REICHSTAGS-GEBÄUDE
UND KÜNSTLERISCHE GESTALTUNG
SOWIE EIN LEBENSABRISS
SEINES ERBAUERS PAUL WALLOT
VERLAG FÜR KUNST UND WISSENSCHAFT
BERLIN SW.:
Typ. Inst. Giesecke \& Devrient, Leipzig u. Berlin.
Als das heilige römische Reich deutscher Nation, die Gründung
Karls des Grossen, altersmüde dahinsank, da keimte in den Herzen
der deutschen Jugend ein frühlingsfrisches Sehnen nach der Wieder¬
geburt des Vaterlandes. Der Dämon Napoleon war bezwungen, das
himmelanstrebende Wahrzeichen Erwin von Steinbach's mahnte
jenseits der Grenzscheide des Rheins an eine heilige Pflicht, an die
Erlösung eines urdeutschen Stammes aus den Fesseln der Fremd¬
herrschaft. Aber die Stimme Wilhelm von Humboldt's, des herrlichen
deutschen Mannes, verhallte wirkungslos, halbasiatische Willkür mischte
sich brutal in die vaterländischen Angelegenheiten, unter dem frostigen
harten Zwange neigte die Frühlingsblume der Begeisterung trauernd
das Haupt. Preussen, selber noch aus tausend Wunden blutend, war
noch nicht zu seiner grossen Mission gewappnet. Aber die Sehnsucht
nach der Erfüllung des Heldentraums blieb in den Tiefen der Volks¬
seele lebendig und die Wurzeln der vorgeahnten Machtgrösse senkten
sich tiefer und tiefer in den tausendjährigen Boden der deutschen
Kulturwelt. Das Geschlecht der Feiheitskämpfer nahm seine roman¬
tischen, traumschönen Ideale mit ins Grab, aber sein Vermächtniss
verpflanzte sich auf die folgende Generation, welche klaren Blickes,
nüchtern und thatenstark die Fundamente der kommenden Zeit gelegt
hat. Langsam, wie die Eichensaat, reifte das Geschick heran, die
1*[4] Frucht einer mühevollen, aber gottgesegneten Arbeit. Dann aber, als
den Enkeln die Erfüllung kam, brauste es wie ein welterschütternder
Frühlingssturm durch die deutschen Lande. Die Wucht der kriegerischen
Ereignisse riss alle Bedenken, Zweifel und Sondergelüste mit sich fort,
in einem gewaltigen Anlauf drängte der Volkswille zu dem höchsten
Ziel, zur Errichtung des Deutschen Reichs.
Jedesmal, wenn ein Volk einen Machtgipfel erstiegen, tritt sein
schönstes Können, das Phantasieschaffen, in die Aktion. Leicht ver¬
gänglich ist das Waffenglück, eine genaue Kunde von den Thaten der
Staatsmänner ist auf lange Zeiten in den Archiven vergraben. Der
Dichter und Künstler aber hat den Beruf, für die politischen Neu¬
bildungen die unvergänglichen Symbole zu formuliren, einen äusseren,
sichtbaren Ausdruck für die im Herzen des Volkes lebendige Be¬
geisterung, für den inneren, sittlichen Werth des Errungenen zu
finden. Die schöpferisch erregte Kraft einer grossen Zeit ersteigt
ihren Höhepunkt immer erst in den künstlerischen Thaten, die auf
die Kriegsstürme folgen.
So hat denn das Deutsche Reichstagshaus ausser seiner
praktischen auch die ideale Bestimmung, die Siege der deutschen
Waffen, die neugewonnene Reichseinheit für alle Zeiten in sich zu
verkörpern und den fernen Geschlechtern Kunde zu geben von dem
Geist, welcher die Reichsgründer beseelt hat. Der Grundstein des
Hauses, welcher am 9. Juni 1884 von Kaiser Wilhelm I. gelegt ist,
enthält die Urkunde mit den kennzeichnenden Worten:
„Unter den glorreichen Waffen-Erfolgen der vereinten Deutschen
Stämme ist durch Gottes Fügung das Deutsche Reich zu ungeahnter
Macht und Herrlichkeit erstanden. Aus der Begeisterung des Volkes
und aus dem gegenseitigen Vertrauen der Bundesregierungen ist für
Deutschland die Kraft erwachsen, seine Verfassung und seine nationale
Entwicklung aus eigner Macht zu schützen und die Pflege seiner
Wohlfahrt in die eigne Hand zu nehmen. Diesem Schutz und dieser
Wohlfahrt soll die Arbeit in dem Hause dienen, dessen Grundstein
Wir legen.
[5]
„Möge Friede nach Aussen und im Innern den Bau dieses
Hauses beschirmen! Auf immerdar sei das Haus ein Wahr¬
zeichen der unauflöslichen Bande, welche in grossen und
herrlichen Tagen die Deutschen Länder und Stämme zu
dem Deutschen Reich vereinigt haben!
„Dazu erflehen Wir den Segen Gottes.“
[6]
PAUL WALLOT.
Wie die Begründung des Reiches eine neue grosse Epoche der
deutschen Geschichte herbeigeführt, so hat auch der Erbauer des
Reichstagshauses, Paul Wallot, mit seinem Werk in der Geschichte
der deutschen Kunst und des Entwicklungsganges der Stadt Berlin
einen weitausschauenden Markstein errichtet. Mit stolzer Genug¬
thuung blickt die Nation auf das vollendete Baudenkmal, welches in
allen seinen Theilen die Grösse, die Würde und das Glück des
Deutschen Reiches in hoher Kunstvollendung zur Schau trägt. Und
wir dürfen uns der Hoffnung hingeben, dass auch die Zukunft das
Reichstagshaus als die höchste künstlerische That aus der Aera des
ersten Hohenzollern-Kaisers anerkennt.
Paul Wallot ist am 26. Juni 1842 in Oppenheim am Rhein
geboren. Er entstammt einer vor der Aufhebung des Ediktes von
Nantes ausgewanderten Hugenottenfamilie. Ein Vorfahr Antoine
Wallot war Arzt am Hofe Ludwig's XIV. und vorübergehend
Direktor des Jardin des Plantes. Diese letztere Stellung hatte un¬
mittelbar nach ihm Colbert als Ehrenamt inne. In den achtziger
Jahren des 17. Jahrhunderts siedelte sich die Familie in dem idyllischen,
von freundlichen Weinbergen umgürteten hessischen Rheinstädtchen
an und hat seitdem ununterbrochen denselben Wohnsitz behauptet
[7] Mit der Umbildung des ursprünglichen Namens Vallot in die
deutsche Schreibart hatte sich längst die germanische Akklimatisation
vollzogen. Nach dem Besuch der Realschulen in Oppenheim und
Darmstadt bezog Wallot 1860 das Polytechnikum in Hannover,
darauf bereitete er sich an der Universität Giessen zu dem Facultäts-
Examen vor, welches zum Eintritt in den hessischen Staatsdienst
erforderlich war. In Giessen kam Wallot mit dem Restaurator der
Wartburg, H. S. M. v. Ritgen, in Berührung. Ein Jahr lang war
Wallot als Bau-Accessist in seiner engeren Heimath thätig, um so¬
dann eine weitere Ausbildung in der Ferne zu suchen. Zuerst in
Berlin. Ein Semester an der Bauakademie, dann aber in den Ateliers
von Gropius und Hitzig. Eine weite Perspective eröffnete sich
ihm auf einer Studienreise durch Italien im Jahre 1867. Darauf
liess sich Wallot als Privat-Architekt dauernd in Frankfurt am Main
nieder. Nun folgten für Wallot die fruchtbaren Jahre der Kraft¬
spannung und der Entfaltung seiner künstlerischen Individualität. Im
Jahre 1872, wo die Entwürfe des ergebnisslosen ersten Preisaus¬
schreibens für das Reichstagshaus vorlagen, studirte Wallot in Italien die
Meisterwerke der Hochrenaissance; Palladio und besonders Sanmichele
zogen ihn verwandtschaftlich an. Jetzt drang der Name Wallot's
mehr und mehr in die Oeffentlichkeit. In einer Reihe von Wohn-
und Geschäftshäusern in Frankfurt traten die Hauptmerkmale seiner
Art, der kühne und kraftvolle Wurf in der Anlage und der blühende
Erfindungsreichthum, zu Tage. Nun betheiligte er sich an den grossen
Wettbewerben, so an dem Denkmal für den Niederwald, am Frank¬
furter Centralbahnhof, an der Stephanienbrücke in Wien und an der
Friedhofsanlage der Kreuzkirchen-Parochie in Dresden, ohne indessen
hierbei, trotz verschiedener Prämiirungen, mit der Ausführung betraut
zu werden. In diesen Zustand des Zuwartens traf nun endlich wie
ein elektrisirender Schlag der Ruf des Altreichskanzlers für die
zweite Konkurrenz um das Reichstagshaus. Im Juni 1882, in den
Tagen da Wallot das 40. Lebensjahr erreichte, wurde ihm der
erste Preis zugesprochen und sein Entwurf, der das Kennwort „Für
[8] Staat und Stadt“ trug, zur Grundlage weiterer Bearbeitung an¬
genommen.
Die Baugeschichte des Reichstagshauses hatte in dem Zeitpunkt,
als Wallot an die Ausführung des Bauwerks herantrat, bereits viele
Stadien der Vorbereitung durchlaufen. Als der Deutsche Reichstag
im Frühjahr 1871 zum ersten Male zusammentrat, wurde alsbald der
Beschluss gefasst, dass ein der Vertretung des deutschen Volkes
würdiges Parlamentshaus zu erbauen sei. Der Baufonds wurde der
französischen Kriegsentschädigung entnommen, 1873 wurden aus der
letzten Rate acht Millionen Thaler zurückgelegt, deren Zinsen zu dem
Kapital geschlagen wurden, 1877 nahm man von dem ferneren
Zinsenzuschlag Abstand, da man mit der nunmehr auf 29593573 Mark
angewachsenen Summe die Baukosten bestreiten zu können glaubte.
Mittlerweile hatten sich schier unüberwindliche Schwierigkeiten der
Entwicklung der Angelegenheit in den Weg gestellt. Das schon im
Dezember 1871 erlassene Preisausschreiben hatte kein befriedigendes
Ergebniss zur Folge. Die Entwürfe von L. Bohnstedt, dem der
erste Preis zu Theil wurde, ferner diejenigen von Mylius und
Bluntschli, von KAYSER und Groszheim, von Ende und Böckmann u.a.
boten in keiner Weise eine geeignete Grundlage für die Ausführung.
Man hatte damals noch keine genaue Vorstellung von den praktischen
und architektonischen Erfordernissen eines Parlamentshauses, sodann
erschien es vortheilhaft erst abzuwarten, in welcher Weise sich die
neugeschaffenen parlamentarischen Verhältnisse in Deutschland ge¬
stalten würden, um danach von Neuem das Bauprogramm zu formu¬
liren. Es war vernünftig, dass man nicht hastig in's Blaue hinein
vorging. Insbesondere aber erregte die ungünstige Lage des Bau¬
platzes an der Ostseite des Königsplatzes die schwersten Bedenken.
Die vom Reichstag erwählte Baukommission, an deren Spitze der
Staatssekretär von Bötticher stand, erschöpfte sich im Verlauf
einer zehnjährigen Thätigkeit in den verschiedenartigsten Vorschlägen
zur Lösung der Platzfrage, um am Ende definitiv sich für den ur¬
sprünglich geplanten Ort zu entscheiden. Für den Grunderwerb
[9] wurden 7222437 Mark ausgegeben. Das am 2. Februar 1882 er¬
lassene zweite Preisausschreiben an alle deutsch redenden Künstler
hatte denn mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen. Die Ab¬
messung des Bauplatzes, 136 : 95 m, war angesichts der unter¬
zubringenden Räumlichkeiten ausserordentlich knapp, die Grundfläche
durfte ursprünglich durch belebende und dem Verkehr dienende
Vorbauten nicht überschritten werden. Dazu kam eine weitere Ver¬
wicklung durch den Umstand, dass die Hauptfront nach dem Königs¬
platz, also der Stadt abgekehrt zu liegen kam. Die Haupteingänge
mussten daher in den Nebenfronten angeordnet werden, und das
trug wesentlich zur Komplikation der Planbildung bei. Und bei der
künstlerischen Gestaltung des Aeusseren war einerseits ein weit¬
gedehnter Platz zu beherrschen, andererseits war eine günstige An¬
sicht vom Brandenburger Thor aus zu erzielen.
Wallot ist nun aller dieser Schwierigkeiten bereits in dem
ersten Entwurf Herr geworden. Die mächtige Pfeilerstruktur der
Fronten wirkte in grossgedachten schlichten Linien auf weite Ent¬
fernungen hin, die vier Eckthürme schlossen den Bauorganismus
wuchtig und feierlich zusammen, und eine herrliche Steinkuppel
dominirte nach allen Seiten hin, machtvoll über den Thürmen auf¬
ragend, wie das Kaiserthum über den vier Königreichen, den Eck¬
pfeilern der Reichseinheit, einen majestätischen Machtgipfel bildet.
Diese Lösung entsprach den höchsten Erwartungen. Und es ist
darauf hinzuweisen, dass die hochstrebende Kuppel des preisgekrönten
Entwurfs die perspectivische Verkürzung, in welcher man die Linien
der Fronten vom Brandenburger Thor aus erblickt, harmonisch
auflöste.
Nun trat an Wallot die Aufgabe heran, durch wiederholte
Bearbeitung der Baupläne allen Anforderungen seitens der für den
Bau massgebenden Faktoren gerecht zu werden. Die erste Um¬
arbeitung des ursprünglichen Entwurfs zeigt in der Längsaxe die
Eingangshallen und das Foyer; die Kurzaxe, welche von Westen
nach Osten läuft, weist eine Eingangshalle, ein imposantes Treppenhaus
[10] und hinter dem Foyer den grossen Sitzungssaal auf. Die Er¬
frischungsräume, der Schreib- und Lesesaal sind an der Westfront
angeordnet und der Bundesrathssitzungssaal im südöstlichen Thurm.
