung der Thätig-
keiten beſteht die Weisheit des Lebens und Denkens — ich
brauche keinen Gott, der mir durch eine myſtiſche, imagi-
näre Phyſik
den Mangel der wirklichen erſetzt. Mein Herz
iſt befriedigt, wenn ich geiſtig thätig bin — ich denke daher
dem ungebehrdigen, ſeine Gränzen überſpringenden, ſich in die
[401] Angelegenheiten der Vernunft ungebührlich einmiſchenden Her-
zen gegenüber kalt, indifferent, abſtract, d. h. frei — ich
denke alſo nicht, um mein Herz zu befriedigen, ſondern um
meine durch das Herz nicht befriedigte Vernunft zu
befriedigen; ich denke nur im Intereſſe der Vernunft, aus rei-
nem Erkenntnißtriebe
, will von Gott nur den Genuß der
lautern, unvermiſchten Intelligenz. Nothwendig iſt daher
der Gott des rationellen Kopfes ein andrer, als der Gott
des nur ſich ſelbſt im Denken, in der Vernunft befriedigen
wollenden Herzens. Und dieß will eben der myſtiſche Menſch,
der nicht das läuternde Feuer der ſcheidenden und begränzenden
Kritik verträgt; denn ſein Kopf iſt ſtets umnebelt von den
Dämpfen, die aus der ungelöſchten Brunſt ſeines begehrlichen
Gemüths aufſteigen. Er kommt nie zum abſtracten, d. h.
intereſſeloſen, freien
Denken, aber eben deßwegen auch nie
zur Anſchauung der Dinge in ihrer einfachen Natür-
lichkeit, Wahrheit und Wirklichkeit
; er identificirt daher,
ein geiſtiger Hermaphrodit und Onaniſt, unmittelbar, ohne
Kritik
das männliche Princip des Denkens und das weib-
liche der ſinnlichen Anſchauung, d. h. er ſetzt ſich einen Gott,
in dem er in der Befriedigung ſeines Erkenntnißtriebes
unmittelbar zugleich ſeinen Geſchlechtstrieb
, d. h. den
Trieb nach einem perſönlichen Weſen befriedigt. So iſt auch
nur aus der Unzucht eines myſtiſchen Hermaphroditismus,
aus einem wollüſtigen Traume, aus einer krankhaften Meta-
ſtaſe des Zeugungsſtoffes in das Hirn das. Monſtrum der
Schelling’ſchen Natur in Gott entſproſſen; denn dieſe Natur re-
präſentirt, wie gezeigt, nichts weiter als die das Licht der In-
telligenz verfinſternden Begierden des Fleiſches.


In Betreff der Trinität noch dieſe Bemerkung. Die äl-
tern Theologen ſagten, daß die weſentlichen Attribute
Gottes als Gottes ſchon aus dem Lichte der natürlichen
Vernunft
erhellten. Warum anders aber kann die Vernunft
aus ſich ſelbſt das göttliche Weſen erkennen, als weil das
göttliche Weſen nichts andres iſt als das eigne objective Weſen
Feuerbach. 26
[402] der Intelligenz? Von der Trinität aber ſagten ſie, daß ſie nur
aus der Offenbarung erkennbar ſei. Warum nicht aus der
Vernunft? weil ſie der Vernunft widerſpricht, d. h. weil ſie
kein Vernunftbedürfniß, ſondern ein ſinnliches, gemüthliches
Bedürfniß ausdrückt. Uebrigens heißt: Etwas ſtammt aus
der Offenbarung, überhaupt nur ſo viel als: Etwas iſt uns
nur auf dem Wege der Tradition zugekommen. Die Dog-
men der Religion ſind entſprungen zu gewiſſen Zeiten, aus
beſtimmten Bedürfniſſen, unter beſtimmten Verhältniſſen und
Vorſtellungen; deßwegen den Menſchen einer ſpätern Zeit,
in der dieſe Verhältniſſe, Bedürfniſſe, Vorſtellungen verſchwun-
den, etwas Unverſtändliches, Unbegreifliches, nur Ueberliefer-
tes, d. h. Geoffenbartes. Der Gegenſatz von Offenbarung und
Vernunft reducirt ſich nur auf den Gegenſatz von Geſchichte
und Vernunft, nur darauf, daß die Menſchheit zu einer ge-
wiſſen Zeit nicht mehr kann, was ſie zu einer andern Zeit
recht gut vermochte, gleichwie auch der Menſch als Individuum
nicht gleichgültig zu jeder Zeit, ſondern nur in den Momenten
beſonderer Aufforderung von Außen und Aufregung von Innen
ſein Vermögen entfaltet. So entſtehen die Werke des Genies
immer nur unter ganz beſondern, nur einmal ſo zuſammentref-
fenden innern und äußern Bedingungen; ſie ſind ἅπαξ λεγό-
μενα. „Einmal iſt alles Wahre nur.“ Daher dem Menſchen
in ſpätern Jahren oft die eignen Werke ganz fremd und unbe-
greiflich vorkommen. Er weiß jetzt nicht mehr, wie er ſie er-
zeugte und erzeugen konnte, d. h. er kann ſie ſich jetzt nicht
mehr aus ſich erklären, noch weniger wieder hervorbringen.
Das ſoll aber auch nicht ſein. Solche Repetition wäre un-
nöthig, und, weil unnöthig, geiſtlos. Wir wiederholen es:
„Einmal iſt alles Wahre nur.“ Nur was einmal, geſchieht
nothwendig, und nur, was nothwendig, iſt wahr. Die
Noth iſt das Geheimniß jeder wahren Schöpfung. Nur wo
Noth, da wirkt Natur, und nur wo Natur, da wirkt Genie,
der Geiſt der unfehlbaren Wahrheit. So thöricht es daher wäre,
wenn wir in reifern Jahren die Werke unſrer Jugend, weil
[403] ihr Inhalt und Urſprung uns fremd und unbegreiflich gewor-
den, aus einer beſondern Inſpiration von Oben her ableiten
wollten; ſo thöricht iſt es, den Lehren und Vorſtellungen einer
vergangenen Zeit deßwegen, weil die nachgekommenen Men-
ſchen ſie nicht mehr in ihrer Vernunft finden, einen die menſch-
lichen Kräfte überſteigenden, einen göttlichen, d. h. imaginären,
illuſoriſchen Urſprung zu vindiciren.


Die Schöpfung aus Nichts drückt die Ungöttlich-
keit, Weſenloſigkeit d. i. die Nichtigkeit der Welt aus.
Das Nichts, aus dem die Welt geſchaffen, iſt ihr eig-
nes Nichts
.


Sanctus Dominus Deus omnipotens in principio, quod
est in te, in sapientia tua, quae nata est de substantia
tua, fecisti aliquid et de nihilo. Fecisti enim coelum et
terram non de te, nam esset aequale unigenito tuo, ac
per hoc et tibi, et nullo modo justum esset, ut aequale
tibi esset, quod in te non esset
. Et aliud praeter te
non erat, unde faceres ea Deus … Et ideo de nihilo fe-
cisti coelum et terram. Augustinus (Confessionum l.
XII. c. 7.) Creatio non est motus, sed simplicis divinae
voluntatis vocatio ad esse eorum, quae antea nihil fue-
runt et secundum seipsa et nihil sunt et ex nihilo
sunt. Albertus M. (de mirab. sci. Dei P. II. Tr. I. Qu. 4.
art. 5. memb. II.) Creatura in nullo debet parificari
Deo, si autem non habuisset initium durationis et esse, in
hoc parificaretur Deo. (ibid. Quaest. incidens I.)


Die Vorſehung iſt das religiöſe Bewußtſein des
Menſchen von ſeinem Unterſchiede von den Thieren,
von der Natur überhaupt
.


„Sorget Gott für die Ochſen?“ Paulus. (1 Korin-
ther 9, 9.) Nunquid curae est Deo bobus? inquit Paulus.
Ad nos ea cura dirigitur, non ad boves, equos, asinos,
qui in usum nostrum sunt conditi. J. L. Vivis Val. (de

26*
[404]veritate fidei chr. Bas. 1544. p. 108.) Nunquid enim
cura est Deo de bobus? Et sicut non est cura Deo de
bobus, ita nec de aliis irrationalibus. Dicit tamen
scriptura
(sapient. 6) quia ipsi cura est de omnibus.
Providentiam ergo et curam universaliter de cunctis,
quae condidit, habet..... Sed specialem providentiam
atque curam habet de rationabilibus. Petrus L. (l. I.
dist. 39. c. 3.)
Hier haben wir wieder ein Beiſpiel, wie die
chriſtliche Sophiſtik ein Product des chriſtlichen Glaubens iſt,
insbeſondere des Glaubens an die Bibel als das Wort Got-
tes. Gott kümmert ſich nicht um die Ochſen; Gott kümmert
ſich um Alles, alſo auch die Ochſen. Das ſind Widerſprüche;
aber das Wort Gottes darf ſich nicht widerſprechen. Wie
kommt nun der Glaube aus dieſem Widerſpruch heraus? Nur
dadurch, daß er zwiſchen die Poſition und Negation des Sub-
jects ein Prädicat einſchiebt, welches ſelbſt zugleich eine Po-
ſition und Negation
, d. h. ſelbſt ein Widerſpruch, eine
theologiſche Illuſion, ein Sophisma, eine Lüge iſt. So hier
das Prädicat: Allgemein. Eine allgemeine Vorſehung iſt
eine illuſoriſche, in Wahrheit keine. Nur die ſpecielle Vor-
ſehung iſt Vorſehung — Vorſehung im Sinne der Religion.


Die Negation der Vorſehung iſt Negation Got-
tes
. Qui ergo providentiam tollit, totam Dei sub-
stantiam
tollit, et quid dicit nisi Deum non esse? … Si
non curat humana, sive sciens, sive nesciens, cessat omnis
causa pietatis, cum sit spes nulla salutis. Joa. Tri-
themius
. (Tract. de providentia Dei.) Nam qui nihil
aspici a Deo affirmant, prope est ut cui adspectum adi-
munt, etiam substantiam tollant. Salvianus (l. c. l.
IV.) Nec sane multum interest, utrum id (Deos esse)
neget, an eos omni procuratione atque actione privet.
Cicero (de Nat. D. II. 16.)
„Ariſtoteles geräth faſt auf
die Meinung, daß, obgleich er Gott nicht ausdrücklich einen
Narren nennt, er ihn doch für einen ſolchen halte, der von
unſern Sachen nichts wiſſe, nichts von unſerm Vorhaben er-
[405] kenne, verſtehe, ſehe, nichts betrachte als ſich ſelbſt. … Aber
was geht uns ein ſolcher Gott oder Herr an? was
vor Nutzen haben wir davon? Luther
(in Walchs Phi-
loſ. Lexikon. Art. Vorſehung.). Die Vorſehung iſt daher der un-
widerſprechlichſte, augenfälligſte Beweis, daß es ſich in der Reli-
gion, im Weſen Gottes ſelbſt um gar nichts andres handelt,
als um den Menſchen, daß das Geheimniß der Theologie
die Anthropologie, der Inhalt, der Gehalt des unendlichen
Weſens das „endliche“ Weſen iſt. Gott ſieht den Men-
ſchen, heißt: der Menſch ſieht ſich nur ſelbſt in Gott; Gott
ſorgt für den Menſchen, heißt: die Sorge des Menſchen für
ſich ſelbſt
iſt ſein höchſtes Weſen. Die Realität Gottes
wird abhängig gemacht von der Thätigkeit Gottes. Ein nicht
activer Gott iſt kein realer, wirklicher Gott. Aber keine Acti-
vität ohne Gegenſtand. Erſt der Gegenſtand macht die Thä-
tigkeit aus einem bloßen Vermögen zu wirklicher Thätigkeit.
Dieſer Gegenſtand iſt der Menſch. Wäre nicht der Menſch,
ſo hätte Gott keine Urſache zur Thätigkeit. Alſo iſt der Menſch
das Bewegungsprincip, die Seele Gottes. Ein Gott, der nicht
den Menſchen ſieht und hört, nicht den Menſchen in ſich hat,
iſt ein blinder und tauber, d. h. müßiger, leerer, inhaltsloſer
Gott. Alſo iſt die Fülle des göttlichen Weſens die Fülle des
menſchlichen — alſo die Gottheit Gottes die Menſchheit.
Ich für mich — das iſt das troſtloſe Geheimniß des Epiku-
reismus, des Stoicismus, des Pantheismus; Gott für
mich
— dieß iſt das troſtreiche Geheimniß der Religion, des
Chriſtianismus. Iſt der Menſch um Gottes, oder Gott um des
Menſchen willen? Allerdings iſt der Menſch in der Religion
um Gottes willen, aber nur weil Gott um des Menſchen wil-
len iſt. Ich für Gott, weil Gott für mich.


Die Vorſehung iſt identiſch mit der Wunder-
macht, die ſupernaturaliſtiſche Freiheit von der Na-
tur, die Herrſchaft der Willkühr über das Geſetz
. Li-
berrime Deus imperat naturae
— Naturam saluti
hominum attemperat propter Ecclesiam.... Omnino tri-
[406] buendus est Deo hic honos, quod possit et velit opitu-
lari nobis, etiam cum a tota natura destituimur, con-
tra seriem
omnium secundarum causarum… Et multa
accidunt plurimis hominibus, in quibus mirandi eventus
fateri eos cogunt, se a Deo sine causis secundis
servatos esse. C. Peucerus (de praecip. Divinat. gen.
Servestae 1591. p. 44.) Ille tamen qui omnium est con-
ditor, nullis instrumentis indiget. Nam si id continuo
fit, quicquid ipse vult, velle illius erit author atque in-
strumentum; nec magis ad haec regenda astris indiget,
quam cum luto aperuit oculos coeci, sicut refert historia
Evangelica. Lutum enim magis videbatur obturaturum
oculos, quam aperturum. Sed ipse ostendere nobis voluit
omnem naturam esse sibi instrumentum ad quid-
vis, quantumcunque alienum. J. L. Vives
(l. c. 102.)


Die Allmacht der Vorſehung iſt die Allmacht des
von allen Determinationen und Naturgeſetzen ſich
entbindenden menſchlichen Gemüths. Dieſe Allmacht
realiſirt das Gebet. Das Gebet iſt allmächtig
.


„Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen....
Des Gerechten Gebet vermag viel. Elias war ein Menſch,
gleichwie wir, und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen
ſollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und ſechs
Monate. Und er betete abermal und der Himmel gab den
Regen und die Erde brachte ihre Frucht.“ Jacobi 5, 15 —
18. „So ihr Glauben habt und nicht zweifelt, ſo werdet
ihr nicht allein ſolches mit dem Feigenbaum thun, ſondern ſo
ihr werdet ſagen zu dieſem Berge: Hebe Dich auf und wirf
Dich ins Meer, ſo wird es geſchehen. Und alles was ihr
bittet im Gebet
, ſo ihr glaubet, ſo werdet ihr es empfan-
gen.“ Matthäi 21, 21—22. Daß unter dieſen Bergen, die
die Kraft des Gebets oder Glaubens überwindet, nicht nur ſo
im Allgemeinen res difficillimae, wie die Exegeten ſagen,
welche dieſe Stelle nur für eine ſprüchwörtliche, hyperboliſche
Redensart der Juden erklären, ſondern vielmehr der Natur
[407] und Vernunft nach unmögliche Dinge
zu verſtehen ſind,
dieß beweiſt eben das Exempel mit dem augenblicklich verdorr-
ten Feigenbaum, auf den ſich dieſe Stelle bezieht. Es iſt hier
unbezweifelbar ausgeſprochen die Allmacht des Gebets, des
Glaubens, vor welcher die Macht der Natur in Nichts ver-
ſchwindet. Mutantur quoque ad preces ea quae ex na-
turae causis
erant sequutura, quemadmodum in Eze-
chia contigit, rege Juda, cui, quod naturales causarum
progressus mortem minabantur, dictum est a propheta
Dei: Morieris et non vives; sed is decursus naturae
ad regis preces mutatus est
et mutaturum se Deus
praeviderat. J. L. Vives (l. c. p. 132.) Saepe fatorum
saevitiam lenit Deus, placatus piorum votis. Melanch-
thon
(Epist. Sim. Grynaeo.)
Celſus fordert die Chriſten
auf, dem Kaiſer zu helfen, nicht den Kriegsdienſt zu verwei-
gern. Darauf erwidert Origenes: Precibus nostris pro-
fligantes omnes bellorum excitatores daemonas et pertur-
batores pacis ac foederum plus conferimus regibus, quam
qui arma gestant pro Republica. Origenes (adv. Cel-
sum. S. Gelenio int. l. VIII.)


Der Glaube iſt die Freiheit und Seligkeit des
Gemüths in ſich ſelbſt. Das ſich in dieſer Freiheit
bethätigende, vergegenſtändlichende Gemüth, die
Reaction des Gemüths gegen die Natur iſt die Will-
kühr der Phantaſie. Die Glaubensgegenſtände wi-
derſprechen daher nothwendig der Natur, nothwen-
dig der Vernunft, als welche die Natur der Dinge
repräſentirt
.


Quid magis contra fidem, quam credere nolle, quid-
quid non possit ratione attingere? … Nam illam quae
in Deum est fides, beatus papa Gregorius negat plane
habere meritum, si ei humana ratio praebeat experimen-
tum. Bernardus
(gegen AbälardEp. ad dom. Papam
Innocentium.) Partus virginis nec ratione colligitur,
[408] nec exemplo monstratur. Quodsi ratione colligitur,
non erit mirabile. Conc. Toletan. XI. Art. IV.
(Summa. Carranza.) Quid autem incredibile, si con-
tra usum originis naturalis
peperit Maria et virgo
permanet: quando contra usum naturae mare vidit et fu-
git atque in fontem suum Jordanis fluenta remearunt?
Non ergo excedit fidem, quod virgo peperit, quando le-
gimus, quod petra vomuit aquas et in montis speciem
maris unda solidata est. Non ergo excedit fidem, quod
homo exivit de virgine, quando petra profluit, scaturivit
ferrum supra aquas, ambulavit homo supra aquas. Am-
brosius
(Epist. L. X. Ep. 81. Edit. Basil. Amerbach.
1492
u. 1516.) Mira sunt fratres, quae de isto sacramento
dicuntur.... Haec sunt quae fidem necessario exigunt,
rationem omnino non admittunt. Bernardus (de Coena
Dom.) Quid ergo hic quaeris naturae ordinem in Chri-
sti corpore, cum praeter naturam sit ipse partus ex
virgine. Petrus Lomb. (l. IV. dist. 10. c. 2.) Laus
fidei est credere quod est supra rationem, ubi homo ab-
negat intellectum
et omnes sensus. (Addit. Hen-
rici de Vurimaria. ibid. dist. 12. c. 5.)


Das Chriſtenthum machte den Menſchen zu einem
außerweltlichen, übernatürlichen Weſen
.


„Wir haben hier keine bleibende Stadt, ſondern die
zukünftige ſuchen wir.“ Hebräer 13, 14. „Der erſte Menſch
Adam iſt gemacht in das natürliche Leben und der letzte Adam
in das geiſtliche Leben. Der erſte Menſch iſt von der Erde und
irdiſch, der andere Menſch iſt der Herr vom Himmel.“ 1. Ko-
rinther 15, 45. 47. „Unſer Wandel (nicht Wandel, ſondern
unſer Indigenat, Heimathsrecht, πολίτευμα civitas aut jus
civitatis
) iſt im Himmel, von dannen wir auch warten des
Heilands Jeſu Chriſti, des Herrn, welcher unſern nichtigen
Leib
verklären wird, daß er ähnlich werde ſeinem verklär-
ten Leibe
, nach der Wirkung, damit er kann auch alle Dinge
[409] ihm unterwürfig machen.“ Philipper 3, 20. 21. Coelum de
mundo: homo supra mundum. Ambrosius (Epist.
1. VI. Ep.
38 nach der cit. Ausg.) Agnosce o homo digni-
tatem tuam, agnosce gloriam conditionis humanae. Est
enim tibi cum mundo corpus .... sed est tibi etiam
sublimius aliquid, nec omnino comparandus es cae-
teris creaturis. Bernardus
(Opp. Basil. 1552. p. 79.)
At Christianus … ita supra totum mundum ascendit, nec
consistit in coeli convexis, sed transcensis mente locis
supercoelestibus ductu divini spiritus velut jam extra
mundum raptus
offert Deo preces. Origenes (con-
tra Celsum. ed. Hoeschelio p. 370.) Totus quidem
iste mundus ad unius animae pretium aestimari
non potest
. Non enim pro toto mundo Deus animam
suam dare voluit, quam pro anima humana dedit.
Sublimius est ergo animae pretium, quae non nisi san-
guine Christi
redimi potest. Medit. devotiss. c. II.

(Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.) Sapiens
anima .... Deum tantummodo sapiens hominem in ho-
mine exuit, Deoque plene et in omnibus affecta, omnem
infra Deum creaturam
non aliter quam Deus atten-
dit. Relicto ergo corpore et corporeis omnibus curis et
impedimentis omnium quae sunt praeter Deum oblivisci-
tur, nihilque praeter Deum attendens quasi se solam,
solumque Deum
existimans etc. De Nat. et Dign.
Amoris divini
c.
14, 15. (Ebend.) Quanta est nobilitas
animae, Christum Jesum habere sponsum. De in-
ter. Domo c.
33. (Ebend.)


Der Cälibat und das Mönchthum — natürlich nur
in ihrer urſprünglichen, religiöſen Bedeutung und Geſtalt —
ſind ſinnliche Erſcheinungen, nothwendige Folgen
von dem ſupernaturaliſtiſchen, extramundanen We-
ſen des Chriſtenthums
.


[410]

Allerdings widerſprechen ſie auch — der Grund davon
iſt ſelbſt implicite in dieſer Schrift ausgeſprochen — dem
Chriſtenthum; aber nur weil das Chriſtenthum ſelbſt ein Wi-
derſpruch iſt. Sie widerſprechen dem exoteriſchen, praktiſchen,
aber nicht dem eſoteriſchen, theoretiſchen Chriſtenthum; ſie wi-
derſprechen der chriſtlichen Liebe, inwiefern dieſe ſich auf den
Menſchen bezieht, aber nicht dem chriſtlichen Glauben,
nicht der chriſtlichen Liebe, inwiefern ſie nur um Gottes willen
die Menſchen liebt, ſich auf Gott, als das außerweltliche,
übernatürliche Weſen, bezieht. Vom Cälibat und Mönchs-
thum ſteht nun freilich nichts in der Bibel. Und das iſt ſehr
natürlich. Im Anfang des Chriſtenthums handelte es ſich nur
um die Anerkennung Jeſu als des Chriſtus, des Meſſias,
nur um die Bekehrung der Heiden und Juden. Und dieſe
Bekehrung war um ſo dringender, je näher man ſich die Zeit
des Gerichts und Weltuntergangs dachte, — alſo periculum
in mora.
Es fehlte überhaupt Zeit und Gelegenheit zum
Stillleben, zur Contemplation des Mönchthums. Nothwendig
waltete daher damals eine mehr praktiſche und auch libera-
lere
Geſinnung vor, als in der ſpätern Zeit, wo das Chri-
ſtenthum bereits zu weltlicher Herrſchaft gelangt und damit
der Bekehrungstrieb erloſchen war. Apostoli (ſagt ganz rich-
tig die Kirche: Carranza l. c. p. 256.) cum fides incipe-
ret
, ad fidelium imbecillitatem se magis demitte-
bant, cum autem evangelii praedicatio sit magis ampliata,
oportet et Pontifices ad perfectam continentiam vitam
suam dirigere.
So wie einmal das Chriſtenthum ſich welt-
lich realiſirte, ſo mußte ſich auch nothwendig die ſupernatura-
liſtiſche, überweltliche Tendenz des Chriſtenthums zu einer
ſelbſt weltlichen Scheidung von der Welt ausbilden. Und
dieſe Geſinnung der Abſonderung vom Leben, vom Leibe, von
der Welt, dieſe erſt hyper-, dann antikosmiſche Tendenz
iſt ächt bibliſchen Sinnes und Geiſtes. Außer den bereits an-
geführten und andern allgemein bekannten Stellen mögen noch
folgende als Beiſpiele daſtehen. „Wer ſein Leben auf dieſer
[411] Welt haſſet, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ Jo-
hannes 12, 25. „Ich weiß, daß in mir, d. i. in meinem
Fleiſche wohnet nichts Gutes.“ Römer 7, 18. 14. (Veteres
enim omnis vitiositatis in agendo origenes ad corpus
referebant. J. G. Rosenmüller Scholia.)
„Weil nun Chri-
ſtus für uns im Fleiſch gelitten hat, ſo wapnet euch auch mit
demſelbigen Sinne, denn wer im Fleiſch leidet, der höret
auf von Sünden.“ 1. Petri 4, 1. „Ich habe Luſt abzu-
ſcheiden und bei Chriſto zu ſein
.“ Philipper 1, 23.
„Wir ſind aber getroſt und haben viel mehr Luſt, außer dem
Leibe
zu wallen und daheim zu ſein bei dem Herrn.“ 2. Ko-
rinth. 5, 8. Die Scheidewand zwiſchen Gott und Menſch iſt
demnach der Leib (wenigſtens der ſinnliche, wirkliche Leib),
der Leib alſo, als ein Hinderniß der Vereinigung mit Gott
etwas Nichtiges, zu Negirendes. Daß unter der Welt, welche
im Chriſtenthum negirt wird, keineswegs nur das eitle Genuß-
leben, ſondern die wirkliche objective Welt zu verſtehen iſt, das
geht auf eine populäre Weiſe ſchon aus dem Glauben hervor,
daß bei der Ankunft des Herrn, d. h. der Vollendung der
chriſtlichen Religion Himmel und Erde vergehen werden. Al-
lerdings erwarteten auch die Juden mit heißer Sehnſucht den
Untergang der beſtehenden Welt. Aber ſtammt denn das Chri-
ſtenthum nicht aus dem Judenthum? Hat das Chriſtenthum
je ſeinen Zuſammenhang mit dieſem ſeinen Urſprung abgebro-
chen, verläugnet? Ueberhaupt, wenn man Alles, was das
Chriſtenthum mit andern Religionen gemein hat, als nicht
chriſtlich von ihm ausmerzen will, was bleibt denn noch von
ihm übrig? — Nichts als ein Nomen proprium.


