[][][][][][][]
Johann Reinhold Forſter’s
Doctor der Rechte; Mitgl. der Geſellſch. der Wiſſenſch. und der Antiq. zu London; der Wiſſenſch.
zu Madrid, zu Goͤttingen, Upſal, der Naturf. Geſellſch. zu Danzig und zu Berlin; correſpond. Mitgl.
der Academie der Wiſſ. und auch der [Inſcript.] und ſchoͤnen Wiſſenſch. zu Paris
Reiſe um die Welt
waͤhrend den Jahren 1772 bis 1775
in dem
von Seiner itztregierenden
Großbrittanniſchen Majeſtaͤt

auf Entdeckungen ausgeſchickten
und
durch den Capitain Cook gefuͤhrten Schiffe the Reſolution
unternommen.


Vom Verfaſſer ſelbſt aus dem Engliſchen uͤberſetzt, mit dem Weſentlichſten aus des Capitain Cooks
Tagebuͤchern und andern Zuſaͤtzen fuͤr den deutſchen Leſer vermehrt und durch Kupfer erlaͤutert.

Zweeter Band.

Mit allergnaͤdigſten Freyheiten.
Berlin:
bey Haude und Spener.1780.

[][]

Dr.Johann Reinhold Forſter’s
und
ſeines Sohnes Georg Forſter’s
Reiſe um die Welt
auf

Koſten der Grosbrittanniſchen Regierung
zu
Erweiterung der Naturkenntniß
unternommen
und

waͤhrend den Jahren 1772 bis 1775.
in dem
vom Capitain J. Cook commandirten Schiffe the Reſolution
ausgefuͤhrt.


Forſters Reiſe u. d. W. zweyter Th.
[][[1]]

Anzeige einiger Druckfehler
welche bey Abweſenheit des gewoͤhnlichen Correctors in den letzteren Bogen
dieſes zweeten Theils uͤberſehen worden, und folgendergeſtalt zu
verbeſſern ſind.


  • Seite 382 zu Ende der 14ten Zeile von unten auf gerechnet, ſtatt gewaltigen, lies: gewaltiger.
  • 388 zu Anfang der 2ten Zeile von oben ſtatt den, lies: dem.
  • 391 zu Ende der 3ten Zeile von oben ſtatt Gaͤnſenfang, lies: Gaͤnſefang.
  • 393 in der 16ten Zeile von oben ſtatt Glas, Corallen, lies: Glas-Corallen.
  • 397 in der erſten Zeile ſtatt an der, lies: an den.
  • in der fuͤnften Zeile, ſtatt wuͤrklichen, lies: wuͤrklichem, und ſtatt Lebensmittel, lies:
    Lebensmitteln.
  • 400 in der 12ten Zeile ſtatt Cook’s, lies: Cook.
  • 401 in der dritten Zeile von unten ſtatt Fernandey, lies: Fernandez.
  • 402 in der vierten Zeile ſtatt [Flintenſchluͤſſen], lies: Flintenſchuͤßen.
  • 404 in der Note ſtatt Gonin, lies: Gouin.
  • 407 zu Ende der ſiebenten Zeile ſtatt Verfechter, lies: Vorfechter.
  • 412 zu Ende der vierten Zeile ſtatt Seegefluͤgel, lieſſen ſich, lies: Seegefluͤgel; ſie lieſſen ſich ꝛc.
  • 414 zu Anfang der ſechſten Zeile ſtatt Sanguiſorbae, lies: Sanguiſorba.
  • 415 zu Ende der zwoͤlften Zeile von unten ſtatt Anblick: lies: Augenblick.
  • 417 zu Ende der neunten Zeile von unten ſtatt noͤthigten, lies: noͤthigte.
  • 418 in der 10ten Zeile von oben ſtatt in, lies: an.
  • in der folgenden Zeile ſtatt beath, lies: beat.
  • wiederum in der folgenden Zeile ſtatt Thaws, lies: thaws.
  • nochmahls ſtatt amient, lies ancient.
  • 420 in der 15ten Zeile von unten ſtatt Creſalina, lies: Creſſalina.
  • 430 zu Ende der ſiebenten Zeile von unten ſtatt Japaniſchen, lies: Javaniſchen.
  • 432 zu Anfang der neunten Zeile ſtatt Rien, lies: Rice.
  • ebendaſelbſt in der 21ſten Zeile ſtatt [Madurn], lies: Madure.
  • 436 zu Ende der ſiebenten Zeile von oben ſtatt Es, lies: Er.
  • 445 in der Note ſtatt Aquitus, lies: Aquilus.
  • 451 in der neunten Zeile ſtatt um von geringer, lies: um von der geringſten.
  • 452 zu Anfang der neunten Zeile von oben ſtatt auch, lies: auf.
  • 455 in der 18ten Zeile ſtatt [Foya], lies: faya.
  • 460 in der erſten Zeile ſtatt doch, lies: dort.
  • 461 in der 11ten Zeile von unten ſtatt Staat-Point, lies: Start-Point.

[[2]]

An den Buchbinder.


Die große Charte, welche bey dieſem zweeten Theile befindlich iſt, gehoͤrt zum
erſten Bande und muß daſelbſt dem Tittel gegenuͤber eingefuͤgt werden.


Die Anzeige einiger Druckfehler kommt in dieſen zweeten Theil, unmit-
telbar nach dem Tittel, gerade vor dem erſten Capitel,


Der Inhalt beyder Theile aber ganz zu Ende gegenwaͤrtigen Bandes
gleichſam ſtatt Regiſters zu ſtehen, welche Ordnung, nebſt gehoͤriger Einfuͤgung
der durchſchnittenen und umgedruckten zween Quartblaͤtter genau zu beobachten
iſt. — Da auch dieſes Werk mit zweyerley Titteln, als
Geſchichte der See-Reiſen vierter und fuͤnfter
oder Forſters Reiſe um die Welt erſter und zweeter Theil

verſehn iſt; ſo muß bey jedem Beſitzer angefragt werden, welcher von dieſen bey-
den Titteln beybehalten und welcher weggeworfen werden ſolle, indem beyde
nicht zuſammen bleiben koͤnnen. —

[[3]]

Erſtes Hauptſtuͤck.

Reiſe von Oſter-Eyland nach den Marqueſas. — Auf-
enthalt im Haven Madre de Dios auf der Inſel Waitahu. —
Reiſe von da uͤber die flachen Inſeln nach Tahiti.

Bey der Abfahrt von Oſter-Eyland war das Wetter ſehr ſchwuͤl und der1774.
Maͤrz.

Wind ſo ſchwach, daß wir uns am folgenden Mittage noch im Ange-
ſicht der Inſel, kaum 15 Meilen weit vom Ufer befanden. Capitain
Cook bekam ein Recidiv ſeines Gallenfiebers, weil er in den Stunden der hef-
tigſten Mittags-Hitze ſich am Lande zu ſtark angegriffen hatte, und diejenigen,
welche den langen beſchwerlichen Marſch, queer uͤber die Inſel, mitgemacht,
hatten von der Sonnen-Hitze Blaſen im Geſicht bekommen, die taͤglich em-
pfindlicher wurden, je mehr die Haut ſich abſchaͤlte. Ohnerachtet unſer Auf-
enthalt am Lande nur kurze Zeit gedauert und wir auch nur wenig friſche Ge-
waͤchſe da genoſſen; ſo fanden ſich unſre ſcorbutiſche Kranken dennoch ziemlich
hergeſtellt, und klagten zum Theil nur noch uͤber Mattigkeit. Je weniger Erfri-
ſchungen in Oſter-Eyland zu haben geweſen, deſto begieriger waren wir auf
die Inſeln des Marqueſe de Mendoza, nach denen jetzt hingeſteuert ward.
Zum Gluͤck ſtellte ſich am folgenden Tage (den 18 Maͤrz) ſtarker und anhalten-
der Wind ein, und das gab uns neue Hoffnung und friſchen Muth, der ſeit ei-
nigen Monathen ſehr geſunken war. Die Freude dauerte indeß nicht lange,
denn ein Paar Tage nachher fiengen verſchiedene unſrer Leute von neuem an zu
kraͤnkeln und beſonders uͤber Verſtopfungen und Gallenfieber zu klagen, welches,
in heißen Himmelsſtrichen, gemeiniglich toͤdtliche Krankheiten ſind. Zum Un-
gluͤck war unſer Wundarzt ſelbſt mit unter den Kranken, und das vermehrte die
Noth. Auch war es verdrießlich, daß die Patienten die ſuͤßen Kartoffeln, als
die einzige Erfriſchung welche wir erhalten, ihres ſchwachen Magens wegen
nicht genießen durften.


A 2
[4]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.

Eine Windſtille, von der wir am 24ſten unterm 17ten Grade ſuͤdlicher
Breite uͤberfallen wurden, ſchien das Uebel zu vermehren. Die Kranken ver-
ſchlimmerten ſich dabey augenſcheinlich; unter andern mußte auch Capitain Cook,
einiger hoͤchſt gefaͤhrlichen Zufaͤlle wegen, von neuem das Bett huͤten. Indeſ-
ſen ſtellte ſich ſchon am Nachmittag wieder guter Wind ein, und weil er bin-
nen ein Paar Tagen immer friſcher wurde; ſo ward auch die Luft ſehr ange-
nehm abgekuͤhlet. Das bekam denen die am Gallenfieber darnieder lagen un-
gemein! Sie erſchienen halb aufgelebt wieder auf dem Verdeck, und ſuchten,
ſo viel die erlittne Entkraͤftung es geſtatten wollte, von neuem herum zu gehen
oder vielmehr zu ſchleichen.


Mein Vater ließ ſeinen Tahitiſchen Hund, den einzigen, der noch am
Boord war, abſchlachten, um dem Capitain Cook, wenigſtens einige Tage lang,
Bruͤhe und friſches Fleiſch zu verſchaffen, denn von dem gewoͤhnlichen Schiffs-
proviant durfte er nicht eſſen, und wir hielten uns fuͤr ſehr gluͤcklich, daß wir
zur Wiederherſtellung eines Mannes etwas beytragen konnten, auf den alles fer-
nere Gluͤck der Reiſe zu beruhen ſchien.


Seitdem wir Oſter-Eyland verlaſſen hatten, ſahen wir taͤglich Tropi-
ſche-
und Sturmvoͤgel (Shearwaters or Puffins of the Isle of Man*)
ſcheuchten auch manchen Schwarm fliegender Fiſche zum Waſſer heraus. Letz-
tere zeigten ſich am 27ſten außerordentlich haͤufig; ſie waren aber alle klein, der
groͤßte nicht uͤber Fingers lang, und die kleinſten hatten kaum die Laͤnge von ein-
oder anderthalb Zoll. Wir befanden uns damals zu Mittag unter 13°. 13′.
ſuͤdlicher Breite.


Auf die Meeresſtille vom 24ſten, folgte ein anhaltender ſtarker
Oſtwind, der unſern Lauf ſehr beguͤnſtigte. Das Wetter war zugleich ſo
klar, daß das Seewaſſer, welches mit der Heiterkeit der Luft in genauem Ver-
haͤltniß zu ſtehen pflegt, eine ſchoͤne, hochblaue Farbe hatte. Wir ſa-
hen von Zeit zu Zeit Doraden, Bonniten und Hayfiſche; und mancherley
Voͤgel, die auf die fliegenden Fiſche Jagd machten, belebten die Ausſicht.


[5]in den Jahren 1772 bis 1775.

Ein großer Vortheil war es, daß die Sonnenhitze durch die ſchnelle Be-1774.
Maͤrz.

wegung der Luft gemaͤßigt und ertraͤglich gemacht wurde, ſo daß man mit Ver-
gnuͤgen auf dem Verdecke herumgehen konnte. Dies ſtaͤrkte wenigſtens eini-
germaßen unſern Muth, und unſre Kranken, die jetzt im eigentlichen Verſtande
von Wind und Hoffnung lebten; denn ſie hatten ſonſt nichts woran ſie ſich haͤt-
ten laben koͤnnen. Der Vorrath von Pflanzen- und Kraͤuterwerk, den wir auf
Oſter-Eyland hatten einlegen koͤnnen, war verzehrt, und alſo mußte man, ent-
weder von neuem mit dem elenden Poͤckelfleiſch vorlieb zu nehmen, das waͤh-
rend der dreyjaͤhrigen Reiſe Saft und Kraft verloren hatte, oder, ſich entſchlieſ-
ſen, bey ſchmalen Portionen von trocknem Brod, Hunger und Kummer zu leiden.
Wir wuͤnſchten daher recht ſehnlich, von allen dieſen Unannehmlichkeiten ſo
bald als moͤglich befreyet zu werden, und das Thermometer unſrer Erwartungen
ſtieg und fiel nach den Graden des ab- oder zunehmenden Windes. Alle vorraͤ-
thige Nachrichten von Mendanna’s Reiſen wurden ſorgfaͤltig zu Rathe gezo-
gen. In ſofern die darinn angegebne unbeſtimmte Entfernung der Marqueſas
von der Peruaniſchen Kuͤſte einem jeden Freyheit ließ, ſeinen Hoffnungen, Wuͤn-
ſchen und Vermuthungen nachzuhaͤngen, hatten wir auch ſicher alle Tage, we-
nigftens eine neue Berechnung ihrer Laͤnge vor uns. Fuͤnf Tage hintereinander
durchſeegelten wir die unterſchiednen Lagen, die unſre neuen Geographen dieſen
Inſeln angewieſen. Einige unſrer Reiſegefaͤhrten, die entweder ſchlau genug
geweſen waren, ihre eigne Meynungen heimlich zu halten, oder auch freymuͤthig
geſtanden, daß der Innhalt jener Nachrichten viel zu unbeſtimmt waͤre,
eine Hypotheſe darauf bauen zu koͤnnen, ſchienen ſich daruͤber luſtig zu machen,
daß von unſren, auf dergleichen Muthmaßungen gegruͤndeten Hoffnungen eine
nach der andern zu Waſſer wurde.


Waͤhrend dieſer Fahrt hatten wir einige ſchoͤne Abende, vornemlich bemerkten
wir am 3ten April, bey untergehender Sonne, daß Himmel und Wolken in
mannigfaltig ſpielendem Gruͤn erſchienen. Eine gleiche Bemerkung hatte Fre-
zier
ſchon vorher gemachet, und im Grunde ſind Erſcheinungen dieſer Art nichts
Außerordentliches, wenn die Luft mit haͤufigen Duͤnſten erfuͤllet iſt, welches zwi-
ſchen den Wendezirkeln oft ſich zu ereignen pfleget. An demſelbigen Tage fien-
gen wir einen kleinen [Saugefiſch][(Echineis Remora),] der an einem fliegen-
A 3
[6]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
den Fiſche hieng, womit eine Angel gekoͤdert worden war. Es iſt alſo ein Irr-
thum, wenn man glaubt, daß dieſe kleinen Thierchen ſich blos an die Hayfiſche haͤn-
gen. Um eben die Zeit bemerkten wir einen großen Fiſch von der Rochen-Art, die
von einigen Schriftſtellern See-Teufel genannt werden. Er glich demjenigen
vollkommen, den wir am 1ſten September 1772. im atlantiſchen Meere wahrge-
nommen hatten. (Siehe im erſten Bande pag. 37) Die Meerſchwalben, Fre-
gatten-
und tropiſchen Voͤgel wurden taͤglich haͤufiger, je weiter wir gegen We-
ſten liefen und uns den Inſeln naͤherten, die wir zu finden gedachten.


Endlich erblickten wir am 6ten April Nachmittags eine kleine ſteile Inſel;
ſie war aber zum Theil in Nebel gehuͤllet, welche ſich verſtaͤrkten, je weiter wir
heran kamen. Man konnte alſo das Land vorlaͤufig noch nicht naͤher betrach-
ten, oder aus dem Anſehn deſſelben urtheilen, ob vielleicht Erfriſchungen dar-
auf anzutreffen ſeyn moͤchten. Quiros, den man fuͤr den Verfaſſer der im
Jahr 1595. unternommenen Reiſe des Spaniſchen Adelantado oder General-
Capitains Don Alvaro Mendanna de Neyra anſiehet, giebt von der Gruppe
von Inſeln, die damals entdeckt worden, eine vortheilhafte Beſchreibung. Sie
wurden zur ſelbigen Zeit die Inſeln des Marqueſe de Mendoza genannt, zu Eh-
ren des Vice-Koͤnigs von Peru, Don Garcia Hurtado de Mendoza, Mar-
quis von Cagnete, als welcher jene Expedition veranſtaltet hatte. Wir ſtu-
dierten dieſe Reiſebeſchreibung auf das ſorgfaͤltigſte, um uns von dem Lande, das
nun vor uns lag und unſre ganze Aufmerkſamkeit auf ſich zog, einen, ſo viel
moͤglich deutlichen Begriff zu machen.


Am folgenden Morgen ließen wir es uns eifrigſt angelegen ſeyn, auf das
Land loszuſeegeln; die Luft war zwar voller Duͤnſte, wir konnten aber dennoch
die verſchiedenen Inſeln bald unterſcheiden, welche von den Spaniern Domi-
nica
,
S. Pedro und S. Chriſtina genennet worden. Wir wurden zugleich
uͤberfuͤhret, daß die ſteile Inſel, auf die wir zuerſt geſtoßen, von Mendanna
nicht war bemerket worden. Capitain Cook nannte ſie alſo Hoods-Eyland,
dem jungen Seemanne zum Andenken, der ſie von unſerm Schiffe aus zuerſt wahr-
genommen hatte. Dominica, eine hohe bergichte Inſel, deren nordoͤſtliche Spitze
ungemein ſteil und unfruchtbar iſt, war uns am naͤchſten. Auf der Nordſeite der-
ſelben gab es einige waldichte Thaͤler und hin und wieder einzelne Huͤtten.
[7]in den Jahren 1772 bis 1775.
Gleich nach Verſchwindung der Nebel entdeckten wir viel thurmaͤhnliche ſpitzige Fel-1774.
April.

ſen, auch mitten in der Inſel einige hohle Bergſpitzen, die zu beweiſen ſchienen, daß
feuerſpeyende Berge und Erdbeben an der jetzigen Geſtalt und Beſchaffenheit des
Landes vielen Antheil haben. Der ganze oͤſtliche Theil beſteht aus einer fuͤrchterlich
ſteilen, hohen Felſenwand, die dem Auge wechſelsweiſe ſchroffe Bergſpitzen und
aufgeriſſene Abgruͤnde zeigt.


S. Pedro iſt eine kleine Inſel von mindrer Hoͤhe; ſie kam uns aber we-
der ſonderlich fruchtbar, noch ſtark bewohnt vor. S. Chriſtina hingegen, die
am weiteſten gegen Weſten liegt, ſchien unter allen das meiſte zu verſpre-
chen. Ob ſie gleich hoch und ſteil iſt, ſo findet man doch unterſchiedne Thaͤler,
die gegen die See hin ſich erweitern und die Waͤlder reichten bis an die Spitze der
Berge hinauf. Um 3 Uhr kamen wir zwiſchen dem ſuͤdlichen Ende von
Dominica und dem nordoͤſtlichen Theile von S. Chriſtina, in die Straße, die
hier ohngefaͤhr zwo Meilen weit iſt. Wir entdeckten auf beyden Inſeln, zwiſchen
den Bergen, einige angenehme Thaͤler; ſolche Ebnen aber, dergleichen die So-
cietaͤts-Inſeln
verſchoͤnern, ſuchte man hier vergebens. Bey alledem ſahe die
Kuͤſte von S. Chriſtina doch ſo anmuthig aus, daß ſie uns, wie jeden
andern eben ſo ausgemergelten Seefahrer, mit neuer Hoffnung belebte.
Wir fuhren bey unterſchiednen kleinen Buchten voruͤber, auf deren
Strande die See eine hohe Brandung ſchlug. Die beyden vorſpringenden
Spitzen dieſer Buchten, ſchloſſen ein Thal ein, das uns, ſeiner ſchoͤnen Waͤlder,
und Pflanzungen und des lebhaft gruͤnen Bodens wegen ungemein gut gefiel. Auf
dem Strande ſahen wir einige Einwohner hin und her laufen, welche das Schiff
neugierig angafften. Einige brachten ihre Canots ins Waſſer und verſuch-
ten uns nachzukommen; der ſtarke Wind aber trieb das Schiff ſo ſchnell fort,
daß ſie weit zuruͤckbleiben mußten. An der Weſtſeite der Inſel fan-
den wir einen reizenden Haven, und wuͤnſchten ſehnlich, darinn Anker wer-
fen zu koͤnnen. Als wir uns aber eben drehten, um darinn einzulau-
fen, ſaußte ein ſtarker Windſtos uͤber die hohen Berge mit ſolcher Ge-
walt herab, daß das Schiff ganz auf die Seite zu liegen kam, die mittlere
Bram-Stange verloren gieng, und wir ſelbſt mit genauer Noth der Gefahr
entkamen, an der ſuͤdlichen Spitze des Havens zu ſtranden. Nach-
[8]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
dem wir die Seegel wieder gerichtet hatten, lavirten wir gluͤcklich hinein,
und ankerten ohngefaͤhr um 5 Uhr im Eingange des Havens. Bey dem Wind-
ſtoße waren ohngefaͤhr funfzehn Canots von unterſchiednen Gegenden des Ufers
abgegangen und ganz nahe an unſer Schiff getrieben worden. Einige derſelben
waren doppelt und mit funfzehn Ruderern; andre kleinere hingegen mit etwa drey
bis zu ſieben Mann beſetzt.


So bald die Anker ausgeworfen waren, luden wir die Einwohner unter aller-
ley Freundſchafts-Zeichen, vermittelſt einer Anrede in Tahitiſcher Sprache ein, zu
uns an Bord zu kommen. Sie wagten es aber ehe nicht, als bis ſie dicht am
Schiff von ihren Canots aus, uns einige Pfefferwurzeln, zum Zeichen des
Friedens, wie auf den Societaͤts- und freundſchaftlichen Inſeln, dargeboten
hatten. †) Sobald wir ſolche an das Tauwerk befeſtigt, verkauften ſie uns fuͤr
Naͤgel, einige friſche Fiſche und große, voͤllig reife Brodfruͤchte, deren An-
blick bey unſrer Schiffs-Geſellſchaft allgemeine Freude erweckte.


Die Eingebohrnen waren wohlgemachte, ſchoͤne Leute von gelbli-
cher oder hellbrauner Farbe; die aber der vielen Puncturen wegen, womit ſie
am ganzen Leibe geziert waren, ins ſchwaͤrzliche zu fallen ſchien. Sie giengen voͤllig
nackend, und hatten bloß ein klein Stuͤck Zeug, eben der Art, als das Tahitiſche
um die Huͤften; Bart und Haare ſind glaͤnzend und ſchwarz, und ihre Sprache
der Tahitiſchen aͤhnlicher als andre Suͤdſee-Dialecte, jedoch mit dem Unter-
ſchiede, daß ſie kein R. ausſprechen konnten. Ihre Boote waren ſehr ſchmal und
beſtanden aus leicht zuſammengenaͤheten Brettern. Die Ruderſchaufeln waren
den Tahitiſchen aͤhnlich und oberhalb mit einem runden Knopf verſehen. Wir
fragten hauptſaͤchlich nach Schweinen, und bathen, daß man uns einige
bringen moͤgte. Gegen Abend hatten wir auch das Vergnuͤgen, eines neben dem
Schiffe zu ſehen, und man uͤberließ es uns fuͤr ein Meſſer. Sobald es dun-
kel ward, verloren ſich die Canots, nach dem allgemeinen Gebrauche der Suͤd-
ſee-Voͤker, die ſogar durch den außerordentlichen Anblick eines europaͤiſchen
Schiffes niemals in Verſuchung gerathen, eine Nacht ſchlaflos hinzubringen.
Die
[9]in den Jahren 1772 bis 1775.
Die Thaͤler um unſern Haven waren voller Baͤume, und alles ſchien die Ver-1774.
April.

muthung, die wir aus der ſpaniſchen Beſchreibung geſchoͤpft hatten, zu beſtaͤ-
tigen, daß wir im Haven Madre de Dios geankert haͤtten. *) Nach aſtro-
nomiſchen Beobachtungen liegt er im 9°, 55′. ſuͤdlicher Breite und 139°. 8′.
weſtlicher Laͤnge. Da wir durch die Baͤume, weit ins Land hin, wahrnahmen,
daß viele Feuer die Gegend erleuchteten; ſo ſchloſſen wir daraus mit Rechte, daß
die Inſel ſtark bewohnt ſeyn muͤßte. Am folgenden Morgen genoſſen wir den reitzen-
den Anblick des Landes beſſer als geſtern, da die Wolken es unſern Augen
entzogen hatten. An der Suͤdſeite ſiehet man einen ſchroffen unzugaͤnglichen Pik
empor ſteigen. Die ganze Nordſeite iſt ein ſchwarzer verbrannter Berg, deſſen
Fels laͤngſt der Seekuͤſte gewoͤlbt und ausgewaſchen ſcheint, bis zur Spitze aber
mit Caſuarina-Buſchwerk bedeckt iſt. Im Hintergrunde des Havens liegt ein
hoher Berg, der ſeines flachen Gipfels wegen dem Tafelberg am Vorgebirge der
guten Hoffnung
aͤhnlich ſiehet. Einige waldichte Thaͤler fuͤhren vom Strande zu
beyden Seiten nach dieſem Berge hin, der ſehr ſteil zu ſeyn ſcheint. Auf dem Gi-
pfel bemerkten wir eine Reihe von Stangen oder Palliſaden, die als eine Befeſti-
gung ausſahen und ſehr genau untereinander verbunden waren; innerhalb derſel-
bigen beobachteten wir mit den Fernglaͤſern etwas, das uns Wohnhuͤtten der Ein-
wohner zu ſeyn duͤnkten. Die Spanier ſcheinen dies Verſchanzungen genannt
zu haben; ſie waren aber den Neu-Seelaͤndiſchen Hippahs ungemein aͤhnlich,
als welche eben ſo auf hohen Felſen angelegt und mit Palliſaden umgeben ſind.


Kurz nach Aufgang der Sonne zeigten ſich, durch den geſtrigen Handel
gelockt, verſchiedne Canots, die uns eine Menge Brodfrucht gegen kleine
Naͤgel verhandelten. Die Leute brachten auch Piſangs zum Verkauf und
bewieſen anfaͤnglich bey ihrem Handel viel Ehrlichkeit; doch hatte keiner Muth
genug, ſich an Bord zu wagen. Bald nachher fanden wir, daß ihre Den-
kungsart mit der Tahitiſchen vollkommen uͤbereinſtimmte. Einige fiengen an,
uns offenbar zu betruͤgen, und Naͤgel, wofuͤr ſie Brodfruͤchte angebothen, zu
ſich zunehmen, ohne die Fruͤchte hernach abzuliefern. Der Capitain hielt es
daher fuͤr nothwendig, ſich und ſeine Leute bey dieſem Volk in Anſehen,
die Betruͤger aber in Furcht zu ſetzen! Zu dem Ende ließ er eine Mus-
B
[10]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
kete uͤber ihren Kopf abfeuern. Der unerwartete Knall that die erwuͤnſchteſte Wuͤr-
kung, ſie reichten uns nemlich ganz beſtuͤrzt die Brodfruͤchte entgegen, um welche ſie
uns zuvor hatten betruͤgen wollen. Einige kamen, nach dem Verkaufe ihrer
Waaren an Bord, um zu gaffen und begafft zu werden. Als der Capitain An-
ſtalt machte, mit meinem Vater ins Boot zu gehen, bemerkte der eine von ih-
nen, daß die große eiſerne Stange, woran das Tau zum Aus- und Einſteigen
befeſtigt iſt, los war. Auf einmal erhaſchte er ſie, ſprang mit ſeiner Beute
uͤber Bord und ſchwamm, ihrer Schwere ohnerachtet, mit großer Leichtigkeit,
nach ſeinem Canot, um ſie da in Sicherheit zu bringen. So bald Capitain
Cook, der eben ins Boot ſteigen wollte, dieſen Diebesſtreich erfuhr, befahl
er, ſogleich eine Muskete uͤber den Kerl hinzufeuern, indeß er ſelbſt mit dem Boote
um das Schiff herumzukommen und ſich der Stange wieder zu bemaͤchtigen ſuchen
wollte. Der Schuß geſchah, der Wilde aber gerieth dadurch nicht aus ſeiner Faſſung,
ſondern ſahe vielmehr ganz unbeſorgt um ſich her. Der Capitain ließ alſo, indem
er ſelbſt vom Schiff abſties, den zweeten Schuß, wiewohl mit eben ſo wenig Erfolge
thun. Ein Officier, der in dieſem Augenblick aufs Verdeck kam, ward uͤber die
Verwegenheit des Indianers ſo aufgebracht, daß er nach einem Gewehre grif, und
den Ungluͤcklichen auf der Stelle todt ſchoß. Sobald er fiel, warf ſein erſchrockner
Gefaͤhrte die eiſerne Stange, durch welche dies Ungluͤck veranlaßt worden, un-
verzuͤglich in die See; und der Capitain, der eben jetzt mit ſeinem Boote anlangte,
kam in aller Abſicht zu ſpaͤt. Er mußte mit Betruͤbniß ſehen, wie der andre Wilde
das Blut ſeines erſchoßnen Cameraden aus dem Canot in die See ſchoͤpfte, und
hierauf mit den uͤbrigen Canots dem Strande zu eilte. Die Wilden hatten uns
nunmehr alleſammt verlaſſen, und waren am Strande beſchaͤfftigt, das Canot
durch die Brandung, den todten Coͤrper aber ins Holz zu ſchleppen. Gleich
nachher hoͤrten wir trommeln und erblickten eine große Menge von Wilden, mit
Speeren und Keulen bewaffnet, welcher Anblick uns vielmehr Gefahr zu dro-
hen, denn Hoffnung zu Erfriſchungen zu geſtatten ſchien. Es war allerdings ſehr
zu bedauern, daß der ungluͤckliche Jaͤhzorn eines unſrer Mitreiſenden, der noch
dazu von dem wahren Verlauf der Sache nicht einmal recht unterrichtet war, dem
Indianer unbilligerweiſe das Leben koſtete. Die erſten Entdecker und Ero-
berer von Amerika, haben oft und mit Recht den Vorwurf der Grau-
[11]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſamkeit uͤber ſich ergehen laſſen muͤſſen, weil ſie die ungluͤcklichen Voͤlker1774.
April.

dieſes Welttheils nicht als ihre Bruͤder, ſondern als unvernuͤnftige Thiere be-
handelten, die man gleichſam zur Luſt niederzuſchießen berechtigt zu ſeyn glaubt.
Aber wer haͤtte es von unſern erleuchteten Zeiten erwarten ſollen, daß Vorurtheil
und Uebereilung den Einwohnern der Suͤdſee faſt eben ſo nachtheilig werden wuͤr-
den? Maheine konnte ſich der Thraͤnen nicht erwehren, da er ſahe, daß ein Menſch
den andern wegen einer ſo geringen Veranlaſſung ums Leben brachte. Seine
Empfindlichkeit iſt fuͤr geſittete Europaͤer, die ſo viel Menſchenliebe im Munde
und ſo wenig im Herzen haben, warlich, eine demuͤthigende Beſchaͤmung.


Das Bewußtſeyn, wie elend es um die Geſundheits-Umſtaͤnde ſeiner
Leute ſtand, verſtattete dem Capitain Cook nicht, die Hoffnung aufzugeben, hier
einige Erfriſchungen zu erhalten. Er ließ alſo das Schiff tiefer in den Haven
legen und landete mit einer ausgeſuchten Anzahl von See-Soldaten und Matro-
ſen unter dem gewoͤlbten Felſen gegen Norden, von Dr. Sparrman, Maheine,
meinem Vater und mir begleitet. Ein Haufe von Wilden, der aus mehr als
hundert Koͤpfen beſtand, empfieng uns auf dieſem Felſen, mit Speeren und Keu-
len bewaffnet, ohne jedoch davon Gebrauch gegen uns zu machen. Wir gien-
gen ihnen mit vielen Freundſchafts-Bezeugungen entgegen, welche ſie nach ih-
rer Art zu erwiedern ſchienen. Wir verlangten, ſie moͤgten ſich niederſetzen, und
ſie waren folgſam. Nunmehro ſuchte man ihnen das Vergangne auf der beſten Seite
vorzuſtellen; wir gaben ihnen nemlich zu verſtehen, daß wir nach einem ihrer
Landsleute geſchoſſen, blos weil er ſich an unſerm Eigenthume vergriffen; wir waͤren
aber geſonnen, als Freunde mit ihnen zu leben, und hauptſaͤchlich in der Abſicht
hieher gekommen, Waſſer, Holz und Erfriſchungen einzunehmen; dafuͤr haͤtten
wir Naͤgel, Beile und andre gute Waaren ihnen zum Tauſch anzubiethen. Un-
ſre Gruͤnde fielen in die Augen und die Einwohner wurden damit beruhigt. Sie
ſchienen zu glauben, ihr Landsmann habe ſein Schickſal verdient. In dieſer
Ueberzeugung brachten ſie uns ganz treuherzig laͤngſt dem Strande zu einem Ba-
che, wo wir unſre Waſſerleute anſetzten und Gelegenheit fanden, einige wenige
Fruͤchte einzukaufen. Mehrerer Sicherheit wegen mußten die See-Soldaten
eine Linie formiren, und unter den Waffen bleiben um uns die Ruͤckkehr
zum Waſſer zu ſichern. Alle dieſe Vorſicht haͤtten wir erſparen koͤnnen.
B 2
[12]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Die Leute, mit denen wir zu thun hatten, waren zu ehrlich, als daß ſie den
gemachten Frieden haͤtten brechen, und zu leutſelig, als daß ſie den Tod eines
Mannes haͤtten raͤchen ſollen, den ſie von Verſchuldung nicht ganz freyſprechen
konnten. In kurzer Zeit fieng der Handel an ſehr gut von ſtatten zu gehen, und
die Einwohner kamen von den Bergen her mit ganzen Ladungen von Plantanen,
Piſangs-
und Brodfrucht, welche ſie gegen lauter Kleinigkeiten von Eiſen-
werk verhandelten.


Frauensperſonen hatten ſich bisher noch gar nicht ſehen laſſen, denn ſie mochten
vermuthlich gleich bey dem erſten Lermen auf die Berge gefluͤchtet ſeyn. Einige
Mannsleute waren beſſer geputzt und bewaffnet als die uͤbrigen, weshalb wir
ſie fuͤr Befehlshaber anſahen. Sie giengen alle unbekleidet und hatten nur
ein kleines Stuͤck Zeug um die Huͤften geſchlagen. Von Statur waren ſie
durchgehends groß und wohlgebildet; kein einziger war unbehuͤlflich, oder ſo
dick als die vornehmern Tahitier; auch keiner ſo mager, oder abgezehrt als
die Oſter-Eylaͤnder. Die Punctirungen, welche bey Leuten von mittlerm Alter faſt
den ganzen Coͤrper bedeckten, machten es ſchwer, die Schoͤnheiten ihrer Geſtalt ent-
wickeln zu koͤnnen. Unter den jungen Leuten aber, die noch nicht punctirt oder tato-
wirt
waren, bemerkte man außerordentliche Schoͤnheiten, deren Regelmaͤßig-
keit unſre Bewundrung erregte. Manche haͤtte man fuͤglich neben die Meiſter-
ſtuͤcke der alten Kunſt ſtellen koͤnnen, ſie wuͤrden bey der Vergleichung gewiß
nichts verloren haben:


Qualis aut Nireus fuit, aut aquoſa
Raptus ab Ida.

(Horat.)

Die natuͤrliche Farbe dieſer jungen Leute war nicht voͤllig ſo dunkel, als
der gemeine Mann auf den Societaͤts-Inſeln zu ſeyn pflegt; Erwachſenere ſchie-
nen aber, der Punctirungen wegen die vom Kopf bis auf die Fuͤße reichten, weit
ſchwaͤrzer zu ſeyn. Dieſe taͤttowirte Zierrathen waren ſo regelmaͤßig angelegt, daß
man die Figuren auf den Beinen, Armen und Wangen vollkommen uͤbereinſtimmend
antraf. Sie ſtellten aber nie beſtimmte Formen von Thieren oder Pflanzen vor,
ſondern beſtanden aus einer Menge von Flecken, krummen Linien, Wuͤrfeln und
[][]

[figure]

[13]in den Jahren 1772 bis 1775.
Sparren, die zuſammen ein ſehr buntes und ſonderbares Anſehen hatten. Die1774.
April.

Geſichtsbildungen waren durchgehends gefaͤllig, offen und voller Lebhaftigkeit, wozu
ihre große ſchwarze Augen nicht wenig beytrugen. *) Das Haar iſt ebenfalls
ſchwarz, gekraͤuſelt und ſtark, nur bey einigen einzelnen Perſonen ſahe es heller
und blonder aus. Der Bart war gemeiniglich duͤnne, wegen der vielen Narben
von Punctirungen, die um das Kinn her am haͤufigſten zu ſeyn pflegten. Dieſe
Punctirung und andre Zierrathen ſcheinen gewiſſermaßen die Stelle der Kleidung
zu vertreten. Manche hatten eine Art von Diadem um den Kopf, welches aus
einer flachen Binde von geflochtenen Cocos-Faſern beſtand. An der Außenſeite die-
ſes Stirnbands ſahe man zwey runde, ziemlich große Stuͤcken Perlmutter, deren
mittlerer Theil mit einer Platte von durchbrochner Schildkroͤten-Schale ausgelegt
war. Hinter dieſen ſchildfoͤrmigen Zierrathen ragten zween Buͤſche von ſchwarzen,
glaͤnzenden Hahnenfedern hoch empor, die dieſem Kopfputz wirklich ein ſchoͤnes, edles
Anſehn ertheilten. (Man ſehe die Fig. 1.) Einige trugen runde Kronen von kleinen
zuſammenverbundnen Fregatten-Federn; andre hingegen einen Reif, von wel-
chem verſchiedne Reihen geflochtner Cocos-Nußfaſern, ohngefaͤhr zween Zolle lang
und zum Theil ſchwarz gefaͤrbt, um den Kopf herum ſtanden. (Fig. 2) In den Ohren
hatten ſie bisweilen zwey flache, ovale Stuͤcke von leichtem Holz, 3 Zoll lang,
die das ganze Ohr bedeckten und mehrentheils mit Kalk weiß gefaͤrbet waren.
Die Befehlshaber trugen eine Art von Ringkragen, der als eine Zierde vorn auf
der Bruſt herabhieng. Er beſtand aus kleinen Stuͤcken eines leichten korkarti-
gen Holzes, die mit Harz zuſammengeleimt waren und einen halben Zirkel aus-
machten. Eine Menge rother Bohnen (Abrus precatorius Linn.) waren in
vielen, 2 bis 3 Zoll langen, Reihen ebenfalls mit Harze darauf befeſtigt.
(Fig. 3.) Manche, denen es an dieſem prahlenden Zierrath fehlte, trugen we-
nigſtens eine Schnur um den Hals und an ſelbiger ein Stuͤck Muſchel-Schaale,
das in die Form eines großen Zahnes geſchnitten und abgeglaͤttet worden. Sie
hielten auch ſehr viel auf Buͤſche von Menſchenhaaren, die mit Schnuͤren
B 3
[14]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
um den Leib, um die Arme, Knie und an die Schenkel gebunden waren. Allen
andern Schmuck vertauſchten ſie gegen Kleinigkeiten, aber nicht leicht dieſen Haar-
ſchmuck, den ſie ungemein hoch ſchaͤtzten, ſo ſehr er auch gemeiniglich von
Ungeziefer bevoͤlkert war. Sie trugen ſelbigen vermuthlich zum Andenken
ihrer verſtorbnen Verwandten, und hielten ihn daher ſo ſehr, als dieſe,
in Ehren. Vielleicht ſind es auch Siegeszeichen von ihren Feinden. Indeß
vergaßen ſie doch alle dieſe Bedenklichkeit, um eines großen Nagels, oder ei-
ner andern Kleinigkeit willen, deren Anblick ihrer Neubegierde zu ſchmeicheln
ſchien.


Nach dieſen Betrachtungen uͤber die Leute, die uns am Strand umga-
ben, giengen wir ins Gehoͤlz nach dem Platze hin, den Capitain Cook zu ſeinem
Standort gewaͤhlet hatte. Wir fanden hier verſchiedne Pflanzen, die uns groͤß-
tentheils ſchon auf den Societaͤts-Inſeln vorgekommen waren. Da es uns aber
nicht rathſam duͤnkte, ſogleich tief ins Land zu gehen; ſo blieben wir in den nie-
drigen, ganz unbewohnten Gegenden, nahe am Strande. Hier fanden wir
zwiſchen den Baͤumen eine Menge viereckigter Abtheilungen, aus nebeneinander
gelegten, mehrentheils viereckigten Steinen, die, wie uns hernach erzaͤhlt
wurde, Grundlagen von Haͤuſern waren. Es iſt alſo zu vermuthen, daß dieſe
Gegenden wegen einer oder der andern Unbequemlichkeit verlaſſen worden, oder
daß man ſie nur zu gewiſſen Zeiten des Jahres bewohnet. Wir ſahen hier zwar
keine Pflanzungen, dagegen war alles mit Holz und zum Theil mit gutem Zim-
merholz uͤberwachſen. Die Einwohner ließen uns allenthalben ungeſtoͤhrt
und ungehindert gehen, wohin wir wollten. Ein Huͤgel, der mit Gras
von halber Mannshoͤhe uͤberwachſen iſt, und an der See eine ſteile, ſenk-
rechte Felſenwand ausmacht, theilt die Bucht von einer andern die weiter
gen Suͤden liegt. An der Nordſeite dieſer Anhoͤhe fanden wir ſchoͤnes,
klares Springwaſſer, an eben derſelben Stelle, wo es, nach der Beſchreibung
der Spanier haͤtte geſucht werden muͤſſen. Es ſtuͤrzt ſich aus dem Felſen in ein
kleines Becken, und aus dieſem in die See. Nahe dabey ergießt ſich ein Bach
von den hoͤheren Bergen, und noch ein ſtaͤrkerer in der Mitte der Bucht. Letzterer
duͤnkte uns zu Anfuͤllung der Waſſerfaͤſſer am vortheilhafteſten gelegen. Einen drit-
ten entdeckten wir in der noͤrdlichen Ecke. Es hat alſo dieſe Inſel ziemlich
[15]in den Jahren 1772 bis 1775.
reichlichen Vorrath an Waſſer, zum groͤßten Vortheil der Gewaͤchſe und Ein-1774.
April.

wohner dieſes heißen Himmelsſtrichs. Kurz nachher kehrten wir mit unſrer bota-
niſchen Ausbeute wieder zum Handlungsplatze zuruͤck und ließen uns mit den Ein-
wohnern in Unterredung ein, die nun ihr Mißtrauen ſo gaͤnzlich bey Seite ge-
ſetzt hatten, daß ſie ſogar ihre Waffen gegen Eiſengeraͤth vertauſchten.
Sie waren alle von Caſuarina-Holz*) verfertigt, und beſtanden entweder aus
hoͤlzernen Wurfſpießen 8 bis 10 Fus lang, oder aus Keulen, die an einem Ende mit
einer dicken Kolbe verſehen waren. (Man ſehe auf der vorhergehenden Kupfertafel
die Fig. 4.) Capitain Cook war in unſrer Abweſenheit ſo gluͤcklich geweſen, etliche
Schweine, und eine Menge von Fruͤchten einzukaufen, die wir gegen Mittag zu
Schiffe brachten. Am Lande hatten wir die Luft heiß gefunden: Am Bord war ſie
kuͤhler; denn von den Bergen kam dann und wann ein ſtarker [Windſtoß] herab,
der zuweilen etwas Regen mitbrachte.


Nachmittags blieb ich am Schiff, mein Vater aber gieng mit dem Ca-
pitain wieder aus Land, wo er auf einer Anhoͤhe eine ſchlechte Huͤtte antraf. Die
Einwohner waren vermuthlich daraus entflohen, weil beyde ſchon einigemal
nach Voͤgeln geſchoſſen hatten. Er legte daher auf einige Stuͤcke Brodfruͤchte,
die ſich neben der Huͤtte fanden, ein Paar Naͤgel, und eilte ſodann mit etlichen
neuen Pflanzen wieder ans Schiff zuruͤck.


Am folgenden Morgen ſahen wir ſieben Canots von Dominica neben
dem Schiff eintreffen, indeß verſchiedne andre von S. Chriſtina, die Straße hin-
auf ruderten. Erſtere ſchienen von eben der Nation zu ſeyn, mit der wir ſchon be-
kannt geworden waren. Sie brachten uns dergleichen Fruͤchte zu Verkauf, als
wir bereits eingehandelt hatten. Nach dem Fruͤhſtuͤck giengen wir an Land,
und fanden unſre guten Freunde, die Einwohner, bereits am Strande. Wir
entdeckten einen Befehlshaber unter ihnen, der einen, gleich Tahitiſchem Zeuge
aus Maulbeer-Rinde, zubereiteten Mantel anhatte, und dabey mit dem Dia-
dem,
dem Ringkragen, den hoͤlzernen Ohrgehaͤngen und Haarbuͤſchen geputzet war.
Man berichtet uns, er ſey Koͤnig der ganzen Inſel; doch wurden ihm, ſo viel wir ſa-
hen, keine ſonderlichen Ehrenbezeugungen erwieſen. Er ſchenkte dem Capitain
Cook einige Fruͤchte und Schweine, blieb den ganzen Tag in der Naͤhe unſers Han-
[16]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
delsplatzes, und ſagte uns, er hieße Honu*), er ſelbſt ſey Hè-Kà-Aï, wel-
ches ohne Zweifel ſo viel, als Eri zu Tahiti, und Erikih, auf den freund-
ſchaftlichen Inſeln
, bedeuten mogte. Er ſchien ein gutherziger, verſtaͤndiger
Mann zu ſeyn, und ſein Character war ſo ſtark in ſeinen Geſichtszuͤgen ausge-
druckt, daß Herr Hodges, der ſein Portrait zeichnete, nicht fehlen konnte, ihn
ſehr wohl zu treffen; der Kupferſtich davon iſt der Nachricht des Capitain
Cook von dieſer Reiſe beygefuͤgt. Als wir uns nach dem Namen dieſer
und der benachbarten Inſeln erkundigten, erfuhren wir, daß S. Chriſtina,
Waitahu,Dominica,Hiwarea und S. PedroOnateyo genannt wuͤr-
den. Maheine fand wegen der Aehnlichkeit der Sitten, Sprache und Bil-
dung mit ſeinen Landsleuten, ein großes Wohlgefallen an den Einwohnern und
war alſo beſtaͤndig in Unterredung mit ihnen: Er kaufte auch viel von ihrem
Putz und ihren Zierrathen, und zeigte ihnen verſchiedne Gebraͤuche ſeines Landes,
wovon ſie hier nichts wußten; als unter andern, wie man zu Tahiti durch Reiben
einiger trocknen Stuͤcke Holz vom hibiscus tiliaceus Feuer anmachen koͤnne u. d. m.
Sie waren ungemein aufmerkſam, wenn er ſie auf ſolche Weiſe belehrte. Ca-
pitan Cook fand auf dem Handelsplatz einen großen Vorrath von Kraͤuterwerk,
einige Huͤhner und Schweine, die er insgeſammt gegen kleine Naͤgel, Meſſer
und Stuͤcke von Zeug einkaufte. Die rothen Federn von Tongatabu oder
Amſterdam waren auch hier in hohem Werthe, und es ward viel Kopf-Schmuck
und andre Zierrathen dagegen vertauſcht. Heute bekamen wir endlich eine Weibs-
perſon zu ſehen. Sie ſetzte ſich innerhalb des Zirkels ihrer Landsleute nieder und eben
ſo wie die Weiber auf den Societaͤts-Inſeln, in ein Stuͤck Zeug von Baumrinde
gekleidet war. Sie war aͤltlich und von einer Tahitierinn faſt nicht zu unter-
ſcheiden. Wir marſchirten an der Suͤdſeite des Baches faſt anderthalb Mei-
len weit. Nachdem wir einen offnen Platz paßiret, von daher man den ganzen
Haven uͤberſehen konnte, kamen wir in einen dicken Wald, der aus einigen
ſchoͤnen Brodfrucht-Baͤumen, vornemlich aber aus Ratta- oder Tahitiſchen
Nuß-
[17]in den Jahren 1772 bis 1775.
Nußbaͤumen (Inocarpus*) beſtand. Die Nußbaͤume wuchſen hier zu einer1774.
April.

anſehnlichen Dicke und Hoͤhe. Zu Tahiti pflanzt man beyde Arten von Baͤu-
men auf den flachen Feldern, weil die Hitze daſelbſt gelinder iſt, als auf dieſen
Inſeln. — Endlich erreichten wir eine Art von Wohnung, die aber, in Verglei-
chung mit den hohen Haͤuſern auf den Societaͤts-Inſeln, nur eine elende Huͤt-
te vorſtellte. Sie ſtand auf einer erhoͤheten Platteforme von Steinen, die den
innern Fußboden ausmachten, jedoch weder glatt, noch eben genug gelegt waren,
ein gutes Ruhelager abzugeben, ohnerachtet man ſie, um es weicher und be-
quemer zu machen, mit Matten bedeckt hatte. Die Wand rund umher beſtand
aus Bamburohr, das auf der vorbeſchriebenen Grundlage in die Hoͤhe gerichtet,
und dicht mit einander verbunden war. An der Menge des Rohrs hatten es die
Leute nicht fehlen laſſen; die Hoͤhe aber betrug nur 5 bis 6 Fus. Das Dach
beſtand aus duͤnnen Stoͤcken, die mit Blaͤttern vom Brodfrucht- und Ratta-Baum
bedeckt, und ſo gelegt waren, daß es die Form eines ſpitzen Vierecks bekam, denn
die Laͤnge der Huͤtte betrug ohngefaͤhr 15 und die Breite nur 8 bis 10 Schuh.
Daraus daß die Grundlage von Steinen und erhoͤhet war, laͤßt ſich vermu-
then, daß das Land zu gewiſſen Zeiten von heftigen Regen und Ueberſchwemmun-
gen heimgeſucht wird. Der Hausrath den wir ſahen, beſtand aus großen hoͤl-
zernen Troͤgen, worinn einige Stuͤcke von Brodfrucht lagen, die mit Waſſer
angefeuchtet waren. Ohnweit der Huͤtte zeigten ſich drey von den Einwohnern,
die uns, auf Verlangen, aus dem vorbeyfließenden Bach friſches Waſſer zu trin-
ken brachten. Wir gaben ihnen etwas fuͤr ihre Dienſtfertigkeit und kehrten
darauf wieder nach dem Schiffe zuruͤck. Beym Einſteigen waͤre das Boot bey-
nahe umzuſchlagen, indem ſich die Brandung ſehr heftig an den Felſen brach;
doch kamen wir bloß mit naſſer Haut davon. Maheine, der ſich noch et-
was am Lande verweilt hatte, ſprang ins Waſſer und ſchwamm zum Boote,
damit wir uns nicht noch einmal, ſeinetwegen, einer aͤhnlichen Gefahr ausſetzen
moͤgten.


Dr. Sparrmann blieb den Nachmittag uͤber an Bord, um mir eini-
ge Pflanzen, die wir des Morgens geſammlet hatten, abzeichnen und beſchrei-
ben zu helfen. Mein Vater aber gieng mit dem Capitain nach dem ſuͤdlichen
Forſters Reiſe u. d. W. zweyter Th. C
[18]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Strande, wo ſie, ohnweit dem Ufer, etliche Huͤtten und verſchiedne Maͤn-
ner antrafen, von Frauensleuten aber, ließ ſich nicht eine einzige ſehen.
In dieſer Gegend hatten die Indianer den todten Coͤrper ihres erſchoſſenen Lands-
mannes gebracht, und man fuͤhrte die unſrigen in das Haus, welches ihm
gehoͤret hatte. Sie fanden daſelbſt einige Schweine, die nun ſeinem funfzehn-
jaͤhrigen Sohne zugefallen waren, und dieſem ſchenkten ſie allerley Kleinigkeiten,
um den Verluſt ſeines Vaters einigermaßen wieder gut zu machen. Als man
ihn fragte, wo ſeine weiblichen Verwandten waͤren, gab er zu verſtehen, ſie
waͤren noch auf den Bergen, um den Todten zu beweinen und zu betrauren.
Dies brachte uns auf die Vermuthung, daß die Verzaͤunungen die wir auf der
Spitze des Felſen wahrgenommen hatten, vielleicht die Begraͤbniß-Plaͤtze der
Einwohner enthalten moͤgten. Der Capitain kaufte hier eine Menge Fruͤchte
und verſchiedne Schweine, und ob er gleich mitten unter den Verwandten
eines Mannes war, den wir umgebracht hatten, ſo ließ doch keiner von ihnen
den geringſten Widerwillen, geſchweige den Rachbegierde gegen ihn blicken.


Am folgenden Morgen gieng Dr. Sparrmann mit mir nach dem Waſſer-
Platze, wo ein ziemlicher Handel mit Lebensmitteln getrieben wurde. Aber un-
ſre Eiſenwaare hatte, ſeitdem wir in dem Haven geankert, wenigſtens 200 Pro-
cent an ihrem vorigen Werthe verloren. Unſre kleinen Naͤgel, die ſie anfaͤng-
lich ſo gern genommen, ſchienen keine Liebhaber mehr zu finden. Selbſt nach
den großen ward nicht mehr ſonderlich gefraget, und Glas-Corallen mochte vol-
lends gar niemand. Baͤnder aber, Zeug und andre Kleinigkeiten, waren deſto
angenehmer; und gegen Stuͤcke von Maulbeer-Zeug mit rothen Federn von
Tongatabu, ließen ſie uns gar einige große Schweine zukommen.


Das Wetter war heut außerordentlich heiß: Daher hatten viele von den
Einwohnern Faͤcher bey ſich, um ſich damit abzukuͤhlen und ſie verkauften uns
eine große Menge derſelben. Sie waren ziemlich groß und beſtanden aus einer
zaͤhen Rinde oder einer Art von Gras, welche ſehr feſt und kuͤnſtlich in einander
geflochten und zum Theil mit Muſchelkalk weiß gefaͤrbet war. Von ihrer
Geſtalt und aͤußerm Anſehen giebt die Abbildung, welche auf der vorhergehenden
Kupfertafel (pag. 13. Fig. 5.) befindlich iſt, den deutlichſten Begriff. Einige
hatten auch, ſtatt eines Sonnenſchirms, große Blaͤtter mit Federn beſetzt, und
[19]in den Jahren 1772 bis 1775.
und bey genauerer Unterſuchung fand man, daß dieſe von der Corypha um-1774.
April.

bra entifera Linnaei, einer gewiſſen Palmenart waren.


Der unertraͤglichen Hitze ohnerachtet, wollten wir doch den hohen Berg
beſteigen, in Hoffnung, daß wir da manche Entdeckung machen und fuͤr unſre
Muͤhe reichlich wuͤrden belohnt werden. Hauptſaͤchlich war es uns um die Palliſaden
an der Spitze deſſelben zu thun. Herr Patton und zween andre Herren, waren
unſre Begleiter. Wir ſetzten hurtig uͤber den Bach, wo unſre Leute Waſſer
einnahmen, und folgten dem nordwaͤrts fuͤhrenden Fusſteige, denn von da her
hatten wir die mehreſten Einwohner herunter kommen geſehen. Anfaͤnglich
war der Aufgang nicht ſehr muͤhſam, weil der Vorgrund aus unterſchiednen klei-
nen Huͤgeln beſtand, die oben faſt flach und mit großen, gut gepflegten Piſang-
Pflanzungen
beſetzt waren. Dergleichen Plaͤtze fielen uns oft ganz unerwartet
in die Augen, denn eigentlich gieng der Weg durch einen dicken Wald von
Frucht- und andern Baͤumen, den wir, des kuͤhlen Schattens wegen, ſehr
angenehm fanden. Zuweilen erblickten wir einzeln ſtehende Coconuß-Pal-
men
; anſtatt aber, daß ſie ſich mit der ihnen ſonſt eignen Pracht uͤber die an-
dern Baͤume erheben ſollten, waren ſie hier weit niedriger, als alle uͤbrigen.
Ueberhaupt wachſen ſie nicht gut auf den Bergen. Ein niedriger Boden iſt
ihnen angenehmer. Das geht ſo weit, daß man ſie auf den Coral-Felſen, wo
kaum Erdreich genug zu ſeyn ſcheinet, daß ſie Wurzel darinn ſchlagen koͤnnten,
dennoch haͤufig antrift. Einige von den Einwohnern begleiteten uns; andre be-
gegneten uns mit Fruͤchten, die ſie zu dem Handlungs-Platze bringen wollten.
Je hoͤher wir kamen, je mehr Haͤuſer fanden wir. Sie ſtanden alle auf einem
erhoͤheten Stein-Grunde, und waren ſaͤmmtlich wie die obenbeſchriebne Huͤtte be-
ſchaffen. Einige ſchienen ganz neu erbauet und hatten inwendig ein ungemein
reinliches Anſehen; Aber die vielen Ruhe-Lager, wovon die Spanier reden,
konnten wir nicht darinn finden; Wir vermuthen alſo, daß ſie darunter die
Matten auf dem Fusboden verſtanden haben. Der Weg ward allmaͤhlig immer
ſteiler und rauher, und die Ufer des Bachs, neben welchem der Fusſteig hin-
lief, waren an manchen Orten ſo hoch und ſteil, daß wir mehrmalen die gefaͤhr-
lichſten Abgruͤnde dicht neben uns ſahen. Auch mußten wir den Bach einigemale
paßiren. Die Anzahl der Haͤuſer ward nun immer betraͤchtlicher, und ſo oft
C 2
[20]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
wir ausruheten, welches verſchiedenemal geſchahe, brachten uns die Einwohner
gemeiniglich Fruͤchte und etwas Waſſer zu. Ihre Aehnlichkeit mit den Tahitiern,
war in vielen andern Stuͤcken zu groß, als daß ſie ihnen nicht auch in der Gaſt-
freyheit haͤtten gleichen ſollen. Wir fanden keinen einzigen kruͤplichten oder uͤbel-
geſtalteten Menſchen unter ihnen; ſie waren alle ſtark, groß, wohlgebildet
und außerordentlich hurtig. Dieſe coͤrperlichen Vorzuͤge ruͤhren zum Theil mit
von der Beſchaffenheit ihres Landes her, denn da ſelbiges ſehr bergig, und auch
außerdem, muͤhſam zu bearbeiten iſt; ſo muͤſſen ſie einer Seits oͤfters klettern,
und andrer Seits beym Feldbau ihre Gliedmaaßen anſtrengen. Das erſtere
aber macht die Leute natuͤrlicherweiſe gelenkig, und das letztere erhaͤlt ſie ſtets
bey ſchlanker, proportionirter Leibesgeſtalt. Als wir ohngefaͤhr drey Meilen von
der See ins Land hinaufgegangen waren, ſahen wir, ohngefaͤhr dreyßig Schritt
weit vor uns, eine junge Frauensperſon aus einem Hauſe herauskommen. So
viel ſich in vorbeſagter Entfernung erkennen ließ, war ſie, der Geſichtsbildung
nach, einer Tahitierin ziemlich aͤhnlich, uͤbrigens von mittlerer Groͤße, und
in ein Stuͤck Maulbeerzeug gekleidet, das ihr bis auf die Knie herabreichte.
Wir konnten nicht naͤher an ſie herankommen, denn ſie floh vor uns den Berg hin-
auf, und ihre Landesleute gaben uns durch allerhand Zeichen zu verſtehen, daß wir
umkehren moͤgten, ſchienen auch ſehr unruhig und mißvergnuͤgt, als wir ſolches nicht
thaten. Zwar giengen Dr. Sparrmann und ich, mit unſern eingeſammelten
Pflanzen, von hier aus wuͤrklich zuruͤck; Herr Patton aber marſchierte, nebſt
den uͤbrigen, ohngefaͤhr noch zwo Meilen weiter. Indeſſen fanden ſie nichts
anders als wir geſehen hatten, erreichten auch den Gipfel des Berges eben ſo
wenig; denn von der Stelle wo wir umkehrten, ſchien er wenigſtens noch 3 Mei-
len entfernt, und der Weg dahin, noch ſteiler als unterhalb zu ſeyn. So
weit wir gekommen waren, duͤnkte uns der Boden fett und fruchtbar, welches
auch die haͤufig angelegten Pflanzungen der Einwohner und mancherley Frucht-
baͤume bezeugten, die alle vortreflich darinn fortkamen. An den hohen Bach-
Ufern aber entdeckte man, daß dieſer gute Boden nur die obere Schicht des Erd-
reichs ausmachte; unter demſelben kamen die bloßen Felſen zum Vorſchein, die
theils aus Laven-Arten beſtanden, zum Theil auch voller weißen und gruͤnli-
chen Schoͤrl-Koͤrner waren. Dieſe Inſeln ſind alſo, in Anſehung ihrer Stein-
[21]in den Jahren 1772 bis 1775.
arten, den Societaͤts-Inſeln aͤhnlich, und ſcheinen, gleich denſelben durch feuer-1774.
April.

ſpeyende Berge entſtanden zu ſeyn. Um die Haͤuſer herum ſahen wir oft
Schweine, große Huͤhner, mit unter auch Ratten, und auf den Baͤumen
wohnten allerhand kleine Voͤgel, die denen auf Tahiti und auf den Societaͤts-In-
ſeln
aͤhnlich, jedoch weder ſo haͤufig noch ſo mannigfaltig waren. Die Marque-
ſas
ſind, im Ganzen genommen, mit den Societaͤts-Inſeln von einerley Be-
ſchaffenheit, nur daß ihnen die ſchoͤnen Ebnen und die Corall-Riefe fehlen, wel-
che letztere, bey jenen, ſo ſichre Haͤven hervorbringen. Auch die Bewohner die-
ſer Inſeln, gleichen den Einwohnern der Societaͤts-Eylande an Geſtalt, Ge-
braͤuchen und Sprache, mehr dann irgend ein andres Volk in der Suͤdſee.
Der groͤßte Unterſchied den wir zwiſchen beyden finden konnten, beſtand darinn,
daß die Leute hier nicht ſo reinlich waren als dort. Die Tahitier und ihre Nach-
baren auf den Societaͤts-Inſeln, ſind vielleicht das reinlichſte Volk auf Erden.
Sie baden ſich taͤglich zwey bis dreymal; und waſchen Hand und Geſicht ſo-
wohl vor als nach jeder Mahlzeit. Die Leute auf den Marqueſas aber wu-
ſchen und badeten ſich nicht ſo oft, waren auch in der Bereitung ihrer Mahlzei-
ten weit nachlaͤßiger. Hingegen thaten ſie es den Bewohnern der Societaͤts-
Inſeln
, in einem andern Punkt, an Reinlichkeit zuvor; denn, anſtatt daß man
zu Tahiti die Fußſteige uͤberall mit Zeichen einer geſunden Verdauung beſetzt fand,
wurde hier der Unflath, nach Katzen-Art, ſorgfaͤltig verſcharret. Zwar ver-
ließ man ſich zu Tahiti auf die guten Dienſte der Ratten, die dergleichen Unrath
begierig verſchlingen, doch ſchien man es, auch auſſerdem, nicht fuͤr unan-
ſtaͤndig, noch fuͤr ſchmutzig zu halten, daß der Koth uͤberall umher lag; vielmehr
meynte Tupia, (der doch gewiß einer der geſcheuteſten Leute von Tahiti war) als
er zu Batavia, in jedem Hauſe ein beſonderes Gemach zum Behuf der Cloa-
cina
gewahr ward, “wir Europaͤer moͤgten wohl eben nicht ſonderlich ekel ſeyn!”


Es giebt auf den Marqueſas eben ſo mancherley Fruͤchte und Wur-
zeln als zu Tahiti, den Tahitiſchen Apfel (ſpondias) allein ausgenommen;
dafuͤr aber iſt die Brodfrucht hier groͤßer und wohlſchmeckender als irgend
ſonſt wo, und, wenn ſie ihre voͤllige Reife erlangt hat, ſo weich als Eyer-Kaͤ-
ſe, auch ſo uͤberſuͤß, daß wir ſie kaum genießen konnten. Dieſe Frucht macht
das vornehmſte Nahrungsmittel der Einwohner aus. Sie pflegen ſie gemei-
C 3
[22]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
niglich uͤber dem Feuer zu braten, ſelten aber unter der Erde zu backen. Wenn
ſie gar iſt, ſchuͤtten ſie ſolche in einen hoͤlzernen Trog, der ſonſt zum Schweine-
Futter dient, laſſen ſie darinn im Waſſer aufweichen, und ſchoͤpfen hernach die-
ſen Brey oder dieſe Bruͤhe mit den Haͤnden heraus. Sie pflegen auch wohl ge-
gohrnen Teig von der Brodfrucht zu machen, und wiſſen aus derſelben eben die
ſaͤuerliche Speiſe zu bereiten, welche fuͤr die vornehmen Leute in Tahiti, einen
ſo großen Leckerbiſſen ausmacht. Sie eſſen faſt nichts als vegetabiliſche Speiſen,
ob ſie gleich Schweine und Huͤhner haben, zuweilen auch viel Fiſche fangen.
Ihr Getraͤnk iſt Waſſer, denn Cocos-Nuͤſſe ſind ſelten, wenigſtens in denen Ge-
genden, die wir beſuchten: Da ſie aber die Pfefferwurzel haben, (deren ſie
ſich unter andern zum Friedens-Zeichen bedienen,) ſo iſt zu vermuthen, daß
ſie aus ſelbiger das auf den andern Inſeln uͤbliche, berauſchende Getraͤnk eben-
falls zu verfertigen wiſſen.


Als wir an das Schiff zuruͤck kamen, fanden wir es mit vielen Canots
umgeben, in denen, aus unterſchiednen Gegenden, Schweine und eine Menge Pi-
ſangs zum Verkauf gebracht wurden. Das Schrecken uͤber die von uns ver-
uͤbte Gewaltthaͤtigkeit war nun vergeſſen, und die Leute kamen in großer Men-
ge an Bord, plauderten ſehr vertraut mit den unſrigen, und waren uͤber alles,
was ſie auf dem Schiffe ſahen, ausnehmend zufrieden. Sie hatten jenen
Vorfall ſchon ſo gaͤnzlich vergeſſen, daß einige ſogar wieder anfiengen zu mauſen,
ſo oft ſich eine Gelegenheit hierzu darboth; wenn ſie aber entdeckt wurden, ſo
ſaͤumten ſie niemals, das Geſtohlne ohne die geringſte Weigerung wieder zu-
ruͤck zu geben. Oft tanzten ſie, den Matroſen zu gefallen, auf dem Verdeck, und
ihre Taͤnze kamen mit den Tahitiſchen genau uͤberein. Auch zeigte ſich, daß
ihre Muſic ohngefaͤhr eben dieſelbige ſey, beſonders, weil ſie eben ſolche Trom-
meln ſchlugen als wir zu Tahiti geſehen und eingekauft hatten. Ihre Canots
waren klein, ſonſt aber den Tahitiſchen aͤhnlich. Auf dem Vordertheil der-
ſelben ſahe man gemeiniglich ein aufrechtſtehendes Holz mit einem grobgeſchnitz-
ten Menſchengeſicht verziert. Ihre Seegel waren von Matten, dreyeckigt und
oben breit; die Ruderſchaufeln beſtanden aus harten Holz, waren kurz, unten
ſpitzig und oben mit einem Knopfe verſehen.


[23]in den Jahren 1772 bis 1775.

Ich blieb Nachmittags an Bord, um unſre bisher gemachten Samm-1774.
April.

lungen in Ordnung zu bringen. Abends kamen auch die uͤbrigen Herren zuruͤck.
Sie hatten den Nachmittag zu Unterſuchung zwoer, ſuͤdwaͤrts von unſerm Haven
gelegenen Buchten zugebracht, aber gefunden, daß an beyden Orten ein Schiff
nicht fuͤglich vor Anker gehen koͤnnte, weil es, bey ſtuͤrmiſcher See nicht Schutz
genug gegen die Wellen haben wuͤrde, auch das Anlanden und Einſchiffen, der
hohen Brandung wegen, ſehr gefaͤhrlich iſt. Indeſſen war ihnen ihre Muͤhe
durch eine Menge von Erfriſchungen und durch den vortheilhaften Einkauf unter-
ſchiedner Schweine belohnet worden. Die Einwohner thaten daſelbſt weniger
zuruͤckhaltend als in unſerm Haven; auch befand ſich unter denſelben eine Anzahl
Frauensleute, mit denen die Matroſen bald Bekanntſchaft machten, weil
verſchiedne ſich eben ſo gefaͤllig bewieſen, als die auf den andern Suͤd-
ſee-Inſeln. Sie waren kleiner als die Mannsleute, aber von ſehr proportionir-
tem Gliederbau. Einige glichen, in der Form und den Zuͤgen des Geſichtes,
dem ſchoͤn gebildeten vornehmern Frauenzimmer auf Tahiti. Ihre Far-
be war im Ganzen genommen, wie die Farbe des gemeinen Volks auf den So-
cietaͤts-Inſeln
: Sie hatten aber keine Puncturen, ſondern die waren nur un-
ter den Mannsleuten uͤblich und entſtellten ſolche ganz. Eines der artigſten
Maͤdchen ließ ſich von Herrn Hodges zeichnen, und ein getreuer Kupferſtich
davon findet ſich in Capitain Cooks Nachricht von dieſer Reiſe. Sie waren
alle in Kleidungen von Maulbeer-Rinde gehuͤllet. Der Unterſchied im Zeuge
war aber, gegen die große Mannigfaltigkeit, die wir auf Tahiti bemerkt hat-
ten, hier nur ſehr gering. Auch ſchien es nicht ſo haͤufig als dort zu ſeyn, weil
man hier, anſtatt viele Stuͤcken um ſich zu ſchlagen, wie die uͤppigern Vorneh-
men auf Tahiti zu thun pflegen, nur einen einzigen Ahau oder Mantel um-
hieng, der von den Schultern bis auf die Knie reichte. Um den Hals hatten
ſie zuweilen einige loſe Schnuͤre, die keinen ſonderlichen Putz machten. Außer
dieſen ſahe man eben keine andre Zierrathen. Als unſre Leute ſich wieder ein-
ſchiffen wollten, war einer von den Matroſen ſo ſaumſelig in ſeiner Schuldig-
keit, daß er dafuͤr vom Capitain einige Schlaͤge bekam: Dieſe Kleinigkeit wuͤr-
de nicht verdienen hier angemerkt zu werden, wenn ſie nicht die Einwohner ver-
anlaßt haͤtte, ſehr aufmerkſam darauf zu ſeyn, und dabey auszurufen: Tape-a-
[24]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
hai te teina, d. i. er ſchlaͤgt ſeinen Bruder! Wir wußten aus andern Um-
ſtaͤnden, daß ihnen der Unterſchied zwiſchen dem Capitain und ſeinem untergeb-
nen Volk nicht unbekannt ſey; wir konnten aber hieraus ſchließen, daß ſie uns
alle fuͤr Bruͤder hielten. Die natuͤrlichſte Folgerung hieraus ſcheint zu ſeyn,
daß ſie ſelbſt ſich untereinander fuͤr Bruͤder, mithin ihr ganzes Volk fuͤr eine
einzige Familie und den Koͤnig gleichſam nur fuͤr den aͤlteſten halten. Da ſie
noch nicht ſo weit civiliſirt ſind, als die Einwohner auf Tahiti, ſo wiſſen ſie
auch noch nichts vom Unterſchied der Staͤnde und vom Range. Ihre politi-
ſche Verfaſſung hat noch keine beſtimmte monarchiſche Form erhalten. Der
Anbau des Landes erfordert hier mehr Arbeit als zu Tahiti, und daher ruͤhrt
[denn] auch der Unterſchied den wir zwiſchen der buͤrgerlichen Verfaſſung dieſer bey-
den Voͤlker antrafen. In ſo fern nemlich die Lebensmittel hier nicht ſo leicht zu
erhalten ſind als dort, in ſo fern koͤnnen auch Bevoͤlkerung und Luxus hier nicht
ſo merklich ſeyn und es muß eine groͤßere Gleichheit unter den Leuten bleiben.
Mit dieſer Bemerkung ſtimmt es ſehr gut uͤberein, daß, ſo viel wir ſahen, dem
Koͤnig Honu eben keine beſondre Ehre oder vorzuͤgliche Achtung bewieſen wur-
de. Er kam am zweyten Tage unſers Aufenthalts allhier, einigemal zu uns.
Sein ganzer Vorzug ſchien in ſeiner Kleidung zu beſtehen; denn dieſe war voll-
ſtaͤndiger, als ſie von vielen andern Leuten getragen wurde, die, entweder aus
Neigung oder aus Faulheit, in dieſem gluͤcklichen, tropiſchen Clima nackend gien-
gen, in welchem man der Kleidung auch fuͤglich entbehren kann.


Am folgenden Morgen gieng der Capitain abermals nach der zuvorge-
dachten Bucht; er war aber im Handel nicht ſo gluͤcklich. Die Einwohner
kannten die Vortreflichkeit und Dauerhaftigkeit unſrer Eiſenwaaren noch nicht
genugſam. Sie wollten ſie folglich nicht mehr nehmen, und verlangten man-
cherley Dinge, die wir nicht fuͤglich entbehren konnten. Alſo lichteten wir
Nachmittags den Anker und verließen den Haven Madre de Dios, nach einem
beynahe viertaͤgigen Aufenthalt. Waͤhrend dieſer Zeit hatten wir eine anſehnli-
che Menge friſches, vortrefliches Waſſer eingenommen, auch von dieſem freund-
ſchaftlichen und guten Volk einen ſehr heilſamen Vorrath von Erfriſchungen er-
halten. In der Natur-Geſchichte hingegen hatten wir nicht ſonderlich viel
Neues entdeckt, weil unſer Aufenthalt nur ſehr kurz, und weil dieſe Ey-
lande
[25]in den Jahren 1772 bis 1775.
lande der Inſel Tahiti und dem dazu gehoͤrenden Archipel gar zu aͤhnlich waren.1774.
April.

Der Mangel an Zeit hatte uns auch verhindert mit den Einwohnern genauer
bekannt zu werden; ſie haͤtten ſonſt gar wohl verdient, von Reiſenden, mit
philoſophiſchen Augen etwas naͤher betrachtet zu werden. Beſonders that es
uns leid, daß wir nicht im Stande geweſen waren, die Verzaͤunungen auf den
Bergen in Augenſchein zu nehmen; denn ich bin immer noch der Meynung, daß
dieſe mit ihren Religions-Gebraͤuchen in einiger Verbindung ſtehen. Die
Spanier erwaͤhnen eines Orakels, *) welches, der Beſchreibung nach, ein ſol-
cher Begraͤbniß-Platz geweſen zu ſeyn ſcheinet, dergleichen man auf den So-
cietaͤts-Inſeln
antrift. Die Zahl dieſes guten Volks kann ſich, wegen des
kleinen Umfanges dieſer Inſeln, wohl nicht hoch belaufen. Waitahu oder
S. Chriſtina, hat ohngefaͤhr 8 See-Meilen im Umfange; Ohiwaroa**) oder
Dominica funfzehn; Onateyo oder S. Pedro drey; und Magdalena, wel-
che wir nur in einer großen Entfernung ſahen, den ſpaniſchen Berichten zufolge,
fuͤnfe. So wie die Bewohner von Tahiti und den uͤbrigen Societaͤts-Inſeln,
Leute von einerley Art zu ſeyn ſcheinen; eben ſo kommen, meines Erachtens,
auch alle Einwohner der Marqueſas von gemeinſchaftlichen Stamm-Eltern
her. Von denen auf S. Chriſtina und Dominica koͤnnen wir es wenigſtens
verſichern, denn mit dieſen haben wir geſprochen und Umgang gepflogen.
Ohnerachtet die Bevoͤlkerung auf den Marqueſas, an denen Stellen wo der
Boden nur einigermaaßen angebauet werden kann, ſehr betraͤchtlich iſt; ſo giebt
es in dieſen Inſeln doch uͤberall ſo viel duͤrre und unzugaͤngliche Felſen, daß die
Zahl der Einwohner, zuſammen genommen, ſich wohl kaum auf funfzig tauſend
erſtrecken duͤrfte. Vorzuͤglich hat Dominica, die dem Umfang nach unter al-
len die groͤßte iſt, ſo viel unwirthbare gebuͤrgige Gegenden, daß ſie verhaͤltniß-
weiſe nicht ſo volkreich ſeyn kann, als das minder große Eyland S. Chriſtina.
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. D
[26]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Die Spanier, welche dieſe Inſeln zuerſt entdeckten, fanden die Bewohner derſel-
ben gutherzig, leutſelig und friedfertig, eine kleine Schlaͤgerey auf Magdalena
ausgenommen, die aber vermuthlich aus einem Mißverſtaͤndniß oder von der ge-
woͤhnlichen Heftigkeit der Matroſen herruͤhren mochte. Auch wir wurden bey unſrer
Ankunft mit allen Zeichen der Freundſchaft von ihnen aufgenommen. Sie uͤber-
reichten uns Pfeffer-Wurzeln und Zweige vom Tamannuh (calophyllum
inophyllum
Linn.
) als Merkmale des Friedens; verkauften uns ihre Lebens-
mittel; und fuhren, ob wir gleich einen der ihrigen ums Leben brachten, den-
noch unausgeſetzt fort, ſich freundſchaftlich zu betragen, geſtatteten uns auch,
ohngehindert, nach unſerm eigenen Wohlgefalllen, im Lande herum zu ſtreifen.
Dies Betragen, ihre Gebraͤuche, ihre ſchoͤne Leibes-Geſtalt, Kleidung, Lebens-
mittel, Schifffahrt und Sprache, alles beweiſet, daß ſie gleichen Urſprung
mit den Tahitiern haben und wenn ſie in einigen Umſtaͤnden von denſelben
abweichen; ſo ruͤhrt ſolches blos von der verſchiedenen Beſchaffenheit des Landes
auf beyden Inſeln her. Den Bewohnern der Marqueſas entgehet dadurch aller-
dings ein großer Vortheil, daß es auf ihren Inſeln keine ſo weitlaͤuftige Ebenen
giebt als zu Tahiti, und den uͤbrigen Societaͤts-Eylanden. Sie haben gleichſam
nicht mehr Land als zu Hervorbringung der nothwendigſten Lebensmittel gehoͤrt,
mithin fallen hier ſchon die betraͤchtlichen Maulbeerpflanzungen weg, die man zu
Tahiti ſo haͤufig antrifft. Wenn es ihnen aber auch nicht an dem dazu erfor-
derlichen Grund und Boden fehlte, ſo wuͤrden ſie doch, zur Wartung ſolcher
Plantagen, nicht Zeit genug eruͤbrigen koͤnnen, weil der Feldbau hier ungleich
muͤhſamer und langwieriger iſt als dort. Der Ueberfluß an Lebensmit-
teln und an mancherley Kleidungszeuge, der in Tahiti herrſcht, und fuͤr
die Einwohner eine Hauptquelle des Wohlſtandes, ſo wie einen Haupt-Anlaß
zur Ueppigkeit ausmacht, der iſt freylich auf den Marqueſas-Inſeln nicht an-
zutreffen. Indeſſen haben die Einwohner dieſer letzteren doch keinen Mangel
an den nothwendigſten Beduͤrfniſſen und, zu Erſetzung deſſen, was jene vor ih-
nen voraus haben, herrſcht unter dieſen mehr natuͤrliche Gleichheit; ſie haben
mit nichts zu kaͤmpfen, was ihre Gluͤckſeligkeit ſtoͤren, oder ihnen hinderlich ſeyn
koͤnnte, der Stimme der Natur zu folgen. Sie ſind geſund, munter und von
[ſ]choͤner Leibesgeſtalt. Wenn alſo die Tahitier, einer Seits mehrere Bequem-
[27]in den Jahren 1772 bis 1775.
lichkeiten des Lebens, auch vielleicht eine hoͤhere Geſchicklichkeit in den Kuͤnſten1774.
April.

beſitzen, und ſich von dieſer Seite das Leben angenehmer machen koͤnnen; ſo iſt
doch andern Theils die urſpruͤngliche Gleichheit der Staͤnde bey ihnen ſchon mehr
in Verfall gerathen, die Vornehmern der Nation leben ſchon auf Koſten der
Geringern, und Hohe und Niedere buͤßen bereits die Strafen ihrer Ausſchwei-
fungen, durch Krankheiten, und andere ſichtbare Gebrechen —


Scilicet improbae
Creſcunt divitiae, tamen
Curtae neſcio quid ſemper abeſt rei.

(Hor.)

Nach einem Kreuzzuge von fuͤnftehalb Monathen, in denen wir den ge-
frornen Erdſtrich bis unter dem 71ſten, und den heißen, bis unter dem 9½ Grad
ſuͤdlicher Breite beſucht hatten, waren die Marqueſas-Inſeln gewiſſermaßen
der erſte Ort, wo wir an Fleiſch und Fruͤchten wieder einige Erfriſchungen und
Staͤrkungen erhielten. Der kleine Vorrath ſuͤßer Kartoffeln, den wir auf
Oſter-Eyland bekommen hatten, wuͤrkte zwar, unter goͤttlichem Beyſtand, ſo
viel, daß die mancherley Krankheiten, die uns damals droheten, nicht gleich
zum Ausbruch kamen; allein dies waͤhrete doch nur ſo lange, bis wir das heiße
Clima wieder erreichten. Alsdann gerieth unſer Blut, das bis dahin ſtockend
und ſcharf geworden war, in eine nachtheilige Gaͤhrung, und, bey dem blaſſen,
ausgemergelten Anſehen der ganzen Schiffsgeſellſchaft, war es gewiß die hoͤchſte
Zeit, daß wir die Marqueſas-Inſeln erreichten; ſonſt wuͤrde der Schaarbock
und andere Zufaͤlle, ohnfehlbar, eine erſchreckliche Niederlage unter uns ange-
richtet haben. Bey dieſer Gelegenheit muͤſſen wir, zur Ehre des Herrn Patton,
unſres wuͤrdigen Schiffswundarztes, oͤffentlich ruͤhmen, daß er, ſo weit menſch-
liche Vorſorge, Kunſt und ein wohlthaͤtiges, mitleidiges Herz reichen koͤnnen,
die beſten Mittel ergriffen, uns alle ſo geſund als moͤglich zu erhalten, indem
er dem Capitain nicht allein die dienlichſten Methoden zu Erreichung dieſes End-
zwecks vorſchlug, ſondern auch ſelbſt mit unablaͤßigem Fleis uͤber uns wachte.
Ich kann mit Grund der Wahrheit behaupten, daß, naͤchſt Gottes Huͤlfe, viele
unter uns, ihm das Leben zu verdanken haben; und daß England, die
D 2
[28]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Erhaltung vieler wichtigen und brauchbaren Maͤnner, welche auf dieſe gefaͤhrliche
Expedition ausgeſendet worden, lediglich Ihm ſchuldig ſey. Auch verdient Capitain
Cook in ſofern alles Lob, daß er keinen Vorſchlag unverſucht ließ, der nur ei-
nigen guten Erfolg zu verſprechen ſchien. Das Schickſal der ganzen Reiſe hieng
von der Geſundheit des Seevolks ab, und ſein Verdienſt, dieſem vorzuͤglichen
Geſichtspuncte gemaͤß gehandelt zu haben, iſt um ſo viel groͤßer, als nicht zu
laͤugnen ſtehet, daß ſelbiger, von andern Befehlshabern zur See, nicht oft ver-
nachlaͤßiget, ja faſt gaͤnzlich aus den Augen geſetzt zu werden pflegt.


Die Kuͤrze unſers Aufenthalts auf den Marqueſas, geſtattete unſern
Kranken hier nicht, vollkommen geheilt zu werden; vielmehr verſchlimmerten
ſich diejenigen die an der Gallen-Colick darnieder lagen, weil ſie es gewagt hat-
ten, blaͤhende Fruͤchte, die einem ſchwachen Magen ſehr ſchaͤdlich ſind, zu ge-
nießen. Capitain Cook ſelbſt war nichts weniger als hergeſtellt. Ob er
gleich zu ſeinem Schaden erfahren hatte, wie uͤbel es ihm bekommen war, daß
er auf Oſter-Eyland ſich den brennenden Stralen der Sonne ausgeſetzt; ſo hat-
te er ſich dennoch waͤhrend der ganzen Zeit unſers Hierſeyns nicht geſchont, ſon-
dern im Einkauf der Lebensmittel, und in der Sorge fuͤr das Seevolk ganz un-
ermuͤdet bewieſen. Auch ich mußte gewahr werden, daß mir bey meiner
Schwaͤche das beſchwerliche Klettern nicht zutraͤglich geweſen war. Ich bekam
eine heftige Gallen-Krankheit davon, die mir deſto unangenehmer war, da
ſie mich eben zu einer Zeit befiel, in welcher mir viel Geſchaͤffte bevorſtanden. —


Wir ſteuerten von S. Chriſtina nach Suͤd-Suͤdweſt, hernach aber
nach Suͤd-Weſt und Weſt halb Suͤd, und legten des Nachts bey, weil wir
jetzt dem Archipelago der flachen Inſeln nahe waren, der von je her als eine ſehr
gefaͤhrliche Gegend der Suͤd-See angeſehen worden iſt. Vornemlich haben die
Hollaͤnder unguͤnſtige Nachrichten davon gegeben; denn Schouten hat dieſen
Theil des Suͤdmeers die boͤſe See, und Roggewein, das Labyrinth genennet.
Letzterer verlohr eins ſeiner Schiffe, die africaniſche Galley, an einer von dieſen
flachen Inſeln, und legte ihr, dieſes ungluͤcklichen Zufalls wegen, den Namen der
gefaͤhrlichen Inſel bey. Da ſich dies in einem nicht ganz entfernten Zeit-
punct, ſondern erſt bey Menſchengedenken zugetragen, ſo haben auch die Ein-
wohner der Societaͤts-Inſeln davon reden gehoͤrt, und es ſcheint hieraus zu
[29]in den Jahren 1772 bis 1775.
folgen, daß die ſogenannte gefaͤhrliche Inſel nicht weit von jenen entfernt ſeyn1774.
April.

koͤnne.


Am 17ten entdeckten wir die erſte dieſer flachen Inſeln, erreich-
ten ſie um Mittag, und wurden durch Byrons deutliche Beſchreibung uͤber-
zeugt, daß es die oͤſtlichſte der Koͤnig-Georgs-Inſeln ſey. Davon hatten
wir gegen Abend noch einen andern Beweis; denn wir erblickten auch die zwote
Inſel dieſes Namens. Die erſtere war ſehr niedrig und ſandig. Sie
beſtehet aus einem ellyptiſchen Felſen-Rief, deſſen laͤngſter Durch-
ſchnitt von Norden nach Suͤden uͤber 6 See-Meilen ausmacht, und liegt un-
term 14ten Grad 28 Minuten ſuͤdlicher Breite, und im 144ſten Grade 56
Minuten weſtlicher Laͤnge. Hin und wieder war ſie mit viel Cocos-Nußbaͤu-
men
beſetzt, die ihr ein angenehmes Anſehn ertheilten. Die Staͤmme dieſer
Palmen waren oft bis zu einer großen Hoͤhe durch andere Baͤume und Buſch-
werk verſteckt; ihre ſchoͤnen Kronen aber ſahe man allenthalben uͤber die andern
empor ſteigen. An denen Stellen wo keine Baͤume ſtanden, war das Erd-
reich, oder vielmehr der Felſen, ſo niedrig, daß die See uͤber ſelbigen in den in-
nern Landſee hineinſchlug. Das ruhige Gewaͤſſer dieſes letztern und die Milch-
farbe deſſelben an den ſeichten Stellen, contraſtirte ſehr ſchoͤn mit den unruhig-
ſchaͤumenden Fluthen des darum her brauſenden, berylfarbnen Oceans! Wir
ſeegelten Nachmittags dicht unter der Weſtſeite der Inſel hin, und bemerk-
ten, daß die Felſen an vielen Stellen ſcharlach-roth ausſahen, wie auch By-
ron
ſie gefunden hatte. Auf dem Land-See fuhren einige Canots mit Seegeln
umher, zwiſchen den Baͤumen ſtieg hin und wieder Rauch auf, und am Stran-
de ſahe man bewaffnete Schwarze herum laufen. Das alles verſchoͤnerte den
an ſich ſchon maleriſchen Anblick. Auch bemerkten wir, daß einige Frauensleute,
mit Buͤndeln auf dem Ruͤcken, nach den entlegnern Gegenden des Felſen-Riefs
fluͤchteten. Sie mußten uns alſo wohl nicht viel Gutes zutrauen, und das war
auch kein Wunder. Sie hatten ehemals, da ſie ſich einem von Byrons Boo-
ten widerſetzten, das Ungluͤck gehabt, einige von ihren Leuten zu verlieren,
und die engliſchen Matroſen hatten ſie einen ganzen Tag uͤber aus ihren Woh-
nungen verſcheucht und von ihren Cocos-Nuͤſſen auf Discretion gelebt. — Am
ſuͤdweſtlichen Ende der Inſel entdeckten wir eine Einfahrt in den Landſee, de-
D 3
[30]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
ren auch Byron erwaͤhnt; wir ſetzten deshalb ein Boot aus, ſie zu ſondiren; denn
wir wußten damals noch nicht, daß ers, wiewohl ohne gehoften Erfolg, ſchon
gethan hatte. Unſre Leute fanden, daß der Grund aus ſcharfen Corallen be-
ſteht, und daß es unmoͤglich iſt, auf ſelbigem zu ankern. Mittlerweile hatten
die Einwohner ſich auf der Nordſeite der Einfahrt verſammlet und die Waffen
ergriffen; ſie bezeigten ſich aber dieſes kriegeriſchen Aufzuges ohnerachtet ſehr
friedfertig, und brachten einige Cocos-Nuͤſſe, die man gegen Naͤgel eintauſchte.
Sobald wir hievon Nachricht bekamen, ward noch ein zweytes Boot ausgeſetzt
und ans Land geſchickt, um mit den Leuten zu handeln, auch ihnen die fal-
ſchen, uͤblen Begriffe zu benehmen, die ſie ſich anfaͤnglich von uns gemacht
zu haben ſchienen. Mein Vater, Doctor Sparrman und ich, waren von die-
ſer Parthie, ob ich wohl an meiner Gallen-Krankheit noch viel auszuſtehen hatte.
Wir landeten ohne Widerſtand und miſchten uns ſogleich unter die Einwohner,
deren hier ohngefaͤhr funfzig bis ſechzig beyſammen waren, lauter ſtarke, große
Leute von ſchwarzbrauner Farbe. Sie hatten einige Puncturen auf der Bruſt,
auf dem Bauche und auf den Haͤnden, die gemeiniglich Fiſche vorſtellten, als
woraus ihre vorzuͤglichſte Nahrung zu beſtehen ſcheint. Ihre Geſichtszuͤge wa-
ren gar nicht unangenehm, und ſanfter noch, als bey den Einwohnern der be-
nachbarten hoͤhern Inſeln. Sie giengen ganz nackt und hatten nur ein klein
Stuͤck Zeug um die Huͤften gewickelt. Ihre Frauensleute wagten ſich nicht zu
uns heran; diejenigen aber, die wir von Ferne ſahen, waren von gleicher Farbe
mit den Mannsleuten, ihre Kleidung hingegen etwas laͤnger, indem ſie, in Form
einer Schuͤrze, bis auf die Knie herabreichte. Haar und Bart waren gekraͤu-
ſelt, zum Theil geſtutzt und gemeiniglich ſchwarz; doch bemerkte ich auch einen
Mann, deſſen Haar an den Spitzen gelblich ausſahe. So bald wir lan-
deten, umarmten ſie uns, wie die Neu-Seelaͤnder, durch gegenſeitige Beruͤh-
rung der Naſen, und fiengen ſogleich an, Cocos-Nuͤſſe und Hunde zum Verkauf
an die Boote zu bringen. Maheine kaufte einige Hunde fuͤr kleine Naͤgel und
reife Piſangs, die er von den Marqueſas mitgenommen hatte. Dieſe Frucht
war ihnen gar nicht fremd, aber ſehr angenehm und ſchaͤtzbar. Sie muͤſſen
alſo wohl mit hoͤheren Inſeln Verkehr haben, denn die Piſangs wachſen
nicht auf ihren unfruchtbaren Corallen-Riefen. Die Hunde glichen denen
[31]in den Jahren 1772 bis 1775.
auf den Societaͤts-Inſeln, hatten aber beſonders feines, weißes und langes Haar.1774.
April.

Maheine ließ ſichs daher ſehr angelegen ſeyn, welche einzukaufen, weil eben
dergleichen Haare in ſeinem Lande zur Auszierung der Bruſtſchilder gebraucht
werden. Wir verſuchten es gerade nach ihren Huͤtten hinzugehen,
die wir unter den Baͤumen liegen ſahen; da ſie es aber nicht geſtatten
wollten, ſo begnuͤgten wir uns, laͤngſt der Landſpitze allerhand Pflanzen einzuſam-
meln, vornemlich eine Kreſſen-Art (Lepidium,) die ſehr haͤufig vorhanden war,
und ein gutes Blutreinigungs-Mittel zu ſeyn ſchien. Die Einwoh-
ner zeigten uns, daß ſie dieſe Pflanze quetſchten, mit Fleiſch der Muſcheln
vermiſchten, und ſo in die See wuͤrfen, da wo ſie einen Zug von Fiſchen be-
merkten. Die Fiſche werden dadurch auf einige Zeit betaͤubt und laſſen ſich auf
der Oberflaͤche des Waſſers fangen ohne andre Muͤhe, als daß man ſie auf-
nimmt. Sie nennen dieſe nuͤtzliche Pflanze e-Nau. Wir fanden auch vie-
len Portulack, der der gewoͤhnlichen Art aͤhnlich iſt und von den Einwohnern
E-Turi genannt wird. Dieſes Kraut, welches auch auf den Societaͤts-Inſeln
waͤchſt, wird daſelbſt unter der Erde geſtobet und gegeſſen. Es gab hier noch
andre Baͤume und Pflanzen, die auch auf den Societaͤts-Inſeln wachſen; doch
fanden wir auch einige noch ganz unbekannte Kraͤuter. Der Boden beſtand
uͤberall aus Corallen-Felſen, die nur um ein ſehr weniges uͤber die Oberflaͤche
des Waſſers erhoͤhet waren. Auf dieſen lag zuerſt eine Schicht grober,
weißer Sand, mit Corallen und Muſcheln vermiſcht, und druͤberher eine
ſehr duͤnne Lage von Garten-Erde. Unter waͤhrendem Botaniſiren waren wir
um die Landſpitze herum und bis jenſeits der Wohnungen gekommen. Hier ent-
deckten wir eine andre hervorſpringende Landſpitze innerhalb des Sees, welche
darinn eine Art von Bay hervorbrachte, deren ganzer Strand mit Buſchwerk
und Baͤumen beſetzt war. Zwiſchen den beyden Land-Spitzen mußte das Waſ-
ſer ſehr ſeicht ſeyn, denn wir ſahen, daß eine große Menge Wilden von jener
Seite der Bay durchwadeten und ihre Speere hinter ſich herſchleppten. Dieſer
Anblick machte, daß wir ſogleich den Ruͤckweg, durch das Buſchwerk antraten.
Der Weg brachte uns neben den Huͤtten vorbey, die nur klein und niedrig und
mit einem von Cocos-Nußzweigen geflochtnen Dach bedecket waren. Sie ſtan-
den alle leer, indem ſich die Bewohner ſaͤmmtlich am Strande verſammlet und
[32]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
nur etliche Hunde darinn zuruͤckgelaſſen hatten. Die Wetter-Daͤcher fuͤr ihre
Canots waren von gleichen Materialien und aͤhnlicher Bauart, wiewohl et-
was groͤßer; die Canots ſelbſt aber nur kurz, jedoch ſtark, an beyden Enden
zugeſpitzt, auch mit einem ſcharfen Kiel verſehen. Sobald wir den Strand
erreicht hatten, miſchten wir uns wieder unter die Wilden, die einige Befrem-
dung daruͤber bezengten, daß wir von ihrem Dorfe herkamen. Wir gaben dem
Lieutenant, der unſre Boote commandirte, Nachricht von den feindlichen An-
ſtalten, die wir bemerket; worauf unſre Leute ſogleich Vorkehrungen machten,
wieder an Bord zu gehen. Unterdeſſen war uns Maheine behuͤlflich, mit den
Wilden zu reden. Sie ſagten uns: ſie haͤtten einen Befehlshaber oder Eriki,
und ihre Inſel heiße Te-aukea. Ihre Sprache hatte eine große Aehnlichkeit
mit dem tahitiſchen Dialect, außer daß ihre Ausſprache haͤrter war und durch
die Gurgel geſchahe. Nunmehro ſahe man die andern Wilden, die dieſen gleich-
ſam zum Succurs durch die Bay gewadet waren, in den Buͤſchen herankommen.
Sie hatten ſich theils mit langen Keulen, theils mit runden, kurzen Knuͤppeln, und
Speeren bewaffnet, die oft 14 Fus lang und oben mit dem Schwanz-Stachel des
Stech-Rochens verſehen waren. Wir traten alſo in unſre Boote; die Einwohner
eilten aber in großen Haufen zu ſelbigen herbey, und ſchienen zweifelhaft, ob
ſie uns den Abzug wehren oder verſtatten ſollten? Indeſſen ließen ſie das letztere
geſchehen, vielleicht, weil wir fruͤher auf unſre Sicherheit gedacht hatten als ſie
es vermuthet haben mochten. Einige waren uns ſogar behuͤlfllich, unſre
Boote abzuſtoßen. Andre hingegen warfen Steine neben uns ins Waſ-
ſer, und ſchienen ſich etwas darauf einzubilden, daß ſie uns gleichſam vom
Strande weggeſcheucht hatten. Nach unſerm Abzuge plauderten ſie ſehr laut un-
tereinander, ſetzten ſich aber endlich im Schatten der Baͤume am Ufer nieder.
So bald wir an Bord waren, lies der Capitain vier oder fuͤnf Canonen, theils
uͤber ihre Koͤpfe hinaus, theils vor ihnen ins Waſſer abfeuern, damit ſie ſehen
ſollten, was er zu thun im Stande ſey. Die Kugeln, beſonders aber die ins
Waſſer geſchoßnen, jagten ihnen ein ſolches Schrecken ein, daß der ganze Haufe
mit groͤßter Eil davon rannte. Wir hatten von ihnen mehr nicht als dreyßig
Cocos-Nuͤſſe und fuͤnf Hunde eingetauſchet. Byron entdeckte hier auch Quel-
len, und ob dieſe gleich nur wenig Waſſer gaben, ſo mag es doch wohl hinreichend
ſeyn,
[33]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſeyn, die wenigen Einwohner mit dieſem unentbehrlichen Elemente zu verſehen.1774.
April.

Auch traf er im Gebuͤſch ein ſteinernes Grabmahl an, welches mit den Tahi-
tiſchen Marai’s
ungemein viel Aehnlichkeit hatte. Die Opfer, von Fleiſch
und Fruͤchten hiengen an den naheſtehenden Baͤumen. Sowohl hieraus,
als aus der Bildung, den Gebraͤuchen und der Sprache laͤßt ſich mit Grunde
ſchließen, daß dies Volk mit den gluͤcklichern Bewohnern der benachbarten
bergichten Inſeln nahe verwandt ſey. Die großen Landſeen in dieſen zirkel-
foͤrmigen Inſeln, ſind, allem Anſehen nach, ſehr fiſchreich, und Fiſche ſcheinen
auch ihre beſtaͤndige Nahrung auszumachen. Die ſandichten Gegenden der Coral-
len-Riefe
ſind gute Stellen fuͤr Schildkroͤten, ihre Eyer darauf zu legen; und
aus den Stuͤcken von Schildkroͤten-Schaalen, welche die Leute vom Dolphin
hier antrafen, erhellet ſehr deutlich, daß die Einwohner dieſe großen Thiere
zu fangen wiſſen, deren nahrhaftes Fleiſch ein herrlicher Leckerbiſſen fuͤr ſie ſeyn
muß. Die wenigen hier wachſenden Pflanzen ſind alle ſehr nutzbar und zum
Fiſchfange dienlich. Einige Baͤume ſind ſo dick, daß die Staͤmme zu Canots,
die Aeſte hingegen zu Waffen und anderem Geraͤthe gebraucht werden koͤnnen,
und die Cocos-Palme, die ſo manchen Voͤlkern des Erdbodens Unterhalt
giebt, leiſtet auch dieſen hier unendlichen Nutzen, weil von derſelben faſt alles
und jedes zu brauchen iſt. Die Nuß enthaͤlt, ſo lange ſie gruͤn iſt, bisweilen
eine Pinte, zuweilen ein ganzes Quart Waſſer, das eine angenehme Suͤßigkeit
und beſonders lieblichen Geſchmack hat. Seine kuͤhlende Eigenſchaft und an-
dren Beſtandtheile, machen es zu einem herrlichen Labetrunk, der in dieſen heiſ-
ſen Himmelsgegenden den Durſt ohne Zweifel beſſer, als jedes andre Getraͤnk
loͤſchet. Wenn die Nuß aͤlter wird, ſo bildet ſich in ſelbiger ein Kern, der
anfaͤnglich fetten Milch-Rahm gleicht, hernachmals aber ſo feſt und oͤhligt wird,
als Mandeln. Er iſt ſehr nahrhaft. Das Oehl wird zuweilen herausgepreßt und
zur Salbung der Haare und des Coͤrpers gebrauchet. Aus der harten Schaa-
le machen ſie Trink-Geſchirre, und allerhand andre Geraͤthſchaften, und die fa-
ſrichte Rinde giebt gutes, ſtarkes, elaſtiſches und dauerhaftes Tauwerk, imglei-
chen mancherley Putz. Mit den oberſten, langen Blaͤttern oder Schoͤßlingen de-
cken ſie ihre Huͤtten, oder flechten Koͤrbe daraus. Aus der inneren Schaa-
le wird eine Art von Zeug bereitet, das in dieſen heißen Laͤndern zur
Kleidung hinreichend iſt; und der Stamm des Baumes ſelbſt, wenn er
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. E
[34]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
zu alt wird, um Fruͤchte zu tragen, taugt wenigſtens noch zum Bau einer Huͤtte oder
zum Maſte eines Cauots. Außer Fiſchen und Fruͤchten haben ſie auch Hunde, die mit
Fiſchen gefuͤttert und von den Einwohnern der Societaͤts-Inſeln fuͤr die ſchmack-
hafteſte Fleiſch-Speiſe gehalten werden. Solchergeſtalt hat die Vorſehung,
nach ihrer Weisheit, ſogar dieſe unbedeutende ſchmale Felſen-Riefe, fuͤr ein
ganzes Geſchlecht von Menſchen, hinreichend mit Lebensmitteln verſehen! Die
Entſtehungsart dieſer Corallen-Felſen giebt uns ein nicht minder bewunderungs-
wuͤrdiges Beyſpiel von der Allmacht des Schoͤpfers, der ſo oft große, wichtige
Endzwecke durch die geringſten Mittel zu erreichen weiß. Die Koralle iſt, bekann-
termaaßen, das Gebaͤude eines kleinen Wurms, der ſein Haus, in eben dem fort-
ſchreitenden Maaße als er ſelbſt waͤchſet, vergroͤßert. Kaum bemerkt man an
dieſem kleinen Thierchen Empfindung genug, um es in dieſer Abſicht von den
Pflanzen unterſcheiden zu koͤnnen: Gleichwohl bauet es, aus der unergruͤndlich-
ſten Tiefe der See, ein Felſenwerk, bis an die Oberflaͤche des Meers, in die
Hoͤhe, um unzaͤhligen Menſchen einen veſten Boden zum Wohnplatz zu ver-
ſchaffen! — Die Zahl der auf ſolche Art entſtandenen flachen Inſeln iſt
ſehr betraͤchtlich, und wir kennen ſie gleichwohl bey weiten noch nicht alle. In
der Suͤdſee ſind ihrer zwiſchen den Wendezirkeln am mehreſten, vorzuͤglich aber
trift man ſie oſtwaͤrts von den Societaͤts-Inſeln, in einer Strecke von 10 bis 15
Graden, an. Quiros, Schouten, Roggewein, Byron, Wallis, Car-
teret
, Bougainville
und Cook haben insgeſammt, ein jeder verſchiedene neue
Eylande von der Art entdeckt, und, was das merkwuͤrdigſte iſt, ſie haben ſie
250 Seemeilen oſtwaͤrts von Tahiti, mit Menſchen bewohnt gefunden!
Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß man in der Folge, auf jedem neuen Striche, zwi-
ſchen dem 16ten und 17ten Grad der ſuͤdlichen Breite, noch andere von eben
dieſer Gattung entdecken werde. Bis jetzt aber iſt noch kein Seefahrer,
in dieſer Parallele, nach den Societaͤts-Inſeln geſeegelt. Uebrigens ver-
diente es auch gar wohl einer naͤheren Unterſuchung, warum ſie ſich
oſtwaͤrts von den Societaͤts-Inſeln ſo haͤufig finden, und beſonders da ei-
nen ſo großen Archipelagus ausmachen, indeß man ſie jenſeits, oder weſtwaͤrts
von den Societaͤts-Inſeln, nur ganz einzeln antrift? Zwar giebt es weiter ge-
gen Weſten hin, noch einen andern Archipelagus von Koral-Rieffen, nemlich
[35]in den Jahren 1772 bis 1775.
die ſogenannten freundſchaftlichen-Inſeln: Dieſe ſind aber von jener Art in1774.
April.

manchen Stuͤcken ſehr unterſchieden. Sie ſcheinen nemlich nicht nur ungleich
aͤlter zu ſeyn, ſondern ſie ſind auch mehrentheils von groͤßerm Umfang, und haben
mehr Erdreich, ſo daß daſelbſt alle Pflanzen gezogen werden, die nur immer in
den bergigten Inſeln fortkommen.


Nachdem wir von Te-Aukea abgeſeegelt waren, lavirten wir die ganze
Nacht und ſteuerten bey einer nicht weit davon gelegenen Inſel vorbey, die,
nach Byron’s Beſtimmung, mit zu den Koͤnig Georgs-Inſeln gehoͤrt. Sie
ſcheint viel aͤhnliches mit Te-Aukea zu haben, aber von groͤßerm Umfange zu
ſeyn. Ihre Laͤnge von Norden gegen Suͤden, betraͤgt etwa 8 Seemeilen, die
Breite des innern Landſees aber 5 bis 6 ſolcher Meilen. Sie war auch haͤu-
fig mit Buͤſchen, Baͤumen und Cocos-Palmen beſetzt.


Um 8 Uhr des folgenden Morgens, entdeckten wir wiederum eine In-
ſel, von eben der Art, die, allem Anſchein nach, noch keinem andern Seefahrer
zu Geſicht gekommen iſt, wenigſtens erinnern wir uns nicht, eine Anzeige
davon, irgendwo gefunden zu haben. Um Mittag zeigte ſich noch eine andere,
gegen Weſten, an der wir Nachmittags hinunter fuhren. Sie erſtreckte ſich
ungefaͤhr auf 8 Seemeilen: Am Strande lief eine Menge der Eingebohrnen,
mit langen Speeren bewaffnet, herum, und auf dem innern Landſee, der ſehr
groß war, ſahen wir verſchiedene Canots auf- und ab ſeegeln. So viel ich be-
merkt habe, ſind dieſe Corall-Riefen, mehrentheils an der Seite, auf welche
der Wind nicht gewoͤhnlich hin blaͤſet, am hoͤchſten und am fruchtbarſten, ver-
muthlich, weil ſie da mehr Schutz vor der Gewalt der Wellen haben. Doch
giebt es auf dieſer See uͤberhaupt nur ſelten ſo heftige Stuͤrme, daß man, um
derſelben willen, dieſe Inſeln fuͤr mißliche oder unangenehme Wohnplaͤtze halten
ſollte. Bey gutem Wetter muß es ſich vielmehr uͤberaus angenehm auf den
ſpiegelglatten Seen herumfahren laſſen, wenn auch gleich der Ocean noch ſo ſtuͤr-
miſch und unruhig ſeyn ſollte.


Noch denſelben Abend erblickten wir eine dritte neue Inſel, verloren ſie
aber, als wir am folgenden Morgen weiter ſeegelten, bald wieder aus dem Ge-
ſicht. Capitain Cook nannte dieſen Haufen Inſeln, Palliſers-Eylande. Sie
liegen im 15ten Grad 36 Minuten ſuͤdlicher Breite und im 146ſten Grad 30
E 2
[36]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Minuten weſtlicher Laͤnge. Die noͤrdlichſte derſelben ſcheint Roggeweinsge-
faͤhrliche Inſel
zu ſeyn, an deren Kuͤſten er die afrikaniſche Galley verlor.
Dieſe Vermuthung wird unter andern dadurch beſtaͤtigt, daß Byron nicht weit
von hier, nemlich zu Te-Aukea, ein Bootsruder fand. *)


Wir ſteuerten nun Suͤdweſtwaͤrts. Schon waren auf beyden Seiten
die flachen Inſeln hinter uns, und nun gieng zu jedermanns groͤßter Freude
die Fahrt gerade nach Tahiti. Da wir auf den guten Willen der dortigen Ein-
wohner ſicher Rechnung machen, und uns die beſte Aufnahme von ihnen ver-
ſprechen konnten; ſo ſahen wir dieſe Inſel gleichſam fuͤr unſre zwote Heimath an.
Unſere Kranke fiengen nun auch an, neue Hoffnung zu ſchoͤpfen; denn ſie wuß-
ten, daß ſie dort wenigſtens im Kuͤhlen ruhen, oder, wenn ihre Umſtaͤnde es
litten, ſich Bewegung machen koͤnnten und uͤberdem weit geſundere Nahrungs-
mittel zu gewarten haͤtten. Die uͤbrigen freuten ſich nicht minder, dort gleichſam
neue Kraͤfte zu ſammlen, um alle Gefahren und Beſchwerlichkeiten, die uns noch
ferner bevorſtanden, mit geſtaͤrktem Muthe uͤbernehmen zu koͤnnen. Der Capi-
tain verſprach ſich einen reichlichen Borrath an friſchen Lebensmitteln, und dieſe
Beyhuͤlfe ließ uns deſto ſicherer eine gluͤckliche Beendigung der ganzen Seereiſe
hoffen. Unſer Aſtronom war aͤußerſt begierig eine Sternwarte zu errichten,
und darnach zu beſtimmen, wie unſere Laͤngen-Uhr gegangen ſey, welches ſeit
der Abreiſe von Neu-Seeland nicht hatte unterſucht werden koͤnnen. Ueber-
dem ſehnten auch wir als Naturforſcher uns ſehr nach dieſer Inſel, um unſre
Kraͤuter-Sammlungen, die natuͤrlicherweiſe ſehr unvollſtaͤndig ſeyn mußten,
weil unſer voriger Aufenthalt in die Wintermonathe gefallen war, etwas reich-
haltiger zu machen.


Aber gewiß noch eyfriger als wir alle, wuͤnſchte unſer Freund, Ma-
heine
, nach Tahiti zu kommen, weil viele ſeiner Verwandten ſich daſelbſt nie-
dergelaſſen, er fuͤr ſeine Perſon aber noch nie da geweſen war. Ueberdem
hatte er, nicht nur von den Einwohnern der anderen Societaͤts-Inſeln, die Ta-
hiti
fuͤr die reichſte und maͤchtigſte von allen hatten, ſondern auch von uns, taͤg-
lich ſo viel ſchoͤnes von dieſem Lande erzaͤhlen hoͤren, daß er fuͤr Begierde brann-
[37]in den Jahren 1772 bis 1775.
te, es mit eignen Augen zu ſehen. Er wußte, daß die Menge auslaͤndiſcher1774.
April.

Curioſitaͤten die er auf der Reiſe eingeſammlet hatte, ihm bey den dortigen
Inſulanern ein großes Anſehen verſchaffen, und daß die vielen ſeltnen
Kenntniſſe die er ſich durch den Umgang mit uns und andern entfernten
Voͤlkern erworben hatte, in Tahiti allgemeine Aufmerkſamkeit erregen
wuͤrden. Er that ſich alſo ſchon im Voraus was darauf zu gute,
daß ihm jedermann mit Achtung und Freundſchaft begegnen, daß ſeine
Bekanntſchaft mit uns, und unſre Lebensart, die er angenommen, ihm
noch mehr Bewunderung zuziehen, und daß man vornemlich fuͤr das Schießge-
wehr, deſſen Gebrauch wir ihm erlaubt hatten, nicht wenig Reſpect bezeigen
wuͤrde. Auch bin ich, ſeines guten Herzens wegen, uͤberzeugt, daß er ſich dar-
auf
freute, uns Europaͤern auf dieſe oder jene Weiſe, bey ſeinen Landsleuten nuͤtz-
lich zu werden; denn er war uns allen herzlich gut, und ward auch unſrer Seits
durchgehends aufrichtig geliebt.


Am folgenden Morgen, um 10 Uhr, erblickten wir Land, und erkann-
ten wenige Stunden darauf, daß es ein Theil von Tahiti ſey. Aber ungeach-
tet aller Muͤhe, die wir anwendeten um noch denſelben Tag da anzulanden,
wußten wir doch, der einbrechenden Dunkelheit wegen, noch einmal Anker werfen,
und die Nacht in See zubringen. So lange es noch helle blieb, hatte je-
dermann die Augen, feſt auf dieſe Koͤniginn der tropiſchen Inſeln hingerichtet.
Ich, ſo ſchwach auch meine Kraͤfte waren, kroch ebenfalls mit aufs Verdeck, um
mich wenigſtens an dem Anblick der Gegend zu laben, die mir zu Herſtel-
lung meiner Kraͤfte und meiner Geſundheit endlich Hoffnung gab. Den Mor-
gen war ich fruͤh erwacht, und welch Entzuͤcken gewaͤhrte mir da die herrliche Aus-
ſicht! Es war, als haͤtte ich die reizende Gegend, die vor mir lag, noch nie
geſehen; doch war ſie jetzt auch in der That weit ſchoͤner, als vor acht Mona-
then, da ich ſie zu einer ganz andern Jahreszeit geſehen hatte. Die Waͤlder
auf den Bergen waren mit friſchem Gruͤn bekleidet, das in mannigfaltigen Far-
ben durcheinander ſpielte; die kleinen Huͤgel, hie und da, gruͤnten ebenfalls im
neuen Fruͤhlingskleide, und verſchoͤnerten an manchen Orten, die reizende Aus-
ſicht. Beſonders aber prangten die Ebnen mit allem Schmuck der jungen
E 3
[38]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Wieſen. Kurz, alles erinnerte mich an die Beſchreibungen von Ca-
lypſo’s
bezauberter Inſel.


Man kann leicht denken, daß wir dieſe vor uns liegende Landſchaft nicht
viel aus den Augen ließen. Im Vorbeyſeegeln hatten wir uͤberdem noch das
Vergnuͤgen, jede bey unſerm vormaligen Aufenthalt beſuchte Gegend gleich wie-
der zu kennen. Endlich zeigte ſich die Pracht von Matavai-Bay in ihrem gan-
zen Umfange, und nun konnten wir es kaum erwarten, nach einer acht monath-
lichen Abweſenheit, wieder hier anzulanden.


Zwey-
[39]in den Jahren 1772 bis 1775.

Zweytes Hauptſtuͤck.
Nachricht vom zweeten Beſuch auf der Inſel
Tahiti.


Ille terrarum mihi præter omnes
Angulus ridet
.
Horat.
()

Kaum hatten die guten Leute das Schiff vom Lande her wahrgenommen, ſo1774.
April.

kamen auch ſchon verſchiedene Canots, um uns mit Geſchenken von
Fruͤchten zu bewillkommen. Unter den erſten, die uns an Bord beſuchten, wa-
ren zween junge Leute, die, dem Range nach, etwas mehr als die uͤbrigen ſeyn
mußten: Dieſe baten wir, in die Cajuͤtte zu kommen, und hier wurde ſogleich
mit Maheinen Bekanntſchaft gemacht. Der Landes-Sitte nach, mußten ſie
ihm ein Geſchenk von Kleidungsſtuͤcken machen: Sie zogen alſo ihre Oberklei-
der, die vom feinſten hieſigen Zeuge verfertigt waren, aus, und gaben ſie ihm
anzuziehen. Er hingegen zeigte ihnen ſeine Merkwuͤrdigkeiten, und beſchenkte
ſie mit ein Paar rothen Federn, die ſie, als eine große Seltenheit, ſehr
hoch aufnahmen.


Etwa um 8 Uhr des Morgens, ließen wir in Matavai-Bay den An-
ker fallen, und ſogleich war auch eine ganze Flotte von Canots um uns her, in
welchen unſere alte Bekannten, Fiſche, Brodfrucht, Aepfel, Cocosnuͤſſe und
Piſangs zu Markte brachten, und fuͤr ſehr geringe Preiſe uͤberlieſſen. Die Fi-
ſche waren groͤßtentheils ſogenannte Dikkoͤpfe, (mullets oder mugiles) und
Boniten. Sie fuͤhrten ſie uns lebendig, in einem Troge zu, der zwiſchen den
doppelten Canots unter dem Waſſer befeſtigt und, damit dieſes frey hindurch
konnte, vorn und hinten mit einem Flechtwerk von Baumzweigen vermacht war.


Wir lieſſen nun, wie ehemals, auf der Landſpitze Venus wieder eini-
ge Zelte aufſchlagen, ſowohl zum Behuf aſtronomiſcher Beobachtungen, als zu
Erleichterung des Handels, Holzhauens und Waſſereinnehmens. Der Capitain,
D. Sparrmann und mein Vater giengen ans Land. Ich aber mußte noch
am Bord bleiben; denn ich war ſo matt und elend, daß ich kaum ſtehen konnte.
Indeſſen machte ich mir die kleine Veraͤndrung, vom Cajuͤtten-Fenſter aus, zu
[40]Forſter’s Reiſe um die Welt
April.
1774.
handeln, und brachte auf die Art wenigſtens etliche neue Arten Fiſche an mich,
da hingegen jene Herren, bey ihrer Zuruͤckkunft, nichts neues aufzuweiſen hatten.
Was ſie uns vom Lande erzehlten, lantete ſehr reizend und vortheilhaft: Sie
hatten alles, was ſie diesmal geſehen, in weit beſſern Umſtaͤnden gefunden als
bey unfrer erſten Anweſenheit; das Gruͤn in voller Pracht; viele Baͤume noch
mit Fruͤchten beladen; die Baͤche waſſerreich, und eine Menge ganz neuerbau-
ter Haͤuſer. Maheine, der mit ihnen gegangen war, kam die Nacht nicht
wieder an Bord. Er hatte ſogleich einige von ſeinen Verwandten angetroffen,
vornehmlich eine leibliche Schweſter, Namens Te-i-oa, die eine der ſchoͤnſten
Frauensperſonen auf der ganzen Inſel, und an einen großen, anſehnlichen
und vornehmen Mann, von Raietea, Namens Nuna, verheyrathet war.
Sein Haus, das ſich wegen der ungewoͤhnlichen Groͤße vor vielen der uͤbri-
gen ausnahm, ſtand ganz nahe bey unſeren Zelten; es lag nemlich kaum 200
Schritt, jenſeit des Fluſſes. Ehe Maheine ans Land gieng, hatte er ſeine
Europaͤiſche Kleidung abgelegt und dafuͤr die ſchoͤnen neuen Kleider, womit
er von ſeinen Landslenten beſchenkt worden war, angezogen. Die Freude,
welche er uͤber dieſe Vertauſchung der Tracht aͤuſſerte, bewies, daß ihm ſeine
vaterlaͤndiſche Sitte, doch uͤber alles wohl gefallen muͤſſe. Indeſſen iſt das
um ſo weniger zu verwundern, weil man unter den mehreſten Voͤlkern, die noch
nicht gehoͤriger maaßen civiliſirt ſind, beſonders aber unter den ganz wilden,
dergleichen Beyſpiele von der Macht der Gewohnheit vielfaͤltig wahrgenommen
hat. In der That war es auch ganz natuͤrlich, daß ein Menſch von den So-
cietaͤts-Inſeln
, (wie Z. B. Maheine, der beydes kannte,) das gluͤckliche Le-
ben, die geſunde Nahrung und die einfache Tracht ſeiner Landsleute, — der
beſtaͤndigen Unruhe, den ekelhaften Speiſen, und den groben engen Kleidungen
Europaͤiſcher Seeleute vorziehen mußte. Haben wir doch ſogar geſehen, daß
Esquimaux, mit der groͤßten Begierde in ihr wuͤſtes Vaterland, zu ihren
ſchmierigen Seehundsfellen und zu ihrem ranzigen Thran-Oele zuruͤckgekehrt ſind,
ohnerachtet ſie eine Zeitlang, die Europaͤiſche Kuͤche, den Europaͤiſchen Klei-
der-Prunck und alle Herrlichkeit von London, geſehen und genoſſen hatten!


Was Maheinen betrifft, ſo fand er in Tahiti alle Gluͤckſeligkeit und
Freude, die er nur je erwarten konnte: Ein jeder begegnete ihm mit auſ-
ſerordent-
[41]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſerordentlicher Achtung, und ſah ihn in mehr denn einer Abſicht, fuͤr ein rech-1774.
April.

tes Meerwunder an; man bewirthete ihn mit den ausgeſuchteſten Speiſen;
er bekam unterſchiedliche Kleider geſchenkt, und indem er unter den Nym-
phen des Landes herumſchwaͤrmte, fand er nicht ſelten Gelegenheit, auch
jene Art des Vergnuͤgens zu ſchmecken, die er zur See ſchlechterdings hatte ent-
behren muͤſſen. Empfindlich fuͤr jede ſinnliche Luſt, wie alle Kinder der
Natur, aber lange des Anblicks ſeiner huͤbſchen Landsmaͤnninnen beraubt,
und durch den Umgang mit unſern Seeleuten vielleicht noch etwas mehr,
als ſonſt, zur Sinnlichkeit geſtimmt, mußte ihm die Gelegenheit, ſich auch
hierinnen einmal ein gewiſſes Genuͤge zu thun, natuͤrlicher Weiſe ſehr will-
kommen ſeyn. Er hatte alſo von allen Seiten Urſach, ſichs auf dieſer rei-
zenden Inſel ganz wohl gefallen, und durch den Umgang mit ſeinen ſchoͤnen
Landsmaͤnninnen ſich feſſeln zu laſſen. Ueberdem konnte in einem ſo war-
men Clima das Schiff freylich kein angenehmes Nachtquartier fuͤr ihn ſeyn;
warum haͤtte er ſich in eine enge, vielleicht auch uͤbel riechende Cajuͤtte ein-
ſperren ſollen, da er am Lande die reinſte Luft, den Wohlgeruch der Blu-
men einathmen konnte, und uͤberdies von dem ſanften Abendwinde die an-
genehmſte Kuͤhlung zu gewarten hatte? — — So gluͤcklich aber auch,
in Ruͤckſicht auf dieſe Umſtaͤnde, Maheinens Loos, am Lande ſeyn mog-
te, ſo gab es doch auch an Bord, Leute, die ſich in ihrer Lage fuͤr recht
beneidenswerth hielten! Gleich am erſten Abend kamen nemlich unterſchied-
liche Frauensperſonen aufs Schiff, mit welchen die ganze Nacht hindurch, alle
moͤgliche Ausſchweiffungen getrieben wurden. Ich habe ſchon bey einer
andern Gelegenheit angemerkt, daß die hieſigen liederlichen Weibsperſonen
von der gemeinſten oder niedrigſten Claſſe ſind; das beſtaͤtigte ſich jetzt noch
augenſcheinlicher, weil dieſe Perſonen gerade dieſelbigen waren, die ſich be-
reits bey unſerm erſten Aufenthalt zu Tahiti, in ſo ausgelaſſene Sittenlo-
ſigkeiten, mit unſern Seeleuten einlieſſen. Dies beweiſet meines Er-
achtens offenbar, daß die H. … hier zu Lande ebenfalls eine beſon-
dere Claſſe ausmachen. Sie iſt jedoch bey weitem ſo zahlreich, und das
Sittenverderben lange ſo allgemein nicht, als unſre Vorgaͤnger ſolches viel-
leicht zu verſtehen geben. Mich duͤnkt, ſie haben dabey zu wenig auf Ort
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. F
[42]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
und Umſtaͤnde, Ruͤckſicht genommen. Es wuͤrde abgeſchmackt ſeyn, wenn
etwa O-Mai ſeinen Landsleuten erzaͤhlen wollte: in England wiſſe man we-
nig oder nichts von Zucht und Ehrbarkeit, weil er dergleichen unter den gefaͤlligen
Nymphen in Covent-Garden, Drurylane und im Strande nicht angetroffen.


Den Tag nach unſrer Ankunft hatten wir uͤberaus trefliches Wetter.
Es kamen daher viele von den Eingebohrnen zu uns an Bord. Ich fuhr
ans Land und verſuchte es nach den Zelten zu gehen, war aber kaum
50 Schritte fortgekrochen, als ich umkehren und mich niederſetzen mußte, um
nicht ohnmaͤchtig zu werden. An dem Ort, wo ich ſaß, brachte man unter an-
dern auch Aepfel zum Verkauf: dieſe ſahen ſo reizend aus, daß ich, dem aus-
druͤcklichen Verbot meines Arztes zuwider, es auf die Gefahr ankommen ließ,
und einen zu mir nahm. Hierauf gieng ich wieder an Bord. Waͤhrend dieſer Zeit
hatten unſre Leute, gegen Naͤgel, Meſſer und andere Kleinigkeiten, funfzig Stuͤck
große Bonniten, imgleichen eine Menge von Fruͤchten eingetauſcht, ſo daß recht reich-
liche Portionen davon, unter die Mannſchaft ausgetheilt werden konnten. Einem
von unſern Tahitiſchen Gaͤſten war mittlerweile die Luſt angekommen, etliche
Naͤgel vom Schiffe zu ſtehlen. Dieſen fand ich bey meiner Zuruͤckkunft in Ketten;
weil aber viele angeſehene Perſonen Fuͤrbitten fuͤr ihn einlegten, und eine ziemlich
betraͤchtliche Anzahl Bonniten zu geben verſprachen, wenn man ihn loslaſſen
wollte, ſo wurde er bald wieder in Freyheit geſetzt, jedoch mit der Verwarnung,
daß er ſich inskuͤnftige, fuͤr dergleichen Diebereyen, in Acht nehmen moͤgte.


Das liederliche Geſindel, welches die vorige Nacht am Bord zugebracht
hatte, war dieſen Abend zeitig wieder da, und hatte noch ſo viel andere von
eben dem Gelichter mit ſich gebracht, daß jeder Matroſe ſeine eigne Dirne haben
konnte. Das war ihnen eben recht; ſie hatten gerade heut das St. Georgen-
Feſt, nach altem Brauch gefeyert, das heißt, dem Schutzheiligen ihres Landes
zu Ehren, ſich tapfer bezecht. Nach Endigung der Bachanalien brachten ſie nun
noch die ganze, ſchoͤne, mondenhelle Nacht im Dienſt Cytherens hin!


Dr. Sparrmann und mein Vater kamen erſt nach Sonnen-Untergang
vom Lande an Bord zuruͤck. Sie waren uͤber One-Tree-hill nach Parre
gegangen, hatten daſelbſt Tutahah’s Mutter, nebſt Happai, des Koͤniges
Vater, angetroffen und beyde mit einigen Geſchenken bewillkommt. Einer
[43]in den Jahren 1772 bis 1775.
von den Eingebohrnen, der ſie von dort aus begleitete, leiſtete ihnen, vornemlich1774.
April.

dadurch manchen ſehr guten Dienſt, daß er weit in einen Teich hinein ſchwamm,
auf welchem ſie einige wilde Endten geſchoſſen hatten. Er lud ſie auch nach
ſeiner Wohnung ein, die wohl 10 Meilen weſtwaͤrts von Point Venus ent-
fernt war. Daſelbſt bewirthete er ſie mit einer guten Mahlzeit von Fruͤchten, und
unter andern, mit einem vortreflichen Pudding, der von geſchabten Cocos-Nuß-
Kernen
und Pfeilwurzeln (arum eſculentum) gemacht war, verſorgte ſie
auch reichlich mit Cocos-Nuͤſſen. Die Baͤume um ſeine Huͤtte, lieferten ihm
dieſe Frucht, ihrer Erzaͤhlung nach, in großer Menge. Nach dem Eſſen beſchenkte
er ſie noch mit einer wohlriechend gemachten Kleidung, vom feinſten Zeuge,
und auf dem Ruͤckwege trug er ihnen eine große Tracht von Fruͤchten nach, die
bey der Mahlzeit nicht waren verzehrt worden. Unterwegens fanden ſie die beyden
Ziegen, die Capitain Fourneaux dem Koͤnige geſchenkt hatte, ohnweit dem
Hauſe ihres hohen Eigenthuͤmers. Sie hatten ſeit unſrer Abweſenheit ein feines,
ſanftes, ſeidenartiges Haar bekommen, auch hatte die Ziege bereits zween Junge ge-
worfen, die beynahe voͤllig ausgewachſen, eben ſo gut bey Leibe und ſo mun-
ter waren, als die beyden Alten. Wenn die Einwohner noch eine Zeitlang
fortfahren, dieſe Thiere ſo ſorgfaͤltig zu warten; ſo werden ſie ſolche bald koͤnnen
wild gehen laſſen, und denn haben ſie, von der ſchnellen Vermehrung derſelben,
einen neuen Artikel des Unterhalts zu gewarten, der ihnen ohne Zweifel ſehr will-
kommen ſeyn wird. Der gaſtfreye Begleiter meines Vaters kam mit an Bord,
ſchlief die Nacht bey uns, und gieng am folgenden Morgen, hoͤchſt vergnuͤgt
uͤber einige Meſſer, Naͤgel und Corallen, die er zum Gegengeſchenk bekom-
men hatte, wieder nach Hauſe.


Des folgenden Morgens, den 24ſten, fand ich mich, durch den verbo-
tenen Apfel den ich den Tag vorher genoſſen hatte, ganz außerordentlich erquickt,
und Capitain Cook, der noch immer einige Zeichen ſeiner Gallenkrankheit an
ſich warnahm, hatte gleiche Wuͤrkung von dieſer herrlichen Frucht geſpuͤrt.
Wir fuhren alſo fort, uns nach unſerm Appetit, von Zeit zu Zeit, damit zu la-
ben und empfohlen ſie allen aͤhnlichen Patienten. Unſere Beſſerung wurde da-
durch uͤber alle Erwartung beſchleunigt, und in wenig Tagen war die ganze
F 2
[44]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774
April.
Krankheit, bis auf eine geringe Schwaͤche gehoben, die in dergleichen Faͤllen
gemeiniglich noch eine Zeitlang zuruͤckzubleiben pflegt.


Um Mittag aus beſuchte uns, ohnerachtet es kaum aufgehoͤrt hatte zu
regnen, der Koͤnig Tu mit ſeiner Schweſter Taurai und mit ſeinem Bruder.
Sie brachten dem Capitain Cook etliche Schweine zum Geſchenk, und der Koͤ-
nig ſchien jetzt bey weitem nicht mehr ſo mißtrauiſch und ſo ſchuͤchtern als ehemals
zu ſeyn. Man belohnte ſeine Freygebigkeit durch ein Paar Beile; allein, es
mußte ihm und ſeiner Geſellſchaft wohl hauptſaͤchlich um rothe Papagayen-Fe-
den zu thun ſeyn, denn nach dieſen fragten ſie, unter der [Benennung]Ura, ſehr
eifrig. Ohne Zweifel hatten Maheinens Erzaͤhlungen und die Geſchenke von
dergleichen Federn, die er hier bereits ausgetheilt, dem Koͤnige Anlaß gegeben,
ſich bey uns darnach zu erkundigen. Wir ſuchten alſo den ganzen Vorrath von
Merkwuͤrdigkeiten, den wir von den freundſchaftlichen Inſeln mitgebracht
hatten, durch, und fanden darunter eine Menge ſolcher Federn. Indeſſen hiel-
ten wir nicht fuͤr rathſam, ſie ihnen alle auf einmal ſehen zu laſſen, ſondern
es ward dem Koͤnige und ſeiner Schweſter nur ein Theil dieſer Koſtbarkeiten
gezeigt, deren Anblick jedoch ſchon hinreichend war, ſie in frohes Erſtaunen zu
ſetzen.


Ich habe weiter oben, als ich des Einkaufs dieſer Federn erwaͤhnte, an-
gemerkt, daß einige davon auf Maulbeerzeug geheftet, andre aber auf Sternen
von Cocosfaſern befeſtigt waren. Von dem damit ausſtafierten Zeuge, bekamen
unſre hohen Gaͤſte ein Stuͤckchen, nicht viel uͤber zween Finger breit, und von
den Sternen ebenfalls nur einen oder zween. So klein auch dieſe Portion war,
ſo ſchienen ſie doch kaum ſo viel erwartet zu haben, und giengen ſehr vergnuͤgt da-
mit fort. Man braucht dieſe Art Federn, hier zu Lande, vornemlich zu Aus-
ſchmuͤckung der Kriegskleider, und wer weiß bey wie viel andern feyerlichen
Gelegenheiten ſie ebenfalls ſonſt noch Dienſte leiſten muͤſſen. Der ungemein
hohe Werth aber, den man darauf ſetzt, beweiſet ſattſam, wie hoch unter
dieſem Volke der Luxus ſchon geſtiegen iſt.


Am folgenden Tage beſuchten uns unterſchiedliche Befehlshaber der In-
ſel, unter andern auch unſer alter Freund Potatau, nebſt ſeinen zwoen Gemah-
linnen Whainiau und Polatehera. Auch dieſe mußten ſchon von unſerm
[45]in den Jahren 1772 bis 1775.
großen Reichthum an rothen Federn gehoͤrt haben, denn ſie brachten eine Menge1774.
April.

Schweine mit ſich, und vertauſchten ſolche mit großer Begierde gegen die kleinſten
Laͤppchen mehrbemeldeten Federzeuges. Es war ganz auffallend, wie ſich die
Umſtaͤnde der Einwohner, ſeit unſrer achtmonatlichen Abweſenheit, verbeſſert hat-
ten. Das erſtemal konnten wir mit genauer Noth, nur einige wenige Schweine
von ihnen bekommen, und mußtens als eine ganz beſondre Gefaͤlligkeit anſe-
hen, wenn uns der Koͤnig und etwa noch einer oder der andere von den Vorneh-
mern der Inſel, eins dieſer Thiere zukommen ließ; diesmal aber waren unſere
Verdecke ſo voll davon, daß wir uns genoͤthiget ſahen, einen eignen Stall zu ih-
rer Beherbergung am Lande zu erbauen. Solchergeſtalt hatten ſich die Leute
von ihrem letzten ungluͤcklichen Kriege mit der andern Halb-Inſel, deſſen trau-
rige Folgen ſie bey unſrer erſten Anweſenheit, im Auguſt 1773, noch ſehr
druͤckend zu empfinden ſchienen, jetzt ohne Zweifel ſchon voͤllig wiederum
erhohlt.


Regen und Ungewitter hielten dieſen ganzen Vormittag uͤber an, und die
Blitze waren ſo heftig, daß wir, Sicherheitswegen, eine kupferne Kette an die
Spitze des mitleren Maſtes befeſtigen und zum Schiff hinaus haͤngen ließen.
Das untere Ende verwickelte ſich ins Tauwerk, und kaum hatte es der Matroſe
losgemacht und uͤber Bord herunter geworfen, als ein erſchrecklicher Blitz aus-
brach, der an der ganzen Kette ſichtbar hinab lief, und unmittelbar von einem
fuͤrchterlichen Donnerſchlage begleitet wurde. Das ganze Schiff erbebte davon
dermaaßen, daß nicht nur alle am Bord befindlichen Tahitier, ſondern auch wir
andern, aͤußerſt erſchracken. Der Blitz hatte jedoch nicht den geringſten Schaden
gethan, und das uͤberzeugte uns nun zum andernmal von dem großen Nutzen der
electriſchen Kette, davon Capitain Cook, als er in dem Schiffe Endeav[o]ur zu
Batavia vor Anker lag, bereits ein aͤhnliches Beyſpiel erlebt hatte. *)


Der Regen ſieng erſt gegen Abend an, etwas nachzulaſſen; doch kamen
von Zeit zu Zeit noch einige Guͤſſe; den andern Morgen aber, hatte es ganz auf-
gehoͤrt. Die erſte Nachricht, welche wir heute von unſerer am Lande campiren-
den Mannſchaft erhielten, lautete dahin, daß verſchiedene Camiſoͤler und einige
F 3
[46]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April
wollene Bettdecken, die dem Capitain zugehoͤrten, und gewaſchen werden ſollten,
aus den Zelten geſtohlen waͤren. Der Capitain fuhr alſo gegen zehn Uhr ans
Land, um dem Koͤnige ſeinen Beſuch abzuſtatten, und ihn, zu Wiedererlangung
des Entwendeten, um ſeine Vermittlung anzuſprechen. Dr. Sparrmann,
mein Vater, nebſt noch einigen andern Herren, begleiteten ihn, und ich meines
Theils, war auch wieder ſo weit hergeſtellt, daß ich mit von der Geſellſchaft ſeyn
konnte. Bey unſrer Ankunft auf der Kuͤſte von O-Parre, wurden wir durch
einen Anblick uͤberraſcht, den in der Suͤd-See gewiß niemand von uns erwar-
tet hatte. Laͤngſt dem Ufer lag nemlich eine zahlreiche Flotte von großen Krie-
ges-Canots vor Anker, mit Ruderern und Streitern bemannet, die in ihrer
voͤlligen Ruͤſtung mit Bruſtſchilden und hohen Helmen verſehen waren.
Der ganze Strand wimmelte von Menſchen, doch herrſchte unter der ganzen
Menge ein allgemeines, feyerliches Stillſchweigen. Wir hatten kaum das Ufer
erreicht, als uns einer von des Koͤnigs Vettern, Namens Tih, entgegen kam,
um den Capitain mit ſich ins Land hinauf zu nehmen. Aber in demſelben Au-
genblick trat auch der Oberbefehlshaber der Flotte ans Ufer und eilte, uns aufs
hoͤflichſte zu bewillkommen. Bey ſeiner Annaͤherung rief das gemeine Volk
aus, Tohah koͤmmt! und machte ihm mit einer Ehrfurcht, die uns in Ver-
wundrung ſetzte, Platz. Er gieng gerade auf den Capitain Cook zu, gab ihm
die Hand, nannte ihn ſeinen Freund! und bat, daß er in ſein Canot treten moͤg-
te. Mit dieſem Antrag aber ſchien Tih nicht ſo ganz zufrieden, ſondern viel-
mehr in Verlegenheit zu ſeyn, daß Capitain Cook ihn verlaſſen und dagegen mit
Tohah gehen wollte. Unterdeſſen waren wir bis an das Canot des Admirals ge-
kommen, und der Capitain war faſt im Begriff hineinzuſteigen, als er ſich eines
andern beſann und die Einladung ablehnte. Tohah, der ſich dadurch beleidi-
get fand, verließ uns darauf mit offenbarem Kaltſinn und ſtieg allein in ſein
Canot; wir aber, ohne uns weiter um ihn zu bekuͤmmern, nahmen die Schiffe,
die in gerader Linie, und alle mit dem Vordertheil gegen das Land gekehrt lagen,
eins nach dem andern, in naͤheren Augenſchein. Der Anblick dieſer Flotte ſetzte uns
mit Recht in Erſtaunen, weil er in der That alles, was wir uns bisher von der
Macht und dem Reichthum dieſer Inſel vorgeſtellt hatten, bey weitem uͤbertraf.
Es waren nicht weniger als hundert und neun und funfzig große, doppelte Kriegs-
[47]in den Jahren 1772 bis 1775.
Canots, von 50 bis 90 Fuß lang, hier beyſammen. Wenn man be-1774.
April.

denkt, mit was vor unvollkommenem Handwerkszeuge die Leute hier zu
Lande, verſehen ſind, ſo kann man ſich uͤber die Geduld, womit ſie an Ver-
fertigung dieſer Schiffe muͤſſen gearbeitet haben, nicht genug verwundern.
Denn um erſtlich, die dazu erforderlichen Baͤume zu faͤllen, Planken daraus
zu ſchneiden, dieſe dann glatt und eben zu machen, ſie aneinander zu fuͤgen,
und endlich in die Form großer und laſtbarer Schiffe zuſammen zu ſetzen, dazu
haben ſie weiter nichts, als ein Beil und einen Meißel von Stein, ein Stuͤck-
chen Coralle und etwas ſcharfes Rochenfell, welches letztere ſie vornemlich
zur Abglaͤttung oder Abhoblung der Oberflaͤche gebrauchen. Alle ihre Canots
ſind doppelt, oder je zwey und zwey, durch funfzehn bis achtzehn ſtarke Queer-
balken, neben einander befeſtigt. Die Queerbalken liegen gemeiniglich viertehalb
Fuß weit einer von dem andern, und ſind von 12 bis 24 Fuß lang. Im
letztern Fall ragen ſie weit uͤber die beyden Schiffsſeiten weg, und machen als-
denn, vermoͤge ihrer betraͤchtlichen Laͤnge, uͤber das ganze Fahrzeug eine Art
von Verdeck aus, das oft 50 bis 70 Fuß lang iſt. Damit aber dieſe Menge
von Queerbalken unter einander eine Art von Haͤltniß habe; ſo befeſtigen ſie, an
den Außenſeiten, desgleichen in der Mitte, zwiſchen beyden zuſammenge-
fuͤgten Canots, zwey bis drey Sparren, der Laͤnge nach daruͤber her. Vor-
der- und Hintertheile ſtehen etliche Fuß hoch uͤber dem Waſſer, und das
Hintertheil zuweilen wohl zwanzig Fuß. Letzteres hat die Geſtalt eines
krumm gebogenen Vogelſchnabels, und pflegt auf unterſchiedliche Art ausge-
ſchnitzt zu ſeyn. An den doppelten Canots war, zwiſchen den beyden hohen
Hintertheilen, gemeiniglich ein Stuͤck weiſſes Zeug, ſtatt eines Wimpels, ausge-
ſpannt, welches der Wind oft als ein Seegel aufblies. Einige fuͤhrten geſtreifte
Wimpel mit rothen Feldern, und dieſe dienten, wie wir nachmals er-
fuhren, den einzelnen Diviſionen in welche die Flotte eingetheilt iſt, zu Un-
terſcheidungs-Zeichen. Oben auf dem ſchnabelfoͤrmigen Hintertheil ſtand ein
hoher Pfoſten von geſchnitzter Arbeit aufgerichtet, deſſen aͤußerſtes Ende eine
kruͤppliche Menſchen-Figur vorſtellte, deren Geſicht gemeiniglich durch einen
Bretter-Rand, als mit einem niedergeklapten Hut, bedeckt, zuweilen auch wohl
mit Oker-Erde roth angeſtrichen war. Die Pfoſten oder Pfeiler waren ge-
[48]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
meiniglich mit ſchwarzen Federbuͤſchen ausgeziert und lange Streifen von
aufgereiheten Federn hingen von ſelbigen herunter. Der niedrigſte Bord
der Canots, das iſt, die Mitte der aͤußeren Seitenwaͤnde, (gunwale) ſtand
etwa zween bis drey Fuß uͤber Waſſer; allein ſie waren nicht immer auf glei-
che Weiſe gebauet; denn einige hatten platte Boͤden mit ſenkrecht darauf
emporſtehenden Seiten; andre hingegen waren gewoͤlbt und hatten einen ſchar-
fen Kiel, wie in dem Profil in Capitain Cooks erſten Reiſe zu ſehen iſt. *)
Gegen das Vordertheil des Canots waren, fuͤr die Kriegesleute, auf vier bis
ſechs Fuß hohen und gemeiniglich mit Schnitzwerk gezierten Pfoſten, Geruͤſte
aufgerichtet. Dieſe pflegten ziemlich weit uͤber das ganze Canot hinaus zu ragen,
indem ſie zwanzig bis vier und zwanzig Fuß lang, und ohngefaͤhr acht bis zehn
Fuß breit waren. Unter dieſem Geruͤſt befand ſich jenes platte Verdeck, das
vorbeſchriebener maaßen aus Querbalken und langen Sparren beſtand; da
nun dieſe creutzweiſe uͤber einander gelegt waren, ſo entſtanden uͤberall vier-
eckige Zwiſchenraͤume, und in dieſen ſaßen die Ruderer. Die Canots welche
achtzehn Queerbalken und drey lange Seitenſparren, nebſt einem dergleichen
Sparren in der Mitte hatten, fuͤhrten ſolchergeſtalt nicht weniger, als einhundert
vier und vierzig Ruderer, außer acht Steuerleuten, davon viere in jedem Hin-
tertheile ſtanden. Von dieſer Bau-Art und Beſchaffenheit aber waren
die wenigſten der hier verſammleten Canots; denn der groͤßte Theil
hatte keine uͤberragende Platteformen und alsdenn ſaßen die Ruderer unmittelbar
in der Vertieffung des Schiffsbauches. Die Streiter hatten ihren Stand auf
dem Geruͤſte, und es mogten deren in jedem Fahrzeuge ohngefaͤhr funfzehn bis
zwanzig Mann ſeyn. Ihre Kleidung war ſonderbar, und machte bey dieſem
Schauſpiel das mehreſte Gepraͤnge. Sie hatten drey große Stuͤcken Zeug,
vermittelſt eines Lochs, das in die Mitte eingeſchnitten war um den Kopf hin-
durchzuſtecken, angezogen. Das unterſte und laͤngſte war weiß, das zweyte
roth, das oberſte und kuͤrzeſte, braun. Ihre Bruſtſchilder waren von geflochtner
Arbeit, mit Federn und Hayfiſch-Zaͤhnen zierlich beſetzt. Faſt keine einzigen Krie-
ger ſahe man ohne dergleichen Bruſtſchild; mit Helmen aber waren nur ſehr we-
nige
[49]in den Jahren 1772 bis 1775.
einige verſehen. Dieſe Helme ſind von außerordentlicher Groͤße. Sie haben1774.
April.

nemlich beynahe fuͤnf Fuß in der Hoͤhe, und beſtehen aus einem langen, walzen-
foͤrmigen Korbe, deſſen Vorderſeite durch ein Schild von dichterm Flechtwerk
verſtaͤrkt iſt. Dieſer Schild, oder dieſe Vorderplatte, die gegen das obere
Ende des Helms breiter wird, und etwas gekruͤmmt vorne uͤberhaͤngt, iſt ganz
dicht mit glaͤnzenden, blaugruͤnen Tauben-Federn beſetzt, und dieſe ſind mit weißen
Federn eingefaßt. Vom Raude aus verbreitete ſich rund umher, ſtrahlenweiſe,
eine Menge langer Schwanzfedern vom Tropiſchen Vogel, ſo daß es von
fern ausſahe, als ob eine Licht-Glorie, dergleichen unſre Mahler den Engel-
oder Heiligen-Koͤpfen zu geben pflegen, um das Haupt der Krieger herſtrahlte.
Damit dieſe hohe ſchwerfaͤllige Maſchine den Kopf nicht druͤcken und doch feſt-
ſitzen moͤgte; ſo ward ein großer Turban von Zeug darunter getragen. Weil
aber ein ſolcher Aufſatz nicht zur Vertheidigung, ſondern blos zum Staat die-
net, ſo pflegten ihn die Kriegesleute mehrentheils abzunehmen und neben
ſich auf die platten Verdecke hinzuſetzen. Die vornehmſten Befehlshaber trugen
noch ein anderes Unterſcheidungs-Zeichen, das mit den Roßſchweiffen der
Tuͤrkiſchen Baſchahs einige Aehnlichkeit hatte. Es beſtand nemlich aus lan-
gen runden Schwaͤnzen, die von gruͤnen und gelben Federn verfertigt waren,
und auf dem Ruͤcken herunter hiengen. Tohah, der Admiral, hatte auf dem
Hintertheil ſeiner Kleidung fuͤnf ſolcher Federſchwaͤnze, an deren unterm Ende
noch uͤberdies einige Schnuͤre von Cocos-Faſern mit einzelnen rothen Feder-Puͤ-
ſcheln befeſtiget waren. Er trug keinen Helm, ſondern ſtatt deſſen einen ſchoͤnen
Turban, der ihm ſehr wohl kleidete. Dem Anſehen nach ſchien er ein Mann
von ſechzig Jahren zu ſeyn, war aber noch ſehr munter, dabey ſehr groß, und
hatte in ſeinem ganzen Bezeigen etwas ungemein gefaͤlliges und edles.


Bishero hatten wir die Flotte nur vom Lande aus betrachtet, um ſie aber
auch von der See-Seite in Augenſchein zu nehmen, ſetzten wir uns in unſer
Boot und ruderten, unter den Hintertheilen der Canots, laͤngs der ganzen Linie hin.
In jedem Canot ſahen wir große Buͤndel von Speeren und lange Keulen, oder
Streit-Aexte, die gegen die Platteformen angelehnt waren; auch hielt jeder Krie-
ger eine Keule oder ein Speer in der Hand. Außerdem lag in jedem Fahrzeug
noch ein Haufen von großen Steinen; dies iſt die einzige Art Waffen, mit wel-
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. G
[50]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
chen ſie ihren Feind in der Ferne zu erreichen wiſſen. Naͤchſt den hundert und
neun und funfzig doppelten Krieges-Canots zaͤhlten wir, auſſerhalb der Linie,
noch ſiebenzig kleinere, die auch mehrentheils doppelt und mit einem Dach auf
dem Hintertheil verſehen waren, theils um den Befehlshabern zum Nachtlager,
theils aber auch, um als Proviant-Schiffe zu dienen. Noch andre lagen vol-
ler Piſang-Blaͤtter, und nach der Ausſage der Inſulaner waren dieſe fuͤr die
Todten beſtimmt. Sie nannten dieſelben E-wa-no t’ Eatua, d. i. Canots
der Gottheit
. Die große Menge der hier verſammleten Leute war ungleich
mehr zu bewundern, als die Pracht des Aufzuges. Nach einem ſehr maͤßigen
Anſchlage mußte die Bemannung der Flotte, wenigſtens aus funfzehnhundert
Kriegern und viertauſend Ruderern beſtehen, diejenigen ungerechnet, welche ſich
in den Proviant-Booten und am Strande befanden.


Wir haͤtten die Abſicht einer ſo großen Zuruͤſtung gern wißen moͤgen,
konnten aber vor der Hand nichts davon erfahren. Da der Koͤnig den Diſtrikt
O-Parre verlaſſen und nach Matavai-Bay gegangen war; ſo kehrten wir,
ohne ihn geſprochen zu haben, gegen Mittag an Bord zuruͤck. Hier fanden
wir viel Befehlshaber, unter andern auch Potatau, der mit uns ſpeißte und
uͤber Tiſche erzaͤhlte: die ganze Ruͤſtung ſey auf die Inſel Eimeo gemuͤnzt, de-
ren Befehlshaber ein Vaſal von O-Tuh ſey, aber ſich empoͤrt habe. Zugleich
hoͤrten wir, zu unſerer noch groͤßern Verwunderung, die Flotte, die wir geſehen,
ſey bloß das Contingent des Diſtricts Atahuru, und alle uͤbrigen Diſtricte,
koͤnnten, nach Maaßgabe ihrer Groͤße, eine verhaͤltnißmaͤßige Anzahl von Schif-
fen in See ſtellen. Dies gab uns uͤber die wahre Volksmenge der Inſel einen
neuen Aufſchluß, und uͤberzeugte uns augenſcheinlich, daß ſie ungleich anſehnlicher
ſey, als wir bisher geglaubet hatten. Nach dem maͤßigſten Anſchlage muͤſſen auf den
beyden Halb-Inſeln von Tahiti ein hundert und zwanzig tauſend Menſchen
wohnen. *)


[51]in den Jahren 1772 bis 1775.

Beyde Halb-Inſeln ſind in drey und vierzig Diſtricte eingetheilt. Wir1774.
April.

nahmen im Durchſchnitt an, daß jeder Diſtrict zwanzig Krieges-Canots ausruͤſten
koͤnne, und daß jedes nur mit 35 Mann beſetzt ſey. Die Bemannung der ganzen
Flotte, die dazu gehoͤrenden Boote nicht mitgerechnet, wuͤrde folglich nicht we-
niger als 30,000 Mann betragen; und dieſe laſſen ſich fuͤr den vierten Theil der
ganzen Nation annehmen. Vorſtehende Berechnung iſt in aller Abſicht ſehr ge-
ring, denn ich ſetze dabey Voraus, daß es außer jenen 30,000 Maͤnnern gar
keine andre wehrhafte Leute auf der Inſel gebe, welches doch nicht wahrſcheinlich
iſt; andrer Seits ſchlage ich das Verhaͤltniß der Wehrhaften gegen die Unwehr-
haften, nur wie eins zu vier an, da gleichwohl, in allen europaͤiſchen Laͤndern die
Zahl der letzteren, gegen jene gerechnet, weit betraͤchtlicher iſt.


Capitain Cook gieng des Nachmittages abermals mit uns nach O-Parre:
Die Flotte war aber ſchon abgefahren und die Canots hatten ſich zerſtreuet; da-
gegen trafen wir den Koͤnig O-Tu an und wurden ſehr wohl von ihm aufgenom-
men. Er fuͤhrte uns nach einigen ſeiner Haͤuſer, dahin der Weg durch eine
Landſchaft gieng, die uͤberall einem Garten aͤhnlich ſahe. Schattige Fruchtbaͤume,
wohlriechendes bluͤhendes Buſchwerk und Baͤche, deren jeder ein Cryſtallſpie-
gel zu ſeyn ſchien, wechſelten in dieſer angenehmen Gegend mit einander ab.
Die Haͤuſer waren alle in der beſten Ordnung. Einige hatten Seitenwaͤnde
von Rohr; andre waren, gleich den Wohnungen des gemeinen Mannes, rund
herum offen. Wir brachten einige Stunden in des Koͤnigs Geſellſchaft zu,
und ſeine Verwandten und vornehmſten Bedienten thaten alles Moͤgliche,
uns ihre Freundſchaft zu bezeigen. Obgleich die Unterredung noch nicht viel
Zuſammenhang hatte, ward ſie doch ſehr lebhaft unterhalten; vornemlich lach-
ten und plauderten die Damen mit ausnehmend guter Laune. Oft neckten und
unterhielten ſie ſich mit Wortſpielen; zuweilen mit wirklich witzigen und drolligen
Einfaͤllen. Unter dieſem Zeitvertreibe verſtrich der Nachmittag ſo unvermerkt, daß
wir erſt bey Untergang der Sonne an Bord zuruͤckkehrten. Diesmal hatten
nun auch wir etwas von der eigenthuͤmlichen Gluͤckſeligkeit genoſſen, welche die
Natur den Bewohnern dieſer Inſel hat zu Theil werden laſſen. Der ruhige
vergnuͤgte Zuſtand dieſer guten Leute, ihre einfache Lebensart, die Schoͤnheit
der Landſchaft, das vortrefliche Clima, die Menge geſunder wohlſchmeckender
G 2
[52]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Fruͤchte — alles war bezaubernd und erfuͤllte uns mit theilnehmender Freude.
Und wie ſuͤß iſt nicht das Vergnuͤgen, das ein Menſch von unverdorbnem Her-
zen bey dem Gluͤck ſeines Nebenmenſchen fuͤhlt! Es iſt ohnfehlbar eine der
ſchoͤnſten Empfindungen, welche uns vor andern Geſchoͤpfen adelt.


Am folgenden Morgen ſtatteten der Capitain und mein Vater, dem Koͤnige
O-Tu, zu Parre, abermals einen Beſuch ab. Sie fanden Tohah, den Ad-
miral der Flotte, bey ihm, und der Koͤnig uͤbernahm es ſelbſt, ſie mit einander
bekannt zu machen. Der Capitain lud ſie ein, zu ihm an Bord zu kommen, und
das thaten ſie auch noch deſſelben Vormittages. Sowohl uͤber, als unter dem Ver-
deck wurden alle Winkel des Schiffs beſichtigt, hauptſaͤchlich dem Admiral Tohah
zu gefallen, weil dieſer noch nie auf einem europaͤiſchen Schiffe geweſen war. Er
betrachtete die Menge neuer Gegenſtaͤnde, beſonders die Staͤrke und Groͤße der
inneren Balken, der Maſte und der Taue, mit mehr Aufmerkſamkeit als bis da-
hin andre Tahitier gethan hatten. Unſer Takelwerk gefiel ihm ſo ausnehmend,
daß er ſich verſchiedne Artikel, als Taue und Anker, ausbat. Er war
jetzt um nichts beſſer als andre Bewohner dieſer gluͤcklichen Inſel gekleidet, und
gieng, der Anweſenheit des Koͤnigs wegen, bis auf die Huͤften nackt. Sein
Anſehen war in dieſer Abſicht vom geſtrigen ſo ſehr verſchieden, daß ich Muͤhe
hatte, ihn wieder zu kennen. Er kam mir heute ſehr dickbaͤuchicht vor, welches
ich geſtern unter dem weiten und langen Krieges-Kleide, nicht wahrgenommen
hatte. Sein Haar war ſilbergrau, und in ſeinen Minen fand ich etwas der-
maaßen Gefaͤlliges und Gutherziges, als ich noch nirgends auf dieſen Inſeln an-
getroffen hatte. Der Koͤnig ſowohl als ſein Admiral blieben bey uns zu Mit-
tage, und aßen, von allem was ihnen vorgeſetzt ward, mit herzlichem Appetite.
O-Tu war nicht mehr der ſchuͤchterne, mistrauiſche Mann, der er ſonſt gewe-
ſen. Er ſchien bey uns zu Hauſe zu ſeyn, und machte ſich ein Vergnuͤgen dar-
aus, Tohah in unſern Gebraͤuchen Unterricht zu geben. Er zeigte ihm, wie
er Salz zum Fleiſche nehmen und Wein trinken muͤſſe, trug auch kein Be-
denken, ihm zum Exempel ein Glas voll auszuleeren, und ſcherzte ſehr lebhaft mit
ſeinem Admiral, den er gern uͤberredet haͤtte, den rothen Wein fuͤr Blut anzuſehn.
Tohah koſtete von unſerm Grog, (einem Gemiſche von Branndtwein und
Waſſer,) verlangte aber bald Brandtewein allein zu haben, den er E-Wai no
[53]in den Jahren 1772 bis 1775.
Bretanni, d. i. brittiſches Waſſer nannte, und davon er ein Glaͤschen voll her-1774.
April.

unterſchluckte, ohne eine Mine zu verziehen. Er ſowohl als Se. Tahitiſche Maje-
ſtaͤt waren außerordentlich luſtig und ſchienen an unſrer Art zu leben und zu ko-
chen viel Geſchmack zu finden. Sie erzaͤhlten, ihre Flotte ſey gegen die Rebel-
len auf Eimeo, oder York-Eyland, und den Befehlshaber derſelben Te-Eri-
Tabonui
beſtimmt; und der erſte Angrif ſollte auf dem Diſtrict Morea vor
ſich gehen. Zum Spas erbot ſich Capitain Cook, ſie mit ſeinem Schiffe zu beglei-
ten und die Landung durch Kanonen-Feuer zu unterſtuͤtzen. Anfaͤnglich
lachten ſie daruͤber und waren es zufrieden. Gleich nachher aber ſprachen ſie
unter ſich, ſpannten andre Saiten auf, und ſagten: ſie koͤnnten von unſrer Huͤlfe
keinen Gebrauch machen, indem ſie geſonnen waͤren, erſt fuͤnf Tage nach un-
ſrer Abreiſe auf Eimeo loszugehen. Ohnerachtet dies wohl nicht die wahre
Urſach ſeyn mogte, warum ſie unſer Anerbieten ablehnten; ſo war es doch
ihren Verhaͤltniſſen nach, allerdings der Klugheit ſehr gemaͤß. Unſere allzu-
große Uebermacht mußte hier zu Lande ſelbſt unſern Bundesgenoſſen bedenklich
ſeyn; auch wuͤrde es den Einwohnern von Eimeo ein gar zu wichtiges Anſehn ge-
geben haben, wenn man ſich unſrer unuͤberwindlichen Vierpfuͤnder gegen ſie bedient
haͤtte! Die Ueberwundnen wuͤrden ihre Niederlage lediglich unſerm Geſchuͤtze
zugeſchrieben, die Sieger hingegen, wuͤrden gleich nach unſrer Entfernung,
viel von dem Anſehn verlohren haben, deſſen ſie zuvor genoſſen, und die daraus
entſtehende Verachtung haͤtte ihnen in der Folge noch nachtheiliger werden koͤnnen.


Mein Vater und Dr. Sparrmann, giengen am folgenden Nachmit-
tage, in Begleitung eines Matroſen und eines Seeſoldaten, ans Land, um die
Berge hinauf zu ſteigen. Die Zufuhr an Lebensmitteln und andern Handlungs-
Artickeln war ſeit einigen Tagen ſehr betraͤchtlich. Das Schiff war beſtaͤndig mit
Canots umringt, in welchen die Befehlshaber der benachbarten Diſtricte, ihre
Schweine und andere ſchaͤtzbare Sachen ſelbſt zu Markt brachten, um rothe Fe-
dern dagegen einzutauſchen, die bey ihnen in ſo hohem Werthe ſtanden. Eben
dieſe Federn brachten in den Verbindungen der Frauensleute mit unſern Matro-
ſen eine große Veraͤnderung zu Wege. Gluͤcklich war derjenige, der von dieſer
koſtbaren Waare auf den freundſchaftlichen Inſeln Vorrath geſammlet hatte.
Ihn allein umringten die Maͤdchen, nur er allein, hatte unter den Schoͤnſten
G 3
[54]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
die Wahl. Wie allgemein und unwiderſtehlich unter dieſem Volke das Ver-
langen nach rothen Federn ſeyn mußte; davon erlebten wir heut einen ſehr uͤber-
zeugenden Beweis. Ich habe im erſten Theile dieſer Reiſe ſchon angemerkt,
daß die Weiber der Vornehmen nie Beſuch von Europaͤern annahmen; und daß,
bey aller Freyheit die den unverheiratheten Maͤdchen geſtattet wurde, die Ver-
heiratheten dennoch ſich immer rein und unbefleckt erhielten. Allein die Begierde
nach rothen Federn warf auch dieſen Unterſchied uͤbern Haufen. Ein Befehls-
haber ließ ſich durch ſie verleiten, dem Capitain Cook ſeine Frau anzubieten,
und die Dame wandte auf ihres Mannes Geheiß, alles moͤgliche an, um den
Capitain in Verſuchung zu fuͤhren. Sie wußte ihre Reize unvermerkt ſo kuͤnſt-
lich ſichtbar und geltend zu machen, daß manche europaͤiſche Dame von Stande
ſie darinn nicht haͤtte uͤbertreffen koͤnnen. Es that mir fuͤr die Ehre der
Menſchheit leid, daß ich einen ſolchen Antrag von einem Manne hoͤren mußte,
deſſen Character ſich ſonſt in allen Stuͤcken ſo untadelhaft gezeigt hatte. Pota-
tau
war es, der ſich von ſeiner [gewoͤhnlichen] Hoͤhe ſo ſehr erniedrigen konnte.
Wir verwieſen ihm ſeine Schwachheit, und bezeugten unſern Unwillen daruͤber.
Es war fuͤr ein Gluͤck anzuſehen, daß die Matroſen ſchon eine große Menge ro-
ther Federn auf den Marqueſas gegen andre Merkwuͤrdigkeiten vertauſcht hat-
ten, ehe ſie wußten, in wie hohem Werthe dieſelben auf Tahiti ſtaͤnden; denn,
waͤren alle dieſe Reichthuͤmer auf einmal hiehergekommen, ſo wuͤrden die Lebens-
mittel ohne Zweifel ſo hoch im Preiſe geſtiegen ſeyn, daß wir diesmal vielleicht
uͤbler, als bey unſerm erſten Aufenthalt daran geweſen waͤren. Die kleinſte Fe-
der ward weit hoͤher geachtet, als eine Coralle oder als ein Nagel; und ein
Stuͤckchen Zeug mit ſolchen Federn bedeckt, erregte bey demjenigen, der es em-
pfing, ein ſolches Entzuͤcken, als ein Europaͤer vielleicht kaum empfinden duͤrfte,
wenn er unverhofter Weiſe den Diamanten des großen Mogols faͤnde. Potatau
brachte ſeinen großen, 5 Fus hohen Kriegeshelm an Bord und verkaufte ihn —
fuͤr rothe Federn. Andre folgten ſeinem Beyſpiel und Bruſtſchilder ohne Zahl
wurden von den Matroſen eingehandelt. Noch mehr zu verwundern war es, daß
die Einwohner ſogar die ſonderbaren Trauerkleider zum Verkauf brachten, deren
in Capitain Cooks erſten Reiſe gedacht worden, *) und welche man damals um
[55]in den Jahren 1772 bis 1775.
keinen Preiß weggeben wollte. Da ſie aus den koſtbarſten Producten, wel-1774.
April.

che das Land und die See liefern, beſtehen, auch mit großem Fleiß und vieler
Kunſt verfertigt ſind; ſo iſt es ganz natuͤrlich, daß ſie einen ſehr hohen Werth
darauf ſetzen mußten. Gleichwohl wurden nicht weniger, als zehn ſolcher Trauer-
kleider, von unterſchiednen Leuten an Bord, aufgekauft und nach Europa gebracht.
Capitain Cook hat dem brittiſchen Muſaͤum eines geſchenkt, mein Vater aber
die Ehre gehabt, ein aͤhnliches an die Univerſitaͤt Oxford zu uͤberreichen, wo es
in dem Aſchmoliſchen Muſaͤo niedergelegt iſt. Der Obertheil dieſes ſonderba-
ren Anzuges beſteht aus einem flachen duͤnnen Brett, das, in Geſtalt eines hal-
ben Mondes, 2 Fus lang und 4 bis 5 Zoll breit iſt. Auf ſelbigem ſind vier bis
fuͤnf ausgeſuchte Perlenmutter-Schaalen, durch die in den Rand derſelben und
auch ins Holz gebohrten Loͤcher, mit Cocos-Faſern feſt gebunden. Eine groͤßere
Muſchel von vorgedachter Art, mit blaugruͤnen Taubenfedern eingefaßt, befin-
det ſich an den beyden aͤußerſten Enden des Brettes, die vorbeſchriebenermaßen,
wie die Hoͤrner des halben Mondes, aufwaͤrts gerichtet ſind. Mitten auf dem
Brette ſind zwo große Muſcheln, die einen Zirkel von ohngefaͤhr 6 Zoll im
Durchſchnitt ausmachen, befeſtiget; und uͤber dieſe ragt ein großes Stuͤck Perlen-
mutter-Schaale hervor, das gemeiniglich noch ſeine aͤußere purpurfarbne Beklei-
dung zu haben pflegt. Es iſt von laͤnglichter Geſtalt, etwa 9 bis 10 Zoll hoch,
oberhalb breiter als unten, und, rings umher, mit einem ſtrahlen-aͤhnlichen
Zirkel von weißen Federn, aus dem Schwanze des tropiſchen Vogels, umgeben.
Vom unteren Rande jenes halbzirkelfoͤrmigen Brettes, haͤngt eine Art von
Schuͤrze herab. Dieſe beſteht aus zehn bis funfzehn parallel herunterlaufen-
den Reihen kleiner Perlenmutter-Stuͤckchen, deren jedes ohngefaͤhr 1 ½ Zoll lang,
an beyden Enden durchbohrt und, vermittelſt Cocosfaſern, an das zunaͤchſt darauf
folgende feſtgebunden iſt. Dieſe Schnuͤre ſind zwar ſaͤmmtlich von gleicher Laͤnge,
weil aber die aͤußerſten, wegen der zirkelfoͤrmigen Geſtalt des Brettes, hoͤher
haͤngen als die mittleren; ſo reichen ſie nicht ſo weit herab als dieſe, und folg-
lich wird die Schuͤrze unten ſchmaͤler als oben. An das Schluß-Ende einer
jeden ſolchen Schnur iſt noch ein Faden mit aufgereiheten Schneckendeckeln, zu-
weilen auch mit europaͤiſchen Glas-Corallen, angeknuͤpft, und von den bey-
den oberſten Enden des Brettes, faͤllt, auf jeder Seite der Schuͤrze, ein langer
[56]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
runder Schwanz von gruͤnen und gelben Federn herab, der an der ganzen Klei-
dung den groͤßten Staat ausmacht. Vermittelſt zweyer ſtarken Schnuͤre, wel-
che an den Seiten jener beyden Muſcheln, (die auf der Mitte des halben-
mondfoͤrmigen Brettes ſtehen) angebracht ſind, wird die ganze ſeltſame Decora-
tion an den Kopf des Leidtragenden feſtgemacht, ſo, daß ſie voͤllig ſenkrecht vor
ihm herunter haͤngt. Die Schuͤrze bedeckt Bruſt und Unterleib, das Brett
koͤmmt vor den Hals und die Schultern, und das erſte Paar Muſcheln gerade
vors Geſicht. In einer derſelben iſt ein kleines Loch, damit der Trauernde ſe-
hen koͤnne. Die oberſten Muſcheln, mit Innbegrif der rund darum her verbrei-
teten langen Federn, ſind wenigſtens zwey Fus hoͤher als der Mann, welcher
den Anzug traͤgt. Die uͤbrigen Stuͤcke ſeiner Kleidung ſind nicht weniger ſon-
derbar. Er zieht eine Matte oder ein Stuͤck Zeug an, das, nach hieſigem
Landesbrauch, in der Mitte ein Loch hat, wo man den Kopf hindurch-
ſteckt. Ueber dieſes zieht er noch ein zweytes von gleicher Art, wovon
aber das Vordertheil faſt bis auf die Fuͤße herabhaͤngt, und reihenweiſe mit
Knoͤpfen von Cocosnuß-Schaale beſetzt iſt. Ein rund-gedrehter Guͤrtel, von
braunem und weißem Zeuge, ſchuͤrzt dieſe Kleidung um die Huͤften zuſammen.
Laͤngſt dem Ruͤcken haͤngt ein netzfoͤrmig geflochtner Mantel herunter, der mit
großen, blauen Federn dicht beſetzt iſt; und auf dem Kopfe traͤgt er einen braun
und gelben Turban, der mit einer Menge aus braun und weißem Zeuge zu-
ſammen geflochtner Schnuͤre feſtgebunden iſt. Eine weite Kappe, die aus
gleichlaufenden Streiffen, wechſelsweiſe von braunem, gelbem und weißem Zeuge
beſteht, faͤllt hinterwaͤrts vom Turban uͤber Hals und Schultern weg, damit
von der Geſtalt des Mannes ſo wenig als moͤglich ſichtbar bleibe. Gemei-
niglich pflegt der naͤchſte Verwandte des Verſtorbnen dieſe wunderliche Tracht
anzuziehen; dabey hat er in der einen Hand ein Paar große Perlmutter-Schaa-
leu, womit er beſtaͤndig klappert, in der andern Hand aber fuͤhrt er einen
Stock, mit Hayfiſch-Zaͤhnen beſetzt, und mit dieſem verwundet er alle Tahi-
tier, die ihm zufaͤlligerweiſe in den Wurf kommen. *) Woher dieſe ſonderbare
Gewohn-
[57]in den Jahren 1772 bis 1775.
Gewohnheit entſtanden ſey, koͤnnen wir nicht ergruͤnden. Indeſſen kommt1774.
April.

mir’s vor, als gehe die ganze Abſicht bloß dahin, Schrecken zu erregen.
Die fantaſtiſche Tracht iſt wenigſtens der fuͤrchterlichen Geſtalt, welche unſre
Rocken-Philoſophie den Geſpenſtern und Nachtgeiſtern beylegt, ſo aͤhnlich, daß
ich faſt geneigt waͤre, zu glauben, es ſey ein thoͤrigter Aberglaube darunter
verborgen. Vielleicht ſoll der vermummte Trauermann den Geiſt des Verſtorb-
nen vorſtellen, der von ſeinen zuruͤckgelaßnen Verwandten, Wehklagen und Thraͤ-
nen fordert, und ſie desfalls mit den Hayfiſch-Zaͤhnen verwundet. Bey einem
noch ſo wenig aufgeklaͤrten Volke, als die Tahitier, kann eine ſolche Vorſtel-
lung wohl Eingang gefunden haben, ſo ungereimt ſie an und fuͤr ſich auch
ſeyn mag. Doch will ich deshalb nicht behaupten, daß ich mit dieſer Muth-
maßung die wahre Abſicht jenes Gebrauchs getroffen, weil wir, aller
Nachfrage ohnerachtet, von den Einwohnern keine Auskunft daruͤber erhalten
konnten. Sie beſchrieben uns zwar die ganze Trauer-Ceremonie, und nannten die
einzelnen Stuͤcke der dazu erforderlichen Kleidung namentlich her; warum
aber das alles ſo und nicht anders ſey? war eine Frage die wir ihnen nie ver-
ſtaͤndlich genug ausdruͤcken konnten. Das allerſonderbarſte erfuhren wir noch
von Maheinen, daß nemlich bey des Mannes Tode, die Frau die Trauer-Ceremo-
nie verrichte, hingegen, wenn die Frau ſtirbt, der Mann den Popanz ma-
chen muß. Bey unſter Ruͤckkunft nach England waren die Liebhaber aus-
laͤndiſcher Seltenheiten auf dergleichen Trauer-Kleider ſo neugierig, daß unter
andern ein Matroſe fuͤnf und zwanzig Guineen fuͤr die ſeinige bekam! Aber frey-
lich ſind die Tahitier, in Anſehung der Neugierde, eben ſo arg, als die civiliſir-
teren Voͤlker. Kaum hatte ſich Maheine von ſeinen Ebentheuern, hie und da
etwas verlauten, und, von ſeinen mitgebrachten auslaͤndiſchen Schaͤtzen etwas ſe-
hen laſſen; ſo plagten uns die Vornehmen unablaͤßig um Seltenheiten von
Tongatabu, Waihu und Waitahu, *) und nahmen dergleichen Kleinigkeiten,
fuͤr die Lebensmittel und andre Sachen, welche ſie zu Markte brachten, lieber
als die nutzbarſten europaͤiſchen Waaren. Am angenehmſten waren ihnen die
befiederten Kopftrachten von den beyden letzten Inſeln; imgleichen die Koͤrbe und
gemahlten Zeuge der erſteren; ja ſie ſetzten ſogar einen beſondern Werth auf die
Forſters Reiſe u. d. W. zweyter Th. H
[58]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
Matten von Tongatabu, die doch im Grunde den ihrigen voͤllig aͤhnlich waren. Un-
ſre Matroſen machten ſich das zu Nutze und hintergiengen ſie oft, indem ſie ih-
nen unter einem andern Nahmen, Matten verkauften, die entweder hier auf der
Stelle, oder hoͤchſtens auf den andern Societaͤts-Inſeln, eingehandelt waren. Es
herrſcht alſo eine große Aehnlichkeit unter den Neigungen der Menſchen, vor-
nemlich aber bey denenjenigen Voͤlkern, die nicht zu den ganz ungeſitteten gehoͤren,
Dieſe Aehnlichkeit aͤußerte ſich noch deutlicher durch die Begierde, womit ſie die
Erzaͤhlungen ihres jungen gereiſeten Landsmannes anhoͤrten. Wo er ſich nur bli-
cken ließ, da draͤngten ſich die Leute haufenweiſe um ihn her. Die Aelteſten ſchaͤtz-
ten ihn am mehreſten und die Vornehmen, ſelbſt die von der koͤniglichen Familie, be-
warben ſich um ſeine Geſellſchaft. Außer dem Vergnuͤgen ihn zu hoͤren, hatten ſie auch
den Vortheil, allerhand artige Geſchenke zu bekommen, die ihnen ſelten mehr, als ein
Paar gute Worte koſteten. Auf dieſe Art brachte er ſeine Zeit am Lande ſo vergnuͤgt hin,
daß wir ihn faſt gar nicht am Bord zu ſehen bekamen, ausgenommen, wenn er ſich
etwa dies oder jenes ausbitten, oder das Schiff ſeinen Bekannten zeigen, und ſie bey
dem Capitain und anderen von unſerer Schiffsgeſellſchaft einfuͤhren wollte. Mit
unter kamen ſeine Erzaͤhlungen den Zuhoͤrern ſo wunderbar vor, daß ſie nicht ſel-
ten fuͤr noͤthig erachteten, ſich der Beſtaͤtigung wegen, an uns zu wenden. Der
verſteinerte Regen, die dichten weißen Felſen und Berge, die in ſuͤßes Waſſer
zerſchmolzen, und der immerwaͤhrende Tag in der Gegend um den Pol, waren Ar-
tikel, von deren Glaubwuͤrdigkeit wir ſelbſt ſie nicht genugſam uͤberzeugen konnten.
Daß es in Neu-Seeland Menſchenfreſſer gebe, fand eher Glauben; doch konn-
ten ſie nie anders als mit Furcht und Grauſen davon ſprechen hoͤren. Zu dieſer
Beobachtung gab mir Maheine Anlaß, indem er heute, eine ganze Par-
thie Leute an Bord brachte, die blos in der Abſicht kamen, den Kopf des
Neu-Seelaͤndiſchen Juͤnglings zu ſehen, den Herr Pickersgill in Weingeiſt
aufbewahrt hatte. Er ward ihnen in meiner Gegenwart vorgezeigt, und es
ſchien mir ſonderbar, daß ſie fuͤr dieſen Kopf eine eigne Benennung hatten.
Sie nannten ihn durchgaͤngig Te-Tae-ai, welches ſo viel, als Mann-Eſſer,
zu bedeuten ſcheint. Durch Nachfragen bey den vornehmſten und verſtaͤndigſten
Leuten erfuhr ich, es ſey eine alte Sage unter ihnen, daß vor undenklichen
Zeiten ſich Menſchenfreſſer auf der Inſel gefunden, die unter den Einwohnern
[59]in den Jahren 1772 bis 1775.
eine große Niederlage angerichtet haͤtten und ſehr ſtarke Leute geweſen; daß aber1774.
April.

dieſe ſchon ſeit langer Zeit gaͤnzlich ausgeſtorben waͤren. O-Mai, mit dem
ich nach unſrer Zuruͤcktunft in England hievon ſprach, bekraͤftigte die Ausſage
ſeiner Landsleute in den ſtaͤrkſten Ausdruͤcken. Mir duͤnkt dieſer Umſtand in der
alten Geſchichte von Tahiti gegruͤndet zu ſeyn; nicht als wollte ich daraus fol-
gern, daß nur zufaͤlligerweiſe einige Cannibalen auf der Inſel gelandet und die
Einwohner mit ihren Streifereyen geplagt haͤtten; ſondern ich glaube vielmehr,
daß der urſpruͤngliche Zuſtand des ganzen Volks in dieſer Tradition verborgen
liegt, und daß alle Tahitier Menſchenfreſſer geweſen ſind, ehe ſie durch die Vortref-
lichkeit des Landes und des Clima, imgleichen durch den Ueberfluß guter Nah-
rungsmittel geſitteter geworden. So ſonderbar es ſcheinen mag, ſo gewiß iſt
es doch, daß faſt alle Voͤlker, in den alleraͤlteſten Zeiten, Cannibalen geweſen ſind.
Auf Tahiti triſt man noch heut zu Tage Spuren davon. Capitain Cook fand
bey ſeiner erſten Reiſe hieher, in einem Hauſe funfzehn friſche Kinnladen aufge-
hangen.*) Sollten dieſes nicht Siegeszeichen von ihren Feinden geweſen ſeyn?