Doch die Akademie des Bauwesens, welcher die Abgabe der Gut¬
achten oblag, sprach sich gegen die 10 m über dem Strassenniveau
emporgehobene Lage des Hauptgeschosses aus. Die durch die Tiefer¬
legung des Sitzungssaales bedingte zweite Umarbeitung des Entwurfs
vom Frühjahr 1883 reducirt das Sockelgeschoss auf 5½ m. Das
Treppenhaus an der Westfront wird zu einer bis zum Foyer durch¬
gehenden oblongen Monumentalhalle ausgestaltet. In dieser Situation
kam das Bauprojekt vor den Reichstag am 9. Juni 1883. Es sprach
so überzeugend auf die Abgeordneten ein, dass die Bauausführung
Wallot sofort übertragen wurde, obwohl noch mehrere Bedenken
der Bauakademie Berücksichtigung erheischten. Die Akademie be¬
zweifelte die genügende Beleuchtung des Sitzungssaals, die Folge
davon war, dass die ursprüngliche Kuppel aus dem Programm beseitigt
wurde. Ferner wünschte man eine besondere geräumige Eingangs¬
halle für den kaiserlichen Hof. Das führte eine abermalige, diesmal
gänzlich veränderte Umgestaltung des Bauplans herbei. An der Ost¬
seite wurde ein beträchtlicher Raum für das kaiserliche Vestibül in
Anspruch genommen. Der grosse Sitzungssaal wurde infolge dessen
nach Westen vorgerückt und zwar über die Längsaxe hinaus. Da¬
durch wurde das bisherige Foyer unmöglich gemacht, nur die nörd¬
liche und südliche Eingangshalle blieben. Die ehemaligen vier Binnen¬
höfe wuchsen zu zwei zusammen. Das Foyer wurde nun endgültig
durch die gewaltige 96 m lange Wandelhalle ersetzt, die hinter den
Repräsentationsräumen an der Westfront eingelegt und sowohl mit
den beiden Haupttreppen als auch den Eingangshallen in Verbindung
gesetzt wurde. Was auf der einen Seite an akademischer Schönheit
in der Planbildung geopfert werden musste, wurde andererseits durch
die Schaffung eines in der deutschen Profanarchitektur einzigartigen
Innenraums ersetzt. Und über der mit einer Flachkuppel eingedeckten
Rotunde in der Mitte der Wandelhalle entwarf Wallot höherer
[11] Anweisung gemäss einen schlanken Kuppelbau, der von dem ursprüng¬
lichen über dem Sitzungssaal gründlich abwich. Jetzt endlich, am
5. Dezember 1883, konnte die kaiserliche Zustimmung zu der allseitig
durchgebildeten Grundlage für die Bauausführung eingeholt werden.
Am 9. Juni 1884 fand die feierliche Grundsteinlegung statt. Doch
im weiteren Verlauf der Arbeiten mussten noch zwei strittige Punkte
erledigt werden. Gegen den zweiten Kuppelentwurf sprachen schwere
Bedenken. Wallot kam je länger je mehr zu der Ueberzeugung,
dass das dominirende Bauglied des Hauses einzig und allein über
dem grossen Sitzungssaal, dem wichtigsten Raum in dem Bauorganis¬
mus, eine Berechtigung habe. Nach zwei Jahre langen Bemühungen
gelang es Wallot, nachdem das Problem eines aus Eisen und Glas
konstruirten Saalüberbaues den Beifall der Sachkenner sich errungen,
die Kuppelfrage endgültig in einer würdigen Weise zu lösen. Die
Entscheidung fiel am 13. Januar 1890. In demselben Jahre beschloss
die Reichstagsbau-Kommission, die von Wallot geforderte Bekleidung
der grossen Wandelhalle mit istrischem Kalkstein abzulehnen. Es
handelte sich hierbei vornehmlich um die Beschleunigung der Bau¬
ausführung, an Stelle des echten Materials wurde ein künstlicher
Inkrustatstein vorgeschlagen. Gegen diese Verleugnung eines der
vornehmsten baukünstlerischen Principien erhob sich aus allen Theilen
Deutschlands ein lebhafter Protest. Doch der Reichstag entschied
sich in der stürmischen Sitzung am 9. Mai 1891 zu Gunsten des
Surrogat-Materials.
Als die Gerüste vor den Façaden fielen und der innere Ausbau
mehr und mehr der Vollendung entgegenging, wurde dem Erbauer
des Reichstagshauses eine reiche Fülle der ehrenvollsten Anerkennung
zu Theil. Mit freudigem Staunen blickte das deutsche Volk auf die
zu so herrlicher Vollendung gediehene Grossthat der vaterländischen
Kunst, als am 5. December 1894 in der Wandelhalle die feierliche
Schlusssteinlegung vollzogen wurde. Die tiefen Eindrücke, welche
das Bauwerk hervorruft, finden in den Wallot erwiesenen Aus¬
zeichnungen ein getreues Echo. Dass die hessische Universität Giessen
[12]Wallot zum Ehrendoktor promovirte, dass ihm der Grossherzog von
Hessen in einem Ordensschmuck den Dank seiner engeren Heimath
zum Ausdruck brachte, berührte überaus wohlthuend. Ebenso, dass
die Berliner Akademie des Bauwesens den Reichstagsbaumeister zum
ausserordentlichen Mitgliede ernannt hat. Von weittragender Be¬
deutung für das im erfreulichsten Aufschwung begriffene Kunstleben
Dresdens ist die Berufung Wallot's an die dortige Kunstakademie.
Er hat die Professur für monumentale Baukunst bereits im Oktober
1894 angetreten. In demselben Monat wurde Wallot vom Berliner
Architekten-Verein zum Ehrenmitglied ernannt, und zwar hat der seit
80 Jahren bestehende Verein eine solche Auszeichnung zu verleihen
vorher noch niemals Veranlassung gefunden. Und der Kaiser ver¬
kündigte Wallot bei der Schlusssteinlegung die Ernennung zum
Geheimen Baurath. Die imposanteste aller Kundgebungen aber war
die am 6. Dezember 1894 veranstaltete Huldigungsfeier, welcher
die Künstler-, Architekten- und Ingenieur-Vereinigungen Berlins und
des Reiches beiwohnten, um Wallot bei seinem Scheiden aus Berlin
die Anerkennung für sein erfolggekröntes Schaffen auszusprechen und
ihm die Ehrenmitgliedschaft der betreffenden Verbände anzutragen.
Die Anschauungen und die Stimmung in den deutschen Künstler-
und Ingenieurkreisen traten besonders in der Ansprache des Geh.
Bauraths Hinkeldeyn zu Tage, welcher sich im Namen des Verbandes
deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine dahin äusserte: Die
Vollendung des Reichstagshauses erfüllt ganz Deutschland mit Freude
und Genugthuung. Es ist der schöpferischen Kraft des genialen
Baumeisters gelungen, alle Hemmnisse in muthvollem Ringen zu über¬
winden und sein Werk in seiner eigenartigen Würde und Schönheit
aus dem Geiste der Gegenwart heraus zu gestalten zum Zeugniss des
baukünstlerischen Schaffens unserer Tage in höchster Vollendung.
Der Verband erblickt in diesem Werke eine künstlerische Grossthat,
welche dem Vaterlande und der deutschen Kunst zu bleibender Ehre
gereicht.
DIE BAUAUSFÜHRUNG.
Das Baubureau Wallot's war, nachdem seine Berufung erfolgt,
am 1. Juli 1883 in Thätigkeit getreten. Anfang März 1884 geschieht
der erste Spatenstich für die Ausschachtung des Fundamentbaues. Die
Fundamentirung und die Ausführung der Kellerräume nahm zwei
Jahre in Anspruch, 1886 und 1887 stieg das Mauerwerk bis zur
Hauptgesimshöhe und in den beiden darauf folgenden Jahren wurden
die Werksteine, welche aus den grössten deutschen Steinbrüchen
geliefert wurden, versetzt. Zurückgeblieben waren indessen diejenigen
Bautheile, welche mit der erst 1890 entschiedenen Frage der Kuppel¬
anlage in Zusammenhang standen. Nun aber wurden die letzten
wichtigen Arbeiten so schnell gefördert, dass schon am 2. September
1891 die Reichskrone auf der Kuppellaterne enthüllt werden konnte.
Hand in Hand ging damit der innere Ausbau, 1891 war bereits
ein grosser Theil der Innenräume geputzt und 1892 wurden die
Fensteröffnungen geschlossen. Die Bauausführung erforderte ein
Riesenmaterial. Es gelangten zur Verwendung insgesammt 1211 cbm
Granit aus dem Fichtelgebirge, 30583 cbm Sandsteine und zwar
Alt-Warthauer, vom Teutoburger Walde, Nesselberger, Burggrappacher,
Cudovaer und Bayersfelder, 12354 cbm Kalkstein für die Fundamente,
557 cbm Lesina- und Merlera-Kalksteine, 1744 Treppenstufen und
589 qm Treppenpodeste aus Granit, 234 laufende m Granitschwellen,
1710 qm Marmorplatten, 32669000 Ziegelsteine und 2700 Tonnen
Guss- [und] Schweisseisen. Die bebaute Fläche bedeckt 11200 qm.
Die Länge des Hauses beträgt 137,40 m, die Tiefe mit den
Rampenanlagen an der West- und Ostseite 93,90 m. Die Höhe
des Gebäudes von der Oberkante des Bürgersteiges bis zum Haupt¬
gesims der Fronten beträgt 26,40 m, bis zum Hauptgesims der
Thürme 39,70 m, bis zur Plattform der Kuppel 58,70 m. Der
[14] höchste Punkt der Kuppellaterne liegt 74,70 m über dem Strassen¬
niveau. Die beiden Höfe des Gebäudes haben 28,40 m Länge und
15,70 m Tiefe.
Ein genauer Abschluss der Kostenberechnung ist gegenwärtig
noch nicht möglich, da noch ein wesentlicher Theil der inneren
Ausschmückung des Reichstagshauses an Bildhauerwerken, Wand¬
malereien etc. auszuführen ist. Bisher wurden ausgegeben: für den
Grunderwerb 7220000 M., für die innere Ausstattung des Hauses an
Möbeln 600000 M., Beleuchtungskörpern 400000 M., an Teppichen,
Läufern, Vorhängen 275000 M. Die eigentlichen Baukosten betragen
nach den endgültigen Voranschlägen 21100000 M. Für die künst¬
lerische Ausschmückung wurden vom Reichstag bewilligt für das
Etatsjahr 1893–94: 340000 M., für 1894–95: 400000 M. und
für 1895–96: 152000 M.
Vom Beginn der Bauausführung wurde Wallot der Bauinspektor
Haeger, der später zum Baurath befördert wurde, aggregirt. Haeger,
der sich bereits an wichtigen Aufgaben erprobt hatte, übernahm die
Leitung der rein geschäftlichen Angelegenheiten, also der Kosten¬
feststellungen, der Verdingungen etc., ferner des technischen und
konstruktiven Theils der Arbeiten. Und im Jahre 1890 wurde der
Regierungsbaumeister Paul Wittig als drittes Mitglied in die Reichstags¬
bauverwaltung berufen, einmal um den Baurath Haeger zu entlasten
und vornehmlich um den inneren Ausbau des Obergeschosses und
der Geschäfts- und Wirthschaftsräume des Erd- und Zwischengeschosses
im Einvernehmen mit dem leitenden Architekten zu entwerfen und
auszuführen. In den Händen Wallot's lag also die Leitung des
künstlerischen Theils. Er hatte die Entwürfe für den äusseren und
inneren Ausbau bis in die Einzelheiten festzulegen und die Aus¬
führung seinen Intentionen gemäss zu dirigiren, die Wahl der Künstler
und Kunsthandwerker zu treffen, denselben die Zeichnungen zu liefern
und gegebenen Falls die Entwürfe seiner Mitarbeiter zu korrigiren
und der künstlerischen Einheit des Bauwerks anzupassen. Der grosse
harmonische Zug, der den wunderbaren Bauorganismus bis in den
[15] abgelegensten Winkel durchdringt, basirt lediglich in der Persönlich¬
keit Wallot's, die Eigenart seines Naturells, eine Vereinigung von
packender Wucht, von Grazie und unerschöpflichem Erfindungsgenie,
tritt überall mit vollendetem Ausdruck zu Tage. Der individuelle
Charakter bedingt, wie bei allen grossen Kunſtwerken, so auch beim
Reichstagshause den die Jahrhunderte überdauernden Werth. Eine
Reihe von hervorragend begabten Architekten war in Wallot's Atelier
zur zeichnerischen Ausführung der Pläne herangezogen, so u. a. die
Architekten Fischer, Gramm, Grenander, Halmhuber, Pfann, Rieth,
Streiter. Hier bot sich unter dem anregenden Einfluss Wallot's
eine Schulung in Aufgaben nationaler Kunst, deren segensreiche
Folgen sich in der architektonischen und künstlerischen Produktion
Deutschlands schon jetzt fühlbar machen.
Gleichzeitig mit der Bauausführung wurden die Anlagen für
Beleuchtung, Heizung und Lüftung vollendet. Die Beleuchtung der
Innenräume wird ausschliesslich durch elektrisches Licht bewerkstelligt.
Die Berliner Elektrizitäts-Werke liefern den Strom. Die Anschlüsse
an das Berliner Kabelnetz erfolgen an drei verschiedenen Seiten des
Hauses, sodass auch beim Versagen einer der Zuleitungen die Strom¬
zufuhr gesichert bleibt. Die Leitung der Drähte ist durchweg in
schmiedeeisernen Röhren geführt und zwar derart, dass an Theilen
die etwaigen Reparaturen ohne Weiteres ausgeführt werden können.
Im Ganzen umfasst die Anlage etwa 5000 Glühlampen und 100 Bogen¬
lampen. Die Heizungs- und Lüftungsanlagen führte der Berliner
Ingenieur David Grove aus, welcher aus der Konkurrenz im April
1884 mit dem ersten Preise hervorgegangen war. Das System dieser
in ihrer Art grössten Anlage, die eine Schacht- und Röhrenlänge
von nicht weniger als 50 Kilometer besitzt, charakterisirt sich als
Dampfluft- und Dampfwarmwasserheizung. Das Maschinen- und
Kesselhaus befindet sich auf dem Hinterterrain der Sommerstrasse,
von wo ein mächtiger Tunnel zum Reichstagshause geführt ist.