Nicht zu überſehen iſt der Unterſchied zwiſchen dem Glau-
ben der Chriſten und dem Glauben der heidniſchen Philoſo-
phen an den Untergang der Welt. Der chriſtliche Welt-
untergang
iſt nur eine Kriſis des Glaubens, — die
Scheidung des Chriſtlichen von allem Antichriſtlichen, der
Triumph des Glaubens über die Welt, ein Gottesurthel, ein
antikosmiſcher, ſupernaturaliſtiſcher Act. „Der Him-
[412] mel jetztund und die Erde werden durch ſein Wort geſparet,
daß ſie zum Feuer behalten werden am Tage des Gerichts
und Verdammniß der gottloſen Menſchen.“ 2. Petri 3, 7.
Der heidniſche Weltuntergang iſt eine Kriſis des Kos-
mos ſelbſt
, ein geſetzmäßiger, im Weſen der Natur begrün-
deter Proceß. Sic origo mundi, non minus solem et lu-
nam et vices siderum et animalium ortus, quam quibus
mutarentur terrena, continuit. In his fuit inundatio, quae
non secus quam hiems, quam aestas, lege mundi ve-
nit. Seneca Nat. Qu. l. III. c.
29. Es iſt das der Welt
immanente Lebensprincip, das Weſen der Welt ſelbſt, welches
dieſe Kriſis aus ſich erzeugt. Aqua et ignis terrenis do-
minantur. Ex his ortus et ex his interitus est. (ibid.
c. 28.) Quidquid est, non erit; nec peribit, sed resolve-
tur. (Idem Epist.
71.) Die Chriſten ſchloſſen ſich von
dem Weltuntergang aus
. „Und er wird ſenden Engel
mit hellen Poſaunen und ſie werden ſammeln ſeine Auser-
wählten
von den vier Winden, von einem Ende des Him-
mels bis zu dem andern.“ Matthäi 24, 31. „Und ein Haar
von eurem Haupt ſoll nicht umkommen. Und alsdann wer-
den ſie ſehen des Menſchen Sohn kommen in der Wolke, mit
großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieſes anfähet zu
geſchehen, ſo ſehet auf und hebet eure Häupter auf, darum daß
ſich eure Erlöſung nahet.“ Lucas 21, 18, 27—28. „So
ſeid nun wacker allezeit und betet, daß ihr würdig werden mö-
get zu entfliehen dieſem allen, das geſchehen ſoll und zu ſte-
hen vor des Menſchen Sohn.“ Ebend. 36. Die Heiden
dagegen identificirten ihr Schickſal mit dem Schick-
ſal der Welt
.... Hoc universum, quod omnia divina
humanaque complectitur .... dies aliquis dissipabit et in
confusionem veterem tenebrasque demerget. Eat nunc
aliquis et singulas comploret animas
. Quis tam
superbae impotentisque arrogantiae est, ut in hac natu-
rae necessitate, omnia ad eundem finem revocantis, se
unum ac suos seponi velit. Seneca
Cons. ad Polyb.
[413] c.
20 u. 21. Ergo quandoque erit terminus rebus huma-
nis.... Non muri quenquam, non turres tuebuntur. Non
proderunt templa supplicibus
. (Nat. Qu. L. III.
c.
29.) Hier haben wir alſo wieder den charakteriſtiſchen Un-
terſchied des Heidenthums und Chriſtenthums. Der Heide
vergaß ſich über der Welt, der Chriſt die Welt über ſich.
Wie aber der Heide ſeinen Untergang mit dem Untergang der
Welt, ſo identificirte er auch ſeine Wiederkunft und Unſterb-
lichkeit mit der Unſterblichkeit der Welt. Dem Heiden war der
Menſch ein gemeines, dem Chriſten ein auserleſnes We-
ſen, dieſem die Unſterblichkeit ein Privilegium des Men-
ſchen, jenem ein Commungut, das er ſich nur vindicirte, in-
dem und wiefern er auch andere Weſen daran Theil nehmen
ließ. Die Chriſten erwarteten demnächſt den Weltun-
tergang
, weil die chriſtliche Religion kein kosmiſches Entwick-
lungsprincip in ſich hat — alles was ſich entwickelte im Chri-
ſtenthum, entwickelte ſich nur im Widerſpruch mit ſeinem ur-
ſprünglichen Weſen — weil mit der Exiſtenz Gottes im Fleiſch,
d. h. mit der unmittelbaren Identität des Weſens der Gat-
tung mit dem Individuum Alles erreicht, der Lebensfaden der
Geſchichte abgeſchnitten, kein andrer Gedanke der Zukunft übrig
war, als der Gedanke an eine Repetition, an die Wiederkunft
des Herrn. Die Heiden dagegen verlegten den Welt-
untergang in die ferne Zukunft
, weil ſie, lebend in der
Anſchauung des Univerſums, nicht um ihretwillen Himmel
und Erde in Bewegung ſetzten, weil ſie ihr Selbſtbewußtſein
erweiterten und befreiten durch das Bewußtſein der Gat-
tung
, die Unſterblichkeit nur ſetzten in die Fortdauer der Gat-
tung, die Zukunft alſo nicht ſich reſervirten, ſondern den kom-
menden Generationen übrig ließen. Veniet tempus quo
posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur
.
Seneca (Nat. Quae. l. 7. c.
25.) Wer die Unſterblichkeit in ſich
ſetzt
, hebt das geſchichtliche Entwicklungsprincip auf. Die Chri-
ſten warten zwar nach Petrus einer neuen Erde und eines neuen
Himmels. Aber mit dieſer chriſtlichen Erde iſt nun auch das
[414] Theater der Geſchichte für immer geſchloſſen, das Ende der
wirklichen Welt gekommen. Die Heiden dagegen ſetzen
der Entwicklung des Kosmos keine Gränze, ſie laſſen die Welt
nur untergehen, um wieder verjüngt als wirkliche Welt zu er-
ſtehen, gönnen ihr ewiges Leben. Der chriſtliche Weltunter-
gang war eine Gemüthsſache, ein Object der Furcht und
Sehnſucht, der heidniſche eine Sache der Vernunft und Na-
turanſchauung.


Die unbefleckte Jungfräulichkeit iſt das Princip
des Heils, das Princip der neuen, chriſtlichen Welt
.


Virgo genuit mundi salutem; virgo peperit vi-
tam universorum… Virgo portavit, quem mundus iste
capere aut sustinere non potest
.... Per virum
autem
et mulierem caro ejecta de paradiso: per
virginem juncta est Deo. Ambrosius
(Ep. L. X.
Ep. 82.) Jure laudatur bona uxor, sed melius pia virgo
praefertur, dicente Apostolo (I. Cor. 7.). Bonum con-
jugium, per quod est inventa posteritas successionis hu-
manae; sed melius virginitas, per quam regni coele-
stis haereditas acquisita et coelestium meritorum reperta
successio. Per mulierem cura successit: per virginem
salus evenit
.
(Derſ. Ep. 81.) Castitas jungit hominem
coelo..... Bona est castitas conjugalis, sed melior est
continentia vidualis. Optima vero integritas virgi-
nalis. De modo bene vivendi
. Sermo
22. (Unter
den unächten Schriften Bernhards) Pulchritudinem ho-
minis non concupiscas (ibid. S. 23.). Fornicatio major
est omnibus peccatis … Audi beati Isidori verba:
Fornicatione coinquinari deterius est omni peccato. (ibid.)
Virginitas cui gloriae merito non praefertur? Angelicae?
Angelus habet virginitatem, sed non carnem, sane feli-
cior, quam fortior in hac parte. Bernhardus (Ep. 113.
ad Sophiam Virginem). Memento semper, quod para-
disi colonum de possessione sua mulier ejecerit.
Hieronymus
(Ep. Nepotiano.)


[415]

Wenn nun aber die Enthaltung von der Befriedigung
des Geſchlechtstriebes die Negation der Geſchlechtsdifferenz und
folglich der Geſchlechtsliebe — denn was iſt dieſe ohne jene?
— das Princip des chriſtlichen Himmels und Heils iſt; ſo iſt
nothwendig die Befriedigung des Geſchlechtstriebes, der Ge-
ſchlechtsliebe, worauf ſich die Ehe gründet, die Quelle der
Sünde und des Uebels
. So iſt es auch. Das Geheimniß
der Erbſünde iſt das Geheimniß der Geſchlechtsluſt. Alle Men-
ſchen ſind in Sünden empfangen, weil ſie mit ſinnlicher, d. i.
natürlicher Freude und Luſt empfangen wurden. Der Zeu-
gungsact iſt, als ein genußreicher ſinnlicher, ein ſündiger Act.
Die Sünde pflanzt ſich fort von Adam an bis auf uns herab,
lediglich weil die Fortpflanzung der natürliche Zeugungsact iſt.
Dieß alſo das große Geheimniß der chriſtlichen Erbſünde.
Atque hic quam alienus a vero sit, etiam hic reprehen-
ditur, quod voluptatem in homine Deo authore crea-
tam asserit principaliter. Sed hoc divina scriptura redar-
guit, quae serpentis insidiis atque illecebris infusam
Adae atque Evae voluptatem docet, siquidem ipse ser-
pens voluptas
sit .... Quomodo igitur voluptas ad pa-
radisum revocare nos potest, quae sola nos paradiso
exuit? Ambrosius (Ep. L. X. Ep. 82). Voluptas ipsa
sine culpa nullatenus esse potest. Petrus L. (l. IV.
dist. 31. c. 5.) Omnes in peccatis nati sumus, et ex car-
nis delectatione
concepti culpam originalem nobiscum
traximus. Gregorius (Petrus L. l. II. dist. 30. c. 2.)
Firmissime tene et nullatenus dubites omnem hominem,
qui per concubitum viri et mulieris concipitur, cum
originali peccato nasci .... Ex his datur intelligi, quid
sit originale peccatum
scl. vitium concupiscentiae,
quod in omnes concupiscentialiter natos per Adam intra-
vit. (ibid. c.
3. ſ. auch dist. 31. c. 1.) Peccati causa ex
carne
est. Ambrosius (ibid.) Homo natus de muliere
et ob hoc cum reatu. Bernhardus (de consid. l. II.)
Peccatum quomodo non fuit, ubi libido non defuit? ....
[416] Quo pacto, inquam aut sanctus asseretur conceptus, qui
de spiritu s. non est, ne dicam de peccato est?
Derſ.
(Epist. 174. Edit. cit.)


Es erhellt hieraus zur Genüge, daß die fleiſchliche Ver-
miſchung an und für ſich ſelbſt das Grundübel der Menſchheit
und folglich die Ehe, inwiefern ſie auf den Geſchlechts-
trieb ſich gründet
, ehrlich herausgeſagt, ein Product des
Teufels iſt. Der Chriſt hat freilich geſagt, daß den Reinen
alles rein, daß alle Creatur als Geſchöpf Gottes gut ſei.
Aber aus demſelben Munde, der dieſen Satz ausgeſprochen,
iſt der entgegengeſetzte gekommen, daß wir alle von Natur
φύσει Kinder des Zornes Gottes ſind. Wäre wirklich
und wahrhaft das Natürliche als das Gute anerkannt, ſo
würde das Chriſtenthum mit allen ſeinen übernatürlichen Leh-
ren und Gnadenmitteln zuſammenſtürzen, als welche eben die
Verdorbenheit der Natur zur Vorausſetzung haben. Wohl iſt
die Creatur als Geſchöpf Gottes gut, aber ſo, wie ſie erſchaf-
fen worden, ſo exiſtirt ſie ja längſt ſchon nicht mehr. Der
Teufel hat die Creatur Gott abſpenſtig gemacht und bis in den
Grund hinein verdorben. „Verflucht ſei der Acker um deinet-
willen.“ Der Fall der Creatur iſt aber nur eine Hypotheſe,
wodurch ſich der Glaube den läſtigen, beunruhigenden Wider-
ſpruch, daß die Natur ein Product Gottes iſt und dennoch ſo,
wie ſie wirklich iſt, ſich nicht mit Gott, d. h. dem chriſtlichen
Gemüthe zuſammenreimen läßt, aus dem Sinne ſchlägt.


Allerdings hat das Chriſtenthum nicht das Fleiſch als
Fleiſch, die Materie als Materie für etwas Sündhaftes, Un-
reines erklärt, im Gegentheil aufs heftigſte gegen die Ketzer,
welche dieſes ausſprachen und die Ehe verwarfen, geeifert (ſ.
z. B. Clemens Alex. Stromata lib. III. und den h. Bernhard:
Super Cantica. Sermo 66.) — übrigens, auch ganz abge-
ſehen von dem Haß gegen die Ketzer, der ſo häufig die
heilige chriſtliche Kirche inſpirirte und ſo weltklug machte, aus
Gründen, aus denen keineswegs die Anerkennung der Natur
als ſolcher folgte, und unter Beſchränkungen, d. i. Nega-
[417] tionen
, welche dieſe Anerkennung der Natur zu einer nur
ſcheinbaren, illuſoriſchen machen. Der Unterſchied zwiſchen
den Ketzern und Rechtgläubigen iſt nur der, daß dieſe indi-
rect
, verſchlagen, heimlich ſagten, was jene unumwunden,
direct, aber eben deßwegen auf eine anſtößige Weiſe aus-
ſprachen. Von der Materie läßt ſich die Luſt nicht abſondern.
Die materielle Luſt iſt nichts weiter als, ſo zu ſagen, die
Freude der Materie an ſich ſelbſt, die ſich ſelbſt bethä-
tigende
Materie. Jede Freude iſt Selbſtbethätigung, jede
Luſt Kraftäußerung, Energie. Jede organiſche Function
iſt im normalen Zuſtande mit Wohlluſt verbunden — ſelbſt
das Athmen iſt ein wohllüſtiger Act, der nur deßwegen nicht
als ſolcher empfunden wird, weil er ein ununterbrochener
Proceß iſt. Wer daher nur die Zeugung, die fleiſchliche Ver-
miſchung als ſolche, überhaupt das Fleiſch als ſolches für rein,
aber das ſich ſelbſt genießende Fleiſch, die mit ſinnlicher
Luſt
verknüpfte fleiſchliche Vermiſchung für Folge der Erb-
ſünde
und folglich ſelbſt für Sünde erklärt, der anerkennt
nur das todte, aber nicht lebendige Fleiſch, der macht
uns einen blauen Dunſt vor, der verdammt, verwirft den
Zeugungsact, die Materie überhaupt, aber unter dem
Scheine
, daß er ſie nicht verwirft, daß er ſie anerkennt.
Die nicht heuchleriſche, nicht verſtellte — die offenherzige,
aufrichtige Anerkennung der Sinnlichkeit iſt die Anerkennung
des ſinnlichen Genuſſes. Kurz wer, wie die Bibel, wie die
Kirche, nicht die Fleiſchesluſt anerkennt — verſteht ſich die
natürliche, nicht die widernatürliche — der anerkennt nicht
das Fleiſch
. Was nicht als Selbſtzweck — keineswegs
darum auch als letzter Zweck — anerkannt wird, das wird
nicht anerkannt. Wer mir den Wein nur als Arznei erlaubt,
verbietet mir den Genuß des Weines. Komme man nicht
mit der freigebigen Spendung des Weines auf der Hochzeit zu
Cana. Denn dieſe Scene verſetzt uns ja unmittelbar durch
die Verwandlung des Waſſers in Wein über die Natur hinaus,
auf das Gebiet des Supernaturalismus. Wo, wie im Chri-
Feuerbach. 27
[418] ſtenthum, als der wahre, ewige Leib ein ſupernaturaliſtiſcher,
ſpiritualiſtiſcher Leib geſetzt wird, d. h. ein Leib, von dem alle
objectiven, ſinnlichen Triebe, alles Fleiſch weggelaſſen iſt,
da wird die wirkliche, d. i. die ſinnliche, fleiſchliche Materie
negirt, als nichtig geſetzt.


Allerdings hat das Chriſtenthum nicht die Eheloſigkeit —
freilich ſpäter für die Prieſter — zu einem Geſetz gemacht.
Aber eben deßwegen, weil die Keuſchheit oder vielmehr die
Ehe-, die Geſchlechtsloſigkeit die höchſte, überſchwänglichſte,
ſupernaturaliſtiſchſte, die κατ̕ ἐξοχὴν himmliſche Tugend iſt, ſo
kann und darf ſie nicht zu einem gemeinen Pflichtobject
erniedrigt werden; ſie ſteht über dem Geſetze, ſie iſt die Tu-
gend der chriſtlichen Gnade und Freiheit
. Virginitas
non est jussa, sed admonita, quia nimis est excelsa.
De modo bene viv
. Sermo 21.... Et qui matrimonio jun-
git virginem suam, benefacit, et qui non jungit melius
facit
. Quod igitur bonum est, non vitandum est, et quod
est melius, eligendum est. Itaque non imponitur, sed pro-
ponitur. Et ideo bene Apostolus dixit: De virginibus autem
praeceptum non habeo, consilium autem do. Ubi prae-
ceptum est, ibi lex est, ubi consilium, ibi gratia est ....
Praeceptum enim castitatis est, consilium integritatis. …
Sed nec vidua praeceptum accipit, sed consilium. Con-
silium autem non semel datum, sed saepe repetitum.
Ambrosius
(Liber de viduis).
Das heißt: die Eheloſig-
keit iſt kein Geſetz im gemeinen oder jüdiſchen, aber ein Geſetz im
chriſtlichen Sinne oder für den chriſtlichen Sinn, welcher die
chriſtliche Tugend und Vollkommenheit ſich zu Gewiſſen, zu
Gemüthe zieht, kein gebieteriſches, ſondern vertrauliches, kein
offenbares, ſondern ein heimliches, eſoteriſches Geſetz — ein
bloßer Rath, d. h. ein Geſetz, das ſich nicht als Geſetz auszu-
ſprechen wagt, ein Geſetz nur für den feiner Fühlenden, nicht
für die große Maſſe. Du darfſt heirathen; ja wohl! ohne alle
Furcht, eine Sünde zu begehen, d. h. eine offenbare, namhafte,
plebejiſche Sünde; aber deſto beſſer thuſt Du, wenn Du nicht
[419] Dich verheiratheſt; indeß das iſt nur mein unmaaßgeblicher,
freundſchaftlicher Rath. Omnia licent, sed non omnia ex-
pediunt.
Was im Vorderſatze zugegeben, das wird im Nach-
ſatz widerrufen. Licet, ſagt der Menſch, non expedit, ſagt
der Chriſt. Aber nur was für den Chriſten gut, iſt für den
Menſchen, wofern er ein chriſtlicher ſein will, das Maaß des
Thuns und Laſſens. Quae non expediunt, nec licent
ſo ſchließt das Gefühl des chriſtlichen Adels. Die Ehe iſt daher
nur eine Indulgenz gegen die Schwachheit oder vielmehr Stärke
des Fleiſches, ein Naturnachlaß des Chriſtenthums, ein Abfall
von dem wahrhaft, dem vollendet chriſtlichen Sinn; aber in-
ſofern gut, löblich, heilig ſelbſt, als ſie das beſte Arzneimittel
gegen die Fornicatio iſt. Um ihrer ſelbſt willen, als Selbſt-
genuß der Geſchlechtsliebe, wird ſie nicht anerkannt, nicht ge-
heiligt; — alſo iſt die Heiligkeit der Ehe im Chriſtenthum nur
Scheinheiligkeit, nur Illuſion, denn was man nicht um
ſein ſelbſt willen anerkennt, wird nicht anerkannt, aber mit
dem trügeriſchen Scheine, daß es anerkannt wird. Die
Ehe iſt ſanctionirt, nicht um das Fleiſch zu heiligen und be-
friedigen, ſondern um das Fleiſch zu beſchränken, zu unter-
drücken, zu tödten, — um durch den Teufel den Teufel aus-
zutreiben. „Es iſt beſſer freyen, denn Brunſt leiden.“ 1 Ko-
rinther 7, 9. Aber wie viel beſſer iſt, ſagt Tertullian, dieſen
Spruch entwickelnd, weder freyen noch Brunſt leiden. … Pos-
sum dicere quod permittitur, bonum non est (ad Uxo-
rem l. I. c. 3.). De minoribus bonis est conjugium, quod
non meretur palmam, sed est in remedium. … Prima
institutio habuit praeceptum, secunda indulgentiam.
Didicimus enim ab Apostolo, humano generi propter vi-
tandam fornicationem indultum esse conjugium. Petrus
Lomb
. (l. IV. dist. 26. c.
2.) Die chriſtliche Sophiſtik
wird dagegen erwidern, daß nur die nicht chriſtliche Ehe, nur
die nicht vom Geiſte des Chriſtenthums conſecrirte, d. h. mit
frommen Bildern verblümte Natur unheilig ſei. Allein wenn
die Ehe, wenn die Natur erſt durch die Beziehung auf Chriſtus
27*
[420] geheiligt wird, ſo iſt eben damit nicht ihre Heiligkeit, ſondern
nur die Heiligkeit des Chriſtenthums ausgeſprochen, ſo iſt die
Ehe, die Natur an und für ſich ſelbſt unheilig. Und was
iſt denn der Heiligenſchein, womit das Chriſtenthum die Ehe
umgibt, um den Verſtand zu benebeln, anders als eine fromme
Illuſion? Kann der Chriſt ſeine ehelichen Pflichten erfüllen,
ohne nolens volens der heidniſchen Liebesgöttin zu opfern,
ohne ſinnliche Erregung, ohne Fleiſchesluſt? Ja wohl. Der
Chriſt hat nur zum Zweck die Bevölkerung der chriſtlichen
Kirche, nicht die Befriedigung des Fleiſches, die Befriedigung
der Liebe. Der Zweck iſt heilig, aber das Mittel an ſich ſelbſt
unheilig. Und der Zweck heiligt, entſchuldigt das Mittel.
Conjugalis concubitus generandi gratia non habet culpam.
Der Chriſt, wenigſtens der wahre, negirt alſo, wenigſtens ſoll
er negiren die Natur, indem er ſie befriedigt; er will nicht, er
verſchmäht vielmehr das Mittel für ſich ſelbſt, er will nur
den Zweck in abstracto; er thut mit religiöſem, ſuprana-
turaliſtiſchen Abſcheu
, was er, aber widerwillig, mit na-
türlicher, ſinnlicher Luſt thut
. Der Chriſt geſteht ſich
nicht offenherzig ſeine Sinnlichkeit ein, er verläugnet vor ſeinem
Glauben die Natur und hinwiederum vor der Natur ſeinen Glau-
ben, d. h. er desavouirt öffentlich, was er im Geheimen thut.
O wie viel beſſer, wahrer, herzensreiner waren die Heiden, die
aus ihrer Sinnlichkeit kein Hehl machten, während die Chriſten
läugnen, daß ſie das Fleiſch befriedigen, indem ſie es befriedigen!
Noch heute halten die Chriſten theoretiſch an ihrer himmliſchen
Ab- und Zukunft feſt; noch heute verläugnen ſie aus ſupra-
naturaliſtiſcher Schaam ihr Geſchlecht und gebehrden ſich bei
jedem derb ſinnlichen Bilde, als wären ſie Engel, noch heute
unterdrücken ſie, ſelbſt mit polizeilicher Gewalt, jedes offenher-
zige, freimüthige Selbſtbekenntniß der Sinnlichkeit, aber nur
um durch das öffentliche Verbot ſich den geheimen Genuß der
Sinnlichkeit zu würzen. Was iſt alſo, kurz und gut geſagt,
der Unterſchied der Chriſten und Heiden in dieſer delicaten
Materie? Die Heiden beſtätigten, die Chriſten widerleg-
[421] ten
ihren Glauben durch ihr Leben. Die Heiden thun, was
ſie wollen, die Chriſten, was ſie nicht wollen, jene ſündigen
mit, dieſe wider ihr Gewiſſen, jene einfach, dieſe doppelt, jene
aus Hypertrophie, dieſe aus Atrophie des Fleiſches. Das
ſpecifiſche Laſter der Heiden iſt das ponderable, ſinnliche
Laſter der Unzucht, der Chriſten das imponderable theolo-
giſche Laſter der Heuchelei — jener Heuchelei, wovon der
Jeſuitismus zwar die auffallendſte, weltgeſchichtlichſte, aber
gleichwohl nur eine beſondere Erſcheinung iſt. „Die Theo-
logie macht ſündhafte Leute“ ſagt Luther — Luther deſſen po-
ſitive
Eigenſchaften einzig ſein Herz und Verſtand ſo weit
ſie natürlich, nicht durch die Theologie verdorben waren.


Der chriſtliche Himmel iſt die chriſtliche Wahr-
heit. Was vom Himmel, iſt vom wahren Chriſten-
thum ausgeſchloſſen. Im Himmel iſt der Chriſt da-
von frei, wovon er hier frei zu ſein wünſcht, frei von
dem Geſchlechtstrieb, frei von der Materie, frei von
der Natur überhaupt
.