Am folgenden Morgen ward ein Tahitier, der bey den Zelten ein
Waſſerfaß ſtehlen wollen, ertappt und gefangen geſetzt. O-Tuh und Tohah
die etwas fruͤh an Bord kamen, und hoͤrten, was vorgegangen war, begleiteten den
Capitain Cook ans Land, um die Beſtrafung des Diebes mit anzuſehn. Er
ward an einen Pfahl gebunden und bekam mit ihrer Genehmigung vier und
zwanzig tuͤchtige Hiebe. Dieſe Execution jagte den haͤufig dabey verſamleten
Indianern ein ſolches Schrecken ein, daß ſie anfiengen davon zu laufen. Tohah
aber rief ſie zuruͤck und zeigte ihnen in einer Anrede, die 4 bis 5 Minuten dauerte,
daß unſre Beſtrafung des Diebſtahls billig und nothwendig ſey. Er ſtellte ih-
nen vor, daß wir bey aller unſrer Macht weder ſtoͤhlen, noch Gewalt
brauchten; daß wir vielmehr alles und jedes ehrlich bezahlten und oft Ge-
ſchenke machten, wo wir nichts dagegen erwarten duͤrften; daß wir uns endlich
uͤberall als ihre beſten Freunde bezeugt haͤtten, und Freunde zu beſtehlen ſey ſchaͤnd-
lich und verdiene geſtraft zu werden. Die geſunde Vernunft und Rechtſchaffenheit,
welche der vortrefliche Alte bey dieſer Gelegenheit bewies, machte uns denſelben noch
H 2
[60]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
ſchaͤtzbarer, und ſeine Zuhoͤrer ſchienen durch die Buͤndigkeit ſeiner Rede uͤberzeuge zu
ſeyn. Nachmittags kam eben dieſer Tohah mit ſeiner Frau an das Schiff; ſie war
ſchon bey gewiſſen Jahren, und duͤnkte uns, dem aͤuſſern Anſehen nach zu urtheilen,
von eben ſo gutem Character als er. Ihr Fahrzeug beſtand aus einem großen dop-
pelten Canot, welches ein Verdeck auf dem Hintertheil und acht Ruderer hatte.
Die beyden alten Leute baten Herrn Hodges und mich ſie am Lande zu beſu-
chen, alſo ſtiegen wir in ihr Canot und fuhren gleich mit nach Parre. Unter-
wegens erkundigte ſich Tohah ſehr umſtaͤndlich nach der Beſchaffenheit und Ver-
faſſung des Landes aus dem wir kamen. Da Herr Banks und Capitain Cook
die Vornehmſten unter den Europaͤern waren, die er geſehen hatte; ſo glaubte er,
jener koͤnne wohl nichts geringers als des Koͤnigs Bruder, und dieſer muͤſſe
zum wenigſten Groß-Admiral von England ſeyn. Was wir auf ſeine Fragen
antworteten, hoͤrte er mit Aufmerkſamkeit und Verwundrung an: Als wir ihm
aber ſagten, es gaͤbe bey uns weder Cocos-Nuͤße, noch Brodfruchtbaͤume;
ſo ſchien er England, bey allen ſeinen uͤbrigen Vorzuͤgen, doch nur fuͤr ein ſchlech-
tes Land anzuſehen. So bald wir bey ſeiner Wohnung angelangt waren, ließ
er Fiſche und Fruͤchte auftragen, und noͤthigte uns zu eſſen. Ob wir gleich erſt
eben zu Mittag geſpeiſet hatten, ſo wollten wir ſeine Einladung doch nicht gern
abſchlagen; wir ſetzten uns alſo, und fanden die Speiſen vortreflich. War-
lich! wir haͤtten dies herrliche Land mit Mahomets Paradieſe vergleichen
moͤgen, wo der Appetit ſelbſt nach dem Genuß noch ungeſaͤttigt bleibt! Die
Speiſen ſtanden vor uns, und wir waren ſchon im Begriffzuzugreifen, als Tohah
uns bat, noch einen Augenblick zu verziehen. Die Abſicht davon zeigte ſich bald,
denn einer ſeiner Bedienten kam mit einem großen europaͤiſchen Kuͤchenmeſſer und
ſtatt der Gabeln, mit ein Paar Bambuſtoͤcker aufgezogen. Nun ſchnitt Tohah ſelbſt
vor und gab jedem von uns einen Bambuſtock mit dem Zuſatze, daß er auf engliſche
Manier eſſen wolle. Anſtatt alſo, wie andre Indianer, eine ganze Handvoll Brodfrucht
auf einmal in den Mund zu ſtecken, ſchnitt er ſie ganz manierlich in kleine Stuͤcken
und aß wechſelsweiſe ein Stuͤckchen Fiſch und einen Biſſen Brodfrucht, damit wir ſe-
hen ſollten, wie genau er ſich unſre Art zu eſſen gemerkt hatte. Die gute Dame ſpeißte
nachher, der unabaͤnderlichen Gewohnheit des Landes gemaͤß, in einiger Entfernung.
Nach der Mahlzeit giengen wir mit ihnen ſpatzieren und plauderten zuſammen bis
[61]in den Jahren 1772 bis 1775.
gegen Untergang der Sonnen, da ſie in ihrem Canot nach dem Diſtrict Ata-1774.
April.

huru
abgiengen, der zum Theil Tohah eigenthuͤmlich zugehoͤrte. Sie nah-
men ganz vertraulich von uns Abſchied, und verſprachen in wenig Tagen wieder
ans Schiff zu kommen; wir aber mietheten fuͤr einen Nagel ein doppeltes Canot
und langten vor Einbruch der Nacht am Borde an. Doctor Sparrmann
und mein Vater waren nicht laͤngſt erſt von ihrer botaniſchen Bergreiſe zuruͤckge-
kommen. Nuna, der lebhafte Burſch, deſſen ich im erſten Theil dieſer Ge-
ſchichte ſchon erwaͤhnt,*) war ihr Begleiter geweſen. Da ſie (am 28ſten) ihre
Wanderſchaft erſt des Nachmittags angetreten, und, gleich zu Anfang derſelben,
zwey tiefe Thaͤler und zween ſteile Berge zu paßiren gehabt hatten, wo der Weg
vom Regen uͤberaus ſchluͤpfrig geworden war; ſo konnten ſie gedachten Tages
nicht weiter, als bis auf die zwote Reihe von Bergen kommen. In dieſer ein-
ſamen Gegend gab es nur eine einzige Huͤtte, darinn ein Mann mit ſeiner Frau
und dreyen Kindern wohnte. Bey dieſer Familie nahmen ſie das Nachtquartier.
Der Mann verlaͤngerte, zu ihrer Beherbergung, das Dach ſeiner Huͤtte vermittelſt
einiger Baumzweige, richtete ihnen ein Abendbrod zu, und zuͤndete alsdenn ein
Feuer an, bey welchem ſie die Nacht hindurch wechſelsweiſe wachten. Wir konnten
dieſes Feuer vom Schiffe aus ſehen, und ſie, ihrer Seits, hoͤrten dagegen um Mit-
ternacht die Schiffsglocke ganz deutlich, ohnerachtet der Ort ihres Aufenthalts,
uͤber eine halbe deutſche Meile von uns entfernt war. Die Nacht war ſchoͤn
und ſo angenehm kuͤhl, daß ſie gut genug wuͤrden geſchlafen haben, wenn ſie
nicht ihr Wirth, der Tahea hieß, durch ſeinen heftigen Huſten ſo oft geſtoͤhrt
haͤtte. Bey Tages Anbruch marſchirten ſie weiter Berg an, und Tahea gieng,
mit einer großen Ladung von Cocosnuͤßen, vor ihnen her. Je weiter ſie kamen,
deſto beſchwerlicher ward der Weg, oft mußten ſie auf einem ſchmalen Fußſteige
ſchroffe Huͤgel paßiren, wo zu beyden Seiten die ſteilſten Abgruͤnde vorhanden
waren, und die von dem geſtrigen Regen verurſachte Schluͤpfrigkeit des Bo-
dens, machte ihnen den Gang doppelt muͤhſam und gefaͤhrlich. Auf einer ziemlich
betraͤchtlichen Hoͤhe des Berges fanden ſie alles, ſogar die ſteilſten Orte mit dickem
Gebuͤſch und hoher Waldung bewachſen. Aber auch die unwegſamſten Gegenden
lieſſen ſie, aus Begierde neue Pflanzen zu entdecken, nicht undurchſucht, bis etwa
H 3
[62]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
April.
der ploͤtzliche Anblick einer nahen Felſenkluft ſie zuruͤck ſchreckte. Noch hoͤ-
her hinauf erſtreckte ſich der Wald uͤber den ganzen Berg, und da gab es Pflan-
zen, dergleichen ihnen in den niedrigern Gegenden nirgends vorgekommen warm.
Als ſie die naͤchſte Bergſpitze erſtiegen hatten, fanden ſie eine ſehr gefaͤhrliche
Stelle vor ſich, und zu gleicher Zeit brach ein heftiger Regen ein; Tahea nahm
dieſe Gelegenheit wahr, und gab ihnen zu verſtehen, daß ſie nicht fuͤglich wei-
ter kommen koͤnnten. Um es jedoch nicht unverſucht zu laſſen, legten ſie ihre
ſchweren Saͤcke mit Pflanzen und Lebensmitteln an dieſer Stelle ab, nahmen
nichts als ein Gewehr mit ſich, und erreichten auf ſolche Art, in Zeit von einer
halben Stunde, wuͤrklich den oberſten Gipfel des Berges. Da nun mittlerweile
der Regen nachgelaſſen, und die Wolken ſich zertheilt hatten, ſo konnten ſie weit
ins Meer, und bis nach den Inſeln Huaheine, Tethuroa, und Tabbua-
mann
hinſehen. Die unter ihren Fuͤßen liegende fruchtbare Ebene und das
Thal Matavai, von einem Fluß durchſchlaͤngelt, gewaͤhreten ihnen den reitzend-
ſten Anblick. Hingegen, war auf der Suͤdſeite der Inſel, der vielen Wolken
halber, nicht das Geringſte zu unterſcheiden. In wenig Augenblicken ward
auch das Uebrige des Horizonts wieder bedeckt, und es fiel ein dicker Nebel ein,
davon ſie bis auf die Haut naß wurden. Beym Herunterſteigen hatte mein Va-
ter das Ungluͤck, auf einer felſichten Stelle zu fallen, und ein Bein ſo ſchmerz-
haft zu verwunden, daß er daruͤber faſt in Ohnmacht geſunken waͤre. Indeſſen
erhohlte er ſich wieder, und verſuchte weiter zu gehen, fand aber, daß der
Schmerz am Fuße nur das kleinſte Uebel ſey, und daß er bey dieſem Fall leyder
noch einen andern Schaden erlitten hatte, um deſſenwillen er bis auf den
heutigen Tag eine Bandage tragen muß! Im Herabſteigen ſtuͤtzte er
ſich auf ſeinen treuen Fuͤhrer Tahea, und um vier Uhr Nachmittags
waren ſie alle wieder an Bord. Die oberſten Berge beſtehen, ihrer
Ausſage nach aus einer ſehr feſten und zaͤhen Thon-Erde, in welcher
die Pflanzen vortreflich gedeihen, und in den Waͤldern giebt es aller-
hand unbekannte Kraͤuter- und Holz-Arten. Unter den letzteren ſuchten
ſie die wohlriechende Gattung ausfindig zu machen, womit die Tahitier ihr Oel
parfuͤmiren. Tahea zeigte ihnen auch unterſchiedne Gewaͤchſe, deren ſie ſich
zu dieſem Endzweck bedienen; die koſtbarſte Art aber konnte oder wollte er
[63]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſie nicht kennen lehren. O-Mai hat mir geſagt, daß auf Tahiti mehr als1774.
April.

vierzehn unterſchiedene Pflanzen zum parfuͤmiren gebraucht wuͤrden; man kann
ſich daraus leicht vorſtellen, wie viel die Tahitier auf Wohl-Geruͤche und bal-
ſamiſche Duͤfte halten muͤſſen.


Seit dem Handel mit rothen Federn, hatte ſich die Anzahl der ge-
meinen Frauensperſonen am Bord ungemein vermehret, und heute waren ſie,
vorzuͤglich, in ſolcher Menge gekommen, daß manche, die keinen Geſpann hat-
ten finden koͤnnen, ſich auf dem obern Verdeck als uͤberzaͤhlig herumtrieben.
Naͤchſt den rothen Federn mochte auch das Verlangen nach Schweinefleiſch ſie
herbey locken. Denn da es die geringern Leute ſelten zu eßen bekommen; ſo
pflegten ſich dieſe Dirnen bey unſern Matroſen, die Ueberfluß daran hatten, gern
zu Gaſte zu bitten. Oft aber lieſſen ſie ſichs ſo gut ſchmecken, daß die Staͤrke
ihrer Verdauungs-Kraͤfte dem Uebermaaß ihres Appetits nicht gleich kam, und
dann mußten ſie es durch unruhige Naͤchte buͤßen, welches auch ihre Geſell-
ſchafter oft im Schlafe ſtoͤhrte. Bey gewiſſen dringenden Gelegenheiten verlangten
ſie von ihren Liebhabern begleitet zu werden; da aber dieſe nicht immer ſo galant wa-
ren; ſo ſah es am Morgen auf den Verdecken faſt eben ſo, wie auf den Fußſteigen,
am Lande aus. *) Des Abends ſich pflegten dieſe Frauensperſonen in unterſchiede
ne Haufen zu theilen, und auf dem Vorder- Mittel- und Hinterdek zu tanzen.
Ihre Luſtigkeit gieng oft bis zur Ausſchweifung und gemeiniglich waren ſie ſehr
laut dabey. Mit unter fehlte es ihnen aber auch wuͤrklich nicht an drolligten und
originalen Einfaͤllen. Wir hatten z. E. einen ſ[c]orbutiſchen Patienten der bey unſe-
rer Ankunft allhier ſehr ſchwach geweſen, aber durch den Genuß des friſchen Kraͤu-
terwerks gar bald wieder beſſer geworden war, und daher kein Bedenken fand, dem
Beyſpiele ſeiner Cameraden zu folgen. In dieſer Abſicht wandte er ſich an eines von
jenen Maͤdchen und brachte ſie, beym Einbruch der Dunkelheit, nach ſeiner Schlaf-
ſtelle, wo er ein Licht anzuͤndete. Nun ſahe ſie ihrem Liebhaber ins Geſicht,
und da ſie gewahr ward, daß er nur ein Auge hatte; ſo faßte ſie ihn ſtillſchweigend
bey der Hand, fuͤhrte ihn wieder aufs Verdeck und zu einem Maͤdchen, dem
ebenfalls ein Auge fehlts, mit dem Beyfuͤgen, daß dieſe ſich recht gut fuͤr ihn ſchicke,
Sie aber mit keinem Blinden oder Einaͤugigen etwas zu thun haben wolle.


[64]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
d. 1ſten.

Als ſich mein Vater zween Tage lang von den Beſchwerlichkeiten ſeiner letzten
Bergreiſe und von dem dabey erlittenen Fall wieder etwas erhohlt hatte, gieng er
ans Land und traf daſelbſt O-Retti, den Befehlshaber von O-Hiddea, an,
welches der Diſtrict und Haven iſt, allwo Herr von Bougainville ehemals
vor Anker gelegen hatte. Dieſer Mann fragte den Capitain Cook, ob er, bey
ſeiner Zuruͤckkunft nach England, den Hrn. von Bougainville, den er Potawi-
ri
nannte, zu ſehen bekommen wuͤrde? und da Capitain Cook mit Nein dar-
auf antwortete, wandte er ſich mit eben dieſer Frage an meinen Vater. Die-
ſer erwiederte ihm, es ſey nicht unmoͤglich, obgleich gedachter Herr ſich in einem
ganz andern Lande aufhalte. Gut, „ſagte O-Retti, wenn du meinen Freund
„ſieheſt, ſo erzaͤhle ihm, daß ich ſein Freund bin, und herzlich wuͤnſche, ihn wieder
„hier zu ſehen; und damit du es nicht vergeſſen moͤgeſt, ſo will ich dir ein Schwein
„aus meinem Diſtricte ſchicken, wohin ich eben im Begrif bin abzugehen.*) „Hier-
auf fieng er an zu erzaͤhlen, ſein Freund Bougainville habe zwey Schiffe,
und am Bord des einen, ein Frauenzimmer gehabt, welches aber gar nicht
ſchoͤn von Perſon geweſen ſey. Er konnte nicht aufhoͤren davon zu ſprechen,
denn es ſchien ihm gar zu ſonderbar, daß eine einzige Frauensperſon, ſich unter
ſo vielen Mannsleuten auf eine ſo weite Reiſe gewagt hatte. **) Er beſtaͤtigte
auch die Nachricht, welche wir ſchon bey unſerm erſten Hierſeyn vernommen
hatten, daß ein ſpaniſches Schiff hier geweſen; verſicherte uns aber, daß er
und ſeine Landsleute nicht viel auf die Spanier hielten.


O-Retti
[65]in den Jahren 1772 bis 1775.

O-Retti iſt das wahre Ebenbild eines lebhaften, frohen, edelmuͤthigen1774.
May.

Greiſes, und ſeines grauen Kopfes ohnerachtet noch ſo geſund und friſch, als die
alten Leute auf Tahiti gemeiniglich zu ſeyn pflegen. Er erzaͤhlte, daß er man-
cher Schlacht beygewohnt, und mehr denn eine Wunde aufzuweiſen habe; vor-
nemlich war von einem Steinwurf, der ihn in den Schlaf getroffen hatte noch
eine tiefe Narbe zu ſehen. Er hatte auch damals auf Tutahahs Seite ge-
fochten, als dieſer das Leben verloren.


Am folgenden Morgen gieng Doctor Sparrmann mit mir ins That
Matavai herauf, welches von den Einwohnern Tua-uru genannt wird. Seit
unſerm Hierſeyn hatte ich mich, meiner Schwaͤche wegen, ſo weit noch nicht
gewagt; der Anblick des Pflanzenreichs kam mir daher als ein neues Schauſpiel
vor, das deſto praͤchtiger war, weil der Fruͤhling alles verjuͤngt, und Flur und
Wald neu bekleidet hatte. Ueber die großen Verbeſſerungen, die man in dem
ganzen Diſtrict bemerkte, gerieth ich in Erſtaunen. Allenthalben waren neue
und weitlaͤuftige Plantagen angelegt, welche in der vortreflichſten Ordnung ſtanden.
Die Zahl der neu erbauten Haͤuſer war betraͤchtlich und an vielen Orten fand
man Canots auf dem Stapel. Alles dies bewies, daß der Krieg, der ehemals
zwiſchen den beyden Halb-Inſeln obgewaltet hatte, vornemlich dieſem Theile
der groͤßern, ſehr hart gefallen ſeyn mußte. Allein, ſo verwuͤſtet derſelbe auch
bey unſerm erſten Hierſeyn noch ausgeſehen hatte; ſo war doch jetzt nirgends
mehr eine Spur davon zu entdecken. Das ganze Land ſchien eine reichlich ange-
fuͤllte Vorrathskammer zu ſeyn; bey jedem Hauſe fanden wir Schweine im
Graſe, die niemand vor uns zu verbergen ſuchte, wie wohl ehemals geſchehen
war. Auch bemerkte ich mit Vergnuͤgen, daß der jetzige Wohlſtand der Ein-
wohner eine vortheilhafte Aenderung in ihrem Betragen hervorgebracht hatte.
Jetzt fiel uns niemand mehr mit Betteleyen um Corallen und Naͤgel beſchwerlich,
und, anſtatt daß ſie ſonſt die Lebensmittel an ſich zuhalten pflegten, beeiferten
ſie ſich nun vielmehr es an Gaſtfreyheit und Freygebigkeit einander zuvor zu thun.
**)
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. J
[66]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
Wir kamen nicht leicht bey einer Huͤtte vorbey, wo man uns nicht genoͤthigt
haͤtte, einzuſprechen und etwas von Erfriſchungen anzunehmen; und die frohe
Bereitwilligkeit, womit ſie das angebotene wuͤrklich hergaben, war in der That
allemal ſehr ruͤhrend. Gegen 10 Uhr erreichten wir die Wohnung des gaſtfreyen
Inſulaners, der uns ehedeſſen ſo gut bey ſich aufgenommen hatte, als wir eines
Tages ſehr ermuͤdet von den Bergen herabkamen. *) Auch diesmal empfieng er
uns mit ein Paar Cocos-Nuͤſſen, und bath, daß wir auf dem Ruͤckwege das Mit-
tagsmal in ſeiner Wohnung einnehmen moͤgten. Sobald wir es zugeſagt, be-
fahl er, daß unverzuͤglich Anſtalten dazu gemacht wuͤrden, und gieng unter-
deſſen mit uns das Thal hinauf. Hinter ſeinem Hauſe gab es keine Wohnun-
gen mehr, weil in dieſer Gegend die Berge ſchon uͤberaus ſteil wurden und ſehr
dicht zuſammen liefen. Ohngefaͤhr eine Meile weiter hin, beſtand der gegen
Oſten liegende Berg, auf eine Hoͤhe von wenigſtens vierzig Fuß, aus einer
ſenkrechten Felſen-Wand. Oberhalb dieſer Felſen-Maſſe ward er wiederum abhaͤn-
gig, und war von da aus, bis weit hinauf, mit Gebuͤſch bewachſen. Eine ſchoͤne
Caſcade ſtuͤrzte ſich vom Gipfel, laͤngſt der Felſenwand in den Fluß herab, und be-
lebte dieſe ſonſt ſchauervolle, finſtere und romantiſch-wilde Ausſicht. Schon von
fern her konnte man an der Felſenwand viele, der Laͤnge nach herablaufende,
ſcharf hervorſpringende Ecken unterſcheiden, und als wir, zu naͤherer Unter-
ſuchung derſelben, durchs Waſſer heranwadeten, zeigte ſich, daß der ganze Fel-
ſen aus lauter ſchwarzen, dichten Baſalt-Saͤulen beſtand, aus welcher Stein-
art die Einwohner ihr Handwerkszeug zu verfertigen pflegen. Dieſe Saͤulen
mochten etwa funfzehn bis achtzehn Zoll im Durchſchnitt haben; ſie ſtanden auf-
recht, parallel und dicht an einander, und von einer jeden ragten eine, hoͤchſtens
zwey ſcharfe Ecken aus der Oberflaͤche des Felſen hervor. Da man jetzt durchge-
hends annimmt, daß Baſalt eine volcaniſche Steinart ſey, ſo haben wir hier ei-
nen neuen ſtarken Beweis vor uns, daß Tahiti von unterirdiſchem Feuer große
Veraͤnderungen muͤſſe erlitten haben. Ueber dieſe Saͤulen hinaus wird das Thal,
der naͤher zuſammentretenden Berge wegen, immer enger, und iſt hoͤchſtens nur
noch bis auf 2 oder 3 Meilen weit zu paßiren. Nachdem wir dieſe Strecke auf
ſehr beſchwerlichen Wegen zuruͤckgelegt, und den Fluß, der ſich hier von einer
[67]in den Jahren 1772 bis 1775.
Seite des Thals queer nach der andern heruͤberſchlaͤngelt, wenigſtens funfzig1774.
May.

mal durchgewadet hatten; ſo befanden wir uns an eben dem Orte, den Herr
Banks als das aͤußerſte Ziel ſeiner Wanderſchaft angiebt. *) Auch wir fan-
den es ohnmoͤglich weiter vorzudringen, und kehrten alſo ganz muͤde und matt
wieder um. Auf dem Ruͤckwege trafen wir, hie und da, noch einige neue
Pflanzen, und erreichten innerhalb zweyer Stunden das Haus unſers freund-
ſchaftlichen Begleiters. Allda ließen wir uns die reichlich aufgetragenen Fruͤchte
und Kraͤuter wohl ſchmecken, und gaben unſerm Wirth an rothen Federn was
ſein Herz begehrte; doch unterließen wir auch nicht, ihm allerhand Eiſen-
geraͤthe mitzutheilen, damit, wenn jene Federn laͤngſt verlohren oder ver-
braucht waͤren, von unſerer Anweſenheit wenigſtens noch ein nutzbares Andenken
uͤbrig ſeyn moͤchte. Seine Tochter, welche wir bey unſerm vorigen Hier-
ſeyn geſehen, war ſeitdem an einen vornehmen Mann verheyrathet, denn un-
ſre damaligen Geſchenke hatten ſie zu einer der reichſten Parthien im ganzen
Lande gemacht; ſie wohnte aber jetzt ziemlich weit von hier.


Capitain Cook, mein Vater und einige Officier waren nach O-Par-
re
geweſen um O-Tuh zu beſuchen. Bey dieſer Gelegenheit hatte man ſie
an einen Ort hingefuͤhrt, wo eben ein Krieges-Canot gebauet ward, welches
der Koͤnig O-Tahiti nennen wollte. Capitain Cook aber, der dem Fahrzeuge
lieber den Namen Brittannia beyzulegen wuͤnſchte, ſchenkte dem Koͤnige in die-
ſer Abſicht eine kleine engliſche Flagge, einen kleinen Anker und das dazu gehoͤ-
rende Tau. Da nun Se. Majeſtaͤt zu der Veraͤnderung des Nahmens ſogleich
ihre Einwilligung gaben; ſo ward die Flagge aufgeſetzt und das Volk be-
zeugte nach Art unſrer Matroſen, durch ein dreymaliges Freudengeſchrey, ſein
Wohlgefallen daruͤber.


Ich hatte Herrn Hodges angerathen, die Caſcade, die wir im Thal
angetroffen, ihres mahleriſchen Anblicks wegen, zu beſuchen; er gieng alſo am
folgenden Tage in Begleitung unterſchiedner Herren dahin, und fertigte, ſo
wohl von dem Waſſerfall als von den darunter ſtehenden Baſalt-Saͤulen,
eine Zeichnung an. In ſeiner Abweſenheit lieſſen wir uns eine große Al-
J 2
[68]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
becore (Scomber thynnus Linnæi) gut ſchmecken, die aber keinem, der da-
von gegeſſen hatte, gut bekam. Sie verurſachte uns eine fliegende Hitze im
Geſicht nebſt heftigem Kopfweh, zum Theil auch Durchlauf; und ein Be-
dienter, der ſeine ganze Mahlzeit davon gehalten hatte, ward mit heftigem Bre-
chen und Durchlauf befallen. Bermuthlich war der Fiſch mit einer betaͤu-
benden Pflanze gefangen, von deren ſchaͤdlichen Eigenſchaft das Fleiſch er-
was angenommen haben mogte.


Um dieſe Zeit erfuhren wir, daß Maheine die Tochter eines im Thal
Matavaï wohnhaften Befehlshabers, Namens Toparre, geheyrathet habe.
Einer unſrer jungen See-Officiers, von dem ſich dieſe Nachricht herſchrieb,
ruͤhmte uns, daß er bey der Verheyrathung zugegen geweſen, und die da-
bey vorgefallnen Ceremonien mit angeſehen habe; als wir ihn aber um
die Beſchreibung derſelben erſuchten, geſtand er, „daß ſie zwar ſehr ſonder-
„bar geweſen waͤren, doch koͤnne er ſich keiner insbeſondre erinnern, wiſſe
„auch nicht wie er ſie erzaͤhlen ſolle„ Auf ſolche Art entgieng uns eine merkwuͤr-
dige Entdeckung, die wir bey dieſer Gelegenheit uͤber die Gebraͤuche dieſes Volks
haͤtten machen koͤnnen; und es war zu bedauern, daß kein verſtaͤndigerer Beobachter
zugegen geweſen, der wenigſtens das was er geſehen, auch haͤtte erzaͤhlen koͤn-
nen. Indeſſen kam Maheine mit ſeiner Neuvermaͤhlten an Bord. Sie
war noch ein ſehr junges Maͤdchen, klein von Statur, und nicht ſonderlich
ſchoͤn von Anſehen. Aber aufs Betteln verſtand ſie ſich vortreflich. Sie
gieng durchs ganze Schiff um ſich Geſchenke auszubitten, und da ihr Mann
allgemein beliebt war; ſo bekam ſie Corallen, Naͤgel, Hemden, und rothe
Federn die Menge. Der neue Ehemann erzaͤhlte uns, ſeine Abſicht ſey,
ſich auf Tahiti niederzulaſſen, denn ſeine Freunde haͤtten ihm allhier Land,
Haus und alle Arten von Eigenthum angeboten. Er war in die Familie
eines Eri aufgenommen, vom Koͤnige ſelbſt geachtet, und ſtand durchgehends
in großen Ehren; ja einer ſeiner Freunde hatte ihm bereits einen Tautau,
oder Leibeigenen zugegeben, welches ein Knabe war, der ihn bedienen, ihm
allemhalben nachtreten und jederzeit zu Gebot ſeyn mußte.


Obgleich Maheine den Gedanken, mit uns nach England zu gehen,
aufgegeben hatte; ſo war doch der muntre Nuna, deſſen ich einigemal er-
[69]in den Jahren 1772 bis 1775.
waͤhnet, von ſeinem ehemals geaͤußerten, aͤhnlichen Vorhaben noch nicht abge-1774.
May.

gangen, ſondern lag meinem Vater und andern Herren noch immer dringend
an, daß ſie ihn mit an Bord nehmen moͤgten. Mein Vater, dem er von je her
wohlgefallen hatte, war geſonnen, ihn ganz auf ſeine Koſten mitzunehmen, und
unter dieſer Bedingung gab auch der Capitain ſogleich ſeine Einwilligung dazu.
Man ſagte dem Knaben zwar, er duͤrffe nicht hoffen, dereinſt nach ſeinem Va-
terlande zuruͤckzukehren, indem es zweifelhaft ſey, ob jemals wieder ein Schiff
nach Tahiti geſchickt werden moͤgte. Allein, er war viel zu ſehr fuͤr dieſe
Reiſe eingenommen, als daß irgend eine Vorſtellung ihn haͤtte auf andre Ge-
danken bringen ſollen; er entfagte der Hoffnung, ſein Vaterland wieder zu
ſehen ganz willig, damit er nur das Vergnuͤgen haben moͤgte, das unſrige
kennen zu lernen. Indeſſen war ſeine Freude nur von kurzer Dauer, denn gegen
Abend beſann ſich der Capitain anders und nahm ſein gegebnes Wort wieder zu-
ruͤck, ſo daß der arme Nuna zu ſeiner großen Betruͤbniß da bleiben mußte.
Mein Vater hatte die Abſicht, ihm das Zimmer- und Schmiede-Handwerk ler-
nen zu laſſen; mit Huͤlfe dieſer Kenntniſſe wuͤrde er bey ſeiner Zuruͤckkunft,
meines Erachtens, ein etwas nuͤtzlicheres Mitglied der Geſellſchaft geworden
ſeyn als ſein Landsmann O-Maï, der von einem faſt zweyjaͤhrigen Aufent-
halt in England, nichts mit nach Hauſe bringt, als die Geſchicklichkeit, den
Inſulanern auf ſeinem Leyerkaſten etwas vorzuorgeln, oder, ihnen ein Mario-
netten-Spiel vorzumachen!


Wir brachten verſchiedne Tage damit zu, in den Gefilden von Mata-
wa
ï
und in dem großen Thal Ahonnu, welches das fruchtbarſte und zugleich
das ſchoͤnſte auf der ganzen Inſel iſt, unſre botaniſchen Unterſuchungen fortzu-
ſetzen. Nachdem wir auf ſolche Art die Flora der Ebenen gaͤnzlich erſchoͤpft
zu haben glaubten, giengen mein Vater, Dr. Sparrmann und ich am 6ten,
des Nachmittags, abermals nach den Bergen aus, um dort noch eine kleine
Nachleſe zu halten. Die gute Bewirthung, welche Tahea meinem
Vater das vorige mahl hatte wiederfahren laſſen, bewog uns wieder bey
ihm einzukehren, doch duͤnkte es uns diesmal nicht mehr noͤthig, die
Nacht hindurch ein Feuer zu unterhalten, und wechſelsweiſe dabey zu
wachen. Tahea war ein luſtiger drolligter Burſche; er verlangte un-
J 3
[70]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
ter andern, wir ſollten ihn Medua „Vater„ und ſeine Frau O-Pat-
tea
*)Mutter nennen.


Ohnerachtet wir nicht die Abſicht hatten bis auf die hoͤchſten Berggipfel
zu klettern, ſo machten wir uns doch ſchon vor Sonnen-Aufgang auf den Weg.
Die Voͤgel ſchliefen noch ruhig auf den Buͤſchen, ſo daß unſere Begleiter, Tahea
und ſein Bruder, etliche Meerſchwalben (Sterna) mit der Hand griffen. Sie
ſagten uns, daß auf dieſen Bergen viel Waſſervoͤgel zu uͤbernachten, und
daß vornemlich die tropiſchen Voͤgel (Phæton æthereus Linnæi) hier zu ni-
ſten pflegten. Daher ſind auch die langen Schwanzfedern, welche ſie alle Jahr
abwerfen, in dieſen Berggegenden am haͤufigſten zu finden und werden daſelbſt
von den Einwohnern fleißig aufgeſucht. Wir ſchoſſen eine Schwalbe und fan-
den allerhand neue Kraͤuter, da ſich aber der Horizont, in unſrer Nachbarſchaft
zu bewoͤlken anfing, ſo eilten wir, um unſre Pflanzen trocken zu behalten, nach
dem Schiff zuruͤck, und kamen um 4 Uhr des Nachmittags wieder an Bord.
Die ganze koͤnigliche Familie war daſelbſt verſammlet, und O-Tuhs aͤlteſte
Schweſter, Nihaurai, die an T’Eri-Derre, Ammo’s Sohn **) verheyrathet
war, befand ſich auch mit darunter. Des Koͤnigs zweetem Bruder, T’Eri Watau
gefiel es ſowohl bey uns, daß er, ohngeachtet die uͤbrigen alle weggiengen, die
ganze Nacht hindurch an Bord blieb. Um ihm eine Veraͤnderung zu ma-
chen, ließen wir vom Maſtbaume Raketen und andre kleine Kunſtfeuer abbren-
nen, woruͤber er ungemein viel Vergnuͤgen bezeigte. Beym Abendeſſen rech-
nete er uns alle ſeine Verwandten vor, erzaͤhlte uns auch manches aus der neue-
ren Geſchichte von Tahiti, welches mir bey meiner Zuruͤckkunft nach England,
durch O-Maïs uͤbereinſtimmende Ausſage beſtaͤtigt ward. Von jenem erfuh-
ren wir, daß Ammo, Happai und Tutahah drey Bruͤder waͤren, davon
der aͤlteſte, Ammo, Koͤnig von ganz Tahiti geweſen ſey. Dieſer verheyra-
thete ſich mit O-Purea (Oberea) einer Prinzeßinn aus koͤniglichem Gebluͤte,
und erzeugte mit ihr T’Eri-Derre, dem ſogleich der Titel Eri-Rahai oder
[71]in den Jahren 1772 bis 1775.
Koͤnig von Tahiti beygelegt wurde. Zu der Zeit, als Capitain Wallis dieſe1774.
May.

Inſel beſuchte, fuͤhrte Ammo noch die Regierung, und mit ihm herrſchte O-
Purea
(oder Oberea,) als Koͤniginn. Allein, ein Jahr nachher (nemlich 1768)
brach zwiſchen Ammo und ſeinem Vaſallen Aheatua, dem Regenten der kleinern
Halb-Inſel von Tahiti, ein Krieg aus. Aheatua landete zu Paparra,
wo Ammo gewoͤhnlich reſidirte, richtete unter dem Heer deſſelben eine
große Niederlage an, ſteckte die Haͤuſer und Pflanzungen in Brand, und fuͤhrte,
was er an Schweinen und Huͤhnern habhaft werden konnte, mit ſich weg.
Ammo und Purea mit ihrem ganzen Gefolge, zu welchem auch, ſeinem eignen
Geſtaͤndniß nach, O-Mai gehoͤrte, fluͤchteten damals, (im December gedach-
ten Jahres) in die Gebirge. Endlich machte der Sieger unter der Bedingung
Friede, daß Ammo die Regierung niederlegen, ſein Sohn aber das Recht
der Nachfolge willig an O-Tuh, den aͤlteſten Sohn ſeines Bruders Happai,
abtreten ſollte Dies ließen ſich die Ueberwundenen gefallen, und, waͤhrend der
Minderjaͤhrigkeit des O-Tuh, ward Tutahah, der juͤngere Bruder des ehe-
maligen Regenten, zum Adminiſtrator beſtellt. Dieſe Revolution hat viel Aehn-
liches mit denenjenigen, die in den despotiſchen Staaten Aſiens ſo oft vorfallen.
Selten wagts allda der Sieger, die eroberten Laͤnder ſelbſt zu beherrſchen. Ge-
meiniglich begnuͤgt er ſich, ſie rein auszupluͤndern, und ſetzt als denn, aus der koͤnig-
lichen Familie des Landes, einen andern zum Regenten ein. Nicht lange
nach obgedachtem Vorfall veruneinigte ſich O-Purea mit ihrem Gemahl, und
von Worten kam es zu Thaͤtlichkeiten. Alſo hielten ſie es fuͤrs Beſte, von
einander zu ſcheiden. Er nahm ſich zur Schadloshaltung eine ſehr huͤbſche junge
Perſon als Beyſchlaͤferin, und Sie theilte ihre Gunſtbezeugungen einem gewiſſen
Obadi, und noch andern Liebhabern mit. Ammo ſcheint jedoch an dieſen Zwi-
ſtigkeiten am mehreſten Schuld zu ſeyn, und zwar durch eheliche Untreue; denn
ob gleich dieſe hier nicht ſo haͤufig als in England vorfaͤllt, ſo iſt ſie doch eben nichts
ganz Unerhoͤrtes, vornemlich, wenn die Dame bey zunehmenden Jahren und
abnehmenden Reitzen noch immer eitel genug iſt, von ihrem Manne die zaͤrtliche
Aufmerkſamkeit eines Braͤutigams zu erwarten. Am Bord unſers eigenen
Schiffes, trug ſich ein Vorfall dieſer Art zu. Polatehera, die ehemals mit Po-
tatau
verheyrathet geweſen, ſeit einiger Zeit aber von ihm geſchieden war, hatte
[72]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
ſich, ſobald ihr voriger Mann anderweitig verſorgt war, auch ihrer Seits einen
juͤngern Mann oder Liebhaber angeſchafft. Dieſer lebte aber mit einem andern
Maͤdchen in gutem Vernehmen und hatte unſer Schiff zum Ort ſeiner Zuſammen-
kunft mit ihr gewaͤhlt. Unmoͤglich konnte dies geheime Verſtaͤndniß ganz
unbemerkt bleiben. Die handveſte Polatehera, *) ertappte ſie alſo einmal
des Morgens, und ließ ihrer Mitbuhlerin den Ausbruch ihres Zorns ganz
thaͤtig, dem betroffnen Liebhaber hingegen die bitterſten Vorwuͤrfe wegen ſeiner
Untreue empfinden.


Zu der Zeit da Capitain Cook in der Endeavour hier ankam, war
die Regierung der Inſel in Tutahahs Haͤnden. Nicht lange nach der Abreiſe
deſſelben ſuchte Tutahah, der den Schimpf, welchen Aheatua ſeiner Familie
zugefuͤgt hatte noch immer nicht vergeſſen konnte, die Vornehmern auf O-
Tahiti-nue
, oder der groͤßern Halb-Inſel, zu uͤberreden, daß ſie ſich zu ei-
nem neuen Kriege gegen den Aheatua mit ihm vereinigen moͤgten. Viel-
leicht verließ er ſich hiebey auf die Reichthuͤmer, die er von den Europaͤern ge-
ſchenkt bekommen, vielleicht wandte er auch einen Theil derſelben an um die
Großen der Inſel in ſein Intereſſe zu ziehen. Genug es ward eine Flot-
te ausgeruͤſtet, und mit dieſer ſeegelte er nach Teiarrabu. Aheatua hatte
ſich zwar in gute Verfaſſung geſetzt ſeinen Feind zu empfangen, da er je-
doch ſchon bey Jahren war,**) und ſeine Tage lieber in Frieden zu beſchlieſ-
ſen, als einen neuen Krieg anzufangen wuͤnſchte; ſo ſchickte er dem Tuta-
hah
Abgeordnete entgegen, und ließ ihm verſichern, daß er ſein Freund,
und bereit ſey, es immer zu bleiben; er baͤthe ihn alſo friedlich nach ſeinem
Lande zuruͤckzukehren, und ein Volk, das keine Feindſchaft gegen ihn hegte, nicht
feindſelig zu behandeln. Tohah war aber nicht von ſeinem Vorhaben abzubringen
ſondern gab vielmehr gleich Befehl zum Angriff. Der Verluſt hielt auf beyden
Seiten ſo ziemlich das Gleichgewicht: doch zog ſich Tutahah zuruͤck, wiewohl aus
keiner andren Abſicht als um ſeinen Feind zu Lande anzugreifen. Happai mißbil-
ligte
[73]in den Jahren 1772 bis 1775.
ligte dieſen Schritt und blieb daher mit ſeiner ganzen Familie zu O-Parre zu-1774.
May.

ruͤck. Tutahah kehrte ſich aber daran nicht, ſondern gieng in Begleitung O-
Tuh’s
auf die Erdenge los, welche die beyden Halb-Inſeln mit einander verbindet.
Hier kam es zwiſchen ihm und Aheatua zu einer Schlacht, in welcher Tutahahs
ganze Armee auseinander geſprengt wurde, und er ſelbſt das Leben einbuͤßte. Ei-
nige Leute verſicherten, er ſey gefangen und nachher, auf Befehl des Siegers,
ums Leben gebracht worden; andre aber, unter denen auch O-Maï war, be-
haupteten, er ſey wuͤrklich auf dem Schlachtfelde geblieben. O-Tuh fluͤchtete
mit einigen vertrauten Freunden auf die Berge, indeß Aheatua ſein ſiegreiches
Heer nach Matavai und O-Parre fuͤhrte. Bey Annaͤherung des Ueberwin-
ders floh auch Happai in die Gebuͤrge, Aheatua aber ließ ihm durch einen
Boten ſicheres Geleit verſprechen und ausdruͤcklich andeuten, er habe gegen ihn
und ſeine Familie im geringſten keine Abſichten, ſondern ſey noch jetzt, ſo wie
von je her, zum Frieden geneigt. Durch eben dieſen Bothen erfuhren die
Fluͤchtlinge auch, daß Tutahah auf dem Platz geblieben ſey, O-Tuh aber ver-
mißt werde, ohne daß man ſagen koͤnne, wo er hingekommen. Happai wagte
es alſo, im Vertrauen auf Aheatua’s Wort, aus ſeinem Schlupfwinkel her-
vorzukommen, und bald darauf langte auch O-Tuh, durch ungebahnte und
ſehr beſchwerliche Wege, mit ſeinen wenigen Gefaͤhrten wiederum bey ſeinem
Vater an. Hierauf ward ſofort ein allgemeiner Friede geſchloſſen, und
O-Tuh uͤbernahm von Stund an die Regierung ſelbſt. Nach den betraͤcht-
lichen Landes-Verbeſſerungen zu urtheilen, die er ſeit dem Antritt ſeines Regi-
ments, waͤhrend unſrer acht monatlichen Abweſenheit, zu Stande gebracht, muß
O-Tuh ein Mann von ganz guten Einſichten ſeyn, und das allgemeine Beſte
ſeiner Unterthanen durch ſchickliche Mittel zu befoͤrdern wiſſen. Aheatua
ſtarb bald nach geſchloſſenem Frieden, und ſein Sohn, gleiches Namens, den
wir im Auguſt 1773 zu Aitepiha antrafen, folgte ihm in der Regierung
von Teiarrabu.


Te-Eri Watau, dem wir die vorſtehenden Nachrichten zu verdanken hatten,
gab uns zugleich uͤber die Genealogie der Koͤniglichen Familie folgende Auskunft.
Sein Vater, ſagte er, habe acht Kinder. 1. Tedua*) d.i. die Prinzeßin, Nihaurai
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. K
[74]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
waͤre die aͤlteſte von allen, ohngefaͤhr dreyßig Jahre alt, und an Am-
mo’s
Sohn Namens T’Eri-Derre, verheirathet; 2.) Die zweyte Tedua
(Prinzeßin) heiße Tauraï, ſey unverheirathet, und ohngefaͤhr ſieben und
zwanzig Jahr alt; dieſe ſchien bey dem hieſigen Frauenzimmer faſt in eben
ſo allgemeinem Anſehen zu ſtehen, als der Koͤnig auf der ganzen Inſel. 3.)
O-Tuh, der Eri-Rahai, oder Koͤnig von Tahiti, ohngefaͤhr 26 Jahr alt:
ich habe bereits weiter oben gedacht, daß jedermann zum Zeichen der Ehrfurcht
in ſeiner Gegenwart die Schultern entbloͤßen mußte, und unſer Tahitiſcher Hi-
ſtoriograph ſagte mir heute, daß auch Aheatua, ohngeachtet er Regent der klei-
neren Halb-Inſel ſey, dennoch, als Vaſal des Koͤniges, zu eben dieſer Ehrenbe-
zeugung ſich bequemen muͤſſe. 4.) Tedua Tehamai, oder Prinzeßinn Tehamai,
die dem Alter nach auf O-Tuh folgt, ſtarb in der Jugend. 5.) T’Eri-Watau
ſelbſt (von dem ſich alle dieſe Nachrichten herſchreiben,) iſt der naͤchſte in der
Ordnung, und ſchien ohngefaͤhr 16 Jahr alt zu ſeyn; er ſagte, daß er noch ei-
nen andern Namen habe, der mir aber entfallen iſt, und ich vermuthe, daß es
nur ſein Ehrentitel geweſen. 6.) Sein naͤchſter Bruder Tubuaïterai, auch
Mayorro genannt, iſt ein Knabe von 10 oder 11 Jahren. 7.) Erreretua, ein
kleines Maͤdchen von 7 Jahren, und 8.) Tepaau, ein Knabe von 4 bis 5 Jah-
ren, ſind die juͤngſten. Eine geſunde, keinesweges aber corpulente Leibesbe-
ſchaffenheit, und ein dicker buſchichter Kopf von Haaren, ſchien das eigenthuͤm-
liche Merkmal der ganzen Familie zu ſeyn. Ihre Geſichtszuͤge waren meiſten-
theils gefaͤllig; ihre Farbe aber ſehr braun, Nihaurai und O-Tu ausgenommen.
Die ganze Familie ſchien bey dem Volke ſehr beliebt zu ſeyn, ſo wie uͤberhaupt
die Zuneigung gegen die Befehlshaber, einen Zug im National-Character der Ta-
hitier
ausmacht. Wirklich verdiente auch die koͤnigliche Familie, ihres durchgaͤn-
gig leutſeligen und gutherzigen Betragens wegen, mit Recht allgemeine Liebe. Te-
dua Taurai
begleitete den Koͤnig faſt jedesmal, wenn er zu uns ans Schiff kam;
und dann hielt ſie es ihrem Range im geringſten nicht zuwider, von den gemein-
ſten Matroſen, gegen Zeug und andre Merkwuͤrdigkeiten, rothe Federn einzuhan-
deln. Einſtmals war ſie mit O-Tu, dem Capitain und meinem Vater in der
Cajuͤtte, um unſern Vorrath von Eiſengeraͤth und andern Handlungs-Artikeln
durchzuſehen. Zufaͤlligerweiſe ward der Capitain herausgerufen, und kaum
[75]in den Jahren 1772 bis 1775.
hatte er den Ruͤcken gewandt, ſo fluͤſterte ſie ihrem Bruder etwas ins Ohr. Die-1774.
May.

ſer ließ ſichs darauf ſehr angelegen ſeyn, meines Vaters Aufmerkſamkeit durch
allerley Fragen an ſich zu ziehen. Mein Vater merkte, worauf es abgeſehen
ſey. Da nun die gute Prinzeßinn meynte, daß man ihr nicht auf die Finger
ſaͤhe, ſo nahm ſie ganz behende ein Paar Sparren-Naͤgel fort, und verbarg
ſolche in den Falten ihrer Kleidung. Als Capitain Cook wieder herein kam,
erzaͤhlte ihm zwar mein Vater den ſchlauen Streich, den Ihro Durchlaucht aus-
gefuͤhrt hatten: Allein ſie hielten es beyde fuͤrs beſte, ſich anzuſtellen, als waͤren
ſie nichts davon gewahr worden. Sie hatte ſchon bey mehreren Gelegenheiten eine
unwiderſtehliche Neigung blicken laſſen, eins und das andre heimlich zu entwenden.
Gleichwohl hatte man ihr noch nie etwas abgeſchlagen; ſondern ihr faſt allezeit
mehr geſchenkt, als ſie gefordert. Es war alſo ſeltſam genug, daß ſie darauf
verfiel, das zu entwenden, was ſie auf eine weit anſtaͤndigere Weiſe haͤtte er-
langen koͤnnen; vielleicht fand ſie aber deshalb ein beſonders Wohlgefallen an
geſtohlnen Sachen, weil ſie dieſe blos ihrer eignen Geſchicklichkeit zu ver-
danken zu haben glaubte. Wenn ihr die Tahitiſchen Maͤdchen nicht zu viel
nachgeredet; ſo muß ſie uͤberhaupt ſehr viel auf verſtohlne Freuden halten, denn
ſie gaben ihr Schuld, daß ſie ſich des Nachts wider Wiſſen ihres Bruders, mit
den gemeinſten Tautaus zu thun machte. Verhaͤlt ſich’s wuͤrklich alſo, ſo waͤre es
ſonderbar genug, wenn hier zu Lande, wo jedermann den Trieben der Natur
ohne Bedenken folgt, gerade bey Prinzeßinnen und Vornehmen darinn eine
Ausnahme ſtatt finden ſollte, da dieſe doch ſonſt gemeiniglich vor allen an-
dern gewohnt ſind, ihrem Willen ohne Einſchraͤnkung zu folgen. Aber ſo iſt es:
die menſchlichen Leidenſchaften ſind allenthalben dieſelben. Sclaven und Fuͤrſten
haben einerley Inſtincte; folglich muß die Geſchichte ihrer Wirkungen auch
uͤberall, in jedem Lande, eine und eben dieſelbige bleiben.


Am andern Morgen kam O-Tuh in aller Fruͤhe nach Point Ve-
nus
, und gab dem Serjeanten der allda campirenden See-Soldaten Nach-
richt, daß jemand ſeiner Unterthanen unſrer Schildwacht die Muskete ge-
ſtohlen und mit ſelbiger entlaufen ſey; zu gleicher Zeit fertigte er an ſeinen
Bruder T’Erih-Watau, der ſeit geſtern Abend noch bey uns am Bord war,
einen Boten ab und ließ ihn abrufen, worauf uns dieſer auch, gleich nach dem
K 2
[76]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
Fruͤhſtuͤck verlies. Der Koͤnig erwartete ihn ſchon am Strande, und ſo bald
er ankam, fluͤchteten beyde nebſt den uͤbrigen Koͤnigl. Herrſchaften nach Weſten, aus
Furcht, man moͤgte die geſtohlne Muskete von Ihnen fordern. Um ſie nun demohn-
erachtet wieder zu bekommen, brauchte Capitain Cook, wie er in dergleichen
Faͤllen ſchon mehrmalen mit gutem Erfolg gethan hatte, Repreſſalien, und nahm
einige doppelte Reiſe-Canots in Beſchlag, die unterſchiednen vornehmen Leuten,
und vornemlich einem gewiſſen Maratata angehoͤrten, als welchem man Schuld
gab, er habe einem ſeiner Leute anbefohlen, die Muskete zu entwenden. Maratata
befand ſich eben in ſeinem Canot und ſuchte dem Embargo durch die Flucht zu entge-
hen. Als aber Capitain Cook auf das Fahrzeug einige Schuͤſſe thun ließ, ſprang er
mit ſammt ſeinen Ruderern in die See, und ſchwamm nach dem Ufer zu, wir aber
nahmen das Canot an uns. Gegen Abend kam Tih an Bord, und zeigte an,
der Dieb ſey nach der kleinen Halb-Inſel, oder nach Teiarrabu gefluͤchtet;
es wurden alſo die angehaltnen Canots, das von Maratata ausgenommen,
wieder frey gegeben. Indeſſen hatte dieſe Verdrießlichkeit die Inſulaner
ziemlich verſcheucht; am Bord waren nur ſehr wenige, und Frauensperſonen
gar nicht. Als Capitain Cook endlich gegen Abend aus Land gieng, kamen ihm
etliche Tahitier ganz außer Athem und von Schweiß triefend entgegen, und brachten
nicht nur die Muskete, ſondern auch ein Buͤndel Kleider und ein doppeltes
Stunden-Glas, mit ſich, welches alles zu gleicher Zeit war entwendet wor-
den. Sie erzaͤhlten dabey, daß ſie den Dieb eingehohlt, ihn tuͤchtig abge-
pruͤgelt, und gezwungen haͤtten, ihnen den Ort anzuzeigen, wo er die geſtohlnen
Sachen im Sande verſcharret gehabt. So treuherzig ſie ſich aber auch dabey an-
ſtellten, ſo mogte es mit ihrer Erzaͤhlung doch wohl nicht ſo ganz klar ſeyn,
wenigſtens war der eine dieſer Geſellen vor kurzer Zeit noch bey den Zelten ge-
weſen, dergeſtalt, daß er unterdeſſen ohnmoͤglich ſo weit gelauffen ſeyn konnte,
als ſie vorgaben. Indeſſen ſtellten wir uns, als ob wir nichts argwohnten,
ſondern machten ihnen vielmehr allerhand Geſchenke, damit ſie ſehen ſollten,
daß wir jederzeit geneigt waͤren, ihren Dienſteifer zu belohnen. Am fol-
genden Tage war der bisherige Handel gaͤnzlich eingeſtellt, es zeigte ſich
niemand der etwas zum Verkauf gebracht haͤtte. Tih war der einzige,
der an Bord kam; Er bath wir moͤchten den Koͤnig zu Parre aufſuchen
[77]in den Jahren 1772 bis 1775.
und wieder beſaͤnftigen, denn er ſey Matau, eine zweydeutige Redensart1774.
May.

aus der Hofſprache, die ſo viel ſagen wollte, der Koͤnig ſey ungehalten und
in Beſorgniß, deshalb man ihn durch einige Geſchenke wieder zufrieden ſtellen
und guten Muthes machen muͤſſe. Zu Erreichung dieſer Abſicht verfuͤgte ſich der
Capitain nebſt meinem Vater zu ihm, Dr. Sparrmann aber und ich bega-
ben uns nach den Zelten. Wir fanden die Tahitier uͤber den geſtrigen Vor-
fall, und beſonders daruͤber, daß wir ſelbſt uns hatten Recht verſchaffen wol-
len, nicht wenig betreten. Der Koͤnig hatte ihnen ausdruͤcklich unterſagt,
uns keine Lebensmittel zu verkaufen; gleichwohl konnten ſie es, ihrer angebohr-
nen Gaſtfreyheit nach, ohnmoͤglich uͤbers Herz bringen, uns nicht mit Co-
cos-Nuͤſſen und andern Erfriſchungen zu bewirthen. Gegen Mittag kamen
wir wieder an Bord zuruͤck, und fanden daſelbſt den Capitain, der in der
Zwiſchenzeit bey dem Koͤnige ſchon alles wieder gut gemacht hatte. Dieſe Nacht
mußten ſich die Matroſen ohne ihre gewoͤhnliche Geſellſchaft behelfen. Der
Koͤnig hatte es den Frauensleuten, fuͤr heute, ausdruͤcklich unterſagt, damit durch
die Diebereyen derſelben nicht neue Haͤndel entſtehen moͤgten. Am folgenden Tage
hingegen hatten ſie ſich vermuthlich ſchon wieder Erlaubniß ausgewuͤrker, an Bord
zu kommen; und naͤchſt ihnen langten auch von neuem eine Menge Canots mit
Lebensmitteln und friſchen Fiſchen an. Capitain Cook ſchickte Maheinen
nach dem Diſtrict Atahuru ab, um dem daſelbſt wohnenden Admiral To-
hah
, fuͤr einige Schweine die er uns zugeſchickt hatte, allerhand Gegenge-
ſchenke zu uͤberbringen. In ſeiner Abweſenheit kam Opurea (Oberea)
an Bord, und brachte dem Capitain Cook ebenfalls zwey Schweine. Das
Geruͤcht von unſern rothen Federn hatte ſich bis nach ihrem Wohnſitz, in
die Ebnen von Paparra, verbreitet, und ſie machte gar kein Geheimniß
daraus, daß ſie blos in der Abſicht hergekommen ſey, ſich einige davon aus-
zubitten. Dem Anſehen nach mochte ſie jetzt zwiſchen vierzig und funfzig
Jahren ſeyn; ſie war groß und ſtark von Coͤrper; und ihre Geſichtszuͤge, die
vielleicht vor Zeiten angenehmer geweſen, hatten nunmehro ein ziemlich maͤnnli-
ches Anſehen bekommen. Doch bemerkte man in ihrer Phyſiognomie noch
immer Spuren von ehemaliger Majeſtaͤt. Ihr Blick ſchien immer noch befeh-
leriſch
und in ihrem Betragen war etwas freies und edles. Sie blieb nicht
K 3
[78]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
lange bey uns, vielleicht weil es ihr wehe that, in unſern Augen nicht
mehr ſo viel als vormals zu bedeuten. Sie begnuͤgte ſich nach einigen ihrer
Freunde, die vor etlichen Jahren auf dem Schiffe Endeavour hier geweſen
waren, zu fragen, und ließ ſich ſodann in ihrem Canot wieder ans Land brin-
gen. Um eben die Zeit beſuchte uns auch ihr voriger Gemahl O-Ammo;
dieſem wiederfuhr aber noch weniger Achtung, als der O-Purea. Da ihn
die Matroſen nicht kannten, ſo hatte man ihm, als einem ganz unbe-
deutenden Mann, ſo gar den Zutritt in des Capitains Cajuͤtte verweigert, und
es ward ihm auch ziemlich ſchwer gemacht, nur ſeine Schweine anzubrin-
gen, denn wir hatten deren jetzt faſt mehr am Borde als wir bergen konn-
ten. Ammo und O-Purea, die ſich noch vor weniger Zeit auf dem hoͤch-
ſten Gipfel der Ehre befanden, waren jetzt tief herabgeſunken und duͤrftig;
mit einem Wort lebendige Beyſpiele von der Unbeſtaͤndigkeit aller irrdiſchen
Groͤße!


Am 12ten ſuchten wir dem Koͤnige mancherley Veraͤnderungen zu ma-
chen. Wir feuerten unſre ſcharf geladenen Canonen ab, ſo daß die Kugeln und
Kartetſchen uͤber das Rief ins Meer ſchlugen, welches fuͤr ihn und einige Tau-
ſend andere Zuſchauer ein ſehr angenehmes und bewundrungswuͤrdiges Schau-
ſpiel war. Bey Einbruch der Nacht ließen wir Raketen und Luftkugeln
ſteigen, woruͤber ſie noch mehr Vergnuͤgen und Erſtaunen bezeigten. Sie
hielten uns fuͤr ganz außerordentliche Leute, und wußten nicht, was ſie dazu
ſagen ſollten, daß wir Blitze und Sterne nach Belieben hervorbringen koͤnnten.
Unſern Feuerwerken gaben ſie den hochtoͤnenden Namen: Hiwa Bretanni,
das brittiſche Feſt.


Am folgenden Tage war der Zulauf von Menſchen, die an Bord kamen,
ungewoͤhnlich groß. Sie hatten bemerkt, daß wir uns zur Abreiſe anſchickten,
und daher brachten ſie, ſtatt Lebensmittel, lauter Zeug und andre Seltenheiten,
die alsdenn gemeiniglich noch am theuerſten bezahlt wurden. Nachmittags
giengen wir mit dem Capitain Cook nach O-Parre und fanden daſelbſt unſern
wuͤrdigen Freund Tohah nebſt Maheinen. Tohah war an einer Art von Gicht
ſehr krank geweſen, und klagte noch uͤber Schmerz und Geſchwulſt an den Fuͤßen.
Dem ohngeachtet hatte er ſich auf den Weg gemacht, um Abſchied von uns zu
[79]in den Jahren 1772 bis 1775.
nehmen, und verſprach morgen noch an Bord zu kommen. O-Tuh war gleich-1774.
May.

falls da, und ließ ſich verlauten, daß er uns einen Vorrath von Brodfrucht zu-
gedacht habe, womit uns damals, mehr als mit Schweinen, gedient war. Des
folgenden Morgens (am 14.) bekamen wir von vielen Vornehmen aus der gan-
zen Inſel Beſuch. Happai und alle ſeine Kinder, O-Tu ausgenommen,
waren mit unter dieſer Zahl. Um 8 Uhr langte auch Tohah mit ſeiner Frau
an, und hatte eine ganze Bootsladung von allerhand Geſchenken bey ſich. Der
gute alte Admiral befand ſich ſo uͤbel, daß er nicht auf den Beinen ſtehen konn-
te; gleichwohl wuͤnſchte er herzlich, aufs Verdeck zu ſteigen; da er aber zu
ſchwach dazu war, ſo ließen wir ihn, in einem an Tauen befeſtigten Trageſeſſel,
in die Hoͤhe winden, woruͤber er ſo viel Vergnuͤgen, als ſeine Landsleute
Erſtaunen bezeigte. Wir nahmen Gelegenheit das Geſpraͤch auf die be-
vorſtehende Expedition nach der Inſel Eimeo zu lenken, da er uns denn verſi-
cherte, daß ſie bald nach unſrer Abfahrt vor ſich gehen wuͤrde, und daß ihn ſeine
Unpaͤßlichkeit nicht abhalten ſollte, die Flotte in Perſon zu commandiren. Es
wuͤrde ja, ſetzte er hinzu, wohl nicht viel daran gelegen ſeyn, wenn ein ſo alter
Mann, als er, das Leben dabey verliehren ſollte, weil er in der Welt doch nicht
viel Nutzen mehr ſtiften koͤnnte. Seiner Krankheit ohnerachtet fanden wir ihn
uͤberaus heiter und luſtig. Ueberhaupt war ſeine Denkungsart edel, uneigennuͤtzig
und ſchien wahrhaft heroiſch zu ſeyn. Er nahm mit ſo vollem Herzen und einer ſo
ſichtbaren Ruͤhrung von uns Abſchied, daß es in jeder fuͤhlenden Seele Weh-
muth erregte, und einen Miſanthropen wieder mit der Welt haͤtte ausſoͤhnen koͤn-
nen. Maheine, der ihn an Bord begleitet hatte, entſchloß ſich kurz und gut mit uns
nach Raietea zu gehen, von da aus wollte er ſeine Verwandten und Freunde in den
Societaͤts-Inſeln nach der Reihe beſuchen, und dann, ſo bald er Gelegenheit
finden wuͤrde, wieder nach Tahiti zuruͤckkehren. Dieſer Gedanke war ſo un-
recht nicht. Er hatte in unterſchiednen von dieſen Inſeln eigenthuͤmliche Beſi-
tzungen, die er vortheilhaft los zu ſchlagen wuͤnſchte, um alle das ſeinige in Ta-
hiti
beyſammen zu haben. Ein ſolcher Plan war einer Reiſe werth. Er hatte
ſich verſchiedne Geſellſchafter mitgebracht, die aus Borabora gebuͤrtig waren,
dieſe ſtellte er dem Capitain Cook vor, und erklaͤrte dabey, daß der eine davon ſein
leiblicher Bruder ſey. Sie baten um Erlaubniß, auf unſerm Schiffe nach
[80]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
den Societaͤts-Inſeln gehen zu duͤrfen, und Capitain Cook bewilligte es ihnen
ohne Bedenken. Maheine eroͤffnete uns mit einer Art von Prahlerey, jedoch im Ver-
trauen, daß er vorige Nacht bey O-Purea die Aufwartung gehabt habe, und ſahe
es als eine große Ehre und als einen beſonderen Vorzug an; er zeigte uns auch
einige Stuͤcke ſehr feinen Zeuges, welche ſie ihm zur Belohnung der treu gelei-
ſteten Dienſte geſchenket haͤtte. O-Purea war alſo fuͤr die Freuden der Sinn-
lichkeit noch immer nicht zu alt, ohnerachtet in dieſem ſo warmen Clima die Wei-
ber fruͤher reifen, und folglich auch, verhaͤltnißweiſe, fruͤher alt und ſtumpf werden
ſollten als bey uns zu Laude. Da O-Tuh nicht an Bord gekommen war, ſo ſtatteten
wir bey ihm noch einen Beſuch ab, und ſahen bey dieſer Gelegenheit eine Anzahl
Krieges-Canots, am Geſtade von O-Parre vor Anker. Es waren ihrer vier und
vierzig, die insgeſammt nach Tittahah gehoͤrten, welches der kleinſte Diſtrict in
der nordweſtlichen Halbinſel von Tahiti iſt. O-Tuh lies in unſrer Gegenwart
einige Kriegs-Manoͤvres machen, die zu unſrer Verwundrung mit der groͤßten
Fertigkeit ausgefuͤhrt wurden. Die Befehlshaber waren alle in ihren Kriegsruͤ-
ſtungen mit Bruſtſchildern; aber ohne Helme. Wir fanden auch einige noch ganz
junge Knaben dabey, die gleichfals als Krieger gekleidet waren, und mit dem Speer
eben ſo geſchickt umzugehen wußten, als die Erwachſenen. Um die Wurfſpieße der
Feinde auszupariren, hatten ſie eine beſondre Methode. Sie ließen nemlich die
Spitze eines Speers oder einer langen Streitaxt gerade vor ſich auf dem Boden
ruhen, und hoben das andre Ende mit einer Hand ſo weit in die Hoͤhe, daß die Linie
des herabgeſenkten Speeres, gegen ihren Koͤrper zu, einen Winkel von ohngefaͤhr
25 bis 30 Grad ausmachte. In dieſer Richtung bewegten ſie den Speer, deſſen Spitze
immer auf ihrem Ruhepunkte blieb und folglich gerade vor ihnen aus ſtand, je nach-
dem der Wurf ihres Gegners es noͤthig machte, bald auf dieſe, bald auf jene Seite.
Durch dieſe einfache Bewegung ward der Speer des Feindes allemal ausparirt und
prallte ohne Schaden zu thun, an dem vorgelehnten Wurfſpieß ab. Etliche Canots
mußten auch im Rudern Evolutionen machen. Sie paßirten eines nach dem andern
durch die ſchmale Einfahrt des Felſenriefs; und ſobald ſie innerhalb hinein waren,
formirten ſie eine Linie und ſchloſſen dicht an einander. Auf dem mittelſten Canot
ſtand ein Mann hinter dem Streit-Geruͤſte, der den Ruderern mit einem gruͤnen
Zweige Signale gab, ſich links oder rechts zu wenden. Auf dieſe Art ruderten ſie wie
nach
[81]in den Jahren 1772 bis 1775.
nach dem Tact und ſo gleichfoͤrmig, daß man haͤtte glauben ſollen, die vielen hundert1774.
May.

Ruder wuͤrden alle nur durch ein mechaniſches Triebwerk in Bewegung geſetzt.
Der Oberaufſeher uͤber die Ruderknechte laͤßt ſich gewiſſermaßen mit dem Κελευζης
der alten Griechen vergleichen. Ueberhaupt fiel uns bey dem Anblick der Tahl-
tiſchen Flotte die Seemacht jener alten Republicaner ein, und wir nahmen in
der Folge Anlaß, beyde noch naͤher mit einander zu vergleichen. Das einzige ab-
gerechnet, daß die Griechen Metalle hatten, mochten ihre Waffen ſonſt wohl eben
ſo einfach, und ihre Art zu fechten, eben ſo unregelmaͤßig ſeyn als die Tahitiſchen,
was auch Vater Homer, als Dichter, nur immer daran verſchoͤnern mag.
Die vereinte Macht von ganz Griechenland, die ehemals gegen Troja in See
gieng, konnte nicht viel betraͤchtlicher ſeyn, als die Flotte, mit welcher O-Tu
die Inſel Eimeo anzugreifen gedachte; und ich kann mir die mille carinœ eben
nicht viel furchtbarer vorſtellen, als eine Flotte Tahitiſcher Kriegs-Canots, deren
eins von funfzig bis zu einhundert und zwanzig Ruderer erfordert. Die
Schiffarth der alten Griechen erſtreckte ſich nicht viel weiter, als heut zu Tage
die Tahitiſche. Von einer Inſel ſtach man zur andern heruͤber, das war alles.
Die damaligen Seefahrer im Archipelagus richteten bey der Nacht ihren Lauf
nach den Sternen; und ſo machen es die auf der Suͤdſee noch jetzt ebenfalls.
Die Griechen waren brav; und daß es die Tahitier nicht minder ſeyn
muͤſſen, beweiſen die vielen Narben ihrer Befehlshaber. Auch duͤnkt es mir
ſehr wahrſcheinlich, daß man ſich hier zu Lande, wenn es zur Schlacht kommen
ſoll, in eine Art von Raſerey zu verſetzen ſucht, dergeſtalt, daß die Bravour
der Tahitier blos eine Art von kuͤnſtlich erregtem Grimm iſt. Und,
ſo wie uns Homer die Schlachten der Griechen beſchreibt, ſcheint es, daß jener
Heroiſmus, der alle die von ihm beſungnen Wunder hervorbrachte, im Grunde
eben auch nichts anders war. Wir wollen einmal dieſe Parallele weiter ver-
folgen. Homers Helden werden als uͤbernatuͤrlich große und ſtarke Leute ge-
ſchildert; auf eben die Art haben die Tahitiſchen Befehlshaber, der Statur
und ſchoͤnen Bildung nach, ſo viel vor dem gemeinen Mann voraus, daß
ſie faſt eine ganz andere Art von Menſchen zu ſeyn ſcheinen. *) Natuͤrlicherweiſe
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. L
[82]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
wird eine mehr als gewoͤhnliehe Menge von Speiſe dazu erfordert, um einen mehr
als gewoͤhnlich großen Magen zu fuͤllen. Daher ruͤhmt der griechiſche Dichter
von ſeinen trojaniſchen Helden, daß ſie gar ſtattliche Mahlzeit gethan, und
eben das laͤßt ſich auch von den Tahitiſchen Befehlshabern ſagen. Ueberdem
haben es beyde Nationen mit einander gemein, daß ſie, eine wie die andere, am
Schweinefleiſch Geſchmack finden. Beyde kommen in der Einfalt der Sitten uͤberein
und ihre eigenthuͤmlichen Charactere ſind durch Gaſtfreyheit, Menſchenfreundſchaft
und Gutherzigkeit, faſt in gleichem Grade, vor andern ausgezeichnet. Sogar in
ihrer politiſchen Verfaſſung findet ſich eine Aehnlichkeit. Die Eigenthuͤmer
der Tahitiſchen Diſtricte ſind maͤchtige Herren, die gegen O-Tuh nicht mehr Ehr-
erbiethung haben, als die griechiſchen Helden gegen ihren Agamemnon; und
vom gemeinen Mann iſt in der Iliade ſo wenig die Rede, daß er unter den Grie-
chen von keiner groͤßeren Bedeutung geweſen zu ſeyn ſcheint, als die Tautaus
in der Suͤdſee. Die Aehnlichkeit beyder Voͤlker ließe ſich meines Erachtens noch
wohl in mehreren Stuͤcken ſichtbar machen; allein es war mir blos darum zu
thun, ſie durch einen Wink anzudeuten, und nicht durch eine lang gedehnte Ver-
gleichung die Geduld der Leſer zu mißbrauchen. Das Angefuͤhrte iſt wohl Be-
weis genug, daß Menſchen, bey einem gleichen Grade von Cultur, auch in den
entfernteſten Welttheilen einander aͤhnlich ſeyn koͤnnen. Indeſſen wuͤrde es
mir ſehr leyd thun, wenn dieſe fluͤchtigen Anmerkungen ungluͤcklicherweiſe
einen oder den andern gelehrten Projectmacher auf eine unrechte Spur brin-
gen ſollten. Die Thorheit, Stammbaͤume der Nationen zu entwerfen, hat
noch kuͤrzlich viel Unheil in der Geſchichte veranlaßt und die Egypter und Chi-
neſer auf eine wunderbare Art zu Verwandten machen wollen. Es waͤre daher
wohl zu wuͤnſchen, daß ſie nicht anſteckend werden und weiter um ſich greifen
moͤgte.


O-Tuh kam zu uns an Bord, um noch zu guter letzt bey uns zu ſpeiſen.
Er ſchlug meinem Vater und Herrn Hodges vor, ſie ſollten zu Tahiti bleiben,
und verſprach ihnen, im rechten Ernſte, ſie in den reichen Diſtricten von O-Par-
re
und Matavai, zu Eris zu machen. Ob er eigennuͤtzige Abſichten dabey hatte
oder ob dies Anerbieten bloß aus der Fuͤlle des Herzens kam, will ich nicht ent-
ſcheiten, doch kann man ſich wohl vorſtellen, daß kein Gebrauch davon gemacht
[83]in den Jahren 1772 bis 1775.
wurde, ſo gut es uͤbrigens gemeynet war. Unmittelbar nach dem Mit-1774.
May.

tags-Eſſen hoben wir den Anker und giengen unter Seegel. O-Tuh bat den
Capitain, daß er einige Kanonen abfeuern moͤgte und hielt bis auf den letzten
Mann bey uns aus. Als ſeine Unterthanen alle fort waren, nahm auch Er
Abſchied, und umarmte uns, einen nach dem andern, recht herzlich. Das be-
taͤubende Getoͤſe der Kanonen hinderte uns gewiſſermaßen in jene Art von Trau-
rigkeit zu ſinken, die bey ſolchen Gelegenheiten wohl zu erfolgen pflegt, oder der
ſanften Wehmuth nachzuhaͤngen, zu der wir, bey der Trennung von dieſem
unſchuldigen, gutgeſinnten, ſanften Volke berechtigt waren. Einer unſerer
Seeleute ſuchte ſich dieſe unruhigen Augenblicke zu Nutze zu machen, um un-
bemerkt nach der Inſel zu entwiſchen. Man ward ihn aber gewahr, als er darnach
hinſchwamm und ſahe zugleich einige Canots herbeyrudern, die ihn vermuthlich
aufnehmen wollten; der Capitain ließ ihm alſo gleich durch eins von unſern
Booten nachſetzen, ihn mit Gewalt zuruͤckbringen und zur Strafe fuͤr dieſen Ver-
ſuch vierzehn Tage lang in Ketten legen. Allem Anſchein nach, war die
Sache zwiſchen ihm und den Inſulanern foͤrmlich verabredet; denn ſie haͤtten
vielleicht eben ſo viel Nutzen davon gehabt, einen Europaͤer unter ſich zu be-
halten, als dieſer gefunden haben wuͤrde, unter ihnen zu bleiben. Wenn
man erwaͤgt, wie groß der Unterſchied iſt, der zwiſchen der Lebensart eines
gemeinen Matroſen am Bord unſers Schiffes, und dem Zuſtande eines Be-
wohners dieſer Inſel ſtatt findet; ſo laͤßt ſich leicht einſehen, daß es jenem
nicht zu verdenken war, wenn er einen Verſuch wagte, den unzaͤhlbaren Muͤh-
ſeligkeiten einer Reiſe um die Welt zu entgehen, und wenn er, ſtatt der mancher-
ley Ungluͤcksfaͤlle die ihm zur See droheten, ein gemaͤchliches, ſorgenfreyes
Leben in dem herrlichſten Clima von der Welt, zu ergreifen wuͤnſchte. Das
hoͤchſte Gluͤck, welches er vielleicht in Engelland haͤtte erreichen koͤnnen, ver-
ſprach ihm lange nicht ſo viel Annehmlichkeiten, als er, bey der beſcheidenen
Hoffnung, nur ſo gluͤcklich als ein ganz gemeiner Tahitier zu leben, vor ſich
ſahe. Er durfte ſich nicht ſchmeicheln, bey ſeiner Zuruͤckkunft nach England
von den Muͤhſeligkeiten der Reiſe um die Welt in Frieden ausruhen zu koͤnnen,
ſondern mußte ſich vielmehr gefaßt machen, ſogleich wieder auf ein andres
Schiff abgegeben zu werden, und bey eben ſo ungeſunder, elender Koſt, eben
L 2
[84]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
ſolchen Muͤhſeligkeiten, eben ſolchen Nachtwachen und Gefahren, als er kaum
uͤberſtanden hatte, von neuem wieder entgegen zu gehen. Sollte es ihm
aber auch wirklich gegluͤckt ſeyn, auf eine oder die andere Art zum ruhigen
Genuß des Lebens zu gelangen; ſo mußte er doch immer beſorgen, mitten
in ſeinen Freuden, gewaltſamer weiſe zum Dienſt geworben, und wider ſei-
nen Willen zum Streit fuͤrs Vaterland gezwungen zu werden, mithin, ent-
weder ſein Leben in der Bluͤthe ſeiner Jahre zu verlieren, oder das trau-
rige Schickſal eines elenden Kruͤppels zu haben. Geſetzt aber, er haͤtte
das alles vermeiden koͤnnen, ſo mußte er ſich in England doch wenigſtens
dahin bequemen, ſein taͤgliches Brod im Schweiß ſeines Angeſichts zu verdie-
nen, und die Wuͤrkung jenes allgemeinen Fluches zu empfinden, die Tahiti
nicht erreicht zu haben ſcheint, oder wenigſtens faſt gar nicht daſelbſt gefuͤhlet
wird. Unſer gemeines Volk iſt nun einmal zu lauter Plackereyen und zu
beſtaͤndigen Arbeiten beſtimmt. Ehe man den geringſten Gebrauch vom Kor-
ne machen kann, muß erſt gepfluͤgt, geerndtet, gedroſchen und gemahlen, ja
es muß hundertmal mehr davon gebauet werden, als der Ackersmann ſelbſt
verbrauchen kann, theils um das Vieh zu erhalten, ohne deſſen Huͤlfe kein
Feldbau beſtehet, theils auch, um das Ackergeraͤth und viel andre Dinge da-
fuͤr anzuſchaffen, die jeder Landwirth ſelbſt verfertigen koͤnnte, wenn die Weit-
laͤuftigkeit des Feldbaues ihm Zeit und Muße dazu uͤbrig ließe. Der Kaufmann,
der Handwerksmann, der Kuͤnſtler, muͤſſen alle eben ſo arbeitſam ſeyn, um
dem Landmanne das Korn und Brod wieder abzuverdienen. Wie iſt hingegen
beym Tahitier das alles ſo ganz anders! wie gluͤcklich, wie ruhig lebt nicht
der! Zwey oder drey Brodfruchtbaͤume, die beynahe ohne alle Handanlegung
fortkommen, und faſt eben ſo lange tragen, als der, welcher ſie gepflanzt hat, le-
ben kann; drey ſolche Baͤume ſind hinreichend, ihm drey Viertheile des Jah-
res hindurch, Brod und Unterhalt zu geben! Was er davon nicht friſch
weg eſſen kann, wird geſaͤuert, und als ein geſundes, wohlſchmeckendes Nah-
rungsmittel, fuͤr die uͤbrigen Monathe aufbewahret. Selbſt diejenigen Pflan-
zen, welche auf Tahiti die mehreſte Cultur erfordern, naͤmlich der Papyr-
Maulbeerbaum
und die Arumwurzeln, koſten einem Tahitier nicht
mehr Arbeit, als uns unſer Kohl- oder andrer Gartenbau. Die ganze
[85]in den Jahren 1772 bis 1775.
Kunſt und Muͤhe, einen Brodfruchtbaum anzuziehen, beſteht darin, daß man1774.
May.

einen gefunden Zweig abſchneidet und in die Erde ſteckt! Der Piſang ſproßt
alle Jahr friſch aus der Wurzel auf; die koͤnigliche Palme, dieſe Zierde der Ebenen,
und das nuͤtzlichſte Geſchenk, womit die guͤtige Natur ihre Schooßkinder, die
hieſigen Einwohner bedacht hat; der goldne Apfel, von deſſen heilſamen Eigen-
ſchaften wir eine ſo erwuͤnſchte Erfahrung gemacht haben, und eine Menge noch
andrer Pflanzen, die alle ſchießen von ſelbſt auf, und erfordern ſo wenig War-
tung, daß ich ſie faſt als gaͤnzlich wild wachſend anſehen moͤgte! Die Zuberei-
tung des Kleidungszeuges, womit ſich die Frauensperſonen allein abgeben, iſt
mehr fuͤr ein Zeitvertreib, als fuͤr eine wuͤrkliche Arbeit anzuſehen; und ſo
muͤhſam der Haus- und Schiff-Bau, imgleichen die Verfertigung des Handwerks-
zeugs und der Waffen, auch immer ſeyn moͤgen, ſo verliehren alle dieſe Ge-
ſchaͤfte doch dadurch viel von ihrer Beſchwerlichkeit, daß ſie ein jeder freywillig,
und nur zu ſeinem eigenen unmittelbaren Nutzen uͤbernimmt. Auf ſolche Art
fließt das Leben der Tahitier, in einem beſtaͤndigen Zirkel von mancherley
reizendem [Genuſſe] hin. Sie bewohnen ein Land wo die Natur mit ſchoͤ-
nen Gegenden ſehr freygebig geweſen, wo die Luft beſtaͤndig warm, aber von
erfriſchenden See-Winden ſtets gemaͤßigt, und der Himmel faſt beſtaͤndig
heiter iſt. Ein ſolches Clima und die geſunden Fruͤchte verſchaffen den Ein-
wohnern Staͤrke und Schoͤnheit des Coͤrpers. Sie ſind alle wohlgeſtaltet und
von ſo ſchoͤnem Wuchs, daß Phidias und Praxiteles manchen zum Modell
maͤnnlicher Schoͤnheit wuͤrden gewaͤhlt haben. Ihre Geſichtsbildungen ſind
angenehm und heiter, frey von allem Eindruck irgend einer heftigen Leiden-
ſchaft. Große Augen, gewoͤlbte Augenbraunen und eine hervorſtehende Stirn
geben ihnen ein edles Anſehen, welches durch einen ſtarken Bart und Haarwuchs
noch mehr erhoͤhet wird. *) Alles das, und die Schoͤnheit ihrer Zaͤhne, ſind
redende Kennzeichen ihrer Geſundheit und Staͤrke. Das andre Geſchlecht
iſt nicht minder wohl gebildet. Man kann zwar die hieſigen Weiber nicht
L 3
[86]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
regelmaͤßige Schoͤnheiten nennen, ſie wiſſen aber doch das Herz der Maͤnner zu
gewinnen, und erwarben ſich durch ungezwungne, natuͤrliche Freundlichkeit,
und durch ihr ſtetes Beſtreben zu gefallen, die Zuneigung und Liebe unſe-
res Geſchlechts. In der Lebensart der Tahitier herrſcht durchgehends eine gluͤck-
liche Einfoͤrmigkeit. Mit Aufgang der Sonne ſtehen ſie auf, und eilen ſogleich
zu Baͤchen und Quellen, um ſich zu waſchen und zu erfriſchen. Alsdenn arbei-
ten ſie, oder gehen umher, bis die Hitze des Tages ſie noͤthigt in ihren Huͤtten,
oder in dem Schatten der Baͤume, auszuruhen. In dieſen Erholungs-Stunden
bringen ſie ihren Kopfputz in Ordnung, das heißt: ſie ſtreichen ſich das Haar
glatt und ſalben es mit wohlriechendem Oel; zuweilen blaſen ſie auch die Floͤte, ſin-
gen dazu, oder ergoͤtzen ſich, im Graſe hingeſtreckt, am Geſange der Voͤgel.
Um Mittag, oder auch wohl etwas ſpaͤter, iſt ihre Tiſchzeit, und nach der Mahl-
zeit gehen ſie wieder an haͤusliche Arbeiten oder an ihren Zeitvertreib. Bey allem,
was ſie thun, zeigt ſich gegenſeitiges Wohlwollen, und eben ſo ſieht man auch die
Jugend in Liebe untereinander, und in Zaͤrtlichkeit zu den ihrigen aufwachſen. Mun-
trer Scherz ohne Bitterkeit, ungekuͤnſtelte Erzaͤhlungen, froͤhlicher Tanz und ein maͤſ-
ges Abendeſſen bringen die Nacht heran; und dann wird der Tag durch aberma-
liges Baden im Fluſſe beſchloſſen. Zufrieden mit dieſer einfachen Art zu leben,
wiſſen dieſe Bewohner eines ſo gluͤcklichen Clima, nichts von Kummer und
Sorgen, und ſind bey aller ihrer uͤbrigen Unwiſſenheit gluͤcklich zu preiſen


Ihr Leben fließet verborgen,
Wie klare Baͤche, durch Blumen dahin.
Kleiſt.
()

Das alles ſind freylich in den Augen ſolcher Leute, die nur an das Vergnuͤgen
der Sinnlichkeit denken, ſehr weſentliche Vortheile, und es war daher kein Wun-
der, daß ein Matroſe, der vielleicht noch weniger Ueberlegung haben mogte,
als ſeine Cameraden, nur auf die Freuden des gegenwaͤrtigen Augenblickes dachte.
Freylich, mit etwas mehr Beurtheilungskraft, wuͤrde er eingeſehen haben, daß
ein Menſch von ſeiner Art, der zu einem thaͤtigen Leben gebohren, mit tauſend
Gegenſtaͤnden bekannt, wovon die Tahitier nichts wiſſen, und gewohnt iſt, an
das Vergangne und Zukuͤnftige zu denken, daß der einer ſo ununterbrochnen Ruhe
[87]in den Jahren 1772 bis 1775.
und eines beſtaͤndigen Einerley, bald uͤberdruͤßig werden muͤſſe, und daß eine1774.
May.

ſolche Lage nur einem Volk ertraͤglich ſeyn koͤnne, deſſen Begriffe ſo einfach und
eingeſchraͤnkt ſind, als wir ſie bey den Tahitiern fanden.


Indeſſen ſind die Vorſtellungen, die man ſich von der Gluͤckſeligkeit
macht, bey unterſchiednen Voͤlkern eben ſo ſehr verſchieden, als die Grundfaͤtze,
Cultur und Sitten derſelben; und da die Natur, in den verſchiednen Gegenden
der Welt, ihre Guͤter bald freygebig, bald ſparſam ausgetheilt hat; ſo iſt jene
Verſchiedenheit in den Begriffen vom Gluͤck ein uͤberzeugender Beweis von
der erhabenen Weisheit und Vaterliebe des Schoͤpfers, der in dem Entwurf
des Ganzen, zugleich auf das Gluͤck aller einzelnen Geſchoͤpfe, ſowohl in den heiſ-
ſen als kalten Himmelsſtrichen, Ruͤckſicht nahm.


Fix ’d to no ſpot is happineſs ſincere
’Tis no where to be found or ev’ry where.

Pope.
()

Drit-
[88]Forſter’s Reiſe um die Welt

Drittes Hauptſtuͤck.
Zweeter Aufenthalt auf den Societaͤts-Inſeln.


1774.
May.

Ein raſcher Wind fuͤhrte uns ſchnell von Tahiti weg. [Noch] betrachteten
wir die ſchoͤnen Ausſichten dieſer Inſel, als ſich auf unſerm eigenen Verdeck
ein unerwarteter Anblick zeigte, der eines jeden Aufmerkſamkeit an ſich zog. Es
war nichts geringeres, als eins der ſchoͤnſten Maͤdchen, welches den Vor-
ſatz gefaßt hatte, mit uns nach ihrem Vaterlande, der Inſel Raietea, zuruͤck-
zugehen. Ihre Eltern, welchen ſie, vor ein Paar Jahren, ein gluͤcklicher
Liebhaber, nach Tahiti entfuͤhrt hatte, waren noch am Leben; und ſie konnte
der Sehnſucht, dieſelben wieder zu ſehen, jetzt nicht laͤnger widerſtehen.
Ihren Unwillen fuͤrchtete ſie alſo nicht, vielmehr hoffte ſie eine guͤtige Auf-
nahme, und in der That muß auch da, wo Eigennutz und Ehrgeitz nur
ſo wenig Herrſchaft haben als hier, ein jugendlicher Fehltritt des Herzens
leicht Verzeitzung finden. Sie hatte ſich, bey O-Tuh’s letzter Anwe-
ſenheit auf dem Schiff, verſteckt gehalten; weil er es ausdruͤcklich verboten,
daß keine Frauensleute mit uns von der Inſel weggehen ſollten, und kam auch
nicht ehe zum Vorſchein, bis wir in offner See waren. Naͤchſt ihr gieng auch
Maheine, nebſt ſeinem Bedienten und noch zwo andern Leuten von Borabora,
in dem feſten Zutrauen mit, daß ſie bey uns eben ſo gut aufgehoben ſeyn wuͤrden,
als ihr Landsmann Maheine waͤhrend der vorigen Reiſe. Ihre Geſellſchaft
half uns, waͤhrend der Ueberfahrt von Tahiti nach Huaheine, die Zeit ver-
kuͤrzen. Das Maͤdchen hatte eines Officiers Kleider angezogen, und gefiel ſich
in dieſer Tracht ſo wohl, daß ſie ſolche gar nicht wieder ablegen wollte. Sie trug
kein Bedenken, in Geſellſchaft der Officiers zu ſpeiſen, und lachte nur uͤber das
Vorurtheil, welches ihre Landsmaͤnninnen abhielt, ein gleiches zu thun. Ueber-
haupt zeigt ſie viel geſunde Vernunft, und wuͤrde ſich mit Huͤlfe einer guten Er-
ziehung ſelbſt unter den europaͤiſchen Damen vortheilhaft ausgezeichnet haben;
denn auch ohne alle Bildung ihres Verſtandes gefiel ſie einem jeden, ſchon durch
ihre natuͤrliche Lebhaftigkeit und Freundlichkeit.


Nach-
[89]in den Jahren 1772 bis 1775.

Nachdem wir die ganze Nacht hindurch fortgeſegelt waren, lag am fol-1774.
May.

genden Morgen die Inſel Huaheine vor uns, und des Nachmittags kamen wir,
in dem noͤrdlichen Arme des Havens Warre, ohngefaͤhr 50 Schritt weit vom
Ufer vor Anker. Dieſer geringen Entfernung vom Lande hatten wir manchen
Beſuch zu verdanken. Die Inſulaner brachten zum Theil Schweine zum Ver-
kauf, forderten aber Beile dafuͤr, die nun ſchon ſo ſelten bey uns waren, daß wir
ſie fuͤr wichtigere Gelegenheiten aufſparen mußten. Ori, der Befehlshaber der
Inſel, kam vor Untergang der Sonnen in einem kleinen Canot ebenfalls zu uns, und
brachte dem Capitain ein Schwein und einen Krieges-Bruſtſchild, wofuͤr ihm die-
ſer ein ſchickliches Gegengeſchenk machte. Er uͤberreichte auch noch einige
Pfefferwurzeln, ohne jedoch die Ceremonien zu beobachten, die zur Zeit unſrer
vormaligen Anweſenheit dabey ſtatt gefunden hatten. *) Abends ward es gaͤnz-
lich windſtill, und da das Schiff uͤberaus nahe am Ufer lag; ſo konnten wir an
dem haͤuslichen Abendzeitvertreib der Einwohner vom Bord her Antheil nehmen.
Wir ſahen mit Vergnuͤgen zu, wie ſie in den naͤchſten Huͤtten, um ihre Lich-
ter, die aus oͤhligten, auf einen duͤnnen Stock geſpießten Nuͤſſen beſtehen, ver-
traulich her ſaßen und mit einander plauderten. Einer der erſten, der am folgen-
den Tage an Bord kam, war Porea, der junge Burſche von Tahiti, welcher vor
einigen Monathen mit uns gereiſet und wieder Vermuthen zu Raietea geblie-
ben war **). Er geſtand uns, daß es blos zufaͤlligerweiſe und ganz wieder ſeine
Abſicht geſchehen ſey. Ein huͤbſches Maͤdchen, mit welchem er ſich in ein Liebes-
verſtaͤndniß eingelaſſen, habe ihn, gerade um die Zeit als er dem Capitain Cook
das Pulverhorn ſo eilfertig abgeliefert, an einen gewiſſen Ort hin beſtellt. Als
er ſich aber daſelbſt eingefunden, habe ihn, ſtatt ſeiner Geliebten, der Vater dieſer
Schoͤne mit einigen handfeſten Kerls erwartet, ihn derb abgepruͤgelt, ſeiner euro-
paͤiſchen Kleider beraubt, und bis nach unſrer Abreiſe gefangen behalten. So bald
er hierauf wieder in Freyheit geſetzt worden, ſey er mit der erſten Gelegenheit hieher
nach Huaheine gegangen. Die Gaſtfreyheit ſeiner hieſigen Freunde, mußte ihm
ganz gut behagen, denn er war dick und fett davon geworden. Aus der klaͤglichen Ge-
ſchichte des armen Porea, laͤßt ſich meines Erachtens ſo viel abnehmen, daß die Toͤch-
ter hier zu Lande, bey ihren Liebeshaͤndeln, nicht immer nach eignem Wohlgefallen zu
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. M
[90]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
Werke gehen duͤrfen. Doch weiß ich nicht, ob der Vater dieſer Schoͤne ſich deshalb
fuͤr befugt halten konnte, den ehrlichen Porea bis auf die Haut auszuziehen.


Wir giengen dieſen Morgen ziemlich fruͤh aus Land, nach den ſalzigen Seen
hin, die man nordwaͤrts ohnweit des Havens antrifft. Vom Meere ſind ſie
blos durch einen ſchmalen Felſen-Rief getrennt, der uͤberall mit Cocos-Palmen
bewachſen iſt, ohnetachtet er nur um ein ganz weniges uͤber die Oberflaͤche des
Meeres hervorragt, auch mit Sande kaum recht bedeckt iſt. Unmittelbar von
dieſem Felſen-Damm an, wird der Boden, rings um den ganzen See her, mo-
raſtig, und vertieft ſich ſchraͤg gegen das Ufer herab, welches aus bloßem Schlamm
beſteht, der, ſowohl dem aͤußern Anſehen als dem uͤblen Geruche nach, eine Art
von Schwefel-Leber enthalten muß. In den aͤußerſten Suͤmpfen wachſen aller-
hand Oſt-Indianiſche Pflanzen, und auf dem See gab es ganze Schaaren von
wilden Enten, denen aber nicht fuͤglich beyzukommen war, weil man befuͤrch-
ten mußte, in dem Moraſt zu verſinken. Dieſe Unannehmlichkeit ausgenom-
men, iſt die Gegend hier herum in der That recht mahleriſch ſchoͤn, jedoch nur
wenig bewohnt, vielleicht, weil die Eingebohrnen die Ausduͤnſtungen des
ſchlammigen Ufers fuͤr ungeſund halten. Einer von den Inſulanern bewir-
thete uns auf dieſem Spaziergange mit Cocos-Nuͤſſen, die um jetzige Jahreszeit
hier etwas ſeltnes waren. Auf dem Ruͤckwege ward unſer Bediente, der ei-
nen Sack mit Pflanzen, nebſt einem andern voll kleinem Eiſengeraͤthe trug, we-
nige Schritte hinter uns, von etlichen Indianern angefallen und zu Boden ge-
worfen. Ohne Zweifel wollte man ihn ſeiner Habſeligkeiten berauben, da
wir es aber gerade noch zu rechter Zeit gewahr wurden; ſo machten ſich die
Raͤuber eilfertigſt aus dem Staube. Dies war das zweytemal, daß unſre
Leute auf dieſer Inſel ſo kuͤhn und freventlich waren angegriffen worden; uͤber-
haupt ſchienen auch die hieſigen Einwohner, unter der ſchlaͤfrigen Regierung des
alten Ori ausſchweifender zu ſeyn als ihre Nachbaren, die Tahitier und andre
Voͤlker der Societaͤts-Inſeln.


Der vorgedachte Befehlshaber kam uns diesmal noch weit unthaͤtiger und
abgelebter vor, als bey unſerm erſten Beſuche. Seine Verſtandes- und See-
lenkraͤfte ſchienen merklich abgenommen zu haben. Seine Augen waren ganz
roth und entzuͤndet; und der ganze Coͤrper mager und ſchaͤbicht. Die Urſach
[91]in den Jahren 1772 bis 1775.
blieb uns nicht lange verborgen. Wir bemerkten nemlich, daß er jetzt dem Trunk ſehr1774.
May.

ergeben war, und von der ſtaͤrkſten Art des berauſchenden Pfeffergetraͤnkes, große
Portionen zu ſich zu nehmen pflegte. Maheine hatte die Ehre, einige Naͤchte
hintereinander mit ihm zu zechen, und ließ ſich’s jedesmal ſo gut ſchmecken, daß
er des Morgens gemeiniglich mit gewaltigem Kopfweh erwachte.


Am andern Morgen machten wir von neuem einen Spatziergang nach
den Landſeen und brachten eine Menge Corallen, Muſcheln und Meer-Igel
(echinos) von daher zuruͤck, welche die Eingebohrnen an der Kuͤſte fuͤr uns auf-
geleſen hatten. Von unterſchiednen Befehlshabern erhielten wir Schweine und
Bruſtſchilder zum Geſchenk. Sie kamen bloß in der Abſicht, ihre alte Bekann-
ten zu beſuchen, und wollten daher auch, das was ſie mitbrachten, nicht eher
verkaufen oder abgeben, bis ſie vorgelaſſen wurden und die Freunde ſelbſt zu ſehen
bekamen, denen ſie ein Geſchenk zugedacht hatten. Den Tag nachher beſtie-
gen wir einen Berg, der ganz mit Brodfrucht-Pfeffer- und Maulbeerbaͤu-
men,
imgleichen mit Ignamen und Arums-Wurzeln bepflanzt war. Die
Maulbeerbaͤume waren mit beſonderem Fleis gewartet; ſie hatten den Boden zwi-
ſchen ſelbigen ſorgfaͤltig gejaͤthet, und theils mit zerbrochnen Muſcheln, theils
mit Corallen geduͤnget. Ueberdem war die ganze Plantage mit einem tiefen
Rain oder Graben umzogen, damit das Waſſer ablaufen moͤgte. An manchen
Stellen hatte man auch das Farrnkraut und andres Geſtraͤuch niedergebrannt, um
den Boden von neuem zu beſtellen. Ziemlich weit den Berg hinauf fanden wir ein
Haus, deſſen Bewohner, eine alte Frau und ihre Tochter, uns ungemein gaſt-
frey bewirtheten. Wir gaben ihnen etliche Glas-Corallen, Naͤgel und rothe
Federn, welche letztere ſie nicht ſowohl als brauchbar, ſondern vielmehr nur als
eine Seltenheit annahmen. Ueberhaupt urtheilte man von dieſer Waare hier
weit richtiger als zu Tahiti. Man hielt ſie nemlich fuͤr bloßen Flitterſtaat, dem
es an inneren Werth gaͤnzlich fehle, und wollte daher auch nichts wahrhaft nutz-
bares dafuͤr hergeben, ſondern verlangte, fuͤr Schweine und andre Lebensmittel,
Beile und kleineres Eiſengeraͤth. Dieſe Forderung war gar nicht unbillig, wir
hatten ſie uns auch ehemals ſchon gefallen laſſen, bey unſrer diesmaligen Anwe-
ſenheit aber giengen wir ſie nicht ein, weil es uns jetzt an friſchem Fleiſche nicht
fehlte, der Vorrath von Eiſenwerk hingegen ſchon merklich abgenommen hatte.
M 2
[92]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
Daß die Bewohner von Huaheine und von Tahiti, uͤber den Werth der rothen
Federn, ſo verſchiedener Meynung waren, ruͤhrt angenſcheinlich von der natuͤr-
lichen Verſchiedenheit dieſer beyden Inſeln her, und beweiſet, daß das Volk
dort wohlhabender ſeyn muͤſſe als hier. Die Urſach davon war auch leicht ausfin-
dig zu machen, denn es giebt hier in Huaheine nur wenig ebenes Land, und
folglich muͤſſen die Einwohner bey der Beſtellung des Feldes die Berge mit zu
Huͤlfe nehmen, um den noͤthigen Unterhalt zu gewinnen. Da es ihnen auf ſolche Art
um ein gutes ſaurer wird, als den Tahitiern, ſich Lebensmittel zu verſchaffen; ſo
ſetzen ſie auch einen hoͤheren Werth auf dieſelben und koͤnnen dem Luxus nicht ſo
nachhaͤngen, als jene.


In den folgenden Tagen wurden wir verſchiedentlich, und zum Theil auf
eine ſehr verwegne Art beſtohlen, ohne daß wir im Stande waren, uns dafuͤr
Erſatz zu verſchaffen. Wen man indeſſen auf der That ertappte, der ward exem-
plariſch beſtraft. Eine Geſellſchaft von Subaltern-Officiers war nach einem
Berge hin aufs Vogelſchießen ausgegangen und hatte einen Seeſoldaten mitge-
nommen, um ſich ein Paar Beile und andere kleine Eiſengeraͤthſchaften nach-
tragen zu laſſen. Unterwegens verſagten ihnen die Flinten einigemale:
Dies mogte einem Indianer, der ihnen nachſchlich, Muth machen, eins
zu wagen. Als daher der Soldat den Beutel einmal niederlegte, hatte
ihn der Inſulaner angenblicklich erhaſcht und rannte mit ſelbigem davon. Am
folgenden Tage wohnten eben dieſe Herren einem Hiwa oder oͤffentlichen Tanze
bey. Gluͤcklicherweiſe trafen ſie den Dieb unter den Zuſchauern an. Er ge-
ſtand ſein Vergehen, und verſprach, wenn ſie ihm verzeihen wollten, zur Ver-
guͤtung des Entwendeten etliche Bruſtſchilder zu bringen, die mit den Beilen faſt
immer in gleichem Werth ſtanden. Dieſes Anerbieten ließen ſie ſich gefallen,
und am folgenden Tage ſtellte ſich der Mann, ſeiner Zuſage nach, richtig ein; er
gehoͤrte folglich noch nicht zu unſern verhaͤrteten Boͤſewichtern, bey denen al-
les Gefuͤhl erſtorben iſt, ſondern wußte die Großmuth, welche man ihm er-
wieſen hatte, dankbar zu ſchaͤtzen. Ein andrer, der ein Pulverhorn zu ſtehlen
ſuchte, ward ertappt und bekam eine volle Ladung Schlaͤge. Die Inſulaner
ließen ſogar ihre eigne Landsmaͤnnin, die von Tahiti aus mit uns hieher ge-
kommen war, nicht unangetaſtet. Als ſie ſichs einſt am wenigſten verſahe, ward
ſie in einem Hauſe uͤberfallen, und ſollte die europaͤiſche Kleidung, die ſie ſeit
[93]in den Jahren 1772 bis 1775.
ihrem Hierſeyn beſtaͤndig trug, mit Gewalt hergeben. Zum Gluͤck kamen noch1714.
May.

einige von unſern Leuten dazu und verjagten die Raͤuber. Dieſer Vorfall
hatte aber das arme Maͤdchen in ſolche Furcht geſetzt, daß ſie ſich nachher nie
wieder ohne Geſellſchaft aus Land wagte.


Indeſſen waren das die Drangſale, welche unſre Schoͤne hier erleben
mußte, noch nicht alle, und gerade heute Abend wiederfuhr ihr ein recht ſchmaͤh-
liger Schimpf. Sie wohnte nemlich, in Geſellſchaft etlicher Officiers, einem
Hiwa, oder dramatiſchen Tanze bey; aber ungluͤcklicherweiſe hatte man
ihre eigene Geſchichte zum Gegenſtand des Stuͤcks gewaͤhlt, und ſuchte
ihre ehemalige, romauhafte Entweichung von der Inſel laͤcherlich zu
machen. Sie wollte vor Schaam und Thraͤnen vergehen, und es koſtete ihren Ge-
ſellſchaftern den Officiers, nicht wenig Zureden, daß ſie bis an das Ende des Stuͤckes
aushielt. Die letzte Scene, worinn die Aufnahme vorgeſtollt ward, welche ſie bey
ihren Eltern wuͤrde zu gewarten haben, fiel, ſo wie es die Comoͤdianten eingerich-
tet hatten, gar nicht ſchmeichelhaft fuͤr das troftloſe Maͤdchen aus. Es wird dieſer
Nation leicht, ſolche kleine Stuͤcken aus dem Stegereif aufzufuͤhren, und nichts iſt
wahrſcheinlicher, als daß dieſes hier eine Satyre gegen das Maͤdchen ſeyn, und
andre vor ihrem Beyſpiel warnen ſollte. *)


Am 19ten machten wir einen Spatziergang nach dem langen Seearm,
wo Dr. Sparrmann, bey unſrer ehemaligen Anweſenheit, vor ohngefaͤhr
acht Monathen, war angefallen und beraubt worden. **) Das Wetter ließ ſich
zum Regen an, und die erſten Guͤſſe wurden ſo heftig, daß wir in einer kleinen
Huͤtte unter Dach traten, um nicht bis auf die Haut durchnaͤſſet zu werden. In
dieſer Huͤtte wohnte eine Familie, die uns ſehr freundſchaftlich aufnahm, und
ſogleich Fiſche, nebſt friſcher Brodfrucht vorſetzte, denn Eſſen und Trinken iſt
bey den Voͤlkern der Suͤdſee allemal die erſte Probe der Gaſtfreyheit. Eine
aͤltliche Frau von einigem Anſehen und Stande, hatte nebſt ihrem Knecht, der ein
Schwein nach ihrem Hauſe bringen ſollte, hier ebenfalls Obdach geſucht. Als
der Regen voruͤber war und wir gemeinſchaftlich mit einander fort giengen, bot
M 3
[94]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
uns die gute Frau nicht nur das Schwein zum Geſchenk an, ſondern bat zugleich,
daß wir mit nach ihrer Wohnung kommen moͤgten, die ziemlich weit von hier
liegen ſollte. Da wir uns bey dieſem Spatziergange eben keinen beſtimmten
Plan gemacht hatten, ſo war es uns ziemlich gleichguͤltig, hie oder da hinzuge-
rathen, und alſo folgten wir ihr. Der Regen hatte den Weg ſo ſchluͤpfrig ge-
macht, daß man ſehr behutſam gehen mußte: doch wurden wir, fuͤr dieſe Unan-
nehmlichkeit, durch die Menge neuer Pflanzen, welche hier anzutreffen wa-
ren, vollkommen ſchadlos gehalten. Unſere Fuͤhrerin brachte uns, von dem
Berge, nach der andern Seite der Inſel, gegen das Meer zu, herab, und ehe
wir noch die Ebene erreichten, hatte ſich das Wetter ſchon voͤllig wieder auf-
geklaͤrt. Das Geſtade machte in dieſer Gegend eine angenehme Bay aus,
die durch einen weit ins Meer laufenden Corallen-Rief gedeckt war, und inner-
halb deſſelben lag eine kleine Inſel, auf welcher ſich ganze Heerden von wilden
Enten, Brachhuͤhnern und Schnepfen aufhielten. Indeß wir hier eine Weile
auf der Jagd zubrachten, ſorgte unſre gutherzige Freundin dafuͤr, daß die an-
weſenden Indianer allerhand Erfriſchungen herbeyſchaffen mußten, und nachdem
wir Wildpret genug geſchoſſen, ſo folgten wir ihr von neuem uͤber einen ſeitwaͤrts
gelegnen Berg, und kamen endlich, durch ein ſchoͤnes, angebautes Thal, zu
ihrer Wohnung, die am Ufer des Meetes lag. Hier trafen wir einen Alten,
der ihr Ehemann war, und eine zahlreiche, zum Theil ſchon erwachſene Familie
an; Sie bewirtheten uns recht herrlich mit geſtobten Huͤhnern, Brodfrucht und
Cocos-Nuͤſſen, und ließen uns nach der Mahlzeit in ihrem Canot wieder aus Schiff
bringen, welches zur See 5 Meilen, aber dem Landwege nach, wohl noch einmal ſo
weit von hier entfernet lag. In dem Betragen dieſer guten alten Frau, war
etwas ſo ſorgſames, als ich, ſelbſt an den gaſtfreyeſten Perſonen, deren mir
in dieſen Inſeln doch ſo viele vorgekommen waren, nicht leicht bemerkt hatte.
Und wie herzlich freute es mich, hier einen abermaligen Beweis von der ur-
ſpruͤnglichen Guͤte des menſchlichen Herzens vor mir zu ſehen, das in dem ſich
ſelbſt uͤberlaßnen Stande der Einfalt, von Ehrgeiz, Wolluſt und andern Leiden-
ſchaften noch unverdorben, gewiß nicht boͤſe iſt.


Am folgenden Tage (den 20ſten) blieben wir den ganzen Vormittag uͤber
am Bord; nach Tiſche aber giengen wir mit Capitain Cook aus Land, und nach
[95]in den Jahren 1772 bis 1775.
einem großen Hauſe, welches, gleich einem Carawanſerai, von unterſchiednen Fa-1774.
May.

milien bewohnt wurde, die hieher gekommen waren, um uns naͤher zu ſeyn.
Es befanden ſich einige Befehlshaber von geringern Range darunter; Ori aber
war nach einer andern Gegend der Inſel hingegangen. Wir hatten uns noch nicht
lange mit ihnen unterhalten, als verſchiedne Indianer die Nachricht brachten,
daß der erſte und zweete Lieutenant, nebſt einem von unſern Lootſen, durch eine
Parthey Raͤuber voͤllig ausgepluͤndert worden waͤren. Dieſe Bothſchaft verbrei-
tete unter den anweſenden Indianern ein allgemeines Schrecken, und die meh-
reſten ſuchten ſich, aus Furcht fuͤr unſerer Ahndung, ſogleich mit der Flucht
zu retten. Wir ſelbſt waren uͤber das Schickſahl unſrer Gefaͤhrten nicht wenig
verlegen, weil das Tahitiſche Wort Matte, ſo wohl pruͤgeln, als wuͤrklich todt-
ſchlagen bedeutet, und man, alles Nachfragens ohnerachtet, nicht ausfuͤndig ma-
chen konnte, in welchem Sinn es hier gemeynet ſey. Unſre Beſorgniß dauerte
jedoch nicht lange, denn wir ſahen die fuͤr verlohren gehaltnen Herren, un-
beſchaͤdigt, in ihrer voͤlligen Kleidung und Jaͤger-Ruͤſtung wieder kom-
men. Sie erzaͤhlten, daß, als ſie bey den Landſeen auf der Jagd geweſen, man ſie
unverſehens uͤberfallen, und, ihrer Vogelflinten, die ſie gutwillig nicht abgeben
wollten, mit Gewalt beraubt, auch mit Schlaͤgen ſehr gemißhandelt
haͤtte. Endlich ſey noch ein Befehlshaber dazu gekommen, durch deſ-
ſen Vermittelung ihnen die Raͤuber ihre Flinten und andre abgenommne Sachen
wieder zuruͤckgegeben haͤtten. Ganz vergnuͤgt, daß die Geſchichte einen beſſern
Ausgang gewonnen, als zu beſorgen ſtand, kehrten wir allerſeits an Bord zuruͤck,
bemerkten aber, daß die Einwohner ſich aus dieſer Gegend groͤßtentheils verliefen.
Am folgenden Morgen ließ Orih dem Capitain durch Maheinen, der am Lande
geſchlafen hatte, wiſſen, daß die geſtrige That durch dreyzehn Mann begangen
worden, daß er aber ohne Capitain Cooks Huͤlfe nicht im Stande ſeyn wuͤrde,
dieſe Boͤſewichter zur Strafe zu ziehen; er moͤgte ihm alſo zwey und zwanzig be-
waffnete Leute zuſchicken, (welche Anzahl er durch eben ſo viel Stoͤckchen andeu-
ten ließ) alsdann wolle er noch einige ſeiner Krieger dazu nehmen und gegen die
Rebellen marſchiren. Capitain Cook zweifelte, ob er Orihs Bothſchaft recht
verſtanden habe, er kehrte alſo mit Maheinen nach dem Lande zuruͤck, um den
Befehlshaber ſelbſt daruͤber zu befragen, konnte aber, in Ermangelung genugſa-
[96]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
mer Sprachkenntniß, nicht naͤhere Erkundigung einziehen. In dieſer Ungewißheit
berief er bey ſeiner Ruͤckkunft die Officiere zuſammen, und uͤberlegte die Sache
mit ihnen: Da geſtand denn der zweyte Lieutenant offenherzig, daß von ihrer Seite
der erſte Angriff geſchehen ſey, und daß ſie ſelbſt ſich ihren Unſtern zugezogen
haͤtten. Es habe nemlich einer von ihnen, auf dem See ein Paar wilde End-
ten geſchoſſen, und einen von den Indianern gebeten, ſie aus dem Waſ-
ſer zu hohlen; dieſer aber, ob ers wohl vorher ſchon mehrmalen gethan,
habe ſich nicht laͤnger als Pudel wollen gebrauchen laſſen; dies habe der Officier
unbilligerweiſe uͤbel genommen, und den armen Kerl ſo lange gepruͤgelt, bis er
ſich dazu bequemet. Er ſey hierauf mit ganz eigenthuͤmlicher Fertigkeit, halb
ſchwimmend und halb gehend, durch den dicken Schlamm bis nach dem Waſſer
hin durchgedrungen, als er aber die wilden Endten, die weit vom Ufer entfernt ge-
legen, erreicht gehabt, ſey er damit nach den jenſeitigen Strand zu geſchwommen,
vielleicht in der Ueberzeugung, daß ihm, zur Entſchaͤdigung fuͤr die erlittne Miß-
handlung und angewandte Muͤhe, dieſes Wildpret mit Recht gebuͤhre. Unſer
Seemann hingegen, der keinesweges gleicher Meynung geweſen, habe ſein Ge-
wehr mit einer Kugel geladen und nach dem Indianer geſchoſſen, zum Gluͤck aber
nicht getroffen. Hierauf habe er zum zweytenmal laden wollen, allein die Anwe-
ſenden Indianer, die ihren Landsmann einer ſo unbedeutenden Urſach wegen in
Lebensgefahr geſehen, haͤtten dem Schuͤtzen das Gewehr abgenommen; er habe
zwar um Huͤlfe gerufen, ſie waͤren aber ſaͤmmtlich eben ſo wie jener, umringt
geweſen. Gleichwohl habe einer von ihnen Mittel gefunden ſein Gewehr abzufeuern
und einem Indianer eine Ladung Schroot ins Bein zu ſchießen, dadurch waͤren jedoch
die uͤbrigen nur immer mehr erbittert worden, und haͤtten dieſe neue Gewaltthaͤtigkeit
durch unbarmherzige Pruͤgel geraͤchet. Maheinens Knecht, ein ſtarker unterſetzter
junger Kerl, der bey dieſem Vorfall mit zugegen geweſen, habe fuͤr unſre Herren
ganz verzweifelt gefochten, ſey aber von der Menge uͤberwaͤltigt worden. Durch
dieſes Geſtaͤndniß bekam die Sache ein ganz andres Anſehen; dem ohnerachtet wollte
der Capitain den Befehlshaber nochmals um ſeine Meynung fragen, und bat zu
dem Ende, daß ihn mein Vater begleiten moͤgte, weil dieſer von der Landes-
Sprache mehr verſtand, denn ſonſt irgend jemand am Bord. Orih eroͤfnete
ihnen, ſeine Abſicht ſey, wir ſollten auf die Haͤuſer der Leuthe losgehen, die ſich
ſelbſt
[97]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſelbſt Recht verſchafft hatten, und die vermuthlich auch gegen ihn ſich auf-1774.
May.

gelehnet haben mogten; er wolle alsdann ihre Schweine und alle uͤbrige Habſelig-
keiten wegnehmen und ſie uns zur Schadloshaltung preiß geben. Mit dieſer Er-
klaͤrung kam Capitain Cook aus Schiff zuruͤck und beorderte eine Parthey ausge-
ſuchter Mannſchaft, die mit Inbegriff der Officiere, Dr. Sparrmanns, meines
Vaters und nebſt mir, aus ſieben und vierzig Mann beſtand, ihn zu begleiten. Es
konnte des Capitains Abſicht hierbey wohl gewiß nicht ſeyn, dem alten Ori,
Beyſtand gegen ſeine rebelliſche Unterthanen zu leiſten, zumal da dieſe ſo viel
Urſach hatten, ſich uͤber die von den unſrigen erlittne Mißhandlung zu beſchwe-
ten; ſondern er wollte vermuthlich den Inſulanern nur uͤberhaupt zeigen, daß
ihr eigenmaͤchtiges Verfahren ihm nicht gefalle. Dem ſey wie ihm wolle, wir
landeten und marſchirten mit Ori und einigen wenigen Indianern nach der Ge-
gend hin, wo die Gewaltthaͤtigkeit vorgegangen war. Je weiter wir vorruͤck-
ten, deſto groͤßer ward der Zulauf von Indianern. Die Zahl unſrer Begleiter
belief ſich in kurzem auf etliche hundert Mann, und ſie fiengen zum Theil ſchon
an, aus den naͤchſtgelegnen Haͤuſern Waffen zu holen. Ori ſelbſt ſchleppte einen
10 Fuß langen Speer mit ſich, deſſen Spitze aus dem zackigten Stachel eines
Rochen beſtand. Nachdem wir zwo Meilen weit vorgedrungen waren, ward
Halte gemacht, und wir erfuhren durch Maheinen, daß die Indianer uns ein-
zuſchließen und vom Schiff abzuſchneiden gedaͤchten. Capitain Cook ließ ſich aber
dadurch nicht abſchrecken, ſondern befahl nur, daß der Haufen, der uns nach-
folgte, nicht weiter vorruͤcken ſollte, damit wir, im Fall eines Angriffes, Freund
und Feind deſto beſſer unterſcheiden koͤnnten: Ori hingegen, der nebſt etlichen an-
dern Befehlshabern bey ſeinen Leuten bleiben wollte, mußte weiter mit uns fort.
Von hier aus ſtießen wir nach einem Marſche von 3 Meilen, auf einen
Scheideweg. Der eine dieſer beyden Wege gieng uͤber einen ſteilen Felſen, der
andre hingegen ſchlaͤngelte ſich am Fuß des Berges herum. Der Capitain waͤhlte
den erſteren; das Heraufſteigen war ſehr muͤhſam, auf der andern Seite aber fan-
den wir Tritte in den Felſen gehauen, vermittelſt deren man ungleich bequemer
nach der Ebene herab kommen konnte. Dieſer Paß war fuͤr die Sicherheit
unſrer Ruͤckkehr ſo wichtig, daß ihn der Capitain durch einen Theil ſei-
ner Leute wollte beſetzen laſſen; da er aber ſahe, daß, Oris ausdruͤckli-
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. N
[98]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
chem Befehl zuwider, der große Haufe von Indianern, der zuruͤck-
bleiben ſollte, dennoch langſam nachkam; ſo duͤnkte es ihm der Klugheit ge-
maͤß, den ganzen Operations-Plan aufzugeben und geraden Weges wieder um-
zukehren und die Indianer ließen ſich leicht bereden, es geſchehe aus kei-
ner andern Urſach, als weil der Feind ſchon zu weit entfernt ſey und man
ihn nicht weiter verfolgen moͤgte. Auf der Haͤlfte des Ruͤckweges, kamen
wir bey einem geraͤumlichen Hauſe voruͤber, darinn uns Ori Cocos-Nuͤſſe vor-
ſetzen ließ. Waͤhrend daß wir dieſe Erfriſchungen verzehrten, brachten einige
Indianer junge Piſang-Sproſſen, nebſt zween Hunden, und einem Ferken
herbey. Alles dieſes uͤberreichten ſie dem Capitain nach einer langen Rede, da-
von wir zwar herzlich wenig verſtanden, die ſich aber, allen Umſtaͤnden nach,
auf die Veranlaſſung unſeres Feldzuges beziehen mußte. Außerdem ward uns
noch ein großes Schwein vorgezeigt, aber auch wieder weggetrieben. So bald
dieſe Ceremonie voruͤber war, eilten wir nach dem Strande hin und kamen da-
ſelbſt um Mittagszeit an. Der Capitain ließ die Mannſchaft, dem Schiffe
gegen uͤber, ihre Gewehre Plotton-weiſe in die See feuern, und wir vergnuͤgten
uns an dem Erſtaunen der Indianer, die nicht vermuthet hatten, daß die Kugeln ſo
weit reichten, und daß wir mit unſern Flinten ein beſtaͤndiges Feuer unterhalten
koͤnnten. Solchergeſtalt lief die vorgehabte Kriegs-Expedition ohne Blut-
vergießen ab, ſo wie es alle diejenigen unter uns gewuͤnſcht hatten, denen das Le-
ben ihrer Mitmenſchen keine geringſchaͤtzige Kleinigkeit zu ſeyn duͤnkte. Andere
hingegen ſchienen ganz unzufrieden damit, daß es nicht zum Todſchlagen gekommen
war. An die ſchrecklichen Auftritte des Krieges und Blutvergießens gewoͤhnt,
thaten ſie, als ob es gleich viel ſey, nach Menſchen, oder nach einem Ziele
zu ſchießen.


Unſer militaͤriſcher Kreuzzug mogte die Inſulaner abgeſchreckt haben, an
Bord zu kommen, wenigſtens wurden dieſen Nachmittag nur wenig Fruͤchte zum
Verkauf gebracht. Den andern Morgen aber erhielten wir von unſern Bekannten
mancherley Geſchenke, zum Zeichen, daß nun alles wieder beygelegt ſey. Unter andern
beſuchte uns auch ein Befehlshaber, Namens Morurua, der eine beſondre Zu-
neigung gegen meinen Vater gefaßt hatte, in Begleitung ſeiner Frau und allen
Angehoͤrigen. Keiner kam mit leeren Haͤnden, und daher ließen auch wir niemand
[99]in den Jahren 1772 bis 1775.
unbeſchenkt von uns. Morurua aber hielt ſich durch das, was wir ihm1774.
May.

gaben, weit uͤber ſein Verdienſt belohnt, und gab uns durch redende Blicke,
ſeine Freude und Dankbarkeit dafuͤr zu erkennen. Am folgenden Morgen, als
wir eben von der Inſel abſeegeln wollten, kam er nochmals an Bord, brachte
uns wiederum Geſchenke und nahm endlich mit vielen Thraͤnen Abſchied.


Maheinens drey Freunde blieben bey unſerer Abreiſe allhier zuruͤck,
dagegen nahmen wir einen andern Indianer an Bord, den Ori mit einer Both-
ſchaft an O-Puni, den Koͤnig von Borabora abſchickte. Dieſer Abgeſand-
te ſchien ein ſehr einfaͤltiger Tropf zu ſeyn; doch ließ er ſich das Geheimniß ſei-
nes Auftrages nicht abfragen, woran uns auch, im Grunde ſo gar viel nicht
gelegen war. Sein Name ſchickte ſich ungemein gut zu ſeinem jetzigen Ge-
ſchaͤfft, denn er hieß Hurry-Hurry, welches im Engliſchen ſo viel als Eile, Eile!
bedeutet.


Am naͤchſten Mittage (den 24) ankerten wir bey der Inſel Raietea,
und zwar in. Haven Hamaneno, brachten aber bis Abends zu, ehe wir das
Schiff mitten in den Haven hereinbugſieren konnten. Der Befehlshaber O-
Rea
kam an Bord und ſchien hoͤchſt vergnuͤgt uͤber unſre Wiederkunft. Ohne
Zweifel mußte es uns auch durchgehends zur großen Empfehlung gerei-
chen, daß Maheine und Hurry-Hurry ſich uns anvertrauet hatten. Am
folgenden Morgen begleiteten wir den Capitain nach Orea’s Hauſe, wo-
ſelbſt wir ſeine Frau und ſeine Tochter Poyadua antrafen. Bey un-
ſerm Eintritt in die Huͤtte waren dieſe beyde Frauensperſonen in vollem Weinen
begriffen, und die Mutter verwundete ſich den Kopf mit einem Hayfiſchzahne,
und fieng die Blutstropfen mit einem Stuͤckchen Zeug auf. Es dauerte jedoch
nicht lange, ſo wurden ſie beyde wiederum ſo luſtig, als wenn gar nichts vorge-
fallen waͤre. Des heftigen Regens wegen konnten wir, erſt um Mittag wieder
nach dem Schiffe zuruͤckkehren, welches unterdeſſen in eine enge Bucht nahe
ans Land war gebracht worden, um bequemer Waſſer einzunehmen.


Nachmittags machten wir, ſo weit das Regenwetter es zulaſſen wollte,
an dieſer Bucht einen Spatziergang. Laͤngſt dem Strande war eine unzaͤhlige
Menge von Canots aufs Land gezogen, und jedes Haus und jede Huͤtte war ge-
pfropft voll Menſchen. Sie ſchickten ſich zum Theil zu geſellſchaftlichen Mahl-
N 2
[100]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
zeiten an, bey denen es gewiß an nichts fehlen ſollte, denn uͤberall lagen große
Vorraͤthe von den ausgeſuchteſten Lebensmitteln dazu in Bereitſchaft. Wir wußten,
daß es auf dieſen Inſeln eine beſondre Geſellſchaft oder Claſſe von Leuten bey-
derley Geſchlechts gaͤbe, die Errioys genannt werden, und daß ſie ſich zuweilen,
weit und breit her, verſammleten, eine Inſel nach der andern beſuchten, und
uͤberall bis zur Ausſchweifung ſchmaußten und ſchwelgten. Als wir zu Huaheine
vor Anker lagen, hielt ſich daſelbſt eine dergleichen Caravane von mehr als ſieben-
hundert ſolcher Errioys auf, und eben dieſe waren es, die wir jetzt hier antrafen.
Sie hatten ſich eines Morgens, mit etlichen ſiebenzig Canots, von Huaheine nach
Raietea uͤberſetzen laſſen, und nachdem ſie einige Tage an der oͤſtlichen Kuͤſte dieſer
Inſel zugebracht, nunmehro hier auf der Weſtſeite ihr Quartier genommen.
Es waren lauter Leute von gewiſſem Anſehen, und ſchienen alle zu
dem Stande der Befehlshaber zu gehoͤren. Einige hatten große punctirte
Flecken auf der Haut; dies ſollten, Maheinens Ausſage nach, die an-
geſehenſten Mitglieder der Geſellſchaft, und zwar in eben dem Verhaͤltniſſe vor-
nehmer ſeyn, als man ſtaͤrkere und mehrere Puncturen an ihnen wahrnaͤhme.
Sie waren faſt durchgehends ſtark, wohlgebauet und nannten ſich Kriegesleute.
Maheine bezeigte viel Achtung fuͤr dieſe Geſellſchaft, und verſicherte uns, daß
auch er in dieſelbe aufgenommen ſey. Die Mitglieder ſind alle durch die eng-
ſten Bande der Freundſchaft unter einander verbunden, und uͤben unter ſich die
Geſetze der Gaſtfreyheit im weitlaͤuftigſten Verſtande. Sobald ein Errioy ei-
nen andern beſucht, kann er darauf rechnen, mit allem, was ſowohl zur Noth-
durft als zur Bequemlichkeit gehoͤrt, reichlich verſehen zu werden. Perſoͤnliche
Bekanntſchaft oder Unbekanntſchaft macht hierinn keinen Unterſchieb. Er
wird ſogleich den uͤbrigen Mitgliedern des Ordens vorgeſtellt, und alle wett-
eifern, wer es dem andern an Gefaͤlligkeit, Freundſchaftsbezeugungen und
Geſchenken zuvorthun koͤnne. Maheine behauptete, daß alle Vortheile welche
er in Tahiti gefunden, ihm blos “als Mitglied dieſer Geſellſchaft” waͤren zu Theil
geworden. Die beyden jungen Leute, welche ihn daſelbſt auf unſerm Schiff
zuerſt anſichtig wurden, waren, ſeiner Ausſage nach, Errioys, und in dieſer
Qualitaͤt ſchenkten ſie ihm ihre Kleidungen, weil er ſelbſt damals keine andre
als europaͤiſche hatte. Es ſcheint faſt, daß von jeder vornehmen Familie durch-
[101]in den Jahren 1772 bis 1775.
gehends eine oder mehrere Perſonen in dieſe Geſellſchaft treten, deren unabaͤn-1774.
May.

derliches Grundgeſetz iſt, daß keines ihrer Mitglieder Kinder haben duͤrfe. So
viel wir aus den Berichten der verſtaͤndigſten Indianer abnehmen konnten,
mußten die Errioys, der erſten Einrichtung nach, underheirathet bleiben; da
aber in dieſem heißen Lande der Trieb zur Fortpflanzung ſehr ſtark ſeyn muß,
ſo hat man ſich nach und nach von jener Einrichtung entfernt, und die Heira-
then zugelaſſen. Um aber doch die Abſicht des ledigen Standes beyzubehalten, ſo iſt
man darauf verfallen, die ungluͤcklichen Kinder gleich nach der Geburt umzubringen.


Die Errioys genießen mancherley Vorrechte, und werden in allen
Societaͤts-Inſeln ſehr hoch geachtet. Das ſonderbarſte iſt, daß ſie ſelbſt ihre
groͤßte Ehre darinn ſetzen, keine Kinder zu haben. Als Tupaya hoͤrte, daß
der Koͤnig von England eine zahlreiche Familie habe, duͤnkte er ſich weit vor-
nehmer als der Koͤnig zu ſeyn, blos weil auch er, als ein Errioy, keine Kinder
hatte. *) Faſt in allen andern Laͤndern iſts eine Ehre, Vater zu heißen; wenn
aber zu Tahiti ein Errioy jemanden den Vater-Namen beylegt, ſo hat er es
als einen veraͤchtlichen Schimpf-Namen und Vorwurf anzuſehen. Zu gewiſſen
Zeiten halten ſie große Verſammlungen und reiſen von einer Inſel zur andern.
Denn ſchmauſen ſie die beſten Fruͤchte und verzehren eine Menge von Schwei-
nen, Hunden, Fiſchen und Huͤhnern, welche die Tautaus, oder die geringſte
Claſſe, zu Bewirthung dieſer Schwelger herbeyſchaffen muß. An einer guten
Portion des berauſchenden Pfefferwurzel-Trankes, darf es bey ſolchen Gelegen-
heiten nicht fehlen, denn dieſe Herren zechen ſaͤmmtlich gern. Ueberhaupt hal-
ten ſie es mit allen Arten von ſinnlichen Freuden; und daher iſt Muſik und Tanz
allenthalben ihr Zeitvertreib. Dieſe Taͤnze ſollen des Nachts ungebuͤhrlich
ausſchweifend ſeyn, doch wird keinem, als blos den Mitgliedern der [Geſell-
ſchaft]
, der Zutritt verſtattet.


In einem Lande, das ſo weit, als Tahiti, ſich der Barbarey entriſſen,
wuͤrde man eine Geſellſchaft, welche dem ganzen Volke ſo nachtheilig zu ſeyn ſcheint,
gewiß nicht bis jetzt haben fortdauern laſſen, wenn nicht die Nation, auf ei-
ner andern Seite, wichtige Vortheile davon haͤtte. Die vornehmſte Urſach,
N 3
[102]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
warum man ſie beybehaͤlt, mag vielleicht dieſe ſeyn, daß beſtaͤndig eine gewiſſe
Anzahl von Kriegsleuten, zur Vertheidigung des Landes da ſey; (denn alle Er-
rioys
ſind Kriegesleute;) und da man vielleicht befuͤrchtete, daß Liebe und Fa-
milien-Bande ſie feige und muthlos machen wuͤrden; ſo hat man ihnen den ehe-
loſen Stand vorgeſchrieben, den ſie aber in der Folge vermuthlich zu laͤſtig gefun-
den haben. Naͤchſt dieſer Abſicht, mag man durch Errichtung dieſer Er-
rioys
Geſellſchaft, auch wohl der gar zu ſchnellen Vermehrung der Befehls-
haber und der Vornehmen uͤberhaupt, haben Schranken ſetzen wollen. Vielleicht
ſah ein alter vernuͤnftiger Geſetzgeber zu Tahiti Voraus, daß wenn jene Claſſe klei-
ner Tyrannen allzu zahlreich wuͤrde, der gemeine Mann unter dem Joche derſelben
bald wuͤrde erliegen muͤſſen. *) Zu Verhuͤtung dieſes Uebels, gab es ohne Zwei-
fel kein wuͤrkſameres Mittel, als jene Verordnung, daß ſie unverheyrathet blei-
ben ſollten; dagegen mußten ihnen aber zu Verſuͤßung dieſes Zwanges freylich ge-
wiſſe glaͤnzende Vorzuͤge eingeraͤumet werden. Hieher rechne ich die große Achtung,
die man dem gemeinen Volk fuͤr die Errioys beybrachte, und die Mit-
tel, die man ihnen verſchaffte, ſich guͤtlich zu thun, tapfer zu ſchmauſen und
alle Tage in Freuden zu leben, als welches von jeher das Vorrecht der
Krieger war, ehe ſie zu hungerleidenden Soͤldnern, der alles ſelbſt verſchlin-
genden Tyrannen ausarteten. Ehemals moͤgen ſie freylich die Achtung, welche
man ihnen bezeigt, durch ein unſtraͤfliches Betragen, mehr als heut zu Tage, ver-
dienet haben. Wenn ſie ſich aber einmal, in Betracht der Ehe, uͤber die
Grundregeln ihres Inſtituts hinweggeſetzt hatten, ſo iſt leichtlich zu begreifen, daß
nach und nach der urſpruͤngliche Geiſt dieſer Geſellſchaft, auch in den uͤbrigen Stuͤ-
cken verloren gehen, und daß Ausſchweifung und Voͤllerey an die Stelle der ehe-
maligen Keuſchheit und Maͤßigkeit treten mußten. Gegenwaͤrtig ſind die Errioys
unter ihren uͤbrigen Landsleuten ohnlaͤugbar die groͤßten Wolluͤſtlinge; daß ſie aber,
zu Befriedigung der Sinnlichkeit, auf neue Erfindungen verfallen waͤren, bin
ich nicht gewahr worden Man hat ihnen zwar die haͤßlichſte Art von wol-
luͤſtiger Ausſchweiſung Schuld geben und behaupten wollen, daß ihre Weiber
[103]in den Jahren 1772 bis 1775.
allen Mitgliedern des Ordens gemeinſchaftlich zugehoͤrten: *) Allein, nicht zu1774.
May.

gedenken, daß eine ſolche Einrichtung, an und fuͤr ſich ſchon, dem Character
dieſer Nation widerſtreitet, ſo iſt uns auch, bey genauerer Nachfrage, ausdruͤck-
lich das Gegentheil davon verſichert worden. Man muß alſo dieſe Erzaͤhlung fuͤr
eine bloße Grille von gewiſſen, luſtigen und kurzſichtigen Reiſenden oder Reiſe-
beſchreibern anſehen, die das liebe Publicum wohl mit noch andern aben-
theuerlichen Maͤhrchen unterhalten haben.


Die Errioys ſind zum Theil eben ſo verheyrathet, als Maheine ſich
mit Topiri**) verehligt hatte; andre pflegen ſich Beyſchlaͤferinnen zu halten.
Manche moͤgen ſich freylich auch mit gemeinen Huren abgeben, deren auf allen
dieſen Inſeln, ſo viele vorhanden ſind: Dieſe Art von Ausſchweifung iſt aber
nichts ſo unerhoͤrtes, ſondern vielmehr unter den civiliſirtern Europaͤern, weit
herrſchender als hier. Sollte man alſo, blos daher Anlaß genommen haben,
die Errioys zu beſchuldigen, daß ſie einander ihre Weiber wechſelsweiſe Preiß
gaͤben; ſo wuͤrde das ohngefaͤhr eben ſo herauskommen, als wenn man, we-
gen der luͤderlichen Lebensart einzelner Europaͤer, behaupten wollte, daß es in Europa
eine Claſſe von Leuten beyderley Geſchlechts gaͤbe, die ihre Tage in einer ſteten
Befriedigung ſinnlicher Luͤſte zubraͤchte!


Von dem Vorwurf des Kindermordes hingegen ſind die Tahitier nicht
freyzuſprechen, ſo unerklaͤrbar es auch beym erſten Anblick ſcheinen mag, daß eine
Nation von ſo ſanftem, mitleidigem, und zur Freundſchaft geſtimmten Herzen, zu-
gleich der aͤußerſten Grauſamkeit faͤhig ſeyn ſoll. Wenn die Unmenſchlichkeit der
Vaͤter hier ſchon Schaudern erregt, was ſoll man von den Muͤttern ſagen, deren
Herzen von Natur und durch Inſtinct ſonſt uͤberall ſo zaͤrtlich ſorgſam und zum
Erbarmen geneigt ſind? Die Wege und Stimme der Tugend ſind freylich nur gar zu
leicht zu verfehlen; Aber bey alle dem bleibt es immer noch unbegreiflich, wie ein
Volk, das in den uͤbrigen Stuͤcken ſo ſehr der Natur getreu blieb, gerade dem erſten
[104]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
Grundgeſetz derſelben zuwider handeln und gegen eine ſo tief gepflanzte Em-
pfindung ſich habe verhaͤrten koͤnnen? Doch — die leidige Gewohnheit


That monſter cuſtom, who all ſenſe doth eat
Of habits evil

Shakespeare.
()

entkraͤftet nach und nach alles Gefuͤhl und uͤbertaͤubt zuletzt gar die Vorwuͤrfe
des Gewiſſens. — So bald wir ohnlaͤugbare Gewißheit davon hatten, daß eine
ſo widernatuͤrliche Barbarey unter den Errioys wuͤrklich ausgeuͤbet werde, ver-
wieſen wir es unſerm jungen Freunde Maheine, daß er ſichs zur Ehre rechne,
einer ſo verabſcheuungswuͤrdigen Geſellſchaft anzugehoͤren. Wir ſuchten ihm
die Grauſamkeit dieſes Verfahrens begreiflich zu machen, und ließen kei-
nen Grund dawider ungenutzt, der uns nur beyfiel, oder vielmehr, den wir
nur in ſeiner Sprache auszudrucken wußten. Auch gelang es uns, ihn zu uͤberzeu-
gen, daß es Unrecht ſey, und er verſprach, ſeine Kinder nicht umzubrin-
gen, ja ſich von der Geſellſchaft uͤberhaupt gaͤnzlich loszumachen, ſobald er Va-
ter ſeyn wuͤrde. Es gereichte uns einigermaßen zum Troſt bey dieſer Ge-
legenheit von ihm zu vernehmen, daß die Errioys ſelten Kinder bekaͤmen. Sie
muͤſſen alſo ihre Weiber und Beyſchlaͤferinnen wohl aus der Claſſe der gemeinſten
luͤderlichen Dirnen hernehmen, und, ſowohl aus dieſem Grunde, als wegen ih-
rer ausgelaßnen Wolluſt, ſelten in den Fall gerathen, ein ungluͤckliches Kind
aufzuopfern. Ich hatte bey meiner Zuruͤckkunft nach England Gelegenheit, mich
uͤber die Errioys mit O-Mai zu beſprechen. Ich ſtellte ihm vor, wie ſehr
es dem ganzen Volke zur Schande gereiche, eine Geſellſchaft von Kindermoͤr-
dern unter ſich zu dulden. Allein, er verſicherte mich, daß der groͤßere Theil
der Nation keinesweges Antheil an dieſer Grauſamkeit naͤhme. Die Kinder
muͤßten zwar, den einmal eingefuͤhrten Geſetzen nach, ums Leben gebracht wer-
den, und zur Entſchaͤdigung fuͤr dieſen bittern Zwang, habe man den Mitgliedern
dieſer Geſellſchaft, beſondere Ehrenbezeugungen und große Vorrechte zugeſtanden:
Demohnerachtet gaͤben die Muͤtter nie ihre Einwilligung zu dem Mord ihrer Kinder.
Die Maͤnner und andre Errioys uͤberredeten ſie daher, die Kinder wegzugeben;
wenn aber Bitten nicht helfen wollten, ſo wuͤrde zuweilen Gewalt gebraucht.
Vor
[105]in den Jahren 1772 bis 1775.
Vor allen Dingen aber, ſetzte er hinzu, wuͤrden dergleichen Mordthaten ſo1774.
May.

ganz insgeheim veruͤbt, daß auch nicht einmal die Tautaus, oder Bedienten des
Hauſes, etwas davon erfuͤhren; weil, wenn es ruchtbar wuͤrde; der Moͤrder
mit dem Leben dafuͤr buͤßen muͤßte. Auf ſolche Art koͤnnte denn freylich den Ta-
hitiern
und ihren Nachbaren, in dieſem Punkte, nicht mehr zur Laſt gelegt
werden, als was ſich leyder, von jedem anderen Volke ſagen laͤßt, nemlich
daß es einzelne Boͤſewichter unter ihnen giebt, die barbariſch genug ſind,
ihre eigne Kinder umzubringen. Und folglich duͤrfen auch diejenigen, die das
menſchliche Herz bey allen Gelegenheiten zu verketzern ſuchen, nicht laͤnger
frohlockend waͤhnen, als ob es eine ganze Nation gebe, die Mord und Todtſchlag
begehen koͤnne, ohne zu fuͤhlen, daß ſie daran Unrecht thue. *)


Bey aller ihrer Schwelgerey vergaßen die hier verſammleten Errioys
doch der Gaſtfreyheit nicht; ſondern ladeten uns fleißig ein, an ihrem Mahle Theil
zu nehmen; da wir ſelbſt aber eben von Tiſch aufgeſtanden waren, ſo giengen wir
ſtatt deſſen lieber ſpatzieren, und kehrten erſt gegen Sonnen-Untergang wieder
nach dem Schiffe zuruͤck, welches Maheine, das Maͤdchen, und die uͤbrigen
indianiſchen Paſſagiers in der Zwiſchenzeit verlaſſen hatten.


Am folgenden Morgen beſuchten uns viele von den Inſulanern in ihren
Canots, und die Frauensleute kamen nicht nur in Menge an Bord, ſondern lieſ-
ſen ſichs zum Theil auch die Nacht uͤber bey unſern Matroſen gefallen. Zu Hua-
heine
waren dergleichen Beſuche ungleich ſparſamer geweſen; wenigſtens hatten
ſich dort mehrentheils nur ſolche Frauensperſonen dazu verſtanden, die auf der In-
ſel ſelbſt fremd waren. Die Matroſen fiengen alſo, nach einer kleinen Pauſe, ihre
Tahitiſche Lebensart hier mit deſto groͤßerer Begierde wiederum an. Wir nahmen
heut einen Spatziergang nach dem Nord-Ende der Inſel vor, ſchoſſen daſelbſt etli-
che wilde Endten, und wurden in verſchiednen Gegenden ſehr gaſtfrey aufgenommen.


Des naͤchſten Tages war das Wetter uͤberaus angenehm, zumal da ein
ſtarker Oſt-Wind die gewoͤhnliche Hitze um vieles maͤßigte. Wir hatten vor-
Forſters Reiſe u. d. W. zweyter Th. O
[106]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
nehmen Beſuch auf dem Schiffe. Orea und ſeine Familie, Boba, der Vice-
Koͤnig dieſer Inſel, O-Taha, und Teina-Mai die ſchoͤne Taͤnzerin, deren ich
ſchon im erſten Theile S. 303. gedacht habe, machten unſre Geſellſchaft aus.
Boba iſt ein langer, wohlgebildeter junger Mann, von Borabora gebuͤrtig, und
mit Punie, dem daſigen Koͤnige und Eroberer der Inſeln Raietea und Taha,
verwandt. Maheine hatte uns oft erzaͤhlt, daß Punie ſich dieſen jungen
Menſchen zum Nachfolger auserſehen, und ihm ſeine einzige Tochter Maiwe-
rua
zugedacht habe, die ungemein ſchoͤn und erſt 12 Jahre alt ſeyn ſoll. Boba
war damals ein Errioy und hielt ſich die ſchoͤne Taͤnzerin Teina zur Beyſchlaͤ-
ferin. Da ſie uns ſchwanger zu ſeyn duͤnkte, ſo unterredeten wir uns mit ihr
uͤber die Gewohnheit, wonach die Kinder der Errioys umgebracht werden muͤſſen.
Das Geſpraͤch war aber nur ſehr kurz und ziemlich abgebrochen, theils, weil
es Muͤhe koſtet, dieſe Inſulaner uͤberhaupt, und beſonders die Frauenzim-
mer aufmerkſam zu erhalten, theils, weil wir noch nicht genug von ihrer Spra-
che wußten, um moraliſche und philoſophiſche Begriffe darinn auszudruͤ-
cken. Daher ſahe es auch mit unſrer Beredſamkeit ein wenig mißlich aus, und
alles, was wir damit von Teina-Mai herauslocken konnten, war dieſes: „daß
„unſer Eatua (Gott) in England vielleicht uͤber die Gewohnheiten der Errioys
„boͤſe ſeyn moͤgte, daß der ihrige aber kein Mißfallen daran habe. Indeſſen ver-
„ſprach ſie, daß, wenn wir aus England kommen, und ihr Kind abholen wollten,
„ſie ſolches am Leben zu erhalten ſuchen wuͤrde; doch verſtaͤnde ſichs, daß wir
„ihr ein Beil, ein Hemd und einige rothe Federn dafuͤr geben muͤßten.„ Alles
das ſagte ſie aber in einem ſo lachenden Tone, daß wir kaum hoffen durften, es
ſey ihr Ernſt. Auch war es umſonſt, laͤnger mit ihr davon zu ſprechen; denn
ſie verfiel unaufhaltſam von einen Gegenſtand auf den andern, und wir mußten
froh ſeyn, daß ſie uns nur ſo lange hatte anhoͤren wollen.


Nachmittags giengen wir ans Land, um einem Dramatiſchen Tanze bey-
zuwohnen, in welchem Poyadua, Orea’s Tochter, ſich ſollte ſehen laſſen.
Die Anzahl der verſammleten Zuſchauer war ſehr betraͤchtlich; denn auf dieſes
Schauſpiel wird hier viel gehalten. Die Taͤnzerin legte bey dieſer Gelegenheit von
ihrer ſchon bekannten Geſchicklichkeit einen neuen Beweis ab, und fand bey allen
Europaͤern den groͤßten Beyfall. Die Zwiſchenſpiele wurden durch Mannsperſonen
[107]in den Jahren 1772 bis 1775.
vorgeſtellt, und waren, ihrem Innhalt nach, fuͤr uns von ganz neuer Compoſition.1774.
May.

Ohnerachtet wir nicht alles von Wort zu Wort verſtanden, ſo konnten wir doch
ſo viel unterſcheiden, daß die Namen des Capitain Cook und andrer Herren von
unſerer Geſellſchaft in den Geſaͤngen vorkamen. Die ganze Handlung ſchien eine von
denen Raͤubergeſchichten vorzuſtellen, dergleichen uns in dieſen Inſeln ſo viele be-
gegnet waren. Ein andres Intermezzo ſtellte den Angriff der Krieger von Bo-
rabora
vor, wobey derbe Schlaͤge mit einem Riemen ausgetheilt wurden, daß
es nur ſo klatſchte. Das dritte Zwiſchenſpiel war ſeltſamer als die uͤbrigen alle. Es
ſtellte eine Frau in Kindeswehen vor, und erregte bey der Verſammlung ein uͤber-
lautes Gelaͤchter. Der Kerl, der dieſe Rolle hatte, machte alle Poſituren, welche
die Griechen in den Haynen der Venus Ariadne bey Amathus bewunderten,
und die im Monath Gorpiaͤus, zum Andenken der im Kindbette geſtorbenen Ari-
adne
, feyerlich vorgeſtellt zu werden pflegten. *) Ein andrer großer und ſtarker
Kerl, in Tahitiſches Zeug gekleidet, ſtellte das neugebohrne Kind vor, und ge-
behrdete ſich dazu ſo poſſierlich, daß wir herzlich mitlachen mußten. Das Coſtume
war ſo genau beobachtet, daß ſelbſt ein Accoucheur oder jeder andre Sachverſtaͤndige
an dieſem großen Jungen keines von den weſentlichen Kennzeichen eines neugebornen
Kindes wuͤrde vermißt haben; denen indianiſchen Zuſchauern aber gefiel das vorzuͤg-
lich, daß er, unmittelbar nach ſeinem Eintritt in die Welt, ſo drell auf dem Theater
herum lief, daß die Taͤnzer ihn kaum wieder haſchen konnten. Capitain Cook
hatte bey dieſer Gelegenheit bemerkt, daß, ſobald die andern Kerls den großen
Jungen wieder eingeholt, ſie ihm die Naſe, oben zwiſchen den Augen, platt
gedruͤckt haͤtten. Hieraus ſchließt er ganz richtig, daß dieſe Gewohnheit wuͤrk-
lich bey neugebohrnen Kindern allhier ſtatt finde, wie ſie denn auch faſt durchge-
hends eingedruͤckte Naſen haben. **) Unter allen ſchien dieſe Vorſtellung den
Damen das mehreſte Vergnuͤgen zu machen. Auch konnten ſie ſich dem Ein-
druck deſſelben ohne Bedenken uͤberlaſſen, weil nach hieſiger Landes-Sitte gar
nichts darinn vorkam, welches ſie in Verlegenheit haͤtte ſetzen koͤnnen,
wie es wohl unſern europaͤiſchen Schoͤnen geht, die in den Schauſpielen oft nur
durch den Faͤcher ſchielen duͤrfen.


O 2
[108]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.

Am folgenden Morgen nahmen wir einen Spatziergang nach Suͤden vor,
und fanden daſelbſt ſehr fruchtbare Gegenden und ſehr gaſtfreye Leute. Der
Weg fuͤhrte uns zu einem großen ſteinernen Gebaͤude, das Marai no Parua,
Parua’s Begraͤbnißplatz
, genannt ward. Ich habe bereits erwaͤhnt, daß Tu-
paya
, der ſich bey Capitain Cooks erſtern Reiſe, auf der Endeavour mit ein-
geſchifft hatte, eben auch dieſen Namen fuͤhrte; ob aber dies Grabmal ihm zum
Andenken errichtet worden ſey? kann ich nicht ſagen. Sonſt pflegen derglei-
chen Maraïs gemeiniglich nach lebenden Befehlshabern benannt zu wer-
den; und alſo mag noch wohl jetzt einer, Namens Parua, allhier vor-
handen ſeyn. Wenigſtens verſicherten die hier herum wohnenden Indianer,
daß der Parua dem dies Grabmal zugehoͤre, ein Eriſey, welchen Titel man jedoch
dem Tupaya nicht durchgehends zugeſtehen wollte. Dies Gebaͤude war 60 Fus
lang und 5 Fus breit. Die Mauern beſtanden aus großen Steinen und hatten
ohngefaͤhr 6 bis 8 Fus Hoͤhe. Wir kletterten daruͤber weg, fanden aber den in-
nern Bezirk oder Hof blos mit einem Haufen kleiner Corallen-Steine angefuͤllt.


Etliche Meilen weiter gelangten wir an eine geraͤumige Bay, wo inner-
halb des Riefs drey kleine Inſeln vorhanden ſind. Die Bay war uͤberall mit
Sumpf umgeben, darinn eine Menge von wilden Endten ihren Auͤfenthalt ge-
nommen hatte. Dieſe Gelegenheit zur Jagd ließen wir nicht ungenutzt und fuhren
alsdann, in zwey kleinen Canots, nach einer von den vorgedachten Inſeln hinuͤber,
um zu ſehen, ob die See dort etwa Muſcheln an den Strand geworfenhaͤtte? Allein,
dieſe Hoffnung ſchlug uns fehl; denn außer einer einzigen Huͤtte, welche, wie man aus
denen darinn aufbewahrten Netzen und andren Fiſcher-Geraͤthſchaften ſchließen
konnte, blos zum Behuf des Fiſchfanges angelegt zu ſeyn ſchien, war nichts als etliche
Cocos-Palmen und niedriges Gebuͤſch daſelbſt zu finden. Wir kehrten alſo mit
leeren Haͤnden zuruͤck, ſpeißten bey einem Indianer, der uns eingeladen hatte und
langten erſt gegen Sonnen-Untergang wieder auf dem Schiffe an. Orea hatte
ſich in unſrer Abweſenheit bey Capitain Cook zu Gaſt gebeten und eine ganze
Bouteille Wein getrunken, ohne davon im mindeſten berauſcht zu ſcheinen. Doch
war er, wie immer, ſehr geſpraͤchig geweſen, und hatte ſich hauptſaͤchlich uͤber
die Merkwuͤrdigkeiten der Laͤnder unterhalten, welche wir auf unſrer Reife be-
ſucht, und wovon ihm ſein Landsmann Maheine ſo manches erzaͤhlt hatte.
[109]in den Jahren 1772 bis 1775.
Nachdem er das, was ihm der Capitain davon zu ſagen wußte, eine Weile mit1774.
May.

angehoͤrt, fieng er an: Wir haͤtten allerdings viel geſehen, doch koͤnne er uns von
einer Inſel Nachricht geben, von der wir bey alle dem wohl noch nichts wiſſen moͤgten.
Sie liegt, ſagte er, nur wenige Tagereiſen von hier, wird aber von ungeheuern
Rieſen bewohnt, die ſo groß ſind als der hoͤchſte Maſt, und ſo dick im Leibe,
als das Obertheil eurer Schiffswinde. Es ſind ganz gute Leute, aber wenn man
ſie boͤſe macht, ſo iſt kein Auskommens mit ihnen. Sie ſind gleich im Stande,
einen Mann beym Leibe zu nehmen und ihn ſo weit in die See zu ſchleudern, als
ich mit einem Stein thun wuͤrde. Solltet ihr auf eurer Reiſe etwa noch dahin
kommen; ſo nehmt euch nur in Acht, daß ſie nicht in die See zu euch heranwa-
den, das Schiff auf die Schultern nehmen und es ſo ans Land tragen. Er
ſetzte noch andre laͤcherliche Umſtaͤnde hinzu, und, um ſeiner Erzaͤhlung deſto mehr
Glauben zu verſchaffen, ſo vergaß er nicht dieſer wunderbaren Inſel auch einen Na-
men zu geben. Er ſagte nemlich, ſie werde Mirro-Mirro genannt. Die Art,
mit welcher er dies Maͤhrchen vorbrachte, bewies offenbar, daß es eine Ironie auf
diejenigen Stellen unſrer Erzaͤhlungen ſeyn ſollte, die er entweder fuͤr erdichtet
halten mogte, oder wovon er ſich keinen Begriff machen konnte, und die ſchalkhaft
witzige Einkleidung [...] welche er [ſeiner] Spoͤtterey zu geben wußte, war in der
That bewundernswerth. Herr von Bougainville hat wohl allerdings Recht,
wenn er die Urſach von den lebhaften Verſtandes-Faͤhigkeiten dieſer Inſulaner in
der Fruchtbarkeit ihres Landes ſucht, denn Ueberfluß und ſorgenfreye Tage brin-
gen uͤberall Froͤhlichkeit und muͤntres Weſen hervor. *)


In der Nacht wurden aus den Booten, die an dem Anker-Waͤchter
(buoy) befeſtiget waren, einige Ruder, Bootshaken und kleine Anker geſtohlen.
So bald man ſie am Morgen vermißte, ließ der Capitain den Befehlshaber Orea
davon benachrichtigen. Dieſer fand ſich auch ungeſaͤumt bey uns ein und holte den
Capitain in ſeinem Boote ab, um die Diebe aufzuſuchen. Nachdem ſie ohnge-
faͤhr eine Stunde weit gerudert waren, gieng er in dem ſuͤdlichſten Theil der In-
ſel ans Land und brachte das Geſtohlne von dorther alles wieder zuruͤck. Ich war un-
terdeſſen auch am Lande geweſen und hatte ohnweit der Bucht von zwo kleinen Maͤd-
O 3
[110]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
chen einen Hiwa oder Tanz auffuͤhren ſehen. Sie waren aber weder ſo reich ge-
kleidet, noch in ihrer Kunſt ſo geſchickt als Poyadua. Ihr Tamau, oder Kopf-
putz von geflochtnen Haaren, war nicht in Form eines Turbans aufgeſetzt, ſon-
dern machte verſchiedne große Locken aus, die eine gute Wuͤrkung auf das Auge
thaten und gewiſſermaaßen den hohen Friſuren unſerer neumodiſchen Damen
aͤhnlich ſahen.


Nachmittags tanzte Poyadua wiederum, und es ſchien faſt als ob
ſie ihre uͤbrigen Geſpielen diesmal ausſtechen wollte, wenigſtens hatte ſie ſich
mehr als gewoͤhnlich ausgeputzt und mit einer Menge von allerhand Europaͤi-
ſchen Glas-Corallen behangen. Ihre bewundernswuͤrdige Gelenkigkeit, die
reizende Bewegung ihrer Arme, und das ſchnelle zitternde Spiel der Finger,
wurden von den Indianern eben ſo ſehr, als die Kuͤnſte der Opern-Taͤnzerinnen
von uns bewundert. Doch verdiente Poyadua auch unſern Beyfall, wenig-
ſtens um deswillen, daß ſie ihre Geſchicklichkeit nicht einem Lehrer, ſondern blos
der eigenen Ausbildung ihres natuͤrlichen Talentes zu verdanken hatte. Nur dar-
inn konnten wir dem Nationalgeſchmack nicht beyſtimmen, daß die außer-
ordentlichen Verzerrungen des Mundes ſchoͤn ſeyn ſollten! unſerm Urtheil nach,
waren ſie vielmehr recht haͤßlich und ſo gar abſcheulich. Zu dieſen oͤfteren dra-
matiſchen Vorſtellungen gab blos die Anweſenheit der Errioys Anlaß. Ihre
Gegenwart ſchien die ganze Inſel zu beleben, und jedermann froͤlich zu machen,
auch giengen ſie ſelbſt hierinn den uͤbrigen mit gutem Exempel vor. Sie putzten
ſich aufs beſte heraus und erſchienen faſt alle Tage in einem andern Kleide.
Der ganze Tag ward in Wohlleben und Muͤßiggang zugebracht: Sie ſalbten ſich
die Haare mit wohlriechendem Oel, ſangen, oder ſpielten die Floͤte, kurz ein
Vergnuͤgen wechſelte mit dem andern ab, und keine derer Gluͤckſeligkeiten, die
man hier zu Lande haben kann, blieb ungenoſſen. Dies erinnerte mich an je-
nes gluͤckliche, im Schooß des Ueberfluſſes gewiegte Volk, das Ulyſſes in Phaͤacien
antraf, und von dem Pope ſagt:


To dreſſ, to dance, to ſing, their ſole delight
The feaſt or bath by day and love by night.

Pope’s Homer.
()

[111]in den Jahren 1772 bis 1775.

Unſer Freund Maheine war vielleicht der einzige ſeines Standes, der nicht ſo1774.
May.

ganz vergnuͤgt ſeyn mogte als die uͤbrigen, und das um deswillen, weil man ihm
hier nicht ſo viel Gunſtbezeugungen erwies, als er zu Tahiti genoſſen hatte. Es
ſcheint auch hier in der Suͤdſee, wie bey uns, wahr zu ſeyn, daß ein Prophet
nirgends weniger gilt, als in ſeinem Vaterlande. Er hatte allhier eine zahl-
reiche Verwandtſchaft; aber das nuͤtzte ihm zu nichts weiter, als daß alle, die
dazu gehoͤrten, Geſchenke von ihm erwarteten, und zwar nicht als eine Guͤtigkeit,
ſondern beynahe als Pflicht. Zu Tahiti hingegen, ward ihm jedes,
noch ſo geringe Geſchenk als eine Freygebigkeit angerechnet, wodurch er ſich
Freunde und andre Vortheile zuwege brachte. So lange dem gutherzigen Jun-
gen noch das geringſte von denen Seltenheiten uͤbrig blieb, die er auf unſerer be-
ſchwerlichen und zum Theil wuͤrklich gefaͤhrlichen Reiſe mit Gefahr ſeines Lebens
geſammlet hatte; ſo lange nahm auch das Quaͤlen kein Ende; und ob er gleich
nach und nach alle ſeine Schaͤtze ohne Ruͤckhaltung dahin gegeben, ſo ſchienen
dennoch einige ſeiner Verwandten laut uͤber ſeinen Geitz zu klagen. Er, der
ehemals im Stande geweſen war, andern mitzutheilen, mußte nun ſelbſt
wieder bey ſeinen europaͤiſchen Freunden, um ein und anderes bitten, denn die
Habſucht ſeiner Verwandten hatte ihm kaum noch ein Paar rothe Federn und an-
dre Kleinigkeiten, zum Geſchenk fuͤr ſeinen hohen Anverwandten O-Puni, den
Koͤnig auf Borabora, uͤbrig gelaſſen. Auf ſolche Art war es denn kein Wun-
der, daß er ſehnlich nach Tahiti zuruͤckzukehren wuͤnſchte; er ſagte uns auch,
daß, ſobald er nur O-Puni und ſeine uͤbrigen Verwandten auf Borabora be-
ſuchet haben wuͤrde, ihn gewiß nichts abhalten ſolle, eiligſt nach Tahiti und nie
wieder von dannen zu gehen. Dennoch aber wuͤrde er gern mit uns nach
England gekommen ſeyn, wenn wir ihm nur die geringſte Hoffnung haͤtten ma-
chen koͤnnen, daß wir jemals wieder nach der Suͤdſee zuruͤckkehren wuͤrden: Al-
lein, da ihm Capitain Cook ausdruͤcklich das Gegentheil verſichert hatte; ſo wollte
er dem Vergnuͤgen, unſern Welttheil zu ſehen, lieber entſagen, als ſich auf
immer von ſeinem geliebten Vaterlande trennen. Und in Wahrheit, wenn man
bedenkt, was ſein Landsmann O-Mai bey uns gelernt hat, ſo war es fuͤr
das Herz und die Sitten unſres unverdorbenen Freundes gewiß am zutraͤglichſten,
daß er zuruͤckblieb. Die Pracht von London hat er nun freylich nicht kennen
[112]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
lernen, aber dafuͤr ſind ihm auch alle die Graͤuel der Sittenloſigkeit unbekannt
geblieben, welche die groͤßeren Hauptſtaͤdte Europens faſt durchgehends mit einan-
der gemein haben.


Als der Tanz zu Ende war, noͤthigte uns Maheine, daß wir ihn mor-
gen auf ſeinem eignen Grund und Boden beſuchen moͤchten. Er hatte uns
ſchon oft erzaͤhlt, daß er auf dieſer Inſel Land-Eigenthum beſitze, und wollte
die gegenwaͤrtige Gelegenheit, ſein Vorgeben zu beſtaͤtigen, um deſto weniger
ungenutzt laſſen, als verſchiedene von unſerer Schiffsgeſellſchaft bisher noch im-
mer daran gezweifelt hatten. Seiner Einladung gemaͤß giengen wir alſo, des
folgenden Tages fruͤhe, in zwey Booten nach dem nord-oͤſtlichen Ende der Inſel
unter Seegel, allwo der ihm zuſtaͤndige Diſtrict, Wharai-te-wah, liegen
ſollte. Orea begleitete uns nebſt ſeiner Familie, und in Zeit von zwo Stun-
den langten wir gluͤcklich daſelbſt an. Maheine bewillkommte uns nebſt zween
ſeiner aͤlteren Bruͤder, und brachte uns zu einem geraͤumlichen Hauſe. Hier
ließ er gleich Anſtalten zur Mahlzeit machen. Waͤhrend dieſer Zubereitun-
gen giengen mein Vater, Dr. Sparrmann, und ich, zum Botaniſiren auf
die benachbarten Berge, wir fanden aber nicht eine einzige neue Pflanze. Nach
Verlauf zwoer Stunden kamen wir wieder, und unterdeſſen, daß das Eſſen auf-
getragen ward, erzaͤhlte uns Capitain Cook ganz umſtaͤndlich, wie es bey der
Zurichtung hergegangen war. Er hatte alles ſelbſt mit angeſehen, und da wir uns
uͤber dieſen Gegenſtand noch nirgends ausfuͤhrlich erklaͤrt haben; ſo will ich, zum
Beſten meiner Leſer, des Capitains Beſchreibung hier woͤrtlich einruͤcken. *)
Drey Kerls ergriffen ein Schwein, das ohngefaͤhr 50 Pfund ſchwer ſeyn
mochte, legten es auf den Ruͤcken, und erſtickten es, indem ſie ihm queer
uͤber den Hals einen dicken Stock druͤckten, ſo, daß an jeder Seite einer mit ſei-
nem ganzen Koͤrper darauf ruhte. Der dritte hielt die Hinterbeine, und, um alle
Luft im Leibe zu verſchließen, ſtopfte er dem Schwein ein Buͤſchel Gras in den
Hintern. Nach Verlauf von 10 Minuten war das Schwein todt. Waͤhrend
dieſer Zeit hatten zween andre ein Feuer angemacht, um den ſogenannten Ofen
durchzuheitzen, der aus einer Grube unter der Erde beſtand, darinn eine Menge
Steine
[113]in den Jahren 1772 bis 1775.
Steine aufgepackt waren. An dieſem Feuer ward das todte Schwein geſengt, und1774.
May.

zwar ſo gut als haͤtten wirs in heißem Waſſer gebruͤhet. Um es vollends rein zu ma-
chen, trugen ſie es an das See-Ufer, rieben es dort mit Sand und Kieſeln, und ſpuͤlten
es hernach wiederum ſauber ab. Darauf ward es an den vorigen Ort zuruͤckgebracht
und auf friſche Blaͤtter gelegt, um auch von innen rein gemacht zu werden. Indieſer
Abſicht ward der Bauch geoͤffnet, hiernaͤchſt der aͤußere Speck abgeloͤſet, auf gruͤne
Blaͤtter bey Seite gelegt, und dann das Eingeweide herausgeſchnitten; letzteres
wurde ſogleich in einem Korbe weggetragen und auch nicht wieder zum Vorſchein
gebracht; doch bin ich uͤberzeugt, daß ſie es nicht weggeworfen haben. Zuletzt
nahmen ſie das Blut und das innere Fett heraus, jenes ward auf gruͤne Blaͤtter,
dieſes aber zu dem vorher ſchon abgeſonderten Speck geſchuͤttet. Nachdem hierauf
das Schwein nochmals, von außen und innen, mit friſchem Waſſer abgewaſchen
war, ſteckten ſie etliche heiße Steine in den Bauch, und ließen ſolche in die Hoͤhlung
der Bruſt hinunter fallen, ſtopften auch eine Anzahl friſcher Blaͤtter dazwiſchen
ein. Mittlerweile war der Ofen, der aus einer mit Steinen ausgefuͤllten Grube
oder Vertiefung in der Erde beſtand, ſattſam durchgeheitzt; man nahm alſo das
Feuer und die Steine, bis auf die unterſte Schicht, weg, die ſo eben als gepfla-
ſtert war. Auf dieſe ward das Schwein mit dem Bauch zu unterſt gelegt; das
Fett und Speck aber, nachdem es ſorgfaͤltig abgewaſchen, ward in einem
langen Troge, der aus einem jungen Piſangſtamm ausdruͤcklich dazu ausge-
hoͤhlet worden, neben das Schwein geſtellt. In das Blut warf man einen
heißen Stein, damit es ſich verdicken oder gerinnen moͤgte, alsdenn wurden kleine
Portionen davon in Blaͤtter gewickelt, und auch dieſe, nebſt einer Menge Brod-
frucht und Piſangs in den Ofen gebracht. Hierauf bedeckten ſie alles mit fri-
ſchem Laube, und dann mit dem Reſt der geheitzten Steine. Ueber dieſe wurde
wieder eine Schicht Blaͤtter hingeſtreuet und zuletzt noch allerhand Steine und
Erde, hoch daruͤber aufgehaͤufet. Waͤhrend der Zeit, daß dies Gericht unter
der Erde ſtobte, deckten die Leute den Tiſch; das heißt, ſie breiteten an einem
Ende des Hauſes eine Menge gruͤne Blaͤtter auf die Erde. Nach Verlauf zwoer
Stunden und zehn Minuten ward der Ofen geoͤffnet und alles herausgezogen.
Die Gaͤſte ſetzten ſich rund um die Blaͤtter, die Eingebohrnen an das eine und
wir an das andere Ende. Da wo wir ſaßen, ward das Schwein aufgetragen; an
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. P
[114]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
jener Seite aber, welche die Indianer eingenommen hatten, ward das Fett und
das Blut hingeſetzt, welches beydes ſie auch allein verzehrten und fuͤr ungemein
ſchmackhaft ausgaben. Dagegen ließen wir uns das Fleiſch nicht minder gut ſchme-
cken, weil es in der That ganz vortreflich zubereitet war, auch die Leute, welche
die Kuͤche beſorgten, in allen Stuͤcken eine nachahmenswerthe Reinlichkeit
beobachtet hatten. *) — Kaum war das Schwein zerlegt, als die angeſehenſten
Befehlshaber und Errioys gemeinſchaftlich daruͤber herfielen und ganze Haͤnde
voll davon auf einmal verſchlangen. Ueberhaupt aßen alle unſre Tiſchgenoſſen
mit ungewoͤhnlicher Gierigkeit, indeß die armen Tautaus, die in großer Menge
um uns her ſtanden, ſich an dem bloßen Zuſehen genuͤgen laſſen mußten, denn
fuͤr ſie blieb auch nicht ein Biſſen uͤbrig. Unter allen Zuſchauern waren Orea’s
Frau und Tochter die einzigen die etwas bekamen, und beyde wickelten ihre Por-
tionen ſorgfaͤltig in Blaͤtter, um ſie an einem abgeſonderten Platze zu verzehren.
Hier ſchien es, daß die Frauensleute eſſen duͤrfen, was durch Maͤnner zubereitet
und ausgetheilt wird; bey andern Gelegenheiten aber war es uns vor-
gekommen, als ob gewiſſe Leute nicht eſſen duͤrften, was von dieſer oder jener
Perſon in der Familie war beruͤhret worden. **) Doch koͤnnen wir nicht eigent-
lich beſtimmen, nach was fuͤr Regeln ſie ſich in dieſem Stuͤck richten moͤgen.
Zwar ſind die Tahitier nicht das einzige Volk, wo die Maͤnner von den Wei-
bern abgeſondert ſpeiſen; vielmehr iſt dieſe Gewohnheit auch bey einigen Na-
tionen unter den Negern, imgleichen bey den Einwohnern auf Labrador einge-
fuͤhrt. Allein, ſo wohl jene Neger, als auch die Eskimaux, bezeigen uͤberhaupt eine
ganz ungewoͤhnliche Verachtung fuͤr das andre Geſchlecht, und eben dieſe mag denn
auch Schuld daran ſeyn, daß ſie nicht gemeinſchaftlich mit ihren Frauen eſſen wol-
len. Bey den Tahitiern hingegen, wo den Weibern in allen uͤbrigen Stuͤcken ſo
gut und artig begegnet wird, muß jene befremdliche Ungeſelligkeit noch eine andre
Urſach zum Grunde haben, die ſich vielleicht kuͤnftig einmal, vermittelſt genauer
Beobachtungen wird entdecken laſſen.


Der Capitain hatte die Vorſorge gehabt, einige Flaſchen Brandtewein
mitzunehmen, der mit Waſſer verduͤnnt, das Lieblingsgetraͤnk der Seeleute, den
ſogenannten Grog, ausmacht. Die Errioys und einige andre vornehme India-
ner fanden dies Gemiſche ſtark und faſt eben ſo ſehr nach ihrem Geſchmack als
[115]in den Jahren 1772 bis 1775.
das hieſige berauſchende Pfefferwaſſer; ſie tranken alſo tapfer herum, und ſetzten1774.
Junins.

gar noch etliche Spitzglaͤſer Brandtwein oben drauf, welches ihnen dann ſowohl
behagte, daß ſie ſich bald nach einem Ruheplaͤtzchen umſehen und eins ausſchla-
fen mußten. Um 5 Uhr Nachmittags kehrten wir nach dem Schiff zuruͤck, ba-
deten aber zuvor, des heißen Wetters wegen, in einer ſchoͤnen Quelle, deren wir
uns zu dieſem Behuf ſchon mehrmalen bedient hatten. Sie iſt durch wohlrie-
chendes Gebuͤſch vor den Sonnenſtrahlen geſchuͤtzt, und wird auch von den Ein-
gebohrnen, welche alle dieſe Stellen genau kennen, ihres ſtets gemaͤßigt kuͤhlen
Waſſers halber, vorzuͤglich gern beſucht. Man findet dergleichen Bade-Plaͤtze
auf dieſen Inſeln ſehr haͤufig; und ohne Zweifel tragen ſie eben ſo viel zur Er-
haltung der Geſundheit als zur Verſchoͤnerung des Landes bey.


Die folgenden Tage ſuchten wir auf den Bergen umher nach Pflanzen
und fanden auch hin und wieder einige noch unbekannte Arten. An und
fuͤr ſich ſind die hieſigen Berge mit denen zu Tahiti von gleicher Art, nur
etwas niedriger als jene. Auf dieſem Spatziergange entdeckten wir unter andern
ein recht romantiſches Thal; es war mit dicker Waldung umgeben, und ward von
einem ſchoͤnen Bach durchſchlaͤngelt, der ſich von jener Seite, aus hohen Berggegen-
den her uͤber gebrochne Felſen-Maſſen in ſtuffenfoͤrmigen Cascaden herabſtuͤrzte.


Bey unſerer Zuruͤckkunſt von der letzten botaniſchen Excurſion erfuhren wir
eine ſehr wichtige Neuigkeit; es hatte naͤmlich einer von den Indianern, der eben
aus Huaheine zuruͤckkam, die Nachricht mitgebracht, daß allda zwey Schiffe vor
Anker laͤgen, davon eins groͤßer waͤre als das unſrige. Capitain Cook ließ die-
ſen Mann in die Cajuͤtte kommen, um ihn deshalb genauer zu befragen. Der
Indianer wiederholte, was er bereits auf dem Verdeck ausgeſagt hatte, und fuͤhrte
zur Beſtaͤtigung noch den Umſtand an, daß er ſelbſt am Bord des kleinern Schif-
fes geweſen, und von den Leuten trunken gemacht worden waͤre. Wir erkun-
digten uns nach den Namen der Capitains, worauf er zur Antwort gab, der Be-
fehlshaber des groͤßern ſey Tabane, der aber in dem kleineren heiße Tonno.
Da dies nun gerade dieſelbigen Namen waren, welche die Indianer Herrn Banks
und Fourneaux beygelegt hatten; ſo ſtutzte Capitain Cook nicht wenig, und
fragte weiter, von welcher Statur dieſe Herren waͤren? Der Indianer verſetzte
alsbald, Tabane ſey groß, Tonno aber kleiner von Statur; auch dies ſtimmte
P 2
[116]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
ſtimmte mit der uns bekannten Geſtalt dieſer beyden Herren genau uͤberein.
Gleichwohl hatten wir in manchem andern Betracht wieder eben ſo ſehr Urſach,
die ganze Erzaͤhlung in Zweifel zu ſetzen: denn, wenn Capitain Fourneaux
wuͤrklich zu Huaheine war, ſo mußte er auch von den dortigen Einwohnern
ohnfehlbar erfahren haben, daß Capitain Cook noch in der Nachbarſchaft ſey,
und da er unter den Befehlen deſſelben von England ausgeſeegelt war; ſo erfor-
derte es auch jetzt ſeine Pflicht ihn aufzuſuchen. Weil aber dies nicht erfolgte,
ſo blieb uns am Ende keine andre Vermuthung uͤbrig, als daß, wenn uͤberhaupt
europaͤiſche Schiffe an jener Inſel laͤgen, es doch nicht engliſche ſeyn koͤnnten.
Bey unſrer Zuruͤckkunft nach dem Cap erfuhren wir auch, daß Capitain Four-
neaux
lange vor der Zeit, da ihn die Indianer zu Huaheine geſehen haben woll-
ten, aus der Tafel-Bay abgefeegelt, Herr Banks aber gar nicht aus Europa
gekommen waͤre. Seitdem haben wir in Erfahrung gebracht, daß Herr St.
Denis
, ein franzoͤſiſcher See-Officier, ohngefaͤhr zu eben dieſer Zeit mit zwey
Schiffen in der Suͤd-See geweſen iſt.


Anfaͤnglich beſtaͤtigte Orea die Ausſage des Indianers, weil ihm aber
einfallen mochte, daß wir vielleicht unſre Abreiſe deshalb beſchleunigen wuͤrden;
ſo wollte er ſich nachher nicht weiter daruͤber auslaſſen, ſondern ſtellte ſich, als
ob er ſelbſt nicht recht wuͤßte, was davon zu halten ſey, und ſuchte immer kurz
abzubrechen, wenn wir das Geſpraͤch darauf hinlenkten. Mit einem Wort, ein
europaͤiſcher Staatsmann haͤtte einer verfaͤnglichen Frage nicht beſſer und ſchlauer
ausweichen koͤnnen.


Am folgenden Tage kamen die Indianer haufenweiſe an das Schif, und
brachten große Vorraͤthe von Lebensmitteln zum Verkauf, weil ſie hoͤrten, daß
wir morgen (den 4ten Junius) ſchon wieder abſegeln wollten. Ohngeachtet ſie alles
ſehr wohlfeil ausboten; ſo war doch unſer Vorrath von Beilen und Meſſern bereits
dermaaßen erſchoͤpft, daß der Buͤchſenſchmidt neue Waare dieſer Art anfertigen
mußte, die aber ungeſtaltet und wenig nutze war. Das galt vornaͤmlich von den
Meſſern, als zu welchen die Klingen aus eiſernen Tonnenbaͤnden zuſammenge-
ſtuͤmpert wurden. Die guten einfaͤltigen Leute waren aber doch damit zufrieden, weil
ſie die innere Guͤte noch nicht nach dem bloßen Anſehen zu beurtheilen wußten.
Dafuͤr alſo, daß ſie uns bisweilen die Taſchen ausgeleeret, oder manches heimlich
[117]in den Jahren 1772 bis 1775.
entwendet hatten, was wir nicht genug bewachten; machten wirs jetzt doppelt ſo1774.
Junius.

arg mit ihnen, denn wir hintergiengen ſie gar bey offnen Augen. —


Unter den Bewohnern der Societaͤts-Inſeln giebt es hie und da gewiſſe
Perſonen, die von den Traditionen, von der Mythologie und von der Sternkunde
ihrer Nation Kenntniß haben. Maheine hatte ſie uns oft als die Gelehrteſten
ſeiner Landesleute geruͤhmet und ſie Tata-o-Rerro genannt, welches man ohn-
gefaͤhr durch Lehrer uͤberſetzen koͤnnte. Nachdem wir lange darauf ausgewe-
ſen, einen ſolchen Mann kennen zu lernen, ſo fanden wir endlich hier im Di-
ſtrict Hamaneno, einen Befehlshaber, der Tutawaï hieß, und den Beyna-
men eines Tata-o-Rerro fuͤhrte. Es that uns um deſto mehr leyd, ihn nicht
ehe ausgeforſcht zu haben, weil unſre Abreiſe jetzt ſchon ſo nahe vor der Thuͤre
war. Indeſſen verwendete mein Vater wenigſtens noch die letzten Augenblicke
unſers Hierſeyns auf die Unterſuchung eines ſo wichtigen Gegenſtandes.


Dem hochgelahrten Tutawaï ſchien damit gedient zu ſeyn, daß er Gele-
genheit fand, ſeine Wiſſenſchaft auszukramen. Es ſchmeichelte ſeiner Eigenliebe,
daß wir ihm ſo aufmerkſam zuhoͤrten; und dies vermogte ihn auch ſich uͤber dieſe
Materie mit mehr Geduld und Beharrlichkeit herauszuͤlaſſen, als wir ſonſt
von den fluͤchtigen und lebhaften Einwohnern dieſer Inſeln gewohnt wa-
ren. Im Ganzen ſcheint die Religion aller dieſer Inſulaner das ſonderbarſte
Syſtem von Vielgoͤtterey zu ſeyn, das jemals erdacht worden. Nur wenig
Voͤlker ſind ſo elend und ſo ganz mit den Beduͤrfniſſen der Selbſterhaltung be-
ſchaͤfftiget, daß ſie daruͤber gar nicht an den Schoͤpfer denken, und verſuchen ſoll-
ten, ſich einen, wenn gleich noch ſo unvollſtaͤndigen Begriff von ihm zu machen.
Dieſe Begriffe ſcheinen vielmehr ſeit jenen Zeiten, da ſich Gott den Men-
ſchen unmittelbar offenbarte, durch muͤndliche Erzaͤhlungen unter allen Natio-
nen verblieben, und aufbehalten zu ſeyn. Vermittelſt einer ſolchen Fort-
pflanzung der ehemaligen goͤttlichen Offenbarung, hat ſich denn auch zu Tahiti
und auf den uͤbrigen Societaͤts-Inſeln, noch ein Funken davon erhalten, die-
ſer nemlich, daß ſie ein hoͤchſtes Weſen glauben, durch welches alles Sicht-
bare und Unſichtbare erſchaffen und hervorgebracht worden. Die Geſchichte
zeigt aber, daß alle Nationen, wenn ſie die Eigenſchaften dieſes allgemeinen
und unbegreiflichen Geiſtes naͤher unterſuchen wollten, die Schranken, welche
P 3
[118]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
der Schoͤpfer unſern Sinnes- und [Verſtandes][-]Kraͤften vorgeſchrieben, bald mehr
hald minder uͤberſchritten, und dadurch gemeiniglich zu den thoͤrigten Mey-
nungen verleitet wurden. Daher geſchahe es, daß die Eigenſchaften der Gott-
heit durch eingeſchraͤnkte Koͤpfe, die ſich von der hoͤchſten Vollkommenheit kei-
nen Begriff machen konnten, gar bald perſonificirt oder als beſondere Weſen
vorgeſtellet wurden. Auf dieſe Art entſtand jene ungeheure Zahl von Goͤttern
und Goͤttinnen; ein Irrthum gebahr den andern, und da jeder Menſch ein
angebohrnes Verlangen hegt, von Gott ſich einen Begriff zu machen; ſo
brachte der Vater, das, was er davou wußte, in der erſten Erziehung auch
ſeinen Kindern bey. Indeſſen vermehrte ſich das Geſchlecht der Menſchen,
und fieng gar bald an, ſich in unterſchiedne Staͤnde zu theilen. Durch die-
ſen eingefuͤhrten Unterſchied in den Staͤnden ward verhaͤltnißweiſe die Befrie-
digung der Sinnlichkeit einigen erleichtert, andern aber erſchweret. Wenn
nun unter denenjenigen, welchen ſie erſchweret wurde, ein Mann von beſon-
dern Faͤhigkeiten war, der den allgemeinen Hang ſeiner Mitbruͤder zu Anbetung
eines hoͤheren Weſens bemerkte; ſo geſchah es oft, (und ich moͤchte faſt ſagen,
immer) daß er dieſe herrſchende Neigung mißbrauchte. Zu dem Ende ſuchte
der Betruͤger die Verſtandeskraͤfte des großen Haufens zu feſſeln und ſich denſel-
ben zinsbar zu machen. Die Vorſtellungen, welche er ihnen von der Gottheit
beybrachte, mußten ſeinen Abſichten behuͤlflich ſeyn, und deshalb pflanzte er
dem Volke, das bisher von Natur eine kindliche Liebe zu Gott als ſeinem
Wohlthaͤter fuͤhlte, nun Furcht und Schrecken vor dem Zorn deſſelben ein. Eben
ſo duͤnkt mich, iſts auch auf den Societaͤts-Inſeln zugegangen. Man verehret da-
ſelbſt Gottheiten von allerhand Art und Eigenſchaften; und, was vornemlich be-
fremdend iſt, jede Inſel hat eine beſondre Theogonie oder Goͤtter-Geſchichte.
Dies wird ſich bey Vergleichung dieſer Nachrichten, mit denen die in Capitain
Cooks erſterer Reiſe enthalten ſind, deutlich ergeben. *)Tutawaï fieng da-
mit an, daß er uns ſagte, der hoͤchſte Gott oder der Schoͤpfer des Himmels und
der Erden habe auf jeder Inſel einen beſondern Namen; oder, um es deutlicher
auszudruͤcken, ſie glaubten auf jeder Inſel an ein beſonderes hoͤchſtes Weſen,
dem ſie, uͤber alle andere Gottheiten, den Rang zugeſtaͤnden. Auf Tahiti
[119]in den Jahren 1772 bis 1775.
und Eimeo ſagen ſie, der hoͤchſte Gott ſey O-Ruahattu; auf Huaheine be-1774.
Junius.

haupten ſie, es ſey Tane; zu Raietea es ſey O-Ru; auf O-Taha es ſey
Orra; zu Borabora er heiße Tautu; zu Maurua heißt er O-Tu; und
auf Tabua-mannu (oder Sir Charles Saunders Eyland) wird er Taroaͤ
genennet. Die See wird ihrer Meynung nach von dreyzehn Goͤttern beherrſcht.
1) Uruhaddu, 2) Tama-ui, 3) Ta-api, 4) O-Tuarionu, 5) Taniea,
6) Tahu-meonna, 7) Otah-mauwe, 8) O-Whaï, 9) O-Whatta,
10) Tahua, 11) Ti-uteia, 12) O-Mahuru, 13) O-Whaddu. Aller
dieſer See-Gottheiten ohnerachtet, ſoll doch noch ein andrer, Namens U-marreo
die See erſchaffen haben. Eben ſo iſts mit der Sonne; dieſe ſoll von O-Mau-
we
einem maͤchtigen Gott, der die Erdbeben verurſacht, erſchaffen ſeyn, aber
von einer andern Gottheit, Namens Tutoomo-ſovorirri bewohnt und regieret
werden. Zu eben dieſem Gott, der eine ſchoͤne menſchliche Geſtalt haben und mit
Haaren verſehen ſeyn ſoll, die ihm bis auf die Fuͤße reichen, gehen, ihrer Meynung
nach, die Verſtorbenen, wohnen daſelbſt und ſchmauſen Brodfrucht und Schwei-
nefleiſch, das nicht erſt am Feuer gahr gemacht werden darf. Sie glauben auch, daß
jeder Menſch ein beſonderes Weſen in ſich habe, welches nach dem Eindruck der Sin-
ne handelt und aus einzelnen Begriffen Gedanken zuſammenſetzt. *) Dies Weſen
neunen ſie Tih, ſo wie wir es Seele heißen; ihrer Vorſtellung zufolge, bleibt es
nach dem Tode uͤbrig, und wohnt in den hoͤlzernen Bildern, die um die Begraͤbniſſe
geſtellt, und daher auch Tih genannt werden. Die Begriffe von einer kuͤnftigen Fort-
dauer und von der Verbindung zwiſchen Geiſt und Materie haben ſich folglich bis in
die entfernteſten Inſeln der Erde fortgepflanzt! Ob man aber auch von kuͤnftigen
Strafen und Belohnungen hier etwas wiſſe? Das konnten wir, ſo wahrſcheinlich
mirs auch duͤnkt, dennoch nicht mit Fragen erforſchen. Der Mond ſoll durch eine
weibliche Gottheit erſchaffen ſeyn. Dieſe heißt O-Hima; ſie regiert jenen Welt-
koͤrper und wohnt daſelbſt in den ſichtbaren, wolken-aͤhnlichen Flecken dieſes Pla-
neten. Die Frauensleute pflegen oft ein kurzes Lied zu ſingen, welches auf die
Verehrung jener Gottheit ſich zu beziehen ſcheint; vielleicht ſchreiben ſie derſel-
ben auch einen unmittelbaren Einfluß auf ihre Natur zu. Das Lied lautete alſo:


[120]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
Te-Uwa no te malama

Te-Uwa te hinàrro.

Das iſt:


Das Woͤlkchen in dem Monde

Das Woͤlkchen liebe ich!

Daß uͤbrigens die tahitiſche Goͤttin des Mondes nicht die keuſche Diana der
Alten, ſondern vielmehr die phoͤniciſche Aſtarte ſeyn muͤſſe, werden meine
Leſer wohl nicht in Abrede ſeyn. Die Sterne ſind durch eine Goͤttin hervorge-
bracht, welche Tetu-matarau genannt wird, und die Winde ſtehen unter der
Bothmaͤßigkeit des Gottes Orri-Orri.


Außer dieſen groͤßern Gottheiten haben ſie noch eine anſehnliche Menge von
geringerem Range. Einige derſelben ſollen Unheil ſtiften und Leute im Schlafe
toͤdten. Dieſe werden bey den vornehmſten Marais, oder ſteinernen Denkmaͤ-
lern, oͤffentlich durch den Tahowa-rahai, oder den Hohenprieſter der Inſel ver-
ehret. An die wohlthaͤtigen Goͤtter richtet man Gebethe, die aber nicht laut
ausgeſprochen, ſondern bloß durch die Bewegung der Lippen angedeutet werden.
Der Prieſter ſieht dabey gen Himmel, und man glaubt, der Eatua oder Gott
komme zu ihm herab und rede mit ihm, bleibe aber dem Volk unſichtbar, und
werde nur ganz allein von dem Prieſter gehoͤrt und verſtanden. Dies iſt
ein deutlicher Beweis von Pfaffenliſt, deren großer Endzweck uͤberall darauf
hinaus lief, die Religion in Geheimniſſe zu huͤllen. Daher liegt auch meines
Erachtens, der deutlichſte Beweis von dem wahrhaft goͤttlichen Urſprunge der
chriſtlichen Religion darinn, daß ſie in dieſem Punkt gerade das Widerſpiel aller
uͤbrigen Religionen iſt, in ſo fern ſie alle betruͤgeriſche Menſchenſatzungen ver-
wirft und dem Verſtande freye Pruͤfung geſtattet. Ihre urſpruͤngliche Reinigkeit
vertraͤgt ſich nicht mit abſichtvollen Zierrathen, und ſie iſt nicht in Geheimniſſe ge-
huͤllt, die gemeiniglich nur zu Beguͤnſtigung gewiſſer Dunkelheiten dienen muͤſſen,
ſondern ſie laͤßt vielmehr aus eigner innerer Kraft ein reines, beſtaͤndiges Licht um
ſich her leuchten. Die aͤchten, wuͤrdigen Diener derſelben, haben uns auch
zu allen Zeiten verſichert und bewieſen, daß ihnen keine beſondre eigenthuͤmliche
Wiſſenſchaft mitgetheilt waͤre, ſondern daß allen denen, die vor dem Herrn
die Knie beugen, ohne Unterſchied, ein gleiches Maaß von Erkenntniß
freyſtehe, weil alle ihn kennen ſollen, vom Groͤßten bis zum Geringſten.
EbraͤerVIII. 11.


Die
[121]in den Jahren 1772 bis 1775.

Die Opfer, welche den Goͤttern dieſer Inſeln dargebracht werden, be-1774.
Junius.

ſtehen in gahr gemachten Schweinen und Huͤhnern, wie auch allerhand Arten
von andern Lebensmitteln. Die niedrigern, beſonders aber die boͤſen Geiſter,
werden bloß durch eine Art von Geziſch verehrt. Einige derſelben ſollen des
Nachts in die Haͤuſer kommen und die Einwohner ums Leben bringen; andre
ſollen ſich auf einer gewiſſen unbewohnten Inſel, Namens Mannua, in Geſtalt
ſtarker, großer Maͤnner aufhalten, ſchrecklich funkelnde Augen haben und einen
jeden verſchlingen, der ihrer Kuͤſte zu nahe koͤmmt. Dieſe Fabel ſcheint indeſſen
nicht ſowohl zu ihrer Goͤtterlehre zu gehoͤren, als vielmehr eine Anſpielung auf Men-
ſchenfreſſer zu ſeyn, deren es, wie ich oben ſchon bemerkt, vor undenklichen Zeiten,
auf dieſen Inſeln mag gegeben haben.