Bei einem Ansatz von –20° C. als niedrigste äussere Temperatur
ist für die Flure und Hallen eine Erwärmung von + 10° C, für
[16] die sonstigen von Personen benutzten Räume von +20° C. fest¬
gesetzt. Die Sitzungssäle, Korridore, Treppenhäuser, Vorhallen, ferner
die Erfrischungssäle und der Lese- und Schreibsaal sind durch
Dampfluftheizung, die Sitzungssäle ausserdem noch durch Warmwasser¬
heizkörper in den Fensternischen erwärmt. Für den grossen Sitzungs¬
saal ist eine von der übrigen Anlage getrennte Dampfwarmwasser-Luft¬
heizung eingerichtet. Im Kellergeschoss wird der aus dem Kesselhause
herbeiströmende Dampf den einzelnen Heizkammern und Heizungs¬
kesseln zugeführt, und von diesen steigt dann die Wärmluft zu den
verschiedenen Räumen des Hauses empor. Für die Durchführung
der Lüftung sind im Keller zwölf Ventilatoren mit elektrischem Betrieb
aufgestellt. Diese Ventilatoren bewirken es, dass die frische Luft
entweder durch die grossen Zuluftöffnungen hinter der Rampe oder
durch die oberen Fenster der beiden West-Thürme in die einzelnen
Räume des Hauses eingeführt wird. Die Abluft wird nach dem
Keller zurückgeführt, dort durch Sammelkanäle in grosse Abluft¬
schlote geleitet und gelangt dann durch die beiden Thürme an der
Ostseite wieder ins Freie. Der grosse Sitzungssaal erhält einen
fünfmaligen Luftwechsel in der Stunde, für die übrigen Sitzungssäle,
für die Restauration und den Lesesaal ist ein zweimaliger, für die
Klosets und Garderoben ein zwei- bis dreimaliger, für die sonstigen
Räume ein einmaliger Luftwechsel in der Stunde vorgesehen.
DIE RAUMVERTHEILUNG.
Das Reichstagshaus enthält fünf Geschosse und zwar ein Keller¬
geschoss, ein Erdgeschoss, ein Hauptgeschoss, ein Zwischen- und ein
Obergeschoss. Jedesmal sind grosse, logisch miteinander zusammen¬
hängende Raumgruppen zu wohlbedachten Einheiten vereinigt. Das
[17] Hauptgeschoss, welches nach den höchsten künstlerischen Gesichts¬
punkten ausgestattet ist, weist alle diejenigen Räume auf, welche bei
den Reichstagssitzungen unmittelbar in Betracht kommen. Im Herzen
des Geschosses liegt der grosse Sitzungssaal mit seinen Umgängen.
Westlich davor lagert sich die gewaltige Rotunde der Wandelhalle,
deren Seitenflügel sich bis zu den beiden Haupttreppen erstrecken,
in einer Linie die ganze Längsausdehnung des Hauses repräsentirend.
In inniger Verbindung mit der Wandelhalle stehen die herrlichen
Repräsentationsräume an der Westfront, die beiden Erfrischungssäle
und der Lese- und Schreibsaal, neben welchen ein Postzimmer ein¬
geschaltet ist. Zwei Sprechzimmer und Toiletten für die Abgeordneten
sind zwischen den Haupttreppen und den Eingangshallen eingefügt.
Alles das stellt eine festgeschlossene Gruppe für sich dar. Der
Bundesrathssitzungssaal im Südostthurm ist der dominirende Raum
für die den vereinigten deutschen Regierungen zugewiesene Gruppe.
Dem Bundesrath dienen ausser dem Sitzungssaal noch ein Vorzimmer
und ein Berathungssaal an der Südfront, während in der Rücklage
an der Ostfront der Reichskanzler und die Staatssekretäre fünf Räume
besitzen. Ebenso viel sind im nordöstlichen Gebäudetheil für den
Präsidenten und die Schriftführer des Reichstags vorgesehen. Zwei
gleichartige langgestreckte Vorsäle sind hinter den Amtsräumen des
Reichskanzlers und des Präsidiums eingelegt und nehmen den Verkehr
an diesen Stellen in sich auf. Der Nordostthurm enthält den Bücherei-
Lesesaal und die Handbibliothek der Abgeordneten. Und schliesslich
die Amtsräume des Direktors des Reichstags befinden sich an der
Nordfront. Das Obergeschoss enthält im Wesentlichen die Berathungs-
und Sitzungssäle für die Abtheilungen, die Kommissionen und Parteien
des Reichstags. In einer grandiosen Raumfolge erstrecken sich die
14 Säle mit vier dazu gehörigen Vorsälen an der West-, Süd- und
Ostfront des Gebäudes. Die Säle sind, je nach der Zweckbestimmung,
in den verschiedensten Grössenverhältnissen gehalten, die grössten
und bedeutungsvollsten Räume liegen an den Stellen, die auch in
der Aussenarchitektur hervorragend ausgebildet sind. Ferner hat im
2[18] Obergeschoss das grosse Büchermagazin Platz gefunden, und im
Nordostthurm besitzt die Bücherei-Verwaltung einen stattlichen Saal,
der mit dem darunter befindlichen Lesesaal der Abgeordneten in
Verbindung gesetzt ist. Das Erdgeschoss enthält die drei Eingangs¬
hallen mit zwei geräumigen Kleiderablagen. Die Vorhalle an der
Südseite, wo der Ausgangspunkt für die künstlerische Entwicklung
der Innenarchitektur zu finden ist, ist ausschliesslich zum Eingang
für die Abgeordneten und die Mitglieder des Bundesrathes bestimmt,
die mächtige Ostvorhalle öffnet sich dem kaiserlichen Hof, fürstlichen
Personen, der Diplomatie und dazu den Vertretern des Bundesrathes.
Die Nordvorhalle dient den Abgeordneten, den Beamten und dem
Publikum, ausserdem befindet sich hier eine Einfahrt in die beiden
Höfe. Unter dem Vorzimmer des Reichskanzlers hat das Erdgeschoss
noch ein ferneres Portal mit Einfahrt beziehungsweise Ausfahrt. An
der Westfront weist das Erdgeschoss einige Sitzungssäle und die in
acht Räume gegliederte Küchenanlage auf. In nächster Nähe der
Nordeingangshalle ist die Kartenausgabe für den Tribünen-Besuch
und die Wartehalle des Publikums anzutreffen. Und die östliche
Hälfte enthält die Botenmeisterei, das Botenzimmer, die Räume für
die Stenographen, die Hausdruckerei, die Hausverwaltung, die Feuer¬
wehr, die Centralstelle mit der Fernthermometer-Anlage, die den
Heizingenieur in den Stand setzt, die Wärmezufuhr in jedem ein¬
zelnen Raume des Hauses zu kontrolliren und zu reguliren. Im
Südostthurm befindet sich das Archiv und in nächster Nähe desselben
die Wohnungen der Hausbeamten. Das durch Lichtgräben erleuchtete
Kellergeschoss birgt die vielverzweigten Heizanlagen und ferner die
Kellereien für die Küche und die Wohnungen, auch das Archiv hat
hier unten noch einen ausgedehnten Stapelplatz für Drucksachen.
Und das Zwischengeschoss schliesslich, das von aussen an den drei
Nebenfronten in den Fensterreihen der Rücklagen sich zu erkennen
giebt und in der Höhe der Tribünen angelegt ist, enthält die beiden
Salons für den kaiserlichen Hof, die Räume, welche zu den Zuschauer¬
tribünen Zutritt gewähren und eine Flucht von Zimmern für die
[19] Vertreter der Presse. Ueber den Amtsräumen des Hauptgeschosses ist
die Registratur und die Kanzlei angeordnet. Vier Umkleide- und
zwei Sprechzimmer für die Abgeordneten stossen unmittelbar an die
beiden Haupttreppen, und endlich sind oberhalb der für Regierung
und Bundesrath bestimmten Räume sechs Zimmer für diese beiden
Reichsvertretungen reservirt worden.
2 *
DIE FAÇADEN.
In ihrer Ehrfurcht gebietenden Mächtigkeit, der markigen Schlicht¬
heit und sieghaften Schönheit ist die äussere Erscheinung des Reichs¬
tagshauses ein getreues Spiegelbild jener gewaltigen Volksbewegung,
welcher das Deutsche Reich seinen Ursprung verdankt. Der praktische
wie der ideale Zweck des Hauses hat in der künstlerischen That
Wallot's einen vollendeten Ausdruck gefunden. In der Bewältigung
der grossen Baumassen bis hinab zur feinen Gliederung des Schmucks
hat Wallot alles indifferente Schablonenwerk ausgeschlossen, das
Ganze wie das Einzelne wird von einer grossen Idee beherrscht und
zu einem harmonischen Organismus gefügt. Die deutschen Staaten
und Länder, die Flüsse und Städte, sodann die Aeusserungen des
Volkslebens, die Träger der Kultur sind in künstlerischen Gebilden
an den Fronten des Reichstagshauses in die Erscheinung getreten,
und das einigende Band, das vom Fels zum Meer die Gaue des
Vaterlandes unauflöslich festgekettet, der Reichsgedanke, bildet auch
in der Gestaltung des Baudenkmals den alles beherrschenden Höhe¬
punkt, den Inbegriff des Kunstwerks. Aus diesem Grundzuge wächst
eine reiche Fülle genialer Neubildungen hervor, die, von einem echt
nationalen Geiste erfüllt, zum Ausgangspunkt einer neuen Epoche
deutscher Kunst geworden sind.
[21]
Das architektonische System der Façaden ist in den Formen
der Hochrenaissance durchgeführt und zwar überall in einer den
Anschauungen der Neuzeit entsprechenden Umbildung, in welcher
der persönliche Stil Wallot's unverkennbar zu Tage tritt, Das
gerade bedingt die eigenartige Schönheit des Reichstagshauses. Straff
und wuchtig wachsen die Flächen und Linien aus dem Boden empor,
in lichten und kühnen Ausladungen erhält die Silhouette des Gebäudes
eine charaktervolle Kraft, die Mittelrisalite der Fronten und die festen
Eckpfeiler des Hauses, die vier Thürme, vereinigen in den orna¬
mentalen Symbolen die Herrlichkeit des neuerstandenen Reiches,
gleichsam zu Stein gewordene Siegeshymnen, in majestätischer Monu¬
mentalität spannt sich die goldstrahlende Kuppel über dem Herzen
des Bauwerks aus, und die Reichskrone dominirt auf dem Gipfel
des Hauses.
Das Erdgeschoss kennzeichnet sich in dem tiefgefugten Quader¬
werk als der Sockel des Gebäudes. Die Dreiviertelsäulen an der
Hauptfront und am Ostvorbau, sowie die Pfeiler an den Nebenfronten
bedingen die einheitliche monumentale Höhenentwicklung. Ueber
den herrlichen Kompositakapitälen legt sich der Architrav wie ein
ehernes Band rings um das Bauwerk, und die treibende Kraft der
Stützen schiesst über das von Konsolen getragene Hauptgesims in
den eigenartigen fialenähnlichen Aufsätzen empor, wie denn überhaupt
alle aufstrebenden Linien in vielgestaltenen Skulpturen gedankenvoll
und poetisch in der Höhe ausklingen.
Charakteristisch für die künstlerische Art Wallot's ist die Be¬
handlung der Fenster. An den verschiedenartigen Fenstern ist die
Zweckbestimmung der dahinter liegenden Räume unschwer zu er¬
kennen. Die mächtigen Lichtöffnungen an der Westfront, in den
Risaliten und den Thürmen weisen auf die Repräsentationsräume hin.
In den Nebenfronten, wo das Zwischengeschoss eingelegt ist, ergaben
sich, vom Sockelbau abgesehen, drei Fensterreihen, welche die monu¬
mentale Wirkung der Fronten nicht beeinträchtigen durften. Sie
mussten schlicht behandelt werden, weil es sich hier um blosse
[22] Geschäftsräume handelt. Dass Wallot nun nicht die Versuchung
an sich herantreten liess, an den Nebenfronten die Fenster für
Haupt- und Zwischengeschoss etwa unter einem einzigen Rundbogen
zu vereinigen und auf diese Weise das Zwischengeschoss nach aussen
hin unkenntlich zu machen, spricht für seine künstlerische Ehrlichkeit,
die keine Umschweife und kein Atrappenwerk kennt. Und so sind
denn auch mit bestem Gelingen die aufeinander stossenden Höhen¬
unterschiede der Fensteröffnungen in der Gesammtansicht ausgeglichen.
Die markigen, bis zum Architrav durchgehenden Pfeiler erhalten das
monumentale Moment aufrecht, sodass die zahlreichen Fenster nicht
störend auffallen, ferner ist über den Fenstern des Obergeschosses
der Giebel derartig stark ausgebildet, dass er das ganze Interkolum¬
nium beherrscht und als eine untheilbare Einheit erscheinen lässt.
Und schliesslich tragen die Risalite und Eckthürme dazu bei, dass
die Monotonie der Fensterreihen völlig aufgehoben wird. Belebt
werden die Rücklagen der Nebenfacaden durch eine anmuthige Zahn¬
schnittlinie unter dem Obergeschoss und durch die unter Ringkronen
gestellten Wappen der Bundesstaaten, welche schlusssteinartig in die
Fenstersturze des Zwischengeschosses eingefügt sind. Nur die Wappen
der vier Königreiche haben an hervorragenderer Stelle Platz gefunden.
An der Westfront sind die Fenster des Hauptgeschosses, von Rund¬
bögen überspannt, möglichst hoch emporgeführt, das verleiht dem
Geschoss ein imposantes Gepräge. Doch die gewaltigen Fenster¬
öffnungen verlangten nach einer Gliederung, welche Wallot durch
die frappirenden, höchst eigenartigen steinernen Einstellungen erzielt
hat. Diese Einstellungen tragen die Wappen der bedeutendsten
deutschen Städte und erfüllen zugleich einen praktischen Zweck, in¬
sofern sie Fensterthüren enthalten, welche zu den balkonartigen Vor¬
ladungen des Erdgeschosses Zugang gewähren. In engster Verbindung
mit den Städten stehen die Flüsse. So sind denn in den grossen
Schlussstein-Köpfen der Fensterbögen die Hauptwasseradern Deutsch¬
lands zur Darstellung gekommen. Professor W. Widemann hat sie
modellirt. Dieser tiefangelegte Künstler, der in wunderbarer Weise
[23] die Intentionen Wallot's überall erfasst hat, ist durch seine Arbeiten
am Reichstagshause in die erste Reihe der deutschen Bildhauer
getreten.
Die vier Eckthürme, welche durch alle Wandlungen der Ent¬
würfe in ihrer ursprünglichen Gestaltung bewahrt geblieben sind,
bedingen wesentlich die Würde und Schönheit des Reichstagshauses.