„In der Auferſtehung werden ſie weder freyen, noch ſich
freyen laſſen; ſondern ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im
Himmel.“ Matthäi 22, 30. „Die Speiſe dem Bauch und der
Bauch der Speiſe, aber Gott wird dieſen und jenen hinrichten“
(καταϱγήσει entbehrlich machen). I Korinth. 6, 13. „Davon
ſage ich aber lieben Brüder, daß Fleiſch und Blut nicht können
das Reich Gottes ererben, auch wird das Verwesliche nicht
erben das Unverwesliche.“ (Ebend. 15, 50). „Sie wird nicht
mehr hungern, noch dürſten, es wird auch nicht auf ſie fallen
die Sonne oder irgend eine Hitze.“ Offenb. Joh. 7, 16. „Und
wird keine Nacht da ſein und nicht bedürfen einer Leuchte oder
des Lichts der Sonne.“ Ebend. 22, 5. Comedere, bibere,
[422] vigilare, dormire, quiescere, laborare et caeteris ne-
cessitatibus naturae
subjacere, vere magna miseria
est et afflictio homini devoto, qui libenter esset absolutus
et liber ab omni peccato. Utinam non essent istae ne-
cessitates
, sed solum spirituales animae refectiones,
quas heu! satis raro degustamus. Thomas a K. (de imit.
l. I. c.
22 u. 25. S. hierüber auch z. B. S. Gregorii Nyss.
de anima et resurr. Lipsiae 1837. p. 98. p.
144. 153.)
Wohl iſt die chriſtliche Unſterblichkeit im Unterſchiede von der
heidniſchen nicht die Unſterblichkeit des Geiſtes, ſondern die des
Fleiſches. … Scientia immortalis visa est res illis (den
heidniſchen Philoſophen) atque incorruptibilis. Nos autem,
quibus divina revelatio illuxit … novimus, non solum
mentem, sed affectus perpurgatos, neque animam
tantum, sed etiam corpus ad immortalitatem assum-
ptum iri suo tempore. Baco de Verul. (de augm. Scien.
l. I.)
Celſus warf deßwegen den Chriſten ein desiderium cor-
poris
vor. Aber dieſer unſterbliche Körper iſt, wie ſchon be-
merkt, ein immaterieller, d. h. durchaus gemüthlicher, ſubjecti-
ver Leib — ein Leib, welcher die directe Negation des wirklichen
natürlichen Leibes iſt. Und es handelt ſich daher in dieſem
Glauben nicht ſowohl um die Anerkennung oder Verklärung
der Natur, der Materie als ſolcher, als vielmehr nur um die
Realität des Gemüths, der Subjectivität, welcher der wirkliche
objective Leib zur Laſt iſt und daher ſtatt deſſen ein angemeſ-
ſener, ihren Wünſchen entſprechender Körper zu Theil wird.


Was die Engel eigentlich ſind, denen die himmliſchen
Seelen gleichen werden, darüber gibt die Bibel eben ſo wenig,
wie über andere wichtige Dinge, beſtimmte Aufſchlüſſe, ſie
werden nur von ihr Geiſter πνεύματα genannt und als ho-
minibus superiores
bezeichnet. Die ſpätern Chriſten ſprachen
ſich, und mit vollem Rechte, auch hierüber beſtimmter aus,
jedoch verſchiedentlich. Die einen gaben ihnen Körper, die
andern nicht — eine übrigens nur ſcheinbare Differenz, da
der engliſche Leib nur ein phantaſtiſcher iſt. Was jedoch den
[423] Körper der Auferſtehung betrifft, ſo hatten ſie hierüber nicht nur
verſchiedene, ſondern auch ſehr entgegengeſetzte Vorſtellungen
— Widerſprüche, die aber in der Natur der Sache liegen, ſich
nothwendig ergeben aus dem Grundwiderſpruch des religiöſen
Bewußtſeins, welcher ſich in dieſer Materie, wie gezeigt, darin
offenbart, daß es im Weſen derſelbe individuelle Leib, den wir
vor der Auferſtehung hatten, und doch wieder ein anderer,
— ein anderer und doch wieder derſelbe ſein ſoll. Und zwar
derſelbe Leib ſelbſt bis auf die Haare, cum nec periturus sit
capillus, ut ait Dominus: Capillus de capite vestro non
peribit (Augustinus
und Petrus L. I. IV. dist. 44, c. 1.)
Jedoch zugleich wieder ſo derſelbe, daß alles Läſtige, alles dem
naturentfremdeten Gemüthe Widerſprechende beſeitigt wird.
Immo sicut dicit Augustinus: Detrahentur vitia et rema-
nebit natura. Superexcrescentia autem capillorum
et unguium est de superfluitate et vitio naturae.
Si enim non peccasset homo, crescerent ungues et
capilli ejus usque ad determinatam quantitatem
,
sicut in leonibus et avibus. (Addit. Henrici ab Vurimaria
ibid. Edit. Basiliae 1513.)
Welch determinirter, naiver,
treuherziger, zuverſichtlicher, harmoniſcher Glaube! Der aufer-
ſtandne Körper als derſelbe und doch zugleich ein andrer, neuer
Leib hat auch wieder Haare und Nägel — ſonſt wäre er ein
verſtümmelter, einer weſentlichen Zierde beraubter Körper,
folglich die Auferſtehung nicht die restitutio in integrum
und zwar dieſelben Nägel und Haare, aber zugleich jetzt ſo
beſchaffen, daß ſie mit dem Weſen des neuen Körpers im
Einklang ſind. Dort iſt ihnen der Trieb des Wachsthums
genommen, dort überſchreiten ſie nicht das Maaß der Schick-
lichkeit. Dort brauchen wir daher nicht mehr die Haare und
Nägel abzuſchneiden — eben ſo wenig als die ſinnlichen Triebe
der übrigen Fleiſchesglieder, weil ſchon an und für ſich der
himmliſche Leib ein abſtracter, verſchnittener Leib iſt. Warum
gehen denn die gläubigen Theologen der neuern Zeit nicht mehr
in derlei Specialitäten ein, wie die ältern Theologen? Warum?
[424] weil ihr Glaube ſelbſt nur ein allgemeiner, unbeſtimmter, d. h.
nur geglaubter, vorgeſtellter, eingebildeter Glaube iſt, weil ſie
aus Furcht vor ihrem mit dem Glauben längſt zerfallnen Ver-
ſtande, aus Furcht, ihren ſchwachſinnigen Glauben zu verlie-
ren, wenn ſie bei Lichte, d. h. im detail die Dinge betrachten,
die Conſequenzen d. h. die nothwendigen Beſtimmungen ihres
Glaubens unterdrücken, vor dem Verſtande verheimlichen.


Der Widerſpruch im göttlichen Weſen iſt das
oberſte Princip der chriſtlichen Sophiſtik
.


Alle Beſtimmungen des göttlichen Weſens ſind Selbſtbe-
jahungen, Selbſtbegründungen des menſchlichen Weſens, die
aber dadurch unbegreiflich und unerforſchlich werden, daß ſie in
Gott etwas Andres bedeuten und ſein ſollen, als ſie in der
That ſind und ſein können. So iſt die göttliche Weisheit,
der hervorbringende Verſtand Gottes nichts andres als der ſich
als das abſolute Weſen der Dinge bejahende und begründende
Verſtand im Menſchen. Dem Verſtande iſt nur der Verſtand
ein reales Weſen. Der Verſtand oder nur ein Weſen mit
Verſtand iſt ſich ſelbſt Zweck, um ſein ſelbſt willen, nicht
ſelbſtloſes Mittel. Und nur, was ſich ſelbſt Zweck iſt, handelt
nach Zwecken, handelt mit Abſichten; aber nur Zweckthätigkeit
iſt Selbſtthätigkeit, und nur Selbſtthätigkeit Thätigkeit, die
ihren Grund in ſich ſelbſt hat. Das Daſein eines verſtändigen
Weſens erklärt ſich durch ſich ſelbſt: es hat eben den Grund
ſeines Daſeins in ſich, weil es Selbſtzweck iſt. Was aber
ſelbſt keine Abſichten hat, muß den Grund ſeines Daſeins in
der Abſicht eines andern Weſens haben. Die Welt hat
daher für den Verſtand nur Sinn, nur Verſtand, wenn er ſie
daraus, woraus er ſich Alles erklärt und deutlich macht, d. h.
aus ſich ſelbſt erklärt und ableitet, wenn er den Verſtand als
Grund und Zweck der Welt ſetzt. Denn die Lehre, daß die
[425] Welt nicht für ſich, ſondern für den Menſchen oder überhaupt
ein verſtändiges Weſen, dieſes alſo der Zweck der Welt ſei, iſt
im Grunde identiſch mit der Lehre, daß die Zweckthätigkeit,
der Verſtand die Welt hervorgebracht habe. So iſt alſo der
göttliche Verſtand nichts andres als der ſich bewährende menſch-
liche Verſtand — der Unterſchied daher jenes von dieſem nur
eine fromme Illuſion, eine Phantaſie oder eine raffinirte Selbſt-
täuſchung, eine Lüge. Die Ableitung der Welt aus dem Ver-
ſtande, das rationelle Bedürfniß einer verſtändigen Urſache
ſtützt ſich ja eben auf die Wahrnehmung, daß in der Welt im
Widerſpruch mit ihrem — vorausgeſetzten, ſei es nun wirklichen
oder vermeintlichen — Weſen Ordnung, Zweck, Verſtand
obwaltet, daß die Welt nach Geſetzen beſtimmt und regiert
wird, die der Menſch eben als verſtändige, mit ſeinem Ver-
ſtande übereinſtimmende
erkennt. Er findet z. B. daß die
Thiere zu ihren verſchiedenen Lebensbeſtimmungen paſſende
Organe haben, daß alſo auch hier das Verſtandesgeſetz gilt,
daß man, um einen beſtimmten Zweck zu erreichen, ein beſtimmtes
entſprechendes Mittel ergreifen muß; er findet, daß ſich der
chemiſche Stoff in Würfeln, Rhomben, Octaedern kryſtalliſirt,
daß alſo auch in der Natur die Geſetze der Arithmetik und Geome-
trie, wenn auch mit Modificationen, walten, auch in ihr zwei
mal zwei vier iſt. Wäre es anders in der Natur, zwei mal
zwei nicht vier, die gerade Linie ein Kreis, das Quadrat ein
Dreieck, kurz widerſprächen ihre Geſetze den Geſetzen des Ver-
ſtandes, ſo würde es dem Menſchen nie, auch nicht im Traume
einfallen, dieſe boshafte Satyre auf den Verſtand aus dem
Verſtande abzuleiten. Welch eine Selbſttäuſchung iſt es alſo,
den Grund dieſes Verſtandes in der Natur oder vielmehr die-
ſen Verſtand ſelbſt, deſſen Annahme ſich nur gründet auf die
Wahrnehmung der Uebereinſtimmung deſſelben mit dem Ver-
ſtande des Menſchen, zu einem andern, vom Verſtande des
Menſchen weſentlich unterſchiednen Verſtande zu machen!
Welch ein Selbſtbetrug! Dem Verſtande iſt das Bewußtſein
ſeiner Einheit und Univerſalität weſentlich; er iſt ſelbſt nichts
[426] andres als das Bewußtſein ſeiner als der abſoluten Iden-
tität
, d. h. was dem Verſtande für verſtandesgemäß gilt, das
iſt ihm ein abſolutes Geſetz; es iſt ihm unmöglich zu denken, daß,
was ſich widerſpricht, falſch, unſinnig iſt, irgend wo wahr, und
was wahr, was vernünftig, irgend wo falſch, unvernünftig ſei.
Von einem weſentlich andern Verſtande habe ich auch nicht die
entfernteſte Vorſtellung, die entfernteſte Ahnung. Vielmehr iſt
jeder vermeintlich andere Verſtand, den ich ſetze, nur eine
Poſition meines eignen Verſtandes, eine Idee, Vorſtellung
von mir, eine Vorſtellung, die innerhalb mein Denkvermögen
fällt, alſo meinen Verſtand ausdrückt und bejaht. Was ich
denke und zwar als das Höchſte denke, das iſt eben der höchſte
Grad meiner Denkkraft, das Maaß deſſen, was ich überhaupt
zu denken vermag. Was ich denke, das thue ich ſelbſt —
natürlich bei rein theoretiſchen oder intellectuellen Dingen —
was ich als verbunden denke, verbinde ich, was ich denke
als getrennt, unterſcheide ich in meinem Denken. Denke
ich alſo z. B. in dem göttlichen Verſtande die Anſchauung oder
Wirklichkeit des Gegenſtandes mit der Vorſtellung deſſelben
unmittelbar verbunden, ſo verbinde ich ſie wirklich; mein Ver-
ſtand oder meine Einbildungskraft iſt alſo das Verbindungs-
vermögen dieſer Unterſchiede oder Gegenſätze. Wie könnteſt Du
ſie Dir denn verbunden vorſtellen — ſei dieſe Vorſtellung nun
eine confuſe oder deutliche — wenn Du ſie nicht in Dir ſelbſt
verbändeſt? Wie könnteſt Du überhaupt eine Schranke in Gott
aufheben, wenn Du ſie nicht an Dir ſelbſt als Schranke
empfändeſt und aufhöbeſt, wie in Gott eine Realität ſetzen,
wenn Du ſie nicht ſelbſt als Realität empfändeſt? Was iſt
alſo Gott anders als das höchſte, ungetrübteſte, freieſte Selbſt-
gefühl des Menſchen? was der Verſtand Gottes anders, als
der ſeiner ſelbſt gewiſſe, ſeiner ſelbſt bewußte Verſtand des
Menſchen?


[427]

Die chriſtliche Religion iſt ein Widerſpruch. Sie
iſt die Verſöhnung und zugleich der Zwieſpalt, zu-
gleich die Einheit und der Gegenſatz von Gott und
Menſch. Dieſer perſonificirte Widerſpruch iſt der
Gottmenſch — die Einheit der Gottheit und Menſch-
heit in ihm Wahrheit und Unwahrheit
.


Es iſt ſchon oben behauptet worden, daß, wenn Chriſtus
zugleich Gott, Menſch und zugleich ein andres Weſen war,
welches als ein des Leidens unfähiges Weſen vorgeſtellt
wird, ſein Leiden nur eine Illuſion war. Denn ſein Lei-
den für ihn als Menſchen war kein Leiden für ihn als
Gott
. Nein! was er als Menſch bekannte, läugnete er als
Gott. Er litt nur äußerlich, nicht innerlich, d. h. er litt nur
ſcheinbar, doketiſch, aber nicht wirklich, denn nur der Er-
ſcheinung, dem Anſehn, dem Aeußern nach war er Menſch, in
Wahrheit, im Weſen aber, welches eben deßwegen nur den
Gläubigen Gegenſtand war, Gott. Ein wahres Leiden wäre
es nur geweſen, wenn er zugleich als Gott gelitten hätte.
Was nicht in Gott ſelbſt aufgenommen, wird nicht in die
Wahrheit, nicht in das Weſen, die Subſtanz aufgenommen.
Unglaublich aber iſt es, daß die Chriſten ſelbſt, theils direct,
theils indirect, eingeſtanden haben, daß ihr höchſtes, hei-
ligſtes Myſterium nur eine Illuſion, eine Simulation iſt.
Eine Simulation, die übrigens ſchon dem durchaus unhiſto-
riſchen, theatraliſchen, illuſoriſchen Evangelium Johannis zu
Grunde liegt, wie dieß unter Anderm beſonders aus der
Auferweckung des Lazarus hervorgeht, indem hier der allmäch-
tige Gebieter über Tod und Leben offenbar nur zur Oſtentation
ſeiner Menſchlichkeit ſogar Thränen vergießet und ausdrücklich
ſagt: „Vater ich danke Dir, daß Du mich erhöret haſt, doch
ich weiß, daß Du mich allezeit höreſt, ſondern um des Volks
willen
, das umher ſtehet, ſage ich es, daß ſie glauben.“
Dieſe evangeliſche Simulation hat nun die chriſtliche Kirche
bis zur offenbaren Verſtellung ausgebildet. Si credas susce-
ptionem corporis, adjungas divinitatis compassionem,
[428] portionem utique perfidiae, non perfidiam declinasti. Cre-
dis enim, quod tibi prodesse praesumis, non credis quod
Deo dignum est … Idem enim patiebatur et non patie-
batur … Patiebatur secundum corporis susceptionem, ut
suscepti corporis veritas crederetur et non patie-
batur secundum verbi impassibilem divinitatem. … Erat
igitur immortalis in morte, impassibilis in passione. …
Cur divinitati attribuis aerumnas corporis et infirmum
doloris humani divinae connectis naturae? Ambro-
sius
(de incarnat. domin. sacr. c. 4
u. 5.). Juxta hominis
naturam proficiebat sapientia, non quod ipse sapientior
esset ex tempore … sed eandem, qua plenus erat, sa-
pientiam caeteris ex tempore paulatim demonstrabat
In aliis ergo non in se proficiebat sapientia et gratia.
Gregorius in homil. quadam
(bei Petrus Lomb. l. III.
dist. 13. c. 1.) Proficiebat ergo humanus sensus in eo
secundum ostensionem et aliorum hominum opi-
nionem
. Ita enim patrem et matrem dicitur ignorasse
in infantia, quia ita se gerebat et habebat ac si
agnitionis expers esset. Petrus
L. (ibid. c. 2.) Ut
homo ergo dubitat ut homo locutus est. (Ambrosius.) His
verbis innui videtur, quod Christus non inquantum Deus
vel Dei filius, sed inquantum homo dubitaverit affectu
humano. Quod ea ratione dictum accipi potest: non quod
ipse dubitaverit, sed quod modum gessit dubitantis
et hominibus dubitare videbatur. Petrus L. (ibid. dist.
17. c. 2.)
Wir haben im erſten Theil unſrer Schrift die
Wahrheit, im zweiten die Unwahrheit der Religion dargeſtellt.
Wahrheit iſt nur die Identität Gottes und des Menſchen —
Wahrheit nur die Religion, wenn ſie die menſchlichen Beſtim-
mungen Gottes als menſchliche bejaht, Falſchheit, wenn ſie
dieſelben negirt, Gott als ein andres Weſen ſondernd vom
Menſchen. So hatten wir im erſten Theil zu beweiſen die
Wahrheit des Leidens Gottes; hier haben wir den Beweis
von der Unwahrheit dieſes Leidens, und zwar nicht den ſub-
[429] jectiven, ſondern den objectiven — das Eingeſtändniß der
Theologie ſelbſt, daß ihr höchſtes Myſterium, das Leiden Got-
tes nur eine Täuſchung, Illuſion iſt. Habe ich alſo falſch
geredet, wenn ich ſagte, das oberſte Princip des Chriſtenthums
ſei die Hypokriſie? Läugnet nicht auch der Theanthropos, daß
er Menſch iſt, während er Menſch iſt? O widerlegt mich doch!


Es iſt daher die höchſte Kritikloſigkeit, Unwahrhaftigkeit,
Willkührlichkeit, die chriſtliche Religion nur als Religion der
Verſöhnung, nicht auch als die Religion des Zwieſpalts
zu demonſtriren, in dem Gottmenſchen nur die Einheit, nicht
auch den Widerſpruch
des göttlichen und menſchlichen We-
ſens zu finden. Chriſtus hat nur als Menſch, nicht als
Gott
gelitten — Leidensfähigkeit iſt aber das Zeichen wirkli-
cher Menſchheit — nicht als Gott iſt er geboren, gewachſen
an Erkenntniß, gekreuzigt; d. h. alle menſchlichen Beſtimmun-
gen ſind von ihm als Gott entfernt geblieben. Si quis non
confitetur proprie et vere substantialem differen-
tiam naturarum
post ineffabilem unionem, ex quibus
unus et solus extitit Christus, in ea salvatam, sit con-
demnatus. Concil. Later. I. can. 7. (Carranza.)
Das
göttliche Weſen iſt in der Menſchwerdung, ungeachtet der Be-
hauptung, daß Chriſtus zugleich wahrer Gott und wahrer
Menſch geweſen, eben ſo gut entzweit mit dem menſchlichen
Weſen, als vor derſelben, indem jedes Weſen die Beſtim-
mungen des andern von ſich ausſchließt
, obwohl beide,
aber auf eine unbegreifliche, miraculöſe, d. i. unwahre,
der Natur des Verhältniſſes, in dem ſie zu einander ſtehen,
widerſprechende Weiſe zu einer Perſönlichkeit verknüpft ſein
ſollen. Auch die Lutheraner, ja Luther ſelbſt, ſo derb er ſich
über die Gemeinſchaft und Vereinigung der menſchlichen und
göttlichen Natur in Chriſto ausſpricht, kommt doch nicht über
ihren unverſöhnlichen Zwieſpalt hinaus. „Gott iſt Menſch
und Menſch iſt Gott, dadurch doch weder die Naturen, noch
derſelben Eigenſchaften mit einander vermiſcht werden, ſondern
es behält eine jede Natur ihr Weſen und Eigenſchaf-
[430] ten
.“ „Es hat der Sohn Gottes ſelbſt wahrhaftig, doch nach
der angenommenen menſchlichen Natur
gelitten und iſt
wahrhaftig geſtorben, wiewohl die göttliche Natur weder
leiden, noch ſterben kann
.“ „Iſt recht geredet: Gottes
Sohn leidet. Denn obwohl das eine Stück (daß ich ſo
rede) als die Gottheit nicht leidet, ſo leidet dennoch die
Perſon, welche Gott iſt, am andern Stück als an der
Menſchheit
; denn in der Wahrheit iſt Gottes Sohn für uns
gekreuzigt, das iſt die Perſon, die Gott iſt; denn ſie iſt, Sie
(ſage ich) die Perſon iſt gekreuzigt nach der Menſchheit.“
„Die Perſon iſts, die alles thut und leidet, eins nach dieſer
Natur
, das andre nach jener Natur, wie das alles die
Gelehrten wohl wiſſen.“ Concordienb. Erklär. Art. 8.
So ſind alſo nur in der Perſon, d. h. nur in einem Nomen
proprium,
nur dem Namen nach, aber nicht im Weſen,
nicht in der Wahrheit die beiden Naturen zur Einheit verbun-
den. Quando dicitur: Deus est homo vel homo est Deus,
propositio ejusmodi vocatur personalis. Ratio est, quia
unionem personalem in Christo supponit. Sine tali enim
naturarum in Christo unione nunquam dicere potuissem
Deum esse hominem aut hominem esse Deum. … Abs-
tracta autem naturae de se invicem enuntiari non posse,
longe est manifestissimum. … Dicere itaque non licet,
divina natura est humana aut deitas est humanitas et
vice versa. J. F. Buddei (Comp. Inst. Theol. dogm.
l. IV. c. II. §. 11.)
So iſt alſo die Einheit des göttlichen
und menſchlichen Weſens in der Incarnation nur eine Täu-
ſchung, eine Illuſion. Das alte Diſſidium von Gott und
Menſch liegt auch ihr noch zu Grunde und wirkt um ſo ver-
derblicher, iſt um ſo häßlicher, als es ſich hinter den Schein,
hinter die Imagination der Einheit verbirgt. Darum war
auch der Socinianismus nichts weniger als flach, wenn er
wie die Trinität, ſo auch das Compoſitum des Gottmenſchen
negirte — er war nur conſequent, nur wahrhaft. Gott war
ein dreiperſönliches Weſen und doch ſollte er zugleich ſchlecht-
[431] hin einfach ein ens simplicissimum ſein, ſo läugnete die
Einfachheit die Trinität; Gott war Gott-Menſch und doch
ſollte die Gottheit nicht von der Menſchheit tangirt oder auf-
gehoben werden, d. h. weſentlich von ihr geſchieden ſein; ſo
läugnete die Unvereinbarkeit der göttlichen und menſchlichen
Beſtimmungen die Einheit der beiden Weſen. Wir haben
demnach ſchon im Gott-Menſchen ſelbſt den Läugner, den
Erzfeind des Gottmenſchen, den Rationalismus, nur daß
er hier zugleich noch mit ſeinem Gegenſatze behaftet war. Der
Socinianismus negirte alſo nur, was der Glaube ſelbſt ne-
girte, zugleich aber im Widerſpruch mit ſich wieder behaup-
tete; er negirte nur einen Widerſpruch, nur eine Unwahrheit.