Capitain Cook hat uͤber die Religionsverfaſſung dieſer Inſulaner eine
wichtige Entdeckung gemacht, davon mir aber bey unſerm Aufenthalt in der
Suͤdſee nichts bekannt geworden. Ich will daher nicht Anſtand nehmen, ſie zum
Beſten meiner Leſer, mit des Verfaſſers eignen Worten hier einzuruͤcken:


„Da ich (ſagt Capitain Cook) nicht ohne Grund vermuthete, daß die
Tahitiſche Religion in manchen Faͤllen Menſchen-Opfer vorſchreibe, ſo gieng
„ich einmal mit Capitain Fourneaux nach einem Marai oder Begraͤbnißplatz in
Matavaï, und nahm, wie ich bey aͤhnlichen Gelegenheiten immer zu thun
„pflegte, einen meiner Leute mit, der die Landesſprache ziemlich gut verſtand.
„Etliche Eingebohrne, darunter einer ein ganz geſcheuter Mann zu ſeyn ſchien,
„folgten uns. Auf dem Platze ſtand ein Tupapau, oder Geruͤſt, worauf ein
„Todter, nebſt einigen Speiſen lag; welches alles meiner Wißbegierde zu ſtatten
„zu kommen ſchien. Ich ſing an, kurze Fragen zu thun; z. B. ob die Piſangs-
„und andre Fruͤchte, dem Eatua (der Gottheit) dargebracht waͤren? Ob man
„dem Eatua Schweine, Hunde, Huͤhner u. ſ. f. opferte? Auf alle dieſe Fra-
„gen wurde bejahend geantwortet. Nun fragte ich, ob man dem Eatua denn
„auch “Menſchen” opferte
? Mein Tahitier antwortete gleich Taata-ino,
„d. i. boͤſe Menſchen wuͤrden geopfert, nachdem ſie erſt (Tiparrahaï) d. i. zu
„Tode gepruͤgelt worden. Ich fragte weiter, ob man nicht auch zuweilen gute,
„rechtſchaffne
Leute auf dieſe Art umbraͤchte? Nein, nur Taata-ino. Wer-
„den auch Erihs jemals geopfert? Er antwortete, die haben ja Schweine, dem
Forſter’s Reiſe n. d. W. zweyter Th. Q
[122]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
Eatua hinzugeben, und blieb bey ſeinem Taata-ino. Um gewiſſer zu ſeyn,
„verlangte ich noch zu erfahren, ob ein ehrlicher, unbeſcholtner Tautau, d. i.
„Kerl vom gemeinen Volk der weder Schweine, noch Hunde, noch Huͤhner
„hat, dem Eatua geopfert wuͤrde? Ich bekam aber immer die erſte Ausſage
„zu hoͤren, man opfere nur Boͤſewichter. Nach einigen andern Fragen, die
„ich noch an ihn that, glaubte ich endlich ſo viel verſtanden zu haben, daß Men-
„ſchen, fuͤr gewiſſe Uebelthaten und Laſter, den Goͤttern zum Opfer verurtheilt
„werden, wenn ſie nemlich nicht im Stande ſind, ſich durch irgend etwas aus-
„zuloͤſen oder loszukaufen, dergleichen Leute aber wohl nur in der niedrigſten
„Klaſſe des Volks anzutreffen ſeyn.


„Der Mann, den ich hieruͤber befragte, gab ſich Muͤhe, die ganze Ce-
„remonie zu beſchreiben; allein wir waren der Sprache noch nicht kundig genug,
„um ihn durchaus zu verſtehen. Nachher habe ich von Omai erfahren, daß
„ſie dem hoͤchſten Weſen wirklich Menſchen-Opfer darbringen. Seiner Aus-
„ſage zufolge, kommt es aber blos auf den Hohenprieſter an, wen er zum
„Opfer waͤhlen will. Wenn das Volk verſammelt iſt, geht er allein in das
„Haus Gottes, und bleibt da eine Zeitlang. So bald er wieder heraustritt,
„erzaͤhlt er, daß er den großen Gott geſehn und geſprochen (ein Vorrecht, das
„dem Hohenprieſter nur allein zuſteht) und daß dieſer einen Menſchen zum Opfer
„verlangt habe. Er ſagt ihnen hierauf namentlich, wen dies traurige Loos
„getroffen habe, vermuthlich aber faͤllt dieſe Wahl allemal auf jemand, der dem
„Prieſter gehaͤßig iſt. Der wird dann ſogleich erſchlagen, und wenn es allen-
„falls noͤthig ſeyn ſollte, ſo wird der Prieſter wohl ſo viel Verſchlagenheit be-
„ſitzen, um dem Volk einzureden, der Kerl ſey ein Boͤſewicht geweſen.„


Ich habe bey dieſer Erzaͤhlung des Capitain Cook nichts zu erinnern, als
daß der Ausdruck, der Hoheprieſter habe Gott geſehen, mit der Tahitiſchen Goͤtter-
lehre nicht genau uͤbereinſtimmt, als wornach die Gottheit unſichtbar iſt; doch mag
wohl dieſer Ausdruck nur nicht recht von ihm verſtanden worden ſeyn. Uebrigens
ſtimmt dieſe Bemerkung uͤber die Opfer ſehr gut mit der Vermuthung uͤberein,
die ich weiter oben p. 58. u. f. geaͤußert habe, daß die Tahitier wohl ehemals
Menſchenfreſſer geweſen ſeyn koͤnnen. Denn es iſt bekannt, daß dieſe Art von Bar-
barey bey allen Nationen in den Gebrauch uͤbergegangen ſey, Menſchen zu
[123]in den Jahren 1772 bis 1775.
opfern, und daß ſich dieſe gottesdienſtliche Ceremonie ſelbſt bey zunehmender1774.
Junius.

Cultur und Verbeſſerung der Sitten, noch lange erhalten hat. So opferten die
Griechen, Carthaginenſet und Roͤmer, ihren Goͤttern noch immer Men-
ſchen, als ihre Cultur ſchon den hoͤchſten Gipfel erreicht hatte.


Außer den Opfern ſind den Gottheiten auch noch gewiſſe Pflanzen beſon-
ders geweihet. Daher findet man z. B. den Caſuarina-Baum, die Cocos-
Palme
und den Piſang oft neben den Marais gepflanzt. Eine Art von cra-
tæva,
die Pfefferwurzel, der hibiscus populneus, die Dracæna termina-
lis,
und das Calophillum finden ſich eben daſelbſt und werden insgeſammt als
Friedens- und Freundſchaftszeichen angeſehen. Verſchiedne Voͤgel, nemlich eine
Reiger-Art, der Eisvogel und der Kuckuk, ſind gleichfalls der Gottheit geweihet.
Ich habe aber ſchon erwaͤhnt, daß ſie nicht von allen Leuten auf gleiche Weiſe in Eh-
ren gehalten werden; auch iſt zu merken, daß in den unterſchiednen Inſeln auch
unterſchiedne Arten von Voͤgeln fuͤr heilig geachtet werden.


Die Prieſter dieſes Volkes bleiben Lebenslang in ihrem Amt, und
ihre Wuͤrde iſt erblich. Der Hoheprieſter jeder Inſel iſt allemal ein Erih, und
hat den naͤchſten Rang nach dem Koͤnige. Sie werden bey wichtigen Angele-
genheiten zu Rathe gezogen, haben reichlichen Antheil an allen Herrlichkeiten des
Landes, kurz, ſie haben Mittel gefunden, ſich nothwendig zu machen. Außer
den Prieſtern giebt es noch in jedem Diſtrict einen oder zween Lehrer, oder Tata-
orrero’s
, (dergleichen Tutawai einer war) welche ſich auf die Theogenie und
Cosmogenie verſtehen und zu gewiſſen Zeiten dem Volk Unterricht darinn geben.
Eben dieſe Leute ſorgen auch dafuͤr, daß die National-Kenntniſſe von der Geo-
graphie, Aſtronomie und Zeitrechnung nicht verlohren gehen. Sie zaͤhlen vier-
zehn Monathe und nennen ſolche, in folgender Ordnung, alſo: 1) O-Pororo-
mua
, 2) O-Pororo-murih, 3) Murehah, 4) Uhi-eiya, 5) O-Whirre-
ammà
, 6) Taowa, 7) O-Whirre-erre-erre, 8) O-Teàrre, 9) Ote-tàï,
10) Warehu, 11) Wahau, 12) Pippirri, 13) E-Ununu, 14) Uman-
nu
. Die erſten ſieben Monathe zuſammengenommen, heißen Uru oder die
Brodfrucht-Zeit; wie ſie aber dieſe Monathe berechnen, um genau ein
Jahr daraus zu machen? das iſt bis jetzt fuͤr uns noch ein Geheimniß. Faſt ſollte
man auf die Vermuthung gerathen, daß einige, als z. B. der zweyte und ſie-
Q 2
[124]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
bende, Schalt-Monathe ſeyn moͤgten, weil die Namen derſelben eine ſo beſondre
Aehnlichkeit mit dem erſten und fuͤnften haben. Wenn dem alſo waͤre, ſo wuͤrden
ſie jedesmal nach Verlauf eines gewiſſen Zeitraums eingeſchoben werden muͤſſen.
Jeder Monath beſteht aus neun und zwanzig Tagen; waͤhrend der beyden letzten
ſagen ſie, der Mond ſey todt, weil er alsdenn nicht zu ſehen iſt. Hieraus folgt,
daß ſie den Anfang des Monaths, nicht von der wahren Zeit der Conjunction,
ſondern von der erſten Erſcheinung des Mondes anrechnen. Der fuͤnf und zwan-
zigſte ihres dreyzehnten Monathes E-Ununu, traf auf unſern dritten Junius, als
den Tag, da wir dieſe Nachricht einzogen.


Der tahitiſche Name eines Lehrers, Tahowa, wird auch denen beyge-
legt, welche ſich auf die Heilkraͤfte ſolcher Kraͤuter verſtehen, die hier zu Lande
als Mittel gegen mancherley Krankheiten angewendet werden. Doch iſt leicht
zu erachten, daß dieſe Wiſſenſchaft nur von geringem Umfange ſeyn koͤnne, weil
ſie nur von wenig Krankheiten wiſſen, folglich auch nur wenig und ſehr einfache
Arzneymittel beduͤrfen.


Kaum war unſer gelehrter Tutawai in ſeinem Unterricht ſo weit gekom-
men, als die Anker gelichtet wurden, und wir verließen dieſe Inſel am 4ten
Junius des Morgens um 10 Uhr. Der Koͤnig von Raietea, Uuru, welchem
der Eroberer O-Puni den Titel und die aͤußeren Vorzuͤge der koͤniglichen Wuͤrde
gelaſſen hatte, beſuchte uns noch mit einigen ſeiner Verwandten, da wir eben im
Begrif waren abzugehen. O-Rea war mit ſeiner Familie gleichfalls am Bord, und
auch Maheine ſtellte ſich mit den Seinigen ein, um Abſchied zu nehmen. Der
Auftritt war ungemein ruͤhrend. Die guten Leute weinten allerſeits recht herzlich,
am meiſten aber der arme Maheine, der unter der Heftigkeit ſeines Schmerzes
gleichſam zu erliegen ſchien. Er lief von einer Cajuͤtte zur andern, und umar-
mete einen jeden, ohne ein Wort ſprechen zu koͤnnen. Sein ſchluchzendes
Seufzen, ſeine Blicke und ſeine Thraͤnen laſſen ſich nicht beſchreiben. Als das
Schiff endlich anfieng zu ſeegeln, mußte er ſich von uns losreißen, und in ſein Boot
herabſteigen, doch bleib er, da alle feine Landslente ſich bereits niedergeſetzt hat-
ten, noch immer aufrecht ſtehen und ſahe uns mit unverwandten Augen nach;
endlich aber ließ er das Haupt ſinken und verhuͤllte ſein Geſicht in ſeine Kleidung.
Wir waren ſchon weit uͤber den Felſen-Rief hinaus, als er die Haͤnde noch immer
[125]in den Jahren 1772 bis 1775.
nach uns ausſtreckte, und das dauerte fort, bis man ihn nicht laͤnger unterſchei-1774.
Junius.

den konnte.


So verließen wir denn ein liebenswuͤrdiges Volk, welches bey allen ſeinen
Unvollkommenheiten, vielleicht unſchuldigern und reinern Herzens iſt, als manche
andre, die es in der Verfeinerung der Sitten weiter gebracht und beſſern Un-
terricht genoſſen haben. Sie kennen die geſelligen Tugenden und Pflichten und
uͤben ſie auch getreulich aus. Die Gutherzigkeit, welche der ehrliche Maheine
bey jeder Gelegenheit bewies, iſt ein ziemlich richtiger Maasſtab, nach welchem
ſich der Character dieſes Volkes uͤberhaupt beurtheilen laͤßt. Wie oft habe ich
geſehen, daß eine Menge von ihnen ſich recht bruͤderlich in eine einzige Brod-
frucht oder in ein Paar Cocos-Nuͤſſe theilte, und daß ſie mit den geringſten Por-
tionen zufrieden waren, damit nur keiner leer ausgehen moͤgte! Auch ſchraͤnkte
ſich dieſe huͤlfreiche Eintraͤchtigkeit keinesweges auf bloße Kleinigkeiten ein; ſon-
dern, ſo bereitwillig ſie waren einander mit Lebensmitteln auszuhelfen, eben ſo
gern und uneigennuͤtzig theilten ſie einander auch Kleidungsſtuͤcke und Sachen
von betraͤchtlicherem Werthe mit.


Selbſt mit uns, die wir Fremdlinge in ihrem Lande waren, giengen
ſie auf das liebreichſte um: Wenn wir aus den Booten ans Land, oder vom
Ufer wieder in die Boote ſteigen wollten, ſo erboten ſie ſich jederzeit uns auf
dem Ruͤcken hinuͤber zu bringen, damit wir uns die Fuͤße nicht naß machen ſoll-
ten. Oft haben ſie uns die Seltenheiten, die wir eingekauft, nachgetragen;
und gemeiniglich waren ſie auch gutwillig genug, wie die Huͤhnerhunde ins Waſ-
ſer zu gehen, um die Voͤgel herauszuholen, die wir geſchoſſen hatten. Wenn uns
Regenwetter uͤberfiel, oder wenn wir fuͤr Hitze und Muͤdigkeit oft nicht mehr
fort konnten, ſo bathen ſie uns, in ihren Huͤtten auszuruhen und bewirtheten
uns mit ihren beſten Vorraͤthen. Der gaſtfreye Hauswirth ſtand in ſolchen
Faͤllen ganz beſcheiden von fern und wollte nicht eher vor ſich ſelbſt etwas nehmen,
als bis wir ihn ausdruͤcklich dazu einluden; andre von den Hausgenoſſen faͤcherten
uns indeß mit Baumblaͤttern oder buſchigten Zweigen, Kuͤhlung zu, und beym
Abſchiede wurden wir gemeiniglich in die Familie, nach Maasgabe unſers
Alters, entweder als Vater, oder Bruder, oder als Soͤhne, aufgenommen.
Dies thaten ſie in der Meynung, daß unſre Officiers und alle die ſich zu denſelben
Q 3
[126]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
hielten, auf eben ſolche Art untereinander verwandt ſeyn muͤßten, als [die] Be-
fehlshaber und uͤberhaupt die vornehmern Leute in allen Societaͤts-Inſeln gleich-
falls nur eine einzige Familie ausmachen. Dieſer Irrthum verleitete ſie auch
Capitain Cook und meinen Vater fuͤr Bruͤder anzuſehen, denn bey aller ihrer
uͤbrigen Faͤhigkeit ſind ſie doch nur ſchlechte Phyſionomiker. Was uͤbrigens
ihren Tugenden, als der Gaſtfreyheit, der Gutherzigkeit und der Uneigennuͤtzig-
keit, einen doppelten Werth giebt, iſt dieſes, daß ſie ſelbſt ſich derſelben nicht
einmal bewußt ſind, und es gleichſam den Fremdlingen, die zu ihnen kom-
men, uͤberlaſſen aus dankbarer Erkenntlichkeit, ihren Tugenden Denkmaͤler
zu ſtiften.


Viertes
[127]in den Jahren 1772 bis 1775.

Viertes Hauptſtuͤck.
Reiſe von den Societaͤts- nach den freundſchaftlichen
Inſeln
.


Bey unſrer Abfahrt von Raietea, feuerten wir, dem Geburtstage Sr. Ma-1774.
Junius.

jeſtaͤt des Koͤnigs zu Ehren, einige Kanonen ab, welches fuͤr die hieſigen
Einwohner ein neues und ſehr angenehmes Schauſpiel zu ſeyn ſchien. Waͤhrend
der ſechs Wochen, die wir zu Tahiti und auf den Societaͤts-Inſeln zugebracht,
hatten wir uns ſehr erquickt und vom Scorbut und Gallenkrankheiten voͤllig wie-
der erholt. Dagegen kamen nun bey denenjenigen


Who with unbaſhfull forehead woo’d
The means of ſickneſs and debility.

Shakespeare.
()

veneriſche Zufaͤlle zum Vorſchein. Faſt die Haͤlfte der Matroſen ward von die-
ſer haͤßlichen Krankheit angeſteckt befunden; doch war ſie, im Ganzen genommen,
nicht ſo boͤsartig, als in Europa. Maheine hatte uns oft verſichert, daß ſie
auf Tahiti und den Societaͤts-Inſeln ſchon eingeriſſen geweſen, ehe noch Ca-
pitain Wallis im Jahr 1768. dahin kam, und er behauptete ausdruͤcklich, daß
ſeine eigene Mutter verſchiedne Jahre zuvor, auf Borabora, an dieſer Krank-
heit geſtorben ſey. Auf ſolche Art waͤre dann der Ausbruch derſelben in verſchied-
nen Theilen der Welt, bisher durchgehends einer ganz unrichtigen Urſach bey-
gemeſſen worden. Seit faſt dreyhundert Jahren haben unſre Moraliſten auf
die Spanier geſchimpft, weil die Aerzte ihnen Schuld gegeben, daß ſie dieſe
Seuche aus Amerika zu uns gebracht; und gleichwohl iſt jetzt unlaͤugbar erwie-
ſen, daß wir ſie in Europa kannten, ehe Amerika entdeckt war!*) Eben ſo uͤbereilt
haben ſich’s auch die engliſchen und franzoͤſiſchen Seefahrer einander wechſelsweiſe
vorgeworfen, daß jene fuͤrchterliche Krankheit durch einen von ihnen unter die gut-
[128]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
herzigen Tahitier gebracht worden ſey, da dieſe doch ſchon lange zuvor davon an-
geſteckt geweſen ſind und ſie ſogar zu heilen wiſſen. *) Ja was noch mehr iſt;
das, Gift derſelben ſcheint hier bereits eben ſo ſehr entkraͤftet und gemildert zu
ſeyn als es dermalen in Suͤd-Amerika iſt. Dies pflegt aber bey dergleichen
Seuchen nicht ehe zu erfolgen, als bis ſie ſchon eine geraume Zeit gewuͤthet
haben, doch koͤnnen hieran das geſunde Clima und die einfache Koſt dieſer
Inſulaner allerdings mit Urſach ſeyn. Uebrigens bin ich weit entfernt
zu glauben, daß dieſe Peſt aus Europa nach Amerika gekommen ſey. Nein!
eben die Urſachen, welche ſie in einem Welttheile veranlaßten, konnten ſie auch
in jedem andern hervorbringen. — Die Ausſchweifungen unſrer Ma-
troſen mit den Weibern auf Tongatabu und den Marqueſas-Inſeln, ja
ſelbſt ihr Verkehr mit den unzuͤchtigen Dirnen auf Oſter-Eyland, hatten keine
uͤblen Folgen. Daraus laͤßt ſich vielleicht ſchließen, daß dieſe Inſeln zur Zeit
noch nicht angeſteckt ſind; ich ſage vielleicht, denn, ſo viel Anſchein derglei-
chen Folgerungen auch vor ſich haben, ſo koͤnnen ſie dennoch wohl truͤgen. **)
Dies beweißt Capitain Wallis Beyſpiel. Er verließ Tahiti, ohne einen einzigen
veneriſchen Patienten an Bord zu haben, und gleichwohl war daſelbſt die Krank-
heit ſchon zuvor eingeriſſen! Daß endlich auch unter den Neu-Seelaͤndern dieſe
Krankheit bereits vorhanden geweſen ſey, ehe noch die Europaͤer Umgang mit
ihnen gehabt haben, iſt wohl ebenfalls außer allen Zweifel. ***)


Nachmittags paßirten wir die Inſel Maurua und ſteuerten mit einem
guten Paſſatwinde nach Weſten. Um 6 Uhr des Morgens entdeckten wir die
Inſel, welche Capitain Wallis, Lord Howe’s-Eyland genannt hat. Sie be-
ſtehet aus niedrigen Coral-Riefen, und hat einen Landſee in der Mitte. Der
Lage nach muß es eben dieſelbe ſeyn, welche bey den Bewohnern der Socie-
taͤts-Inſeln
unter dem Namen Mopihah bekannt iſt. Unſern Beobachtun-
gen zufolge, liegt ſie im 16ten Grad 46 Secunden ſuͤdlicher Breite und unterm
154ſten Grad 8 Secunden weſtlicher Laͤnge. In der Nachbarſchaft derſelben
hielten ſich einige Pelecane und Doͤlpel (boobies) auf; von Menſchen aber
ſchien ſie gaͤnzlich unbewohnt zu ſeyn.


Am
[129]in den Jahren 1772 bis 1775.

Am folgenden Tage, gegen Mittag, aͤnderte ſich der Wind und ward1774.
Junius.

uns zuwieder. Den ganzen Nachmittag hatten wir Donner, Blitz und zum Theil
heftige Regenguͤſſe. In der Nacht ward es windſtill; weil aber das Wetter-
leuchten noch immer anhielt; ſo ließen wir, vorſichtshalber, die electriſche Kette
an der Spitze des Maſtes befeſtigen. Die naͤchſten drey Tage war der Wind
ſo ſchwach und zuweilen ſo ganz unmerklich, daß wir faſt gar nicht aus der Stelle
kamen. Waͤhrend dieſer Windſtillen gereichte es uns einigermaaßen zum Zeit-
vertreib, eine Menge von tropiſchen Voͤgeln und Guͤmpeln (ſterna ſolida)
um das Schiff her zu ſehen. Die Matroſen fiengen in dieſer Zwiſchenzeit auch
einen großen Hayfiſch an der Angel; allein zu ihrem groͤßten Herzeleyd, ent-
gieng er ihnen wieder, ohnerachtet ſie ihm, zu Verhuͤtung dieſes Unſterns, drey
Kugeln durch den Leib geſchoſſen hatten.


Am 11ten des Morgens ward der Wind friſcher und brachte uns gen
Weſt-Suͤd-Weſt wiederum vorwaͤrts. Allein nach Verlauf zweyer Tage hatten
wir von neuem, bald mit Windſtillen, bald mit widrigem Winde zu kaͤmpfen,
und des Nachts pflegte es haͤufig zu blitzen. Sowohl in der Luft als im Waſſer
war es die ganze Zeit uͤber ſehr lebhaft, denn Seevoͤgel, von allerhand Art,
ſchwaͤrmten, und Boniten, Doraden, Hayfiſche und Nord-Caper,
ſchwammen um uns her.


Am 16ten fruͤh um 8 Uhr entdeckten wir eine andre niedrige Inſel.
Gegen 3 Uhr Nachmittags kamen wir dicht heran und ſeegelten rund her-
um, fanden aber nirgends einen Landungsplatz oder Haven. Sie beſtand
aus mehreren kleinen Eylanden, die durch Riefe untereinander zuſammenhien-
gen, und mit Baͤumen, vornemlich mit Cocos-Palmen bewachſen waren, wel-
ches dieſem kleinen Fleck Landes ein ſehr reitzendes Anſehn gab. Die Waſſer-
Voͤgel ſchwaͤrmten in ſolcher Menge um dieſe Inſel her, daß wir ſie mit Recht
fuͤr gaͤnzlich unbewohnt halten mußten. An manchen Stellen war das Ufer
ſandig, nnd das ſind gerade ſolche Stellen, wo die Schildkroͤten gern ihre Eyer
zu legen pflegen. Auch war die See hier voll ſchmackhafter Fiſche. Wir nann-
ten dieſe angenehme kleine Inſel, Palmerſton-Eyland; ſie liegt unterm 18-
ten Grad 4 Secunden ſuͤdlicher Breite und im 165ſten Grad 10 Secun-
den weſtlicher Laͤnge.


Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. R
[130]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.

Nachdem wir von hier aus vier Tage lang W. S. Weſtwaͤrts geſteuert
hatten, ſo kam uns am 20ſten des Nachmittags eine etwas bergigte Inſel zu Ge-
ſicht, auf welcher man, noch vor Untergang der Sonnen, Baͤume unterſcheiden
konnte. Weil das Land ſo nahe war; ſo lavirten wir die ganze Nacht uͤber gegen
den Wind, wendeten uns erſt bey Anbruch des Tages wieder nach der Kuͤſte,
und ſeegelten in einer Entfernung von zwo Meilen laͤngſt derſelben herunter.
Das Ufer war durchaus ſteil und ſelſigt, doch gab es am Fuße der Klippen hin
und wieder auch einen ſchmalen ſandichten Strand. Die Inſel duͤnkte uns
allenthalben gleich niedrig zu ſeyn, und ragte an den hoͤchſten Stellen kaum vier-
zig Fuß uͤber die Oberflaͤche des Meers hervor, ſie war aber bey alledem mit Wal-
dung und kleinern Geſtraͤuchen verſehen. Um zehn Uhr wurden wir ſieben bis
acht Leute gewahr, die am Geſtade herumliefen. Sie ſchienen von ſchwaͤrzli-
cher Farbe zu ſeyn, und giengen nackend; blos um den Kopf und die Huͤften,
ſahe man etwas weiſſes umgewickelt, und jeder hielt einen Spies, eine Keule
oder eine Ruderſchaufel in der Hand. In den Kluͤften die an manchen Stellen
zwiſchen den Felſen befindlich waren, ſahen wir eine Menge kleiner Canots auf
den Strand gezogen, und auf dem Abhange der Felſen ſtanden etliche niedrige
Cocos-Palmen. Das war ſchon Einladung genug hier anzulanden. Alſo
wurden gleich zwey Boote in See geſetzt, bewafnet und bemannet, und in ſel-
bigen giengen, unter guter Begleitung, der Capitain, Dr. Sparrmann, Herr
Hodges, mein Vater und ich nach dem Ufer ab. Ein Coralley-Rief laͤuft
dicht vor der ganzen Kuͤſte her; doch fand ſich eine Oefnung, wo die Brandung
nicht ſo gefaͤhrlich war. Hier ſtiegen wir aus, kletterten auf die naͤchſte
Felſen-Klippe, und ließen daſelbſt einige Matroſen und See-Soldaten Poſto
faſſen. Dieſer Felſen beſtand ganz aus ſcharfen und gebrochenen Corallen,
und war mit einer Menge kleinen Geſtraͤuchs bewachſen, dergleichen man auf
den niedrigen Inſeln gemeiniglich antrifft. Außer verſchiedenen ſchon bekann-
ten Gattungen fanden wir auch noch einige neue Pflanzen, die alle aus den Riſ-
ſen des Coral-Felſen hervorſproßten, ohnerachtet man auch da nirgends ein
Staͤubehen von Erdreich ſahe. An Voͤgeln fanden ſich hier Brachhuͤner
(curlews) Schnepfen und Reiger, ſaͤmmtlich von eben der Art, wie die Ta-
hitiſchen
. Wir mochten ungefaͤhr hundert und funfzig Schritt weit durch das
[131]in den Jahren 1772 bis 1775.
Geſtraͤuch Landwaͤrts fortgegangen ſeyn, als man die Einwohner laut rufen hoͤrte.1774.
Junius.

Dies bewog uns ohnverzuͤglich nach der Felſenklippe umzukehren, allwo die Ma-
troſen poſtirt ſtanden. Hier erfuhren wir vom Capitain Cook daß er ſelbſt an
dem Geſchrey Schuld geweſen. Er waͤre naͤmlich laͤngſt einem tiefen aber trocknen
Erdriß, der ehemals durch das Bergwaſſer verurſacht worden, ins Land hinauf
gegangen, haͤtte aber kaum den Wald erreicht, ſo ſey ein Geraͤuſch entſtanden,
als ob jemand von einem Baume herunter fiele. In der Meynung, es ſey
einer von uns, habe er durch Rufen zu erkennen geben wollen, daß er in
der Naͤhe ſey, da aber ſtatt der erwarteten Antwort ein Indianer ſeine Stimme
hoͤren laſſen; ſo habe er ſeinen Irrthum erkannt, und fuͤr dienlich erachtet,
umzukehren. Von hier aus riefen wir nun den Indianern in allen uns be-
kannten Suͤd-See-Sprachen zu, daß wir Freunde waͤren, und daß ſie zu uns
an den Strand herab kommen moͤgten. Nachdem man ſie eine Zeitlang unter
ſich ſprechen und einander hatte zurufen hoͤren, kam endlich am Eingange des
Bachbettes oder Erdriſſes einer von ihnen zum Vorſchein. Er hatte ſich den
Ober-Leib bis auf die Huͤften ſchwarz gefaͤrbt, trug einen Kopfputz von aufrecht
ſtehenden Federbuͤſchen, und hielt einen Speer in der Hand. Hinter ihm hoͤr-
ten wir viele Stimmen in dem hohlen Wege, die Leute ſelbſt aber konnte man,
der Baͤume wegen, nicht anſichtig werden. Es waͤhrete nicht lange, ſo ſprang
ein zweyter, dem Anſehen nach noch ganz junger, unbaͤrtiger Kerl zu dem erſtern
hervor, der eben ſo ſchwarz ausſahe als ſein Camerad, und in der rechten
Hand einen langen Bogen hielt, dergleichen wir wohl auf Tongatabu geſe-
hen hatten. In demſelben Augenblick, da wir ihn anſichtig wurden, warf er
auch ſchon mit der linken Hand einen großen Stein nach uns, und zielte ſo gut,
daß Dr. Sparrmann eine ſehr empfindliche Contuſion am Arme davon trug,
ohnerachtet er wenigſtens 50 Schritt von dem Indianer entfernt ſtand. Mein
Freund ließ ſich durch den heftigen Schmerz, den ihm der Stein verurſacht hat-
te, zu einer Uebereilung verleiten und feuerte in der erſten Hitze der Empfin-
dung auf ſeinen Gegner, einen Schuß Hagel ab, der aber zum Gluͤck nicht traf.
Darauf verſchwanden die beyden Eingebohrnen und kamen auch nicht mehr
zum Vorſchein, ob wir uns gleich, wegen des eitlen Gepraͤnges der Beſitzneh-
mung, noch eine Zeitlang allhier verweilten. Endlich ſetzten wir uns wieder
R 2
[132]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
in die Boote, und ruderten laͤngſt dem Strande hin, kehrten uns auch weiter
nicht daran, daß die Einwohner, ſo bald wir fort waren, ſich auf der Felſen-
klippe, die wir zuvor beſetzt gehabt hatten, wieder einfanden. Die Kuͤſte war
uͤberall von gleicher Beſchaffenheit, daher es uns nicht wenig Muͤhe koſtete, ei-
nen andern Landungs-Ort ausfindig zu machen. Doch waren wir auch da
kaum ausgeſtiegen, als uns die im Boote zuruͤckgebliebenen Leute zuriefen, daß
ſie oben auf dem Felſen-Ufer, welches wir hinauf klettern wollten, bewaffnete
Wilden ſaͤhen. Wir mußten alſo noch weiter rudern, und kamen endlich
an einen Ort, wo in der ſteilen Felſen-Kuͤſte eine ziemlich breite Oeffnung vorhan-
den, mithin der Aufgang ins Land hinein etwas freyer war. Ohngefaͤhr hun-
dert und funfzig Fuß weit vom Geſtade lief ein flaches Rief vor der Kuͤſte her,
welches an mehreren Stellen eine Durchfahrt fuͤr das Boot hatte. Auf dieſem
Riefe mußten die See-Soldaten zu unſerer Bedeckung eine Linie formiren, indeß
wir mit dem Capitain durch den vor uns liegenden hohlen Weg marſchiren woll-
ten! Wir fanden daſelbſt vier Canots auf den Strand gezogen, die mit denen
von Tongatabu faſt von einerley Bauart, auch mit etwas Schnitzwerk geziert,
im Ganzen aber doch einfach und nicht ſo ſauber gearbeitet waren, als jene. Sie
hatten Gegengewichte (Outriggers) von dicken Stangen und zum Theil Daͤcher
von Matten, darunter Fiſch-Angeln, Speere und Stuͤckchen Holz lagen, die bey
der Nachtfiſcherey ſtatt der Fakeln gedient zu haben ſchienen. In jedes dieſer Fahr-
zeuge legte der Capitain etliche Glas Corallen, Naͤgel und Medaillen zum Ge-
ſchenk fuͤr die Eigenthuͤmer; indem er aber noch damit beſchaͤftigt war, ſahe
ich einen Trup Indianer den hohlen Weg herunter kommen, worauf wir uns
alsbald einige Schritte weit zuruͤckzogen. Zween derſelben, die gleich den
zuvorerwaͤhnten ſchwarz angemahlt und mit einem Kopfputz von Federbuͤſchen
verſehen waren, liefen unter wuͤtendem Geſchrey auf uns los und ſchwenkten da-
bey ihre fuͤrchterlichen Speere. Umſonſt riefen wir ihnen in einem freundlichen
Tone zu. Der Capitain wollte auf ſie feuern, aber das Gewehr verſagte
ihm. Er bat alſo, daß wir der dringenden Gefahr wegen, ebenfalls Feuer
geben moͤgten; allein es gieng uns wie ihm. Die Indianer, die durch unſre an-
ſcheinende Wehrloſigkeit noch mehr Muth bekommen mogten, warfen zween
Speere nach uns; der eine davon haͤtte den Capitain Cook um ein Haar breit
getroffen, zum Gluͤck aber buͤckte er ſich noch zu rechter Zeit; und der andre
[133]in den Jahren 1772 bis 1775.
fuhr mir ſo dicht neben der Lende vorbey, daß die ſchwarze Farbe, womit er1774.
Junius.

beſchmiert war, mir das Kleid beſchmutzte. Nachdem wir noch ein Paarmal
verſucht hatten, Feuer zu geben, gieng endlich mein Gewehr los. Ich hatte
zwar nur mit Schroot geladen, traf aber meinen Mann richtig, indeß Herrn
Hodges Schuß mit einer Kugel, ohne Wuͤrkung blieb. Auf dieſes Signal
fieng die hinter uns auf dem Felſen-Rief poſtirte Mannſchaft ein foͤrmliches
Plotton-Feuer an. Sie hatten bemerkt, daß waͤhrend unſeres Ruͤckzuges ein
zweyter Haufen von Indianer, durch einen andern Weg uns in den Ruͤcken zu
kommen und den Paß abzuſchneiden ſuchte. Dieſen Plan aber vereitelte die Ladung
Hagel, welche ich unter die beyden Vorfechter ſchickte, indem die uͤbrigen ſich als-
denn nicht getrauten, weiter auf uns einzudringen, und wir auf die Art Zeit gewan-
nen, wieder zu den unſrigen zu ſtoßen. So lange noch einer von den Indianern zu
ſehen war, ward auch das Feuer lebhaft fortgeſetzt. Zween derſelben hielten beſon-
ders lange Stand. Sie hatten ſich hinter einen Buſch poſtirt und ſchwenkten
ihre Speere noch unablaͤßig, als ihre Landsleute ſchon laͤngſt fort waren. Endlich
mußte, auch von dieſen einer, verwundet worden ſeyn, denn ſie ergriffen ploͤtz-
lich, unter einem graͤßlichen Geheul die Flucht. Nun giengen wir wieder in
die Boote, und wollten mit dieſen Leuten nichts mehr zu ſchaffen haben, da
wir ſie durch kein Bitten zu einer freundſchaftlichen Aufnahme hatten bewegen
koͤnnen. Die Natur ſelbſt ſcheint dieſe Nation, ſchon dadurch, daß ſie ihr Land
faſt unzugaͤnglich bildete, zur Ungeſelligkeit verurtheilt zu haben. Die ganze In-
ſel beſteht, ſo wie uͤberhaupt alle niedrigen Inſeln, aus einem Coral-Felſen,
worauf, ſo viel wir ſahen, nur einige wenige Cocos-Palmen, andre Frucht-
baͤume aber gar nicht vorhanden waren. Indeſſen vermuthe ich, daß die in-
nern Gegenden nicht ſo oͤde ſind, ſondern vielmehr nahrhafte Pflanzen hervor-
bringen moͤgen, und es duͤnkt mich gar nicht unwahrſcheinlich, daß ſich in der
Mitten eine fruchtbare Ebene befinden duͤrfte, die aus einem nach und nach
vertrockneten Landſee entſtanden ſeyn kann. Ob es aber durch ein Erdbeben
oder durch ſonſt eine gewaltſame Veraͤnderung unſers Erdkoͤrpers geſchehen,
daß ein ſo großer Coral-Felſen 40 Fus hoch uͤber die Meeresflaͤche empor
gehoben worden? iſt eine Frage, welche ich den Weltweiſen kuͤnftiger Zeiten
zur Entſcheidung uͤberlaſſe. Die Boote und Waffen der Eingebohrnen
R 3
[134]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
gleichen denen auf Tongatabu; es ſcheinen alſo die Bewohner dieſer beyden
Inſeln einerley Urſprungs zu ſeyn; doch iſt die Anzahl der hieſigen nur gering
und ſie ſind auch noch ſehr ungeſittet, wild, und gehen nackend. Die ganze Inſel
mag ohngefaͤhr 3 Meilen lang ſeyn; ſie liegt unterm 19ten Grade, 1 Secunde
ſuͤdlicher Breite und dem 169ſten Grad 37 Secunden weſtlicher Laͤnge, und be-
kam von uns den Namen, das wilde Eyland (Savage Island.)


Sobald wir wiederum an das Schiff gelangten, wurden die Boote einge-
nommen, und am folgenden Morgen ſeegelten wir weiter gen Weſten. Ein
großer Wallfiſch ſchnaubte mit vielem Getoͤſe das Waſſer nahe beym Schiff in
die Hoͤhe; und Voͤgel und Fiſche machten, wie gewoͤhnlich, unſre taͤgliche Beglei-
tung aus.


Da wir um dieſe Zeit nicht weit von A-Namoka oder der Inſel Rot-
terdam
zu ſeyn glaubten, (die zu den freundſchaftlichen Inſeln gehoͤrt und von
Tasmann im Jahr 1643 entdeckt worden,) ſo ließ der Capitain in der Nacht
vom 23. auf den 24ſten die Seegel einnehmen. Die Zeit war ungemein gut ab-
gepaßt, denn ſchon um zwey Uhr des Morgens hoͤrte man das Geraͤuſch der Wellen,
als wenn ſie ſich an einer Kuͤſte brechen, und bey Anbruch des Tages lag das
Land auch wuͤrklich vor uns. Wir ſteuerten alſo darnach hin. Es beſtand
aus mehreren niedrigen Inſeln, die zuſammen von einem großen Rief umgeben
waren. Ein anderes dergleichen Rief lag gegen Norden, und zwiſchen dieſen
beyden ſeegelten wir mitten durch. Um 11 Uhr da wir noch uͤber eine See-
meile weit von der Kuͤſte waren, kam uns ſchon ein Canot vom Lande her ent-
gegen. Ohnerachtet nur zwey Leute darin ſaßen, ſo ruderten ſie doch ganz getroſt
auf uns zu; da ſie aber merkten, daß das Schiff ungleich ſchneller fort-
trieb als ihr Boot, ſo kehrten ſie wieder nach dem Lande zuruͤck. Der Unter-
ſchied zwiſchen dem Betragen dieſer Inſulaner und jener ungeſelligen Wilden die
wir kurz vorher hatten kennen lernen, war ungemein auffallend, und wir ſahen
jetzt augenſcheinlich, daß dieſe Inſeln hier, den Namen der Freundſchaftli-
chen
Inſeln
mit Recht verdienen. Nachmittags ward der Wind ſchwaͤcher,
und in der Nacht erfolgte eine gaͤnzliche Stille. Waͤhrend dieſer Zeit
brachte uns die See-Stroͤhmung einem Rief ſo nahe, daß wir Gefahr liefen dar-
an zu ſcheitern; als ſich aber gegen Morgen ein Luͤftchen erhob, kamen wir bald
wieder außer aller Beſorgniß.


[135]in den Jahren 1772 bis 1775.

Des folgenden Tages ſeegelten wir zwiſchen den Riefen und niedrigen Inſeln1774.
Junius.

durch, in deren Bezirk die See ganz ſtill und eben war. Dieſe Eylande ragten aber
um etwas hoͤher, als die gewoͤhnlichen Coral-Inſeln, aus dem Meer empor,
waren auch mit Gruppen von Baͤumen, ja mit ganzen Waldungen verſehen,
welches ihnen ein reizendes Anſehen gab. Sie ſchienen uͤberhaupt an nichts
Mangel zu leiden, und mußten auch gut bewohnt ſeyn, denn man entdeckte ſchon
am Strande eine Menge Haͤuſer unter den Baͤumen. Am oͤſtlichen Ende ei-
ner von dieſen Inſeln befand ſich eine weiße ſenkrechte Klippe, welche horizontale
Schichten zu haben ſchien. Von fern ſahe ſie der Baſtey eines verfallnen Kaſtels
aͤhnlich, und hatte ein um ſo mehr mahleriſches Anſehen, weil ſie oben mit
niederm Geſtraͤuch und hohen Palmen bewachſen war. Gegen Mittag ließ
der Wind nach; und dieß machten ſich die Inſulaner zu Nutze. Sie brachten von
unterſchiedenen dieſer Eylande ihre Canots ins Waſſer, um zu uns heruͤber
zu kommen, und, ohnerachtet das Schiff noch eine ſtarke Seemeile weit von ih-
nen entfernt lag, ruderten doch einige ſo ſcharf, daß ſie binnen einer Stunde
heran waren. Als ſie ohngefaͤhr noch einen Flinten-Schuß vom Schiffe ſeyn
mochten, fiengen ſie an uns von Zeit zu Zeit zuzurufen, und kamen unter die-
ſem Zuruf immer naͤher. In dem erſten Fahrzeuge befanden ſich drey Per-
ſonen, die dem aͤußern Anſehn nach den Einwohnern von Ea-Uwhe und Ton-
gatabu
(welche beyde Inſeln wir im October 1773 beſucht hatten,) vollkom-
men aͤhnlich waren. So baͤld ſie das Schiff erreicht hatten, wurden ihnen ei-
nige Glas-Corallen und Naͤgel an einer Leine herabgelaſſen, wogegen ſie uns
unverzuͤglich einige Buͤſchel Piſangs und etliche uͤberaus ſchmackhafte Pom-
pelmuße
(Shaddocks oder Citrus decumanus) aufs Verdeck ſchickten. Die-
ſem Gegengeſchenk fuͤgten ſie auch einen Stengel voller rothen Palm-Ruß-
Fruͤchte
oder Pandangs (athrodactylis) bey, als welche hier fuͤr Freund-
ſchafts-Zeichen gelten. Sobald dadurch gleichſam die Praͤliminarien unterzeichnet
waren, verkauften ſie uns ihren ganzen Vorrath von Pompelmußen und
andern Fruͤchten, und kamen darauf ſelbſt an Bord. Mittlerweile lang-
ten die uͤbrigen Canots ebenfalls an, und uͤberließen uns ihre Waaren mit ſo
gutem Zutrauen, als ob wir einander ſchon lange gekannt haͤtten. Sie ſag-
ten uns die Namen aller benachbarten Inſeln her. Die mit der hohen Klippe hies
[136]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
Terre fetſchea; die andre, deren Anblick wir ſo maleriſch gefunden, nann-
ten ſie Tonumea. Beyde lagen uns gegen Oſten. Mango-nue und
Mango-iti (d. i. Gros und Klein-Mango,) lagen weſtlich; und ſeit-
waͤrts derſelben in Suͤdweſten lag Namoka-nue und Namocka-iti, d. i.
groß und klein Namocka. Die erſtere hat Tasmann, naͤchſt ihrem urſpruͤng-
lichen Namen Anamocka, auch Rotterdam genannt.


Sobald ſich Nachmittags der Wind wiederum erhob, ſeegelten wir nach
Namocka, als der groͤßten von allen dieſen Inſeln, und je naͤher wir heran kamen,
deſto groͤßer ward die Anzahl der Canots die uns bewillkommten; ſie eilten von
den herumliegenden Inſeln mit Fruͤchten, Fiſchen und Ferken herbey, und ver-
tauſchten alles gegen Naͤgel und alte Lumpen.


Zwiſchen dieſen Inſeln war die Tiefe der See uͤberall zu ergruͤnden, und
das Senkbley hatte heute anfaͤnglich 45 bis 50, hernach als wir naͤher kamen, 9.
12. 14. und 20. Faden Tiefe angezeigt. Um 4 Uhr gelangten wir um das ſuͤdliche
Ende von Namoka, an die Weſtſeite dieſer Inſel, wo ehemals auch Tasmann
vor Anker gelegen hatte. Hier mochten wir etwa eine Meile weit vom Ufer
ſeyn. Die Kuͤſte ragte in dieſer Gegend ohngefaͤhr 15 bis 20 Fuß ſenkrecht
aus dem Waſſer empor, und verlief ſich oben in eine ganz flache Ebene,
die nur in der Mitte eine kleine Erhoͤhung hatte. Dies ſteile Ufer ſahe faſt
ſo aus als die Felſen-Kuͤſte von Savage-Eyland, von welcher wir herkamen,
der Wald aber war hier groͤßer, und prangte vornehmlich mit einer unzaͤhli-
gen Menge Cocos-Palmen, die ihre ſtolzen Gipfel weit uͤber die andern Baͤu-
me hinaus ſtreckten.


Indem wir den Anker auswarfen, erhaſchte ein Indianer das Senkbley,
und riß es mit einem Stuͤck der daran befeſtigten Leine ab. Man bat ihn, es
wieder heraus zu geben, er hoͤrte aber nicht auf den Capitain, der ihn durch
guͤtliches Zureden zu gewinnen ſuchte. Es ward alſo eine Kugel durch ſein Ca-
not geſchoſſen; allein das ließ er ſich nicht anfechten, ſondern ruderte ganz
gelaſſen auf die andere Seite des Schiffs. Wir wiederholten ihm unſer voriges
Verlangen; da indeſſen auch dieſes nicht fruchten wollte; ſo wurde die Forde-
rung etwas nachdruͤcklicher, nemlich durch eine Ladung Hagel unterſtuͤtzt. Nun
ward er auf einmal folgſam; er ruderte nach dem Vordertheil des Schiffes hin,
wo
[137]in den Jahren 1772 bis 1775.
hieng, und an dieſes knuͤpfte er die Leine nebſt dem Bley feſt. Mit dieſem Er-1774.
Junius.

ſatz waren aber ſeine beſſer denkenden Landsleute noch nicht zufrieden; ſondern
ſie warfen ihn zur Strafe aus ſeinem Canot, ſo daß er ſich mit Schwimmen ans
Land retten mußte, und der begangenen Dieberey wegen von den Vortheilen des
Tauſchhandels ausgeſchloſſen blieb, welchen die uͤbrigen, nach wie vor, fortſetz-
ten. Die Lebensmittel, welche wir von ihnen bekamen, waren Cocos-Nuͤſſe, vor-
trefliche Yams, Brodfrucht, Piſangs, Pompelmuße und andre Fruͤchte;
auch brachten ſie lebendige, purpurfarbige Ried Huͤhner (Rallus Porphyrio)
imgleichen etliche ſchon zubereitete Gerichte zum Verkauf, als, einen See-
Brachſen
(ſparus) der, in Blaͤtter gewickelt, unter der Erde geſtobt war,
und eine eben ſo zugerichtete Art von faſtichten Wurzeln, deren nahrhaftes,
ſchwammichtes Fleiſch ſo ſuͤß ſchmeckte, als wenn es in Zucker eingemacht ge-
weſen waͤre. Alles das ward ihnen mit Naͤgeln von unterſchiedlicher Groͤße
und mit Stuͤcken Zeug bezahlt. Die Canots dieſer Indianer, die Leute ſelbſt,
ihre Tracht, Gebraͤuche und Sprache, kurz, was man nur an ihnen fand,
war hier eben ſo beſchaffen, als bey den Einwohnern von Tongatabu.
Vielleicht mogten auch wir dieſen Inſulanern ſchon einigermaaßen bekannt
ſeyn, denn Tongatabu liegt ſo nahe, daß ſie von unſerer dortigen Anwe-
ſenheit, im October vorigen Jahres, wohl ſchon etwas gehoͤrt haben konnten.


Am folgenden Morgen gieng Capitain Cook in aller Fruͤhe nach eben
der ſandigten Bucht aus Land, die Tasmann ſo genau beſchrieben hat. Sie
iſt durch einen Rief eingeſchloſſen, an deſſen Suͤd-Ende ſich eine ſchmale
Durchfahrt fuͤr Boote befindet, welche aber des ſeichten Waſſers halber, allemal
die Fluthzeit abwarten muͤſſen, um hindurch zu kommen. Der Capitain erkun-
digte ſich unverzuͤglich, ob in dieſer Gegend Trinkwaſſer zu finden ſey, worauf
man ihn ohnweit des Strandes, nach eben demſelben Teiche hinbrachte, aus
dem auch Tasmann Waſſer eingenommen hatte. Unterwegens kaufte er
ein junges Schwein, und hatte zugleich Gelegenheit die Gaſtfreyheit der Ein-
wohner von einer beſonderen Seite kennen zu lernen, indem eines der ſchoͤn-
ſten Maͤdchens ihm, zum freundlichen Willkommen, galante Antraͤge machte.
Er verbat ſie aber ganz hoͤflich, und eilte, ſo bald er eine, zu Anfuͤllung der
Waſſerfaͤſſer bequeme Stelle ausſuͤndig gemacht hatte, nach dem Schiffe zu-
Forſters Reiſe u. d. W. zweyter Th. S
[138]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
ruͤck. Um dieſes hatten ſich, in der Zwiſchenzeit, eine Menge Canots, voller
Frauensleute verſammlet, die zur naͤhern Bekanntſchaft mit unſern Matroſen,
allerſeits große Luſt bezeigten. Da aber der Capitain auf das ſtrengſte verord-
net hatte, daß keiner, der mit veneriſchen Krankheiten behaftet oder erſt vor
kurzem davon geheilt war, ans Land gehen, auch ſchlechterdings keine
Frauensperſon auf das Schiff gelaſſen werden ſollte: So mußten all-
dieſe Dirnen, nachdem ſie, lange genug vergebens, hin und her gerudert waren,
ganz unverrichteter Sachen wieder abziehen. Unmittelbar nach dem Fruͤhſtuͤck,
gieng der Capitain Cook, Dr. Sparrmann, mein Vater und ich, ans Land,
wo die Einwohner große Vorraͤthe von Pompelmußen und Yamwurzeln zu
Markte brachten. Piſangs und Cocos-Nuͤſſe waren ſparſamer vorhanden,
und Brodfrucht noch ſeltner, ohnerachtet wir viel dergleichen Baͤume antrafen.
Die Mannsperſonen giengen hier faſt gaͤnzlich nackend; ein ſchmaler Streifen
Zeug um die Huͤften, machte mehreutheils ihre ganze Kleidung aus, nur etli-
che wenige trugen, ſo wie durchgehends die Frauensperſonen, eine Art von Wei-
berrock, nemlich ein Stuͤck gefaͤrbtes, ſteifes Zeug von Baumrinde, welches in
der Gegend der Huͤften einigemal um den Leib herumgeſchlagen war und von da
bis auf die Fuͤße reichte.


Kaum merkten die Inſulaner, daß uns mit Lebensmitteln gedient ſey, ſo
draͤngten ſich ganze Schaaren von Verkaͤufern herbey, und uͤberſchrieen einan-
der beym Ausbieten ihrer Waaren dermaaßen, daß wir uns dem Getuͤmmel
des Marktplatzes entzogen, und weiter ins Land hinauf zukommen ſuchten, deſſen
fruchtbares Anſehen ungemein viel erwarten ließ. Das Erdreich brachte von
ſelbſt eine Menge wilder Kraͤuter hervor, und die haͤufig angelegten Baumpflan-
zungen machten die ganze Inſel durchaus einem Garten aͤhnlich. Die Plan-
tagen waren hier nicht ſo wie zu Tongatabu, auf allen Seiten, ſondern nur
allein nach der oͤffentlichen Straße hin, eingehegt, mithin die Ausſicht ungleich
freyer. Die inneren Gegenden der Inſel ſind durch verſchiedene, mit Hecken
und Geſtraͤuch bepflanzte Huͤgel verſchoͤnert, ſonſt aber macht der Boden aller
Orten eine gerade Ebene aus. Der Weg gieng uͤber Wieſengrund, und war
zum Theil auf beyden Seiten mit hohen Baͤumen beſetzt, die ziemlich weit aus-
einander ſtanden, zum Theil mit bluͤhenden, ſchattichten und wohlriechenden
[139]in den Jahren 1772 bis 1775.
Gebuͤſchen uͤberwoͤlbet. Zur Rechten und Linken wechſelten Baumgaͤrten und1774.
Junius.

Haiden miteinander ab. Die Haͤuſer waren hoͤchſtens 30 Fuß lang, ſieben
bis 8 Fuß breit und ohngefaͤhr 9 [Fuß] hoch; in ſo fern aber von ſeltſamer Bau-
art, daß die aus Rohr geflochtnen Waͤnde, oder Außenſeiten, nicht ſenkrecht
ſtanden, ſondern unterwaͤrts gegen den Boden enger zuſammen liefen, auch ſel-
ten uͤber 3 bis 4 Fus Hoͤhe hatten. Das mit Stroh gedeckte Dach ragte un-
terhalb uͤber die Seitenwaͤnde hervor und ſtieß oberhalb ſchraͤg zuſammen, da-
her denn der Durchſchnitt eines ſolchen Hauſes die Geſtalt eines Fuͤnfecks hatte.
In einer von den langen Seitenwaͤnden befand ſich, etwa 18 Zoll hoch uͤber der
Erde, eine Oeffnung, die 2 Fus ins Gevierte haben mogte, und dies einzige
Loch mußte die Stelle der Thuͤr und Fenſter vertreten. Es ſchienen gleichſam
lauter Vorrathshaͤuſer zu ſeyn, denn in jedem fanden wir eine Menge großer
Yamwurzeln, worinn die taͤgliche Koſt dieſer Inſulaner zu beſtehen ſcheint,
auf dem Fusboden hingeſchuͤttet. So unbequem dies in aller Abſicht fuͤr die
Bewohner ſeyn muß; ſo ließen ſie ſichs doch nicht anfechten, ſondern ſchlie-
fen ſogar auf dieſem holperichten Lager ohne andere Zubereitung, als daß ein
Paar Matten uͤber die Wurzeln hingebreitet wurden. Gewohnheit vermag
alles! Die kleinen ſchmalen Stuͤhle oder Fustritte von Holz, welche die Tahi-
tier
des Nachts unter den Kopf zu legen pflegen, ſind auch hier bekannt, und
werden ebenfalls ſtatt Kopfkuͤſſen gebraucht. Naͤchſt vorgedachten Wohnhuͤtten
gab es noch andre freyſtehende Daͤcher, die blos auf Pfaͤhlen ruhen, derglei-
chen wir auch zu Tongatabu angetroffen hatten. Unter dieſen ſchienen ſich die
Leute blos den Tag uͤber aufzuhalten, doch war in ſelbigen der Fußboden, ſo
wie in den verſchloßnen Huͤtten, allemal mit Matten ausgelegt. Auf unſerm
Wege kamen wir bey einer Menge ſolcher Wohnungen vorbey; fanden aber
nur ſelten Leute darinn, weil die mehreſten ſich nach dem Marktplatze begeben
hatten. Diejenigen aber, die wir antrafen, waren durchgehends ſehr hoͤflich;
ſie pflegten eine Verbeugung mit dem Kopf zu machen, und dabey zur Bezeigung
ihrer freundſchaftlichen Geſinnung, Lelei woa, (d. i. gut Freund!) oder ſonſt
etwas aͤhnliches zu ſagen. Nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde leiſteten ſie uns
auch wuͤrkliche Dienſte; ſie fuͤhrten uns als Wegweiſer in der Inſel herum,
kletterten auf die hoͤchſten Baͤume, um uns Bluͤthen zu verſchaffen und holten
S 2
[140]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
uns die Voͤgel aus dem Waſſer die wir geſchoſſen hatten. Oft wieſen ſie uns
die ſchoͤnſten Pflanzen nach, und lehrten uns die Namen derſelben. Wenn
wir ihnen ein Kraut zeigten, von deſſen Gattung wir gern mehr zu haben
wuͤnſchten, ſo ließen ſie ſich die Muͤhe nicht verdrießen, es ſelbſt aus den
entfernteſten Gegenden herbeyzuſchaffen. Mit Cocosnuͤſſen und Pompelmußen
bewirtheten ſie uns vielfaͤltig; erboten ſich auch oft von freyen Stuͤcken, uns das,
was wir einſammelten, nachzutragen, es mogte ſo viel und ſo ſchwer ſeyn als
es wollte, und hielten ſich fuͤr ſehr reichlich belohnt, wenn wir ihnen am Ende
einen Nagel, eine Coralle oder ein Stuͤckchen Zeug ſchenkten. Kurz, ſie be-
wieſen ſich bey allen Gelegenheiten uͤberaus dienſtfertig gegen uns.


Auf dieſem erſten Spatziergange kamen wir unter andern auch an einen
großen Salzſee, der nicht weit von dem noͤrdlichen Ende der Inſel, und an
einer Stelle nur um wenig Schritte vom Meere entfernt lag. Er mogte im
Durchſchnitt ohngefaͤhr eine Meile breit, hingegen wohl drey Meilen lang ſeyn,
und hatte rund umher ſehr anmuthige Ufer; was aber dieſes Baßin noch mah-
leriſcher machte, war, daß in der Mitte deſſelben drey mit Waldung bewachſne
kleine Inſeln lagen. Wir betrachteten dieſe herrliche Landſchaft von einer Anhoͤhe
her und vergnuͤgten uns an den Schoͤnheiten derſelben, die der glatte Waſſer-
Spiegel zum Theil verdoppelt darſtellte.


Keine von allen denen Inſeln, die wir bisher beſucht, hatte in einem
ſo geringen Umfang weder ſo viel angenehme Ausſichten, noch eine ſolche Man-
nigfaltigkeit ſchoͤner und wohlriechender Blumen aufzuweiſen gehabt! Der
See war voll wilder Endten und an dem waldigten Ufer deſſelben hielten ſich
eine Menge Tauben, Papagayen, Riedhuͤhner, (Rallus) und kleine Voͤ-
gel auf, deren uns die Einwohner ſehr viele zum Verkauf brachten.


Gegen Mittag kamen wir wieder nach dem Marktplatze zuruͤck, wo
Capitain Cook unterdeſſen einen großen Vorrath von Fruͤchten und Wurzeln,
etliche Huͤhner und ein Paar Ferken eingekauft hatte. Am Bord des [Schiffs]
waren unſre Leute im Handel eben ſo gluͤcklich geweſen. Das ganze Hinterver-
deck war voller Pompelmuße gepackt, die wir von vortreflichem Geſchmack
fanden; und an Yams war ein ſolcher Vorrath beyſammen, daß wir ſtatt des
gewoͤhnlichen Schiffs-Zwiebacks etliche Wochen lang genug daran hatten.
[141]in den Jahren 1772 bis 1775.
Auch von Waffen und Hausrath wurden uns, vornaͤmlich durch einige Indianer, die1774.
Junius.

in doppelten Canots von den benachbarten Inſeln herbeygeſeegelt kamen, ganze
Bootsladungen zugefuͤhrt. Beym Mittags-Eſſen bemerkten wir, daß einer
von den unfrigen am Ufer zuruͤckgeblieben und von allen Seiten mit Indianern
umringt war. Er ſchien in Verlegenheit zu ſeyn, denn er gab durch Zei-
chen zu erkennen, daß ihn ein Boot abhohlen moͤchte. Gleichwohl nahm
ſichs niemand zu Herzen, bis endlich nach der Mahlzeit einige von den Matro-
ſen, des Einkaufs wegen, nach dem Lande giengen. Als dieſe unterwegens
bey dem Orte voruͤber kamen, wo ſich der arme Verlaßne befand, ſo ſahen ſie,
daß es unſer Wundarzt Herr Patton war, und nahmen ihn ſogleich an Bord.
Die Zeit uͤber, daß man ihn, ohne den geringſten Beyſtand am Lande gelaſ-
ſen, hatte er mit Gefahr ſeines Lebens inne werden muͤſſen, daß es unter die-
ſem ſonſt gutherzigen, dienſtfertigen Volke, eben ſo gut als unter den geſitte-
tern Nationen, einzelne Boͤſewichter und Stoͤhrer der oͤffentlichen Sicherheit
gab. Fuͤr ein paar Corallen hatte ihn ein Indianer, vom Landungsplatze aus,
auf der Inſel herumgefuͤhrt, und er war ſo gluͤcklich geweſen, unterwegens eilf
Stuͤck Enten zu ſchießen, die ihm ſein Begleiter getreulich nachtrug. Als
er nach dem Marktplatze zuruͤckkam, waren unſre Leute, der Mittagszeit we-
gen, ſchon ſaͤmmtlich nach dem Schiffe abgegangen, welches ihn einiger-
maßen beunruhigte. Die Indianer mußten ſeine Verlegenheit bemerken, denn
ſie ſiengen gleich darauf an, ſich um ihn her zu draͤngen, als ob ſie ſich ſeine
Lage zu Nutze machen wollten. Er ſtieg alſo auf die Felſen-Klippe am Ufer,
die dem Schiffe gerade gegen uͤber lag, und eben da war es, wo wir ihn vom
Bord aus erblickten. Mittlerweile wollte ſein bisheriger Fuͤhrer unvermerkt
einige Enten von ſich werfen; als aber Herr Patton ſich darnach umſahe,
nahm er ſie wieder auf. Nunmehr draͤngten die Indianer immer dichter auf
ihn los, und einige droheten ihm ſogar mit ihren Speeren; doch hielt der An-
blick ſeines Gewehrs ſie noch einigermaaßen in Reſpect. Um nun durch Lift
zu erlangen was durch offenbare Gewalt nicht thunlich ſchien; ſo ſchickten ſie
einige Weiber ab, die ihn durch allerhand wolluͤſtige Stellungen und Gebehr-
den zu zerſtreuen und an ſich zu locken ſuchen ſollten; ſeine Lage war aber
viel zu gefaͤhrlich, als daß mit dieſem Kunſtgriff nur das geringſte waͤre aus-
S 3
[142]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
zurichten geweſen. Unter dieſer Zeit ſahe Herr Patton ein Canot vom
Schiffe zuruͤck kommen; er rief alſo dem Eigenthuͤmer deſſelben zu, und bot
ſeinen letzten Nagel dafuͤr, wenn jener ihn zu uns an Bord uͤberſetzen wollte.
Schon war er im Begriff ins Canot zu treten, als man ihm ſeine Vogelflinte aus
den Haͤnden riß, die Endten ſelbſt bis auf drey Stuͤck abnahm, und
das Canot fortſchickte. Man kann leicht denken, wie beſtuͤrzt und beſorgt ihn
dieſe Begegnung machte. Nun blieb ihm, nichts anders uͤbrig, als
wieder nach der Felſen-Klippe umzukehren, und ſich damit zu troͤſten, daß
man ihn dort, vom Schiffe aus, bemerken und zu ſeiner Befreyung herbey eilen
wuͤrde. Da ihn aber die Indianer nun gaͤnzlich wehrlos ſahen, ſo hielten ſie
auch nicht laͤnger zuruͤck, ſondern fiengen ſogleich an, ihn bey den Kleidern zu
zupfen, und ehe er ſichs verſah, war Halstuch und Schnupftuch fort. Das
haͤtte er gern verſchmerzt, aber nun ſollte die Reihe auch an den Rock kommen,
und einige von den Raͤubern droheten ihm aufs neue mit ihren Waffen. Er
erwartete alſo jeden Augenblick den Tod als ſein unvermeidliches Schickſal,
fuͤhlete aber doch in der groͤßten Angſt noch in allen Taſchen herum, ob ihm
nicht ein Meſſer oder ſonſt etwas zu ſeiner Vertheidigung uͤbrig ſey; es fand
ſich aber nichts, als ein elendes Zahnſtocher-Etui. Dies machte er auf, und
hielt es ſogleich als ein Terzerol dem ganzen Trupp entgegen, der ſich auch aus
Beſorgniß vor dem unbekannten Dinge alsbald ein paar Schritte weit zuruͤck
zog. Man kann leicht glauben, daß er bey der geringſten Bewegung ſeiner
Feinde gewiß nicht unterlaſſen haben wird, ihnen dies fuͤrchterliche Mordge-
wehr jedesmal mit Drohen entgegen zu halten; da er aber keine Auſtalten zu
ſeiner Rettung gewahr ward, und ſich vor Hitze, Muͤdigkeit und Abmattung
nicht mehr zu laſſen wußte, ſo fieng er bereits, in Verzweiflung auf die fernern
Dienſte ſeines getreuen Zahnſtocher-Etuis, an, ſein Leben aufzugeben, als eine
wohlgebildete junge Frauensperſon ihn in Schutz nahm. Mit fliegendem
Haar trat ſie aus dem Gedraͤnge zu ihm. Unſchuld, Guͤte und zaͤrtliches
Mitleid waren ſo deutlich in ihren Mienen zu leſen, daß er ſich alles Guten
zu ihr verſehen durfte. Sie reichte ihm ein Stuͤck von einer Pompelmuß;
und weil er es mit Begierde und Dank annahm, ſo gab ſie ihm immer mehr,
bis er die ganze Frucht verzehret hatte. Endlich ſtießen die Boote vom Schif-
[143]in den Jahren 1772 bis 1775.
fe ab, und ſo bald die Indianer dies gewahr wurden, ſtaͤubten ſie eilfertigſt1774.
Junius.

auseinander. Nur ſeine großmuͤthige Beſchuͤtzerin und ein alter Mann, ihr
Vater, blieben unbekuͤmmert und unbeſorgt, in voͤlligem Bewußtſeyn ihres
guten rechtſchaffnen Betragens, bey ihm ſitzen. Sie fragte nach ſeinem Na-
men, und als er ſich, dem tahitiſchen Dialekt gemaͤß, Patini genannt hatte;
ſo verſprach ſie ihm, dieſen Namen kuͤnftig zu fuͤhren, veraͤnderte ihn aber in
Patſini. Beym Abſchiede beſchenkte er ſie und ihren Vater mit allerhand Klei-
nigkeiten, die er von den Matroſen zuſammen borgte, und damit kehrten die
beyden guten Leute hoͤchſtvergnuͤgt nach ihrer Heimath zuruͤck. Herr Patton
ſtattete bey ſeiner Ruͤckkunft dem Capitain Cook ſogleich Bericht ab, was
ihm, in Ermangelung gehoͤrigen Beyſtandes, begegnet war; er bekam aber
keinen andern Beſcheid, als dieſen, es ſey ihm ganz Recht geſchehen, daß
er ſein Gewehr eingebuͤßt habe; er haͤtte den Eingebohrnen nicht trauen,
ſondern vorſichtiger ſeyn ſollen. Gleichwohl beſtand ſeine ganze Unvorſich-
tigkeit darinn, daß er ſich auf der Jagd etwas verſpaͤtet hatte, und das
war manchem andern von uns mehr als einmal begegnet, ohne daß etwas
daruͤber geſagt worden waͤre. Den Nachmittag giengen wir verſchiedent-
lich am Ufer ſpatzieren. Mein Vater aber ſtreifte in Begleitung eines einzigen
Matroſen uͤberall im Lande herum, ohne von den Indianern im geringſten belaͤ-
ſtigt zu werden, und kam am Abend mit einer Menge neuer Pflanzen zuruͤck.
Es entſtand auch ſonſt keine Klage mehr gegen die Einwohner, ausgenommen, daß
ſie einige kleine Diebereyen veruͤbt hatten, worinn ſie eben ſo geſchickt waren,
als ihre Bruͤder auf Tongatabu und auf den Societaͤts-Inſeln.


Am folgenden Morgen fruͤh entdeckten wir in Nordweſt einige Inſeln,
die wegen des nebligten Wetters bisher nicht zu ſehen geweſen waren. Die
beyden weſtlichſten ſchienen bergigt und ſpitz; die dritte aber, dem Umfange
nach, am groͤßten zu ſeyn. Von dieſer letztern ſtieg ein dicker Dampf em-
por; und waͤhrend der vergangnen Nacht hatten wir in eben derſelben Ge-
gend ein Feuer bemerkt. Die Indianer berichteten uns, dies Feuer ſey be-
ſtaͤndig zu ſehen; wir vermutheten alſo, daß es von einem Volcan herruͤhren
muͤſſe. Sie nannten dies Eyland Tofua*) und die dabey liegende Inſel mit
[144]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
dem ſpitzen Berge, E-Ghao. *) Nordwaͤrts von dieſen beyden Inſeln,
konnten wir dreyzehn flache Eylande unterſcheiden, deren Namen uns die Ein-
wohner, der Reihe nach, herzuſagen wußten.


Nach dem Fruͤhſtuͤck eilten wir zu Fortſetzung unſerer Unterſuchungen
von neuem ans Land, blieben aber nicht lange am Strande, wo ſich wieder eine
Menge von Leuten beyderley Geſchlechts verſammlet hatte. Die erſte Pflanze,
welche uns aufſties, war eine ſchoͤne Art von Lilien (Crinum aſiaticum) und
dergleichen ſchaͤtzbare Blumen trafen wir bald noch mehrere an. Der Weg
den wir genommen hatten, brachte uns an den Ort, wo die Waſſerfaͤſſer
gefuͤllet wurden. Dies geſchahe an einem ſtillſtehenden, ohngefaͤhr ein hun-
dert, bis hundert und funfzig Schritte langen, und funfzig Schritte breiten
Teiche. Das Waſſer deſſelben iſt von ziemlich ſalzigem Geſchmack, daher
es faſt ſcheint, daß dieſer Teich, unter der Erde, mit dem nahegelegenen
Salz-See Gemeinſchaft haben muͤſſe. Lieutenant Clerke, der hier bey den
Waſſerleuten auf Commando war, erzaͤhlte uns im Vorbeygehen, daß ihm
ein Indianer, mit großer Behendigkeit, ſeine Muskete weggeſchnappt habe,
und damit entronnen ſey. Von hier aus botaniſirten wir in dem ſchattenreichen
Walde von Mangle-Baͤumen, der die Ufer des Salz-Sees einfaßt. Die-
ſe Baͤume nehmen ſehr viel Land ein, und wachſen je laͤnger je mehr in ein-
ander. Sie laſſen ihren Saamen nicht, wie andre Baum-Arten, ausfallen,
ſondern die befruchteten Spitzen der Aeſte neigen ſich gegen die Erde herab,
ſchlagen daſelbſt eine neue Wurzel und werden ſolchergeſtalt zu neuen Staͤm-
men, die wiederum friſche Zweige treiben. Waͤhrend daß wir hier nach
Kraͤutern ſuchten, duͤnkte es uns, als ob drey Canonen-Schuͤſſe abgefeuert
wuͤrden; weil indeſſen der Schall, zwiſchen den Baͤumen, ſehr gedaͤm-
pfet wurde; ſo dachten wir, es koͤnnten auch wohl nur uͤberladene Flinten-
Schuͤſſe ſeyn, dergleichen, bey der Unerfahrenheit unſrer jungen ungeuͤbten Schuͤ-
tzen, eben nichts neues waren. Auf dem Ruͤckwege von dieſem Salz-See kamen
wir durch einen Baumgarten, wo uns die Indianer, unter freundlicher Begruͤſ-
ſung,
[145]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſung zum Riederſetzen einluden; wir mochten uns aber nicht aufhalten, ſon-1774.
Junius.

dern eilten der Enten-Jagd wegen nach dem Platz zuruͤck, wo unſre Waſſerfaͤſ-
ſer angefuͤllet wurden. Dort kam uns der Loots Herr Gilbert, mit der Nach-
richt entgegen, daß die drey Canonen-Schuͤſſe, imgleichen eine Salve aus
dem kleinen Gewehre, blos als Signale waͤren abgefeuert worden, dadurch
man uns, wegen eines mit den Indianern entſtandenen Streits, haͤtte zuruͤck ru-
fen wollen. Der Capitain ſtand auch ſchon, an der Spitze eines Commando
See-Soldaten, in der Nachbarſchaft, und zween von den Eingebohrnen die
ſich ſeitwaͤrts niedergehuckt hatten, riefen uns ganz ſchuͤchtern, einmal uͤber
das andre Wòa, d. i. Freund! zu. Anfaͤnglich vermutheten wir, daß die
Entwendung von Herrn Clerk’s Gewehr zu dieſer Mißhelligkeit Anlaß gegeben
habe, und wunderten uns, daß man deshalb ſo fuͤrchterliche Anſtalten gemacht
hatte: Gleichwohl kam es im Grunde auf eine noch weit unbedeutende-
re Kleinigkeit an. Unſer Boͤtticher war nemlich, bey Ausbeſſerung der Waſ-
ſerfaͤſſer, nicht achtſam genug auf ſein Handbeil geweſen; alſo hatte ein In-
dianer die Gelegenheit erſehen und war damit entlaufen. Um nun dies koſt-
bare Inſtrument, wovon gleichwohl noch zwoͤlf Stuͤck auf dem Schiffe vorraͤ-
thig waͤren, wiederum herbeyzuſchaffen, ließ der Capitain, ſogleich einige
doppelte große Canots in Beſchlag nehmen, ohnerachtet dieſe Fahr-
zeuge gar nicht einmal hieſigen Inſulanern zugehoͤrten, ſ[o]ndern blos des
Handels wegen von den benachbarten Inſeln herbey gekommen waren, und fol-
glich an dem ganzen Vorfall unſchuldig ſeyn mußten. So befremdend in-
deſſen den Indianern dies Verfahren auch vorkommen mogte, ſo hatte es doch
den Nutzen, daß ſie Herrn Clerk’s Gewehr auf der Stelle zuruͤck brachten.
Um nun auch noch das Boͤtticher-Beil wieder zu bekommen, mußte noch ein
Canot confiſciret werden. Der Eigenthuͤmer, der ſelbſt in dieſem Fahr-
zeuge und keines Vergehens ſich bewußt war, machte Miene ſein an-
gefochtnes Eigenthum zu vertheidigen, indem er einen Speer ergrif, und da-
mit nach dem Capitain zielte. Dieſer legte aber ſein Gewehr an, geboth dem
Indianer den Wurfſpieß von ſich zu werfen, und ſchoß ihm, weil er nicht
gleich Luſt dazu bezeigte, ohne weitere Umſtaͤnde eine Ladung Hagel durch die
Fauſt und durchs dicke Bein, daß er, wegen der geringen Entfernung des
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. T
[146]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
Schuſſes, vor Schmerz zu Boden ſtuͤrzte. Damit noch nicht zufrieden, ward
Befehl gegeben, daß vom Schiffe aus drey Canonen, eine nach der andern,
gegen die hoͤchſte Spitze der Inſel hin, abgefeuert werden ſollten. Nun,
dachte man, wuͤrden die Indianer ſich eiligſt entfernen; allein, in vollem
Vertrauen auf ihre Unſchuld blieben ſie zum Theil noch immer am Stran-
de, ja einige Canots ruderten, nach wie vor, um das Schiff herum. Einer von
den Indianern betrug ſich bey dieſer Gelegenheit, vor allen ſeinen uͤbrigen Lan-
desleuten, ganz beſonders ſtoiſch. Er hatte ein kleines Canot, in welchem er
den andern Canots, die vom Lande her kamen, immer entgegen fuhr, um aus
denſelben, fuͤr Corallen und Naͤgel die er von uns geloͤſet hatte, das, was
ihm am beſten anſtand, aufzukaufen, und dergleichen ausgeſuchte neue Ladun-
gen mit deſto groͤßerm Vortheil bey uns anzubringen Da er nicht leicht ein
Canot an das Schiff heran ließ, bevor ers nicht durchſucht hatte, ſo nannten
ihn die Matroſen nur den Zollhaus-Viſitator. Dieſer Kerl lag eben dicht an
der Seite unſeres Schiffes und ſchoͤpfte das eingedrungene Waſſer aus ſeinem
Canot, als die Kanonen, kaum 6 Fuß hoch uͤber ſeinem Kopfe, abgefeuert
wurden. Man haͤtte alſo wohl vermuthen koͤnnen, daß das ploͤtzliche Krachen
des Geſchuͤtzes ihn gewaltig erſchreckt, ja gleichſam betaͤubt haben wuͤrde.
Allein von alle dem erfolgte nicht das geringſte; er ſahe nicht einmal darnach
in die Hoͤhe, ſondern blieb, nach wie vor, bey ſeinem Waſſerſchoͤpfen, und
trieb unmittelbar darauf ſeinen Handel wiederum fort gleichſam als ob gar
nichts vorgefallen waͤre.


Wir waren noch nicht lange zu dem Capitain und ſeinem Commando ge-
ſtoßen, als die ungluͤckliche Veranlaſſung alles Unheils, das Boͤttcher-Beil,
wieder abgeliefert wurde. Eine Frauensperſon von mittlerm Alter, die einiges
Anſehen zu haben ſchien, hatte etliche ihrer Leute darnach ausgeſchickt, und dieſe
ſchafften nicht nur dies eine Stuͤck, ſondern auch eine Patrontaſche und Herrn
Pattons Vogelflinte wieder herbey, welche, dem Anſchein nach, im Waſſer ver-
ſteckt geweſen ſeyn mußte. Es waͤhrete nicht lange, ſo brachten ein paar In-
dianer ihren verwundeten Landsmann, der faſt keine Beſinnung mehr zu haben
ſchien, auf einem Brette zu uns hergetragen. Man ſchickte deshalb gleich
nach dem Wundarzt Herrn Patton, und ließ den armen Schelm unterdeſſen
[147]in den Jahren 1772 bis 1775.
auf den Boden niederſetzen. Die Eingebohrnen kamen nun nach gerade1774.
Junius.

wieder, und die Frauensleute ließen ſichs vorzuͤglich angelegen ſeyn, Friede
und Ruhe wieder herzuſtellen; doch ſchienen ihre ſchuͤchternen Blicke uns anzu-
klagen, daß wir grauſam mit ihnen umgegangen waͤren. Endlich ſetzten ſich
ihrer funfzig oder mehrere auf einen ſchoͤnen gruͤnen Raſen, und winkten, daß
wir neben ihnen Platz nehmen moͤchten. Jede dieſer Schoͤnen hatte ein Paar
Pompelmuße mitgebracht, welche ſie mit freundlich liebkoſender Gebehrde
biſſenweiſe unter uns austheilte. Herrn Pattons Freundin, zeichnete ſich,
durch ihre jugendliche Schoͤnheit, vor allen uͤbrigen Frauenzimmern aus. Sie
war von hellerer Farbe als das gemeine Volk, dabey wohl gewachſen, von ſehr
proportionirtem Gliederbau, und von uͤberaus regelmaͤßiger, gefaͤlliger Geſichts-
bildung. Feuer ſtrahlte aus den lebhaften ſchwarzen Augen, und den ſchoͤnen
Hals umfloſſen ſchwarze lockigte Haare. Ihre Kleidung beſtand aus einem
Stuͤck braunen Zeuges, das unter der Bruſt dicht an den Leib anſchloß, aber
von den Huͤften herab weiter ward, und dieſes ungekuͤnſtelte Gewand ſtand ihr
beſſer als die zierlichſte europaͤiſche Tracht ſie geputzt haben wuͤrde.


Unterdeſſen war Herr Patton mit den noͤthigen Inſtrumenten ange-
langt, und verband nun den verwundeten Indianer. Als er mit der Ban-
dage fertig war, ſchlugen die Eingebohrnen noch Piſangblaͤtter daruͤber her, und
ſo uͤberlieſſen wir ihn ihrer eigenen Curmethode; doch ward dem Kranken eine
Flaſche Brandtewein, mit der Vorſchrift, gegeben, daß er von Zeit zu Zeit
die Wunden damit moͤgte waſchen laſſen. Der arme Kerl mußte viel Schmer-
zen ausgeſtanden haben, denn da der Schuß nur in einer Entfernung von wenig
Schritt auf ihn abgefeuert worden, ſo waren die Theile, wo das Schroot einge-
drungen, gleichſahm zerſchmettert; ſonſt hatte es eben keine Gefahr, weil
die Wunden nur im dicken Fleiſche waren. Um die Sache vollends wieder gut
zu machen, theilten wir eine Menge Corallen unter die Leute aus, und kehrten
alsdann, mit gegenſeitigen Freundſchaftsverſicherungen, wiederum nach dem
Schiffe zuruͤck. Das Volk war auf dieſer Inſel eben ſo friedfertig, und dabey
eben ſo gewinnſuͤchtig, als auf Tongatabu. Sie trugen uns unſre Ueberei-
lung nicht nach, ſondern fuhren ungeſtoͤrt fort, am Schiffe Handel zu treiben.
Die ganze Nation ſchien zur Kaufmannſchaft gebohren zu ſeyn, denn ein jeder
T 2
[148]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
ließ ſichs eifrigſt angelegen ſeyn, etwas von unſern Waaren oder Merk-
wuͤrdigkeiten einzutauſchen. Unter andern fanden ſie ein beſonderes Wohlgefal-
len an jungen Hunden, davon wir auf den Societaͤts-Eylanden eine große An-
zahl an Bord genommen hatten, um ſie allenfalls auf denen Inſeln einzufuͤh-
ren, wo dieſe Art von Thieren noch nicht vorhanden ſeyn wuͤrde. Zwey Paare
davon uͤberlieſſen wir den hieſigen Einwohnern, und ſie verſprachen uns ſorg-
faͤltig damit umzugehen. Zu den coͤrperlichen Geſchicklichkeiten dieſer Inſulaner
gehoͤrt vornemlich, daß ſie ihre Canots ſehr gut zu regieren, und auch vortreflich zu
ſchwimmen wiſſen. Die gewoͤhnlichen Fahrzeuge darinn ſie Waaren an das
Schiff brachten waren nur klein, aber ſauber gearbeitet und ſehr gut abge-
glaͤttet, wie ich weiter oben ſchon angemerkt habe. Diejenigen Canots hingegen,
die von den benachbarten Inſeln her zu uns kamen, waren anſehnlicher, und je
zwey derſelben durch eine Anzahl Queerbalken zuſammengekoppelt, ſo daß in man-
chem wohl funfzig Mann Platz hatten. In der Mitte war gemeiniglich eine
Huͤtte aufgerichtet, damit die Leute im Schatten ſeyn und ihre Waaren, Waffen
und andere noͤthige Geraͤthſchaften im Trocknen aufbewahren konnten. In
dem Fusboden dieſer Huͤtte, der aus den queer uͤber die Canots gelegten Bret-
tern beſtand, waren Oeffnungen gelaſſen, vermittelſt deren man in den Bauch
der Canots herabſtieg. Die Maſte beſtanden aus ſtarken Baͤumen, die nach
Gefallen niedergelegt werden konnten. Die Seegel waren groß und dreyeckigt,
taugten aber nicht gut zum Laviren. Ihr Tauwerk hingegen war vortref-
lich; und ſtatt der Anker hatten ſie an dem untern Ende eines ſtarken Kabel-
Taues etliche große Steine befeſtigt, die vermoͤge ihrer Schwere das Schiff
anhielten.


Da der Capitain ſchon am folgenden Tage von hier abſeegeln wollte, ſo
giengen wir, gleich nach Tiſche wieder ans Land, um die noch uͤbrige Zeit
ſo gut als moͤglich zu nutzen. In dieſer Abſicht ſtrichen wir durch Felder und Ge-
huͤſche, und ſammleten eine Menge ſchaͤtzbarer Pflanzen. Auch kauften wir
einen Vorrath von Kenlen, Speeren und allerhand Hausrath, als, kleine
Stuͤhle, große hoͤlzerne Schuͤſſeln und Schaalen, imgleichen etliche irdene
Toͤpfe, die lange im Gebrauch geweſen zu ſeyn ſchienen. Wozu die Leute eine
ſolche Menge Waffen haben? iſt bey ihrem gutherzigen und vertraͤglichen Cha-
[149]in den Jahren 1772 bis 1775.
racter nicht leicht abzuſehen. Zwar koͤnnten ſie wohl, ſo gut als die Tahitier,1774
Junius

mit ihren Nachbaren in Uneinigkeit leben; allein, die Streit-Kolben waren ſo ſehr
mit Schnitzwerk und andern Zierrathen ausgeſchmuͤckt, daß ſie, allem Anſchein
nach, nicht oft Gebrauch davon machen muͤſſen.


Am folgenden Morgen lichteten wir bey Anbruch des Tages die Anker,
und ſteuerten nach dem Eyland Tofua hin, auf welchem wir, auch in dieſer
Nacht, das Feuer des Volcans wiederum wahrgenommen hatten. Eine ganze
Flotte von Canots begleitete uns etliche Meilen weit, um noch Kleider, Haus-
rath und Putzwerk anzubringen. Einige fuͤhrten uns auch, als Proviant-Boote,
mancherley Fiſche nach, die hier durchgehends von ſehr wohlſchmeckender Art waren.


Die Inſel Namocka, auf welcher wir uns nur zween Tage verweilt
hatten, liegt unter 20°. 17′. ſuͤdlicher Breite, im 1740. 32′. weſtlicher Laͤnge,
und haͤlt nicht uͤber funfzehn Meilen im Umkreiſe, iſt aber ungemein volkreich.
Sie ſchien die anſehnlichſte unter allen umliegenden Inſeln, welche uͤberhaupt
haͤufig bewohnt und an Pflanzen und Gewaͤchſen ausnehmend fruchtbar ſind.
Sie liegen alleſammt auf einer Art von Bank, wo das Meer von neun, bis
zu ſechzig und ſiebenzig Faden Tiefe hat. Der Boden iſt auf dieſen Inſeln
vermuthlich durchgehends von einerley Beſchaffenheit. Namocka beſteht,
gleich Tongatabu, aus einem Coral-Felſen, der mit einer Schicht von ſehr
fettem und allerhand Pflanzen hervorbringendem Erdreich bedeckt iſt. Aus
Mangel genugſamer Zeit konnten wir den mitten auf der Inſel befindlichen
Huͤgel nicht gehoͤrig unterſuchen; ſonſt waͤre es freylich der Muͤhe werth geweſen,
nachzuſpuͤren, ob er nicht etwa andern Urſprungs als der Reſt des Landes, und,
wenn gleich itzt mit Geſtraͤuch bewachſen, dennoch wohl durch einen feuerſpeyenden
Berg hervorgebracht ſeyn moͤchte, indeß der uͤbrige Theil der Inſel aus
Corall-Felſen beſteht. Daß die hieſigen Einwohner, vermittelſt des Teiches
Ueberfluß an ſuͤßem Waſſer haben, iſt ein großer Vortheil, und ſind ſie in
dem Stuͤck weit beſſer dran, als die Bewohner von Tongatabu. Demohnge-
achtet ſcheinet das Baden hier nicht ſo allgemein eingefuͤhrt, als zu Tahiti; aber
freylich badet ſichs in dem dortigen fließenden Waſſer beſſer und angenehmer,
als hier in dem ſtillſtehenden See. Uebrigens wiſſen ſie vollkommen, was
gutes Trinkwaſſer fuͤr eine ſchaͤtzbare Sache ſey, denn ſie brachten uns, wie auch
T 3
[150]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
zu Tasmanns Zeiten geſchehen war, ganze Calabaſſen voll ans Schiff, als
ob es ein ordentlicher Handelsartikel waͤre. Naͤchſt der Guͤte des Erdreichs iſt
dieſer Ueberfluß an Waſſer ohne Zweifel Urſach, daß Brodfrucht und Pompel-
muß-Baͤume
hier haͤufiger, und uͤberhaupt alle Pflanzen weit beſſer in
die Hoͤhe wachſen, als zu Tongatabu. Dieſe Fruchtbarkeit erleichtert ihnen
den Feldbau in manchen Stuͤcken; ſie brauchen z. B. nicht ſo viel Verzaͤnnun-
gen zu machen, als ihre Nachbaren, doch ſind ſolche deshalb nicht gaͤnzlich abge-
ſchafft. Die langen Alleen von Brodfruchtbaͤumen, und der vortrefliche gruͤne
Raſen unter denſelben, kommen den fruchtbarſten Gegenden auf Ea-Uwhe
oder der Inſel Middelburg, an Schoͤnheit gleich. *) Die hochranken-
den Pflanzen, welche ſich an manchen Stellen wie die dickſten Lauben uͤber die
Fußſteige hergewoͤlbt hatten, trugen zum Theil ſchoͤne, wohlriechende Blumen.
Hin und wieder ein anmuthiger Huͤgel, wechſelsweiſe eine Gruppe von Haͤu-
ſern oder Baͤumen, und an manchen Stellen ein Landſee, — machten zuſam-
mengenommen, ungemein ſchoͤne Proſpecte aus, die durch den aͤußeren uͤberall
ſichtbaren Wohlſtand der Einwohner, noch mehr erheitert und belebt wurden.
Bey den Haͤuſern liefen Huͤhner und Schweine umher. Pompelmuſſe
waren ſo haͤufig, daß ſie niemand einſammlete, ohnerachtet faſt unter jedem
Baume eine betraͤchtliche Anzahl, aus Ueberreife abgefallen, auf dem Boden
lag. Die Huͤtten waren durchgehends mit Yam-Wurzeln angefuͤllet, kurz, wo
man nur hinſahe, da fanden ſich Spuren des Ueberfluſſes, vor deſſen erfreuli-
chem Anblick Kummer und Sorgen entfliehen. Fuͤr uns hatten dergleichen an-
genehme Scenen auch deshalb einen beſondern Werth, weil wir ſie gemeinig-
lich erſt durch die Beſchwerlichkeiten der Seefahrt erkaufen mußten; je unange-
nehmer dieſe geweſen waren, deſto ſchoͤner kamen uns natuͤrlicherweiſe jene vor.
Man wird mirs daher auch zu gut halten, wenn ich nicht muͤde werde, den Ein-
druck den der Anblick einer ſolchen Gegend in mir hervorbrachte, jedesmal von
neuem zu beſchreiben. Wer ſpricht nicht gern und oft von Gegenſtaͤnden, die
ihm wohlgefallen? Herr Hodges hat eine Ausſicht auf dieſer Inſel abgezeichnet,
die zum Behuf von Capitain Cooks Reiſe in Kupfer geſtochen iſt, und einen
Bauerhof, nebſt der umliegenden Gegend, ſehr richtig abbildet.


[151]in den Jahren 1772 bis 1775.

Die Bewohner dieſes reizenden Aufenthalts, ſchienen mir in keinem1774.
Junius.

Stuͤck von den Einwohnern der Inſeln Tongatabu und Ea-Uwhe unterſchie-
den zu ſeyn. Sie ſind von mittlerer Groͤße, ſehr wohl proportionirt, fleiſchig,
aber keinesweges ſchwerfaͤllig, und von caſtanienbrauner Farbe. Ihre Sprache,
die Fahrzeuge, Waffen, Hausrath, Kleidung, Puncturen, die Art den Bart
zu ſtutzen, das Einpudern des Haares; kurz, ihr ganzes Weſen und alle ihre
Gebraͤuche ſtimmten mit dem, was wir hievon auf Tongatabu geſehen
hatten, genau uͤberein. Nur konnten wir, in der kurzen Zeit unſers Hier-
ſeyns, keine Art von Subordination unter ihnen gewahr werden, wel-
che hingegen zu Tongatabu ſehr auffallend war, und, in den Ehren-
bezeugungen fuͤr den Koͤnig, faſt bis zur aͤuſſerſten Sclaverey gieng.
Hier auf Namocka fanden wir Niemand, der ein ausdruͤckliches Anſehn oder
Herrſchaft uͤber die andern gehabt haͤtte, es muͤßte denn der Mann geweſen
ſeyn, den unſre Matroſen den Zollhaus-Viſitator nannten, in ſo fern dieſer
alle an Bord kommende Canots durchſuchte. Die Frau, welche nach den ge-
ſtohlnen Sachen ſchickte, mochte auch wohl etwas zu ſagen haben. Herrn
Patton’s wohlthaͤtige Beſchuͤtzerin war unſeres Wiſſens auf der ganzen In-
ſel die einzige Frauensperſon, welche das Haar nicht geſtutzt trug; und da
wir durchgehends bemerkt zu haben glauben, daß es, in den Inſeln der Suͤd-
See
, nur Frauenzimmern von gewiſſem Range als ein beſonderes Vorrecht ge-
ſtattet wird, die Haare wachſen zu laſſen, *) ſo koͤnnte, auch dieſe hier, wohl zu
einer vornehmern Claſſe gehoͤrt haben, welches ihr aͤußerer Anſtand ohnehin zu
verrathen ſchien. Indeſſen will ich dadurch, daß wir den Unterſchied der Staͤnde
hier nicht recht gewahr wurden, keinesweges zu verſtehen geben, als ob dieſe
Inſulaner keine beſtimmte Regierungsform unter ſich haͤtten; im Gegentheil
laͤßt ſich vermoͤge der Aehnlichkeit mit ihren Nachbaren, welche durch-
gehends unter einer Monarchiſchen Verfaſſung leben, ja aus dem Beyſpiel al-
ler bisher bekannt gewordnen Suͤdſee-Inſeln ſchließen, daß eine gleiche
Regierungsart auch hier ſtatt finden muͤſſe. Ihre ungemeine Aehnlichkeit
mit den Einwohnern auf Tongatabu iſt beynahe Buͤrge dafuͤr, daß ſie gleichen
Urſprung, vielleicht auch gleiche Religions-Begriffe mit jenen haben; obſchon
[152]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
weder ich noch meine Reiſe Geſellſchafter, auf allen unſern Spatziergaͤngen
in dieſer Inſel, nirgends ein Fayetuka, noch ſonſt einen Fleck antrafen,
der die mindeſte Aehnlichkeit mit einem Begraͤbnißplatz gehabt haͤtte, derglei-
chen man doch auf Tongatabu verſchiedene findet. *)


Die Nachrichten aͤlterer Reiſenden bezeugen, daß zwiſchen dem 170
und 180ſten Grad oͤſtlicher Laͤnge von Greenwich, und innerhalb des 10ten
bis zum 22ſten Grade ſuͤdlicher Breite, eine große Menge Inſeln liegen. So
viel wir bis jetzt von denſelben wiſſen, ſcheinen ſie alleſammt durch einerley Art
von Leuten bewohnt zu ſeyn, die denſelbigen Dialect der Suͤdſee-Sprache re-
den, alle in gleichem Grade geſellig und alle zum Handel geneigt ſind. Dieſe
Eylande koͤnnte man alſo insgeſammt zu den ſogenannten freundſchaftli-
chen Inſeln
rechnen. Sie ſind durchgehends ſehr ſtark bewohnt, vornem-
lich diejenigen, die wir beſucht haben. Tongatabu iſt gleichſam von einem En-
de zum andern als ein einziger großer Garten anzuſehen. Ea-Uwhe, Na-
mocka
und die zunaͤchſt gelegnen Inſeln, gehoͤren ebenfalls zu den frucht-
barſten Landflecken der ganzen Suͤdſee. Wir koͤnnen alſo ohne Unwahr-
ſcheinlichkeit annehmen, daß die Zahl der Einwohner auf allen dieſen In-
ſeln ſich wenigſtens gegen 200,000. erſtrecken muͤſſe. Das geſunde Clima
und die vortreflichen Fruͤchte deſſelben, machen, daß ſie von den mannigfaltigen
Krankheiten, die uns Europaͤer ſo leicht hinwegraffen, gar nichts wiſſen; und
die Einfalt ihrer Begriffe ſteht mit dem geringen Maaß ihrer Beduͤrfniſſe in
vollkomnem Gleichgewicht. In den Kuͤnſten haben ſie es weiter gebracht als
andre Voͤlker der Suͤdſee; die Schnitzkunſt und andre nuͤtzliche Handarbei-
ten machen ihren Zeitvertreib aus, dem eine wohlklingende Muſic noch meh-
rern Reiz giebt. Die groͤßere Ausbildung ihres Geſchmacks bringt ihnen
auch noch den Vortheil zuwege, daß ſie mehr Begriff und Gefuͤhl vom Werth
der coͤrperlichen Schoͤnheit haben, und eben dieſes Gefuͤhl iſt es, welches
die zaͤrtlichſten Verbindungen in der menſchlichen Geſellſchaft, die gegen-
ſeitige Neigung beyder Geſchlechter, ſo angenehm als dauerhaft macht. Ueber-
haupt genommen ſind ſie arbeitſam; ihr Betragen gegen die Fremden aber duͤnk-
te
[153]in den Jahren 1772 bis 1775.
te uns mehr hoͤflich, als aufrichtig zu ſeyn, ſo wie auch der allgemeine Hang1774.
Junius.

zum Wucher, die wahre Herzensfreundſchaft bey der Nation uͤberhaupt verdrun-
gen, und an deren ſtatt eine ſteife Hoͤflichkeit hervorgebracht zu haben ſcheint.
Dies alles iſt dem Character der Tahitier gerade entgegen geſetzt, denn dieſe
finden am unthaͤtigen Leben Wohlgefallen; ſind aber viel zu aufrichtig, als daß
ſie ſich bey ihrem Betragen um den aͤußern Schein gewiſſer Manieren bewerben
ſollten. Dagegen giebt es auf Tahiti und den Societaͤts-Inſeln viele in Wol-
luſt verſunkne Errioys, deren moraliſcher Character etwas abgewuͤrdigt zu ſeyn
ſcheint; indeß auf den freundſchaftlichen Inſeln alle jene Laſter, die der uͤber-
maͤßige Reichthum zu veranlaſſen pflegt, dem Anſehen nach, noch ziemlich unbe-
lannt ſind.


Gegen Mittag verließen uns die Canots, welche von Namocka aus,
unſre Begleitung ausgemacht hatten, und kehreten wieder nach den unter-
ſchiedenen niedrigen Inſeln zuruͤck, die hier in der Nachbarſchaft und insge-
ſammt als eben ſo viel fruchtbare und ſchoͤne Gaͤrten umher lagen. Nach-
mittags ließ der Wind nach und drehete ſich, ſo daß wir mehr ruͤck- als vorwaͤrts
kamen. Dies machten ſich unterſchiedne Indianer zu Nutze und ruderten von
nenem herbey; denn ſie ließen ſich keine Muͤhe verdrießen, um eiſerne Naͤ-
gel, und Stuͤcken von Zeug einzuhandeln. Gegen Abend hatte die Anzahl
der Canots ſo zugenommen, daß ſie, wie heute Morgen, eine kleine Flotte aus-
machten und der Tauſchhandel von beyden Seiten ſo lebhaft als je betrieben ward.


Am folgenden Morgen fanden ſich die Canots von neuem und zwar ſchon
bey Anbruch des Tages ein; es war ein Vergnuͤgen, ſie aus allen Gegenden
hin und her ſeegeln zu ſehen. Wenn ſie den Wind hinter ſich hatten, ſo gieng
es ſehr ſchnell, denn dazu waren die Fahrzeuge recht gut eingerichtet; und
die großen dreyeckigten Seegel gaben ihnen, zumal in einer gewiſſen Entfernung,
ein ſchoͤnes mahleriſches Anſehen. Es waͤhrete indeſſen nicht lange; ſo erhob
ſich der Wind und machte dem Handel ein Ende, denn nun verließen wir ſie
und ſeegelten nach den beyden hohen Inſeln, die wir von unſerm vorigen Anker-
platz aus entdeckt hatten. Nachmittags holten uns abermals drey Canots ein;
das eine derſelben war mit funfzig Mann beſetzt, und verkaufte uns, waͤhrend
daß wir den engen Canal zwiſchen beyden Inſeln paßirten, allerhand Waaren.
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. U
[154]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
Die groͤßere dieſer beyden Inſeln, hatten wir gegen Suͤden. In der Landes-
ſprache heißt ſie Tofua, und ſcheint bewohnt zu ſeyn. Einige Indianer, die
bey uns an Bord waren, erzaͤhlten, daß ſuͤßes Waſſer, Cocos-Nuͤſſe, Pi-
ſang-
und Brodfruchtbaͤume haͤufig darauf zu finden waͤren. Man konnte
auch ſchon von weitem eine Anzahl Palmen und eine große Menge Caſuarina-
Baͤume
unterſcheiden. Im Ganzen genommen, ſchien das Land zwar ſehr ſteil
und bergigt zu ſeyn, doch fehlte es auch nicht an fruchtbaren Stellen, die mit
allerhand Kraͤutern und Gebuͤſch bewachſen waren. An der See, beſonders
nach jener Inſel hin, ſahen die Felſen Laven-artig und das Ufer wie mit ſchwar-
zem Sande bedeckt aus. Wir ſteuerten zwar bis auf Cabels-Laͤnge heran,
konnten aber dennoch nirgends einen Ankerplatz finden, weil das Waſſer uͤberall,
achtzig und mehr Faden tief war. Die Durchfahrt mogte kaum eine Meile
breit ſeyn, und das felſige Ufer der Inſel, welches man jenſeits derſelben erblick-
te, war voller Loͤcher und Hoͤhlen, an manchen Stellen auch, wenn gleich auf
eine ziemlich unfoͤrmliche Art, Saͤulen-aͤhnlich geſtaltet. Des nebligten Wetters
wegen konnte man den eigentlichen Gipfel der Inſel nicht deutlich erkennen;
doch ſahe man einen betraͤchtlichen Dampf davon empor ſteigen. Diſ-
ſeits des Canals oder der Durchfahrt, ſchien es, als ob dieſer Rauch auf der
anderen Seite des Berges ausbraͤche; jenſeits aber duͤnkte es uns hinwiederum,
als ob er von der Seite herkaͤme, auf welcher wir zuvor geweſen waren! Aus
dieſem Blendwerk ließ ſich abnehmen, daß die Spitze des Berges hohl ſeyn oder
einen Crater ausmachen, und aus dieſem der Dampf hervorkommen muͤſſe.
An der Nordweſt-Seite des Gipfels fand ſich, unterhalb der rauchenden Stelle,
ein Fleck, der nicht laͤngſt erſt vom Feuer verheeret ſeyn mogte, wenigſtens ſahe
man daſelbſt nicht das geringſte Gruͤn, dahingegen die uͤbrigen Seiten des Ber-
ges mit allerhand Kraͤutern bewachſen waren. Als wir uns in dem Striche be-
fanden, nach welchem der Wind den Rauch hintrieb, fiel ein Regenſchauer ein,
und verſchiedene unter uns bemerkten, daß das Waſſer, wenn es ihnen in die
Augen kam, beißend und ſcharf war. Vermuthlich hatten ſich mit dieſem
Regen einige Theilchen vermiſcht, die der Vulcan ausgeworfen oder ausgedun-
ſtet hatte. Der Suͤd- Suͤd-Oſtwind, der ziemlich friſch zu wehen anfieng,
fuͤhrte uns ſo ſchnell von dieſer Inſel weg, daß wir, in Ermangelung eines ge-
[155]in den Jahren 1772 bis 1775.
hoͤrigen Ankerplatzes, auch nicht von fern her, mehrere Beobachtungen uͤber den1774.
Julius.

Volcan anſtellen konnten. Dies war aber um deſto mehr zu bedauern,
weil eben dieſes Phoͤnomen auf die Figur der Erde und ihre Veraͤnderung großen
Einfluß hat.


Nun ſeegelten wir nach W. S. W. Auf dieſem Striche entdeckten
wir des folgenden Tages, als den 1ſten Julius, ohngefaͤhr um Mittagszeit
Land, welches, nach der Richtung unſers Laufes zu urtheilen, noch von keinem
Seefahrer bemerkt worden war. Deſto begieriger ſteuerten wir alſo darnach hin,
und kamen auch vor Einbruch der Nacht ziemlich nahe heran, mußten aber,
der vor uns befindlichen Brandung wegen, die ganze Nacht uͤber gegen den
Wind laviren, um nicht in Gefahr zu gerathen. Kaum war es dunkel gewor-
den, als wir unterſchiedene Lichter am Lande wahrnahmen, ein untruͤgliches
Zeichen daß die Inſel bewohnt ſey.


Am folgenden Morgen naͤherten wir uns der Kuͤſte wieder, und kamen
um die oͤſtliche Ecke herum. Das Land ſchien ohngefaͤhr ſieben Meilen lang,
und enthielt zwey ſanft anlaufende Huͤgel, die, gleich der ganzen uͤbri-
gen Inſel, mit Holz bewachſen waren. Ein Ende dehnte ſich in eine flache
Landſpitze aus, und auf dieſer bemerkten wir ein angenehmes Gehoͤlz von Co-
cos-Palmen
und Brodfruchtbaͤumen, in deren Schatten Haͤuſer lagen.
Ein ſandiger Strand machte die aͤußerſte Seekuͤſte aus, und dieſe war an der
Oſtſeite von einem Coral-Rief gedeckt, der eine halbe Meile vor dem Ufer
herablief, an beyden Enden aber faſt zwey Meilen weit in die See hinaus
reichte. Es waͤhrete nicht lange, ſo kamen auf dem Riefe fuͤnf ſchwarzbrau-
ne Maͤnner zum Vorſchein, die, mit Keulen bewaffnet, ſcharf nach uns
hin ſahen. Als wir aber ein Boot ausſetzten, um durch unſern Lootſen
die Einfahrt in den Rief unterſuchen zu laſſen, ſo ruderten ſie in ihrem Ca-
not eilfertig nach der Inſel zuruͤck. Indeſſen paßirte der Loots die Durch-
fahrt, und folgte den Indianern nach der Kuͤſte hin, wo ohngefaͤhr ihrer drey-
ßig beyſammen ſeyn mochten. Zehn oder zwoͤlfe derſelben waren mit Speeren
bewaffnet, dennoch zogen ſie ihr kleines Fahrzeug, aus Vorſorge, in den Wald
hinein, und ſobald der Loots an Land ſtieg, liefen ſie alle davon. Er legte ih-
nen etliche Naͤgel, ein Meſſer und ein paar Medaillen auf den Strand hin, und
U 2
[156]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
kam hierauf mit dem Berichte ans Schiff zuruͤck, daß, in der Durchfahrt des
Riefs, die See unergruͤndlich tief, innerhalb aber allzu ſeicht ſey. In dem Haven
hatte er mehr denn ein Dutzend große Schildkroͤten herum ſchwimmen geſehen;
da es ihm aber an Harpunen und anderem noͤthigen Geraͤthe fehlte, ſo konnte
er nicht eine einzige davon habhaft werden. Solchergeſtalt mußten wir
das Boot wieder einnehmen, und alle Hoffnung fahren laſſen, auf dieſer Inſel
botaniſiren zu gehen. Bey der Abfahrt bemerkten wir auf dem Riefe unter-
ſchiedene große Corallen-Felſen, die ohngefaͤhr funfzehn Fuß uͤber Waſſer ſtan-
den, unten ſpitz, oberhalb aber breit waren. Ob ein Erdbeben ſie ſo weit uͤber
die See empor gebracht, (in deren Schoos ſie doch entſtanden ſeyn muͤſſen.)
oder ob dies beſondere Phoͤnomen einer andern Urſache zuzuſchreiben ſey? kann
ich nicht entſcheiden.


Einige Meilen weſtwaͤrts von dieſer Inſel fanden wir ein großes zirkel-
foͤrmiges Corallen-Rief, und innerhalb deſſelben einen See. Die Ausſage des
Lootſen, daß er an jener Inſel ſo viel Schildkroͤten angetroffen habe, brachte
uns auf die Vermuthung, daß ſich vielleicht auch hier dergleichen aufhalten
moͤgten; es wurden alſo Nachmittags zwey Boote auf den Schildkroͤtenfang
ausgeſchickt, der aber ganz fruchtlos ablief, weil man auch nicht eine zu
Geſicht bekommen hatte. Die Boote wurden folglich unverrichteter Sa-
che wiederum eingehoben, und wir verließen dies neuentdeckte Land noch
vor Abends wieder. Es ward Turtle-Eyland von uns genannt, und
liegt im 19°, 48′. Suͤdlicher Breite und dem 178°, 2′. Weſtlicher Laͤnge.
Von hier aus ſteuerten wir, bey einem friſchen Paſſat-Winde, des Tages un-
ablaͤßig Weſt Suͤd Weſt, des Nachts aber legten wir bey. Auf dieſem Stri-
che blieb unſre ſonſt gewoͤhnliche Begleitung von Voͤgeln aus; nur dann und
wann ließ ſich ein Toͤlpel (Booby) oder ein Fregatten-Vogel ſehen. Das
ſchoͤne Wetter, die Yams von Namocka, und die Hoffnung in dieſem unbe-
fahrnen Theile der Suͤd-See neue Entdeckungen zu machen, erhielten uns in-
deſſen munter und vergnuͤgt.


Am 9ten Julius, da wir ohngefaͤhr 176°. oͤſtlicher Laͤnge im 20ſten
Grad Suͤdlicher Breite erreicht hatten, aͤnderten wir unſern Lauf und ſteuerten
nach Nord-Weſt. Bis zum 12ten dauerte der friſche, gute Wind ohne Abaͤn-
[157]in den Jahren 1772 bis 1775.
derung fort; am 13ten aber, da er etwas nachzulaſſen anfieng, fielen, ſowohl1774.
Julius.

Morgens als Abends, einzelne Regentropfen. Es waren heute gerade zwey
Jahr, ſeit unſerer Abreiſe aus England, verfloſſen; die Matroſen unterließen
daher nicht dieſen Tag, nach ihrer gewoͤhnlichen Art, das heißt, bey vollen Glaͤ-
ſern zu feyern. Zu dem Ende hatten ſie von ihrem taͤglichen Deputat an Brandt-
wein ausdruͤcklich etwas geſpart, und ſichs vorgenommen, allen Kummer
und Verdruß in Grog, dem wahren Lethe des Seemannes, zu erſaͤufen.
Einer von ihnen, der ein halber Schwaͤrmer war, hatte, wie im vorigen Jahr
alſo auch diesmal wieder ein geiſtliches Lied auf dieſen Tag gemacht, und hielt
nach Abſingung deſſelben ſeinen Cameraden eine ernſtliche Buspredigt; alsdenn
aber ſetzte er ſich auch zu ihnen hin, und ließ ſich die Flaſche eben ſo kraͤftig, als
die Buße empfohlen ſeyn; indeſſen gieng es ihm dabey, wie den andern mit
der Suͤnde, ſie uͤberwaͤltigte ihn.


Die beyden folgenden Tage bekamen wir friſchen Wind, am dritten aber,
nebligtes und mit Regenguͤſſen begleitetes Wetter. Eine Calabaſſe, die am
16ten neben dem Schiff in der See vorbey trieb, ſchien uns anzukuͤndigen, daß
wir nicht mehr weit von einer Kuͤſte ſeyn koͤnnten, und wenige Stunden darauf,
Nachmittages um 2 Uhr, ſahen wir auch wuͤrklich eine hohe Inſel von ziem-
lichen Umfange vor uns. Gegen die Nacht verſtaͤrkte ſich der Wind, und
die Wellen warfen das Schiff von einer Seite zur andern. Ungluͤcklicherweiſe
regnete es dabey ſo heftig, daß der Regen durchs Verdeck in unſre Cajuͤtten
eindrang, und Buͤcher, Kleider und Betten dermaaßen naß machte, daß an kei-
ne Ruhe noch Schlaf zu denken war. Dieſer heftige Sturm ſowohl als auch
die unfreundliche Witterung, hielten den ganzen folgenden Tag an, und der
Dunſtkreis war dermaaßen mit Wolken angefuͤllt, daß wir das Land kaum dafuͤr
unterſcheiden konnten, mithin nur ab- und zu laviren mußten. Dies Wetter war
deſto unangenehmer, weil wir es in dieſer Gegend der See, welche immer das
ſtille Meer
genannt worden iſt, gar nicht erwartet hatten. Man ſiehet hier-
aus, wie wenig dergleichen allgemeinen Benennungen zu trauen ſey, und daß
wenn Stuͤrme und Orcane in dieſem Meer gleich ſelten, ſie dennoch nichts
ganz ungewoͤhnliches oder gar unerhoͤrtes ſind. Vornemlich ſcheinen in dem
weſtlichen Theil deſſelben heftige Winde zu herrſchen. Als Capitain Pedro
U 3
[158]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
Fernandez de Quiros ſeine Tierra del Espiritu Santo verließ; als Herr
von Bougainville auf der Kuͤſte von Luiſiada war, und Capitain Cook in
der Endeavour die oͤſtliche Kuͤſte von Neu-Holland unterſuchte, fanden ſie
alle ſtuͤrmiſches Wetter. Vielleicht ruͤhrt ſolches von den großen Laͤndern her,
welche in dieſer Gegend des Oceans liegen; ſo viel iſt wenigſtens gewiß, daß,
in der Nachbarſchaft irgend eines bergigen und großen Landes, ſogar die Paſſat-
winde, die im heißen Himmelsſtrich unverruͤckt nach einerley Richtung wehen,
dieſe Eigenſchaft verlieren, unbeſtaͤndig und veraͤnderlich werden.


Am folgenden Tage klaͤrte ſich das Wetter in ſo weit auf, daß wir’s wa-
gen durften, nach der Kuͤſte hinzuſteuern. Man konnte nunmehro zwo Inſeln
unterſcheiden; es waren die Pfingſt- und die Aurora-Inſel des Herrn
von Bougainville, und wir liefen auf das Nord-Ende der letztern zu.


Nachdem wir ſolchergeſtalt zween Jahre damit zugebracht hatten, lauter
ſchon entdeckte Inſeln aufzuſuchen, die mancherley Fehler unſrer Vorgaͤnger zu be-
richtigen und alte Irrthuͤmer zu widerlegen; ſo fiengen wir nun das dritte, mit Un-
terſuchung eines Archipelagus von Inſeln an, welche der franzoͤſiſche Seefah-
rer, wegen unzulaͤnglicher Ausruͤſtung ſeiner Schiffe und bey gaͤnzlichem Man-
gel an Proviant, kaum fluͤchtig hatte anſehen koͤnnen. Dieſem letztern Jahr un-
ſrer Reiſe war das Gluͤck vorbehalten, an neuen Entdeckungen beſonders frucht-
bar zu ſeyn, und uns fuͤr die beyden erſteren Jahre zu entſchaͤdigen. Zwar
durften wir uns, auch in Abſicht dieſer, nicht beſchweren, denn bey den mehreſten
Laͤndern, die wir bisher beſucht, hatten unſere Vorgaͤnger uns noch allerhand
neues zu ſagen uͤbrig gelaſſen, und an Menſchen und Sitten, als worauf der
vornehmſte Endzweck eines jeden philoſophiſchen Reiſenden vorzuͤglich gerichtet
ſeyn ſoll, noch immer manches uͤberſehen. Da aber das Neue gemeiniglich am
mehreſten geſchaͤtzt zu werden pflegt; ſo duͤrfte denn auch die folgende Geſchichte
von dem letzteren Theil unſrer Reiſe, in dieſem Betracht, die angenehmſte und
unterhaltendſte fuͤr den Leſer ſeyn.


Fuͤnf-
[159]in den Jahren 1772 bis 1775.

Fuͤnftes Hauptſtuͤck.*)
Nachricht von unſerm Aufenthalt auf Mallicolo und Ent-
deckung der neuen Hebridiſchen-Inſeln.


Am 18ten Julius, fruͤh um 8 Uhr, hatten wir das Nord-Ende von Au-1774.
Julius.

rora-Cyland
erreicht, und erblickten bereits allenthalben, ſelbſt auf den
hoͤchſten Bergen, eine große Menge von Cocos-Nuß-Palmen. Ueberhaupt
war das ganze Land, ſo viel man des Nebels wegen unterſcheiden konnte,
durchaus mit Waldung bedeckt, die ein wildes, ungebautes, aber demohner-
achtet angenehmes Anſehen hatte. Als ſich der Nebel an einer Stelle etwas
verzog, ward mein Vater den kleinen felſigten Pik gewahr, den Herr von
Bougainville
Pic de l’étoile, oder Pic d’ Averdi genannt hat, wir wuß-
ten alſo um deſto genauer, in welcher Gegend wir eigentlich waren. Mit Huͤlfe
der Fernglaͤſer entdeckte man auch Leute auf der Inſel Aurora, und hoͤr-
ten ſie bey unſrer Annaͤherung einander zurufen. Als wir um das Nord-Ende
herumgekommen waren, ſteuerten wir, ſo weit es der Suͤdwind zulaſſen wollte,
laͤngſt der weſtlichen Kuͤſte gen Suͤden herab. Der Sturm dauerte zwar noch
immer fort; doch hatten wir auf dieſer Seite des Landes den Vortheil, daß we-
nigſtens die See nicht ſo unruhig war, weil nach allen Gegenden hin Inſeln
umher lagen. Gerade vor uns befand ſich die Iſle des Lepreux des Herrn
von Bougainville, und zwiſchen dieſer und Aurora-Eyland lavirten wir, den
ganzen Tag uͤber, ab- und zu.


Um 4 Uhr Nachmittags, waren wir bis auf anderthalb Meilen an die
erſtere herangekommen; von den Bergen konnte man, der Wolken halber, nichts
ſehen, das flache Land hingegen war deutlich zu erkennen, und ſo viel ſich nach
[dieſem] urtheilen ließ, ſchien die Inſel ganz fruchtbar zu ſeyn. Das unmittelbar
vor uns liegende Ufer war ſehr ſteil, und die See in dieſer Gegend auch ſo tief,
daß wir mit hundert und zwanzig Faden keinen Grund finden konnten; das nord-
[160]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
oͤſtliche Ende der Inſel war dagegen flach und mit allerhand Baͤumen beſetzt.
Beſonders erblickten wir die Palmen in unzaͤhlbarer Menge, und ſahen ſie zu
unſrer Verwunderung auf den Bergen wachſen, welches uns noch auf keiner an-
dern Inſel vorgekommen war. Von dem ſteilen und mit allerhand Ge-
ſtraͤuch bewachsnem Ufer, ſtuͤrzten ſich betraͤchtliche Cascaden in die See herab,
welches dieſe Gegend dem romantiſchen Ufer von Dusky-Bay, ungemein
aͤhnlich machte. Auf dem Waſſer wurden wir eine ſchlafende Schildkroͤte gewahr,
welche des heftigen Windes ohnerachtet, ganz geruhig fort ſchlief. Um zwiſchen
der Iſle des Lepreux und Aurora-Inſel hindurch zu kommen, lavirten wir die
ganze Nacht uͤber gen Suͤden, und befanden uns am Morgen um 8 Uhr dicht an
der erſteren. In dieſer Gegend wagte ſich ein einziger Indianer mit ſeinem klei-
nen Canot in See, und bald nachher wurden wir noch drey andere gewahr, die
ihr Canot ebenfalls flott machten, um zu uns heran zu kommen. Noch andre ſa-
ßen auf den Felſen und gafften von dort her das Schiff an. Sie waren zum Theil
vom Kopfe bis auf die Bruſt ſchwarz gemacht; giengen aber ſonſt ganz nackend,
außer daß ſie einen Strick um den Unterleib und etwas Weißes auf dem Kopfe
trugen. Nur ein einziger von allen hatte ein Stuͤck Zeug, das, wie ein Ordens-
band, von der einen Schulter bis auf die gegenuͤber ſtehende Huͤfte reichte, und
von da, in Geſtalt einer Scherffe, um die Lenden geſchlagen war. Es ſchien von
weißer Farbe, aber ziemlich ſchmutzig und mit einem rothen Rande verſehen zu ſeyn.
Die Leute ſelbſt waren durchgehends von dunkelbrauner Farbe, mit Bogen und
langen Pfeilen bewaffnet. Die in den Canots, ruderten dicht zu uns heran,
und redeten eine ganze Weile ſehr laut und deutlich, ihre Sprache aber war
uns gaͤnzlich unbekannt; wir konnten ſie auch nicht naͤher unterſuchen, weil die
Leute ſchlechterdings nicht an Bord kommen wollten. Als wir, im Laviren, das
Schiff wiederum ſeewaͤrts wendeten, verließen ſie uns und kehrten nach dem
Lande zuruͤck. Zwiſchen den Felſen waren hin und wieder Rohrhuͤrden aufge-
ſtellt, vermuthlich, um darinn auf eben die Art als mit Reuſen Fiſche zu fangen.


Mittlerweile kamen wir der Aurora-Inſel ganz nahe, und fanden
ſie uͤberall mit einer herrlich gruͤnenden Waldung bedeckt, auch rings herum mit ei-
nem ſchoͤnen Strande verſehen. Eine Menge von Schlingpflanzen hatte ſich
um die hoͤchſten Staͤmme und von einem Baum nach dem andern hingerankt, ſo
daß
[161]in den Jahren 1772 bis 1775.
daß die Waͤlder durch natuͤrliche Girlanden und Feſtons verſchoͤnert waren. Auf1774.
Julius.

dem Abhange des Huͤgels lag eine umzaͤunte Plantage, und unterhalb
derſelben ſtuͤrzte ſich ſchaͤumend ein Waſſerfall durch das Gebuͤſch herab. Um
2 Uhr ſtachen zween Canots in See, kehrten aber alsbald wieder nach der
Kuͤſte zuruͤck, weil ſie ſahen, daß wir eben eine Wendung mit dem Schiff mach-
ten, um abwaͤrts zu laviren. Die Inſel Aurora beſtehet, von einem Ende zum
andern, aus einem ſchmalen, von Norden nach Suͤden hin geſtreckten, langen
Berge, der ziemlich hoch und oberhalb ſcharf iſt. Sie mag ohngefaͤhr 36 Mei-
len lang, aber nirgends mehr als 5 Meilen breit ſeyn; die Mitte derſelben liegt
unter 15 Grad 6 Secunden ſuͤdlicher Breite und im 168ſten Grade 24 Se-
cunden oͤſtlicher Laͤnge. Pfingſt-Eyland iſt auf eben dem Striche, etwa 4 Mei-
len weiter gegen Suͤden gelegen, und ſcheint faſt eben ſo lang, an der noͤrdlichen
Ecke, aber noch etwas breiter zu ſeyn als jenes. Die Mitte dieſer Inſel befin-
det ſich in 15 Grad 45 Secunden ſuͤdlicher Breite und 168 Grad 28 Secun-
den oͤſtlicher Laͤnge. Die Iſle des Lepreux, oder Inſel der Ausſaͤtzigen,
duͤnkte uns von gleicher Groͤße als Aurora-Eyland, jedoch breiter, zu ſeyn und
ſtreckt ſich von Oſten nach Weſten; ihr mittlerer Theil liegt in 15 Grad 20 Se-
cunden ſuͤdlicher Breite und 168 Grad 3 Minuten oͤſtlicher Laͤnge.


Sowohl auf Pfingſt-Eyland, als auf der Iſle des Lepreux iſt das
Land, nach der Seekuͤſte hin, ebener als auf den uͤbrigen, weshalb dieſe beyden
Inſeln am beſten angebauet ſeyn, und die mehreſten Einwohner enthalten koͤnnen.
Wir ſahen auch wuͤrklich, ſo bald es dunkel ward, eine Menge von Huͤtten-Feuern
auf denſelben, und auf Pfingſt-Eyland erblickte man deren ſogar bis zu
den hoͤchſten Berggipfeln hin. Aus dieſem letztern Umſtande folgre ich, daß die
Einwohner groͤßtentheils vom Ackerbau leben, mit der Fiſcherey hingegen ſich
nicht viel abgeben muͤſſen, wie ſie denn auch nur wenig Canots und, der ſteilen Kuͤ-
ſten wegen, vermuthlich auch nicht oft Gelegenheit haben, etwas zu fangen.


Die Inſel, welche in des Herrn von Bougainville Charte ſuͤdwaͤrts von
Pfingſt-Eyland angegeben iſt, kam uns am folgenden Morgen zu Geſicht,
war aber ſo ſehr in Wolken verhuͤllet, daß ſich weder ihre Geſtalt, noch Hoͤhe
unterſcheiden ließ. Dieſen ganzen Tag uͤber mußten wir gegen den Wind ar-
beiten, doch hatte der Sturm nun ſchon etwas nachgelaſſen.


Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. X
[162]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.

Am naͤchſten Morgen war das Wetter wiederum gelind und hell, daher
wir des Herrn von Bougainville ſuͤdlichſte Inſel ſehr deutlich ſehen konnten.
Zwiſchen dieſer und dem ſuͤdlichen Ende von Pfingſt-Eyland iſt eine Durch-
fahrt, ohngefaͤhr ſechs Meilen breit, vorhanden. Von der ſuͤdlichen Inſel laͤuft
eine lange, flache Landſpitze gegen Oſten in die See hinaus; die noͤrdliche Kuͤſte
hingegen iſt unmittelbar am Meere ſehr ſteil, doch dehnt ſie ſich obenher ganz ſanft
und allmaͤhlig gegen die Landeinwaͤrts gelegenen Berge hin. Unter den Wolken,
womit die Gipfel derſelben eingehuͤllet waren, bemerkten wir einige dickere Maſſen,
die aus Rauch zu beſtehen, und von einem brennenden Berge herzukommen ſchie-
nen. Dieſe Inſel iſt ohngefaͤhr ſieben See-Meilen lang; die Mitte derſelben
liegt in 16°. 15'. Suͤder-Breite, und in 168°. 20'. Oeſtlicher Laͤnge.


Noch deſſelben Tages entdeckten wir, auch gegen Weſten hin, Land, wel-
ches der Lage nach, die ſuͤdweſtlichſte derer vom Herrn von Bougainville all-
hier aufgefundenen Inſeln zu ſeyn ſchien. Der Anblick ſo vieler und mannigfal-
tiger neuen Eylande war uns ſehr erfreulich, und wir ſteuerten mit der groͤßten
Begierde darnach hin. Als wir das nordweſtliche Ende jener Inſel, auf der
wir einen Volcan vermutheten, erreicht hatten, blieb uns uͤber die Richtigkeit
dieſer Meynung gar kein Zweifel uͤbrig, denn nunmehro konnte man von dem
Gipfel eines tief im Lande gelegenen Berges, ganz deutlich, weiße Dampfſaͤulen
mit Ungeſtuͤm in die Hoͤhe ſteigen ſehen. Die ſuͤdweſtliche Kuͤſte dieſer In-
ſel beſtand aus einer großen flachen Ebne, auf welcher zwiſchen den Baͤumen,
die wir ſeit unſrer Abreiſe von Tahiti nirgends ſo ſchoͤn gefunden hatten, unzaͤh-
lige Huͤtten-Feuer hervorblinkten. Das war ein doppelter Beweis von der
Fruchtbarkeit und der anſehnlichen Bevoͤlkerung dieſes Landes. Nachdem wir
das Weſt-Ende deſſelben paßirt hatten, kamen gegen Suͤd-Oſten wiederum
zwo andre Inſeln zum Vorſchein. Die eine davon beſtand aus einem ſehr ho-
hen Berge, der ebenfalls einem Volcane gleich ſahe; und weit gegen Suͤden hin,
zeigte ſich noch eine andre Inſel mit drey hohen Bergen. Das weſtliche Land,
auf welches wir zuſeegelten, war eben ſo ſchoͤn, als dasjenige, welches wir jetzt
hinter uns lieſſen. Die Waͤlder prangten mit dem vortreflichſten Gruͤn, und
Cocos-Palmen zeigten ſich uͤberall in großer Menge. Die Berge lagen
ziemlich tief im Lande, daher es zwiſchen denſelben und dem Ufer flache Eb-
[163]in den Jahren 1772 bis 1775.
nen gab, die mit Waldung reichlich bedeckt und an der See mit einem ſchoͤnen1774.
Julius.

Strande umgeben waren. Gegen Mittag kamen wir der Kuͤſte ziemlich nahe,
und ſahen, daß viel Indianer bis mitten an den Leib ins Waſſer wadeten.
Zween derſelben hatten, der eine ein Speer, der andre Bogen und Pfeil in den
Haͤnden; die uͤbrigen waren alle mit Keulen bewaffnet. Doch winkten ſie
uns, dieſes kriegeriſchen Aufzuges ohnerachtet, mit gruͤnen Zweigen, welche
durchgehends fuͤr Friedenszeichen angeſehen werden. Allein, wider ihre Erwar-
tung und vielleicht auch wider ihre Wuͤnſche, mußten wir in dieſem Augenblick, des
Lavirens wegen, umlenken. Nach Tiſche machten wir endlich zum Landen An-
ſtalt, und ſchickten zu dem Ende zween Boote ab, um einen Haven zu ſondiren,
den wir vom Schiffe aus bemerkt hatten. Auf dem Suͤd-Ende dieſer kleinen
Bay, die durch einen Corall-Rief gedeckt iſt, waren etliche hundert Indianer
verſammelt. Einige derſelben kamen in ihren Canots unſern voraufgeſchickten
Booten entgegen; bis an das Schiff aber getrauten ſie ſich nicht, weil es noch
weit in See war. Endlich gab man uns von den Booten aus durch
Zeichen zu erkennen, daß innerhalb der Bay guter Anker-Grund vorhanden
ſey; wir liefen alſo, ihrer Anweiſung gemaͤß, in einen engen Haven ein, der
beym Eingang Corallen-Riefe hatte und tief ins Land hinein zu reichen
ſchien. Darauf kamen unſre Lootſen an Bord zuruͤck, und der Officier berich-
tete, die Indianer waͤren in ihren Canots dicht an das Boot herangekommen,
ohne die geringſte boͤſe Abſicht blicken zu laſſen; vielmehr haͤtten ſie mit gruͤnen Zwei-
gen gewinkt, in der hohlen Hand Waſſer aus der See geſchoͤpft und ſich’s aufs
die Koͤpfe gegoſſen, und weil der Officier dieſe Ceremonie fuͤr ein Freundſchafts-
Zeichen angeſehen; ſo habe er ſolche in gleicher Maaße erwiedert, woruͤber ſie ſehr
zufrieden geſchienen.


So bald wir in die Bay eingelaufen waren, naͤherten ſie ſich dem Schiff
und winkten uns mit gruͤnen Zweigen, vornemlich von der Dracæna ternuna-
lis,
und einem ſchoͤnen Croton variegatum. Dabey wiederholten ſie ohne
Unterlaß das Wort, Tomarr oder Tomarro, welches mit dem Tahitiſchen
Tayo, oder Freund, vermuthlich einerley Bedeutung haben mogte. Bey
alle dem, waren ſie aber doch groͤßtentheils mit Bogen und Pfeilen, einige auch
mit Speeren bewaffnet, und ſchienen folglich auf beydes, auf Krieg und Frieden
X 2
[164]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
vorbereitet zu ſeyn. Als ſie uns nahe genug waren, ließen wir ihnen ein Paar
Stuͤcke Tahitiſches Zeug herab, welches ſie uͤberaus begierig annahmen, aber auch
ſogleich etliche Pfeile zum Gegengeſchenk ins Schiff reichten. Die erſtern hatten nur
hoͤlzerne Spitzen, bald hernach aber gaben ſie uns auch einige, die mit Knochen zu-
geſpitzt und mit einer ſchwarzen, Gummi-aͤhnlichen Materie beſchmieret waren,
welche wir fuͤr eine Art von Gift anſahen. Um Gewißheit daruͤber zu bekom-
men, brachten wir einem jungen tahitiſchen Hunde mit einem ſolchen Pfeile am
Schenkel eine Wunde bey; es erfolgten aber keine gefaͤhrlichen Zufaͤlle darnach.


Die Sprache dieſes Volkes war von allen uns bekannten Suͤd-See-
Dialecten dermaßen unterſchieden, daß wir auch nicht ein einziges Wort davon
verſtehen konnten. Sie lautete ungleich haͤrter, indem das R. S. Ch. und an-
dere Conſonanten ſehr haͤufig darinn vorkamen. Auch der coͤrperlichen Bil-
dung nach, fanden wir dieſe Leute ganz eigenthuͤmlich ausgezeichnet. Sie wa-
ren von außerordentlich ſchlaukem Wuchs, nicht leicht uͤber 5 Fuß 4 Zoll groß,
und den Gliedmaaßen fehlte es an Ebenmaaß. Arme und Beine waren gemei-
niglich lang und ſehr duͤnn, die Farbe der Haut ſchwarzbraun und die Haare
ebenfalls ſchwarz und woll-artig gekraͤuſelt. Das allerſonderbarſte lag in der
Geſichtsbildung. Sie hatten, gleich den Negers, flache, breite Naſen und
hervorſtehende Backenknochen; dabey eine kurze Stirn, die zuweilen ſeltſam
geſtaltet war und platter als bey andern wohlgebildeten Menſchen zu ſeyn ſchien.
Hiezu kam noch, daß ſich manche das Geſicht und die Bruſt ſchwarz gefaͤrbt
hatten, welches ſie denn um ein gutes Theil haͤßlicher machte. Einige
wenige trugen kleine, aus Matten verfertigte Muͤtzen auf dem Kopfe; ſonſt aber
giengen ſie insgeſammt gaͤnzlich nackend. Ein Strick war das einzige, was ſie
um den Unterleib gebunden hatten, und zwar ſo feſt, daß er einen tiefen Ein-
ſchnitt machte. Faſt alle andre Voͤlker haben aus einem Gefuͤhl von Schaam-
haftigkeit, zur Bedeckung des Coͤrpers, Kleidungen erfunden; hier aber waren
die Geſchlechtstheile der Maͤnner blos mit Zeug umwickelt, und ſo, in ihrer
natuͤrlichen Form, aufwaͤrts an den Strick oder Guͤrtel feſtgebunden, mithin
nicht ſowohl verhuͤllt, als vielmehr ſichtbar gemacht, und zwar, nach unſern
Begriffen, in einer hoͤchſt unanſtaͤndigen Lage ſichtbar gemacht.


[165]in den Jahren 1772 bis 1775.

Seit unſerer Ankunft im Haven, hatten die Indianer das Schiff von1774.
Julius.

allen Seiten umringt, und ſchwatzten ſo lebhaft und aufgeraͤumt untereinander,
daß es eine Frende war. Kaum ſahen wir einem ins Geſicht, ſo plauderte er
uns ohne Ende und Aufhoͤren etwas vor, fletſchte auch wohl, aus Freundlich-
keit, obgleich nicht viel beſſer als Miltons Tod, die Zaͤhne dazu. Dieſer Um-
ſtand, nebſt ihrer ſchlanken Geſtalt, Haͤßlichkeit und ſchwarzen Farbe, machte,
daß ſie uns beynahe als ein Affen-Geſchlecht vorkamen. Doch ſollte es mir
herzlich leid thun, Herrn Rouſſeau und den ſeichten Koͤpfen die ihm nachbe-
ten, durch dieſen Gedanken auch nur einen Schattengrund fuͤr ſein Orang-
Outang-Syſtem angegeben zu haben; ich halte vielmehr den Mann fuͤr beklagens-
werth, der ſich und ſeine Verſtandes-Kraͤfte ſo ſehr vergeſſen und ſich ſelbſt bis
zu den Pavianen herabſetzen konnte.


Als es dunkel wurde, kehrten die Indianer nach dem Lande zuruͤck,
und zuͤndeten daſelbſt eine Menge von Feuern an, neben welchen man ſie noch im-
mer, ſo laut als zuvor, fortſchwatzen hoͤrte. Es war auch als ob ſie des Redens
gar nicht ſatt werden koͤnnten, denn am ſpaͤten Abend kamen ſie in ihren Canots mit
brennenden Feuerbraͤnden ſchon wieder ans Schiff, um ſich von neuem mit uns
ins Geſpraͤch einzulaſſen. Ihrer Seits fehlte es dazu freylich nicht an Worten
und gutem Willen; deſto mißlicher aber ſahe es bey uns mit den Antworten aus.
Der Abend war indeſſen ſehr ſchoͤn und windſtill, auch blickte der Mond zuweilen
aus den Wolken hervor. Da ſie nun fanden, daß wir nicht ſo ſchwatzhaft wa-
ren, als ſie ſelbſt, ſo bothen ſie ihre Pfeile und andre Kleinigkeiten zum Ver-
kauf aus; allein der Capitain befahl, daß, um ihrer los zu werden, platterdings
nichts eingekauft werden ſollte. Es war uns ganz etwas ungewoͤhnliches und
neues, ſo ſpaͤt noch einen Indianer munter und auf dem Waſſer zu ſehen.
Unterſchiedne von uns meynten, daß ſie bey dieſem naͤchtlichen Beſuch nur
ausforſchen wollten, ob wir auf unſrer Hut waͤren: Gleichwohl hatten ſie durch
ihr bisheriges Betragen zu einem ſolchen Verdacht gar nicht Anlaß gegeben. Als
ſie endlich merkten, daß wir eben ſo wenig zum Handel als zum Schwatzen auf-
gelegt waren; ſo giengen ſie gegen Mitternacht wieder ans Land, jedoch nicht der
Ruhe wegen, denn man hoͤrte ſie die ganze Nacht uͤber ſingen und [trommeln]
X 3
[166]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
und bisweilen tanzten ſie auch dazu. Beweiſe genug, wie ſehr ſie von Natur
zur Froͤhlichkeit und zum Vergnuͤgen aufgelegt ſind.


Am folgenden Morgen hatten wir eben ſo wenig Ruhe vor ihnen; ſchon
bey Anbruch des Tages kamen ſie in ihren Canots herbey, fiengen an uns zuzu-
rufen, und ließen, mit uͤberlautem Geſchrey, das Wort Tomarr! einmal nach
dem andern erſchallen. Vier oder fuͤnfe von ihnen wagten ſich ganz unbewaff-
net aufs Schiff und giengen darinn uͤberall dreiſt und unbeſorgt herum, ſtie-
gen auch mit der groͤßten Hurtigkeit in dem ſtehenden Tauwerk bis zum
oberſten Maſtkorb hinauf. Als ſie wieder herunter kamen fuͤhrte ſie der
Capitain in ſeine Cajuͤtte, und ſchenkte ihnen Medaillen, Baͤnder, Naͤgel,
und Stuͤcken von rothem Boy. Hier lernten wir ſie als das verſtaͤndigſte und
geſcheuteſte Volk kennen, das wir noch bis jetzt in der Suͤd-See angetroffen
hatten. Sie begriffen unſre Zeichen und Gebehrden ſo ſchnell und richtig, als
ob ſie ſchon wer weiß wie lange mit uns umgegangen waͤren; und in Zeit von
etlichen Minuten lehrten auch ſie uns eine Menge Woͤrter aus ihrer Sprache verſte-
hen. Dieſe war, wie wir gleich anfaͤnglich vermuthet hatten, von der allgemeinen
Sprache, welche auf den Societaͤts-Inſeln, auf den Marqueſas, den freundſchaftli-
chen Inſeln
, den niedrigen Eylanden, auf Oſter-Eyland und Neu-Seeland durch-
gehends, ob ſchon nach verſchiednen Mundarten, uͤblich iſt, ganz und gar verſchie-
den. Der ſonderbarſte Laut der darinn vorkam, beſtand in einer gleichſam wirbelu-
den Ausſprache der Mitlauter Brrr, welche ſie mit den Lippen hervorbrachten.
So hieß z. E. einer unſrer Indianiſchen Freunde Mambrrum, und der andre
Bonombrruaï. Wenn ſie uͤber irgend etwas ihre Verwundrung ausdrucken woll-
ten, ſo gaben ſie einen ziſchenden Laut von ſich, dergleichen wohl die Gaͤnſe hoͤren
laſſen, wenn ſie boͤſe gemacht werden. *) Was ſie nur ſahen, das wuͤnſchten
ſie auch zu haben, doch ließen ſie ſich eine abſchlaͤgige Antwort nicht verdrießen.
Die kleinen Spiegel, welche wir ihnen ſchenkten, gefielen ihnen vorzuͤglich; ſie
fanden viel Vergnuͤgen daran ſich ſelbſt zu begaffen, und verriethen alſo, bey
aller ihrer Haͤßlichkeit, vielleicht noch mehr Eigenduͤnkel als die ſchoͤneren Na-
tionen auf Tahiti und den Societaͤts-Inſeln. Sie hatten Loͤcher in den
[][]

[figure]

[167]in den Jahren 1772 bis 1775.
Ohrlappen und in dem Naſenknorpel, (ſeptum narium) durch welche ſie, zur Zier-1774.
Julius.

rath, ein Stuͤck von einem duͤnnen Stock, oder auch zwey kleine Stuͤcke von weiſ-
ſen Selenit oder Alabaſter geſteckt hatten, die in Form eines ſtumpfen Winkels
zuſammengebunden waren. Dieſer Schmuck iſt auf nebenſtehender Platte Fig.
1. abgebildet. Am Obertheil des Arms trugen ſie, von aufgereiheten kleinen
Stuͤcken ſchwarz und weißer Muſcheln, artig zuſammengeflochtne Armbaͤnder,
die ſo feſt anſchloſſen, daß ſie ſchon in der Kindheit mußten angelegt worden ſeyn,
denn jetzo haͤtte man ſie unmoͤglich uͤber die Ellenbogen abſtreifen koͤnnen. Ihre
Haut war weich und glatt, von rußigter oder ſchwarzbrauner Farbe, und ward
im Geſicht durch ein ſchwarzes Geſchmier noch dunkler gemacht. Das Haar
war gekraͤuſelt und wolligt, aber nicht ſein anzufuͤhlen; der Bart ſtark und da-
bey gekraͤuſelt aber nicht wolligt; Puncturen hatten ſie gar nicht auf dem Leibe,
auch wuͤrde man ſie, bey der ſchwarzen Farbe ihrer Haut, in einer gewiſ-
ſen Entfernung gar nicht bemerkt haben. Herr Hodges nahm die Gelegenheit
wahr, verſchiedene Portraͤts von dieſen Leuten zu zeichnen, und eins derſelben
iſt zum Behuf von Capitain Cooks Reiſebeſchreibung in Kupfer geſtochen. Das
Characteriſtiſche in der Geſichtsbildung dieſer Nation iſt darinn uͤberaus gut ge-
troffen, nur Schade daß ein Fehler in der Zeichnung es nothwendig gemacht
hat, dem hieſigen Coſtume zuwider, uͤber die Schulter eine Drapperie anzulegen,
da doch dieſe Leute von gar keiner Kleidung wiſſen. Sie lieſſen ſich leicht bere-
den, ſtill zu ſitzen, wenn Herr Hodges Luſt hatte ſie abzuzeichnen, und ſchie-
nen auch zu begreifen, was die Abbildungen vorſtellen ſollten.


Wir waren in voller Unterredung, und die guten Leute dem Anſehen nach
aͤußerſt vergnuͤgt, als der erſte Lieutenant in die Cajuͤtte trat und dem Capitain
berichtete, daß einer von den Indianern verlangt habe, ins Schiff gelaſſen zu
werden; daß es ihm aber verweigert worden, weil es ſchon gedraͤngt voll geweſen.
Der Indianer habe darauf ſeinen Pfeil gegen den Matroſen gerichtet, der, vom
Boote aus, das Canot zuruͤckgeſtoßen. Ob die anweſenden Inſulaner aus
des Lieutenants und aus unſern Mienen den Inhalt ſeines Anbringens er-
rathen, oder, ob ſie durch ein einzelnes Wort ihrer Kameraden außerhalb
dem Schiff, gewarnt werden mochten? will ich nicht entſcheiden: Genug, der Lieu-
tenant hatte noch nicht ausgeredet, als einer von den Indianern ſchon aus dem
[168]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
offenſtehenden Cajuͤtten-Fenſter hinausſprang, und nach ſeinem aufgebrachten
Landsmann hinſchwamm, um ihn zu beſaͤnftigen. Der Capitain gieng unter-
deſſen mit einer geladenen Flinte aufs Verdeck und ſchlug auf den Indianer an,
der wider Willen ſeiner Landsleute immer noch fortfuhr nach dem Matroſen zu
zielen. So bald der Kerl bemerkte, daß der Capitain ihm eines beybringen wollte,
richtete er ſeinen Pfeil auf dieſen. Nun riefen die Indianer, die ſich um das
Schiff her befanden, denen in der Cajuͤtte zu, und da dieſe von der Widerſetzlich-
keit ihres Landsmannes die ſchlimmſten Folgen beſorgen mogten, ſo ſtuͤrzten
ſie ſich, einer nach dem andern, zum Cajuͤttenfenſter heraus, ohnerachtet wir
alles anwandten, ihre Beſorgniſſe zu ſtillen. Mittlerweile hoͤrten wir einen Flin-
tenſchuß losgehen und eilten deshalb aufs Verdeck. Der Capitain hatte den Kerl eine
Ladung Hagel abgefeuert, und ihn mit etlichen Koͤrnern getroffen. Dieſer ließ ſich da-
durch nicht abſchrecken, ſondern legte ſeinen Pfeil, der nur eine hoͤlzerne Spitze
hatte, ganz bedaͤchtlich auf die Seite, und ſuchte dagegen einen andern hervor,
der vergiftet zu ſeyn ſchien. So bald er mit dieſem von neuem zu zielen anfieng,
ſchoß ihm der dritte Lieutnant das Geſicht voll Hagel, worauf er mit einmal
alle Luſt verlohr, weiter zu fechten, und hurtig ans Land zuruͤck ruderte. An
ſeiner ſtatt ſchoß ein andrer Indianer, von jener Seite des Schiffes, einen
Pfeil aufs Verdeck, der im Tauwerk des mittelſten Maſtes ſtecken blieb.
Auf dieſen feuerte man eine Kugel ab, die jedoch zum Gluͤck nicht traf.
Nunmehro ruderten alle Canots nach und nach ans Land, und die Indianer
die noch an Bord waren, ſtuͤrzten ſich in die See, um in der Flucht ihr Heil zu
ſuchen. Einer beſonders, der ſich eben auf dem Maſtkorb befand, und gewiß
nichts weniger als einen ſolchen Lerm beſorgte, kam beym Abfeuern der beyden
Schuͤſſe hoͤchſt erſchrocken und mit unbeſchreiblicher Geſchwindigkeit vom Maſt
herunter. Um ihr Schrecken zu vergroͤßern und von unſerer Gewalt eine Probe
zu geben, ward eine Canonenkugel uͤber ſie weg und zwiſchen die Baͤume nach
dem Lande hin, gefeuert, welches ihre Flucht vollends beſchleunigte. Die uns am
naͤchſten waren, ſprangen vor Angſt aus den Canots in die See, und alle retteten
ſich in der groͤßten Verwirrung nach dem Ufer. Kaum hatten ſie daſſelbe ereicht, ſo
hoͤrte man in unterſchiednen Gegenden Lermtrommeln, und ſahe die armen Schelme
theils hin und her laufen, theils unter dem Buſchwerk truppweiſe beyſammen hucken,
ohne
[169]in den Jahren 1772 bis 1775.
ohne Zweifel um Rath zu halten, was bey ſo critiſchen Zeitlaͤuften zu thun ſey?1774.
Julius.

Wir unſers Theils ſetzten uns indeſſen ganz ruhig zum Fruͤhſtuͤck nieder.


Um 9. Uhr ließen ſich wiederum einige Canots ſehen; ſie ruderten rund
um das Schiff her, thaten aber noch ſehr ſchuͤchtern und beſorgt. Wir winkten
ihnen daher mit einem Zweige der dracaena terminalis, den ſie ſelbſt uns
geſtern als ein Friedenszeichen uͤberreicht hatten. Sobald ſie dies gewahr
wurden, tauchten ſie ihre Haͤnde in die See, legten ſie alsdenn auf die Koͤpfe
und kamen naͤher heran, um einige Geſchenke in Empfang zu nehmen, die ih-
nen der Capitain aus dem Schiff herab ließ, und womit ſie ſich ans Land zuruͤck-
begaben. Wir folgten ihnen in zweyen von unſern Booten, darinn der Capi-
tain, mein Vater, der Dr. Sparrmann, ich und noch einige andere, nebſt
einem Detaſchement von See-Soldaten befindlich waren. Ohngefaͤhr 30. Schrit-
te weit vor dem Ufer lief ein Rief laͤngſt der Kuͤſte hin, innerhalb deſſen das
Waſſer ſo ſeichte ward, daß wir ausſteigen und bis an den Strand waden mußten.
Unſere See-Soldaten formirten ſich daſelbſt im Angeſicht von wenigſtens 300.
Indianern, die zwar alle bewaffnet waren, ſich aber ganz friedfertig und freundlich
gegen uns bezeugten. Ein Mann von mittlerm Alter, der von groͤßerer Sta-
tur als die uͤbrigen, und dem Anſehen nach ein Befehlshaber war, gab ſeinen
Bogen und Koͤcher einem andern in Verwahrung, kam ſodann unbewafnet an
den Strand herab, und reichte uns zum Zeichen der Freundſchaft und Ausſoͤh-
nung, die Hand. Darauf ließ er ein Ferken herbey bringen, und uͤberreichte
es dem Capitain zum Geſchenk, vielleicht um das Vergehen ſeines Landsman-
nes dadurch wieder gut zu machen; vielleicht aber auch, um die Erneuerung des
Friedens zu beſtaͤtigen. Dieſer Auftritt iſt von Herrn Hodges gezeichnet und
zu Capitain Cooks Reiſe ſehr ſchoͤn in Kupfer geſtochen. Nach Endigung
dieſes Geſchaͤfts, gaben wir ihnen zu verſtehen, daß es uns an Brennholz
fehle. Dieſem Mangel abzuhelfen, wieſen ſie uns dicht am Strande einige
Baͤume an, die wir auch gleich auf der Stelle umhauen und in Stuͤcken ſaͤgen
ließen. Der Strand war in dieſer Gegend nicht uͤber 15 Schritte breit; daher
wir uns, im Fall eines Angriffs, in einer ſehr gefaͤhrlichen Lage wuͤrden befunden
haben. Um alſo einigermaßen gedeckt zu ſeyn, ließ der Capitain eine Linie vor der
Fronte ziehen, und den Indianern andeuten, daß ſie jenſeits derſelben bleiben
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. Y
[170]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
muͤßten. Dies beobachteten ſie genau; doch vermehrte ſich ihre Anzahl von allen
Seiten. Ein jeder fuͤhrte einen geſpannten Bogen bey ſich, der aus dunkelbraunem
Holz, zaͤher und ſchoͤner als Mahogany, verfertigt war. (S. pag. 167. Fig. 2.)
Die Pfeile ſteckten in runden, von Blaͤttern geflochtenen Koͤchern, und beſtan-
den aus zween Fuß langen Rohrſtaͤben, die mehrentheils mit einer zwoͤlf Zoll
langen Spitze von Ebenholz, oder einem aͤhnlichen, glaͤnzeud, ſchwarzen und ſproͤ-
den Holz verſehen waren. Andre, hatten eine kuͤrzere, nur zween bis drey Zoll lange,
aber von Knochen verfertigte Spitze, die vermittelſt einer Spalte in das Rohr
eingefuͤgt war, und auſſerhalb durch umgewickelte Cocos-Faſern feſtgehalten ward.
Da die Faden durchaus kreuzweis uͤber einander wegliefen, ſo machten die Zwi-
ſchenraͤume lauter kleine verſchobene Vierecke aus, und dieſe hatten ſie bunt-
farbig, wechſelsweiſe mit rother, gruͤner und weißer Oker-Erde ausgefuͤllt. Die
knoͤchernen Spitzen waren ſehr ſcharf, und mit einer ſchwarzen harzichten Subſtanz,
als mit einem Firniß, uͤberzogen. (Auf eben dieſer Platte Fig. 3 und 4.)


In gutem Zutrauen auf das neugeſchloßne Friedensbuͤndniß, wagten
wir uns jenſeit der gezogenen Graͤnzlinie, mitten unter die Wilden. Bey ihrer
angebohrnen Neigung zum Plaudern, geriethen wir gleich ins Geſpraͤch mit ein-
ander und ließen nus in ihrer Sprache Unterricht geben. Sie wunderten ſich,
daß wir die Woͤrter ſo ſchnell ins Gedaͤchtniß faßten, und ſchienen eine Weile
nachzudenken, wie es zugehen moͤgte, daß man den Klang der Worte durch
Bleyſtift und Papier ausdruͤcken koͤnne. So emſig ſie einer Seits waren,
uns ihre Sprache zu lehren; ſo neugierig waren ſie anderer Seits auch, etwas
von der unſrigen zu lernen, und ſprachen alles was wir ihnen davon vorſagten,
mit bewundrungswuͤrdiger Fertigkeit ganz genau nach. Um die Biegſamkeit ihrer
Organe noch mehr auf die Probe zu ſetzen; verſuchten wirs, ihnen die ſchwer-
ſten Toͤne aus allen uns bekannten europaͤiſchen Sprachen, z. B. das zuſam-
mengeſetzte rußiſche ſchtſch anzugeben; aber auch da blieben ſie nicht ſtecken,
ſondern ſprachen es, gleich aufs erſtemal, ohne Muͤhe und ohne Fehl nach.
Kaum hatten wir ihnen die Namen unſrer Zahlen vorgeſagt, als ſie ſolche ſehr
ſchnell an den Fingern wiederholten; kurz: was ihnen an coͤrperlichen Vorzuͤgen
abgieng, wurde durch ihren Scharfſinn voͤllig erſetzt. Wir wuͤnſchten verſchie-
dene von ihren Waffen einzukaufen, fanden ſie aber nicht geneigt uns welche
[171]in den Jahren 1772 bis 1775.
abzulaſſen; doch hoͤrten alle ihre Bedenklichkeiten auf, ſobald wir ihnen1774.
Julius.

Schnupftuͤcher, Stuͤcken tahitiſchen Zeuges, oder engliſchen Frieſes dafuͤr an-
bothen. Gegen dieſe Waaren, die in ihren Augen ſehr viel werth ſeyn muß-
ten, vertauſchten ſie bald die gewoͤhnlichen und endlich auch die vergifteten Pfeile,
warnten uns aber, die Spitzen dieſer letzteren ja nicht an den Fingern zu probi-
ren, indem die geringſte Verwundung mit denſelben toͤdtlich ſey; dahingegen
man mit den andern allenfalls durch den Arm geſchoſſen werden koͤnne, ohne in
Lebensgefahr zu gerathen. Wenn wir, dieſer Warnung ohnerachtet, Mine mach-
ten, die Spitzen zu betaſten, und mit dem Finger zu unterſuchen, ob ſie ſcharf
waͤren; ſo zogen ſie uns aus gutherziger Beſorglichkeit allemal den Arm zuruͤck,
als ob ſie uns von einer unausbleiblichen Gefahr retten muͤßten. Außer den
Bogen und Pfeilen hatten ſie auch Keulen von Caſuarina-Holz, an einem
dicken, aus Gras zuſammengedrehten Strick, uͤber die rechte Schulter haͤngen.
(Man ſehe auf der vorhergebenden Platte die Figur 5. nach). Dieſe waren, ſo wie
alle ihre hoͤlzerne Geraͤthſchaften, ſehr ſauber gearbeitet und ſchoͤn geglaͤttet, am
unterſten Ende gemeiniglich knotigt, aber nicht uͤber drittehalb Fus lang, da-
her ſie woͤhl nur erſt beym wuͤrklichen Handgemenge, wenn die Pfeile gaͤnzlich
verſchoſſen ſind, moͤgen gebraucht werden. An der linken Hand trugen
ſie ein rundgeſchnittnes Stuͤckchen von einem Brett, das mit Stroh artig
uͤberzogen und auf dem Knoͤchel feſt gebunden war. Dieſes hatte ohngefaͤhr
5 Zoll im Durchmeſſer und diente dazu, die Hand, beym Abſchießen des Pfeils,
vor dem Schlage der zuruͤckſchnellenden Bogenſehne zu ſchuͤtzen. Dieſe hoͤlzerne
Manſchette, wie ichs nennen moͤgte, und die wenigen Zierrathen, deren ich
vorher ſchon gedacht habe, als die Armbaͤnder von Muſchelſchaalen, der Stein,
den ſie durch den Naſenknorpel ſtecken, und die Muſchelſchaale, welche ſie auf
der Bruſt tragen; waren ihnen, fuͤr diesmal, zum vertauſchen noch zu ſchaͤtzbar.


Ohnweit dem Strande, wo unſre Leute Holz faͤlleten, gab es keine
neue Pflanzen; die innern Gegenden des Landes ſchienen aber deſto mehrere zu
verſprechen, denn da ſahe die Inſel uͤberall wie ein einziger großer Wald aus.
Dr. Sparrmann und ich entdeckten einen Fusſteig, vermittelſt deſſen man,
unter Beguͤnſtigung einiger Buͤſche, ziemlich unbemerkt dahin kommen [konnte].
Y 2
[172]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
Wir machten uns alſo auf, und fanden innerhalb der erſten 20 Schritte
ſchon zwo ſchoͤne neue Pflanzen, hatten aber dieſe botaniſche Ausbeute kaum
in Sicherheit gebracht, als einige Indianer den Wald herab kamen, und uns
durch wiederholte Zeichen zu verſtehen gaben, daß wir nach dem Strande zuruͤck-
kehren moͤgten. Wir zeigten ihnen die abgepfluͤckten Pflanzen, und gaben durch
Gebehrden ſo gut als moͤglich zu verſtehen, daß wir blos nach Kraͤutern ſuchten.
Damit war aber nichts ausgerichtet. Sie fuhren fort, uns aus dem Walde
wegzuweiſen, und alſo mußten wir, zu Vermeidung aller Ungelegenheit, ge-
raden Weges umkehren. In dieſer Gegend des Waldes ſtanden die Baͤume
noch ſehr dicht und waren mit niedrigem Geſtraͤuch durchwachſen, aber wei-
ter hin ſchien der Wald heller zu werden, und eine Plantage oder Wohnung dar-
inn angelegt zu ſeyn, zumal da auch Stimmen von Weibern und Kindern von
dort her ſchalleten. Es that uns deshalb doppelt leid, daß wir zu ſo ungelegner
Zeit waren entdeckt worden. Unter den Baͤumen des Waldes fanden wir keine neue
Arten; von dem ſogenannten Unterholz aber ſchien manche Gattung noch unbe-
kannt zu ſeyn. Daß es Cocos-Palmen, Piſangs, Brodtfrucht- und an-
dere ſchaͤtzbare Baͤume allhier gebe, hatten wir ſchon vom Schiffe aus bemerkt,
auch die Namen, welche ſie in der Landesſprache fuͤhren, bereits erfahren.


Waͤhrend unſrer kurzen Abweſenheit hatte Capitain Cook von dem ver-
meynten Befehlshaber friſches Waſſer verlangt, und auf deſſen Veranſtaltung
auch ſogleich eine Calebaſſe voll bekommen. Es war ſehr hell und rein und ward
dem Capitain nebſt einer Cocosnus uͤberreichet. Aber, mehr als dieſe kleine Por-
tion, war auch, alles Forderns ohnerachtet, nicht zu erlangen. Einige dieſer In-
ſulaner hatten kleine Buͤndel von einem gewiſſen Kraut am Arme haͤngen, das zu
dem neuen Geſchlecht Evodia*) gehoͤrt und wohlriechende Bluͤthen traͤgt.
Um dieſe Pflanze zu unterſuchen, nahmen wir einigen die Buͤndel vom Ar-
me, welches ſie auch zum Theil unweigerlich geſchehen ließen; andre hingegen
riſſen ſie uns wieder aus den Haͤnden, und warfen ſie mit einem unwilligen
Blick von ſich, als ob etwas verdaͤchtiges oder uͤbelbedeutendes dahinter ſtecke. Wir
[173]in den Jahren 1772 bis 1775.
hatten die Saamenkoͤrner davon oft gekoſtet, und von angenehm aromatiſchem1774.
Julius.

Geſchmack befunden, auch nie Ungelegenheit davon verſpuͤrt, ſo daß dieſe Pflanze
ohnmoͤglich giftig, noch ſonſt der Geſundheit nachtheilig ſeyn konnte. War-
um ſie uns alſo von verſchiedenen Indianern mit ſolchem Ungeſtuͤm wieder
aus den Haͤnden geriſſen wurde? iſt nicht leicht zu begreifen, dafern dieſes
Kraut nicht etwa auf eben die Art fuͤr ein Zeichen der Feindſchaft oder der
Herausforderung angeſehen wird, als man gewiſſe andere Pflanzen fuͤr Freund-
ſchafts- und Friedens-Zeichen gelten laͤßt.


Mittlerweile war die Ebbezeit eingefallen und das Waſſer ſo weit vom
Ufer zuruͤckgetreten, daß man trocknes Fußes bis nach dem Riefe hinkommen
konnte, woſelbſt die Indianer, des Handels wegen, haufenweiſe um unſre
Boote herſtanden. Wir fanden uns alſo gewiſſermaaßen eingeſchloſſen und
ließen deshalb einen Theil der Seeſoldaten gegen das Land, den anderen Theil
aber gegen die See, Fronte machen, wenn gleich die Einwohner eben keine keind-
ſelige Abſichten gegen uns zu haben ſchienen. Wir fuhren auch ganz unbeſorgt in un-
ſrer Unterredung fort; und ſie ihrer Seits plauderten ebenfalls unablaͤßig mit
einander, ſo daß es um uns her ſo laut war als auf dem groͤßten volkreichſten
Jahrmarkt. Aber mit einemmale hoͤrte dies laute Gemurmel auf und verwan-
delte ſich in eine todte Stille. Wir blickten einander voll Beſtuͤrzung an, ſahen
aͤngſtlich umher und ſchloſſen uns, vorſichtshalber, an die Soldaten. Die
Wilden waren in nicht minderer Verlegenheit, und ſchienen, ſo gut als wir, ein
Ungluͤck zu beſorgen; da ſie aber ſahen, daß wir uns ganz ruhig verhielten, ſo
fiengen ſie wieder an zu plaudern und in wenig Minuten war von beyden Seiten
alle Beſorgniß verſchwunden. Der geringfuͤgige Umſtand, der dieſe bedenkliche
Stille veranlaßt hatte, gab zu gleicher Zeit einen redenden Beweis, wie gut
dieſe Leute gegen uns geſinnet waren. Es hatte nemlich ein Matroſe von einem
Indianer verlangt, daß er einen Pfeil, ſo hoch als moͤglich in die Luft ſchießen
moͤgte. Dieſer war auch gleich dazu erboͤtig, und ſpannte ſchon den Bogen,
als unterſchiedne ſeiner Landsleute, aus Furcht, daß wir die Abſicht dieſes
Schuſſes mißdeuten moͤgten, ihn inne zu halten baten, und zugleich den Reſt
der Verſammlung durch einen lauten Ausruf warnten, auf guter Hut zu ſeyn.
Dadurch entſtand ploͤtzlich jene allgemeine Stille, und uͤberhaupt eine Scene,
Y 3
[174]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
die ſo wohl dem Dichter als dem Mahler zu einer treflichen Zeichnung haͤtte Stoff
geben koͤnnen. Die aͤngſtliche Erwartung die auf allen Geſichtern ſchwebte, wilde
argwoͤhniſche Blicke, finſtre drohende Minen, hie und da ein heldenmaͤßig-fun-
kelndes Auge; eine unendliche Mannigfaltigkeit von Stellungen; die characte-
riſtiſche Verſchiedenheit in den Anſtalten die ein jeder mit ſeinen Waffen vor-
nahm; die Landſchaft an und fuͤr ſich; die unterſchiednen Gruppen von India-
nern — kurz, alles vereinigte ſich, ein trefliches hiſtoriſches Gemaͤhlde auszu-
machen.


So bald dieſer Laͤrm voruͤber war, giengen unſre Holzhauer wieder an
die Arbeit, und wurden, ihrer Geſchicklichkeit wegen, von den Indianern gar
ſehr bewundert. Es kamen auch einige Weiber zum Vorſchein; hielten ſich aber
noch immer in einiger Entfernung von der abgeſteckten Graͤnzlinie. Sie wa-
ren von kleiner Statur und dabey von der unangenehmſten Bildung, die uns
nur je in der Suͤdſee vorgekommen. Die erwachſenern, welches vermuthlich Ver-
heirathete ſeyn mogten, hatten kurze Stuͤcken von Zeug oder Mattenwerk, die
von den Huͤften bis auf die Knie reichten. Die andern trugen bloß eine Schnur
um den Leib, daran ein Strohwiſch gebunden war, der ſtatt einer Schuͤrze, we-
nigſtens das Nothwendigſte bedecken ſollte. Die Kinder hingegen giengen, ohne
Unterſchied des Geſchlechts, bis ins zehnte Jahr voͤllig nackend. Von dieſen
Frauensperſonen hatten ſich einige das Haar mit gelben Curcuma-Puder be-
ſtreuet; andre hatten ſich das Geſicht, und noch andre den ganzen Coͤrper damit
beſtrichen, welches, gegen die dunkle Farbe ihrer Haut, einen haͤßlichen Contraſt
machte. Hier zu Lande mag es freylich wohl fuͤr etwas Schoͤnes gehalten werden,
denn der Geſchmack der Menſchen iſt unendlich verſchieden. Dieſe gelbe Schmin-
ke, wenn ich es ſo nennen darf, machte den ganzen Staat des Frauenzimmers
aus, wenigſtens ſahen wir nicht eine einzige, die Ohrringe, oder Hals- oder
Armbaͤnder gehabt haͤtte; ſondern nur den Maͤnnern allein ſchien dergleichen
Putzwerk vergoͤnnt zu ſeyn. Wo aber das der Fall iſt, da ſind die Weiber gemei-
niglich verachtet und leben in der groͤßten Sclaverey. Dies ſchien auch hier ein-
zutreffen; ſie trugen zum Beyſpiel große Buͤndel auf dem Ruͤcken, und ſchlepp-
ten auf dieſe Art oft mehr denn eines von ihren Kindern mit ſich herum, welches, in
Betracht ihrer ohnehin ſchwaͤchlichen Geſtalt, klaͤglich ausſahe. Die Maͤnner ſchie-
[175]in den Jahren 1772 bis 1775.
nen nicht die mindeſte Achtung fuͤr ſie zu haben, wollten ihnen auch nicht erlau-1774.
Julius.

ben, naͤher zu kommen; und die Weiber waren ſich dieſes Zwanges ſo gut be-
wußt, daß ſie von ſelbſt entliefen, wenn wir uns ihnen naͤherten.


Gegen Mittag verlohr ſich der groͤßte Theil des Haufens; vermuthlich
um zu eſſen. Der Befehlshaber lud den Capitain nach ſeiner im Walde gele-
genen Wohnung ein, welches dieſer aber nicht annahm, ſondern, nach einigem
Verweilen, gegen 1 Uhr mit uns an Bord zuruͤckkehrte. Die Eingebohrnen
ließen uns ruhig gehen, blieben aber am Strande beyſammen, bis wir das
Schiff erreicht hatten. So gut war es dem Herrn von Bo[u]gainville auf der
Iſle des Lepreux nicht ergangen; dort hatten die Indianer ſich nur ſo lange
freundlich geſtellt, bis ſeine Leute wieder in das Boot getreten waren; alsdenn
aber hatten ſie eine Menge Pfeile hinter ſie hergeſchoſſen, welches dieſe mit einer
Salve aus dem kleinen Gewehre erwiederten, und dadurch etliche Indianer zu
Boden ſtreckten. Da dieſe Inſeln ſehr nahe beyſammen liegen und Herr von
Bougainville
erſt vor wenig Jahren auf jener geweſen war, ſo mogten vielleicht
auch die hieſigen Einwohner ſchon von der Uebermacht der Europaͤer etwas ge-
hoͤrt haben, und blos deswegen ſich ſo vorſichtig gegen uns betragen.


Gleich nach Tiſche giengen Capitain Cook und mein Vater nach der
Nordſeite des Havens ans Land, um unſern Ankerwaͤchter (buoy) wieder zu-
holen, den die Eingebohrnen weggeſtohlen, und, wie wir vermittelſt unſrer Fernglaͤ-
ſer entdeckten, dorthin geſchleppt hatten. Dieſe ganze Zeit uͤber ließ ſich auf
dem ſuͤdlichen Strande des Havens, wo wir am Morgen gelandet waren, nicht
ein einziger Indianer ſehen: in den Waͤldern aber hoͤrte man oft Schweine qui-
ken und folglich mußte die Inſel mit dergleichen Vieh ziemlich verſehen
ſeyn. Gleich nach Abgang unſers Bootes kamen unterſchiedne Inſulaner in ih-
ren Canots ans Schiff, um Handel zu treiben. Sie brachten bis zum ſpaͤten Abend
hin, Bogen, Pfeile, Keulen und Spieße zum Verkauf und uͤberließen uns ſolche
gegen kleine Stuͤcken Zeug. Ihre Canots waren nicht uͤber 20 Fuß lang, auch
ſchlecht gearbeitet und ohne Zierrathen, aber doch mit Auslegern oder Gegen-
gewichten (outriggers) verſehen. Wir zaͤhlten ihrer in allem nicht mehr als
[176]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
vierzehn, woraus ſich abnehmen laͤßt, daß dieſes Volk ſich eben nicht ſonder-
lich mit dem Fiſchfang abgeben mag.


Der Capitain und mein Vater kamen noch vor Untergang dee Sonne
an Bord zuruͤck. Die Einwohner hatten ihnen den Ankerwaͤchter ruhig wieder
an Bord nehmen laſſen. Einige dazu gehoͤrende Stuͤcke waren zwar verloren
gegangen; konnten aber leicht erſetzt werden. Die Indianer hatten ſich in der
dortigen Gegend des Havens mit den unſrigen alsbald in Handel eingelaſſen, aber
nichts als Waffen und Zierrathen verkaufen wollen, doch bekamen ſie auch nur
lauter unbedeutende Kleinigkeiten dagegen. Ein altes Weib uͤberließ ih-
nen den Zierrath, den man hier zu Lande in dem Knotpel der Naſe zu tragen
pflegt. Er beſtand aus zwey halbdurchſichtigen, keilfoͤrmig geſchnittenen und
an beyden ſpitzigen Enden, mit zaͤhen Grashalmen zuſammengebundenen Stuͤ-
cken Selenit-Stein. Das dickere Ende derſelben hatte ohngefaͤhr einen halben Zoll
im Durchmeſſer und jedes dreyviertel Zoll in der Laͤnge. Sie beraubte ſich dieſes koſt-
baren Stuͤcks, ohnerachtet es bis dahin ihrer Naſe zum Schmuck gedient hatte,
die, an und fuͤr ſich, breit und mit einer ſchwarzen Farbe beſchmiert, mithin in aller
Abſicht haͤßlich zu nennen war. Unſre Leute ließen ſich angelegen ſeyn, Lebensmittel
und Erfriſchungen zu erhalten; aber aller angewandten Bemuͤhungen ohner-
achtet, wollten die Indianer nichts von der Art zu Markte bringen. Unſre Waaren
mogten ihnen nicht annehmlich genug duͤnken, um Lebensmittel dafuͤr wegzuge-
ben, die im Grunde uͤberall den wahren Reichthum eines Volkes ausmachen.
Dafuͤr ließen auch alle Nationen der Suͤdſee ſie bey ihrem Tauſchhandel gelten,
und man konnte den Reichthum einer Nation, imgleichen die Fruchtbarkeit
ihres Landes, aus dem groͤßern oder geringern Maas von Lebensmitteln, womit
ſie unſere Waaren, nach Verhaͤltniß ihrer Brauchbarkeit bezahlten, faſt durch-
gehends ziemlich genau beurtheilen. Bey dieſer Gelegenheit giengen unſre Leute
nach der Landſpitze des Havens hinauf, woſelbſt ſie eine verzaͤunte Pflanzung
von Piſangs-Brodfruchtbaͤumen, Cocos-Palmen, nebſt andern Pflan-
zen, und nicht weit davon, ein Paar elende kleine Huͤtten antrafen. Es wa-
ren bloße Strohdaͤcher von Palmblaͤttern, die auf etlichen Pfoſten ruheten, aber ſo
niedrig, daß man nicht aufrecht darunter ſtehen konnte. In der Nachbarſchaft
derſelben liefen Schweine und etwas zahmes Federvieh im Graſe herum. Die
Ein-
[177]in den Jahren 1772 bis 1775.
Einwohner ſchienen uͤber den unvermutheten Beſuch ſo fremder Gaͤſte gar1774.
Julius.

nicht unruhig zu ſeyn; bezeigten auch weniger Neugierde, als ihre Lands-
leute, mit denen wir am Morgen zu thun gehabt hatten. Es waren ih-
rer nur wenige; und ob ſie gleich nicht voͤllig damit zufrieden ſeyn mog-
ten, daß Capitain Cook bis zu ihren Haͤuſern hingekommen, ſo ließen
ſie ihren Unwillen doch wenigſtens nicht in offenbare Widerſetzlichkeit aus-
brechen. Von dieſen Huͤtten giengen unſre Herren nach dem aͤußerſten Ende
der Landſpitze, von da aus gegen Oſten hin, drey Eylande zu ſehen waren. Sie
erkundigten ſich bey ihren indianiſchen Begleitern nach den Namen jener Inſeln,
und erfuhren, daß die groͤßte, auf welcher wir einen Volcan bemerkt hatten,
Ambrrym, die andere mit dem hohen, Zuckerhut-foͤrmigen Berge, Pa-uhm,
und die ſuͤdlichſte, Apih genannt werde. Nunmehro deuteten ſie auch auf die
Landſpitze, auf welcher ſie ſelbſt ſtanden, und fragten die Indianer, wie dieſe
ihre eigene Inſel in der Landesſprache hieße? Mallicolo, war die Antwort. Dieſe
Benennung hat mit dem Namen Manicolo, den Capitain Quiros in ſei-
ner vor 160 Jahren aufgeſetzten Reiſebeſchreibung einer Inſel beylegt, ſo
ungemein viel Aehnlichkeit, daß er ohne Zweifel keine andere als eben
dieſe darunter verſtanden haben kann. Der geringe Unterſchied der ſich in
Quiros Angabe ihres Namens findet, mag vornehmlich daher ruͤhren, weil er,
ſeinem eignen Geſtaͤndniß nach, nicht ſelbſt hier geweſen, ſondern dieſes Land nur
von den Indianern hatte nennen hoͤren. Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo
laͤßt ſich wenigſtens aus der Geſchichte ſeiner Reiſe ſo viel abnehmen, daß das Land,
welches er Tierradel Eſpiritu Santo genannt hat, nichts anders als eine
zu eben derjenigen Gruppe von Eylanden gehoͤrige Inſel ſeyn muß, an welcher
wir uns jetzt befanden. Von dieſer Seite betrachtet, war alſo die Entdeckung
des Namens Mallicolo, fuͤr uns von großer Wichtigkeit. Auf dem Ruͤckwege
aus dieſer Gegend fand jemand von der Geſellſchaft eine Orange am Strande;
dies war ein deutlicher Beweis, daß die Nachrichten, welche Quiros von den
Producten, der durch ihn entdeckten Laͤnder mittheilt; eben ſo viel Glauben verdie-
nen als alles uͤbrige was er anfuͤhrt. In dem Fall durften wir uns aber von
Mallicolo einen ſehr hohen Begriff machen, weil er von allen dieſen Inſeln
ruͤhmt, daß ſie an mannichfaltigen Naturguͤtern uͤberaus reich waͤren. Un-
Forſters Reiſe u. d. W. zweyter Th. Z
[178]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
ſre Leute zeigten dieſe Frucht den Indianern, welche ihnen gleich den Namen der-
ſelben anzugeben wußten. Auf den freundſchaftlichen Inſeln hatten wir Pom-
pelmuße
(Shaddocks) gefunden, Orangen aber bisher noch in keiner Suͤdſee-
Inſel
. Der Capitain ließ das Boot ohngefaͤhr zwo Meilen weit in den Haven
hinaufrudern; am innerſten Ende war der Strand mit Mangle-Baͤumen be-
ſetzt, friſches Waſſer aber nirgends anzutreffen, ohnerachtet es wahrſcheinlich iſt,
daß zwiſchen dieſen Manglebaͤumen ein Strom aus dem Lande nach der See her-
ablaͤuft. Entdecken konnte man ihn nur deshalb nicht, weil es platter-
dings unmoͤglich war, einen Weg durch dieſe Art von Baͤumen zu finden, de-
ren niederhangende Aeſte uͤberall neue Wurzeln ſchlagen, und auf ſolche Art
zu neuen Staͤmmen werden, ohne ſich von dem Mutterſtamm zu trennen. Bey
der bis auf den Abend anhaltenden Hitze dieſes Tages, kamen unſre Leute
aͤußerſt ermuͤdet an Bord zuruͤck; unterwegens hoͤrten ſie trommeln, und ſa-
hen die Indianer bey ihren Feuern auf dem Strande dazu tanzen. Dieſe Muſic,
ſo wie diejenige, welche wir in der vorigen Nacht gehoͤrt, war eben nicht wohl-
klingend, auch nicht abwechſelnd; dagegen ſchien ſie lebhafter zu ſeyn, als auf
den freundſchaftlichen Inſeln.


Des Nachts verſuchten es unſre Leute zu fiſchen, und zwar mit ziemlichen
Gluͤck. Unter andern war uns ein neun Fuß langer Hay ſehr willkommen, weil wir
von friſchen Lebensmitteln nichts als noch einige wenige Yams uͤbrig hatten, die
ſtatt Brodtes gegeſſen wurden. Ein zweyter Matroſe hatte einen indianiſchen
Saugefiſch
(echeneis naucrates) von beynahe zween Fuß, und ein dritter,
zween große rothe See-Brachſen gefangen, die von der Art zu ſeyn ſchienen,
welche LinnéSparus erythrinus nennet. Mit einem dieſer Fiſche bewir-
thete der Matroſe ſeine Tiſch-Cameraden, den andern ſchenkte er den Lieute-
nants. Der Capitain bekam einen Theil des Hayes, womit wir uns am
folgenden Tag etwas zu Gute thaten. Unſre ganze Mannſchaft hatte durch
dieſen Fang einmahl etwas friſches zu eſſen bekommen. Das Fleiſch der Hay-
Fiſche iſt zwar eben kein Leckerbiſſen, doch wars immer beſſer, als unſer gewoͤhn-
liches Poͤkelfleiſch, und die Noth lehrte uns, es ſchmackhaft zu finden. Macht
doch dieſer ſtrenge Zuchtmeiſter dem Groͤnlaͤnder ſeinen Wallfiſch Speck und dem
Hottentotten die unreinlich ekelhaften Caldaunen zu einer wohlſchmeckenden Speiſe.
[179]in den Jahren 1772 bis 1775.
Als der Hay geoͤfnet ward, fand ſich die knoͤcherne Spitze eines vergifteten1774.
Julius.

Pfeiles, tief im Kopfe ſtecken. Sie war ganz durch den Hirn-Schaͤdel
durchgedrungen; die Wunde aber demohngeachtet ſo vollkommen ausgeheilet,
daß man aͤußerlich nicht mehr die geringſte Spur einer Verletzung entdeckte.
An dieſer Pfeil-Spitze war zu gleicher Zeit noch etwas Holz und Cocosfaſern
befindlich; beydes aber dermaaßen verfault, daß es bey der geringſten Be-
ruͤhrung zerbroͤckelte. Den Fiſchen ſcheinet alſo das angebliche Gift dieſer Pfeile,
keineswegs toͤdtlich zu ſeyn.


Am folgenden Morgen lichteten wir die Anker und verließen dieſe Inſel,
von deren Haven, wir in der kurzen Zeit, kaum hatten einen Riß aufnehmen koͤn-
nen; aſtronomiſchen Beobachtungen zufolge liegt er unterm 16ten Grad 28 Se-
cunden ſuͤdlicher Breite und in 167 Grad 56 Secunden oͤſtlicher Laͤnge, und
ward Port Sandwich genannt. Ehe wir noch zum Rief hinaus kamen, ent-
ſtand eine Windſtille. Wir mußten alſo unſre Boote ausſetzen und uns hinaus
bogſieren laſſen, welches endlich nach vieler angewandten Zeit und Muͤhe bewerk-
ſtelligt wurde. Die Indianer machten ſich dieſen zufaͤlligen Aufſchub zu Nutze und
fuͤhrten uns, mit allen ihren vierzehn Canots, noch eine Menge von Waffen zu, um
tahitiſches Zeug dagegen einzutauſchen, welches ihnen ſehr wohl behagen mußte.
Wir forderten auch heute wieder Lebensmittel; ſie wollten aber, ſo wenig als geſtern,
darauf hoͤren, und nichts als ſolche Sachen weg geben, die ſie leichter entbeh-
nen oder doch mit geringerer Muͤhe wieder ſchaffen konnten. Gegen Mittag waren
wir endlich zum Haven hinaus und entfernten uns von Mallicollo, mit Huͤlfe
eines aufſteigenden Seewindes. Nun gieng die Fahrt nach Ambrrym, das iſt,
nach eben der Inſel, auf welcher wir einen feuerſpeyenden Berg wahrgenommen
hatten. Ob wir bey laͤngerem Aufenthalt und mehrerer Bekanntſchaft mit den Ein-
wohnern, Lebensmittel erhalten haben moͤgten? laͤßt ſich wohl nicht leicht ent-
ſcheiden, doch iſt es kaum zu vermuthen, weil ſie von der Brauchbarkeit unſeres
Eiſengeraͤths keinen Begriff, und wir hingegen fuͤr ihre Lebensmittel keine andre
Waaren anzubieten hatten.


Die Inſel Mallicollo iſt von Norden gegen Suͤden ohngefaͤhr 20 See-
Meilen lang; und der Haven, in welchem wir uns aufgehalten, an der ſuͤd-
oͤſtlichen Spitze befindlich. Im inneren des Landes liegen ſehr hohe und mit
Z 2
[180]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
Waldung bedeckte Berge, aus denen gute Quellen und Baͤche entſpringen moͤgen;
ob wir gleich den Lauf derſelben, wegen des allzuſehr verwachſenen Mangle-Wal-
des nicht ausſpuͤren konnten. Das Erdreich iſt, in den Gegenden, die wir un-
terſucht haben, fett, und eben ſo fruchtbar als auf den Societaͤts-Inſeln; und
da ſich auf dem benachbarten Eyland Ambrrym ein feuerſpeyender Berg befin-
det; ſo laͤßt ſich wohl vermuthen, daß auch hier zu Mallicollo Spuren von Volcanen
vorhanden ſeyn werden. Die Pflanzen ſcheinen im hieſigen Boden und Clima
außerordentlich gut zu gedeihen, dabey ſehr mannigfaltig, und der nutzbaren Ge-
waͤchſe nicht weniger zu ſeyn, als auf den andern Suͤdſee-Inſeln. Cocosnuͤſſe,
Brodfrucht, Piſangs, Ignamen, Arumwurzeln, Curcuma
und Orangen
haben wir ſelbſt allhier eingekauft, auch die Namen aller dieſer Fruͤchte von den
Einwohnern erfahren. Ihr zahmes oder Schlacht-Vieh beſtehet in Schweinen
und Huͤhnern, doch iſt durch unſre Anweſenheit dieſe Claſſe erweitert worden,
indem wir ein Paar junge Hunde von den Societaͤts-Inſeln zu Zucht hier gelaſſen.
Sie bezeugten ungemein viel Freude daruͤber, gaben aber dieſen Thieren eben den
Namen, der ſonſt in ihrer Sprache ein Schwein andeutet, (brooàs) und folglich
mußten ihnen die Hunde noch ganz neue, unbekannte Geſchoͤpfe ſeyn. Andre vier-
fuͤßige Thiere entdeckten wir waͤhrend unſers kurzen Hierſeyns nirgends; es iſt auch
nicht wahrſcheinlich, daß auf dieſer ſo weit vom feſten Lande gelegenen Inſel der-
gleichen vorhanden ſeyn ſollten. Dagegen gab es in den Waͤldern viele und man-
cherley Voͤgel, die zum Theil den Naturforſchern wohl noch unbekannt ſeyn moͤ-
gen. Eine genauere Unterſuchung des Thier- und Pflanzen-Reichs, wollte die
Kuͤrze unſeres Aufenthalts nicht geſtatten, denn wir brachten nur einen einzigen
Tag und dieſen noch dazu groͤßtentheils auf dem unfruchtbaren Strande der Inſel zu.