Nach allen Seiten hin schliessen sie das Gefüge des Bauwerks fest
zusammen, eine unerschütterliche, machtvoll aufstrebende Kraft wohnt
in der Struktur, und in der Höhe vergeistigt sich die Wucht und
der Ernst zu einem triumphirenden Jubelakkord. Wie im Organismus
des Deutschen Reichs die vier Königreiche als Eckpfeiler zum
Kaiserthum stehen, so sind die Thürme als die Trabanten der Kuppel
gekennzeichnet. Im kühnen Schwung reckt sich der die Fenster
begrenzende Bogen bis dicht unter den Architrav, aus dem Schluss¬
stein schauen monumentale Köpfe herab. Portalähnlich und von
einem Giebel gekrönt sind die Fenster des Hauptgeschosses, und in
dem geräumigen Fensterbogen des Obergeschosses stehen schlanke
Steinpfosten, ein reizvolles Motiv. Das Profil der Thürme wird durch
die vorgeschobenen Säulen und das 2½ m ausladende Hauptgesims
bedeutungsvoll verschönt. Diese Freisäulen sind als Träger des
Volkslebens symbolisirt, sie heben die 16 Monumentalskulpturen
empor, in welchen die verschiedenen Aeusserungen der deutschen
Kultur verkörpert sind. Am Südostthurm, wo der Bundesrath seines
Amtes waltet, ist die ausübende Staatsgewalt, die Rechtspflege und
Staatskunst, die Wehrmacht zu Land und See in den vier Meter
hohen Steinbildern dargestellt; am Nordostthurm, welcher die Bücher¬
schätze in sich birgt, halten Kunst und Literatur, Unterricht und
Erziehung, die Grundlagen der Volksbildung, die Wacht. Und vor
den nach Westen gekehrten Thürmen stehen die Repräsentanten der
Elektrotechnik und der Hausindustrie, des überseeischen Handels
und der Grossindustrie, des Weinbaues und der Bierbrauerei, des
Ackerbaues und der Viehzucht. Die Modelle für diese Standbilder
sind geliefert von den Bildhauern Volz, Maison, Behrens, Schierholz,
[24] Eberle, Eberlein, Diez und Lessing. Zwischen je zwei dieser Ideal¬
gestalten werden an der Basis der oberen Thurmkörper jedesmal
langgestreckte Inschrifttafeln sichtbar. Hier sind in monumentalen
Lettern die Namen aller während des grossen Krieges regierenden
Bundesfürsten eingemeisselt. Die Herrscher sind also mit den
wirkenden Volkskräften in eine innige Verbindung gebracht, dem
Geist der deutschen Verfassung entsprechend. Nun streben die
Thürme in markiger Gedrungenheit und in einem festlich bewegten
Schwung über den Dachfirst empor, Halbsäulen und Pfeiler flankiren
die drei Rundbogenfenster. Im Scheitel der Bögen schauen phan¬
tastische Masken in starrer, geheimnissvoller Ruhe in die Ferne, und
an den Eckpfeilern schiebt sich unterhalb des Hauptgesimses ein
gekrönter Löwenkopf, der durch eine Fruchtschnur mit einem am
Pfeilerfuss stehenden Adler verbunden ist, nach Art der mittelalter¬
lichen Wasserspeier vor. Ein genialer Zug, der die Silhouette
charaktervoll verstärkt. Und schliesslich eine auf dem Hauptgesims
ruhende, durch Festons und Palmettenmasken gezierte Attika bildet
die Basis für die wundervollen Geniengruppen mit der hoch empor¬
gehobenen Kaiserkrone. In anmuthiger Verschlingung treten jedes¬
mal die drei Putten eng zusammen, in graziöser Geschäftigkeit das
ihnen anvertraute Wahrzeichen zur Schau tragend. Diese Kinder¬
gruppen sind von A. Brütt modellirt. Alles in Allem sind die
Eckthürme des Reichstagshauses Kunstgebilde höchster Art, welche
die schöpferische Kraft des Meisters eindringlich darlegen. Das
Geheimniss ihrer überwältigenden Wirkung ruht in denselben ewigen
Gesetzen, nach denen das Leben eines ganzen Volkes geregelt ist.
In breiter Ruhe am Boden das Fundament, die Masse, aus dem
Mutterschooss ringen sich die Träger der volkserhaltenden Kräfte
empor, das aufbauende Princip, auf der normalen Höhe des Lebens
stehen die führenden Geister, die Repräsentanten der Stände, und
schliesslich über dem Höhenniveau des Hauptgesimses erblüht das
Reich der Ideale, in welchen von Geschlecht zu Geschlecht das
edle Menschenthum das Bewusstsein seiner himmelanstrebenden
[25] Gottähnlichkeit in den unvergänglichen Thaten der schöpferischen
Phantasie kundgiebt.
An den Façaden sind naturgemäss die Mittelrisalite, welche die
Portale enthalten, künstlerisch reich ausgebildet. Am imposantesten
an der nach Westen gekehrten Hauptfront. Hier gipfelt das monu¬
mentale Gepräge des Reichstagshauses in einer grossartigen Ver¬
körperung des Reichs-Gedankens. Eine Rampe von über 100 m
Länge und eine 46stufige pompöse Freitreppe führen zu der von
sechs Säulen getragenen Vorhalle. In feierlich-heroischen Rhythmen
wachsen die machtvollen Säulen zu dem weit vorspringenden Giebel
empor. Auch der Skulpturenschmuck ist in grossen Dimensionen
gehalten. Auf den Podesten der Freitreppe sind ruhende Löwen als
Hüter des Eingangs geplant. Seitlich begrenzt wird der innere
Raum der Vorhalle durch zwei in Sandstein gemeisselte Wappen¬
bäume. Die deutschen Grenzströme, der Rhein und die Weichsel,
lagern am Fuss der Eiche und der Fichte, im Gezweig hängen die
Wappen der Bundesstaaten, von Wappenmännern und Genien flankirt,
und über dem Horst der Bäume schwebt der Adler mit der Reichs¬
krone in den Fängen. Dieser einzigartige Schmuck kennzeichnet
treffend Wallot's Erfindungs-Reichthum. Ueber dem Mitteleingang
grüsst das Symbol der Reichseinheit in der Gestalt des Patrons der
Deutschen, des reisigen St. Georg, der, die wallende Reichsfahne
und das nackte Schwert in den Händen, den Drachen der Zwietracht
niedergeritten hat. Die trutzig-markigen Züge des Alt-Reichskanzlers
verleihen dem wackeren St. Georg eine bleibende Bedeutung. Im
Giebelfelde der Vorhalle steht, 6 m hoch, das Hermelinwappen des
Reichs, zwei bewehrte Reckengestalten halten ihre Waffen schützend
über die friedlichen Gruppen der Kunst und Wissenschaft, des
Handels und Gewerbes ausgestreckt. Darunter am Architrav wird
demnächst die Inschrift eingemeisselt werden. Am 19. Januar 1895
ist der Wortlaut: DEM DEUTSCHEN REICH festgesetzt worden.
Die breitmassigen Eckpfeiler des Risalits begrenzen zu beiden
Seiten die Vorhalle, sie heben hoch über das Hauptgesims eine
[26] gewaltige Plattform empor und klingen in reichgegliederten, gekrönten
Aufsätzen aus. Aus dem Innern dieser prächtigen Gebilde greifen
menschliche Hände hervor, die einen Schild mit dem Namens-
Initial des ersten Kaisers halten. Und mitten auf der Plattform,
über dem Kuppelraum der Wandelhalle, ist die in den Sattel ge¬
hobene Germania vereint mit den Genien des Krieges und Friedens
aufgestellt.
An der südlichen und nördlichen Schmalseite des Hauses sind
die Mittelrisalite gleichartig behandelt. Die im Erdgeschoss befind¬
lichen Eingänge sind schlicht profilirt, auf dem breit vorladenden
Thürsturz lagern zwei mächtige Skulpturen. An der Südseite die von
M. Klein geschaffene Allegorie der „Kraft“. Ein Riesenlöwe legt
seine Pranke auf eine mit dem inhaltsvollen Wort „Elsaas“ bezeichnete
Kugel. Neben dem königlichen Thier drei Knaben mit Lorbeer¬
zweigen und der Reichsfahne. Für das Nordportal hat A. Brütt
die Gestalt der „Wahrheit“ geliefert, ein strenges nacktes Weib mit
hoch erhobener Fackel. Ueber den Gruppen erheben sich die
grossen Rundbogenfenster, durch welche die Eingangshallen erleuchtet
werden. Je zwei eng aneinander gerückte Pfeiler flankiren den Bau¬
theil. Darin geben sich die innig verbundenen Gewalten der Abwehr
zu erkennen, denn innerhalb der Pfeiler ist ein kurzes Schwert auf¬
gepflanzt, auf dessen Spitze eine schreckenverbreitende Medusenmaske
schwebt. Das Fenster des Obergeschosses ist durch zwei Steinpfosten
getheilt, geflügelte Löwenköpfe im Sturz sind die Konsolen der vier
Wappen der Königreiche. Mit ausgebreiteten Schwingen beschattet
der herrliche deutsche Adler im Giebelfeld den ganzen Aufbau. Und
abermals streben die Eckpfeiler weit über das Dach hinaus. Auf
die schlanken altarähnlichen Postamente haben sich flügelschlagende
Adler herabgelassen und zerfleischen das Schlangengezücht der Reichs¬
widersacher in ihren scharfen Fängen. Diese Adler sind ein be¬
lebendes und in der Silhouette äusserst reizvolles Motiv, einen
Ruhepunkt bildend in dem leeren Raum zwischen den beiden
Eckthürmen.
[27]
Der Ostvorbau entspricht in charakteristischer Weise seinem
Zweck. Er enthält die überdeckte Unterfahrt für den kaiserlichen
Hof und bringt die gewaltige Kaiserhalle nach aussen hin zu voller
Geltung. Die Harmonie zwischen dem Innern und dem Aeussern,
die in allen Theilen des Hauses erzielt ist, tritt hier besonders greif¬
bar zu Tage. Der Vorbau bereitet die sich nähernden fürstlichen
Personen darauf vor, einen wie machtvoll ausgebildeten Binnenraum
sie zuerst betreten werden. Dem entspricht die ganze Struktur dieses
nach Osten vorgeschobenen Baugliedes, die majestätische Wucht der
Steinmassen, Flächen und Wölbungen. Hier hat das Bauwerk zu¬
gleich das Rückgrat, den festen Ankerpunkt. Drei bis an's Ober¬
geschoss durchgehende Rundbogen, welche der Halle das Licht
zuführen, gliedern die Aussenseite, kassettirte Tonnenwölbungen
spannen sich über die Unterfahrt. Massige Steinschranken ver¬
schliessen den unteren Theil der Bögen gegen die Aussenwelt. Auf
den Postamenten der Schranken werden die sitzenden Monumental¬
bildnisse der drei Reichspaladine Bismarck, Moltke, Roon einen
Ehrenplatz erhalten. An den Schmalseiten des Vorbaues schauen
zwei von Widemann modellirte grosse Wappen-Reliefs von wunder¬
barer Wirkung auf die Rampe hinab. Die Schlusssteine der Rund¬
bogen sind mit Zierhelmen geschmückt, zu deren Kleinoden der
Hund als Sinnbild der Treue, der Adler und der Löwe als diejenigen
der Kühnheit und Kraft gewählt sind. Die Fenster des Obergeschosses
sind auch hier durch Steinpfosten getheilt. Der Vorbau wird von
einer kompakten Attika gekrönt, welche durch eine mit Waffenstücken
gezierte Pfeilerstellung in drei Felder eingetheilt ist. Darin sind die
Namen und Regierungszahlen der drei ersten Hohenzollern-Kaiser
eingemeisselt. Vier Adler sind schliesslich auf die Oberkante des
Vorbaues gesetzt. Den Charakter dieses Gebäudetheils vervollständigt
das stumpfwinklige schwere Satteldach. Gleichsam ein Pendant zu
der Germania werden die beiden riesigen Ritter-Herolde bilden,
welche oberhalb der Eckpfeiler des östlichen Mittelrisalits auf die
ragenden Postamente gesetzt werden. Die gepanzerten Reiter sind
[28] von Rudolf Maison modellirt, in ihnen sind Meisterwerke ersten
Ranges zu begrüssen, die voll und ganz von dem Geist des
Wallot'schen Werkes erfüllt sind.
Auf allen Seiten das architektonische System der Fronten in
sich aufnehmend, ist die Kuppel die Krone und der Triumph
des Reichstagshauses. Wie im Innern der Sitzungssaal das Herz
der ganzen Anlage ist, so bildet am Aeusseren der Saalüberbau mit
der Kuppel den Alles zusammenfassenden Einigungspunkt. In der
Geschichte der Baukunst ist der Kuppel eine epochemachende Be¬
deutung zuzuweisen, sie bietet das erste Beispiel einer monumentalen
Behandlung von Glas und Eisen für die Palast-Architektur. Damit
hat Wallot der modernen Kunst eine weite Perspective eröffnet.
Der Saalüberbau ruht auf einem Rechteck von 35 zu 39 m und
misst rund 42 m in der Höhe. Von der Grösse kann man sich
einen annähernden Begriff machen, wenn man sich vergegenwärtigt,
dass die Thürme vom Strassenniveau bis zum oberen Hauptgesims
nur 39,68 m hoch sind. Nach den Binnenhöfen sind die durch
Strebepfeiler gefestigten Seitenwände des Saalüberbaues mit grossen
Fensteröffnungen versehen. Von den Fronten her wird nur die auf
ein einfaches Gesims aufsetzende Wappen-Attika von mässiger Höhe
sichtbar. Im preisgekrönten Entwurf war dieses eigenartige Wappen-
Motiv in einem Fries über dem westlichen Portal bereits vorhanden.
Durch kurze Pfeiler wird die Attika in sieben Felder getheilt, die
leeren Wappenschilde werden von ornamentalen Figuren umsäumt
und von stilisirten Kronen überragt, die Pfeiler endigen in schlanken
Aufsätzen, die wuchtigen Eckpfeiler des Saalüberbaues tragen gekrönte
Kugeln. Der rhythmische Wechsel von glatten und skulptirten
Flächen bedingt die prächtige Wirkung dieses zur Kuppel überleiten¬
den Bautheils. Die konstruktiven Glieder der Kuppel wachsen
organisch aus dem Steingefüge empor, die mächtigen walmförmig
geschwungenen Eckrippen wurzeln in den Eckpfeilern des Saalüber¬
baues und die übrigen Rippen sind eine Fortsetzung der Attika-
Pfeiler. In dieser genial empfundenen durchgehenden senkrechten
[29] Linienführung vom Fundament bis zur Reichskrone empor beruht die
machtvolle Einheit des Gesammtaufbaus. Die Kuppel steht auf dem
Gebäude-Körper wie die Blüthe auf dem Zweig. Und nun beobachte
man die herrliche Ideensteigerung in der Axenlinie: über dem Eingang
Sct. Georg, im Giebelfeld das Reichswappen, auf der Plattform die
Germania und unmittelbar hinter dem Reichsgenius strebt, stufenförmig
gegliedert, ein breiter Ornamentstreifen an der Kuppel aufwärts, in einer
Sonnenmaske kulminirend. Darüber baut sich die Kuppellaterne auf,
durchsichtig schlank und doch markig fest, die luftig vorgeschobenen
Säulen sind von Strahlenkörpern gekrönt und nun noch einmal rafft
sich die Architektur kompakt zusammen, um für die Reichskrone
auf dem höchsten Gipfel eine unerschütterliche Grundlage zu bilden.