Gleichwohl haben aber doch auch wieder die Chriſten die
Menſchwerdung Gottes als ein Werk der Liebe gefeiert, als
eine Selbſtaufopferung Gottes, als eine Verläugnung ſeiner
Majeſtät — Amor triumphat de Deo — denn die Liebe
Gottes iſt ein leeres Wort, wenn ſie nicht als wirkliche Auf-
hebung ſeines Unterſchieds vom Menſchen gefaßt wird. Wir
haben daher im Mittelpunkt des Chriſtenthums den am Schluß
entwickelten Widerſpruch von Glaube und Liebe. Der Glaube
macht das Leiden Gottes zu einem Scheine, die Liebe zu einer
Wahrheit. Nur auf der Wahrheit des Leidens beruht der
wahre, poſitive Eindruck der Incarnation. So ſehr wir da-
her den Widerſpruch und Zwieſpalt zwiſchen der menſchlichen
und göttlichen Natur im Gottmenſchen hervorgehoben haben,
ſo ſehr müſſen wir hinwiederum die Gemeinſchaft und Einheit
derſelben hervorheben, vermöge welcher Gott wirklich Menſch
und der Menſch wirklich Gott iſt. Hier haben wir darum den
unwiderſprechlichen, unumſtößlichen und zugleich ſinnfälligen
Beweis, daß der Mittelpunkt, der höchſte Gegenſtand des
Chriſtenthums nichts andres als der Menſch iſt, daß die Chri-
ſten das menſchliche Individuum als Gott und Gott
als das menſchliche Individuum
angebetet haben. „Le-
bendig machen, alles Gericht und alle Gewalt haben im Him-
mel und auf Erden, alles in ſeinen Händen haben, alles unter
[432] ſeinen Füßen unterworfen haben, von Sünden reinigen u. ſ. w.
ſind .... göttliche unendliche Eigenſchaften, welche doch
nach Ausſage der Schrift dem Menſchen Chriſti gegeben
und mitgetheilt ſind.“ „Daher gläuben, lehren und bekennen
wir, daß des Menſchen Sohn .... jetzt nicht allein als Gott,
ſondern auch als Menſch Alles weiß, Alles vermag,
allen Creaturen gegenwärtig iſt
.“ „Demnach verwer-
fen
und verdammen wir ..... 15) daß er (der Sohn Got-
tes) nach der menſchlichen Natur der Allmächtigkeit und
anderer Eigenſchaften göttlicher Natur allerding nicht fähig
ſei.“ Concordienb. ſummar. Begr. u. Erklär. Art. 8.
Unde et sponte sua fluit, Christo etiam qua humanam
naturam spectato cultum religiosum deberi. Bud-
deus
. l. c. l. IV. c. II. §. 17.
Daſſelbe lehren ausdrück-
lich die Kirchenväter und Katholiken. Z. B. Eadem ad-
oratione adoranda
in Christo est divinitas et huma-
nitas
. … Divinitas intrinsece inest humanitati per unio-
nem hypostaticam: ergo humanitas Christi seu Chri-
stus ut homo potest adorari absoluto cultu latriae. Theol.
Schol
. (sec. Thomam Aq. P. Mezger. T. IV. p. 124.)

Zwar heißt es: nicht der Menſch, nicht Fleiſch und Blut für
ſich ſelbſt
, ſondern das mit Gott verbundne Fleiſch wird an-
gebetet, ſo daß der Cultus nicht dem Fleiſche oder dem Men-
ſchen, ſondern Gott gilt. Aber es iſt hier wie mit dem Hei-
ligen- und Bilderdienſte. Wie der Heilige nur im Bilde, Gott
nur im Heiligen verehrt wird, weil man das Bild, den Heili-
gen ſelbſt verehrt, ſo wird Gott nur im menſchlichen Flei-
ſche
angebetet, weil das menſchliche Fleiſch ſelbſt angebetet
wird. Was im Bewußtſein der Religion Prädicat iſt, iſt
im Weſen, im ihr ſelbſt verborgnen Grunde derſelben das
wahre Subject. Gott wird Fleiſch, Menſch, weil ſchon im
Grunde
der Menſch Gott iſt. Wie könnte es Dir nur in
den Sinn kommen, das menſchliche Fleiſch mit Gott in ſo in-
nige Beziehung und Berührung zu bringen, wenn es Dir
etwas Unreines, Niedriges, Gottes Unwürdiges wäre? Wenn
[433] der Werth, die Würde des menſchlichen Fleiſches nicht in
ihm
ſelbſt liegt, warum machſt Du nicht andres, nicht thie-
riſches
Fleiſch zur Wohnſtätte des göttlichen Geiſtes.“ Zwar
heißt es: der Menſch iſt nur das Organ „in, mit und
durch“ welches die Gottheit wirket „wie die Seele im Leibe.“
Aber auch dieſer Einwand iſt durch das eben Geſagte ſchon
widerlegt. Gott wählte den Menſchen zu ſeinem Organ, ſei-
nem Leibe, weil er nur im Menſchen ein ſeiner würdiges,
ein ihm paſſendes, wohlgefälliges Organ fand. Wenn der
Menſch gleichgültig iſt, warum incarnirte ſich denn Gott nicht
in einem Thiere? So kommt Gott nur aus dem Menſchen in
den Menſchen. Die Erſcheinung Gottes im Menſchen iſt nur
eine Erſcheinung von der Göttlichkeit und Herrlichkeit des
Menſchen. Noscitur ex alio, qui non cognoscitur ex se
dieſer triviale Spruch gilt auch hier. Gott wird erkannt aus
dem Menſchen, den er mit ſeiner perſönlichen Gegenwart und
Einwohnung beehrt, und zwar als ein menſchliches We-
ſen
, denn was einer bevorzugt, auserwählt, liebt, das iſt
ſein gegenſtändliches Weſen ſelbſt; und der Menſch wrid aus
Gott erkannt, und zwar als ein göttliches Weſen, denn
nur Gotteswürdiges, nur Göttliches kann Object, kann Or-
gan und Wohnſitz Gottes ſein. Zwar heißt es ferner: es iſt
nur dieſer Jeſus Chriſtus ausſchließlich allein, kein
andrer Menſch ſonſt, der als Gott verehrt wird. Aber auch
dieſer Grund iſt eitel und nichtig. Chriſtus iſt zwar Einer
nur, aber Einer für Alle. Er iſt Menſch, wie wir, „un-
ſer Bruder und wir ſind Fleiſch von ſeinem Fleiſche und Bein
von ſeinem Bein.“ Jeder erkennt daher ſich in Chriſto, jeder
findet ſich in ihm repräſentirt. „Fleiſch und Blut ver-
kennt ſich nicht
.“ Man mag ſich daher drehen und wen-
den, läugnen und lügen ſo viel als man will: es ſteht un-
umſtößlich feſt: die Chriſten beten das menſchliche In-
dividuum an als das höchſte Weſen — als Gott
. Frei-
lich nicht mit Bewußtſein; denn dieß eben conſtituirt die Illu-
ſion des religiöſen Princips. Aber in dieſem Sinne beteten
Feuerbach. 28
[434] auch die Heiden nicht die Götterſtatüe an; denn auch dem
frommen Heiden war die Götterſtatüe keine Statüe, ſondern
der Gott ſelbſt. Aber dennoch beteten ſie eben ſo gut die Sta-
tüe an, als die Chriſten das menſchliche Individuum, ob ſie
es gleich natürlich nicht Wort haben wollen.


Und die Chriſten haben nicht nur das menſchliche Indi-
viduum nach ſeinem Weſen; ſie haben ſelbſt — was eine ganz
natürliche Conſequenz iſt — den Körper des menſchlichen In-
dividuums — was iſt das Individuum ohne Leib? — ja
ſelbſt die einzelnen Theile dieſes Körpers angebetet. So fin-
det ſich z. B. unter den — ich weiß nicht mehr, aber es iſt
hier gleichgültig, ob ächten oder unächten — Schriften des heili-
gen Bernhards eine Rhythmica oratio ad unum quodlibet
membrorum Christi patientis et a cruce pendentis,
worin
folgende Stellen vorkommen, z. B.


Ad Pedes:

Plagas tuas rubicundas

Et fixuras tam profundas

Cordi meo fac inscribi

Ut configar totus tibi

Te modis amans omnibus.

Ne repellas me indignum

De tuis sanctis pedibus.

Coram cruce procumbentem

Hosque pedes complectentem

Jesu bone non me spernas.

Ad Manus:

Manus sanctae! vos amplector

Et gemendo condelector,

Grates ago plagis tantis

Clavis duris, guttis sanctis

Dans lacrymas cum osculis.

In cruore tuo lotum

Me commendo tibi totum.

Ad Latus:

Salve Latus Salvatoris,

In quo latet mel dulcoris,

In quo patet vis amoris,

Ex quo scatet fons cruoris.

In hac fossa me reconde,

Infer meum cor profunde,

Ubi latens incalescat

Et in pace conquiescat.

[435]
At faciem:

Salve caput cruentatum

Totum spinis coronatum.

.... Tuum caput hic inclina

In meis pausa brachiis.

Aehnliche Gedichte an die einzelnen Körpertheile Chriſti, nur
ärmer an Geſchmack, Poeſie und Empfindung, aber reicher
an blutdürſtigem Egoismus finden ſich in dem ſchon excerpir-
ten Geſangbuch der evangeliſchen Brüdergemeinen.


Der Widerſpruch in den Sacramenten iſt der Wi-
derſpruch vom Naturalismus und Supernaturalis-
mus
. Das Erſte in der Taufe iſt die Poſition des Waſ-
ſers
. Si quis dixerit aquam veram et naturalem non
esse de necessitate Baptismi atque ideo verba illa domini
nostri Jesu Christi: Nisi quis renatus fuerit ex aqua et
Spiritu sancto, ad metaphoram aliquam detorserit, ana-
thema sit. Concil. Trident. (Sessio VII. Can. II. de
Bapt.) De substantia hujus sacramenti sunt verbum
et elementum. … Non ergo in alio liquore potest
consecrari baptismus nisi in aqua. Petrus Lomb.
(l. IV. dist. 3. c. 1. c. 5.) Ad certitudinem baptismi re-
quiritur major quam unius guttae quantitas...... Ne-
cesse est ad valorem baptismi fieri contactum physi-
cum
inter aquam et corpus baptizati, ita ut non sufficiat,
vestes tantum ipsius aqua tingi..... Ad certitudinem
baptismi requiritur, ut saltem talis pars corporis ablua-
tur, ratione cujus homo solet dici vere ablutus, v. 9.
collum, humeri, pectus et praesertim caput. Theo-
log. Schol. (P. Mezger Aug. Vind. 1695. T. IV. p. 230 —
31.)
Es kommt alſo weſentlich auf das Waſſer an. Aber
nun kommt die Negation des Waſſers. Die Bedeutung der
Taufe iſt nicht die natürliche Kraft des Waſſers, ſondern viel-
mehr die übernatürliche, allmächtige Kraft des Wortes Got-
tes, welches das Waſſer zu einem Sacrament eingeſetzt und
nur vermittelſt dieſes Stoffes auf eine übernatürliche, wun-
28*
[436] derbare Weiſe ſich dem Menſchen mittheilt, aber eben ſo gut
auch irgend einen anderen beliebigen Stoff wählen könnte,
um die nämliche Wirkung hervorzubringen. So ſagt z. B.
Luther: „Alſo faſſe nun den Unterſchied, daß viel ein ander
Ding iſt Taufe, denn alle andere Waſſer, nicht des natürli-
chen Weſens halben, ſondern daß hie etwas edleres darzu
kömmt. Denn Gott ſelbſt ſeine Ehre hinanſetzet, ſeine Kraft
und Macht daran legt .... wie auch Sct. Auguſtin gelehret
hat: accedat verbum ad elementum et fit sacramentum.“
(Der große Katechismus.)


Aber wie mit dem Waſſer in der Taufe, die nichts ohne
das Waſſer iſt, obgleich es an ſich gleichgültig iſt, eben ſo iſt
es mit dem Wein und Brot in der Euchariſtie, ſelbſt bei den
Katholiken, wo doch die Subſtanz von Brot und Wein durch
die Gewalt der Allmacht deſtruirt wird. Accidentia eucha-
ristica tamdiu continent Christum, quamdiu retinent
illud temperamentum, cum quo connaturaliter panis et
vini substantia permaneret: ut econtra, quando tanta fit
temperamenti dissolutio, illorumque corruptio, ut sub iis
substantia panis et vini naturaliter remanere non posset,
desinunt continere Christum. Theol. Schol. (Mezger l.
c. p. 292.)
Das heißt alſo: ſo lange das Brot Brot bleibt,
ſo lange bleibt das Brot Fleiſch; iſt das Brot weg, iſt auch
das Fleiſch weg. Daher muß auch eine gehörige Portion
Brot, wenigſtens eine ſo große, daß das Brot als Brot er-
kennbar iſt, zugegen ſein, um conſecrirt werden zu können.
(Ebend. p. 284.) Uebrigens iſt die katholiſche Transſubſtan-
tiation, die conversio realis et physica totius panis in cor-
pus Christi
nur eine conſequente Fortſetzung von den Wun-
dern im A. u. N. T. Aus der Verwandlung des Waſſers
in Wein, des Stabes in eine Schlange, der Steine in Waſ-
ſerbrunnen (Pſalm 114), aus dieſen bibliſchen Transſubſtan-
tiationen erklärten und begründeten die Katholiken die Verwand-
lung des Brotes in Fleiſch. Wer einmal an jenen Verwand-
lungen keinen Anſtoß nimmt, der hat kein Recht, keinen Grund,
[437] dieſe Verwandlung zu beanſtanden. Das Princip der prote-
ſtantiſchen Abendmahlslehre widerſpricht nicht weniger der
Vernunft, als das katholiſche. Absurda minus offendent
eum, qui meminerit de rebus coelestibus ex verbo Dei,
non ex Geometria faciendum esse judicium. Melanch-
thon
Ep. ad Oecolampadium de S. Coena.) Camerarius
Vita Mel. ed. Strobel p. 405.) Quis Deum devoret
in coena
? quis sanguinem illius bibat? Noli tu tumul-
tuari Carolstadi: Nam multa sunt quae rationi adversan-
tur, vera tamen sunt et verbo Dei nituntur: itaque non
ingenio humano, sed vera fide apprehendenda sunt. Quid
enim tam absurdum dictu, quam aqua peccatum
ablui
? Quid tam absonum, quam esu pomi totum ge-
nus humanum in aeternum exitium praecipitari? N.
Frischlini Phasma. Act. III. Sc. III.
Auch die Prote-
ſtanten nahmen in der Abendmahlslehre ebenſo wie die Katho-
liken zur Allmacht, der Quelle aller vernunftwiderſprechenden
Vorſtellungen, ihre Zuflucht. (Concord. ſumm. Begr. Art. 7.
Affir. 3. Negat. 13.)


Ein köſtliches, ja wahrhaft incomparables und
zugleich höchſt lehrreiches Exempel von der theologi-
ſchen Unbegreiflichkeit und Uebernatürlichkeit
liefert
die in Betreff des Abendmahls (Concordienbuch ſummar. Begr.
Art. 7.) gemachte Unterſcheidung zwiſchen Mündlich und
Fleiſchlich oder Natürlich. „Wir gläuben, lehren und
bekennen, daß der Leib und Blut Chriſti nicht allein geiſt-
lich durch den Glauben
, ſondern auch mündlich, doch
nicht auf kapernaitiſche, ſondern übernatürliche, himm-
liſche
Weiſe, um der ſacramentlichen Vereinigung willen, mit
dem Brote und Wein empfangen werden.“ Probe namque
discrimen inter manducationem oralem et natura-
lem
tenendum est. Etsi enim oralem manducationem
adseramus atque propugnemus, naturalem tamen non ad-
mittimus .... Omnis equidem manducatio naturalis
etiam oralis est, sed non vicissim oralis manducatio
[438] statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus,
unicumque organum, quo panem et corpus Christi,
itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus

(ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum
panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san-
guinem Christi simul equidem cum pane et vino, at
modo supernaturali et insensibili, qui adeo etiam a
nemine mortalium
(ſicherlich auch von keinem Gotte) expli-
cari potest, revera interim et ore corporis accipia-
mus
. Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I.
§. 15.) Welch’
eine Heuchelei! Mit demſelben Munde, womit er ſeinen Gott
zwiſchen die Lippen preßt und ſein Blut in ſich ſaugt, um ſich
ſeiner wirklichen, d. i. fleiſchlichen Exiſtenz zu verſichern, mit
demſelben Munde läugnet der Chriſt und zwar im heiligſten
Momente ſeiner Religion, die fleiſchliche Gegenwart, den fleiſchli-
chen Genuß Gottes. So läugnet er alſo auch hier, daß er
das Fleiſch befriedigt, während er es in der That befriedigt.


Der Widerſpruch der chriſtlichen Religion iſt der
Widerſpruch von Glaube und Liebe
.


Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott
als einem vom Menſchen unterſchiednen perſönlichen Weſen
auf. Wohl iſt Gott der myſtiſche Gattungsbegriff der Menſch-
heit — was die Religion dadurch ausſpricht, daß ſie Gott
zum gemeinſamen Vater der Menſchen macht — und wer
daher Gott liebt, liebt inſofern die Menſchen. Die Liebe zu
Gott iſt die myſtiſche Liebe zum Menſchen. Aber Gott iſt
nicht nur das gemeinſame — er iſt auch ein beſondres Weſen,
ein Weſen für ſich — ein Subject. Wie ſich daher theore-
tiſch
in dem Satze: Gott iſt die Liebe, das Subject von dem
Prädicat der Liebe unterſcheidet, ſo ſcheidet ſich auch nothwen-
dig praktiſch das Weſen, die Perſönlichkeit Gottes von
der Liebe. Wo ſich das Weſen von der Liebe ſcheidet, ent-
ſpringt die Willkühr. Die Liebe handelt aus Nothwen-
[439] digkeit
, die Perſönlichkeit aus Willkühr. Die Perſön-
lichkeit bewährt ſich als Perſönlichkeit nur durch Willkühr;
die Perſönlichkeit iſt herrſchſüchtig, ehrgeizig; ſie will ſich nur
geltend machen. Die höchſte Feier Gottes als eines perſönli-
chen Weſens iſt daher die Feier Gottes als eines ſchlechthin
unumſchränkten, willkührlichen Weſens. Die Perſönlichkeit
als ſolche iſt indifferent gegen alle ſubſtanziellen Beſtimmun-
gen; die innere Nothwendigkeit, der Weſensdrang erſcheint ihr
als Zwang. Hier haben wir das Geheimniß der chriſtlichen
Liebe. Die Liebe Gottes als Prädicat eines perſönlichen
Weſens hat hier die Bedeutung der Gnade: Gott iſt ein
gnädiger Herr, wie er im Judenthum ein ſtrenger
Herr war. Die Gnade iſt die beliebige Liebe — die Liebe,
die nicht aus innerem Weſensdrang handelt, ſondern was ſie
thut, auch nicht thun, ihren Gegenſtand, wenn ſie wollte,
auch verdammen könnte — alſo die grundloſe, die unwe-
ſentliche
, die willkührliche, die abſolut ſubjective, die
nur perſönliche Liebe. Wo die Liebe in dieſem Sinne er-
faßt wird, da wird daher eiferſüchtig darüber gewacht, daß der
Menſch ſich nichts zum Verdienſte anrechne, daß der göttlichen
Perſönlichkeit allein das Verdienſt bleibe; da wird ſorgfältigſt
jeder Gedanke an eine Nothwendigkeit beſeitigt, um auch ſub-
jectiv durch das Gefühl der Verbindlichkeit und Dankbarkeit
ausſchließlich die Perſönlichkeit feiern und verherrlichen zu kön-
nen. Die Juden vergötterten den Ahnenſtolz; die Chriſten
dagegen verklärten und verwandelten das jüdiſch-ariſtokratiſche
Princip des Geburtsadels in das demokratiſche Princip des
Verdienſtadels. Der Katholik macht die Seligkeit vom Ver-
dienſte
des Werkes, der Proteſtant vom Verdienſte des
Glaubens abhängig. Aber der Begriff der Verbindlichkeit
und Verdienſtlichkeit verbindet ſich nur mit einer Handlung,
einem Werke, das nicht von mir gefordert werden kann oder
nicht nothwendig aus meinem Weſen hervorgeht. Die Werke
des Dichters, des Philoſophen können nur äußerlich betrachtet
unter den Geſichtspunkt der Verdienſtlichkeit geſtellt werden.
[440] Sie ſind Werke des Genies — nothgedrungne Werke: der
Dichter mußte dichten, der Philoſoph philoſophiren. Die
höchſte Selbſtbefriedigung lag für ſie in der beziehungs- und
rückſichtsloſen Thätigkeit des Schaffens. Eben ſo iſt es mit
einer wahrhaft edlen moraliſchen Handlung. Für den edlen
Menſchen iſt die edle Handlung eine natürliche: er zweifelt
nicht, ob er ſie thun ſoll, er legt ſie nicht auf die Wage der
Wahlfreiheit; er muß ſie thun. Nur wer ſo handelt, iſt auch
ein zuverläſſiger Menſch. Die Verdienſtlichkeit führt im-
mer die Vorſtellung mit ſich, daß man etwas, ſo zu ſagen,
nur aus Luxus, nicht aus Nothwendigkeit thut. Die Chri-
ſten feierten nun wohl die höchſte Handlung in ihrer Religion,
die Menſchwerdung Gottes als ein Werk der Liebe. Aber die
chriſtliche Liebe hat inſofern, als ſie ſich auf den Glauben
ſtützt, auf die Vorſtellung Gottes als eines Herrn, eines Do-
minus,
die Bedeutung eines Gnadenactes, einer an ſich Gott
überflüſſigen, bedürfnißloſen Liebe. Ein gnädiger Herr
iſt ein ſolcher, der von ſeinem Rechte abläßt, ein Herr, der
thut aus Gnade, was er als Herr zu thun nicht nöthig hat,
was über den ſtricten Begriff des Herrn hinausgeht. Gott
hat als Herr nicht nur nicht die Pflicht, dem Menſchen wohl-
zuthun; er hat ſogar das Recht — denn er iſt durch kein Ge-
ſetz gebundner Herr — den Menſchen zu vernichten, wenn er
will. Kurz, die Gnade iſt die unnothwendige Liebe, die Liebe
im Widerſpruch mit dem Weſen der Liebe, die Liebe, die nicht
Weſen, nicht Natur ausdrückt, die Liebe, welche der Herr, das
Subject, die Perſon — Perſönlichkeit iſt nur ein abſtracter,
moderner Ausdruck für Herrlichkeit — von ſich unterſchei-
det
als ein Prädicat, welches ſie haben und nicht haben
kann, ohne deßwegen aufzuhören, ſie ſelbſt zu ſein. Noth-
wendig mußte ſich daher auch im Leben, in der Praxis des Chri-
ſtenthums dieſer innere Widerſpruch realiſiren, das Subject
vom Prädicat, der Glaube von der Liebe ſcheiden. Wie
die Liebe Gottes zum Menſchen nur ein Gnadenact war, ſo
wurde auch die Liebe des Menſchen zum Menſchen nur zu
[441] einem Gnadenact des Glaubens. Die chriſtliche Liebe iſt
der gnädige Glaube, wie die Liebe Gottes die gnädige Per-
ſönlichkeit oder Herrſchaft. (Ueber die göttliche Willkühr ſ. z.
B. J. A. Erneſti’s ſchon oben citirte Abhandlung: Vindi-
ciae arbitrii divini.
)


Der Glaube hat ein böſes Weſen in ſich. Der
chriſtliche Glaube, ſonſt nichts iſt der Grund der chriſtlichen
Ketzerverfolgungen und Ketzerhinrichtungen. Der Glaube
anerkennt den Menſchen nur unter der Bedingung, daß er
Gott, d. h. den Glauben anerkennt. Der Glaube iſt die Ehre,
die der Menſch Gott erweiſt. Und dieſe Ehre gebührt ihm
unbedingt. Dem Glauben iſt die Baſis aller Pflichten der
Glaube an Gott — der Glaube die abſolute Pflicht, die
Pflichten gegen die Menſchen nur abgeleitete, untergeord-
nete Pflichten. Der Ungläubige iſt alſo ein rechtloſes
ein vertilgungswürdiges Subject. Was Gott negirt, muß
ſelbſt negirt werden. Das höchſte Verbrechen iſt das Verbre-
chen der laesae majestatis Dei. Gott iſt dem Glauben ein
perſönliches und zwar das allerperſönlichſte, unverletzlichſte,
berechtigtſte Weſen. Die Spitze der Perſönlichkeit iſt die
Ehre — eine Injurie gegen die höchſte Perſönlichkeit alſo
nothwendig das höchſte Verbrechen. Die Ehre Gottes kann
man nicht als eine zufällige, rohſinnliche, anthropomorphiſti-
ſche Vorſtellung desavouiren. Iſt denn nicht auch die Per-
ſönlichkeit, auch die Exiſtenz Gottes eine ſinnliche, anthropo-
morphiſtiſche Vorſtellung? Wer die Ehre negirt, ſei ſo ehr-
lich, auch die Perſönlichkeit aufzuopfern. Aus der Vorſtellung
der Perſönlichkeit ergibt ſich die Vorſtellung der Ehre, aus
dieſer die Vorſtellung der religiöſen Injurie. Quicunque
Magistratibus male precatus fuerit, pro eorum arbitrio
poenas luito; quicunque vero idem scelus erga Deum ad-
miserit … lapidibus blasphemiae causa obruitur.
Moses (III. 24, 15. 16.) Eos autem merito torqueri,
qui Deum nesciunt, ut impios, ut injustos, nisi profanus
nemo deliberat: quum parentem omnium et dominum
[442] omnium non minus sceleris sit ignorare
, quam
laedere. Minucii Fel. Oct. c. 35. Ubi erunt legis
praecepta divinae, quae dicunt: honora patrem et ma-
trem, si vocabulum patris, quod in homine honorari prae-
cipitur, in Deo impune violatur? Cypriani Epist.
73. (ed. Gersdorf.) Si hi qui nummos adulterant morte
mulctantur, quid de illis statuendum censemus, qui
fidem pervertere conantur? Paulus Cortesius
(in Sententias (Petri L.) III. l. dist. VII.) Si enim il-
lustrem ac praepotentem virum nequaquam exhonorari a
quoquam licet, et si quisquam exhonoraverit, decretis
legalibus reus sistitur et injuriarum auctor jure damna-
tur: quanto utique majoris piaculi crimen est, in-
juriosum quempiam Deo
esse? Semper enim per
dignitatem injuriam perferentis, crescit culpa facientis,
quia necesse est, quanto major est persona ejus qui con-
tumeliam patitur, tanto major sit noxa ejus, qui facit.