Die natuͤrlichen Producte dieſes Landes ſind indeſſen beym erſten Anblick
lange nicht ſo auffallend fremd geſtaltet, als die Einwohner ſelbſt. Wann ich
nach der Menge derer die wir im Port-Sandwich antrafen, urtheilen ſoll, ſo
muß ihre Anzahl, im Ganzen ziemlich betraͤchtlich ſeyn; doch iſt, in Ruͤckſicht
auf die Groͤße der Inſel, die Bevoͤlkerung immer noch nicht anſehnlich zu nen-
nen. Funfzigtauſend duͤrfte meines Erachtens die hoͤchſte Zahl ſeyn, die man an-
nehmen koͤnnte; und dieſe wohnen nicht wie zu Tahiti nur allein in den niedri-
gen Gegenden des Landes, ſondern ſie ſind uͤber eine Oberflaͤche von mehr als
[181]in den Jahren 1772 bis 1775.
600 Quadrat-Meilen verbreitet. Ueberhaupt muß man ſich Mallicollo als einen1774.
Julius.

einzigen großen Wald vorſtellen; davon erſt einige wenige Flecke ausgerodet und
zu bebauen angefangen ſind; dergleichen wohnbare Plaͤtze liegen folglich in die-
ſem ungeheuren Walde, ohngefaͤhr ſo als die kleinen Inſeln in der weiten Suͤdſee,
zerſtreuet umher. Koͤnnten wir jemals durch die Dunkelheit dringen, worinn die
Geſchichte dieſes Volks eingehuͤllet iſt; ſo wuͤrde ſich vermuthlich finden, daß ſie
ſpaͤter in die Suͤd-See gekommen ſind, als die Bewohner der freundſchaftlichen
und der Societaͤts-Inſeln. So viel iſt wenigſtens gewiß, daß ſie von ganz andrer
Abkunft ſeyn muͤſſen, denn das beweiſen ihre Bildung, Sprache und
Sitten. In unterſchiednen Stuͤcken ſcheinen ſie mit den Einwohner von Neu-
Guinea
und Papua Aehnlichkeit zu haben, wenigſtens ſind ſie von eben ſo ſchwar-
zer Farbe und haben eben ſo wolligtes Haar. Wenn alſo der Einfluß des Clima
in der That ſo wirkſam iſt, als der Graf Buͤffon behauptet; ſo kann es auch um des-
willen noch ſo lange nicht her ſeyn, daß Mallicollo bevoͤlkert worden (*); weil
ſich bey den Einwohnern, ſeit ihrer Ankunft in dieſem mildern Himmelsſtrich,
weder die urſpruͤngliche Schwaͤrze der Haut, noch die wollichte Kraͤuſelung des
Haares vermindert hat. Ich meines Theils geſtehe aber dem Clima bey weitem
keinen ſo allgemeinen und allwuͤrkſamen Einfluß zu, ſondern fuͤhre obigen Grund
blos vermuthungsweiſe an, werde ihn auch fuͤr irgend eine andere wahrſcheinlichere
Meynung gern wieder zuruͤcknehmen. Leider ſind uns Neu-Guinea und die be-
nachbarten Inſeln, als die einzigen Laͤnder aus deren Unterſuchung ſich hier-
uͤber einiges Licht erwarten ließe, kaum ihrer geographiſchen Lage nach, in
Betracht ihrer Einwohner hingegen, faſt noch gar nicht bekannt. Die weni-
gen Reiſenden, welche dahin gekommen (**), melden nur ſo viel, daß Neu-Guinea
von mehr denn einer Nation bewohnt wird, und was das merkwuͤrdigſte iſt,
daß unter denſelben außer den Negern, auch Leute von hellerer Leibesfarbe vor-
handen ſind, die, nach ihren Gebraͤuchen zu urtheilen, mit den Einwohnern der
Societaͤts- und freundſchaftlichen Inſeln nahe verwandt ſeyn duͤrften. Noch
Z 3
[182]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
ſoll es eine dritte Gattung daſelbſt geben, die vielleicht aus einer Vermiſchung
der Negern mit den minder ſchwarzen entſtanden ſeyn kann.


Der ſchlanken Leibesgeſtalt nach, laſſen ſich die Mallicoleſer auch mit
den Einwohnern von Neu-Holland vergleichen, ſonſt aber ſind ſie gaͤnzlich
von denſelben unterſchieden. Es iſt eine ſeltſame und meines Wiſſens ganz ei-
genthuͤmliche Gewohnheit dieſes Volkes, ſich den Unterleib mit einem Stricke ſo feſt
einzuſchnuͤren, daß jemand, der nicht von Kindesbeinen an dieſe Mode gewohnt iſt,
ſich die aͤußerſte Ungemaͤchlichkeit, ja vielleicht gar Nachtheil der Geſundheit da-
durch zuziehen wuͤrde. Der Strick, den ſie dazu gebrauchen, iſt ohngefaͤhr
Fingers dick und macht oberhalb dem Nabel einen ſehr tiefen Einſchnitt, derge-
ſtalt, daß der Unterleib gleichſam aus zweyen unterſchiedenen, auf einander
geſetzten Stuͤcken zu beſtehen ſcheint. Der obere Theil des Arms iſt durch ein
ſehr enges Armband, in ſeiner Art eben ſo feſt und vermuthlich auch aus eben
der Abſicht, eingeſchnuͤrt, als der Unterleib. Dergleichen Armbaͤnder muͤſſen
ſie, ohne Zweifel, ſchon in der Jugend anlegen, und ſo damit aufwachſen.
Ihre Geſichtszuͤge ſind zwar ungemein haͤßlich, doch iſt viel Munterkeit, Leben
und der Ausdruck einer ſchnellen Gelehrigkeit darinn vorhanden. Dem Unter-
theile des Geſichts und namentlich den Lippen nach, ſind ſie von den africani-
ſchen Negern ganz unterſchieden; der Obertheil des Geſichts hingegen, beſonders
die Naſe, iſt eben ſo geſtaltet, das Haar auch eben ſo wolligt und kraus. Die
eingedruͤckte Stirn iſt vielleicht nicht von Natur, ſondern durch die Hand der
Muͤtter ſo geformet, weil der Kopf eines neugebohrnen Kindes bekanntermaaßen
alle beliebige Figuren annimmt. So giebt es z. B. auf dem feſten Lande von
Amerika einige Voͤlkerſchaften, welche die Koͤpfe ihrer Kinder der Geſtalt der
Sonne, des Mondes oder andrer Koͤrper aͤhnlich zu machen ſuchen. In Malli-
collo
gehet indeſſen dies Eindruͤcken des Vorkopfes nicht ſo weit, daß die natuͤrli-
che Haͤßlichkeit der Geſichtsbildung dadurch noch auffallender wuͤrde. Das Clima
iſt auf dieſer und den benachbarten Inſeln ſehr warm, mag aber nicht immer ſo
gemaͤßigt ſeyn als zu Tahiti, weil Mallicollo von weit groͤßerm Umfange
iſt. Doch hatten wie uns, waͤhrend unſeres kurzen Aufenthalts allhier, eben
nicht uͤber ausnehmende Hitze zu beſchweren. Das Thermometer ſtand auf 76.
und 78. Grad, welches im heißen Himmelsſtrich noch ſehr leidlich iſt. In
[183]in den Jahren 1772 bis 1775.
einem folchen Clima bedarf man keiner Kleidung, und es wuͤrde bloßer Luxus ſeyn,1774.
Julius.

wenn man welche truͤge, dazu ſind aber die Einwohner noch nicht reich und wohl-
habend genug. Die dicke Waldung, womit das Land faſt uͤberall bedeckt iſt,
ſchuͤtzt ſie genugſam eben ſowohl gegen die Hitze der ſenkrecht fallenden Sonnen-
ſtrahlen, als gegen jede rauhe Witterung. Die Geſchlechtstheile ſind das einzige,
was ſie bedecken, und zwar meines Erachtens blos aus Vorſorge, um dieſe em-
pfindlichen Theile des Koͤrpers, in ihren Waͤldern voll Dornen und Geſtraͤuch, vor
Verletzung ſicher zu ſtellen. Daß dies die vornehmſte Abſicht jener Huͤlle ſey,
laͤßt ſich ſchon aus ihrer aufwaͤrts gekehrten Form errathen (S. oben S. 165.)
Schamhaftigkeit ſcheint wenigſtens nicht Antheil daran zu haben, denn dieſe ſo
wohl als die Keuſchheit, ſind bloße Folgen unſerer Erziehung, nicht aber ange-
bohrne Begriffe, wofuͤr wir ſie mit eben ſo wenig Recht zu halten pflegen als wir
manches andre moraliſche Gefuͤhl fuͤr natuͤrliche Inſtincte auslegen. Bey allen
rohen ungebildeten Voͤlkern findet man augenſcheinliche Beweiſe, daß Schaam
und Keuſchheit, im Stande der Natur ganz unbekannte Tugenden ſind.
Daher kommt es auch, daß ſie, als bloße Conventions-Tugenden, nach Maas-
gabe des Unterſchiedes in der Sittenverſeinerung, uͤberall verſchiedentlich modi-
ficirt ſind. Nach unſern Begriffen von Zucht und Ehrbahrkeit koͤnnen die Maͤn-
ner zu Mallicollo bey Erfindung der angefuͤhrten Tracht und Huͤlle ohnmoͤglich
die Abſicht gehabt haben, unzuͤchtigen Gedanken vorzubeugen; indem ſie durch
die Form jener Bekleidung mehr befoͤrdert als verhindert werden. Eben alſo
kaͤme es auch bey den Weibern noch auf die Frage an, ob ſie den elenden Stroh-
wiſch, der ihnen ſtatt Schuͤrze dient, nicht vielmehr aus Begierde zu gefallen,
als aus Gefuͤhl von Schaamhaftigkeit tragen?


Weit allgemeiner und inniger ſcheinen dagegen die Begriffe von Schoͤn-
heit dem Menſchen eingeimpft zu ſeyn, ſo ſehr ſie auch bey unterſchiednen Voͤl-
kern von einander abweichen moͤgen. Der Mallicoleſe glaubt, durch einen
Stein in der Naſe, durch ein Armband, eine Halsſchnur und eine ſchwarze glaͤn-
zende Schminke ſich ungemein verſchoͤnern zu koͤnnen; ſeiner Frau hingegen ver-
ſtattet er gar kein Putzwerk. So viel wir ſahen, mußten dieſe, im Ganzen ge-
nommen, ſich begnuͤgen, den Leib mit gelber Curcuma-Farbe zu beſtreichen, die
einen beſondern aromatiſchen Geruch von ſich giebt. Auf den freundſchaftli-
[184]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
chen Inſeln
brauchte man dieſe Farbe ſtatt Haarpuder, und auf Oſter-Eyland
bemahlten ſich die Weiber das Geſicht und die Kleider damit. Indeſſen mag das
nicht ſo wohl zum Staat, als vielmehr wegen ein oder anderer guten Eigenſchaft
geſchehen, welche man dieſer Ingredienz vielleicht zuſchreibt. Das Punktiren oder
Taͤttowiren der Haut, welches bey den uͤbrigen Nationen der Suͤdſee, die
hellerer Farbe ſind, durchgehends eingefuͤhret iſt, ſcheint den Mallicolleſern
gaͤnzlich unbekannt zu ſeyn.


Ihre Nahrungsmittel muͤſſen groͤßtentheils aus Vegetabilien beſtehen,
denn ſie treiben foͤrmlichen Landbau. Zuweilen werden ſie ſich wohl mit einem
Schweine oder Huhn etwas zu Gute thun, und auch die See wird ihnen Un-
terhalt liefern muͤſſen, denn ob wir gleich kein Fiſchergeraͤth bey ihnen ſahen, ſo
iſt doch der Canots wegen zu vermuthen, daß ſie den Fiſchfang nicht unge-
nutzt laſſen. Ihr Handwerkszeug konnten wir aus Mangel eines laͤngeren
Aufenthalts nicht unterſuchen. Doch koͤnnen ſie, ſo viel ſich aus der Bauart
ihrer Boote und Haͤuſer urtheilen ließ, eben nicht ſonderlich geſchickte Arbeiter
ſeyn. Der Boden duͤnkte uns gut und fruchtbar; da aber die Inſel ganz mit
Waldung uͤberwachſen iſt, ſo muß es uͤberaus viel Muͤhe koſten, auch nur ſo
viel Land zu bearbeiten, als zu ihrem nothwendigen Unterhalt gehoͤret, zumal
da das Fortkommen der angebaueten Pflanzen durch die Menge des vorhandenen
Unkrauts, noch uͤberdem ſehr erſchweret wird. Wer weiß alſo, ob ſie ſich nicht blos
deshalb mit Stricken und Armbaͤndern ꝛc. einſchnuͤren, um den Wachsthum des
Coͤrpers dadurch zu hindern, und auf ſolche Art deſto weniger Nahrung noͤthig
zu haben? Wenigſtens ſollte ich denken, daß nur Nothwendigkeit allein zu einem
ſo wiedernatuͤrlichen Gebrauch habe Anlaß geben koͤnnen, in der Folge mag er
aus Gewohnheit vielleicht beybehalten worden ſeyn und jetzo gar als eine Zierde
angeſehen werden. Die Zeit, welche ſie auf den Ackerbau verwenden muͤſſen, ſcheint
ihnen zur Verfertigung ordentlicher Kleidungen keine Muße zu laſſen; ſie beduͤr-
fen derſelben ohnedies nicht ſonderlich, und man weiß ſchon, daß Liebe zur Ruhe
und zum Muͤßigang die gewoͤhnlichen Fehler aller kleiner ungeſitteten Voͤlkerſchaf-
ten ſind. Sie pflegen nicht leicht zu arbeiten, bis die Noth ſie dazu zwingt.
Wir haben angemerkt, daß die Mallicoleſer einen Theil ihrer Zeit mit Muſik
und Tanz hinbringen. Ihre Inſtrumente ſind, wie man ſich vorſtellen kann,
ſehr
[185]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſehr einfach. Wir hoͤrten weiter nichts als Trommeln; dieſe ſind aber, ſo1774.
Julius.

wohl als Pfeifen, gemeiniglich das erſte dieſer Art, worauf die Erfindungskraft
zu verfallen pflegt. In dem gewoͤhnlichen Cirkel der haͤuslichen Geſchaͤfte
herrſcht ſo viel Einfoͤrmigkeit, daß der Menſch zu ſeiner Erholung wuͤrklich
etwas excentriſches bedarf, und es ſcheint faſt als ob man dieſen Endzweck, uͤberall,
durch ſtarke und außerordentliche Bewegungen des Coͤrpers, durch kuͤnſtliche
Toͤne und Anſtrengung der Sprach- und Sing-Organe zu erreichen ſuchte.


Die Trommeln dienen aber den Mallicoleſern nicht nur zum Zeit vertreibe,
ſondern auch im Fall der Noth, zum Laͤrm ſchlagen. Wir koͤnnen mit Wahr-
ſcheinlichkeit annehmen, daß ſie mit den benachbarten Inſulanern oft in Strei-
tigkeiten gerathen, und es iſt auch wohl zu vermuthen, daß unter ihnen ſelbſt
Uneinigkeiten vorfallen, weil ſie, als lauter einzelne Familien, zerſtreuet auf
der Inſel umher wohnen. Sie pflegten ihre Waffen ſtets bey ſich zu fuͤhren
und ſolche nie aus den Haͤnden zu legen, indem nur allein diejenigen, die zu dem
Capitain in die Cajuͤtte kamen, unbewaffnet waren. Auch ſcheinen ſie an die
Verfertigung derſelben mehr Fleiß und Kunſt zu wenden, als an ihre uͤbrigen
Geraͤthſchaften. Die Bogen ſind ſtark, von ſehr elaſtiſchem Holz gemacht und
ſauber abgeglaͤttet. Die Pfeile waren ſchoͤn gearbeitet, beſonders die vergifteten
mit artigen kleinen Zierrathen verſehen. Eben dies Vergiften der Pfeile iſt ein
Beweis ihres Verſtandes. Rachſucht und Furcht vor Unterdruͤckung moͤgen ſie
zu dieſem Kunſtgriff verleitet haben. Es iſt auch wohl noͤthig, daß ſie durch derglei-
chen Huͤlfsmittel das erſetzen, was ihnen, bey ihrer kleinen ſchwaͤchlichen Statur,
an eigentlichen Leibeskraͤften abgeht; doch koͤnnen wir nicht einmal mit Gewißheit
entſcheiden, ob die Pfeile wirklich vergiftet ſind oder nicht. Der Hund, an
dem wir gleich bey unſrer Ankunft einen Verſuch damit anſtellten, ward von ſelbſt
wieder beſſer, ohnerachtet er gerade zu der Zeitauch von einem giftigen Fiſche
etwas zu freſſen bekommen hatte. In der Folge machten wir noch an einem an-
dern Hunde die Probe. Dieſem ward mit einer Lanzette ein Einſchnitt in die
Lende gemacht, das abgeſchabte Gummi, welches wir fuͤr Gift hielten, in die
Wunde geſtraͤuet und ſolche alsdann verbunden. Ein Paar Tage lang war er,
der Geſchwulſt und des feſten Berbandes wegen, lahm, dies legte ſich aber bald,
und nach und nach ward er, gleich dem erſten, wiederum voͤllig beſſer. Die
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. A a
[186]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
Einwohner auf Santa Cruz oder Egmont’s-Inſel, die von des Capitain
Carteret’s Equipage verſchiedene Leute umbrachten, ſcheinen, nach der Beſchrei-
bung, die man in Hawkesworth’s Geſchichte der engliſchen See-Reiſen ꝛc. (im
erſten Theil, Seite 351 ꝛc. und 363.) von ihnen findet, den Mallicoleſern in meh-
reren Stuͤcken aͤhnlich zu ſeyn. Nach Carterets Zeugniß ſind zwar die Bogen und
Pfeile bey jenen laͤnger als bey dieſen, *) und die Spitzen der Pfeile dort nicht aus
Knochen, ſondern aus Feuerſteinen gemacht: Allein, den Hauptumſtand, nem-
lich das Vergiften derſelben, haben doch beyde Nationen mit einander gemein.
Von jenen verſichert es wenigſtens Quiros, **) (als der erſte Entdecker der Inſel
Santa Cruz) ſo wie er auch behauptet, daß die Einwohner der St. Philipps-
Bay
, auf St. Jago, ihre Pfeile ebenfalls zu vergiften pflegten. ***) Indeſſen muß
ich geſtehen, daß die Beyſpiele, die er zu Beſtaͤtigung dieſes Vorgebens anfuͤhrt,
meines Erachtens, fuͤr die Wuͤrklichkeit der Sache eben ſo wenig entſcheiden, als
die Verſuche, welche wir an unſern Hunden vornahmen.


Ich habe weiter oben angemerkt, daß die Mallicoleſer ſich vor dem Zu-
ruͤckſchnellen der Bogen-Sehne durch eine Art von hoͤlzerner Manſchette zu
ſchuͤtzen ſuchen; da ſie ſolche niemals ablegen, ſo muͤſſen ſie, duͤnkt mich, fleißig
mit dem Bogen umgehen. Außerdem fuͤhren ſie auch noch Speere oder Wurf-
ſpieße, und kurze Streit-Kolben, die vermuthlich nur beym Handgemenge
dienen. Der vielen Waffen halber, haͤtte man in ihnen eine kriegeriſche Ge-
muͤthsart vermuthen ſollen; gleichwohl bezeigten ſie ſich gegen uns, im Ganzen ge-
nommen, friedfertig, jedoch vorſichtig. Hin und wieder ſahe man wohl etwas feind-
ſeliges und boshaftes in den Phyſiognomien; doch konnte das vielleicht auch bloße
Beſorgniß oder Mißtrauen ſeyn. Freylich baten ſie uns nicht laͤnger hier zu
bleiben, allein das war ihnen auch nicht zu verdenken, denn ſie hatten uns als
furchtbare und maͤchtige Gaͤſte kennen lernen, mit deren [Nachbarſchaft] ihnen
allerdings nicht gedient ſeyn mogte. Von der Regierungsform eines Volks, laͤßt
ſich, beym erſten Anblick deſſelben, nicht fuͤglich urtheilen, ich kann daher auch
von der hieſigen nicht viel mehr als Muthmaßungen angeben. Sie ſcheinen be-
[187]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſtaͤndig auf ihrer Hut zu ſeyn, und muͤſſen folglich oft Krieg und Streit haben.1774.
Julius.

Dazu brauchen ſie aber Anfuͤhrer, und dieſen moͤgen ſie, wie es die Neu-
Seelaͤnder
machen, wenigſtens zur Zeit eines Treffens gehorchen. Der einzige
Mann, den wir fuͤr einen Befehlshaber halten konnten, war der, auf deſſen Geheiß
man uns etwas Waſſer zubrachte; bey dieſer Gelegenheit allein zeigte ſichs, daß
er einiges Anſehen uͤber ſeine Landsleute haben mußte, im Aeußern war er ſonſt
durch nichts von ihnen unterſchieden. Ihre Religion iſt uns gaͤnzlich unbekannt ge-
blieben; ſo auch ihr haͤusliches oder Privatleben. Ob ſie mit Krankheiten be-
haftet ſind? konnten wir ebenfalls nicht ausfindig machen. Uns ſelbſt iſt nicht
ein einziger Kranke vorgekommen; doch ſollen, nach Herrn von Bougainvilles
Bericht, die Einwohner einer benachbarten Inſel dem Ausſatz ſo ſehr unter-
worfen ſeyn, daß er ihr Land desfalls Iſle des Lépreux oder die Inſel der Aus-
ſaͤtzigen
gennannt hat.


Den National-Character der Mallicolleſer muß man mit Ruͤckſicht auf
den Grad ihrer Cultur beurtheilen. Sie wohnen, in viele kleine Staͤmme und ein-
zelne Familien getheilt, zerſtreuet auf der [Inſel] umher, und moͤgen daher wohl
oft Streit mit einander haben; es iſt alſo kein Wunder, wenn ſie bey allen Ge-
legenheiten vorſichtig, ja ſelbſt mißtrauiſch zu Werke giengen. Doch ſind ſie
darum keinesweges zu Zank und loſen Haͤndeln aufgelegt, ſondern bewieſen viel-
mehr durch ihr Betragen gegen uns, daß ſie gern allen Streit vermeiden woll-
ten; thaten auch ſehr ungehalten, wenn einer oder der andere von ihren Landsleu-
ten etwas vornahm, wodurch das gegenſeitige gute Vernehmen allenfalls geſtoͤrt
werden konnte. Oft reichten ſie uns gruͤne Zweige zu, die uͤberall fuͤr Freund-
ſchafts-Zeichen angeſehen werden. Die Ceremonie, Waſſer auf den Kopf zu gieſ-
ſen, hat allem Anſehn nach eine aͤhnliche Bedeutung; zugleich beſtaͤtigt ſie unſre Ver-
muthung, daß dieſe Nation mit der auf Neu-Guinea wohnenden Aehnlich-
keit haben muͤſſe. Dampier fand nemlich eben dieſe Mode auch zu Pulo-Sa-
buda
, auf der weſtlichen Kuͤſte von Neu-Guinea, eingefuͤhrt. *) Im Umgange
zeigten ſie viel Gelehrigkeit. Sie ſind ſcharfſinnig, und haben ſo wohl Nei-
gung als Faͤhigkeit ihren Verſtand auszubilden. Sie ſcheinen große Liebhaber
A a 2
[188]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
vom Tanz, mithin luſtigen und aufgeraͤumten Temperaments zu ſeyn. Es
wuͤrde nicht ſchwer halten, ſie ungleich civiliſirter zu machen; ein ehrgeiziger
Mann aus ihren eigenen Mitteln, koͤnnte es, meines Erachtens, bald dahin brin-
gen. — Doch ich kehre zu der Geſchichte unſrer Reiſe zuruͤck.


Sobald wir aus dem Rief von Port-Sandwich heraus waren, und
auf Ambrrym zuſteuerten, bekamen wir nach und nach das Suͤdoͤſtliche Ende
von Mallicollo zu Geſicht, woſelbſt vier oder fuͤnf kleine Inſeln eine Art von Bay
bilden. Ambrrym, auf welcher der feuerſpeyende Berg vorhanden iſt,
ſcheint gegen zwanzig See-Meilen im Umkreiſe zu haben. Das Mittel dieſer
Inſel liegt unter 16°. 15′. Suͤdlicher Breite und 168°. 20′ Oeſtlicher Laͤnge.
Am Suͤdlichen Ende derſelben iſt das mit einem hohen Berge verſehene Eyland
Pa-uhm gelegen. Dieſes ſcheint eben nicht von ſonderlichem Umfange zu ſeyn,
doch wußten wir nicht ob das weſtwaͤrts davon befindliche und dem Anſehen nach
ziemlich flache Land nicht vielleicht damit zuſammenhienge? Wenn aber auch
beydes nur eine einzige Inſel ausmacht, ſo kann ſie doch nicht uͤber 5 Seemei-
len im Umfange betragen. Der vorgedachte Pic liegt, unſeren Beobachtun-
gen nach, in 16°. 25′. Suͤdlicher Breite, 168°. 30′. Oeſtlicher Laͤnge.
Suͤdwaͤrts von dieſem hohen Berge trifft man die Inſel Apih. Sie iſt groß,
bergigt, und mit Ambrrym von gleichem Umfang, nemlich ohngefaͤhr 7 Mei-
len lang. Der mittlere Theil derſelben liegt in 16°. 42′ Suͤdlicher Breite
und 168°. 36′. Oeſtlicher Laͤnge. Der Rauch den wir von allen dieſen
Eylanden haͤufig emporſteigen ſahen, brachte uns auf die Vermuthung, daß die
Einwohner ihre Speiſen, an einem Feuer in freyer Luft zubereiten muͤßten, denn auf
den Societaͤts- und freundſchaftlichen Inſeln, wo alle Lebensmittel unter der
Erde, vermittelſt durchgehitzter Steine gar gemacht werden, hatten wir ſelten
Rauch oder Feuer wahrgenommen.


Die Mahlzeit von friſchen Fiſchen, daran ſich unſre ſaͤmmtliche Mannſchaft
heut etwas zu Gute gethan, haͤtte einigen beynahe den Tod zuwege gebracht. Alle
Lieutenants nebſt ihren Tiſchgenoſſen, imgleichen ein Unter-Pilote (mate) unter-
ſchiedne Cadetten, und der Schiffs-Zimmermann hatten zween rothe See-Brach-
ſen
(Sparus erythrinus) mit einander verzehrt. Allein, wenige Stunden nach-
her, zeigten ſich die heftigſten Symptomen einer Vergiftung. Das Uebel, was
[189]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſie davon verſpuͤrten, fieng mit einer gewaltigen Hitze im Geſichte an, darauf erfolgte1774.
Julius.

unertraͤgliches Kopfweh, Brechen und Durchlauf. In allen Gliedern, vorzuͤglich in
den Armen, Knieen, und Beinen fand ſich eine ſolche Betaͤubung ein, daß ſie
kaum ſtehen, geſchweige gehen konnten. Die Speichel-Druͤſen liefen an,
und gaben eine Menge Schleim von ſich. Endlich ſo war auch der Unterleib
nicht frey von Schmerzen und von Zeit zu Zeit klagten ſie uͤber Kraͤmpfe in den
Gedaͤrmen. Ein Schwein, das vom Eingeweide dieſer Fiſche gefreſſen hatte, be-
kam dieſelben Zufaͤlle, dabey ſchwoll es erſtaunlich auf, und ward am folgenden Mor-
gen gefunden, todt im Stalle. Den Reſt des Eingeweides und auch etwas vom ge-
kochten, hatten einige Hunde verzehrt, die auf eben dieſe Art dafuͤr buͤßen mußten.
Sie heulten und winſelten erbaͤrmlich, hatten beſtaͤndig Neigung zum Brechen, und
konnten vor Mattigkeit kaum kriechen. So gar ein kleiner Papagoy, von den freund-
ſchaftlichen Eylanden
, der bey Tiſche ganz vertraut auf ſeines Herrn Schulter zu
ſitzen pflegte, ſtarb ungluͤcklicherweiſe, ohnerachtet er nur einen kleinen Biſſen
davon bekommen. Mit einem Worte, die Freude uͤber dies Gericht friſchgefange-
ner Fiſche, ward ploͤtzlich in Schmerz und Wehklagen verwandelt. Zum Gluͤck war
der Wundarzt dem Schickſal ſeiner Tiſchgenoſſen dadurch entgangen, daß er
dieſen Mittag an unſerm Tiſche geſpeiſet hatte, und alſo konnte er den Kranken
die erforderliche Huͤlfe leiſten.


Den andern Morgen blieben wir noch in der Naͤhe von Mallicollo,
Ambrrymm
, Apih und Pa-uhm; ſteuerten aber auf das ſuͤdliche Eyland, wel-
ches am 21ſten entdeckt und, ſeiner drey Berge wegen, Three-hills-iſland
(drey Huͤgel Eyland) genannt worden war. Dieſem naͤherten wir uns bis
auf eine halbe Meile, und ſanden es mit den vorigen von gleicher Art. Es hatte
viel Waldung, und ſchien auch ſtark bevoͤlkert zu ſeyn. Einige von den Einwoh-
nern kamen ans Ufer herab; ſie waren mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, und
ſahen uͤbrigens den Mallicoleſern ungemein aͤhnlich. Am ſuͤdlichen Ende die-
ſer Inſel findet man einen großen Rief und verſchiedne einzelne Klippen in
der See. Die ganze Inſel mogte etwa 5 gute See-Meilen im Umkreiſe haben,
und lag von Nord-Oſt gen Suͤd-Weſten. Nach aſtronomiſchen Beobachtun-
gen befindet ſie ſich unterm 17°. 4′. Suͤder Breite und im 168°. 32′. oͤſtlicher
Laͤnge. Um Mittag wandten wir das Schiff und liefen nordoſtwaͤrts, um
A a 3
[190]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
an der ſuͤdlichen Spitze von Apih, verſchiedne kleine Eylande naͤher in Augenſchein
zu nehmen. Bey dieſer Gelegenheit erblickten wir in Suͤd-Oſten einen hohen
Berg und hinter demſelben einen ziemlich weitlaͤuftigen Strich Landes. Nach
gerade fingen wir an, uns uͤber die große Zahl der Eylande, die hier auf einem
Haufen beyſammen lagen, zu verwundern und ihrer ſuͤdoͤſtlichen Richtung wegen,
zu vermuthen, daß ſie bis nach Neu-Seeland reichen, mithin noch eine ganze
Kette von Entdeckungen uns gewaͤhren duͤrften.


Nachmittags gelangten wir auf unſerm Laufe an die nordoͤſtlichſten unter die-
ſen Eylanden. Sie waren durchgehends weit kleiner als Mallicollo, Ambrrymm
und Apih, ja nicht einmal ſo groß als Three-Hills Eyland und Pa-uhm.
Demohngeachtet fanden wir die meiſten bewohnt; dies konnte man vorzuͤglich des
Abends bemerken, indem, ſo bald es dunkel ward, ſo gar auf den ſteilſten Felſen, de-
nen wir bey Tage alle Einwohner abgeſprochen hatten, Feuer zu ſehen waren. Nach
Sonnen-Untergang fiel eine Windſtille ein, die etliche Stunden lang dauerte.
Die Nacht war ausnehmend dunkel, welches, bey den vielen einzelnen Klippen die
ſich auf allen Seiten um uns her befanden, unſre Lage doppelt gefaͤhrlich machte.
Und wahrlich! der Seemann, der neue Inſeln entdecken, und ihre Lage genau
beſtimmen will, muß faſt alle Augenblick zu ſcheitern befuͤrchten. Um die Kuͤ-
ſten eines unbekannten Landes gehoͤrig zu unterſuchen, muß er dicht an denſelben
hinſeegeln und es gleichſam auf gut Gluͤck ankommen laſſen, ob nicht ein ploͤtz-
licher Sturm, verborgne Klippen, oder reißende Stroͤmungen der See, alle
ſeine ruhmſuͤchtigen Hofnungen auf einmal zernichten werden? Klugheit und
Vorſicht werden zwar zu jeder großen Unternehmung erfordert; aber bey Entde-
ckungen zur See, und faſt in allen andern wichtigen Faͤllen, ſcheint ein gewiſſer
Grad von Verwegenheit, und unbedingtes Zutrauen auf einen guten Ausgang, der
rechte Weg zum Ruhme zu ſeyn, der von dieſer Seite betrachtet, oft mit groͤße-
ren Belohnungen gekroͤnet wird, als er im Grunde verdienen mag.


Dieſe gefaͤhrlichen Eylande wurden, dem Profeſſor der Sternkunde in
Cambridge Dr. Anton Shepherd zu Ehren, Shepherds-Eylande ge-
nannt. In der Nacht verſtaͤrkte ſich der Wind, und wir lavirten bis zu Tages
Anbruch ab und zu. Mit Sonnen-Aufgang ſeegelten wir von der ſuͤdlichſten
der Shepherds-Inſeln ab, und richteten unſern Lauf nach dem Lande hin, wel-
[191]in den Jahren 1772 bis 1775.
ches wir am vorigen Tage gegen Suͤden entdeckt hatten. Unterwegens kamen wir1774.
Julius.

bey Drey-Huͤgel-Eyland voruͤber und auf ein Paar andre Eylande zu, die nur
wenige See-Meilen davon gen Suͤden lagen. Sie waren ungleich kleiner, den-
noch aber, ſo gut als jenes, mit Waldung und anmuthigem Gruͤn bekleidet. Zwi-
ſchen einer von dieſen Inſeln und einem hohen, ſaͤulenfoͤrmigen Felſen, ſeegelten
wir mitten durch und nannten den Felſen, ſeiner Figur wegen, das Monu-
ment
. *) Die Wellen, die ſtets mit Ungeſtuͤm dagegen anprallten, hatten
viele tiefe Furchen darinn gemacht. Der ganze Felſen ragte ohngefaͤhr 300 Fus
hoch aus der See hervor, war ſchwaͤrzlich anzuſehen und nicht ganz ohne alle
Pflanzen. Toͤlpel und Meerſchwalben flogen haͤufig darum her, und ſchienen
darauf geniſtet zu haben. Das Eyland, welchem dies Monument nahe lag,
nannte Capitain CookTwo-Hills-Island,Zween Huͤgel-Eyland, weil nur
zwo Anhoͤhen von merklicher Groͤße darauf befindlich waren.


Von hier aus ſteuerten wir Suͤdwaͤrts, auf das in dortiger Gegend, am
24ſten, entdeckte große Land zu. Von Suͤdweſten ſahen wir ein Canot mit auf-
geſpanntem dreyeckigen Seegel, ziemlich weit von der Drey-Huͤgel-Inſel,
hinfahren. Es iſt alſo wahrſcheinlich, daß die Bewohner dieſer Gruppe
von Eylanden, ſo gut als die Leute auf den Societaͤts- und freundſchaftli-
chen Eylanden
, Verkehr und Umgang mit einander haben. Nachmittags waren
wir faſt bis an die ſuͤdliche Inſel gekommen, welche jetzt aus zwoen zu beſte-
hen ſchien, und wollten eben daran vorbey laufen, als der Wind mit einemmale
aufhoͤrte, und dagegen die Fluth oder See-Stroͤmung, das Schiff unaufhaltſam gen
Weſten forttrieb. Solchergeſtalt befanden wir uns dieſe Nacht, wie in der
vorigen, wiederum in einer gefaͤhrlichen Lage; doch mit dem Unterſchiede, daß
der Mond ſehr helle ſchien, und wir alſo deutlich ſehen konnten, wie ſchnell uns
die Fluth auf das weſtliche Eyland zufuͤhrte. Wir mußten befuͤrchten, an
dem Nord-Ende deſſelben zu ſcheitern, und deſto ſchrecklicher zu ſchei-
tern, da es aus ſchwarzen, hohen und beynahe ſenkrechten Felſen beſtand, an
deren Fuß ein ſchmaler, mit Klippen beſaͤeter Strand befindlich war. Bis gegen
[192]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
10 Uhr blieben wir in der fuͤrchterlichſten Ungewißheit uͤber unſer Schickſal! Die
Boote in See zu ſetzen und das Schiff boogſiren zu laſſen, waͤre bey der Heftig-
keit der Stroͤmung verlohrne Muͤhe geweſen. Die Wellen tummelten das Schiff
wie im Kreiſe herum, ſo daß es bald der Queere, bald mit dem Vorder- dann wie-
der mit dem Hinter-Theile nach dem Ufer zugekehret wurde. Wie hallte das Ge-
raͤuſch der tobenden Wellen ſo fuͤrchterlich vom Felſen zuruͤck! Schrecklicher war
uns das Getoͤſe der Brandung noch nie vorgekommen, denn noch nie hatte ſie
uns mit ſo augenſcheinlicher Gefahr bedrohet. Endlich trieb uns die Stroͤmung,
zwar knapp genug, doch ohne Schaden bey dem Lande voruͤber.


Sobald es Tag wurde erhob ſich der Wind wieder, worauf wir zwi-
ſchen den beyden Inſeln hindurch ſeegelten. Die oͤſtlichſte, mochte kaum acht
oder neun Meilen im Umfange haben, war aber dennoch bewohnet. Eine
Menge von Leuten kamen mit Bogen, Pfeilen und Wurfſpießen bewaffnet an
den Strand herab, um uns anzugaffen. Das Eyland hatte einen ziemlich ho-
hen Huͤgel in der Mitte, der mehrentheils von Waldung entbloͤßt war. Am
Fuße, ſo wie auch unterhalb deſſelben, entdeckte man bearbeitetes Land, imgleichen
ein Gebuͤſch von Cocos-Palmen, Piſangs, und mancherley andern Baͤumen, in
deren Schatten wir etliche Huͤtten, am Ufer aber, verſchiedene auf den Strand
gezogene Canots gewahr wurden. Die andere Inſel lag dieſer gerade gegen
uͤber, vier bis fuͤnf Seemeilen weiter gegen Weſten. Es zeigte ſich aber,
daß auch dieſer Fleck Landes aus zwo Inſeln beſtand. Die nordwaͤrts gelege-
ne, war eben diejenige, daran wir beynahe geſcheitert waͤren. Sie hatte nicht
uͤber zwoͤlf bis funfzehn Meilen im Umfange, war mit der oͤſtlichen von einer-
ley Hoͤhe, und gleichfoͤrmigen Anſehen. Das groͤßte Eiland lag weiter gen
Suͤden, und erſtreckte ſich wenigſtens zehn gute Seemeilen weit von Nordweſt
gegen Suͤdoſten. Es war, ſo wie die beyden vorigen, ziemlich bergigt, aber
nirgends ſteil, und ergoͤtzte das Auge durch eine Menge herrlicher Ausſichten.
Finſtre Waͤlder wechſelten, ſehr angenehm, mit großen freyen Strecken ab,
die, ihrer ſchoͤnen goldgelben Farbe wegen, den europaͤiſchen reifen Kornfeldern
aͤhnlich ſahen. Ueberhaupt duͤnkte uns dies Eyland von der ganzen bisher entdeck-
ten Gruppe eines der ſchoͤnſten und zu einer europaͤiſchen Kolonie beſonders
wohl gelegen zu ſeyn. Wir ſeegelten ziemlich weit von der Kuͤſte voruͤber, und
fan-
[193]in den Jahren 1772 bis 1775.
fanden es dem Anſehen nach nicht ſo ſtark bewohnt, als die noͤrdlichen Ey-1774.
Julius.

lande, die wir nun hinter uns gelaſſen hatten. Dieſer Umſtand wuͤrde die Anle-
gung eines Pflanzorts um ein Großes erleichtern und wenn ſich jemalen bey Kolo-
niſten menſchenfreundliche Geſinnungen vermuthen ließen, ſo koͤnnten ſie hier
mit geringer Muͤhe wahrhafte Wohlthaͤter der Einwohner werden; denn letztere
ſind mit den Mallicolleſern von einer Nation, das iſt, ſo viel wir bemerkt ha-
ben, eine ſehr verſtaͤndige Art von Leuten; welche leicht zu bewegen ſeyn wuͤrden,
die Verbeſſerungen des civiliſirten Lebens anzunehmen. Am nordweſtlichen Ende
der Inſel war, dem Anſchein nach, eine weit ins Land hinauf reichende Bay
vorhanden, wir konnten ſie aber nicht genauer unterſuchen, weil an der Oſtſeite
einige Riefe und kleine Eylande den Zugang verſperrten. Von der Weſt-
ſeite moͤgte man vermuthlich beſſer haben einlaufen koͤnnen. Capitain Cook
nannte dieſe große Inſel Sandwich; die gegen Norden gelegene, Hinching-
brook
, und die oͤſtliche Montague, dem erſten Lord des Admiralitaͤts-Colle-
gii und ſeinen beyden Soͤhnen zu Ehren. Der mittlere Theil der Inſel
Sandwich liegt unterm 17°. 40′. S. Br. und im 168°. 30′. Oeſtl. Laͤnge.


Den Nachmittag und die ganze Nacht hindurch ſteuerten wir gegen
Suͤd-Oſten. Bey Tages Anbruch befanden wir uns ohngefaͤhr vierzehen See-
meilen von der Inſel Sandwich, und faſt eben ſo weit von einem vor uns lie-
genden neuen Eylande. Jetzt ſahe es auf unſerm Schiffe nicht viel beſſer aus, als in
einem Hoſpitale. Die vergifteten Patienten waren immer noch uͤbel dran; das Bauch-
weh und die Schmerzen in den Knochen wollten gar nicht nachlaſſen; außer-
halb dem Bette konnten ſie vor Schwindel kaum den Kopf aufrecht halten, und
wenn ſie ſich niederlegten, ſo vermehrte die Bettwaͤrme das Glieder-Reißen der-
maaßen, daß ſie kein Auge dafuͤr ſchließen konnten. Auch der Speichelfluß hielt
noch beſtaͤndig an; dabey ſchaͤlte ſich die aͤußere Haut am ganzen Coͤrper, und auf
den Haͤnden kam eine Menge kleiner Geſchwuͤre zum Vorſchein. Manche klagten
nicht ſo ſehr uͤber Schmerzen, als vielmehr uͤber Mattigkeit, und krochen blaß
und abgezehrt wie die Schatten umher. Von den Lieutenants war nicht ein
einziger im Stande Wache zu thun; und weil ein Unter-Pilote, nebſt meh-
reren Cadetten ebenfalls von dieſem ungluͤcklichen Fiſch gegeſſen hatten, ſo mußte
das Commando bey der Schiffswacht, wechſelsweiſe dem Conſtabel und den
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. B b
[194]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Julius.
zween Unter-Piloten anvertrauet werden. Auch die Hunde, welche an dieſer
Mahlzeit Theil genommen hatten, waren noch nicht hergeſtellt, und litten deſto
mehr, weil man ihnen keine Huͤlfe leiſten konnte. Ihr unaufhoͤrliches Gewin-
ſel und beſtaͤndiges Waſſertrinken bewies, daß ſie naͤchſt den heftigſten Schmer-
zen auch einen brennenden Durſt ausſtehen mußten; und diejenigen, die vom
Eingeweide gefreſſen, waren am uͤbelſten dran. Eines dieſer armen Thiere ſchien
zum Maͤrterthum gleichſam auserſehen zu ſeyn, denn zuvor hatte es mit dem an-
geblich vergifteten Pfeile ſchon eine Probe aushalten muͤſſen. Indeſſen uͤber-
ſtand es gluͤcklich dieſe beyden Zufaͤlle, und kam geſund nach Engelland. Qui-
ros
erzaͤhlet in feiner Reiſe-Beſchreibung, daß es dem groͤßten Theil ſeiner Leute,
in der Bay St. Philipp auf St. Jago, mit einem Seefiſch, den er pargos nennt,
eben ſo uͤbel ergangen ſey, als uns im gegenwaͤrtigen Fall. Allem Anſehen nach
iſt es dieſelbe Art von Fiſchen geweſen, denn pargos bedeutet im Spaniſchen
einen See-Brachſen (pagrus.) Gleichwohl mag dieſe Gattung nicht
allemal, ſondern nur alsdann eine vergiftende Eigenſchaft haben, wenn ſie
von giftigen Pflanzen freſſen, welches in den Oſt- und Weſtindiſchen Gewaͤſſern
oftmals geſchiehet. Was mich in dieſer Vermuthung beſtaͤrkt, iſt der Um-
ſtand, daß das Eingeweide vergiftender war, als jeder andre Theil des Fiſches.
Ohne Zweifel mogte das Wuͤrkſamſte des Gifts in den erſten Wegen zuruͤckge-
blieben, hingegen nur ſchwaͤchere Partikeln durch den Milchſaft, imgleichen durchs
Blut, in das Fleiſch uͤbergegangen ſeyn.


Seit der Abreiſe von Mallicollo hatten wir gelindes Wetter und von
Zeit zu Zeit recht friſchen Paſſatwind gehabt. So bald wir aber nicht weit
mehr von der letzten neuen Inſel waren, ließ der Wind merklich nach. Den
folgenden Tag ward es gaͤnzlich windſtill; doch ſchwankte das Schiff von der noch
fortdauernden Bewegung des Waſſers, ſehr unangenehm hin und her, auch trieb
uns die Stroͤmung etliche See-Meilen weit gegen Norden. Am Abend bekamen
wir in der Ferne, gegen Suͤd-Oſten, abermals eine Inſel zu Geſicht, auf die
wir jedoch vor der Hand nicht ſonderlich achteten. Mit Beyhuͤlfe des Windes,
der ſich am 29ſten, wiederum erhob, befanden wir uns am folgenden
30ſten nur noch 6 Seemeilen weit vom Lande. Nachmittags nahmen wir einen
Hund vor, der ſich ſchon vollkommen erholt hatte, um die Wuͤrkung der Mal-
[195]in den Jahren 1772 bis 1775.
licolleſiſchen Pfeile nochmals zu verſuchen. Zu dem Ende ward ihm mit der Lan-1774.
Julius.

zette ein Einſchnitt in die Lende gemacht, und nicht nur das Gummi, welches
an der knoͤchernen Spitze des Pfeils geklebt, ſondern auch die gruͤne erdigte Sub-
ſtanz, die zwiſchen den herumgewundnen Cocos-Fibern geſeſſen hatte, in die
Wunde geſtreuet und ein Heft-Pflaſter daruͤber gelegt, damit das Experiment
ja nicht fehl ſchlagen moͤgte. Der Hund ward aber ſo geſchwind geſund, als
ob gar nichts fremdes in die Wunde gekommen waͤre. *)


Des andern Morgens hatten wir wieder eine gaͤnzliche Windſtille, daher
die Matroſen beynahe anfiengen zu glauben, daß das Eiland behext ſeyn muͤſſe,
weil wir aller Bemuͤhung ohnerachtet, gar nicht heran kommen konnten. Die
andre ſuͤdoͤſtliche Inſel, welche am 28ſten Abends entdeckt worden, war heute
ungleich deutlicher zu erkennen. Die naͤher gelegene Inſel ſahe unfrucht-
barer und lange nicht ſo angenehm aus, als die zuvor entdeckten Eylande; doch
ſchien ſie wenigſtens bewohnt zu ſeyn, denn es ſtieg ein großer Rauch davon em-
por. Hoͤchſt verdrieslich war es in der That, die Kuͤſte ſo nahe vor ſich zu ſe-
hen, und doch nicht naͤher heran zu koͤnnen! Auf dem Schiffe eingeſperrt zu ſeyn
und doch Menſchen in der Naͤhe zu wiſſen, deren Meynungen und Lebens-
art vielleicht manches Neue an ſich haben mogten! Ihren Umgang zu entbehren,
und doch zur Mittheilung ſo geneigt ſeyn! Hinderniſſe pflegen die Begierden oft-
mals nur noch heftiger zu machen, und das mogte auch hier der Fall ſeyn; denn
im Grunde war es eben kein ſo großer Schade, daß wir nicht anlanden konn-
ten, weil die anſcheinende Unfruchtbarkeit der Inſel, ſchwerlich Lebensmittel er-
warten ließ.


Nachmittags wurden zween Hayfiſche gefangen, die mit Pilot- und
Sauge-Fiſchen, als ihren gewoͤhnlichen Begleitern, um das Schiff herum
ſchwammen. Eins dieſer großen gefraͤßigen Thiere ſchien in ſeiner Art ein rechter
Epicuraͤer zu ſeyn, denn wir fanden in ſeinem Magen nicht weniger als vier junge
Schildkroͤten, von achtzehn Zoll im Durchmeſſer, nebſt der Haut und den Federn
eines ſogenannten Toͤlpels (Booby; Pelecanus Sula Linn.) und gleiche
B b 2
[196]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
hatte er, bey allen dieſen Leckerbiſſen, ſich nicht enthalten koͤnnen, auch das fette
Schweinfleiſch noch zu koſten, welches an den Angelhaken geſteckt worden. Kaum
war er aufs Verdeck gezogen, ſo ſuchte jeder ſeine Portion davon zu bekommen,
und in wenigen Minuten war er zerſtuͤckt, gebraten und verzehret. Der andre
wollte ſich losreiſſen, ward aber von den Officieren mit ein Paar Kugeln todt
geſchoſſen, denn ihnen war ſo viel als den gemeinen Matroſen daran gelegen,
daß er nicht entkaͤme. Auf die Art raͤchten wir alſo die ſaͤmmtlichen Bewoh-
ner des Meeres, an dieſen beyden gefraͤßigen Tyrannen. In heißen Gegenden
wird einem das Poͤkelfleiſch am erſten zuwieder, vermuthlich deshalb, weil es
den Durſt, der dort ohnehin ſehr groß zu ſeyn pflegt, noch immer groͤßer macht.
Wir hatten aber ſeit unſrer Abreiſe von Namoka nichts anders genoſſen; daher
man wohl glauben wird, daß uns nicht leicht ein Hay ſo gut als dieſer geſchmeckt
habe.


Waͤhrend der Nacht erhob ſich ein ſchwaches Luͤftgen, mit deſſen Huͤlfe
wir nochmals dem Lande zuſegelten. Am folgenden Morgen, als den 1ſten
Auguſt, entdeckten wir einen einzelnen Felſen der etliche Seemeilen weit vom
Lande lag; und je naͤher wir kamen, deſto weniger Urſach fanden wir, die In-
ſel fuͤr ſo unfruchtbar zu halten, als ſie anfaͤnglich geſchienen hatte. Gegen 10 Uhr
entſtand Laͤrm, daß das Schiff in Brand gerathen ſey! Eine ſo fuͤrchterliche
Nachricht verbreitete ploͤtzlich ein allgemeines Schrecken; uͤberall ſahe man
verſtoͤrte Geſichter, und es dauerte eine gute Weile, ehe die geringſte Anſtalt
zum Loͤſchen gemacht wurde. Der unvermuthete Anblick einer drohenden Gefahr
laͤßt uns zu ſchneller Ueberlegung und thaͤtiger Wuͤrkſamkeit gemeiniglich nicht
Staͤrke genug uͤbrig. Gegenwart des Geiſtes und Entſchloſſenheit ſind dann ſehr
ſchaͤtzbare, aber eben ſo ſeltne Eigenſchaften, und es war alſo kein Wunder, wenn
ſie unter der kleinen Anzahl von Perſonen, denen die Fuͤhrung des Schiffes oblag,
den mehreften fehlten. Doch kann es auch wohl fuͤr den Standhafteſten nicht
leicht eine haͤrtere Pruͤfung geben, als dieſe: ſich in einem brennenden Schiffe zu be-
finden! Ein Sturm, ſelbſt in der Nachbarſchaft der gefaͤhrlichſten Kuͤſte, iſt lange
ſo ſchreckenvoll nicht, weil man da noch immer Hoffnung hat, wenigſtens das Le-
ben zu retten. Bey dem heutigen Feuerlaͤrm war indeſſen der Schreck das
meiſte. In der erſten Beſtuͤrzung glaubten wir, daß es in einer Kammer, die
[197]in den Jahren 1772 bis 1775.
voll Segeltuch lag, ausgekommen waͤre; es zeigte ſich aber, daß in des Pro-1774.
Auguſt.

viantmeiſters Cajuͤtte die Lampe nur ein Stuͤckchen Tahitiſchen Zeuges ergriffen,
und daß man, blos des entſtandenen Dampfes wegen, ein groͤßeres Ungluͤck befuͤrch-
tet hatte.


Bey unſrer Annaͤherung gegen das Land entdeckten wir immer mehrere
Waͤlder, mit dazwiſchen liegenden freyen Gruͤnden, und Pflanzungen, die bis auf
die Gipfel der Berge reichten. Man konnte auch bereits eine Menge Cocos-
Palmen
unterſcheiden, doch hatten ſie hier kein ſo ſtattliches Anſehen, als wohl
in andern Laͤndern. Nachmittags gelangten wir an die Weſt-Seite der Inſel,
und liefen laͤngs der Kuͤſte herunter. Zwiſchen den Bergen und dem Strande
gab es hin und wieder kleine Ebenen, die groͤßtentheils mit Piſang-Baͤumen
bepflanzt und mit zierlichen Hecken umzaͤunt waren. Neben dieſen ſtanden
Huͤtten oder vielmehr bloße, auf Pfaͤhlen ruhende Daͤcher aufgebauet, und laͤngſt
dem Strande liefen dreyßig bis vierzig Einwohner mit Bogen, Pfeilen und
Speeren bewaffnet herum. In der Entfernung ſahen ſie ſchwarz aus, und ſchie-
nen uͤberhaupt den Bewohnern von Mallicollo ziemlich aͤhnlich zu ſeyn. Es
befanden ſich auch etliche Frauensperſonen dabey, die eine Art Unterroͤcke von
Stroh und Blaͤttern trugen, welche bis an die Waden, manchmal auch bis an
die Knoͤchel reichten. Die Maͤnner hingegen giengen, ſo wie die Mallicoleſer,
gaͤnzlich nackend. Mittlerweile ſeegelten wir in eine offene Bay hinein, von
deren Ufer mehrere Perſonen beyderley Geſchlechts ſich ins Waſſer wagten, und
uns mit freundlichen Geberden zuriefen: der Capitain fand aber nicht fuͤr gut,
hier vor Anker zu gehen, ſondern ließ vorbeyſteuern. Als wir die ſuͤdliche Spitze
der Inſel erblickten, von welcher ſich die Kuͤſte gegen Oſten hinſtrecket, fieng es
bereis an dunkel zu werden, und da zugleich der Wind nachließ; ſo wandten wir
uns Seewaͤrts, um nicht waͤhrend der Nacht, durch irgend eine Seeſtroͤmung,
ſo leicht an die Kuͤſte zu gerathen. Auch mußten die Matroſen, unter andern
alle Morgen und Abend das Verdeck waſchen, damit es bey der großen Hitze
nicht zuſammen trocknen und leck werden ſollte. Ein Seeſoldat, der zu dieſem Be-
huf heute Abend Waſſer aus der See ziehen wollte, hatte das Ungluͤck uͤber Bord
zu fallen. Er konnte nicht ſchwimmen; und wuͤrde alſo ohne Rettung verloren
geweſen ſeyn, wenn nicht das Schiff augenblicklich in den Wind gerichtet und
B b 3
[198]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
eine Menge von Stricken ausgeworfen worden waͤre. Gluͤcklicherweiſe hatte er
noch ſo viel Beſinnung, eins dieſer Taue zu ergreifen, da er denn bald herausgezo-
ben ward. Die Furcht vor dem Tode, und die Anſtrengung demſelben zu entgehen,
hatten ihn ſo abgemattet, daß er ſich kaum auf den Fuͤßen halten konnte, als er
aufs Verdeck kam. Seine Cameraden handelten bey dieſer Gelegenheit recht redlich
an ihm; ſie brachten ihn nach dem Schlafraum, zogen ihm trockne Kleider an,
und gaben ihm ein Paar Schlucke Brandtwein, worauf er ſich bald wieder erholte.
So bruͤderlich pflegen die Soldaten einander faſt durchgehends beyzuſtehen. Un-
ter den Matroſen hingegen, iſt das ſchon ungleich ſeltener.


Die Windſtillen, die unſre Geduld bisher auf die Probe geſetzt hatten,
nahmen noch immer kein Ende. Auch dieſe Nacht lag das Schiff wieder ſo unbe-
weglich, als ein Klotz auf dem Waſſer, und den andern Tag wurde es von der
Stroͤhmung allgemach in die Bay zuruͤckgetrieben, bey welcher wir am vergan-
gnen Abend voruͤbergefahren. Es wurden alſo Boote ausgeſchickt, um einen
Ankerplatz aufzuſuchen. Die Tiefe war nicht eher als ohngefaͤhr fuͤnfhundert
Schritt vom Ufer zu ergruͤnden, woſelbſt ſie ohngefaͤhr zwanzig Faden betrug.
Die Einwohner kamen wieder an den Strand herab; unſre Leute konnten ſich
aber nicht in Unterredung mit ihnen einlaſſen; weil der Capitain eben einen
Wind aufſteigen ſah, und deshalb einen Signal-Schuß thun ließ, daß die
Boote zuruͤckkommen ſollten. So viel wir bemerken konnten, machte der Knall
dieſes Canonenſchuſſes eben keinen beſondern Eindruck auf die Inſulaner, ver-
muthlich deshalb, weil ſie, aus Mangel von Kenntniß, ſich weder Gutes noch Boͤfes
dabey vorſtellen und uͤberhaupt noch keine Europaͤer geſehen haben mochten.


Nunmehro ſeegelten wir um das nordweſtliche Ende der Inſel, und naͤ-
herten uns am andern Morgen dem einzelnen Felſen, den wir vorher ſchon
bemerkt hatten. Demſelben gerade gegen uͤber, war auf der Inſel ein
Berg gelegen, deſſen Gipfel aus zwo Spitzen beſtand, und in dieſer Ab-
ſicht einem Sattel nicht unaͤhnlich, auch dem Anſehn nach ziemlich hoch
war. Auf dem einzelnen Felſen gab es eine Menge Geſtraͤuchs, und da wir
an Brennholz Mangel litten, ſo ſchickte der Capitain zwey Boote aus, um wo
moͤglich von dort etwas zu holen. Die Hoffnung einige botaniſche Ent-
deckungen zu machen, verleitete uns mit dahin zu gehen. Vom Schiffe aus
[199]in den Jahren 1772 bis 1775.
hatte uns dieſer Felſen ganz nahe geduͤnkt, allein wir mußten wenigſtens1774.
Auguſt.

fuͤnf Meilen rudern, ehe wir heran kamen; und als das endlich uͤberſtanden war,
ſo fanden wir uns dennoch in allen unſern Erwartungen getaͤuſcht. Die See ſchlug
nemlich an dieſer Klippe ſo ſchrecklich hohe Wellen, daß es nicht moͤglich war an-
zulanden. Umſonſt ruderten wir rund herum, und ſahen das Gebuͤſch und die
Baͤume mit Sehnſucht an. Eine große Fledermaus, und einige kleine Voͤgel, die
im Gehoͤlz herumflatterten, und Fiſche, die in großer Menge zwiſchen den Klip-
pen umher ſchwammen, reizten unſre Neugierde nur noch mehr; allein jene ka-
men uns nicht zum Schuß, und dieſe wollten gar nicht anbeißen. Doch fiengen
wir noch auf der Ruͤckkehr nach dem Schiffe eine Waſſerſchlange (Coluber
laticaudatus Linn.
) von eben der Art, als zu Tongatabu, einem von
den niedrigen Eylanden in Marien-Bay, ſo haͤufig waren anzutreffen gewe-
ſen. (S. im erſten Theil, pag. 361.) Unmittelbar nach unſerer Ruͤckkunft an
Bord ſteuerten wir bey gelinderm Winde, dicht an der Weſtſeite des ſattelfoͤrmi-
gen Piks, nach einer Bay zu. Gegen Abend kamen wir hinein, und fanden
daß ſie uͤber acht Meilen breit, aber nicht mehr als 2 Meilen tief war. Der
ſogenannte Sattelberg, macht an der Oſt-Seite dieſer Bay eine Halbinſel, und
ſchuͤtzt die Rhede vor dem Paſſatwinde. Am aͤußerſten Ende der Bay iſt eben
dieſer Berg ſehr ſteil, aber gegen die Mitte derſelben wird er ſchraͤger und theilt
ſich in unterſchiedne, ſanft abhaͤngende Huͤgel. Zwiſchen dem wilden Gehoͤlze
war, laͤngſt dem ganzen Ufer, jedes freye Plaͤtzchen zu einer Baumpflanzung
genutzt, und eben ſo wie auf den freundſchaftlichen Eilanden allemahl mit
Rohr-Zaͤunen eingehegt. In dieſer Gegend ſeegelten wir ungefaͤhr eine Meile
weit vom Ufer, nach einer flachen Landſpitze, jenſeits welcher uns ein Hafen zu
ſeyn duͤnkte. Die Einwohner ſtanden Haufenweiſe am Ufer; einige ſchwam-
men uns entgegen und kamen ſo nahe, daß wir ihr Zurufen deutlich hoͤren konn-
ten, aber bis ans Schiff wollte ſich keiner wagen. Sie waren gleich den
Mallicolleſern, mit denen ſie im Aeußern uͤberhaupt viel Aehnlichkeit hatten,
von ſchwaͤrzlicher Farbe; doch bemerkten wir auch einen von hellerer Haut und
roͤthlichem Haar. Es kam uns ſehr ſeltſam vor, daß nirgends, weder auf dem
Waſſer, noch am Strande, ein Canot zu ſehen war, da doch nicht fuͤglich zu
glauben iſt, daß auf einem ſo angenehmen Eiland ganz und gar keine Kaͤhne
[200]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
vorhanden ſeyn ſollten! Sobald es dunkel ward, ſchwammen die Einwohner ans
Land zuruͤck, und zuͤndeten in ihren Pflanzungen Feuer an. Weil unſer Trink-
Waſſer beynahe zu Ende, und dasjenige, welches wir auf Namoka eingenom-
men hatten, von uͤblem Geſchmack war; ſo freuten wir uns nicht wenig, an einer
Inſel, die nicht nur mit ſuͤßen Waſſer, ſondern auch mit mancherley andern Le-
bensmitteln im Ueberfluß verſehen zu ſeyn ſchien, einen Ankerplatz gefunden zu
haben. Diejenigen von unſern Leuten, die zu Mallicollo vom rothen Seebrach-
ſen vergiftet worden, waren noch immer nicht voͤllig hergeſtellt, ſondern fuͤhlten
noch jede Nacht Schmerzen in den Gliedern; klagten uͤber wankende Zaͤhne
und uͤber ſchmerzhaftes Abſchaͤlen der Haut am Gaumen und am Schlunde.
Indeſſen troͤſteten ſie ſich mit der Hofnung, dieſe langwierige Krankheit waͤhrend
ihres hieſigen Aufenthalts, vermittelſt beſſerer Diaͤt, als ſie bisher beobach-
ten koͤnnen, gaͤnzlich loß zu werden. Aber alle dieſe Ausſichten wurden uns
vereitelt.


Am naͤchſten Morgen gieng der Capitain mit zwey wohl bemannten Boo-
ten nach dem Lande ab. In dem einen commandirte er ſelbſt, in dem andern
der Lootſe; beyde wollten einen bequemen Platz zum Anfuͤllen der Waſ-
ſerfaͤſſer aufſuchen. Zu dem Ende fuhren ſie dem Schiff gerade gegenuͤber ans
Land, woſelbſt wenigſtens ſechzig Einwohner am Strande verſammlet waren.
So bald ſie ſich dem Ufer einigermaaßen naͤherten, wadeten die Einwohner ins
Waſſer, und ſtellten ſich rund um die Boote. Der Capitain theilte zu ihrem
großen Vergnuͤgen, Naͤgel, Medaillen und tahitiſches Zeug unter ſie aus, gieng
aber bald wieder ab, um jenſeits der vorerwaͤhnten flachen Landſpitze zu kommen.
Als die Einwohner in der Bay dieſes ſahen, liefen ſie am Lande nach eben der
Gegend hin. Nachdem die Boote um die Spitze herum gerudert waren, blie-
ben ſie faſt eine Stunde lang hinter derſelben, ohne daß wir etwas von ihnen ge-
wahr wurden. Die Einwohner hingegen ſahe man von allen Seiten nach jener
Bay zuſammen laufen, indeß andere ſich dem Schiff gegen uͤber ſetzten, und es mit
groͤßter Aufmerkſamkeit zu betrachten ſchienen. Ehe wir es uns verſahen, geſcha-
hen etliche Flintenſchuͤſſe, und hinter drein ein unordentliches einzelnes Feuern,
welches eine Zeitlang anhielt. Man ſaͤumte alſo nicht den beyden Booten ſo-
gleich ein drittes zu Huͤlfe zu ſchicken, und feuerte zugleich aus einer Dreh-Baſſe
(oder
[201]in den Jahren 1772 bis 1775.
(oder halbpfuͤndigen Stuͤck) eine Kugel gegen die Landſpitze hin. Hier-1774.
Auguſt.

naͤchſt ward auch eine Kanone auf das Vordertheil gebracht und ge-
gen die Berge losgebrannt. Der Knall erſchreckte alle Einwohner die
wir ſehen konnten, dermaaßen, daß ſie eilfertigſt nach dem Gebuͤſch rannten. Ei-
nige kamen voll Verwunderung aus ihren Plantagen, kehrten aber, da ſie ihre
Landsleute auf der Flucht erblickten, alsbald wieder um; andre brachten, aus der
Gegend, wo der erſte Flintenſchuß geſchehen war, einen Todten oder Verwundeten
den Berg hinangeſchleppt. Endlich kam der Capitain in ſeinem Boote zuruͤck. Ei-
ner von den Matroſen war an zweyen Orten, nemlich in der Backe und in der Hand
verwundet, und Capitain Cook erzaͤhlte uns den Verlauf dieſes ungluͤcklichen
Vorfalls folgendermaßen: Kaum waren die Boote um die Spitze herumgekom-
men, als ſie einen bequemen Landungs-Ort antrafen. Auf dieſem ſtieg der Ca-
pitain mit noch Einem aus, und fand etliche hundert Einwohner, mit Bogen,
Pfeilen, Streitkolben und langen Speeren bewaffnet, vor ſich. Sie waren von
nußbrauner Farbe und von mittelmaͤßiger, jedoch weit groͤßerer Statur als die
Mallicolleſer, auch weit ſchoͤner von Gliedmaaßen und Geſichtsbildung, erſchienen
aber nach europaͤiſchen Sitten zu urtheilen, in einem eben ſo unanſtaͤndigen
Aufzuge als jene, das iſt, voͤllig ſo nackend, bloß mit einem Strick um den
Leib; Manche hatten ſich das Geſicht mit ſchwarz und rother Farbe ange-
mahlt. Haupthaar und Bart waren kraus und dick, bald mehr, bald minder
wolligt, aber faſt durchgehends ſchwarz; nur einige wenige hatten roͤthliches
Haar.


Um ſich das Zutrauen ſeiner neuen Bekannten zu erwerben, theilte der
Capitain allerhand Kleinigkeiten unter ſie aus, und beſchenkte vorzuͤglich ei-
nen Mann, der, dem Anſehen nach, uͤber die andern etwas zu ſagen hatte.
Eben dieſem gab er auch durch Zeichen zu verſtehen, daß wir Waſſer und andre
Lebensmittel noͤthig haͤtten. So bald der Befehlshaber merkte, worauf es an-
geſehen ſey, ſchickte er augenblicklich etliche von den Indianern fort, und unter-
hielt ſich waͤhrend ihrer Abweſenheit mit dem Capitain. Die abgeſandten Bo-
ten kamen auch bald zuruͤck und brachten ein hohles Bambu-Rohr voll fri-
ſchen Waſſers, ein Paar Cocos-Nuͤſſe und eine Yamwurzel mit ſich. Ihren
Zeichen nach zu urtheilen, mußten ſie das Waſſer irgendwo aus der Nachbar-
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. C c
[202]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
ſchaft geholt haben, ſchienen es aber auf alle Weiſe verhindern zu wollen, daß
unſre Leute nicht ſelbſt darnach hingehen und den Ort unterſuchen ſollten. Da
nun uͤberdem ihre Zahl beſtaͤndig zunahm, ſo hielt es der Capitain der Klugheit
gemaͤß, ſich wieder einzuſchiffen. Allein ſein Ruͤckzug war gleichſam das
Signal zum Angrif; denn, ehe noch das Boot vom Lande abgeſtoßen werden konnte,
ſo hatte ſchon einer von den Indianern mit Gewalt ein Ruder weggenommen. Zwar
riß es ihm ein anderer wiederum aus der Hand, und warf es den unſrigen zuruͤck,
dagegen aber ſuchten andre das Brett, worauf unſre Matroſen ins Boot gegan-
gen waren, mit Gewalt ans Ufer zu ziehen; noch andre wadeten ins Waſſer,
bemaͤchtigten ſich zweyer Ruder, und packten das Boot ſelbſt an, um es auf
den Strand zu ſchleppen. Da ihr Befehlshaber den ganzen Angrif zu com-
mandiren ſchien, ſo wollte Capitain Cook Feuer auf ihn geben; es gieng
ihm aber hier wie in Savage-Eyland, (S. 132.) die Flinte verſagte.
Die Einwohner ſahen ihn zielen, und da ſie natuͤrlicher Weiſe vermuthen konn-
ten, daß er ein Gewehr in der Hand hielt; ſo ſaͤumten ſie nicht das Boot
von allen Seiten mit Pfeilen und Speeren zu beſchießen. Eines von den Wurf-
ſpießen, welches ein bloßer noch dazu ganz ſtumpfer Stecken war, fuhr einem Matro-
ſen in die Backe. Der Capitain ließ alſo die Mannſchaft, aus wuͤrklicher Noth-
wehr, auf die Indianer feuern. Es dauerte zwar eine geraume Zeit, ehe eine
einzige Flinte losgehn wollte; doch wurden endlich durch die erſten Schuͤſſe
gleich zween Wilde, dicht am Boote erlegt. Die uͤbrigen ließen ſich dadurch
nicht abſchrecken; ſie rannten bloß einige Schritte zuruͤck, kamen aber herzhaft
wieder und erneuerten den Angrif mit Steinen und Pfeilen. Nun fieng das
zweyte Boot ebenfalls an zu feuern; allein auch da waren nur zwo bis
drey Flinten brauchbar, doch wurden noch etliche Einwohner mehr verwun-
det. Ohnerachtet in Engelland die beſten Feuerſteine vorhanden ſind, und fuͤr
die Lieferung derſelben, von Seiten der Regierung, ein Anſehnliches bezahlt wird, ſo
werden doch die Truppen mit den ſchlechteſten Flintenſteinen von der Welt verſehen.
Es iſt unerhoͤrt, wie hier zu Lande die Lieferanten bey allen Gelegenheiten, auf
Koſten des gemeinen Weſens, Reichthuͤmer zuſammen zu ſcharren fuchen! Meines
Erachtens ſollte aber, wo nicht durchgehends, wenigſtens bey einem ſolchen Artikel als
dieſer iſt, ſchaͤrfere Aufſicht gehalten werden, weil dieſe einzige Sorgloſigkeit vielen
[203]in den Jahren 1772 bis 1775.
Tauſend Unterthanen das Leben koſten, ja zuweilen gar den gluͤcklichen oder un-1774.
Auguſt.

gluͤcklichen Ausgang eines Treffens entſcheiden kann. *) Ein Rohrpfeil, der
eine lange, an beyden Seiten ausgezackte Spitze von ſchwarzem Holz hatte, traf
dem Lootſen auf die Bruſt, verurſachte ihm aber, weil es ein matter Schuß war,
nur eine Contuſion. Die verwundeten Indianer, krochen auf allen Vieren
ins Gebuͤſch, und ſo bald das grobe Geſchuͤtz zu ſpielen aufieng, lief der ganze
Trupp eilfertigſt davon. Nur etliche wenige hatten das Herz hinter einem
Sandhuͤgel wiederum Poſto zu faſſen, und unter Beguͤnſtigung dieſer Bruſtwehr
die unſrigen noch ferner zu beunruhigen; ſie konnten aber auch da nicht lange
Stand halten, weil man tapfer nach ihnen ſchoß, ſo oft nur ein Kopf uͤber
dem Sandhuͤgel zum Vorſchein kam. Als der Capitain, das ihm zu Huͤlfe
geſchickte dritte Boot ankommen ſah, kehrte er an das Schiff zuruͤck, und ließ
durch die beyden andern, die Bay aller Orten ſondiren. — Ich mei-
nes Theils kann mich noch immer nicht uͤberreden, daß dieſe Wilden, als ſie
unſer Boot aufhielten, die geringſte Feindſeligkeit ſollten im Sinne gehabt ha-
ben! Nur das mogte ſie aufbringen, daß auf ſie, oder vielmehr auf ihren
Anfuͤhrer, mit einem Gewehr gezielt ward. Gleichwohl war das den unſrigen
auch nicht zu verdenken, und ſo ſcheint es denn ſchon ein unvermeidliches Uebel
zu ſeyn, daß wir Europaͤer bey unſern Entdeckungs-Reiſen den armen Wilden
allemal hart fallen muͤſſen.


Nach dem Fruͤhſtuͤck lichteten wir den Anker, um tiefer in die Bay zu
gehn, weil unſre Boote nicht weit vom Strande einen bequemeren Ankerplatz ge-
funden hatten. Die ganze weſtliche Kuͤſte der Bay war mit viel Tauſend Pal-
men
bedeckt, welches einen herrlichen Anblick ausmachte; doch ſchienen dieſe
Baͤume von den Cocos-Palmen unterſchieden zu ſeyn. Unterwegens kamen
wir bey dem Orte voruͤber, wo das Gefecht vorgegangen war. Es hielten ſich
C c 2
[204]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
daſelbſt noch etliche Indianer auf, allein, ſo bald ſie das Schiff gewahr
wurden, entflohen ſie in die Waͤlder. Die beyden Ruder, welche wir
eingebuͤßt hatten, ſtanden noch, gegen die Buͤſche gelehnt, da; man hielt
es aber nicht der Muͤhe werth, ſie durch ein Boot zuruͤck holen zu laſſen. Schon
freuten wir uns darauf, hier vor Ancker zu kommen, als der Capitain das
Schiffunvermuthet wenden und oſtwaͤrts um den Sattel-Berg ſteuern ließ. Dieſes
Vorgebuͤrge nannten wir, wegen des von den Indianern dabey erlittenen haͤmiſchen
Angrifs Traitors-head, d. i. Verraͤthers-Haupt. Es ward 3 Uhr Nachmit-
tags, ehe wir daſſelbe paßirt hatten. Als wir an der Oſtſeite herum kamen, lag eine
Bay vor uns, die weit ins Land hinaufzureichen, und verſchiedene bequeme Buchten
oder Haven zu enthalten ſchien. An beyden Ufern war das Land mit dichtem Ge-
hoͤlze bedeckt, ſo ein vortrefliches, fuͤr Botaniker aͤußerſt einladendes Anſehen
hatte. Gegen Suͤden lief die Landſchaft ſanft Berg an, und zeigte dem Auge
eine weitlaͤuftige, faſt uͤberall bebaute Gegend, wo ſich ein großer Reich-
thum an Pflanzen-Producten vermuthen ließ. So reizend dieſer Anblick
war, ſo ſchien der Capitain doch noch anzuſtehen, ob er in die Bay hereinlau-
fen ſolle, oder nicht. Mittlerweile kam gerade jene Inſel, welche wir ſchon
am 28ſten Julius entdeckt hatten, in Suͤden wieder zum Vorſchein; und nun
entſchloß ſich der Capitain kurz und gut, aus der Bay heraus, und nach
der entferntern Inſel hinzuſeegeln, um ſo viel als moͤglich, alle zu dieſer
Gruppe gehoͤrenden Eylande, in Augenſchein zu nehmen. Die In-
ſel, welche wir nunmehro verließen, liegt unterm 18°. 48′ ſuͤdlicher
Breite und im 169°. 20′ oͤſtlicher Laͤnge. Sie iſt beynahe viereckigt und hat
wenigſtens 30 ſtarke Seemeilen im Umkreiſe. *) Ein friſcher guͤnſtiger Wind
beſchleunigte unſre Fahrt gegen das neue Eyland hin, auf welchem wir des
Nachts unterſchiedne Feuer gewahr wurden, darunter das eine ſtosweiſe in die
Hoͤhe ſchlug, wie die Flamme eines feuerſpeyenden Berges zu thun pflegt.


Bey Tages Anbruch zeigte ſich, daß wir in der Nacht dicht neben
einem nord-oſtwaͤrts gelegenen, niedrigen und mit Cocos-Palmen bewachſenen
[205]in den Jahren 1772 bis 1775.
Eylande vorbeygekommen waren. Ob es aber, ſo wie diemehreſten ſolcher niedrigen1774.
Auguſt.

Inſeln, aus einem Corallen-Rief beſtaͤnde? konnten wir nicht unterſcheiden.
Nunmehro ſahe man auch, 8 bis 9 Seemeilen gegen Oſten hin, eine neue, ziem-
lich bergigte Inſel liegen. Das groͤßere Eiland, dahin wir eigentlich unſern Lauf rich-
teten, ſtreckte ſich von Nordweſt gegen Suͤdoſten, und hatte eine Kette hoher Berge.
Vor dieſer her lag eine Reihe niedriger Huͤgel, davon der aͤußerſte, am Suͤd-
Oſt-Ende der Inſel, ein Volcan war, wie wir’s in der abgewichnen Nacht, dem
Feuer nach, vermuthet hatten. Er beſtand aus einem ausgebrannten und daher
voͤllig unfruchtbaren Steinklumpen von braun-roͤthlicher Farbe und kegelfoͤrmi-
ger Geſtalt, und hatte in der Mitte einen Crater oder Brandbecher, war aber
der niedrigſte von allen. Aus ſeinem Schlunde ſahe man von Zeit zu Zeit
eine Saͤule von dickem Rauch, gleich, einem großen Baum empor ſteigen
der ſeine dickbelaubte Krone allmaͤhlig ausbreitet. So oft eine neue Rauch-Saͤule
zum Vorſchein kam, hoͤrte man ein dumpfes Gepraſſel, wie von einem fernen
Donner, und die Saͤulen folgten ziemlich hurtig aufeinander. Die Farbe des
Rauchs blieb nicht immer einerley; gemeiniglich war ſie weiß und gelbligt, zuwei-
len aber grau-roͤthlich; welches letztere von dem Wiederſchein des inneren Feuers
herruͤhren mogte. Die ganze Inſel, der Volcan allein ausgenommen, iſt uͤberall
mit Baͤumen, vornemlich mit Cocos-Palmen bewachſen und das Laub war
ſelbſt zu dieſer Jahrszeit, die doch den Winter vorſtellte, ſehr hell und friſch von
Anſehen.


Nach 8 Uhr wurden die Boote ausgeſetzt, und der Loots abgeſchickt,
einen Haven, der oſtwaͤrts vom Volcane vor uns lag, zu ſondiren. Unterdeſſen
daß ſie mit Huͤlfe eines guͤnſtigen Windes hineinliefen, ſahe man zwey Canots
mit Einwohnern, aus unterſchiednen Gegenden von der Kuͤſte abſtoßen um den un-
ſrigen nachzufolgen, und ein drittes Canot ſeegelte in der Ferne laͤngs dem Ufer.
Unſre Leute winkten, daß wir ihnen mit dem Schiff folgen moͤgten. Wir ſteuer-
ten alſo in den Haven, der eine enge Einfahrt hatte, erſchracken aber nicht wenig,
als das Senkbley, welches unablaͤßig ausgeworfen wurde, von ſechs Faden
auf einmal nur viertehalb angab; indeß vertiefte ſich das Waſſer gleich darauf
wieder bis auf vier, fuͤnf und mehrere Faden. Man fand nachher, daß an
der ſeichten Stelle eine verborgene Felſen-Klippe vorhanden war, an der wir
C c 3
[206]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
bey der ohnehin engen Einfahrt, gar leicht haͤtten ſcheitern koͤnnen. Der Ha-
ven an ſich war rund und klein, aber ſicher und bequem; und hatte auf der
Stelle, wo wir die Anker auswarfen, vier Faden Tiefe.


Unter allen den in dieſer Gegend entdeckten Eylanden, war dies das
einzige, wo wir uns einige Zeit aufhielten. Wir nahmen an demſelben Brennholz
und friſches Waſſer ein; andere Lebensmittel hingegen wollten uns die
Einwohner nicht zukommen laſſen, ohnerachtet es ihnen gar nicht daran fehl-
te. In dieſem Stuͤck hatten wir von unſerm Aufenthalt allhier nur wenig Nu-
tzen, dagegen verſchafte er uns die ſchaͤtzbare Gelegenheit, eine Nation, oder viel-
mehr einen beſonderen Stamm von Menſchen kennen zu lernen, der von allen
die uns bisher bekannt geworden voͤllig unterſchieden, mithin beſonders merk-
wuͤrdig und der aufmerkſamſten Unterſuchung werth war.


Sech-
[207]in den Jahren 1772 bis 1775.

Sechſtes Hauptſtuͤck.
Nachrichten von unſerm Aufenthalt zu Tanna, und Ab-
reiſe von den neuen Hebridiſchen-Inſeln.


Sobald das Schiff vor Anker lag, ſahen wir mit vielem Vergnuͤgen die1774.
Auguſt.

Einwohner aus allen Gegenden der Bay in ihren Canots herankommen, und
in einiger Entfernung rund ums Schiff herum rudern. Sie waren durchge-
hends mit Speeren, [Keulen], Bogen und Pfeilen bewaffnet, ſchienen aber un-
ſchluͤſſig, ob ſie uns fuͤr Freunde oder fuͤr Feinde halten ſollten? Endlich wagte
ſich doch hie und da einer heran, und reichte uns eine Yam-Wurzel,
oder eine Cocosnuß aufs Verdeck, wofuͤr er dann ein Gegengeſchenk bekam. In
kurzer Zeit belief ſich die Anzahl der Canots auf ſiebzehn; davon einige mit zwey und
zwanzig, andre mit zehn, ſieben, fuͤnf, und die kleinſten nur mit zwey Mann be-
ſetzt waren; ſo daß ſich in allem mehr als zweyhundert Indianer um uns her befan-
den. Mit unter ließen ſie einzelne Worte von ſich hoͤren, als ob ſie uns um et-
was befragten. Wenn wir aber in Tahitiſcher, oder Mallicoleſiſcher Sprache
antworteten; ſo widerhohlten ſie dieſe Worte, ohne das Geringſte davon zu ver-
ſtehen. Nach und nach verlohr ſich der erſte Eindruck, den unſre Gegenwart auf
ſie gemacht zu haben ſchien, und ſie kamen endlich ganz unbeſorgt dicht ans Schiff
heran. Vom Hintertheil deſſelben hatten wir in einem kleinen Hand-Netze ein
Stuͤck Poͤkelfleiſch in die See herabgelaſſen, welches unſre gewoͤhnliche Art war
es auszuwaͤſſern. An dieſes Netz machte ſich ein alter Kerl von den Einwoh-
nern, und wuͤrde es los geknuͤpft haben, wenn wir ihm nicht ernſtlich zugerufen
haͤtten, da er denn augenblicklich davon abſtand. Dafuͤr drohte uns aber ein
andrer mit ſeinem Speer, und ein dritter legte einen Pfeil auf ſeinem Bogen
zurecht, und zielte damit nach unterſchiednen Perſonen auf dem Verdecke. Capitain
Cook hielt dafuͤr, daß es jetzt die rechte Zeit ſeyn wuͤrde, eine Kanone abzufeuern, um
den Inſulanern einen Begriff von unſrer Uebermacht beyzubringen, und al-
len Feindſeligkeiten auf einmal vorzubeugen. Er winkte ihnen deshalb zu, daß
ſie, ihrer eigenen Sicherheit wegen, auf die Seite rudern ſollten. Ich beſorgte,
daß die Wilden dieſen gebieteriſch ſcheinenden Wink uͤbel auslegen, oder
[208]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
wenigſtens unbefolgt laſſen wuͤrden, ſahe aber zu meiner Verwunde-
rung, daß ſie ſich alsbald dicht am Hintertheil des Schiffes verſammel-
ten. Die Canonen wurden alſo gegen das Ufer gefeuert, und in dem-
ſelben Augenblick ſprangen die zweyhundert Kerle, aus ihren Canots,
auf einmal in die See. Nur ein einziger, wohlgeſtalteter junger
Mann, von offener, einnehmender Geſichtsbildung, blieb dreiſt in dem ſeinigen
ſtehen, und laͤchelte mit einer Art von Verachtung uͤber ſeine furchtſamen
Landsleute. Das Schrecken gieng indeſſen bald voruͤber; da ſie fanden, daß
der Knall keine uͤble Folgen gehabt, ſo ſchwungen ſie ſich bald wieder in
ihre Canots, ſprachen ſeht laut unter einander, und ſchienen uͤber ihre eigene
Furcht zu lachen. Demohngeachtet hielten ſie ſich in einer gewiſſen Entfer-
nung, wiewohl ohne die geringſten feindlichen Geſinnungen zu aͤußern.


Capitain Cook war mit der Lage des Schiffs nicht zufrieden, ſondern
wuͤnſchte es tiefer in die Bay ziehen zu laſſen. In dieſer Abſicht ſchickte er ein
ſtark bemanntes Boot vorauf, welches auch von Seiten der Indianer kei-
nen Widerſtand fand. Sie hatten vielmehr alle ihre Aufmerkſamkeit auf den
Buoy gerichtet, der zum erſten Anker gehoͤrte, und betrachteten denſelben mit be-
gierigen Blicken, bis endlich ein alter Kahlkopf ſich nicht laͤnger erwehren konnte,
einen Verſuch darauf zu wagen. Er kam in ſeinem Canot herangerudert, und
wollte ihn fortſchleppen. Anfaͤnglich zog er am Stricke, und als das nicht ge-
hen wollte, verſuchte ers, ihn loszumachen. Sobald wir gewahr wurden, daß
es ihm Ernſt damit ſey, winkte ihm Capitain Cook, davon zu bleiben;
woran er ſich aber im geringſten nicht kehrte. Der Capitain ſchoß al-
ſo mit Schroot nach ihm; ſobald er ſich verwundet fuͤhlte, warf er den
Buoy ſogleich ins Waſſer; kaum aber war der erſte Schmerz voruͤber,
ſo kehrte er zuruͤck, um in der Unternehmung fortzufahren. Nun
ward eine Flintenkugel dichte vor ihm ins Waſſer geſchoſſen, wor-
auf er den Buoy abermals fahren ließ, und mit einer Cocosnuß zum Ge-
ſchenk ans Schiff kam. In dieſem Betragen war meines Erachtens etwas kuͤh-
nes und großes; es ſchien gleichſam, als boͤte er uns ſeine Freundſchaft,
zur Belohnung unſrer Tapferkeit an. Mittlerweile hatte das ausgeſchick-
te Boot den andern Anker ausgelegt, und wir fiengen nun an, mit Huͤlfe deſ-
ſelben
[209]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſelben, das Schiff in den Haven zu ziehen. Ohnerachtet es dem Indianer,1774.
Auguſt.

der ſich an jenem Anker-Boy hatte vergreifen wollen, nicht ungeſtraft hingegan-
gen war; ſo ließ ſich doch ein anderer dadurch nicht abhalten, auf den Boy des
zweyten Ankers einen aͤhnlichen Verſuch zu wagen. Nachdem er, ziemlich un-
entſchloſſen, bald darnach hin, bald wieder zuruͤckgefahren war, ſiegte die Ver-
ſuchung uͤber alle ſeine Bedenklichkeiten, und er fing an, den Boy getroſt in
ſein Canot zu ziehen. Dieſem Unfug zu ſteuern, ward ein Musketon derge-
ſtalt abgefeuert, daß die Kugel dicht bey ihm niederſchlug, alsdann noch ein
paar mahl vom Waſſer abſetzte, und endlich auf den Strand fiel. Eine ſo un-
erwartete Erſcheinung jagte alle dort verſammelte Indianer augenblicklich
aus einander; nur die Hauptperſon, der Thaͤter, kehrte mit ſeinem Canot, ganz
unerſchrocken nach dem Boy zuruͤck. Man ließ deshalb von neuem einen
Musketon, und da auch dieſes noch nicht helfen wollte, eine Dreh-Baſſe,
endlich gar eine Kanone abfeuern, wodurch denn ſowohl er, als alle uͤbri-
gen Indianer, auf dem Lande und auf dem Waſſer, mit einem mahle verſcheucht,
jedoch niemand beſchaͤdiget wurde.


Nach dieſer kleinen Unruhe brachten wir das Schiff an ſeinen be-
ſtimmten Ort. Beym Hereinboogſiren gerieth es etliche mahl auf den
Grund, weil man damit, auf einer Seite, etwas zu nah ans Ufer kam,
doch war zum Gluͤck das Waſſer hier ſo ruhig, und der Grund ſo weich,
daß es ohne Muͤhe und Schaden, wieder flot wurde. Sobald dies Ge-
ſchaͤft voruͤber war, ſetzten wir uns ruhig zu Tiſche, und futzren nachher, in-
drey gut bemannten Boͤten, darinn unter andern alle unſere See-Soldaten be-
findlich waren, nach dem Lande hin. Der Anſchein ließ uns eine ganz ruhige
Landung hoffen, denn die Zahl der an der Kuͤſte befindlichen Einwohner
war zu gering, um uns dieſelbe ſtreitig zu machen. Sie hatten ſich, nicht
weit von der See, ins Gras gelagert, und liefen auch wuͤrklich fort,
als ſie uns aus dem Boote ſteigen ſahen; da wir ihnen aber freundlich zu-
winkten, ſo kehrten ſie wieder zuruͤck. Von Weſten kam ein Haufen von
etwa 150 Wilden her, die alleſammt, in der einen Hand Waffen, in der an-
dern aber gruͤne Palm-Zweige trugen. Dieſe uͤberreichten ſie uns als Friedens-
zeichen, und wir beſchenkten ſie dagegen mit Medaillen, Tahitiſchem Zeug und
Forſters Reiſe u. d. W. Zweyter Th. D d
[210]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
Eiſenwerk, tauſchten auch fuͤr dergleichen Waaren etliche Cocosnuͤſſe ein, nachdem
es eine ganze Weile gedauert hatte, ehe ſie, aus unſerm Hindeuten auf die Cocos-
Palmen und aus andern Gebehrden, begreifen konnten, daß wir von dieſen Baͤumen
die Fruͤchte zu haben wuͤnſchten. Hierauf verlangten wir, daß ſie ſich alle nieder-
ſetzen moͤgten, welches auch zum Theil geſchahe und alsdann ward ihnen an-
gedeutet, daß ſie eine in den Sand gezogene Linie nicht uͤberſchreiten ſollten,
womit ſie ebenfalls zufrieden waren. Ein Teich von wohlſchmeckendem friſchem
Waſſer, der ſich in der Naͤhe befand, verſchaffte uns Gelegenheit ihnen
zu verſtehen zu geben, daß wir blos in der Abſicht hieher gekommen waͤren,
uns mit einem Vorrath von Trinkwaſſer, imgleichen mit etwas Brennholz zu
verſorgen. Sie wieſen uns zu dem Ende verſchiedene wilde Baͤume an, und
baten nur, daß wir keine Cocos-Palmen, die in unzaͤhliger Menge laͤngſt dem
Ufer ſtanden, umhauen moͤchten. Damit ſie ſehen ſollten, auf was fuͤr Art wir
beym Waſſerſchoͤpfen und Holzfaͤllen zu Werke giengen, wurde mit beydem,
ſogleich in ihrer Gegenwart, der Anfang gemacht, welches ſie auch ruhig ge-
ſchehen ließen. Waͤhrend dieſer Zeit hatten die Soldaten ſich in Ordnung geſtellt,
und die Indianer bezeigten ſo viel Furcht fuͤr ihnen, daß ſie, bey der geringſten
Bewegung derſelben, allemal eine Ecke fort liefen; nur etliche alte Maͤnner wa-
ren ſo herzhaft ſich dadurch nicht erſchrecken zu laſſen. Wir verlangten, daß ſie
ihre Waffen von ſich legen ſollten, welcher Forderung, ſo unbillig ſie an ſich auch
ſeyn mochte, dennoch von den mehreſten Genuͤge geleiſtet wurde. Sie waren von
caſtanien oder vielmehr ſchwarzbrauner Leibes-Farbe, von mittler Groͤße, aber weit
ſtaͤrker gebaut und beſſer proportionirt, als die Mallicoleſer. Gleich dieſen giengen
ſie voͤllig nackend, trugen auch auf eben die Art einen Strick um den Leib, doch
mit dem Unterſchiede, daß der Bauch dadurch nicht ſo gewaltig eingeſchnuͤrt
war. Die Frauensperſonen, deren ſich etliche in der Ferne ſehen ließen, wa-
ren in Roͤcke gekleidet die bis uͤbers Knie reichten, und duͤnkten uns nicht ſo
haͤßlich zu ſeyn, als die Mallicoleſerinnen. Ein paar Maͤdchen hatten lange
Speere in den Haͤnden, kamen aber deshalb nicht naͤher, als die uͤbrigen. Wir
lernten, gleich bey dieſer erſten Unterredung, eine ziemliche Anzahl Woͤrter von
der hieſigen Landesſprache; die mehreſten waren uns ganz neu und unbekannt
zuweilen aber hatten ſie fuͤr einerley Gegenſtand zween unterſchiedne Ausdruͤ-
[211]in den Jahren 1772 bis 1775.
cke, davon der eine fremd, der andre aber, mit einem eben ſo viel bedeuten-1774.
Auguſt.

den Worte aus der Sprache die auf den freundſchaftlichen Inſeln geredet
wird, gleichlautend war. Es muͤſſen folglich hier in der Nachbarſchaft noch
andere Inſeln vorhanden, und mit Leuten von eben der Nation, welche auf
den Societaͤts- und freundſchaftlichen Eylanden wohnet, bevoͤlkert ſeyn.
Unter andern brachten wir auch von unſern neuen Bekannten heraus, daß ihre
eigene Inſel Tanna genannt werde, welches Wort in der Malayiſchen Spra-
che ſoviel als Erde bedeutet. Ich muß bey dieſer Gelegenheit anmerken, daß wir
es uns zur Regel gemacht hatten, von allen fremden Laͤndern die wir beſuchen
wuͤrden, allemal die eigenthuͤmlichen Namen welche ſie in der Landesſprache fuͤh-
ren, auszukundſchaften, denn die allein ſind ſelbſtſtaͤndig und nicht ſo haͤufiger Ber-
aͤnderung unterworffen als die willkuͤhrlichen Benennungen, welche jeder Seefah-
rer ſeinen eignen und andern Entdeckungen beyzulegen das Recht hat. Sobald
die Faͤſſer gefuͤllt waren, kehrten wir ans Schiff zuruͤck, ganz erfreut, daß der erſte
Schritt zur Bekanntſchaft mit den Eingebohrnen gluͤcklich geſchehen und ſo ruhig
abgelaufen ſey. Am folgenden Morgen zeigte ſich aber, daß die Inſulaner nur
in Ermangelung einer groͤßern Anzahl ſo friedlich gegen uns verfahren, im
Grunde aber keinesweges geſonnen waren, uns freyen Zugang in ihre Inſel zu
geſtatten. Sie befuͤrchteten, daß wir, auf ihr Land und anderes Eigenthum,
Abſichten haͤtten, und machten daher Anſtalt, beydes zu vertheidigen.


Um den Faden dieſer Erzaͤhlung nicht zu unterbrechen, habe ich von ei-
nem merkwuͤrdigen Phoͤnomen, dem auf dieſer Inſel vorhandenen Volcan, bis-
her noch nichts erwaͤhnen koͤnnen. Er war zur Zeit unſers Hierſeyns gerade in
vollem Ausbruch und lag 5 bis 6 Meilen weit im Lande, ſo daß man, verſchie-
dener dazwiſchen befindlicher Huͤgel wegen, vom Schiffe aus, nichts als den
ranchenden Gipfel deſſelben ſehen konnte. Dieſer war an mehreren Stellen ge-
borſten und am aͤußeren Rande gleichſam ausgezackt. Von 5 zu 5 Minuten
fuhr, mit donnergleichem Krachen, ein Flammenſtos daraus empor, wobey das
unterirdiſche Getoͤſe oft eine halbe Minute lang waͤhrete. Zu gleicher Zeit war
die Luft durchaus mit Rauch und ſchwarzer Schoͤrl-Aſche angefuͤllt, die,
wenn ſie ins Auge kam, einen beißenden Schmerz verurſachte. Sie fiel in
ſolcher Menge herab, daß, in Zeit von wenig Stunden, das ganze Schiff da-
D d 2
[212]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
mit bedeckt war, und auch der Strand lag uͤberall voll kleiner Bimsſteine und
ausgebrannter Kohlen.


Am naͤchſten Morgen brachten wir das Schiff in eine noch bequemere
Lage, naͤher aus Ufer, indeß die Einwohner, ſo bald es nur Tag wurde, aus ih-
ren Waͤldern hervorkamen und am Strande ſich mit einander zu berathſchlagen
ſchienen. Um der Folge willen iſt es nothwendig, daß ich hier die Gegend um
den Haven etwas genauer beſchreibe. Sie iſt, ſowohl nach Oſten als nach
Suͤden und nach Weſten hin, uͤberall von verſchiedener Geſtalt und Beſchaffen-
heit. An der Oſtſeite bildet nemlich das Ufer der Bay eine hervorragende
Landſpitze, deren ziemlich breiter Strand von Corallſteinen und Schnecken-
Sand, mit einem ohngefaͤhr vierzig Schritt tiefen Palm-Hain eingefaßt iſt.
Hinter dieſem kleinen Walde wird das Erdreich, wie ein Wall, um 40 bis 50
Fus hoͤher. Obenher iſt dieſer Wall flach und macht, queer uͤber die Land-
ſpitze weg bis jenſeits nach der offnen See hin, eine Flaͤche aus, die zwo Mei-
len breit iſt, und der Laͤnge nach, auf eine Strecke von 3 Meilen, bis an die
Suͤdſeite des Havens reicht. Allda verlaͤuft ſie ſich in eine ſchoͤne, angebaute
Niederung, die man beym Einfahren in die Bay gerade vor ſich hat und die,
hinterwaͤrts, an eine Reihe ſanft abhaͤngender Huͤgel ſtoͤßt, vorn aber mit einem
breiten Geſtade, von feſtem ſchwarzen Sande, umgeben iſt, auf welchem wir
Holz und Waſſer einnahmen. Endlich die linke, oder Weſtſeite des Havens,
beſtehet aus einem, ohngefaͤhr 800 Fus hohen und vom Gipfel bis auf 90 Fus
weit von der Erde, faſt uͤberall ſenkrecht ſteilen Berge. Dieſer macht zugleich
die weſtliche Graͤnze der vorgedachten angebaueten Niederung aus, unter-
bricht den ſchoͤnen breiten Strand derſelben, und hat bis zur aͤußerſten Land-
Ecke gegen Weſten, nur ein ſchmales, aus Schieferſtein beſtehendes Ufer. An
der ſuͤdoͤſtlichen Ecke des Havens, iſt ein flaches Corallen-Rief befindlich, das
ſelbſt waͤhrend der Ebbe unter Waſſer bleibt, und die See in dortiger Gegend
ungemein ſeicht macht.


Hin und wieder ſtießen die Indianer ihre Canots einzeln vom Ufer,
und brachten je eine oder zwo Cocosnuͤſſe und Piſangs zum Verkauf.
Sie vertauſchten ſolche gegen Tahitiſches Zeug, und kehrten, ſo bald ſie ihre
Waaren angebracht hatten, nach dem Ufer zuruͤck, um mehrere zu hohlen. Ei-
[213]in den Jahren 1772 bis 1775.
ner both dem Capitain auch ſeine Keule zum Verkauf; dieſer zeigte ihm ein1774.
Auguſt.

Stuͤck Zeug dagegen, und ſo wurden ſie Handels einig. Als man dem India-
ner das Zeug an einem Stricke ins Canot herabließ, knuͤpfte ers unverzuͤglich
los, machte aber gar nicht Anſtalt die Keule dafuͤr abzuliefern. Der Capitain
verſuchte es daher ihn, durch allerhand Zeichen, an ſein gegebenes Wort zu erin-
nern, welches jener auch wohl zu verſtehen ſchien, aber doch nicht im mindeſten
darauf achtete. Der Capitain ſchoß ihm alſo eine Ladung Schroot ins Geſicht,
worauf der Indianer, mit den beyden andern die in ſeinem Canot waren, eiligſt
fort ruderte. Nun wurde vom Verdeck aus mit einem Musketon ein paar
mahl hinter ihnen drein gefeuert, bis ſie, vor großem Schreck uͤber eine Ku-
gel die dicht neben ihr Canot fiel und etliche mahl vom Waſſer abprellte, in
die See ſprangen, und vollends nach dem Ufer hin ſchwammen. In der Ge-
gend wo ſie ans Land ſtiegen, entſtand alsbald ein großer Zuſammenlauf von
Menſchen, die vermuthlich zu erfahren ſuchten, was ihren Landsleuten begeg-
net waͤre. Ein paar Minuten nachher kam ein kleiner alter Mann, mit einem
Canot voll Zuckerrohr, Cocosnuͤſſen und Yamwurzeln, ganz allein an das
Schiff. Schon geſtern Nachmittag hatte er ſich Muͤhe gegeben, zwiſchen uns
und den ſeinigen, Frieden zu erhalten, und ſeine freundliche, treuherzige Miene
ließ uns hoffen, daß er auch jetzt wieder in einer ſo loͤblichen Abſicht kommen
muͤße. In dieſer Ueberzeugung ſchenkte ihm Capitain Cook einen vollſtaͤndi-
gen Anzug vom beſten rothen Tahitiſchen Zeuge, woruͤber der Alte ungemein
vergnuͤgt zu ſeyn ſchien. Gleich ſeinen uͤbrigen Landsleuten, die niemals ohne
Waffen gehen, hatte auch dieſer zwo große Keulen bey ſich. Capitain
Cook, der ſich in einem unſrer Boote befand, ergriff dieſe Keulen, warf ſie in
die See, und gab dem Alten zu verſtehen, daß alle Inſulaner ihre Waffen von
ſich legen ſollten. Mit dieſem Anbringen ruderte der ehrliche Greiß, ohne ſich
uͤber den Verluſt ſeiner Keulen zu beklagen, ans Ufer zuruͤck, und ſpatzierte da-
ſelbſt eine Zeitlang in ſeinem neuen Staat herum. Nunmehro kam, aus al-
len Gegenden der Inſel, hauptſaͤchlich von dem ſteilen Berge an der Weſtſeite
des Havens, eine unzaͤhlige Menge von Menſchen an den Strand herab, ſo
daß es, in den Gebuͤſchen und Waldungen auf der Ebene, uͤberall von Menſchen
wimmelte, deren keiner unbewaffnet war. Mittlerweile hatten wir das Schiff,
D d 3
[214]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
der Queere nach, gegen das Ufer gekehrt, damit die Kanonen das Land beſtrei-
chen koͤnnten, und nach dieſer Vorſicht bereiteten wir uns, in dem großen und
zwey kleineren Boͤten, mit allen See-Soldaten und einer wohlbewaffneten Par-
they Matroſen, eine Landung zu verſuchen. So bald die Wilden uns kommen
ſahen, eilten ſie alle aus den Waͤldern ins Freye an den Strand, und ſtellten ſich
daſelbſt in zween großen Haufen zu beyden Seiten des Waſſerplatzes. Der weſt-
liche Haufe war der betraͤchtlichſte, indem er wenigſtens aus ſiebenhundert
Mann beſtand, die, in einem geſchloßnen Trupp, zum Angrif nur das Signal
zu erwarten ſchienen. An der Oſtſeite mogten ohngefaͤhr zweyhundert Mann
ſtehen, die zwar ebenfalls bewaffnet waren, aber gleichwohl zu Feindſeligkeiten
nicht ſo offenbar Miene machten. Mitten zwiſchen dieſen beyden Haufen,
hatte ſich der kleine Alte, der eben bey uns geweſen, nebſt noch zween
andern unbewaffnet hingeſtellt, und eine Menge Piſangs, Yamwur-
zeln,
u. d. gl. vor ſich aufgehaͤuft. Als wir ohngefaͤhr noch zwanzig
Schritte weit vom Ufer waren, rief Capitain Cook den Einwohnern zu, und
gab ihnen durch Zeichen zu verſtehen, daß ſie die Waffen niederlegen und ſich
vom Strande zuruͤckziehen ſollten. Auf dieſe Forderung achteten ſie nicht;
und vielleicht kam es ihnen gar unbillig und laͤcherlich vor, daß eine Handvoll
Fremde ſich’s beygehen ließ, ihnen, in ihrem eigenen Lande, Geſetze vorzuſchrei-
ben. Es wuͤrde eine Unvorſichtigkeit geweſen ſeyn, zwiſchen jenen beyden Hau-
fen zu landen, weil wir uns auf ſolche Art zu dreiſt einem Angrif ausgeſetzt
haͤtten, bey welchem viele dieſer unſchuldigen Leute, und wohl gewiß auch
mancher von uns das Leben duͤrfte eingebuͤßt haben. Um ſie alſo, wo
moͤglich, im Voraus davon abzuſchrecken, ließ der Capitain Cook eine
Flintenkugel uͤber ihre Koͤpfe hinfeuern. Der unvermuthete Knall brachte
auch wuͤrklich den ganzen Haufen in Bewegung; ſo bald aber das erſte Erſtau-
nen voruͤber war, blieben ſie faſt alle wieder ſtehen. Einer, der dicht ans Ufer
kam, hatte ſogar die Verwegenheit, uns den Hintern zu zeigen und mit der
Hand drauf zu klatſchen, welches, unter allen Voͤlkern im Suͤd-Meer, das ge-
woͤhnliche Zeichen zur Herausforderung iſt. Dieſes Großſprechers wegen, ließ
der Capitain noch einen Flintenſchuß in die Luft thun; und da man dieſes auf dem
Schiffe fuͤr ein Signal hielt, ſo ward alles grobe Geſchuͤtz, welches aus 5 vierpfuͤn-
[215]in den Jahren 1772 bis 1775.
digen Kanonen, zwey halbpfuͤndigen Dreh-Baſſen, und vier Musketons beſtand, mit1774.
Auguſt.

einem mahle abgefeuert. Die Kugeln pfiffen uͤber die Indianer weg, und kappten et-
liche Palmbaͤume; dadurch erreichten wir unſern Zweck, daß nemlich in wenig Au-
genblicken nicht ein Mann mehr auf dem Strande zu ſehen war. Nur allein der alte
Friedensſtifter und ſeine beyden Freunde, waren unerſchrocken bey ihren Fruͤchten
ſtehen geblieben. So bald wir ans Land traten, ſchenkte der Alte dieſe Lebensmittel
dem Capitain, und bat ihn zugleich, nicht laͤnger zu ſchießen. Herr Hodges
hat dieſe Landungs-Scene, ſehr genau und mit vielem Geſchmack gezeichnet.


Wir ließen es nunmehro unſre erſte Sorge ſeyn, zu Bedeckung der Ar-
beitsleute, die See-Soldaten in zwo Linien zu ſtellen. An beyden Seiten
ſchlug man Pfaͤhle in die Erde, und zog einen Strick dazwiſchen, ſo daß die
Waſſerſchoͤpfer einen Platz von wenigſtens 150 Fus breit inne hatten, wo ſie
ihre Arbeit ohngeſtoͤrt vornehmen konnten. Nach und nach kamen die Einwoh-
ner, aus dem Gebuͤſch, auf den Strand; wir winkten ihnen aber jenſeits unſerer
Linien zu bleiben, welches ſie auch allerſeits beobachteten. Der Capitain wieder-
holte nun ſeine vorige Zumuthung, daß ſie ihre Waffen niederlegten moͤgten.
Der groͤßere Haufen, an der Weſtſeite, kehrte ſich nicht daran; die andre Parthey
hingegen, die mit dem friedlichen Alten einerley Sinnes zu ſeyn ſchien, ließ ſich
groͤßtentheils dazu bewegen. Dieſem Alten, der Pao-vjangom hieß, hatten
wir, als einen Beweis unſers Zutrauens, vorzugsweiſe die Erlaubniß gegeben, ſich
innerhalb der abgeſteckten Linien aufhalten zu duͤrfen.


Nach und nach fiengen wir an, uns in die Waͤlder zu wagen, um Pflan-
zen zu ſuchen; wir waren aber kaum zwanzig Schritte weit gegangen, als wir
hinter dem Geſtraͤuch uͤberall Indianer gewahr wurden, die zwiſchen den beyden
Haufen am Strande, wechſelsweiſe hin und her liefen. Es duͤnkte uns alſo
nicht rathſam weit vorzudringen. Wir ließen uns vielmehr an zwo bis drey
neuen Arten von Kraͤutern genuͤgen, und kehrten mit dieſer kleinen Ausbeute nach
dem offnen Strand zuruͤck.


Bey dem friedlichem Anſchein des kleinern, nach Oſten hin poſtirten
Haufens, verſuchten wirs mit den Leuten deſſelben ins Geſpraͤch zu kommen. Es
war uns um die Kenntniß ihrer Sprache zu thun, und wir lernten auch wuͤrk-
lich eine Menge neuer Woͤrter; mit dem Handel aber gluͤckte es uns nicht ſo
[216]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774
Auguſt.
gut, denn aller Anfrage ohnerachtet wollten ſie uns von ihren Waffen nicht das
mindeſte uͤberlaſſen. Ein cylindriſches zwey Zoll langes Stuͤckgen Alaba-
ſter, welches als ein Zierrath in der Naſe getragen wird, war alles, was wir
eintauſchen konnten. Ehe der Eigenthuͤmer es ablieferte, wuſch ers in der
See; ob dies aber aus Reinlichkeit, oder aus irgend einem andern Bewegungs-
grund geſchahe? kann ich nicht entſcheiden. Die ganze Zeit uͤber, die wir am
Lande zubrachten, machten die Einwohner nicht im geringſten Mine, uns angrei-
fen zu wollen, oder in der Arbeit ſtoͤhren; die kleinere Parthey ſchien vielmehr
ganz gut gegen uns geſinnt zu ſeyn, ſo daß wir bald auf einen freundſchaftlichen
Fus mit ihnen umgehen zu koͤnnen hoften. Die große Anzahl von Eingebohr-
nen, die aus allen Gegenden der Inſel hier beyſammen waren, gab uns zu Un-
terſuchung ihrer Bildung, Kleidung und Waffen, die beſte Gelegenheit. Im
Ganzen genommen, ſind ſie von mittlerer Statur, doch giebts auch manche von
mehr als gewoͤhnlicher Groͤße darunter. Sie haben wohlgebildete, aber meh-
rentheils ſchlanke Gliedmaaßen, wiewohl es auch an einzeln recht ſtarken Kerln
nicht fehlt. So ſchoͤn gebaute Leute, als man unter den Bewohnern der So-
cietaͤts-
und freundſchaftlichen Inſeln
und den Marqueſas ziemlich haͤufig
antrifft, giebt es in Tanna nur ſehr wenige. Dagegen iſt mir, in dieſer letz-
tern Inſel, nicht ein einziger dicker, oder fetter Mann vorgekommen; ſie ſind alle
von beruͤhriger Complexion und lebhaftem Temperament, ihre Geſichtszuͤge ſtark,
die Naſe breit, die Augen faſt durchgehends groß und mehrentheils ſanft. Sie
haben ein maͤnnliches, offnes, gutherziges Anſehen; doch findet man frey-
lich, hier ſo gut als unter jedem andern Volk, einzelne Phyſionomien, die
nicht viel Gutes vermuthen laſſen. Die Farbe ihres Haars iſt ſchwarz, bey
manchem auch braun oder gelblich an den Spitzen. Es waͤchſt ſehr dick, ſtrau-
bigt und iſt mehrentheils kraus, hat auch zuweilen etwas wollartiges an ſich.
Der Bart iſt ebenfalls ſtark, ſchwarz und gekraͤuſelt; die Leibes-Farbe dunkel-
braun und zum Theil ſchwaͤrzligt, ſo daß man beym erſten Anblick glauben moͤg-
te, ſie haͤtten ſich mit Ruß beſchmutzt: Die Haut an ſich, iſt, wie bey den Ne-
gern, ſehr ſanft anzufuͤhlen. Sie gehen faſt ganz nackend; tragen aber, nach
dem allgemeinen Hang des menſchlichen Geſchlechts, mancherley Zierrathe. Das
Seltſamſte iſt ihre Friſur. Dieſe beſtehet nemlich aus lauter kleinen Zoͤpfen, die
von
[217]in den Jahren 1772 bis 1775.
kaum ſo dick als die Spule einer Taubenfeder und, ſtatt eines Bandes, mit dem1774.
Auguſt.

zaͤhen Stengel einer Glockenwinde dergeſtalt bewickelt ſind, daß am untern Ende
nur ein kleines Buͤſchgen hervorragt. Wer einigermaaßen ſtarkes Haar hat, muß
wenigſtens etliche Hundert ſolcher kleinen ſteifen Zoͤpfchen am Kopfe haben, und
da dieſe mehrentheils nur 3 bis 4 Zoll lang ſind, ſo pflegen ſie, wie die Bor-
ſten eines Stachel-Schweins, gemeiniglich aufrecht und auseinander zu ſtehen
Like quills upon the fretful porcupine.
Shakespear.
()

Iſt aber das Haar etwas laͤnger, z. B. zwiſchen fuͤnf und neun Zoll, ſo fal-
len die Zoͤpfchen, an beyden Seiten des Kopfs, gerade herunter, und dann
ſehen die Leute aus wie die Flußgoͤtter mit ihrem von Naͤſſe triefenden Bin-
ſenhaar. Einige, beſonders diejenigen die wolligtes Haar haben, laſſen es
entweder ſo wie es von Natur gewachſen iſt, oder ſie binden es hoͤch-
ſtens, vermittelſt eines zaͤhen Blattes, auf dem Scheitel in einen Schopf zu-
ſammen. Faſt durchgehends tragen ſie ein Rohr oder ein duͤnnes Stoͤckchen,
etwa neun Zoll lang, in den Haaren, um ſich von Zeit zu Zeit vor dem Un-
geziefer Ruhe zu ſchaffen, welches auf ihren Koͤpfen in großer Anzahl vor-
handen iſt. Sie ſtecken auch wohl einen kleinen Rohrſtab, mit Hahnen-
oder Eulenfedern ausgeziert, ins Haar. Zu Bedeckung des Kopfes wickeln
ſich manche ein friſches Pifangblatt, ſchraͤg, um den Scheitel, (*) oder ſie tra-
gen eine ordentliche Muͤtze von geflochtenen Matten; doch iſt keines von beyden
allgemein. Den Bart laſſen die mehreſten, in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt, lang
wachſen, andre flechten ihn in einen Zopf. Der Naſenknorpel iſt faſt bey
allen durchbohrt, und durch die Oefnung ein duͤnner Rohrſtab, oder ein Stein
von aͤhnlicher Figur, hindurch geſteckt. Statt der Ohrgehaͤnge tragen ſie
eine Menge Ringe von Schildkroͤten-Schaale oder von weiſſen Muſcheln, ent-
weder einen neben dem andern, oder, in Form einer Kette, einen in den an-
dern gehaͤngt. In beyden Faͤllen macht dieſer Zierrath das Loch im Ohrlaͤpp-
Forſters Reiſe u. d. W. Zweyter Th. E e
[218]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
chen ungemein weit, indem jeder einzelne Ring nicht weniger als einen
halben Zoll breit und ¾ Zoll dick iſt. (*) Um den Hals binden ſie zuweilen
eine Schnur, von welcher eine Muſchel, oder, ſtatt deſſen, ein kleines
langrundes Stuͤckchen von gruͤnem, dem Neu-Seelaͤndiſchen gleichkommenden
Talkſtein, vorn auf der Bruſt herabhaͤngt. Am Obertheil des linken Arms,
zwiſchen der Schulter und dem Ellbogen, tragen ſie mehrentheils ein Arm-
band, welches aus einem Stuͤck Cocos-Schaale beſteht, und entweder kuͤnſt-
lich geſchnitzt, oder auch nur ganz glatt, aber allemahl ſchoͤn polirt iſt. Um
dieſem noch mehr Anſehn zu geben, pflegen ſie wohl etwas Gruͤnes dazwi-
ſchen zu ſtecken, als z. B. das Kraut der Evodia hortenſis, das Croton va-
riegatum, lycopodium phlegmaria, vitex trifolia
oder auch eine Art
Epidendrum. (**) Einige gehen mit einer Binde von grobem Zeuge umguͤr-
tet, das aus der inneren Rinde eines Baums verfertigt, und gemeiniglich dunkel
Zimmetbraun iſt. Andre begnuͤgen ſich mit einer duͤnnen Schnur um den
Leib; beydes geſchiehet um die maͤnnlichen Geburtsglieder, die hier mit den
Blaͤttern einer Ingwer aͤhnlichen Pflanze (***) bewickelt werden, nach Art der
Mallicoleſer, in die Hoͤhe zu ziehen und in der Gegend des Nabels an den
Guͤrtel feſt zu knuͤpfen. Sobald ein Knabe ſechs Jahr alt iſt, muß er ſchon
in dieſer Tracht einhergehen; ſie kann folglich, wie ich bereits in Anſehung
der Mallicoleſer gemuthmaßt habe, wohl nicht aus einer Art von Schaamhaf-
tigkeit entſtanden ſeyn, denn auf dieſe wird bey unciviliſirten Voͤlkern, waͤh-
rend den Kinderjahren, gerade am wenigſten Ruͤckſicht genommen. In unſern
Augen erregte ſie, ihrer Form wegen, vollends ganz entgegenſtehende Begrif-
fe, ſo daß wir an jedem Tanneſer oder Mallicoleſer, ſtatt einer ehrbaren
Verſchleyerung, vielmehr eine leibhafte Vorſtellung jener furchtbaren Gott-
heit zu ſehen glaubten, welcher bey den Alten die Gaͤrten geweyhet waren. —
Zu den Zierrathen dieſer Nation gehoͤren ferner noch verſchiedene Arten von
Schminken, und allerhand Figuren welche ſie ſich in die Haut einritzen.
[219]in den Jahren 1772 bis 1775.
Die Schminken ſind blos fuͤrs Geſicht, und beſtehen entweder aus rother1774.
Auguſt.

Ocker-Erde, oder aus weißem Kalk, oder aus einer ſchwarzen, wie Bley-
ſtift glaͤnzenden Farbe. Dieſe werden mit Cocos-Oehl angemacht, und in
ſchraͤgen, 2 bis 3 Zoll breiten Streifen aufgetragen. Die weiße Schmin-
ke iſt nicht viel im Gebrauch, die rothe und die ſchwarze hingegen deſto haͤu-
figer, und mit jeder findet man oft das halbe Geſicht bedeckt. Das Aufri-
tzen der Haut geſchiehet vorzuͤglich am Obertheil des Arms, und auf dem Bau-
che, und vertritt die Stelle des Punktirens oder Taͤttowirens, welches unter den
Bewohnern Neu-Seelands, Oſter-Eylands, der freundſchaftlichen, der
Societaͤts- und der Marqueſas-Inſeln, (als welche ſaͤmmtlich von helle-
rer Leibesfarbe ſind,) eingefuͤhret iſt. Die Tanneſer nehmen ein Bamburohr
oder eine ſcharfe Muſchel zu dieſer Operation; mit einem oder dem andern ma-
chen ſie, nach allerhand willkuͤhrlichen Zeichnungen, ziemlich tiefe Einſchnitte
in die haut, und legen alsdenn ein beſonderes Kraut drauf, welches die Ei-
genſchaft hat, beym Heilen, eine erhabne Narbe zuwege zu bringen. Dieſe
Narben, auf welche ſich die guten Leute nicht wenig einbilden, ſtellen Blumen
oder andre ſeltſame Figuren vor. Die Methode dergleichen mit einem ſpi-
tzigen Inſtrument in die Haut zu punktiren, ſcheint hier gaͤnzlich unbekannt
zu ſeyn, wenigſtens habe ich nur einen einzigen Mann angetroffen, der eine
ſolche, nach tahitiſcher Manier taͤttowirte Figur auf der Bruſt hatte.


Die Waffen der Tanneſer, ohne welche ſie ſich niemals ſehen laſſen,
beſtehen in Bogen und Pfeilen, in Keulen, Wurfſpießen oder Speeren, und
in Schleudern. Auf den Bogen und die Schleuder verſtehen ſich die jungen
Leute am beſten, die Aelteren hingegen wiſſen den Speer und die Streitkolbe
vorzuͤglich gut zu fuͤhren. Die Bogen ſind ſehr ſtark, vom ſchoͤnſten elaſti-
ſchen Caſuarina-Holz gemacht und treflich geglaͤttet, werden auch vermuthlich
von Zeit zu Zeit mit Oel eingeſchmiert, damit ſie ſtets glaͤnzend und biegſam
bleiben. Die Pfeile beſtehen aus einem beynahe vier Fuß langen Rohrſtab,
und die Spitze aus eben der Art von ſchwarzem Holze, welche von den Mallico-
leſern zu gleichem Endzweck gebraucht wird. Doch ſind die Spitzen hier anders
geformt als dort, nemlich dreyeckigt, zum Theil uͤber zwoͤlf Zoll lang, und auf
zwo, oftmals auch auf allen drey Seiten eingekerbt, oder mit Widerhaken verſe-
E e 2
[220]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
hen. Zur Vogeljagd und zum Fiſchen gebrauchen ſie Pfeile die drey Spitzen
haben. Die Schlendern werden aus Cocos-Faſern, und zwar in der Mitte wo
der Stein zu liegen kommt, etwas breiter gemacht als an den Enden. Sie pfle-
gen ſolche um den Arm oder um den Leib, die Steine aber beſonders in ein
großes Blatt gewickelt, mit ſich herum zu tragen. Die dritte Art von Wurf-
Gewehren ſind die Spieße oder Speere. Gemeiniglich nehmen ſie dazu knotige
ungeſtaltete Stecken, kaum eines halben Zolls dick, aber neun bis zehn Fuß lang;
das dickſte Ende derſelben macht eine dreyeckigte Spitze von ſechs bis acht Zoll
aus, die auf allen dreyen Seiten ohngefaͤhr zehn Einſchnitte oder Wiederha-
ken hat. Mit einem dergleichen Speere verfehlt der Tanneſer, zumal wenn die
Entfernung gering iſt, nicht leicht ſein Ziel. Hiezu iſt ihm ein vier bis fuͤnf Zoll
langes, aus Baumrinde geflochtnes Stuͤck von einem Stricke behuͤlflich, das an
einem Ende einen Knoten, an dem andern aber eine Schleife hat, und auf fol-
gende Art gebraucht wird. Durch die Schleife ſteckt man den Zeigefinger,
ergreift hierauf mit dieſem Finger und dem Daume das Spieß, und wickelt das
andre Ende jenes Strickes, oberhalb der Hand, einmal um den Schaft des
Speers herum; wird nun der Speer abgeworfen, ſo kann er aus der Richtung
die man ihm gegeben, wenigſtens nicht ehe weichen, als bis er die Schlinge mit
Gewalt auseinander getrieben hat, und dieſe bleibt dann, in ihrer urſpruͤngli-
chen Form, an dem Zeigefinger des Schuͤtzen, woran ſie befeſtigt iſt, zuruͤck.
Ich habe mehr als einen ſolchen Wurf geſehen, wo auf eine Entfernung
von dreyßig bis vierzig Fuß, die zackigte Spitze des Speeres durch einen
vier Zoll dicken Pfahl glatt hindurch gieng. (*) So gehet es auch mit ihren
[221]in den Jahren 1772 bis 1775.
Pfeilen; auf acht bis zehn Schritte treffen ſie mit voller Kraft; in einer groͤſ-1774.
Auguſt.

ſern Entfernung aber, z. B. auf fuͤnf und zwanzig bis dreyßig Schritte weit? hat
man gar nichts davon zu befuͤrchten, denn aus Furcht die Bogen zu zerbrechen,
ſpannen ſie ſolche nie ſtark genug um ſo weit damit zu reichen. Auſſer dieſen
Wurfgewehren, davon die Erwachſenen bald die eine bald die andre Art fuͤhren,
hat auch ein jeder eine Keule bey ſich, und die werden beym Handgemenge ge-
braucht. Es giebt derſelben fuͤnf unterſchiedne Formen: Die beſten ſind aus
Caſuarina-Holz, vier Fuß lang, gerade, ſauber abgeglaͤttet und an beydeu
Enden, ſo wohl oben als unten, mit einem Knopf verſehen. Der oberſte
der zum Handgriff gehoͤrt iſt rund; der andere hingegen, welcher die eigent-
liche Keule ausmacht, hat mehrere hervorragende Spitzen oder Zacken in Fi-
gur eines Sterns. Zu der zweyten Gattung von Keulen, die ſechs Fuß lang
ſind, wird eine graue, harte Holzart und zwar vermuthlich nur das Stamm-
Ende des Baums genommen, denn am Untertheil dieſer Keulen findet man, auf
der einen Seite, allemahl einen anſehnlichen Hoͤcker der ein Stuͤck von der Wur-
zel zu ſeyn ſcheint. Die dritte, beynahe fuͤnf Fuß lange Sorte, iſt am un-
tern Ende mit einem acht bis zehn Zoll langen Zapfen verſehen, der vom
Schaft der Keule rechtwinklicht abſteht, und faſt wie die Lanzetten, deren ſich
die Roßaͤrzte bedienen, ausſieht, auch gleich denſelben eine ſcharfe Ecke oder
Schneide hat. Die vierte Art von Keulen iſt der vorhergehenden ganz aͤhnlich,
nur daß ſie auf jeder Seite, folglich uͤberhaupt vier ſolche ſcharf hervorragen-
de Zapfen hat. Endlich die fuͤnfte Art beſtehet aus einem rundgeformten Stuͤck
Corallen-Felſen, welches ohngefaͤhr anderthalb Fuß lang, im Durchmeſſer aber
nur zween Zoll dick iſt, und nicht blos zum Hauen, ſondern auch zum Werfen
gebraucht zu werden pflegt.



E e 3
[222]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.

Es ließen ſich heute wenig Frauensperſonen und auch dieſe nur in einer
ziemlichen Entfernung ſehen. So viel man erkennen konnte, waren ſie
alleſammt haͤßlich und kleiner als die Maͤnner. Die jungen Maͤdchen hat-
ten blos einen Strick um den Leib, von welchem vorn und hinten ein kleiner
Buͤſchel Gras herabhieng; die aͤlteren hingegen trugen einen kurzen Rock
von Blaͤttern gemacht. Ihre Ohrgehaͤnge beſtanden aus einer Anzahl Rin-
gen von Schildkroͤten-Schale, und die Halsbaͤnder aus allerhand aufgereiheten
Muſcheln. Etliche alte Weiber hatten ſich ein friſches Piſangblatt um den
Kopf gewickelt, andre hingegen trugen eine Muͤtze von Mattenwerk, doch
war beydes nur ſelten. Gegen Mittag verließen die mehreſten Einwohner, ver-
muthlich der großen Hitze und der Eſſenszeit wegen, den Strand. Auch uns
noͤthigten dieſe beyde Urſachen mit den angefuͤllten Faͤſſern, nach dem Schiff
zuruͤck zu kehren.


Nach Tiſche, ohngefaͤhr um drey Uhr, verfuͤgten wir uns wiederum
ans Land, fanden aber nicht eine Seele am Strande. Nur ziemlich weit
gegen Oſten ſahe man, im Schatten der Palmen, einen Trupp von etwa dreyßig
Indianern ſitzen, die nicht im mindeſten auf uns zu achten ſchienen. Wir
machten uns alſo die Gelegenheit zu Nutze, um unbemerkt ein paar hundert
Schritt weit in den Wald zu gehen, allwo es unterſchiedene neue Pflanzen gab.
Die am Fuß der flachen Anhoͤhe befindliche Niederung war zum Theil unange-
bauet, und reizte unſre Neugier durch allerhand wilde Baumarten und niedri-
ges Geſtraͤuch: wir durften uns aber, auf gerathe wohl, nicht weit vom
Strande wagen, denn noch wußte man nicht ob den Wilden ſo ganz ſicher zu
trauen ſey. Waͤhrend des Botaniſirens naͤherten wir uns den Indianern, die
noch immer ſo ruhig als zuvor im Graſe ſitzen blieben. Allein, eine gute Strecke
diſſeits derſelben begegnete uns der alte Pao-vjangom, und brachte meinem Va-
ter ein Ferken zum Geſchenk. Dieſer gab ihm dafuͤr was er bey ſich hatte,
einen langen Nagel nebſt einem Stuͤck Tahitiſchen Zeuges, und ſo kehrten wir
gemeinſchaftlich nach den Booten zuruͤck, um das Schwein daſelbſt abzuliefern.
Unſere Leute waren eben beſchaͤftigt, mit dem großen Netze zu fiſchen; dies muß-
ten die in der Ferne ſitzenden Indianer bemerken, denn ſie kamen bald auch her-
bey, und hatten nicht nur, ganz wider ihre bisherige Art, ihre Waffen zuruͤck
[223]in den Jahren 1772 bis 1775.
gelaſſen; ſondern ſie unterhielten ſich auch mit uns ſo gut es gehen wollte, ganz1774.
Auguſt.

vertraut. Der Fiſchfang fiel ſo reichlich aus, daß wir in kurzer Zeit drey
Centner von unterſchiedlichen ſchmackhaften Fiſchen beyſammen hatten.(*)Pao-
vjangom
bezeigte großes Verlangen gleichfalls Antheil an der Ausbeute zu ha-
ben, und war ſehr erfreut, als ihm ein paar Fiſche zugeſtanden wurden. Gegen
Sonnen-Untergang kehrten wir an Bord zuruͤck, und verurſachten, durch den
mitgebrachten Vorrath, bey der ganzen Schiffs-Geſellſchaft deſto groͤßere
Freude, je laͤnger ſich ſchon jedermann nach einer Mahlzeit von friſchen Le-
bensmitteln geſehnt hatte.


Der Volkan, der ſich geſtern fruͤh noch dann und wann hoͤren laſſen,
ward Nachmittag ganz ſtill. In der Nacht regnete es zu verſchiedenen malen,
und nun fieng der Berg am folgenden Morgen von neuem an unruhig zu werden.
Das aufbrennende Feuer deſſelben verſchaffte uns jedesmahl ein angenehmes
und zugleich praͤchtiges Schauſpiel. Es theilte dem Rauche, der in dicken Wol-
ken kraͤuſelnd empor ſtieg, wechſelsweiſe, die glaͤnzendſten Schattirungen von gel-
ber, Orange- Scharlach- und Purpurfarbe mit, welche endlich in ein roͤthliches
Grau und dunkleres Braun verloſchen. So oft ein ſolcher Flammen-Auswurf
erfolgte, ſo oft ward auch die ganze waldigte Gegend des Berges ploͤtzlich durch
ein golb und purpurfarbnes Licht erhellet, welches die verſchiedenen Gruppen
von Baͤumen, nach Maaßgabe ihrer Entfernung, bald lebhafter, bald [ſanfter]
colorirte.


Nach dem Fruͤhſtuͤck giengen wir ans Land, woſelbſt die Einwohner
ganz zahlreich, doch nicht in ſolcher Menge, als geſtern, verſammlet waren.
Sie lieſſen uns nicht nur ruhig ausſteigen, ſondern machten auch von ſelbſt Platz,
daß wir gemaͤchlich nach dem Ort hingehen konnten, wo wir die Waſſerfaͤſſer
anzufuͤllen pflegten. Der Capitain fand aber dennoch fuͤr gut, zu unſerer Si-
cherheit, Stricke ziehen zu laſſen. Von Seiten der Inſulaner ſchien das Miß-
trauen noch nicht ganz verſchwunden zu ſeyn, wenigſtens wollten ſich die mehre-
ſten noch nicht bewegen laſſen, ihre Waffen zu verkaufen; einige hielten indeſſen
[224]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
nicht mehr ſo genau darauf, ſondern vertauſchen beydes, Keulen und Speere.
Mein Vater gab Pao-vjangom fuͤr das Schwein, welches dieſer ihm geſtern
geſchenkt hatte, ein Beil, und zeigte ihm zugleich wie es gebraucht werden
muͤſſe. Das gefiel ihm ſo wohl, daß ers unter ſeinen Landsleuten ſogleich weiter
bekannt machte. Nun entſtand bald haͤufig Nachfrage nach Beilen. Wir
verſprachen ihnen auch welche, wenn ſie uns Schweine dafuͤr bringen wuͤrden,
das erfolgte aber nicht. Zum Behuf aſtronomiſcher Beobachtungen ließ der
Capitain fuͤr Herrn Wales heut ein Zelt aufſchlagen. Unter denen Wilden
die ſich bey dieſer Gelegenheit verſammleten, gab es einige die ziemlich uͤbermuͤ-
thig waren, herum tanzten, und dabey mit ihren Speeren droheten. Zu Thaͤt-
lichkeiten kam es indeſſen nicht, und gegen Mittag giengen wir in Geſellſchaft
des Capitains ruhig an Bord zuruͤck. Kaum waren wir daſelbſt angelangt,
als von einem See-Soldaten, deren etliche unter Commando des Lieutenants
am Lande geblieben waren, ein Schuß geſchahe, weshalb man die Einwoh-
ner in ziemlicher Verwirrung untereinander herumlaufen ſahe. Sie wurden
jedoch bald wieder ruhig, und fanden ſich von neuen auf dem Strande ein.
Bey der Ruͤckkunft unſrer Leute, die gegen drey Uhr zum Eſſen an Bord kamen,
vernahmen wir, daß die Indianer ſelbſt an jenem Lerm Schuld geweſen waͤren,
indem einer von ihnen den Officier durch die unartige Gebehrde, wodurch man
einander hier zu Lande herausfordert, boͤs gemacht habe. Eben das war auch
uns geſtern begegnet, und der Lieutenant hatte diesmal, ſo wie der Capitain
am vorigen Tage, mit einer Ladung Schroot darauf geantwortet; der Wil-
de war dadurch in den Fuß verwundet worden und hatte ſich ins Gebuͤſch ver-
krochen, ſeine Landsleute waren ihm dahin gefolgt, und wuͤrden vermuthlich zu
den Waffen gegriffen haben, wenn ſie nicht von einigen friedfertiger geſinnten
Alten noch zu rechter Zeit waͤren beſaͤnftigt worden.


Gegen Abend lieſſen wir uns wieder nach dem Strande uͤberſetzen und
warfen unterwegens das Netz aus, in Hoffnung abermals einen gluͤcklichen Zug
zu thun. Er gab aber nicht mehr als ohngefaͤhr einen halben Centner Fiſche.
Auf dem Landungsplatze, wo wir anfaͤnglich nur wenig Leute antrafen, verſam-
melten ſich bald mehrere, doch kamen ſie groͤßtentheils unbewaffnet, oder leg-
ten uns zu gefallen ihre Waffen von ſich ins Gebuͤſch. Bey Sonnen-Unter-
gang
[225]in den Jahren 1772 bis 1775.
gang verlohren ſie ſich wieder bis auf einige wenige, die, zu unſerer Verwunde-1774.
Auguſt.

rung noch immer bey uns aushielten. Endlich aber bezeugten auch dieſe,
daß ſie entlaſſen zu werden wuͤnſchten, und kaum hatten wir ihnen zugewinkt,
daß ſie unſerntwegen nicht einen Augenblick laͤnger da bleiben duͤrften; ſo giengen
ſie auch gleich bis auf den letzten Mann fort. In dieſem Betragen ſcheint etwas
ceremonioͤſes zu ſeyn, als hielten ſie es gleichſam fuͤr unhoͤflich, auf ihrem eignen
Grund und Boden, den Fremden nicht Geſellſchaft zu leiſten? Eine ſolche
Auslegung wuͤrde aber freylich gewiſſe Begriffe von Lebensart und aͤuſſerem An-
ſtand voraus ſetzen, die ſich doch mit dem in allen uͤbrigen Stuͤcken noch ſehr
unciviliſirten Zuſtand dieſer Nation, nicht fuͤglich reimen laſſen.


Am folgenden Morgen fuhren Dr. Sparrmann, mein Vater und ich
wieder nach dem Lande, und ſtiegen, auf der Weſtſeite des Havens am Fußdes
ſteilen Berges, aus, allwo eine Parthey Matroſen Ballaſt laden ſollte. In die-
ſer Gegend ſchlugen die Wellen ſo heftig gegen das Ufer, daß wir mit den Boo-
ten nicht ganz herankommen konnten, ſondern durch die Brandung waden muß-
ten. Es ließ ſich auch auf dieſer Stelle nicht gut botaniſiren, denn, um etli-
che neue Pflanzen zu erjagen, lief man Gefahr den Hals zu brechen, wie wir
denn wuͤrklich den jaͤhen Abſchuß des Berges mehr als einmal herunter gleiteten.
Indeſſen waren doch, naͤchſt allerhand Kraͤutern, auch verſchiedne Arten von Mine-
ralien
allhier anzutreffen. Der Berg beſtand groͤßtentheils aus Schichten von
Thonerde, die ſehr weich iſt, und an der Luft verwittert. In derſelben findet man
eine Art ſchwarzen Sand-Stein, imgleichen eine dem Stinckſtein (lapis
ſuillus
) aͤhnliche Subſtanz, und Stuͤcken von Kreide, die oft ganz rein, oft
auch mit Eiſen-Theilchen vermengt ſind. Etliche hundert Schritt weit gegen
die weſtliche Spitze des Havens, entdeckten wir einen Fußpfad, der auf den
Berg hinauffuͤhrte; dieſem giengen wir nach, weil aber ein Haufen bewaffne-
ter Indianer eben von dort herabkam, ſo kehrten wir, unverrichteter Sa-
che, zu unſern Leuten zuruͤck, und handelten von denen allda verſammleten Ein-
gebohrnen, Zuckerrohr und Cocosnuͤſſe ein. Sie ſetzten ſich auf den Felſen um
uns her, und einer, dem die andern mit gewiſſer Achtung zu begegnen ſchie-
nen, nahm meines Vaters Namen an, indem er ihm dafuͤr den ſeinigen bey-
legte. Er hieß Umbjegan. Dieſer Gebrauch, durch gegenſeitige Vertau-
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. F f
[226]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt
ſchung der Namen, Freundſchaft mit einem andern zu errichten, iſt auf allen
Inſeln des Suͤd-Meeres, ſo viel wir deren bisher beſucht hatten, eingefuͤhrt,
und hat wirklich etwas verbindliches und zaͤrtliches an ſich. Da uns die Tanneſer
auf ſolche Art gleichſahm unter ſich aufgenommen hatten, ſo glaubten wir auch
weit vertraulicher als bisher mit ihnen umgehen zu duͤrfen, und benutzten ih-
re freundſchaftliche Geſinnung hauptſaͤchlich zu Erweiterung unſerer Kenntniß
von der Landesſprache. Sie bewirtheten uns bey dieſer Gelegenheit mit
einer Art Feigen-Blaͤtter die, in Piſang-Laub gewickelt, vermittelſt hei-
ßer Steine unter der Erde gebacken oder vielmehr gedaͤmpft waren, und
gar nicht uͤbel, ohngefaͤhr wie Spinat ſchmeckten. Hiernaͤchſt bekamen wir
zwo große Piſang-Fruͤchte, von der wilden Art, und wurden alſo mit Ver-
gnuͤgen inne, daß auch bey dieſem Volke die Gaſtfreyheit eben keine unbe-
kannte Tugend ſey. Es waren Weiber und Kinder, die uns mit dergleichen
Leckerbiſſen beſchenkten. So nahe hatten ſie ſich bisher noch nicht heran ge-
wagt. Zwar thaten ſie auch jetzt noch, außerordentlich furchtſam, denn wenn
wir ſie nur ſcharf anſahen, ſo liefen ſie ſchon davon, woruͤber denn die Maͤn-
ner jedesmal herzlich lachten: Indeſſen war es uns vor der Hand vollkommen
genug, ihre bisherige Schuͤchternheit wenigſtens ſo weit beſiegt zu haben.
Manche von dieſen Frauensperſonen ſahen wohl etwas freundlich, die mehre-
ſten aber finſter und traurig aus. Gleich den Maͤnnern waren ſie mit Ohr-
ringen und Halsbaͤndern geputzt, und die verheyratheten Weiber trugen Muͤ-
tzen von geflochtenem Graſe zubereitet. Die mehreſten hatten ſich ein lang-
rundes Stuͤck von einem weißen Steine, zum Zierrath, durch den Naſen-
knorpel geſteckt. Wenn wir ihnen etwas ſchenkten, es mochte eine Glascoralle,
ein Nagel, ein Band, oder irgend ſonſt etwas ſeyn; ſo wollten ſie es nie mit
der bloßen Hand anruͤhren, ſondern verlangten, daß wir es hinlegen ſollten, und
pflegten es dann, vermittelſt eines gruͤnen Blattes, aufzunehmen. Ob dies
aus irgend einer aberglaͤubiſchen Grille, oder aus vermeynter Reinlichkeit, oder
gar aus beſondrer Hoͤflichkeit geſchah? kann ich nicht entſcheiden. Gegen Mit-
tag verfuͤgten ſie ſich allerſeits nach ihren Wohnungen, die groͤßtentheils auf
dem Berge befindlich zu ſeyn ſchienen, und auch wir begaben uns mit den Ma-
troſen an Bord zuruͤck. Nachmittags wurde wieder gefiſcht, aber ohne beſon-
[227]in den Jahren 1772 bis 1775.
dern Erfolg, denn mit allen unſern vielfaͤltigen Zuͤgen bekamen wir nicht mehr als1774.
Auguſt.

ein paar Dutzend Fiſche. Darauf ſtiegen wir am Ufer aus, wagten es aber,
der anweſenden Indianer wegen, nicht, in den Wald zu gehen; ſondern
begnuͤgten uns am aͤuſſerſten Rande deſſelben nach Kraͤutern zu ſuchen, und ge-
legentlich etwas von der Landesſprache zu erlernen.


Am folgenden Morgen kehrten wir nach demſelben Ort zuruͤck, wo unſre
Leute geſtern Ballaſt geladen hatten. Hier kletterten wir, der Hitze ohnerach-
tet, etliche Stunden lang auf dem Felſen herum, fanden jedoch nicht viel Neues,
und mußten den hoͤher gelegenen, dickeren Wald, mit vergeblicher Sehnſucht
anſehen, weil man es aus Beſorgniß fuͤr den Indianern noch nicht wagen
durfte, den botaniſchen Schaͤtzen deſſelben nachzuſpuͤhren. Auf dem Ruͤckwege ent-
deckten wir eine heiße Quelle, die aus dem Felſen, dicht am Strande des Meeres,
hervorſprudelte. Wir hatten eben kein Thermometer zur Hand, konnten aber
ſchon dem bloßen Gefuͤhl nach abnehmen, daß der Grad von Hitze ziemlich groß
ſeyn muͤſſe, denn ich war nicht vermoͤgend, den Finger nur eine Secunde
lang darin zu leiden. Kaum hatten wir am Mittage das Schiff erreicht, ſo
kam auch der Capitain vom Waſſerplatz zuruͤck, und brachte einen Indianer mit
an Bord. Dies war eben der junge Mann, der, gleich bey unſrer Ankunft, ſo
viel kaltbluͤtigen, ruhigen Muth gezeigt hatte, indem er, unter mehr als
zweyhundert Leuten von ſeiner Nation, der einzige war, der bey Abfeu-
rung einer Canone in ſeinem Canot ſtehen blieb, indeß alle uͤbrigen
fuͤr Schreck in die See ſprangen. Er ſagte, ſein Name ſey Fanokko,
verlangte dagegen die unſrigen zu wiſſen, und ſuchte ſie, ſo gut es ihm moͤglich
war, nachzuſprechen und auswendig zu behalten. Es fehlte ihm aber, ſo wie
allen ſeinen uͤbrigen Landsleuten, gar ſehr an jener Biegſamkeit der Sprach-Orga-
ne, die den Mallicoleſern in ſo bewundernswuͤrdiger Maaße eigen war. Wir
mußten ihm deshalb unſre Namen nach der ſanfteren Modification angeben,
welche ſie von den Tahitiern bekommen hatten. Er war von angenehmer Ge-
ſichtsbildung; die Augen groß und lebhaft; und ſein ganzes Anſehen verrieth
Froͤhlichkeit, Munterkeit und Scharfſinn. Von letzterem will ich unter andern
nur folgendes Beyſpiel anfuͤhren. Mein Vater und Capitain Cook hatten, in
ihren Woͤrterſammlungen aus der hieſigen Sprache, jeder einen ganz unterſchie-
F f 2
[228]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
denen Ausdruck aufgezeichnet, die beyde ſo viel als Himmel bedeuten ſollten.
Um nun zu erfahren, welches eigentlich die wahre Benennung ſey, wandten ſie
ſich an Fanokko. Dieſer war der Erklaͤrung wegen nicht einen Augenblick verle-
gen; ſondern ſtreckte ſogleich ſeine rechte Hand aus, und legte ihr das eine Wort
bey, darnach bewegte er, unterhalb der erſteren, die andere hin und her, nennte ſie
mit dem zweyten ſtreitigen Worte, und gab dabey zu verſtehen, die oberſte
Hand bedeute eigentlich den Himmel, die andre hingegen die Wolken, die
drunter wegziehen. Auf eine eben ſo einfache und deutliche Weiſe, lehrte er
uns auch die Namen unterſchiedner Eilande die hier umher liegen. Dasjenige
wo Capitain Cook ungluͤcklicherweiſe mit den Einwohnern Haͤndel bekam, und
von da wir gerade hieher geſeegelt waren, nannte er Irromanga. Das nie-
drige Eiland, bey dem wir auf dieſer Fahrt voruͤber gekommen, hieß Immèr,
ein hohes Eiland, welches wir, zu eben der Zeit, oſtwaͤrts von Tanna erblickt,
Irronam, und ein drittes gen Suͤden liegendes, welches wir noch nicht wahr-
genommen hatten, Anattom. Die Inſulaner mußten uͤber das Auſſenblei-
ben des guten Fanokko unruhig werden, denn er war noch nicht lange bey uns an
Bord, als etliche derſelben in einem Canot an das Schiff kamen, und ganz
aͤngſtlich nach ihm fragten. Sobald dieſer es hoͤrte zeigte er ſich am
Cajuͤtten-Fenſter, rief ihnen ein paar Worte zu, und ſchickte ſie auf die Art
nach dem Lande zuruͤck. Es waͤhrete aber nicht lange ſo kamen ſie wieder, und
brachten ihm einen Hahn, etwas Zuckerrohr und Cocosnuͤſſe, womit er, als ein
dankbarer Gaſt, ſeinem Wirthe, dem Capitain ein Geſchenk machte. Nun
ſetzten wir uns mit einander zu Tiſch; Fanokko koſtete von dem gepoͤkelten
Schweinefleiſch, hatte aber ſchon am erſten Biſſen genug. Gebratene oder ge-
kochte Yams waren mehr nach ſeinem Geſchmack, doch aß er uͤberhaupt ſehr
maͤßig, und ſchloß ſeine Mahlzeit mit einer Art von Torte, die ihm ſehr gut
ſchmeckte, ohnerachtet ſie nur aus gebacknen und uͤberdem wurmſtichig geworde-
nen Aepfeln zubereitet war. Wir ſetzten ihm auch ein Glas Wein vor, dies
trank er zwar ohne Widerwillen, wollte aber doch das zweyte nicht annehmen.
Er betrug ſich bey Tiſche uͤberaus artig und anſtaͤndig; das Einzige was uns
von ſeinen Manieren nicht ganz gefiel, war, daß er den Rohrſtab, den er im
Haare ſtecken hatte, anſtatt einer Gabel brauchte, und ſich dann bey Gelegen-
[229]in den Jahren 1772 bis 1775.
heit wieder damit im Kopfe kratzte. Da er, nach der Landes-Mode, aufs zier-1774.
Auguſt.

lichſte, à la porc-epic, friſirt, und der Kopf mit Oel und allerhand Farben
beſchmiert war, ſo kam es uns ſehr ekelhaft vor, den Rohrſtecken bald auf dem
Teller, bald in dem Haar herumfahren zu ſehen. Dem ehrlichen Fanokko
mogte es aber freylich wohl nicht einkommen, daß ſo etwas unſchicklich ſeyn koͤnnte.


Nach Tiſche fuͤhrten wir ihn im ganzen Schiffe umher und zeigten ihm
alles Merckwuͤrdige. Ein Tahitiſcher Hund, welchen er gewahr wurde, machte
ſeine ganze Aufmerkſamkeit rege. Ohne Zweifel mußte ihm dieſe Art von Thie-
ren noch gar nicht bekannt ſeyn, denn er nennte es buga, (welches in der hie-
ſigen Landesſprache eigentlich ein Schwein bedeutet) und bat ſehr angelegentlich,
daß man es ihm ſchenken moͤchte. Der Capitain gab ihm alſo nicht nur den
Hund, ſondern auch eine Huͤndin dazu. Hiernaͤchſt bekam er noch ein Beil, ein
großes Stuͤck Tahitiſches Zeug, etliche lange Naͤgel, Medaillen, nebſt aller-
hand andern Kleinigkeiten von geringerem Werthe, und alsdann brachten
wir ihn, der fuͤr Freuden uͤber alle dieſe Geſchenke gleichſam auſſer ſich war,
ans Land zuruͤck. Sobald wir daſelbſt ausgeſtiegen waren, nahmen Fanokko
und ſeine Freunde den Capitain bey der Hand, als wollten ſie ihn nach ihren
Wohnungen fuͤhren. Dies mogte ihnen aber bald wieder leid werden, denn an
ſtatt weiter zu gehen, fertigten ſie blos einen der ihrigen ab, um das Geſchenk
welches ſie gemeinſchaftlich hatten holen wollen, von dieſem allein herbeyſchaffen
zu laſſen. Mittlerweile kam der alte Paovjangom, und brachte dem Capitain
einen kleinen Vorrath von Yams und Cocosnuͤßen, den er, wie zur Schau, durch
zwanzig Mann tragen ließ, ohnerachtet ihrer zwey denſelben gemaͤchlich haͤtten
fortbringen koͤnnen; es ſchien aber daß der Alte ſeinem Geſchenk durch dieſen Auf-
zug nur ein deſto ſtattlicheres Anſehen geben wollte. Fanokko und ſeine Freun-
de warteten noch immer mit Ungeduld auf die Ruͤckkunft ihres Bothen, da es
indeſſen ſchon anfieng finſter zu werden, ohne daß von dieſem etwas zu ſehen gewe-
ſen waͤre, ſo verließ der Capitain die guten Leute, die nicht wenig betreten zu
ſeyn ſchienen, daß ſie ſeine Geſchenke unerwiedert laſſen ſollten.


Wir hatten in der Zwiſchenzeit laͤngs dem Ufer der Bay einen Spatzier-
gang gemacht, und am Fuße der flachen Anhoͤhe, in den Waͤldern, nach Pflan-
zen umher geſucht. Die Waldung beſtand groͤßtentheils aus Palmen und un-
F f 3
[230]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
terſchiednen Arten von Feigenbaͤumen, deren Fruͤchte eßbar, und ſo gros, als
gewoͤhnliche Feigen waren. In eben dieſer Gegend trafen wir auch etliche
Schober an, worunter die Canots aufs trockne gezogen, fuͤr Sonne und
Regen bedeckt lagen; Wohnhuͤtten aber, ſahe man nirgends als an der aͤuſſer-
ften Spitze des Havens, gen Oſten. Wir waren eben im Begriff dahin zu ge-
hen, als uns, ohngefaͤhr dreyhundert Schritte weit davon, eine Menge
Indianer entgegen kamen, und zuruͤck zu gehen bathen. Andre liefen
zum Cap. Cook, zeigten auf uns, und verlangten, er ſolle uns zurufen, daß
wir umkehren moͤchten. Dies thaten wir auch, um nicht zu Haͤndeln Gelegen-
heit zu geben, verſuchten es aber dagegen auf einer andern Seite, nemlich vom
Waſſerplatz aus, mit guter Manier ins Land zu dringen. In dieſer Abſicht folg-
ten wir einem Fußſteig, der nach der hohen Flaͤche hinfuͤhrte, und uns bald
durch dickes Gebuͤſch bald uͤber freye Plaͤtze brachte, die ſo gut als unſre beſten
Graswieſen, mit dem ſchoͤnſten Raſen bewachſen, und rings umher mit
Waldung eingefaßt waren. Indem wir die Anhoͤhe heranſtiegen, kamen drey
Einwohner davon herunter, und wollten uns bereden, daß wir wieder um-
kehren moͤchten. Da ſie aber ſahen, daß wir gar nicht Luſt dazu bezeigten, ſo
fanden ſie fuͤr gut uns wenigſtens zu begleiten, vermuthlich damit wir nicht zu
weit gehen ſollten. Nach und nach gelangten wir durch ein kleines luftiges
Waͤldchen, an große Piſang-Gaͤrten, die, auf eine ziemliche Strecke, mit
Yam- und Arums-Feldern, imgleichen mit Pflanzungen von Feigenbaͤumen
abwechſelten, und zum Theil ſteinerne, zween Fuß hohe, Einfaſſungen hatten.
Wir wurden bald inne, daß dieſer Weg queer uͤber die ſuͤdoͤſtliche ſchmale Land-
ſpitze des Havens fuͤhren muͤſſe, denn das Geraͤuſch der Wellen ſchallte bereits
ganz laut vom jenſeitigen Ufer her; unſre indianiſchen Begleiter wurden auch
ſchon unruhig, daß wir noch immer weiter giengen: Da wir ſie aber verſicherten,
daß es uns bloß um eine freye Ausſicht nach dem Meere zu thun ſey, ſo brach-
ten ſie uns auf eine kleine Anhoͤhe, von dannen die offene See und, in einer
Entfernung von acht bis zehn Meilen, auch das Eiland, welches Fanokko,
Anattom genannt hatte, zu ſehen war. Es ſchien voll hoher Berge, und,
wenn gleich kleiner als Tanna, doch wenigſtens zehn bis zwoͤlf Meilen im Um-
kreiſe zu ſeyn. Als wir uns in dieſer Gegend eine Zeitlang umgeſehen, kehr-
[231]in den Jahren 1772 bis 1775.
ten wir, auf demſelben Wege wo wir hergekommen waren, wiederum zuruͤck.1774.
Auguſt.

So ernſtlich uns die Indianer zuvor abgerathen hatten, daß wir nicht tiefer ins
Land dringen moͤchten, eben ſo eifrig luden ſie uns jetzt dazu ein, und erboten
ſich zu Fuͤhrern. Ich will ſie zwar nicht gerade zu einer boͤſen Abſicht beſchul-
digen, allein wir durften uns doch nicht darauf einlaſſen, denn kurz zuvor hatten
ſie einen von den ihrigen vorauf geſchickt, und das ſah allerdings ein wenig ver-
daͤchtig aus. Wir wanderten alſo geraden Weges nach dem Strande zuruͤck,
ohnerachtet wir erſt eine einzige neue Pflanze gefunden, und dieſer kleine Vor-
ſchmack uns nur noch luͤſterner darnach gemacht hatte, die Inſel weiter zu
unterſuchen. Die Matroſen waren bey unſrer Ruͤckkunft gerade mit dem
Fiſchfange beſchaͤftigt, hatten aber bey weiten keinen ſo guten Zug gethan, als
das erſtemal. Eine Menge von Indianern ſahe ihnen ſehr aufmerkſam zu,
und gaben durch Gebehrden zu erkennen, daß dieſe Art zu fiſchen ein ganz neues,
Schauſpiel fuͤr ſie ſey, indem man hier zu Lande die Fiſche nicht anders
als wenn ſie ſich an der Oberflaͤche des Waſſers zeigen, mit Pfeilen oder
Speeren (wie bey uns mit Harpunen) zu ſchießen wiſſe. So oft ſie etwas
unbekanntes ſahen, entfuhr ihnen der Ausruf: Hibau! Eben dies Wort
lieſſen ſie auch fuͤr Schreck, imgleichen aus Bewunderung, aus Abſcheu,
und ſelbſt aus Begierde nach einer Sache von ſich hoͤren. Welche von
dieſen Bedeutungen es jedesmal haben ſollte, das konnte man, theils
aus den Gebehrden, theils aus dem Ton, und der Art wie es, bald ge-
dehnt, bald etliche mahl ſchnell hintereinander, ausgeſtoßen ward, ſehr
gut unterſcheiden. Sie pflegten auch wohl mit den Fingern dabey zu ſchnappen,
zumal, wenn es Bewunderung andeuten ſollte.


Am folgenden Tage verfuͤgten wir uns, gleich nach dem Fruͤhſtuͤck, auf den
Waſſerplatz. Unſre Leute, die, ihres Geſchaͤftes wegen, ſchon ſeit Tages An-
bruch da geweſen waren, erzaͤhlten uns, ſie haͤtten von der oͤſtlichen Spitze viele
Einwohner mit Buͤndeln beladen voruͤber, und tiefer ins Land ziehen geſe-
hen. Sie hielten es fuͤr eine foͤrmliche Auswanderung, und glaubten,
daß die Indianer die Gegend um den Haven ausdruͤcklich verließen, um in
einem abgelegenen Diſtrict der Inſel ungeſtoͤrt, und fuͤr unſerm Feuergewehr
ſicher, wohnen zu koͤnnen. Ich aber erklaͤre mir die Sache anders. Mei-
[232]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
nes Erachtens hatten ſich die Einwohner, auf den erſten Lerm, den unſre Anhe-
rokunft veranlaßte, von allen Enden und Orten hier am Haven verſammlet, um
noͤthigen Falls ihre Inſel mit vereinten Kraͤften vertheidigen zu koͤnnen. Ehe
ſichs entſchied ob wir Freunde oder Feinde waͤren, blieb der ganze Trupp bey-
ſammen, und die von fern gekommen, mußten dieſe Zeit uͤber, des Nachts, in
den Waͤldern campiren. Jetzt aber, da ſie von uns nichts mehr befuͤrchten
mochten, gieng ein jeder wieder nach ſeiner Heimath zuruͤck. Dieſe Mey-
nung war auch um deswillen wahrſcheinlich, weil hier herum nirgends als
gegen die oͤſtliche Landſpitze hin, und ſelbſt dort nur einige wenige Wohnhuͤtten
ſtanden. Wir ſuchten ihrem Mistrauen gegen uns bey allen Gelegenheiten zu
ſteuern, und da wuͤrkte nichts augenſcheinlicher, als wenn wir ihnen an den
Fingern vorzaͤhlten, daß wir uns nur eine gewiſſe Anzahl von Tagen allhier auf-
zuhalten gedaͤchten. Bey ihrer heutigen zahlreichen Wanderung hatte man un-
ter andern bemerkt, daß alle die, welche Buͤndel trugen, Weibsleute waren,
indeß die Maͤnner, ohne alle Buͤrde gemaͤchlich neben her giengen. Aus die-
ſem einzigen Umſtande laͤßt ſich ſchon abnehmen, daß die Tanneſer noch nicht ſo
civiliſirt ſind, als die Bewohner der Societaͤts- und freundſchaftlichen Inſeln,
denn es zeigt immer eine rohe und ungebildete Nation an, wenn die Maͤn-
ner hart mit den Weibern umgehen, und ihnen die niedrigſten und
ſchwerſten Arbeiten auflegen. — Daß die Eingebohrnen wuͤrklich von hier
weg, und nach andern Gegenden der Inſel hingewandert ſeyn mußten, ſpuͤrte
man auch dadurch, daß jetzt nur ſehr wenige am Strande zu ſehen wa-
ren. Wir glaubten daher die Ebene hinter dem Waſſerplatz ganz un-
beſorgt, durchſtreichen zu duͤrfen, und fanden auf derſelben mehrere große
Pfuͤtzen darinn Arum-Wurzeln angepflanzt waren; auch trafen wir
ganze Waͤlder von Cocos-Palmen an, in welchen man aber, des
uͤberall verwachſenen Geſtraͤuches wegen, faſt nirgends fortkommen konnte.
Eine Menge von Voͤgeln machte es in dieſem Gehoͤlz ſehr lebhaſt, vornemlich
bemerkten wir Fliegenſchnapper, Spechte (creepers) und Papagoyen.
Auch gab es hier eine Art großer Nußbaͤume (*), die uns ſchon von Tahiti
aus
[233]in den Jahren 1772 bis 1775.
aus bekannt waren, wo die Fruͤchte derſelben verſpeiſet werden. Auf die-1774.
Auguſt.

ſen Baͤumen hielten ſich allerley Tauben, vornemlich jene Art, welche
auf den freundſchaftlichen Eilanden haͤufig gefangen, und zahm gemacht
zu werden pflegt. Eben dies ſcheint auch unter den Tanneſern uͤblich
zu ſeyn; denn einer von den Officieren ſchoß heut eine ſolche Taube, an
deren Schwantze man zwo lange weiße Federn befeſtigt fand, um deren willen
er ſie auch beym erſten Anblick fuͤr eine ganz unbekannte Art gehalten
hatte. Einige Indianer, denen wir begegneten, erzaͤhlten uns, daß einer
unſrer Leute zwo Tauben geſchoſſen haͤtte; ſo unerheblich dieſe Nachricht an und
fuͤr ſich ſeyn mochte, ſo wichtig war es, daß die Indianer uns ſelbige nicht in
der hieſigen Mundart, ſondern, von Wort zu Wort, in jener Sprache mit-
theilten, die auf den freundſchaftlichen Eilanden geredet wird. Ohne Zwei-
fel mußten ſie bemerkt haben, daß wir uns in der Unterredung oft mit Woͤrtern
aus dieſer Sprache zu helfen pflegten, und alſo bedienten ſie ſich derſelben blos, um
uns verſtaͤndlicher zu werden. Als wir ihnen unſre Verwundrung bezeig-
ten, ſie in einer fremden Sprache reden zu hoͤren, wiederhohlten ſie das zuvor
geſagte auf Tanneſiſch, als ihrer Mutterſprache, die von jener himmelweit unter-
ſchieden iſt, und ſetzten hinzu, daß die erſtere zu Irronan, (*) einer, ohngefaͤhr
acht Meilen von hier, gegen Oſten gelegenen Inſel uͤblich ſey. Mit dieſer Ueber-
einſtimmung der Sprache auf ſo entfernten Inſeln, kann es zweyerley Be-
wandniß haben. Entweder iſt von dem Stammvolk, welches die freundſchaft-
lichen
, und uͤberhaupt alle oͤſtlichen Inſeln des Suͤdmeeres bevoͤlkert hat, eine
Colonie nach Irronan ausgewandert; oder, die Einwohner dieſer letztern In-
ſel ſtehen mit den Bewohnern der freundſchaftlichen Eylande in Verkehr,
wozu ihnen einige zwiſchen inne liegende, wenn gleich uns noch nicht bekannt
gewordene Eilande behuͤlflich ſeyn moͤgen.


Nachmittage giengen wir von neuem aus, und trafen auch jetzo nur
eine geringe Anzahl von Einwohnern, ohnerachtet wir die Ebene bis auf
drey Meilen weit von der See durchſtrichen. Wenn uns je einer begegnete, ſo
ſagten wir ihm, es ſey uns nur ums Vogelſchießen zu thun, denn unter die-
ſem Vorwande ließen ſie uns gemeiniglich ungehindert gehen. Wir ſchoſſen
Forſters Reiſe u. d. W. Zweyter Th. G g
[234]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
auch in der That die Menge ſolcher kleinen Voͤgel, bekamen aber dennoch ſel-
ten einen, weil ſie gemeiniglich ins Gras fielen, welches ſo hoch und dicht
ſtand, daß man ſie nicht wieder heraus finden konnte. Pifang und Zuckerrohr
waren in dieſer Gegend foͤrmlich angepflanzt, Wohnhuͤtten hingegen nirgends
zu ſehen, indem der groͤſte Theil der Ebene unangebaut, und theils mit hoher
Waldung, theils mit niedrigem Gebuͤſch uͤberwachſen iſt. Im Hintergrunde ka-
men wir an ein langes und ſehr geraͤumiges Thal, aus welchem an vielen Or-
ten Rauch empor ſtieg und von mehr als einer Gegend Menſchen-Stimmen
heraufſchallten. Die Leute ſelbſt konnten wir aber, ſo wenig als ihre Huͤt-
ten anſichtig werden, weil der Pfad in dem wir uns befanden an beyden Sei-
ten mit dickem Gebuͤſch umgeben, und das Thal ſelbſt voller Waldung war.
Da auch uͤberdem der Tag ſich ſchon zu neigen anfieng; ſo begnuͤgten wir uns
dieſes Thal ausgeſpuͤrt zu haben, und kehrten, mit dem Vorſatz bey einer an-
dern Gelegenheit mehr davon zu entdecken, in aller Stille nach dem Strande
zuruͤck.


Die Nacht uͤber regnete es ſehr heftig und faſt ohne Unterlaß. Je
dunkler dieſes die Finſterniß machte, deſto mahleriſcher war es anzuſehen,
wie das Feuer des Volcans, den aus dem Gipfel emporſteigenden dicken
Rauch vergoldete. Der Answurf hatte gaͤnzlich nachgelaſſen, und von
dem unterirrdiſchen Getoͤſe war ſeit mehrerern Tagen ebenfalls nichts mehr
zu hoͤren geweſen. Am Morgen klaͤrte ſich das Wetter wiederum auf und
verſtattete uns ans Land zu gehen, wo, eben ſo wie geſtern, nur wenig Ein-
wohner zum Vorſchein kamen. Wir ſuchten daſelbſt, an der Weſt-Seite,
nach einem Fußſteige, vermittelſt deſſen wir bereits vor ein paar Tagen ange-
fangen hatten den dortigen Berg hinauf zu klettern. Er war ſo ſteil nicht,
als wir es uns vorgeſtellt, und gieng uͤberdem durch die ſchoͤnſte Waldung von
wilden Baͤumen und Straͤuchen, deren Bluͤthe dem Wanderer uͤberall Wohl-
geruch entgegen duftete. Blumen von verſchiedener Art zierten das ſchattichte
Laub und mancherley Glockenwinden rankten ſich, in blau und purpurfarbnen
Kraͤnzen, wie Epheu, die hoͤchſten Baͤume hinan. Um uns her zwitſcherten
die Voͤgel ihren wilden Geſang und belebten eine Gegend, der es an allen an-
dren Arten von lebendigen Bewohnern zu fehlen ſchien. In der That war
[235]in den Jahren 1772 bis 1775.
weder von Menſchen noch von Pflanzungen die geringſte Spur zu finden. Dem-1774.
Auguſt.

ohnerachtet folgten wir dem ſchlaͤngelnden Pfade immer hoͤher und gelangten
nach Verlauf einer Viertel-Stunde, an einen kleinen freyen Platz, der mit
dem feinſten Raſen bewachſen und rings umher von ſchoͤnen wilden Baͤumen
eingeſchloſſen war. Außerdem daß die Sonnenſtrahlen hier um deſto kraͤftiger
wuͤrkten, weil der Wind nirgends Zugang finden konnte, ward die Hitze noch
durch einen heißen Dampf vermehrt, deſſen durchdringender Schwefel-Ge-
ruch uns bald ſeinen unterirdiſchen Urſprung verrieth. Wir fanden ihn nem-
lich zwiſchen den Aeſten der Feigenbaͤume, die in vortreflichem Wuchſe ſtan-
den, von einem kleinen Haufen weislichter Erde empor ſteigen. Dieſe war
nicht, wie ſie beym erſten Anblick zu ſeyn ſchien, eine Art von Kalk, ſondern
ein wirklicher Ton mit gediegenem Schwefel vermiſcht, und hatte, gleich dem
Alaun, einen cauſtiſchen, oder zuſammenziehenden Geſchmack. Wenn man mit
einem Stocke darinn ſcharrte, ſo kam der Rauch haͤufiger hervor und fuͤr Hitze
konnte man die Fuͤße kaum auf dem Boden leiden. Als wir noch eine gute
Ecke hoͤher ſtiegen, brachte uns der Weg wiederum auf einen ſolchen freyen
Platz, der etwas abhaͤngig war, aber weder Gras noch andre Pflanzen trug.
An einer Stelle deſſelben beſtand das Erdreich aus rothem Bolus oder Ocker,
womit die Einwohner ſich zu ſchminken pflegen, und an zween andern Flecken
ſtieg von einem Haͤufgen Erde, hier eben ſolcher Schwefeldampf empor,
jedoch nicht ſo haͤufig auch nicht von ſo ſtarkem Geruch als unten. Der
Ton ſahe hier etwas gruͤnlicher aus, welches ohne Zweifel von dem darinn
enthaltenen Schwefel herruͤhren mochte. Mittlerweile war der Vulcan
unruhiger geworden als jemals, und bey jeder Exploſion deſſelben, ſtieg
aus dieſen unterirrdiſchen Schwefelgruben der Dampf in groͤßerer Menge
als ſonſt, gleich einer dicken weißen Wolke, hervor. Dieſer Umſtand ſchien
anzuzeigen, daß zwiſchen beyden Oertern, entweder eine foͤrmliche Gemein-
ſchaft vorhanden ſeyn, oder, daß die inneren gewaltſamen Erſchuͤtterungen des
feuerſpeyenden Berges, ſich auf irgend eine andre, mittelbare Weiſe, bis
nach dieſen Schwefel-Behaͤltern fortpflanzen muͤßten. Was den Vulcan ſelbſt
betrifft, ſo bemerkten wir heute zum zweytenmal, daß er nach Regenguͤſſen am un-
ruhigſten zu werden pflegte; vermuthlich bringt alſo der Regen dergleichen
G g 2
[236]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
Ausbruͤche, auf eine oder die andre Art, zuwege, es ſey nun, daß er die
Gaͤhrung der brennbaren Mineralien im Berge wuͤrklich verurſacht, oder die-
ſelbe nur befoͤrdert und vermehrt. Nachdem wir die rauchenden Oefnungen
dieſer Solfatara lange genug betrachtet hatten, ſtiegen wir noch hoͤher, und
entdeckten bald, an unterſchiedenen Orten des Waldes, eine Menge von Pflan-
zungen. Zwiſchen dick belaubten Baͤumen brachte uns, in ſanfter Kruͤm-
mung, der Fußpfad ganz bequem bis zum Gipfel, von welchem ein ſchmaler,
in zwo Rohrzaͤunen eingehaͤgter Weg, der freye Ausſicht nach dem nordoͤſt-
lichen See-Ufer hatte, an der andern Seite des Berges hinab lief. Auf die-
ſem Wege bekamen wir in kurzer Zeit den Volcan zu Geſicht, und konnten das
Auswerfen deſſelben ſchon ſehr deutlich wahrnehmen, ohnerachtet uns noch man-
cher Huͤgel und manches Thal wohl zwey Seemeilen weit davon trennen moch-
te. Die Gewalt des unterirrdiſchen Feuers ſetzte uns am mehreſten in
Erſtaunen, denn Felſen-Klumpen, zum Theil ſo groß als unſer groͤßtes
Boot, wurden aus dem Innerſten des Berges hoch empor geſchleudert, als
ob es gleichſam nur Kieſel waͤren. Durch den bisherigen guten Fortgang
unſerer Wanderung, und durch die Einſamkeit dieſer Gegend beherzt gemacht,
waren wir im Begriff weiter vorzudringen, als ploͤtzlich der Schall von einer
oder zween großen Trompeten-Muſcheln ertoͤnte. Da dieſes Inſtrument
bey allen wilden Nationen, und vorzuͤglich in der Suͤd-See, zum Lermblaſen
gebraucht zu werden pflegt; ſo mußten wir uns durch allzu lautes Reden verra-
then, und auf ſolche Art die Einwohner in Allarm geſetzt haben. Nun durf-
ten wir folglich dem Landfrieden nicht laͤnger trauen, und kehrten alſo unver-
zuͤglich zuruͤck, erreichten auch die oberſte Solfatara, ohne von den India-
nern entdeckt zu werden. Erſt dort begegneten uns etliche die vom Waſſer-
platz herauf kamen, und ſich zu wundern ſchienen, daß wir ſo weit im Lande um-
herſchweiften. Wir halfen uns, wie gewoͤhnlich, mit dem Vorwand durch,
daß wir bloß aufs Vogelſchießen ausgegangen waͤren, und bathen ſie zugleich
um etwas zu trinken. Gegen das erſte fanden ſie nichts einzuwenden, achte-
ten aber, dem Anſchein nach, auch auf das zweyte nicht, denn ſie ſetzten ihren
Weg den Berg hinauf ganz gleichguͤltig fort. Jedoch, als wir auf demſelben
Fleck ohngefaͤhr noch eine Viertelſtunde lang nach Kraͤutern geſucht hatten, und
[237]in den Jahren 1772 bis 1775.
eben weiter gehen wollten, kam eine ganze Familie, Maͤnner, Weiber und Kin-1714.
Auguſt.

der herab, und beſchenkten uns mit vielem Zuckerrohr, auch zwo bis drey Co-
cosnuͤſſen
. Wir belohnten ſie fuͤr dieſe unerwartete Erquickung, ſo gut es
uns moͤglich war, worauf ſie ſehr zufrieden nach ihren Wohnungen, wir aber,
mit unſren botaniſchen Reichthuͤmern, an den Strand zuruͤck kehrten, woſelbſt
die Boote eben nach dem Schiffe uͤberfahren wollten. Die Indianer hatten
waͤhrend unſerer Abweſenheit angefangen, Yams, Zuckerrohr, Cocosnuͤſſe
und Piſangs zu Markt zu bringen, zwar vor der Hand noch ſehr ſparſam,
doch zum Anfange ſchon genug um fuͤr die Folge ein mehreres hoffen zu laſſen.
Unſer Eiſengeraͤth ſtand bey ihnen, aus Mangel gehoͤriger Kenntniß, noch in
gar keinem Werth; ſtatt deſſen nahmen ſie lieber Tahitiſches Zeug, kleine
Stuͤcken von Neu-Seelaͤndiſchen gruͤnen Nephritiſchen Stein, Perlen-
Mutter, und vor allen Dingen, Schildkroͤten-Schaale. Gegen letztere
vertauſchten ſie was ihnen das liebſte war, ihre Waffen, zuerſt nur Speere
und Pfeile, bald nachher aber auch Bogen und Keulen.


Gleich nach der Mahlzeit fuhren wir wiederum ans Land und eilten,
laͤngs dem Strande, nach der oͤſtlichen Spitze des Havens, von welcher uns die
Einwohner vor einigen Tagen zuruͤckgewieſen hatten. Unterwegens begegneten
wir einigen die ſtehen blieben, um mit uns zu ſprechen, ein andrer Indianer
aber, huckte ſich hinter einem Baume nieder, ſpannte ſeinen Bogen, und rich-
tete einen Pfeil auf uns. Dies wurden wir nicht ſobald gewahr, als einer
von uns gleich mit der Flinte nach ihm zielte, worauf der Kerl angenblick-
lich den Bogen von ſich warf, und ganz demuͤthig zu uns hervor gekrochen
kam. Es mag ſeyn, daß er keine boͤſe Abſicht gehabt, doch iſt dergleichen
Spaß nicht immer zu trauen. Ohnweit der oͤſtlichen Landſpitze, die wir bald
nachher erreichten, fand ſich eine Art ſchoͤner Blumen, die man vermittelſt ihrer
brennend rothen Farbe ſchon beym Einlaufen in den Haven, vom Schiffe aus,
bemerkt hatte. Jetzt zeigte ſich, daß es die Bluͤthe einer Eugenia oder Art
von Jambos-Baum war. Indem wir uͤber die Landſpitze weg und laͤngs
dem jenſeitigen Ufer fortgehen wollten, ſtellten ſich mit einmal funfzehen bis
zwanzig Indianer in den Weg und baten uns, ſehr ernſtlich, umzukehren.
Als ſie ſahen, daß wir nicht die geringſte Luſt dazu bezeigten, ſo wie-
G g 3
[238]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
derhohlten ſie ihre Bitte, und gaben endlich durch allerhand Gebehrden zu
verſtehen, daß ihre Landsleute uns ohnfehlbar todtſchlagen und freſſen wuͤrden,
wenn wir noch weiter vordringen wollten. Es befremdete uns, daß dieſe
Inſulaner, die wir nimmermehr fuͤr Menſchenfreſſer gehalten haͤtten, ſich auf
ſolche Art ſelbſt dafuͤr ausgaben. Zwar hatten ſie ſich ſchon bey andern Gele-
genheiten etwas aͤhnliches merken laſſen; da es aber lieblos geweſen waͤre ſie auf
eine bloße Vermuthung einer ſolchen Barbarey zu beſchuldigen, ſo ſtellten wir
uns, als haͤtten wir ihre Zeichen dahin verſtanden, daß ſie uns etwas zu eſſen
anboͤten, giengen alſo immer weiter fort und winkten ihnen zu, daß wir’s
uns recht gut wuͤrden ſchmecken laſſen. Nun gaben ſie ſich alle Muͤhe uns aus
dem Irrthum zu reißen, und deuteten uns durch Zeichen ſehr verſtaͤndlich an,
daß ſie einen Menſchen zuerſt todtſchluͤgen, hierauf die Glieder einzeln abloͤſe-
ten, und dann das Fleiſch von den Knochen ſchabten. Endlich ſetzten ſie die
Zaͤhne an den Arm, damit uns gar kein Zweifel uͤbrig bleiben ſollte, daß ſie
wuͤrklich Menſchenfleiſch aͤßen. Auf dieſe Warnung kehrten wir von der Land-
ſpitze zuruͤck, und giengen nach einer Wohnhuͤtte hin, die, ohngefaͤhr funfzig
Schritt davon, auf einer Anhoͤhe lag. Sobald uns die Bewohner derſelben
herauf kommen ſahen, liefen ſie hinein und hohlten ſich Waffen heraus,
vermuthlich um uns zuruͤck zu treiben, weil ſie glauben mochten, daß
wir, als Feinde, ihnen das ihrige rauben wollten. Zu Steurung dieſes
Argwohns, mußten wir einer Wißbegierde Schranken ſetzen, die uns ſonſt
gewiß nachtheilig geworden ſeyn wuͤrde. Gleichwohl lief ſie keineswe-
ges auf eine Kleinigkeit heraus: Es pflegten nehmlich die Indianer auf die-
ſer Landſpitze an jedem Morgen, bey Tages Anbruch, einen langſamen feyerli-
chen Geſang anzuſtimmen, der gemeiniglich uͤber eine Viertelſtunde dauerte, und
wie ein Todtenlied klang. Dies duͤnkte uns eine religioͤſe Ceremonie zu ſeyn,
und ließ vermuthen, daß dort irgendwo ein geheiligter Ort verborgen ſeyn muͤſſe,
zumahl da die Einwohner uns auch immer ſo gefliſſentlich von dieſer Gegend
abzuleiten ſuchten.


Nachdem wir einige Schritte zuruͤckgegangen, ſtiegen wir auf die hohe
Ebene, in Hoffnung von da aus etwas entdecken zu koͤnnen, weil ſie we-
nigſtens um vierzig bis funfzig Fuß niedriger liegt als die Landſpitze. Wir
[239]in den Jahren 1772 bis 1775.
fanden aber eine weitlaͤuftige Pflanzung vor uns, die aus unzaͤhligen Piſangs,1774.
Auguſt.

zum Theil auch aus Cocos-Palmen und andern hohen Baͤumen beſtand,
welche uns nirgends freye Ausſicht geſtatteten. Ueberdem war dieſe Plantage
rings umher, ſo wie es zu Tonga-Tabbu und Namocka gebraͤuchlich iſt, mit
dichten Hecken von Rohr umzaͤunt. Die Indianer folgten uns noch immer
auf dem Fuße nach, fiengen an uns von neuem zu warnen, und endlich ganz
offenbar zu drohen, daß ſie uns ſchlachten und freſſen wuͤrden, wofern wir dar-
auf beharreten, weiter zn gehen. Mit dem alten Vorwand, daß es uns le-
diglich um die Jagd zu thun ſey, war diesmahl nichts auszurichten, vielmehr
ſchien unſre heutige Beharrlichkeit ſie von neuem ſo mißtrauiſch gemacht zu ha-
ben, daß wir wohl nicht ganz friedlich auseinander gekommen ſeyn moͤchten,
wenn uns nicht der alte Pao-vjangom begegnet waͤre. Mit dieſem ließen ſie
uns geruhig laͤngs der ganzen Anhoͤhe gegen das Weſt-Ende des Havens
fortgehen. Dieſe Gegend war durchgehends mit Feigen-Baͤumen beſetzt,
die wegen ihrer eßbaren Blaͤtter und Fruͤchte ordentlich angepflanzt werden.
Sie ſind von dreyerley Arten; die eine traͤgt Fruͤchte von eben der Groͤße als
bey uns zu Lande, nur daß ſie von auſſen wollicht wie Pfirſichen, und inwendig
blutroth wie Granataͤpfel ſind. Der Saft iſt ſuͤß, ſonſt aber eben nicht
ſchmackhaft. Auf einer andern Art großer Baͤume wuchs die Jambu ſehr
haͤufig; dieſe Frucht iſt ohngefaͤhr ſo groß als eine kleine Birne, und ihres
angenehm ſaͤuerlichen Saftes wegen ſehr kuͤhlend. Auſſerdem gab es hier
auch noch ſchoͤne Kohl-Palmen, (areca oleracea Linn.) Jenſeits dieſer
Plantage kamen wir in ein kleines Waͤldchen von allerhand bluͤhenden Straͤu-
chen, welches einen anmuthigen freyen Platz enthielt, der wenigſtens hundert
Ellen im Gevierte hatte, und auf allen Seiten mit hohen, ſo dick belaubten
Baͤumen eingeſchloſſen war, daß man kaum hindurch ſehen konnte. Am
Rande deſſelben lagen drey Wohnhuͤtten, und in einer Ecke ſtand ein wilder,
ungewoͤhnlich großer Feigenbaum, der ohnweit der Wurzel wenigſtens drey El-
len im Durchmeſſer hielt, und ſeine Aeſte, auf eine [mahleriſche] Art, wohl vier-
zig Ellen weit, nach allen Seiten ausbreitete. Unter dieſem ſtattlichen Bau-
me, der noch im beſten Wuchſe war, ſaß eine kleine Familie bey einem Feuer,
an welchem ſie Yams und Piſangs brateten. Sobald ſie uns gewahr wur-
[240]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
den, liefen ſie fort, ſich in den Huͤtten zu verbergen; allein Pao-vjangom rief
ihnen zu, daß ſie nichts zu befuͤrchten haͤtten, und auf dieſe Verſicherung kamen
ſie wieder zum Vorſchein. Die Weiber und Maͤdchen blieben jedoch in einer
ziemlichen Entfernung, und ſahen nur dann und wann ſchuͤchtern hinter
den Buͤſchen hervor. Wir thaten als ob wir ſie gar nicht bemerkten, und
ſetzten uns indeſſen bey den Maͤnnern nieder, die uns mit eben der gaſtfreyen
Gemuͤthsart, welche wir faſt in allen dieſen Inſeln angetroffen hatten, an
ihrer Mahlzeit Theil zu nehmen baten. Die Huͤtten ſind eigentlich
nur große Daͤcher die auf der Erde ruhen, und oberhalb ſchraͤg zuſam-
menſtoßen. An beyden Enden ſtanden ſie offen, auſſer daß ein kleines Ge-
laͤnder, von Rohr und Stecken geflochten, ohngefaͤhr 18 Zolle hoch davor ge-
ſetzt war. An den groͤßten Huͤtten betrug die Hoͤhe des Dachs neun bis zehn
Fuß, und die Breite zwiſchen beyden Dach-Waͤnden, unten am Boden, ohn-
gefaͤhr eben ſo viel. Die Laͤnge hingegen war betraͤchtlicher, indem ſie ſich
zuweilen wohl auf 35 bis 40 Fuß erſtreckte. Nichts kann einfacher
ſeyn, als der Bau dieſer Wohnungen. Zwo Reihen Pfaͤhle werden ſchraͤg
in die Erde geſteckt, ſo daß ſie mit den obern Enden zuſammen ſtoßen.
In dieſer Richtung werden, von den gegen uͤber ſtehenden, je zween und zween
an einander feſtgebunden, und das ganze Sparrwerk mit Matten belegt, bis
das Dach dicht genug iſt, um weder Wind noch Regen durchzulaſſen. In-
wendig fanden wir nicht das geringſte Geſchirr oder Hausgeraͤth, ſondern
blos etliche aus Palm-Blaͤttern geflochtne Matten hin und wieder ausgebrei-
tet, und den Reſt des Fußbodens mit trocknem Graſe beſtreuet. In jeder Huͤtte
war an mehr denn einer Stelle Feuer angemacht geweſen, welches auch die Sei-
tenwaͤnde bezeugten, in ſo fern ſie uͤber und uͤber von Ruß glaͤnzten. Mitten auf
dem freyen Platze ſtanden drey hohe Stangen neben einander, die aus Cocos-
ſtaͤmmen gemacht und durch kleine Latten unter ſich verbunden waren. Von
der Spitze an bis zehn Fuß von der Erde herab hatte man viele kurze Stecken,
der Queere nach, an dieſe Stangen befeſtigt, und eine Menge alter Cocos-
Nuͤſſe daran aufgehangen. Da die Einwohner das Oel dieſer Frucht zum
Salben und die Schaale zu Armbaͤndern und andern ſolchen Zierrathen ge-
brauchen; ſo mag dies Aufhaͤngen derſelben in freyer Luft wohl eine Art von
noth-
[241]in den Jahren 1772 bis 1775.
nothwendiger Zubereitung ſeyn; aus bloßer Wirthſchaftlichkeit kann es we-1774.
Auguſt.

nigſtens nicht geſchehen, denn ſonſt wuͤrden ſie in dem großen Hayn von wilden
Cocos-Palmen, der laͤngſt dieſer bebauten Anhoͤhe ohnweit dem Ufer ſtand, nicht
ſo viel Nuͤſſe unter den Baͤumen haben liegen und verderben laſſen. Rund um
den gruͤnen Platz hiengen, auf den Gebuͤſchchen, kleine Lappen von dem Zeuge
welches ſie aus der Rinde eines Feigenbaumes machen und in Form eines
Guͤrtels oder einer Scherpe zu tragen pflegen. Die Geſchenke die Pao-
vjangom
von uns erhalten, worunter ſich auch ein Treſſen-Huth befand,
waren auf eben dieſe Art, gleichſam als Ehrenzeichen, zur Schau geſtellet.
Dies ſorgloſe Verfahren duͤnkt mir ein unleugbarer Beweis von der allgemeinen
Ehrlichkeit der Tanneſer unter ſich. In Tahlti muß jeder Eigenthuͤmer ſchon
ſeine kleine Haabe ans Dach haͤngen, und die Leiter des Nachts ſtatt eines
Kiſſens unter den Kopf legen, um vor Dieben ſicher zu ſeyn; hier hingegen
iſt alles auf dem erſten beſten Strauch in Sicherheit. Daher kam es auch,
daß wir waͤhrend unſers Aufenthalts unter dieſen Inſulanern (von Tanna,)
nicht das geringſte durch Diebſtahl eingebuͤßt haben. Sobald die Bewohner
vorgedachter Huͤtten ſahen, daß wir in ihren Wohnungen keinen Unfug anrichte-
ten, nichts wegnahmen, oder auch nur verſchoben, ſo ließen ſie ſich unſere Gegen-
wart ganz gern gefallen. Die Jugend die, mit Mistrauen und Argwohn noch
unbekannt, gemeiniglich die ganze Welt fuͤr ſo offenherzig und ehrlich haͤlt als ſie
es ſelbſt iſt, gewann bald Zutrauen zu uns. Jungen von ſechs bis vierzehn Jah-
ren, die anfaͤnglich in einiger Entfernung geblieben waren, kamen unvermerkt
naͤher, und ließen ſich bey der Hand nehmen. Wir theilten Medaillen an ſeid-
nen Baͤndern imgleichen Stuͤcken von Tahitiſchen Zeug unter ſie aus, wel-
ches ihnen denn vollends alle Furcht und Schuͤchternheit benahm. Wir
fragten auch nach ihren Namen, und ſuchten ſie auswendig zu behalten. Die-
ſer kleine Kunſtgriff brachte uns ihr ganzes Vertrauen zuwege. Sie freuten
ſich unbeſchreiblich ſehr, daß wir ihre Namen zu nennen wußten, und liefen ſich
ſchier auſſer Athem, wenn wir ſie herbey riefen. Endlich ſtanden wir auf, um
nach dem Strande zuruͤck zu kehren. Unſer gewoͤhnlicher Begleiter, der alte Pao-
vjangom
, wollte diesmahl nicht mitgehen, weil es ſchon Abend zu werden anfieng,
dagegen gab er uns drey von ſeinen Landsleuten zu Fuͤhrern, und trug ihnen ausdruͤck-
Forſters Reiſe u. d. W. Zweyter Th. H h
[242]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt
lich auf, den naͤchſten Fußſteig zu waͤhlen. Beym Weggehen beſchenkten wir ihn,
fuͤr ſeine geleiſteten Dienſte, aufs neue und ſchieden vergnuͤgt von einander.
Unſre Fuͤhrer waren gutwillige junge Leute. Als wir unterweges uͤber Durſt
klagten, und von den Cocos-Palmen, die am Strande in großer Menge wuch-
ſen, etliche Nuͤſſe verlangten, ſchlugen ſie alsbald einen andern Pfad ein, der
nach einer Pflanzung zufuͤhrte. Hier ſtand eine Parthey Cocosbaͤume in der
Mitte der Plantage, und von dieſen pfluͤckten ſie uns einige Nuͤſſe. Sobald
wir ſie koſteten, zeigte ſich, warum die guten Jungen ſo weit darnach gegangen,
da ihnen doch die Palmen am Strande weit naͤher zur Hand geweſen waͤren.
Es trugen nemlich dieſe hier ungleich wohlſchmeckendere Fruͤchte als jene. Am
Strande wuchſen ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen und wild, indeß die in den Plantagen
durch Verpflanzung und ſorgfaͤltige Wartung um vieles verbeſſert waren. Daß
die Cocos-Palmen, gleich andern Frucht-Baͤumen, durch gehoͤrige Cultur ſehr
veredelt werden koͤnnen, ſiehet man nirgends deutlicher als in Japan, denn dort
hat der Fleiß der Einwohner, blos durch verſchiedne Behandlung, unterſchie-
dene Sorten von dergleichen Nuͤſſen hervorgebracht, die ſaͤmmtlich wohlſchme-
ckender ſind als die wilde Gattung. (*) Auf den Societaͤts-Inſeln giebt
es auch eine ſehr gute Sorte, die ihre Vorzuͤge ebenfalls nichts anderm als
der guten Pflege zu verdanken hat. Die wilde Palme hingegen, habe ich nir-
gends als in Tanna und den neuen Cycladiſchen Inſeln uͤberhaupt angetrof-
fen. Von den beſſeren Sorten unterſcheidet ſie ſich auch in dem Stuͤck, daß
ſie nicht blos in der Ebene, ſondern auch auf Bergen fortkommt. Nachdem
uns unſre gutherzigen Fuͤhrer genugſam erquickt, brachten ſie uns auf dem
kuͤrzeſten Wege nach den Strand herab, ſo daß wir in wenig Minuten wieder
bey unſern Waſſerleuten ankamen. Hier belohnten wir ſie, ſo gut es in un-
ſerm Vermoͤgen ſtand, und eilten, der einbrechenden Nacht wegen, an Bord.