In diesem ganzen Höhenzuge ist die Seele des Baudenkmals zum
Ausdruck gekommen. Und andererseits wie intensiv hat Wallot
das Problem gepackt, aus Glas, Eisen und Gold eine Monumental¬
wirkung zu erzielen! Die Kuppel hat den Zweck, dem grossen
Sitzungssaal das Licht zuzuführen, eine ausgedehnte Glasfläche wurde
also zur Nothwendigkeit. Da aber das Glas, weil es das Licht nicht
reflektirt, sondern absorbirt, einen dunklen stumpfen Ton besitzt,
trat folgerichtig das Gold als ergänzender Faktor hinzu und zwar
unter demselben Gesichtspunkt, unter dem die Farbe in Binnenräumen
die Klarheit und die Schönheit der konstruktiven Gedanken erhöht.
Und ferner hat das Gold, als das edelste der Metalle, die monumentale
Vergeistigung der Eisenrippen zu bewirken, auf weite Entfernungen
hin durch seinen Glanz die tragenden und charakteristischen Theile
der Kuppel zu repräsentiren. Ein wie wunderbares Gefühl von
Sicherheit, Ruhe und eherner Spannkraft erzeugen diese aus dem
Herzen des Bauorganismus emporwachsenden Glanzlinien und wie
tiefsinnig ist die Ornamentik in den Sonnenmasken, Strahlenkörpern etc.
dem innersten Wesen des Goldes angepasst! Gewiss, es kann keinem
Zweifel unterliegen, dass Wallot gerade in der Kuppel den Gipfel¬
punkt seiner schöpferischen Kraft erreicht hat.
RUNDGANG DURCH DAS
REICHSTAGS-GEBÄUDE.
Wie sehr die äussere Erscheinung des Hauses dem Innern
entspricht, wird sofort beim Eintritt an der architektonischen und
künstlerischen Gestaltung der Eingangshallen erkenntlich. Der erste
bestimmende Eindruck, den man an dem System der Façaden ge¬
winnt, wird im Innern erneuert und entsprechend gesteigert. Die
Säulenvorhalle der Westfront bereitet auf die feierliche Grösse der
Rotunde vor, der wuchtige Ostvorbau auf den majestätischen Ernst
der kaiserlichen Eingangshalle. Ebenso stimmen die Mittelrisalite der
Nord- und Südfront den Kommenden erwartungsvoll. In der Raum¬
folge des Hauptgeschosses entwickelt sich ein ganz bestimmter künst¬
lerischer Gedankengang, welcher im grossen Sitzungssaal gipfelt. Da
nun das Südportal den Abgeordneten und dem Bundesrath den
Haupteingang gewährt, ist es natürlich, dass in der Südvorhalle die
Innenarchitektur mit einem gemüthbezwingenden Eindruck bedeutungs¬
voll anhebt. Die Arbeit, die in diesem Hause von den Vertretern
des Volkes und der Regierungen geleistet wird, ist eine entscheidende
für die Geschicke des deutschen Volkes, das Ehrenamt der Volks¬
vertretung verleiht dem Träger des Mandats eine ideale Würde. Und
[31] so entspricht es der tiefen Auffassung, mit welcher der Reichstags¬
baumeister seine grossen Aufgaben allseitig erfasst, dass der Ab¬
geordnete beim Eintritt in das Haus, von der Weihe der Kunst
umfangen, losgelöst von dem kleinlichen Getriebe der Alltagswelt,
in eine höhere Sphäre gleichsam versetzt wird. Architektur, Bild¬
hauerkunst und Malerei vereinigen sich in der Vorhalle zu einem
Kunstwerk höchster Art. Ein grosser Zug durchdringt das Ganze,
die Herrlichkeit des neuen Reichs wächst aus der ruhmvollen Ver¬
gangenheit des deutschen Mittelalters empor. Nicht etwa, als ob
damit staatsrechtlich das nationale Kaiserthum als eine Fortsetzung
des römischen Weltkaiserreichs deutscher Nation gedeutet ist, aber
die Geschichte und die Kultur des Germanenthums ist seit tausend
Jahren ein untheilbar Ganzes und auf den wirkenden Volkskräften,
die die alten Kaisergeschlechter zu der glanzvollen Heldenhöhe empor¬
gehoben, ist auch das neuerstandene Reich gegründet, keine kurz¬
lebige Schöpfung, sondern von derselben dauernden Urkraft erfüllt,
welche der tausendjährigen Geschichte des Vaterlandes inne wohnt.
Und gerade die altehrwürdigen Erinnerungen, die von den Wänden
und Wölbungen herniedersprechen, mahnen die Vertreter des jungen
Reichs, dass ihr Thun und Lassen einen Faden anspinnt, der in die
Jahrhunderte hinausläuft, ebenso weit vorwärts strebt, wie die Gedenk¬
zeichen der Vergangenheit auf den Ursprung des Deutschthums zurück
weisen. Es liegt eine überwältigende Macht in dieser Idee, die das
Präludium der Innenarchitektur des Reichstagshauses bildet.
Die Südvorhalle ist völlig in Bayersfelder Sandstein aus der
Rheinpfalz, einer Steinart von einer schönen warmgetönten gelblichen
Färbung, ausgebaut. Zwölf gedrungene Pfeiler tragen auf den beiden
Längsseiten eine mit Adlerschilden reichgeschmückte Gallerie, darüber
erheben sich als Träger des kassettirten Tonnengewölbes zwölf präch¬
tige Säulen. Die Renaissanceformen der Halle nähern sich in der
eigenartigen Stilisirung dem Geist des romanischen Mittelalters. Den
Hauptschmuck der Halle werden die acht Broncestandbilder der
Kaiser darstellen und zwar sind es Karl der Grosse, Heinrich I.,
[32]Otto der Grosse, Heinrich III., Friedrich I., Rudolph von Habs¬
burg, Karl IV und der letzte Ritter Maximilian I., welche sich auf
niedrigen Postamenten vor den Pfeilern 2½ m hoch erheben werden.
Aus dem Gewölbefries oberhalb der Säulenkapitäle sind in den
Charakterköpfen die verschiedenen Dynastien und Kulturepochen
des Mittelalters gekennzeichnet. Es ist nun ein schöner Gedanke,
dass die Fenster, welche der vaterländischen Gedenkhalle das Licht
zuführen, Glasmalereien mit Motiven des neuen Reichs enthalten.
Ueber dem Portal thront Allmutter Germania auf dem Festhügel, ein
jugendschönes heroisches Weib, zu ihren Füssen der Festreigen ihrer
gekrönten Kinder, die mit dem Gelöbniss: „Wir wollen sein ein
einig Volk von Brüdern“ sich in fröhlicher Eintracht zu einem festen
Ring geschlossen haben. Als Symbol der Einheit umschlingt sie
Alle ein Band in den Reichsfarben. Zweige im Frühlingsblüthen¬
schmuck neigen sich herüber, und im Hintergrund dehnt sich das
deutsche Land vom Fels zum Meer. Im oberen Theil des Fensters
steht Sanct Michael, der Schutzpatron der Deutschen, und in der
Predella schliessen Nord und Süd mit Handschlag den ewigen Bund
der Treue. Um das Ganze läuft ein prächtiges Frucht- und Blumen¬
gewinde. Das Fenster liegt an der Sonnenseite des Hauses, die
Farben sind daher licht getönt, ein wunderbares Leuchten und
Glänzen durchwirkt den erhabenen Raum, wenn zur Mittagszeit beim
Beginn der Sitzungen das Tagesgestirn in den Farben des Fensters
spielt. Das dem Eintretenden entgegenblickende Fenster in der
Nordwand, zu welcher die breite Treppe emporführt, enthält den
Reichsadler mit den Wappen der Bundesstaaten. Ohne Zweifel die
bedeutendste Leistung auf heraldischem Gebiet und als Glasmalerei
den besten Erzeugnissen der Vergangenheit ebenbürtig. Die zahl¬
reich variirenden Farben der Wappenschilde sind zu schönster Har¬
monie vereinigt, und das einigende Band liegt hier in den riesenhaft
gedehnten Gliedern des Adlers, deren kraftvolles Schwarz zusammen
mit dem Goldgrund den dominirenden Farbenakkord bildet. Diese
beiden sowie die übrigen farbigen Fenster sind von dem Frankfurter
[33] Glasmaler Alexander Linnemann ausgeführt, der hiermit die höchste
Leistungsfähigkeit der deutschen Glasmalerei repräsentirt. Vor dem
Wappenfenster theilt sich die Treppe in zwei Arme und führt zu
den Portalen Preussen und Bayern, die zu den Räumen des Bundes¬
rathes und zur Wandelhalle den Eingang gewähren. An der Vierung
des dreiarmigen Tonnengewölbes stützen Putten in spielender Grazie
die zusammenstossenden Theile des Gewölbes, die Wandflächen weisen
vier grosse Nischen auf und über diesen ragen monumentale Köpfe
in den Raum hinein, die Eintracht und Gerechtigkeit, die Stärke und
Weisheit verkörpernd. Doch an den beiden Portalen ist die höchste
Steigerung des ornamentalen Schmucks inscenirt. Bis zur halben
Höhe der Portalpforten erheben sich reichgezierte Säulen als Posta¬
mente für die beiden weiblichen Figuren, in welchen die Art der
dominirenden deutschen Königreiche gekennzeichnet wird. Preussen
ruht auf den beiden Begriffen der Stärke und der Staatsklugheit und
Bayerns Zierden sind die Eintracht und Gerechtigkeit. Im Portal
Preussen kommt eine strenge Grösse, eine dräuende Wucht zum
Ausdruck. Das über dem Thürsturz emporgehobene breit ausladende
Gesims wird von dem Haupt des männermordenden Ares getragen
und so erscheint die über dem Kriegsgott thronende Borussia mit
dem Lictorenbündel als die Exekutivgewalt des Reiches, während
die anmuthumwobene Bavaria, die dem Haupt der Pallas Athene
entsprossen, die friedliche Arbeit mit einer Kranzspende lohnt. Und
über den Portalen ragen bis zum Scheitel der Wölbung die Monu¬
mentalwappen der beiden Staaten empor, dasjenige Preussens von
den keulenbewehrten wilden Männern mit dem Attribut des Löwen¬
fells flankirt, und das Wappen Bayerns halten die aufrechten Löwen.
Aus den Voluten der Wappen quellen üppige Fruchtgewinde hervor,
und ähnliches Schmuckwerk erfüllt den Portalfries. Die Bildhauer¬
arbeiten in der Südvorhalle sind von A. Vogel, einem jungen süd¬
deutschen Künstler, gefertigt, der überall kongenial auf die Intentionen
Wallot's eingegangen ist und an dieser wie an vielen andern Stellen
des Hauses Meisterwerke von bleibendem Werthe geschaffen hat.
3[34]
Die nördliche Eingangshalle ist in der Anlage von der
südlichen abweichend gestaltet und zwar konnte wegen der hier ein¬
gelegten Durchfahrt eine Treppe nicht angebracht werden. Der
Verbindungsgang zwischen der Wandelhalle und den Präsidialräumen
legt sich brückenartig über die portalähnliche Durchfahrt. Das ergab
ein Motiv von hoher Schönheit, eine von Säulen getragene Giebel¬
konstruktion. Aus dem Giebelfeld strebt ein Schiffsvordertheil mit
einer reizvollen, zierlichen Gallionfigur hervor, auf dem Giebel lagern
zwei nackte weibliche Gestalten, welche, die Nord- und Ostsee ver¬
körpernd, die Kaiserkrone emporhalten. Diese formenschönen Skulp¬
turen sind von Hundrieser modellirt. Im Uebrigen ist die nörd¬
liche Vorhalle durch markige Pfeiler gegliedert. Am Fuss derselben
werden acht Broncestandbilder von geistigen Grössen aus dem alten
Kaiserthum aufgestellt werden. Diese Halle ist also als Pendant zu
der südlichen gedacht. Baldachinähnliche Vorsprünge mit einem
Löwenkopf treten oberhalb der Standbilder aus den Pfeilern und
darüber sind an stilisirten Pflöcken leere Wappenschilde befestigt,
seitwärts davon hängen originelle, kunstvoll geknotete Stricke herab.
Von ebenso frappirender Eigenart in der Erfindung sind die auf
der Höhe der Gallerie befindlichen Einstellungen zwischen den Pfeilern.
Dekorationsstücke aus Feldfrüchten und als Symbol der geheimnissvoll
wirkenden Fruchtbarkeit der norddeutschen Tiefebene schaut hinter
einem Blätterbündel ein menschliches Antlitz in den Raum. Das
Alles sind charakterische Aeusserungen des „Stil Wallot“, dem eine
epochemachende Bedeutung zuzuschreiben ist. Und es muss aus¬
drücklich darauf hingewiesen werden, dass die ausführenden Künstler
wie Lessing, Vogel, Widemann, Hundrieser, Klein, Brütt u. a.
den Gedankenreichtum Wallot's nach einer genau detaillirten
Direktive in Stein reproducirt haben, die Grenze zwischen dem
Schaffen der mithelfenden Künstler und demjenigen des leitenden
Architekten ist nicht festzulegen, das Reichstagshaus ist in der künst¬
lerischen Totalität absolut geistiges Eigenthum Wallot's. Eben nicht
anders ist die wunderbare Harmonie zu erklären, die den ganzen
[35] Bau durchdringt. Der obere Theil der nördlichen Eingangshalle, der
auf dem Wege durch die Kleiderablage und über die Haupttreppe
erreicht wird, korrespondirt in der künstlerischen Ausstattung mit
dem entsprechenden Theil der Südhalle. Nur sind hier die Portale
Sachsen und Württemberg einfacher ausgebildet. Die Wappen der
beiden sekundären Königreiche ruhen auf dem Kopf des Vulkan
und Apollo, Arbeiten, die gleichfalls von A. Vogel geleistet sind.
Die beiden zur Zeit ausgeführten Glasfenster von Linnemann schildern
den Segen der Eintracht und den Fluch der Zwietracht, dort sind
die Farben licht und mild, hier aber von einer unheimlich wirkenden
Tiefe und dämonischer Gluth, die Figuren und Ornamente sind dem
Gegenstand gemäss meisterhaft stilisirt.