Alſo ſpricht Salvianus (de gubernat. Dei l. VI. p. 218.
edit. cit.), Salvianus,
den man genannt Magistrum Epi-
scoporum, sui saeculi Jeremiam, Scriptorem Christianis-
simum, Orbis christiani magistrum.
Aber die Häreſie,
der Unglaube überhaupt — die Häreſie iſt nur ein beſtimmter,
beſchränkter Unglaube — iſt eine Blasphemie, alſo das höchſte,
ſtrafbarſte Verbrechen. So ſchreibt, um von unzähligen Bei-
ſpielen nur eines anzuführen, J. Oecolampadius an Servet:
dum non summam patientiam prae me fero, dolens Jesum
Christum filium Dei sic dehonestari, parum christiane
tibi agere videor. In aliis mansuetus ero: in blasphe-
miis
quae in Christum, non item. (Historia Mich. Ser-
veti. H. ab Allwoerden Helmstadii 1727. p
. 13.) Denn
was iſt Blasphemie? Jede Negation einer Vorſtellung, einer
Beſtimmung, wobei die Ehre Gottes, die Ehre des Glaubens
betheiligt iſt. Servetus fiel als ein Opfer des chriſtlichen
Glaubens. Calvin ſagte noch zwei Stunden vor ſeinem
Tode zu Servet: Ego vero ingenue praefatus, me nun-
[443] quam privatas injurias fuisse persecutum,
und ſchied
von ihm mit bibelfeſter Geſinnung: ab haeretico homine,
qui
αὐτοκατάκϱιτος peccabat, secundum Pauli prae-
ceptum
discessi (ibid. p. 120).
Es war alſo keineswegs
perſönlicher Haß, wenn auch dieſer mit im Spiel geweſen ſein
mag, es war der religiöſe Haß, der S. auf den Scheiter-
haufen brachte — der Haß, der aus dem Weſen des Glau-
bens entſpringt. Selber Melanchthon billigte bekanntlich Ser-
vets Hinrichtung. Die Schweizer Theologen, welche die
Genfer um ihren Rath fragten, erwähnten zwar in ihren Ant-
worten ſchlangenkluger Weiſe nichts von der Todesſtrafe, aber
ſtimmten doch darin mit den Genfern überein, horrendos
Serveti errores detestandos esse, severiusque idcirco in
Servetum animadvertendum.
Alſo keine Differenz im Princip,
nur in der Art und Weiſe der Beſtrafung. Selbſt Calvin war
ſo chriſtlich, daß er die grauſame Todesart, wozu der Genfer
Senat S. verurtheilte, mildern wollte. Auch die ſpätern Chri-
ſten und Theologen billigten noch die Hinrichtung Servets.
(S. hierüber z. B. M. Adami Vita Calvini p. 90. Vita Bezae
p. 207. Vitae Theol. exter. Francof. 1618).
Wir haben
daher dieſe Hinrichtung als eine Handlung von allgemeiner
Bedeutung — als ein Werk des Glaubens und zwar nicht
des römiſch-katholiſchen, ſondern des reformirten, des auf die
göttliche Offenbarung reducirten, des evangeliſchen Glaubens
anzuſehen. — Daß man die Ketzer nicht durch Gewalt zum
Glauben zwingen müſſe, dieß allerdings behaupteten die mei-
ſten Kirchenlichter, aber gleichwohl lebte in ihnen doch der
boshafteſte Ketzerhaß. So ſagt z. B. der heilige Bernhard
(Super Cantica S. 66.) in Betreff der Ketzer: Fides sua-
denda est, non imponenda,
aber er ſetzt ſogleich hinzu:
quamquam melius procul dubio gladio coercerentur, illius
videlicet, qui non sine causa gladium portat, quam in
suum errorem multos trajicere permittantur.
— Wenn der
jetzige Glaube keine ſolchen eclatanten Greuelthaten mehr her-
vorbringt, ſo kommt das nur daher, daß unſer Glaube kein
[444] unbedingter, entſchiedner, lebendiger, ſondern vielmehr ein ſkep-
tiſcher, eklektiſcher, ungläubiger, durch die Macht der Kunſt
und Wiſſenſchaft gebrochner und gelähmter Glaube iſt. Wo
keine Ketzer mehr verbrannt werden, da hat der Glaube ſelbſt
kein Feuer mehr im Leibe. Der Glaube, der erlaubt Anderes
zu glauben, verzichtet auf ſeinen göttlichen Urſprung, degradirt
ſich ſelbſt zu einer nur ſubjectiven Meinung. Der Glaube,
der Andern den Zweifel an ſich geſtattet, iſt ein dubiöſer, ein
an ſich ſelbſt zweifelnder Glaube. Nicht dem chriſtli-
chen Glauben, nicht der chriſtlichen d. h. der durch den
Glauben beſchränkten Liebe, nein! dem Zweifel an
dem chriſtlichen Glauben, dem Sieg der religiöſen
Skepſis, den Freigeiſtern, den Häretikern verdanken
wir die Toleranz der Glaubensfreiheit
. Die von der
chriſtlichen Kirche verfolgten Ketzer nur verfochten die Glau-
bensfreiheit. Die chriſtliche Freiheit iſt Freiheit nur im
Unweſentlichen
, den Grundartikel des Glaubens gibt ſie
nicht frei.


Der Glaube ſcheidet den Menſchen vom Menſchen,
ſetzt an die Stelle der naturbegründeten Einheit und
Liebe eine übernatürliche — die Einheit des Glau-
bens
. Inter Christianum et gentilem non fides tantum
debet, sed etiam vita distinguere … Nolite, ait Aposto-
lus, jugum ducere cum infidelibus … Sit ergo inter nos
et illos maxima separatio. Hieronymus
(Epist.
Caelantiae matronae). … Prope nihil gravius quam co-
pulari alienigenae … Nam cum ipsum conjugium vela-
mine sacerdotali et benedictione sanctificari oporteat:
quomodo potest conjugium dici ubi non est fidei
concordia
? … Saepe plerique capti amore feminarum
fidem suam prodiderunt. Ambrosius. Ep. 70. Lib. IX.
Non enim licet christiano cum gentili vel judaeo inire
conjugium. Petrus L. (l. IV. dist. 39. c. 1.)
Auch dieſe
Scheidung iſt keineswegs unbibliſch. Wir ſehen ja vielmehr,
daß die Kirchenväter ſich gerade auf die Bibel berufen. Die
[445] bekannte Stelle des Apoſtels in Betreff der Ehen zwiſchen
Heiden und Chriſten bezieht ſich nur auf Ehen, die ſchon vor
dem Glauben beſtanden, nicht auf ſolche, die erſt geſchloſſen
werden ſollen. Man ſehe, was hierüber ſchon Petrus L. ſagt
in dem eben citirten Buche. Qui amat patrem et matrem
plus quam me, non est me dignus Matth. 10 … in hoc
vos non agnosco parentes, sed hostes … Alioquin quid
mihi et vobis? Quid a vobis habeo nisi peccatum et
miseriam? Bernardus
(Epist. 111. Ex persona Heliae
monachi ad parentes suos.) Etsi impium est, contemnere
matrem, contemnere tamen propter Christum piissimum
est. Bernhardus (Ep. 104.
S. auch Epist. 351. ad Hu-
gonem novitium.) Audi sententiam Isidori: multi cano-
nicorum, monachorum … temporali salute suorum paren-
tum perdunt animas suas … Servi Dei qui parentum suo-
rum utilitatem procurant a Dei amore se separant. De
Modo bene vivendi
(S. VII.). Omnem hominem fide-
lem
judica tuum esse fratrem. (ibid. Sermo 13.) Ambro-
sius dicit, longe plus nos debere diligere filios quos de
fonte levamus, quam quos carnaliter genuimus
.
(Petrus L. l. IV. dist. 6. c. 5. addit. Henr. ab Vurim.)
Ut Episcopi vel clerici in eos qui Catholici Christiani
non sunt
, etiam si consanguinei fuerint, nec per do-
nationes rerum suarum aliquid conferant. Concil. Car-
thag
. III. can. 13. (Summa Carranza). Cum haereti-
cis nec orandum, nec psallendum. Concil. Car-
thag
. IV. can. 72. (ibid.)


Der Glaube hat die Bedeutung der Religion, die
Liebe nur die der Moral
. Dieß hat beſonders entſchieden
der Proteſtantismus ausgeſprochen. Der Ausdruck, daß die
Liebe nicht vor Gott gerecht mache, ſondern nur der Glaube,
ſagt eben nichts weiter aus, als daß die Liebe keine religiöſe
Kraft und Bedeutung habe. (S. Apologia der augsburgiſchen
Confeſſ. Art. 3. Von der Liebe und Erfüllung des Geſetzes.)
Zwar heißt es hier: „Darum was die Scholaſtici von der
[446] Liebe Gottes reden, iſt ein Traum und iſt unmöglich Gott zu
lieben, ehe wir durch den Glauben die Barmherzigkeit erkennen
und ergreifen. Denn alsdann erſt wird Gott objectum ama-
bile,
ein lieblich, ſelig Anblick.“ Es wird alſo hier zum ei-
gentlichen Object des Glaubens die Barmherzigkeit, die Liebe
gemacht. Allerdings unterſcheidet ſich zunächſt der Glaube auch
nur dadurch von der Liebe, daß er außer ſich ſetzt, was die
Liebe in ſich ſetzt. Allerdings iſt der Glaube im proteſtantiſchen
Sinne der Glaube an die Vergebung der Sünde, der Glaube
an die Gnade, der Glaube an Chriſtus, als den für den
Menſchen ſterbenden und leidenden Gott, ſo daß der Menſch,
um die ewige Seligkeit zu erlangen, nichts weiter ſeinerſeits
zu thun hat, als dieſe Hingebung Gottes für ihn ſelbſt wieder
hingebend, d. i. gläubig, zuverſichtlich anzunehmen. Aber Gott
iſt nicht allein als Liebe Gegenſtand des Glaubens. Im Ge-
gentheil der charakteriſtiſche Gegenſtand des Glaubens als
Glaubens iſt Gott als Subject. Oder iſt etwa ein Gott, der
dem Menſchen kein Verdienſt gönnt, der Alles nur ſich aus-
ſchließlich vindicirt, eiferſüchtig über ſeiner Ehre wacht, iſt ein
ſolcher ſelbſtſüchtiger Gott ein Gott der Liebe?


Die aus dem Glauben hervorgehende Moral hat
zu ihrem Princip und Kriterium nur den Widerſpruch
mit der Natur, mit dem Menſchen
. Wie der höchſte Ge-
genſtand des Glaubens der iſt, welcher der Vernunft am
meiſten widerſpricht, die Euchariſtie, ſo iſt nothwendig die höchſte
Tugend der dem Glauben getreuen und gehorſamen Moral
die, welche am meiſten der Natur widerſpricht. Die dog-
matiſchen
Wunder haben conſequent moraliſche Wunder in
ihrem Gefolge. Die übernatürliche Moral iſt die natürliche
Schweſter des übernatürlichen Glaubens. Wie der Glaube
die Natur außer dem Menſchen, ſo überwindet die Glaubens-
moral die Natur im Menſchen. Dieſen praktiſchen Superna-
turalismus, deſſen epigrammatiſche Spitze die „Jungferſchaft,
die Schweſter der Engel, die Königin der Tugenden, die
Mutter alles Guten“ iſt (ſ. A. v. Buchers: Geiſtliches Such-
[447] verloren
. Sämmtl. W. B. VI. 151.) hat insbeſondre der
Katholicismus ausgebildet, denn der Proteſtantismus hat nur
das Princip feſtgehalten, aber die nothwendigen Conſequenzen
deſſelben willkührlich, eigenmächtig weggeſtrichen, hat ſich nur
den chriſtlichen Gedanken, aber nicht die chriſtliche Moral zu
Gemüthe gezogen. Grandis igitur virtutis est et sollicitae
diligentiae, superare quod nata sis: in carne non
carnaliter
vivere, tecum pugnare quotidie. Hierony-
mus
Ep. Furiae Rom. nobilique viduae.) Quanto igitur
natura amplius vincitur et premitur, tanto major
gratia infunditur. Thomas a K. (imit. l. III. c. 54.)
Esto robustus tam in agendo, quam in patiendo naturae
contraria
. (ibid. c. 49.) Beatus ille homo, qui propter
te Domine, omnibus creaturis licentiam abeundi tribuit,
qui naturae vim facit et concupiscentias carnis fervore
spiritus crucifigit (c. 48.). Adhuc proh dolor! vivit in me
verus homo, non est totus crucifixus. (ibid. c. 34.
ſ. auch
l. III. c. 19. l. II. c. 12.) Und dieſe Sätze ſind keineswegs
nur ein Abdruck der frommen Individualität des Verfaſſers der
Schrift de imitatione Christi; ſie drücken die ächte Moral
des Katholicismus aus — die Moral, welche die Heiligen
mit ihrem Leben beſtätigten und ſelbſt das ſonſt ſo weltliche
Oberhaupt der Kirche ſanctionirte. So heißt es z. B. in der
Canonizatio S. Bernhardi Abbatis per Alexandrum papam
III. anno Ch. 1164. Litt. apost. … primo ad Praelatos
Eccles. Gallic.: In afflictione vero corporis sui us-
que adeo sibi mundum, seque mundo reddidit crucifixum,
ut confidamus martyrum quoque eum merita obtinere
sanctorum etc.
Aus dieſem rein negativen Moralprincip
kommt es auch, daß ſich innerhalb des Katholicismus ſelbſt
dieſe craſſe Anſicht ausſprechen konnte und durfte, daß das
bloße Martyrerthum auch ohne die Triebfeder der Liebe zu
Gott himmliſche Seligkeit erwerbe.


Der Glaube opfert Gott den Menſchen auf. Das
Menſchenopfer gehört ſelbſt zum Begriffe der Religion. Die
[448] blutigen Menſchenopfer dramatiſiren nur dieſen Begriff. „Durch
den Glauben opferte Abraham den Iſaak.“ Hebräer 11, 17.
Quanto major Abraham, qui unicum filium voluntate
jugulavit
… Jepte obtulit virginem filiam et idcirco
in enumeratione sanctorum ab Apostolo ponitur. Hie-
ronymus
(Epist. Juliano).
Ueber die Menſchenopfer in der
jüdiſchen Religion ſiehe W. Vatke: die Religion des A. Te-
ſtaments I. Th. p. 275—78. u. Daumer: „Tabu, Moloch
und Sabbath.“ Auch in der chriſtlichen Religion iſt es nur
das Blut, die Negation des Menſchenſohnes, wodurch der
Zorn Gottes geſtillt, Gott mit dem Menſchen verſöhnt wird.
Darum mußte ein reiner, ſchuldloſer Menſch als Opfer fallen.
Solches Blut nur iſt koſtbar, ſolches nur hat verſöhnende
Kraft. Und dieſes am Kreuze zur Beſänftigung des göttlichen
Zorns vergoßne Blut genießen die Chriſten im Abendmahl
zur Beſtärkung und Beſiegelung ihres Glaubens. Aber warum
denn das Blut in der Geſtalt des Weins, das Fleiſch unter
der Geſtalt des Brotes? Damit es nicht den Schein hat,
als äßen die Chriſten wirklich Menſchenfleiſch, als tränken ſie
wirklich Menſchenblut, damit nicht der natürliche Menſch, d. i.
der homo verus beim Anblick von wirklichem Menſchenfleiſch
und Blute vor den Myſterien des chriſtlichen Glaubens zurück-
ſchaudert. Etenim ne humana infirmitas esum carnis et
potum sanguinis in sumptione horreret, Christus velari
et palliari illa duo voluit speciebus
panis et vini.
Bernard (edit. cit. p. 189—191). Sub alia autem specie
tribus de causis carnem et sanguinem tradit Christus et
deinceps sumendum instituit. Ut fides scil. haberet me-
ritum, quae est de his quae non videntur, quod fides
non habet meritum
, ubi humana ratio praebet experi-
mentum. Et ideo etiam ne abhorreret animus quod
cerneret oculus; quod non habemus in usu carnem
crudam comedere et sanguinem bibere
… Et etiam
ideo ne ab incredulis religioni christianae insul-
taretur
. Unde Augustinus: Nihil rationabilius, quam
[449] ut sanguinis similitudinem sumamus, ut et ita veritas
non desit et ridiculum nullum fiat a paganis, quod
cruorem occisi hominis bibamus. Petrus Lomb. (Sent.
lib. IV. dist. 11. c. 4.)


Aber wie das blutige Menſchenopfer in der höchſten Ne-
gation des Menſchen zugleich die höchſte Poſition deſſelben
ausdrückt, denn nur deßwegen, weil das Menſchenleben für
das Höchſte gilt, weil alſo das Opfer deſſelben das ſchmerz-
lichſte
iſt, das Opfer, welches die größte Ueberwindung koſtet,
wird es Gott dargebracht — eben ſo iſt auch der Widerſpruch
der Euchariſtie mit der menſchlichen Natur nur ein ſcheinbarer.
Auch ganz abgeſehen davon, daß Fleiſch und Blut mit Wein
und Brot, wie der h. Bernhard ſagt, bemäntelt werden, d. h.
in Wahrheit nicht Fleiſch, ſondern Brot, nicht Blut, ſon-
dern Wein genoſſen wird — das Myſterium der Euchariſtie
löſt ſich auf in das Geheimniß des Eſſens und Trinkens.
„.... Alle alte chriſtliche Lehrer .... lehren, daß der Leib Chriſti
nicht allein geiſtlich mit dem Glauben, welches auch außer-
halb
des Sacraments geſchieht, ſondern auch mündlich, nicht
allein von gläubigen, frommen, ſondern auch von unwürdigen,
ungläubigen, falſchen und böſen Chriſten empfangen werde.“
„So iſt nun zweierley Eſſen des Fleiſches Chriſti, eines
geiſtlich .... Solch geiſtlich Eſſen aber iſt nichts andres als
der Glaube .... Das andere Eſſen des Leibes Chriſti iſt
mündlich oder ſacramentlich.“ (Concordienb. Erkl. Art. 7.)
Was begründet alſo die ſpecifiſche Differenz der Eucha-
riſtie? Eſſen und Trinken. Außer dem Sacrament wird Gott
geiſtig, im Sacrament ſinnlich, mündlich genoſſen, d. h. ge-
trunken und gegeſſen. Wie könnteſt Du aber Gott in Deinen
Leib aufnehmen, wenn er Dir für ein Gottes unwürdiges
Organ gälte? Schütteſt Du den Wein in ein Waſſergefäß?
Ehrſt Du ihn nicht durch ein beſondres Glas? Faſſeſt Du mit
Deinen Händen oder Lippen an, was Dich ekelt? Erklärſt
Du nicht dadurch das Schöne allein für das Berührungs-
würdige? Sprichſt Du nicht die Hände und Lippen heilig,
Feuerbach. 29
[450] wenn Du mit ihnen das Heilige ergreifſt und berührſt? Wenn
alſo Gott gegeſſen und getrunken wird, ſo wird Eſſen und
Trinken als ein göttlicher Act ausgeſprochen. Und dieß
ſagt die Euchariſtie, aber auf ein ſich ſelbſt widerſprechende,
myſtiſche, heimliche Weiſe. Unſere Aufgabe iſt es jedoch, offen
und ehrlich, deutlich und beſtimmt das Myſterium der Religion
auszuſprechen. Das Leben iſt Gott, Lebensgenuß Got-
tesgenuß, wahre
Lebensfreude wahre Religion. Aber
zum Lebensgenuß gehört auch der Genuß von Speiſe und
Trank. Soll daher das Leben überhaupt heilig ſein, ſo muß
auch Eſſen und Trinken heilig ſein. Iſt dieſe Confeſſion Ir-
religion? Nun ſo bedenke man, daß dieſe Irreligion das ana-
lyſirte, explicirte, das unumwunden ausgeſprochene Geheimniß
der Religion ſelbſt iſt. Alle Geheimniſſe der Religion reſolvi-
ren ſich zuletzt, wie gezeigt, in das Geheimniß der himmli-
ſchen Seligkeit. Aber die himmliſche Seligkeit iſt nur die von
den Schranken der Wirklichkeit entblößte Glückſeligkeit. Die
Chriſten wollen ſo gut glückſelig ſein als die Heiden. Der
Unterſchied iſt nur, daß die Heiden den Himmel auf die
Erde, die Chriſten die Erde in den Himmel verſetzen
.
Endlich iſt, was iſt, was wirklich genoſſen wird; aber unend-
lich, was nicht iſt, was nur geglaubt und gehofft wird.

[][]

Appendix B

Druck von Bernh. Tauchnitzjun.


[][][]
Notes
*)
Objectum intellectus esse illimitatum sive omne verum
ac, ut loquuntur, omne ens ut ens, ex eo constat, quod ad nul-
lum non genus
rerum extenditur, nullumque est, cujus cog-
noscendi capax non sit, licet ob varia obstacula multa sint, quae
re ipsa non norit. Gassendi. (Opp. omn. Phys.)
**)
Der geiſtloſe Materialiſt ſagt: „Der Menſch unterſcheidet ſich
vom Thiere nur durch Bewußtſein, er iſt ein Thier, aber mit Be-
wußtſein“, er bedenkt alſo nicht, daß in einem Weſen, das zum Be-
wußtſein erwacht, eine qualitative Veränderung und Differen-
zirung
des ganzen Weſens vor ſich geht. Uebrigens ſoll mit dem Ge-
ſagten keineswegs das Weſen der Thiere herabgeſetzt werden. Hier iſt
der Ort nicht, tiefer einzugehen.
*)
Toute opinion est assez forte pour se faire esposer au
prix de la
vie. Montaigne.
*)
Unusquisque vestrum non cogitat, prius se debere Deum
nosse, quam colere. M. Minucii Felicis Octavianus
. c. 24.
*)
Wenn daher in der Hegel’ſchen Religionsphiloſophie auf dem
Standpunkt der myſtiſch-ſpeculativen Vernunft der oberſte Grundſatz der
iſt: „das Wiſſen des Menſchen von Gott iſt das Wiſſen Got-
tes von ſich ſelbſt
,“ ſo gilt dagegen hier auf dem Standpunkt der
natürlichen Vernunft der entgegengeſetzte Grundſatz: das Wiſſen des
Menſchen von Gott iſt
das Wiſſen des Menſchen von ſich
ſelbſt
.
*)
Die Bedeutung dieſer parenthetiſchen Beſchränkung wird im Ver-
laufe erhellen.
**)
Les perfections de Dieu sont celles de nos ames,
mais il les possede sans bornes .... il y a en nous quelque puis-
sance, quelque connaissance, quelque bonté, mais elles sont toutes
entieres en Dieu. Leibnitz. (Theod. Préface.) Nihil in anima
esse putemus eximium, quod non etiam divinae naturae pro-
prium
sit .... Quidquid a Deo alienum, extra definitionem
animae. S. Gregorius
Nyss. (Krabingerus Lips. 1837. p. 43.)
*)
Quodsi (igitur) irae detrahatur imperfectio, quae in rationis ob-
nubilatione dolorisque sensu consistit, tantumque vidicandi voluntas
relinquatur, Deo tribui potest, scripturae sacrae exemplo. .... Omnis
scil. affectus, exceptis illis, qui per se mali aliquid involvunt, qua-
lis est invidia, quam veteres
(nein! auch die Chriſten, nur nicht dem
Namen nach) inepte diis suis tribuebant, si pro appetitu rationali ha-
beatur, seposito nempe sensitivo tumulto, Deo adscribi potest. Leib-
nitz
L. ad Placcium
.
*)
Gloriam suam plus amat Deus quam omnes creaturas.
„Gott kann nur ſich lieben, nur an ſich denken, nur für ſich ſelbſt
arbeiten. Gott ſucht, indem er den Menſchen macht, ſeinen Nutzen,
ſeinen Ruhm“ u. ſ. w. S. P. Bayle. Ein Beitrag zur Geſchichte der
Philoſ. u. Menſchh. p. 104 — 107.
*)
Eine Illuſion, die aber, wie aus dieſer Schrift ſich ergibt, das eigen-
thümliche Weſen der Religion, und daher inſofern einen weſentlichen Unter-
ſchied begründet.
*)
Abſichtlich wird hier der in neuerer Zeit mit Unrecht ſo zurückge-
ſetzte Verſtand als Ausdruck der Intelligenz überhaupt genommen, weil
dieſer Ausdruck ein höchſt ſcharfer, beſtimmter, pikanter und doch zugleich
populärer iſt.
*)
Luther. Concordienbuch. Art. 8. Erklär.
*)
Ate incipiat cogitatio tua et in te finiatur, nec frustra in alia
distendaris, te neglecto. Praeter salutem tuam nihil cogites.
De int. Domo
.
(Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard). Si
te vigilanter homo attendas, mirum est, si ad aliud unquam inten-
das
. Divus Bernardus (Tract. de XII gradibus humil. et superbiae.)
*)
Nihil est autem quod hominem adeo Deo dissimilem faciat,
quemadmodum peccatum. Augustin.
(bei Petrus Lombardus Sent.
I. II. dist. 35. c. 7.) Qui innocentiam colit, Domino supplicat, qui justi-
tiam, Deo libat; qui fraudibus abstinet, propitiat Deum, qui hominem pe-
riculo subripit, opimam victimam caedit. Haec nostra sacrificia, haec
Dei sacra sunt: sic apud nos religiosior est ille qui justior. M.
Minu. Felicis Octav
. c.
32. Uebrigens finden ſich ähnliche Gedanken
genug auch bei den ſogenannten Heiden.
*)
Omnes peccavimus. ..... Parricidae cum lege coeperunt et
illis facinus poena monstravit. Seneca.
*)
Der Unterſchied zwiſchen dem Idealismus — wenigſtens dem wah-
ren, naturbegründeten Idealismus — und dem Materialismus iſt nur die-
ſer, daß jener ein geiſt- und ſinnvoller Materialismus, dieſer aber, der
gewöhnlich ſo genannte Materialismus aber geiſtloſer Materialismus iſt.
*)
S. hierüber z. B. Tertullian. adv. Praxeam c. 15. 16.
*)
So, in dieſem Sinne feierte der alte unbedingte begeiſterungsvolle
Glaube die Incarnation. Amor triumphat de Deo, ſagt der heil. Bernhard.
Und nur in der Bedeutung einer wirklichen Selbſtentäußerung, Selbſtver-
läugnung der Gottheit liegt die Realität, die Vis der Incarnation, wenn
gleich dieſe Selbſtnegation nur eine Phantaſievorſtellung iſt, denn
bei Lichte betrachtet negirt ſich in der Incarnation Gott nicht, ſondern er
zeigt ſich nur als das, was er iſt, als ein menſchliches Weſen. Was
die Lüge der ſpätern rationaliſtiſch-orthodoxen und bibliſch-pietiſtiſch-ratio-
naliſtiſchen Theologie gegen die wonnetrunknen Vorſtellungen und Aus-
drücke des alten Glaubens in Betreff der Incarnation vorgebracht, ver-
dient keine Erwägung, geſchweige eine Widerlegung. Wie aber ſelbſt der
alte charaktervolle Glaube die Wahrheit der Incarnation, die Wahrheit des
Gottmenſchen wieder geläugnet — darüber im Anhang.
*)
Der heilige Bernhard hilft ſich mit einem köſtlich ſophiſtiſchem
Wortſpiel: Impassibilis est Deus, sed non incompassibilis cui
proprium est misereri semper et parcere (Super Cantica. Sermo 26.)

als wäre nicht Mitleiden Leiden, freilich Leiden der Liebe, Leiden des Her-
zens. Aber was leidet, wenn nicht das theilnehmende Herz? Ohne Liebe
keine Leiden. Die Materie, die Quelle des Leidens, iſt eben das allgemeine
Herz, das allgemeine Band der Natur.
*)
1. Johannes 4, 19.
*)
Die Religion ſpricht durch Exempel. Das Exempel iſt das Geſetz
der Religion. Was Chriſtus gethan, iſt Geſetz. Chriſtus hat gelitten für
Andere, alſo ſollen wir daſſelbe thun..... Quae necessitas fuit ut sic
exinaniret se, sic humiliaret se, sie abbreviaret se Dominus majestatis,
nisi ut vos similiter faciatis? (Bernardus in Die nat. Domini.)