Die Solfatara auf dem weſtwaͤrts gelegenen Berge duͤnkte uns in al-
ler Abſicht einer naͤheren Unterſuchung werth zu ſeyn. In dieſer Abſicht ver-
fuͤgten wir uns am naͤchſten Morgen, und zwar in Begleitung des Mahlers
Herrn Hodges, wiederum dahin. Der Volkan donnerte heut den ganzen Tag
[243]in den Jahren 1772 bis 1775.
uͤber, und warf eine Menge feiner ſchwarzer Aſche aus, die bey genauer Be-1774.
Auguſt.

ſichtigung aus lauter langen, nadelfoͤrmigen, halb durchſichtigen Schoͤrl-
koͤrnern beſtand. Mit ſolchem Schoͤrl-Sand war das Erdreich auf der gan-
zen Inſel, ja alles Kraut und Laub, dermaaßen beſtreuet, daß wir beym Bo-
taniſiren, die Blaͤtter ungemein behutſam abbrechen mußten, wenn uns jene
Aſche nicht ins Auge ſtaͤuben, und Schmerzen verurſachen ſollte. Dieſe ge-
ringe Unannehmlichkeit wird aber den Inſulanern, von dem Vulkan auf an-
dre Art reichlich verguͤtet. Es geben nemlich die Schlacken, welche er aus-
wirft, zumal wenn ſie erſt verwittert ſind, einen treflichen Duͤnger fuͤr den Bo-
den ab, und veranlaſſen den vorzuͤglichen Flor, worinn ſich hier das Pflanzen-
reich befindet. Kraͤuter und Stauden werden faſt noch einmal ſo hoch, be-
kommen ungleich breitere Blaͤtter, groͤßere Blumen, und einen weit ſtaͤrkeren
Geruch, als in andern Laͤndern. So verhaͤlt ſich’s, bald mehr bald minder,
uͤberall, wo Vulkane vorhanden ſind. In Italien z. B. wird die Gegend um
den Veſuv fuͤr eine der fruchtbarſten gehalten, auch bringt ſie in der That die
beſten italiaͤniſchen Weine hervor. Der Etna in Sicilien ſteht ebenfalls in
dem Ruf der Fruchtbarkeit, und in Heſſen iſt das vulkaniſche Erdreich des Ha-
bichtswalds
, ob es gleich mitten in einer hohen, nackten und daher kalten
Gegend liegt, uͤberaus fruchtbar. Die daſelbſt angelegten Luſtgaͤrten des
Landgrafen bezeugen dieſes indem ſie zu jedermanns Bewunderung, mit allen
moͤglichen Arten fremder und einheimiſcher Gewaͤchſe prangen. Was wir
ſelbſt, uͤber dieſen Punkt, in den verſchiedenen Inſeln der Suͤd-See bemerkt
haben, beſtaͤtiget die Richtigkeit jener Beobachtung vollkommen. Die So-
cietaͤts-Inſeln
, die Marqueſas, und einige der Freundſchaftlichen-Eylan-
de
, woſelbſt Spuren von ehemaligen Vulcanen, imgleichen Ambrym und
Tanna, wo noch wirklich brennende Berge vorhanden ſind, alle dieſe In-
ſeln haben fetten fruchtbaren Boden, darinn die Pflanzen zu einem koͤnigli-
chen Wuchs, und zu den glaͤnzendſten Farben gelangen. Selbſt in dem von
ſpaͤtern vulkaniſchen Ausbruͤchen noch ganz verheerten Oſter-Eiland, wachſen
ſchon allerhand Kraͤuter und eßbare Wurzeln, ohnerachtet der Boden mehr aus
Schlacken, verbrannten Steinen und Bimsſteinen, denn aus eigentlicher trag-
barer Erde beſtehet, die Sonnenhitze auch uͤberdem ſo unertraͤglich iſt, daß
H h 2
[244]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
man denken ſollte, es muͤßte bey dem gaͤnzlichen Mangel an Schatten, ſchon
deshalb allein, jedes Grashaͤlmchen verdorren und abſterben.


Unter dieſen Betrachtungen kamen wir an die unterſte von den rauchen-
den Oefnungen der Solfatara, hielten uns aber nicht lange dabey auf, weil
ſich etwas weiter aufwaͤrts ſchon einige Indianer zeigten. Wir erkannten ſie
bald fuͤr eben dieſelben, die uns geſtern ſo gut aufgenommen hatten und ſahen,
daß ſie auch jetzt wieder einige von den ihrigen abſchickten, vermuthlich um
Erfriſchungen holen zu laſſen. Herr Hodges ſetzte ſich hin und zeichnete un-
terſchiedene Ausſichten, indeß wir botaniſiren giengen, und die Hitze der Sol-
fatara mit einem Fahrenheitiſchen Thermometer unterſuchten. Dieſes hatte
um halb neun Uhr als wir vom Schiff abfuhren, auf 78° geſtanden, und
war, indem es den Berg heraufgetragen wurde, durch die Waͤrme der Hand bis
auf 87° geſtiegen, nachdem es aber, fuͤnf Minuten lang, etwa 60 Fuß
weit von der Solfatara in freyer Luft an einem Baume gehangen hatte, bis
auf 80° zuruͤck gefallen. In der Zwiſchenzeit gruben wir ein Loch in die
Thon-Erde, und hiengen das Thermometer, an einem queeruͤber liegenden
Stocke, hinein. In Zeit von dreyßig Secunden war es bis auf 170° geſtie-
gen, und blieb waͤhrend der vier Minuten, welche wir es darinnen ließen, un
veraͤndert alſo ſtehen. Sobald es aber wiederum herausgenommen ward, fiel
es gleich bis auf 160°, und nach Verlauf weniger Minuten allmaͤhlig bis auf
80°. Nach dieſer Angabe kann man ſich vorſtellen, wie auſſerordentlich
heiß der Dampf, oder vielmehr Dunſt, ſeyn muͤſſe, welcher aus dem Schwefel-
behaͤlter aufſteigt. Als uns die Indianer zum Behuf dieſes Verſuchs die Erde
aufgraben ſahen, baten ſie uns, davon abzulaſſen, weil ſonſt die Flamme her-
ausſchlagen, und ein Aſſuhr entſtehen moͤchte, (welcher Name in ihrer Spra-
che dem Volcan beygelegt wird.) Sie mußten dieſes auch in allem Ernſt be-
fuͤrchten, denn ſo oft wir von neuem in der Erde ſcharrten, wurden ſie jederzeit
ſehr unruhig. Endlich giengen wir den Berg weiter hinauf und fanden, an
mehreren Orten, ſolche dampfende Stellen als die zuvor beſchriebenen. Die ab-
geſchickten Indianer waren unterdeſſen zuruͤckgekommen, und brachten Zucker-
rohr nebſt Cocos-Nuͤſſen, womit ſie uns, wie am vorigen Morgen, bewirthe-
ten. Auf dieſe Erfriſchung ſetzten wir unſern Weg nach einen benachbar-
[245]in den Jahren 1772 bis 1775.
ten Berg fort, von deſſen Gipfel man den Volkan etwas genauer zu betrachten1774.
Auguſt.

hoffen konnte. Wir hatten noch eine gute Strecke weit zu ſteigen, als uns
aus einer Plantage etliche Einwohner entgegen kamen und einen Pfad an-
wieſen der, ihrem Vorgeben nach, gerade auf den Aſſuhr oder Vulcan hin-
fuͤhren ſollte. Wir folgten ihnen etliche Meilen weit, konnten aber, weil ſich
der Pfad beſtaͤndig im Walde herumzog, an keiner Seite frey umher ſehen,
bis wir uns wider alles Vermuthen auf einmal am Strande befanden, von da
wir hergekommen waren. Vermuthlich hatten ſich die Indianer dieſer Liſt be-
dient, um uns mit guter Manier von ihren Wohnhuͤtten zu entfernen, in de-
ren Nachbarſchaft ſie durchaus nicht gern Fremde leiden moͤgen. Einer un-
ter ihnen war ein ſehr verſtaͤndiger Mann; dieſen fragten wir, ob nicht hier
in der Nachbarſchaft Inſeln laͤgen, und wie ſie hießen? worauf er uns unter-
ſchiedene nahmhaft machte, die aber, ſeinen Zeichen nach, in ſolchen Gegen-
den lagen, wo wir noch nicht geweſen waren. Bey dergleichen Erkundigun-
gen konnte man ſich kaum ſorgfaͤltig genug fuͤr Mißverſtaͤndniſſen huͤten. Der
Capitain Cook hatte z. B. eine Menge Nahmen, die ein Indianer ihm geſtern
angegeben, fuͤr lauter Nahmen von benachbarten Inſeln angenommen, da ſich
doch nachher zeigte, daß es nur die Benennungen der einzelnen Diſtricte waren,
in welche die Eingebohrnen ihre eigne Inſel (Tanna) eintheilen. Um nicht zu
einem aͤhnlichen Irrthum verleitet zu werden, fragten wir den vor uns habenden
Indianer, ob es mit den Nahmen die er uns jetzt angezeigt, vielleicht eben ſol-
che Bewandniß habe? das verneinte er aber, und ſetzte ausdruͤcklich hinzu, taſſi
(das Meer) trenne alle dieſe Laͤnder von einander, und als wir ihm auf einem
Pappier einige Zirkel hinzeichneten, um dadurch einzelne Inſeln anzudeuten,
gab er zu verſtehen, daß wir ſeine Meynung ganz recht begriffen haͤtten.


Nachmittags ſtellten wir auf der Suͤd-Seite der flachen Anhoͤhe einen
Spaziergang an, der uns verſchiedene neue Pflanzen einbrachte. Einige India-
ner erboten ſich, uns queer uͤber die Anhoͤhe nach das jenſeitige See-Ufer hin-
zufuͤhren. Allein, aus dem Wege den ſie dazu vorſchlugen merkten wir bald,
daß ſie uns, ſo wie es ihre Landslente am Vormittage gemacht, gerade wieder
nach den Waſſerplatz zuruͤckbringen wollten; wir verließen ſie alſo, um zwiſchen
den Pflanzungen, die in dieſer Gegend zum theil mit fuͤnf Fuß hohen Rohr-
H h 3
[246]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
hecken umzaͤunt waren, allein fortzugehen. Unterwegs geſellete ſich ein andrer
Indianer zu uns, der aufrichtiger war, und uns getreulich nach den jenſeitigen
Strand brachte. Hier ſahen wir die Inſel Annatom zum zweyten mahle, und
etwas weiter gen Norden ſollte, nach Ausſage dieſes Indianers, noch eine
andre Inſel, Itonga genannt, liegen, man konnte aber der allzugroßen Ent-
fernung wegen nichts davon gewahr werden. Dieſe Angabe beſtaͤrkte mich in
der Vermuthung, welche ich ſchon vorhet geaͤußert, daß nehmlich, vermittelſt
einiger uns noch unbekannten Inſeln, die Einwohner von Tanna mit den Be-
wohnern der freundſchaftlichen Eylande Verkehr und Umgang haben. Der Na-
me Itonga hat viel aͤhnliches mit Tonga-Tabbu; ja was noch mehr iſt, die
Einwohner von Middelburg oder Ea-Uwhe pflegten wohl ſelbſt dieſe Inſel
Itonga-Tabbu zu nennen. Tabbu iſt uͤberhaupt nur ein Zuſatz zum Namen,
der mehrern Inſeln in der Suͤd-See beygefuͤgt wird, z. B. Tabbua-manu;
(Saunders-Eiland) und Tabbu-Ai(*). Bey alle dem will ich nicht behaup-
ten, daß die Tanneſer, unter ihrem Itonga ſchlechterdings keine andre Inſel,
als Tonga-Tabbu verſtehen, aber ſo viel duͤnkt mir wenigſtens wahrſcheinlich,
daß irgend ſonſt ein Eiland eben dieſes Namens zwiſchen Tanna und den freund-
ſchaftlichen Inſeln
mitten inne liegen, und den Bewohnern zu gegenſeitigem
Umgang Gelegenheit geben mag. Nachdem unſre Neugier geſtillt war, ver-
fuͤgten wir uns wieder auf den Waſſerplatz, wo die Matroſen in der Zwiſchen-
zeit bey drittehalb Centner Fiſche gefangen hatten. Ein ſo gluͤcklicher Zug ſetzte
den Capitain im Stand, der ganzen Mannſchaft wieder eine friſche Mahlzeit
zu geben, die mit der groͤßten Begierde verzehrt wurde. Der Haven war
ungemein fiſchreich, und wer die Nacht dazu anwenden wollte, konnte ſichre
Rechnung machen, daß ihm die Angel etwas einbringen wuͤrde, vornemlich Al-
bekoren
und Cavalhas. Eines Tages wurden unter andern auch ein paar Fi-
ſche von eben der Art gefangen, durch welche, in den Gewaͤſſern von Mallicollo,
ſo viele unter uns waren vergiftet worden. Ich haͤtte ſehr gewuͤnſcht, dieſe
Sorte, zur Warnung fuͤr die Seefahrer, abzeichnen und beſchreiben zu koͤnnen;
allein, die Matroſen waren auf friſche Lebensmittel viel zu heißhungrig, als
[247]in den Jahren 1772 bis 1775.
daß ſie mir die Zeit dazu verſtattet haͤtten. Ohne ſich, weder an meine gute1774.
Auguſt.

Abſicht, noch an das was uns mit dieſen Fiſchen ehedem begegnet war, zu keh-
ren, ſchnitten ſie ſolche alsbald in Stuͤcken, rieben ſie mit Salz und Pfeffer
und wanderten damit nach dem Keſſel. Gluͤcklicherweiſe bekamen ſie ihnen
auch diesmal ganz wohl. Ein neuer Beweis, daß jene, die einem Theil
unſrer Geſellſchaft ſo uͤble Zufaͤlle verurſacht, ſich damals gerade von giftigen
Pflanzen oder Inſekten genaͤhrt, und dadurch eine ſchaͤdliche Eigenſchaft bekom-
men haben mußten, welche ihrer Natur ſonſt nicht eigen war. Unſre Matro-
ſen hatten ſich bey dieſem zweifelhaften Gericht auf das Experiment verlaſſen,
daß ein ſilberner Loͤffel, den ſie mit in den Keſſel geworfen, ohne alle Flecken
geblieben war. Im Grunde iſt dies aber eine ſehr unzulaͤngliche Probe,
denn bekanntermaaßen haben nur gewiſſe Arten Gift die Eigenſchaft, das
Metall anzugreifen.


Die Einwohner fuhren zwar noch immer fort, uns Yams zu verkaufen,
doch kam im ganzen nur wenig zu Markte. Schildkroͤtenſchaale war die einzige
Waare, die ihnen gefiel, allein zum Ungluͤck fanden ſich im ganzen Schiff nicht
mehr als etliche kleine Stuͤcken vorraͤthig, die in Tonga-Tadbu zufaͤlliger weiſe
eingetauſcht, und uͤberdem nicht in die beſten Haͤnde gekommen waren. Sie
gehoͤrten Matroſen zu, die unuͤberlegter weiſe Bogen und Pfeile dafuͤr einkauf-
ten, anſtatt daß ſie, zur Verbeſſerung ihrer Koſt die aus herzlich ſchlechtem
Poͤckelfleiſch beſtand, ſich und uns einen Vorrath von Yams haͤtten anſchaf-
fen ſollen.


Mit dem Botaniſiren wollte es ebenfalls nicht recht fort; ſo viel Muͤhe
wir auch daran gewendet; ſo hatten wir doch noch nicht ſo viel neue Kraͤuter
gefunden, daß wir zu Abzeichnung und Beſchreibung derſelben einen ganzen
Tag haͤtten an Bord bleiben muͤſſen. Wir giengen alſo taͤglich ohne Ausnah-
me ans Land, und ſuchten, bald hier bald dort, Stoff zu neuen Bemerkungen.


Am 13ten verfuͤgten wir uns nach der oſtwaͤrts gelegenen Anhoͤhe, um
unſere Freunde, die beym alten Pao-vjangom wohnten, zu beſuchen. So-
wohl die Neugier als auch das Mißtrauen der Inſulaner gegen uns, hatten jetzt
ſchon ſo weit nachgelaſſen, daß ſie weder ſo oft, noch ſo zahlreich als ſonſt an
den Strand herab kamen. Daher geſchah es, daß uns auf unſerm heuti-
[248]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
gen Spatziergange, vom Waſſerplatz an bis innerhalb der erſten Pflanzungen
nicht ein einziger Indianer zu Geſicht kam. Statt deſſen hoͤrten wir im Wal-
de Holz faͤllen, und entdeckten durchs Gebuͤſch einen von den Eingebohrnen, der
beſchaͤftigt war, mit einer Axt von Stein, einen Baum umzuhauen. Ohner-
achtet der Stamm im Durchmeſſer kaum acht Zoll dick ſeyn mochte, ſo ſchien es
doch mit einem ſo unzulaͤnglichen Inſtrument ein ſehr muͤhſames Unternehmen zu
ſeyn. Nachdem wir dem Manne eine Zeitlang unbemerkt zugeſehen, giengen
wir naͤher heran, da er denn mit der Arbeit inne hielt, um ſich mit uns zu be-
ſprechen. Die Knaben, welche uns von dem letzten Beſuche her kannten, ka-
men herbeygelaufen, riefen uns mit Nahmen, und brachten jeder eine Hand-
voll Feigen und Jambos zum Geſchenk. Auch die Weiber wagten es, her-
vorzukommen und uns in Augenſchein zu nehmen. Die Axt, mit welcher der
Mann arbeitete, war voͤllig ſo geſtaltet wie jene, die auf den freundſchaftli-
chen
und Societaͤts-Inſeln im Gebrauch ſind, auch der Stein, der die Klin-
ge ausmacht, war hier eben ſo wie dort, ſchwarz und dem Baſalt aͤhnlich.
Der Beſitzer ſagte uns, dieſe Steinart kaͤme von der benachbarten Inſel Anat-
tom
. Er zeigte uns auch noch eine zweyte Axt daran, ſtatt des Steins,
ein ſcharf gemachtes Stuͤck von einer Muſchel befeſtigt war (*). Dieſes ſchien
von dem ſogenannten Biſchofshut (Voluta Mitrá Linnei) genommen zu
ſeyn, und ſollte nach der Auſſage unſers Indianers von dem niedrigen Eiland
Immer (welches etliche Meilen weiter gen Norden liegt) hieher nach Tanna
gebracht werden. Der Mann wollte das Stuͤck Land, auf welchem wir ihn trafen,
eben von Baͤumen und Gebuͤſch reinigen, um alsdann Yams darauf zu pflanzen.
In dieſer Abſicht hatte er ſchon vieles Geſtraͤuch umgehauen und in Haufen gelegt,
die nachmals verbrannt werden ſollten. Als wir von ihm giengen, begleiteten uns
eine Menge kleiner Jungen nebſt zween erwachſenen Knaben, nach den jenſeitigen
Strand
[249]in den Jahren 1772 bis 1775.
Strand hin. Auf dem Wege wurden Voͤgel geſchoſſen und allerhand neue Kraͤuter1774.
Auguſt.

eingeſammlet. In dieſer Gegend ſchienen die Pflanzungen mit mehr Sorg-
falt als anderwaͤrts, auch nicht blos des Nutzens wegen angelegt, ſondern zu
gleicher Zeit zu Luſtgaͤrten beſtimmt zu ſeyn. Wenigſtens fanden wir mancherley
Staudengewaͤchſe und Kraͤuter darinnen, die theils um ihres ſchoͤnen Anſehens, theils
um des Wohlgeruchs willen da waren. Unter den Fruchtbaͤumen zeichnete ſich der
Catappa-Baum (Terminalia Catappa) aus, deſſen wohlſchmeckende Nuͤſſe
ohngefaͤhr noch einmal ſo groß ſind als ein Mandelkern. Der ſpaͤten Jahres-
zeit wegen hatte er das Laub ſchon verlohren, die Fruͤchte aber ſaßen noch an den
Aeſten. Unſre kleinen Gefaͤhrten ſchlugen dieſe Nuͤſſe zwiſchen zween Stei-
nen auf, und reichten uns den Kern auf einem gruͤnen Blatte zu. Sie bezeigten
ſich jetzt eben ſo dienſtfertig als die Tahitier, und ſcheinen nicht einmal ſo eigennuͤ-
tzige Abſichten damit zu verknuͤpfen, als jene. Wenn wir von irgend einem
neuen Kraute mehr zu bekommen wuͤnſchten, ſo durfte man es ih-
nen nur vorzeigen, und konnte darauf zaͤhlen, daß ſie nicht eher aufhoͤrten,
darnach zu ſuchen, bis ſie es gefunden. Vor ihrer Begierde uns ſchießen
zu ſehn, war kein Vogel ſicher. Er mochte noch ſo hoch, noch ſo verſteckt
ſitzen; ſo ſpuͤhrten ſie ihn aus und freuten ſich unbeſchreiblich ſehr, wenn
wir einen trafen. Um jede Wohnung graſeten ein Paar wohl gemaͤ-
ſtete Schweine und etliche Huͤhner. Hin und wieder liefen auch Rat-
ten uͤber den Fußſteig; dieſe waren von der gewoͤhnlichen Art, und hiel-
ten ſich vornemlich in den Zuckerplantagen auf, woſelbſt ſie große Verwuͤſtungen
anrichteten. Um ihrer los zu werden hatten die Indianer, am Rande
der Felder, viele tiefe Gruben gemacht, in welchen ſich dieſes Ungeziefer haͤufig
fieng. —


Bey unſerer Ruͤckkunft an den Strand, giengen wir eine gute Strecke
weit laͤngſt dem Ufer fort, um vermittelſt eines Umweges, von Norden aus nach
der oͤſtlichen Landſpitze des Havens hin zu kommen, weil die Indianer auf der
Suͤdſeite uns allemal zuruͤck gewieſen hatten. Ohnweit dem Ufer ſtanden
etliche kleine Wohnungen, die, ihrer Lage nach, wie Fiſcherhuͤtten ausſahen.
In dem Fall haͤtten wir unſre ehemalige Vermuthung, als ob ſich die Tanneſer
eben nicht ſonderlich mit dem Fiſchfang abgaͤben, wieder zuruͤcknehmen muͤſſen.
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. J i
[250]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774
Auguſt.
Allein es fanden ſich weder Leute, noch Netze, noch Fiſche; ſondern blos
ein Paar Wurfſpieße darinn, die hoͤchſtens ſtatt Harpunen konnten gebraucht
worden ſeyn. Als unſre indianiſchen Begleiter ſahen, daß wir weiter gegen die
Landſpitze zu giengen, aͤußerten ſie ungemein viel Beſorgniß, und baten uns
nicht nur, ſehr dringend, dieſe Gegend der Inſel undurchſucht zu laſſen; ſondern
drohten auch bald, daß man uns im Weigerungsfall todtſchlagen und auffreſſen
wuͤrde. Wir kehrten alſo um. Es war jetzt das dritte Mal, daß ſie ſelbſt,
durch die deutlichſten Zeichen, ſich fuͤr Menſchenfreſſer ausgaben; mithin muß
dieſe Barbarey wohl in der That bey ihnen im Schwange ſeyn. Gemeiniglich pflegt
man dieſelbe dem aͤußerſten Mangel an Lebensmitteln Schuld zu geben; allein, was
fuͤr einer Urſach will man ſie hier beymeſſen, wo das fruchtbare Land ſeinen
Einwohnern die nahrhafteſten Pflanzen und Wurzeln im Ueberfluß, und ne-
benher auch noch zahmes Vieh liefert? Wohl ungleich wahrſcheinlicher und rich-
tiger laͤßt ſich dieſe wiedernatuͤrliche Gewohnheit aus der Begierde nach Rache
herleiten. Selbſterhaltung iſt ohnlaͤugbar das erſte Geſetz der Natur; blos um
dieſe zu befoͤrdern, pflanzte ſie unſern Herzen Leidenſchaften ein. In der buͤrger-
lichen Geſellſchaft ſind wir, vermittelſt gewiſſer Geſetze und Verordnungen, freywillig
dahin uͤberein gekommen, daß nur einigen wenigen Perſonen die Sorge uͤberlaſſen
ſeyn ſoll, das Unrecht zu ruͤgen, was jedem Mitgliede insbeſondere wiederfaͤhrt:
Bey den Wilden hingegen verſchaft ſich ein jeder ſelbſt Recht, und ſucht daher
bey der geringſten Beleidigung oder Unterdruͤckung, ſeinen Durſt nach Rache
zu befriedigen. Dieſe feindſelige Geſinnung iſt uns aber eben ſo gut von
Natur eigen, als das ſanftere Gefuͤhl der allgemeinen Menſchenliebe, und,
ſo entgegengeſetzt dieſe beyde Leidenſchaften auch zu ſeyn ſcheinen; ſo ſind ſie
doch im Grunde zween der vornehmſten Triebraͤder, durch deren gegenſeitige Ein-
wuͤrkung die ganze Maſchine der menſchlichen Geſellſchaft in beſtaͤndigem Gange
erhalten, und fuͤr Zerruͤttung bewahret wird. Ein Mann, der gar keine Men-
ſchenliebe beſaͤße, verdiente, als ein wahres Ungeheuer, mit Recht den Abſcheu
des ganzen menſchlichen Geſchlechts, wer aber im Gegentheil auch durch
nichts aufzubringen waͤre, der wuͤrde in ſeiner Art ebenfalls ein veraͤchtlicher
Tropf ſeyn, weil ihn jeder feige Schurke ungeahndet kraͤnken und beleidigen konnte.
Ein Volk, oder eine Familie (denn Wilde leben doch ſelten in groͤßeren Ge-
[251]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſellſchaften bey einander) die oft den Anfaͤllen und Beeintraͤchtigungen andrer aus-1774.
Auguſt.

geſetzt iſt, wird dadurch ganz natuͤrlicher weiſe zu Haß und Unverſoͤhnlichkeit ge-
gen ihre Beleidiger gereizt, und auf ſolche Art zur Rachgier verleitet, die endlich
in Grauſamkeit ausbricht. Hat die eine Parthey noch uͤberdem Liſt und verraͤtheri-
ſche Kunſtgriffe bey ihren Feindſeligkeiten angewandt; ſo erweckt dies bey der an-
dern Mistrauen, und auf ſolche Art entſtehet denn nach und nach eine feindſelige,
boshafte Gemuͤthsbeſchaffenheit, in welcher man ſich zuletzt die groͤßten Nieder-
traͤchtigkeiten gegen ſeinen Feind erlaubt. Unter ſo bewandten Umſtaͤnden iſt nun
dem Wilden ſchon der bloße Anſchein einer Beleidigung genug, um die Waffen
zu ergreifen, und alles vernichten zu wollen, was ihm in den Weg kommt; wird
er vollends wuͤrklich gereizt, ſo verlaͤßt er ſich auf das Recht des Staͤrkſten, und
faͤllt ſeinen Feind mit einer Wuth an, die ihn der unbaͤndigſten Grauſamkeit
faͤhig macht *). Ein andres Volk hingegen, das nie boshafte Feinde oder an-
haltende Streitigkeiten gehabt, oder ſie lange vergeſſen hat, das durch den Ackerbau
ſchon zu einem gewiſſen Wohlſtand, Ueberfluß und Sittlichkeit, mithin auch zu
Begriffen von Geſelligkeit und Menſchenliebe gelangt iſt, ſolch ein Volk weiß
nichts von Jaͤhzorn, ſondern muß ſchon uͤberaus ſehr gereizt werden, wenn es
auf Rache denken ſoll.**) Noch zur Zeit gehoͤren die Einwohner von Tanna zu der
erſteren von dieſen beyden Claſſen. Es laͤßt ſich nemlich aus ihrem anfaͤnglich miß-
trauiſchen Betragen, imgleichen aus dem Gebrauche, nie unbewaffnet zu gehen,
allerdings mit Grunde vermuthen, daß ſie oft in innere Streitigkeiten unter
ſich, oder auch mit ihren Nachbarn verwickelt ſeyn muͤſſen, und da moͤgen denn
blos Wuth und Rachgier ſie nach und nach zu Cannibalen gemacht haben, als
welches ſie, ihrem eigenen Geſtaͤndniß nach, noch jetzt wuͤrklich ſind. Da wir
indeſſen keinesweges Luſt hatten, es an uns ſelbſt auf die Probe ankommen zu
laſſen, ſo mußten wir auch Verzicht darauf thun, die Urſach zu ergruͤnden, um
deren willen man uns nie geſtatten wollte, die oͤſtliche Landſpitze des Havens
in Augenſchein zu nehmen.


Die Indianer waren ſehr froh, als wir ihnen endlich Gehoͤr gaben
und umkehrten. Sie fuͤhrten uns, auf einem Pfade den wir noch nie gegan-
J i 2
[252]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
gen, durch viele ſtattliche und wohl gehaltene Pflanzungen, die in der ſchoͤnſten
Ordnung waren. Die Jungen liefen vor uns her, und ließen ihre Geſchicklich-
keit in mancherley Krieges-Uebungen ſehen. ſie wußten nicht nur mit der
Schleuder, ſondern auch mit dem Wurfſpieß ſehr gut umzugehen. Statt des
letzteren nahmen ſie ein gruͤnes Rohr, oder auch nur einen etwas ſtarken Gras-
halm, und, ſo unſicher mit beyden der Wurf haͤtte ſeyn ſollen, indem ſowohl
das eine als das andere durch den geringſten Hauch vom Winde aus ſeiner Rich-
tung gebracht werden konnte; ſo wußten ſie doch dem Wurfe ſo viel Schnellkraft
mitzutheilen, daß jene ſo leichte und biegſame Koͤrper unverruͤckt auf das Ziel
trafen und, bisweilen uͤber einen Zoll tief, in das feſteſte Holz eindrangen.
Das ſonderbarſte dabey war, daß ſie dieſe Rohr- oder Schilfſtengel mit keinem
Finger anruͤhrten, ſondern ſie zwiſchen dem Daumen und Zeigefinger blos ins
Gleichgewicht hinlegten, und dann ſo ſchwebend abwarfen. Knaben von fuͤnf
bis ſechs Jahren uͤbten ſich ſchon auf dieſe Art, um eines Tages ihre Waffen mit
Fertigkeit und Nachdruck fuͤhren zu koͤnnen. Der Weg brachte uns endlich, nach
vielen Kruͤmmungen, zu den Wohnhuͤtten unſrer freundſchaftlichen Begleiter.
Die Frauensperſonen hatten daſelbſt unter dem großen Feigenbaum ein Feuer
von kleinen Reiſern angelegt, und waren eben daruͤber her zum Mittagsbrod,
Yams und Arum-Wurzeln daran zu braten. Als ſie uns gewahr wurden,
raften ſie ſich auf und wollten davon laufen, der Zuruf unſrer Begleiter
brachte ſie aber bald zu ihrem vorhabenden Geſchaͤft zuruͤck. Wir ſetzten uns
auf den Stamm eines Baums, der neben einer Wohnung lag, und indeß etli-
che von den Indianern weggiengen, Erfriſchungen fuͤr uns zu holen, ſuchten
wir mit den uͤbrigen ins Geſpraͤch zu kommen. Sie erkundigten ſich nach
der Beſchaffenheit und dem Gebrauch unſrer Kleidung, Waffen und Geraͤth-
ſchaften; hievon konnten wir ihnen zwar nicht viel Auskunft geben, lernten
aber doch aus ihren Fragen manches neue Wort. Die Bewohner der zunaͤchſt
gelegenen Pflanzungen hoͤrten nicht ſo bald, daß wir da waͤren, als ſie ſich ſo-
gleich um uns her verſammelten und, dem Anſchein nach, Vergnuͤgen an unſerm
Umgang fanden. Zufaͤlligerweiſe brummte ich eben ein Liedchen fuͤr mich; da-
durch zog ich mir bald vieles Bitten zu, der ganzen Verſammlung etwas vorzu-
ſingen. Ohnerachtet nun keiner unter uns ſich ordentlich auf Muſik verſtand,
[253]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſo probierten wir’s doch, ihre Neugier zu befriedigen, und ließen ihnen aller-1774.
Auguſt.

hand ſehr verſchiedne Melodien hoͤren. Einige deutſche und engliſche Lieder, be-
ſonders die von luſtiger Art, gefielen ihnen ſehr, aber keines trug ſo allgemeinen
Beyfall davon, als Dr. Sparrmanns ſchwediſche Volkslieder. Es fehlte
ihnen alſo weder an Beurtheilungskraft, noch an eigenthuͤmlichem Geſchmack in
der Muſik. Als wir mit unſern Liedern fertig geworden, ſagten wir, die Reihe
ſey nun an ihnen; darauf ſtimmte einer ein ſehr ſimples Lied an, welches harmo-
niſch genug klang auch, unſerm Beduͤnken nach, weit mehr Melodie hatte, denn
irgend eins von denen, die wir unter dem heißen Himmelsſtrich im Suͤdmeer
gehoͤrt. Es war ungleich reicher und mannigfaltiger an Toͤnen als die Geſaͤnge
der Tahitier und der Einwohner von Tonga-Tabbu, von welchen es ſich
zugleich durch ſeine ernſthafte Melodie unterſchied. In den Worten mußte ein
eignes Silbenmaaß beobachtet ſeyn, ſo leicht und ſanft floſſen ſie ihnen von den
Lippen. Sobald der eine ausgeſungen, fieng ein zweyter an; ſein Lied war von
anderer, jedoch eben ſo ernſthafter Compoſition als das erſte, und dieſe Ernſt-
haftigkeit in der Muſik ſtimmte mit der Gemuͤthsart der Nation in andern
Stuͤcken vollkommen uͤberein. In der That ſahe man ſie ſelten ſo herzlich la-
chen, oder ſo aufgeraͤumt ſcherzen, als die mehr geſitteten Voͤlker auf den So-
cietaͤts-
und freundſchaftlichen Eilanden, die den Werth der Freude im ge-
ſelligen Umgange ſchon beſſer kannten. Unſre Indianer brachten nunmehro auch
ein muſicaliſches Inſtrument zum Vorſchein, welches, gleich der Syrinx oder
Pan-Floͤte von Tonga-Tabbu, aus acht Rohr-Pfeifen beſtand, mit dem
Unterſchied, daß hier die Roͤhren ſtufenweiſe kleiner wurden, und eine ganze
Oktave ausmachten, obgleich der Ton jeder einzelnen Pfeiffe nicht voͤllig rein
war. Vielleicht haͤtten wir ſie auf dieſem Inſtrument auch ſpielen gehoͤrt, wenn
nicht gerade in dem Augenblick ein anderer mit Cocosnuͤſſen, Yams, Zucker-
rohr
und Feigen gekommen, und durch dieſes Geſchenk unſre Aufmerkſamkeit
von dem muſicaliſchen Indianer abgelenkt worden waͤre. Schade, daß der
einſichtsvolle und guͤtige Freund, der mir ſeine Bemerkungen uͤber die Tonkunſt
der Einwohner von den freundſchaftlichen Eylanden, von Tahiti, und Neu-
Seeland
mitgetheilt hat, nicht auch nach Tanna gekommen iſt, denn hier
wuͤrde er gewiß zu mancher nuͤtzlichen neuen Bemerkung Anlaß gefunden haben.


J i 3
[254]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.

Ohnerachtet im vorhergehenden angemerkt worden, daß die Tanneſer
von mißtrauiſcher und rachſuͤchtiger Gemuͤthsart ſind; ſo kann ich ihnen doch bey
alledem einen gewiſſen Grad von Gutherzigkeit und menſchenfreundlichem We-
ſen keineswegs abſprechen. Jene ſcheint ihnen nicht ſowohl von Natur eigen, ſondern
vielmehr eine Folge ihrer unablaͤßigen Kriege zu ſeyn, um deren willen ſie faſt
in ſteter Lebensgefahr ſeyn moͤgen. In dieſer Vermuthung beſtaͤrkt mich ihr
Betragen gegen uns. Sie giengen naͤmlich nicht laͤnger ſo vorſichtig und zu-
ruͤckhaltend mit uns um, als bis ſie uͤberzeugt waren, daß wir in keiner feind-
ſeligen Abſicht zu ihnen kamen. Zwar ließen ſie ſich nicht ſo leicht und viel
als die Tahitier, mit uns in Handel ein; allein das ruͤhrte daher, weil ſie nicht
ſo wohlhabend waren als dieſe, uͤberdem beſteht ja auch die Gaſtfreyheit nicht
darinn, daß man das uͤberfluͤßige gegen etwas noͤthiges vertauſcht?*).


Wir beſchenkten unſre indianiſchen Freunde, ſo gut wir konnten, giengen
hierauf nach den Strand zuruͤck, und hielten uns daſelbſt noch eine Zeitlang
bey den anweſenden Indianern auf. Unter denſelben befand ſich eine groͤßere
Anzahl Frauensperſonen, als wir hier je beyſammen geſehn hatten; die mehreſten
mußten verheyrathet ſeyn, denn ſie trugen, in Matten-Saͤcken, Kinder auf dem
Ruͤcken. Einige fuͤhrten auch in Koͤrben aus Ruthen geflochten, eine
Bruth junger Huͤner, oder aber Yambo’s und Feigen bey ſich, und boten uns
beydes zum Verkauf an. Eine von dieſen Frauen hatte auch einen ganzen
Korb voll gruͤner Orangen, da doch wir, auf allen unſern Spatziergaͤn-
gen, nicht einen einzigen Orangebaum zu Geſicht bekommen. Indeſſen war es
uns angenehm, auf dieſe Art wenigſtens gelegentlich zu erfahren, daß ſo wohl
hier als zu Mallicollo Orangen wachſen, denn daraus laͤßt ſich abnehmen, daß
dergleichen auch auf den uͤbrigen dazwiſchen liegenden Eilanden vorhanden ſeyn
[255]in den Jahren 1772 bis 1775.
muͤſſen. Mit Entdeckungen dieſer Art beguͤnſtigte uns das Gluͤck heut ganz1774.
Auguſt.

vorzuͤglich. Wir bekamen naͤmlich von einer Frauensperſon auch eine Paſtete
oder Torte geſchenkt, daran die Rinde oder der Teig aus Piſangs- und Arum-
Wurzeln, die Fuͤlle aber aus einem Gemiſch von Okrasblaͤttern (hibiscus escu-
lentus
) und Cocos-Kernen beſtand. Dieſe Paſtete war ſehr wohlſchmeckend,
und machte der Kochkunſt der hieſigen Damen ungemein viel Ehre. Wir kauf-
ten auch etliche achtroͤhrige Pfeifen ein, die nebſt Bogen, Pfeilen, Streitkol-
ben und Speeren feil geboten wurden, und kamen, bey ſo vielfaͤltigem Aufent-
halt, ziemlich ſpaͤt an Bord.


Gleich nach Tiſche eilten wir wieder nach den Strand zuruͤck, wo unſre
Leute beym Fiſchfange beſchaͤftigt waren. Dr. Sparrmann und ich giengen
auf die Anhoͤhe, um bey den dort wohnenden Inſulanern nochmals einzuſprechen.
Auf der Haͤlfte des Weges begegneten uns ſchon einige, und zeigten uns die
naͤchſten Fußſteige. Kaum waren wir bey den Huͤtten angekommen und hatten
uns neben einem ehrlichen, wohl ausſehenden Hausvater, von mittlerem Alter,
niedergelaſſen, ſo verlangten unſre Freunde, daß wir ihnen wieder etwas vorſin-
gen ſollten. Wir machten ihnen dieſe Freude, ohne lange Weigerung, und
weil ſie ſich uͤber die Verſchiedenheit unſrer Lieder zu wundern ſchienen, ſo be-
muͤhten wir uns, ihnen begreiflich zu machen, daß wir in unterſchiednen Laͤndern
gebohren waͤren. Sobald ſie dies verſtanden, ruften ſie einen aͤltlichen, hageren
Mann aus dem Zirkel der Zuhoͤrer hervor, und ſagten, dieſer ſey auch aus einem
anderen Lande als ſie, nemlich aus der Inſel Irromanga, und ſollte uns nun
ebenfalls eins vorſingen. Er ſtimmte alſo ſein Lied an, machte aber unzaͤhlige
Stellungen und Grimaſſen dazu, woruͤber nicht nur alle anweſende In-
dianer, ſondern auch wir rechtſchaffen lachen mußten. Sein Lied war uͤbrigens
vollkommen ſo wohlklingend als jene, welche wir von den eingebohrnen Tan-
neſern
gehoͤrt hatten; der Innhalt aber mußte, dem eigenthuͤmlichen Ton des gan-
zen, und der Menge laͤcherlicher Stellungen nach zu urtheilen, drolligter und
voller Laune ſeyn. Die Sprache war von der Tanneſiſchen gaͤnzlich verſchieden,
jedoch keinesweges rauh, oder zur Muſik ungeſchickt. Die Worte ſchienen
ebenfalls in ein gewiſſes Silbenmaaß gebracht zu ſeyn, welches aber mit dem
ernſthaft-langſamen, das wir am Morgen gehoͤrt, nichts gemein hatte.
[256]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
Als ſein Lied zu Ende war, unterhielten ſich die Indianer mit ihm in ſeiner ei-
genen Mundart, weil er die ihrige vermuthlich nicht verſtehen mochte. Ob er
aber zum Beſuch, oder als Gefangner hergekommen war? konnten wir nicht ent-
decken. Die Einwohner erzaͤhlten uns bey dieſer Gelegenheit, daß ihre beſten
Keulen, die aus Caſuarinen-Holz gemacht werden, von Irromanga ge-
bracht wuͤrden. Es iſt alſo wahrſcheinlich, daß ſie mit den Einwohnern dieſer
Inſel freundſchaftlichen Umgang und Verkehr haben. Weder in den Geſichts-
zuͤgen, noch in der Tracht des Mannes von Irromanga war der geringſte Na-
tional-Unterſchied zu bemerken, ausgenommen, daß er ſein kurzes und wollig-
tes Haar nicht, wie die Tanneſer, in Zoͤpfe gedrehet trug. Uebrigens beſaß er
viel Munterkeit, und ſchien aufgeweckter zu ſeyn, als die mehreſten Eingebohr-
nen von Tanna.


Waͤhrend daß er ſeine Geſchicklichkeit im Singen zeigte, kamen die
Frauensleute leiſe aus den Huͤtten hervor, und miſchten ſich unter die Zuhoͤrer.
Im Vergleich mit den Mannsperſonen waren ſie mehrentheils von kleiner Statur
und trugen zottigte Roͤcke, von Gras und Blaͤttern geflochten, die nach Maas-
gabe ihres Alters laͤnger oder kuͤrzer waren. Diejenigen, welche bereits Kin-
der gehabt, und ohngefaͤhr dreyßig Jahre ſeyn mochten, hatten alle Reize der
Geſtalt verlohren, und ihre Roͤcke reichten von den Huͤften bis auf die Knoͤchel
herab. Die juͤngern vierzehnjaͤhrigen Maͤdchen hingegen, waren nicht ohne
angenehme Geſichtszuͤge, und gefielen vornemlich durch ein ſanftes Laͤcheln, wel-
ches, ſo wie ihre Schuͤchternheit abnahm, immer freundlicher ward. Sie wa-
ren groͤßtentheils ſehr ſchlank gewachſen, hatten beſonders feine, niedliche Aer-
me, runde, volle Buſen und ein luͤſternes Roͤckchen, das kaum bis ans Knie
reichte. Ihr lockigtes Haar hieng, unverſchnitten und ungekuͤnſtelt, frey um
den Hals, dem es zu einer natuͤrlichen und gefaͤlligen Zierde gereichte, und das
gruͤne Piſangblatt, welches ſie mehrentheils als eine Muͤtze trugen, contraſtirte
auf eine angenehme Weiſe mit der ſchwarzen Farbe des Haars. In den Ohren
hatten ſie Ringe von Schildkroͤten-Schaale, und die Zahl ſolcher Zierrathen
nahm in eben dem Verhaͤltniß zu, als die Reitze der Frauensperſonen abnahmen.
Die aͤlteſten und haͤßlichſten waren daher mit einem Hals-Geſchmeide und mit
einer Menge Ohr-Ringe, Naſen-Gehaͤnge und Armbaͤnder verſehen. Die
Maͤnner
[257]in den Jahren 1772 bis 1775.
Maͤnner bezeigten, wie es ſchien, nicht die mindeſte Achtung gegen die Weiber,1774.
Auguſt.

indeß dieſe auf den kleinſten Wink gehorchten und, der Ausſage unſerer Matro-
ſen zufolge (S. oben pag. 223.) oft den niedrigen Dienſt von Laſtthieren verſe-
hen mußten. Dergleichen ſchwere Arbeit mag vielmals ihre Kraͤfte uͤberſteigen,
und kann auf ſolche Art wohl mit Schuld daran ſeyn, daß ſie von ſo kleinlicher und
ſchwaͤchlicher Statur ſind. Indeß pflegen alle ungeſittete Voͤlker den Weibern die all-
gemeinen Rechte der Menſchheit zu verſagen, und ſie als Geſchoͤpfe von niederer Art zu
behandeln; denn der Gedanke, Gluͤck und Freude im Schoos einer Gefaͤhrtin zu ſu-
chen, entſteht erſt bey einem hoͤhern Grad von Cultur. So lange nemlich der Menſch
noch unablaͤßig mit der Sorge fuͤr ſeine Erhaltung beſchaͤftigt iſt, ſo lange koͤnnen
nur wenig verfeinerte Empfindungen im Umgange zwiſchen beyden Geſchlechtern
ſtatt haben, vielmehr muß dieſer ſich blos auf thieriſchen Genuß einſchraͤnken. Auch
ſiehet der Wilde die Schwaͤche und das ſanfte duldende Weſen der Weiber nicht fuͤr
Aufmunterung und Schutz beduͤrfende Eigenſchaften, ſondern vielmehr als einen
Freyheitsbrief zur Unterdruͤckung und Mishandlung an, weil die Liebe zur Herrſch-
ſucht dem Menſchen angeboren, und ſo maͤchtig iſt, daß er ihr, zumal im Stande
der Natur, ſelbſt auf Koſten des Wehrloſen froͤhnet. Erſt mit dem Anwachs der
Bevoͤlkerung, wenn die Nahrungs-Sorgen nicht mehr jedem einzelnen Mitglied
unmittelbar allein zur Laſt fallen, ſondern gleichſam auf die ganze Geſellſchaft ver-
theilt ſind; erſt alsdann nimmt das Maas der Sittlichkeit zu, Ueberfluß tritt an
die Stelle des Mangels, und das nunmehr ſorgenfreyere Gemuͤth, faͤngt an die
ſanfteren Freuden des Lebens zu genießen, dem Verlangen nach Erholung und
Froͤhlichkeit Gehoͤr zu geben, und die liebenswuͤrdigen Eigenſchaften des ande-
ren Geſchlechts kennen und ſchaͤtzen zu lernen. Bey alledem iſt aber auch der roheſte
Wilde einer gewiſſen Zaͤrtlichkeit und Zuneigung ganz wohl faͤhig. Dies aͤußert
ſich augenſcheinlich, ſo lange er noch als Knabe,*) gedankenlos und ſorgenfrey
herumlaͤuft; ſobald er aber bey zunehmenden Jahren anfangen muß, ſelbſt fuͤr ſeine
Beduͤrfniſſe zu ſorgen, dann wird freylich, durch den Trieb dieſe zu befriedigen, jede
weniger dringende Empfindung bald uͤberwogen und geſchwaͤcht. Die urſpruͤnglich
angebohrnen Leidenſchaften ſind es allein, welche ſich neben jenen noch aufrecht
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. K k
[258]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
erhalten, und dieſe bleiben ſich auch unter allen Himmelsſtrichen gleich. Dahin gehoͤrt
die vaͤterliche Liebe, von welcher wir dieſen Abend ein redendes Beyſpiel ſahen. Ein
kleines huͤbſches Maͤdchen von ohngefaͤhr acht Jahren, ſuchte uns zwiſchen den
Koͤpfen der Leute, die um uns herſaßen, ungeſehen zu betrachten; als ſie aber merkte,
daß wir es gewahr wurden, lief ſie eilfertig nach der Huͤtte zuruͤck. Ich zeigte
ihr ein Stuͤck tahitiſches Zeug, und winkte daß ſie ſichs abholen moͤchte, allein ſie
wagte es nicht. Endlich ſtand ihr Vater auf und bewog ſie, durch Zureden, her-
anzukommen. Darauf nahm ich ſie freundlich bey der Hand, gab ihr den Zeug
nebſt allerhand kleinen Zierrathen, und ſahe mit Vergnuͤgen, wie die Freude
uͤber das Gluͤck ſeines Kindes, des Vaters ganzes Geſicht erheiterte, und ihm
dankbar aus den Augen ſtrahlte.


Wir blieben bey dieſen guten Indianern bis gegen Sonnen-Unter-
gang, hoͤrten ihren Geſaͤngen zu, und bewunderten ihre Geſchicklichkeit in
Waffen-Uebungen. Sie ſchoſſen ihre Pfeile, je nach dem wir es verlangten, theils
in die Hoͤhe, theils gerade vor ſich nach einem Ziele. Sehr hoch konnten ſie ſol-
che zwar nicht treiben, in einer geringen horizontalen Entfernung aber waren ſie,
wie ich bereits erwaͤhnt, vortrefliche Schuͤtzen. Auch wußten ſie, mit den
Keulen oder Streitkolben, die Wurfſpieße faſt auf eben die Art als die Ta-
hitier
abzuwenden. Die Keulen die an beyden Seiten mit einem hervorra-
genden Zapfen verſehen ſind, (der flach und ohngefaͤhr wie die Lanzetten der
Roß-Aerzte geſtaltet iſt, S. oben pag. 219) kommen, ihrer Ausſage nach,
von der niedrigen Inſel Immer; ob ſie aber von den dortigen Einwohnern
verfertiget werden, oder ob das Eyland unbewohnt iſt, und um des Muſchel-
fangs, imgleichen um dieſe Holzart zu holen, nur von Zeit zu Zeit beſucht wird?
konnten wir nicht herausbringen. Ehe wir ſie verlieſſen, zuͤndeten die Weiber
zu Vereitung des Abendbrodtes, theils in- theils auſſerhalb den Huͤtten ver-
ſchiedene Feuer an, zu welchen die Maͤnner und Kinder ſich ſehr hinzu draͤngten,
weil ſie bey nacktem Leibe, die Abendluſt etwas kuͤhl finden mochten. Etliche
hatten eine Geſchwulſt am oberſten Augenlied, welche aus der Gewohnheit
oͤfters im Rauche zu ſitzen, entſtanden zu ſeyn ſchien. Es hinderte ſie derge-
ſtalt im Sehen, daß ſie den Kopf zuruͤck biegen mußten, bis das Auge mit dem
Object in gleicher Linie war. Dieſe fehlerhafte Beſchaffenheit fand ſich be-
[259]in den Jahren 1772 bis 1775.
reits bey fuͤnf- bis ſechsjaͤhrigen Knaben, daher es vielleicht gar ein erbliches Ue-1774.
Auguſt.

bel ſeyn mag.


Als wir an den Strand zuruͤck kamen, waren die mehreſten von den
Eingebohrnen ſchon zur Ruhe gegangen, und in kurzer Zeit befanden wir uns
ganz und gar allein. Die Kuͤhle des Abends, welche den armen nackten
Indianern ſo empfindlich geweſen, war uns Bekleideten ſo angenehm, daß
wir noch eine ganze Zeitlang einſam in den Waͤldern herumſpatzierten. Die
Daͤmmerung lockte daſelbſt eine Menge Fledermaͤuſe aus ihren Schlupfwinkeln.
Faſt aus jedem Strauch flatterten uns welche entgegen, doch bekamen wir nicht
eine einzige zum Schuß. Man konnte ſie nemlich nicht fruͤh und nicht lange
genug ſehen, um nach ihnen zu zielen. So wenig es uns mit dieſer Jagd ge-
lingen wollte; ſo wenig war es auch den Matroſen bey ihrem Fiſchzuge ge-
gluͤckt. Sie trugen [die] Netze wieder ins Boot ohne, nach langer Arbeit, mehr
als ein paar Dutzend Fiſche gefangen zu haben.


Am folgenden Morgen gieng Cap. Cook, Herr Wales, Herr Pat-
ton
, Dr. Sparrmann,
mein Vater, ich, und noch einige andere, die
ſaͤmmtlich Luſt hatten, den Volcan in der Naͤhe zu ſehen, nebſt zween Ma-
troſen, nach den auf der Weſtſeite des Havens gelegenen Berg. Das Wet-
ter war neblicht und die Luft ſchwuͤl, allein der Volcan war ruhig. Wir
kamen bald an die Solfatara, wo der heiße Dunſt haͤufig aufſtieg. Um den
Grad der Hitze feſtzuſetzen ward der vorige Verſuch von neuem angeſtellt,
diesmal aber das Thermometer, in dem Haͤufgen weißer Thon-Erde aus wel-
chem der Dampf hervor kam, ganz und gar vergraben. In dieſer Lage ſtieg
es, nach Verlauf einer Minute, auf 210°, (welches der Hitze des ſiedenden
Waſſers beynahe gleich iſt) und blieb waͤhrend fuͤnf Minuten, als ſo lange wir
es in der Erde lieſſen, unverruͤckt ſo ſtehen. Als wir’s herauszogen, fiel es gleich
bis 95°, und dann allmaͤhlig bis 80° welche es vor dem Experiment angezeigt
hatte. Die Solfatara liegt, nach englaͤndiſchem Maaße, ohngefaͤhr um
240 Fuß ſenkrecht hoͤher als die Meeresflaͤche. Bey weiterem Berganſtei-
gen fanden wir den Wald, an mehreren Orten, ausgehauen und das Land zu
Pflanzungen vorbereitet. Dieſe Stellen mochten, zuſammen genommen, wohl
einen Morgen Landes ausmachen, und mußten, nach der Probe die wir vor
K k 2
[260]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
etlichen Tagen mit eignen Augen geſehen, den Indianern nicht wenig Zeit
und Muͤhe gekoſtet haben. Wir kamen bey verſchiedenen Huͤtten voruͤber,
trafen aber nirgends einen Einwohner an, ausgenommen in einer ſehr wohlgehalte-
nen Plantage. Dort war ein einzelner Mann beſchaͤftigt, Yam-Wurzeln zu ſetzen.
Unſre unvermuthete Gegenwart jagte ihm keinen geringen Schreck ein, da er
aber hoͤrte, daß wir nur den naͤchſten Weg nach dem Vulcan zu wiſſen verlangten,
ſo faßte er ſich bald wieder, zeigte uns einen Fußpfad, der gerade darnach
hin fuͤhren ſollte, und fuhr hierauf getroſt in ſeiner Arbeit fort. Bey den Woh-
nungen ſahen wir etliche Schweine und Huͤner, die frey herumliefen. Um
dieſer Thiere willen geſchiehet es vermuthlich, daß die Einwohner ihre Laͤn-
dereyen mit Zaͤunen und Hecken einfaſſen. Etwas weiter hinauf kamen zween
Indianer aus einem benachbarten Piſang-Garten, und geſelleten ſich zu uns.
Mit dieſen geriethen wir an einen Scheideweg. In dem einen, der tiefer ins
Land gieng, ſtand ein Wilder, der uns mit aufgehabnem Speer das Weitergehen
verbieten wollte. Wir ſagten ihm, daß wir blos nach dem Vulcan hin-
zukommen wuͤnſchten; ſo muͤßt ihr, erwiederte er, den andern Fußſteig waͤh-
len, und damit gieng er ſelbſt voran. Indem wir ihm folgten, ſahe er
ſich zu verſchiednenmalen um, und zaͤhlte wie viel unſerer waͤren; nach Verlauf
einiger Zeit erreichten wir einen offenen Platz, wo das Land weit und breit zu
uͤberſehen war, und nun zeigte ſich, daß er uns gefliſſentlich irre gefuͤhrt hatte.
Wir kehrten alſo, aller ſeiner Zeichen ohnerachtet, wieder um. Da er ſeine Liſt
entdeckt, und ſich allein nicht ſtark genug fand, Gewalt gegen uns zu gebrauchen;
ſo nahm er ſeine Zuflucht zu einem andern Huͤlfsmittel. Er blies nemlich, wie
auf einem Horne, durch die hohle Hand; auf dieſes Signal ward an verſchiede-
nen Seiten des Berges, gleichſam zur Antwort, in die Trompeten-Muſchel ge-
ſtoßen. So bald er dieſes hoͤrte, rief er, ſo laut als moͤglich, ſeinen
Landsleuten zu: wie viel unſrer waͤren; vermuthlich, damit ſie ſich in genugſa-
mer Anzahl verſammeln und zur Wehr ſetzen moͤchten. Wir hatten uns mitt-
lerweile von neuem verirrt, und waren in ein ſchoͤnes, einſam gelegenes, und
rings herum mit hohen ſchattigten Baͤumen eingeſchloſſenes Thal gekommen, wo
ſich eine Menge Tauben und Papagoyen aufhielten. Von dieſen ſchoſſen wir
unterſchiedene. Der Knall unſerer Gewehre brachte bald einige Inſulaner und
[261]in den Jahren 1772 bis 1775.
unter andern ein paar Knaben herbey, die wir durch Geſchenke zu gewinnen1774.
Auguſt.

ſuchten. Dies fruchtete ſo viel, daß ſie uns ungehindert einen Fußſteig folgen
ließen, der ſchlaͤngend durch ein dickes, finſteres Gebuͤſch nach einen offenen Platz
hingieng, wo wir drey oder vier Haͤuſer, ſo groß als die Wohnungen des alten
Pao-vjangom, vor uns fanden. Zehen bis zwoͤlf Wilde, die mit Vo-
gen, Pfeilen, Streitkolben und Speeren wohl bewaffnet, ohnweit den Huͤt-
ten in einer Reihe ſaßen, ſprangen bey unſerm Anblick alsbald von der Erde auf.
Wir winkten ihnen und gaben durch Zeichen zu verſtehen, daß wir nichts uͤbles
im Sinne haͤtten, ſie ſchienen uns aber dennoch nicht recht zu trauen. Die
aͤlteſten unter ihnen bezeigten ſich friedlicher als die juͤngern, von denen zween
bis drey die Stirn runzelten, und mit ihren Waffen allerley Schwenkungen
machten. Dies haͤtten wir ihnen leicht zu einer Ausforderung anrechnen koͤn-
nen; da es uns aber im geringſten nicht um Haͤndel zu thun war, ſo baten wir
ſie, uns den Weg nach dem Strande anzuweiſen. Ein wuͤrkſameres Mittel
zu ihrer Beruhigung haͤtten wir gar nicht anwenden koͤnnen. Es erboten ſich
gleich ein paar von ihnen zu Fuͤhrern, und brachten uns auf einen ſchmalen Fuß-
ſteig, der anfaͤnglich ſehr ſteil, jedoch bald nachher bequemer wurde. Als wir
etwa eine Viertelmeile weit heruntergeſtiegen ſeyn mochten, riethen ſie uns, ein
wenig auszuruhen; und kaum hatten wir uns niedergeſetzt, ſo kamen ihre Lands-
leute, die bey den Huͤtten zuruͤckgeblieben waren, mit Cocos-Nuͤſſen, Piſangs und
einer Menge Zuckerrohr beladen, nachgewandert. Des ſchwuͤlen Wetters halber
waren uns dieſe Erfriſchungen uͤberaus angenehm, und wir bezeigten den guten
Leuten unſre Erkenntlichkeit dafuͤr durch allerley Geſchenke. Wir ſahen nunmehro
auch offenbar, daß ſie uns lediglich aus Mistrauen, nicht aber aus wuͤrklich
menſchenfeindlicher Geſinnung hatten abhalten wollen tiefer in ihr Land zu drin-
gen. Nach Verlauf einer halben Stunde kamen wir endlich in die Gegend des
Strandes zuruͤck, von da wir am Morgen unſre Wanderſchaft angetreten. So
endigte ſich alſo dieſe kleine Reiſe, die bey etwas mehr Unbeſonnenheit von unſe-
rer Seite, den Einwohnern ſowohl als uns haͤtte nachtheilig werden koͤnnen, ohne
die geringſte Unannehmlichkeit. Unſere Abſicht, den Vulcan naͤher zu unter-
ſuchen, war freylich vereitelt, und ſelbſt kein Anſchein da, ſie in der Folge gluͤck-
licher zu erreichen, allein die Billigkeit und Klugheit erfordern es doch einmal,
K k 3
[262]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
daß man ſeiner Wißbegierde Schranken ſetze, wenn ſie nicht ohne Ungerechtig-
keit und Blutvergießen befriedigt werden kann.


Waͤhrend unſerer Abweſenheit hatte das Schiffsvolk, beym Eintritt der
Fluth, das Netz ausgeworfen und eine kleine Anzahl Fiſche gefangen, unter
welchen ſich eine unbekannte Gattung befand. In dem Teiche von ſuͤßem Waſſer
hatten wir ebenfalls einen Fiſch von neuer Art, und eine Menge Sumpf-Aale
bekommen. Dieſe Ausbeute nahmen wir, nebſt denen auf dem Berge einge-
ſammelten Pflanzen, mit an Bord und beſchaͤftigten uns, den Nachmittag uͤber, ſie
abzuzeichnen und zu beſchreiben.


Am folgenden Morgen giengen wir von neuem aufs Botaniſiren aus.
Der Handel um Yams und Waffen ward noch immer fortgeſetzt, Schildkroͤten-
Schaale war aber auf unſerm Schiffe eine ſo ſeltne Waare, daß nicht viel Le-
bensmitteln eingekauft werden konnten; die Perlmutterne Fiſchangeln von den
freundſchaftlichen Eilanden wurden ſehr geſucht, und oft mit einer ganzen Hand-
voll Pfeilen bezahlt, weil ſie mehrentheils Haken von Schildkroͤten-Schaale
hatten, indeß eine andre Angel, die an ſich eben ſo gut war, gar nichts galt
bloß, weil der Haken nur von Perlmutter war. Wir durchſtrichen die auf
der Ebene befindliche Waldung, und ſchoſſen allerhand Voͤgel, deren es auf
dieſer Inſel eine große Menge von verſchiedener Art giebt. Auch fanden ſich
mancherley Oſtindiſche Pflanzen, die wir in keiner von den oͤſtlichern Inſeln an-
getroffen hatten. (*) Der ſchaͤtzbarſte Fund war eine Taube, von eben der
Art die auf den freundſchaftlichen Eylanden ſo haͤufig vorhanden iſt. Dieſe
hier hatte auswendig am Schnabel eine roͤthliche Subſtanz kleben und, wie ſich
beym Aufſchneiden fand, zwo Muſcatnuͤſſe im Kropf, welche nicht laͤngſt erſt ver-
ſchluckt ſeyn mußten, indem ſie noch mit ihrer ſcharlachfarbnen Haut uͤberzogen
waren. Dieſe Haut iſt das, was man die Muſcat-Bluͤthe zu nennen pflegt. Wir
fanden ſie von bittern und gewuͤrzhaftem Geſchmack, aber ohne allen Geruch.
Die Nuß ſelbſt war von Geſtalt ungleich laͤnglichter, [hingegen] dem Ge-
ſchmack nach, von der eigentlichen oder rechten Muſcatnuß, nicht ſo ſehr verſchieden.
[263]in den Jahren 1772 bis 1775.
Wir zeigten ſie dem erſten Einwohner, der uns begegnete, und boten ihm ein1774.
Auguſt.

Stuͤck Perlmutter-Schaale zu Belohnung, wenn er uns die Art Baͤume, wor-
auf ſie waͤchſt, kennen lehren wollte. Er fuͤhrte uns wohl eine halbe Meile
weit ins Land, und zeigte uns endlich einen jungen Stamm, welches der Muſ-
cat-Nuß-Baum ſeyn ſollte. Wir pfluͤckten etliche Blaͤtter davon ab, fanden aber
keine Fruͤchte, weil, ſeiner Ausſage nach, die Tauben ſie nicht lange ſitzen lieſ-
ſen. Die Nuß nannte er in ſeiner Sprache Guannatàn. Waͤhrend dieſer
Unterredung hoͤrten wir einige ſcharfe Flintenſchuͤſſe, die uns befuͤrchten ließen
daß, zwiſchen den Eingebohrnen und unſern Leuten, Haͤndel vorgefallen waͤren.
Ein Indianer, der eben vom Strande her kam, ſagte uns im Vorbeygehen
etwas, welches wir nicht recht verſtanden, aber fuͤr eine Beſtaͤtigung unſrer
Vermuthung hielten. Alſo eilten wir an die See zuruͤck, wo jedoch alles ruhig,
auch dort ſo wenig als ſonſtwo, etwas vorgefallen war. Das Laub welches wir
fuͤr Muſcat-Nuß-Blaͤtter bekommen hatten, wollte keiner von denen am Strande
verſammleten Indianern dafuͤr gelten laſſen; ſondern ſie gaben demſelben durch-
gehends einen ganz andern Namen, als unſer Wegweiſer. Als dieſer merkte,
daß wir auf der Spur waren, den Betrug zu entdecken, winkte er ſeinen Lands-
leuten zu, daß ſie den Blaͤttern eben den Namen beylegen moͤchten als er. Wir
gaben ihm aber bald zu verſtehen, wie ſehr uns ſeine ſchlechte Auffuͤhrung miß-
fiele, und er mußte auch von den Indianern Verweiſe daruͤber anhoͤren.


Nachmittags gieng Capitain Cook mit den Lieutenants Cooper und
Pickersgill, mit Herren Patton, Hodges, Dr. Sparrmann, meinem Va-
ter und mir nach der oſtwaͤrts gelegenen Anhoͤhe, durch die Gaͤrten und
Pflanzungen, bis an den jenſeitigen Strand. Er wuͤnſchte vornemlich,
von dort aus die Inſel Annattom zu ſehn; ſie war aber groͤßtentheils in di-
cken Nebel verhuͤllt, ſo daß wir faſt unverrichteter Sachen wieder umkehren
mußten. Unterwegens ſchoſſen wir Voͤgel und kamen unvermerkt bey den
Wohnungen unſrer freundſchaftlichen Indianer an. Der Vater des kleinen
Maͤdchens, deſſen ich S. 258. erwaͤhnt, brachte mir Piſangs, Zuckerrohr
nebſt Cocosnuͤſſen zum Geſchenk, und beſtaͤrkte mich dadurch in der vortheil-
haften Meynung, die ich mir von ſeiner Empfindſamkeit gemacht hatte. Herr
Hodges zeichnete unterwegens verſchiedne Ausſichten, vornemlich dieſes kleine
[264]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
Gehoͤft mit einer Gruppe von Einwohnern beiderley Geſchlechts, die unter den
ſchattenreichen Aeſten des Feigenbaums im Graſe ſaßen. Nach dieſer Skizze
hat er in der Folge ein Gemaͤhlde verfertigt, auf welchem ſowohl die Gegend
als die Einwohner, der Wahrheit und Natur getreu, vorgeſtellt ſind. Gegen
Sonnen Untergang fuhren wir nach dem Schiffe zuruͤck.


Am folgenden Morgen verfuͤgten wir uns von neuem aus Land, und
giengen auf der Ebene in den Wald. Es hielt ſich eine Menge großer Pa-
pagoyen, die von ſchoͤnem ſchwarz, roth und gelbfleckigtem Gefieder waren,
darinn auf. Sie ſaßen aber in den Gipfeln der Feigenbaͤume, wo
ſie, nicht allein der großen Hoͤhe, ſondern auch des dicken Laubes wegen, mit
Schroot-Schuͤſſen gar nicht zu erreichen waren. Die ungeheure Groͤße
dieſer Baͤume kann man ſich kaum vorſtellen. Ihre Wurzeln ſtehen groͤß-
tentheils uͤber der Erde, und machen, ohngefaͤhr zehn bis zwoͤlf Fuß hoch vom
Boden, das Stamm-Ende des Baumes aus. Ein ſolcher Stamm haͤlt
manchmal neun bis zehen Fuß im Durchſchnitt, und ſcheint aus mehreren
zuſammengewachſenen Baͤumen zu beſtehen, die auf allen Seiten, der Laͤnge
nach, ſcharfe ohngefaͤhr einen Fuß breit hervorſtehende Ecken haben. In
dieſer Figur wachſen ſie dreyßig bis vierzig Fuß hoch, ehe ſie ſich in Aeſte
theilen, von denen jeder wenigſtens drey Fuß im Durchmeſſer hat. Die
Aeſte werden ebenfalls dreyßig bis vierzig Fuß lang ehe ſie kleinere Zweige
hervortreiben, und auf ſolche Art iſt der Gipfel des Baumes zum mindſten
hundert und funfzig Fuß hoch. Am haͤufigſten ſtanden ſie in einem Sumpf
oder Moraſt, wo ſich der Teich, aus welchem wir Trinckwaſſer fuͤrs Schiff ein-
fuͤllten, in verſchiedene Aerme verlor. Ob dieſer Teich das aͤuſſerſte Ende ei-
nes Fluſſes ſey, der von den innern bergigten Gegenden der Inſel herab-
kommen, und in der volkaniſchen Schlacken-Aſche, auf der Ebene, ſich nach
der See hin verlaufen mag, oder, ob er nur von den Regenguͤſſen die in den
Sommermonathen fallen, entſtanden waͤre? konnten wir nicht mit Gewißheit aus-
findig machen. Das aber fanden wir, daß ſich unzaͤhlig viel Muͤcken darinn
aufhielten, die uns nicht wenig peinigten, wenn wir den Wachtel-Koͤnigen
und Enten nachgiengen, die ihre Nahrung ebenfalls im Sumpfe ſuchten.
Nur Schade, daß es uns nicht gluͤcken wollte, ihnen beyzukommen, da ſie doch
ver-
[265]in den Jahren 1772 bis 1775.
vermuthlich von unbekannter Art, mithin einer naͤheren Unterſuchung allerdings1774.
Auguſt.

werth ſeyn mochten. Der ſchlechte Erfolg dieſer Jagd bewog uns, auf der
Ebene, weiter nach Weſten fortzugehen; dort kamen wir bey ein paar Stuͤ-
cken Landes voruͤber, die mit Gras bewachſen, und durch allerhand wildes Ge-
ſtraͤuch von einander abgehegt waren, faſt ſo wie in England die Wieſen mit
lebendigen Hecken umgeben ſind. Zwiſchen dieſen Grasplaͤtzen lagen oft
große Felder durchaus mit hohem Schilfrohr (ſaccharum ſpontaneum
Linn.
) bewachſen, welches hier zu Lande zu Pfeilen, Zaͤunen, Koͤrben,
und anderer ſolcher geflochtnen Arbeit gebraucht wird. Der vorhandnen
Menge nach zu urtheilen, ſchien es nicht von ſelbſt, wild aufgeſchoſſen; ſon-
dern vielmehr foͤrmlich angepflanzt zu ſeyn, welches auch, bey der großen
Nutzbarkeit deſſelben, uͤberaus wahrſcheinlich iſt. Hinter dieſen Feldern kamen
wir an einen Wald, wo es jedoch keine andere Art von Baͤumen gab, als
jene die wir bereits am Strande gefunden hatten. Dagegen ward eine
Taube von neuer Gattung geſchoſſen, auch ſahen wir viele Papagoyen die
ungemein ſchen waren, vermuthlich, weil ihnen die Einwohner in den Obſt-
gaͤrten nachſtellen moͤgen. Endlich geriethen wir an einen hohlen Weg,
der ehemals das Bette eines Regenbachs geweſen zu ſeyn ſchien, jetzt aber ganz
trocken war, und den Wilden zum Fußpfade diente. An den ſteilen Seiten-
Waͤnden deſſelben wuchs allerhand kleines Gebuͤſch, auch ſogar Palmen, und
ein ungeheurer Feigenbaum (ficus religioſa Linn.) von der Art die
bey den Cingaleſen und Malabaren in religioͤſer Achtung ſteht, (*) machte,
queer uͤber den Weg, einen weit gewoͤlbten Bogen aus. Die Wurzel
hatte ſich nemlich in zwey Hauptaͤſte getheilt, davon der eine auf dieſer, der an-
dre auf jener Seite des Weges eingewachſen war. Oberhalb, im Gipfel, flatterte
eine Menge kleiner Voͤgel herum, die ſich bey dem Ueberfluß an Fruͤchten
ganz wohl befinden mußten. Wir ruheten in ſeinem dichten Schatten aus,
und freuten uns, daß verſchiedne Einwohner, die waͤhrend dieſer Zeit hier
vorbeygiengen, weder uͤber unſre Gegenwart das geringſte Mißvergnuͤgen,
noch die geringſte Unruhe uͤber die Flintenſchuͤſſe bezeigten. Gegen Mittag
Forſters Reiſe u. d. W. Zweyter Th. L l
[266]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
machten wir uns wiederum auf den Ruͤckweg. Ohnerachtet das Wetter
uͤberaus warm war, ſo wurden wir doch, der ſchattigten Waldung halber,
nicht viel von der Hitze gewahr. Dieſſeit des Waſſerplatzes trafen wir ei-
nen Indianer, der im Geſtraͤuch duͤnne Stangen abhieb, um in ſeinem Gar-
ten, das Kraut der Yamwurtzeln (dioſcorea oppoſitifolia) an ſelbigen in
die Hoͤhe ranken zu laſſen. Seine Axt war ein ſehr elendes Werkzeug,
denn ſtatt des ſonſt gewoͤhnlichen harten Steins, beſtand die Klinge blos aus
einer Muſchelſchaale. Auch gieng ſeine Arbeit deshalb ſo langſam von ſtatten,
daß wir ihm, aus Mitleid, mit einem unſrer engliſchen Beile zu Huͤlfe ka-
men, da denn in Zeit von wenig Minuten mehr Stangen abgehauen waren,
als er, den ganzen Vormittag uͤber, hatte fertig ſchaffen koͤnnen. Die Einwoh-
ner, die bey jetziger Mittagszeit auf ihrem Heimweg, vom Strande aus,
hier voruͤber kamen, blieben alle ſtehen, um die große Nutzbarkeit unſers
Beils zu bewundern. Einige boten gleich auf der Selle ihre Bogen und
Pfeile dafuͤr. Bey ſo viel Begierde glaubten wir, ſie wuͤrden ſich auch ge-
neigt finden laſſen, ein Schwein dafuͤr zu geben; allein gegen dieſe For-
derung blieben ſie taub und giengen ihres Weges. Das Fercken, womit der
alte Pao-vjangom meinen Vater beſchenkt hatte, war und blieb das einzi-
ge, welches wir auf dieſer Inſel bekamen. Auf Vorzeigung der wilden
Muscatnuß, die ſich im Kropf der Taube gefunden hatte, gab uns einer von
den Indianern noch 3 ſolcher Nuͤſſe, daran die aͤuſſere Haut oder ſogenannte
Muſcat-Bluͤthe befindlich war; den Baum hingegen, worauf ſie wachſen,
wußte er nicht anzuzeigen. Sie legten dieſen Nuͤſſen unterſchiedliche Na-
men bey, den Baum aber hießen ſie durchgehends Niraſch. Als wir un-
ſre botaniſchen Buͤcher zu Rathe zogen, fand ſich, daß dieſe Sorte viel Aehn-
lichkeit mit des Rumphii wilden Muſcatnuß hat, und allem Anſehen nach
eben dieſelbe iſt, welche man auf den Philippiniſchen Inſeln antrift. Auch
die Taube, die ſich hier in Tanna davon naͤhrt, kommt derjenigen, die nach
Rumphs Zeugniß in den Moluckiſchen Inſeln die aͤchte Muſcatnuß [ausſaͤet],
in allen Stuͤcken gleich. Bey unſrer Ruͤckkunft nach England haben wir die
Ehre gehabt Ihro Majeſtaͤt der Koͤnigin eine dieſer Tauben lebendig zu
uͤberreichen.


[267]in den Jahren 1772 bis 1775.

Unter denen am Strande verſammelten Indianern trafen wir einen al-1774.
Auguſt.

ten abgelebten Mann, den noch keiner von uns zuvor geſehen hatte. Die Wil-
den verſicherten, er ſey ihr Erili und heiße Jogaï. Er war lang, ha-
ger, ausgezehrt, und hatte einen faſt gaͤnzlich kahlen Kopf nebſt eisgrauem
Bart. Seine Geſichtsbildung zeigte viel Gutherzigkeit und, ſo runzlicht
ſie auch war, noch immer Spuren von ehemaliger Schoͤnheit an. Neben
ihm ſaß ein andrer, der ohne die Anweſenheit eines ſo ganz abgelebten Grei-
ſes ebenfalls ſchon fuͤr einen alten Mann haͤtte gelten koͤnnen. Dieſen ga-
ben die Indianer fuͤr des alten Jogaïs Sohn aus, und nannten ihn Jatta.
Er war groß, wohlgebaut, und fuͤr einen Tanneſer wirklich ſchoͤn zu nennen.
Sein Blick, der etwas geiſtreiches, einnehmendes, und gegen uns Fremde
uͤberaus freundliches an ſich hatte, trug hiezu nicht wenig bey; auch kleidete
es ihn gut, daß er ſein ſchwarzes, beynahe wolligt krauſes Haar, ſo wie es
von Natur war, ganz ungekuͤnſtelt ließ. Die Inſulaner ſagten, er waͤre ihr
Kau-Woſch, welches vermuthlich ein Titel iſt, der ſo viel als Thronfolger,
Erb- oder Kronprinz u. d. gl. bedeuten mag. Von Leibesfarbe waren dieſe
Befehlshaber ſo ſchwarz als der geringſte ihrer Unterthanen, unterſchieden ſich
auch ſonſt durch keinen aͤuſſern Putz oder Zierrath, ausgenommen, daß ihr Leib-
Guͤrtel, ſchwarz geſtreift und wechſelsweiſe mit weißen, rothen und ſchwar-
zen Feldern bemahlt war anſtatt, daß dergleichen Schaͤrpen ſonſt nur ein-
farbig, entweder gelb oder zimmetbraun zu ſeyn pflegten. Dennoch konnte
dieſe Verſchiedenheit auch nur etwas zufaͤlliges, und nicht ein eigenthuͤmli-
ches Zeichen der Koͤniglichen Wuͤrde ſeyn. Das einzige abgerechnet, daß
man ihnen den Titel Eriki beylegte, ward keinem von beyden beſondere Ehr-
erbietung bezeigt, auch ſahen wir nicht, daß ſie Befehle ertheilt haͤtten.
Ich vermuthe daher, daß ihr Anſehen nur zu Kriegeszeiten etwas gilt. Bey
dergleichen Ereigniſſen pflegt wohl ein jedes Volk irgend einem erfahrnen
Greiſe Gehoͤr zu geben, ſeinen Rath als ein Geſetz anzuſehen, und waͤhrend eines
ſo mislichen Zeitpunkts Gluͤck und Leben einem Manne anzuvertrauen, deſſen
vorzuͤgliche Tapferkeit, und lange Erfahrung von der ganzen Nation einmuͤ-
thig anerkannt worden iſt. — Wir machten dieſen Befehlshabern einige kleine
Geſchenke und baten ſie, uns ans Schiff zu begleiten, welches ſie aber aus-
L l 2
[268]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
ſchlugen. Alſo kehrten wir allein, zum Mittageſſen an Bord zuruͤck. Un-
ſre Leute brachten heute vieles Caſuarina-Holz vom Lande mit, indem ſie auf
der hohen Ebene einen ſchoͤnen Baum dieſer Art gefaͤllet hatten (*). Sobald
von den Zimmerleuten mit Durchſaͤgung des Stammes der Anfang gemacht wor-
den, war Pao-vjangom unverzuͤglich zum Capitain Cook gekommen, und hatte
ſich uͤber dieſes Unternehmen beſchweret; denn die Caſuarina-Baͤume ſind hier
zu Lande ſehr geſchaͤtzt, und dabey ſo ſelten, daß die Einwohner ihre daraus ver-
fertigte Keulen, von Irromanga, woſelbſt dieſe Holzart haͤufig waͤchſt, her-
hohlen muͤſſen. Der Capitain ertheilte gleich Befehl, daß mit der Arbeit
inne gehalten werden ſollte, weil aber der Stamm ſchon zu tief eingeſchnitten
war, als daß der Baum ſich wieder haͤtte erhohlen koͤnnen; ſo ſchenkte er
dem Alten einen Hund, die Menge Tahitiſchen Zeuges, nebſt verſchiednen an-
dern Sachen, und bekam dafuͤr, von ihm und den ſeinigen, Erlaubniß, den
Baum zu nehmen. Bey dieſem und einigen andern Vorfaͤllen fahe man
augenſcheinlich, daß Pao-vjangom, unter den Leuten die auf der oftwaͤrts
gelegenen hohen Ebene wohnten, vielen Einfluß hatte; doch ruͤhrte dieſer
vermuthlich blos von ſeinem ehrwuͤrdigen Alter her, denn die Regierungs-
form ſcheint hier noch auf der unterſten Stufe, das iſt, patriarcha-
liſch zu ſeyn. Jede Familie haͤlt fich nemlich an den Rath des Aelte-
ſten, und dieſer wagt es nicht, ſein Anſehen zu Haͤrte oder Tiranney zu
mißbrauchen.


Nach dem Eſſen giengen wir wiederum an Land und in den Wald,
fanden aber nichts neues. Dies war auch um ſo weniger zu verwundern,
weil wir eben dieſe Gegend ſeit unſrer Ankunft faſt Tag fuͤr Tag durchſucht
hatten. Am folgenden Morgen gaben wir uns Muͤhe, irgendwo einen Muſcat-
Nuß-Baum auszuſpuͤhren. In einem ſchoͤnen Pifang-Garten, der dicht am
Weſt-Ende des Strandes lag, hielt ſich eine Menge Papagoyen auf, welche
die Fruͤchte verheerten, aber bey dieſem Unfug auch ſo ſcheu waren, daß man
ihnen vergebens nachſchlich. Wir glaubten nun von Seiten der Inſulaner fuͤr
[269]in den Jahren 1772 bis 1775.
allen Feindſeligkeiten ſo ſicher zu ſeyn, daß wir uns oft auf ziemliche Strecken1774.
Auguſt

weit von einander trennten. Dies geſchah auch heut und zwar ohne den ge-
ringſten Unfall, jedoch auch ohne weiteren Erfolg. Wir kamen nemlich aller-
feits mit leeren Haͤnden an den Strand zuruͤck. Das letzte Boot war eben
im Begriff, der Mittags-Zeit wegen, nach dem Schiffe uͤberzufahren; wir ſetz-
ten uns alſo hinein, und fanden den alten Eriki, oder Koͤnig, Jogaï, (*) ſei-
nen Sohn Jatta imgleichen einen wohlgebildeten Knaben von ohngefehr vier-
zehen Jahren an Bord, der Narrep hieß, und ein naher Verwandter der
beyden Befehlshaber zu ſeyn ſchien. Sie hatten ſich in der Cajuͤtte auf den
Fußboden niedergeſetzt, und der Capitain war eben beſchaͤftigt, allerhand Klei-
nigkeiten unter ſie auszutheilen. Jogaï nahm ſeinen Antheil mit der ſeinem
Alter eigenen Gleichguͤltigkeit in Empfang, ſein Sohn hingegen und der junge
Narrep bezeugten große Freude uͤber das was ihnen gegeben ward. Mittler-
weile war das Eſſen aufgetragen worden, und wir lieſſen ſie mit uns zu Tiſche
ſitzen. Die Yams ſchmeckten ihnen, ſo wie unſerm vorigen Gaſt, Fanokko
(ſiehe weiter oben pag. 228.) ganz gut, von andern Speiſen wollten ſie aber
nichts anruͤhren. [Nach] der Mahlzeit brachten wir ſie an den Strand zuruͤck.
Dort geriethen ſie mit ihren Landsleuten ſogleich ins Geſpraͤch und erzaͤhlten
ihnen ohne Zweifel, wie gut ſie von uns aufgenommen worden, welches die
ganze Verſammlung, dem Anſchein nach, mit Vergnuͤgen anhoͤrte. Es kamen
jetzt ſelten mehr als hundert Einwohner, Weiber und Kinder mitgerechnet, an
den Strand herab, und dieſe pflegten ſich, mehrentheils truppweiſe, im Schat-
[t]en der naͤchſten Baͤume niederzuſetzen. Dann und wann brachte einer eine
Yam-Wurzel oder Piſang-Frucht und vertauſchte ſie gegen Tahitiſches Zeug.
Die Weiber fuͤhrten ganze Koͤrbe voll Jambos-Aepfel (Eugenia) bey ſich,
und verkauften uns ſolche fuͤr eine Kleinigkeit; z. E. fuͤr ſchwarze Glaskorallen,
kleine Stuͤckgen gruͤnen Nephritiſchen Steins, u. ſ. w. als geſchaͤhe es
L l 3
[270]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
gleichſahm mehr zu Bezeigung ihres guten Willens, denn des Gewinnſtes
wegen. Ueberhaupt betrugen ſie ſich gar ſehr gefaͤllig gegen uns. Wenn wir
ihnen in einem engen Fußſteige begegneten, ſo giengen ſie allemal auf die Seite,
oft ins dickſte Geſtraͤuch, um uns Platz zu machen. Kannten ſie uns ſchon, ſo
nennten ſie uns mit Namen, und ſahen ſo freundlich und gutherzig dazu aus,
als wir bey dem bruͤderlichſten Gruße nur thun koͤnnen; hatten ſie uns aber zuvor
noch nie geſehen, ſo fragten ſie gemeiniglich wie wir hießen, um uns ein an-
dermal wieder zu kennen. Bey ſo friedlichem Anſchein, war die anfaͤnglich
gebrauchte Vorſicht, zur Sicherheit unſerer am Strande beſchaͤftigten Matroſen,
Graͤnz-Linien von Stricken zu ziehen, ſchon ſeit mehreren Tagen unterblieben,
und ſtatt deſſen nur eine Schildwacht ausgeſtellt worden. Die Indianer pfleg-
ten alle jenſeits derſelben zu bleiben, es ſey denn, daß einer etwa zum erſten-
male aus dem Innerſten des Landes an den Strand kam, und die Bedeutung
dieſer Anſtalten noch nicht kannte. Mit einem Worte, in der kurzen Zeit die
wir bey ihnen zugebracht, hatten ſie bereits weit guͤnſtiger von uns urtheilen ge-
lernt, und wurden uns taͤglich noch mehr zugethan. — Unſre vorneh-
men Gaͤſte Jogaï, Jatta und Narrep entfernten ſich nebſt verſchiedenen andern
bald vom Strande, und giengen durch die Waͤlder nach ihren Wohnungen
zuruͤck, die, wenn wir ſie recht verſtanden haben, ziemlich weit im Lande liegen
mußten. Als ſie fort waren, fuhren wir mit dem Capitain nach dem oſtwaͤrts
gelegenen Berge, wo unſre Leute Ballaſt laden ſollten. Indeß daß dieſes ge-
ſchah, unterſuchten wir die daſelbſt befindlichen heißen Quellen, die bereits in den
erſten Tagen unſers Hierſeyns waren entdeckt worden. Ein Fahrenheitiſches
Thermometer, welches wir zu dieſem Verſuch mitgenommen, hatte am Schiff
auf 78° geſtanden, war aber durch die natuͤrliche Waͤrme deſſen der es bey ſich
trug, auf 83° geſtiegen. So ſtand es, als die Kugel in die heiße Quelle geſenkt
ward. In Zeit von fuͤnf Minuten ſtieg das Queckſilber bis auf 191°: wir
nahmen es wieder heraus, und machten eine kleine Vertiefung in den Sand,
ſo daß das Thermometer, ein paar Zoll weit uͤber die Kugel, vom Waſſer bedeckt
wurde. Nun ſtieg das Queckſilber bald wieder bis 191°, wollte aber nicht
hoͤher hinauf, ohnerachtet wir es wohl zehen Minuten lang ſo ſtehen ließen.
Ein paar kleine Schnecken, die wir in die Quelle warfen, waren in zwei bis drei
[271]in den Jahren 1772 bis 1775.
Minuten voͤllig gar gekocht. Um zu erfahren ob dies Waſſer das Metall an-1774.
Auguſt.

greifen wuͤrde, legten wir ein Stuͤck Silber hinein; es ward aber nach Ver-
lauf einer halben Stunde ganz rein und glaͤnzend wieder herausgenommen. Auch
Weinſtein-Saltz brachte in dem Waſſer keine ſichtbare Veraͤnderung hervor,
weil es aber doch einen etwas zuſammenziehenden Geſchmack hatte, ſo fuͤllten
wir uns eine Flaſche voll, um gelegentlich mehr Verſuche damit anzuſtellen.
Am Strande gab es eine Menge kleiner Fiſche, ohngefaͤhr zwei Zoll lang, die auf
den naſſen Klippen wie Eidexen herumhuͤpften. Die Bruſtfloßen dienten ih-
nen ſtatt der Fuͤße, und die Augen ſaßen beynahe mitten auf dem Scheitel,
vermuthlich in der Abſicht, daß ſie ſich fuͤr ihren Feinden auſſerhalb dem Waſ-
ſer deſto beſſer in Acht nehmen koͤnnten. Und in der That waren dieſe kleine
Amphibien auch ſo vorſichtig, und ſo ſchnell, daß man ihrer nicht leicht hab-
haft werden konnte. Ehe man ſichs verſah, waren ſie mit einem Sprunge
uͤber drei Fuß weit fortgehuͤpft. Eben dieſe, oder wenigſtens eine ſehr aͤhnli-
che, Art Fiſche hatte Capitain Cook, auf ſeiner vorigen Reiſe um die Welt, an
der Kuͤſte von Neu-Holland(*) angetroffen. Dieſe Art hier gehoͤrte zum Ge-
ſchlechte der Blenniorum. Sie waren zum Theil eifrig daruͤber her eine
Brut ganz kleiner Grillen (gryllus achetæ) zu verſchlucken, welche die See
aus einem Riß im Felſen hervorgeſpuͤlt haben mochte.


Am folgenden Morgen giengen wir mit dem Capitain von neuem aus, um
die heißen Quellen auch waͤhrend der Ebbe zu unterſuchen, indem die vorigen
Beobachtungen allemahl des Nachmittags, zur Fluthzeit, waren angeſtellt worden.
Das Thermometer, welches in freyer Luft 78° angezeiget hatte, ſtieg in dem hei-
ßen Waſſer, nach Verlauf von anderthalb Minuten, bis 187°. Der Unterſchied
zwiſchen dem geſtern bemerkten Grad der Hitze (191°) und dem heutigen, kam
uns um deſto ſonderbarer vor, weil die Quellen ſo nahe am Ufer des Meeres
hervorſprudelten, daß jetzt, zur Fluthzeit, das Seewaſſer daruͤber her ſtand.
Natuͤrlicherweiſe haͤtte alſo, die vermittelſt der Fluth entſtehende Vermiſchung
des See-Waſſers mit dem Quellwaſſer, die Hitze des letztern abkuͤhlen ſol-
len; da wir nun gerade das Gegentheil fanden, ſo muß bey dieſen Quel-
len der Grad der Hitze von ganz andern Urſachen abhaͤngen. In dieſer Ver-
[272]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
muthung wurden wir durch die fernere Unterſuchung einer aͤhnlichen Quelle,
die an der Weſt-Ecke des großen Strandes befindlich war, noch mehr be-
ſtaͤrkt. Nurgedachte Quelle kam, am Fuß eines ſenkrechten Felſen, aus dem
ſchwarzen Schoͤrl-Sande hervor geſprudelt, und rieſelte nach der See hin,
von welcher ſie zur Zeit der Fluth bedeckt ward. Der Felſen aber machte einen
Theil des großen Berges aus, auf welchem die Solfatara befindlich iſt. In
dieſer neuen Quelle ſtieg das Thermometer, nach Verlauf von einer Minute,
bis 202½ Grad, und blieb auf dieſem Punkt einige Minuten lang ſtehen.
Wodurch wird dieſe Verſchiedenheit der Hitze hervorgebracht? Vielleicht kom-
men die Quellen, in unterirrdiſchen Canaͤlen, aus der Nachbarſchaft des Vul-
cans her, und koͤnnen nicht eher als ohnweit dem Meere einen Ausgang
finden. In dem Fall haͤngt der Grad ihrer Hitze von der Entzuͤndung
des Berges ab. Dieſe aber iſt bekanntermaaßen nicht immer gleich heftig,
ſondern laͤßt bisweilen, z. E. in den ſtillen Zwiſchenzeiten von einem Aus-
bruch zum andern, bald mehr, bald minder nach. Ueberdem mag auch die
Hitze nicht in allen Gegenden des Berges gleich groß ſeyn, und eben ſo muß
das Waſſer von ſeiner urſpruͤnglichen Hitze mehr oder weniger verlieren, je
nachdem es, von der Quelle bis an den Ort des Ausfluſſes, einen laͤngern
oder kuͤrzern Weg zu laufen hat. Endlich ſo kann es auch ganz wohl ſeyn,
daß dieſes Springwaſſer mit der Solfatara einige Verbindung hat, weil
beyde an einem und demſelben Berge vorhanden ſind. Was zunaͤchſt an der
Oberflaͤche liegt, wird vermuthlich durch die Hitze der Solfatara in jenen
feinen Dunſt aufgeloͤſet, der oben auf dem Berge aus verſchiedenen Erdriſ-
ſen emporſteigt, indeß das uͤbrige nach untenzu einen Weg ſucht, und, nach-
dem es durch mehrere Erdſchichten durchgeſeigt, abgekuͤhlt und auf ſolche
Art verdickt worden iſt, in fluͤßiger Form als ein Bach hervorbricht. Doch,
hier muͤſſen wir es bey bloßen Muthmaßungen bewenden laſſen, denn der
Vulcan, deſſen Einfluß nur zur Zeit einer Exploſion haͤtte beurtheilt wer-
den koͤnnen, war ſeit einigen Tagen ganz ruhig, auch wollte ſich in deſſen
Ermangelung kein anderes Phoͤnomen ereignen, woraus mehr Aufklaͤrung her-
zunehmen geweſen waͤre. Den Reſt des Tages brachten wir auf der hinter dem
Waſſerplatz belegenen Ebene zu, und jagten daſelbſt nach der Bluͤthe eines un-
be-
[273]in den Jahren 1772 bis 1775.
bekannten Baums, die nicht anders zu bekommen war als daß man ſie, mit1774.
Auguſt.

der Kugel-Buͤchſe, herunter ſchießen mußte. Gegen Abend fiengen die Matro-
ſen ohngefaͤhr zween Centner Fiſche, welches denn der ganzen Mannſchaft wieder
zu einer friſchen Mahlzeit verhalf. Dr. Sparrmann und ich giengen in der
Zwiſchenzeit nochmals auf die hohe Ebene, und brachten daſelbſt bey unſern
indianiſchen Bekannten eine halbe Stunde ſehr vergnuͤgt zu. Es war nun gleich-
ſam ſchon zum Brauch geworden, ſie mit unſern Liedern zu unterhalten. Wir
thaten es daher auch diesmal, und machten uns dadurch ſo beliebt, daß ſie zu-
letzt auf etliche Maͤdchen mit dem Finger zeigten, um uns ſolche aus uͤbertrie-
bener, aber bey wilden Voͤlkern gar nicht ungewoͤhnlicher, Gaſtfreyheit auf Diſ-
cretion zu uͤberlaſſen. Die Maͤdchen merkten nicht ſo bald wovon die Rede
war, als ſie eiligſt davon liefen und nicht allein ſehr erſchrocken, ſondern, uͤber
den unanſtaͤndigen Vorſchlag der Maͤnner, auch aͤußerſt unwillig zu ſeyn ſchie-
nen. Dieſe aber, beſonders die jungen Leute, verlangten, daß wir den Sproͤ-
den nachſetzen ſollten. Doch mochten ſie vielleicht, mit [einem] ſo gut als mit dem
andern, den Maͤdchen nur einen Schreck einjagen wollen; wenigſtens hat-
ten ſie nichts dawider, daß wir ihren Antrag fuͤr diesmal ungenutzt ließen.
Beym Abſchiede ſchenkten wir ihnen mancherley Kleinigkeiten, unter andern
auch etliche perlnmutterne Angel-Haken mit Spitzen von Schildkroͤten-Schaale,
und bekamen dafuͤr allerhand Fruͤchte zum Gegengeſchenk.


Die Vorraͤthe von Trinkwaſſer, Brennholz und Ballaſt waren, ſeit
unſerm Hierſeyn, nun wiederum ſo weit ergaͤnzt, daß wir am folgenden Morgen
(den 19ten) abſeegeln wollten. Allein der Wind verhinderte es, indem er ge-
rade in die Muͤndung des Haveus hinein blies. Wir gieugen alſo nach dem
Fruͤhſtuͤck, in Begleitung des Capitains, wie gewoͤhnlich, an’s Land; er, um
mit den Einwohnern zu handeln, wir aber um uns zu guter letzt noch einmal auf
der Inſel umzuſehen. In dieſer Abſicht nahm jeder einen andern Weg. Auf dem,
den ich gewaͤhlt hatte, begegneten mir viele von den Inſulanern, die nach dem
Strande herab wollten. Es war nicht ein einziger darunter, der nicht aus dem
Fußſteige gewichen waͤre, um mir Platz zu machen, und ohnerachtet ſie ſahen daß
ich ganz ohne Begleitung war; ſo verzog doch keiner auch nur eine Miene
gegen mich. Natuͤrlicherweiſe ließ ich mir dies eine Aufmunterung ſeyn, mei-
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. M m
[274]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt
nen Spatziergang deſto weiter auszudehnen, und kam auf ſolche Art in dem Thale,
welches an der Suͤdſeite der hohen Ebene liegt, um ein gut Stuͤck tiefer ins
Land, als ich zuvor je geweſen. Ueberall mit dichter Waldung umringt, ward
ich ſelten etwas von der Gegend gewahr, wenn nicht hie und da eine Luͤcke zwi-
ſchen den Baͤumen mir einige Ausſicht verſchaffte. Dann aber hatte ich ein
deſto reizenderes Schauſpiel. Ich uͤberſah einen Theil der am Abhange des
Huͤgels befindlichen Pflanzungen, wo die Einwohner in voller Arbeit waren.
Sie faͤllten oder beſchnitten Baͤume, beſtellten ihr Land, ſtatt eines Spa-
tens mit einem duͤrren Aſt, und ſetzten Yams oder andre Wurzeln. An einem
Orte hoͤrte ich ſogar einen Indianer bey ſeiner Arbeit ſingen, und erkannte bald,
an der Melodie, daß es eins von den Liedern war, die ſie uns bey ihren Wohn-
huͤtten mehrmalen vorgeſungen hatten. Dieſe Gegend war zum Entzuͤcken ſchoͤn,
und ſelbſt Tahiti konnte ſich nicht leicht einer ſchoͤnern Landſchaft ruͤhmen.
Dort iſt das ebene Land nirgends uͤber zwo engliſche Meilen breit, und meh-
rentheils mit ungeheuren Felſen-Maſſen begraͤnzt, deren ſchroffe Gipfel gleich-
ſam herabzuſtuͤrzen drohen, hier aber hatte ich eine ungleich groͤßere Strecke
Landes, voll ſanft abhaͤngender Huͤgel und geraͤumigen Thaͤler, vor mir, die alle
angebaut werden konnten. Auch die Plantagen hemmten die Ausſicht nirgends,
weil mehrentheils nichts als Piſangs, Yams, Arum und Zuckerrohr darinn
gezogen werden, welches lauter niedrige Gewaͤchſe ſind. *) Nur hin und wie-
der ſtreckt ein einzelner Baum den dickbelaubten Wipfel in die Hoͤhe, davon
einer immer maleriſcher geformt iſt als der andre. Hinterwaͤrts war der Ge-
ſichtskreis durch eine Anhoͤhe eingeſchloſſen, auf deren Ruͤcken uͤberall Gruppen
von Baͤumen ſtanden, und aus dieſen ragte die ſtattliche Krone der Cocos-
Palme, in großer Menge, hervor.


Wer es je ſelbſt erfahren hat, welch einen ganz eigenthuͤmlichen Eindruck
die Schoͤnheiten der Natur in einem gefuͤhlvollen Herzen hervorbringen, der, nur
der allein kann ſich eine Vorſtellung davon machen, wie in dem Augenblick, wenn
des Herzens Innerſtes ſich aufſchließt, jeder, ſonſt noch ſo unerhebliche Ge-
[275]in den Jahren 1772 bis 1775.
genſtand intereßant werden und mit unuenbaren Empfindungen uns begluͤcken kann.1774.
Auguſt.

Dergleichen Augenblicke ſind es, wo die bloße Anſicht eines friſch umpfluͤgten
Ackers uns entzuͤckt, wo wir uns uͤber das ſanfte Gruͤn der Wieſen, uͤber die
verſchiedenen Schattirungen des Laubes, die unſaͤgliche Menge der Blaͤtter
und uͤber ihre Mannigfaltigkeit an Groͤße und Form, ſo herzlich, ſo innig
freuen koͤnnen. Dieſe mannigfaltige Schoͤnheit der Natur lag in ihrem
ganzen Reichthum vor mir ausgebreitet. Die verſchiedne Stellung der
Baͤume gegen das Licht gab der Landſchaft das herrlichſte Colorit. Hier
glaͤnzte das Laub des Waides im goldnen Strahl der Sonne, indeß dort
eine Maſſe von Schatten, das geblendete Auge wohlthaͤtig erquickte. Der
Rauch, der in blaͤulichen Kreiſen zwiſchen den Baͤumen aufſtieg, erinnerte
mich an die ſanften Freuden des haͤuslichen Lebens; der Anblick großer Pi-
ſang-Waͤlder, deren goldne, traubenfoͤrmige Fruͤchte hier ein paſſendes Sinn-
bild des Friedens und Ueberfluſſes waren, erfuͤllte mich natuͤrlicherweiſe
mit dem herzerhebenden Gedanken an Freundſchaft und Volksgluͤckſeligkeit, und
das Lied des arbeitenden Ackersmanns, welches in dieſem Augenblick er-
toͤnte, vollendete dies Gemaͤhlde gleichſam bis auf den letzten Pinſelſtrich! — Ge-
gen Weſten zeigte ſich die Landſchaft nicht minder ſchoͤn. Die fruchtbare Ebene
war daſelbſt von einer Menge reicher Huͤgel begraͤnzt, wo Waldungen und Obſt-
Gaͤrten mit einander abwechſelten. Ueber dieſen ragte eine Reihe von Bergen
hervor, die den Gebuͤrgen auf den Societaͤts-Inſeln an Hoͤhe gleich zu kommen,
jedoch nicht ſo jaͤh und rauh zu ſeyn ſchienen. Selbſt das einſame Plaͤtzchen, aus
welchem ich dieſe Gegend betrachtete, hatte die Natur nicht ungeſchmuͤckt gelaſ-
ſen. Es war eine Gruppe der ſchoͤnſten Baͤume, an deren Staͤmmen ſich man-
cherley wohlriechend bluͤhende Schlingpflanzen und Glockenwinden hinauf rank-
ten. Das Erdreich war außerordentlich fett, und dem Wachsthum der Pflan-
zen ſo guͤnſtig, daß verſchiedene Palmen, die vom Winde umgeworfen wor-
den *), ihre Gipfel faſt durchgehends von der Erde wieder in die Hoͤhe gerichtet,
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[276]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
und neue, gruͤnende Zweige getrieben hatten. Voͤgel, von allerhand buntem
Gefieder, belebten dieſen ſchattenreichen Aufenthalt, und ergoͤtzten das Ohr, oft
unerwartet, mit harmoniſchen Liedern. Ueber mir der Himmel heiter, das
Saͤuſeln des kuͤhlen Seewindes um mich her, ſtand ich da, und genoß in Ruhe
des Herzens alle das Gluͤck, was ein ſolcher Zuſammenfluß von angenehmen
Bildern nur gewaͤhren kann. Unvermerkt verlor ich mich in eine Reihe von
Betrachtungen uͤber den Nutzen, den unſer hieſiger Aufenthalt unter den Inſu-
lanern geſtiftet haben koͤnnte, und, welch einen Zuwachs von Vergnuͤgen ver-
ſchaffte mir nicht der beruhigende, damals noch ganz ahndungsfreye Gedanke,
daß wir uns hier, zur Ehre der Menſchheit in einem ſehr vortheilhaften Lichte
gezeigt haͤtten! Wir hatten nun vierzehn Tage unter einem Volke zugebracht,
das ſich anfaͤnglich aͤußerſt mißtrauiſch und ganz entſchloſſen bewies, auch die ge-
ringſte Feindſeligkeit nicht ungeahndet zu laſſen. Dieſen Argwohn, dieſes einge-
wurzelte Mißtrauen, hatten wir durch kuͤhles, uͤberlegtes Verhalten, durch Maͤßi-
gung, und durch das Gleichfoͤrmige aller unſrer Handlungen, zu beſiegen zu ver-
treiben gewußt. Sie, die in ihrem Leben noch nie mit ſo harmloſen, friedfertigen,
und gleichwohl nicht feigen oder veraͤchtlichen, Leuten umgegangen, ſie, die bisher in
jedem Fremden einen heimtuͤckiſchen, verraͤtheriſchen Feind zu ſehen gewohnt wa-
ren, hatten jetzt von uns, und durch unſer Beyſpiel gelernt, ihre Nebenmen-
ſchen hoͤher zu ſchaͤtzen! So bald wir es einmal dahin gebracht hatten, jenen
heftigen, auf brauſenden Naturtrieb, der allein die Wilden ſo argwoͤhniſch, ſcheu
und feindſelig macht (Selbſterhaltung) zu beſaͤnftigen, ſo bald ſahe man auch
ſchon in ihren rohen Seelen jenen zweyten, nicht minder ſtarken Naturtrieb —
Geſelligkeit — aufkeimen und ſich entwickeln. Kaum fanden ſie, daß die Frem-
den die Fruͤchte ihres Landes nicht als eine Beute, mit Gewalt wegnehmen
wollten, ſo theilten ſie ihnen ſolche freywillig mit. Schon geſtatteten ſie uns
ihre ſchattenreiche Wohnungen zu beſuchen, und ließen uns, ſo eintraͤchtig als
es den Mitgliedern einer und derſelben Familie geziemt, mitten unter ſich ſitzen.
Nach wenig Tagen begannen ſie gar an unſrer Geſellſchaft Vergnuͤgen zu finden,
*)
[277]in den Jahren 1772 bis 1775.
und nun oͤffnete ſich ihr Herz, einem neuen uneigennuͤtzigen Gefuͤhl von uͤberir-1774.
Auguſt.

diſcher Art, der Freundſchaft! Welch ein ſchaͤtzbares Bewußtſeyn, rief ich aus, auf
ſolche Art das Gluͤck eines Volkes befoͤrdert und vermehrt zu haben! welch ein Vor-
theil einer geſitteten Geſellſchaft anzugehoͤren, die ſolche Vorzuͤge genießt und an-
dern mittheilt! Hier unterbrach mich das Geraͤuſch eines herankommenden Wan-
derers. Es war Dr. Sparrmann. Ich zeigte ihm die Gegend, und erzaͤhlte
ihm, zu was fuͤr Gedanken ſie mich verleitet hatte. Die Uebereinſtimmung ſei-
nes Gefuͤhls theilte dem meinigen neue Lebhaftigkeit mit. Doch, endlich mußten
wir uns losreißen und nach dem Schiffe zuruͤckkehren, weil der Mittag nicht
weit war. Der erſte Einwohner, dem wir begegneten, fluͤchtete vor uns, und
verſteckte ſich hinters Gebuͤſch. Unmittelbar darauf trafen wir, beym Eingange
einer Plantage, eine Frau an, die, allem Anſehen nach, eben ſo gern davon ge-
laufen waͤre, es aber nicht wagte, weil wir ihr ganz unerwartet und ſchon ſehr
nahe gekommen waren. Mit zitternder Hand und verſtoͤrtem Geſicht, bot ſie
uns einen Korb voll Yambos-Aepfel an. Dies Betragen befremdete uns
nicht wenig, doch kauften wir ihr die Fruͤchte ab und giengen wei-
ter. Sowohl innerhalb als außerhalb dieſer Plantage ſtanden viele Maͤn-
ner im Gebuͤſch, die unaufhoͤrlich winkten, daß wir an den Strand zuruͤckge-
hen moͤchten. So bald wir aus dem Walde heraustraten, klaͤrte ſich das Raͤth-
ſel auf. Zween Maͤnner ſaßen im Graſe und hielten einen Dritten, todt,
in ihren Armen. Sie zeigten uns eine Wunde, die er von einer Flintenku-
gel in die Seite bekommen hatte und ſagten dabey mit dem ruͤhrendſten Blick:
“er iſt umgebracht.” *) Auf dieſe Bothſchaft eilten wir nach der Gegend des
Strandes, wo unſre Leute ſich aufzuhalten pflegten, fanden aber keinen
einzigen Indianer mehr bey ihnen, und erfuhren, wie die Sache zuge-
gangen war. Man hatte, wie gewoͤhnlich, eine Schildwacht ausgeſtellt, die
den Platz, den unſre Leute zu ihren Geſchaͤften brauchten, von Indianern rein
halten mußte, dahingegen die Matroſen dieſe Scheidelinie ohne Bedenken
uͤberſchreiten, und ſich nach Belieben unter die Wilden miſchen durften. Einer
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[278]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
von den Indianern, der vielleicht ſeit unſerm Hierſeyn noch nie am Strande
geweſen ſeyn mochte, hatte ſich zwiſchen ſeinen Landsleuten vorgedraͤngt und
wollte uͤber den freyen Platz gehen. Weil aber unſre Leute dieſen fuͤr ſich allein zu
haben meynten; ſo nahm die Schildwache den Indianer beym Arm, und ſtieß
ihn zuruͤck. Dieſer hingegen glaubte mit Recht, daß ihm auf ſeiner eige-
nen Inſel, ein Fremder nichts vorzuſchreiben habe, und verſuchte es da-
her von neuem uͤber den Platz wegzugehen, vielleicht blos um zu zeigen,
daß er gehen koͤnne wo es ihm beliebte. Allein, die Schildwache ſties
ihn zum zweytenmal, und zwar mit ſolchem Ungeſtuͤm zuruͤck, daß wohl ein min-
der jaͤhzorniger Mann als ein Wilder dadurch haͤtte aufgebracht werden muͤſſen.
Kein Wunder alſo, daß er, um ſeine gekraͤnkte Freyheit zu vertheidigen, einen
Pfeil auf den Bogen legte, und damit nach dem, der ihn angegriffen, zielte.
Dies ward der Soldat nicht ſobald gewahr, als er ſein Gewehr anſchlug, und
den Indianer auf der Stelle todt ſchoß. In dem Augenblick da dieſer fiel,
trat der Capitain ans Land, und ſahe, wie die uͤbrigen davon liefen, um den
grauſamen, verraͤtheriſchen Leuten zu entkommen, die auf fremdem Boden ſich ſolche
Ungerechtigkeiten erlaubten. Bereit, den Fehler nach Moͤglichkeit wieder gut zu
machen, ſchickte er den Soldaten alsbald geſchloſſen an das Schiff, und gab ſich
alle Muͤhe die Einwohner zu beſaͤnftigen. Verſchiedene derſelben, beſonders die, wel-
che auf der oͤſtlichen hohen Ebene wohnten, ließen ſich auch wuͤrklich uͤberreden,
ſtehen zu bleiben, und denen von neuem zu trauen, die das vornehmſte Gebot
der Gaſtfreyheit ſo ſchaͤndlich aus den Augen geſetzt hatten. Wahrlich, ein ruͤh-
render Beweis, von der angebohrnen Guͤte des menſchlichen Herzens! Eine
eben ſo ſeltene Maͤßigung war es, daß die Wilden, Dr. Sparrmann und mir
nicht das geringſte Leid zufuͤgten, da ſie doch den Mord ihres Landsmannes an
uns beyden aufs nachdruͤcklichſte haͤtten raͤchen koͤnnen. Wir fuhren nunmehro
mit dem Capitain ans Schiff, nicht ohne Beſorgniß, wie es meinem Vater er-
gehen wuͤrde, der, ohne von der vorgefallnen Begebenheit etwas zu wiſſen, in
Begleitung eines einzigen Matroſen, noch im Walde herum irrte. Doch, es
lief beſſer ab als wir befuͤrchtet; denn nach Verlauf einer Viertelſtunde, ſahen
wir ihn bey der Wache, die, zu Sicherung einiger Waſſerfaͤſſer, am Strande
zuruͤckgeblieben war, wohlbehalten ankommen, und nun ließen wir ihn ſogleich
[279]in den Jahren 1772 bis 1775.
durch ein Boot abholen. Die Wilden hatten den Mord ihres Bruders,1774.
Auguſt.

ihm ſo wenig als uns, entgelten laſſen, ſondern ſchienen vielmehr von unſerer
Gemuͤthsart einen zu vortheilhaften Begriff gefaßt zu haben, um das Verbre-
chen eines einzigen den uͤbrigen allen beyzumeſſen. Wie ploͤtzlich und durch was
fuͤr eine ruchloſe That waren die angenehmen Hoffnungen, womit ich mir,
noch wenig Augenblicke zuvor, geſchmeichelt hatte, nun nicht auf einmal ver-
eitelt! Was mußten die Wilden von uns denken? Waren wir jetzt noch
beſſer als andre Fremdlinge? oder verdienten wir nicht weit mehr Abſcheu,
weil wir uns, unter dem Schein der Freundſchaft eingeſchlichen hatten,
um ſie hernach als Menchelmoͤrder zu toͤdten? Ich muß geſtehen, daß meh-
rere von unſerer Schiffsgeſellſchaft billig genug dachten, dieſes Ungluͤck
laut zu beklagen. Dergleichen Uebereilungen waren uns faſt aller Orten begeg-
net, und der Schade nirgends gut zu machen geweſen. Und hier in Tanna,
wo wir uns bis auf den Augenblick unſrer Abreiſe, geſitteter und vernuͤnftiger
denn irgendwo, betragen halten, auch hier mußte dieſer Ruhm durch die offen-
barſte Grauſamkeit wieder vernichtet werden! Der Capitain wollte den Solda-
ten mit exemplariſcher Strenge dafuͤr beſtrafen laſſen, daß er, der ausdruͤckli-
chen Vorſchrift, nach welcher dem Jaͤhzorn der Wilden nie etwas anders als Sanft-
muth entgegen geſetzt werden ſollte, ſo offenbar und muthwillig zuwider gehan-
delt hatte. Allein, der Officier der am Strande das Commando gehabt, nahm
ſich des Kerls an, und ſagte, er haͤtte jenen Befehl des Capitains ſeinen Leuten
nicht bekannt gemacht, im Gegentheil ihnen eingeſchaͤrft, daß man die
Wilden, wenn ſie ſich im geringſten beygehen ließen zu drohen, geradenweges
niederſchießen muͤſſe. Auf dieſes Geſtaͤndniß konnte man dem Soldaten nichts
weiter anhaben; ob aber der Officier uͤber das Leben der Einwohner zu gebieten
habe? — das ward weiter nicht unterſucht. *) Nach Tiſche fuhren wir wieder
aus Land, wo die Matroſen noch zu guter letzt ihr Gluͤck im Fiſchfange verſuch-
[280]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt
ten, und zwar nicht ganz ohne Erfolg. Von Einwohnern waren nur ſehr we-
nige zugegen, und die mehreſten unbewaffnet, ſo daß die Ermordung ihres
Landsmannes vergeſſen, oder wenigſtens vergeben zu ſeyn ſchien. Mein Vater
Dr. Sparrmann, und ich, giengen nach der Ebene um Voͤgel zu ſchießen.
Auch dort erblickten wir nur einen einzigen Indianer, der noch dazu, ſobald er
uns anſichtig ward, einen andern Weg nahm, und mit ſtarken Schritten zu
entfliehen ſuchte. Wir riefen ihm aber nach und brachten es, durch alle Freund-
ſchaftsbetheurungen die ſich durch Zeichen nur ausdruͤcken laſſen, ſo weit,
daß er umkehrte. Mit mißtrauiſchem ſchuͤchternen Blick wagte ers naͤher zu
kommen. Doch beruhigten wir ihn endlich durch allerhand Geſchenke, ſchieden als
gute Freunde von einander und kehrten darauf mit allen unſeren Leuten, ziemlich
ſpaͤt, an Bord zuruͤck.


Am folgenden Morgen ſahe man verſchiedene Canots, mit aufgeſpann-
ten Seegeln, aus dem Haven abgehen. Der Form nach kamen ſie, mit den
Fahrzeugen die auf den freundſchaftlichen Eylanden gebauet werden, ziemlich
uͤberein; nur daß die hieſigen ungleich ſchlechter gearbeitet waren als jene. Sie
hatten durchgehends Ausleger, und konnten zum Theil bis zwanzig Mann fuͤh-
ren. Die Seegel waren niedrig, und beſtanden aus dreyeckigten Matten, da-
von das breite Ende aufwaͤrts, das ſpitzige nach unten zu gekehrt war.
Ein langes Stuͤck Holz, wie ein Trog ausgehoͤhlt, macht den Boden des Ca-
nots aus, und die Seitenwaͤnde beſtehen aus einer oder zwo auf einander ge-
ſetzten Planken, die mit Stricken von Cocosfaſern folgendermaaßen ver-
bunden ſind. Bey Bearbeitung der Planken wird die aͤußere Seite ganz
glatt und eben gezimmert, indeß auf der inneren, in gewiſſer Entfernung,
kleine Erhoͤhungen oder Hoͤcker am Holze gelaſſen werden, die, in ſenkrechter Rich-
tung durchbohrt, als lauter feſt eingeſchraubte Ringe hervorragen. Durch
dieſe Loͤcher oder Ringe, ziehen ſie die Stricke durch, und ſchnuͤren auf ſolche
Art die Planken eine auf die andere feſt, ohne daß außerhalb, weder von
den Loͤchern noch von den Stricken, das mindeſte zu ſehen iſt. Die Ruder
ſind in aller Abſicht ſchlecht, ſowohl was die Form, als was die Arbeit betrift.
Daß die Tanneſer ihre Fahrzeuge und uͤbrige Handarbeiten nicht ſo ſauber ma-
chen, und ſo ſchoͤn glaͤtten, als die Bewohner der freundſchaftlichen-Eylande,
mag
[281]in den Jahren 1772 bis 1775.
mag wohl daher ruͤhren, daß der ewige Krieg, worinn ſie zu leben ſcheinen, ih-1774.
Auguſt.

nen nicht Zeit genug dazu eruͤbrigen laͤßt.


Da der Wind nunmehro guͤnſtig war, ſo lichteten wir die Anker und
ſtachen, nach einem Aufenthalt von ſechzehn Tagen, am 20ſten Auguſt wie-
derum in See.


Die Inſel Tanna liegt unterm 19ten Grad 30 Secunden Suͤder-Breite,
und dem 169ſten Grad 38 Secunden oͤſtlicher Laͤnge, hat aber nicht uͤber
24 See-Meilen im Umfange. So weit wir Gelegenheit gehabt haben die Berge
zu unterſuchen, beſtanden ſolche mehrentheils aus einem thonartigen Geſtein mit
Stuͤcken Kreide vermiſcht. Dieſer Thon war faſt durchgehends von brauner oder
gelblicher Farbe, und lag in ſechszolligen, beynahe waagerechten Schichten.
An einigen Orten wechſelten dieſe Schichten mit andern, von einer Art weichen
ſchwarzen Steines ab, der aus volcaniſcher Aſche und Schoͤrlkoͤrnern, mit etwas
Thon oder vielmehr mit einer Art Tripel vermiſcht, entſtanden zu ſeyn ſchien.
Eben dieſe vulcaniſche Aſche, mit einem Zuſatz von guter ſchwarzer Erde, macht
den vortreflichen, fruchtbaren Boden aus, worinn die Pflanzen ſo gut gedei-
hen. Alle dieſe Miſchungen, in den Erdarten ſowohl als in den uͤbrigen Pro-
ducten des Mineralreichs, ſind, mehr oder minder, das Werk des Vulcans.
So enthielt z. B. der weiße Thon, welcher die Solfatara deckt, gediegenen
Schwefel und hatte dabey einen zuſammenziehenden Geſchmack, als ob er mit
Alaun impraͤgnirt waͤre. In derſelben Gegend gab es auch rothen Bolus, des-
gleichen ſcheint Selenit vorhanden zu ſeyn, wenigſtens beſtanden die Zierrathen,
welche die Einwohner in dem durchbohrten Naſenknorpel zu tragen pflegten, aus
dieſer Stein-Art. Von Lava haben wir nur einzelne, ziemlich grobe Stuͤcken
geſehen, naͤher am Vulcan, wo man uns aber nicht hinlaſſen wollte, wird ſie
vermuthlich in groͤßerer Menge und Mannichfaltigkeit anzutreffen ſeyn. Das
heiße Quellwaſſer iſt von zuſammenziehendem Geſchmack, und hat folglich, allem
Anſehen nach, ebenfalls mineraliſche Beſtandtheile; es [fehlte] uns blos an
Muße, um die Beſchaffenheit derſelben durch chymiſche Verſuche naͤher zu beſtim-
men. Der Vulcan an und fuͤr ſich wuͤrde, ſeiner damaligen Entzuͤndung wegen, ge-
wiß zu manchen neuen Bemerkungen Stoff geliefert haben, wenn die argwoͤhni-
ſche Beſorgniß der Einwohner uns nur geſtattet haͤtte, ihn in der Naͤhe zu be-
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. N n
[282]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
trachten und zu unterſuchen. Statt deſſen mußten wir mit dem aͤußern An-
blick deſſelben, von fern, zufrieden ſeyn, der uns weiter nichts als die Beſtaͤ-
tigung des ſchon bekannten Satzes lehrte, daß feuerſpeyende Berge nicht
allezeit die hoͤchſten in einer Kette von Gebuͤrgen ſind, (wie in Peru und
Sicilien,) ſondern daß ſie zuweilen auch in einer zweyten, niedrigeren Reihe
von Bergen ausbrechen, und, ſelbſt da, oft nur von unbetraͤchtlicher Hoͤhe ſeyn
koͤnnen. Da uͤberdem, bey den Azoriſchen Inſeln und im Archipelago, ſogar
aus der Tiefe des Meeres, und zwar an ſolchen Orten, wo es ganz unergruͤndlich
war, Vulcane zum Vorſchein gekommen ſind: So iſt es wohl ſehr ſonderbar,
wenn noch heut zu Tage ſo viele Naturforſcher jenem blos ſpeculativen Philoſo-
phen, dem Grafen von Buͤffon, blindlings nachbeten und als ausgemacht an-
nehmen, “daß Vulcane nur in den hoͤchſten Gebuͤrgen vorhanden ſind,” weil
dieſer Schriftſteller, zu Unterſtuͤtzung ſeiner Hypotheſe, vorgiebt, daß dergleichen
unterirdiſche Feuer uͤberall “nur an der Oberflaͤche der Erde” vorhanden waͤren. —
Eine zweyte Bemerkung, die wir an dem Vulcan in Tanna gemacht haben,
beſtehet darinn, daß die ſtaͤrkſten Ausbruͤche gemeiniglich nach einem Regen zu
erfolgen pflegen; Zwar verſchaffte uns der kurze Aufenthalt nicht Gelegenheit, dieſe
Beobachtung oft genug zu wiederholen, um ſie fuͤr allgemein auszugeben; doch
haben die Erfahrungen anderer Naturforſcher ihr bereits die erforderliche Zuver-
laͤßigkeit ertheilt.


Das Pflanzenreich iſt hier in Tanna, ſowohl an Zahl als an Verſchie-
denheit der Arten, von großem Umfang. In den Waͤldern gab es viele uns
gaͤnzlich unbekannte, oder doch ſonſt nur in den Oſt-Indiſchen Inſeln vorhandene
Gewaͤchſe, und in den Plantagen wurden ebenfalls ſehr viele Kraͤuter und Wur-
zeln gebaut, davon man auf den Societaͤts- und freundſchaftlichen Inſeln
nichts weiß. Solcher Pflanzen die foͤrmlich gehegt und angezogen werden, moͤ-
gen wohl mehr als vierzig verſchiedene Arten ſeyn. Von den wildwach-
ſenden verdient die Muſcatnuß vorzuͤglich erwaͤhnt zu werden, weil Quiros
dies Gewuͤrz fuͤr ein Product ſeiner Tierra del Espiritu Santo ausgiebt, und
dieſes Land ohnlaͤugbar mit unter dieſer Gruppe von Inſeln begriffen ſeyn muß.
Orangen ſind ebenfalls vorhanden, ob ſie aber wild wachſen oder angepflanzt
werden, kann ich nicht beſtimmen, weil wir nirgends den Baum, ſondern im-
[283]in den Jahren 1772 bis 1775.
mer nur die Frucht geſehen haben, welche die Weiber zum Verkauf zu bringen1774.
Auguſt.

pflegten.


Das Thierreich iſt nicht minder betraͤchtlich, und hat viele ſchoͤne
Gattungen aufzuweiſen. Fiſche ſind in großer Menge und Mannichfaltigkeit
vorhanden. Wir fiengen, theils mit Netzen theils mit Angeln, eine Art
Barbeln, (mullus) braſilianiſche Hechte, Schneffel, Doraden, Cavalhas,
Papagoy-Fiſche, giftige Rochen, zahnloſe Rochen, Engelfiſche, Hayen und
Sauger, nebſt verſchiedenen Sorten von Makrelen und ſogenannten Dickkoͤpfen
(mugil). Nur allein Muſcheln ſind ſelten, die Einwohner holen ſie aber
aus benachbarten Inſeln her und ziehen, unter den Schaalen, das Per-
lenmutter allen uͤbrigen vor. In den Waͤldern halten ſich unzaͤhlich viel Voͤgel
auf, beſonders allerhand Tauben-Papagoyen- und Fliegenſtecher-Arten. Un-
ter letzteren gab es auch eine Gattung die in Nen-Seeland haͤufig iſt. Naͤchſt
derſelben fanden wir die Ceylaniſche Eule, eine Baum-Klette, eine Enten-Art,
und das purpurfarbne Waſſerhuhn. Dieſe waren gemeiniglich ſehr ſcheu, und
muͤſſen alſo wohl von den Einwohnern gejagt werden. Huͤhner und Schweine
ſind das einzige Zuchtvieh der Einwohner und von wilden vierfuͤßigen Thiereu
giebt es blos Ratten und Fledermaͤuſe, deren ich bereits gedacht habe.


Dieſe von der Natur ſo reichlich ausgeſtattete Inſel, wo die Witterung
innerhalb des Wendezirkels dennoch gemaͤßiget iſt, wird von einem weit min-
der geſitteten Volke bewohnt, als die Societaͤts- und freundſchaftlichen In-
ſeln
, ohnerachtet dieſe beynahe unter derſelben Breite, nur etwas weiter
nach Oſten zu, liegen. Die Bevoͤlkerung mag ſich hoͤchſtens auf 20000
Seelen belaufen: Mit dem Anbau des Landes aber iſt man, in Verhaͤlt-
niß zu dem Umfange der Inſel, noch nicht weit gekommen, ausgenommen
auf der oͤſtwaͤrts vom Haven befindlichen hohen Ebene, welche in dieſem Be-
tracht ohnſtreitig die reichſte Gegend iſt, die ich in der ganzen Suͤd-See nur
geſehen habe. Vielleicht wird man ſich wundern, daß in Tanna noch ſo viel
Land wuͤſte liegt, da ich doch den Boden als ſo fruchtbar beſchrieben habe. Beym
erſten Anblick ſcheint es freylich, daß dieſe Eigenſchaft des Erdreichs die Urbar-
machung ungemein erleichtern muͤſſe; allein, ganz im Gegentheil erſchwert ſie
dieſelbe vielmehr, wenigſtens im Anfange. Die wilden Gewaͤchſe, die ſich
N n 2
[284]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
bekanntermaaßen (theils durch Saamen, theils durch die Wurzeln) alle
von ſelbſt vermehren, ſind nemlich immer um deſto ſchwerer auszurotten, je
mehr Nahrung ſie in dem Boden finden. Ehe aber dieſe nicht voͤllig gedaͤmpft
ſind, laufen alle durch Kunſt gezogene, ſtets zaͤrtlichere und ſchwaͤchere Pflanzen,
Gefahr, verdraͤngt und erſtickt zu werden. Dieſe beyden Umſtaͤnde zu-
ſammengenommen, laſſen mich vermuthen, daß die Volksmenge in Tanna bey
weitem nicht ſo groß iſt, als ſie, dem Umfang der Inſel nach, ſeyn koͤnnte. Die
Einwohner halten ſich in kleinen Doͤrfern beyſammen, deren jedes aus etlichen
Familien beſtehen mag, und ihre Gewohnheit, beſtaͤndig bewaffnet zu gehn, iſt
ein ſicheres Zeichen, daß ſie ehemals, vielleicht auch jetzt noch, theils mit be-
nachbarten Inſulanern, theils untereinander ſelbſt, Krieg fuͤhren. Die inneren
Unruhen koͤnnten wohl daher entſtanden ſeyn, daß ſich Leute von allerley ver-
ſchiedenen Nationen in Tanna niedergelaſſen, und einander den Beſitz ſtreitig
gemacht haͤtten. Zu dieſer Vermuthung berechtigt mich wenigſtens der Um-
ſtand, daß wir dreyerley verſchiedene Sprachen daſelbſt angetroffen haben, eine
nemlich die allgemein geſprochen und verſtanden ward, eine andere, die mit der
auf den freundſchaftlichen-Eylanden eingefuͤhrten Mundart uͤbereinkam,
und eine dritte, deren ſich vornemlich die auf der Weſtſeite des Havens wohnende
Indianer zu bedienen pflegten. Daß dieſe drey Sprachen ganz und gar von ein-
ander abwichen, erkannten wir ſehr deutlich an den Namen der Zahlen, die in
jeglicher verſchieden lauteten. In der herrſchenden oder gewoͤhnlichen Sprache
bemerkten wir zwey bis drey Woͤrter, die offenbar mit der Mallicolleſiſchen
Mundart verwandt ſind, und ohngefaͤhr eben ſo viele kommen mit dem Malayi-
ſchen uͤberein. Im Ganzen aber hat keine von allen dreyen mit irgend einer
ſonſt bekannten etwas gemein. Viele Woͤrter werden ſtark aſpirirt, in andern
kommen haͤufig Guttural-Buchſtaben vor, doch iſt alles dermaaßen mit Selbſt-
lautern durchwebt, daß die Ausſprache leicht und der Klang angenehm wird.


Dem geringen Umfange der Inſeln im Suͤd-Meer, und dem gaͤnzlichen
Mangel an wilden vierfuͤßigen Thieren, muß man es zuſchreiben, daß die erſten
Einwohner ſich nicht, ſo wie die mehreſten anderen Wilden, blos von der Jagd
naͤhren, auch nicht ganz allein von der Viehzucht leben konnten, ſondern, faſt
ſeit dem erſten Augenblick ihrer Niederlaſſung, gleich auf den Ackerbau bedacht
[285]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſeyn mußten, vornemlich in ſolchen Gegenden wo es nicht viel Fiſche gab.1774.
Auguſt.

Ohne dieſe Nothwendigkeit, den Feldbau zu treiben, wuͤrden die Bewohner der
tropiſchen Inſeln wohl durchgehends noch nicht zu dem Grade von Civilifation
gelangt ſeyn, den wir wuͤrklich bey ihnen angetroffen haben. Um wie viel es
aber eine dieſer Voͤlkerſchaften der andern hierinn zuvor thut, das laͤßt ſich, weil
ſie durchgehends feſte, bleibende Wohnſitze haben, blos danach beurthei-
len, ob ſie in ihrem haͤuslichen Leben ſchon mehr oder weniger Bequemlichkeit zu
erfinden, oder ihren Handarbeiten mehr oder weniger Zierlichkeit zu geben
gewußt. Nach dieſem Maaßſtabe nun zu rechnen, ſtehen die Einwohner von
Tanna noch ziemlich weit unten; ihre Haͤuſer ſind nur Schoppen, in keinem
Betracht auf Bequemlichkeit eingerichtet, blos ein nothduͤrftiges Obdach
gegen uͤbles Wetter. Von Kleidung, nach deren Beſchaffenheit ſich das Maaß
der Civiliſation ebenfalls beſtimmen laͤßt, wiſſen ſie noch gar nichts, ja ſie laſ-
ſen es ſelbſt noch an coͤrperlicher Reinlichkeit fehlen, welches fuͤr die Aufnahme
des geſelliaen Umgangs immer ein großes Hinderniß iſt. An ſtatt ſich fleiſ-
ſig zu baden, wie die Tahitier und ihre Nachbaren thun, bemahlen ſie ſich
lieber mit allerhand Schminken und werden dadurch unreinlich: Aber, neben
allen dieſen Maͤngeln, zeigen ſich doch jetzt ſchon die Anlagen und Vorbothen zu
einer hoͤheren Verfeinerung ganz deutlich. Dahin rechne ich unter andern die
Geſchicklichkeit ihrer Weiber in der Kochkunſt, zu welcher die Mannichfaltigkeit der
Nahrungsmittel Anlaß gegeben haben mag. Sie wiſſen z. B. die Yams und Pi-
ſangs zu braten oder zu roͤſten; gruͤne Feigenblaͤtter und Okra (hibiſcus eſculen-
tus,
) zu daͤmpfen und Puddings zu backen, davon der Teig aus Piſangs- und Arum-
Wurzeln, die Fuͤlle, aus Cocos-Kernen und Blaͤttern beſtehet. Verſchiedene
Arten von Obſt werden auch friſch, ſo wie ſie vom Baume kommen, ohne Zube-
reitung, verzehrt. Dann und wann thun ſie ſich mit einem Stuͤck Schweine-
fleiſch, oder Federvieh etwas zu gute; der Fiſchfang mag ihnen ebenfalls manche
Mahlzeit liefern, desgleichen die Vogeljagd, wiewohl der Ertrag dieſer letzteren
nicht als eine taͤgliche Speiſe, ſondern nur als Leckerbiſſen in Anſchlag gebracht
werden kann. Sollte das Wohlgefallen an vielen und verſchiedenen Gerichten
unter dieſer Nation zunehmen und allgemein werden; ſo wuͤrden auch der Acker-
bau und alle diejenigen Manufacturen und Kuͤnſte, die zu dieſer Art des Wohl-
N n 3
[286]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
lebens gehoͤren, bald ſtaͤrkere Schritte zur Vollkommenheit thun, denn die
ſchwerſte Arbeit wird uns leicht und unterhaltend, ſobald wir ſie aus eigner
Willkuͤhr oder zu Vergnuͤgung der Sinne unternehmen: Waͤre aber nur erſt in
einem Stuͤck fuͤr die Verfeinerung der Sitten geſorgt, ſo wuͤrde ſie auch bald
genug in mehreren erfolgen. Schon jetzt hat die Muſik hier eine hoͤhere Stuffe
der Vollkommenheit erreicht, als irgend ſonſtwo im Suͤd-Meer, und es iſt wohl
nicht zu laͤngnen, daß das Wohlgefallen an harmoniſchen Toͤnen eine gewiſſe
Empfindlichkeit vorausſetzt, die der Sittlichkeit den Weg bereitet. —


Die Staatsverfaſſung iſt, dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Nation ge-
maͤß, noch ſehr unvollkommen. Jedes Dorf, jede Familie iſt unabhaͤngig,
und vereinigt ſich mit den Nachbarn nur alsdenn, wenn ihr gemeinſchaftlicher
Nutzen es durchaus ſo erfordert, zum Beyſpiel, wenn feindliche Einfaͤlle zu be-
fuͤrchten ſind. Leute von Jahren und von bewaͤhrter Tapferkeit ſcheinen bey dem
großen Haufen in gewiſſem Anſehen zu ſtehen, Rangordnung aber ſonſt noch un-
bekannt zu ſeyn. Das Intereſſe ſo vieler kleinen Partheyen muß einander oft
geradehin zuwieder ſeyn, und ſie folglich in Streitigkeiten verwickeln, die
dann dem Mißtrauen und der Rachſucht unaufhoͤrliche Nahrung geben. Die-
ſem Uebel kann allein in der Folge, vermittelſt einer ſtaͤrkeren Bevoͤlkerung, abge-
holfen werden; der Wachsthum dieſer letzteren wird ſie nemlich, dringender als
jede andere Urſach, noͤthigen, auf eine gewiſſe geſellſchaftliche Vereinigung zu
denken und die Regierungsform auf feſteren Fuß zu ſetzen. Die Verfertigung
der Waffen, auf welche ſie jetzt den groͤßten Theil ihrer Zeit verwenden muͤſſen,
wuͤrde alsdenn, bey muͤßigen Stunden, gleichſam nur zum Zeitvertreib duͤrfen
vorgenommen werden, und die Folgen eines ſolchen oͤffentlichen Ruheſtandes, ge-
genſeitiges Zutrauen und allgemeine Sicherheit, wuͤrden ihnen Muße verſchaf-
fen, es in der Zierlichkeit aller Arten von Handarbeiten eben ſo weit zu bringen,
als die Einwohner der Freundſchaftlichen-Inſeln. Wie viel der Umgang mit
den benachbarten Inſulanern zu Beſchleunigung dieſes Zeitpuncts beytragen
moͤchte, laͤßt ſich ſo genau nicht angeben; im Ganzen aber iſts wohl ausgemacht,
daß, durch den Handel, der Fortgang der Civiliſation ungemein befoͤrdert wird.


Von der Religion der Tanneſer wiſſen wir nichts zu ſagen. Der feyer-
liche Geſang, den man faſt jeden Morgen an der oͤſtlichen Spitze des Havens
[287]in den Jahren 1772 bis 1775.
hoͤrte, brachte uns zwar auf die Vermuthung, daß dort im Walde irgendwo ein1774.
Auguſt.

gottesdienſtlicher Verſammlungs-Platz befindlich ſey, doch konnten wir es nicht
zur Gewißheit bringen, weil uns die Einwohner allemahl ſorgfaͤltig von dieſer
Gegend zu entfernen ſuchten. In ihrem uͤbrigen Betragen war ebenfalls nicht
die geringfte Spur einer aͤuſſerlichen Gottesverehrung, nirgends etwas andaͤch-
tiges, ſogar nichts aberglaͤubiſches zu entdecken, man muͤßte ihnen denn die Gewohn-
heit dazu aurechnen wollen, daß ſie das was wir ihnen ſchenkten, nicht mit bloßen
Haͤnden, ſondern vermittelſt eines friſchen Blattes anzuruͤhren pflegten: Allein,
auch dieſer Umſtand ward bey weitem nicht durchgehends beobachtet und
faſt gaͤnzlich unterlaſſen, ſobald wir nur einigermaaßen mit einander bekannt
wurden. Indeſſen wird freylich auch dieſes Volk nicht ganz ohne Religion ſeyn,
denn der Gedancke vom Daſeyn eines hoͤchſten Weſens findet ſich gewiß ſchon
bey dem roheſten Wilden, nur daß ſeine unmittelbaren Beduͤrfniſſe ihn dann
noch abhalten demſelben weiter nachzuhaͤngen; koͤnnen dieſe erſt mit we-
niger Muͤhe und in kuͤrzerer Zeit befriedigt werden, dann entwickelt ſich auch die
denckende Kraft des Menſchen bald genug, und erhebt ſich endlich in ihren Un-
terſuchungen bis jenſeits der Koͤrperwelt. So haͤngt ſelbſt das Wachsthum der Got-
tes-Erkenntniß von dem Fortgange der Civiliſation ab!


Gewiſſere und wichtigere Beobachtungen, oder gar, einen vollſtaͤndigen Abriß
vom ganzen Umfang der Kenntniſſe dieſer Inſulaner, wird hoffentlich niemand er-
warten oder fordern, der die kurze Dauer unſers hieſigen Aufenthalts und die Hinder-
niſſe bedenkt, welche das Mistrauen der Einwohner uns aufaͤnglich in den Weg legte.
Dieſen allein iſt es beyzumeſſen, daß ſo manche Puncte, beſonders die im haͤusli-
chen Leben eingefuͤhrten Gebraͤuche, uns gaͤnzlich unbekannt geblieben ſind. Bey
feyerlichen Gelegenheiten, z. B. bey Heyrathen, Geburten und Todesfaͤllen, pflegen
alle Voͤlcker gewiſſe beſondere Ceremonien zu beobachten, und dieſe moͤgen in
Tanna ſo einfach als moͤglich ſeyn; ſo werden ſie dennoch das ihrige beytragen,
den noch nicht genugſam bekannten Character dieſer Nation naͤher zu beſtimmen. *)
[288]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
Hier iſt indeſſen, was wir ſelbſt davon bemerkt haben: Sie ſind von ungleich
ernſthafterer Gemuͤthsart, als die Bewohner der Societaͤts-Inſeln, ja ſelbſt
ernſthafter als die Wilden von Mallicolo, und, nach der Aufnahme zu urthei-
len, welche uns die auf der flachen Anhoͤhe wohnenden Familien wiederfahren
ließen, koͤnnen wir ihnen auch Gaſtfreyheit und allgemeine Menſchenliebe nicht
abſprechen, wenn ſie nur nicht, durch Beſorgniß fuͤr ihre Sicherheit, abgehalten
werden dieſe Eigenſchaften zu aͤußern. Gegen ihre Frauensperſonen betrugen ſie ſich
zwar nicht ganz ſo guͤtlich als ſie billigerweiſe thun ſollten, jedoch auch bey weitem
nicht ſo hart oder gar grauſam als die Neu-Seelaͤnder; im Gegentheil
ſcheint es, daß ſie ſich bereits dem Grade von Sanftmuth naͤhern, den die Einwoh-
ner der freundſchaftlichen- und Societaͤts-Inſeln, in ihrer Behandlung des
andern Geſchlechts blicken laſſen. Daß ſie unerſchrocken und tapfer waren, zeigte
ſich bey jeder Veranlaſſung; auch fuͤr großmuͤthig muß ich ſie erkennen, denn
ſo betrugen ſie ſich nach der Ermordung ihres Landsmannes, vorzuͤglich gegen
Dr. Sparrmann und mich, als ſie uns, im Walde, ſo ganz in ihrer Gewalt
hatten. Daß es ihnen endlich auch keinesweges an Verſtand fehle, haben wir
bey
*)
[289]in den Jahren 1772 bis 1775.
bey manchen Gelegenheiten deutlich und bis zur Bewunderung wahrgenommen.1774.
Auguſt.

Das waͤre denn ihre gute Seite; auf der anderen laͤßt ſich nun freylich
ſo wohl aus ihrem anfaͤnglichen Betragen, als aus der Gewohnheit, nie ohne
Waffen zu gehn, genugſam abnehmen, daß ſie aͤußerſt mißtrauiſch ſeyn muͤſſen,
und da ſie ſelbſt ſich fuͤr Menſchenfreſſer ausgeben; ſo wird ihnen wohl nicht zu viel
geſchehen, wenn wir ſie auch fuͤr hoͤchſt rachſuͤchtig und, in ihren Leidenſchaften, fuͤr
unbaͤndig erklaͤren. Vielleicht wuͤrde der Umgang mit uns Europaͤern Nutzen ge-
ſtiftet und den Wachsthum der Sittlichkeit befoͤrdert haben, wenn die letzte
unuͤberlegte That nicht alle guͤnſtige Eindruͤcke, welche ſie etwa ſchon angenom-
men haben mochten, zu ſchnell wiederum ausgeloͤſcht haͤtte! Europaͤiſche Waaren
ſtanden in keinem oder doch nur ſehr geringem Werth: Da wir aber eine Menge
Naͤgel, imgleichen einige Aexte unter ſie ausgetheilt haben; ſo wird ihnen die
Dauerhaftigkeit dieſes Metalls den Werth deſſelben erkennen lehren, und ſie ver-
muthlich geneigt machen, bey der naͤchſten Anweſenheit eines europaͤiſchen Schif-
fes, allerhand Lebensmittel dafuͤr herzugeben. —


Nun waren wir alſo wieder in See und ſteuerten oſtwaͤrts, nach der
Inſel Irronan hin. Der Aufenthalt in Tanna hatte uns drey bis
vier Mahlzeiten von friſchen Fiſchen, imgleichen einen kleinen Vorrath Yams
verſchafft, der aber fuͤr die Kranken aufbewahrt werden mußte. Es ſtellten ſich
nemlich jetzo unter den Matroſen Fieber ein, und blos dieſe Patienten waren es,
denen, ſtatt des ungeſunden Zwiebacks und gepoͤkelten Rindfleiſches, kleine Por-
tionen von Yams ausgetheilt werden durften. Abends gelangten wir ziemlich
nahe an die Inſel Irronan, welche ohngefaͤhr zwoͤlf See-Meilen oſtwaͤrts von
Tanna liegt und aus einem hohen Tafelberge beſteht. Die Nacht uͤber ward
mit Laviren zugebracht, und am naͤchſten Morgen die Lage der Inſel Anattom
auf 20 Grad 3 Secunden Suͤder-Breite und 170 Grad 5 Secunden oͤſtlicher
Laͤnge beſtimmt. Sie iſt etwas kleiner als Tanna; doch konnten wir, der Ent-
fernung wegen, nicht genau feſtſetzen um wie viel; indeſſen ſchienen die Berge auf
beyden Inſeln, faſt von gleicher Hoͤhe zu ſeyn. Da nun, auch von hier aus, weiter
gegen Suͤden hin, nirgends mehr Land zum Vorſchein kam; ſo ſteuerten wir, laͤngſt
der ſuͤdweſtlichen Kuͤſte von Tanna wiederum nach Norden hinauf. An dieſer
Seite hatte die Inſel ein ſehr fruchtbares Anſehen, indem die Berge und Huͤgel
Forſter’s Reiſe u. d. W. zweyter Th. O o
[290]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
uͤberall ſanft abhaͤngend, und durchgehends mit ſtattlichen Holzungen bewachſen
waren. Ein friſcher Wind beguͤnſtigte unſre Fahrt dermaaßen, daß wir am
folgenden Morgen (d. 22.) ſchon an der Suͤd-Weſtſeite von Irromanga hinſe-
gelten. Capitain Cook war nemlich geſonnen, die weſtlichen Kuͤſten aller hier
beyſammen liegenden Inſeln genauer zu unterſuchen, und hauptſaͤchlich das große
Eyland welches Herr von Bougainville nordwaͤrts von Mallicollo entdeckt
hatte, nicht zu vergeſſen. Noch vor Sonnen-Untergang gelangten wir an die
ſuͤdlichen Ufer von Sandwich Eyland, die uns weit fruchtbarer und reicher an
Waldung vorkamen, als auf der Nordſeite, wo wir ehemals, auf dem Hinwege
vorbey geſegelt waren. Auch fehlte es dieſer Inſel nicht an einem Haven,
der von vier kleinen und niedrigen, aber doch mit ſchattigen Baͤumen bewachſenen
Inſeln gedeckt wurde, folglich eben ſo ſicher als anmuthig zu ſeyn ſchien.


Die ganze Nacht uͤber gieng unſere Fahrt ſo ſchnell fort, daß wir am
Morgen die Inſeln Apih, Pauhm und Ambrrym wiederum zu Geſicht beka-
men, und bald nachher ſchon an der Suͤd Weſtſeite von Mallicollo hinſteuerten.
In dieſer Gegend ſchien der Pik von Pauhm von dem daran liegenden Eylande
abgeſondert zu ſeyn; doch kann es auch, der damaligen Richtung des Schiffes
wegen, nur ſo geſchienen haben, und mag beſagter Berg demohnerachtet wohl,
durch eine ſchmale Erdzunge, mit der Inſel ſelbſt zuſammen haͤngen. Die ſchoͤnen
Waldungen, womit Mallicollo auch an dieſer Seite reichlich verſehen war, ſetzten
uns von neuem in ein angenehmes Erſtaunen, und der Rauch, der an unzaͤhli-
gen Orten empor ſtieg, ließ mit Grunde eine anſehnliche Bevoͤlkerung vermuthen.
Bald darauf entdeckten wir eine geraͤumige Bay, mit einem ſchoͤnen Strande
und zwey kleinen Inſeln. Auch dort ſchien die Gegend uͤberaus fruchtbar,
und gut bewohnt zu ſeyn. Sie war zu ſchoͤn, als daß nicht jedermann die Au-
gen daran haͤtte weiden ſollen, zumal da der Anblick einer Menge Indianer, die
ſich am Strande verſammlet hatten, unſre Neugier noch mehr rege machte.
Gegen Mittag ſtießen zwey Canots vom Lande ab und ruderten uns entgegen; ſie
mußten aber bald zuruͤck kehren, weil wir fuͤr ihre Fahrzeuge viel zu ſchnell ſe-
gelten. Jenſeits dem Nordweſt-Ende der Bay verlor das Land etwas von
ſeiner Annehmlichkeit, indem ſich hin und wieder unfruchtbare Stellen zeigten.
Demohnerachtet waren, ſelbſt auf den hoͤchſten Gipfeln der Berge, Rauch
[291]in den Jahren 1772 bis 1775.
und Wohnungen, und eben daſelbſt des Nachts an mehrern Orten große Reihen1774.
Auguſt.

von Wachtfeuern zu ſehen, die oͤfters wohl eine halbe Meile lang ſeyn moch-
ten. Waͤhrend der Nacht liefen wir um die noͤrdliche Spitze von Mallicollo
und befanden uns bey Tages Anbruch, am 24ſten, ſchon ziemlich weit in der Durch-
fahrt, die Bougainville zwiſchen Mallicollo und einer andern, mehr gen
Norden gelegenen, Inſel entdeckt hat. Mallicollo liegt ohngefaͤhr von Nord-
Nord-Weſt gen Suͤd-Suͤd-Oſt, und die noͤrdliche Spitze unterm 15ten Grad
50 Secunden Suͤder Breite und 167 Grad 23 Secunden oͤſtlicher Laͤnge. Das
an der Nordſeite der Durchfahrt befindliche Land ſchien von weitem Umfange,
ſehr hoch und bergigt zu ſeyn, und an der ſuͤdlichen Kuͤſte deſſelben lagen viele
kleine Inſeln von mittler Hoͤhe, mit anſehnlichen Baͤumen bewachſen. Bey
dem heitern Wetter, welches wir auf dieſer Fahrt hatten, waren die
Schoͤnheiten dieſer Gegenden ſehr genau zu ſehen, und das Vergnuͤgen ſo viele
reiche Ausſichten vor Augen zu haben, mußte uns gewiſſermaaßen die ſchlechte
Koſt verſuͤßen, die jetzt, einen Tag wie den andern, ohne Abwechslung aus
alten unſchmackhaften Schiffs-Vorraͤthen beſtand.


Das Land, welches wir gegen Norden ſahen, iſt vermuthlich eben das-
jenige, welches von dem erfahrnen Seemann, Quiros, entdeckt, mit dem Namen
Tierra del Espiritu Santo (Land des heil. Geiſts) belegt, und damals fuͤr
ein Stuͤck eines Continents oder feſten Landes gehalten wurde. Die Bay St.
Philipp
und St. Jago, darinn Er ankerte, mag wohl innerhalb der kleinen
Inſeln befindlich ſeyn, die wir laͤngft der Kuͤſte liegen ſahen, denn wir bemerk-
ten hinter ſelbigen wirklich etwas, einer Bay aͤhnliches; der Capitain wollte ſich
aber nicht die Zeit nehmen es naͤher zu unterſuchen, ſondern begnuͤgte ſich, die
kleinen Eylande, nach dem Tage an welchem wir ſie zuerſt erblickt hatten,
Bartholomaͤus-Eylande zu nennen.


Nunmehr bekamen wir auch die Inſel der Ausſaͤtzigen (Isle aux Le-
preux
) und Aurora, beyde ziemlich weit gegen Oſten, zu Geſicht, und ſteuer-
ten, laͤngſt der oͤſtlichen Kuͤſte von Tierra del Espiritu Santo, gerade nach
Norden hinauf. An dieſer befand ſich eine Menge kleiner Eylande, die Herr
von Bougainville nicht geſehen hatte; ſie waren, ſo wie die große Inſel, von
fruchtbarem Anſehen und uͤberall mit Waldung bedeckt, aus welcher, an unzaͤh-
O o 2
[292]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
ligen Orten, Rauch empor ſtieg, ein ſicheres Merkmal, daß ſie reichlich bevoͤl-
kert ſeyn mußten. Die Nacht hindurch kreuzten wir ab und zu, und befanden
uns fruͤh Morgens den noͤrdlichſten Eylanden gegenuͤber, woſelbſt auch von der
großen Inſel bereits das noͤrdlichſte Ende zum Vorſchein kam. Es zeigte ſich jetzt,
daß die kleinen Eylande mehrentheils von einerley Geſtalt, nemlich lange, ſchmale
Stuͤcken Landes, an einem Ende ſteil, am noͤrdlichen aber niedrig und wie eine
lange Erdzunge geformt waren. Der abſchuͤßige Theil ſahe gemeiniglich weiß,
wie Kreide, aus, und unter den Baͤumen entdeckten wir nirgends Palmen,
ſondern mehrentheils Caſuarina-Holz. Am ſchoͤnſten nahm ſich der Pro-
ſpect aus, als wir an den noͤrdlichen Ufern dieſer kleinen Eylande hinſegelten
und ſie nun, eins nach dem andern, ſich von der groͤßern Inſel abſetzten, ſo
daß man zwiſchen all den kleinen Durchfahrten, frey durchſehen konnte. End-
lich lenkten wir weſtwaͤrts, und entdeckten hinter einem auf der Haupt-In-
ſel (Tierra del Espiritu Santo) gelegenen Vorgebirge, eine ſehr geraͤumige
Bay, die am Eingange nicht weniger als fuͤnf ſtarke See-Meilen breit und
von verhaͤltnißmaͤßiger Tiefe war. Die Ufer reichten nemlich zu beyden
Seiten wenigſtens ſieben Meilen weit ins Land und liefen, dieſe ganze Strecke
uͤber, parallel, bis an einen ſchoͤnen Strand, der im Hintergrunde zu ſehen
war und das Ende der Bay ausmachte. Die umliegende Gegend beſtand,
auf viele Meilen weit, theils aus Huͤgeln ven mittelmaͤßiger Hoͤhe, theils aus
breiten Thaͤlern, und ſchien uͤberall anmuthig, fruchtbar und bewohnt zu
ſeyn. Auf dem weſtlichen Ufer der Bay kamen, vornemlich gegen Abend, viele
von den Eingebohrnen zum Vorſchein. Nachdem ſie uns lange genug angegafft
hatten, ſtießen etliche, in einem Canot das nach Art der Mallicolleſiſchen Fahr-
zeuge gebauet war, vom Lande, und ruderten auf uns zu. Wir ſuchten ſie
durch alle erſinnliche Freundſchafts-Zeichen der beſten Aufnahme im Voraus zu
verſichern, demohnerachtet getraueten ſie ſich nicht ganz nahe heran. Es wun-
derte uns, den an dieſer Seite der Bay befindlichen Berg, ſeines ſteilen Auf-
gangs ohnerachtet, reichlich mit Baͤumen bewachſen und auch ſtark bewohnt zu
ſehen. Vom Fuß deſſelben lief ein niedriger, ebener Streif Landes, eine bis
zwo Meilen weit, in die Bay, und machte eine Art von Bucht aus, worinn wir
gern geankert haͤtten, weil es eben windſtill und dunkel zu werden anfieng. In
[293]in den Jahren 1772 bis 1775.
dieſer Abſicht warfen wir das Senkbley an verſchiedenen Stellen, fanden aber,1774.
Auguſt.

eine Meile weit vom Strande, mit 130 und 140 Faden nirgends Grund. Bald
darauf ward es voͤllig Nacht, ſo daß man das Ufer nur beym Schimmer der
hin und wieder aufflammenden Feuer erkennen konnte. Wir waren alſo in einer
ziemlich unſichern Lage und ſchon im Begriff die Boͤte auszuſetzen, um das
Schiff boogſiren zu laſſen, als ein Luͤftchen aufſtieg, mit deſſen Huͤlfe wir
mitten in die Bay ſegelten. Daſelbſt erwarteten wir das Tageslicht, und fuhren
hernach fort, bey ſchwachem Winde, ſuͤdwaͤrts in die Bay hinein zu ſteuern; dies
waͤhrete aber nicht lange, denn gegen Mittag hatten wir ſchon wieder Windſtille.
Nach Tiſche mußten zwey Boͤte tiefer in die Bay rudern, um ſich, im Innerſten
derſelben, nach einem Haven oder Fluß umzuſehen, wovon, der Entfernung wegen,
vom Schiff aus, nichts zu erkennen war. Waͤhrend dieſer Zeit kamen drey Ca-
nots, mit dreyeckigten Segeln, vom Ufer und naͤherten ſich ziemlich ſchnell. In
jedem ſaßen vier bis fuͤnf Mann, die ganz nackt und mit den Mallicolleſern
von einerley Farbe, von Statur aber groͤßer, auch von ſtaͤrkeren Gliedmaſ-
ſen waren. Das Haar ſchien wolligt, und der Bart gekraͤuſelt zu ſeyn. Auf dem
Scheitel trugen ſie einen Federbuſch; andre hatten eine weiße Muſchel vor die
Stirn gebunden, und noch andre ein Blatt der Sago-Palme, wie eine Muͤtze,
um den Kopf gewickelt. Ihre Armbaͤnder beſtanden aus Muſchelwerk und wa-
ren denen, die in Mallicollo Mode ſind, voͤllig aͤhnlich. Um den Leib trugen
ſie einen ſchmalen Guͤrtel, davon hinten und vorn ein langes Stuͤck Mattenwerk,
ohngefaͤhr 5 Zoll breit, bis an die Knie herab hieng. Die Canots waren, gleich
denen von Mallicollo, ſchlecht gearbeitet und mit Auslegern verſehen, auch
lagen einige Speere mit zwey bis drey Spitzen darinn, die unſtreitig zum Fiſch-
fang dienten; außer dieſen hatten die Leute gar keine Waffen. Sobald ſie uns
nahe genug duͤnkten, riefen wir ihnen zu, und ließen Medaillen, Naͤgel,
Tahitiſches Zeug und rothen Boy herab, welches ſie ungeſaͤumt in Empfang nah-
men. Von allen dieſen Kleinigkeiten machten ihnen die Naͤgel die mehreſte
Freude; ſie muͤſſen alſo dieſes Metall bereits kennen. Vielleicht iſt ſeit Quiros
Zeiten etwas Eiſenwerk allhier zuruͤckgeblieben und, durch ſeine Dauerhaftigkeit,
bey den Emwohnern beliebt geworden. An demſelben Strick, mit welchem wir
ihnen unſre Geſchenke herunter ließen, ſchickten ſie uns einen Zweig des Pfeffer-
O o 3
[294]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
Baums herauf, außer dieſem Freundſchafts-Zeichen hatten ſie aber nichts zu geben.
Wir redeten ſie verſchiedentlich an, und ſie antworteten etlichemale, doch ver-
ſtand keiner den andern. Endlich fiel es mir bey, die Zahlen, in der Sprache
der freundſchaftlichen Eylande, herzunennen, und kaum hatte ich zu zaͤhlen an-
gefangen, ſo unterbrachen ſie mich und zaͤhlten, in derſelben Mundart, richtig
bis zehn fort. Darauf deutete ich mit dem Finger aufs Land, und verlangte den
Namen der Inſel zu wiſſen. Sie antworteten mir mit dem Wort Fannua,
welches in vorgedachtem Dialekte ſo viel als Land bedeutet. Die ſchoͤne, ebene
Gegend, um die Bay herum, nannten ſie Talla-òni, und theilten uns
auf eben die Art, noch die Benennungen verſchiedener andrer Gebiete mit,
fuͤr das Ganze aber gaben ſie keinen eignen Namen an, weshalb wir die von
Quiros herſtammende Benennung: Tierra del Espiritu Santo (Land des heil.
Geiſtes) beybehielten. Die Sprachen von Mallicollo und Tanna waren die-
ſen Leuten entweder unbekannt, oder wenigſtens, ſo als wir ſie ausſpra-
chen, unverſtaͤndlich. Beym Anblick unſrer vom Lande wiederkommenden Boo-
te, kehrten auch ſie dahin zuruͤck, zumal da die Sonne bereits unterge-
hen wollte. — Lieutenant Pickersgill, der die Boote commandirt hatte,
berichtete, daß er nicht ehe als innerhalb zwo bis drey Kabels-Laͤngen *) vom
Ufer, dort aber ſehr guten Ankergrund gefunden habe. Eben daſelbſt war auch
ein ſchoͤner Fluß vorhanden und die Muͤndung deſſelben tief genug fuͤr ein Boot;
der Lieutenant fuhr alſo hinein und landete auf der einen Seite des Ufers, indeß
auf der andern eine Menge Einwohner aus dem Gebuͤſch hervorguckten; gegen
dieſe ließ er es an keiner Art von freundſchaftlichem Zuruf und Zuwinken fehlen,
da aber gleichwohl nicht ein einziger zum Heruͤberkommen zu bewegen war; ſo kehrte
er nach dem Schiffe zuruͤck, die Bote wurden wiederum eingehoben, und wir ſegel-
ten bey gelindem Winde allmaͤhlig aus der Bay. Capitain Cook gab ihr den
Namen St. Philipp und St. Jago; ob es aber eben dieſelbe iſt, die Quiros
unter gleichem Namen anfuͤhrt, laͤßt ſich nicht mit voͤlliger Gewißheit entſchei-
den. Wenigſtens haben wir den Haven Vera Cruz nicht darinn angetroffen,
von welchem gedachter ſpaniſche Seefahrer meldet, er koͤnne tauſend Schiffe ent-
[295]in den Jahren 1772 bis 1775.
halten. *) Die oͤſtliche Landſpitze der Einfahrt, nannten wir Cap Quiros, ſie1774.
Auguſt.

liegt unter 14 Grad 55 Secunden Suͤder-Breite, und 167 Grad 14 Minuten oͤſt-
licher Laͤnge. Der weſtlichen gaben wir den Namen, Cap Cumberland; dieſe
liegt etwas weiter gegen Norden, nemlich unter 14 Grad 38 Minuten ſuͤd-
licher Breite, und 166 Grad 52 Secunden oͤſtlicher Laͤnge. Fruͤh Morgens befan-
den wir uns derſelben gegenuͤber, fuhren vollends aus der Bay, und ſodann
weſtwaͤrts laͤngſt der noͤrdlichen Kuͤſte hin, doch gieng es, der Windſtillen und
ſchwachen Winde halber, ziemlich langſam. Was Quiros von der Anmuth
und Fruchtbarkeit dieſes Landes ruͤhmt, iſt ſehr gegruͤndet; es duͤnkte mir, in
der That, eines der ſchoͤnſten, die ich je geſehn. Im Pflanzenreiche wuͤrde
fuͤr den Naturforſcher unſtreitig manche ſchoͤne Endeckung zu machen geweſen ſeyn,
zumal da die Inſel, (Neu-Seeland ausgenommen,) das groͤßte Land, welches wir
bisher angetroffen, und uͤberdem noch von keinem Naturkundiger beſucht worden
war. Allein, das Studium der Natur ward auf der Reiſe immer nur als Neben-
ſache betrachtet; man handelte hierinn der Abſicht des Koͤnigs gerade zuwider, und
that nicht anders, als ob der Zweck der ganzen Unternehmung blos darauf hin-
ausliefe, in der ſuͤdlichen Halbkugel “nach einer neuen Curslinie” umherzuſegeln!
Ein Gluͤck war’s, daß, wenigſtens dann und wann, die Beduͤrfniſſe der Mann-
ſchaft mit dem Vortheil der Wiſſenſchaften einerley Gegenſtand hatten; ſonſt
wuͤrden die letztern vielleicht ganz leer ausgegangen ſeyn.


Nachmittags ward ein Hayfiſch gefangen, der uns am folgenden Tage
eine friſche Mahlzeit lieferte. Auf ſeinem Ruͤcken ſaß ein kleines Inſekt, vom
Geſchlecht des Monoculus, und jener beſondern Art ſehr aͤhnlich, die ſich in
den Kiefern des Lachſen aufhaͤlt. Auch fand ſich in unſrer kleinen Bibliothek,
beym Wegruͤcken etlicher Buͤcher, ein Scorpion der, vermuthlich von den
Freundſchaftlichen-Eylanden, mit einem Buͤſchel Piſangfruͤchte, an Bord
gekommen ſeyn mochte. Abends fiengen wir einen Toͤlpel, der ſich auf die
große Raa niedergelaſſen hatte und zu der Art gehoͤrte, die beym [Linné]Pele-
canus Fiber
heißt. Am naͤchſten Tage wehte der Wind noch immer ſo ſchwach,
daß wir, an der weſtlichen Kuͤſte von Tierra del Espiritu Santo, nur ganz
[296]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Auguſt.
langſam herabkamen. Von der Menge verſchiedener Fiſche, die um das Schiff
ſchwammen, wurden zwo Albecoren gefangen und, nach vielen mislungenen
Verſuchen, auch ein Dorade mit dem Harpun getroffen. Das Land war an
dieſer Seite hoch, die Berge ſehr ſteil, und des Nachts an vielen Orten Feuer
zu ſehen die vermuthlich angelegt ſeyn mochten, um einen Theil der Waldun-
gen niederzubrennen, an deren Stelle Pflanzungen eingerichtet werden ſollten.
Quiros bemerkte auch dergleichen Feuer, und vermuthete, wie wir anfaͤnglich
ebenfalls thaten, daß es Freuden-Feuer wegen Ankunft des Schiffs waͤren. Am
30ſten und 31ſten drehete ſich der Wind nach Suͤden, ſo daß wir ab und zu lavi-
ren mußten um die ſuͤdweſtliche Spitze der Inſel zu erreichen. Dieſe Landſpitze
nannten wir Cap Lisburne; ſie liegt unterm 15ten Grad 35 Secunden Suͤder-
Breite und 167 Grad oͤſtlicher Laͤnge. Von dort aus liefen wir nochmals in die
Durchfahrt zwiſchen Mallicollo und Tierra del Espiritu Santo, damit an
voͤlliger Umſchiffung dieſer letztern Inſel nicht das geringſte fehlen moͤchte.
Dadurch bekamen wir auch Gelegenheit die Bay zu ſehen, welche Herr von
Bougainville
auf ſeiner Charte angezeigt hat. Einige der Bartholomaͤus-
Eylande
decken die Einfahrt derſelben, doch ſchien ſie nicht ſo groß zu ſeyn,
als beſagte Charte angiebt. Nunmehro hatten wir unſern Endzweck, den allhier
befindlichen Haufen von Inſeln ganz zu umſchiffen, voͤllig erreicht. Er be-
ſtand aus zehen großen und einer Menge kleinerer Eylande die, von allen im
Suͤd-Meer bekannten, am weiteſten gegen Weſten liegen, bisher aber, ihrem
eigentlichen Umfange und Zuſammenhange nach, noch von keinem Seefah-
rer unterſucht worden waren, auch noch keinen allgemeinen Namen fuͤhrten.
Dieſen ertheilte ihnen Capitain Cook; Er nannte ſie nemlich, in Beziehung auf
die an der weſtlichen Kuͤſte von Schottland befindlichen Hebridiſchen Inſeln,
die Neuen Hebriden. Es war 6 Uhr Abends als wir das Schiff um-
wandten und, mit dem ſuͤdoͤſtlichen Paſſatwinde, von den Neuen Hebriden
weg, nach Suͤd-Suͤd-Weſten ſteuerten. Dieſe Gruppe von Eylanden, die wir in-
nerhalb 46 Tagen nur obenhin unterſucht hatten, ſcheint der Aufmerkſamkeit kuͤnf-
tiger Seefahrer werth zu ſeyn, zumal wenn je wieder eine Reiſe in der ruͤhmlichen
Abſicht unternommen werden ſollte, den Fortgang der Wiſſenſchaften zu befoͤr-
dern. Ich brauche nicht, wie Quiros, vorzugeben, daß großer Reichthum
an
[297]in den Jahren 1772 bis 1775.
an Silber und Perlen hier zu finden ſey. Jener mußte freylich ſo ſagen, um1774.
Auguſt.

einen eigennuͤtzigen Hof nur einigermaaßen zu ſeinem großen, geiſtvollen Vorha-
ben anzuſpornen: Jetzt aber ſind dergleichen Lockungen, Gottlob, ſo noͤthig nicht
mehr. Schon haben die maͤchtigſten unter den Beherrſchern Europens mehr als
eine Reiſe nach entfernten Weltgegenden veranſtaltet, blos um den Anwachs nuͤtz-
licher Kenntniſſe und den allgemeinen Vortheil des menſchlichen Geſchlechts zu
beguͤnſtigen. Sie ſcheinen endlich einmal inne geworden zu ſeyn, daß ſich, fuͤr
eben das Geld was ſonſt zu Beſoldung feiler Luſtigmacher und Schmeichler erfor-
dert wurde, die glaͤnzendſten Progreſſen, ja foͤrmliche Revolutionen, in den Wiſſen-
ſchaften bewerkſtelligen laſſen, und daß die Gelehrſamkeit, von je her, nur ge-
ringer Unterſtuͤtzung bedurft hat, um alle Hinderniſſe zu beſiegen, welche Unwiſ-
ſenheit, Neid und Aberglauben ihr in den Weg legten. — Die natuͤrlichen Pro-
ducte der Neuen Hebriden, alles eingebildeten Reichthums nicht zu gedenken,
ſind es, meines Erachtens, ſchon allein werth, von neuem und zwar genauer
als diesmal unterſucht zu werden. Ihre Vulkane, ihre Pflanzen, ihre Be-
wohner, muͤßten einem Ferber, einem Solander, und jedem philoſophiſchen
Beobachter des Menſchen, gewiß reichliche Beſchaͤftigung geben! *)


Nunmehro richteten wir unſern Lauf gen Suͤden, um die Suͤd-See
in ihrer groͤßten Breite, nemlich bis zur Spitze von America hin, zu durch-
kreutzen. So weit dieſer Weg und ſo entkraͤftet auch unſre Mannſchaft war,
weil ſie lange Zeit uͤber, und noch dazu in warmen Gegenden, nichts als ein-
geſalzene Speiſen genoſſen; ſo hatte ſich der Capitain dennoch vorgenommen, auf
der ganzen Fahrt nirgends anzulegen. Waͤre dieſer Anſchlag zur Ausfuͤhrung ge-
kommen; ſo haͤtten wir unfehlbar mehrere von unſern Leuten eingebuͤßt, denn
ſie konnten wohl nicht alle noch laͤngere Faſten ausſtehen. Gluͤcklicherwei-
ſe hatten wir aber kaum drey Tage lang denſelben Lauf gehalten, als uns ein
großes Land aufſtieß, das noch kein Europaͤer geſehn, und nun bekam der Reſt
unſrer Unternehmungen im Suͤdmeer, auf einmal eine ganz andere Wendung.


Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th.
[298]Forſter’s Reiſe um die Welt

Siebentes Hauptſtuͤck.
Entdeckung von Neu-Caledonien — Nachricht von un-
ſerm dortigen Aufenthalt — Fahrt laͤngſt der Kuͤſte bis zur Ab-
reiſe. Entdeckung von Norfolk-Eyland. — Ruͤckkehr
nach Neu-Seeland.


1774.
Septem-
ber.

Am 4ten September, Morgens um 7 Uhr, entdeckte ein Schiffs-Cadet,
vom Maſtkorbe aus, gen Suͤden hin, Land, welches ſich weit nach
Weſten, zum Theil auch nach Suͤd-Oſten erſtreckte. Es ſchien von betraͤcht-
licher Hoͤhe, und des neblichten Wetters halber, noch ziemlich weit von uns zu
ſeyn; als ſich jedoch die Luft ausgehellt hatte, ſahen wir, daß die Entfernung
kaum 8 See-Meilen betragen mochte; indeſſen war es zugleich windſtill gewor-
den, ſo daß wir uns, zu jedermanns großem Mißvergnuͤgen, dieſer unerwarteten
Kuͤſte nur aͤußerſt langſam naͤherten. Herr von [Bougainville] erzaͤhlt in ſeiner
Reiſebeſchreibung, daß er, bey heftigem Winde, der die See ſehr hoch gethuͤrmt,
auf einmal in eine Gegend gekommen, wo das Meer ganz ruhig geweſen, ohnerach-
tet derſelbe Wind noch immer mit gleicher Heftigkeit fortgewehet habe. Eben da-
ſelbſt, (fuͤgt er hinzu,) trieben etliche Stuͤcken Holz, desgleichen Fruͤchte, bey
dem Schiffe voruͤber, woraus ich ſchloß, daß eine Kuͤſte in der Nachbarſchaft
vorhanden ſeyn muͤſſe. Und ſo verhielt ſich’s wuͤrklich, denn der von ihm ange-
gebenen Lage nach, iſt er damals gerade nordweſtwaͤrts von dem nehmlichen Lande
geweſen, welches wir jetzo vor uns hatten. *) Die anhaltende Windſtille machte,
daß wir uns am Nachmittage noch immer ziemlich weit vom Ufer befanden, doch
konnte man bereits an mehreren Orten Rauch empor ſteigen ſehen, und folg-
lich mit Wahrſcheinlichkeit das Land fuͤr bewohnt halten. Der Officier, der im
Maſtkorbe war, machte uns zugleich Hoffnung einen neuen Vulcan zu unterſu-
chen, indem er vorgab, er haͤtte aus einem Berge Flammen hervorbrechen geſehn.
Es muß aber wohl nur eine Taͤuſchung geweſen ſeyn, denn wir haben nachher auf
der ganzen Inſel nicht einmal vulcaniſche Producte, geſchweige denn einen wirk-
[299]in den Jahren 1772 bis 1775.
lich brennenden Berg ausfindig machen koͤnnen. Das zuerſt entdeckte Vorge-1774.
Septem-
ber.

buͤrge liegt unterm 20 Grade 30 Minuten Suͤder-Breite und 165 Grad 2 Se-
cunden oͤſtlicher Laͤnge, und ward, nach dem Namen des jungen Officiers, der es
zuerſt erblickt hatte, Cap Colnett, das ganze Land hingegen, welches von betraͤcht-
lichem Umfang zu ſeyn ſchien, Neu-Caledonien genannt. Noch hatten wir
zwar keinen von den Einwohnern zu Geſicht bekommen, konnten uns aber doch
nicht enthalten, ihrentwegen ſchon allerhand Vermuthungen zu wagen. Da wir
die Bewohner der Neuen Hebriden ſo ganz verſchieden von den Neu-Seelaͤn-
dern
, und ſogar unter ſich ſelbſt von einander abweichend gefunden hatten; ſo
machten wir uns bereits Hofnung, die Bevoͤlkerung Neu-Seelands hier von
Neu-Caledonien ableiten zu koͤnnen. Es zeigte ſich aber nachher, daß dieſe
Muthmaßungen zu voreilig, und daß es uͤberhaupt nicht wohl moͤglich ſey, die
Bevoͤlkerungs-Geſchichte der Eilande im Suͤd-Meer genau zu beſtimmen.


Ehe es finſter ward, kamen drey Canots mit Segeln vom Lande auf uns
zu. Die Einwohner hatten das Schiff, der Ferne wegen, vielleicht fuͤr ein Canot
mithin auch fuͤr ungleich naͤher gehalten, doch ſchien es, daß ſie ihren Irrthum
bald gewahr wurden, wenigſtens kehrten ſie nicht lange nachher wiederum zuruͤck.
Gegen Weſten beſtand das Land aus mehreren Inſeln, und gerade vor uns brach ſich
die See auf eine ganze Strecke weit, dergeſtalt, daß wir vermutheten, das ganze
Land muͤſſe, in einiger Entfernung vom Ufer, mit einem Rief von Corallen-Klip-
pen umgeben ſeyn.


Fruͤh Morgens naͤherten wir uns bey friſchem Winde der Kuͤſte, und
entdeckten bald den Rief, der mit ſelbiger parallel, ohngefaͤhr drey gute See-Mei-
len davon entfernt, lag. Innerhalb des Riefs ſegelten verſchiedene Canots her-
um, deren jedes zwey Seegel, eins hinter dem andern aufgerichtet, fuͤhrte. Die
Mannſchaft dieſer Fahrzeuge beſchaͤftigte ſich mit Fiſchfangen. Nicht lange dar-
auf ſtießen noch etliche Canots vom Lande, fuhren uͤber den Rief, und nach uns
her. Sobald ſie nahe genug waren, riefen wir ihnen zu, ſie gafften uns zwar eine
Weile an, ſegelten aber alsdenn ganz gleichguͤltig wiederum zuruͤck. Unterdeſ-
ſen hatten wir eine Oefnung im Rief entdeckt und zu Sondirung derſelben zwey
Boote in See geſetzt. Es waͤhrete nicht lange, ſo gaben unſre Leute ein Zeichen,
daß ſie eine bequeme und ſichere Einfahrt in den Rief gefunden haͤtten, und wir
P p 2
[300]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ſahen zugleich vom Schiff aus, daß ſie ſich mit einem wohl bemannten Canot
ganz vertraut unterhielten. Wir folgten ihnen alſo, und gelangten, durch
einen Canal der ohngefaͤhr eine Meile breit ſeyn mochte, iunerhalb des Riefs,
woſelbſt die See ganz ruhig war. Zu beyden Seiten der Einfahrt, vornem-
lich an der engſten Stelle, hielten etliche Canots, aus welchen die Indianer
mit einem freundſchaftlichen, freymuͤthigen Weſen, welches uns viel Freude
machte, uns zuwinkten, daß wir ja recht in der Mitte der Durchfahrt bleiben moͤch-
ten. Unſre Boote ruderten indeſſen noch weiter vorauf und zeigten uns, bey
jedesmaligem Bleywurf, die Tiefe durch Signale an. Das Land ſchien un-
fruchtbar und mit einem weißligten Graſe bedeckt. Buſchwerk war nirgends
zu ſehen, auf den Bergen aber ſtanden hie und da einzelne Baͤume, die meh-
rentheils weiße Rinde, und viel Aehnlichkeit mit unſern Weiden hatten. Als
wir naͤher kamen, lag am Fuß der Gebuͤrge, eine ſchmale Ebene mit gruͤnen
ſchattigten Baͤumen und Buͤſchen bekraͤnzt vor uns, unter denen ſich hin und
wieder eine Cocos-Palme und ein Piſang erhob. Auch bekamen wir einige Haͤu-
ſer zu Geſicht, die kegelfoͤrmig, faſt wie große Bienen-Koͤrbe geſtaltet waren
und, ſtatt der Thuͤre, blos eine Oeffnung hatten. Sie ſahen den Huͤtten der
Einwohner auf den Cocos- und Hoorn-Eylanden, ſo wie dieſe in le Maire’s
und Schoutens Reiſebeſchreibungen abgebildet ſind, vollkommen aͤhnlich.


Mittlerweile kam Lieutenant Pickersgill im Boot zuruͤck, und erzaͤhlte,
daß ſich die Mannſchaft des indianiſchen Canots nicht nur ſehr freundlich gegen
ihn betragen, ſondern auch einen ihrer Landsleute, den ſie Tea-buma nann-
ten, als ihren Eriki oder Koͤnig, vorgeſtellt haͤtte. Dieſem ſchenkte er etliche
Medaillen nebſt andern Kleinigkeiten, und vertheilte den Reſt ſeines Vorraths
unter die uͤbrigen, die aber alles ſogleich dem Tea-buma uͤberlieferten. Herr
Pickersgill brachte vier oder fuͤnf Fiſche an Bord, welche er von dieſen Leuten
zum Gegengeſchenk bekommen hatte; zum Ungluͤck aber waren ſie ſchon in Faͤul-
niß gerathen, und nicht zu genießen.