Als Hauptverkehrsader durchzieht die Wandelhalle das Haus
in seiner ganzen Länge, daran schliessen sich unmittelbar die beiden
Haupttreppen. Die Wandelhalle ist ohne Zweifel der grossartigste
Binnenraum, den die deutsche Profanarchitektur bislang aufzuweisen
hat. Der überwältigende Eindruck beruht nicht nur auf der kolossalen
Ausdehnung, sondern vielmehr noch auf der monumentalen Gliederung
der Architektur. Die gewaltigen Motive der Westfaçade haben hier
im Innern ein nicht minder imponirendes Gegenstück erhalten. Die
Flachkuppel der Rotunde, deren Oberlichtring 23,50 m über dem
Fussboden liegt, und die Tonnenwölbungen der Seitenflügel, 17,41 m
hoch, gehen bis zur Dachhöhe des Hauses. Die Längsaxe der
Wandelhalle misst 97,17 m, der Durchmesser der Rotunde 25,74 m
und die Hallenflügel sind mit Einschluss der Nebenschiffe 13,50 m
breit. Um zu vermeiden, dass die Halle bei der grossen Längs¬
ausdehnung und der verhältnissmässig geringen Breite schlauchartig
wirkt, sind zu beiden Seiten der Rotunde die Säuleneinstellungen
angeordnet, die dadurch erzielte Dreitheilung erhöht das rhythmische
Gefüge des Raums und bringt dem Auge die Länge der Halle erst
zu voller Anschauung. Ausserdem haben die Einstellungen insofern
einen praktischen Zweck, als über sie entlang eine direkte Verkehrs¬
verbindung zwischen den westlichen und östlichen Theilen des
3 *[36] Obergeschosses ermöglicht ist. Die künstlerische Ausschmückung
der Wandelhalle ist gegenwärtig noch nicht abgeschlossen. Es fehlen
noch die freistehenden Skulpturen, das Kaiserstandbild über dem
Schlussstein des Hauses und die damit in Beziehung gesetzten Bild¬
werke in den Nischen der Rotunde, ferner die allegorischen Skulp¬
turen auf den Gallerien, ausserdem werden die Fenster farbig ver¬
glast und die Wölbungen sollen mit Frescogemälden bedeckt werden.
Die im Grundriss achteckige Rotunde wird durch vier mächtige, in
die Flachkuppel eingreifende Rundbogen gegliedert, in der Höhe
des Obergeschosses treten in diese Oeffnungen Gallerien. An den
vier Schmalseiten sind rund ausgewölbte und von Säulen flankirte
Nischen eingelassen. Die Säulen der Halle besitzen einen edlen
Schwung, das Kompositakapitäl ist straff profilirt, ein herrlicher
Architrav legt sich wie ein einigendes Band unter die Gewölbeansätze.
Das System der Seitenflügel der Wandelhalle ist an den Längsseiten
durch fünf Pfeiler charakterisirt, von denen die drei inneren durch
Dreiviertelsäulen verstärkt sind. Im Interkolumnium befinden sich
die Thüren, deren Flügel und Giebel durch Bronceornamente ver¬
ziert sind. Die an der Westseite fortlaufenden rundbögigen Flächen
zwischen den Stichkappen der Tonnenwölbung sind über dem Haupt¬
gesims durch reich skulptirte Städtewappen ausgefüllt, in gleicher Höhe
zieht sich auf der Ostseite eine Gallerie hin, die von den gewölbten
Seitenschiffen getragen wird. Wirkungsvoll schliesst die Wandelhalle
am nördlichen und südlichen Ende ab. Hier heben je zwei frei¬
stehende Säulen eine kompakte Gallerie empor, aus der Attika schauen
zwei Medusenmasken in die Weite und auf der Balustrade lagern
zwei geheimnissvolle, sphinxartige Fabelthiere mit Flügelhelmen. Diese
wunderbaren Gebilde sind von Widemann gefertigt. Die übrigen
Skulpturen der Wandelhalle hat O. Lessing modellirt. Unter den
Säuleneinstellungen treten aus der glatten, durch Scharrirung belebten
Wandfläche vier Medaillons hervor mit elegant stilisirten Putten, die
als Herolde der deutschen Königreiche aufzufassen sind. Naturgemäss
ist die Rotunde am reichlichsten mit Figurenschmuck bedacht. Ueber
[37] dem westlichen Portal schwebt in einem Marmorrelief der preussische
Adler mit dem Wahlspruch „Nec soli cedo“, über dem nach dem
Sitzungssaal führenden Portal ruht ein mächtiger Löwe, die Reichs¬
insignien bewachend, hinter ihm Fahnentrophäen und die Schilde
der drei ersten Hohenzollernkaiser. Wie eine zu Stein gewordene
Symphonie muthen die vier Figurengruppen an, welche oberhalb der
Nischen vor die Gewölbezwickel gesetzt sind. Die vier Herrscher¬
tugenden, die Tapferkeit, Gerechtigkeit, Weisheit und Friedensliebe,
sind hierin symbolisirt. Vor dem vier Mal widerkehrenden Zierschild
mit dem bedeutungsvollen W sitzen je zwei allegorische Gestalten,
in denen das Thema des Schmuckstücks zu überzeugendem Ausdruck
kommt. Diese Gruppen mit dem phantasievoll ausgebildeten Ornament¬
werk klingen zu einer machtvollen, ehrfurchterweckenden Einheit
zusammen. Die Architektur der Wandelhalle ist, wie schon erwähnt,
nicht in Stein hergestellt, sondern in Marmorputz, einer dauerhaften
steinharten Mischung aus englischem weissen Cement, Marmormehl,
Magnesiterde etc. Dieser Inkrustatstein ist auf das Backsteinmauer¬
werk aufgetragen und geschliffen. Die Ornamente und ein Theil
der figürlichen Darstellungen sind aus demselben Material, meist in
Formen gegossen. Der Marmorstuck hat einen zarten ätherischen
Ton mit einer kühlen Nüance. Der Fussboden, mit verschieden¬
farbenen Marmorplatten belegt, ist von prächtigster Wirkung, der
Farbenakkord ist weiss, grau, schwarz, gelb und roth.
Im engen Zusammenhang mit der Wandelhalle stehen die an
der Westfront des Hauses gelegenen Erfrischungsräume, sowie der
Schreib- und Lesesaal der Abgeordneten. Hier ist eine Raumfolge
geschaffen, die in jedem Besucher einen unverlöschlichen Eindruck
hinterlässt. Der Ausstattung der Säle wohnt eine würdevolle Pracht
inne. In jeder Beziehung, in der architektonischen Gesammthaltung,
in den Täfelungen der Wände und Plafonds, in den Holzskulpturen,
den ornamentalen Malereien, in der Gestaltung und Stilisirung der
Beleuchtungskörper und Möbel etc. handelt es sich um Muster¬
leistungen deutschen Kunstschaffens, überall tritt die Eigenart Wallot's
[38] in einer überraschenden, ja fast verblüffenden Ideenfülle zu Tage.
Ein kraftgenialisches deutsches Empfinden pulsirt in allen diesen mit
ihrer Zweckbestimmung so wunderbar harmonirenden Gebilden. Mit
dem gedankenlos vertrottelten Formenwust der hergebrachten Typen
ist gründlichst aufgeräumt, das Kunsthandwerk war wieder auf schlichte
und gediegene Einfachheit zurückzuleiten, ein mühevolles Beginnen,
das nur eine so durchgreifende Persönlichkeit wie Wallot zu voll¬
führen im Stande war. In den beiden Erfrischungssälen hat das
unverfälscht süddeutsche Naturell Wallot's den weitesten Spielraum
gefunden, und es lag auf der Hand, dass die ausführenden Künstler
aus München zu citiren waren. So sind die Holzarbeiten der
Restaurationssäle von der Firma Pössenbacher, die Modelle für die
Skulpturen von Vogel und Pruska, die Gewölbemalereien von
Otto Hupp und die freihändigen Stuckornamente von Biehl, sämmt¬
lich in München, geliefert worden. Doch die genialste aller hier zur
Gestaltung gekommenen Ideen ist das erstaunliche Tonnengewölbe,
das die Illusion eines Laubendachs hervorruft und zu einem klassischen
Typus in seiner Art zu werden alle Aussicht hat. Ganz schlicht und
glattflächig spannt sich die riesige Wölbung über die ringsumlaufende
Täfelung. Ein undurchdringliches Gerank einer distelartigen spät¬
gothisch stilisirten Pflanzentype überzieht in kühnen Windungen die
Fläche. Im Gewölbeansatz stehen die prachtvollen mittelalterlichen
Geschlechtswappen der deutschen Regentenhäuser. Das ganze Halb¬
rund über dem Buffet erfüllt das Stammwappen der Hohenzollern.
Im Scheitel der Wölbung dehnt der deutsche Reichsadler sein Riesen¬
gefieder, gleichsam den ganzen Raum überschattend, daher auch der
Sinnspruch: „Sub umbra alarum tuarum protege nos!“ Die Reichs¬
insignien zu Füssen und zu Häupten des Adlers schauen gleichfalls
aus der Wölbung herab. Von knorrigen Wurzeln und Stämmen
ausgehend wird das grüne Blätterwerk von einem netzförmigen braunen
Geäst durchsponnen, an dem rothbäckige Aepfel hängen. Fröhliche
Schaaren eines drolligen Puttenvölkleins treiben im Grünen ihr Wesen.
In origineller Art bringt sich hierbei der deutsche Humor zur Geltung.
[39]
Die pausbäckigen Kinder vergnügen sich nach Herzenslust, sie klettern
nach den Aepfeln empor, schaukeln, tanzen und wiegen sich in den
Zweigen, schneiden ergötzliche Grimmassen, trommeln, fiedeln und
pauken, reiten auf Steckenpferden einher, sie prügeln und zausen
sich aus allen Leibeskräften, der eine streichelt seine geschwollene
Backe, ein anderer zwickt mit einem zangenartigen Spielzeug einen
diebischen Kater in den Schwanz, andere wieder, von fröhlichem
Gelage heimkehrend, verüben einen tollen Fastnachtsulk, der Rädels¬
führer reitet auf einem feisten Mutterschwein, und voran jagt die
beängstigte Schaar der Ferkelchen, ob der langohrigen Narrenkappen,
mit denen man ihr Haupt geschmückt, auf's Höchste entsetzt. Für
die ausserordentliche Wölbung nun eine Wandtäfelung zu entwerfen,
die dem Auge eine ausreichende Tragfähigkeit darbietet, war eine
schwierige Aufgabe. Wallot löste das Problem durch eine schlichte,
architektonisch streng gedachte Pfeilerstruktur, die bei aller markigen
Gedrungenheit doch auch wieder eine festlich bewegte, graziöse
Leichtigkeit besitzt. In die durch die Fenster und Thüren begrenzten
Wandabtheilungen sind muschelartig ausgewölbte Nischen mit den
elektrischen Wandarmen eingelassen. Der durch die Thüren unter¬
brochene Architrav ist durch einen zierlichen Zahnschnitt gehoben,
und auf das Hauptgesims ist noch eine Attika aufgesetzt, welche die
Gitteröffnungen der Heizung enthält. Grotesken und Masken ver¬
vollständigen den Schmuck der Täfelung. Das monumentale Buffet
an der nördlichen Schmalseite des Saales ist gleichfalls in Eichenholz
geschnitzt. Es ist mit Nischen, Fächern, Karyatiden mit Weintrauben,
Engeln, Grotesken etc. mannigfach gegliedert, eine Kunstleistung von
hoher Schönheit. Die Uhr über dem Portal an der andern Schmal¬
seite ist durch phantastische Symbole der irdischen Vergänglichkeit
ausgestattet, und zwei heraldisch stilisirte aufrechte Löwen in der
bemalten Wandfläche flankiren bedeutungsvoll den Zeitmesser. Der
zweite Erfrischungssaal im südwestlichen Eckthurm weist eine acht¬
eckige Grundform auf bei einem Durchmesser von 13,21 m. An
den vier Schmalseiten und den daran grenzenden Theilen sind
[40] Wandtäfelungen von reicher Ausgestaltung angebracht. Das System
derselben ist durch zwei Pfeiler, vier Säulen und zwei Nischen jedesmal
bedingt. Den oberen Abschluss bilden Giebel. Durch Putten, Masken,
Schilde und naturalistisch erfasste Schankmädchen ist die Täfelung
reizvoll verschönt. Ein flaches Gewölbe legt sich kreuzartig über
den Raum, im Scheitel ist ein origineller Bronceschmuck, um eine
strahlende Sonne bewegen sich Monde in den verschiedenen Phasen.
Das Gewölbe ist mit zartgetönten weissen Stuckornamenten verziert,
kapriciös geringelte Ranken streben über die Fläche hin und um¬
säumen die humorvollen heraldischen Impromptus. Ueberhaupt spielen
die heraldischen Motive in der Ornamentik des Reichstagshauses eine
bedeutsame Rolle. Es lag nahe, dass die korrekten Wappen der
Staaten und Städte an hervorragenden Stellen des Hauses als gemein¬
verständliche Symbole herangezogen wurden, so gut wie das einzige
Mittel, für das Zusammenwirken aller Gaue des Vaterlandes an der
Reichseinheit einen Ausdruck zu finden. Dann aber bot das Wappen¬
wesen noch die Anregung, neuschöpferisch in der Verwendung von
heraldischen Gebilden vorzugehen, wodurch diesem auf der Kunst
basirenden Gebiet eine weite Perspective eröffnet wurde. Im Restau¬
rationssaal sind die vier Elemente heraldisch dargestellt. Die Erde
hat den Löwen im Schild, und als Helmzier erscheint ein mit
Früchten beladener Baum, die Luft wird durch einen Adler gekenn¬
zeichnet, ein Luftballon als Zier hebt das ganze Wappen in die
höchsten Regionen, die die Heraldik jemals erstiegen. Ein Fisch
deutet das Wappen des Wassers, und über dem Helm bäumt sich
ein strahlenwerfender Delphin mit dem Schwanz aufwärts, das Feuer
schliesslich hat ein gluthhauchendes, löwenkralliges Drachenthier im
Schilde, die Helmzier ist ein weihrauchduftender schlanker Dreifuss.
Ein imposanter Kamin mit steilem, von einer Gallerie gekröntem Dach
vervollständigt das herrliche Interieur dieses Saales. Die lünetten¬
artigen Wandflächen über den Fenstern und der Thür werden noch mit
Frescogemälden geschmückt, ferner sollen die oberen Theile der Fenster
über den zu den Balkons führenden Thüren Glasmalereien erhalten.