Aber dieſe Wahrheit negirt die Eiferſucht der Religion auf den Menſchen,
auf die Moral dadurch wieder, daß ſie das Handeln und Leiden für Andere,
für die Menſchen nur zu einem Handeln und Leiden für Chriſtus, für Gott
und ſeine Ehre macht. Doch davon erſt ſpäter.
*)
Haerent plerique hoc loco.... Ego autem non solum excusan-
dum non puto, sed etiam nusquam magis pietatem ejus majestatemque
demiror. Minus enim contulerat mihi, nisi meum suscepisset af-
fectum
. Ergo pro me doluit, qui pro se nihil habuit, quod doleret....
Suscepit enim tristitiam meam, ut mihi suam laetitiam largiretur....
Non me fefellit, ut aliud esset et aliud videretur. Tristis videbatur
ettristis erat. Ambrosius
. (Exposit. in Lucae Evangel. l. X. c. 22.)
*)
Quando enim illi (Deo) appropinquare auderemus in sua
impassibilitate manenti. Bernardus
(Tract. de XII grad. hum.
et sup.)
*)
Deus meus pendet in patibulo et ego voluptati ope-
ram dabo
? (Formula hon. vitae.
Unter den unächten Schriften des heil.
Bernhard.)
*)
S. z. B. I. Petri 4, 1. 13. Römer 8, 17. 18. II. Korinth. 4, 10. 17.
Abstine … ab omnibus seculi delectationibus, ut post hanc
vitam in coelo laetari possis cum angelis. (de modo bene viv. Serm.

23. Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.)
*)
Pati voluit, ſagt der „letzte Kirchenvater“ der katholiſche Luther,
der heil. Bernhard (in der cit. Schrift de grad.) pati voluit, ut com-
pati sciret, miser fieri
, ut misereri disceret (Hebrae.
5, 15.)
*)
Gott ohne Sohn iſt Ich, Gott mit Sohn iſt Du. Ich iſt Ver-
ſtand, Du
iſt Liebe. Liebe aber mit Verſtand und Verſtand
mit Liebe
iſt Geiſt; Geiſt aber die Totalität des Menſchen als ſol-
chen, der totale Menſch.
*)
Der heil. Geiſt verdankt ſeine perſönliche Exiſtenz nur einem Na-
men, einem Worte. Selbſt die älteſten Kirchenväter identificirten bekannt-
lich noch den Geiſt mit dem Sohne. Auch ſeiner ſpätern dogmatiſchen
Perſönlichkeit fehlt die Conſiſtenz. Er iſt die Liebe, mit der Gott ſich und
die Menſchen und hinwiederum die Liebe, mit welcher der Menſch Gott und
den Menſchen liebt. Alſo die Identität Gottes und des Menſchen, wie ſie
innerhalb der Religion dem religiöſen Menſchen, d. i. als ein ſelbſt beſon-
deres Weſen, Gegenſtand wird. Aber für uns liegt dieſe Einheit ſchon im
Vater, noch mehr im Sohne. Wir brauchen daher den heil. Geiſt nicht zu
einem beſondern Gegenſtande unſerer Unterſuchung zu machen. Nur dieſe
Bemerkung noch. Inwiefern der heil. Geiſt die ſubjective Seite repräſen-
tirt, ſo iſt er eigentlich die Repräſentation des religiöſen Gemüths vor ſich
ſelbſt
, der religiöſen Begeiſterung, des religiöſen Affects,
oder die Perſonification, die Bejahung, die Vergegenſtändlichung der Reli-
gion in der Religion. Der heil. Geiſt iſt daher die ſeufzende Creatur, die
Sehnſucht der Creatur.
*)
Exigit ergo Deus timeri ut Dominus, honorari ut pater, ut spon-
sus amari
. Quid in his praestat, quid eminet? Amor. Bernardus
(Sup. Cant. Ser. 83.)
*)
In der ſtrengen Orthodoxie wird allerdings jede Subordination
des Sohnes aufs ſorgfältigſte vermieden, aber eben dadurch, wie überhaupt
durch die völlige Einheit und Gleichheit, geht auch die Realität der Unter-
ſchiede und Perſonen, hiemit der myſtiſche Reiz der Trinität verloren.
Uebrigens iſt dieſe Bemerkung überflüſſig. Alle Einwendungen, die man
gegen die Auffaſſungsweiſe im erſten Theil dieſer Schrift vorbringen kann,
kommen im zweiten Theil zwar nicht ausdrücklich, was zu langweilig wäre,
aber dem Princip nach zur Sprache.
**)
In der jüdiſchen Myſtik iſt Gott nach einer Partei ein männliches,
**)
der heilige Geiſt ein weibliches Urweſen, aus deren geſchlechtlicher Vermi-
ſchung der Sohn und mit ihm die Welt entſtanden. Gfrörer Jahrh. d. H.
I. Abth. p. 332—34. Auch die Herrnhuter nannten den heil. Geiſt die
Mutter des Heilands.
*)
Es iſt hier wie anderwärts natürlich immer nur der religiöſe oder
theologiſche Proteſtantismus gemeint.
*)
Im Concordienbuch Erklär. Art. 8. heißt es jedoch noch von ihr:
„Darum ſie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau
geblieben iſt.“
**)
Sit monachus quasi Melchisedech sine patre, sine matre,
sine genealogia
: neque patrem sibi vocet super terram. Imo sic se
existemet, quasi ipse sit solus et Deus. (Speculum Monach.
unter
den unächten Schriften des heil. Bernh.) Melchisedech .... refertur ad
exemplum, ut tanquam sine patre et sine matre sacerdos esse
debeat. Ambrosius
(irgendwo.)
*)
Aus demſelben Grunde beſtand auch die lateiniſche Kirche ſo feſt auf
dem Dogma, daß der heil. Geiſt nicht vom Vater allein, wie die grie-
chiſche Kirche behauptete, ſondern zugleich auch vom Sohne ausgehe.
S. hierüber J. G. Walchii Hist. Contr. Gr. et Lat. de proc. Spiritus s.
Jenae
1751.
*)
Dieß iſt beſonders deutlich in der Menſchwerdung ausgeſprochen.
Gott gibt auch, negirt ſeine Majeſtät und überweltliche Macht, d. i. ſeine
Unendlichkeit, um Menſch zu werden, d. h. der Menſch negirt den Gott,
der nicht ſelbſt Menſch iſt, bejaht nur den Gott, welcher den Menſchen be-
jaht. Exinanivit, ſagt der heil. Bernhard, majestate et potentia, non bo-
nitate et misericordia
. Das Unveräußerliche, das nicht zu Negirende
iſt die göttliche Güte und Barmherzigkeit, d. i. die Selbſtbejahung des
menſchlichen Herzens.
*)
Wer ſich daher an die Denkmacht ſtößt, der ſetze dafür irgend eine
andre geiſtige Macht, etwa die Willensmacht oder was ihm ſonſt beliebt.
So ſchrieben einige Theologen dem heil. Geiſt vorzugsweiſe die Liebe, dem
Sohne die Weisheit, dem Vater die Macht potentia zu.
*)
Proprium est filio esseimaginem, quia illi convenit se-
cundum proprietatem originis. .... Filius ex eo, quod ab alio est, habet
quem imitetur ..... ideo dicit Augustinus, quod eo imago est quo
filius. Albertus
M. de mir. sci. Dei. P. I. Tr. VIII. Qu. 35. m. 2.
*)
Sacram imaginem Domini nostri Jesu Christi et omnium salva-
toris aequo honore cum libro sanctorum evangeliorum adorari decerni-
mus. … Dignum est enim ut … propter honorem qui ad principalia
refertur, etiam derivative imagines honorentur et adorentur.
Gener. Const. Conc
. VIII. Act. 10. can. 3.
*)
Ueber die Bedeutung des Wortes: Logos im N. T. iſt viel geſchrie-
ben worden. Wir halten uns hier an das Wort Gottes als die im Chri-
*)
Tanta certe vis nomini Jesu inest contra daemones, ut non-
nunquam etiam a malisnominatum sit efficax. Origenes adv. Cel-
sum
. I. I.
S. auch I. III.
*)
ſtenthum geheiligte Bedeutung. Ueber den Logos bei Philo ſ. Gfrörer.
Philo ſetzt ſtatt Logos auch ῥημα ϑεοῦ. S. auch Tertullian. adv.
Praxeam c
. 5, wo er zeigt, daß es auf Eins hinauskommt, ob man Logos
mit Sermo oder Ratio überſetzt. Daß übrigens das Wort der richtige Sinn
des Logos iſt, geht ſchon daraus hervor, daß die Schöpfung im A. T. von
einem ausdrücklichen Befehl abhängig gemacht wird und daß man von jeher
in dieſem ſchöpferiſchen Worte den Logos erblickt hat. Freilich hat der Logos
auch den Sinn von Virtus, Spiritus, Kraft, Verſtand u. ſ. w., denn was iſt
das Wort ohne Sinn, ohne Verſtand, d. i. ohne Kraft?
*)
Hylarius .... Siquis innascibilem et sine initio dicat filium,
quasi duo sine principio et duo innascibilia, et duo innata dicens, duos
*)
faciat Deos, anathema sit. Caput enim quod est principium omnium,
filius
. Caput autem quod est principium Christi, deus. .... Fi-
lium innascibilem confiteri impiissimum est. Petrus Lomb.
Sent
. I. I. dist. 31. c. 4.
*)
Es liegt außer unſerm Zwecke, dieſe craß myſtiſche Anſicht zu kriti-
ſiren. Es werde hier nur bemerkt, daß die Finſterniß nur dann erklärt
wird, wenn ſie aus dem Lichte abgeleitet wird, daß aber nur dann die
*)
Ableitung des Dunkeln in der Natur aus dem Lichte als eine Unmöglichkeit
erſcheint, wenn man ſo blind iſt, daß man nicht auch in der Finſterniß noch
Licht erblickt, nicht bemerkt, daß das Dunkel der Natur kein abſolutes, ſon-
dern gemäßigtes, durch das Licht temperirtes Dunkel iſt.
*)
Schelling über das Weſen der menſchlichen Freiheit. 429. 432.
427. Denkmal Jacobi’s S. 82, 97—99.
*)
Kernhafter Auszug … J. Böhms. Amſterdam 1718. p. 58.
*)
L. c. p. 480. 338. 340. 323.
*)
Merkwürdiger Weiſe wandelte der Philosophus teutonicus wie
geiſtig, ſo auch phyſiſch auf vulkaniſchem Grunde. „Die Stadt Gör-
litz iſt durchaus mit lauter Baſalt gepflaſtert.“ Charpentier Mineral.
Geographie der Churſächſiſchen Lande. p. 19.
*)
L. c. p. 468, 617—18.
*)
L. c. p. 339, p. 69.
*)
Quidquid enim unus quisque super caetera colit: hoc illi
Deus est. (Origenes
Explan. in Epist. Pauli ad Rom. c. l.)
*)
Ich bin der Herr, der alles thut.“ „Ich bin der Herr und iſt
keiner mehr.“ „Ich bin Gott und keiner mehr.“ „Ich bin es der
Herr, beides der Erſte und der Letzte.“ Jesaias c. 41—47. Hieraus
ergibt ſich die erſt ſpäter ausführlicher zu entwickelnde Bedeutung der
Creation.
*)
Der tiefere Urſprung der Schöpfung aus Nichts liegt im Gemüth —
was eben ſo wohl direct als indirect in dieſer Schrift ausgeſprochen und be-
wieſen wird. Die Willkühr aber iſt eben der Wille des Gemüths, die
Kraftäußerung des Gemüths nach Außen.
**)
Creatio est miraculosa. Albertus M. (I. P. Summae de qua-
tuor coaequaevis. Qu. I. art.
8.) Darum iſt auch die Schöpfung aus Nichts
**)
der natuͤrlichen Vernunft unbegreiflich, nur ein Articulus fidei, wie der-
ſelbe ſagt: de mirab. sci. Dei. P. I. Tract. 13. Qu. 53. membr. I.
*)
Certissimum divinae providentiae testimonium praebent
miracula. H. Grotius de verit. rel. christ. l. I.
§. 13.
*)
Der religiöſe Naturalismus iſt allerdings auch ein Moment der
chriſtlichen — mehr noch der moſaiſchen, ſo thierfreundlichen Religion.
Aber er iſt keineswegs das charakteriſtiſche, das chriſtliche Moment
der chriſtlichen Religion. Die chriſtliche, die religiöſe Vorſehung iſt eine
ganz andere, als die Vorſehung, welche die Lilien kleidet und die Raben
ſpeiſt. Die natürliche Vorſehung laͤßt den Menſchen im Waſſer unterſin-
ken, wenn er nicht ſchwimmen gelernt hat, aber die chriſtliche, die religiöſe
Vorſehung führt ihn an der Hand der Allmacht über das Waſſer hinweg.
*)
Der Verfaſſer hatte bei dieſer Entgegenſetzung der religiöſen oder
bibliſchen und natürlichen Vorſehung beſonders die fade, bornirte Theologie
der engliſchen Naturforſcher vor Augen.
*)
Qui Deos negant, Nobilitatem generis humani destruunt.
(Baco. Verul. Serm. Fidel.
16.)
**)
Bekanntlich ſagten auch die Stoiker: deorum et hominum causa
factum esse mundum, quaeque in eo sint omnia. (Cicero de nat. Deor.
l. II.
)
*)
Bei Clemens Alex. (Coh. ad gentes) findet ſich eine intereſ-
ſante Stelle. Sie lautet in der lateiniſchen Ueberſetzung (der ſchlechten
Würzburger Ausgabe 1778): At nos ante mundi constitutionem
fuimus, ratione futurae nostrae productionis, in ipso Deo quodammo-
do tum praeexistentes. Divini igitur Verbi sive Rationis, nos crea-
turae rationales sumus, et per eum primi esse dicimur, quoniam in
principio erat Verbum
. Hier iſt das menſchliche Weſen — denn dieſes iſt
das Geheimniß des Logos, als welcher nichts will und denkt, als das Heil
des Menſchen — deutlich genug als das ſchöpferiſche Princip ausgeſprochen.
*)
Hieraus erklärt es ſich, warum alle Verſuche der ſpeculativen Theo-
logie und der ihr gleichgeſinnten Philoſophie, von Gott auf die Welt zu
kommen oder aus Gott die Welt abzuleiten, mißglücken und mißglücken
müſſen. Nämlich darum, weil ſie von Grund aus falſch und verkehrt ſind,
nicht wiſſen, worum es ſich eigentlich in der Creation handelt.
*)
Man kann hiegegen auch nicht einwenden die Allgegenwart Got-
tes, das Sein Gottes in allen Dingen, oder das Sein der Dinge in Gott.
Denn abgeſehen davon, daß durch den einſtigen wirklichen Untergang der
Welt das außer Gott Sein der Welt, d. h. ihre Ungöttlichkeit deutlich ge-
nug ausgeſprochen iſt — Gott iſt nur im Menſchen auf ſpecielle
Weiſe; aber nur da bin ich zu Hauſe, wo ich ſpeciell zu Hauſe bin. Und
das Sein der Dinge in Gott iſt, wo es keine pantheiſtiſche Bedeutung hat,
die aber hier wegfällt, eben ſo nur eine Vorſtellung ohne Realität, drückt
nicht die ſpeciellen Geſinnungen der Religion aus.
*)
Hier iſt auch der Punkt, wo die Creation uns nicht nur die göttliche
Macht, ſondern auch die göttliche Liebe repräſentirt. Quia bonus est
(Deus), sumus. (Augustin.)
Anfangs, vor der Welt war Gott allein für
*)
ſich. Ante omnia Deus erat solus, ipse sibi et mundus et Iocus
et omnia. Solus autem; quia nihil extrinsecus praeter ipsum.
(Tertullian.)
Aber kein höheres Glück gibt es, als Andere zu beglücken,
Seligkeit liegt im Actus der Mittheilung. Aber mittheilend iſt nur die
Freude, die Liebe. Der Menſch ſetzt daher die mittheilende Liebe als Prin-
cip des Seins. Extasis boni non sinit ipsum manere in seipso (Dio-
nysius A.)
Alles Poſitive begründet ſich nur durch ſich ſelbſt. Die
göttliche Liebe iſt die ſich ſelbſt begründende, ſich ſelbſt be-
jahende Lebensfreude
. Das höchſte Selbſtgefühl des Lebens, die
höchſte Lebensfreude iſt aber die Liebe, die beglückt. Gott iſt das
Glück der Exiſtenz.
*)
Bei Diogenes L. lib. II. c. III. §. 6. heißt es wörtlich „zur An-
ſchauung der Sonne, des Mondes und des Himmels.“ Aehnliche Gedanken
bei andern Philoſophen. So ſagten auch die Stoiker: Ipse autem homo
ortus est ad mundum contemplandum et imitandum. (Cic. de nat.)
*)
Hebraei Numen verbo quidquid videtur efficiens describunt et
quasi imperio omnia creata tradunt, ut facilitatem in eo quod vult
efficiendo, summamque ejus in omnia potentiam ostendant. Psal. 33,
6. Verbo Jehovae coeli facti sunt. Ps. 148, 5. Ille jussit eaque creata
sunt. J. Clericus. Comment. in Mosem. Genes. I. v. 3.
**)
Quidquid est creatum, δυνάμει tale est, ut possit ex quocun-
que fieri quodlibet
, respectu omnipotentiae Dei et misericor-
diae. C. Peucer
de praec. divinationum generibus. p. 81. Servestae
1591.
*)
Moſe II. c. 16, 12.
**)
Moſe II. 24, 10, 11. Tantum abest, bemerkt ein Exeget, ut mor-
tui sint, ut contra convivium hilares celebrarint
.
***)
Moſe I. c. 28, 20.
*)
Uebrigens dachten ſie bekanntlich verſchieden hierüber. (S. z. B.
Aristoteles de coelo l. I. c. 10.) Aber ihre Differenz iſt eine untergeord-
nete, da das ſchaffende Weſen bei ihnen mehr oder weniger ſelbſt ein kosmi-
ſches Weſen iſt.
*)
Deuteron, c. 4, 19.
*)
Aber natürlich nur bei der abſoluten Religion, denn bei den andern
Religionen heben ſie die uns fremden, ihrem urſprünglichen Sinn und
Zweck nach unbekannten Vorſtellungen und Gebräuche als ſinnlos und
lächerlich hervor. Und doch iſt in der That die Verehrung des Kuhurins,
den der Parſe und Indier trinkt, um Vergebung der Suͤnden zu erhalten,
nicht lächerlicher als die Verehrung des Haarkamms oder eines Fetzens vom
Rocke der Mutter Gottes.
*)
Weisheit, 19, 6.
**)
S. Gfrörer’s Philo.
***)
Nach Herder.
*)
Die Bemerkung ſtehe noch hier, daß allerdings die Bewunderung
der Macht und Herrlichkeit Gottes überhaupt, ſo auch Jehovahs in der
Natur
zwar nicht im Bewußtſein des Iſraeliten, aber doch in Wahr-
heit nur die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit der Natur iſt. (S.
hierüber P. Bayle, Ein Beitrag ꝛc. p. 25—29.) Aber dieß förmlich zu
beweiſen, liegt außer unſerm Plan, da wir uns hier nur auf das Chriſten-
thum, d. h. die Verehrung Gottes im Menſchen (Deum colimus per
Christum
. Tertullian. Apolog. c.
21.) beſchränken. Gleichwohl iſt jedoch
das Princip dieſes Beweiſes auch in dieſer Schrift ausgeſprochen.
*)
„Der größte Theil der hebräiſchen Poeſie, den man oft nur fuͤr
geiſtlich hält, iſt politiſch.“ Herder.
*)
Sebaſtian Frank von Wörd in Zinkgrafs Apophthegmata
deutſcher Nation.
*)
Es wäre ein ſchwachſinniger Einwand, zu ſagen, Gott erfülle
nur die Wünſche, die Bitten, welche in ſeinem Namen oder im In-
tereſſe der Kirche Chriſti geſchehen, kurz nur die Wünſche, welche mit
ſeinem Willen übereinſtimmen; denn der Wille Gottes iſt eben der
Wille des Menſchen, oder vielmehr Gott hat die Macht, der
Menſch den Willen: Gott macht den Menſchen ſelig, aber der
Menſch will ſelig ſein. Ein einzelner, dieſer oder jener Wunſch kann
allerdings nicht erhört werden; aber darauf kommt es nicht an, wenn
nur die Gattung, die weſentliche Tendenz genehmigt iſt. Der Fromme,
dem eine Bitte fehlſchlägt, tröſtet ſich daher damit, daß die Erfüllung
derſelben ihm nicht heilſam geweſen wäre. Nullo igitur modo vota
aut preces sunt irritae aut infrugiferae et recte dicitur, in petitione
rerum corporalium aliquando Deum exaudire nos, non ad volunta-
tem nostram, sed ad salutem. Oratio de precatione. in Decla-
mat. Melanchthonis
. T. III.
*)
Aus ſubjectiven Gründen vermag auch mehr das gemein-
ſchaftliche
als einzelne Gebet. Gemeinſamkeit erhöht die Gemüths-
kraft, ſteigert das Selbſtgefühl. Was man allein nicht vermag, ver-
mag man mit Andern. Alleingefühl iſt Beſchränktheitsgefühl; Ge-
meingefühl Freiheitsgefühl. Darum drängen ſich die Menſchen, von
Naturgewalten bedroht, zuſammen. Multorum preces impossibile
est, ut non impetrent, inquit Ambrosius … Sanctae orationis
fervor quanto inter plures collectior, tanto ardet diutius ac inten-
*)
sius cor Divinum penetrat … Negatur singularitati, quod
conceditur charitati. Sacra Hist
. de gentis hebr. ortu. P.
Pau I. Mezger. Aug. Vind. 1700. p. 668. 669
.
*)
Trefflich iſt der Begriff des Abhängigkeitsgefühles, der All-
macht, des Gebetes, der Liebe in der leſenswuͤrdigen Schrift: Thean-
thropos
. Eine Reihe von Aphorismen. Zürich. 1838 entwickelt.
*)
Talis quippe homo est, qui simul est Deus, Qui contra
conditiones
corporis humani, clausas fores Penetravit, omnibus
Euclideis demonstrationibus Contemptis
, qui lapidem sepul-
chralem transivit, Aristotele Longum valere jusso, qui aquis
marinis non aliter ac terrae solo inambulavit, omnibus Philosophis
neglectis. N. Frischlini
Phasma. Act. III. Sc. III.
S. hieruͤber
auch im Anhang. Es iſt daher unverzeihliche Willkühr, wenn die ſpecu-
lative Theologie das Wunder als etwas dem Glauben Aeußerliches auf die
Seite ſetzt. Allerdings iſt das äußerliche factiſche Wunder als ſolches nur
ein Phänomen, aber ein Phänomen von dem innerſten Weſen des Glau-
bens.
*)
Dieſer Glaube iſt der Bibel ſo weſentlich, daß ſie ohne ihn gar
nicht begriffen werden kann. Die Stelle 2. Petri 3, 8. ſpricht nicht,
wie dieß aus dem ganzen Capitel hervorgeht, gegen einen nahen Unter-
gang, denn wohl ſind 1000 Jahre wie ein Tag vor dem Herrn, aber auch
ein Tag wie 1000 Jahre, und die Welt kann daher ſchon morgen nicht
*)
mehr ſein. Daß überhaupt in der Bibel ein ſehr nahes Weltende er-
wartet und prophezeiht, obgleich nicht Tag und Stunde beſtimmt wird,
kann nur ein Lügner oder ein Blinder läugnen. S. hierüber auch
Lützelberger’s Schriften.
*)
1. Moſe 18, 14.
*)
Freilich iſt dieſe Befriedigung — eine Bemerkung, die ſich übri-
gens von ſelbſt verſteht — inſofern beſchränkt, als ſie an die Religion, den
Glauben an Gott gebunden iſt. Aber dieſe Beſchränkung iſt in Wahr-
heit keine Beſchraͤnkung, denn Gott ſelbſt iſt das unbeſchränkte, das ab-
ſolut befriedigte, in ſich geſättigte Weſen des menſchlichen Gemüthes.
*)
Die Legenden des Katholicismus — natürlich nur die beſſern,
wahrhaft gemüthlichen — ſind gleichſam nur das Echo von dem Grundton,
der ſchon in dieſer neuteſtamentlichen Erzählung herrſcht. — Das Wun-
der könnte man füglich auch definiren als den religiöſen Humor. Be-
ſonders hat der Katholicismus das Wunder von dieſer ſeiner humoriſtiſchen
Seite ausgebildet.
*)
Bildung in dem Sinne, in dem ſie hier genommen wird. Welt-
bildung wäre der richtige Ausdruck, wenn dieſer nicht im Sprachgebrauch
eine zu gemeine und oberflaͤchliche Bedeutung erhalten hätte. — Höchſt
charakteriſtiſch für das Chriſtenthum — ein populärer Beweis des Geſag-
ten — iſt es, daß nur die Sprache der Bibel, nicht die eines Sophokles
oder Plato, alſo nur die unbeſtimmte geſetzloſe Sprache des Ge-
müths, nicht die Sprache der Kunſt und Philoſophie für die Sprache,
*)
die Offenbarung des göttlichen Geiſtes im Chriſtenthum galt und heute
noch gilt. — Aber waren denn nicht viele Kirchenväter, wie z. B. Ter-
tullian, Clemens A., Hieronymus, Origenes ſehr gelehrte Leute? Ver-
danken wir nicht ihnen ſogar viele Kenntniſſe des heidniſchen Alterthums?
Wer wird dieß läugnen? Aber iſt der ein Freund und Beförderer des Pie-
tismus, der die Tractätlein der Pietiſten ſammelt und citirt, um ſie zu
proſtituiren? Nur auf den wiſſenſchaftlichen Sinn allein kommt es an.
Aber dieſen ſollten ſie auch ihrer Zeit und Beſtimmung nach nicht haben.
Richtig; aber ſie konnten auch ihrem Grundprincip nach keinen ha-
ben. — Wenn die Concilien von den Geiſtlichen Kenntniſſe verlangen,
ſo verſtehen ſie darunter natürlich immer nur kirchliche oder theologiſche
Kenntniſſe.
*)
Tantum denique abest incesti cupido, ut nonnullis rubori
sit etiam pudica conjunctio. M. Felicis Oct. c.
31. Der Pater
Gil war ſo außerordentlich keuſch, daß er kein Weib von Geſicht kannte,
ja er fürchtete ſich ſogar, nur ſich ſelbſt anzufaſſen, se quoque ipsum
attingere quodammodo horrebat
.
Der Pater Coton hatte
einen ſo feinen Geruch in dieſem Punkte, daß er bei Annäherung von
unkeuſchen Perſonen einen unerträglichen Geſtank wahrnahm. (Bayle
Dict. Art. Mariana Rem. C.
) Aber das oberſte, das göttliche Princip
dieſer hyperphyſiſchen Delicateſſe iſt die Jungfrau Maria; daher ſie
bei den Katholiken heißt: Virginum gloria, Virginitatis coro-
na, Virginitatis typus et forma puritatis, Virginum ve-
xillifera, Virginitatis magistra, Virginum prima, Virgi-
nitatis primiceria
.
**)
Salve sancta parens, enixa puerpera Regem,
Gaudia matris habens cum Virginitatis honore.
(Theol. schol. Mezger T. IV. p. 132.)
*)
S. z. B. J. D. Winckler Philolog. Lactant. s. Brunsvigae.
1754. p.
247—254.
**)
S. hierüber auch „Philoſ. und Chriſtenthum“ von L. Feuer-
bach.
*)
Intereſſant iſt in dieſer Beziehung das Selbſtbekenntniß Au-
guſtins
. Ita fluctuo inter periculum voluptatis et experimentum
salubritatis: magisque adducor .... cantandi consuetudinem appro-
bare in ecclesia, ut per oblectamenta aurium infirmior animus in
affectum pietatis assurgat. Tamen cum mihi accidit, ut nos am-
plius cantus, quam res quae canitur moveat, poenaliter me pec-
care confiteor. Confess. I. X. c. 33.
*)
Die Theologen beſchränkten zwar den Ausdruck μέσος, μεσίτης,
medius, mediator nur auf das Munus und Officium Christi. Aber
gleichwohl iſt in ſeiner Subſtanz die menſchliche und göttliche Natur
auf eine myſtiſche, d. i. wunderbare Weiſe verknüpft. (S. hierüber im
Anhang.) Wie hätte er auch dieſes vermittelnde Amt übernehmen
können, wenn er nicht ſeiner Natur nach ein Mittelweſen wäre?
*)
Negas ergo Deum, si non omnia filio, quae Dei
sunt
, deferuntur. Cum enim dixerit: omnia quae pater habet mea
sunt, cur tu non omnia quae divinae naturae sunt etiam in
filio confiteris? Ambrosius de Fide ad Gratianum. l. III. c. 7.
*)
Quod est Christus, erimus Christiani, si Christum
fuerimus sequuti. C. Cyprianus de idolorum vanitate. cap. 7.
*)
Hieraus erhellt die Unwahrhaftigkeit und Eitelkeit der modernen
Speculation uͤber die Perſönlichkeit Gottes. Schämt ihr euch nicht eines
perſönlichen Gottes, ſo ſchämt euch auch nicht eines fleiſchlichen Got-
tes
. Eine abſtracte farbloſe Perſönlichkeit, eine Perſönlichkeit ohne
Fleiſch und Blut
iſt ein hohles Geſpenſt.
*)
Concordienb. Erklär. Art. 8.
**)
Schon Faustus Socinus hat dieß aufs Trefflichſte gezeigt. S. deſ-
**)
ſen Defens. Animadv. in Assert. Theol. Coll. Posnan. de trino et uno Deo
Irenopoli. 1656. cap.
11. Man leſe in dieſer Beziehung beſonders die
Schriften der chriſtlichen Orthodoxen gegen die Heterodoxen, z. B. gegen
die Socinianer. Neuere Theologen erklären bekanntlich auch die kirchliche
Gottheit Chriſti für unbibliſch; aber gleichwohl iſt dieſe unläugbar das
charakteriſtiſche Princip des Chriſtenthums, und wenn ſie auch nicht ſo
in der Bibel ſchon ſteht, wie in der Dogmatik, dennoch eine nothwendige
Conſequenz der Bibel. Was kann ein Weſen, welches die leibhafte Fülle
der Gottheit, welches allwiſſend (Joh. 16, 30.) und allmächtig iſt (Todte
erweckt, Wunder wirkt), welches allen Dingen und Weſen der Zeit und
dem Range nach vorangeht, welches das Leben in ſich ſelbſt hat (wenn auch
als gegeben) gleichwie der Vater das Leben in ſich hat, was kann dieſes
Weſen, conſequent gefolgert, anders als Gott ſein? „Chriſtus iſt dem
Willen nach mit dem Vater eins;“ aber Willenseinheit ſetzt Weſenseinheit
voraus. „Chriſtus iſt der Abgeſandte, der Stellvertreter Gottes;“ aber
Gott kann ſich nur durch ein göttliches Weſen vertreten laſſen. Nur den,
in welchem ich gleiche oder doch ähnliche Eigenſchaften wie in mir finde,
kann ich zu meinem Stellvertreter wählen, ſonſt blamire ich mich ſelbſt.
*)
Ueber den Unterſchied von Herz und Gemüth im Anhange.
*)
Allerdings glaubten auch die heidniſchen Philoſophen, wie Plato,
Sokrates, die Stoiker (ſ. z. B. J. Lipsius Physiol. Stoic. l. I. diss.
XI.
), daß die göttliche Vorſehung ſich nicht nur auf das Allgemeine,
ſondern auch das Einzelne, Individuelle erſtrecke; aber ſie identificir-
ten die Vorſehung mit der Natur, dem Geſetz, der Nothwendig-
keit
. Allerdings glaubten auch die Stoiker, die ſpeculativen Ortho-
doxen des Heidenthums, Wunder der Vorſehung (ſ. Cic. de nat. Deor.
I. II.
u. de Divinat. l. I.); aber ihre Wunder hatten doch keine ſolche
ſupranaturaliſtiſche Bedeutung, wie bei den Chriſten, obwohl auch ſie
ſchon an die ſupranaturaliſtiſche Vorſtellung: Nihil est quod Deus ef-
ficere non possit
appellirten. Was überhaupt die übereinſtimmenden
Gedanken der Heiden und Chriſten betrifft, ſo verweiſe ich auf die
(freilich meiſt ſehr kritikloſen) Zuſammenſtellungen derſelben in den
Schriften älterer Theologen und Philoſophen, z. B. Aug. Steuchi
Eugub. etc. de perenni philosophia I. X. Basil. 1542
(intereſ-
ſant beſonders wegen des für jene Zeit ſo merkwürdigen Gedankens:
Hi (die heidniſchen Philoſophen) loquuntur natura rationeque ma-
gistra
, quod litterae sacrae oraculo .... pene miraculum
(sit) eos ratione vidisse, quod post nuntius coelestis revelavit.)
Theoph. Galeus Philos. gener. Londini 1676,
der mit orthodoxer
Bornirtheit und Mißgunſt Alles aus der Bibel ableitet, Hugo Gro-
tius
Annotationes in N. T.,
der ſtets zu den Ausſprüchen der Bibel
die verwandten Ausſprüche der Heiden geſellt.
*)
Dicimur amare et Deus; dicimus nosse et Deus. Et multa
in hunc modum. Sed Deus amat ut charitas, novit ut veritas etc.
Bernhard (de consider. l. V.).
*)
Der Ausdruck: Menſchheit, Gattung führt allerdings manche
unangemeſſene Vorſtellungen mit ſich, aber ſie verdienen keine Berück-
ſichtigung, da ſie nur auf einer oberflächlichen Anſicht von dem ſo
geheimnißvollen, unbegriffnen Weſen der Gattung beruhen.
*)
Allerdings iſt das Individuum etwas Abſolutes, in der Sprache
Leibnitz’s, der Spiegel des Univerſums, des Unendlichen. Aber als
exiſtirendes iſt das Individuum ſelbſt wieder nur ein beſtimmter, indi-
vidueller, darum endlicher Spiegel des Unendlichen. Darum gibt es
viele Individuen.
*)
Bei den Indern (Menu Geſ.) iſt erſt derjenige „ein voll-
ſtändiger Mann, der aus drei vereinigten Perſonen, ſeinem Weibe,
ſich ſelbſt und ſeinem Sohne beſteht. Denn Mann und Weib und
Vater und Sohn ſind Eins.“ Auch der altteſtamentliche, irdiſche Adam
iſt unvollſtändig ohne das Weib, ſehnt ſich nach ihm. Aber der neu-
teſtamentliche, der chriſtliche, der himmliſche, der auf den Untergang
dieſer Welt berechnete Adam hat keine geſchlechtlichen Triebe und
Functionen mehr.
*)
Cui Deus portio est, nihil debet curare, nisi Deum ....
Deus enim est sine peccato, Et ideo qui peccatum fugit, ad ima-
ginem est Dei ..... Melius fugit qui fugit illecebram saecula-
rem .... Fuga ergo mors est .... Hoc est fugere hinc: mori
*)
Eo dirigendus est spiritus quo aliquando est iturus.
Meditat. sacrae Joh. Gerhardi
. Med. 46.
*)
elementis hujus mundi, abscondere vitam in Deo. Am-
brosius
. Liber de fuga seculi. c. 2. 4. 7.
*)
Affectanti coelestia, terrena non sapiunt. Aeternis inhianti,
fastidio sunt transitoria. Bernhard. (Epist. Ex persona Heliae mo-
nachi ad parentes). Nihil nostra refert in hoc aevo, nisi de eo quam
celeriter excedere. Tertullian
. Apol. adv. Gentes. c. 41.
**)
Ille perfectus est qui mente et corpore a saeculo est elon-
gatus. De modo bene vivendi ad Sororem. S. VII.
(Unter den
unächten Schriften Bernhards.)
*)
S. indeß hierüber Hieronymus de vita Pauli primi Eremitae.
*)
Natürlich hatte das Chriſtenthum nur ſolche Kraft, als, wie
Hieronymus an die Demetrias ſchreibt, domini nostri adhuc ca-
lebat cruor et fervebat recens
in credentibus fides
.
*)
Wie anders die alten Chriſten! Difficile, imo impossibile
est, ut et praesentibus quis et futuris fruatur bonis. Hie-
ronymus
. (Epist. Juliano.)
Aber freilich ſie waren abſtracte Chri-
ſten. Und jetzt leben wir im Zeitalter der Verſöhnung! Ja wohl!
**)
Alle Ausdrücke ſind erlaubt in der Schrift, wo ſie bezeichnend,
wo ſie nothwendig ſind.
*)
Praesumendum est hos qui intra Paradisum recipi volunt,
tandem debere cessare ab ea re, a qua Paradisus intactus
est. Tertullian. de exhort. cast. c.
13.
*)
Thomas a Kempis de imit. (l. II. c. 7. c. 8. l. III. c. 5.
c. 34. c. 53. c. 59.) Felix illa conscientia et beata virginitas, in
cujus corde praeter amorem Christi .... nullus alius ver-
satur amor. Hieronymus
. (Demetriadi, virgini Deo conse-
cratae
.)
Aber freilich das iſt wieder eine ſehr abſtracte Liebe, die
im Zeitalter der Verſöhnung, wo Chriſtus und Belial ein Herz und
eine Seele ſind, nicht mehr ſchmeckt. O wie bitter iſt die Wahrheit!
*)
Dieß läßt ſich auch ſo ausdrücken: die Ehe hat im Chriſten-
thum nur eine moraliſche, aber keine religiöſe Bedeutung, kein
*)