Im Haven lag ein kleines Eyland, mit Riefs und Untiefen umgeben,
in deſſen Nachbarſchaft wir auf gutem Grunde ankerten. So bald dies geſchehen
war, draͤngten ſich ohngefaͤhr zwanzig Canots ans Schiff, deren jedes zwey Segel
fuͤhrte, und aus zweyen, vermittelſt einer Plattform von Brettern, zuſammen-
[301]in den Jahren 1772 bis 1775.
gefuͤgten Kaͤhnen beſtand. Auf der Plattform lag ein Haufen mit Aſche vermeng-1774.
Septem-
ber.

ter Erde, und auf dieſen ward beſtaͤndig Feuer unterhalten. Viele von den Leu-
ten ſtiegen ſogleich ganz vertraulich an Bord, und einer verkaufte uns eine Yam-
Wurzel gegen ein Stuͤckchen rothes Tuch. Bey Tiſche bekamen wir noch mehr
Zuſpruch von Indianern; gepoͤkeltes Schweinfleiſch wollten ſie eben ſo we-
nig anruͤhren, als Wein trinken, die Yams hingegen, welche wir zu Tanna
eingehandelt, ließen ſie ſich ganz wohl ſchmecken. Nur Schade, daß unſer Vor-
rath davon zu gering war, um ſie nach ihrem voͤlligen Belieben damit bewirthen
zu koͤnnen. Alles Rothe fiel ihnen ins Auge, und beſonders ſtand ihnen rothes
Tuch oder Boy an; doch erboten ſie ſich niemahls etwas dagegen wieder zu ge-
ben. Das Wort “Eri” und noch ein Paar andre ausgenommen, hatte ihre
Sprache gar keine Aehnlichkeit mit irgend einer andern, die wir zuvor im Suͤd-
Meer
gehoͤrt. Wenn man bedenkt, daß in allen oſtwaͤrts gelegenen Eylan-
den dieſes Oceans, imgleichen auf Neu-Seeland, eine und eben dieſelbe Spra-
che (oder wenigſtens Dialecte derſelben) geſprochen werden; ſo kann man ſich
leicht vorſtellen, daß uns die große Verſchiedenheit der Sprachen, welche wir
im weſtlichen Theil dieſes Meeres antrafen, aͤußerſt befremden mußte. Auch
die Leute ſelbſt waren von allen die wir bisher geſehn hatten, ſehr verſchieden,
nemlich groß und mehrentheils von wohlproportionirten Gliedmaaßen; ihre Ge-
ſichtszuͤge ſanft, Haar und Baͤrte ſchwarz und ſtark gekraͤuſelt, bey einigen faſt
wolligt, und die Farbe der Haut am ganzen Koͤrper ins ſchwarze fallend oder
dunkel kaſtanien-braun, wie bey den Einwohnern der Inſel Tanna.


Nachmittags fuhren wir, unter Bedeckung zwoͤlf wohlbewafneter See-
Soldaten, in zwey ſtark bemannten Booten dem Ufer zu und ſtiegen auf einer
flachen Landſpitze aus, woſelbſt ein Haufen theils wehrloſer theils bewafneter
Einwohner verſammlet war. Ohnerachtet nicht ein einziger Mine machte uns
das Landen zu verwehren; ſo mußten, Sicherheits halber, die See-Soldaten den-
noch foͤrmlich aufmarſchiren, indeß wir dicht vor ihnen auf und ab giengen
und die Einwohner baten, ein wenig Platz zu machen. Dies thaten ſie un-
weigerlich und gleich darauf hielt ein anſehnlicher junger Mann, den uns Herr
Pickersgill als den Koͤnig, Teabuma, zeigte, eine Rede, nachdem zuvor ein
andrer, durch lauten Ausruf, allgemeine Stille geboten hatte. Die Rede ſchien
[302]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ernſthaft zu ſeyn, klang aber doch ganz ſanft, und ward zuweilen mit lauter
Stimme vorgetragen. Hin und wieder mochte der Redner Fragen vorlegen,
wenigſtens hielt er inne, und einige alte Maͤnner aus dem Haufen antworteten
alsdenn jedesmal. Die ganze Rede dauerte zwo bis drey Minuten. Bald dar-
auf kam ein andrer angeſehener Mann, oder Befehlshaber, der auf eben die Art
eine Rede hielt, und nun miſchten wir uns ohne Bedenken unter die Verſamm-
lung, um ihre Waffen und Zierrathen naͤher in Augenſchein zu nehmen. Vor
allen Dingen erkundigten wir uns durch Zeichen, ob friſches Waſſer zu haben waͤ-
re? worauf ein Theil gegen Weſten, der groͤßte Haufen aber nach Oſten hin zeigte.
Dieſe Indianer waren durchgehends von großer Statur, ſonſt aber von denen,
die uns zuvor an Bord beſucht hatten, in keinem weſentlichen Stuͤck unterſchie-
den. Das einzige, was ich vorher noch nicht wahrgenommen hatte, beſtand darin,
daß manchen die Aerme und Fuͤße ungewoͤhnlich dick geſchwollen, und mit einer Art
von Ausſatz behaftet waren. Einige trugen das Haar auf dem Scheitel zuſammen
gebunden, andre ließen es nur an den Seiten wachſen, und hatten das uͤbrige
abgeſchnitten. Noch andre ſahen wie Neger aus, wozu ihre platte Naſe und
aufgeworfne Lippen nicht wenig beytrugen. Statt aller Kleidungsſtuͤcke trugen
ſie blos eine Schnur um den Leib und eine andre um den Hals. Die Maͤnner
hatten die Zeugungstheile in ein klein Stuͤckchen braunen Zeuges, das aus der
Rinde eines Feigenbaums verfertigt war, eingewickelt, und dieſe runde Wulſt
entweder an der Guͤrtel-Schnur in die Hoͤhe aufgezogen, oder unterwaͤrts frey
herabhaͤngen. So ſittſam das auch gemeynt ſeyn mochte; ſo konnten wir Eu-
ropaͤer, unſern vaterlaͤndiſchen Begriffen nach, es doch eben ſo wenig zuͤchtig
und ehrbar nennen, als die aͤhnliche Tracht der Mallicolleſer, bey welcher das,
was eigentlich verſteckt werden ſollte, vielmehr recht ſichtbar gemacht wurde.
In der That ſah auch jeder Einwohner dieſes Landes, gleich den Tanneſern und
Mallicolleſern, leibhaftig wie ein herumwandernder Priap aus. Indeſſen ſind
die Begriffe von Schaam freylich in allen Laͤndern verſchieden, und aͤndern ſich auch
von Zeit zu Zeit. Wo z. E. jedermann unbekleidet gehet, wie auf Neu-Holland, *)
[303]in den Jahren 1772 bis 1775.
da macht die Gewohnheit, daß man ſich beym Anblick eines nackten Coͤrpers1774.
Septem-
ber.

eben ſo wenig etwas unanſtaͤndiges denkt, als wir bey der ſorgfaͤltigſten Ver-
ſchleyerung. Die Trachten, beſonders die Ruͤſtungen, welche im funfzehnten
und ſechszehnten Jahrhundert an allen europaͤiſchen Hoͤfen Mode waren, wuͤrde
man jetzt fuͤr aͤußerſt unanſtaͤndig halten: wer getraut ſich aber darum zu behau-
pten, daß heut zu Tage mehr Schaamhaftigkeit als damals in der Welt vorhan-
den ſey? oder wer wollte dem tugendhaften Character jener unuͤberwindlichen
Ritter, die ſich den Ruhm der Keuſchheit, der Ehre, und der edelſten Sitten
erwarben, blos deswegen in Zweifel ziehen, weil ſie — Hoſen nach der damali-
gen Mode trugen? *)


Dieſes Stuͤckchen Zeug, durch welches die Neu-Caledonier ſich, gleich
den Mallicolleſern ꝛc., ſo ſehr von andern Voͤlkern auszeichnen, iſt bisweilen
lang genug, daß das uͤberfluͤßige Ende, nachdem es an den Guͤrtel gebunden
worden, noch an die Halsſchnur befeſtigt werden kann. An dieſer Schnur haͤngen
auch wohl kleine kugelrunde Stuͤckchen eines hellgruͤnen, nephritiſchen Steins
von eben der Gattung, die man auf Tanna findet, und die mit dem Neu-See-
laͤndiſchen
Talkſtein nahe verwandt iſt. Der Kopfputz beſtehet manchmal aus
einer hohen runden Muͤtze, die einer Huſaren-Muͤtze nicht unaͤhnlich ſieht (wie
die Figur 1. auf der XI Kupferplatte, S. 304. ausweiſet.) Es iſt nemlich ein
Stuͤck grobes, ſchwarz gefaͤrbtes, ſteifes Zeug, welches der Laͤnge nach zuſammen
genaͤht, und unten, ſo wie oben, offen gelaſſen wird. Die Befehlshaber hatten die
ihrigen mit kleinen rothen Federn beſetzt, auch wohl oberhalb mit einem langen
Buſch von Hahnenfedern geziert. Zu den Ohrloͤchern pflegen ſie, ſo wie die
Einwohner der Oſter-Inſel, den ganzen Knorpel des Ohrlaͤppchens auszu-
ſchneiden, und das dadurch entſtehende Loch ſehr in die Laͤnge auszudehnen. Dies
geſchieht, um eben ſo, wie auf Tanna, mehrere aus Schildkroͤten-Schale verſer-
tigte Ringe hinein zu haͤngen. Bisweilen ſtecken ſie auch ein aufgerolltes Blatt
vom Zuckerrohr hindurch. Ihre Waffen beſtehen aus Keulen, Speeren und Schleu-
dern. Erſtere ſind nach mancherley Geſtalten und aus verſchiedenen Holzarten
gemacht, aber ſaͤmmtlich kurz, kaum uͤber 3 Fuß lang, und mehrentheils derjenigen
Art von Keulen aͤhnlich, welche die Tanneſer aus Caſuarina-Holz verfertigen.
[304]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem
ber.
An der Kolbe, oder dem unteren Ende, ragen etliche kleine Erhoͤhungen oder ſtern-
foͤrmige Zacken vor; (man ſehe die zwote Figur auf der XI. Kupfertafel) an-
dre haben ganz kurze Schafte, und gehen unterhalb, wie eine Senſe oder Haue,
krumm gebogen (ebendaſelbſt Figur 3). Die Speere ſind 15 bis zwanzig Fuß
lang, und entweder von ſchwarzem Holz oder doch mit ſchwarzer Farbe beſtri-
chen. Die zierlichſten haben vor der Mitte einen Hoͤcker, daran bisweilen
Schnitzwerk verſchwendet iſt, welches ein Menſchen-Geſicht vorſtellen ſoll (eben-
daſelbſt Figur 4 und 5). Dieſe Speere werfen ſie, vermittelſt eines kurzen Rie-
men, der an einem Ende einen Knoten, an dem andern aber einen Ring, oder run-
des Loch hat, und auch in Tanna zu gleichem Behuf gebraucht wird. (Figur 6)
Hier ſind dieſe Wurf-Riemen weit beſſer, und aus einer Art rother Wolle gear-
beitet, die wir fuͤr den Balg eines unbekannten Thieres gehalten haben wuͤrden,
wenn uns nicht zuvor die große indianiſche Fledermaus zu Geſicht gekommen
waͤre, von welcher dieſe Wolle herkommt. Bogen und Pfeile ſind hier zu
Lande nicht bekannt; ſondern man fuͤhrt ſtatt derſelben Schleudern, die
aus duͤnnen Schnuͤren, eines Bindfadens dick beſtehen, und an deren einem
Ende ſich ein Quaſt, am andern aber, ſo wie auch in der Mitte, ein Auge oder
eine Schleife befindet. *) Die Steine, welche daraus geworfen werden, ſind
aus weichem, fettem Seifenſtein, (Smectites) der ſich blos durch hin und her
Reiben in eine beliebige Figur bringen laͤßt, laͤnglich geſtaltet und an beyden Enden
zugeſpitzt. Sie paſſen allemal in die mittlere Schleife der Schleuder, und der
Schuͤtze traͤgt ſie in einer um den Leib gebundenen Taſche, die von grobem, ſtar-
kem aus Grasfaſern zuſammengeflochtenen Zeuge gemacht iſt. Der Form nach,
ſahen dieſe Steine faſt wie die Glandes plumbeae**) der Roͤmer aus.


Da Capitain Cook vor allen Dingen friſches Waſſer ausfindig zu machen
wuͤnſchte; ſo eilte er mit uns bald wieder ins Boot, und fuhr oſtwaͤrts an dem
Ufer hinauf, welches in dieſer Gegend allenthalben von Mangle-Baͤumen be-
ſchattet war, die zum Theil auf ſumpfigen Boden, zuweilen auch im Waſſer
ſelbſt wuchſen. Wir hatten kaum den Strand verlaſſen, als die Inſulaner ſich
eben-
[]

[figure]

[][305]in den Jahren 1772 bis 1775.
ebenfalls verliefen, und vermuthlich nach Hauſe zuruͤck kehrten. Zween derſelben1774.
Septem-
ber.

nahmen ihren Weg laͤngſt dem Strande hin, mußten aber die aͤußerſte Muͤhe an-
wenden, um ſich zwiſchen den dicht verwachsnen Manglebaͤumen durchzuarbei-
ten. Da wir ſahen, daß es den armen Schelmen ungemein ſauer ward; ſo
ruderten wir zu ihnen hin und nahmen ſie ins Boot. Dieſe Erleichterung ließen
ſie ſich ganz wohl gefallen; als wir ohngefaͤhr zwo Meilen zuruͤckgelegt haben
mogten, zeigten ſie uns eine Einfahrt zwiſchen den Mangle-Baͤumen, welches
die Muͤndung eines Flußes zu ſeyn ſchien. Das Waſſer war daſelbſt tief genug,
um mit dem Boote fortzukommen, wir liefen alſo hinein, ruderten den ſchlaͤn-
gelnden Kruͤmmungen eine Weile nach und fanden endlich, daß dieſer Weg
zu einem Wohnplatz der Indianer fuͤhrte. Etliche derſelben ſtanden auf der
einen Seite des Ufers, und waren Zeugen, wie ich eine Ente ſchoß, davon
eben ein großer Schwarm uͤber uns weg flog: ich ſchenkte ſie einem von den bey-
den Indianern, die wir an Bord hatten, weil er beſonders große Luſt dazu aͤuſ-
ſerte. Sie ſchienen ſich zwar uͤber die Wirkung des Feuer-Gewehrs allerſeits
zu wundern, jedoch im geringſten nicht dafuͤr zu erſchrecken. Dies beſtaͤtigte
ſich auch, als wir wenig Augenblicke nachher Gelegenheit fanden von neuem
nach Voͤgeln zu ſchießen, und es war uns uͤberaus angenehm, daß wir ihnen
auf eine ſo ſchickliche und unſchuldige Art zeigen konnten, was fuͤr Gewalt uns
das Schießgewehr uͤber ſie gebe. Endlich landeten wir an einer Stelle, wo der
Fluß kaum zwoͤlf Fuß breit ſeyn mochte. Das Ufer reichte ohngefaͤhr nur zwey
Fuß uͤber das Waſſer, indem die Fluth jetzt beynahe aufs hoͤchſte ſtand. Hier
wohnten ein paar Familien, die mit Weib und Kindern, ganz vertraulich, zu uns
kamen, ohne Argwohn oder Unwillen uͤber einen ſo fremden Beſuch blicken zu laſſen.
Die Weiber waren groͤßtentheils Kaſtanienbraun auch wohl noch dunkler, ſo wie
Mahoganyholz, dabey ſelten von mehr denn mittler Statur, aber durchgehends
ſtark und zum theil plump gebaut. Was ſie vollends verunſtaltete, war ihre
Tracht, die nicht haͤßlicher ſeyn konnte. Man ſtelle ſich einen kurzen Rock vor,
der aus unzaͤhligen Faͤden oder vielmehr achtzoͤlligen, an einen langen Strick be-
feſtigten, Schnuͤren beſtand. Dieſer Strick ward etliche mahl um die Huͤften ge-
wickelt, ſo, daß die kurzen Schnuͤre ſchichtenweis uͤber einander zu liegen ka-
men, folglich, von der Mitte des Leibes an, gleichſam ein dichtes Strohdach
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. Q q
[306]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ausmachten, welches aber kaum den dritten Theil der Lenden, mithin gerade
nur ſo viel, und mehr nicht, bedeckte als noͤthig war, um anzuzeigen, daß es
aus Ehrbarkeit geſchaͤhe. Dies Strohdach gab den Frauen, wie man ſich
einbilden kann, eine haͤsliche, unfoͤrmliche Figur. Manchmal waren die Schnuͤ-
re durchgehends, gemeiniglich aber nur die aͤußerſte Schicht derſelben, ſchwarz
gefaͤrbt, und die uͤbrigen ſahen wie ſchmutzig gewordenes Stroh aus. An Zier-
rathen unterſchieden ſich die Weiber eben nicht von den Maͤnnern, ſondern tru-
gen, gleich dieſen, Muſcheln, Ohr-Ringe, und kleine Kuͤgelchen von Nephiti-
ſchem Stein. Einige hatten auch, zwiſchen der Unterlippe und dem Kinn, drey
ſchwarze Linien, nach Tahitiſcher Art, in die Haut punctirt. Ihre Geſichts-
zuͤge waren grob, druckten aber einen hohen Grad von Gutherzigkeit aus. Die
Stirn war mehrentheils hoch, die Naſe unterhalb breit, oberhalb platt, und
die Augen klein. Aus den vollen runden Backen ragten die Knochen unter dem
Auge ziemlich ſtark hervor. Das Haar war gekraͤuſelt und oft, wie auf den
Societaͤts- und freundſchaftlichen Eilanden, kurz geſchnitten. Ungefaͤhr
zwanzig Schritt weit vom Ufer lagen die Wohnhuͤtten dieſer Familien auf einer
kleinen Anhoͤhe. Sie waren zehn Fuß hoch, kegelfoͤrmig geſtaltet, aber oben nicht
zugeſpitzt. Die innere Anlage, oder was bey unſern Haͤuſern das Zimmerwerk
iſt, beſtand aus ſenkrecht aufgerichteten Pfaͤhlen, die mit geflochtenen Reiſern,
faſt auf die Art wie Huͤrden, zuſammen verbunden und, vom Fußboden bis an
die Decke, ringsum mit Matten verkleidet waren; oben drauf ruhte ein halb-
rundes Strohdach. Das Tages Licht fiel in dieſe Wohnungen nicht anders als
durch ein Loch, welches ſtatt der Thuͤre diente, aber nur 4 Fuß hoch war, ſo
daß man ſich beym Ein- und Ausgehen allemahl buͤcken mußte. Innerhalb war die
Huͤtte voller Rauch und am Eingange lag ein Haufen Aſche. Es ſcheint alſo,
daß die Einwohner, hauptſaͤchlich der Muͤcken wegen, die in jeder ſumpfigen
Gegend haͤufig ſeyn muͤſſen, Feuer anzuͤnden. Zwar bekamen wir nur wenige
dieſer Inſecten zu ſehn, doch wars auch heute ein ziemlich kuͤhler Tag. Um die
Huͤtte her ſtanden etliche Cocos-Palmen, die aber keine Fruͤchte hatten, imglei-
chen Zuckerrohr, Piſangſtaͤmme und Arumwurzeln. Letztere wurden vermittelſt
kleiner Furchen gewaͤſſert, und an einigen Stellen voͤllig unter Waſſer gehalten,
welches in den Eilanden des Suͤd-Meers durchgaͤngig zu geſchehen pflegt. Im
[307]in den Jahren 1772 bis 1775.
Ganzen hatte die Pflanzung gleichwohl nur ein ſchlechtes Anſehen, und ſchien bey1774.
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weitem nicht zureichend, die Einwohner das ganze Jahr uͤber zu ernaͤhren. An
eine ſolche Mannigfaltigkeit von Fruͤchten, als wir bisher auf den Eilanden des
heißen Erdſtrichs angetroffen hatten, war hier gar nicht zu denken; vielmehr er-
innerte uns alles an die Armuth der elenden Bewohner von Oſter-Eiland, vor
welchen die hieſigen wenig voraus zu haben ſchienen. So viel wir merken konn-
ten, war ein Mann Namens Hibai, der Vornehmſte oder Vorgeſetzte unter
den hier verſammelten Familien. Dieſem machten wir einige Geſchenke, und
ſpatzierten darauf am Ufer des Flußes bis an die Mangle-Baͤume, woſelbſt uns
eine neue Pflanze aufſtieß. Gegen die Berge zu, deren erſte Anhoͤhen ungefaͤhr
zwo Meilen weit von hier entfernt ſeyn mochten, hatte das Land eine aͤußerſt
oͤde Geſtalt. Hin und wieder erblickte man zwar etliche Baͤume und kleine
angebaute Felder; doch giengen ſie in dem darum herliegenden, ungleich groͤße-
ren, unfruchtbarem und wuͤſtem Raume verlohren, der unſern Haiden gewiſſermaſ-
ſen aͤhnlich ſahe. Vor einer Huͤtte fanden wir einen irrdenen Topf, der vier
bis fuͤnf Maas halten mogte, auf einem Aſchenhaufen. Dies Geſchirr hatte
einen dicken Bauch und war, aus einer roͤthlichen Erdart, ziemlich grob gearbei-
tet, auch inn- und auswendig mit Ruß gleichſam uͤberzogen. Aus der Aſche
ragten drey ſpitzige Steine hervor, an welche der Topf ſeitwaͤrts angelehnt wurde,
ſo daß das Feuer unter ſelbigem brennen konnte (*). Nach einigem Verweilen bey
dieſen guten Leuten, kehrten wir in unſern Boͤten zuruͤck, und waren vollig uͤber-
zeugt, daß der Mangel an Nahrungsmitteln die einzige Urſach ſey, warum man
uns keine mitgetheilt hatte.


Am folgenden Morgen kamen die Indianer in ihren Booten ziemlich fruͤh
ans Schif. Auf jedem dieſer Fahrzeuge brannte ein Feuer und zwar, um Scha-
den zu verhuͤten, auf einem Haufen von Steinen und Aſche. Es waren auch
einige Weiber unter dieſer Geſellſchaft, von welchen jedoch keine an Bord woll-
te, die Maͤnnern hingegen kamen groͤſtentheils ohne Einladung herauf, und fingen
an ihre Waffen gegen Stuͤcken Tahitiſchen Zeugs zu vertauſchen. Um einen
naͤher gelegenen Ort zum Anfuͤllen der Waſſerfaͤſſer ausfuͤndig zu machen, ſchickte
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[308]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
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der Capitain die Boͤte von neuem ans Land. Wir giengen mit dahin, ſtiegen
eben da aus, wo wir geſtern gelandet waren, und begegneten einigen weni-
gen Einwohnern, die auf unſere Nachfrage nach friſchem Waſſer, weſtwaͤrts
deuteten, in welcher Gegend noch niemand nachgeſucht hatte. Dieſer Anlei-
tung zufolge, giengen wir, laͤngſt dem ſandigen Strande der hier an ein ſchoͤ-
nes wildes Gebuͤſch graͤnzte, fort, und kamen bald zu einer Huͤtte, jenſeits wel-
cher verſchiedene Pflanzungen angelegt waren. Um ſolche naͤher zu unterſuchen,
nahmen wir einen kleinen Umweg tiefer ins Land, mußten aber eines Gra-
bens wegen, der zu Waͤſſerung der Plantagen gezogen war und ſehr ſalziges
Waſſer fuͤhrte, bald wieder umkehren. Dagegen eilten wir nach einer benach-
barten Anhoͤhe, von welcher man weit und breit nach friſchen Waſſer ſich umzu-
ſehen hoffen konnte. Hier war das Erdreich von ganz andrer Beſchaffenheit; an-
ſtatt daß in der Ebene nur eine duͤnne Schicht guter fruchtbarer Erde oben auf
lag, welcher man an den urbar gemachten Orten durch einen Duͤnger von zerbroch-
nen Muſcheln und Corallen zu Huͤlfe kommen mußte, war auf der Anhoͤhe felſigter
Boden, der aus großen Stuͤcken Quarz und waagerechten Schichten von Glim-
mer, mithin aus einer Art von Geſtellſtein beſtand. (*) In dieſer Gegend war eine
Menge verdorrtes Gras, mehrentheils nur duͤnn und ohngefaͤhr drey Fuß
hoch aufgeſproßt. Je zwanzig bis 30 Schritt weit auseinander, gab es ein-
zelne Baͤume, die an der Wurzel ſchwarz, wie verbrannt ausſahen, oberwaͤrts aber
eine loſe, ſchneeweiße Rinde, und lange, ſchmale, weiden aͤhnliche Blaͤtter hat-
ten. Sie gehoͤrten zu der Gattung die Linné, Melaleucam Leucadendram,
und Rumpf, Arborem albam nennt. Letzterer behauptet, daß man auf den
Moluckiſchen Inſeln aus den Blaͤttern dieſes Baums das Cayeputi Oel macht,
auch iſt das Laub deſſelben in der That ſehr wohlriechend. (**) Niedriges
Strauchwerk war auf dieſem Huͤgel nirgends anzutreffen und die Baͤume ſtan-
den ebenfalls ſo zerſtreut, daß die Ausſicht durch nichts gehindert wurde. Was
uns an derſelben am beſten gefiel, war eine Reihe ſchattiger Baͤume, und gruͤ-
ner Buͤſche, die in einer Linie von der See bis an die Berge reichten, und folg-
lich, allem Anſehn nach, laͤngſt den Ufern eines Bachs ſtehen mußten. Wir hatten
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uns in dieſer Vermuthung nicht geirrt, denn nachdem wir noch durch einige Pflan-1774.
Septem-
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zungen vorgedrungen waren, fand ſich unter dieſen Baͤumen wirklich was wir
bisher vergebens geſucht hatten, nehmlich ein kleiner Fluß. Ohngefaͤhr zwey
hundert Schritt weit vom Strande war das Waſſer deſſelben ſchon nicht mehr mit
See-Salz vermiſcht, folglich konnten die Faͤßer mit geringer Muͤhe ange-
fuͤllt, und wieder ans Schiff gebracht werden. Dem Befehlshaber Tea-Bu-
ma
, der uns hier begegnete, verehrten wir etliche Medaillen nebſt andern Klei-
nigkeiten, und bekamen dagegen von ihm eine Schleuder, imgleichen etliche Keu-
len zum Gegengeſchenk. Die Ufer des Bachs waren von Mangle-Buͤſchen be-
ſchattet, hinter denen ein zwanzig Fuß breiter Raum andere Baum- und Pflan-
zenarten trug. Dieſer ſchmale Strich hatte eine Schicht guter, kraͤftiger Pflan-
zen-Erde, und war mit gruͤnem Raſen bewachſen, woran wir unſre Augen mit
deſto groͤßerm Vergnuͤgen weideten, je mehr derſelbe mit dem duͤrren Anſehen
der Berge contraſtirte. Diejenige Gegend des Strandes wo wilde Baͤume
und Gebuͤſche wuchſen, war uns als Naturforſchern die wichtigſte. Auch fan-
den wir daſelbſt mancherley unbekannte Pflanzen, und viele Arten Voͤgel von
verſchiedenen Claſſen, die groͤſtentheils ganz neu waren. Doch mehr als
alles dieſes, gefiel uns die freundſchaftliche, gutherzige Gemuͤthsart und das
friedliche Betragen der Einwohner. Ihre Anzahl war nur gering, und die
Wohnungen lagen ſehr zerſtreut, doch ſtanden mehrentheils zwo bis drey bey
einander, und zwar gemeiniglich unter einer Gruppe von hohen Feigen-Baͤumen,
deren Aeſte ſo feſt in einander geſchlungen waren, daß man kaum den Himmel
durch das Laub erblicken konnte. Dieſe Lage verſchafte den Leuten, auſſer einem
beſtaͤndig kuͤhlen Schatten, auch noch eine andre Annehmlichkeit, nemlich,
daß die Menge von Voͤgeln, die vor dem brennenden Mittagsſtral der Sonne
in den dickbelaubten Gipfeln Schutz ſuchten, ein beſtaͤndiges Concert unterhiel-
ten. Der Geſang einer Art Baum-Kletten war vorzuͤglich ſanft, und gefiel
um deswillen einem jeden, der fuͤr die harmoniſchen Lieder dieſer laͤndlichen Saͤnger
nur einigermaaßen Geſchmack hatte. Auch den Einwohnern mußte dies ganz
gut behagen; denn ſie ſaſſen gemeiniglich am Fuße dieſer wohlthaͤtigen Baͤume, die
zugleich wegen einer Sonderbarkeit in ihrer Structur unſere Aufmerkſamkeit er-
regten. Das Stamm Ende derſelben, ſteht nehmlich zehn, funfzehn bis zwanzig
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1774.
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Fuß hoch uͤber der Erde, und ruhet auf langen Wurzeln, die, aus vorgedachter
Hoͤhe in ſchnurgerader Linie ſchraͤg nach dem Boden herab gehen, dabey ſo rund als
waͤren ſie gedrechſelt, und ſo elaſtiſch, als eine geſpannte Bogen Senne ſind. Aus
der Rinde dieſer Baͤume werden vermuthlich jene Stuͤckgen braunen Zeugs verfer-
tigt, welche im Putz der Neu-Caledonier eine ſo auffallende Figur machen. Unſere
neue Bekannten lehrten uns eine Menge Woͤrter aus ihrer Sprache; ſie hat aber
gar keine Aehnlichkeit mit irgend einer andern, und das iſt gewiß mehr als hinrei-
chend um ſelbſt den groͤßten und eifrigſten Genealogen von Muthmaßungen uͤber ihre
Herkunft abzuſchrecken. In Betracht des Characters dieſer guten Leute, merkten
wir bald, daß ihre Guͤte des Herzens und ihre Friedfertigkeit zum Theil mit
natuͤrlicher Traͤgheit verbunden war. Wenn wir ſpatzieren giengen, ſo folgten
ſie uns ſelten nach; kamen wir vor ihren Huͤtten voruͤber, ohne zuerſt zu reden,
ſo lieſſen auch ſie es gut ſeyn, und ſchienen ſich gar nicht um uns zu kuͤmmern.
Nur die Weiber bezeigten etwas mehr Neugierde, und verſteckten ſich bisweilen
ins Gebuͤſch um uns von fern her anſichtig zu werden; herankommen durften ſie
aber nicht anders als in Geſellſchaft der Mannsperſonen.


Daß wir Voͤgel ſchoſſen, erregte bey den Einwohnern nicht das min-
deſte Aufſehen oder Beſtuͤrzung. Im Gegentheil, wenn wir uns ihren Woh-
nungen naͤherten, ſo pflegten ſich die jungen Leute von ſelbſt nach Voͤgeln um-
zuſehen, und ſie uns anzuzeigen. Mir kam es vor, als ob ſie zu dieſer Jah-
reszeit wenig Beſchaͤftigung haben mußten, denn das Feld war ſchon beſtellt,
und Piſangs und Arum Wurzeln fuͤr die kuͤnftige Erndte bereits angepflanzt.
Eben deshalb mochten ſie auch jetzt weniger als zu jeder andern Zeit im Stande
ſeyn uns Lebensmittel abzulaſſen, welches ſie ſonſt, ihrer freundſchaftlichen und gut-
herzigen Gemuͤthsart nach, wohl gethan haben wuͤrden. Wenigſtens waͤre es
ſehr lieblos, wenn ich anders urtheilen und ihnen allein die Gaſtfreyheit ab-
ſprechen wollte, die doch allen uͤbrigen Bewohnern des Suͤd-Meeres in ſo
hohem Grade eigen iſt, und um deren willen ſie dem Seefahrenden Fremden
ſo ſchaͤtzbar ſind.


Wir verweilten auf dieſem Spatziergange bis gegen Mittag, und kehr-
ten alsdenn, mit einer Bootsladung friſchen Waſſers, ans Schif zuruͤck. Nur
eine kleine Parthey von unſern Leuten mußte am Ufer bleiben, um die uͤbrigen le-
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digen Waſſerfaͤſſer zu bewachen, ohnerachtet, bey der Ehrlichkeit der Einwohner,1774.
Septem-
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auch dieſe Vorſicht vielleicht ganz uͤberfluͤßig ſeyn mochte. Waͤhrend unſrer
Abweſenheit hatte Herr Wales, einige Inſtrumente auf dem kleinen ſandigen
Eilande aufgerichtet, um eine Sonnenfinſterniß, die heute einfiel, zu beobach-
ten. Der Capitain leiſtete ihm dabey Geſellſchaft, und ſowohl nach dieſer,
als nach andern Beobachtungen mehr, ward die Lage beſagten kleinen Eilands
auf 20 Grade 17 Min. 39 Sec. ſuͤdlicher Breite, und 164 Grade 41 Min.
21 Sec. oͤſtlicher Laͤnge feſtgeſetzt. Von der Verfinſterung konnte nur das En-
de beobachtet werden, indem bey Eintritt derſelben eine Wolke bey der Son-
ne voruͤber zog. Herr Wales maaß den verfinſterten Theil mit Hadleys
Quadranten, deſſen man ſich ſonſt noch nie dazu bedient hat, der aber, nach
Capitain Cooks Meinung, mit der groͤſten Genauigkeit als ein Mikrometer
gebraucht werden kann.


Gegen Abend giengen wir, mit dem Capitain, da, wo die Waſſerfaͤſſer
gefuͤllt wurden, ans Land. Die Cayeputi-Baͤume (Melaleuca) deren
verſchiedne in Bluͤthe ſtanden, hatten eine loſe Rinde, die an mehreren Stel-
len vom Stamme abgeborſten war und Kaͤfern, Ameiſen, Spinnen, Eidexen
und Skorpionen eine Zuflucht verſtattete. Das Wetter war ſo angenehm, daß
wir bis gegen Sonnen Untergang auf den benachbarten Huͤgeln herum ſpatzierten;
waͤhrend der Daͤmmerung kam es uns vor, als ob ſich in dem duͤrren Graſe
Wachteln aufhielten, doch konnten wir, weder heut noch in der Folge, daruͤber
zur Gewißheit kommen. Von den wenigen Einwohnern, die wir in dieſer Ge-
gend antrafen, waren einige ſo zutraulich, uns ihre Waffen zu verkaufen.
Wir ſuchten ihnen begreiflich zu machen, daß es uns an Lebensmitteln fehle,
allein, ſie waren gegen alle Winke dieſer Art taub, weil ſie augenſcheinlich fuͤr
ſich ſelbſt nicht genug hatten. Der Boden taugt auch hier zu Lande in der
That nur an wenig Orten zum Ackerbau, und lohnt den Einwohnern die Muͤhe
und Arbeit, welche ſie daran verſchwenden muͤſſen, immer nur kaͤrglich.


Am 11ten des Morgens, noch ehe die Indianer an Bord kamen, ward
ein Boot abgeſchickt, um, nach Seemaͤnniſchem Brauch, einen unſrer Leute zu
verſenken, der als Schiffs-Fleiſcher mit auf die Reiſe gegangen, und geſtern
an den Folgen eines ungluͤcklichen Falles geſtorben war, den er am 5ten Sept.
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1774.
Septem-
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gethan hatte. Er war ein ſechszigjaͤhriger, aber noch immer arbeitſamer, in
ſeinem Beruf unermuͤdeter Mann, und uͤbrigens der dritte, den wir bisher
verlohren hatten, indem einer ertrunken, und ein andrer an der Waſſerſucht
geſtorben war.


Nach eingenommenem Fruͤhſtuͤck giengen wir, nebſt dem Capitain, dem
Ober-Lootſen, zween See-Cadetten und drei Matroſen, ans Land, um die
Berge zu beſteigen, von denen unſer Bach herabrieſelte. Ohnerachtet die
Anhoͤhe an manchen Orten ſehr ſteil war, fanden wir doch allenthalben einen
bequemen Pfad. Der Felſen beſtand durchgehends aus einem Geſtellſtein oder
Miſchung von Quartz und Glimmer, die bald mehr bald weniger mit Eiſentheil-
chen gefaͤrbt war. Cayeputi-Baͤume wuchſen, ohne Ausnahme, ſowohl auf dem
oberſten Eipfel, als unten; und, je hoͤher wir kamen, deſto mehr verſchiedene Ar-
ten von Straͤuchen trafen wir an; ſie ſtanden zwar nur ziemlich einzeln, verdien-
ten aber alle Aufmerkſamkeit, weil ſie groͤſtentheils in der Bluͤthe und uns
unbekannt waren. Gegen den Gipfel hin nahmen die Baͤume an Hoͤhe und
Staͤrke merklich ab, nur in einigen tiefen Kluͤften, wo herabſtuͤrzende Baͤche
das Erdreich befruchteten, ſahe man eine Menge Pflanzen, friſch, ſtark und gruͤn
aufſproßen. Kaum waren wir eine Stunde lang bergauf gegangen, als uns
mehr denn zweyhundert, groͤßtentheils wohl bewafnete Einwohner, begegne-
ten, die blos um uns Fremdlinge zu ſehen, aus den innern Landgegenden jen-
ſeits der Berge herkamen. Als ſie fanden, daß wir auf demſelben Wege fortſtie-
gen, den ſie hergekommen waren, kehrten die mehreſten wieder um und begleiteten
uns. Ohnweit dem Gipfel bemerkten wir eine Anzahl in die Erde geſteckter Pfaͤ-
le, uͤber welche man trockne Aeſte gelegt, und auf dieſe, Buͤſchel von Gras aus-
gebreitet hatte. Die Einwohner erklaͤrten uns, daß ſie auf dieſem Berge
ihre Todten begruͤben, und daß die Pfaͤle zu Bezeichnung der Grabſtaͤtten
dienten. Unterdeſſen war der Capitain mit dem Lootſen vollends auf den Gipfel
des Berges geklettert und hatte von da aus nach Suͤden hin, uͤber das Land weg
bis nach der See hinſehen koͤnnen; ſeiner Ausſage nach war ſelbige auf jener Sei-
te nicht weiter von den Bergen entfernt, als auf dieſer; und eine waſſerreiche,
zum Theil angebaute Ebene, lief dort, ſo wie dieſſeits, am Fuße der Berge
hin: Im Ganzen war jedoch kein merklicher Unterſchied zwiſchen der noͤrd- und
ſuͤd-
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ſuͤdlichen Seite des Landes zu bemerken. Die Hoͤhe dieſes Standpunkts kam1774.
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der Ausſicht ungemein zu ſtatten: Die ſchlaͤngelnden Baͤche, die Pflanzungen
und zerſtreute Wohnungen auf der Ebene, die mannigfaltigen Gruppen von
Baͤumen und Waldung, ſamt der verſchiednen Farbe des grundloſen Meeres
neben den ſandigen Untiefen deſſelben, machten, zuſammengenommen, eins der
ſchoͤnſten Gemaͤhlde aus! Die Einwohner bemerkten, daß wir von der Hitze
ermuͤdet und durſtig waren; deshalb hohlten ſie uns etwas Zuckerrohr;
nur kann ich nicht begreifen, wo ſie es herbekommen mußten, da derglei-
chen auf dieſer unfruchtbaren Hoͤhe nirgends zu vermuthen, geſchweige denn
wirklich zu ſehen war. Der Gipfel beſtand naͤmlich aus derſelben Stein-
art die wir unten angetroffen, und daher ließ ſich um ſo mehr annehmen, daß
in dieſem Lande manche ſchaͤtzbare Mineralien vorhanden ſeyn muͤßten. Nach
der Zeit die wir zum Heraufgehen brauchten, imgleichen nach andern Neben-Um-
ſtaͤnden zu urtheilen, iſt die Hoͤhe dieſes Berges eben nicht ſehr betraͤchtlich und
vermuthlich geringer als die vom ſogenannten Tafel-Berge, am Vorgebuͤrge
der guten Hoffnung
, welche der Abt la Caille auf 3350 rheinlaͤndiſche Fuß
ſchaͤtzt. *)


Gleich nach unſrer Ruͤckkunſt zum Waſſerplatz eilten wir ans Schif,
woſelbſt eine Menge Indianer verſammelt war, die auch den kleinſten Win-
kel nicht unbeſucht ließen, und uͤberall, Keulen, Speere, nebſt mancherley
Zierrathen verhandelten. Einer unter ihnen war von ſehr großer Statur; er
maaß wenigſtens ſechs Fuß fuͤnf Zoll Engliſch und mit ſeiner ſchwarzen, aufrecht-
ſtehenden, runden Muͤtze, wohl noch acht Zoll mehr. Um dieſe Muͤtzen pflegen ſie
gemeiniglich ihre Schleudern zu wickeln, ſo daß ihnen der am untern Ende befindliche
Quaſt auf die Schultern herabhaͤngt; auch befeſtigen ſie, zum Zierrath, einen Buͤ-
ſchel Farrenkraut daran, oder, wenn der Staat noch groͤßer ſeyn ſoll, einen Buſch
Ceylaniſcher Eulen-Federn, *) welcher Vogel ſowohl hier als auf der Inſel
Tanna zu finden iſt. Des Werths ohnerachtet, den ſie auf dergleichen Muͤtzen
ſetzten, gluͤckte es uns dennoch, mehrere derſelben, gegen Stuͤcke von tahiti-
ſchem Zeuge, einzutauſchen. Ein andrer vorzuͤglicher Theil ihres Putzes beſtand
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Theil. R r
[314]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
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in Ohrgehaͤngen, davon manche eine ungeheure Menge trugen; ſo zaͤhlten wir
z. E. an einem nicht weniger als zwanzig aus Schildkroͤten-Schaale verfertig-
ter Ringe, deren jeder einen Zoll im Durchmeſſer hielt und einen Viertelzoll
dick war. Unter den Sachen, die heute eingetauſcht wurden, befand ſich auch
ein muſikaliſches Inſtrument, naͤmlich eine Art Pfeife, die aus einem ohnge-
faͤhr zween Zoll langen Stuͤck Holz gemacht, glockenfoͤrmig geſtaltet, aber
nicht hohl, und an dem ſchmalen Ende mit einer kleinen Schnur verſe-
hen war. Dicht an dem platten Untertheil hatte ſie zwey Loͤcher, und ohnweit
der Schnur ein drittes, die ſaͤmmtlich innerhalb zuſammen laufen mußten, in-
dem durch das Blaſen auf dem obern Loch, aus den andern ein durchdringen-
der Ton hervorkam. Außer dieſer Pfeife haben wir aber kein andres Inſtru-
ment, das nur einigermaaßen muſicaliſch genannt werden koͤnnte, bey ihnen
angetroffen.


Unſre großen Nagel fiengen nun nach gerade an, gangbare Muͤnze zu
werden, ja die Indianer ſahen den Werth des Eiſens bald ſo gut ein, daß ſie
zu den runden eiſernen Bolzen, woran die Stricke feſt gemacht werden,
große Luſt bezeigten: Capitain Cook vermuthete, daß ihnen ſolche bey Anferti-
gung ihrer Canots vorzuͤglich brauchbar geſchienen haben moͤchten, und zwar,
um vermittelſt derſelben die Loͤcher in die Planken zu brennen, wodurch dieſe
nachher zuſammen genaͤht werden. Daß dieſe Loͤcher eingebrannt werden, iſt
unſtreitig; zwar laͤßt ſich nicht beſtimmen, mit was fuͤr einem Werkzeuge dies
geſchehen mag, vermuthlich aber wohl mit Steinen. *) So ſehr ihnen jedoch
die eiſernen Bolzen gefallen mochten; ſo unterſtand ſich gleichwohl keiner, we-
der dieſe noch die geringſte andre Kleinigkeit, zu entwenden, ſondern ſie fuͤhr-
ten ſich durchgehends vollkommen ehrlich auf. Ueber ihre Fertigkeit im Schwim-
men mußten wir uns oft wundern. Das Schiff lag wenigſtens eine gute
Meile weit vom Ufer, aber, dieſer Entfernung ohnerachtet kamen ſie haufen-
weiſe herbeygeſchwommen, hielten ihr Stuͤckgen braunes Zeug mit einer Hand
aus dem Waſſer, ſo daß ihnen nur die andre zum forthelfen frey blieb, und
auf dieſe eben ſo beſchwerliche als kuͤnſtliche Weiſe brachten ſie auch Wurfſpie-
[315]in den Jahren 1772 bis 1775.
ße und Keulen mit ſich. Waffen von Caſuarina Holz waren, ihrer allzugro-1774.
Septem-
ber.

ßen Schwere wegen, die einzigen, bey welchen dieſe Art des Tranſports nicht
ſtatt fand.


Nachmittags fuhren wir abermahls im Boote ab, und landeten ohnge-
faͤhr zwo Meilen von unſerm Waſſerplatz, woſelbſt die Bay ſich auf der Weſtſei-
te an einer vorſpringenden Spitze endigte. Capitain Cook nahm hier, zum Be-
ſten kuͤnftiger Seefahrer, verſchiedene Zeichnungen von dieſem Ankerplatze auf,
indeß wir unſrer Seits andern Unterſuchungen nachgiengen. Ohnweit dem Stran-
de lag eine große, unregelmaͤßige Felſenmaſſe, wenigſtens zehn Fuß im Durch-
ſchnitt, die aus einem grauen, dichtkoͤrnigen Hornſtein, voller Granaten, ſo groß
als Nadelkoͤpfe, beſtand. Dieſe Entdeckung beſtaͤrckte uns in der Vermuthung,
daß vielleicht reichhaltige und nußbare Mineralien allhier vorhanden ſeyn moͤch-
ten. Eben dieſes ſchien auch der gaͤnzliche Mangel volkaniſcher Producte anzu-
zeigen, dergleichen wir in allen uͤbrigen Inſeln des Suͤdmeeres, nur hier
nicht, wahrgenommen hatten. Das nahe Gebuͤſch, welches laͤngſt dem Ufer ziem-
lich dick ſtand, lockte uns bald zu einem botaniſchen Spaziergange, auf welchem wir
einige junge Brodfruchtbaͤume antrafen, die noch nicht trugen, und ohne alle
Cultur, faſt wie einheimiſche wilde Baͤume, aufgewachſen zu ſeyn ſchienen.
Nicht weit davon fand ſich auch eine neue Art Grenadille oder Paßionsblumen,
welches uns um deswillen merkwuͤrdig war, weil alle bisher bekannte Arten dieſes
zahlreichen Geſchlechts nur allein in Amerika zu Hauſe ſind (*). Ich verlohr
mich von meinen Gefaͤhrten und kam in einen ſandigen Hohl-Weg, der an
beyden Seiten mit Glockenwinden und wohlriechenden Straͤuchen bewachſen,
das ausgetrocknete Bette eines Regenbachs zu ſeyn ſchien. Dieſer Weg fuͤhrte
mich zu drey beyſammenſtehenden Huͤtten, die von Cocospalmen beſchattet wa-
ren. Auſſerhalb vor einer Huͤtte, ſaß ein Mann von mittlerm Alter, dem ein
acht bis zehnjaͤhriges Maͤdchen ihren Kopf auf den Schooß gelegt hatte. Bey
meiner Annaͤherung ſchien er etwas beſtuͤrzt, doch erhohlte er ſich bald wieder,
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1774.
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und fuhr in ſeinem Geſchaͤft fort, welches darinn beſtand, das Haar des Maͤd-
chens mit einem geſchaͤrften Stuͤck ſchoͤnen, durchſichtigen Quarz zu verſchneiden.
Ich machte ihnen mit etlichen ſchwarzen Glaskorallen eine große Freude, und
gieng darauf, um ſie deſtoweniger zu beunruhigen, nach den uͤbrigen Huͤtten zu.
Dieſe ſtanden ſo nahe beyſammen, daß der zwiſchen inne liegende, zum Theil
eingezaͤunte Platz, kaum zehn Fuß ins Gevierte hielt. In ſelbigem traf ich drey
Frauensperſonen an, eine von mittlerm Alter, die andern etwas juͤnger, die
im Begrif ſtanden ein Feuer unter einem der oberwaͤhnten großen irdenen Toͤpfe
anzuzuͤnden. Sobald ſie mich gewahr wurden, winkten ſie, ich moͤchte mich
entfernen; weil es mir aber darum zu thun war, ihre Art zu kochen naͤher zu
unterſuchen, ſo gieng ich, ohne auf ihr Winken zu achten, herein, und fand den
Topf voll trocknen Graſes und gruͤner Blaͤtter, in welches einige kleine Yam-
wurzeln gewickelt waren. Dieſe Wurzeln werden alſo in dem Topfe gleichſam
gebacken, ſo wie es bey den Tahitiern, unterhalb der Erde, vermittelſt geheiz-
ter Steine, geſchiehet. Sie wollten mir kaum Zeit laſſen, dies zu unterſuchen,
ſondern winckten ohne Aufhoͤren, daß ich fortgehen moͤchte, und zogen, nachdem
ſie auf ihre Huͤtten gezeigt, die Finger einige Mahl unterm Halſe hin und zuruͤck,
um, wie es ſchien, mir zu verſtehn zu geben, daß ſie ohnfehlbar erſtickt oder er-
droſſelt wuͤrden, wenn man ſie mit einem Fremden allein bemerkte. Dieſe Zei-
chen duͤnckten mich zu beſtimmt und zu ernſthaft um nicht darauf zu achten; ich
begnuͤgte mich alſo einen Blick in die Huͤtten zu thun, die aber ganz ledig waren,
und gieng darauf ins Gehoͤlz zuruͤck, woſelbſt mir Doctor Sparrmann entgegen
kam. Er war der Meynung, daß ich mich, in der Bedeutung dieſer Zeichen,
wohl geirrt haben koͤnnte, und daß es der Muͤhe werth ſey, ſie nochmals zu
unterſuchen; wir kehrten deshalb beyde um, und fanden die Weiber noch an
demſelben Orte. Ein kleines Geſchenk von etlichen Glascorallen machte ihnen
zwar große Freude, doch konnte es ihre Beſorgniß nicht aufheben, ſondern ſie
wiederholten immer noch die vorigen Zeichen. Ueberdem ſchien es, als ob ſie
uns jetzt mit einer recht flehentlichen Miene baͤten, ihre Verlegenheit nicht aufs
aͤußerſte zu treiben. Wir entfernten uns daher, und ich durfte an der Richtig-
keit meiner vorigen Auslegung wohl nicht mehr zweifeln. Mittlerweile hatte
uns der Reſt unſrer Geſellſchaft eingehohlt, und klagte uͤber großen Durſt, Es
[317]in den Jahren 1772 bis 1775.
war nicht rathſam ihnen von dem Vorfall mit den Frauensleuten etwas zu erzaͤh-1774.
Septem-
ber.

len, weil ihre Neugier, ſie leicht zu einem neuen Verſuch reizen, dieſer aber fuͤr
die armen Weiber ſehr ungluͤcklich haͤtte ausfallen koͤnnen. Wir fuͤhrten ſie alſo aus
dieſer Gegend weg und zu dem Manne hin, der noch immer mit dem Haarver-
ſchneiden ſeiner Tochter beſchaͤftigt war. Man gab ihm zu verſtehen, daß uns
allen nach einem Trunk verlange, und dies begrif er nicht nur bald, ſondern
zeigte auch gleich nach einem Baume hin, mit dem Andeuten, daß wir dort et-
was finden wuͤrden. Er hatte nehmlich zwoͤlf große Coconußſchaalen damit an-
gefuͤllt, und ſolche an die unteren Aeſte aufgehangen. Dieſe Methode das Waſ-
ſer in kleinen Vorraͤthen aufzubewahren ſcheint, im Ganzen, Mangel an ſelbi-
gen zu verrathen. Demohnerachtet trugen wir kein Bedenken, unſern Durſt
zur Genuͤge zu ſtillen und belohnten ihn dafuͤr durch ein Stuͤck tahitiſches Zeug,
womit er auch vollkommen zufrieden war. Nunmehro kehrten wir in zwo Par-
theyen, die eine zu Lande, die andre im Boote, nach dem Waſſerplatz zuruͤck.
Ich geſellte mich zu der erſteren und ſchoß unterwegens verſchiedne neue Arten
von Voͤgeln, deren das Land eine Menge aufzuweiſen hat. Naͤchſt dieſen
ſanden wir auch die gewoͤhnliche europaͤiſche Kraͤhe allhier. Am Waſſer-
platze hatte ſich eine Menge Indianer verſammelt, wovon einige fuͤr ein Stuͤck-
chen tahitiſches Zeug unſre Leute aus- und nach dem Boot zuruͤck, eine gute
Strecke weit durchs Waſſer trugen. Es waren auch einige Weiber dabey,
die, ohne Furcht fuͤr ihren eiferſuͤchtigen Maͤnnern, ſich mitten unter uns wag-
ten, und an den Galanterien der Matroſen Gefallen zu finden ſchienen.
Sie winkten ſie gemeiniglich zu ſich ins Gebuͤſch, wann aber der gluͤckliche Lieb-
haber ihnen dahin folgte, ſo liefen jene, mit unerreichbarer Behendigkeit davon
und lachten den betrogenen Adonis tapfer aus. Es hat ſich auch wirklich, ſo
lange wir auf der Inſel blieben, nicht eine einzige Frauensperſon in die geringſte
unanſtaͤndige Vertraulichkeit mit den Europaͤern eingelaſſen, ſondern ihr anſchei-
nend verliebtes Weſen lief allemal nur auf einen erlaubten und muntern
Scherz hinaus.


Wir waren noch nicht lange an Boord zuruͤck, als der Schreiber des Capi-
tains einen Fiſch ſchickte, den ein Indianer ſo eben mit dem Speer geſchoſſen und fuͤr
ein Stuͤck tahitiſches Zeug verkauft hatte. Da es eine neue Art war, ſo machte
R r 3
[318]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ich mich unverzuͤglich daruͤber her, ihn zu beſchreiben und zu zeichnen. Er ge-
hoͤrte zu dem Geſchlecht, welches LinnaͤusTetraodon nennet, und wovon ver-
ſchiedne Arten fuͤr giftig gehalten werden. Wir lieſſen uns dieſes gegen den Capi-
tain verlauten, zumal da man ſich zu ſeiner haͤßlichen Geſtalt und beſonders zu dem
dicken Kopf nicht viel Gutes verſehen konnte; der Capitain behauptete aber, er
habe eben dieſe Art auf ſeiner vorigen Reiſe an der Kuͤſte von Neu-Holland an-
getroffen, und ohne allen Schaden gegeſſen. Wir freuten uns alſo ſchon im
voraus, morgen eine friſche Mahlzeit davon zu bekommen, und ſetzten uns am
Abend ganz getroſt zu Tiſche, um vorlaͤufig die Leber zu verzehren. Sie war groß
genug, aber von ſo oͤhlichtem Geſchmack, daß der Capitain, mein Vater und ich
nur ein Paar Biſſen davon aſſen; Doctor Sparrmann hingegen wollte ſie gar
nicht einmal koſten. Gleich nach der Mahlzeit begaben wir uns zu Bett, und
zwar deshalb ſo fruͤhzeitig, um gleich mit Tagesanbruch wieder ans Land zu gehn.
Allein, ſchon gegen drey Uhr des Morgens, weckte meinen Vater eine ſehr un-
behagliche Empfindung aus dem Schlafe; Haͤnde und Fuͤße waren ihm gleich-
ſam erſtarrt und als er aufzuſtehen verſuchte, konnte er, des heftigen Schwin-
dels wegen, ſich kaum auf den Fuͤßen halten. Er kroch indeß ſo gut er konnte
fort, um Doctor Sparrmann ſeine Ueblichkeit zu klagen, der im Steuerraume
ſchlief. Capitain Cooks Schlafſtelle war von jener nur vermittelſt einer duͤn-
nen Scheidewand abgeſondert. Auch dieſer wachte, und da er gleiche Zufaͤlle
fuͤhlte als mein Vater, ſo machte er ſich ebenfalls zum Bette heraus, konnte
aber, ohne ſich anzuhalten, auf keinem Fuße ſtehen. Mir gieng es nicht um
ein Haar beſſer, doch hielt der betaͤubende Schwindel mich ohne Be-
wußtſeyn meiner Empfindung noch feſt im Schlafe. Mein Vater beſorgte die-
ſes; er kam alſo an mein Bett, ermunterte mich mit Gewalt, und nun fuͤhlte
ich erſt wie uͤbel mir zu Muthe war. Wir ſchleppten uns allerſeits in die große
Cajuͤtte, und lieſſen unſern Wundarzt, Herrn Patton, hohlen. Er fand uns
wuͤrklich in mißlichen Umſtaͤnden; todt blas, aͤußerſt matt, heftige Beklem-
mung auf der Bruſt, und alle Glieder betaͤubt, gleichſam ganz ohne Em-
pfindung. Brechmittel waren das erſte, was angewandt wurde. Bey mir und
meinem Vater thaten ſie ziemlich gute, bey Capitain Cook hingegen nur ſehr
wenige Wuͤrkung. Darauf mußten wir ſchweistreibende Arzney nehmen und
wieder zu Bette gehn.


[319]in den Jahren 1772 bis 1775.

Um 8 Uhr ſtanden wir auf, aber noch immer ſchwindlicht und ſchwer1774.
Septem-
ber.

im Kopfe. Ich fuͤr meine Perſon befand mich jedoch ſo weit hergeſtellt, daß
ich den ganzen Vormittag aufbleiben und 6 bis 8 Pflanzen nebſt einigen Voͤgeln
zeichnen konnte, welche wir auf den letzten Spatziergaͤngen zuſammen gebracht
hatten. Doctor Sparrmann fuhr mittlerweile ans Land, um mehr dergleichen
einzuſammlen. Am Mittage verſuchte mein Vater aus der Cajuͤtte in die freye Luft
zu gehen, und mit einigen Indianern ſich zu unterreden, die ans Schif gekommen
waren. Sobald ſie des Fiſches anſichtig wurden, der unter dem Verdecke hieng,
gaben ſie durch Zeichen zu verſtehn, daß er Schmerzen im Magen hervorbrin-
ge; auch legten ſie den Kopf mit geſchloßnen Augen in die Hand, um anzu-
deuten, daß er Schlaf, Betaͤubung und endlich gar den Tod verurſache. So
ſehr dieſe Ausſage mit unſerer Erfahrung uͤbereinſtimmte; ſo ließ ſich doch allen-
falls noch annehmen, daß ſie die Sache nur in der Abſicht vergroͤßerten, um
uns den Fiſch abzuſchwatzen. Wir boten ihnen ſolchen an; ſie weigerten ſich
aber mit dem aͤußerſten Abſcheu ihn zu nehmen, hielten die Haͤnde vor ſich, und
wandten den Kopf abwaͤrts, ja ſie baten uns ſogar, ihn geradenweges in die See
zu werfen. Statt deſſen hielten wirs aber fuͤr rathſamer, ihn in Weingeiſt auf-
zubewahren.


Gegen Mittag mußte ich’s empfindlich buͤßen, meine Krankheit nicht
geachtet, und den ganzen Morgen gearbeitet zu haben; denn ich ward auf ein-
mal mit einer ſolchen Ueblichkeit und Betaͤubung im Kopfe befallen, daß ich
eilends wieder zu Bette mußte. Schweistreibende Mittel verſchaften mir
noch die mehreſte Erleichterung, doch war das Gift zu boͤsartig, als daß es ſogleich
haͤtte uͤberwaͤltigt werden koͤnnen. Nicht die Schmerzen, welche wir ausſtehen
mußten, nicht die Beſorgniß, was fuͤr Folgen dieſes Gift auf unſre Geſundheit
haben wuͤrde, ſondern das that uns vorzuͤglich wehe, daß wir nun auſſer Stand
waren, dieſes neue Land weiter zu unterſuchen, und die Naturgeſchichte deſſelben
naͤher zu ſtudiren, von deren Wichtigkeit wir bereits einen ſo vielverſprechenden
Vorſchmack hatten!


Am folgenden Morgen ward Lieutenant Pickersgill, mit zwey Booten
nach einer weſtlich gelegenen Inſel, Balabia genannt, die ohngefaͤhr acht See-
meilen entfernt war, abgeſchickt, um die Lage und Richtung der Kuͤſte zu unter-
[320]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ſuchen. Man kann ſich nicht vorſtellen, mit welcher truͤben Sehnſucht wir die-
ſen Booten, vom Schiff aus, nachſahen! Es war uns ſchlechterdings nicht
moͤglich, laͤnger als fuͤnf Minuten hintereinander auf den Fuͤßen zu ſtehen oder zu
gehen; ſonſt haͤtte uns gewiß nichts hindern ſollen dieſer Expedition beyzuwoh-
nen. Das Gift, welches uns ſo uͤbel bekommen war, aͤußerte ſeine Wuͤrk-
ſamkeit nun auch an einigen Hunden, die wir von den Societaͤts-Inſeln mitge-
bracht. Dieſe waren uͤber den Reſt der Leber hergefallen, wurden aber ſehr
krank davon, und litten an eben ſolchen Symptomen, als jene, welche ehemals
auf gleiche Art zu Mallicolo vergiftet wurden. Das einzige Ferken, welches
wir von Tanna aus mitgenommen, ſchwoll entſetzlich an, und mußte endlich,
unter den heftigſten Zuckungen, das Leben einbuͤßen, blos weil es die Eingeweide
des Fiſches verſchluckt hatte. —


Die Einwohner, welche an Bord kamen, lernten den Werth unſeres
Eiſenwerks immer mehr einſehen, und nahmen gerne Nagel, Meſſer und Bei-
le an. Tea-Buma, der Befehlshaber, ſandte Capitain Cook ein Geſchenk
von etwas Zuckerrohr und Yam-Wurzeln, welches, bey der Armſeeligkeit
des Landes fuͤr ein wuͤrklich koͤnigliches Praͤſent gelten konnte. Er bekam dafuͤr
ein Gegengeſchenk von einem Beile, einem Bohrer, und einem Paar tahiti-
ſcher Hunde, die hier etwas ganz unbekanntes und neues waren. Wir ver-
ſuchten es bey dieſer Gelegenheit auf alle Art und Weiſe den Nahmen der groͤßern
Inſel zu erfahren; aber umſonſt. Man gab uns immer nur die Nahmen beſondrer
Diſtricte an, z. E. den Theil des Landes, der gerade gegen dem Schiffe uͤber war,
nannten ſie Baladd; die Inſel wo die Sternwarte ſtand, hies Puſue; der Di-
ſtrict jenſeits der Berge an der Suͤd-Weſt-Kuͤſte, hies Tea-Buma u. ſ. w. Daß
der Eriki oder oberſte Befehlshaber eben dieſen Namen fuͤhrte, gab uns zu man-
cherley Vermuthungen Anlaß; was es aber eigentlich fuͤr eine Bewandniß da-
mit haben muͤße? konnten wir, in Ermanglung gehoͤriger Sprachkenntniß,
nicht erfahren. Wir ließen es daher bey dem allgemeinen Namen Neu-Cale-
donia
bewenden, zumal da ſelbiger, ſowohl wegen des gutherzigen Characters
der Einwohner, als auch wegen der Beſchaffenheit des Bodens, vollkommen auf
dieſes Land paßt.


Ohner-
[321]in den Jahren 1772 bis 1775.

Ohnerachtet wir noch ſehr ſchwach waren, wagten wir uns doch am folgen-1774.
Septem-
ber.

den Morgen wiederum aus Land. Wir ſtiegen oſtwaͤrts vom Waſſerplatze aus,
und durchwanderten einen Theil der Ebene, allwo nirgends eine angebaute Stel-
le, ſondern uͤberall nur duͤnnes und vertrocknetes Gras zu ſehen war. Ein Fuß-
Pfad leitete uns hart an die Berge, zu einem ſchoͤnen Gehoͤlze, und in dieſem
gab es einen Ueberfluß neuer Pflanzen, Voͤgel und Inſecten; ſonſt aber ſah
das umliegende Land einer voͤlligen Einoͤde gleich. Auf den vor und zu beyden
Seiten gelegenen Bergen ſuchte das Auge, eben ſo vergeblich als auf der ganzen
Ebene, durch welche wir hieher gekommen waren, auch nur die Spur von einer
Huͤtte! Ueberhaupt muß die Zahl der Einwohner von Neu-Caledonien, im
Ganzen, nur ſehr gering ſeyn; denn auf den Bergen kann das Land nicht gebauet
werden, und die Ebene iſt theils nur ſchmal, theils an den mehreſten Orten un-
fruchtbar und wuͤſt — Wir giengen indeſſen immer weiter gen Oſten, und
gelangten endlich an etliche Haͤuſer, die zwiſchen Suͤmpfen lagen. Einige
Bewohner derſelben kamen mit großer Gutherzigkeit herbey, um uns die Stel-
len zu zeigen, uͤber welche wir, ohne Gefahr zu verſinken, ſicher weggehen
konnten. Ihre Haͤuſer waren nicht nur mit Matten von Cocos-Blaͤttern ge-
deckt; ſondern auch innerhalb zum Theil mit Rinden des Cayeputi-Baums beklei-
det. Vor einigen Huͤtten ſaßen die Indianer bey einer kaͤrglichen Mahlzeit von
gar gemachten Blaͤttern, indeß andere den Saft aus der uͤberm Feuer geroͤſteten
Rinde des Hibiſcus tiliaceus ſaugten. Wir koſteten dieſes Gericht, fanden es
aber unſchmackhaft und widrig, auch kann es nicht ſonderlich nahrhaft ſeyn. Die
guten Leute ſcheinen ſich in gewiſſen Jahrszeiten aus Noth ſehr elend behelfen zu
muͤſſen, und in keiner mag es kuͤmmerlicher zugehen als im Fruͤhlinge, wenn die Win-
ter Vorraͤthe aufgezehrt, die neuen Fruͤchte hingegen noch nicht zur Reiſe gekom-
men ſind. Fiſche werden alsdenn wohl ihre einzige Zuflucht ſeyn, und an die-
ſen kann es ihnen, bey den weitlaͤuftigen Riefs, welche die Inſel ringsum-
her einſchließen, nicht leicht fehlen; nur jetzt mußten ſie Verzicht darauf thun,
weil, ſeit unſerm Hierſeyn, das Wetter zum Fiſchfang zu ſtuͤrmiſch war. Ma-
heine
hatte uns ehedem mehrmalen verſichert, daß, ſelbſt die Einwohner der
Societaͤts Inſeln, die doch ungleich beſſer als die Neu-Caledonier verſorgt
ſind, den Unannehmlichkeiten eines trocknen oder unfruchtbaren Jahres nicht immer
Forſter’s Reiſe u. die Welt zweyter Th. S s
[322]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
entgehen koͤnnen, und in ſolchem Fall einige Monathe hindurch blos mit Farren-
Kraut-Wurzeln, Baum-Rinden und wilden Fruͤchten vorlieb nehmen muͤſſen.


Bey vorgedachten Huͤtten gab es eine betraͤchtliche Anzahl zahmer Huͤhner
von großer Art und ſchoͤnem Gefieder; dies waren aber auch die einzigen Haus-
thiere, welche wir bey den Eingebohrnen bemerkten. Ebendaſelbſt lagen große
Haufen von Muſchel-Schaalen, welche ſie auf den Rieffen eingeſammlet und
die Fiſche hier in der Nachbarſchaft verzehrt haben mußten. Im ganzen genom-
men waren die Leute von traͤger, gleichguͤltiger Gemuͤthsart, faſt ohne alle Neu-
gierde. Oft ſtanden ſie nicht einmal von ihren Sitzen auf, wenn wir bey ihren
Huͤtten vorbey giengen, eben ſo wenig ſprachen ſie auch und, wenn es je ge-
ſchah, ſtets in einem ernſthaften Tone. Nur allein die Frauensperſonen wa-
ren etwas aufgeraͤumter, ohnerachtet ſie, bey der hohen Abhaͤngigkeit von ihren
Maͤnnern, gerade am wenigſten Urſach dazu zu haben ſchienen; die Verheyrathe-
ten mußten, unter andern, ihre Kinder in einer Art von Beutel auf dem Ruͤcken
uͤberall mit ſich umher tragen, und ſchon dies allein ſah eben nicht ſehr erhei-
ternd aus! Nach Tiſche ſetzten wir unſre Unterſuchungen fort, blieben aber vorn
auf der Ebene, weil in dem Gebuͤſch ohnweit des Ufers mehr Voͤgel vorhanden wa-
ren, als tiefer im Lande, wo ſie weniger Schatten und weniger Nahrung finden moch-
ten. Auf dieſem Spatziergange geriethen wir an einen andern, dicht am Waſſer ge-
legenen, Haufen von Wohnhuͤtten. Die Indianer hatten daſelbſt einen ihrer großen
irdnen Toͤpfe vor ſich auf dem Feuer, der mit Muſcheln angefuͤllt war, welche
auf dieſe Weiſe gar gemacht wurden. Einer von ihnen hielt ein Beil von be-
ſonderer Geſtalt und Arbeit in Haͤnden. Es beſtand aus einem krummen Aſt
oder Stuͤck Holz, welches einen ſtumpfen Haken, und einen kurzen, ohngefaͤhr ſechs
Zoll langen, Grif hatte. Der Haken war am Ende geſpalten, und in die Oeſnung
ein ſchwarzer Stein mit einem aus Baumrinde geflochtenen Bande befeſtigt, wie die
Figur 1. auf der XII. Kupfertafel, S. 332. ausweiſet. Die Leute gaben uns zu ver-
ſtehen, daß dergleichen Beile zu Bearbeitung des Ackers gebraucht wuͤrden; als das
erſte Inſtrument dieſer Art welches wir zu ſehen bekamen, war es uns ſehr merk-
wuͤrdig: Wir kauften es deshalb, handelten auch Keulen, Wurf-Riemen
und Wurf-Spieße ein. Wie dieſe letztern hier zu Lande gebraucht wuͤrden? zeigten
uns einige junge Leute bey dieſer Gelegenheit durch mehrere Proben, und wir mußten
[323]in den Jahren 1772 bis 1775.
ihre Geſchicklichkeit in dergleichen Uebungen allerſeits bewundern. Bald darauf1774.
Septem-
ber.

kamen wir an eine Verzaͤunung von Stoͤcken, welche einen kleinen Huͤgel oder
Erdhaufen einſchloß, der ohngefaͤhr 4 Fuß hoch ſeyn mochte. Innerhalb der
Verzaͤunung waren noch andere Stoͤcke, einzeln, in die Erde geſchlagen und auf
dieſen große Muſchel-Hoͤrner (buccina Tritonis) aufgeſteckt. Bey genauerem
Nachfragen brachten wir heraus, daß dies die Grabſtaͤtte der Befehlshaber die-
ſes Diſtricts ſey, und auf den Bergen fanden wir noch mehrere Grabſtellen. Es
ſcheint alſo hier durchgehends eingefuͤhrt zu ſeyn, daß man die Todten zur Erde
beſtattet, und das iſt warlich auch geſcheuter, als daß man ſie, wie zu Tahiti
geſchiehet, uͤber der Erde liegen laͤßt, bis das Fleiſch ganz weggefault iſt. Solte
auf jener gluͤcklichen Inſel einmal ein ſtarkes Sterben einreißen; ſo wuͤrde dieſe
Gewohnheit ſehr uͤble Folgen haben und ſchreckliche Epidemien nach ſich ziehen.


Die Schaͤrfe des Gifts hatte unſer Blut gar ſehr in Unordnung gebracht,
und unter andern eine Mattigkeit im Coͤrper zuruͤckgelaſſen, die heute Abend ſo
groß war, daß wir alle Augenblicke niederſitzen mußten, um uns zu erholen.
Auch die Schwindlichkeit kam von Zeit zu Zeit wieder, und denn waren wir
ſchlechterdings nicht vermoͤgend, die geringſte Unterſuchung anzuſtellen, weil
uns dergleichen Anfaͤlle nicht nur alle Denkungs- und Erinnerungskraft raub-
ten, ſondern uns nicht einmal den Gebrauch der aͤußern Sinne uͤbrig ließen.
Ich kann dieſes ungluͤcklichen Vorfalls nicht erwaͤhnen, ohne nochmals zu bekla-
gen, daß er uns in einem neu entdeckten Lande begegnete, wo wir gerade der
vollkommenſten Geſundheit und der groͤßten Aufmerkſamkeit bedurft haͤtten, um
die wenigen Augenblicke recht zu nutzen, die wir unter einer Nation zubrachten,
welche von allen andern, die wir bisher zu ſehen Gelegenheit gehabt, ſo gaͤnzlich
verſchieden war! — Noch ehe es dunkel ward, kamen wir ans Schiff zuruͤck,
und bald darauf kehrten auch die Indianer, welche zum Beſuch an Bord gekom-
men waren, wieder nach dem Lande hin. Die wenigſten hatten Canots; es
war den ganzen Tag uͤber ſo windig geweſen, daß die mehreſten lieber ſchwim-
mend ans Schif kamen, und auf eben dieſe Weiſe verließen ſie es nun auch.
Vierzig bis Funfzig ſtuͤrzten ſich zugleich in die See und ſchwommen, ſo hoch die
Wellen auch giengen, in kleinen Haufen, nach dem Ufer zu. Am folgenden
S s 2
[324]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
Morgen ſtuͤrmte es aber dermaaßen, daß ſich auch nicht ein einziger Indianer,
weder mit noch ohne Boot, ans Schif wagen wollte.


Wir hingegen ließen uns durch den Sturm nicht abhalten wieder ans Land
zu gehen, kamen aber von den Wellen ziemlich durchnaͤßt, daſelbſt an, und
machten einen Spaziergang gegen Weſten hin. Unſre Muͤhe ward durch
allerhand neue Gattung von Voͤgeln belohnt, die zu den bisherigen
Sammlungen dieſer Art einen angenehmen Zuwachs ausmachten. Die
Nachbarſchaft des großen unbekannten Neu-Hollands traͤgt ohne Zweifel
viel dazu bey, daß auf dieſer Inſel ein ſolcher Reichthum von Thieren und
Pflanzen vorhanden iſt; auch bezeugten Capitain Cook ſowohl als alle andere,
die bey der vorigen Reiſe, in der Endeavour, Neu-Holland beſuchten hatten,
einſtimmig, daß gedachtes Land mit Neu-Caledonien im Ganzen und im Aeuſ-
ſern ungemein viel Aehnlichkeit habe. Nur darinn ſoll jenes von dieſem ver-
ſchieden ſeyn, daß es an mehreren Orten einen fruchtbaren Boden hat, deſſen obere
Erdſchicht fett und ſchwarz iſt. Sonſt aber zeigte ſich, im Wuchs der Baͤume, in
dem trocknen gleichſam verbrannten Anſehen des Landes, nicht die geringſte Verſchie-
denheit zwiſchen beyden, auch fehlt es einem wie dem andern, an Unterholz oder
niedrigen Geſtraͤuch. Wir hielten uns bey verſchiednen Huͤtten der Indianer
auf, die im Schatten einiger Baͤume gelegen waren. Die Bewohner derſelben
hatten ſich platt auf den Boden niedergeſetzt und waren ganz muͤßig; demohner-
achtet ſtand unſerntwegen keiner von ihnen auf, ausgenommen die jungen Leute,
die wohl uͤberall am neugierigſten und munterſten zu ſeyn pflegen. Unter andern
trafen wir heut auch einen Mann an, der ganz blonde Haare, eine ausnehmend
weiße Haut, und das ganze Angeſicht voller Flecken und Blaſen hatte. Es iſt
bekannt, daß man dergleichen einzelne Menſchen, die an Farbe der Haut und
der Haare vom allgemeinen National-Character abweichen, unter den Africani-
ſchen Negern, unter den Americanern, den Bewohnern der Moluckiſchen und unter
den Indianern der Suͤdſee-Inſeln angetroffen hat. Da man nun an dergleichen
Leuten mehrentheils eine große Schwaͤche der Leibesbeſchaffenheit und vornehmlich
eine beſondere Bloͤdigkeit der Augen bemerkte; ſo ſind mehrere Reiſende der Mey-
nung geweſen, daß eine ſolche auffallende Abweichung in der Farbe der Haut
und der Haare erblich ſeyn, das iſt, von einer Krankheit der Eltern herruͤhren
[325]in den Jahren 1772 bis 1775.
muͤſſe. (*) Allein, bey dem Manne den wir hier antrafen, war nicht das ge-1774.
Septem-
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ringſte Zeichen einer koͤrperlichen Schwaͤche, und eben ſo wenig etwas mangel-
haftes an den Geſichtswerkzeugen zu bemerken. Es muͤßen alſo ſeine Haut
und Haare wohl von einer andern und gelindern Urſach entfaͤrbt worden
ſeyn. Um der Seltenheit willen ſchnitten wir, ihm ſo wohl als einem andern
gemeinen Indianer, eine Haarlocke ab, die wir auch beyde mit uns zuruͤckge-
bracht haben. Sie ſchienen dieſe Operation gar nicht gut zu heißen; da wir aber
geſchwinder dabey zu Werke gegangen, als ſie es gewahr werden, geſchweige denn
verhindern koͤnnen; ſo ließen ſie ſich durch einige Geſchenke bald wieder zu-
frieden ſtellen. Ihre Unthaͤtigkeit und Gutartigkeit ſcheint uͤberhaupt, zu-
mahl da wo es nur Kleinigkeiten betrift, keinen anhaltenden Unwillen zu-
zulaſſen.


Von dieſen Huͤtten an gieng ein jeder von uns allein ſpatzieren. Doc-
tor Sparrmann und mein Vater waren die Berge hinaufgeſtiegen; ich aber
blieb in der moraſtigen Ebene, und unterhielt mich mit den Indianern ſo gut es
gehen wollte. Sie gaben mir die Namen verſchiedner Diſtricte ihres Landes
an, die wir zum Theil noch nicht wußten, wovon wir aber auch keinen weitern
Gebrauch machen konnten, weil uns die eigentliche Lage derſelben nicht bekannt
war. Ich bemerkte viel Leute, denen entweder ein Arm oder ein Bein unge-
heuer dick war. Einen ſahe ich, dem gar beyde Beine auf gleiche Weiſe
geſchwollen waren. Ich unterſuchte dieſe Geſchwulſt und fand ſie uͤberaus hart;
doch war bey ſolchen Kranken die Haut am leidenden Theil nicht immer gleich
ſproͤde, auch nicht gleich ſchuppigt. Uebrigens ſchien ihnen dieſe unfoͤrmliche
Dicke der Aerme oder Beine weder laͤſtig noch hinderlich zu ſeyn, und habe ich
ſie recht verſtanden, ſo empfinden ſie auch ſelten Schmerzen daran. Nur bey eini-
gen wenigen hatte die Krankheit ein Abſchaͤlen der Haut, imgleichen Flecken hervor-
gebracht, die eine groͤßere Schaͤrfe der Saͤfte und einen hoͤhern Grad von Boͤs-
artigkeit vermuthen ließen. Der Ausſatz, von welchem, nach der Meynung
der Aerzte, dieſe Elephantiaſis, oder dieſe ungeheure Geſchwulſt, eine Gat-
S s 3
[326]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
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tung iſt, ſcheint heißen und duͤrren Laͤndern vorzuͤglich eigen zu ſeyn. Auf der
Malabariſchen Kuͤſte, in Egypten, Palaͤſtina und Afrika iſt er am haͤufigſten,
und eben dieſe Laͤnder ſind voller duͤrren, heißen Sandwuͤſten. Ich will damit
nicht behaupten, daß der Ausſatz eine nothwendige Folge trokner Himmelsſtriche
ſey; doch aber glaub ich, daß Hitze und Duͤrre jene Kranckheit befoͤrdern und
den Koͤrper dazu diſponiren moͤgen.


Ich bemerkte jetzt immer mehr, und namentlich heut, ſehr deutlich, daß
die Weiber hier zu Lande von den Maͤnnern faſt noch weniger geachtet werden
als in Tanna. Sie blieben gemeiniglich in gewiſſer Entfernung von denſel-
ben, und ſchienen ſtets beſorgt, ihnen ſchon durch Blicke oder Mienen mißfaͤllig
zu werden. Auf ſie ruhte die Arbeit fuͤr die ganze Familie. Sie allein waren
es, die Brennholz und andre Beduͤrfniſſe muͤhſam auf dem Ruͤcken herbey ſchlep-
pen mußten, indeß ihre fuͤhlloſern Gatten ſie kaum eines Seitenblickes wuͤrdig-
ten und auch dann, unverruͤckt, in ſtarrer Unthaͤtigkeit blieben, wenn ſich die ar-
men Weiber zuweilen der geſellſchaftlichen Froͤhlichkeit uͤberließen, die einen Grund-
zug ihres Geſchlechts ausmacht. So ſind denn alſo die Menſchen in allen Laͤndern
zu herrſchſuͤchtiger Tyranney geneigt, und ſelbſt der aͤrmſte Indianer, der noch kei-
ne andre als die natuͤrlichen Beduͤrfniſſe kennet, weiß ſchon wie er ſeine ſchwaͤchere
Gehuͤlfin zur Sclavin machen ſoll, blos damit er ſich die Muͤhe erſpah-
ren moͤge, jenen Beduͤrfniſſen durch eigne Anſtrengung abzuhelfen! Iſt
dieſe tiefe Unterwuͤrfigkeit der Weiber noch immer die Wuͤrkung des Fluches,
der ehmals Even traf, ſo dauert er, Gottlob, doch nur allein unter den wilde-
ſten Nationen fort! Es iſt warlich zu bewundern, daß, der erniedrigen-
den Unterdruͤckung des ſchwaͤchern Theils der Schoͤpfung ohnerachtet, das
menſchliche Geſchlecht ſich dennoch erhalten hat! Wie wuͤrde es aber damit aus-
ſehen, haͤtte die tiefe Weisheit des Schoͤpfers nicht eine Fuͤlle von Geduld
und Sanftmuth ins weibliche Herz gelegt, die alle Beleidigungen aushaͤlt, die
ſie alles tragen lehrt, und ſie abhaͤlt, ſich der Gewalt ihrer unbilligen Ty-
rannen zu entziehn! —


Den Nachmittag brachten wir wiederum am Lande zu, und hatten das
Gluͤck eine ſchoͤne Papagoyen Art zu bekommen, welche ganz neu und noch unbe-
kannt iſt. Wir ſchoſſen dieſen Vogel in einer Plantage, die alles uͤbertraf,
[327]in den Jahren 1772 bis 1775.
was ich bisher in Neu-Caledonien geſehen hatte. Sie war von betraͤchtlichem1774.
Septem-
ber.

Umfange und enthielt eine große Mannigfaltigkeit von Pflanzen, die durchge-
hends im beſten, bluͤhendſten Zuſtande waren. Foͤrmliche Alleen von Piſangs
wechſelten mit Yam- und Arumfeldern, mit angepflanztem Zuckerrohr, und einer
Art von Yambos-Baͤumen (Eugenia) ab, welche letztere wir hier gar nicht
ſuchten. Manche Felder waren durch Fußſteige bequem abgetheilt, und uͤber-
haupt alles in der ſchoͤnſten Ordnung. Es giebt folglich, auch unter dieſem
traͤgen Volke, einzelne, fleißige, arbeitſame Leute. Das ſollten ſich diejenigen
Seefahrer geſagt ſeyn laſſen, die in Zukunft Gelegenheit und Willen haben wer-
den, den Wilden wahres Gutes zu thun, und ihnen zahmes Hausvieh zuzufuͤh-
ren. Es waͤre nehmlich zu wuͤnſchen, daß ſie dergleichen Wohlthaten immer nur
ſolchen Leute zuwendeten, die, ſo wie der uns unbekannte Eigenthuͤmer dieſer Plan-
tage, vorzuͤgliche gute Wirthe ſind und folglich auch vorzuͤglich guten Gebrauch da-
von machen wuͤrden. Um den Indianern ein Vergnuͤgen zu verſchaffen, ſchoſſen wir
nach dem Ziel, wozu ſie ihre Keulen in die Erde ſteckten. Sie hielten uns fuͤr große
Kuͤnſtler, ob wir gleich warlich keine ſonderliche Schuͤtzen waren. Bey un-
ſrer Zuruͤckkunſt an Bord trafen, gegen Abend, auch die beyden Boote wieder
ein, mit welchen Lieutenant Pickersgill nach Weſten abgeſchickt, und nur durch
wiedrigen Wind gehindert worden war, eher zuruͤck zu kommen. Wir hatten
das Vergnuͤgen von dieſem einſichtsvollen Officier nachſtehendes in Erfahrung
zu bringen:


Bey der Abreife ſahe er, ohngefaͤhr etliche Seemeilen weit vom Schiffe, ei-
nige Schildkroͤten auf dem Waſſer liegen, konnte aber, der allzu hoch laufenden See
halber, nicht eine einzige habhaft werden. Am Nordweſtlichen Ende des Landes, naͤ-
herte er ſich dem Ufer und ſtieg aus. Der Boden war daſelbſt, mit dem, unſerm
Ankerplatze gegenuͤber gelegenen, ziemlich einerley, jedoch fruchtbarer, ange-
baueter, und mit vielen Cocosbaͤumen beſetzt. Die Indianer betrugen ſich
hier eben ſo freundlich und friedfertig als wir ſie von Anfang an gefunden hat-
ten. Zween derſelben, welche ſchon am Schiffe geweſen waren, und hoͤrten, daß un-
ſre Leute nach der weiter gegen Norden liegenden Inſel Balabia uͤberſtechen
wollten, giengen mit dahin. Einer von ihnen, Namens Bubik, war ein luſtiger
Kerl, und in dieſem Betracht von ſeinen Landsleuten ſehr unterſchieden, An-
[328]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
faͤnglich plauderte er viel mit unſern Matroſen, und theilte ihnen ſeinen Namen
mit, den ſie, nach ihrer gewoͤhnlichen Laune, in Bubi (booby oder Toͤlpel)
verwandelten. Der gute Narr war hocherfreut ſich alſo nennen zu hoͤren, und
eben das machte fuͤr die Matroſen den Hauptſpaß bey der Sache aus. Als
aber nach einer Weile die See unruhiger wurde, ſo daß die Wellen ins Boot
ſchlugen, ward er mauſe-ſtill, und kroch in einen Regenmantel, um trocken
zu bleiben, und ſich vor dem Winde zu ſchuͤtzen, der ihm auf der bloſſen Haut
gar ſehr empfindlich zu werden anfing. Endlich kam ihn auch der Hunger an,
und, in Ermanglung eignen Proviants, nahm er mit großer Dankbarkeit alles
an, was ihm unſre Leute zukommen lieſſen. Alle dieſe Freude haͤtte ſich jedoch
bald in allgemeines Leid verkehrt. Das Boot ward nemlich leck, und ließ ſo
viel Waſſer ein, daß, des eifrigſten Ausſchoͤpfens mit Haͤnden, Huͤten und an-
dern Inſtrumenten ohnerachtet, je laͤnger je mehr Waſſer eindrang. Die Leute ſahen
ſich ſchon genoͤthiget, ein Faß mit friſchem Trinkwaſſer und viele andre Dinge
uͤber Bord zu werfen; aber das wollte alles nicht helfen, bis endlich, bey Weg-
raͤumung einiger Pakete, der Lek gluͤcklicherweiſe entdeckt, mit Muͤtzen und
Lumpen, ſo gut es ſich thun ließ, verſtopft, und die Fahrt nach Balabia ohne
weitern Anſtoß fortgeſetzt ward. Herr Pickersgill, der ſich in dem kleineren Boot
befand, traf unterwegens ein Canot mit Indianern von dieſer Inſel an. Sie
kamen eben vom Fiſchfang zuruͤck und uͤberlieſſen unſern Leuten einen großen Vor-
rath ihrer Ausbeute, gegen etwas weniges an Eiſenwerk. Mittlerweile war es
ziemlich ſpaͤth geworden, als ſie auf der Inſel anlandeten. Die Bewohner der-
ſelben ſind von eben der Art, als die auf Neu-Caledonia; ſie waren auch eben
ſo gutherzig als dieſe, und gaben nicht nur, fuͤr etwas Eiſen oder tahitiſches Zeug,
ihre Waffen und Geraͤthe, ohne Umſtaͤnde, weg, ſondern verſchaften Herrn
Pickersgill auch friſches Waſſer. Am Abend lagerten ſich unſre Leute neben
einigen Buͤſchen und zuͤndeten ein großes Feuer an, bey welchem ſie ihre Fiſche
brateten und verzehrten. Die Indianer leiſteten ihnen, ſeit dem erſten Augen-
blick der Landung, und noch jetzt waͤhrend der Mahlzeit, in großer Menge,
Geſellſchaft. Sie waren zum Theil geſpraͤchiger als die Leute von Neu-Cale-
donien
, und erzaͤhlten unter andern von einem großen Lande gegen Norden, wel-
ches ſie Mingha nannten, deſſen Einwohner ſehr kriegeriſch und ihre Feinde
waͤren.
[329]in den Jahren 1772 bis 1775.
waren. Auch zeigten ſie auf einen Huͤgel, mit dem Andeuten, daß unter ſelbigem einer1774.
Septem-
ber.

ihrer Befehlshaber begraben laͤge, der in einem Gefecht gegen die Leute von Mingha
geblieben ſeyn ſoll. Ein großer Rinderknochen, den unſre Leute zu Ende des
Abendeſſens, aus ihrem mitgebrachten Proviant hervorlangten, um den Reſt
des daran befindlichen Poͤkelfleiſches abzunagen, unterbrach dieſe freund-
ſchaftliche Unterredung auf einmal. Die Indianer begannen bey Erblickung
deſſelben ſehr laut und ernſtlich unter einander zu reden, und unſre Leute
mit Erſtaunen und Merkmahlen von Abſcheu anzuſehn; endlich giengen ſie
gar weg, und gaben durch Zeichen zu erkennen, daß ihre fremden Gaͤſte ohnfehl-
bar Menſchenfreſſer ſeyn muͤßten. Der Officier ſuchte dieſen haͤslichen Arg-
wohn von ſich und ſeinen Cameraden abzulehnen; allein, aus Mangel der
Sprachfertigkeit wollte es ihm nicht gelingen. Wer weiß auch, ob es uͤberall moͤg-
lich geweſen waͤre, Leuten, die nie ein vierſuͤßiges Thier mit Augen geſehen hat-
ten, durch bloße Verſicherungen ihren Wahn zu benehmen? Am folgenden Mor-
gen machten ſich die Matroſen an die Ausbeßrung des Boots, und lieſſen ihre
naſſen Kleider in der Sonne troknen. Die Indianer verſammleten ſich aus al-
len Gegenden der Inſel in ſolcher Anzahl um ſie her, daß Herr Pickersgill,
zu Sicherung der Kleider, fuͤr noͤthig fand, Linien in den Sand zu ziehen, die
keiner von den Wilden uͤberſchreiten ſollte. Sie begriffen was dieſe Verfuͤgung
ſagen wollte, und lieſſen ſich ſolche ohne Wiederrede oder Wiederſpenſtigkeit ge-
fallen. Unter dem ganzen Haufen war nur Einer, der uͤber dieſe Anſtalt mehr Ver-
wunderung als die uͤbrigen bezeugte, und eben dieſer fieng, nach einer Weile, ſehr lau-
nigt, an, mit einem Stock einen Kreis um ſich herzuziehn und unter allerhand poſ-
ſierlichen Grimaſſen den Anweſenden zu verſtehen zu geben, daß ſie auch ihm
vom Leibe bleiben ſollten. Bey der ſonſt gewoͤhnlichen Ernſthaftigkeit der Ein-
wohner war dieſer humoroͤſe Einfall ſonderbar und merkwuͤrdig genug! Nachdem
unſre Leute den ganzen Tag mit Ausbeßrung des Boots und mit Unterſuchung der
Inſel zugebracht hatten; gieng die Ruͤckreiſe am folgenden Morgen bey Tagesan-
bruch vor ſich. Ungluͤcklicherweiſe war die Stopfung des Lecks ſo ſchlecht aus-
gefallen, daß ſie, um das Boot zu erleichtern, ſchon gegen 6 Uhr Morgens, an
der zunaͤchſt gelegenen Landſpitze von Neu-Caledonia ausſteigen, nur allein
die Ruderer im Boote laſſen, die uͤbrigen hingegen den ganzen Ruͤckweg, laͤngſt
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. T t
[330]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
der Kuͤſte herab bis an den Platz wo das Schif vor Anker lag, zu Fuße ma-
chen mußten. Einer von den Unter-Chirurgis hatte auf dieſer Reiſe nach Bala-
bia
eine große Menge neuer Seemuſcheln und neuer Pflanzen angetroffen,
von denen wir nicht eine einzige zu finden das Gluͤck gehabt; allein, der nieder-
traͤchtigſte und unvernuͤnftigſte Neid bewog ihn, alle dieſe Entdeckungen fuͤr
uns geheim zu halten, ohnerachtet er fuͤr ſeine Perſon ſchlechterdings nicht den
geringſten wiſſenſchaftlichen Gebrauch davon zu machen wußte *). Wir hatten
alſo von neuem Urſach es zu beklagen, daß Gift und Krankheit uns gehin-
dert, an dem Vergnuͤgen ſo wie an den Gefahren dieſer kleinen Excurſion Theil
zu nehmen!


Am folgenden Morgen begleiteten wir Capitain Cook nach dem gegen
Oſten vorhandenen Fluße, wo er ausdruͤcklich hinging, um ſeinem Freunde
Hibai ein paar Schweine zu ſchenken, und auf dieſe Art einem Volke zahmes
Schlachtvieh zu verſchaffen, deſſen Gutartigkeit und friedfertiges Weſen ein ſol-
ches Geſchenk auf alle Weiſe zu verdienen ſchien! Wir fanden dieſen Mann
und ſeine Familie in denſelben Huͤtten, wo wir ihn zuerſt angetroffen; und
[331]in den Jahren 1772 bis 1775.
nachdem ihm Capitain Cook die Schweine uͤberliefert hatte, lies ſich’s ein jeder1774.
Septem-
ber.

von uns, nach dem geringen Maas ſeiner Sprachkenntniß, angelegen ſeyn,
dem guten Hibai begreiflich zu machen, daß die Fortpflanzung dieſer Thiere,
ihm, mit der Zeit, beſtaͤndige und reichliche Nahrung und Unterhalt verſchaffen
wuͤrde, daß ſie alſo um deswillen ſorgfaͤltig verpflegt und am Leben erhalten zu
werden verdienten. Er ſowohl als ſeine Familie waren beym erſten An-
blick dieſer fremden Geſchoͤpfe hoͤchlich erſtaunt, bezeigten aber auch ſo viel
Furcht und Abſcheu dafuͤr, daß ſie uns durch Zeichen baten, ſolche wie-
der mit uns zu nehmen. Wir verdoppelten deshalb unſre Bemuͤhungen
ſie eines beſſern zu bereden, und bewogen ſie auch endlich die Thiere
bey ſich zu behalten. Ihr Wiederwille konnte uns indeſſen nicht befrem-
den, denn das Schwein iſt allerdings nichts weniger als ſchoͤn von Geſtalt,
und Leute die dergleichen nie geſehen, koͤnnen wohl natuͤrlicherweiſe keinen Ge-
fallen daran finden. Der Menſch muß urſpruͤnglich gewiß durch Noth zum
Fleiſcheſſen gebracht worden ſeyn; denn, einer Creatur das Leben nehmen, iſt
etwas gewaltſames, und kann nicht anders als durch eine ſehr dringende Urſach in
kalte Gewohnheit uͤbergehn. Haben aber die erſten Fleiſcheſſer die Wahl gehabt;
T t 2
*)
[332]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ſo werden ſie ſich an den haͤslichen Schweinen gewiß nicht zuerſt ver-
griffen haben; vielmehr wird noch ein hoͤherer Grad von Beduͤrfniß und
Mangel erfordert worden ſeyn, ſie zu uͤberreden, daß, ſeines wiedrigens
Anſehens ohnerachtet, das Schwein von eben ſo wolſchmeckendem Fleiſch ſey
als das Schaaf oder das Kalb. Die armen Bewohner von Neu-Caledonia
hatten bisher noch kein anderes als das Fleiſch von Fiſchen und Voͤgeln gekoſtet;
ein vierfuͤßiges Thier mußte ihnen alſo allerdings etwas fremdes und erſtaunen-
des ſeyn. — Nachdem wir den Hauptendzweck unſers Beſuchs erreicht zu ha-
ben glaubten, botaniſirten wir zwiſchen den Moraͤſten und Pflanzungen herum,
und kamen an ein einzeln liegendes Haus, das mit einem Stangenzaun umge-
ben war, und hinterwaͤrts eine Reihe von hoͤlzernen Pfeilern hatte. Jeder
Pfeiler hielt ohngefaͤhr einen Fuß ins Gevierte, 9 Fuß in der Hoͤhe, und der
Obertheil ſtellte einen unfoͤrmlich ausgeſchnitzten Menſchenkopf vor. In die-
ſem einſam gelegenen Hauſe wohnte ein einzelner alter Mann, der uns durch
Zeichen zu verſtehen gab, dieſe Pfeiler zeigten ſeine Grabſtelle an! Vielleicht iſt
in der Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts nichts merkwuͤrdiger, als dieſes,
daß man faſt unter allen Voͤlkern die Gewohnheit antrift: ſich bey den Be-
graͤbnißſtellen zugleich gewiſſe Denkmale zu errichten! Koͤnnte oder wollte
man den urſpruͤnglichen Bewegurſachen dieſer Sitte bey ſo verſchiednen Natio-
nen nachſpuͤhren und ſie gruͤndlich erforſchen (welches in der That eine ſehr
merkwuͤrdige und wichtige Unterſuchung ſeyn wuͤrde) ſo lieſſe ſich vielleicht eben
daraus beweiſen, daß alle Voͤlker einen allgemeinen Begriff von einem kuͤnfti-
gen Zuſtande gehabt haben!


Von dieſem in ſeiner Art ſo ſonderbaren Orte, kamen wir bei einer
Plantage vorbey, wo eine Parthey Einwohner, mehrentheils Weiber, beſchaͤf-
tigt waren, ein moraſtiges Stuͤck Landes umzugraben und zu reinigen, ver-
muthlich, um hernach Yam- und Arum-Wurzeln darauf zu pflanzen. Sie be-
dienten ſich zu dieſer Arbeit eines Inſtruments oder einer Hacke von Holz,
die einen langen, krummgebognen, ſpitzen Schnabel hatte. (Man ſehe die Figur
2. auf der XII. Kupfertafel hieneben). Eben dies Werkzeug dient ihnen auch
als ein Krieges-Gewehr, deren ich, bereits weiter oben (Seite 304) ver-
ſchiedene erwaͤhnt habe. Der hieſige Boden ſcheint ſo aͤrmlich zu ſeyn,
[]

[figure]

[][333]in den Jahren 1772 bis 1775.
daß er mehr Bearbeitung als irgend ein anderer erfordert, um nur eini-1774.
Septem-
ber.

germaßen fruchtbar zu werden, auch hatte ich noch in keiner andern Inſel
des Suͤd-Meeres ein aͤhnliches Umgraben und Umwuͤhlen des Erdreichs zu be-
merken Gelegenheit gehabt. Wir ſchoſſen hier etliche neue, ſchoͤne Voͤgel und
kehrten darauf ans Schif zuruͤck, wo ſchon alle Anſtalten zur Abreiſe vorgekehrt
wurden. Nach Tiſche landeten wir noch einmahl am Waſſer-Platze; Capitain
Cook, ließ daſelbſt, dicht am Bache, in einem vorzuͤglich dicken, ſchattenreichen
Baum ohnweit dem Strande, folgende Innſchrift einhauen: His Brit-
tanic Majeſty’s Ship Reſolution Sept. 1774.
Unterdeß daß dies geſchahe,
machten wir zu guter lezt, einen Spatziergang laͤngſt dem Bache der uns mit neuem
Vorrath von Trink-Waſſer verſehen hatte, fanden im Vorbeygehen noch etliche
Pflanzen die wir zuvor nicht bemerkt hatten, und nahmen alsdenn Abſchied von
dieſer großen Inſel, die fuͤr uns in jedem Betracht beſſere Geſundheit und ei-
nen laͤngern Aufenthalt erfordert haͤtte.


Bey Anbruch des folgenden Morgens ward der Anker gelichtet. Wir
waren bald aus den Riefen heraus und ſteuerten nordweſtwaͤrts an der Kuͤſte
herunter. Unſer Aufenthalt in dieſem Haven hatte uͤberhaupt nur achtehalb
Tage gedauert, an deren drittem wir bereits vergiftet und dadurch auſſer Stand
geſetzt wurden, den Reſt der Zeit ſo zu nutzen, wie wir wohl zu thun ge-
wuͤnſcht haͤtten. Selbſt bey der Abreiſe waren wir noch lange nicht wie-
der hergeſtellt, ſondern fuͤhlten noch immer empfindliches Kopfweh und kram-
pfigte Schmerzen am ganzen Leibe, wobey ſich auch ein Ausſchlag an den Lip-
pen einſtellte. Ueberhaupt wollten unſre Kraͤfte jetzt kaum zu jenen kleineren
Beſchaͤftigungen hinreichen, die wir in ofner See gemeiniglich vorzunehmen
pflegten, und der Mangel an guter friſcher Koſt war freylich kein Mittel,
uns wieder auf zu helfen —


So entfernten wir uns nun von einer Inſel, die im weſtlichſten
Theile des ſuͤdlichen Oceans, kaum 12 Grad von Neu-Holland entlegen,
von einer Gattung Menſchen bewohnt wird, die von allen in der
Suͤdſee uns bekannt gewordnen Nationen ungemein verſchieden iſt. Aus
der Nachbarſchaft von Neu-Holland haͤtte man vermuthen ſollen, daß ſie
mit den daſigen Einwohnern gleiches Urſprungs waͤren; allein, nach der
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[334]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
Ausſage aller Reiſenden, welche Neu-Holland vor uns beſucht, iſt zwi-
ſchen den Einwohnern dieſer beyden Laͤnder nicht die geringſte Aehnlichkeit, und
das wird auch durch die gaͤnzliche Verſchiedenheit ihrer Sprachen genugſam
beſtaͤtiget; dieſen letztern Punct konnten wir ſelbſt um deſto genauer unterſu-
chen, da Capitain Cook uns ein Woͤrterbuch der Neu-Hollaͤndiſchen Sprache
mitgetheilt hatte. Die Anzahl der Einwohner von Neu-Caledonien ſcheint
nicht betraͤchtlich zu ſeyn; wenn wir nach demjenigen, was wir davon auf der
Fahrt an der noͤrdlichen Kuͤſte wahrgenommen haben, urtheilen duͤrfen; ſo
moͤgen ihrer, auf einer Kuͤſte die gegen zweyhundert See-Meilen lang iſt, in
allem kaum funfzig tauſend ſeyn. Das Land fanden wir in den mehreſten Ge-
genden nicht urbar. Die vor den Bergen gelegene ſchmale Ebene iſt, gegen die
See hin, ſehr moraſtig und mit Mangle-Baͤumen uͤberwachſen, daher es Muͤ-
he und Arbeit koſtet, einen Fleck durch Graben auszutrocknen, und zum Acker-
bau geſchickt zu machen. Der uͤbrige Theil der Ebne liegt etwas hoͤher, iſt
aber dagegen ſo duͤrr, daß, auch dort wieder, Graͤben gezogen und Baͤche und
Pfuͤtzen hineingeleitet werden muͤſſen, um den Boden zu waͤſſern. Weiter
Landeinwaͤrts haben die Berge und Huͤgel nur eine duͤnne Schicht verbrann-
ter unfruchtbarer Erde, in welcher nichts als ein paar magre Gras-Arten, der
Cayeputi-Baum, und hin und wieder ein Strauch aufſproßt. Auf den hoͤhern
Bergen findet ſich an manchen Stellen nicht einmahl ein Zoll hoch Erde, ſon-
dern der bloße eiſenſchuͤßige Glimmer und große Quartz-Stuͤcken nackt und
kahl. Solch ein Erdreich kann freylich dem Wachsthum der Pflanzen nicht
ſehr zutraͤglich ſeyn, vielmehr iſt es zu bewundern, daß ſich auf ſelbigem noch
eine ſo große Mannigfaltigkeit von Gewaͤchſen findet, als wir angetroffen ha-
ben; doch ſind ſie auch durchgehends trocken, und von kuͤmmerlichem Anſehen.
Nur allein die Waͤlder ſind in manchen Gegenden des flachen Landes mit
Strauchwerk, Schlingpflanzen, ſchoͤnen Blumen und dicken, ſchattigen Baͤu-
men verſehn. Man kann ſich leicht vorſtellen, wie auffallend uns der Contraſt
zwiſchen Neu-Caledonia und den Neuen Hebridiſchen Inſeln ſeyn mußte,
da wir dieſe letztern nur unmittelbar zuvor geſehen, und das Pflanzen-Reich
dort in ſeiner groͤßten Pracht gefunden hatten! Eben ſo betraͤchtlich und ein-
leuchtend war auch der Unterſchied im Charakter der Leute ſelbſt. Alle Bewoh-
[335]in den Jahren 1772 bis 1775.
ner der Suͤd-See-Inſeln, diejenigen allein ausgenommen welche Tasmann1774.
Septem-
ber.

auf Tongatabu und Namocka antraf, machten Verſuche ihre fremden Gaͤſte
wegzutreiben. Die Leute von Neu-Caledonia hingegen hatten uns kaum er-
blickt, als ſie uns ſchon zu Freunden aufnahmen. Ohne die geringſte Spur von
Furcht oder Mistrauen, wagten ſie ſich an Bord des Schiffes und ließen uns
in ihrem Lande ungehindert herumſchweifen, ſo weit wir Luſt hatten. Dem
wollichten Haar und der Leibes-Farbe nach glichen ſie zwar den Tanneſern
noch am mehreſten, doch waren ſie von groͤßerer Statur und ſtaͤrkern Knochen,
hatten auch mehr ſanftes, offenes und friedfertiges in der Geſichtsbildung. *)
In ihren Handarbeiten hatten ſie ebenfalls manches mit den Tanneſern
gemein, vornehmlich was die Form und Art der Waffen, des Wurf-
Riemes und der Zierrathen betrift, deren ich oben S. 302. u. f. er-
waͤhnt habe. Die Sprache hingegen, welche bey Unterſuchungen dieſer Art
gemeiniglich der ſicherſte Wegweiſer zu ſeyn pflegt, iſt von der in Tanna uͤbli-
chen ganz und gar abweichend. Eben ſo verſchieden iſt auch die Bauart ihrer
Haͤuſer, ihre Sitten und Gebraͤuche, uͤberhaupt die ganze Lebensart. Die
Tanneſer koͤnnen in Vergleichung mit den Bewohnern von Neu-Caledonia
fuͤr wohlhabend gelten. Ihre Plantagen liefern ihnen eine Menge von Pflan-
zen, und ſollte es je daran fehlen, ſo giebts an der See-Kuͤſte eine Menge von
Cocos-Palmen. Auf Neu-Caledonia hingegen iſt der Ertrag des Ackerbaues
nur ſehr gering, und das ganze, weite, wilde Land, ſo viel wirs unterſuchen
koͤnnen, gewaͤhrt nichts, das ihnen von ſonderlichem Nutzen ſeyn koͤnnte. Da-
fuͤr ſind die Leute auf Neu-Caledonia hinwiederum beſſere Fiſcher, und die
Riefe laͤngſt ihren Kuͤſten zur Fiſcherey uͤberaus wohl gelegen; auf eben dieſen
Riefen muͤſſen auch, in gewiſſen Jahrszeiten, Schildkroͤten anzutreffen ſeyn.
Je ſparſamer nun allhier die Natur ihre Guͤter ausgetheilt hat, deſtomehr iſt es zu
bewundern, daß die Einwohner minder wild, mißtrauiſch und kriegeriſch als auf
Tanna und vielmehr ſo friedlich und gutartig waren! Eben ſo merkwuͤrdig iſts,
daß ſie, bey aller Duͤrre des Landes und bey ihrer kaͤrglichen Verſorgung mit Pflan-
[336]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
zenſpeiſen, dennoch von groͤßerer und muſkuloͤſer Leibesſtatur ſind als die Tan-
neſer
. Vielleicht muß man aber, um die verſchiedne Statur der Nationen zu
erklaͤren, nicht ſowohl auf die Verſchiedenheit ihrer Nahrungsmittel, als viel-
mehr auf die Verſchiedenheit der Staͤmme und Racen ſehen, von welchen ſie
herkommen.


Das Betragen der Neu-Caledonier gegen uns ſetzte ihre Gemuͤths-
art in ein ſehr vortheilhaftes Licht. Sie ſind das einzige Volk in der Suͤdſee,
das keine Urſach hat, mit unſrer Anweſenheit unzufrieden zu ſeyn. Es iſt lei-
der zur Genuͤge bekannt, wie leicht ſich die Seeleute reizen laſſen, Indianern
das Leben zu nehmen; bedenkt man nun, daß die hieſigen ſich nicht die geringſte
Unannehmlichkeit, vielweniger Mord und Todtſchlag zugezogen haben, ſo iſt
ſchon daraus allein abzunehmen, daß ſie in ſehr hohem Grade ſanftmuͤthig und
friedfertig ſeyn muͤßen. Diejenigen Philoſophen, welche den Gemuͤthscharakter,
die Sitten und das Genie der Voͤlker, lediglich vom Clima abhaͤngen laſſen, wuͤr-
den gewiß ſehr verlegen ſeyn, wie ſie, aus dieſem allein, den friedlichen Cha-
rakter der Leute auf Neu-Caledonia erklaͤren ſollten. Will man ſagen, daß
ſie blos deswegen von keinem Mistrauen wiſſen, weil ſie wenig zu verlieren
haben; ſo wuͤrde ich fragen, wie es zugeht, daß die Leute auf Neu-Holland,
die doch unter gleichem Himmelsſtrich, auf einem gleich duͤrrem Boden wohnen,
und noch armſeliger dran ſind als die hieſigen Einwohner, daß die gleichwohl, ganz
im Gegentheil, ſo wild und Menſchenſcheu befunden werden! Der verſchiedne Cha-
rakter der Nationen muß folglich wohl von einer Menge verſchiedner Urſachen ab-
haͤngen, die geraume Zeit uͤber, unablaͤßig auf ein Volk fortgewuͤrkt haben. Die
Gutartigkeit der Leute auf Neu-Caledonia liegt gewiß auch nicht daran, daß
Krieg und Haͤndel ihnen ganz unbekannte Begriffe waͤren, denn ſie haben ja Kriegs-
gewehr von mehr als einer Art! Ueberdem geſtanden ſie ſelbſt, daß ſie Feinde
haͤtten, und daß die Einwohner der Inſel Mingha von ganz andrer Gemuͤths-
art waͤren als ſie! Ich war einmal mit Capitain Cook und Herrn Wales in ei-
nem Boot, als einer von ihnen, durch ſehr verſtaͤndliche Zeichen, zu erkennen
gab, ſie haͤtten Feinde, welche Menſchenfleiſch fraͤßen; und das Betragen der
Indianer auf Balabia, (die das Poͤckelfleiſch, welches unſre Leute in ihrer Ge-
genwart verzehrten, fuͤr Menſchenfleiſch hielten,) beweißt zur Genuͤge, daß ſie
von
[337]in den Jahren 1772 bis 1775.
von einer ſolchen Gewohnheit wiſſen, und ſelbige fuͤr ſchrecklich und abſcheulich hal-1774.
Septem-
ber.

ten. In dieſem Betracht ſind ſie alſo verfeinerter als ihre wohlhabendere Nach-
barn, hingegen ſo geſittet und erleuchtet noch nicht, daß ſie, gleich jenen die unbilli-
ge Verachtung des andern Geſchlechts bereits abgelegt haͤtten; zu ernſthaft, um
ſich durch die Schmeicheleyen deſſelben gewinnen zu laſſen und zu gleichguͤltig
um auf die feinern Freuden des Lebens einen Werth zu ſetzen Zwar muͤßen ſie
ſich’s des Unterhalts wegen, manchmal ziemlich ſauer werden laſſen; ſobald
ſie aber dafuͤr nicht mehr zu ſorgen haben, gehen ihre muͤßigen Stunden
blos mit Faullenzen ohne Spiel und Scherz hin, die doch zur Gluͤckſelig-
keit des Menſchen ſo viel beytragen, und auf den Societaͤts und freund-
ſchaftlichen Inſeln
, einen ſo hohen Grad von Luſtigkeit und Lebhaftigkeit un-
ter die Einwohner verbreiten! Außer der kleinen Pfeife, deren ich oben erwaͤhnt,
ſahen wir nicht ein einziges muſikaliſches Inſtrument bey ihnen. Eben ſo we-
nig wiſſen wir, ob, und in welchem Maaße ſie Tanz und Geſang kennen.
Nach dem zu urtheilen, was wir in der Zeit unſers kurzen Hierſeyns bemerkten,
ſcheint ſogar das Lachen etwas ziemlich ungewoͤhnliches unter ihnen zu ſeyn, und
ſelbſt mit dem Sprechen geht es kaͤrglich zu. Kaum war hin und wieder
einer anzutreffen, dem mit einer Unterredung gedient geweſen waͤre! Bey ſo
bewandten Umſtaͤnden muß ihre Sprache noch ſehr uncultivirt ſeyn, auch iſt, ver-
muthlich der wenigen Uebung wegen, ihre Ausſprache ſo undeutlich, daß verſchied-
ne Woͤrterbuͤcher, welche von mehreren Perſonen unſrer Schiffsgeſellſchaft zuſam-
men getragen worden, merklich von einander abwichen. Ohnerachtet ſie we-
nig harte Mitlauter haben, ſo ſprechen ſie doch viel durch die Gurgel und Naſe,
welches beſonders denenjenigen unter uns, die nichts als Engliſch konnten, ſchwer
zu faſſen und noch ſchwerer nachzumachen vorkam. Vielleicht ſind ſie blos
deshalb, weil ihre Wohnungen einzeln und weit von einander entfernt liegen,
ſo wenig an’s Sprechen gewoͤhnt, denn ſonſt wuͤrden ſie, daͤchte ich, fuͤr das
Vergnuͤgen des geſellſchaftlichen Umganges ſchon mehr Sinn und Geſchmak be-
kommen haben. Da der Boden zum Ackerbau nicht ſonderlich taugt,
ſo wuͤrde ihre Civiliſation vielleicht dadurch am fuͤglichſten befoͤrdert werden
koͤnnen, wenn man ihnen leicht zu ernaͤhrende, vierfuͤßige Thiere zufuͤhre,
z. E. Schweine, die ſie nahe bey ihren Huͤtten halten, oder auch Ziegen, die
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. U u
[338]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
ſie wild koͤnnten herumlaufen laſſen. Letztere moͤchten, wegen des troknen Him-
melsſtrichs, vielleicht am beſten gedeihen und ein treflicher Artikel fuͤr ſie werden.


Die Einfalt, welche wir in ihrem haͤuslichen Leben wahrnehmen, muß
ſich wahrſcheinlicherweiſe auch in ihrer politiſchen Verfaßung offenbaren. Tea-
buma
wurde als Befehlshaber des Diſtricts angeſehen, der unſerm Ankerplatze
gegen uͤber lag; allein, bey der Armſeeligkeit des Landes konnte er wohl auf keine
ſonderlichen Vorzuͤge Anſpruch machen, und da noch kein Luxus bekannt iſt, ſo
lebt er vermuthlich um nichts beſſer, als ſeine uͤbrigen Landsleute. Auch die
aͤußern Ehrenbezeugungen, welche ihm bewieſen werden, koͤnnen nicht viel zu
bedeuten haben; der einzige Umſtand dieſer Art, woraus ſich eine gewiſſe Unter-
wuͤrfigkeit gegen ihn abnehmen lies, beſtand darin, daß ſie die Geſchenke, wel-
che ihnen Herr Pickersgill bey der erſten Zuſammenkunft uͤberreichte, durch-
gehends an Ihn ablieferten. Schon der Nahme den ſie ihm beylegen, mag
eine Art von Ehrenbezeugung ausmachen, wenigſtens ſcheint das Woͤrtchen
Tea ein Titul zu ſeyn welchen ſie, ohne Unterſchied, dem Namen jedes ange-
ſehenen Mannes vorſetzen. Wenn z. E. Hibai dem Capitain eine rechte Ehre
anthun wollte, nannte er ihn Tea-Cook. Die benachbarten Diſtricte ſtehen
nicht unter Tea-buma, ſondern haben vermuthlich ihre eigenen Befehlshaber,
oder vielmehr, jede Familie macht ein eignes Reich aus, das, nach patriarchali-
ſcher Weiſe, durch den Aelteſten regiert wird, welches in der Kindheit jeder [Geſell-
ſchaft]
von Menſchen, immer der Fall ſeyn muß. Von ihrer Religion duͤrfen
oder koͤnnen wir vielmehr gar nichts ſagen; innerhalb acht Tagen lies ſich davon
wenig in Erfahrung bringen. Wir bemerkten nicht einmal eine Spur von ei-
nem religioͤſen Gebrauch, vielweniger eine foͤrmliche Ceremonie oder andre
Aeuſſerung des Aberglaubens. Vermuthlich ſteht die Einfalt ihrer Begriffe
mit der Einfalt ihres ganzen Charakters in gleichem Verhaͤltniß. Doch wer
weiß? Die geringen Denkmaͤhler bey ihren Grabſtellen deuten vielleicht auf ge-
wiſſe Leichen-Ceremonien! Der Tod macht wenigſtens uͤberall eine ſehr merk-
wuͤrdige Scene fuͤr den Menſchen aus; die Nachbleibenden ehren ihn gemeinig-
lich durch aͤuſſere Handlungen und Traurigkeit pflegt gern auszuſchweifen!
— Was fuͤr toͤdtliche Krankheiten es hier zu Lande geben, und wie groß die
Mortalitaͤt etwa ſeyn moͤge? iſt uns unbekannt. Das einzige, was wir
[339]in den Jahren 1772 bis 1775.
uͤber dieſen Punkt ſelbſt bemerkt haben, iſt die Elephantiaſis, und dieſe war1774.
Septem-
ber.

ſehr gemein. Dennoch habe ich ſie bey keinem in ſo hohen Grade angetroffen,
daß das Leben des Patienten daruͤber in Gefahr geweſen waͤre. Viele und
mannigfaltige Krankheiten ſind gemeiniglich nur Folgen der Ausſchweifung und
Voͤllerey; die kann aber, bey ſo armſeligen und rohen Menſchen als die hieſigen
ſind, nicht wohl ſtatt finden. Graue Haare und Runzeln, die gewoͤhnlichen Be-
gleiter des hohen Alters, waren hier nichts ſeltenes; aber unmoͤglich war es,
ſich uͤber einen ſo abſtracten Begrif als das Alter iſt, mit ihnen zu erklaͤren,
und haͤtten wir es gekonnt, ſo iſt noch die Frage, ob ſie ſelbſt von der Zahl ihrer Le-
bensjahre haͤtten Rechenſchaft geben koͤnnen? Waren wir doch nicht einmal im
Stande uns bey den Tahitiern nach der Dauer der Lebenszeit zu erkundigen,
ohnerachtet wir von der dortigen Sprache ungleich mehr als von der hieſigen
wußten, von welcher wir nur einzelne Woͤrter aufgeſchnappt hatten. — Doch
es iſt billig, daß ich einlenke, und in der Erzaͤhlung unſerer Reiſebegebenheiten
fortfahre.


Wir ſteuerten nunmehro, zwiſchen Nord und Weſt, laͤngſt den Felſen-
tiefen herunter, womit Neu-Caledonia auf dieſem Striche umgeben iſt. Es
war darauf abgeſehn, die Lage der Kuͤſte zu beſtimmen, welche nach vorge-
dachter Richtung hinzulaufen ſchien. In der Gegend der Inſel Balabia
zog ſich das Rief nach Norden und war, an einigen Stellen, 6 Seemeilen weit
von der Kuͤſte entfernt. Fregatten-Voͤgel (man of war virds) Toͤlpel (boo-
bies
) und tropiſche Voͤgel ſchwaͤrmten jetzt haͤufig um das Schiff her.


Am 15ten entdeckten wir, daß am Weſtende von Neu-Caledonia,
nach Norden hin, drey Inſeln liegen; da ſich aber das Rief weit von ſelbigen
gegen Oſten in die See erſtrekte, und wir keine Oefnung bemerkten, durch wel-
che man haͤtte innerhalb herein ſegeln koͤnnen; ſo mußten wir die Geſtalt und
Groͤße dieſer Inſeln unerforſcht laſſen. Der Schaͤtzung nach mochte die be-
traͤchtlichſte derſelben etwa ſieben Seemeilen lang ſeyn. Am 15ten wurden
wir, vier Meilen vom Rief, von einer Windſtille uͤberfallen, und die Wellen
welche ſehr hoch giengen, trieben uns gerade auf die Felſen hin. Die Gefahr
war ſo dringend, daß, um ihr zu entgehen, unverzuͤglich zwey Boote ausgeſetzt
wurden und die Leute ſich’s ſehr ſauer werden laſſen mußten, uns an Stricken
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[340]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber
davon weg zu ziehen. Eine ſchwache Seeluft, welche gegen Abend eintrat,
gab ihnen Gelegenheit ſich etwas zu erhohlen, um Mitternacht aber mußten ſie
wieder an die Arbeit, und zwar wechſelsweiſe, um deſto laͤnger dabey aushalten
zu koͤnnen. Der folgende Morgen war ſo windſtill, daß wir, im kleinen Boot,
aufs Vogelſchießen ausfuhren, doch hatten wir kein ſonderliches Gluͤck. End-
lich ſtellte ſich gegen Abend, ein friſcher Wind ein: Da wir nun bisher, hier
am Nord-Ende, umſonſt nach einer Einfahrt in den Rief geſucht hatten; ſo
ließ der Capitain das Schiff umwenden, in der Abſicht, geraden weges zuruͤck-
und um das ſuͤdoͤſtliche Ende von Neu-Caledonien herum zu ſegeln. Der
noͤrdlichſte Theil dieſes Landes den wir geſehen haben, liegt unterm 19° 37′ ſuͤd-
licher Breite und unterm 163° 40′ oͤſtlicher Laͤnge.


Am folgenden Morgen ſegelten wir wiederum an dem Diſtrict Balladd
vorbey, woſelbſt unſer Schiff vor Anker gelegen hatte. Der oͤftern Windſtillen we-
gen war die Fahrt herzlich langweilig und verdrieslich. In zween Tagen kamen
wir nicht uͤber 20 Seemeilen vorwaͤrts, und da das Land noch ziemlich weit
gegen Suͤden herabzulaufen ſchien, ſo fieng uns an bange zu werden, daß wir
erſt ſpaͤt nach Neu-Seeland kommen wuͤrden, von wo wir, dem Vernehmen nach
aufs neue, jedoch zum letzten mahl, gegen den Suͤdpol kreuzen ſollten. Indeſſen
war die Sache einmahl angefangen, ſie mußte folglich auch durchgeſetzt werden:
Zu dem Ende ſteuerten wir, ſo ſchwach und unterbrochen der Wind auch ſeyn
mogte, immer oſtwaͤrts nach Suͤden herab.


Am 22ſten Abends ſahen wir eine vorragende ſtumpfe Landſpitze, die
zum Andenken des heut eingefallnen Koͤnigl. Kroͤnungstages, Coronation-Cap
(das Kroͤnungs Cap) genannt ward. Die an der noͤrdlichen Kuͤſte dieſes Lan-
des befindlichen Felſenriefe erſtreckten ſich nicht bis hieher; dem ohnerachtet
mußten wir uns, Sicherheitswegen, immer 4 bis 5 Seemeilen vom Lande hal-
ten, und konnten alſo, von der Beſchaffenheit deſſelben, nichts deutlich unterſchei-
den! nur ſo viel bemerkten wir ſehr genau, daß die im Innern des Landes ge-
legene Reihe von Bergen immer in eben der Hoͤhe fortlief, in welcher wir ſie
beym Ankerplatze gefunden hatten. Am Morgen entdeckte man, daß von ei-
nem Fleck Landes, der nicht weniger als eine halbe Meile lang ſeyn konnte, viel
Rauch empor ſtieg. Nahe dabey war die Seekuͤſte mit einer unzaͤhlbaren Menge
[341]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſaͤulenfoͤrmig geſtalteter und ſehr hoher Figuren bedeckt, die man mit Huͤlfe ei-1774.
Septem-
ber.

nes Fernglaſes ſehr deutlich wahrnehmen konnte. Manche ſtanden einzeln und
weit von einander; die mehreſten aber in großen Haufen dicht beyſammen.
Wir hielten es fuͤr Baſaltſaͤulen, dergleichen in vielen Welttheilen zu finden
ſind *). Dieſe Vermuthung duͤnkte uns deſto zulaͤßiger, weil wir in dieſem
Theil der Suͤdſee, nur ganz kuͤrzlich, verſchiedne Volcane, namentlich zu
Tanna einen geſehen hatten, und die einſichtsvollſten erfahrenſten, Mineralo-
gen, der Meynung ſind, daß der Baſalt durch feuerſpeyende Berge hervorge-
bracht werde. Gegen Abend kamen wir jenſeit des Cap Coronation und
ſahen eine große Menge ſolcher Saͤulen auf einer flachen Landſpitze, die weit in
die See hervorragte.


Am 24ten fruͤh erblickten wir das Cap, welches das oͤſtliche Ende von
Neu-Caledonia ausmacht. Es war ſteil aber nicht ſehr hoch, und ober-
halb voͤllig platt. Auf dieſer Oberflaͤche ſtand eine Menge vorgedachter Saͤu-
len, welches der Vermuthung, daß es Baſaltſteine ſeyn koͤnnten, eben nicht
ſehr guͤnſtig war. Dies Vorgebuͤrge, welches Capitain CookQueen Char-
lotte’s Foreland
nannte, liegt in 22° 15′ ſuͤdlicher Breite, und dem 167°
15′ oͤſtlicher Laͤnge. Abends gegen 6 Uhr, entdeckte man vom Maſtkorbe aus,
weit gegen Suͤdoſten hin, eine andre Inſel, und am folgenden Morgen zeigten
ſich zwiſchen dieſer und Neu-Caledonien mehrere kleine Eylande; die Unbe-
ſtaͤndigkeit des Windes hinderte uns aber ſie genauer in Augenſchein zu nehmen.
Nur ſo viel bemerkten wir, daß ſie von einem großen Riefe eingeſchloſſen waren,
um deſſen willen wir, in Ermanglung einer Einfahrt, nach Oſten zu ſteuern
mußten, damit das Schiff nicht in Gefahr ſeyn moͤchte an die Kuͤſte geworfen
zu werden. Dieſe Fahrt war uns doppelt unangenehm, weil wir das Land ſo
nahe hatten und es doch nicht unterſuchen, friſche Lebensmittel daſelbſt vermu-
then, und doch keine habhaft werden konnten. Der noch vorhandene Reſt von
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[342]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
Yamwurzeln war uͤberaus gering, und kam, als eine Delicateſſe, nur auf die
Tafeln der Officier, indeß der gemeine Matroſe ſeit Namocka her keinen friſchen
Biſſen gekoſtet hatte. Die Nachbarſchaft des Landes machte ihnen das laͤn-
gere Faſten nur noch empfindlicher, und auch uns war’s verdrieslich, ſtatt der
Entdeckungen die ſich am Lande haͤtten machen laſſen, an den einfoͤrmig oͤden Rie-
fen, in Unthaͤtigkeit hin zu ſchwimmen! Der Wind kehrte ſich indeß an un-
ſre Ungeduld nicht, ſondern war und blieb ſchwach bis zu Abend des 26ſten,
da er beſſer, und uns behuͤlflich ward, die groͤßte der vor uns liegenden Inſeln
zu umſegeln. Sie beſtand aus einem Berge, der nicht ſo hoch war als jene
auf Neu-Caledonia, aber ſanfter in die Hoͤhe lief, und ringsumher von ei-
ner Ebene umgeben war, wo eine unzaͤhlige Menge von Saͤulen ſtanden. Wir
mußten hier etwa zwo Meilen weit vom Ufer, einigemal ab und zu laviren; dieſes
Manoͤver brachte uns der Kuͤſte ſo nahe, daß wir, in Abſicht der vermeynten
Baſaltſaͤulen, endlich aus dem Traume kaͤmen. Es waren nichts anders als Baͤu-
me, die auf einem ſehr geraden und langen Stamm, kurze, duͤnne Zweige hat-
ten, welche ſich in der Ferne nicht unterſcheiden lieſſen.


Am 28ſten hatten wir, bey Tagesanbruch, die oͤſtlichſte Spitze dieſer In-
ſel und ihrer Riefe umſegelt, und liefen nunmehro an der Suͤdſeite derſelben
weg. Capitain Cook nannte dies Eiland die Fichten-Inſel (Isle of pines)
in der Vermuthung, daß die ſaͤulenfoͤrmigen Baͤume zu dieſem Geſchlecht gehoͤ-
ren moͤchten. Sie ſcheint ohngefaͤhr 18 Meilen im Umkreiſe zu haben und
das Mittel derſelben liegt im 22° 40′ ſuͤdlicher Breite, und dem 167° 40′
oͤſtlicher Laͤnge. Jetzt hatten wir friſchen Suͤdoſtwind, der die Luft in dieſer
Breite dermaaßen abkuͤhlte, daß das Thermometer auf 68° herabfiel. Eine ſo
ſchleunige Veraͤnderung in der Temperatur der Luft, duͤnkte uns, die wir ſo lange
beſtaͤndige Hitze ausgeſtanden hatten, gar ſehr empfindlich. Am folgenden Ta-
ge fanden wir, zwiſchen verſchiednen Riefen, einen Durchgang, und kamen bey
einer kleinen Inſel vor Anker, die nicht viel uͤber zwo Meilen im Umfange ha-
ben mogte, ſandig und flach, demohnerachtet aber mit jenen ſaͤulenfoͤrmigen
Baͤumen uͤberwachſen war. Das ſuͤdliche Ende des Hauptlandes von Neu-
Caledonien
lag von dieſer Inſel nicht uͤber 6 Meilen weit entfernt, und die
ſuͤdliche Kuͤſte deſſelben ſchien mit der nordlichen parallel zu laufen, weshalb Neu-
[343]in den Jahren 1772 bis 1775.
Caledonia
nur ein ſchmales Land ſeyn muß. Dies ſuͤdliche Vorgebuͤrge ward des1774.
Septem-
ber.

Prinzen von Wallis Vorland genannt. Es liegt im 22° 30′ ſuͤdlicher
Breite und dem 166° 58′ oͤſtlicher Laͤnge. Die Anker waren nicht ſobald ge-
ſichert, als wir in einem Boote nach der kleinen Inſel hin ruderten, deren naͤchſtes
Ufer ohngefaͤhr anderthalb Meilen von uns lag. Sie hatte ein eignes kleines Rief
um ſich her, in welchem wir eine ſchmale Einfahrt fanden, und ſelbige, der
darin vorhandnen Klippen ohnerachtet, gluͤcklich paßirten. Die ſchlanken ho-
hen Baͤume zogen, gleich beym Ausſteigen aus dem Boote, unſre ganze Auf-
merkſamkeit an ſich, und wir fanden, daß es eine Art von Cypreſſen waren.
Die Staͤmme hatten einen ſchoͤnen geraden Wuchs von wenigſtens 90 bis 100
Fuß Hoͤhe. Die Aeſte ſproßten rund um den Stamm, waren aber ſelten uͤber
10 Fuß lang, und, im Verhaͤltniß zum Stamme, ſehr duͤnn. Zwiſchen die-
ſen Saͤulen-Baͤumen ſtanden viel und mancherley andre Baͤnme, nebſt niedrigerm
Geſtraͤuch, welches dieſen kleinen Flecken Landes zum herrlichſten Aufenthalt fuͤr
eine Menge von Voͤgeln machte. Wir fanden hier auch etwas Loͤffelkraut und
eine Tetragonia, die wir, bey unſerm vorigen Aufenthalt zu Neu-Seeland,
haͤufig als ein Suppenkraut zu brauchen pflegten. Nachdem wir das Land ein
wenig recognoſcirt hatten, kehrten wir ans Schiff zuruͤck, um gleich nach dem
Eſſen wieder zu landen, fuͤr die Zimmerleute einige Baͤume umhauen, und
Kuͤchenkraͤuter einſammlen zu laſſen. Bey dieſem zweyten Beſuch fanden
wir eine Menge Pflanzen, uͤber deren Mannigfaltigkeit wir uns, in Betracht
des kleinen Raums auf welchem ſie hervorwuchſen, mit Recht verwundern muß-
ten. Am Ufer waren hin und wieder, im Sande, Spuren von Holzfeuer,
und bey ſelbigen die Ueberbleibſel von Schildkroͤten zu ſehn. Waͤhrend dem Bo-
taniſiren ſchoſſen wir auch eine Art Habichte, den gewoͤhnlichen falco haliae-
tos
(S. Pennants Britiſh Zoology) desgleichen einen Fliegenſchnepper von
ganz neuer Gattung. Auſſerdem gab es noch verſchiedne Arten ſchoͤner und
großer Tauben; ſie waren aber ſo ſcheu, daß keiner von uns eine zu Schuſſe be-
kam. Endlich ſo waren an der Kuͤſte auch eine Menge plattſchwaͤnziger Waſſer-
ſchlangen (anguis platura) vorhanden. Der Cypreſſenbaum liefert gutes Zim-
merholz; die jungen Staͤmme waren ſehr elaſtiſch, und taugten daher ſehr wohl
zu Seegelſtangen. Nachdem wir uns bis gegen Sonnen-Untergang auf dieſem
[344]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
kleinen Eylande verweilt hatten, ruderten wir nach dem Schiffe zuruͤck, lichte-
ten bey Anbruch des folgenden Tages die Anker, und ſeegelten ſehr langſam und
vorſichtig bis wir wieder zum Rief hinaus waren. Capitain Cook gab dieſem
Eilande den Namen Botany Island, weil es, ſeines geringen Umfangs ohner-
achtet, eine Flora von faſt dreyßig Arten enthielt, worunter verſchiedne ganz neu
waren. Es liegt ohngefaͤhr unter 22° 28′ Suͤdlicher Breite und dem 167° 16′
Oeſtlicher Laͤnge. Der Strand iſt ſehr ſandig, weiter hinein aber findet man guten
fruchtbaren Boden. Indeß wir hier vor Anker lagen, fieng der erſte Lieutenant einen
Fiſch von eben der Art, als womit Capitain Cook, mein Vater und ich waren ver-
giftet worden. Ohnerachtet er nun von dem Unheil, welches der Genuß deſſel-
ben angerichtet, ein Augenzeuge geweſen war, und ſeine Tiſchcameraden ihn uͤber-
dies noch ernſtlich dafuͤr warnten; ſo beſtand er dennoch darauf, ſich den Fiſch
zurichten zu laſſen. Er mußte ihm auch wuͤrklich aufgetragen werden, und
nun ſahen ſeine Freunde kein ander Mittel ihn vom Eſſen abzuhalten, als daß
ſie ſeinen raſenden Vorſatz laͤcherlich machten; dies hatte endlich einen beſſern
Erfolg, als alles vernuͤnftige Zureden. Ein junger Hund der ungluͤcklicher Weiſe
von den Eingeweiden dieſes Fiſches etwas gefreſſen hatte, mußte dafuͤr etli-
che Tage hintereinander ſo unertraͤgliche Quaal ausſtehn, daß, zu Endigung der-
ſelben, ein mitleidiger Matroſe ihn endlich uͤber Bord warf. Man kann aus
dieſem Vorfall abnehmen, wie verhungert auf friſche Lebensmittel unſre Leu-
te ſeyn mußten, da man, einer einzigen Mahlzeit wegen, die Gefahr
nicht achtete, vergiftet zu werden! Alle unſre Officiere, die zum Theil
ſchon mehr als Einmal die Reiſe um die Welt mitgemacht, und viel
ausgeſtanden hatten, bezeugten einmuͤthig, daß die Beſchwerlichkeiten und Un-
annehmlichkeiten der vorigen, gegen dieſe Reiſe fuͤr nichts zu rechnen, und daß
ſie der elenden Schifskoſt nie ſo ſatt geweſen waͤren als jetzt! Capitain Cook
hatte einen Vorrath geraͤucherter Schinken mit auf die Reiſe genommen; ſie wa-
ren aber durch die Laͤnge der Zeit ſehr ſchlecht und gaͤnzlich abſchmeckend
geworden. Das Fett hatte ſich in ranziges Oel verwandelt, und das Salz
in großen, weinſteinartigen, alkaliſchen Klumpen angeſetzt. So oft gleich-
wohl ein ſolcher, halb verwester, ekelhafter Schinken auf des Capitains
Tiſch getragen ward, (welches woͤchentlich nur Einmahl geſchahe,) ſahen
alle
[345]in den Jahren 1772 bis 1775.
alle juͤngere Officiers, (die nicht mit uns ſpeiſten,) dieſem Leckerbiſſen mit ſehn-1774.
Septem-
ber.

ſuchtsvollen Appetit nach, und prieſen uns, die wir daran Theil hatten, des-
halb ſo gluͤcklich, daß es ſelbſt einem Wilden, geſchweige denn ihren lebhafter fuͤh-
lenden Cameraden, haͤtte weh thun moͤgen! Dem Sauerkraut welches wir am
Bord hatten muß es allein zugeſchrieben werden, daß der Scorbut nicht
ſtaͤrker einriß, doch waren unſre Umſtaͤnde, auch ohne dieſes Ue-
bel ſchon klaͤglich und bedauernswuͤrdig genug. Am Abend uͤber-
fiel uns eine Windſtille, ehe wir noch zwiſchen den Riefen heraus
waren. Dies ſetzte uns in die groͤßte Gefahr, weil Fluth und Stroͤhmung das
Schif gegen die Klippen trieben, wir aber keinem von beyden Einhalt thun
konnten, indem mit 150 Faden nirgends Grund zu finden war! In die-
ſer Verlegenheit erblickten wir, um halb acht Uhr, gegen Norden, eine Feuer-
kugel, die an Groͤße und Glanz der Sonne glich, jedoch von etwas blaſſerm
Lichte war. Nach wenig Augenblicken borſt ſie, und hinterließ viel helle Fun-
ken, wovon die groͤßten laͤnglich-rund, und, eh wirs uns verſahen, unter den
Horizont herab geſunken waren. Eine blaͤuliche Flamme folgte und bezeichnete
den Lauf dieſer Feuerkugel, auch wollten einige, waͤhrend ihres Herabfallens,
ein Ziſchen gehoͤrt haben. Indeß wir uͤber die Urſachen und Wuͤrkun-
gen dieſes Meteors nachdachten, erſcholl bereits unter den Matroſen ein Jauch-
zen, daß jetzt bald ein friſcher Wind entſtehen wuͤrde, und, es ſey nun Zufall
oder ſonſt einige natuͤrliche Verbindung zwiſchen dieſem Phaͤnomen und der
Atmosphaͤre; genug ihre Prophezeihungen giengen noch dieſelbe Nacht in Er-
fuͤllung. Es erhob ſich nemlich ein ſtarker Wind, der am folgenden MorgenOctober
den 1.

ſuͤdlich wurde, und uns erlaubte, Oſt bey Suͤd und Suͤd-Suͤd-oſtwaͤrts, von Neu-
Caledonien
weg zu ſteuern.


Dieſe Inſel iſt unter allen zwiſchen den Wendezirkeln bisher
entdeckten, Eylanden der Suͤdſee die groͤßeſte. Die Suͤdſeite derſelben haben
wir gaͤnzlich ununterſucht laſſen muͤſſen, und auch von der noͤrdlichen ward, in der
kurzen Zeit die wir an dieſe Entdeckung wenden konnten, nicht mehr als die Richtung
und aͤußere Geſtalt der Kuͤſte erforſcht. Die Thiere, Pflanzen und Mineralien die-
ſes Landes ſind uns beynahe voͤllig unbekannt geblieben, und bieten kuͤnftigen Natur-
forſchern ein weites Feld von Entdeckungen dar. Cypreſſen haben wir nur allein am
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Theil. X x
[346]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
oͤſtlichen Ende der Inſel wahrgenommen; es ſchien daher, daß, in dieſer
Gegend, der Boden und die Mineralien ganz anders beſchaffen ſeyn muͤßen,
als in dem Diſtrict Ballad, allwo das Schiff acht Tage lang vor Anker lag.
Eben ſo laͤßt ſich auch, aus dem was wir auf der kleinen, ſandigen Botanik-
Inſel
fanden, mit Recht vermuthen, daß auf dem ſuͤdlichen Theil dieſes Landes
ganz andre Pflanzen und mehr unbekannte Voͤgel vorhanden ſeyn mußten,
als in den Waͤldern der noͤrdlichen Gegenden. — Ueberhaupt bleiben dem
kuͤnftigen Seefahrer noch Entdeckungen genug in der Suͤdſee zu machen uͤbrig,
und er wird, bey mehrerer Muße, eine große Menge unbekannter Producte
zu unterſuchen finden. Trotz allen bisherigen Reiſen ſind in dieſem ſtillen Welt-
meere ganze große Diſtricte noch gar nicht befahren worden: z. B. den Raum
zwiſchen dem 10° ſuͤdlicher Breite und der Linie, hat, in der ganzen Breite des
Meeres, von Amerika bis nach Neu-Britannien hin, noch niemand beruͤhrt!
Der Raum zwiſchen 10° und 14° ſuͤdlicher Breite, den die Mittagslinien von
140° und 160° weſtlicher Laͤnge einſchlieſſen, iſt ebenfalls noch nicht unter-
ſucht. Der Raum zwiſchen 30° und 20° ſuͤdlicher Breite, der zwiſchen dem
140° und 175° weſtlicher Laͤnge liegt, imgleichen der Raum zwiſchen den ſuͤd-
lichſten freundſchaftlichen Inſeln, und Neu-Caledonia, ſo wie der, zwiſchen
Neu-Caledonia und Neu-Holland befindliche — alle dieſe ſind noch nie
durchkreuzt worden. Der Curs, den Herr von Sürville gehalten, wie ich im
erſten Theil S. 179. erwaͤhnt, iſt der einzige, der zwiſchen vorgedachten beyden
Laͤndern angeſtellt worden. Naͤchſtdem verdienen Neu-Guinea, Neu-Brit-
tannien
, und alle dort herumliegende Laͤnder, ebenfalls naͤhere Unterſuchung,
und wuͤrden demjenigen, der die Muͤhe daran wenden wollte, gewiß zu unzaͤhli-
gen neuen und wichtigen Bemerkungen Stof geben. Wenn alle zuvorbenannte
Gegenden des Suͤdmeeres unterſucht worden, alsdann bleibt noch der Theil,
jenſeits der Linie, nach Norden hin, uͤbrig, und dazu wuͤrden wiederum mehrere
Reiſen erfordert ehe man mit Erforſchung deſſelben voͤllig zu Stande kaͤme.


Den Wind den wir, nach dem Urtheil der Matroſen, der feurigen Kugel
zu verdanken gehabt, hatte bald wieder ein Ende, denn am zweyten ward es ſchon
wieder windſtill. Wie indeſſen ein Ding nicht leicht ſo ſchlimm iſt, das nicht zu-
gleich zu etwas gut ſeyn ſollte; ſo gieng es auch hier. Wir fiengen nehmlich
[347]in den Jahren 1772 bis 1775.
bey dieſer Gelegenheit einen Hayfiſch, deren ſich verſchiedne neben dem Schiffe1774.
October.

ſehen lieſſen. In einem Augenblick war er unter die ganze Mannſchaft vertheilt,
und, von ſo oͤhligtem Geſchmack das Fleiſch auch ſeyn mochte, ſo verzehrten doch
wir unſern Antheil mit großem Appetit. Wer haͤtte auch bey unſern Umſtaͤn-
den leckerhaft ſeyn wollen? Endlich ſtellte ſich, zu jedermanns Vergnuͤgen, ein
friſcher Weſtwind ein, mit deſſen Huͤlfe wir jenſeits des Wendezirkels des Ca-
pricorns, unſern Lauf nach Suͤd-Suͤd-Oſten richten konnten.


Am fuͤnften, Nachmittags, bekamen wir, zwiſchen dem 26 und 27 Suͤ-
der-Breite, zween Albatroße zu Geſicht. Die Officiers machten ſich eine Wind-
ſtille, welche am folgenden Tage einfiel, zu Nutze, um, in einem Boote, auf die Jagd
zu gehen. Allein, nachdem ſie ſich den ganzen Tag uͤber abgemattet, brachten ſie
doch nicht mehr als zwo Petrells und zween Albatroſſe davon zuruͤck. Nun-
mehro befanden wir uns wiederum an den Graͤnzen des oͤſtlichen Paſſatwindes,
der um dieſe Jahrszeit, (d. i. ſehr nahe am Solſtitio,) ſchon in der Gegend des
Wendezirkels veraͤnderlich wird. Am 7ten Nachmittags hatten wir guten
Wind, und ſegelten Suͤdweſtwaͤrts. Capitain Cook gedachte nehmlich unmit-
telbar nach der Weſtſeite von Neu-Seeland hinzuſteuern, damit er nicht noͤ-
thig haͤtte Cooks-Straſſe zu paßiren, welches uns im vorigen Jahr ſo viel
Zeit und Muͤhe gekoſtet. Abends am 8ten ſchwamm eine zahlreiche Heerde
Meerſchweine bey dem Schiffe vorbey, die ſehr munter um uns her gaukelten,
und manchmal aus den Waſſer empor ſprangen. Eins von dieſen Thieren ward
mit dem Harpun geſchoſſen, und ſchleppte ein langes Ende von dem Tau mit ſich
fort, ehe wir Zeit gewannen, ihm ein Boot nachzuſchicken, von deſſen Mann-
ſchaft es endlich mit fuͤnf Flintenkugeln erlegt ward. Es gehoͤrte zu der
Art, welche die Alten unter dem Namen Delphin*) kannten, und die, gleich
dem gewoͤhnlichen Meerſchwein, in allen Meeren anzutreffen iſt. Es maaß
ſechs Fuß, und hatte Milch in den Zitzen, indem es, wie bekannt zur Claſſe
der Saͤugthiere (mammalia) gehoͤrt. Am folgenden Morgen ward es zerlegt,
X x 2
[348]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
und unter die Mannſchaft vertheilt. Das Fleiſch ſahe faſt ganz ſchwarz, folg-
lich eben nicht ſehr reizend aus; allein, wenn das Fett davon abgeſchnitten wur-
de, ſchmekte es doch wohl ſo ertraͤglich als ein Stuͤck troknes Rindfleiſch. Auch
lieſſen wir uns zu Mittage ganz gut dabey ſeyn, und waren mit dem Fang gar
ſehr zufrieden. Fruͤh um 8 Uhr erblickte man vom Maſtkorbe aus Land. Es
war eine kleine Inſel von mittler Hoͤhe, und, ſo wie Botany-Eiland, uͤberall
mit Cypreſſen bewachſen. Schon in betraͤchtlicher Entfernung vom Ufer war
die See ziemlich ſeicht, naͤmlich abwechſelnd hoͤchſtens mit 20 Faden zu ergruͤn-
den. Nach Verlauf einer Stunde befanden wir uns nahe genug, um
die Laͤnge der Inſel auf zwo bis drey Meilen ſchaͤtzen und wahrnehmen zu koͤnnen,
daß ſie ſehr ſteil, faſt gaͤnzlich mit Waldung bedeckt, vermuthlich aber nicht
bewohnt ſey. Die Menge von Waſſervoͤgeln, welche an der Kuͤſte umher ſchwaͤrm-
ten, wiederſprach dieſer Vermuthung nicht, und ließ uns zugleich von neuem
einer friſchen Mahlzeit entgegen ſehn. Das Mittagseſſen ward zeitiger als
gewoͤhnlich aufgetragen, und geſchwinder als ſonſt verzehrt, weil wirs kaum er-
warten konnten, ans Land zu gehn. Der Capitain hatte mittlerweile zween
Boote in Bereitſchaft ſetzen laſſen, in denen wir, zwiſchen großen Klip-
pen- und Felſen-Maſſen, die von der Inſel weit in See reichten, nach einer klei-
nen Bucht hinruderten, welche vermittelſt jener Klippen dermaaßen geſchuͤtzt war,
daß die Boote ganz ruhig darinn ankern konnten. Unterhalb am Strande lagen
große Steinklumpen, von welchen das Ufer gleich ſehr ſteil und, an einigen Orten,
voͤllig ſenkrecht emporſtieg. Zwiſchen zween Huͤgeln traͤufelte in einer Kluft ein
kleiner Bach herab, an deſſen Ufern wir heraufſtiegen, und mit der groͤßten Be-
ſchwerde in die Waͤlder drangen, indem ein dichtes Verhack von Winden- und
Schlingpflanzen den Zugang verſperrte. Sobald wir aber etwas tiefer kamen,
ward der Wald ziemlich frey, und der Weg bequemer. Die Felſen dieſer In-
ſel beſtanden aus dem gewoͤhnlichen gelblichen, thonartigen Geſtein, das wir von
Neu-Seeland her kannten. Hin und wieder fanden ſich kleine Stuͤckgen
roͤthlicher, ſchwammiger Lava, die ſchon verwittert waren, und muthmaſſen
lieſſen, daß ehemals ein Volcan allhier gebrannt habe. Der Boden war ſo
fett als er ſeyn konnte, vielleicht Jahrhunderte lang mit verfaulenden Holz-
ſpaͤnen und andern Pflanzentheilchen geduͤngt. In ſolchem Erdreich mußte
[349]in den Jahren 1772 bis 1775.
freylich alles gedeihen! die mehreſten Sorten der Pflanzen waren uns bekannt,1774.
October.

nemlich eben dieſelbigen, welche wir ſchon auf Neu-Seeland geſehn hatten,
nur daß ſie hier mit allen den Vorzuͤgen prangten, die ein milderer Himmels-
ſtrich und ein beſſeres Erdreich zu geben pflegen. So ſchoß z. E. die
Neu-Seelaͤndiſche Flachspflanze (Phormium tenax) zu einer Hoͤhe von
neun bis zehn Fuß auf und hatte auch groͤßere, hellere Blumen als in Koͤnigin-
Charlotten-Sund
! die Naturalien von Neu-Seeland fanden ſich hier mit
jenen die auf den Neuen Hebridiſchen Inſeln, imgleichen auf Neu-Caledo-
nia
angetroffen werden, vereint. Unter andern wuchſen die Cypreſſen des letz-
teren, und die Kohlpalmen der erſteren, in groͤßter Vollkommenheit neben
einander! Dieſe zwo Baumarten waren uns in gleicher Maaſſe willkommen.
Die Cypreſſen dienten nemlich dem Zimmermann zu allerley Geraͤthe, oder
zu kleinen Braamſtangen, kleinen Raaen und dergleichen, indeß die Kohlpalmen
uns allen ein angenehmes und ſchmakhaftes Erfriſchungsmittel lieferten. Wir
lieſſen eine gute Anzahl davon faͤllen und nahmen den mittelſten Schoſſen, oder
das Hertz, mit ans Schif. Dieſes giebt eigentlich dem Baume ſeinen Namen,
ſchmeckt aber mehr wie Mandeln, denn als Kohl. Die Thiere waren hier, ſo
wie die Pflanzen, mehrentheils von Neu-Seelaͤndiſchen Gattungen, nur
daß die großen und kleinen Papageyen ein weit helleres und glaͤnzenderes Gefie-
der hatten; die Tauben hingegen waren auch nicht einmah! in dieſem Stuͤck von
den Neu-Seelaͤndiſchen unterſchieden. Auſſerdem fanden wir eine Menge
kleiner Voͤgel, die dieſer Inſel eigenthuͤmlich, und zum Theil ſehr ſchoͤn von
Farbe waren. Am Strande wuchſen allerhand ſaftreiche Pflanzen z. B. eine
Art Tetragonia, und ein Meſembryanthemum davon wir einen guten
Vorrath zu Suppenkraͤutern mit ans Schif nahmen. Der muntere Geſang
der Voͤgel erheiterte dieſen einſamen Ort, dem nichts als Groͤße fehlt, um fuͤr
Europaͤer den beſten Pflanzort in der Suͤdſee abzugeben. *) Erſt am ſpaͤten Abend
kehrten wir nach dem Schiffe zuruͤck, und bedauerten nichts mehr, als daß wir
nicht daran gedacht, ein paar Schweine allhier auszuſetzen. In einer ſo
X x 3
[350]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October
fruchtbaren Einoͤde haͤtten ſie ſich gewiß ohngeſtoͤrt fortpflanzen und binnen we-
nig Jahren dieſe Inſel zu einen treflichem Erfriſchungsplatz fuͤr kuͤnftige See-
fahrer machen koͤnnen. Capitain Cook nannte dieſen angenehmen Flecken Lan-
des, Norfolk Eiland. Es liegt unterm 59° 2′ 30″ Suͤdlicher Breite und 168°
16′ Oeſtlicher Laͤnge. Indeß daß wir die Waͤlder durchſuchten, hatten die Boots-
leute ſich nach Fiſchen umgeſehen, und gluͤcklicher Weiſe einen Pful angetroffen,
wo die Fiſche waͤhrend der Fluth hereinkommen. Der Fang war gluͤcklich ge-
nug ausgefallen, und dieſe Fiſche, nebſt den Voͤgeln, die wir geſchoſſen, und
den Herzen der Kohlpalmen, gaben uns zween Tage lang ſtattliche und ſchmack-
hafte Mahlzeiten. Am folgenden Morgen ſegelten wir an der ſuͤdlichen Spitze
dieſes Eilands voruͤber und erblickten, nicht weit davon, eine abgeſonderte
Klippe. Den ganzen Vormittag uͤber warfen wir fleißig das Senkbley, welches,
etwa acht bis neun Meilen weit vom Lande, zwiſchen dreyßig und vierzig Faden
Tiefe angab. Toͤlpel und Sturmvoͤgel flatterten in großer Menge um uns her.
Sie ſchoſſen einmahl nach dem andern, mit gewaltiger Schnellkraft, aus der
Luſt auf die Oberflaͤche des Waſſers herab, und hohlten auf ſolche Art, Stoß fuͤr
Stoß, einen Fiſch weg. Es mußte folglich an dieſer Stelle eine fiſchreiche
Sandbank vorhanden ſeyn. Um ein Uhr Nachmittags hatten wir ſelbige paſ-
ſirt, denn nun war kein Grund mehr zu erreichen. Wir ſteuerten daher gera-
denweges und bey friſchem Winde, nach Neu-Seeland, wo wir auf einen
groͤßern und mannigfaltigen Vorrath von Erfriſchungen Rechnung machen durf-
ten. Dieſe waren uns auch, nach einen ſo langen Aufenthalt in heiſſen Gegen-
den, unentbehrlich, zumahl da die Mannſchaft, durch die uͤble Beſchaffenheit
des halb verfaulten Schifsproviants, ſeit kurzem gaͤnzlich von Kraͤften gekommen,
wir aber nebſt den Officieren, ungluͤcklicher Weiſe, durch den Genuß der vergifte-
ten Fiſche ſehr zuruͤckgeſetzt worden waren.


Von Pintaden, Sturmvoͤgeln und Albatroßen begleitet, ſegelten
wir, bey ſo guͤnſtigem Winde, fort, daß ſchon am 17ten fruͤh Morgens die Kuͤſte
von Neu-Seeland vor uns lag. Bereits zwey Naͤchte zuvor hatten wir ſtar-
ken Abendthau geſpuͤrt, welches jederzeit fuͤr eine ſichere Anzeige gehalten wird,
daß man nicht mehr weit vom Lande iſt. Der Theil von Neu-Seeland den
wir jetzt im Geſicht hatten, war der Berg Egmont, ein erſtaunlich hoher Pik,
[351]in den Jahren 1772 bis 1775.
an der noͤrdlichen Seite der Einfahrt in Cooks-Straße belegen. Er ſchien1774.
October.

von oben an bis ſchier auf die Mitte, mit Eis und Schnee bedeckt zu ſeyn.
Den Gipfel konnte man nur dann und wann erblicken, gemeingiich aber war
er in Wolken verhuͤllt. Der ganze Berg hat ein majeſtaͤtiſches Anſehen, und
andre Berge neben ihm ſehen nur als kleine Huͤgel aus. Er ſteht auf einer
großen Ebene, oder vielmehr, er breitet ſich allmaͤhlig darin aus, und der oberſte
Gipfel endigt ſich in eine ſehr duͤnne Spitze. Dem Raume nach zu urtheilen,
den der darauf liegende Schnee einnimt, muß dieſer Berg wohl faſt ſo hoch als
der Pik von Teneriffa ſeyn.


Der Wind, der bisher noch immer gelinde geweſen, verwandelte ſich
jetzt auf einmahl in ſolchen Sturm, daß wir die Stunde uͤber acht Meilen da-
mit zuruͤcklegten. Zu gleicher Zeit ward die Luft ſehr rauh und kalt, indem das
Thermometer bis auf 58° fiel. Wie froh waren wir, uns hier an der weſtli-
chen
Kuͤſte von Neu-Seeland zu befinden, wo dieſer Sturm uns guͤnſtig war,
dahingegen er, an der Oſtſeite dieſes Landes, uns aͤußerſt gefaͤhrlich wuͤrde gewe-
ſen ſeyn, welches wir bey unſrer vorjaͤhrigen Anweſenheit allhier, genugſam erfahren
hatten. Am folgenden Morgen trieb er uns beym Cap Stephens, bey der Admi-
ralitaͤts-Bay
und Point-Jakſon voruͤber, und brachte uns ſodann in Koͤni-
gin Charlotten-Sund
, wo die Berge ſchon einigen Schutz gaben. So langten
wir endlich zum dritten mahl auf dieſer Reiſe gluͤcklich wieder auf unſerm ehe-
maligen Ankerplatz, in Schip-Cove, an. Der Anblick jedes bekannten Ge-
genſtandes, ſo wild und oͤde er auch immer ſeyn mochte, machte auf uns einen
angenehmen Eindruck, und die Hofnung, unſre erſchoͤpten Kraͤfte hier wieder zu
ſammlen und zu ſtaͤrken, erregte ungewoͤhnliche Froͤhlichkeit im ganzen Schiff.


[352]Forſter’s Reiſe um die Welt

Achtes Hauptſtuͤck.
Dritter und letzter Aufenthalt zu Koͤnigin-Charlotten’s
Sund
in Neu-Seeland.


1774.
October.

Bey unſrer Ankunft auf der Neu-Seelaͤndiſchen Kuͤſte wurden wir von ſchwe-
ren Regenguͤſſen und heftigen Windſtoͤſſen empfangen, welches eben kein
freundlicher Willkomm zu nennen war. Ueberhaupt hatte die Jahreszeit, unter dem
hieſigen rauhen Himmelsſtrich, jetzt noch wenig Anmuth. Die Baͤume ſtan-
den zum Theil noch im traurigen Gewand des abgewichnen Herbſtes da, und
kaum zeigte ſich hin und wieder nur eine entfernte Spur des wiederkehrenden Fruͤh-
lings! Nachmittags fuhren wir nach derjenigen Gegend des Ufers hin, wo
ſchon an beyden vorigen mahlen die Zelte geſtanden hatten. Un-
ſre Hauptabſicht war, daß wir nachſehen wolten, ob die Flaſche noch da ſey,
welche, mit einem Briefe an Capitain Furneaux, unter einem Baume vergraben
zuruͤckgelaſſen worden war. Beym Ausſteigen fanden wir ein Haͤufgen See-
raben
(Shags) die auf einem uͤber dem Waſſer hangenden Baume geniſtet
hatten. Dies duͤnkte uns vorlaͤufig kein gutes Merkmahl; wir ſchloſſen nem-
lich daraus, daß die Bucht ſeit langer Zeit nicht von Menſchen, wenigſtens nicht
von Europaͤern, muͤſſe beſucht worden ſeyn. In Abſicht der Wilden war dies
ſehr wohl moͤglich, denn die halten ſich, den Winter uͤber, gemeiniglich an den
innerſten Ufern der Bayen auf, weil um dieſe Jahrszeit die Fiſche, als ihr vor-
zuͤglichſtes Nahrungsmittel, ſich eben dorthin zuruͤck zu ziehn pflegen. Nachdem
wir die See-Raben verſcheucht und einige ihrer Jungen, die aus Dummheit
nicht wegflogen, mit Haͤnden gegriffen hatten, ſtiegen wir ans Land. Nun aͤn-
derte ſich unſre Vermuthung auf einmahl; wir durften nicht zehn Schritt weit
gehen um uͤberall deutlich wahrzunehmen, daß ſich, ſeit unſrer Abreiſe im vori-
gen November ein europaͤiſches Schiff hier muͤſſe aufgehalten haben. Eine
Menge von Baͤumen, die bey unſrer Abreiſe noch auf dem Stamme waren, fanden
wir jetzt, theils mit Saͤgen theils mit andern den Indianern unbekannten Werk-
zeugen, niedergefaͤllt. Auch die Flaſche war fort, und andre untruͤgliche Merkmahle
mehr vorhanden, daß Europaͤer hier geweſen. Die Gaͤrten, welche wir angelegt,
waren faſt gaͤnzlich verwildert, die Gewaͤchſe theils ausgerottet, theils durch Un-
kraut
[353]in den Jahren 1772 bis 1775.
kraut erſtickt, welches in dem lockern, fruchtbaren Boden unglaublich uͤberhand1774.
October.

genommen hatte. Unterdeſſen, daß wir nach dieſen Gegenſtaͤnden ſahen, fiſchten
die Matroſen mit dem großen Zugnetz, jedoch ohne Erfolg. Am Schiffe
hingegen war man in dieſer Abſicht, mit der Angel, gluͤcklicher geweſen,
und hatte unter andern, einen ſchoͤnen See-Brachſen *)(Sparus Pagrus),
gefangen der eilf Pfund wog. Bey Sonnenuntergang ließ der Capi-
tain eine Kanone abfeuren, um dadurch die Einwohner von unſrer An-
kunft zu benachrichtigen, falls ſie nemlich nahe genug waͤren, den Schuß zu
hoͤren. Wir wußten ſchon aus Erfahrung, wie noͤthig uns ihre Gegenwart
ſey, weil unſre Leute ſich nicht halb ſo gut als ſie auf den Fiſchfang verſtan-
den und, auch ohne dieſe Abhaltung, alle Haͤnde voll am Schiff zu thun hatten.


Bey Tagesanbruch zogen wir das Schiff tiefer in die Bucht, und
brachten es um neun Uhr in einer ſehr bequemen Lage dicht ans Ufer.
Da das Wetter heut etwas gelinder war, ſo giengen wir ans Land und ſchlugen
die Gezelte, eben da wo ſie ehemals geſtanden, wiederum auf. Die jungen Voͤgel
vom vorigen Jahr, die unſre betruͤglichen Feuergewehre noch nicht kannten, lieſ-
ſen uns unbekuͤmmert ſo nahe an ſich kommen, daß auch der ungeuͤbteſte Schuͤtze
ſie nicht leicht verfehlen konnte. Eine ſo bequeme Gelegenheit, beydes unſre
zoologiſchen Sammlungen und unſre Kuͤche zu verſorgen, ließen wir natuͤrlicher-
weiſe nicht ungenutzt. Baumkletten nebſt andern kleinen Voͤgeln, konnten
fuͤr eben ſo gute Leckerbiſſen gelten als unſre Ortolane, und uͤberhaupt wuͤrde faſt
ein jeder Neu-Seelaͤndiſcher Landvogel, Habichte allein ausgenommen, der be-
ſten europaͤiſchen Tafel Ehre gemacht haben.


Nachmittags begleiteten wir Capitain Cook nach Cannibal-Cove,
die nordwaͤrts dicht an unſre Bucht (nemlich Schip-Cove) graͤnzte. Sellerie
und Loͤffelkraut wuchſen dort haͤufig am Strande, und der Capitain hatte ſichs
zum unverbruͤchlichen Geſetz gemacht, dergleichen heilſame Kraͤuter fuͤr ſein
Schiffsvolk einzuſammlen, wo ſie nur zu finden waren. Unterdeß daß die
Forſter’s Reiſe u. die Welt zweyter Th. Y y
[354]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
Matroſen ſich mit dieſer Arbeit beſchaͤftigten, ſtreiften wir im Walde umher,
und fanden einen wahren Kohl-Palmbaum (areca oleracea) von derſelben Art,
die wir ſchon auf Norfolk-Eyland angetroffen hatten.


In dieſem, verhaͤltnißweiſe, kalten Lande war uns dies ein unerwarteter
Fund und zugleich ein Beweiß, daß der Kohlpalm-Baum weit haͤrtlicher
als alle uͤbrigen Palmenarten ſeyn muͤße. Gegen Abend kehrten wir mit einer
vollen Bootsladung antiſcorbutiſcher Kraͤuter zuruͤck, die uns allen ſehr dienlich,
denen aber die vergiftet geweſen, beſonders willkommen waren. Sie erwarteten
nemlich, von dem Gebrauch eines ſolchen blutreinigenden Mittels, die ſicherſte Her-
ſtellung ihrer Geſundheit und ihrer Kraͤfte. Bey Sonnenuntergang ward aber-
mahls eine Kanone abgefeuert, weil ſich noch immer keiner von den Einwohnern
hatte ſehen laſſen.


Am folgenden Tage ſtuͤrmte es gewaltig und war um deſto kaͤlter, weil
der Wind uͤber die hohen, mit Schnee bedeckten, Alpen her kam. Gegen Abend
fiel heftiger Regen ein, der abwechſelnd, mit dickem Nebel begleitet, volle
24 Stunden anhielt. Nach Verlauf dieſer Zeit ſtellte ſich Nordweſtwind ein,
wodurch das Wetter bald wieder gaͤnzlich heiter ward.


Am 22ten gieng die Sonne, am wolkenfreyen Himmel, in aller ihrer
Pracht auf; das gefiederte Chor lies ſich, zum erſten mahl nach unſrer Ankunft,
auf allen Seiten hoͤren, und verkuͤndigte einen ſchoͤnen Fruͤhlingstag. Unſre
Officiere eilten daher ſaͤmtlich auf die Jagd, wir aber giengen, mit Capitain
Cook, in einem Boote laͤngſt der Kuͤſte gegen Point-Jackſon, und ſtiegen
in verſchiedenen kleinen Buchten ans Land. Nachmittags machten wir eine
Fahrt nach dem Hippah-Felſen und zuͤndeten daſelbſt ein Feuer an, um, durch
dieſes Signal, die Einwohner herbey zu locken. Von dort aus beſuchten wir
auch unſern auf Motu-Aro ehemals angelegten Kuͤchengarten, fanden aber die
Pflanzen alle verbluͤht und die Saamen groͤßtentheils von den Voͤgeln gefreſ-
ſen. Gegen Abend kamen die Officiers, nach einer ſehr ergiebigen Jagd, ſaͤmt-
lich wieder an Bord; die Matroſen waren unterdeß auch nicht muͤßig geweſen,
ſondern brachten anſehnliche Vorraͤthe friſcher Kraͤuter und eine ziemliche Par-
they Fiſche mit ſich. Ein ſo allgemein gluͤcklicher Erfolg gab im ganzen Schiffe
[355]in den Jahren 1772 bis 1775.
Anlaß zu einer Art von Feſte, bey welchem der Leichtſinn des Seevolks auf ein-1774.
October.

mahl aller vorigen Truͤbſale vergaß.


Nachdem wir noch einen Tag laͤnger, wiewohl vergebens, auf die Ankunft
der Indianer gewartet hatten, nahmen wir uns vor, ſie in den ſuͤdwaͤrts gelegenen
Buchten ſelbſt aufzuſuchen. Unterdeß daß hiezu, am 24ſten bald nach Tagesan-
bruch, Anſtalt gemacht wurde, zeigten ſich zwey ſeegelnde Canots im Eingang von
Shag-cove. Wir vermutheten, daß ſie unſerntwegen kaͤmen, allein, ſo bald
ſie das Schif gewahr wurden, nahmen ſie die Seegel ein und ruderten in
groͤßter Eil davon. Dieſe Schuͤchternheit, die wir ſonſt gar nicht an ihnen ge-
wohnt waren, machte uns natuͤrlicherweiſe nur deſto begieriger, ſie zu ſprechen, um
die Urſach ihres Mistrauens zu ergruͤnden. In dieſer Abſicht fuhr Capitain Cook
mit uns in ſeinem Boot nach Shag-cove. Von Auſternſammlern und See-Ra-
ben (Shags) die ſich dort in großer Anzahl auf halten, ſchoſſen wir nicht wenige;
von den Indianern aber, die wir anzutreffen hoſten, war nirgends eine Spur zu
finden. Schon wollten wir wieder umkehren, als vom ſuͤdlichen Ufer her eine
Stimme erſcholl und, bey naͤherem Umſehen, etliche Leute oben auf den hoͤhern Ber-
gen zum Vorſchein kamen. Auf einer kleinen waldigen Anhoͤhe ſtanden noch drey
oder vier andre; nicht weit davon lagen mehrere Huͤtten zwiſchen den Baͤumen,
und unterhalb waren die Canots auf den Strand gezogen. Bey dieſen ſtiegen wir
an Land. Die Indianer beſannen ſich eine Zeitlang, ob ſie auf unſer Winken her-
abkommen wollten oder nicht; endlich wagte es einer, und ſo bald er, nach hieſiger
Landesſitte, zum Friedenszeichen unſre Naſen mit der ſeinigen beruͤhrt hatte, folg-
ten ſeine Cameraden, desgleichen die uͤbrigen, welche bisher auf den hoͤhe-
ren Bergen geblieben waren. Sie hatten ſaͤmtlich alte, abgetragene Stroh-Maͤn-
tel an, die Haare hiengen ihnen zottigt um den Kopf, und der Unreinlichkeit
wegen konnte man ſie ſchon von ferne wittern. Unter allen dieſen Leuten wa-
reu uns hoͤchſtens drey oder viere bekannt, ſobald ſie ſich aber nahmkuͤndig mach-
ten, erinnerten wir uns andrer ehemaligen Bekannten und fragten nach
ihrem Befinden. Die Antwort, welche darauf erfolgte, war indeſſen ſo ver-
worren, daß wir ſie nicht deutlich verſtanden; nur ſo viel brachten wir
heraus, daß ſie von einer Schlacht ſprachen und verſchiedne von ihren
Landsleuten angaben, die das Leben dabey eingebuͤßt hatten. Zu gleicher Zeit
Y y 2
[356]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
fragten ſie einmahl nach dem andern, ob wir ungehalten auf ſie waͤren, und ob
unſre Freundſchafts-Bezeugungen auch wohl treuherzig gemeynt ſeyn moͤchten?
Sowohl dieſe Reden, als ihre ſichtbare Verlegenheit, ließen uns nicht ohne Ur-
ſach vermuthen, daß ſie mit der Mannſchaft irgend eines europaͤiſchen Schifs
ungluͤcklicher Weiſe in Streit gerathen ſeyn muͤßten, und natuͤrlicher Weiſe fiel
uns dabey unſre ehemalige Begleiterin, die Adventure, ein. Doch, weit
entfernt ihnen vor der Hand etwas hievon merken zu laſſen, ſuchten wir viel-
mehr ihr Zutrauen wieder zu gewinnen, und das gelang uns auch, indem
wir die Unterredung auf einen andern Gegenſtand lenkten, namentlich, Fiſche
zu kaufen begehrten. Der Gedanke etwas zu erwerben, machte ſie auf einmahl
guten Muths; ſie liefen zu ihren Canots, raͤumten die daruͤber gedeckten Mat-
ten weg, und brachten eine Menge Fiſche zum Vorſchein, die vermuthlich die-
ſen Morgen erſt gefangen waren. Fuͤr etwas tahitiſches Zeug, einige Nagel,
Medaillen und Stuͤckchen rothen Tuchs, uͤberließen ſie uns ſo viel, als unſre
ganze Mannſchaft zu einer Mahlzeit brauchte. Ein Mann von mittlerm Alter,
dem Schein nach der Vornehmſte unter den Anweſenden, ſagte uns nunmehro er
heiße Piterré, und bezeigte ſich beſonders freundſchaftlich. Seine Cameraden
thaten es ihm darinn bald nach und wurden endlich ſo zutraulich, daß ſie ver-
ſprachen, morgen fruͤh allerſeits an Bord zu kommen. Mit dieſer Verſicherung
ſchieden wir aus einander, nicht ohne den eigenthuͤmlichen Character ihres
Muths zu bewundern, der den Gedanken: „ſich v[o]r einem Feinde verbergen“
fuͤr ganz unzulaͤßig haͤlt, und ſie auch jetzt, ſo wie ehemals in Duſky-bay, *)
bewogen hatte, ihrer Beſorgniß und unſrer Ueberlegenheit ohnerachtet, von
freyen Stuͤcken hervor zu kommen! Gleichwohl hatten ſie, wie aus der Folge
dieſer Erzaͤhlung erhellen wird, nur allzuguͤltige Urſach unſre Rache zu fuͤrchten.


Piterré und ſeine Gefaͤhrten hielten Wort; ſie kamen des andern Moc-
gens, bey Sonnen Aufgang, in fuͤnf Canots angezogen und verkauften uns eine
große Menge ſchmackhafter Fiſche, wodurch der Ueberfluß an unſern Tafeln auf
einmahl wieder hergeſtellt ward. Als der Handel mit Fiſchen geſchloſſen war,
brachten ſie allerhand Stuͤcke gruͤnen nephritiſchen Steins, die theils zu Mei-
ßeln, theils zu Zierrathen verarbeitet waren, hervor, um ſolche gegen tahiti-
ſches Zeug, engliſch Tuch oder Eiſenwerk, zu vertauſchen, und als auch von
[357]in den Jahren 1772 bis 1775.
dieſen Artikeln niemand mehr etwas begehrte, kehrten ſie nach dem Ufer zuruͤck.1774.
October.

Ein Theil unſrer Mannſchaft war daſelbſt mit Waſſerfuͤllen, Holhauen, u. d. g.
Arbeiten beſchaͤftigt, auch hatte Herr Wales, ſeine Sternwarte dort aufgerich-
tet; hier boten ſie ihre Koſtbarkeiten von neuem aus und nahmen, nach einem
ſo wohl angewandten Tage, das Nachtquartier auf dem naͤchſten Strande.
Am folgenden Morgen giengen ſie unſerntwegen wieder auf den Fiſchfang und
verſorgten uns, Tag fuͤr Tag, ſo reichlich, daß wir ſtets friſchen Vorrath hatten.
Die mehreſte Zeit uͤber und am liebſten hielten ſie ſich bey den Arbeitern am
Strande auf, weil verſchiedene von ſelbigen, vornemlich ein paar See-Soldaten,
Vergnuͤgen daran fanden, Stunden lang mit ihnen zu ſprechen, ſo gut es ihre
Kenntnis der hieſigen Sprache erlaubte. Dieſer vertraute Umgang machte die
Indianer in kurzem ſo offenherzig, daß ſie ihren neuen europaͤiſchen Freunden
eine Geſchichte erzaͤhlten, die uns allen ſehr auffallend vorkam. Es habe
nehmlich, ſagten ſie, vor einiger Zeit ein fremdes Schiff allhier vor Anker
gelegen, deſſen ganze Mannſchaft, in einem Treffen mit den Einwohnern, er-
ſchlagen und gefreſſen worden waͤre! Dieſe Nachricht klang fuͤrchterlich genug
um uns zu erſchrecken, zumahl da wir befuͤrchten mußten, daß die Adventure
damit gemeynt ſey. Um mehr Licht davon zu bekommen, fragten wir die Wilden
nach verſchiedenen einzelnen Umſtaͤnden und entdeckten bald dies, bald jenes,
wodurch unſre Vermuthung immer mehr auſſer Zweifel geſetzt ward. Endlich
merkten ſie, daß dieſer Gegenſtand uns ganz beſonders am Herzen liegen muͤſſe,
weil wir gar nicht aufhoͤrten ſie daruͤber auszufragen; ſie weigerten ſich alſo auf
einmahl, ein mehreres davon zu ſagen, und ſtopften ſogar einem ihrer Landsleute,
durch Drohungen, den Mund, da er eben im Begrif war uns den ganzen Verlauf
nochmahls im Zuſammenhange zu erzaͤhlen. Dies machte Capitain Cook immer
begieriger etwas zuverlaͤßiges vom Schickſal der Adventure zu wiſſen; er rief
deshalb den Piterré, nebſt noch einem andern Wilden, in die Kajuͤte, und verſuch-
te, ſich ſo deutlich als moͤglich gegen ſie zu erklaͤren. Allein, beyde laͤugneten, daß
den Europaͤern das geringſte zu Leide geſchehen ſey. Indeſſen war noch die Fra-
ge, ob ſie auch recht verſtanden was wir eigentlich von ihnen zu wiſſen ver-
langten, und ob wir ihnen den Innhalt unſrer Frage nicht deutlicher und anſchauli-
cher machen muͤßten? Dieſen Endzweck zu erreichen ſchnitten wir zwey Stuͤckchen
Y y 3
[358]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
Pappier in Geſtalt zweyer Schiffe aus, davon das eine die Reſolution, das andre
die Adventure vorſtellen ſollte. Alsdenn zeichneten wir den Plan des Havens auf
einem groͤßeren Pappier, zogen hierauf die Schiffe ſo viel mahl in- und aus
den Haven, als wir wuͤrklich darinn geankert hatten und wieder abgeſegelt
waren, bis zu unſrer letzten Abreiſe im November. Nun hielten wir eine Zeit-
lang ein; und fiengen ſodann an, Unſer Schiff nochmals hereinzuziehn; hier
unterbrachen uns aber die Wilden, ſchoben unſer Schiff zuruͤck und zogen das
Pappier, welches die Adventure vorſtellte, in den Haven und wiederum heraus,
wobey ſie zugleich an den Fingern zaͤhlten, ſeit wie viel Monden dieſes Schiff
abgeſegelt ſey. Auf ſolche Art erfuhren wir, mit zwiefachem Vergnuͤgen, nicht nur,
daß unſre ehemalige Reiſegefaͤhrten gewiß von hier abgeſegelt waͤren, ſondern
auch, daß die Einwohner mit einem Grad von Scharfſinn begabt ſind, der bey wei-
terer Ausbildung alles moͤgliche erwarten laͤßt. In Abſicht der Geſchichte blieb
uns nur allein das noch raͤthſelhaft, wie ſich ihre erſte Ausſage, von einem Tref-
fen zwiſchen den Indianern und Europaͤern, mit der letzten Verſicherung reime,
daß unſern Landsleuten kein Leid wiederfahren, und die Adventure wieder-
um von hier abgegangen ſey? Gleichwie man aber das, was man wuͤnſcht,
auch zu hoffen pflegt; ſo ſuchten wir uns endlich damit zu beruhigen, daß bey
dem erſten Theil der Erzaͤhlung, unſerer Seits, ein Misverſtaͤndniß ob-
walten muͤße. Und wuͤrklich kamen wir uͤber dieſen Punkt nicht ehe als bey
der Ruͤckkunft nach dem Cap auſſer Zweifel; dort erzaͤhlte man uns, daß
die Adventure, bey ihrer letzten Anweſenheit in Neu-Seeland, ein Boot
mit zehen Mann eingebuͤßt habe. Hoffentlich wird es meinen Leſern nicht
zuwieder ſeyn, von dieſem traurigen Vorfall etwas beſtimmteres zu verneh-
men; ich will alſo das, was ich, bey meiner Ruͤckkunft nach England, von den
Leuten der Adventure in Erfahrung gebracht, mit demjenigen, was die Neu-
Seelaͤnder
davon erzaͤhlt haben, verbinden. Nachdem Capitain Furneaux
durch Sturm und Nebel von uns getrennt worden, ſahe er ſich genoͤthigt am
9ten November 1773, auf der noͤrdlichen Inſel von Neu-Seeland, nament-
lich in der Bay Tolaga, vor Anker zu gehen. Von hier ſegelte er am 16ten
wiederum ab, und langte am 30ten, einige wenige Tage nach unſrer Abreiſe,
in Koͤnigin Charlotten-Sund an. O Maï, (der Indianer aus der Inſel
[359]in den Jahren 1772 bis 1775.
Raietea, der ſich am Bord der Adventure befand,) erzaͤhlte mir in England,1774.
October

Er ſey der erſte geweſen, der die Innſchrift am Baume entdeckt haͤtte, an deſſen
Fuß die Flaſche mit der Nachricht von unſrer Abreiſe verſcharrt worden war.
Er zeigte die Innſchrift dem Capitain, der gleich nachgraben ließ, und die
Flaſche nebſt dem darin verſchloſſenen Briefe fand. Selbigem zufolge mach-
te dieſer auch unverzuͤglich Anſtalt die Reiſe fortzuſetzen. Schon war ſein
Schiff ſeegelfertig, als er noch ein Boot nach Gros-Cove abſchickte, um eine
Ladung Loͤffelkraut und Sellerie von dort herzuholen. Das Commando dieſes
kleinen Detaſchements ward einem gewiſſen Herrn Rowe anvertraut. Dieſer
ungluͤckliche junge Mann hatte, bey einer ſonſt guten Denkungsart, die Vor-
urtheile der ſeemaͤnniſchen Erziehung noch nicht voͤllig abgelegt. Er ſahe z. E.
alle Einwohner der Suͤdſee mit einer Art von Verachtung an, und glaubte eben
daſſelbe Recht uͤber ſie zu haben, welches ſich, in barbariſchen Jahrhunderten,
die Spanier uͤber das Leben der amerikaniſchen Wilden anmaaßten. Seine
Leute landeten in Gras-Cove, und fiengen an Kraͤuter abzuſchneiden. Ver-
muthlich hatten ſie, um mehrerer Bequemlichkeit willen, bey dieſer Arbeit ihre
Roͤcke ausgezogen; wenigſtens erzaͤhlten uns die Indianer in Koͤnigin-Char-
lotten-Sund
, der Streit ſey daher entſtanden, daß einer von ihren Lands-
leuten den unſrigen eine Jacke geſtohlen haͤtte. Dieſes Diebſtahls wegen ha-
be man ſogleich Feuer auf ſie gegeben und ſo lange damit fortgefahren, bis die
Matroſen kein Pulver mehr gehabt: Als die Eingebohrnen dies inne geworden,
waͤren ſie auf die Europaͤer zugerannt, und haͤtten ſelbige bis auf den letzten Mann
erſchlagen. Da mir ſelbſt erinnerlich iſt, daß Herr Rowe immer zu behaupten pfleg-
te, die Neu-Seelaͤnder wuͤrden das Feuer unſerer Musketerie nicht aushalten,
wenn es einmal zum Schlagen kaͤme; ſo kann es ganz wohl ſeyn, daß er bey dieſer
Gelegenheit einen Verſuch dieſer Art habe anſtellen wollen. Schon in Tolaga-
Bay
hatte er große Luſt bezeugt, auf die Einwohner zu feuern, weil ſie ein klein
Brandtwein-Faͤßgen entwendet; auf das gutherzige und weiſere Zurathen
des Lieutenant Burney ließ er ſich jedoch damahls eines beſſern bereden. Als
Capitain Furneaux ſahe, daß das abgefertigte Boot zween volle Tage aus-
blieb, ſchickte er vorgedachten Lieutenant Burney in einem andern wohl bemann-
ten und ſtark bewafneten Boote ab, um jenes aufzuſuchen. Dieſer erblickte am
Eingang von Caſt-Bay ein großes Canot voll Indianer, die aus allen Kraͤf-
[360]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
ten fort ruderten, ſo bald ſie das Boot der Adventure gewahr wurden. Die
Unſrigen ruderten tapfer hinterdrein; allein, aus Beſorgniß eingehohlt zu wer-
den, ſprangen die Neu-Seelaͤnder ſaͤmtlich ins Waſſer und ſchwammen nach
dem Ufer zu. Herrn Burney kam dieſe ungewoͤhnliche Furcht der Wilden ſehr
befremdend vor; doch, als er das ledige Canot erreicht hatte, ſahe er leider nur
zu deutlich was vorgefallen war. Er fand naͤmlich in dieſem Fahrzeuge ver-
ſchiedene zerfezte Gliedmaaßen ſeiner Schifs-Cameraden, und einige ihrer Klei-
dungs-Stuͤcke. Nach dieſer traurigen Entdeckung ruderten ſie noch eine Zeit-
lang umher, ohne von den Indianern etwas anſichtig zu werden, bis ſie um
ein Uhr in Gras-Cove, als dem eigentlichen Landungsort der verungluͤckten
Mannſchaft, ankamen. Hier war eine große Anzahl von Indianern verſamm-
let, die ſich, wieder ihre Gewohnheit, beym Anblick der Europaͤer ſogleich
in wehrhafte Verfaſſung ſezten. Der ſeitwaͤrts gelegene Berg wimmelte
von Menſchen, und an vielen Orten ſtieg ein Rauch auf, der vermuthen
ließ, daß das Fleiſch der erſchlagnen Europaͤer ſchon zu einer feſtlichen Mahl-
zeit zubereitet werde! Dieſer Gedanke erfuͤllte ſelbſt die hartherzigſten Matro-
ſen mit Grauſen und machte ihnen das Blut in allen Adern ſtarren; doch, im
naͤchſten Augenblick entbrannte ihre Rachgier, und die Vernunft mußte unter
dieſem maͤchtigen Inſtinct erliegen. Sie feuerten und toͤdteten viele von den
Wilden, trieben ſie auch zuletzt, wiewohl nicht ohne Muͤhe, vom Strande, und
ſchlugen ihre Canots in Truͤmmern. Nunmehro, da ſie ſich ſicher duͤnkten,
ſtiegen ſie ans Land, und durchſuchten die Huͤtten. Sie fanden mehrere Buͤn-
del Loͤffelkraut, welche ihre ungluͤcklichen Cameraden ſchon zuſammengebunden
haben mußten und ſahen viele Koͤrbe voll zerſtuͤckter und zerſtuͤmmelter Glie-
der, unter welchen ſie die Hand des armen Rowe deutlich erkannten. Die
Hunde der Neu-Seelaͤnder fraßen indeß am Strande von den herumliegenden
Eingeweiden! Von dem Schifs-Boote waren nur wenige einzelne Stuͤcke zu ſehen;
Herr Burney vermuthete daher, daß die Wilden es zerſchlagen haben moͤchten,
um die Naͤgel herauszuziehn, auch iſts nicht unwahrſcheinlich, daß die Un-
gluͤcklichen, die hier ums Leben gekommen, ihr Boot bey ablaufender Ebbe
auf dem trocknen Boden ſitzen laſſen, und folglich ſich ſelbſt das letzte Mittel
benommen hatten, ihrem traurigen Schickſal durch die Flucht zu entrinnen. Nach
einem
[361]in den Jahren 1772 bis 1775.
einem ſolchen Verluſt, den Capitain Fourneaux um deſto empfindlicher fuͤhlte,1774.
October.

weil Herr Rowe ſein Anverwandter war, ſeegelte er am 22ſten December
aus Koͤnigin-Charlotten-Sund ab, und paßirte das Cap Horn, ohne ir-
gendwo Land zu ſehen oder vor Anker zu gehen, bis am 19 Maͤrz 1774, da
er das Cap der guten Hoffnung erreichte. Vom Cap kehrte er nach England
zuruͤck, und langte am 15 Julius, mithin um eben die Zeit, zu Spithead an,
da wir, auf der andern Hemiſphaͤre, mit Entdeckung der Neuen Hebridiſchen
Inſeln
beſchaͤftigt waren.