[41]
An den nördlichen Theil der Wandelhalle stossen symmetrisch
zu den Erfrischungsräumen die beiden Säle, die den Abgeordneten
zur Lektüre der politischen Tagesliteratur und zur Erledigung des
Briefwechsels dienen. In unmittelbarer Verbindung damit steht das
Postbureau. Der Lesesaal ist 22,80 m lang, 9,47 m breit und
8,50 m hoch. Eine monumentale Täfelung verleiht dem Raum ein
vornehm weltmännisches Gepräge. Die wuchtigen, figurenreichen
Holzbekleidungen der Wände lassen geräumige Flächen offen, welche,
gegenwärtig mit blauem Stoff bespannt, deutsche Landschaftsbilder
als Schmuck erhalten werden und zwar in einer bestimmten Reihen¬
folge vom Fels zum Meer. Unterhalb der üppig kassettirten Holz¬
decke zieht sich, von karyatidenähnlichen Figuren unterbrochen, ein
von Max Koch gemalter Fries hin. Farbenglühende Idylle auf
Goldgrund. Kartuschen, Medaillons mit Fruchtschnüren, Grotesken,
Masken, Karyatiden und eine prächtige Uhr, deren komplicirtes Werk
nicht nur Stunde und Minute, sondern auch Jahr, Tag, Monat und
die Mondphasen anzeigt, kennzeichnen die künstlerische Ausstattung
des auf ein gesättigtes Blau abgestimmten Saales. Der gravitätische
Ernst der schweren Eichentäfelung wird gemildert durch die Einlagen
aus ungarischer Esche, einer goldgelben Holzart mit anmuthig ge¬
welltem Aderwerk. Die schön stilisirten Zeitungsrepositorien sind an
den Wandflächen zwischen den Thüren und Fenstern aufgestellt.
Das eigentliche architektonische Leitmotiv des Hauses, das z. B. in
der Wandelhalle, der Restauration variirt ist, ist mit Bedacht im
Lesesaal nicht aufgenommen, so erhält man hier den Eindruck einer
ruhigen Abgeschlossenheit und einer behaglichen Abgeschiedenheit
von dem Lärm der Aussenwelt. Nach den Entwürfen Wallot's
sind die Holzarbeiten, Möbel, Vorhänge, Thüren etc. von der
grossen Mainzer Firma A. Bembé ausgeführt, auch die Ausstattung
des Schreibsaales im Nordwestthurm. Hier bedingt der acht¬
eckige Grundriss die schön gegliederte Täfelung der Schmalseiten und
die in entsprechende Felder getheilte und durch helle Einlagen aus¬
gestattete Holzdecke. Künstlerisch beherrscht wird der Saal durch
[42] die von Widemann modellirten Nischenfiguren der vier Elemente,
von denen die Luft und die Erde durch zwei nackte Weiber, das
Feuer und Wasser durch Männergestalten mit den Attributen des
Poseidon und Hephästos dargestellt sind. In diesen herben und
strengen, von einer keuschen Hoheit und einer ergreifenden inner¬
lichen Würde durchwirkten Holzskulpturen hat Widemann meinem
Gefühl nach sein tief angelegtes, echt germanisches Naturell am erfolg¬
reichsten hervorgekehrt. Der einfach profilirte niedrige Kamin ist
aus schwarzgrünem Porte d'or-Marmor aus den Pyrenäen, einer
äusserst kostbaren Steinart, gefertigt. Die gewaltigen handgeknüpften
Smyrnateppiche in mildgetönten Farben sind aus einem Stück gearbeitet,
eine Riesenleistung. Durchweg von hoher Kunstvollendung und jedes¬
mal der Bestimmung der einzelnen Räume angepasst sind die Be¬
leuchtungskörper des Hauses. Der Architekt Dedreux hat in enger
Fühlung mit Wallot's Angaben die Zeichnungen dafür geliefert und
eine wahrhaft geniale Erfindungskraft bethätigt. Die Augsburger
Firma L. A. Riedinger übernahm in der Hauptsache die Ausführung.
Im Lese- und Schreibsaal dienen kunstvolle Ringkronen der Beleuchtung
in Form alter Stadtmauern mit Thoren und Wartthürmen und durch
Weinranken verbunden. Eine Riesenkrone mit figürlichen Darstellungen
wird in der Rotunde aufgehängt werden. In den Vorsälen für Bundes¬
rath und Reichstags-Präsidium sind die Köpfe mittelalterlicher Kur¬
fürsten und von historischen Persönlichkeiten auf den Gebieten der
Kunst und Wissenschaft zum bedeutungsvollen Schmuck der grossen
Beleuchtungskörper geworden. An anderen Orten treten Kugellüstres
auf, in den Hallen sind es kompakt profilirte Laternen. Ueberall
handelt es sich um Neubildungen und Musterleistungen der Würde
des Hauses entsprechend.
Die an der Ostfront des Hauses gruppirten Räume besitzen in
der Kaiserhalle einen grossartig ausgebildeten Centralpunkt und
dem Verkehr dienen die an das Vestibül gereihten langgestreckten
Vorsäle. Die Architektur der östlichen Vorhalle ist ihrer Bestimmung
gemäss in majestätischen Dimensionen gehalten. Die sacht ansteigende
[43] dreiarmige Treppe hat eine pompöse Breite, riesige Kugeln liegen
auf den Geländerpfosten. An den Treppenwangen blicken strenge
Reliefs, Krieg und Frieden darstellend, dem Eintretenden entgegen,
eine Arbeit Widemann's. Glatt und grossflächig, mit scharfen Profilen
steigen die gewaltigen Wände empor, der hier verwandte Warthauer
Sandstein hat einen hellgrauen kalten Ton, was nicht zum Wenigsten
zu dem hoheitsvollen Eindruck der Halle beiträgt. Ein Sinnbild un¬
endlicher Kraft sind die beiden Säulenpaare seitwärts der Treppe;
wie das Kaiserthum auf den vier Königreichen ruht, so auch die
riesig gedehnte Kreuzwölbung auf den Säulen. Ein aus Schmied¬
eisen gefertigter Adler von prächtiger Stilisirung fesselt den Blick des
die Treppe Emporschreitenden, von der Höhe der Westwand schauen
in den ernsten Köpfen die Vertreter der Stände den kommenden
Fürsten, mahnend gleichsam, entgegen, und zwar die Personifikationen
des Handels, der Landwirtschaft, der Ritterschaft, Geistlichkeit, der
Wissenschaft und des Handwerks. In das Innere des Hauses führen
die beiden reich geschmückten Portale, deren Gepräge schon auf die
dahinterliegenden Räume deutet. Die die Eingänge flankirenden
Säulen heben als Repräsentanten der Königreiche vier Kinderfiguren
hoch empor, deren Obhut die Reichsinsignien anvertraut sind. Preussen
ist mit dem Schwert, Bayern mit der Krone, Sachsen mit dem Scepter
und Württemberg mit dem Reichsapfel dargestellt. Ueber dem Portal¬
sturz befindet sich ein Schild mit dem Reichsadler und die Reichs¬
krone hebt sich auf dem Gipfel des Bildwerks wirkungsvoll von der
den Hintergrund bildenden Fensterfläche ab. Diese Portale haben
O. Lessing, der im Gegensatz zu Widemann durch eine gefällige
Eleganz gekennzeichnet ist, zum Urheber. Der erste Blick nach dem
Eintritt durch die Portale fällt auf beiden Seiten auf eine zu den
Zuhörerlogen emporführende Treppe. Das vergoldete Geländer der¬
selben, nach Zeichnungen Wallot's ausgeführt, ist von einer geradezu
verblüffenden Originalität und gehört zu den geistvollsten Details des
Hauses. Je mehr man nun im Innern vorschreitet, um so intimer wird
die künstlerische Ausgestaltung. Einen Höhepunkt erreicht sie in den
[44] beiden Wartesälen vor den Gemächern des Bundesraths und des Prä¬
sidiums. Diese Vorsäle sind überwölbt und mit Oberlicht versehen, die
Wände bis zum Hauptgesims mit istrischem Kalkstein bekleidet, einem
herrlichen, warmgetönten Material von krystallinischem Gefüge. Mit
solchem Stein gedachte Wallot ursprünglich die grosse Wandelhalle auszu¬
statten und an den vorhandenen Proben bekommt man eine annähernde
Vorstellung, von wie wunderbarer Wirkung die Wandelhalle in dieser
Gewandung geworden wäre. Die Vorsäle, 22,67 m lang und 7,175 m
breit, sind gleichartig gestaltet. An der der Osthalle abgekehrten
Schmalseite ruht auf zwei Pfeilern eine Gallerie mit Balkon. Schild¬
haltende Adler mit den Wappen der Königreiche zieren den Vorsaal
an der Bundesrathsseite, während die Wappen der vier Hauptstädte
Berlin, München, Dresden und Stuttgart im anderen den korrespon¬
direnden Schmuck bilden. Die erwähnten Pfeiler sind an den der
Längsaxe parallel laufenden Flächen mit phantasievollen Reliefs aus¬
gestattet, üppig blühende Ranken, Grotesken und die geflügelten und
gekrönten Genien des Kriegs und Friedens, von denen der eine
machtvoll in die Tuba stösst. Die Bildhauerarbeiten sind auch hier
von Lessing modellirt, und die Uebertragung der Modelle in Stein
ist in ganz vortrefflicher Weise von dem Steinbildhauer Knoll
geleistet worden. An den Wänden ziehen sich hochlehnige ge¬
schnitzte Ruhebänke mit goldgepresstem Lederbezug entlang und
an den zu den Korridoren überleitenden Schmalwänden werden Zier¬
kamine aus buntfarbigem Marmor das Interieur dieser unvergleich¬
lichen Räume stimmungsvoll abschliessen. Die an die Vorsäle an¬
grenzenden Amtszimmer sind, weil sie nicht übermässig gross sind,
von einem ebenso intimen wie vornehm würdigen Gepräge. Durch¬
gängig Eichenpaneele, kassettirte Holzdecken, gepresste Ledertapeten,
schwellende Teppiche und Möbel von frappirend eigenartigen Formen
sind ihnen allen zu Eigen. Erheblich einfacher aber doch von vor¬
nehmer Eleganz sind die beiden Zimmer des Direktors des Reichstags.
Unmittelbar an die Zimmer der Regierung grenzt der im Süd¬
ostthurm belegene Bundesraths-Sitzungssaal, der, viereckig im
[45] Grundriss, einen Durchmesser von 13,21 m hat. Der eigentliche
ausschlaggebende Schmuck fehlt hier zur Zeit noch. Die hohe Wand¬
täfelung ist in straffen und fein accentuirten Linien gehalten, über
dem Hauptgesims, das sich in der Höhe des Schlusssteins der
Fensterthüren befindet, wechseln ringsumlaufend Zinnen und Rosetten
miteinander ab, die Rosetten, ferner die einen Fruchtkranz tragenden
Putten über der westlichen Thür und andere wesentliche Theile
werden später vergoldet werden. So auch das skulptirte Balken¬
gefüge der in neun polygonale Felder getheilten Holzdecke, also zu
einem Goldrahmen bestimmt für die hier oben noch auszuführenden
Plafondmalereien. Die anmuthigen Bildhauerarbeiten des Sitzungs¬
saals sind von Vogel und Giesecke modellirt. An Stelle des gegen¬
wärtig zwischen Täfelung und Decke gespannten grünen Stoffes
werden in der Folge deutsche Gobelins nach Entwürfen namhafter
Künstler treten. Es soll hierbei der Versuch gemacht werden, eine
edle Kunstindustrie, die bis zum dreissigjährigen Krieg in Deutsch¬
land geblüht hat, zu neuem Leben zu erwecken. Der Sitzungstisch
mit den 60 Sesseln zieht sich hufeisenförmig durch den Saal, die
Decke, die Polster sind in einem feinen Olivengrün, der Smyrna¬
teppich stimmt dazu harmonisch in einer gedämpften Nüance. Die
vier Ringkronen sind mit Löwenköpfen geziert, die die Krystall¬
glühbirnen mit dem Gebiss festhalten. An der Nordwand steigt bis
zur Decke ein prachtvoller Kamin aus Marzana-Kalkstein empor.
Ueber der Feuernische das Relief eines dämonischen feuersprühenden
Löwenkopfes mit geöffnetem Rachen, Feuergarben schiessen aus
dem Haupt des Unthiers empor, aber sie werden gebändigt durch
eine Kette und ein breites Band. In dem darüber aufragenden
rechteckigen Felde wird ein vergoldetes Broncerelief eingefügt werden
und zwar mit einer eigenartigen Darstellung. Kaiser Wilhelm I.
reitet von einem Eichbaum an einem Kornfeld vorüber und einem
Lorbeerbaum entgegen. Die beiden an den Sitzungssaal anstossenden
Zimmer des Bundesraths, ein Vorsaal und ein Berathungssaal, sind
gleichfalls mit gediegener Pracht ausgestattet. Die Täfelung ist hier
[46] durch kannelirte Pilaster gegliedert, die Decke einfach kassettirt und
eine bordeaurothe Seidentapete mit Blumenmustern giebt den domi¬
nirenden Ton. Auch in diesen Sälen werden noch Wandmalereien
ausgeführt werden. Die dem Bundesrath im Zwischengeschoss reser¬
virten Räumlichkeiten weisen eine einfachere Ausstattung auf. Sehr
interessant sind Wandbekleidungen in den beiden an der Südfront
gelegenen Zimmern. In dem grösseren sind auf die zwischen Paneele
und Decke gespannte Leinwand stilisirte Weinstockranken aufgemalt,
zwischen welchen musicirende Satyre und heraldische Löwen eingefügt
sind. Im andern Zimmer ist es üppiges Distelgerank, welches das
Motiv der Malerei im Tonnengewölbe des Erfrischungssaales wirkungs¬
voll variirt. Diese stimmungsvollen dekorativen Arbeiten sind von
der Berliner Firma M. J. Bodenstein ausgeführt.
Der Bibliothekslesesaal für die Abgeordneten hat im nordöst¬
lichen Thurm Unterkunft gefunden. Hier bietet sich Gelegenheit,
die aus dem Bücherspeicher entliehenen Bücher zu lesen, ausserdem
galt es, für die Handbibliothek der Abgeordneten einen würdigen
Raum zu schaffen. An den Wänden des Saales ziehen sich daher
bis fast zum Plafond empor die eichenen Büchergestelle. In der
halben Höhe des Raums läuft eine Gallerie mit fein geschnürten
Traillen ringsum. Frappant wirkt die zur Gallerie emporführende
Treppe. In breiter Spirale läuft sie um eine Säule aufwärts, das
durchsichtige Geländer ist graziös stilisirt, auf dem Kapitäl der
Treppensäule steht Pallas Athene, und am Fussende schliesst das
Geländer mit einem prächtigen Adlerleibe ab.