religiöſes Princip und Vorbild. Anders bei den Griechen, wo
z. B. „Zeus und Here das große Urbild jeder Ehe (Creuzer Symb.),
bei den alten Parſen, wo die Zeugung als „die Vermehrung des Men-
ſchengeſchlechts, die Verminderung des Arhimaniſchen Reichs,“
alſo eine religiöſe Pflicht und Handlung iſt (Zend-Aveſta), bei den
Indern, wo der Sohn der wiedergeborne Vater iſt.
So der Frau ihr Gemahl nahet, wird er wiedergeboren ſelbſt
Von der, die Mutter durch ihn wird. (Fr. Schlegel.)
Bei den Indern darf kein Wiedergeborner in den Stand eines Sa-
nyaſſi, das iſt eines in Gott verſunkenen Einſiedlers treten, wenn er
nicht vorher drei Schulden bezahlt, unter andern die, daß er recht-
licher Weiſe einen Sohn gezeugt hat
. Bei den Chriſten dage-
gen, wenigſtens den katholiſchen, war es ein wahres religiöſes Freu-
denfeſt, wenn Verlobte oder ſchon Verheirathete — vorausgeſetzt, daß
es mit beiderſeitiger Einwilligung geſchah — den ehelichen Stand auf-
gaben, der religiöſen Liebe die eheliche Liebe aufopferten.
*)
Inſofern das religiöſe Bewußtſein alles zuletzt wieder ſetzt,
was es anfangs aufhebt, das jenſeitige Leben daher zuletzt nichts andres
iſt als das wiederhergeſtellte dießſeitige Leben, ſo muß conſequent auch das
Geſchlecht wiederhergeſtellt werden. Erunt … similes angelorum.
Ergo homines esse non desinent .... ut apostolus apostolus sit et
Maria Maria. Hieronymus (ad Theodoram viduam.)
Aber wie
der jenſeitige Körper ein unkörperlicher Körper, ſo iſt nothwendig
das dortige Geſchlecht ein differenzloſes, d. i. geſchlechtloſes
Geſchlecht.
*)
Bene dicitur, quod tunc plene videbimus eum sicuti est, cum
similes ei erimus, h. e. erimus quod ipse est. Quibus enim
potestas data est filios Dei fieri, data est potestas, non quidem ut
sint Deus, sed sint tamen quod Deus est: sint sancti, futuri plene
beati, quod Deus est
. Nec aliunde hic sancti, nec ibi futuri
beati, quam ex Deo qui eorum et sanctitas et beatitudo est,
De vita solitaria
(Unter den unächten Schriften des h. Bernhard).
Finis autem bonae voluntatis beatitudo est: vita aeterna ipse
Deus. Augustin
.
(bei Petrus Lomb. l. II. dist. 38. c. 1.)
*)
Und eben ſo verſchiedenartig ihren Gott. So haben die from-
men chriſtlichen Deutſchthümler einen „deutſchen Gott“ nothwen-
dig, alſo auch die frommen Spanier einen ſpaniſchen Gott, die
Franzoſen einen franzöſiſchen Gott. In der That exiſtirt auch ſo
lange Vielgötterei, ſo lange es viele Völker gibt. Der reale
Gott
eines Volks iſt der Point d’honneur ſeiner Nationalität.
*)
Ibi nostra spes erit res. Augustin (irgendwo).
*)
Aeltern Reiſebeſchreibungen zufolge denken ſich jedoch manche
Völker das künftige Leben nicht identiſch mit dem gegenwärtigen oder
beſſer, ſondern ſogar noch elender. — Parny (Oeuv. chois. T. I. Me-
lang
.) erzählt von einem ſterbenden Negerſclaven, der ſich die Ein-
weihung zur Unſterblichkeit durch die Taufe mit den Worten verbat:
je ne veux point d’une autre vie, car peut-être y serais-je en-
core votre esclave
.
**)
Ahlwardt (Oſſian Anm. zu Carthonn.).
*)
Dort wird daher Alles wieder hergeſtellt. Qui modo vi-
vit, erit
, nec me vel dente, vel ungue Fraudatum revomet pa-
tefacti fossa sepulchri. Aurelius Prud. (Apotheos. de resurr.
carnis hum
.) Und dieſer in euren Augen rohe, fleiſchliche und deß-
wegen von euch desavouirte Glaube iſt der allein conſequente, der
allein redliche, der allein wahre Glaube. Zur Identität der Perſon
gehört die Identität des Leibes.
*)
Ipsum (corpus) erit et non ipsum erit. Augustinus. (v. J. Ch.
Doederlein. Inst. Theol. Christ. Altorf. 1781. §. 280
.)
**)
Caro et sanguis regnum Dei non possidebunt. Non quod car-
nis illic substantia
futura non sit, sed quod carnalis omnis
**)
necessitudo sit defutura. Divus Bernhardus. Tract. de dili-
gendo Deo
. Resurgent ergo sanctorum corpora sine ullo vitio,
sine ulla deformitate
, sicut sine ulla corruptione, onere,
difficultate
.... una erit aetas omnium resurgentium, sc. juvenilis.
Petrus
L. I. IV. dist. 44. c. 2
. Der himmliſche Leib iſt daher inſofern,
nämlich als ein Leib ohne alle Beſchwerlichkeit und Begierlichkeit, d. h. alle
Sinnlichkeit
, nicht der wiederhergeſtellte gegenwärtige, ſondern ehe-
malige, urſprüngliche, adamitiſche Leib. Inſofern iſt die Auferſtehung:
ἡ εἰς τὸ ἀϱχαῖον τῆς φύσεως ἡμῶν ἀποκατάστασις. S. Gregorius de
anima et resurr
. (Lips. 1837. p. 142.)
*)
Praeter salutem tuam nihil cogites; solum quae Dei
sunt cures. Thomas a K. (de imit. 1. I. c. 23.) Contra salutem
propriam
cogites nihil. Minus dixi: contra, praeter díxisse de-
**)
Wer übrigens nur aus dem Unglück die Realität der Religion
beweiſt, beweiſt auch die Realität des Aberglaubens.
*)
bueram. Bernhardus (De consid. ad Eugenium pontif. max. 1. II.)
Qui Deum quaerit, de propria salute sollicitus est. Clemens
Alex
. (Cohort. ad gent.)
*)
Ueber die bibliſchen Vorſtellungen vom Satan, ſeiner Macht und
Wirkung ſ. Lützelberger’s Grundzüge der Pauliniſchen Glaubenslehre
und G. Ch. Knapp’s Vorleſ. über d. chriſtl. Glaubensl. §. 62—65.
Hieher gehören auch die dämoniſchen Krankheiten, die Teufelsbeſitzungen.
Auch dieſe Krankheiten ſind in der Bibel, der göttlichen Offenbarung,
begründet. S. Knapp (§. 65. III. 2. 3.).
*)
Schelling erklärt in ſeiner Schrift über die Freiheit dieſes Räthſel
durch eine in der Ewigkeit, d. h. vor dieſem Leben vollbrachte Selbſtbe-
ſtimmung. Welche phantaſtiſche, illuſoriſche Suppoſition! Aber gerade
ſolche puerile, bodenloſe Phantaſtik iſt das innerſte Geheimniß unſerer
modernen religiöſen Speculanten, das Geheimniß der „chriſtlich-germa-
niſchen“ Tiefe. Je ſchiefer, je tiefer.
*)
Man wird dieſe Enthüllung des Myſteriums der Gnadenwahl
zweifelsohne verrucht, gottlos, teufliſch nennen. Ich habe nichts dage-
gen: ich bin lieber ein Teufel im Bunde mit der Wahrheit,
als ein Engel im Bunde mit der Lüge.
*)
Hieher gehört auch die geiſt- und weſenloſe Lehre vom Concursus
Dei,
wo Gott nicht nur den erſten Impuls gibt, ſondern auch in der
Handlung der causa sccunda ſelbſt mit wirkt. Uebrigens iſt dieſe Lehre
nur eine beſondere Erſcheinung von dem widerſpruchsvollen Dualismus
zwiſchen Gott und Natur, der ſich durch die Geſchichte des Chriſtenthums
hindurchzieht.
**)
Dum sumus in hoc corpore, peregrinamur ab eo qui summe est.
Bernard. Epist. 18.
(in der Basler Ausgabe von 1552.) Der Begriff
des Jenſeits iſt daher nichts als der Begriff der wahren, vollendeten, von
den dießſeitigen Schranken und Hemmungen befreiten Religion, das Jen-
**)
ſeits, wie ſchon oben geſagt, nichts als die wahre Meinung und Geſinnung,
das offene Herz der Religion. Hier glauben wir; dort ſchauen wir; d. h.
dort iſt nichts außer Gott, nichts alſo zwiſchen Gott und der Seele, aber
nur deßwegen, weil nichts zwiſchen beiden ſein ſoll, weil die unmittel-
bare Einheit Gottes und der Seele die wahre Meinung und Geſinnung der
Religion iſt.
*)
Nur der Unglaube an das Gebet hat das Gebet ſchlauer Weiſe nur
auf Geiſtiges eingeſchränkt.
*)
In der rohſinnlichen Vorſtellung iſt daher das Gebet ein Zwangs-
oder Zaubermittel. Dieſe Vorſtellung iſt aber eine unchriſtliche, (obwohl
ſich auch bei vielen Chriſten die Behauptung findet, daß das Gebet Gott
zwingt) denn im Chriſtenthum iſt Gott an und für ſich das ſelbſtbefriedigte
Gemüth, die nichts dem (natürlich religiöſen) Gemüthe abſchlagende All-
macht der Güte. Der Vorſtellung des Zwangs liegt aber ein gemüthloſer
Gott zu Grunde.
*)
Man könnte dagegen die bekannte Stelle im erſten Capitel des Rö-
merbriefes anführen. Aber auf die Einwürfe der theologiſchen Bibelſtellen-
gelehrſamkeit iſt es nicht der Mühe werth zu antworten.
*)
Pulchras formas et varias, nitidos et amoenos colores amant
oculi. Non teneant haec animam meam; teneat eam Deus qui haec
fecit
, bona quidem valde, sed ipse est bonum meum, non haec.
Augustin
. Confess. 1. X. c. 34.
*)
Inter creatorem et creaturam non potest tanta similitu-
do
notari, quin inter eos major sit dissimilitudo notanda. La-
ter. Concil. can. 2. (Summa omn. Conc. B. Carranza. Antv. 1559.
p. 326.)
— Der letzte Unterſchied zwiſchen dem Menſchen und Gott,
dem endlichen und unendlichen Weſen überhaupt, zu welchem ſich die
religiös-ſpeculative Imagination emporſchwingt, iſt der Unterſchied
zwiſchen Etwas und Nichts, Ens und Non-Ens; denn nur im
Nichts iſt alle Gemeinſchaft aufgehoben. Jedes beſtimmte Prädicat
drückt eine Gemeinſchaftlichkeit mit andern Weſen aus.
*)
Zugleich aber auch den Zweck, das Weſen des Menſchen zu
bewahrheiten. Die verſchiedenen Beweiſe ſind nichts andres als ver-
ſchiedene, höchſt intereſſante Selbſtbejahungsformen des menſchlichen
Weſens. So iſt z. B. der phyſikotheologiſche Beweis die Selbſtbeja-
hung des zweckthätigen Verſtandes. Jedes philoſophiſche Syſtem iſt
in dieſem Sinne ein Beweis vom Daſein Gottes.
*)
Die Negation einer Thatſache hat keine unverfängliche, an ſich in-
differente, ſondern eine ſchlimme moraliſche Bedeutung — die Bedeutung
des Läugnens. Darin, daß das Chriſtenthum ſeine Lehren und Glau-
bensartikel zu ſinnlichen, d. h. unläugbaren, unantaſtbaren That-
ſachen machte, durch ſinnliche Thatſachen alſo die Vernunft über-
wältigte
, den Geiſt gefangen nahm, darin haben wir auch den wahren,
den letzten, primitiven Erklärungsgrund, warum und wie ſich im
Chriſtenthum, und zwar nicht nur im katholiſchen, ſondern auch prote-
ſtantiſchen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundſatz ausſpre-
*)
Praesentiam saepe divi suam declarant. Cicero (de
nat. D. 1. II.)
Ciceros Schriften de nat. D. und de divinatione ſind beſon-
ders auch deßwegen ſo intereſſant, weil hier für die Realität der heidniſchen
Glaubensgegenſtände im Grunde dieſelben Argumente geltend gemacht
werden, welche noch heute die Theologen und Poſitiviſten überhaupt für
die Realität der chriſtlichen Glaubensgegenſtände anführen.
*)
chen und geltend machen konnte, daß die Ketzerei, d. h. die Negation einer
Glaubensvorſtellung oder Thatſache ein Strafobject der weltlichen Obrig-
keit, d. h. ein Verbrechen ſei. Die ſinnliche Thatſache in der Theorie
wird in der Praxis zur ſinnlichen Gewalt. Das Chriſtenthum ſteht hierin
weit unter dem Muhamedanismus, welcher nicht das Verbrechen der
Ketzerei kennt.
*)
Quod crudeliter ab hominibus sine Dei jussu fieret aut
factum est, id debuit ab Hebraeis fieri, quia a Deo, vitae et
necis summo arbitro, jussi bellum ita gerebant. J. Clericus (Comm.
in Mos. Num. c. 31. 7.) Multa gessit Samson, quae vix possent
defendi
, nisi Dei, a quo homines pendent, instrumentum fuisse cen-
seatur
. (Derſ. Comm. in Iudicum c. 14, 19.)
*)
Sehr richtig bemerkten ſchon die Janſeniſten gegen die Jeſuiten:
Vouloir reconnoitre dans l’Ecriture quelque chose de la foiblesse et de
l’esprit naturel de l’homme, c’est donner la liberté à chacun d’en faire
le discernement et de rejetter ce qui lui plaira de l’Ecriture, comme
venant plûtot de la foiblesse de l’homme que de l’esprit de Dieu. Bayle
Dict. Art. Adam (Jean) Rem. E.
**)
Nec in scriptura divina fas sit sentire aliquid contra-
rietatis
. Petrus L. I. II. dist. II. c. I.
Gleiche Gedanken bei den Kir-
chenvätern. — Zu bemerken iſt noch, daß, wie der katholiſche Jeſui-
tismus
hauptſächlich die Moral, ſo der proteſtantiſche Jeſuitis-
mus
hauptſächlich die Bibel, die Exegeſe zum Tummelplatz ſeiner So-
phiſtik hat.
*)
Dieß zeigt ſich beſonders auch in dem Superlativ und in der Prä-
poſition: Ueber, ὑπεϱ, die den göttlichen Prädicaten vorgeſetzt werden und
von jeher — wie z. B. bei den Neuplatonikern, den Chriſten unter den heid-
niſchen Philoſophen — eine Hauptrolle in der Theologie ſpielten.
*)
Scit itaque Deus, quanta sit multitudo pulicum, culi-
cum, muscarum et piscium
et quot nascantur, quotve moriantur,
sed non scit hoc per momenta singula, imo simul et semel omnia. Pe-
trus
L. I. I. dist. 39. c. 3.
*)
Ueber die Lüge des modernen Chriſtenthums, welches ein himmli-
ſches Leben glaubt, aber dieſen Glauben durch die That widerlegt, ſiehe
Chriſtenthum und Philoſophie von L. F.“
*)
In neurer Zeit hat man daher auch wirklich die Thätigkeit
des Genies zur weltſchöpferiſchen Thätigkeit gemacht, und dadurch
der religionsphiloſophiſchen Imagination ein neues Feld geöffnet. —
Ein intereſſanter Gegenſtand der Kritik wäre die Weiſe, wie von jeher
die religiöſe Speculation die Freiheit oder vielmehr Willkührlichkeit,
d. i. Unnothwendigkeit der Schöpfung, die dem Verſtande widerſpricht,
mit der Nothwendigkeit derſelben, d. h. mit dem Verſtande zu ver-
mitteln ſuchte. Aber dieſe Kritik liegt außer unſerm Zwecke. Wir
kritiſiren die Speculation nun durch die Kritik der Religion, beſchrän-
ken uns nur auf das Urſprüngliche, Fundamentale. Die Kritik der
Speculation ergibt ſich durch bloße Folgerung.
*)
Hieher gehört auch der religiöſe Myſticismus, deſſen Reiz auf
Gemüth und Phantaſie eben darin liegt, daß er in der innigſten We-
ſenseinheit zweier
Weſen lebt und webt. Hegel citirt ſelbſt in ſeiner
Religionsphiloſophie den ſchönen myſtiſchen Ausſpruch: „das Auge, mit
dem mich Gott ſieht, iſt das Auge, mit dem ich ihn ſehe, mein Auge und
ſein Auge iſt eins.“ H. hat daher nicht vermittelſt des Rationalismus,
ſondern des Myſticismus, nicht auf rationelle, ſondern myſtiſche Weiſe
den Gegenſatz des göttlichen und menſchlichen Weſens aufgelöſt. Das
Wiſſen von Gott iſt nach H. ein gemeinſchaftlicher Act. „Daß der
Menſch von Gott weiß, iſt nach der weſentlichen Gemeinſchaft ein ge-
meinſchaftliches
Wiſſen.“ Die Einheit des Göttlichen und Menſch-
lichen iſt daher bei H. immer noch eine dualiſtiſche, zwieſpältige, zwei-
deutige, keine wahre, wie überhaupt die Einheit des Endlichen und Un-
endlichen, des Natürlichen und Geiſtigen, des Sinnlichen und Ueberſinn-
lichen, und zwar deßwegen, weil bei ihm noch die alte Feindſchaft gegen
das Natürliche, Sinnliche zu Grunde liegt, was ſchon darin deutlich
genug ausgeſprochen iſt, daß die Natur nach ihm ein Abfall von der Idee,
der diſſolute, der lüderliche Begriff, der Begriff in der Irre, der verlorne
Sohn des Neuen Teſtamentes iſt. Was insbeſondere aber den Zwieſpalt
des göttlichen und menſchlichen Weſens anbelangt, ſo konnte H. ſchon
deßwegen denſelben nicht auf wahrhafte Weiſe auflöſen, weil er, aus
Präoccupation für die Orthodoxie, das höchſte Myſterium, das Räthſel
der Speculation in dem dogmatiſchen Gottmenſchen vollkommen auf-
*)
gelöſt fand. Aber in dem Gottmenſchen iſt eben ſo wohl die Einheit, als
die Unvereinbarkeit, der Zwieſpalt, der Widerſpruch des göttlichen und
menſchlichen Weſens ausgeſprochen. S. hierüber im Anhang. Hegel’s
Philoſophie, insbeſondere Religionsphiloſophie iſt ein Kampf der Spe-
culation und Religion, in welchem bald die Religion von der Speculation,
bald die Speculation von der Religion überwältigt wird.
*)
Es iſt ſonderbar, wie die ſpeculative Religionsphiloſophie gegen
den göttlichen Verſtand die Trinität in Schutz nimmt, und doch mit der
Beſeitigung der perſönlichen Subſtanzen und mit der Erklärung, daß
das Verhältniß von Vater und Sohn nur ein dem organiſchen Leben ent-
*)
nommenes unangemeſſenes Bild ſei, der Trinität die Seele, das Herz
aus dem Leibe reißt. Wahrlich, wenn man die Kunſtgriffe cabbali-
ſtiſcher Willkühr
, welche die ſpeculativen Religionsphiloſophen zu
Gunſten der abſoluten Religion anwenden, auch den endlichen Religionen
zu Gute laſſen kommen dürfte oder wollte, ſo wäre es nicht ſchwierig, auch
ſchon aus den Hörnern des ägyptiſchen Apis die Pandora-
büchſe der chriſtlichen Dogmatik herauszudrechſeln
.
Man bedürfte hiezu nichts weiter als die ominöſe, zur Rechtfertigung
jedes Unſinns geſchickte Trennung von Verſtand und ſpeculativer
Vernunft.
*)
Die Einheit hat nicht die Bedeutung des Genus, nicht des Unum
ſondern des Unus. (S. Augustin. und Petrus Lomb. l. I. dist. 19. c. 7. 8. 9.)
Hi ergo tres, qui unum sunt propter ineffabilem conjunctionem
deitatis, qua ineffabiliter copulantur, unus Deus est. (Petrus L.
l. c. c
. 6.)
*)
Quia ergo pater Deus et filius Deus et spiritus s. Deus, cur
non dicuntur tres Dii
? Ecce proposuit hanc propositionem (Au-
gustinus) attende quid respondeat ..... Si autem dicerem: tres Deos,
contradiceret scriptura dicens: Audi Israel: deus tuus unus est.
Ecce absolutio quaestionis: quare potius dicamus tres personas
quam tres Deos
, quia scil. illud non contradicit scriptura.
Petrus
L. l. I. dist. 23, c
. 3. Wie ſehr ſtützte ſich doch auch der Katholi-
cismus auf die heilige Schrift!
*)
Sacramentum ejus rei similitudinem gerit, cujus signum
est. Petrus Lomb. l. IV. dist. 1. c
. 1.
*)
In Beziehung auf den Wunderthäter iſt allerdings der Glaube
(die Zuverſicht zu Gottes Beiſtand) die causa efficiens des Wunders
(ſ. z. B. Matth. 17, 20. Apſtgeſch. 6, 8). Aber in Beziehung auf den
Zuſchauer des Wunders — und davon handelt es ſich hier — iſt das Wun-
der die causa efficiens des Glaubens.
*)
Freilich trotzte auch ſchon den ältern unbedingt gläubigen Theolo-
gen die Erfahrung das Geſtändniß ab, daß die Wirkungen der Taufe we-
nigſtens in dieſem Leben ſehr beſchränkt ſeien. Baptismus non aufert
omnes poenalitates hujus vitae. Mezger. Theol. schol. T. IV. p
. 251. S.
auch Petrus L. l. IV. dist. 4. c. 4. l. II. dist. 32. c. 1.
*)
1. Korinther 11, 29.
*)
Videtur enim species vini et panis, et substantia panis et
vini non creditur. Creditur autem substantia corporis et sangui-
nis Christi et tamen species non cernitur. Divus Bernardus (ed.
Bas. 1552. p. 189—191.)
**)
Auch noch in anderer, hier nicht entwickelter, aber anmer-
kungsweiſe zu erwähnender Beziehung, nämlich folgender. In der
Religion, im Glauben iſt der Menſch ſich als das Object, d. i. der
Zweck Gottes Gegenſtand. Der Menſch bezweckt ſich ſelbſt in und
durch Gott. Gott iſt das Mittel der menſchlichen Exiſtenz und Se-
ligkeit. Dieſe religiöſe Wahrheit, geſetzt als Gegenſtand des Cultus,
als ſinnliches Object iſt das Abendmahl. Im Abendmahl ißt, ver-
zehrt der Menſch Gott — den Schöpfer des Himmels und der Erde —
als eine leibliche Speiſe, erklärt er durch die That des „mündlichen
Eſſens und Trinkens“ Gott für ein bloßes Mittel des Menſchen. Hier
iſt der Menſch als der Gott Gottes geſetzt — das Abendmahl daher
der höchſte Selbſtgenuß der menſchlichen Subjectivität. Auch der Pro-
teſtant verwandelt hier zwar nicht dem Worte, aber der Wahrheit
nach Gott in ein äußerliches Ding, indem er ihn ſich als ein Object
des ſinnlichen Genuſſes ſubjicirt.
*)
Creator vini est qui vinum provehit in sanguinem Christi.
Bernard. Non suis sermonibus sacerdos, sed utitur sermonibus
Christi. Ergo sermo Christi conficit hoc sacramentum. Quis sermo
Christi? Nempe is quo facta sunt omnia. Ambrosius de sacram,
I. IV. c. 4.
*)
Selbſt auch die Katholiken. Hujus sacramenti effectus, quem
in anima operatur digne sumentis, est adunatio hominis ad Christum
Concil. Florent. de S. Euchar.
*)
Daher hat der bloße Name Chriſti ſchon Wunderkräfte.
*)
Celſus macht den Chriſten den Vorwurf, daß ſie ſich rühm-
ten: Est Deus et post illum nos. (Origenes adv. Cels. ed. Hoe-
schelius. Aug. Vind. 1605. p. 182.)
*)
Puer natus est nobis: non judaeis; nobis non manichaeis,
nobis non marcionitis. Propheta dicit: Nobis h. e. credentibus, non
incredulis. Ambrosius (de fide ad Grat. I. III. c. 4.)
**)
Ein ehemaliger Adjutant des ruſſiſchen Generals Münnich
ſagte: „da ich ſein Adjutant war, fühlte ich mich größer als
nun, wo ich commandire
.“
*)
Dem Glauben, wo er noch Feuer im Leibe, Charakter
hat, iſt immer der Andersgläubige gleich dem Ungläubigen, dem
Atheiſten.
**)
Schon im N. T. iſt mit dem Unglauben der Begriff des
Ungehorſams verknüpft.
*)
Si quis spiritum Dei habet, illius versiculi recordetur: Nonne
qui oderunt te, Domine, oderam
? (Psalt. 139, 21.) Bernhar-
dus
. Epist. (193) ad magist. Yvonem Cardin.
*)
So verfluchte der Apoſtel Paulus „den Zauberer Elymas,“
weil er dem Glauben widerſtand, zur Blindheit. Apoſtelgeſch. 13,
8—11.
*)
Tenerrimam partem humani corporis nominavit, ut apertissime
intelligeremus, eum (Deum) tam parva Sanctorum suorum con-
tumelialaedi
, quam parvi verberis tactu humani visus acies laeditur.
Salvianus l. 8. de gubern. Dei.
**)
I Korinther 10, 20.
*)
Philipper 2, 10. 11. In morte pagani Christianus gloriatur,
quia Christus glorificatur. Divus Bernardus. Sermo exhort.
ad Milites Templi.
**)
Petrus L. l. IV. dist. 50, c. 4. Dieſer Satz iſt aber keineswegs ein
Ausſpruch des Petrus L. ſelbſt. Petrus L. iſt viel zu beſcheiden, ſchüchtern
und abhängig von den Autoritäten des Chriſtenthums, als daß er ſo
eine Behauptung auf ſeine eigne Fauſt hin wagte. Nein! Dieſer Satz iſt
ein allgemeiner Ausſpruch, ein charakteriſtiſcher Ausdruck der chriſtli-
**)
chen, der gläubigen Liebe. — Die Lehre einiger Kirchenväter, wie
z. B. des Origenes, des Gregors von Nyſſa, daß die Strafen der Ver-
dammten einſt enden würden, ſtammt nicht aus der chriſtlichen oder
kirchlichen Lehre, ſondern aus dem Platonismus. Ausdrücklich wurde
daher auch die Lehre von der Endlichkeit der Höllenſtrafen nicht nur von der
katholiſchen, ſondern auch proteſtantiſchen Kirche (Augsb. Confeſſ. Art.
17.) verworfen.
*)
„Fugite, abhorrete hunc doctorem.“ Aber warum ſoll ich ihn
fliehen? weil der Zorn, d. h. der Fluch Gottes auf ſeinem Haupte ruht.
*)
Nothwendig ergibt ſich hieraus eine Geſinnung, wie ſie z. B.
Cyprian ausſpricht. Si vero ubique haeretici nihil aliud quam ad-
versarii
et antichristi nominantur, si vitandi et perversi et
a semet ipsis damnati pronuntiantur; quale est ut videantur
damnandi a nobis non esse, quos constat apostolica con-
testatione a semet ipsis damnatos esse
. Epistol. 74. (Edit.
Gersdorf.)
*)
Der Glaube iſt zwar nicht „ohne gute Werke,“ ja es iſt ſo un-
möglich nach Luthers Ausſpruch, Werke vom Glauben zu ſcheiden, als
unmöglich, Brennen und Leuchten vom Feuer zu ſcheiden. Aber gleichwohl
— und das iſt die Hauptſache — gehören die guten Werke nicht in
den Artikel von der Rechtfertigung vor Gott
, d. h. man wird
gerecht vor Gott und „ſelig ohne die Werke allein durch den Glauben.“
Der Glaube wird alſo doch ausdrücklich von den guten Werken unter-
ſchieden
: nur der Glaube gilt vor Gott, nicht das gute Werk; nur
der Glaube urſachet die Seligkeit, nicht die Tugend; nur der Glaube hat
alſo ſubſtanzielle, die Tugend nur accidentelle Bedeutung, d. h.
nur der Glaube hat religiöſe Bedeutung, göttliche Autorität,
nicht die Moral. — Bekanntlich behaupteten Einige ſogar, daß die guten
Werke nicht nur nicht nöthig, ſondern auch ſogar „ſchädlich zur Se-
ligkeit
“ ſeien. Ganz richtig.
*)
„Placetta de Fide II. Il ne faut pas chercher dans la nature de
choses mêmes
la veritable cause de l’inseparabilité de’la foi et de la
pieté. Il faut, si je ne me trompe, la chercher uniquement dans la vo-
lonté de Dieu
… Bene facit et nobiscum sentit, cum illam conjunctio-
nem
(d. h. der Sanctitas oder Virtus mit dem Glauben) a benefica Dei vo-
luntate et dispositione repetit; nec id novum est ejus inventum, sed cum
antiquioribus Theologis nostris commune“ J. A. Ernesti. (Vindiciae
arbitrii divini. Opusc. theol. p. 297.) Si quis dixerit … qui fidem sine
charitate
habet, Christianum non esse, anathema sit. Concil. Trid.
*)
„Wie kann ich Dir dann Deine Liebesthaten im Werk erſtatten?
doch iſt noch etwas, das Dir angenehme, wenn ich des Fleiſches Lüſte dämpf
und zähme, daß ſie aufs neu mein Herz nicht entzünden mit neuen Sün-
den.“ „Will ſich die Sünde regen, ſo bin ich nicht verlegen, der Blick auf
Jeſu Kreuze ertödtet ihre Reize.“ Geſangbuch der evangel. Brü-
derge meinen
.
**)
Auch der Proteſtantismus anerkannte noch dieſe Tugend und ſetzte
*)
Man entſchuldige durch den Gegenſatz dieſes matte Wort.
**)
die Eheloſigkeit, als eine höhere Gabe, über die Ehe. Nur hat ſie für ihn
keine praktiſche Bedeutung mehr, weil der natürliche Menſch zu
ſchwach ſei für dieſe himmliſche Tugend, d. h. in Wahrheit, weil die chriſt-
liche
Moral die ſchwache Seite des Proteſtantismus iſt, weil in ihm der
natürliche Menſch den chriſtlichen, wenigſtens auf dem Gebiete der Moral,
übermannt hatte. — Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die chriſtliche Keuſch-
heit eine ganz andere iſt als die heidniſche, etwa römiſche Pudicitia. Hier
wurde z. B. das Weib beſchränkt, ut non solum virginitatem illibatam,
sed etiam oscula ad virum sincera perferret. Val. Maximus l. VI. c. 1.
§. 4.
*)
Die einzige dem Weſen der Liebe nicht widerſprechende Beſchrän-
kung iſt die Selbſtbeſchränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intel-
*)
ligenz. Liebe, die die Strenge, das Geſetz der Intelligenz verſchmäht,
iſt theoretiſch eine falſche, praktiſch eine verderbliche Liebe.
*)
Auch die Peripatetiker; aber ſie gründeten die Liebe, auch die
gegen alle Menſchen, nicht auf ein beſonderes, religiöſes, ſondern
ein natürliches Princip.
*)
Die handelnde Liebe iſt und muß natürlich immer eine be-
ſondere, beſchränkte
, d. h. auf das Nächſte gerichtete ſein. Aber
ſie iſt doch ihrer Natur nach eine univerſale, indem ſie den Men-
ſchen um des Menſchen willen, den Menſchen im Namen der Gattung
liebt. Die chriſtliche Liebe dagegen iſt ihrer Natur nach excluſiv.
*)
Mit Einſchluß der Natur, denn wie der Menſch zum We-
ſen der
Natur — dieß gilt gegen den gemeinen Materialismus
*)
ſo gehört auch die Natur zum Weſen des Menſchen — dieß gilt ge-
gen den ſubjectiven Idealismus, der auch das Geheimniß unſrer
„abſoluten“ Philoſophie, wenigſtens in Beziehung auf die Natur iſt.
Nur durch die Verbindung des Menſchen mit der Natur können wir
den ſupranaturaliſtiſchen Egoismus des Chriſtenthums überwinden.
*)
Wer mich ehrt, den will ich auch ehren, wer aber mich
verachtet, der ſoll wieder verachtet werden.“ I. Samuel. 2, 30. Jam se o
bone pater, vermis vilissimus et odio dignissimus sempiterno, tamen con-
fidit amari, quoniam se sentit amare, imo quia se amari praesen-
tit, non redamare
confunditur … Nemo itaque se amari diffi-
dat, qui jam amat. Bernardus
Ad Thomam. (Epist. 107)
. Ein
ſehr ſchöner und wichtiger Ausſpruch. Wenn ich nicht für Gott bin, iſt
Gott nicht für mich; wenn ich nicht liebe, bin ich nicht geliebt. Das
Paſſivum iſt das ſeiner ſelbſt gewiſſe Activum, das Object das ſeiner ſelbſt
gewiſſe Subject. Lieben heißt Menſch ſein, Geliebtwerden heißt Gott
ſein. Ich bin geliebt, ſagt Gott, ich liebe, der Menſch. Erſt ſpäter
kehrt ſich dieß um und verwandelt ſich das Paſſivum in das Activum und
umgekehrt.
**)
„Der Herr ſprach zu Gideon: des Volks iſt zu viel, das mit dir
iſt, daß ich ſollte Midian in ihre Hände geben; Iſrael möchte ſich rühmen
wider mich
und ſagen: Meine Hand hat mich erlöſet“ d. h. ne Israel
sibi tribuat, quae mihi debentur
. Richter 7, 2. „So ſpricht der
Herr: Verflucht iſt der Mann, der ſich auf Menſchen ver-
läßt
. Geſegnet aber iſt der Mann, der ſich auf den Herrn verläßt und der
Herr ſeine Zuverſicht iſt.“ Jeremia 17, 5. 7.
*)
Es iſt der größte Widerſpruch mit dem Chriſtenthum, das Kö-
nightum aus dem Chriſtenthum abzuleiten. Der wahre Chriſt ſingt viel-
mehr mit Asmus: „Ich danke Gott, daß ich nicht König worden
bin.“
*)
Offenbar iſt auch die chriſtliche Waſſertaufe nur ein Ueberbleibſel
der alten Naturreligionen, wo, wie in der parſiſchen, das Waſſer ein
religiöſes Reinigungsmittel war. (S. Rhode: Die heilige Sage ꝛc.
p. 305, 426 u. f. Nork Mythen der alten Perſer). Hier hatte jedoch die
Waſſertaufe einen viel wahreren und folglich tieferen Sinn, als bei den
Chriſten, weil ſie ſich auf die natürliche Kraft und Bedeutung des Waſſers
ſtützte. Aber freilich für dieſe einfachen Naturanſchauungen der alten Re-
ligionen hat unſer ſpeculativer, wie theologiſcher Supranaturalismus
keinen Sinn und Verſtand. — Wenn daher die Perſer, die Inder, auch noch
die Hebräer, körperliche Reinlichkeit zu einer religiöſen Pflicht
machten, ſo waren ſie hierin weit vernünftiger als die chriſtlichen Heiligen,
welche in der körperlichen Unreinlichkeit das ſupranaturaliſtiſche
Princip ihrer Religion veranſchaulichten und bewährten. Die Ueberna-
türlichkeit in der Theorie wird in der Praxis zur Widernatürlichkeit.
Die Uebernatürlichkeit iſt nur ein Euphemismus für Wider-
natürlichkeit
.
*)
Die griechiſchen Stellen wurden zur Erleichterung des Drucks
und der Correctur in der deutſchen oder lateiniſchen Ueberſetzung ge-
geben.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Das Wesen des Christentums. Das Wesen des Christentums. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjkq.0