Die Neu-Seelaͤnder ſind von jeher allen Nationen, welche zu ihnen
gekommen, gefaͤhrliche Feinde geweſen. Der erſte Entdecker dieſes Landes,
Abel Janſſen Taſmann, ein Hollaͤnder, verlohr vier von ſeinen Matroſen an
einem Ankerplatze, den er, dieſes Vorfalls wegen, die Moͤrder-Bay nannte,
und der vermuthlich mit der vom Capitain Cook ſogenannten blinden Bay ei-
nerley iſt. Die Einwohner nahmen einen der erſchlagnen Matroſen mit ſich
und wiſſen alſo, ohnſtreitig ſchon ſeit 1642, wie das Fleiſch eines Europaͤers
ſchmeckt. Den Englaͤndern haben ſie durch die ſo eben erzaͤhlte Geſchichte noch
weit aͤrger, den Franzoſen aber ſchlimmer als allen uͤbrigen mitgeſpielt, in-
dem ſie Herrn Dufresne Marion mit acht und zwanzig Mann erſchlagen und
gefreſſen haben! Mr. Crozet, Capitaine de brûlot in franzoͤſiſchen Dienſten,
der, auf einer Reiſe nach Oſt-Indien, gerade zu der Zeit am Cap der guten Hoff-
nung
vor Anker lag, als wir, von unſerm Kreislauf, eben daſelbſt anlangten, er-
zaͤhlte mir das traurige Schickſal, welches Mr. Dufresne Marion betroffen
hatte. Herr Crozet commandirte nemlich das Koͤnigliche Schif, den Maſcarin,
als zweyter Officier, unter beſagtem Herrn von Marion, und gieng, nebſt noch
einem Schiffe welches ihn begleitete, auf dem Noͤrdlichen Theil von Neu-
Seeland
in der Bay der Eilande, vor Anker *). Der Verluſt, den er durch
Sturm an ſeinen Maſten erlitten hatte, noͤthigte ihn, hier in den Waͤldern, neue
zu ſuchen. Er fand auch wuͤrklich einige Baͤume die dazu taugten, nur ſchien
es faſt unmoͤglich ſie von den Bergen nach dem Waſſer herab zu ſchaffen. Doch
Forſter’s Reiſe u. die W: zweyter Th. Z z
[362]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
Noth kennt kein Geſetz; dieſem Grundſatz gemaͤß mußte auch Herr Crozet ſich
zu der muͤhſamen Arbeit bequemen, durch die dickſten Waͤlder, einen drey Meilen
langen Weg bis nach den Ort hin aushauen zu laſſen, wo die zu Maſten
brauchbaren Staͤmme vorhanden waren. Indeß daß dieſe langweilige Unternehmung
zu Stande kam, ſchlug ein Theil ſeiner Leute, auf einem Eiland, einige Zelte auf, um
mit mehrerer Bequemlichkeit Trinkwaſſer zu fuͤllen, und einzelne Partheyen nach
Brennholz auszuſchicken. Bey ſo bewandten Umſtaͤnden hatten ſie hier ſchon
39 Tage zugebracht, und ſich das Zutrauen der Einwohner dergeſtalt erworben,
daß ihnen dieſe, mit der groͤßten Zudringlichkeit, ihre Maͤdchen anboten. Eines
Tages gieng Herr Marion in Begleitung etlicher anderer Perſonen, an’s Land, um
nach den verſchiedentlich angeſtellten Arbeitern zu ſehen. Die Leute, die mit
dem Anfuͤllen der Waſſerfaͤſſer zu thun hatten, beſuchte er zuerſt; von da wollte
er zu den Zimmerleuten gehen, die unter Herrn Crozets Aufſicht im Walde ar-
beiteten, vorher aber, wie er gemeiniglich zu thun pflegte, in dem Hippah oder Fe-
ſtung der Indianer, wo ihn der Weg vorbey fuͤhrte, einſprechen. Hier
muß er mit ſeiner ganzen Begleitung umgekommen ſeyn, denn man hat nachher nichts
weiter von ihm vernommen. Der Lieutenant, auf den in Abweſenheit Herrn
Marions das Commando des Schiffes gefallen war, wunderte ſich zwar, daß
jener am Abend nicht wieder an Bord kam, doch beruhigte er ſich da-
mit, daß die Umſtaͤnde ihn genoͤthigt haben wuͤrden, die Nacht uͤber am Lande zu
bleiben, wozu auch, in den Zelten, alle Bequemlichkeit vorhanden war. In
dieſer Meynung ſchickte er am folgenden Morgen, ganz unbeſorgt, eine Parthey
Matroſen aufs Holzhauen, und dieſe giengen jenſeits der in Capitain Cooks Car-
te angedeuteten Landzunge, ans Ufer *). Ein Trupp von Wilden, der, ſeit dem
geſtrigen Vorfall im Hippah, allhier im Hinterhalt liegen mochte, nahm
den Augenblick wahr da die Holzhauer ſaͤmtlich an der Arbeit waren,
uͤberfiel ſelbige und ermordete ſie alle, bis auf einen einzigen Matroſen, der
queer uͤber die Landzunge davon rannte, ſich in die See ſtuͤrzte und, obgleich
verſchiedentlich von Wurfſpießen verwundet, nach den Schiffen hinſchwamm.
Er war ſo gluͤcklich, daß man ihn gewahr ward und an Bord half, wo ſeine
[363]in den Jahren 1772 bis 1775.
Erzaͤhlung bald ein allgemeines Schrecken verbreitete. Herr Crozet befand1774.
October.

ſich unterdeß mit den Zimmerleuten noch immer im Walde, folglich in Gefahr
von den Wilden abgeſchnitten, und nicht beſſer als ſeine ungluͤcklichen Lands-
leute behandelt zu werden. Um ihn dafuͤr zu warnen, ward unverzuͤglich ein
Corporal mit vier Seeſoldaten abgeſchickt und zugleich etliche Boote beor-
dert, bey den Kranken-Zelten auf Herrn Crozet zu warten. Der Cor-
poral kam gluͤcklich zu Herrn Crozet hin, und dieſer hatte es ſeinen
guten Maasregeln zu verdanken, daß auch er wohlbehalten an den Ort anlangte,
wo die Schiffsboote fuͤr ihn bereit lagen. Schon glaubte er, der Aufmerkſam-
keit der Wilden gaͤnzlich entgangen zu ſeyn; hier aber, wo er ſich einſchiffen
wollte, war eine große Menge derſelben beyſammen, die ſich aufs beſte ge-
putzt *) und verſchiedene Fuͤhrer an ihrer Spitze hatten. Nun kam alles auf
Entſchloſſenheit an, und daran fehlte es, zum Gluͤck, Herrn Crozet nicht. Er be-
fahl denen vier Seeſoldaten beſtaͤndig im Anſchlag zu bleiben und, auf das erſte
Zeichen, ihren Mann ja nicht zu verfehlen. Darauf ließ er die Kranken-Zelte ab-
brechen und nebſt dem Geraͤthe der Zimmerleute in die Boͤte ſchaffen. Eben da-
hin mußten ſodann auch die Arbeiter allgemach folgen, indeß er ſelbſt
mit ſeinen vier Scharfſchuͤtzen, auf den vornehmſten Befehlshaber der Wil-
den zugieng. Dieſer erzaͤhlte ihm ſogleich, daß einer ihrer Anfuͤhrer,
den er nannte, Herrn Marion erſchlagen habe. Statt aller Antwort ergrif
Capitain Crozet einen Pfal, ſtieß ſolchen mit Heftigkeit, dicht vor den Fuͤßen
des Wilden, in die Erde, und gebot ihm, nicht um ein Haar breit naͤher
zu kommen. Die Kuͤhnheit dieſer Handlung ſetzte ſowohl den Anfuͤhrer, als
ſeinen ganzen Trupp ſichtbar in Erſtaunen und Herr Crozet wußte ihre Be-
ſtuͤrzung ſehr gut zu nutzen indem er verlangte, daß alle Anweſende ſich
nieder ſetzen ſollten, welches auch ohne Wiederrede geſchah. Nun gieng er ſo lange
vor den Neu-Seelaͤndern auf und ab, bis alle ſeine Mannſchaft eingeſchift war;
darauf mußten die Scharfſchuͤtzen folgen, und Er ſtieg ganz zuletzt in’s Boot.
Kaum waren ſie vom Lande abgefahren, als die Neu-Seelaͤnder ſaͤmmtlich
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[364]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
aufſtanden den Schlachtgeſang anſtimmten, und mit Steinen nach ihnen
warfen; die Matroſen ruderten aber ſo ſchnell, daß ſie bald auſſer dem Wurf
waren, und ſolchergeſtalt wohlbehalten ans Schiff zuruͤck kamen. Seit dieſem
Vorfall machten die Neu-Seelaͤnder immer mehrere Verſuche, die Franzoſen
wo moͤglich ganz und gar aufzureiben. So wagten ſie z. E, mitten in der Nacht,
einen Anfall gegen die auf der kleinen Inſel campirenden Arbeiter, um die es auch
gewiß wuͤrde geſchehen geweſen ſeyn, wenn ſie nicht ſo ſehr auf ihrer Huth geweſen
waͤren. Ein ander mahl fuͤhrten ſie, in mehr als hundert großen, ſtark bemann-
ten Canots, einen foͤrmlich combinirten Angrif auf die beyden Schiffe aus; die-
ſer Verſuch bekam ihnen aber ſehr uͤbel, denn ſie wurden von der Artillerie haͤs-
lich empfangen und abgewieſen. So anhaltende Feindſeligkeiten uͤberzeugten
Herrn Crozet endlich, daß er ſeine Schiffe unmoͤglich ehe mit Maſten wuͤrde ver-
ſorgen koͤnnen, bis die Einwohner aus ihrem großen, wohlbefeſtigten Hippah
vertrieben waͤren. Auf dieſe Expedition gieng er alſo eines Morgens mit
einem ſtarken Commando aus. Die Einwohner erwarteten ihn wohl vorberei-
tet; er fand ſie in großer Anzahl hinter ihren Palliſaden auf den Streitgeruͤſten,
die Capitain Cook in ſeiner erſten Reiſegeſchichte beſchreibt *). Die Franzoſen
griffen die Beſatzung durch ein beſtaͤndig unterhaltenes Peloton-Feuer
an, welches von ſo kraͤftiger Wuͤrkung war, daß die Neu-Seelaͤnder bald von
ihren Streit-Buͤhnen herab ſprangen und hinter den Palliſaden Schutz ſuchten.
Um ſie auch von da aus zu verjagen, mußten die Zimmerleute anruͤcken und eine
Breſche in die Palliſaden machen. In die erſte Oefnung welche entſtand, ſtellte
ſich ſogleich ein Anfuͤhrer der Indianer und ſuchte, mit ſeinem Spieß, den Zim-
merleuten Einhalt zu thun. Herr Crozet hatte ſich aber einige gute Schuͤtzen ge-
waͤhlt, durch welche er dieſen wehrhaften Indianer augenblicklich niederſchieſſen
ließ. Alsbald ruͤckte ein andrer in ſeine Stelle, trat auf den Leichnam ſeines Vor-
gaͤngers und ſetzte ſich zur Wehr. Auch dieſer ward ein Opfer ſeines unerſchroknen
Muths, und auf ſolche Art blieben, auf dieſem gefaͤhrlichen Ehrenpoſten, acht Be-
fehlshaber, einer nach dem andern. Da die Indianer ihre Anfuͤhrer ſo ſchnell fallen
ſahen, ergriffen die uͤbrigen die Flucht, verlohren aber durch das Nachſetzen der
[365]in den Jahren 1772 bis 1775.
Sieger noch viel Leute. Herr Crozet both 50 Thaler fuͤr einen lebendigen1774.
October.

Neu-Seelaͤnder, es war aber den Franzoſen nicht moͤglich, nur einen einzigen
habhaft zu werden. Ein Soldat, der die Praͤmie gern verdienen wollte, bekam einen
alten abgelebten Greis zu packen, und ſuchte ihn zum Capitain zu ſchleppen. Der
Wilde aber, der keine andre Waffen hatte, biß dem Franzoſen in die Fauſt, welches
dieſen dermaaßen ſchmerzte, daß er ihn im erſten Jaͤhzorn mit dem Bayonet nieder-
ſtieß. In dem eroberten Hippah fand ſich eine große Menge Zeug, Waffen, Werk-
zeuge und rohes Flachs, nebſt einem anſehnlichen Vorrath von troknen Fiſchen und
Wurzeln, die vermuthlich fuͤr den bevorſtehenden Winter daſelbſt aufbewahrt
wurden. Dieſe blutige Unternehmung verbreitete ein ſolches Schrecken unter
die Indianer, daß Herr Crozet ſeine Schiffe nun ungeſtoͤrt ausbeſſern, und,
nach einem [Aufenthalt] von vier und ſechzig Tagen, die Bay der Eilande verlaſ-
ſen konnte.


Bey dieſer Streitigkeit mit den Franzoſen wuͤrden die Neu Seelaͤnder
in keinem vortheilhaften Lichte erſcheinen, wenn wir nicht vermuthen koͤnnten,
daß vorher etwas vorgefallen ſeyn muͤße, wodurch ſie ſehr beleidigt und in
Harniſch gebracht worden. Wenigſtens ſiehet man aus ihrem uͤbrigen Betra-
gen gegen die Europaͤer, daß ſie weder verraͤtheriſch noch menſchenfeindlich ſind.
Warum ſollten wir alſo nicht annehmen duͤrfen, daß die Franzoſen, ohne es
vielleicht ſelbſt zu wiſſen oder gewahr zu werden, ihnen etwas in den Weg ge-
legt, wodurch jene ſich fuͤr berechtigt gehalten haben, ihrer Rachſucht dermaaßen
den Zuͤgel ſchießen zu laſſen, als dies von rohen Wilden nur immer erwartet wer-
den kann? Wir hatten um deſto mehr Urſach der Erzaͤhlung der Einwohner
von Koͤnigin Charlotten-Sund Glauben beyzumeſſen, weil ſie ihre eignen
Landsleute, unverhohlen, eines Diebſtahls beſchuldigten. Allein ſie gaben auch
deutlich genug zu erkennen, daß die Uebereilung der Unſrigen, dieſen Diebſtal
ſogleich durch Musketenfeuer, und vielleicht ohne Unterſchied an dem ganzen
Haufen, zu ahnden, ihre Mitbruͤder aufgebracht, und ſie zur Rache angereizt habe.
Wir werden gebohren unſre abgemeßne Zeit auf dem Erdboden zu durchleben;
will jemand, vor dem Ablauf dieſer Zeit, unſerm irrdiſchen Daſeyn ein Ziel ſetzen,
ſo koͤnnen wir es als ein Vergehen gegen die Geſetze des Schoͤpfers anſehen.
Dieſer verlieh uns die Leidenſchaften gleichſam zur Schutzwehr und beſtimmte
Z z 3
[366]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
October.
den Trieb der Rache, vorzuͤglich, zu Abwendung aller gewaltſamen Unterdruͤckung.
Der Wilde fuͤhlt dieſes und eignet ſich ſelbſt das Recht zu, Beleidigun-
gen zu raͤchen, dahingegen in der buͤrgerlichen Geſellſchaft gewiſſen einzelnen
Perſonen, ausſchlieſſenderweiſe, die Macht anvertraut, und zugleich die Pflicht
auferlegt iſt, alles Unrecht zu ruͤgen. Indeſſen iſt dieſe Art das Recht zu
handhaben, auch in den geſitteten Laͤndern Europens, nicht immer, und
nicht auf alle Faͤlle hinreichend. Wenn z. B. dieſer Gewaͤhrsmann der oͤffent-
lichen Ruhe, dieſer allgemeine Raͤcher des Unrechts, ſeinen eignen Arm gegen
die geheiligten Rechte des gemeinen Weſens aufhebt; muͤßen alsdenn nicht alle
buͤrgerliche Verbindlichkeiten aufhoͤren, muß nicht ein jeder ſeine eigenen natuͤrli-
chen Rechte ſelbſt verfechten, und den Leidenſchaften, als den urſpruͤnglich ange-
bohrnen Mitteln zur Selbſterhaltung wieder freyen Lauf geſtatten? Eben ſo ereig-
nen ſich auch im Privatleben Faͤlle genug, wo dies billige, nicht zu tadelnde Gefuͤhl
der Rache (ſelbſt in einem aͤuſſerſt wohl eingerichteten Staat,) von großem Nutzen
ſeyn kann. Giebt es nicht eine Menge von Beeintraͤchtigungen und Beleidigungen
oder Beſchimpfungen, wogegen kein Geſetz ſchuͤtzt? Oder wie oft geſchiehet es nicht,
daß die Großen, Macht und Einfluß genug haben, die Geſetze zu verdrehen,
und, zum Nachtheil des ungluͤcklichen, freundloſen Armen, zu vereiteln? Derglei-
chen Faͤlle wuͤrden nun gewiß noch ungleich haͤufiger vorkommen und bald in
den hoͤchſten Grad der Gewaltthaͤtigkeit uͤbergehen, wenn die Furcht nicht waͤre,
daß der beleidigte Theil das Recht: ſich und ſein Eigenthum zu ſchuͤtzen, (wel-
ches er andern anvertraut hatte) endlich einmahl in ſeine eigne Haͤnde zuruͤckneh-
men moͤgte, ſo bald er nehmlich ſehen muß, daß diejenigen, die hierin ſeine
Stelle vertreten ſollen, ihre Pflicht ſo ſchaͤndlich unterlaſſen? Wenn ein Raͤuber
ſich an meinem Eigenthum vergreift, ſo darf ich nicht erſt zum Richter laufen, ſon-
dern kann, in vielen Faͤllen, den Boͤſewicht gleich auf der Stelle dafuͤr zuͤchtigen;
auf ſolche Art haben Stock und Degen manchen Schurken in Furcht und Schran-
ken gehalten, der dem Geſetz Trotz bieten durfte.


Chi fa ſua vendetta, oltra che offende
Chi l’offeſo ha, da molti ſi difende.

ariost.
()

[367]in den Jahren 1772 bis 1775.

Ich lenke nunmehro in die Erzaͤhlung wieder ein. Die Ausſage und1774.
October

die ſehr begreiflichen Zeichen des Piteré hatten uns jetzt, uͤber die gluͤckliche Ab-
reiſe der Adventure, voͤllig beruhigt. An einem ſchoͤnen Tage, ſtellte der Capi-
tain eine Fahrt ins Innerſte von Weſt-Bay an, um nachzuſehen ob einige
Wahrſcheinlichkeit vorhanden waͤre, daß die Schweine und Huͤhner, welche
wir im vorigen Jahr an dieſem unbewohnten Orte zuruͤck gelaſſen, ſich erhalten,
und ſo weit fortgepflanzt haͤtten, daß man dereinſt zahlreiche Heerden davon er-
warten duͤrfte. Wir landeten an der nehmlichen Stelle wo wir ſie ehemals
ausgeſetzt; allein, auf dem Strande war nicht nur keine Spur von ihnen zu fin-
den, ſondern es ſchien auch, die Zeit her, keine lebendige Seele in dieſe Gegend
hingekommen zu ſeyn. Wir konnten alſo mit Grund annehmen, daß ſich dieſe Thiere
weit in den Wald hinein begeben haben muͤßten, und daß ſie ſich dort ungeſtoͤrt ver-
mehren wuͤrden. Auf dem Ruͤckwege trafen wir, am jenſeitigen Ufer der
Bay, etliche Familien von Indianern an, die uns eine Menge Fiſche uͤberlieſſen.


Nach dieſer kleinen Ausfahrt blieb das Wetter immer ſo ſtuͤrmiſch und
regnigt, daß wir nicht ehe als am 2ten November wieder ans Land, und zwar
nach Gras-Cove, giengen. Ohne das geringſte von dem traurigen Vorfall
zu wiſſen, davon dieſe Bucht der eigentliche Schauplatz geweſen, ſtiegen wir in
allen benachbarten, kleinen Buchten aus, und liefen, einzeln und unbeſorgt,
weit im Lande umher. In dem Gehoͤlz auf den Bergen durchkreuzten einander
Fußſteige die Menge, von Einwohnern aber war nirgends eine Spur zu ſehen.
Wir ſchoſſen auf dieſer Streiferey mehr als 30 Stuͤck Voͤgel, darunter ein
Dutzend wilde Tauben waren, die ſich hier von den Blaͤttern und Saamen eines
ſchoͤnen großen Baums (Sophora microphylla) naͤhrten. Des Abends um
acht Uhr gelangten wir wieder an Bord, wo unterdeß, aus einer andern Ge-
gend der Bay, eine große Anzahl Wilde zum Beſuch angekommen war. Statt
der Fiſche, dergleichen die Parthey des Piteré uns zuzufuͤhren pflegte, hatten
dieſe hier nichts denn Kleidungsſtuͤcke, Waffen und andre Merkwuͤrdigkeiten
zum Verkauf mitgebracht. Da aber dieſe Art des Handels, zum Nachtheil des
nuͤtzlichern, bereits zu weit eingeriſſen war; ſo verbot der Capitain, daß ihnen von die-
ſen Artikeln niemand etwas abnehmen ſollte. Am folgenden Tage kamen ſie wie-
der, um ihr Gluͤck von neuem zu verſuchen; allein, der Capitain blieb bey ſeinem
[368]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Novem-
ber.
vorigen Endſchluß und ſie mußten unverrichteter Sache abziehn. Dieſe Beharr-
lichkeit war deſto noͤthiger und loͤblicher, da weder die gruͤndlichſten Vorſtellungen
noch das eigne Beyſpiel des Capitains, die ſtarrkoͤpfigen Matroſen uͤberzeugen konn-
te, daß der Einkauf ſolcher Spielwerke ihrer Geſundheit nachtheilig ſey, inſofern
nemlich die Indianer augenblicklich aufhoͤrten Fiſche zu Markte zu bringen, ſo bald
ſie ſahen, daß Steine, Waffen, Zierrathen, und dergleichen mehr, beſſer be-
zahlt wurden. Die Begier womit unſre Mannſchaft ſolche Artikel einhandelte
war auch in der That beynahe zu einem Grad von Raſerey angewachſen,
und ſie ſcheuten ſich nicht, dieſelbe durch die niedertraͤchtigſten Mittel zu be-
friedigen. Eine Parthey die einsmahls mit dem Bootsmann ausgeſchickt
ward, um Beſen zu machen, trug kein Bedenken einen armen Wilden
in ſeiner Huͤtte zu berauben. Sie nahmen ſein vorraͤthiges Werkzeug mit
ſich, und noͤthigten ihn etliche Nagel dafuͤr anzunehmen, um der Gewaltthaͤ-
tigkeit wenigſtens den Anſtrich eines Tauſchhandels zu geben. Zum Gluͤck wa-
ren die Einheimiſchen dreiſt genug, dieſen Vorfall dem Capitain zu klagen, der
denn die Thaͤter nach Verdienſt beſtrafen ließ. So iſts, mehr oder minder,
auf allen dergleichen Reiſen zugegangen und namentlich hat es die Mannſchaft der
Endeavour*) in dieſem Stuͤck nicht um ein Haar beſſer gemacht. Zu Otahiti
beſtahlen ſie die Gemahlin des Tuborai Tamaïde, und auf Neu-Seeland be-
haupteten ſie ganz oͤffentlich, daß alles Eigenthum der Wilden, von Gott und rechts-
wegen, ihnen zukomme **). Doch, wie ſollte auch der Charakter des Matro-
ſen ſich aͤndern koͤnnen, da ſeine Lebensart unveraͤndert Tag fuͤr Tag dieſelbe iſt?
Die Seele wird bey ihm gleichſam in eben der Maaße, abgehaͤrtet und un-
empfindlich als der Koͤrper, und ihre eignen Befehlshaber klagen durchgehends
uͤber den unmenſchlichen Hang, den ſie von je her haben blicken laſſen, die friedfer-
tigen Indianer, bey der geringſten Veranlaßung umzubringen ***). —


Da
[369]in den Jahren 1772 bis 1775.

Da die Neu-Seelaͤnder ſahen, daß von allen ihren ſchoͤnen Sachen1774.
Novem-
ber.

nichts mehr anzubringen war; ſo verlieſſen ſie uns am vierten November durch-
gehends bis auf eine einzige armſelige Familie die, ſeit den letzten beyden Ta-
gen, des ſtuͤrmiſchen Wetters halber, nicht einmahl fuͤr ſich, geſchweige denn
fuͤr uns, hatte Fiſche fangen koͤnnen. Wir trafen ſie heut in der ſogenannten
blinden Bucht, bey einer Mahlzeit unſchmackhafter Farrenkrautwurzeln, womit
ſie, aus Mangel beßrer Nahrung, ihren Hunger zu ſtillen ſuchten. In jeder
Huͤtte war ein Feuer angezuͤndet welches, natuͤrlicher Weiſe, die ganze Wohnung
mit Rauch und Dampf anfuͤllte. Die Leute mochten die Unbehaglichkeit einer ſolchen
Atmosphaͤre freylich nicht ganz empfinden, weil ſie gemeiniglich platt auf der Erde
lagen; mir aber kam der Aufenthalt in dieſen Huͤtten ganz unertraͤglich vor,
wenn gleich andre Europaͤer kein Bedenken trugen, um der Liebkoſungen einiger
ſcheuslichen Weibsbilder wegen, hineinzugehen. Vielleicht wird man glauben,
daß nur der rohe Matroſe dieſem thieriſchen Inſtinkt nicht habe wiederſtehen
koͤnnen; allein, das tyranniſche Element worauf Officier und Matroſe in
gleichem Maaße herum geſchleudert werden, ſcheint in dieſem Betracht auch
allen Unterſchied zwiſchen beyden aufzuheben, und wenn man es einmahl
ſo weit kommen laͤßt, daß jede aufſteigende, noch ſo wilde, Begierde freyen Lauf
nehmen darf, ſo wird freylich am Ende ein Sinn auf Koſten aller
uͤbrigen befriedigt ſeyn wollen. Die Nationen die wir unmittelbar zuvor auf
den Neuen-Hebridiſchen Inſeln und auf Neu-Caledonien beſucht, hatten
ſich ſehr kluͤglich fuͤr allen unanſtaͤndigen Vertraulichkeiten gehuͤtet; eben deshalb
wandten ſich die Herren nun mit deſto groͤßerer Zudringlichkeit an die ekelhaften
Schoͤnen in den unreinlichen, raͤuchrigen Huͤtten auf Neu-Seeland!


Am fuͤnften erfolgte endlich wieder ein ſchoͤner Tag; der Capitain
machte ſich ſelbigen zu Nutze und fuhr mit uns nach dem Ende der Bucht hin,
welches zum Beſten der Schiffahrt aufgenommen werden ſollte. Nachdem wir
eine gute Strecke fortgerudert waren, erblickte man in der Ferne etliche Fiſcher-
Canots, deren Mannſchaft aber, ſo bald ſie unſrer gewahr wurden, aufhoͤrte zu
fiſchen und eiligſt wegruderte. Da wir von dieſen Indianern zu
vernehmen wuͤnſchten, ob es am ſuͤdlichen Ende des Sundes eine
Durchfahrt nach der offenen See hin gaͤbe? ſo mußten unſre Matroſen
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. A a a
[370]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Novem-
ber.
ihre Kraͤfte anſtrengen, ſie einzuhohlen. Dies erfolgte auch bald. Wir
fanden, daß die Indianer zum Theil, vor wenigen Tagen erſt, bey uns an
Bord geweſen waren; ſie thaten daher ungemein freundlich und uͤberließen uns
eine Menge von den Fiſchen, welche ſie ſo eben gefangen hatten. Wegen
der Hauptſache aber, nemlich wegen der Durchfahrt, ſchienen ſie uns nicht zu ver-
ſtehen, alſo verlieſſen wir ſie bald wieder, um uns ſelbſt darnach umzuſehen. Zur
Linken kamen wir an einem Arm dieſes großen Gewaͤſſers, zur Rechten aber an
verſchiedenen Bayen und Buchten voruͤber. Endlich begegnete uns ein anderes
Canot, welches ebenfalls heran gerufen, und wegen der Durchfahrt befragt ward.
Die Indianer zeigten auf den Arm, den wir eben vorbey gefahren, und gaben
zu verſtehn, daß der aͤußerſte ſuͤdliche Theil deſſelben ſich zuletzt in eine an allen
Seiten mit Bergen umgebene Bay endige. Dieſer Nachricht zufolge ſteuer-
ten wir darnach hin, und gelangten wuͤrklich an eine ſehr große Bay, deren
Ufer, rechter Hand, von Menſchen wimmelte. Wir landeten, gerade da wo ſie
am zahlreichſten ſtanden, und begruͤßten, durch gegenſeitige Beruͤhrung der Na-
ſen, ihre Anfuͤhrer nebſt einigen andern Leuten, die gleich aus dem Haufen hervor-
traten, und ſich dadurch als Vornehmere, oder Standesperſohnen, auszeichneten.
Der Chef oder Befehlshaber ſagte uns, daß er Tringo-Buhi*) heiße. Er
war ein kleiner Mann, ſchon bey Jahren, aber noch ſehr munter, und that gegen
uns beſonders freundlich. Sein Geſicht war durchgehends in Schneckenlinien
punctirt, und in dieſem Stuͤck von allen uͤbrigen hier verſammelten Indianern,
ausgezeichnet, als welche von ſolchen Zierrathen viel weniger aufzuzeigen hatten.
Die Weiber und Maͤdchen ſaßen vor ihren Huͤtten, in Reihen, und wir erinner-
ten uns einige derſelben an Bord geſehn zu haben. Sie ſchienen weit
beſſer mit allen Nothwendigkeiten verſorgt zu ſeyn, als die wenigen einzelnen
Familien, die ſich in der Nachbarſchaft unſers Schifs aufhielten; wenigſtens
waren ihre Kleider neu und rein, und manche duͤnkten uns ſo gar von
angenehmeren Geſichtszuͤgen, als wir ſonſt bey dieſer Nation wahrgenommen
hatten. Vielleicht ruͤhrte aber dieſer Unterſchied groͤßtentheils daher, daß
[371]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſie jetzt von Schminke, Ruß oder anderer Schmiererey ziemlich rein waren.1774.
Novem-
ber.

Die Leute merkten bald, daß es uns ſehr um Fiſche zu thun ſeyn muͤße; da ihnen
nun nicht weniger daran gelegen ſeyn mochte, ſie los zu werden, ſo wuchs die Zahl
der Verkaͤufer, mit jedem Augenblick. Tringho-Buhi allein ſchien mit dem
Zulauf von Menſchen nicht zufrieden zu ſeyn, weil der Preis der Fiſche die Er
zu verkaufen hatte, in demſelben Maaße fiel, in welchem die Menge dieſer Waare
zunahm. Manche verkauften uns auch ihre Waffen und Kleider, die mehreſten
aber waren nakt und hatten nur ein klein Stuͤck geflochtner Matte um die Len-
den geguͤrtet. Eine ſo leichte Bekleidung konnte heut wohl hinreichend ſeyn, weil
das Wetter ſehr milde, auch die Bay gegen alle Winde vollkommen ge-
ſchuͤtzt war. Nachdem wir ohngefaͤhr eine Viertelſtunde am Lande mochten zu-
gebracht haben, die Zahl der Wilden aber immer mehr anwuchs, die zuletzt
Ankommenden auch ſaͤmtlich ihre Waffen mitbrachten; ſo hielten wir es der Klug-
heit fuͤr gemaͤß, uns wieder einzuſchiffen. Und das war in der That um deſto
rathſamer, weil der ganze Trupp jetzt uͤber 200 Perſonen ſtark, mithin weit
betraͤchtlicher zu ſeyn ſchien, als die Zahl ſaͤmtlicher Einwohner in allen Buch-
ten von Koͤnigin Charlottens-Sund zuſammen genommen. Schon hatten
wir das Boot vom Ufer abgeſtoſſen, als ein Matroſe dem Capitain ſagte, er habe
eine Parthey Fiſche von einem Wilden bekommen, dafuͤr dieſem noch nichts be-
zahlt worden. Der Capitain rief alſo dem Neu-Seelaͤnder, und warf
ihm den einzigen Nagel, den er noch bey ſich hatte, zu, ſo daß er ihm dicht vor
die Fuͤße fiel. Der Wilde der ſich dadurch fuͤr beſchimpft oder vielleicht gar
fuͤr angegriffen hielt, nahm einen Stein auf, und ſchmiß ihn mit aller Gewalt ins
Boot, doch, gluͤcklicherweiſe ohne jemand zu beſchaͤdigen. Wir riefen ihm noch
einmahl und zeigten auf den Nagel der fuͤr ihn beſtimmt war. Nun ſah er erſt,
wovon die Rede war, hob ihn auf, und lachte uͤber ſeine hitzige Auffuͤhrung, indem
er zugleich große Zufriedenheit uͤber unſer Betragen aͤußerte. Ein wenig mehr
Uebereilung von Seiten der Matroſen, koͤnnte, bey dieſem Vorfall, leicht einen
Streit mit den Eingebohrnen, und dieſer, ſehr gefaͤhrliche Folgen
veranlaßt haben. So ſehr wir uns auch haͤtten fuͤr berechtigt halten moͤgen, es uͤbel
zu nehmen, daß der Kerl uns einen Stein nachwarf; ſo wuͤrden doch alle Neu-See-
laͤnder ihrem Landsmanne beygetreten ſeyn und uns am Ende uͤberwaͤltigt
A a a 2
[372]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Novem-
ber.
haben, zumahl da das Schiff fuͤnf oder ſechs Seemeilen (leagues) ent-
fernt, folglich keine Hofnung zur Huͤlfe vorhanden war. Zum Gluͤck wußten
wir damahls noch nichts von dem Schickſahl des Herrn Rowe und ſeiner Gefaͤhrten;
ſonſt wuͤrde uns die unerwartete Erſcheinung ſo vieler Einwohner deſto mehr
erſchreckt haben, je wahrſcheinlicher es, der Gegend nach, iſt, daß ſie an jenem
grauſamen Blutbade perſoͤnlich Theil genommen haben. Wenn ich bedenke,
wie oft es den Neu-Seelaͤndern ein leichtes geweſen waͤre, uns umzubringen,
z. E. wenn wir uns von den Booten entfernten, einzeln auf den Bergen herum-
kletterten, in den Waͤldern umher ſtreiften, in den volkreichſten Gegenden lande-
ten, und uns unbewafnet mitten unter ſie miſchten: So werde ich immer mehr
uͤberzeugt, daß man nicht das mindeſte von ihnen zu beſorgen hat, wenn man
nur ſeiner Seits ſie in Ruhe laͤßt, und ſie nicht vorſetzlich boͤs macht. Eben
daher duͤnkt es mir auch mehr als wahrſcheinlich, daß die Matroſen der Ad-
venture
nicht wuͤrden erſchlagen worden ſeyn, wenn ſie ſich nicht zuerſt, und
zwar groͤblich, an den Neu-Seelaͤndern vergangen haͤtten. Dem ſey
indeſſen wie ihm wolle, ſo koͤnnen wir uns immer fuͤr gluͤcklich ſchaͤtzen, bey
allen unſern kleinen Fahrten oder Gaͤngen, nie eine Familie, ja nicht einmahl
einen einzelnen Indianer angetroffen zu haben, der nicht geneigt geweſen waͤre,
ein Friedens- und Freundſchaftsbuͤndnis mit uns einzugehen, welches wir auch
nie verſaͤumten, ihnen anzutragen.


Die Einwohner dieſer Bay verſicherten uns, gleich jenen mit welchen
wir im Canot geſprochen hatten, daß der Seearm, worauf wir uns jetzt befan-
den, am Ende ins Meer gienge. Wir ſetzten alſo unſre Fahrt weiter fort, und
ſahen nach einigen Wendungen, daß das Gewaͤſſer nordwaͤrts hinter Gras-
Cove
und Oſt-Bay weg lief. Es gab uͤberall Buchten von verſchiedener
Groͤße und an den Ufern derſelben antiſcorbutiſche Kraͤuter, friſche Waſſerquel-
len und wildes Gefluͤgel die Menge. Das Waſſer war vollkommen ruhig und
ſtill, und die Berge mit ſtatlicher Waldung verſehen, ſo daß es dieſer Gegend
auch an ſchoͤnen Ausſichten nicht fehlte. Ohngefaͤhr drey Seemeilen (leagues)
weit von Tringho-Buhi’s Wohnplatz *) bekamen wir einige Seeraben, mit
doppelten Federbuͤſchen auf dem Kopf, zu Geſicht. Dieſe Gattung kann uͤber-
[373]in den Jahren 1772 bis 1775.
all fuͤr ein Merkmahl von der Nachbarſchaft der ofnen See gelten, denn ſie niſtet1774.
Novem-
ber.

niemals weit von ſelbiger, und ſo war es auch hier. Wir ſahen nemlich, unmit-
telbar nachher, hohe Wellen in der Ferne, die nicht anders als vom Meere her-
kommen konnten. Zur linken, oder hinter Gras-Cove, entdeckten wir ein Hippah
auf einem hohen Felſen, der aus einem ſchoͤnen ebenen Grunde, wie eine Inſel
aus dem Meere, hervorragte. Das ganze Feſtungswerk, war mit hohen Pfaͤ-
len umgeben und ſchien in gutem Stande zu ſeyn; weil aber das Ufer eine Art
von Vertiefung machte, ſo kamen wir nicht nahe genug heran, um es in genaueren
Augenſchein zu nehmen. Ueberdem lag uns der Endzweck unſerer Fahrt mehr
denn alles andre am Herzen und wir ſahen nunmehro ſchon, auf welche Art die-
ſer Seearm mit dem Meere zuſammenhieng. Er ergoß ſich nemlich in
Cooks-Meerenge. Der Ausfluß deſſelben iſt ziemlich ſeicht, nicht uͤber 14
Faden tief, auch nur ſchmal, und auſſerhalb vor ſelbigem, liegen viele hohe und ge-
faͤhrliche Klippen, auf denen ſich die Wellen mit großer Heftigkeit zerſchlugen,
ſo daß innerhalb eine ſtarke Stroͤhmung entſtand. Man konnte von hier
aus die noͤrdliche Inſel von Neu-Seeland, als das jenſeitige Ufer von Cooks-
Meerenge
, ſehr deutlich erkennen. Es mochte ohngefaͤhr vier Uhr ſeyn, als wir
mit dieſer Entdeckung zu Stande kamen. Haͤtten wir jetzt um das Cap
Koamaru
herumſegeln koͤnnen; ſo wuͤrden wir, in kurzer Zeit und mit gerin-
ger Muͤhe, den Ankerplatz des Schiffes wiederum erreicht haben: Allein
das gieng, des wiedrigen Windes halber, nicht an. Eben ſo wenig
durften wir es wagen die Nacht am Lande zuzubringen, weil die Gegend ſo
volkreich, und die Bewohner derſelben uns noch nicht genugſam bekannt waren.
Folglich blieb kein ander Mittel uͤbrig als, auf dieſelbe Art wie wir hergekom-
men, wieder zuruͤck zu rudern, ſo lang und beſchwerlich dieſer Weg auch ſeyn
mochte. Nachdem wir bey dem Hippah und bey dem Dorfe Ko-Haͤghi-nui
voruͤbergefahren, langten wir gegen zehn Uhr Abends, gluͤcklich aber ganz ermuͤ-
det und entkraͤftet, am Schiffe an. Da keiner von uns ſich vorgeſtellet, daß
die Fahrt ſo lange dauern wuͤrde, ſo hatte auch niemand mehr als etwas Wein
oder Brantwein mitgenommen, und folglich war das ſpaͤte Abendbrod heut
unſre erſte und einzige Mahlzeit. In der Carte von der Meerenge, welche Capi-
tain Cook bey der vorigen Reiſe gezeichnet hat, iſt dieſer neue Seearm als eine
A a a 3
[374]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Novem-
ber.
Bay angedeutet, denn damals wußte man noch nicht, daß er mit beſagter
Straſſe, oder Meerenge, Gemeinſchaft habe.


Den folgenden Tag fiel neblichtes ſchlechtes Wetter ein; der ehrliche
Piteré ließ ſich aber dadurch nicht abhalten mit ſeinen Gefaͤhrten zu uns zu
kommen. Capitain Cook glaubte ihm, fuͤr die weſentlichen Dienſte wel-
che er uns bisher geleiſtet hatte, eine oͤffentliche Erkenntlichkeit ſchul-
dig zu ſeyn. Zu dem Ende rufte er ihn heut in die Cajuͤtte und kleidete
ihn, vom Kopf bis auf die Fuͤße, nach europaͤiſcher Weiſe. Piteré ſchien uͤber
ſeinen neuen Anzug hocherfreut und ließ ſich deutlich merken, daß er ſtolz dar-
auf ſey, bey uns in Gunſt zu ſtehn. Er hielt ſich aber auch durch dies Ge-
ſchenk fuͤr ſo vollkommen belohnt, daß er es nicht wagte noch um irgend etwas
zu bitten welches, hier zu Lande, fuͤr einen ſeltnen Grad von Maͤßigung gelten
konnte. Wir nahmen ihn, in ſeinem ungewohnten Staat, mit nach Long-
Eyland
auf die Jagd, und von da wieder an Bord zum Mittagseſſen. Fuͤr
einen rohen Wilden betrug er ſich bey Tiſche ungemein ſittſahm und manierlich.
Ich glaube auch, daß er die Ueberlegenheit unſrer Kenntniſſe, Kuͤnſte, Manu-
facturen und Lebensart zum Theil wuͤrklich fuͤhlen mochte, denn er war in unſerer
Geſellſchaft ſehr gern und immer ſehr vergnuͤgt. Dem ohnerachtet lies er ſich nicht
ein einziges mahl merken, daß er mit uns ziehen wolle, ſondern lehnte es viel-
mehr ab, wenn wir’s ihm antrugen. Freylich kann es ſeltſahm ſcheinen, daß
ihm, auch bey der unvollkommenſten Vorſtellung von unſern Vorzuͤgen, die elende
unſtaͤte Lebensart ſeiner Landsleute habe lieber ſeyn koͤnnen, als alle die Vortheile,
welche er bey uns, theils wuͤrklich ſchon genoß, theils in der Folge noch zu gewar-
rten hatte. Ich habe aber ſchon an einem andern Orte bemerkt, daß die Wil-
den durchgehends ſo zu urtheilen pflegen; und ich will jetzt nur noch hinzufuͤgen,
daß ſelbſt civiliſirte Voͤlker nicht anders denken. Die Macht der Gewohnheit zeigt
ſich nirgends deutlicher als in denen Faͤllen, wo ſie allein den Bequemlichkei-
ten des geſitteten Lebens die Wage haͤlt!


Gegen Abend kehrte Piteré mit ſeinen Gefaͤhrten ans Land zuruͤck, ſein ver-
meyntes Gluͤck hatte ihn aber nicht ſtolz gemacht, denn er kam am andern Mor-
gen, nach wie vor, mit friſchen Fiſchen zu uns. Wir hoͤrten ihn und ſeine Ge-
ſellſchafter oftmahls am Lande ſingen, und zuweilen pflegten ſie uns auch wohl
an Bord ein Liedchen zum Beſten zu geben. In Neu-Seeland iſt man in
[375]in den Jahren 1772 bis 1775.
der Muſik ungleich weiter gekommen, als auf den Societaͤts und freundſchaft-1774.
Novem-
ber.

lichen Inſeln
, und naͤchſt den Neu-Seelaͤndern haben, unter allen Nationen
der Suͤdſee, meines Erachtens die Tanneſer die mehreſte Anlage zur Tonkunſt.
Eben derſelbe guͤtige und einſichtsvolle Freund der mir eine Probe von der Muſik
in Tonga-Tabbu mittheilte, (erſter Band S. 323) hat mir auch von den
Geſaͤngen der Neu-Seelaͤnder etwas zukommen laſſen, woraus man den Ge-
ſchmak dieſes Volks einigermaaßen wird beurtheilen koͤnnen. In Tanna iſt er
nicht geweſen, (denn er befand ſich auf des Capitain Fourneaux Schiffe, Adven-
ture
), ich weiß alſo nicht, in wie fern ſein Urtheil von den dortigen Geſaͤngen mit
dem meinigen wuͤrde uͤbereingeſtimmt haben. Von den Neu-Seelaͤndiſchen
Melodien verſicherte er aber, daß ſie einiges Genie verriethen, und ſich von dem
elenden Geſumme der Tahitter, ſo wie von dem auf vier Noten eingeſchraͤnkten
Geſang in den freundſchaftlichen Eylanden, merklich auszeichneten.


[figure]

Von dieſer Melodie ſangen ſie die beyden erſten Tacte bis die Worte
des Liedes zu Ende waren, und dann folgte das letzte hinterdrein. Zuweilen
nahmen ſie es auch doppelſtimmig, mit Terzengaͤngen, bis auf die zwo letzten No-
ten, welche im Uniſono blieben:

[figure]

Derſelbe Freund, dem ich obige Bemerkungen zu verdanken habe, hoͤrte
auch einen Trauer- oder Grabgeſang, uͤber das Abſterben des Tupaia.
Die Einwohner um Tologa-Bay, auf der Nordlichen Inſel von Neu-
Seeland
, welche beſonders viel auf den Tupaia hielten, machten die-
ſes Lied aus dem Stegereif, als ihnen die Mannſchaft der Adventure von
dem Tode dieſes Tahitiers Nachricht ertheilte. Die Worte ſind aͤußerſt
ſimpel, doch allem Anſchein nach, metriſch, und zwar alſo geordnet,
daß ihr ſchwerfaͤlliger Gang die Empfindung des Trauernden ausdruͤckt.


[376]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Novem-
ber.
Āeghīh, māttĕ, āhwäh̄! Tūpāiā!

Gegangen, todt! oh weh! Tupaia! *)

Die erſten Ergießungen des Schmerzens ſind gewiß nicht wortreich;
der einzige Gedanke den man ausſprechen kann, gehet auf die Bezeichnung des er-
littenen Verluſts und wird unfehlbar die Form einer Klage annehmen. Ob, und
in wie fern die Melodie mit der kraftvollen Simplicitaͤt obigen Textes in Verhaͤlt-
niß ſtehe — das moͤgen beßre Kenner der Tonkunſt, als ich bin, entſcheiden.


[figure]

Am Ende fallen ſie vom mitlern c zur untern Octave, wie wenn man
den Finger auf dem Grifbrett einer Violine herabgleiten laͤßt. Ehe ich von die-
ſem Gegenſtand zu reden aufhoͤre, kann ich nicht umhin anzumerken, daß, da die
Neu-Seelaͤnder Geſchmak fuͤr die Muſik, und in dieſem Betracht vor
vielen Voͤlkern der Suͤdſee einen großen Vorzug, haben, ihr Herz nothwendiger-
weiſe guter und milder Empfindungen faͤhig ſeyn muß, was auch die ſpitzfin-
dige Beredſamkeit des bloßen Stuben-Philoſophen dagegen einwenden mag. Ich
laͤugne nicht, daß ſie in ihren Leidenſchaften ſehr heftig ſind, allein, wer will
oder kann behaupten, daß heftige Leidenſchaften immer nur zu ſchaͤdlichen oder
gar unmenſchlichen Ausſchweifungen fuͤhren?


Seit der letzten Unterſuchung bis zum 9ten November ſtellten wir noch
verſchiedene kleine Luſtfahrten laͤngſt dem Ufer an und beſuchten alle innerhalb
des Havens liegende Eylande. Dies verſchafte uns mehr ſchaͤtzbare Bey-
traͤge zur Kraͤuter- und Thierkunde dieſes Landes, als wir, der fruͤhen Jahrszeit
wegen und nach ſo vielen vorhergegangenen Unterſuchungen, erwarten konn-
ten. Wir fanden nemlich zehn bis zwoͤlf Pflanzenarten und vier bis fuͤnf Gat-
tungen Voͤgel, die uns zuvor nicht bekannt geworden waren. Die Matroſen
ergaͤnzten unterdeß den Vorrath von Trinkwaſſer, ſchaften eine Menge Brenn-
holz
[377]in den Jahren 1772 bis 1775.
holz an Bord, beſſerten das Tauwerk aus, und ſetzten uͤberhaupt das ganze Schif1774.
Novem-
ber.

in Stand, der ungeſtuͤmen Witterung des ſuͤdlichen Himmelsſtrichs von neuem
Trotz zu bieten. Die Wilden hatten uns waͤhrend unſers Hierſeyns, ſo reich-
lich mit Fiſchen verſorgt, daß wir mehrere Faͤßgen voll einſalzen, und auf die Reiſe
nach Terra del Fuego mitnehmen konnten. Auf dieſe Art zubereitet hielten
ſie ſich und ſchmeckten vortreflich. Außerdem ließ auch der Capitain, kurz vor der
Abfahrt, noch eine große Menge Seeraben und anderes dergleichen Gefluͤgel zu-
ſammen ſchieſſen, damit wir unterwegens deſto laͤnger friſchen Proviant haben
moͤchten.


Am Nachmittag des 9ten wurden die letzten Anſtalten zur Abreiſe ge-
troffen, und des folgenden Morgens um vier Uhr verlieſſen wir Neu-Seeland
zum dritten und letzten mahle. So oft wir hier vor Anker gegangen,
ſo oft hatten wir uns auch, durch die Menge, Mannigfaltigkeit und Heil-
ſamkeit der friſchen Lebensmittel, von allen Beſchwerden und Unpaͤßlichkeiten des
Seelebens, vornemlich vom Schaarbock, ſehr ſchnell wieder erhohlt. Die wohl-
ſchmeckenden, antiſcorbutiſchen Kraͤuter reinigten und verſuͤßten das Blut, und
die Fiſche, gaben, als eine leicht zu verdauende Speiſe, gute Nahrungsſaͤfte.
Selbſt die Luft, die hier zu Lande, ſogar an den ſchoͤnſten Tagen, ziemlich
ſcharf iſt, mochte zu unſerer Geneſung das ihrige beytragen, in ſo fern ſie den
durch langen Aufenthalt in heißen Gegenden erſchlafften Fibern, neue
Kraft und Spannung mittheilte. Endlich ſo mußte auch die ſtarke Bewegung
die wir uns taͤglich machten, dem Koͤrper in mehr denn einer Abſicht zutraͤglich
ſeyn. Bey ſo viel zuſammenwuͤrkenden Urſachen war es kein Wunder, daß,
wenn wir bey der Ankunft allhier auch noch ſo bleich und abgezehrt ausſahen,
die Veraͤnderung der Lebensart uns doch in kurzer Zeit wieder eine friſche, ge-
ſunde Farbe verſchafte. Freylich konnte dies aͤußere Anſehen bey uns eben ſo truͤ-
gen als bey dem Schiffe: Wenn wir mit ſelbigem, nach vorhergegangener Aus-
beſſerung am Lande, von neuem in See giengen; ſo ſchien es zwar in ziemlich gutem
Stande zu ſeyn, gleichwohl mochte ihm auf der langen Fahrt, ſo mancher harte
Stoß, insgeheim empfindlichen Schaden zugefuͤgt haben! — Eben das was in
Neu-Seeland uns ſo wohl bekam: die geſunde Luft, die einfache Lebensordnung,
beſonders aber der Ueberfluß an guten, leicht zu verdauenden Nahrungsmitteln,
Forſter’s Reiſe u. die Welt zweyter Th. B b b
[378]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Novem-
ber.
alles das, kann auch wohl Urſach ſeyn, daß die Einwohner von ſo hoher Statur,
wohl gewachſen, *) und ſtark gebaut ſind. Sie leben vornemlich vom Fiſch-
fang, und der iſt an der hieſtgen Kuͤſte, den groͤßten Theil des Jahres hindurch,
ſo ergiebig, daß ſie auch den Winter uͤber daran genug haben; wenigſtens hat
Herr Crozet und auch wir ſelbſt, an mehreren Orten, große Vorraͤthe von trok-
nen Fiſchen aufbewahrt gefunden.


Neuntes Hauptſtuͤck.
Die Fahrt von Neu-Seeland nach Tierra del Fuego;
Aufenthalt in Chriſtmeß- oder Weynachts- Haven.


Barbara praeruptis incluſa eſt (inſula) ſaxis:
Horrida, deſertis undique vaſta locis.
Umbrarum nullo ver eſt laetabile foetu,
Nullaque in infauſto naſcitur herba ſolo.

Seneca.


Am zehnten November, Nachmittags, waren wir durch Cooks Meerenge,
und in ſelbiger unter andern auch bey der Muͤndung des neulich entdeck-
ten Arms vorbey, gluͤcklich wieder in die ofne See gekommen. Den ganzen
folgenden Tag fehlte es an Wind bis gegen Abend, da ſich ein Luͤſtchen erhob.
Am 12ten fruͤh Morgens war von der Kuͤſte nichts mehr zu ſehen und die Fahrt
gieng nunmehro, zwiſchen Suͤden und Oſten, auf Terra del Fuego zu. Dies-
mahl verlieſſen wir Neu-Seeland ungleich beſſern Muthes, als an beyden vori-
gen mahlen, da die Reiſe nach dem Suͤdpol gerichtet war. Wir wußten nem-
lich, daß unſre jetzige Fahrt weder ſo lange dauern, noch ſo beſchwerlich ſeyn
wuͤrde als die vorhergehenden; nicht nur, weil die ganze Reiſe ſich jetzt ihrem En-
de naͤherte, ſondern auch weil der Weſtwind, der bey dieſer Jahrszeit und in die-
ſer Breite unveraͤnderlich wehet, uns eine guͤnſtige, ſchnelle Fahrt verſprach, end-
lich weil in denen Gegenden, die wir noch durchkreutzen ſollten, kein unbekanntes,
[379]in den Jahren 1772 bis 1775.
wenigſtens kein großes Land mehr zu gewarten ſtand, deſſen Erforſchung unſre1774.
Novem-
ber.

Ruͤckkehr nach dem geliebten Europa uͤber die Gebuͤhr haͤtte verzoͤgern koͤnnen!
Mit einem Wort, die gegruͤndete Hofnung, daß alle Muͤhſeligkeiten und Gefah-
ren unſers großen Kreislaufs nun bald uͤberſtanden ſeyn wuͤrden, ſtaͤrkte und be-
lebte uns gleichſam von neuem. Wir hatten nicht zu viel gehoft! der Erfolg
uͤbertraf gewiſſermaßen unſre Wuͤnſche, denn auf der Fahrt von Neu-Seeland
nach Terra del Fuego legten wir, im Durchſchnitt gerechnet, taͤglich einen Weg
von 40 engliſchen Seemeilen zuruͤck. Dies war ungemein viel, weil unſer Schiff,
ſeinem Bau, ſeiner Ladung und uͤbrigen Beſchaffenheit nach, ſehr langſam ſegelte.


Am 12ten wurden wir einen Wallfiſch mit laͤnglich ſtumpfem Kopf ge-
gewahr, daran ſich, der Laͤnge nach, zwo Furchen und eben ſo viel erhabne Reife
befanden. Er maaß ohngefaͤhr 12 Fuß, war uͤber den ganzen Leib weiß fleckig,
hatte kleine Augen und zween halbmondfoͤrmige Oefnungen, durch welche er
das Waſſer von ſich ſpruͤtzte. Hinter dem Kopf ſahe man zwo Flosfedern,
auf dem Ruͤcken aber keine. Dieſe Gattung ſcheint bisher noch gaͤnzlich unbe-
kannt geweſen zu ſeyn.


Am 14ten zeigte ſich, daß das Schiff, ſeit unſrer Abreiſe aus Koͤnigin
Charlotten Sund
, ein Leck bekommen hatte, doch machten wir uns daruͤber
keine Unruhe, weil das Waſſer innerhalb acht Stunden, nicht mehr als fuͤnf
oder ſechs Zoll im unterſten Raume anlief. Der Weſtwind blies mit bewun-
dernswuͤrdiger Staͤrke; er ſchwellte naͤmlich, der betraͤchtlichen Breite ohnerachtet
welche der Ozean in dieſer Gegend hat, die Wogen dermaaßen an, daß ſie fuͤrch-
terlich hoch und gegen ſechs bis ſieben hundert Fuß lang wurden. Dies gab
dem Schiffe eine aͤußerſt unangenehme, ſchwankende Bewegung, beſonders, wenn
der Wind gerade hinter uns her kam. Man nimmt gemeiniglich an, daß die groͤß-
te Schiefe, in welcher ein ſeegelndes Schiff ſich gegen die Oberflaͤche des Waſ-
ſers herabneigen kann, nie uͤber zwanzig Grade betrage; allein hier war die See
in ſolcher Bewegung, daß das unſrige mehr als dreyßig, ja bis weilen um 40
Grad von der Perpendicularlinie zur Seite lag! Herr Wales nahm ſich die Muͤ-
he es mathematiſch auszumeſſen, und fand, daß der Winkel unter welchen es ſich
auf die Seite neigte, 38 Grad betrug, ohnerachtet das Schiff an dem Tage eben
nicht aufs aͤußerſte ſchwankte; ward es hingegen, bey doppelt eingerefften
B b b 2
[380]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Novem
ber.
Segeln, nahe an den Wind gelegt, alsdann betrug der Winkel nur achtzehn
Grad *).


Die ganze Reiſe uͤber hatten wir, faſt taͤglich, Seevoͤgel von den Alba-
tros-Petrell-
oder Pinguin-Arten um das Schif her, und, was das ſonder-
barſte war, ſie fanden ſich am haͤufigſten auf dem halben Wege zwiſchen Ameri-
ka
und Neu-Seeland, ohnerachtet dieſe beyden Laͤnder 1500 engliſche See-
meilen
**) (d. i. 725 deutſche Meilen) weit von einander entfernt liegen! Am
27ten wehte der Weſtwind mit ſolcher Heftigkeit, daß wir, der Schifsrechnung
nach, binnen 24 Stunden einen Weg von 184 Meilen (d. i. gegen 40 deut-
ſche Meilen) zuruͤcklegten, und das war ungleich mehr als wir je zuvor gethan.


Decem-
ber.

Am zweyten December erhob ſich, nach einer kleinen Windſtille, ein fri-
ſcher Wind, der unablaͤßig, nur bald ſchwaͤcher bald ſtaͤrker, anhielt, bis wir
am 18ten, nicht lange nach Mitternacht, Land erblickten. Es war die Gegend
um das Cap Deſeado, welches, an der Magellaniſchen Meer-Enge, auf
der weſtlichen Inſel von Tierra del Fuego belegen iſt. Die Neu-Seelaͤndi-
ſchen geſalznen Fiſche hatten bis hieher, folglich von einem Lande bis zum andern
vorgehalten, und uns weit beſſer geſchmekt, als das eingeſalzne Rind- und
Schweinefleiſch. Letzteres war nun einem jeden dermaaßen zum Eckel geworden,
daß ſelbſt Capitain Cook, der doch ſonſt in allem Betracht ein rechter Seemann
war, befuͤrchtete, er wuͤrde in der Folge nie wieder Poͤckelfleiſch genießen koͤnnen!
Sauerkraut war auch noch vorraͤthig und vom guten Geſchmack, und ſowohl die-
ſes als das friſche Wort oder Wuͤrze, diente zum Praͤſervativ gegen den
Schaarbok. Nur Schade, daß das Malz groͤßtentheils ſeine Kraft verlohren
hatte, weil es in friſche, nicht gehoͤrig ausgetroknete Faͤßer gepackt worden, und
deshalb verdorben war. Ich trank reichlich davon, konnte aber dennoch nicht
verhindern, daß mir die Fuͤße von Zeit zu Zeit anſchwollen und ſehr empfindlich
ſchmerzten.


Derjenige Theil von Amerika, den wir jetzt vor uns hatten, ſah hoͤchſt
traurig aus! Gegen drey Uhr Morgens liefen wir dicht an die Kuͤſte heran, die
mehrentheils in dicken Nebel gehuͤllet war. Was uns am naͤchſten lag, ſchie-
***)
[381]in den Jahren 1772 bis 1775.
nen kleine Eylande zu ſeyn, die zwar nicht ſehr hoch, demohnerachtet aber als1774.
Decem-
ber.

gaͤnzlich unfruchtbare, ſchwarze Felſenmaſſen ausſahen. Jenſeits dieſen kamen
hoͤhere und groͤßere Berggegenden zum Vorſchein, vom Gipfel an, faſt bis zum
Meer herab, mit Schnee bedeckt. In Ermanglung anderer lebenden Geſchoͤpfe
ſchwaͤrmten Seeraben, Sturmvoͤgel, Skuas, und andre Waſſervoͤgel an dieſer
oͤden Kuͤſte umher, und ſchienen uns fuͤr die Unfruchtbarkeit des Landes wenig-
ſtens einigen Erſatz zu verſprechen, wenn naͤmlich zu Sichrung des Schiffes nur
ein Haven anzutreffen waͤre. Wir haben auch in der That, auf der ganzen Rei-
ſe um die Welt, nur wenig Laͤnder gefunden, wo gar keine friſche Lebensmittel,
weder aus dem Pflanzen- noch aus dem Thierreiche, vorhanden geweſen waͤren,
vermittelſt deren wir uns, wenigſtens gegen den hoͤchſten Grad des Schaar-
boks, und gegen andre Krankheiten dieſer Art, haͤtten ſchuͤtzen koͤnnen!


Um eilf Uhr kamen wir an einer weit in See ragenden Landſpitze vor-
uͤber, die Capitain Cook, Cap Glouceſter, benannte. Nachmittags ſee-
gelten wir bey dem Eylande voruͤber, auf welchem, Freziers Reiſebeſchreibung
nach, das Cap Noir belegen iſt. Die bey ſeinem Werke in Kupfer geſto-
chene Ausſicht dieſes Vorgebuͤrges iſt ganz richtig gezeichnet und gen Nordoſten
ſchien ein langer Arm von der See ins Land zu gehen, welches ohne Zweifel der
ſogenannte Canal von S. Barbara iſt. Schon auf den aͤlteren ſpaniſchen Car-
ten findet man dieſen Theil von Tierra del Fuego, der Wahrheit gemaͤß, in
viele Eylande und dazwiſchen laufende Canaͤle abgetheilt, die alle von den aͤl-
teren Seefahrern gedachter Nation entdeckt und benannt worden ſind. Zu den
beſten Charten dieſer Art gehoͤrt diejenige, welche der von Herrn Dr. Caſimir
Gomez Ortega
verfertigten ſpaniſchen Ueberſetzung von Byrons Reiſe *) um
die Welt, beygefuͤgt iſt. Nach Maaßgabe dieſer Carten fanden wir, daß das
Land, von dem Orte an wo wir es zuerſt erblickt bis ans Cap Noir hin, aus mehre-
ren Inſeln beſteht, und vielleicht wuͤrden wir noch eine groͤßere Anzahl derſelben
wahrgenommen haben, wenn das Wetter nicht gar zu neblicht geweſen waͤre.


B b b 3
[382]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.

Jenſeit des Cap Noir, welches unter 54° 30′ Suͤdlicher Breite und
37° 33′ weſtlicher Laͤnge liegt, ſchien das Land mehr zuſammen zu hangen,
und des andern Morgens fanden wir die Kuͤſte uͤberall feſt und unge-
theilt; die Berge wurden ſchon dicht an der See merklich hoͤher als zuvor und
waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab,
und erſtarb gegen Mittag gaͤnzlich, indeß, bey herrlichem Sonnenſchein, die Luft
ziemlich gelinde blieb. Waſſervoͤgel von mancherley Art flatterten ums Schiff
und im Waſſer gaukelten Seekaͤlber umher. Nachmittags kam ein Trupp von
ohngefaͤhr dreyßig Nordkaper (Grampuſſes) mehrentheils paarweiſe, ange-
ſchwommen, die ſich, bey dem ſchoͤnen Wetter, ebenfalls luſtig machten. Gegen
Abend entſtand Oſtwind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage
aber wieder gaͤnzlich nachließ. An dieſem ſtuͤrmiſchen Vorgebuͤrge, deſſen
bloßer Nahme, ſeit Anſons Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden
iſt, hatten wir die heſtigſten Stuͤrme, nicht aber eine ſo milde Witterung er-
wartet. Deſto mehr freute es uns, vermittelſt einer ganz entgegengeſetzten Er-
fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu koͤnnen, denn die Wiſſenſchaften und
das menſchliche Geſchlecht uͤberhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge-
wurzelte Vorurtheile und Irrthuͤmer ausgerottet werden. Das Thermometer
ſtand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbarſchaft ſo [gewaltiger] Schnee-
Maſſen, fuͤr eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die erſten
Entdecker dieſer Kuͤſte, nannten ſie die Kuͤſte der Verwuͤſtung (Coaſt of De-
ſolation
) oder die oͤde Kuͤſte, und dieſe Benennung kommt ihr mit vollem Rech-
te zu. Man ſieht uͤberall nichts als ungeheure Berge, mit ſchroffen, Schnee-
bedeckten Gipfeln! Kaum die zunaͤchſt an der See gelegnen Felſen ſind davon ent-
bloͤßt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren Anſehen, ohne Gras
oder Gebuͤſch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen
kleine, gruͤn bewachſene Eylande vorhanden ſind. In eine dieſer Oeſnungen oder
Buchten liefen wir, mit Huͤlfe eines gelinden Oſtwindes, heut gegen Abend ein.
An der Weſtſeite der Einfahrt ſtand eine gewaltige ſenkrechte Felſenmauer, die
Capitain Cook, York-Muͤnſter benannte, weil er zwiſchen ihr und jenem gothi-
ſchen Gebaͤude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30′
Suͤdlicher Breite und 70° 28′ weſtlicher Laͤnge. Seitdem wir uns dicht an der
[383]in den Jahren 1772 bis 1775.
Kuͤſte befanden, hatte der Capitain beſtaͤndig das Senkbley auswerfen laſſen,1774.
Decem-
ber.

und die Tiefe regelmaͤßig ab und zunehmend befunden, je nachdem wir, mehr oder
minder, vom Ufer entfernt ſeyn mochten: Nur allein hier, in der Einfahrt des
Havens, war mit 150 Faden kein Grund zu erreichen. Ein aͤhnlicher Vor-
fall war uns auch ehemals in Dusky Bay begegnet (1. B. S. 93); weil wir
indeſſen hier einen ſehr geraͤumigen Haven vor uns ſahen, ſo ſteuerten wir ge-
troſt tiefer hinein, immer zwiſchen oͤden Eylanden durch, die zum Theil bis auf
den hoͤchſten Gipfel mit Schnee bedekt waren. Mein Vater machte ſich die
eingefallne Windſtille zu Nutze, und fuhr mit den Lieutenants in einem Boote
aus, um Seevoͤgel zu ſchießen; es lohnte aber kaum der Muͤhe, denn ſie brach-
ten nicht mehr als einen einzigen an Bord zuruͤck. Um neun Uhr Abends ge-
langten wir endlich, unter Beguͤnſtigung einer ſchwachen Seeluft, in eine kleine
Bucht, die zwar gegen Wind und Wellen nur ſchlecht geſichert war, uns aber
doch die Nacht uͤber ſo viel Schutz hoffen ließ, als wir im Nothfall bedurften.
Hier giengen wir nun, nach einer ein und vierzigtaͤgigen Fahrt, — auf welcher
wir von Neu-Seeland bis zum Cap Deſeado, ſo ſchnell als gluͤcklich, queer
uͤber das ganze Suͤdmeer weggeſegelt waren, — zum erſten mahle wiederum vor
Anker!


Am folgenden Morgen fuhr Capitain Cook, von verſchiednen Officieren,
meinem Vater, Doctor Sparrmann und mir begleitet, im Boote ab, um ei-
nen ſicherern und bequemern Ankerplatz aufzuſuchen. Gleich hinter der erſten
Landſpitze der Inſel, an welcher das Schiff einſtweilen angelegt hatte, fand
ſich eine ſchoͤne Bucht, die ringsumher von Bergen eingeſchloſſen, folglich vor
allen Winden beſchuͤtzt, und uͤberdem mit einem kleinen Bach, auch mit etwas
Gebuͤſch verſehen war. In dieſem ließen ſich, zu jedermanns Verwunderung,
allerhand Voͤgel hoͤren, ohne Zweifel angelockt von der Witterung, die in Be-
tracht des hieſigen Himmelsſtrichs allerdings milde genannt werden konnte. In
etlichen kleinen Kluͤften oder Erdſchluchten trafen wir eine ſehr duͤnne Schicht naſ-
ſer Erde an, aus welcher verſchiedenes Geſtraͤuch kuͤmmerlich aufſproßte, zu beyden
Seiten gedeckt durch Felſenwaͤnde, die den Wind abhielten, und vermittelſt
der Brechung der Sonnenſtralen den Wachsthum beguͤnſtigten. Sonſt ſchien
das Eyland durchgehends aus einem Felſen zu beſtehen, der aus grobem Granit,
[384]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
aus Feldſpath, Quarz und ſchwarzem Glimmer zuſammen geſetzt war. An den
mehreſten Stellen iſt er gaͤnzlich kahl, ohne Erdreich, Laub und Kraut; nur hin
und wieder hat der Regen oder geſchmolzne Schnee etwas Sand zuſammen ge-
ſchlemmt und an dieſen Stellen findet ſich ein Raſen, von ganz kleinen Moos-
aͤhnlichen Pflanzen, der ohngefaͤhr einen Zoll dick iſt, aber leicht unter den
Fuͤßen weggleitet, indem er unmoͤglich feſt auf dem Felſen liegen kann. Je mehr
dergleichen Stellen vor den zerſtoͤrenden Winden geſchuͤtzt ſind, deſto mehr andre
Pflanzen-Arten kommen unter den Moos aͤhnlichen auf, und dadurch entſteht end-
lich ſo viel Erdreich, daß Stauden, nach und nach, zu der Groͤße eines kleinen
Gebuͤſches aufwachſen. Dahin gehoͤrt unter andern diejenige Bau-Art, deren Rinde
als ein trefliches Gewuͤrz, durch den Capitain Winter zuerſt nach Europa
gebracht, und ihm zu Ehren, Winters-Rinde genannt worden iſt. Man
pflegt ſie oft mit der canella-alba zu verwechſeln, dieſe kommt aber aus
Jamaica, und ruͤhrt von einer ganz andern Pflanze her. Der eigentliche
Winter Rinden-Baum gelangt, an den Ufern der Magellaniſchen Meer-
Enge
, desgleichen auf der Oſtſeite von Tierra del Fuego, zu einer anſehnli-
chen Groͤße; hingegen an derjenigen unwirthbaren Kuͤſte dieſes Landes, wo wir
uns jetzt befanden, erreicht er nicht uͤber zehn Fuß Hoͤhe und bleibt, auch dann
noch, gemeiniglich ein krummer, unanſehnlicher Buſch. So unfruchtbar in-
deſſen dieſe Felſen ſeyn mochten, ſo war uns doch faſt jede ihrer Pflanzen neu,
und einige Gattungen ſogar mit ſchoͤnen und wohlriechenden Blumen geziert.
Aus denen unmittelbar an der See liegenden Felſenklippen wuchs eine unſaͤg-
liche Menge Seegras hervor, deſſen Blaͤtter ſich auf der Oberflaͤche des Waſſers
ausbreiteten, und Schaaren von Meer-Elſtern, Seeraben und Gaͤnſen beleb-
ten den menſchenleeren Strand. Gleich nach unſrer Ruͤckkunft begonnen die
Matroſen das Schiff in die neue Bucht zu ziehen, und kamen Nachmittags
gluͤcklich damit zu Stande. Zwiſchen dem zuvor erwehnten Seegraſe hielten
ſich kleine Fiſche von der Kabliauart auf, davon wir zwar einige wenige, allein
zu einer foͤrmlichen Mahlzeit bey weitem nicht genug fiengen.


Am folgenden Morgen fuhr Capitain Cook in aller Fruͤhe ab, um die
Gegend aufzunehmen, und wir begleiteten ihn, um unſrer Seits die Producte
des Landes zu unterſuchen. Der Haven iſt ſehr geraͤumig, und, ſowohl an der
Oſt-
[385]in den Jahren 1772 bis 1775.
Oſt- als an der Nordſeite durch mehrere Reihen von Bergen geſchuͤtzt, die uͤber1774.
Decem-
ber.

einander hervorragen, auch mit Schnee und Eis bedeckt ſind, welches ver-
muthlich nie wegſchmelzt. In der Bay ſelbſt liegen etliche bergige Eilande,
die aber an Hoͤhe dem groͤßern Lande nicht gleich kommen, und deshalb
auch blos auf dem Gipfel beſchneit ſind. Noch niedriger als dieſe, und
ganz frey von Schnee war das Eiland, an welchem unſer Schiff vor Anker lag;
es mochte nehmlich, dem Augenmaaß nach, nicht mehr als hundert Fuß ſenk-
recht uͤber dem Waſſer erhaben ſeyn. Auſſer dieſen bergigen Eilanden gab es,
im nordlichen Theil der Bay eine Menge anderer, die nur 30 bis 60 Fuß
hoch uͤber die Meeresflaͤche hervorragten, und, von fern her, gruͤn bewachſen zu
ſeyn ſchienen. Auf die zunaͤchſt gelegene dieſer flachen Inſeln, ruderten wir
hin; das Moos und Buſchwerk war daſelbſt an manchen Stellen nieder-
gebrannt, und da ſahe man, daß der Boden aus einem gelblichten Schieferfelſen
beſtand, der in wagerechten Schichten lag, und oben auf eine dickere Schicht
von Erde hatte, als die uͤbrigen benachbarten Eilande. Es gab hier einige
neue Pflanzen, desgleichen eine Art Fliegenſtecher, die ſich aber von Wuͤrmern
und Muſcheln naͤhrte, und zu dem Ende einen ſtaͤrkern Schnabel hatte, als an-
dre Voͤgel dieſes Geſchlechts. Als wir um ein Ende dieſer kleinen Inſel herum-
ruderten, zeigte ſich auf einer andern Landſpitze ein kleines Gebuͤſch oder eine Art
von Waͤldchen, unter deſſen Schatten etliche unbewohnte Huͤtten ſtanden. Die
Beſchreibung und Abbildung eines ſolchen Dorfs, welche in der gedruckten
Nachricht von Capitain Cooks erſter Reiſe um die Welt *) befindlich iſt, paß-
te vollkommen auf dieſe Ausſicht, nur mit dem Unterſchied, daß die Huͤtten
hier nicht mit Seehundsfellen bedeckt waren. Vielleicht wird dieſe De-
ckung auch nicht allemal gebraucht, oder, je nachdem die Wilden ihren Wohn-
ſitz verlegen, als ein unentbehrlicher Theil der Wohnung, uͤberall mitgenommen.
Hier war blos das Gerippe der Huͤtten vorhanden, und das beſtand aus
etlichen Zweigen, die groͤßtentheils noch gruͤne Blaͤtter hatten, mithin nur kuͤrz-
lich erſt zu dieſem Behuf mußten angewandt worden ſeyn. Beym erſten Ein-
laufen in den Haven, hielten wir es, der oͤden rauhen Ausſicht wegen, fuͤr ohnmoͤg-
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Theil. C c c
[386]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
lich, daß dieſe Gegend bewohnt ſeyn koͤnne. Wir glaubten vielmehr, daß ſich
die Wilden blos an der oͤſtlichen Kuͤſte von Tierra del Fuego, und an den
Ufern der Magellaniſchen Meerenge aufhielten. Allein, nach dieſen Huͤtten
zu urtheilen, muß unſre Gattung wohl alle moͤgliche Witterungsarten ausſtehen,
und in den brennenden afrikaniſchen Sandwuͤſten eben ſo wohl als an beyden ge-
frornen Enden der Welt ausdauren koͤnnen. Wir landeten noch auf einigen an-
dern Inſeln, doch war der Proſpect des Havens, des vielen Schnees wegen, uͤber-
all wintermaͤßig, wild und ſchauderhaft. In dieſer Weltgegend fieng grade jetzt
der Sommer an; die wenigen einheimiſchen Pflanzen ſtanden in Bluͤthe und die
Voͤgel naͤhrten ihre junge Brut. Hatte alſo die Sonne jetzt noch nicht Kraft
genug den Schnee zu ſchmelzen, ſo kann man ſich, ohne mein Zuthun, vor-
ſtellen, wie ſtarr und traurig es im Winter ausſehen muͤße! Je tiefer wir
in die Bucht hineinruderten, deſto mehr Schnee entdeckten wir auf den Ber-
gen. Hie und da ſtuͤrzten ſich, uͤber dieſe weiſſe Decke, Quellen und
Stroͤme herab, vornehmlich an ſolchen Orten, wo die Wuͤrkung der Sonnen-
ſtralen durch Felſenwaͤnde befoͤrdert und verſtaͤrkt wurde. Nach ziemlich langem
Umherrudern, fanden wir endlich einen ausnehmend ſchoͤnen Haven, in Form
eines cirkelrunden Behaͤlters (baſſin) wo das Waſſer ſpiegelglatt und voll-
kommen durchſichtig war. Laͤngſt dem Ufer ſtand, bis an die See herab, eine
Menge hoͤherer und anſehnlicher Baͤume, als in der ganzen uͤbrigen Gegend.
Zwiſchen denſelben rauſchten mehrere kleine Baͤche ſchaͤumend hervor, und bo-
ten dem Seefahrer, zu Anfuͤllung ſeiner Waſſerfaͤſſer, alle moͤgliche Bequemlich-
keit dar. Aber mehr als alles dieſes uͤberraſchte uns das Zwitſchern von einer
Menge kleiner Voͤgel, die ſich bey dem lieblichen Sonnenſchein in dieſer ſchatten-
reichen Einoͤde verſammelt hatten. Sie waren von verſchiedenen Arten, und
durchgehends mit Menſchen noch ſo unbekannt, daß ſie ganz nahe herbeyhuͤpf-
ten. Haͤtten wir eine andere als die groͤbſte Sorte von Schroot bey uns gehabt,
ſo moͤchte ihnen ihr Zutrauen ſehr uͤbel bekommen ſeyn! Zwiſchen den Baͤumen
ſproßten allerhand Moos-Arten, Farrenkraut und Schlingpflanzen auf, ſo daß
man kaum dafuͤr gehen konnte, und, zur Freude des Botanikers, fehlte es dieſem
Walde auch an Blumen nicht. Solchergeſtalt war wenigſtens ein Schattenbild
vom Sommer vorhanden; blickte man aber auf die im Hintergrunde befindli-
[387]in den Jahren 1772 bis 1775.
chen, mit Wolken bedeckten, Berge hin; ſo zeigten ſich auf allen Seiten1774.
Decem-
ber.

nichts als ſenkrechte Felſenwaͤnde mit Schnee und Eis bedeckt, das vor Alter
bald blau, bald gelbfarbig war, wie an den Alpen-Gletſchern, wo die Jahrszeiten
auf eben ſolche Art mit einander vermiſcht, und gleichſam in einander verwebt
ſind. So hoch als jene waren zwar die hieſigen Berge nicht, aber darinn gli-
chen ſie einander, daß die Gipfel aus mehreren ſchroffen Zacken beſtanden, und
daß Schnee die Zwiſchenraͤume derſelben ausfuͤllte. Von dieſem Haven gien-
gen wir, zu Fuß, nach einem andern hin, den mehrere davor gelegene niedrige
Eilande vor allen Windſtoͤſſen ſchuͤtzten. Es hielten ſich daſelbſt verſchiedne
Arten wilder Enten auf, darunter eine die Groͤße einer Gans hatte, und mit
bewundernswuͤrdiger Geſchwindigkeit auf der Oberflaͤche des Meeres fortlief, in-
dem ſie, mit den Fuͤßen und Fluͤgeln zugleich, das Waſſer ſchlug:


— — Fugit illa per undas,
Ocyor et jaculo, et ventos aequante ſagitta.

(VIRG.)

Dieſe Art der Bewegung war ſo unglaublich ſchnell, daß wir voraus-
ſahen, es wuͤrde umſonſt ſeyn, zu ſchießen, wenn man nicht Gelegenheit
faͤnde unbemerkt nach ihnen zu zielen. Dieſe ereignete ſich auch in der Folge,
ſo daß wir verſchiedne derſelben erlegten. Von andern Enten waren ſie, nur in
Anſehung der Groͤße und der beſondern Kuͤrze ihrer Fluͤgel, unterſchieden. Letz-
tere hatten etliche weiſſe Schwungfedern, und auf dem Gelenk an der alula
zween große, nakte Knorpel von gelber Farbe. Schnabel und Fuͤße waren
ebenfalls gelb, hingegen das uͤbrige Gefieder grau. Seiner bewundernswuͤr-
digen Geſchwindigkeit wegen, nennten unſre Matroſen dieſen Vogel, das Renn-
pferd, (race-horſe); auf den Falklands-Inſeln haben ihn aber die Englaͤn-
der loggerhead-duck, d. i. dikkoͤpfige Ente genannt *). Auf einer an-
dern benachbarten Inſel fanden wir eine Menge Skuas oder große Mewen, die
im troknen Graſe geniſtet hatten, und ein drittes Eiland war uͤberall mit Buͤ-
ſchen bewachſen, die eine ſehr wohlſchmeckende Art rother Steinbeeren (arbutus)
C c c 2
[388]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
ſo groß als kleine Kirſchen trugen. An eben dieſer Inſel ſaßen die Klippen
laͤngſt [dem] Ufer voller großen Muſcheln (Mytilus edulis) deren Fleiſch uns
ſchmakhafter vorkam, als die beſten Auſtern. So lieferten uns alſo dieſe oͤden
Felſen, die beym erſten Anblick keinem lebendigen Geſchoͤpfe etwas zu verſprechen
ſchienen, eine Mahlzeit, die, mit unſerm Schifszwieback und einem Stuͤckchen
gepoͤckelten Rindfleiſch, in dieſer Weltgegend herrlich genannt werden konnte!
Auf dem Ruͤckwege entdeckten wir auf einigen andern flachen Inſeln, vortrefliche
Sellerie, die zwar kleiner als die Neu-Seelaͤndiſche, aber ungleich kraͤftiger war,
vermuthlich, weil ſich in dem felſigten Boden die Saͤfte beſſer concentrirt hatten.
Wir nahmen eine ganze Bootsladung davon mit nach dem Schiffe, und kamen
endlich, von mehrmahligen Regenguͤſſen ganz durchnaͤßt, an Bord. Bey der
Ruͤckkunft empfanden wir, daß die Gegend um unſern Ankerplatz merklich waͤr-
mer war, als im noͤrdlichen Diſtrict der Bay, woſelbſt die Luft durch die maͤch-
tigen Schneegebuͤrge ungleich kaͤlter gemacht wurde. Faſt zu eben der Zeit als
wir, kam auch einer von den Lieutenants zuruͤck, den Capitain Cook abgeſchickt
hatte, um die Nordweſtſeite der Bay aufzunehmen.


Den folgenden Tag war das Wetter ſo ſchoͤn gelinde, daß verſchiedne
von unſrer Schiffsgeſellſchaft auf dem Eilande, woran das Schif vor Anker lag,
eine Vogel- Jagd anſtellten, die ſehr ergiebig ausfiel. Herr Hodges zeich-
uete unterdeß die ganze Bay von einer Hoͤhe, wo der Geſichtspunct uͤberaus
vortheilhaft war. Auf dem Kupferſtich, der nach dieſer Zeichnung in England
verfertigt worden iſt, ſtehet man, im Vorgrunde, einen Vogel, der vermuthlich
einen Falken vorſtellen ſoll, dergleichen wir auf Tierra del Fuego angetroffen
haben. Dieſe Gattung iſt am Halſe und an den Schultern grau und braun
geſtreifet, der Kopf aber ganz braun und mit einem ſchwarzen Federbuſch ge-
ziert. Dem Kupferſtich nach zu urtheilen, wuͤrde man ihn von ungeheurer
Groͤße halten, gleichwohl iſt er in der Natur um nichts groͤßer als der gewoͤhnli-
che Falk (falco gentilis).


Anſtatt mit den juͤngern Officieren auf die Jagd zu gehen, begleiteten
wir den Capitain, der dieſen Morgen rund um das Eiland fuhr, woran unſer
Schiff geankert war, und der Lieutenant Pickersgill gieng, einer aͤhnlichen Un-
terſuchung wegen, nach einer andern Gegend der Bay ab. Wir waren mit unſerer
[389]in den Jahren 1772 bis 1775.
Fahrt ſehr wohl zufrieden, denn ſie brachte uns eine große Menge Seeraben1774.
Decem-
ber.

ein, die bey Tauſenden in den Schieferklippen geniſtet hatten. Der Inſtinct hat-
te ſie gelehrt, ihre Neſter nur an ſolchen Stellen zu banen, wo die Felſen entwe-
der vorwaͤrts uͤberhingen, oder doch wenigſtens ſenkrecht ſtanden, ohne Zweifel
in der Abſicht, daß die Jungen aus dem Neſte nirgends anders als ins Waſſer
fallen moͤchten, wo ſie keinen Schaden nehmen konnten. Der Schieferſtein wor-
aus dieſe Klippen beſtanden, iſt zwar nicht ſehr hart, demohnerachtet war es zu
bewundern, wie die Voͤgel Loͤcher darinn einbohren, oder, wenn auch, vielleicht
von Natur ſchon Hoͤhlungen darinn vorhanden geweſen ſind, wie ſie dieſe fuͤr ihre
Jungen nur erweitern konnten? Kaum hatten wir unſre Gewehre losgeſchoſſen,
und von neuem geladen; ſo ſaßen die Seeraben wieder auf den Neſtern, doch wa-
ren ſie, ihrer Schwerfaͤlligkeit wegen, auch im Fluge nicht leicht zu verfehlen.
Sie nehmen ſich in der That vor der augenſcheinlichſten Gefahr ſo wenig in
Acht, daß die Franzoſen, bey ihrem Aufenthalt auf den Falklands-Inſeln, wohl
nicht Unrecht hatten, ſie nigauds,*) d. i. Toͤlpel, zu nennen. Naͤchſt dieſer
Ausbeute brachten wir auch drey Gaͤnſe von der heutigen Fahrt zuruͤck, die
uns wegen des an beiden Geſchlechtern ganz verſchiedenen Gefieders, merk-
wuͤrdig duͤnkten. Der Gaͤnſerich naͤmlich war, den ſchwarzen Schnabel und
die gelben Fuͤße ausgenommen, ganz weiß, und an Groͤße etwas geringer,
als eine zahme Gans. Die Gans hingegen war ſchwarz mit kleinen weißen
Queer Strichen gezeichnet, am Kopfe grau und mit etlichen gruͤnen und etlichen
weißen Schwung Federn verſehen. Vielleicht hat die Natur dieſen Unterſchied,
zur Sicherheit der jungen Brut weislich alſo geordnet, damit die Gans, ihres
dunklern Gefieders wegen, von Falken und andern Raub-Voͤgeln nicht ſobald
entdeckt werden moͤge. Doch dies iſt nur eine Vermuthung, die naͤherer Un-
terſuchung und Beſtaͤtigung bedarf; der Verſtand des Sterblichen iſt leider zu
kurzſichtig, um in den Werken der Natur uͤberall die eigentlichen Abſichten des
weiſen Schoͤpfers zu entdecken, beſonders wenn noch ſo wenig Beobachtungen,
als in gegenwaͤrtigem Falle, dazu vorhanden ſind.


C c c 3
[390]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.

Kaum waren wir wiederum am Bord, als auch Lieutenant Pickersgill
zuruͤckkam. Er hatte an der Oſt-Seite der Bay eine Bucht gefunden, wo ſich
eine unzaͤhlige Menge wilder Gaͤnſe aufhielte. Capitain Cook wuͤnſchte ſei-
nen Leuten hier friſche Lebensmittel zu verſchaffen, damit ſie das bevorſte-
hende Weihnachts-Feſt deſto froͤhlicher feyern moͤchten. Da nun die Entde-
ckung des Lieutenaut Pickersgill dieſer Abſicht ſehr guͤnſtig zu ſeyn ſchien; ſo
ward gleich abgeredet, daß er am folgenden Morgen dort auf die Jagd gehen ſoll-
te, indeß wir auf einem andern Wege eben dahin kommen wuͤrden. Mein Vater,
Doctor Sparrmann, ein See-Cadet und ich, fuhren zu dem Ende, in Geſell-
ſchaft des Capitains, laͤngſt einem Eiland hin, das oſtwaͤrts zwiſchen dem Schif-
fe und der ſogenannten Gaͤnſe-Bucht (Gooſe-Cove) als dem verabredeten
Sammelplatz, belegen war. Wir hatten alle Urſach, mit der Wahl unſres
Weges zufrieden zu ſeyn, denn an der ganzen Suͤd-Seite dieſer Inſel, die we-
nigſtens vier Meilen lang iſt, hielt ſich eine unzaͤhlige Menge von Gaͤnſen auf,
denen, ihrer Unerfahrenheit wegen, und weil ſie eben neue Federn bekommen,
ſehr leicht beyzukommen war. Die langen Schwung-Federn fehlten ihnen
noch, ſo daß ſie faſt gar nicht fliegen konnten. Haͤtten wir dies gleich im An-
fang wahrgenommen, ſo wuͤrde unſre Beute noch viel betraͤchtlicher ausgefal-
len ſeyn. Demohnerachtet hatten wir bey Sonnen-Untergang nicht weniger
als drey und ſechszig Stuͤck zuſammengebracht, die fuͤr alles Volk am Bord zu
einem Mittagsmahl vollkommen hinreichten. So ergiebig die Jagd war, ſo
angenehm war ſie auch. Als Naturforſchern haͤtte es uns zwar, bey dergleichen
Gelegenheiten, mehr um Mannigfaltigkeit als um Menge zu thun ſeyn ſollen;
allein wir waren nun einmahl noch nicht enthaltſam oder noch nicht gewiſſen-
haft genug, eine friſche Mahlzeit zu verſchmaͤhen, wenn ſie ſich ſo von ſelbſt
darbot. *) In dem Felſen-Ufer gab es große Kluͤfte oder Hoͤhlen, zum Theil
achtzig bis neunzig Fuß hoch und oft 150 Fuß tief. Da die See ziemlich
ruhig war, ſo konnten wir in dieſe unterirrdiſche Gewoͤlbe mit dem Bote hin-
[391]in den Jahren 1772 bis 1775.
einfahren, und dann kamen wir nie ohne eine gute Anzahl Gaͤnſe wieder her-1774.
Decem-
ber.

aus. Am Eingange hatten gemeiniglich See-Raben geniſtet, die aber dies-
mahl in guter Ruhe blieben. Ein anderer Umſtand der uns den [Gaͤnſefang]
erleichterte, beſtand darinn, daß in den Schiefer-Felſen große Spalten befind-
lich waren, uͤber welche ſie mit ihren noch nicht wieder gewachſenen Fluͤ-
geln ſelten wegkommen konnten, ſondern gemeiniglich herein, und auf ſolche
Art den Matroſen lebendig in die Haͤnde fielen. Erſt am ſpaͤten Abend kamen
wir wieder an Bord, wo Herr Pickersgill ſchon vor uns angelangt war, und
von einem kleinen, von lauter Meer-Schwalben bewohnten Eilande, mehr als
drey hundert Eyer mitgebracht hatte, die groͤſtentheils esbar und wohlſchmeckend
befunden wurden.


Waͤhrend unſrer Abweſenheit hatten ſich einige Einwohner, in vier klei-
nen Kanots, beym Schiffe gezeigt. Sie wurden uns als elende, arme, aber
harmloſe Geſchoͤpfe beſchrieben, die ihre Speere, Seehunds-Felle u. d. g.
freywillig und umſonſt weggegeben. Es that uns leid, daß wir ſie nicht
geſehn hatten, doch ward dem Schaden bald abgeholfen, denn am folgenden
Morgen kamen ſie, des Regens ohnerachtet, wieder. Ihre Canots waren aus
Baum-Rinde verfertigt, welche der Groͤße nach zu urtheilen, wohl ſchwerlich
in dieſem Haven gewachſen ſeyn konnte. Einige kleine Stecken dienten anſtatt
Rippen, um die Rinde, in der Mitte, oder da wo der groͤßte Bauch des
Fahrzeuges iſt, auszudehnen; den Bord machte, auf jeder Seite, ein langer
Stecken aus, uͤber den die Rinde herum gewickelt und feſt genaͤhet war.
Mitten im Canot lagen etliche Steine nebſt einem Haufen Erde, und hierauf
unterhielten die Wilden beſtaͤndig ein Feuer. Dies war auch in ſo fern noͤthig,
weil ſie, durch allzuſchnelles Rudern, ſich eben nicht zu erwaͤrmen ſuchten. Die
Ruder waren nur klein und ſchlecht gearbeitet. In jedem Kanot ſaßen fuͤnf
bis acht Perſonen, Kinder mit eingerechnet; allein, ſtatt daß alle andre Na-
tionen in der Suͤd-See gemeiniglich unter lautem Jauchzen, oder wenigſtens mit
einem frohen Zuruf angezogen kamen, gieng bey dieſen hier alles in der tief-
ſten Stille zu, und ſo gar dicht am Schiffe, wo wir eine Anrede oder Be-
gruͤßung erwarteten, gaben ſie faſt keinen andern Laut von ſich, als das Wort
Peſcheraͤh! Diejenigen, welche Herr von Bougainville, in der Magellani-
[392]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
ſchen Straße, nicht weit von unſerm ietzigen Haven, geſehen, fuͤhrten eben die-
ſes Wort faſt beſtaͤndig im Munde, weshalb er auch dieſer Nation den Namen
Pecherais beylegte. Auf vielfaͤltiges Zuwinken kamen etliche von dieſen Leu-
ten ins Schif; doch ließen ſie nicht das geringſte Zeichen von Freude blicken,
ſchienen auch ganz ohne [Neugierde] zu ſeyn. Sie waren von kurzer Statur,
keiner uͤber 5 Fuß 6 Zoll (engliſchen Maaßes) hoch, hatten dicke große Koͤpfe,
breite Geſichter, ſehr platte Naſen, und die Backenknochen unter den Augen
ſehr hervorragend; die Augen ſelbſt waren von brauner Farbe, aber klein und
matt, das Haar ſchwarz, ganz gerade, mit Thran eingeſchmiert, und hieng ih-
nen wild und zottigt um den Kopf. Anſtatt des Barts ſtanden einige einzelne
Borſten auf dem Kinn, und von der Naſe bis in das haͤßliche, ſtets ofne Maul,
war ein beſtaͤndig fließender Canal vorhanden. Dieſe Zuͤge machten zuſam-
men genommen das vollſtaͤndigſte und redendſte Bild von dem tiefen Elend
aus, worinn dies ungluͤckliche Geſchlecht von Menſchen dahinlebt. Herr
Hodges hat von zwoen dieſer Phyſiognomien eine ſehr richtige, charakte-
riſtiſche Zeichnung verfertigt. Schultern und Bruſt waren breit und ſtark
gebaut, der Untertheil des Koͤrpers aber ſo mager und eingeſchrumpft, daß
man ſich kaum vorſtellen konnte, er gehoͤre zum obern. Die Beine waren
duͤnn und krumm, und die Knie viel zu ſtark. Ihr einziges elendes Kleidungs-
Stuͤck beſtand in einem alten kleinen See-Hunds-Fell, welches vermittelſt einer
Schnur, um den Hals befeſtigt war. Uebrigens giengen ſie ganz nackend,
ohne auf das, was Anſtaͤndigkeit und Ehrbarkeit bey uns fordern wuͤrden, die
geringſte Ruͤckſicht zu nehmen. Ihre Leibesfarbe war Oliven-braun mit ei-
nem Kupfer-aͤhnlichem Glanze, und bey manchen noch durch aufgetragene
Streifen von rothem oder weißem Ocker erhoͤhet. Es ſcheint folglich, daß die Be-
griffe von Schmuck und Zierrath aͤlter und tiefgewurzelter bey uns ſind, als die
von Ehrbarkeit und Schaamhaftigkeit! Die Weiber waren beynahe wie die
Maͤnner geſtaltet, nur etwas kleiner, den Geſichtszuͤgen nach nicht minder
haͤßlich und widrig, und auch in der Kleidung nicht unterſchieden. Einige
wenige hatten jedoch, außer dem Felle, welches die Schultern bedeckte, noch
einen kleinen Lappen, kaum einer Hand groß, vorn am Schooße herabhaͤngen,
der, vermittelſt einer Schnur, um die Huͤften befeſtigt war. Ein ledernes
Band
[393]in den Jahren 1772 bis 1775.
Band mit Muſcheln beſetzt, zierte den Hals und auf dem Kopfe trugen ſie eine1774.
Decem-
ber.

Art Muͤtze, aus etlichen langen Gaͤnſe-Federn zuſammengefuͤgt, die gemeinig-
lich aufrecht in die Hoͤhe ſtanden und alsdenn gerade ſo, als die Fontangen
des vorigen Jahrhunderts ausſahen. Ein einziger Kerl hatte ſein See-Hunds
Fell durch ein daran genaͤhtes Stuͤckchen Guanacoes-Fell*) verlaͤngert und
ſich dadurch etwas mehr Schutz gegen die Kaͤlte verſchaft. Die Kinder hin-
gegen waren voͤllig nakt, und ſaßen neben den Muͤttern um das im Canot be-
findliche Feuer, zitterten aber demohnerachtet beſtaͤndig vor Kaͤlte. Sie lieſ-
ſen nicht leicht ein ander Wort von ſich hoͤren, als den Ausruf, Peſcheraͤh, und
dieſer ward bisweilen wie eine Liebkoſung, gemeiniglich aber in einem jammern-
den, klagenden Ton ausgeſprochen! Von denen an Bord gekommenen Manns-
perſonen, vernahmen wir noch ein paar andre Woͤrter, die aus einer Menge
von Mitlautern und Guttural-Buchſtaben beſtanden. Das chl, welches in
England den Einwohnern des Fuͤrſtenthums Wallis eigen iſt, kam vorzuͤglich
oft darinn vor, und was ihre Ausſprache vollends unverſtaͤndlich machte, war,
daß ſie durchgehends ſehr ſtark liſpelten. [Glas-Corallen] und andre Kleinig-
keiten nahmen ſie mit eben der Gleichguͤltigkeit und Achtloſigkeit an, mit wel-
cher ſie auch ihre Waffen, ja ſogar ihre zerlumpten Seehunds-Felle umſonſt,
oder, gegen das erſte beſte das ihnen geboten ward, weggaben. Ueberhaupt
war ihr Charakter die ſeltſamſte Miſchung von Dummheit, Gleichguͤltigkeit und
Unthaͤtigkeit! Bogen und Pfeile waren ihre einzigen Waffen. Die Bogen ſind
ſehr klein, unfoͤrmlich und aus einer Art Berberis-Holz gemacht, die Pfeile
hingegen von anderm Holz, zwiſchen zwey und drey Fuß lang, an einem Ende
gefiedert und am andern ſtumpf. Die Spitzen werden, nur alsdenn erſt wenn
der Pfeil gebraucht wird, angeſetzt, und zu dieſem Behuf traͤgt ſie der Schuͤtze in
einem kleinen ledernen Beutel bey ſich. Sie thaten ziemlich rar damit, und
wollten uns nicht mehr, als eine einzige ſolche Spitze zukommen laſſen, die aus
einem ſchlechten dreyeckigten Stuͤckgen Schiefer beſtand. Naͤchſt dieſen Waffen
haben ſie auch Speere, die aber blos zum Fiſchfang dienen. Der Schaft iſt
Forſter’s Reiſe u. die W: zweyter Th. D d d
[394]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
zehn Fuß lang, und, oben wie unten, durchaus gleich dick. Am unterſten Ende
iſt ein Spalt befindlich, in welchem, zu ſeiner Zeit, ein ſpitzgemachter, etwa zwoͤlf
Zoll langer, und nur mit einem Wiederhaken verſehener Knochen eingefuͤgt und
feſtgebunden wird. Eben dies Inſtrument ſollen ſie auch, Capitain Cooks vo-
riger Reiſebeſchreibung nach, gebrauchen, um unterhalb dem Waſſer die Mu-
ſcheln von den Felſen loszuſtoßen. *) Mit unſrer Zeichenſprache, die doch ſonſt
uͤberall gegolten hatte, war bey dieſen Leuten hier nichts auszurichten; Geber-
den, die der niedrigſte und einfaͤltigſte Bewohner irgend einer Inſel in der Suͤd-
See
verſtand, begrif hier der Kluͤgſte nicht. Eben ſo wenig fiel es ihnen ein,
uns ihre Sprache beyzubringen; da auf dem Schiffe nichts ihre Neugierde oder
Verlangen erregte, ſo war es ihnen auch gleich viel, ob wir ſie verſtunden,
oder nicht. Diejenigen von unſern Reiſegefaͤhrten, die Capitain Cooks erſter
Reiſe um die Welt beygewohnt hatten, verſicherten einſtimmig, daß die Be-
wohner von Succeß-Bay, weit gluͤcklicher und beſſer daran waͤren als dieſe
elenden Verſtoßenen. *) Wer die Beſchreibung jener Reiſe hieruͤber nachleſen
will, wird auch ſelbſt einſehen, daß in Succeß-Bay die Peſcheraͤhs weit ci-
viliſirter zu nennen ſind, (wenn dieſer Ausdruck uͤberhaupt hier anzubringen iſt,)
als diejenigen, die in dieſer Gegend wohnten. Jene waren groͤßer; hatten
Stiefeln, um die Fuͤße gegen die Kaͤlte zu ſchuͤtzen, ſchienen den Werth der eu-
ropaͤiſchen Waaren einigermaßen einzuſehen, bewieſen ſich geſelliger, und hatten
ſogar ſchon Begriffe von Cerimouien und Hoͤflichkeit! die unſrigen hingegen wa-
ren noch zu dumm, zu unthaͤtig oder zu ſehr von Huͤlfsmitteln entbloͤßt, um ſich
der Kaͤlte zu erwehren, ſo ſchmerzhaft ſie auch die Unannehmlichkeiten derſelben
empfanden. Sie ſchienen unſre Ueberlegenheit und unſre Vorzuͤge gar nicht zu
fuͤhlen, denn ſie bezeigten auch nicht ein einzigs mahl, nur mit der geringſten
Geberde, die Bewunderung, welche das Schif und alle darin vorhandene große
und merkwuͤrdige Gegenſtaͤnde bey allen uͤbrigen Wilden zu erregen pflegten!
Dem Thiere naͤher und mithin ungluͤckſeliger kann aber wohl kein Menſch ſeyn,
als derjenige, dem es, bey der unangenehmſten koͤrperlichen Empfindung von
Kaͤlte und Bloͤße, gleichwohl ſo ſehr an Verſtand und Ueberlegung fehlt, daß
[395]in den Jahren 1772 bis 1775.
er kein Mittel zu erſinnen weiß, ſich dagegen zu ſchuͤtzen? der unfaͤhig iſt Be-1774.
Decem-
ber.

griffe mit einander zu verbinden, und ſeine eigne duͤrftige Lage mit dem gluͤckli-
chern Zuſtande andrer zu vergleichen? Was die aͤrgſte Sophiſterey auch je zum
Vortheil des urſpruͤnglich wilden Lebens, im Gegenſatz der buͤrgerlichen Ver-
faſſung, vorbringen mag; ſo braucht man ſich doch nur einzig und allein die
huͤlfloſe bedauernswuͤrdige Situation dieſer Peſcheraͤhs vorzuſtellen, um innig
uͤberzeugt zu werden, daß wir bey unſrer geſitteten Verfaſſung unendlich gluͤck-
licher ſind! So lange man nicht beweiſen kann, daß ein Menſch, der von der
Strenge der Witterung beſtaͤndig unangenehme Empfindung hat, dennoch gluͤck-
lich
ſey, ſo lange werde ich keinem noch ſo beredten Philoſophen beypflichten,
der das Gegentheil behauptet, weil er entweder die menſchliche Natur nicht
unter allen ihren Geſtalten beobachtet, oder wenigſtens das, was er geſehen,
nicht auch gefuͤhlt hat *). Moͤchte das Bewuſtſeyn des großen Vorzugs, den
uns der Himmel vor ſo manchen unſerer Mit-Menſchen verliehen, nur immer
zu Verbeſſerung der Sitten, und zur ſtrengern Ausuͤbung unſerer moraliſchen
Pflichten angewandt werden! aber leider iſt das der Fall nicht, unſre civiliſir-
ten Nationen ſind vielmehr mit Laſtern befleckt, deren ſich ſelbſt der Elende,
der unmittelbar an das unvernuͤnftige Thier graͤnzt, nicht ſchuldig macht. Wel-
che Schande, daß der hoͤhere Grad von Kenntniſſen und von Beurtheilungs-
kraft bey uns nicht beſſere Folgen hervorgebracht hat!


Dieſe ungluͤcklichen Bewohner eines felſigten unfruchtbaren Landes
fraßen rohes, halbverfaultes Seehunds-Fleiſch, welches aͤußerſt wiedrig roch.
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[396]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
Das Thranartige ekelhafte Fett, genoſſen ſie am liebſten, und beten auch dem
Seevolk davon an. Vielleicht iſt es Inſtinct, der ihnen dies ranzige Fett verzeh-
ren heißt, denn alle in kalten Erdſtrichen wohnende Voͤlker ſollen es fuͤr Lecker-
biſſen halten, und dadurch in Stand geſetzt werden, die Kaͤlte beſſer zu ertragen.
Die natuͤrliche Folge einer ſolchen Nahrung war ein unertraͤglicher fauler Ge-
ſtank, der aus ihrem ganzen Koͤrper ausdunſtete, und ſich allem, was ſie nur an
und um ſich fuͤhrten, mitgetheilt hatte. Dieſer Geſtank war uns dermaßen zu-
wider, daß wirs unmoͤglich lange bey ihnen aushalten konnten. Mit geſchloß-
nen Augen konnte man ſie bereits in der Ferne wittern. Wer die Seeleute,
und ihre ſonſt eben nicht ekle Begierden kennt, wird kaum glauben, was doch
wuͤrklich geſchah, naͤmlich, daß es ihnen, dieſer unertraͤglichen Ausduͤnſtung
wegen, gar nicht einmal einfiel mit dem ſaubern Frauenzimmer genauere Be-
kanntſchaft zu machen. Die Matroſen gaben ihnen Poͤckelfleiſch und verſchim-
melten Zwieback; ſie machten ſich aber nichts daraus, und konnten kaum da-
hin gebracht werden, es zu koſten. Lehrte ſie etwa der Inſtinct, daß dieſe
Speiſen vielleicht noch ungeſunder waͤren, als halb verweſtes Seehundefleiſch? —
Wir bemerkten unter ihnen nicht den mindeſten Unterſchied des Standes, weder
Oberherrſchaft noch Abhaͤngigkeit. Ihre ganze Lebensart kam dem thieriſchen
Zuſtande naͤher, als bey irgend einem andern Volk. Es duͤnkt mir daher uͤber-
aus warſcheinlich, daß ſie keine ſelbſtſtaͤndige Nation ausmachen, ſondern nur
als einzelne, von den benachbarten Voͤlkerſchaften ausgeſtoßne Familien anzu-
ſehen ſind, die durch ihren Aufenthalt im oͤdeſten unfruchtbarſten Theil von
Tierra del Fuego faſt jeden Begrif verlohren haben, der nicht mit den drin-
gendſten Beduͤrfniſſen in unmittelbarer Verbindung ſteht. Sie irren, der Nah-
rung nach, aus einer Bucht in die andre, und da dieſer Haven vermuthlich mit
mehreren zuſammenhaͤngt, ſo waͤhlen ſie ſich im Winter denjenigen zum Wohn-
platz, wo der Aufenthalt am leidlichſten iſt. Aus denen auf den benachbarten
Falklands Inſeln, die unter derſelben Polhoͤhe liegen, angeſtellten Thermo-
metriſchen Beobachtungen laͤßt ſich zwar vermuthen, daß im Winter die Kaͤlte
nicht nach Verhaͤltniß der Sommerwitterung zunehme, demohnerachtet muß
ſie dieſen armen huͤlfloſen Geſchoͤpfen doch aͤußerſt hart fallen. Die Hollaͤndi-
ſchen Seefahrer, und beſonders Jacob l’ Hermite, der die Naßaniſche Flotte
im
[397]in den Jahren 1772 bis 1775.
im Jahr 1624 ins Suͤd-Meer fuͤhrte, behaupten, daß die an [den] ſuͤdlichen1774.
Decem-
ber.

Kuͤſten von Tierra del Fuego, wohnenden Indianer, wuͤrkliche Menſchen-
freſſer ſind, die einander, nicht etwa bloß aus Hunger, ſondern auch ſo oft
ſie ſich eine gute Mahlzeit machen wollten, umbringen. *) Sollte dieſe graͤß-
liche Gewohnheit irgendwo aus wuͤrklichen Mangel an [Lebensmitteln] ſtatt finden,
ſo koͤnnte ſie hoͤchſtens bey einer kleinen Anzahl ungluͤcklicher Menſchen entſtan-
den ſeyn, die aus ihrer fruchtbaren Heymath in die aͤußerſten wuͤſten Enden
der Erde waͤren vertrieben worden. Ein ſolcher Stamm wuͤrde aber unmoͤg-
lich lange beſtehen koͤnnen.


Die armen Peſcheraͤhs verließen uns gegen Mittag, und ruderten ſo
langſam und ſtillſchweigend fort, wie ſie angekommen waren. Das Seevolk,
ſehr erfreut, daß das Schif ſicher vor Anker lag, hatte ſchon den vorigen Abend
angefangen, das Weynachtsfeſt zu feyern, und fuhr fort zween Tage lang ohne
Unterlaß zu ſchwelgen. Sie machtens ſo arg, daß Capitain Cook endlich den
groͤßten Theil in ein Boot laden, und an Land ſetzen ließ, damit ſie in der fri-
ſchen Luft deſto eher wieder nuͤchtern wuͤrden.


Am 27ſten des Morgens, bemannte der Capitain ein Boot mit etlichen
noch halb-berauſchten Matroſen, und fuhr nebſt meinem Vater und Dr. Sparr-
mann
nach demſelben Eiland, wo er am 24ſten ſo gute Jagd gehabt. Er
brachte am Abend eine Anzahl Gaͤnſe und andres Gefluͤgel zuruͤck, die gebraten,
und zu unſrer bevorſtehenden Abreiſe auf bewahret wurden. Die Einwohner
kamen unterdeſſen wieder am Bord, doch hielten ſie ſich nicht lange auf, weil
wir, ihres unleidlichen Geſtanks wegen, uns nichts mit ihnen zu ſchaffen mach-
ten. Sie riefen ihr Loſungswort Peſcheraͤh manchmal mit einer ſo klaͤglichen
Stimme, und ſo gedehnt aus, daß wir glaubten, ſie wollten damit betteln,
wenn wir ſie aber darauf anſahen, ſo war in ihren Mienen nicht die geringſte Be-
ſtaͤtigung dieſer Vermuthung, nichts begehrendes, nichts als das unbedeutende
Angaffen der tiefſten Dummheit ausgedruͤckt.


Nachdem wir neuen Vorrath von friſchem Waſſer und Brennholz einge-
laden, ſo nahmen wir auch die Zelte an Bord, und ſegelten am 28ten des Mor-
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[398]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
gens um acht Uhr nach Cap Horn ab. Dem Haven, den wir ietzt verließen,
ward der Nahme Chriſtmeß-Sund (Weihnachts-Haven) beygelegt. Fuͤr
Schiffe, die in und aus der Suͤd-See kommen, iſt er gleich bequem gelegen;
und, wegen der Erfriſchungen die man dort antrift, als ein guter Ankerplatz zu
empfehlen. Es giebt viele trefliche Buchten, und wenn gleich kein Zimmer-
Holz, doch einen großen Vorrath von Brennholz darinn. Das Waſſer iſt rein,
und wohlſchmeckend, und die Luft zwar etwas rauh, aber geſund. Waͤhrend un-
ſers Aufenthalts hatte ein See-Soldat das Ungluͤck hier zu ertrinken. Wir ver-
mißten ihn nicht eher als zween Tage nachher, und da kams heraus, daß er,
um ſeine Nothdurft zu verrichten, in der Trunkenheit uͤber das Gelaͤnder vorn
am Schif geſtiegen, und von da ins Waſſer gefallen ſey. Eben dieſer Menſch
war ſchon einmal, bey Irromanga, in Gefahr geweſen zu ertrinken, und auf
der Inſel Tanna hatte er einen von den Einwohnern *) erſchoſſen. Dies war
der vierte und letzte Mann, den wir auf der ganzen Reiſe einbuͤßten.


Nachmittags ſeegelten wir bey der Inſel S. Ildefonſo voruͤber, welche
vermuthlich von Spaniſchen Seefahrern alſo benannt worden iſt. Jenſeit der-
ſelben liefen wir, ſo lange es Tag blieb, oſtwaͤrts und kreuzten die Nacht uͤber
ab und zu. Des andern Morgens um ſechs Uhr paßirten wir das Cap Horn,
oder die große ſuͤdliche Felſen-Spitze des nach ſeinen Entdecker genannten Hermi-
ten Eylands
**). Die geographiſche Lage jenes beruͤhmten Vorgebuͤrges iſt bis-
her immer unrichtig angegeben worden, jetzt aber koͤnnen wir, den Beobachtun-
gen zufolge, welche Capitain Cook auf ſeinen beiden Reiſen um die Welt ange-
ſtellt hat, mit Gewißheit beſtimmen, daß es unter den 55°-58′ Suͤdlicher
Breite und dem 67°-46′ Weſtlicher Laͤnge belegen iſt. Nachdem wir ſol-
chergeſtalt gaͤnzlich aus der Suͤd-See herausgekommen, ſteuerten wir auf Le
Maire’s Straße
zwiſchen Tierra del Fuego und Staaten Eiland hin.
Gegen Abend kamen wir nahe genug um zu bemerken, daß Tierra del Fuego
hier ein weit beſſeres Anſehen hatte, als in der Gegend von Chriſtmeß-Sund.
[399]in den Jahren 1772 bis 1775.
Die Berge waren nemlich nicht ſo ſteil, ſondern dehnten ſich, lang und ſanft ge-1774.
Decem-
ber.

ſtreckt, nach der See herab, in welche ſie zuletzt mit flachen waldigten Spitzen auslie-
fen. Schnee war gar nicht, oder doch nur auf den entfernteſten weſtlichen Ge-
buͤrgen zu ſehen. Am folgenden Morgen gelangten wir in die Meer-Enge,
wurden aber den ganzen Tag von Windſtillen darinn aufgehalten. Succeß-
Bay
lag uns grade gegenuͤber, und die weitlaͤuftigen Ufer derſelben ſahen ſo
fruchtbar und anmuthig aus, daß wir gewuͤnſcht haͤtten dort anlanden zu koͤnnen.


Um zwey Uhr Nachmittags ſchickte der Capitain, waͤhrend daß wir bey
Tiſche waren, ein Boot ab, um nachſehen zu laſſen, ob die Adventure etwa in
dieſer Bay vor Anker geweſen, oder irgend eine Nachricht allhier zuruͤckgelaſſen ha-
be? Das Schif lavirte indeß bey ſehr ſchwachem Winde ab und zu, um ſich
nicht allzuweit von dem Boote zu entfernen. Einige dreyßig große Wallfiſche,
und eine unzaͤhlige Menge Seehunde machten ſich im Waſſer um und neben
uns luſtig. Die Wallfiſche ſchwammen mehrentheils paarweiſe beyſammen,
welches anzuzeigen ſchien, daß dies die Zeit ihres Begattens ſey. So oft ſie,
auf der Seite des Schiffes wo der Wind herkam, Waſſer von ſich blieſen, hat-
ten wir jedesmahl einen unertraͤglich faulen und ungeſunden Geſtank auszuſtehen,
der drey bis vier Minuten anhielt. Bisweilen legten ſie ſich auf den Ruͤcken,
und plaͤtſcherten mit ihren langen Bruſtfloßen auf dem Waſſer, welches einen
Knall verurſachte, als wenn ein halbpfuͤndiges Stuͤck abgefeuert wird. Die-
ſes Spiel hat vermuthlich zu dem Matroſen-Maͤhrchen Anlaß gegeben, daß
der Dreſcher und der Wallfiſch manchmahl mit einander fechten. Der Dreſcher
wird gemeiniglich als ein langer Fiſch vorgeſtellt, der aus dem Waſſer ſpringt,
um dem Wallfiſch einen derben Schlag beyzubringen. Oft miſchen ſie auch den
Schwertfiſch mit hinein, der dieſe Gelegenheit wahrnehmen ſoll, um dem armen
Wallfiſch den Bauch aufzuſchlitzen. Der geringen Entfernung wegen, in wel-
cher ſich dieſe Fiſche von uns befanden, konnten wir, bey der oft wiederhohlten
Bewegung der Floßen deutlich ſehen, daß die innre Seite derſelben, imgleichen
der Bauch weis, das uͤbrige hingegen ſchwarz iſt. An einem, der ſich kaum
200 Fuß weit vom Schiffe herum waͤlzte, nahmen wir viele in die Laͤnge laufen-
de Falten oder Runzeln auf dem Bauch wahr; dieſem Kennzeichen zufolge ge-
hoͤrte er zu der Gattung, welche beym Ritter von LinnéBalæna Boops heißt.
[400]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
Ihrer Groͤße ohnerachtet, die der Laͤnge nach nicht weniger als 40 Fuß und im
Durchmeſſer zehn Fuß betrug; ſahe man ſie zuweilen ganz und gar aus dem
Waſſer ſpringen, und dann fielen ſie jedesmahl mit gewaltigem Getoͤſe zuruͤck,
ſo daß es um ſie her ſchaͤumte. Die erſtaunende Kraft, welche erfordert wird,
dergleichen ungeheure Thiere aus dem Waſſer zu heben, kann, ſo wie alles
uͤbrige ihres bewundernswuͤrdigen Baues, zu vielen Betrachtungen Stoff
geben.


Gegen ſechs Uhr Abends kam das nach der Succeß-Bay abgefertigte
Boot wiederum zuruͤck. Der Lieutenant berichtete, es waͤren ihm eine unzaͤhlige
Menge von Seehunde bis in die Bay gefolget, und in ſelbiger die Wallfiſche ſo
haͤufig geweſen, daß das Boot beynah darauf geſtoßen haͤtte. An der Stelle,
wo Capitain [Cook] bey ſeiner erſten Reiſe um die Welt, Waſſer eingenommen
hatte, fand er nicht das geringſte Merkmahl, daß ein Europaͤiſches Schif ſeit
kurzem da geweſen. Beym Ausſteigen empfiengen ihn etliche Einwohner, die in
Guanacoes-Felle und in lange Maͤntel aus Seehunds-Fellen gekleidet waren.
Sie ſahen ganz freundlich, weit heiterer und zufriedener aus, als die Elenden,
welche wir in Chriſtmeß-Sund angetroffen. Einige hatten ſogar Armbaͤnder
von Schilf mit Silberdrath beſponnen, und zeigten ſehr oft darauf, indem ſie
das Wort Peſcheraͤh ausſprachen. Alles was unſre Leute ihnen anboten, ſa-
hen ſie mit Gleichguͤltigkeit ohne alle Begierde an. Die Armbaͤnder muͤſſen ſie
entweder von voruͤberſchiffenden Spaniern, oder, aus eben dieſer Quelle, mit-
telbarer weiſe, durch andre noͤrdlich wohnende Voͤlker bekommen haben. Unſre
Leute hielten ſich nur zwo oder drey Minuten bey ihnen auf, ſchiften ſich alsdenn
wieder ein, und eilten an Bord zuruͤck. Nunmehro ſetzten wir unſern Lauf
durch le Maires Meer-Enge fort, und ſeegelten, am folgenden Morgen, laͤngſt
der Kuͤſte von Staaten Land hin, welches in dicken Nebel gehuͤllt war.
Gegen Mittag klaͤrte ſich das Wetter auf, ſo daß wir das Land deutlich ſehen
konnten. Es hatte viel aͤhnliches mit der weſtlichen Kuͤſte von Tierra del Fuc-
go
; die Felſen-Gebuͤrge waren wenigſtens eben ſo jaͤhe und unfruchtbar, jedoch
nicht voͤllig ſo hoch, und deshalb auch mit weniger Schnee bedeckt. Ver-
ſchiedne Eilande, die etwa 90 Fuß ſenkrecht aus dem Meere hervorragten, la-
gen in einiger Entfernung von dieſer Kuͤſte und ſchienen auf den oberſten Gipfel
mit
[401]in den Jahren 1772 bis 1775.
mit Gras bewachſen zu ſeyn. Seehunde hielten ſich hier uͤberall in Menge auf,1774.
Decem-
ber.

und da ihr Fett ſtatt Thrans gut zu brauchen iſt, ſo entſchloß ſich Capitain Cook
einen Ankerplatz aufzuſuchen, um Vorrath davon einzunehmen. Pater
Feuillee hat von dieſen Eilanden in ſeiner Reiſebeſchreibung eine Catte geliefert,
die wir aber ſehr unrichtig fanden. Als wir zwiſchen dieſen Inſeln und Staa-
ten-Land
hereinſteuerten, entdeckten wir auf letzterem einen guten Haven; der
Capitain wollte es aber nicht wagen einzulaufen, weil er befuͤrchtete, von wi-
drigen Winden daſelbſt eingeſperrt zu werden, ſondern hielt es fuͤr ſicherer, unter
dem Winde eines der niedrigen Eilande anzulegen. Da nun, nach Seemaͤnni-
ſcher Rechnung, der 31ſte December um Mittag zu Ende gegangen, ſo nannte
er dieſe Gruppe von Inſeln, die Neujahrs-Eilande, und den Haven auf
Staaten-Land, Neujahrs-Haven.


Zehntes Hauptſtuͤck.
Aufenthalt an den Neujahrs-Eilanden — Entdeckung
neuer Laͤnder gen Suͤden — Ruͤckkehr nach dem Vor-
gebuͤrge der guten Hofnung
.


Unmittelbar nach eingenommener Mittagsmahlzeit ſetzten wir die Boͤte aus,
und ſtachen nach dem Eilande uͤber, welches ohngefaͤhr eine Meile vom
Schiffe entfernt lag. Alle Felſen laͤngſt dem Ufer waren mit einer unzaͤhligen
Menge von Seehunden bedeckt, worunter einige mit langen, zottigten Maͤhnen,
den Nahmen See-Loͤwen weit eher verdienten, als jene glatten Thiere, die Lord
Anſon, auf der Inſel Juan [Fernandez] ſo nannte. Die aͤltern Seefahrer,
die jetzt wenig mehr geleſen werden, haben der hieſigen Art auch wuͤrklich jene
Benennung beygelegt *).


Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. E e e
[402]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.

Zum Revier, wo auf die Seeloͤwen Jagd gemacht werden ſollte, waͤhl-
ten wir eine durch Felſenklippen gegen den Ungeſtuͤm der See gedeckte Bucht.
Wir fanden bald, daß dieſe Thiere grimmiger ausſahen als ſie wuͤrklich waren,
denn ſie ſtuͤrzten ſich gemeiniglich bey den erſten [Flintenſchuͤßen] ins Waſſer und
ſuchten zu entfliehen. Nur die groͤſten und unbeholfenſten blieben liegen, und lieſ-
ſen ſich unter beſtaͤndigem Bruͤllen todt ſchießen. Ein Regenſchauer that unſerm
Eifer eine Zeitlang Einhalt, als ſich aber das Wetter wieder aufklaͤrte, gieng das
Jagen von neuem an, und wir bekamen eine große Menge der fetteſten Seeloͤ-
wen. Die Matroſen wußten gut mit ihnen fertig zu werden, ſie ſchlugen ſie ohne
große Umſtaͤnde mit einer Keule vor den Kopf, ſchleppten ſie in die Boͤte, und
brachten ſie an Bord, wo, aus dem Speck, Thranoͤl gekocht ward. Die alten
Loͤwen waren faſt alle erſtaunlich fett, und zehn bis zwoͤlf Fuß (engliſchen Maaßes)
lang; die Loͤwinnen hingegen waren ſchlanker und ihrer Laͤnge nach zwiſchen ſechs
und acht Fuß. Die groͤßten Seeloͤwen wogen zwoͤlf bis funfzehn hundert Pfund,
und einer von mittler Groͤße wog ohne Haut, Eingeweide und Speck fuͤnf hun-
dert und funfzig Pfund. Beym Maͤnnchen hat der Kopf wirklich eine Aehnlich-
keit mit einem Loͤwenkopf; auch iſt die Farbe faſt gaͤnzlich dieſelbe, nur ein wenig
dunkler. Die langen ſtraubigten Haare um den Hals und das Genick des
Seeloͤwen, gleichen vollkommen der Maͤhne eines rechten Loͤwen, und ſind hart
und grobdraͤtig. Der ganze uͤbrige Koͤrper iſt mit kurzen, platt anliegenden
Haaren bewachſen, die ein ſchoͤnes, ebenes, glaͤnzendes Rauchwerk ausmachen.
Die Loͤwinn unterſcheidet ſich vom Loͤwen darinn, daß ſie uͤber den ganzen Leib
glatt iſt; hingegen in Anſehung der Fuͤße, oder vielmehr der Floßen, kommen
beyde Geſchlechter wiederum voͤllig mit einander uͤberein. Die Floßen, die an
der Bruſt ſitzen, beſtehen aus großen Stuͤcken ſchwarzen zaͤhen Leders, in deren
Mitte, ſtatt der Naͤgel etliche faſt unmerkliche Hoͤcker befindlich ſind. Die Af-
terfloßen haben mehr Aehnlichkeit mit Fuͤßen, und beſtehen aus ſchwarzem Leder,
*)
[403]in den Jahren 1772 bis 1775.
das in fuͤnf lange Zeen getheilt iſt, deren jeglicher einen kleinen Nagel hat, und1774.
Decem-
ber.

hernach in einem ſchmalen Riemen auslaͤuft. Ohnerachtet die Naͤgel verhaͤlt-
nißweiſe nur ſehr klein ſind, ſo wiſſen ſie ſich doch am ganzen Leibe damit zu kraz-
zen, wie wir mehr als einmahl geſehen haben. Der Schwanz iſt ungemein kurz,
und zwiſchen den dicht zuſammen ſtehenden Afterfloßen verſteckt. Der Hinter-
theil des Koͤrpers, oder die Keulen, ſind beſonders gros, rund, und mit Fett
gleichſam uͤbergoſſen. Nach Verſchiedenheit des Alters und Geſchlechts, ließen
ſie allerhand zum Theil ſo durchdringende Toͤne hoͤren, daß uns die Ohren davon
gellten. Die alten Maͤnnchen ſchnarchten und bruͤllten wie Loͤwen oder wilde
Ochſen; die Weibchen bloͤckten wie Kaͤlber, und die Jungen wie Laͤmmer.
Von den Jungen gab es am Strande faſt uͤberall ganze Heerden. Vermuthlich
war es die Jahrszeit, in welcher ſie warfen; einer Loͤwinn bekam dies ſehr uͤbel,
denn ſie warf in dem Augenblicke, da ein Matroſe ihr mit einer Keule auf den
Kopf ſchlug. Sie leben in zahlreichen Heerden beyſammen. Nur die aͤlteſten
und fetteſten Maͤnnchen liegen abgeſondert; ein jeder waͤhlt ſich einen großen
Stein zum Lager, und dem darf kein andrer ſich naͤhern, ohne in blutigen Kampf
zu gerathen. Ich habe oftmals geſehn, daß ſie einander bey dergleichen Gele-
genheiten mit unbeſchreiblicher Wuth anpackten, und aufs heftigſte zerbiſſen.
Daher kams auch ohne Zweifel, daß viele, auf den Ruͤcken tiefe Narben hatten.
Die juͤngern, lebhaften Seeloͤwen liegen mit allen Weibchen und Jungen ein-
traͤchtig beyſammen. Bey der Jagd pflegten ſie mehrentheils den erſten Angrif
abzuwarten, ſo bald aber etliche erlegt waren, nahmen die uͤbrigen in der groͤß-
ten Beſtuͤrzung die Flucht. Manche Weibchen trugen ihre Jungen im Maule
davon, andre aber, die mehr erſchrocken ſeyn mochten, ließen ſie zuruͤck. Wenn
ſie unbemerkt zu ſeyn glaubten, liebkoſeten ſie ſich aufs zaͤrtlichſte, und ihre
Schnauzen begegneten ſich oft, als kuͤßten ſie einander. Der ſeel. Prof. Stel-
ler
fand dieſe Thiere auf Berrings Eiland, unweit Kamtſchatka, wo er
Schifbruch litt; und ſeine Beſchreibungen, die erſten und beſten die man da-
von hat, ſtimmen mit den unſrigen vollkommen uͤberein. Don Pernetty ge-
denkt ihrer ebenfalls in ſeiner Reiſe nach den Falklands Inſeln; allein die in
Kupfer geſtochne Abbildung, welche er davon liefert, ſo wie ſeine uͤbrigen Zeich-
nungen, und die mehreſten der dazu gehoͤrenden Beſchreibungen, ſind ganz un-
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[404]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Decem-
ber.
richtig. Herr von Bougainville hat ſie auf ſeiner Reiſe um die Welt, auch
angetroffen. Sie gehen in dieſen unbewohnten Gegenden an Land, um ihre
Jungen zu werfen, freſſen aber, ſo lange ſie außer dem Waſſer ſind, nichts, wenn
gleich ihr Aufenthalt am Strande oft etliche Wochen lang dauert; ſtatt aller
Nahrung verſchlucken ſie alsdann eine Anzahl Steine, um den Magen wenig-
ſtens anzufuͤllen, werden aber natuͤrlicher weiſe ganz abgezehrt. Bey einigen
fand man den Mangen gaͤnzlich leer, bey andern hingegen mit zehn bis zwoͤlf run-
den ſchweren Steinen angefuͤllt, deren jeder ein paar Faͤuſte gros war *).


Nachdem die See-Loͤwen den Strand gaͤnzlich geraͤumt hatten, ſtiegen
wir auf die obere Ebene des Eilandes, die, gleich einem Felde voller
Maulwurfshuͤgel mit kleinen Hoͤckern wie beſaͤet war. Auf jeder von dieſen
Erhoͤhungen ſproßte eine Grasart (dactylis glomerata) in einem großen
dicken Buſche auf. Die Vertiefungen oder Zwiſchenraͤume zwiſchen den Huͤ-
geln waren voller Koth, ſo daß wir immer von einem Hoͤcker zum andern
ſpringen mußten. Es hielt ſich hier eine andere Gattung von See-Hunden
auf, die ohne Zweifel dadurch, daß ſie naß aus der See herauf gekommen,
den Boden ſo kothig gemacht hatten. Eigentlich waren es See-Baͤren, der-
gleichen wir ſchon in Dusky-Bay, obgleich weder ſo haͤufig noch ſo groß an-
getroffen hatten. Was Steller von ihnen ſagt, ſtimmt mit der Wahrheit
genau uͤberein. Sie ſind etwas kleiner als See-Loͤwen; die Maͤnnchen ſek-
ten uͤber acht oder neun Fuß lang und verhaͤltnißweiſe dick. Das Haar iſt
dunkelbraun mit ſehr feinem Grau geſprengt, und durchaus weit laͤnger als
beym See-Loͤwen, doch macht es keine Maͤhne aus. Sonſt iſt der ganze
Umriß des Koͤrpers, ſo wie die Geſtalt der Floſſen, bey beyden Thierarten, voͤl-
lig einerlei. Sie bezeigten ſich weit grimmiger als die See-Loͤwen, vornehm-
lich vertheidigten die Baͤrinnen ihre Jungen, und ließen ſich eher neben denſel-
ben todt ſchlagen, als daß ſie davon gelaufen waͤren. Auf eben dieſem Eilan-
de gab es auch eine große Anzahl Geyer (vultur aura) die bey den Matroſen
[405]in den Jahren 1772 bis 1775.
Aas-Kraͤhen hießen, und ſich vermuthlich von verreckten oder mit Gewalt ent-1774.
Decem-
ber.

fuͤhrten jungen See-Baͤren und See-Loͤwen naͤhren mogten. Hiernaͤchſt fand
ſich auch eine Art Habichte, imgleichen Gaͤnſe von der Art, die uns in Chriſt-
meß-Sund
ſo gut geſchmeckt. Endlich ſo waren auch Pinguins von einer
uns noch unbekannten Gattung, graue Sturm-Voͤgel, ſo groß als Albatroſſe,
von den Spaniern Quebranta-hueſſos, (Knochenbrecher) genannt, und See-
Raben allhier vorhanden.


Das neue Jahr fieng, bey friſchem Winde und kalter Luft, mit einem1775.
Januar.

ſchoͤnen heitern Tage an. Um den benachbarten Neujahrs-Haven nicht ganz
unerforſcht zu laſſen, ward ein Boot abgeſchickt, die Kuͤſte aufzunehmen, und
den Ankerplatz zu ſondiren; wir waͤren gern mit dahin gegangen, weil aber
Lientenant Pickersgill, der dies Boot commandirte, Befehl erhielt, ſich gar
nicht am Lande aufzuhalten, ſo begleiteten wir lieber den Capitain, der aber-
mahls nach dem in unſerer Nachbarſchaft befindlichen Eilande hinfuhr. Die
Erd-Schichten beſtanden daſelbſt aus einem gelben thonartigen Steine, und an
andern Orten aus grauem Schiefer; beide waren, nach Maasgabe ihrer ver-
ſchiednen Lage, von verſchiedner Haͤrte. Auf den Klippen hatten ſich, der ge-
ſtrigen Niederlage ohnerachtet, wiederum ganze Heerden von See-Baͤren und
See-Loͤwen gelagert; wir ließen ſie aber diesmahl ungeſtoͤrt, weil eine andre
Parthey auf die Jagd ausgeſchickt worden. Sonderbar war es, daß, ſo na-
he dieſe beyden Thier-Arten auch mit einander verwandt ſind, ſie ſich dennoch
niemahls vermiſchten, ſondern uͤberall genau von einander abgeſondert hielten.
Ihrer ſtarken Ausduͤnſtungen wegen konnte man ſie, gleich allen uͤbrigen See-
Hunds Arten, bereits von weiten riechen; ſchon zu Homers Zeiten war dieſe
Eigenſchaft, ſo wie auch ihre Unthaͤtigkeit und Schlaͤfrigkeit, waͤhrend daß ſie
am Lande ſind, bekannt.


— φῶκαι νέποδες —
Ἀθρόαι ἕυδουσιν, πολιῆς ἁλὸς ἐξαναδῦσαι
πικρὸν ἀποπνείουσαι ἁλὸς πολυβενθέος ὀδμήν.

Homer.

Auf unſrer Fahrt laͤngſt dem Ufer, kamen wir an einen Platz, wo viele tauſend
See-Raben, auf den zuvorerwaͤhnten, mit Gras bewachſenen, kleinen Erdhuͤ-
E e e 3
[406]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Januar.
geln geniſtet hatten. Dieſe Gelegenheit, der ganzen Mannſchaft eine Mahl-
zeit zu verſchaffen, konnten wir ohnmoͤglich ungenutzt laſſen. Die Voͤgel wa-
ren mit Menſchen noch ſo unbekannt, daß die Matroſen in kurzer Zeit etliche
Hunderte mit Keulen todtgeſchlagen hatten. Bey dieſer Gelegenheit fanden
wir auch einen Vogel von ganz neuem Geſchlecht. Er gehoͤrte zur Klaſſe der
watenden Waſſer-Voͤgel; die Zeen waren durch eine Art von Schwimmhaut
halb verbunden, und die Augen nebſt der Wurzel des Schnabels mit lauter
weißen Druͤſen oder Warzen umgeben. Wir glaubten einen Leckerbiſſen dar-
an zu finden, allein das Fleiſch hatte einen ſo unertraͤglichen Geſtank, daß nie-
mand davon koſten wollte, ohnerachtet wir damahls gewiß nichts weniger als
ekel waren. Capitain Cook obſervirte die Polhoͤhe auf dem oͤſtlichen Ende
des Eilands, welches aus einem nackten Felſen beſtand, der mit ganzen Schaa-
ren von See-Hunden, Meven, See-Raben u. ſ. w. bedeckt war. Nachdem
wir zu Mittage am Bord geſpeiſet, giengen wir, um der Jagd willen, wieder
an Land. Der Zufall verſchaffte uns etliche Gaͤnſe, worunter ſich auch eine von
neuer Art befand, und einer Heerde Pinguins, die wir antrafen, ergieng es
nicht beſſer als vor Tiſche den See-Raben. An Groͤße kamen ſie den Gaͤn-
ſen bey, und waren uͤbrigens von der Art, die in der Gegend von Magel-
haens
Straße
haͤufig iſt; auf den Falklands-Inſeln haben die Englaͤnder
ihr den Nahmen, jumpingjack gegeben. *) Sie ſchlafen ſo feſt, daß einer,
uͤber welchen Herr Sparrmann ſtolperte, und ihn etliche Schritte weit aus ſeiner
Lage brachte, ſich dieſes unſanften Stoßes ohnerachtet doch nicht eher ermunter-
te, bis er ihn hernach noch lange geſchuͤttelt hatte. Ward ein ganzer Trupp
beyſammen angegriffen, ſo ſetzten ſie ſich zur Wehr, rannten auf uns los, und
biſſen uns in die Beine. Ueberhaupt haben ſie ein ſehr zaͤhes Leben, denn ei-
ne große Anzahl, die wir fuͤr todt auf dem Platze ließen, ſtunden, eh man
ſichs verſahe, wieder auf, und watſchelten recht gravitaͤtiſch davon. Die See-
Baͤren und See-Loͤwen waren ebenfalls nicht auf den erſten Schlag zu toͤdten,
doch war die Schnauze der empfindlichſte Theil, auf welchen ſie nicht viel aus-
ſtehen konnten. Doctor Sparrmann und ich waͤren bey einem alten See-
[407]in den Jahren 1772 bis 1775.
Baͤren ſchier uͤbel weggekommen. Er lag auf einem Felſen und viel hundert1775.
Januar

andre, hinter ihm, ſchienen nur auf den Ausgang unſers Streits zu warten.
Herr Sparrmann hatte naͤmlich einen Vogel geſchoſſen, den er eben aufneh-
men wollte; als der alte Baͤr, bey welchem er vorbey mußte, anfieng zu brum-
men, und Miene machte, ihn anzufallen. So bald ich dies ſahe, legte ich
mein Gewehr an und ſchoß das Ungeheuer, indem es eben den Rachen gegen
mich aufſperrte, mit einer Kugel todt. Die ganze Heerde ſah ihren [Vorfech-
ter]
kaum ins Gras geſtreckt, als ſie nach der See entfloh. Manche krochen
ſo eilfertig davon, daß ſie ſich im erſten Schreck 30 bis 40 Fuß tief, auf ſpitze
Klippen herabſtuͤrzten, dem Anſchein nach ohne Schaden zu nehmen, vermuth-
lich weil ihr dickes zaͤhes Fell, und das Fett, welches bey dergleichen heftigen
Stoͤßen nachzugeben pflegt, ſie genugſam ſchuͤtzte.


So wie die Mannſchaft ihrer Seits an der Jagd dieſer See-Thiere
ungemein viel Vergnuͤgen fand; eben ſo angenehm war es uns, als Naturfor-
ſchern, an dieſen geſelligen Thierarten manches Sonderbare zu beobachten und
zu unterſuchen! Sie befanden ſich hier in ihrem natuͤrlichen Clima, und fuͤhl-
ten die Strenge der Witterung nicht; denn die See-Baͤren und Loͤwen waren
durch Fett, die See-Raben und Pinguins hingegen durch das dicke Gefieder
vollkommen dagegen ausgeruͤſtet. Der Capitain hatte ſeinen Entzweck nunmeh-
ro erreicht; es war naͤmlich ein hinlaͤnglicher Vorrath von Speck zuſammen ge-
bracht, und in Faͤſſer gepackt worden, der nach und nach zu Oel ausgekocht
werden konnte. Fuͤr dieſen Vortheil mußten wir uns aber auch einen haͤßli-
chen faulen Geſtank gefallen laſſen, der noch etliche Tage nach unſrer Abreiſe
von den Neujahrs-Eilanden im ganzen Schiffe zu ſpuͤhren war. Gegen
Abend kamen unſre Leute aus dem, auf Staaten-Land belegenen Neujahrs-
Haven
zuruͤck. Sie hatten ihn ſehr bequem und ſicher gefunden, und brachten
etliche Meven, nebſt fuͤnf Enten mit kurzen Fluͤgeln, oder ſogenannte Renn-
pferde, mit ſich. Letztere wogen das Stuͤck ſechszehn Pfund, ihr Fleiſch war
aber von ſo ekelhaften Geruch, daß man es nicht genießen konnte. Der zweite
Januar ward, gleich dem erſten, unter allerhand Nachſuchungen, am Lande
hingebracht. Ihres geringen Umfanges ohnerachtet, iſt dieſe Inſel ſo reich-
lich mit Voͤgeln verſehen, daß wir auch heute noch verſchiedne neue Arten,
[408]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Januar.
unter andern ein ſehr ſchoͤnes graues Brachhuhn mit gelbem Halſe fanden. An
Pflanzen hingegen war dies Eiland ungleich aͤrmer. Die ganze Flora deſſel-
ben belief ſich, mit Inbegriff etlicher kleiner, drey Fuß hoher Buͤſche, auf
mehr nicht als etwa acht Sorten, und unter dieſen befand ſich nur eine einzi-
ge neue. Das buſchigte Gras (dactylis glomerata) hatte faſt allein das
ganze Eiland uͤberwuchert. Gegen Abend wurden die Boote am Bord ge-
nommen, und des andern Morgens um drey Uhr liefen wir um die Nordoͤſtli-
che Spitze von Staaten-Land, die Pater FeuilleeCap St. Johannis
nennt, wiederum in See. Waͤhrend unſers Aufenthalts an den Neujahrs-
Inſeln
, bemerkten wir, daß die Flut uͤberaus ſchnell, naͤmlich, in einer Stun-
de wohl vier bis fuͤnf engliſche Meilen weit fortſtroͤmt. Dieſer Umſtand iſt
indeſſen nichts außerordentliches, denn in der Magellaniſchen Meer-Enge,
und an den Suͤdlichen Kuͤſten von Amerika[laufen] alle Fluthen uͤberhaupt
ſehr ſtark. Die Neujahrs-Eilande, von denen wir uns nunmehro entfern-
ten, ſind unter 54° 46′ Suͤdlicher Breite und 64° 30′ Weſtlicher Laͤnge be-
legen. Das groͤſte hat ohngefaͤhr ſechs große See-Meilen, dasjenige aber,
woran wir vor Anker lagen, nur zwiſchen drey und vier, im Umfang. Wir
koͤnnen ſie den Seefahrern als den beſten Erfriſchungsplatz empfehlen, der in
dieſer Welt-Gegend nur zu finden iſt. Pinguins und Seehunds-Fleiſch ſind
freylich keine Leckerbiſſen, aber beydes giebt doch unſtreitig eine geſundere
Nahrung als das gewoͤhnliche Poͤckel-Fleiſch. Ueberdem haben wir auf un-
ſern Excurſionen auch etwas Sellerie und Loͤffelkraut angetroffen, und da der
Eilande mehrere ſind, ſo werden, auf einem oder dem andern, dieſe Kraͤuter ge-
wiß in genugſamer Menge vorhanden ſeyn, um der Mannſchaft gute blutreini-
gende Suppen davon zu machen. Gefluͤgel iſt ſo haͤufig da, daß unſre Ma-
troſen etliche Tage nach einander nichts als junge Pinguins und See-Raben
aßen; und ſie behaupteten, die See-Raben ſchmeckten faſt ſo gut als Huͤhner.
Die See-Baͤren ſind auch nicht zu verachten; allzujung iſt das Fleiſch ſehr
weichlich, und daher ekelhaft. Von einem voͤllig erwachſenen ſchmeckt es beſſer,
und wohl ſo gut als ſchlechtes Rindfleiſch, die aͤlteren Baͤren und Loͤwen
hingegen waren, ihres widrigen Geruchs halber, ſchlechterdings nicht zu ge-
nießen.


So
[409]in den Jahren 1772 bis 1775.

So lange es Tag blieb, liefen wir an der oͤſtlichen und ſuͤdlichen Kuͤſte1775.
Januar

von Staaten-Land hin und alsdenn Oſt-Suͤd-Oſtwaͤrts, um, auch waͤhrend
des dritten Sommers, den wir in dieſer Hemisphaͤre zubringen ſollten, einen
neuen Verſuch gegen Suͤden anzuſtellen. Der Wind ward bald ſo heftig, daß
er uns eine große Bram-Stenge zerbrach, weil er aber unſerm Laufe guͤnſtig
war, ſo achteten wir des Schadens nicht. Am fuͤnften zeigte ſich um die Son-
ne ein Kreis oder Hof von ſehr betraͤchtlichem Durchmeſſer. Das innere Feld
war dunkel, der Rand hingegen hell und an der Außenlinie mit einigen Regen-
Bogen-Farben ſchwach ſchattirt. Die Matroſen nahmen dieſe Erſcheinung
fuͤr das Wahrzeichen eines bevorſtehenden Sturms, allein das Wetter blieb,
noch verſchiedene Tage nachher, unveraͤndert gelinde; ein neuer Beweiß, daß
dergleichen Vorzeichen nicht allemahl zu trauen iſt.


Die neueſten in England und Frankreich herausgekommenen Karten
deuten zwiſchen 40° und 53° Grad weſtlicher Laͤnge, und 54° und 58° Suͤd-
licher Breite eine große Kuͤſte an, die bereits in einer Karte des Ortelius,
vom Jahr 1586, ja ſogar ſchon in der Mercatorſchen Karte, vom Jahr
1569, angezeigt worden. Der Name Golfo de San Sebaſtiano, den man
ihr in beſagten Karten beylegt, ſcheint die Entdeckung den Spaniern zuzueig-
nen. *) Ueber einen Theil des Diſtricts, wo die weſtliche Kuͤſte dieſes Meer-
Buſens haͤtte liegen ſollen, ſeegelten wir weg, fanden aber nirgends eine Spur
von Land. Auch Capitain Fourneaux war im verwichnen Jahr, bey ſeiner
Ruͤckkehr nach dem Vorgebuͤrge der guten Hoffnung, queer uͤber die angebliche
Lage des ganzen Meerbuſens weggefahren, zuerſt in der Breite von 60, her-
nach von 58 Graden, zwiſchen dem 60 und 40 Grad weſtlicher Laͤnge, hatte
aber ebenfalls kein Land zu Geſicht bekommen. Dieſer Meerbuſen muß alſo
entweder gar nicht vorhanden, oder wenigſtens auf allen Karten unrichtig ange-
zeigt ſeyn; letzteres duͤnkt mir wahrſcheinlicher als das erſte, denn warum ſoll-
te man ſo etwas gerade zu erdichtet haben?


Forſter’s Reiſe u. die Welt zweyter Th. F f f
[410]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Januar.

Nachdem wir bis jenſeits des 58 Grades gekommen waren, ohne Eis
zu ſehen, ſo aͤnderten wir, am ſechſten des Abends um 8 Uhr unſern bisherigen
Lauf und ſteuerten nordwaͤrts. In Abſicht des Eiſes ſind die Jahre einander
ſehr ungleich; denn An. 1700, gerade um eben dieſe Jahreszeit, fand Doctor
Halley ſchon im 52 Grade ſehr viel. — Am achten fiel ein ſtarker Abend-
Thau, welches man bisher als das unfehlbarſte Vorzeichen angeſehn, daß in
der Naͤhe Land ſeyn muͤſſe, und die Matroſen hielten dieſe Vermuthung fuͤr
deſto glaubwuͤrdiger, weil ſich ſeit unſrer Abreiſe von Staaten-Land oft
Sturm-Voͤgel, Albatroſſe und See-Hunde hatten ſehen laſſen. Nachdem
wir den 54° der Breite erreicht, aͤnderten wir unſern Lauf abermahls, und lie-
fen wieder oſtwaͤrts um das Land aufzuſuchen, welches Herr Duclos Guyot
am Bord des ſpaniſchen Schiffes der Loͤwe (Leon) entdeckte, als er auf der
Ruͤckkehr von Peru, im Februar des Jahrs 1756, von Callao abgereiſet, und
mitten im Winter um Cap Horn geſegelt war. *)


Es ließen ſich noch immer viel See-Voͤgel bisweilen auch Pinguins
und Meergras ſehen, als am 14ten der Officier, der des Morgens die Wache
hatte, dem Capitain meldete, daß ſich in der Ferne eine Eis-Inſel zeige. Wir
ſeegelten den ganzen Tag darauf zu, fanden aber am Abend, daß das, was
wir fuͤr Eis hielten, wuͤrkliches Land, und zwar von betraͤchtlicher Hoͤhe, auch
faſt durchgehends mit Schnee bedeckt ſey. Alle Umſtaͤnde ließen vermuthen,
daß dieſes eben die von Herrn Guyot ſogenannte Isle de St. Pierre ſey, nach
welcher wir ſuchten und deren ſuͤdliche Spitze dieſer Seefahrer im Junius 1756
entdeckt hatte. Er giebt in ſeinem Tagebuch die Laͤnge auf 38° 10′ weſt-
waͤrts von Greenwich an, dies trift mit unſern, an der Nordweſtlichen Spitze
angeſtellten Beobachtungen genau zu. Das Suͤdoſtliche Ende iſt, unſern Ob-
ſervationen nach, nur um 30 bis 40 Meilen weiter gegen Weſten belegen. **)
[411]in den Jahren 1772 bis 1775.
Dieſer ſo genauen Uebereinſtimmung ohnerachtet wollten es einige unſrer Rei-1775.
Januar.

ſegefaͤhrten, doch noch immer nicht fuͤr Herrn von Guyot’s Inſel, ſondern fuͤr
eine bloße Eismaſſe gelten laſſen. Den folgenden Tag ward es ſo neblicht, daß
wir nichts von der Inſel ſehen konnten, dabey war es ſehr ſtuͤrmiſch und kalt.
Das Thermometer ſtand auf 34½° und auf dem Verdeck lag tiefer Schnee.
Am 16ten fruͤh Morgens klaͤrte ſich das Wetter wiederum auf, und wir er-
blickten das Land von neuem. Die Berge waren erſtaunlich hoch und bis auf
einige wenige ſchwarze oͤde Klippen nebſt etlichen hohlen uͤber der See hangen-
den Felſen, durchaus, oft bis ans aͤuſſerſte Ufer, mit Schnee und Eis bedeckt.
Ohnweit dem Suͤd-Ende lagen etliche niedrige Inſeln, den Neujahrs-Ei-
landen
aͤhnlich, und dem Anſehen nach gruͤn bewachſen, weshalb wir ſie auch
die gruͤnen Eilande nannten. Da der Hauptentzweck unſerer Reiſe dahin
gieng, die See in hohen ſuͤdlichen Breiten zu unterſuchen, ſo ſtellte mein Va-
ter dem Capitain vor, dies Land muͤſſe billig den Namen des Monarchen tra-
gen, auf deſſen Befehl die Reiſe, blos zum Nutzen der Wiſſenſchaften, unter-
nommen worden, damit dieſer Name in beyden Halbkugeln mit Ruhm auf die
Nachwelt gelange:


Tua ſectus orbis
Nomina ducet!

HORATIUS.
()

Dieſer Grund fand Beyfall; das Land ward Suͤd-Georgien benannt, und
was ihm an Fruchtbarkeit und Anmuth fehlt, mag die Ehre erſetzen, die eine
ſolche Benennung mitzutheilen vermag.


Nachmittags erblickten wir, am Noͤrdlichen Ende von Suͤd-Geor-
gien
, zwey felſigte Eilande, die ohngefehr eine See-Meile von einander ent-
fernt lagen, und durchaus oͤde und unfruchtbar ausſahen. Dem ohnerachtet
ſteuerten wir auf ſie zu, und ſeegelten um fuͤnf Uhr zwiſchen beyden durch.
Das noͤrdlichſte beſtand aus einem ſchroffen, faſt ſenkrechten Felſen, wo viele
tauſend See-Raben geniſtet hatten. Es liegt unter dem 54° ſuͤdlicher Brei-
te und 38° 25′ weſtlicher Laͤnge, und ward Willis Eiland von uns genannt.
Das ſuͤdliche war an der Weſt-Seite nicht ſo ſteil, ſondern lief ſchraͤg gegen
die See herab, auch war es in dieſer Gegend mit Gras bewachſen, und ein
F f f 2
[412]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Januar.
Sammelplatz unzaͤhlicher Voͤgel verſchiedner Art, vom groͤßten Albatroſſe bis
zum kleinſten Sturm-Finken. Dies brachte ihm den Nahmen Bird-Island
(Vogel-Inſel) zu Wege. Um das Schiff flatterten große Schaaren von
Seeraben, Pinguins, Tauchern und anderm [Seegefluͤgel, ließen] ſich manchmahl
auf den Waſſer nieder, und ſchienen uͤberhaupt in dieſem kalten Erdſtrich
recht zu Hauſe zu ſeyn. Außerdem gab es auch Meerſchweine, und viele See-
hunde allhier; letztere beſuchen dieſen oͤden Strand, vermuthlich um dort ihre
Jungen zu werfen.


So lange es hell blieb, ſetzten wir unſern Lauf laͤngſt der nordoͤſtlichen
Kuͤſte fort, legten mit Einbruch der Nacht bey und giengen erſt des Morgens um
drey Uhr wieder unter Seegel. Das Land hatte ein aͤußerſt rauhes und wuͤſtes
Anſehen. Die Berge waren ſo ſchroff und gaͤhe, als wir ſie noch nirgend gefunden,
die Gipfel beſtanden aus zackigen Felſenſpitzen, und alle Zwiſchenraͤume waren
mit Schnee angefuͤllt. Nach Verlauf einiger Stunden kamen wir bey einer
Bay voruͤber, die wegen etlicher darinn vorhandenen kleinen, gruͤn bewachſenen
Inſeln, die Bay der Eilande benannt wurde. Bald nachher kam eine zwote
Bay zum Vorſchein, auf die wir ſogleich hinſteuerten, zumahl da zwo bis drey
Meilen weit von der Kuͤſte uͤberall Grund zu finden war. Gegen neun Uhr ließ
der Capitain ein Boot in See ſetzen und fuhr nebſt einem See-Cadetten, meinem
Vater, Dr. Sparrmann und mir nach der Bay. In der Muͤndung duͤrfen
ſelbſt die groͤßten Schiffe nicht beſorgen auf den Grund zu gerathen, denn der
war mit einer Senkſchnur von 34 Faden nicht zu erreichen. Im innerſten der
Bay fanden wir eine Maſſe feſten dichten Eiſes, dergleichen man wohl in den
Spitzbergiſchen Haͤven antrift *). Dieſer Eisklumpen hatte viel aͤhnliches mit
den herumſchwimmenden Eilanden, die in hohen ſuͤdlichen Breiten in unzaͤhlba-
rer Menge vorhanden ſind. Unmittelbar an der See war das Ufer zwar ohne
Schnee, aber doch ganz wuͤſt und unfruchtbar, und an vielen Orten ſenkrecht.
Indeſſen fanden wir eine lange hervorragende Spitze, wo das Boot ohne Beſorg-
niß vor den Wellen anlegen konnte, und hier ſtiegen wir aus. Der Strand war
ſehr ſteinigt, und voller Seehunde, in deren Mitte ein ungeheuer großes Thier
lag, welches wir von weiten fuͤr ein Felſenſtuͤck hielten. Als wir naͤher hinzu-
[413]in den Jahren 1772 bis 1775.
kamen, zeigte ſich, daß es der Anſonſche See-Loͤwe war, und da er eben ſchlief,1775.
Januar.

ſo konnte ihn unſer junger See-Cadet mit leichter Muͤhe eine Kugel durch den
Kopf jagen. Ohnweit davon lag noch ein juͤngeres Thier von eben derſelben
Art; es war uͤber den ganzen Leib dunkelgrau mit einer olivenfarbnen Nuͤance,
ſo wie die Seehunde in der noͤrdlichen Halbkugel; dieſen glich es auch darin,
daß die Vorderfuͤße weniger Floßen artig als die Hinterfuͤße, und daß aͤußerlich
am Kopfe nicht eine Spur von Ohren zu ſehen war. Die Schnauze hieng weit
uͤber das Maul, und beſtand aus einer runzlichen loſen Haut, die das Thier,
wenn es boͤſe wird, vielleicht aufblaͤßt. In dem Falle mag ſie eine ſolche
Kamm-aͤhnliche Geſtalt bekommen, als ihr auf der Kupferplatte in Anſons Rei-
ſen beygelegt iſt. Das Thier, welches uns zu dieſer Beobachtung Anlaß gab,
war dreyzehn Fuß lang, aber verhaͤltnißmaͤßig viel ſchlanker als der gemaͤhnte
Seeloͤwe auf Staaten Land*). Wir fanden auch in dieſer Gegend einen
Trupp von mehr denn zwanzig Pinguins von ganz ungewoͤhnlicher Groͤße. Sie
wogen nicht weniger als vierzig Pfund, und waren 39 engliſche Zoll lang, der
Bauch vorzuͤglich gros, und mit Fett gleichſam uͤberzogen. An jeder Seite des
Kopfs hatten ſie einen ovalen zitrongelben Fleck mit ſchwarzem Rande; am gan-
zen Obertheil des Koͤrpers ſchwarze, hingegen unten und vorn, ſelbſt unter den
Floßen, ſchneeweiße Federn. Dieſe Voͤgel waren ſo wenig ſcheu, daß ſie an-
faͤnglich kaum von uns fort watſchelten, ohnerachtet wir einen nach den andern
mit Stoͤcken zu Boden ſchlugen. Bey unſerer Ruͤckkehr am Bord fanden wir,
daß dieſe Gattung von Herrn Pennant in den Philoſophiſchen Transactionen
unter dem Nahmen Patagoniſcher Pinguins bereits beſchrieben worden, und
daß ſie, mit jenen, die auf den Falklands Inſeln, gelbe oder Koͤnigs Pinguins
genannt werden, vermuthlich von einerley Art ſind **). Die Seehunde, die ſich
hier aufhielten, waren viel grimmiger, als die auf den Neujahrs Eilanden. Anſtatt
daß jene vor uns flohen, bellten uns hier ſchon die kleinſten von den Jungen an,
F f f 3
[414]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Januar.
und liefen hinter her, uns zu beißen. Es waren lauter ſogenannte Seebaͤren,
und nicht ein einziger gemaͤhnter Seeloͤwe darunter. Um uns etwas weiter um-
zuſehen, ſtiegen wir auf einen kleinen 24 Fuß hohen Erdhuͤgel, der mit zweyer-
ley Pflanzen bewachſen war, naͤmlich mit der auf den Neujahrs-Eilanden ſo
haͤufigen Grasart (dactylis glomerata) und mit einer Gattung Pimpernelle
([Sanguiſorba]). Hier ließ Capitain Cook die brittiſche Flagge wehen, und
begieng die laͤcherliche aber gewoͤhnliche Feyerlichkeit, von dieſen unfruchtbaren
Felſen im Nahmen Sr. Grosbrittaniſchen Majeſtaͤt, deren Erben und Nachfol-
ger Beſitz zu nehmen! Zwey oder drey Flintenſchuͤſſe bekraͤftigten die Cerimonie,
daß die Felſen wiederhallten, und Seehunde und Pinguins, die Einwohner die-
ſer neuen Staaten, voll Angſt und Beſtuͤrzung erbebten! So flickt man einen
Kieſel in die Krone, an die Stelle des herausgeriſſenen Edelſteins!


Die Felſen beſtanden aus blaͤulicht grauem Schiefer, der in waagrech-
ten Schichten, am Strande aber in einzelnen Bruchſtuͤcken umher lag. So weit
wir dieſe Steinart unterſuchen konnten, enthaͤlt ſie hier keine andre Mineralien;
das Land iſt alſo auch von dieſer Seite unbrauchbar, und folglich ganz und gar
wuͤſt und wild zu nennen. Wir hielten uns nicht lange auf, ſondern kehrten
mit den Seehunden, Pinguins, und Seeraben, die wir erlegt hatten, ans
Schif zuruͤck. Die Bay ward Poßeßion-Bay genannt, und liegt unter 54°.
15′. ſuͤdlicher Breite und 37°.15′. weſtlicher Laͤnge. Waͤhrend unſerm Aufent-
halt am Lande ſahen wir, daß die kleinen Eisſchollen aus der Bay ſeewaͤrts trie-
ben, indeß von den groͤßern Maſſen, die, im Innerſten der Bay, vermuthlich berſten
mußten, ein großes Krachen zu hoͤren war. Die zwey folgenden Tage ſeegelten
wir noch immer laͤngſt der Kuͤſte hin, und entdeckten verſchiedne Bayen und Vor-
gebuͤrge, die in folgender Ordnung benahmt wurden, Cumberland-Bay, Cap
George
, Royal-Bay, Cap Charlotte
und Sandwich-Bay. Das Land
blieb uͤberall von einerley Anſehen, die ſuͤdwaͤrts gelegenen Berge waren gewal-
tig hoch, und die Gipfel, in unzaͤhlige lange, Flammen-artig geſtaltete, Fel-
ſenſpitzen getheilt. Herr Hodges hat dieſe Ausſicht ganz meiſterlich gezeichnet!


Am 19ten erreichten wir das ſuͤdoͤſtliche Ende von Suͤd-Georgien und
fanden, daß dieſes Land eine 50 bis 60 Seemeilen lange Inſel iſt. Ohnweit
dieſer Spitze liegt unterm 54°.52′ ſuͤdlicher Breite und 35°.50′ weſtlicher
[415]in den Jahren 1772 bis 1775.
Laͤnge eine Klippe, die wir Coopers Eiland nannten, bald darauf entdeckten1775.
Januar.

wir ohngefaͤhr 14 Seemeilen weit gen Suͤdoſten, eine andere Inſel, deren
Groͤße ſich aber noch nicht beſtimmen lies.


Dieſem neuen Lande ſeegelten wir am 20ſten, des Morgens entgegen,
nachdem wir die ſuͤdliche Spitze der Inſel Georgien nun ſo weit verfolgt hatten,
daß uns am 16ten die entdeckten gruͤnen Eilande wieder im Geſicht lagen. Seit
vier Tagen war das Wetter ſehr klar und zu Entdeckungen guͤnſtig, auch der
Wind gemaͤßigt und die Witterung gelinde geweſen. Allein kaum hatten wir
dieſe Kuͤſte verlaſſen, ſo entſtand unter Nebel und Regen ein ſo heftiger Wind,
daß wir unſre Mars-Seegel einziehen mußten. Zum Gluͤck hielt dies ſtuͤrmi-
ſche Wetter nicht lange an, denn um Mitternacht ward es ſchon wieder Wind-
ſtille. Das neue Land, auf welches wir zu ſeegelten, war in Nebel gehuͤllt, da-
her wir aus Vorſicht drey Tage lang beſtaͤndig lavirten.


Das truͤbe Wetter und der friſche Wind, hielten am 23ſten noch immer
an, und alſo ſeegelten wir, um deſto ſicherer zu ſeyn, gerade ſeewaͤrts, als Lieutenant
Clerke, gegen eilf Uhr mit einmahl Brandungen entdeckte, die kaum eine halbe
Meile vor uns lagen, und zu gleicher Zeit verſchiedne Seeraben wahrnahm, die
ſelten weiter als eine halbe Meile vom Lande zu gehen pflegen. Nun merkten
wir erſt, daß wir waͤhrend dieſes neblichten Wetters, ohne es ſelbſt zu wiſſen,
oder inne zu werden, rund um das neue Land geſegelt, folglich in der aͤußerſten
Gefahr geweſen waren, Schifbruch zu leiden. In demſelben [Augenblick], da wir
den beſonderen Schutz der Vorſehung erkannten, ward auch das Schif gerade
vom Lande abgewendet, zumahl da der Nebel noch immer anhielt und mit Wind-
ſtillen abwechſelte. Abends klaͤrte ſich endlich das Wetter auf, und ließ uns
beydes, die Inſel Georgien und das Eiland, welches wir umſeegelt, deutlich
ſehen. Letzteres war von geringem Umfang, aber mit einer Menge einzelner
zerſtreuten Klippen umgeben. Dieſe ganze Gruppe gefaͤhrlicher Felſen ward
nach dem, der ſie entdeckt hatte, Clerkes Rocks (d. i. Clerkens Felſen) genannt.
Sie liegt unterm 55°. ſuͤdlicher Breite und 34°.50′ weſtlicher Laͤnge. Fruͤh
am 25ſten ſteuerten wir oſtwaͤrts und hernach etwas ſuͤdlicher, um zu guter letzt
noch einen Lauf gen Suͤden vorzunehmen, ehe wir nach gelindern Erdſtrichen zu-
ruͤck kehrten.


[416]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Januar.

Man hat dafuͤr gehalten, daß alle Gegenden des Erdbodens, ſelbſt die
oͤdeſten und wildeſten dem Menſchen zum Aufenthalt dienen koͤnnten. Ehe wir
nach der Inſel Georgien kamen, hatten wir gegen dieſe Meynung nichts einzu-
wenden, weil ſogar die eiskalten Kuͤſten von Tierra del Fuego von einer Art
Menſchen bewohnt waren, die wenigſtens einigen, wenn gleich noch ſo geringen
Borzug vor den unvernuͤnftigen Thieren voraus hatten. Allein, in Vergleich
mit Suͤd-Georgien, iſt das Clima von Tierra del Fuego gelinde, denn wir
haben wenigſtens einen Unterſchied von zehn Graden am Thermometer bemerkt.
Ueberdem hat es den Vortheil, ſo viel Holz und Strauchwerk hervorzubringen,
als die Einwohner zur hoͤchſten Noth beduͤrfen, um ſich gegen die rauhe Witterung
ſchuͤtzen, ſich zu erwaͤrmen, und ihre Speiſen zu bereiten. In Neu-Georgien
hingegen fehlt es durchaus an Holz, ja an irgend einer andern brennbaren Ma-
terie, und daher iſt es meines Erachtens unmoͤglich, daß Menſchen, und zwar
nicht etwa dumme, erſtarrte Peſcheraͤhs, ſondern ſelbſt die erfahrenſten, und
mit allen Huͤlfsmitteln bekannten Europaͤer, dort wuͤrden ausdauren koͤnnen.
Schon der Sommer iſt in dieſer neuen Inſel ſo entſetzlich kalt, daß das Ther-
mometer waͤhrend unſerer Anweſenheit nicht zehn Grade uͤber den Gefrierpunct
ſtieg; und ob wir gleich mit Recht vermuthen koͤnnen, daß im Winter die Kaͤlte
nicht in eben dem Verhaͤltniß zunimmt, als in unſrer Halbkugel, ſo muß doch
wenigſtens ein Unterſchied von 20 bis 30 Graden ſtatt finden. Hoͤchſtens
wuͤrde es alſo ein Menſch den Sommer uͤber allhier ausſtehen koͤnnen, die Winter-
kaͤlte hingegen wuͤrde ihn ohnfehlbar toͤdten, dafern er naͤmlich keine andre Mittel
haͤtte, ſich ihrer zu erwehren, als die das Land hervorbringt. Außerdem, daß
Suͤd-Georgien auf ſolche Art fuͤr Menſchen unbewohnbar iſt, ſo hat es allen
Anſchein nach, auch nicht das geringſte Product, um deswillen europaͤiſche Schiffe
nur zuweilen dorthin gehen ſollten. Seebaͤren und Seeloͤwen, deren Thran-Oel
ein Handels-Artikel iſt, findet man weit haͤufiger auf den wuͤſten Kuͤſten von
Suͤd-Amerika, auf den Falklands- und Neujahrs-Eilanden, und an allen dieſen
Orten ſind ſie mit weit minder Gefahr zu bekommen. Sollten die Wallfiſche
des noͤrdlichen Eismeeres vermittelſt unſrer jaͤhrlichen Fiſchereyen jemahls ganz
ausgerottet werden, ſo wuͤrde es Zeit ſeyn, dergleichen in der andern Halbkugel,
wo ſie bekanntermaaßen haͤufig ſind, aufzuſuchen. Doch auch alsdenn waͤre es
unnuͤtz
[417]in den Jahren 1772 bis 1775.
unnuͤtz desfalls bis nach Suͤd-Georgien zu gehen, ſo lange man ſie nehmlich an1775.
Januar.

der Kuͤſte von Suͤd-Amerika, bis zu den Falklands-Inſeln herab in ſo großer
Menge antrift! Die Portugieſen, und ſelbſt die Nord-Amerikaner haben ſeit
einigen Jahren in gedachten Gegenden einen betraͤchtlichen Wallfiſchfang einge-
richtet. Wenn alſo Suͤd-Georgien dem menſchlichen Geſchlechte ſchon in der
Folge einmahl wichtig werden koͤnnte; ſo iſt dieſer Zeitpunkt vorjetzt doch noch
ſehr weit entfernt, und wohl nicht eher zu gewarten, als bis Patagonien und
Tierra del Fuego ſo ſtark bewohnt und geſittet, als es jetzt in aͤhnlichen Breiten
auf der noͤrdlichen Halbkugel, Schottland und Schweden ſind.


Am 26ſten liefen wir bey friſchem Winde, und fuͤr das hieſige Clima
ziemlich klarem Wetter gen Suͤden. Die letzten Pinguins, die wir auf Suͤd-
Georgien
bekommen, waren nunmehr verzehrt, und wir mußten uns wieder
an unſre gewoͤhnliche ekelhafte eingeſalzene Koſt halten. Doch die Vorſtellung,
nun bald wieder nach dem Vorgebuͤrge der guten Hoffnung zu kommen, machte
uns einen großen Theil aller Unannehmlichkeiten ertraͤglich. Am 27ſten be-
fanden wir uns um Mittag unterm 59½° ſuͤdlicher Breite, und ſahen verſchied-
ne Mallemucken (procellaria glacialis) die in dieſen hohen Breiten gemeinig-
lich Vorlaͤufer des Eiſes ſind. Wir bekamen auch in der That, zwiſchen ſechs
und ſieben Uhr verſchiedne Eis-Eilande, und eine Menge loſes Eis zu Geſicht.
Das neblichte, naſſe Wetter, welches dieſen Tag einfiel, hinderte uns ferner,
ſo gerade als bisher gen Suͤden herabzuſteuern.


Am folgenden Morgen fanden wir uns von einer großen Eismaſſe umge-
ben, und am Nachmittage ſtießen wir auf etliche feſte Eisfelder nebſt vielen loſen
Eisſtuͤcken, welches uns zu jedermanns herzlicher Freude umzukehren [noͤthigte].
Die Mannſchaft war nun auch in der That dieſes ſtrengen Clima’s ganz und gar
uͤberdruͤßig, weil das ſtete Wachen, die Anſtrengung und die Arbeit, welche zu
Abwendung der mannigfaltigen und oft zu ſchnell einbrechenden Gefahren erfor-
dert wurde, ſie unglaublich ſehr abgemattet und ausgemergelt hatte. Wir wa-
ren nun um wenige Meilen jenſeits, des 60°. ſuͤdlicher Breite gekommen, als
wir wieder, je nachdem Wind, Nebel und Eis es zuließ, allmaͤhlig anfien-
gen, herauf nach Norden zu ſteuern. Viele von den Matroſen hatten ſich durch
beſtaͤndige Verkaͤltungen rheumatiſche Schmerzen zugezogen. Andre fielen oft
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Theil. G g g
[418]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Januar.
in lange anhaltende Ohnmachten, und wie konnte das anders ſeyn, da bey ſo
ungeſunder ſaftloſer Nahrung der Abgang der Lebensgeiſter nicht hinlaͤnglich er-
ſetzt wurde. Das Thermometer ſtand in dieſer Gegend auf 35°. ein Grad der
Kaͤlte, der nebſt anhaltenden Schnee-Schauern, und feuchter neblichter Luſt, die
Geneſung der Patienten ungemein verzoͤgerte. Weil wir aber nunmehro wieder
nach Norden giengen, ſo durften wir uns auch bald ein gelinderes Clima verſpre-
chen, wenigſtens fiel es niemanden ein, daß unſre Geduld abermahls durch neue
Verzoͤgerung gepruͤft werden ſollte. Es ſchien aber nun einmahl ſo beſtimmt zu
ſeyn, daß wir uns in unſerer Rechnung immer irren mußten. — Anjetzt gerie-
then wir von neuem [an] ein andres gefrornes Land


Dark and wild, [beat] with perpetual Storms of whirlwind and dire
hail; which on firm land [thaws] not, but gathers heap, and ruin ſeems of
[ancient] pile.

Milton.


Dieſe Entdeckung erfolgte am 31ſten Januar, um ſieben Uhr des Mor-
gens, bey ſo neblichten Wetter, daß wir nicht uͤber fuͤnf Meilen in die Runde
ſehen konnten. Wir liefen ohngefaͤhr eine Stunde lang drauf zu, bis auf eine
halbe Meile von den Klippen — Dieſe waren ſchwarz voller Hoͤlen, dabey ſenkrecht
und erſtaunlich hoch; der Obertheil bewohnt von vielen Seeraben, und unter-
halb beſpuͤlt von tobenden Wellen. Dicke Wolken bedeckten die hoͤheren Ge-
buͤrge, nur ein einziger maͤchtiger und dick beſchneyter Pick ragte weit uͤber das
Gewoͤlk hinaus. Jedermann war der Meynung, daß er, dem Augenmaaß
nach, wenigſtens zwey Meilen ſenkrechter Hoͤhe haben muͤſſe. Ohnweit dem
Lande, zeigte das Senkbley 170 Faden Tiefe, und nun wandten wir das Schif
gen Suͤden, um die weſtliche Spitze des neu entdeckten Landes zu umſeegeln.


Auf dieſem Strich waren wir kaum eine Stunde lang fortgeſteuert, als
wir ohngefaͤhr fuͤnf See-Meilen weit gen Suͤd-Suͤd-Oſten ein hohes Gebuͤrge
erblickten, an dem wir Nachts zuvor dicht vorbey gekommen ſeyn mußten. Da
dies das ſuͤdlichſte Ende dieſes Landes war, ſo nannte es mein Vater das
Suͤdliche Thule und Capt. Cook behielt dieſe Benennung bey. Es liegt un-
term 59°.30′ Suͤdlicher Breite und 27°.30′ weſtlicher Laͤnge. Um ein Uhr
Nachmittags wandten wir das Schif abermahls, und ſeegelten nordwaͤrts um
[419]in den Jahren 1772 bis 1775.
die Spitze, die wir zuerſt entdeckt hatten. Dieſe ſahe nunmehr deutlich als ein1775.
Januar.

einzelner abgeſonderter Felſen, neben einem großen Vorgebuͤrge, aus. Ein deut-
ſcher Matroſe, Friesleben, hatte dieſen Felſen zuerſt geſehn, und desfalls gab ihm
Cap. Cook den Nahmen Frieslands-Haupt. Er liegt unter 58°.55′ ſuͤdlicher
Breite und 27°. weſtlicher Laͤnge. Das Vorgebuͤrge daneben ward Cap Briſtol
genannt, und ſcheint mit dem Suͤdlichen Thule verbunden zu ſeyn, indem wir
weit gegen Oſten Land erblickten, welches einer ſehr geraumigen Bay gleichſahe.
Cap. Cook getraute ſich nicht, mit genauer Unterſuchung dieſer Kuͤſte Zeit zu
verliehren, indem er hier, bey zu beſorgendem Weſtwinde, ſtets der aͤußerſten Ge-
fahr ausgeſetzt war. Er wollte daher lieber die Nordſeite dieſes Eilands befah-
ren, die dem See-Mann auch in aller Abſicht die wichtigſte ſeyn mußte. Wir
hielten uns, bey ſehr ſchwachem Winde zwo bis drey See-Meilen vom Lande, das
aller Orten ſteil und unzugaͤnglich war. Die Berge waren erſtaunlich hoch, ihre
Gipfel immer mit Wolken, der untere Theil hingegen dermaaßen mit Schnee
bedeckt, daß es ſchwer zu entſcheiden geweſen waͤre, ob wir Eis oder Land vor
uns hatten, wenn man letzteres nicht, an einigen ſchraͤgen Hoͤhlen erkannt haͤtte,
die ſich in uͤberhangenden Felſen dicht an der See befanden.


Am folgenden Morgen kamen wir bey einer andern vorſpringenden Land-Februar.
ſpitze voruͤber, die Capt. CookCap Montague nannte. Zwiſchen dieſer und
dem Cap Briſtol, iſt allem Anſehen nach eine Bay vorhanden, und dieſe beyden
Vorgebuͤrge gehoͤren zu einem und demſelben Lande. Weiter gegen Norden ent-
deckten wir eine andre Spitze, die wir aber bey mehrerer Annaͤherung bald fuͤr
eine abgeſonderte Inſel erkannten, und ihr den Nahmen Saunders-Eiland bey-
legten. Sie war nicht niedriger, als die bergigte Kuͤſte in Suͤden, und gleich
ſelbiger, mit Eis und Schnee bedeckt. Sie liegt unterm 57°.48′ ſuͤdlicher
Breite und 26°.35′ weſtlicher Laͤnge.


Nachts hatten wir wenig Wind, bey anbrechenden Tage aber ſteuerten wir
oſtwaͤrts, um bey Saunders-Eiland herumzukommen. Auf dieſem Lauf entdeck-
ten wir nordwaͤrts von uns zwo kleine Inſeln, die nach dem Tage der Entdeckung
Candle mas Isles (Lichtmeß-Inſeln) genannt wurden. Des widrigen Win-
des wegen konnten wir die noͤrdliche Spitze von Saunders-Eiland nicht um-
ſchiffen, ſondern mußten laviren. Dies Manoͤvre brachte uns ſo nahe an die
G g g 2
[420]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Februar.
Kuͤſte, daß wir auf einer flachen Spitze, die ſich weit in See erſtreckt, große
unfoͤrmliche Haufen von zerbrochnen Schiefer-Stuͤcken, und jenſeit derſelben
nichts als ſcharfe Felſenſpitzen und Bergruͤcken entdeckten. Ueberhaupt hatte
das ganze Land den oͤdeſten, ſchreckenvolleſten Anblick, den man ſich nur denken
kann. Nicht eine Spur von Gruͤn, ja nicht einmahl die unfoͤrmlichen Amphi-
bien, die wir auf Neu Georgien fanden, waren hier zu ſehen. Kurz wir konnten
nicht umhin, jene Beſchreibung des Plinius auf ſie anzuwenden, die dahin
lautet:


Pars mundi damnata à rerum natura, et denſa merſa caligine.
Hiſt. Nat. lib. XV. c. 36.
()

Am folgenden Tag verſtattete uns der Wind naͤher an die Lichtmeß-In-
ſeln
heran zu kommen, und ihre Lage auf 57°.10′ ſuͤdlicher Breite und 27°.
6′ weſtlicher Laͤnge zu beſtimmen. Da nunmehro von dem gegen Suͤden be-
findlichen Lande, deſſen noͤrdliche Spitze wir umſeegelt hatten, nichts mehr zu
ſehen war, ſo ſteuerten wir wieder gen Oſten. Capitain Cook nannte es anfaͤng-
lich Schneeland, aͤnderte aber dieſe Benennung in Sandwich-Land. Ich
ſollte faſt glauben, daß die alten Seefahrer dies Land ſchon entdeckt, und unter
den Nahmen Golfo de S. Sebaſtiano und Inſel [Creſſalina] verſtanden haben.
Es iſt noch ungewiß, ob die verſchiednen vorſpringenden weſtlichen Spitzen,
Thule, Cap Briſtol, und Cap Montague, ein zuſammenhangendes Land, oder
abgeſonderte Eilande ausmachen. Vielleicht bleibt dies auch, auf viele kuͤnf-
tige Jahrhunderte unentſchieden, indem eine Seefahrt nach dieſer wuͤſten Welt-
gegend nicht allein gefaͤhrlich, ſondern auch dem menſchlichen Geſchlecht zu nichts
vortheilhaft ſeyn wuͤrde. Es war der Gegenſtand unſerer gefaͤhrlichen Reiſe,
die ſuͤdliche Halbkugel bis zum ſechszigſten Grad der Breite zu unterſuchen, und
zu entſcheiden, ob dort im gemaͤßigten Erdſtrich ein großes feſtes Land vorhan-
den ſey, oder nicht. Die verſchiedenen Curs-Linien, welche wir zu dieſem End-
zweck gehalten, haͤben aber nicht nur deutlich erwieſen, daß in der ſuͤdlichen ge-
maͤßigten Zone kein großes feſtes Land liegt, ſondern da wir innerhalb des gefror-
nen Erdguͤrtels bis zum 71ten Grade ſuͤdlicher Breite vorgedrungen ſind, ſo iſt
dadurch zugleich hoͤchſt wahrſcheinlich gemacht worden, daß der jenſeit des An-
tarctiſchen Polar-Zirkels befindliche Raum bey weitem nicht mit Land ganz an-
[421]in den Jahren 1772 bis 1775.
gefuͤllt ſey. Die gruͤndlichſten Naturforſcher dieſes Jahrhunderts haben ange-1775.
Februar.

nommen, daß um den Suͤdpol her feſtes Land befindlich ſeyn muͤſſe. Dieſe
Meynung wird freylich durch unſre Erfahrung gar ſehr geſchwaͤcht, doch kann
ihren Einſichten daraus kein Vorwurf erwachſen, weil ſie nur wenige Facta vor
ſich hatten. Ohne zu beſtimmen, ob Sandwich Land ein Theil eines groͤßern
Continents iſt, wird es nicht unrecht ſeyn zu bemerken, daß eine der Urſachen,
die man fuͤr die Exiſtenz des Continents angiebt, durch neuere Erfahrungen ver-
worfen worden. Man hat nehmlich von je her geglaubt, daß die unermeßli-
chen Eismaſſen, die in dieſem Meere ſchwimmen, am Lande von Schnee und
friſchem Waſſer entſtehen, es iſt aber nunmehro erwieſen, daß das Seewaſſer
ebenfalls gefriert, und daß das Eis, welches auf dieſe Art formirt wird, keine
Salztheilchen enthaͤlt, ausgenommen wo es das Waſſer beruͤhrt, welches ſich in
die Zwiſchen-Raͤume zieht *).


G g g 3
[422]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Februar.

Capt. Cook gab nunmehr die fernere Unterſuchung dieſer Kuͤſte auf und
ließ oſtwaͤrts ſteuern. Zu dieſem Entſchluß bewegte ihn vorzuͤglich der oͤde un-
fruchtbare Anblick dieſes Landes, die bereits kuͤrzer werdenden Tage, die heran-
nahende haͤrtere Witterung in dieſen Breiten, endlich die [Vorſtellung], daß wir
bis zum naͤchſten Erfriſchungsort noch einen langen Weg vor uns, und gleich-
wohl wenige Lebensmittel mehr uͤbrig hatten. Wir hielten uns alſo im 58°. der
Suͤd-Breite, wo wir haͤufige Schnee-Schauer bekamen, und taͤglich viele Eis-
Eilande ſahen. — Die Noͤrdlichen Winde waren hier, unſren ehemaligen Be-
merkungen zuwider, kaͤlter als die Suͤdlichen, und das giebt eine ſtarke Vermu-
thung ab, daß auf letzteren Strich (gen Suͤden) kein Land vorhanden ſey.


Das Sauerkraut, dieſe trefliche antiſcorbutiſche Speiſe, davon wir ſechs-
zig Tonnen voll aus England mitgenommen hatten, war nunmehr ganz aufgezehrt,
und vom Capitain an bis zum geringſten Matroſen bedauerte ein jeder den Man-
gel eines Gemuͤſes, mit deſſen Beyhuͤlfe man das Poͤckelfleiſch hinunterſchlucken
konnte, ohne den faulen, halb verwesten Geſchmack deſſelben ſo ganz gewahr zu
werden. Jetzt ſehnten wir uns alle nach geſunder Koſt, und ein jeder beklagte
ſich daruͤber, daß wir immer noch zwiſchen dem 58°. und 57°. blieben.