Und nun schliesslich der grosse Sitzungssaal! In seiner ruhe¬
vollen Grösse und in den feierlichen Rhythmen des Aufbaues, in
seinem Kraftgefüge aus deutschem Eichenholz ist der Sitzungssaal
vereint mit der sich über ihm erhebenden Kuppel Höhepunkt und
Inbegriff des Wallot'schen Werkes. Die Abmessungen des Saales,
21,65 m Tiefe, 29 m Breite und 13,15 m Höhe, entsprechen genau
denjenigen des alten Sitzungssaales im provisorischen Reichstags-
Gebäude. Auch die Einrichtungen, die sich im alten Hause bewährt
[47] hatten, sind auf das neue übertragen worden. Die im Raumprogramm
vorgeschriebenen Grössenverhältnisse des Saales gehen bis an die
äusserste Grenze der Tragfähigkeit der menschlichen Stimme. Trotz¬
dem ist eine günstige Akustik erzielt worden. Doch die Grösse des
Saales möchte fast übertrieben erscheinen, wenn man sich vergegen¬
wärtigt, dass der englische Parlamentssaal nur halb so gross ist als der
deutsche, obwohl die Zahl der englischen Abgeordneten beträchtlich
grösser ist als die der deutschen. Ausser der erhöhten Präsidenten¬
tribüne mit fünf Sesseln sind auf der Estrade an der Ostwand
48 Plätze für Regierung, Bundesrath etc. angeordnet. Für die Ab¬
geordneten sind 400 Sitzplätze mit Schreibpulten geschaffen. Acht
grosse Radialgänge führen strahlenförmig vom Tisch des Hauses
durch die Sitzreihen hindurch, dazu kommen noch sieben kürzere
Gänge, die in der westlichen Hälfte des Saales zwischen den Haupt¬
linien eingelegt sind. Nirgends sind mehr als fünf Sitze zusammen¬
hängend. Die Steigung des Bodens ist im Verhältniss von 1 : 10
durchgeführt. Unmittelbar vor der Rednertribüne und hinter dem
Tisch des Hauses befinden sich, durch Schranken abgegrenzt, zwei
Pulte für sechs Stenographen, die auf einer besonderen Treppe aus
dem Erdgeschoss an ihren Platz gelangen, ohne, wie früher, den
Sitzungssaal durchqueren zu müssen. Elf Eingänge besitzt der Saal
zusammen. Um eine gute Akustik zu erzielen, war es nothwendig,
dass der Sitzungssaal mit Ausnahme natürlich der Glasdecke gänzlich
mit Holz bekleidet wurde. Gewählt ist Eichenholz mit Einlagen aus
ungarischer Esche, auch die Tribünen und die Skulpturen sind aus
gleichem Material. Nur an der Wand oberhalb des Präsidentenstuhls
sind drei grosse Flächen ausgespart, auf welchen später Fresco¬
gemälde mit historischen Darstellungen aus der Zeit der Reichs¬
gründung erstehen werden. Auffällig ist es, dass an dieser Ostseite
die Ausstattung weniger reich ausgebildet ist, vorläufig fehlen hier
noch wesentliche von Wallot geplante Schmuckstücke, namentlich
Figuren in den Nischen, Wappen, ornamentale Zierrathe für die
Thüren u. a. m. Die Täfelungen unterhalb der Zuhörertribünen
[48] sind von strenger Einfachheit, nur unterbrochen durch die prächtig
gegliederten Thüren, die für den sogenannten „Hammelsprung“
in Frage kommen. Diese einander gegenüberliegenden Eingänge
sind mit humorvollen Intarsien geschmückt, die Ja-Thür zeigt
Polyphem, seine Widder zählend, die Nein-Thür Rübezahl. Nach
oben aufsteigend wird die Holzarchitektur lichter und bewegter. Die
Tribünen springen balkonartig vor, wegen der Schallwirkung sind
scharfe Winkel durchweg vermieden, daher ist die Unterfläche der
Tribünen in einer Rundung an die Wand angebogen. Die Gliederung
der Tribünen ist von hoher Schönheit. An der Westseite erheben
sich im Mitteltheil vier Paar gekuppelte skulptirte Säulen mit ver¬
goldeten korinthischen Kapitalen, an der Nord- und Südwand sind
die Stützen Pfeiler, aus welchen Karyatiden hervorwachsen. Diese
verschieden charakterisirten weiblichen Gestalten haben eine alle¬
gorische Bedeutung. Die Ostwand ist in lebendigem Linienschwung
arkadenartig getäfelt und wird durch zwei Nischen begrenzt, für
welche Statuen der Weisheit und der Milde geplant sind. Unter
dem von Konsolen getragenen Hauptgesims zieht sich über den
Tribünen ein Triglyphenfries hin mit 30 polychromen Städtewappen.
Folgende Städte sind vertreten: Aachen, Strassburg, Stuttgart, Nürn¬
berg, Königsberg, Hannover, Frankfurt, Dresden, Köln an der Süd¬
seite, an der Westseite sind es Halle, Crefeld, Speyer, Düsseldorf,
Chemnitz, Barmen, Elberfeld, Regensburg, Metz, Mainz, Karlsruhe,'
Augsburg und an der Nordwand Trier, Ulm, Goslar, Göttingen'
Darmstadt, Worms, Erfurt, Kiel und Mülhausen. Die Wappen
der Königreiche und der vier Hauptstädte Berlin, München, Dresden
Stuttgart, die in reicherer Durchführung geplant sind, fehlen zur Zeit
noch im Sitzungssaal. Die von Linnemann gefertigte lichtgraue Glasdecke
des Sitzungssaales zeigt im grossen Mittelfelde einen riesigen Reichsadler
in diskreten Farben, und ein sanft getönter Fries in Gestalt eines Frucht¬
gewindes giebt der Glasfläche eine schön geschlossene Einheit. Die Farben¬
stimmung des Saales ist von wunderbarer Wirkung, der gelbbraune
Grundton wird in der Höhe durch das naturalistische Inkarnat der
[49] Karyatiden und durch die decente Vergoldung einzelner Ornament¬
theile feinsinnig variirt. Besonders hervorzuheben sind noch die
reichen und schweren Schnitzereien am Tisch des Hauses, an der
Redner- und Präsidententribüne, sowie an den Brüstungen der Estrade.
Von auffallender Schönheit ist der hochragende Präsidentenstuhl, an
der Lehne ist ein zierliches nacktes Weib, die Gerechtigkeit mit der
Wage in einem Relief dargestellt. Zwei Berliner Tischlerfirmen
haben nach den detaillirten Zeichnungen Wallot' s die Holzarbeiten
des Sitzungssaales ausgeführt, und zwar G. Olm die Ost- und West¬
wand sowie die Stühle und Pulte und Gebr. Lüdtke die Nord- und
Südwand und die Schranken der Estrade. Die Bildhauerarbeiten
sind von Vogel und Giesecke modellirt. Die Zuhörertribünen ent¬
halten an der Westseite 244 Plätze für das Publikum und die Behörden,
an der Südseite besitzt die Presse 81 Plätze und der Bundesrath
14 Sessel. Die Hof- und die Diplomatenlogen befinden sich an der
Nordseite, jene weist 13 und diese 19 Lehnsessel auf. In innigem
Zusammenhang mit der Hofloge stehen die beiden kaiserlichen Salons
im Zwischengeschoss. Die Ausstattung ist eine glanzvolle, ohne dass
das feine Maass überschritten ist. Die Wände erglänzen in mehrfarbigem
Stuckmarmor, die Kapitale, Embleme, Gesimse und Kartuschen sind
reich vergoldet und die Kamine bestehen aus Marmor. Die ge¬
schmackvollen Möbel von Ferd. Vogts \& Co. sind aus kostbarem
Neu-Guineaholz aus den deutschen Kolonien gefertigt.
Die Nebengeschosse treten in der künstlerischen Ausstattung
begreiflicher Weise hinter dem Hauptgeschoss zurück. Der Regierungs¬
baumeister Paul Wittig, der, wie schon erwähnt, 1890 den inneren
Ausbau der Nebengeschosse übernahm, hat bei seinen Arbeiten aus
gebotenen Sparsamkeitsrücksichten sich nur in engen Grenzen bewegen
dürfen. Diese Aufgabe war insofern eine schwierige, als mit ver¬
hältnissmässig geringen Mitteln doch die monumentale Würde des
Hauses zur Geltung zu bringen war. Es ist ein hohes Verdienst
Wittig's, dass auch in den Geschäfts- und Wirthschaftsräumen der
grosszügige Charakter, der der Wallot'schen Schöpfung aufgeprägt
4[50] ist, aufgenommen und mit bestem Gelingen durchgeführt ist. Fein¬
sinnig ist Wittig überall auf die Intentionen Wallot's eingegangen
und hat in der Lösung technischer Probleme, sowie in der Behandlung
der dekorativen Motive und in der Formengebung der Gebrauchs¬
gegenstände eine erfinderische Vielseitigkeit an den Tag gelegt. So
sind auch hier viele Typen von vorbildlichem Werth für das Kunst¬
gewerbe geschaffen. Die imposante Raumfolge der Berathungssäle
im Obergeschoss ist auch in der Ausstattung eine schöne Einheit
geworden. Paneelen aus Kiefernholz mit einem warmen Farbenton
sind durchgängig zur Anwendung gekommen, die Wandflächen sind
mit gross gedachten wechselnden Ornamentmustern bedeckt und zwar
in Caseinfarben, die freihändig auf den Putz aufgetragen sind. Diese
Arbeiten sind von dem geschätzten Dekorationsmaler K. Lange aus¬
geführt. In den grösseren Sälen sind die Plafonds aus Gründen der
Akustik mit Holz getäfelt, meistens in einfachen Balkenlagen, in
den Thurmgemächern sind es schön gegliederte Kassetten. Der
Berathungssaal über dem Südportal wird ornamentale Wandmalereien
von O. Rieth erhalten und den Saal über der Restauration hat
M. Seliger sehr wirkungsvoll ausgemalt. Die Beleuchtungskörper
sind vorwiegend Ringkronen, dazu treten auch Kugellustres auf.
Bemerkenswerthe Neuerungen sind schliesslich die von Wittig er¬
fundenen Typen für die Tische und Wandschränke in den Berathungs-
sälen. Eine überraschende Leistung ist ferner der in Eisen und Glas
durchgeführte Bücherspeicher, welcher die stattlichen Abmessungen
von 46,59 m Länge und 13 m Breite aufweist. Streng rhythmisch
und doch wieder leicht und graziös bauen sich die vier Geschosse
der Bücherständer auf, der schilfgrüne Anstrich der Eisengestelle
giebt dem ernsten Interieur eine anmuthige Wirkung. Dadurch
ist auch in den engen Gängen des in gedrängtem Magazinsystem
angelegten Bücherspeichers eine ausreichende Tagesbeleuchtung erzielt.
Der Speicher bietet Raum für 300000 Bände. Ebenfalls in Eisen
ist die Registratur ausgebaut, eine Gallerie in halber Höhe der
Räume ermöglicht einen bequemen Zugang zu allen Theilen der
[51] bis zur Decke emporreichenden Aktenbehälter. Die Arbeitszimmer
der Presse im Zwischengeschoss weisen eine gediegene und elegante
Einrichtung auf, insbesondere ist der als Erfrischungsraum dienende
langgestreckte Saal durch eine poesievolle farbige Behandlung des
Innern ausgezeichnet. Im Erdgeschoss sind die Räume für die
Stenographen mit einer behaglichen Eleganz höchst praktisch ein¬
gerichtet. Die beiden grossen Säle der Botenmeisterei erhalten
gleichfalls bei all der einfachen Ausstattung durch glückliche Farben¬
töne ein anmuthendes Gepräge. Die besondere Sehenswürdigkeit
des Erdgeschosses aber ist die gewaltige Küchenanlage, in
welcher Wittig eine Musterleistung von hervorragender Bedeu¬
tung geschaffen hat. Selbstverständlich sind hier die Einrichtungen
mit allen Errungenschaften der modernen Technik in's Werk gesetzt.
Der Betrieb geschieht mit Gasheizung. Die einzelnen Theile der
Küche greifen in einer logischen Folge in einander. Der Chef der
Küche besitzt einen abgesonderten, wohlig eingerichteten Raum, der
aus einem Comptoir und einem Kneipzimmer besteht. Von hier aus
sind alle Abtheilungen der Anlage bequem zu überblicken und zu
kontrolliren. Vom Büffetraum des Erfrischungssaales führen Treppen
und Aufzüge in das Erdgeschoss herab. Die Speisenabgabe erfolgt
an einem Schalter mit besonderen Wärmvorrichtungen. Dahinter liegt
der Hauptküchenraum, der, 9,19 m lang und 10,87 m tief, die Herd¬
anlagen mit allen Finessen der modernen Kochkunst enthält. Die
lichte, ebenso bequeme wie praktisch gegliederte Einrichtung verräth
das Walten des Architekten, der bei aller Prosa der Aufgabe doch
auch wieder ästhetische Gesichtspunkte sich zur Norm genommen.
Die Herde, Bratöfen, Bratspiess- und Roastanlagen, ferner die Back¬
öfen und Wärmspinden sind von Senking in Hildesheim, die zahl¬
reichen Spüleinrichtungen von Grove, die Eisbehälter, Weinschränke etc.
von Bertuch und die Küchenmöbel und Tischlerarbeiten von der
Firma Pfaff geliefert. Im Hintertreffen gliedern sich die Räume
für das Herrichten der Speisen, für das Putzen der Gemüse, das
Schlachten der Fische und für die Reinigung des Geschirrs. Der
4 *[52] Küchenapparat vermag den Anforderungen von 500 Gedecken gerecht
zu werden.
Wie es die Reichsgründer gewollt, ist in dem Monumentalbau
Wallot's ein Wahrzeichen und ein Denkmal geschaffen, welches
Kunde giebt von den Ruhmesthaten einer grossen Zeit. Zugleich
aber hat sich die vereinte deutsche Kunst unter Führung des be¬
rufenen Meisters in einer ungeahnten Herrlichkeit entfaltet; das Bau¬
werk, welches in den Tiefen des aufstrebenden germanischen Kraft¬
gefühls wurzelt, verkörpert die höchste Leistungsfähigkeit der Kunst
unserer Zeit.
Die Urkunde im Schlussstein des Hauses sagt:
„Zehn Jahre mühevoller Arbeit sind über der Errichtung des
Baues dahingegangen. Zur Ehre des geeinten Vaterlandes erhebt es
sich, festgefügt durch deutsche Hände, ein Zeugniss deutschen
Fleisses und deutscher Kraft . . . . .
Es bleibe der Bau ein Denkmal der grossen Zeit, in welcher
als Preis des schwer errungenen Sieges das Reich zu neuer Herr¬
lichkeit erstanden ist, eine Mahnung den künftigen Geschlechtern zu
unverbrüchlicher Treue in der Pflege dessen, was die Väter mit
ihrem Blute erkämpft haben.
Das walte Gott!“
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- TextGrid Repository (2025). Rapsilber, Maximilian. Das Reichstags-Gebäude. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjjd.0