Am 15ten richteten wir unſern Lauf nach Norden, nachdem wir die Mit-
tagslinie von Greenwich paßirt hatten. Am 17ten Mittags, erreichten wir die
Breite, worauf Herr Bouvet ſeine Entdeckung, das Cap Circonciſion angiebt,
und liefen hernach auf derſelben Parallele oſtwaͤrts, um es ja nicht zu verfehlen.
Wir befanden uns dazumahl in der Laͤnge von 6°.33′ oͤſtlich von Greenwich.
Das Wetter war zu unſerm Endzweck guͤnſtig, wir hatten guten Wind und
konnten acht bis zehn große See-Meilen in die Runde ſehen. Am 19ten des
Morgens paßirten wir uͤber den Fleck, wo Herr des Loziers Bouvet dies
Vorgebuͤrge in ſeinem eignen Tagebuch angiebt *). Wir fanden aber nicht ein-
mahl das geringſte Vorzeichen von Land, und ſahen den ganzen Tag uͤber nicht
mehr als vier bis fuͤnf Eismaſſen. Bis zum 22ſten blieben wir unablaͤßig auf
derſelben Parallele, ſo daß wir um unſrer Sache gewiß zu ſeyn ſechs Grade der Laͤnge
gegen Weſten, und ohngefaͤhr ſieben gen Oſten von Herrn Bouvets vorgeblichen
[423]in den Jahren 1772 bis 1775.
Lande, durchſucht hatten. Capt. Furneaux war ebenfalls bey ſeiner Ruͤckreiſe uͤber1775.
Februar.

den ganzen Raum geſeegelt, wo die Carten den Meerbuſen S. Sebaſtian angeben,
er war zwiſchen unſern beyden Entdeckungen Georgien und Sandwich Land hindurch
gefahren, und endlich in der Breite von 54°. Suͤdwaͤrts uͤber den Meridian von
Cap Circonciſion gekommen, ohne Land zu ſehen. Es iſt alſo aͤußerſt wahrſcheinlich,
daß M. des Loziers Bouvet nichts anders als ein großes Eisfeld, mit darauf
liegenden ungeheuren Eismaſſen geſehn, dergleichen wir nach unſerer Abreiſe
vom Vorgebuͤrge der guten Hofnung am 14ten December 1772 erblickten *).
Damals waren einige unſrer Officiers feſt der Meynung, daß ſie Land geſehn,
indem das Eis in der Ferne wuͤrklich viel aͤhnliches damit hatte, und ſie auf dieſelbe
Art wie den Franzoͤſiſchen Capitain taͤuſchte. Cap. Cook wollte es außer Zweifel
ſtellen, ob in der Gegend jenes Eiſes, Land laͤge oder nicht; und lief daher am
23ſten, ohne einige Hinderniß, daruͤber weg, ja ſogar ohne ein einziges Eis-
Eiland auf dem Fleck zu ſehn, woſelbſt vor zwey Jahren und zween Monathen
unermeßliche ſchwimmende Maſſen die See bedeckten. Nachdem wir nunmehr
gewiß verſichert waren, daß kein betraͤchtliches Land in dieſem Theil des Welt-Meeres
belegen ſey, ſteuerten wir nordwaͤrts, um ſo geſchwind als moͤglich das Vorgebuͤrge
der guten Hofnung
zu Geſicht zu bekommen. Starke Nordweſt Winde noͤthigtenMaͤrz.
uns einen großen oͤſtlichen Umweg zu nehmen, bis wir am erſten Maͤrz in gerader
Linie unſern Curs auf das Cap richten konnten. Capt. Cook war bey dieſem
Winde ſchon auf den Gedanken gefallen, die Franzoͤſiſchen Entdeckungen des
Herrn Kerguelen, unterm Meridian der Mauritius Inſel zu berichtigen; allein
da unſer Vorrath von Lebensmitteln jetzt ſehr geringe war, und wir in Zeit von
zween Monathen, welche wir zu dieſer Unterſuchung haͤtten anwenden muͤſſen,
ſehr leicht bey ſo vielen Muͤhſeeligkeiten haͤtten kraͤnklich werden koͤnnen, ſo hielt
ers am rathſamſten, nicht laͤnger die See zu halten. Der Wind veraͤnderte ſich
bald wieder, und blies von Zeit zu Zeit noch immer aus Nord-Weſt. Dieſe
haͤufigen Abwechſelungen machten das See-Volk unzufrieden und ungeduldig,
indem ihre Erwartung eines beſſern Schickſals jetzt am hoͤchſten ſtand. Nie
waren die Wolken ſo genau unterſucht worden, um die Vorzeichen eines guten
[424]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Maͤrz.
Windes drinnen auszuſpaͤhen; und die allgemeine Unruhe lies ſich faſt gar nicht
beſchreiben. Unſere Reiſe hatte jetzt 27 Monathe nach der Abreiſe vom Cap ge-
dauert; ſeit welcher Zeit wir in keinem Europaͤiſchen Haven angelegt, und uns groͤß-
tentheils von geſalzenem Fleiſch genaͤhrt hatten. Wenn wir alle die Tage zuſammen-
rechneten, die wir in dieſem langen Zeitraum, am Lande zugebracht, konnten
wir nicht uͤber 180 oder kaum ein halbes Jahr herausbringen. Dies war un-
ſre einzige Erfriſchungszeit geweſen, und auch waͤhrend dieſer Tage, erhielten
wir nicht immer friſche Lebensmittel, z. B. waͤhrend der Zeit, da wir die letzten
Entdeckungen im ſtillen Meere machten. Der Lauf von Neu-Seeland nach dem
Cap der guten Hofnung war der laͤngſte und ſchwerſte, den wir je unternommen;
denn die wenigen Erfriſchungen im Chriſtmeß-Haven, und auf den Neu-Jahrs-
Eilanden
, waren nicht zureichend, der ganzen Mannſchaft mehr als vier bis fuͤnf
friſche Mahlzeiten zu geben. Setzen wir noch hinzu, den Mangel an ſo einem
geſunden Eſſen als unſer Sauerkraut war, und die allmaͤhlig zunehmende Faͤul-
nis des Poͤckel-Fleiſches, ſo wird man ſich nicht wundern, daß die Unbequem-
lichkeiten unſrer unnatuͤrlichen Lage, uns gegen das Ende dieſer Reiſe mehr als
jemahls druͤckten. Indem wir uns einem Orte naͤherten, der mit Europa in
Verbindung ſtand, ſo beunruhigten uns verſchiedne Gedanken noch mehr. Wer
Verwandte, oder Eltern hinterlaſſen hatte, befuͤrchtete, daß einige in ſeiner Ab-
weſenheit geſtorben ſeyn moͤgten; und es war nur zu wahrſcheinlich, daß dieſer
Zeitraum viele ſchaͤtzbare Verbindungen aufgeloͤſet, die Zahl unſrer Freunde ge-
mindert, und uns den Troſt und die Annehmlichkeiten ihres Umgangs entriſſen
haben wuͤrde.


Des veraͤnderlichen Windes ohnerachtet, gieng die Fahrt ſo gut von ſtat-
ten, daß wir ſchon am 15ten unſre warmen Kleider ablegen mußten, indem wir
uns damals zwiſchen dem fuͤnf und ſechs und dreyßigſten Grad der Suͤdlichen Breite
befanden. Am folgenden Morgen erblickten wir ober dem Winde ein Schif;
und drey Stunden darnach ein zweytes. Jedermann ſtrengte ſeine Augen an,
dieſe angenehmen Gegenſtaͤnde anzugaffen; ein ſicherer Beweis, daß wir uns
alle nach Umgang mit Europaͤern ſehnten, ſo ſehr wir auch unſre Herzenswuͤnſche
bisher unterdruͤckt hatten. Jetzt aber war es nicht laͤnger moͤglich zu ſchweigen;
jeder brach in die feurigſten Wuͤnſche aus; man verlangte nur einen Laut von
den
[425]in den Jahren 1772 bis 1775.
den Fremden zu vernehmen, an Bord des andern Schifs zu gehen, u. ſ. w.1775.
Maͤrz.

Wir zeigten Hollaͤndiſche Flagge, und das fremde Schif zog gleich dieſelbe auf.
Hierauf zeigten wir die Brittiſche Flagge, und feuerten ein Stuͤck unterm Win-
de *) ab; allein das fremde Schif lies noch immer die erſte Flagge wehen. Da
wir nunmehro in eine bekannte See gekommen waren, wo Europaͤiſche Schiffe
oft geſehn werden, ſo rief Cap. Cook alle Officiere und Matroſen zuſammen, und
forderte ihnen im Nahmen des Admiralitaͤts-Collegii ihre Tagebuͤcher ab, die
alle zuſammen gepackt und verſiegelt wurden. Diejenigen Perſonen, die nicht
unmittelbar zum Militaire gehoͤrten **), waren dieſer Verordnung auch nicht
unterworfen, ſondern behielten ihre Pappiere, indem ſie erſucht wurden, die be-
ſondern Lagen unſrer Entdeckungen nicht vor ihrer Ankunft in England bekannt zu
machen. Der Eifer der Brittiſchen Regierung, fuͤr den Fortgang der Wiſſenſchaf-
ten, hat ſie jederzeit angetrieben die Entdeckungen ſo auf ihren Befehl gemacht
worden, oͤffentlich bekannt zu machen; und es waͤre zu wuͤnſchen, daß auch andre
Seemaͤchte dies Beyſpiel befolgen moͤgten, anſtatt ſich gewiſſermaaßen nur ins
Suͤd-Meer zu ſchleichen, und ſich des Geſtaͤndniſſes, daß ſie da geweſen, zu ſchaͤmen.


Das fremde Schif war vermuthlich ein Hollaͤndiſches, auf der Ruͤckreiſe
von Indien, und hielt einerley Strich mit uns, doch mit dem Unterſchied, daß
wir allmaͤhlich naͤher kamen. Am 17ten Morgens warfen wir das Bley, und
fanden Grund mit fuͤnf und funfzig Faden, indem wir auf die Bank gerathen
waren, die ſich um die Suͤdliche Spitze von Afrika erſtreckt. Sogleich wurden
Angeln ausgeworfen, und ein ſogenannter Pollack (Gadus pollachius) ge-
fangen. Abends ſahen wir die Kuͤſte von Afrika, die in dieſer Gegend aus
niedrigen Sandhuͤgeln beſtand, darauf wir verſchiedne Feuer erblickten. Fol-
genden Morgen ſetzten wir ein Boot in See, und ſchicktens an Boord des Hol-
laͤnders, der ohngefaͤhr fuͤnf Meilen entlegen war. Unſre Leute kamen in weni-
gen Stunden mit der angenehmen Nachricht zuruͤck, daß ganz Europa Frieden
haͤtte. Das Vergnuͤgen, welches wir hiebey empfanden, ward aber durch die
Nachricht vom Schickſal einiger unſrer Freunde in der Adventure ſehr vermindert.
Der Hollaͤndiſche Capitain kam von Bengalen, und war ſo lange zur See gewe-
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. H h h
[426]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Maͤrz.
ſen, daß er uns keine Erfriſchungen mittheilen konnte. Nachmittags bey ſchoͤ-
nem Wetter und friſchem Winde ſahen wir zwey Schwediſche, ein Daͤniſches
und ein Engliſches Schif, die mit allen Seegeln, und wehenden Flaggen auf
dem Waſſer ſanft vorbeyfuhren, und unſern Augen eins der ſchoͤnſten Schau-
ſpiele darboten, das wir ſeit langer Zeit nicht geſehn. Am folgenden Morgen kam
das Engliſche Schif auf uns zu, und Lieut. Clerke, nebſt meinem Vater und
einem Midſchipman, giengen an Boord. Nachmittags ſtieg ein ſtarker Wind
auf, unſer Boot kam zuruͤck, und das andre Schif legte gleich um, indeß wir
ſo lange fortſeegelten, bis wir dicht unterm Lande waren. Dies Schif gehoͤrte
der Engliſchen-Oſtindiſchen Compagnie. Es hies True Briton, der Ca-
pitain, Herr Broadley, und kam von China nach Europa zuruͤck. Unſre Her-
ren konnten die Gaſtfreyheit dieſes Schifs-Capitains nicht genug ruͤhmen, der
ſie zu einem geringen Mittagsmahl (wie ers nannte) eingeladen hatte. Meine
Leſer koͤnnen ſich die Gierigkeit vorſtellen, womit drey ausgehungerte Welt-Um-
ſeegler, die ſeit ſechs Wochen kein friſches Fleiſch gekoſtet hatten, uͤber eine
Schuͤſſel fetter ſchineſiſcher Wachteln, und eine vortrefliche Gans herfielen, die
ihr guter Wirth als ſehr ſchlechte Bewirthung anſahe. Aber, da ſie erzaͤhlten, wie
lange wir von allen Europaͤiſchen Colonien abweſend geweſen, wie lange wir uns
von geſalzenem Fleiſch genaͤhrt, und wie oft wir Seehunde, Albatroße und Pinguins
als Delicateſſen genoſſen, ließen der Capitain und ſeine Steuermaͤnner die Meſ-
ſer fallen, und alle wollten aus Mitleid mit ihren Gaͤſten, nichts mehr genießen.
Beym Weggehen gab ihnen Cap. Broadley ein fettes Schwein, und etliche
Gaͤnſe, womit wir uns die beyden folgenden Tage guͤtlich thaten. Wir paßirten
das Cap Agulhas am 20ſten, und haͤtten uns beynahe von einem ſehr heftigen
Sturme beym Cap der guten Hofnung vorbey treiben laſſen, wenn wir nicht zu
gutem Gluͤck das Land fruͤh Morgens am 21ſten, durch den Nebel geſehn haͤtten.
Wir richteten uns darnach, und wagtens mehr Seegel zu fuͤhren, als wir auf
der ganzen Reiſe bey aͤhnlichem Winde gethan. Am 22ſten des Morgens ka-
men wir gluͤcklich in der Tafel-Bay vor Anker. Daſelbſt rechnete man aber den
21ſten, indem wir einen ganzen Tag durch unſre Reiſe [...][m] die Welt, von Weſten
nach Oſten, gewonnen hatten.


Errabant acti fatis maria omnia circum.
Virg.
()

[427]in den Jahren 1772 bis 1775.

Eilftes Hauptſtuͤck.
Zweeter Aufenthalt am Vorgebuͤrge der guten Hof-
nung
. — Lauf von da nach St. Helena und Aſcenſions-
Eiland
.


Wir fanden viele Schiffe in der Tafel-Bay, darunter auch ein Engliſches1775.
Maͤrz.

India-Schif, die Ceres, Capt. Newt, befindlich war. Sobald wir
die Einfahrt der Bay erreicht, und an unſerm gebleichten Tauwerk, und veral-
terten Anblick erkannt wurden, ſchickte Cap. Newt einen ſeiner Steuermaͤnner,
mit einer Ladung von friſchen Lebensmitteln, und dem Anerbieten ſeiner Dienſte,
falls unſre Mannſchaft krank waͤre. Da wir ſo lange zur See geweſen, ruͤhrte
uns dies edle Betragen, und wir fuͤhlten mit dem groͤßten Vergnuͤgen, daß wir
wieder mit Menſchen zu thun haͤtten *). Wir giengen bald drauf ans Land,
legten beym Gouverneur, und den vornehmſten Bedienten der Compagnie un-
ſern Beſuch ab, und kehrten endlich bey Herrn Brand ein, woſelbſt wir mit
derjenigen Aufrichtigkeit bewillkommt wurden, bey der man allen National-Cha-
rakter vergißt und einſehen lernt, daß wahres Verdienſt nicht auf gewiſſe Erd-
ſtriche oder Voͤlker eingeſchraͤnkt iſt. Das Wetter war ſo erſtaunlich heiß, als
wirs auf der ganzen Reiſe noch nicht empfunden hatten. Demohngeachtet ſpeis-
ten wir nach Hollaͤndiſcher Gewohnheit, gegen ein Uhr, das iſt, gerade da die
Hitze am unleidlichſten war, und fraßen mit einer Gierigkeit, die unſere lange
Faſten und alles ausgeſtandne Ungemach weit lebhafter mahlte, als die beſte Be-
ſchreibung. Jedoch, weil es unſern ausgehungerten ſchwachen Magen haͤtte
ſchaͤdlich ſeyn koͤnnen, zu viel zu eſſen, ließen wir’s uns gefallen, noch mit guten
Appetit von Tiſche zu gehen. Wir lernten gar bald den Vortheil dieſer Vorſicht
erkennen, und wurden ſichtbarlich geſund, friſch und ſtark, waͤhrend unſers
H h h 2
[428]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Maͤrz.
Aufenthalts am Cap. Die Officiere nahmen den folgenden Tag ebenfalls ein
Quartier in der Stadt; allein weil ſie ſich nicht in Acht genommen, ſondern
gleich anfangs unmaͤßig gefreſſen hatten, ſo verdarben ſie ſich den Magen, und
hatten einen Ekel an allen Speiſen, der ſie recht elend und ungluͤcklich machte.
Cap. Cook ſchickte zween oder drey ſcorbutiſche Patienten ins Hoſpital, außer
welchen alle unſre Leute ihre Arbeit verrichten konnten. Die uͤbrigen ſammelten
in kurzer Zeit neue Staͤrke beym beſtaͤndigen Gebrauch friſcher Lebensmittel,
worunter vorzuͤglich allerley Kuͤchen-Gewaͤchſe, und eine Art ſchwarzes Rocken-
Brod, die beſte Wuͤrkung thaten.


Wer kann das Vergnuͤgen beſchreiben, welches wir bey Eroͤfnung unſrer
Briefe von Verwandten und Freunden fuͤhlten? Wer kann ſich vorſtellen, wie
viel der Umgang mit Europaͤern nach einer ſo langwierigen Reiſe, dazu beytrug, alle
verhaßten Eindruͤcke des erlittenen Elends zu verwiſchen, und unſre ganze Lebhaftig-
keit wieder herzuſtellen, die ſo viele Umſtaͤnde bisher nieder gedruckt hatten? —
Wir brachten unſre Zeit ſehr angenehm zu, und ſammelten aus alten Zeitungs-
Blaͤttern die Geſchichte derer Jahre, da wir ſo zu ſagen aus der Welt verbannt
geweſen. Da die Schiffe aller Nationen im Herbſt und Fruͤhling am Cap an-
legen, ſo fanden wir den Ort weit bluͤhender als waͤhrend unſers erſten Auf-
enthalts, 1772. Außer der großen jaͤhrlichen Flotte Hollaͤndiſcher Indienfahrer,
fanden wir verſchiedne Franzoͤſiſche Schiffe von der Isle de France, oder Mau-
ritius-Inſel
, und eins aus Europa, welches eben der Herr Crozet commandirte,
der ehemals in Neu-Seeland geweſen. Etliche Daͤniſche und zwey Schwedi-
ſche Oſt-Indiſche Schiffe kamen ebenfalls in die Tafel-Bay; ein Portugieſi-
ſches Kriegs-Schif lag daſelbſt etliche Tage, und drey Spaniſche Fregatten,
davon eine von Manilla zuruͤck kehrte, die beyden andern aber dorthin be-
ſtimmt waren, hielten ſich daſelbſt einige Wochen auf.


Die großen, merkwuͤrdigen Begebenheiten, die ſich waͤhrend unſerer
Abweſenheit in Europa zugetragen, waren uns ganz unerwartet und neu. Ein
junger Held, hatte mit Guſtav Waſas Geiſte, Schweden vom Joch der Ari-
ſtocratiſchen Tyranney befreyt! Die finſtre Barbarey, die ſich im Oſten von
Europa und Aſien, ſelbſt gegen Peters Herkuliſche Kraͤfte zu erhalten gewußt,
war entflohn vor einer Fuͤrſtinn, deren Gegenwart, ſo wie das Wunder am
[429]in den Jahren 1772 bis 1775.
Nordiſchen Himmel, mit Licht-Stralen die Nacht in Tag verwandelt! End-1775.
Maͤrz.

lich, nach den Greueln des buͤrgerlichen Krieges, und der Anarchie, hatten die
groͤßten Maͤchte in Europa ſich vereinigt, den langerwuͤnſchten Frieden in Po-
len
wieder herzuſtellen; und Friedrich der Große ruhte von ſeinen Siegen,
und opferte den Muſen, im Schatten ſeiner Lorbeeren, ſelbſt von ſeinen ehe-
maligen Feinden bewundert und geliebt! Dies waren große, unerwartete Aus-
ſichten, die uns auf einmal eroͤfnet wurden, die das Gluͤck der Menſchheit ver-
ſprachen, und einen Zeitpunkt zu verkuͤndigen ſchienen, wo das menſchliche
Geſchlecht in erhabnerem Lichte als je zuvor erſcheinen wird!


Waͤhrend unſers Aufenthalts am Cap, machten wir eine kleine Spa-April.
tzier-Fahrt nach der Bay-Falſo, wo Herr Brand von der Hollaͤndiſchen Oſt-
Indiſchen Compagnie zum Commendanten ernannt war. Die Sommer Hitze
hatte faſt uͤberall das Gruͤn verbleicht, und die unzaͤhligen Straͤucher und
Pflanzen, die in Africa wachſen, ſahen faſt durchgaͤngig verbrannt aus.
Demohngeachtet ſtanden noch viele Gattungen in Bluͤthe, womit wir unſre
Kraͤuter-Sammlung vermehrten. Die Wege am Cap ſind herzlich ſchlecht,
gehen vieler Orten in tiefem Sande, und ſind unweit Falſe-Bay mit harten
Stein-Haufen bedeckt. Hin und wieder ſahen wir große Voͤlker Rebhuͤner
von beſonderer Art, die die Hollaͤnder hier unrecht Faſanen nennen. Sie
ſind nicht ſehr wild, und laſſen ſich leicht fangen und zahm machen. Die
Hollaͤnder haben eine Methode ausfindig gemacht, dieſe Voͤgel an Stellen zu
verpflanzen, wo ſie ſich ſonſt nicht aufhielten. Sie nehmen etliche Paar zahme
Rebhuͤner, tauchen ſie in Waſſer, ſtraͤuen Aſche druͤber, und ſetzen ſie ſo mit
dem Kopf unterm Fluͤgel ins Gebuͤſche, von dem ſie ſich hernach nicht mehr
entfernen. Viele Leſer werden vielleicht mit mir die Zuverlaͤßigkeit dieſes Ex-
periments in Zweifel ziehen; ich muß aber hinzuthun, daß ich es von den
glaubwuͤrdigſten Leuten am Cap gehoͤrt habe.


Die Gegend um Falſe-Bay iſt noch oͤder als um Tafel-Bay; das
ganze Land gleicht einer Wuͤſtenei, wenn man das Wohnhaus des Commen-
danten, zwey oder drey Privat-Haͤnſer, nebſt etlichen Magazinen und Arbeits-
Haͤuſern der Compagnie ausnimmt. Die Farbe der Berge iſt aber nicht ſo
dunkel oder melancholiſch, und die Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Voͤgel
H h h 3
[430]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
April.
ſehr betraͤchtlich. Antilopen halten ſich auch haͤufig in der Gegend auf. Ei-
nige bewohnen die unzugaͤnglichſten Klippen, andre hingegen die mit Gras und
kleinen Buͤſchen bedeckten Ebenen. Wir brachten einen ganzen Tag damit
zu, die Berge zu beſteigen, und kehrten von der Hitze ſehr ermuͤdet zuruͤck.
Auf den Bergen fanden wir etliche uͤberhangende Felſen, welche kleine Hoͤhlen
formiren, woſelbſt die Hollaͤndiſchen Antilopen-Jaͤger zuweilen uͤbernachten.


Simons-Bay iſt derjenige Theil von Falſe-Bay, wo die Schiffe
am beſten gegen die Gewalt der im Winter anhaltenden Nord-Weſte geſi-
chert ſind. Ein Bollwerk (pier or mole) welches neben der Wohnung des
Commendanten in See geht, macht es Schifsleuten hier eben ſo bequem, als in
Tafel-Bay, Waſſer und allerley Guͤter zu laden. Fiſche von guten, ſchmack-
haften Sorten, werden hier haͤufig gefangen, und allerley Erfriſchungen koͤn-
nen mit leichter Muͤhe von den Plantagen auf der Land-Enge, oder von der
Cap-Stadt, die nur zwoͤlf Meilen (Engl.) entlegen iſt, herbeygefuͤhrt wer-
den. Die Ankunft der Schiffe zieht verſchiedne Einwohner aus der Stadt
nach Falſe-Bay. Sie laſſen ſich das engſte und unbequemſte Quartier ge-
fallen, ehe ſie dem Vergnuͤgen mit Fremden umzugehn entſagen ſollten. Die-
ſe beſondern Umſtaͤnde geben Anlaß zu vielen naͤhern Verbindungen, welche die
Fremden nicht vernachlaͤßigen, weil es dem hieſigen Frauenzimmer weder an
Lebhaftigkeit noch Reizen fehlt.


Nach dreyen Tagen kamen wir wieder zur Stadt, woſelbſt wir die
Thiere im Thiergarten der Compagnie unterſuchten, und zu allen Pelzhaͤndlern
giengen, um eine Sammlung Antilopen-Felle zu bekommen. Man zeigte uns
auch einen lebendigen Urang-Utang, oder [Javaniſchen] Affen, dem verſchiede-
ne Philoſophen die Ehre angethan, ihn fuͤr ihren nahen Verwandten zu erklaͤ-
ren. Dieſes Thier war ohngefaͤhr zwey Fuß ſechs Zoll lang, und kroch lieber
auf allen Vieren, da es doch auf den Hinterbeinen ſitzen und gehen konnte.
Die Finger und Zehen waren ſehr lang, und die Daumen ſehr kurz; der
Bauch dick, das Geſicht ſo haͤslich, als ſich nur immer denken laͤßt, und die
Naſe etwas mehr der menſchlichen aͤhnlich, als bey andern Affen-Gattungen.
[431]in den Jahren 1772 bis 1775.
Daſſelbe Thier ward, wie ich ſeitdem gehoͤrt, in den Thiergarten des Fuͤrſten1775.
April.

von Oranien im Haag geſchickt. *)


Waͤhrend unſers Aufenthalts wurden wir mit Capitain Crozet be-
kannt, der auf Capitain Cooks und unſre Einladung, nebſt allen ſeinen Offi-
cieren mit uns ſpeiſte, und uns mit den Begebenheiten ſeiner vorigen Entde-
ckungs-Reiſe unterhielt. Wir lernten hernach ebenfalls die ſpaniſchen Offi-
ciere kennen, worunter geſchickte und einſichtsvolle Leute befindlich waren, die
ihrem Corps viel Ehre machen. Sie beſuchten Herrn Wales, unſern Aſtro-
nomen, und bewunderten die Laͤngen-Uhren, die er in Verwahrung hatte. Sie
klagten aber zu gleicher Zeit uͤber die Unrichtigkeit aller aſtronomiſchen Inſtru-
mente, die man ihnen von London ſchickte. Herr Wales uͤberlies ihnen einen
vortreflichen Hadleiſchen Sextanten, indem die Reiſe jetzo ſo gut als zum Ende
war. Capitain Cook wollte aber keinen Umgang mit ihnen haben, und ver-
mied ſie bey aller Gelegenheit, wovon niemand den Grund anzugeben wußte.
Ihre Fregatten hielten unſre Officiere fuͤr ſehr ſchoͤne Schiffe: die nach Spa-
nien
gehende hies die Juno und ward von Don Juan Arraos commandirt,
die andern waren die Aſtraͤa, Capitain Don Antonio Albornos, und die
Venus, Capitain Don Gabriel Guerna. Die Hollaͤnder ließen die Spa-
nier vormahls nicht am Cap landen, und machtens ihnen ſo unbequem als nur
immer moͤglich daſelbſt vor Anker zu legen. Man haͤtte glauben moͤgen, ſie
hielten ſcharf auf die paͤbſtliche Bulle, die die Graͤnzen der Schiffahrt beſtimm-
te, und die Welt zwiſchen Portugal und Spanien theilte. Seither denken ſie
aber beſſer proteſtantiſch; und vermuthlich werden ſie den Widerwillen gegen
die Spanier in kurzem ganz vergeſſen, weil ſie ſich doch ſchon jetzt gefallen laſ-
ſen, ihre uͤberfluͤßigen Piaſters einzuſtreichen.


[432]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
April

Nachdem unſer Schifsvolk gut erfriſcht, und ganz geſund, das Schif
ſelbſt aber ausgebeſſert und nenbemahlt worden, ſo nahmen wir Lebensmittel zur
Ruͤckreiſe an Bord, und machten uns fertig mit dem erſten guten Winde abzu-
gehen. Am 27ten April, des Morgens, kamen wir ans Schif, nachdem wir
von allen unſern Freunden Abſchied genommen, beſonders aber von D. Sparr-
mann
, der die Gefahren und das Elend der Reiſe mit uns ausgeſtanden, und
deſſen Herz ihn bey allen, die ihn kannten, beliebt gemacht hatte. *) Um
Mittag gieng der Dutton, ein Schif der Engliſchen Compagnie, von Capitain
[Rice] commandirt, unter Seegel, und wir folgten dem Beyſpiel, nachdem wir
die Veſtung begruͤßt hatten. Die Spaniſche Fregatte Juno, gruͤßte uns mit
neun Canonen, und unſre langſamen Conſtabel erwiederten dieſe unerwartete
Hoͤflichkeit eine volle Viertel-Stunde nachher. Ein daͤniſches Schif, Capi-
tain Hanſen, gruͤßte darauf mit eilf Schuͤßen. Beyde Schiffe giengen eben-
falls unter Segel, und ließen uns bald weit zuruͤck.


Wir liefen durch die noͤrdliche Ausfahrt zwiſchen dem veſten Lande und
Robben-Eiland, oder Pinguin-Eiland, wie es die Engliſchen See-Charten
nennen. Dies iſt ein unfruchtbarer Sandhuͤgel, woſelbſt viele Moͤrder und an-
dre Uebelthaͤter auf Befehl der Hollaͤndiſchen Oſtindiſchen Compagnie bewacht
werden. Darunter befinden ſich aber auch etliche ungluͤckliche Schlachtopfer die-
ſer grauſamen, ehrgeizigen Gewuͤrz-Kraͤmer. Wir duͤrfen nur den Koͤnig von
[Madure] anfuͤhren, der ſeines Reichs entſetzt, und zur ſchrecklichſten Verzwei-
flung getrieben, hier ſein Leben als gemeiner Sklave kuͤmmerlich zubringen
muß. *)


— — — eſcape who can
When man’s great foe aſſumes the ſhape of man.

Cumberland.
()

Am
[433]in den Jahren 1772 bis 1775.

Am 28ten des Morgens, ward ein Mann im untern Schifs-Raum1775.
April.

verſteckt gefunden. Bey der Unterſuchung fand man, daß einer der Boots-
leute (Quartermaſters) ihn etliche Tage zuvor dorthin gefuͤhrt, und ſeine taͤg-
liche Portionen mit ihm getheilt hatte. Seine Gutherzigkeit ward mit einem
Dutzend Streichen belohnt, und der arme Fremde kriegte auch ein Dutzend zum
Willkommen. Es war ein ehrlicher Hannoveraner, den ein Ziel-verkoo-
per
geſtohlen, und zu hollaͤndiſchen Dienſten gezwungen hatte. Er hatte ſich am
Cap an Capitain Cook gewandt, und um ſeinen Schutz gebeten. Dieſer
Schutz, der allen engliſchen Unterthanen mit Recht zukommt, ward ihm aber,
als einem Deutſchen rund abgeſchlagen, und ſo mußte er verſtohlner Weiſe an
Boord kommen, um einem harten Dienſte zu entgehen, wozu man ihn un-
rechtmaͤßiger Weiſe gezwungen. Er zeigte ſich bald als einen der fleißigſten
Leute im ganzen Schif, und machte ſich unter der Mannſchaft beliebt, die ſonſt
nicht geglaubt, daß ein Hannoveraner ſo gut ein tuͤchtiger Kerl als ein andrer
ſeyn koͤnne.


Sobald wir das Land um Tafel-Bay zuruͤckgelaſſen, richteten wir un-
ſern Lauf nach der Inſel St. Helena. Der Dutton, das Engliſche Schiff,
blieb in unſrer Geſellſchaft; weil ſich deſſen Capitain, auf die groͤßere Genanig-
keit unſrer Rechnungen verlies. Denn es iſt ſonſt gewoͤhnlich, daß die Schif-May.
fe der Compagnie erſt in die Breite der Inſel zu kommen ſuchen, und dann ge-
rade nach Weſten drauf zu ſeegeln. Fruͤhe am 15ten May entdeckten wir
die Inſel gerade vor uns, und um Mitternacht legten wir in James-Bay, dem
gewoͤhnlichen Ankerplatze, vor Anker. Das ſuͤd-oͤſtliche Ufer, an dem wir fort-
ſeegelten, fanden wir ziemlich hoch, und aus ſenkrechtem, ſchwammigten,
ſchwarzbraunen Felſen zuſammengeſetzt, die hin und wieder als vom beſtaͤndigen
Anſpuͤlen der Wellen ausgehoͤhlt ſchienen. *)


Fruͤh am folgenden Morgen, begruͤßte uns das Fort James, welches
die vornehmſte Veſtung in der Bay iſt, und ſobald wir es beantwortet, hatten
wir noch einen Gruß vom Dutton zu erwiedern. Die Stadt vor uns lag in
einem engen Thal, mit einem ſteilen, oͤden Berge an jeder Seite, der noch bey-
Forſter’s Reiſe u. die Welt zweyter Th. J i i
[434]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
May.
nahe mehr gebrannt und elender als Ooſter-Eiland ausſahe. Ueber dem Ende
des Thals erblickte man doch etliche gruͤne Berge, und in der Stadt ſelbſt ſtan-
den ein paar Cocos-Palmen. Nach eingenommenen Fruͤhſtuͤck landeten wir an ei-
ner neulich erbauten Treppe, die wegen der hohen Brandungen ſehr noͤthig war.
Wir giengen zwiſchen einem hohen uͤberhangenden Felſen und einer Parapet Mauer
laͤngſt der See, nach einem Thor mit einer Zugbruͤcke, welches verſchiedne klei-
ne Batterien vertheidigten. Dies brachte uns an eine betraͤchtliche Batterie,
vor einer Esplanade und einer ſchattigten Allee von Banian-Baͤumen (ficus
religioſa
). Der Gouverneur, Herr Skottowe, empfieng Capitain Cook,
mit der groͤßten Diſtinktion, und ließ ihn bey ſeinem Eintritt ins Haus mit einem
Gruß von dreyzehn Stuͤcken beehren. Bald drauf kamen die Paßagiers vom Dut-
ton,
um ihren Beſuch ebenfalls beym Gouverneur abzulegen. *) Dieſer wuͤr-
dige brave Mann, der im Dienſte ſeines Vaterlandes alt und zum Kruͤppel ge-
worden, verſaͤumte keine Gelegenheit unſern Aufenthalt in der Inſel angenehm
zu machen, und beſonders unſre Unterſuchungen als Naturkundige zu erleich-
tern. Noch denſelben Tag wurden wir mit den vornehmſten Officieren der
Compagnie bekannt, die uns alle mit der ungezwungenſten Hoͤflichkeit, welche Leu-
ten von freyer Denkungs-Art eigen iſt, aufnahmen. Die Wohnung des Gou-
verneurs enthaͤlt verſchiedne geraͤumige bequeme Zimmer, die beſonders wegen
ihrer Hoͤhe in dieſem warmen Clima angenehm ſind. Von außen aber iſt ſie
ohne Zierrath, ſo wie alle Gebaͤnde in der ganzen Stadt, die neue Kirche nicht
ausgenommen, die ſeit kurzem von einer Art auf der Inſel befindlichen Kalk-
ſteinen erbaut worden. Ein kleiner Garten, hinter dem Hauſe des Gouver-
neurs, enthaͤlt etliche ſchattigte Gaͤnge, nebſt raren Oſtindiſchen Baͤumen, un-
ter andern auch die Barringtonia. Die Caſernen der Garniſon, welche die
Oſtindiſche Compagnie hier unterhaͤlt, liegen etwas weiter im Thal hinauf.
Daſelbſt ſiehet man auch das Hoſpital, mit einem Obſt- und Kuͤchen-Garten, wo
die Kranken Erlaubniß haben herumzugehen. Verſchiedne andre der Compa-
[435]in den Jahren 1772 bis 1775.
gnie gehoͤrige Gebaͤude, liegen in eben dieſem Thal. Die Hitze iſt ohnerachtet1775.
May.

des See-Windes, faſt unausſtehlich, indem ſie von einem hohen Berge an
jeder Seite eingeſchraͤnkt und zuruͤckgeworfen wird, daher der Aufenthalt in
der Stadt zuweilen nicht nur finſter, ſondern auch hoͤchſt unangenehm iſt. Die
vornehmſten Einwohner uͤberlaſſen den Fremden, die hier in Handels- und an-
dern Schiffen vorbeykommen, waͤhrend ihres Aufenthalts einige Zimmer. Die
Preiſe ſind faſt dieſelben, die man am Cap hat; allein die geringen Produkte
einer kleinen Inſel, wie St. Helena, geben nicht zu, daß man dort ſo gut
wie in jener hollaͤndiſchen Colonie lebt, die desfalls in der ganzen Welt bekannt
iſt. Wir wohnten bey Herrn Maſon, einem wuͤrdigen alten Manne, dem
die Inſel einige ihrer beſten, liebenswuͤrdigſten Einwohner zu danken hat.
Nachdem wir mit ihm einig geworden, giengen wir beym Gouverneur zu Tiſche.
Die Munterkeit des Geſpraͤchs ließ uns ſehr deutlich merken, daß man hier zu
Lande keine Gelegenheit vernachlaͤßigt, nuͤtzliche Kenntniſſe aus guten Buͤchern
zu ſammeln. Des D. Hawkesworths Beſchreibung Capitain Cooks erſter
Reiſe um die Welt, in der Endeavour, war hier ſchon vor einiger Zeit einge-
troffen. Man hatte ſie mit großer Neugierde geleſen, und es wurden jetzt
verſchiedne Punkte, dieſe Colonie betreffend, mit vieler Laune und witzigen aber
angenehmen Scherzen durchgegangen. Die Stelle in jener Reiſebeſchreibung
hielt man fuͤr beſonders beleidigend, wo den hieſigen Einwohnern Schuld gege-
ben wird, daß ſie ihre Sklaven mishandeln, ſo wie auch diejenige wo man bemerkt
haben will, es waͤre nicht ein Schiebekarren auf der ganzen Inſel zu finden. *)
Capitain Cook ward aufgefordert ſich zu verantworten. Madame Skottowe,
die Gemahlin des Gouverneurs, und zugleich das lebhafteſte Frauenzimmer in
St. Helena, ließ ihren Witz bey dieſer Gelegenheit ſehr vortheilhaft aus
J i i 2
[436]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
May.
und der Capitain wußte keine andre Ausflucht, als daß dergleichen Bemerkun-
gen nicht aus ſeinem Tagebuch gezogen waͤren, ſondern ſich von ſeinem dama-
ligen philoſophiſchen Reiſegefaͤhrten herſchrieben.


Fruͤh am folgenden Morgen machten Herr Stuart, Capitain Cook
und ich einen Spatziergang auf die Berge. Wir ritten den Berg hinauf, wel-
cher nach Weſten liegt und der Leiter-Berg genannt wird. Der erſt neuer-
lichſt gemachte Weg geht in einem Zickzack bergan und iſt ſehr bequem. [Er]
iſt neun Fuß breit und an der Seite des Thals mit einer drey Fuß hohen Mauer
eingeſchloſſen, welche von denſelbigen Steinen aufgefuͤhrt worden, aus welcher
der ganze Berg beſteht. Er beſteht aber aus einem Haufen von Lava, welche
hin und wieder zu einer braunen Erde verwittert iſt, an vielen Stellen aber große
Maſſen einer ſchwarzen, loͤchrichten Schlacke ausmacht, die zuweilen verglaſet
zu ſeyn ſchien. Dergleichen Felſenſtuͤcke haͤngen an vielen Stellen uͤber den
Weg heruͤber und ſtuͤrzen bisweilen zum Schrecken und mit großer Gefahr der
Einwohner herunter, welches gemeiniglich durch die am Berge weidenden Zie-
gen veranlaßt wird. Die Soldaten der Garniſon haben daher Befehl alle Zie-
gen wegzuſchießen, welche ſich auf dieſen hohen Klippen zeigen, und da ihnen
die erlegten Ziegen zufallen, ſo laſſen ſie es an Befolgung dieſes Befehls nicht
mangeln. Wir kamen an der Spitze des Berges ins Land hinein, und kaum
hatten wir eine halbe Meile gemacht, ſo fiel uns mit einem mal der ſchoͤnſte
Proſpect in die Augen. Er beſtand aus verſchiednen ſchoͤnen Huͤgeln, die mit
dem herrlichſten Gruͤn bedeckt und mit fruchtbaren Thaͤlern durchſchnitten wa-
ren, in welchen ſich Frucht- und Baum-Gaͤrten wie auch andre Plantagen be-
fanden. Einige Hutungen waren mit einem Gehege von Steinen umgeben, und
mit einer zwar kleinen aber ſchoͤnen Art von Hornvieh und engliſchen Schafen
angefuͤllt. Jedes Thal hatte einen kleinen Bach, und einige dieſer Baͤche ſchie-
nen an den beyden hohen Bergen zu entſpringen, die in der Mitte der Inſel lie-
gen und oft in Wolken verhuͤllt ſind. Wir paßirten verſchiedne Berge und
hatten eine Ausſicht nach Sandy-Bay, welches eine kleine Bucht an der
andern Seite der Inſel iſt, und eine Batterie zur Bedeckung hat. Der Pro-
ſpect war hier ungemein romantiſch, die Berge waren bis an die Spitzen mit
wilden Waͤldern bedeckt und einige, beſonders Dianen-Pic, erhoben ſich in
[437]in den Jahren 1772 bis 1775.
den ſchoͤnſten Formen. Die Felſen und Steine dieſer hoͤhern Gegend waren1775.
May.

von ganz andrer Art, als in den niedrigern Thaͤlern. Unterwaͤrts gabs un-
laͤugbare Spuren alter Volcane; hier oben aber beſtand alles aus dunkel grauen
thonigten und ſchichtweis liegenden Steinen, zuweilen auch aus Kalkſtein, und
an verſchiednen Stellen aus einem fetten, weichen Seifenſteine. *) Das Erd-
reich, welches dieſe Schichten deckt, beſteht an vielen Orten aus fetten Boden,
ſechs bis zehn Zoll tief, und bringt eine große Mannigfaltigkeit herrlich wach-
ſender Pflanzen hervor, unter denen ich einige Stauden-Gewaͤchſe bemerkte,
welche ich noch in keinem andern Theile der Welt angetroffen. Man ſiehet
darunter Kohl-Baͤume, Gummi-Baͤume und Roth-Holz, wie die Einwohner
ſie zu nennen pflegten. Erſtere ſtehen in feuchten naſſen Grunde; letztere
aber auf den Bergen, wo der Boden ungemein duͤrre iſt. Dieſe Verſchie-
denheit von Pflanzen kann wohl nicht in der Verſchiedenheit des Clima in den
J i i 3
[438]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
May.
beſondern Theilen der Inſel ihren Grund haben, wie man in der Hawkeswor-
thiſchen Sammlung hat vorgeben wollen; denn ich habe alle dieſe Pflanzen dicht
neben einander wachſend gefunden, und uͤberhaupt iſt die ganze Inſel weder ſo
groß noch ſo ungeheuer hoch, daß in ſolcher eine Verſchiedenheit des Clima an-
genommen werden koͤnnte. Der Kohlbaum waͤchſt hier wild und hat ziemlich
große Blaͤtter; auch zeigte ſich bey naͤherer Erkundigung, daß man ſich deſſelben
blos zum Brennen bediene, und daß ſich keine Urſach angeben laſſe, warum
man ihn eben den Kohlbaum genannt. Er darf keinesweges mit dem Kohlbaum
in Amerika, Indien und der Suͤd-See verwechſelt werden, denn der gehoͤrt zum
Palmen-Geſchlecht.


Wir wurden einige mahl durch heftige Regenguͤſſe tuͤchtig durchgenaͤßt;
in wenig Minuten aber hatte uns die Sonne wieder getrocknet. Unterwegens
fragten wir jeden Sklaven, der uns vorkam, wie er von ſeinen Herrn gehal-
ten wuͤrde; weil wir auszumachen wuͤnſchten, ob den gedruckten Nachrichten
von der Grauſamkeit der hieſigen Einwohner zu trauen waͤre. Im Ganzen ge-
nommen, waren die Antworten der Sklaven fuͤr ihre Herren guͤnſtig genug und
voͤllig hinreichend, die hieſigen Europaͤer von dem Vorwurfe der Grauſamkeit
loszuſprechen. Einige wenige klagten freylich daruͤber; daß ſie ſehr knap gehal-
ten wuͤrden; aber das muͤſſen ſich, wie mir glaubwuͤrdig verſichert worden, ihre
Herren oft ſelbſt gefallen laſſen, als welche ſich zu gewiſſen Zeiten mit Poͤckelfleiſch
behelfen muͤſſen. Die Soldaten ſind, wie es ſcheint, am aller uͤbelſten daran,
denn ſie haben Jahr aus Jahr ein nichts als eingeſalzene Speiſen, welche die
Oſtindiſche Compagnie noch dazu ſehr kaͤrglich austheilen laͤßt. Ihr Sold iſt
auch geringe, und muß erſt durch verſchiedne Haͤnde gehen, ehe er von England
anlangen kann. Daß er dadurch nicht ſtaͤrker werde, iſt leicht zu ermeſſen.
Die arbeitſamſten haben zuweilen Urlaub, fuͤr die Einwohner zu arbeiten und von
den Bergen Holz zur Stadt zu bringen. Wir bemerkten einige Greiſe, welche
damit beſchaͤftigt waren, und luſtig und guter Dinge zu ſeyn ſchienen, bis wir
ſie offenherzig genug machten, ihr Elend vom Herzen wegzuſagen, welches
freilich nicht ohne Bewegung abgieng. Doch waren ſie insgeſammt einſtimmig
in ihrer Liebe fuͤr den Gouverneur, der auf der Inſel einer allgemeinen Achtung
genießt und auch ihr Wohl ſich ernſtlich angelegen ſeyn laͤßt.


[439]in den Jahren 1772 bis 1775.

Wir kehrten am Abhange des Berges an der andern Seite des Thales1775.
May.

wieder zur Stadt zuruͤck und fanden uns durch unſern Ritt ſehr erfriſcht. Die
hieſigen Pferde bringt man hauptſaͤchlich vom Vorgebuͤrge der guten Hofnung
hieher; doch werden jetzt auch einige wenige auf der Inſel gezogen; ſie ſind klein
von Gewaͤchs, aber zum Klettern in bergigten Gegenden ſehr geſchickt.


Am folgenden Tage bat der Gouverneur nach ſeinem Landhauſe eine groſ-
ſe Geſellſchaft, welche aus den Capitains und den Paßagieren unſers Schiffes
und des Dutton beſtand. Wir paßirten denſelbigen Berg, den wir geſtern be-
ſtiegen hatten, und drey Meilen von der Stadt kamen wir zu dem Landhauſe.
Wir wurden daſelbſt herrlich bewirthet. Das Haus iſt nicht groß, hat aber
eine ungemein angenehme Lage in der Mitte eines geraͤumigen Gartens, in welchen
wir verſchiedne Europaͤiſche, Afrikaniſche und Amerikaniſche Pflanzen, vornehm-
lich aber einen reichen Ueberfluß von Roſen und Lilien, Myrthen und Lorbeer-
baͤumen antrafen. Verſchiedne Alleen von Pfirſiſch-Baͤumen ſahe man mit
Fruͤchten beladen, die von vorzuͤglich guten Geſchmack und von den unſrigen
verſchieden waren. Alle uͤbrigen europaͤiſchen Baͤume hatten nur ein kuͤmmer-
liches Anſehen, und ſollen, wo ich nicht irre, niemals Fruͤchte tragen. Wein
war zu verſchiedenen Zeiten angepflanzt, hatte aber des Clima wegen nicht fort-
kommen wollen. Kohl und andres Garten-Gewaͤchs gehet ſonſt vortreflich fort,
wird aber mehrentheils von Raupen gefreſſen. Wir ſpatzierten auf allen benach-
barten Bergen umher, und fanden einige kleine Stellen mit Gerſten beſaͤet, die
aber ebenfalls, ſo wie andre hier geſaͤete Getraide-Arten, mehrentheils von Rat-
ten gefreſſen wird, die man hier in unendlicher Menge findet, weshalb man das
Land nur zu Graſungen nuͤtzet, deren herrlich gruͤnes Anſehen in einem Lande
zwiſchen den Wende-Cirkeln zu bewundern iſt. Man ſagte uns die Inſel koͤnne
3000 Stuͤck Hornvieh erhalten, es fanden ſich aber damals nur 2600 Haͤupter
darauf. Nach dem großen Umfange des ungenuͤtzten Bodens zu urtheilen,
moͤgte weit mehr gehalten werden koͤnnen; man verſicherte uns aber, das ein-
mahl abgeweidete Gras ſchieße vor Winters nicht wieder aus, man muͤſſe alſo eine
gewiſſe Anzahl von Weiden fuͤr den Winter ſparen. Das Rindfleiſch iſt ſaftig,
vortreflich von Geſchmack und ſehr fett. Da der Abgang deſſelben beſtaͤndig
und groß iſt, ſo kann es niemals zu alt werden. Die gemeine europaͤiſche ſtach-
[440]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
May.
lichte Pfriemen-Staude (ulex Europaeus), welche unſre Laudleute mit großer
Muͤhe auszurotten ſuchen, iſt hier gepflanzt worden, und hat nun uͤber alle Wei-
den fortgewuchert. Indeſſen hat man Mittel gefunden, dies Stauden-Gewaͤchs
hier zu nutzen, das ſonſt aller Orten fuͤr unbrauchbar und ſchaͤdlich gehalten wird.
Der Anblick des Landes iſt nicht immer ſo reizend als jetzo geweſen, indem der
Boden vor Zeiten von der entſetzlichen Hitze ganz verbrannt war, und Gras und
Kraͤuter nur kuͤmmerlich fortkommen ließ. Allein die eingefuͤhrten Pfriemen-
Stauden wucherten der Sonne zum Trotze fort und erhielten den Boden etwas
feucht. In ihren Schatten fieng nun an Gras zu wachſen, und nach und nach
iſt das ganze Land mit den ſchoͤnſten Raſen uͤberzogen worden. Anjetzo bedarf
man der Pfriemen nicht weiter, ſondern man giebt ſich große Muͤhe ſie auszurot-
ten, und bedient ſich derſelben als Brennholz, welches auf der Inſel ſehr ſelten
iſt, und womit ich nirgends ſparſamer habe umgehen ſehen, als hier und am
Cap. Es iſt wuͤrklich zu bewundern, wie beſonders am Cap eine Menge von
Speiſen bey einem Feuer bereitet werden, das eine engliſche Koͤchin zum bloßen
Kochen eines Theekeſſels gebrauchen wuͤrde.


Bey unſrer Ruͤckkehr ſahen wir einige Voͤlker Rebhuͤner, die von der
kleinen rothbeinigten Art ſind, welche auf der afrikaniſchen Kuͤſte ſo gemein iſt.
Auch bemerkten wir einige ſchoͤne Ring-Faſanen, welche nebſt Perl-Huͤnern
und Caninchen von dem jetzigen Gouverneur eingefuͤhrt worden. Vorjetzt iſt aufs
Schießen eines Faſanen noch eine Strafe von fuͤnf Pfunden geſetzt; ſie vermeh-
ren ſich aber ſo ſtark, daß dieſe Einſchraͤnkung der Jagd bald unnoͤthig ſeyn wird.
Es koͤnnten noch verſchiedne andre nuͤtzliche Artikel hier eingefuͤhrt und gezogen
werden. Man koͤnnte Klee und Schneckenklee ſaͤen, die dem Hornvieh reicheres
Futter geben wuͤrden als das gewoͤhnliche Gras allein, und der Anbau von ver-
ſchiednen Huͤlſenfruͤchten, als Schmink- und Chineſiſchen Bohnen (dolichos Si-
nenſis et phaſeolus mungo
), aus welchen in der Nord-Amerikaniſchen Co-
lonie Georgien, Sago verfertigt wird *), kann nicht zu ſehr empfohlen werden.
Geduld
[441]in den Jahren 1772 bis 1775.
Geduld und Verſuche wuͤrden zur Vertilgung der Ratten und Raupen auch ſehr1775.
May.

dienlich ſeyn, um ſo mehr da ſie allein die Aufnahme des hieſigen Ackerbaues
hauptſaͤchlich hindern. Von Senegal muͤßten Eſel eingefuͤhrt werden, weil
ſie daſelbſt nach Herrn Adanſons Berichte von vortreflicher Art ſeyn ſollen.
Der Transport ſchwerer Guͤter wuͤrde dadurch ſehr erleichtert werden; und
manche Stuͤcken Landes, die zur Weide des Hornviehes nicht gebraucht werden
koͤnnen, wuͤrden dieſer Art von Laſtthieren immer gut genug ſeyn, als welche
in Betracht des Futters ſo ſehr leicht zu befriedigen ſind.


Wir brachten den folgenden Tag auf Herrn Maſons Landhauſe, vier
bis fuͤnf Meilen von der Stadt, zu. Im Hinreiten nahmen wir einen Umweg,
um einen Berg nahe am Dianen-Pick zu beſteigen, woſelbſt wir bey ſehr reg-
nigten Wetter einige ſeltene Pflanzen ſammelten. Auch fanden wir auf dieſen
Spatzierritt eine kleine Art blauer Tauben, die nebſt den rothfuͤßigen Rebhuͤnern
hier urſpruͤnglich zu Hauſe ſind. Die Reisvoͤgel (loxiae oryzivorae) aber ſind
von Oſt-Indien hergebracht und losgelaſſen worden. Wir ließen auch einen
kleinen Meyerhof ohngefehr eine Viertel-Meile von uns liegen, woſelbſt ſich
zween Braminen aufhalten muͤſſen, denen man Schuld gab, daß ſie der Com-
pagnie in Indien zu ſchaden geſucht. Ob ſie wirklich was verbrochen haben oder
nicht, bleibt allemal ungewiß; indeſſen ſieht man doch den Unterſchied zwiſchen
der Engliſchen und Hollaͤndiſchen Behandlung der Gefangenen. Der Koͤnig
von Madure wird auf Robben-Eiland in einen Kerker geſperrt; allein die Bra-
minen in St. Helena, haben Erlaubnis herumzugehen, und beſitzen Haus und
Gaͤrten, nebſt allem noͤthigen Vorrath von Lebensmitteln und andern Bequem-
lichkeiten, worunter verſchiedne Sklaven zur Aufwartung mit begriffen ſind.


Gegen Abend kamen wir in die Stadt zuruͤck, woſelbſt Herr Graham
den Einwohnern einen Ball gab. Beym Eintritt ins Zimmer, hatte ich das
Vergnuͤgen durch den Anblick eines zahlreichen Zirkels von wohlgebildeten und
mit Geſchmack gekleideten Frauenzimmern ſehr angenehm uͤberraſcht zu werden.
Ich glaubte unverſehens in eine der glaͤnzendſten Hauptſtaͤdte von Europa verſetzt
zu ſeyn; ihre Zuͤge waren regelmaͤßig, ihre Geſtalt reizend, und ihre Farbe blen-
dend ſchoͤn. Sie hatten dabey ungezwungenes Betragen, Feinheit der Sitten,
angenehme Lebhaftigkeit und vielen Scharfſinn, welchen ſie im Geſpraͤch ſehr vor-
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. K k k
[442]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
May.
theilhaft fuͤhlen ließen. Am folgenden Abend erſchien dieſelbe Geſellſchaft wie-
der auf einem Ball, und wir fanden Urſache, ihre Lebhaftigkeit und Activitaͤt
um ſo mehr zu bewundern, weil ſie in der kurzen Zwiſchenzeit wenig Erholung
genoſſen hatten. Die Frauenzimmer uͤbertrafen die Mannsperſonen weit an der
Zahl, ohngeachtet viele Officiere und Paßagiere von beyden Schiffen zugegen
waren. Man erzaͤhlte uns bey dieſer Gelegenheit, daß auf der Inſel, ſo wie
am Vorgebuͤrge der guten Hofnung, ungleich mehr Maͤdchen als Knaben gebohren
wuͤrden. In der That verdiente es naͤhere Unterſuchung, ob dies nicht jederzeit
in warmen Laͤndern der Fall ſey, beſonders weil man daraus wichtige Folgerun-
gen in Betracht der Heyrathsgeſetze verſchiedner Voͤlker ziehen koͤnnte. Das
Verhaͤltnis der maͤnnlichen und weiblichen Geburten iſt ſelbſt in Europa noch
nicht allenthalben voͤllig beſtimmt, noch einfoͤrmig befunden worden. In
Frankreich und England werden mehr Knaben gebohren, in Schweden aber
mehr Maͤdchen. Die Zahl der Einwohner in St. Helena uͤberſteigt nicht 2000
Perſonen, ohngefehr 500 Soldaten und 600 Sklaven mit eingerechnet. Die
Inſel hat etwa zwanzig Meilen im Umkreiſe und acht in ihrer groͤßten Laͤnge.
Die Oſt-Indiſchen Schiffe, die hier anlegen, und fuͤr ihre Mannſchaft Erfri-
ſchungen an Bord nehmen, verſehen die Einwohner mit allerley Indianiſchen
Manufakturen. Auch laͤßt die Compagnie jaͤhrlich ein oder zwey Schiffe auf
der Hinreiſe nach Indien zu St. Helena anlegen, um dort den noͤthigen Vorrath
von Europaͤiſchen Waaren und Lebensmitteln abzuliefern. Viele Sklaven be-
ſchaͤftigen ſich ſtets mit der Fiſcherey, die laͤngſt den felſigten Ufern der Inſel ſehr
ergiebig iſt; und auf dieſe Art naͤhren ſich die Einwohner das ganze Jahr hindurch.
Zur Abwechslung giebt ihnen ihr Hornvieh und Federvieh, desgleichen verſchiedne
Wurzeln ſtatt des Brods, zuweilen auch engliſches Poͤckelfleiſch hinlaͤnglichen
Unterhalt. Und ſo ſcheint ihr Leben ſehr gluͤcklich in Ruhe und Zufriedenheit
dahin zu fließen, frey von den unzaͤhligen Sorgen, die ihre Landsleute in Eng-
land
quaͤlen.


Dieſelbe Geſellſchaft, die Abends am Ball geweſen, kam fruͤh Morgens
in die Kirche. Herr Carr, ein verdienſtvoller junger Mann, hielt eine gruͤnd-
liche, ſeinen Kirchkindern angemeſſene Predigt, die uns eine ſehr vortheilhafte
Meynung von ihm beybrachte. Wir ſpeiſten darauf nochmals beym Gouver-
[443]in den Jahren 1772 bis 1775.
neur, und nachdem wir von unſern neuen Bekannten Abſchied genommen, deren1775.
May.

angenehmer Umgang in der kurzen Zeit unſers Aufenthalts uns große Werth-
ſchaͤtzung gegen ſie eingefloͤßt hatte, giengen wir ans Schif zuruͤck. Capitain
Cooks Abreiſe ward wie ſeine Ankunft mit einer Salve von den Feſtungswerken
beehrt. Gegen Abend lichteten wir die Anker, und ſeegelten nordwaͤrts in Be-
gleitung des Dutton. Die Oſt-Indiſche Compagnie hatte ſeit kurzen ihren
Schiffen einen Befehl nach St. Helena entgegen geſchickt, darinn ihnen verboten
ward, die Inſel Aſcenſion ins kuͤnftige zu beruͤhren, woſelbſt ſie vormahls Schild-
kroͤten zu fangen pflegten. Capt. Cook, der dieſe Inſel gerne beſuchen wollte,
verließ den Dutton am 24ſten Abends, nachdem wir alle am Bord dieſes Schifs
geſpeiſt, und vom Capitain Rice nebſt ſeinen Paßagieren viele Hoͤflichkeiten ge-
noſſen hatten. Fruͤh Morgens am 28ſten erblickten wir das Land, und liefen
den ganzen Tag bis gegen fuͤnf Uhr Abends, da wir in der Creutz-Bay ankerten.
Dieſe Inſel ward zuerſt im Jahr 1501. von Joao da Nova Galego einem
Portugieſen entdeckt, der ſie Ilha da Conceicao nannte. Derſelbe Admiral
entdeckte auf der Ruͤckreiſe 1502 die Inſel St. Helena, welche dieſen Nahmen
vom Tage der Entdeckung bekam *). Aſcenſion ward 1503. zum zweeten mahl
von Alfonſo d’Albuquerque geſehn, der ihr den jetzigen Nahmen beylegte.
Allein ſchon damals war ſie in eben dem erbaͤrmlichen wuͤſten Zuſtande, darinn
man ſie noch jetzt ſieht **). Wir ſchickten ſogleich einige Partien unſrer Mann-
ſchaft an Land, die des Nachts den Schildkroͤten aufpaſſen mußten, wenn ſie aus
dem Waſſer kamen, ihre Eyer in den Sand zu legen. Der oͤde Anblick dieſer
Inſel war ſo fuͤrchterlich, daß wir Ooſter-Eiland gar nicht damit vergleichen
konnten, und ſogar Tierra del Fuego mit ſeinen Schneebergen vorziehen mußten.
Es war ein wilder Felſen-Haufen, der groͤßtentheils, ſoweit wir vom Schif ab-
K k k 2
[444]Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
ſehen konnten, von volkaniſchem Feuer verbrannt war. Beynah im Mittelpunkt
der ganzen Inſel ſteht ein großer hoher Berg von weißer Farbe, auf welchen wir
mit Huͤlfe unſrer Fernglaͤſer etwas gruͤnes entdeckten, das den Nahmen des gruͤ-
nen Berges
einigermaßen zu entſchuldigen ſchien.


Wir landeten des Morgens ſehr fruͤh an etlichen Felſen, indem die
Brandungen am großen Strande erſtaunlich hoch gehn. Dieſer Strand iſt mit
tiefem, trocknem Muſchel-Sande bedeckt, der aus ganz kleinen groͤßtentheils
ſchneeweißen Theilchen beſteht, die bey hellem Sonnenſchein die Augen blenden.
Wir ſtiegen zwiſchen Haufen ſchwarzer loͤcherichter Steine hinauf, die den ge-
meinſten Laven von Veſuvius und Island vollkommen aͤhnlich waren. Die ein-
zelnen Stuͤcke lagen in ungeheuren Klumpen gethuͤrmt, die das Anſehen hat-
ten, als waͤren ſie mit Menſchenhaͤnden gemacht worden. Allein wahrſchein-
licher Weiſe kann eine ſchleunige Erkaͤltung der Lava-Stroͤme eben dieſe Wuͤr-
kung hervorgebracht haben. Nachdem wir zwoͤlf bis funfzehn Ellen ſenkrecht
uͤber der Oberflaͤche der See gewonnen hatten, ſo befanden wir uns in einer großen
Ebene, die ſechs bis acht Meilen im Umfange, und in verſchiednen Ecken einen
großen kegelfoͤrmigen Huͤgel von roͤthlicher Farbe hatte, der ganz frey oder iſolirt
ſtand. Ein Theil der Ebene war mit unzaͤhligen Steinhaufen von eben der wild
aufgethuͤrmten Lava bedeckt, die wir zunaͤchſt am Ufer der See geſehn, und die
einen glasartigen Klang von ſich gab, wenn zwey Stuͤcke aneinander geſchmiſſen
wurden. Zwiſchen dieſen Haufen war der Boden der Ebene feſt, und beſtand aus
ſchwarzer Erde. Wo die Haufen aber aufhoͤrten, da war das uͤbrige nichts als
eine rothe Stauberde, ſo locker und trocken, daß der Wind ganze Wolken von
Staub darauf hin und her bewegte. Die kegelfoͤrmigen Huͤgel beſtanden aus
einer ganz andern Art Lava, die roth und weich war, daß man ſie ohne Muͤhe
zu Erde zerreiben konnte. Einer ſteht gerade mitten vor der Bay, und hat oben
auf dem Gipfel ein hoͤlzernes Kreutz, davon die Bay den Nahmen bekommen
hat. Dieſer Huͤgel iſt auf allen Seiten ſehr ſteil; ein Fußpfad aber geht
ſchlaͤngelnd daran herauf, und iſt deshalb an drey Viertelmeilen lang. Nachdem
wir dieſe ſonderbare Gegend genauer und laͤnger betrachtet hatten, ſchloſſen wir,
nicht ohne große Wahrſcheinlichkeit, daß die Ebene, worauf wir ſtanden, der Cra-
ter oder vormalige Sitz eines Volkans geweſen, von deſſen ausgeworfenen Bims-
[445]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſteinen und Aſche die kegelfoͤrmigen Huͤgel allmaͤhlig entſtanden waͤren; daß die1775.
May.

Lava-Stroͤme, die jetzt das Anſehen einzelner Haufen hatten, vielleicht nach und
nach mit Aſche bedeckt worden, und daß in der naſſen Jahreszeit, die Regenbaͤ-
che, die von den innerſten Bergen herabgeſtuͤrzt worden, alles vor ſich glatt ge-
waſchen und mit der Laͤnge der Zeit den Crater ganz ausgefuͤllt haͤtten. Die
ſchwarze Felſen-Lava diente unzaͤhligen Fregatten und Toͤlpeln *) zum Aufent-
halte. Sie hatten darauf geniſtet, und ließen uns ganz nahe hinan kommen.
Die Fregatten haben mehrentheils einen erſtaunlich großen ſcharlachnen Beutel
oder Kropf unterm Schnabel haͤngen, den ſie aufblaſen koͤnnen, bis er einer
Fauſt groß iſt. Er hat mit dem Beutel des Pelikans viel Aehnlichkeit, und iſt
vielleicht von der Natur zu eben dem Endzweck als jener beſtimmt. Wir fan-
den nicht uͤber zehn einzelne halbverdorrte Pflaͤnzchen auf dieſem großen Stuͤck
felſigten Landes; und darunter waren nur zweyerley Sorten, eine Art Wolfs-
milch (Euphorbia origanoides) und eine Glockenwinde (convolvulus pes
Caprae
). Um Mittag kehrten wir ans Schif zuruͤck und ſahen daſelbſt nur
ſechs Schildkroͤten, die uͤber Nacht gefangen worden, indem die Jahrszeit jetzo
beynah verfloſſen war, in welcher ſie ihre Eyer legen. Der Officier, den wir
Oſtwaͤrts geſchickt hatten, fand daſelbſt die Ueberbleibſel eines geſtrandeten Schifs,
welches zum Theil in Brand geweſen, und von der Mannſchaft vermuthlich, um
ſich ſelbſt zu retten, an Land getrieben worden. Die Vorſtellung der elenden
Umſtaͤnde dieſer Leute, auf einer ſo oͤden Inſel, ehe ein andres Schif ſie abho-
len koͤnnen, erregte ſogar das Mitleid unſrer Matroſen. Ihr Ungluͤck aber
war nunmehr Vortheil fuͤr uns; denn da wir Mangel an Brennholz hatten, ſo
ſchickte Capt. Cook ſeine Boͤte hin, das uͤbrige Gerippe dieſes Schifs an Bord
zu laden.


Gegen acht Uhr Abends, wie es ſchon ganz finſter war, kam ein kleines
Fahrzeug in die Bay, und ankerte zwiſchen uns und dem Lande. Nach wieder-
holten Anfragen, bekam Capitain Cook zur Antwort, es ſey eine Schaluppe
(Sloop) aus Neu-York, die Lucretia genannt, die eben von Sierra Leon, an
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[446]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
May.
der Afrikaniſchen Kuͤſte kaͤme, um Schildkroͤten zu laden, und ſie in den Antil-
liſchen Inſeln
zu verkaufen. Einer unſrer Lieutenants ward an dies kleine Fahr-
zeug geſchickt, und hoͤrte vom Schiffer, daß er das unſrige fuͤr ein Franzoͤſiſches
Oſt-Indiſches Schif gehalten, auch ſehr verlangte mit Engliſchen Oſt-India-
fahrern zu handeln; weshalb ihm aber die neue [Verordnung] der Compagnie ei-
nen Strich durch die Rechnung gemacht haͤtte. Er ſpeiſte mit unſern Officieren
den folgenden Tag, ſeegelte aber am 31ſten bey Tagesanbruch ab. Am 30ſten
fruͤh Morgens landeten wir zum zweeten mahl, und kamen, nachdem wir uͤber
die Ebene gegangen, an einen fuͤrchterlichen Lava-Strom, darinn viele Canaͤle
ſechs bis acht Ellen tief giengen, die den deutlichſten Kennzeichen zufolge, von
gewaltigen Regenbaͤchen weggewaſchen oder gebaͤhnt worden; jetzt aber weil die
Sonne in der noͤrdlichen Halbkugel ſtand, ganz ausgetrocknet waren. In dieſen
Vertiefungen fanden wir eine geringe Quantitaͤt Erdreich, das aus einer ſchwarzen
volkaniſchen Erde, und einer Miſchung von weißen ſandigten oder harten Theilchen
beſtand. In dieſem trocknen Boden wuchs etwas Portulak, und eine Art von
Gras (panicum ſanguineum). Nachdem wir endlich mit großer Muͤhe uͤber
dieſen gewaltigen Lava-Strom geklettert waren, erreichten wir den Fuß des
gruͤnen Berges, der, wie wir ſchon vom Schiffe im Hafen geſehn, ganz an-
dre Beſtandtheile, als das uͤbrige Land hatte. Die naͤchſt umliegenden Theile
der Lava waren mit einer erſtaunlichen Menge Portulak und einigen Stauden
eines neuen Farrenkrauts (lonchitis adſcenſionis) bewachſen, davon ſich ver-
ſchiedne Heerden wilder Ziegen naͤhrten. Der große Berg iſt unten in ver-
ſchiedne Wurzeln durch große Kluͤfte abgetheilt, die aber oben alle zuſammen kom-
men, und eine große Maſſe von betraͤchtlicher Hoͤhe bilden. Dieſer ganze Berg
beſteht aus einem ſandigten, poroͤſen oder tuff artigen Kalkſtein, der vom Vol-
kan nicht angegriffen worden, und vermuthlich noch vor dem Ausbruche exiſtirt
hat. An den Seiten waͤchſt uͤberall ſehr haͤufig ein Gras das dieſer Inſel eigen
iſt, und vom Ritter von Linné den Nahmen Ariſtida aſcenſionis bekommen
hat. Wir ſahen auch hier etliche Heerden Ziegen, die aber wild und ſcheu wa-
ren, und mit der groͤßten Schnelligkeit an den ſchrecklichſten Abgruͤnden fortlie-
fen, wo man ihnen unmoͤglich folgen konnte. Der Schiffer des Neu-Yorkſchen
Fahrzeuges verſicherte, es ſey auf dieſem Berge eine friſche Quelle befindlich, die
[447]in den Jahren 1772 bis 1775.
ſich an einer hohen ſteilen Felſen-Wand herabſtuͤrze, und hernach im Sande ver-1775.
May.

liere. Ich meines Theils, bin feſt uͤberzeugt, daß die Aſcenſions-Inſel mit
weniger Muͤhe bewohnbar gemacht werden koͤnnte. Wenn man, zum Beyſpiel,
die Europaͤiſchen ſtachlichten Pfriemen-Stauden (ulex europaeus) und aͤhn-
liche Pflanzen, die gut im trocknen Boden fortkommen, hieher verpflanzte, ſol-
ten ſie nicht eben die gute Wuͤrkung als auf der Inſel St. Helena thun, beſon-
ders wenn ſie ſo beſchaffen ſind, daß Ziegen und Ratten, die einzigen hieſigen
vierfuͤßigen Thiere, ſie nicht beruͤhren moͤgen? Die Naͤſſe, welche von den
hohen Bergen im Mittelpunkt der Inſel angezogen wird, wuͤrde alsdenn nicht
mehr von der uͤbermaͤßigen Sonnenhitze ausduͤnſten, ſondern in kleine Baͤche
geſammelt werden, und nach und nach die ganze Inſel waͤſſern. Man wuͤrde
bald aller Orten einen ſchoͤnen Raſen erblicken, davon die Schichte der Pflanzen-
Erde als denn jaͤhrlich zunaͤhme, bis man nuͤtzlichere Kraͤuter darauf ziehen koͤnnte.


Wir kehrten langſam in der groͤßten Mittagshitze uͤber die Ebene nach
Kreutz-Bay zuruͤck, und da wir mehr als fuͤnf Meilen Weges vor uns hatten,
ſo wurden wir dermaßen von der Sonne und dem erhitzten Erdreiche mitgenom-
men, daß wir gegen drey Uhr ganz ermuͤdet und im Geſicht, Nacken und Fuͤßen
verbrant das Ufer erreichten. Nachdem wir in einer kleinen Bucht zwiſchen ei-
nigen Felſen gebadet hatten, ſchickte man auf unſre Signale ein Boot ab, wel-
ches uns ans Schif zuruͤckbrachte. Am folgenden Vormittage ward wieder in
Begleitung Capt. Cooks ein Spatziergang nach dem gruͤnen Berge vorgenom-
men; allein keiner war ſtark genug ihn zu erreichen. Es wurden auch diesmal
keine neue Beobachtungen gemacht, indem die Ufer dieſer Inſel rings umher un-
beſchreiblich oͤde und unfruchtbar ſind. Nachmittags hoben wir alle unſre Boͤte
ein, und giengen unter Seegel, nachdem wir vier und zwanzig Schildkroͤten an
Bord genommen, deren jede zwiſchen drey und vier Centner wog. Sie reichten
drey Wochen lang zu unſrer Nahrung hin, indem taͤglich eine und zuweilen zwo
geſchlachtet wurden, auch die Mannſchaft bekam von dieſem geſunden, wohl-
ſchmeckenden Fleiſche ſo viel, als ſie verzehren konnte.


[448]Forſter’s Reiſe um die Welt

Zwoͤlftes Hauptſtuͤck.
Lauf von der Aſcenſions-Inſel, bey der Inſel Fernando
da Noronha
voruͤber, nach den Azoriſchen Inſeln. — Aufent-
halt zu Fayal. — Ruͤckkehr nach England.


1775.
Junius.

Nachdem wir die Aſcenſions-Inſel verlaſſen, ſo liefen wir ſo weit nach We-
ſten, daß wir am 9ten Junius, gegen ein Uhr Nachmittags die Inſel
Fernando da Noronha, unweit der Braſilianiſchen Kuͤſte zu Geſicht bekamen.
Da die aſtronomiſche Laͤnge dieſer Inſel noch zum Theil ungewiß war, ſo rich-
tete Capitain Cook ſeinen Lauf dahin, um dieſen Punkt genauer zu beſtimmen.
Americo Vespucci, deſſen Nahme dem Welttheil beygelegt worden, davon er
einer der erſten Entdecker war, traf waͤhrend ſeiner vierten Reiſe, ſchon im Jahr
1502 *) auf dieſe Inſel; woher ſie aber ihren jetzigen Nahmen bekommen, iſt
unbekannt. Im Jahr 1733 legte die Franzoͤſiſche Oſt-Indiſche Compagnie
daſelbſt eine kleine Colonie an; allein die Portugieſen machten bald Anſpruͤche
darauf, und nahmen ſie im Jahr 1739 in Beſitz **). Nach Anzeige der Fran-
zoͤſiſchen Carten, beſteht das Innere der Inſel groͤßtentheils aus Ebenen, die
von den Huͤgeln laͤngſt der See-Kuͤſte eingeſchloſſen werden ***). Wir naͤherten
uns ihr von der Oſtſeite, und liefen um die Ratten-Inſel, die an der Nordoͤſt-
lichen Spitze liegt. Hier erblickten wir die Bahia de Remedios, die durch
fuͤnf Caſteele, theils auf Fernando Noronha ſelbſt, theils auf einem Felſen
an
[449]in den Jahren 1772 bis 1775.
an der Nord-Oeſtlichen Spitze gelegen, beſchuͤtzet wird. Die Inſel war aller1775.
Junius.

Orten mit Waldung bedeckt, und einige Berge hatten das Anſehen, als ob ſie
volcaniſch waͤren, ohnerachtet ſie jetzt mit gruͤn reichlich bekleidet waren, daran wir
aber keine Spur von Anbau bemerken konnten. Die fuͤnf Veſtungen ließen ihre
Flaggen zugleich wehen, und von einer ward eine Canone abgefeuert. Wir
zeigten ebenfalls unſre Flagge, feuerten ein Stuͤck unterm Winde, und legten
in demſelben Augenblick das Schif nach Norden um.


Am 11ten paßirten wir die Linie zum zweyten mal, nachdem wir uns
zwey Jahre und neun Monathe lang in der Suͤdlichen Halbkugel aufgehalten.
Die hier gewoͤhnlichen Windſtillen hielten uns nicht eher auf, als bis wir den
4ten Grad noͤrdlicher Breite erreicht hatten. Sie dauerten vom 14ten bis
zum 18ten, worauf wir den Nord-Oſt-Paſſatwind bekamen. Die Mann-
ſchaft hatte in der Zwiſchenzeit einige Hayfiſche und ein Meerſchwein gefangen,
welche ſie mit gutem Appetit ſpeiſeten. Beynahe die Haͤlfte einer zahlreichen
Sammlung lebendiger Thiere, die mein Vater am Vorgebuͤrge der guten Hof-
nung
theuer gekauft hatte, ſtarben ehe ſie ſoweit gebracht werden konnten.
Wollte er die uͤbrigen am Leben erhalten, ſo mußte er ſich jetzt in neue Koſten
ſetzen, um ſie gegen die Bosheit der Matroſen zu ſichern, die faſt alle bisher
geſtorbenen heimtuͤckiſcher Weiſe umgebracht hatten.


Der Paſſatwind fuͤhrte uns innerhalb 12 Tagen uͤber dem heißen Erd-Julius.
guͤrtel hinaus, und hielt hernach noch fuͤnf Tage an; indem die Sonne, von
deren Standpunkt in der Eccliptik die Graͤnzen dieſes Windes abhaͤngen, noch
in den noͤrdlichen Zeichen ſtand. Am 4ten Julius bekamen wir kurze Wind-
ſtoͤße mit abwechſelnden Windſtillen, und am folgenden Tage erfolgte eine voͤl-
lige Windſtille, die zween Tage lang unveraͤndert, und noch zween andre, mit
leichten Luͤftgen vermiſcht, fortdauerte. Die Breiten, wo dieſe Windſtillen meh-
rentheils angetroffen werden, nennen die See-Leute, welche den Ocean zwiſchen
Europa und America befahren, die Pferde-Breiten, (horſe latitudes) in-
dem ſie den Pferden und anderm Vieh, das nach Amerika gefuͤhrt wird, ſehr
ſchaͤdlich ſind. Es giebt Faͤlle, wo dergleichen Windſtillen einen ganzen Mo-
nat angehalten, ohne daß mehr als ein ſchwaches Luͤftgen ſie von Zeit zu Zeit
unterbrochen haͤtte.


Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Th. L l l
[450]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.

Am neunten erhielten wir guten Wind, womit wir unſern Lauf nach
den Azoriſchen oder ſogenannten weſtlichen Eilanden (weſtern islands) richte-
ten. Am 13ten gegen vier Uhr Nachmittags erblickten wir auch ſchon die
Inſel Fayal. Fruͤh am folgenden Morgen naͤherten wir uns dem Lande, und
ſahen die hohe Inſel Pico, deren Ufer ganz mit Gruͤn bekleidet, und mit Woh-
nungen beſaͤet zu ſeyn ſchienen. Um ſieben Uhr gelangten wir in die Rheede
oder Bay von Fayal, wo die Schiffe gemeiniglich ankern. Der Portugieſi-
ſche Ober-Pilote kam uns in einem Boot entgegen, um uns einen ſichern Platz
im Hafen anzuweiſen, woſelbſt ſchon drey Schiffe vor Anker lagen. Er er-
zaͤhlte uns auf Franzoͤſiſch, daß eines derſelben, ein kleines Portugieſiſches Fahr-
zeug, neulich von Para in Braſilien, hier angelangt ſey, indem es ſeinen Be-
ſtimmungs-Ort, die Inſeln des gruͤnen Vorgebuͤrges, verfehlt hatte. Ein
andres kleines Fahrzeug zeigte keine Flagge, und kam von Nord-Amerika.
Das dritte war die Pourvoyeuſe, eine franzoͤſiſche Fregatte, deren Capitain
Mr. d’ Eſtelle mit der groͤßten Hoͤflichkeit einen Lieutenant mit dem Anerbieten
ſeiner Dienſte an Capitain Cook abſchickte. Nachdem wir das Anker hatten
fallen laſſen, ward ein Officier mit der gewoͤhnlichen Anfrage wegen der Be-
gruͤßung, an den Commendanten der Feſtung geſchickt; nachdem er aber ver-
ſchiedene Stunden lang aufgehalten worden, entließ man ihn mit der Antwort,
daß das Caſteel allemahl zwey Canonen weniger zuruͤckgaͤbe, als es bekommen
haͤtte, weshalb wir es denn gar nicht begruͤßten. Das amerikaniſche Fahr-
zeug ſeegelte Nachmittags ab, indem der Schiffer nichts Gutes von uns er-
wartete, ohnerachtet wir wirklich mit aller Welt Frieden fuchten.


Der Anblick der Stadt gegen die See machte faſt eben den Eindruck
auf uns, als der von Funchal in Madera. Sie liegt laͤngſt dem Strande
der Bay, an dem ſanften Abhange der Huͤgel, die rund umher eine Art von
Amphitheater bilden. Die Kirchen, Kloͤſter, Caſteele und Haͤuſer mit platten
Daͤchern, ſind groͤßtentheils weiß und machen eine ſehr mahleriſche Wuͤrkung.
Die Huͤgel uͤber der Stadt gehoͤren zu den anſehnlichſten, welche Natur und
Fleis je verſchoͤnert haben. Sie waren jetzt mit reifen Korn-Feldern, Gaͤr-
ten, Luſt-Waͤldern und allerley Gebaͤuden bedecket, die eine ſtarke Bevoͤlke-
rung und Wohlſtand verriethen. Zwey Caſteele, eins an jedem Ende der Stadt,
[451]in den Jahren 1772 bis 1775.
dienen ihr zur Vertheidigung, und beſtreichen zugleich die Rheede. Das1775.
Julius.

ſuͤdliche iſt das betraͤchtlichſte.


Gleich nach Mittage gieng Capitain Cook nebſt meinem Vater und
mir unter dem ſuͤdlichen Caſteel ans Ufer. Wir hatten kaum Fuß an Land ge-
ſetzt, ſo entdeckten wir ſchon, warum die Portugieſen nicht Schuß vor Schuß
auf unſre Salve antworten wollten. Die Canonen lagen auf veralteten La-
vetten, und da war es freylich nicht rathſam, ſie der gewaltſamen Erſchuͤtte-
rung des Abfeuerns auszuſetzen. Die mehreſten ſtanden auf einem Wall, der
viel zu enge war, um von [der geringſten] Erheblichkeit zu ſeyn. Ueberdem verſi-
cherte man uns, daß der jetzige oͤkonomiſche Miniſter in Portugal es fuͤr uͤber-
fluͤßig halte, bey dergleichen Gelegenheiten Schiespulver zu verſchwenden. Wir
giengen durch einen Theil der Stadt, die Villa da horta heißt. Sie iſt fuͤnf
Viertelmeilen lang, und beſteht aus einer Hauptſtraße, die von etlichen Queer-
Gaſſen durchſchnitten wird. Die Haͤuſer ſind gerade ſo wie in Madera ge-
baut, und haben vorſpringende Erker (balconies) die oben mit einem Dach,
an den Seiten aber mit beweglichen Gegittern ſtatt der Fenſter verſehen ſind.
Nachdem wir die drey Parochial-Kirchen beſucht hatten, die alle im Gothi-
ſchen Geſchmack und finſter wie in Madera gebauet ſind, wurden wir zum Eng-
liſchen Vice-Conſul, Herrn Dent gefuͤhrt, der uns ſehr hoͤflich empfieng, und
den Herrn Wales und Hodges nebſt meinem Vater und mir ſein Haus waͤh-
rend unſers Aufenthalts anbot. Hierauf fuͤhrte er uns in die verſchiednen
Kloͤſter. Eines gehoͤrt den Franciſcanern, und enthaͤlt zwanzig Moͤnche nebſt
verſchiednen Layen, die nach ihrer eignen Auſſage der hieſigen Jugend Unter-
richt in der Beredſamkeit, Philoſophie und Theologie geben. Ein andres
Kloſter liegt auf einer Anhoͤhe, und hat zwoͤlf Carmeliten nebſt ihren Lay-
Bruͤdern. Das dritte gehoͤrt zwoͤlf Capucinern und einigen Layen, und liegt
auf einem Huͤgel uͤber der Stadt. Das vierte ſteht im beſten, anſehnlichſten
Theile der Stadt und war das ehemalige Jeſuiter-Kloſter; allein es dient jetzt
zum Gerichtshofe, einen Fluͤgel ausgenommen, daraus eine oͤffentliche Schule
geworden iſt. Daß die Gelehrſamkeit in dieſen finſtern Zellen bluͤhen ſollte,
darf man nicht erwarten. Die Moͤnche haben hier nicht die geringſte Gele-
genheit etwas zu lernen, ſondern ſind zufrieden, wenn ſie nur angenehm und
L l l 2
[452]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.
ruhig leben koͤnnen, daher ſie ſich um das Studiren nicht bekuͤmmern. Wir
beſuchten hiernaͤchſt die beyden Nonnen-Kloͤſter. Eines iſt dem H. Johannes
gewidmet, und wird von 150 Nonnen vom Orden St. Clara und eben ſo viel
Maͤgden bewohnt. Sie tragen einen langen Rock von dunkel brauner Serge
(Serge) uͤber einen andern von weißem Kattun. Im zweyten Kloſter woh-
nen achtzig bis neunzig Nonnen, vom Orden der Noſſa Senhora de Con-
ceicao,
mit eben ſo vielen Aufwaͤrterinnen. Sie tragen weiße Kleider, und
auf der Bruſt ein blaues Stuͤck Seidenzeug mit einem Bilde der heiligen Jung-
frau [auf] einer ſilbernen Platte. Wir wurden an beyden Orten am Gegit-
ter ſehr hoͤflich empfangen, allein da keiner des andern Sprache verſtand, ſo
mußten wirs dabey bewenden laſſen. Ihre Ausſprache war ſanft, und in ei-
nem ſingenden Ton, den wir anfaͤnglich fuͤr geziert hielten, bis wir ihn durch-
gaͤngig bey dem ganzen Volke bemerkt hatten. Ihre Bildung war zum Theil
ſehr angenehm, und ihre Farbe nicht ſo dunkel, als wir erwartet hatten, doch
bey den mehreſten blaß und lebloß. Indeſſen hatte die Religion ihre Herzen
nicht ſo ganz erfuͤllt, daß nicht noch Funken des phyſicaliſchen Feuers uͤbrig
geblieben waͤren. Ihre ſchoͤnen Augen blieben der Natur noch getreu, und
will man nur den hundertſten Theil desjenigen glauben, was in Fayal erzaͤhlt
wird, ſo iſt nicht zu laͤugnen, daß der Liebesgott auch in ihren Zellen unum-
ſchraͤnkt regiere.


Wir ſpatzierten bis nach Sonnen-Untergang in der Stadt und auf den
umherliegenden Huͤgeln, und kamen endlich nach Herrn Dents, des Conſuls,
Hauſe zuruͤck. Daſelbſt machten wir Bekanntſchaft mit einem Portngie-
ſiſchen Prieſter, der etwas beſſer Latein, als die Moͤnche in allen dreyen Kloͤſtern
ſprach. Er war ein geſcheuter Mann, der viele Kenntniſſe beſaß, und ſich ver-
mittelſt einer ruͤhmlichen Wißbegierde, uͤber viele gewoͤhnliche Vorurtheile ſeiner
Landsleute weit hinweg geſetzt hatte. Er zeigte uns ein Spaniſches Litterariſch-
politiſches Journal, welches jetzt durchgaͤngig in ganz Portugal geleſen wird,
weil der Premier-Miniſter *) dort alle Arten von Zeitungen oder oͤffentlichen
[453]in den Jahren 1772 bis 1775.
Nachrichten zu drucken verboten hat. Bey ſolchen Verordnungen muß freylich1775.
Julius.

die tiefſte Unwiſſenheit in dieſem Koͤnigreiche allgemein werden, und darin be-
ſteht die groͤßte Sicherheit einer tyranniſchen Regierung.


Folgenden Morgen beſuchten wir die Officiers der Franzoͤſiſchen Fregatte,
die im Hauſe einer Engliſchen Wittwe, Madame Milton, wohnten. Dieſe
gute Frau brach gleich in Thraͤnen aus, ſo bald ſie hoͤrte, daß wir um die Welt
geſeegelt waͤren; denn dieſe Reiſe erinnerte ſie an den Verluſt eines Sohnes, der
mit Capt. Furneaux gefahren, und mit dem ungluͤcklichen Rowe, von den
Neu-Seelaͤndern den grauſamſten Tod erlitten hatte. Die Umſtaͤnde, womit
ſein Schickſal verknuͤpft war, ſind nach den Begriffen, die wir durch die Erzie-
hung bekommen, viel ſchrecklicher als jede andre Todes-Art, und mußten daher
einen ſo viel ſchmerzlichern Eindruck auf die betruͤbte, ungluͤckliche Mutter ma-
chen. Auch war ihre Wehmuth von der aͤchten Art, der jedes gefuͤhlvolle Herz
beyſtimmen muß, und erinnerte uns, wie viele Muͤtter beydes in Europa und
den Inſeln des Suͤd-Meeres, Urſache gehabt, den fruͤhen Tod ihrer Soͤhne
zu bejammern, und zugleich den Unternehmungs-Geiſt der Menſchen zu ver-
fluchen. Madame Milton hatte nach reiflicher Erwaͤgung der vielen Wider-
waͤrtigkeiten, die ſie in ihrem Leben empfunden, den Entſchluß gefaßt, ihrer
Tochter Ruhe und Gluͤckſeeligkeit zu verſichern, und ſie in eins der hieſigen
Kloͤſter zu ſchicken, ohne zugleich zu bedenken, daß im vierzehnten Jahre des
Lebens die Welt ſolche Reize und Annehmlichkeiten hat, die freylich im funfzig-
ſten ihre anziehende Kraft verlieren. Ihre Tochter war ſo wohlgebildet, daß ſie
den Portugieſiſchen Damen in Fayal den Preis der Schoͤnheit ſtreitig machen
konnte. Einer unſrer Officiers nahm ſich alſo ihrer an, und ſuchte Madame
Milton von ihrem Vorhaben abzubringen, indem er ſie in den plumpſten Aus-
druͤcken eines groben Seefahrers verſicherte, daß ſie, anſtatt ein verdienſtliches
Werk zu thun, den ewigen Fluch Gottes auf ſich ziehen wuͤrde. Die Leſer
moͤgen entſcheiden, ob die Ermahnungen eines Seemannes uͤberhaupt, und in
dieſem Tone, vielen Eindruck machen konnten; jedoch die Dame nahm ſie mit
einer gefaͤlligen Miene an, und in der Folge des Geſpraͤchs zeigte ſichs, daß ſie
nicht bloß aus Froͤmmigkeit, ſondern vielmehr aus Privat-Abſichten, ihre Toch-
ter zur Nonne zu machen wuͤnſchte.


L l l 3
[454]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.

Wir machten hernach einen Spatziergang auf die Huͤgel uͤber der Stadt.
Sie waren ſtark bebaut, und alle Felder mit Mauern umgeben, deren Steine
zuweilen verkittet, zuweilen auch nur in Moos gelegt waren. Die Einwohner
bauen groͤßtentheils Waizen, mit baͤrtigen langen Aehren, und kurzen Halmen.
Sie haben auch etwas Gerſte, die ſchon unters Dach gebracht war, und
Mays, oder tuͤrkiſches Korn, das hin und wieder zwiſchen den Kaſtanien-Baͤu-
men geſaͤet wird, die das Land ſehr verſchoͤnern. Steht es aber in offenen Fel-
dern, ſo iſt es mehrentheils mit Faſelbohnen vermengt. Um die Haͤuſer oder
Huͤtten her fanden wir einige Felder mit Gurken, Kuͤrbißen, Melonen und
Waſſermelonen, ſo wie auch Safflor, deſſen ſich die Portugieſen bedienen, um
ihren Speiſen eine gelbe Farbe mitzutheilen. Ihre Obſtgaͤrten enthalten Zitro-
nen, Orangen, Pflaumen, Apricoſen, Feigen, Birnen und Aepfelbaͤume. Sie
pflanzen wenig Kohl, und ihre gelben Ruͤben oder Moͤhren arten aus und werden
weis, weshalb ſie jaͤhrlich friſchen Saamen aus Europa kommen laſſen. Die
Regierung hat den Anbau der Kartoffeln ſcharf anbefohlen; ſie werden auch
haͤufig gepflanzt, aber wohlfeil verkauft, weil das Volk ſie nicht gern ißt.
Große ſuͤße Zwiebeln, und Knoblauch, werden von den Portugieſen als die
ſchmackhafteſten Gewaͤchſe in großer Menge gepflanzt, wie auch die ſogenannten
Liebes-Aepfel (Solanum lycoperſicon Linn.) die hier Fomatos heißen,
imgleichen Erdbeeren. Man findet auch einige Weingaͤrten, allein es wird nur
wenig und ſchlechter Wein davon gemacht. Ihre Ochſen ſind klein, haben aber
ſchmackhaftes Fleiſch, ohnerachtet ſie hier zu Lande nicht allein im Pfluge, ſon-
dern auch im Karren ziehen muͤſſen. Die hieſigen Schaafe, deren Fleiſch von
guten Geſchmack, ſind ebenfalls kleiner Gattung; hingegen Schweine und Zie-
gen ſehr langbeinigt. Von Federvieh findet man hier alle Arten. Ihre Pferde
ſind klein und ſchlecht; hingegen Eſel und Maulthiere ſchoͤn, zahlreich, und in
dieſem bergigten Lande brauchbar. Die Wege ſind ungleich beſſer gebahnt als
in Madera, und alles uͤberhaupt zeigt den groͤßeren Fleiß der Einwohner an.
Die Karren aber machen einen unertraͤglichen Lerm, den man ihrer ſchlechten
Conſtruction zuſchreiben muß. Die Raͤder beſtehen aus drey großen, unge-
ſchickten Stuͤcken Holz, mit Eiſen beſchlagen, und an eine ſtarke Achſe befeſtigt,
die ſich folglich mit den Raͤdern zugleich bewegt, und in einem runden Loche her-
[455]in den Jahren 1772 bis 1775.
umdreht, welches unter dem Karren in einem daſelbſt befeſtigten viereckigten1775.
Julius.

Balken angebracht iſt. Die Huͤtten des gemeinen Volks ſind von Thon gebaut,
und mit Stroh gedeckt; zwar klein aber kuͤhle und rein. Im ganzen genommen,
haben die Einwohner eine hellere Farbe, als die zu Madera. Ihre Zuͤge ſind eben-
falls ſanfter, obgleich in beyden eine Aehnlichkeit des National-Charakters her-
vorleuchtet. Ihre Kleidung iſt mehrentheils weit vollkommner, und beſteht aus
groben linnenen Hemden und Hoſen, mit blauen oder braunen Jacken und Stie-
feln. Die Weibsleute, die nicht ganz uneben ausſehen, tragen einen kurzen
Rock und Leibſtuͤcke oder Jacke, und das Haar hinten in einen Knoten gebunden.
Wenn ſie zur Stadt gehen, nehmen ſie einen Mantel um, der den Kopf bedeckt,
um den Leib gebunden wird, und nur eine kleine Oefnung fuͤr die Augen laͤßt.
Die Mannsperſonen ſetzen bey dieſer Gelegenheit einen großen ungekrempten
Hut auf, und nehmen einen Mantel um. Wir fanden ſie allenthalben entweder
im Felde oder zu Hauſe bey der Arbeit, und nicht ein einziger muͤßiger Bettler war
zu ſehen, worinn denn der Unterſchied zwiſchen dieſer Inſel und Madera ſehr
merklich iſt. Wir giengen in einige Waͤldgen und wilde Gebuͤſche oben auf den
Huͤgeln, wo wir viele Myrthen wild unter hohen Espen, auch haͤufige Buchen
fanden. Letztere werden in der Landesſprache [Faya] (fagus) genannt, und
daher ſoll der Nahme der Inſel, Fayal, entſtanden ſeyn. Der Proſpect von
dieſer Hoͤhe war aͤußerſt anmuthig. Stadt und Rheede lag unter unſern Fuͤßen,
und die Inſel Pico in einer Entfernung von zwey bis drey See-Meilen grade
gegenuͤber. Auf allen Seiten ließen ſich unzaͤhlige Canarien-Voͤgel, Droßeln,
Amſeln und andere Sang-Voͤgel hoͤren, deren Concert uns um ſo lieblicher war,
da es uns an Europaͤiſche Scenen erinnerte, die wir ſo lange nicht geſehn hatten.
Die ganze Inſel war ohnehin reich an allerley Voͤgeln, darunter wir beſonders
eine Menge gewoͤhnlicher Wachteln, einige Amerikaniſche Wald-Schneppen,
und eine kleine Art Habichte bemerkten. Von letzteren haben dieſe Inſeln den
Nahmen Azoren bekommen, weil auf Portugieſiſch ein Habicht Açor (Aſtur)
heißt. Die Hitze noͤthigte uns gegen Mittag zur Stadt zuruͤckzukehren, um uns
in den hohen kuͤhlen Zimmern in des Conſuls Hauſe zu verbergen. Die Gegend
war mir indeſſen zu reizend, als daß ich den ganzen Tag in der Stadt geblieben
waͤre. Ich verſuchte alſo mit Herrn Wales, Patton, Hodges und Gilbert
[456]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.
noch einen Spatziergang. Wir giengen beym Capuciner-Kloſter des h. Antonii,
auf dem Huͤgel, voruͤber, und nahmen ein paar lebhafte kleine Burſchen zu
Wegweiſern an, weil wir einen Bach oder ein Fluͤßgen zu ſehen wuͤnſchten, wo-
durch die Landſchaft natuͤrlicher Weiſe verſchoͤnert werden mußte. Nachdem wir
einige romantiſche Huͤgel und Waͤlder zuruͤckgelaſſen, woſelbſt Herr Hodges ver-
ſchiedne Zeichnungen machte, ſo ſahen wir eine ſchoͤne fruchtbare Ebene vor uns
liegen, die ganz mit Kornfeldern und Wieſen bedeckt war, und woſelbſt in einem
Waͤldchen von Espen und Buchen das Dorf Noſſa Senhora de la Luz lag.
An dieſem Orte trennten wir uns, und nur die Herren Patton und Hodges
giengen mit mir an dem ſo lange geſuchten Bach. Wir wurden anfaͤnglich ziem-
lich in unſrer Erwartung betrogen, indem wir nur das breite und tiefe Lager ei-
nes ſtarken Stroms erblickten, darinn an einer Seite ein kleiner unbetraͤchtlicher
Bach zwiſchen den Klippen und Kieſeln hinabrieſelte. Allein auf Zureden
unſrer kleinen Wegweiſer, giengen wir endlich hinunter, und kamen bald an eine
Quelle, woſelbſt mehrere Maͤdchen Waſſer ſchoͤpften. Wir bemerkten eine unter
ihnen, deren Kleidung und weißere Haut ſie vor den andern als eine Perſon von
hoͤherm Range auszeichnete, dabey ihr auch immer der Titel Senhora beygelegt
ward. Indeſſen hatte ſie deshalb gar kein Vorrecht, ſondern fuͤllte ihre Eimer ſo
gut, wie die andern. Wir fanden viel Vergnuͤgen an dieſem Ueberbleibſel von
patriarchaliſcher Einfalt, die um ſo merkwuͤrdiger in einem geſitteten Lande war,
wo Stolz und Faulheit die Unterſcheidungszeichen des hoͤheren Standes gewor-
den ſind. Wir giengen in dem Lager dieſes Regenbachs fort, welches, wie man
uns verſicherte, im Winter ganz mit Waſſer angefuͤllt iſt, indem um die Jahrs-
zeit ſtarke Regenguͤſſe ſehr gewoͤhnlich ſind. Die Einwohner erwarteten eben
jetzt einen Regen, und hatten daher viele Buͤndel Flachs in das trockne Lager
des Fluſſes gelegt, um ſie da einweichen zu laſſen. Dieſer Flachs war lang,
und allem Anſchein nach von vorzuͤglicher Guͤte, und wird auf der Inſel ſelbſt
zu grober Leinwand gemacht. Wir kamen ſehr ermuͤdet in die Stadt zuruͤck, da
es ſchon anfieng finſter zu werden. Unterweges hielten wir bey der Huͤtte eines
Bauren an, wo wir den gemeinen Landwein ſchmeckten, der zwar etwas herb,
aber uͤbrigens geſund und gut war. Der Regen, den die Leute erwartet hatten,
fiel wuͤrklich gleich nach unſrer Ruͤckkunft ein; und man ſagte, er waͤre zu dieſer
Jahres-
[457]in den Jahren 1772 bis 1775.
Jahreszeit beynahe unſchaͤtzbar, weil er die Trauben anfuͤllte, die ſonſt nicht1775.
Julius.

groͤßer als Johannisbeeren bleiben. In meiner Abweſenheit hatte ſich mein Va-
ter mit einigen Portugieſen, und beſonders dem oben erwaͤhnten Geiſtlichen un-
terhalten, die ihm verſchiedne Particularien, die Azoriſchen Inſeln und ihren ge-
genwaͤrtigen Zuſtand betreffend, mittheilten. Ich ſehe mich dadurch im Stand
geſetzt, folgende Nachricht davon den Leſern mitzutheilen:


Einige Flaͤmiſche Schiffe entdeckten zuerſt die Azoriſchen Inſeln im Jahr
1439. Verſchiedne Familien dieſer Nation ließen ſich zu gleicher Zeit auf
Fayal nieder, woſelbſt noch jetzt ein Kirchſpiel Flamingos heißt. Aus eben
dem Grunde haben einige alte Geographen die Azoren, die Flaͤmiſchen Inſeln
genannt. Im Jahr 1447 entdeckten die Portugieſen die Inſel Santa Maria,
oder die oͤſtlichſte in dieſer Gruppe, hernach St. Miguiel (Michael) und dar-
auf Terceira (die dritte). Don Gonzalo Velho Cabral, Commandeur von
Almuros, ließ ſich 1449 auf Terceira nieder, und legte die Stadt Angra an.
Die Inſeln St. George, Gracioſa, Pico und Fayal wurden nach einander
entdeckt und in Beſitz genommen. Endlich erblickte man auch die beyden Weſt-
lichſten Inſeln dieſer Gruppe, und nannte ſie Flores und Corvo, die eine we-
gen der daſelbſt haͤufigen Blumen, die andre wegen der Menge von Kraͤhen, die
dort gefunden worden.


Dieſe Inſeln, die insgeſammt fruchtbar, und von ſehr arbeitſamen Leu-
ten bewohnt ſind, ſtehen unter einem General-Gouverneur, der ſich zu Angra in
Terceira aufhaͤlt. Der jetzige hieß Don Anton de Almada, und ward durch-
gaͤngig als ein leutſeeliger Mann geruͤhmt, der jede Art von Unterdruͤckung ver-
abſcheute. Anſtatt in dieſem eintraͤglichen Poſten Schaͤtze zuſammen zu ſchar-
ren, hatte er vielmehr von dem Seinigen zugeſetzt, um durch ſeinen Staat und
Aufwand die Inſeln in Flor zu bringen, weshalb man ihn ſechs Jahre, oder
noch einmal ſo lange als ſonſt gewoͤhnlich in dieſem Gouvernement beybehalten
hatte. Sein Nachfolger, Don Luis de Tal Pilatus, ward jetzo ſtuͤndlich
aus Liſſabon, nebſt einem neuen Biſchofe von Angra erwartet. Die Dioceſe
dieſes Praͤlaten erſtreckt ſich uͤber alle Azoren, und es gehoͤren zwoͤlf Canonici zu
ſeinem Capitel. Seine Einkuͤnfte werden in Weizen entrichtet, und belaufen
ſich auf 300 Muys, jedes zu 24 Scheffeln (Engliſch). Jedes Muy iſt wenig-
Forſter’s Reiſe u. die W. zweyter Theil. M m m
[458]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.
ſtens vier Pfund Sterling werth, ſo daß er an 1200 Pf. Sterling jaͤhrlich ein-
nimmt. Jede Inſel ſteht unter einem Capitan-Mor, oder Commendanten,
der die Aufſicht uͤber das Polizeyweſen, die Miliz und die Einkuͤnfte hat. Ein
Juiz oder Richter ſteht den Civil-Geſetzen auf jeder Inſel vor; man appellirt
von ihm an ein hoͤheres Gericht in Terceira, und von dieſem wiederum nach
Liſſabon, an das oberſte Gericht. Die Einwohner ſollen ſehr ſtreitſuͤchtig ſeyn,
und daher den Advocaten viel zu thun geben.


Die Inſel Corvo, die kleinſte der Azoren, enthaͤlt kaum ſechs hundert
Einwohner, die groͤßtentheils Weizen bauen, und Schweine maͤſten, davon ſie
jaͤhrlich eine geringe Quantitaͤt Speck ausfuͤhren.


Die Inſel Flores iſt etwas groͤßer, fruchtbarer und volkreicher, und
fuͤhrt ohngefaͤhr 600 Muys Weizen, und etwas Speck aus. Allein da auf die-
ſen beyden Inſeln kein Wein gebauet wird, ſo muͤſſen ſie ſich damit von Fayal aus
verſehen. Vor vielen Jahren ſcheiterte ein großes reichbeladnes Spaniſches
Kriegsſchiff an der Kuͤſte von Flores. Doch ward die Mannſchaft und die La-
dung gerettet. Dieſe Spanier brachten die veneriſche Krankheit auf die Inſel,
woſelbſt man ſie zuvor gar nicht gekannt hatte; und weil das Frauenzimmer ihren
reichen Geſchenken nicht widerſtehen konnte, ſo waren in kurzer Zeit alle Ein-
wohner ohne Ausnahme angeſteckt. Um fuͤr dies Verbrechen gewiſſermaßen zu
buͤßen, bauten ſie mit großen Koſten eine Kirche, welche jetzt fuͤr das ſchoͤnſte
Gebaͤude in den Azoren gehalten wird. Die Seuche hat ſich indeſſen ſo wie in
Peru, und hie und da in Siberien, alſo auch auf dieſer Inſel dermaßen fort-
gepflanzt, daß niemand davon frey iſt.


Fayal iſt eine der groͤßern Azoren, indem ſie von Oſt nach Weſten neun
große Seemeilen (leagues) lang, und viere breit iſt. Der jetzige Commendant
oder Capitan-Mor, hieß Senhor Thomas Francisco Brum de Silveyra.
Man hielt ihn fuͤr geizig und geldgierig, und verſicherte uns, daß er aus keiner an-
dern Urſache beſtaͤndig auf dem Lande wohne, als um dadurch den Umgang mit
Fremden und Einwohnern zu vermeiden. Der Richter von Fayal ward mit dem
neuen General-Gouverneur aus Portugal erwartet. Das Haupt der Geiſtlich-
keit wird auf dieſer Inſel nur Oviedor (auditor) genannt, und war Pfarrer
an der Hauptkirche in der Stadt.


[459]in den Jahren 1772 bis 1775.

Was die Gelehrſamkeit betrift, ſo ſteht ſie zu Fayal in keiner Achtung,1775.
Julius.

welches in allen Azoren und in Portugall ſelbſt der Fall iſt. Herrn von Fleurieu
und dem Franzoͤſiſchen Sternkundigen, Herrn Pingre, die vor einiger Zeit die
Laͤngen-Uhren des Herrn le Roy auf die Probe nahmen, verbot man zu Terceira
ihre Inſtrumente ans Land zu bringen, weil man aberglaͤubiſch beſorgte, es moͤch-
te der Inſel Unheil verurſachen *). Seit mehr als zwey Jahren ward eine Auflage
von zwey Reys**) auf jeden Canari von Wein gelegt, der in Fayal und Pico
gebaut wird. Dieſe Auflage, die fuͤr jedes Faß ohngefaͤhr einen Schilling Ster-
ling betraͤgt, und jaͤhrlich an 1000 Pf. Sterling einbringt, wollte man zu den
Gehalten dreyer Profeſſoren anwenden, die in Liſſabon gepruͤft und nach Fayal
geſchickt werden ſollten. Allein zum Ungluͤck fuͤr die Wiſſenſchaft, und fuͤr die
Einwohner dieſer Inſel uͤberhaupt, hatte man das Geld nicht ſo bald zuſammen
gebracht, ſo ward es ganz anders angelegt, und dient jetzt zur Beſoldung und
zum Unterhalt der Garniſon, welche, wie man vorgiebt, aus hundert Mann,
wirklich aber nur aus vierzig beſteht, die weder Zucht und Ordnung kennen,
noch mit hinlaͤnglichem Gewehr verſehen ſind. Die Folge dieſes Misbrauchs iſt
der gaͤnzliche Mangel oͤffentlicher Erziehungs-Anſtalten. Daher nur diejenigen
Einwohner, die es bezahlen koͤnnen, im Stande ſind, ihren Kindern etwas bey-
bringen zu laſſen. Zwar iſt hier ein Profeſſor befindlich, der die erfoderliche
Pruͤfung uͤberſtanden hat; allein weil das Gehalt ausblieb, ſo muß er ſein Brod
kuͤmmerlich durch Unterricht im Lateiniſchen verdienen. Die Auflage auf den
Wein iſt nicht die einzige, wovon man einen ſo ſchlechten Gebrauch macht.
Eine andre von weit groͤßerm Belang, die in zwey Procent von allen Ausfuh-
ren beſteht, war beſtimmt, die Veſtungswerke zu unterhalten. Allein die Waͤlle
ſind verfallen, die Batterien gehen zu Grunde, und das Geld wird nach Terceira
M m m 2
[460]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.
geſchickt, und [dort] nicht vortheilhafter genutzt. Der Zehnte aller Produkte der
Azoren faͤllt dem Koͤnige zu; der einzige Artikel Tobak, iſt ein Monopolium der
Krone, und bringt große Summen ein. Der Beſitz dieſer Inſeln, ſo klein ſie
ſind, kann alſo dem Portugieſiſchen Hofe nie gleichguͤltig werden.


Weizen und Mais oder tuͤrkiſches Korn ſind die vorzuͤglichſten Produkte
von Fayal, und von erſterem werden verſchiedene Schifsladungen in guten Jah-
ren nach Liſſabon geſchickt. Man bauet auch etwas Flachs. Aber der Wein,
der unter dem Nahmen von Fayal verkauft wird, wird blos auf der Inſel Pico
gebaut, die gerade gegen uͤber liegt und keinen Hafen hat. Die Einwohner von
Fayal ſollen ſich auf 15000 belaufen, und ſind in zwoͤlf Kirchſpiele vertheilt.
Der dritte Theil wohnt in der Stadt Villa de Horta, welche drey Kirchſpiele
enthaͤlt. Die Rade oder Bay wird im Sommer fuͤr ziemlich ſicher gehalten,
liegt aber im Winter den Suͤd- und Suͤd-Oſt-Winden ausgeſetzt, welche, wie
man mich verſichert, zu dieſer Jahrszeit ſehr heftig ſind. Jedoch, da der Grund
ſehr gut und ſandigt iſt, ſo liegen die Amerikaniſchen Handelsſchiffe daſelbſt an
drey bis vier Ankern, waͤhrend des ſchlimmſten Wetters. Der Pico-Wein
wird groͤßtentheils von Fayal nach Nord-Amerika und Braſilien[verfuͤhrt].


Die Inſel Pico hat dieſen Nahmen von dem darauf belegenen hohen
Pick, oder ſpitzen Berge erhalten, der oft in Wolken gehuͤllt iſt, und den Ein-
wohnern von Fayal ſtatt eines Barometers dient. Pico iſt nicht nur die groͤſ-
ſeſte, ſondern auch die volkreichſte aller Azoren, und enthaͤlt 30000 Einwoh-
ner. Es ſind daſelbſt keine Kornfelder, indem alles mit den ſchoͤnſten Weingaͤr-
ten bedeckt iſt, die einen entzuͤckenden Anblick auf den ſanften Anhoͤhen am Fuße
des Picks geben. Korn und andre Lebensmittel werden den Einwohnern aus
Fayal zugefuͤhrt; und die beſten Familien dieſer letzteren Inſel haben große
Beſitzungen auf der gegenuͤber liegenden weſtlichen Seite von Pico. Die
Zeit der Weinleſe iſt ein beſtaͤndiges Freudenfeſt. Der vierte, auch wohl der
dritte Theil aller Einwohner von Fayal kommt alsdenn mit ihren ſaͤmmtlichen
Familien bis auf Hunde und Katzen nach Pico heruͤber. Eine Menge Trauben,
davon man 3000 Faß Wein machen koͤnnte, werden bey der Gelegenheit ver-
zehrt, weil jeder ſich mit dieſer koͤſtlichen Frucht guͤtlich thut, obgleich die Por-
tugieſen ſonſt Muſter von Maͤßigkeit ſind. Vor Zeiten wurden jaͤhrlich 30000
[461]in den Jahren 1772 bis 1775.
auch in guten Jahren 37000 Faͤſſer Wein gemacht; allein vor etlichen Jahren1775.
Julius.

grif eine Art von Krankheit die Weinſtoͤcke an, und verurſachte, daß die Blaͤtter
gerade zu der Zeit abfielen, da die Trauben am mehreſten gegen die Sonne ge-
deckt werden ſollten *). Sie haben ſich nur erſt kuͤrzlich wieder erholt, und ge-
ben an 18000 bis 20000 Faͤſſer. Der beſte Wein wird am weſtlichen Ufer
in denen Weingaͤrten gebauet, die den Einwohnern von Fayal gehoͤren. Der
oſtwaͤrts wachſende Wein wird zu Brandtwein gemacht, da denn jedesmal vier
Maas Wein auf ein Maas Brandtwein gehen. Der beſte Wein iſt ſcharf,
aber ſehr angenehm, und ſtark, und wird immer beſſer, je laͤnger man ihn auf-
bewahrt. Eine Pipe (zwey Oxhoft) wird zur Stelle mit 4 bis 5 Pfund Ster-
ling bezahlt. Eine kleine Quantitaͤt ſuͤßen Weins, wird noch auf Pico ge-
baut, und Paſſada genannt, davon die Pipe acht bis zehn Pfund Sterling
koſtet.


San George iſt eine kleine ſchmale Inſel, ſehr ſteil und ziemlich hoch.
Sie hat 5000 Einwohner, welche vielen Weizen aber wenig oder gar keinen
Wein bauen.


Gracioſa iſt nicht ſo ſteil als die vorige Inſel; aber ebenfalls klein
und traͤgt groͤßtentheils Weizen, welchen 3000 Einwohner bauen. Ein
ſchlechter Wein wird in geringer Quantitaͤt gemacht, und ſogleich in Brandt-
wein verwandelt, davon ein Faß den Geiſt von ſechs Faͤſſern Wein enthaͤlt.
Gracioſa und San George haben auch viel Huͤtungen und die Einwohner machen
Kaͤſe und Butter zur Ausfuhr.


Terceira iſt nach Fayal die groͤßte Inſel unter den Azoren. Sie iſt
ſtark mit Weizen angebauet, und hat auch einen ſchlechten Landwein. Als Re-
ſidenz des General-Gouverneurs, des Ober-Juſtitz-Gerichts und des Biſchofs
betrachtet, iſt ſie einigermaaßen von groͤßerer Wichtigkeit, als die uͤbri-
gen. Die Einwohner belaufen ſich auf 20000, und fuͤhren Weizen nach
Liſſabon.


M m m 3
[462]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.

San Miguiel iſt ebenfalls von betraͤchtlichen Umfange, ſehr frucht-
bar und volkreich, ſo daß ſich die Volksmenge auf 25000 Perſonen belaͤuft.
Hier wird kein Wein, wohl aber Weizen und Flachs in Menge gebaut. Von
letzterem verarbeiten die Einwohner ſo viele grobe Leinewand, daß jaͤhrlich
drey Schifsladungen nach Braſilien geſchickt werden koͤnnen. Dieſe Leinewand
iſt ohngefaͤhr eine Elle breit, und die ſchlechteſte Sorte wird zu anderthalb Eng-
liſchen Schillingen oder etwa zehn Groſchen die Vara*) verkauſt, welches
allem Anſchein nach erſtaunlich theuer iſt. Der vornehmſte Ort in dieſer Inſel
iſt eine Stadt, die Ponte del Gada genannt wird.


Santa Maria iſt die Suͤd-Oeſtlichſte aller Azoren, und traͤgt vielen
Weizen. Der Einwohner ſind an 5000, worunter einige ſich mit Verfertigung
einer Art irdener Waare beſchaͤftigen, die in allen dieſen Inſeln abgeſetzt wird.
Sie haben auch neulich zwey kleine Schiffe, von dem auf der Inſel gewachſenen
Holze erbaut.


Ich ſchmeichle mir, daß obige Nachrichten, die zwar keine vollſtaͤndige
Beſchreibung der Azoren enthalten, dennoch den Leſern angenehm ſeyn werden,
indem dieſe, uns ſo nah gelegne Inſeln, wenig bekannt ſind, und ſelten von Eu-
ropaͤern beſucht werden.


Wir beſahen den Sonntag uͤber verſchiedne Kirchen, und begleiteten
unſern Capitain Nachmittags in die Kloͤſter. Jedes hat eine eigne Kirche,
wo wir gemeiniglich zwo einander gegenuͤber ſtehende Kanzeln gewahr wurden.
Es iſt hier zu gewiſſen Zeiten gewoͤhnlich, daß man dem Teufel die Erlaubniß
ſich zu vertheidigen geſtattet. Er beſteigt alſo die eine Kanzel, indem er von
der andern verklagt und zugleich verdammt wird. Denn das kann man ſich wohl
vorſtellen, daß wenn ſein Gegner auch der dummſte Moͤnch iſt, den je ein Kloſter
gemaͤſtet hat, der arme Teufel dennoch den kuͤrzern ziehen muß. Die Altaͤre ſind
mehrentheils aus Cedernholz gemacht, und verbreiten einen angenehmen Geruch
in der ganzen Kirche. Abends ſahen wir eine große Proceſſion, wo alle Prieſter
aus der ganzen Stadt, und die vornehmſten Einwohner in ſchwarzen Maͤnteln
zugegen waren. Der Verfolgungsgeiſt, den man der Roͤmiſchen Kirche zuwei-
[463]in den Jahren 1772 bis 1775.
len in andern Laͤndern vorwirft, ſcheint hier bey dem beſtaͤndigen Umgange und1775.
Julius.

Handel mit Nord-Amerika ſehr abgenommen zu haben. Wenn die Hoſtie vor-
uͤbergeht, wird niemand beleidigt, der ſie nicht anbetet; und Fremde insbeſon-
dere koͤnnen ſich in dieſem Betracht einer beſcheidenen Behandlung ruͤhmen, die
man in der hoͤflichen, aber ſklaviſchen Hauptſtadt Frankreichs vergeblich er-
wartet.


Am folgenden Morgen ſpatzierten wir auf die nordwaͤrts von der Stadt
liegenden Berge, die reich an ſchoͤnen Proſpekten ſind. Die Wege waren an
beyden Seiten mit hohen ſchattigten Baͤumen beſetzt, und mit Kornfeldern, Obſt
und Kuͤchengaͤrten umgeben. Wir konnten die ganze Ebene, mit dem Dorf
Noſſa Senhora de la Luz, und jenſeits deſſelben, eine Reihe von Bergen
uͤberſehen, die den hoͤchſten Theil der Inſel ausmachen. Daſelbſt iſt ein tiefes
zirkelfoͤrmiges Thal nach Ausſage der Einwohner oben auf einem Berge befind-
lich, ohngefaͤhr neun Engliſche Meilen von der Stadt. Dieſe Hoͤlung hat uͤber
zwo große Seemeilen im Umkreiſe, und an allen Seiten einen ſanften Abhang,
der mit ſchoͤnem Graſe bekleidet iſt. Die Einwohner laſſen daſelbſt große Heer-
den Schaafe weiden, die faſt ganz wild geworden ſind. Kaninchen und Wach-
teln ſind dort auch haͤufig. In der Mitte ſteht ein See von friſchem Waſſer,
worauf ſich unzaͤhlige wilde Enten aufhalten. Das Waſſer iſt nirgends uͤber
vier bis fuͤnf Fuß tief. Dieſe Hoͤhlung, die wegen ihrer Figur, la Caldeira,
der Keſſel, genannt wird, ſcheint der Crater eines ehmaligen Volkans zu ſeyn,
welches um ſo mehr wahrſcheinlich iſt, weil in den Azoriſchen Inſeln bekannter-
maaßen verſchiedne Volkane exiſtirt haben. Der ſonderbare Berg, der ſich
1638 unweit der Inſel San Miguiel aus der See emporhob und eine neue In-
ſel formirte, ward unſtreitig durch die Wuͤrkung eines ſehr maͤchtigen Volkans
zum Vorſchein gebracht; und ob er gleich bald nachher wieder verſchwand, ſo iſt
doch ſeine kurze Erſcheinung hinlaͤnglich den Satz umzuſtoßen, daß nur die hoͤch-
ſten Picks innerliche Feuer haben koͤnnen. Die Inſel die 1720 im November
zwiſchen Terceira und St. Miguiel gefunden ward, war von eben der Art, und
beſtaͤtigte den vorigen Umſtand. Von *) der hohen Spitze von Pico ſteigt
[464]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.
ein beſtaͤndiger Rauch empor, wie uns Herr Xaviers, ein Portugieſiſcher Haupt-
mann verſicherte, der mit vieler Muͤhe hinauf geklettert war. Bey ſchoͤnem hel-
lem Wetter kann man dieſen Rauch, des Morgens ganz fruͤhe, in Fayal ſehen.
Erdbeben ſind ſehr gewoͤhnlich in allen Azoriſchen Inſeln, und man hatte nur
drey Wochen vor unſrer Ankunft verſchiedne Stoͤße zu Fayal empfunden. Faſt
alle Inſeln des Atlantiſchen Oceans haben alſo, ſo wie die Inſeln im Suͤd-
Meer
, Ueberbleibſel voriger Volkane, oder enthalten noch jetzo feuerſpeyende
Berge.


Wir kamen in die Stadt zuruͤck, nachdem wir das Landhaus und die
Gaͤrten eines der vornehmſten Einwohner beſucht, und darinn mehr Geſchmack,
als wir hier zu Lande erwartet, gefunden hatten. Obgleich wir nur eben den
heißen Erdguͤrtel verlaſſen hatten, ſo war uns doch die Hitze ſehr beſchwerlich.
Das Clima ſoll aber auf den Azoren mehrentheils ſehr gluͤcklich, geſund und ge-
maͤßigt ſeyn. Die Rauhigkeit des Winters wird dort nie geſpuͤrt; zwar ſind
die Winde zu der Jahrszeit heftiger, und die Regenguͤſſe haͤufiger als ſonſt; al-
lein Froſt und Schnee bleiben auf dem oberſten Gipfel des Picks. Der Fruͤh-
ling und Herbſt, ſo wie der groͤßte Theil des Sommers ſollen hoͤchſt anmuthig
ſeyn; weil ein ſchoͤner friſcher See-Wind die Luft gemeiniglich ſo abkuͤhlt, daß
die Sonnenhitze nicht laͤſtig faͤllt.


Nachmittags holte mich der franzoͤſiſche Conſul, Herr Eſtries ab, und
fuͤhrte mich ins Kloſter St. Clara. Seine ganze Familie beſuchte daſelbſt ſei-
ne Schweſtern, ein paar Nonnen. Nicht einmal die Frauenzimmer wurden
innerhalb des Gegitters eingelaſſen, welches doch ſonſt in andern Laͤndern ge-
ſchieht. Die Nonnen pflegen ihren Gaͤſten gemeiniglich einige Naͤſchereien
vorzu-
*)
[465]in den Jahren 1772 bis 1775.
vorzuſetzen, diesmahl aber ſchickten ſie ein ganzes Gaſtmahl heraus, welches1775.
Julius.

in verſchiedenen ſuͤßen und fetten Gerichten beſtand. Unwahrſcheinlich iſt es
freylich, daß der Geiſt ruhig und zu geiſtlichen Betrachtungen und Gebeten
aufgelegt ſeyn kann, ſo lange der Leib durch Faſten und Wachen geſchwaͤcht
und abgezehrt wird. Allein ob gerade eine entgegengeſetzte Lebens-Art, wo
alle Niedlichkeiten der wolluͤſtigſten Tafel im Ueberfluſſe genoſſen werden, die-
ſer Haupt-Abſicht des Kloſter-Lebens mehr gemaͤß ſey, iſt ſicherlich gegruͤnde-
ten Zweifeln unterworfen.


Den folgenden Tag nahmen wir von allen unſern Bekannten Abſchied,
und fuhren zu Mittage mit dem Conſul und verſchiednen portugieſiſchen Her-
ren ans Schif. Der Nachmittag ſtrich angenehm vorbey, indem unſre Gaͤ-
ſte im Umgange ungezwungen und aufgeraͤumt waren, und ſich in dem Stuͤ-
cke ſehr von dem portugieſiſchen Adel in Madera unterſchieden, deſſen Chara-
cter unwiſſender Hochmuth iſt. Abends giengen ſie an Land zuruͤck, und um
vier Uhr am folgenden Morgen lichteten wir die Anker, und ſeegelten mit guͤn-
ſtigem Winde ab.


Wir fuhren bey San George und Gracioſa voruͤber und erblickten
Terceira gegen Mittag. Um drey Uhr Nachmittags liefen wir an der noͤrd-
lichen Kuͤſte hin, woſelbſt wir die reichſten Kornfelder und verſchiedne Doͤrfer
mit Baͤumen umgeben ſahen. Gegen Abend entfernten wir uns, und richte-
ten unſern Lauf nach dem engliſchen Canal. Am 29ſten um 4 Uhr Nachmit-
tags entdeckten wir [Start-Point] und den Leuchtthurm auf Eddiſtone, die-
ſelben Gegenden der engliſchen Kuͤſte, die wir im Anfange der Reiſe zuletzt ge-
ſehen hatten. Am folgenden Morgen liefen wir bey den Nadel-Klippen
(needles) vorbey, zwiſchen der Inſel Wight und den fruchtbaren Ufern von
Hampſhire, bis wir noch etwas vor Mittage zu Spithead die Anker fallen
ließen.


So vollendeten wir, nachdem wir unzaͤhlige Gefahren und Muͤhſelig-
keiten uͤberſtanden, eine Reiſe, die drey Jahre und achtzehn Tage gedauert
hatte. Wir hatten in dieſem Zeitraum eine groͤßere Anzahl Meilen zuruͤckge-
legt, als je ein andres Schif vor uns gethan; indem alle unſre Curs Linien
zuſammen gerechnet, mehr als dreymal den Umkreis der Erdkugel ausmachen.
Forſter’s Reiſe u. die Welt zweyter Th. N n n
[466]Forſter’s Reiſe um die Welt
1775.
Julius.
Auch waren wir ebenfalls gluͤcklich genug geweſen, nicht mehr als vier Mann
zu verlieren, davon drey zufaͤlliger Weiſe ums Leben gekommen, und der vier-
te an einer Krankheit geſtorben war, die ihn vermuthlich, waͤre er in England
geblieben, weit eher ins Grab gebracht haͤtte. *)


Der Hauptendzweck unſrer Reiſe war erfuͤllt; wir hatten nehmlich ent-
ſchieden, daß kein veſtes Land in der ſuͤdlichen Halbkugel, innerhalb des ge-
maͤßigten Erdguͤrtels liege. Wir hatten ſogar das Eis-Meer jenſeit des An-
tarctiſchen Zirkels durchſucht, ohne ſo betraͤchtliche Laͤnder anzutreffen, als man
daſelbſt vermuthet hatte. Zu gleicher Zeit hatten wir die fuͤr die Wiſſenſchaft
wichtige Entdeckung gemacht, daß die Natur mitten im großen Welt-Meere,
Eisſchollen bildet, die keine Salztheilchen enthalten, ſondern alle Eigenſchaf-
ten des reinen und geſunden Waſſers haben. In andern Jahrszeiten hatten
wir das Stille-Meer innerhalb der Wende-Zirkel befahren; und daſelbſt den
Erdbeſchreibern neue Inſeln, den Naturkundigern neue Pflanzen und Voͤgel,
und den Menſchenfreunden insbeſondere, verſchiedene noch unbekannte Abaͤn-
derungen der menſchlichen Natur aufgeſucht. In einem Winkel der Erde hat-
ten wir, nicht ohne Mitleid, die armſeeligen Wilden von Tierra del Fuego
geſehn; halb verhungert, betaͤubt und gedankenlos, unfaͤhig ſich gegen die
Rauhigkeit der Witterung zu ſchuͤtzen, und zur niedrigſten Stufe der menſch-
lichen Natur bis an die Graͤnzen der unvernuͤnftigen Thiere herabgewuͤrdigt.
In einer andern Gegend hatten wir die gluͤcklichern Voͤlkerſchaften der Socie-
taͤts-Inſeln
bemerkt; ſchoͤn von Geſtalt und in einem vortreflichen Clima le-
bend, welches alle ihre Wuͤnſche und Beduͤrfniſſe befriedigt. Ihnen waren
ſchon die Vortheile des geſelligen Lebens bekannt; bey ihnen fanden wir Men-
ſchen-Liebe und Freundſchaft; ihnen war es aber auch zur Gewohnheit gewor-
den, der Sinnlichkeit bis zur Ausſchweifung Raum zu geben. Durch die Be-
[467]in den Jahren 1772 bis 1775.
trachtung dieſer verſchiedenen Voͤlker, muͤſſen jedem Unpartheyiſchen die Vor-1775.
Julius.

theile und Wohlthaten, welche Sittlichkeit und Religion uͤber unſern Welttheil
verbreitet haben, immer deutlicher und einleuchtender werden. Mit dankba-
rem Herzen wird er jene unbegreifliche Guͤte erkennen, welche ihm ohne ſein
Verdienſt einen weſentlichen Vorzug uͤber ſo viele andre Menſchen gegeben, die
ihren Trieben und Sinnen blindlings folgen, denen die Tugend nicht einmal
den Namen nach bekannt, und fuͤr deren Faͤhigkeiten der Begrif von einer
allgemeinen Harmonie des Weltgebaͤudes noch viel zu hoch iſt, als daß ſie dar-
aus den Schoͤpfer gehoͤrig erkennen ſollten. Uebrigens iſt wohl nichts augen-
ſcheinlicher und gewiſſer, als daß die Zuſaͤtze, die auf dieſer Reiſe zum Ganzen
der menſchlichen Kenntniſſe gemacht worden, obſchon nicht ganz unbetraͤchtlich,
dennoch von geringem Werth ſind, ſobald wir ſie mit dem, was uns noch ver-
borgen bleibt, in Vergleichung ſtellen. Unzaͤhlig ſind die unbekannten Gegen-
ſtaͤnde, welche wir, aller unſrer Einſchraͤnkung ohngeachtet, noch immer er-
reichen koͤnnen. Jahrhunderte hindurch werden ſich noch neue, unbeſchraͤnk-
te Ausſichten eroͤfnen, wobey wir unſere Geiſteskraͤfte in ihrer eigenthuͤmli-
chen Groͤße anzuwenden und in dem herrlichſten Glanze zu offenbaren Gelegen-
heit finden werden.


Vedi inſieme l’uno e l’altro polo,
Le Stelle vaghe, e lor viaggio torto;
E vedi, ’l veder noſtro quanto è corto!

Petrarca


[][]

Appendix A Inhalt des erſten Theils.
Erſtes Hauptſtuͤck.


  • Abreiſe — Fahrt von Plymouth nach Madera — Beſchreibung dieſer Inſel. S. 3
  • Zweytes Hauptſtuͤck.
    Reiſe von Madera nach den Inſeln des gruͤnen Vorgebuͤrges und von da, nach dem
    Vorgebuͤrge der guten Hofnung. 23
  • Drittes Hauptſtuͤck.
    Aufenthalt am Cap — Nachricht von der dortigen Colonie. 45
  • Viertes Hauptſtuͤck.
    Reiſe vom Cap nach dem antarctiſchen Zirkel — Erſte Fahrt in hoͤhere ſuͤdliche Brei-
    ten — Ankunft auf der Kuͤſte von Neu-Seeland. 65
  • Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
    Aufenthalt in Dusky-Bay — Beſchreibung derſelben — Nachricht von unſern Ver-
    richtungen. 93
  • Sechſtes Hauptſtuͤck.
    Reiſe von Dusky-Bay nach Charlotten-Sund — Wiedervereinigung mit der Adven-
    ture — Verrichtungen daſelbſt. 143
  • Siebentes Hauptſtuͤck.
    Reiſe von Neu-Seeland nach O-Tahiti. 175
  • Achtes Hauptſtuͤck.
    Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Inſel O-Tahiti — Ankern
    in Matavai-Bay. 192
  • Neuntes Hauptſtuͤck.
    Aufenthalt in Matavai-Bay. 245
  • Zehntes Hauptſtuͤck.
    Nachricht von unſerm Aufenthalt auf den Societaͤts-Inſeln. 279
  • Eilftes Hauptſtuͤck.
    Reiſe von den Societaͤts-Inſeln nach den freundſchaftlichen Inſeln; und Nachricht von
    unſerm Aufenthalt daſelbſt. 315
  • Zwoͤlftes Hauptſtuͤck.
    Seefahrt von den freundſchaftlichen Inſeln nach Neu-Seeland. — Trennung von der
    Adventure — Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund. 364
  • Dreyzehntes Hauptſtuͤck.
    Zweyte Fahrt in die ſuͤdlichen Breiten, von Neu-Seeland nach Eaſter- oder Oſter-
    Eyland
    . 398
  • Vierzehntes Hauptſtuͤck.
    Nachricht von Oſter-Eyland und unſerm Aufenthalt daſelbſt. 411

[]

Appendix B Inhalt des zweeten Theils.


  • Erſtes Hauptſtuͤck.
    Reiſe von Oſter-Eiland nach den Marqueſas. — Aufenthalt im Haven Madre de
    Dios
    auf der Inſel Waitahu — Reiſe von da uͤber die flachen Inſeln nach Ta-
    hiti
    . S. 3
  • Zweytes Hauptſtuͤck.
    Nachricht vom zweeten Beſuch auf der Inſel Tahiti. 39
  • Drittes Hauptſtuͤck.
    Zweeter Aufenthalt auf den Societaͤts-Inſeln. 88
  • Viertes Hauptſtuͤck.
    Reiſe von den Societaͤts- nach den freundſchaftlichen Inſeln. 127
  • Fuͤnftes Hauptſtuͤck.
    Nachricht von unſerm Aufenthalt auf Mallicolo und Entdeckung der neuen Hebridi-
    ſchen Inſeln
    . 159
  • Sechſtes Hauptſtuͤck.
    Nachrichten von unſerm Aufenthalt zu Tanna, und Abreiſe von den neuen Hebridi-
    ſchen Inſeln
    . 207
  • Siebentes Hauptſtuͤck.
    Entdeckung von Neu-Caledonien — Nachricht von unſerm dortigen Aufenthalt —
    Fahrt laͤngſt der Kuͤſte bis zur Abreiſe — Entdeckung von Norfolk-Eiland. —
    Ruͤckkehr nach Neu-Seeland. 298
  • Achtes Hauptſtuͤck.
    Dritter und letzter Aufenthalt zu Koͤnigin-Charlotten’s Sund in Neu-Seeland. 352
  • Neuntes Hauptſtuͤck.
    Die Fahrt von Neu-Seeland nach Tierra del Fuego — Aufenthalt in Chriſtmeß-
    oder Weyhnachts-Haven. 378
  • Zehntes Hauptſtuͤck.
    Aufenthalt an den Neujahrs-Eilanden — Entdeckung neuer Laͤnder gen Suͤden —
    Ruͤckkehr nach dem Vorgebuͤrge der guten Hofnung401
  • Eilftes Hauptſtuͤck.
    Zweeter Aufenthalt am Vorgebuͤrge der guten Hofnung. — Lauf von da nach St. He-
    lena
    und Aſcenſions-Eiland. 427
  • Zwoͤlftes Hauptſtuͤck.
    Lauf von der Aſcenſions-Inſel, bey der Inſel Fernando da Noronha voruͤber, nach
    den Azoriſchen Inſeln. — Aufenthalt zu Fayal. — Ruͤckkehr nach England. 448

[][][]
Notes
*
Procellaria Puffinus.
†)
Capitain Cook will bemerkt haben, daß in jedem Kahn ein Haufen Steine gelegen, und
alle, die darinne ſaßen, eine Schleuder um den Kopf gebunden hatten.
*)
Dalrymples Collection Vol. I. p. 66.
*)
Capitain Cook iſt der Meynung, daß ihre Zaͤhne nicht ſo gut, und ihre Augen minder
lebhaft als bey andern Voͤlkern in der Suͤd-See ſind. Der Unterſchied, wenn ja einer
ſtatt findet, kann aber gewiß nicht betraͤchtlich ſeyn, ſonſt waͤr er mehr bemerkt worden.
*)
Die Tahitier nennen dies Holz Toa, d. i. Krieg, weil es zur Verfertigung ihrer Waf-
fen gebraucht wird.
*)
Honu bedeutet im Tahitiſchen eine Schildkroͤte; es ſcheinen alſo die Namen der Ein-
wohner oft von Thieren hergenommen zu ſeyn, wie es auch bey nordamericaniſchen Wil-
den gebraͤuchlich iſt. Auf gleiche Weiſe bedeutet Otuh, des Tahitiſchen Koͤnigs Name,
einen Reyher.
*)
S. Forſter’s Nova Genera Plantarum.
*)
S. Dalrymples Sammlung Vol. I. pag. 68.
**)
Es verdient angemerkt zu werden, daß ſich dieſer Name auf der Liſte von Inſeln findet,
welche Tupia und andre Bewohner der Societaͤts-Inſeln den engliſchen Seefahrern
mitgetheilt haben. Da aber die Leute auf den Marqueſas kein R. ausſprechen koͤnnen,
ſo nannten ſie dieſe Inſel, anſtatt daß ſie bey den Tahitiern Ohiwaroa heißt, immer
Ohiwaoa.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der Engliſchen See-Reiſen, in 4. Th. I. Seite 99.
*)
S. Hawkesworths Samml. der engl. See-Reiſen, in 4. Th. III. Seite 321.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. Seereiſen in 4. Theil II. Seite 220.
*)
Auch dieſer Anſchlag iſt immer noch zu gering. Wir ſahen nemlich in der Folge, daß die
Flotte des kleinſten Diſtricts aus nicht weniger denn vier und vierzig Kriegs-Canots, nebſt
zwanzig bis fuͤnf und zwanzig kleinern Fahrzeugen beſtand, mithin mußte das Contingent
des Diſtricts Atahuru, welches wir bey obiger Berechnung zum Grunde gelegt hatten, nicht
vollzaͤhlig geweſen ſeyn.
*)
S. Hawkesworth Sammlung Theil II. Seite 144. 145 und 233. nebſt der Figur auf
dem Kupfer Nro. 32.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen in 4. Th. II. Seite 233.
*)
Amſterdam, Oſter-Eyland und S. Chriſtina.
*)
S Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. Th. II. S. 159.
*)
Siehe im erſten Theil, S. 257.
*)
Siehe weiter zuvor, Seite 21.
*)
Mein Vater iſt ſeitdem in Paris geweſen, und hat dieſen Auftrag des O-Retti beym Herren
von Bougainville ausgerichtet, demſelben auch ein Portrait des O-Retti, von Herren
Hodges verfertiget, zugeſtellet.
**)
Als der Herr von Bougainville im April 1768 hier vor Anker lag, entdeckten die Ta-
hitier
, blos am Gange, daß der Bediente des Hrn. Commerſon, (eines Naturforſchers,
der mit auf dem Schiffe war) eine verkleidete Frauensperſon ſeyn muͤſſe, welches, waͤh-
rend der ganzen Reiſe, niemand an Bord gewahr worden war. Dieſe Perſon war durch
fruͤhe Ungluͤcksfaͤlle zu Verlaͤugnung ihres Geſchlechts bewogen worden, hatte ſchon in
Paris als Livree-Bediente gedient, und war alsdenn, aus Neugier, mit zu Schiffe gegan-
gen, weil ſie gehoͤrt, daß die Reiſe um die Welt gehen ſollte. Herr von Bougainville
**)
giebt ihr das Zeugniß, ſie habe ſich, ſowohl vor als nach ihrer Entdeckung, uͤberall untade-
lich aufgefuͤhrt, und ſey damals 27 Jahr alt geweſen. So viel zu Befriedigung derer
Leſer, die des franzoͤſiſchen Seefahrers Reiſebeſchreibung nicht zur Hand haben. A. d. H.
*)
S. im erſten Theil dieſes Werks Seite 266.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Band Seite 171.
*)
Pattea iſt ein Liebkoſungs-Wort, ſo viel als bey uns Mama; auch gebrauchen die Ta-
hitier
das Wort Mama in eben dem Sinn, als wir.
**)
S. Hawkesworths Geſchichte der engliſchen See-Reiſen, in 4. Th. II. Seite 151. 152.
und dieſer Reiſe Th. I. S. 270.
*)
Wenn ſich die Leſer nicht mehr erinnern ſollten, woher Polatehera dieſen Zunahmen ver-
dient; ſo duͤrfen ſie nur im erſten Theil dieſes Werks pag. 273. nachſehen.
**)
Siehe Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen, in 4. Th. II. S. 156.
*)
Ueber die Bedeutung dieſes Titels ſehe man im erſten Theil pag. 304. nach.
*)
Herr von Bougainville wurde durch dieſen aͤußern Anſchein verleitet, die Befehlsha-
ber und das gemeine Volk wirklich fuͤr zwey unterſchiedne Staͤmme anzuſehen.
*)
Andre Seefahrer haben berichtet, daß ſie ſich die Haare von der Oberlippe, der Bruſt und
unter den Armen ausrauffen Das iſt aber gewiß nicht allgemein. Die Vornehmen und
der Koͤnig behalten ihre Lippen-Baͤrthe.
*)
S. im erſten Theil dieſes Werks Seite 284.
**)
Siehe ebendaſelbſt, Seite 309.
*)
Dieſe Erzaͤhlung iſt aus Capitain Cooks Reiſe gezogen. Vol. I. p. 356.
**)
Siehe im erſten Theil dieſer Geſchichte pag. 290.
*)
Capitain Cook hat uns dieſe Anecdote mehrmalen ſelbſt erzaͤhlt.
*)
Man erinnere ſich hiebey, was ſchon im erſten Theile dieſes Werks, pag. 278. hievon ge-
aͤußert worden iſt.
*)
S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. zweyter Theil, Seite 205.
**)
Durch einen Druckfehler, heißt der Name dieſes Maͤdchens, oder vielmehr ihres Vaters,
weiter oben, Seite 68 irrigerweiſe Toparre, wofuͤr der Leſer Topiri ſetzen wolle.
*)
Wie groß die Verderbniß der Sitten in Europa ſey, kann man unter andern daraus abneh-
men, daß es zu London Buben giebt, die ſich ihrer Geſchicklichkeit, in der Kunſt Abortantia
zu praͤpariren, oͤffentlich ruͤhmen, und in dieſem Fach ihre Dienſte anbieten. Avertiſſements
von ſolchem Innhalt werden auf den Straßen ohne Scheu ausgetheilt und finden ſich auch
faſt in allen Zeitungen.
*)
Plutarch im Leben des Theſeus.
**)
Dieſe Bemerkung iſt aus des Capitain Cooks Reiſebeſchreibung entlehnt.
*)
S. ſeine Reiſe um die Welt.
*)
Aus Capitain Cooks gedruckter Reiſebeſchr. gezogen.
*)
So weit Capitain Cook.
**)
Siehe Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen, in 4. II. Th. S. 151.
*)
S. Hawkesworths Samml. der engl. Seereiſen in 4. 2ter Band, Seite 220.
*)
Gedanken heißen parau no te obu, das iſt nach dem buchſtaͤblichen Verſtande: Worte
im Bauche
.
*)
Petr. Martyr ab Angleria Decad. Americ. Diſſertation ſur l’origine de la maladie
Venerienne par Mr. Sanchez. Paris
1752. und Examen hiſtorique ſur l’apparition
de la maladie Venerienne en Europe. Lisbonne.
1774.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der engl. See-Reiſen, in 4. Th. II. Seite 230.
**)
Siehe oben Theil I. S. 279.
***)
Siehe Theil I. S. 179.
*)
Tasman nennt es Ama-Tofoa. Ama oder Kama bedeutet vermuthlich einen Berg.
*)
Taſman nennt ſie auf ſeiner Karte Kaybay.
*)
Man ſehe hievon im erſten Theil dieſer Geſchichte Seite 318. 322. u. 332, nach.
*)
Man ſehe hiervon im erſten Theil dieſer Geſchichte Seite 248 nach.
*)
Man ſehe hievon im erſten Theil dieſer Geſchichte S. 340. nach.
*)
In der engliſchen Urſchrift gehet hier ein neuer Abſchnitt, nemlich das dritte Buch an,
weil wir aber im erſten Theil, pag. 315. dieſe Ordnung abgeaͤndert haben; ſo hat ſie
auch in gegenwaͤrtigem Fall nicht beybehalten werden koͤnnen. A. d. V.
*)
Dieſe Bernerkung gehoͤrt dem Capitain Cook zu, aus deſſen Reiſebeſchrelbung ich ſie hier
entlehne.
*)
Siehe Forſteri Characteres generum plantarum novorum, in inſulis maris auſtralis
nuperrime detectorum, c. 76. tabb. æneis, 4. maj. Londini \& Berolini apud Haude
\& Spener. 8 Rthlr.
(*)
Es faͤllt von ſelbſt in die Augen, daß wir hier nur Vergleichungsweiſe ſprechen.
(**)
Dampier, Carteret, Bougainville.
*)
Die Bogen waren 6 Fus 5 Zoll; die Pfeile 4 Fus 4 Zoll lang.
**)
Mendanna in Dalrymples collection. Vol. I. p. 78.
***)
Dalrymples collection. Vol. I. p. 135.
*)
Siehe Dampiers Reiſen.
*)
Die Saͤule, die in London zum Andenken des großen Brandes errichtet iſt, heißt κατ·
ἐξοχην das Monument. Dieſer Umſtand gab zur Benennung des oeben erwaͤhnten Fel-
ſen Anlaß.
*)
Die Anzeige dieſes Verſuche und ſeines Reſultats, iſt bereits weiter oben pag. 185. vorge [...]
kommen.
*)
Auslaͤnder, die den Krieges-Uebungen, in Engelland ſowohl als in andern Laͤndern beyge-
wohnt, haben vielfaͤltig bemerkt, daß wenn eine Compagnie engliſcher Soldaten bey einer
Revuͤe etlichemal abgefeuert hat, wenigſtens ſechs Gemeine hinter die Fronte gehn, und
den Schuß aus der Flinte ziehn muͤſſen. Die Urſach dieſes fuͤr einen Soldaten ſchimpfli-
chen Fehlers, liegt nicht an den Schloͤſſern, ſondern blos an den ſchlechten Flintenſteinen.
Alle fremde Truppen ſind in dieſem Stuͤck beſſer verſorgt, als die engliſchen.
*)
Daß dieſe Inſel in der Sprache ihrer Bewohner Irromanga genannt werde, erfuhren
wir nachmals auf einer benachbarten Inſel, wie im folgenden Hauptſtuͤck zu erſehen
ſeyn wird.
(*)
Herr Hodges hat zu Capitain Cooks Beſchreibung dieſer Reiſe eine Tanneſerin mit
dieſem Kopfputz abgezeichnet.
(*)
An eben dieſer Figur vorgeſtellt.
(**)
Forſteri Nova Genera Plantarum in inſulis maris auſtralis detectorum. 4. Londini,
\& Berolini 1775. 8 Thlr.
(***)
Aus dem Geſchlecht der Scitamina.
(*)
Capit. Cook fuͤhrt an dem Orte ſeiner Reiſebeſchreibung, wo er von dieſen Speeren re-
det, (Vol. II. pag. 82.) eine Stelle aus des Hrn. Wales Tagebuch an, die der Ueber-
ſetzung werth iſt. „Ich geſtehe,” ſagt dieſer gelehrte Aſtronom, „daß ich oft geglaubt,
Homer habe in den Thaten, welche er ſeine Helden mit dem Speer verrichten laͤßt,
„zu ſehr das Wunderbare geſucht: wenigſtens duͤnkte es mir, nach den ſtrengen Regeln
„des Ariſtoteles, in einem epiſchen Gedichte etwas zu auffallend. Selbſt Pope, der
„eifrigſte Vertheidiger Homers, geſteht, daß ihm dieſe Helden-Thaten verdaͤchtig
„vorgekommen waͤren. Allein, ſeitdem ich die Tanneſer kennen gelernt, und geſehen
„habe, wie viel ſie mit ihren hoͤlzernen, ſtumpfen und nicht gar harten Speeren ausrich-
„ten, finde ich gegen alle dieſe Stellen Homers nicht das geringſte mehr einzuwenden.
(*)
„Im Gegentheil entdecke ich nun da, wo ich ſonſt etwas tadelnswerthes zu bemerken
„glaubte, neue, unerkannte Schoͤnheiten. Wie maleriſch und wie richtig hat er nicht
„alles, bis auf die kleinſte Bewegung des Speeres und deſſen der ihn abwirft, zu beſchrei-
„ben gewußt! In Tanna hab ich dies Bild bis auf das geringſte Detail realiſirt gefun-
„den. Z. B. das Schuͤtteln in der Hand, das Schwingen ums Haupt, das Zielen eh
„der Wurf geſchieht, das Rauſchen des Speeres im Fluge, ſein Wancken und Zittern
„wenn er in die Erde faͤhrt.”
(*)
Beſonders eine Art Mugil, und einen Fiſch, (Eſox argenteus N. 5.) der in den Weſt-
indiſchen Inſeln
haͤufig iſt, und den Namen (ten pounder) Zehnpfuͤnder bekommen hat,
weil er nicht ſelten ſo viel zu wiegen pflegt.
(*)
Inocarpus von uns benannt, Siehe Forſteri nova genera plantarnm \&c. \&c cum 76. tabb.
an.
gr. 4. Berolini 1776. 8 thlr.
(*)
Dieſe Inſel wird auch bisweilen Futtuna genannt.
(*)
Siehe Hawkesworths Sammlung der neueſten engliſchen Seereiſen in 4. Dritter Band
Seite 346.
(*)
Eine Inſel, davon die Tahitier gegen uns Erwaͤhnung gethan.
(*)
Cap. Cook (in ſeiner Reiſebeſchreibung Vol II. p. 188.) ſagt: die Einwohner von
Tanna haben auch Aexte, die den europaͤiſchen aͤhnlich ſind; in ſo fern nehmlich der
Stein in den Stiel ſo eingepaßt wird, daß die ſcharfe Kante beym Arbeiten nicht waag-
recht, ſondern ſenkrecht, alſo:
[figure]
zu ſtehen kommt. Ich meines Theils habe aber
dergleichen nicht geſehen.
*)
Siehe im erſten Band. pag. 131.
**)
Ebendaſelbſt, pag. 243.
*)
Dem deutſchen Leſer, der Engelland blos aus engliſchen Romanen kennt und beurtheilt,
muß ich hier mit einer kleinen Anmerkung zu Huͤlfe kommen. Mich duͤnkt, ich hoͤre ihn
fragen, ob es, in dem Lande das ſich ſo viel auf ſeine Gaſtfreyheit zu gute thut, wohl
einer ſolchen Diſtinction beduͤrfe, als in obiger Stelle vorkommt? — Man gehe in das
erſte beſte Londner Wirthshaus, und leite das Geſpraͤch auf Gaſtfreyheit; ich wette, je-
der ungereiſte Engelaͤnder, und das iſt der große Haufe, wird ſagen: give me Old Eng-
land
for
hospitality, there you may have every thing for Your money
— „Gott ehr’
mir mein gaſtfreyes Vaterland, da kann man fuͤr ſein baares Geld haben, was man will.„
*)
Der Leſer wird ſich hier erinnern, daß in Tanna die jungen Leute die erſten waren, die uns
lieb zu gewinnen anfiengen. Siehe oben pag. 241.
(*)
Dies waren: Sterculia balanghas, Sterculia f[a]tida, Dioſcorea alata, Ricinus mappa;
Acanthus ilicifolius; Iſchæmum muticum; Panicum dimidiatnm; Croton variegatum;

und verſchiedne andre.
(*)
Sie opfern unter dem Schatten derſelben, und geben vor, daß daſelbſt verſchiedene ihrer
Gottheiten ſollen geboren worden ſeyn.
(*)
Die Veranlaſſung hiezu war, daß wir an unſerm Ruderbalken einen Riß entdeckt,
und leinen andern im Schiffe vorraͤthig hatten. Der Capitain wollte alſo aus die-
ſem Stamm einen neuen Ruderbalken machen laſſen.
(*)
Cap. Cook bemerkt in ſeiner Reiſebeſchreibung Vol. II. pag. 71.) daß dieſe Befehls-
haber nicht Gewalt genug hatten ſich eine Cocosnuß von den andern bringen zu laſ-
ſen. Einer von ihnen mußte ſelbſt den Palmbaum hinanklettern, und da er einmal
oben war, ſo ließ er auch nicht eine einzige Nuß ſitzen, theilte aber, was er ſelbſt nicht
brauchte, unſern Leuten aus.
(*)
Siehe Hawkesworths Geſchichte der engl. Seereiſen in gr. 4. dritter Band pag. 122.
*)
Die Piſangbaͤume machen hievon keine Ausnahme; der Stamm wird gemeiniglich nicht
uͤber 6, und nur ſelten 10 Fuß hoch, ſo daß man, von einer kleinen Anhoͤhe, leicht uͤber
ganze Waͤlder ſolcher Baͤume wegſehen kann.
*)
Man darf ſich deshalb nicht einbilden, daß es zu Tanna viel ſtuͤrmiſches Wetter geben muͤſſe;
keinesweges, die Schuld liegt vielmehr, theils an den Wurzeln der Cocos-Paimen, die
ſehr kurz ſind und gleichſam nur aus einer Menge von Faſern beſtehen, theils an dem
*)
Erdreich, welches hier ſo locker iſt, daß kein ſtarker Wind dazu erfordert wird, derglei-
chen Baͤume umzuwerfen.
*)
In ihrer Sprache wird dies ungleich eindringender durch das einzige Wort: Markom
ausgedruckt.
*)
Man wußte, daß der Officier viele vornehme Anverwandte hatte, worunter auch Mini-
ſter befindlich waren. Ueberdem ſcheint es in England nicht viel auf ſich zu haben, wenn
ein Subaltern ſeine Schuldigkeit unterlaͤßt, oder gegen die Subordination handelt. Ja
man hat ſogar Beyſpiele, daß ein Officier cum infamia caßirt, und gleichwohl bald
nachher Staatsminiſter geworden iſt. Jedes Land hat ſo ſeine eigne Weiſe!
*)
Capitain Cook hat gleichwohl, auf einem Spatziergange, eine Begraͤbniß-Huͤtte entdeckt. Sie
war viel kleiner als die gewoͤhnlichen Wohnhuͤtten und ſtand innerhalb einer Pflan-
zung. Er war neugierig ſie in naͤheren Augenſchein zu nehmen und beredete einen Alten
mit ihm hineinzugehen. In einer Entfernung von vier bis fuͤnf Fuß, war ſie ringsumher
*)
mit einer Verzaͤunung umgeben, und dieſe an einer Stelle ſo niedrig, daß man bequem
daruͤber wegſteigen konnte. Ein Ende der Huͤtte war zugemacht; das andere ſchlen vor-
mals offen geweſen zu ſeyn, befand ſich aber jetzt mit Matten zugehangen, welche der
Alte nicht wegnehmen, und dem Capitain auch nicht einmahl an die Seite zu ſchieben er-
lauben wollte. An eben dieſem Ende der Huͤlte hieng ein Korb oder Beutel, von
Matten, darinn ein Stuͤck Yam und etliche friſche Blaͤtter lagen. Da Capitain Cook
noch ferneres Verlangen bezeigte, das Innere der Huͤtte zu unterſuchen; ſo ward der Alte
unwillig, und wollte ihn nicht einmahl laͤnger in den Korb hinein ſehen laſſen. Zugleich
deutete er durch Zeichen an, daß ein Leichnam in der Huͤtte laͤge. Dieſer Mann hatte
eine Halsſchnur um, an welcher zwo oder drey Locken von Menſchenhaar befeſtigt wa-
ten, und eine Frau, die neben ihm ſtand, hatte dergleichen mehrere. Der Capitain ver-
ſuchte es, dieſe Zierrath einzutauſchen, allein ſie gaben ihm zu verſtehen, daß ſolche von dem
Haare des in der Huͤtte beygeſetzten Leichnams waͤren, und dieſerhalb nicht veraͤußert
werden duͤrften. Es iſt alſo hier in Tanna, eben ſo wie auf den Societaͤts-Inſeln, den
Marqueſas und in Neu-Seeland, eingefuͤhrt, das Haar der Verſtorbenen zum Anden-
ken, oder als ein Zeichen der Trauer, zu tragen. Ob aber die Todten hier, ſo wie in
Tahiti, uͤber der Erde verweſen, oder ob ſie eingeſcharrt werden? bleibt, in Ermang-
lung naͤherer Unterſuchung, noch immer unentſchieden. (a Voyage towards the South
Pole
\& c. Vol II. pag.
67.)
*)
Eine Kabels-Laͤnge betraͤgt hundert Faden, deren jeder ſieben engliſche Fuß lang iſt.
*)
Siehe Herrn Dalrymple’s Collection of voyages \&c. in the S. Pacifick Ocean. Vol. I.
p.
132. 142. 169.
*)
Herr Ferber iſt ja der erſte und einzige Mann, der eine mineralogiſche Beſchreibung des
Veſuvs, ſo wie ſie Gelehrte von einem Gelehrten wuͤnſchen koͤnnen, herausgegeben hat.
Man ſehe ſeine Briefe an den Baron von Born.
*)
S. des Hrn. von Bougainville’s Reiſen.
*)
Die Einwohner von Neu-Holland, beyderley Geſchlechts, gehen mutternackt, ohne ſich
aus Trieb zur Schaamhaftigkeit im geringſten zu bedecken. S. Hawkesworth’s Ge-
ſchichte der engl. See-Reiſen, gr. 4. 3ter Band, Seite 83 ꝛc. ꝛc. 233.
*)
In allen alten Arſenalen findet man Ruͤſtungen, die meine Meynung begreiflich machen.
*)
Man findet ſie auf nebenſtehender Platte, um die Muͤtze gewickelt, abgebildet.
**)
In des Grafen Caylus Antiquit. III. 327. Tab. XCII. fig 3.
(*)
Cook’s Vogage towards the S. Pole \& round the World. Vol. II. p. 22.
(*)
S. Herrn Prof. Ferbers Briefe an den Baron von Born.
(**)
Herb. Amboin. Vol. II. Tab. 16. 17. p. 72.
*)
Voyage de l’ Abbé de la Caille p. 237.
*)
Siehe die 1 Figur auf der XI. Kupfertafel, Seite 304.
*)
Capt. Cook’s Voyage towards the South Pole \&c. Vol. II. p. 126.
(*)
Doch muß ich bey dieſer Gelegenheit anmerken, daß auch Herr Banks verſchiedne
Sorten der Paßionsblume auf dem großen noch faſt gaͤnzlich unbekannten Welt-
theile, den wir Neu-Holland nennen, angetroffen hat.
(*)
Pauw’s Recherches philoſophiques ſur les Americains, Vol. II. Sect. I.
*)
Es wird hier nicht am unrechten Orte ſeyn, dem Leſer zu ſagen, daß uns, von Sei-
ten unſerer Schifsgeſellſchaft, bey allen Unterſuchungen Hinderniſſe in den
Weg gelegt wurden, und zwar ſelbſt von denenjenigen, die aus Kenntniß, Amt
und Pflicht ſie im Gegentheil haͤtten befoͤrdern ſollen. Es iſt aber nun ſo einmal
das Schickſal der Gelehrſamkeit und der geſunden Vernunft, daß beyde von Unwiſ-
ſenden nicht geachtet werden. Dennoch haͤtten wirs allenfalls geduldig ertragen
wollen, wenn die Sache nur nicht weiter gegangen waͤre; da wir aber den guten
Willen und die Dienſtfertigkeit eines jeden kleinen Tyrannen mit Golde nicht er-
kaufen konnten; ſo ließ man ſichs recht geflißentlich angelegen ſeyn, ſogar die Be-
obachtungen andrer fuͤr uns geheim zu halten, obſchon diejenigen, welche Ge-
legenheit gehabt dergleichen anzuſtellen, oft nicht im Stande waren den geringſten
Gebrauch davon zu machen. Dinge die jedermann am Schif wußte, ſollten nur
fuͤr uns verſchwiegen bleiben. Die Nachrichten von der wahren Lage der Gegen-
den und Laͤnder, welche in dieſer Erzaͤhlung vorkommen, und auf unſrer Charte
verzeichnet ſind; haben wir wahrlich nicht der Offenherzigkeit unſrer Reiſegefaͤhr-
ten zu verdanken! Kaum wollte man uns das Vorrecht zugeſtehn, mit eignen
Augen ſehen zu duͤrfen! Iſt es nicht mehr als befremdend, daß Gelehrten, die
in einem Schiffe der aufgeklaͤrteſten Nation auf Erden ausgeſchickt worden, alle
*)
Mittel ihre Erkenntniß zu erweitern auf eine Weiſe benommen worden, die ſich
nur von dem roheſten, unciviliſirteſten Volke erwarten ließe? Gleichwohl iſt nichts
gewiſſer, als daß ein Reiſender im Orient, bey den Ruinen Egyptens und Palaͤ-
ſtinaͤ
, von dem heißhungrigen Eigennutz der Beduinen und andern Araber, nicht
aͤrger geplagt und geplackt ſeyn kann, als wir’s waren. Jede Entdeckung die wir zu
machen ſuchten, wurde nicht anders als ein Schatz und als ein Fund angeſehen, um
deſſen willen jedermann Urſach zu haben glaubte uns zu beneiden. Indeſſen iſt aus
dieſem Betragen, fuͤr die Gelehrſamkeit wenigſtens Ein Vortheil erwachſen. Koͤnnen
wir nemlich ſchon nur wenig geben, ſo haben wir doch das, was wir geben, alles
mit eignen Augen geſehen, und wollen Buͤrge dafuͤr ſeyn! Waͤren nicht auf dem
Schiffe wenigſtens einige Edlerdenkende geweſen, deren uneigennuͤtzige Liebe fuͤr
die Wiſſenſchaften der unſrigen manchmal entgegen kam; ſo haͤtten wir, wahr-
ſcheinlicherweiſe, ganz unthaͤtige und unnuͤtze Opfer der Scheelſucht und der Bos-
heit werden muͤßen, die oft ſelbſt durch die ausdruͤcklichſten Befehle des Capitain
Cook nicht in Schranken gehalten werden konnte! Sollte ich noch mit einem
Wort den wahren Grund dieſes Neids angeben; ſo wuͤrde ich ſagen: wir waren
Deutſche.
*)
Sowohl von dieſen, als von dem aͤußern Anſehn des Landes kann man ſich, vermit-
telſt der ſchoͤnen und richtigen Zeichnungen, welche Herr Hodges, zum Behuf von Capi-
tain Cooks Reiſebeſchreibung angefertigt hat, einen ziemlich genauen Begriff machen.
*)
Bey Aſſuan oder Syene in Ober-Egy[p]ten, bey Bolſena in Italien, bey Hadie in Je-
men
; bey Stolpe in Sachſen; bey Jauer in Schleſien, in den Schottlaͤndiſchen weſt-
lichen Inſeln
, und bey Antrim in Irrland.
*)
Δ [...]λφις Ariſtot.Delphinus Delphis. Linn.
*)
Um ſo mehr, da Cap. Cook ſagte, daß, Neu-Seeland ausgenommen, in keiner an-
dern als dieſer Inſel des Suͤd-Meeres, Holz zu Maſtbaͤumen vorhanden waͤre.
*)
Dies iſt eine von denen Fiſcharten, die man in allen Theilen des Weltmeeres antrift.
So faͤngt man ſie z. E. an der Engliſchen Kuͤſte, in der Mittellaͤndiſchen See, am Vor-
gebuͤrge der guten Hofnung
und im Suͤd-Meer.
*)
Stehe im erſten Bande dieſer Reiſen pag. 104. und namentlich pag. 129.
*)
Man ſehe im erſten Bande pag. 85. und 180. wo ich der Entdeckungen des Herrn
Marions vor deſſen Ankunft in Neu-Seeland erwaͤhnt habe.
*)
S. Hawkesworths zweyter Samml- der engliſchen Seereiſen, 4. Band, S. 352.
*)
Das thun ſie allemahl wenn ſie eine Schlacht liefern wollen.
*)
S. Hawkesworths Sammlung der neueſten engl. See-Reiſen, in 4. 2ter Band, S. 339. u. f.
*)
Der Nahme des Schiffs, welches Capitain Cook, bey ſeiner erſten Reiſe um die Welt,
von 1769 bis 1772 commandirte.
**)
S. Hawkesworths Geſchichte der engliſchen Seereiſen, 4. zweyten Band pag. 102.
und pag. 362. auch kann der dritte Band S. 264 nachgeſchlagen werden, wo die Offi-
ciere eben dergleichen Geſinnungen aͤußerten. Im erſten Bande, meines Werks, S. 214.
kommt ebenfalls etwas aͤhnliches vor.
***)
Siehe Hawkesworth’s Samml. ꝛc. 2. Band, S. 361. u. mehrere Stellen.
*)
Tringho ſcheint bey ihnen eine Art Titul zu ſeyn, der vielen Nahmen ihrer Anfuͤhrer
vorgeſetzt wird.
*)
Er beſtand aus mehreren Huͤtten, oder einem Flecken, den die Einwohner Ko Haͤghi nui
nannten.
*)
Man koͤnnte es auch ſo umſchreiben: Er verließ uns und ſtarb der arme Tupaia!
*)
Ausgenommen die Beine, welche vom Sitzen krumm, und ungeſtaltet werden.
*)
Cooks Voyage towards the South Pole, \& round the World Vol. 2. p. 171.
**)
Leagues.
***)
Miles.
*)
Wohl verſtanden, die kleine Beſchreibung, die von einem Ungenannten, etliche Jahre
fruͤher als die Hawkesworthiſche Sammlung, herausgegeben ward.
*)
Siehe Hawkesworths Samml. der neueſten engliſchen Seereiſen, in 4. zweeter
Band, S. 55.
*)
S. die Philoſ. Trans. der Koͤnigl. Societaͤt zu LondonLXVI. Band, 1. Theil.
*)
S. Don Pernetti’s Reiſe nach den Maloniniſchen Inſeln.
*)
Aus einer im III. Bande S. 92. der Hawkesworthiſchen Sammlung, ſehr am unrech-
ten Ort angebrachten Bemerkung erſtehet man, daß der Herr Verfaſſer ſelbſt kein Rei-
ſender war, und alſo nicht gewußt, wie einem Reiſenden zu Muth iſt, der ſich Jahre
lang mit verwestem Poͤkelfleiſch und verſchimmeltem Schifs-Zwieback behelfen muß.
*)
Guanacoes ſind bekannter Maaßen eine Art Suͤd-Amerikaniſcher kleiner Kameele,
die in Chili zahm gemacht, wie Laſtthiere gebraucht, und alsdenn Liamas genannt wer-
den.
*)
S. Hawkesworths Geſchichte der neueſten engl. See-Reiſen in 4. B. II. Seite 56.
*)
Siehe ebendaſelbſt Seite 54 und folgende.
*)
Die haͤmiſche menſchenfeindliche Philoſophie ſolcher Herren iſt dem Seneka abgeborgt,
der das Elend andrer auch ſo auf die leichte Achſel nahm, weil er ſelbſt, bey ſeinem
Reichthum, nichts davon ſpuͤhrte. Folgende Stelle paßt ſehr gut auf die Peſcheraͤhs,
und der nachſtehende Gedanke zeugt gerade von dem Mangel an Gefuͤhl, wovon hier
die Rede iſt. Perpetua illos hiems, triſte coelum premit — imbrem culmo aut
fronde defendunt; nulla illis domicilia, nullae ſedes ſunt, niſi quas laſſitudo in
diem poſuit. — In alimentis feras captant. — vilis, et hic quaerendus manu vi-
ctus. — Miſeri tibi videntur? — Nihil miſerum eſt quod in naturam conſue-
tudo perduxit. — Hoc quod tibi calamitas videtur, tot gentium vita eſt. de pro-
videntia
.
Hawkesworth hat bey einer aͤhnlichen Veranlaſſung dieſe Stelle nur pa-
aphraſirt und moderniſirt. Reiſen B. II. Seite 59.
*)
Reeneil des voyages, qui ont ſervi à l’ etabliſſement de la Compagnie des Indes
orientales Amſterd, 1705. Vol. IV. p.
702.
*)
Siehe in eben dieſem Bande pag. 277.
**)
Recueil de Voyages qui ont ſervi à Petabliſſement de la Compagnie des Indes
Orientales vol. IV. p.
696. Die Inſel liegt vor dem Naßauſchen Meerbuſer, den eben-
gedachter Jacob L’ Hermite entdeckte.
*)
Francis Pretty beym Hackluyt III. B. ſagt von unſern See-Loͤwen, Seite 805: „Dieſe
„Seehunde ſind von bewundernswuͤrdiger Groͤße, ungeheuer und ungeſtaltet, und in
„Anſehung des Vordertheils mit keinem Thier beſſer als dem Loͤwen zu vergleichen; ihr
„Kopf, Hals und Bruſt iſt mit rauhen Haaren bewachſen.“ Sir Richard Hawkins
druͤckt ſich faſt eben ſo aus, und ſetzt noch hinzu, daß ſie Borſten haben, die zur Noth
*)
als Zahnſtocher dienen koͤnnten. S. Des Broſſes Nav. aux Terres Auſtr. Vol. I. p. 244.
— Sir John Narborough bemerkt ebenfalls, daß ſie eine auffallende Aehnlichkeit mit
den Loͤwen haben; und Labbe in den Lettres des Miſſionaires tom. XV. ſagt, daß der
Seeloͤwe ſich vom Seebaͤren einzig und allein durch die langen Haare um den Hals un-
terſcheidet, und darinn hat er auch vollkommen Recht. S. Des Broſſes Navigation aux
Terres Auſtr. Vol. II. p.
434.
*)
Beauchesne [Gouin], der franzoͤſiſche Seefahrer hat bereits eben dieſe Bemerkung gemacht,
und fuͤgt hinzu, „die Steine hatten den Anſchein, als ob ſie ſchon zum Theil verdauet
„waͤren. —“ Ich zweifle indeſſen, ob der geneigte Leſer dies werde verdauen koͤnnen?
Des Broſſes Navig. aux Terres Auſt. Vol. II. p. 114.
*)
Philoſ. Trans. Vol. LXVI. Part. I.
*)
Des Herrn Dalrymples Memoir of a [C]hart of the Southern Ocean und die da-
zu gehoͤrige Karte ſelbſt, koͤnnen hiebey zu Rathe gezogen werden. Es ſind Proben ei-
nes ruͤhmlichen Enthuſiasmus, womit dieſer Gelehrte im geographiſchen Fach gearbei-
tet hat.
*)
Ein Theil des Original-Tagebuchs iſt in franzoͤſiſcher Sprache abgedruckt, in Herrn
Dalrymples Collection of voyages in the Southern Atlantick Ocean, 1775 Quar-
to,
Das Land, welches Antonio la Roche im Jahr 1675 entdeckte, ſcheint ebendaſ-
ſelbe, und vom Herrn Guyot nur genauer erforſcht zu ſeyn.
**)
Man ziehe den Auszug aus Guyots Tagebuch in Dalrymples ebengenannter Samm-
lung zu Rath. p. 5 und p. 15.
*)
S. des Capitain Phipps, jetzigen Lords Mulgrave, Reiſe gegen den Nordpol. 1775.
*)
Dieſer Anſonſche Seeloͤwe (phoca leonina Linn.) ſcheint daſſelbe Thier zu ſeyn, welches
die Englaͤnder auf den Falklands Inſeln, Clapmatch Seal zu nennen pflegten. Phil.
Transact. Vol. LXVI. part. I.
**)
S. Philoſ. Transact. vol. LXVI. part. I.
*)
Man ſehe die Erfahrungen des Herrn Nairne im LXVI. Bande der Philoſ Transactio-
nen im Iten Theil. Demohngeachtet iſt Capt. Cook noch der Meynung, daß Eis-Ei-
lande unmoͤglich anders als an den Kuͤſten und in den Thaͤlern und Haͤven des feſten
Landes formirt werden; weil ers nur auf dieſe Art fuͤr moͤglich haͤlt, die verſchiednen
Geſtalten dieſer Eismaſſen zu erklaͤren. Die großen Eilande, die ganz eben ſind, ſollen
in den Haͤven, diejenigen aber die zugeſpitzt und ſchroff ausſehen, ſollen zwiſchen Felſen,
und in Thaͤlern von gehaͤuftem und gefrornem Schnee entſtehen. Beyde Arten brechen
durch ihr eignes Gewicht von der ganzen unermeßlichen Maſſe ab, und treiben denn bey
beſtaͤndigen nordwaͤrts gehenden Stroͤmungen in gelindere Breiten. Capt. Cook iſt
demnach feſt verſichert, daß ein großes Stuͤck Landes um den Suͤd-Pol liegt, welches
freylich nicht viel taugt, weil er glaubt, daß Sandwich Land eine der noͤrdlichſten Spitzen
dieſes Continents ſey, und daß letzteres groͤßtentheils innerhalb der Polar-Cirkel liege.
Er haͤlt ferner dafuͤr, daß es ſich im Suͤdlichen Atlantiſchen und Indianiſchen Ocean,
weiter nordwaͤrts als im eigentlichen Suͤdmeere erſtreckt, weil wir in jenen das Eis wei-
ter nordwaͤrts als in dieſem finden. Denn nehmen wir an (ſagt er), daß kein Land exi-
ſtirt, ſo muͤßte die Kaͤlte rund um den Pol bis zum 70ten oder 60ten Grade der Breite,
oder ſo weit als die bekannten Welttheile keinen Einfluß auf die Atmosphaͤre haben koͤn-
nen, aller Orten einerley ſeyn, und folglich das Eis an einem Orte nicht weiter nord-
waͤrts als am andern kommen. Allein die Kaͤlte iſt im eigentlichen Suͤd-Meere ungleich
geringer, als in Suͤdlichen Atlantiſchen und Indianiſchen. Im erſtern fiel das Thermo-
meter nicht eher zum Gefrierpunkt, als bis wir weit uͤber den ſechszigſten Grad der Breite
gedrungen; hingegen in letzteren erreichte es dieſen Standpunkt zu eben der Jahrszeit
ſchon im 54°. ſuͤdlicher Breite. S. Voyage towards the South Pole \& round the
World vol. II. p.
231 240 Ich laſſe den Leſer fuͤr ſich urtheilen.
*)
Dies Tagebuch iſt franzoͤſiſch abgedruckt in M. Dalrymples Collection of Voyages in
the South Atlantick Ocean
1775.
*)
S. den erſten Band dieſes Werks. S. 73.
*)
Der gewoͤhnliche Friedens-Gruß.
**)
Herr Wales, Herr Hodges, mein Vater und ich.
*)
Man wuͤrde ſehr unrecht thun, wenn man den Herren Schifs-Capitains der Oſt-Indi-
ſchen Compagnie, den Charakter andrer Seefahrer beylegen wollte. Ihre Freygebigkeit
und Menſchenliebe unterſcheiden ſie mehrentheils von den ſogenannten See-Ungeheuern.
*)
Er ſtarb im Januar 1779. Der Balg ward ſchoͤn ausgeſtopft und im Cabinet des
Prinzen von Oranien in einer dem Leben voͤllig aͤhnlichen Stellung aufbewahrt. Den
Rumpf bekam Herr Camper, ein beruͤhmter Zergliederer, zu zerlegen. Was hier in
der Engliſchen Ausgabe noch zum Nachtheil des Herrn Voſmaers, Directors der Fuͤrſt-
lichen Sammlung im Haag, geſagt wird, nehme ich aus eigner Ueberzeugung als vor-
ellig zuruͤck, ohne mich in die zwiſchen ihm und Herrn Camper bey dieſer Gelegen-
heit vorgefallenen Streitigkeiten einzulaſſen. Es iſt indeſſen immer zu bedauern, wenn
zwey ſo geſchickte und verdiente Maͤnner ſich entzweyen.
*)
Herr D. Sparrmann. kam im Monath Julius 1776 nach Schweden, indem er bey-
nah ein Jahr auf einer gefaͤhrlichen und muͤhſamen Reiſe ins innere von Afrika zuge-
bracht, und ſelbſt weiter gekommen war, als D. Thunberg.
*)
Ich mag die ſchreckliche Geſchichte dieſes ungluͤcklichen Monarchen, die ſeinen unmenſch-
lichen Henkern ewige Schande macht, nicht wiederhohlen. Man findet ſie vollſtaͤndig
und mit Gefuͤhl beſchrieben, in einem wenig bekannten Buche, genannt A Voyage to
the Eaſt Indies in 1747. and 1748. containg an account of St. Helena, Java, Bata-
via
, the Dutch Government \&c.
*)
Die Beſchreibung dieſer Hoͤhlungen in der Hawkesworthſchen Sammlung B. III.
S. 410 kann man nur einer poetiſchen erhitzten Einbildungskraft zuſchreiben.
*)
Dies waren the hon. Frederick Stuart, ein juͤngerer Sohn des Grafen Bute; John
Graham
, Eſq.
der im Conſeil von Bengalen geweſen; ſeine Gemahlin; I. Laurel Eſq. —
Johnſon, Eſq.
und ſeine Gemahlin; Obriſt L. Macleane und verſchiedene andre. Herr
Graham ſtarb bald nachher in Montpellier.
*)
Hawkesworths Samml. III. Band S. 411. Es giebt zu St. Helena viele Schiebe-
karren und auch etliche große Karren, die von Pferden gezogen werden; etliche derſel-
ben ſchien man alle Tage mit Fleiß vor Capitain Cooks Fenſter zu bringen. Die Behand-
lung der Sklaven iſt ebenfalls unrecht vorgeſtellt. Man iſt nicht grauſam gegen ſie, ſie
haben aber auch nicht den ſchaͤdlichen Einfluß auf die Erziehung der Kinder, als am
Cap, wo ſie das Feuer, welches die Hitze des Climas entzuͤndet, noch mehr an-
fachen.
*)
Dieſe Bemerkungen treffen mit denen in der Hawkesworthiſchen Sammlung nicht uͤber-
ein. Es iſt falſch, daß Volcane ſich immer in den hoͤchſten Bergen finden ſollten; und
die Uebereinſtimmung der Winkel von Bergen, die gegen einander uͤber liegen, iſt kriti-
ſchen Beobachtern eben ſo wenig deutlich, als die vermeynten Landſchaften im Florentint-
ſchen Marmor. Dr. Hawkesworth iſt uͤberhaupt in ſeinen Bemerkungen uͤber Na-
tur und Natur-Geſchichte ſehr ungluͤcklich; und oft iſt er nicht gluͤcklicher in ſeinen an-
dern philoſophiſchen Digreſſionen, indem er Herrn Pauw und Graf Buͤffon oft ver-
kehrt verſtanden, und ſie immer ohne Anzeige gepluͤndert hat. Ueber den wahren Zu-
ſtand der Volcane verweiſen wir unſre Leſer am beſten auf Herrn Ferbers Briefe aus
Waͤlſchland, deren Engliſcher Ausgabe (London 1776.) Herr Raspe in der Vorrede,
den Noten und dem Regiſter ungemein lehrreiche Anmerkungen und Ausſichten beygefuͤgt
hat. Was er darin von der Geſchichte der volcaniſchen Syſteme, beſonders aber den
Volcanen und ihren Wuͤrkungen in der See geſagt, iſt ganz neu und ihm allein eigen.
Ebengedachten Herrn Raspe lateiniſche Geſchichte der Erde Amſterdam 1763.
und Account of ſome German Volcanos London 1776. gehoͤren gleichfalls dahin;
vor allen Dingen aber, jedoch nur der Kupferſtiche wegen, Sir William Hamiltons
campi Phlegraei — Napoli
1777. woruͤber im Critical Review 1777. ein ſehr richti-
ges dem Erfindungs- und Beobachtungsgeiſte des Ritters nicht ſehr guͤnſtiges Urtheil
gefaͤllet iſt; denn er giebt vor, alles ſelbſt beobachtet zu haben, da er doch ſchlechterdings
nur mit fremden Augen ſieht — und, welches unverantwortlich, Herrn Ferber eines ge-
lehrten Diebſtahls zeihet, der ungluͤcklicherweiſe auf ihn ſelbſt zuruͤckfaͤllt.
*)
Dieſer Sago iſt dem aͤchten Oſt-Indiſchen an Guͤte voͤllig gleich. Letzterer beſtehet aus
dem Mark eines Farren-Gewaͤchſes der oͤſtlichen Inſeln in Indien. Die Nord-Ame-
rikaniſche Art kennt man in England unter dem Nahmen von Bowens Sago-Pulver.
Die Koͤnigl. Flotte wird damit verſehen.
*)
Dieſe Umſtaͤnde finde ich in einem Portugieſiſchen MS. angefuͤhrt, welches mir Herr
George Perry, der neulich aus Indien zuruͤck gekommen iſt, guͤtigſt mitgetheilt hat.
Es heißt, Conquiſta da India per huas e outras Armas reaes e Evangelicas. Der
Verfaſſer ſcheint ein Jeſuit geweſen zu ſeyn.
**)
Man ſehe die Reiſe des Giovanni da Empoli, auf eines von Albuquerquës Schiffen;
Ramuſio Raccolta di Viaggi. Vol. I. p. 145. Ausgabe von 1563.
*)
Pelecanus [Aquilus], \&c. Sula.
*)
Ramuſio Raccolta di Viaggi \&c. tom. I. p. 129.
**)
Don Anton Ulloas Reiſe nach Suͤd-Amerika kann hiebey zu Rathe gezogen werden.
Der zweete Theil enthaͤlt eine Nachricht der Portugieſiſchen Colonie auf dieſer Inſel.
***)
Emen Plan der ganzen Inſel findet man in des Herrn BuachensCarte de la partie
de l’Océan vers l’Equateur entre les côtes d’ Afrique \& d’ Amérique.
1737. Dieſe
Carte ward herausgegeben, um zu beweiſen, daß gewiſſe darinn angegebne Sandbaͤnke
und Untiefen (deren Nicht-Daſeyn erwieſen iſt) die Stroͤmungen in dem Theile des Meers
verurſachen. Die franzoͤſiſchen Philoſophen haben darauf viele Syſteme gebauet, die
natuͤrlicher Weiſe nichts weniger als gegruͤndet ſind.
*)
Der Marquis von Pombal und der Graf d’Oeyras. — Die Wuͤnſche der ganzen
Portugieſiſchen Nation ſind erfuͤllt, und Pombal iſt geſtuͤrzt. Indeſſen ſteht noch zu
erwarten, was ſie dadurch gewinnen werde.
*)
Unſer Aſtronom ſetzte ſich keiner abſchlaͤgigen Antwort aus, ſondern ſtellte ſeinen Qua-
dranten im Garten an des Conſuls Hauſe auf, und machte daſelbſt ſeine Bemerkungen,
ohne daß die Portugieſen darum wußten.
**)
Ein Ray iſt ohngefaͤhr der zwoͤlfte Theil eines Engliſchen Pence, welches nach unſrer
Muͤnze kaum einen Pfennig ausmacht; und ein Canari iſt etwas groͤßer als ein Maaß
von vier Quartieren oder Flaſchen.
*)
Dies wird vermuthlich von einer Art Inſekten verurſacht.
*)
Portugieſiſche Elle.
*)
Man findet eine Nachricht jenes (erſten) ſonderbaren Volkans in den Mém. de l’Acad.
de Paris 1721. p. 26. ib. 1722. p. 12. — Phil. Tranſ. abridged. vol. VI. p.
154.
*)
und Raspe Spec. Hiſt. nat. Globi terraquei. Amſt. 1763. p. 115. Letzt genannter
Gelehrte hat alles, was bis dahin von Volkaniſchen Inſeln bekannt war, geſammelt,
und dieſe Materie als ein Mann von Genie und Einſicht abgehandelt. Die Herren, die
ſich mit entlehnter Gelehrſamkeit und fremden Erfindungen bruͤſten, koͤnnen aus ſeiner
Schrift ihr Gedaͤchtnis mit vielen wichtigen Kenntniſſen bereichern, und dieſe dann als
ihre eigne Weisheit an den Mann zu bringen ſuchen, ſo wie ſie es mit den Entdeckungen
des Herrn Prof. Ferbers auch gemacht haben.
*)
Zufolge den europaͤiſchen Verzeichniſſen der Todes-Faͤlle, iſt ausgemacht, daß unter
hundert Maͤnnern wenigſtens drey jaͤhrlich ſterben. Es kann ſich daher ganz wohl
zutragen, daß bey der groͤßten Behutſamkeit und Vorſicht, kuͤnftig kein anderes Schif ſo
leicht wieder mit einem ſo geringen Verluſt abkommen wird; und man wuͤrde zu viel
behaupten, wenn man ſagen wollte, daß prophylactiſche Lebens-Mittel, und antiſcor-
butiſche Arzeneien, immer eben dieſelbe gute Wuͤrkung haben muͤßten.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Forster, Georg. Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt während den Jahren 1772 bis 1775. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjjm.0